Lehrbuch des deutschen Strafrechts [9., durchgearb. Aufl. Reprint 2018]
 9783111541327, 9783111173191

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Berichtigungen
Einleitung
I. Die Geschichte des Strafrechts
II. Grundzüge der Kriminalpolitik
III. Die Quellen des Reichsstrafrechts. Quellenbestand. Litteratur. Herrschaftsgebiet.
Allgemeiner Teil
Erstes Buch. Das Verbrechen
Zweites Buch. Die Strafe
Besonderer Teil. Die einzelnen Verbrechen und ihre Bestrafung
Erstes Buch. Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen
Zweites Buch. Seite Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter der Gesamtheit
Paragraphenregister
Register der Nebengesetze
Sachregister

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Lehrbuch des

Deutschen Strafrechts. Von

Dr. Franz von Liszt, ord. Professor der R e c h t e in H a l l e a. S.

N e u n t e durchgearbeitete Auflage.

Berlin SW4|. Wilhelmstrafse

119/120.

J. G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung. G. m . b. H .

1899.

Herrn Professor Dr. Hermann Seuffert Geheimen Justizrat in Bonn

in freundschaftlicher Verehrung

zugeeignet.

Vorwort. Die neue Auflage bringt äufsere wie innere Umgestaltungen. Auf die letzteren, die dem aufmerksamen Leser nicht entgehen werden, möchte ich an dieser Stelle nicht im einzelnen aufmerksam machen. Sie sind unbedeutender ausgefallen, als ich geplant hatte. Eine befriedigende Systematik des besondern Teils scheitert an dem verworrenen Stande unsrer Gesetzgebung. Zu einem Neubau des allgemeinen Teils auf einfacherer Grundlage aber fehlte mir jetzt noch der Mut. Dafs ich überall meine Ansichten an den von andern vorgebrachten Gründen sorgfaltig überprüft habe, versteht sich von selbst. Aber zu eingehender Auseinandersetzung ist das „Lehrbuch" nicht der geeignete Ort. Ünd die Befriedigung, persönliche Gegnerschaft vor die akademische Jugend zu tragen, gönne ich neidlos denen, die die mit der Stellung des Lehrers verbundenen Pflichten niedriger, als ich es stets gethan habe, einschätzen. Die sachliche Durcharbeitung hat es mir zu meinem Bedauern unmöglich gemacht, die Paragraphenziffern der letzten Auflagen beizubehalten. Dagegen ist es mir gelungen, durch Streichung jedes überflüssigen Wortes trotz des vermehrten Stoffes den Umfang des Buches um über einen Bogen zu kürzen. Auf die Verwendung des Petit-Druckes für minder wichtige Abschnitte konnte ich nicht verzichten, obwohl ich die gegen ihn vorgebrachten Bedenken durchaus würdige. Wir

VI

Vorwort.

Kriminalisten müssen heute bescheidener sein als je. Umgekehrt habe ich mich bemüht, durch Fettdruck die wichtigsten Lehrsätze besonders hervorzuheben. Den Registern wurde erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet; im Sachregister haben alle Begriffe von allgemeinerer Bedeutung Aufnahme gefunden. Dem Widmungsblatte möchte ich diesmal ein Begleitwort mit auf den W e g geben. Vor gerade zwanzig Jahren (am 16. Februar 1879) habe ich, damals Privatdozent in Graz, den Ruf erhalten, als ordentlicher Professor für Strafrecht und Zivilprozefs an die Universität Giefsen zu gehen. Dafs mit dem Manne, dessen Nachfolger damals zu werden ich die Ehre hatte, mich heute nicht nur die Pflicht der Dankbarkeit, sondern enge Waffenbrüderschaft und herzlichste Freundschaft verbindet, rechne ich zu dem Schönsten und Wertvollsten, was mir diese zwanzig Jahre gebracht haben. Von dieser Empfindung sollte die Widmung Zeugnis geben. Halle a. S., am 16. Februar 1899. Franz v. Liszt.

Inhaltsverzeichnis. Einleitung. Seite

§ I.

D e r B e g r i f f des S t r a f r e c h t s und die A u f g a b e des L e h r b u c h s. I. Das Strafrecht als die rechtlich begrenzte Strafgewalt des Staates. II. Die Kriminalpolitik. III. Die Quellen des Strafrechts I.

§ 2.

I

Die G e s c h i c h t e des Strafrechts.

Allgemein - geschichtliche Einleitung. I. Rechtsvergleichung und Kriminalpolitik. II. Der soziale Charakter der ursprünglichen Strafe, i n . Die staatliche Strafe. IV. Der Zweckgedanke in der Strafe

3

§ 3.

D a s S t r a f r e c h t d e r R ö m e r . I. Die älteste Zeit. II. Die Zeit des Quästionenprozesses. HI. Die Kaiserzeit § 4. D a s m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e S t r a f r e c h t . E r s t e r A b schnitt. Das frühere Mittelalter: Bis zum 13. Jahrhundert. I. Ursprünglicher Charakter. II. Das Kompositionensystem. III. Die öffentliche Strafe. IV. Der Zerfall der fränkischen Monarchie. Z w e i t e r A b s c h n i t t . Das spätere Mittelalter: Vom 13. bis ins 16. Jahrhundert § 5. D i e p e i n l i c h e G e r i c h t s o r d n u n g K a r l s V . I. Die italienischen Juristen des Mittelalters. II. Die populär-juristische Litteratur Deutschlands. III. Deutsche Gesetzgebungen; insbesondere die Schwarzenbergschen Arbeiten. I V . Die Entstehungsgeschichte der PGO. V . Ihre Bedeutung . . §6. Das gemein-deutsche Strafrecht. I. Die Gesetzgebung bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. II. Die gemeinrechtliche Wissenschaft, i n . Die Rechtspflege. IV. Die Gesetzgebung seit 1750 . § 7. D a s Z e i t a l t e r d e r A u f k l ä r u n g . I. Die litterarische Bewegung. II. Anerkennung der neuen Gedanken durch die Gesetzgebung § 8. D i e d e u t s c h e S t r a f g e s e t z g e b u n g b i s z u m J a h r e 1870. I. Die deutschen Strafgesetzbücher vor 1851. U. Das preufsische Strafgesetzbuch von 1851. DI. Die deutsche Landesgesetzgebung nach 1851

6

11

18

2 2

29

33

vrn

Inhaltsverzeichnis. Seit«

§

9.

§ 10. § 11.

§ 12.

D i e a u f s e r d e u t s c h e S t r a f g e s e t z g e b u n g d e s 19. J a h r h u n d e r t s . I. Österreich-Ungarn. II. Die Niederlande. ÜI. Der skandinavische Norden. IV. Der russische Staat. V. Die Balkanstaaten. VI. Die Schweiz. VII. Frankreich, Belgien, Luxemburg, Monako. V I I I . Die iberische Halbinsel. IX. Die italienische Halbinsel. X . Die Staaten mit englisch-amerikanischem Recht. XI. Die süd- und mittelamerikanischen Staaten. XII. Die Türkei, x m . Die hinterasiatischen Staaten. X I V . Der Kongostaat . . D i e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t i m 19. J a h r h u n d e r t (bis 1870). I. Die Blütezeit der Wissenschaft. H. Die Strafrechtstheorieen. III. Die Zeit des Verfalls . . . D i e E n t s t e h u n g und W e i t e r b i l d u n g des R e i c h s s t r a f gesetzbuchs. I. Fehlgeschlagene Versuche. II. Das StGB, für den Norddeutschen Bund. III. Das RStGB. I V . und V . Spätere Abänderungen Die übrigen Reichsstrafgesetze II.

§ 13.

§ 14.

§ 15.

§ 16.

§ 18.

§ 19.

§ 20.

50 54

59

63

68

73

Die Quellen des Reichsstrafrechts.

Quellenbestand. § 17.

47

Die GrundzUge der Kriminalpolitik.

Das Strafrecht als Interessenschutz. I. Rechtsgut und Norm. II. Der Rechtszwang. III. Die Wirkungen der Strafe im allgemeinen. TV. Die drei Strafzwecke. V. Sekundäre Natur des Strafrechts D i e U r s a c h e n u n d d i e A r t e n d e r K r i m i n a l i t ä t . I. Der Begriff der Kriminologie. II. Akute und chronische Kriminalität. HI. Der „Verbrechertypus". IV. Die soziologische Auffassung des Verbrechens . . . . D i e F o r d e r u n g e n d e r K r i m i n a l p o l i t i k . I. Der Grundgedanke. II. Seine Einzelanwendung. III. Die Schranken des Zweckgedankens Der Streit der S t r a f r e c h t s t h e o r i e e n . I. Absolute und relative Theorieen. II. Die Rechtfertigung der Strafe. ÜI. Die Auffassung des Lehrbuchs. IV. Zweckstrafe und Vergeltungsstrafe. III.

38

Litteratur.

Herrschaftsgebiet.

Q u e l l e n b e s t a n d . I. Das gesetzte Recht als einzige Quelle der Strafrechtssätze. II. Gesetz, Verordnung, Vertrag. III. Begriff des Gesetzes. Druckfehler und Redaktionsversehen. IV. Die gesetzlichen Quellen Die Litteratur des R e i c h s s t r a f r e c h t s und seiner Hilfswissenschaften. I. Textausgaben. II. Systematische Darstellungen. I I I . Kommentare. I V . Abhandlungen allgemeineren Inhalts. V . Zeitschriften. V I . Spruchsammlungen. v n , Strafrechtsfälle. V I I I . Hilfswissenschaften Das zeitliche G e l t u n g s g e b i e t der Strafrechtssätze. A l t e s u n d n e u e s R e c h t . I. Beginn und Ende ihrer Herrschaft. II, Die sogen, rückwirkende Kraft der Strafrechtssätze. I I I . Anwendung des mildesten Gesetzes Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Reichsrecht und Landesrecht. I. Der Grundsatz. II. Die reichsrechtlich nicht geregelten „Materien". ÜI. Weitere

82

85

88

Inhaltsverzeichnis,

IX Seite

§ 21.

§ 22.

§ 23.

§ 24.

§ 25.

Beschränkungen der Landesgesetzgebung. IV. Die Ausführungsgesetze der Einzelstaaten Das räumliche G e l t u n g s g e b i e t der Strafrechtssätze. D e u t s c h e s und a u f s e r d e u t s c h e s R e c h t . G r u n d s ä t z liche Erörterung. I. Begriff des sogen, internationalen Strafrechts. II. Das Strafrecht als Interessenschutz. III. und IV. Im Ausland begangene strafbare Handlungen. V. Internationale Vereinbarungen Fortsetzung. Der S t a n d p u n k t der Reichsgesetzg e b u n g . I. Der Ausgangspunkt n . Der strafrechtliche Begriff des Inlands. III. Im Ausland begangene Übertretungen. IV. Verbrechen und Vergehen im Auslande. V. Besondere Bestimmungen . .. F o r t s e t z u n g . I n t e r n a t i o n a l e R e c h t s h i l f e . I. Die Auslieferung als Akt der internationalen Rechtshilfe. II. Die deutschen Auslieferungsverträge. Das Asylrecht politischer Verbrecher und die belgische Attentatsklausel . . . . . . Das p e r s ö n l i c h e G e l t u n g s g e b i e t der Strafrechtss ä t z e . I. Staatsrechtliche und II. völkerrechtliche Befreiungen. III. Die Militärpersonen F r i e d e n s r e c h t u n d K r i e g s r e c h t . I. § 4 des Einführungsgesetzes zum RStGB. II. Das Militär-StGB. III. § 36 des Prefsgesetzes

91

94

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108

Allgemeiner TeiL Erstes

Buch.

Das Verbrechen. § 26.

B e g r i f f u n d E i n t e i l u n g d e s V e r b r e c h e n s . I. Begriffsmerkmale und Erscheinungsformen. II. Einteilung der Verbrechen. Geschichtliches. III. Die Dreiteilung des geltenden Rechts. IV. Folgesätze •

A.

Die Begriffsmerkmale des Verbrechens. I.

§ 27. § 28.

§ 29.

§ 30.

109

Das Verbrechen als Handlung.

D a s S u b j e k t d e s V e r b r e c h e n s . I. Die Vergehungsfähigkeit der Tiere. II. Das Körperschaftsverbrechen 113 D e r B e g r i f f der H a n d l u n g im a l l g e m e i n e n . I. Der Thatbestand des Verbrechens. II. Die Handlung. III. Der Erfolg. IV. Die Willkür 115 1. D i e B e g e h u n g (das T h u n ) . I. Die kausale Körperbewegung. II. Die Verursachung. III. Einschränkungen und Ausnahmen. I V . Geschichte der Frage. V. Der Stand der Ansichten . . 1 1 9 2. D i e U n t e r l a s s u n g . I. Begriff der Unterlassung. II. Die

X

Inhaltsverzeichnis. Seite

rechtswidrige lassung § 31.

Z e i t und Ort Unterlassung. II.

Unterlassung.

III.

Die

Kausalität

der

Unter126

der Handlung. I. Die Begehung. III. Einzelanwendungen

II.

Die 130

Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung.

§ 32.

Die R e c h t s w i d r i g k e i t als B e g r i f f s m e r k m a l . I. Verletzung und Gefährdung von Rechtsgütern; Ungehorsamsvergehen. II. W e g f a l l der Rechtswidrigkeit. III. Geschichtliche Entwicklung

133

§ 33.

Die Notwehr. I. Geschichte, n . Die Merkmale des Begriffes. III. Überschreitung der Notwehr

137

§34.

Der Notstand. I. Geschichte. R e c h t , insbesondere das B G B

§ 35.

Die übrigen Fälle. I. Amtspflicht. I I . Besondere Berechtigung. III. Ausübung eines anerkannten Berufs. I V . Einwilligung des Verletzten. V . Selbstverletzung. V I . Wahrheitsgetreue Kammerberichte III.

II. Begriff.

I I I . D a s geltende .141

146

Das Verbrechen als schuldhafte Handlung.

§ 36.

B e g r i f f u n d V o r a u s s e t z u n g e n d e r S c h u l d . I. Schuld als Verantwortlichkeit für den Erfolg. II. Geschichte des Schuldbegriffs. III. Schuldfreies Unrecht

151

§ 37.

Die Zurechnungsfähigkeit. I. Die Zurechnungsfähigkeit als normaler Zustand. II. Der Begriff der Zurechnungsfähigkeit im RStGB. III. D i e actiones liberae in causa. I V . Mangelnde Zurechnungsfähigkeit und die Teilnahme

156

§ 38.

Die Fälle der Zurech nungsunfähigkeit. geistige Reife; Jugend und Entwicklungshemmung. geistige Gesundheit. I I I . Bewufstseinsstörungen

160

§39.

Der Vorsatz. I. Begriff. II Vorsatz und Absicht. III. Unbestimmter Vorsatz. I V . Bewufstsein der Rechtswidrigkeit . . Fortsetzung. D e r I r r t u m . I. Begriff und Einflufs auf den Vorsatz. II. Beziehung des Irrtums auf den Erfolg. III. Thatund Rechtsirrtum. I V . Aberratio ictus und error in persona . Fortsetzung. Das B e w u f s t s e i n der Rechtswidrigk e i t . I. Der Grundsatz. II. Ausnahmen. IH. Folgesätze . . D i e F a h r l ä s s i g k e i t . I . G e s c h i c h t e . II. Begriff. I I I . Einflufs des Irrtums. IV. Die fahrlässigen Vergehen in der Reichsgesetzgebung. V . Fahrlässigkeit in Bezug auf einzelne Vergehensmerkmale. V I . Grade der Fahrlässigkeit

§ 40.

§41. §42.

§ 43.

D i e V e r s c h u l d u n g b e i d e n P r e f s d e l i k t e n . I. Die Unzulänglichkeit der allgemeinen Grundsätze. II. Der verantwortliche Redakteur als Thäter. III. Die prefsrechtliche Fahrlässigkeit IV.

§ 44.

I. Fehlende II. Fehlende

164

170 174

178

182

Das Verbrechen als strafbares Unrecht.

U n r e c h t und V e r b r e c h e n . I. Bürgerliches und peinliches Unrecht. II. Strafausschliefsungs- und Strafaufhebungsgründe. III. Bedingungen der Strafbarkeit im eigentlichen Sinne. I V . Prozefsvoraussetzungen

186

Inhaltsverzeichnis.

XI Seite

§ 45.

D e r A n t r a g d e s V e r l e t z t e n i n s b e s o n d e r e . I. Geschichte und Stand der Gesetzgebung. II. De lege ferenda. Die beiden Gruppen der Antragsvergehen. III. Der Antrag im geltenden Reichsrecht

B.

Die Erscheinungsformen des Verbrechens. I.

§ 46.

§ 47. § 48.

191

Vollendung und Versuch des Verbrechens.

D e r B e g r i f f d e s V e r s u c h e s im a l l g e m e i n e n . I. Vollendetes und versuchtes Verbrechen. II. Geschichte des Versuchsbegriffes. III. Vorbereitung und Ausführung. IV. Arten des Versuches. V. Unmöglichkeit des Versuches. VI. Strafbarkeit des Versuches 198 D e r u n t a u g l i c h e V e r s u c h . I. Geschichte der Frage. II. Der Grundsatz. III. Seine nähere Erläuterung 206 D e r R ü c k t r i t t v o m V e r s u c h . I. Seine Bedeutung. II. Rücktritt beim beendeten und beim nicht beendeten Versuch. III. Freiwilligkeit des Rücktritts. IV. Der Rücktritt als Strafaufhebungsgrund 211 II.

Thäterschaft und Teilnahme.

§ 40.

U b e r b l i c k und G e s c h i c h t e . I. Die Grundgedanken des geltenden Rechts. I I . und III. Die Geschichte der Frage. IV. Begünstigung; Komplott und Bande . . • § 50. I. D i e T h ä t e r s c h a f t . I. Begriff. II. Sogenannte mittelbare Thäterschaft. III. Mitthäterschaft. IV. Nebenthäterschaft . . § 5 1 . 2. D i e T e i l n a h m e . I. Anstiftung. II. Beihilfe § 52. F o r t s e t z u n g . Folgesätze. I. Vorsätzliche Teilnahme an vorsätzlichem Thun. II. Strafbarkeit der Haupthandlung. IH. Unselbständigkeit der Teilnahmehandlung. I V . Mehrfache Beteiligung an demselben Vergehen. V. Einschränkungen des Grundsatzes § 53. F o r t s e t z u n g . Einflufs persönlicher Verhältnisse. I. Folgerung aus der unselbständigen Natur der Teilnahme. II. StGB. § 50. III. Andre Fälle III. §54.

214 219 225

229 233

Verbrechenseinheit und Verbrechensmehrheit.

H a n d l u n g s e i n h e i t un d M e h r h e i t d e r H a n d l u n g . I. Der Grundgedanke. II. und III. Die Fälle der Handlungseinheit . § 55. H a n d l u n g s m e h r h e i t und V e r b r e c h e n s e i n h e i t . I. Der Begriff. II. Die Anwendungsfälle. III. Das sog. Kollektivverbrechen § 56. D i e r e c h t l i c h e B e h a n d l u n g d e r V e r b r e c h e n s e i n h e i t . I. Die richtige Auffassung. II. Die unzweifelhafte Gesetzeskonkurrenz. III. Die scheinbare Idealkonkurrenz § 5 7 . D i e V e r b r e c h e n s m e h r h e i t . I. Der Rückfall. II, Zusammentreffen mehrerer Verbrechen

235 239 243 247

XII

Inhaltsverzeichnis.

Zweites

Seit«

Buch.

Die Strafe. i. §58.

D e r B e g r i f f d e r S t r a f e . I. D i e Begriffsmerkmale. II. Disziplinarstrafen und Prozefsstrafen. III. Ordnungsstrafen. Strafen nach den Gesetzen über Ministerverantwortlichkeit. I V . Polizeistrafen II.

Die Strafarten.

250

(Das Strafensystem.)

59.

D a s Strafensystem der R e i c h s g e s e t z g e b u n g . I. Hauptund Nebenstrafen. Nachstrafen. II. Das System der Strafmittel

255

60.

1. D i e T o d e s s t r a f e . I. Geschichte. III. Vollzug der Todesstrafe

257

61.

2. D i e F r e i h e i t s t r a f e . Ihre Geschichte. I. Die alten Zuchthäuser. II. Der Beginn der Reform. III. Der Streit der Systeme in Nordamerika. I V . Der Sieg der Einzelhaft. V. Das sogenannte irische System und die bedingte Entlassung. V I . Das Reformatorsystem (Elmira). V I I . Der Strafvollzug und die Reichsgesetzgebung Die F r e i h e i t s t r a f e n der R e i c h s g e s e t z g e b u n g . I. D i e Arten. II. Ihre Unterschiede. III. D i e Einzelhaft. I V . Bedingte Entlassung. V . Jugendliche Verbrecher

62.

63. 64. 65. 66.

II.

Anwendungsgebiet.

3. D i e G e l d s t r a f e . I. Anwendungsgebiet. II. Reichssträfgesetzbuch. I I I . Nebengesetze 4. D e r V e r w e i s . I. Anwendungsgebiet. I I . Vollstreckung . 5. N e b e n s t r a f e n a n d e r F r e i h e i t . I. Polizeiaufsicht. II. Überweisung an die Landespolizeibehörde. III. Ausweisung . 6. N e b e n s t r a f e n a n d e r E h r e . I. Begriff. II. Aberkennung sämtlicher, III. Aberkennung einzelner Ehrenrechte. I V . Nachverfahren . . . . . .

260

264 267 269 269

272

A n h a n g . § 67.

Die Bufse.

.

275

§ 68.

D i e r i c h t e r l i c h e S t r a f z u m e s s u n g . I: Absolute und relative Strafdrohungen. I I . D i e Strafrahmen des heutigen Rechts. III. Die Strafzumessung. I V . Strafumwandlung. V . Strafänderung. Strafanrechnung

277

§ 69.

Strafänderung: 1. Rückfallschärfung

280

§ 70.

S t r a f ä n d e r u n g : 2. S t r a f m i l d e r u n g . I. Allgemeine Milderungsgründe. Jugend, Versuch, Beihilfe. II. Besondere Milderungsgründe. Die „mildernden Umstände"

III.

I. Ihr Anwendungsgebiet.

I I . Ihr Wesen

.

.

Das Strafmafs in Gesetz und Urteil.

Strafschärfung.

Insbesondere

die

281

Inhaltsverzeichnis:

XIII Seite

§ 71.

§ 72.

§ 73.

Strafumwandlung. I. Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitstrafe. II. Umwandlung einer Freiheitstrafe in eine andre. III. Umwandlung der Einziehung in Geldstrafe S t r a f a n r e c h n u n g . I. Anrechnung der Untersuchungshaft. II. Anrechnung des ausländischen Urteils. III. Erwiderung oder Aufrechnung Bestimmung der S t r a f e b e i Z u s a m m e n t r e f f e n m e h r e r e r V e r b r e c h e n (realer Konkurrenz). I. Notwendigkeit einer Milderung des Häufungsprinzips. II. Die Gesamtstrafe. III. und IV. Abweichungen. V. Besondere Bestimmungen der Nebengesetze IV.

§ 74. § 75. § 76. § 77. § 78.

284

285.

287

Der W e g f a l l des staatlichen Strafanspruchs.

D i e S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e i m a l l g e m e i n e n . I. Der Begriff. II. Der Tod des Schuldigen. III. Die thätige Reue . D i e B e g n a d i g u n g . I. Begriff, Geschichte und Aufgabe. II. Wirkung. Arten. III. Die Träger des Begnadigungsrechts. IV. Zusammentreffen landesrechtlicher Begnadigungsansprüche . D i e V e r j ä h r u n g im a l l g e m e i n e n . I. Rechtsgrund der Verjährung. II. Ihre Wirkung. III. Ihre Geschichte . . . . Die Verfolgungsverjährung. I. Die Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung. IV. Ruhen und V. Wirkung der Verjährung D i e V o l l s t r e c k u n g s v e r j ä h r u n g . I. Die Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung der Verjährung. IV. Verjährung der Nebenstrafen

291 293 296 299

302

Besonderer Teil. 79.

Ü b e r s i c h t d e s S y s t e m s . I. Begriff des Rechtsguts. II. Rechtsgüter des einzelnen. III. Rechtsgüter der Gesamtheit . . . Erstes

307

Buch.

Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen. Erster Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen die körperliche Unversehrtheit. 80.

A l l g e m e i n e s . I. Der Rechtsbegriff „Mensch". und III. Gefährdung von Leib und Leben

II. Verletzung

311

XIV

Inhaltsverzeichnis. Seite

I. Die Tötung. § 81.

B e g r i f f und A r t e n der T ö t u n g . II. Selbstmord. I I I . D i e Handlung.

§ 82.

Die gemeine vorsätzliche Tötung. Geschichte. I. Römisches Recht. II. Das deutsche Mittelalter. I I I . D i e Karolina. I V . Das gemeine Recht. V . Die neuere Gesetzgebung. V I . Das Merkmal der Überlegung . . . Die gemeine vorsätzliche Tötung. Das geltende R e c h t . I. Mord und Totschlag. II. Mildere und III. schwerere Fälle Die Kindestötung. I. Geschichte. II. Begriff. III. Gegenstand und I V . Subjekt der Tötung. V . Strafe

§83.

§84. § 85.

T ö t u n g auf V e r l a n g e n . III. Bestrafung

§ 86.

Die fahrlässige Recht

I.Gegenstand der Tötung. I V . D i e Arten der Tötung.

I. Geschichte.

Tötung.

313

314

317 319

II. Geltendes Recht. 321

I.

Geschichte.

II.

Geltendes 323

II. Die Körperverletzung. § 87.

G e s c h i c h t e und B e g r i f f . I. Geschichte. II. Begriff der Körperverletzung. I I I . Die Widerrechtlichkeit; insbesondere Einwilligung des Verletzten

§ 88.

I. D i e leichte vorsätzDie Arten der K ö r p e r v e r l e t z u n g . liche, II. die gefährliche, III. die schwere Körperverletzung. IV. Die Körperverletzung mit tödlichem Ausgange. V. Die fahrlässige Körperverletzung. V I . Die Körperverletzung im Amt V e r f o l g u n g und B e s t r a f u n g . I. Antragserfordernis. II. Antragsberechtigung. III. Bufse. I V . Erwiderung (Retorsion).

§ 89.

323

327 330

III. Die Gefährdung von Leib und Leben. § 90.

I. D i e A u s s e t z u n g .

I. Geschichte. II. Begriff. III. Bestrafung

332

§ 91.

2. D i e V e r g i f t u n g .

I. Geschichte.

334

§92. §93.

3. D e r R a u f h a n d e l . I. Geschichte. II. R S t G B . § 227, 1. Absatz. III. RStGB. § 227, 2. Absatz 4. D e r Z w e i k a m p f . I. Geschichte und systematische Stellung. II. Begriff des Zweikampfes. III. Die Herausforderung zum Zweikampf. I V . Bestrafung

338

§94.

5. D i e A b t r e i b u n g .

345

I I . Begriff. III. Bestrafung

I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten

336

Zweiter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen unkörperliche Rechtsgüter. I. Strafbare Handlungen gegen die Ehre. § 95.

G e s c h i c h t e und B e g r i f f der B e l e i d i g u n g . I. Injuria und Beleidigung. I I . Der Begriff der Ehre. III. Die Handlung. IV. Die Rechtswidrigkeit 350

Inhaltsverzeichnis.

XV Seite

96.

D i e A r t e n der B e l e i d i g u n g . I. D i e einfache Beleidigung. II. Die üble Nachrede. III Die Verleumdung. I V . Die Kreditgefährdung. V . Die sog. Beleidigung Verstorbener . . . .

358

97.

V e r f o l g u n g und B e s t r a f u n g der B e l e i d i g u n g . I. Der Wahrheitsbeweis. II. Das Antragserfordernis. III. Erwiderung. IV. Privatgenugthuung . .

362

II. Starfbare Handlungen gegen die persönliche Freiheit. 98.

B e g r i f f d e r F r e i h e i t s v e r b r e c h e n . I. Die persönliche Freiheit. II. Die Arten ihrer Verletzung. I I I . Der Träger des Rechtsgutes. IV. Gewalt, Drohung, List, Mifsbrauch der Amtsgewalt

365

99.

G e s c h i c h t e der F r e i h e i t s d e l i k t e . I. Das crimen vis. II. Das A L R . III. Bekämpfung des Negerhandels . . . .

369

100.

I. D i e N ö t i g u n g . I. Begriff. II. Die Nötigungsmittel. I I I . Widerrechtlichkeit der Nötigung. IV. Versuch und Vollendung. V . § 153 der Gewerbeordnung 2. D i e F r e i h e i t s b e r a u b u n g ( o d e r G e f a n g e n h a l t u n g ) . I. Der Begriff. II. Seine Merkmale. III. Bestrafung . . .

374

3. D e r M e n s c h e n r a u b . I. Der Begriff im allgemeinen. II. Der eigentliche Menschenraub. III. Der Kinderraub. I V . Sklavenraub und Sklavenhandel

375

101. 102.

371

III. Strafbare Handlungen gegen geschlechtliche Freiheit und sittliches Gefühl. 103.

Ü b e r s i c h t . I. Das geschützte Rechtsgut. II. Der Begriff der unzüchtigen Handlung. III. Geschichtliche Übersicht . . .

379

104.

I. D i e E n t f ü h r u n g ( o d e r d e r F r a u e n r a u b). I.Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten

383

105.

2. D i e N ö t i g u n g z u r U n z u c h t ( i n s b e s o n d e r e d i e N o t . . . z u c h t ) . I. Geschichte. II. D i e Fälle des R S t G B . s

387

106.

3. U n z u c h t m i t V e r l e t z u n g e i n e s A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e s . I. Begriff. II. Die Arten 4. D i e V e r f ü h r u n g z u m B e i s c h l a f . I. Die Erschleichung des Beischlafs. II. Die Verführung eines unbescholtenen jungen Mädchens

107.

390

391

108.

5. K u p p e l e i u n d M ä d c h e n h a n d e l . I. Geschichte. II. Begriff der Kuppelei. III. Ihre Arten. I V . Der Mädchenhandel.

392

109.

6. I. E r r e g u n g e i n e s . ö f f e n t l i c h e n Ä r g e r n i s s e s . II. V e r b r e i t u n g u n z ü c h t i g e r S c h r i f t e n . III. M i t t e i l u n gen aus geheimen G e r i c h t s v e r h a n d l u n g e n . . .

398

110.

7. D i e w i d e r n a t ü r l i c h e tendes Recht

400

111.

8. D i e B l u t s c h a n d e . des Recht

Unzucht.

I.Begriff.

I. Geschichte.

II. Geschichte.

II. Gel-

III. Gelten401

IV. Strafbare Handlungen gegen Familienrechte (Personenstand und Ehe). 112.

Übersicht. I. Personenstand. II. Namenrecht. III. Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern und zwischen Ehegatten

403

Inhaltsverzeichnis.

XVI

Seite

§ 113.

I. D i e V e r l e t z u n g d e s P e r s o n e n s t a n d e s . I. II. D i e Unterdrückung des Personenstandes. IIL § Personenstandsgesetzes

§ 114.

2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n b e i S c h l i e f s u n g d e r E h e . I. Die Eheerschleichung. II. Amtsdelikte bei Schliefsung der Ehe

§ 115.

3. D i e m e h r f a c h e E h e . geltende Recht

§116.

4. D e r E h e b r u c h .

I. Begriff und Geschichte.

I. Geschichte.

Begriff. 68 des 404

II. Das

II. Begriff

406 407 409

V. Strafbare Handlungen gegen die Religionsfreiheit und das religiöse Gefühl. § 117.

G e s c h i e h te un d B e g r i f f d e r R e l i g i o n s v e r g e h e n . I . G e schichte der Religionsvergehen. II. Der Gegenstand des Strafschutzes. III. Reichsrecht und Landesrecht

411

§ 118.

Die einzelnen Religionsvergehen. I. Gotteslästerung. II. Beschimpfung von Religionsgesellschaften. III. Beschimpfender Unfug. I V . Störung des Gottesdienstes. V . Störung des Gräberfriedens

414

VI. Hausfriedensbruch und Verletzung fremder Geheimnisse. § 119. § 120.

I. D e r Hausfriedensbruch. I, Geschichte. II. Begriff. DI. Arten 2. D i e V e r l e t z u n g f r e m d e r G e h e i m n i s s e . I.Allgemeines. I I . Verletzung des Briefgeheimnisses. III. Offenbarung von Privatgeheimnissen

418

421

VII. Störung des persönlichen Rechtsfriedens durch Bedrohung. §121.

I. Begriff des Rechtsfriedens. II. Die Bedrohung in der Geschichte und III. im geltenden Recht

424

Dritter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen Individualrechte. § 122.

§ 123.

§ 124.

I.

Verletzung des schriftstellerischen Urheberr e c h t s . I. Begriff und Geschichte. II. Der eigentliche Nachdruck. III. Die übrigen Vergehen gegen das Autorrecht . . 2. D i e ü b r i g e n V e r l e t z u n g e n v o n Urheberrechten. I . — I I I . Verletzung des Urheberrechts an Werken der bildenden Kunst, an Photographieen, an (Geschmacks-) Mustern und Modellen. I V . Verletzung des Patentrechts. V . Verletzung des Rechts an Gebrauchsmustern 3. D e r u n l a u t e r e W e t t b e w e r b . I. Allgemeiner Begriff. II. Das Gesetz vom 27. Mai 1896. I I I . Verrat von Fabriksund Geschäftsgeheimnissen. I V . Schutz . des Firmen- und Namenrechts (des Rechts auf Warenbezeichnungen) . . . .

426

430

432

Inhaltsverzeichnis.

XVII

Seite

Vierter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen V e r m ö g e n s rechte. § 125.

Übersicht. I. Schutz der dinglichen Rechte, II. der Aneignungsrechte, III. der Forderungsrechte. IV. Delikte gegen das Vermögen überhaupt. V . Ergänzende Strafdrohungen . . . .

438

I. Strafbare Handlungen gegen Sachenrechte. § 126.

§ 127.

§ 128.

I. D e r D i e b s t a h l . Geschichte. I. Das römische Recht. II. Das deutsche Mittelalter. I I I . Die Italiener. I V . Die P G O . V . Das gemeine Recht und die Landesgesetzgebung . . . . B e g r i f f des D i e b s t a h l s . I. Begriffsbestimmung. II. Die IV. Das fremde bewegliche Sache. III. Der Gewahrsam. Wegnehmen. V . Die Zueignungsabsicht. VI. Versuch und Vollendung. V I I . Der Verletzte

§ 129.

D i e A r t e n d e s D i e b s t a h l s . I. Der einfache Diebstahl. I I . Der schwere Diebstahl. III. Diebstahl im Rückfall. I V . Der räuberische Diebstahl. V . Der Familien- und Hausdiebstahl . D e m D i e b s t a h l v e r w a n d t e F ä l l e . I. Gebrauchsanmafsung. I I . Besitzentziehung. III. Forst- und Felddiebstahl. IV. Zueignung von Munition. V . und V I . RStGB. § 370 Ziff. 1 und 2. V I I . Der Mundraub. VIII. Der Futterdiebstahl . .

§ 130.

2. D e r R a u b . I. Geschichte. Raubes. IV. Nebenstrafe .

§ 131.

3. D i e U n t e r s c h l a g u n g . I. Geschichte. I I . Begriff. III. Die Arten der Unterschlagung. I V . Depotgesetz vom 5. Juli 1896 4. D i e S a c h b e s c h ä d i g u n g . I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten

§ 132.

II. Begriff.

III. Die Arten des

441

443

451

457 461

464 468

II. Verletzung von Zueignungsrechten. § 133.

I. Verletzung des Jagdrechts. I I . Verletzung III. Verletzung des Bergrechts

des

Fischrechts. 472

III. Verbrechen gegen Forderungsrechte. § 134.

I. D e r V e r t r a g s b r u c h . Recht

I.

Geschichte.

II.

Das

geltende

§ 135.

2. D i e U n t r e u e . I. Geschichte. II. R S t G B . § 266. III. Hilfskassengesetz vom 7. April 1876 und Versicherungsgesetze. I V . Handelsgesetzbuch vom 12. Mai 1897. V . Genossenschaftsgesetz vom I. Mai 1889. V I . Börsengesetz vom 22. Juni 1896

476

§ 136.

3. D e r B a n k b r u c h . I. G e s c h i c h t e schichte. II. Begriff

479

§ 137.

D i e Arten des B a n k b r u c h s und v e r w a n d t e V e r g e h e n . I. Der einfache, II. der betrügerische Bankbruch. III. Die Begünstigung einzelner Gläubiger. I V . Teilnahmehandlungen als selbständige Vergehungen. V . D e r Stimmenkauf. VI. Unter-

475

und B e g r i f f .

I. Ge-

Ii

JiVJII

Inhaltsverzeichnis. Seit«

lassene Beantragung der Konkurseröffnung. Depotgesetzes vom 5. Juli 1896 § 138.

VH. §

10 des 483

4. D i e G e f ä h r d u n g d e r B e f r i e d i g u n g d u r c h vollstreckung

Zwangs488

V. Strafbare Handlungen gegen das Vermögen überhaupt. § 139.

I. D e r B e t r u g . G e s c h i c h t e und B e g r i f f . des Betruges. II. Die Begriffsmerkmale

§ 140.

D i e A r t e n d e s B e t r u g e s . I . Einfacher Betrug. II. Betrug im Rückfall. IH. Versicherungsbetrug. I V . Das betrügerische Kurstreiben. V . Der Münzbetrug

494

§ 141.

2. D i e E r p r e s s u n g . Strafe der Erpressung

496

§ 142.

3. S t r a f b a r e A u s b e u t u n g a n d r e r . I. Allgemeines. II. Übervorteilung Minderjähriger 498

§ 143.

F o r t s e t z u n g . D e r W u c h e r . I.Geschichte. II. Der Kreditwucher. III. Der Geschäftswucher. I V . Mit dem Wuchergesetz zusammenhängende Strafdrohungen. V . Abzahlungsgeschäfte. V I . Verleitung zur Börsenspekulation

500

§ 144.

4. D i e G e f ä h r d u n g d e s V e r m ö g e n s , I. Begriff. II. Die Arten

505

§ 145.

b. D i e o f f e n t l i c h e A u s s p i e l u n g ( L o t t e r i e ) . I. Geschichte und systematische Stellung. II. R S t G B . § 286. III. Prämienpapiere: Gesetz vom 8. Juni 1871

507

§ 146.

c. G e f ä h r d u n g d u r c h K o n t e r b a n d e

509

§ 147.

5. D i e S a c h h e h l e r e i ( P a r t i e r e r e i ) . Begriff. III. Die Strafe

I.

Geschichte.

II.

I. Geschichte 489

Begriff.

III.

Die

a. Das Glücksspiel.

I.

Geschichte.

II. 510

Fünfter Abschnitt.

Die durch das Mittel des Angriffes gekennzeichneten Vergehungen. I. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Strafgesetzbuches. § 148.

A l l g e m e i n e s . I. Die Terminologie des R S t G B . s . II. Grundcharakter der Gruppe. IH. Der Begriff der Gemeingefahr. Seine Verwendung im Gesetz

515

§ 149.

1. B r a n d s t i f t u n g u n d Ü b e r s c h w e m m u n g . I. Geschichte der Brandstiftung. II. und III. Begriff und Arten der Brandstiftung. IV. D i e Überschwemmung

517

§ 150.

2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d e n E i s e n b a h n - u n d I. Gefährdung des EisenbahnbeTelegraphenbetrieb. triebes. II. Gefährdung des Telegraphenbetriebes. III. Nebenstrafen. IV. Schutz der unterseeischen K a b e l : Gesetz vom 21. November 1887

522

§ 151.

3. B e s c h ä d i g u n g v o n W a s s e r b a u t e n ; G e f ä h r d u n g d e r S c h i f f a h r t usw. I. Beschädigung von Wasserbauten. II. V e r -

Inhaltsverzeichnis.

XIX Seite

brechen an SchifTahrtszeichen. III. Stranden- oder Sinkenmachen eines Schiffes § 152. 4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n i n B e z u g a u f a n s t e c k e n d e K r a n k h e i t e n . I. Verletzung der Anordnungen bei Volksseuchen. II. Verletzung der Anordnungen bei Viehseuchen . § 153. 5- V e r g i f t u n g v o n B r u n n e n u n d G e b r a u c h s m i t t e l n . I. Geschichte lind systematische Stellung. II. Das geltende Recht § 154. 6. N i c h t e r f ü l l u n g v o n L i e f e r u n g s v e r t r ä g e n . I. Geschichte. II. Begriff § 155. 7. V e r l e t z u n g d e r R e g e l n d e r B a u k u n s t . I. Geschichte. H. Begriff

525 527 528 529 530

II. Mifsbrauch von Sprengstoffen. § 156.

I. Das Gesetz vom 9. Juni 1884 im allgemeinen. II. Die von ihm bedrohten strafbaren Handlungen. III. Nebenstrafen und objektive Massregeln. Begehung im Ausland ¿53' III. Die Warenfälschung.

§157.

I. Systematische Stellung. II. Geschichte. III. Das Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879. IV. Blei- und zinkhaltige Gegenstände: Gesetz vom 25. Juli 1887. V. Gesundheitsschädliche Farben: Gesetz vom 5. Juni 1887. VI. Weingesetz vom 20. April 1892. VII. Künstliche Süfsstoffe : Gesetz vom 6. Juli 1898. VIII. Margarinegesetz vom 15. Juni 1897. IX. Handfeuerwaffengesetz vom 19. Mai 1891

533

IV. Strafbare Handlungen an Geld. §158. § 159.

G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I. Geschichte der sog. Münzverbrechen. II. Ihre Stellung im System. HI. Die Geldzeichen D i e A r t e n d e r G e l d v e r b r e c h e n . I. Die eigentliche Münzfälschung. H. Der Münzbetrug. III. StGB. § 148. I V . Kippen und Wippen. V. Vorbereitungshandlungen. VI. Verwandte Übertretungen. VII. Der Schutz des Reichskassenscheinpapiers: Gesetz vom 26. Mai 1885

539

542

V. Strafbare Handlungen an Urkunden. 160. 161. 162. 163.

A l l g e m e i n e s . I. Geschichte und systematische Stellung der Urkundenverbrechen. II. Begriff der Urkunde . . . . . . D i e e i g e n t l i c h e U r k u n d e n f ä l s c h u n g . I. Die Handlung. n . Die Absicht, i n . Die Arten. IV. Vollendung. V. Bestrafung Die F a l s c h b e u r k u n d u n g (intellektuelle Urkundenf ä l s c h u n g ) . I. Legislativer Grundgedanke. II. Das geltende Recht . D i e ü b r i g e n U r k u n d e n v e r b r e c h e n . I. Urkundenbeseitigung. II. Grenzverrückung. HI. Strafbare Handlungen an Stempel, Post- und Telegraphenwertzeichen. IV. Schutz der Versicherungsmarken. V. Strafbare Handlungen an Legitimationspapieren. VI. Strafbare Handlungen in Bezug auf Gesundheitszeugnisse - . II*

546 549 553

555

Inhaltsverzeichnis.

XX

Z w e i t e s Buch.

Seite

Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter der Gesamtheit. Erster Abschnitt.

Die Verbrechen gegen den Staat. § 164.

Ü b e r b l i c k . I. Begriff und Arten der Staatsverbrechen. II. Hoch- und Landesverrat. Majestätsbeleidigung. III. Verletzung staatsbürgerlicher Rechte. IV. Angriffe auf fremde Staaten . 560 § 165. i . D e r Ho c h v e r r a t . I.Begriff. II. Arten. III. Vorbereitungshandlungen. IV. Beschlagnahme des Vermögens 563 § 166. 2. D e r L a n d e s v e r r a t . I. Der Begriff im allgemeinen. II. Der militärische, III. der diplomatische Landesverrat. IV. Beschlagnahme des Vermögens. V. Der Kriegsverrat. VI Gesetz vom 5. April 1888 568 § 167. 3. A u s s p ä h u n g u n d V e r r a t m i l i t ä r i s c h e r G e h e i m n i s s e . I. Begriff des militärischen Geheimnisses. II. Ausspähung. III. Verrat. IV. Weitere strafbare Handlungen. V. Begehung im Auslande 572 § 168. 4. D i e M a j e s t ä t s b e l e i d i g u n g . I. Begriff. II. Thätlichkeiten. III. Einfache Beleidigung 576 § 169. 5. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e p o l i t i s c h e n R e c h t e d e r S t a a t s b ü r g e r . I. Gegen gesetzgebende Versammlungen. II. Gegen das politische Wahl- und Stimmrecht 579 § 170. 6. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n f r e m d e S t a a t e n . I. 58 1 Übersicht. II. Die einzelnen Fälle

Zweiter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt. § 171. § 172. § 173. § 174. § 175.

1. G e w a l t s a m e r E i n g r i f f i n A m t s h a n d l u n g e n . I. Allgemeines. II. Widerstand. III. Thätlicher Angriff. IV. Nötigung. V. Aufruhr. VI. Auflauf 2. G e w a l t g e g e n F o r s t - u n d J a g d b e a m t e . I. Begriff. II. Arten. III. Bestrafung 3. D i e B e f r e i u n g v o n G e f a n g e n e n . 1. Begriff und systematische Stellung. II. Geschichte. III. Arten 4. D i e S t ö r u n g d e s ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n s . I. Begriff des öffentlichen Friedens. II. Geschichte der strafbaren Friedensstörungen. HI. Die einzelnen Fälle des geltenden Rechts 5. D i e s t r a f b a r e n A u f f o r d e r u n g e n . I. Begriff und systematische Stellung. II. Die strafbaren Aufforderungen im RStGB. III. Die übrigen Fälle. IV. Der Duchesneparagraph . . .

583 587 588 59 1 595

Inhaltsverzeichnis.

XXI Seite

§ 176.

6. M i f s a c h t u n g d e r S t a a t s g e w a l t . I. Verleumdung des Staatswillens. II. Amtsanmafsung. III. Beseitigung amtlicher Urkunden. IV. Beschädigung von Bekanntmachungen. V. Wegnahme von Autoritätszeichen. V I . Siegelbruch. VII. Arrestbruch

600

Dritter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen die Staatsverwaltung. § 177.

Ü b e r s i c h t . I. Die Aufgaben der Staatsgewalt. II. Ihr Schutz durch die Strafgesetzgebung. III. Die Einteilung dieser Gruppe

§ 178.

Geschichte und B e g r i f f . I. Begriff der Amtsverbrechen. II. Ihre Geschichte. III. Begriff des Beamten. IV. Einteilung der Amtsverbrechen D i e e i n z e l n e n Am tsverbrechen. I. Bestechung. II. Rechtsbeugung. III. Verbrechen bei Trauung und Eheschliefsung. IV. Bedrückung der Staatsbürger. V. Amtsmifsbrauch im Strafverfahren. VI. Urkundenverbrechen. VII. Amtsunterschlagung. VIII. Übermäfsiges Sportulieren. IX. Diplomatenverbrechen. X . Strafbare Handlungen der Post- und Telegraphenbeamten. XI. Die Untreue des Sachwalters. X I I . Konnivenz

603

I. Strafbare H a n d l u n g e n i m Amte.

§ 17g.

605

608

II. Die falsche A u s s a g e (die sog. Eidesverbrechen). § 180. § 181.

G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . I.Geschichte. II. Systematische Stellung der Eidesverbrechen Das geltende Recht. I. Die Arten der Eidesverbrechen. II. Strafermäfsigung. Thätige Reue. Nebenstrafen . . . .

618 620

III. Strafbare H a n d l u n g e n g e g e n die Rechtspflege. § 182. § 183. § 184.

1. D i e f a l s c h e A n s c h u l d i g u n g . I. Systematische Stellung. II. Geschichte. I I I . Geltendes Recht 2. B e g ü n s t i g u n g u n d H e h l e r e i . I.Geschichte. II. Begriff und Arten. III. Die Begünstigung im geltenden Recht. IV. Die Hehlerei. • 3. D i e ü b r i g e n V e r g e h e n g e g e n d i e R e c h t s p f l e g e . L Eidesbruch. II. Veröffentlichung der Anklageschrift. III. Verletzung der Dingpflicht. IV. Unterlassung der Anzeige. V . Veraltete Strafdrohungen I V . Strafbare H a n d l u n g e n g e g e n die V e r w a l t u n g d e s Kriegswesens.

§ 185.

I. Falschwerbung. II. Verleitung zur Fahnenflucht. I I I . Untauglichmachung. IV. Betrügliche Umgehung der Wehrpflicht.

626 629

635

XXII

§ 186.

Inhaltsverzeichnis. Seite V. Verletzung der Wehrpflicht durch Auswanderung. VI. Verletzung des Kriegsleistungsgesetzes. VII. Übertretung des Festungsrayongesetzes. VIII. Übertretung des Kriegshafengesetzes. IX. Aufnahme von Festungsrissen. X. Veröffentlichungen über Truppenbewegungen. XI. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen. XII. Brieftaubenverkehr im Kriege . . 637 S t r a f b a r e H a n d l u n g e n gegen die staatliche Überw a c h u n g d e s A u s w a n d e r u n g s w e s e n s , I.Allgemeines. II. § 144 StGB. III. Die geschäftsmäfsige Anwerbung zur Auswanderung. IV. Die gewerbepolizeilichen Strafdrohungen des Gesetzes vom 9. Juni 1897. V. Der Mädchenhandel . . 642

V . Strafbare Handlungen gegen die staatliche Überwachung des Prefs- und Vereinswesens. § 187. I. D i e P r e f s p o l i z e i v e r g e h e n . I. Nichtnennung des Druckers und Verlegers. II. Nichtablieferung der Pflichtexemplare. III. Nichtaufnahme amtlicher Bekanntmachungen. IV. Nichtaufnahme von Berichtigungen. V. Verbreitung verbotener ausländischer Druckschriften. VI. Verbreitung mit Beschlag belegter Druckschriften 644 § 188. 2. S t r a f b a r e Ü b e r s c h r e i t u n g e n d e s V e r e i n s r e c h t e s . I. Geschichte. II. Das geltende Recht 646 VI. Strafbare Handlungen gegen die Sicherheits- und Sittlichkeitspolizei. § 189. 1. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S i c h e r h e i t d e s L e b e n s , d e r G e s u n d h e i t , d e s V e r m ö g e n s . I. Insbes. gegen das Impfgesetz. II. Die Übertretungen des RStGB. III. Schutz gegen Viehseuchen und Pflanzenkrankheiten . . . 648 § 190. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S i t t l i c h k e i t . I. Landstreicherei und Bettel. II. Müfsiggang und Trunkenheit. III. Branntweinhandel auf hoher See. IV. Prostitution. V. Tierquälerei. VI. Grober Unfug. VII. Übertretung der Polizeistunde. VIII. Verletzung der Sonntagsruhe . . . . . . 652 VII. Strafbare Handlungen gegen die Handels- und Gewerbepolizei. § 191. I. D i e Ü b e r t r e t u n g e n d e r G e w e r b e o r d n u n g . I. Arbeiterschutz. II. Gewerbepolizeiliche Übertretungen. III. Strafen . 658 § 192. 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e A r b e i t e r v e r s i - c h e r u n g s g e s e t z e . I. Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883. II. Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. III Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889 663 § x 93- 3- S t r a f b a r e H a n d l u n g e n a u f d e m G e b i e t e des A k t i e n w e s e n s . I. Untreue. II. Wissentlich falsche Angaben bei Eintragung des Gesellschaftsvertrages. III. Verschleierung des Standes der Gesellschaftsverhältnisse. IV. Unterlassene Bestellung des Aufsichtsrates und Nichtbeantragung der Konkurseröffnung. V. Betrügerische Täuschung des Publikums. VI. Stimmenkauf. VII. Wahlfälschung. VIII. Die durch das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 angefügten Fälle 665

Inhal tsverzeichnis.

XXIII Seite

§ 194.

4. D i e ü b r i g e n F ä l l e . Übertretungen I. des Gesetzes vom 7. April 1876 betreffend die eingeschriebenen Hilfskassen; II. des Gesetzes vom I. Mai 1889 betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften; III. des Gesetzes vom 20. April 1892 betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung; IV. des Gesetzes betreffend den Geschäftsbetrieb von Konsumanstalten vom 12. August 1896; V. des Gesetzes vom 13. Mai 1884 betreffend die Anfertigung und Verzollung von Zündhölzern

668

VIII. Strafbare Handlungen g e g e n das Gewerbewesen. 195.

196.

197.

I. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d a s M ü n z - , B a n k u n d B ö r s e n w e s e n . I. Gegen das Münzwesen. II. Gegen das Bankwesen. III. Unbefugte Ausgabe von Inhaberpapieren. IV. Widerrechtliche Verbreitung von Kurszetteln. V. Das Depotgesetz von 1896 672 2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n i n B e z u g a u f d i e M a f s - u n d G e w i c h t s - s o w i e d i e L e g i e r u n g s p o l i z e i . I. Falsches Mafs und Gewicht. II. Verletzung des Gesetzes vom 20. Juli 1881 betreffend die Bezeichnung des Raumgehalts der Schankgefäfse. III. Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom I. März 1895. IV. Verletzungen des Gesetzes vom 16. Juli 1884 betreffend den Feingehalt der Gold- und Silberwaren. V. Verletzung des Gesetzes vom X. Juni 1898 betr. die elektrischen Mafseinheiten 675 3. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n i n B e z u g a u f d a s E i s e n bahn-, Telegraphen und Postwesen. I. Zuwiderhandlungen gegen Betriebs- und Bahnordnung. II. Verletzung der besonderen Vorrechte der Posten. III. Errichtung und Betrieb von Telegraphenanlagen 676

IX. Strafbare Handlungen in B e z u g auf das Schiffahrtswesen. § 198.

I. Gesetz vom 25. Oktober 1867 betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe. II. Gesetz vom 28. Juni 1873 betreffend die Registrierung der Kauffahrteischiffe. III. Gesetz vom 25. März 1880 betreffend die Schiffsmeldungen bei den deutschen Konsulaten. IV. Verletzung der Schiffsvermessungsordnung vom I. März 1895. V. StGB. § 145 und die Kaiserlichen Verordnungen. VI. Gesetz vom 27. Dezember 1872 betreffend die Verpflichtung zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute. VII. Übertretungen der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. VIII. Übertretungen des Gesetzes vom 21. November 1887 betreffend die unterseeischen Kabel. IX. Übertretungen der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. X.Verletzung der Bestimmungen über die Küstenschiffahrt

678

X. Strafbare Handlungen in B e z u g auf das Finanzwesen d e s Reichs. § 199. § 200.

A l l g e m e i n e s . I. Einteilung der hierher gehörenden Verbrechen. II. Die typischen Fälle. III. Eigentümlichkeiten der in den Zoll- und Steuergesetzen enthaltenen Strafdrohungen . I. V e r l e t z u n g d e r G e b ü h r e n p f l i c h t . I. Post- und Portohinterziehung. II. Erschwerte Hinterziehung der Post- und

682

XXIV

Inhaltsverzeichnis. Seite

Telegraphengebühren. III. Strafbare Handlungen in Bezug auf Telegraphen fr eimarken

686

§ 201.

2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e Z o l l g e s e t z e . I. Vereinszollgesetz. II. Sicherung der Zollvereinsgrenze. III. Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz vom 23. Juni 1882. IV. Übertretung der österreichisch-ungarischen Zollgesetze . . .

687

§ 202.

3. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S t e u e r g e s e t z e . I. Salzsteuer. II. Tabaksteuer. III. Brausteuer. IV. und V . Branntweinsteuer. VI. Zuckersteuer. VII. Banknotensteuer .

689

§ 20 3 .

4. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e S t e m p e l g e s e t z e . I. Die Delikte des RStGB.s. II. Der Wechselstempel. III. Der Spielkartenstempel. I V . Der Stempel auf Wertpapiere. V . Die sog. statistische Gebühr

692

XI. D i e M i l i t ä r v e r b r e c h e n . § 2°4-

Allgemeine Bestimmungen. I. Geschichte des Militärslrafrechts. II. Begriff der Militärverbrechen. III. Persönliches Geltungsgebiet des Mil.StGB.s. IV. Räumliches Geltungsgebiet. V . D a s Strafensystem. VI. Abweichungen von den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen StGB.s . . . .

694

§ 205

D i e e i n z e l n e n m i l i t ä r i s c h e n V e r b r e c h e n und Verg e h e n . I. Kriegsverrat. II. Gefährdung der Kriegsmacht im Felde. III. Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht. IV. Selbstbeschädigen und Vorschützen von Gebrechen. V . Feigheit. VI. Strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung. VII Mifsbrauch der Dienstgewalt. VIII. Widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigentum. IX. Andre widerrechtliche Handlungen gegen das Eigentum. X . Verletzung von Dienstpflichten bei Ausführung besondrer Dienstverrichtungen. X I . Sonstige Handlungen gegen die militärische Ordnung

698

Abkürzungen. Allgemeine Bemerkung. Um einerseits wiederholte Anführung von längeren Büchertiteln zu vermeiden, anderseits die Auffindung des vollständigen Titels zu erleichtern, habe ich dem Namen des Verfassers in der Klammer den Paragraphen des Lehrbuchs angefügt, zu dem das Werk vollständig genannt ist „ H e i m b e r g e r (Litt, zu § 49)" bedeutet also, dafs der vollständige Titel der gemeinten Heimbergerschen Schrift sich in den Litteraturangaben zu § 49 findet. ALR.:

Allgemeines preufsisches Landrecht; die beigefügten Ziffern bezeichnen die Paragraphen des 20. Titels des II. Teils, v. Bar Handbuch des deutschen Strafrechts I. Bd. 1882. v. B a r : v. B a r L e h r b u c h : v. Bar Lehrbuch des internationalen Privat- und Strafrechts 1892. B a u m g a r t e n V e r s u c h : Baunigarten Die Lehre vom Versuch des Verbrechens 1888. BGB.: Bürgerliches Gesetzbuch. Ben necke: Bennecke Lehrbuch des Strafprozefsrechts 1889 ff. B e n n e c k e H e f t I usw.: Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von H. B e n n e c k e ; vom 15. Heft ab von B e l i n g . B e r n er: Berner Lehrbuch 17. Auflage 1895. (Die 18. Aufl. von 1898 konnte erst in der zweiten Hälfte dieses Buches benutzt werden.) Binding: Binding Handbuch I. Bd. 1885. B i n d i n g N o r m e n : Binding Die Nonnen und ihre Übertretung I. Bd. 1872 (1890), n . Bd. 1877. B i n d i n g G r u n d r i f s : Binding Lehrbuch. Besonderer Teil. I. Hälfte 1896. B i r k m e y e r T e i l n a h m e : Birkmeyer Die Lehre von der Teilnahme und die Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts 1890. B o r c h e r t V e r a n t w o r t l i c h k e i t : Borchert Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter 1888. Brunner: Brunner Deutsche Rechtsgeschichte II. Bd. 1892. v. B u r i B e i t r ä g e : v. Buri Beiträge zur Theorie des Strafrechts und zum Strafgesetzbuch. Gesammelte Abhandlungen 1894. C o h n V e r s u c h : Cohn Zur Lehre vom versuchten und vom unvollendeten Verbrechen I. Bd. 1880. EG.: Einführungsgesetz zum Reichsstrafgesetzbuch.

XXVI

Abkürzungen.

E n d e m a n n E i n f ü h r u n g : Endemann Einführung in das Studium des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Ein Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. I. Bd. 5 . Aufl. 1 8 9 8 , 2 . Bd. 1 8 9 8 . Finger: Finger Das österr. Strafrecht 1891 ff. Frank: Frank Das StGB, für das Deutsche Reich nebst dem EG. herausgegeben und erläutert 1 8 9 7 . Geyer: Geyer Grundrifs 1 8 8 4 / 8 5 . Gierke: Gierke Deutsches Privatrecht I. Bd. 1 8 9 5 . GA.: (Goltdammer) Archiv für Strafrecht. Glaser: Glaser Handbuch des Strafprozesses I 1 8 8 3 , IX 1 8 8 5 . G l a s e r A b h a n d l u n g e n : Glaser Abhandlungen aus dem österreichischen Strafrecht I 1 8 8 8 . Grünhut: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart. GS.: Gerichtssaal. Günther: Günther Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts I. Bd. 1 8 8 9 . II. Bd. 1 8 9 1 . III. Bd. I. Hälfte 1 8 9 5 . GVG.: Gerichtsverfassungsgesetz. Hälschner: Hälschner Das gemeine deutsche Strafrecht I 1 8 8 1 , II 1 8 8 4 bis 1 8 8 7 . van Hamel: van Hamel Inleiding tot de Studie van het nederlandsche Strafrecht. 1 8 8 9 fr. Hecker: Hecker Lehrbuch des deutschen Militärstrafrechts 1 8 8 7 . HG.: v. Holiundorff und v. Jageinann Handbuch des Gefängniswesens in Einzelbeiträgen I, II 1 8 8 5 . HH.: v. Holtzendorff Handbuch des deutschen Strafrechts in Einzelbeiträgen I bis III 1 8 7 1 / 7 4 , IV 1 8 7 7 . HR.: v. B(¡Itzendorf) Rechtslexikon 3 . Aufl. 1 8 8 0 / 8 1 . HSt.: Handwörterbuch der Staatswissenschaften 1 8 9 0 fr. HV.: Handbuch des Völkerrechts herausgegeben von v. Holtzendorff. I bis IV 1 8 8 5 — 1 8 8 9 . J a h r b ü c h e r : Jahrbücher für Kriminalpolitik und innere Mission (Winkelmann) 1 8 9 5 ff. Janka: Janka Das österreichische Strafrecht 3 . Aufl. 1 8 9 4 (herausgegeben von Rulf). IKV.: Internationale kriminalistische Vereinigung. John: John Kommentar zur Strafprozefsordnung 1 8 8 4 f r . Klöppel: Klöppel Das Reichsprefsrecht 1 8 9 4 . K napp: Knapp Das alt-nürnberger Strafrecht 1895» K ö h l e r S t u d i e n : Kohler Studien aus dem Strafrecht 1890fr. K ö s t l i n A b h a n d l u n g e n : Köstlin Abhandlungen aus dem Strafrecht. Herausgegeben von Gefsler 1 8 8 8 . v. K r i e s : v. Kries Lehrbuch des deutschen Strafprozefsrechts 1 8 9 2 . Krohne: Krohne Lehrbuch der Gefängniskunde 1 8 8 9 . KVS.: Kritische Vierteljahrsschrift, v. L i l i e n t h a l : v. Lilienthal Grundrifs 1 8 9 2 . v. L i s z t D e l i k t s o b l i g a t i o n e n : v. Liszt Die Deliktsobligationen im System des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 1 8 9 8 . v. L i s z t P r e f s r e c h t : v. Liszt Das deutsche Reichsprefsrecht 1 8 8 0 . v. L i s z t V ö l k e r r e c h t : v. Liszt Das Völkerrecht systematisch dargestellt. 1898. Löning: Löning Grundrifs 1 8 8 5 . Meyer: Meyer Lehrbuch des deutschen Strafrechts 5 . Aufl. 1 8 9 5 . Merkel: Merkel Lehrbuch des Strafrechts 1 8 8 9 . Mil.StGB.: Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich. M i t t e i l u n g e n : Mitteilungen der Internationalen kriminalistischen Vereinigung seit 1 8 8 9 .

Abkürzungen. NG.:

xxvn

Stenglein (mit Appelius und Kleinfeiler] D i e strafrechtlichen Nebengesetze des Deutschen R e i c h s 1893 (erste Aufl.). Olshausen: Olshausen K o m m e n t a r 4. Aufl. 1892. D i e kleineren Ziffern bezeichnen die Nummern der angezogenen Note. Oppenhoff: Oppenhoff Kommentar 13. Aufl. 1896. OT.: Entscheidungen des Berliner Obertribunals. P e r n i c e L a b e o : Pernice M. Antistius L a b e o 2. Bd. 2. Aufl. 1895. R: Entscheidungen des Reichsgerichts; zitiert nach Band und Seitenzahl der von den Mitgliedern des Gerichtshofes herausgegebenen Sammlung (die beiden ersten Ziffern der Jahreszahl sind weggelassen worden). RGBl.: Reichsgesetzblatt. RStGB.: Reichsstrafgesetzbuch. Schsp.: Schwabenspiegel, A u s g a b e von La/sberg. Schütze: Schütze Lehrbuch 2. Aufl. 1874. S c h w e i z e r Z e i t s c h r i f t : Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht seit 1888. StG.: D i e Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung I. Bd. 1894 (herausgegeben von v. Liszt); II. Bd. 1898 (herausgegeben von v. IJszt und Cruseri). StGB.: Strafgesetzbuch. StPO.: Strafprozefsordnung für das Deutsche R e i c h . Ssp.: Sachsenspiegel. Ausgabe von Homeyer. S t o o f s G r u n d z ü g e : Stoo/s D i e Grundzüge des schweizerischen Strafrechts im Auftrage des Bundesrates vergleichend dargestellt I 1892. v. Wächter Vorlesungen 1881. v. W ä c h t e r : Wach: Wach Handbuch des Zivilprozesses I 1885. WV.: Wörterbuch des Verwaltungsrechts. Herausgegeben von v. Stengel 1889/90. Z: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. ZPO.: Zivilprozefsordnung für das Deutsche Reich.

Berichtigungen. An meine Leser, insbesondere an meine jungen akademischen F r e u n d e , richte ich die dringende Bitte, mich auf Irrtümer und Druckfehler wie bisher so auch fernerhin gütigst aufmerksam machen zu wollen. Meines besonderen Dankes dafür mögen sie versichert sein.

Einleitung, § I.

Der Begriff des Strafrechts und die Aufgabe des Lehrbuchs.

I. S t r a f r e c h t

ist der Inbegriff derjenigen staatlichen

Vorschriften, durch w e l c h e an das Verbrechen als T h a t bestand die Strafe als Rechtsfolge geknüpft

wird.Als

der dem Strafrecht eigenartige Thatbestand bildet das V e r b r e c h e n eine besondere Unterart des Unrechts (des Deliktes), d. h. der schuldhaften rechtswidrigen Handlung. Und als die dem Strafrecht eigenartige Rechtsfolge unterscheidet sich die S t r a f e von andern Rechtsfolgen des Unrechts dadurch, dafs sie ein vom Staate gegen den Schuldigen verhängtes Übel darstellt. Verbrechen und Strafe sind demnach die beiden Grundbegriffe des Strafrechts. Und es er*) Strafrecht im o b j e k t i v e n Sinn, auch peinliches Recht, Kriminalrecht genannt. In diesem Sinne gebraucht den Ausdruck „Strafrecht" zuerst Engelhard 1756; vgl. Frank Die Wölfische Strafrechtsphilosophie 1887 S. 22. Im s u b j e k t i v e n Sinne bedeutet Strafrecht das Recht zu strafen, das jus puniendi. Zu beachten ist, dafs von einem staatlichen S t r a f r e c h t im subjektiven Sinne nur unter der Voraussetzung gesprochen werden kann, dafs die an sich schrankenlose, der juristischen Fassung spottende S t r a f g e w a l t des Staates in kluger Selbstbeschränkung V o r a u s s e t z u n g u n d I n h a l t ihrer Bethätigung (Verbrechen und Strafe) bestimmt hat. Wie überhaupt „das Recht die Politik der Gewalt" ist (v. Ihering), so ist das staatliche Recht zu strafen die r e c h t l i c h b e g r e n z t e Strafgewalt des Staates (unten S. 6). Diese Begrenzung aber wird durch das Strafrecht im objektiven Sinne gebildet. Und daraus erhellt, dafs es sich nur um zwei Seiten desselben Begriffes handelt, dafs Strafrecht im objektiven und subjektiven Sinne bei Lichte betrachtet dasselbe bedeuten. v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

I

2

§ i.

Der Begriff des Strafrechts und die Aufgabe des Lehrbuchs.

gibt sich als die nächste Aufgabe der S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t : in rein juristisch-technischer Betrachtung, gestützt auf die ' S t r a f g e s e t z g e b u n g , Verbrechen und Strafe als begriffliche Verallgemeinerungen ins Auge zu fassen; die einzelnen Vorschriften des Gesetzes, bis zu den letzten Grundbegriffen und Grundsätzen aufsteigend, zum geschlossenen System zu entwickeln; im besonderen Teile des Systems die e i n z e l n e n Verbrechen und die auf diese gesetzten Strafen, im allgemeinen Teile den Begriff d e s Verbrechens, d e r Strafe überhaupt darzustellen. Als hervorragend p r a k t i s c h e Wissenschaft, stets für die Bedürfnisse der Rechtspflege arbeitend und aus dieser immer neue Befruchtung schöpfend, mufs die Rechtswissenschaft die eigentlich s y s t e m a t i s c h e Wissenschaft sein und bleiben; denn nur die Ordnung der Kenntnisse im System verbürgt jene sichere, immer bereite Herrschaft über alle Einzelheiten, ohne welche die Rechtsanwendung stets Dilettantismus bleibt, jedem Zufall, jeder Willkür preisgegeben. Das Lehrbuch beschränkt sich auf die Darstellung des im D e u t s c h e n R e i c h e g e l t e n d e n Strafrechts. Das aufserdeutsche Strafrecht und das Strafrecht der deutschen Einzelstaaten bleibt für das System aufser Betracht. Auch die G e s c h i c h t e des Strafrechts wird nur soweit herangezogen, als es notwendig ist, um das geltende Recht als ein geschichtlich gewordenes und weiter sich entwickelndes zu begreifen. Ihr Platz ist im e r s t e n A b s c h n i t t e der Einleitung. II. Über das geltende Strafrecht hinaus führt uns die Erkenntnis der Strafe als eines in die Hand des Staates gelegten M i t t e l s zur B e k ä m p f u n g d e s V e r b r e c h e n s . Diese Erkenntnis legt uns die Frage nach dem Rechtsgrund und den Zielen der staatlichen Strafgewalt, aber auch nach dem Ursprung und der Eigenart des Verbrechens nahe. Die wissenschaftliche Lösung dieser Frage ist Aufgabe der K r i m i n a l p o l i t i k . Sie gibt uns den Mafsstab für die Wertschätzung des Rechts, welches gilt, und sie deckt uns das Recht auf, welches gelten sollte; aber sie lehrt uns auch, das geltende Recht aus seinem Zweck heraus zu verstehen und seinem Zweck gemäfs im Einzelfalle anzuwenden. Die leitenden Grundsätze der Kriminalpolitik durften daher, ebenso wie die Geschichte

§ 2.

Allgemein-geschichtliche Einleitung.

3

des Strafrechts, in diesem Lehrbuche nicht übergangen, sie mufsten aber, wie diese, in die Einleitung verwiesen werden, deren z w e i t e r A b s c h n i t t ihnen gewidmet ist. 2 ) III. Nicht in das System des Strafrechts, sondern ebenfalls in die Einleitung, gehört die Lehre von den Q u e l l e n des Strafrechts und dem H e r r s c h a f t s g e b i e t e der Strafrechtssätze, die im wesentlichen nicht auf strafrechtlichen, sondern aut staats- und völkerrechtlichen Grundsätzen beruht. Von dem Herrschaftsgebiete der Quellen handelt der d r i t t e A b s c h n i t t der Einleitung.3)

I. Die Geschichte des Strafrechts. L i t t e r a t u r . Eine zusammenfassende Geschichte des Strafrechts fehlt. Am besten immer noch Geib Lehrbuch 1; dazu v. Bar Handbuch 1. Viel Wertvolles bietet Günther Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts 1 1880; 2 1891; 3 1. Hälfte 1895. —Wichtig die Berichte von Löning und Günther in Z 2 ff.

§ 2.

Allgemein-geschichtliche

Einleitung.

L i t t e r a t u r . v. Liszt Z 3 1. — Merkel Über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Strafrechts und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände und des geistigen Lebens der Völker 1889. Löning Über die Begründung des Strafrechts 1889. Liepmann Die Entstehung des Schuldbegriffs. Jen. Diss. 1891. Derselbe Z 14 446. Makarewics Das Wesen des Verbrechens. Eine kriminalsoziologische Abhandlung auf rechtsvergleichender und rechtsgeschichtlicher Grundlage 1896. — Post Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichend ethnologischer Basis 1880, 1881. Derselbe Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwicklungsgeschichte. Leitfaden für den Aufbau einer allgemeinen Rechtswissenschaft auf soziologischer Basis 1884. Derselbe Über die Aufgaben einer allgemeinen Rechtswissenschaft 1891 (hier S. 93 Note I weitere Litteraturangaben). Derselbe Grundrifs der ethnologischen Jurisprudenz 1 1894, 2 1895. — Zahlreiche Abhandlgn. von Kohler Bernhöft u. a. in der Zeitschr. für vergleichende Rechtswissenschaft. — Leist Gräko-italische Rechtsgeschichte 1884. Derselbe Alt-arisches Jus gentium 1889. Schräder Sprachvergleichung und Urgeschichte 2. Aufl. 1890 (vielfach gegen Leist). Steinmetz Ethnologische Studien zur 2 ) Über die Stellung der Kriminalpolitik zur Strafrechtswissenschaft vgl. die bei Weinrich Z 17 779 angeführte Litteratur. 3 ) Diese Lehre wird meist als Bestandteil des Systems behandelt; so von Binding, Birkmeyer, Finger, Geyer, jfanka, Merkel und andern. Richtig Meyer.

1*

§ 2.

4

Allgemein-geschichtliche Einleitung.

ersten Entwicklung der Strafe nebst einer psychologischen Abhandlung über Grausamkeit und Rachsucht. 2 Bde. 1894. — Träger Wille, Determinismus, Strafe 1895. Maschke Das Eigentum im Civil- und Strafrecht 1895 S. 238. R. Schmidt D i e Aufgaben der Strafrechtspflege 1895 S. 67. Löffler D i e Schuldformen des Strafrechts 1 (1895) 14. — Foinitzky D i e Lehre von der Strafe 1889 (Z 10 447). — V g l . Günther Z 12 594. I.

D i e Entwicklungsgeschichte der Strafe in den Rechten der verschie-

densten V ö l k e r zeigt gemeinsame Grundzüge.

Die

rechtsvergleichende

B e t r a c h t u n g w i r d daher nicht nur Lücken und Dunkelheiten in der Rechtsgeschichte eines einzelnen Volkes ausfüllen und aufhellen; sondern, indem sie uns die Bahn weist, welche die Entwicklung der Strafe allezeit und überall genommen hat, uns auch die Richtung zu künden vermögen, in welcher für die Zukunft eine lebenskräftige Umgestaltung der Strafgesetzgebung erhofft werden kann; sie wird die ratende Führerin sein können für eine zielbewufste, aber zugleich vorsichtig an das Gewordene und Gegebene anknüpfende

Kriminal-

politik. II.

D i e Rechtsvergleichung lehrt u n s , dafs der Anfangspunkt der Ge-

schichte der Strafe zusammenfallt mit dem Anfangspunkte der Geschichte Menschheit.

der

In jedem, auch dem entferntesten, geschichtlicher Forschung noch

zugänglichen Zeitraum, bei jedem, auch dem rohesten oder entartetsten Volksstamm finden wir die Strafe, als ein malum passionis quod infligitur propter malum actionis, als einen Eingriff in den Willens- und Machtkreis des einzelnen, welcher und weil er die Willens- und Machtkreise der andern hat.

W i r sind daher berechtigt,

schichtliche Thatsache zu bezeichnen. wir

gerade

gestört

die Strafe als eine u r s p r ü n g l i c h e Und wir

werden

nicht fehlen,

gewenn

des Strafrecht als die erste und ursprünglichste Schicht in der

Entwicklungsgeschichte des Rechts auffassen, das Unrecht als den Hebel des Rechts wie der Sittlichkeit betrachten. Die der Staatengründung vorangehende b ä n d e (Blutsgemeinschaften) zeigt Strafe:

Gliederung i n

Stammesver-

uns zwei gleich ursprüngliche Arten der

I. D i e Bestrafung des S t a m m e s g e n o s s e n ,

der innerhalb des Ver-

bandes gegen diesen oder gegen dessen Mitglieder sich versündigt hat; 2. die Bestrafung des S t a m m e s f r e m d e n , der von aufsen her in den Macht- und Willenskreis

des Verbandes

oder

einzelner

seiner

Glieder

eingegriffen hat.

I m ersten Fall erscheint die Strafe insbesondere als A u s s t o f s u n g

aus

Friedensgenossenschaft

Friedlos-

legung.

Im

zweiten

Falle

in ihren verschiedenen F o r m e n , als erscheint

sie

insbesondere

Fremden und seines ganzen Stammes, als B l u t r a c h e ,

als

Bekämpfung

der des

geübt von Stamm zu

Stamm (als „Gruppenrache"), mit dem Unterliegen eines der beiden T e i l e oder mit beiderseitiger Erschöpfung endigend. lich ausgeprägt religiöse Züge ( s a k r a l e n

In beiden Fällen trägt sie ursprüngCharakter);

w i e die

Friedensord-

nung unter dem Schutze der Götter steht, so ruht die Blutrache auf göttlichem Gebot. In dem einen

wie

in dem andern Falle ist aber die Strafe von den

ersten Stufen ihrer Entwicklung an die, wenn

auch nicht klar bewufste und

nicht klar g e w o l l t e , so doch thatsächlich geübte Reaktion der Rechts- und

§ 2.

Allgemein-geschichtliche Einleitung.

5

Friedensordnung gegen Verletzung ihrer Interessen; sie ist s o z i a l e R e a k t i o n g e g e n a n t i s o z i a l e H a n d l u n g e n oder, um mit Merkel zu sprechen, s o z i a l e Machtäufserung im Dienste s o z i a l e r Selbstbehauptung. Die weitverbreitete Ansicht, welche die Wurzel der Strafe in dem als Rachetrieb sich äufsernden Selbsterhaltungstrieb des Einzelmenschen erblickt, bedarf mithin der Berichtigung. Ausstofsung aus dem Friedensverbande wie Blutrache sind nicht Reaktion des Einzelmenschen, sondern R e a k t i o n d e s S t a m m e s v e r b a n d e s als der Rechts- und Friedensordnung. Und die Handlungen, gegen welche die Reaktion sich wendet, erscheinen stets, sei es unmittelbar, sei es mittelbar, als Verletzung g e m e i n s a m e r I n t e r e s s e n d e s S t a m m e s v e r b a n d e s , als Friedensstörung, als Rechtsbruch. 1 ) III. Die weitere Entwicklung der Strafe zeigt uns, mit der Annahme fester Wohnsitze und der damit gegebenen Auflösung des reinen Stammesverbands, die M ä f s i g u n g der ursprünglich mafs- und ziellosen, triebartig ungestümen, den Verbrecher v e r n i c h t e n d e n Reaktion. Die Ausstofsung aus der Friedensgenossenschaft schwächt sich ab zur Todesstrafe und zu verstümmelnder Leibesstrafe, zu dauernder oder zeitiger Verbannung und zu Vermögensstrafen aller Art; dem Friedensstörer und seinen Angehörigen wird trotz des Rechtsbruches gegen eine mehr oder minder bedeutende Leistung an die Gemeinschaft (Friedensgeld) der Rechtsfriede gewahrt. Die zwischen den Stammesverbänden entbrannte Blutrache wird beigelegt; die Versöhnung auf Grund eines dem verletzten Stamme zu entrichtenden Sühnegeldes erst vermittelt, dann erzwungen. So entsteht die z w e i t e Entwicklungsstufe der Strafe: das K o m p o s i t i o n e n s y s t e m (von componere, beilegen). Die Entwicklung erhält eine mächtige Förderung durch die erstarkende, über den Verbänden sich erhebende S t a a t s g e w a l t , welche die Handhabung der Strafe dem Verletzten entwindet, um sie unbefangenen, ruhig prüfenden Richtern zu übertragen. Die Schwere der von Staats wegen verhängten Strafe wird nach der Schwere der Rechtsverletzung abgestuft; der kirchlich religiöse Gedanke der Talion gibt dem Rachetrieb Mafs und Ziel. Die Strafe ist als s t a a t l i c h e S t r a f e in ihre d r i t t e und letzte Entwicklungsstufe getreten. So gestaltet sich die an sich uneingeschränkte S t r a f g e w a l t des Staates zum staatlichen S t r a f r e c h t (oben § i Note i). Das S t r a f g e s e t z bestimmt nicht nur Inhalt und Umfang der S t r a f e , sondern auch die Voraussetzungen ihres Eintritts, indem es den Begriff des V e r b r e c h e n s umgrenzt: die Willkür wird ausgeschlossen, der Einzelfall unter feste, bindende Regel gestellt. 1 ) Ich glaube, diese Behauptung als eine wissenschaftlich feststehende Thatsache bezeichnen zu dürfen. Fraglich dagegen ist die Erklärung dieser Thatsache. Die Handhabung der Strafe kann stets nur Handlung eines e i n z e l n e n oder mehrerer e i n z e l n e r sein. Wie kommt es, dafs diese triebartige Handlung des einzelnen, ohne dafs er es weifs und will, g e m e i n s a m e Interessen wahrt, s o z i a l e n Charakter trägt? Ich finde die Erklärung in der Hypothese, dafs d e r i n d i v i d u e l l e T r i e b hier wie sonst (man denke an die Fortpflanzung) i m u n b e w u f s t e n D i e n s t e d e r A r t e r h a l t u n g s t e h t . Doch würde die Unrichtigkeit dieser Erklärung an der Wahrheit jener Behauptung nichts ändern.

6

§ 3-

Das Strafrecht der Römer.

IV. Aber noch ein Schritt ist zu machen. Der Z w e c k g e d a n k e , die das Recht erzeugende Kraft, wird auch in der Strafe erkannt; und mit dieser Erkenntnis ist die Möglichkeit gegeben, die vielverzweigten Wirkungen der Strafdrohung und des Strafvollzuges dem Schutze menschlicher Lebensinteressen dienstbar zu machen (unten §§ 13 ff.). Wenn auch die Erinnerung an die Vergangenheit der Strafe nicht völlig schwinden will, wenn auch heute noch der Rachetrieb die Theorie der vergeltenden Gerechtigkeit für sich in Anspruch nimmt, so vollzieht sich doch unaufhaltsam in der Geschichte der Strafe die aus der Entwicklung des Einzelmenschen uns bekannte Umgestaltung: die unbewufst zweckmäfsige, ungezügelte T r i e b handlung verwandelt sich in die durch die Zweckvorstellung bestimmte und gemäfsigte W i l l e n s h a n d l u n g . Im Widerstreit der Strafrechtstheorieen über den S t r a f z w e c k läutert sich die Ansicht des Gesetzgebers, der von der Generalprävention mehr und mehr abgelenkt und dahin geführt wird, den Zweck der Strafe in der A n p a s s u n g oder A u s s c h e i d u n g des Verbrechers zu erblicken. Eine ruhige und zielbewufste Kriminalpolitik ist die unabweisbare Forderung, die sich uns aus der Entwicklungsgeschichte der Strafe ergibt.

§ 3.

Das Strafrecht der Römer.1)

Iiitteratur. Auch hier fehlt eine befriedigende Gesamtdarstellung. Platner Quaestiones de jure criminum romano 1842. Rein Das Kriminalrecht der Römer 1844. Zumpt Das Kriminalrecht der römischen Republik 1865 ff. Mommsen Staatsrecht 3. Aufl. 1, 2, 3. Derselbe Abrifs des Staatsrechts 1893. Pernice M. Antistius Labeo 2. 2. Aufl. 1895. Derselbe Parerga 6, 7 1896 (Zeitschrift der Savigny-Stiftung 17). Hitzig Schweizer Zeitschrift 9, 16. Leist Gräko-italische Rechtsgeschichte 1884. Bernhöft Staat und Recht der römischen Königszeit 1882. Brunnenmeister Das Tötungsverbrechen im altrömischen Recht 1887 und dazu Löning Z 7 657 und 696. Löffler (Litt, zu § 2) 59. Maschke (Litt, zu § 2) 238. — Die Lehrbücher der römischen Rechtsgeschichte. I.

Bis zum

7. J a h r h u n d e r t

der Stadt.

Die bezeichnendste Eigentümlichkeit des ältesten römischen Strafrechts, zur Zeit der angeblichen Königsgesetze, liegt in der — den übrigen indogermanischen Rechten auf den Anfangsstufen ihrer Entwicklung fremden — Entschiedenheit, mit welcher das Verbrechen als Eingriff in die s t a a t l i c h gesetzte und gehütete Rechtsordnung, die Strafe als s t a a t l i c h e Reaktion gegen das Verbrechen betrachtet wird. Zwar fehlt es nicht an zahlreichen und wichtigen Spuren einer älteren, s a k r a l e n Auffassung des Strafrechts, die uns in expiatio und execratio capitis mit consecratio bonorum, als Wiederversöhnung der Gottheit mit dem reuigen Sünder und als Ausstofsung des Frevlers aus der religiösen Gemeinschaft entgegentritt. So bei Mifshandlung der Eltern durch die Kinder, bei Das g r i e c h i s c h e Strafrecht kann hier nicht berücksichtigt werden. Über die neueren Forschungen vgl. die Litteraturberichte der Z.

§ 3-

Das Strafrecht der Römer.

7

fraus im Verhältnisse zwischen Patron und Klienten, bei Verletzung des Grenzsteins, bei Unterlassung des Kaiserschnittes, bei Tötung des Ackerrindes, später noch bei Verletzung der leges sacratae und der sakrosankten Personen. Auch das Sühnopfer bei unabsichtlicher Tötung trägt sakrale Eigenart. Aber unaufhaltsam vollzieht sich die Scheidung von jus und fas, und mit ihr der S i e g der staatlichen Strafe. Auch B l u t r a c h e und S ü h n e g e l d (Kompositionensystem) kommen nur auf beschränktem Gebiete zur Geltung. So in dem zäh festgehaltenen T ö t u n g s r e c h t e des Verletzten gegenüber dem auf frischer That ergriffenen Ehebrecher und dem nächtlichen Diebe; in dem vereinzelt vorkommenden S ü h n e v e r t r a g (si membrum rupit, ni cum eo pacit, talio esto. Festus); in den festbemessenen B u f s S ä t z e n bei os fractum aut collisum und andern Injurien (an deren Stelle später die ästimatorische actio injuriarum trat) und insbesondere bei den zahlreichen P r i v a t d e l i k t e n in der zivilrechtlichen Pönalklage auf das zwei-, drei-, vierfache des Schadens, die wohl überall an die Stelle des aufsergerichtlichen Sühnevertrages getreten ist (noivq, poena 2 ) gleich Sühnegeld). Um zwei Verbrechensbegriffe reihen sich die gegen Rechtsgüter der Gesamtheit und des einzelnen gerichteten Verbrechen: p e r d u e l l i o und p a r i c i d i u m . Perduellio, der arge, schlechte K r i e g , der Krieg gegen das eigne Vaterland, modern gesprochen: der Landesverrat, ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung der politischen Verbrechen. An das paricidium, 3 ) die Tötung des Stammesgenossen (angebl. Gesetz von Numa bei Festus: si quis hominem liberum dolo sciens morti duit, paricida esto), schliefst sich die grofse Gruppe der gemeinen Verbrechen. Gerade darin, dafs die Tötung als Verletzung der öffentlichen Rechtsordnung angesehen, ihre Bestrafung nicht der Privatwillkür der Angehörigen des Verletzten anheimgestellt w i r d , liegt der auffallendste Unterschied zwischen römischer und germanischer Rechtsanschauung. Aber auch aufser perduellio und paricidium finden wir mit öffentlicher Strafe bedroht: Brandlegung, falsches Zeugnis, Bestechung des Richters, das Schmähgedicht, das furtum manifestum, nächtliche Versammlungen und Zauberei (alienos fructus excantare; alienam segetem pellicere). Wie in Zahl und Bedeutung der hierher gehörigen Verbrechen tritt die staatliche Auffassung des Strafrechts auch hervor einerseits in der Härte der auf das Verbrechen gesetzten S t r a f e n (die Todesstrafe herrscht vor), anderseits in der Gestaltung des S t r a f v e r f a h r e n s , das noch nicht wie in späterer Zeit die Eigenart des Privatklageprozesses an sich trägt. Mit den XII Tafeln scheint die ernste Entschiedenheit der Strafgesetzgebung erschöpft zu sein. Die alten Strafbestimmungen werden nicht vermehrt; ja, sie geraten teilweise, wie die Tötung des falschen Zeugen, in Ver2 ) poena hängt durch die indogermanische Wurzel tschi (suchen, scheuen, rächen) mit dem griechischen rivofiai, rächen (durch Blut oder Annahme des Wergeides), ziaig, Bufse, Strafe, zusammen. Vgl. dazu Leist 298 Note I, Günther 1 6, Schräder 581. 3 ) von TCrjög, gentilis; vgl. Schräder 579.

§ 3-

8

Das Strafrecht der Römer.

gessenheit. Auch von den Privatvergehen erfahrt nur die Sachbeschädigung in der lex Aquilia eingehende und bedeutsame Regelung. Der Zug der Zeit, gerichtet auf Beschränkung der magistratischen Rechtsprechung, ist der Förderung des Strafrechts nicht günstig. Hausväterliche Strafgewalt und zensorische Rüge müssen für Aufrechterhaltung von Zucht und Sitte Sorge tragen. Todesstrafe und schwere Leibesstrafe werden beschränkt und beseitigt; die Verbannung wird als aquae et ignis interdictio, verbunden mit dem Verluste der bürgerlichen Rechte, zur regelmäfsigen Folge des Verbrechens. Die Strafrechtspflege hat h o c h p o l i t i s c h e Färbung gewonnen. II.

Die Zeit des

Quästionen-Prozesses.

Aber gerade in dieser hochpolitischen Eigenart sollte das römische Strafrecht den Quell seiner Wiedergeburt finden. Um das Jahr 606 a. u. war eine zunächst unscheinbare, aber folgenschwere Neuerung ins Leben getreten. Über die Klagen der Provinzialen gegen die Statthalter auf Rückerstattung der Repetunden hatte bisher das senatorische Rekuperatorengericht geurteilt. Jetzt wurde, im Zusammenhange mit der lex Calpurnia de repetundis, ein ständiger Ausschufs des Senates unter dem Vorsitze eines Prätors, die erste sogenannte quaestio perpetua, zur Aburteilung dieser Fälle niedergesetzt. Bald erkannten die Führer der Volkspartei die Bedeutung dieser Einrichtung als einer Waffe im Kampfe gegen den herrschenden Stand. Die lex Sempronia von 632 übertrug den Rittern das Richteramt im Quästionenprozesse und das Recht, nicht blofs auf Rückerstattung des Erprefsten, sondern auch auf Strafe, und zwar mit Einschlufs der Verbannung, zu erkennen. D a m i t w a r d e r Q u ä s t i o n e n p r o z e f s zum S t r a f v e r f a h r e n g e w o r d e n . Zahlreiche Gesetze beschäftigen sich in den folgenden Jahrzehnten mit ihm, das Verfahren regelnd, seine Zuständigkeit auf andere Verbrechen ausdehnend. Immer aber sind es nur V e r b r e c h e n d e s h e r r s c h e n d e n s e n a t o r i s c h e n S t a n d e s , also Delikte von hervorragend politischer Bedeutung, welche den Gegenstand des neuen Verfahrens ausmachen; die gemeinen Verbrechen bleiben ihm nach wie vor entzogen. Da tritt 672—674 die S u l l a n i s c h e R e f o r m d e r S t r a f g e s e t z g e b u n g ein. Der Quästionenprozefs, bisher von der Parteileidenschaft als Parteiwaffe benutzt, wird die Grundlage für die Neubegründung des römischen Strafrechts. Sulla vermehrt in den l e g e s C o r n e l i a e (de sicariis, testamentaria-nummaria, de majestate u. a.) die Zahl der bestehenden Quästionen, überträgt die Gerichtsbarkeit in ihnen wieder den Senatoren und ü b e r w e i s t d e m Q u ä s t i o n e n p r o z e s s e a u c h d i e g e m e i n e n V e r b r e c h e n , deren Thatbestand eingehend bestimmt wird. Die leges J u l i a e von Cäsar und August bringen diese Entwicklung, durch welche eine der beiden Grundlagen des späteren gemein-deutschen Strafrechts geschaffen wurde, zum vorläufigen Abschlüsse. Dadurch ist neben die — gerade in diesem Zeitabschnitt durch das prätorische Edikt wesentlich weiter entwickelten — P r i v a t d e l i k t e , welche der Verletzte vor den Zivilgerichten mit einer auf Geldbufse gerichteten zivilen

§ 3-

Das Strafrecht der Römer.

9

Pönalklage zu verfolgen hatte, eine neue Gruppe von Verbrechen getreten", die c r i m i n a p u b l i c a (legitima, ordinaria). Sie beruhen auf einzelnen leges welche für jedes Verbrechen den Thatbestand und die poena legitima (meist Interdiktion) festsetzen, das Verfahren regeln und die Aburteilung einer bestehenden oder neu zu errichtenden quaestio zuweisen. Die Anklage steht jedem aus dem Volke zu. Dolus ist erforderlich, Versuch und Teilnahme werden (regelmäfsig) bestraft und zwar so wie Vollendung und Thäterschaft. Die Richter haben mit schuldig oder nichtschuldig zu antworten; unterscheidende Beurteilung des Einzelfalles ist unmöglich. Es gehören in diese Gruppe folgende Verbrechen: Die A m t s v e r b r e c h e n , welche ja den Anstofs zu der ganzen Entwicklung gegeben hatten, also die Erpressung (crimen repetundarum), die Amtserschleichung (ambitus und crimen sodaliciorum), Diebstahl und Unterschlagung im Amte (crimen peculatus et de residuis); H o c h v e r r a t (crimen majestatis, allmählich an Stelle der alten perduellio tretend); S t ö r u n g d e s ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n s durch Gewaltthat (vis publica et privata mit vorwiegend politischer Färbung), M e n s c h e n r a u b (plagium) und F ä l s c h u n g (falsum); v o r s ä t z l i c h e T ö t u n g (crimen sicariorum et veneficorum; parricidium als Verwandtenmord); K ö r p e r v e r l e t z u n g und H a u s f r i e d e n s b r u c h (injuriae atroces: pulsare, verberare, domum vi introire); endlich die durch die lex Julia de adulteris 736 a. u. zuerst der staatlichen Strafgewalt unterworfenen F l e i s c h e s v e r b r e c h e n , Ehebruch, Unzucht, Kuppelei und blutschänderische Ehe (adulterium, stuprum, lenocinium, incestus). Eine selbständige Mittelgruppe bilden die a c t i o n e s p o p u l ä r e s (Interdikte, prätorische und ädilizische Strafklagen, Klagen aus Kolonial- und Munizipalverhältnissen), deren Erhebung jedem aus dem Volke zusteht, aber nur zur Verhängung einer meist an den Ankläger fallenden Geldbufse f ü h r t . III.

Zeitabschnitt.

Die

Kaiserzeit.

Der Untergang des alten ordo judiciorum publicorum seit dem Anfange des 3. Jahrhunderts nach Christus (wahrscheinlich nach 204 4 ) läfst zunächst das materielle Strafrecht unberührt. Insbesondere bleibt der Gegensatz der crimina publica und delicta privata bestehen. Freilich bringen es die Zeitverhältnisse mit sich, dafs gerade jene Verbrechensbegriffe, an welche die Neubegründung des römischen Strafrechts anknüpft, die A m t s v e r b r e c h e n der Republik, aus den Aufzeichnungen der Rechtspflege verschwinden; während andre, wie das crimen majestatis, eine wesentliche inhaltliche Umgestaltung erleiden. Aber im grofsen und ganzen bleiben die leges Corneliae und leges Juliae die feste Grundlage, auf welcher die klassische römische Rechtswissenschaft, ergänzend und umgestaltend, weiterbaut. Erst allmählich treten die Folgen der Erstarkung der einheitlichen Staatsgewalt auch auf dem Gebiete des Strafrechts zu Tage. Wie die Verfolgung 4 ) Vgl. darüber Menn D e interitu quaestionum perpetuarum 1859. Wächter Beilagen zu Vorlesungen über das deutsche Strafrecht 1877 Nr. 20.

§ 3.

IO

Das Strafrecht der Römer.

von Amts wegen in immer weiterem Umfange und mit immer bewufster auftretender Richtung sich Bahn bricht, 5 ) so werden dem privatrechtlichen Delikte immer weitere Gebiete zu Gunsten der peinlichen Strafe abgerungen. Es entsteht die neue, ausgedehnte und für die ganze spätere Entwicklung des Strafrechts hochwichtige Gruppe der c r i m i n a e x t r a o r d i n a r i a , eine Hittelstufe zwischen crimen publicum und delictum privatum, aber jenem näher stehend als diesem. Nicht einem Volksbeschlusse, sondern Kaiserverordnungen und Senatsbeschlüssen oder juristischer Auslegungskunst verdanken sie ihre E n t s t e h u n g ; nicht die unabänderliche poena ordinaria, sondern eine nach richterlichem E r m e s s e n der eigenartigen Bedeutung des Einzelfalles angepafste Strafe ist ihre Folge. Dem V e r l e t z t e n steht die Strafklage, gerichtet an die Träger der Strafgerichtsbarkeit, zu; die s u b j e k t i v e S e i t e der That wird wie bei den criminibus publicis in den Vordergrund gestellt, dolus malus erfordert, Versuch und Teilnahme bestraft. Innerhalb der crimina extraordinaria können wir drei Untergruppen unterscheiden. 1. A u s d e n P r i v a t d e l i k t e n werden d i e s c h w e r s t e n F ä l l e herausgehoben und mit peinlicher Strenge bedroht. So aus dem f u r t u m : das Verbrechen der saccularii (Taschendiebe), effractores (Einbrecher), expilatores (Plünderer), balnearii (Badediebe, oder mit v. Bar-, Paletotmarder), abigei (gewerbsmäfsige Viehdiebe: quasi artem exercentes) und die expilatio hereditatis. Aus der r a p i ñ a : das Verbrechen der latrones (mit Hinneigung zum Raubmord) und grassatores. Aus der i n j u r i a : die libelli famosi (verleumderische Schmähschrift), das Verbrechen der directarii (Hausfriedensbruch) und andere Fälle. 2. Daneben finden wir eine grofse Zahl n e u g e s c h a f f e n e r V e r brechensbegriffe. So die H e h l e r e i (crimen receptatorum); den B e t r u g (stellionatus und als besonderen Fall die venditio fumi, die Vorspiegelung eines nicht vorhandenen Einflusses auf Verleihung von Ämtern); die E r p r e s s u n g (concussio); E n t f ü h r u n g (raptus); A b t r e i b u n g d e r L e i b e s f r u c h t (abactio partus); K i n d e s a u s s e t z u n g (expositio infantum). Dazu kommen, neben andern, unter dem Einflufs des Christentums die bisher dem römischen Rechte unbekannt gebliebenen R e l i g i o n s v e r b r e c h e n : Gotteslästerung, Störung des Gottesdienstes, Abfall vom Glauben und Ketzerei, sowie die diesen mehr und mehr sich nähernde Z a u b e r e i . 3. Endlich s c h e i n t es, als ob die Entwicklung dahin geführt habe, dem Verletzten gegen Ende des Zeitraums bei den m e i s t e n P r i v a t d e l i k t e n auch ohne besondere gesetzliche Anordnung das Wahlrecht zwischen der zivilrechtlichen actio ex delicto und der strafrechtlichen accusatio extra ordinem einzuräumen (vgl. 1 92 D 47, 2 ; 1 45 D 47, 10). Eine wesentliche Umgestaltung erfährt insbesondere auch das S t r a f e n system. Die aquae et ignis interdictio hat sich überlebt; sie hat ihre praktische Bedeutung verloren. An ihre Stelle tritt ein reichgegliedertes, vielfach insbesondere nach dem Stande des Verurteilten abgestuftes, im allgemeinen

5)

Vgl. Binding De natura inquis. process, crim. Roman.

1863.

§ 4-

Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.

II

aber zu übertriebener Strenge hinneigendes System von Lebens- und Leibesstrafen, von Freiheitsstrafen mit und ohne Arbeitszwang, von Strafen an Ehre und Vermögen. Unverändert dagegen bleibt im wesentlichen die j u r i s t i s c h e E i g e n a r t der Strafbestimmungen des römischen Reehts. Nach wie vor vermissen wir Klarheit und Bestimmtheit in der Fassung der V e r b r e c h e n s b e g r i f f e ; und, je mehr der Zeitraum seinem Abschlüsse sich nähert, desto verderblicher wird der Einflufs jener unjuristischen willkürlichen und haltlosen Pseudo-Ethik, welche die späteren Kaisererlasse kennzeichnet. Es darf und kann uns daher auch nicht wunder nehmen, wenn wir sehen, dsfs die Ausbildung der a l l g e m e i n e n L e h r e n des Strafrechts, jene höchste und schwerste Aufgabe der kriminalistischen Wissenschaft, über vereinzelte und grundsatzlose Ansätze nicht hinauskommt. Das römische Strafrecht wäre zur Aufnahme in Deutschland durchaus ungeeignet gewesen, hätte nicht in späteren Jahrhunderten das mittelalterliche Italien die Arbeit auf sieh genommen, welche die römischen Juristen ungelöst der Nachwelt hinterlassen hatten. 6 )

§ 4. I.

Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.

Das frühere Mittelalter.

Bis zum

13. J a h r h u n d e r t .

Litteratur. Zusammenfassend und zugleich grundlegend Brunner Deutsche Rechtsgeschichte 2 1892 S. 536—690. — Wilda Das Strafrecht der Germanen 1842. Osenbrüggen Das Strafrecht der Langobarden 1863. Thonissen L'organisation judiciaire, le droit pénal et la procédure pénale de la loi salique 2. Aufl. 1882. Bethmann-Holhveg Der Zivilprozefs des gem. Rechts in geschichtlicher Entwicklung. IV. bis VI. Bd. 1868 ff. Schröder Lehrb. der deutschen Rechtsgeschichte. 2. Aufl. 1894 S. 330. L'ófflcr (Litt, zu § 2) 32, 113. Maschke (Litt, zu § 2) 237. Schreuer Die Behandlung der Verbrechenskonkurrenz in den Volksrechten 1896. Maschke Cap. 24 und 26 der lex francorum Chamavorum. Ein Beitrag zur Geschichte des Strafrechts. Königsberger Diss. 1898. — Berichte von Löning und Günther in Z 2 ff. I. Ungleich deutlicher als in den römischen, tritt uns in den deutschen Quellen die allmähliche Entwicklung des Strafrechts entgegen. In den Volksrechten hat sich über den Stammesverband allerdings bereits die staatliche Rechtsordnung erhoben. Demgemäfs tritt einerseits die sakrale Auffassung des Strafrechts, anderseits die Friedlosigkeit wie die Blutrache in den Hintergrund. Das Kompositionensystem steht unverkennbar im Mittelpunkte der strafrechtlichen Bestimmungen. Aber innerhalb des Staatsverbandes tritt uns immer noch die auf der Blutsgemeinschaft beruhende S i p p e als öffentlich-rechtliche Körperschaft entgegen ; sie ist es, die ihren Gliedern Schutz und Sühne gewährleistet, die den angegriffenen Genossen verteidigt und den verletzten rächt. Und demgemäfs ragen die Spuren einer älteren Entwicklungsstufe des Strafrechts bis tief in das deutsche Mittelalter hinein. 6 ) Die Hauptmasse der strafrechtlichen Bestimmungen findet sich im 4. Buch, Tit. I — 5 und 18 der Instt., im 47. und 48. Buch der Digesten und im 9. Buch des Kodex.

§ 4-

12

D a s mittelalterlich deutsche Strafrecht.

1. Heidnisch-religiöse A n k l ä n g e erinnern an den s a k r a l e n des ursprünglichen

Charakter

Strafrechts; b e i Tempelbruch und Z a u b e r e i , bei Meineid

und Totenraub, bei Leichen- und Gräberschändung,

bei Blutschande und V e r -

wandtenmord entlehnt die irdische Gerechtigkeit v o n den Göttern das strafende S c h w e r t ; 1 ) und nur allmählich

und

mit geschwächter K r a f t rückt die

christ-

liche K i r c h e an die Stelle des verdrängten Heidentums. 2. V o n der F r i e d l o s i g k e i t ,

der kennzeichnenden Strafe der nordger-

manischen Rechte für alle schwereren Verbrechen (Friedensbrüche), finden w i r in den deutschen Volksrechten allerdings nur vereinzelte Spuren; 2 ) und w o sie sonst erwähnt wird,

erscheint sie nicht als Strafe des begangenen Verbrechens,

sondern als Rechtsfolge weigernden

prozessualischen

Beklagten. 3 )

historikern [Brunner,

Dennoch

Schröder)

Ungehorsams gegenüber dem R e c h t

darf mit

unsern bedeutendsten

Rechts-

der Schlufs auf ausgedehntere Anwendung auch

in geschichtlicher Zeit gezogen werden. 3. Nicht blofs bei Diebstahl und E h e b r u c h , andern

Fällen

erwähnen

die Volksrechte

seiner A n g e h ö r i g e n ) ,

den Verletzer

wird

des

das N o t r e c h t

sondern auch in zahlreichen

das R e c h t

bufslos

Angegriffenen

des Angegriffenen

zu erschlagen. 4 )

Aber

(und

vielfach

bereits bedingt dadurch,

dafs

der Verbrecher sich der Fesselung widersetzt; und aus dem Tötungsrecht entwickelt

sich

allmählich das R e c h t ,

den auf handhafter T h a t

Ergriffenen

ge-

bunden vor Gericht zu bringen und seine Verurteilung zu peinlicher Strafe in einem beschleunigten Verfahren zu e r w i r k e n : nachteter

That

nach der Ausdrucksweise

4. D i e B l u t r a c h e

die verstärkte K l a g e bei unver-

des späteren deutschen Mittelalters.

i s t , w i e uns schon Tacitus bezeugt, 5 ) als Stammes-

rache Recht und Pflicht der gesamten Sippe bei nicht handhafter That.

Sie

1 ) V g l . Brunner 2, 684. — Hierher gehört auch die berühmte Stelle des friesischen Volksrechts: A d d . 12, I : Qui fanum effregerit et ibi aliquid d e sacris tulerit, ducitur ad mare, et in sabulo, quod accessus maris operire solet, finduntur aures ejus et castratur et immolatur diis, quorum templa violavit. — V g l . auch unten N o t e 9. 2 ) Sal. em. 55, 2 (B ehrend): S i quis corpus jam sepultum effoderit aut exspoliaverit, w a r g u s s i t , hoc est, expulsus de eodem p a g o , usque dum p a rentibus defuncti convenerit, ut et ipsi parentes rogati sint pro eo, ut liceat ei infra patriam esse, et quicumque antea panem aut hospitalitatem ei dederit, etiamsi uxor ejus hoc fecerit, D C den. qui faciunt sol. X V culpabilis judicetur. Rib. 85, 2 (Sohni)\ hier bereits beim Gräberraub nur mehr an zweiter Stelle. C a p . I zur S a l . : die Frau, die sich mit einem Sklaven verheiratet, w i r d expellis. ') Sal. 561 I. Si quis ad mallum venire contempserit etc. 2 . . . T u n c rex extra sermonem suum ponat eum. Tunc ipse culpabilis et omnes res erunt suas. *) Bajuv. 9, 5 ; 8, I ; Sax. 4, 4 ; R i b . 7 7 : S i quis hominem super rebus suis comprehenderit, et eum ligare voluerit, aut super uxorem, aut super filiam, v e l his similibus, et non praevaluerit legare, sed colebus ei excesserit, et eum interficerit, coram testibus in quadruvio in clita eum levare debet et sie 40 seu 14 noctes custodire et tunc ante judice in harao coniurit, quod eum de vita forfactum interfecisset. 5 ) Germ. cap. 2 1 : Suscipere tam inimicitias patris seu propinqui quam amicitias necesse est.

§ 4-

Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.

13

wird abgelöst durch die Zahlung einer Sühnesumme, der compositio. Die verletzte Sippe hat ursprünglich die Wahl zwischen Fehde und Annahme der Lösangssumme; und erst nach hartem Kampfe, welcher aus den Kapitularien deutlich erkennbar ist, gelingt es der erstarkenden Staatsgewalt, den gerichtlichen Abschlufs des Sühnevertrages zur Rechtspflicht zu machen. Damit ist die Blutrache ersetzt durch das Kompositionensystem. Aber noch die Formen des mittelalterlichen deutschen Rechtsganges weisen auf den Ursprung des Rechts aus der Fehde; an die Stelle der Waffenhilfe ist die Eidhilfe getreten: wie jene, ist diese Recht und Pflicht der Sippegenossen, die in voller Waffenrüstung, durch Handreichung verbunden, mit gesamtem Munde den Eid des Hauptschwörenden bekräftigen. II. In der genauen Festzetzung der zu zahlenden Sühnegelder, also in der festen Regelung des K o m p o s i t i o n e n s y s t e m s , liegt, wie bereits erwähnt, die Hauptbedeutung der strafrechtlichen Bestimmungen der Volksrechte. Sein hohes Alter erhellt aus den Mitteilungen bei Tacitus.6) In vielfachen Abstufungen werden die verschiedenen Rechtsverletzungen abgeschätzt; für jeden einzelnen Zahn und jeden der verschiedenen Finger, für jedes Schmähwort, für jede unzüchtige Berührung von Frauen oder Mädchen wird die Sühnesumme genau bestimmt. Wir finden in den Kompositionssätzen der einzelnen Volksrechte zwei verschiedene Grundzahlen, eine gröfsere und eine kleinere; jene als W e r g e i d (Manngeld) bei Tötung und gleichgestellten Fällen; diese als B u f s e bei geringeren Rechtsverletzungen.7) Aber nicht blofs die Schwere des begangenen Verbrechens, auch Stand und Volksangehörigkeit, Alter und Geschlecht des Verletzten sind mafsgebend für die Höhe des Sühnegeldes. Neben dem an den Verletzten und seine Sippe zu bezahlenden Betrage ist an die Gesamtheit, als die Vermittlerin des geschlossenen Sühnevertrages, das F r i e d e n s g e l d (fredus oder fredum) zu entrichten. Auch Sühnevertrag und Sühnegeld ruhen auf der Grundlage des Stammesverbandes , geradeso wie die Blutrache, aus der sie hervorgewachsen. Was Tacitus uns berichtet: recipitque satisfactionem universa domus, wird durch andre Quellen glänzend bestätigt. Die T e i l n a h m e d e r F a m i l i e an der Zahlung wie an dem Empfange der Wergeidsumme, in den deutschen Volksrechten nur in einzelnen Spuren angedeutet, hat sich in den niederdeutschen 6) Germ. cap. 12. Sed et levioribus delictis pro modo poena; equorum pecorumque numero convicti multantur. Pars multae regi vel civitati, pars ipsi qui vindicatur vel propinquis ejus exsolvitur. Cap. 21. Nec implacabiles durant (inimicitiae). Luitur enim etiam homicidium certo armentorum ac pecoroni numero, recipitque satisfactionem universa domus. ') Das Wergeid beträgt bei den verschiedenen Stämmen 150, 160 und 200, die Bufse 10, 12 und 15 Schillinge. Vgl. dazu Brunner 1 226, 2 612. Wie tief diese Summen — man denke an das bei Mord häufig eintretende neunfache Wergeid — in das wirtschaftliche Dasein und damit in die rechtliche Stellung des Betroffenen eingriffen, erhellt daraus, dafs nach gleichzeitigen Quellen ein Rind 1 bis 3, ein Pferd 6 bis 12 Schillinge kostete. Vgl. die bei Waitz 2 I, 279 angeführten Stellen. Nach Schröder beträgt das Wergeid den Wert eines freien Hofes.

14

§ 14.

Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.

und nordischen Rechten lange Zeit hindurch, in letzteren teilweise bis ins 16. Jahrhundert, erhalten.8) III. Aber auch die ö f f e n t l i c h e S t r a f e ist schon dem ältesten deutschen Rechte nicht fremd gewesen. Der höhere Friede, dessen das Heer auf dem Kriegszuge, die Volksversammlung auf der Dingstätte, dessen die Tempel und Kirchen bedürfen, drängt dazu, die Strafgewalt in die Hand der Gesamtheit und ihrer Vertreter zu legen.9) So sind es insbesondere Verbrechen p o l i t i s c h - m i l i t ä r i s c h e r Natur, etwa Landes- und Kriegsverrat, welche von den ältesten Zeiten an mit öffentlicher Strafe belegt werden.10) Aber schon in der Zeit d e s m e r o v i n g i s c h e n , weit mehr noch d e s k a r o l i n g i s c h e n K ö n i g t u m s treten, mit der klaren Brkenntnis und der schärferen Verfolgung der Staatszwecke, immer neue Verbrechen in das Gebiet der öffentlichen Strafe ein. 11 ) Von der Mitte des 6. Jahrhunderts angefangen, beschäftigt sich die Kapitulariengesetzgebung mit Strafdrohungen gegen Raub und Diebstahl, Mord und Blutschande, Zauberei und Vergiftung, Meineid und falsches Zeugnis, Fälschung von Münzen und Urkunden. Durch die zunehmende U n g l e i c h h e i t d e s B e s i t z e s wird die Bewegung wesentlich gefördert; wer das Sühnegeld nicht bezahlen kann, büfst mit seinem Leibe, wie von alters her der Unfreie.

e) Sai. 58, 62: Sic cujuscumque pater occisus fuerit, medietate compositionis filii collegant et alio medietate parentes qui proximiores sunt, tam de patre quam de matre, inter se dividant (Erbsühne und Magsühne); Sax. 18, 19. Wilda 395. Waitz 1 71 Note 3, 75 Note 3. Brunner, Zeitschr. der Savigny-Stiftung 3 I. Heusler 2 541. Günther 1 176 Note 42. ') Vgl. schon Tacitus Germ. c. 7. Ceterum neque animadvertere neque vincire ne verberare quidem nisi sacerdotibus permissum: non quasi in poenam nec ducis jussu sed velut deo imperante quem adesse bellantibus credunt (sakraler Charakter). Cap. 11. Silentium per sacerdotes, quibus tunc (in der Volksversammlung) et coercendi jus est, imperatur. Cap. 6. Scutum reliquisse praecipuum flagitium. Nec aut sacris adesse aut concilium inire ignominioso fas: multique superstites bellorum infamiam laqueo finierunt. Cap. 12. Licet apud consilium accusare quoque et discrimen capitis intendere. Distinctio poenarum ex delicto. Proditores et transfugas arboribus suspendunt; ignavos et imbelles et corpore infames coeno ac palude, injecta insuper crate, mergunt. Diversitas supplicii illuc respicit, tamquam scelera ostendi oporteat, dum puniuntur, flagitia abscondi. (Vgl. zu dieser Stelle Waitz 1 425.) 10 ) Rib. 69, I : Si quis homo infidelis extiterit, de vita componat et omnes res ejus fisco censeantur. Bajuv. II. I, 2: Ut nullus liber Bajuvarius alodem aut vitam sine capitali crimine perdat, id est si in necem ducis consiliatus fuerit, aut inimicos in provinciam invitaverit aut civitatem capere ab extraneis machinaverit. Hierher gehören auch die zahlreichen Bestimmungen gegen herisliz. " ) So bedroht die lex Ribuaria mit öffentlicher Strafe das Schelten der Königsurkunde (60, 6), den handhaften Diebstahl (79), die Bestechung des Richters (88), die Entführung der freien Frau durch den Sklaven (34, 4), die Fälschung der Königsurkunde (59, 3), Verwandtenmord und Blutschande (66, 2). — Im sächsischen Volksrechte stand Todesstrafe auf Meineid, Hausfriedensbruch, Mordbrand, Diebstahl im Werte von mehr als 3 Schillingen. Karl der Grofse war bestrebt, diese Bestimmungen zu mildern, bedrohte aber seinerseits Verletzungen des Christenglaubens mit dem Tode. Vgl, Waitz 3 130. Günther 1 182, Schröder 338.

§ 4-

Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.

15

Insbesondere wird die k ö n i g l i c h e B a n n g e w a l t zu einem mächtigen Faktor der Rechtsbildung; zahlreiche neue Strafdrohungen, nicht blofs zum Schutze von Kirchen und Klöstern, von Witwen, Waisen und Armen, sondern auch zur Wahrung des öffentlichen Friedens gegen Gewaltthaten verschiedenster Art, treten kraft A m t s r e c h t s neben das Volksrecht. 12 ) Endlich darf der Einflufs der K i r c h e nicht aufser acht gelassen werden, welche, auch soweit sie einer eigentlichen Strafgewalt, entbehrte, mittelbar durch Bufsbücher und Konzilienbeschlüsse auf die Rechtsanschauungen des Volkes wie auf die königliche Gesetzgebung einwirkte und auf die Ausfüllung der Lücken hinarbeitete, welche das weltliche Strafrecht noch immer aufwies. 13 ) So hat gegen Ende der karolingischen Periode, zur Blütezeit des fränkischen Königtums, die staatliche Auffassung von Verbrechen und Strafe den Sieg davongetragen. Weitaus die meisten gegen die Interessen der Gesamtheit gerichteten Verbrechen sind mit öffentlicher Strafe bedroht, werden von Amts wegen verfolgt und bestraft. IV. Mit dem Zerfalle der fränkischen Monarchie beginnt eine allgemeine rückläufige Bewegung, die auch auf dem Gebiete des Strafrechts die neugeschaffenen, durch eine starke Zentralgewalt gehaltenen, aber lange noch nicht festgewurzelten Einrichtungen der Karolingerzeit zerstörte oder doch in den Hintergrund drängte und auf längere Zeit verdunkelte. So verschwinden die in fremder Sprache geschriebenen Volksrechte, und die Kapitulariengesetzgebung gerät in Vergessenheit; es ist die Zeit der Herrschaft des G e w o h n h e i t s r e c h t s , aus der Rechtsüberzeugung des Volkes geschöpft und in der Rechtweisung der Schöffen sich offenbarend. Damit treten die nationalen, die a l t - d e u t s c h e n R e c h t s a n s c h a u u n g e n , die unter der fränkischen Königsherrschaft vielfach von fremden, römisch- kanonischen Rechtssätzen verdrängt worden waren, wieder in den Vordergrund. Und sofort macht sich die Eigentümlichkeit des deutschen Volksgeistes geltend: die in reichsten Bildungen sich entfaltende Gestaltungskraft f ü h r t , im Gegensatze zu der zentralisierenden und unifizierenden Richtung des abgelaufenen Zeitraums, zu steigender Z e r s p l i t t e r u n g des Rechts nach Stämmen nicht blofs, sondern selbst nach Gauen und Gemeinden. Hand in Hand damit geht das Wiedererwachen der p r i v a t r e c h t l i c h e n A u f f a s s u n g d e s S t r a f r e c h t s , das Zurückdrängen der staatlichen Strafgewalt, welche j a , bedingt durch eine starke Staatsgewalt, unmöglich ihre Vorherrschaft in den Zeiten behaupten konnte, wo die königliche Macht im Schwinden begriffen und die Ausbildung der Landeshoheit noch nicht abgeschlossen war. So geht denn der Gedanke einer Verfolgung des Verbrechens 12 ) Vgl. Waitz 3 3 1 9 ; Brunner 2 34. Summula de bannis (Boretius Cap. 224). 13 ) Auf das kanonische Strafrecht kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. die erschöpfende Darstellung bei Uinschius Kirchenrecht 4 691—864 (römisches und merovingisches Recht), 5 I. Abt. (bis zum 14. Jahrhundert), 5 2. Abt. (15. Jahrhundert bis zur Gegenwart). — Aus dem Corpus juris canonici das 5. Buch der Dekretalen.

j6

§ 4,

Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.

von Amts wegen beinahe gänzlich verloren ; das Sühnegeld erweitert sein Herrschaftsgebiet auf Kosten der öffentlichen Strafe ; in dem Belieben des Verletzten steht die Wahl zwischen Erhebung und Durchführung der Klage oder der Abfindung (Ledigung, Taidigung) mit dem Verbrecher, welcher bei einfachem Frevel (im Gegensatz zum Ungerichte) auch ohne weiteres die angedrohte Leibesstrafe — freilich ohne der Ehrlosigkeit zu entgehen — durch Geldzahlung abwenden kann. Die Unsicherheit der Rechtspflege erzeugt das m i t t e l a l t e r l i c h e F e h d e r e c h t , welches, von der alten Blutrache wesentlich verschieden, als Notrecht, wenn rechtliche Hilfe gegen bürgerliche oder peinliche Rechtsverletzungen nicht zu erlangen war, nach vorausgegangener Absage (diffidatio) dem Waffenberechtigten zustand und erst allmählich durch die g e s e t z l i c h e n L a n d f r i e d e n (von 1085 bis ins 16. Jahrhundert) beschränkt, durch die v e r t r a g s m ä f s i g e n vorübergehend aufgehoben und erst durch die e w i g e n L a n d f r i e d e n beseitigt wurde. 14 )

II.

Das spätere Mittelalter.

V o m 13. b i s i n s 16. J a h r h u n d e r t .

Iiitteratur. Kohler Studien 2 — 4 1895 f. (über das Strafrecht der italienischen Statuten). John Strafrecht in Norddeutschland zur Zeit der Rechtsbücher 1858. Osenbrüggen Das alemannische Strafrecht im deutschen Mittelalter 1860. Hälschner Geschichte des brandenburgisch-preufs. Strafrechts 1855. Frauenstädt Blutrache und Totschlagsühne 1881. Gengier Deutsche Stadtrechtsaltertümer 1882. Lindner Die Verne 1888 ; Titelausgabe 1896 (dazu Günther Z 14 257). Frauenstädt Breslaus Strafrechtspflege im 14. bis 16. Jahrhundert Z 10 I. Pfenniger Das Strafrecht der Schweiz 1891 S. 10. Knapp Z 12 200, 473 (Nürnberg). Cattier Evolution du droit pénal germanique en Hainaut jusqu'au XVe siècle 1893. Caspar Darstellung des strafrechtlichen Inhalts des Schwabenspiegels und des Augsburger Stadtrechts. Berliner Diss. 1892. Friese Das Strafrecht des Sachsenspiegels (Gierkes Untersuchungen Heft 55) 1898. Knapp Das alt-nürnberger Strafrecht 1895. ïallinger Das Verfahren gegen gemeinschädliche Leute in Süddeutschland 1895. Luppe Beiträge zum Totschlagsrecht Lübecks im Mittelalter. Kieler Diss. 1896. Frauenstädt Z 18 3 3 1 (Gaunertum im deutschen Mittelalter). — Die Berichte von L'oning und Günther in Z 2 ff. Eine zusammenfassende Arbeit fehlt. Die Entwicklung des Strafrechts steht im engsten Zusammenhange mit dem Sinken und Steigen der Staatsgewalt. Mit der A u s b i l d u n g d e r L a n d e s h e r r l i c h k e i t und dem A u f b l ü h e n d e r S t ä d t e nimmt auch die während des vorhergehenden Zeitraumes unterbrochene Erstarkung der öffentlich-rechtlichen Auffassung von Verbrechen und Strafe ihren Fortgang. In zahlreichen Landfrieden und andern Reichsgesetzen, in Stadt-, Land- und Hofrechten, Weistümern und Rechtsbüchern wird das bestehende R e c h t a u f g e z e i c h n e t und das Gewohnheitsrecht in den Hintergrund gedrängt. Aus u ) Bühlau Nove constitutiones domini Alberti, d. i. der Landfriede v. J. 1235. 1858. Neuere Litt, bei Löning Z 5 226, Günther Z 11 185. Dazu Huberti Gottesfrieden und Landfrieden 1 1892. Heilborn Z 18 I , der mit Recht darauf hinweist, dafs die Provinziallandfrieden, über die Bekämpfung der Fehde hinausgreifend, vielfach den Charakter umfassender Strafgesetzbücher tragen.

§ 4-

Das mittelalterlich deutsche Strafrecht.

17

immer zahlreicheren Quellen und in immer rascherem Flusse strömt das f r e m d e R e c h t in die deutschen Gebiete erst des Südens, dann des Nordens und ringt mit den einheimischen Rechtssätzen um die Herrschaft. Die hervorragenderen Rechtsbücher und Stadtrechte erweisen sich als die Kristallisationspunkte, um welche sich, gewissermafsen als Ersatz für die untergegangenen Stammesrechte, neue Gebiete i n h a l t l i e h g l e i c h e n R e c h t s — trotz aller Verschiedenheit im einzelnen — anreihen. So sind die Vorbedingungen geschaffen für die Ausbreitung und Erstarkung der ö f f e n t l i c h e n S t r a f e . Wergeid und Bufse erwähnen die Rechtsbücher als das Recht vergangener Zeiten; das erstere wird mehr und mehr auf die Fälle unbeabsichtigter Tötung beschränkt, die letztere häufig 1 5 ) als Scheinbufse nur darum angesetzt, damit ihr des Richters Gewette folge: sie verwandelt sich in eine eigentliche Geldstrafe. Aber auch die Strafen an Leib und Leben werden immer zahlreicher. Der Sachsenspiegel ( 2 13) bedroht den Diebstahl von drei Schillingen und mehr sowie den nächtlichen Diebstahl mit dem S t r a n g ; mit dem R a d e Mord und Diebstahl unter Bruch besonderen Friedens, Verrat, Mordbrand und untreue Botschaft; wer Tötung, Menschenraub, Raub, Brandlegung, Notzucht, Friedensbruch oder schweren Ehebruch begeht, dem soll man das H a u p t a b s c h l a g e n ; A b f a l l vom Christenglauben, Zauberei und Vergiftung wird mit dem S c h e i t e r h a u f e n bestraft. Neben den an Hals und Hand gehenden Strafen für Ungerichte finden sich zahlreiche Strafen an Haut und Haar sowie Geldbufsen für Frevel. Insbesondere aber ist es der städtische Verkehr, der mit neuen Lebensverhältnissen auch neue Verbrechen erzeugt und, neben der regelmäfsig eintretenden Verfestung, neue Strafbestimmungen notwendig macht. Die Stadtrechte, vor allen die Süddeutschlands (vgl. Nürnberg), zeichnen sich durch strenge, oft grausame Strafdrohungen aus. Ein neuer Umstand, dessen Einflufs auf die Entwicklung des Strafrechts nicht unterschätzt werden darf, tritt hinzu: d e r K a m p f g e g e n d a s g e w e r b s m ä f s i g e V e r b r e c h e r t u m (die „gemeinschädlichen Leute": Raubritter wie Landstreicher). Er fördert die durchaus im Zuge der Zeit liegende V e r f o l g u n g v o n A m t s w e g e n , welche, die verschiedensten Formen annehmend, insbesondere aber als R i c h t e n a u f b ö s e n L e u m u n d , immer mehr an Entschiedenheit und Ausdehnung gewinnt und die aufsergerichtlich angewendete, gesetzlich nicht geregelte F o l t e r als kräftiges Mittel zur Herbeiführung der Verurteilung verwertet. Aber je entschiedener der Zweckgedanke Strafrecht und Strafverfahren seiner Herrschaft unterwirft, desto weniger passen die alten Formen, desto dringender wird das Bedürfnis, der inhaltlich längst vollzogenen Umgestaltung g e s e t z l i c h e A n e r k e n n u n g zu verschaffen, den territorialen Mifsbräuchen durch r e i c h s r e c h t l i c h e R e g e l u n g des Strafverfahrens entgegenzutreten. Diese Aufgabe, deren Erfüllung von dem eben erst gegründeten Reichs15 ) So Sachsenspiegel 3 45. Grimm Rechtsaltertümer 679; Alam. Strafr. 72. Sehr häufig in den österreichischen Quellen. von

Liszt,

Strafrecht.

9. A u f l .

Osenbr'uggen 2

j8

§ 5.

D i e peinliche Gerichtsordnung K a r l s V .

kammergerichte auf dem Reichstage zu Lindau 1496 auf das eindringlichste gefordert wurde, aber erst nach harten K ä m p f e n im Jahre 1532 gelang, hatte die g e s e t z l i c h e V e r s c h m e l z u n g d e r a u f g e n o m m e n e n f r e m d e n R e c h t e m i t d e m e i n h e i m i s c h e n d e u t s c h e n R e c h t zur Voraussetzung. Zahlreiche Vorarbeiten verschiedenster Art hatten die L ö s u n g der Aufgabe erleichtert; dafs sie gelang, ist vor allem das Verdienst E i n e s Mannes: Hans v. Schwarzenberg.

§ 5.

Die peinliche Gerichtsordnung Karls V.

I . D a s fremde Recht, welches Deutschland aufgenommen hatte, insbesondere das Strafrecht mit Einschlufs des Prozesses, war nicht das Recht der römischen Rechtsquellen, sondern ein wesentlich u m g e s t a l t e t e s , den veränderten Rechtsverhältnissen angepafstes Recht. Seit dem Wiedererwachen der Rechtsstudien hatten die i t a l i e n i s c h e n J u r i s t e n an der Fortbildung des römischen Rechts, wenn auch vielfach unbewufst, ununterbrochen weitergearbeitet. Glossatoren und Postglossatoren, insbes. Azo ( f 1230) mit seiner Summa zum Kodex, Bartolus (-J- 1357)» Baldus ( f 1400); die Kanonisten, unter welchen Roffredus ( f 1250) und Durantis ( f 1296) besonders für das Strafverfahren von Bedeutung geworden sind; und die sog. „italienischen PrakGandinus tiker", unter welchen Rolandinus de Romaneiis (f 1284), Albertus ( f um 1300), Jakob de Belvisio ( f 1335), Angelus Aretinus ( f nach 1451) und Bonifacius de Vitalinis (bald nach Aretinus) an diesem Orte zu nennen sind, 1 ) — sie alle stellten das römische Strafrecht dar nach der generalis consuetudo ihrer T a g e , wie es sich unter dem Einflüsse deutscher, den langobardischen Quellen entstammender Rechtssätze, praktischer Bedürfnisse und wissenschaftlicher Verallgemeinerungen, der päpstlichen und kaiserlichen Gesetzgebung wie des Gerichtsbrauches entwickelt hatte. E s ist, können wir sagen, nicht mehr rein römisches, sondern i t a l i e n i s c h e s Recht, das sie in ihren Werken zur Darstellung bringen. Und es bedarf keiner besonderen Betonung, dafs d i e s e s Recht ungleich leichter in Deutschland Eingang finden mufste, als das Recht der L i b r i terribiles oder auch des Kodex. Von gröfster Bedeutung aber war es, dafs die mittelalterlich italienische Jurisprudenz auch den allgemeinen Lehren des Strafrechts ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet und damit die erste Grundlage zu wissenschaftlicher Beherrschung des Stoffes gelegt hatte. II. Wie und auf welchen Wegen die Rezeption stattfand, ist hier nicht darzustellen. Nur e i n e s Faktors mufs gedacht werden. In Handschriften und Drucken hatten die Arbeiten der italienischen Juristen in Deutschland Eingang gefunden; aber ausgedehnter und kräftiger war der Einflufs, den sie auf mittelbarem Wege ausübten: i n i h r e r B e a r b e i t u n g d u r c h d i e p o -

a ) Vgl. Seeger Zur Lehre vom Versuch des Verbrechens in der Wissenschaft des Mittelalters 1869. Löffler (Litt, zu § 2), Engelmann D i e Schuldlehre der Postglossatoren und ihre Fortentwicklung 1895.

§ 5-

Di® peinliche Gerichtsordnung Karls V.

p u l ä r - j u r i s t i s c h e L i t t e r a t u r D e u t s c h l a n d s . 2 ) Aus der grofsen Anzahl der zu diesem eigentümlichen Zweige der deutschen Litteratur gehörenden Schriften ragt durch inneren "Wert wie durch seine geschichtliche Bedeutung der K l a g s p i e g e l hervor, der, im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts entstanden, bereits in den siebziger Jahren gedruckt, im Jahre 1516 von Sebastian Brant (-)- 1521) herausgegeben wurde. Azo, Roffredus, Durantis, Gandinus sind die Gewährsmänner, aus welchen der Verfasser des Klagspiegels schöpft, ihre Ansichten in bald mehr bald weniger geschickter Weise wiedergebend. III. Die zweite Hälfte des 15. und die erste des 16. Jahrhunderts weist eine nicht unbedeutende Zahl von H a l s g e r i c h t s o r d n u n g e n auf, welche, im wesentlichen auf der alten deutschrechtlichen Grundlage stehend, aber von den fremden Rechten mehr oder minder beeinflufst, in erster Linie das Strafverfahren regeln, daneben jedoch auch eine Reihe von rein strafrechtlichen Bestimmungen enthalten. Als solche sind insbesondere zu nennen (vgl. überhaupt Stobbe Geschichte der deutschen Rechtsquellen 2 237): I die N ü r n b e r g er Halsgerichtsordnungen, insbesondere die von 1481 und 152652 die sog. T i r o 1 e r Malefizordnung vom 30. Nov. 1499 (nachgebildet in Radolphzell 1506 und Laibach 1514); 3. die n i e d e r ö s t e r r e i c h i s c h e Landgerichtsordnung vom 21. August 1514®) (umgestaltet 1540). Weit über all diesen zum Teil recht tüchtigen gesetzgeberischen Versuchen steht, durch gründliche Beherrschung und klare Darstellung des umfangreichen und spröden Stoffes sowie durch die Einfachheit und Zweckmäfsigkeit ihrer Grundgedanken hervorragend, für alle Zeiten ein rühmenswertes Denkmal des deutschen Berufes zur Gesetzgebung — die B a m b e r g e r H a l s g e r i c h t s o r d n u n g (mater Carolinae) von 1507, welche im Jahre 1516 mit geringfügigen Änderungen in den brandenburgischen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth (soror Carolinae) eingeführt wurde.') Verfasser der Bamberger Halsgerichtsordnung war yohann Freiherr zu Schwarzenberg und Hohenlandsberg,6) Geboren im Jahre 1463, ausgezeichnet durch eine ans Märchenhafte grenzende Körperkraft, verbringt er seine Jugend der Standessitte der Zeit gemäfs mit Saufgelagen und Würfelspiel an den rheinischen Herrenhöfen, bis ihn ein ernster Mahnbrief seines Vaters zurückruft. Er schliefst sich Max I. an und nimmt ruhmreichen Anteil an dessen Kriegszügen (1485, i486). Bald darauf tritt er in die Dienste des benachа) Stintzing Geschichte der populären Litteratur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland 1867. Derselbe Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 1. Bd. 1880. v. Schulte De criminalibus causis 1888. ®) Einen älteren Entwurf erwähnt v. Chorinsky Die Erforschung der österreichischen Rechtsquellen des 16. und 17. Jahrhunderts 1895. 4 ) Über die Ausgaben der Bambergensis vgl. Leitschuh im Repertorium für Kunstwissenschaft IX. Bd. 1886 (auch als SA. erschienen). Dafs auch die Breslauer Gerichte nach ihr urteilten, hat Frauenstädt Z 10 3 nachgewiesen. б) E. Herrmann Johann Fr. zu Schwarzenberg 1841. Stintzing Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 1 612 ff.

2*

20

§ 5-

Die peinliche Gerichtsordnung Karls V .

harten Bischofs von Bamberg, und bleibt unter fünf Bischöfen von 1501 bis 1522 Hofmeister und Vorsitzender des mit Rechtsgelehrten besetzten Hofgerichts. Im Jahre 1521 bezieht er den Reichstag zu Worms, auf dem er als Mitglied des Reichsregiments (1521—1524) und vorübergehend (1523) als Vertreter des kaiserlichen Statthalters eine hervorragende Rolle spielt. — Inzwischen hatten sich in Bamberg die Verhältnisse geändert. Seit 1522 regierte der päpstlieh gesinnte Bischof Weigand v. Redwitz; und Schwarzenberg, der mit Wort und That für die Reformation Partei ergriffen hatte, sah sich veranlafst, 1524 als Landhofmeister der Markgrafen Kasimir und Georg von Brandenburg in deren Dienst zu treten. Er starb zu Nürnberg am 21. Oktober 1528, in weiten Kreisen betrauert und von Luther noch nach Jahren gerühmt. — Auch als populärer Schriftsteller war Schwarzenberg mit Eifer und Erfolg thätig gewesen; in schlichten, ja nüchternen, aber von tiefsittlichem Pflichtgefühl getragenen Gedichten, in Streitschriften gegen die Unsitten der Zeit, in Übersetzungen Ciceros und in antipäpstlichen Flugblättern suchte er gestaltend einzugreifen in das gesamte geistige Leben seiner Tage. •— Kein Jurist, ja überhaupt kein Gelehrter ist es, dem wir die erste umfassende Gesetzgebung für das Deutsche Reich verdanken; wohl aber ein kerngesunder, als Krieger und Staatsmann, als Dichter und als Vorkämpfer der Reformation hochbedeutender, echt deutscher Mann. Bei Lösung seiner Aufgabe benutzte Schwarzenberg folgende Quellen : 6 ) I. Das einheimische Bamberger Recht; 2. die süddeutsche, insbesondere die Nürnberger Rechtsprechung; 3. die Wormser Reformation von 1498, vielleicht auch noch die eine oder die andre der übrigen süddeutschen Gesetzgebungen; 4. die populär-juristische Litteratur und somit m i t t e l b a r die Schriften der Italiener (unzweifelhaft ist die Benutzung des Klagspiegels; wahrscheinlich die der Summa Angelica oder einer ihrer Vorgängerinnen); 5. einzelne Reichsgesetze, so den Landfrieden von 1495. I V . Infolge der Klagen des Reichskammergerichtes 7 ) hatte schon der Reichstag zu Freiburg 1498 den Beschlufs gefafst, „eine gemeine Reformation und Ordnung in dem Reich fürzunehmen, wie man in criminalibus prozedieren solle". A b e r die weiteren Schritte gerieten ins Stocken; und erst auf dem Reichstage zu Worms 1521 wurde die Sache wieder aufgenommen. Ein Ausschufs wurde mit der Ausarbeitung des Entwurfes beauftragt; er legte die Bamberger Halsgerichtsordnung, welche inzwischen insbesondere auch durch Ulr. Tenglers (-J- 1510) L a y e n s p i e g e l (1509) weite Verbreitung gefunden hatte, zu Grunde, benutzte aber neben ihr auch das sog. „Bamberger Korrektorium", eine Sammlung von Nachtragsverordnungen zur Bambergensis von 1507 bis 1516. Aber noch immer traten neue Hindernisse in den Weg. Noch dreimal wurde der (I.) Wormser Entwurf (1521) umgearbeitet: auf den Reichstagen zu Nürnberg (1524; II. Entwurf), zu Speier (1529; III. Entwurf) ") Brunnenmeister Die Quellen der Bambergensis 1879. Gahn Beiträge zur Quellengeschichte des Bamberger Civil- und Kriminalrechts. 1893. ') Malblanc Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung Karls V. 1783. Güterbock Entstehungsgeschichte der Karolina 1876. Stintzing 1 607.

§ 5-

D i e peinliche Gerichtsordnung K a r l s V .

und zu Ausgburg ( 1 5 3 0 ; I V . Entwurf). 6 ) Bestrebungen in

offenen Gegensatz

heitlicher Gesetzgebung

21

Seit 1529 waren die partikularistischen

zu dem allgemeinen

getreten; insbesondere

1530

Verlangen

nach ein-

hatten Kursachsen, die

R h e i n p f a l z und Kurbrandenburg g e g e n die Schmälerung ihrer verbrieften Landesrechte V e r w a h r u n g eingelegt. Regensburg

Und als im Jahre 1532 auf dem Reichstage zu

der Entwurf endlich zum Gesetze

erhoben

w u r d e , mufste in die

V o r r e d e die sogenannte clausula salvatoria aufgenommen w e r d e n : „ D o c h wollen w i r durch diese gnädige Erinnerung Kurfürsten, Fürsten und Ständen an ihren alten,

wohlhergebrachten

rechtmäfsigen

und billigen Gebräuchen

nichts

be-

nommen haben." 9 ) V . W i e ihre Vorgängerinnen , deren Einflufs selbst bei

oberflächlichster

Betrachtung in die A u g e n springt, l e g t auch die Karolina das S c h w e r g e w i c h t auf

die R e g e l u n g

des Strafverfahrens.

Hier

hat

sie jene Sätze

aufgestellt,

w e l c h e , trotz landesrechtlicher Abweichungen in gar manchem Punkte, doch dem gemein-deutschen Strafprozesse seine unverkennbare Eigenart aufgeprägt haben. D a s materielle Strafrecht, behandelt in den Art. 104—208, den

Hintergrund.

der

unbedingt

darf

mit

tritt daneben In

E s ist hier eigentlich nur ein einziger Satz ausgesprochen,

zwingendes

peinlicher

Strafe,

Recht

enthält

also mit

Leibesstrafe, belegt werden, wenn nicht (oder eine ihr gleichwertige, Art. A r t der Strafe dagegen m a g

(Art.

dem

104): oder

Keine

Handlung

mit

verstümmelnder

das römische R e c h t

diese Handlung

105) mit

Tode

peinlicher Strafe belegt h a t ; die

nach heimischer

Gewohnheit bestimmt

Im übrigen w i l l das Gesetz nichts sein, als eine Darstellung

werden.

geltenden Rechts

für die zur Rechtsprechung berufenen, aber der geschriebenen Rechte unkundigen Schöffen.

Und diesem Z w e c k ist die Karolina in vorzüglichster W e i s e gerecht

g e w o r d e n ; die einfache und klare, bestimmte und leichtfafsliche Sprache macht sie zu einem für ihre Zeit mustergültigen W e r k e . A b e r über dieses Z i e l wollte und sollte

sie nicht

hinausgehen.

Besserer

Erkenntnis oder besserer

stellung des geltenden Rechts wollte sie nicht in den W e g treten.

Dar-

W a r doch

S c h w a r z e n b e r g ängstlich bemüht, durch die immer wiederkehrende Vorschrift, dafs in allen zweifelhaften Fällen bei den Rechtsverständigen R a t geholt w e r d e n solle,

der Wissenschaft ihren belebenden Einflufs auf die Rechtsprechung

wahren.

D a r a n mufs festgehalten werden, w o l l e n

zu

w i r die Bedeutung des Ge-

setzbuches, w o l l e n w i r insbesondere das Verhältnis der Landesgesetzgebung zur Karolina

richtig würdigen.

Die

wenigen

Anordnungen,

welche

zwingendes

Recht enthalten, sind von den übrigen streng zu trennen.

8 ) Schon 1527 und 1528 wurde der E n t w u r f von Erzbischof A l b r e c h t von Mainz in mehreren der ihm untergebenen Stadtgebiete als Gesetz eingeführt. V g l . Schröder Oberrheinische Stadtrechte 1897 t 202. ®) D i e älteste uns bekannte Ausgabe ist v o n 1533 (editio princeps?). D i e Ausgabe von Zopfl (die 3. Aufl. 1883 stimmt durchaus mit der 2. v o n 1876 überein) enthält in synoptischer D a r s t e l l u n g : I. Bamberger und Brandenburger P G O . ; 2. den Entwurf von 1521 ; 3. den von 1 5 2 9 ; 4. das Reichsgesetz. Brauchbar für die erste Einführung die Ausgabe von Müller in der R e c l a m s c h e n Universalbibliothek. — D i e lateinischen Übersetzungen der P G O . von Gobier 1543 und Rernus 1594 hat Ahegg 1837 herausgegeben.

§ 6.

22

Das gemein-deutsche Strafrecht.

Aber auch wenn wir in Bezug auf diese zweite Gruppe von Bestimmungen die CCC. nicht als Gesetzbuch im heutigen Sinne betrachten dürfen, sondern etwa nur als ein Rechtsbuch, ähnlich den Spiegeln des 13. Jahrhunderts ist ihr Wert für die Weiterentwicklung des Strafrechts ein sehr bedeutender. Es werden nicht nur die einzelnen Verbrechen genauer und zumeist in juristisch scharfer Weise bestimmt,10) sondern auch die dem allgemeinen Thatbestande angehörigen Begriffe, wie Versuch, Notwehr, Fahrlässigkeit u. a., im Anschlufs an die Italiener in eingehenderer oder kürzerer Darstellung erörtert. So ist die Karolina d u r c h i h r e n i n n e r e n W e r t die Grundlage geworden, auf welcher das gemein-deutsche Strafrecht während dreier Jahrhunderte ruhte.

§ 6.

Das gemein-deutsche Strafrecht.

Iiitteratur. Wächter Gemeines Recht Deutschlands, insbes. gemeines deutsches Strafrecht 1844.. Hälschner Geschichte des brandenb.-preufs. Strafrechts 1855. Seeger Die strafrechtl. Consilia Tubingensia 1877. Stintzing Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft; fortgeführt von Landsberg 1880 ff. 3. Bd. I. Abteilung 1898. Stobbe Geschichte der deutschen Rechtsquellen 2. Schleifer Die Konstitutionen Augusts von Sachsen v. 1572. 1857. Gefsler Zeitschr. für deutsches Recht 20 (Württemb. Entw. v. 1609). Oppenhoff Die Strafrechtspflege des Schöffenstuhls zu Aachen seit dem Jahre 1657. 1884. Nöldecke Die Kriminalrechtspflege in Celle, insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert. 1896. Lobe Die allgemeinen strafrechtlichen Begriffe nach Carpzov 1894. Holtze Strafrechtspflege unter König Friedrich Wilhelm I. 1894. Frauenstädt Z 16 518, 17 712 (Galeerenstrafe, Landstreicher), v. Maasburg Die Galeerenstrafe in den deutschen und böhmischen Erbländern Österreichs 1885. Nypels Les ordonnances de Philippe II (1579) 1856. Günther Wiedervergeltung 2 und 3 I. Hälfte mit reichen Angaben. Pfenninger Strafrecht der Schweiz 1890 S. 93 (dazu E. Huber Schweizer Privatrecht 4 124). Dargun Die Rezeption der POG. in Polen Zeitschr. der Savignystiftung 10. — Das gesamte Quellengebiet harrt noch der Durchforschung. I.

D i e G e s e t z g e b u n g b i s zur M i t t e des 18. J a h r h u n d e r t s .

Da die Thätigkeit der R e i c h s g e s e t z g e b u n g auf dem Gebiete des Strafrechts sich auf die Bedrohung einzelner weniger Handlungen von meist polizeilicher Natur') beschränkte und nur in den Reichspolizeiordnungen von 10) Die von der CCC. behandelten Verbrechen sind die folgenden: 106 Gotteslästerung; 107 Meineid; 108 Urfehdebruch; 109 Zauberei; 110 Schmähschrift; I I I — 1 1 4 Fälschung von Münzen, Urkunden u. s. w.; 115 Untreue des Rechtsfreundes; 116—123 Sittlichkeitsverbrechen (widernatürliche Unzucht, Blutschande, Entführung, Notzucht, Ehebruch, Doppelehe, Kuppelei); 124 Verrat; 125 Brandstiftung; 126 Raub; 127 Aufruhr; 128 Landzwang; 129 Befehdung; 130—156 Tötungen (Vergiftung, Kindesmord, Aussetzung, Abtreibung, Selbstmord, Mord und Totschlag u. s. w.); 157—175 Diebstahl und Veruntreuung; 180 Entweichenlassen von Gefangnen. *) So Fluchen und Schwören, Zutrinken, Ehebruch und Konkubinat; freilich auch Landfriedensbruch, Wucher, Schmähschriften, Betrügereien und Fälschungen. — Das Gutachten von 1668 gegen den Zweikampf erlangte nicht Gesetzeskraft, gab aber Veranlassung zu zahlreichen landesherrlichen Duell-

§ 6.

Das gemein-deutsche Strafrecht.

23

1548 und 1577 einen kräftigeren Aufschwung nahm, blieb es den einzelnen Ländern überlassen, selbständig die Weiterbildung des Strafrechts in die Hand zu nehmen. Und in der That entfaltete die Landesstrafgesetzgebung in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine ungemein lebhafte und fruchtbare Thätigkeit. Österreich und Bayern, Württemberg und Sachsen, Kurpfalz und Brandenburg wetteiferten untereinander und mit den kleineren Staaten in der Veröffentlichung von umfassenden, teils selbständigen, teils in die Landrechte aufgenommenen Strafgesetzbüchern, welche bald wörtlich oder doch inhaltlich an die Karolina sich anschlössen, bald in freierer Weise den vorhandenen Rechtsstoff zur Anwendung brachten, immer aber denjenigen Bestimmungen des Reichsgesetzes Rechnung tragen, welche in Wahrheit zwingendes Recht enthielten. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erlahmt die Thätigkeit der Landesgesetzgebung; an die Stelle umfassender und abschliefsender Strafgesetzbücher tritt eine Anzahl langatmiger und kurzlebiger Kanzleiverordnungen, die den Geist des nicht-aufgeklärten Absolutismus nur ausnahmsweise zu verleugnen im stände sind. Eine Reihe von Verbrechensbegriffen verdankt der Landest gesetzgebung Entstehung oder Weiterbildung; so Hochverrat, Aufstand und Aufruhr, Widerstand gegen die Obrigkeit, Zweikampf, Selbstmord, Bankbruch, Wilddiebstahl, Körperverletzung u. a. Nur die wichtigsten gesetzgeberischen Arbeiten können hier gestellt werden.

zusammen-

I. Ö s t e r r e i c h . I. In T i r o l wurde die Malefizordnung von 1499 aufgenommen in die Landesordnungen von 1526, 1532 (diese bildet die Grundlage der Henneberger L O . von 1539) und 1573. Teilweiser Einflufs von CCC. Vgl. v. Sartori-Montecroce Beiträge zur österreichischen Reichs- und Rechtsgeschichte 1895. 2. In N i e d e r ö s t e r r e i c h wurde an Stelle der L G O . von 1514 am 30. Dez. 1656 eine ausführliche Peinl. L G O . durch Ferdinand III. erlassen. Spätere Entwürfe (1666, 1721) führten nicht zum Ziel. Wertvoller Kommentar von Bratsch 1751. 3. Die o b e r ö s t e r r e i c h i s c h e L G O . v. 1. Oktober 1559 ruht auf der niederöst. von 1514. Neuer Abdruck (nicht Revision; unrichtig Stobbe 2 409) 1627. Eine neue L G O . (keine blofse Revision), die im wesentlichen mit der niederöst. Ferdinandea von 1656 übereinstimmt, erliefs Leopold I. am 14. August 1675. Die L G O . für K r a i n v. 18. Febr. 1535 ruht auf der n.-ö. von 1514 und der CCC. 5. Dagegen enthält die K ä r n t n e r L G O . von 1577 nur wenige strafrechtliche Bestimmungen. 6. In S t e i e r m a r k führte Karl II. die Land- und P G O . vom 24. Dez. 1574 ein, die vielfach auf der CCC. beruht. Im 17. Jahrhundert galt sicher in Steiermark, wohl auch in Kärnten und Krain, die Ferdinandea von 1656. (Wenn daher die Theresiana von der „Karolina" spricht, ist darunter die PGO. Karls V. zu verstehen und nicht, wie fast allgemein angenommen wird, die

mandaten. — Von den aufserdeutschen Gesetzen verdienen Erwähnung die Kriminalordnungen Franz I. für Frankreich 1539 und Philipps II. für die, Niederlande 1570.

24

§ 6.

Das gemein-deutsche Strafrecht.

steirische PGO.). 7. Für B ö h m e n sind zu erwähnen die Landesordnung Ferdinands I. von 1549, die LO. Ferdinands II. von 1627 und die vernewerte LO. von 1765. 8. Die m ä h r i s c h e LO. vom 1. Juli 1628 ruht auf der böhmischen von 1627. 9. In S c h l e s i e n galt seit 1707 die PHGO. Josephs I. II. In S a c h s e n veröffentlichte Kurfürst August am 21. April 1572 die kursächsischen Konstitutionen, deren Einflufs weit über Sachsen hinaus die Entwicklung des Strafrechts bestimmte. Die den Konstitutionen vorangehenden sehr wichtigen Vorarbeiten sind in den mehrfach gedruckten Consultationes constitutionum Saxonicarum enthalten (Ausgabe von Friderus Mindanus 1616). Eine Weiterbildung sind die Decisiones electorales von 1661. III. P r e u f s e n . I. Im preufs. Ordenslande galt vorzugsweise Magdeburger Recht, in der als Jus culmense bekannten Sammlung. Im 16. Jahrh. vielfache Verbesserungsversuche, insbes. 1594 das Jus culmense revisum, „der Danziger Culm", der, ohne Gesetzeskraft zu erlangen, bei den Gerichten Anwendung fand. (Einflufs der CCC. und der sächsischen Konstitutionen.) 2. Auf Verlangen der ostpreufsischen Stände erfolgte eine neue Revision, deren Ergebnis das (von Levin Buchius verfafste) Landrecht des Herzogtums Preufsen von 1620 war (6. Buch Strafrecht. Einflufs Damhouders). 3. Weitere Umarbeitungen sind das Brandenb. revidierte Landrecht des Herzogtums Preufsen von 1685 und Friedrich Wilhelms Verbessertes Landrecht des Königreichs Preufsen von 1721, gearbeitet von 5. v. Cocceji (6. Buch Strafrecht; Einflufs Carpzovs). Ein 1721 vollendeter Entwurf eines StGB, (von Berger) hatte ebensowenig weitere Folge wie ein königlicher Auftrag von 1736 (Hälschner 1 173). 4. In der Mark B r a n d e n b u r g sind die Diestelmeyerschen (Vater und Sohn) Entwürfe einer Landesordnung 1572 bis 1594 nicht zum Gesetze geworden. 5. Im J. 1582 wurde die Brandenburger HGO. von 1516 neuerdings mit kleinen Abweichungen veröffentlicht. Nach der Vorrede mufs, im Gegensatze zu der allgemeinen Ansicht, angenommen werden, dafs das Gesetzbuch auch für Preufsen Geltung haben sollte, wie es in Brandenburg höchstwahrscheinlich auch schon vor 1582 Anwendung gefunden hat. Vgl. darüber Günther Z 12 646, 14 269. IV. Aus B a y e r n sind zu erwähnen die Reformation des bayrischen Landrechts von 1518 und das Landrecht von 1616 für Ober- und Niederbayem, welches in seinen strafrechtlichen Bestimmungen den Einflufs der sächsischen Konstitutionen nicht verleugnet, mehrfach auch die auf Grund der CCC. entstandenen Streitfragen erledigt. V. Das k u r p f ä l z i s c h e Landrecht von 1582 (5. Buch Strafrecht; beruht auf CCG., aber mit Berücksichtigung der sächsischen Konstitutionen) wurde 1606 auch in der O b e r p f a l z (Amberg) eingeführt. Als diese an Bayern gekommen war, trat an seine Stelle das dem bayrischen Landrecht von 1616 nachgebildete Landrecht von 1657. VI. In der M a r k g r a f s c h a f t B a d e n wurden Landrechte für BadenBaden 1588 (nachgebildet dem kurpfälzischen) und Baden-Durlach 1654 (gedruckt schon 1622) veröffentlicht. VII. In W ü r t t e m b e r g hatten die Stände bereits 1551 die Ausarbei-

§ 6. tung

eines

D a s gemein-deutsche Strafrecht.

StGB, verlangt.

lehnung an C C C . und die Gesetzeskraft.

25

D e r erst 1609 zu stände gebrachte Entwurf (Ansächsischen Konstitutionen)

erhielt jedoch

niemals

Doch enthalten das Landrecht von 1610 und die Landesordnung

von 1621 eine Reihe strafrechtlicher Bestimmungen. V I I I . In den übrigen Gebieten begnügte man sich damit, die C C C . ein fach

abzudrucken

oder

die

Gerichte

A b e r auch w o das nicht g e s c h a h , w o

auf

deren

vielleicht

Beachtung

zu

verweisen.

die Neuausgabe

der Gesetz-

bücher nur altes R e c h t enthielt, w i e z. B . in den Strafrechtsreformationen v o n Lübeck CCC.

1586 und Hamburg

keinem

Pfenninger

Zweifel.

1603,

Über

unterliegt

den

Einflufs

die thatsächliche

der

CCC.

in der

Geltung Schweiz

der vgl.

80.

II. Die

Wissenschaft.

D i e deutsche strafrechtliche Litteratur des 16. Jahrhunderts bietet zunächst ein

durchaus trostloses Bild.

Sie ruht in

den Händen geist- und

kritikloser

Abschreiber, welchen das römische Recht ebenso fremd geblieben ist w i e das deutsche.

Zasius

(f 1535)

bildet eine rühmliche Ausnahme.

Perneder

( f um

1540) beherrscht mit seiner Halsgerichtsordnung (Ausg. 1544 f.) lange Jahre hindurch den Markt, besonders in Bayern und T i r o l ; ihm folgen Gobier ( f 1569, in zahlreichen Schriften), König 1564), Dorneck

(f 1526, Practica

1541), Kauchdorn

(Practica 1576), Sawr (Strafbuch 1577).

Ihre

Kompilationen erleben eine A u f l a g e nach der andern ( Stintzing Inzwischen

hatte

die aufserdeutsche

Bossius

(f

nach Hippolyt

1546), in Julius

Clarus

(f

de Marsiliis

(f

Spanien

1529)

und

Aegidius

1575) den Höhepunkt ihrer Entwicklung

(f 1600) bis auf Prosper Farinacius

Frankreich und

einen

W ä h r e n d die Italiener um die

erreichten, v o n welchem sie allmählich in Tib. Decianus Menochius

1 630).

strafrechtliche Wissenschaft

raschen und glänzenden Aufschwung genommen. Mitte des Jahrhunderts,

(Practica

geschmacklosen

(Tiraquellus •(• 1558

(f

( f 1581) und

Jakobus

1618) herabsanken, gewann in und

Covarruvias

1577)

neue juristische Methode der Synthese, der mos gallicus , den Sieg. deutendste strafrechtliche Vertreter dieser Richtung, Anlon

Matthäus

Der II.,

die bedem

berühmten hessischen Gelehrtengeschlechte entstammend, aber in Holland thätig, gehört freilich einer späteren Zeit an (er starb 1654,

sein H a u p t w e r k D e cri-

minibus erschien zuerst 1644, zuletzt 1803); er hat auch auf die deutsche Litteratur ungleich geringeren Einflufs geübt, huldigender V o r g ä n g e r Jod. Damhouder

als

sein

der

italienischen

Schule

( f 1581). 2 ) Dennoch ist auch in Deutsch-

land in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts der Fortschritt unverkennbar. Mehr und mehr gelangte die strafrechtliche Urteilsfindung, insbesondere infolge Aktenverschickung,

an

die Juristenfakultäten,

Tübingen, Jena, Rostock,

Ingolstadt),

der

w e l c h e bald anfingen (zuerst in

dem Strafrechte

besondere Vorlesungen

zu widmen; und wieder einmal, w i e im mittelalterlichen I t a l i e n ,

erwies

sich

die Verbindung von Wissenschaft und Rechtspflege als segensreich nach beiden Richtungen. 2 ) Über Damhouders Verhältnis zu dem Genter Philips Wieland, dessen W e r k er abgeschrieben haben soll, v g l . van Hantel (Litt, zu § 9 II) 1 51 Note 29.

26

§ 6.

Das gemein-deutsche Strafrecht.

Zahlreiche Sammlungen von Konsilien und Disputationen geben davon Zeugnis. Zu erwähnen sind Bocer Prof. in Tübingen, Disputationes 1596 ff. (classis IV de criminibus) ; Petrus Theodoricus Prof. in Jena (f 1640), Collegium criminale 1618, 1671; Hunnius Prof. in Giefsen (f 1636), Collegii criminalis disputationes l21 ; Theod. Petrejus, Marburger Doktor, Thesaurus controversarum conclusionum criminalium 1598; G. D. Lokamer, Prof. in Strafsburg (-J- 1637), Centuria quaestionum criminalium 1523; Ad. Volkmann Tractatus criminalis 1629 (3. Teil Consilia criminalia). Der erste, welcher in Deutschland die synthetische Methode auf das Strafrecht anwandte, war Nie. Vigilius, Prof. in Marburg (j- 1600), in seinen Gonstitutiones Carolinae publicorum judiciorum 1583, in welchen er die Übereinstimmung der PGO. mit dem römischen Rechte nachzuweisen suchte. In gleicher Richtung sind thätig die Tübinger Professoren Val. Volz (f 1581) und Joh. Harpprecht (-j- 1639; Tractatus criminalis 1603); sowie der Hesse Cilhausen (f nach 1642; Arbor judiciaria criminalis 1606). Mehr und mehr tritt die Karolina in den Mittelpunkt der schriftstellerischen Thätigkeit der Kriminalisten. Die Karolinenkommentare von Musculus 1614, Zieritz 1622, Stefani 1626, Bullaus 1631, Manzhts 1650, Blumblacher 1670, Clasen 1684, Otto 1685 tragen den Bedürfnissen der Gerichte Rechnung. Ihre Blüte verdankt die auf der Karolina fufsende Wissenschaft des gemein-deutschen Strafrechts den s ä c h s i s c h e n J u r i s t e n des 17. Jahrhunderts. Getragen von der in weiten Gebieten Niederdeutschlands tief gewurzelten, durch die fremden Rechte nicht erschütterten, durch den Sachsenspiegel zusammengehaltenen , gemeinsamen Rechtsanschauung ; gestützt auf eine zielbewufste, weit und breit angesehene Gesetzgebung; befruchtet durch die stets rege Wechselwirkung von Wissenschaft und Rechtsleben, erringen sie sich die führende Rolle in Gesetzgebung, Litteratur und Rechtspflege. An Matth. Berlich (-j- 1638, Conclusiones practicabiles 1615—1619) schliefst sich, ihn bedeutend überragend, Benedikt Carpzov (1595—1666), der durch seine Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium 1Ó35 und andere Schriften der Begründer der empirischen Methode und damit einer neuen deutschen Rechtswissenschaft wurde. Mitglied des Leipziger Schöffenstuhls und Ordinarius der Leipziger Juristenfakultät, ausgezeichnet durch reiche Belesenheit, wissenschaftliche Tüchtigkeit und umfassende praktische Erfahrung, hat er ein Jahrhundert lang der Strafrechtspflege Deutschlands den Stempel seines Geistes aufgedrückt. 3 ) Erst im 18. Jahrhundert gelingt es JSF. Böhmer (1772, Observationes ad Carpzovii praxin I759)> das Ansehen Carpzovs, welches von dessen Gegnern im 17. Jahrhundert, insbesondere von Oldekop (f 1667, Observationes criminales practicae 1633, 1639, 1654) und Brunnemann (f 1672, Tractatus de inquisitionis processu 1648; Kommentare zum Kodex und zu den Pandekten 1663 und 1670), vergebens angegriffen worden war, zu erschüttern und allmählich zu beseitigen. Die durch die sächsischen Juristen angebahnte Vertiefung der strafrechtlichen Wissenschaft tritt im 18. Jahrhundert deutlich in den Karolinenkommen3 ) Treffliche Zeichnung Carpzovs bei Stintzing Z 5 579.

2 55, und dazu

Löning

§ 6.

Das gemein-deutsche Strafrecht.

27

taren hervor: neben Stefani 1702, Ludovici 1707, Beyer 1714, Meckbach 1756, Scop 1758 u. a. ragen Krejs (Commentatio succincta 1721) und JSF. Böhmer (Meditationes 1770) durch treffliche Leistungen hervor. Im Anschlüsse an das aufblühende akademische Studium erscheint in rascher Aufeinanderfolge eine Anzahl von systematischen Darstellungen des Strafrechts auf der Grundlage der Karolina: Kirchge/sner 1706, Frölich v. Frölichsburg 1709 ( k e i n Kommentar, trotz des Titels), Beyer 1711, Gärtner 1729, Kemmerich 1731, JSF. Böhmer 1732 (das erste Lehrbuch von wissenschaftlicher Bedeutung), Engau 1738, Meister sen. 1755, Koch 1758, Richter 1763, Quistorp 1770 ff., Püttmann 1779, Müller 1786, Meister jun. 1789 u. a. verfassen mehr oder weniger ausführliche Lehrbücher, während andere, wie insbesondere Struve (-¡- 1692, Dissertationes criminales 1671), Leyser (f 1752, in seinen Meditationes ad Pand. 1717 ff.), Schilter (Exercitationes ad Dig. lib. 47 und 48, 1675 f.) einzelne Fragen des Strafrechts im Anschlüsse an die Libri terribiles in'mehr oder minder ausführlichen Untersuchungen behandeln. III. D i e

Rechtspflege.

Wenngleich sowohl die Gesetzgebung im Reich und in den Einzelstaaten als auch die Wissenschaft bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts im a l l g e m e i n e n auf dem Boden der PGO. standen, so führte doch die notwendige Veränderung in den Bedürfnissen wie in den Anschauungen der Zeit zu einer immer tiefer greifenden U m g e s t a l t u n g d e s g e m e i n - d e u t s c h e n S t r a f rechts. Wenn wir von der bereits betonten Aufstellung neuer und der Weiterbildung alter Verbrechensbegriffe absehen, wird durch diese UmgestalZunächst wird tung besonders das S t r a f e n s y s t e m d e r P G O . berührt. einerseits das Anwendungsgebiet der in der P G O . angedrohten poena ordinaria durch gekünstelte Verengerung der Verbrechensbegriffe wesentlich eingeschränkt (so wird immissio seminis bei den Fleischesverbrechen, Eintritt des Todes bei der Vergiftung, Lebensfähigkeit des Kindes beim Kindesmorde u. s. w. gefordert), anderseits in fast schrankenloser Weise bei Mangel im Thatbestande von der poena extraordinaria, die freilich nach Clarus und Carpzov niemals Todesstrafe sein darf, Gebrauch gemacht. Dann aber werden — und das ist von noch gröfserer Wichtigkeit — die Strafmittel der PGO. selbst zum Teil durch andere verdrängt. So werden gewisse Arten der verschärften Todesstrafe und der verstümmelnden Leibesstrafen immer seltener angewendet: an ihre Stelle tritt — neben Ausstellung am Pranger, Brandmarkung, körperlicher Züchtigung — die äufserlich auf das römische Recht gestützte Verurteilung zu öffentlichen Arbeiten, zum Bau von Strafsen und Festungen, zum Kriegsdienste, zu den Galeeren; besonders aber, wenn auch zunächst nur für Polizeivergehen, die Anhaltung in Zucht- und Arbeitshäusern. Da es an jedem festen Mafsstabe fehlte, um das Verhältnis dieser neuen Strafarten zu den alten sowie zum Verbrechen selbst zu bestimmen, wurde die Strafzumessung mehr und mehr zu einem Akte r i c h t e r l i c h e r W i l l k ü r . Und gerade in diesem Punkte trat die Notwendigkeit gründlicher Abhilfe am deutlichsten und unwiderleglichsten hervor. Eine für unsere Periode durchaus kennzeichnende Erscheinung bilden die

28

§ 6.

Das gemein-deutsche Strafrecht.

Hexenverfolgungen.4) Wenn auch Strafbestimmungen gegen Zauberei weder dem römischen noch dem mittelalterlich-deutschen Rechte fremd waren, so wird doch das eigentliche Verbrechen der H e x e r e i , verwandt mit der haeretica pravitas, ausgezeichnet durch Teufelsbündnis und Teufelsbuhlschaft, erst seit dem 1 3 . Jahrhundert ausgebildet. Aus einem Verbrechen gegen Leib und I.eben wird sie dadurch zum Religionsverbrechen und der Zuständigkeit der Kirche unterstellt. Schon der Sachsenspiegel (2 1 3 , 7 ) hatte die Zauberei mit Unglauben und Vergiftung zusammengestellt und mit dem Feuertode bedroht. Dennoch entwickelten sich in Deutschland die Hexenverfolgungen nur langsam. Trotz der Bulle „Summis desiderantes:< von Innocenz VIII. aus dem J . 1 4 8 4 und dem von Institor und Sprenger verfafsten, 1 4 8 9 zuerst erschienenen Malleus maleficarum hält die PGO. im Art. 1 0 9 an der Auffassung des weltlichen Rechts fest und bedroht nur die schädliche Zauberei mit dem Feuertode, andere Fälle mit willkürlicher Strafe. Aber bald geht die Rechtsprechung weiter: gestützt auf die verhängnisvolle Lehre von den delictis exceptis setzt sie sich über die gesetzlichen Schranken hinweg; der Hexenhammer wird ihr Leitstern, und die mafslose Anwendung der Folter ermöglicht die grofse Reihe der Hexenbrände, deren Blüte in das 1 7 . Jahrhundert fällt. Vergebens hatten ruhige Männer, wie Molitoris 1 4 8 9 , Agrippa von Nettesheim (f 1 5 3 5 ) , Weyer 1 5 6 3 , der Jesuit Fr. v. Spee 1 6 3 1 und andere, ihre Stimme erhoben; die Gegner, Bodin 1 5 7 9 , del Rio 1 5 9 9 an der Spitze, behaupteten das Feld. Die sächsischen Konstitutionen 1 5 7 2 setzten, abweichend von der PGO;, Todesstrafe auf alle Fälle der Zauberei ohne Unterschied; ihnen folgte die österreichische Ferdinandea 1 6 5 6 , wie das preufs. Landrecht 1 6 8 5 . Benedikt Carpzovs gewaltiges Ansehen fiel zu Gunsten des Hexenglaubens schwer ins Gewicht, und erst allmählich gelang es den Schriftstellern der Aufklärungszeit, als deren Vorkämpfer auch in dieser Frage Thomasius5) (-'p 1 7 2 8 ; De crimine magiae 1701; De origine ac progressu processus inquisitorii contra sagas 1 7 1 2 ) auftrat, die Hexenverfolgungen aus der Rechtsprechung zu verdrängen. Langsam folgte die Gesetzgebung. Während das preufs. Landrecht 1 7 2 1 ( 6 . Buch, Titel 5 , Art. 4 ) , weitergehend als das Edikt vom 1 3 . Dezember 1714, die Zauberei in das Gebiet des Wahns verwies, halten noch der Codex crim. bavaricus 1 7 5 1 und die österr. Vdg. vom 5 . November 1 7 6 6 (auf welcher Art. 5 8 der Theresiana 1 7 6 8 ruht) an dem Verbrechensbegriffe der Zauberei, freilich in durchaus vorsichtiger Skepsis, fest. Die letzte Hinrichtung einer Hexe auf deutschem Boden fand 1 7 4 9 zu Würzburg statt. Zu Glarus in der Schweiz wurde die Hexe Anna Göldi 1 7 8 2 gefoltert und enthauptet.

4) Vgl. Wächter Beiträge zur deutschen Geschichte 1 8 4 5 . Soldan-Heppe Geschichte der Hexenprozesse 2 . Aufl. 1 8 8 0 . Stintzing 1 6 4 1 . Riezler Geschichte der Hexenprozesse in Bayern 1 8 9 6 . Weitere Litt, bei L'oning Z 5 2 3 6 , 7 6 8 9 , Günther Z 1t 1 7 7 , 12 6 3 8 , 14 2 6 3 , 15 3 9 7 , 16 4 6 1 , 8 7 4 . Über die Stellung des Reichskammergerichts vgl. Z 12 9 0 9 . 6 ) Über ihn Landsberg (Litt, zu § 7 ) 7 1 .

§ 7-

D a s Zeitalter der A u f k l ä r u n g .

IV. D i e G e s e t z g e b u n g A u f • dem Boden v o n diesem, stehend,

des

seit

1750.

gemeinen Rechts,

trägt

29

trotz äufserlicher

Abschliefsung

die Strafgesetzgebung Bayerns und Österreichs um

d i e Mitte des vorigen Jahrhunderts die Züge eines dem Untergange verfallenen Zeitabschnittes.

W i e stolze Zeugen der

R e c h t s ragen in das

neu

Schöpfungen der bereits

grofsen Vergangenheit

aufdämmernde Zeitalter in

den Grundfesten

hinüber

des

die

gemeinen

bedeutendsten

erschütterten Wissenschaft jener

Tage: 1. D e r C o d e x

juris

criminalis

verfafst und erläutert von Kreittmayr 2. D i e C o n s t i t u t i o Erblande Böhmers

vom

criminalis Theresiana

31. Dezember

beherrscht.

Vgl.

B a v a r i c i v o m 7. Oktober

1768,

Wahlberg

wesentlich

von

für die österreichischen

den Anschauungen

der Theres.

j u r i s crim.

constitutione!» Carolinam ac Theresianam 2 Bde.

secundum

JSF.

K l e i n . Schriften 2 1 1 5 ; v. Maasburg

Entstehungsgeschichte Berner

175t,

(•}• 1790) 6 ) ;

HalsGO.

1880.

JL.

Banniza

Zur

Delineatio 1773.

D i e Strafgesetzgebung von 1751 bis zur G e g e n w a r t 1867. 3. A u c h das b a d i s c h e Strafedikt von 1803 ruht

noch

vollständig

auf

dem gemeinen Recht.

§ 7.

Das Zeitalter der Aufklärung.

Litteratur. L'oning Z 3 219. Cantii Beccaria e il diritto penale 1862 (französ. Übersetzung mit Einleitung und Anmerkungen von Lacointa und Delpech 1885). Frank D i e Wölfische Strafrechtsphilosophie und ihr Verhältnis zur kriminalpolitischen A u f k l ä r u n g im 18. Jahrh. 1887. Hertz Voltaire und die französische Strafrechtspflege im 18. Jahrh. 1887. Stölzel K a r l Gottlieb Suarez. E i n Zeitbild aus der zweiten H ä l f t e des 18. Jahrh. 1885. Derselbe Brandenburg-Preufsens Rechtsverwaltung und Verfassung 2 Bde. 1888. Günther 2 160. Stintzing-Landsberg Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. I. A b t e i l u n g 1898 (besonders S. 386). I. Seitdem Carpzovs Ansehen

unter den immer heftiger werdenden An-

griffen seiner G e g n e r unterlegen war, hatte die deutsche Strafrechtspflege ihren letzten Halt verloren.

D i e Reichsgesetzgebung w a r verstummt, die Landesgesetz-

gebung erschöpfte sich in einer

Unzahl kleiner Verordnungen; und auf

P G O . blickten Gelehrte und Richter mit gleicher Geringschätzung herab.

die War

so der Zustand der Strafrechtspflege selbst ein durchaus unhaltbarer geworden, so traten

nunmehr noch weitere Umstände hinzu, um den Untergang des ge-

mein-deutschen Strafrechts zu beschleunigen. deckungen der naturwissenschaftlichen •f

1630,

Galilei

f

1642),

Gestützt auf die grofsartigen Ent-

Forschung (Kopernikus j- 1543,

hatte eine neue Weltanschauung ihren

Einzug in das R e i c h der Geister gehalten.

Kepler

siegreichen

Seitdem die Wissenschaft aufgehört

hatte, die dienende M a g d der T h e o l o g i e zu sein, wurden auch Staat und Recht vor den Richterstuhl der kritisch-prüfenden Menschenvernunft gezogen. hatte Hugo

Kaum

Grotius ( f 1645) das Naturrecht zu dem R a n g e einer selbständigen

") Ü b e r ihn vgl. die Festrede von Beckmann

1896.



§ 7-

Das Zeitalter der Aufklärung.

Wissenschaft erhoben, so entbrannte der Kampf um die Grundlagen des staatlichen Strafrechts. Hobbes (f 1679), Spinoza ( f 1677), Locke ( f 1704) führten die Strafe, als deren Zweck sie die Besserung oder Vernichtung des Verbrechers und die Abschreckung aller übrigen bezeichneten, auf den Selbsterhaltungstrieb, S. v. Cocceji, der Grofskanzler Preufsens ( f 1755), als gerechte Vergeltung auf göttlichen Befehl zurück.') Die philosophische Erörterung greift bald unmittelbar hinein in das praktische Tagesleben. Die deutschen Aufklärer fufsen auf Pufendorf (-j- 1694), der den Vergeltungsgedanken ausdrücklich verwirft; ihr Wortführer aber wird der streitgewandte Hallische Lehrer Christian Thotnasius (siehe oben § 6 Note 5). Im Kampfe gegen das überlieferte römische und kanonische Recht vertreten sie mehr und mehr den Rationalismus des Polizeistaates, der von Christian Wolff ( f 1754) zum alles umfassenden System erhoben wird und bestimmenden Einflufs auf die preufsische Gesetzgebung gewinnt. 2 ) Eine schärfere Tonart klang von jenseit des Rheins herüber. Mit feinem Spotte hatte Montesquieu (f 1755) das geltende Strafrecht in seinen Grundlagen angegriffen; und bald verdrängte er in Friedrichs des Großen beweglichem Geiste die letzten Reste Wolff'.sehen Einflusses. Voltaire ( f 1778) und JJ. Rousseau (-}• 1778) setzten, jener mit der Gewandtheit des Weltmannes, dieser mit den tiefdringenden Worten des begeisterten Denkers, das von dem Politiker Montesquieu begonnene W e r k fort. 3 ) Ein äufserer Anlafs setzte das glimmende Gebäude des alten Strafrechts in helle Flammen. 1762 war in Toulouse der protestantische Kaufmann Jean Calas wegen angeblicher Ermordung seines Sohnes unschuldig verurteilt und gerädert worden. Als der greise Voltaire in einer seiner zündendsten Schriften die französischen Gerichte des Justizmordes beschuldigte, zog er mit einem Schlage die öffentliche Meinung auf seine Seite. So kam es, dafs Beccarias (t I794j Schrift: Dei delitti e delle pene 1764 (Übersetzung von Glaser 2. Aufl. 1876), welche die in der Strafrechtspflege herrschenden Mifsstände schonungslos geifselte und in tönenden Worten Reform an Haupt und Gliedern forderte, in allen Ländern lauten Widerhall fand. Unabhängig von ihm, aber

a) Grotius De jure belli ac pacis 1625. Über ihn: Pfenninger Der Begriff der Strafe untersucht an der Theorie des Hugo Grotius. 2. (Titel-)Aufl. 1897. Hobbes De cive 1640; Leviathan 1651. Spinoza Tractatus theologopoliticus 1670. Locke On government 1680. i 1 . v. Cocceji Elementa justitiae naturalis et Romanae 1740; Introductio ad Grotium illustratum 1751. 2) Pufendorf De jure naturae et gentium 1672. Thotnasius in zahlreichen Schriften. D. Fischer De poenarum humanarum abusu 1712. Chr. G. Hoffmann De insignioribus defectibus jurisprudentiae criminalis Germanicae eorumque emendandorum ratione ac mediis 1731. — Engelhard Versuch eines allgemeinen peinlichen Rechts aus den Grundsätzen der Weltweisheit und besonders des Rechts der Natur hergeleitet 1756 (im engsten Anschlufs an Wolff). 3) Montesquieu Lettres persanes 1 7 2 1 ; Esprit des lois 1748. Ihm folgt Friedrich der Grofse Sur les raisons d'établir ou d'abroger les lois (noch 1748 geschrieben). — Voltaire in zahlreichen Schriften. Rousseau Contrat social 1762.

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gleichzeitig mit ihm, verkündeten Sonnenfels (f 1817) in Österreich (seit 1764) und HF. Hommtl (Prof. in Leipzig, f 1 7 8 1 ) in Deutschland (seit 1765) die neuen Lehren. Sie fanden einen einflufsreichen Bundesgenossen in dem Göttinger Theologen JD. Michaelis (f 1791). Vollständige StG. Entwürfe auf dieser Grundlage wurden von dem Göttinger Prof. Claproth (1774) und dem Rostocker Prof. Quistorp (1777 und 1782) ausgearbeitet. Inzwischen hatte die Preisausschreibung der Berner Ökonomischen Gesellschaft 1777 eiife Flut von Schriften hervorgerufen, unter welchen Globigs und Husters Abhandlung von der Kriminalgesetzgebung (1783 erschienen) gekrönt wurde. 4 ) Ungefähr gleichzeitig begann John Howard seinen siegreichen Kampf für die Verbesserung des Gefängniswesens. Globig war auch weiter noch vielfach thätig; 1809 erschien sein im russischen Auftrage geschriebenes „System einer vollständigen Kriminal" usw. Gesetzgebung." II. Gar bald sollten die Grundgedanken der Aufklärungszeit (Schutz der individuellen Freiheit gegen richterliche Willkür, Beseitigung der Folter, Aufhebung oder doch Einschränkung der Todesstrafe, Betonung des staatlichen Strafzweckes mit Verdrängung kirchlicher oder rein sittlicher Forderungen) in der Strafgesetzgebung der wichtigsten Länder folgerichtige Durchführung finden. In Rufsland hatte Katharina II. schon 1767 in ihrer merkwürdigen „Instruktion für die zur Verfertigung des Entwurfs zu einem neuen Gesetzbuche verordnete Kommission" den Versuch gemacht, Montesquieus Esprit des lois in die Sprache des Gesetzgebers zu übertragen; Leopolds II. StGB, für Toskana von 1786 war von Beccarias Geist erfüllt; in Österreich trug Sonnenfels nach langen Kämpfen den Sieg davon; und in Preufsen schritt Friedrich der Grofse seit seinem Regierungsantritte auf der Bahn der Neuerungen vorwärts. 5 ) I. In Österreich verkündete Joseph I I . am 2. April 1787 das Gesetz über Verbrechen und deren Bestrafung vom 13. Januar 1787, welches in aller und jeder Beziehung im schärfsten Gegensatze zur Theresiana stand. 6 ) Kurze, knappe Sprache, aufgeklärter Despotismus, Ersetzung der Todesstrafe durch die grausamsten, bis zu hundert Jahren währenden Freiheitsstrafen, Ausschlufs der Analogie, mangelhafte Begriffsbestimmung sind die Merkmale dieses Gesetzbuches, welches, nachdem die Todesstrafe für den Hochverrat 1795 wiedereingeführt worden war, am 17. Juni 1796 (in Kraft seit I. Januar 1797) mit manchen Veränderungen in dem eben mit Österreich vereinigten Westgalizien, am 4 ) Zu erwähnen: Wieland Geist der peinlichen Gesetze 1 1783, 2 1784. Gmelin (Prof. in Tübingen) Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen 1785. v. Soden Geist der peinlichen Gesetzgebung Teutschlands 1792. (y. Reder) Das peinliche Recht nach den neuesten Grundsätzen vollständig abgehandelt und meine Gedanken über den Entw. zu einem neuen peinlichen Gesetzbuch 4 Teile 1783/4. Filangieri's (f 1788) Scienza della legislazione wurde 1782 ff. von Link in deutscher. Sprache herausgegeben. B ) Über den Pfiauv?sehen Entwurf für Bamberg, der hier von 1795 bis 1805 in Geltung war, vgl. Günther 3 1. Hälfte S. 84 Note 182. Er ist dem Quistorp'sehen Entwurf von 1782 nachgebildet. Vgl. Heimberger Die Teilnahme am Verbrechen 1896 S. 182. 6 ) Vgl. Eisenmann Z 13 524.

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3. September 1803 (in Kraft seit I. Januar 1804) für die ganze Monarchie mit zahlreichen und wesentlichen Verbesserungen neu kundgemacht wurde und so, durch Vermittlung der verbesserten Auflage von 1852, die Grundlage des geltenden österreichischen Strafrechts bildet. V g l . Wahlberg Kleinere Schriften 3 I. v. Maasburg Die Strafe des Schiffziehens in Österreich (1783—1790) 1890. — Eine tüchtige Bearbeitung fand das StGB, von 1803 in J e n u l l Das österr. Krim.-Recht nach seinen Gründen und seinem Geiste dargestellt 4 Bde. 1808/15. Das Joseph. StGB, haben dargestellt Sonnleithner Anmerkungen 1787; de Litca Leitfaden 1789. — Das StGB, von 1787 bildete auch die Grundlage für das 1787 in den österreichischen Niederlanden eingeführte Règlement provisionnel pour la procédure criminelle (Bruxelles 1787) und wurde dadurch in manchen wichtigen Punkten bestimmend für die Gesetzgebung der französischen Revolution. Vgl. dazu auch Eisenmann Z 13 523. 2. In Preufsen entfaltete Friedrichs des Grofsen Regierung eine lebhafte Thätigkeit auf dem Gebiete der Strafgesetzgebung (vgl. Stöhel BrandenburgPreufsens Rechtsverwaltung 2 229). Sie fand, nach zahlreichen Verbesserungen im einzelnen, ihren Abschlufs in dem Allgemeinen Landrecht von 1794 (kundgemacht 20. März 1791; suspendiert 18. April 1792; wiederkundgemacht 5. Februar 1794; in Kraft I. Juni 1794), welches im 20. Titel des 2. Teils in 1577 Paragraphen das Strafrecht behandelte. Klein (f 1810) hatte den hauptsächlichsten Anteil an der Abfassung; die Schrift von Globig und Huster war nicht ohne Einflufs geblieben. In seiner behaglichen Breite, seinem ängstlichen Wohlwollen, seiner bis zum Lächerlichen reichenden Sorge für Vorbeugungsmafsregeln, seinen im ganzen milden Strafbestimmungen und meist brauchbaren Definitionen ist die Strafgesetzgebung des A L R . ein bezeichnender Ausdruck der den aufgeklärten Polizeistaat beherrschenden Ansichten. Wenn auch dem heutigen Musterbild eines Gesetzbuches wenig entsprechend, war sie doch eine tüchtige und lebenskräftige, der Weiterentwicklung durchaus fähige Leistung. 3. In F r a n k r e i c h führte die sofort mit der grofsen Revolution einsetzende Bewegung zunächst zum Code pénal von 1791 und dem Code des délits et des peines vom 3. Brumaire des Jahres I V , der, von Merlin verfafst, hauptsächlich das Strafverfahren regelte; dann aber zum Napoleonischen C o d e p é n a l von 1810 (Entwurf von 1804, Wiederaufnahme der Arbeiten 1808, in Kraft seit I. Januar 1811), der durch den Vorzug seiner klaren und bestimmten technischen Ausdrucksweise einen tiefgreifenden und weitgehenden, freilich nicht immer günstigen Einflufs auf die aufserfranzösische Gesetzgebung, insbesondere der romanischen, aber auch der übrigen Völker ausgeübt hat. Obwohl die Härte seiner auf dem starrsten Abschreckungsprinzipe beruhenden Strafdrohungen seit 1832 wiederholte und wesentliche Milderungen erfahren hat, ist das feste Gefüge seiner Begriffsbestimmungen doch bis auf den heutigen Tag unerschüttert geblieben. Dieser langen Zeit der Ruhe verdankt die französische Rechtsprechung ihre sichere Klarheit; in ihr aber liegt auch der Grund für die Erschlaffung der französischen Strafrechtswissenschaft, die seit Jahrzehnten jeder kräftigeren Anregung entbehrt.

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I i i t t e r a t u r . Berner Die Strafgesetzgebung von 1751 bis zur Gegenwart 1867. Reiches Material in den Kommentaren zu den verschiedenen Strafgesetzbüchern. Kürzere Angaben in Stengleins Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher 1857. Nachdem die Sturm- und Drangperiode der Aufklärung vorübergerauscht war, brach für die Strafgesetzgebung wie für die Wissenschaft des Strafrechts eine neue Zeit ruhiger und fruchtbringender Arbeit an. Die Geschichte der deutschen Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts bis 1870 zerfällt in zwei grofse Abschnitte, die durch das Erscheinen des preufsischen StGB, von 1851 gebildet werden. Ein reger Wetteifer, wie er auf keinem andern Gebiete der Gesetzgebung in dieser Zeit sich findet, hatte der einzelnen Staaten des Deutschen Bundes sich bemächtigt; die durch Jahrhunderte erprobten, unverlierbaren Ergebnisse des gemeinen Rechts und die Forderungen der Aufklärungszeit sollten mit den aus dem Rechtsleben des neuen Jahrhunderts sich ergebenden Bedürfnissen, mit den Postulaten der spekulativen Philosophie, mit den Forschungen der geschichtlichen Rechtswissenschaft zur Einheit verschmolzen werden.

I. Die deutschen Strafgesetzbücher vor 1851. 1. Der Vortritt gebührt Bayern. Das erste unter den deutschen Strafgesetzbüchern der Zeit nach ist auch weitaus das bedeutendste nach seinem Inhalte. Trotz mancher Fehler hat es den Ruhm deutscher Gesetzgebungskunst weit über die deutschen Grenzen hinausgetragen und im Wettkampfe mit dem französischen Code pénal diesem sieghaft getrotzt. Feuerbachs ') 1804 erschienene Kritik des JClehischrodschzn Entwurfs von 1802 hatte zur Folge, dafs jener zur Ausarbeitung eines neuen Entwurfs berufen wurde. Seine Arbeit, 1807 vollendet, wurde nach Durchberatung in der Gesetzgebungskommission 1810 gedruckt und nach erneuter Beratung als StGB, vom 16. Mai 1813 kundgemacht. Amtlicher, allein gestatteter Kommentar („Anmerkungen") von Gönner, 3 Bde. 1813/14. 1814 in Oldenburg eingeführt. Von Einflufs auf die spätere Gesetzgebung in Sachsen, Württemberg, Hannover und Braunschweig wie in einer Reihe aufserdeutscher Staaten. 2. Sachsen. 1810 wurden Tittmann und Erhard mit der Ausarbeitung eines StGB, beauftragt. Ihre Entwürfe (Tittmann 1813, Erhard 1816) bilden die Grundlage der Beratungen eines Ausschusses, deren Ergebnis ein von Stübel gearbeiteter Entwurf von 1824 war. Stübels und Tittmanns Tod brachte die weiteren Arbeiten zum Stillstand. Dagegen führte der 1834 und 1835 verfafste Entwurf von Groß zu dem Kriminalgesetzbuch vom 30. März 1838. — Kommentare von Grofs 1838, Weifs 1841 ff., Held und Siebdraht 1848.

') Über Feuerbach vgl. unten § 10 Note I. v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

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3. Dem sächsischen StGB, von 1838 schlössen sich vier von den Thüringischen Staaten an, nämlich Weimar 1839 (Entw. von 1822), Altenburg 1841, Meiningen 1844, Schwarzburg-Sondershausen 1845. Das sächsische StGB, liegt auch dem sog. thüringischen StGB. (Entw. von 1849) zu Grunde, welches 1850 in Weimar, Sondershausen, Rudolstadt, Anhalt, Meiningen und Koburg, 1851 in Gotha, 1852 in Keufs jüng. Linie mit Abweichungen in», einzelnen eingeführt wurde und nachträglich noch 1864 in Anhalt-Bernburg, wo von 1852 an das preufsische StGB, (von 1851) angenommen worden war, sowie 1868 in Reufs ält. Linie zur Geltung gelangte. Dagegen hielt Altenburg an seinem StGB, von 1841 fest. 4. Württemberg. Die ersten Arbeiten von 1810 bis 1813 (vier Entwürfe) führten nicht zum Ziele. Dasselbe gilt von dem 1823 von v. Weier verfafsten Entwurf. Man behalf sich einstweilen mit dem Edikt vom 17. Juli 1824 über die Strafgattungen und Strafanstalten. Das StGB, vom 1. März 1839 beruht auf den Entwürfen von 1832 (als MS. gedruckt), 1835 (Druckausgabe 1835; Bericht der Kammerkommission 1837 gedruckt) und 1838 (der letztere nach den Beschlüssen der beiden Kammern). Umgestaltungen erfolgten 1849, 1853 und 1855. Knapp Das württembergische Kriminalrecht, dargestellt in Zusätzen zu Feuerbachs Lehrbuch 1828/29. Wächter Die Strafarten und Strafanstalten des Königreichs Württemberg 1832. Kommentare von Hepp 3 Bde. 1839*42; Hufnagel (f 1848) 2 Bde. 1840/44, kürzere Darstellung 1845. 5. Hannover. Die 1823 begonnenen Arbeiten führten zu dem 1825 veröffentlichten Entwurf (hervorragend beteiligt A. Bauer, der 1826 den Entwurf mit Anmerkungen herausgab und weitere Anmerkungen 1828 und 1831 veröffentlichte). 1825 bis 1830 Umarbeitung des Entwurfs, der im letzten Jahre den Ständen vorgelegt wurde. Diese beendeten ihre Arbeiten 1838. Kundmachung des StGB, unter dem 8. August 1840. Zahlreiche Nachtragsgesetze. — Kommentar von Leonhardt 2 Bde. 1846/51, kürzer 1860. 6. B r a u n s c h w e i g . Der von der Regierung 1839 den Ständen vorgelegte Entwurf (besonders thätig v. Schleinitz und Breymar) führte zu dem StGB, vom 10. Juli 1840. Dieses galt von 1843 bis 1870 auch in L i p p e Detmold. 7.. Hessen-Darmstadt. Entwurf von Knapp 1824; auf Grund eines von Mittermaier erstatteten Gutachtens umgearbeitet 1831. Entwurf von v. Lindelof 1837 (als MS. gedruckt). 1839 Vorlage des abermals umgearbeiteten Entwurfs (Berichterstatter v. Linde und Breidenbach). Verkündung des StGB, unter dem 18. Oktober 1841. Abgeändert 1849. — Kommentar von Breidenbach 2 Abteilungen 1842/44 (nur der allgemeine Teil). — Das hessische StGB, galt bis zum Jahre 1867 auch in N a s s a u seit 1849, in F r a n k f u r t a/M seit 1857, in H e s s e n - H o m b u r g seit 1859. 8. Baden. Strafedikt von 1803, welches auf Grundlage des Rechts die Einheitlichkeit der Strafrechtspflege herstellen sollte. arbeitete ein besonderer Ausschufs an der Herstellung eines Entwurfs Entwurf ist 1836 gedruckt),: welcher 1839 der Zweiten Kammer

gemeinen Seit 1836 (der erste überreicht

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Die deutsche Strafgesetzgebung bis zum Jahre 1870.

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wurde. Abgeändert 1840 nach den Beschlüssen der Zweiten, 1844 nach denjenigen der Ersten Kammer. Verkündung des StGB, unter dem 6. März 1845. In Kraft getreten am 1. März 1851. — Kommentare von Thilo 1845. Puchelt 2 Teile 1866,'68.

II. Das prenfsiscbe Strafgesetzbuch von 1851. Die wichtige Zirkularverordnung vom 26. Februar 1799 über die strafung der Diebstähle und ähnlicher Verbrechen bildete den Abschlufs von Preufsen seit dem Regierungsantritt Friedrichs des Grofsen zielbewufst kraftvoll verfolgten Kriminalpolitik. Zögernd und unsicher schreiten seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Umgestaltungsarbeiten vorwärts.

Beder und dem

Durch Kabinettsordre vom 24. Juli 1826 wurde der grofsen Gesetzrevisionskommission (unter dem Vorsitz des Justizministers Graf Dankelmann) die allgemeine Revision der preufsischen Gesetzgebung übertragen. Für die Beratung des Strafrechts (Pensum I) wurde eine besondere Deputation bestimmt: v. Ka7nptz (damals Direktor im Justizministerium) Vorsitzender; Sack und Fischenich Mitglieder; Schiller Berichterstatter für die Vermögensverbrechen, Bode für alle übrigen Teile. Ergebnis: Der I. Entwurf (Kommissionsentw.) November 1828 bis Februar 1829 gedruckt vorgelegt; dazu 4 Bde. Motive. Beratung des Entwurfs in der (grofsen) Gesetzrevisionskommission, sowie im Staatsministerium. Ergebnis: Der II. Entwurf (I. Teil Kriminalgesetzgebung) 1830. Nachdem v. Kamptz das Justizministerium (1830) übernommen, erfolgte eine neue Beratung. Sie führte zu dem III. (revidierten) Entwurf. I. Teil. Kriminalgesetzbuch und Motive 1833. 2. Teil. Polizeistrafgesetzbuch und Motive (als 5. Band der oben erwähnten Motive) 1833. Im Jahre 1834 verschiedene Nachträge, besonders zu den Polizeiübertretungen. Hierauf abermalige Beratung. 1836 der IV. (revidierte) Entwurf. Dazu die (von Weil gearbeitete) Zusammenstellung der Strafgesetze auswärtiger Staaten. 5 Teile. 1838—1841. Durch Kabinettsordre vom 4. Februar 1838 wurde die weitere Prüfung einer Immediatkommission aus Mitgliedern des Staatsrates übertragen. Sie beriet vom März 1838 bis zum Dezember 1842. Daneben begann die Beratung der allgemeinen Grundsätze im Plenum des Staatsrates im Dezember 1839 und dauerte bis Januar 1843. Ergebnis: Der V . Entwurf 1843. Dazu die Beratungsprotokolle. 3 Teile. 1839/42. Zusammenstellung der drei Entwürfe (1. der von 1836; 2. der sonst nicht gedruckte der Immediatkommission; 3. der des Staatsrates von 1843), herausgegeben vom Staatsminister v.. Kamptz 1844. Der Entwurf wurde einerseits mit einer 64 Fragen umfassenden Denkschrift im Frühjahr 1843 den acht Landtagen vorgelegt, anderseits einer Reihe von Behörden und Gelehrten übersandt. Auf Grund der eingelaufenen Gutachten (insbesondere der Provinziallandtage 1844) und Kritiken (der rhei3*

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nische Landtag hatte einen neuen Entwurf mit Motiven vorgelegt) verfafste, unter dem Justizministerium v. Savigny, .Bischoff 1845 die dreibändige Revision des Entwurfes des StGB, von 1843 und auf dieser Grundlage den VI. (revidierten) Entwurf 1845. Die weitere Prüfung erfolgte durch die Immediatkommission vom Oktober 1845 und bis zum Juli 1846. Im Dezember 1846 legte die Kommission den VII. Entwurf dem Staatsrat vor. Dazu Verhandlungen der Kommission 1846. Inzwischen regten sich die Sonderbestrebungen der Rheinländer. Eine Denkschrift von Ruppenthal 1846 gab ihnen Ausdruck. Erneute Beratung führte zu dem VIII. Entwurf mit Motiven 1847. Dazu fernere Verhandlungen der Kommission 1847. Dieser Entwurf wurde, mit 19 beigefügten Hauptfragen, dem auf den 3. Dezember 1847 einberufenen Vereinigten ständischen Ausschusse vorgelegt und von diesem sowohl in der vorbereitenden Abteilung als auch im Plenum bis zum 6. März 1848 beraten. Vgl. Bleich Verhandlungen des usw. Ausschusses 4 Bde. 1848. Die weitere Beratung wurde durch die Märzereignisse unterbrochen. Justizminister Simons nahm die Arbeit wieder auf. Am 10. Dezember 1850 legte er den IX. Entwurf mit Motiven (erschienen 1851) der Zweiten Kammer vor. Endlich hatten die langjährigen Bemühungen Erfolg. Nach eingehender Beratung in beiden Kammern erfolgte unter dem 14. April 1851 die königliche Sanktion des neuen StGB., das am 1. Juli 1851 in Kraft trat.2) Der Einflufs der rheinischen Juristen war deutlich erkennbar: in den Bestimmungen über Versuch und Teilnahme, über Strafensystem und internationales Strafrecht, Dreiteilung und mildernde Umstände usw. steht das preufs. StGB, unter dem Banne des Code pénal. L i t t e r a t u r . Kommentare von Goltdammer Materialien 2 Teile 1851/52; Bcseler 1851, Oppenhoff 1856 fr.; Lehrbücher von Temme 1853, Hälschner 1855/68, Berner 1857 fr. Das preufs. StGB, wurde ohne oder mit Veränderungen eingeführt 1852 in Hohenzollern, in Anhalt-Bernburg (bis 1864), 1855 in Waldeck und Pyrmont, 1858 in Oldenburg (wo 1837 das StGB, von 1814, um manche Zusätze vermehrt, neu ausgegeben worden), 1863 in Lübeck. Eine Verordnung vom 12. Dezember 1866 verkündete die beiden ersten Teile des StGB, in Frankfurt a/M. Die Vdg. vom 25. Juni 1867 verfügte, dafs in den neu erworbenen Landesteilen das preufs. StGB, (in Frankfurt a/M. dessen dritter Teil) in der Fassung der dritten amtlichen Ausgabe (von 1859) mit dem I. September 1867 Gesetzeskraft erlangen sollte. Dadurch wurden verdrängt: I. In Nassau, Homburg und Frankfurt a/M. das hessische StGB, von 1 8 4 1 ; 2. in Hannover das StGB, von 1840; 3. in Hessen-Kassel und Schleswig-Holstein das gemeine Recht. — Über K u r h e s s e n , wo ein im Jahre 1849 ausgearbeiteter Entwurf nicht zur Vorlage gelangt war, vgl. Ker2 ) Gemeines Recht galt damals noch in Vorpommern und im ostrheinischen Teile des Regierungsbezirks Koblenz.

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sti>ig Das Strafrecht in Kurhessen in einzelnen Abhandlungen 2 Bde. 1853/54. Über S c h l e s w i g - H o l s t e i n (Entw. von Eggers 1808, Entwürfe von 1840, 1849, 1866) vgl. Kramer Versuch einer systematischen Darstellung des peinlichen Rechts 1789 ; Schirack Handbuch des schleswig-holsteinischen Kriminalrechts 2 Bde. 1828/29.

III. Die deutsche Landesstrafgesetzgebnng nach 1851. 1. Sachsen. Die Umgestaltung des StGB, von 1838 war nach den tief eingreifenden Ereignissen des Jahres 1848 unvermeidlich geworden. Ein im Juni 1848 berufener Ausschufs (Berichterstatter Krug) überreichte im Juli 1850 einen Entwurf, der aber nicht weiter verfolgt wurde. Ein neugearbeiteter Entwurf wurde im April 1853 den ständischen Deputationen überreicht. Er führte zu dem StGB, vom 13. August 1855, in Kraft seit I. Oktober 1856. Eine Nachbildung ist das StGB, für R e u f s ä l t e r e L i n i e vom 27. November 1861. in K r a f t seit I. Mai 1862. Das sächsische StGB, wurde 1868 einer teilweisen Umarbeitung, insbesondere in Beziehung auf das Strafensystem unterzogen. 1868.

Kommentare von Krug 2. Auflage, 1861/62, Siebdrat 1862, v. Schwane Systematische Darstellung von Wächter 1857/58 (unvollendet).

2. In Bayern trat bereits wenige Jahre nach der Einführung des StGB, von 1813 das Bedürfnis nach dessen völliger Umgestaltung zu Tage. Der I. Entwurf von Gönner 1822 begegnete fast allgemeinem Tadel. Ein II. Entwurf von 1827, welcher vorzugsweise das W e r t v. Schmidtleins war, hatte kein besseres Schicksal. Ein III. von Stürzer gearbeiteter Entwurf von 1831 wurde nicht weiter verfolgt. Die ins Stocken geratenen Arbeiten wurden erst 1848 wiederaufgenommen. Justizminister v. Kleinschrod legte den Kammern 1851 den eisten allgemeinen Teil eines IV. Entwuf und 1853 einen vollständigen V . Enwurf mit Motiven (Oktavausgabe 1854) vor. Unverändert wurde dieser letztere .von Kleinschrods Nachfolgern. Ringelmann 1855 wiedereingebracht. Lebhafte Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Volksvertretung führten im März 1858 zum jähen Abbruch der weiteren Beratungen. Erst im Juni 1860 legte das neue Ministerium den Kammern den umgearbeiteten VI. Entwurf vor. Nunmehr schritten die Arbeiten rasch vorwärts; am I. Juli 1862 trat das dem preufsischen verwandte StGB, vom 10. November 1861 in Kraft. Kommentare von Hocheder 1862, /lisch 1862/68, Stenglein 1861/62.

Weis 1863/65, Dollmann ( f 1867) und

3. In Hamburg hielt man es noch 1869 für zeitgemäfs, ein neues StGB, einzuführen, welches vom 1. September 1869 bis 1. Januar 1871 in Kraft war. (Ältere Entwürfe: 1848 von Trümmer für die 3 Hansestädte, 1849 und 1851 umgearbeitet; 1862 neuer Entw., veröffentlicht 1864.) 4. Demnach war d e r S t a n d d e r g e b u n g i m J a h r e 1870 der folgende:

deutschen

Strafgesetz-

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Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

G e m e i n e s R e c h t galt nur noch: I. In beiden Mecklenburg (wo ein Entwurf von 1850 keinen Erfolg gehabt hatte); 2. in Lauenburg (hier war durch Gesetz vom 4. Dezember 1869 das preufsische StGB, mit Geltung vom I. April 1870 eingeführt worden); 3. in Schaumburg-Lippe; 4. in dem Braunschweig und Hannover gemeinsamen Gebiete des Unterharzes; und 5- in Bremen (wo die Entwürfe von 1861 und 1868 nicht zum Ziele geführt hatten). Daneben waren z e h n verschiedene Landesstrafgesetzbücher in Geltung und zwar: I. Das braunschweigische von 1840 (auch in Lippe-Detmold), 2. das sächsische von 1838 in S.-Altenburg seit 1841, 3. das hessische von 1841, 4. das thüringische von 1850 fr., 5. das preufsische von 1851, 6. das sächsische von 1868, 7. das hamburgische von 1869; aufserdem in Süddeutschland: 8. das württembergische von 1839, 9. das badische von 1845 und 10. das bayrische von 1861. Die Zersplitterung war grofs, aber nicht so grofs, als es auf den ersten Blick erscheinen mochte. Trotz aller Verschiedenheiten im einzelnen herrschte doch eine gewisse Übereinstimmung in den Grundzügen. Vor allem aber war durch die unmittelbare und mittelbare Ausbreitung des Herrschaftsgebietes des preufsischen StGB, die Schaffung eines gemein-deutschen Strafgesetzbuchs wesentlich vorbereitet worden. Auch auf diesem Felde sollte Preufsen die Früchte seiner Politik ernten. 3 )

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Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

Iiitteratur. Hauptwerk: Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung. *) Herausgegeben von der Internationalen kriminalistischen Vereinigung. 1. Band. Das Strafrecht der Staaten Europas; Herausg. von v. Liszt 1894 (dazu Birkmeyer Z 16 95). 2. Band. Das Strafrecht der aufsereuropäischen Staaten. Herausg. von v. Liszt und Crusen 1898 (mit Nachträgen zum ersten Band). — Reiches Material in dem von der Société de législation comparée zu Paris herausgegebenen Annuaire de législation étrangère, bis jetzt 25 Jahrgänge.

I. Österreich-Ungarn. 1. Österreich. Vgl. Hiller StG. 1 115. Das noch geltende StGB, vom 27. Mai 1852 ist lediglich eine verbesserte Auflage des StGB, von 1803 (oben S. 32). Die seit 1861 begonnenen Arbeiten haben bisher zu keinem Ergebnisse geführt. Entwürfe von v. Hye 1867, Glaser 1874, Prazak 1881, Schonborn 1889 und 1891 (Z 14- 221). Die Arbeiten werden fortgesetzt. Hauptwerke: Herbst Handbuch 1 7. Auflage 1882; 2 7. Aufl. 1884.

s ) Über die Entstehungsgeschichte des Reichsstrafgesetzbuchs vgl. unten § I I . Deutsch und französisch. In diesem § abgekürzt zitiert nach der deutschen Ausgabe als StG.

§ 9.

Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.-

Janka (f 1888; Nachruf Z 9 517) Das österr. Strafrecht. 2. von Rulf herausgeg. Aufl. 1894. Finger Das österr. Strafrecht 1891 ff. — Beste Textausgabe des StGB, von 1852 von Cramer, 17. Aufl. 1892. Entscheidungen des Kassationshofs seit 1876 (bei Manz). — Militär-StGB. vom 15. Januar 1855. GefallStGB, vom I i . Juli 1835. Das StGB, von 1852 gilt gegenwärtig aufser in Cisleithanien auch noch in K r o a t i e n , S l a v o n i e n und L i e c h t e n s t e i n . Über den kroatischen Entwurf von 1879 vgl. Tauffer Gesammelte Wohlmeinungen u. s. w. 1882 (mit einer deutschen Übersetzung); Silovic Mitteilungen 6 2. Heft. In B o s n i e n und der H e r z e g o w i n a wurde die Österreich. Gesetzgebung 1880 mit kleinen Veränderungen eingeführt. Amtliche Ausgabe Wien 1881 (mit undatierter Einführungs-Verordnung : in Kraft vom „ I . September dieses Jahres"). 2. Ungarn. Vgl. v. Wlassics StG. 1 162. Hier galt von 1852 bis 1861 das österr. StGB., im übrigen fehlte es an einer zusammenfassenden Gesetzgebung. Verschiedene Entwürfe, insbes. der von 1843. — Neues StGB, von 1878, in Kraft seit I. September 1880, dem deutschen nachgebildet. Amtliche deutsche Übersetzung 1878. Ergänzung vorbereitet. — StGB, über Übertretungen vom 12. Juni 1879. Amtliche deutsche Übersetzung von 1879. — Wissenschaftliche Bearbeitungen von Schnierer, Kautz, Horovitz, Fayer (Lehrbuch 2 Bde. 1897). Der bedeutendste Kommentar ist von .Illis 3 Bde.

II. Die Hiederlande. V g l . van Hamel StG. 1 189. Frühzeitig begannen die Bemühungen, die Herrschaft des Code pénal abzuschütteln, welcher im Jahre 1811 an die Stelle des einheimischen StGB, vom 31. Januar 1809 getreten war. Die Entwürfe von 1827, 1839—46, 1859 blieben erfolglos. Erst der Entwurf von 1875 führte zu dem StGB, vom 3. März 1881, in Kraft seit I. September 1886; vorzüglich das Werk von AFJ. Moddermann, Professor und Justizminister (•j" 1885). Deutsche Übersetzung als Beilage zu Z 1. — Ein neues MilitärStGB., welches an Stelle der StGBr. für die Seemacht und die Landmacht von 1814 und 1815 treten soll, ist in Vorbereitung (Verfasser van der Hoeveri)— In Niederländisch-Indien gilt für die Europäer ein StGB, von 1866, abgeändert 1875 (Ausgabe von de Pinto). Entwurf eines neuen Gesetzbuches 1891. Für die Inländer ein StGB, von 1872, abgeändert 1876, 1879. In W e s t I n d i e n (Surinam und Curaçao) StGB, von 1868. (Ausgaben von van der hinderen). HJ. Schmidt Geschiedenis van het Wetbock von Strafrecht 5 Bde. 1881—89. Kommentar zum StGB, von van Swinderen 1888 ff. Ausgabe der gesamten Materialien bei Gebr. Belinfanto . 6 Teile 1879—86 (Z 9 374). Treffliches Lehrbuch (Inleiding tot de Studie van het Nederlandsche Strafrecht) von van Hamel. 1889 ff. Grundrifs von Pols 1889. — Tijdschrift voor Strafrecht mit vorzüglichen Übersichten über Litteratur, Rechtsprechung und Gesetzgebung (seit 1886).

§ 9". Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

III. Der skandinavische Norden. 1. Dänemark. Vgl. Olrik StG. 1 207 sowie Mitteilungen 6. StGB, vom 10. Februar 1866. Militär-StGB. vom 7. Mai 1881, deutsche Übersetzung als Beilage zu Z 2. Hauptwerk: Goos Den Danske Strafferet 1875 fr. — Das i s l ä n d i s c h e StGB, vom 25. Juni 1869 stimmt im wesentlichen mit dem dänischen überein. 2. Schweden. Vgl. Uppström StG. 1 244. StGB, vom 16. Februar 1864, in Kraft seit I. Januar 1865. — Teilweise Abänderung durch Gesetz vom 28. Oktober 1887 und 20. Juni 1890. Entwurf in Vorbereitung (seit 1888). Militär-StGB. vom 7. Oktober 1881, deutsche Übersetzung als Beilage zu Z 2. 3. Norwegen. Vgl. Getz StG. 1 227. Entwurf von 1832. StGB, vom 20. August 1842 (deutsche Übersetzung von Thaulow 1845), umgestaltet am 3. Juni 1874, sowie am 29. Juni 1889. Kommentar von Schweigaardt. Hochbedeutender Entwurf (von Getz) 1895 ff. Deutsche Übersetzung von Rosenfeld und Urbye als Beilage zu Mitteilungen 7.

IT. Der rassische Staat. 1. Das Kaisertum Rufsland. Vgl. Foinitzky StG. 1 269. StGB, von 1866 (eine Umarbeitung des StGB, von 1845). Deutsche Übersetzung Petersburg 1868. Unter den wissenschaftlichen Vertretern sind besonders Taganzeß und Foinitzky zu nennen. Über des letzteren Lehrbuch vgl. Wesnitseh Z X 10 447; über seine „Lehre von der Strafe in Verbindung mit der Gefängniskunde" 1889 vgl. Sliosberg Z 1t 701. Ferner Lehrbücher von Spassovitsch, Sergejewski, Ntklüdoff u. a. — Über den insbesondere von Taganzeß' und Foinitzky gearbeiteten Entwurf eines StGB. (allg. Teil, Verbrechen gegen die Person und gegen das Vermögen, auch in deutscher Übersetzung von Gretener erschienen), wurde eine Reihe deutscher Gutachten veröffentlicht (vgl. Z 5 745, 7 595, 708). Besprechungen von Geyer Z 3 598, 4- 185, 6 559; Schütze C A , 36 226; Foinitzki Jahrbuch der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre J. 2. Das GrofsfQrstentum Finnland. Vgl. Forsmann StG. 1 313. Neues StGB, vom 19. Dezember 1889, welches am 23. April 1894 an Stelle der schwedischen Gesetzgebung von 1734 (mit Abänderungen von 1866) getreten ist. Deutsche Übersetzung als Beilage zu Z 11, französische von Beauchet 1890. Vgl. Forsmann Z 11 578. Entwürfe von 1875 und (884.. Mil.-StGB. vom 16. Juli 1886. V. Die Balkanstaaten: 1. Bulgarien. Vgl. Sckisckmanow StG. 1 331. Derselbe im Jahrbuch der Internat. Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft 2 194. Bis 1895 türkisches Recht. Der von Stoiloff 1888 verfafste und vorgelegte (dem

§ g.

Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

russischen Entwurf von 1885 folgende), damals von den Kammern verworfene Entwurf wurde 1895 v o n seinem Verfasser abermals vorgelegt und unter dem 4. März 1896 als Gesetz kundgemacht. Deutsche Obersetzung als Beilage zu Z 18. 2. Griechenland. Vgl. Kypriades StG. 1 336. Das dem bayrischen nachgebildete StGB, vom 10. Januar 1834 (amtliche Ausgabe deutsch und griechisch 1834) ist mehrfach, insbes. 1864, verbessert worden. — Entwurf von 1871. — Hauptwerke : Handbuch von Saripolos 1868—1871; Lehrbuch von Costi 3 Bde. 1871—1879; 2. Aufl. 1892—93. 3. Montenegro. Vgl. Dickel StG. 1 339. StGB. 23. April 1855. Deutsche Übersetzung 1859 (Wien, Manz). Schriften HI 340.

Daniels I. vom Wahlberg Kleine

4. Rumänien. Vgl. Missir StG. 1 343. Das StGB, von 1864 in der Fassung vom 15. Februar 1874 schliefst sich dem französischen Code pénal an. Abänderung 23. Februar 1894. Militärjustizgesetz vom 9. April 1894. 5. Serbien. Vgl. Wesnitsch und Josse/owitsch StG. 1 352. Das StGB, vom 27. März 1860 ist dem preufsischen von 1851 nachgebildet. — MilitärStGB. vom 28. April 1864. — System von Awakumowitsch\ Kommentar von Zeniisch. VI. Die Schweiz. Vgl. Teichmann, Gautier, Gabuzzi StG. 1 361. Gautier Mitteilungen 6 61. — Vom 4. Mai 1799 bis 1803 war die Strafgesetzgebung der französischen Republik (code von 1791) als helvetisches StGB, in Kraft. Zur Zeit wird die Schweiz nur durch das Bundesgesetz vom 4. Hornung 1853, welches lediglich die Verbrechen gegen den Bund und die Verbrechen der Bundesbeamten regelt, zur strafrechtlichen Einheit zusammengefafst. Daneben ist eine Anzahl von strafrechtlichen Bestimmungen in anderen eidgenössischen Gesetzen enthalten. Das Bundesgesetz vom 27. August 1851 enthält das Strafrecht für die eidgenössischen Truppen; Militärstrafgerichtsordnung vom 28. Juni 1889. — Ein einheitliches StGB, für die ganze Eidgenossenschaft ist in Vorbereitung. Die Vorarbeiten ruhten in der Hand von Professor Stoo/s in Bern (jetzt in Wien). Zusammenstellung der schweizerischen Strafgesetzbücher 1890. Stoo/s Die Grundzüge des schweizerischen Strafrechts, im Auftrage des Bundesrates vergleichend dargestellt. 1 1892, 2 1893. Vorentwurf (gearbeitet von Stoo/s) 1893/94 (besprochen von v. Lilienthal Z 15 97; Beling Z 17 303). Vorentwurf der Expertenkommission 1896 (abgedruckt als Beilage zu Mitteilungen 6). Im allgemeinen Teil bahnbrechend als erste Verwirklichung der von der I K V . vertretenen kriminalpolitischen Anschauungen. Die 22 StGBr. der einzelnen Kantone (soweit diese der gesetzlichen Regelung des Strafrechts nicht gänzlich entbehren und in ihrer Strafrechtspflege auf einzelne Verordnungen, sowie auf den Gerichtsgebrauch angewiesen sind) weichen voneinander weit ab, indem die deutschen Kantone mehr oder weniger treu den jeweiligen Stand der deutschen Wissenschaft und Gesetz-

§ 9-

Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

gebung widerspiegeln, während die französischen, insbesondere Genf, sich den Code pénal zum Vorbild nehmen. Vgl. Pfenninger (f 1896) Das Strafrecht der Schweiz 1891. Kein StGB, haben Uri, Nidwaiden, Appenzell i Rh. — Ältere Gesetze besitzen Waadt 1843/44 (Entwurf von 1882), Graubünden 1851, Wallis 1858/9, Schaffhausen 1859 (Novelle 1891). — Neuere Gesetzbücher sind eingeführt in Luzern 1860/61 (Ausgabe von Pfyßer 1861 f.), Obwalden 1864/65, Bern 1866/67 (Ausgabe von Stoo/s 2. Aufl. 1896), Glarus 1867 (umgearbeitet 1887), Thurgau 1868, Zürich 1871 (Ausgabe von Benz-Zürcher 1886; italienisch von Brzisa und Carrara 1873); Baselstadt 1872/73 (Ausgabe von 1887), Baselland 1873, Tessin 1873, Freiburg 1874, Genf 1874, Zug 1876 (mit Änderungen von 1882), Appenzell aufser Rh. 1878, Schwyz 1881, St. Gallen 1885 (in Anwendung I . Mai 1886), Solothurn 1885 (in K r a f t I. Juli 1886), Aargau 1857 mit Ergänzungsgesetz von 1886 (Ausgabe von Stier Ii 1887), Neuenburg vom 12, Februar 1891 (gearbeitet von Cornas). Wertvoll die von Stoo/s begründete und geleitete Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (seit 1888).

TU. Frankreich, Belgien, Luxemburg, Monaco. 1. Frankreich. Vgl. Riviere StG. 1 435 sowie Mitteilungen 6 38. Hier ist der Code pénal von 1810 (oben S. 32) durch wiederholte, zum T e i l tief einschneidende Gesetze (1832, 1848, 1850, 1854, 1863 u. s. w.) umgestaltet worden. Militär-StGB. für das Heer vom 7. Juni 1857, für die Flotte vom 4. Juni 1858. Aus der Litteratur zu e r w ä h n e n : Chauveau und Faustin-Helte Théorie du code pénal 6. Aufl. (von Villey) 6 Bde. 1887 ff. Ortolan (f 1873) Eléments du droit pénal 5. Aufl. 2 Bde. 1886. Villey Précis d'un cours de droit criminel. 5- Aufl. 1891. Trêbutien Cours élémentaire de droit criminel 2. Aufl. 1884. Blanche Études pratiques sur le code pén. 7 Bde. 1 8 6 1 — 7 2 ; 2. Aufl. 1888—90. Boitard Leçons de droit criminel 13. Aufl. (y on. Villey) 1890. Laborde Cours élémentaire de droit criminel 1891. Garraud Précis de droit criminel. 3. Aufl. 1887. Molinier-Vidal Traité 2 Bde. 1893/4. Normand Traité élémentaire 1896. Besonders aber Garraud Traité théorique et pratique du droit pénal français 5 Bde. 1888—94. 2. Aufl. in Vorbereitung. —• Révue pénitentiaire (herausgegeben von der Société générale des prisons). Die Umarbeitung des Code pénal ist in Angriff genommen. Der Entwurf des allgemeinen Teils ist abgedruckt Mitteilungen 4 165. Über Französisch-Indien vgl. E. Fauvel im Journal du droit criminel 1884. In Cochinchina wurde 1880 der Code pénal eingeführt. 2. Belgien. Vgl. Prins StG. 1 461 und Mitteilungen 6. Hier gilt seit 1867 der französische Code pénal in wesentlich verbesserter Gestalt. — Haus (f 1881) Principes généraux du droit pénal belge. 3. Aufl. 2 Bde. 1879. JVypels L e code pénal belge interprété 3 Bde. 1867, 1878, 1884. Neue Ausgabe von Servais 1896. — Thiry Cours de droit criminel 1892. — Belgisches Militär-StGB. vom 27. Mai 1870; Kommentar von Deiongh 1880. —

§ 9-

Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

3. Luxemburg. Vgl. Berg StG. 1 472. Das StGB, von 1879 ist durchaus dem belgischen nachgebildet. Französisch-deutsche Ausgabe von Ruppert 1879. 4. Monaco. Vgl. Turrel und Crusen StG. 1 475. Das StGB, vom 19. Dezember 1874 (in Kraft seit 1. Januar 1875) schliefst sich ganz an den Code pénal an. Till.

Die iberische Halbinsel.

1. Spanien. Vgl. Rosenfeld StG. 1 483. StGB, von 1848, Umgestaltung 1. Januar 1871. Wiederholte Entwürfe in den achtziger Jahren. — Militär-StGB. vom 17. November 1884. Cödigo de justicia militar vom 27. September 1890. Hauptwerk: Silvela El derecho pénal etc. 1874—1884, Viada y Vilaseca Codigo pénal etc. 4 Bde. 1890 (1891). RR. Rueda Elementes de derecho penal 2. Aufl. 1889. 3 Bde. — Besprechung der Entwürfe von Kirchenheim GS. 37 4 1 7 ; S. Mayer GS. 40 272. — Dem spanischen nachgebildete StG.Bücher gelten auf C u b a , P u e r t o - R i c o und den P h i l i p p i n e n ; die beiden ersten vom 23. Mai 1879, das letztere vom 4. September 1884. 2. Portugal. Vgl. Tavares de Medeiros StG. 1 535. Das StGB, vom 10. Dezember 1852 wurde, umgearbeitet unter dem 14. Juni 1884 und dem 16. September 1886. — IX.

Die italienische Halbinsel.

I. Italien. Vgl. Alimena StG. 1 581. I. R e c h t s z u s t a n d bis 1890; in Sardinien und Piémont das Albertinische StGB, vom 26. Oktober 1859; in der Lombardei und Venetien das österreichische StGB, von 1852; in Parma und Piacenza das StGB, von 1821; in Modena das StGB, von 1856; in Toskana das unter Mittermaiers Einflufs dem badischen nachgebildete StGB, vom 29. Juni 1853 (umgestaltet 1856); in den beiden Sizilien das StGB, von 1819; im Kirchenstaate die Gregorianische Verordnung von 1832. — II. Seit 1859 ist •das sardinische StGB, (im Norden in der Fassung von 1859, im Süden in der von 1861) allmählich auf die ganze Halbinsel, mit Ausnahme von Toskana, ausgedehnt worden. Sofort aber begannen die Arbeiten an einem neuen und •einheitlichen Gesetzbuche, welche nach über zwei Jahrzehnten (zahlreiche Entwürfe) zur Annahme des Entwurfes Zanardelli führten. — III. Seit I. Januar 1890 ist das StGB, vom 30. Juni 1889 in Kraft. Deutsche Übersetzung als Beilage zu Z 10 und von Stephan 1890, französische von Turrel, Lacointa, Sarraute 1890. Vgl. die Lavori parlamentari del nuovo cod. pen. in den Beilagebänden zu der seit 1874 erscheinenden, von Lucchini gegründeten und geleiteten Rivista penale. — Besprechungen des Entwurfs Zanardelli : v. Liszt Abhandlungen des krim. Seminars I i 1889 ; H. Seuffert Mitteilungen aus dem Entwurf eines StGB, für Italien 1888 u. a. — Bearbeitungen des neuen StGB, von Cogliolo, Crivellari, Travaglia, Pessina, Puglia, Majno u. a. Civoli Lezioni di diritto penale 2. Bd. 1895/6. Lama Trattato teoretico pratico 1896.

§ 9-

Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

— Älteres Hauptwerke: Carrara (f 1888) Programma del corso di diritto penale. Allg. Teil 2 Bde. Besond. Teil 7 Bde. 1863 fr. — Die strafrechtlichen Nebengesetze bringt die Rivista penale. Neues Militär-StGB. ist in Vorbereitung. — Die 1891 eingegangene Rivista di discipline carcerarie erscheint seit 1897 wieder unter Leitung von Beltrani-Scalia. 2. In San Marino gilt ein StGB, vom 15. September 1865. Alimena StG. 1 606.

X.

Vgl.

Die Staaten mit englisch-amerikanischem Recht.

1. Grofsbritannien. Vgl. die treffliche Darstellung von Schuster StG. 1 611. Aschrott Z 17 I. Das englische Recht beruht auf dem common law, der Rechtsprechung (case law) und dem Statute law. Für das Strafrecht sind besonders die Criminal law consolidation Statutes von 1861 von Bedeutung, durch welche die wichtigsten Verbrechensgruppen (Vermögensdelikte und Verbrechen gegen Leib und Leben) eine Neugestaltung erfuhren. Nachdem es den Bemühungen von JF. Stephen 1860 gelungen war, ein StGB, für Indien (umgestaltet 1870, 82 und 86) durchzusetzen, wurde der Gedanke einer einheitlichen Strafgesetzgebung für Grofsbritannien mit Entschiedenheit aufgenommen. Aber die Entwürfe von 1878, 1879 und 1880 stiefsen im Parlamente auf so vielfache Schwierigkeiten, dafs die Hoffnung auf das Zustandekommen eines englischen StGB.s auf absehbare Zeit als ausgeschlossen betrachtet werden mufs. — L i t t e r a t u r : Aschrott Strafensystem und Gefängniswesen in England 1887. JF. Stephen Digest of the criminal law (crimes and punishments) 5. Aufl. 1883 (seither wiederholt aufgelegt). Derselbe A history of the criminal law of England 3 Bde. 1883. Rüssel A treatise on crimes and misdemeanors. 6. ed. (Smith) 3 Bde. 1896. Harris Principles of the criminal law. 7. ed. (Attenborough) 1896. Phillipps Comparative criminal jurisprudence 2 Bde. 1889. Derselbe Manual of Indian criminal law 1883. Mayne The criminal law of India 1896. — Das indische StGB, bildet die Grundlage des StGB, für S i n g a p o r e und die S t r a i t s S e t t l e m e n t s (9. August 1871); dazu Phillipps StG. 2 221. Die englischen Kolonieen in A u s t r a l i e n besitzen beachtenswerte Gesetzgebungen auf dem Boden des englisch-indischen Rechts; so Süd-Australien vom 27. Oktober 1876, Neu-Süd-Wales vom 26. April 1883, Viktoria in dem General Code (der 1885 beraten wurde), Neu-Seeland in dem Criminal Code Act von 1886. In Kanada fand 1887 und 1892 eine Revision der Strafgesetzgebung statt. — Englisches Recht gilt seit 1854 auch auf M a l t a . Auf M a u r i t i u s ist noch eine französische Verordnung von 1838 in Kraft. 2. Das Strafrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika ruht im wesentlichen auf denselben Grundlagen wie das englische und trägt dieselbe Eigenart wie dieses. In den letzten Jahren sind in den meisten Staaten (nicht immer gelungene) Versuche einer Kodifikation des Strafrechts gemacht worden. Wichtig das Neu-Yorker StGB, von 1881 (deutsche Übersetzung Z 4). Gemeinsames Recht wird nur durch einige Bundesgesetze mit strafrechtlichem In-

§ 9- Die aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts. halt gebildet. Trefiliche Darstellung von Beale StG. 2 195. Neuere Werke: Bishop Commentaries on criminal law 8. Aufl. 1892. 2 Bde. Wharton A treatise on criminal law 10. Aufl. (Lewes) 1896. 2 Bde. Me Ciain Criminal Law 1897. 2 Bde. XI. Die siid- and mittelamerikanischen Stiaten. 1. Mexiko. Eisenmann Z 14 19 und StG. 2 113. StGB, vom 7. Dezember 1871 (gilt in der gesamten Republik bez. der gegen den Bund gerichteten Verbrechen, im übrigen nur in Unter-Kalifornien). Deutsche Übersetzung als Beilage zu Z 14. 2. Costarica. Eisenmann StG. 2 140. arbeitung von Orozco 1882.

StGB, vom 27. April 1880. Be-

3. San Salvador. Eisenmann StG. 2 152. StGB, vom 19. Dezember 1881. 4. Honduras. Ucles StG. 2 133. StGB, vom 27. August 1880 (Vorbild: Chile); Mil.StGB. vom 31. Mai 1881. Beide sollen umgearbeitet (ersteres nach dem spanischen Vorbild) am 15. September 1898 in Kraft treten. 5. Guatemala. Saraira StG. 2 146. StGB, vom 15. Februar 1889. 6. Nicaragua. Selva StG. 2 129. StGB, von 1891 (an Stelle des älteren StGB, von 1879). 7. Brasilien. Araújo- Crusen StG. 2 169. An Stelle des StGB, vom 16. Dezember 1830 (Kommentar von Tinoco 1886 und von Vieira de Araújo 1889) ist das StGB, für die Vereinigten Staaten von Brasilien vom II. Oktober 1890 getreten (dem italienischen nachgebildet). Entwurf von 1893. 8. Chile. Rob. Vera StG. 2 13. StGB, vom 12. November 1874 (in Kraft seit I. März 1875; amtl. Ausgabe von 1889). Schliefst sich eng andas spanische Vorbild. Kommentar von Robustiano Vera 1886. 9. Bolivia. Eisenmann StG. 2 161. StGB, vom 3. November 1834. 10. Peru. Crusen StG. 2 55. StGB, vom 23. September 1862 (in Kraft seit 1863). 11. Kolumbien. Crusen StG. 2 89. StGB, vom 18. Oktober 1890. 12. Argentinische Republik. Pinero StG. 2 1. StGB, vom 25. November 1886, in Kraft seit 1. März 1887. Entwürfe von 1891 und 1895 (Segovia). Hauptwerk: Rivarola Exposición y critica del codigo penal 3 Bde. 1890. 13. Uruguay. Martínez StG. 2 73. StGB, vom 17. Januar 1889, in Kraft seit 18. Juli 1890 (dem italienischen nachgebildet). 14. Paraguay. Eisenmann StG. 2 81. StGB, vom 21. Juli 1880. 15. Venezuela. StGB, vom 20. Februar 1873. Ochoa-Rosenfeld StG. 2 45. Ochoa Exposición del codigo penal venezolano 1888. 16. Ecuador. Crusen StG. 2 21. Das StGB, von 1873 ist vom 1. Dezember 1890 ab in neuer Gestalt in Geltung.

g 9.

D i e aufserdeutsche Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts.

17. San Domingo.

Código penal vom 20. August 1884.

18. Negerrepublik Haïti. criminelle annotées.

V g l . Pradine

Code pénal et code d'instruction

Paris 1883.

19. Hawai" besitzt ein StGB, von 1850.

XII. Die Tfirkei. Vgl.

Van den Berg StG. 1 710. — StGB, vom 25. Juli 1858 (mehrfach

abgeändert), 1883. —

im

Geiste

In Ägypten

des französischen wurde

Rechts.

durch Dekret

neues Strafgesetzbuch für die Eingeborenen

vom

Französische

eingeführt.

Übersetzung aus dem Arabischen in Jahrgang

Übersetzung

13. November

1883

ein

Amtliche französische

1853 des Bulletin

des lois et

décrets (Kairo).

XIII. Die hinteraslatischen Staaten. 1.

China besitzt kein Strafgesetzbuch; einzige Quellen des Rechts sind

die in der Amtszeitung veröffentlichten kaiserlichen Anordnungen.

Vgl.

A chapter on the Chinese

Strafrecht

1886.

penal law

1887.

Kohler

Chinesisches

Staunton (Renouard de Sainte-Croix) Ta-tsing-leu-lee

damentales du Code pénal de la Chine 2 Bde. 1812.

ou les

Lind

lois fon-

(Leu-Lee ist die Samm-

lung der strafgerichtlichen Bestimmungen.) 2.

Japan.

N a c h langen Vorarbeiten (Entwürfe von 1871, 75, 80) ist

das StGB, vom Juli 1880, in Kraft seit I. Januar 1881, zu Stande gekommen. Doch wird dieses gegenwärtig einer erneuten Umarbeitung unterzogen.

Amt-

liche englische Ausgabe Jokohama 1882 (ich kenne eine in Quart und eine in Oktav).

Vgl.

van

Hamel

Revue de

droit international 14 480.

Projet révisé de code pénal pour l'empire du Japon 1886. oder

Hiakkajo.

Ein

Jahrhunderts 1889. Strafrechts. (Meiji).

Rudorff

Kraufs

japanisches

Michaelis

Rechtsbuch

Zur Kenntnis

aus

Rudorff

der Mitte

der Geschichte

des

Boissonadc Kamporitsu des

vorigen

japanischen

Die Rechtspflege in Japan in der gegenwärtigen Periode

Das Strafen- und Gefängniswesen in Japan (Blätter

für Ge-

fangniskunde 30 165). 3.

Über Siam vgl. Frankfurter

im Jahrbuch

der Internat. Vereinigung

für vergleichende Rechtswissenschaft 2 98.

XIV. Der Kongostaat. XIV.

Das jüngste Glied der Staatenfamilie, der Kongostaat, besitzt ein

am I. August 1888 ins Leben getretenes StGB. de l'État Indépendant du Congo, Juni 1888.

Abgedruckt im Bulletin officiel

Zusätze vom 26. Januar 1889.

§ io.

Die deutsche Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts.

§ 10.

Die deutsche Srafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts.

L i t t e r a t u r . v. Liszt in Rechtsforschung und Rechtsunterricht auf den deutschen Universitäten 1893 S. 72 (aus dem für die Weltausstellung in Chicago herausgegebenen Werke: Die deutschen Universitäten). I. Mit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts beginnt für die deutsche Wissenschaft eine neue Blütezeit, die bis tief in die fünfziger Jahre des 19. hineinreicht. Die Zeit ungestümen und, trotz aller Aufklärung, unabgeklärten Gärens war vorüber. Die Thätigkeit der Landesgesetzgebung bot nicht nur unerschöpflichen Stoff, sondern zugleich eine neue, grofsartige Doppelaufgabe, an deren Lösung die Kraft der Wissenschaft emporwuchs: die einheitliche Zusammenfassung des nach Ländern zersplitterten Rechts und seine geschichtliche Verknüpfung mit der Vergangenheit. • Am Anfange dieser neuen Zeit steht PJA. Feuerbach, geb. 1775, f1833. 1 ) Gestählt durch den Geist Aa«/scher Philosophie, die rationalistischen Anschauungen seiner Vorgänger kritisch prüfend, den ungestümen Reformforderungen seine fachwissenschaftliche Bildung und seine praktische Erfahrung entgegensetzend, wurde er einerseits durch sein Lehrbuch (1801) der Neubegründer der deutschen Strafrechtswissenschaft, anderseits durch seine Mitarbeit an dem bayrischen Strafgesetzbuche von 1813 der Bahnbrecher der deutschen Strafgesetzgebung. Gleichzeitig mit Feuerbach arbeiteten nicht nur seine Freunde Grolman (-)- 1829; Grundsätze 1798) und v. Almendingen (-¡- 1827), sondern auch seine Gegner Klein (Prof. in Halle, -j- 1810; Grundsätze 1796) und v. Kleinschrod (Prof. in Würzburg, •{- 1824; Systematische Entwicklung 1794/96 3. Ausg. 1805) an der Wiedergeburt unsrer Wissenschaft. Neben ihnen sind zu nennen Steltzer als der Verfasser des ersten deutsch geschriebenen Lehrbuchs des Strafrechts (1793) und Stübel (Lehrbuch 1795). Zahlreiche andre folgten. Als Verfasser von Lehr- und Handbüchern sind zu nennen: Tittmann (-[• 1834), Handb. 1806/10, 2. Aufl. 1822/24. Rofshirt (f 1873), Professor in Heidelberg, Lehrb. 1821, Geschichte und System 1838/39. Wirth Handb. 1822. Martin (f 1857) Lehrb. 1820/25. 2. Aufl. 1829. Wächter (f 1880; über ihn Windscheid K G . v . Wächter 1880) Lehrb. 1825/6 (Grundrifs mit wertvollen geschichtlichen NachweisuDgen). Bauer ( f 1843) Lehrb. 1827, 2. Aufl. 1833. Henke (f 1869) Handb. 1823/38. Jarcke (f 1852) Handb. 1827/30. Heffter (f 1880), Professor in Bonn, Halle, Berlin. Lehrb. 1833. 6. Aufl. 1857. Kieme (f 1838) Lehrb. 1833 (Grundrifs). Ahegg (f 1868), Professor in Königsberg und Breslau, System 1826,

*) L. Feuerbach A. v. Feuerbachs Leben und Wirken 1852. Glaser Ges. kl. Schriften 1 21. Geyer K l . Schriften 553. Marquardsen Allg. D. Biographie 6 731. — Das Lehrbuch ist in 14, Aufl. von Mittermaier 1847, mit kritischem K.ommentar von Mörstadt 1852 und von Osenbrüggen 1855 heransgegeben worden. — Von seinen übrigen Schriften bes. zu erwähnen: Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinl. Rechts 1799/1800.

§ io.

Die deutsche Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts.

Lehrb. 1836. Marezoll ( f 1873), Professor in Giefsen und Leipzig, Kriminalrecht 1841, 3. Aufl. 1856. Luden (f 1880), Professor in Jena, Handbuch 1 1842. Köstlin ( f 1856), Professor in Tübingen, Hegelianer, Neue Revision 1845, System 1855. Häberlin ( f 1898) Grundsätze 1845 ff. EJ. Bekktr, Professor des römischen Rechts in Heidelberg, Theorie 1859. Geib (f 1864) Lehrb. 1861/62 (trefflicher Grundrifs). Berner Lehrb. 1. Aufl. 1857. Temtne {•f 1881) Lehrb. des gem.-deutsch. Strafrechts 1876 (ein trauriger Anachronismus). Unter den zahlreichen übrigen Schriftstellern, welche einzelne Abschnitte des Strafrechts behandelten, ragt besonders KJA. Mittermaier ( f 1867) weniger durch Gründlichkeit und juristische Schärfe als vielmehr durch sein unermüdliches Bestreben hervor, die aufserdeutschen Arbeiten für die deutsche Wissenschaft fruchtbringend zu machen und die sogenannten Hilfswissenschaften des Strafrechts mit diesem zur Einheit zu verschmelzen. Vgl. K. und F. Mittermaier, Bilder aus dem Leben KJA. Mittermaiers. 1886. Unter den Zeitschriften dieser Zeit nimmt, neben der Bibliothek für peinliche Rechtswissenschaft (1798—1804) von Feuerbach und Grolman, das A r c h i v d e s K r i m . - R e c h t s (1799—1807), begründet von Klein und v. Kleinschrod, später als N e u e s A r c h i v (1816—1833), endlich als A r c h i v N e u e F o l g e (1834—1857) von v. Kleinschrod, Mittermaier, Abegg, Heffter, v. Wächter, Zachariä u. a. herausgegeben, die führende Stelle ein. II. Die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n Untersuchungen über Wesen und Aufgabe der Strafe führen die Geistesarbeit des 18. Jahrhunderts weiter. Kants grofsartiger Versuch, die Strafe vom Rechte völlig loszulösen und die Vergeltung, deren Mafs die Talion zu bilden hat, auf den kategorischen Imperativ zu gründen, blieb ohne wesentlichen Einflufs auf die Entwicklung des Strafrechts. Henke und Zachariä bemühten sich, im Anschlüsse an Kant, das Strafrecht auf dem Talionsgedanken aufzubauen, aber sie scheiterten kläglich, ohne Nachfolger zu finden.4) Ganz überwiegend wurde Rechtfertigung und Aufgabe der Strafe in dem Schutze der Rechtsordnung erblickt und damit die sichere Grundlage für den Weiterbau der Wissenschaft wie der Gesetzgebung gewahrt. HI. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts tritt ein bedauerlicher Wendepunkt in der Entwicklung ein. Verschiedene Ursachen wirkten zusammen, um dieses Ergebnis herbeizuführen. Die erste war die R e z e p t i o n d e s f r a n z ö s i s c h e n S t r a f r e c h t s durch die preufsische Gesetzgebung von 1851. Damit scheidet Preufsen aus dem Zusammenhange der gemein-deutschen Überlieferungen aus. Die preufsische Praxis lernt es rasch, auf eigenen Füfsen zu stehen, und übernimmt alsbald die Führung. Goltdammer ( f 1872, Obertribunalsrat in Berlin) und Oppenhoff ( t 1875, Oberstaatsanwalt in Berlin) erringen ungleich gröfseren Einflufs als 3) Kant -j- 1804. Kritik der praktischen Vernunft 1788. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre 1799. — Henke Lehrbuch 1815. KS. Zachariä ( f 1843) Anfangsgründe des philosophischen Kriminalrechts 1805. — V g l . Seeger Die Strafrechtstheorie Kants und seiner Nachfolger im Verhältnis zu •den allgemeinen Grundsätzen der kritischen Philosophie 1892.

§ io.

Die deutsche Strafrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts.

alle ihre Zeitgenossen auf den Lehrstühlen des Strafrechts; der Präjudizienkultus verdunkelt den Glanz der Wissenschaft. Ein Praktiker ist es, der das Archiv des preufsischen Strafrechts (1853) gründet und kraftvoll vorwärts steuert; das alte, von Professoren begründete und geleitete Archiv des Kriminalrechts findet 1857 ein stilles Ende. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis erweitert sich zusehends, seitdem die Strafrechtswissenschaft in den Bannkreis der Hegel s e h e n P h i l o s o p h i e geraten ist.3) Gerade die bedeutendsten unter den preufsischen Kriminalisten, Köstlin (f 1856, Professor in Tübingen), Hälschner ( f 1889, Professor in Bonn) und Berner (Professor in Berlin), huldigen wenigstens bei ihrem ersten Auftreten dem entschiedensten Hegelianismus. Und wenn wir dieser Richtung auch manchen wertvollen Beitrag zur psychologischen Analyse des Verbrechens verdanken, so mufste doch eben die Hegeische Dialektik, mit der sich alles Gewordene erklären und alles Bestehende rechtfertigen liefs, den Blick für die Bedürfnisse des Rechtslebens wie für die Forderungen der Kriminalpolitik trüben. Es war ein bitteres, aber teilweise selbstverschuldetes Verhängnis, dafs die deutsche Wissenschaft, die zur Zeit partikularer Rechtszersplitterung den Schatz gemeinsamer Rechtsüberzeugung gehütet und gemehrt hatte, haltund kraftlos dastand, als die langersehnte Zeit für die Schaffung eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs für die auf dem Schlachtfelde geeinten deutschen Stämme angebrochen war. IV. Der neugewonnenen Rechtseinheit verdankte die Wissenschaft des Strafrechts zunächst einen neuen Aufschwung der d o g m a t i s c h e n Richtung. Die Systeme von Hälschner, Meyer, v. Liszt, Binding, Merkel (f 1896; Nachruf von Liepmann Z 17 638) sind der Darstellung des geltenden Reichsrechts gewidmet; die Kommentare von Ohlshausen und Frank machen die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit unmittelbar den Bedürfnissen der Rechtsprechung dienstbar. Die 1881 gegründete Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft fafst die verschiedenartigen wissenschaftlichen Strebungen zu gemeinsamer Bethätigung zusammen. Aber mit der sich vertiefenden Überzeugung, dafs das Reichsstrafgesetzbuch in seiner Anwendung den gehegten Erwartungen nicht entspreche, mit der wachsenden Erkenntnis, dafs die Kriminalität im Deutschen Reich in raschem und gefahrdrohendem Aufsteigen begriffen sei — trat seit dem Beginne des 8. Jahrzents ein immer deutlicher werdender Rückschlag hervor. Die neue k r i m i n a l p o l i t i s c h e Richtung (unten § 15) wendet sich gegen die im Formalismus erstarrende Begriffsjurisprudenz wie gegen das Strafgesetzbuch selbst, dessen gründliche Umgestaltung sie fordert. So bietet die heutige Strafrechtswissenschaft das Bild einer gärenden Übergangsepoche, in der neue, nicht immer klar erkannte, Gedanken und Forderungen nach begrifflicher Gestaltung und gesetzgeberischer Verwirklichung ringen. Das Lehrbuch kann und will diese Bewegung nicht mit Stillschweigen übergehen, aber seine Aufgabe ist und bleibt die unbefangene, streDg wissenschaftliche Darstellung des geltenden Rechts. 8) Hegel ( t 1831) Grundlinien der Philosophie des Rechts 1821 Band der (jaHJSchen Ausgabe §§ 82, 97).

v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

4

(Vitt

§11.

§11.

Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.

Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.

I. Die Bemühungen um ein einheitliches deutsches Strafgesetzbuch reichen weit genug zurück. Aber alle Anläufe scheiterten an der Übermacht der politischen Verhältnisse. Die von einzelnen Personen ausgearbeiteten Entwürfe [KS. Zachariä 1826, v. Strombeck 1829, Krug 1857, v. Kräwel 1862) fanden wenig Beachtung. Die von Württemberg 1847 ausgehende Anregung wurde von den Ereignissen des Jahres 1848 überholt. Der § 64 der Reichsverfassung vom 28. März 1849 veranlafste das preufsische Justizministerium zur Herstellung eines Entwurfes (1849), der, den rasch sich verschiebenden Zeitverhältnissen zum Opfer fallend, bis auf wenige Stücke, ohne ausgegeben zu werden, wiedereingestampft wurde. Auch der von Bayern in Verbindung mit mehreren anderen Regierungen im Jahre 1859 beim Bundestage gestellte Antrag, die Möglichkeit und Nützlichkeit einer gemeinsamen bürgerlichen und Straf-Gesetzgebung zu erörtern, hatte kein anderes Ergebnis, als dafs der Ausschufsbericht vom 12. August 1861 das Vorhandensein eines „sehr dringenden Bedürfnisses" nach einem allgemeinen deutschen StGB, in Abrede stellte. Ungefähr gleichzeitig hatte der Antrag Kräwels, der I. deutsche Juristentag (1860) möge die Dringlichkeit einer einheitlichen Strafgesetzgebung aussprechen, zwar einstimmige Annahme, aber nur geringe Teilnahme gefunden. II. Es scheint, dafs dieselbe Ansicht in den mafsgebenden Kreisen noch herrschte, als der Entwurf einer norddeutschen Bundesverfassung aufgestellt wurde. Der Art. 4 Nr. 13, welcher Obligationenrecht, Handels- und Wechselrecht, sowie das gerichtliche Verfahren der gemeinsamen Gesetzgebung unterstellte, erwähnte das Strafrecht nicht. Es ist ein bleibendes Verdienst Laskers, durch einen von ihm gestellten, von v. Wächter unterstützten, von v. Schwarze bekämpften, vom Reichstage angenommenen Zusatzantrag die Aufnahme des Strafrechts in das Gebiet der gemeinsamen Gesetzgebung veranlafst zu haben (Art. 4 Nr. 13 der Bundesverfassung vom 26. Juli 1867). In kurzer Frist kam die Angelegenheit in Flufs. Auf Grund eines von den Abgeordneten Wagner und Planck am 30. März 1868 gestellten Antrages beschlofs der Reichstag am 18. April 1868, „den Bundeskanzler aufzufordern, Entwürfe eines gemeinsamen Strafrechtes und eines gemeinsamen Strafprozesses, sowie der dadurch bedingten Vorschriften der Gerichtsorganisation baldthunlichst vorbereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen". Nachdem der Bundesrat am 5. Juni 1868 diesem Beschlüsse beigetreten war, ersuchte der Bundeskanzler in dem Schreiben vom 17. Juni 1868 den preufsischen Justizminister Dr. Leonhardt, die Ausarbeitung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches zu veranlassen. I. Die Ausarbeitung wurde dem damaligen Geheimen Oberjustizrate Dr. Fritdberg übertragen; Gerichtsassessor Dr. Rubo und Kreisrichter Rüdorff wurden als Hilfsarbeiter beigeordnet. Eine Denkschrift Friedbergs an den Bundesrat vom 21. November 1868 entwickelte das Programm. Schon am

§il.

Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.

51

31. Juli 1869 konnte der Entwurf (Entwurf I) dem Bundeskanzler überreicht und gleichzeitig veröffentlicht werden. Eine ausführliche Begründung und vier Anlagen (Zusammenstellung strafrechtlicher Bestimmungen aus deutschen und aufserdeutschen Gesetzgebungen; Todesstrafe; Fragen aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin; höchste Dauer der zeitigen Zuchthausstrafe) waren ihm beigegeben. Der Entwurf schlofs sich an das preufsische StGB, von 1851 als Vorbild an, aber nicht ohne dieses in einigen wichtigen Beziehungen wesentlich zu verbessern. 2. Zur Prüfung des Entwurfes trat eine vom Bundesrate schon am 3. Juli 1869 gewählte Kommission von sieben Mitgliedern am I. Oktober 1869 in Berlin zusammen. Er bestand aus Dr. Leonhardt als Vorsitzendem, Dr. Friedberg als Berichterstatter, Generalstaatsanwalt Dr. v. Schwane (Dresden) als stellvertretendem Vorsitzenden, Senator Dr. Donandt (Bremen), Rechtsanwalt Justizrat Dr. Dorn (Berlin), Appellationsgerichtsrat Bürgers (Köln), Oberappellationsgerichtsrat Dr. Budde (Rostock). Dr. Rubo und Rüdorff waren zu Schriftführern ernannt worden. Die „Theoretiker", von welchen keiner dem Ausschusse beigezogen worden war, beteiligten sich durch handschriftlich überreichte oder gedruckte Gutachten an dem nationalen Werke; so Anschütz, Beseler (handschriftliche Mitteilungen), Berner, Binding, Geyer, Häberlin, Hälschner, Heime, H. Meyer (gedruckte Gutachten), Gefsler, Merkel, Seeger (Verhandlungen des 9. deutschen Juristentages). John hatte schon früher seinen lebhaften Anteil bekundet durch seinen Entwurf mit Motiven zu einem StGB, für den Norddeutschen Bund 1868. Nach 43 Sitzungen beendete der Ausschufs seine Beratung am 31. Dezember 1869 und überreichte am selben Tage den gedruckten Entwurf (Entwurf II) dem Bundeskanzler (ohne Begründung). Der Entwurf wurde nicht veröffentlicht, aber einzelnen Fachmännern zugeschickt. Heime, Votiert, v. Wächter schrieben Besprechungen des Entwurfs. 3. Der von dem Ausschusse festgestellte Entwurf wurde nunmehr vom Bundesrate in der Zeit vom 4. bis I I . Februar 1870 einer kurzen Beratung unterzogen, aus welcher er, trotz der von Sachsen und Mecklenburg geltend gemachten Bedenken, mit wenigen Abänderungen (so erhielt § 2 Einf.-Ges. seine jetzige Fassung) als Entwurf III hervorging. Am 14. Februar 1870 wurde der Entwurf dem Reichstage vorgelegt. Die 4 Anlagen des Entwurfes I und die von Friedberg und v. Schwarze teilweise umgearbeitete Begründung zu diesem waren beigelegt. Leonhardt und Friedberg wurden von Seiten der Regierungen mit der Vertretung des Entwurfs beauftragt. Die e r s t e „ L e s u n g " fand am 22. Februar statt. Der Antrag v. Schwarze, den Entwurf einem Ausschusse von 21 Mitgliedern zu überweisen, wurde verworfen und auf Antrag des Abgeordneten Albrecht beschlossen, den ersten (allgemeinen) Teil, sowie die Abschnitte I — 7

des zweiten Teils (hauptsäch4*

ij2



1

Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.

lieh die politischen Verbrechen) durch Plenarberatung zu erledigen und nur die übrigen Abschnitte 8 bis 29 des zweiten Teiles einer kommissionellen Vorberatung zu unterziehen. Am 28. Februar begann die z w e i t e zu Ende geführt wurde.

Lesung,

die am 8. April 1870

Hervorzuheben wäre die grofse Auseinandersetzung über die Todesstrafe, deren Beseitigung am I. März 1870 mit 118 gegen 81 Stimmen beschlossen wurde. Für den Beginn der 3. L e s u n g war der 21. Mai 1870 angesetzt worden. Da erklärte Justizminister Lionhardt im Auftrage der verbündeten Regierungen, dafs diese von der Zurücknahme mehrerer der in 2. Lesung gefafsten Beschlüsse das Zustandekommen des Gesetzes abhängig machten. In erster Linie handelte es sich um die Wiederherstellung der Todesstrafe. Der von Planck eingebrachte Zusatzantrag: „In denjenigen Bundesstaaten, in welchen die Todesstrafe gesetzlich bereits abgeschafft ist, bewendet es hierbei" — führte zunächst zu einer Vertagung der weiteren Beratung und dann (22. Mai) zu einem Beschlüsse des Bundesrates, welcher den Antrag Planck als die einheitliche Rechtsbildung in einem der wichtigsten Punkte beeinträchtigend für unannehmbar erklärte. Am 23. Mai wurden die Beratungen wiederaufgenommen. Planck zog seinen Antrag zurück; nach einer grofsen Rede des Bundeskanzlers wurde die Wiederherstellung der Todesstrafe (Antrag v. Luck) mit 127 gegen 119 Stimmen beschlossen. Das Gesetz selbst gelangte mit den vom Bundesrate gewünschten Abänderungen am 25. Mai zur Annahme, erhielt am selben Tage die Genehmigimg des Bundesrates, am 31. Mai 1870 mit dem Einführungsgesetze die Ausfertigung des Bundesoberhauptes und wurde in der am 8. Juni 1870 ausgegebenen Nr. 16 des BGBl, als StGB, für den Norddeutschen Bund veröffentlicht. Der Beginn seiner Wirksamkeit wurde auf den I. Januar 1871 festgesetzt (EG. § 1 ) . III. Durch die Gründung des Deutschen Reichs wurde die Umwandlung des n o r d d e u t s c h e n in das R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h notwendig gemacht. 1. Nach Art. 80 der zunächst 1870 vereinbarten Verfassung des 31. Mai 1870 nebst dem gleichzeitig am 1. Januar 1872; b) in H e s s e n gehört hatte) am I. Januar 1871 in

mit Baden und Hessen am 15. November Deutschen Bundes trat das StGB, vom erlassenen Einführungsgesetz a) in B a d e n (soweit es nicht zum Norddeutschen Bunde Kraft.

2. Nach dem mit W ü r t t e m b e r g am 25. November 1870 abgeschlossenen Vertrage begann die Wirksamkeit des StGB, daselbst mit dem 1. Januar 1872 (Art. 2 Nr. 6). 3. In B a y e r n erfolgte, entsprechend dem Vertrage vom 23. November 1870, die Einführung des StGB., mit Wirkung vom I. Januar 1872, durch das Gesetz vom 22. April 1871, betreffend die Einführung norddeutscher Bundesgesetze in Bayern,

§ II.

Die Entstehung und Weiterbildung des Reichsstrafgesetzbuchs.

tjj

Inzwischen hatte § 2 des Gesetzes vom 16. April 1871, die Verfassung des Deutschen Reiches betreffend, das StGB, zum R e i c h s g e s e t z e erklärt. Das Gesetz vom 15. Mai 1871, betreffend die Redaktion den Norddeutschen Bund als S t G B , für d a s D e u t s c h e R e i c h , Texte des StGB.s (nicht des Einführungsgesetzes) die durch die politischen Verhältnisse notwendig gewordenen Umgestaltungen

des StGB, für nahm in dem Änderung der vor.

4. In E l s a f s - L o t h r i n g e n wurde das StGB, (aber nicht das Einführungsgesetz vom 31. Mai 1870) durch das Gesetz vom 30. August 1871 (abgeändert durch das Gesetz vom 14. Juli 1873) mit Wirkung vom I. Oktober 1871 eingeführt. Demnach begann die Wirksamkeit des R S t G B . : 1. Am I. Januar 1871 in den Gebieten des früheren Norddeutschen Bundes und in Hessen südlich des Mains; 2. am I. Oktober 1871 in Elsafs-Lothringen; 3. am I. Januar 1872 in Württemberg, Baden, Bayern. 5. Mit dem I. April 1891 ist das RStGB. auf H e l g o l a n d in Kraft getreten (Vdg. vom 22. März 1891). IV. Schon durch das Gesetz vom 10. Dezember 1871 erhielt das RStGB. einen Zuwachs in dem als § 130 a eingefügten sogenannten Kanzelparagraphen. Es folgten die Gesetze vom 23. November 1874 und 6. Februar 1875, durch welche die §§ 287 und 337 StGB, beseitigt wurden. Viel tiefer greifend, wenn auch lange nicht d u r c h g r e i f e n d , war die durch das Gesetz vom 26. Februar 1876 geschaffene Umgestaltung des kaum ins Leben getretenen und doch schon vielfach als verbesserungsbedürftig bezeichneten Gesetzbuchs. Die wichtigsten Bestimmungen der am 25. November 1875 eingebrachten, nach eingehenden Beratungen (1. Lesung am 3. Dezember 1875; 2. Lesung vom 14. Dezember 1875 bis 29. Januar 1876; 3. Lesung 9. und 10. Februar 1876) mit vielen und wesentlichen Veränderungen angenommenen Vorlage betrafen folgende Punkte: I. Verschiedene Redaktionsversehen wurden verbessert. — 2. In einer Reihe von Fällen (§§ 176, 177, 240, 241, 296, 370 Nr. 4) wurde das Antragserfordernis beseitigt, in andern (§§ 263, 292) beschränkt, und im allgemeinen die Unwiderruflichkeit des Antrags als Regel aufgestellt (§ 64). — 3. Die Mindestmafse der Strafe wurden erhöht in den §§ 113, 114, 1 1 7 ; der Umfang der Verantwortlichkeit erweitert in § 4 Nr. I.' — 4. Neu eingefügt wurden § 49 a („Duchesne-Paragraph"), § 103 a, § 223 a, § 296a, § 353a („Arnim-Paragraph"), § 366, § 361 Nr. 9 ; § 130a 2. Abs. — In der durch diese Änderungen gegebenen neuen Fassung wurde das ganze StGB, unter dem 26. Februar 1876 abermals im R G B l , veröffentlicht. V . Spätere Abänderungen des Gesetzes betrafen: 1. Die Ersetzung der §§ 281—283 StGB, durch das 3. Buch der Konkursordg. vom 10. Februar 1877. 2. Die Einfügungen der §§ 302 a—302 d durch das sog. Wuchergesetz vom 24. Mai 1880. 3. Die Anfügung eines zweiten Absatzes an den § 184 durch Art. IV des

§ 12.

54

Die übrigen Reichsstrafgesetze.

Gesetzes betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen vom 5. April 1888. 4. Die Umgestaltung und Ergänzung der §§ 276, 317, 318, 360 Nr. 4, 364, 367 Nr. 5 durch das Gesetz vom 13. Mai 1891. 5. Abänderung des § 69 durch das Gesetz vom 26. März 1893. 6. Abänderung und Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher {§§ 303äff.) durch Gesetz vom 19. Juni 1893. 7. Abänderung der §§ 89 und 90 StGB, durch das Gesetz vom 3. Juli I893. 8. Mehrfache 18. August 1896.

§ 12.

Abänderungen

bringt

Art.

34 EG.

zum BGB.

vom

Die übrigen Reichsstrafgesetze.

Iiitteratur. Hellweg und Arndt Die deutsche und preufsische Strafgesetzgebung 1883. Ergänzungsheft 1883 bis 1885. 1886. Brauchbar auch Borchert Kodex des deutsch-preufs. Strafrechts und Strafprozesses 1882. Nachtrag 1887. Werner Sammlung kleinerer strafrechtlicher Reichsgesetze 1890. Olshausen Die Reichs-Straf-Nebengesetze 1893. Stenglein (mit Appelius und Kleinfeller) Die strafrechtlichen Nebengesetze des Deutschen Reichs 1893. 2. Aufl. (von Stenglein allein) 1895. (Kommentar.) Wichtig die kritischen Jahresberichte von H. Seuffert Z 14- 532, 15 807, 16 547. Die Strafrechtssätze, deren Inbegriff unser Reichsstrafrecht ausmacht, sind durch die Vorschriften des RStGB. nicht erschöpft. Auch zahlreiche andere Reichsgesetze (vom Standpunkte des Kriminalisten aus wohl auch unpassend „Nebengesetze" genannt) enthalten wichtige, in keinem Systeme des Strafrechts zu übergehende, strafrechtliche Bestimmungen. Diese Gesetze folgen hier in zeitlicher Ordnung. 1867.

I. tober 2. tober

1868.

3. Gesetz betr. die Besteuerung des Branntweins usw. vom 8. Juli 1868.

1869.

4. Gesetz betr. die Einführung von Telegraphenfreimarken vom 16. Mai 1869. 5. Gesetz betr. die Wechselstempelsteuer vom 10. Juni 1869, abgeändert durch Gesetz vom 4. Juni 1879. 6. Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 mit zahlreichen Abänderungsgesetzen, zuletzt Gesetz vom 26. Juli 1897 (neue Fassung durch Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 1. Juli 1883). Vgl. Nr. 108. 7. Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869. 8. Gesetz betr. die Sicherung der Zollvereinsgrenze in den vom Zollgebiete ausgeschlossenen hamburgschen Gebietsteilen vom I. Juli 1869 (für Bremen entsprechendes Gesetz vom 28. Juli 1879).

Gesetz betr. die Erhebung einer Abgabe von Salz vom 12. Ok1867. Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 25. Ok1867.

§ 12.

Die übrigen Reichsstrafgesetze.

55

9. Gesetz betr. das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken vom I I . Juni 1870. 1871. IO. Reichsverfassung vom 16. April 1871. 11. Gesetz betr. die Inhaberpapiere mit Prämien vom 8. Juni 1871. 12. Gesetz über das Postwesen vom 28. Oktober 1871. 13. Gesetz betr. die Beschränkung des Grundeigentums in der Umgebung von Festungen vom 21. Dezember 1871. 1872. 14. Gesetz wegen Erhebung der Brausteuer vom 31. Mai 1872; nur für einen Teil des Bundesgebietes geltend. 15. Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872. 16. Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. 17. Gesetz betr. die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute vom 27. Dezember 1872. 1873. 18. Gesetz über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873. 19. Gesetz betr. die Registrierung und Bezeichnung der Kauffahrteischiffe vom 28. Juni 1873. 20. Münzgesetz vom 9. Juli 1873. 1874. 21. Impfgesetz vom 8. April 1874. 22. Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874. 23. Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874. 24. Strandungsordnung vom 17. Mai 1874; am 20. Juli 1895 in Helgoland eingeführt. 1875. 25. Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliefsung vom 6. Februar 1875. 26. Bankgesetz vom 14. März 1875. 1870.

27. Gesetz betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste vom 9. Januar 1876. 28. Gesetz betr. den Schutz der Photographieen gegen unbefugte Nachbildung vom 10. Januar 1876. 29. Gesetz betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen vom II. Januar 1876. 30. Gesetz betr. die Beseitigung von Ansteckungsstoffen bei Viehbeförderung auf Eisenbahnen vom 25. Februar 1876. 31. Verordnung über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstofs vom 15. August 1876. 32. Gesetz betr. die Schonzeit für den Fang von Robben vom 4. Dezember 1876. 1877. 33. Reichskonkursordnung vom 10. Februar 1877.

1876.

1878.

34. Gesetz betr. Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote vom 21. Mai 1878. 35. Gesetz betr. den Spielkartenstempel vom 3. Juli 1878.

1879.

36. Gesetz betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 14. Mai 1879. 37. Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879. 38. Gesetz betr. die Besteuerung des Tabaks vom 16. Juli 1879.

56

§12.

Die übrigen Reichsstrafgesetze.

39. Gesetz betr. die Steuerfreiheit des Branntweins zu gewerblichen Zwecken vom 19. Juli 1879. 1880.

40. Gesetz betr. die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs vom 25. März 1880. (Dazu Verordnung vom 28. Juli 1880.) 41. Gesetz betr. den Wucher vom 24. Mai 1880. Vgl. unten Nr. 87. 42. Gesetz betr. die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen vom 23. Juni 1880 (abgeändert I. Mai 1894).

1881.

43. Gesetz betr. die Küstenfrachtfahrt vom 22. Mai 1881. 44. Gesetz betr. die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäfse vom 20. Juli 1881.

1882.

45. Gesetz betr. Abänderung des Zolltarifs vom 15. Juli 1879. 23. Juni 1882.

1883.

46. Gesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883; neue Fassung vom 10. April 1892. 47. Gesetz betr. die Reichskriegshäfen vom 19. Juni 1883.

Vom

48. Gesetz betr. die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheit vom 3. Juli 1883. 1884.

49. Gesetz betr. die Stimmzettel für öffentliche Wahlen vom 12. März 1884. 50. Internationaler Vertrag betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee aufserhalb der Küstengewässer vom 6. Mai 1882 (ratif. am 15. März 1884). 51. Gesetz zur Ausführung der internationalen Konvention vom 6. Mai 1882 betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee vom 30. April 1884. 52. Gesetz betr. die Anfertigung und Verzollung von Zündhölzern vom 13. Mai 1884. 53. Gesetz betr. die Abänderung des Gesetzes über die eingeschriebenen .Hilfskassen (7. April 1876) vom I. Juni 1884. 54. Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9. Juni 1884. 55. Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. 56. Gesetz über den Feingehalt der Gold- und Silberwaren vom 16. Juli 1884.

1885.

57. Gesetz betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung vom 26. Mai 1885. 58. Verordnung betr. die Übertragung landesherrlicher Befugnisse auf den Statthalter in Elsafs-Lothringen vom 28. September 1885, erneuert 5. November 1894. 59. Vertrag mit Belgien betr. die Bestrafung der auf den beiderseitigen Gebieten begangenen Forst-, Feld-, Fischerei- und Jagdfrevel vom 29. April 1885.

1886.

60. Gesetz betr. die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete

§ 12.

Die übrigen Reichsstrafgesetze.

57

vom 1 7 . April 1886, abgeändert durch Gesetz vom 15. März 1888 (neue Fassung vom 19. März 1888). 1887.

6 1 . Gesetz betr. die Besteuerung des Branntweins vom 24. Juni 1 8 8 7 ; abgeändert durch Gesetz vom 8. J u n i 1 8 9 1 und 16. Juni 1895. 62. Gesetz betr. den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen vom 25. Juni 1887. 63. Gesetz betr. die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genufsmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 5. Juli 1887. 64. Gesetz zur Ausführung des internationalen Vertrages zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel (vom 14. März 1884) vom 2 1 . November 1887.

1888.

65. Gesetz betr. den Schutz von Vögeln vom 22. März 1888. 66. Gesetz über die Auslegung des Art. 2 des Gesetzes vom 30. August 1 8 7 1 betr. die Einführung des StGB, für das Deutsche Reich in ElsafsLothringen vom 29. März 1888. 67. Gesetz betr. die unter Ausschlufs der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen vom 5. April 1888. 68. Bekanntmachung betr. die Schiffsvermessungsordnung vom 20. Juni 1888, abgeändert I. März 1895.

1889.

69. Gesetz betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom I. Mai 1889. Vgl. Nr. 102. 70. Gesetz betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889. 7 1 . Verordnung betr. das Bergwesen im südwestafrikanischen Schutzgebiet vom 15. August 1889.

1891.

72. Verordnung betr. die Einführung von Reichsgesetzen in Helgoland vom 22. März 1 8 9 1 . 73. Patentgesetz vom 7- April 1891 (an Stelle des Gesetzes vom 25. Mai 1877 getreten). 74. Gesetz betr. die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs vom 1 3 . Mai 1 8 9 1 . 75. Gesetz betr. die Prüfung des Verschlusses von Handfeuerwaffen vom 19. Mai 1 8 9 1 . ,76. Gesetz betr. die Besteuerung des Zuckers vom 3 1 . Mai 1 8 9 1 . 77. Gesetz betr. Abänderung der Gewerbeordnung vom I. Juni 1 8 9 1 . 78. Gesetz betr. den Schutz von Gebrauchsmustern vom I. Juni 1 8 9 1 .

1892.

79. Gesetz über das Telegraphenwesen 6. April 1892.

des Deutschen Reichs

vom

80. Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892. 8 1 . Gesetz betr. den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken vom 20. April 1892. 82. Bekanntmachung betr. die Betriebsordnung für die Haupteisen-

58

§ 12.

Die übrigen Reichsstrafgesetze.

bahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892. — Bekanntmachung betr. die Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892. 83. Bekanntmachung betr. die Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands vom 15. November 1892. 1893.

1894.

84. Gesetz betr. die Abänderung des § 69 StGB, vom 30. März 1893. 85. Gesetz betr. Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher vom 19. Juni 1893 (s. oben Nr. 41). 86. Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juli 189387. Gesetz betr. die Ausführung des internationalen Vertrages vom 16. November 1887 ^ ^ Unterdrückung des Branntweinhandels unter den 14. rebruar 1893 Nordseefischern auf hoher See vom 4. März 1894. 88. Gesetz betr. die Änderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des Strafgesetzbuchs vom 12. März 1894. 89. Reichsstempelgesetz vom 27. April 1894. 90. Gesetz zum Schutze der Warenbezeichnungen vom 12. Mai 1894. 91. Gesetz betr. die Abzahlungsgeschäfte vom 16. Mai 1894. 92. Gesetz betr. den Schutz der Brieftauben und den Brieftaubenverkehr im Kriege vom 28. Mai 1894.

1895.

93. Gesetz betr. die Ausführung des mit Österreich - Ungarn abgeschlossenen Zollkartells vom 9. Juni 1895. 94. Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt vom 15. Juni 1895. 95. Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Flöfserei vom 15. Juni 1895. 96. Gesetz betr. der Bestrafung des Sklavenraubes und des Sklavenhandels vom 28. Juli 1895.

1896.

97. Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896. 98. Börsengesetz vom 22. Juni 1896. 99. Gesetz betr. die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere vom 5. Juli 1896. 100. Verordnung betr. die Einführung der deutschen Militär-Strafgesetze in den afrikanischen Schutzgebieten vom 26. Juli 1896. 101. Gesetz betr. die Abänderung der Gewerbeordnung vom 6. August J896. Vgl. Nr. 108. 102. Gesetz betr. die Abänderung des Gesetzes über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom I. Mai 1889, sowie den Geschäftsbetrieb von Konsumanstalten vom 12. August 1896.

1897.

103. Verordnung zur Verhütung des Zusammenstofses von Schiffen auf See vom 9. Mai 1897. 104. Verordnung betr. die Lichter- und Signalführung der Fischerfahrzeuge und der Lootsendampferfahrzeuge vom 10. Mai 1897. 105. Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897.

§ 13-

Das Strafrecht als Iateressenschutz.

59

106. Gesetz über das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1897. 107. Gesetz betr. den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln vom 15. Juni 1897. 108. Gesetz betr. Abänderung 1897. Vgl. Nr. 6 und 101.

der Gewerbeordnung

vom 26. Juli

Aufserdem enthalten die internationalen Verträge des Deutschen Reichs (über Rechtshilfe, Auslieferung, Schutz der Urheberrechte, die Freundschafts-, Schiffahrts- und Handelsverträge) manche wichtige strafrechtliche Bestimmungen. Es ist endlich darauf hinzuweisen, dafs auch das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 18. August 1896 vielfach mittelbar in das Gebiet des Strafrechts eingegriffen hat.

II.

Grundzüge der Kriminalpolitik.

§ 13. Das Strafrecht als Interessenschutz. I i i t t e r a t u r (insbesondere auch über den Begriff des R e c h t s g u t e s ) : Ahrens Naturrecht 1 338. v. Ihering Der Zweck im Recht 1877 fr. Binding Die Normen und ihre Übertretung I 1872, 2 1879 (insb. 1. 2. Aufl. 1890 S. 328, 338). Binding Handbuch 1 1885. Thon Rechtsnorm und subjektives Recht 1878. Kohler Deutsches Patentrecht 1878 (bes. S. 500). v. Liszt Z 3 I, 6 673, 8 134. E. Benedikt Z 7 481. Merkel 20; Derselbe Juristische Encyklopädie 1885. Gareis Encyklopädie und Methodologie der Rechtswissenschaft 1887. Finger GS. 4 0 39. Bünger Z 8 666. Seuffert Gutachten für den 21. deutschen Juristentag. Verhandlungen 1 227. Oppenheim Die Objekte des Verbrechens 1894. Ötker Z 17 493. — Über die sog. S t r a f r e c h t s t h e o r i e e n vgl. § 16. I. Alles Recht ist um der Menschen willen da. Es bezweckt den S c h u t z m e n s c h l i c h e r L e b e n s in t e r e s s en. Interessenschutz ist das Wesen des Rechts; der Zweckgedanke die das Recht erzeugende Kraft. I. Die durch das Recht geschützten Interessen nennen wir Rechtsgüter. R e c h t s g u t ist also das r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e Interesse. Alle Rechtsgüter sind L e b e n s i n t e r e s s e n , Interessen des einzelnen oder der Gemeinschaft. Nicht die Rechtsordnung erzeugt das Interesse, sondern das Leben; aber der Rechtsschutz erhebt das Lebensinteresse zum Rechtsgut. Persönliche Freiheit, Hausrecht, Briefgeheimnis waren, wie die Urheber- und Erfinderrechte, Lebensinteressen, lang' ehe sie durch die Verfassungsurkunden gegen willkürliche Eingriffe der Staatsgewalt oder durch die Strafgesetze gegen Verletzung von Seiten einzelner sichergestellt wurden. Das Bedürfnis erzeugt den Schutz, und mit den wechselnden Interessen wechselt Zahl und Art der Rechtsgüter. 1 ) Rechtsgut ist nicht ein Gut d e s

Rechts

oder der

Rechtsordnung

6o

§ 13.

Das Strafrecht als Interessenschutz.

Die Lebensinteressen aber entstehen durch die L e b e n s b e z i e h u n g e n der einzelnen untereinander, wie der einzelnen zu Staat und Gesellschaft und umgekehrt. Wo Leben ist, da ist Kraft, die nach freier Bethätigung, nach ungehemmter Entfaltung und Gestaltung ringt. In unzählbaren Punkten berühren und durchschneiden sich die Willenskreise, greifen die Machtgebiete ineinander über. Diesen Lebensbeziehungen entspringt das Interesse, welches der eine an dem für seine Bethätigung wichtigen Handeln und Nichthandeln des andern hat. Der Mieter will die ihm vermietete Wohnung beziehen, der Gläubiger das Darlehn vom Schuldner zurückerhalten; was ich durch meine Arbeit mir gewonnen, soll niemand mir nehmen oder beschädigen, meinen guten Namen keiner antasten; der Staat verlangt Steuern und Heerdienst, der Bürger freie Meinungsäufserung in Wort und Schrift. Damit nicht der Krieg aller gegen alle entbrenne, bedarf es einer Friedensordnung, einer Abgrenzung der Machtkreise, des Schutzes dieser und der Zurückweisung jener Interessen. 2. Diese Aufgabe übernimmt der über den einzelnen stehende allgemeine Wille, er löst sie in der R e c h t s o r d n u n g : in der Scheidung der berechtigten von den unberechtigten Interessen. Die Rechtsordnung grenzt die Machtgebiete voneinander ab; sie bestimmt, wieweit der Wille sich frei bethätigen, wieweit er insbesondere fordernd oder versagend in die Willenskreise anderer Rechtssubjekte übergreifen darf; sie gewährleistet die Freiheit, das Wollen-Dürfen und verbietet die Willkür; sie erhebt die Lebensbeziehungen zu Rechtsbeziehungen, die Lebensinteressen zu Rechtsgütern; sie schafft, Rechte und Pflichten an bestimmte Voraussetzungen knüpfend, aus dem Lebensverhältnis das Rechtsverhältnis. Gebietend und verbietend, ein bestimmtes Handeln oder Nicht-Handeln unter bestimmten Voraussetzungen vorzeichnend, sind die N o r m e n der Rechtsordnung der Schutzwall der Rechtsgüter. Der Rechtsschutz, den die Rechtsordnung den Lebensinteressen gewährt, ist N o r m e n s c h u t z . „Rechtsgut" und „Norm" sind die beiden Grundbegriffe des Rechts. 2 ) (dagegen Binding, Rosin W V 2 275, Ötker 508), sondern ein durch das Recht anerkanntes und geschütztes Gut d e r M e n s c h e n . — Der Begriff des Rechtsgutes ist nach meiner Ansicht weiter als der des subjektiven Rechts. — Gegen die Gleichstellung von „Gut" und „Interesse" neuerdings wieder Oppenheim 27. Der Streit ist rein terminologisch und völlig unfruchtbar. So auch Merkel XO, Meyer 22 Note 6, Sloo/s Schweizer Zeitschrift 7 350. — Völlig abweichend Ötker 495: Rechtsgüter sind die vom Recht angestrebten Zustände. 2 ) Mein Ausgangspunkt in Beziehung auf die allgemeine Rechtslehre ist mithin derselbe wie derjenige Bindings. Aber sofort trennen sich unsere Wege. Binding hat sowohl in seinen „Normen" als auch in seinem Handbuche 1 155, ohne dem Rechtsgute, dessen Schutz 7.11 d i e n e n die Norm berufen ist, weitere Beachtung zu schenken, in durchaus einseitiger und willkürlicher Weise den Begriff der Norm zum Angelpunkte des ganzen strafrechtlichen Systems gemacht. Vgl. darüber v. Liszt Z 6 663, 8 134. Auf die von Binding aus seiner Grundauffassung gezogenen Folgerungen werde ich wiederholt zurückzukommen Gelegenheit haben. An dieser Stelle sei der Kern der „Normentheorie" kurz angedeutet: Der Verbrecher übertritt nicht das Strafgesetz, sondern die Norm, jene Gebote oder Verbote, welche den Thatbeständen der Strafgesetze zu Grunde liegen. Die N o r m e n sind selbständige,

§ 13.

Das Strafrecht als Interessenschutz.

ßj

II. Aber das Recht ist nicht blofs eine F r i e d e n s o r d n u n g , sondern zugleich auch, u. z. seinem innersten Wesen nach, eine K a m p f o r d n u n g . Um seinen Zweck zu erfüllen, bedarf es der Kraft, welche den widerstrebenden Einzelwillen niederbeugt. Hinter der Friedensordnung der Lebensbeziehungen steht die Staatsgewalt. Sie ist stark genug, ihren Normen Gehorsam zu erzwingen, der logischen Verknüpfung von Thatbestand und Rechtsfolge, wo es not thut, thatsächliche Herrschaft zu verschaffen. So tritt ein neues Moment in den Begriff des Rechts: der Z w a n g . In drei Hauptformen erscheint er uns: I. Als Erzwingung der Erfüllung (Zwangsvollstreckung); 2. als Wiederherstellung der gestörten Ordnung oder Entschädigung in Geld; 3. als Bestrafung des Ungehorsamen. In welchen Fällen diese einschneidendste und doch nur mittelbare Bewährung der Rechtsordnung, die Bestrafung des Übertreters staatlicher Normen, eintritt, wird spätere Untersuchung lehren. Hier handelt es sich darum, die Stellung der Strafe im Rechtssystem und damit die eigenartige Bedeutung des Strafrechts festzustellen.®) III. Ist die Aufgabe des Rechts überhaupt der Schutz menschlicher Lebensinteressen, so ist die eigenartige Aufgabe des Strafrechts d e r v e r stärkte Schutz besonders schutzwürdiger und besonders s c h u t z b e d ü r f t i g e r I n t e r e s s e n d u r c h A n d r o h u n g und V o l l z u g d e r S t r a f e als e i n e s den V e r b r e c h e r t r e f f e n d e n Übels. W a r n e n d und a b s c h r e c k e n d tritt die S t r a f d r o h u n g zu den Geboten und Verboten der Rechtsordnung hinzu. Dem rechtlich gesinnten Bürger zeigt sie in eindringlichster Form, welchen Wert der Staat seinem Bedem ungesetzten Recht angehörende Rcchtssätze; niemals Sätze des Strafrechts, sondern Sätze des öffentlichen Rechts. „Die Norm ist ein reiner, unmotivierter, insbesondere nicht durch Strafandrohung motivierter Befehl" (Binding 1 164). S t r a f g e s e t z dagegen ist „jeder Rechtssatz, wonach aus bestimmtem Delikt ein Strafrecht oder eine Strafpflicht entsteht oder nicht entsteht" (1 175). Die N o r m e n sind primär verpflichtende Rechtssätze (t 183). Der Pflicht zum Gehorsam steht gegenüber das Recht auf Befolgung der Norm, auf Botmäfsigkeit. Das S t r a f g e s e t z dagegen (1 191) ist kein Befehl, sondern ein berechtigender Satz und zwar Festsetzung und Normierung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Strafberechtigten und dem Verbrecher. A u f der Unterscheidung von Norm und Strafgesetz ruht die Unterscheidung von Delikt und Verbrechen. D e l i k t ist die schuldhafte Normübertretung, V e r b r e c h e n der Thatbestand, an welchen die Strafe geknüpft ist. Mit dieser (dem geltenden Rechte gegenüber zweifellos unhaltbaren) Unterscheidung ist für Dindings Normentheorie die Grundlage für eine Reihe weiterer, hier noch nicht interessierender, Folgerungen gewonnen. — Der Grundfehler der Normentheorie liegt in der rein formalen Auffassung des Delikts als einer Verletzung der Gehorsamspflicht (Normen I § 45), wobei die Richtung des Verbrechens gegen die Lebensbedingungen der rechtlich geordneten Menschengemeinschaft völlig in den Hintergrund tritt. — Unter den Anhängern der Bindingschen Normentheorie sind insbesondere Beling, Bierling, Finger, Janka, Oppenheim., Ötier, v. Rohland, Rosin, Thon zu nennen. 3 ) An dieser Stelle soll die eigene Ansicht des Verfassers im Zusammenhange vorgetragen werden. Den Streit der sogenannten Strafrechtstheorieen behandelt § 16.

62

§ 13-

Das Strafrecht als Interessenschutz.

fehle beigelegt; weniger feinfühligen Naturen stellt sie als Folge ihres rechtswidrigen Verhaltens ein Übel in Aussicht, dessen Vorstellung als Gegengewicht den verbrecherischen Hang niederhalten soll (Generalprävention). Aber die ganze ihr eigentümliche K r a f t entfaltet die Strafe im S t r a f v o l l z u g e , in der Bewährung des Willens der Rechtsordnung durch den S t r a f z w a n g . Hier scheut der Staat nicht zurück vor den schwersten thatsächlichsten Eingriffen in Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen der Rechtsgenossen, vor tief einschneidender, nicht nur nach Tagen, Wochen und Monaten, sondern wenn es sein mufs nach Jahren und Jahrzehnten zählender Mafsregelung des Verbrechers. Vielgestaltig und gerade in ihrer Fähigkeit sich zu verbinden oder sich zu vertreten überaus wertvoll sind die W i r k u n g e n des Strafvollzuges. E r wirkt: 1 . A u f d i e G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen, indem er einerseits durch seine a b s c h r e c k e n d e Kraft die verbrecherischen Neigungen im Zaume hält und anderseits durch die B e w ä h r u n g d e r R e c h t s o r d n u n g die rechtliche Gesinnung der Staatsbürger stärkt und sichert (Generalprävention); 2. ebenso auf den V e r l e t z t e n , dem er überdies die G e n u g t h u u n g gewährt, dafs der gegen ihn gerichtete rechtswidrige Übergriff nicht ungeahndet bleibt; 3. ganz besonders auf den V e r b r e c h e r selbst (Spezialprävention). J e nach Inhalt und Umfang des Strafübels kann das Schwergewicht der Wirkung, welche durch den Strafvollzug auf den Verbrecher ausgeübt wird, verschieden sein. a. Die Aufgabe der Strafe kann dahin gehen, den Verbrecher wieder zu einem brauchbaren Gliede der Gesellschaft zu machen (künstliche Anpassung, Adaption). J e nachdem es sich dabei in erster Linie um die Kräftigung der erschütterten Hemmungsvorstellungen oder um die umgestaltende Einwirkung auf den Charakter des Thäters handelt, kann man A b s c h r e c k u n g oder B e s s e r u n g als die angestrebte Wirkung der Strafe unterscheiden. b. Die Aufgabe der Strafe kann dahin gehen, dem für die Gesellschaft unbrauchbar gewordenen Verbrecher die physische Möglichkeit zur Begehung weiterer Verbrechen auf immer oder auf Zeit zu entziehen, ihn aus der Gesellschaft auszuscheiden (künstliche Selektion). Man spricht hier von der U n s c h ä d l i c h m a c h u n g des Verbrechers. J e nachdem im gegebenen Falle die eine oder die andre Wirkung der Strafe zum Zweck gesetzt wird, gestaltet sich demnach der Vollzug der Strafe in verschiedener Weise. Insbesondere wird es die beabsichtigte Wirkung auf den V e r b r e c h e r (die S p e z i a l p r ä v e n t i o n ) s e i n , welche Inhalt und Umfang der Strafe bestimmt. Die Forderung der Kriminalpolitik geht dahin, die Eignung der Strafe als Mittel zum Zweck möglichst vollständig auszunutzen und sie nach den Bedürfnissen des E i n z e l f a l l e s zu gestalten. A b e r die a l l g e m e i n e Anlage der Strafgesetzgebung wird auch die über den Verbrecher hinausgreifenden Wirkungen der Strafdrohung wie des Strafvollzuges (die G e n e r a l Prävention) nicht aus den Augen verlieren dürfen. IV. Die R e c h t f e r t i g u n g (der Rechtsgrund) der Strafe Hegt mithin in

§ 14-

Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.

63

ihrer N o t w e n d i g k e i t und Z w e c k m ä f s i g k e i t für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung und damit des Staates. Die Strafe ist g e r e c h t , wenn und soweit sie notwendig und zweckmäfsig ist. Diese Auffassung der Strafe ist mit der Annahme einer dem Kausalgesetze entrückten Willensfreiheit durchaus vereinbar, aber von der Richtigkeit dieser Annahme völlig unabhängig. Sie setzt nicht mehr voraus, als dafs der von der Strafe Betroffene das in ihr gelegene Übel wie alle andern Menschen e m p f i n d e n und dafs er, wie alle andern, sich die V o r s t e l l u n g e n aneignen kann, welche durch Androhung und Vollzug der Strafe gegeben werden sollen. Voraussetzung der strafrechtlichen Schuld, als der thatsächlich eintretenden Verantwortlichkeit für den Erfolg, ist lediglich die j e d e m g e i s t i g r e i f e n und g e i s t i g g e s u n d e n M e n s c h e n eigene B e s t i m m b a r k e i t des W i l l e n s d u r c h V o r s t e l l u n g e n ü b e r h a u p t , d u r c h d i e unser gesamtes Verhalten regelnden a l l g e m e i n e n V o r s t e l l u n g e n d e r R e l i g i o n , der S i t t l i c h k e i t , d e s R e c h t s , d e r K l u g h e i t i n s besondere. V. In allen seinen Formen aber, trotz seiner Eigenart, ist das Strafrecht R e c h t , das heifst Interessenschutz. Nicht die Art der geschützten Interessen, die den verschiedensten Rechtsgebieten angehören können, sondern die Eigenart des Schutzes macht das Wesen des Strafrechts aus. Vermögensund Familienrechte, Leben und Staatsgebiet, die Stellung des Staatsoberhauptes wie die politischen Rechte des Bürgers, die Interessen der Staatsverwaltung und die der Aktiengesellschaften, die Geschlechtsehre des Weibes und die Sicherheit des Verkehrs — alle Interessen ohne Ausnahme können des verstärkten Schutzes teilhaftig werden, welchen die Strafe verleiht. Zu allen Rechtsgebieten tritt das Strafrecht ergänzend und sichernd hinzu ( „ s e k u n d ä r e " , „ k o m p l e m e n t ä r e " , , , s a n k t i o n a t ä r e " Natur der Strafrechtssätze).

§ 14.

Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.

I. Die zielbewufste Verwertung der Strafe als einer Waffe der Rechtsordnung in ihrem Kampfe gegen das Verbrechen ist unmöglich ohne die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens in seiner thatsächlichen, äufseren E r s c h e i n u n g und in seinen inneren, aus den Thatsachen zu erschliefsenden Ursachen. Für diese (kausale, naturwissenschaftliche) „Lehre vom Verbrechen'' kann der in der romanischen wie in der englischen Wissenschaft bereits eingebürgerte Ausdruck Kriminologie verwertet werden.') ') Es ist der Fehler der älteren, dem 18. Jahrhundert angehörenden Richtung der Kriminalpolitik (vgl. oben S. 30), dafs ihrem stolzen Gebäude der feste Unterbau mangelt. Dieser wurde aber erst möglich mit der naturwissenschaftlichen Erkenntnis des Menschen (Anthropologie im weitesten Sinne) einerseits, einer sicheren Methode (Statistik) für die Gesellschaftswissenschaft anderseits. Jene ältere, rationalistische Richtung der Kriminalpolitik findet ihren Abschlufs in den Arbeiten von J. Bentham -¡- 1832. Seine Lehre ist

64

§ 14-

Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.

Man könnte versucht sein, innerhalb der Kriminologie als der Lehre vom Verbrechen weiter zu unterscheiden die K r i m i n a l - B i o l o g i e (oder - A n t h r o p o l o g i e ) und die K r i m i n a l - S o z i o l o g i e . Die e r s t e r e hätte das Verbrechen als Ereignis im Leben des E i n z e l m e n s c h e n zu schildern, den Hang zum Verbrechen (penchant au crime) in seiner individuellen Gestaltung und seinen individuellen Bedingungen zu untersuchen. Als Zweige der Kriminal-Biologie oder Kriminal-Anthropologie würden sich dabei die Kriminal-Somatologie (Anatomie und Physiologie) und die Kriminal-Psychologie ergeben. Aufgabe der I C r i m i n a l - S o z i o l o g i e dagegen wäre es, das Verbrechen zu schildern als Ereignis des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Lebens, es zu untersuchen in seiner sozialen Gestaltung, sowie in seiner sozialen Bedingtheit. Aber diese Unterscheidung ist nur unter einer doppelten Voraussetzung zulässig. I. Man mufs sich darüber klar bleiben, dafs der G e g e n s t a n d der Untersuchung einundderselbe und nur die M e t h o d e eine verschiedene ist: dort die systematische E i n z e l beobachtung, hier die systematische M a s s e n beobachtung (die Statistik). Denn das Verbrechen als s o z i a 1 - pathologische Erscheinung setzt sich zusammen aus einer Anzahl von e i n z e l n e n Verbrechen; und j e d e s von diesen ist nur ein Teil einer g e s e l l s c h a f t l i c h e n Erscheinung. 2. Man darf nicht vergessen, dafs nur d i e V e r b i n d u n g beider Methoden, sodafs die Ergebnisse der einen durch die der andern gegenseitig geprüft und ergänzt werden, zu richtiger Erkenntnis des Verbrechens führen kann. 2 ) von seinem Freund und Schüler, dem Genfer Etienne Dumont, in ein System gebracht und dieses ist von Beneie ins Deutsche übersetzt, worden. Grundsätze der Zivil- und Strafgesetzgebung aus den Handschriften J. B.s. 2 Bde. 1830. Gesamtausgabe von Bowring II Bde. 1843. Seither ist sie, wenn auch stets von einzelnen weitergepflegt (so von Berengar und Bonneville de Marsangy in Frankreich, von Örsted in Dänemark, von Mittermaier und v. Holtzendorff in Deutschland), ebensosehr durch die Träumereien der philosophischen, wie durch die Selbstgenügsamkeit der geschichtlichen Rechtsschule in den Hintergrund gedrängt worden. 2 ) Aus der Nichtberücksichtigung der im Text gemachten Erwägungen erklärt sich die Spaltung der Kriminologie in zwei einander geradezu feindlich gegenüberstehende Richtungen, die anthropologische einerseits, die soziologische anderseits. — Aus der reichen Litteratur können hier nur einzelne bahnweisende Schriften hervorgehoben werden. 1. Die systematische Einzelbeobachtung beginnt mit der p s y c h o l o g i s c h e n Schilderung einzelner merkwürdiger Verbrechen. Hierher gehört der sog. alte Pitaval, 1734/43 Paris von Gayot de Pitaval (f 1743) herausgegeben, vielfach nachgeahmt; kürzlich (1885) von H. Blum in einem Auszuge bearbeitet. Unter den zahlreichen Arbeiten aus den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ist Feuerbachs Aktenmäfsige Darstellung merkwürdiger Verbrechen 1828 f. auch heute noch in vielen Beziehungen mustergültig. Vgl. auch Despine Psychologie naturelle 3 Bde. 1868. Kraus Die Psychologie des Verbrechens 1884. v. Liszt Z 16 477, Nücke Z 17 85. Auch die Arbeiten über G e f ä n g n i s w e s e n (siehe unten) enthalten viel Einschlagendes. — Mit der Geschichte des b e r u f s m ä f s i g e n Verbrechertums beschäftigt sich das grofse Werk von Ave-Lallemant Das deutsche Gaunertum in seiner sozialpolitischen, litterarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestände 1858/62. Seine heutige Gestalt schildern u. a. X'alentini Das Verbrechertum im preufsischen Staate 1869.

§ .14.

D i e Ursachen und die Arten der Kriminalität.

XI. D i e Betrachtung lehrt, Zusammenwirken

zweier

dafs jedes Gruppen

65

einzelne Verbrechen durch das von

Bedingungen

entsteht,

Schräder Das Verbrechertum in Hamburg 1879. Starcke Verbrecher und Verbrechen in Preufsen 1874 bis 1878, 1884. ¿¿2 Die Verbrecherwelt von Berlin 1886 (SA. aus Z 4, 5, 6). Heim Die jüngsten und die ältesten Verbrecher nebst Lebensbeschreibung eines Zuchthaussträflings nach dessen eigenen Aufzeichnungen 1897. Byrnes Professional criminals of America (ohne Jahr, wohl 1 8 8 6 , mit vortrefflichen Abbildungen). Laurent Les habitués des prisons de Paris 1890. Guillot L e s prisons de Paris 1890 (über diese beiden Schriften vgl. Gautier Z 12 400). Macî Un j o l i monde s. a. Puibaraud Les malfaiteurs de profession s. a. (1893). Maxime du Camp L e clan du vol à Paris, ses catégories et ses refuges s. a. Sehr wertvoll die Verwaltungsberichte des Berliner Polizeipräsidiums (1871 bis 1880, 1881 bis 1890) 1882, 1892. Vom praktischen Standpunkte: Grofs Handbuch für Untersuchungsrichter 1893, 2. Aufl. 1894 (in viele Sprachen übersetzt). Ergänzt durch seine Kriminalpsychologie 1898. Derselbe Z 14 I. Wichtig und lehrreich die in verschiedenen Grofsstädten, neuerdings auch in Berlin, eingerichteten K r i m i n a l m u s e e n ( G r o f s Z 16 über das Grazer Museum). — D i e A n a t o m i e und P h y s i o l o g i e des Verbrechers wurde insbesondere von medizinischnaturwissenschaftlicher Seite eifrig gepflegt. Vgl. die Litt.-Angaben über P s y c h i a t r i e und g e r i c h t l i c h e M e d i z i n (unten § 18 VIII). Aus Untersuchungen über Verbrechergehirne und Mörderschädel (Schwekendieck, M. Benedikt u. a.) entwickelte sich in Italien die von dem Mediziner C. Lombroso begründete, von den Juristen E. Ferri und R. Garofalo geführte „kriminalanthropologische Schule". Hauptwerke dieser durch das Festhalten des anthropologischen Verbrechertypus scharf gekennzeichneten Richtung sind: Lombroso L'uomo delinquente 1. Aufl. 1876, 5. Aufl. 1 8 9 7 ; übersetzt ins Deutsche von Frankel 1887 ff. Ferri I nuovi orizzonti del diritto e della procedura penale 1 8 8 1 , in den späteren Auflagen unter dem T i t e l : Sociologia criminale; deutsche Übersetzung von Kurclla (nach der 4. Aufl.) unter dem T i t e l : Das Verbrechen als soziale Erscheinung 1896. Dazu Aschaffenburg Z 18 3 5 8 . Garofalo Criminologia 2. Aufl. 1 8 9 1 ; französische Bearbeitung in 2. Aufl. 1891. Lovibroso und Ferrero Das W e i b als Verbrecherin und Prostituierte. Deutsch von Kurella 1894. H. Ellis Verbrechen und Verbrecher. Deutsch von Kurella 1894. Ferri L'omicidio nell' antropologia criminale (Omicida nato e omicida pazzo). Con atlante antropologico-statistico. 1895. Ferriani Minderjährige Verbrecher (Versuch einer gerichtlichen Psychologie). Deutsch von Ruhemann 1896. Ferriani Entartete Mütter. Eine psychologisch-juridische Abhandlung. Deutsch von Ruhemann 1897. Lombroso Die Anarchisten. Eine psychologische und soziologische Studie. Deutsch von Kurella 1895. Sighele Die Psychologie des Auflaufs und der Massenverbrechen. Deutsch von Kurella 1897. Von deutschen Arbeiten zu nennen : Kurella Naturgeschichte des Verbrechers 1893. Bleuler D e r geborne Verbrecher. Eine kritische Studie 1896. (Beide einseitig im Sinne Lombrosos). Bär Der Verbrecher in anthropologischer Beziehung 1893. Nücke Verbrechen und Wahnsinn beim Weibe mit Ausblicken auf die Kriminalanthropologie überhaupt I 1894 ( B ä r und Näcke gegen Lombroso. Vgl. auch Näcke Z 14 337). Jäger Beiträge zur Lösung des Verbrecherproblems 1895 (gegen Kurelld). Koch Zur Frage nach dem gebornen Verbrecher 1894. Fetisch und Ho gel G S . 50 81, 51 321. Gegen Lombroso sehr scharf Vargha in dem zu § 16 angeführten W e r k e , Virchoiv auf dem Anthropologenkongrefs von 1 8 9 6 ; Sernoff Die Lehre Lombrosos und ihre anatomischen Grundlagen im Lichte moderner Forschung. Deutsch von Weinberg 1896. — Zeitschriften dieser Richtung: Archivio di psichiatria, antropologia criminale e scienze penali per servire allo studio dell' uomo alienato e delinquente, seit 1880 io von L i s z t , Strafrecht. 9. Aufl. 5

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§14-

Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.

der i n d i v i d u e l l e n E i g e n a r t des V e r b r e c h e r s e i n e r s e i t s , der diesen umgebenden äufseren , geseIischaftlichen, insbesondere wirtschaftlichen Verhältnisse anderseits. Je nach dem Verhältnisse der beiden Gruppen zu einander ändert sich Erscheinung und Bedeutung des Verbrechens. Zwei Hauptarten treten scharf erkennbar auseinander. l! D i e ä u f s e r e V e r a n l a s s u n g ü b e r w i e g t . In augenblicklicher, leidenschaftlicher E r r e g u n g oder unter dem Einflufs drückender N o t l a g e wird der bisher unbescholtene Thäter zu dem Verbrechen hingerissen, das, seiner dauernden Eigenart f r e m d , eine vereinzelt bleibende, bitter bereute Episode in seinem Leben bildet (das, nicht sehr glücklich, sogenannte G e l e g e n h e i t s - oder A u g e n b l i c k s verbrechen; „ a k u t e Kriminalität"). 2. B e i g e r i n g f ü g i g e m ä u f s e r e n A n l a f s erwächst das Verbrechen a u s d e r d a u e r n d e n E i g e n a r t , der tiefgewurzelten Anlage des Verbrechers, dessen eigenstes Wesen es uns enthüllt. Brutale Rohheit, fühllose Grausamkeit, beschränkter Fanatismus, gedankenloser Leichtsinn, unüberwindliche Arbeitsscheu, geschlechtliche Lasterhaftigkeit führen durch zahlreiche Zwischenstufen zu zweifellos psychopathischen Zuständen. Unmöglich ist es, diese Fälle unter dem Namen des G e w o h n h e i t s V e r b r e c h e n s zusammenzufassen. Richtiger spricht man von Z u s t a n d s verbrechen („Charakter- oder Tendenz verbrechen", „ c h r o n i s c h e Kriminalität"). Als eine besonders häufige und darum besonders gefahrliche Unterart erscheint das g e w e r b s m ä f s i g e (berufsmäfsige, professionelle) Verbrechen, das weit über den Kreis der VermögensTurin von Lombroso und seinen Freunden herausgegeben; Archives de l'anthropologie criminelle et des sciences pénales, seit 1886 in Lyon von Garraud und Lacassagne, seit 1892 von letzterem und von Tarde herausgegeben. Die 1897 gegründete deutsche Zeitschrift für Kriminalanthropologie usw. wird als „Vierteljahrschrift für Kriminalanthropologie und Kriminalistik" unter Leitung von H. Gro/s weiter erscheinen. Wichtig die Verhandlungen der internationalen kriminalanthropologischen Kongresse zu Rom 1885, Paris 1889, Brüssel 1892 {RosenfeldZM 161, Felisch GA. 41 333), Genf 1896 (Gardeil Mitteilungen 6, Näcke Z 17 390). — 2. Die Kriminalstatistik hat sich erst allmählich und noch immer nichf vollständig von der Justizstatistik losgelöst. Begründer der Belgier Quételet (•j- 1874); zunächst 1835 in seinem Buche Sur l'homme et le développement de ses facultés ou Essai de physique sociale, dann in einer Reihe von Schriften. — Hauptwerk für Deutschland A. v. Öttingen Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine Sozialethik 1. Aufl. 1868/69, 3- Aufl. 1882. — Vgl. auch v. Öttingen Z 1 4 1 4 ; Ferri Z 2 I i ; Aschrott Z 5 337; v. Liszt Z 6 3 7 2 ; Beurle Z 8 3 2 5 ; Würzburger Z 8 723; Sichart Z 10 36; Bennecke Z 10 3 2 1 ; Fildes Z 11 5 1 5 ; Damme Z 12 657; Kôbner Z 13 6 1 5 ; Mischler H G 1 56, 2 473. — v. Mayr Statistik und Gesellschaftslehre 1 1895 (aus Marquardsens Handbuch des öffentlichen Rechts). — Wertvolles, noch wenig verarbeitetes Material enthalten die amtlichen statistischen Veröffentlichungen, in Frankreich ununterbrochen seit 1827 (für 1825) erscheinend. Wichtig insbesondere die seit 1870 herausgegebene Statistik der zum Ressort des preufs. Ministeriums des Innern gehörenden Straf- und Gefangenanstalten, sowie die seit 1883 (für die Jahre 1882 ff.) erscheinende mustergültig gearbeitete Reichskriminalstatistik. Ferner Rettick Die württembergische Kriminalstatistik 1895. Meyer D i e Verbrechen in ihrem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen im Kanton Zürich 1895.

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Die Ursachen und die Arten der Kriminalität.

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delikte hinausgreift.3) Innerhalb der Zustandsverbrecher sind die B e s s e r u n g s f ä h i g e n und die U n v e r b e s s e r l i c h e n zu unterscheiden. III. Schon aus dem Gesagten erhellt, dafs jede r e i n b i o l o g i s c h e Auffassung des Verbrechens, d. h. seine ausschliefsliche Ableitung aus der körperlichen und geistigen Eigenart des Verbrechers verfehlt ist. Und daraus folgt mit zwingender Notwendigkeit die, auch aus anderen Gründen sich ergebende , Unmöglichkeit eines e i n h e i t l i c h e n anthropologischen V e r b r e c h e r t y p u s . Soweit es sich nur um das Zustandsverbrechen handelt, bei dem die äufsere Veranlassung völlig zurücktritt, wäre ein solcher von dem normalen abweichender Typus nicht undenkbar. Aber die strenge wissenschaftliche Forschung hat bisher bei den Zustandsverbrechern zwar zahlreiche A t y p i e e n (Abweichungen vom normalen Typus), insbesondere bei erblich Belasteten, aber keinen Typus des Zustandsverbrechers ergeben. Damit fällt die Lehre L o m b r o s o s und seiner Anhänger in sich zusammen.1) IV. Der Einflufs der gesellschaftlichen Faktoren tritt aber erst durch die Erwägung in das rechte Licht, dafs die im Augenblicke der That vorhandene Eigenart des Verbrechers aus der angebornen Anlage weiterentwickelt und bestimmt worden ist durch die ihn von der Geburt an umgebenden äufseren Verhältnisse. Mit dieser Erkenntnis eröffnet sich die Möglichkeit einer, wenn auch beschränkten, E i n w i r k u n g auf die in dem heranwachsenden Menschen etwa schlummernden verbrecherischen Neigungen (durch sittliche, geistige und insbesondere auch körperliche Erziehung). Aber viel mehr noch: gerade die mafslos, in Dichtung wie Wissenschaft, überspannte Lehre von der erblichen Belastung, von den Sünden der Väter, die an den Kindern heimgesucht werden, — erschliefst uns den Blick in eine bessere Zukunft. Wenn Eltern, deren Lebens- und Zeugungskraft durch die s i e umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse erschöpft ist, ihren Kindern die „psychopathische Minderwertigkeit", die geschwächte Widerstandskraft im Kampf ums Dasein, als fluchbringendes Erbteil hinterlassen, dann dürfen wir die wissenschaftlich begründete Überzeugung hegen, dafs alle unsere sozialpolitischen Mafsregeln in verstärkter Kraft d e n N a c h k o m m e n zu gute kommen werden. Ungleich grofsartiger und ungleich sicherer als die Strafe und jede ihr verwandte Mafsregel wirkt die Sozialpolitik als Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens, das, wie Selbstmord, Kindersterblichkeit und alle übrigen sozialpathologischen Erscheinungen, in den die aufeinanderfolgenden ') Die Klarlegung der Verbrechensarten nach ihren Ursachen ist eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der Kriminologie. Die Unterscheidung der Gelegenheit- und Gewohnheitsverbrecher (bahnbrechend Wahlberg in zahlreichen Schriften) ist unzureichend. Die Einteilungen der Italiener haben wenig gefördert. Wertvoll Olrik Z 14 76 (Auszug aus einer gröfseren dänischen Arbeit). Vgl. auch ThyrSn (unten § 18 IV) 2 54. Vargka (Litt, zu § 16) 2 45. Die im Text vertretene Ansicht habe ich in meinem Gutachten an den Brüsseler Kriminal-Anthropologen-Kongrefs 1892 ausgeführt. 4) Meine Stellung zu Lombroso habe ich schon Z 9 462 bestimmt gekennzeichnet. Die neueren Arbeiten haben die Richtigkeit meiner Auffassung durchweg bestätigt. Vgl. statt aller andern das oben Note 2 angeführte Buch von Bär. S*

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§15.

Die Forderungen der Kriminalpolitik.

Geschlechter bestimmenden gesellschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart wie der Vergangenheit seine tiefste Wurzel hat. 6 )

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Die Forderungen der Kriminalpolitik.

Iiitteratur. Die Mitteilungen der IKV. 1889 ff. Bisher 7 Bände. V. Liszt Z 9 452, 16 477. Lammasch GS. 44 147. Zucker GS. 44 1. Sichart Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug von Freiheitsstrafen im Deutschen Reich. Mit Anmerkungen 189z. Derselbe Z 10 401, 11 478, 17 282, 18 302. Zucker Einige dringende Reformen der Strafrechtspflege 1896. Högel Straffalligkeit und Strafzumessung 1897. Reiches Material bei Günther III I. Hälfte. Im übrigen sei auch hier ausdrücklich auf die in dem Generalregister der Z verzeichnete überreiche Litteratur verwiesen. I. Während der Sozialpolitik die Beseitigung oder doch die Beschränkung der gesellschaftlichen Bedingungen des Verbrechens zufällt, hat es die Kriminalpolitik (seit Lieber auch Pönologie genannt) mit dem e i n z e l n e n V e r b r e c h e r zu thun. Sie verlangt im allgemeinen, d a f s d i e S t r a f e a l s Z w e c k s t r a f e (oben § 13) s i c h in A r t und M a f s n a c h d e r E i g e n a r t d e s V e r b r e c h e r s r i c h t e , den sie durch Zufügung eines Übels (durch einen Eingriff in seine Rechtsgüter, in Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Vermögen) von der künftigen Begehung weiterer Verbrechen abhalten will. In dieser Forderung liegt einerseits der sichere Mafsstab für die kritische Würdigung des geltenden Rechts, anderseits der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Programms einer Gesetzgebung der Zukunft. II. Es ist begreiflich, dafs die kritische Betrachtung des geltenden Rechts zunächst v e r n e i n e n d e Gestalt annahm. Den Beginn der Reformbewegung kennzeichnet der Kampf gegen die, unsere heutige Strafrechtspflege völlig beherrschende, k u r z z e i t i g e F r e i h e i t s s t r a f e , welche in ihrer heutigen Anwendungsweise weder bessert noch abschreckt, noch unschädlich macht, 5) Diese „soziologische" Auffassung des Verbrechens, die schon von Romagnosi und Henke, später von Quêtelet und v. Otlingen vertreten worden ist, hat sich während der letzten Jahre im Gegensatze zu rein „biologischen" allmählich, besonders im Auslande, zur Geltung gebracht. Vgl. N. Colajanni Socialismo e sociología crimínale 1884 fr. Prins Criminalité et répression 1886. Derselbe Criminalité et l'Etat social 1890. v. Liszt Kriminalpolitische Aufgaben Z 9 452, 737, 10 51, 12 161. Frank Naturrecht, geschichtliches Recht und soziales Recht 1891. Tallak Penological and preventive principies 2. Aufl. 1896. WD. Morrison Crime and its causes 1891. Tarde Criminalité comparée 1886. Joly La France criminelle 1889. Derselbe Le combat contre le crime (s. a.). Hymans La lutte contre le crime 1892. Garraud Le problème de la criminalité 1889. Krohne 204. Fuhr Strafrechtspflege und Sozialpolitik 1892. Zürcher Die neuen Horizonte im Strafrecht 1892. Stoofs Der Kampf gegen das Verbrechen 1894. Auch Bär, Gauckler, Foinitzky, Drill, Vargha, Gumplovics u. a. gehören dieser Richtung an. — Von dieser Grundauffassung wird auch die 1889 von v. Liszt, Prins und van Hamel begründete „Internationale kriminalistische Vereinigung" geleitet. Vgl. Z 9 363, 16 I I I . Ihr huldigt auch die sog. „Dritte Schule" Italiens. Vgl. Rosenfeld Mitteilungen der IKV. 4 1. — Dafs sie die Bedeutung der Eigenart des Verbrechers nicht übersieht, dürfte der Text zur Genüge ergeben.

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Die Forderungen der Kriminalpolitik.

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dafür aber vielfach den Neuling dauernd in die Bahn des Verbrechens weist. Daraus ergibt sich die F o r d e r u n g , dafs der Gesetzgeber die kurzzeitige Freiheitsstrafe möglichst durch andre geeignete Mafsregeln (Zwangsarbeit ohne Einsperrung, Ehrenhauptstrafen, Wirtshausverbot, H a u s a r r e s t , Prügelstrafe) ersetzen oder durch Verschärfungen ihr die abschreckende K r a f t zurückgeben s o l l e . 1 ) Aber auch eine Reihe positiver Vorschläge hat allmählich greifbare Gestalt angenommen. Nur die wichtigsten können hier kurze Erwähnung finden. 1. Unsere heutige Gesetzgebung macht von dem Kampfmittel der Strafe überreichlichen Gebrauch. E s wäre zu überlegen, ob der alte Satz „ m i n i m a n o n c u r a t p r a e t o r " nicht wieder, sei es als prozessualer Rechtssatz (Durchbrechung des Legalitätsprinzips), sei es als materiellrechtliche R e g e l (Straflosigkeit bei Geringfügigkeit der Verletzung) Aufnahme zu finden verdiente. Erweiterte Anwendung der Bufse auf privatrechtlichem Gebiete (vgl. B G B . § 847) würde manche S t r a f k l a g e überflüssig machen, das Sühneverfahren vor Schiedsmännern zahlreichen Verurteilungen vorbeugen. 2 ) 2. In besonders berücksichtigungswerten Fällen soll dem Gelegenheitsverbrecher die Möglichkeit geboten werden, durch einwandfreies Verhalten den Vollzug der erkannten Strafe abzuwenden. D a s ist die sog. b e d i n g t e V e r u r t e i l u n g mit oder ohne Friedensbürgschaft, die, alter deutscher Rechtsanschauung durchaus entsprechend, sich nicht nur im heutigen englisch-amerikanischen Recht seit längerer Zeit findet, sondern auch in Belgien, Frankreich, Neuenburg, Genf, Portugal, Norwegen eingeführt, in andern Ländern in Aussicht genommen ist. In den deutschen Einzelstaaten ist sie als bedingte Begnadigung 1895 und 1896 im Verordnungswege zugelassen worden. 3 ) Insbesondere Rosenfeld Welche Strafmittel können an Stelle der kurzzeitigen Freiheitsstrafe gesetzt werden? (Abhandlungen des Kriminalistischen Seminars II 1889). Verhandlungen des 2 1 . und des 23. deutschen Juristentags. Kulemann Jahrbücher J 130. — Über die P r ü g e l s t r a f e vgl. Sontag Z 1 501. Lucas G A . 3 2 143. Bennecke Z 7 2 1 2 . Illing Blätter für Gefangniskunde 15 93. v. Liszt Z 3 40. H G . 1 296, 3 1 2 , 323, 332, 360. Hiller Disziplinarstrafen 1894 S . 143. Vargha (Litt, zu § 16) 2 360. Vgl. Z 15 733. Sie ist als peinliche Strafe in den deutschen Staaten teils vor, teils nach 1848 beseitigt worden, findet sich aber noch als Disziplinarstrafmittel in den Strafanstalten von Preufsen, Sachsen, Hamburg, Lübeck, Mecklenburg, Schwarzburg-Rudolstadt, Oldenburg. 2 ) Vgl. Dalcke Z 12 657, 684. 3 ) Generalregister der Z S. 135. Eine die Bewegung der letzten Jahre zusammenfassende Darstellung fehlt. Reiches Material in den Mitteilungen der IKV. Meyer 399. v. Kirchenheim (Litt, zu § 18) 244. Denkschrift des Reichsjustizamtes 1896. Mumm Die Gefängnisstrafe und die bedingte Verurteilung im modernen Strafrecht. 2. Aufl. 1896. Gautier Mitteilungen 5 27. Milferstädt G A . 4 4 334. Ötker Z 17 567. Über die deutschen Verordnungen vgl. Mitteilungen der I K V 5 und 6, Bachem Bedingte Verurteilung und bedingte Begnadigung 1896, Birkmeyer Z 16. 3 1 7 , G S . 5 2 301, Meves GA. 4 4 I. — Über die F r i e d e n s b ü r g s c h a f t vgl. Schierlinger Die Friedensbürgschaft 1877. v. Holtzendarff H G . 1 404. v. Jagemann H G . 2 124. Pfenninger Strafrecht der Schweiz 1890, insbes. S. 828. Fuhr Strafrechtspflege und Sozialpolitik 1892 (wiederholt). — v. Massow Blätter für Gefängniskunde 2 9 3

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§ IS.

Die Forderungen der Kriminalpolitik.

3. B e i j u g e n d l i c h e n V e r b r e c h e r n ist so lange als möglich die Freiheitsstrafe durch erziehende Mafsregeln zu ersetzen. Daher die Einzelforderungen: Hinaufrücken der Strafmündigkeit auf das vollendete 14. Lebensjahr, Beseitigung des discernement (unten § 38 I ) , reichsrechtliche Regelung dfer staatlich überwachten Erziehung, Ausdehnung dieser auch auf die Fälle sittlicher Verwahrlosung. 4 ) 4. Gesetzgebung und Rechtsprechung haben mehr als bisher dem Motive der That, richtiger der E i g e n a r t des Verbrechers Rechnung zu tragen. 6 ) Dem „Augenblicksverbrecher" gegenüber genügt es, wenn die Hemmungsvorstellung der staatlichen Gebote und Verbote dem Bewufstsein zu lebendiger Erinnerung gebracht wird ( A b s c h r e c k u n g ) . Die unbedingte Androhung der Todesstrafe bei Mord ist völlig verkehrt. Die Verschärfung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe stöfst auf kaum überwindliche praktische Schwierigkeiten. Erweiterte Anwendung der Geldstrafe verspricht dagegen gerade hier Erfolg, wenn sie den Vermögensverhältnissen des Verurteilten angepafst und Umwandlung in Freiheitsstrafe möglichst ausgeschlossen ist. 6 ) • 5. Sobald durch die That des Verbrechers ein festgewurzelter verbrecherischer Hang bekundet wird („Zustandsverbrecher 1 ), bedarf es der Sicherung der Rechtsordnung durch U n s c h ä d l i c h m a c h u n g des Verbrechers. Diese Aufgabe hat die Strafe dem geistesgesunden, wie die Irrenanstalt dem geisteskranken Verbrecher gegenüber zu erfüllen. Besondere Schwierigkeit bieten die zahlreichen Übergangszustände. Man mag hier immerhin von „verminderter Zurechnungsfähigkeit" sprechen und gemilderte Strafe eintreten lassen; die Hauptsache bleibt, die entlassenen Verbrecher in einer besonderen hat B e v o r m u n d u n g G r o f s j ä h r i g e r als selbständige Strafart bei leichteren Delikten vorgeschlagen. Das ist derselbe Grundgedanke wie bei der bedingten Verurteilung. Vargha (Litt, zu § 16) will die Strafe überhaupt durch die Bevormundung ersetzen. 4 ) Vgl. insbes. Appelius Die Behandlung jugendlicher Verbrecher und verwahrloster Kinder 1892. Verhandlungen der deutschen Landesgruppe der IKV. 1893 in Z 13 741. Berger Jugendschutz und Jugendbesserung t Bd. 1897 (treffliche Materialsammlung). Münsterberg WV. 2 1003. Muskat Archiv für öffentliches Recht 8 315. E. Loiting HSt. 6 923. Lenz Die Zwangserziehung in England 1894. Weymann Jahrbücher 1 275. Nicoladoni Z 16 354. Zucker Über die Behandlung der verbrecherischen und arg verwahrlosten Jugend in Österreich 1894. Appelius auf der 67. Generalversammlung der rheinisch-westfälischen Gefängnisgesellschaft, v. Slupecki Die Lehre von den jugendlichen Verbrechern im deutschen Strafrecht und Strafprozefsrecht. Tübinger Diss. 1896. Ferner Z 14 115, 15 759, 16 420. — Dagegen Schmölder GS. 49 157. Berner Vorrede zur 17. Auflage. 5 ) v. Liszt Z 16 477, Thomsen Z 17 277, Kraus Z 17 467; auch Birkmeyer Z 16 327. 6 ) Über die Geldstrafe vgl. die 3. Hauptversammlung der IKV. 1891. Mitteilungen 3 236. Verhandlungen des 22. und 23. deutschen Juristentages; insbes. das Gutachten von Fetisch über das Abverdienen der Geldstrafen. Stenglein GS. 47 264. Meyer 422. 7 ) Durch psychiatrische Streitfragen (z. B. über den Begriff des „moralischen Irreseins") darf der notwendige Schutz der Rechtsordnung nicht verkümmert werden. — T r i n k e r sind in besonderen Anstalten zu heilen oder unschädlich zu machen. Bahnbrechend der Schweizer StGEntwurf.

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Die Forderungen der Kriminalpolitik.

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Anstalt oder Anstaltsabteilung für die Rechtsordnung unschädlich zu machen. 7) Der eingewurzelte verbrecherische Hang braucht sich nicht in wiederholtem Rückfall, er kann sich bereits in dem ersten zur Aburteilung kommenden Verbrechen unverkennbaren Ausdruck geben. 8) 6. Wird durch die That ein noch nicht festgewurzelter, sondern noch in der Entwicklung begriffener Hang zum Verbrechen bekundet („angehender Zustandsverbrecher") , so soll durch eine andauernde und eindringliche Strafe die Umgestaltung der verbrecherischen Anlage versucht werden (bürgerliche, nicht notwendig sittliche Besserung).®) Besonders bei noch jugendlichen 8) Es ist daher zu eng, wenn man die Unschädlichmachung „wiederholt Rückfälliger" oder auch „unverbesserlicher Gewohnheitsverbrecher" verlangt. Vgl. Mittelstadt, Gennat, Sichart Jahrbücher 1 28, 40, 81. Hamm im 68. Jahresbericht der rheinisch-westfälischen Gefangnisgesellschaft. — Vgl. über den R ü c k f a l l : Friedländer Der Rückfall im gem. deutschen Recht. I. Die Entwicklung der Lehre mit Einschlufs der Karolina 1872. Olshausen Einflufs von Vorbestrafungen 1876. v. Lilienthal Kollektivdelikte 1879. Sacker Der Rückfall. Abhdlgn. des Kriminalistischen Seminars III I 1892. André La récidive. Théorie d'ensemble et commentaire détaillé des lois préventives ou répressives de la récidive 1892. Über das französische Gesetz vom 26. März 1891 vgl. Felisch Z 12 356. — Zur Feststellung der Rückfälligkeit dienen die S t r a f r e g i s t e r (casiers judiciaires); vgl. über sie H. Seuffert in WV. 2 565. Wichtig ist die Feststellung der Persönlichkeit durch genaue Körpermessungen ( S y s t e m B ertillon). Vgl. v. Liszt Z 9 459. Bertillon Lehrbuch der Identifikation von Verbrechern usw., deutsch von Sury 1895, Buschan GA. 44 27. p. Kirchenheim GS. 53 424. Gruber Z 18 372. — Als Mittel der Unschädlichmachung kommt neben der Todesstrafe, deren unbedingt sichernder Wirkung mancherlei Nachteile gegenüberstehen, und der lebenslangen Freiheitsstrafe insbesondere die D e p o r t a t i o n in Betracht. Vgl. die Litteraturangaben bei v. Holtzendorff HG. 1 427. Dazu v. \ Jagemann HG. 1 372 Note 5. Stölzel Brandenburg-Preufsens Rechtsverwaltung 2 346, 351, 499. v. Arnitn Bruchstücke über Verbrechen und Strafen 1803 1 63. Bruck Fort mit den Zuchthäusern 1894. Derselbe Die gesetzliche Einführung der Deportation im Deutschen Reich 1897 (mit Litt.). Verhandlungen des 24. deutschen Juristentags (Gutachten von Bornhak und Freund). Foinitzki La transportation russe et anglaise avec une étude historique sur la transportation (bearbeitet von Bonet-Maury) 1895. Hauptwerk (aber teilweise veraltet): v, Holtzendorff Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit 1859. — Verschieden von der Deportation ist die Unterstützung der f r e i w i l l i g e n A u s w a n d e r u n g entlassener und gebesserter Sträflinge. — Als Sicherungsmittel nach verbüfster Strafe dient die P o l i z e i a u f s i c h t , die aber nur in Verbindung mit einer geregelten S c h u t z f ü r s o r g e wohlthätige Wirkung zu entfalten vermag. Vgl. über sie insbesondere Fuhr Strafrechtspflege and Sozialpolitik. Ein Beitrag zur Reform der Strafgesetzgebung auf Grund rechtsvergleichender und statistischer Erhebungen über die Polizeiaufsicht 1892. Zucker Die Polizeiaufsicht nach österr. Recht 1894. Fuchs Die Gefangenen-Schutzthätigkeit und die Verbrechens-Prophylaxe 1898. — Bozi Bekämpfung des Gewohnheitsverbrechens 1896 verlangt Strafmilderung, aber nach verbüfster Strafe Unschädlichmachung in i n l ä n d i s c h e n K o l o n i e e n auf unbestimmte Zeit. ") Der bürgerlichen Besserung durch Erziehung zur Arbeit soll das A r b e i t s h a u s dienen, das aber nur dann seiner Aufgabe genügen kann, wenn die Aufnahme auf besserungsfähige Elemente beschränkt wird. Vgl. die zusammenfassende Darstellung von v. Hippel Die strafrechtliche Bekämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu 1895. Verhandlungen der I K V . , Deutsche Landesgruppe 1893 (Z 13 741) und 1895 (Mitteilungen 5).

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§15.

Die Forderungen der Krimmalpolitik.

gewerbsmäfsigen Verbrechern ist der Erfolg einer solchen Einwirkung nicht ausgeschlossen. 7. Feste organische Verbindung der Strafrechtspflege mit dem Strafvollzuge ist unerläfsliche Voraussetzung des Erfolges. Über die Durchführung dieses Gedankens gehen die Ansichten noch weit auseinander. Lebhaft verteidigt und ebenso bestritten wird die Forderung, dafs das richterliche Urteil keine bestimmte Strafe auswerfen, sondern diese, etwa innerhalb eines Höchstund Mindestmafses, auf Grund nachheriger genauerer Feststellung des Charakters des Verbrechers endgültig bemessen werden solle (sog. u n b e s t i m m t e Strafurteile).10) Die Anhänger dieser in den Vereinigten Staaten Nordamerikas (Elmira und an andern Orten) bereits mit Erfolg durchgeführten Einrichtung weichen insoweit voneinander ab, als die einen (van Hantel) die endgültige Entscheidung einem späteren strafrichterlichen Urteile vorbehalten, die andern (v. Liszt) einer besonderen Behörde ( S t r a f v o l l z u g s a m t ) übertrügen wollen. Auch über die Fälle, in welchen das unbestimmte Strafurteil zur Anwendung gelangen soll, ist noch keine Übereinstimmung erzielt. Dagegen wird heute wohl nicht mehr in Abrede gestellt, dafs. wie der gesamte Strafvollzug , so insbesondere der Vollzug der Freiheitsstrafe in den Dienst bestimmter, durch Gesetz und Richterspruch vorgezeichneter, kriminalpolitischer Zwecke gestellt werden mufs, dafs also die Loslösung des gesamten Gefängniswesens von der Strafgesetzgebung ein verhängnisvoller Fehler gewesen ist. 8. Die zielbewufste Bekämpfung des Verbrechens setzt endlich eine b e r u f s m ä f s i g e A u s b i l d u n g aller an der Strafrechtspflege beteiligten Personen insbesondere nach der Richtung voraus, dafs diese mit dem gesamten Leben und Treiben der Verbrecherwelt in allen seinen Beziehungen vollständig vertraut gemacht w e r d e n . l l ) HI. Für die folgerichtige Durchführung der Zweckstrafe ergeben sich aus dem Zweckgedanken selbst und unmittelbar mehrere wichtige E i n schränkungen.12) I. Dem allgemeinen Interesse darf die F r e i h e i t d e s e i n z e l n e n nicht schutzlos preisgegeben werden. Mag auch immerhin die Grenze dieses Schutzes je nach den verschiedenen Ansichten über die Aufgaben von Staat und Recht zu verschiedenen Zeiten verschieden gezogen werden, so rechtfertigt sich doch im Rechtsstaate die Verhängung des Strafübels nur dann, wenn der Thäter

10 ) „Indeterminate sentences." Vgl. besonders die 4. und 5. Hauptversammlung der IK.V. 1893 und 1894. Mitteilungen 4. Hier weitere Nachweise. Dazu Fuhr (oben Note 8). Sternau Gegen die Abschaffung des Strafmafses Z 13 17. Heim Jahrbücher 1 351. Lévy Des sentences indéterminées 1896 (wichtig). Verhandlungen des Genfer Kriminal-Anthropologenkongresses 1896. Vargha (Litt, zu § 16) 2 506. Unter den Gegnern sind Wach, Gautier, Tarde hervorzuheben. n ) Über die „Kriminalistik" als Unterrichtsgegenstand vgl. Gro/s Z 14 1. 6. Hauptversammlung der IKV. Mitteilungen 5. Z 16 916. — v. Arnim Bruchstücke 1 42. Blätter für Gefängniskunde 27 45 (über die Kurse in Baden und Württemberg). Sennecke und Junghans Jahrbücher 1 172 und 198. 12 ) Vgl. dazu v. Liszt Z 13 325.

§ l6.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

73

seine feindliche Gesinnung durch eine bestimmte, gesetzlich genau umschriebene T h a t bewiesen h a t . 1 3 ) 2. D i e Gesetzgebung hat mit den im V o l k e lebenden Rechtsanschauungen, den

„überlieferten

vollen

Faktor

zu

Werturteilen"

(Merkel), als

rechnen.

mufs

Sie

sich

brechen; sie darf aber auch nicht vergessen,

einem mächtigen

hüten, plötzlich dafs sie die

und wert-

mit ihnen zu

Rechtsanschauung

des V o l k e s vorsichtig zu leiten und allmählich zu erziehen im Stande und berufen ist. 3. Über die Wirkung der Strafe auf den Verbrecher dürfen ihre sozialen Reflexwirkungen, d. h. ihre Wirkungen auf die Gesamtheit (siehe oben § 13 I I I 1), nicht aus den Augen verloren werden.

Übertreibung des Besserungsgedankens

w i r d dem Rechtsbewufstsein der Gesamtbevölkerung und damit der Lebenskraft des Staates ebenso verhängnisvoll werden, wie rücksichtslose Härte dem Gelegenheitsverbrecher oder rohe Grausamkeit dem Unverbesserlichen gegenüber. Der Zweckgedanke begrenzt und schützt

sich selbst.

Das Mittel über den

Zweck zu stellen wird niemals als zweckmäfsig erscheinen. 4.

A b e r auch die Erkenntnis, dafs das Verbrechen

in den gesellschaft-

lichen Verhältnissen seine tiefste Wurzel hat, wird vor Übertreibungen

des

Zweckgedankens

der

schützen.

Die

Überzeugung von der „Kollektivschuld

Gesellschaft" (A. v. Öttingeri) wird die strafende Thätigkeit des Staates zügeln. Der Begehung des Verbrechens vorzubeugen wird wichtiger und wertvoller erscheinen, für den einzelnen wie für die Gesamtheit, als die Bestrafung der begangenen That.

§ 16.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

Litteratur. Über die älteren Strafrechtstheorieen vgl. Heinze H H . I 239. v. Bar 1 201. Laistner Das Recht in der Strafe 1872. Günther (fortlaufend). — Aus der umfangreichen deutschen Litteratur der letzten Jahre sind zu nennen: Kohler Das Wesen der Strafe 1888. Löning Über die Begründung des Strafrechts 1889. Merkel Über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Strafrechts und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände und des geistigen Lebens der V ö l k e r 1889. Derselbe Vergeltungsidee und Zweckgedanke im Strafrecht 1892. Mittelstadt Gegen die Freiheitsstrafe 1879. Derselbe Z 2 419. Derselbe Schuld und Strafe GS. 46 237, 387, 47 I. Gegen Merkel und Mittelstadt: v. Liszt D i e deterministischen Gegner der Zweckstrafe Z 13 325. P/enninger Grenzbestimmungen der kriminalistischen Imputationslehre 1891. Herold Z 12 573. Sternau Eine Strafrechtstheorie 1893. R. Schmidt Die Aufgaben der Strafrechtspflege 1895 (dazu Lammasch Z 15 633). Vargha Die Abschaffung der Strafknechtschaft. 2 Bde. 1896/7. Makarewics Z 17 590. Lieptnann Z 17 639. v. Weinrich Z 17 779. v. Bar Probleme des Strafrechts. Rektoratsrede 1897. Ötker Z 18 493. Unter einer „Strafrechtstheorie" versteht man die Beantwortung der F r a g e nach dem R e c h t s g r u n d

und nach dem Z w e c k

der Strafe.

Meine Straf-

l s ) Insofern erscheint das Strafgesetz als die magna Charta des Verbrechers. E s verhindert, dafs an Stelle der individuellen Verschuldung die soziale Gefahr gesetzt wird. V g l . unten § 17 I.

74

§ i6.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

rechtstheorie ist in § 13 im Zusammenhange dargelegt worden. Es soll nunmehr ihre Stellung zu den übrigen Strafrechtstheorieen näher bestimmt werden, die im Laufe der Jahrhunderte in kaum übersehbarer Anzahl und Vielgestaltigkeit verfochten worden sind. I. Von den Zeiten der griechischen Philosophie bis tief in das Jahrhundert der Aufklärung hinein1) hatte die weitaus überwiegende Mehrzahl der Schriftsteller, ohne sich in tiefergreifende Untersuchungen über den Rechtsgrund der Strafe einzulassen, Abschreckung der Gesamtheit, Besserung und Unschädlichmachung des Verbrechers als Strafzwecke bezeichnet. Mit dem Ausgange des 19. Jahrhunderts beginnt der Streit der Strafrechtstheorieen eine doppelte Richtung zu nehmen. E i n e r s e i t s ist man bemüht, einen e i n z i g e n Strafzweck unter Ablehnung aller übrigen zur ausschliefslichen Grundlage des ganzen strafrechtlichen Systems zu machen; typisch für diese Richtung ist Anselm von Feuerbach.'1) A n d e r s e i t s wird das staatliche R e c h t zu s t r a f e n auf seine innere Berechtigung hin kritisch geprüft und philosophisch begründet; tonangebend für diese Untersuchungen sind Kant und Hegel. So treten bereits den „relativen" die „absoluten" Theorieen schroff gegenüber. In unseren Tagen dreht sich der neuentbrannte Streit um die Berechtigung der V e r g e l t u n g als des obersten Prinzips alles Strafrechts. II. In dem Streite der Strafrechtstheorieen ist zunächst daran festzuhalten, dafs es für den Juristen keinen andern Rechtsgrund für die staatliche Strafe gibt und geben kann als ihre Notwendigkeit für die Aufrechthaltung der Rechtsordnung (oben § 13 IV). In diesem Sinne ist auch die von mir vertretene Ansicht eine absolute oder Notwendigkeitstheorie.4) Eine weitere Rechtfertigung ist ü b e r f l ü s s i g , solange die Daseinsberechtigung des Staates nur von der anarchistischen Theorie angefochten wird. Eine weitere Rechtfertigung ist v e r f e h l t , sobald sie über die Grenzen des wissenschaftlichen Erkennens hinausführt.6) Sie ist n u t z l o s , solange sie sich Vgl. oben § 7 Noten I und 2. ") Vgl. § 10 Note I. 3) Vgl. § 10 Noten 2 und 4. 4) Es ist eine völlige Verkennung des wahren Sachverhaltes, wenn man, wie das ganz regelmäfsig geschieht, Notwendigkeits- und ZweckmäfsigkeitsTheorieen einander entgegenstellt. Auch die Zweckstrafe ist stets auf ihre Notwendigkeit, und niemals nur auf ihre Zweckmäfsigkeit, gestützt worden. 5) Unbedingt abzulehnen daher: 1. Die Zurückführung der Strafe auf g ö t t l i c h e n B e f e h l . So Protagoras, S. von Cocceji (oben § 7 Note 1); von den Neueren Jarcke (f 1852), Handbuch des gem. deutschen Strafrechts 1 1827. Bekker Theorie des heutigen deutschen Strafrechts 1 1859. Stahl (f 1861) Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht 1830 bis 1837. — Das gilt auch von der p a n t h e i s t i s c h e n Einkleidung des Gedankens bei Plato (im Gorgias), Leiiniz (•)• 1716 in seiner Th6odicee), neuerdings bei Köhler (Theorie der Sühne, der läuternden Kraft des Schmerzes); oder von der n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Ableitung aus einem tellurisch-kosmischen Gesetz (Post in den zu § 2 angeführten Schriften, z. B. Grundzüge 1 176; auch wohl Schäfer Z 16 188). — 2. Jede m e t a p h y s i s c h e , d. h. über die Erfahrung hinübergreifende, Ableitung. Das gilt von Kants kategorischem Imperativ (oben S. 48) wie insbesondere

g l6.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

75

damit begnügt, die Strafe auf einen andern Rechtsbegriff, der ja doch wieder vom Staatsbegriff abhängig ist, zurückzuführen6) oder aber sie geschichtlich oder psychologisch zu erklären.') von Hegels absolutem Begriff. Nach Hegel stammt die Strafe aus dem B e g r i f f e , als dem Absoluten. Alles, was ist, ist nur ein Moment in der dialektischen Entwicklung des Begriffs. Ursprünglich sind Denken und Sein, Begriff und Ding, instinktiv eins und ungeschieden; dann treten sie auseinander und werden durch die R e f l e x i o n einander entgegengesetzt, bis die S p e k u l a t i o n sie in der höheren bewufsten Einheit zusammenfafst. So ist auch die Strafe d i e d i a l e k t i s c h e V e r w i r k l i c h u n g d e s R e c h t s b e g r i f f e s , die Vernichtung des Verbrechens durch die begriffliche Macht des Rechts. Das R e c h t ist das verwirklichte Reich der Vernunft, die äufsere Existenz des vernünftigen Wesens des Willens. Im V e r b r e c h e n lehnt sich der Einzelwille gegen den allgemeinen auf, er steht darum im Widerspruch mit sich und ist daher an sich nichtig. Er ist ScheiD, und das Wesen dieses Scheins ist, dafs er sich selbst aufhebt. Aber in seiner äufseren Existenz bedarf er der Nichtigerklärung, der Konstatierung seines Scheins, und das geschieht durch die Strafe. Die S t r a f e ist die Offenbarung der Nichtigkeit des Verbrechens, die Konstatierung seiner Scheinexistenz; die Strafe ist (als Negation des Verbrechens) Negation der Negation des Rechts, mithin die Position, die Wiederherstellung des Rechts. — Die logischen Fehler dieser Schlufsfolgerung liegen klar zu Tage. Es ist nicht wahr, dafs das Verbrechen in sich nichtig ist; und es ist gänzlich unbewiesen und unbeweisbar, dafs die Feststellung des Scheindaseins des Verbrechens gerade durch die Strafe zu erfolgen hat. — Über die Hegelianer unter den Kriminalisten vgl. oben S. 49. 6 ) Nutzlos also: I. Die N o t w e h r oder V e r t e i d i g u n g s t h e o r i e , soweit sie mehr zu bieten vermeint als die im Texte vertretene Begründung. Durch Servin u. a. mit der naturrechtlichen Schule zusammenhängend, hat diese Ansicht besonders bei den italienischen Schriftstellern als „teoria della tutela giuridica" (wohlgemerkt: nicht „tutela s o c i a l e " ) bedeutende und zahlreiche Anhänger (Rossi, Carmignani, Romagnosi, Carrara, Lucchini u. a.) gefunden. Auch einzelne Franzosen (so Franck) und wenige Deutsche huldigen ihr. Von den letzteren wären zu erwähnen Schuhe Leitfaden der Entwicklung der philosophischen Prinzipien des bürgerl. und peinl. Rechts 1813, und Martin (-¡- 1857) Lehrbuch des Kriminalrechts 1825. — 2. Die Ableitung aus einem mit dem Verbrecher geschlossenen V e r t r a g e, also aus dem eigensten Willen des Verbrechers. So schon Aristoteles (Eth. Nicom. 2 3 § I; 10 9 §§ 3, 8, 9); später zahlreiche Vertreter des Naturrechts und der Aufklärung, von Grotius bis auf Rousseau, von Beccaria bis auf Fichte (f 1814); in neuerer Zeit (aufser Schopenhauer) Laistner Das Recht in der Strafe 1872. — 3. Die V e r g ü t u n g s - o d e r W i e d e r h e r s t e l l u n g s t h e o r i e . Von Welcher (-{- l8Ö9)Die letzten Gründe von Recht. Staat und Strafe 1813, Encyklopädie 1829. Sie sieht (wie früher S. v. Cocceji) den Zweck der Strafe in d e r W i e d e r a u f h e b u n g des durch das Verbrechen verursachten i n t e l l e k t u e l l e n S c h a d e n s , insbesondere der erschütterten Rechtsordnung, (wie der zivilrechtliche Ersatz die Beseitigung des bewirkten m a t e r i e l l e n Schadens bezweckt) und ihren Rechtsgrund in der Verpflichtung jedes Rechtsgenossen, die von ihm bewirkte Rechtsverletzung wiedergutzumachen. Ähnlich Hefps (f 1851) „Theorie der bürgerlichen Gerechtigkeit", Kritische Darstellung der Strafrechtstheorieen 1829, 2. Aufl. 1843/5. In v. Wächters (Beilage 17) und Bindings Ansichten ist der Einflufs Welckers unverkennbar. Auch nach Löning ist die Strafe ^Wiederherstellung des rechtlichen Gleichgewichts im gesellschaftlichen Körper". Ähnlich Herold Z 12 573 ; teilweise auch Vargha. ?) Die Zurückführung der Strafe auf den R a c h e t r i e b als eine Äufserung

76

§ l6. III.

Die

einseitige

D e r S t r e i t der Strafrechtstheorieen. und

ausschliefsliche

S t r a f z w e c k e s scheitert a n d e r V e r s c h i e d e n h e i t

Durchführung

eines

der zu b e s t r a f e n d e n

D a r i n l i e g t der G r u n d f e h l e r der älteren r e l a t i v e n T h e o r i e e n . 8 )

einzelnen

Verbrecher.

Das

Lehrbuch

des S e l b s t e r h a l t u n g s t r i e b e s (oben § 2) k a n n , m a g sie den einzelnen M e n s c h e n , m a g sie d i e E n t w i c k l u n g der M e n s c h h e i t i m A u g e haben, stets nur erklären, n i e m a l s r e c h t f e r t i g e n . V g l . a u c h Makarewics Z 17 604 (die Strafe als K o l l e k t i v r a c h e d e r sozialen G r u p p e b e d a r f nach i h m keiner w e i t e r e n B e gründung). 8 ) S i e lassen sich in z w e i I. G e n e r a l p r ä v e n grofse Gruppen bringen. tions-Theorieen. 1. A b s c h r e c k u n g a l l e r durch d i e S t r a f d r o h u n g . Hierh e r g e h ö r t insbesondere die T h e o r i e des p s y c h i s c h e n Z w a n g e s ( A b h a l t u n g des V e r b r e c h e r s durch das in A u s s i c h t g e s t e l l t e Strafübel). W e i t a u s d e r bedeutendste V e r t r e t e r dieser schon von Aristoteles a n g e d e u t e t e n , v o n Hobbes, Pufendorf u. a. v o l l s t ä n d i g e n t w i c k e l t e n A n s i c h t , w e l c h e Jahrzehnte hindurch W i s s e n s c h a f t und G e s e t z g e b u n g b e h e r r s c h t e , ist A. Feuerbach (oben § 10 N o t e I). Neben verschiedenen kleineren Schriften vgl. m a n : AntiH o b b e s 1 7 9 8 . R e v i s i o n d e r G r u n d b e g r i f f e 1799. Ü b e r die Strafe als S i c h e r heitsmittel 1800. L e h r b u c h 1 8 0 1 . W ä h r e n d H o b b e s s a g t : Comparantes e n i m quod in c r i m i n e jucundum cum eo quod in p o e n a molestum est (tamquam in b i l a n c i o p o n d e r a t i o h e i f s t es an anderer S t e l l e : „ B a l a n c i e r t h e o r i e " ) , id quod sibi Optimum esse putant, necessario eligunt, — soll n a c h Feuerbach der p s y c h o l o g i s c h e Z w a n g n e b e n d e m physischen Z w a n g e dazu d i e n e n , R e c h t s v e r l e t z u n g e n u n m ö g l i c h zu machen. , , A l l e Ü b e r t r e t u n g e n " — h e i f s t es in § 13 des L e h r b u c h s — „ h a b e n ihren p s y c h o l o g i s c h e n E n t s t e h u n g s g r u n d in der S i n n l i c h k e i t , insofern das B e g e h r u n g s v e r m ö g e n des M e n s c h e n durch die L u s t a n oder aus der H a n d l u n g zur B e g e h u n g derselben angetrieben w i r d . Dieser s i n n l i c h e A n t r i e b k a n n dadurch a u f g e h o b e n w e r d e n , dafs j e d e r w e i f s , a u f seine T h a t w e r d e u n a u s b l e i b l i c h ein Übel folgen, welches g r ö f s e r ist, als die U n l u s t , die aus dem n i c h t befriedigten A n t r i e b zur T h a t entspringt". D a m i t a b e r diese Ü b e r z e u g u n g allg e m e i n und fest b e g r ü n d e t w e r d e , ist einerseits A n d r o h u n g , anderseits V o l l z i e h u n g der (verwirkten) Strafe erforderlich. § 1 4 : „ D i e z u s a m m e n stimmende Wirksamkeit der vollstreckenden und gesetzg e b e n d e n M a c h t zu dem Z w e c k e d e r A b s c h r e c k u n g b i l d e t d e n p s y c h o l o g i s c h e n Z w a n g " . — Feuerbachs A n s i c h t teilt im w e s e n t l i c h e n der t o n a n g e b e n d e italienische K r i m i n a l i s t Romagnosi (*|- 1 8 3 5 ) , während Schopenhauer ( f 1860) W e l t als W i l l e und V o r s t e l l u n g 1 4 1 8 sie auf metap h y s i s c h e r G r u n d l a g e w i e d e r h o l t . E i n e A b a r t der F e u e r b a c h s c h e n T h e o r i e ist Bauers W a r n u n g s t h e o r i e ( A r c h i v 1826 9 4 2 9 , D i e W a r n u n g s t h e o r i e 1830, A b h a n d l u n g e n 1 1 8 4 6 ) , nach w e l c h e r sich die S t r a f d r o h u n g nicht nur a n die s i n n l i c h e , sondern auch an die s i t t l i c h e N a t u r des M e n s c h e n w e n d e t (als „ W a r n u n g s t a f e l " ) . — 2. A b s c h r e c k u n g a l l e r durch den Strafvollzug. — II. Spezialpräventionstheorieen. I. A b s c h r e c k u n g d e s Verbrechers durch den Strafvollzug. I n unsern T a g e n w i e d e r m e h r f a c h v e r t r e t e n ; so v o n Gauckler, Mittelstadt; auch v o n Berohheimer Kriminalpolitische Forderungen aus d e m G e s i c h t s p u n k t e der Schutzstrafe 1895. — 2. D i e für die E n t w i c k l u n g des G e f ä n g n i s w e s e n s b e s o n d e r s w i c h t i g e und in ihrer Einseitigkeit geradezu v e r h ä n g n i s v o l l e Besserungstheorie (Besserung des V e r b r e c h e r s durch d e n S t r a f v o l l z u g ) . U n t e r den A n h ä n g e r n ist an erster S t e l l e zu n e n n e n : Röder ( f 1 8 7 9 ; auf d e m p h i l o s o p h i s c h e n S t a n d p u n k t e v o n Krause und Ahrens) in einer R e i h e v o n S c h r i f t e n ; b e s o n d e r s : Zur R e c h t s b e g r ü n d u n g der Besserungsstrafe 1846, Besserungsstrafe und Besserungsanstalten als R e c h t s f o r d e r u n g 1864. D i e s e T h e o r i e b e z w e c k t die V e r h ü t u n g k ü n f t i g e r V e r b r e c h e n durch B e s s e r u n g des Verbrechers b e i V o l l s t r e c k u n g der S t r a f e ; die erzielte Besserung er-

§ l6.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

77

vertritt, indem es die drei Strafzwecke der Abschreckung, Besserung, Unschädlichmachung nebeneinanderstellt, eine z u s a m m e n g e s e t z t e r e l a t i v e Theorie. Dabei legt des Lehrbuch, ohne die Wirkung der Strafe auf die Gesamtheit zu verkennen, das Schwergewicht auf die Wirkung, welche die Strafe auf die Person des Verbrechers hat, mithin auf die S p e z i a l p r ä v e n t i o n . 9 ) IV. Der Z w e c k s t r a f e in dem hier festgehaltenen Sinne pflegt man die V e r g e l t u n g s s t r a f e gegenüberzustellen. Es ist schwer genug, diesen Gegensatz richtig zu erfassen, da fast jeder Vertreter der Vergeltungsstrafe einen andern Begriff mit diesem Ausdrucke verbindet. Im allgemeinen kann man die von den Anhängern der Vergeltungsstrafe vertretene Ansicht dahin zusammenfassen: Der Verbrecher wird gestraft, w e i l er verbrochen hat (punitur quia peccatum est, nicht: ne peccetur). In seiner W i 11 e n s f r e i h e i t wurzelt seine Schuld, die, an dem e t h i s c h e n W e r t u r t e i l gemessen, an der Strafe ihre G l e i c h u n g (ihr Äquivalent) findet. D i e A u f g a b e der Strafe liegt demnach in der B e w ä h r u n g d e r R e c h t s o r d n u n g u n d d e r s i t t l i c h e n A n s c h a u u n g e n , auf denen diese beruht, also in der G e n e r a l p r ä v e n t i o n ; nicht aber, oder doch nur in zweiter Linie in ihrer E i n w i r k u n g a u f d e n V e r b r e c h e r , also in der S p e z i a l p r ä v e n t i o n . 1 0 )

gibt das Mafs der Strafe. — 3. Die von Lombroso (oben § 14 Note 2) und seinen Anhängern vertretene Theorie der Unschädlichmachung des als krank zu betrachtenden Verbrechers. — 4. Die Bevormundungstheorie von v. Massow, Vargha (oben § 15 Note 3); auch Jäger Beiträge zur Lösung des Verbrecherproblems 1895. 9 ) Den Standpunkt des Lehrbuchs teilen im wesentlichen (wobei die aufserdeutsche Litteratur aufser Betracht bleibt) : Dankwart Psychologie und Kriminalrecht 1863. Dükring Kursus der Philosophie 1875. E. v. Hartmann Phänomenologie des sittlichen Bewufstseins 1879. Kräpelin Abschaffung des Strafmafses 1880. Jettinek Die sozial-ethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe 1878. Hertz Das Unrecht und die allg. Lehren des Strafrechts 1880. Hrehoroivicz Grundfragen und Grundbegriffe des Strafrechts 2. Ausg. 1882. Willert Z 2 473. Seuffert Über einige Grundfragen des Strafrechts 1886. Derselbe Gutachten für den 21. deutschen Juristentag, 1 247. Derselbe Was will, was wirkt, was soll die staatliche Strafe? Rektoratsrede 1896. Medem Z 7 135. Sichart (Litt, zu § 15). Klippel Z 10 570. Lauterburg Die Eidesdelikte 1886. ¡Crohne 219. Wahlberg HG. 1 130. v. Holtzendorff HG. 1 134. Appelius Die bedingte Verurteilung 4. Aufl. 1891. Derselbe Z 12 I. Finger Begründung des Strafrechts vom deterministischen Standpunkte 1887 (vgl. auch Z 10 706). Bruck Fort mit den Zuchthäusern 1894. Thomsen Kriminalpolitische Bekämpfungsmethoden 1893 (dessen „Bekämpfungstheorie" mit Recht darauf hinweist, dafs die Strafe nur eines der vielen Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens ist). Träger Wille, Determinismus, Strafe 1894. — Ebenso auch die oben § 14 Note 5 angeführten Anhänger der soziologischen Richtung. Vgl. auch Alimena I limiti e i modifacatori dell' imputabilità 2 Bd. 1894 ff. (dazu Zürcher Schweizer Zeitschrift 9 44). 10 ) Je mehr der Streit über die Willensfreiheit als nebensächlich erkannt wird (darüber Note 11), desto schärfer tritt der G e g e n s a t z z w i s c h e n den Anh ä n g e r n d e r General- u n d d e r Spezialprävention hervor. Bei jenen die grundlegende Betonung der ethischen Werturteile über das Verbrechen, bei diesen die ausschlaggebende Berücksichtigung der Gefährlichkeit des Verbrechers ; bei



§ l6.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

Dem gegenüber ist zu sagen: i) Die Willensfreiheit im Sinne der indeterministischen Lehre, nach welcher der Mensch in freier, dem Kausalgesetze entrückter Willkür den auf ihn eindringenden Reizen die motivierende Kraft verleihen oder auch versagen kann, steht im Widerspruch mit unseren Denkgesetzen. Sie ist daher völlig ungeeignet, die unverrückbare Grundlage des Strafrechts abzugeben. Es bedarf aber dieser Grundlage auch gar nicht: die Determinierbarkeit des Menschen (seine Bestimmbarkeit durch Motive) genügt, um der Strafe ihre Wirksamkeit zu sichern. n ) jenen die beabsichtigte Einwirkung auf die Gesamtheit der Rechtsgenossen, bei diesen die bessernde, abschreckende oder sichernde Behandlung des Verbrechers. D e r V e r g e 1 t u n g s g e d a n k e h a t s i c h m i t h i n z u r G e n e r a l prävention verflüchtigt; durch die Aufnahme des S t r a f zwecks ist sein i n n e r s t e s Wesen a u f g e g e b e n . Die heutigen Vergeltungstheorieen sind daher grundverschieden von den älteren absoluten Theorieen. Der Streit dreht sich also nur darum, ob Art und Mafs der Strafe in Gesetz und Urteil nach dem Gesichtspunkt der Generalprävention oder der Spezialprävention sich bestimmen soll. Dabei wird nur noch vereinzelt (so von R. Schmidt in teilweiser Anlehnung an Feuerbach) ein unversöhnlicher Gegensatz zwischen beiden Gesichtspunkten behauptet. Teilweise wird wohl auch in durchaus unklarer Weise die Vergeltung gerade in der Spezialprävention gesucht (so bei Meyer und Mittelstadt). Die meisten heutigen Schriftsteller begnügen sich mit der Forderung, dafs in e r s t e r L i n i e die Strafe nach ihrer Wirkung auf die Gesamtheit bestimmt werde. So insbesondere Lammasch Z 9 423, GS. 4 4 170 (Betonung der „konstanten" Strafzwecke, insbesondere der ethischen Reprobation) und im Anschlufs an ihn die Österreicher Finger, yanka, Löffler, Stoo/s (Schweizer Zeitschrift 9 269). Nahe verwandt mit dieser ist die ungleich tiefer einsetzende, auf dem Determinismus aufgebaute Richtung Merkels. Ihm folgt Liepmann Z 14 446, 17 639. Auch van Calker Strafrecht und Ethik 1897 gehört hierher. Als Vertreter der Vergeltungsstrafe auf indeterministischer Grundlage wären noch zu nennen: v. Bar (das Wesen der Strafe liegt in der sittlichen oder sozialen Mifsbilligung: Reprobationstheorie); Berner; Binding Normen 1 (2. Aufl.) 412 (Strafzweck ist die Bewährung des durch den Ungehorsam gebrochenen Gesetzes); Hälschner 1 558; v. Hippel Z 18 661; Meyer GS. 33 101, 1 6 1 ; Ötker Z 18 493 (Strafzweck ist Generalprävention mit anschliefsender Spezialprävention; erstere ist zwar mit der Vergeltung nicht identisch, aber der Staat straft, indem er vergilt). " ) Vgl. oben S. 63; v. Liszt Z 13 325, 17 70. — Den besten Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung liefert die Thatsache, dafs hervorragende Vertreter der Vergeltungsstrafe Leugner der Willensfreiheit sind. So insbesondere Merkel, Mittelstadt, Liepmann. Mehr und mehr bricht sich daher die Erkenntnis Bahn, dafs der Streit über die Willensfreiheit für das Strafrecht ohne Bedeutung ist. So v. Lilienthal Z 14 690, Löffler (Litt, zu § 2) 3 , Makarewics, Ötker 502, 550, R. Schmidt 94, Zürcher Schweizer Zeitschrift 5 3 . — Während Kant, Schelling, Schopenhauer, einem transzendentalen Indeterminismus huldigend, die Freiheit in das „esse" verlegten und für die den Richter allein interessierende W e l t der Erfahrung die ausnahmslose Geltung des Kausalgesetzes lehrten, gelangte in der deutschen strafrechtlichen Wissenschaft mit dem Siege der Hegeischen Philosophie auch der unbedingte „diesseitige" Indeterminismus zur Herrschaft. Ihn vertreten, aufser Berner, Hälschner, Högel, v. Holtzendorff, Kohler, Kostlin, Löning u. a., insbesondere Binding, Normen 2 3 , Birkmeyer Z 16 97, v. Buri zuletzt GS. 4 8 369,

§ i6.

Der Streit der S trafrechtstheorieen.

79

2. Der Gegensatz zwischen dem quia peccatum est und dem ne peccetur schwindet, sobald man daran festhält, dafs auch die Zweckstrafe nicht gegen die verbrecherische Gesinnung an sich, sondern gegen ihre Bethätigung durch ein Verbrechen gerichtet ist. 12 ) 3. Dafs bei Bestimmung der Strafe auf die „ethischen Werturteile" Rücksicht genommen werden müsse, wird auch von den Anhängern der Spezialprävention zugegeben. Aber es ist nicht nur zu betonen, dafs es kaum

Huther GS. 52 2 8 1 , Jhering Zweck im Recht 1 3 , Kuhlenbeck Der Schuldbegriff als Einheit von Wille und Vorstellung 1892, Lammasch GS. 4 4 152, Meyer Die Willensfreiheit im Strafrecht 1890, Ortloff Z 14 3 0 1 , Pfenninger (der, bequem genug, die Freiheit der Wahl für eine dem Beweise nicht unterstellte „Prämisse" erklärt), Rümelin Reden und Aufsätze 1881, Zitelmann Irrtum und Rechtsgeschäft 153. — Den Determinismus haben Augustin, Thomas ab Aquino, Calvin, Luther und andre Theologen gelehrt ; ebenso die Philosophen Hobbes, Spinoza, Leibniz, Hume, insbesondere aber Wolf Jus nat. 8 7 1 4 , der die im Text vertretene Ansicht eine „res satis manifesta" nennt ; ferner Hammel (A. v. JocK) Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen 1770; die französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts (vgl. Hertz Voltaire 126); Feuerbach Revision 1799 und in den ersten Auflagen seines Lehrbuchs (im Anschlufs an Kants transzendenten Indeterminismus), Roynagnosi, Klein und v. Kleinschrod, Thibaut Beiträge zur Kritik der Feuerbachschen Theorie 1802 S. 57 (welcher, wie Moriaud in der ersten der unten angeführten Schriften S. 161 Note I bemerkt, den Begriff der Zurechnungsfähigkeit ganz so bestimmt, wie unser Text), auch Geib 2 57. Unter seinen zahlreichen neueren Anhängern sind aufser Merkel, Liepmann und Mittelstadt besonders zu nennen: Alimena (oben Note 9), v. Bülow Z 16 582, Bünger Z 7 80, 8 576, Finger Zur Begründung des Strafrechts vom deterministischen Standpunkte 1887 (Lehrbuch 122), Haupt Z 2 533, Hertz Unrecht 1 119, Hrehorowicz Grundbegriffe 17, Janka 7 j , Jellinek Sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht, Strafe 64, Kräpelin Abschaffung des Strafmafses I , Moriaud Délit nécessaire 1889 S. 150, Derselbe L a question de la liberté et la conduite humaine 1898, Klippel Z 10 534, Träger W i l l e , Determinismus, Strafe 1894, Stammler Recht und Wirtschaft nach der materialistischen Geschichtsauffassung 1896 (nach ihm besteht die Willensfreiheit lediglich in der Unabhängigkeit von subjektiven Trieben; vgl. dazu 0. Müller Z 17 265), Thyrén Abhandlgn. 2 44 (sehr bestimmt), Vargha ( § 1 5 Note 3) 2 344, Zürcher Schweizer Zeitschrift 5 I; die Italiener Ferri Z 2 II, Lombroso Z 1 127, wie alle ihre Anhänger; der Russe Foinitzky in seinem Handbuche. Den Deterministen müssen insbesondere auch die Vertreter der sogenannten „psychologischen Willensfreiheit" zugerechnet werden. Hierher gehören Herbart und Wundt. Ersterem folgen Geyer und Merkel, letzterem A. Horn Der Kausalitätsbegriff in der Philosophie und im Strafrecht 1893 und GS. 51 151, van Calker Strafrecht und Ethik 1897, Frank § 51 II. Die Vertreter dieser Ansicht übersehen einerseits, dafs das „ I c h " , die selbstbestimmende Individualität kausal entstanden ist; anderseits, dafs es bisher noch keinem „reinen" Deterministen in den Sinn gekommen ist, den Einflufs der Individualität auf das Zustandekommen der Handlung zu leugnen. 1 4 ) Vgl. oben § 15 I I I 1. W e i l verbrochen worden, wird gestraft, d a m i t n i c h t wieder verbrochen werde. Der uralte Schulstreit der Philosophen hat genau denselben wissenschaftlichen und praktischen Wert, als wenn die Ärzte sich darüber streiten wollten, ob sie heilen, d a m i t der Kranke gesund werde oder aber w e i l er krank sei. Vgl. Frank Jahrbücher 1 107, Merkel 189.

8o

§ 16.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

gelingen dürfte, die Einheitlichkeit jener Werturteile für irgend einen gröfseren Staat festzustellen, sondern auch, dafs in der Aufgabe des Gesetzgebers gerade auch die Weiterbildung jener Werturteile gelegen ist. 4. Genauere Betrachtung der Geschichte des Strafrechts lehrt uns, dafs aller Fortschritt des Strafrechts in der Erfassung und Durchführung der Spezialprävention begründet ist. l s ) Diese Entwicklung hat ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Alle Reformbestrebungen haben daher nur Berechtigung, wenn sie sich in der durch die Geschichte gewiesenen Richtung weiterbewegen. 5. Neben der Vergeltung als Generalprävention kann die Strafe, in gewissem Umfange wenigstens, auch einzelne oder mehrere Zwecke der Spezialprävention verfolgen; j a , es ist nicht ausgeschlossen, dafs mit der Verfolgung der Spezialprävention gerade auch die Zwecke der Generalprävention am sichersten erreicht werden. Nur im zweiten Falle wird der Gegensatz zwischen Vergeltung und Zweckstrafe i n n e r l i c h überwunden. u ) V. Diese innerliche Überwindung läfst sich von meinem Standpunkte ,aus etwa in folgender Weise durchführen. 15 ) Die vergeltende Gerechtigkeit fordert, dafs jeder leide gemäfs seiner That, dafs das Mafs der Strafe der Schwere der Verschuldung entspreche. Es 13) Das hat neuerdings v. Hippel Z 18 661 gegenüber den gänzlich ungeschichtlichen Behauptungen von R. Schmidt überzeugend nachgewiesen. 14 ) Das haben gerade die älteren Schriftsteller im Gegensatz zu den modernen Vertretern der Vergeltungstheorie vielfach versucht. Man vergleiche: Abegg Die verschiedenen Strafrechtstheorieen in ihrem Verhältnis zu einander 1835 (Anwendung der dialektischen Methode Hegels auf die geschichtliche Entwicklung der Strafe). — Grolmann (f 1829) Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft 1798. Über die Begründung des Strafrechts und der Strafgesetzgebung 1799. Henke (•)- 1869) Über den Streit der Strafrechtstheorieen 1811. Lehrbuch 1815. Handbuch 1823 fr. Trendelenburg (f 1872) Naturrecht auf dem Grunde der Ethik 2. Aufl. 1868. (Alle drei finden die Wurzel des Unrechts in der Gesinnung des Thäters, in seiner Besserung mithin die Tilgung der Schuld.) — Hierher gehört die gesamte Herbartschz Schule. Herbart (f 1841) Allgem. prakt. Philosophie 1808 führt die Strafe zurück auf die I d e e der ausgleichenden Gerechtigkeit, der Vergeltung. Die unvergoltene That mifsfällt; die Strafe wird gefordert als ästhetische Notwendigkeit. Aber da Vergeltung lediglich um der Vergeltung willen der Sphäre des Übelwollens angehört, bedarf die Strafe noch eines Motives, und dieses liefern die ethischen Ideen des Rechts und des Wohlwollens. Hauptvertreter Herbarts in der strafrechtlichen Fachlitteratur sind Geyer (•)• 1885; vgl. insbes. Geyers Geschichte und System der Rechtsphilosophie 1863, seine Einleitung in v. Holtzendorffs Rechtsencyklopädie 4. Aufl. 1882, Klein. Schriften 65) und Wahlberg (vgl. insbes. dessen Grundzüge der strafrechtlichen Zurechnungslehre 1857; auch Ges. klein. Schriften 1 I). 15 ) Es kommt mir durchaus nicht darauf an, neben die ungezählten Vereinigungstheorieen eine neue zu stellen. Wer den Wunsch nach Verständigung nicht teilt, der möge die nachstehende Ausführung getrost als ungeschrieben betrachten. In dem Gefüge meiner wissenschaftlichen Gesamtanschauung bildet sie kein wesentliches Glied. Mir hat der Grundsatz: „Zielbewufste Bekämpfung des Verbrechertums" noch niemals und nirgends den Dienst versagt.

§ i6.

Der Streit der Strafrechtstheorieen.

81

handelt sich also darum, sich über den Mafsstab zu verständigen, nach welchem die Schwere des Verbrechens bestimmt wird. Die Anhänger der vergeltenden Gerechtigkeit finden den Mafsstab in d e r e i n z e l n e n , dem Richter im gegebenen Falle zur Beurteilung vorliegenden T h a t . Und für diese wieder ist in erster Linie mafsgebend der Wert, den das durch das Verbrechen angegriffene R e c h t s g u t für die Rechtsordnung hat. Di« Tötung wiegt schwerer als die Körperverletzung, der Raub schwerer als der Diebstahl. Durch den E r f o l g wird der Wert der Handlung bestimmt. Für die Anhänger des Zweckgedankens dagegen liegt der Mafsstab i n der a n t i s o z i a l e n B e d e u t u n g der d u r c h die T h a t b e w i e s e n e n v e r b r e c h e r i s c h e n G e s i n n u n g d e s T h ä t e r s , also in dessen sozialem Unwert. In der Beurteilung des Thäters greifen sie hinaus über die einzelne That, die gerade jetzt den Gegenstand der Anklage bildet; sie erforschen die Vergangenheit des Verbrechers und ziehen daraus ihre Schlüsse für die Zukunft. Wohlgemerkt: nicht die verbrecherische Gesinnung an sich, sondern die durch ein bestimmtes Verbrechen bewiesene Gesinnung steht in Frage. Der Gegensatz der beiden Anschauungen greift nicht so tief, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Zunächst ist zu betonen, dafs die Anhänger der vergeltenden Gerechtigkeit selbst den von ihnen eingenommenen Standpunkt in zwei wichtigen Fragen längst aufgegeben haben. Überall dort, wo das geltende Recht die R ü c k f a l l s c h ä r f u n g kennt, fällt bei Bemessung der Strafe nicht nur die eben abzuurteilende T h a t , sondern auch ihre Vorgeschichte, fällt nicht nur der äufsere Erfolg, sondern auch, und in erster Linie, die verbrecherische Gesinnung des Thäters ins Gewicht. Und wenn bei j u g e n d l i c h e n V e r b r e c h e r n , der Weisung des preufsischen Justizministeriums zufolge, auf eine längere Freiheitsstrafe erkannt w i r d , als den Erwachsenen im gleichen Falle getroffen haben würde, so hat die vergeltende Gerechtigkeit im landläufigen Sinne mit diesem Ausmafse der Strafe wahrlich nichts zu schaffen. Aber auch in allen übrigen Fällen (und nach Abzug der Jugendlichen und der Rückfälligen bleibt kaum mehr die Hälfte aller Verurteilten übrig) erscheint die Bemessung der Strafe nach der durch die That bewiesenen verbrecherischen Gesinnung bei genauerer Betrachtung nicht als eine Ablehnung, sondern als eine tiefere '•Fassung des Vergeltungsgedankens. Vergolten soll werden nach der S c h u l d des Thäters. Denn auf sie gründet sich der soziale Unwert des Verbrechens. Die Schwere der Schuld bestimmt sich aber nicht, wenigstens nicht in erster Linie, nach dem äufseren Erfolg der That, sondern nach dem Grade der in der That zu Tage tretenden A u f l e h n u n g d e s E i n z e l w i l l e n s g e g e n d i e R e c h t s o r d n u n g . Diesen Satz werden die Anhänger der vergeltenden Gerechtigkeit nicht ohne weiteres ablehnen können. Innerhalb der rechtlichen Verschuldung aber ergibt sich ein grundlegender Unterschied. Die Auflehnung des Einzelwillens gegen die Rechtsordnung kann entweder eine grundsätzliche, zuständliche, der angebornen oder erworbenen von Li5zt, Strafrecht. 9. Aufl. 6

§ 17.

82

Quellenbestand.

Eigenart des Thäters entsprechende, oder aber eine ausnahmsweise, gelegentliche, episodische sein: z u s t ä n d l i c h g e w o r d e n e r K a m p f g e g e n d i e R e c h t s o r d n u n g und g e l e g e n 1 1 i c h e A b i r r u n g v o n i h r s i n d d i e beiden durchgreifendenGegensätze innerhalb dersubjektiven V e r s c h u l d u n g ; ihnen mufs, nach den Forderungen der Gerechtigkeit, das Mafs der Strafe entsprechen; denn sie bestimmen die Schwere des V e r b r e c h e n s . Das ist aber genau dasselbe Ergebnis, zu dem uns oben (§ 15) die von dem Z w e c k g e d a n k e n erfüllte Kriminalpolitik geführt hat. In der V e r t i e f u n g d e s S c h u l d b e g r i f f e s liegt die Versöhnung des Gegensatzes. Der kategorische Imperativ der Vergeltung deckt sich mit den Nützlichkeitsrücksichten der Politik.

III.

D i e Quellen des R e i c h s s t r a f r e c h t s .

Quellenbestand. § 17.

Litteratur.

Herrschaftsgebiet.

Quellenbestand.

I. Nach heutiger Rechtsanschauung ist das geschriebene Recht (Gesetz im weiteren Sinne) die einzige Quelle der Strafrechtssätze. Alle Sätze des Strafrechts gehören mithin dem g e s e t z t e n R e c h t e an. 1 ) Die heutige Strafgesetzgebung geht aus von der Annahme ihrer V o l l s t ä n d i g k e i t und gründet darauf die Forderung ihrer A u s s c h l i e f s lichkeit. Sie kleidet diese Forderung in den seit der Aufklärungszeit (französische Verfassung vom 3. September 1791) regelmäfsig wiederkehrenden, im RStB. § 2 Abs. I wiederholten Satz: „Eine H a n d l u n g kann nur dann mit einer S t r a f e belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." (Vgl. auch Preufs. Verf. Art. 8.) Nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege. Nur die im Gesetze ausdrücklich mit Strafe bedrohten Handlungen sind strafbar, und nur die im Gesetze ausdrücklich festgesetzten Strafrahmen sind anwendbar. Diese Auffassung steht in untrennbarem Zusammenhange mit der Aufgabe, welche das jeweils geltende S t a a t s r e c h t dem Strafrichter zuweist. Und diese wieder wird begrenzt und bestimmt durch das politische Verhältnis der Staatsgewalt zur individuellen Freiheit (vgl. oben § 1 Note 1). Nur wenn und soweit der Strafrichter nicht blofs Organ der Rechts an W e n d u n g , sondern auch der Rechts S c h ö p f u n g ist, gibt es andre als gesetzte Straf' ) Abweichend nur Bindittg 1 197, 201 und Z 1 4.

§ 17.

Quellenbestand.

»3

rechtssätze. Darum gestattete die römische Kaiserzeit im Gegensatze zum Quästionenprozesse dem Richter die Bestrafung ad exemplum legis (1. 7 § 3 D. 48, 4 ) ; darum „schöpfte" der mittelalterliche Urteils„finder" die Rechtssätze aus seiner Rechtsüberzeugung; darum mufste das gemeindeutsche Strafrecht, gestützt auf Art. 105 PGO., der Gewohnheit und der Wissenschaft die Noch die Theresiana hielt an dieser Weiterbildung seiner Sätze überlassen. Auffassung fest. Aber seit der Aufklärungszeit (schon Österreich 1787) war der Richter nur mehr der Verkünder des Gesetzes, dessen Wortlaut, nicht dessen Geist ihn bindet. Man ging so w e i t , wie einst zu Justinians Zeiten, jede Auslegung des Gesetzes verbieten zu wollen. 3 ) Wir sind heute von diesen Übertreibungen zurückgekommen und überweisen dem Richter die Anwendung des in seinem inneren Zusammenhange, d. h. wissenschaftlich, erkannten Rechts. Daraus folgt unmittelbar, dafs, wenigstens auf dem G e biete des Reichsstrafrechts, dem Gerichtsgebrauch (und nur in diesem kann das s o g . Gewohnheitsrecht sich äufsem) rechtserzeugende K r a f t nicht z u k o m m e n kann, m a g es sich darum h a n d e l n , n e u e Rechtssätze in Geltung oder geltende Rechtssätze aufser Geltung zu setzen (sog. desuetudo). Damit ist aber auch der W i s s e n s c h a f t die Recht schaffende Kraft versagt. Durch die Kunst der A u s l e g u n g hat sie den Inhalt der Rechtssätze klarzustellen; durch die B e g r i f f s e n t w i c k l u n g kann sie vorhandene, aber nicht ausdrücklich und nicht unmittelbar ausgesprochene Rechtssätze aufdecken. Nicht aber kann sie aus eigner K r a f t Rechtssätze schaffen oder vernichten. Nur dem Gesetze wohnt Recht erzeugende Kraft bei. Die vorgetragenen Sätze bedürfen aber nach doppelter Richtung der Einschränkung. 1. Das G e w o h n h e i t s r e c h t kann durch seine Geltung auf andern Rechtsgebieten mittelbar auch für das Strafrecht von Bedeutung werden; und der W i s s e n s c h a f t ist durch den Gesetzgeber mehrfach (man denke an den untauglichen Versuch) die Entscheidung wichtiger Fragen und daher mittelbar die Aufstellung von Rechtssätzen übertragen worden. 2. Die A u s l e g u n g ist beschränkt durch das in § 2 Abs. I ausgesprochene Verbot der Analogie, soweit es sich um die Aufstellung von verbrecherischen Thatbeständen und von Strafdrohungen handelt. H. Nur die R e i c h s gesetzgebung ist mithin Quelle der Rechtssätze des Reichsstrafrechts. In dreifacher Gestalt aber tritt uns der Befehl des Reichsgesetzgebers entgegen: I. Als G e s e t z im engern, staatsrechtlichen Sinne; 2. als V e r o r d n u n g , soweit ausnahmsweise den Organen des Reichs ein Verordnungsrecht auf strafrechtlichem Gebiete ausdrücklich eingeräumt ist; ') 2 ) V g l . Binding 1 23 Note 18; Geil 1 328; Löning Z 3 320; Stohil Brandenburg-Preufsens Rechtsverwaltung (Litt, zu § 7) 2 209. 3 ) Vgl. dazu Seuffert StG. 1 33 (der auf das in den VeTsicherungsgesetzen eingeräumte weitgehende Strafverordnungsrecht hinweist). Über das Landesrecht insbesondere Rosin Das Polizeiverordnungsrecht in Preufsen 2. Aufl. 1895. — Wichtig § 4 des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes vom 10. Juli 1879 sowie § 3

6*

84

§17.

Quellenbestand.

3. als S t a a t s v e r t r a g , sofern dieser die staatsrechtlich verbindliche, also die Unterthanen verpflichtende Kraft erlangt hat. III. Gesetz im engeren Sinne ist der durch das verfassungsmäßige Zusammenwirken der gesetzgebenden Faktoren erklärte, in der verfassungsgemäfsen Form verkündete Wille der Gesamtheit (RVerf. Art. 2, 5, 17). Gesetz ist der e r k l ä r t e W i l l e der Gesamtheit; nicht der n i c h t e r k l ä r t e Wille und nicht die n i c h t g e w o l l t e Erklärung. Die Erklärung erfolgt durch die B e s c h l u f s f a s s u n g seitens des Reichstags und Bundesrats, durch die A u s f e r t i g u n g und den V e r k ü n d u n g s b e f e h l seitens des Kaisers. Danach haben wir die sogenannten R e d a k t i ons v e r s e h e n zu beurteilen.4) Von Redaktions versehen spricht man, wenn der erklärte Wille selbst auf einem Irrtume beruht. Da das Erklärte gewollt und das Gewollte erklärt ist, liegt ein die Rechtsgenossen bindendes Gesetz vor, das nur durch Gesetz wiederbeseitigt werden kann, wie dies durch das Nachtragsgesetz vom 26. Februar 1876 in einer Reihe von Fällen (nicht in allen) thatsächlich geschehen ist. Verschieden davon ist die Nichtübereinstimmung zwischen dem Wortlaut der Kundmachung und jenem der gefafsten Beschlüsse. Die irrtümlich kundgemachte Bestimmung ist nicht Gesetz, aber auch nicht der zwar gefafste aber nicht kundgemachte Beschlufs. Daher kann nur durch eine neue berichtigende Kundmachung diesem Mangel abgeholfen werden.5) Aus dem Gesagten folgt, dafs die sogenannten „ M a t e r i a l i e n " der Gesetze, insbesondere Begründung und Kammerverhandlungen, nur mit äufserster Vorsicht als Auslegungsmittel verwertet werden können. Sie sind nicht erklärter Wille der Gesamtheit, sondern geben uns im günstigsten Falle die Beweggründe, welche einzelne Mitglieder des einen der gesetzgebenden Faktoren zu i h r e r Willenserklärung bestimmt haben.6) IV. Die gesetzlichen Quellen des Reichsstrafrechts sind: 1. Das Strafgesetzbuch mit seinen Ergänzungen (oben § 11); 2. Die sogenannten strafrechtlichen Nebengesetze (oben § 12). V. Eine eigentümliche Erscheinungsform bieten diejenigen Strafrechtssätze, in welchen nur die S t r a f d r o h u n g durch Reichsgesetz bestimmt ist, während die Festsetzung des Thatbestandes andern Gewalten, sei es dem

des Gesetzes vom 19. März 1888 betr. die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten. 4) Schütze GA. 20 351; Sontag Die Redaktionsversehen 1874; v. Wächter GS. 29 321; Binding 1 460; Merkel HH. 4 76; Wach 1 266. 5) Abweichend Binding 1 460. — Der Ausdruck „ D r u c k f e h l e r " ist zur Bezeichnung solcher Fälle zu eng. Lehrreiches Beispiel in Mil.StGB. § 141 („Festungsstrafe" statt „Freiheitsstrafe"). Vgl. auch zu Mil.StGB. § 95 Hecker 208. 6) So schon v. Wächter Archiv 1839 S. 345. Jetzt herrschende Ansicht. Vgl. Binding 1 471; Glaser 1 317; Wach 1 282. Weiter geht allerdings R. in zahlreichen, teilweise bedenklichen Entscheidungen.

§ i8.

Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.

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Kaiser, dem Bundesrat, der Justizverwaltung, der Landesgesetzgebung oder der Polizei, vielleicht sogar der aufserdeutschen Gesetzgebung überlassen wird. Beispiele bieten StGB. §§ 145, 327, 328, 3 6 1 6 , 366 > - 1 0 , 3 6 7 1 4 , 368 2 ; Nahrungsmittelgesetz §§ 6 und 7 und zahlreiche andere Nebengesetze. Besonders lehrreich Gesetz betr. Zuwiderhandlungen gegen die österr.-ungar. Zollgesetze vom 9. Juni 1895 §§ 2 und 3. — Man spricht hier wohl von Blankettgesetzen (Binding), „blinden" oder „offenen" Strafdrohungen (Heinze, yanka). In allen diesen Fällen ruht aber die bindende Kraft der Verknüpfung von Thatbestand und Rechtsfolge, also des Strafrechtssatzes selbst, auf reichsgesetzlicher Anordnung.

§ 18.

Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.

Eine vollständige Bibliographie fehlt. Für die ältere Zeit GW. Böhmer Handbuch der Litteratur des Kriminalrechts in seinen allgemeinen Beziehungen mit besonderer Rücksicht auf Kriminalpolitik nebst wissenschaftlichen Bemerkungen 1816. Kappler Handbuch der Litteratur des Kriminalrechts und dessen philosophischer und medizinischer Hilfswissenschaften 1838. •— Für die neuere Zeit bietet möglichste Vollständigkeit das Systematisch-alphabetische Generalregister zu den ersten 12 Bänden der Z, auf das ein für allemal verwiesen wird. Kurze Übersicht bei v. Kirchenheim Juristischer Litteraturbericht 1884 bis 1894. '896 (Strafrecht und Kriminalpolitik S. 231 bis 265). — Über die Nebengesetze vgl. oben zu § 12. Über die aufserdeutsche Litteratur oben § 9. Als die bedeutendsten Arbeiten sind an dieser Stelle zu nennen: I. Textausgaben: Rüdorff 18. Aufl. 1897 (von Appelius). 6. Aufl. 1897. Daude 6. Aufl. 1896. Dalcke 6. Aufl. 1897. 5. Aufl. 1893. Für B a y e r n Henle und Schierlinger 1895.

Olshausen Staudinger

II. Systematische Darstellungen: Lehrbücher von Berner I. Aufl. 1857, 17. Aufl. 1895. Schütze (f 1897) 2. Aufl. 1874. H. Meyer (1. Aufl. 1875) 5. Aufl. 1895. v. Holtzendorff (f 1889) Handbuch des deutschen Strafrechts in Einzelbeiträgen von verschiedenen Verfassern. 4 Bde. 1871/77- v- Wächter Deutsches Strafrecht. Vorlesungen herausgegeben von O. v. Wächter 1881. Hälschner Das gemeine deutsche Strafrecht, systematisch dargestellt, I. Bd. 1881, II. Bd. I. Teil 1884, 2. Teil 1887. v. Bar Handbuch des deutschen Strafrechts. I. Bd. Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorieen 1882. Binding Handbuch des Strafrechts I. Bd. 1885 (besprochen von Merkel Z 6 496, v. Liszt Z 6 663). Grundrisse von Binding Allg. Teil 5. Aufl. 1897, Bes. Teil I. Hälfte („Lehrbuch") 1896, Birkmeyer 3. Aufl. 1895, Geyer 1884/85, v. Lilienthal 1892, Loning 1885. Kurzgefafste Darstellungen von Merkel 1889, Geyer in v. Holtzendorffs Encyklopädie (3. Aufl. 1879, 5- Aufl., bearbeitet von Merkel, 1890 f.), Olshausen im 3. Heft seines Grundrisses zu rechtswissenschaftlichen Vorlesungen an der Forstakademie Eberswalde 1891 und Ziebarth Forstrecht 2. Teil. — Kompendien (Repetitorien)

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§ i8.

Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.

von Quaritsch 7. Aufl. 1896, Bender 7. Aufl. 1893, Weifsenstein 1894, Kobner 3. Aufl. 1895, Walter 1895 u. a. — Sehr wertvoll die Darstellung von Seuffert in Strafgesetzgebung der Gegenwart I 1894. I I I . Von den K o m m e n t a r e n sind neben Meyer (Thorn), Kirchmann, Blum, Hahn, Puchelt, Rubo hervorzuheben: Oppenhoff 13. Aufl. 1896, herausgegeben von ThF. Oppenhoff. Rüdorff 4. Aufl. herausgegeben von Stenglein 1892. v. Schwarze 5. Aufl. 1883. Olshausen I. Aufl. 1879 ff., 5. Aufl. (2 Bde.) 1897. Frank 1897. — Binding Die gemeinen deutschen Strafgesetzbücher. Kommentar. I. Einleitung (mehr nicht erschienen). 2. Aufl. 1877. IV. A b h a n d l u n g e n allgemeinern Inhalts: Seeger Abhandlungen aus dem Strafrechte 1858. Köstlin Abhandlungen aus dem Strafrecht. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Ge/sler 1858. Glaser ( f 1885) Abhandlungen aus dem österreichischen Strafrecht I. 1858. Derselbe Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozefs 2. Aufl. 1883. Merkel Kriminalistische Abhandlungen 1867. Wahlberg Gesammelte kleinere Schriften und Bruchstücke über Strafrecht u. s. w. I 1875, II 1877, III 1882. Binding Die Normen und ihre Übertretung. Eine Untersuchung über die rechtmäfsige Handlung und die Arten des Delikts I 1872 (2. Aufl. 1890), I I 1877. Hertz Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts I 1880. Hrehorowicz Grundbegriffe des Strafrechts 2. Aufl. 1882. Bünger Über Vorstellung, Wille und Handlung als Elemente der Lehre vom Verbrechen und von der Strafe 1888. Geyer Kleinere Schriften strafrechtlichen Inhalts. Herausg. von Harburger 1889. Köhler Studien aus dem Strafrecht I bis V I 1890 ff. v. Buri Beiträge zur Theorie des Strafrechts und zum Strafgesetzbuch. Gesammelte Abhandlungen 1894. Thyren Abhandlungen aus dem Strafrecht und der Rechtsphilosophie s. a. ( 1 8 9 4 ff).

V. Z e i t s c h r i f t e n : Archiv des preufsischen Strafrechts; 1853 von Goltdammer begründet, 1872 von Mager, 1873 bis 1880 von Hahn, 1880 bis 1886 von Backoffner, seither von Meves, vom 45. Bande ab von Maies, Dalcke, Supper und Mugdan geleitet. Titel seit 1871: Archiv für gemeines deutsches und für preufsisches Strafrecht. — Der Gerichtssaal; 1849 von Jagemann begründet, seit 1872 von v. Schwarze, nach dessen 1886 erfolgtem Tode von v. Holtzendorff, vom 42. Bande ab von Stenglein herausgegeben. — Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft; 1881 von Dochow und v. Liszt begründet, nach des ersteren Tode (1881) von v. Liszt und v. Lilienthal weitergeführt (ständige Mitarbeiter: Bennecke (f 1898), Frank, Günther, v, Hippel, H. Seuffert). — Mitteilungen der Internationalen Kriminal. Vereinigung seit 1889 (bisher 6 Bde.). — Abhandlungen des (preufs.) kriminalistischen Seminars (früher in Marburg, jetzt in Halle a. S.); seit 1888 von v. Liszt herausgegeben. Strafrechtliche Abhandlungen des Juristischen Seminars der Universität Breslau; herausgegeben von Bennecke I. Bd. 1895. An Stelle dieser beiden Sammlungen seit 1896: Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben (mit einer ganzen Reihe von deutschen Strafrechtslehrern) von Bennecke und Beling, seit 1898- von Beling allein. VI.

Spruchsammlungen:

Die deutsche Strafrechtspraxis I. Bd. 1877

§ l8.

Litteratur des Reichsstrafrechts und seiner Hilfswissenschaften.

87

von Pezold, Stiegele und Köhn. II. Bd. 1880 von Zimmerle. Eine übersichtliche Zusammenstellung der Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte zum RStGB. — Die Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen, mit Ende 1888 eingegangen, im ganzen 10 Bände. — Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. Herausgegeben von den Mitgliedern des RG. Vom 19. Bande ab auch von den Mitgliedern der Reichsanwaltschaft mitherausgegeben. — Sammlung der Entscheidungen des OLG. München in Gegenständen des Strafrechts und Strafprozesses 1881 ff. — Franz Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Kolmar in Strafsachen 1886, 1891, 1897. — Apt Die grundlegenden Entscheidungen des deutschen Reichsgerichts auf dem Gebiete des Strafrechts. Für das Studium und die Praxis bearbeitet, 2. Aufl. 1897. — Kritische Überschau über die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Z von Frank und Beling. VII. Strafrechtsfälle: Aufser der veralteten Kasuistik des Kriminalrechts von Osenbrüggen (1854): v. Bar Strafrechtsfälle 1875. v. Liszt Strafrechtsfälle zum akademischen Gebrauch 5. Aufl. 1895, 6. Aufl. in Vorbereitung (erste Aufl. von Dochow 1875). Kohler Strafrechtsaufgaben zum Gebrauche bei dem akademischen Strafrechtspraktikum 1. Abteiig. 1889. Schultze Rechtsfälle aus der Praxis der Strafsenate des Reichsgerichts als Strafrechtsaufgaben mitgeteilt 1891. Harburger Strafrechtspraktikum. Strafrechtsfälle zum praktischen Gebrauch und zum Selbststudium 1892. Frank Strafrechtliche Fälle zur mündlichen Behandlung 2. Aufl. 1897. VIII. Hilfswissenschaften: 1. Die Arbeiten über K r i m i n a 1 - B i o 1 o g i e und - S o z i o l o g i e (Statistik) s o w i e ü b e r K r i m i n a l p o l i t i k siehe oben § 14, die über G e f ä n g n i s w e s e n unten § 61. 2. G e r i c h t l i c h e M e d i z i n und P s y c h i a t r i e : Handb. vo|L CasperLiman, 2 Bde. 8. Aufl. 1889/90. Maschka Handbuch in Einzelbeiträgen. 4 Bde. 1881 ff. Hoffmann Lehrbuch 8. Aufl. 1898. Vgl. auch Hoffmann Z 2 82. Strafemann Lehrbuch der gerichtlichen Medizin 1895. v. Kr äfft-Ebing Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie. 8. Aufl. 1897. Derselbe Grundzüge der Kriminalpsychologie für Juristen 2. Aufl. 1882. Derselbe Z 2 358, 4 81, 5 150. Sander und Richter Die Beziehungen zwischen Geistesstörung und Verbrechen 1886. Moeli Über irre Verbrecher 1888. Kräpelin Psychiatrie 5. Aufl. 1896. Cramer Gerichtliche Psychiatrie. Ein Leitfaden für Mediziner und Juristen 1897. Delbrück Gerichtliche Psychopathologie 1897. — v. KrafftEbing Psychopathologia sexualis 9. Aufl. 1894. Derselbe Der Konträrsexuale vor dem Strafrichter 2. Aufl. 1895. Moll Die konträre Sexualempfindung 1891. Eulenburg Sexuale Neuropathie 1896. Havelock Ellis und JA. Symonds Das konträre Geschlechtsgefühl. Deutsch von Kurella 1896. — Forel Der Hypnotismus 3. Aufl. 1895. Moll Hypnotismus 3. Aufl. 1896. v. Lilienthal Z 7 281. Rieger Z 8 315. Forel Z 9 131. Heberle Hypnotismus und Suggestion im deutschen Strafrecht 1893. Hirsch Die menschliche Verantwortlichkeit und die moderne Suggestionslehre. Eine psychologisch-forensische Studie 1896. Vgl. auch Z 9

g8

§ 19.

725. —

D a s zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

Friedreichs

Blätter für gerichtliche

herausgegeben v o n Messer er, seit 1898 von 3. K r i m i n a l p o l i z e i : Lallcmant

Medizin

und

Sanitätspolizei;

Gudden,

Ortloff Lehrbuch der Kriminalpolizei 1881.

Physiologie der Polizei 1882.

Seuffert

oben § 14 Note 2 angeführten Schriften. suchen von Brandstiftungen 1895.

W V . 1 885.

Weingart

Friedrich

Groß

Handbuch

Ave-

in den

für das Unter-

Über Bedeutung und Anwendung

der Photographie im Strafverfahren 1895.

§ 19.

Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

L i t t e r a t u r . Berner Wirkungskreis des Strafgesetzes nach Zeit, Raum, Person 1853. Seeger Über die rückwirkende K r a f t neuer Strafgesetze 1862 (Abhdlgn. 2 1). Sckmid Herrschaft der Gesetze nach ihren räumlichen und zeitlichen Grenzen 1863. Binding 1 225, Normen 1 168. O. Lehmann Die zeitliche Herrschaft der Strafrechtssätze, namentlich mit Rücksicht auf das schweizerische Strafrecht. Berner Diss. 1896. Goehrs D a s „mildeste G e s e t z " im Sinne des § 2 A b s . 2 R S t G B . Strafsburger Diss. 1897. I.

Der Zeitpunkt, in welchem

das R S t G B . in den

verschiedenen

Teilen des Deutschen Reichs in Wirksamkeit getreten ist, wurde bereits oben S. 53 festgestellt.

Bezüglich aller übrigen Rechtssätze des Reichs-

strafrechts bestimmt sich Beginn und Ende ihrer Herrschaft nach allgemeinen nicht

in

14. T a g e

Regeln.

dem Gesetze

Demnach selbst

beginnt

ein

ihre

verbindende K r a f t ,

andrer Zeitpunkt

nach dem Ablaufe desjenigen T a g e s ,

bestimmt

an welchem

ist,

den sofern

mit

dem

das betreffende

Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist ( R V e r f . A r t . 2). In den Konsulargerichtsbezirken ist diese Frist auf 4 Monate erweitert (Gesetz vom

10. Juli 1879 § 47).

Dasselbe

(Gesetz vom 19. März 1888).

gilt

Und es

von

endet

den

deutschen

Schutzgebieten

die Herrschaft der

Strafrechts-

sätze, wenn sie sich nicht selbst die verbindliche K r a f t nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkte oder bis zu dem Eintritte einer Bedingung beilegen,

mit

ihrer ausdrücklichen oder stillschweigenden A u f h e b u n g durch die gesetzgebende Gewalt.

D a s G e s e t z ist die einzige Q u e l l e ,

w i e der Entstehung,

so

auch

des Untergangs der Reichsstrafrechtssätze. Bezüglich der stillschweigenden Aufhebung ist an dem Satze festzuhalten, dafs das spätere Gesetz in den von ihm geregelten die Bestimmungen

des

älteren

aufhebt.

Der

Begriff

der

Materien „Materie"

bestimmt sich auch hier nach den unten § 20 gegebenen Regeln. Dieser

Satz

strafgesetze

gilt

zunächst

für

das Verhältnis

zu einander, ohne Rücksicht

der

einzelnen

Reichs-

darauf, ob das spätere oder das

frühere Gesetz ein sogenanntes Nebengesetz oder das S t G B , selbst ist. ferner für das Verhältnis der R e i c h s S t r a f g e s e t z e Strafgesetzen (aber nicht umgekehrt).

zu den früheren

V g l . darüber unten § 20.

E r gilt

Landes-

E r gilt end-

lich aber auch für das Verhältnis der verschiedenen Gebiete des Reichsrechts zu einander (vgl. auch § 2 EG.).

Daher wird das R S t G B . insbesondere durch

die einschlagenden Bestimmungen des B G B . mehrfach abgeändert.

§19.

Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

89

II. Ein Rechtssatz herrscht oder gilt, heilst: Die von ihm an einen Thatbestand geknüpften Rechtsfolgen treten ein, sobald der Thatbestand gegeben ist. Daraus folgt, dafs jeder Rechtssatz nur auf die während seiner Herrschaft entstandenen Thatbestände angewendet werden kann, soweit er nicht selbst auch die hinter oder vor seiner Geltung liegenden Thatsachen ergreifen zu wollen erklärt. Dies gilt auch für die Strafrechtssätze. Auch sie haben w e d e r n a c h w i r k e n d e n o c h r ü c k w i r k e n d e K r a f t , soweit der Gesetzgeber sie ihnen nicht ausdrücklich beilegt.1) Daraus folgt die in StGB. § 2 Abs. I mittelbar anerkannte Regel: Die Strafrechtssätze finden Anwendung auf die während, sie finden keine Anwendung auf die vor oder nach ihrer Geltung begangenen Handlungen. Lediglich den Anforderungen einer juristisch nicht zu begründenden, aber dennoch zu billigenden Milde trägt der Gesetzgeber Rechnung, wenn er von dieser Regel, ohne sie als Regel zu beseitigen, die folgende Ausnahme zuläfst (StGB. § 2 Abs. 2): Bei Verschiedenheit der Strafgesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden. Damit ist den milderen Strafrechtssätzen rückwirkende Kraft verliehen. Zugleich aber ist damit der Satz anerkannt, dafs nach Ablauf der zeitlichen Herrschaft eines Strafrechtssatzes Verurteilung wegen einer vor diesem Zeitpunkt begangenen Handlung unmöglich ist (Beispiel: Aufhebung des Sozialistengesetzes).2) Von dem einmal eingenommenen Standpunkte aus war es nur folgerichtig, die Berücksichtigung nicht nur a) des zur Zeit der Begehung und b) die des zur Zeit der Aburteilung geltenden Gesetzes, sondern auch c) der etwaigen Zwischenstrafgesetze vorzuschreiben (man denke an die vorübergehende Abschaffung der Todesstrafe in einigen deutschen Staaten). ') Die Frage ist sehr bestritten. Mit dem Texte übereinstimmend (wegen Annahme einer Verbindlichkeit aus Verschuldung) die gem. Meinung. Für Rückwirkung Binding I 230, Finger I 80, Geyer 1 89, Hälschner 1 116, Lammasch Vorschläge zur Revision des Strafgesetzentwurfs 1894 S. 4, Schütze 48. Dabei spielt vielfach die übertriebene Betonung der ethischen Werturteile eine Rolle. Andre, wie Meyer 109, wollen grundsätzlich immer das mildere Gesetz zur Anwendung bringen. 2) Denn die Berücksichtigung, die der weitestgehenden Strafmilderung gewährt wird, kann der nunmehr eintretenden Straflosigkeit umsoweniger versagt werden. Ob das Gesetz ausdrücklich aufgehoben wird oder stillschweigend abläuft, kann dabei keinen Unterschied begründen. Abweichend Olshausen § 2 16, R 15. Januar 1891 21 294. — Mit der Aufhebung eines Gesetzes ist der Fall nicht zu verwechseln, dafs das Gesetz überhaupt nur die unter einer bestimmten Sachlage, mithin während einer bestimmten Zeit (z. B. der Dauer eines Vieheinfuhrverbotes), begangenen Handlungen mit Strafe belegen wollte. Hier steht der Anwendung des Gesetzes auch n a c h Ablauf dieser Zeit nichts im Wege, wenn die Handlungen w ä h r e n d dieser Zeit begangen worden sind. Ebenso im wesentlichen Frank § 2 IV und Z 14 357, Hälschner 1 123. Vgl. auch Binding 1 237, 258, Meyer 113.

§ 19.

9° III.

Das zeitliche Geltungsgebiet der Strafreehtssätze.

W e n n der Richter aus zwei oder mehr Gesetzen das mildeste

auszuwählen berufen wird, so hat er zunächst den ihm vorliegenden Fall nach dem andern,

einen

der in Frage

kommenden

Gesetze,

dann nach

dem

dann nach den übrigen etwa noch vorhandenen Gesetzen

entscheiden, daher den Thatbestand nach jedem stellen und die Strafe zu bestimmen. Strafgesetze ist unbedingt unzulässig.

dieser Gesetze

Jede Verbindung

zu

festzu-

verschiedener

Das für den Beschuldigten g ü n s t i g s t e

E r g e b n i s ist mafsgebend. Dabei sind nicht nur Umfang und Inhalt der Strafe, sondern a l l e mafsgebenden s t r a f r e c h t l i c h e n Normen in Betracht zu ziehen. So Nebenstrafen, der Einflufs erschwerender und mildernder Umstände, Bestimmungen über Rückfall, Teilnahme, Versuch, Bedingungen der Strafbarkeit u. s. w. Wenn sich bei dieser Prüfung Straflosigkeit oder mildere Strafe nach einem der in Frage stehenden Gesetze ergibt, weil dieses z. B. den Versuch nicht für strafbar erklärt oder eine Rückfallsschärfung nicht kennt, so ist dieses Gesetz als das mildere, bez. als das mildeste, ausschliefslich in Anwendung zu bringen. Dasselbe gilt bezüglich der Strafaufhebungsgründe und insbesondere der V e r j ä h r u n g ; ist die Verfolgung der That oder die Vollstreckung des Urteils nach dem einen oder dem anderen Gesetze verjährt — wobei als Anfangspunkt des Verjährungslaufes für das frühere wie das spätere Gesetz die Zeit der begangenen That, bez. der rechtskräftigen Urteilsfällung, anzunehmen ist — , so mufs Freisprechung erfolgen.3) Dagegen sind etwaige p r o z e s s u a l e Hindernisse, welche der Durchführung der Strafklage im Wege stehen, aufser Betracht zu lassen. Da das Antragserfordernis als Prozefsvoraussetzung aufgefafst werden mufs (unten § 45), so bleibt seine Einführung oder Beseitigung auf die Beurteilung älterer Handlungen grundsätzlich ohne Einflufs; vgl. aber auch Art. III der Novelle vom 26. Februar 1876: ,,Bei den Handlungen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen sind, wird das Erfordernis des Antrages auf Verfolgung, sowie die Zulässigkeit der Zurücknahme nach den bisherigen Gesetzen beurteilt." Selbstverständlich sollte es sein, dafs andere als strafrechtliche Rechtsnormen (nicht in Betracht kommen.4) Bei g l e i c h e r Milde der in Vergleich zu ziehenden Gesetze tritt die allgemeine Regel wieder in Kraft. Dasselbe gilt bei Unvergleichbarkeit der Strafen.

3) Unbegründet ist die Ansicht, nach welcher der Beginn der Geltung des späteren Gesetzes als Anfangspunkt für den Lauf der nach diesem zu berechnenden Verjährung gilt. — Mehrfach wird behauptet, dafs die Vollstreckungsveijährung nach § 70 StGB, auf v o r Geltung des StGB, r e c h t s k r ä f t i g erkannte Strafen keine Anwendung finde (§ 2 Abs. 2 StGB.: „Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung b i s zu d e r e n A b u r t e i l u n g . . . ."). So Uälschner 1 126, Heinze HH. 2 21, Ophausen § 2 13. Doch steht einer analogen Anwendung dieses Satzes wohl nichts im Wege. Richtig Berner 317, Binding 1 266, v. Risch Z 9 267. 4) So richtig Göhrs 30 (gegen Binding).

§ 2o.

§ 20.

Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

91

Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Reichsrecht und Landesrecht.

Litteratur. Heinze Staatsrechtliche und strafrechtliche Erörterungen 1870. Derselbe Das Verhältnis des Reichsstrafrechts zum Landesstrafrecht 1871. Binding Der Antagonismus zwischen dem D. StGB, und dem Entwurf des badischen Einf.-Ges. 1871. Hälschner 1 89. Binding 1 270. Matthie/sen In welchem Umfange sind die Vorschriften im allgemeinen Teil des StGB, für die Landesgesetze bindend? Kieler Diss. 1894. — Rosin Das Polizeiverordnungsrecht (oben § 17 Note 3). Rotering GS. 50 12. Seuffert StG. 1 94. I. D u r c h das R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h sind die einzelnen L a n d e s s t r a f g e s e t z b ü c h e r a n sich nicht beseitigt w o r d e n . N a c h Art. 2 d e r R e i c h s v e r f a s s u n g übt a b e r das Reich das R e c h t d e r G e s e t z g e b u n g n a c h M a r s g a b e des Inhalts der V e r f a s s u n g u n d mit d e r W i r k u n g aus, dafs die R e i c h s g e s e t z e den L a n d e s g e s e t z e n v o r g e h e n . Die Landesgesetzgebung darf weder zu den Anordnungen der Reichsgesetzgebung, mögen diese ausdrücklich oder stillschweigend gegeben sein, in W i d e r s p r u c h treten, noch hat sie die Kraft, sie zu bestätigen; thut sie es dennoch, so sind ihre angeblichen Gebote ohne gebietende Kraft, sie s i n d n i c h t Gesetz. Es ist daher einerseits die b i s h e r i g e Landesgesetzgebung beseitigt, soweit die Sätze des Reichsrechts das von ihr geregelte Gebiet, sei es widersprechend, sei es übereinstimmend, ergreifen, ohne dafs es einer ausdrücklichen Aufhebung bedurfte; und es ist anderseits auch die k ü n f t i g e Landesgesetzgebung unter derselben Voraussetzung und in demselben Umfange wirkungslos. Diesen Grundsatz d e r R e i c h s v e r f a s s u n g drückt GG. §§ 2 u n d 5 w e n i g glücklich mit d e n W o r t e n aus, dafs das L a n d e s s t r a f r e c h t a u s g e schlossen ist, „insoweit dasselbe Materien betrifft, w e l c h e G e g e n s t a n d des StGB.s f ü r das D e u t s c h e Reich sind". „ M a t e r i e " , d. h . G e g e n stand, des StGB, a b e r sind die einzelnen f ü r s t r a f b a r oder f ü r n i c h t s t r a f b a r erklärten H a n d l u n g e n . *) Die Landesgesetzgebung ist mithin ausgeschlossen : *) Nicht aber die sog. allgemeinen Lehren, die nur in der Beziehung auf das einzelne Verbrechen Bedeutung erlangen. Es gibt keinen Verbrechensversuch im allgemeinen, sondern nur einen Versuch des Mordes, des Diebstahls u. s. w. Auf dem der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete kann diese daher über Versuch, Teilnahme, Zurechnungsfähigkeit, Verjährung u. s. w. Bestimmungen treffen, welche von denen des RStGB.s abweichen. Sie hat von dieser Befugnis auch reichlichen Gebrauch gemacht. Vgl. insbesondere die Forstpolizeiund Forststrafgesetze; Ziegner-Gnüchtel Z 8 232. Übereinstimmend Matthiessen, Olshausen EG. § 2 13, Seuffert StG. 1 86, 87; R 1. Mai 80 2 34, 19. Mai 84 10 392 und früher das ROHG. Abweichend Binding 1 307, der die Landesgesetzgebung unbedingt für gebunden hält; ferner Frank EG § 2 VI, Hälschner 1 110, Merkel 7, Meyer IOI die innerhalb der reichsrechtlichen Bestimmungen bindende und nicht bindende unterscheiden wollen. Frank rechnet zu den ersteren diejenigen, durch welche Rechte der Unterthanen gegenüber der Staatsgewalt festgesetzt werden (Beispiele: Strafunmündigkeit,

92

§ 20.

Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

1. Wenn die Reichsgesetzgebung eine Handlung ausdrücklich für s t r a f b a r erklärt h a t ; 2. W e n n die Reichsgesetzgebung eine Handlung ausdrücklich oder still-» schweigend für s t r a f l o s erklärt hat. D a die letztere Erklärung regelmäfsig stillschweigend erfolgt, kann das S c h w e i g e n der Reichsgesetzgebung eine doppelte Bedeutung h a b e n : entweder die einer stillschweigend verneinenden Anordnung („qualifiziertes S c h w e i g e n " ) oder die Überweisung der Regelung an die Landesgesetzgebung. Ob das eine oder das andere der Fall, haben wir nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, sondern vor allem aus dem G es e t z e s e l b s t , aus dem Zusammenhange der ausdrücklich ausgesprochenen Rechtssätze untereinander zu beantworten. Die Frage nach dem der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiete ist eine Frage der A u s l e g u n g der Reichsgesetzgebung. Dabei werden wir uns wegen Art. 4 Nr. 13 der Reichsverfassung im Z w e i f e l für die Unzulässigkeit landesgesetzlicher Regelung entscheiden müssen. Auch die Schwere der der Landesgesetzgebung zu Gebote stehenden Strafmittel (EG. § 5) wird nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. B e i s p i e l e . Aus der bunten, eines leitenden Gedankens entbehrenden Zusammenwürfelung einzelner Übertretungen in dem letzten Abschnitte des RStGB.s folgt die Zulässigkeit landesgesetzlicher Thätigkeit auf dem Gebiete der Polizeiübertretungen. 2 ) Daher besteht fort das rheinpreufsische Verbot der öffentlichen Ankündigung von Geheimmitteln (R. 21./28. November 87 16 359). Ebenso ist wegen der Systemlosigkeit des 25. Abschnittes des RStGB.s die fortdauernde Geltung des § 270 des preufs. StGB.s und des Art. 4 1 2 Abs. 2 C. pén. betr. die Freiheit des Bietens bei öffentlichen Versteigerungen zu behaupten (R zuletzt 18. März 95 27 203); dagegen Meyer 147, 155. Auch die landesrechtlichen Strafbestimmungen gegen Winkeladvokaten sind nicht aufgehoben. Dagegen stehen die landesrechtlichen Verbote des Spielens in auswärtigen Lotterieen in Widerspruch mit dem Reichsrecht. Ebenso ergibt sich aus der eingehenden und abschliefsenden Behandlung des falschen Zeugnisses im StGB, der Rechtssatz, dafs die nicht beeidete falsche Aussage straflos zu lassen sei. Und ganz derselbe Grund entscheidet gegen die landesrechtlichen Vorschriften über die studentischen Schlägermensuren. Siehe über diese drei Fragen den Besondern Teil. Auch die Materie der Selbsthilfe ist geregelt ; damit entfallen alle landesrechtlichen Strafdrohungen. Durch Gesetz vom 29. März 1888 wurde die fortdauernde Strafbarkeit der cris séditieux ausdrücklich ausgesprochen, nachdem R wiederholt und mit Recht die Geltung des Art. 8 des französischen Prefsgesetzes vom 25. März 1822 verneint hatte. Verjährungsfristen); diese Rechte könne die Landesgesetzgebung erweitern, aber nicht einschränken. 2 ) Von den PolizeiStG.Büchern sind als die wichtigsten zu nennen: Das b a y r i s c h e vom 26. Dezember 1871 (Kommentar von Staudinger 3. Aufl. 1893), das w ü r t t e m b e r g i s c h e vom 27. Dezember 1871 (Schicker 2. Aufl. 1888), das b a d i s c h e vom 31. Oktober 1863, abgeändert 1871 (Schlusser 1888), das h e s s i s c h e von 1855. Sachsen, Preufsen, Elsafs besitzen keine einheitliche Polizeistrafgesetzgebung.

§ 20.

Das sachliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

93

Schwierigkeiten bot bisher das Verhältnis des Reichsstrafrechts zu den P r i v a t s t r a f e n des gemeinen Rechts. Es wird daran festzuhalten sein, dafs sie beseitigt sind, soweit sie wirkliche Strafen darstellen, d. h. soweit sie über eine in Geld zu leistende E n t s c h ä d i g u n g des Verletzten, mit Einschlufs der G e n u g t h u u n g (in Geld) für die Verletzung anderer als vermögensrechtlicher Interessen, hinausgehen. II. In den reichsgesetzlich nicht geregelten Materien hat die Landesgesetzgebung freien Spielraum. Die bisherigen Landesgesetze bleiben bestehen, neue können gegeben werden. Diesen Satz spricht § 2 Abs. 2 des EG. zum StGB, aus, wenn er auch irreleitend die „ b e s o n d e r e n Vorschriften" dem StGB, gegenüberstellt. Die äufsere Stellung eines Rechtssatzes in einem allgemeinen StGB., bezw. Polizei-StGB., oder aber in einem sogenannten Nebengesetze, hat für unsre Frage keine Bedeutung. Nur b e i s p i e l s w e i s e nennt der § 2: Prefspolizei-, Post-, Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd-, Forst- und Feldpolizeigesetze, Vorschriften über Mifsbrauch des Vereins* und Versammlungsrechts und über den Holz-(Forst-)Diebstahl.3) III. Aber auch in dem an sich der Landesgesetzgebung überlassenen Gebiet, also in den reichsgesetzlich nicht geregelten Materien, sind jener gewisse Schranken gezogen. 1. Wenn in Landesgesetzen auf strafrechtliche Vorschriften, welche durch das StGB, für das Deutsche Reich aufser Kraft gesetzt sind, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend, verwiesen wird, so treten die entsprechenden Vorschriften des letzteren an die Stelle der erstem (EG. § 3). Wenn also in dem landesrechtlichen Forstdiebstahlsgesetz nichts über Versuch oder Teilnahme gesagt ist, so finden die einschlagenden Bestimmungen des RStGB. Anwendung. 2. V o m 1. Januar 1872 (1871) ab darf nur auf die im RStGB. enthaltenen Strafarten erkannt werden. Das Strafensystem des RStGB. ist also unbedingt bindendes Recht. 4 ) Ausgenommen ist die an Stelle der 3) Auch die Anführung des Holzdiebstahls ist eine lediglich beispielsweise; er ist eben (und war von jeher) etwas wesentlich andres als Diebstahl, wurde auch niemals zu den „unehrlichen Sachen" gerechnet. Dasselbe gilt von der feld- und forstpolizeilichen Sachbeschädigung. D a g e g e n insbes. Binding 1 346 Note 9, Normen 1 160 (anders I. Aufl. 1 73), Matthie/sen 21, Merkel 6, Olshausen EG. § 2 10, Seuffert StG. 1 86. Die einschlagenden Gesetze (für Preufsen: Forstdiebstahlsges. vom 15. April 1878 [Kommentar von Rotering 1895]; Forst- und Feldpolizeiges. vom I. April 1880; Elsafs-Lothringen, Hessen, Sachsen, während in Bayern, Baden, Württemberg die einschlagenden Bestimmungen in den Polizeistrafgesetzbüchern sich finden) sind aufgezählt bei Binding 1 308 Note 3 sowie bei Lehr An welchen Sachen kann kein gemeiner Diebstahl begangen werden ? Giefsener Diss. 1894. — Das Schweigen der Landesgesetzgebung wird freilich in dem Sinne aufgefafst werden müssen, dafs sie das gemeine Recht zur Anwendung bringen will, so dafs die reichsrechtlichen Strafdrohungen gegen Diebstahl und Sachbeschädigung subsidiäre Geltung behalten. 4) Ausgeschlossen ist mithin die körperliche Züchtigung; aber nur als Strafe, nicht als Disziplinarmittel. Abweichend Seuffert StG. 1 89. — Die

94

§ 21.

Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

Gefängnis- oder Geldstrafe angedrohte oder nachgelassene Forst- oder Gemeindearbeit (EG. § 6). 6 ) 3. Während die unter 1 und 2 angeführten Beschränkungen in gleicher W e i s e die bisherige wie die künftige Landesgesetzgebung treffen, darf, ohne dafs die bestehenden Landesgesetze durch diese Anordnung irgendwie unmittelbar berührt werden,") in künftigen Landesgesetzen nur Gefängnis bis zu zwei Jahren, Haft, Geldstrafe, Einziehung einzelner Gegenstände und die Entziehung öffentlicher Ämter angedroht werden (EG. § 5). I V . Durch ausdrückliche reichsgesetzliche Anordnung (EG. § 8) wurde der Landesgesetzgebung das übrigens selbstverständliche Recht vorbehalten, durch Ü b e r g a n g s b e s t i m m u n g e n die in Kraft bleibenden Landesstrafgesetze, welche als solche durch die Reichsgesetzgebung nicht berührt wurden, mit den Vorschriften des RStGB.s in Übereinstimmung zu bringen. Solche Ausführungsgesetze (abgesehen von Elsafs-Lothringen, oben S. 53) sind in sämtlichen Bundesstaaten mit Ausnahme von Preufsen (nebst Lauenburg und Waldeck) erlassen worden.7)

§ 21.

Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. Grundsätzliche Erörterung.

I i i t t e r a t u r . Berner (Litt, zu § 19). v. Bar Lehrbuch des internationalen Privat- und Strafrechts 1892. Derselbe GS. 34 481 und 35 561. v. Rohland Das internationale Strafrecht 1877. 1. v. Liszt Z 2 50. Geyer Z 3 619. Harburger Der strafrechtliche Begriff Inland 1882. Lammasch Auslieferungspflicht und Asylrecht 1887. Derselbe GS. 40 I. v. Mörtitz Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 1 1888, 2 1897. Heinze Universelle und parti-

reichsgesetzlichen Mindest- und Höchstmafse der einzelnen Strafarten binden die Landesgesetzgebung. Diese kann daher auch nicht unter das Mindestmafs der Geldstrafe in StGB. § 27 herabgehen. Anders freilich die herrschende Übung. 6 ) Ausgenommen sind nur die bereits bestehenden landesrechtlichen Bestimmungen. Die Landesgesetzgebung hat sich aber über diese Beschränkung hinweggesetzt. Frank E G . § 6. •) Ebenso die gem. Meinung, insb. Frank EG. § 6 I, Meyer 100, Olshausen EG. § 5 2. Dagegen Binding t 298, Heinze GS. 30 561, Hälschner 1 103. 'J Von Zusammenstellungen des Landesstrafrechts sind zu erwähnen: Die oben zu § 12 angeführten Werke über deutsches u n d p r e u f s i s c h e s Strafrecht; ferner: Groschuff, Eichhorn und Delius Die preufsischen Strafgesetze 1894 ff. Cörmann Die Strafgesetze Elsafs-Lothringens 1897. Das StGB, für das Deutsche Reich in seiner Anwendung im Königreich Bayern 5. Aufl. 1889 (Bamberg). Gösch und v. Düring Mecklenburg-Schwerinsches Landesstrafrecht 1887; Mecklenburg-Strelitzsches Landesstrafrecht 1887. Über französisches Recht vgl. Scherer GS. 39 621. — Über das mustergiltige bayrische EG. vgl. Seuffert StG. 1 93; über den Inhalt des Landesstrafrechts daselbst 98 sowie Birkmeyer Grundrifs 4, 8.

§ 21.

Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

95

kulare Strafrechtspflege 1896. Beling Z 17 303. v. Weickhtnann D i e V i e l ehe deutscher Reichsangehöriger in den muhammedanischen Staaten. Beitrag zur Kasuistik des internat. Privat- und Strafrechts. Greifswalder Diss. 1895I. Unter dem durch Bentham

eingebürgerten, in der Überschrift dieses

Paragraphen absichtlich vermiedenen Ausdrucke „ i n t e r n a t i o n a l e s recht"

pflegt man wesentlich verschiedene Begriffe zu vermengen.

StrafMan ver-

steht darunter: 1. Die Rechtsregeln über das r ä u m l i c h e G e l t u n g s g e b i e t der Strafrechtssätze.

Diese Rechtsregeln gehören an sich dem n a t i o n a l e n Rechte an.

A b e r mit der Erkenntnis, dafs jede einzelne nationale Gesetzgebung sich bestreben soll, mit den übrigen sich in Einklang zu setzen, Übergriffe zu vermeiden und L ü c k e n auszufüllen, entsteht eine Reihe von Normen,

völkerrechtlichen

also von internationalen Anforderungen an den nationalen Gesetz-

geber, die ebenfalls, und mit gröfserem Recht, unter jener Bezeichnung zusammengefafst werden.

Einen wichtigen Ausschnitt aus ihnen bildet die i n t e r -

nationale Rechtshilfe,

insbesondere in der Gestalt der Auslieferung, mit

welcher sich § 23 beschäftigen wird. 2. I n t e r n a t i o n a l e güterschutz.

Vereinbarungen

Ihre Zahl wie

ihre Bedeutung

über strafrechtlichen Rechts-

ist gering.

Erwähnt seien die

Reblauskonvention vom 3. November 1881, der Vertrag zum Schutz der unterseeischen K a b e l vom 14. März 1884, die Brüsseler Generalakte vom 2. Juli 1890 gegen den Sklavenhandel, die Weltpostvereinsverträge von 1897. träge begründen für die vertragschliefsenden Staaten die Verpflichtung zur Erlassung entsprechender Bestimmungen. lich gleiches Recht in verschiedenen Staaten. rechtlichen

Verbindlichkeit

nationale Vertrag.

Solche Ver-

völkerrechtliche So entsteht inhalt-

A b e r die Quelle seiner s t a a t s -

ist das nationale Gesetz und nicht der inter-

Besondere Behandlung an dieser Stelle entfallt hiermit. W i r

haben es in diesem und dem folgenden Paragraphen nur mit der ersten Bedeutung des W o r t e s zu thun. II. V o n dem v ö l k e r r e c h t l i c h e n Grundsatz ausgehend, dafs die Staatshoheit räumlich begrenzt wird durch das Staatsgebiet, gelangen wir zu dem Folgesatze,

dafs jeder Staat sein heimisches Strafrecht anzuwenden hat auf

a l l e auf seinem Gebiete, also im I n l a n d e , b e g a n g e n e n strafbaren Handlungen.

Ob der Thäter, ob der Verletzte ein Inländer oder aber ein Ausländer

ist, darf dabei einen Unterschied nicht machen.

Verfolgung und Bestrafung

der im Auslande begangenen Handlungen ist dem Staate des Begehungsortes zu überlassen (sog. T e r r i t o r i a l p r i n z i p ) .

Für diese Regelung sprechen nicht

nur die Leichtigkeit und Sicherheit einer folgerichtigen Durchführung, sondern vor allem die unbestreitbaren Vorteile, welche Verfolgung und Aburteilung am Thatorte bietet. III. für

den

A b e r die Annahme einzelnen

Staat

nicht

und Durchführung des Territorialprinzips möglich

ohne

eine

doppelte

ist

Voraussetzung.

Zunächst mufs er die Anerkennung des gleichen Grundsatzes von Seiten sämtlicher übrigen Staaten fordern, damit Übergriffe einer einzelnen

Staatsgewalt

96

§ 21.

Das räumliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

ebenso vermieden werden wie Lücken in der Strafverfolgung. Dann aber mufs jeder Staat sicher sein, dafs Angriffe auf seine Interessen, die auf fremdem Staatsgebiete vorgenommen werden, einer kräftigen Abwehr durch die Strafgesetzgebung des Begehungsortes begegnen. Beide Voraussetzungen sind heute nicht gegeben und können nur durch internationale Vereinbarungen geschaffen werden. So ist das Strafrecht gezwungen, über die Grenzen des Heimatstaates hinauszugreifen. Aber diese Grenzüberschreitung wird, schon wegen der Nachteile, welche mit der Verfolgung und Aburteilung an einem andern Orte als dem der begangenen That untrennbar verbunden sind, nicht weiter gehen dürfen, als unabweisliche Bedürfnisse es erheischen. Ein solches Bedürfnis kann aber nur dann anerkannt werden, wenn die im A u s l a n d e begangene Handlung gerichtet ist entweder a) gegen das i n l ä n d i s c h e G e m e i n w e s e n selbst und seine Lebensinteressen oder b) gegen R e c h t s g ü t e r der inländischen Rechtsgenossen. Diese Erweiterung des räumlichen Geltungsbereiches der Strafrechtssätze pflegt man als „ S c h u t z p r i n z i p " , „ R e a l p r i n z i p " oder „ P r i n z i p d e r b e t e i l i g t e n R e c h t s o r d n u n g " zu bezeichnen. Früher insbesondere von Feuerbach, Arnold u. a. vertreten, ist es in unseren Tagen von Beling, Binding, Heime, Meyer (neuerdings mit bedenklicher Hinneigung zur Weltrechtspflege), v. Rohland, v. Wächter aufgenommen worden. In den deutschen Einzelstaaten erst durch französisch-preufsische Rechtsanschauungen verdrängt, entspricht es allein den Anforderungen einer von nationalem Geiste erfüllten kräftigen Kriminalpolitik; und wenn auch die ihm huldigenden Gesetzvorschläge (1875 und 1889) den Beifall des Reichstags nicht fanden, so ist diesem Grundsatze doch bis zum Zustandekommen internationaler Vereinbarungen, also für die nächste Zukunft, die Herrschaft gesichert. IV. Der staatsrechtliche Grundsatz, Inländer an das Ausland zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung nicht auszuliefern (unten § 23), zwingt dazu, die I n l ä n d e r wegen der im A u s l a n d e begangenen strafbaren Handlungen auch dann dem inländischen Strafrechte zu unterwerfen, wenn die oben unter HI aufgestellten Voraussetzungen nicht gegeben sind. Irreführend ist es, diese Erweiterung auf ein strafrechtliches „ N a t i o n a l i t ä t s - " oder „ S u b j e k t i o n s p r i n z i p " zurückzuführen; und als ein Widerspruch mufs es bezeichnet werden, wenn man die Verfolgung und Bestrafung im Ausland unter die Herrschaft ausländischer Rechtsregeln stellen will. V . D i e I n t e r e s s e n g e m e i n s c h a f t a l l e r K u l t u r s t a a t e n in Beziehung auf gewisse Lebensbethätigungen führt weiter dazu, e i n z e l n e gegen g e m e i n s a m e I n t e r e s s e n gerichtete Handlungen ohne R ü c k s i c h t a u f d e n B e g e h u n g s o r t nach dem Rechte des ergreifenden Staates zu bestrafen. Als solche gemeinsame Interessen erscheinen: der internationale Handelsverkehr mit seinen Bedürfnissen; die Sicherheit der grofsen Verkehrswege; die Sicherheit des Münz- und Geldverkehrs; die Verteidigung gegen internationale Feinde, die „hostes generis humani", wie Seeräuber, Sklavenhändler, anarchistische Dynamitverbrecher; die Abwehr des Mifsbrauches des roten Kreuzes u. a. m.

§ 22.

Räumliches Geltungsgebiet.

Die deutsche Reichsgesetzgebung.

QJ

Noch weiter zu greifen ist weder notwendig noch zweckmäfsig. Wissenschaftlich unhaltbar und praktisch undurchführbar ist mithin der ,,Grundsatz der absoluten E x t r a t e r r i t o r i a l i t ä t der Strafges e t z e " , das „ U n i v e r s a l i t ä t s p r i n z i p " oder das „ S y s t e m d e r W e l t r e c h t s p f l e g e " . Seine Anhänger verlangen, untereinander wenig übereinstimmend, dafs jeder Staat, als Vertreter der internationalen Kulturgemeinschaft, bei allen wo immer begangenen Verbrechen wenigstens aushilfsweise die Ausübung der Rechtspflege gegen die von ihm ergriffenen Verbrecher auf sich nehmen soll. Diese Ansicht übersieht die tiefgreifende Verschiedenheit der strafrechtlichen Bestimmungen selbst in den nächstbenachbarten Ländern; sie zwingt den heimischen Richter, fremdes, ihm unbekanntes Recht zur Anwendung zu bringen; sie unterschätzt die Schwierigkeiten eines Strafverfahrens, dem die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme mangelt; und sie gewährt der Rechtsordnung trotz alledem keinen wesentlich stärkern Schutz als die Ausweisung des verdächtigen oder überführten Ausländers. Von den Anhängern dieser Ansicht sind, aufser Brnsa, Carrara, Geyer, Hälschner, Lentner, Mohl, Ortolan, Schmid, v. Schwarze, Ullinann besonders zu nennen: Lammasch und v. Martitz (hier S. 106 weitere Litteratur); in gewissem Umfange auch v. Bar Lehrbuch 216, Heinze, v. Lilienthal 23.

§ 22.

Fortsetzung.

Der Standpunkt der deutschen Reichsgesetzgebung.

I. Das RStGB. 1 ) stellt in § 3 den Satz an die Spitze: „Die Strafgesetze des Deutschen Reichs finden Anwendung auf alle im Gebiete desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wenn der Thäter ein Ausländer ist." Die S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t d e s T h ä t e r s ist demnach im allgemeinen (soweit nicht Schutzgebiete und Konsulargerichtsbezirke in Frage stehen) ohne Bedeutung. Allerdings spricht der Wortlaut mancher Bestimmungen nur von dem „Deutschen" (StGB. §§ 87 [aber § 91], 140, 142, 143, Robbengesetz vom 4. Dezember 1876), derjenige andrer Strafdrohungen nur von dem „Ausländer" (StGB. § 296a, Gesetz über die Küstenfrachtfahrt vom 22. Mai 1881). Doch *) Lammasch geht aus von dem „Prinzip der identischen Norm" und verfällt damit in die von ihm sonst so scharf bekämpfte ßindingsche Normenlehre. Heinze verlangt Weltrechtspflege bei Übertretung „universeller Normen", die die ganze civilisierte Menschheit beherrschen, mithin ein absolut gemeines Weltrecht darstellen. Auch er übersieht, dafs es nicht auf die „identische Norm", sondern nur auf die sehr abweichenden Strafgesetze ankommen kann. Die erste Voraussetzung einer Weltrechtspflege, nämlich ein international gemeines Strafrecht, steht heute noch in weiter Ferne. *) Nur das Geltungsgebiet der Reichsstrafgesetze steht in Frage, nicht das der Landesstrafgesetze. Vgl. über dieses Bennecke 83 Note 2, Frank § 6 I, Hälschner 1 181, Harburger 93, Heinze (Litt, zu § 20) 43, John 1 204. v o n Liszt, S t r a f r e c h t . 9. A u f l . 7

p8

§

22-

Räumliches Geltungsgebiet.

Die deutsche Reichsgesetzgebung.

kann im ersten Falle der Ausländer, im zweiten der Deutsche als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) sowie als mittelbarer Thäter (unten § 50), nicht als unmittelbarer Mitthäter zur Verantwortung gezogen werden. Ebenso erleidet die Gleichstellung i n l ä n d i s c h e r u n d a u s l ä n d i s c h e r R e c h t s g ü t e r , welche § 3 StGB, stillschweigend ausspricht, gewisse Ausnahmen. So wird nach einer freilich sehr bestrittenen und erst im Besondern Teil zu rechtfertigenden Ansicht bei Angriffen auf die Staatsgewalt nur in einzelnen vom Gesetze besonders hervorgehobenen Fällen die ausländische Staatsgewalt im Inlande überhaupt geschützt, ohne der inländischen ganz gleichgestellt zu werden. Und die ausländischen Urheberrechte geniefsen regelmäfsig nicht auf Grund des Strafgesetzbuchs, sondern nur infolge besonderer Staatsverträge gleichen oder doch ähnlichen strafrechtlichen Schntz wie die inländischen. Teilweise ist die Gleichstellung auch von der Bedingung der „Gegen» seitigkeit" abhängig gemacht; so § 23 Warenbezeichnungsgesetz vom 12. Mai 1894, § 16 des Wettbewerbsgesetzes vom 27. Mai 1896. Man vergleiche auch noch StGB. §§ 112, 141, 144, 275 u. a. II. Der Begriff „ I n l a n d " bedarf aber der näheren Erläuterung. 1.

Im staatsrechtlichen

ist Inland

das „Bundesgebiet"

und d a m i t a u c h gemäfs

i m strafrechtlichen S i n n e

Art. 1 der R e i c h s v e r f a s s u n g

und

G e s e t z v o m 9. Juni 1871 betr. d i e V e r e i n i g u n g v o n E l s a f s u n d L o t h r i n g e n

mit dem Deutschen R e i c h e . 2 ) Aber der Zeitpunkt, von welchem, ab die einzelnen Teile des jetzigen Deutschen Reiches zur s t r a f r e c h t l i c h e n Einheit verbunden wurden, wird nicht durch die Rechtskraft des Gesetzes vom 16. April 1871 betr. die Reichsverfassung (4. Mai 1871), sondern, durch den Beginn der Geltung des StGB, bestimmt. Daher bildeten das Inland im Sinne des StGB, vom I. Januar bis I. Oktober 1871 nur die Länder des ehemaligen Norddeutschen Bundes (mit Südhessen); an diesem Tage traten. Elsafs und Lothringen, am 1. Januar 1872 Bayern, Baden, Württemberg, am I. April 1891 Helgoland hinzu.®) Die deutsche S t a a t s g e w a l t herrscht ferner in den d e u t s c h e n S c h u t z g e b i e t e n (nicht aber

innerhalb

der

„Interessensphären").

Dennoch

sind

hier die Reichsstrafrechtssätze nach § 3 des Gesetzes vom 19. März 1888 nur für Reichsangehörige und Schutzgenossen unbedingt, für andre Europäer und für die Eingebornen nur unter der Voraussetzung verbindlich, dafs die deutsche Gerichtsbarkeit durch kaiserliche Verordnung auf sie erstreckt w i r d ; was bezüglich der ersteren, nicht aber (abgesehen von Ostafrika) der letzteren, allgemein geschehen ist. 1 ) 2 ) StGB. § 8: „ A u s l a n d im Sinne dieses Strafgesetzes ist jedes nicht zum Deutschen Reiche gehörige Gebiet." Vgl. dazu Gesetz vom 15. Dezember 1890 und Vdg. vom 22. März 1891 (Helgoland). *) Dagegen die herrschende Ansicht. Nach ihr galten Bayern, Württemberg und Baden im ehemaligen norddeutschen Bundesgebiet (einschl. Südhessen) schon vom 4. Mai 1871, das ehem. norddeutsche Bundesgebiet dagegen in jenen süddeutschen Staaten erst mit dem I. Januar 1872 s t r a f r e c h t l i c h als Inland. Richtig Binding 1 407. 4 ) Ein besonderes StGB, für die Eingebornen, wie es alle Kolonialmächte:

§ 22.

Räumliches Geltungsgebiet.

Die deutsche Reichsgesetzgebung.

2. Der staatsrechtliche Begriff „Inland" wird durch die bekannten völkerrechtlichen Grundsätze teils erweitert, teils eingeengt. 5 ) a) Zum Inlande werden gerechnet die K ü s t e n g e w ä s s e r sowie die L u f t s ä u l e über dem Staatsgebiet; jene wie diese, soweit sie thatsächlich, insbesondere durch Waffengewalt, beherrscht werden (in den Staatsverträgen wird die Grenze der Küstengewässer meist auf drei Seemeilen vom niedrigsten Wasserstande bestimmt). b) S c h i f f e auf offener See, Staatsschiffe (nicht blofs Kriegsschiffe) auch in fremden Gewässern, gelten als Inland. c) Nach den mit nichtchristlichen Staaten geschlossenen Staatsverträgen (Kapitulationen) sowie nach § 4 des Gesetzes vom 10. Juli 1879 gilt in den K o n s u l a r g e r i c h t s b e z i r k e n das Reichsstrafrecht für Reichsangehörige und Schutzgenossen. Sie sind in strafrechtlicher Beziehung mithin als Inland zu betrachten, soweit es sich um die genannten Personen handelt.6) d) Durch Verträge zwischen benachbarten Staaten kann vereinbart werden, dafs bestimmte Strafrechtssätze des einen Staates, z. B. Zoll- und Steuergesetze, auch auf dem angrenzenden Gebiete des anderen Staates Geltung haben sollen. Amtsgebäude auf fremdem Gebiete (Zollabfertigungsstellen u. s. w.) können demnach als Inland zu betrachten sein.7) e) Über die durch das Mil.StGB. im Anschlufs an völkerrechtliche Grundsätze für den Kriegsfall angeordneten Erweiterungen des räumlichen Geltungsgebietes der Strafrechtssätze vgl. den Besondern Teil. 3. Es ist endlich zu beachten, dafs nicht alle deutschen Strafgesetze in sämtlichen Teilen des Inlandes Anwendung finden, dafs vielmehr die Geltung für bestimmte Teile des Reichs ausgeschlossen oder von vornherein nur für befür notwendig erachtet haben, ist in Vorbereitung. Einstweilen sind einzelne Strafdrohungen erlassen worden. Strafverordnung der Neuguinea-Kompanie vom 21. Oktober 1888; des Reichskanzlers vom 10. März 1890 für die Marschallinseln; Verfügung des Reichskanzlers vom 22. April 1896 für Ostafrika, Kamerun und Togo. Vgl. Ritbow Die deutsche Kolonialgesetzgebung 1893; Kolisch Die Kolonialgesetzgebung des Deutschen Reichs 1896; Z 15 904; Reichsanzeiger vom I. Mai 1896. — Vdg. vom 26. Juli 1896 betr. die Einführung der deutschen Militärstrafgesetze in den Schutzgebieten. — Gegenüber der äufserlichen Anlehnung unsrer Kolonialgesetzgebung an das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit mufs betont werden, dafs die Verbindlichkeit des deutschen Strafrechts in den Schutzgebieten auf staatsrechtlicher, in den Konsulargerichtsbezirken auf völkerrechtlicher Grundlage (dort auf der ausschliefslichen Herrschaft der deutschen, hier auf der vertragsmäfsigen Einschränkung fremder Staatsgewalt) ruht. s ) Vgl. v. Liszt Völkerrecht 1898 § 9. 6) Mehrfach, aber zu Unrecht, bestritten. So von Beling Z 17 308. Der Deutsche, der in der Türkei delinquiert, ist also ebenso zu behandeln, als wenn der Thatort im Deutschen Reich gelegen wäre. Der Franzose im gleichen Fälle so, als wenn er in Frankreich eine Strafthat begangen hätte. ') R 19. März 86 13 410, 19. November 88 18 242. Vgl. auch den deutsch-österreichischen Vertrag vom 2. Dezember 1890 über die Einbeziehung der vorarlbergischen Gemeinde Mittersil in das Zollsystem des Deutschen Reichs. Selbstverständlich mufs der völkerrechtliche Vertrag staatsrechtliche Gültigkeit erlangt haben. 7*

IOO

§

22-

Räumliches Geltungsgebiet.

stimmte Gebiete angeordnet sein kann. Elsafs-Lothringen nicht

in K r a f t

D i e deutsche Reichsgesetzgebung. So ist § 31 des Freisgesetzes nicht in

eingeführt; auf Helgoland sind verschiedene getreten;

über

Gewinnung

Reichsgesetze

von Edelmetallen

sind

für

die

deutschen Schutzgebiete besondere Vorschriften erlassen. m.

D e r an die S p i t z e g e s t e l l t e G r u n d s a t z w i r d a b e r d u r c h

fache Ausnahmen Vergehen Im unter

einerseits

Auslande die

durchbrochen. und

D a b e i ist z w i s c h e n

Übertretungen

begangene

anderseits

Übertretungen

Reichsgesetzgebung

fallen)

(soweit

sind

nur

mehr-

Verbrechen zu

und

unterscheiden.

diese

dann

Oberhaupt

zu

bestrafen,

w e n n dies d u r c h b e s o n d e r e G e s e t z e o d e r d u r c h (staatsrechtlich v e r b i n d liche) Verträge v o n

Seiten

o r d n e t ist (StGB. § 6).

des Reichs oder

eines Einzelstaates

So werden nach dem deutsch-belgischen

ange-

Vertrage

vom 29. April 1885 ( R G B l . S. 251) Deutsche, welche auf belgischem Grenzgebiete sich eines Forst-, Feld-, Fischerei- oder Jagdfrevels schuldig gemacht haben, nach deutschem

Rechte

zur Verantwortung

gezogen.

Ähnliche

Be-

stimmungen finden sich auch in Verträgen mit andern Staaten. IV. Vergehen

Bezüglich

der

im

Auslande

unterscheidet

das

Gesetz

begangenen weiter,

Verbrechen

indem

es

oder

zunächst

den

Inländer in e i n e r g r ö f s e r e n Z a h l v o n F ä l l e n als d e n A u s l ä n d e r d e m i n ländischen

Rechte

unterwirft;

folgung im p f l i c h t g e m ä ß e n

in

allen

Ermessen

diesen

Fällen

steht

die

(nicht in d e r W i l l k ü r )

Ver-

der

An-

k l a g e b e h ö r d e (StGB. § 4 A b s . 2).») 1. D e r Inländer k a n n n a c h i n l ä n d i s c h e m R e c h t e v e r f o l g t w e r d e n : a) O h n e

weitere

Bedingung,

wenn er eine hoch- oder landesver-

räterische Handlung gegen das Reich oder einen Bundesstaat, oder eine Beleidigung gegen einen Bundesfürsten (nicht gegen Mitglieder der

landesherr-

lichen Familien), oder ein Münzverbrechen, oder als Beamter des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs (nicht blofs nach dem StGB.) als Verbrechen oder Vergehen im Amte anzusehen ist (StGB. § 4 Nr. I und 2). g i l t bei Mifsbrauch von Sprengstoffen nach §

D a s gleiche

12 des Gesetzes vom 9. Juni

1884 (für die Verbrechen der § § 5, 6, 7, 8 und 10 dieses Gesetzes), für den VeiTat militärischer Geheimnisse nach § § I, 3, 5 des Gesetzes vom 3. Juli 1893 (§ 10), für Sklavenraub und Sklavenhandel nach § 5 des Gesetzes vom 28. Juli 1895,

sowie für die Verletzung der § § 33 Abs. 2, 36, 41

Abs. 3

des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897 durch den Schiffsführer (§ 43 Abs. 3). b) i n a n d e r n

Fällen

dann, wenn die folgenden Voraussetzungen zu-

sammentreffend vorliegen: I. D i e begangene Handlung mufs nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen anzusehen sein. — mufs durch die Gesetze des Begehungsortes mit Strafe bedroht sein.

2. Sie

W i r d die

*) Für die in den Schutzgebieten oder in den Konsnlargerichtsbezirken begangenen Verbrechen gilt, da sie strafrechtlich als Inland anzusehen sind, das Legalitätsprinzip. D a g e g e n (gewifs mit Unrecht) Frank § 8 I.

§ 22.

Räumliches Geltungsgebiet.

Die deutsche Reichsgesetzgebung,

JQI

Handlung auf staatslosem Gebiete, etwa auf einer Entdeckungsreise im Innern von Afrika oder auf Nordpolareis, auf offener See aufserhalb des Schiffes (z. B. beim Schwimmen) begangen, so entfällt diese Bedingung mit der Unmöglichkeit ihres Eintrittes.*) Mehrfache Ehe, begangen in einem Staate, in welchem Vielweiberei rechtlich erlaubt ist (abgesehen von den Konsularjurisdiktionsbezirken), kann an dem nach dem Reich zurückgekehrten Deutschen nicht bestraft werden. Gleichgültig ist es dagegen, ob das Recht des Thatortes die Handlung unter demselben oder unter einem andern Gesichtspunkte bedroht, wie das deutsche StGB. — 3. Es darf von den Gerichten des Auslandes n i c h t über die Handlung bereits rechtskräftig erkannt und entweder eine Freisprechung erfolgt oder die ausgesprochene Strafe vollzogen sein. Doch ist in diesem Falle ein besonderes Nachverfahren zum Zwecke der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig (StGB. § 37; vgl. unten § 66 IV). — 4. Es darf n i c h t (bei Einleitung des Verfahrens) 10) Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach den Gesetzen des Auslandes verjährt oder die Strafe erlassen sein. — 5. Es mufs der nach den Gesetzen des Auslandes erforderliche Antrag des Verletzten gestellt sein. Nur wenn alle fünf Bedingungen vorliegen, ist die Verfolgung nach inländischem Recht zulässig (StGB. § 4 Nr. 3, § 5). Für die Entscheidung der Frage, ob der Thäter Inländer oder Ausländer ist, kommt ausschliefslich der Augenblick der Begehung der That in Betracht. 2. D e r Ausländer 1 1 ) k a n n w e g e n d e r v o n i h m im Auslande b e gangenen Verbrechen und Vergehen a) o h n e w e i t e r e s nach inländischem Rechte verfolgt werden, wenn es sich um Hochverrat gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat oder um ein Münzverbrechen handelt, oder wenn er als Beamter des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaats eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen im Amte anzusehen ist (StGB. § 4 Nr. i). Ebenso nach § 12 des Sprengstoffgesetzes von 1884 und § 5 des Sklavenraubgesetzes von 1895. b) Dagegen ist in allen anderen Fällen, mit e i n e r Ausnahme, die Verfolgung ausgeschlossen. Ist nämlich der Thäter zwar bei Begehung der Handlung nicht Inländer gewesen, es aber n a c h t r ä g l i c h g e w o r d e n , so kann die Verfolgung gegen ihn eingeleitet werden, wenn die oben unter I, b angeführten Bedingungen vorliegen und überdies die (völkerrechtlich) zuständige 9 ) Die Handlung ist also ohne weiteres nach deutschem Rechte strafbar. Die richtige Ansicht vertreten Binding 1 436, Frank § 5 III, Meyer 122 (gegen die früheren Auflagen), Scherling Die Bekämpfung von Sklavenraub usw. 1897 S. 37. Dagegen, an den Buchstaben des Gesetzes sich haltend, die meisten, so insbesondere Geyer 1 96 und Z 3 629, Hälschner 1 167, Lammasch 53, v. Mörtitz 69, 77, Olskausen § 4 16, Schütze 59. Vgl. v. Hippel Deutsche Juristenzeitung vom I. Juni 1897. ,0 ) Ebenso R 8. Februar 92 22 341. Dagegen Beling Z 18 269. *') Die Eingebornen unsrer Schutzgebiete sind in keiner Beziehung für uns Ausländer. StGB. § 4 Ziff. I findet daher auf sie keine Anwendung. Abweichend Scherling (oben Note 9) 66 ff.

J02

§ 2 3-

Fortsetzung.

Internationale Rechtshilfe.

Behörde des Landes, in welchem die strafbare Handlung begangen wurde, die Verfolgung beantragt. In diesem Falle ist das ausländische Strafgesetz anzuwenden, wenn und soweit es milder ist (StGB. § 4 Nr. 3 Abs. 2). Doch darf auch in diesem Falle nur auf die im RStGB. enthaltenen Strafarten erkannt werden (EG. § 6). In allen unter I und 2 besprochenen Fällen mufs eine im Auslande vollzogene Strafe, wenn wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung gebracht werden (StGB. § 7). V. Daneben finden sich mehrfach besondere, hier der Vollständigkeit wegen anzuführende Bestimmungen. 1. So machen die Gesetze, welche den r e c h t l i c h e n V e r k e h r auf o f f e n e r S e e und den andern internationalen Wasserstrafsen regeln, vielfach keinen Unterschied zwischen Begehung im Inlande und im Auslande. Hierher gehören § 100 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872; das (der englischen Sealfishery act von 1875) nachgebildete Robbenfanggesetz vom 4. Dezember 1876 (Gegenden zwischen dem 67. und 75.0 nördlicher Breite und dem 5.0 östlicher und 17.0 westlicher Länge); das deutsche Gesetz vom 30. April 1884, zur Ausführung des Haager Vertrags vom 6. Mai 1882, betr. die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee aufserhalb der Küstengewässer, § I; das Gesetz vom 4. März 1894, zur Ausführung des Haager Vertrags zur Unterdrückung des Branntweinhandels unter den Nordseefischern auf hoher See vom 16. November 1887; das Gesetz vom 21. November 1887, zur Ausführung des Pariser Vertrags vom 14. März 1884 zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel. 2. Man beachte weiter: Nachdrucksgesetz vom II. Juni 1870 § 22 („sobald ein Nachdrucksexemplar, sei es im Gebiete des Norddeutschen Bundes, sei es aufserhalb desselben, hergestellt worden ist") und § 25, sowie die drei Urheberrechtsgesetze von 1876; StGB. § 102 („Ein Deutscher, welcher im Inlande oder Auslande u. s. w."); § 140 („Ein Wehrpflichtiger, welcher . . . sich aufserhalb des Bundesgebietes aufhält"); § 298 („ohne Unterschied, ob das Vergehen im Inlande oder im Auslande begangen worden ist"). Auch die Bestimmungen des Mil.StGB. greifen vielfach über die durch das RStGB. gezogenen Grenzen hinaus (vgl. unten Besonderen Teil).

§ 23.

Fortsetzung.

Internationale Rechtshilfe.

I i i t t e r a t u r . Die älteren Arbeiten sind entbehrlich gemacht durch das zu § 21 angeführte Werk von v. Martitz. Hier (Anlagen zum 2. Bande) die Auslieferungsgesetze der verschiedenen Länder sowie eine Zusammenstellung der sämtlichen Auslieferungsverträge. I. Die Lücken, welche durch die Begrenzung des räumlichen Geltungsgebietes der Strafrechtssätze entstehen, ergänzt die internationale Rechtshilfe. Ein Akt der Rechtshilfe (nicht der einzige, aber

§ 23.

Fortsetzung.

Internationale

Rechtshilfe.

I03

der wichtigste) ist die Auslieferung angeklagter oder verurteilter flüchtiger Verbrecher. 1 ) D a s Auslieferungswesen ist in einzelnen Staaten durch G e s e t z e geregelt welche die unverrückbare Grundlage der abzuschliefsenden Auslieferungsverträge b i l d e n ; in den übrigen Staaten bleibt die Regelung dem Herkommen oder der internationalen Vereinbarung durch S t a a t s v e r t r ä g e überlassen. 3 ) Aber auch wo es an einer derartigen, die Auslieferungspflicht des ersuchten Staates begründenden a l l g e m e i n e n Regelung fehlt, steht (und damit stimmt die Übung der meisten Staaten überein) der Auslieferung im E i n z e l f a l l e nichts im Wege, soweit nicht landesrechtliche Vorschriften (wie nach englisch-amerikanischem Recht) sie unmöglich machen. D a s Deutsche Reich hat sich bisher mit dem Abschlüsse einzelner Auslieferungsverträge begnügt. Und zwar mit folgenden Ländern: V e r e i n i g t e S t a a t e n v o n N o r d a m e r i k a vom 22. Februar 1868 ( B G B l . 1868 S. 2 3 1 ; Ausdehnung des von Preufsen am 16. Juni 1 8 5 2 geschlossenen Vertrages auf alle Staaten des Norddeutschen Bundes); I t a l i e n vom 3 1 . Oktober 1 8 7 1 ( R G B l . S. 446), und dazu: Abkommen zwischen Deutschland und Italien mit der Schweiz vom 25. Juli 1873 (ZB1. S. 2 7 1 und Pr.JMBl. vom 25. Januar 1 8 7 8 ) ; G r o f s b r i t a n n i e n vom 14. Mai 1 8 7 2 (RGBl. S. 229); S c h w e i z vom 24. J a n u a r 1 8 7 4 (RGBl. S. 1 1 3 ) ; B e l g i e n v o m 24. Dezember 1874 und B e k . vom 29. Dezember 1878 (RGBl. 1875 S. 73 und 1878 S. 79); L u x e m b u r g vom 9. März 1876 (RGBl. S. 2 2 3 ) ; B r a s i l i e n vom 17. September 1877 (RGBl. 1878 S . 2 9 3 ) ; S c h w e d e n und N o r w e g e n vom 19. Januar 1878 ( R G B l . S. 1 1 0 ) ; S p a n i e n vom 2. Mai 1878 (RGBl. S. 2 1 3 ) ; U r u g u a y vom 12. Februar 1880 ( R G B l . 1883 S. 2 8 7 ) ; K o n g o s t a a t vom 25. Juli 1890 (bezüglich der deutschen Schutzgebiete in A f r i k a ; R G B l . 1891 S. 9 1 ) ; G r o f s b r i t a n n i e n vom 5. Mai 1894 (über Auslieferung zwischen den deutschen Schutzgebieten sowie andern von Deutschland abhängigen Gebieten und den Gebieten Ihrer Grofsbritannischen Majestät; R G B l . S. 5 3 5 ) ; Niederlande vom 3 1 . Dezember 1896 (RGBl. 1897 S. 7 3 1 ) ; N i e d e r l a n d e über Auslieferung zwischen den deutschen Schutzgebieten sowie den sonst von Deutschland abhängigen Gebieten und dem Gebiet der Niederlande sowie den niederländischen K o l o n i e e n und auswärtigen Besitzungen vom 2 1 . September 1897 ( R G B l . S. 747). F ü r Elsafs-Lothringen mit F r a n k r e i c h vom 11. Dezember

J ) D i e Auslieferung ist ein Akt der i n t e r n a t i o n a l e n R e c h t s h i 1 f e , nicht aber der k o s m o p o l i t i s c h e n R e c h t s p f l e g e . Uber die Tragweite dieses Satzes siehe v. Liszt Z 2 60. Er wird heute fast allgemein anerkannt. Vgl. insbesondere v. Martitz 1 440. Abweichend Lammasch 142. a) v. Bars Anregung zur Erlassung eines deutschen Auslieferungsgesetzes im Deutschen Reichstage vom 28. Januar 1892 hat nicht die verdiente Beachtung gefunden. — D a f s die einseitige gesetzliche Regelung nicht genügt, wenn sie auch vor dem grundsatzlosen Abschlüsse inhaltlich abweichender Verträge den Vorzug verdient, dafs vielmehr die Vereinbarung eines alle Kulturstaaten umfassenden internationalen Verbandes wünschenswert sei, ist mehrfach betont worden. V g l . v. Liszt Z 2 60 (ebenso der Deutsche Juristentag), v. Martitz 2 767.

§ 23.

Fortsetzung.

Internationale Rechtshilfe.

1871 (RGBl. S. 7). V g l . weiter Konsularvertrag mit S e r b i e n vom 6. Januar 1883 Art. 25 (RGBl. S. 62); Freundschafts- und Handelsvertrag mit der s ü d a f r i k a n i s c h e n Republik vom 22. Januar 1885 Art. 31 (RGBl. 1886 S. 209); Handels- und Schiffahrtsvertrag mit J a p a n vom 4. April 1896 (RGBl. S. 715). — Die deutschen E i n z e l s t a a t e n können Auslieferungsverträge nur abschliefsen, soweit das Reich von seiner Befugnis keinen Gebrauch macht und soweit sie nicht mit den in Gesetzen oder Verträgen des Deutschen Reichs ausgesprochenen Grundsätzen in Widerspruch geraten. Über die Verträge Rufslands mit Preufsen und Bayern vom I. Januar und 12. November 1885 vgl. Geffcken zu Heffter Völkerrecht 8. Aufl. 190, Gtfsner H V . 3 40, v. Holtzendorff HV. 2 144, v. Kries 185, Lammasch 81, v. Martitz 1 241, Seuffert StG. 1 59. Die Auslieferung f l ü c h t i g e r S e e l e u t e wird geregelt in den Handels-, Schiffahrts- und Konsularverträgen, die von M i l i t ä r f l ü c h t i g e n in besonderen Kartellen. DL. Eine genauere Betrachtung der vom Deutschen Reiche geschlossenen Auslieferungsverträge ergibt eine gewisse Übereinstimmung in den wesentlicheren Punkten. 1. Auslieferung wird nur gewährt bei strafbaren Handlungen v o n g r ö f s e r e r S c h w e r e , nicht bei geringfügigen Vergehungen. Aufserdem werden wegen ihrer besondern Beschaffenheit in den Verträgen regelmäfsig nicht erwähnt: fahrlässige Vergehen, Zweikampf, leichtere Sittlichkeitsdelikte, Religionsvergehen. Beleidigung, Wucher, Amtsverbrechen, Widerstand gegen die Staatsgewalt. 2. Sie findet nur statt, wenn nach den Gesetzen b e i d e r Staaten (des ersuchenden und des ersuchten) die Handlung strafbar und die Strafbarkeit "nicht durch Aufhebungsgründe beseitigt ist. Auslieferung findet daher nicht statt, wenn auch nur nach dem Rechte des ersuchten Staates die That als verjährt betrachtet werden mufs. 3. Ein D e u t s c h e r darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung nicht überliefert werden (StGB. § 6). Dieser Satz entspricht dem von den europäischen Festlandsstaaten allgemein anerkannten Grundsatze der N i c h t a u s l i e f e r u n g der eigenen Staatsunterthanen, einem Grundsatze, welcher in den letzten Jahren vielfach, von berufenen Vertretern des Völkerrechts, und mit guten Gründen, als unhaltbar angegriffen worden ist.3) 4. Politischen V e r b r e c h e r n wird nach einem in d e m belg i s c h e n G e s e t z e von 1833 a u s g e s p r o c h e n e n 4 ) und seither in beinahe 3) Vgl. Mayr Die Auslieferung eigener Unterthanen. Erlanger Diss. l89r. S. 59. Für den Text die englisch-amerikanische Anschauung, zahlreiche Ausländer, insbes. aber Hamaker L A . 1 279 und Mayr. Gegen die Auslieferung neuerdings v. Bar GS. 34 492, Derselbe Lehrbuch 311, Binding 1 400, Geffcken (bei Heffter Völkerrecht 145), Geyer Z 3 632, Lentner Der schwarze Kodex 1891 S. 84, v. Martitz 1 305, Meyer 167 Note 56. Vermittelnd Lammasch 396 und H V . 3 515. Nach dem deutschen Vertrage mit dem Kongostaate und den Niederlanden sollen auch die Eingebornen der deutschen Schutzgebiete nicht ausgeliefert werden. 4 ) „qu'il sera expressément stipulé que l'étranger ne pourra être pour-

§ 23.

Fortsetzung.

Internationale Rechtshilfe.

sämtlichen Verträgen wiederkehrenden rechtigung

gegründeten Bedenken

Grundsatze,

dessen innere

unterliegt, Asylrecht gewährt.

BeDer

Begriff des politischen Verbrechens selbst ist jedoch durchaas bestritten und wird daher meist negativ durch Aufzählung der auslieferungsfähigen

Delikte

umschrieben. Nach Rechts

der

sind

mafsgebend

gewordenen

Auffassung

als politische Verbrechen aufzufassen

des

alle

belgis.chen

vorsätzlichen,

gegen Bestand und Sicherheit des (eigenen oder eines fremden) Staates sowie

gegen

das

Staatsoberhaupt

und

die

politischen

Rechte

der

Staatsbürger (nicht gegen die Staatsverwaltung) gerichteten Verbrechen; im Sinne des RStGB. also der i., 2., 3., 4. und 5. Abschnitt des II. Teils. Das Asylrecht w i r d , nach dem Vorbilde der belgischen

Gesetzgebung,

meist auf solche Verbrechen ausgedehnt, welche, ohne politische Verbrechen zu sein, mit politischen „in Verbindung stehen" (délit connexe oder complexe); d. h. auf solche g e m e i n e Verbrechen, die als Mittel oder als Deckung eines gemeinen Verbrechens erscheinen. 6 ) 5. Die Erfahrungen der letzen Jahrzehnte haben den Nachweis erbracht, dafs die weite Ausdehnung des Asylrechts für politische Verbrecher dem Rechtsbewnfstsein unserer Zeit widerstrebt. wachsende

Bewegung

Eine an Umfang und Entschiedenheit

verlangt Einschränkung

des Asylrechts,

ohne

freilich

bisher eine juristisch brauchbare Fassung für ihre Forderung gefunden zu haben. Meist wird nur der sog. K ö n i g s m o r d politischen Verbrecher ausgeschlossen.

ausdrücklich von dem Asylrechte der

Die Auslieferungsverträge (die deutschen

seit 1874) pflegen sich dabei der vorbildlich gewordenen Fassung des belgischen Gesetzes vom 22. März

1856 (veranlafst durch den

Jacquins gegen Napoleon III. im September 1854), Attentatsklausel, sachlich

zu

bedienen, •)

belgischen obgleich

durchaus gerechtfertigt, durch ihren juristisch ungenauen

Ausdruck

Nur Italien,

Fassung,

Tötungsversuch

welche,

zu manchen Bedenken Anlafs gibt.

einer

der sog.

England und die Schweiz

haben sich bisher geweigert, die belgische Klausel in die von ihnen abgeischlossenen Verträge aufzunehmen.

D i e Bemühungen der russischen Regierung

suivi ou puni pour aucun délit politique antérieur à l'extradition ni pour aucun fait connexe à un semblable délit." — Der Satz fehlt in den russischen Verträgen mit Preufsen und Bayern von 1885, sowie in dem deutschen Vertrag mit dem Kongostaat von 1890. — Hombcrgtr D e r Begriff des politischen D e likts und seine Verwertung im materiellen Strafrecht des Deutschen R e i c h s 1893. Bader Der Begriff des politischen Delikts nach Schweizerischer Gesetzgebung und Praxis. Zürcher Diss. 1894. Beide vertreten die Ansicht des Textes. Ebenso auch im Wesentlichen v. Martitz, dessen ganzer 2 . Band der Geschichte und Auslegung des politischen Asylrechts in bahnbrechender Darstellung gewidmet ist (wobei Lammasch in allen entscheidenden Punkten schlagend widerlegt wird). *) v. Martitz 2 518. Der Begriff ist also nach objektiven Merkmalen, nicht nach dem Motive des Thäters, zu bestimmen. *) „ N e sera pas réputé délit politique, ni fait connexe à un semblable délit, l'attentat contre la personne du chef d'un gouvernement étranger ou contre celle d'un membre de sa famille, lorsque cet attentat constitue le fait, soit de meurtre, soit d'assassinat, soit d'empoisonnement."

IOÔ

§ 2 4-

Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

1881, eine internationale Konferenz für ihren viel weiter gehenden Vorschlag zu gewinnen, blieben ohne Erfolg. Auch die Verhandlungen des Instituts für Völkerrecht (Oxford 1880, Genf 1892) haben bisher keine abschliefsenden Ergebnisse geliefert.

§ 24.

Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

I i i t t e r a t u r . Binding 1 667. v. Bar Redefreiheit der Mitglieder gesetzgebender Versammlungen 1868. Heime Straflosigkeit parlamentarischer Rechtsverletzungen 1879. v. Kries Archiv für öffentliches Recht 5 338 und Lehrbuch 84. v. Liszt Prefsrecht § § 45, 55. — Stöhle Die rechtliche Verantwortlichkeit des Regenten und Regierungsstellvertreters. Erlanger Diss. 1894. Beling Die strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität. Beiträge zum Völkerrecht und zum Strafrecht 1896. Die Lehrbücher des Staatsrechts und des Völkerrechts. Stoerk HV. 2 656, Geffcken HV. 3 646. I. Aus staatsrechtlichen G r ü n d e n sind von der H e r r s c h a f t d e r Strafgesetze befreit: 1. D a s S t a a t s o b e r h a u p t , also der Kaiser, die Landesherren (nicht die Mitglieder der landesherrlichen Familien), der Regent. 1 ) 2. Die V o l k s v e r t r e t e r , und zwar die Mitglieder des Deutschen Reichstags nach Art. 50 der Reichsverfassung und die Mitglieder eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates nach StGB. § I I , indem sie aufserhalb der Versammlung, zu welcher sie gehören, weder wegen ihrer Abstimmungen noch wegen der in Ausübung ihres Berufes gethanen Äufserungen zur (strafrechtlichen) Verantwortung gezogen werden können. Als Äufserung ist dabei jede Kundgebung einer Ansicht aufzufassen, mag sie durch Worte oder Handlungen (Sitzenbleiben bei einem Hoch auf den Kaiser oder Landesherrn) erfolgen. Auch die Mitglieder des Landesausschusses von ElsafsLothringen geniefsen diese Befreiung, nicht aber die Mitglieder des Bundesrates sowie die Senate und Bürgerschaften der Hansestädte. 2 ) J ) Die UnVerantwortlichkeit des Monarchen, schon im römischen Rechte anerkannt (prineeps legibus solutus: 1 31 D 1, 3), gehört seit der Aufnahme der fremden Rechte zu den staatsrechtlichen Grundsätzen des Deutschen Reichs. Anders das deutsche Mittelalter, welches (Ssp. 3 52, 53; Goldene Bulle 1356 c. S § 2) den König vor das Kgl. Hofgericht verwies. — Die Unverantwortlichkeit des R e g e n t e n ist bestritten. Im Sinne des Textes die Mehrzahl der Kriminalisten. So Binding 1 670, Hancke Regentschaft und Stellvertretung des Landesherrn nach deutschem Staatsrecht 1887 S. 54, v. Kries 85, Meyer 128, Olshausen § 3 19, Schütze 56, Stöhle 31. Dagegen Merkel 282. — Die Befreiung der L a n d e s h e r r e n mufs auch in dem Falle uneingeschränkt angenommen werden, wenn sie sich etwa in einen Hochverrat gegen Kaiser und Reich eingelassen haben sollten. Dagegen John 2 16. Richtig v. Kries LA. 360, Lehrbuch 85. Ihre Befreiung von den Strafgesetzen der Einzelstaaten gehört nicht hierher. („The king can do no wrong." Preufs. Verf. Art. 43 ) 2 ) Die Abgrenzung ist eine wesentlich andre als in dem Begriff der „gesetzgebenden Versammlung" (StGB. § 197). Frank g 10 I rechnet auch die Mitglieder der hanseatischen Bürgerschaften hierher.

§ 24-

Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze.

I07

In beiden Fällen handelt es sich um persönliche Strafausschliefsungsgründe, während die Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit der Handlung nicht berührt wird. Dritte Personen können als Mitthäter, Anstifter oder Gehilfen an der That des Landesherrn oder der Volksvertreter zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden; Notwehr ist gestattet. II. Aus völkerrechtlichen Gründen sind befreit: 1. Fremde Landesherren sowie ihre Familie und ihr Gefolge; ebenso die Regenten sowie die Präsidenten fremder Freistaaten; endlich auch der Papst, obwohl er nicht Landesherr ist. 2. Fremde Truppenkörper im inländischen Landgebiet sowie fremde in Inlandsgewässern sich aufhaltende Staatsschiffe. 3. Die Vorstände und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche oder einem deutschen Einzelstaate beglaubigten aufserdeutschen Missionen, ihre Familienglieder und ihr Geschäftspersonal, sowie ihre Bediensteten, sofern diese nicht Deutsche sind (GVG. §§ 18—21). Die Befreiung bildet in diesem, wie in den beiden vorhergehenden Fällen, einen persönlichen Strafausschliefsungsgrund.3) Die im Deutschen Reiche angestellten ausländischen K o n s u l n sind dagegen der inländischen Strafgewalt unterworfen, soweit nicht (was allerdings regelmäfsig geschieht) in Verträgen des Deutschen Reichs mit anderen Mächten besondere Vereinbarungen getroffen sind. 1 ) 4. Die bei einem deutschen Einzelstaate beglaubigten V e r t r e t e r a n d e r e r d e u t s c h e r B u n d e s s t a a t e n sind reichsrechtlich nur von der Gerichtsbarkeit jenes S t a a t e s , nicht von der Herrschaft der deutschen Strafrechtssätze befreit. 5. Die ausländischen A g e n t e n , welche in amtlicher Eigenschaft das Inland betreten, sind während ihres amtlichen Aufenthaltes von der inländischen Gerichtsbarkeit befreit. I I I . Auf deutsche M i l i t ä r p e r s o n e n finden im allgemeinen die Strafgesetze des Reichs insoweit Anwendung, als nicht die Militärgesetze ein andres bestimmen (StGB. § 1 0 ; vgl. unten Besondern Teil). 6 ) ®) Daher kann der auswärtige Gesandte auch nach Niederlegung seines Amtes wegen einer vorher begangenen strafbaren Handlung nicht im Inlande verfolgt werden. So die überwiegende Meinung. Abweichend aufser Beling insbesondere Binding 1 685, Frank § 3 V, v. Kries 40, Merkel 282, Olskausen § 3 21, Zorn 2 462, die nur Befreiung vom Gerichtszwange annehmen. *) Schwierigkeit ergeben sich bezüglich der bei einem deutschen Einzelstaat beglaubigten aufserdeutschen Vertreter. Nach dem Wortlaute des § 18 Abs. 2 GVG. und der herrschenden Meinung wären sie nur von der G e r i c h t s b a r k e i t d i e s e s S t a a t e s , nicht von der Herrschaft der R e i c h s s t r a f g e s e t z e (bez. der Landesstrafgesetzgebung des Empfangsstaates) befreit. Aber diese Ansicht führt zu unerträglichen Folgerungen. 5 ) Nicht hierher gehört die Frage (unten § 49 I), ob und wieweit einzelne Ordnungsvorschriften nur bestimmten Personen gegenüber Geltung beanspruchen. Denn jedenfalls finden sie auf a l l e Personen Anwendung, bei welchen die Voraussetzungen jener Vorschriften zutreffen.

§ 25.

io8

§ 25. I.

Die

Friedensrecht und Kriegsrecht.

Friedensrecht und Kriegsrecht.

Strafgesetze,

die

Paragraphen den Gegenstand Teil

gewisse

Veränderungen

als

allgemeine

im

Sinne

des

vorigen

unserer Darstellung bilden, erleiden zum durch

die

Herrschaft

des

Kriegsrechts

(EG. § 4). Diese Veränderungen bestehen darin, dafs in gewissen Fällen des Hochnnd Landesverrates sowie bei einzelnen gemeingefährlichen Verbrechen (§§ 81, 88, 90; 307, 311, 312, 315, 322, 323, 324 StGB.) an Stelle der angedrohten lebenslänglichen Zuchthausstrafe die T o d e s s t r a f e tritt (vgl. unten § 60), wenn die genannten Handlungen in einem T e i l e d e s B u n d e s g e b i e t e s begangen werden, welchen der Kaiser nach Art. 68 der Reichsverfassung — also bis zum Erlafs eines Reichsgesetzes nach den Vorschriften des preufsischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 — in K r i e g s z u s t a n d e r k l ä r t hat.1) Für Bayern hat diese Bestimmung nach § 7 Abs. 2 des Gesetzes vom 22. April 1871 „bis auf weiteres" keine Geltung. II. Für die w ä h r e n d e i n e s gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen K r i e g e s a u f dem K r i e g s s c h a u p l a t z e begangenen Verbrechen der §§ 57 bis 59 und 134 des Militär-StGB. ist jetzt § 160 dieses Gesetzes (nicht § 4 EG.) mafsgebend, nach welchem Ausländer wie Deutsche den Bestimmungen des Militärstrafrechts unterliegen.2) Vgl. unten Besondern Teil. III. Endlich ist auf § 30 Abs. I des Prefsgesetzes vom 7. Mai 1874 hinzuweisen, nach welchem die für Zeiten der Kriegsgefahr, des Kriegs, des erklärten Kriegs- oder Belagerungszustandes oder innerer Unruhen (Aufruhr) in Bezug auf die P r e s s e bestehenden besondern gesetzlichen Bestimmungen bis auf weiteres in Kraft bleiben.*) Das preufsische Gesetz vom 4. Juni 1851 mufs, soweit es Todesstrafe in andern als den in § 4 EG. erwähnten Fällen androht, als durch dieses beseitigt angesehen werden. — Vgl. Seuffert StG. t 82. 2) Ebenso Frank EG. § 4 II, Hecker 44, Olshausen EG. § 4 8 gegen die gem. Meinung. In den Fällen der §§ 81, 307, 311, 312, 315, 322, 323, 324 findet also trotz § 4 EG. die Todesstrafe keine Anwendung. 3 ) Vgl. v. Liszt Prefsrecht § 12.

Allgemeiner Teil. Erstes

Buch.

Das Verbrechen. §

26.

I.

B e g r i f f und E i n t e i l u n g

Verbrechen

drohte

Unrecht.

minelles

das

vom

Staate

U n r e c h t a b e r ist,

Unrecht,

privatrechtliches widrige

ist d.

Delikt

h.

Verbrechens.1)

des

mag

Verbrechen,

handeln,

mit

Strafe

be-

es

sich

um

kri-

mag

es

sich

um

die s c h u l d h a f t e

rechts-

Handlung.2)

i. D a r a u s ergibt sich unmittelbar der s y s t e m a t i s c h e A u f bau als

der Lehre Unrecht,

vom

also

i.

Verbrechen. als

Handlung,

Wir 2.

haben dieses als

3. als s c h u l d h a f t e H a n d l u n g z u b e t r a c h t e n .

zunächst

rechtswidrige

und

D a z u tritt als 4. die

Erörterung des Unterschiedes zwischen d e m strafbaren und d e m nicht strafbaren

Unrecht.

*) Verbrechen (scelus, crimen, maleficium) = strafbare Handlung. Hier steht Dur der positivrechtliche, nicht aber der soziologische Begriff in Frage. Für das privatrechtliche Delikt verwendet BGB. den technischen Ausdruck „unerlaubte Handlung". 2 ) Jedes Verbrechen richtet sich als R e c h t s w i d r i g k e i t gegen ein bestimmtes Rechtsgut (unten §§ 32 ff.); nach der Einteilung der Rechtsgüter bestimmt sich die Einteilung der Verbrechen (s. unten Besonderen Teil). Als H a n d l u n g aber (unten § § 27 ff.) ist ein Verbrechen nur denkbar an Gegenständen der Sinnenwelt, an Menschen oder Sachen. Diese müssen daher in irgend einer Beziehung zu dem Rechtsgute stehen, als dessen Verkörperung erscheinen, damit die an ihnen begangene Handlung Rechtswidrigkeit sein kann. Dieser Gedanke, von Birnbaum 1834, Schütze 1869 ausgesprochen, von mir Z 6 663 scharf betont, bildet den Gegenstand der Schrift von Oppenheim Die Objekte des Verbrechens 1894, die aber auch nicht zu abschliefsenden Ergebnissen gelangt.

§ 26.

HO

A u s diesen

Begriff und Einteilung des Verbrechens.

vier Merkmalen

setzt

sich

der

Begriff

Verbrechens oder, was dasselbe sagt, der T h a t b e s t a n d

des eines

Verbrechens zusammen. 8 ) 2. N e b e n den (notwendigen) B e g r i f f s m e r k m a l e n , bei jedem Verbrechen

sich wiederfinden

müssen,

aber auch die (zufälligen) E r s c h e i n u n g s f o r m e n ,

haben

die wir

in welchen

das einzelne Verbrechen auftreten kann, einer genauen Betrachtung zu unterziehen. 2. Thäterschaft

Diese sind:

und Teilnahme;

1. Versuch und Vollendung 3. Einheit

und Mehrheit des

Verbrechens. II. Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r hatte die strafbaren Handlungen in causae majores und minores (Ungerichte, Malefiz einerseits, Frevel anderseits) eingeteilt, von welchen jene peinliche Strafen an Hals und Hand, diese nichtpeinliche oder bürgerliche Strafen an Haut und Haar nach sich zogen. Auf demselben Standpunkte steht die PGO. Vielfach findet sich jedoch schon in den mittelalterlichen, wie auch in den spätem Quellen eine Mittelstufe (das „nicht pur-lautere Malefiz" des österreichischen Rechts). Seit dem 17. Jahrhundert wird unter dem Einflüsse der auf Juliuz Clarus zurückgreifenden sächsischen Juristen, insbesondere Carpzovs, eine Dreiteilung herrschend, welche unter wechselnden Bezeichnungen innerhalb der schweren Verbrechen atrociora und atrocissima crimina unterschied; letztere diejenigen, bei welchen verschärfte Todesstrafe eintrat (bei ihnen ist conatus proximus gleich der Vollendung). Das ist auch der Standpunkt sowohl Österreichs 1768 wie Bayerns 1751. — Auf einer andern Grundlage ruht die Dreiteilung, welche seit dem Beginne der Aufklärungszeit vielfach in der Litteratur vertreten wurde. Danach unterschied man neben den Polizei üb e r t r e t u n g e n zwischen V e r b r e c h e n , gerichtet gegen natürliche Rechte, wie Leben, Freiheit usw., und V e r g e h e n , welche gegen die erst durch den Staatsvertrag begründeten Rechte, wie Eigentum usw., gerichtet sind. — Für die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts wurde von verhängnisvoller Bedeutung die Einteilung des französischen Rechts, welches seit 1791 zwischen c r i m e s , d é l i t s und c o n t r a v e n t i o n s , j e n a c h d e r S c h w e r e d e r f ü r d i e H a n d l u n g v e r w i r k t e n S t r a f e , unterschied. Diese „Xrichotomie" des französischen Rechts ging in eine Reihe von deutschen Landesstrafgesetzbüchern, so in das bayrische von 1813 und in das preufsische von 1851, über und wurde aus diesem trotz des lebhaften Widerspruchs der deutschen Wissenschaft in das RStGB. herübergenommen. Dabei wurde aber die Schwere der a n g e d r o h t e n (nicht der verwirkten) Strafe als mafsgebend erklärt. 4 )

3) Diese vier Merkmale sind sämtlich p o s i t i v e . Der Begriff der n e g a t i v e n Thatbestandsmerkmale (Umstände, deren NichtVorliegen zum gesetzlichen Thatbestand gehört, wie z. B. die Notwehr) ist völlig verfehlt. Abweichend Merkel 82, Löffler bei Grünhut 20 774, Frank u. a. 4) Vgl. O. Meyer Bedeutung und Wert der Dreiteilung der strafbaren

§ 26.

Begriff und Einteilung des Verbrechens.

III

III. Nach RStGB. § i ist die strafbare Handlung (Verbrechen im weiteren Sinne) entweder 1. Verbrechen (im engeren Sinne): wenn mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren; oder 2. Vergehen: wenn mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als 150 Mark; oder 3. Übertretung: wenn mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 150 Mark bedroht.5) IV. Für die A n w e n d u n g d e r D r e i t e i l u n g sind folgende Regeln zu merken: e ) 1. Mafsgebend ist nicht die zu erkennende (die „verwirkte"), sondern die a n g e d r o h t e Strafe; und zwar bei wahlweiser Strafdrohung die s c h w e r s t e der angedrohten Strafen (eine mit „Gefängnis oder Haft" bedrohte Handlung ist immer Vergehen). Bei den als Vielfaches oder als Teil (unten § 63 III) eines bestimmten Betrages (insbesondere in den Zoll- und Steuergesetzen) angedrohten Geldstrafen entscheidet das im Einzelfall sich ergebende Höchstmafs, soweit nicht durch die Angabe eines Mindestmafses, wie in § 55 des Reichsbankgesetzes, die Einreihung unter die Vergehen bereits entschieden ist.') Handlungen für das deutsche Reichsrecht. Berliner Diss. 1891 (für sie). v. Kries Preufsische Jahrbücher 75 138 (dagegen). — Die Verkehrtheit der Dreiteilung ergibt sich daraus, dafs die im französischen Recht allerdings gewonnene Vereinfachung der Zuständigkeitsabgrenzung im Reichsrecht, wie ein Blick in das G V G . zeigt, nicht eingetreten ist; dafs ferner die Vergehen des RStGB. mit den Verbrechen ihrem Wesen nach durchaus gleichartig, innere Gründe also, sie in Bezug auf Versuch, Teilnahme usw. von diesen verschieden zu behandeln, in keiner Weise vorhanden sind; dafs endlich die Übertretungen als polizeiliches Unrecht (unten § 32 I 3) eine durchaus selbständige Behandlung erfordern. 6 ) Dabei übersieht der Gesetzgeber völlig das von ihm in § 21 aufgestellte Wertverhältnis der einzelnen Freiheitsstrafen. E r übersieht dabei weiter, dafs in dem Vollzug der Zuchthaus- und der Gefängnisstrafe ein nennenswerter Unterschied nicht besteht. — Das Mil.StGB. § 1 kennt nur Verbrechen und Vergehen; die Übertretungen sind der Disziplinarbestrafung überlassen. 6 ) Der Unterschied der Vergehen von den Verbrechen einerseits, den Übertretungen anderseits kommt in Betracht in StGB. §§ 4, 6, 37, 40; 57 Nr. 4 ; 43, 49. 49a. 257; 27, 29; 67; 74, 79; 126, 240, 241; 1 5 1 ; 157 Nr. 1. , 7 ) So die gem. Meinung mit der Rechtsprechung von O T . und R (26. Sept. 81 5 23, 7. Januar 86 13 224). Vgl. insb. Meyer 32 (der mich mifsversteht), Olshausen § 1 10. Dagegen insbesondere Binding 1 515 und

112

§ 26.

Begriff und Einteilung des Verbrechens.

2. Bei Erweiterung des Strafrahmens wegen der allgemeinen mildernden Umstände ist das Höchstmafs des e r w e i t e r t e n Strafrahmens für alle Fälle mafsgebend. Dagegen werden durch die b e s o n d e r e n , sei es mildernden sei es schärfenden Umstände (so in StGB. § 213 Abs. 2 oder § 221 Abs, 3) neue s e l b s t ä n d i g e Strafrahmen erzeugt. Dasselbe gilt umsomehr von den selbständigen, sei es leichteren sei es schwereren U n t e r a r t e n einer strafbaren Handlung, (z. B. StGB. § 216). 3. Die herabgesetzten Strafrahmen bei Versuch, Beihilfe, Jugend sind als Erweiterungen des regelmäfsigen Strafrahmens, nicht aber als selbständige Strafdrohungen zu betrachten. 8 ) Frank § I II, nach welchen in jedem Falle Vergehen anzunehmen ist, weil das mögliche Höchstmafs 150 Mark übersteigt; ebenso O. Mtyer 43 und Vorberg (Litt, zu § 58 I 2) S. 102. •) Gemeine Meinung. Dagegen Frank § 1 II, Häckel Begriff der Strafänderung 1893 S. 5, Olshauscn § 1 8 (für Versuch und Teilnahme); unklar Binding 1 516.

I. Abschnitt.

Die Begriffsmerkmale des Verbrechens. I. D a s Verbrechen als Handlung. § 27. Das Subjekt des Verbrechens. L i t t e r a t u r . Zu I : Zusammenstellung bei Günther 1 25 Note 12. Derselbe Z 16 445. v. Amira Tierstrafen und Tierprozesse 1891. Brunner Rechtsgeschichte 2 556. Makarewicz (Litt, zu § 2) 89. — Zu I I : Insbesondere Gierke 1 528. v. Kirchenheim GS. 37 421, 40 251. Jellinek System der subjektiven öffentlichen Rechte 1892 S. 246. Berendes Delikt und Haftung der juristischen Person nach gemeinem Recht. Erlanger Diss. 1891. v. Kriwzow Beiträge zur Lehre von den juristischen Personen nach römischem Recht. I. Die Deliktsfähigkeit der Gemeinde 1894. Bamberg Zur Lehre von der Deliktsfähigkeit der juristischen Personen. Greifs walder Diss. 1898. Hmschius Kirchenrecht 5 916. Kohler 3 188. I. Nach heutiger Rechtsanschauung kann nur der M e n s c h Thäter eines Verbrechens sein. Dagegen sind T i e r s t r a f e n und T i e r p r o z e s s e nicht nur den älteren Rechten, sondern auch noch dem 13. bis 17. Jahrhunderte bekannt. Zum Teil spielen religiöse Vorstellungen mit herein (Verfall des Ackerrindes, oben S. 7; mosaisches Recht, Exod. 21 28); zum Teil soll in besonderem Verfahren der Thatbestand der durch das Tier bewirkten Beschädigung festgestellt werden, um daran die Haftung des Eigentümers zu knüpfen; zum Teil handelt es sich um kirchliche Beschwörung des bösen Zaubers. Nicht mehr als Strafe erscheint die Tötung des (zu Bestialität usw.) mifsbrauchten Tieres, um das Andenken an die That zu vernichten. Von denselben Grundgedanken aus ist auch die Verfolgung l e b l o s e r G e g e n s t ä n d e denkbar und geschichtlich beglaubigt.

II. Nach geltendem Reichsrecht kann, von besonderen Bestimmungen abgesehen, nur der einzelne Mensch, nicht v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

8

§ 37-

Ii4

die K ö r p e r s c h a f t , die

auf

eine

Das Subjekt des Verbrechens.

eine s t r a f b a r e

solche

delinquere non

gesetzte

potest.

handelnden Vertreter,

Handlung

Strafe

begehen

und

erleiden.

Societas

I m m e r k ö n n e n nur die

einzelnen

n i c h t aber der v e r t r e t e n e

Gesamt-

k ö r p e r zur V e r a n t w o r t u n g g e z o g e n w e r d e n .

Die nach den

strafrechtlichen Nebengesetzen

den

des R e i c h e s

s c h a f t e n v i e l f a c h a u f e r l e g t e aushilfsweise

auch

Haftung

Körper-

f ü r die z u -

n ä c h s t d e n S c h u l d i g e n t r e f f e n d e G e l d s t r a f e (unten § 58 I) ist k e i n e S t r a f e , w e n n sie a u c h in i h r e n W i r k u n g e n einer s o l c h e n d u r c h aus g l e i c h k o m m t . Anerkennung

Es

ist j e d o c h

daran

festzuhalten,

des Körperschaftsverbrechens,

soweit

dafs

die

die H a n d -

l u n g s f ä h i g k e i t d e r K ö r p e r s c h a f t r e i c h t , u n d d a f s die B e s t r a f u n g d e r K ö r p e r s c h a f t , s o w e i t sie s e l b s t ä n d i g e T r ä g e r i n v o n

Rechts-

g ü t e r n ist, als e b e n s o m ö g l i c h w i e z w e c k m ä f s i g e r s c h e i n t . * )

*) Die richtige Auffassung (die in dem v ö l k e r r e c h t l i c h e n Delikt, dessen Subjekt nur der Staat sein kann, unbestreitbare Anerkennung gefunden hat) beherrscht nicht nur das deutsche wie das italienische Mittelalter, sie ist auch seit Bartolus gemeine Meinung der strafrechtlichen Wisssenschaft. So bei Gundling, Engau, Koch, Leysir, JSF. Böhmer u. a., welche für den Fall, dafs commune consilium membrorum vorliegt, ausdrücklich die universitas als Subjekt des begangenen Verbrechens bezeichnen (vgl. aber schon Bayern 1751). Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gewinnt, unter romanisierendem Einflufs (v. Savigny), die entgegengesetzte Ansicht das Übergewicht, bei den Lehrern des Strafrechts seit Feuerbach für lange Zeit die ausschliefsliche Herrschaft. Doch findet in der heutigen Wissenschaft die Lehre von der Verbrechensfähigkeit der Körperschaften auf privatrechtlichem wie strafrechtlichem Gebiete seit Gierkes Genossenschaftsrecht wachsenden Anklang. Von den Kriminalisten vertreten sie v, Kirchenheim, Leverkühn G A . 38 304, Merkel 50. Dagegen teilen neuerdings die herrschende Ansicht Berendes 7, Bünger Z 8 573, Finger 1 106, Janka 48, v. Lilienthal 40, Olshausen Abschnitt 4 6. Jellinek hält nur Polizeiunrecht und Polizeistrafe für möglich, verkennt dabei aber ebensosehr den Begriff des Delikts wie den der Strafe. Kohler K V S . 36 519 bejaht die Deliktsfähigkeit, verneint aber die Strafhaftung. Aus der neuesten deutschen Gesetzgebung vgl. man § 79 des Genossenschaftsgesetzes vom 1. Mai 1889: „Wenn eine G e n o s s e n s c h a f t sich gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen schuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet wird . . . so kann sie aufgelöst werden . . . " Ganz ähnlich bezüglich der I n n u n g e n und I n n u n g s v e r b ä n d e : Gewerbeordnung (Fassung vom 13. Juli 1897) §§ 97, 104 f. Dagegen ist die Ersatzpflicht der Vereine für Handlungen ihres Vorstandes nach BGB. § 31 nicht Deliksthaftung, sondern Haftung für fremde Schuld. Vgl. v. Liszt Deliktsobligationen I09. Deliktshaftung wird hier von Bamberg angenommen. — Die im Text vertretene Ansicht stützt sich nicht auf mystische Vorstellungen, sondern auf die Erkenntnis des Lebens. Das Körperschaftsverbrechen ist r e c h t l i c h m ö g l i c h . Denn einerseits sind die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit der Körperschaft auf dem Gebiete des Strafrechts grundsätzlich keine andern als auf jenem des Zivilrechts oder (was regelmäfsig übersehen wird) auf dem des öffentlichen Rechts; wer Verträge schliefsen kann, der kann auch

§ 28.

§ 28.

Der Begriff der Handlung im allgemeinen.

j j ij

Der Begriff der Handlung im allgemeinen.

L i t t e r a t u r . Bekker Theorie des Strafrechts 1 243. H'dlschner 1 503. Zitelmann Irrtum und Rechtsgeschäft 1879 S. 25. Pf ersehe Die Irrtumslehre des österreichischen Privatrechts 1891. Lammasch bei Grünhut 9 90. Bünger Z 6 291, 8 520. v. Liszt Z 6 663. Janka Die Grundlagen der Strafschuld 1885. Derselbe Z 9 510. Weismann Z 11 80. Heinemann Die Bindingsche Schuldlehre 1889. Derselbe Die Idealkonkurrenz 1893. Kuhlenbeck Der Schuldbegriff 1892. Wachenfeld Die Verbrechenskonkurrenz 1893. Thyren Abhandlungen (oben § 18 IV) 2 66. A. Horn G A . 4 3 214 (dagegen Huther GS. 5 4 86). Derselbe GS. 51 44, 151, 257, 53 56 (dagegen Huther GS. 5 4 260). — Die Lehr- und Handbücher der Psychologie. — Über den G e f a h r begriff: y.v.Kries Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung 1886; Über den Begriff der objektiven Möglichkeit und einige Anwendungen desselben 1888; Z 9 528. Binding Normen 1 324 Note 10; dagegen v. Buri Beiträge 366. Merkel 45. Finger Der Begriff der Gefahr und seine Anwendung im Strafrecht 1889 (gegen v. Kries). Derselbe 1 67. v. Rohland Die Gefahr im Strafrecht 2. Aufl. 1888 und gegen ihn v. Buri Beiträge 280. Rotering Fahrlässigkeit und Unfallsgefahr 1892. Derselbe GA. 4 2 194. Loock Der strafrechtliche Schutz der Eisenbahnen im Deutschen Reich 1893 S. 161. M. Rümelin Der Zufall im Recht 1896. Celichoviski Der Begriff der Gemeingefährlichkeit im Strafrecht. Göttinger Diss. 1897. Busch Gefahr und Gefährdungsvorsatz in der Dogmatik des modernen Strafrechts 1898.

I. Um den Begriff des U n r e c h t s feststellen zu können, müssen wir die Thatbestände untersuchen, an welche die Unrechtsfolgen durch die Rechtsordnung geknüpft werden. Der Thatbestand, als die Voraussetzung für den Eintritt einer Rechtsfolge, besteht allgemein und ausnahmslos in rechtbetrügerische oder wucherische Verträge schliefsen oder die geschlossenen Lieferungsverträge (StGB. § 329!) nicht halten. Anderseits ist die Körperschaft auch Trägerin von Rechtsgütern (Vermögensrechten, Wahlrecht, Dasein, Ehrenrechten), die strafweise geschmälert oder vernichtet werden können (z. B. Entziehung des Notenprivilegs nach § 49 des Reichsbankgesetzes vom 14. März 1875). Und seine Anerkennung ist e m p f e h l e n s w e r t . Denn einerseits gewinnt die Handlung, hinter welcher nicht ein einzelner oder mehrere, sondern die Körperschaft steht, andre und erhöhte Bedeutung; Wahlbeeinflussung, Verbreitung verbotener Schriften, Aufforderung zu strafbaren Handlungen, finanzielle Übervorteilung jeder Art können von Vereinen und Gesellschaften in einer Ausdehnung und mit einer Kraft getrieben werden, welche zu der Zahl ihrer Mitglieder aufser allem Verhältnisse steht. Anderseits widerspricht es ebensosehr dem Gefühle der Gerechtigkeit wie den Grundsätzen richtiger Kriminalpolitik, den eigentlich Schuldigen straffrei zu lassen, das Organ fremden Willens aber mit der vollen und ausschliefslichen Verantwortlichkeit zu belegen. — Freilich kann der Begriff der Handlung mit allem, was sich auf ihn bezieht, nur mittelbar auf die Verbrechen der Körperschaft angewendet werden. A b e r an S t e l l e des p h y s i s c h e n H a n d e l n s tritt eben das H a n d e l n d u r c h k ü n s t l i c h e O r g a n e ; und sogut dieses künstliche Handeln auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und des öffentlichen Lebens Rechtswirkungen für und gegen die Körperschaft zu erzeugen vermag, ebensogut mufs dies auch auf dem Gebiete des Strafrechts möglich sein. 8*

jjg

§ 28.

Der Begriff der Handlung im allgemeinen.

lieh erheblichen T h a t s a c h e n , das heifst in sinnlich wahrnehmbaren Veränderungen der A u f s e n w e l t . A b e r nur an gewisse Thatsachen knüpfen sich die Unrechtsfolgen, knüpft sich auch die Strafe. Nicht E r e i g n i s s e , die vom menschlichen Wollen unabhängig sind, sondern menschliche H a n d l u n g e n bilden den Thatbestand des Unrechts. II. Handlung ist die auf menschlichem Wollen beruhende Thatsache, die auf menschliche Willkür zurückfuhrbare Veränderung der Aufsenwelt.'2) Ohne W i l l e n s b e t h ä t i g u n g keine Handlung, kein Unrecht, kein Verbrechen: cogitationis poenam nemo patitur. A b e r auch keine Handlung, kein Unrecht, kein Verbrechen ohne eine Veränderung in der Aufsenwelt, ohne einen E r f o l g . Damit sind die beiden Bestandteile gegeben, aus denen der Begriff der Handlung und damit der des Verbrechens sich zusammensetzt : Willensbethätigung und Erfolg. A b e r ein Weiteres mufs hinzutreten, um die Teile zum einheitlichen Ganzen zu verbinden: d i e B e z i e h u n g d e s E r f o l g s a u f d i e W i l l e n s b e t h ä t i g u n g . In zwei Fällen führen wir die Veränderung der Aussenwelt objektiv 3 ) zurück auf menschliches Wollen: 1. W e n n sie willkürlich verursacht (veranlafst) und 2. wenn sie willkürlich nicht gehindert worden ist. Thun (Verursachung) und Unterlassen (Nichthinderung) sind mithin die beiden Grundformen der Handlung, und damit des Verbrechens. Sie finden in den beiden folgenden Paragraphen (§§ 29, 30) gesonderte Betrachtung. III. Die verursachte

oder nicht gehinderte Verände-

Nach Oppenheim (oben § 26 Note 2) S. 93, 106, 173 ist eine „sichtbare" Veränderung an einem körperlichen Gegenstande nicht immer nötig und möglich. Aber eine s i n n f ä l l i g e Veränderung (und nur von dieser spreche ich) wird sich in jedem Einzelfalle nachweisen lassen. 2 ) E s ist zunächst ein rein terminologischer Streit, wenn Binding, Bünger, Zitelmann u. a. den Erfolg aus dem Handlungsbegriff ausscheiden und der „Handlung" die den Erfolg mitumfassende „ T h a t " gegenüberstellen wollen. Mit dem Lehrbuch übereinstimmend Berner, der seit seiner „Imputationslehre" (1843) die Handlung bestimmt als die „Vermittlung von Wille und That". — Dagegen weichen inhaltlich von der Begriffsbestimmung des Textes diejenigen ab, die den Begriff der Handlung auf gewollte Seelenzustände ausdehnen. So zuletzt Kraus in der zu § 30 citierten Schrift. 3) Die s u b j e k t i v e Beziehung, die zu der objektiv gegebenen hinzutreten mufs, wird unten in § § 36 fr. behandelt.

§ 28.

D e r Begriff der Handlung im allgemeinen.

rung in der Aufsenwelt nennen wir den Erfolg des Thuns oder Unterlassens. Da aber jede Veränderung der Aufsenwelt weitere Veränderungen mit sich bringt, haben wir n ä h e r e n und e n t f e r n t e r e n Erfolg zu unterscheiden. An die Begriffsbestimmungen des Strafgesetzbuchs haben wir uns zu wenden, um denjenigen Erfolg herauszufinden, der für uns in Betracht kommt, weil an seinen Eintritt der Gesetzgeber die Strafdrohung geknüpft hat. 4 ) Für den strafrechtlichen Begriff der T ö t u n g ist nur der T o d des Opfers von Bedeutung, nicht die tödliche Verwundung, nicht auch anderseits die vielleicht weittragenden und für das Privatrecht ausschlaggebenden vermögensrechtlichen Folgen. Bei den durch den Erfolg qualifizierten Delikten (Beispiel: Notzucht mit Verursachung des Todes der Genotzüchtigten; vgl. unten § 36 III), sowie bei den zusammengesetzten Delikten (unten § 55 II 3) kommen stets mehrere Erfolge nebeneinander strafrechtlich in Betracht. Irgend ein sinnlich wahrnehmbarer Erfolg ist aber mit jeder Handlung begriffsnotwendig verbunden, auch wenn scheinbar der Gesetzgeber von dem sonst von ihm geforderten weiteren Erfolge absieht. 5 ) A u c h bei der strafrechtlich so bedeutsamen G e f ä h r d u n g findet der allgemeine Erfolgsbegriff Anwendung. Gefahrdung aber ist die Herbeiführung einer Gefahr, d. h. eines Zustandes, in welchem, unter den gegebenen und im Augenblicke der Körperbewegung hervortretenden oder aber nur 4 ) N u r insoweit ist die im übrigen sehr gefährliche Fassung bei Wackenfeld Verbrechenskonkurrenz 19 richtig: E r f o l g ist die natürliche W i r k u n g in ihrer rechtlichen Bedeutung. 6 ) E s ist demnach ganz verkehrt, „materielle" und „ f o r m e l l e " Verbrechen zu unterscheiden und zu den ersteren diejenigen zu rechnen, bei w e l c h e n begriffsnotwendig ein äufserer E r f o l g eintritt, zu den letzteren diejenigen, bei welchen dies nicht der F a l l ist. — D e r Irrtum der G e g n e r erhellt aus einer doppelten E r w ä g u n g . I. Bei jedem Begehungsdelikte ist ohne Unterschied der gesetzlichen Begriffsbestimmung die Benutzung eines Menschen als W e r k zeuges (unten § 50), und damit die Loslösung des Erfolges, denkbar. B e i s p i e l : Mündliche Beleidigung durch einen dazu beauftragten Geisteskranken. Aber auch abgesehen davon kann stets ein komplizierter A p p a r a t zur Herbeiführung des Erfolges verwendet werden. Beispiel: Meineid durch Übersendung des unterzeichneten Eidessatzes. 2. Bei der echten Unterlassung tritt der E r f o l g allerdings zurück. A b e r er verschwindet nicht. D i e unterlassene Reinigung der Senkgrube z. B. hat recht sinnfällige Veränderungen der Aufsenwelt zur Folge.

118

§ 28.

Der Begriff der Handlung im allgemeinen.

dem Thäter bekannten Umständen, nach unbefangenem Urteile die nahe Möglichkeit (Wahrscheinlichkeit) und damit die begründete Besorgnis gegeben ist, dafs der Eintritt der Verletzung erfolgen werde. Gar manche Verbrechensthatbestände beruhen auf dem Begriff der Gefahr; so die Aussetzung und der Zweikampf als Gefährdung des Lebens, das Glücksspiel als Gefahrdung des Vermögens; die Kreditgefährdung, die Gefährdung des öffentlichen Friedens; die Vergiftung als Gefährdung mit Verletzungsvorsatz; die gemeingefährlichen Verbrechen wie Brandstiftung, Überschwemmung und andre. Die „gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben" wird vom Gesetzgeber vielfach verwertet. Insbesondere ist auch die Eigenart des strafbaren Versuches mit dem Begriffe der Gefahr gekennzeichnet. Die „nahe Möglichkeit" aber, dafs ein Erfolg eintrete, liegt v o r , falls sein Eintritt nur durch Umstände abgewendet werden kann, deren Eintritt der Thäter weder in seiner Hand hat noch mit Bestimmtheit erwarten kann. 6 ) IV. Willensbethätigung ist jedes Verhalten des Menschen (Thun oder Unterlassen), das, frei von mechanischem oder psychophysischem Zwange, durch Vorstellungen besimmt (motiviert) wird. E s liegt keine Handlung vor, wenn jemand in einem Krampfanfalle fremde Gegenstände beschädigt oder wenn er durch eine Ohnmacht an der Erfüllung einer Pflicht gehindert wird; es liegt keine Handlung vor, wenn ihn die unwiderstehliche Gewalt eines andern zu einem Thun oder Unterlassen genötigt hat (StGB. § 52). Mit der Wahlfreiheit 6 ) Vgl. auch das unten § 47 über den untauglichen Versuch Gesagte. Mit dem Text im wesentlichen übereinstimmend R wiederholt, zuletzt 18. Mai 86 135, 14- Juni 97 3 0 179, sowie überhaupt die gemeine Meinung. Vgl. Frank § I VH sowie Busch (teilweise gegen J. v. Kries und v. Rohland). Dagegen ist die Berechtigung des Begriffs einer thatsächlichen Gefahr gänzlich in Abrede gestellt worden von Hertz (Litt, zu § 18 I V ) , v. Buri, Finger, Lammasch, Janka, Thon (in den zu § § 28 u. 29 angeführten Schriften). Zuzugeben i s t , dafs der Begriff nur durch unsere, in zahlreichen Fällen gegebene Unfähigkeit entsteht, den Ablauf eines Ereignisses vorherzusagen, da wir die ihn bestimmenden Umstände nicht genau zu berechnen vermögen. Aber die Erkenntnis, dafs wir von Gefahr nie mehr sprechen würden, wenn wir allwissend wären, darf uns nicht hindern, einstweilen den Begriff, wie im gewöhnlichen Leben so auch in der Rechtspflege, zu verwerten. In dem allgemeinen Urteile findet er seine Grundlage, w i e seine Begrenzung.

§ 29.

im metaphysischen Sinne (oben § 16 N o t e forderte W i l l k ü r l i c h k e i t

§ 29.

j jq

I. Das Thun (die Verursachung des Erfolges).

n i c h t s zu

n)

h a t die hier g e -

thun.')

I . D a s T h u n (die V e r u r s a c h u n g

des

Erfolges).

Litteratur. Geyer Klein. Schriften 108. v. Bar Die Lehre vom Kausalzusammenhange 1871; bei Grünhut 4 49. v. Buri (aufser zahlreichen kleineren Abhandlungen) insb.: Kausalität 1873; Z 2 232; Die Kausalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen 1885. Binding Normen 1 112, 2 224. Birkmeyer Ursachenbegriff und Kausalzusammenhang im Strafrecht 1885, abgedruckt GS. 37 257. Derselbe Die Lehre von der Teilnahme 1890. Janka Z 9 499. Merkel 97. Kohler Studien 1 83. Huther Der Kausalzusammenhang als Voraussetzung des Strafrechts 1893. R. Horn Der Kausalitätsbegriff in der Philosophie und im Strafrecht 1893 (dazu Loffler bei Grünhut 22 345 und Huther GS. 52 214). Endemann Die Rechtswirkungen der Ablehnung einer Operation seitens des körperlich Verletzten 1893. Thon Über den Begriff der Verursachung. Festrede 1894. (Blätter für Rechtspflege in Thüringen 42 I.) Thyren Abhandlungen aus dem Strafrecht und der Rechtsphilosophie I. Bemerkungen zu den kriminalistischen Kausalitätstheorieen (1894). Hefs Über Kausalzusammenhang und unkörperliche Denksubstrate 1895. Müller GS. 50 241 (Münchner Diss. 1894) und dazu v. Buri GS. 51 62 sowie Huther Z 17 175. Kühles Fragen der Kausalität. Münchner Diss. 1895. Träger Wille, Determinismus, Strafe 1895. A. Horn GS. 54 321. v. Brünneck Die herrschende Kausalitätstheorie und ihre Stellung zum Reichsstrafgesetzbuch. Hallische Diss. 1897 (mit trefflicher Kritik von Thyren). I.

Thun

ist

die

willkürliche

lassung) eines E r f o l g e s . hier nung

Verursachung

als willkürliche K ö r p e r b e w e g u n g , (Kontraktion)

mechanischen

oder

durch Vorstellungen

der

(Veran-

D i e W i l l e n s b e t h ä t i g u n g erscheint Muskeln,

d. h.

welche

psychophysischen bewirkt wird

vierung der B e w e g u n g s n e r v e n

als A n s p a n nicht

Zwang,

u n d durch

erfolgt.*)

durch

sondern

die I n n e r -

Körperbewegung

7) A. Horn (Litt, zu § 29) hat es als folgewidrig bezeichnet, dafs ich, von meinem Standpunkte aus, überhaupt noch von einem „Wollen" spreche. Ich gebrauche aber diesen Ausdruck lediglich im Sinne der physiologischen Unterscheidung des willkürlichen von dem automatischen Verhalten, und habe bisher keine bessere Bezeichnung gefunden. — Dafs einzelne G l i e d e r der Handlung infolge wiederholter Übung automatisch vollzogen werden, nimmt der Handlung als G a n z e m nicht die Eigenschaft der Willkürlichkeit. *) „Wollen" bedeutet also lediglich denjenigen psychophysischen Akt, durch welchen die Anspannung der Muskeln erfolgt. „Gewollt" ist im Sinne dieses Sprachgebrauchs nur die Körperbewegung, niemals der Erfolg. Ebenso schon früher Bekker 1 243, neuerdings Bünger Z 6 321, Olshausen § 59 16, Träger 27, Zitelmann 1 136; dagegen Weismann Z 11 85, bes. aber Löjfler 234 Note 100. Der herrschende Sprachgebrauch bezieht das Wollen gerade auf den Erfolg. — Der Ausdruck „Wollen" ist schon wegen seiner Vieldeutigkeit bedenklich und daher besser zu vermeiden. Aber die neuere

120

§ 29.

i . Das Thun (die Verursachung des Erfolges).

und Erfolg bilden demnach (s. oben S. 116) die beiden an sich gleich wichtigen Bestandteile des Thuns. 2 ) Die Körperbewegung ist das Ergebnis aus dem Zusammenwirken der sich kreuzenden, sich hemmenden und unterstützenden Vorstellungen einerseits und der individuellen, teils angeborenen, teils erworbenen Anlage (der Eigenart) anderseits (oben § 14 II).3) Die zum Siege gelangte Vorstellung nennen wir B e w e g g r u n d (Motiv). Sobald der Sieg entschieden ist, sprechen wir, das objektive Ergebnis als unsere eigenste That betrachtend, von E n t s c h l u f s . Dieser ist ein ü b e r l e g t e r (Prämeditation), wenn die auftauchende Vorstellung des begehrten Erfolges nicht sofort den Willen bestimmte, sondern den übrigen Vorstellungen, insbesondere den allgemeinen, unser gesamtes Verhalten beherrschenden Vorstellungen der Religion, der Sittlichkeit, des Rechts, der Klugheit Zeit blieb, sich zur Geltung zu bringen. Der Mangel an Überlegung kann seinen Grund in heftiger Leidenschaft wie in gedankenlosem Stumpfsinn haben. Das StGB, hat den Begriff der Überlegung zur Begriffsbestimmung von Mord und Totschlag (s. unten Besonderen Teil) verwendet und damit dessen allgemeine Bedeutung wenigstens für die Strafzumessung anerkannt. 4 ) Dem Erfolge gegenüber können die Vorstellungen des Thäters, die zur Auslösung der Körperbewegung führten, sich verschieden verhalten. Es kann sein, dafs die Vorstellung des Erfolges überhaupt gar nicht auftauchte oder vom Thäter abgelehnt wurde; es kann aber auch sein, dafs der Thäter den Psychologie neigt überhaupt dazu, das „Wollen" als selbständigen seelischen "Vorgang zu leugnen. Vgl. Thyren 2 9, 110; sowie anderseits A. Horn, der (auf Wundtscher Grundlage) gerade den Willensbegriff betont. 2 j Übereinstimmend, wenn auch mit Einbeziehung der Unterlassung, R 23. Dezember 89 20 146: Handlung ist die bewufste, willkürliche, durch körperliche Bewegung kraft der Gesetze der Kausalität hervorgerufene Einwirkung auf die Aufsenwelt. Ebenso im wesentlichen Finger 1 150, v. Kries 167, v. Lilienthal 33. Teilweise abweichend Bünger Z 8 540, welcher auch ein inneres, in keiner Körperbewegung objektiviertes Handeln kennt. 3) Die Bedeutung der Eigenart gegenüber den äufseren Reizen habe ich stets betont. A. Horns Polemik ist also insoweit ebenso gegenstandslos, wie die in van Calckers Strafrecht und Ethik 1897. 4 ) Vgl. Wachenfeld Die Überlegung in unserem heutigen Mordbegriff 1887. Irreführend ist es, von überlegtem V o r s a t z (dolus praemeditatus im Gegensatz zum dolus repentinus) zu sprechen. Richtig Binding Normen 2 396, 508, Hälschner 1 515, Olshausen § 211 6; insbes aber Wachenfeld.

§ 2g.

I. Das Thun (die Verursachung des Erfolges).

121

Erfolg vorausgesehen hat oder dafs sogar die Vorstellung des Erfolges Beweggrund (treibendes Motiv) der Körperbewegung war. Die Voraussicht des Erfolges ergibt den Begriff des V o r s a t z e s (unten § 39). II. Der Erfolg mufs mithin durch die Körperbewegung verursacht (veranlafst) sein; Körperbewegung und Erfolg müssen zu einander in dem Verhältnisse von Ursache und Wirkung (im Kausalzusammenhang) stehen.5) Kausalzusammenhang zwischen Körperbewegung und Erfolg liegt aber dann vor, wenn die Körperbewegung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dafs der Eintritt des eingetretenen Erfolges (d. h. so, wie er eben thatsächlich eingetreten ist) entfallen müfste (wobei strafrechtlich gleichgültige Nebenumstände aufser Betracht bleiben). Ist die Verknüpfung zwischen Körperbewegung und Erfolg eine in der angegebenen Weise n o t w e n d i g e , so nennen wir die Körperbewegung U r s a c h e des Erfolges, den Erfolg W i r k u n g der Körperbewegung; d. h. wir wenden auf die Beziehung von Körperbewegung und Erfolg die Kategorie der K a u s a l i t ä t (als eine Form unsres Erkennens) an. Damit ist zugleich gesagt, dafs für die strafrechtliche Betrachtung Verursachung und Veranlassung, Ursache und Bedingung zusammenfallen ; genauer gesprochen, dafs die Veranlassung des Erfolges stets genügend, seine Verursachung niemals erforderlich ist. Auch die M i t u r s a c h e ist mithin Ursache im Rechtssinn.

6) Die Frage nach dem Vorliegen des Kausalzusammenhanges mufs streng getrennt werden von der Frage nach dem Vorliegen einer Verschuldung des Thäters. Vgl. über diese unten § 36 fr. Übereinstimmend seit v. Buri (der vor 1866 selbst die gegenteilige Ansicht vertreten hatte) die schon von Luden (1840) begründete gemeine Meinung, insbes. Birkmeyer, Endemann, Frank, jfanka, Kohler, Olshaitsen. Auch Rümelin Die Gründe der Schadenszurechnung 1896 S. 26. Dagegen v. Bar, Bruck G A . 36 420, Haupt Z 15 574, He/s, Klopfet 343, Kühles 4 1 , Merkel 71 und Z I 591. Bedenklich Sturm Die Rechtswidrigkeit der Unterlassung 1895. Unklar Stoofs Schweizer Zeitschrift 9 223. — Es ist ferner unbedingt daran festzuhalten, dafs sich das „Kausalgesetz" nur auf die in Raum und Zeit vor sich gehenden Veränderungen, nicht aber auf die logische Verknüpfung der Begriffe bezieht. Die Verwechslung findet sich in der neuesten Litteratur nur zu oft; so bei Binding, Cohn (Litt, zu § 46), Kohler (Kausalismus der sozialen Ordnung), J. v. Kries, v. Rohland („rechtlicher Zusammenhang"), Zitelmann u. a. Zutreffend Heinemann (Litt, zu § 41) 31. Landsberg (Litt, zu § 30) 28. — Vgl. auch unten V 4 sowie § 30 III.

122

§ 2g.

i . D a s Thun (die Verursachung des Erfolges).

A u s dieser Begriffsbestimmung e r g e b e n sich unmittelbar zwei F o l g e s ä t z e v o n gröfster praktischer T r a g w e i t e . 1. Der Erfolg ist auf die Körperbewegung als seine Ursache auch dann zurückzuführen, wenn er ohne die besonderen Umstände, unter welchen die Handlung begangen wurde oder w e l c h e zu dieser hinzugetreten sind, sich nicht ereignet hätte. D i e V e r w u n d u n g ist U r s a c h e des T o d e s , auch wenn dieser ohne die allgemeine K ö r p e r s c h w ä c h e des Verletzten nicht eingetreten w ä r e o d e r wenn der Spitalbrand zu der an sich nicht tödlichen Verletzung h i n z u g e k o m m e n ist. D i e K ö r p e r b e w e g u n g braucht mithin nicht die n o t w e n d i g e , für sich allein ausreichende Ursache des E r f o l g e s (z. B. absolute Tötlichkeit der Verletzung) g e w e s e n zu sein. 2. Der Erfolg ist auf die Körperbewegung als seine Ursache auch dann zurückzuführen, wenn er ohne das gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Zusammenwirken andrer menschlicher Handlungen nicht eingetreten wäre. Insbesondere steht der A n n a h m e des Kausalzusammenhanges die Fahrlässigkeit eines dritten oder das unvorsichtige Verhalten des Verletzten selbst nicht im W e g e (Ausschlufs der, auch in B G B . § 254 Abs. 1 anerkannten, „Kulpakompensation"). 6) D a g e g e n ist der Kausalzusammenhang a u s g e s c h l o s s e n , wenn der W e g f a l l der K ö r p e r b e w e g u n g an dem Eintritt des E r f o l g e s nichts geändert hätte. Dies gilt insbesondere dann, w e n n der E r f o l g durch eine n e u e , selbständige Kausalreihe herbeigeführt wurde. W e n n A . während des Sturmes an einem Hause F e u e r anlegt, das unmittelbar darauf durch einen Blitzstrahl in Brand gesetzt wird, so ist A . nicht V e r u r s a c h e r des Brandes. III. D i e D u r c h f ü h r u n g der v o r g e t r a g e n e n Sätze ist d e m geltenden R e c h t e g e g e n ü b e r nur mit zwei wichtigen Einschränk u n g e n möglich. ") D i e v o n Frank § i V , § 47 III, 3 Abschn. I durchgeführte Unterscheidung der Bedingungen in positive und negative (z. B. Hinderung der Rettung eines Ertrinkenden), s o w i e in physische und psychische (die der Vermittlung des W i l l e n s einer freihandelnden Person bedürfen) ist in ihrem ersten Teile überflüssig, in ihrem z w e i t e n unrichtig, soweit sie über den i m T e x t unter I I I 1 aufgestellten Satz hinausgreifen soll.

§2g.

I. Das Thun (die Verursachung des Erfolges).

123

1. Die Behandlung der Anstiftung und der Beihülfe in unserm geltenden Recht, das jene wie diese nicht als Verursachung des Erfolges sondern als Teilnahme an fremder That aufgefafst wissen will (unten §§ 49 ff.), zwingt uns, soweit der Begriff der Teilnahme reicht, also bei vorsätzlicher Anstiftung oder vorsätzlicher Beihülfe zu vorsätzlichem T h u n , eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges (zwischen Anstiftung und Beihülfe einerseits und dem Erfolge anderseits) durch die That des Thäters anzunehmen. 7 ) Folgerichtig mufs dies aber auch dann gelten, wenn die Bestimmung (Anstiftung) oder die Beihülfe zu vorsätzlicher That nur fahrlässig geschah. D e m Thun steht das rechtswidrige Unterlassen (unten § 30) auch in seiner den Kausalzusammenhang unterbrechenden Wirkung gleich. 8 ) Uber diese Grenze hinaus darf aber die Annahme einer Unterbrechung des Kausalzusammenhanges nicht ausgedehnt werden, da sie im Widerspruch zu dem Ursachenbegriff steht. 9 ) Dies gilt insbesondere in den Fällen der sogenannten mittelbaren Thäterschaft (unten § 50 II). 2. Uberall dort, wo der Eintritt eines bestimmten Erfolges im Gesetze als Bedingung der Strafbarkeit oder als Bedingung höherer Strafbarkeit aufgefafst wird (unten § 36 Note 6), ist nach der vorherrschenden Ansicht ursachlicher Zusammenhang des Erfolges mit der Handlung dann nicht anzunehmen, wenn der Erfolg nur durch eine ganz ausnahmsweise Verkettung von Umständen herbeigeführt wurde (sog. „adäquate Verursachung"; vgl. unten V 4). XV.

Die

Untersuchung der Frage, in welchem Falle Verursachung des

7 ) Abweichend BGB. § 830, das eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges überhaupt nicht kennt. Vgl. v. Liszt Deliktsobligationen 75. s ) Wenn eine rechtliche Verpflichtung des Verletzten, sich einer ärztlichen Operation zu unterziehen, nicht besteht (Endemann), so ist der durch Unterbleiben der Operation verursachte Tod, auch wenn ihn der Verletzte vorausgesehen hat, vom Verletzenden verursacht. Ebenso R 6. März 95 27 80. Eine solche Rechtspflicht dürfte aber durch B G B . § 254 Abs. 2 begründet sein. Vgl. v. Liszt Deliktsobligationen 81.

®) Vergleiche: E i n e r s e i t s Übervorteilung Minderjähriger und Wucher; a n d e r s e i t s Verstümmlung eines Wehrpflichtigen. In beiden Fällen wird die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges vom Gesetz abgelehnt.

124

§2g.

I. Das Thun (die Verursachung des Erfolges).

Erfolges durch die Handlung angenommen werden lcÖDne, reicht weit zurück. Während einerseits das römische Recht der Erörterung eine Reihe von freilich widersprechenden Quellenstellen darbot {Pernice Labeo 2 36), suchte anderseits das deutsche Mittelalter durch Aufstellung fester äufserer Kennzeichen (so wurde z. B. die Annahme des Totschlages vielfach ausgeschlossen, wenn der Getötete inzwischen zu Markt und Kirchen gegangen war) den Knoten zu durchhauen. In der gemeinrechtlichen Wissenschaft (bei Carpzov und Böhmer wie bei Feuerbach und Stüde!) wurde die Frage vielfach besprochen. Und zwar regelmäfsig bei der Lehre vom Totschlag. Zumeist bezeichnete man als Ursache diejenige Bedingung, die den Erfolg mit Notwendigkeit nach sich zieht (dagegen Stübel Thatbestand 1805). Daher suchte man, ohne besonderen Gewinn, letalitas absoluta und relativa, in abstracto und concreto, per se und per accidens zu unterscheiden. Die Philosophie (insbesondere der Wölfischen Richtung) bemächtigte sich gleichfalls der Frage, und nur vereinzelt erhob man (z. B. Soden) Widerspruch gegen die Schuleinteilungen. Auch in die Gesetzgebung fand die Unterscheidung frühzeitig Eingang. Schon Preufsen 1685 legt grofses Gewicht auf sie, und eine Verordnung von 1717 gibt genaue Vorschriften. Auch die Mehrzahl der deutschen Landes-StGBücher des 19. Jahrhunderts (von Bayern 1813 bis Österreich 1852) hielt es für notwendig, in einem besonderen Paragraphen zu betonen, dafs es gleichgültig sei, ob durch rasche und zweckentsprechende Hilfe der Erfolg hätte verhindert werden können, ingleichen „ob die Verletzung nur wegen der eigentümlichen Leibesbeschaffenheit des Getöteten oder wegen der zufälligen Umstände, unter welchen sie zugefügt wurde, den tödlichen Erfolg gehabt hat" (vgl. Preufsen § 185). Erst die neueste Gesetzgebung hat auf derartige ebenso überflüssige wie irreleitende Bestimmungen Verzicht geleistet (Begründung zum Entw. des RStGB. S. 112), freilich ohne dadurch den Streitfragen ein Ende zu bereiten. V. Nach vier verschiedenen Richtungen hin nimmt die oben vorgetragene Ansicht in dem wissenschaftlichen Streite Stellung. 1 0 ) 10) Die Strafsenate des Reichsgerichts teilen durchaus die im Text vertretene Auffassung, während die Zivilsenate der Ansicht v, Bar's folgen. Zusammenstellung bei Birkmeyer Note 57. Schon Berner, Hälschner, Köstlin hatten die Gleichwertigkeit aller Bedingungen für den eingetretenen Erfolg betont. Daran knüpfte v. Buri 1860 den Satz, dafs jede Mitwirksamkeit den Erfolg verursacht. Diese von v. Buri in einer Reihe von Schriften vertretene Ansicht fand eine feste Stütze in Mills System der deduktiven und induktiven Logik (deutsch von Gomperz 1872). Sie kann heute als die herrschende bezeichnet werden. Ihr huldigen auch Appelius ICVS. 38 455, Berger bei Grünhut 9 735, Borchert Verantwortlichkeit I i i , Finger 1 153, Frank § I IV, Geyer 1 119, Glaser Abhandlungen 297 und später wiederholt, Hälschner 1 227, Hertz (oben § 18 IV) 167, A. Horn, Huther, Janka 62, Landsberg (Litt, zu § 30) 41, Lammasch (auch bei Grünhut 9 221), Kuhlenbeck (Litt, zu § 36), Loock 182, Löffler (Besprechung von Horn), P. Merkel (Litt, zu § 30) 23, Meyer 188, Pernice Labeo 5, Träger 75. Aber auch Thyren ist hierher zu stellen. Zwar nimmt er objektive Ungleichheit des Zusammenhangsgrades zwischen den verschiedenen Ereignissen an, eine Ungleichheit, die subjektiv

§ 29.

i. Das Thun (die Verursachung des Erfolges).

125

1. Wir gebrauchen den Begriff der Ursache nicht in jenem strengen Sinne, nach welchem Ursache jenen Zustand bedeutet, auf den ein anderer Zustand mit unbedingter Notwendigkeit und strenger Allgemeinheit folgt. Denn in diesem Sinne (Ursache gleich Inbegriff aller Bedingungen des Erfolgs) kann die menschliche Handlung überhaupt nicht Ursache sein; immer und ohne Ausnahme ist ihre Wirksamkeit in Bezug auf den Erfolg bedingt durch die Mitwirkung einer ganzen Reihe von äufseren Umständen, die ebenfalls nicht hinweggedacht werden können, ohne dafs der Lauf der Dinge als verändert sich darstellte. Nur in jener bescheidenen und beschränkten Bedeutung können wir die menschliche Handlung als U r s a c h e eines Erfolges bezeichnen, in welcher Ursache nicht mehr sein will als e i n e d e r v i e l e n n o t w e n d i g e n B e d i n g u n g e n des E r f o l g e s . 2. Wir leugnen, gestützt auf die Auffassung der Kausalität als einer Form unseres Erkennens, die r e a l e K r a f t einer, von den Bedingungen verschiedenen, den Erfolg e r z e u g e n d e n Ursache (die causa efficiens im Gegensatze zur conditio sine qua non). Die damit abgelehnte, durchaus metaphysische Ansicht hat gerade in der jüngsten Zeit verschiedene Vertreter gefunden. Hierher gehören Forcke (Litt, zu § 49), A. Horn, R. Horn, Huther, ICohler, Kraus (Litt, zu § 30) Kühles, Wachenfeld 16 Note 4. 3. Indem wir auch i n n e r h a l b der Bedingungen jeden wesentlichen Unterschied in Abrede stellen, treten wir in Widerspruch zu den vielfach gemachten Versuchen, auf Grund des AftV/schen Ursachenbegriffs unter den unzähligen Bedingungen des Erfolges e i n e als Ursache im strengsten Sinne auszuzeichnen. Drei verschiedene Fassungen sind hier zu unterscheiden: a) v. Bar nennt, indem er die regelmässig vorhandenen Bedingungen als gegeben voraussetzt, Ursache d i e d e n r e g e l m ä f s i g g e d a c h t e n V e r l a u f a b l e n k e n d e , zum R e g e l w i d r i g e n g e s t a l t e n d e B e d i n g u n g (ähnlich Zitelmann). b) Binding (ebenso Ortmann und Olshausen Abschnitt 3 2) bestimmt, indem er die dem Erfolge günstigen oder ungünstigen Bedingungen als sich das Gleichgewicht haltend vorstellt, die Ursache als jene Handlung, w e l c h e d e n v o r h a n d e n e n B e d i n g u n g e n d i e e n t s c h e i d e n d e R i c h t u n g a u f den E r f o l g g i b t ; ähnlich Hefs (mit Annäherung an v. Bar, diejenige Bedingung, die dem Betrachter als die letzte abänderbare erscheint; gegen ihn Appelius KVS. 38 451). c) Schärfer (unter Vermeidung der unjuristischen Bildersprache) drückt denselben Gedanken Birkmeyer (vgl. auch Olshausen § 222 2) aus. Nach ihm ist Ursache die „ w i r k s a m s t e " Bedingung (dagegen zutreffend Bennecke Z 5 731, Klöppel 344, Kuhlenbeck 67 Note 1, Haupt Z 15 208). Das Gefährliche jeder derartigen, bis zur Entgegenstellung kausaler und nichtkausaler Bedingungen gesteigert wird. Aber für das Strafrecht behauptet er Gleichheit der entscheidenden Bedingungen und kehrt insoweit zur herrschenden Ansicht zurück. Nach BGB. § 830 (unten § 49) wird die Ersatzpflicht der Gehilfen durch die blofse Veranlassung bedingt: das ist die im Text vertretene Kausalitätstheorie. — An den Aß//schen Ursachenbegriff knüpfen auch die im Text unter V 3 genannten Ansichten an. Dagegen steht die unter V 2 erwähnte neueste Richtung im bewufsten Gegensatze zu ihm.

126

§ 3°.

Das Unterlassen (die Nichthinderung des Erfolges).

eine der Bedingungen zur Ursache stempelnden, Fassung liegt darin, dafs sie, folgerichtig durchgedacht, zur Verwerfung des oben unter II I und 2 verwerteten Begriffes der M i t u r s a c h e führen mufs; einem Ergebnisse, bei welchem die Strafrechtspflege (anders das Privatrecht) nicht bestehen kann. 4. Mafsgebend ist die t h a t s ä c h l i c h e , wenn auch noch so ungewöhnliche, Gestaltung des Verlaufes im Einzelfall. Dagegen J. v. Kries, nach welchem die Körperbewegung a l l g e m e i n geeignet gewesen sein mufs, den eingetretenen Erfolg herbeizuführen: „adäquate" im Gegensatz zur „zufälligen" Verursachung. Und ähnlich Merkel 99: „Das Strafrecht berücksichtigt nur solche Bedingungsverhältnisse, welchen die Erfahrung eine allgemeinere Bedeutung zuerkennen läfst." Ihm folgt Helmer (Litt, zu § 42), der „typische Kausalität" verlangt. Auch Thon bestimmt als Ursache „diejenige Veränderung, welche eine andre als natürliche Folge (also mit Wahrscheinlichkeit) nach sich zieht". Ähnlich -Rümelin. Aber diese Ansicht ist völlig willkürlich. Der Begriff der Gefahr (oben S. 117), auf dem sie beruht, ist überflüssig und unanwendbar, soweit nicht Gefährdung, sondern Verletzung, nicht ein gedachter, sondern der wirkliche Verlauf der Ereignisse vorliegt. Zudem müssen die Anhänger der adäquaten Verursachung auch dann bestrafen, wenn der völlig atypische Verlauf von dem Thäter vorausgesehen worden ist. Damit tritt die Vermengung von Verursachung und Verschuldung (oben Note 5) klar zu Tage. Nur soweit auch der nicht verschuldete Erfolg zugerechnet wird, ist adäquate Verursachung zu verlangen (oben III 2).

§ 30.

2. D a s U n t e r l a s s e n (die N i c h t h i n d e r u n g

des E r f o l g e s ) .

I i i t t e r a t u r . v. Rohland Die strafbare Unterlassung 1 1887. Landsberg Die Kommissivdelikte durch Unterlassung im deutschen Strafrecht 1890. Boye Über das Kommissivdelikt durch Unterlassung. Erlanger Diss. 1893. Sturm Die Rechtswidrigkeit der Unterlassung 1895. Müller GS. 50 (insbes. 316). P. Merkel Begehung durch Unterlassung. Göttinger Diss. 1895. Bünger Z 6 322. Kohler Studien 1 45. Löning (Litt, zu § 42) 136. Wachenfeld (Litt, zu § 54) 42. Kraus (Prager) Juristische Vierteljahrschrift 30.

1.

Unterlassen

Erfolgs. innervierte freies halten

Die

ist willkürliche

Willensbethätigung

Körperbewegung,

(oben § 2 8 I V ) , des

Thäters.

E r f o l g e s vorhanden

sondern

durch Auch

als

Vorstellungen hier

(vielleicht

fehlt haben (oben S . 120).

Nichthinderung des

erscheint

kann

Motiv)

hier

nicht

ein v o m

bestimmtes

die Vorstellung

gewesen

sein

als

Zwange

oder

D e r B e g r i f f des Unterlassens

Verdes gesetzt

voraus, dafs durch das dem T h ä t e r mögliche und dennoch v o n i h m unterlassene T h u n der eingetretene E r f o l g verhindert w o r den w ä r e ; damit ist ein, der Kausalität des T h u n s (oben § 2 9 II)

§ 3°.

Das Unterlassen (die Nichthinderung des Erfolges).

£27

analoges Merkmal (nicht aber die Kausalität selbst) in dem Begriff gegeben. Unter gewissen Voraussetzungen (unten II) stellt nun die Rechtsordnung, ganz ebenso wie das Leben selbst, der Verursachung des Erfolges die Nichthinderung des Erfolges (das unechte Unterlassungsdelikt) gleich. Diese Gleichstellung bedeutet nicht, dafs auch in der Nichthinderung eine Verursachung des Erfolges zu erblicken sei: die Strafbarkeit der Unterlassung ist von der Annahme ihrer Kausalität völlig unabhängig. Die Gleichstellung kann aber auch eine unvollkommene sein, die Nichthinderung des Erfolges m i l d e r bestraft werden als seine Verursachung. Auch ist es durchaus möglich, dafs der Gesetzgeber die Unterlassung an sich, ohne Rücksicht auf den Erfolg, unter Strafe stellt. So entsteht der Begriff des e c h t e n Unterlassungsdeliktes, 1 ) als der Übertretung eines staatlichen Gebotes. Schwierigkeiten ergeben sich erst durch das Schweigen des Gesetzgebers. Dieses zwingt uns zu der Durchführung des Satzes: D e r Verursachung eines Erfolges steht dessen Nichthinderung gleich, s o w e i t n i c h t durch besondere Vorschrift des Gesetzes eine abweichende Behandlung der Unterlassung vorgezeichnet ist. II. Nur die rechtswidrige Unterlassung steht in ihrer rechtlichen Wirkung dem Thun gleich. Die Unterlassung ist rechtswidrig, wenn eine Rechtspflicht zum Thun bestand. Diese kann sich ergeben: 1. Aus einem besonderen Gebote der Rechtsordnung, mag dieses dem Strafrechte angehören (z. B. StGB. § § 2 2 1 , 357: das „Geschehenlassen"; Mil.StGB. § 60) oder aber, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend, auf andern Rechtsgebieten ausgesprochen sein, also aus dem mit einer bestimmten rechtlichen Stellung (Amt, Vertrag usw.) gegebenen Pflichtenkreise entspringen (Pflicht der Eltern zur Ernährung der Kinder, vertragsmäfsige Verpflichtung des Krankenwärters, Dienstpflicht des Beamten, des Gefangenaufsehers, des Eisenbahnwächters usw.) 2 ); 1 ) Beispiele: § 139 Unterlassene Anzeige eines Verbrechens (anders § 6 0 Mil.StGB.), § 360 Ziff. 10 Unterlassene Rettung eines Menschen. 2 ) Über die durch § 826 BGB. angeregten Fragen vgl. v. Liszt Deliktsobligationen 72.

128

§ 3°-

Das Unterlassen (die Nichthinderung des Erfolges).

2. aus dem vorangegangenen Thun, welches, nach einer allgemeinen wenn auch nirgends ausdrücklich ausgesprochenen Rechtsvorschrift spätere Thätigkeit als pflichtmärsig, späteres Fahrenlassen der ergriffenen Zügel als pflichtwidrig erscheinen läfst. Insbesondere begründet die Herbeiführung einer Gefahr die Verpflichtung, rechtswidrigen Folgen, soweit es möglich ist, entgegenzutreten. 3 ) War dagegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit bei dem vorangegangenen Thun bereits auf den Erfolg gerichtet, so liegt nicht Unterlassung, sondern Thun vor (der Arzt nimmt die Operation vor, um den Kranken verbluten zu lassen). III. Die ältere Wissenschaft hatte an der Gleichstellung der Unterlassung mit dem Thun im allgemeinen niemals Anstois genommen. Während aber die Italiener von der Glosse bis auf Farinacius und ihnen folgend Carpzov mit Beyer und andern die Unterlassung im allgemeinen für milder strafbar erklärten als die Begehung, vertrat insbesondere JSF. Böhmer die strengere Ansicht, welche wenigstens bei der Tötung gleiche Bestrafung der Unterlassung wie der Begehung verlangte. Die Gesetzgebungen wollten, ganz so wie die philosophische Schule Wolffs, allgemein unter den Handlungen auch die Unterlassungen mitverstanden wissen, stellten aber doch im Einzelfalle für diese teilweise mildere Strafdrohungen auf. So will das Preufs. LR. 1620 im Anschlüsse an die Sächsischen Konstitutionen die Krankenwärter, welche die ihrer Pflege anvertrauten Kranken verschmachten lassen, nur willkürlich bestraft wissen; die Theresiana 1768 Art. 87, 5 bestimmt, dafs die Mutter, „welche durch blofse Unterlassung ihrem Kinde den Tod verursacht hätte" (Nichtunterbinden der Nabelschnur, Verblutenlassen, Versagung der Nahrung usw.), mit e i n f a c h e r Schwertstrafe ohne Durchpfählung des Körpers zu bestrafen sei; und noch Österreich 1852 § 139 belegt die Kindestötung durch Unterlassung mit milderer Strafe. Erst mit dem 19. Jahrhundert beginnt der wissenschaftliche Streit um die Kaus lität der Unterlassung, einer der unfruchtbarsten, welche die strafrechtliche Wissenschaft je geführt hat. Während noch Feuerbach, Spangenberg, Martin u. a. die Frage nach der Kausalität der Unterlassung gar nicht aufgeworfen hatten und nur ihre Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit untersuchten, beginnt bei ihren Nachfolgern die falsche Fragestellung. „Aus nichts kann nichts werden": das war der Gedanke, von dem man ausging. 1. Zuerst hatten Luden und Zirkler die Unterlassung für ein „Andershandeln" erklärt. 2. Krug, Glaser, v. Bar und Merkel dagegen erblickten in dem der Unterlassung vorangegangenen T h u n das kausale 3 ) Gegen diesen fast allgemein, auch von R 29. Oktober 93 2 4 339, anerkannten Satz: Landsberg, Sturm, sowie in beachtenswerter Ausfuhrung Kraus, der (besonders S. 53) zur Gleichstellung der Unterlassung eine besondere gesetzliche Vorschrift verlangt. Vgl. Note 4.

§ 30-

Das Unterlassen (die Nichthinderung des Erfolges).

129

Moment, gerieten aber dadurch in unlösliche Widersprüche mit dem Hauptgrundsatze der Schuldlehre: Schuld mufs im Augenblicke der Körperbewegung vorliegen. 3. Wesentlich anders, im Anschlüsse an v. Buri (1869), behandeln die Frage Ortmann, Binding, Hälschner, Janka, Bünger, Müller, A. Horn (Litt, zu § 29) u. Olshaustn Abschnitt 3 3. Sie suchen das kausale Moment in der Unterlassung selbst nachzuweisen. Die Fassung des verbrecherischen Entschlusses, die Unterdrückung des dem Pflichtbewufstsein entspringenden Thätigkeitstriebes, vernichtet ein dem Erfolge entgegenstehendes Hindernis und führt so dessen Eintritt herbei („Interferenztheorie"; „psychische Kausalität"). Aber diese Ansicht scheitert nicht nur an der Thatsache, dafs dieser rein innere Vorgang bei der fahrlässigen Unterlassung zweifellos nicht vorhanden, bei der vorsätzlichen schwer, wenn überhaupt, nachweisbar ist; sondern auch an dem Widerspruch, in den sie durch die Bestrafung dieses innern Vorganges mit den allgemeinsten Grundsätzen des Strafrechts gelangen würde. 4. Völlig verfehlt war der von v. Rohland, Haupt Z 2 533, Kohler Studien 1 45, Sigwart. Der Begriff des Wollens 1879 S. 33, Zitelmann (Litt, zu § 29) S. 200, 259 u. a. gemachte Versuch, die Kausalität der Unterlassung dadurch zu retten, dafs sie auf ihren „rechtlichen Erfolg" hinwiesen; denn dieser ist nicht Veränderung in der Aufsenwelt, mithin nicht Erfolg in dem einzig zulässigen Sinne des Wortes (oben § 29 Note 5)- 5. Nach Hefs ist das gedachte Thun ein wirkliches, wenn und weil es das „Objekt eines notwendigen Denkens" ist (von uns erwartet werden mufste). Aber damit kommen wir über eine Analogie zur Kausalität ebensowenig hinaus, wie wenn Landsberg und ihm folgend P. Merkel das Unterlassen für kausal erklären, weil der Thäter die Möglichkeit hatte, den Erfolg zu hindern. So gelangte denn die neueste Richtung unserer Wissenschaft dazu, die verursachende Bedeutung der Unterlassung überhaupt in Abrede zu stellen. Damit tritt neben die verursachende Körperbewegung die nichtverursachende Unterlassung als selbständige Form der verbrecherischen Handlung. So insbesondere Boye, Finger 1 163, Frank § I VI, R. Horn (Litt, zu § 29), Kühles 74, Löning, R. Merkel (Litt, zu § 34) 187, Meyer, Ötker Jurist. Litteraturblatt 3 96, Stoo/s Schweizer Zeitschrift 9 223; neuestens Kraus, der blofsen „Konditionalzusammenhang'' annimmt (die Unterlassung ist „negative Bedingung" des Erfolgs). Von den privatrechtlichen Anhängern dieser Ansicht ist Endemann hervorzuheben. Und in der That mufs zugegeben werden, dafs die in unserer Erkenntnis sich vollziehende Verknüpfung von Ursache und Wirkung beim Unterlassen einen völlig andern Gegenstand hat als beim Thun: hier wird der thatsächlich eingetretene Erfolg mit einer thatsächlich vollzogenen, dort mit einer von uns blofs vorgestellten Körperbewegung in Beziehung gesetzt. Somit beruht es zweifellos auf einem ungenauen Sprachgebrauche, wenn wir von einem Bewirken durch Unterlassung sprechen. Und nur darum kann es sich handeln, ob auch die Strafrechtswissenschaft diesen Sprachgebrauch des Lebens beibehalten soll oder nicht. Für die Bejahung (so die früheren Auflagen dieses Lehrbuchs, Hefs, J . v. Kries, Kuhlenbeck, Wachenfeld u. a.) könnte man geltend von Liszt, Strafrecht. 9. Aufl. 9

j ßo

§ 31.

Zeit und Ort der Handlung.

machen, dafs es nicht minder ungenau sei, wenn wir die menschliche Körperbewegung als „Ursache" des Erfolges bezeichnen, während sie doch nicht mehr als eine der Bedingungen darstellt, und dafs doch niemand an dieser Ausdrucksweise Anstois nehme (oben § 29 V I). Dennoch ist, zur Vermeidung aller Mißverständnisse, die scharfe Unterscheidung der Begehung und der Unterlassung in der wissenschaftlichen Darstellung vorzuziehen. Ungleich wichtiger aber als diese rein terminologische Streitfrage, entscheidend für die wissenschaftliche wie praktische Behandlung der Unterlassungsdelikte, ist die richtige Fragestellung. Diese lautet aber nicht: Wann ist das Unterlassen k a u s a l ? sondern: Wann ist das Unterlassen r e c h t s w i d r i g ; wann steht die Nichthinderung des Erfolges der Verursachung des Erfolges gleich? Die deutsche Wissenschaft verdankt der unrichtigen Fragestellung ihre unhaltbaren Ergebnisse. *)

§31.

Zeit und Ort der Handlung.

L i t t e r a t u r . Schneidler Der Ort der begangenen Handlung. Tübinger Diss. 1886. v. Lilienthal Festgabe der Juristischen Fakultät zu Marburg usw. (für Wetzell) 1890 S. 253. Betz Das forum delicti commissi und der Ort der That im Sinne des StGB. Giefsner Diss. 1896.

I. D a s T h u n . Aus zwei Teilen setzt sich die Handlung zusammen: aus der Körperbewegung als der Ursache und aus dem Erfolge als der Wirkung. Sobald Ursache und Wirkung, Körperbewegung und Erfolg örtlich und zeitlich auseinanderfallen (sogenannte „Distanzverbrechen"), entsteht die Doppelfrage: W a n n u n d w o i s t d i e H a n d l u n g (und damit das Verbrechen) b e g a n g e n ? Streng genommen, müfste man die Begehung als ein einheitliches Ganzes betrachten. Nur Körperbewegung und Erfolg zusammen bilden die Handlung. Nur dann wäre die Handlung im Inlande begangen, wenn Körperbewegung u n d Erfolg ins Inland fallen; nur dann steht sie unter der zeitlichen Herrschaft eines Rechtssatzes, wenn nicht nur die Körperbewegung, s o n d e r n a u c h der Erfolg von dieser erfafst wurden. Ist die Körperbewegung im Inland vorgenommen worden, der Erfolg aber im Ausland eingetreten (oder umgekehrt), so ist die Handlung, als Einheit betrachtet, weder im Inland noch im Ausland begangen. Ganz dasselbe gilt, wenn ein Wechsel der 4 ) Für die richtige Fragestellung Boye, Endemann, Kraus, Sturm. Sehr bestimmt im Sinne des Textes auch die neueste privatrechtliche Litteratur, so Rümelin (Litt, zu § 29) und R. Merkel (Litt, zu § 34).

§ 31-

Zeit und Ort der Handlung.

Gesetzgebung nach der Willensbethätigung, aber vor Eintritt des Erfolges stattfindet. Diese Ansicht führt zu völlig unbefriedigenden Ergebnissen. Wir sind daher gezwungen, uns m i t e i n e m T e i l e der Handlung zu begnügen. Dabei steht uns eine dreifache Möglichkeit offen. Wir können entweder i. die Körperbewegung oder 2. den Erfolg fiir ausschlaggebend oder aber 3. beide als gleichberechtigt betrachten.1) Beispiel: Eine am i . J u n i von Bremen nach Neuyork verfrachtete Höllenmaschine tötet am 15. Juli den Empfänger. D e r Mord ist nach der ersten Ansicht am I. J u n i in Bremen; nach der zweiten am 15. Juli in Neuyork; nach der dritten am 1. Juni in Bremen u n d am 15. Juli in Neuyork begangen.

Bei der Entscheidung zwischen diesen drei Ansichten haben wir von der unbestreitbaren Thatsache auszugehen, dafs nach dem heute geltenden Rechte die Eigenart der Handlung sich bestimmt nach dem eingetretenen E r f o l g . Nicht die A b sendung einer Höllenmaschine, sondern die dadurch bewirkte Veränderung in der Aufsenwelt drückt der Handlung den *) 1. Die Willensbethätigung (den Standort des Thäters) betrachten als mafsgebend: v. Bar, Bekktr, Hälschner, Hertz, Janka, Meyer, v. Rohland, Schneidler, Schütze, v. Wächter-, Beling Z 17 315, Bulling D e r örtliche Gerichtsstand in Prefssachen 1894, Finger 1 168, Hancke LA. 4 460, Planck 1 § 18 Note 27, Seuffert StG. 1 29. — 2. D e n Erfolg lassen, mit dem Text, entscheiden: Häierlin GA. 25 432, Merkel 276, Neumeyer Strafbarer Bankerott 1891 S. 157. Eine Abart dieser Ansicht stellt die Entscheidung auf die „nächste" rechtswidrige Wirkung (den „Zwischenerfolg") ab, so dafs bei tätlicher Verwundung diese und nicht der eingetretene T o d mafsgebend ist. So Betz und v. Hippel Z 16 603. — 3. Die Rechtsprechung erklärt zumeist beide Teile der Handlung als gleichberechtigt. So insbesondere das Reichsgericht; zuletzt 17. Juni 1892 2 3 155 („jeder Ort, an welchem die That, sei es unmittelbar durch die Körperbewegung des Thäters oder durch die von ihm in Bewegung gesetzte K r a f t , zur Ausführung gelangt"). Ebenso Bennecke 84, Berner 248, Binding 1 416, van Calcker Delikte gegen das Urheberrecht 1894 S. 274, v. Lilienthal 270, Olshatisen § 3 2—6, Wach 1 465 u. a. — 4 . Man hat auch wohl die gesamte Kausalreihe von der Körperbewegung bis zum Erfolge als eine Einheit betrachten und die Handlung als an allen Orten begangen ansehen wollen, welche die ihre Entwicklung darstellende Linie durchläuft. So R 12./19. Mai 84 10 420; Binding 1 423. Diese Ansicht ist aber sicher unhaltbar. Wenn ein beleidigender Brief von London über Ostende, Frankfurt, Wien, Pest usw. nach Konstantinopel an den Adressaten gelangt, so ist die Beleidigung sicherlich nicht überall unterwegs begangen. Binding 1 423 sieht sich daher gezwungen, bei den von ihm sog. „Transitverbrechen" eine Ausnahme zu machen. Ihm folgt van Calker 275. — Jedenfalls jst die F r a g e für das Strafrecht wie für das Prozefsrecht einheitlich zu entscheiden: so Betz 8, v. Kries 167, v. Lilienthal 257. Anders v. Bar 237, 238, Bennecke, Binding, Wach. 9*

132

§ 31.

Zeit und Ort der Handlung.

Stempel eines bestimmten Verbrechens auf. Und unzweifelhaft entspricht dieses Ergebnis auch besser als andere der Aufgabe des Strafrechts: dem Rechtsgüterschutz. So gelangen wir zu dem Satze: Gehandelt hat der Thäter dort, wo, und zu der Zeit, zu welcher der strafrechtlich erhebliche Erfolg eingetreten ist. Mafsgebend ist also für die Tötung Ort und Zeitpunkt des Todes, nicht der diesen verursachenden Willensbethätigung; aber auch nicht Ort und Zeit der zum Tode führenden Verwundung. II. Ganz ähnlich verhält es sich mit der U n t e r l a s s u n g . Das unechte Unterlassungsdelikt ist dann und dort begangen, wann und w o der Erfolg eingetreten ist. Bei dem echten entscheidet Zeit und Ort, wann und wo das gebotene Thun vorzunehmen war. III. Einzelanwendungen. 2 ) 1. A n s t i f t u n g u n d B e i h i l f e betrachtet und behandelt das geltende Recht (unten § 49) als Teilnahme an der That eines andern, nicht aber als selbständige, wenn auch mittelbare Verursachung oder Nichthinderung des Erfolges. Von diesem Standpunkte aus erscheint als der durch die Anstiftung herbeigeführte Erfolg die Hervorrufung des verbrecherischen Entschlusses im Thäter; als Erfolg der Beihilfe die dem Thäter gewährte Förderung. ®) Und daraus folgt: Dort, wo der Anzustiftende den Rat usw., wo der Thäter die Hilfeleistung empfängt, und in dem Augenblicke, in welchem dies geschieht, dort und dann ist Anstiftung und Beihilfe begangen. B e i s p i e l : A in Paris bestimmt durch einen am I. Januar 1880 abgeschickten, am 3. Januar 1880 in Berlin eingetroffenen Brief den B zur Ermordung des in London befindlichen C ; wenn die That in London am I. Februar 1880 ausgeführt wird, so ist die Anstiftung in Berlin am 3. Januar begangen. Es ist mithin die im Inlande gesetzte Beihilfe zu einer von einem Ausländer begangenen Hauptthat möglicherweise, aber nicht notwendig als im Auslande verübt anzusehen. 2. Dagegen entscheidet bei Begehung der That d u r c h e i n e n a n d e r n , mag dieser zurechnungsunfähig oder getäuscht oder gezwungen sein, Ort und Zeit des durch diesen andern verursachten Erfolges. Wenn ich durch einen Blödsinnigen einen jenseit der Grenze befindlichen Gegenstand wegnehmen lasse, so habe i c h ihn jenseit der Grenze weggenommen. In diesem Falle liegt eben nach Auffassung des geltenden Rechts e i g n e s H a n d e l n des Schuldigen, nicht aber Teilnahme an fremden Thun vor (unten § 50 II). s ) In allen diesen Fragen müssen natürlich diejenigen zu andern Ergebnissen kommen, deren grundsätzliche Auffassung von der im Texte unter I vorgetragenen abweicht. 3 ) Unrichtig gerade von seinem grundsätzlichen Standpunkte aus R 14. Juni 94 25 424 (die That des Thäters gibt den Ausschlag).

§ 32-

Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.

133

3. Bezüglich des strafbaren V e r s u c h e s ist die allgemeine Regel folgerichtig zur Anwendung zu bringen. Da die Eigenart der Versuchshandlung in der Gefährdung besteht (unten § 46), ist die That dort und dann begangen, wo und wann die Gefahr eingetreten ist. 4 ) 4. Eine als juristische E i n h e i t zu betrachtende Handlungsreihe, z. B. das fortgesetzte oder fortdauernde Verbrechen (unten § 55), darf auch in Bezug auf unsere Frage nicht in seine unselbständigen Teile auseinandergerissen werden. Es ist überall dort begangen, wo ein solcher Teil gesetzt worden, und während der ganzen Dauer der Handlungsreihe. Ein dadurch veranlafster Zwiespalt zwischen fremdem und einheimischem Rechte ist zu Gunsten des letzteren, zwischen späterem und früherem Rechte zu Gunsten des milderen zu entscheiden (die mehreren Gerichtsstände sind gleichberechtigt). 5. Über den Einflufs einer „ B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t " vgl. unten § 44 III 4. 6. Bei den P r e f s v e r g e h e n entscheidet, soweit nicht eine fortgesetzte Handlungsreihe vorliegt, Ort und Zeit der begonnenen Verbreitung der Druckschrift. R )

II. Das Verbrechen als rechtswidrige Handlung. § 32.

Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.

I. Das Verbrechen ist als Unrecht, ebenso w i e das privatrechtliche Delikt, rechtswidrig, d. h. formell die Übertretung einer staatlichen Norm, eines Gebotes oder Verbotes der Rechtsordnung, materiell ein Angriff auf rechtlich geschützte Interessen. 1 ) 4

) Ebenso grundsätzlich R 6. Mai 97 30 98. ) Vgl. v. Liszt Prefsrecht § 41, Betz 67, v. Lilienthal 282; dagegen R 17. Juni 92 23 155. Nach Klöppel 323 entscheidet der Sitz des Geschäftsbetriebes. Mafsgebend ist für mich die Grundauffassung, die das Wesen des Prefsdeliktes in der rechtswidrigen öffentlichen Gedankenäufserung, seine eigenartige Erscheinungsform mithin in der Veröffentlichung (Verbreitung) erblickt. *) Das Verbrechen i s t (nach unserm Werturteile) rechtswidrig, nicht aber b e w i r k t es eine Rechtswidrigkeit. Das ist ebenso sicher wie der Satz, dafs die Begriflsmerkmale eines Gegenstandes nicht dessen Wirkungen sind. Dennoch wird dieses ebenso einfache wie klare Verhältnis vielfach unrichtig aufgefafst. In Bindings Normentheorie bildet diese Verwechslung den Ausgangspunkt für eine Reihe von folgenschweren Irrtümern. Auch Engelmann (Litt, zu § 36) spricht von dem „rechtlich kausalen Willen". Vgl. oben § 29 Note 5, § 30 (S. 129: „rechtlicher Erfolg" der Unterlassung). 5

134

§ 32-

Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.

1. Das Verbrechen ist in seiner typischen Erscheinungsform Rechtsgüterverletzung, d. h. Verletzung 2 ) der durch die Rechtsordnung geschützten menschlichen Lebensinteressen. 2. Unter gewissen Voraussetzungen und innerhalb gewisser Schranken verbietet die Rechtsordnung auch die Gefahrdung (oben § 28 III) der Rechtsgüter. 3. Neben der Verletzung und der Gefährdung von Rechtsgütern steht das polizeiliche Unrecht. E s erscheint als einfacher Ungehorsam gegenüber den staatlichen Vorschriften, durch welche die Begehung (oder Unterlassung) einer Handlung verboten wird, weil ihre V o r nahme (oder Nichtvornahme) regelmäfsig die Gefahrdung eines Rechtsgutes enthält, ohne dafs es darauf ankommt, ob die Handlung auch im gegebenen Einzelfalle dieser allgemeinen Voraussetzung entspricht. Man denke an das Verbot des schnellen Fahrens und Reitens, das Gebot des Raupens, den Impfzwang und andres. 3 ) II. Der Angriff auf rechtlich geschützte Interessen ist ausnahmsweise gestattet, soweit die Rechtsordnung dem Thäter ein besonderes Recht zu jenem Angriff einräumt. In welchem Gebiete der Rechtsordnung diese 2 ) Es ist klar, dafs die Ausdrücke „Verletzung" und „Gefahrdung", die sich streng genommen nur auf äufsere Ereignisse beziehen, hier im übertragenen Sinne gebraucht werden. „Rechtsverletzung" ist nur ein Bild. Verletzt und gefährdet werden die Menschen oder Sachen, in welchen sich als Subjekten oder Objekten das Interesse verkörpert (oben § 26 Note 2). — Für das Privatrecht kommt n u r die Verletzung in Frage. BGB. § 823. 3 ) Der Unterschied, dessen weitere Durchbildung möglich und wünschenswert wäre, hat strafprozessualisch gröfsere, strafrechtlich im geltenden Recht, von den „Ordnungsstrafen" (unten § 58 III) abgesehen, geringere Bedeutung. — Bezüglich der Abgrenzung stimmen mit dem Texte im wesentlichen überein Binding Normen 1 179, 204, Hälschner 1 35, Merkel Abhandlungen 1 35, Rosin WV. 2 274, Stoofs Grundzüge 1 170. Auch Loock (Litt, zu § 29) 210. Dagegen wird vielfach, wie von v. Bar, Bekker, Geib, Heffter, jeder Unterschied zwischen peinlichem und polizeilichem Unrechte gänzlich in Abrede gestellt; die naturrechtliche Schule — so noch Feuerbach, v. Wächter u. a. — wollte das peinliche Unrecht auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränken und die Verletzung allgemeiner Interessen dem polizeilichen zuweisen; andere wieder, wie Grolman, K'dstlin, Seeger, Geyer, rechnen die Verletzung zum peinlichen, die Gefahrdung zum polizeilichen Unrecht; Meyer 30 unterscheidet nach der gröfsern oder geringem Bedeutung der Handlung; (bei dem polizeilichen Unrecht tritt die sachliche Bedeutung hinter der formellen zurück). — Über die P o l i z e i s t r a f g e s e t z b ü c h e r vgl. oben § 20 Note 2.

§ 32.

Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.

135

Einräumung ausgesprochen ist, bleibt für das Strafrecht gleichgültig: stets entfällt mit der Rechtswidrigkeit der Begriff des Verbrechens, mithin auch die Strafbarkeit. Die Lehre von der Rechtswidrigkeit des Verbrechens bedeutet mithin die Darstellung derjenigen Gründe, welche ausnahmsweise den Wegfall der Rechtswidrigkeit bewirken. Mit ihr beschäftigen sich die folgenden Paragraphen. Hier seien einige allgemeine Sätze vorangeschickt. 1. Die Rechtswidrigkeit des Verbrechens bedarf als selbstverständlich keiner besondern Hervorhebung im Gesetze. Nur in besonderen Fällen hat der Gesetzgeber das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den besondern Thatbestand einzelner Verbrechen aufgenommen. 4 ) Hier bedarf es daher auch ausdrücklicher Feststellung der Rechtswidrigkeit im Urteile. Der Grund aber, weshalb nur für diese Verbrechen eine abweichende Behandlung vorgeschrieben ist, kann einmal darin gefunden werden, dafs gerade bei ihnen die Abgrenzung der nicht rechtswidrigen von den rechtswidrigen Fällen ungleich gröfsere Schwierigkeiten bietet als etwa bei der Tötung oder der gewaltsamen Vollziehung des Beischlafes; dann aber auch in der reichsrechtlichen Zulassung einer landesrechtlichen Erlaubnis („Befugnis") zur Vornahme solcher Handlungen (Halten von Glücksspielen usw.). 2. Soweit die Rechtswidrigkeit der Handlung ausgeschlossen ist, kann von einem Verbrechen nicht die Rede sein. Es ist daher auch strafbare Teilnahme an einer solchen Handlung begrifflich unmöglich (vgl. unten § 35 Note 1). 3. Die an sich nicht rechtswidrige Handlung ist, sobald sie über das eng umgrenzte Gebiet des ausnahmsweisen Ausschlusses der Rechtswidrigkeit hinausgreift, bezüglich dieses Ubermafses (soweit dieses ausgeschieden werden kann) den allgemeinen Regeln unterworfen. Tötung oder Körperverletzung in Uberschreitung eines Züchtigungsrechts, mag dieses in seinen V o r aussetzungen, seinem Inhalt oder seinem Umfange überschritten sein, können daher als vorsätzlich oder fahrlässig begangen nach den regelmäfsigen Bestimmungen des StGB, bestraft werden. 4)

Vgl. StGB. §§ 123, 124, 239, 240, 246, 291, 303, 305, 339, 353a u. a.

§ 32.

Die Rechtswidrigkeit als Begriffsmerkmal.

Über die bezüglich der Überschreitung der Notwehr geltende Sondervorschrift vgl. unten § 33 III. 4. Von den unter 1 erwähnten Ausnahmefällen abgesehen, ist die Rechtswidrigkeit der Handlung ohne Rücksicht auf einen etwaigen Irrtum des Thäters streng objektiv zu prüfen und festzustellen. Vgl. darüber unten § 41. III. Die Anerkennung des Satzes, dafs die Rechtswidrigkeit Begriffsmerkmal des Verbrechens ist, sowie die genauere Erfassung derjenigen Umstände, welche der Handlung die Eigenschaft der Rechtswidrigkeit ausnahmsweise entziehen, ist das Ergebnis einer langsamen, noch immer nicht abgeschlossenen Entwicklung. Das r ö m i s c h e R e c h t kennt eine Reihe von e i n z e l n e n hierher gehörigen Fällen, unter welchen Notwehr, Notstand, sowie das Tötungsrecht gegenüber dem nächtlichen Dieb und dem auf frischer That ertappten Ehebrecher hervorragen; aber vergebens suchen wir nach einer allgemeinen Regel. Ja, auch die grundsätzliche Auffassung der ausdrücklich behandelten Fälle ist bei den römischen Juristen eine durchaus schwankende, meist sogar geradezu verfehlte: nicht die R e c h t s w i d r i g k e i t , sondern die S t r a f b a r k e i t des Thuns wird als ausgeschlossen betrachtet, weil der erforderliche dolus fehle. Ebenso verhält es sich mit dem m i t t e l a l t e r l i c h deutschen Recht. Neben einer immer eingehenderen Behandlung der Notwehr in den Quellen des späteren Mittelalters und der Hervorhebung einzelner Notstandsfalle spielt insbesondere das im weiten Umfange anerkannte Tötungsrecht eine hervorragende Rolle. Dies ist auch der Standpunkt der mittelalterlich italienischen Wissenschaft, der P G O . und des auf dieser sich aufbauenden gemeinen Rechts, wenn auch einzelne Schriftsteller, wie JSF. Böhmer, wenigstens beim Totschlag, zwischen Ausschlufs der Rechtswidrigkeit und mangelndem Vorsatz unterscheiden. Nur die N o t w e h r wird gegen Ende des vorigen Jahrhunderts aus ihrer Verbindung mit der Tötung gelöst, begrifflich genau abgegrenzt und in den allgemeinen Teil des wissenschaftlichen Systems, sowie der Gesetzbücher gestellt. Ihr folgt der N o t s t a n d , aber ohne bisher zu befriedigendem Abschlufs zu gelangen. Die übrigen Ausschliefsungsgründe harren zum weitaus gröfsten Teile der begrifflichen Klarlegung. Die Gesetzbücher verzichten darauf, sie festzustellen, und die Wissenschaft mufs sich gestehen, dafs ihre Ergebnisse nur teilweise reif für gesetzgeberische Verwertung sind. 6 ) Das unbefriedigende Ergebnis, welches die geschichtliche Entwicklung dieser Lehre uns bietet, spiegelt sich im RStGB. wider. Auch dieses behandelt die Lehre von der Rechtswidrigkeit ohne jede innere Folgerichtigkeit. Es hebt bei einer einzelnen strafbaren Handlung (Beleidigung § 193) eine ganze 6 ) Das gilt auch von der Fassung von StooJ's Schweizer Zeitschrift 10 3 5 1 : Rechtsverletzungen, deren Zweckbestimmung Rechtsgüterschutz ist, sind nicht strafpflichtig. Diese einheitliche Formel für gebotene, erlaubte und geduldete Verletzungen versagt sofort, wenn die Frage nach der Rechtswirkung der Einwilligung des Verletzten geprüft werden soll.

§ 33-

Die Notwehr.

137

Reihe von Umständen ausdrücklich hervor, die nicht nur hier, sondern überall die Rechtswidrigkeit ausschliefsen; es nimmt bei einer Anzahl von strafbaren Handlungen das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den besondern Thatbestand auf, während es bei der grofsen Mehrzahl von diesem Erfordernisse gänzlich absieht; es regelt endlich in seinem allgemeinen Teile die Behandlung der N o t w e h r und des N o t s t a n d e s , verzichtet aber auf die Regelung der zahlreichen und wichtigen andern Fälle, in welchen die Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden Thuns oder Unterlassens als ausgeschlossen erscheint.

§ 33.

Die Notwehr.

L i t t e r a t u r . Lcvita Recht der Notwehr 1856. Geyer Lehre von der und Moriaud Notwehr 1857. Seeger Abhandlungen 1 1858 S. 173. janka (Litt, zu § 34). v. Buri Beiträge 1 1 5 . van Calker Z 12 443. Tobler D i e Grenzgebiete zwischen Notwehr und Notstand 1894. Heberlein Exzefs der (Prager) Jurist. Vierteljahrschrift 10 Notwehr. Berner Diss. 1895. v 105. Stirlz Die subjektive Seite der Notwehr. Erlanger Diss. 1897. Titze Die Notstandsrechte im deutschen bürgerlichen Recht und ihre geschichtliche Entwicklung. Berliner Diss. 1897. — Über das römische Recht Pemice Labeo 2 7 3 ; über die Quellen der Bambergensis Brunnenmeister 1 7 7 ; vgl. auch Pfenniger Strafrecht der Schweiz 1890 52 und sonst. Über das kanonische Recht Hinschius 5 940. — Bezüglich der Schutzvorrichtungen RoUring G A . 3 0 4 1 5 ; Sommerlad G S . 39 359. I. Die Notwehr ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern, wenn auch in verschiedenem Umfange, als rechtgemäfse, nicht nur als nichtstrafbare Handlung anerkannt worden. In diesem Sinne ist es richtig, wenn Cicero von der „non scripta sed nata lex" spricht oder Geib sagt, die Notwehr habe keine Geschichte. Genauere Betrachtung zeigt jedoch, dafs das geschriebene Recht der Notwehr eine ebenso reiche wie beachtenswerte Entwicklungsgeschichte durchgemacht hat. Das römische Recht bietet uns zwar zahlreiche Quellenstellen, welche von der gewaltsamen Zurückweisung gewaltsamen Angriffes auf L e i b und Leben handeln, läfst aber den allgemeinen Begriff der Notwehr vermissen. Ebenso ist auch im ältesten deutschen Rechte die Notwehr noch nicht losgelöst von Rache und Tötungsrecht. Aber dennoch tritt uns bereits im späteren Mittelalter, in der italienischen Wissenschaft wie in der volkstümlichen Rechtslitteratur Deutschlands, in Stadtrechten und Rechtsbüchern, eine so durchgebildete und ausgeführte Darstellung der Notwehr entgegen, wie wir sie in den übrigen allgemeinen Lehren des Strafrechts ohne jede Ausnahme nicht wiederfinden. S o konnte Schwarzenberg in den Art. 1 3 9 — 1 4 5 und 1 5 0 mit lehrbuchartiger Breite und Bestimmtheit nicht nur den Begriff der Notwehr feststellen und die Beweisführung regeln, sondern auch Einzelfragen, wie Notwehr „gegen einem Weibsbilde" und Ablenkung des Schlags bei Notwehr (im Anschlüsse an 1. 45 § 4 D. 9, 2), erledigen. Auch er kennt übrigens, wie das gesamte Mittelalter, nur Notwehr zur Rettung von Leib und Leben und behandelt sie als F a l l der straflosen Tötung. Das gemeindeutsche Recht dehnt allmählich die Zulässigkeit der Notwehr auf Angriffe gegen andere Rechts-

§33-

13»

D i e Notwehr.

guter, insbesondere g e g e n Vermögen und Ehre, aus (so übereinstimmend Böhmer, Engau, Koch u. a.) und arbeitete an der genaueren Feststellung der einzelnen Begriffsmerkmale.

Gegen

Ende

des

18. Jahrhunderts

wurde

die

Notwehr,

w e l c h e bisher stets im Anschlüsse an die Tötung behandelt zu werden pflegte, aus dieser Verbindung gelöst und ihr die ihr gebührende gemeinen T e i l e des Systems angewiesen. Erhard 1789, Tittmann 1798. den S i e g .

So bei

Stellung im all-

Globig und Huster 1783,

Feuerbachs Ansehen verschaffte dieser Auffassung

Auch die Gesetzgebung (mit Ausnahme der französischen) schlofs

sich ihr an, nachdem bereits A L R . II 20, 517 die N o t w e h r in die Einleitung zu den „Privatverbrechen" gestellt hatte.

II. Notwehr (StGB. § 53) ist die zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs erforderliche V e r teidigung durch Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Angreifers. 1. Der das Notwehrrecht begründende Angriff mufs a). ein rechtswidriger sein. Daher ist Notwehr nicht möglich gegenüber dem in rechtmäfsiger Amtsausübung befindlichen Beamten, gegenüber der Ausübung eines Zuchtrechts usw.; nicht möglich gegenüber der Notwehrhandlung selbst oder der nicht rechtswidrigen Notstandshandlung (vgl. § 34 Note 1). Wohl aber wird Notwehr in dem Augenblicke berechtigt, in welchem eine Überschreitung den an sich rechtmäfsigen Angriff zu einem rechtswidrigen macht, also auch gegenüber einer Überschreitung der Notwehr. Handelt der Untergebene auf Befehl des Vorgesetzten (unten § 35 Note 1), so ist nur diesem, nicht aber jenem gegenüber Notwehr möglich. Gestattet ist Notwehr gegenüber rechtswidrigen Angriffen solcher Personen, welchen, wie dem Staatshaupt, dem Volksvertreter, dem Gesandten (oben § 24), nur ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund zur Seite steht. A u c h gegen den von einem Strafunmündigen oder einem Geisteskranken ausgehenden Angriff ist Notwehr möglich; dasselbe gilt bei einem Irrtum des Angreifers, der diesen die Rechtswidrigkeit des Angriffs nicht erkennen liefs. Dagegen begründet der von J ) D e r Ausdruck „Notwehr" findet sich nach Geyer zuerst im W i e n e r Stadtrecht v o n 1 2 2 1 , ist aber jedenfalls älter. V g l . auch Landfrieden v o n I2 : 3 5 „• * * nisi in continenti ad tutelam corporis sui vel bonorum suorum v i m vi repellat, quod dicitur notwere." — E i n e Erweiterung des Begriffs der N o t w e h r enthält Mil.StGB. § 124. — D i e Begriffsbestimmung des R S t G B . s ist w ö r t l i c h übergegangen in B G B . 8 2 2 7 .

§ 33-

Die Notwehr.

139

einem Tiere ausgehende Angriff nach geltendem Recht nicht Notwehr, sondern Notstand. 2 ) Ob der Angriff ein v o r h e r g e s e h e n e r war oder nicht, ob er von dem Angegriffenen v e r s c h u l d e t worden oder nicht, ist nach dem heutigen Rechte gleichgültig. b) Der Angriff mufs ferner ein gegenwärtiger sein, d. h. unmittelbar bevorstehen oder bereits begonnen haben. Es braucht daher einerseits der B e g i n n des Angriffes nicht abgewartet zu werden,3) während anderseits auch der bereits begonnene, aber noch f o r t g e s e t z t e Angriff abgewehrt werden kann. Ausgeschlossen ist Notwehr dagegen: a) gegenüber einem e r s t in d e r Z u k u n f t d r o h e n d e n Angriffe. Schutzmaisregeln gegen künftige Verletzungen, wie Fufsangeln, Selbstgeschosse, Wolfsgruben, sind, w e n n sie erst im Augenblicke des Angriffs thätig werden, gestattet, soweit sie nicht (was allerdings meist der Fall sein wird) d i e G r e n z e n d e r e r f o r d e r l i c h e n V e r t e i d i g u n g überschreiten. *•) ß) Gegenüber dem b e e n d e t e n Angriffe, d. h. sobald nach den Bestimmungen des geltenden Rechts die Vollendung des Verbrechens eingetreten ist. Da der Diebstahl nicht schon mit der Ergreifung der Sache, sondern erst mit dem Bruche des Gewahrsams vollendet wird, ist Notwehr gegen den flüch2 ) Die Frage war bisher sehr bestritten. Übersicht bei Titze S. 17 Note 54. Vgl. etwa noch Schläger Die Rechtswidrigkeit des Angriffes bei der Notwehr. Erlanger Diss. 1897. Sie ist jetzt durch BGB. §§ 227 und 228 endgültig entschieden. Vgl. v. Liszt Deliktsobligationen 87. Freilich in wenig befriedigender Weise. Denn nur für die Notstandshandlung, nicht für die Notwehr, verlangt BGB. die Wahrung eines überwiegenden Interesses. Das Kind, das mein Eigentum bedroht, darf ich mithin ohne weiteres , den Hund nur bei überwiegendem Interesse niederschiefsen. Wenn A einen Hund auf B hetzt, so befindet B sich dem A gegenüber in Notwehr, dem Hund gegenüber in Notstand. Er wird also, sollte der Hund nur seine Kleider bedrohen, klüger seinen Revolver gegei> den A als gegen den Hund richten. s ) Laesio inchoata nicht erforderlich. PGO. Art. 149: „ist auch mit seiner Gegenwehr, bis er geschlagen wird, zu warten nicht schuldig." Die Bambergensis fügt (im Anschlüsse an Azo) hinzu: „als etliche unverständige Leut' meinen." *) StGB. § 367 Ziff. 8 bedroht das Anbringen von Selbstgeschossen usw. mit Übertretungsstrafe.

140

§ 33-

Die Notwehr.

tigen Dieb so lange zulässig, als der Gewahrsam des Inhabers noch nicht völlig gebrochen ist. 5 ) c) Der Angriff mufs gegen irgend ein R e c h t s g u t , d. h. gegen ein rechtlich (nicht notwendig strafrechtlich) geschütztes Interesse, gerichtet sein. Das Gesetz macht unter den Rechtsgütern keinen Unterschied. A u c h zum Schutze der Ehre, des Namenrechtes, des sittlichen oder religiösen Gefühls, der staatsbürgerlichen Rechte ist Notwehr ebenso zulässig, wie gegen Landesverrat, Münzverbrechen usw. oder auch gegen Vertragsverletzungen. Sie wird wohl auch gegen die „illoyalen Handlungen" des § 826 B G B . gestattet werden müssen: Denn auch diese stellen eine A r t des bürgerlichen Unrechtes dar. 2. Die Verteidigung mufs a) gegen den Angreifer selbst, sie darf nicht gegen dritte (objektiv) sich richten; vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung dritter zum Zwecke der Verteidigung kann nur als Notstandshandlung straflos sein.6) b) Sie darf die Grenzen des unbedingt Notwendigen nicht überschreiten. Das Mafs der „erforderlichen" Verteidigung (moderamen inculpatae tutelae) liegt in der Heftigkeit des Angriffes. Wahrung eines überwiegenden Interesses wird mithin für die Rechtmäfsigkeit der Notwehrhandlung nicht gefordert. 7 ) Ist die Abwehr des Angriffes auf andere Weise nicht 6 ) Ist dieser gebrochen, so kann Selbsthilfe (unten § 35 I I i ) gestattet sein. BGB. § 859 gegenüber erscheint die bisher von den meisten Kriminalisten, insbesondere auch Frank § 53 I und Olshausen § 5 3 9 vertretene Ansicht, dafs bis zum Eintritte des „Deliktsübels", unabhängig von der Fassung des geltenden Gesetzes, der Angriff fortdauere, dafs also „nicht das vollendete Verbrechen, sondern die vollbrachte Beschädigung die Grenze der Notwehr bilde" — als zweifellos falsch. •) Störung des Gemeindegottesdienstes ist also nicht mehr Ehrennotwdhr gegen den Geistlichen; so Endemann 1 368, Meyer 282, Olshausen § 5 3 12, Titte 89, Tobler 136. Auch Batike Die Zulässigkeit der Notwehr gegenüber beleidigenden Äufserungen seitens des Geistlichen während des Gottesdienstes 1894. Vgl. Günther 3 I. Hälfte 245. Dagegen will van Calker die Verteidigungshandlung, d. h . die gegen den Angreifer (nach dem Willen des T h ä t e r s , also subjektiv) gerichtete Handlung, auch dann als Notwehr betrachten, wenn sie dritte verletzt. Ebenso Frank Z 14 360. R 24. Nov. 90 21 168 nimmt Notwehr an, geht aber auf die Hauptfrage gar nicht ein. ') Gegen die uneingeschränkte Anerkennung des Notwehrrechts de lege ferenda mit Recht Birktneyer Z 16 329, v. Buri Beiträge 135, Geiz in der Begründung des norweg. Entwurfs, Geyer 1 82, Lammasch GS. 4 4 191 und Z 14 508, R. Merkel 66, Moriaud 300, Stoofs Grundzüge 1 256 u. a. F ü r das

§ 34-

Der Notstand.

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möglich, so kann auch das unbedeutendste Rechtsgut durch Tötung des Angreifers geschützt werden. Durch die Möglichkeit einer unschimpflichen oder ungefährlichen Flucht wird die Rechtmäfsigkeit der Notwehrhandlung nicht ausgeschlossen.8) c) Die Notwehr ist nicht nur zum Schutze eigner, sondern als Nothilfe auch zum Schutze fremder Rechtsgüter gestattet. Die Beschränkung auf eine Bedrohung der „Angehörigen" (wie beim Notstande, unten § 34) ist hier unserm Rechte fremd. III. Sobald die Grenzen d6r erforderlichen Verteidigung überschritten sind, unterliegt die weitere Verletzung des Angreifers als rechtswidrige Handlung den allgemeinen Regeln. Doch bleibt nach § 53 Abs. 3 StGB, die durch Bestürzung, Furcht oder Schrecken herbeigeführte Überschreitung (sogenannter Exzefs der N o t w e h r ) straflos; es liegt hier zwar eine an sich strafbare Handlung, zugleich aber auch ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund vor. 9 ) Auf andre als die vom Gesetze angeführten Gründe der Überschreitung, insbesondere auf die nicht erwähnten sogenannten positiven oder sthenischen Gemütsbewegungen, wie Jähzorn, Liebe zu dem Angegriffenen bei Notnilfe usw., darf die vom Gesetze gewährte Straflosigkeit nicht ausgedehnt werden.

§ 34.

Der Notstand.

X i i t t e r a t u r . Die meisten der zu § 33 angeführten Abhandlungen. Geyer Kleine Schriften 297. Stammler Darstellung der strafrechtlicheil Bedeutung des Notstandes 1878. Janka Der strafrechtliche Notstand 1878. v. Buri Beigeltende Recht, das auch von BGB. aufgenommen worden ist, Janka I I I , Tobler 74. 8 ) Vgl. PGO. 140. Dafs die Verteidigung selbst erforderlich sei, verlangt das Gesetz nicht; nur dafs, w e n n der Weg der Verteidigung gewählt wurde, das zur Verteidigung erforderliche Mafs des Gegenangriffs gewahrt bleibe. Abweichend im Anschlufs an die preufsische Rechtsprechung R 13. Mai 87 16 69 sowie v. Hippel Z 16 603. Für die richtige Ansicht sehr bestimmt Binding 1 732, Frank § 53 II, Meyer 281, sowie H, Fischer Kann sich derjenige auf Notwehr berufen, dem die Möglichkeit der Flucht offen stand? Erlanger Diss. 1896. Gänzlich willkürlich Bauke 32. 8 ) Der also nur demjenigen zu Gute kommt, in dessen Person er vorliegt, mag dieser Thäter, Teilnehmer oder Nothelfer sein (unten § 44 II). — Über irrige Annahme eines rechtswidrigen Angriffes vgl. unten § 41 Note 7. — Absatz 3 des § 53 StGB, fehlt in § 227 BGB.

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Der Notstand.

träge 115. Moriaud Du délit nécessaire et de l'état de nécessité 1889. Kud. Merkel Die Kollision rechtmäfsiger Interessen und die Schadensersatzpflicht bei rechtmäfsigen Handlungen 1895. Tuhr Der Notstand im Zivilrecht 1888. — Simonson Z 5 367 (Mignonettefall) und dazu Z 5 650. Göb GA. 28 183. — Pernice Labeo 2 66. Hinschius Kirchenrecht 5 941. I. Die Entwicklung des Notstandsbegriffes ist bis auf den heutigen Tag zurückgeblieben hinter derjenigen der Notwehr. Das r ö m i s c h e Recht erwähnt einzelne Fälle (lex Rhodia u. a.); die d e u t s c h e n Quellen gedenken des wegfahrenden Mannes und der Bedürfnisse der schwangeren Frau, des Mundraubes und anderer Fälle (Ssp. 2 68); und auch das k a n o n i s c h e Recht ist trotz der scheinbar allgemeinen Fassung seiner Vorschriften (Necessitas non habet legem) über dürftige Einzelbestimmungen nicht hinausgekommen. Die PGO. verweist in Art. 166 vom „Stehlen in rechter Hungersnot", durch welche der Thäter, um sich, Weib oder Kinder zu retten, etwas von essenden Dingen zu stehlen geursacht würde, auf den Rat des Rechtsverständigen (vgl. auch Art. 175). Das g e m e i n e Recht bleibt auf diesem Standpunkte stehen. Es berücksichtigt nur die Erhaltung des Lebens auf Kosten fremden Vermögens. Noch ALR. IIIS bestimmt, dafs, wenn jemand etwas entwendet, um sich oder andere aus dringender Leibes- oder Lebensgefahr zu retten, der Fall vom Richter höheren Orts zur Begnadigung angezeigt werden solle. Erst die Philosophen, insbesondere Kant und Hegel, kehren zu dem Regelfall zurück, in dem Leben gegen Leben steht (das Brett des Kameades). Code pénal 1810 Art. 64 und Preufsen 1851 § 40 kennen nur den physischen Zwang durch Bedrohung, und ihnen folgt Bayern 1861. Das RStGB. hat neben der „Nötigung" den „Notstand im engeren Sinn" anerkannt, zugleich aber den einheitlichen Begriff in zwei wesentlich verschieden behandelte Unterbegriffe zerrissen. Eine scharfe und den Bedürfnissen des'Rechtslebens entsprechende Ausbildung des Begriffes suchen wir in der Wissenschaft ebenso vergeblich wie in der Gesetzgebung. Nachdem die Anschauung der altern naturrechtlichen Schule, nach welcher im Notstande die Rechtsordnung selbst als aufgehoben erscheint (so Grotius, Pufendorf, Wolff, Fichte, Grolman, v. Wächter), aufgegeben worden war, gewann die im Anschlüsse an Kant von Feuerbach, zahlreichen italienischen und französischen Juristen sowie einzelnen deutschen Schriftstellern (insbesondere Geyer) vertretene Ansicht, dafs der durch den Notstand verursachte unwiderstehliche Zwang die Zurechnungsfähigkeit ausschliefse, die Herrschaft in Gesetzgebung und Wissenschaft. Heute kann sie als allgemein aufgegeben betrachtet werden. Die heutige Auffassung geht davon aus, dafs das Wesen des Notstandes in einem Widerstreit berechtigter Interessen besteht, von welchen jedes nur auf Kosten des andern erhalten werden kann. Unter gewissen Voraussetzungen, insbesondere bei Wahrung eines überwiegenden Interesses, ausnahmsweise aber auch, wenn gleichwertige Interessen einander gegenüberstehen, gewährt die Rechtsordnung dem Bedrohten das N o t r e c h t , seine Interessen durch Aufopferung fremder Interessen zu wahren. Das ist im wesentlichen auch der Standpunkt des BGB.s für das Deutsche Reich, durch das die rechtliche Behandlung des Notstandes auf völlig neue Grundlagen

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gestellt worden ist. Daraus aber ergibt sich mit Notwendigkeit die Einreihung des Notstandes unter jene Umstände, durch welche (nicht etwa nur die Strafbarkeit, sondern) d i e R e c h t s w i d r i g k e i t des Thuns oder Unterlassens a u s g e s c h l o s s e n wird. 1 )

IL Notstand ist ein Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, aus dem es keine andre Rettung gibt, als die Verletzung von rechtlich geschützten Interessen eines andern. Der Notstand ist mithin ein Fall der Interessenkollision. Und die Notstandshandlung erscheint als die Wahrung eigner (oder auch fremder) unmittelbar gefährdeter Interessen durch die Verletzung berechtigter Interessen anderer Personen. V o n Notwehr (oben § 33) und Selbsthilfe (unten § 35 II 1) unterscheidet sich die Notstandshandlung dadurch, dafs jene das Recht dem U n r e c h t gegenüber zu verteidigen oder wieder herzustellen bestimmt sind, während diese das Recht auf Kosten eines andern R e c h t s wahren will. III. Die Voraussetzungen dieses Notrechts sind heute teils im BGB., teils im StGB, umschrieben. x. Im Anschlufs an die Bestimmungen über Notwehr gestattet BGB. § 228 die Beschädigung oder Zerstörung einer fremden gefahrdrohenden Sache, wenn die Notstandshandlung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht aufser Verhältnis zu der Gefahr steht. Die Gefahr mufs mithin durch die Sache selbst drohen; das angreifende Tier, der stromabwärts treibende Kahn, dafs baufällige Haus gehören hierher. Die A r t des bedrohten Rechtsgutes ist gleichgültig; Nothilfe uneingeschränkt gestattet. Hat der handelnde (nicht notwendig der Gefährdete) die Gefahr verschuldet, so ist er ersatzpflichtig und straffällig. -') J) Die Frage ist sehr bestritten. Im Sinne des Textes Finger 1 241 (aber 243), Göb 185, Moriaud 273, Stammler 79. Dagegen Binding 1 766, Birkmeyer Teilnahme 157, van Calker Befehl (Litt, zu § 35) 18, Geyer 1 7, Hälschner 1 492, Janka 113, R. Merkel 32, Meyer 284, Olshausen § 54 3. — Der durch den Gefährdeten Angegriffene befindet sich daher nicht in NotWehr, sondern im Notstande. Dagegen Tobler 39. Sehr unklar R 5. Mai 92 23 116, das ein besonderes Recht zur „Gegenwehr" anzunehmen scheint, wenn der dem dritten drohende Schaden ein unverhältnismäfsig grofser wäre. Zu dieser Entscheidung vgl. Beling Z 18 274. ") Bestritten; vgl. v. Liszt Deliktsobligationen 94. Die Gefahr ist verschuldet, wenn der zurechnungsfähige Thäter voraussah oder voraussehen konnte

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2. Noch weiter greift das durch § 904 B G B . eingeräumte Notrecht. Einwirkung auf eine fremde S a c h e (Beschädigung, Zerstörung, Gebrauch, Verbrauch) ist auch dann gestattet, w e n n von ihr keine Gefahr droht, die Einwirkung aber zur A b w e n d u n g einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung entstehenden Schaden unverhältnismäfsig grofs ist.

Beispiele bieten die Benutzung eines fremden Kahns zur Rettung eines Ertrinkenden, eines fremden Pferdes, um den Arzt zu dem Verunglückten herbeizuholen. Der Thäter ist ersatzpflichtig; aber er handelt in Ausübung seines Rechts: Der Widerstand des Eigentümers darf daher, wenn nötig mit Gewalt gebrochen werden. Welcher Art das gewahrte Interesse ist, bleibt auch hier gleichgültig; Nothilfe ist uneingeschränkt gestattet. Bei verschuldeter Gefahr tritt Strafbarkeit ebenso ein; wie im Fall unter 1. 3 ) 3. W e s e n t l i c h enger umgrenzt § 54 S t G B , das Notrecht. Er gestattet nur diejenige Handlung, die „in einem unverschuldeten, auf andere W e i s e nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen G e fahr für Leib oder L e b e n des Thäters oder eines A n g e hörigen begangen worden ist".

Das Gesetz verlangt mithin gegenwärtige, auf andere Weise nicht abwendbare Gefahr für L e i b o d e r L e b e n , versagt also bei Gefahr für alle andern Rechtsgüter, z. B. auch für die persönliche Freiheit, für die Geschlechtsehre, für die wichtigsten staatlichen Interessen, deren Bedrohung doch gewifs von gröfserer Bedeutung ist als eine geringfügige Körperverletzung, dem Notstande seine Anerkennung, soweit der Angriff nicht zugleich als ein gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteter betrachtet werden kann. § 54 gestattet ferner die Nothilfe nur zur Rettung der nächsten A n g e h ö r i g e n . 4 ) Dadafs sie eintreten und nur durch Eingriff in fremdes Eigentum abzuwenden sein w e r d e . 3 ) Bestritten; vgl. v. Liszt Deliktsobligationen 89. *) D e r 2. A b s . des § 52 g i b t eine für das ganze Geltungsgebiet des S t G B . s geltende Begriffsbestimmung der A n g e h ö r i g e n : „ A l s Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind anzusehen: V e r w a n d t e und Verschwägerte auf-

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gegen wird, abweichend von den Fällen unter 1 und 2, Wahrung eines überwiegenden Interesses nicht gefordert; um mein Auge zu retten, darf ich einen unbeteiligten Dritten töten. Verschuldung des Notstandes schliefst das Notrecht aus. D i e B e r u f u n g a u f N o t s t a n d ist in einer Anzahl von Fällen solchen Personen b e s c h r ä n k t , deren Beruf gröfsere als die durchschnittliche Standhaftigkeit in Leibes- und Lebensgefahr bedingt: so dem S o l d a t e n (Mil.StGB. § 49 Abs. 1 vgl. mit §§ 84—88), dem S c h i f f s m a n n (Seemannsordnung von 1872 § 32). 4. Das StGB, hat in § 52 in ziemlich überflüssiger Weise B ) auch noch dem Genötigten ein Notrecht ausdrücklich eingeräumt. Nötigung liegt vor, wenn der Thäter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, die mit einer gegenwärtigen, auf andre Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden w a r , zu dem Eingriff in fremde Rechtsgüter genötigt worden ist. und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflege-Eltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten, und Verlobte." V e r w a n d t e sind die von demselben Stammvater abstammenden Personen. Ehelichkeit der Geburt ist nicht erforderlich. V e r s c h w ä g e r t sind der eine Ehegatte einerseits und die Verwandten des andern anderseits; das Verhältnis wird nicht durch den Tod eines Ehegatten, wohl aber durch die Scheidung der Ehe dem Bande nach gelöst. Die A d o p t i o n ist als rechtliches Verhältnis nach dem Landesrecht zu beurteilen. Ob dagegen das dauernde, durch den Erziehungszweck bedingte Verhältnis von P f l e g e e l t e r n zu Pflegekindern vorliegt, bestimmt sich nach Lage des thatsächlichen Falles. V e r l o b u n g setzt ein gegenseitiges ernstliches, wenn auch nicht bindendes Eheversprechen voraus; ebenso R 25. Februar 96 28 230. — Die von der Litteratur einstimmig getadelte Beschränkung ist in der neueren aufserdeutschen Gesetzgebung zumeist weggefallen. 6 ) War nämlich die Gewalt u n w i d e r s t e h l i c h , d. h. hat sie, jeden Widerstand ausschliefsend, unmittelbar auf die Bewegungsmuskeln gewirkt, so entfällt der Begriff der Handlung (oben § 28 IV) und damit der des Verbrechens. G e f a h r f ü r L e i b o d e r L e b e n begründet aber schon nach § 54 StGB, das Notrecht. — Über die Begriffe Gewalt und Drohung vgl. Register. 6 ) Vgl. auch StGB. §§ 148 und 313 sowie Mil.StGB. § 130 und dazu Hecker 250. Ferner Handelsgesetzbuch Art. 702 und 708 über die grofse Haverei, Seemannsordnung § 75, § 17 des Postgesetzes vom 28. Oktober 1871 sowie § 9 der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. Da hier die Rechtswidrigkeit der Rechtsverletzung ausdrücklich ausgeschlossen ist, kann trotz §§ 52 und 54 StGB, von Strafbarkeit keine Rede sein. Dagegen insb. Merkel 167 und Z 6 504, Sommerlad GA. 34 357. Übereinstimmend Binding 1 770, Meyer 290, Moriaud 247, Olshausen § 54 10, Stammler 64. v o n L iBZt. Strafrecht. 9. Aufl.

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§ 35.

Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.

Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.

L i t t e r a t u r : Zu I : Hecker 89. Van Calker Das Recht des Militärs zum administrativen Waffengebrauch 1888. Derselbe Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für auf Befehl begangene Handlungen insbesondere nach Militärstrafrecht 1891. Mappcs Über das Recht des Waffengebrauchs durch die staatlichen Vollzugsorgane. Erlanger Diss. 1891. Delius LA. 11 84. — Zu II I : Kulemann Z 11 329. Lauterburg Schweizer Zeitschr. 1 97, 2 153. G. Meyer WV. 2 848. Biicking Die strafrechtliche Bedeutung der Selbsthilfe. Göttinger Diss. 1892. Günther 3 1. Hälfte 217. v. Liszt Deliktsobligationen 85. Pacic Über das Verhältnis der erlaubten Selbsthilfe zu den Vermögensdelikten. Erlanger Diss. 1897. — Zu II 2: v. Liszt HR. „Ordnungsstrafe." Finger Das Züchtigungsrecht und dessen Mifsbrauch 1888. Derselbe 2 51. Kefsler GS. 41 161 und gegen ihn Stenglein GS. 42 I. Ortloff Die Überschreitung des Züchtigungsrechts 1891. Hubrich GS. 46 161. — Zu I H : Kotering GA. 30 179. Heimberger Über die Straflosigkeit der Perforation. Münchner Diss. 1889. Oppenheim Das ärztliche Recht zum körperlichen Eingriff an Kranken und Gesunden 1892 (dazu die Auseinandersetzung zwischen ihm und Stoo/s Schweizer Zeitschrift 6 53, 332, 7 192). Dietrich Die Straflosigkeit ärztlicher Eingriffe. Marburger Diss. 1896. H. Wolf Die strafrechtliche Haftbarkeit der Ärzte 1896. — Zu IV: Kefsler Die Einwilligung des Verletzten 1884. Derselbe GS. 38 531. Rödenbeck Zweikampf 1883. Derselbe GS. 37 124. Ulimann GS. 37 529. Breithaupt Volenti non fit injuria 1891. Hefs Abhandlungen aus dem Gebiete des Zivil- und Strafrechts 1892. — Zu V: Wellauer Der Selbstmord, insbesondere Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord. Berner Diss. 1896. — V I : Sladecek Z 16 127.

Von den zahlreichen Fällen, in welchen kraft ausdrücklicher oder stillschweigender Vorschrift der Rechtsordnung die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen betrachtet werden mufs, können hier nur die wichtigsten Erwähnung finden. Bei dem heutigen Stande der Gesetzgebung und Wissenschaft bietet die Abgrenzung fast überall bedeutende Schwierigkeiten, und nur mit vorsichtiger Zurückhaltung kann die Aufstellung allgemeiner Grundsätze erfolgen. I. Amtspflicht (und Dienstpflicht) schliesst innerhalb der durch sie gezogenen Grenzen die Rechtswidrigkeit des Handelns aus. Man denke an das ganze Gebiet des Erfüllungszwanges, an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen, Verhaftungen, Vollstreckung von rechtskräftig erkannten Strafen, an die landesgesetzlich gewährleistete (preufsisches Gesetz vom 20. März 1837), aber reichsrechtlich nicht geregelte Befugnis der Wachen, der Post-, Zoll- und Steuerbeamten, der Strafanstalts- und Gefängnisbeamten (preufsische Vdg. vom 7. Mai 1894) zum Waffengebrauche, an MiLStGB. § 124 usw. Der B e f e h l des V o r g e s e t z t e n an den Untergebenen

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schliefst die Rechtswidrigkeit der auf Grund des Befehles vorgenommenen Handlung soweit aus, als die Rechtsordnung die unbedingt verbindende Kraft des Befehles anerkennt1); denn dann handelt der Untergebene kraft seiner Amts- oder Dienstpflicht. Jedoch kann der Befehlende als mittelbarer Thäter (unten § 50 II) strafbar sein. II. Die Handlung ist keine rechtswidrige, wenn sie kraft einer besondern Berechtigung und innerhalb deren Grenzen vorgenommen wurde. Die verschiedensten Fälle gehören hierher, 1. S e l b s t h i l f e in allen ihren Formen (insbesondere die eigenmächtige Pfändung), soweit das geltende Privatrecht sie erlaubt, mag es sich um Abwehr einer drohenden Gefahr, um die Wiederherstellung eines gestörten Zustandes oder um die Sicherung oder Durchsetzung eines Anspruchs handeln.2) 2. E r z i e h u n g s - und Z u c h t g e w a l t . Zu beachten ist, dafs die Ausübung dieses Rechts, dauernd oder vorübergehend, von dem Berechtigten dritten Personen (von den Eltern dem Dienstmädchen) übertragen, dafs ferner in manchen Fällen (Züchtigung eines mutwilligen Knaben durch belästigte Vorübergehende) die Zustimmung des Berechtigten vorausgesetzt werden kann. Soweit diese fehlt, ist die Züchtigung rechtswidrig und strafbar. 8 ) 1 ) Dies ist teilweise der Fall in Mil.StGB. § 47, Seemannsordnung §§ 30 32. Vgl. schon Theresiana Art. II § 8 und ähnlich Bayern 1751 1 I § 32. Van Calker Befehl 10 nimmt hier wie beim Berufsrecht nur einen »persönlichen Schuldausschliefsungsgrund« (unten § 44 II) an, da die Berechtigung nicht allen, sondern nur einzelnen erteilt ist. Demnach erscheint ihm der Befehlende als Anstifter zu strafloser That. Gegen ihn zutreffend Wachenfcld KVS. 34 4522 ) Mafsgebend jetzt BGB. §§ 229 bis 239, 859 f. Vgl. auch EG. zum BGB. Art. 89. 3 ) Dazu Kulemann 342, der auf die unerträglichen Folgen dieses Satzes aufmerksam macht und Abänderung der Gesetzgebung verlangt. — Eine Zuchtgewalt steht in verschiedenem Umfange und mit verschiedenem Inhalt unter anderm zu a) den Eltern gegenüber den Kindern (BGB. § 1631 Abs. 2); b) dem Lehrer gegenüber seinen Schülern; c) dem Lehrherrn gegenüber dem Lehrling (Gewerbeordnung § 127); d) dem Ehemann nach einzelnen älteren Landesrechten gegenüber der Ehefrau; e) dem Schiffer gegenüber der Bemannung des Schiffes (Seemannsordnung § 79 Abs. I bis 4 und dazu § 96); f } der Dienstherrschaft gegenüber dem Gesinde; g) der Kirche gegenüber ihren Angehörigen (preufs. Gesetz vom 12. Mai 1873); h) den Gesellschaften und Vereinen gegenüber ihren Mitgliedern; i) den Vorgesetzten gegenüber ihren Unter-

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Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.

3. Weiter sei erinnert an das Bergungsrecht nach Strandungsordnung §§ 4 ff.; an das Prisen- und Beuterecht; an die vorläufige Festnahme eines auf frischer That betroffenen oder verfolgten Verbrechers (StPO. § 127); an die Befugnisse des Vorgesetzten nach Mil.StGB § 124 u. a. mehr.4) III. Gleiche Wirkung hat die aus der rechtlich anerkannten Ausübung eines Berufes oder dem gestatteten Betriebe eines Gewerbes sich ergebende Berechtigung zur Vornahme derjenigen Handlungen, w e l c h e nach den Regeln des Berufes oder Gewerbes im gegebenen Falle geboten sind. Nach diesem Gesichtspunkte, also nach den Anschauungen der mafsgebenden ärztlichen Kreise, sind chirurgische Operationen überhaupt, die Eingriffe des Zahnarztes oder des Hühneraugenoperateurs, ist insbesondere die vielbesprochene Perforation (Zerstückelung der Frucht im Mutterleibe) zu beurteilen. Doch wäre gerade für diese Fälle gesetzliche Abgrenzung der Berechtigung dringend wünschenswert. Insbesondere ist es zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arzt auch ohne die Einwilligung des Kranken (oder seiner Angehörigen?) vorzugehen berechtigt ist.5) Ala gebenen; k) den staatlich berufenen Organen gegenüber den staatlich Bediensteten (Disziplinarstrafordnung für das deutsche Heer vom 31. Oktober 1872, für die deutsche Marine vom 23. November 1872; Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873; Börsengesetz vom 22. Juni 1896 §§ 8, 15; Innungsgesetz vom 26. Juli 1897 § 9 2 c )4 ) Hierher gehört auch das Tötungsrecht des Ehemannes gegenüber dem. auf der That ergriffenen Ehebrecher, welches, in PGO. 121 ausdrücklich anerkannt, noch gegen Anfang des 19. Jahrhunderts wenigstens in den Lehrbüchern eine Rolle spielt. Preufsen 1721 gab auch noch dem Vater das Rechte die unkeusche Tochter und ihren Verführer zu töten. Vgl. Löffler (Litt, zu § 36) 114 Note 2, Günther 3 I. Hälfte 237. e ) Oppenheim (dem Wolf im wesentlichen folgt) leugnet das Berufsrecht und behauptet gewohnheitsrechtliche Anerkennung der unter gewissen Bedingungen zu ärztlichen Zwecken vorgenommenen Handlungen. Aber die Feststellung dieser Bedingungen stützt er überall auf die Übung „besonnener Ärzte". Das ist das Berufsrecht im Sinne des Textes. Dagegen mufs hervorgehoben werden, dafs die Ausübung des ärztlichen Berufes freigegeben ist, also auch von Familienmitgliedern usw. wahrgenommen werden kann. - — Nach Stoofs wird der Verletzungsvorsatz durch den Vorsatz zu heilen ausgeschlossen; aber diese Behauptung beruht auf einer Verwechslung von Endzweck und Vorsatz. Über die jetzige Ansicht von Stoofs siehe oben § 32 Note 5. Dietrich stützt die Straflosigkeit darauf, dafs der Eingriff das geringere Übel und notwendig sei zur Bannung solcher Übel, deren Nichteintritt das Gesetz selbst anstrebt. Aber damit ist gar nichts bewiesen. Nach Frank 17 Abschn. II entfällt der Begriff der Mifshandlung. Nach R. Merkel (Litt, zu § 34) ent-.

§ 35-

übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.

Ausübung eines Berufsrechts erscheint auch der wissenschaftliche Versuch am lebenden Tier, insbesondere die V i v i s e k t i o n , die rituelle Beschneidung der Juden u. a. m. IV. Die von dem Träger eines Rechtsgutes gegebene Einwilligung zu dessen Verletzung schliefst die Rechtswidrigkeit der Verletzung nur dann und nur soweit aus, wenn und soweit die öffentliche Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes die Verfügungsgewalt über dieses eingeräumt hat und eine ernstliche Verfügung des geistesgesunden Verfügungsberechtigten vorliegt. Die Rechtsordnung wird die Verfügungsgewalt versagen, wenn sie dem betreffenden Rechtsgute eine über die Person seines Trägers hinausreichende Bedeutung beilegt. Ob sie dies gethan, ist aus dem ganzen Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen, nicht nur aus den Verbrechensthatbeständen zu entnehmen. Völlig verfehlt ist es, hier ohne die genaueste Berücksichtigung des geltenden Rechts allgemeine Grundsätze aufstellen oder privatrechtliche Gesichtspunkte heranziehen zu wollen.6) V. D i e v o n d e m T r ä g e r e i n e s R e c h t s g u t e s s e l b s t a n d i e s e m v o r g e n o m m e n e V e r l e t z u n g sollte grundsätzlich ebenso beurteilt werden, wie die mit Einwilligung des Verletzten von einem dritten begangene Handlung. Denn scheidet das überwiegende Interesse. Gegen das Berufsrecht auch Beling Z 18 287; dafür Binding Grundrifs 1 143. •) So bleibt die Tötung, auch wenn der Getötete sie ernstlich und ausdrücklich verlangt hat, eine rechtswidrige, wenn auch milder bestrafte, Handlung (StGB. § 216), während Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre, Beschränkung der persönlichen Freiheit, Eingriffe in fremde Vermögensrechte usw. (unter gewissen Voraussetzungen) durch die Einwilligung des Verletzten die rechtswidrige Eigenart verlieren. Besonders bestritten ist die Frage bezüglich der Körperverletzung. (Vgl. darüber den Besonderen Teil.) Sicher ist es, dafs die oft herangezogenen Quellenstellen des römischen Rechts (Quia nulla injuria est, quae in volentem fit: 1. I § 5 D 47, 10) eine durchaus beschränkte Bedeutung haben und dafs der Satz „Volenti non fit injuria" in dieser Allgemeinheit auch für das römische Recht entschieden unhaltbar ist. So auch Pernice 2 82. Die von Hefs aufgestellte Regel: „ S a p i e n t e r volenti non fit injuria" enthält eine Verschiebung, keine Lösung des Problems. Die Frage kann nur vom Standpunkte des geltenden Rechts aus befriedigend gelöst werden, und dieses wechselt mit den Zeitanschauungen. Dem mittelalterlichen Rechtsgefühle wiederstrebte die Verpfändung des Leibes, der Freiheit, der Ehre („Schelmenschelten") usw. durchaus nicht. Ältere Gesetze schlössen wohl ausdrücklich die Berücksichtigung der Einwilligung aus; so Theresiana Art, 3 § 16 und ebenso noch Österreich 1852 § 4.

§ 35-

Die übrigen Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit.

hier wie dort handelt es sich um die rechtliche Bedeutung der von dem Träger des Rechtsgutes ausgehenden Verfügung über dieses. D o c h hat das Gesetz, von nebensächlichen Gesichtspunkten geleitet, die Grenzlinie dort vielfach anders bestimmt, als hier. ') VI. A n dieser Stelle sind endlich auch noch Art. 22 Abs. 2 der Reichsverfassung sowie StGB. § 12 zu erwähnen. Diese verfügen, um die uneingeschränkte Öffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlungen und damit die fortwährende Wechselwirkung zwischen der Volksvertretung und der Meinung der Wähler zu sichern, dafs wahrheitsgetreue (mündliche oder schriftliche) Berichte a) über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages, b) über Verhandlungen eines Landtages oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staates (auch des Landesausschusses 7 ) Das wichtigste Beispiel bietet die heute fast allgemein anerkannte Straflosigkeit des S e l b s t m o r d e s . Das römische Recht bestraft den Selbstmordversuch nur, wenn von Soldaten begangen (1. 6 § 7 D . 49, 16). Im deutschen Mittelalter ist schimpfliches Begräbnis die regelmäfsige Strafe des Selbstmörders. So in England noch bis 1882. Hatte der Selbstmörder sich durch den Tod einer mit Einziehung des Vermögens verbundenen Strafe entziehen wollen, so soll gemeinrechtlich (PGO. Art. 135) die Einziehung auch nach der Entleibung eintreten. Das gemeine Recht hält an dem unehrlichen Begräbnis des Selbstmörders und an der willkürlichen Bestrafung des Selbstmordversuches fest (Preufsen 1620) und wird darin noch im 18. Jahrhundert von den Philosophen der Wolßsehen Schule sowie von Soden, Wieland, Gmelin, Quistorp u. a. unterstützt. Erst unter dem Einflüsse Montesquieus und Voltaires, Beccarias und Hommels tritt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein Umschwung der Anschauungen ein. Doch läfst noch das Joseph. StGB, den Selbstmörder „durch den Schinder einscharren" und verhängt bei versuchtem Selbstmord Gefängnis bis zur Besserung. In Preufsen wurde trotz der bekannten Ansichten Friedrichs II. der Selbstmordversuch erst 1796 für straflos erklärt (vgl. A L R . 803—805). Seit dem bayerischen StGB. 1813 verschwindet die Strafdrohung gegen Selbstmord allmählich aus den Gesetzbüchern. In Braunschweig wurde noch 1828 die Verscharrung durch den Nachrichter vollzogen (Scholz Merkwürdige Strafrechtsfälle 2 1841 S. 186). — Versuch des Selbstmordes ist noch nach heutigem englisch-amerikanischem Recht strafbar; Anstiftung und Beihilfe war vielfach in den deutschen Landes-StGBüchern und ist heute in einer Anzahl von aufserdeutschen Gesetzen und Entwürfen mit Recht als selbständiges Vergehen mit Strafe bedroht. Gebilligt wird letzteres von Berner 94, Geyer GS. 38 113, Meyer 265; getadelt von Kohler Studien I 244 und Binding 1 701 (Grundrifs 2 5), welch letzterer, zweifellos unrichtig (vgl. Olshausen § 211 2), Anstiftung zum Selbstmord als Tötung bestrafen will. — Man denke weiter an die S e l b s t v e r s t ü m m e l u n g , die in StGB. § 142 als Vereitelung der Wehrpflicht unter Strafe gestellt ist. Die Beschädigung eigener Sachen kann nach StGB. § 304 strafbar sein. Die Gefahrdung des eigenen Lebens ist vielfach polizeilich bedroht.

§ 36.

Begriff und Voraussetzungen der Schuld.

j tj i

von Elsafs-Lothringen) von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben, mithin auch der sogenannten objektiven Verfolgung nicht unterzogen werden können.8)

III. Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. § 36.

Begriff und Voraussetzungen der Schuld.

I i i t t e r a t u r . Brunner 2 534. Pernice 2 103. Hinschius 5 919. Liefmann Die Entstehung des Schuldbegriffes. Jenenser Diss. 1891. Derselbe Z 14 447. — Janka Die Grundlagen der Strafschuld 1885. Kuhlenbeck Der Schuldbegriff als Einheit von Wille und Vorstellung in ursachlicher Beziehung zum Verantwortlichkeitserfolg 1892. Träger Wille, Determinismus, Strafe 1895 S. 205. Engelmann Die Schuldlehre der Postglossatoren und ihre Fortentwicklung. Eine historisch-dogmatische Darstellung der kriminellen Schuldlehre der italienischen Juristen des Mittelalters seit Accursius 1895. Dazu R. Löning KVS. 38 226. Löffler Die Schuldformen des Strafrechts in vergleichend-historischer und dogmatischer Darstellung. I. Bd. 1895 (insbesondere S. 5). Die verschiedenen Arbeiten von Post (oben zu § 2).

I. Wie das privatrechtliche Delikt ist auch das kriminelle Unrecht s c h u l d h a f t e Handlung. Nicht nur o b j e k t i v mufs der Erfolg auf die Willensbethätigung des Thäters zurückgeführt werden können (oben S. Ii6); auch s u b j e k t i v mufs die Verknüpfung gegeben sein in dem Verschulden des Thäters. Schuld ist jene subjektive Beziehung des Thäters zu dem eingetretenen (beim Versuch: zu dem vorgestellten) rechtswidrigen Erfolg, an welche die rechtliche Verantwortlichkeit (der Eintritt der Unrechtsfolgen) geknüpft 8 ) Soweit das Recht eine g ä n z l i c h e o d e r t e i l w e i s e R e c h t l o s i g k e i t kennt, ebensoweit schliesft diese die Rechtswidrigkeit aller oder gewisser Verletzungen aus. Dem heutigen Rechte ist eine solche Auffassung völlig fremd. Die unbefugte Tötung des zum Tode verurteilten Verbrechers, welche noch Fauerbach, Grolman u. a. milder bestraft wissen wollten, unterliegt den allgemeinen Regeln. Anders dachte das ältere Recht; man erinnere sich an die römische sacratio capitis, die germanische Friedlosigkeit, die Oberacht des mittelalterlich • deutschen Rechts; an die Rechtlosigkeit der Zigeuner nach zahlreichen Reichs- und Landesgesetzen des 16. Jahrhunderts, die Ehrlosigkeit der Gotteslästerer nach den Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 usw. Noch 1804 wurden in Kurbaden alle ,Jauner" auf 3 Jahre für rechtlos erklärt, Archiv des Kr.Rechts 6 I. Heft 139.

§ 36-

152 ist. 1 )

Begriff und Voraussetzungen der Schuld.

N a c h heutigem R e c h t setzt, von vereinzelten A u s -

nahmen abgesehen, die Schuld ein doppeltes voraus: 1. § § 37-

2.

Die

Zurechnungsfähigkeit

des

Thäters

(unten

38);

die Zurechenbarkeit des Erfolges.

gegeben, a) wenn

Diese aber ist

der Erfolg vorausgesehen

war

(Vor-

satz, unten §§ 39—41), b) w e n n der nicht vorausgesehene Erfolg voraussehbar w a r (Fahrlässigkeit, unten § 42). II. Der uns heute selbstverständlich klingende Satz, dafs Schuld Begriffsmerkmal des Verbrechens, dafs ohne Schuld keine Strafe möglich sei, ist das Ergebnis einer langen, bisher wenig beachteten und auch gegenwärtig nicht abgeschlossenen Entwicklung. Erst allmählich nimmt der Begriff des Unrechts das Merkmal der Verschuldung in sich auf; an der Vertiefung der Schuldlehre bemifst sich der Fortschritt des Strafrechts. Wie es der religiösen Auffassung nicht widerstrebt, dafs die Sünden der Väter heimgesucht werden an Kind und Kindeskindern, wie in den Trauerspielen der Alten das blindwaltende Schicksal und in der Litteratur unsrer T a g e das Gesetz der Vererbung die Stelle der Verschuldung vertritt, so kennt auch das älteste Recht aller Völker Strafe ohne Schuld. Nach römischem Sakralrecht erregt die zufällige Rechtsverletzung in gleicher Weise den durch Sühne abzuwendenden Zorn der Götter wie die vorsätzliche, und noch die deutschen Volksrechte kennen die auf Geschlechter sich vererbende Blutschuld der Familie. Aber mehr und mehr legt das römische Recht, unter dem Einflufs der griechischen Ethiker, das entscheidende Gewicht auf den rechtswidrigen W i l l e n und gerät dadurch in scharfen Gegensatz zu der uralten, im germanischen Rechtsbewufstsein fortlebenden „Erfolghaftung", der die ganze spätere Geschichte der Schuldlehre bestimmt ( L d f f l e r ) . I. Dies zeigt sich zunächst in der Behandlung d e r Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t . Das ältere römische Recht scheint an der Bestrafung des unmündigen Diebes keinen Anstois genommen zu haben. Das spätere römische und das kanonische Recht halten an der Straflosigkeit des infans (bis zum vollendeten 7. Jahre) fest. Darüber hinaus findet bei Verbrechen der im') Das Lehrbuch bezieht also (mit der heute wie früher vorherrschenden, wenn auch nicht immer folgerichtig durchgeführten Ansicht) den Schuldbegriff auf den E r f o l g der Willensbethätigung, auf die Handlung selbst. Im scharfen Gegensatz dazu steht die Auffassung Bindings und seiner Anhänger, welche die Schuld auf die r e c h t l i c h e B e d e u t u n g der Handlung, auf ihre Nonnwidrigkeit beziehen. So ist nach Binding die Schuld das Wollen eines Handlungsfähigen als Ursache einer Rechtswidrigkeit. Sie übersehen dabei, dafs das in der Strafe zum Ausdruck kommende rechtliche Unwerturteil ü b e r die Handlung d i e s e s e l b s t als etwas vor der rechtlichen Mifsbilligung gegebenes voraussetzt, dafs aber der Begriff der Handlung ohne Berücksichtigung seines subjektiven Merkmals gar nicht entwickelt werden kann. D i e s e s s u b j e k t i v e M e r k m a l d e s H a n d l u n g s b e g r i f f e s a b e r ist die „Schuld".

§ 3- Begriff und Voraussetzungen der Schuld.

153

púberes Prüfung des einzelnen Falles s t a t t Vgl. Pemice Labeo I 206. In den deutschen Volksrechten wird bei Rechtsverletzung durch Jugendliche vielfach die Zahlung des Friedensgeldes ausgeschlossen. Die sächsischen Quellen des spätem Mittelalters lassen Kindern gegenüber wenigstens die peinliche Strafe entfallen (vgl. z. B, Ssp. 2 65, 1; Knapp 7). Die PGO. schliefst in Art. 164 gegen junge D i e b e (unter 14 Jahren) nur die Todesstrafe aus, soweit nicht besondere Ursachen vorliegen, und anerkennt den Satz „Malitia supplet aetat e m " ; Art. 179 verweist bei Jugend der Übelthäter ganz allgemein auf den Rat der Rechtsverständigen. Gesetzgebung und Wissenschaft des gemeinen Rechts schwankt, hält aber im allgemeinen an der Straflosigkeit der Kinder fest; dieser Ansicht folgt die grofse Mehrzahl der neueren Gesetzgebungen, aber unter verschiedener Bestimmung der Mindestgrenze. Auf die Aufstellung einer Mindestgrenze verzichtete das französische Recht gänzlich, um in jedem Einzelfalle das Unterscheidungsvermögen feststellen zu lassen; ihm folgten Preufsen 1851 und Bayern 1861. Dagegen ist das StGB, wieder zu der Auffassung des römisch-kanonischen und des gemein-deutschen Rechts zurückgekehrt. — Auch die Anerkennung der Geisteskrankheit bricht sich erst allmählich Bahn. Über das römische Recht, nach dem „fati infelicitas" teilweise entschuldigt, vgl. Pernice Labeo I 234. Ssp. 3 3 : „Über rechten Thoren und über sinnenlosen Mann soll man nicht richten.". PGO. Art. 179 verweist bezüglich des Thäters, welcher „Jugend oder anderer Gebrechlichkeit halber wissentlich seiner Sinne nicht hätte", auf den Rat der Rechtsverständigen. 2. Noch länger dauerte es, bis die Z u r e c h e n b a r k e i t des Erfolges an das Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit geknüpft und die Tragweite dieser beiden Begriffe bestimmt wird. Das spätere römische Recht hatte den d o l u s des Thäters („die unsittliche, auf eine bestimmte Rechtswidrigkeit gerichtete Absicht", Pernice 2 153, Hinschius S 921) zu einem Begriffsmerkmal des Verbrechens erhoben, während germanischer Anschauung die Haftung für „Ungefährswerke" durchaus entsprach. Das italienische Mittelalter nahm den römischen Dolusbegriff auf. Aber germanische Rechtsanschauung und die Bedürfnisse des Rechtslebens drängten dazu, auch für den blofs vorausgesehenen, nicht aber beabsichtigten, Erfolg den Thäter haftbar zu machen (vgl. über diese Entwicklung die bahnbrechende Darstellung Löffters). So entsteht der Satz (zuerst bei Bernardus Papiensis 1191 —1198; Löffler 139), dafs bei einem „versari in re illicita" des Thäters der nicht beabsichtigte, aber voraussehbare (und darum vom Thäter vermutlich vorausgesehene) Erfolg zuzurechnen sei. Aus diesem von den italienischen Praktikern viel erörterten Satz entwickelt sich der gemeinrechtliche dolus indirectus. An den Spanier Covvaruvias (1" 1 577) lehnen sich Carpzov und Böhmer (eventuelle Einwilligung in den vorausgesehenen Erfolg). Die Diss. von v. Nettelbladt- Glänzer De homicidio ex intentione indirecta commisso (1756, 3. Aufl. 1772) bringt, unterstützt von der Wolßsehen Schule, der „einwilligenden Schuld" den Sieg in Wissenschaft und Gesetzgebung. Feuerbachs culpa dolo determinata ist ihre Weiterbildung. Bayern 1751, A L R . 27, das geltende Recht Rufslands und Österreichs (vgl. Z 8 348) verwenden den dolus indirectus. Vergebens kämpfen die hegeli-

I

§ 36.

Begriff und Voraussetzungen der Schuld.

sierenden Kriminalisten des ig. Jahrhunderts für die Reinhaltung des römischen Dolusbegriffs. Die Gesetzgebung, die ihnen scheinbar folgt, kehrt, weit über das gemeine Recht hinausgehend, in einer ganzen Reihe von Fällen zu der reinen Erfolghaftung zurück (der Erfolg als Bedingung schwererer Strafbarkeit, vgl. unten Note 6); und in der Wissenschaft gewinnt die „Vorstellungstheorie" (unten § 39 Note 2) gerade seit den letzten Jahren immer breiteren Boden. Das f a h r l ä s s i g e Verbrechen als solches ist dem römischen Strafrechte auf allen Stufen seiner Geschichte unbekannt geblieben. 8 ) Zu jedem Verbrechen wird dolus gefordert. Die mittelalterlich-italienische Wissenschaft versöhnt diese römische Strenge mit der germanischen Erfolghaftung (statuta per Italiam puniunt factum, non animum), indem sie einerseits nur die kulpose, nicht die zufällige, Verursachung bestraft, anderseits die culpa zur allgemeinen, wenn auch milder bestraften, Schuldform erhebt. Gestützt auf sie erörtert PGO. in Art. 146 (im Anschlüsse an 1. 9, § 4 und 1. II pr. D. 9, 2) das Wesen der fahrlässigen Tötung. Dieser Artikel sowie die Art. 136, 138, 180 bilden die Grundlage, auf welcher das gemeine Recht weiter arbeitet. Zu jedem Verbrechen wird böser Vorsatz, dolus, erfordert. Bei Fahrlässigkeit liegt ein quasi-crimen vor, welches lediglich mit willkürlicher Strafe belegt werden kann. So z. B. Preufsen 1620 und ähnlich noch Bayern 1813. So ist die Culpa zur allgemeinen Schuldform erhoben, ohne aber begriffliche Abgrenzung zu finden. Auch heute noch steht, wie wir sehen werden (unten § 42), der Begriff des fahrlässigen Verbrechens, der in seiner Allgemeinheit den romanischen Rechten gänzlich fremd geblieben ist, durchaus nicht fest.

III. Den Satz, dafs nur der zurechenbare Erfolg strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht, hat auch noch das geltende Reichsrecht durch vereinzelte Ausnahmen durchbrochen. Allerdings steht fest, dafs die zahlreich in den strafrechtlichen Nebengesetzen sich findenden P r ä s u m t i o n e n d e r S c h u l d 3 ) zu diesen Ausnahmen nicht gerechnet werden dürfen. 2 ) Pernice Labeo 2 244 (erste Aufl.). Dinding Grundrifs t 14, 104. — Die herrschende Ansicht nimmt a n , das spätere römische Recht habe bei Tötung, Brandstiftung, Entweichenlassen von Gefangenen die fahrlässige Begehung von der vorsätzlichen unterschieden. Doch rechtfertigen die Quellen diese Behauptung nicht. Dagegen Meyer 177. — Die eigentümliche Ansicht von Binding Normen 2 338, dafs die culpa lata des röm. Rechts Vorsatz mit Abzug des gemeinen Motives sei, wurde von Pernice, Windscheid, Dernburg und zahlreichen andern als unrichtig nachgewiesen. Vgl. neuerdings die zwingende Darstellung bei Löffler 110. 3 ) Vgl. Binding Normen 2 612. Schmid Die Präsumtionen im deutschen Reichsstrafrecht. Jenenser Diss. 1884. — Beispiele bieten aufser den Zollund Steuergesetzen: Gesetz betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe vom 25. Oktober 1867 § 14; Handelsgesetzbuch § 3 1 5 ; Rinderpestgesetz vom 21. Mai 1878 § 3 Abs. 2 ; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 § 10 Abs. 3 ; Erwerbsgenossenschaftengesetz vom 1. Mai 1889 § § 142, 144. Be-

§ 36. Denn

wenn

Schuld —

das

auch so

den

die

eine

Dagegen nicht

setzen

es

Beweise

einer

an,

nicht

ohne

RStGB.

Bestimmungen lediglich

an

standes knüpfen.4) von

Vorsatz

wird deren

selbst, sich das

so doch

finden,

läfst

soll.

rechtliche

Vorliegen sich

dafs,

in e i n z e l n e n

welche, des

Diese Erscheinung

„Formaldelikten")

aufoder

betont.

l ä f s t e s s i c h n i c h t in A b r e d e s t e l l e n ,

im

die

annimmt,

eintreten kann und

von

s c h u l d e n a b s e h e n d , die Strafe, w e n n a u c h nur als strafe,

Gegenteils

Angeschuldigten

dafs

Thatsache

besonders

des

1 jjj

als e r w i e s e n

dem

dadurch

Bestrafung

Präsumtion

Bedeutung gerade

auch

bis z u m

Gegenbeweis

erkennt

Fahrlässigkeit Durch

Recht

Vorsatz oder Fahrlässigkeit —

vielleicht bürdet,

Begriff und Voraussetzungen der Schuld.

wenn

Nebenge-

jedem

Ver-

Ordnungs-

objektiven

Thatbe-

(man spricht hier

beklagen,

aber

wohl

nicht

einfach

dafs n a c h

gelten-

hinwegleugnen.6) Insbesondere dem Recht

in

eintritt, w e n n ein

durch

unverschuldeter

wurde. auch

aber ist zu b e a c h t e n ,

einer R e i h e

Die

wenn

eine an

Fällen

sich

Strafe

Beziehung

auf

schwerere

schuldhafte

schwererer

schwerere in

von

Erfolg

Strafe

Handlung

herbeigeführt

wird

hier also

den

schwereren

verhängt, Erfolg

sonders wichtig und interessant Prefsgesetz vom 7. Mai 1874 §§ 20 und 21. Vgl. darüber unten § 43. 4 ) Ein Beispiel bietet § 137 Abs. I des Vereinszollgesetzes vom 3. Juli 1869: „Das Dasein der in Rede stehenden Vergehen und die Anwendung der Strafe derselben wird in den im § 136 angeführten Fällen l e d i g l i c h d u r c h d i e d a s e l b s t b e z e i c h n e t e n T h a t s a c h e n begründet. K a n n jedoch . . . . der Angeschuldigte nachweisen, dafs er eine Konterbande oder Defraudation nicht habe verüben können, oder eine solche nicht beabsichtigt gewesen sei, so findet nur eine Ordnungsstrafe nach Vorschrift des § 152 statt." Ähnlich § 20 des Gesetzes betr. die Besteuerung des Branntweins vom 24. Juni 1887; § 46 des Zuckersteuergesetzes vom 31. Mai 1891. — Das Reichsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen diese Möglichkeit einer Strafe ohne Schuld (wenn auch nur einer Ordnungsstrafe) anerkannt; so zuletzt 3. Dezember 97 30 363 (zu § 57 des Branntweinsteuergesetzes vom 8. Juli 1868). 5 ) Abweichend Binding Normen 1 310, 2 616, Lucas (Litt, zu § 39) 134. — Die Kommentatoren wollen, ohne zureichenden Grund, auch im RStGB. (bei den Übertretungen sowie bei den Unterlassungen) hierher gehörige Fälle annehmen. Klöppel 253 sieht für das ganze Gebiet des polizeilichen Unrechts von dem Erfordernis der Verschuldung ab. — Für die richtige Ansicht Birkmeyer Ursachenbegriff (Litt, zu § 29) 53, Hälschner 1 258, Olshauscn 4. Abschnitt 2.

§ 37.

I56 weder geben

Vorsatz

Die Zurechnungsfahigkeit.

noch

Fahrlässigkeit

des

Thäters

ge-

war.6)

§ 37.

Die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t .

Iiitteratur. Berner Grundlinien der Imputationslehre 1843. Bruck Zur Lehre von der kriminalistischen Zurechnungsfähigkeit 1878. Wahlberg Gesammelte Schriften 1 I, 3 IOI. v. Liszt Z 17 70 und über die durch diesen Vortrag hervorgerufene Polemik v. Liszt Z 18 229. Ferner Olrik Z 18 533. Herrmann Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 53 866 (auf Bindingsder Grundlage). Gretener Die Zurechnungsfähigkeit als Gesetzgebungsfrage, mit besonderer Rücksicht auf den schweizerischen und russischen StG. Entwurf 1897 (und dazu Zürcher Schweizer Zeitschrift 11 51). Verhandlungen der XKV. zu Lissabon 1897, Mitteilungen 6. I. S c h o n in d e r E i n l e i t u n g ist h e r v o r g e h o b e n w o r d e n , d a f s die s t r a f r e c h t l i c h e Z u r e c h n u n g s f a h i g k e i t nichts

zu

thun

hat

(oben

f ä h i g ist j e d e r g e i s t i g r e i f e

und

normal bestimmbare, Mensch. malmotivierende Wesen

der

Lehre

von

gewicht

in

Kraft

der

strafrechtlichen Darstellung

welche a u s n a h m s w e i s e geschlossen

geistig

der Willensfreiheit

11).

Zurechnungs-

gesunde,

Normaler I n h a l t

mithin

und

nor-

d e r V o r s t e l l u n g e n m a c h e n mithin

Zurechnungsfähigkeit der

mit

§ 16 Note

erscheinen

aus.

Daraus

folgt,

Schuldfähigkeit

derjenigen

Zustände

ihr

dafs

die

Schwer-

finden

die Zurechnungsfahigkeit

das

als

muís, aus-

lassen.1)

6) StGB. §§ 118, 178, 220, 221, 224. 226, 227, 229,239, 251, 307,312, 314—316, 321—324, 326—328, 340 u. a. Sprengstoffgesetz § S Abs. 2; Gesetz betr. die Beseitigung von Ansteckungsstoffen vom 25. Februar 1876 § 5; Nahrungsmittelgesetz §§ 12—14; Rinderpestgesetz § 4; Sklavenraubgesetz § I Abs. 2. — Thomsen Über den Versuch der durch eine Folge qualizifierten Delikte 1895. Schott Zufälliger Erfolg als Strafschärfungsgrund. Göttinger Diss. 1895. — Die im Text vertretene Ansicht ist gemeine Meinung. Für sie in feststehender Rechtsprechung R ; ferner Birkmeyer Ursachenbegriff (Litt, zu § 29) 81, Finger K V S 38 419, Geyer 2 143, Landsberg Kommissivdelikte (Litt, zu § 30) 2IO, v. Lilienthal 35, Loock (Litt, zu § 29) 194, Meyer 163, Olshausen 4. Abschnitt 3, v. Rohland Gefahr (Litt, zu § 28) 55, Schütze 270 Note 38, Thomsen 26, Wahlberg Z 2 207; insbes. L'oßler 266 (mit übertreibendem Tadel). Dagegen verlangen Fahrlässigkeit des Thäters in Beziehung auf den eingetretenen Erfolg Baumgarten Versuch (Litt, zu § 46) 370, 378, Berner 520, Binding 1 366 und Grundrifs 2 6, Hälschner 1 326, 2 28, 819, Schütze 396 (sich selbst widersprechend). Zu beachten ist in all' diesen Fällen: I. Die Notwendigkeit einer adäquaten Verursachung (oben § 29 III 2); 2. die Möglichkeit einer Unterbrechung des Kausalzusammenhanges (oben § 29 III 1). — Über die Behandlung dieser Bedingungen schwererer Strafbarkeit vgl. unten § 44 III. ') Dafs mit der Aufgabe der Willensfreiheit der Schuldbegriff überhaupt

§ 37-

Die Zurechnungsfahigkeit.

157

Zu beachten ist aber, dafs, wie die geistige Reife auf den verschiedenen Gebieten des rechtlich gleichgültigen Handelns nicht mit demselben Augenblicke eintritt, sondern hier längere, dort kürzere Entwicklung vorangehen mufs, so auch die rechtliche Handlungsfähigkeit auf den verschiedenen Rechtsgebieten (öffentliches Recht, bürgerliches Recht, Strafrecht) und deren Untergebieten (Familienrecht, Erbrecht, Forderungsrecht) nicht notwendig mit derselben Lebensstufe erworben wird. Sie wird auch auf dem Gebiete des Strafrechts bei demselben Menschen in demselben Augenblicke bald als vorhanden, bald als fehlend angenommen werden müssen, je nachdem diese oder jene Gruppe von strafbaren Handlungen in Frage steht (man denke an Tötung einerseits, Staatsverbrechen anderseits). Es mufs weiter beachtet werden, dafs innerhalb der Zurechnungsfähigkeit unendlich viele Abstufungen möglich sind, wie innerhalb der körperlichen Gesundheit. Es fragt sich nun: Soll der Gesetzgeber diese Abstufungen berücksichtigen, wenn er an den strafbaren Thatbestand die Straffolgen anknüpft? Man hat die Frage verwirrt, indem man die über das Mindestmafs sich erhebende, aber unter dem Durchschnittsmafs zurückbleibende Zurechnungsfähigkeit als v e r m i n d e r t e Zurechnungsfähigkeit bezeichnete und dadurch vielfach den Glauben erweckte, als handle es sich um einen Geisteszustand, der w e n i g e r sei als Zurechnungsfahigkeit. G e g e n die Bejahung der aufgeworfenen Frage spricht die Weite der Strafrahmen der deutschen Strafgesetze, insbesondere ihr äufserst geringes Mindestmafs und das System der „mildernden Umstände"; f ü r sie aber die auf diesem Felde noch weitverbreitete und tiefgewurzelte Verwirrtheit, welche eine gesetzliche Regelung der Frage dringend wünschenswert macht. In e i n e m Falle — bezüglich der jugendlichen Thäter (StGB. § 57) — hat übrigens das StGB, selbst der „verminderten" Zurechnungsfähigkeit Rechnung getragen. Ebenso läfst sich auch die milde Behandlung des K i n d e s m o r d e s (StGB. § 217) auf einen ähnlichen Gedanken zurückführen. ! )

II.

Unsre Reichsstrafgesetzgebung hat daher mit vollem

einschneidende Veränderungen erleidet, kann und soll nicht geleugnet werden. Aber der Begriff selbst bleibt bestehen. Dasselbe gilt von der Zurechnungsfähigkeit insbesondere. Nach wie vor ist sie der psychische Zustand des Thäters, den das geltende Recht als Voraussetzung der Bestrafung verlangt. Wie dieser Zustand beschaffen sein müsse, darüber gehen die Ansichten auseinander. Hier wird der Widerstreit der Generalprävention und der Spezialprävention (oben § 16 IV) von Bedeutung. Die im Text gegebene Auffassung sucht die Schwierigkeiten zu vermeiden. Dafs sie keine endgültige Lösung enthält, dafs sie insbesondere den Unverbesserlichen gegenüber zu versagen droht, habe ich selbst wiederholt hervorgehoben. Aber auch meinen Gegnern ist es bisher nicht gelungen, eine bessere Begriffsbestimmung zu gewinnen. a ) Im I. Entw. des RStGB.s hatte die verminderte Zurechnungsfahigkeit ausdrückliche Anerkennung gefunden, wie sie auch in mehrere deutsche LandesStGBücher aufgenommen war. Das wichtigste ist, dafs über der Strafmilderung der Schutz der Gesellschaft nicht übersehen wird, wenn und soweit es sich um gemeingefährliche Individuen handelt. Vgl. oben § 15 II 5.

I58

§ 37-

Die Zurechnungsfahigkeit.

Recht davon abgesehen, den B e g r i f f der Zurechnungsfähigkeit festzustellen; sie hat die Lösung dieser Aufgabe den Bemühungen der juristischen und psychologischen Wissenschaft überlassen und sich damit begnügt, der Rechtsprechung einzelne leitende Gesichtspunkte an die Hand zu geben. Sie erschöpft den Begriff der Zurechnungsfahigkeit nicht und will ihn nicht erschöpfen, wenn sie hier (StGB. § 5 1 ) die „freie Willensbestimmung" und dort (StGB. §§ 56—58) die „zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche Einsicht" hervorhebt. 3) III. Die Zurechnungsfähigkeit mufs bei B e g e h u n g der T h a t vorhanden g e w e s e n sein. Später eintretende Zurechnungsunfähigkeit kann nur prozessuale F o l g e n nach sich ziehen. Marsgebend ist dabei j e n e r A u g e n blick, in w e l c h e m die willkürliche K ö r p e r b e w e g u n g selbst v o r g e n o m m e n w u r d e ( o d e r , bei rechtswidriger Unterlassung, v o r g e n o m m e n w e r d e n sollte); gleichgültig der Geisteszustand des T h ä t e r s in dem A u g e n b l i c k e , in w e l c h e m der Erfolg eintritt. Wer vorsätzlich einen Brunnen vergiftet und dann sich berauscht, ist verantwortlich, wenn, während er sich im Zustand der Volltrunkenheit befindet, die von seinem Vorsatz umfafsten Personen aus dem vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahnsinnigen zu einem Verbrechen bestimmt, hat im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnsinnige das Verbrechen ausführt, während der geistige Urheber der That im tiefsten Schlafe liegt. Wir haben nur diese allgemeine R e g e l folgerichtig zur Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulstreitfrage nach der Beurteilung der sogenannten a c t i o n e s l i b e r a e i n c a u s a s e u a d 1 i b e r t a t e m r e l a t a e zu entscheiden. Sie liegen vor, wenn i m Zustande der Zurechnungsunfähigkeit durch Thun oder Unterlassen ein rechtswidriger Erfolg herbeigeführt, dieses Verhalten aber 3 ) Die Zurechnungsfahigkeit mufs, als Voraussetzung der Schuld, w i e alle rechtlich erheblichen Umstände v o n A m t s w e g e n festgestellt, ihr Mangel braucht nicht vom Angeklagten bewiesen zu werden. Ausdrücklicher Feststellung im Urteile bedarf es (StPO. § 266), wenn ihr Vorhandensein im Laufe der Verhandlung bestritten worden war. Eine Ausnahme von dieser Regel tritt nur ein, wenn es sich um einen jugendlichen oder taubstummen Thäter handelt: hier m u f s gegebenenfalls durch eine an die Geschwornen gerichtete Nebenfrage in allen Fällen ausdrücklich festgestellt werden, ob der Thäter bei Begehung der That die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen habe (StGB. § § 56—58).

§ 37-

Die Zurechnungsfähigkeit.

159

veranlafst wurde durch eine im Zustande der Zurechnungsfähigkeit begangene vorsätzliche oder fahrlässige Handlung (Thun oder Unterlassung). Beispiele: Der Eisenbahnwächter betrinkt sich in der Absicht, beim Herannahen des Eilzuges die Weichen nicht zu stellen; die Mutter, die wissen sollte, dafs sie im Schlafe sich unruhig hin und her wirft, hat fahrlässigerweise ihr Kind zu sich ins Bett genommen und erdrückt. Insbesondere, aber nicht ausschliefslich, sind es Unterlassungen, welche in dieser Gestalt begangen werden können; seltener fahrlässige Begehungsverbrechen; am seltensten und zweifelhaftesten dürften die Fälle sein, in welchen vorsätzliche Begehung als actio libera in causa erscheint. Aber unmöglich ist auch das nicht; so gut wir den Wahnsinnigen oder Trunkenen als Mittel für unsere Zwecke benutzen können, weil bei ihm die Bestimmbarkeit durch Vorstellungen zwar regelwidrig, aber nicht ausgeschlossen ist, ebensogut können wir im Zustande geistiger Gestörtheit oder Trunkenheit uns selbst zur Ausführung vorgefafster Pläne benutzen. Wenn Kausalzusammenhang und Schuld in Bezug auf den Erfolg im Einzelfalle gegeben ist, bietet die juristische Beurteilung keine weitere Schwierigkeit. Im entscheidenden Augenblicke — und das ist nicht der Eintritt des Erfolges, sondern der Anstois zum Abrollen der Kausalkette — war Zurechnungsfahigkeit vorhanden. Im nüchternen Zustande hat der Wächter, wachend hat die Mutter die Ursache zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt. Ihrer Zurechnung steht nichts im Wege. 4 )

IV. Ohne Zurechnungsfähigkeit ist Schuld und damit Verbrechen unmöglich. Ebendarum ist auch — und an diesem Satze mufs ohne Ausnahme festgehalten werden — s t r a f b a r e T e i l n a h m e d r i t t e r P e r s o n e n an der von einem Zurechnungsunfähigen gesetzten Rechtsverletzung begrifflich unmöglich. Wohl aber können dritte Personen als S e l b s t t h ä t e r zur Verantwortung gezogen werden.6) *) Die Frage hat schon das gemeine Recht seit Bartolus vielfach beschäftigt. Ganz regelmäfsig wird, weil dolus nicht ausgeschlossen sei, Strafbarkeit angenommen; vgl. z. B. Engau § 41. Die Dissertation von Thomasius De jure circa somnum et somnia 1686 ging in genauere Kasuistik ein. Schon Preufsen LR. 1620 droht, wie Damhouder, dem tötenden Schlafwandler willkürliche Strafe, wenn er die Gefährlichkeit seines Zustandes kannte. — Die reiche Litteratur der Frage geht zumeist an dem entscheidenden Punkte vorüber. Die Annahme des Kausalzusammenhanges berechtigt uns noch immer nicht, den Erfolg zur Schuld zuzurechnen. Meist begnügt man sich aber damit, die Möglichkeit des Kausalzusammenhanges zu erörtern. Im Sinne des Textes Binding Normen 2 195 und Grundrifs 1 90, Geyer H H 4 106, Hälschner 1 212 (aber nur unter besonderen Voraussetzungen), Meyer 156, Olshausen § 51 11. Auch R. 8. März 92 22 413. Dagegen Schütze 93 u. a. Bedenklich BGB. § 827, das immer nur für Fahrlässigkeit verantwortlich macht. Dazu v. Liszt Deliktsobligationen 49. 6 ) Vgl. unten § 51. Das gilt von Strafunmündigen ebensogut wie von Wahnsinnigen. Das Reichsgericht hat den Satz bei letzteren anerkannt (zuletzt 10. Juni 90 21 14), bei Strafunmündigen geleugnet; vgl. unten § 38 Note 3.

§ 38.

i6o

§ 38.

Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.

Die Fälle der

Zurechnungsunfähigkeit.

L i t t e r a t u r . Zu I : Oben § 15 Note 4. — Zu I I : Oben § 18 VIII 2. Dazu Endemann §§ 28 ff. (mit eingehender Behandlung der für den Juristen wichtigsten psychiatrischen Lehren). — Zu III: Schwartzer Die Bewufstlosigkeitszustände als Strafausschliefsungsgründe 1878. — A l k o h o 1 is m u s : Vgl. unten Besondern Teil (zu StGB. § 361 Ziff. 5). Die Zurechnungsfähigkeit,

als

der

normale

Geistes-

zustand des geistig reifen und geistig gesunden M e n s c h e n , ist nicht I.

vorhanden;

Bei fehlender geistiger Reife.

eine doppelte U r s a c h e 1.

N o c h nicht abgeschlossene Entwicklung:

mündigkeit des Das

R S t G B . hat

Kindheit;

für

die

Strafun-

bis

zum

strafrechtliche

Beurteilung

gezogen. vollendeten

§ 5 5 ) : Unbedingte und ausnahmslose keit.

wieder

Thäters.1)

eine doppelte A l t e r s g r e n z e a)

Diese kann

haben:

12. J a h r e

Infolge dieses Grundsatzes Ausschlufs jeder

lichen Untersuchung.

Als

(StGB.

Zurechnungsunfähigstrafgericht-

Verwaltungsmafsregel

ist

seit

Novelle v o n 1 8 7 6 die Unterbringung in eine E r z i e h u n g s Besserungsanstalt, durch B G B . ( A r t . 3 4 des E G . ) Familie, zugelassen, w e n n

g e h u n g einer strafbaren Handlung bringung

für

zulässig

auch in

die V o r m u n d s c h a f t s b e h ö r d e

erklärt

festgestellt und

hat.2)

Die

die

der oder eine

die B e Unter-

Aufsichtspersonen

Olshausen (§§ 51 12, 55 5, 6) will in beiden Fällen unterscheiden, ob der Thäter im stände war, mit strafrechtlichem Vorsatz zu handeln. Aber damit ist die präjudizielle Bedeutung der Zurechnungsfähigkeit verkannt; und die Unterscheidung im Einzelfalle ist bei Geisteskranken dem Gesetze fremd. Zutreffend Frank § 51 IV. 1 ) Vgl. dazu BGB. § 828. Die entscheidenden Altersstufen sind hier das s i e b e n t e und das a c h t z e h n t e Lebensjahr. 2 ) Vgl. auch Art. 135 EG. BGB.: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über die Zwangserziehung Minderjähriger. Die Zwangserziehung ist jedoch, unbeschadet der Vorschriften der §§ 5S> des StGB.s. nur zulässig, wenn sie von dem Vormundschaftsgericht angeordnet wird. Die Anordnung kann aufser den Fällen der §§ 1666, 1838 des BGB.s. nur erfolgen, wenn die Zwangserziehung zur V e r h ü t u n g d e s v ö l l i g e n s i t t l i c h e n V e r d e r b e n s notwendig ist. Die Landesgesetze können die Entscheidung darüber, ob der Minderjährige, dessen Zwangserziehung angeordnet ist, in einer Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt unterzubringen sei, einer Verwaltungsbehörde übertragen, wenn die Unterbringung auf öffentliche Kosten zu erfolgen hat." — Es bleibt mithin nicht nur das preufsische Gesetz

§ 38.

Die Fälle der Zurechnungsunfahigkeit.

ißi

können als Selbstthäter (ebenso dritte Personen) oder nach StGB. § 361 Ziff. 4 und 9 (vgl. auch § 6 des Vogelschutzgesetzes vom 22. März 1888) wegen unterlassener Aufsicht, nie aber als Teilnehmer — da ein Verbrechen nicht vorliegt8) — zur Verantwortung gezogen werden. b) Jugendliches Alter vom vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre. Prüfung der Zurechnungsfähigkeit überhaupt, der zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen T h a t erforderlichen Einsicht insbesondere in jedem einzelnen Falle (die letztere mufs ausdrücklich, gegebenenfalls durch die Geschwornen — StPO. § 298 — festgestellt werden). Festzuhalten ist, dafs nicht Erkenntnis der Strafbarkeit (auch nicht Bewuistsein der Rechtswidrigkeit), sondern die zur Erlangung dieser Erkenntnis erforderliche geistige Reife, das „discernement" des Code pénal, das „Unterscheidungsvermögen" des preufs. StGB., vom Gesetz verlangt wird. Und zwar mufs jene Einsicht vorhanden sein, welche zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen V e r b r e c h e n s a r t erforderlich ist.4) Sie kann in Bezug auf Eigentumsverbrechen erlangt sein, in Bezug auf politische Verbrechen dagegen fehlen. Trotz vorhandener Einsicht kann die Zurechnungsfähigkeit aus einem andern Grunde, z. B. wegen Trunkenheit, ausgeschlossen sein. a) Fehlt die Fähigkeit, so tritt Freisprechung ein (StGB. § 56). In dem Urteile kann die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter Personen gilt das oben unter a Gesagte. vom 13. März 1878, sondern es bleiben auch die über dieses weithinausgehenden Vorschriften andrer Landesgesetze auch weiterhin in Kraft. 3 ) Übereinstimmend Bennecke 138, Binding Normen 1 29, Birkmeyer Teilnahme 158, 269, Finger GS. 49 207, Frank § 55 I, Geyer 1 137, Glaser 2 196 Note 4, Hälschner 1 223, v. Helldorff (Litt, zu § 50) 10, Kohler Studien 1 114, v. Kries Z 5 10 und Lehrbuch 10, Merkel 56, Meyer 184. Dagegen nehmen die Möglichkeit der Teilnahme an Borchert Verantwortlichkeit S. 24, Bünger Z 8 579, van Calker Befehl (Litt, zu § 35) 36, Herzog zuletzt GS. 38 342, Schütze GA. 21 164, sowie, im Anschlufs an die frühere preufs. Rechtsprechung, R . 12. April 82 6 187 und 6. Juni 82 6 336. Über Olshatisen vgl. oben § 37, Note 5. 4) Nach § 50 des Mil.StGB. ist (mit Rücksicht auf die schon mit dem vollendeten 17. Lebensjahre beginnende Waffenfahigkeit) das Alter des Thäters o h n e Einflufs auf die Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen. Vgl. Hecker 104. v o n L i s z t . Strafrecht.

9. A u f l .

ÏI

162

§ 38. Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.

ß) W i r d die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so tritt in Berücksichtigung der „ v e r m i n d e r t e n " Zurechnungsfähigkeit eine Herabsetzung der regelmäfsigen Strafrahmen ein (StGB. § 57; vgl. unten § 70 I).6) 2. G e h e m m t e Entwicklung. Den wichtigsten Fall bildet die (von Geburt oder frühester Kindheit an vorhandene) T a u b stummheit. A u c h hier mufs die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen T h a t erforderliche Einsicht insbesondere, in j e d e m einzelnen Falle geprüft und letztere ausdrücklich festgestellt w e r d e n (StGB. § 58). Bei Zurechnungsfähigkeit tritt j e d o c h eine Herabsetzung der Strafrahmen nicht ein, obwohl sie auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre. Da das Gesetz nur von T a u b s t u m m e n ausdrücklich spricht, so sind diese Bestimmungen auf andre Fälle von Entwicklungshemmung nicht anzuwenden (man denke an geringem Blödsinn, an Angehörige wilder Völkerstämme, in völliger Abgeschlossenheit aufgewachsene Menschen usw.; a ) doch kann hier StGB. § 51 gegeben sein. II. B e i fehlender geistiger Gesundheit. Auf Grund der von fachmännischer Seite erstatteten Gutachten erklärt § 51 des RStGB.s: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von (Bewußtlosigkeit oder) k r a n k h a f t e r S t ö r u n g d e r G e i s t e s t h ä t i g k e i t b e f a n d , d u r c h w e i c h e n seine f r e i e W i l l e n s b e s t i m m u n g a u s g e s c h l o s s e n war."7) Der Ausdruck „krankhafte Störung der Geistesthätigkeit" wurde gewählt, um nicht nur die eigentlichen sogenannten G e i s t e s k r a n k h e i t e n , sondern auch E n t w i c k l u n g s h e m m u n g e n (Blödsinn, Schwachsinn) und geistige E n t a r t u n g s z u s t ä n d e (Greisenschwäche), ferner k ö r p e r l i c h e 6 ) Besondere Bestimmung in § 173 (unten § 44 Note 2). unmündigkeit wird durch die Prozefsordnungen bestimmt

Die Eides-

6 ) D a g e g e n Binding 1 221, Frank § 58 II, Hälschner 1 224, v. Lilienthal 41, Meyer 153, v. Wächter 133; ü b e r e i n s t i m m e n d Geyer 1 103, Merkel H H . 2 82, Olshausen § 51 10.

' ) Im Wesentlichen übereinstimmend BGB. § 827.

§ 38.

Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.

I63

K r a n k h e i t e n im engern Sinne, welche mit geistigen Störungen verbunden sind (Fieberdelirien, Nervenkrankheiten), endlich vorübergehende krankhafte Störungen der geistigen Thätigkeit (Intoxikationszustände usw.) zu umfassen. Sowie aber nicht jede Störung der vollen körperlichen Gesundheit als Krankheit bezeichnet werden kann, so wird auch nicht durch jede Störung der geistigen Thätigkeit die Zurechnungsfahigkeit ausgeschlossen; das Mindestmafs, mit dem sich das Recht überhaupt begnügen muls, bildet auch hier die untere Grenze. Darum verlangt StGB. § 5 1 , auch hier lediglich eine Seite in dem Inhalte der Zurechnungsfähigkeit besonders (aber durchaus nicht ausschliefslich) betonend, einen solchen Zustand, durch welchen „ d i e f r e i e W i l l e n s b e s t i m m u n g des Thäters ausgeschlossen" war. Diese bedeutet auch hier nicht mehr als die r e g e l g e m ä f s e Bestimmbarkeit durch Vorstellungen. Die Darstellung der einzelnen Formen „krankhafter Störung der Geistesthätigkeit" gehört nicht mehr zur Aufgabe der Strafrechtswissenschaft, wenn auch die Strafrechtspflege mit ihnen genau vertraut sein mufs, um, wo es not thut, den Rat der Sachverständigen einzuholen. Jedoch sei die aus der E i n h e i t l i c h k e i t u n s e r s g e i s t i g e n L e b e n s sich ergebende doppelte Folgerung erwähnt: e i n e r s e i t s , dafs Störungen nicht blofs des V o r s t e l l u n g s l e b e n s , sondern auch des E m p f i n d u n g s l e b e n s (wie konträre Sexualempfindungen) und des T r i e b l e b e n s (wie die sogenannte Paradoxie des Willens) die Zurechnungsfähigkeit aufzuheben geeignet sind; a n d e r s e i t s , dafs jede Störung das gesamte Geistesleben ergreift, dafs also teilweise Störungen bei sonstiger Unversehrtheit des Geistes nicht möglich sind. Die heutige Wissenschaft hat daher den Begriff der sogenannten M o n o m a n i e e n als Entartungen des Trieblebens bei völliger Klarheit des Verstandes aufgegeben und betrachtet diese nur als Teilerscheinungen allgemeiner Erkrankung des Geistes. Ebenso ist „ m o r a l i s c h e r I r r s i n n " (moral insanity) stets mit einer Trübung des Vorstellungslebens sowie einer Abstumpfung der Gefühle verbunden, mithin richtiger als eine Form des Schwachsinns aufzufassen. Der bedenkliche Begriff der „lichten Zwischenräume" ist dem StGB, fremd geblieben.

Ob durch die von sachverständiger Seite festgestellte geistige Störung die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird oder nicht, hat der Richter, hier wie sonst, nach eigner Prüfung und unter eigner Verantwortlichkeit zu entscheiden. Das ärztliche Gutachten bindet ihn nicht und deckt ihn nicht. Ist der wegen mangelnder Zurechnungsfahigkeit freigesprochene Geisteskranke gemeingefährlich, so sollte für eine die Gesell11*

I64

§ 39-

Der

Vorsatz.

schaft sichernde Unterbringung desselben gesorgt werden (vgl. soben § 15 Note 7). III. A b e r auch das Seelenleben des geistig reifen und geistig gesunden Menschen unterliegt Schwankungen, welche wenn auch auf physiologischer Grundlage ruhend, doch die Zurechnungsfahigkeit ausschliefsen können und überdies in unmerklichen Übergängen auf das pathologische Gebiet hinüberführen. Das R S t G B . bezeichnet sie in § 51 als Zustände v o n „Bewufstlosigkeit". Genauer sagen wir, dafs bei hochgradiger Trübung des Bewufstseins die regelmäfsige B e stimmbarkeit durch Vorstellungen gestört, die Zurechnungsfähigkeit mithin ausgeschlossen wird. Hierher gehören Ohnmacht, Schlaf, Schlaftrunkenheit, hypnotische Suggestion, Trunkenheit. 8 )

§ 39.

Oer Vorsatz.

Xiitteratur. Berner Imputationslehre 1843. Derselbe Die Teilnahme und die Kontroversen über Dolus und Culpa 1847. Krug Dolus und Culpa 1854. Ge/sner Begriff und Arten des Dolus 1860. Rupp Modernes Recht und Verschuldung 1880. Lucas Die subjektive Verschuldung im heutigen Strafrechte 1883. Binding Nonnen 2 209, 403. Ortloß GS. 3 4 401. Hcitz Das Wesen des Vorsatzes 1885. Bünger Z 6 293. v. Buri GS. 4-1 408. Frank Z 10 169. Kohler Studien 1 67. Weifsenborn GS. 50 194. Klee Zur Lehre vom strafrechtlichen Vorsatz 1897 (Bennecke Heft 10). Busch (Litt, zu § 28; im engsten Anschlufs an Binding). Hauser GS. 54 (auf dem Boden der Psychologie Brentanos). Insbesondere aber Loffler (Litt, zu § 36) und Thyren Abhandlungen (oben § 18 IV) 2.

I. Die Zurechenbarkeit des Erfolges ist zunächst gegeben bei vorsätzlichem Handeln, d. h. dann, wenn der Thäter trotz Voraussicht des Erfolges gehandelt hat. Vorsatz ist demnach die Voraussicht des durch die Willensbethätigung 9 ) Soweit diese nicht als krankhafte Störung der Geistesthätigkeit aufgefafst werden sollte. — Nach Mil.StGB. § 49 bildet (wie bereits im gemeinen Recht) bei strafbaren Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung sowie bei allen in Ausübung des Dienstes begangenen strafbaren Handlungen die selbstverschuldete Trunkenheit des Thäters keinen Strafmilderungsgrund. Vgl. Hecker 100, 106. — Zu beachten ist, dafs durch völlige Bewufstlosigkeit der Begriff der H a n d l u n g aufgehoben wird (oben § 28 IV). ') Der Ausdruck „Vorsatz" (mittelhochdeutsch fara, Gefährde) ist sprachlich wenig glücklich gewählt. Um so wichtiger ist für die Wissenschaft feste Begriffsbestimmung und gleichbleibender Sprachgebrauch.

§ 39-

Der Vorsatz.

I65

bewirkten oder nichtgehinderten rechtswidrigen Erfolges. -) Die häufig verwendete kürzere Begriffsbestimmung „Vorsatz gleich Bewufstsein der Kausalität" pafst zwar für das kausale Thun, nicht aber für das nichtkausale Unterlassen. Der Begriff des Vorsatzes umfafst mithin: 1. D i e V o r s t e l l u n g d e r (vorgenommenen oder unterlassenen) W i l l e n s b e t h ä t i g u n g s e l b s t , soweit diese unter den Begriff eines bestimmten Verbrechens, sei es der regelmäfsigen, sei es einer schweren Erscheinungsform, fällt. 2. D i e V o r a u s s i c h t des E r f o l g e s , soweit dieser zu dem Begriffe des Verbrechens erforderlich ist. 3. Bei Begehungsverbrechen die V o r s t e l l u n g , d a f s der E r f o l g W i r k u n g d e r W i l l e n s b e t h ä t i g u n g , dals diese, sei es allein, sei es mit andern vom Thäter beherrschten oder bestimmt erwarteten Umständen, Ursache des Erfolges s e i n w e r d e , also die Vorstellung der Kausalität selbst; bei Unterlassungsverbrechen die V o r s t e l l u n g , dafs bei Vornahme des unterlassenen Thuns d e r v o r g e s t e l l t e E r f o l g n i c h t e i n t r e t e n werde, also die Vorstellung der Nichthinderung des ä ) In dem Widerstreit der Ansichten ist ein doppelter Gegensatz im Auge zu behalten. 1. Das Lehrbuch bezieht mit der herrschenden Ansicht den Vorsatz auf die H a n d l u n g selbst. Abweichend alle diejenigen, die das Wissen oder das Wollen der N o r m w i d r i g k e i t (oder Rechtswidrigkeit), sei es allein, sei es neben dem Wissen oder dem Wollen des Erfolges, in den Vorsatzbegriff aufnehmen. So bestimmt Binding den Vorsatz als das Wollen einer Handlung trotz ihres vorgestellten Widerspruches zu der Norm, unter die sie fällt. Vgl. darüber oben § 36 Note I. — 2. Das Lehrbuch begnügt sich mit der V o r a u s s i c h t des Erfolges: sog. V o r s t e l l u n g s t h e o r i e . Übereinstimmend im wesentlichen (wie schon früher Bekker Lehrbuch 278) Baumgarten Versuch (Litt, zu § 46) 193, 349, Friedländer Z 11 400, Kohler Studien 1 70, Lafs Haftpflichtrecht 1890 S. 70, v. Lilienthal 45 und Z 15 278, Träger Wille, Determinismus, Strafe 1895 S. 29; sehr bestimmt auch R. 24. November 87 16 363, 26. Oktober 88 18 167. Vor allen aber Frank und neuerdings Klee. Auch Löfflers Dreiteilung der Schuldarten (Absicht, Wissentlichkeit, Fahrlässigkeit) deckt sich im Wesentlichen mit der Ansicht des Lehrbuchs (unten II). Nach Thyrin läfst sich innerhalb der bewufsten Schuld überhaupt keine begriffliche Grenze ziehen. Das BGB. hat sich der Vorstellungstheorie durchaus angeschlossen. Dagegen betont die W i l l e n s t h e o r i e das W o l l e n der Handlung mit Einschlufs des Erfolges. Man vgl. statt andrer Bünger Z 6 339, v. Buri Beiträge 344, Finger 1 132, Hauser GS. 54 I, Meyer 168, Ortloff Z 14 161 (gegen Frank), WeinrichZ 17 819, Weismann Z 11 80; besonders aber A. Horn GA. 4 3 214. Das Gefahrliche dieser Ansicht liegt in der Unklarheit ihres Willensbegriffes und der damit nahegelegten Verwechslung von Vorsatz und Absicht. — 3. Im Sinne des Lehrbuches bedeutet „ W i l l e " nur die Anspannung der Muskeln, ist stets nur die Körperbewegung gewollt, niemals der Erfolg (s. oben § 29 Note 1).

i66

§ 39.

Der Vorsatz.

Erfolges. In diesem Erfordernis liegt der Unterschied des V o r satzes v o m Wunsch. Willensbethätigung und Erfolg aber kommen strafrechtlich nur soweit in Betracht, als sie vom Gesetz zur Bildung der verbrecherischen Thatbestände verwertet werden. Der Vorsatz mufs sich daher (StGB. § 59) auf die sämtlichen, Willensbethätigung und Erfolg näher bezeichnenden, Thatumstände beziehen, die zum gesetzlichen Thatbestande gehören (StGB. § 59). Inhaltlich übereinstimmend mit der oben gegebenen Begriffsbestimmung kann man daher auch sagen: Vorsätzliches Handeln ist die wissentliche Verwirklichung sämtlicher Verbrechensmerkmale. 3 ) II. Vorsatz liegt demnach vor: 1. Wenn der Erfolg beabsichtigt, d. h. die Voraussicht des Erfolges Beweggrund des Handelns war; wenn der Thäter um der durch die Handlung zu bewirkenden V e r änderung in der Aufsenwelt w i l l e n die Handlung vornimmt; wenn jene Veränderung das Z i e l , ihre Herbeiführung den Z w e c k des Handelns bildet (vgl. oben S. 121), wenn der Erfolg b e z w e c k t war. 4 ) Dabei ist es gleichgültig, ob der Thäter mit gröfserer oder geringerer Bestimmtheit auf 3 ) Das StGB, verwendet den Ausdruck „wissentlich", bez. „wider besseres Wissen", zumeist in Beziehung auf einzelne Verbrechensmerkmale. Vgl. StGB. §§ 144, 153. 257, 273, 275, 287; 131, 171, 338; 164, 187, 189, 278; 127, 259, 345, 353. — Es mufs zugegeben werden, dafs diese zweite Begriffsbestimmung über die erste hinausführt. Denn sie verlangt auch das Wissen um Verbrechensmerkmale, die, streng genommen, nicht mehr der Handlung als sinnfälligem Ereignisse, sondern ihrer rechtlichen Bedeutung angehören. Der Thäter mufs also wissen, dafs die von ihm weggenommene Sache eine fremde, das gefälschte Papier eine Urkunde, die von ihm beförderte Handlung Unzucht ist usw. Er mufs also auch die Subsumption der Thatsachen unter das Gesetz vollziehen, ohne dafs dabei zwischen strafrechtlichen Begriffen und andern Rechtsbegriffen unterschieden werden kann. Diese Duplizität des Vorsatzbegriffes fällt aber nicht der Wissenschaft, sondern dem Gesetzgeber (StGB. § 59) zur Last, der bei Aufstellung der Verbrechensbegriffe nicht mit genügender Sorgfalt zu Werke gegangen ist. — Der Vorsatz braucht aber nicht die sogen, negativen Thatbestandsmerkmale (oben § 26 Note 3) zu umfassen. 4 ) Ubereinstimmend im allgemeinen das Reichsgericht. Bedenklich jedoch R 22. September 1893 24 255, 17. Mai 1895 27 241 (Absicht gleich Voraussicht des Erfolges als eines notwendigen), wo Absicht mit dem im Text unter II 2 a erwähnten Falle des Vorsatzes verwechselt wird. — Das Lehrbuch spricht im folgenden der Kürze halber nur von der „Voraussicht des Erfolges"; das Gesagte ist aber stets auch auf die „Verwirklichung sämtlicher Verbrechensmerkmale" zu beziehen.

§ 39-

Der Vorsatz.

den Eintritt des Erfolges gerechnet, diesen als notwendig oder als möglich vorausgesehen hat. Vielfach hat die Reichsgesetzgebung das Merkmal der A b s i c h t in den Thatbestand einzelner Verbrechen aufgenommen. Die Ausdrucksweise des Gesetzes ist in diesen Fällen keine gleichmäfsige. Bald heifst es: „wer in der A b s i c h t " oder „wer a b s i c h t l i c h . . ; bald wieder: „wer zu dem Z w e c k e . . . " ; bald auch: „wer um zu . . 6) In allen diesen Fällen bedarf es sorgfältiger Prüfung des von dem Gesetzgeber mit diesem Worte verbundenen Sinnes. Sehr häufig bedeutet die „Absicht" des Gesetzgebers: A b s i c h t in unserm Sinne, also Beweggrund des Handelns; häufig aber auch (so z. B. in StGB. §§ 266, 346) nichts weiter als die Voraussicht des Erfolges, mithin V o r s a t z schlechtweg. Jede allgemeine Regel wäre mithin irrtümlich; nur für den Einzelfall läfst sich die Entscheidung der Frage geben, ob Absicht, ob Vorsatz gefordert wird. Es mufs darum auf den Besondern Teil unserer Darstellung verwiesen werden. Zu beachten ist, dafs die Erreichung eines ersten Zweckes (Tötung des B) auch Mittel zur Erreichung eines weiteren Zweckes (Beerbung des B) sein kann; dafs also der Begriff der Absicht durch eine über sie hinausführende weitere Absicht nicht ausgeschlossen wird.

2. Vorsatz liegt aber auch dann vor, wenn der Thäter den Eintritt des Erfolges vorausgesehen hat, a u c h w e n n d i e s e V o r a u s s i c h t nicht B e w e g g r u n d seines Handelns war. Wer weifs, dafs seine Beteiligung an der Kriegsanleihe eines von Deutschland bekämpften Staates dessen Verteidigungskraft erhöhen werde, hat vorsätzlichen Landesverrat begangen, auch wenn es ihm nur um den Gewinn aus der Beteiligung zu thun war; wer sich bewufst ist, dafs die auf ein Schiff verladene Sprengmaschine den Tod von Menschen nach sich ziehen werde, hat diese vorsätzlich getötet, auch wenn er die Handlung nur um der Versicherungssumme willen unternommen hatte; die Frauensperson, welche weifs, dafs sie syphilitisch erkrankt ist, und dennoch aus Gewinnsucht den Beischlaf vollzieht, kann sich der vorsätzlichen Gesundheitsbeschädigung schuldig machen usw.

Dabei können wir jedoch unterscheiden:

a) Vorsatz ist unbedingt gegeben, wenn der Thäter den Eintritt des Erfolges für sicher (notwendig) hielt (direkter Vorsatz); b) bedingt dann, wenn er ihn nur für möglich hielt; nämlich unter der Voraussetzung, dafs die Überzeugung ») Vgl. StGB. §§ 124, 143, 146, 242, 249, 263, 265, 266, 267, 268, 272, 274, 281, 307, 346, 349. — StGB. §§ 129, 147, 1 5 1 . 177, 191, 235, 267, 270, -273. — StGB. §§ 87, 146, 229, 234, 236, 237, 252, 257, 298, 307, 333, 334, 343. — StGB. §§ 8 1 , 105, 1 1 4 , 122, 159.

i68

§ 39.

Der Vorsatz.

von dem sicheren Eintritte des Erfolges den Thäter von der Begehung der Handlung nicht abgehalten hätte, wenn also, wie wir wohl sagen dürfen, der Thäter den Erfolg gebilligt hat (sog. event. Vorsatz). 6 ) Wesentlich ist in beiden Fällen das (assertorische) Urteil des Thäters: „Der Erfolg w i r d eintreten". Erwartet der Thäter, im Vertrauen auf seine Geschicklichkeit, auf sein Glück usw., dafs der Erfolg n i c h t eintreten werde, so kann von Vorsatz keine Rede sein. Die „Billigung" des Erfolges ist nur ein andrer Ausdruck für denselben Gedanken. Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dafs zu dem Verletzungsvorsatz der Gefahrdungsvorsatz als eventueller hinzutreten k a n n und umgekehrt, während ihr Zusammenbestehen im direkten Vorsatz begrifflich unmöglich ist. Ganz ebenso verhält es sich mit dem Vorsatz vollständiger und dem teilweiser Verletzung (z. B. Tötung und Gesundheitsbeschädigung.)') DI. Schon aus dem zuletzt Gesagten ergibt sich, dafs die Vorstellung des Erfolges der Handlung eine mehr oder weniger bestimmte sein kann, wenn sie auch niemals weder eine ganz unbestimmte sein darf, noch sämtliche Einzelheiten zu umfassen vermag. Der Thäter mufs die Glieder der durch seine Willensbethätigung angeregten oder nichtgehemmten Kausalkette im a l l g e m e i n e n kennen, ihren Verlauf übersehen, ihre Wirkung e ) Ebenso R. insbes. 13. April 1891 21 420, sowie überhaupt die gem. Meinung. — Doch herrscht in der Rechtsprechung vielfach die Neigung, das Gebiet des eventuellen Vorsatzes auf Kosten der Fahrlässigkeit zu erweitern, das scire debuisse ac potuisse mit dem scivisse zu verwechseln. Vgl. v. Lisit Verhandlungen des 24. deutschen Juristentages 1 107. — Als Gegner des eventuellen Vorsatzes wären zu nennen v. Bar zuletzt GS. 5 2 168 und Z 18 534 (nur der unabwendbare Erfolg wird dem Vorsatz zugerechnet), Stoo/s Z 15 199 (der den eventuellen Verletzungsvorsatz für einen direkten Gefahrdungsvorsatz erklärt), Busch 45 (der gerade umgekehrt den Gefährdungsvorsatz stets für einen eventuellen Verletzungsvorsatz hält), Weinrich Z 17 829. — Eventueller Vorsatz genügt auch dort, wo das Gesetz ein Handeln „wider besseres Wissen" verlangt. Ebenso Meyer. Dagegen mit der weitaus überwiegenden Ansicht, der sich R. angeschlossen hat, insbesondere Frank und Olshausen. Vgl. besondern Teil. Er genügt dort aber nicht, wo eine bestimmte „Absicht", also das Bezwecken des Erfolges (siehe oben Note 5) erforderlich ist. 'J D i e Frage ist also nach Lage des Einzelfalls zu entscheiden. Ebenso Beling Z 18 285; wohl auch R 9. Juli 97 3 0 216. Abweichend der Beschlufs der Ver. Strafsenate vom 8. Februar 1896 2 8 200, nach dem der Tötungsvorsatz den der Korperverletzung notwendig in sich schliefst. Die Frage wird insbesondere wichtig für das Verhältnis der Vergiftung zur Tötung.

§ 39sich

vorstellen.

Die

Der Vorsatz.

Vorstellung

des E r f o l g e s mufs

wesentlichen Hauptzügen b e s t i m m t v o n Wünschen nicht

weniger

unverrückbar

genau

sein;

sich durch

A b e r diese

eine

allgemeine

feststellen läfst, kann

alle Menschen,

die

den

um als solche sich

und Hoffnungen zu unterscheiden.

Bestimmtheit, deren Mindestgrenze Formel

sein,

in

aus

mehr

oder

diesem Brunnen

trinken, der mir unbekannte Einsender einer mich beleidigenden Zeitungsnachricht, der eben des W e g e s daherkommende Wandersmann,

die

in

dem

zu

erbrechenden

Schranke

befindlichen,

mir nicht näher bekannten G e g e n s t ä n d e : sie alle sind genügend bestimmte Gegenstände meines Vorsatzes (vgl. unten § 42 N o t e 2). M a n bezeichnet wohl, im Anschlufs an Feuerbach,

den nicht in

allen Einzelheiten bestimmten (aber niemals ganz unbestimmten) Vorsatz als dolus indeterminatus (oder generalis). 8 ) IV.

Der Vorsatz bezieht sich

Herbeiführung inMer

oder

auf

Nichthinderung

A u f s e n w e l t , auf

die H a n d l u n g einer

die H a n d l u n g a l s s i n n f ä l l i g e s

eignis; nicht aber auf das r e c h t l i c h e W e r t u r t e i l Handlung.9)

als

Veränderung Er-

über

die

U n d zwar bezieht er sich auf die Handlung,

so-

weit sie (oben S. 1 1 7 ) im Gesetze zum Thatbestande eines bestimmten

besonderen

Verbrechens

nicht die aufserhalb der Handlung

gemacht liegenden

ist.

Er

umfafst

Bedingungen

der

Strafbarkeit oder die Prozefsvoraussetzungen (unten § 44).

Er

8) Alle übrigen, aus der gemeinrechtlichen "Wissenschaft herübergenommenen „Arten des dolus" sind im besten Falle unbrauchbare, meist aber, ebenso wie der dolus indirectus (s. oben S. 153), irreführende Überspannungen des Vorsatzbegriffs. So ist die Annahme eines sogenannten d o l u s s u b s e q u e n s , d. h. eines dem schuldlosen Handeln nachfolgenden und dieses nachträglich ergreifenden Vorsatzes, durchaus unzulässig (oben S. 158). Und dasselbe gilt von dem sogenannten PVeierschen d o l u s g e n e r a l i s (1825), einer Art von d o l u s a n t e c e d e n s . Er soll vorliegen, wenn der Thäter in der irrigen Voraussetzung, das Verbrechen bereits vollendet zu haben, eine weitere Handlung vornimmt, um die Spuren der That zu verdecken usw., und d a d u r c h erst den von ihm ursprünglich vorgesetzten Erfolg herbeiführt. Hier fragt es sich, ob die sämtlichen Teilakte wegen der Einheit des Erfolges als eine einzige Handlung aufzufassen sind, deren Ablauf von der Vorstellung des Thäters nur in für diesen unwesentlichen Punkten abweicht. Ist dies der Fall, so bedarf es zur Zurechenbarkeit des Erfolges der Annahme einer besondern Dolusart nicht; ist es nicht der Fall, so vermag auch diese Annahme die einzelnen selbständigen Akte nicht zur Einheit zu verknüpfen. Die Handlungseinheit wird freilich in den meisten hierher gehörigen Fällen gegeben sein. Abweichend Olshausen § 211 3. Auch Frank § 59 VII und Janka 93 nehmen hier zwei selbständige Handlungen an. •) Man beachte aber die oben Note 3 betonte Einschränkung.

§ 4°-

170

Fortsetzung.

Der Irrtum.

hat nichts zu thun mit dem Geltungsgebiet der Strafrechtssätze, mit der Zurechnungsfähigkeit, mit V o r s a t z

und

Fahrlässigkeit

selbst, mit V e r s u c h und Vollendung, mit Thäterschaft und T e i l nahme,

mit

Einheit

und Mehrheit

sondere aber umfafst der V o r s a t z der Rechtsvvidrigkeit;

des

Verbrechens.

nicht

das

Insbe-

Bewufstsein

und völlig verkehrt ist es, in diesem

gerade das W e s e n des Vorsatzes erblicken zu wollen. 1 0 )

Dieser

S a t z wird demnächst nähere Erörterung finden (unten § 4 1 ) .

§ 40.

Fortsetzung.

Der Irrtum.

L i t t e r a t u r . Aufser den zum Torigen Paragraphen angeführten Schriften: Pfotenhauer De delicto per errorem in persona commisso 1828. Derselbe Der Einflufs des Irrtums auf die Strafbarkeit 1838/39. Luden Abhandlungen 2. Stockar Die Lehre von der Aberration 1864. Siegel Verwechslungsfälle bei der Anstiftung. Göttinger Diss. 1895. I.

Irrtum

ist N i c h t ü b e r e i n s t i m m u n g

zwischen

der

Vorstellung und der Wirklichkeit; also für das Strafrecht zwischen der

Vorstellung

verursachende

oder

des

Thäters

nichthindernde

über

die

Bedeutung

bethätigung u n d d e m t h a t s ä c h l i c h e n

den der

Verlauf.

Erfolg WillensD e r Irr-

10 ) Somit erscheint uns der bereits oben § 32 II 4 angedeutete Satz, dafs die Rechtswidrigkeit der Handlung l e d i g l i c h o b j e k t i v zu beurteilen sei, als Ausflufs eines allgemeinen Grundsatzes und damit zugleich in neuer und schärferer Beleuchtung. Die zahlreichen Mifsverständnisse, welche in der heutigen Litteratur an die Erörterung jenes Satzes sich knüpfen, hätten vermieden werden können, wenn man diesen Zusammenhang im Auge behalten hätte. Entscheidend ist die Erkenntnis, dafs bei den beiden Schuldarten Vorsatz und Fahrlässigkeit grundsätzlich die Beziehung zwischen dem Vorstellungsleben des Thäters und dem V e r b r e c h e n a l s H a n d l u n g , d. h. a l s H e r b e i f ü h r u n g e i n e r V e r ä n d e r u n g i n d e r A u f s e n w e l t , in Frage steht. Das wird noch einleuchtender, wenn man im Auge behält, dafs Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht nur auf dem Gebiete des rechtswidrigen, sondern auch aüf dem des rechtlich gleichgültigen Handelns in der gleichen Weise wiederkehren. Nicht nur der Wilddieb, sondern auch der Jagdberechtigte kann ein Stück Wild vorsätzlich oder fahrlässig töten; und nicht nur eine fremde, sondern auch meine eigne bewegliche Sache kann ich vorsätzlich oder fahrlässig zertrümmern. Sehr bezeichnend HandelsGB. Art. 702 (dazu Binding Normen 1 309). Gerade deshalb pflegte man früher die nähere Bestimmung beizufügen: dolus m a l u s , b ö s e r Vorsatz. Die ganze Entwicklung des Vorsatzbegriffs im mittelalterlichen Italien (oben S. 153) gipfelt darin, dafs der Vorsatz, wie von Anfang an die culpa, immer bestimmter auf den E r f o l g bezogen wurde. Vgl. die folgenden Paragraphen. — Mit Meyer 159 glaube ich im wesentlichen einig zu sein, obgleich ich seiner Fassung „Die Verschuldung bezieht sich auf die objektive Seite des Delikts" schon deshalb nicht beistimmen kann, weil ich die Trennung des objektiven von dem subjektiven Thatbestande für willkürlich halte.

§ 4°-

Fortsetzung.

Der Irrtum.

i7i

tum s c h l i e f s t mithin, soweit er reicht, d i e Z u r c h e n b a r k e i t der W i l l e n s b e t h ä t i g u n g s o w i e d e s E r f o l g e s z u m V o r s a t z des Thäters aus. A b e r wie sich der Vorsatz nicht auf die sämtlichen Einzelheiten in dem Verlauf der Kausalreihe zu erstrecken braucht (oben S. 169), so bedarf es auch, damit der eingetretene Erfolg zum Vorsatze zugerechnet werden kann, keiner v o l l k o m m e n e n , alle Einzelheiten umfassenden Ubereinstimmung zwischen dem vorgestellten und dem eingetretenen Verlauf. Die V o r s t e l l u n g von den durch die Willensbethätigung zu verursachenden oder nichtgehinderten Veränderungen und diese V e r ä n d e r u n g e n selbst müssen sich decken; aber nicht in allen, wenn auch unwesentlichen Einzelheiten, sondern in allen w e s e n t l i c h e n Punkten. Nur der Irrtum in Bezug auf einen wesentlichen Punkt schliefst den Vorsatz aus. A l s wesentlich aber kann nur ein Thatumstand in Betracht kommen, der zum g e s e t z l i c h e n T h a t b e s t a n d e gehört. Und auch dieser nur dann, wenn den Thäter die Erkenntnis seines Irrtums, die Voraussicht des thatsächlichen Verlaufes, von der Begehung der That a b g e h a l t e n h a b e n würde. 1 ) Die Nichtübereinstimmung zwischen dem vorgestellten und dem thatsächlich eingetretenen Verlaufe der Handlung schliefst mithin die Zurechenbarkeit des Erfolges zum Vorsatze dann n i c h t aus, wenn die Abweichung nur e i n z e l n e und gegenüber dem Gesamtbilde der Handlung nur u n w e s e n t l i c h e Punkte betrifft. So wäre meines Erachtens vorsätzliche Tötung in folgenden Fällen anzunehmen: Der Angeklagte dringt mit geladenem Revolver auf seine Geliebte ein, in der eingestandenen Absicht, sie zu erschiefsen; im Ringen berührt die Bedrohte selbst den gespannten Hahn und wird tödlich getroffen. — A wirft den B über die Brücke, um ihn zu ersäufen; B schlägt auf den Brückenpfeiler auf und zerschmettert sich die Schädeldecke. — Der Wildschütze legt auf den Jäger an, um ihn zu erschiefsen; dieser macht unwillkürlich einen Seitensprung und stürzt dabei in den Abgrund. — Vollendeter schwerer Diebstahl ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Dieb, in dem verschlossenen Kästchen eine bestimmte Urkunde suchend, hier i o o o o Mk. findet und diese mit sich nimmt. Dagegen kann ein Umstand dadurch zu einem w e s e n t l i c h e n werden, dafs er, u n t e r A u s s c h l u f s a l l e r a n d e r n e n t s p r e c h e n d e n U m s t ä n d e ') Vgl. auch die übereinstimmende Rechtsregel in § 119 BGB.

172 aus

§ 4°-

der

Vorstellung,

fafst w u r d e .

Fortsetzung.

mit

vollster

Der

Irrtum.

Bestimmtheit

von

dem V o r s a t z e

A , der durch d a s T e l e p h o n dem B eine B e l e i d i g u n g

w i l l , w i r d aus V e r s e h e n mit C v e r b u n d e n und b e s c h i m p f t diesen. Totfeind E und

tötet

töten, den

hält

Sohn.

in In

der

Dunkelheit

beiden

vorsätzlichen Verbrechens m. E .

Fällen

seinen

ist

die

eigenen

um-

zurückgeben D w i l l seinen

Sohn F für d e n

Annahme

eines

E

vollendeten

irrtümlich.

II. In voller Ubereinstimmung mit dem Gesagten bestimmt § 59 Abs. i StGB.: „Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche i. zum gesetzlichen Thatbestande gehören oder 2. die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht anzurechnen." Irrtümliche Nichtannahme von Thatbestandsmerkmalen oder von Strafschärfungsgründen schliefst mithin den V o r s a t z (nicht notwendig die Fahrlässigkeit) aus. Es liegt also vorsätzlicher Diebstahl nicht vor, wenn ich die Eigenschaft der Sache als einer fremden; es liegt Aszendententotschlag nicht vor, wenn ich die Eigenschaft des Erschlagenen als meines Aszendenten nicht kannte. Dagegen bleibt Irrtum in Bezug auf eins der allgemeinen Verbrechensmerkmale, insbesondere in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Handlung (vgl. unten § 41) grundsätzlich aufser Betracht. Das gilt ferner von den zum allgemeinen Thatbestande gehörenden Strafausschliefsungs- und Strafaufhebungsgründen; endlich wohl auch von den Strafmilderungsgründen, die in den besonderen Thatbestand aufgenommen worden sind.2) Dagegen kann die irrtümliche A n n a h m e vorhandenen V e r b r e c h e n s m e r k m a l e s oder erhöhungsumstandes das V o r l i e g e n eines V e r s u c h e s , sei es des einfachen, sei es des V e r b r e c h e n s , begründen. Beispiel: Ich halte

eines nicht eines Strafuntauglichen erschwerten meine eigene

2 ) D i e s e s c h w i e r i g e und bestrittene F r a g e w i r d unten im Besondern Teil wiederholt behandelt w e r d e n . M a n d e n k e einstweilen an einen Irrtum der Kindesmörderin über die E h e l i c h k e i t oder Unehelichkeit ihres K i n d e s . Die Berücksichtigung dieses Irrtums w ü r d e zu durchaus u n b e f r i e d i g e n d e n E r g e b nissen f ü h r e n ; S t G B . § 59 fordert sie auch n i c h t . A b w e i c h e n d insbesondere Frank § 5 9 H , der den V o r s a t z n i c h t nur auf die v o n ihm sogenannten „ n e g a t i v e n T h a t u m s t ä n d e " , sondern auch auf die strafmildernden Umstände erstreckt. H a l t l o s e U n t e r s c h e i d u n g b e i Dinding Grundrifs 1 94.

§ 40,

Fortsetzung.

Der Irrtum.

173

Sache für die eines andern, einen Fremden für meinen Aszendenten (vgl. unten § 47).®) III. In allen Fällen des Irrtums macht es keinen Unterschied, ob dieser auf einer unrichtigen Beurteilung der T h a t s a c h e n oder auf einer irrigen Auffassung der in Frage kommenden R e c h t s s ä t z e oder endlich auf einer irrtümlichen Anwendung dieser auf jene, einer irrigen S u b s u m t i o n der Thatsachen unter das Gesetz, beruhte. Die U n t e r s c h e i d u n g v o n T h a t - u n d R e c h t s i r r t u m hat im StGB, aus guten Gründen keine Anerkennung gefunden. Damit entfallt auch die Unterscheidung des S t r a f r e c h t s i r r t u m s von den übrigen Fällen des R e c h t s i r r t u m s . 4 ) IV. Die aufgestellten Grundsätze reichen völlig aus, um alle Fälle des Irrtums über die verursachende Bedeutung der Handlung zu erledigen. Es liegt durchaus kein Grund vor, die dem gemeinen Rechte in diesem Gegensatze fremden, erst im 19. Jahrhunderte (durch Pfotenhauer) eingebürgerten Schulbegriffe der aberratio ictus und des error in objecto oder in persona weiter beizubehalten. I. Im Sinne der herrschenden Ansicht liegt a b e r r a t i o i c t u s vor, wenn der vorgestellte Erfolg bei einem andern als dem vorgestellten Objekt eintritt und diese Abirrung des Erfolges zurückzuführen ist a u f ä u f s e r e U m s t ä n d e . Hier soll die Zurechnung des eingetretenen Erfolges stets ausgeschlossen sein, vielmehr Zusammentreffen eines versuchten vorsätzlichen mit einem vollendeten fahrlässigen Verbrechen angenommen werden. Das ist falsch. Auch hier entscheidet vielmehr lediglich der oben aufgestellte Grundsatz, dafs nur die w e s e n t l i c h e Nichtübereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg zu berücksichtigen ist, sodafs die Zurechnung zum Vorsatze bald als ausgeschlossen, bald als unvermeidlich betrachtet werden mufs. Wenn ein Wildschütze auf den schönsten Bock in einem Rudel Gemsen anlegt und infolge des „Abirrens" seines Schusses den zweitbesten trifft, so kann diese Nichtübereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg doch sicherlich nicht als eine wesentliche bezeichnet werden. Und dasselbe wird angenommen werden müssen, wenn bei einer allgemeinen Wirtshausbalgerei eine „Ablenkung" des Schlages auf einen andern als den ursprünglich ins Auge gefafsten Gegner stattfindet. 3) Unrichtig ist es, hier, mit Olshausen § 59 25, ein sog. Putativdelikt (unten § 41 Note 6), also ausnahmslos Straflosigkeit, anzunehmen. 4 ) Ebenso im wesentlichen Binding Normen 2 607 und Grundrifs 1 93, Finger I 141, Löning 36, Ötker (Litt, zu § 41) 83, besonders aber v. Bar GS. 38 270 und Ortloff (Litt, zu § 41) 16 Note 2. Dagegen nimmt R in einer Reihe von Entscheidungen mit der gemeinen Meinung an, dafs Irrtum in Bezug auf das Strafgesetz einflufslos bleibe, jeder andere Rechtsirrtum aber ebenso wie der Thatirrtum entschuldige. Der Wortlaut des § 59 („Thatumstände . . . gesetzlicher Thatbestand") beweist jedoch, dafs insbesondere auch die Subsumtion mitumfafst werden soll. Vgl. auch v. Bülow GA. 45 321.

174

§ 41.

Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.

2. E r r o r i n p e r s o n a (in objecto) nimmt die herrschende Ansicht dagegen an, wenn der Eintritt des Erfolges bei einem andern als dem vorgestellten Objekte zurückzuführen ist a u f e i n e n I r r t u m (eine Verwechselung) d e s T h ä t e r s . Hier soll der Irrtum stets als unwesentlich betrachtet, die Zurechnung des Erfolges zum Vorsatze stets gegeben sein, vorausgesetzt, dafs die beiden Objekte dem in Frage stehenden Verbrechensbegriffe gegenüber von gleicher strafrechtlicher Bedeutung sind. Diese Auffassung unterliegt geringem Bedenken als die zu I erwähnte. Man denke jedoch an den Fall, dafs der Thäter ein Kästchen mit für ihn wichtigen Urkunden entwenden will und statt dessen ein ganz ähnliches Kästchen mit Wertpapieren mit sich nimmt. Jedenfalls aber entbehrt die grundsätzliche Unterscheidung dieser Fälle von denjenigen der Abirrung jeder innern Berechtigung. 4 )

§ 41.

Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit.

I i i t t e r a t u r . Ötker Einflufs des Rechtsirrtums 1876. Binding Normen 2 60, 310. Zitelmann Irrtum und Rechtsgeschäft 1879. v. Bar GS. 3 8 252. Hälschner 1 250. Heinemann Die Bindingsche Schuldlehre 1889. Derselbe Zur Dogmengeschichte des Rechtsirrtums Z 13 371. Ortloff Die Strafbarkeitserkenntnis als Schuldvoraussetzung 1891. Schäffer Gehört nach dem RStGB. zum Begriff des Vorsatzes das Bewufstsein der Strafbarkeit oder das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit der Handlung? Erlanger Diss. 1897. — Für das römische Recht: Löffler (Litt, zu § 36) 93.

I. Der Begriff des Vorsatzes schliefst nach dem Gesagten ganz zweifellos das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit nicht in sich.1) Aber auch neben dem Vorsatze, als etwas zu diesem selbständig Hinzutretendes, darf das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit im allgemeinen nicht gefordert werden. Eine solche Forderung, die allerdings vom Standpunkte der Theorie des psychischen Zwanges (siehe oben § 16 Note 8) gestellt werden mufste, würde 4 ) R steht auf dem Standpunkte der herrschenden Ansicht. Vgl. zuletzt R 25. April 80 19 179. Das gemeine Recht hat, wie Volksrechte und Rechtsbücher, die Abirrung stets ebenso wie den Irrtum in der Person behandelt (z. B. Preufsen 1721) und regelmäfsig in beiden Fällen, gestützt auf Clarus und Carpzov (Sächsische Konstit. 4- 6), vollendetes vorsätzliches Verbrechen angenommen (milder freilich Damhouder u. a.) Noch Österreich 1852 § 134 stellt beide Fälle, welche auch die französische Wissenschaft nicht unterscheidet, ausdrücklich einander gleich. Ebenso neuerdings Frank § 59 VII, der in beiden Fällen Vorsatz annimmt. Gegen die Unterscheidung auch v. Buri Kausalität 1873. Für sie neuerdings Siegel. *) Dagegen insbesondere Binding, welcher (Normen 2 403) den Vorsatz geradezu als den b e w u f s t r e c h t s w i d r i g e n W i l l e n bestimmt. Ihrü folgen Ötker, OlsAausen; auch Hammer er Der Einflufs des Rechtsirrtums auf die Bestrafung 1890 sowie zuletzt Stirtz (Litt, zu § 33).

§ 41-

Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.

175

(und das ist der ausschlaggebende Grund) die Rechtspflege geradezu lahmlegen, indem sie ihr den Nachweis in jedem einzelnen Fall aufbürdet, dafs der Thäter die von ihm übertretene Vorschrift gekannt habe. Sie darf daher um so weniger gestellt werden, als sie im Gesetze keinerlei Stütze findet2) und zu der gemeinen Meinung aller Zeiten in den schärfsten Widerspruch tritt.8) II. Die eben aufgestellte Regel erleidet jedoch eine wichtige Ausnahme. Überall dort, w o das Gesetz das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den Thatbestand eines Verbrechens aufgenommen hat, mufs neben dem Vorsatz Bewufstsein der Rechtswidrigkeit auf Seiten des Thäters gefordert werden. 4 ) Hier wird daher, abweichend von den a ) Dafs § 59 nicht hierher gezogen werden kann, wie Binding, Ortmann, Ötker u. a. behaupten, ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaute des Gesetzes („Thatumstände") und wird auch von Olshausen § 59 30 wie von Hammerer 30 ausdrücklich zugegeben. Vgl. Heinemann 122, sowie R 31. Januar 90 20 198, und dazu Frank Z 12 281. 3 ) Gegenteiliger Ansicht für das mittelalterliche Italien Engelmann (Litt, zu § 36) 41. Es ist aber zu beachten, dafs die Entwicklung des Dolusbegriffs gerade in seiner Verknüpfung mit der kausalen Bedeutung der Handlung besteht. — Der im Texte vertretenen Ansicht folgt auch das Reichsgericht mit steigender Entschiedenheit. Man vgl. z. B. R 19. Febr. 85 12 275, 17. Jan. 87 15 158, 28. Mai 89 19 252. Sehr bestimmt R 13. Mai 90 20 393. (Bedenklich dagegen R 30. Januar 91 21 313 vorletzter Absatz.) Ebenso u. a.: v. Bar GS. 3 8 252, Berner 243, Bruck (Litt, zu § 42) 22, van Calker Befehl (Litt, zu § 35) 24, Eccard (Litt, zu § 42) 31, Frank § 59 V, Geyer 1 HI, Heitz (Litt, zu § 39) 16, Kitzinger GS. 55 89, Kohler Patentrecht 531, Markenschutz 356 (in seinen Studien wird „rechtliche Apathie" als genügend erklärt), Löffler 264, Lucas (Litt, zu § 39) 66, Meyer 161, Simon GS. 32 425, Stoo/s Grundzüge 1 202, v. Wächter 146 und GS. 16 56, Weinrich Z 17 802, Weismann Z 11 Note 196, insbesondere aber Heine?nann 110, der die Frage durch alle Abschnitte der dogmengeschichtlichen Entwicklung hindurch verfolgt. —- Die Gegner, unter sich uneins, verlangen Bewufstsein bald der Rechtswidrigkeit, bald der Strafbarkeit, bald der Staatswidrigkeit, bald der Gesellschaftswidrigkeit, bald der Pflichtwidrigkeit, bald der Normwidrigkeit, bald der Strafwürdigkeit; Merkel 68 will Möglichkeit des Bewufstseins der Pflichtwidrigkeit, Janka 100 Bewufstsein der Möglichkeit der Rechtswidrigkeit, Finger 1 133 Bewufstsein der Normwidrigkeit, ohne dafs Kenntnis der einzelnen übertretenen Norm erforderlich wäre. Man vgl. Binding Normen 2 403, Bünger Z 6 340, v. Buri (zu § 40 Note 4) 36, Hälschner 1 198, 253, A. Horn (zu § 39 Note 2), Loning 31, 35, Olshausen § 59 16 und 30, Ortloff GS. 24 410 (sowie in der oben angeführten Schrift), Seuffert StG. 1 78 4 ) Vgl. oben § 32 Note 4. In dem dort Gesagten liegt auch die gesetzgeberische Rechtfertigung dieser Ausnahme. Ebenso R, zuletzt 26. März 89 19 209. Ferner Borchert Verantwortlichkeit 28, Frank § 59 V, Friedländer Z 11 400, v. Lilienthal 46, Schäffer, sowie überhaupt die Mehrzahl der den Regelsatz verteidigenden Schriftsteller. Vgl. insbes. Heinemann. Dagegen neuerdings Klee (Litt, zu § 39) 73, Kronecker GS. 38 485, Lucas (Litt, zu § 39) 60, Stoo/s

176

§ 41-

Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.

unter III 2 zu entwickelnden Grundsätzen, die irrige Annahme des Thäters, dafs die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen sei, Berücksichtigung finden müssen. Es ist ferner darauf hinzuweisen, dafs einzelne Nebengesetze besondere Bestimmungen über den Einflufs des sogenannten Rechtsirrtums enthalten.5) III. Nunmehr tritt der bereits oben § 32 II 4 (vgl. auch § 39 Note 10) aufgestellte Satz, dafs, soweit nicht eioe der unter II erwähnten Ausnahmen vorliegt, das Merkmal der Rechtswidrigkeit ohne Rücksicht auf den guten oder schlechten Glauben des Thäters streng objektiv zu prüfen sei, in das richtige Licht. Nach zwei verschiedenen Richtungen wird er von Bedeutung. I. Irrige A n n a h m e , dafs die an sich nicht r e c h t s widrige Handlung r e c h t s w i d r i g sei, schadet dem T h ä t e r nicht. D a s W a h n v e r b r e c h e n oder Putativdelikt ist nicht Verbrechen, insbesondere auch nicht versuchtes (fehlgeschlagenes) Verbrechen. 6 ) Schweizer Zeitschr. 1 524, 10 351, v. Weinrich Z 17 808, die auch in diesem Falle an dem Regelsatze festhalten. Abweichend auch Meyer 162; er verlangt Bewufstsein der Rechtswidrigkeit bei denjenigen Verbrechen, deren Besonderheit in einer Rechtsverletzung (Verletzung eines subjektiven Rechts, einer rechtlichen Vorschrift) besteht. Aber diese „Besonderheit" gehört zu den Begriffsmerkmalen eines jeden Verbrechens! — Erforderlich ist das assertorische Urteil: „Die Handlung ist rechtswidrig". Analoge Anwendung der Grundsätze über den eventuellen Vorsatz halte ich für ausgeschlossen. 6 ) Vereinszollgesetz § 163: „Unbekanntschaft mit den Vorschriften dieses Gesetzes und der infolge desselben gehörig bekannt gemachten Verwaltungsvorschriften soll niemand, auch nicht den Ausländern, zur Entschuldigung gereichen." — Nachdrucksgesetz § 18 Abs. 2: „Die Bestrafung des Nachdrucks bleibt ausgeschlossen, wenn der Veranstalter desselben auf Grund entschuldbaren, thatsächlichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat." Ebenso in den Urheberrechtsgesetzen vom 9., 10. und II. Januar 1876. Über StGB. § 193 vgl. unten Besonderen Teil. 6) Das Wahnverbrechen wird vielfach mit dem untauglichen Versuch verwechselt; so von Berner 87, Merkel 130, Schäfer H H 2 1 2 1 ; vgl. oben § 40 Note 3. Richtig Baumgarten (Litt, zu § 46) 359, Binding 1 692, Häberlin GA. 13 237, Kohler Studien 1 14, Löning 19, Schütze 99. — Verschieden von dem Wahnverbrechen ist der V e r b r e c h e r w a h n , bei welchem der Thäter die Rechtswidrigkeit seiner Handlung kennt, aber, vermeintlich höheren Pflichten gehorchend, sich bewufst über die Rechtsordnung hinwegsetzt. Auch der Verbrecherwahn bleibt, aber aus andern Gründen, ohne Einflufs auf die Beurteilung der That. V g l . Mil.StGB. § 48: „Die Strafbarkeit . . . ist dadurch nicht ausgeschlossen, dafs der Thäter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten erachtet hat." — Besondere Schwierigkeiten bietet die irrige Nichtannahme der thatsächlich erfolgten Einwilligung des Verletzten, soweit diese überhaupt als rechtlich erheblich erscheint. Folgerichtig (oben § 35 IV) mufs sie als Irrtum über die Rechtswidrigkeit, nicht über ein Thatbestandsmerkmal. betrachtet und behandelt werden. Dagegen ist

§41-

m

Das Bewufstsein der Rechtswidrigkeit.

Zwei Fälle sind hier möglich, aber in gleicher Weise zu erledigen. a) Der Thäter nimmt irrigerweise die Rechtswidrigkeit einer ü b e r h a u p t n.Jit rechtswidrigen Handlung an. Die Frauensperson, welche mit Angehörigen ihres Geschlechts widernatürliche Unzucht treibt, ist überzeugt, sich einer rechtswidrigen und strafbaren Sodomiterei schuldig zu machen; der Bauer, der unter Ausbeutung der Notlage seines Nachbarn diesem das Jungvieh um einen Sündenpreis abnimmt, glaubt dadurch gegen das Wuchergesetz zu verstofsen. In allen diesen Fällen liegt ein Verbrechen nicht vor. b) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs ein Umstand, w e l c h e r d i e R e c h t s w i d r i g k e i t einer im allgemeinen rechtswidrigen Handlung a u s s c h l i e f s t , nicht vorliege, obwohl er im gegebenen Falle thatsächlich vorhanden ist. Die Wache, welche von der Waffe Gebrauch gemacht hat, ist der irrigen Ansicht, dazu Dicht berechtigt gewesen zu sein; der Lehrherr nimmt irrtümlich an, die Grenzen des ihm zustehenden Zuchtrechts überschritten zu haben. Auch hier kann von einem Verbrechen keine Rede sein.

2.

Irrige Annahme,

dafs die objektiv

rechtswidrige

Handlung nicht rechtswidrig sei, nützt dem T h ä t e r nicht;

der Irrtum über die dem Strafgesetze zu Grunde liegenden Gebote oder Verbote bleibt einfluislos. Auch hier aber sind zwei gleich zu behandelnde Fälle zu unterscheiden. a) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs eine im allgemeinen rechtswidrige Handlung ü b e r h a u p t nicht rechtswidrig sei. Der Wucherer weifs nicht, dafs das Wuchergesetz seine Handlungsweise unter Strafe gestellt hat; der Bordellwirt meint, durch die polizeiliche Genehmigung geschützt zu sein. Diese Handlungen sind trotz dieses Irrtums Verbrechen, wie sie es ohne diesen Irrtum wären. b) Der Thäter nimmt irrigerweise an, dafs die von ihm als im allgemeinen rechtswidrig erkannte Handlung unter eine jener A u s n a h m e n falle, in welchen die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen ist. Der Thäter glaubt sich in Notstand oder einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffe gegenüber zu befinden oder Träger eines Züchtigungsrechts zu sein. Es liegt kein Grund vor, diese Fälle anders zu behandeln als die unter a besprochenen. 7 ) Auch hier also mufs der Irrtum einfiufslos bleiben. irrige Annahme der nichterfolgten Einwilligung nach dem oben unter II Gesagten zu berücksichtigen. 7 ) V g l . oben § 40 Note 2. Gegen den Text die gemeine Meinung. Insbesondere Binding 1 751, Normen 2 69, Janka 103, Meyer 160, 179, Ophausen § 59 25, Schäffer, Stirtz (Litt, zu § 33), v. Wächter 179; richtig v. Bar GS. 3 8 257, Heitz (Litt, zu § 39) 38. Das Reichsgericht will zum Teil, entgegen der sonst von ihm grundsätzlich festgehaltenen Auffassung (oben Note 3), auch hier zwischen That- UDd Rechtsirrtum unterscheiden (oben § 40 Note 3). Ähnlich (an Merkels „negative Thatbestandsmerkmale" anknüpfend) Löffler bei Grünhut 2 0 774. sowie Frank Z 14 363, welche die Vorstellung des Thäters über die thatsächliche Sachlage (irrige Annahme eines gegenwärtigen v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

12

i78

§ 42.

§ 42.

Die Fahrlässigkeit.

Die Fahrlässigkeit.

L i t t e r a t u r . v. Bar bei Griinhut 3 21. v. Prittwitz GA. 30 145. Wahlierg Klein. Schriften 3 268. Bruck Zur Lehre von der Fahrlässigkeit im heutigen deutschen Strafrecht 1885 ; dazu Birkmeyer KVS. (Neue Folge) 10 587 und dagegen wieder Bruck GA. 36 420. Eccard Die Fahrlässigkeit nach dem geltenden deutschen Strafrecht. Strafsburger Diss. 1889. Helmer Über den Begriff der fahrlässigen Thäterschaft. Strafsburger Diss. 1895. — Finger 2 24. Kühner Die Kunstfehler der Ärzte vor dem Forum der Juristen 1886. Ortloff Die strafbare Fahrlässigkeit bei Ausübung der Heilkunst 1888. Bornträger Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bei Anwendung von Chloroform und andrer Inhalations-Anästhetika 1892. Mehrere Abhandlungen in Friedreichs Blättern für gerichtliche Medizin. Brouardel La responsabilité médicale 1897. X. Der Begriff der Fahrlässigkeit hat sich als a l l g e m e i n e r Begriff auf dem Gebiete des Strafrechts erst allmählich und langsam entwickelt. E i n z e l n e fahrlässige Verbrechen sind es gewesen (so die fahrlässige Tötung), welche Wissenschaft und Rechtsprechung zumeist beschäftigten. So kann es uns nicht wunder nehmen, dafs die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen ist, dafs der einheitliche Begriff den romanischen Rechten fremd geblieben ist und dafs noch in unserm geltenden Rechte sich verschiedene Entwicklungsstufen nebeneinander vertreten finden. Wesentlich ist dem Begriff der Fahrlässigkeit seit den Schriften der mittelalterlichen Italiener die Beziehung der Schuld auf den eingetretenen Erfolg. Wenn BGB. § 276 sagt: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufser acht läfst", so ist damit der Begriff der Fahrlässigkeit nicht erschöpft. Erforderlich ist vielmehr noch der Eintritt eines rechtswidrigen E r f o l g e s und die V o r h e r s e h b a r k e i t dieser Wirkung des Verhaltens. Mit andern Worten : Der heutige Begriff des fahrlässigen Vergehens beruht darauf, dafs der eingetretene Erfolg nicht als Bedingung der Strafbarkeit (unten § 44 TU), sondern als Teil der Handlung selbst aufgefafst wird. Erst damit tritt die Fahrlässigkeit als zweite Schuldart neben den Vorsatz. Dieser entwickelte Begriff des heutigen Rechts wird im folgenden zu Grunde gelegt.

II. Fahrlässigkeit ist die Nichtvoraussicht des voraussehbaren Erfolges. Voraussehbar ist der Erfolg, wenn der Thäter ihn hätte voraussehen sollen und können. Angriffs) für mafsgebend erklären. Aber, ganz abgesehen von der Undurchführbarkeit dieses Satzes, vermag ich mich von der Anschauung nicht loszusagen, dafs, wer in vermeintlicher Notwehr einen Menschen tötet, für die Folgen seines Irrtums aufzukommen hat. Sehr bedenklich weitgehend R 29. Oktober 1895 27 401 (irrige Annahme, kraft öffentlichen Rechts zu Vernichtung anvertrauter Urkunden befugt zu sein, falle unter StGB. § 59). — Durchaus im Sinne des Textes BGB. § 2 3 1 : „Wer eine der im § 229 bezeichneten Handlungen (Selbsthülfe) in der irrigen Annahme vornimmt, dafs die für den Ausschlufs der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen vorhanden seien, ist dem andern Teile zum Schadenersatze verpflichtet, auch wenn der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht." Vgl. dazu v. Liszt Deliktsobligationen 58.

§ 42.

Die Fahrlässigkeit

179

Fahrlässige Handlung ist mithin die Verursachung oder Nichthinderung eines nicht vorausgesehenen, aber voraussehbaren Erfolges durch (vorgenommene oder unterlassene) willkürliche Willensbethätigung. 1 ) Und auch hier kann, wie beim Vorsatze (ob. S. 166) die zweite, inhaltlich übereinstimmende, Fassung neben die erste gestellt werden: Fahrlässiges Handeln ist die auf pflichtwidrigem Nichtwissen beruhende Verwirklichung sämtlicher Verbrechensmerkmale (StGB. § 59). Zum Begriff der Fahrlässigkeit doppeltes:

gehört

mithin

ein

1. Mangel an Vorsicht bei der Willensbethätigung, d. h. Aufserachtlassung der durch die Rechtsordnung gebotenen und nach Lage der Umstände erforderlichen Sorgfalt. Das Mafs der Sorgfalt bestimmt sich dabei a l l g e m e i n nach der o b j e k t i v e n Natur der vorgenommenen Handlung, nicht nach der besonderen Eigenart des Handelnden. Die Nichtanspannung der Aufmerksamkeit, die Nichterfüllung des Sollen, erscheint im Sinne der herrschenden Terminologie als eine W i l l e n s schuld. 2. Aber der Mangel an Vorsicht genügt nicht. Der Mangel an Voraussicht mufs hinzutreten, d. h. es mufs dem Handelnden möglich gewesen sein, den Erfolg als Wirkung der Körperbewegung (wenn auch nur in allge*) Abweichend auch hier Binding Normen 2 IIS, welcher die Fahrlässigkeit bestimmt als den unbewufst rechtswidrigen Willen. Vgl. oben § 41 Note I. — Es ist dabei vor einem doppelten Mifsverständnis zu warnen, t. Mangelnde Voraussicht bedeutet das assertorische Urteil, dafs der Erfolg n i c h t eintreten werde. Somit hebt sich die Fahrlässigkeit scharf vom Vorsatze ab (oben S. 168). Bestimmt man den eventuellen Vorsatz als die Billigung des ab möglich vorgestellten Erfolges (oben S. 168), so umfafst die Fahrlässigkeit auch den als möglich vorgestellten, aber abgelehnten Erfolg, der in diesem Falle eben gar nicht vorausgesehen ist. Thyrens Polemik gegen mich (Abhdlgn. 2 119) beruht mithin auf einem Mifsverständnisse. 2. Wenn der Gesetzgeber das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den Begriff eines Verbrechens aufnimmt (oben § 41 Note 4), so kann nicht etwa bei schuldhafter Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit fahrlässige Begehung des Delikts angenommen werden (wie das Olshausen und andere thun). Durch das ausnahmsweise im Einzelfall aufgestellte Erfordernis werden die Begriffe weder des Vorsatzes noch der Fahrlässigkeit berührt, die sich niemals auf die negativen Thatbestandsmerkmale beziehen (oben § 40 Note 2). Anders natürlich Binding und seine Anhänger; so auch Beling Z 17 317 Note 21. Aber auch Frank § 59 VIH. 12*

i8o

§ 42.

Die Fahrlässigkeit.

meinen Umrissen) 2 ) vorherzusehen. Bei der Beurteilung dieser Frage sind die geistigen Fähigkeiten des H a n d e l n d e n überhaupt und im Augenblicke des Handelns (Aufgeregtheit, Angetrunkenheit), ist s e i n gröfserer oder geringerer Scharfblick zu Grunde zu legen. D e r Mafsstab ist hier ein subjektiver, b e s o n d e r e r . Das geistige Können des einzelnen Thäters steht in Frage. Wird es bejaht, dann erscheint der Mangel der Voraussicht als eine V e r s t a n d e s schuld. 8 ) III. Die Fahrlässigkeit beruht mithin auf einem Irrtum über die den Erfolg verursachende oder nichthindernde Bedeutung der Willensbethätigung. Darin liegt ihr Unterschied vom Vorsatze. A b e r jener Irrtum und dieser Mangel begründen die Annahme der Fahrlässigkeit nur dann, wenn sie hätten vermieden werden können und sollen. Darin liegt der Unterschied der Fahrlässigkeit vom Zufall. D e r I r r t u m wird mithin die Fahrlässigkeit nur dann ausschliefsen, wenn er ein unvermeidbarer war, wenn es dem Thäter nach seiner Veranlagung unmöglich war, die Vorstellung von der Bedeutung seiner Willensbethätigung zu gewinnen. Nicht mehr als diesen aus dem Wesen der Fahrlässigkeit folgenden Satz enthält der § 59 Abs. 2 StGB., nach welchem „Thatumstände, welche der Thäter nicht kannte, ihm bei Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen insoweit nicht zugerechnet werden sollen, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist". ! ) R 18. Februar 89 19 51. Es genügt, dafs der Thäter den Tod irgend eines Menschen, wenn auch nicht eines bestimmten Menschen, voraussehen konnte; es ist auch nicht erforderlich, dafs Zeit, Ort, nähere Umstände des eingetretenen Todes voraussehbar waren. Bedenklich dagegen R 16. November 96 29 219 (auch die unbekannten Einzelheiten des konkreten Kausalverlaufs müssen sich innerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung gehalten haben). Vgl. oben § 40 I den analogen Rechtssatz für die Voraussicht des Erfolges. Mit dem unter 1 und 2 Gesagten erledigt sich die alte Streitfrage, ob der Mafsstab für die Fahrlässigkeit ein allgemeiner oder besonderer, ein objektiver oder subjektiver, ob die Fahrlässigkeit ein Willensfehler (überwiegende Ansicht) oder ein Verstandesfehler sei, durch den Hinweis auf die beiden gleichwertigen Elemente des Begriffs. Die im Text vertretene Ansicht (Unterscheidung von „Vorsicht" oder „Voraussicht") teilt auch R in einer Reihe von Entscheidungen, zuletzt 23. März 97 30 25. Ebenso u. a. Olshausen § 59 17. Ganz ebenso auch schon das kanonische Recht; vgl. Hinschius 5 928 Note 5. Dagegen beschränkt die privatrechtliche Litteratur wegen BGB. § 276 den Begriff der Fahrlässigkeit auf das erste seiner beiden Begriffselemente (Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt). Vgl. dazu v. Liszt Deliktsobligationen 55.

§ 42-

Die Fahrlässigkeit.

j8j

IV. Alle Vorschriften der Rechtsordnung sind an sich der fahrlässigen Übertretung fähig. Aber nicht jede fahrlässige Übertretung wird von dem geltenden Rechte mit Strafe belegt. Es bildet im Gegenteile nach Reichsrecht die Bestrafung fahrlässiger Vergehen eine A u s n a h m e , die nur dann als gegeben anzunehmen ist, wenn der Wille, auch die fahrlässige Übertretung zu bestrafen, ausdrücklich im Gesetze ausgesprochen oder aus dem Zusammenhange der gesetzlichen Bestimmungen mit Sicherheit zu entnehmen ist. 4 ) V. Zum Vorsatz ist Vorstellung s ä m t l i c h e r unter den Verbrechensbegriff fallender Thatumstände (mit Einschlufs des Erfolges) erforderlich. Fehlt auch nur eins dieser Begriffsmerkmale in der Vorstellung, so ist der Vorsatz ausgeschlossen und es kann Fahrlässigkeit vorliegen. Genau betrachtet würden daher jedem e i n z e l n e n vorsätzlichen Verbrechen begrifflich ebensoviele fahrlässige Vergehen entsprechen, als jenes Verbrechen Begriffsmerkmale hat; und nichts würde den Gesetzgeber hindern, nur eins oder das andre der fahrlässigen Vergehen mit Strafe zu belegen, die übrigen aber straffrei zu lassen. So würden der vorsätzlichen Tötung eines Menschen zwei Fälle des fahrlässigen Vergehens entsprechen: I. Der Thäter weifs, dafs er tötet; aber nicht, dais er einen Menschen vor sich hat. 2. Er weifs, dafs er gegen einen Menschen handelt, aber nicht, dafs er tötet. Die Gesetzgebung hat von der Möglichkeit dieser Unterscheidung im allgemeinen keinen Gebrauch gemacht. Die fahrlässige Tötung des RStGB. umfafst beide Fälle. Wohl aber ist es geschehen bezüglich der Sachhehlerei in § 259 StGB, (siehe unten Besonderen Teil). 6 ) VI. G r a d e d e r F a h r l ä s s i g k e i t . Das geltende Recht hat in zwei Fällen die Fahrlässigkeit als eine schwerere dann be4 ) Vgl. R 11. Juni 91 22 43. Das StGB, bedroht die fahrlässige Begehung mit Strafe a u s d r ü c k l i c h in folgenden Fällen: StGB. §§ 222 und 230 Tötung und Körperverletzung; §§ 121 und 347 Entweichenlassen von Gefangenen; § 163 Falscheid; § 25g Partiererei; § § 309, 311, 314, 316, 318, 326, 329 Gemeingefährliche Verbrechen; § 345 Vollstreckung einer nicht zu vollstreckenden Strafe. Dazu treten verschiedene Nebengesetze. Für das Polizeiunrecht genügt im allgemeinen Fahrlässigkeit; doch bedarf Wortlaut und Sinn des Gesetzes stets genauer Prüfung. Über das Militärstrafrecht vgl.

Hecktr 96. 5)

Übereinstimmend Meyer 178.

V g l . Besonderen Teil zu StGB. § 163.

§ 43-

Die Verschuldung bei Prefsvergehen.

handelt, wenn der Thäter zu der von ihm aufser acht gelassenen Sorgfalt „vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war" (StGB. §§ 222 und 230, Tötung und Körperverletzung). Hierher würden die sogenannten „ ä r z t l i c h e n K u n s t f e h l e r " zu rechnen sein, deren Beurteilung durchaus nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen hat. 6 )

§ 43.

Die Verschuldung bei Prersvergehen.

L i t t e r a t u r . v. Liszt Prefsrecht §§ 47—52. Derselbe HR. „Prefsstrafrecht" und „Redakteur", v. Schwarze Kommentar 3. Aufl. (herausg. von Appelius) 1896. Berner Lehrbuch des deutschen Prefsrechts 1876. Honigmann Die Verantwortlichkeit des Redakteurs nach dem Reichsgesetz über die Presse 1885. Baumgarten Z 5 491. Löning Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs 1889. Ötker Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs 1893. Derselbe Preufsische Jahrbücher 76 385. Rehm HSt. 5 266. V. Bülow GA. 4 0 241, 4 3 328 und Z 14 643. Jolly WV. 2 299, 301. Klöppel Das Reichsprefsrecht. Nach Gesetz und Rechtsprechung für die Bedürfaisse der Rechtsanwendung wissenschaftlich zusammengestellt 1894. R. Schmid Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Prefsvergehen 1895. v- Buri Z 16 45. Grüttefien Die Thäterschaft des verantwortlichen Redakteurs. Hallische Diss. 1895. Slädecek GA. 4 3 348. I. Die in den vorhergehenden Paragraphen entwickelten Grundsätze finden zunächst auch auf P r e f s v e r g e h e n Anwendung; d. h. auf diejenigen strafbaren Handlungen, deren Wesen in dem Mifsbrauche des Rechts der freien Meinungsäufserung durch Verbreitung von Druckschriften besteht. Demgemäfs bestimmt § 20 Abs. 1 des Prefsgesetzes vom 7. Mai 1874: 6 ) Durchaus unhaltbar ist die Einteilung in b e w u f s t e und u n b e w u f s t e Fahrlässigkeit, wie diese von der herrschenden Ansicht seit Feuerbach (besonders durch Berner) vertreten wird. Danach wäre b e w u f s t e Fahrlässigkeit (luxuria, Geilheit) als schwerer Fall anzunehmen, wenn der Thäter trotz der Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolges (siehe dagegen oben S. 167) handelte; u n b e w u f s t e Fahrlässigkeit als leichterer Fall, wenn er die Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolges nicht hatte. Danach würde also der umsichtige Thäter, welcher die entferntesten Folgen ängstlich zuvor erwägt und nach sorgfältiger Prüfung die Kausalität ablehnt, ungleich strenger behandelt als der gedankenlose Bummler. Richtig Binding Normen 2 121, Bruck 16, v. Buri (Litt, zu § 49) 27, Hälschner 1 317, Löning 44, Wahlberg 283; wohl auch Finger 1 127, Janka 96, Meyer 182. Die „Leichtfertigkeit" in § 94 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 bedeutet Fahrlässigkeit schlechthin. ') Das Reichsprefsgesetz gilt nicht in Elsafs-Lothringen. — Den Begriff der D r u c k s c h r i f t bestimmt § 2. Es gehören hierher „alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, sowie alle anderen, durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten, zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift, und von Musikalien mit Text oder Erläuterungen". Dazu Gesetz vom 12. März 1884: „Stimmzettel,

§ 43-

Die Verschuldung bei Preisvergehen.

183

„Die Verantwortlichkeit für Handlungen, deren Strafbarkeit durch den Inhalt einer Druckschrift begründet wird, bestimmt sich nach den bestehenden allgemeinen Strafgesetzen." Aber diese allgemeinen Grundsätze reichen den Prefsvergehen gegenüber nicht aus. Abgesehen von andern Gründen (man denke z. B. an die Anonymität der Presse) bewirkt die Umgestaltung, welche der Gedanke durch seine Drucklegung erfährt, und das damit gegebene eigenartige Zusammenwirken einer Reihe von Personen (Verfasser, Herausgeber, Redakteur, Verleger, Drucker, Verbreiter), dafs den Prefsvergehen gegenüber eine E r g ä n z u n g d e r a l l gemeinen Grundsätze über Verschuldung2) durch Sonderb e s t i m m u n g e n unerläfslich wird, soll nicht die Strafverfolgung in den meisten und wichtigsten Fällen an juristischen Schwierigkeiten scheitern. Die Gesetzgebung aller Länder ist daher seit langem bemüht, derartige Sonderbestimmungen aufzustellen, welche eine rasche und entschiedene Strafverfolgung sichern, ohne den thatsächlichen Verhältnissen Zwang anzuthun. Das Reichsprefsgesetz hat diesen Bestrebungen Rechnung getragen, indem es die allgemeinen Grundsätze nach zwei Richtungen hin durch Bestimmungen ergänzt, welche jedoch, obwohl gut gemeint, an einer bedenklichen, die Sicherheit der Rechtsprechung arg gefährdenden Unklarheit leiden. II. Das Reichsprefsgesetz hat nach dem Vorbilde anderer Gesetzgebungen die allgemeinen Grundsätze über Verschuldung zunächst durch die A u f n a h m e d e r H a f t u n g d e s R e d a k t e u r s ergänzt. § 20 Abs. 2 bestimmt: „Ist die Druckschrift eine periodische, so ist der verantwörtliche Redakteur als Thäter zu bestrafen, wenn nicht durch besondere Umstände die Annahme seiner Thäterschaft ausgeschlossen wird." *) Der verantwortliche Redakteur mufs mithin Redakteur sein, d. h. die Befugnis haben, über die Aufnahme eines Artikels zu entscheiden. Aber nur jener Redakteur ist verantwortlicher Redakteur im Sinne des Gesetzes, der 1. auf der betreffenden Nummer der Zeitung oder Zeitschrift als solcher genannt ist und 2. zur Oberaufsicht über den Gesamtgang der welche im Wege der Vervielfältigung hergestellt sind und nur die Bezeichnung der zu wählenden Personen enthalten, gelten nicht als Druckschriften im Sinne der Reichs- und Landesgesetze. u — P e r i o d i s c h e Druckschriften sind nach § 7 solche Zeitungen oder Zeitschriften, welche in monatlichen oder kürzeren, wenn auch unregelmäfsigen Fristen erscheinen. 2 ) Nach diesen sind, da das Prefsdelikt als eigenartige Gedankenäufserung begangen durch Verbreitung einer Druckschrift erscheint, regelmäfsig der Verfasser (bei Gutgläubigkeit des Verbreiters) oder der Verbreiter Thäter, die übrigen Beteiligten, die entsprechende Verschuldung vorausgesetzt, Teilnehmer. Die Strafbarkeit des Druckers usw. kann daher, so bedauerlich das auch sein mag, nur aus thatsächlichen Gründen angefochten werden. Vgl. aber Österlein Die Ausdehnung des Prefsprozesses auf die technischen Arbeiter. Eine Darstellung ihrer Beihilfe und ein Protest gegen ihre Mitanklage 1894. ') Vgl. I'refsgesetz § 8 über die vom Gesetze geforderten Eigenschaften des verantwortlichen Redakteurs. Dafs der Grundgedanke des Gesetzes gröfsern Zeitungen gegenüber nicht zutrifft, wird heute wohl allgemein zugegeben.

§ 43-

Die Verschuldung bei Prefsvergehen.

Redaktionsgeschäfte in B e z u g auf die e t w a i g e strafrechtliche B e d e u t u n g des Inhaltes der betreffenden N u m m e r bestellt, die V e r ö f f e n t l i c h u n g mithin z u verhindern in der L a g e w a r . § 20 Abs. 2 kann demnach keine Anwendung finden, wenn eines dieser beiden Erfordernisse fehlt; wenn also entweder der thatsächlich die Oberaufsicht in der angegebenen Richtung führende Redakteur auf der betreffenden Nummer als solcher n i c h t b e z e i c h n e t ist; oder aber, wenn die als verantwortlicher Redakteur bezeichnete Person thatsächlich die O b e r a u f s i c h t in der angegebenen Richtung bezüglich der betreffenden Nummer n i c h t g e h a b t hat.4) Es kann in beiden Fällen nur wegen Nichtbefolgung des § 7 des Prefsgesetzes nach §§ 18 und 19 Bestrafung eintreten. Wohl aber wird der Redakteur als Thäter gestraft, wenn er die Aufsicht gehabt, den strafbaren Artikel aber nicht gelesen hat. D e m verantwortlichen Redakteur g e g e n ü b e r stellt nun das G e s e t z die (widerlegliche) V e r m u t u n g seiner Thäterschaft b e z ü g l i c h der durch den Inhalt der Druckschrift b e g a n g e n e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n auf. Die Vermutung kann widerlegt werden durch den vom Angeklagten erbrachten Nachweis oder die vom Gericht von Amts wegen erfolgte Feststellung, dafs „besondere Umstände" vorliegen, durch „welche die Annahme der Thäterschaft ausgeschlossen wird". Unter diesen „besondern" Umständen sind die i m E i n z e l f a l l g e g e b e n e n , nicht notwendig „aufsergewöhnlichen" Umstände zu verstehen, durch welche die Kenntnis des verantwortlichen Redakteurs von dem strafbaren Inhalte der von ihm redigierten Nummer ausgeschlossen wurde. 6 ) III. Das Reichsprefsgesetz hat aber weiter das S y s t e m d e r F a h r l ä s s i g k e i t s s t r a f e n , verbunden mit dem sogenannten belgischen S y s t e m d e r s t u f e n w e i s e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t , zur Ergänzung der allgemeinen Grundsätze herangezogen. W e n n die bei der Herstellung und 4) Die Ansichten gehen weit auseinander. I. Nach v. Buri, Löning, Schwarze entscheidet die Benennung; 2. nach Honigmann und Schmid die thatsächliche Oberaufsicht. 3. Nach R, insbes. 22. April 87 16 16, 24 Juni 90 21 23, 21. Mai 1895 27 246, genügt das eine oder das andre. 4. Meiner Ansicht schliefsen sich im wesentlichen ah Baumgarten Z 5 516 und Klöppel 203, 363; ihr nähert sich Ötker, nur dafs er die Oberaufsicht gerade über die betreffende Nummer nicht verlangt. 5. Nach v. Bülow genügt die Bestellung durch den Eigentümer (?) des Blattes. Die Ansichten unter I und 3 führen zur rechtlichen Anerkennung der beliebten Einrichtung der ,,Sitzredakteure"; die unter 2 und 5 übersehen die Bedeutung der nach § 7 des Prefsgesetzes für jede einzelne Nummer erforderlichen Benennung, die nach § 18 der Wahrheit entsprechen mufs und an die Stelle der früher erforderlichen „Anzeige" bei der Behörde getreten ist. 6) Dieser von mir schon früher vertretenen (in den späteren Auflagen des Lehrbuchs etwas abgeschwächten) Ansicht hat sich, entgegen altern Entscheidungen, angeschlossen der Beschlufs der Ver. Strafsenate 6. Juni 91 22 65. Ferner R 17. November 91 22 221. Ebenso v. Bülow, Schmid. Dagegen v. Buri\ auch Grüttefien, der einen unlöslichen Widerspruch zwischen den §§ 20 und 21 annimmt. — Eigenartig, aber nicht überzeugend, Ötker-. es liege ein Fall der von ihm sog. „Garantenhaftung" vor, also nicht blofse Schuldvermutung. Gegen ihn v. Bülow Z 14- 653.

§ 43-

Die Verschuldung bei Prefsvergehen.

185

V e r b r e i t u n g einer D r u c k s c h r i f t s t r a f b a r e n Inhaltes beteiligten P e r s o n e n d e r e n Inhalt nicht mit d e r erforderlichen A u f m e r k s a m k e i t g e p r ü f t h a b e n oder nicht w e n i g s t e n s d u r c h die N e n n u n g i h r e s V o r m a n n e s den N a c h weis m a n g e l n d e n e i g n e n V e r s c h u l d e n s e r b r i n g e n k ö n n e n , so w e r d e n sie w e g e n dieser i h r e r Fahrlässigkeit zur V e r a n t w o r t u n g g e z o g e n . 6 ) Von diesem Gedanken geht § 21 aus, indem er bestimmt : „Begründet der Inhalt einer Druckschrift den Thatbestand einer strafbaren Handlung, so sind 1. der verantwortliche Redakteur; 2. der Verleger 3. der Drucker; 4. derjenige, welcher die Druckschrift gewerbsmäfsig vertrieben oder sonst öffentlich verbreitet hat (Verbreiter), soweit sie nicht nach § 20 als Thäter oder Teilnehmer zu bestrafen sind, wegen Fahrlässigkeit mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Festungshaft oder Gefängnis bis zu einem Jahre zu belegen, wenn sie nicht die Anwendung der pflichtgemäfsen Sorgfalt oder Umstände nachweisen, welche diese Anwendung unmöglich gemacht haben. Die Bestrafung bleibt jedoch für jede der benannten Personen ausgeschlossen, wenn sie als den Verfasser oder den Einsender, mit dessen Einwilligung die Veröffentlichung geschehen ist, oder, wenn es sich um eine nicht periodische Druckschrift handelt, als den Herausgeber derselben, oder als einen der in obiger Reihenfolge vor ihr Benannten, eine Person bis zur Verkündigung des ersten Urteils nachweist, welche in dem Bereich der richterlichen Gewalt eines deutschen Bundesstaats sich befindet, oder, falls sie verstorben ist, sich zur Zeit der Veröffentlichung befunden hat; hinsichtlich des Verbreiters ausländischer Druckschriften aufserdem, wenn ihm dieselben im Wege des Buchhandels zugekommen sind." 6 ) In Wirklichkeit handelt es sich mithin nach der Auffassung des Ge" setzes um die f a h r l ä s s i g e B e g e h u n g d e r d u r c h d e n I n h a l t d e r D r u c k s c h r i f t b e g r ü n d e t e n s t r a f b a r e n H a n d l u n g ; v. Liszt Prefsrecht § 47 HI, § 52. Meiner Ansicht haben sich angeschlossen Bruck (Litt, zu § 42) 59, v. Buri 67, Honigmann, v. Kries 203, Merkel 292. Dagegen Betz (Litt, zu § 31) 66, Klöppel 384, Lötiing 270, Schtnid 109, Thomsen (oben § 16 Note 3) 13, R wiederholt, zuletzt 2. Juni 92 2 3 155 (dagegen aber 25. Juni 94 26 45); insbesondere aber ulker (Haftung für fremdes Delikt, „Deliktsgarantie"; nicht, wie im belgischen Recht, Strafgarantie). Die grundsätzliche Auffassung wird von Wichtigkeit bei der Frage nach dem Antragserfordernis, dem Bufsanspruch, der Anwendbarkeit des § 200 StGB. usw. — Andere als die in § 21 genannten Personen können, auch als Teilnehmer, aus § 21 nicht gestraft werden (vgl. unten § 49).

§ 44-

Unrecht und Verbrechen.

IV. Das Verbrechen als strafbares Unrecht. § 44.

Unrecht und Verbrechen.

I i i t t e r a t u r . Ü b e r b ü r g e r l i c h e s u n d p e i n l i c h e s U n r e c h t : Merkel Kriminalistische Abhandlungen 1 1867. v. Ihering Das Schuldmoment im römischen Privatrecht 1867. Derselbe Der Zweck im Recht 1 (2. Aufl.) 490, Pernice Labeo 2 I. Abt. S. I. v. Bar Die Grundlagen des Strafrechts 1869. Heinze

HH.

1 321.

Binditig

Meyer

292.

Merkel

236.

Normen

1 255, 426.

Hälschner

t 15.

v.

Liszt

Bennecke 9.

v.

Kries

Die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht 1889. Derselbe Die Deliktsobligationen im System des bürgerlichen Gesetzbuchs 1898. Heinemann Die Bindingsche Schuldlehre 1889, insbes. S. 15. — Ü b e r d i e B e d i n g u n g e n d e r S t r a f b a r k e i t : Francke GA. 20 33. Binding 1 588. John

1 127.

Glaser

2 46.

463. Eisler bei Grünhut 17 592. Neumeyer Darstellung des Bankerotts 1891 S. 126. Hausmann Die Beleidigungen gesetzgebender Versammlungen und politischer Körperschaften und die rechtliche Natur der Ermächtigung 1892. — Vgl. auch Kitzinger GS. 55 I.

I. Die bisher entwickelte Begriffsbestimmung des Unrechts als der schuldhaften rechtswidrigen Handlung beansprucht Geltung für die sämtlichen Rechtsgebiete. A b e r von allen anderen Arten des Unrechts hebt sich das p e i n l i c h e Unrecht, das Verbrechen, scharf ab durch seine eigenartige Rechtsfolge, die Strafe. Es fragt sich, worin dieser Unterschied von den übrigen Unrechtsarten, diese Eigenart des Verbrechens begründet sei. Fast könnte es scheinen, als ob eine bestimmte und grundsätzliche Antwort auf diese Frage unmöglich wäre, wenn wir uns erinnern, dafs die Grenzlinie nach Zeit und Ort wechselt, dafs jedes Volk sie anders zieht, dafs jede Stufe in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit neue Verbrechen schafft und alte verschwinden läfst. Genauerer Betrachtung enthüllt sich aber in der Flucht der Erscheinungen der gemeinsame und bleibende Grundgedanke. Gerade in der Auszeichnung des peinlichen Unrechts offenbart sich die k r i m i n a l p o l i t i s c h e A u f f a s s u n g , der mehr oder weniger klar erkannte, mit gröfserer oder geringerer Folgerichtigkeit durchgeführte Z w e c k g e d a n k e in der Strafe (oben § 13). A l s Mittel im staatlichen K a m p f e gegen das Verbrechen wird die Strafe überall da, aber auch nur da, zur Anwendung gebracht, wo es dem Staate notwendig zu sein scheint. Verbrechen ist mithin der für die gegebene Rechtsordnung, nach Ansicht

§ 44-

Unrecht und Verbrechen.

des Gesetzgebers, besonders gefährliche rechtlich geschützte Interessen. 1 )

187

Angriff

auf

Die Gefährlichkeit des Angriffes kann liegen: 1. I n d e m W e r t d e s a n g e g r i f f e n e n R e c h t s g u t e s . Dabei ist aber einerseits zu beachten, dafs der Wert desselben Rechtsgutes für verschiedene Gemeinwesen (Priesterstaat, Handelsstaat, unumschränkte Monarchie, demokratischer Freistaat usw.) ein sehr verschiedener sein kann; anderseits, dafs dort, wo wegen der Unersetzlichkeit des Rechtsgutes (Leben, Geschlechtsehre des Weibes usw.) die Rechtsfolgen des Privatrechts nicht ausreichen, die Bestrafung des Angriffes auch verschiedenen Zeiten und Völkern mit einer gewissen Gleichmäfsigkeit sich aufdrängen wird. Vor allem aber darf nicht vergessen werden, dafs der Kreis der rechtlich geschützten Interessen selbst (s. oben § 13) in steter Entwicklung begriffen ist. 2. I n d e r A r t d e s A n g r i f f e s . Zunächst kann die H ä u f i g k e i t des Angriffes, das Überhandnehmen gewisser Verbrechen (Fälschung von Nahrungsmitteln, Umsturzbewegung, Wucher usw.), die Gesetzgebung veranlassen, in ihren mehr oder weniger strengen Strafdrohungen ein genügendes Gegengewicht zu schaffen. Dann aber kann das M i t t e l des Angriffes, insbesondere d e r M i f s b r a u c h staatlicher Einrichtungen sowie m e n s c h l i c h e r E n t d e c k u n g e n u n d E r f i n d u n g e n zur Bekämpfung staatlicher und gesellschaftlicher Zwecke, die Strafgesetzgebung des Staates wachrufen. Hierher gehören die wichtigsten und schwierigsten Verbrechensgruppen : die sog. Fälschungsverbrechen, bei welchen die staatlichen Geld- und Wertzeichen oder die von der Rechtsordnung mit Beweiskraft ausgestatteten Beglaubigungsformen zu rechtswidrigen Zwecken mifsbräuchlich verwendet werden, ebensogut wie die gemeingefährliche Entfesselung der Naturkräfte, von der schon von den Römern bedrohten Durchstechung der Nildämme angefangen bis zur verbrecherischen Verwertung von Dynamit und Nitroglycerin.

IL Als allgemeine Voraussetzung für die Entstehung Mit der heute gemeinen Meinung ist also daran festzuhalten, dafs das Verbrechen mit dem Privatdelikt alle Merkmale teilt, sich von diesem geschichtlich nur durch seine Gefährlichkeit, positivrechtlich überhaupt nur durch die Rechtsfolge unterscheidet. Abzulehnen ist mithin jeder Versuch, einen tiefer greifenden, die Einheit des Unrechtsbegriffes selbst aufhebenden, Unterschied aufstellen zu wollen. Unter diesen Versuchen nehmen diejenigen Hegels und seiner Schule den ersten Platz ein. Hegel bestimmt das peinliche Unrecht als das b e w u f s t e , das bürgerliche als das u n b e w u f s t e . Diese Zweiteilung widerspricht, wie namentlich Merkel schlagend nachgewiesen hat, unleugbaren Thatsachen des Rechtslebens: dem kulposen Verbrechen einerseits, dem zivilrechtlichen Dolus anderseits. Auch die fortgesetzten Bemühungen Hälschners, vom Hegeischen Standpunkte aus zu einer haltbaren Fassung des Unterschiedes zu gelangen, müssen als gescheitert betrachtet werden. —• Neuerdings ist Binding (vgl. oben § 13 Note 2) durch seine rein formalistische Auffassung der „Norm" dazu gedrängt worden, den „einheitlichen Unrechtsthatbestand" zu leugnen. Nach ihm ist der Kern des Verbrechens das Delikt •und dieses als „Verletzung des Rechts auf Botmäfsigkeit" eine Unterart des „öffentlichen Unrechts".

§ 44-

Unrecht und Verbrechen.

des staatlichen Strafanspruchs ist mithin unbedingt erforderlich, aber meist auch genügend die Begehung der mit Strafe bedrohten, schuldhaften, rechtswidrigen Handlung. Fehlt die Rechtswidrigkeit der T h a t oder die Zurechnungsfähigkeit des Thäters oder die Zurechenbarkeit des Erfolges, so gelangt ein staatlicher Strafanspruch überhaupt nicht zur Entstehung. Man spricht in diesen Fällen, wenig bezeichnend, von dem Vorliegen eines S t r a f a u s s c h l i e f s u n g s g r u n d e s . V e r schieden von diesen sind jene Fälle, in welchen der Gesetzgeber w e g e n der Persönlichkeit des Thäters d i e s e m gegenüber, aber auch n u r i h m gegenüber, von der Bestrafung absieht, während er die T h a t im übrigen als strafbar betrachtet. Ich nenne sie „persönliche Strafausschliefsungsgriinde". Hierher gehören (abgesehen von den oben in § 24 behandelten Fällen): S t G B . § § 5 3 (Überschreitung der Notwehr), 173 (Blutschande: Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie, welche das 18. Lebensjahr nicht erreicht haben), 2 ) 257 (persönliche Begünstigung, gewährt von einem Angehörigen), 247 (Diebstahl oder Unterschlagung, begangen von Verwandten aufsteigender Linie oder v o n Ehegatten), 209 (Kartellträger usw. beim Zweikampf). U n d völlig abweichende Bedeutung haben die S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e , d. h. diejenigen Umstände, welche, n a c h begangener T h a t eintretend, den entstandenen Strafanspruch wiederbeseitigen (unten § 74). Dennoch fafst die StPO. (§ 262) alle diese verschiedenen Fälle, mit Ausnahme der V e r jährung, unter der völlig irreleitenden Bezeichnung „ U m s t ä n d e , w e l c h e d i e S t r a f b a r k e i t a u s s c h l i e f s e n " , zusammen. HI. In einer Reihe von Fällen hat aber der Gesetzgeber den Eintritt seiner Strafdrohung abhängig gemacht von dem Vorliegen äufserer, von der rechtswidrigen Handlung selbst unabhängiger, zu ihr hinzutretender Umstände. Ich bezeichne diese Umstände als Bedingungen der Strafbarkeit im engeren Sinn. 3 ) 2 ) Ebenso Binding Grundrifs 2 114, Frank § 173 I V und Z 12 303, Ophausen § 173 5. Abweichend R 23. September 89 19 391, das den Jugendlichen nicht als straflosen Teilnehmer, sondern als O b j e k t der H a n d l u n g betrachtet. *) Vgl. Binding Normen 1 232, Mtytr 296. Verschieden von diesen Fällen sind die, in welchen der Eintritt eines, schweren Erfolges Voraussetzung

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Unrecht und Verbrechen.

189

So ist (um einzelne Fälle hervorzuheben) die Strafbarkeit feindlicher Handlungen gegen befreundete Staaten bedingt durch die Verbürgung der Gegenseitigkeit (§§ 102 und 103); unterlassene Anzeige eines Verbrechens unterliegt der Strafe des § 1 3 9 nur dann, wenn das Verbrechen oder dessen strafbarer Versuch begangen worden ist; Aufreizung zum Zweikampf fällt unter § 210 nur, falls der Zweikampf stattgefunden hat; zur Strafbarkeit des Raufhandels ist erforderlich, dafs durch ihn der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht worden ist (§§ 227); die Zahlungseinstellung ist Bedingung der Strafbarkeit beim Bankbruch (§§ 239 ff. ICO.); der Ehebruch ist nur strafbar, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist (§ 172); die Strafbarkeit des Ehebetruges ist bedingt durch die Auflösung der Ehe (§ 170).«) In allen diesen Fällen ist daran festzuhalten, dafs die Bedingungen der Strafbarkeit ä u f s e r e U m s t ä n d e sind, die mit der verbrecherischen H a n d l u n g selbst und deren einzelnen Bestandteilen n i c h t s zu t h u n h a b e n vielmehr durchaus g e t r e n n t von dieser ins Auge gefafst werden müssen. Aus diesem Grundsatze ergiebt sich eine Reihe wichtiger Folgesätze. I. Da die Schuld als Vorsatz wie als Fahrlässigkeit lediglich in der Beziehung des Vorstellungslebens z u r H a n d l u n g s e l b s t (insbesondere zu dem Erfolg) besteht, umfafst sie nicht die a u f s e r h a l b der Handlung liegenden Bedingungen der Strafbarkeit. 2. Wenn und solange die vom Gesetz aufgestellte Bedingung der Strafbarkeit fehlt, liegt eine strafbare Handlung auch als versuchte nicht vor. Strafbarer Versuch ist daher nur dann anzunehmen, dann aber nach dem herabgesetzten Strafrahmen des § 44 StGB, zu bestrafen, wenn die Bedingung der Strafbarkeit vorliegt, die Handlung selbst aber nicht bis zur Vollendung gediehen oder fehlgeschlagen ist (vgl. unten § 46 V 3). 3. Wenn und solange die Bedingung der Strafbarkeit fehlt, i s t a u c h die E n t s t e h u n g des s t a a t l i c h e n S t r a f a n s p r u c h e s unmöglich, ist die Handlung eben k e i n e s t r a f b a r e im Sinne des Gesetzes. a) Daher kann auch vor Eintritt der Bedingung (z. B. der rechtskräftigen Scheidung der E h e im Falle des § 172 StGB.) weder die Verfolgung eingeleitet, noch auch nur der Antrag auf deren Einleitung mit rechtlicher Wirkung gestellt werden. Die Antragsfrist beginnt vielmehr beim Ehebruch erst mit der Kenntnis des Verletzten von der Rechtskraft des Scheidungsurteils. 5 ) für die Verhängung einer strengeren Strafe ist. Vgl. oben § 36 Note 6. Hier ist die Handlung strafbar, auch wenn der schwerere Erfolg nicht eintritt. Die unter III im Texte aufgestellten Sätze finden daher hier nur sinngemäfse Anwendung. 4 ) Die letzten drei Beispiele sind bestritten. Binding 1 591 rechnet überhaupt nur 3 Fälle hierher: StGB. § 4 Ziff. 3, § 4 letzter Absatz, §§ 102 und 103. Bestritten sind auch die §§ 1 1 3 und 186. Vgl. überhaupt den Bes. Teil. — Vgl. auch § 84 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. ' ) Ebenso auch, trotz der Annahme einer Prozefsvoraussetzung, die gemeine Meinung. So R 3. Januar 80 1 44, 23. März 80 2 63; Binding 1 643, Geyer 2 86, Olshausen § 172 9, Schütze 327. Dagegen u. a. Conrad GA. 35 I7>

190

§ 44-

Unrecht und Verbrechen.

b) Teilnahme an aer Handlung und deren Begünstigung bleiben straflos, wenn die Bedingung der Strafbarkeit nicht eintritt. c) Falsche Anschuldigung liegt nicht vor, wenn nach Inhalt der Anzeige die nach dem Gesetze erforderliche Bedingung der Strafbarkeit fehlt. d) Polizeiliche Mafsregeln, wie Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung von Gegenständen, sind unter der gleichen Voraussetzung unzulässig. Wenn aber die Bedingung eintritt, dann wird ihre Wirkung zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Begehung der Handlung; der Anspruch gilt als entstanden in dem Augenblicke der begangenen Handlung. Daher ist die Vornahme v o r b e r e i t e n d e r gerichtlicher oder polizeilicher Schritte auch vor Eintritt der Bedingung rechtlich durchaus möglich. 4. Soweit lediglich die B e g e h u n g d e r v e r b r e c h e r i s c h e n H a n d l u n g s e l b s t in Frage steht, bleiben die Bedingungen der Strafbarkeit aufser Betracht, da sie ja nicht als zu dieser gehörig betrachtet werden sollen. a) Die V o l l e n d u n g ist unabhängig von dem Eintritt der Bedingung. b) Für die Beurteilung des Z e i t p u n k t e s der Begehung sowie des T h a t o r t e s ist Zeit und Ort des Eintritts der Bedingung gleichgültig. c) Die V e r j ä h r u n g des Verbrechens beginnt ihren Lauf ohne Rücksicht auf den Eintritt der Bedingung.*) d) B e g ü n s t i g u n g und nicht Teilnahme liegt vor, wenn dem Thäter vor Eintritt der Bedingung, aber nach Begehung der Handlung, Beistand geleistet wurde. 5. Das Vorliegen der erforderlichen Bedingung für die Entstehung des Strafanspruchs gehört zur S c h u l d f r a g e . Zur urteilsmäfsigen Feststellung ist mithin nach § 262 StPO. Zweidrittelmehrheit erforderlich. 7 )

IV. Von den Bedingungen der Strafbarkeit sind nach Begriff und Wirkung streng zu scheiden die sogenannten Prozefsvoraussetzungen (Strafklagevoraussetzungen nach Binding), d. h. die Voraussetzungen für die rechtliche Wirksamkeit der prozessualischen Handlungen überhaupt, insbesondere aber für die Geltendmachung des Anspruches. Dieser Begriff gehört ausschliefslich dem Strafprozefsrechte an. Er umfafst aufser der Zuständigkeit des Gerichtes usw.: die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten nach der That (Prozefsfähigkeit); den Vorentscheid der Behörden oder Gerichte bei Verfolgung von Beamten (EG. zum GVG. § n ) ; die Voraussetzungen, unter welchen gegen Mitglieder einer gesetzgebenden Dochtrw HH. 4 274, Fischer GS. 31 56, 32 496, Hälschner 1 71g, 2 469, 473, Heime HH. 2 629, Mainzer Die Ehe im deutschen Reichsstrafrecht 1894 S. 9, Meyer 299, 308. Vgl. unten Besonderen Teil über Ehebetrug und Ehebruch. 6 ) Vgl. darüber unten § 77 Note 2. ') Dagegen Finger KVS. 38 438.

§ 45Versammlung

während

® e r Antrag des Verletzten. der

Dauer

einer Sitzungsperiode kann8)

Strafverfolgung

eingeleitet

EG.

§ 6 Ziff. 1 ) u. a. F e r n e r

zur S t P O .

werden

I9I

(RVerf.

sind h i e r h e r 9 )

die sogenannten E r m ä c h t i g u n g s v e r g e h e n 101, 197)

zu

rechnen.

Die

wichtigste

eine

Art.

31; auch

( S t G B . §§ 99,

Folgerung

aus

dieser

Unterscheidung besteht auf dem Gebiete des Strafprozefsrechts darin,

dafs bei M a n g e l einer B e d i n g u n g

weisung

des

Anspruches

der

(Freisprechung

Strafbarkeit mit

Ab-

anspruch-

vernichtender W i r k u n g ) , bei M a n g e l einer Prozefsvoraussetzung d a g e g e n A b w e i s u n g der K l a g e (Einstellung ohne V e r n i c h t u n g des A n s p r u c h e s ) einzutreten hat.

§ 45.

D e r A n t r a g des Verletzten.

I j i t t e r a t u r . Fuchs Anklage und Antragsdelikte 1S73. Reber Antragsdelikte 1873. Nessel Antragsberechtigungen 1873. v. Liszt GS. 29 187. v. Kirchenheim Die rechtliche Natur der Antragsdelikte 1877. Samuely GS. 3 2 I. Lehmann Zur Lehre vom Strafantrage 1881. — Über die Stellvertretung beim Strafantrage Bolze GS. 32 433. Herzog GS. 3 3 389. Holzapfel GA. 3 0 428. Barnau Die Stellvertretung im Strafrecht und Strafprozefs. Diss. 1890. Cohn Die Stellvertretung beim Strafantrag. Breslauer Diss. 1893. I. Während die PGO. nur in vier Fällen: Ehebruch, Entführung, Notzucht und Familiendiebstahl, die Verfolgung von Amts wegen ausschlofs und das gemeine Recht nur noch Beleidigung und Kindesunterschiebung hinzufügte, hat die neuere Gesetzgebung in einer rasch anschwellenden Zahl von Fällen die Strafverfolgung von dem Antrag des Verletzten abhängig gemacht. Auf die Reichsgesetzgebung übte auch hier das sächsische StGB, von 1868 einen bestimmenden Einflufs. Eine wesentliche, wenn auch noch nicht genügende, Einengung der Antragsberechtigung trat durch die Novelle vom 26. Februar 1876 ein 1 ) (oben § I I IV). Die Antragsfälle des RStGB. sind: §§ 102, 103, 104 (Strafbare Handlungen gegen befreundete Staaten), 123 (Hausfriedensbruch), 170, 172, 179, 182 8

) Übereinstimmend v. Kries Z 5 9; dagegen Weismann Z 9 414. ) Ebenso Bennecke 14, Birkmeyer Teilnahme 157> Hausmann 34 (mit Litt.); dagegen Binding 1 614, Meyer 298, Olshausen § 99 3, v. Risch GS. 3 6 252 Note 10. — Die Ermächtigung kann, im Unterschiede vom Antrage, niemals zurückgenommen werden. Im übrigen ist die Unterscheidung ohne Bedeutung. — Der „Antrag" der auswärtigen Regierung (StGB. §§ 102, 103) ist nicht Antrag im technischen Sinn, wohl aber Prozefsvoraussetzung. Zu weit geht Binding 1 604, welcher die gänzliche Beseitigung des Antragserfordernisses verlangt. Gegen ihn mit Recht Merkel 240, Meyer 353. Der Fehler des Gesetzgebers liegt darin, dafs er die beiden Arten der Antragsvergehen nicht unterscheidet. Diesen Fehler hat aber auch Binding nicht •ermieden. 9

192

§ 45-

Der Antrag des Verletzten.

(Eheerschleichung, Ehebruch, Erschleichung des Beischlafs, Verführung eines jungen Mädchens), 189, 194—196, 232 (Beleidigung und Körperverletzung), 2 36, 237 (Entführung), 247, 263 (Diebstahl, Unterschlagung, Betrug gegen Angehörige), 288, 289, 292, 299, 300—303 (Fälle „strafbaren Eigennutzes" und Sachbeschädigung), 370 Ziff. 5 und 6 (Genufsmittel- und Futterdiebstahl)' Dazu kommen noch zahlreiche Fälle in den Nebengesetzen. — Dagegen ist nach § 51 (127) Mil.StGB. die Verfolgung eines militärischen Verbrechens oder Vergehens unabhängig von dem Antrage des Verletzten oder einer andern zum Antrage berechtigten Person. II. Bei genauerer Betrachtung müfsten die Antragsvergehen in zwei nach Inhalt und Behandlung wesentlich verschiedene Gruppen zerlegt werden. 2 ) 1. Gewisse Rechtsgüterverletzungen erscheinen nur dann als solche, sind nur dann für die öffentliche Rechtsordnung von Bedeutung, wenn der Verletzte sie als Verletzung empfindet und, dafs er dies thut, in vorgeschriebener bestimmter Form (durch den „Antrag" auf Verfolgung) erklärt. Die unzüchtige Berührung eines Mädchens kann von der Berührten als Liebkosung oder als tiefste Entehrung empfunden werden. Hier ist die Stellung des Antrages B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t ; die Befristung des Antrages hat guten Grund; die Rücknahme müfste (etwa bis zu Beginn der Hauptverhandlung) gestattet, die Teilbarkeit ausgeschlossen sein; Fehlen des Antrages müfste Freisprechung mit endgültiger Erledigung der Strafsache zur Folge haben; die Berechtigungen mehrerer Verletzten wären voneinander unabhängig; bei Idealkonkurrenz mit einem von Amts wegen zu verfolgenden Verbrechen könnte dieses auch trotz mangelnden Antrages verfolgt werden usw. 2. Bei der zweiten Gruppe der Antragsfälle liegt die Sache durchaus anders. Man denke an die Notzucht, die bis zur Novelle von 1876 Antragsverbrechen war, oder an die Verführung eines bisher unbescholtenen, noch nicht sechzehnjährigen Mädchens (StGB. § 182). Hier ist das Interesse des Staates an der Verfolgung vom Anfange an gegeben; aber ihm steht das Interesse des Verletzten an der Nichtverfolgung (da die Untersuchung und Verhandlung der Sache, der „strepitus fori", für ihn nur eine neue und vielleicht die erste an Schwere übertreffende Verletzung wäre) schroff gegenüber. Und der Staat verzichtet dem Verletzten zuliebe auf die Geltendmachung seines Strafanspruches, solange der Verletzte nicht durch die Stellung des „Antragest erklärt, dafs das bei ihm vom Staate vorausgesetzte Interesse im Einzelfalle nicht vorliege. Hier ist der Antrag nicht Bedingung der Strafbarkeit der That, sondern Voraussetzung der Geltendmachung des staatlichen Strafanspruches, mithin P r o z e f s v o r a u s s e t z u n g ; sein Mangel nicht Strafausschliefsungsgrund, sondern Hindernis der Strafverfolgung in dem eben (§ 44 IV) besprochenen Sinne; und die ganze Lehre von diesen Antragsvergehen würde 2 ) Im wesentlichen übereinstimmend Berner, Dochow H H . 4 239, Frank § 61 II, Geyer Z 4 241 und bei Grünhut 2 378, Holzapfel 321, 433, Janka 33, Meyer 300, Merkel 239, Raihenau (Litt, zu § 55) 104, Stoofs Grundzüge t 278, Schmidt Staatsanwalt und Privatkläger 1891 S. 42 Note I (mit Litt.).

§ 45-

Der Antrag des Verletzten.

193

gar nicht ins Strafrecht, sondern in das Strafprozefsrecht gehören. Die verschiedene grundsätzliche Auffassung würde dann auch bezüglich der oben unter I besprochenen Folgerungen in weitaus den meisten Punkten zu ganz anderen Ergebnissen führen.

III. Nach geltendem Reichsrecht mufs die Stellung des Antrages in allen Fällen als eine Bedingung der Strafverfolgung, nicht aber der Bestrafung, mithin als Prozefsvoraussetzung aufgefafst werden. 3 ) Mangel des Antrages hat Einstellung des Verfahrens, nicht Freisprechung des Angeklagten zur Folge. Die Lehre v o m Antrage gehört mithin streng genommen ausschliefslich dem Prozefsrecht an. Das R S t G B . regelt das Antragserfordernis in folgender Weise: 1. Berechtigt zur Antragstellung ist: a) In E r m a n g e l u n g b e s o n d e r e r g e s e t z l i c h e r A n o r d nung 4 ) d e r d u r c h d a s V e r b r e c h e n V e r l e t z t e , genauer gesprochen: der T r ä g e r des durch die strafbare Handlung unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes, so der Eigentümer bei der Sachbeschädigung, der Inhaber der befriedeten Räume beim Hausfriedensbruch usw. D o c h mufs der Verletzte, um antragsberechtigt zu sein, das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben (StGB. § 65 A b s . 1). b) Der gesetzliche Vertreter (bez. Vormund) statt des Verletzten, wenn dieser geschäftsunfähig oder noch nicht achtzehn Jahre alt ist, oder aber wenn eine Körperschaft verletzt wurde (StGB. § 65 Abs. 2, StPO. § 414). 5 ) 3 ) Übereinstimmend das Reichsgericht; ferner Dinding I 610, Frank § 61 II, v. Kries 10, Lehmann 16, Nessel 9, Samuely 19. —• Als Bedingung der Strafbarkeit, mithin dem materiellen Recht angehörig, fassen den Antrag auf: Geyer 1 205, v, Kirchenheim 65, Kohler Patentrecht 1878 S. 510, Reber 57. — Eine mittlere, sehr wenig klare Ansicht vertreten Dochow HH. 4 242, Fuchs 33, Hälschner 1 711, Kitzinger GS. 55 72, Loning 69, Meyer 293, Olshausen § 61 I, v. Risch GS. 36 251, Schütze 168 Note 6. *) StGB. §§ 102, 103, 104, 170, 182, 189, 196, 288 usw.; § 28 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870; § 12 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 27. Mai 1896. B) Vgl. Art. 34 III EG. zum BGB., durch welchen die bisherige Fassung des § 65 abgeändert worden ist. — Nach § 104 BGB. ist geschäftsunfähig: (1. wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat;) 2. wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschliefsenden Zustande krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorvon Liszt, Strafrecht. 9. Aufl. 13

194

§ 45-

Der Antrag des Verletzten.

c) Neben dem Verletzten der gesetzliché Vertreter, wenn ersterer über achtzehn Jahre alt, aber noch minderjährig ist (StGB. § 65 Abs. 2), der Gatte und Vater nach § 1 9 5 (232), der amtliche Vorgesetzte nach § 196 (232).®) Ist der gesetzliche Vertreter selbst der nehmer, mangelt ihm die Geschäftsfähigkeit es in pflichtwidriger Weise, den Strafantrag die Bestellung eines besondern Vertreters, Antragsstellung, zu erfolgen.')

Thäter oder Teiloder unterläfst er zu stellen, so hat zum Zwecke der

Mehrere Antragsberechtigungen, mögen diese mehreren Verletzten (so, wenn e i n Wort mehrere Personen beleidigt hat) oder aber dem Verletzten und den Nebenberechtigten zukommen, sind voneinander unabhängig. Wenn daher von den mehreren zum Antrage Berechtigten einer die dreimonatliche Frist versäumt oder den Antrag zurücknimmt, so wird hierdurch das Recht der übrigen nicht ausgeschlossen (StGB. § 62). Ebenso sind auch mehrere wegen derselben strafbaren Handlung zur Erhebung der Privatklage berechtigte Personen bei Ausübung dieses Rechts voneinander unabhängig (StPO. § 415). Die Stellung des Antrages, d. h. die E r k l ä r u n g , die Verfolgung zu beantragen, kann auch im Auftrage des Berechtigten durch einen im Einzelfalle dazu bevollmächtigten S t e l l v e r t r e t e r erfolgen. Verschieden von der Vertretung in der E r k l ä r u n g ist die Vertretung im W i l l e n , d. h. in der Entschliefsung über die Stellung des Antrages. A u c h diese ist zulässig, soweit die Wahrnehmung der durch das Antragsverübergehender ist; 3. wer wegen Geisteskrankheit entmündigt ist." — Der unter Pflegschaft stehende Taubstumme hat daher künftighin das Antragsrecht selbständig und allein auszuüben. ®) Zu beachten ist (besonders in prozessualer Beziehung), dafs auch bei mehrfacher Antragsberechtigung wegen derselben Rechtsverletzung es sich immer nur um e i n e strafbare Handlung, mithin auch nur um e i n e n Strafanspruch handelt, als dessen Träger ausnahmslos der Staat erscheint. Nach BGB. § 1909 wird ein Pfleger bestellt. Die Antragsfrist des § 6 1 beginnt dann mit dem T a g e , an welchem dieser in seiner amtlichen Stellung von der Handlung und der Person des Thäters Kenntnis erhält. Übereinstimmend Binding 1 630. Dagegen Olshaustn § 6 5 20. — Ebenso dann, wenn der von einem dritten Verletzte geisteskrank, aber noch nicht entmündigt ist. Übereinstimmend R 3. Oktober 1895 27 366.

§ 45-

Der Antrag des Verletzten.

195

gehen verletzten Interessen (insbesondere die Vermögensverwaltung) einem dritten übertragen worden ist. 8) 2. Das Antragsrecht ist befristet. Es erlischt (StGB. § 61), wenn der zum Antrage Berechtigte den Antrag nicht binnen drei Monaten stellt. Die Rügefrist läuft unabhängig von etwaiger thatsächlicher Verhinderung des Berechtigten an der Antragsstellung; 9 ) ihr Lauf beginnt mit dem Tage, an welchem der zum Antrage Berechtigte von der Handlung und von der Person des Thäters, bez. der Person auch nur e i n e s an der That beteiligten Thäters, 10 ) Kenntnis gehabt hat. Ebenso nach § 35 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870. Die Frist ist demnach, wenn die Kenntnis z. B. am 12. Februar erlangt worden, mit Beginn des 12. Mai abgelaufen. Ist die Strafbarkeit der That von einer zu der Handlung hinzutretenden Bedingung abhängig, so beginnt die Antragsfrist erst mit dem Eintritte der Bedingung zu laufen (oben § 44 Note s).") 3. Der Antrag ist unteilbar. Die Verfolgung findet nach StGB. § 63 gegen sämtliche an der Handlung Beteiligte (Thäter, Teilnehmer) sowie gegen den Begünstiger (StGB. § 257) statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen auf Bestrafung angetragen wurde; und die Rücknahme des Antrags gegen den einen hat Einstellung des Verfahrens überhaupt zur 8 ) Ebenso R, zuletzt 8. Dezember 90 21 231, mit der gemeinen Meinung. Vgl. Olshausen § 61 17. Dagegen Binding 1 652, Cohn, Herzog 408, Holzapfel 431, Meyer 312. Frank § 61 IV will die „relativen" Antragsdelikte ausnehmen. — Die Befugnis ist dem Vertreter des im Auslande wohnenden Berechtigten ausdrücklich eingeräumt in § 12 des Patentgesetzes vom 7. April 1891 und § 23 des Warenbezeichnungsgesetzes vom 25. Mai 1894. •) Ebenso die gem. Meinung. Dagegen Olshausen § 61 50. 10 ) Ver. Sen. 2. Januar 84 9 390; Borchert Verantwortlichkeit 13, Frank § 61 VIII, Geyer 1 210, Olshausen § 6 3 2. Dagegen Binding 1 640, Meyer 307, Pfizer GS. 50 440. " ) Eine wesentliche Veränderung erleidet diese Frist in dem Falle wechselseitiger Beleidigungen und Körperverletzungen (StGB. §§ 198, 232; StPO. § 426) indem hier der Beklagte einerseits bei Verlust seines Rechts verpflichtet ist, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlufsvorträge in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt bleibt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist. Eine besondere Bestimmung der Frist findet sich in § 84 der Seemanns•ordnung vom 28. Dezember 1872 (bis zur Abmusterung). Neben der Rügefrist läuft die Verjährung des Verbrechens durchaus selbständig.

13*

196

§45-

Der Antrag des Verletzten.

Folge (StGB. § 64 Abs. 2). Daher ist die Beschränkung des Antrages auf einzelne der beteiligten Personen ausgeschlossen; und wenn diese dennoch vorkommt, so mufs, je nach der mutmafslichen Willensrichtung des Antragsberechtigten, der Antrag entweder als rechtsunwirksam oder als gegen alle, auch gegen die nicht genannten Beteiligten, gerichtet betrachtet werden. Eine scheinbare Ausnahme von der Unteilbarkeit des Antrages findet sich bei den sog. r e l a t i v e n (subjektiven) A n ^ t r a g s v e r g e h e n , deren Verfolgung nur, wenn und soweit der Thäter zur Zeit der That in einem gewissen persönlichen Verhältnisse zum Verletzten stand, durch die Stellung des Strafantrages bedingt ist. 12 ) In diesen Fällen hat Stellung wie Zurücknahme des Antrages eben nur denjenigen Beteiligten gegenüber rechtliche Bedeutung, denen gegenüber die Handlung zum Antragsvergehen gemacht ist; innerhalb des Kreises dieser Personen greift wieder die allgemeine Regel von der Unteilbarkeit des Antrages ein. 4. Die Zurücknahme des Antrages ist seit dem Gesetz vom 26. Februar 1876 nur mehr in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig (StGB. § 64).^) 5. Der Antrag mufs die A b s i c h t , d i e V e r f o l g u n g h e r b e i z u f ü h r e n , bestimmt zum Ausdrucke bringen (StPO. § 156). Daher ist bedingte Antragsstellung, falls es sich um eine echte Bedingung, nicht nur um einen einschränkenden " ) StGB. §§ 247, 263, 289, 292; Depotgesetz vom 5. Juli 1896 § 9. 1S ) Diese besonders vorgesehenen Fälle sind: StGB. §§ 102—104, 194, 247, 263, 292, 3 7 0 ; §§ 232 und 303, wenn gegen einen Angehörigen verübt; Nachdrucksgesetz vom II. Juni 1870 § 2 7 ; Urhebergesetze vom 9., 10. und II. Januar 1 8 7 6 ; Patentgesetz vom J. April 1 8 9 1 ; Gebrauchsmustergesetz vom I. Juni 1 8 9 1 ; Warenbezeichnungsgesetz vom 12. Mai 1894 § § 1 4 , 1 5 ; Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 27. Mai 1896 § 1 4 ; Depotgesetz vom 5. Juli 1896 § 9. — Der Minderjährige kann den von seinem Vormunde gestellten Antrag nach erreichter Volljährigkeit zurücknehmen; R 19. November 91 22 256. — Nach StPO. § 4 3 1 ist die Zurücknahme der P r i v a t k l a g e bis zur Verkündung des Urteils zweiter Instanz gestattet. Sie . ist nicht notwendig Zurüpknahme des Antrages; amtliche Verfolgung bleibt daher möglich.

§ 45-

Der Antrag des Verletzten.

197

Vorbehalt handelt, ausgeschlossen. Verzicht auf den Antrag ist rechtlich ohne Bedeutung; Widerruf der Rücknahme des gestellten Antrages unzulässig. 6. Das Antragsrecht ist h ö c h s t p e r s ö n l i c h e r N a t u r und geht daher auf den Rechtsnachfolger des Verletzten nicht über. 14 ) u ) Abweichend Frank § 61 IV, soweit der Erbe in das verletzte Rechtsobjekt s u c c e d i e r t . Aber dann ist er s e l b s t verletzt und d e s h a l b antragsberechtigt.

II. Abschnitt.

Die Erscheinungsformen des Verbrechens. I. Vollendung und Versuch des Verbrechens. § 46.

Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

X i i t t e r a t u r . Zachariä Die Lehre vom Versuch 2 Bde. 1836/39. v. Bar Zur Lehre vom Versuch und Teilnahme 1859. L. Cohn Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen 1 1880 (dazu v. Liszt Z I 93). Cohn Die Grundsätze über den Thatbestand der Verbrechen und der heutige Gattungsbegriff des Versuchs 1889. Baumgarten Die Lehre vom Versuch des Verbrechens 1888. Herzog Rücktritt vom Versuch und thätige Reue 1889. Kohler Studien 1 20, 3 320. v. Buri Beiträge 178, 187. James Goldschmid Die Lehre vom unbeendeten und beendeten Versuch 1897 (Bennecke Heft 7). Schneider Zur Lehre vom Versuch. Mit einer Betrachtung unsrer Rechtszustände. 1896. — Ötker Z 17 53. Klee Wille und Erfolg in der Versuchslehre 1898 (Bennecke Heft 14). Bauke Rechtswissenschaftliche Untersuchungen 1897. — Zu III: Rosenilati GA. 36 67. Meyer Der Anfang der Ausführung. Festgabe für Berner 1892. Göbel Unternehmen und Verleiten im deutschen Reichsstrafrecht, insbesondere in der Materie des Meineids. 1891. A. Cohen Die Vorbereitung von strafbaren Handlungen nach den Strafgesetzen des Deutschen Reichs. Erlanger Diss. 1894. — Die Geschichte der Versuchslehre behandeln insbesondere: Pernice Labeo 2 105. Schreuer (Litt, zu § 54) 81. Seeger Versuch des Verbrechens nach römischem Recht 1879. Derselbe Ausbildung der Lehre vom Versuch in der Wissenschaft des Mittelalters 1869. Hinschius Kirchenrecht 5 930.

I. Das Verbrechen ist vollendet, wenn die auf die Herbeiführung oder die Nichthinderung des Erfolgs gerichtete Willensbethätigung diesen herbeigeführt hat. Die Vollendung setzt mithin voraus, dafs sämtliche Verbrechensmerkmale verwirklicht sind, dafs insbesondere

§ 46.

D e r Begriff des Versuches im allgemeinen.

I99

der durch das Gesetz zum Begriffe dieses Verbrechens geforderte Erfolg eingetreten ist. Der Zeitpunkt der Vollendung wird demnach für jedes V e r brechen nur durch das geltende Recht bestimmt, welches nicht immer den Eintritt des eigentlichen Deliktübels (der „sachlichen Verletzung" bez. Gefahrdung des angegriffenen Rechtsgutes} für mafsgebend erachtet und vielfach Klarheit wie Folgerichtigkeit vermissen läfst. S o ist der Augenblick der Vollendung ein andrer beim Diebstahl (StGB. § 242), als bei der Unterschlagung (StGB. § 246), ein andrer bei der Münzfälschung StGB. § 146) als bei der Urkundenfälschung (StGB. § 267). Bei Bestimmung des Zeitpunktes der Vollendung bleiben die Bedingungen der Strafbarkeit aufser Betracht (oben § 44 S. 190). Das Verbrechen ist versucht, wenn die auf den Erfolg gerichtete Willensbethätigung erfolgt (oder die auf seine Hinderung gerichtete unterlassen) ist, ohne dafs der Erfolg eintritt. Der Versuch setzt mithin die teilweise Verwirklichung der Verbrechensmerkmale voraus. Die Richtung auf den Erfolg ist objektiv in der Möglichkeit seines Eintrittes, subjektiv in der Vorstellung des Thäters gegeben, 1 ) dafs der Erfolg eintreten werde. In dieser Beziehung des Geschehenen auf einen nicht eingetretenen Erfolg besteht das Wesen des Versuches im Sinne unserer heutigen Auffassung. D e r Grund für die Strafbarkeit des Versuchs liegt demnach in der G e f ä h r l i c h k e i t einerseits des T h ä t e r s , der trotz V o r aussicht des Erfolges handelte, anderseits der T h a t , welche die Möglichkeit des Erfolgseintritts erzeugt hat. 2 ) *) Die Vorstellung des Erfolges braucht auch hier nicht treibendes Motiv zu sein. Zum Versuche ist V o r s a t z genügend, A b s i c h t , trotz des Wortlauts des § 43, nicht erforderlich, soweit sie nicht auch zur Vollendung notwendig ist. Unklar R 18. Oktober 82 7 119. Jedenfalls ist aber auch hier unbestimmter (eventueller) Vorsatz genügend; so auch R 15-/22. Dezember 84 12 64, 29. März 89 19 90. V g l . unten V 2. 2 ) Ähnlich Merkel 132, Kohler 1 20 (aber mit Betonung der allgemeinen Gefahr). Ähnlich auch die Auffassung des Versuchs als Friedensgefährdung in den Quellen des deutschen Mittelalters. — Die grundsätzliche Auffassung wird wichtig für die Beurteilung des untauglichen Versuchs. Vgl. unten § 47. Abweichend: 1. Die Auffassung Geyers, Hälschners u. a., nach welcher der Versuch als „teilweise Verwirklichung" der verbrecherischen Absicht erscheint. 2. Die insbes. durch v. Buri neu begründete, rein subjektive Auffassung des Versuchs, die ihren letzten Grund in der Leugnung des objektiven Gefahr-

200

§ 4*>. Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

II. Der Versuchsbegriff verdankt seine Entstellung der m i t t e l a l t e r l i c h e n R e c h t s w i s s e n s c h a f t Italiens. Das r ö m i s c h e R e c h t ist zu feststehenden allgemeinen Grundsätzen nicht gelangt. Während bei den Privatdelikten wirkliche Herbeiführung einer Rechtsverletzung auch noch im Justinianeischen Rechte gefordert wird, sind schon in den Leges Corneliae e i n z e l n e Versuchs- und Vorbereitungshandlungen mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht. Unter dem Einflüsse der schöngeistigen und philosophierenden Rhetorik wird, insbesondere seit Hadrian, die subjektive Seite des Verbrechens, die voluntas, im Gegensatze zum exitus, mehr und mehr in den Vordergrund gestellt, wohl auch dem flagitium imperfectum überhaupt mildere Strafe angedroht (1. i § 2 D. 47, Ii). Aber einen allgemeinen Begriff des Versuches hat das römische Recht nicht gewonnen. Ebensowenig das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Vielfach werden zwar schon in den Volksrechten Angriffe auf Leib und Leben, auch wenn sie ohne Erfolg geblieben, so Messerzücken, Wegesperre, Anlaufen, Wassertauche usw., unter Strafe gestellt,3) aber, wie wir aus dem angedrohten Bufssatze mit Sicherheit entnehmen können, nicht als Versuchshandlungen, sondern als selbständige Verbrechen, etwa als Lebensgefährdung (seolandefa in der Salica), insbesondere aber unter dem Gesichtspunkte der F r i e d e n s g e f ä h r d u n g (wie noch im heutigen Schweizer Recht, z. B. im Aargauischen Entwurf von 1892). Auch die Stadt- und Landrechte weisen keinen Fortschritt auf, wenn auch die Rechtsprechung sich nicht scheute, etwa den mit falschen Schlüsseln betretenen Übelthäter ohne weiteres zu hängen. Dagegen arbeiten die i t a l i e n i s c h e n Schriftsteller mit Eifer und Erfolg an der Verallgemeinerung des Begriffes. Sie bestimmen den Versuch als ein ,,cogitare, agere, sed non perficere" und verlangen, deutscher Rechtsanschauung gemäfs, im Gegensatze zu den Römern mildere Bestrafung des Versuchs. Ihnen folgen Klagspiegel und Bambergensis. Die PGO. gibt im Art. 178 eine durchaus gelungene und ganz allgemeine Begriffsbestimmung: „Item so sich jemand einer Missethat mit etlichen scheinlichen Werken, die zur Vollbringung der Missethat dienstlich sein mögen, untersteht, und doch an Vollbringung derselben Missethat durch andere Mittel wider seinen Willen verhindert würde, solcher böse Will, daraus etlich Werk, als obsteht, folgen, ist peinlich zu strafen. Aber in einem Fall härter denn in dem andern . ." Die Anordnungen der Carolina bilden die Grundlage des gemeinen Rechts und der auf diesem beruhenden Landesstrafgesetzbücher. Dabei bemühte man sich, die verschieden schwer zu bestrafenden Fälle genauer zu bestimmen, und unterschied zumeist conatus remotus (Vorbereitungshandlungen), propinquus (Ausführungshandlungen) und proximus (den beendeten Versuch in der Gestalt des fehlgeschlagenen Verbrechens). Letzterer liegt vor, wenn der Thäter ge-

begriffs hat (oben § 28 Note 6). 3. Die von Kossi, Lammasch, Herzog vertretene Ansicht, welche den Grund für die Strafbarkeit des Versuchs in der V e r m u t u n g findet, dafs der Thäter die begonnene That fortsetzen und vollenden werde (Präsumtion der Perfektionskraft), also einseitig die Gefährlichkeit des Thäters betont. 3) Brunner 2 558, Knapp 27.

§ 46.

Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

2OI

thäri hat, quantum in ipso fuit et ad consummandum delictum necessarium putavit (so schon Menochius, später Carpzov und JSF, Böhmer). An der milderen Bestrafung des Versuches wird im allgemeinen festgehalten. Auch die ausnahmsweise Gleichstellung des beendeten Versuchs mit der Vollendung, welche von Böhmer, Leyser u. a. für die schwersten Verbrechen gefordert und z. B. von Bayern 1751 und Österreich 1768 ausgesprochen wird, findet bei Koch u. a. Widerspruch und wird z. B. von Preufsen 1721 abgelehnt. Für die deutschen Gesetzbücher des 19. Jahrhunderts werden die aus dem Gesetz vom 22. Prairial Jahr I V herübergenommenen, auf das Josephinische StGB, von 1787 zurückführenden, 4 ) Bestimmungen des Code pénal vorbildlich; der Versuch wird meist als „commencement d'exécution" bestimmt, die Gleichstellung von Versuch und Vollendung („Toute tentative est le crime même"), z. B. von Preufsen 1851 und Bayern 1861, aufgenommen. Die Scheindefinition des C o d e p é n a l geht aus dem p r e u f s i s c h e n auch in das R e i c h s s t r a f g e s e t z b u c h über und verdrängt die alte deutschrechtliche Fassung.

III. Das Wesen des Versuches besteht nach dem unter I Gesagten in der sowohl objektiven als auch subjektiven Beziehung des Geschehenen auf einen nicht eingetretenen Erfolg. Diese Beziehung mufs deutlich erkennbar gegeben sein, damit von Versuch gesprochen werden kann. Je entfernter aber das Geschehene von der Vollendung geblieben, auf einer je früheren Stufe die Handlung unterbrochen wurde: desto schwieriger, desto unsicherer ist der Nachweis jener Beziehung. Daraus ergiebt sich die Notwendigkeit, die e n t f e r n t e r e n V e r s u c h s h a n d l u n g e n s t r a f l o s z u l a s s e n . Denn bei ihnen ist die Richtung auf einen bestimmten Erfolg nur schwer, wenn überhaupt, nachzuweisen. S o gelangen wir zu einer Unterscheidung innerhalb der Versuchshandlungen und wir können die entfernteren Versuchshandlungen als straflose Vorbereitungshandl u n g e n den näheren, strafbaren V e r s u c h s h a n d l u n g e n im engeren Sinne gegenüberstellen. Statt nun, wie es am zweckmäfsigsten wäre, die Zuteilung einer in Frage stehenden gegebenen Handlung in die eine oder andre Gruppe dem Ermessen der Rechtsprechung im Einzelfalle zu überlassen, hat die Reichsgesetzgebung im Anschlüsse an das französische Recht es unternommen, die Grenzlinie ein für allemal zu ziehen. Nach StGB. § 43 wird die Grenzlinie zwischen Vorbereitung und Versuch im engern 4)

Vgl- F.isenmann 523 (und oben S. 32).

202

§ 46.

Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

Sinne (strafbarem Versuch) durch den Anfang der Ausführung, das „commencement d'exécution" des französischen Rechts, gebildet. Damit wird die „Ausführungshandlung" zum technischen Begriff. Sie bezeichnet diejenige Willensbethätigung, die im Einzelfall den vom Gesetzgeber im allgemeinen bedrohten Thatbestand verwirklicht; also das Erschiefsen, Erstechen, Vergiften bei der T ö t u n g , das Schwören beim Meineid, das Brechen der Schutzgewalt bei der Entführung, des Gewahrsams beim Diebstahl. Es gehört hierher aber auch bereits die Anwendung der vom Gesetz in den Thatbestand aufgenommenen Mittel; also der Gewalt beim Raub, der Täuschung beim Betrug usw. 5 ) Von der grundsätzlichen Straflosigkeit der Vorbereitungshandlungen hat die Gesetzgebung einzelne Ausnahmen gemacht. Es gehören hierher alle diejenigen Fälle, in welchen entweder e i n e V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g unter besondere Strafe gestellt oder schon das U n t e r n e h m e n einer strafbaren Handlung mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht wird (unten S. 206). Denn „Unternehmen" ist ein w e i t e r e r B e g r i f f als das in § 43 StGB, eng begrenzte „Versuchen". Es umfafst auch solche Handlungen, welche als Vorbereitungshandlungen noch nicht in das Gebiet des strafbaren Versuches hineinfallen würden; u. z., soweit nicht gesetzliche Sonderbestimmungen im Wege stehen, sämtliche Vorbereitungshandlungen. 8 ) 6) Übereinstimmend im wesentlichen (wie schon früher Zachariä) Finger 1 184, Merkel 128, Olshausen § 43 14, Stoofs Grundzüge 1 214; insbes. aber das Reichsgericht, zuletzt R 20. November 86 15 56. Ähnlich auch Baumgarten, welcher direkte Beziehung zwischen der Angriffshandlung und dem Angriffsobjekt (dem „leidenden Subjekt", wie er im Anschlüsse an Carrara sagt) verlangt. Abweichend: Löning in der zu § 43 angef. Schrift S. 152; Meyer 207 (Versuch liegt vor, ,,wenn die Handlung ihrer allgemeinen Beschaffenheit nach sich als eine unumgängliche Bedingung des Erfolges darstellt" (gegen ihn v. Buri GS. 48 67, Beiträge 440); Frank § 43 I 2 (Thätigkeitsakte, welche vermöge ihrer Zusammengehörigkeit mit der Ausführungshandlung für die natürliche Auffassung als Bestandteile derselben erscheinen); Janka 129 (Beginn des Angriffs); Ötker Z 17 65 (Verwirklichung des letzten Hilfswillens); A. Cohen 24 (nach dem die „Erkennbarkeit des verbrecherischen Willens" mafsgebend sein soll). Ganz unrichtig ist es. die gesetzliche Bestimmung völlig aufser acht zu lassen und mit den Vertretern der subjektiven Theorie (insbes. Hälschner 1 336, 342) Strafbarkeit anzunehmen, sobald die A b s i c h t in der That zum unzweideutigen Ausdrucke gelangt ist. ") Die Frage ist sehr bestritten. Die herrschende Ansicht fafst das Unternehmen einfach als Versuch auf. Andre betrachten es als den engern Begriff gegenüber dem Versuch, sodafs es nur die letzten Ausführungshandlungen umfassen würde. So (allgemein) Frank § 105 I (der planmäfsig vorbereitete und mit Überlegung ausgeführte Versuch) sowie Meyer 201. Ich habe meine Auffassung eingehend begründet in meiner „Falschen Aussage" 1877 S. 175 ff.

§ 46.

Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

203

I V . I n n e r h a l b d e s einheitlichen V e r s u c h s b e g r i f f s h a b e n w i r zwei A r t e n 1. die

des

Versuchs

zu

unterscheiden.

Beendeter V e r s u c h liegt vor,

auf

den

Erfolg gerichtete

s c h l o s s e n ist, zum T h u n

oder

wäre.

welchen der Eintritt

Thun)

Willensbethätigung

abge-

(beim Unterlassen)

ihr E n d e

eingetreten

w e n n (beim

erreicht Hierher

des

hat,

gehört

Erfolges

s i c h e r ist) d a s f e h l g e s c h l a g e n e

die

ohne

dafs

(neben

noch

Rechtspflicht der

den

zweifelhaft

Verbrechen

Erfolg

Fällen, oder

in

aber

(bei S i c h e r h e i t

d e s Nichteintritts). 2.

N i c h t b e e n d e t e r V e r s u c h liegt v o r ,

den E r f o l g g e r i c h t e t e W i l l e n s b e t h ä t i g u n g geschlossen

die

auf

noch nicht

wenn

ab-

ist. 7 )

D i e b e i d e n A r t e n d e s V e r s u c h e s k ö n n e n a u c h als lose

und

als

stellt

werden.

teilweise

Ausführung

einander

erfolg-

gegenüberge-

— Gegen sie läist sich insbesondere n i c h t ins Feld führen die Begriffsbestimmung des StGB. § 82: „Als ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird, ist jede Handlung anzusehen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll." Denn I. ist die hier gegebene Begriffsbestimmung nicht ohne weiteres über das Gebiet des Hochverrats auszudehnen (R 9. November 80 3 26) ; 2. enthält § 82 in dem Worte „unmittelbar" eine positivrechtliche, dem Begriffe des Unternehmens im gewöhnlichen wie juristischen Sprachgebrauche nicht angehörende Beschränkung auf die an den Versuch angrenzenden Vorbereitungshandlungen (R 4. Juni 83 8 354) ; 3. greift trotz dieser Beschränkung auch das Unternehmen des § 82 über den Umfang des Versuchsbegriffes hinaus. Vgl. unten Besondern Teil. 7) Die Unterscheidung des Textes, entsprechend der zwischen délit manqué (frustrato) und délit tenté in den romanischen Rechten, ist wichtig für den Rücktritt vom Versuch. StGB. § 46. unten § 48. Sie lehrt ferner, dafs mit dem „Anfang der Ausführung1' nicht der Versuch überhaupt, sondern nur der unbeendete Versuch bestimmt wird, aus diesen Worten also keinerlei Schlufsfolgerungen für das fehlgeschlagene Verbrechen gezogen werden dürfen, wie dies nur zu häufig geschieht. — Über den Unterschied vgl. Berner GS. 17 ; die Gutachten zum 18. deutschen Juristentag von Berner, Lamm, Leuthold\ die Begründung der Strafgesetznovelle von 1876; Janka 139, v. Liszt Z 1 94; insbes. aber James Goldschtnid, der im wesentlichen mit dem Text übereinstimmt (beendeter Versuch ist die erfolglos beendigte Ausführungshandlung; er liegt also vor, wenn der Erfolg nur durch eine neue Thätigkeit des Thäters oder durch einen von seinem Willen unabhängigen Umstand hätte abgewendet werden können). Gegen die Unterscheidung Baumgarten 442, Pfenniger Strafrecht der Schweiz 789 u. a. — Bei mittelbarer Thäterschaft (unten § 50 Note 7) ist für unsere Frage die Willensbethätigung des Bestimmenden, nicht die des Bestimmten, mafsgebend. Dasselbe gilt analog bei Verwendung eines leblosen, aber selbstthätigen Werkzeuges (Absendung einer Höllenmaschine, Legen von Selbstschüssenl.

204

§ 46.

Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

V. An unserer begrifflichen Auffassung des Versuches und seiner beiden Unterarten haben wir festzuhalten bei Entscheidung der vielbesprochenen und lebhaft bestrittenen Frage, ob und in welchen Fällen d i e M ö g l i c h k e i t d e s V e r s u c h e s aus logischen G r ü n d e n als ausgeschlossen betrachtet werden müsse. 1. Der V e r s u c h e i n e s f a h r l ä s s i g e n V e r b r e c h e n s (die culpa attentata des gemeinen Rechts) i s t b e g r i f f l i c h m ö g l i c h , sobald man sich mit der objektiven Gefährlichkeit begnügt und von der subjektiven Richtung auf den Erfolg absieht. Aber damit ist die Unsicherheit der nachträglichen Beurteilung wesentlich erhöht. Das geltende Recht bedroht nur den Versuch eines vorsätzlichen Verbrechens. 2. B e i u n b e s t i m m t e m V o r s a t z e i s t V e r s u c h m ö g l i c h (vgl. oben Note i). Da jeder der vorgestellten Erfolge vom Vorsatze umfafst wird, mufs deren schwerster, ob eingetreten oder nicht, als für die strafrechtliche Beurteilung des Thäters mafsgebend betrachtet werden. Wer also als Erfolg seiner Handlung Verwundung o d e r Tötung seines Gegners voraussieht, ist der versuchten Tötung schuldig, wenn auch seine Handlung nur eine Verwundung des Gegners zur Folge gehabt hat oder gänzlich erfolglos verlaufen ist. 3. W e n n d i e S t r a f b a r k e i t d e r H a n d l u n g v o n e i n e r o b j e k t i v e n B e d i n g u n g a b h ä n g t , i s t V e r s u c h m ö g l i c h , f a l l s die Bedingung von Anfang an gegeben oder später eingetreten, die Handlung aber entweder unvollendet geblieben oder mifslungen ist (oben § 44 HI 2). Dieser Satz findet entsprechende Anwendung, wenn es sich um den schwereren Erfolg als Bedingung höherer Strafbarkeit handelt (oben § 36 Note 6). Wenn also der Versuch der Notzucht den Tod der Frauensperson, etwa infolge eines Herzschlages, verursacht hat, so ist der Strafrahmen des § 178 nach den Grundsätzen des § 44 (für den Thäter wie für die Teilnehmer) herabzusetzen;8) doch behält ein etwaiger Rücktritt vom Versuch (unten § 48) seine Wirkung. 4. B e i d e n (eigentlichen wie uneigentlichen) U n t e r l a s s u n g s v e r g e h e n ist im allgemeinen zwar fehlgeschlagenes Verbrechen, nicht aber nichtbeendeter Versuch möglich. — Beispiel: Der Eisenbahnwärter läfst vorsätzlich, um die Entgleisung des Personenzuges zu bewirken, ein auf den Bahnkörper gerolltes Felsstück liegen: wird das Hindernis von einem andern rechtzeitig entfernt, so liegt strafbare Unterlassung überhaupt nicht vor, da auch für den Wärter die Möglichkeit der Erfolgsverhinderung noch nicht ausgeschlossen war; fährt der Zug über das Hindernis, ohne zu entgleisen, so ist fehlgeschlagenes Verbrechen gegeben.9) 8) Olshausen hat sich im allgemeinen meiner Auffassung angeschlossen (vgl. z. B. § 178 3; dagegen § 43 5). Dagegen insbesondere Baumgarten 370, 378, Binding 1 589, Frank § 43 V (Versuch nur dann möglich, wenn die Bedingung bereits vor Vornahme der Handlung gegeben war), Meyer 203 (485 usw.). Eingehend hat die Frage erörtert Thomsen Der Versuch der durch eine Folge qualifizierten Delikte 1895, der bei Eintritt der Folge stets V o l l e n d u n g des qualifizierten Deliktes annimmt. Gegen ihn Bünger Zentralblatt für Rechtswissenschaft 14 313, Finger KVS. 38 446, Vierhaus GA. 43 167. 9 Wenn der Wärter ein Schlafmittel genommen hat, um den in drei

§ 46.

Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

205

5. Dasselbe gilt aus gleichem Grunde i n a l l e n d e n j e n i g e n F ä l l e n , in welchen die A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g a l s e i n e d u r c h a u s e i n h e i t l i c h e schon im ersten wie in jedem folgenden Zeitteilchen ihrer Verwirklichung dem gesetzlichen Thatbestande ganz entspricht. Rasches Fahren in belebten Strafsen, Rauchen an feuergefährlichen Stellen, Betreten eines fremden Grundstückes und ähnliche Delikte gestatten für ihre regelmäfsige Begehungsweise die Annahme einer begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Thätigkeit nicht. Ein andres Beispiel bieten die durch Verbreitung von Druckschriften begangenen strafbaren Handlungen. Doch ist in allen diesen, wie in den unter 4 erwähnten Fällen, zu beachten, dafs bei Anwendung eines gröfseren Apparates zur Herbeiführung des Erfolges (oben § 28 Note 5) die Möglichkeit unvollendeter Thätigkeit sich ergiebt. 6. W e n n das Gesetz ausnahmsweise V e r s u c h s - o d e r V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n , insbesondere auch das U n t e r n e h m e n einer strafbaren Handlung, mit der Strafe der Vollendung belegt oder a l s s e l b s t ä n d i g e V e r b r e c h e n unter besondere Strafe stellt (unten S. 206), so ist Versuch w e d e r als f e h l g e s c h l a g e n e s V e r b r e c h e n noch als u n b e e n d e t e r V e r s u c h m ö g l i c h . Denn die Annahme eines V e r s u c h e s d e s V e r s u c h e s oder eines Versuches der Vorbereitung würde nicht nur zu unlöslichen logischen Schwierigkeiten führen, sondern auch das durch jene Ausnahmen bereits gestörte Gleichmafs der gesetzlichen Strafbestimmungen doppelt erschüttern. 1 0 ) Dasselbe mufs aber auch von den zu selbständigen Verbrechen erhobenen Teilnahmehandlungen (unten § 52 Note 5) gelten.

VI. Das RStGB. bestraft im Anschlüsse an das französische Recht den Versuch eines Verbrechens immer, den eines Vergehens ausnahmsweise in den besonders ausgezeichneten Fällen, 11 ) den einer Übertretung niemals. Die Reichsgesetzgebung ist ferner, im Gegensatze zum französisch-preufsischen Recht zu der, kriminalpolitisch sehr bedenklichen, gemeinrechtlichen Auffassung zurückgekehrt, nach welcher der Versuch stets milder zu bestrafen ist als das vollendete Verbrechen; und es hat Stunden fälligen Zug entgleisen zu lassen, aber nach einer Stunde aufgerüttelt wird, so liegt nur straflose Vorbfereitungshandlung vor. 10 ) Ebenso Bau?ngarten 401, Berner, G'obel 20, v. Wächter 200. Dagegen Cohn 383, Meyer 202; Frank § 43 V und Olshausen § 43 28 für den Fall, dafs es sich wirklich um Schaffung „selbständiger Verbrechen" (delicta sui generis) und nicht nur um Gleichstellung in der Bestrafung handelt. n ) Es sind dies §§ 107, 120, 140, 141, 148, 150, 160, 169, 240, 242, 246, 253, 263, 289, 303—305, 339, 35°, 3 5 2 StGB.; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 12, Gesetz gegen die Rinderpest vom 21. Mai 1878 § 1, Bankgesetz vom 14. März 1875 § 57 Abs. 2, Spionagegesetz vom 3. Juli 1893 §§ 2 ,und 4, Börsengesetz vom 22. Juni 1896 §§ 76, 79. Über das Mil.StGB. vgl. Jiecker. 81. — Auf landesrechtlichem Gebiete kann auch der Versuch einer Übertretung bestraft werden (vgl. oben § 20 Note 1).

206

§ 47.

Der untaugliche Versuch.

die Durchführung dieses Grundsatzes sowohl durch dessen ausdrückliche Anerkennung, als insbesondere durch die Aufstellung eines herabgesetzten Strafrahmens für den Versuch gewährleistet (StGB. § 44; unten § 70 I). Nur ausnahmsweise wird dieser Grundsatz verlassen: 1. § 80 StGB, bestraft den hochverräterischen Mordversuch wie den Mord selbst mit dem Tode; auch § 153 Gew.Ordg. stellt Versuch und Vollendung in der Strafe einander gleich. 12 ) 2. In einer Reihe von Fällen ist das „ U n t e r n e h m e n " einer strafbaren Handlung in der Bestrafung ihrer Vollendung gleichgestellt. Vgl. StGB. §§ 8l, 82, 105, 114, 122 Abs. I, 159, 357; Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 § 9 ; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 § II, Vereinszollgesetz vom I. Juli 1869 §§ 134 und 135, Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 §§ 32 und 38 ( Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 § 17> Zuckersteuergesetz vom 31. Mai 1891 § 40; Sklavenraubgesetz vom 28. Juli 1895 § I usw. Über den Begriff des Unternehmens vgl. oben Note 6. 3. Soweit Vorbereitungshandlungen als selbständige Verbrechen bestraft werden, fallen sie nicht unter den herabgesetzten, sondern unter einen besondern Strafrahmen. StGB. §§ 83—86, 151, 201, teilweise 49a.

§ 47.

Der untaugliche Versuch.

I i i t t e r a t u r . Aufser den zu § 46 genannten Schriften: Hertz Versuch mit untauglichen Mitteln 1874. Lammasch Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches 1878. Cohn GA. 28 361. Geyer Z 1 30; v. Buri Z 1 185 (Beiträge 187); v. Liszt Z 1 93; Bünger Z 6 352. Goldfeld Über den Versuch mit untauglichen Mitteln und an untauglichen Objekten 1882. GA. 36 33 iHavenstein). Zucker GA. 36 370 und wieder Havenstein GA. 37 130, Zucker GA. 37 274. Huther GA. 36 433. Kroschel GS. 4 3 216. Kohler Studien 1 7. Vgl. auch die zu § 2 8 angeführten Schriften von J. v. Kries. I. Schon bei den römischen Juristen, von Neratius und Pomponius bis auf Ulpian und Paulus, scheint die Strafbarkeit des untauglichen Versuches, wenn auch allerdings nur in Beziehung auf einzelne strafbare Handlungen, zu den vielbesprochenen Streitfragen gehört zu haben. Die späteren von ihnen bemühen sich, strafbare und straffreie Fälle zu unterscheiden, ohne aber zur Aufstellung eines allgemeinen Grundsatzes zu gelangen (Pernice 2 114). Das gemeindeutsche Recht und die auf ihm beruhende Gesetzgebung erwähnte den untauglichen Versuch bei einzelnen Verbrechen, wie Vergiftung, Abtreibung 1S ) und § 8 bedrohen Note 1.

Auch § 4 des preufsischen Forstdiebstahlsgesetzes vom 15. April 1878 des preufsischen Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 1. April 1880 den Versuch mit der Strafe der Vollendung. Vgl. dazu oben § 20 Über das Mil.Strafrecht vgl. Hecker 82.

§ 47-

Der untaugliche Versuch.

207

u. a., und behandelte ihn zumeist als einen die ordentliche Strafe des vollendeten Verbrechens ausschliefsenden Milderungsgrund. In unserem Jahrhundert hat Fetterbach (Lehrbuch 4. Aufl. 1808) die Frage in allgemeiner Fassung aufgestellt und damit den Streit über die Strafbarkeit des mifslungenen Verbrechens lebhaft entfacht. Feuerbach will nur die g e f ä h r l i c h e Versuchshandlung bestraft wissen und verlangt daher, dafs die Handlung ihrer äufsern Beschaffenheit nach mit dem beabsichtigten Erfolge in ursachlichem Zusammenhange stehe. Diese Forderung führte zur Unterscheidung von M i t t e l und O b j e k t der mifslungenen Handlung und weiter (Jenull 1809, Mittermaicr 1816) zur Unterscheidung v o n a b s o l u t e r und r e l a t i v e r U n t a u g l i c h k e i t des Mittels oder Objektes. Rasch wurde diese Ansicht, trotz der von manchen, wie Köstlin, Hälschner, v. Schwarze u. a., gegen sie erhobenen Bedenken, zur herrschenden und blieb es bis in die jüngste Zeit. Danach sprach man von a b s o l u t untauglichem Versuche, wenn die Handlung mit den angewendeten Mitteln und gegenüber dem angegriffenen Objekte i n k e i n e m F a l l e zum Ziele führen konnte (Mordversuch mit einer ungeladenen Pistole; gegen einen bereits Verstorbenen); von r e l a t i v untauglichem Versuche, wenn das gewählte Mittel oder das angegriffene Objekt zwar im allgemeinen geeignet waren, im E i n z e l f a l l e aber, wegen der besondern Gestaltung der Verhältnisse, sich als ungeeignet herausstellten (Mordversuch mit einer im Augenblicke des Abdrückens zerspringenden Pistole; gegen jemand, der sich durch ein Panzerhemd geschützt hat). In der Behandlung der beiden Fälle gingen die Ansichten weit auseinander. Die einen (so auch die Rechtsprechung in Preufsen, Bayern, Österreich, ferner in den romanischen Ländern) straften den relativ untauglichen Versuch, liefsen den absolut untauglichen dagegen straflos; die anderen (und ihnen folgte die württembergische und sächsische Praxis) verlangten Bestrafung nicht blofs des relativ, sondern auch des absolut untauglichen Versuches. Nur einzelne, wie v. Bar, wollten die Untauglichkeit des Mittels anders behandeln wie die des Objekts. W a r diese letztere Ansicht an sich schon gegen die Mitermaiersche Unterscheidung gerichtet, so begann nun auch bald deren kritische Prüfung und Bekämpfung. Seit 1872 wurde v. Buri in einer Reihe von Abhandlungen der Neubegründer der subjektiven Theorie, die rasch weitere Verbreitung fand. Sie behauptete etwa: Der Versuch beruhe i m m e r auf einem Irrtume über die Folgen des Thuns, d. h. auf der (irrigen) Annahme, dafs eine zur Herbeiführung des vorgestellten Erfolges untaugliche Handlung zur Herbeiführung tauglich sei. Nur die Tauglichkeit der H a n d l u n g , als des Mittels zum Z w e c k e , stehe mithin zur Frage. E i n e bestimmte vorgenommene Handlung aber könne zur Herbeiführung e i n e s bestimmten vorgestellten Erfolges immer nur tauglich oder nichttauglich, d. h. kausal oder nichtkausal, sein, nicht aber mehr oder weniger nichtkausal; die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Untauglichkeit des Mittels (oder des Objekts) sei daher eine grobe Verkennung des Ursachenbegriffes. Das Wesen des Versuches, der des objektiven Thatbestandes überhaupt entbehre, bestehe in der Verkörperung des verbrecherischen Willens; diese finde sich aber in durchaus

2o8

§ 47.

Der untaugliche Versuch.

gleicher Weise auch bei dem sogenannten untauglichen Versuche. Und wenn jeder Versuch in einem Irrtume über die Kausalität des Thuns bestehe, so könne dieser Irrtum keinen Grund abgeben, um einzelne Versuchsfalle nicht strafen zu wollen. Die Ansicht hat die rückhaltlose Billigung des R e i c h s g e r i c h t s gefunden. Mit aller Entschiedenheit hat sich dieses auf den subjektiven Standpunkt gestellt und in einer Reihe von Entscheidungen, vor allen aber in der vielerörterten Entscheidung der vereinigten Strafsenate vom 24. Mai 1880, *) die Strafbarkeit auch des absolut untauglichen Versuches ausgesprochen, ohne vor irgend einer der aus diesem Grundsatze sich ergebenden Folgerungen zuriickzuscheuen.

II. U n t a u g l i c h e r V e r s u c h liegt v o r , w e n n die auf den Erfolg g e r i c h t e t e W i l l e n s b e t h ä t i g u n g an s i c h , d. h. ohne Rücksicht auf unerkennbare oder später e i n g e t r e t e n e H i n d e r n i s s e , u n g e e i g n e t w a r , den Erfolg herbeizuführen. Der untaugliche Versuch tritt uns nicht ausschliefslich, wenn auch vorwiegend, als f e h l g e s c h l a g e n e s Verbrechen, mithin als beendeter Versuch (oben § 46 III 1), sondern auch als n i c h t b e e n d e t e r Versuch entgegen. Es ist ebensogut möglich, dafs der Thäter eben die ersten Anstrengungen machte, um mit den untauglichen Brechwerkzeugen den Verschlufs zu

1 439- F e r n e r R 10. Juni 80 1 451 (Tötungsversuch an einem totgebornen Kinde); 30. März 83 8 189 (Abtreibungsversuch von Seiten einer nicht schwangeren Frauensperson); I. Juni 1883 8 351; 27. Februar 88 17 158 (untaugliches Mittel). F ü r das Reichsgericht Hälschner 1 349, Hertz 66, Janka 127, Lammasch 63 und Z 14 510. v. Schwarze, Seuffert Mitteilungen aus dem Entwurf eines StGB, für Italien 1888 S. 167, Stenglein GS. 4 3 228, v. Wächter 210. — G e g e n die Plenarentscheidung und für Straflosigkeit des absolut untauglichen Versuchs: Baumgarten Versuch 358, Berner 140, Binding 1 693, Bünger Z 6 352, Borchert Verantwortlichkeit 69, Geyer 1 132, Goldschmidt Kritische Beleuchtung der Übergriffe der historischen Schule und der Philosophie in der Rechtswissenschaft 1887, v. Kries Preufsische Jahrbücher 75 124, L'öning 50, Merkel 136, 132, Meyer 210, Post Grundlagen (Litt, zu § 2) 363, Rotering GA. 31 266, v. Rohland Gefahr (Litt, zu § 28) 78, Wahlberg Z 2 194. Vgl. aber auch Olshausen § 4 3 20, 23, der an der Unterscheidung von absoluter und relativer Untauglichkeit der Mittel festhält, bei Untauglichkeit des Objekts aber die Möglichkeit eines Versuches ausschliefst; Ötker Z 16 56, der bei fehlendem oder, sei es absolut, sei es relativ, untauglichem Objekt (dabei spielt die Bindingsche Verwechslung von H a n d lungsobjekt und Rechtsgut eine verhängnisvolle Rolle) die Strafbarkeit des Versuches leugnet; Frank § 43 I I , der ebenfalls Versuch und Mangel am Thatbestand zu unterscheiden sich bemüht (beim Versuch darf nichts fehlen als die kausale Beziehung zwischen Thätigkeit und O b j e k t ; fehlt eins der übrigen T h a t bestandsmerkmale, so liegt strafloses Putativdelikt vor).

§ 47-

Der untaugliche Versuch.

209

öffnen, als dafs er mit seinen vergeblichen Bemühungen zu Ende gelangt ist. In dem einen wie dem andern Fallé sind die Merkmale des untauglichen Versuchs gegeben. Bei der Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der untaugliche Versuch nach deutschem Reichsrecht strafbar sei, mufs unbedingt festgehalten werden, dafs § 43 StGB, die Frage weder, wie sein Wortlaut zeigt, entschieden hat, noch auch, wie die Begründung zu § 43 ergiebt, hat entscheiden wollen. Vielmehr sollte die Entscheidung dieser alten und schwierigen Streitfrage, zu deren Lösung der Gesetzgeber sich nicht berufen fühlte, nach wie vor der Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen bleiben. Als zweifellos unrichtig ergibt sich hiermit die Schlufsfolgerung des Reichsgerichts: J e d e r Versuch ist strafbar; der untaugliche Versuch ist Versuch; folglich ist der untaugliche Versuch strafbar. Diese Schlufsfolgerung ist unrichtig, weil der Obersatz weder im Gesetze begründet ist, noch aus allgemeinen Erwägungen sich ergibt. 2) Auf diese aber müssen wir mangels einer gesetzlichen Regelung der Frage zurückgreifen. Nun liegt der Grund für die Strafbarkeit des Versuches, wie wir gesehen haben (§ 46 Note 2), in der G e f ä h r l i c h k e i t der Handlung, insbesondere in d e r E i g n u n g der Willensbethätigung, den Erfolg herbeizuführen. Die Strafbarkeit des Versuches kann daher nur dort entfallen, wo diese ausgeschlossen ist. So gewinnen wir die Regel: Strafbar ist der gefährliche, straflos bleibt der ungefährliche V e r s u c h . Dieses Ergebnis wird durch die unbestreitbare Thatsache unterstützt, dafs unser Rechtsbewufstsein je nach der Gefährlichkeit der Versuchshandlung in verschiedener 2 ) Verfehlt ist es, die Fassung des § 43 StGB, verwerten zu wollen; denn hier soll nur die Vorbereitungshandlung von der Versuchshandlung i. e. S. abgegrenzt werden. Auf den Gegensatz von gelungenem und fehlgeschlagenem Verbrechen bezieht sich § 43 StGB, überhaupt nicht. Es ist demnach ganz verkehrt, bei der Frage nach der Strafbarkeit des untauglichen Versuches den „Anfang der Ausführung" verwerten zu wollen und etwa (so auch Olshausen) zu sagen: „Wenn die Ausführung nicht vollendet werden kann, dann kann sie auch nicht angefangen werden." Richtig Kohler Studien 1 9. — Damit entfällt auch die von Geyer. Hälschner u. a. vertretene Schlufsfolgerung: „Der Versuch ist teilweise Verwirklichung des Vorsatzes (oben § 46 Note 2); folglich ist der untaugliche Versuch nicht Versuch."

v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

14

210

§ 47-

Der untaugliche Versuch.

Weise gegen diese reagiert, dem u n g e f ä h r l i c h e n V e r s u c h e gegenüber aber eine Reaktion unseres Rechtsbewufstseins unmittelbar gar nicht, sondern erst mittelbar auf dem Wege einer Schlußfolgerung eintritt; der wesentlichen Verschiedenheit in der objektiven Bedeutung der Versuchshandlung entspricht mithin die wesentliche Ungleichartigkeit des psychologischen Eindrucks, welchen die Handlung in dem Bedrohten wie bei den übrigen Rechtsgenossen hervorruft.s) III. Der Versuch ist gefährlich, w e n n und soweit durch die Versuchshandlung die nahe Möglichkeit für den Eintritt des Erfolges (und damit die begründete Besorgnis dieses Eintritts) gegeben war (oben S. 117, insbes. Note 6). Dieser Satz bedarf für die Durchführung des allgemeinen Gefahrbegrififes der näheren Erläuterung. 1. Bei der Beurteilung ist die Handlung nicht in willkürlicher Verallgemeinerung, sondern unter Berücksichtigung aller sie begleitenden besonderen Umstände ins Auge zu fassen. Mit andern Worten: konkrete, nicht sogenannte generelle, Gefährlichkeit ist erforderlich. 2. Die Beurteilung mufs als nachträgliche Prognose die im Augenblicke des Handelns, in w e l c h e n der Urteilende sich zurückzuversetzen hat, allgemein erkennbaren oder aber auch nur dem Thäter bekannten, nicht aber die erst durch den weitern Verlauf aufgedeckten Umstände berücksichtigen. 3. Nur wenn unter Berücksichtigung der im Augenblicke der Handlung allgemein erkennbaren oder dem Thäter bekannten Umstände die Handlung als völlig ungeeignet erscheint, den Erfolg herbeizuführen, ist der Versuch als ein ungefährlicher straflos. Demnach kann z. B. der Versuch der Abtreibung von Seiten einer gar nicht schwangern Frauensperson ganz wohl strafbar sein, wenn das Vorhandensein einer Schwangerschaft als nicht völlig ausgeschlossen erscheint; strafbarer Tötungsversuch an einem totgeborenen Kinde ist durchaus möglich, wenn der Tod nicht völlig zweifellos ist. Anders in den viel mifsbrauchten Schulbeispielen; beim Totbeten (welches zuerst Feuerbach 1808 verwertet hat), ' ) Ähnlich insbesondere Lammasch\ aber auch Baumgarten Z 6 361, J. v. Kries Z 9 534, Thon Festrede (Litt, zu § 28).

248,

Bünger

§ 48.

Der Rücktritt vom Versuch.

211

Nestelknüpfen, Verhexen; bei dem Versuche, den auf Kanonenschufsweite in einem Kahn befindlichen B durch einen Pistolenschufs zu töten usw. 4 )

§ 48.

Der Rücktritt vom Versuch.

I i i t t e r a t u r . Herzog Rücktritt vom Versuch und thätige Reue Heins Der Rücktritt des Mitthäters. Göttinger Diss. 1890. In den

dem A u g e n b l i c k e ,

in w e l c h e m

die Grenzlinie zwischen

straflosen V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n

Ausführung gesetzte

und

überschritten wird, ist auch die

S t r a f e verwirkt.

Diese

werden.

Wohl

aber

der

kann

die

es

eine g o l d e n e

gethan,

indem

sie

Brücke den

Strafaufhebungsgründe

zum

Gesetzgebung

Rückzüge

freiwilligen

nicht

mehr

nicht aus der W e l t

kriminalpolitischen Gründen d e m bereits straffällig Thäter

strafbaren

auf den V e r s u c h

T h a t s a c h e kann

geändert, nicht „ n a c h r ü c k w ä r t s annuliert", geschafft

1889.

aus

gewordenen

bauen.

S i e hat

Rücktritt

zum

machte (StGB. § 46).1)

Das römische Recht hatte in vereinzelten Quellenstellen die Bedeutung des freiwilligen Rücktrittes ausdrücklich anerkannt. Vgl. insbesondere 1. 19 prooem. D. 48, 10: Qui falsam monetam percusserint, si id totum formare noluerunt, suffragio justae poenitentiae absolvuntur. — Art. 178 PGO. verlangte zur Strafbarkeit des Versuches, dafs der Thäter „durch andre Mittel wider seinen Willen" an der Vollbringung der Missethat verhindert worden sei. Das gemeine Recht gewährte teils Straflosigkeit, teils Strafmilderung. Die erstere Ansicht gelangte zur Herrschaft in den deutschen LandesStGBüchern. Doch machten diese teilweise ( n i c h t Preufsen 1851 lind Bayern 1861, die sich an das französische Recht anschliefsen) den freiwilligen Rücktritt zum Straf4 ) Meine Ansicht teilt mit der herrschenden Lehre von der Straflosigkeit des „absolut untauglichen" Versuches die Ausgangspunkte. Sie unterscheidet sich aber von ihr ganz wesentlich durch die Betonung der „nachträglichen Prognose" bei der Anwendung des Gefahrbegriffs. Übereinstimmend Loock (Litt, zu § 28) 179, Finger 1 188, Thon Festrede 1894 (Litt, zu § 28), Zucker GA. 36 375; dagegen neuerdings Ötker Z 17 63. Irreleitend der Ausdruck „potentielle Kausalität". Bei dem Zwiespalt der Ansichten, insbesondere bei dem Widerspruch, welchen der Standpunkt des Reichsgerichts gefunden h a t r erschiene g e s e t z l i c h e Regelung der Frage wünschenswert. *) Ähnlich R 20. März 88 17 244. — Man hat früher vielfach die straffreimachende Wirkung des Rücktritts auf R e c h t s g r ü n d e zurückzuführen versucht, indem man behauptete, dafs durch den Rücktritt der verbrecherische Wille vernichtet werde, oder dafs im Falle des Rücktritts der Wille von Anfang an gar nicht oder nicht in der erforderlichen Festigkeit vorhanden gewesen sei. So auch Ötker Z 17 68. Dagegen schlagend Herzog, der aber unrichtig annimmt, dafs die Strafbarkeit des Versuchs auf der Vermutung des Ausführungswillens beruhe (oben § 46 Note 2) und diese durch den Rücktritt widerlegt werde.

14*

212

§ 48.

Der Rücktritt vom Versuch.

aufhebungsgrunde, statt die Nichtfreiwilligkeit als Begriffsmerkmal des Versuches hinzustellen. Diesem Beispiele folgte auch § 46 RStGB.

II, Der freiwillige Rücktritt des Thäters hebt mithin die Strafbarkeit der Versuchshandlung auf. Der freiwillige Rücktritt ist aber unmöglich, wenn die Herrschaft über die Willensbethätigung und ihre Folgen bereits dem Thäter entrissen ist, mag der Eintritt oder der Nichteintritt des Erfolges gewifs sein, also insbesondere beim mifslungenen Verbrechen. Der freiwillige Rücktritt kann erfolgen : 1. Bei d e m nicht beendeten Versuche durch Nichtvollendung der Willensbethätigung: „wenn der Thäter die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat" (StGB. § 46 Nr. 1). Der Thäter läfst den zum Schlage erhobenen A r m sinken; er wirft den von ihm geschriebenen beleidigenden Brief nicht in den Postkasten. Mit der Beendigung der auf den Erfolg gerichteten Willensbethätigung entfällt mithin auch die Anwendbarkeit der Ziffer 1 des § 46. Sollte die Handlung nach dem Vorsatze des Thäters aus mehreren Teilakten bestehen (fortgesetzte kleine Gaben von Gift), die erst durch ihr Zusammenwirken den Erfolg herbeiführen sollten, so ist Rücktritt bis zu dem letzten Teilakte möglich. 2. Bei dem beendeten Versuche, solange der Eintritt des Erfolges noch zweifelhaft ist, durch „Abwenden des Erfolges" (StGB. § 46 Nr. 2), also durch unmittelbares Eingreifen in das bereits rollende Rad des Kausalzusammenhanges: der abgesendete Brief wird während des Postlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch Gegengift beseitigt. Bei Untauglichkeit des Versuches (Wirkungslosigkeit des vermeintlichen Gifts) ist Rücktritt mithin ausgeschlossen: ein unbefriedigendes, aber dem Gesetze gegenüber unvermeidliches Ergebnis. 2) III. In beiden Fällen verlangt das Gesetz Freiwilligkeit des Rücktritts: indem § 46 Nr. 1 die Straffreiheit nur gewährt, wenn der Thäter an der Ausführung nicht durch ,,Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen un2 ) Über deD Rücktritt bei mittelbarer Thäterschaft vgl. unten § 50 Note 7 ; über den Einflufs einer Bedingung der Strafbarkeit oben § 46 V 3.

§ 48.

Der Rücktritt vom Versuch.

213

abhängig waren", während Nummer 2 Abwendung des Erfolges „durch eigne Thätigkeit" des Thäters verlangt. Die Freiwilligkeit wird am besten bestimmt durch ihren Gegensatz: die thatsächliche H i n d e r u n g an der Vollendung des Verbrechens. Der Rücktritt darf nicht in äufseren Umständen, er mufs in einem freigefafsten Entschlüsse des Thäters seinen Grund haben, mag dieser aus Furcht oder Reue, aus sittlichem Abscheu oder physischem Ekel, mag er vielleicht auch aus den niedrigsten Beweggründen, etwa der Enttäuschung über den geringen Wert der zu stehlenden Gegenstände, entspringen. Der t h a t s ä c h l i c h e n Hinderung mufs aber die A n n a h m e der Hinderung gleichgestellt werden. E n d g ü l t i g e s Aufgeben des verbrecherischen Entschlusses kann nicht gefordert werden. „Eigene Thätigkeit" des Thäters kann auch bei entscheidender Mitwirkung dritter Personen angenommen werden, wenn diese durch die Bemühungen des Thäters herbeigeführt worden ist; wenn der Thäter also z. B. den Arzt herbeigerufen hat, damit er dem von ihm Vergifteten Gegengift eingebe. Im zweiten Falle ist die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, dafs die Handlung noch nicht entdeckt, d. h. noch niemand bekannt war, von dem die Anzeige der That oder die Abwendung des Erfolges zu erwarten ist. Kenntnis seitens der an der That Beteiligten schliefst mithin die Anwendung des § 46 Nr. 2 nicht aus; ebensowenig Kenntnis seitens der Angegriffenen, soweit diese Kenntnis zu den Begriffsmerkmalen des Verbrechens (wie bei der Erpressung) gehört. 3 ) IV. Die Auffassung, nach welcher der freiwillige Rücktritt S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d ist, also zwar von der bereits verwirkten Strafe befreit, aber an dem Verbrechenscharakter der Versuchshandlung nichts ändert, wird nach den verschiedensten Richtungen hin von Bedeutung. Insbesondere folgt aus ihr: I. Der Rücktritt des Thäters macht weder den Mitthäter noch den Anstifter oder Gehilfen straffrei; denn die Thatsache, dafs sie sich an einer strafbaren Handlung beteiligt haben, bleibt bestehen. Aber Mitthäter wie Teilnehmer können sich selbst der Wohlthat des Gesetzes teilhaft machen: An') Dagegen R 12. März 80 1 307, nach dessen Ansicht in diesen Fällen § 46 Ziff. 2 überhaupt nicht anwendbar wäre. Ebenso Baumgarten 464, Geyer 1 134, Olshausen § 46 20. Dagegen richtig Frank § 46 III, Meyer 215, Thomsen (oben § 46 Note 8) 75.

§ 49-

214

Teilnahme.

Überblick und Geschichte.

Stifter und Gehilfe allerdings nicht durch NichtVollendung der Handlung nach § 46 Nr. I, denn hatten sie ihre Handlung noch nicht beendet, so waren sie überhaupt noch nicht strafbar geworden; wohl aber durch selbständige Abwendung des Erfolges nach § 46 Nr. 2.4) 2. Nur die Strafe der versuchten Handlung entfällt (§ 46: „Der Versuch als s o l c h e r bleibt straflos"), nicht aber die Strafbarkeit des etwa in der Versuchshandlung gelegenen vollendeten anderweitigen Verbrechens. Man spricht hier wohl, wenig bezeichnend, von „qualifiziertem" Versuch. 3. "Wenn Vorbereitungs- oder Versuchshandlungen mit besonderer Strafe bedroht sind oder das unternommene oder versuchte dem vollendeten Verbrechen in der Bestrafung gleichgestellt ist (ob. S. 206), so entfällt, mangels einer besonderen positivrechtlichen Bestimmung, die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes, der hier ja als Rücktritt von dem vollendeten Verbrechen erscheinen würde. 6 )

II.

Thäterschaft und Teilnahme. § 49.

Überblick und Geschichte.

L i t t e r a t u r . Berner Teilnahme 1847. v. Bar Zur Lehre von Versuch und Teilnahme 1859. v. Buri Zur Lehre von der Teilnahme an dem Verbrechen und von der Begünstigung 1860 (Durchführung der subjektiven Theorie). Langenbeck Teilnahme 1867/68. Schütze Notwendige Teilnahme 1869. Geyer H H . 2 319, 4 1 4 1 ; Klein. Schriften 161. v. Kries Z 7 521. Borchert Über die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter, insbesondere über Teilnahme und mittelbare Thäterschaft 1888. Birkmeyer Die Lehre von der Teilnahme und die Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts 1890. Gegen ihn insbes. Löffler bei Grünhut 19 511, sowie v. Buri GS. 45 I (Beiträge 389). *) Ebenso Birkmeyer Teilnahme 156, Frank § 46 V, Geyer 1 134, Hälschner 1 362, Janka 145, Merkel 134; insbesondere aber R 15. März 86 14 19, 25. November 87 16 347. Dagegen Baumgarten 457, Bemer 161, Herzog 260 (von seinem Standpunkte aus durchaus folgerichtig), Meves GA. 37 397, Meyer 227, Olshausen § 46 7, Schütze 141, Thomsen (oben § 16 Note 9) 47. Meist übersieht man, dafs Strafaufhebungsgründe s t e t s nur demjenigen zu gute kommen, in dessen Person sie sich ereignet haben (unten § 74 I)5 ) Für die im Text vertretene Ansicht sehr bestimmt R 29. April 84 10 324; ferner Baumgarten 470, Göbel (Litt, zu § 46) 20, Hecker 209, v. Lilienthal 53, Meyer 216, Merkel 376. Nach Binding Grundrifs 1 1 1 6 und Olshausen § 46 5 ist Rücktritt nur dann ausgeschlossen, wenn es sich nicht um Gleichstellung in der Bestrafung, sondern um Aufstellung eines selbständigen Vergehens handelt. Vgl. oben § 46 Note 10. Die Frage ist dieselbe, wie dort; verschiedene Beantwortung daher, obwohl häufig, entschieden unrichtig.

§ 49-

Teilnahme.

Überblick und Geschichte.

215

Foinitzky Z 12 54. Kohler Studien 1 92, 106, 3 232. Forke D i e begriffliche Unterscheidung zwischen Urheberschaft und Beihilfe 1890. Mintz D i e L e h r e von der Beihilfe 1892. Haupt Z 15 202, 569 (gegen ihn v. Buri G S . 5 2 63). Tjaben G A . 4 2 218. Ekrenfried W i e unterscheiden sich Begünstigung und T e i l n a h m e ? E r l a n g e r D i s s . 1894. v. Helldorff D i e mittelbare Thäterschaft und die Verleitung zum Falscheid. Hallische D i s s . 1894. Helmer Über den B e g r i f f der fahrlässigen T h ä t e r s c h a f t . Strafsburger D i s s . 1895. Bintz D i e Teilnahme bei fahrlässig begangenen Handlungen. E r l a n g e r D i s s . 1895. Löwenheim Der Vorsatz des Anstifters nach geltendem Recht 1897 (Bennecke 9. Heft). — Über das deutsche Recht Brunner 2 565. — Heimberger D i e T e i l nahme am V e r b r e c h e n in Gesetzgebung und Litteratur von Schwarzenberg bis Feuerbach 1896.

I. A u s dem Begriff der Ursache (oben § 29) folgt, dafs jeder, der durch Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge an dessen Herbeiführung sich beteiligt, den Erfolg verursacht hat; dafs, da alle Bedingungen des Erfolges gleichwertig sind, zwischen den einzelnen an der Herbeiführung des Erfolges Beteiligten ein begrifflicher Unterschied nicht besteht; dafs mithin ihre verschiedene Bestrafung nur innerhalb desselben Strafrahmens gerechtfertigt ist. Das geltende deutsche Reichsrecht weicht in dreifacher Beziehung von diesen Folgerungen ab. 1. Es stellt in s c h a r f e n b e g r i f f l i c h e n G e g e n s a t z z u e i n a n d e r T h ä t e r s c h a f t einerseits, A n s t i f t u n g u n d B e i h i l f e anderseits; 2. es betrachtet nur die Thäterschaft als Verursachung des Erfolges, Anstiftung und Beihilfe dagegen nur als T e i l n a h m e an der durch den Thäter bewirkten Verursachung des Erfolges; 3. es verlangt zwar nicht für den Anstifter, wohl aber für den Gehilfen grundsätzlich m i l d e r e B e s t r a f u n g als für den Thäter. Von dieser Auffassung weicht das deutsche Reichsrecht jedoch nach zwei Richtungen ab. 1. Soweit einzelne Rechtsregeln nur von bestimmten Personen Gehorsam fordern, kann nur der Thäter, niemals der Teilnehmer bestraft werden. 1 ) *) V g l . oben § 43 N o t e 6. S o l c h e Ausnahmen bedürfen strengen N a c h weises. Viel zu weitgehend Klöppel Prefsrecht 1894 S. 257, der alle an bestimmte Personen s i c h wendenden Ordnungsvorschriften hierher rechnet. Bedenklich auch R 15. J a n u a r 94 2 5 38, nach d e m b e i allen Formaldelikten (oben § 36 Note 5) T e i l n a h m e andrer als der im Gesetz genannten Personen a u s geschlossen ist.

216

§ 49.

Teilnahme.

Überblick und Geschichte.

2. Die jüngste Gesetzgebung des Reichs neigt dahin, die Unterscheidung von Thäterschaft und Teilnahme vollständig preiszugeben und damit den an die Spitze dieses Paragraphen gestellten Satz zur uneingeschränkten Durchführung zu bringen. Das ist geschehen im Sklavenraubgesetz vom 28. Juli 1895, das jede „Mitwirkung an einem auf Sklavenraub gerichteten Unternehmen" mit derselben Strafe belegt. Ebenso in den §§ 45 und 48 Ziff. 2 des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897. Von besonderer Bedeutung aber ist es, dafs auch das BGB. Thäter und Teilnehmer einander völlig gleichstellt.2) II. Die Entgegensetzung von Thäterschaft und Teilnahme ist das Ergebnis einer langsamen und schwankenden geschichtlichen Entwicklung. Das r ö m i s c h e R e c h t hat nicht nur durch die regelmäfsige Formel der leges aus der Zeit des Quästionenprozesses: Cujus ope consilio dolo malo id factum erit quive id fieri jusserit faciendumve curaverit — sondern auch vorher wie nachher die Beteiligten, die auctores, socii, ministri, fautores, participes, mit Strafe belegt. Aber erst die freiere Stellung des Richters im Verfahren extra ordinem ermöglichte jene unterscheidende Beurteilung, welche die Vorbedingung für die weitere Entwicklung der Lehre war. Doch ist auch das spätrömische Recht zur Ausbildung allgemeiner Grundsätze nicht gelangt. Im m i t t e l a l t e r l i c h e n D e u t s c h l a n d wurde der Anstifter dem Thäter, wenigstens bei einer Reihe von Verbrechen, in der Bestrafung gleichgestellt. Dagegen war bezüglich der Strafbarkeit des Gehilfen die Entwicklung bei den einzelnen Verbrechen eine ganz verschiedene; bald wird (wie im Landfrieden von 1235) die Gewährung von Rat und That mit der Thäterschaft auf eine Stufe gestellt, bald (Ssp. 2 25, I ; 2 13, 6) nur der „rechte Volleist", ohne dessen Mitwirkung die Begehung nicht möglich gewesen wäre, dem Thäter gleich bestraft, während die übrigen Beteiligten mit geringerer Strafe davon kommen. Den Anstifter trifft dieselbe, wenn nicht härtere, Strafe wie den Thäter. Auf dem letzteren Standpunkte stand auch die m i t t e l a l t e r l i c h e R e c h t s w i s s e n s c h a f t I t a l i e n s , wenn sie consilium (Rat), auxilium (That) und mandatum von der Thäterschaft unterschied und den mandans wie den socius principalis, qui causam dat delicto, dem Thäter in der Bestrafung gleichstellte. Aber auch sie gelangte nicht zu abschliefsenden, allgemein anerkannten Ergebnissen. So sah sich denn auch die PGO. gezwungen, in Art. 177 von einer Begriffsbestimmung abzusehen und einfach auf den Rat der Rechts-

2 ) BGB. § 830: „Haben mehrere durch eine gemeinsam begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln läfst, welcher von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat. Anstifter und Gehilfen stehen Mitthätern gleich." Vgl. dazu v. Liszi Deliktsobligationen 75. — Vgl. auch unten § 51 Note 9.

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Teilnahme.

Überblick und Geschichte.

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verständigen zu verweisen: „Item so jemand einem Missethäter zu Übung einer Missethat wissentlich und gefährlicher Weise einicherlei H i l f e , B e i s t a n d o d e r F ö r d e r u n g , wie das alles Namen hat, thut, ist peinlich zu strafen, als aber vorsteht in einem Falle anders, denn in dem andern; darum sollen in diesen Fällen die Urteiler . . . Rates pflegen." — Der A n s t i f t e r wird in Art. 107 (Meineid) besonders erwähnt. Auch der g e m e i n r e c h t l i c h e n Wissenschaft und Gesetzgebung gelang es nicht, feste Begriffe zu gewinnen; die von ihr aufgestellten Unterscheidungen — Teilnahme vor, während und nach der That (letztere zumeist als besonderes Verbrechen betrachtet), allgemeine und besondere, hauptsächliche und nebensächliche, physische und psychische, positive und negative Teilnahme — entbehren ebensosehr der begrifflichen Schärfe wie der praktischen Brauchbarkeit. m . Die Entwicklung der Lehre in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts wird zunächst bestimmt durch die verschiedene Beantwortung zweier grundlegender Fragen. I. Der Begriff der A n s t i f t u n g gestattet eine doppelte Auffassung. Man kann entweder die Anstiftung ansehen als mittelbare Herbeiführung des Erfolges, als ein Verursachen, bei welchem die Beeinflussung des Handelnden nur ein Glied in der Kette von Ursache und Wirkung ist. Dann ist die Anstiftung m i t t e l b a r e T h ä t e r s c h a f t (intellektuelle Urheberschaft). Gegen diese Auffassung, welche allein wissenschaftlich begründet ist®) und in der Rechtsprechung zu brauchbaren Ergebnissen fuhrt, hat man eingewendet, dafs dann der Thäter als Werkzeug in der Hand des Anstifters erscheine, was mit der Annahme der Willensfreiheit unvereinbar sei. Damit wäre, bei strenger Folgerichtigkeit, die völlige Straflosigkeit des aufser allem Kausalzusammenhänge stehenden Anstifters gegeben gewesen. Aber niemand hatte den Mut, diese unvermeidliche Folgerung zu ziehen. So gelangte man dazu, einerseits eine „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" zwischen der Handlung des Anstifters und dem Erfolge durch die freie und vorsätzliche Handlung des zurechnungsfähigen Thäters anzunehmen (oben S. 123) und die Auffassung der Anstiftung als mittelbarer Selbstherbeiführung des Erfolges abzulehnen, anderseits aber sie als T e i l n a h m e an der v o n d e m T h ä t e r begangenen That zu betrachten. Dies ist der Standpunkt des geltenden Rechts. Damit erhält 3 ) Sie war die alleinherrschende bis ins 19. Jahrhundert (vgl. z. B. Feuerbach und v. Wächter; aber auch Preufsen 1794 und Bayern 1813). Über das kanonische Recht siehe Hinschius 5 934; über das mittelalterliche Italien Heimberger 31. Von Neueren vertreten sie u. a. Ortolan, Garraud, Hälschner, Binding, Janka, Kohler, Foinitzky, Geiz. Vgl. neuerdings Haupt Z 15 569, Löwenheim, Seuffert StG. 1 23, Schmid Prefsvergehen (Litt, zu § 43) 63, Siegel Verwechslungsfälle (Litt, zu § 40) 50, Stoofs Grundzüge 1 226. — Die gegenteilige Ansicht ist durch Köstlin, Gefsler, Luden, insbesondere durch Schütze 1869 begründet, in unsem Tagen aber am glänzendsten von Birkmeyer durchgeführt worden. Neuerdings wird die Unterscheidung der Anstiftung von der Thäterschaft auf die Eigenart der „psychischen Kausalität" gestützt! s o v o n Frank 3. Abschnitt V, besonders aber von A. Horn GS. 53 46, 54 368.

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Teilnahme.

Überblick und Geschichte.

die Anstiftung unselbständiges Wesen, ihre Strafbarkeit wird abhängig von der Strafbarkeit der vom Thäter begangenen Handlung. 2. W e r eine Bedingung zu dem Erfolge gesetzt hat, ist für diesen verantwortlich. Die herrschende Ansicht will aber gerade bei der Beteiligung mehrerer an demselben Verbrechen die Verursachung von dem Setzen einer blofsen Bedingung unterscheiden. Wer verursacht, ist T h ä t e r ; und wenn er gemeinsam mit anderen verursacht, M i t t h ä t e r . Wer nur eine Bedingung setzt, ist G e h i l f e . So wird auch die Beihilfe zur u n s e l b s t ä n d i g e n T e i l n a h m e an d e r T h a t e i n e s a n d e r n . Da aber die Unterscheidung von Ursache und Bedingung unhaltbar ist (oben S. 125), fehlt es auch dem Unterschiede von Thäterschaft und Beihilfe an der festen objektiven Grundlage. Es kann uns daher nicht wunder nehmen, dafs Wissenschaft und Rechtsprechung, um die Unterscheidung halten zu können, auf die Irrwege einer rein subjektiven Theorie gedrängt werden (vgl. unten § 50 Note 8). 4 ) IV. Glücklichern Erfolg hatte die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, indem sie die Ausscheidung des Komplotts und der Bande einerseits, der Begünstigung anderseits aus den Arten der Beteiligung mehrerer an demselben Verbrechen in der Gesetzgebung durchsetzte und damit die Einfachheit und Klarheit dieses Begriffes wesentlich förderte. I. K o m p l o t t ist die Verabredung mehrerer zur Begehung eines oder mehrerer bestimmter Verbrechen; B a n d e die auf Begehung mehrerer noch nicht einzeln bestimmter Verbrechen gerichtete Verbindung. Die ältere Ansicht hatte (an PGO. Art. 148 anknüpfend) entweder alle Mitglieder als „gegenseitige Anstifter" für den gesamten Erfolg verantwortlich gemacht oder aber die Verabredung selbst als Versuch des Verbrechens gestraft. Die heutige Wissenschaft dagegen hält an dem Grundsatze fest, dafs den einzelnen das begangene Verbrechen nur insoweit zugerechnet werden kann, als eben die Begriffe der Thäterschaft, Anstiftung, Beihilfe im gegebenen Falle thatsächlich durch das Verhalten der einzelnen verwirklicht worden sind; dafs ferner von Versuch nicht gesprochen werden kann, solange kein Anfang der Ausführung vorliegt. Der Gesetzgebung aber bleibt es unbenommen, Verabredung und Verbindung als selbständige Verbrechen unter Strafe zu stellen oder aber sie als Schärfungsgründe zu verwenden. Die Reichsgesetzgebung hat das erstere bezüglich des Komplotts gethan in StGB. § 83, Spionagegesetz vom 3. Juli 1893 § 5, Mil.StGB. §§ 59, 72, 100, 103, sowie 4 ) Die auf die Unterscheidung von mehr- und minderwertigen Bedingungen beruhende objektive Theorie führt bis auf Pufendorf 1672 zurück (Heimberger 144); sie wird im 18. Jahrhundert vielfach, so von Krefs, JSF. Böhmer u. a., später insbesondere von Feuerbach vertreten. Auch hier wird neuerdings die „psychische Kausalität" (oben Note 3) zur Begründung der Unterscheidung herangezogen. So von Frank § 47 III, der zwar mit v. Buri die Kausalität jeder Bedingung zugiebt, gleichzeitig aber zwischen mehr- und minderwertigen Bedingungen unterscheidet. Gehilfe ist, wer eine minderwertige (sei es blofs psychische, sei es blofs negative) Bedingung setzt. — Völlig verfehlt ist der Versuch Hellmers, durch Verwertung der „typischen Kausalität" die Thäterschaft gegenüber der Beihilfe abzugrenzen (denn die „nicht adäquate, aber dennoch generell bedeutsame" Kausalität ist ein gedankliches Unding).

§ 5°.

i . D ' e Thäterschaft.

219

bezüglich des Komplotts und der Bande in § 6 des Sprengstoffgesetzes vom 9. Juli 1884. Dagegen ist in §§ 146 und 147 des Vereinszollgesetzes vom I. Juli 1869 und in §§ 87 und 91 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 das Komplott, in StGB. §§ 243 Nr. 6, 250 Nr. 2, Mil.StGB. § 135, Vereinszollgesetz § 146 die bandenmäfsige Begehung lediglich als Strafschärfungsgrund behandelt. 2. D i e B e g ü n s t i g u n g ist keine Form der Beteiligung mehrerer an dem Verbrechen. Denn es fehlt ihr, da sie erst n a c h Begehung der That möglich ist, das einzige allen Formen der Beteiligung gemeinsame Merkmal: das Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolg. Sie ist mithin selbständiges Verbrechen und gehört als solches in den besondern Teil. Dieser, in der Wissenschaft nur mehr von einzelnen (so Merkel 153, Meyer 221, 253, Kohler 1 115, 118, welch' letzterer „indirekte Teilnahme" annimmt) widersprochenen Auffassung folgt, im Gegensatze zum Code penal, nicht nur das RStGB., sondern auch die Mehrzahl der aufserdeutschen Gesetze und Entwürfe. Verunglückt war dagegen die Aufstellung des Begriffs des concursus necessarius oder der n o t w e n d i g e n T e i l n a h m e {Schütze). Sie soll dann vorliegen, wenn zur Begehung eines Verbrechens, wie bei Ehebruch, Blutschande, Zweikampf einerseits, bei Aufstand, Aufruhr, Meuterei anderseits, das Zusammenwirken mehrerer Personen begrifflich notwendig ist. Dabei ist aber übersehen, dafs auch hier die allgemeinen Regeln über Beteiligung uneingeschränkte Anwendung finden, insbesondere die Strafbarkeit des einen Beteiligten durch die Straflosigkeit des andern (vielleicht gutgläubigen oder zurechnungsunfähigen) Genossen nicht berührt wird, dafs mithin die Aufstellung eines besondern Begriffs überflüssig ist und nur irreleitend wirken kann.

§ 50.

I. Die Thäterschaft.

Thäterschaft ist, im Unterschiede von der Teilnahme, die (unmittelbare oder mittelbare) Verursachung oder Nichthinderung des strafrechtlich relevanten Erfolges. Dabei sind zwei Hauptfälle zu unterscheiden. I. Thäter ist zunächt derjenige, der die ganze Verbrechenshandlung allein ausführt, den gesetzlichen Thatbestand des Verbrechens allein verwirklicht: Notzüchter also z. B. derjenige, der nötigt u n d geschlechtlich mifsbraucht; Räuber derjenigen, der Gewalt anwendet u n d die Sache wegnimmt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Erfolg lediglich durch eigene körperliche Thätigkeit oder durch Benutzung der Naturkräfte, eines Werkzeuges oder eines Tieres herbeigeführt wurde. Derjenige also, der durch seinen Hund ein Stück Fleisch aus einem Metzgerladen wegholen läfst oder

§5°.

220

I. Die Thäterschaft.

d e n H u n d a u f e i n e n M e n s c h e n h e t z t , ist als T h ä t e r stahls o d e r d e r K ö r p e r v e r l e t z u n g derjenige,

d e r s i c h die W u r s t

m i t t e l s einer

Stange

gerade

v o m Fenster der

herabholt

oder

der

mit

Thäter

ist

bedient.r)

aber

auch

(vielleicht Dieser

Satz

derjenige,

des Verletzten erleidet

eine

wie

Speisekammer

der Faust

d u r c h einen S c h r o t s c h u f s d a s A u g e d e s a n d e r n Menschen

des Dieb-

so gut schuldig,

d e r s i c h eines selbst)

oder

beschädigt. als

wichtige

andern

Werkzeuges

Einschränkung

d u r c h d e n p o s i t i v r e c h t l i c h e n B e g r i f f d e r T e i l n a h m e (unten § 5 1 ) . S o w e i t d i e s e r a b e r nicht e i n g r e i f t , k o m m t die a l l g e m e i n e R e g e l zur uneingeschränkten II. vor

Anwendung.2)

T h ä t e r s c h a f t liegt daher a u c h in f o l g e n d e n F ä l l e n

(sog.

mittelbare

intellektuelle

Urheberschaft,

fingierte

oder

Thäterschaft):8)

i. W e n n der v o m T h ä t e r B e n u t z t e n i c h t z u r e c h n u n g s fähig w a r . H a n d gibt, des

Mordes

Wer damit

etwa dem Tobsüchtigen dieser e i n e n

schuldig.

nur das K i n d ,

Dem

ein

andern ersteche, Wahnsinnigen

M e s s e r in

die

ist als T h ä t e r

steht

aber

sondern auch der S t r a f u n m ü n d i g e

nicht durch-

Über die Benutzung des e i g e n e n Körpers vgl. oben § 37 III. Irrtum darüber, ob man Thäter oder Teilnehmer ist, bleibt einflufslos (oben § 39 IV). Wer nicht weifs, dafs der von ihm Bestimmte oder Unterstützte geisteskrank ist, wird dennoch als Thäter bestraft. Dagegen (wie Birkmeyer) R 9./16. Juni 1884 11 56. Frank 3. Abschn. IV nimmt hier fahrlässige Thäterschaft an. 3) Der Begriff der mittelbaren Thäterschaft wird heute von Wissenschaft und Rechtsprechung ganz allgemein anerkannt. So unter andern von Finger 1 185, Geyer HH. 3 877, Hälschner 1 368, 398, v. Helldorff (Litt., zu §49) 16, Janka 139, Meyer 184, Schütze 148, insbes. auch von Birkmeyer 78; auch R 17. Januar 80 1 146; 8. Dezember 80 3 96; 14. Juni 81 4 256; 13. Februar 85 12 67; 28. Januar 89 18 419. Doch glaubt man vielfach (vgl. Borchert 99, 106, Lenz Die Urkundenfälschung 1897 S. 239, Löning [Litt, zu § 43] 149, 150, Meyer 185, Olshausen 3. Abschnitt 5. Schütze 315) ihn dort ausschliefsen zu müssen, wo das Gesetz körperliche Begehung erfordere. So soll die Haftung einer Frauensperson für Notzucht, eines Nichtverwandten für Blutschande, eines Nichtbeamten für ein reines Amtsdelikt ausgeschlossen sein, wenn sie zur Herbeiführung des Erfolges einen Wahnsinnigen bestimmt oder einen Zurechnungsfähigen gezwungen haben. Frank 3. Abschn. IV hält mittelbare Thäterschaft dort für ausgeschlossen, wo unmittelbare aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Dafs die Rechtspflege bei dieser Ansicht nicht bestehen kann, bedarf keines Nachweises. Dennoch verdankt ihr StGB. § 160 (Verleitung zum Falscheid) sein wenig erfreuliches Dasein. Vgl. v. Helldorff\ auch Finger 2 243. Ähnlich verhält es sich mit StGB. § 271. Ganz verfehlt ist es, die mittelbare Selbstbegehung als strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen dritter aufzufassen, wie Borchert dies thut. 2)

§ 5°-

I- D i e Thäterschaft.

221

aus gleich (oben § 38 Note 3). Denn Anstiftung, als unselbständige Teilnahme an der strafbaren Handlung eines andern, ist unmöglich, wenn auf Seiten des zur That Benutzten eine strafbare Handlung nicht vorliegt. Hierher würde auch die Bestimmung eines Hypnotisierten zur Begehung einer strafbaren Handlung gehören. 2. Wenn der Benutzte unfrei, d. h. genötigt, gehandelt hat; genauer: wenn die Voraussetzungen des § 52 StGB, gegeben waren. 4 ) Denn in diesem Falle entfällt mit' der Rechtswidrigkeit auch die Strafbarkeit des Thuns; und damit ist die Unmöglichkeit strafbarer Teilnahme gegeben. 3. W e n n der Benutzte nicht vorsätzlich, d. h. nicht in der Voraussicht der Folgen seines Thuns gehandelt hat. W e r die Krankenpflegerin durch Täuschung bestimmt, statt des vom Arzte verordneten Chinins Arsenik zu geben, ist nicht Anstifter zu einem von der Pflegerin überhaupt nicht begangenen Morde, sondern selbst Mörder. In denjenigen Fällen, in welchen Bewufstsein der Rechtswidrigkeit zum Thatbestande gehört, steht dessen Mangel dem Fehlen des Vorsatzes gleich. 4. Wenn das Verbrechen eine bestimmte Absicht fordert (z. B. Aneignungsabsicht beim Diebstahl), diese Absicht aber dem zu der That benutzten Thäter mangelt, während sie bei dem Anstifter vorliegt. In allen vier 6 ) Fällen ist für die Beurteilung des Thäters das Verhalten seines Werkzeuges mafsgebend, soweit dessen Thätigkeit in F r a g e steht.') III. Aber auch, wenn mehrere nur durch ihr Zu4 ) V i e l weiter g e h e n d (gegenüber StGB. § 48 zu w e i t ) R 30. November 94 2 6 242, wonach jede rechtswidrige Einwirkung genügen soll. 6) § 20 Nachdrucksgesetz siehe unten § 51 N o t e 1. 6 ) Bedenken g e g e n den 4. Fall äufsert Frank 3. Abschn. HI ( w e g e n des „dolosen Werkzeugs"). — E i n weiterer, ganz vereinzelter, Fall ist oben § 35 I erwähnt worden (der b e f e h l e n d e Vorgesetzte). — Sehr w e i t g e h e n d R 14. Januar 96 2 8 109. (Ein Beamter hat einen Nichtbeamten zur Fälschung einer j e n e m anvertrauten Urkunde bestimmt; R nimmt Thäterschaft des Beamten an.) 7 ) A l s o : 1. Hat der Thäter, w e n n auch durch ein Wort, mehrere Werkzeuge erfolgreich bestimmt, so l i e g t w e g e n Einheit der Willensbethätigung (unten § 54 I I I 1) für jenen nur ein Verbrechen vor (abweichend noch die 7. Aufl. dieses Lehrbuchs). Ebenso, w e n n er das eine Werkzeug zu mehreren Verbrechen bestimmt. — 2. D e r Thäter bleibt Thäter, auch w e n n er nur eine Beihilfehandlung setzt. Beispiel: D e r Erwachsene A hält das Opfer, während

222

§ 5°-

i . D i e Thäterschaft.

sammenwirken den gesetzlichen Thatbestand verwirklicht haben, ist jeder von ihnen als Thäter zu bestrafen. Das Gesetz hat diesen Satz für den Fall der M i t t ä t e r schaft ausdrücklich anerkannt und diese in § 47 als die „gemeinschaftliche Ausführung" einer strafbaren Handlung (mithin als bewufstes Zusammenwirken) bestimmt. Daraus folgt: I. M i t t h ä t e r ist derjenige, w e l c h e r a n d e r A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g , d. h. an einer bereits in den T h a t b e s t a n d des Verbrechens hineinfallenden Handlung, t e i l g e n o m m e n h a t (oben § 46 III). Damit ist der Unterschied von der Beihilfe zunächst o b j e k t i v bestimmt. So ist Mitthäter beim Morde derjenige, der eine tödliche Verletzung beigebracht ; beim Diebstahl, w e r die Sache w e g g e n o m m e n ; beim B e t r ü g e , wer an der Täuschung sich beteiligt hat. Bei den sogenannten z u s a m m e n g e s e t z t e n Verbrechen ist Mitthäter d e r j e n i g e , welcher auch nur eine der das V e r b r e c h e n bildenden Ausführungshandlungen begangen hat. So sind (gemeinsamen Vorsatz vorausgesetzt) A und B M i t t h ä t e r , w e n n A die Frauensperson C vergewaltigt oder den D mit gegenwärtiger Gefahr für L e i b und L e b e n b e d r o h t und B die C mifsbraucht oder dem D die Brieftasche wegn i m m t : denn G e w a l t und D r o h u n g sind Thatbestandsmerkmale für Notzucht und R a u b . W e n n aber A W a c h e stand, während B einen Einbruchsdiebstahl verübte, so ist A niemals M i t t h ä t e r , sondern G e h i l f e ; denn das Wachestehen ist nicht Ausführungshandlung b e i m Diebstahl. 8 )

der K n a b e B den Dolchstofs führt. — 3. E r f o r d e r t das Gesetz eine bestimmte körperliche Thätigkeit (z. B. das Einsteigen nach § 243 Ziff. 2), so mufs diese von d e m Werkzeug vorgenommen werden, u m dem T h ä t e r zugerechnet w e r d e n zu können. Ebenso im Ergebnis R 21. März 93 2 4 86. — 4. F ü r Zeit und O r t der Begehung ist die H a n d l u n g des Werkzeuges mafsgebend (oben § 31 H 2). — 5. Beendeter Versuch liegt vor, sobald das weitere der Selbstthätigk e i t des Werkzeuges überlassen ist (also mit der Hervorrufung des Entschlusses in d e m Geisteskranken). Vgl. oben § 46 N o t e 7. — 6. Rücktritt vom Versuch ist daher dem Bestimmenden nur als A b w e n d u n g des Erfolges (nach § 46 Ziff. 2) möglich. — 7. F ü h r t das Werkzeug die H a n d l u n g nicht aus, so liegt fehlgeschlagenes Verbrechen vor. — 8. F ü r die Zurechnungsfähigkeit ist (oben S. 158) der Zeitpunkt der Bestimmung mafsgebend. 8 ) A b w e i c h e n d das Reichsgericht. Dieses hat, gestützt auf die ausdrückliche Erklärung der Motive, in einer R e i h e von Entscheidungen die auch in der Wissenschaft vielfach verteidigte Ansicht vertreten, nach welcher der Unterschied zwischen Mitthäterschaft und Beihilfe ein lediglich subjektiver, in der Willensrichtung des T h ä t e r s gelegener sein soll; nach welcher der Mitthäter d e n „herrschenden" animus auctoris, der Gehilfe den „sich unterordnenden" animus socii haben, jener die T h a t a l s d i e s e i n e , dieser die T h a t a l s d i e e i n e s a n d e r n wollen mufs. N u r auf die Willensrichtung, nicht auf die obj e k t i v e Beteiligung k ä m e es daher an, vorausgesetzt, dafs irgend eine äufsere

§5°-

I. Die Thäterschaft.

223

2. Indem das Gesetz „ g e m e i n s c h a f t l i c h e A u s f ü h r u n g " verlangt, bezeichnet es aber auch den V o r s a t z der Beteiligten als Begriffsmerkmal der Mitthäterschaft. Der Vorsatz umfafst hier die Vorstellung des einzelnen, d a f s e r d u r c h s e i n e H a n d l u n g z u s a m m e n w i r k e mit den H a n d l u n g e n d e r ü b r i g e n zu g e m e i n s a m e m Z i e l e („Bewufstsein der komplementären Verursachung"). Er setzt sich also aus zwei Elementen zusammen: 1. dem Bewufstsein der Verbrechensmerkmale und 2. dem Bewufstsein des Zusammenwirkens. Fehlt es an diesem Bewufstsein gemeinsamer Thätigkeit, so kann von Mitthäterschaft im Sinne des Gesetzes keine Rede mehr sein. Es ist mithin Mitthäterschaft auch dann ausgeschlossen, wenn auf seiten des einen der beiden Beteiligten die Zurechnungsfähigkeit oder aber der Vorsatz mangelt. 9 ) EbenMitwirkung stattgefunden hat; auch das Herbeischaffen der Werkzeuge, das Hinwegräumen der Hindernisse, die Ermunterung der Thäter, das Wachestehen, während die Genossen das gemeinsam geplante Verbrechen vollführen, selbst die ermunternde Anwesenheit am Thatorte, könne als Mitthäterschaft betrachtet werden. So zuletzt R 19. Dezember 94 26 345, 7. Januar 95 26 351, 9. März 96 28 304. Dafs damit die alte Komplottheorie (oben S. 218) wieder zum Leben erweckt wird, liegt auf der Hand. Die Ansicht des R vertraten schon Westphal 1760 (Heimberger 157}, in unserm Jahrhundert Ahegg, Bauer, Hejfter, Henke, Hepp, Marczoll, v. Wächter, später Kostlin, Hertz, Janka, Glaser, v. Schwarze, insbesondere aber (seit 1860) v. Buri, sowie die höchsten Gerichtshöfe von Sachsen und Württemberg. Ferner Borchert 44, Kohler Studien 1 96, v. Lilienthal 55, Olshausen § 47 5 (mit ganz willkürlicher Gruppierung der Ansichten). Dagegen für die im Text vertretene Ansicht, wie früher die Rechtsprechung von Berlin und München, so neuerdings Berner 156, van Calker Delikte gegen das Urheberrecht 1894 S. 254, Geyer 1 138, Hälschner 1 377, 420, Hefs (Litt, zu § 29), v. Kries Preufs. Jahrbücher 75 124, Loning 93, 97, Merkel 144, Schütze 148, Forke, Mintz, Thon in seiner Festrede (selbständige Gefährdung des Rechtsguts oder Förderung der durch andre erfolgenden Gefährdung) u. a., insbesondere aber Birktneyer. Eine vermittelnde Ansicht vertreten Meyer 249 und Haupt Z 15 578. Nach ihnen gibt es zwischen zweifellosen Thäter- oder Gehilfenhandlungen ein breites Gebiet von Bethätigungen, deren Einreihung unter Thäterschaft oder Beihilfe nur nach der Willensrichtung des Handelnden bestimmt werden kann. Tjaben GA. 42 226 bezeichnet die Fälle, in welchen mit Thätervorsatz eine Gehilfenhandlung gesetzt wurde, als „unvollkommene Miturheberschaft", will diese aber, ganz so wie R, als Mitthäterschaft bestraft wissen. Vgl, oben § 49 Note 4 über die Unterscheidung von mehr- und minderwertigen Bedingungen. — Die „subjektive" Theorie scheitert rettungslos daran, dafs sie den, der mit „sich unterordnendem Willen" die Haupthandlung (etwa die Tötung) begeht, als Gehilfen betrachten mufs, während sie anderseits beim Komplott, da hier j e d e Mitwirkung Thäterschaft begründet, den Begriff der Beihilfe überhaupt aufhebt. ») Übereinstimmend R 16. April 88 17 413, 29. April 80 19 192 (abweichend aber (u. z. durchaus folgerichtig nach der oben § 38 Note 3 er-

224

§50.

I. Die Thäterschaft.

so dann, wenn der zweite Thäter den ohne sein Vorwissen vom ersten geschaffenen Zustand benutzt (also etwa die von diesem gefesselte Frau mifsbraucht). 10 ) 3. Die Mittäterschaft ist k e i n e F o r m der (unselbständigen) Teilnahme an dem Thun eines andern, sondern Selbstherbeiführung oder Nichthinderung des Erfolges. Ebendarum ist jeder Mitthäter in der Bestrafung unabhängig von seinen Genossen, es kann daher der eine Mitthäter als Mörder, der andere als Totschläger, der eine als Räuber, der andere als Dieb bestraft werden. 1 X ) 1 2 ) IV. Aber auch wenn mehrere Personen ohne bewufst gemeinsame Ausführung an der Herbeiführung oder Nichthinderung desselben Erfolges beteiligt sind, ist jeder von ihnen als Thäter verantwortlich, vorausgesetzt, dafs nicht ein Fall der Teilnahme (unten § 51) vorliegt. Beteiligung an der Ausführungshandlung ist hier, mangels besonderer gesetzlicher Bestimmung, nach allgemeiner Regel nicht erforderlich. D o c h sind die oben S. 123 angeführten Rechtssätze über die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs auch hier zu beachten. Zur Nebenthäterschaft gehören insbesondere die Fälle fahrlässiger Mitwirksamkeit; so, wenn mehrere Bauarbeiter gemeinsam einen Balken von dem Gerüste des abzutragenden Baues herabwerfen, ohne die Vorübergehenden zu warnen, und durch ihr unvorsichtiges Gebaren einen Menschen töten (vgl. 1. 11, 4 D. 9, 2); oder wenn zwei unvorsichtige Radfahrer mit dem Tandem einen Fufsgänger überrennen und verletzen. Ebenso aber auch dann, wenn die mehreren Thäter zwar ;eder

wähnten Ansicht), wenn es sich um ein Kind unter 12 Jahren haidelt). Dagegen Birkmeyer Teilnahme 148. 10 ) Dafs hier Unterbrechung des Kausalzusammenhanges vorliegt, ergibt sich aus dem oben S. 123 Gesagten. 11 ) StGB. § 50 findet hier analoge Anwendung. Ebenso Berner 506, Hälschner 1 439, Meyer 229; dagegen Binding Grundrifs 2 6, Frank § 211 II, Geyer HH. 4 162, Merkel 307, Olshausen § 50 5. 12 ) Ein Fall der Mittäterschaft ist die „ g e m e i n s c h a f t l i c h e ' Begehung, welche von der Strafgesetzgebung vielfach als erschwerender Unstand behandelt wird. So StGB. §§ 119, 123, 223 a, 293; Vereinszollgesetz §S 146, 147. Die Strafschärfung tritt also nur ein, wenn Mitthäterschaft verliegt (nicht bei Teilnahme oder Nebenthäterschaft). Auch für die b a n d e n m ä j s i g e Begehung müssen die für die Mitthäterschaft geltenden Grundsätze festgehalten werden.

§51.

2. Die Teilnahme.

225

für sich vorsätzlich, aber ohne das Bewufstsein gemeinsamer Thätigkeit, denselben Erfolg durch ihr Zusammenwirken herbeiführen oder gemeinsam nicht abwenden. Ebenso endlich, wenn der eine vorsätzlich, der andere fahrlässig handelt. Ferner müssen aber auch die Fälle hierhergerechnet werden, wenn die Annahme der Mitthäterschaft etwa durch die Geisteskrankheit des einen der beiden Beteiligten ausgeschlossen ist (oben S. 223), Man kann hier, zum Unterschiede von der gesetzlich geregelten Mitthäterschaft, von Nebenthäterschaft (als einem Unterfalle der Mehrthäterschaft) sprechen.

§ 51.

2. Die Teilnahme.

Teilnahme ist im Unterschiede von der Thäterschaft Beteiligung an der von einem andern vorgenommenen Verursachung oder Nichthinderung des Erfolges. Die Teilnahme ist nach geltendem Recht entweder Anstiftung oder Beihilfe. I. Anstiftung ist die vorsätzliche Bestimmung eines andern zu der von ihm vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung, mag diese Verbrechen, Vergehen oder Übertretung sein.

1. Das Gesetz erwähnt in § 48 Abs. 1 als Anstiftungsmittel ausdrücklich nur Geschenke, Versprechen, Drohung, Mifsbrauch des Ansehens oder der Gewalt, absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums. A b e r die beigefügten Schlufswörte: „oder durch andere Mittel" lassen deutlich erkennen, dafs jene Aufzählung lediglich beispielsweise erfolgte und jedes Mittel, auch das Anbieten einer Wette, Bitten und Beschwörungen, die Verhöhnung der Gewissensbedenken, im gegebenen Falle sogar scheinbares Abraten von der Begehung der Handlung, als genügend erachtet werden mufs. Nur ist zu beachten, dais Zwang und Drohung nicht in „Nötigung" übergehen, Irrtumserregung nicht die Vorsätzlichkeit des Thuns ausschliefsen darf, denn damit würde an stelle der Anstiftung mittelbare Selbstbegehung treten (oben § 50 II). v. Liszt, Strafrecht. 9. Aufl. 15

226

§ 51-

Die Teilnahme.

Die Bestimmung kann auch durch die Einwirkung mehrerer erfolgen, mögen diese gemeinsam (als Mitanstifter) oder unabhängig voneinander vorgehen. 2. Wesentlich ist der Anstiftung die v o r s ä t z l i c h e B e s t i m m u n g eines andern zu der von ihm begangenen That, d. h. die Hervorrufung des Entschlusses zur That in dem andern. Ebendaraus folgt aber auch, dafs nur Bestimmung zu v o r s ä t z l i c h e m H a n d e l n als Anstiftung im Sinne des Gesetzes betrachtet werden kann. 3. Die Anstiftung ist nach der Auffassung unseres positiven Rechts nicht intellektuelle Urheberschaft, sondern (unselbständige) T e i l n a h m e a n d e r T h a t e i n e s a n d e r n ; sie trägt den Grund ihrer Strafbarkeit nicht in sich, sondern entlehnt ihre Strafbarkeit aus dieser fremden That. 2 ) Erfolg der Anstiftung ist mithin die Hervorrufung des Entschlusses zur That in dem Thäter. Aber dieser Erfolg ist nicht an sich, sondern nur unter der Bedingung strafbar, dafs der Entschlufs des Thäters zu der, sei es vollendeten, sei es auch nur versuchten, strafbaren Handlung geführt hat. 4. Der V o r s a t z des Anstifters besteht in dem Bewufstsein, dafs durch die eigene Willensbethätigung in dem Anzustiftenden der Entschlufs zur Begehung einer bestimmten, strafbaren Handlung hervorgerufen werde. Er mufs mithin auch diese als eine von dem Thäter zu begehende umfassen. 3 ) Begeht der Angestiftete 1 ) Eine Ausnahme (Gleichstellung von Anstiftung, mittelbarer Thäterschaft und Nebenthäterschaft), enthält § 20 des Nachdrucksgesetzes vom 11. Juni 1870 (geltend auch für die Gesetze vom 9., 10. und I I . Januar 1876): „Wer vorsätzlich oder a u s F a h r l ä s s i g k e i t einen anderen zur Veranstaltung eines Nachdrucks v e r a n l a f s t usw., wird bestraft, mag dieser andere vorsätzlich oder fahrlässig oder schuldlos gehandelt haben." Vgl. dazu van Calker Delikte gegen das Urheberrecht 1894 S. 245, 248, 250. 2 ) Diese Ansicht ist freilich auch de lege lata bestritten. Für die richtige Auffassung vor allen R. Ebenso Birkmeyer Teilnahme Note 273, Geyer 1 137, 140, Hälschner 1 398, Löning 95, Meyer 221 u. a. Dagegen u. a. Janka 64 (nach welchem die verursachende Bedeutung der Anstiftung durch das positive Recht nicht beseitigt werden kann), Kohler Patentrecht 522, Studien 1 106; auch bei Binding (vgl. 1 700) bricht die abweichende Auffassung in einer Reihe von Einzelanwendungen durch. Gegen ihn gut Löwenheim (Litt, zu § 49) 12. V g l . oben § 49 Note 3. 3 ) Wesentlich abweichend Löwenheim (Litt, zu § 49). Nach ihm mufs daher ein Irrtum des Anstifters über die von dem Angestifteten begangene That bedeutungslos bleiben.

§ 51.

Die Teilnahme.

227

eine wesentlich andere als die v o m Anstifter vorgestellte Handlung, s o kann ebensoweit Vorsatz des Anstifters nicht angenommen werden (vgl. unten § 52 I 2). 5. D i e Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung A n w e n d u n g findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat. 4 ) II.

Beihilfe ist die vorsätzliche Unterstützung

eines

andern bei dem von ihm begangenen vorsätzlichen V e r brechen oder Vergehen (StGB. § 49). D i e Beihilfe zu einer Ü b e r t r e t u n g bleibt straflos. 5 ) 1. Unterstützung einer Handlung liegt nur dann vor, wenn eine Bedingung zu dem E r f o l g e thatsächlich gesetzt worden ist. D i e Beihilfe mufs also für die Verletzung oder (so auch beim Versuch) für die Gefährdung k a u s a l falls würde nur (strafloser) Versuch

gewesen sein. der Beihilfe

Andern-

vorliegen. 6 )

*) Verschieden von dem Anstifter ist der „ F ü h r e r " , „ A n f ü h r e r " oder „ R ä d e l s f ü h r e r " , welchen der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen (so StGB. §§ 115, 125; Vereinszollges. vom I. Juli 1869 §§ 146, 147; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §§ 89, 9 1 ; Sklavenraubgesetz vom 28. Juli !895 § I u.a.) verwertet hat. Vgl. S e h e r Ii ngt Die Bekämpfung des Sklavenraubs 1897 S. 54 Dabei haben wir unter Führern (den duces factionum der Römer) die geistigen, die Bewegungen der Genossen bestimmenden, Leiter der gesammelten Schar (der Rotte, des contubernium), also nicht notwendig die Anstifter der That, zu verstehen. — Die „Stiftet" and „Vorsteher" der Verbindung hebt hervor StGB. §§ 128, 129. — Vom „ V e r a n s t a l t e r " sprechen das Nachdrucksgesetz (oben Note i) und das Sklavenraubgesetz. Auch hier ist die geistige Leitung das entscheidende; die Veranstaltung aber bedeutet dennoch nicht Anstiftung, sondern Thäterschaft. Über das „Veranlassen" vgl. oben Note 1. — Die A u f f o r d e r u n g unterscheidet sich von der Anstiftung dadurch, dafs sie deren Erfolg, die Bestimmung des andern, nicht voraussetzt. Dasselbe gilt von dem V e r l e i t e n . Doch verlangt dieses, abweichend von jenem, die (wenn auch erfolglose) Einwirkung auf eine bestimmte Person. (Nach Göbel [Litt, zu § 46] wäre „Verleiten" gleichbedeutend mit „Anstiften"). Der Begriff des A n r e i z e n s geht dagegen weiter; er umfafst auch die mittelbare oder versteckte Einwirkung. Anreizen wie Verleiten sind demnach Unterarten des Aufforderns (vgl. § 10 Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884). 6 ) Ausnahme in § 22 des Branntweinsteuergesetzes vom 24. Juni 1887 und § 44 des Zuckersteuergesetzes vom 31. Mai 1891: „Liegt eine Übertretung (?) vor, so ist die Beihilfe und die Begünstigung mit Geldstrafe bis zu 150 Mark zu bestrafen." 6 ) Hilfe-, Beistand-, Vorschubleistung (StGB. §§ 89, 180, 257) setzen Förderung des Erfolges voraus. Abweichend R 20. April 82 6 169 (Kausalität der geleisteten Hilfe sei nicht erforderlich: dann ist aber eben keine Hilfe geleistet worden). Im wesentlichen übereinstimmend mit dem Text (trotz der Unterscheidung von „ursächlich" und „förderlich") Haupt Z 15 569; sehr bestimmt aber yanka, Frank § 49 I und 141. Doch kann versuchte physische als vollendete psychische Beihilfe erscheinen. 15*

228

§5i-

Die Teilnahme.

Die Unterstützung kann eine psychische oder physische sein („Rat oder That"), sie kann auch in der vor der That gegebenen Zusage nachträglicher Begünstigung derselben bestehen (StGB. § 257 Abs. 3; unten § 52 IV). Nie aber darf sie, wenn Vorsatz, bez. Absicht, dem gesetzlichen Thatbestande entsprechen, Teil der Ausführungshandlung sein (oben S. 222). Sie wird sich in den meisten Fällen als eine solche Handlung darstellen, welche, wenn vom Thäter begangen, lediglich eine (straflose) Vorbereitung der That begründen würde. Dafs Beihilfe auch durch Unterlassung begangen werden kann, falls Rechtspflicht zum Thun vorlag, unterliegt keinem Zweifel. Unterlassene Anzeige kann aber, wegen der Sondervorschrift in StGB. § 139, nicht als Beihilfe gestraft werden. 2. Auch die Beihilfe ist nur als v o r s ä t z l i c h e stützung v o r s ä t z l i c h e n Thuns strafbar. 7 )

Unter-

3. Der V o r s a t z des Gehilfen umfafst: 1. Die Vorstellung der eigenen Handlung; 2. die Vorstellung der Handlung eines andern; 3. die Vorstellung, dafs diese Handlung durch jene unterstützt werde. Dagegen ist Kenntnis des Thäters von der ihm geleisteten Hilfe nicht erforderlich. 4. Die Beihilfe setzt als (unselbständige) Teilnahme an der That eines andern unerläfslich voraus, dafs auf Seiten des Thäters eine strafbare Handlung, sei es auch nur auf der Stufe des Versuches, vorliege. Sie ist umgekehrt nach der Beendigung der That ausgeschlossen, wenn diese nicht etwa ein Dauerdelikt (unten S. 238) darstellt.8) 5. Die Strafe des Gehilfen ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen (unten § 70 I) zu ermäfsigen. StGB. § 44, nicht aber § 45, findet mithin Anwendung. Liegt Beihilfe zu einer blofs versuchten ') Ausnahme in StGB. § 121 Abs. 2 (fahrlässige Beförderung der Entweichung eines Gefangenen). Doch liegt hier eben keine Teilnahmehandlung, sondern ein selbständiges Verbrechen vor. 8 ) R 8. November 1893 23 292. Über die Bedingungen der Strafbarkeit s. oben § 44 III 4 c.

§ 52-

Die Teilnahme.

Folgesätze.

229

Handlung vor, so ist zweimalige Herabsetzung des Strafrahmens nötig.9)

§ 52.

Die Teilnahme.

Folgesätze.

I. Nur vorsätzliche Anstiftung oder Beihilfe z u vorsätzlichem Handeln ist Teilnahme im Sinne des Gesetzes. 1 ) I. Mithin ist n i c h t Teilnahme: a. Vorsätzliche Bestimmung oder vorsätzliche Beihilfe zu f a h r l ä s s i g e m Handeln. Vielmehr liegt hier ein Fall der mittelbaren Thäterschaft (oben S. 221) vor. 2 ) b. F a h r l ä s s i g e Bestimmung oder f a h r l ä s s i g e Beihilfe zu f a h r l ä s s i g e m Handeln. Hier greift die allgemeine Regel durch, dafs jeder, der durch sein Verhalten eine Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt hat, als Nebenthäter (oben § 50 IV) für diesen verantwortlich zu machen ist. c. F a h r l ä s s i g e Bestimmung oder f a h r l ä s s i g e Beihilfe zu vorsätzlichem Thun mufs straflos bleiben. Teilnahme im technischen Sinne kann nicht angenommen werden, weil das gesetzlich erforderliche Merkmal der Vorsätzlichkeit fehlt; aber auch mittelbare Selbstbegehung ist ausgeschlossen, da nach Annahme des Gesetzes, wie die positivrechtliche Behandlung der An9 ) Nur in einzelnen Fällen droht das Gesetz dem Gehilfen g l e i c h e Strafe wie dem Thäter; so in StGB. § 143, § 3 des Reichsstempelgesetzes vom 27. April 1894, § 318 des Handelsgesetzbuchs. Einen besondern Strafrahmen für die Beihilfe enthalten StGB. §§ 203 und 219; Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 § 15 (gegen Makler und Unterhändler, welche wissentlich unversteuerte Wechsel verhandelt haben). Eine besondere Form der Beihilfe enthält § 92 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872: Verweigerung des Gehorsams gegenüber Befehlen des Vorgesetzten, welche sich auf Abwehr oder Unterdrückung von Nötigung und Widerstand beziehen. — Zu beachten ist ferner, dafs überall dort, wo der Gesetzgeber Versuch und Vollendung in Bezug auf die Bestrafung gleichstellt oder gar schon das Unternehmen mit der Vollendungsstrafe belegt (oben S. 206), wegen der thatsächlichen Unmöglichkeit, die vorgeschriebene Herabsetzung des Strafrahmens vorzunehmen, Thäter und Gehilfe unter denselben Strafrahmen fallen. Es ist daher insbesondere Beihilfe nicht blofs zum vollendeten, sondern auch zum versuchten Mord aus StGB. § 80 mit dem Tode zu bestrafen. Richtig Geyer 2 127, Hälschner 2 735. Dagegen R 15./20. Dezember 1884 12 64; Berner 354, Binding 354, Frank § 80 V, Merkel 376, Meyer 253, Ölshausen § 8 0 7. Ebenso selbstverständlich dort, wo der Gesetzgeber selbst den Unterschied von Thäterschaft und Teilnahme aufgegeben (vgl. oben § 49 Note 2) oder Teilnahmehandlungen zu selbständigen Verbrechen erhoben hat (unten § 52 Note s). Der Grundsatz selbst ist, wie alle seine Folgesätze, sehr bestritten. Vgl. insbes. die zu § 49 angeführten Schriften von Bintz und Helmer. 2 ) Ebenso R 20. Juni 92 2 3 175. Dagegen Beling Z 18 272, Binding Grundrifs 1 114, Birkmeyer Teilnahme 141, van Calker Delikte gegen das Urheberrecht 1894 S. 248, 258, Ölshausen § 4 8 18, insbes. aber Bintz. Danach aber würde, wer böswillig den Gutgläubigen bestimmt, nur wegen Fahrlässigkeit haften.

230

§ 52.

D i e Teilnahme.

Stiftung (oben § 49 II 1) ergiebt,

Folgesätze.

die freie und vorsätzliche Handlung des

scheinbar Angestifteten den Kausalzusammenhang unterbricht (oben S. 123). 2. Anstifterund Gehilfe haften nur für die v o r s ä t z l i c h

hervorgerufene,

beziehungsweise unterstützte Handlung. a. Decken sich Handlung des Angestifteten und Anstiftervorsatz in einem wesentlichen

Punkte

nicht, so liegt diesbezüglich Anstiftung nicht

vor.

D i e oben über Vorsatz und Irrtum überhaupt gegebenen Regeln beanspruchen auch hier durchgreifende Geltung.

In durchaus unzutreffender Weise

man hier wohl von einem e x c e s s u s m a n d a t i .

spricht

Hat der zu Raub Angestiftete

einen Mord, der zu Betrug Angestiftete einen Diebstahl begangen (oder auch umgekehrt), so kann die begangene Handlung dem Anstifter nicht zum Vorsatze zugerechnet werden.

Nur wenn sich die vom Angestifteten begangene

Handlung als das Mehr gegenüber derjenigen darstellt, zu welcher angestiftet worden, ist Zurechnung des Weniger zum Vorsatze des Anstifters möglich; so, wenn es sich um Raub statt Diebstahls oder um einen erschwerten Fall statt des einfachen handelt.

Zu beachten ist in allen diesen Fällen, dafs der un-

bestimmte Vorsatz alle nicht ausgeschlossenen Erfolge umfafst (oben § 40 I), sowie, dafs dem Teilnehmer auch der von ihm weder vorhergesehene, noch für ihn vorhersehbare E r f o l g zugerechnet wird, soweit auch beim Thäter von jedem Verschulden abgesehen wird (oben § 36 Note 6). b. Das Gesagte gilt auch dann, wenn auf Seiten des Angestifteten ein sogenannter e r r o r i n o b j e c t o oder eine sogenannte a b e r r a t i o i c t u s vorliegt (oben § 40 IV).

Auch hier kommen schlechtweg die allgemeinen Regeln

über die Behandlung des Irrtums zur Anwendung.

D o c h kann hier, wenn in-

folge dieser Regeln der Vorsatz des Hauptthäters als ausgeschlossen erscheint, auf Seiten des Anstifters mittelbare Selbstthäterschaft anzunehmen sein. 3 ) c. Erfordert der Thatbestand

eines Verbrechens

ein bestimmtes Motiv

(z. B. Eigennutz bei der Kuppelei), so mufs der Teilnehmer wissen, dafs den Thäter dieses Motiv bestimmt, er braucht aber seinerseits durch dieses Motiv nicht bestimmt zu sein. 4 ) Dieselben Grundsätze gelten auch für den Gehilfen. II.

D i e S t r a f b a r k e i t d e r T e i l n a h m e ist b e d i n g t d u r c h

die S t r a f b a r -

keit d e r H a u p t h a n d l u n g . I. Anstiftung wie Beihilfe barkeit der H a u p t h a n d l u n g

sind

demnach unmöglich,

wenn die Straf-

ausgeschlossen ist (doch kann hier mittelbire

3) V g l . hier die an einen praktischen Fall (v. Liszt Strafrechtsfälle 5. Aufl. 1895 Nr. 43) sich anschliefsende Litteratur. Bühlau Der Fall RoseRosahl 1859. Goltdammer und Hälschner G A . 7 ; Bühlau G A . 8 ; Pfotenhazer GS. 1 3 ; Ge/sler (Litt, zu § 39) 240; Schütze (Litt, zu § 49) 265; Geier H H . 2 360. Neuerdings Siegel (Litt, zu § 40) und Löwenheim (Litt, zu § 49). — Rosahl hatte (1858 bei Halle) den Rose angestiftet, den Schliebe zu töten; Rose hält den Harnisch für Schliebe und erschiefst jenen. D i e herrscherde Ansicht (oben § 40 Note 5) betrachtet Rose als Mörder, Rosahl als Anstif;er zum Mord. Über die geradezu unmöglichen Folgerungen aus dieser Ansieht vgl. Siegel. 4 ) Ebenso R 25. Oktober 1889 20 12. V g l . den umgekehrten Satz oben § 5 ° II 4.

§ 52-

Die Teilnahme.

Folgesätze.

231

Thäterschaft vorliegen), werden aber nicht berührt von dem Wegfall der Strafbarkeit des T h ä t e r s (persönlicher Strafausschliefsungsgrund, Strafaufhebungsgrund, Mangel einer Prozefsvoraussetzung). 2. a. Die v e r s u c h t e , sei es fehlgeschlagene, sei es unvollendete, A n s t i f t u n g , ist nicht Anstiftung im technischen Sinne. Denn es fehlt an der strafbaren Handlung des Thäters, aus welcher die Anstiftung ihre Strafbarkeit ableiten könnte. Daher kann auch die versuchte Anstiftung nicht als versuchte Selbstbegehung des Verbrechens bestraft werden. Zur versuchten (mifslungenen) Anstiftung gehört auch die in der gemeinrechtlichen Wissenschaft und Gesetzgebung vielbesprochene Anstiftung des sogenannten alias oder omnimodo facturus, d. h. des schon vor der Einwirkung zur That Entschlossenen. b. Ebenso mufs die v e r s u c h t e , sei es unvollendete, sei es fehlgeschlagene, B e i h i l f e straflos bleiben. Hierher gehört auch der Fall, dafs die geleistete Hilfe ohne Einflufs auf den Erfolg geblieben ist, z. B. der Thäter das ihm zur Tliat geliehene Werkzeug nicht benutzt hat und auch durch die Hilfeleistung in seinem Entschlufs nicht bestärkt worden ist.5) 3. a. Ebenso wie versuchte Anstiftung ist A n s t i f t u n g zum V e r s u c h e nicht möglich. Der Vorsatz des Anstifters wie des Thäters mufs auf die Ausführung gerichtet sein. Fehlt dieser Vorsatz dem T h ä t e r (dieser will z. B. nur „versuchen", ob der falsche Schlüssel öffae), so liegt strafbarer Versuch überhaupt nicht vor. Fehlt er dem A n s t i f t e r (dieser will z. B., dafs der Thäter auf dem Versuche ertappt werde), so kann von Anstiftung keine Rede sein. Der sogenannte Agent provocateur ist daher nur strafbar, wenn er den Thäter zur (vollendeten) Ausführung verleitet, um ihn vielleicht hinterher der Bestrafung zu überliefern. Dann liegt eben vollendete Anstiftung zu vollendetem Verbrechen vor. 6 ) b. Ebenso ist B e i h i l f e ausgeschlossen, wenn der Gehilfe voraussieht, dafs der Erfolg nicht eintreten werde oder gar nicht eintreten könne.7) 6 ) Vgl. oben § 51 Note 6. — Völlig verfehlt Schneider (Litt, zu § 46), der das Dingen des Lohnmörders als versuchten Mord betrachtet. — Nichts aber hindert den Gesetzgeber, die erfolglos gebliebene Anstiftung als selbständiges Verbrechen (nicht als Teilnahmehandlung) unter Strafe zu stellen. E r hat dies, freilich in willkürlichster Weise, gethan in StGB. §§ 49 a, 85, i n , 1 4 1 , 159, 210, 357; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 § 88; Mil.StGB. §§ 99, 100, 1 1 0 , 1 1 6 (dazu Hecker 233), 149. Wettbewerbgesetz vom 27. Mai 1896 § 1 0 ; Genossenschaftengesetz in der Fassung vom 12. August 1896 § 145 a. Dasselbe gilt von der versuchten Beihilfe, vgl. StGB. §§ 1 4 1 , 347; sowie von der Beihilfe zu einer an sich straflosen Handlung, vgl. StGB. §§ 120, 1 2 1 , 180, 285, 347, 354, 355. 6 ) Richtig Birkmeyer Teilnahme 166, Janka 144, Kohler Studien 1 1 2 1 . Insbesondere auch R 17. Februar 87 15 315. Dagegen u. a. Borchert 56. — Frank § 48 IV, Löwenheim (Litt, zu § 49) 50, Olshausen § 48 14 nehmen auch bei Anstiftung zum Versuch Strafbarkeit an. Geyer HH. 2 349, 4 1 6 1 , Meyer 225 wollen zwischen der formellen und der materiellen Vollendung des Verbrechens (Eintritt einer „sachlichen Verletzung", oben § 46 I) unterscheiden. Vgl. Note 7. 1 ) Der „Gehilfe" weifs z. B., dafs das Abtreibungsmittel gänzlich un-

232

§ 52•

Die Teilnahme.

Folgesätze.

TTT. Aus der unselbständigen Natur der Teilnahme folgt weiter: 1. Anstiftung zur Anstiftung und Anstiftung zur Beihilfe erscheint als m i t t e l b a r e T e i l n a h m e a n d e r H a u p t t h a t ; die erstere ist nach dem auf die Hauptthat gesetzten ursprünglichen, die letztere nach dem herabgesetzten Strafrahmen der Beihilfe zu bestrafen. Auch Beihilfe zur Beihilfe und Beihilfe zur Anstiftung ist mittelbare Teilnahme an der Hauptthat; daher ist im ersten dieser beiden Fälle die durch § 49 StGB, geforderte Herabsetzung des Strafrahmens nur einmal vorzunehmen. 8 ) 2. M e h r f a c h e Anstiftung zu einundderselben Hauptthat ist immer nur e i n Verbrechen; doch kann Mehrthäterschaft in Bezug auf die Anstiftung desselben Thäters durch mehrere Personen vorliegen. Wenn zu m e h r e r e n Hauptthaten durch einunddieselbe Handlung, z. B. durch e i n aufreizendes Wort, angestiftet worden ist, so liegt wegen Einheit der Willensbethätigung trotz Mehrheit der Erfolge Einheit der Handlung (unten § 54 III i) vor. 9 ) 3. Der Anstifter wie der Gehilfe b l e i b t straflos, wenn er selbst, sei es durch psychische, sei es durch physische Einwirkung, das Zustandekommen der strafbaren Handlung v e r h i n d e r t ( „ W i d e r r u f ' genügt nicht). Auch dieser Satz ergibt sich aus der. unselbständigen Natur der Teilnahme und ist nicht als Rücktritt vom n i c h t b e e n d e t e n Versuche nach § 46 Ziff. I StGB, aufzufassen. Dagegen kann sich, wenn b e e n d e t e r Versuch vorliegt, der Anstifter allerdings ebenso wie der Gehilfe durch freiwillige Abwendung des Erfolges (StGB. § 46 Ziff. 2; oben § 48) einen Strafaufhebungsgrund für seine Person sichern. 4. Wenn der Gesetzgeber Versuchs- oder Vorbereitungshandlungen als selbständige Verbrechen unter besondere Strafe gestellt hat (oben S. 206), so findet auf Thäter und Teilnehmer derselbe Strafrahmen Anwendung (oben § 5 1 Note 9). Derselbe Satz mufs aber auch dann Anwendung finden, wenn Teilnahmehandlungen vom Gesetze als selbständige Verbrechen bestraft werden (oben Note 5). IV. Bei m e h r f a c h e r Beteiligung derselben P e r s o n a n d e m s e l b e n V e r b r e c h e n wird die leichtere F o r m d e r Beteiligung d u r c h die s c h w e r e r e a u f g e z e h r t (konsumiert) (unten § 56 II). Wenn der Anstifter sich später an der Ausführung des Verbrechens als Thäter oder aber als Gehilfe beteiligt, •behandelt ihn das Strafrecht im ersten Falle nur als Thäter, im zweiten nur als Anstifter. 10 ) Da die B e g ü n s t i g u n g keine A r t der Teilnahme ist (oben § 49 IV 2), geeignet ist. Vgl. R 28. März 87 16 25, 29. Mai 88 17 377. Übereinstimmend hier die gemeine Meinung, insbesondere Olshausen § 49 21. 8 ) Ebenso R 17. November 92 2 3 300. Dagegen Frank § 49 II 3. 9 ) Nicht also reale Konkurrenz. Richtig Bünger Z 8 712, Frank § 73 IH, Kohler Studien 1 116, Olshausen § 73 19. Dagegen zuletzt R 7. Juli 84 11 37, 16. April 86 14 92; ferner Birkmeyer Teilnahme 181, Borchert 52, John 2 255, Merkel 147, Ortloff Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt 4 2 ioo, Siegel (Litt, zu § 40) 41. Vgl. oben § 50 Note 7. 10 ) Ebenso R 31. Mai 95 27 273 (der Thäter kann nicht zugleich als Anstifter seines Gehilfen bestraft werden).

§ 53-

Die Teilnahme.

Einflufs persönlicher Verhältnisse.

233

könnten an sich der Anstifter zu einer strafbaren Handlung wie der Gehilfe sich (in wirklichem Zusammentreffen) der Begünstigung in Bezug auf die vom Thäter erlangte Sache schuldig machen. Diese Möglichkeit wird abgeschnitten durch die ausdrückliche Vorschrift in StGB. § 257 Abs. 3. Siehe darüber den Besondern Teil. V. Die Anwendung der Grundsätze über Teilnahme erleidet gewisse Einschränkungen. 1. Diejenige Person, deren Interessen d u r c h eine S t r a f d r o h u n g geschützt werden, kann nicht w e g e n Teilnahme a n einer Übertretung dieses Gesetzes bestraft werden. So die Entführte nicht wegen Beihilfe zu der Entführung, die Schülerin nicht wegen Anstiftung des Lehrers zu dem Verbrechen des § 174 Abs. I R S t G B . ; der übervorteilte Minderjährige ist nicht nach §§ 301, 302, der Bewucherte nicht nach § 302 a strafbar. 2. W e n n das Gesetz Teilnahmehandlungen als selbständige V e r b r e c h e n unter b e s o n d e r e Strafe stellt, während die H a u p t h a n d l u n g straflos bleibt, so k a n n der Thäter nicht wegen Anstiftung oder Beihilfe zu d e r Teilnahmehandlung bestraft werden. 1 1 ) Ist also Teilnahme an dem (an sich straflosen) Selbstmorde strafbar, so kann der Selbstmörder nicht wegen Anstiftung zur Beihilfe bestraft werden. Wer den Kuppler bezahlt, bleibt ebenso straffrei wie der Gefangene, der eiaen andern bestimmt, ihm zur Selbstbefreiung behilflich zu sein (vgl. Besondern Teil). 3. W e n n die Straflosigkeit gewisser Personen aus d e m Z u s a m m e n h a n g e der gesetzlichen Bestimmungen erkennbar ist, dürfen diese auch nicht als T e i l n e h m e r an der That eines andern bestraft w e r d e n . Vgl. unten Besondern Teil über StGB. §§ 331 ff., §§ 241 und 243 Konkursordnung.

§ 53. I.

Die Teilnahme. Aus

Einflute persönlicher Verhältnisse.

der u n s e l b s t ä n d i g e n

Natur

der

Teilnahme

würde folgen, dafs i. die Strafbarkeit der Thäterhandlung auch dann für Anstifter und Gehilfen mafsgehend sein müsse, die

Strafbarkeit

der

Thäterschaft

durch

persönliche

wenn Eigen-

schaften oder Verhältnisse des Thäters begründet, erhöht oder vermindert wird;

dafs 2. persönliche Eigenschaften

hältnisse der Teilnehmer müssen.

Anders

selbst völlig

dagegen

und V e r -

aufser Betracht

bei Mitthätern

und

bleiben

Nebenthätern

(oben § 5 0 III, I V ) , von denen jeder s e l b s t ä n d i g , also nach seinen eigenen

persönlichen

Eigenschaften

strafbar ist. 11

1 Dagegen neuerdings Beling Z 18 271.

und

Verhältnissen,

§ 53.

Die Teilnahme.

Einflufs persönlicher Verhältnisse.

II. D a s geltende R e c h t selbständigen Natur

hat

diese

Folgerung

aus der un-

der T e i l n a h m e uneingeschränkt zu

ziehen

sich gescheut und damit seiner eigenen A u f f a s s u n g die Spitze abgebrochen.

S t G B . § 5 0 b e s t i m m t nämlich: „ W e n n das G e -

setz die S t r a f b a r k e i t einer Handlung nach den Eigenschaften dieselbe

oder Verhältnissen

persönlichen

desjenigen, w e l c h e r

b e g a n g e n hat, erhöht oder vermindert,

besonderen Thatumstände

dem Thäter

so sind diese

oder demjenigen

Teil-

nehmer (Mitthäter, Anstifter, Gehilfen) zuzurechnen, bei welchem sie vorliegen." 2 ) 1. D e m n a c h sind persönliche Eigenschaften oder V e r hältnisse,

welche

die

Strafbarkeit

erhöhen

oder

ver-

mindern, entgegen der oben (unter I) gezogenen Folgerung stets

denjenigen Beteiligten

zuzurechnen, in deren P e r -

son sie vorliegen, aber auch nur ihnen. Beispiele: Wenn der Nicbtverwandte B den Sohn A des Vaters C oder wenn er die Mutter A des neugeborenen Kindes C zur Tötung des Vaters oder Kindes C bestimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A oder die Mutter A dem Fremden B zur Tötung des Vaters oder des Kindes C Hilfe geleistet haben: so ist in beiden Fällen der Fremde B nach den Bestimmungen über gemeine Tötung, der Sohn A nach den über Aszendententotschlag, die Mutter A nach den über Kindestötung geltenden Bestimmungen zu beurteilen. Dasselbe gilt von Jugend, Rückfälligkeit, Gewerbs- und Gewohnheitsmäfsigkeit 3 ) usw.

2. W e n n es sich dagegen um persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse handelt, w e l c h e ein an sich strafloses T h u n erst zu einem strafbaren machen, w e l c h e die Strafbarkeit also erst begründen, nicht erhöhen oder vermindern, so sind diese, w e n n beim T h ä t e r vorliegend, der oben (unter I) aufgestellten R e g e l gemäfs stets auch den Teilnehmern (Anstiftern und Gehilfen) zuzurechnen (nicht umgekehrt). 4 ) Hier g e l a n g t also die Unselbständigkeit der Teilnahme zur vollen A n e r k e n n u n g . Beispiel: Anstiftung und Beihilfe zu einem reinen Amtsverbrechen sind r)

Die Bestimmung war dem preufsischen StGB, von 1851 fremd. Die Erwähnung der Mitthäter in § 50 ist überflüssig (vgl. oben I). 3 ) Für diese beiden letzteren Umstände anerkannt von R Beschlufs der vereinigten Strafsenate 18. April 94 2 5 265. Gegen die Einbeziehung des Rückfalls Bindbig 1 129, Frank § 50 II. Vgl. aber § 149 des Vereinszollgesetzes von 1869. 4 ) Ebenso R 9. Januar 96 2 3 100. 2)

§ 54-

Einheit und Mehrheit der Handlungen.

235

nach den für dieses gegebenen Bestimmungen zu beurteilen, während, wenn der Beamte Anstifter oder Gehilfe, ein Nichtbeamter aber Thäter ist, ein Verbrechen überhaupt nicht vorliegt; denn der Nichtbeamte kann nur als mittelbarer, nicht aber als unmittelbarer Thäter ein Amtsverbrechen begehen. Dasselbe 6 ) gilt bezüglich der Teilnahme von Zivilpersonen an Militärverbrechen.

III. Strafaufhebungsgründe, mangelnde Prozefsvoraussetzungen und persönliche Strafausschliefsungsgründe wirken ihrem W e s e n nach, ohne dafs es diesbezüglich einer ausdrücklichen Bestimmung bedürfte, stets nur für denjenigen Beteiligten, in dessen Person sie vorliegen (vgl. oben § 48 Note 4).

III. Einheit und Mehrheit der Verbrechen. § 54.

Einheit und Mehrheit der Handlungen.

L i t t e r a t u r . v. Buri Einheit und Mehrheit der Verbrechen 1879. Merkel HH. 2 579, 4 224. Hiller GS. 32 195. Derselbe bei Grünhut 13 126. Schütze Z 3 48. Binding 1 349, 500, 547. v. Liszt Z 6 694. Bünger Z 8 520. Max Berner Der Grundsatz Ne bis in idem im Strafprozefs 1891 S. 63. Ortloff GA. 32 395. Derselbe Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt 42 97, 202. Habermaas Die ideale Konkurrenz der Delikte 1882. Löwenstein Die Verbrechenskonkurrenz nach dem RStGBi 1883. Heinemann Die Lehre von der Idealkonkurrenz 1893. Wachenfeld Theorie der Verbrechenskonkurrenz 1893. Pflaum Über Gesetzeskonkurrenz auf dem Gebiete des Strafrechts 1898. Thomas Über das Wesen der idealen Konkurrenz von Delikten und seine theoretischen und praktischen Konsequenzen bei der Bestrafung. Diss. 1897. Jakobs Die Idealkonkurrenz. Erlanger Diä?. 1897. — Brunner 2 541. Schreuer (Litt, zu § 4). Hinschius Kirchenrecht 5 944.

I. Das Verbrechen ist Handlung, d. h. (oben § 28) eine auf menschliches W o l l e n zurückführbare V e r änderung in der Aufsenwelt. Liegt nur eine Handlung vor, so ist mithin nur ein Verbrechen gegeben. 1 ) Aber 6 ) Ebenso Frank § 48 IV, Meyer 229; ferner R 5. April 94 25 234, 8. April 95 27 158; dagegen Kohler Studien 1 135, Seuffert StG. 1 78; sowie besonders Sonanini Die Teilnahme von Zivilisten an militärischen Verbrechen und Vergehen. Erlanger Diss. 1897. Dabei kann die Anwendung der militärischen Freiheitsstrafen zu Schwierigkeiten führen. Vgl. Olshausen 5 48 32. 1 ) Die gegenteilige Ansicht hätte die Irrtümlichkeit sei es der Auffassung des Verbrechens als Handlung, sei es des oben aufgestellten Handlungsbegriffes nachzuweisen. Wer, wie Binding, das Verbrechen als Normwidrigkeit be-

236

§ 54-

Einheit und Mehrheit der Handlungen.

auch eine Mehrheit von Handlungen kann vom Gesetzgeber als ein Verbrechen betrachtet und mit einer Strafe belegt werden. Die Untersuchung der Frage, wann ein V e r b r e c h e n vorliegt, wann deren mehrere gegeben sind, setzt daher die Entscheidung der Vorfrage voraus, wann wir es mit einer H a n d l u n g und wann wir es mit einer Mehrheit von Handlungen zu thun haben. II. Handlungseinheit ist jedenfalls dann gegeben, wenn durch eine einheitliche Willensbethätigung ein einheitlicher Erfolg herbeigeführt, also z. B. durch einen Flintenschufs ein Mensch getötet oder durch unterlassene Weichenstellung ein Eisenbahnzug zum Entgleisen gebracht worden ist."2) III. Handlungseinheit kann ferner gegeben sein: 1. Durch die Einheit der Willensbethätigung trotz Mehrheit des Erfolges. Wenn ein Wort mehrere Menschen beleidigt, ein Schufs mehrere Jagdvögel trifft, durch eine fahrlässige Unterlassung Hunderte von Menschen ums Leben kommen, liegt immer nur e i n e Handlung vor (vgl. unten § 56 Note 1). Daran kann selbst die Artverschiedenheit der eingetretenen mehreren Erfolge nichts ändern. Hat der geschleuderte Stein einen Menschen getötet, den zweiten verletzt und aufserdem eine Scheibe zertrümmert, so können wir nur von e i n e r Handlung mit mehreren Erfolgen, nie aber von mehreren Handlungen sprechen 3 ) (vgl. unten § 56 Note 2). 2. Durch die Einheit des eingetretenen oder (beim stimmt, mufs dahin kommen, soviele Verbrechen anzunehmen, als Normen übertreten sind. Freilich, ist von da noch ein weiter Schritt bis zu der völlig doktrinäres Folgerung, dafs, da mehrere Verbrechen vorliegen, auch mehrere Handlungen gegeben sein müssen. So nimmt Dinding 1 566 bei blutschänderischem Ehebruch zweifachen Beischlaf an. Solche Schulweisheit bedarf keiner ernsten Widerlegung (vgl. v. Liszt Z 6 694). Sie steht auf einer Stufe mit der Behauptung, dafs, wenn e i n Mensch in zwei Staaten Staatsbürgerrecht besitzt, w i r es mit z w e i M e n s c h e n zu thun haben. Unklar aber auch Bünger Z 8 665, Hälschner 1 672, Janka 155, Ortloff 42 109, Wachenfeld 102. 2 ) Dies gilt auch dann, wenn die Herbeiführung des Erfolges unter mehrere Strafgesetze fällt. Vgl. über diesen hier noch nicht zu erörternden Fall unten § 56, insbesondere Note 4. 3 j Ebenso ganz bestimmt R I I . J u l i 90 21 63. — Verbreitet ist der Fehlschlufs: Handlung ist Kausalität; mehrere Erfolge verlangen mehrere Kausalitäten; mithin liegen mehrere Handlungen vor. So v. Buri Einheit 107,

§ 54-

Einheit und Mehrheit der Handlungen.

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Versuche) auch nur vorgestellten Schlufs-Erfolges trotz Mehrheit der Willensbethätigungen. 4 ) O b aber im Einzelfalle Einheit des Erfolges anzunehmen sei, ist nach folgenden Regeln zu beurteilen. a. Bei denjenigen Rechtsgütern, die nur in der Person ihres Trägers verletzt oder gefährdet werden können (wie Leben, Ehre, geschlechtliche Freiheit), entscheidet die Einzahl oder Mehrzahl der angegriffenen Personen über die Einheit oder Mehrheit des Erfolges. Wenn A den B durch eine Reihe von Axthieben tötet oder durch eine Flut von Schimpfwörtern beleidigt, ist mit der Einheit des Erfolges die Einheit der Handlung gegeben. b. Viel schwieriger gestaltet sich die F r a g e bei den übrigen Rechtsgütern, welche auch losgelöst von der Person ihrer T r ä g e r (oder nur in dieser Loslösung) der Gefährdung oder Verletzung zugänglich sind. Es ist zweifellos nur e i n e Sachbeschädigung vorhanden, wenn ein Marmorstandbild durch wiederholte Schläge mit dem Hammer zertrümmert, wenn eine Maschine durch langwierige, vielleicht unterbrochene, Arbeit in ihre Teile zerlegt und unbrauchbar gemacht wird. A b e r auch das Wegnehmen mehrerer, einzeln fortgetragener, Sachen, die Beschädigung mehrerer Gegenstände durch wiederholtes Zuschlagen kann als e i n e Handlung erscheinen; und zwar selbst dann, wenn die weggenommenen oder beschädigten Sachen v e r s c h i e d e n e n Eigentümern gehören. Die Einheit des Erfolges kann hier gegeben sein durch die Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t der Gegenstände, die in demselben Schaufenster, demselben Gasthof sich befinden; also durch die Einheit des Gewahrsams. Fehlt es an dieser zusammenfassenden Beziehung (z. B. es hat A durch ganz übereinstimmende Vorspiegelungen mehrere Personen beschwindelt), so kann nicht Einheit der Kausalität (1885) 80, GS. 41 435; dagegen Bünger Z 8 698, Hahchner 1 657 Note 1, Hecker 140, Hiller GS. 35 200, Meyer 435, Olshausen § 73 2, Ortmann GA. 35 33, Schütze Z 3 64. Vgl. auch Frank Z 14 371. Schon die mittelalterlichen Italiener stritten über den Fall, wenn jemand durch einen Stich mit einer zweizinkigen Gabel zwei Verletzungen verursacht; vgl. Kohler Studien 3 296. — Der Fehler liegt in der Gleichstellung von Handlung und Erfolg. 4) Das Unterlassen wird wohl stets als einheitliche Willensbethätigung erscheinen. Vgl. aber auch unten 2e.

23»

§ 54-

E i n h e i t u n d M e h r h e i t der H a n d l u n g e n .

Handlung, wohl aber des Verbrechens (fortgesetztes Verbrechen, unten S. 240) angenommen werden. c. An die Vermögensrechte schliefsen sich in dieser Beziehung die Urheberrechte an. Es ist jedenfalls unrichtig, hier nur die Personenzahl der Verletzten entscheiden lassen zu wollen. 5 ) Man denke an Sammelwerke, die aus Beiträgen verschiedener Verfasser zusammengesetzt sind. d. Vielfach hat das Gesetz selbst darauf hingewiesen, dafs die Mehrheit der Willensbethätigungen wegen der Einheitlichkeit des Erfolges zu einer Einheit zusammenzufassen sei, indem es sich solcher Ausdrücke bedient, welche eine Mehrheit von Einzelhandlungen umfassen. So sprechen die §§ 146 ff. StGB, nicht von der Nachmachung einzelner Geldstücke, sondern von Geld usw. überhaupt; 6 ) so gebraucht § 176 StGB., wie viele andere, die Mehrzahl „unzüchtige Handlungen"; so liegt in den Ausdrücken „Zweikampf, „Schlägerei", „Mifshandlung", „Betrieb eines Gewerbes", „Unternehmen einer Lotterie" und manchen anderen die Umfassung einer Reihe von Einzelhandlungen. Dennoch ist es unrichtig oder doch irreführend, hier mit v. Buri von „gesetzlicher Einheit" zu sprechen. Denn die Einheit ist nicht erst durch das Gesetz geschaffen, sondern in der Einheitlichkeit des Erfolges begründet; es liegt ein Fall der natürlichen Handlungseinheit vor. 7) e. E i n e Handlung enthält ferner wegen der Einheit des Erfolges das sog. f o r t d a u e r n d e V e r b r e c h e n oder Dauerverbrechen, d. i. die ununterbrochene Verwirklichung des verbrecherischen Thatbestandes; so eine durch Wochen oder Monate andauernde Freiheitsentziehung, die dauernde Veränderung des Personenstandes, das Verhungernlassen eines Kindes. Und dasselbe gilt, wenn auch aus anderm Grunde, von dem sog. Z a s t a n d s v e r b r e c h e n , bei welchem, wie bei der Doppelehe oder der Körperverletzung mit dauerndem Siechtum, der durch die einmal abgeschlossene Handlung herbeigeführte, dauernde rechtswidrige Zustand nicht weiter in Betracht kommt. 6

) A b w e i c h e n d f r e i l i c h die ü b e r w i e g e n d e M e i n u n g . ) G ä n z l i c h v e r f e h l t ist es, h i e r m i t Binding 1 577, d i e Z a h l d e r Münzarten e n t s c h e i d e n z u l a s s e n . R i c h t i g Meyer 428. ') D a g e g e n n e u e r d i n g s Rathenau i n d e r zu § 55 a n g e f . S c h r i f t S. 74. 6

§ 55-

§ 55.

Handlungsmehrheit und Verbrechenseinheit.

Handlungsmehrheit und Verbrechenseinheit.

L i t t e r a t u r . Über das f o r t g e s e t z t e Verbrechen: Ältere Arbeiten von Krug, v. Schwarze, v. Woringen (1842), John (1866), Merkel (1862). Ferner Merkel HH. 2 573, 4 225. v. Buri Beiträge 144. Kohler Patentrecht 516. Binding 1 540. Koch G A . 39 245. Rathenau Zur Lehre vom fortgesetzten Verbrechen mit besonderer Berücksichtigung seiner Geltung nach dem RStGB. Berliner Diss. 1896. Neuburger Das fortgesetzte Verbrechen nach der Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts. Erlanger Diss. 1896. Prager Zur Lehre vom fortgesetzten Verbrechen 1896. Farnbacher Der Begriff des sog. fortgesetzten Verbrechens und seine juristischen Konsequenzen, insbes. Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem. Erlanger Diss. 1897. Schütze Z 3 48 (zu I I 4). — Zu III: Dochoio Zur Lehre vom gewerbs- und gewohnheitsmäfsigen Verbrechen 1871. v. Lilienthal Beiträge zur Lehre vom Kollektivdelikt 1879. Wahlberg Ges. Schriften 1 136. Gennat Jahrbücher t 54.

I. Aber auch wo eine Mehrheit von natürlichen Handlungen vorliegt, kann diese der strafrechtlichen Betrachtung als eine Verbrechenseinheit erscheinen. In diesen F ä l l e n mufs die Einheit in allen r e c h t l i c h e n B e z i e h u n g e n als s o l c h e b e t r a c h t e t und behandelt w e r d e n . Das juristisch einheitliche Verbrechen ist demnach überall dort begangen, wo, und in jedem der Augenblicke, in welchen eine der Handlungen begangen wurde; bei einem Wechsel der Gesetzgebung kommt immer das mildere, bei einem Widerspruch zwischen dem einheimischen und dem fremden Rechte immer das erstere zur Anwendung. Ist auch nur eine der Einzelhandlungen erschwert, so ergreift die Erschwerung auch die übrigen Handlungen, soweit nicht eben durch die Erschwerung einer Einzelhandlung die Einheit aufgehoben wird Teilnahme an einer Einzelhandlung ist stets Teilnahme an dem einheitlichen Verbrechen. Dasselbe gilt von der Begünstigung. Die Verjährung beginnt nicht, ehe die letzte der Handlungen gesetzt wurde, und ebenso ist die Antragsfrist von der letzten Handlung zu berechnen. Durch die Entscheidung auch nur über eine der Einzelhandlungen wird Rechtskraft bezüglich der gesamten Einheit begründet usw.*) Übereinstimmend bezüglich des Antrages R 18. März 87 15 370; bezüglich der Verjährung R 3. März 84 10 204, 25. Mai 86 14 145. Vgl. unten § 77 Note 4. — Abweichend 'Neuburger 20, Rathenau 106, R 5. März .88 17 227 bez. der Teilnahme dritter an den Teilhandlungen.

§ 55-

Handlungsmehrheit und Verbrechenseinheit.

II. Die wichtigsten Fälle einer solchen durch das Gesetz geschaffenen Verbrechenseinheit sind: i. Das fortgesetzte Verbrechen, d. i. die unterbrochene, stofsweise wiederholte Verwirklichung desselben verbrecherischen Thatbestandes; eine Mehrheit von (bisher nicht bestraften) Handlungen, juristisch zusammengehalten durch ihre Gleichartigkeit, die nicht nur in ihrer Richtung gegen dasselbe Rechtsgut, sondern besonders in der Ähnlichkeit der Begehungsart begründet sein mufs. 2 ) Beispiele: Das ehebrecherische Verhältnis des A mit der C führt zu einer Reihe von Beischlafsakten; D treibt mit demselben Knaben in mehreren aufeinanderfolgenden Nächten widernatürliche Unzucht; E gibt das auf einmal verschaffte Geld in Teilbeträgen aus; der Diener nimmt sich täglich eine Zigarre aus dem Zigarrenkästchen seines Herrn. Dagegen könnte von fortgesetztem Verbrechen keine Rede mehr sein, wenn der Ehebrecher, nachdem er das Verhältnis gelöst, später mit einer andern Frauensperson sich vergeht; oder wenn der Zigarrendieb das früher offene, später verschlossene Kästchen nunmehr gewaltsam erbricht. ! ) Als delictum continuatum schon im gemeinen Recht (Engau, Koch u. a.) mit einer einzigen Strafe belegt, wurde das fortgesetzte Verbrechen von den deutschen LandesStGBüchern, wenn auch in verschiedener Fassung, meist ausdrücklich erwähnt. Aus dem Schweigen des RStGB. läfst sich, da dieses auch die übrigen Fälle der juristischen Handlungseinheit nicht ausdrücklich behandelt, kein Grund zur Verwerfung des Begriffes ableiten. Ebenso mit der gemeinen Meinung in ständiger Rechtsprechung R. Dagegen Max Berncr (Litt, zu § 54) 96, v. Buri Beiträge 234, Geyer 1 184, v. Lilienthal 61, Ortloff GA. 24 422, 32 423 u. a. — Aber auch bei den Anhängern des Begriffes herrscht Meinungsverschiedenheit über seine Fassung, hervorgerufen durch das mifsverständliche Bestreben, die n a t ü r l i c h e H a n d l u n g s m e h r h e i t auf eine natürliche H a n d l u n g s e i n h e i t zurückzuführen. Diesen Fehler begeht auch R , welches Einheitlichkeit des Vorsatzes (nicht des Entschlusses), Gleichartigkeit der Begehungsform und Einheit des angegriffenen Rechtsgutes verlangt. So zuletzt R 27. November 91 22 235, 17. November 92 23 300. Auch Rathenau verlangt Einheit auf der Willensseite. Dagegen mit Recht Farnbacher. Auch das f a h r l ä s s i g e Vergehen läfst fortgesetzte Begehung zu. — Wachenfeld 94 betont, wie Merkel, v. Schwarze, die Einheitlichkeit des rechtlich bedeutsamen Erfolges, verkennt aber nicht, dafs eine Mehrheit natürlicher Handlungen vorliegt. Damit ist aber die Grenze gegenüber den oben § 54 III 2 besprochenen Fällen verwischt. Auch Frank § 74 I I hält sich von diesem Fehler nicht frei. Richtig u. a. van Calker Delikte gegen das Urheberrecht 1894 S. 297, Friedländer Z 11 412, Janka 151, Löning 90, Neuburger 7, auch Meyer 428. — Die einheitliche Strafe ist ein Bedürfnis der Rechtsprechung; wünschenswert dagegen wäre die Möglichkeit einer ausgiebigen Strafschärfung. — Ausgeschlossen ist die Zusammenfassung von Handlungen, zwischen welchen eine Bestrafung liegt. R 17. März 90 20 316.

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Handlungsmehrheit und Verbrechenseinheit."

2. Auch durch gemeinsame Bedingung der Strafbarkeit (oben § 44 III) kann eine Mehrheit natürlicher Handlungen zur juristischen Einheit zusammengefafst werden. Doch läfst sich eine allgemeine Regel nicht aufstellen. Die Verbürgung der Gegenseitigkeit z. B. (StGB. §§ 102, 103) vermag eine Verbrechenseinheit jedenfalls nicht zu begründen. Wohl aber ist eine solche anzunehmen beim Bankbruch, wenn es sich um dieselbe Zahlungseinstellung handelt (vgl. unten Besondern Teil). 3. Einen Fall der juristischen Handlungseinheit bildet auch das zusammengesetzte Verbrechen, soweit nicht bereits nach § 54 III 1 eine natürliche Haudlungseinheit gegeben ist. Es liegt vor, wenn das Gesetz aus zwei an sich rechtswidrigen, gegen verschiedene Rechtsgüter gerichteten Handlungen einen einheitlichen Verbrechensbegriff bildet. So ist der Begriff des Raubes aus Diebstahl und Nötigung, jener der Notzucht aus Nötigung und Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre zusammengesetzt. 4. Endlich gehören hierher die beiden folgenden Fälle: a. Die verbrecherische Handlung, welche als Mittel zur Begehung einer andern gedient hat (Beispiel: die Sachbeschädigung beim Einbruchsdiebstahl), ist mit dieser zu einer Einheit zusammenzufassen, wenn sie zu den gesetzlichen Merkmalen der letztern gehört oder als das dem gewöhnlichen Hergange entsprechende Mittel vom Gesetzgeber stillschweigend vorausgesetzt wird. b. Die verbrecherische Handlung, welche als Verwirklichung der zum Begriffe eines andern Verbrechens erforderlichen Absicht erscheint (Beispiel: die Aneignung der durch Diebstahl oder Betrug erlangten Sache), ist mit dieser zu einer Einheit zusammenzufassen, wenn diese Verwirklichung als dem gewöhnlichen Hergange entsprechend stillschweigend von dem Gesetzgeber vorausgesetzt wird. 3 ) ' ) Übereinstimmend im wesentlichen R 1 1 . Dezember 84 11 3 5 5 , 26. April v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

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§ 55-

Handlungsmehrheit und Verbrechenseinheit.

III. Unter den Begriff der juristischen Handlungseinheit gehört endlich auch das sog. Kollektivdelikt im e. S., bei welchem eine Reihe von Einzelhandlungen, die aus derselben Lebensrichtung hervorgegangen sind (Wachenfeld), mit einer einzigen Strafe belegt wird. Man rechnet hierher: 1. Das gewerbsmäßige Verbrechen (das „quasi artem exercere" der Römer). Es kennzeichnet sich einerseits durch den auf öftere Wiederholung gerichteten Entschlufs, anderseits durch die Absicht des Thäters, sich durch diese Wiederholung eine, wenn auch nicht regelmäfsig oder dauernd fliefsende, Einnahmequelle (verschieden von der einmaligen E r l a n g u n g eines Vermögensvorteils) zu verschaffen. 2. Das geschäftsmäßige Verbrechen. Es teilt mit dem gewerbsmäfsigen den auf öftere Wiederholung gerichteten Entschlufs, unterscheidet sich von ihm aber dadurch, dafs die Absicht, sich eine Einnahmequelle zu eröffnen, nicht vorzuliegen braucht. 3. Das gewohnheitsmäfsige Verbrechen. Es liegt vor, wenn infolge wiederholter Begehung die Triebkraft des verbrecherischen Reizes verstärkt, die Widerstandskraft geschmälert ist. Gewohnheit ist mithin der d u r c h w i e d e r h o l t e B e gehung einer bestimmten Handlung hervorger u f e n e H a n g zu d e r e n w e i t e r e n B e g e h u n g . 4 ) In allen drei Fällen genügt für die Strafbarkeit, dafs, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, e i n e strafbare Handlung zur richterlichen A b urteilung gelangt. Dann liegt allerdings ein Kollektivdelikt überhaupt nicht

87 15 426, 12. bez. 19. November 88 18 286. — Liegt Handlungseinheit vor, so sind die Rechtssätze über Idealkonkurrenz zur Anwendung zu bringen. 4 ) Verwendung dieser Begriffe in der Reichsgesetzgebung: I. G e w e r b s m ä f s i g k e i t : StGB. §§ 260, 284, 294, 3o2d und e, 361 Ziff. 6; Münzgesetz vom 9. Juli 1873 § 13; Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 § 57 Abs. 2 ; Patentgesetz vom 25. Mai 1877 § 4; Gesetz vom 25. Juni 1887 (blei- und zinkhaltige Gegenstände) § 4, vom 5. Juli 1887 (gesundheitsschädliche Farben) § 12; § 145b des Genossenschaftsgesetzes vom 12. Angust 1896; § 45 Abs. I Auswanderungsgesetz vom 9. Juni 1897. Über die Bedeutung desselben Ausdruckes im Urheberrecht vgl. unten Besondern Teil. — 2. G e s c h ä f t s m ä f s i g k e i t : StGB. § 144; § 45 Abs. 2 Auswanderungsgesetz. — 3. G e w o h n h e i t s m ä f s i g k e i t : StGB. §§ 150, 180, 260, 302 d und e ; Münzgesetz vom 9. Juli 1873 § 1 3 ; Börsengesetz vom 22. Juni 1896 § 78; Genossenschaftengesetz vom 12. August 1896 § 145 b. — Begriff und Behandlung des Kollektivdeliktes ist wiederholt, insbesondere von Dochow 96, Janka 153, v. Lilienthal 112, lebhaft angefochten worden. Die Angriffe sind berechtigt,

§ 56.

Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.

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vor, und die höhere Strafbarkeit des e i n e n , allein zur Aburteilung stehenden Verbrechens rechtfertigt sich nur durch den auf Wiederholung gerichteten Entschlufs oder durch den durch Wiederholung erzeugten Hang. 6 ) D a g e g e n liegt ein Kollektivdelikt stets dann vor, wenn wirklich m e h r e r e H a n d l u n g e n zur richterlichen Aburteilung stehen und trotz der Mehrheit der Handlungen nur e i n gewerbsmäfsiges usw. Verbrechen angenommen werden mufs. Am deutlichsten aber tritt die Eigenart des Kollektivdelikts zu T a g e auf dem Gebiete des Prozefsrechts. Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung sind die sämtlichen zur Einheit gehörigen, wenn auch nicht bekannt gewordenen Handlungen; nachträgliche Verfolgung der einen oder andern dieser später bekannt werdenden Handlungen wird durch die rechtskräftige Erledigung des Kollektivdelikts ausgeschlossen. 6 )

§ 56.

Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.

I. Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit ist die gleiche, m a g dieser eine Handlungseinheit oder aber eine Handlungsmehrheit entsprechen. D e m einheitlichen Verbrechen entspricht die eine und einheitliche Strafe. Dies gilt auch dann ausnahmslos, wenn eine; Mehrheit von gleichartigen, d. h. unter dasselbe Strafgesetz fallenden, Erfolgen vorliegt: das mehrfach übertretene Strafgesetz findet nur einmal Anwendung, und die Mehrheit der Erfolge kann nur bei Zumessung der Strafe innerhalb des Strafrahmens berücksichtigt werden. 1 ) Schwieriginsoweit die Bestrafung der thatsächlich vorliegenden mehreren Handlungen milder ist als die eines Zusammentreffens mehrerer Verbrechen. 5 ) Soweit jener Entschlufs oder dieser Hang aus vergangenen Handlungen gefolgert wird, ist deren Strafbarkeit gleichgültig; auch verjährte, begnadigte, im Auslande begangene, bereits bestrafte, j a selbst nicht einmal rechtswidrige Handlungen können mitherangezogen werden. Das Reichsgericht schwankt. Richtig 23. Januar 82 5 3 9 7 ; unrichtig 24. Januar 82 5 370. Im Sinne des Textes die gemeine Meinung gegen Binding 1 249, 550 Note 12. Gegen die Berücksichtigung verjährter Handlungen Binding 1 826 N o t e 7, v. Risch Z 9 268 Note 53. •) Durchaus zutreffend R 6./8. Dezember 94 2 6 300. Ebenso im Grundsatz, aber mit bedenklicher Einschränkung, R 24. November 93 2 4 419. Für d i e richtige Ansicht Bockshammer Über die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem auf dem Gebiet des fortgesetzten und Kollektivdelikts. Tübinger Diss. 1896. Dagegen Farnbacher G S . 5 4 386. *) Die herrschende Ansicht spricht hier von „ g l e i c h a r t i g e r i d e a l e r V e r b r e c h e n s k o n k u r r e n z " und will den § 73 StGB, „ a n a l o g " zur Anwendung bringen. Diese Auffassung ist völlig verkehrt. Sie steht auch im Widerspruche zu dem Gesetze, welches eine „gleichartige Idealkonkurrenz" überhaupt nicht kennt. 16*

244

§ 56.

Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.

keiten entstehen aber dann, wenn die Verbrechenseinheit auf den ersten Blick unter mehrere verschiedene Strafgesetze fällt, wenn, wie StGB. § 73 sagt, „ e i n e u n d d i e s e l b e H a n d l u n g m e h r e r e S t r a f g e s e t z e verletzt". 2 ) Wie die bisherigen, durch den unzweideutig klaren Wortlaut des Gesetzes unterstützten, Ausführungen ergeben, ist hier nicht von einem Zusammentreffen mehrerer V e r b r e c h e n , wohl aber von einem solchen mehrerer verletzter S t r a f g e s e t z e die Rede. Nicht Verbrechenskonkurrenz, sondern G e s e t z e s k o n k u r r e n z liegt vor. Und die Frage ist die: Wie ist diese ,.Konkurrenz" zu lösen, welches der verletzten Strafgesetze ist zur Anwendung zu bringen? Bei der Lösung dieser Frage, die strenggenommen nicht zur Lehre vom Verbrechen, sondern zu der der Gesetzesanwendung gehört, sind zwei Fälle auseinanderzuhalten. II. Der erste Fall. W e n n von den mehreren v e r letzten Strafgesetzen eins die Handlung nach allen ihren Seiten berücksichtigt, sodafs Thatbestand und V e r brechensbegriff sich vollständig decken, so ist lediglich dieses Strafgesetz auf die Handlung anzuwenden. So geht die b e s o n d e r e B e s t i m m u n g d e r a l l g e m e i n e n v o r . Majestätsbeleidigung fällt immer unter § 9 5 StGB., nie unter § 185; Fälschung eines Legitimationspapieres zum Zwecke besseren Fortkommens ist immer nach § 3^3 StGB., nie als Urkundenfälschung im Sinne des § 267 zu behandeln. — Die Strafbarkeit des T h ä t e r s s c h l i e f s t d i e w e g e n T e i l n a h m e , die Strafbarkeit des Anstifters die wegen Beihilfe (oben § 52 IV), das v o l l e n d e t e Verbrechen die Strafbarkeit des V e r s u c h s sowie der Vorbereitungshandlungen aüs (Konsumtion). — Strafdrohungen, welche nach ausdrücklicher oder stillschweigender Anordnung des Gesetzes anderen gegenüber nur a u s h i l f s w e i s e Geltung haben, werden durch diese ausgeschlossen (Subsidiarität). Beispiele bieten StGB. §§ 49a und 207. 3 )

Richtig v. Kries 267 (der sich auf StPO. § 415 beruft), Ortloff 42 202, Wachenfeld 57. Vgl. aber Bänger Z 8 689. 2 ) Auch hier sind die bereits oben § 54 hervorgehobenen beiden Fälle zu unterscheiden: I. Einheit der Willensbethätigung mit Einheit des Erfolges (oben § 54 XI); z. B. blutschänderischer Ehebruch. 2. Einheit der Willensbethätigung mit Mehrheit des Erfolges (oben § 54 III 1); z. B. derselbe Schufs verwundet einen Menschen und zertrümmert eine Scheibe. Die rechtliche Behandlung der beiden Fälle ist aber dieselbe. Vgl. Jakobs (Litt, zu § 54) 33. 3 ) Schon Merkel hat diese Fälle aus der Idealkonkurrenz ausgeschieden und als Gesetzeskonkurrenz bezeichnet. Der Ausdruck ist irreführend. In Wahrheit ist von „Konkurrenz" ,,mehrerer Gesetze" keine Rede, da unzweifelhaft nur eins von ihnen Anwendung beanspruchen kann. Binding hat den

§ 56.

D i e rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.

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III. D e r z w e i t e Fall. Die unvermeidliche Lückenhaftigkeit unsrer Gesetzgebung bringt es mit sich, dafs diese Regel in zahlreichen Fällen versagt, weil wir keinen Paragraphen finden, welcher der Handlung nach allen ihren Seiten gerecht würde. W e n n keines der verletzten S t r a f g e s e t z e die H a n d l u n g erschöpfend berücksichtigt, bleibt nur ein, freilich g e w a l t s a m e r und w e n i g b e f r i e d i g e n d e r , A u s w e g ü b r i g : w i r w e n d e n j e n e s S t r a f g e s e t z a n , w e l c h e s uns d u r c h die S p a n n w e i t e seiner S t r a f r a h m e n die volle W ü r digung der H a n d l u n g w e n i g s t e n s a n n ä h e r u n g s w e i s e gestattet. 4 ) So ist die Notzucht an der eigenen Tochter, die sowohl unter § 173 als unter § 177 StGB, fallen würde, nach dem letztern Paragraphen zu bestrafen. Diese Aushilfsregel B e g r i f f erweitert durch Aufstellung der Gruppen der „ S u b s i d i a r i t ä t " und „Alternativität" der Strafgesetze. Jedoch gehört die letztere, die z. B. zwischen Mord und T o t s c h l a g besteht, überhaupt nicht hierher. V g l . aber auch Bünger Z 8 686, Wachenfeld 53. 4) D i e herrschende Ansicht spricht h i e r , insbesondere seit Klein und Feuerbach, von „ u n g l e i c h a r t i g e r i d e a l e r V e r b r e c h e n s k o n k u r r e n z " ; eine Handlung, mehrere Verbrechen. S o neuerdings insbes. Berner V o r w o r t zur 17. Aufl., Frank § 7 1 I , Janka 1 5 5 . D i e A u f f a s s u n g steht aber nicht nur im offensichtlichen Widerspruche zu Sinn und Wortlaut des § 7 3 ; sie übersieht auch, dafs die „ i d e a l e Verbrechenskonkurrenz" dem gemeinen Rechte ebenso fremd g e blieben ist (vgl. aber Kock 1788), wie, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, den aufserdeutschen Gesetzgebungen. — Mit dem T e x t e im wesentlichen übereinstimmend Hiller G S . 3 2 195 und bei Grünhut 13 126, v. Kries 207, Ortloff G A . 3 2 400 und Blätter 4-2 209, Rathenau (Litt, zu § 55) 72, Schütze Z 3 71, Wachenfeld J 7 t insbesondere aber Heinemann (mit erschöpfender D a r s t e l l u n g der F r a g e ) . Übereinstimmend auch Binding 1 349, freilich in vollem Widerspruche mit Binding 1 5 7 0 (weshalb Päderastie des L e h r e r s mit dem Schüler anders zu behandeln ist als blutschänderischer Ehebruch, vermag ich nicht einzusehen). E b e n s o ferner Bünger Z 8 696, wenn auch mit andrer Begründung. N a c h Jakobs liegt weder Verbrechens-, noch Gesetzeskonkurrenz v o r , w o h l a b e r K o n k u r r e n z von Verbrechenselementen. — Ein wertvoller B e w e i s für die Richtigkeit meiner Auffassung liegt d a r i n , d a f s der Gesetzgeber mit einem Federstrich durch E i n f ü g u n g einer besonderen Bestimmung die scheinbare Verbrechenskonkurrenz beseitigen kann. Man denke an § 1 7 8 S t G B . , welcher die Annahme einer „Idealkonkurrenz" von T ö t u n g und Notzucht unmöglich macht. D a s wäre doch nicht d e n k b a r , wenn nicht die „ I d e a l k o n k u r r e n z " in Wahrheit Gesetzeskonkurrenz wäre. — E s mufs j e d o c h hervorgehoben werden, d a f s das römische wie d a s kanonische Recht, teilweise auch das deutsche Mittelalter (vgl. z. B. Knafp 1 3 8 ) auch auf unsern F a l l den Satz zur Anwendung brachten: quot delicta, tot poenae. D e r Fortschritt besteht eben in der schärferen A u s p r ä g u n g des Handlungsbegriffs und d e r damit g e g e b e n e n Unterscheidung thatsächlich verschiedener Fälle. Zu beachten ist, dafs nach § 1 3 5 Vereinszollgesetz und verschiedenen anderen Steuergesetzen mehrfache S t r a f e trotz Einheit der H a n d l u n g eintreten k a n n ; vgl. R I I . März 92 2 3 I .

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§ 56.

Die rechtliche Behandlung der Verbrechenseinheit.

und nicht mehr spricht § 73 StGB, aus, nach welchem nur dasjenige Gesetz zur Anwendung kommt, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht.5) Für den Richter ergiebt sich in diesem Falle die Notwendigkeit, urteilsmäfsig festzustellen (gegebenen Falls durch Befragung der Geschwornen), d a f s die Handlung unter beide Strafgesetze fällt, und was ihn bei der Auswahl geleitet. Hat er aber die Wahl einmal getroffen, so ist das mildere Strafgesetz bei der Srtafzumessung in k e i n e r Weise zu berücksichtigen. Ebendarum kann, wenn das schwerere Gesetz ein geringeres Mindestmafs hat als das mildere, unter das Mindestmafs des letztern bei der Strafzumessung herabgegangen werden. 8 ) Eine etwa in dem mildern Strafgesetz angedrohte Nebenstrafe kann bei Anwendung des schwerern Gesetzes, welches sie nicht kennt, nicht verhängt werden. Wohl aber sind polizeiliche Mafsregeln (z. B. Einziehung) zulässig und der Bufsanspruch des Verletzten kann durch die Anwendung der strengeren Strafdrohung nicht geschmälert werden. 7 ) Nachträgliche Verfolgung wegen des leichtern Verbrechens wird durch die Rechtskraft des Urteils ausgeschlossen; es kann mithin auch nicht etwa später die Annahme eines Rückfalls auf jene Feststellung gegründet werden.8) Zu berücksichtigen ist, dafs die Strafarten ihrer Schwere nach in folgender Reihe aufeinander folgen: Todesstrafe, Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft, Haft, Geldstrafe; dafs stets die schwerste Strafe, auf die erkannt werden kann, also bei gleicher Strafe das höhere Höchstmafs (trotz etwaiger Zulassung mildernder Umstände) und nur, wenn dieses gleich ist, das höhere Mindestmafs, entscheidet ; dafs erst in dritter Linie Nebenstrafen, niemals aber Arten der Privatgenugthuung oder Prozefsvoraussetzungen zu berücksichtigen sind. 9 ) 6) § 73 ist stets anzuwenden, soweit nicht der Fall unter I vorliegt. Daher ist es zwecklos, die Möglichkeit einer Idealkonkurrenz verschiedener Verbrechen zu untersuchen, wie Meyer, Olshausen u. a. das thun. 6 ) Übereinstimmend R 8. Februar 83 8 84, 10. November 87 16 302, Geyer 1 189, Merkel HH. 4 229. Dagegen R 3. März 81 3 390, Hecker 143, Meyer 441, Olshausen § 73 35. 7 ) Abweichend Jakobs 40. 8) Übereinstimmend (aufser Heinemann) v. Buri Einheit 1IO, Derselbe GS. 35 522, Geyer 1 189, Hälschner 1 683, Habermaas 27, Jakobs 51, Merkel HH. 4 229, Schütze Z 3 72. Dagegen Frank § 73 V , Meyer 442, Olshausen § 73 24, Wachenfeld 79, 81, insbes. aber R 15. Oktober 88 18 193, 8. März 95 27 86 (im Widerspruch mit seinen eigenen Ausführungen über die „absolute Exklusivität" des schwereren Strafgesetzes). ») Übereinstimmend R 10. November 87 16 302 (Geldstrafe immer milder als Freiheitsstrafe); 7. März 93 24 58 (wahlweise Anordnung schwererer Gefängnisstrafe und Geldstrafe ist milder als ausschliefsliche Androhung geringerer Gefängnisstrafe). R 12. Dezember 87 17 193 will Polizeiaufsicht nicht berücksichtigen, da ihr Eintritt nicht im Willen des Gerichtes liegt; dagegen mit Recht Meyer 441 Note 31, H. Seuffert W V . 2 256.

§ 57-

§ 57.

Die Verbrechensmehrheit.

247

Die Verbrechensmehrheit.

L i t t e r a t u r . Olshausen Einflufs der Vorbestrafungen Strafenkonkurrenz 1879. Hälschner 1 653.

1876.

Rosenblatt

Mehrere Verbrechen desselben Thäters stehen nicht notwendig in rechtlicher Beziehung zu einander. Wir haben im Gegenteile, von besonderer gesetzlicher Anordnung abgesehen die mehreren Verbrechen desselben Thäters ebensoselbständig zu behandeln, wie mehrere Handlungen verschiedener Thäter. Eine strafrechtlich erhebliche Beziehung der mehreren Handlungen desselben Thäters untereinander entsteht nur durch das kriminalpolitische Bedürfnis nach Schärfung oder Milderung der an sich verwirkten Strafe. Nach geltendem Rechte kann diese Beziehung sein: I. Rückfall, d. i. Begehung eines gleichen oder gleichartigen Verbrechens nach gänzlicher oder teilweiser Verbüfsung oder Erlassung der wegen eines früher begangenen gleichen oder gleichartigen Verbrechens zuerkannten Strafe; vorausgesetzt, dafs nicht seit Verbüfsung oder Erlafs der früheren Strafe bis zur Begehung des neuen Verbrechens ein gewisser Zeitraum (sogenannte R ü c k f a l l s v e r j ä h r u n g ) verstrichen ist, welcher die strafrechtliche Beziehung zwischen beiden Handlungen als zerrissen erscheinen läfst. Der Rückfall wird nach Reichsrecht nur in einzelnen Fällen als Strafschärfungsgrund verwendet (unten § 69). II. Reale Konkurrenz oder wirkliches Zusammentreffen mehrerer selbständiger strafbarer Handlungen (StGB. § 7 4 ) . S i n d diese gleichartig, so spricht man von W i e d e r h o l u n g ; sind sie ungleichartig, von H ä u f u n g . Die folgerichtige Durchführung des grundsätzlich unstreitig richtigen Gedankens, dafs bei Begehung mehrerer Verbrechen durch Wann e i n e Handlung, wann m e h r e r e vorliegen, ist nach den oben § 54 aufgestellten Grundsätzen zu beurteilen. — Bei Verbreitung einer Druckschrift von mehreren Verbreitungsmittelpunkten aus liegt wirkliches Zusammentreffen ebensovieler (strafbarer) Handlungen vor: so der 15. deutsche Juristentag 1 71, 2 350 im Anschlufs an das Gutachten v. Liszts\ R. 23. Dezember 81 5 314, Olshausen § 73 19, Stenglein GS. 35 24. Dagegen Binding 1 585 Note 45, Schütze Z 3 70; Meyer 444 Note n will j e nach der im Einzelfalle entwickelten Thätigkeit verschieden entscheiden.

248

§ 57-

D i e Verbrechensmehrheit.

denselben Thäter jede der verbrecherischen Handlungen mit der ihr entsprechenden Einzelstrafe, die Summe jener Handlungen daher mit der Summe dieser Einzelstrafen zu belegen sei, führt nach der heute in der Gesetzgebung herrschenden Auffassung bei Vollzug der Freiheitsstrafen zu unerträglichen Härten (unten § 73). Die gesetzliche Anordnung der Milderung dieser Härten erheischt die gesetzliche Feststellung der Voraussetzungen, unter welchen die Abweichung von dem Grundsatze stattfinden soll, und führt somit zu der Aufstellung des Begriffes des Zusammentreffens. 2) Voraussetzungen des Begriffes sind: einerseits die, wenn auch thatsächlich vereitelte, r e c h t l i c h e M ö g l i c h k e i t g l e i c h z e i t i g e r A b u r t e i l u n g , anderseits d i e thatsächliche Möglichkeit nachträglicher Berücks i c h t i g u n g j e n e r r e c h t l i c h e n M ö g l i c h k e i t . Genauer gesprochen: (Wirkliches) Zusammentreffen mehrerer Vergehungen ist die Begehung mehrerer verbrecherischer Handlungen durch denselben Thäter, wenn 1. die mehreren Handlungen begangen waren, e h e w e g e n e i n e r v o n i h n e n d a s U r t e i l g e s p r o c h e n w o r d e n ist. (Rechtskraft des Urteils nicht erforderlich.) Beispiel: Die V e r b r e c h e n a, b, c sind am 1. Januar, I. Februar, I. März begangen; Zusammentreffen l i e g t vor, wenn die Aburteilung wegen a, b und c am 15. März e r f o l g t ; aber auch dann, wenn am 15. März lediglich über das Verbrechen a gesprochen w u r d e und die Verbrechen b und c erst nachträglich zum Vorschein kommen.

Dagegen

steht das

am

16. M ä r z

begangene

Ver-

brechen d nicht mehr im „Zusammentreffen" mit a, b und c (StGB. § 74).

2. W e n n d i e v e r w i r k t e n S t r a f e n gleichzeitig z u r V o l l s t r e c k u n g k o m m e n . Dies ist zunächst der Fall, wenn sämtliche strafbare Handlungen Gegenstand derselben Verhandlung und Entscheidung waren. Bei nicht gleichzeitiger Aburteilung ist Zusammentreffen nur dann anzunehmen, wenn die nachträgliche Entscheidung über das später entdeckte Verbrechen stattfindet, solange eine Verbesserung des früheren Urteils noch möglich ist, solange also die in dem frühern Urteile ausgesprochene Strafe noch nicht vollständig verbüfst, verjährt oder erlassen ist (StGB. § 79). 2 ) Ebendarum sprechen Geyer 1 184, Hälschmr 1 654, Rosenblatt statt v o n Verbrechenskonkurrenz v o n Strafenkonkurrenz.

3 u. a.

§ 57-

Die Verbrechensmehrheit.

249

Beispiel: Ist der Verbrecher wegen a am 15. März zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden, so ist Zusammentreffen von b und c mit a anzunehmen, wenn b und c vor dem 15. Juni zur Aburteilung kommen; nicht aber, wenn an dem Tage, an welchem das Urteil wegen b und c gefallt werden soll, die wegen a erkannte Strafe bereits verbüfst, verjährt oder erlassen ist. Das spätere Urteil hat dann unter Berücksichtigung der früher ausgesprochenen Gesamtstrafe auf eine Z u s a t z s t r a f e zu erkennen. 3 ) ®) Aber auch wenn jemand mit Aufserachtlassung des § 79 StGB, durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu mehreren Strafen verurteilt wurde, sind die erkannten Strafen noch nachträglich durch gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen. StPO. §§ 492, 494.

Zweites Buch.

Die Strafe. i.

§ 58.

Der Begriff der Strafe.

Xiitteratur. Zu I, I : Meyer 2. Merkel Abhandlungen 1 57. Heime HH. 1 337. Binding Normen 1 270. — Zu I, 2: Nissen Die Einziehung 1888. JCöbner Die Mafsregel der Einziehung nach dem RStGB. und der Nachdrucksgesetzgebung. 1892. Vorberg Die Einziehung der Produkte und Werkzeuge eines Delikts, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Rostocker Diss. 1895. Grüter Zur Lehre von der Einziehung mit besonderer Rücksicht auf das schweizerische Strafrecht. Diss. 1895. Friedländer Das objektive Verfahren nach dem Reichsstrafprozefsrecht 1895. H. Seuffert WV. 1 313. Kronecker GA. 2 8 16. Borchert Verantwortlichkeit S. I. Binding 1 489. Meisel Finanzarchiv 5 I, insbesondere 45. Engels Z 12 127. Haimann Die rechtliche Natur der subsidiarischen Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen nach den Zoll- und Steuergesetzen des Deutschen Reichs 1892. Leverkühn GA. 3 8 290. Ötker Kriminelle und zivile Haftung dritter nach hessischen Rechtsquellen. Festgabe für Ihering 1892. Derselbe in den zu § 43 angeführten Schriften. Büren Die subsidiäre Haftung f ü r Geldstrafen, zu denen andere verurteilt worden, nach den Gesetzen des Deutschen Reichs. Erlanger Diss. 1896. — Zu I, 3 : Meisel a. O. Anschütz Verwaltungsarchiv 1893 S. 389. — Zu I I : Hinschius Kirchenrecht 4 753 Note 9. v. Liszt HR. „Ordnungsstrafe". Die Lehrbücher des Staatsrechts. Oppenheim Die Rechtsbeugungsverbrechen 1886. Glaser t 280. John 1 78. v. Kries 68. H. Seuffert WV. 1 47. Labes Die Disziplinargewalt des Staates über seine Beamten 1889. Preger LA. 7 365. Kübel Die rechtliche Natur der Disziplinarstrafen über Beamte. Erlanger Diss. 1892. Hiller Die Disziplinarstrafen in den Österreich. Strafanstalten und Gerichtsgefangnissen in rechtsvergleichender Darstellung 1894. Rosin (oben § 17 Note 3) 103. — Zu III: G. Meyer WV. 2 203, Friedländer GS. 46 417. Klippel 247.

§ 58.

Der Begriff der Strafe.

251

I. Strafe') ist das vom Strafrichter gegen den Verbrecher wegen des Verbrechens erkannte Übel. 1.

D i e S t r a f e ist ein Ü b e l ,

welches

der Verbrecher

leidet; sie ist R e c h t s g ü t e r v e r l e t z u n g ,

er-

V e r l e t z u n g recht-

lich geschützter Interessen durch die sonst schützende R e c h t s o r d n u n g selbst.

D a d u r c h unterscheidet sie sich wesentlich v o n

d e m Schadensersatz,

m a g sie auch mit ihm unter den gemein-

s a m e n höhern B e g r i f f der R e c h t s f o l g e n des U n r e c h t s werden

2

können. )

Denn

Rechtsgüterverletzung;

er

S c h a d e n s e r s a t z ist soll

die W u n d e

S t r a f e eine neue W u n d e s c h l ä g t

gebracht

Beseitigung

heilen,

der

während

und so die A u f r e c h t h a l t u n g

der R e c h t s o r d n u n g sichert. Nicht unter den B e g r i f f der S t r a f e fallen daher, weil Zwecke

der

Genugthuung

m ö g e n , sondern

auch

(für den nicht blofs am

an anderen

Rechtsgütern

dem Ver-

verursachten

Schaden) dienend: a.

D i e B u f s e (unten § 67).

b.

Die A u s f e r t i g u n g

an den V e r l e t z t e n , s o w i e Bekanntmachung

des verurteilenden

Erkenntnisses

die B e f u g n i s zu dessen

auf K o s t e n

des V e r u r t e i l t e n . 3 )

öffentlicher Denn

auch

') Das Wort findet sich erst seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts. Die Etymologie ist eine sehr zweifelhafte. Vgl. Günther "Wiedervergeltung 1 5, Loning Z 5 546 Note 18. Andere mittelalterlichdeutsche Ausdrücke sind büfsen, bessern, wandeln, kehren (auch pein, pön). — Auch hier (vgl. oben § 26 Note I) ist nur der positivrechtliche Begriff in Frage. 2 ) Ebenso Binding Normen 1 270, yanka 159, Meyer 7; dagegen Heinze HH. 1 337, Merkel Abhdlgn. 1 57. Es darf aber nicht vergessen werden, dafs auch die Strafe dem Verletzten Genugthuung gewährt und diese von dem Thäter als ein Übel empfunden wird; dafs also Privatrecht und Strafrecht auch in dieser Frage nicht völlig getrennt vorgehen dürfen. Vgl. dazu v. Liszt Deliktsobligationen 3. 3 ) StGB. §§ 165 und 200; Patentgesetz § 35, Gebrauchsmustergesetz § 10, Warenzeichengesetz § 19, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 27. Mai 1896 § 13 Abs. I. Dagegen ist die Veröffentlichung des Urteils N e b e n s t r a f e in § 16 Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879, § 10 des Weingesetzes vom 20. April 1892, § 13 Abs. 2 des Wettbewerbgesetzes, § 20 des Margarinegesetzes vom 15. Juni 1897. Abweichend vom Text erklärte R in einer Reihe von Entscheidungen, insbes. (verein. Strafsenate) 17. April 82 6 180, die fragliche Mafsregel stets für eine Strafe. Sehr bezeichnend für die Unklarheit dieser Ansicht ist die Fassung in R 17. Mai 87 16 73: „eine Strafe lediglich zur Genugthuung des Verletzten". Ebenso Berner 487, Bisckoff GA. 29 141 Note 3. Dochow HH. 3 260, Geyer 2 39, Hälschner 2 213, Hefi Die falsche Anschuldigung 1888 S. 65, Merkel 173 sowie HH. 4 230, Schütze 364; ganz besonders aber Günther 3 I. Hälfte 536 (der den Zusammenhang mit der Vergeltungsidee betont). Übereinstimmend mit dem Text Bilnger Z 8 718 Note

252

§ 58.

Der Begriff der Strafe.

hier handelt es sich nicht darum, durch Demütigung des Beleidigers diesen in seinen rechtlich geschützten Interessen zu verletzen, sondern darum, die verletzte Ehre des Beleidigten durch gerichtliche Ehrenerklärung wiederherzustellen. Begnadigung des Verurteilten bleibt daher einflufslos. 2. Strafe ist Verletzung eines Rechtsgutes, dessen Träger der V e r b r e c h e r ist, und zwar u m ihn in diesem seinem Interesse zu treffen. Trifft die Verletzung nicht den Verbrecher, oder trifft sie ihn nur nebenher, so liegt Strafe nicht vor. Daher sind nicht Strafe: a. P o l i z e i l i c h e M a f s r e g e l n , deren Zweck es nicht ist, ein Interesse des Verbrechers zu verletzen. Hierher gehört die Auflösung einer Versammlung, die Schliefsung eines Vereins, die Zwangserziehung; hierher gehört ferner die Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung von Gegenständen, welche durch ein Verbrechen hervorgebracht oder zur Begehung eines Verbrechens gebraucht oder bestimmt sind, von Druckschriften strafbaren Inhaltes usw.4) b. D i e H a f t u n g d r i t t e r P e r s o n e n für die von dem Schuldigen verwirkten Geldstrafen, die sich in vielen Reichsund Landesnebenstrafgesetzen ausgesprochen findet.5) 123, van Calker Delikte gegen das Urheberrecht 1894 S. 296, Elsas Begnadigungsrecht (Litt, zu § 75) 54 Note, Frank 1. Abschnitt III und § 200 I, Francke GA. 20 19, Fuchs 434, Klippel 455, Kohne Z 8 448. Loiting 55, Meyer 7, 397 Note 1, Olshausen § 165 I, § 2 0 0 4, Ötker Z 17 532 Note 101, Reiffei GS. 4 2 68, Reinhardt (Litt, zu § 63) 8. — Nach Binding Grundrifs 1 197, 2 271 ist die Ausfertigung stets „Rufreparation". Ähnlich Göhrs (Litt, zu § 19). — Eine ganz vereinzelte Verbindung von Ersatz und Strafe enthält § 55 Nachdrucksgesetz vom II. Juni 1870 (vgl. aber van Calker 295). 4 ) StGB. §§ 40, 41, 42, 152, 295, 296a, 335, 367, 369; zahlreiche Bestimmungen in den Nebengesetzen. Die rechtliche Natur dieser Mafsregeln ist sehr bestritten und, wegen der Unklarheit der das Gesetz beherrschenden Grundgedanken und des Hineinragens strafrechtlicher und privatrechtlicher Gesichtspunkte, auch äufserst zweifelhaft. Für die im Text vertretene Ansicht vgl. insbesondere die Ausführungen Nissens und Köbners. Friedländer teilt sie grundsätzlich, aber mit der durch § 40 StGB, gegebenen Ausnahme, sodafs er der herrschenden Ansicht zugezählt werden kann. Diese nimmt dann Strafe an, wenn die Gegenstände nur unter der Voraussetzung eingezogen werden können, dafs sie im Eigentum des Verurteilten stehen. Nach Kohler Patentrecht 575 u. a. soll die Mafsregel stets Strafe sein. B) Die Haftung ist meist eine s u b s i d i ä r e ; sie kann aber auch (worauf mich Kollege utker aufmerksam macht) eine s o l i d a r i s c h e (so in dem sonderbaren Art. 36 Abs. I des Zollreglements zum Deutsch-Egyptischen Handelsvertrag vom 19. Juli 1892, R G B . 1893 S. 77) oder eine k u m u l a t i v e , also

§58.

Der B e g r i f f der Strafe.

253

3. Die Strafe wird wegen der b e g a n g e n e n Rechtsverletzung verhängt, und wenn sie auch durch ihre Zweckbestimmung in die Zukunft reicht, so ist sie doch als U n r e c h t s f o l g e an einen in der Vergangenheit liegenden Thatbestand geknüpft. Dadurch unterscheidet sie sich vom S t r a f z w a n g e (als Erfüllungszwang), welcher auf die Herbeiführung einer b e s t i m m t e n Handlung oder Unterlassung durch Rechtsgüterverletzung gerichtet ist. Wichtig ist die Unterscheidung für das Prozefsrecht: Strafzwang zur Verwirklichung der Zeugnispflicht neben der Strafe für deren Nichterfüllung.6) Aber auch sonst wird der Strafzwang vielfach verwertet; selbständige, sein. In diesem letzten F a l l e setzt sie aber selbständige Verschuldung voraus, ist also eigentliche Strafe. — D a s Wesen dieser eigentümlichen Einrichtung, die sich schon seit dem 17. Jahrhundert findet, ist sehr bestritten. Nach meiner Ansicht handelt es sich um eine aus öffentlichrechtlichen (finanziellen) Gründen erfolgte Ausgestaltung der p r i v a t r e c h t l i c h e n H a f t u n g f ü r f r e m d e S c h u l d . Ebenso Binding Normen 2 6 1 4 Note 930, Kronecker 16. v. Kries 228, Löning (Litt, zu § 43) 132 N o t e 1, Meise! 4 4 ; dagegen für die Auffassung als Strafe aufser Büren, Engels, Leverkühn die meisten, insbesondere Binding 1 489 (im Gegensatz zu seiner früheren Ansicht), Ditzen Z 10 129 N o t e 26, Haimann 33, Hälschner 2 1008, Lucas (Litt, zu § 39) 136, Merkel 1 7 4 ; im wesentlichen auch Meyer 225. Nach Ötker, dem sich Vorberg anschliefst, liegt ein F a l l der Thäter-Garantenhaftung vor. — D i e grundsätzliche Auffassung ist entscheidend für eine Reihe von Einzelfragen. So würden in Bezug auf Verjährung, Begnadigung usw. die Grundsätze des bürgerlichen Rechts anzuwenden sein. Ist der Haftpflichtige selbst neben einer derjenigen Personen; für die er zu haften hat, an dem begangenen Verbrechen strafrechtlich beteiligt, so kann ihn die Zahlung zweimal treffen: einmal als Strafe, dann aber als (zivilrechtliche) H a f t u n g für seinen Genossen (ebenso R wiederholt, zuletzt 1 7 . A p r i l 94 25 294). E s ist weiter möglich, dafs dieselbe Person für mehrere an derselben That Beteiligte mehrfach zur Haftung herangezogen w i r d , oder dafs trotz Erfüllung der Haftpflicht hinterher noch A n k l a g e w e g e n Teilnahme an dem Vergehen erhoben wird, und umgekehrt. Auch ist es nur bei dieser Auffassung erklärlich, dafs auch Körperschaften, w i e A k t i e n gesellschaften, Eisenbahnunternehmungen u s w . , deren strafrechtliche Verantwortlichkeit in unserm positiven Rechte grundsätzlich ausgeschlossen ist (oben § 27), dafs ferner Jugendliche und Geisteskranke vom Gesetze ausdrücklich der Haftung unterstellt werden. — D a g e g e n liegt S t r a f e überall da vor, w o die Haftung durch ein Verschulden, mithin durch ein selbständiges D e l i k t des H a f tenden (insbes. Fahrlässigkeit bei Auswahl, Beaufsichtigung usw.) bedingt, also von der Bestrafung des Hauptschuldigen v ö l l i g unabhängig ist. So nach § 151 Gewerbeordnung, § 82 a des Krankenversicherungsgesetzes vom 10. A p r i l 1892, nach den Stenergesetzen vom 24 Juni und 31. Mai 1891 (§§ 28 und 32 des Branntwein-, § § 54 und 55 des Zuckersteuergesetzes), § 43 A b s . 2 des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897. V g l . auch § 38 des Brausteuergesetzes vom 31. Mai 1872. — A u f einem ganz andern Grundgedanken ruht die hier nicht zu erörternde G e s a m t s c h u l d h a f t für v e r w i r k t e Geldstrafen nach § 35 des Reichsstempelgesetzes vom 27. A p r i l 1894. 6 ) S t P O . § § 69, 50, 9 5 ; Z P O . § § 355 und 3 4 5 ; Postgesetz vom 28. O k tober 1871 § 38.

254

§ 58.

Der Begriff der Strafe.

zahlreiche Gesetze schreiben vor, dafs der Widerstrebende „durch Ordnungsstrafen angehalten" werden solle.7) 4. Die Strafe mufs vom Staate durch die O r g a n e d e r S t r a f r e c h t s p f l e g e v e r h ä n g t werden. a. Es scheiden demnach alle v o n R e c h t s w e g e n eintretenden Folgen der Verurteilung aus dem Gebiete der Strafe aus. Dies gilt auch von der dauernden Unfähigkeit zum Dienste in dem Deutschen Heere und der Kaiserlichen Marine, sowie zur Bekleidung öffentlicher Ämter, welche nach StGB. § 31 mit der Verurteilung zur Zuchthausstrafe „von Rechts wegen" verbunden ist. Ferner gehören hierher zahlreiche Bestimmungen in den Nebengesetzen.8) b. Es scheiden ferner die S t r a f e n aus, die kraft gesetzlicher Befugnis durch a n d r e O r g a n e als die der Strafrechtspflege verhängt werden. Vgl. oben § 35 Note 3. II. Die peinliche Strafe ist ihrem Wesen nach verschieden: 1. Von der s t a a t l i c h e n D i s z i p l i n a r s t r a f e , die vom Staate nicht als Inhaber der ö f f e n t l i c h e n Zwangsgewalt, sondern kraft seiner d i e n s t h e r r l i c h e n Stellung, im Interesse des innern Dienstes, verhängt wird.9) Daraus folgt: Ihre Verhängung ist, weil nicht Strafsache, nicht Sache der ordentlichen Strafgerichte; dieselbe Übertretung kann Disziplinarstrafe und überdies eigentliche Strafe nach sich ziehen; wenn jemand mehreren Dienstkreisen angehört, so kann er wegen desselben Vergehens mehrmals disziplinarisch bestraft werden (z. B. als Beamter und als Reserveoffizier); durch Verjährung der Strafe wird die disziplinarische Verfolgung nicht ausgeschlossen usw. 2. Von den P r o z e f s s t r a f e n , die auf die Nichtbeachtung eines n i c h t b e f e h l e n d e n Rechtssatzes gesetzt sind (wichtig § 48 Gerichtskostengesetz). '') So insbesondere das Handelsgesetzbuch. 8) Sogenannte „Rechtsverwirkungen"; vgl. Binding 1 428 Note 14, Gierke 1 429, Heilinger LA. 10 588, Kohne Z 8 446. Beispiele bieten BGB. §§ 1312, 1680. Dagegen handelt es sich überall dort um eine wirkliche Strafe, wo durch g e r i c h t l i c h e s E r k e n n t n i s der Verlust einer Befugnis ausgesprochen wird 9) Gegen diese herrschende Auffassung neuerdings Georg Meyer WV. 2 203, Seuffert StG. 1 67.

§ 59-

Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung.

255

III. Nur durch positivrechtliche Anordnung unterscheidet sich die Strafe: 1. Von den kleinen Strafen für geringfügigere Rechtsverletzungen, welche die Reichsgesetzgebung ebenfalls mit dem Namen der O r d n u n g s s t r a f e n bezeichnet. Sie finden sich besonders häufig in den Zoll- und Steuergesetzen, sowie im Versicherungsrecht: es gehören hierher aber auch die Fälle der einfachen Nichterfüllung der Dienstpflicht. 2. Von den staatsrechtlichen Rechtsfolgen, welche durch Staatsgerichtshöfe oder ähnliche Behörden g e g e n M i n i s t e r w e g e n V e r f a s s u n g s v e r l e t z u n g ausgesprochen werden. 10 ) IV. Dagegen ist die p o l i z e i l i c h e Strafe nach geltendem Recht von der peinlichen Strafe nicht verschieden (vgl. oben § 32 Note 3).

II. Die Strafarten. § 59.

(Das Strafensystem.)

Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung.

I. In dem Systeme des RStGB.s haben wir H a u p t - und N e b e n s t r a f e n zu unterscheiden. Erstere können auch allein, letztere nur in Verbindung mit einer Hauptstrafe verhängt werden. Unter den Nebenstraten sind als N a c h s t r a f e n diejenigen hervorzuheben, welche erst nach der Erledigung der Hauptstrafen zum Vollzuge gelangen. Ein weiterer Einteilungsgrund ergiebt sich, wenn wir die Rechtsgüter des Verbrechers ins Auge fassen, deren Verletzung 1 0 ) So wenigstens nach deutschem Reichsrecht. Pistorius Die Staatsgerichtshöfe und die Ministerverantwortlichkeit nach heutigem deutschen Staatsrecht 1891. Lucz Ministerverantwortlichkeit und Staatsgerichtshöfe 1893 (staatsrechtliche Strafe, die ein Verschulden nicht voraussetzt). Vgl. aber auch z. B. Finger Die strafrechtlichen Bestimmungen des (österreichischen) Gesetzes vom 25. Juli 1867 betr. die Verantwortlichkeit der Minister 1893. Hervorgehoben sei, dafs aber auch der Begriff der Disziplinarstrafe (oben Note 9) hier Anwendung finden kann.

256

§ 59-

Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung.

der Staat zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes vornimmt. E s sind: L e b e n , F r e i h e i t , V e r m ö g e n , E h r e . 1 ) II. Danach gewinnen wir folgendes System: A . Hauptstrafen. 1. A m Leben: die Todesstrafe. 2. An der Freiheit: a) Zuchthaus; b) Gefängnis; c) Festungshaft; d) Haft. 3. A m Vermögen: die Geldstrafe. 2 ) 4. An der Ehre: der Verweis. 3 ) B. Nebenstrafen. 1. An der Freiheit: a) Stellung unter Polizeiaufsicht; b) Überweisung an die Landespolizeibehörde; c) Ausweisung aus dem Reichsgebiet. 4 ) 2. A m Vermögen: a) der dauernde oder zeitige V e r lust der Befugnis zum Gewerbebetrieb, soweit auf ihn im Urteil durch den Richter erkannt w i r d ; 5 ) b) die B e kanntmachung der Verurteilung auf Kosten des Schuldigen (oben § 58 Note 3). 3. An der Ehre: a) die Aberkennung sämtlicher, b) die Aberkennung einzelner bürgerlicher Ehrenrechte; c) die Nebenstrafen in §§ 161 und 319 S t G B . 6 ) а ) Die Bestimmungen des RStGB.s über das Strafensystem sind absolut gemeines Recht (oben § 20 Note 4). Sie sind dagegen nicht bindend für die Strafdrohungen gegen die E i n g e b o r n e n d e r d e u t s c h e n S c h u t z g e b i e t e (oben § 22 Note 4). Hier findet sich die Prügelstrafe, die Zwangsarbeit ohne Einsperrung usw. — Über das Strafensystem des Mil.StGB. vgl. Besonderen Teil. — Von den Nebenstrafen werden in den folgenden Paragraphen nur diejenigen erörtert werden, welche allgemeinere Bedeutung haben. 2 Die Geldstrafe ist stets Hauptstrafe, auch wenn sie n e b e n einer Freiheitsstrafe angedroht ist. — Das wird wichtig für StGB. § 45. Übereinstimmend die gemeine Meinung, insbes. R 14. Mai 89 19 234. 3 ) Dafs der Verweis Strafe sei, wird von den meisten, insbes. von R 20. September 88 18 116, anerkannt. *) Dafs wir es hier mit N e b e n s t r a f e n zu thun haben, ergiebt sich aus dem oben § 58 Gesagten und wird auch von der Mehrzahl der Schriftsteller zugegeben. Dagegen Berner 2 2 1 , Binding 1 873, Frank Allg. Teil I. Abschn. I I und § 38 I, § 362 II, Fuhr Polizeiaufsicht 1888 S. 95, R. Schmidt (Litt, zu § 16) u. a. 5 ) Vgl. § 30 des Branntweinsteuergesetzes vom 24. Juni 1887, § Zuckersteuergesetzes vom 31. Mai 1891, § 143 der Gewerbeordnung. б ) Für die Fälle unter c leugnet Frank den Strafcharakter.

§ 6o.

§ 60.

i . Die Todesstrafe.

257

I. Die Todesstrafe.

L i t t e r a t u r . Hervorgehoben seien: Abhandlungen von Hepp 1835, Mittermaier 1862, Berner 1863, Kunze 1868, Geyer 1869. Hetzel Die Todesstrafe in kulturgeschichtlicher Entwicklung 1869. v. Holtzendorff Das Verbrechen des Mordes und die Todesstrafe 1875. Seeger Abhandlungen 1 1. WahUerg Kleinere Schriften 2 138. Olivecrona Om dödsstraffet I. Aufl. 1866, 2. Aufl. 1891. Besonders aber Günther 3 I. Hälfte 327. I. Die Todesstrafe, neben der verstümmelnden Leibesstrafe d i e peinliche Strafe des gemeinen Rechts, ist nach Inhalt und Umfang seit der Beseitigung der grausam geschärften Arten der Hinrichtung und seit ihrer Beschränkung auf wenige Ausnahmefälle in dem System des heutigen Strafrechts neben der Freiheitsstrafe völlig in den Hintergrund getreten. Der Kampf, welchen die Schriftsteller der Aufklärungszeit (vor allen Beccaria und Sonnenfels 1764) gegen die Todesstrafe eröffneten, 1 ) hatte zunächst nur geringen Erfolg: Abschaffung der Todesstrafe in Toskana 1765 thatsächlich, 1786 gesetzlich (bis 1790, bez. 1795), in Österreich 1787 (bis 1796; ihre Stelle vertraten die furchtbaren Strafen der Anschmiedung im dunklen Kerker bei Hungerkost sowie die langsame Hinrichtung durch das Schiffziehen). In Rufsland war sie schon 1753 einstweilig durch den bürgerlichen Tod ersetzt worden; 1764 erfolgte ihre Beseitigung im ordentlichen Verfahren. In seinen weitern Wirkungen aber führte jener Kampf, in Verbindung mit der seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beginnenden Gefängnisverbesserung, zur allmählichen Beseitigung der verschärften a ) und zur allmählichen Einschränkung der Todesstrafe überhaupt auf eine geringe Anzahl von Straffällen. Infolge des § 9 der deutschen Grundrechte von 1848 (§ 139 der Reichsverfassung) wurde die Todesstrafe in einer Reihe von deutschen Staaten (nicht aber in Österreich, Preufsen, Bayern, Sachsen) beseitigt; doch führte in den meisten dieser Staaten die Herrschaft der Reaktion zur Wiederherstellung der Todesstrafe; Hannover kannte sogar noch bis 1859 die Schleifung zur Richtstatt. Nur Oldenburg, Anhalt, Bremen hielten an der Beseitigung fest; Sachsen fand es noch im Jahre 1868, als die Gesetzgebung des Bundes in Strafsachen vor der Thür stand, für angezeigt, zur Abschaffung der Todesstrafe zu schreiten. So stand die Frage, als die Beratung des norddeutschen Strafgesetzbuchs in Angriff genommen wurde. Die harten parlamentarischen Kämpfe, die mit der *) Verteidiger der Todesstrafe finden sich aber auch in dieser Zeit häufig. Ich erinnere an Montesquieu, Rousseau, Linguete Soden, sowie an Kant und J. Moser. Vgl. auch Z 5 721. In Goethes Dissertation 1771 lautet These 53: „Poenae capitales non abrogandae." Vgl. Meisner Goethe als Jurist 1885 S. 17. Litterarischer Streit im Deutschen Museum 1776/78. Bergk Meinungen über die Todesstrafe 1798. In den österreichischen Niederlanden wurde 1776 die Abschaffung amtlich erwogen. a ) In Berlin fand 1823 die letzte Verbrennung statt. Das Rädern hat Hannover 1840 (bis dahin mit eisernen Keulen vollstreckt), Preufsen erst 1851 beseitigt. v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

17

25B

§ 6o.

i. Die Todesstrafe.

Beibehaltung (bez. Wiedereinführung) der Todesstrafe endeten, sind bereits oben S. 52 geschildert worden. Auch aufserhalb Deutschlands hat die auf Beseitigung der Todesstrafe gerichtete („abolitionistische") Bewegung nur geringe Fortschritte zu verzeichnen. Die Todesstrafe wurde beseitigt in T o s k a n a (wo sie bereits 1847 bis 1852 abgeschafft war) 1859, in R u m ä n i e n 1864 (ausdrücklich verboten in der Verfassung von 1866), P o r t u g a l (seit 1843 nicht mehr vollzogen) 1867, H o l l a n d 1870. Sie besteht aufserdem nicht in S a n M a r i n o (seit 1848) und in einzelnen der V e r e i n i g t e n S t a a t e n Nordamerikas (Michigan seit 1847, Rhode Island seit 1852, Wisconsin seit 1853, Maine seit 1887). Auch in Kolumbien (1863), Venezuela (1864), Costa Rica (1880) hat man sie abgeschafft. Die gröfseren Staaten, insbesondere E n g l a n d und F r a n k r e i c h , haben sie beibehalten, aber beide, ersteres seit 1861, letzteres seit 1832 und 1848, auf eine geringere Anzahl von strafbaren Handlungen beschränkt. Die S c h w e i z hat durch Bundesverfassung von 1874 die Todesstrafe für unzulässig erklärt; seit 28. März 1879 bleibt sie nur für politische Verbrechen von Bundes wegen ausgeschlossen. Die Kantone haben damit das Recht zur Wiedereinführung der Todesstrafe zurückgewonnen. Bis jetzt machten davon Gebrauch: Schwyz, Uri, Unterwaiden ob dem Wald, Appenzell Inerrhoden, Zug, St. Gallen, Luzern, Wallis, Schaffhausen, Freiburg. Die erste Hinrichtung seit 1868 hat am 18. März 1892 (Gatti in Luzern) stattgefunden. Das neue italienische StGB, hat ebenso wie der n o r w e g i s c h e und der s c h w e i z e r i s c h e E n t w u r f auf die Todesstrafe verzichtet. Doch ist sie in Italien schon seit 1877, in Norwegen seit zwei Jahrzehnten nicht mehr vollzogen worden. Auch Belgien hat seit 1863, Finland seit 1826 keine Hinrichtung mehr erlebt, letzteres aber im StGB, von 1889 die Todesstrafe beibehalten.

II. Anwendungsgebiet der Todesstrafe. Wenn wir von dem Mil.StGB. absehen, welches die Todesstrafe in IO Fällen ausschliefslich, in 8 Fällen wahlweise androht, 3 ) findet sich diese in der Reichsgesetzgebung: 1. Als Strafe des vollendeten Mordes (StGB. § 211). 2. Als Strafe des Mordes und Mordversuchs an dem Kaiser, dem eigenen Landesherrn und dem Landesherrn des Aufenthaltsstaates (StGB. § 80). 3. Als Strafe des Miisbrauchs von Sprengstoffen, wenn der Thäter vorsätzlich durch Anwendung von Sprengstoffen Gefahr für Eigentum, Gesundheit oder 3 ) Nur für militärische Verbrechen, welche im F e l d e verübt sind; und zwar in einzelnen Fällen von Kriegsverrat und Gefährdung der Kriegsmacht, Fahnenflucht, Feigheit, bei einzelnen Subordinationsverbrechen vor dem Feinde, bei Plünderung mit Tötung, Pflichtverletzung auf Posten vor dem Feinde, Bruch des Ehrenwortes durch einen Kriegsgefangenen (Mil.StGB. §§ 58, 60, 63, 71. 72, 73, 84, 95. 97. 107. 108, 133, 141, 159). V g l . Hecker 48.

§ 6o.

i. Die Todesstrafe.

259

Leben eines andern herbeiführt; vorausgesetzt, dafs durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden ist und der Thäter einen solchen Erfolg hat voraussehen können (Gesetz v o m 9. Juni 1884 § 5 Abs. 3). 4. Als Strafe der Veranstalter und Anführer eines zum Zwecke des Sklavenraubes unternommenen Streifzuges, wenn durch diesen der Tod einer der Personen, gegen welche der Streifzug unternommen w a r , verursacht worden ist (§ 1 des Gesetzes vom 28. Juli 1895). 5. Erweiterte Anwendung findet die Todesstrafe bei Eintritt des Kriegsrechts (oben § 25 I). In den vier ersten Fällen ist die Todesstrafe ausschliefslich angedroht; im fünften Falle dagegen stets wahlweise neben anderen Strafen. 4 ) In allen Fällen kann sie v e r s c h ä r f t werden durch Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte (StGB. § 32). A u s g e s c h l o s s e n ist sie bei Versuch, Beihilfe und bei jugendlichem Alter des Thäters (unten § 70). III. Vollzug der Todesstrafe. Die Todesstrafe ist nach RStGB. § 13 durch Enthauptung, nach § 14 Mil.StGB. „durch Erschiefsen zu vollstrecken, wenn sie wegen eines militärischen Verbrechens, im Felde auch dann, wenn sie wegen eines nicht militärischen Verbrechens erkannt worden ist".8) Im übrigen ist die Vollstreckung der Todesstrafe landesrechtlich geordnet. 8 ) Nach Reichsgesetz betr. die Rechtsver4 ) Das scheint mir unzweifelhaft, soweit das Friedensrecht neben lebenslänglichem Zuchthaus, an dessen Stelle die Todesstrafe tritt, noch andere Strafen androht. Ebenso Frank E G . § 4 II, John HH. 3 58; dagegen Hälschner 2 763, Olshausen E G . § 4 - 9 . Es mufs dasselbe aber auch für StGB. § 87 Satz 2 und § 90, wo lebenslängliches Zuchthaus angedroht ist, angenommen werden, da beide Paragraphen mildernde Umstände zulassen. ") Die Fassung ist allerdings nicht ganz klar: Bennecke Z 7 728. Im F r i e d e n ist die Todesstrafe für m i l i t ä r i s c h e Verbrechen ausgeschlossen. Ist wegen eines g e m e i n e n Verbrechens im Frieden auf Todesstrafe erkannt, so erfolgt in P r e u f s e n nach Mil.StPO. § 183 Abgabe an das Z i v i l g e r i c h t , welches die Todesstrafe durch Enthauptung vollstreckt. 6 ) In den altpreufsischen Provinzen das Beil; das Fallbeil seit 1818 in der Rheinprovinz, 1841 in Hessen-Darmstadt, 1852 in Sachsen, 1854 in Bayern, 1856 in Frankfurt, Baden, Weimar, 1857 in Sondershausen, Koburg, 1860 in Hannover. — Österreich-Ungarn, England, Rufsland und die Vereinigten Staaten halten an der Hinrichtung mit dem Strange fest. Spanien hat die Garotte beibehalten, New York die Elektrizität als Tötungsmittel eingeführt. Gegen diese Kratter Der Tod durch Elektrizität 1896. Hinrichtung durch Blausäure hat Lahmann vorgeschlagen; vgl. v. Kirchenheims Zentralblatt 15 140. — Der Name Guillotine knüpft an den Pariser Arzt J. J. Guillotin -J- 1814. Er hatte am

17*

§ 6i.

2ÔO

2. Die Freiheitstrafe.

Ihre Geschichte.

hältnisse in den deutschen Schutzgebieten vom ig. März 1888, § 3 Ziff. 8, kann hier durch Kaiserl. Verordnung „eine andre, eine Schärfung nicht enthaltende Art der Todesstrafe" eingeführt werden. Demgemäfs wurde verordnet, dafs die Vollziehung durch Erschiefsen oder Erhängen, in Kiautschou (Vdg. vom 27. April 1898) durch Enthaupten oder Erschiefsen stattzufinden habe. Einzelne hierher gehörende Bestimmungen hat die Strafprozefsordnung gebracht. So ist nach StPO. § 485 die Vollstreckung der Todesstrafe erst zulässig, wenn der Träger des Begnadigungsrechts erklärt hat, von diesem keinen Gebrauch machen zu wollen. Geisteskrankheit oder Schwangerschaft hemmen die Vollstreckung. — Ferner ist die StPO. (§ 486) die seit den vierziger Jahren in den meisten deutschen Staaten (in Preufsen 1851) eingeführte sogenannte I n t r a m u r a n h i n r i c h t u n g 7 ) (Vollstreckung in einem umschlossenen Räume bei beschränkter Öffentlichkeit) Reichsrecht geworden.

§ 61.

2. Die Freiheitstrafe.

Ihre Geschichte.

L i t t e r a t u r z u §§ 6 1 u n d 6 2 : Vor allem: Handbuch des Gefängniswesens herausgegeben durch v. Holtzendorff und v. Jagemann 2 Bde. 1888 und Krohne Lehrbuch der Gefängniskunde 1889. — Dazu H. Seuffert in WV. 1 481. Dalcie und Gemmer Handbuch der Strafvollstreckung und Gefängnisverwaltung in Preufsen 2. Aufl. 1889. Wulff Die Gefängnisse der Justizverwaltung in Preufsen 1890. Ergänzungsband 1898. Streng Geschichte der Gefängnisverwaltung in Hamburg von. 1622 bis 1872. 1890. Leitmeier Die österreichische Geföngniskunde mit Berücksichtigung des ausländischen Gefängniswesens 1890. Aschrott Strafensystem und Gefängniswesen in England 1887. Derselbe Z 17 I (über England seit 1886). F. H, Wines Punishment and Re-

1. Dezember 1789 beantragt, dafs die Hinrichtung für alle Stände gleichmäfsig, u. z. mittels eines einfachen Mechanismus, vollzogen werden sollte. Die Spottverse eines Royalistenblattes weissagten mit Erfolg, dafs dieser Mechanismus den Namen des Antragstellers tragen werde. Vgl. Korn J. J. Guillotin. Berliner Diss. 1891. Lenotre L a Guillotine et les exécuteurs des arrêts criminels pendant la Révolution 1893. Günther Note 706. Die erste Hinrichtung mittels der von Louis und Schmitt hergestellten Guillotine erfolgte 1792. Die E r findung selbst war längst bekannt. I n Österreich wurde 1756 ff. die Einführung nur wegen der Kosten abgelehnt. Wahlberg Klein. Schriften 2 299. Maasburg Entstehungsgeschichte der Theresiana 1880 S. 40. Böhmer Neues Archiv 6 5. ') Sie ist auch in den meisten aufserdeutschen Staaten eingeführt. — Die nichtöffentliche Hinrichtung wird gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland vielfach besprochen; so von v. Hippel 1797, einem Ungenannten 1798 (Böhmer Handb. der Litt. N. 84). Den Ausgangspunkt bildet die wachsende Abneigung gegen öffentlichen Strafvollzug überhaupt. Vgl. Rush (Pennsylvanien) Enquiry into the effects of public punishments upon criminals and upon Society 1787. Und dazu Püttmanns Sendschreiben an Rush 1792. Günther Note 705.

§ 6l.

2. Die Freiheitstrafe.

Ihre Geschichte.

261

formation. An historical sketch of the rise of the Penitentiary System (1895). v. Hippel Z 18 419, 608. — Litteraturberichte von Bennecke und Beling in der Z. — Verhandlungen der internationalen Gefangniskongresse zu London 1872, Stockholm 1878, Rom 1885, Petersburg 1890, Paris 1895. — Blätter für Gefängniskunde, seit 1864 von Ekert (jetzt von Wirth) herausgegeben. I. Die Freiheitstrafe (Einsperrung mit oder ohne Arbeitszwang) gehört als eigentlich peinliche Strafe der Neuzeit an. Der mittelalterliche „Turm" und seine unmittelbaren Nachfolger, die Spinn- UDd Raspelhäuser dienten nicht zur Bestrafung, sondern zur Verwahrung von säumigen Schuldnern, Untersuchungsgefangenen und Übertretern polizeilicher Anordnungen. Das ist auch der Standpunkt der PGO. Es war daher ein völlig neuer Gedanke, als seit dem Ende des 16. und dem Anfange des 17. Jahrhunderts für Landstreicher und Arbeitsscheue, für Bettler und liederliche Dirnen, für störriges Gesinde und ungeratene Kinder W e r k - o d e r Z u c h t h ä u s e r errichtet wurden, um sie durch strenge Zucht und Gewöhnung an Arbeit zu tauglichen Gliedern der Gesellschaft zu erziehen. Die erste dieser Anstalten ist das 1555 eingerichtete Bridewell bei London; vorbildlich aber wurden die Amsterdamer Zuchthäuser von 1595 und 1597. Im engen Anschlufs an die hier bewährten Einrichtungen entstanden die Anstalten in Lübeck und Bremen (Anfang des 17. Jahrhunderts), Hamburg (um 1620), Danzig (um 1630). Zahlreiche Zuchthäuser (ergasteria) folgten in den verschiedenen Teilen Deutschlands. Damit war an Stelle der Generalprävention zum erstenmale der Gedanke der Spezialprävention (Besserung) zur folgerichtigen Durchführung gelangt und für die Strafrechtspflege eine neue Bahn vorgezeichnet.') Aber schon im Laufe des 17. Jahrhunderts beginnt der Verfall der Zuchthäuser. Die Gerichte gewöhnen sich daran (aus den oben S. 27 angegebenen Gründen), zur Sicherung der Gesellschaft ihnen auch verurteilte Verbrecher zuzuweisen und sie damit ihrer ursprünglichen Bestimmung zu entfremden. Im 18. Jahrhundert beherbergen die Zuchthäuser, in unzureichenden Räumen, ohne genügende Aufsicht und entsprechende Beschäftigung, die verschiedensten Menschenklassen (Sträflinge, Arme, Waisen, Sieche, Irren) nebeneinander. II. Hamburg hatte schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts die nächtliche Trennung der Zuchthausgefangenen eingeführt. Ebenso das 1677 zu Florenz eröffnete Zellengefängnis von Franci sowie das von Clemens XI. zu Rom 1704 erbaute Besserungshaus für böse Buben. Nach denselben Grundsätzen war auch das Zuchthaus zu Kassel (1720) eingerichtet. Im grossen Stil gelangte dieses System der gemeinsamen Tagesarbeit und nächtlichen Trennung zur Anwendung in dem, infolge Kaiserl. Anordnung vom 17. Januar 177 2 begonnenen, 1775 eröffneten Zuchthause zu G e n t (nach den Plänen des Vicomte Villain XIV. erbaut), das als die erste Strafanstalt im modernen Sinne bezeichnet werden kann. Ungefähr gleichzeitig

(1773) begann John Herward (geb. 1726)

seine

*) Es ist das Verdienst v. Hippels, auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht und die völlig ungeschichtliche Auffassung von R. Schmidt (Litt, zu § 1 6 ) gründlichst widerlegt zu haben.

2Ö2

§ 61.

2. D i e Freiheitstrafe.

Ihre Geschichte.

Untersuchungen über den Zustand der englischen und festländischen Gefängnisse. 1777 erschien sein „State of prisons in England and Wales", und weitere Veröffentlichungen über die mit unermüdlichem, opferfreudigem Eifer fortgesetzten Reisen folgten, bis Howard als Opfer des selbstgewählten Lebensberufes 1790 zu Cherson in Rufsland starb. Auf seine Anregung ist die V e r besserung des englischen Gefängniswesens, insbesondere die Erbauung mehrerer kleinerer Zellengefängnisse (von 1779 bis 1781), zurückzuführen. III. Inzwischen w a r , insbesondere unter dem Einflüsse B. Franklins ( f 1790), die Bewegung nach Nordamerika verpflanzt w o r d e n ; gehörte doch die Verschickung der englischen Verbrecher mit unter die schon 1775 von den Kolonieen betonten Beschwerdepunkte. Die am 7. Februar 1776 begründete, durch den Krieg gesprengte, aber 1787 abermals zusammentretende Philadelphische Gefängnisgesellschaft setzte neben der Beschränkung der Todesstrafe die Einführung e i n e r T a g u n d N a c h t w ä h r e n d e n v o l l s t ä n d i g e n E i n z e l h a f t („most rigid and unremitted solitude" mit wenigstens thatsächlichem A n schlufs der Arbeit) in dem 179° in der Wallnufsstrafse zu Philadelphia eingerichteten Gefängnisse durch. Die Besserung soll hier durch H e r b e i f ü h r u n g reuevoller Zerknirschung bewirkt werden. Die Ergebnisse dieses von echt quäkerischem Geiste erfüllten Systems waren möglichst ungünstig. Zu A u b u r n im Staate New York ersetzte man daher 1823 das „solitary-system" durch das „silent-system": T r e n n u n g bei Nacht und gemeinsame T a g e s a r b e i t , bei welcher der entsittlichende Verkehr der Sträflinge untereinander durch das mit gröfster Strenge (Peitsche) aufrechterhaltene Schweiggebot verhindert werden sollte. Dagegen siegte im Staate P e n n s y l v a n i e n nach hartem Kampfe im Jahre 1829 die Einzelhaft; sie wurde, aber mit Arbeitszwang, in dem berühmten, von Reisenden aller Länder besuchten und gepriesenen Eastern Penitentiary auf Cherry Hill in Philadelphia mit strengster Folgerichtigkeit durchgeführt. IV. Während in den Vereinigten Staaten der mit gröfster Heftigkeit weitergeführte Kampf der beiden Systeme bald mit einer völligen Niederlage der Einzelhaft endete, begann diese ihren Siegeszug durch Europa. 1840 wurde der Grund zu dem englischen Mustergefängnisse in Pentonville bei London gelegt, welches, 1842 eröffnet, das „solitary-system" der Amerikaner zum „separatesystem" milderte. Aber, abweichend von dem pennsylvanischen Muster, bildete die Einzelhaft in England nur ein Glied in dem durchaus f o r t s c h r e i t e n d ( „ p r o g r e s s i v " ) angelegten Strafvollzug. Nach achtzehnmonatlicher, der Prüfung, nicht der Besserung dienender (später verkürzter) Anhaltung in Einzelh a f t wurden die Sträflinge nach den australischen Kolonieen verbracht und hier, j e nach ihrer bisherigen Führung, verschiedenen Strafklassen zugeteilt. Auf dem Festlande übersah man diesen Zusammenhang. Man vermeinte dem englischen Beispiele zu folgen, indem man Vollzug der Freiheitstrafe in Einzelhaft ohne jede Einschränkung verlangte. B r u c h s a l und M o a b i t , jenes 1848, dieses 1849 eröffnet, waren die ersten deutschen Anstalten nach dem Muster von Pentonville. Trotz der ziemlich allgemeinen Ernüchterung, welche in den fünfziger Jahren der ersten Begeisterung folgte, wetteiferten

§ 61.

2. Die Freiheitstrafe.

Ihre Geschichte.

263

bald die verschiedenen Staaten in der Erbauung von Zellengefängnissen mit Mittelbau und Zellenflügeln, mit Verschlagen (stalls) in Kirche und Schule, mit Einzelspazierhöfchen und Masken, sowie in der gesetzlichen Regelung der Einzelhaft. Allen voran hatte B e l g i e n die vollständige Umgestaltung seiner Gefangnisse nach dem Systeme der Einzelhaft in Angriff genommen und folgerichtig weitergeführt. Dagegen beschränken sich die sämtlichen übrigen Staaten darauf, die Einzelhaft einerseits bei kurzzeitigen, anderseits als Anfangsstufe bei langwierigen Freiheitstrafen zur Anwendung zu bringen. V . Die allmähliche Beseitigung der englischen Deportation nach Australien (1853, 1857, 1867) und ihre Ersetzung durch die Strafknechtschaft (penal servitude) führte in England zu einer immer entschiedeneren Anwendung des f o r t s c h r e i t e n d e n (progressiven) S y s t e m s bei Vollstreckung der langdauernden Freiheitstrafe. Auf dem Gedanken a l l m ä h l i c h e r Wiederherstellung des sittlichen Gleichgewichts im Sträflinge, allmählicher Wiedereinführung des Verurteilten in die bürgerliche Gesellschaft aufgebaut, besteht das englische System im wesentlichen aus folgenden, von dem Verurteilten zu durchlaufenden Stufen: I. Strenge neunmonatliche Einzelhaft; 2. gemeinsame Arbeit in vier fortschreitenden Abteilungen (Markensystem); 3. bedingte Entlassung mit der Möglichkeit des Widerrufes (ticket of leave). Mit unwesentlichen Abweichungen wurde dieses System auch in Irland eingeführt. Zu den Abweichungen gehörte insbesondere die Einfügung einer Vorstufe vor der bedingten Entlassung: Aufenthalt in einer Zwischenanstalt (intermediate prison), in welcher dem Sträfling freierer Verkehr mit der Aufsenwelt gestattet war. Aus dieser Abweichung (eingeführt durch Walter Crofton 1853 bis 1864) nahmen Mittermaier, v. Holtzendorff und andere den Anlafs, von einem besondern „ i r i s c h e n S y s t e m " (ein in Grofsbritannien selbst ganz unbekannter Ausdruck) zu sprechen und dieses zur Nachahmung warm zu empfehlen (1859). Ja, man gebrauchte wohl auch (und gebraucht noch heute) die Ausdrücke „Irisches System" und „Progressivsystem" als völlig gleichbedeutend, obwohl der Grundgedanke stufenweiser Zurückführung zur Freiheit, losgelöst von den zum guten Teil örtlich bedingten und nur örtlich berechtigten Einzelheiten der Durchführung (also Markensystem einerseits und die Zwischenanstalten anderseits), schon im vorigen Jahrhundert von Wagnitz, später von Klein (Annalen 23 168), Tellkampf und anderen vertreten und in mehreren Schweizer Anstalten (so insbesondere in Genf), sowie auch in England längst verwirklicht worden war. Selbst die „Übergangsstation" war wiederholt schon früher in Deutschland erörtert und 1851 in Dreibergen in Mecklenburg eingeführt worden. V g l . H G . 1 117 (Wahlberg), 177 (v. Liszt). Am engsten schlössen sich an das irische Vorbild Ungarn, Kroatien, Bosnien, Finland, Italien. Dagegen fand die b e d i n g t e E n t l a s s u n g des englischen Rechts, deren Wurzeln bis nach den Kolonieen in Australien zurückreichen, bald zahlreiche Freunde auf dem Kontinent. Sie wurde (von dem mifsglückten Versuche zu Vechta in Oldenburg 1860 abgesehen) in Sachsen 1862, später in zahlreichen aufserdeutschen Ländern eingeführt. VI. Auf demselben Grundgedanken beruht das zu Elmira im Staate N e w

§ 62.

264 York

wie

D i e Freiheitstrafen der Reichsgesetzgebung.

in andern

Staaten Nordamerikas

durchgeführte

Reformatory-

System.

Sein Zweck ist Besserung durch Erziehung für das Leben in der

Freiheit.

Eigenartig ist diesem System die Verbindung mit dem unbestimmten

Strafurteil (oben § 15 Note 10) sowie die Betonung der geistigen und körperlichen Ausbildung. VII. Die V o l l s t r e c k u n g d e r F r e i h e i t s t r a f e ist nur zum kleinsten T e i l e durch die bisherige Reichsgesetzgebung geordnet, zum weitaus gröfsten Teile der landesrechtlichen Bestimmung überlassen.

Nur über die Zulässigkeit

der Einzelhaft, die bedingte Entlassung

sowie die Strafvollstreckung

jugendliche Verbrecher sind im R S t G B .

Bestimmungen

zweifellos

bedeutsamsten

Gebiete

der

Strafrechtspflege entbehrt

Deutsche Reich zur Zeit noch der Rechtseinheit, voran

in

deren

gröfsten,

findet

getroffen.

sich

eine

gegen

Auf dem mithin

das

und in den Einzelstaaten,

bunte Musterkarte

der

wider-

sprechendsten Systeme. Das Bedürfnis nach reichsrechtlicher Regelung hatte in der Begründung zum Entwürfe des norddeutschen StGB.s Ausdruck gefunden; wiederholte Beschlüsse des Reichstages aus den Jahren 1870,

1875 und 1876 sprachen

sich

im gleichen Sinne aus, und auch der Verein deutscher Strafanstaltsbeamten betonte im Jahre 1874

seiner Versammlung zu Berlin die Notwendigkeit, der

landesrechtlichen Zerfahrenheit des Strafvollzuges ein Ende zu machen. Entwurf

eines

Reichsgesetzes

betr.

die

Vollstreckung

der

Der

Freiheitstrafen,

welcher am 19. März 1879 dem Bundesrate überreicht wurde, gelangte jedoch nicht zur Vorlage an den Reichstag.

Erst in den jüngsten Tagen (November

1897) haben sich die deutschen Regierungen über eine Reihe von sätzen" geeinigt,

die

„Grund-

bei dem Vollzuge gerichtlich erkannter Freiheitstrafen

zur Anwendung kommen

sollen. 2 )

Die

in Aussicht

gestellte

gesetzliche

Regelung des Gefängniswesens wird aber nur im Zusammenhange mit der Umgestaltung unseres gesamten Strafensystems erfolgen können.

§ 62. I.

Die Freiheitstrafen der Reichsgesetzgebung.

Die R S t G B . unterscheidet vier verschiedene Frei-

heitstrafen : 1.

Zuchthaus,

als s c h w e r e ,

entehrende

Strafe

mit

Arbeitszwang; 2.

Gefängnis, als mittelschwere, an sich nicht

ent-

ehrende Strafe mit A r b e i t s z w a n g ; 3.

Haft, als leichte, nicht

entehrende Strafe,

mäfsig ohne A r b e i t s z w a n g ;

a)

Abgedruckt Z 18 400.

Dazu Aschrott Z 18 384.

regel-

§ 62.

Die Freiheitstrafen der Reichsgesetzgebung.

265

4. Festungshaft, als schwere, nicht entehrende Strafe ohne Arbeitszwang. II. Nach den Bestimmungen des R S t G B . s unterscheiden sich die Freiheitstrafen in folgenden Punkten 1 ): 1. Art der Verwendung. Z u c h t h a u s ist die Verbrechensstrafe; G e f ä n g n i s die Vergehens-, H a f t die Übertretungsstrafe. Doch findet sich Haft ausnahmsweise (StGB. §§ 140 2 , 185, 186 sowie z. B. in § 147 der Gewerbeordnung und in Art. II und III des Gesetzes vom 5. April 1888 betr. die nichtöffentlichen Gerichtsverhandlungen) auch bei Vergehen. D i e F e s t u n g s h a f t soll sowohl Zuchthaus als Gefängnis ersetzen und wird wahlweise mit diesen beiden Strafen bei einer Reihe politischer Verbrechen, ausschliefslich bei Zweikampf (sowie in StGB. §§ 130 a und 345), angedroht. 2. Dauer. Z u c h t h a u s und F e s t u n g s h a f t sind lebenslange oder zeitige, G e f ä n g n i s und H a f t immer zeitige Freiheitsstrafen. Das Höchstmafs beträgt bei den b e i d e n e r s t e n fünfzehn Jahre, bei G e f ä n g n i s fünf Jahre, bei H a f t sechs Wochen. Der Mindestbetrag ist bei Z u c h t h a u s ein Jahr, sodafs Bruchteile eines Jahres in Gefängnis umgewandelt werden müssen; bei den ü b r i g e n Freiheitstrafen ein T a g (StGB. §§ 1 4 - 1 8 ) . 2 ) 3. Die Bemessung d e r Z u c h t h a u s s t r a f e erfolgt nach vollen Monaten, die der ü b r i g e n Freiheitstrafen nach vollen Tagen (StGB. § 19). Dabei wird der Tag zu vierundzwanzig Stunden, die Woche zu sieben Tagen, der Monat und das Jahr nach der Kalenderzeit berechnet. 4. Arbeitszwang ist mit Z u c h t h a u s notwendig verbunden (StGB. § 15), Aufsenarbeit bei Trennung von freien Arbeitern gestattet. Die zu G e f ä n g n i s Verurteilten (StGB. § 16) k ö n n e n auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessene Weise beschäftigt werden; auf ihr Verlangen s i n d sie in dieser Weise zu beschäftigen; Aufsenarbeit ist' nur mit ihrer Zustimmung zulässig. Bei F e s t u n g s h a f t (StGB. § 17) Weitere Unterscheidungen enthalten die oben § 61 Note 2 erwähnten „Grundsätze". 2 ) Ausnahmsweise können die Höchstmafse des R S t G B s . überschritten werden bei wirklichem Zusammentreffen mehrerer Verbrechen (unten § 7 3 ) ; bezüglich des Gefängnisses auch bei Jugendlichen (unten § 7 0 I).

266

§ 62.

Die Freiheitstrafen der Reichsgesetzgebung.

ist Arbeitszwang ausnahmslos ausgeschlossen. Bei H a f t findet er nur ganz ausnahmsweise (StGB. §§ 362, 361 Z. 3 —8 gegen Landstreicher, Bettler, Müfsiggänger, Arbeitsscheue, Lohndirnen, Erwerbslose) statt; der Häftling kann zu Arbeiten, welche seinen Fähigkeiten und Verhältnissen angemessen sind, innerhalb und, sofern er von andern Arbeitern getrennt gehalten wird, auch aufserhalb der Strafanstalt angehalten werden. 5. Neben Z u c h t h a u s tritt der Verlust gewisser Ehrenrechte von Rechts wegen ein (StGB. § 3 1 ) ; neben Z u c h t h a u s und (unter gewissen Voraussetzungen) neben G e f ä n g n i s kann vollständige, neben l e t z t e r e m und (in gewissen Fällen) neben der F e s t u n g s h a f t teilweise Aberkennung der Ehrenrechte stattfinden (StGB. §§ 32 ff.); neben H a f t ist die Aberkennung ausgeschlossen. 6. Einzelhaft und bedingte Entlassung (StGB. §§ 22 ff.) finden bei Zuchthaus und Gefängnis, nicht aber bei Festungshaft Anwendung. 3 ) III. D i e E i n z e l h a f t (StGB. § 22). Zuchthausstrafe und Gefängnisstrafe können sowohl für die ganze Dauer, wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzelhaft vollzogen werden, dafs der Gefangene „unausgesetzt" (also auch in Kirche, Schule, Spazierhof) von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird. Die Einzelhaft darf ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen.4) IV. D i e b e d i n g t e E n t l a s s u n g . Nach §§ 23—26 R S t G B . können die zu einer l ä n g e r e n (zeitigen) Z u c h t h a u s * oder G e f ä n g n i s s t r a f e Verurteilten, wenn sie d r e i V i e r t e i l e , mindestens aber e i n J a h r der ihnen auferlegten (d. h. erkannten) Strafe verbüfst, sich auch während dieser Zeit g u t g e f ü h r t haben, mit i h r e r Z u s t i m m u n g vorläufig entlassen werden. Ist die festgesetzte Strafzeit abgelaufen, ohne dafs ein Widerruf der vorläufigen Entlassung erfolgt ist, 3 ) Über den Vollzug militärisch erkannter Strafen vgl. v. Jageinann HG. 1 157. — Im übrigen vgl. StPO. § 483, GVG. §§ 163 und 164. — Der Vollzug der vom Reichsgericht erkannten Strafen ruht auf vertragsmäfsiger Vereinbarung zwischen Preufsen und dem Reich. 4 ) Bei Festungshaft und bei Haft ist die „unausgesetzte" Einzelhaft mithin ausgeschlossen.

§ 63.

3- D i e Geldstrafe.

267

so gilt die Freiheitstrafe als verbüfst.

D a g e g e n hat der Wider-

ruf (zulässig bei

des

wenn

dieser

schlechter

den

ihm

Führung

auferlegten

Verpflichtungen

handelt) die W i r k u n g , dafs die seit der bis zur Wiedereinlieferung Strafdauer nicht

Entlassenen,

sowie

zuwider-

vorläufigen Entlassung

verflossene Zeit auf die festgesetzte

angerechnet wird.

Entlassung

und

Widerruf

liegen in der Hand der obersten Justizaufsichtsbehörde 5 die v o r läufige F e s t n a h m e

Entlassener kann

aus dringenden Gründen

des öffentlichen W o h l s auch v o n der Ortspolizeibehörde v e r f ü g t werden. V.

Die g e g e n j u g e n d l i c h e

P e r s o n e n erkannten Frei-

heitstrafen sind in b e s o n d e r e n ,

nur für diesen Z w e c k

stimmten Anstalten

zu vollziehen

oder R ä u m e n

be-

( S t G B . § 57

letzter Absatz). 6 )

§ 63. 3. Die Geldstrafe. L i t t e r a t u r . Stoo/s Zur Natur der Vermögensstrafe 1878. v. Buri Zur Natur der Vermögensstrafen 1878 (Beiträge 90). Kronecker G A . 2 7 81 und 2 8 9. Wahlberg Klein. Schriften 2 231. Seidler in Conrads Jahrbüchern. Neue F o l g e 2 0 241. Reinhardt Geldstrafe und Bufse. Hallische Diss. 1890.

I. Die Geldstrafe ist die einzige Vermögenshauptstrafe im Strafensystem der R e i c h s g e s e t z g e b u n g . Sie hat hier reichliche aber nicht ausreichende und nicht z w e c k g e m ä f s e (oben § 1 5 N o t e 6) V e r w e n d u n g gefunden. Sie wird bald ausschliefslich, bald neben der Freiheitstrafe verbindungsweise als zweite Hauptstrafe, bald mit der Freiheitstrafe wahlweise, 1 ) und z w a r bald an erster bald an zweiter Stelle, angedroht. II.

Der

Mindestbetrag

der

Geldstrafe

ist

bei

Ver-

6 ) Nach einem preufsischen Gesetz vom 29. Mai 1879 können die gegen Studierende auf den preufsischen Landesuniversitäten und gewissen Akademieen erkannten Freiheitstrafen bis zu zwei W o c h e n auf Antrag der gerichtlichen Behörden in den akademischen Karzern verbüfst werden. V g l . dazu Stein D i e akademische Gerichtsbarkeit in Deutschland 1891 S. 144. — Dem Reichsrechte gegenüber, welches keine besonderen Strafvollzugsanstalten für einzelne Stände kennt, ist die Rechtskraft dieses Gesetzes äufserst zweifelhaft. *) Nach M i l . S t G B . § 29 darf in diesem F a l l e , wenn durch die strafbare Handlung zugleich eine militärische Dienstpflicht verletzt worden ist, auf Geldstrafe nicht erkannt werden.

268

§ 63.

3- D i e Geldstrafe.

brechen und V e r g e h e n drei Mark, bei Übertretungen eine Mark ( S t G B . § 27).

Unter diesen B e t r a g darf auch bei V e r -

such und Beihilfe nicht h e r a b g e g a n g e n werden. b e t r a g der Geldstrafe ist nicht

angegeben.

tausend

Mark

im allgemeinen

Im besondern

nicht;

dagegen

Teile kann

Der

Teile

Höchstdes

StGB.s

er

sechs-

übersteigt nach

dem

durch

das

W u c h e r g e s e t z v o m 24. Mai 1880 eingefügten § 302 d bis auf fünfzehntausend

Mark

erkannt

werden.

Die

Bemessung

hat

stets nach vollen Mark zu geschehen. Die

Geldstrafe

wird

vom

öffentliche Z w e c k e verwendet. nach den V o r s c h r i f t e n über lichen

Urteile

Staate

eingezogen

und

Die Vollstreckung

die V o l l s t r e c k u n g der

(StPO. § 495);

vgl.

aber

auch

für

erfolgt

zivilgericht-

§ 37

Reichs-

stempelgesetz. 2 ) III. W e i t höher reicht die Geldstrafe in den Nebengesetzen, w o sie in zahlreichen Fällen als Vielfaches oder T e i l Gebühren auftritt.

der hinterzogenen A b g a b e n

Aufser zahlreichen Zoll- und Steuergesetzen

oder

seien als Bei-

spiele erwähnt: Gesetz betr. die Inhaberpapiere mit Prämien vom 8. Juni 1871 § 6 : Geldstrafe, welche dem fünften T e i l e des Nennwertes der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleichkommt, mindestens aber 100 T h a l e r betragen

s o l l ; Bankgesetz vom 14. März 1875 § 5 5 :

Geldstrafe, welche dem

Zehnfachen des Betrages der unbefugt ausgegebenen Wertzeichen gleichkommt, mindestens aber

fünftausend Mark

beträgt;

Gesetz betr. Ausgabe von

Bank-

noten v o m 21. Dezember 1874 Art. I I § 2: Vierfacher Betrag der gesetzwidrig ausgegebenen Banknoten, mindestens aber tausend Mark.

D a s Handelsgesetz-

buch (Fassung vom 10. Mai 1897) droht in den Art. 3 1 2 ff. wiederholt Geldstrafe bis zu 20000 Mark an; das Spionagegesetz 15000,

das

Gesetz

100000

Mark.



gegen Die

Sklavenraub

vom

Seemannsordnung

vom

vom 3. Juli 1893 geht bis

28. Juli

1895

27. Dezember

sogar

bis

1872

auf

rechnet

in den § § 83 und 84 nach dem Betrage der Monatsheuer. Über die Verwendung der Geldstrafen v g l . z. B. Personenstandsgesetz v o m 6. Februar 1875 § 70, nach welchem die hier angedrohten Geldstrafen jenen Gemeinden zufliefsen, welche die sachlichen Kosten der Standesämter zu tragen haben; Nahrungsmittelgesetz

vom

14. Mai

1879 §

17 und Weingesetz

20. April 1892 § 10, nach welchen jene Kassen bezugsberechtigt sind,

vom denen

die Unterhaltung der zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Genufsmitteln bestimmten Anstalten o b l i e g t ; Gewerbeordnung § 146 (Hilfskasse, andre zum Besten der Arbeiter bestehende Kassen, eventuell Ortsarmenkasse: G e w e r b e -

2) Auch die Geldstrafe richtet sich gegen die Person des Verurteilten. Zahlung durch dritte ist daher zurückzuweisen. V g l . Besonderen T e i l (Begünstigung). Über Vollstreckung in den Nachlafs unten § 74 II.

§ 64.

4- D e r Verweis.

269

Ordnung § I I 6 ) ; Postgesetz vom 28. Oktober 1871 § 33 (Postarmen- oder Unterstützungskasse); Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 § 107 (Seemannskasse bez. Ortsarmenkasse des Heimathafens des Schiffes); Krankenversicherungsgesetz vom 10. April 1892 § 82 c (Krankenkasse); nach den Zollund Steuergesetzen fällt sie zumeist an den Fiskus desjenigen Staates, von dessen Behörden die Strafentscheidung erlassen ist. — D i e Vdg. vom 13. Juli 1888 § 1 1 überweist sie der Kasse der Neuguineakompanie. 3 )

§ 64.

4. Der Verweis.

I. Den V e r w e i s kennt das R S t G B . (§ 57 Ziff. 4) nur bei Vergehen oder Übertretungen eines Jugendlichen; und auch hier nur in besonders leichten Fällen. II. Da der Verweis Strafe ist (oben § 59 Note 3), so kann er erst erteilt werden, wenn das auf ihn erkennende Urteil rechtskräftig geworden ist. Über den Vollzug dieser Strafart fehlt es — auch in der StPO. — an ausdrücklichen Anordnungen; es sind daher die übrigen Bestimmungen der StPO. zur entsprechenden Anwendung zu bringen. 1 ) So hat z. B. die Erteilung des Verweises gemäfs § 483 StPO. durch den Amtsrichter, bez. durch die Staatsanwaltschaft, auf Grund einer von dem Gerichtsschreiber zu erteilenden, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen, beglaubigten Abschrift der Urteilsformel zu geschehen. 2 )

§ 65.

5. Nebenstrafen an der Freiheit.

I. Das gerichtliche Erkenntnis auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht ist neben der Freiheitstrafe, und zwar 3 ) Nach § 34 des preufsischen Forstdiebstahlgesetzes von 1878 fliefst die Geldstrafe sogar unter gewissen Voraussetzungen zur Kasse des Beschädigten. Ob in diesem Falle überhaupt noch von einer Strafe gesprochen werden kann, ist zweifelhaft. Die F r a g e wird wichtig für die Begnadigung. *) Ebenso R 14. Oktober 86 14 421, 26. J a n u a r 93 2 3 403; Hälschner 1 605, Meyer 431. Dagegen Olshausen § 57 16. Willkürlich Binding Grundrifs 1 185. 2 ) Einzelne Landesstrafgesetze verwenden den Verweis nicht. Man vgl. Preufs. Forstdiebst.-Ges. vom 15. April 1878 § 10. — Auch die Verurteilung zu Verweis begründet die Rückfallsschärfung; vgl. unten § 69. — Über die Verjährung des Verweises siehe unten § § 77, 78.

§ 65.

270

S- Nebenstrafen an der Freiheit.

regelmäfsig neben Zuchthaus, ausnahmsweise (StGB. §§ 49a, 180, 262, 294) auch neben Gefängnis, in einem einzigen Falle sogar neben Festungshaft, aber immer nur i n d e n d u r c h d a s Gesetz ausdrücklich v o r g e s e h e n e n Fällen d e m richterlichen Ermessen anheimgegeben.1) 1. Die im RStGB. ausdrücklich vorgesehenen Fälle, in welchen auf Zulässigkeit der Polizeiaufsicht erkannt werden kann, sind: StGB. §§ 115, 116 (Aufruhr und Auflauf), 122 (Meuterei von Gefangenen), 125 (Landfriedensbruch), 146, 147 (Münzverbrechen), 180, 181 (Kuppelei), 248 (Diebstahl und Unterschlagung), 256 (Raub und Erpressung), 262 (Hehlerei), 294 (gewerbsmäfsige Wilddieberei), 325 (Reihe von gemeingefährlichen Verbrechen), 4 9 a (Aufforderung und Erbieten zu Verbrechen); ferner der Versuch eines mit Tod oder lebenslangem Zuchthaus 2 ) bedrohten Verbrechens und die Beihilfe 3 ) zu einem solchen (StGB. §§ 44 und 49). Dazu treten von den Nebengesetzen Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 §§ 91 und 92; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 13; Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 § I i ; Ausspähungsgesetz vom 3. Juli 1893 (hier in § 6 neben FestungshaftI). Endlich sogar das Sklavenraubgesetz vom 28. Juli 1895 § 3. Ist Polizeiaufsicht neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens zulässig, so gilt gleiches bei der Versuchsstrafe (StGB. § 45); ist sie wegen einer von mehreren zusammentreffenden strafbaren Handlungen zulässig, so kann auf sie auch neben der Gesamtstrafe erkannt werden (StGB. § 76). Jugendlichen Ziff. 5).

gegenüber ist Polizeiaufsicht ausgeschlossen

(StGB. § 57

2. Durch ein solches Erkenntnis erhält die höhere Landespolizeibehörde die Befugnis, nach Anhörung der Gefängnisverwaltung den Verurteilten auf die Zeit von höchstens fünf Jahren unter Polizeiaufsicht zu stellen. — Diese Zeit wird von dem T a g e berechnet, an welchem die Freiheitstrafe verbüfst, verjährt oder erlassen ist (StGB. § 38). 3. Wirkungen der Polizeiaufsicht (SsGB. § 39): 3) Litteratur oben § 15 Note 8. Das Josephinische StGB, von 1787 (2 32) ist meines Wissens das erste, welches Polizeiaufsicht (bei Diebstahl) zuläfst. Doch war sie gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts in der deutschen Rechtspflege ziemlich allgemein in Gebrauch und findet sich in den meisten LandesStGBüchern dieses Jahrhunderts. Ihre neuere Entwicklung in Preufsen (Gesetz vom 12. Februar 1850) beruht auf dem Code pénal Art. 44 ff. (Senatsbeschlufs vom 28. Floréal des Jahres X I I : renvoi sous la surveillance de la police). Die aufserdeutsche Gesetzgebung hat sich teilweise ablehnend verhalten. a ) Ist neben lebenslangem Zuchthaus noch eine andere Strafe wahlweise angedroht, so ist bei Versuch Polizeiaufsicht zulässig, falls der Richter sich für die Anwendung des schwereren Strafrahmens entscheidet. 3) Dagegen Fuhr 197. Mafsgebend ist jedoch die vom Gesetze gewollte Gleichstellung von Versuch und Beihilfe. Richtig Meyer 385.

§ 65.

5- Nebenstrafen an der Freiheit.

271

a. Dem Verurteilten kann der Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten (Ortschaften oder Räumlichkeiten, wie Wirtschaften, Theatern, Bahnhöfen usw.), insbesondere auch am Heimatsorte, von der Landespolizeibehörde untersagt werden; b. die höhere Landespolizeibehörde ist befugt, den Ausländer (auf die Dauer von höchstens fünf Jahren) aus dem Bundesgebiet zu verweisen; c. Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hinsichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen.4) II. A u f Ü b e r w e i s u n g an die Landespolizeibehörde nach verbüfster Strafe kann neben der Verurteilung zur Haft w e g e n der in § 361 S t G B . Ziff. 3—8 bedrohten Übertretungen (gegen Landstreicher, Bettler, Müfsiggänger, Dirnen, Arbeitsscheue, Erwerbslose) erkannt werden. Jene (die B e h ö r d e des Verurteilungsortes) erhält dadurch die B e fugnis, den Verurteilten e n t w e d e r bis zu z w e i Jahren in einem Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu v e r w e n d e n . Im Falle des § 361 Ziff. 4 (Bettel) ist dies jedoch nur dann zulässig, wenn der Verurteilte in den letzten drei Jahren wegen dieser Übertretung mehrmals rechtskräftig verurteilt worden ist (mag er die Strafen auch nicht verbüfst haben), oder wenn er unter Drohungen oder mit Waffen (im technischen Sinn) s ) gebettelt hat. Gegen Ausländer kann an Stelle (nicht neben) der Unterbringung in einem Arbeitshaus Verweisung aus dem Bundesgebiete eintreten (StGB. § 362). Man spricht hier auch von „korrektioneller Nachhaft" („Anhang"). 6 ) 4)

Y g l . StGB. § 361 Ziff. I und StPO. §§ 103, 104, 106, 113. Über diese beiden Begriffe vgl. das Register. ") v. Hippel Die korrektioneile Nachhaft 1889. Derselbe Die strafrechtliche Bekämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu 1895. — Die Nachhaft war bereits im 18. Jahrhundert vielfach im Gebrauch, wurde in Preufsen durch Suarez (Stölzel 245, 301) angeregt, ins A L R . aufgenommen, durch eine Verfügung von 1799 erweitert, geriet aber dann in Vergessenheit. Die neuere Entwicklung ruht auf einem dem Code pénal nachgebildeten preufsischen Gesetze von 1843, umgestaltet 1856. Wichtig der Bundesratsbeschlufs vom 28. Juni 1889 (bei v. Hippel Bettel 70). — Die „Nachhaft" hat sich unmittelbar an die Hauptstrafe anzuschliefsen. Bennecke Z 10 339, v. Hippel Nachhaft 113, Bettel 86. Dagegen Seuffert W V . 2 258 mit der Übung in Preufsen und den süddeutschen Staaten. Ihre Dauer ist von der thatsächlichen Einziehung, nicht schon von dem Ende der Strafzeit, ab zu berechnen. 5)

§ 66.

272 III.

6. Nebenstrafen an der Ehre.

Die Ausweisung

aus

dem

Nebenstrafe') gegen Ausländer

Reichsgebiete

ist

als

zulässig:

1 . B e i g e w e r b s m ä f s i g e m B e t r i e b e des Glücksspiels

(StGB.

§ 284). 2. A n

Stelle der Polizeiaufsicht 8 ) o d e r der U n t e r b r i n g u n g

in einem A r b e i t s h a u s 9 ) ( S t G B . §§ 3 9 Ziff. 2 und 3 6 2 A b s . 2).

§ 66.

6. Nebenstrafen an der Ehre.

L i t t e r a t u r . v. Wiek Ehrenstrafen und Ehrenfolgen 2. Aufl. 1853. Wahlberg Ehrenfolgen der strafgerichtlichen Verurteilung 1864. Zugschwerdt Schärfungen der Freiheitstrafe 1865. Glaser Studien zum österr. Entwurf 1870. Grofs Ehrenfolgen 1874. Kohne Z 8 439. I.

Die

Nebenstrafen

Reichsgesetzgebung Schmälerung

an

nicht

der

etwa

Ehre in

einer

bestehen

nach

Vernichtung

der oder

des R e c h t s g u t e s der E h r e , sondern in der gänz-

lichen o d e r teilweisen A b e r k e n n u n g g e w i s s e r v o m Gesetze g e n a u bezeichneter „bürgerlicher E h r e n r e c h t e " , des jus suffragii et h o n o r u m , d e r droits II. D i e umfafst:

civiques.

Aberkennung

sämtlicher

Ehrenrechte.

Sie

1. D e n d a u e r n d e n V e r l u s t d e r a ) a u s ö f f e n t l i c h e n W a h l e n für den Verurteilten hervorgegangenen Rechte, b) der ö f f e n t l i c h e n Ä m t e r (unmittelbare und mittelbare Staatsämter), W ü r d e n , T i t e l , O r d e n u n d Ehrenzeichen (StGB. § 33) 7 ) Verschieden von der Ausweisung als Mafsregel der Fremdenpolizei. Vgl. v. Liszt Völkerrecht § 25 II. — Die Ausweisung von Inländern aus dem Reichsgebiet fand sich in dem Gesetz vom 4. Mai 1874 betr. die unbefugte Ausübung von Kirchenämtern, aufgehoben am 6. Mai 1890. Für die Ausweisung von Reichsangehörigen aus einem deutschen Einzelstaate ist das Freizügigkeitsgesetz vom I. November 1867 mafsgebend; vgl. auch das (aufgehobene) Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878. 8 ) Also mit dem für diese aufgestellten Höchstmafse. 9 ) Also mit dem Höchstmafse von zwei Jahren. Dagegen v. Hippel Bettel 175, der mit der herrschenden Übung die Ausweisung für eine dauernde hält. — Vgl. StGB. § 361 Ziff. 2. *) Unter den öffentlichen Ämtern sind Advokatur, Anwaltschaft, Notariat sowie Geschwornen- und Schöffendienst mitbegriffen (StGB. § 31 Abs. 2); kirchliche Ämter nur, soweit mit ihnen staatliche Thätigkeit verbunden ist (vgl. Frank § 31 II, dagegen Olshausen § 31 7). Vgl. Schnitte Der Begriff

§ 66.

6. Nebenstrafen an der Ehre.

273

2. den Verlust der Fähigkeit, während der im Urteile bestimmten Zeit die folgenden Ehrenrechte auszuüben: a) die Landeskokarde 2 ) zu tragen; b) in das Deutsche Heer oder in die Kaiserliche Marine einzutreten: c) öffentliche Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen zu erlangen; d) in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder gewählt zu werden oder andre politische Rechte auszuüben; 3 ) e) Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein (soweit die Gültigkeit der Urkunde oder die Rechtsbeständigkeit des beurkundeten A k t e s von der Zuziehung abhängt); f) Vormund, Gegenvormund, Pfleger, Beistand der Mutter, gerichtlicher Beistand oder Mitglied eines Familienrates oder Kurator *) zu sein, es sei denn, dafs es sich um Verwandte absteigender Linie handle und die obervormundschaftliche Behörde oder der Familienrat die Genehmigung erteile (StGB. § 34). Die Dauer der Unfähigkeit beträgt bei zeitiger Zuchthausstrafe mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, bei Gefängnisstrafe mindestens ein und höchstens fünf Jahre (StGB. § 32). Bei Todesstrafe und lebenslanger Zuchthausstrafe

der Öffentlichkeit im RStGB. Erlanger Diss. s. a. Zu den „Würden" gehören auch die akademischen Grade, soweit diese unter staatlicher Anerkennung verliehen werden. Verloren gehen nur die vom Inland (Reich oder Einzelstaat) herrührenden Ehrenrechte (also auch die Befugnis zum Tragen ausländischer Orden). — Der Adelsverlust ist vom Gesetze mit Recht nicht unter die Ehrenfolgen aufgenommen worden; denn er würde eine Schmälerung der familienrechtlichen Stellung des Betroffenen sein und daher mit dem Grundgedanken der heutigen Ehrenstrafe im Widerspruche stehen. — Über § 31 StGB. vgl. oben § 58 Note 8. *) Wie steht es mit der R e i c h s k o k a r d e , die aus Anlafs der Hundertjahrfeier am 22. März 1897 Allerhöchst eingeführt worden ist? Ausdehnende Auslegung des § 34 StGB, ist nicht gestattet. Aber da die Reichskokarde nur neben der Landeskokarde getragen werden kann, fällt sie mit dieser hinweg. V g l . auch § 39 Mil.StGB. ( „ M i l i t ä r k o k a r d e " ) . ®) Wahlgesetz für den Reichstag vom 31. Mai 1869 § 2 Ziff. 4 Abs. 2 ist durch das RStGB. beseititigt worden. V g l . Homberger (oben § 23 Note 4). 4 ) Neue Fassung nach Art. 34 E G . zum BGB. — Eine einschneidende Änderung der Bestimmungen in Litt, e und f bringt das BGB. Wer der bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt ist, soll nach § 1781 nicht zum Vormund bestellt werden, soll nach § 2237 bei Errichtung eines Testamentes nicht mitwirken. Damit ist die Unfähigkeit beseitigt. V g l . auch EG. zum BGB. Art. 40. Vgl. Endemann § 15 Note 2, § 22 Note 4. v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

l8

274

§ 66.

6. Nebenstrafen an der Ehre.

wird sie ohne zeitliche Beschränkung ausgesprochen. Die Wirkung der Aberkennung tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein; die Zeitdauer (der Unfähigkeit) wird von dem Tage berechnet, an dem die Freiheitsstrafe, neben welcher jene Aberkennung ausgesprochen wurde, verbüfst, verjährt oder erlassen ist (StGB. § 36). Die Aberkennung der sämtlichen Ehrenrechte ist regelmäfsig dem Ermessen des Gerichtes überlassen; bindend vorgeschrieben ist sie nur in den §§ 161 (Meineid), 181 (Schwere Kuppelei), 302 d, e StGB, (gewerbs- oder gewohnheitsmäfsiger Wucher), sowie in § 48 des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897. Neben T o d e s - und neben Z u c h t h a u s s t r a f e kann sie ohne weiteres, neben G e f ä n g n i s s t r a f e aber nur dann ausgesprochen werden (StGB. § 3 2 ) , wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate erreicht u n d entweder das Gesetz den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausdrücklich zuläfst o d e r die Gefängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände an stelle von Zuchthausstrafe ausgesprochen würde. Die Fälle, in welchen das Gesetz den Verlust ausdrücklich zuläfst, sind die §§ 49 a, 108, 109. 133, 142, 143, 150, 160, 161, 164, 168, 173, 175, 180, 183, 248, 256, 262, 263, 266, 280, 284, 289, 294, 302, 302 a, b, c, 304, 329, 333, 350; weitere Fälle in verschiedenen Nebengesetzen. Bei V e r s u c h (StGB. § 45) ist die Aberkennung zulässig oder geboten, wenn sie es neben der Strafe des vollendeten Verbrechens ist (die Versuchstrafe mufs also bei Gefängnis mindestens drei Monate betragen); ebenso neben der G e s a m t s t r a f e , wenn sie auch nur neben einer der verwirkten Einzelstrafen zulässig oder geboten ist (StGB. § 76). Gegen den jugendlichen Thäter darf sie nie ausgesprochen werden (StGB. § 57 Ziff. 5). — Nach Mil.StGB. § 46 sind militärische Ehrenstrafen neben der Versuchstrafe z u l ä s s i g , wenn sie neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens zulässig oder geboten sind.

III. rechte.

Die Aberkennung (der Verlust) einzelner EhrenMehrere Fälle sind zu unterscheiden:

1. Neben einer Gefängnisstrafe, mit welcher die Aberkennung überhaupt hätte verbunden werden können (aber nicht verbunden worden ist), kann auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die Aberkennung hat den dauernden Verlust der bekleideten Ämter von Rechts wegen zur Folge (StGB. § 35). 2. A u f den dauernden Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter und der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte kann erkannt werden in den Fällen der §§ 81, 83, 84, 8 7 — 9 1 , 94, 95 StGB, sowie des § 7 des

§ 67.

D i e Bufse.

275

Spionagegesetzes v o m 3. Juli 1893, und zwar nach diesem und nach S t G B . § 95 neben der Gefängnisstrafe, in den übrigen Fällen neben der Festungshaft, die hier ausnahmsweise mit einer Minderung der Ehrenrechte verbunden sein kann, 3. N a c h den §§ 128, 129, 358 S t G B , kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden (siehe Besondern Teil). A u c h in diesem Falle findet § 35 A b s . 2 StGB. Anwendung. F ü r die Berechnung der Dauer der gilt auch hier das oben zu II Gesagte.

zeitigen Unfähigkeit

IV. Ist ein Deutscher im Auslande w e g e n eines V e r b r e c h e n s oder V e r g e h e n s bestraft worden, das nach den Gesetzen des Deutschen Reiches den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher Ehrenrechte zur F o l g e hat oder zur F o l g e haben kann, so ist ein n e u e s S t r a f v e r f a h r e n zulässig, um g e g e n den in diesem Verfahren für schuldig Erklärten auf jene F o l g e n zu erkennen ( S t G B . § 3 7 ; oben S. 101). 5 )

Anhang. § 67.

Die Buke.

Litteratur. v. Wächter Die Bufse 1874. Dochow Die Bufse 1875. v. Weinrich Die Haftpflicht 1883 S. 122. Derselbe Z 17 849. Glaser 2 13. Hilse GA. 36 26. Kronecker GA. 27 97. Reinhardt (Litt, zu § 63). Merklinghaus Die Bufse im deutschen Reichsstrafrecht. Göttinger Diss. 1891. I. A n w e n d u n g s g e b i e t . D i e Bufse findet sich sowohl im Strafgesetzbuch selbst als auch in einzelnen Nebengesetzen. Die Fälle, in welchen auf Bufse erkannt werden kann, sind die folgenden: I. StGB. § 188. Ü b l e N a c h r e d e u n d V e r l e u m d u n g (StGB. §§ 186 und 187), wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt Höchstmafs 6000 Mark. — 2. StGB. § 231. K ö r p e r v e r l e t z u n g in allen 5 ) „Bestrafung" umfafst neben Verbiifsung auch Verjährung und Erlafs der Strafe. — D i e Wiedererlangung der Ehrenrechte (Rehabilitation) entbehrt der gesetzlichen Regelung, kann daher nur im Gnadenwege erfolgen. Anders früher in einzelnen deutschen Staaten (bayerisches Gesetz vom 10. Juli 1861), anders in den meisten fremden Rechten; anders endlich auch nach deutschem Militärstrafrecht (vgl. Hecker S. 69).

18*

276

§ 67.

Die Bufse.

Fällen. Höchstmafs 6000 Mark. — 3. N a c h d r u c k s g e s e t z vom 11. Juni 1870 §§ 18, 43, 45. Bei vorsätzlichem wie bei fahrlässigem Nachdruck. Höchstmafs 6000 Mark. — 4. U r h e b e r r e c h t s g e s e t z e vom 9. Januar 1876 § 16, 10. Januar 1876 § 9 , 11. Januar 1876 § 14. Wie unter 3. — 5. P a t e n t g e s e t z vom 7. April 1891 § 36. Höchstmafs 10000 Mark. — 6. G e b r a u c h s m u s t e r g e s e t z vom I. Juni 1891 § 11. Höchstmafs 10000 Mark. — 7. W a r e n b e z e i c h n u n g s g e s e t z vom 12. Mai 1894 § 18. Höchstmafs 10000 Mark. — 8. Gesetz gegen den u n l a u t e r e n W e t t b e w e r b vom 27. Mai 1896 § 14. Höchstmafs 10000 Mark. — 9. Auf dem ihr überwiesenen Gebiete kann die L a n d e s g e s e t z g e b u n g Bufse zulassen; vgl. z. B. in dem Forstgesetze für Elsafs-Lothringen vom 9. Juli 1888 § 75. In allen Fällen ist der Zuspruch der Bufse durch das im Strafverfahren zu stellende Verlangen des Verletzten (StPO. §§ 443—446) bedingt; ist die Bufse an den Verletzten zu entrichten; schliefst die erkannte Bufse die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus; haften die zur Bufse Verurteilten als Gesamtschuldner (obwohl StGB. § 188 das nicht ausdrücklich ausspricht); darf auf einen höheren Betrag der Bufse als den beantragten nicht erkannt werden (StPO. § 445); kann der Anspruch des Verletzten von dessen Rechtsnachfolgern nicht erhoben oder fortgesetzt werden (StPO. § 444 Abs. 4); erfolgt die Eintreibung nach den Vorschriften der ZPO. (§ 495).

II. D a s W e s e n d e r B u f s e ist lebhaft bestritten; bald wird sie als Strafe, bald als Entschädigung, bald als eine aus beiden Elementen zusammengesetzte Einrichtung betrachtet. Da der Begriff der Entschädigung durch den Ersatz vermögensrechtlicher Nachteile nicht erschöpft wird, sondern auch die dem Verletzten gebührende Genugthuung für den von ihm erlittenen Eingriff in seine Rechtssphäre überhaupt in sich schliefst (oben S. 251), so fällt auch die Bufse unter den Begriff der Entschädigung, besser: der Genugthuung. 2 ) Diese

Auffassung schliefst nicht aus, dafs der Anspruch auf Bufse als höchstpersönlicher nur dem Verletzten, nicht aber seinen Erben zusteht. Sie findet unmittelbare Bestätigung in den Nebenge*) Den Begriff, aber nicht den Namen der Bufse, verwendet in weitem Umfange BGB. § 847: Vgl. dazu v. Liszt Deliktsobligationen S. 64. ! ) Im wesentlichen derselben Meinung (wenn auch meist mit Beschränkung auf Ersatz des Vermögensschadens) die meisten; aufser BGB. auch R 22. Mai 85 12 224, 7. März 87 15 352 (Bufse bei Verlust der Zeugungsfahigkeit), 9. März 88 17 190, 20. November 93 24 398. Neuerdings van Calker Delikte gegen das Urheberrecht 1894 S. 292, Jaques Beiträge zur Revision des Österreich. Strafrechts 1894 S. 79. Als P r i v a t s t r a f e wird die Bufse aufgefafst von Reber, Flesch, Wahlberg, insbesondere aber von Heinze, während Merkel, Merklinghaus, Schütze, v. Schwarze, Stoo/s, v. Wächter zwei Elemente in der Bufse unterscheiden wollen, ein ziviles und ein pönales, v. Weinrich fafst die Bufse als Z w a n g s a b f i n d u n g auf, die an die Stelle der Ersatzleistung tritt.

§ 68.

D i e richterliche Strafzumessung.

277

setzen ( „ s t a t t der Entschädigung kann auf Bufse erkannt werden"). Von diesem Standpunkte aus können wir die meisten der an die Bufse anknüpfenden Streitfragen erledigen. So ist weder der N a c h w e i s eines Vermögensnachteils, noch ein solcher N a c h t e i l überhaupt3) Bedingung für das Entstehen des Anspruchs; so ist Bufse auch bei scheinbarem Zusammentreffen von Vergehungen zuzusprechen, wenn auch das sie enthaltende Gesetz als das mildere bei der Bestimmung der Strafe aufser Betracht bleibt; so verjährt der Anspruch auf Bufse nach den Grundsätzen des Zivilrechts,4) wenn auch seine Geltendmachung im Strafprozesse durch die strafrechtliche Verjährung des Verbrechens thatsächlich unmöglich gemacht wird; so wird die zuerkannte Bufse durch Begnadigung nicht berührt, während die Niederschlagung des Strafverfahrens (unten § 75 II) allerdings thatsächlich auch die Geltendmachung des Bufsanspruches verhindert.

III. Das Strafmafs in Gesetz und Urteil. § 68.

Die richterliche Strafzumessung.

L i t t e r a t u r . Merkel H H . 2 545, 4 207. Wahlberg D a s Prinzip der Individualisierung 1869; K l . Schriften 3 557. Medern Z 7 135; G S . 4 0 173. v. Holtzendorff H G . 1 432. Hälschner 1 634. Durchholz und Sorof GA. 3 5 261, 286. Samter GA. 3 5 381. Finger Der objektive Thatbestand als Strafzumessungsgrund 1888. Högel Straffälligkeit und Strafzumessung 1897. I. In dem Wesen des staatlichen Strafrechts, als der Selbstbeschränkung der an sich unbeschränkten Staatsgewalt (oben § I N o t e 1), Hegt, dafs durch das Strafgesetz nicht nur die V o r a u s s e t z u n g der Strafe (der Thatbestand des Verbrechens), sondern auch ihr I n h a 11 nach A r t und M a f s bestimmt wird. D i e Betrachtung der Geschichte lehrt uns, dafs diese im Strafgesetze ein für allemal — a b s o l u t — gegebene Bestimmung erst allmählich im Laufe der Entwicklung einer r i c h t e r l i c h e n B e m e s s u n g der Strafe Platz macht. ) Teilweise abweichend allerdings S t G B . § 188. ) Ebenso Dochovj H H . 3 376, Frank § 70 I I I , Kohler Patentrecht 667, Löning 84, Meyer 377; dagegen Binding 1 854. Hälschner 1 704, Olshausen § 70 6. 3

4

278

§ 68.

Die richterliche Strafzumessung.

So kennt sowohl die Gesetzgebung der XII Tafeln als auch die Zeit des Quästionenprozesses nur Verhängung oder Nichtverhängung der unabänderlich vom Gesetze vorgeschriebenen Strafe; und erst die Kaiserzeit verleiht, den Gedanken der extraordinaria cognitio ausdehnend, dem Richter die Befugnis zur Bemessung der Strafe nach den Umständen des Einzelfalles. Auch im deutschen Mittelalter flnden wir, soweit die Herrschaft des gesetzten Rechts reicht, nur absolut bestimmte Strafdrohungen, die aber durch das „Richten nach Gnade" ergänzt werden. Und dasselbe gilt im wesentlichen von der PGO. Erst im spätem gemeinen Rechte, als das Gebiet der willkürlichen Bestrafung immer weiter ausgedehnt wurde und neue Strafarten an stelle der in der Karolina angedrohten getreten waren, gewann die richterliche Strafzumessung an Bedeutung. Da es an gesetzlichen Vorschriften über die Bestimmung der Strafe ebenso fehlte wie an wissenschaftlichen Grundsätzen über die Strafzumessung, verfiel die Rechtsprechung schrankenloser Willkür. Den entgegengesetzten Standpunkt vertraten in äufserster Schroffheit, vor keiner Folgerung zurückscheúend, die Schriftsteller der Aüfklärüngszeit (oben S. 82, insbesondere Code pénal 1791): sie wollten den Richter gebunden wissen an den Buchstaben des Gesetzes. Aus diesem Kampfe ging das die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts beherrschende System der r e l a t i v b e s t i m m t e n Strafdrohungen, der zwischen Mindestmafs und Höchstmafs sich spannenden S t r a f r a h m e n , hervor. Doch fehlt auch heute noch dem Richter der Mafsstab, um innerhalb des Strafrahmens die im Einzelfall verwirkte Strafe zu bemessen. Diesen Mafsstab vermag ihm nur der Gedanke der Spezialprävention (oben § 1 3 III) zu geben. Die von den absoluten Theorieen geforderte Gleichung zwischen Schuld und Strafe stellt den Richter vor eine völlig unlösbare Aufgabe.

II. In der Reichsgesetzgebung finden sich a b s o l u t e Strafdrohungen nur in ganz verschwindender Zahl und Bedeutung: soweit das Gebiet der Todesstrafe reicht (oben § 60 II, vgl. aber Note 5; anders Mil.StGB. §§ 58, 60, 63, 95, 97, 133, 141) und soweit die Geldstrafe als Bruchteil oder als Vielfaches eines bestimmten Geldbetrages zu berechnen ist (oben § 63 III). Die Herrschaft führt auch in der Reichsgesetzgebung das System der „Strafrahmen", d. h. der relativ bestimmten Strafdrohungen. Diese Relativität kann liegen: 1. Darin, dafs der Gesetzgeber dem Richter innerhalb derselben Strafart einen Spielraum zwischen einem Mindest- und einem Höchstbetrage läfst. In diesem Falle ist nicht nur der Abstand zwischen der untern und der obern Grenze, sondern auch die durch die A r t der Berechnung, insbesondere durch die Rechnungseinheit bei den Freiheitstrafen (oben § 62 II 3)

§ 68.

Die richterliche Strafzumessung.

279

bestimmte Zahl der dazwischen liegenden S t r a f g r ö f s e n zu beachten. So enthält „Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren" 169 Strafgröfsen; „Gefängnis bis zu fünf Jahren" deren etwa (Schaltjahre!) 1826; „Festungshaft bis zu fünfzehn Jahren" etwa 5478; „Haft bis zu sechs Wochen" 42 Strafgröfsen. 2. Darin, dafs der Gesetzgeber dem Richter die W a h l läfst z w i s c h e n z w e i o d e r s o g a r m e h r e r e n (wieder durch Mindestmafs und Höchstmafs begrenzten) S t r a f a r t e n . Vgl. StGB. § 185: „Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre." Ähnlich Art. II und III des Gesetzes vom 5. April 1888 betr. die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen. Prefsgesetz § 21 läfst sogar dem Richter die Wahl zwischen v i e r verschiedenen Strafarten (Geldstrafe, Haft, Festungshaft, Gefängnis). In diesem Falle hat der Richter in leichteren Fällen die leichtere Strafart; wenn Zuchthaus und Festungshaft zur Wahl gestellt sind,1) Zuchthaus nur bei festgestellter ehrloser Gesinnung des Thäters zu wählen (StGB. § 20). 3. Darin, dafs es dem Ermessen des Richters in vielen Fällen überlassen wird, ob er auf eine oder zwei Hauptstrafen, oder auch, ob er neben der Hauptstrafe auf eine Nebenstrafe erkennen will. III. Innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen hat der R i c h t e r die Strafe für das einzelne gegebene Verbrechen zu bemessen: im Einzelfalle die Aufgabe zu lösen, die der Gesetzgeber im allgemeinen zu lösen hatte. Diese Bestimmung der Strafe innerhalb des Strafrahmens heifst Strafzumessung; die den Richter dabei leitenden Gesichtspunkte nennt man S t r a f m e h r u n g s - (oder Straferhöhungs-) und S t r a f m i n d e r u n g s g r ü n d e . IV. Wenn auch der Gesetzgeber die Strafrahmen für die einzelne Verbrechensart weit genug bemifst, sodafs der verschiedenen Schwere des Einzelfalles Rechnung getragen werden kann, so können doch Ausnahmen vorkommen, denen gegenüber der Regelstrafrahmen sich als zu eng erweist, in welchen Dies ist der F a l l : StGB. §§ 8 2 — 8 6 , 88, 89, 94, 96, 98, loo, 105 und 1 0 6 ; Mil.StGB. §§ 2 und 62.

28o

§ 69.

Strafänderung.

1. Strafschärfung.

also ein Hinaufgehen über das Höchstmafs, ein Herabgehen unter das Mindestmafs als angezeigt erscheint. Für diese Fälle stellt der Gesetzgeber b e s o n d e r e , sei es schwerere, sei es leichtere, S t r a f r a h m e n auf. Nicht ganz genau spricht man hier von Strafänderung (als ob es sich um eine richterliche und nicht um eine gesetzgeberische Thätigkeit handelte),2) zerfallend in S t r a f s c h ä r f u n g u n d S t r a f m i l d e r u n g . V. Thatsächliche oder rechtliche Unanwendbarkeit an sich anzuwendender Strafarten führt zur Strafumwandlung; das Zusammentreffen früherer mit späteren in derselben Sache notwendig werdenden Entscheidungen oder von der zu erkennenden Strafe mit anderen bereits vom Verbrecher erlittenen Übeln zur Strafaufrechnung. Endlich sind noch die besonderen Bestimmungen ins Auge zu fassen, welche der Gesetzgeber für den Fall des Zusammentreffens mehrerer Vergehungen gegeben hat.

§ 69.

Strafänderung.

I. Strafschärfung.

Litteratur. Überhaupt: Lippmann Historisch-dogmatische Darstellung der Lehre von der richterlichen Strafanderungsbefugnis 1863. Hüchel Der Begriff der Strafänderung und das StGB, für das Deutsche Reich. Ein Beitrag zur Geschichte der Entwicklung der deutschen Strafrechtslehre 1893. — Über den R ü c k f a l l s. oben § 15 Note 8. Dazu Kohlhaas Der Rückfall nach deutschem Reichsstrafrecht und seine Beziehungen zur Lehre von der Änderung der Strafgesetzgebung. Tübinger Diss. 1896.

Die Weite der von der Gesetzgebung verwendeten regelmäfsigen Strafrahmen gestattet es, die Aufstellung von besonderen, erhöhten Strafrahmen auf ein verhältnismäfsig kleines Gebiet zu beschränken. Allgemeine Schärfungsgründe sind dem RStGB. fremd geblieben (anders Mil.StGB. §§ 53, 55). Bei e i n z e l n e n Vergehungen werden als strafschärfend berücksichtigt g e w e r b s - oder g e w o h n h e i t s m ä f s i g e Begehung (oben § 55 Note 4), G e m e i n s a m k e i t oder Ö f f e n t l i c h k e i t 2 ) Gegen den Begriff der Strafänderung wendet sich grundsätzlich Hückel in der zu § 69 angeführten Schrift. Es handelt sich aber nur um einen Wortstreit. So auch Meyer 408 Note 2.

§ 7o.

Strafänderung.

2. Strafmilderung.

281

der Verübung, Gebrauch einer W a f f e , Verletzung eines V e r w a n d t e n a u f s t e i g e n d e r L i n i e , Beteiligung als R ä d e l s f ü h r e r , g e w i n n s ü c h t i g e A b s i e h t , Eintritteines s e h w e r e n E r f o l g e s (oben § 36 Note 6) und andre mehr. Auch der Rückfall (oben § 57 I) wird nur bei wenigen einzelnen Verbrechen als Schärfungsgrund verwendet. Es mufs daher der Hinweis auf den besondern Teil an dieser Stelle genügen. D e r Rückfall, im römischen w i e im mittelalterlich deutschen Recht und ebenso in Art. 161, 162 P G O . nur bei einzelnen Verbrechen, insbesondere beim Diebstahl

(der ter furatus steht dem grassator gleich) als Schärfungsgrund an-

erkannt, wird im gemeinen Recht, welches auf der L e h r e

der Italiener

der consuetudo delinquendi und der iteratio delicti fufst, wesentlich gebildet

und verallgemeinert.

Insbesondere

R ü c k f a l l , Zusammentreffen, Gewohnheit einander

geschieden.

19. Jahrhunderts — im

einzelnen,

Die

Mehrzahl

so auch Preufsen —

den

Rückfall

als

werden

allmählich

die Begriffe

schärfer bestimmt und genauer der

deutschen

von

weiter-

Strafgesetzbücher

vondes

stellt, mit zahlreichen A b w e i c h u n g e n

allgemeinen

Strafschärfungsgrund

auf.

Die

aufserdeutsche Gesetzgebung schwankt. D i e Reichsgesetzgebung verwertet den R ü c k f a l l nur in folgenden F ä l l e n : Zunächst im S t G B , selbst in § § 244, 245 (Diebstahl), 250 Ziff. 5 (Raub), (Hehlerei), 264 (Betrug). gesetzen,

besonders

Zoll-

V g l . auch § 362 A b s . 2. und

Steuergesetzen.

So

261

Ferner in einzelnen Nebenim

Salzsteuergesetz

vom

12. O k t o b e r 1867 § 1 2 ; im Vereinszollgesetz v o m I. Juli 1869 § § 140 — 143; im Postgesetz vom 28. Oktober 1871 § 2 8 ; im Brausteuergesetz vom 3 1 . Mai 1872 § § 33, 3 4 ;

im Tabaksteuergesetz

vom

16. Juli

1879 § §

37—39;

im

Reichsstempelgesetz v o m 27. A p r i l 1894 § 20; im Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 § 2 3 ; im Zuckersteuergesetz vom 3 1 . Mai 1891 § 4 8 ; im Wettbewerbsgesetz vom 27. Mai 1896 § 4 ; im Margarinegesetz vom 15. Juni 1897 §§

14 Abs. 2,

§ 23.) 114,

18 A b s . 2.

(Dagegen

Nachdrucksgesetz v o m

Dazu treten noch die Bestimmungen des M i l . S t G B .

I I . Juni

1870

(§§ 13, 70, 71,

122).

§ 70.

Strafänderung.

2. Strafmilderung.

Litteratur. Morris Geschichte und System der mildernden Umstände im deutschen Strafrecht und Prozefs 1887. Götze D i e mildernden Umstände. Diss. 1893.

I.

Die

allgemeinen

Milderungsgründe

gesetzgebung 1 ) sind: i. Jugendliches

der

A l t e r ; 2.

ReichsVersuch;

3. Beihilfe. ') D i e Landesgesetzgebung ist auf dem ihr überlassenen Gebiete auch in dieser Beziehung nicht gebunden (oben § 20 Note 1).

282

§ 7°.

Strafänderung.

2. Strafmilderung.

1. Bei j u g e n d l i c h e m A l t e r (oben § 38 I) schreibt StGB. § 57 folgende Milderungen vor: 2 ) a) Ist die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so lautet der erniedrigte Strafrahmen: Gefängnis von drei bis zu fünfzehn Jahren. b) Bei lebenslänglicher Festungshaft: Festungshaft von drei bis zu fünfzehn Jahren. c) In allen übrigen Fällen ist die Strafe zwischen dem gesetzlichen Mindestbetrage der angedrohten S t r a f a r t und der Hälfte des Höchstbetrages der angedrohten Strafe zu bestimmen. Dies gilt auch für diejenigen Fälle, in welchen (oben § 63 III) die Geldstrafe dem Erwachsenen gegenüber als Vielfaches eines bestimmten Betrages zu bemessen ist, sodafs auch hier die in § 27 StGB, angegebenen Mindestbeträge mafsgebend sind. An stelle von Zuchthaus tritt Gefängnisstrafe von gleicher Dauer. d) Wegen Vergehen oder Übertretungen kann in besonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden. e) Auf Verlust sämtlicher oder einzelner Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht ist nicht zu erkennen. 2. Für den Fall des V e r s u c h e s bestimmt StGB. § 44: Ist das vollendete Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein, neben welcher (allgemein) auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. Lebenslängliche Festungshaft wird durch Festungshaft nicht unter drei Jahren ersetzt. In allen übrigen Fällen kann die Strafe bis auf ein Vierteil des Mindestbetrages der auf das vollendete Verbrechen oder Vergehen angedrohten Freiheit- oder Geldstrafe ermäfsigt werden.3) Ist hiernach Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt, so ist diese nach Mafsgabe des § 21 StGB, in Gefängnis zu verwandeln. Wenn jedoch neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens die (vollständige oder nach § 35 teilweise) Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig oder geboten ist oder auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann, so gilt Gleiches auch bei der Versuchsstrafe (StGB. § 45). Hat ein jugendlicher Verbrecher sich des Versuches schuldig gemacht, so ist die Herabsetzung zuerst nach § 44 und dann nach § 57 vorzunehmen.4) 3. Die Strafe des G e h i l f e n ist ebenfalls nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen zu ermäfsigen (StGB. § 49). Vgl. 2) Sind für die in Frage stehende strafbare Handlung im Gesetz mildernde Umstände vorgesehen, so ist zuerst über diese zu entscheiden und dann erst die Herabsetzung des Strafrahmens vorzunehmen. R 20. März 82 6 98. 3) Beträgt das Mindestmafs der Vollendungsstrafe einen Monat Gefängnis, so bilden sieben und nicht acht Tage die Mindestgrenze der Versuchsstrafe. So auch Frank § 44 I, Olshausen § 44 6 gegen R 13. Februar 82 5 442. 4) Ein Strafrahmen mit I Jahr Zuchthaus als Mindestmafs ergibt dann I Tag Gefängnis als Mindestmafs für Versuch des Jugendlichen. Übereinstimmend im Ergebnisse Geyer 1 174, Meyer 417, Olshausen § 57 9. Dasselbe gilt entsprechend für den Fall, dafs Beihilfe eines Jugendlichen zu bestrafen ist.

§ 7°-

Strafänderung.

2. Strafmilderung.

oben S. 228. Liegt Beihilfe zum Versuche vor, so ist die zweimal vorzunehmen. Beihilfe zur Beihilfe führt dagegen nur Herabsetzung (oben § 52 Note 8). Die Herabsetzung entfällt, setz den Versuch mit der Strafe des vollendeten Verbrechens § 51 Note 9).

283 Herabsetzung zu einmaliger wenn das Gebelegt (oben

II. Daneben finden wir bei den einzelnen Vergehungen eine Reihe besonderer Milderungsgründe. So die „ A n reizung" durch den Gegner beim Totschlag in § 2 1 3 ; die durch den gegnerischen Angriff hervorgerufene Erregung bei Beleidigung und Körperverletzung (StGB. §§ 199, 232); die Fälle der §§ 157 und 158 beim Meineid usw. 6 ) Insbesondere aber hat der Reichsgesetzgeber bei zahlreichen strafbaren Handlungen für den Fall „mildernder Umstände", die im schwurgerichtlichen Verfahren durch Befragen der Geschwornen festzustellen sind (StPO. § 297), einen besondern, niedern Strafrahmen aufgestellt. 6 ) Dabei weist er in den meisten Fällen den Richter bestimmt an, sich, wenn mildernde Umstände vorliegen, dieses milderen Strafrahmens zu bedienen; in anderen Fällen (so StGB. §§ 187, 246, 263, 333, 340, nicht aber 228) dagegen läfst er dem Richter trotz Feststellung des Vorliegens mildernder Umstände die Wahl, ob er sich des regelmäfsigen oder des erniedrigten Strafrahmens bedienen will. Diese vom Gesetzgeber nicht näher bezeichneten „mildernden Umstände" können nicht nur in der That selbst, sondern auch in dem ihr vorangegangenen oder nachfolgenden Verhalten des Thäters gefunden werden. Darin liegt der Unterschied der mildernden Umstände von den „besonders leichten", „minder schweren Fällen" in StGB. §§ 57 Ziff. 4, 94, 96. 5 ) Darüber Besondern Teil. Wenn dem Jugendlichen die Milderungsgründe der §§ 157, 158 zu gute kommen sollen, so ist zuerst der regelmäfsige Strafrahmen nach § 57 herabzusetzen, dann die „an sich verwirkte" Strafe zu bestimmen und nun erst die Ermäfsigung nach §§ 157, 158 vorzunehmen. Abweichend R 22. November 83 9 245, sowie Frank § 157 IX, Meyer 410 Note 6, O/s hausen § 157 4. ") Die Zulassung der „circonstances atténuantes" im französischen Recht (insbesondere durch Gesetz vom 28. April 1832) war durch die harten Strafdrohungen des Code pénal gerechtfertigt. Das RStGB. hat sie ohne jeden innern Grund aus dem preufsischen StGB, übernommen. — Gegner dieser Ein-

richtung sind u. a. Geib, Geyer, Götze, Häberlin, Hälschner, John, Köstlin, Morris, Schütze, v. Wächter. F ü r sie Berner 279 u n d Meyer 419.

Merkel,

§ 7 1 - Strafumwandlung;.

284

§71.

Strafumwandlung.

Strafumwandlung ist die Umrechnung einer Strafart in eine andre. Sie wird notwendig, sobald die Anwendung der zunächst in Frage kommenden Strafart aus rechtlichen oder thatsächlichen Gründen unmöglich ist. Sie ist in folgenden Fällen vorgeschrieben: I. Eine nicht beizutreibende Geldstrafe ist in Freiheitstrafe umzuwandeln (StGB. §§ 28, 29, 78; StPO. §§49i-

495)-

An die Stelle der Geldstrafe tritt nach § 28 S t G B . : 1. Regelmäfsig G e f ä n g n i s . 2. H a f t bei Übertretungen, ferner nach richterlichem Ermessen bei Vergehen, gegen welche Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder wahlweise neben Haft angedroht ist, vorausgesetzt, dafs die erkannte Strafe nicht den Betrag von sechshundert Mark und die an ihre Stelle tretende Freiheitstrafe nicht die Dauer von sechs Wochen übersteigt. 3. Z u c h t h a u s . War neben der Geldstrafe auf Zuchthaus erkannt, so ist die an deren Stelle tretende Gefängnisstrafe in Zuchthaus umzurechnen. M a f s s t a b d e r U m w a n d l u n g (StGB. § 29): B e i den wegen eines Verbrechens oder Vergehens erkannten Geldstrafen ist irgend ein Betrag zwischen drei und fünfzehn Mark, bei den wegen einer Übertretung erkannten Geldstrafen irgend ein Betrag zwischen einer und fünfzehn Mark einer eintägigen Freiheitstrafe gleichzuachten. Grenzen der h i l f s w e i s e n F r e i h e i t s t r a f e . Ihr Mindestbetrag ist ein T a g , ' ) der Höchstbetrag bei Haft sechs Wochen, bei Gefängnis ein Jahr. Im Falle des Zusammentreffens (unten § 73) erhöht sich der Höchstbetrag auf zwei Jahre Gefängnis, bez. drei Monate Haft (StGB. § 78 Abs. 2). Wenn eine neben der Geldstrafe wahlweise (oder auch bei mildernden Umständen) angedrohte Freiheitstrafe ihrer Dauer nach den vorgedachten Höchstbetrag nicht erreicht, so darf die hilfsweise Freiheitstrafe den angedrohten Höchstbetrag j e n e r Freiheitstrafe nicht übersteigen (StGB. § 29 letzter Satz). Die hilfsweisen Freiheitstrafen sind niemals in eine Gesamtstrafe zu vereinigen. Der Verurteilte kann sich durch Erlegung des Strafbetrages, soweit dieser durch die entstandene Freiheitstrafe noch nicht getilgt ist, von der letztern freimachen (StGB. § 28 Abs. 4). Vielfach von dem eben Gesagten abweichende Bestimmungen enthalten die Nebengesetze. So schliefsen sie teilweise die Umwandlung in Freiheitstrafe überhaupt aus; wie Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 § 1 5 ; Nach-

Bruchteile eines Tages, die sich bei der Umrechnung ergeben, sind mithin in Wegfall zu bringen.

§ 72.

Anrechnung auf die verwirkte Strafe.

285

drucksgesetz vom I i . Juni 1870 § 24; Reichsstempelgesetz vom 27. April 1894 § 37. Oder sie stellen einen andern Umwandlungsmafsstab auf; so Nachdrucksgesetz vom I I . Juni 1870 § 81 Abs. 3, die Zoll- und Steuergesetze usw. Mehrfach ist auch die Art der hilfsweisen Freiheitstrafe abweichend bestimmt; so in Gewerbeordnung § 146 (stets Gefängnis) und § 147 (stets Haft). Oder das Höchstmafs der hilfsweisen Freiheitstrafe wird besonders bestimmt, wie in § 60 des Zuckersteuergesetzes vom 31. Mai 1891. Hierher gehören auch StPO. §§ 5°. 69, 77; ZPO. §§ 345, 355- 374-

II. Die Umwandlung einer Freiheitstrafe in eine andre ist aus verschiedenen Gründen notwendig. 1. Da der gesetzliche Mindestbetrag der Zuchthausstrafe ein Jahr beträgt, so ist Umrechnung in Gefängnis nötig, sobald in den Fällen der §§ 44, 49, 157, 158 StGB, nach dem erniedrigten Strafrahmen Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt wäre. 2. Wird bei Zusammentreffen von Zuchthaus und Gefängnis die Gesamtstrafe nach StGB. § 74 Abs. 2 gebildet (unten § 73), so sind die Gefängnisstrafen in Zuchthaus umzurechnen. 3. War neben einer Geldstrafe auf Zuchthaus erkannt* so ist die hilfsweise Gefängnisstrafe (nicht die Haft) in Zuchthausstrafe umzuwandeln (StGB. § 28 Abs. 3). M a f s s t a b d e r U m r e c h n u n g in allen drei Fällen (StGB. § 21): acht Monate Zuchthaus sind gleich zwölf Monaten Gefängnis; acht Monate Gefängnis gleich zwölf Monaten Festungshaft. III. Vereinzelt findet sich auch noch die Umwandlung der Einziehung in eine Geldstrafe. Vgl. z. B. Gesetz vom 9. Juni 1895 (österreichisch-ungarische Zollgesetze) § 4. -)

§ 72.

Anrechnung auf die verwirkte Strafe.

L i t t e r a t u r . Zu I I I : Geyer GS. 26 321. Kronecker GS. 41 192. Beling Die geschichtliche Entwicklung der Retorsion und Kompensation von Beleidigungen und Körperverletzungen 1894. Stcinitz Die sogenannte Kompensation im RStGB. 1894. Günther 3 1. Hälfte S. 283. *) Damit gewinnt die Einziehung thatsächlich die ihr rechtlich mangelnde (oben § 58 Note 4) Eigenschaft einer Strafe. Nicht hierher gehören dagegen diejenigen Bestimmungen, nach welchen (z. B. StGB. § 335; Prefsgesetz ¡5 16) statt auf Einziehung auf Zahlung des Werts des einzuziehenden Gegenstandes, erkannt werden kann.

286

§ 72-

Anrechnung auf die verwirkte Strafe.

I. Eine erlittene Untersuchungshaft kann als Strafverbüfsung betrachtet und bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe (die im Urteil ihrem vollen Betrage nach anzugeben ist) ganz oder teilweise angerechnet werden (StGB. § 60). Die Anrechnung ist bei Freiheit- und Geldstrafe, nicht bei Verweis oder Todesstrafe, nie bei den Nebenstrafen gestattet. Das Ergebnis der Anrechnung kann sein, dafs der Rest der verwirkten Strafe unter das Mindestmafs der Strafart herabsinkt; eine Umwandlung findet in diesem Falle nicht statt. IL Eine im Auslande vollzogene Strafe ist, wenn wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen (StGB. § 7 vgl. mit §§ 3 und 4). Auch hier gilt in Bezug auf Zulässigkeit und Ergebnis der Umwandlung das zu I Gesagte. III. Die sogenannte Erwiderung oder Aufrechnung (Retorsion oder Kompensation) (StGB. § 199 und 233). Wenn leichte Körperverletzungen (§ 223 StGB.) mit solchen, Beleidigungen (§§ 185 bis 189) mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit ersteren auf der Stelle (d. h. solange die durch die Kränkung hervorgerufene Gemütsbewegung fortdauert) von dem Verletzten selbst (nicht etwa seinen A n g e hörigen) erwidert werden, so kann der Richter für beide A n geschuldigte oder für einen von ihnen eine der A r t oder dem Mafse nach mildere Strafe eintreten lassen oder von der Bestrafung des einen oder beider völlig absehen. Wenn dagegen eine Beleidigung mit einer Beleidigung auf der Stelle erwidert wird (StGB. § 199), so ist der Richter nicht zur Milderung der Strafe, sondern lediglich dazu berechtigt, beide Beleidiger oder einen von ihnen für straffrei zu erklären. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung des dem R i c h t e r bei Bemessung der Strafe zugewiesenen Spielraumes, welche bis zur Gestattung der Strafumwandlung, ja selbst der Verschonung mit aller Strafe reicht. D i e beiden Meyer 425, Olshattsen § 6 0 8 (richtig Berner 286) wollen Anrechnung auch auf Nebenstrafen, Berner und Meyer auch auf Verweis. Anrechnung auf Einziehung ist schon deshalb ausgeschlossen,. weil diese keine Strafe ist (vgl. oben § 58 Note 4). — U n v e r s c h u l d e t braucht die Untersuchungshaft nicht zu sein.

§ 73- Die Bestimmung der Strafe bei Zusammentreffen mehrerer Vergehungen.

287

geschichtlichen Wurzeln des Instituts,") die privatrechtliche Kompensation einerseits, die strafrechtliche Berücksichtigung des justus dolor anderseits, bilden auch heute noch seine Lebenskraft. Dem Richter soll die Gelegenheit geboten werden, einerseits die Aufregung des zuerst Angegriffenen, anderseits die Thatsache, dafs dieser bereits selbst sich Sühne genommen, in umfassendster Weise in Betracht zu ziehen. Aufgerechnet mit dem Strafiibel wird also, wenn auch aus verschiedenem Grunde, die von jedem der beiden Teile bereits erlittene Verletzung. 3 ) Ebendarum setzt die Anwendung des durch die §§ 199 und 233 dem Richter eingeräumten Rechts voraus, dafs auf Seiten beider Teile s t r a f b a r e Handlungen vorliegen; bei F r e i s p r e c h u n g aus irgend einem Grunde, sei es auch nur des einen der beiden, kann daher von Aufrechnung keine Rede mehr sein, während diese, wie in dem Falle, dafs durch die erlittene Untersuchungshaft die ganze erkannte Strafe aufgezehrt ist, auf Grund der Verurteilung zu einer „Straffreierklärung" führen kann. Insbesondere mufs daran festgehalten werden, dafs die Anwendung der §§ 199 und 233 ausgeschlossen ist, sobald wegen Mangels der Rechtswidrigkeit die Strafbarkeit der Handlung des einen der beiden Teile entfällt. Aber auch dann ist die Aufrechnung unmöglich, wenn auf Seiten des einen der beiden Thäter ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund gegeben ist. 1 ) Andern Personen als den unmittelbar Beteiligten kommt die Aufrechnung niemals zu gute. 6 )

§ 73. Die Bestimmung der Strafe bei Zusammentreffen mehrerer Vergehungen („realer Konkurrenz"). L i t t e r a t u r . Vergleiche die oben zu § 57 angeführten Abhandlungen. Dazu Katz GS. 36 576. Reiffei GS. 37 470, 40 27. — Brunner 2 541. Schreuer (Litt, zu § 54). Kohler Studien 3 392.

I. Liegen mehrere selbständige Vergehungen desselben Thäters zur strafrechtlichen Beurteilung vor, so wäre die logisch notwendige Folge aus der Selbständigkeit der einzelnen Hand2 ) Es ist auch dem deutschen Mittelalter nicht fremd gewesen (Kleinfeiler KVS. 38 132), aber erst durch die mittelalterliche Wissenschaft Italiens ausgebildet worden. Vgl. Günther 1 214, Löning Z 5 573, insbes. aber Beling und Steinitz. Für die neuere Gesetzgebung ist der Einflufs des Antragserfordernisses und der Privatklage unverkennbar. 3 ) Die Aufrechnung ist, wie schon früher von Feuerbach, v. Wächter u. a., so neuerdings von Steinitz scharf getadelt worden. Letzterer übersieht, dafs die Anrechnung der bereits erlittenen Züchtigung auf die Strafe dem deutschen Rechtsbewufstsein ebenso entspricht, wie die Berücksichtigung der Erregung des Angegriffenen. 4 ) Übereinstimmend bez. des § 11 StGB. (vgl. oben § 24): R 5. März 81 4 14, Fuld GS. 35 533, Hälschner 2 214, Olshausen § 11 5. Dagegen Binding 1 676 Note 14, Frank § 199 II, Krimecker GS. 41 23, Meyer 129, Steinitz 49, Zimmermann GA. 31 197, 32 313. ®) Also nicht dem Begleiter des Beleidigten; R 14. Dezember 96 29 240.

288

§ 73- -Die Bestimmung der Strafe bei Zusammentreffen mehrerer Vergehungen.

hingen d i e S e l b s t ä n d i g k e i t d e r i h n e n e n t s p r e c h e n d e n E i n z e l s t r a f e n , die mithin sämtlich ungekürzt nebenoder nacheinander zu vollstrecken wären. A b e r so wie zur Zeit der Vorherrschaft der Todesstrafe die t h a t s ä c h l i c h e U n m ö g l i c h k e i t , mehrere Todesstrafen an demselben Thäter anders als bildlich zu vollstrecken, so führt in dem heutigen Recht das U b e r w i e g e n d e r F r e i h e i t s t r a f e n zu tiefgehenden Abweichungen von der H ä u f u n g ( K u m u l a t i o n ) der für die Einzelverbrechen verwirkten Strafen. Mit der Dauer der Freiheitstrafe wächst deren Schwere: soll daher die Strafvollstreckung bei zusammentreffenden Vergehungen nur die wirkliche Summe der einzelnen Strafübel zufügen, so mufs sie diesen an Umfang nehmen, was sie durch die Häufung an Schwere gewinnen. S o gelangen wir zu der Forderung einer M i l d e r u n g d e s G r u n d s a t z e s d e r H ä u f u n g bei zusammentreffenden Vergehungen; einer Milderung, die nur scheinbar eine solche, in Wahrheit aber eine Wiederherstellung des ursprünglichen Gleichmafses zwischen Einzelhandlung und Einzelstrafe ist; eine Milderung, die aber nur dort und nur soweit angemessen ist, wo und soweit die Häufung jenes ursprüngliche Gleichmafs stört. Dies ist der Grundgedanke der in den §§ 74 ff. R S t G B . niedergelegten Bestimmungen. II. Die Milderung der Häufung ist im R S t G B . zum Ausdrucke gelangt in der Gestalt der Gesamtstrafe. Sie findet aber nur dort Anwendung, wo durch mehrere (gleichnamige oder ungleichnamige) Verbrechen oder Vergehen mehrere zeitige Freiheitstrafen verwirkt worden sind; denn nur hier würde nach Ansicht des Gesetzgebers der unverkürzte Vollzug sämtlicher Einzelstrafen eine von ihm nicht gewollte Schärfung jeder Einzelstrafe bedeuten. Die Gesamtstrafe besteht in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe (Asperationsprinzip). Es werden zunächst die sämtlichen Einzelstrafen ausgeworfen. Die schwerste von ihnen (bei gleichartigen die der D a u e r , bei ungleichartigen die der A r t nach schwerste) bildet die E i n s a t z s t r a f e , welche unverkürzt beizubehalten ist; die übrigen Einzelstrafen werden verhältnismäfsig gekürzt und dann zu der

§ 73- Die Bestimmung der Strafe bei Zusammentreffen mehrerer Vergebungen.

Einsatzstrafe hinzugerechnet. 1 ) Die Gesamtstrafe darf den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen und fünfzehnjähriges Zuchthaus, zehnjähriges Gefängnis oder fünfzehnjährige Festungshaft nicht übersteigen (StGB. § 74). Die Gesamtstrafe ist trotz ihrer Entstehung überhaupt, insbesondere aber in Bezug auf die Verjährung, als eine einheitliche Strafe aufzufassen. III. In allen andern Fällen tritt grundsätzlich Häufung der Einzelstrafen ein. S o bei Zusammentreffen von Ü b e r t r e t u n g e n unter sich oder mit Verbrechen oder Vergehen; ferner wenn nicht zeitige Freiheitstrafen untereinander, sondern solche mit a n d e r e n S t r a f m i t t e l n oder andre Strafmittel untereinander zusammentreffen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn mehrere lebenslange Freiheitstrafen oder mehrere Todesstrafen untereinander oder eine Todesstrafe mit einer Freiheitstrafe zusammentreffen. Die genannten Strafen sind dann eben einfach nebeneinander zu erkennen. 2 ) D o c h wird der Grundsatz der Häufung auch hier nicht rein durchgeführt. 1. So ist zwar auf G e l d s t r a f e n , welche wegen mehrerer strafbarer Handlungen allein oder neben einer Freiheitstrafe verwirkt sind, ihrem vollen Betrage nach zu erkennen; allein bei der Umwandlung in Freiheitstrafe dürfen z w e i J a h r e G e f ä n g n i s und, wenn die mehreren Geldstrafen nur wegen Übertretungen erkannt sind, d r e i M o n a t e H a f t nicht überschritten werden 3 ) (StGB. § 78 vgl. mit § 29). 2. D i e A b e r k e n n u n g d e r b ü r g e r l i c h e n E h r e n ') Im Falle des § 79 StGB, ist eine Z u s a t z s t r a f e auszusprechen. — Wird durch das Revisionsgericht die Feststellung einzelner strafbarer Handlungen aufgehoben, SQ fällt damit die Gesamtstrafe, die eine aus unselbständigen Teilen bestehende Einheit bildet, in sich zusammen. Dagegen die vereinigten Strafsenate 18. April 94 25 298, sowie Frank § 74 IV. — Ist die Bildung der Gesamtstrafe nicht möglich, so mufs die Erhöhung der Einsatzstrafe unterbleiben. Beträgt die eine Einzelstrafe also eine Woche und die andere einen Tag Gefängnis, so darf nicht auf mehr als eine Woche erkannt werden. So R wiederholt, zuletzt 4. Juni 97 3 0 141. Ebenso die Rechtsprechung in Preufsen und Bayern, Meyer 446, Ophausen § 7 4 4, Schütze 199 und Z 3 93; dagegen Berner 295, Hälschner 1 688, Loning 88, Merkel 266, Seuffert S t G . 1 25, Thomsen G S . 31 327, v. Wächter 285. s ) Diese Grenze mufs auch dann eingehalten werden, wenn die mehreren Geldstrafen wegen Vergehen erkannt sind, aber ausnahmsweise (oben § 71 I) in Haft umgewandelt werden sollen. So R 27. Januar 82 5 372, 2. Januar 83 7 368.

v o n L i s z t , Strafrecht.

9. A u f l .

19

§ 73. D i e Bestimmung der Strafe bei Zusammentreffen mehrerer V e r g e h u n g e n .

r e c h t e und der A u s s p r u c h der Z u l ä s s i g k e i t

von

Polizei-

a u f s i c h t sind zwar neben der Gesamtstrafe zulässig oder geboten, auch wenn sie nur neben der Verurteilung zu einer der zusammentreffenden Einzelstrafen zulässig o d e r g e b o t e n s i n d 4 ) ( S t G B . § 76); aber

das für diese Nebenstrafen

an sich

vor-

gezeichnete Höchstmafs darf auch neben der Gesamtstrafe nicht überschritten werden. IV.

A b e r auch innerhalb

Freiheitstrafen wesentliche

erleidet

auf

Gebietes

der

zeitigen

der Gesamtstrafe

Einschränkungen.

1. Trifft H a f t so ist

des

der Grundsatz

mit

einer andern Freiheitstrafe zusammen,

die erstere

gesondert

zu

erkennen.

Auf

eine

mehrfach verwirkte Haft ist ihrem G e s a m t b e t r a g e nach, j e d o c h nicht über

die D a u e r v o n drei Monaten, zu

erkennen

(StGB.

§ 77)2. so ist

Trifft F e s t u n g s h a f t auf j e d e

dieser

nur mit Gefängnis

zusammen,

Strafarten gesondert zu erkennen.

Ist

Festungshaft oder Gefängnis mehrfach verwirkt, so ist hinsichtlich der

mehreren

Strafen gleicher

wenn sie allein verwirkt

wären.

Art

so zu verfahren, als

D o c h darf die Gesamtdauer

in diesen Fällen fünfzehn Jahre

der Strafen

nicht

übersteigen

( S t G B . § 75). V . A b w e i c h e n d e Bestimmungen finden sich vielfach in den Nebengesetzen. Man v g l . z. B. Braumalzgesetz vom 4. Juni 1868 § 35. Gewerbeordnung § 150 u. a. in

Ganz eigentümlich das Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878, welches

mehreren

gehaltenen,

Strafdrohungen erworbenen,

Reichsstempelgesetzes

die

Strafe

gebrauchten

vom

27. A p r i l

nach

der

gesetzbuch § 318

tritt Geldstrafe

unter eintausend Mark, ein.

der

1894 die Geldstrafe

sie „mindestens z w a n z i g Mark für jedes W e r t p a p i e r " widerrechtlich zur Ausübung

Zahl

einzelnen

usw. Spiele bemifst, während

so bestimmt,

beträgt.

von zehn bis dreifsig Mark

für jede

entdeckt werden, gesetzt werden."

der nicht

D a s Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 beoder

wiederholter

Zuwiderhandlungen

gegen dieses Gesetz, w e l c h e nur mit Ordnungsstrafe bedroht sind, soll, Zuwiderhandlungen

dafs

Nach Handels-

des Stimmrechts benutzten A k t i e n , jedoch

stimmt in § 3 3 : „ I m F a l l e mehrerer die

feil-

§ 3 des

derselben

Art

sind

und

wenn

gleichzeitig

die Ordnungsstrafe . . . nur in einmaligem Betrage fest-

Ganz ähnlich andre Steuergesetze.

4 ) E s kann daher Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte neben G e fängnis nach § 32 S t G B , nur dann ausgesprochen werden, wenn eine der Einzelstrafen drei Monate erreicht. — D i e Dauer der Aberkennung w i r d auch neben der Gesamtstrafe einheitlich berechnet.

§ 74-

IV.

D i e S t r a f a u f h e b u n g s g r ü n d e im a l l g e m e i n e n .

29I

Der Wegfall des staatlichen Strafanspruchs. § 74.

Die Strafaufhebungsgründe im allgemeinen.

L i t t e r a t u r . Binding I 808. Hinschius K i r c h e n r e c h t 4 578. — Zu I I : Geyer G A . 13 161. Walther GS. 19 268. I.üder GS. 2 9 401. Kronecker G A . 2 8 20. Stoofs ( L i t t , zu § 63). Ortloff G A . 2 3 209. Scherer Ü b e r die V o l l s t r e c k u n g r e c h t s k r ä f t i g e r k a n n t e r G e l d s t r a f e n in den N a c h l a f s . Erlanger Diss. 1893. Preuner D i e V o l l s t r e c k u n g der G e l d s t r a f e n in d e n N a c h l a f s des S c h u l d i g e n 1897. — Zu I I I : Fornet GS. 12, Geyer GS. 21 I ( K l . S c h r i f t e n 318), Binding b e i G r ü n h u t 2 686, Lamniasch D i e b s t a h l und B e l e i d i g u n g 1893 S. 34, Thomsen (zu § 16 N o t e 9) 63, Stoofs G r u n d z ü g e 2 83. V e r s a m m l u n g d e r I K V . zu C h r i s t i a n i a 1891. I n s b e s o n d e r e a b e r Herzog R ü c k t r i t t v o m V e r such 1889 u n d Ötker Z 17 554.

I. Strafaufhebungsgründe sind solche nach Begehung einer strafbaren Handlung eintretende Umstände, welchen das geltende Recht die Wirkung beilegt, den bereits entstandenen Strafanspruch zu vernichten. Darin liegt ihr Unterschied von den Strafausschliefsungsgründen, welche das Entstehen eines Strafanspruches hindern (vgl. oben § 44 II). Die Eigenart der Strafaufhebungsgründe tritt am deutlichsten hervor in der Strafverbüfsung, welche als Leistung und mithin als T i l g u n g des Anspruchs erscheint. Sie wirken stets nur zu Gunsten desjenigen, in dessen Person sie eintreten, ohne die Strafbarkeit der That zu beseitigen (Ausnahme in S t G B . § 204). Soweit durch prozessualische Handlungen, wie durch Vergleich im Sühneverfahren, durch Rücknahme des Antrages oder der Privatklage, durch rechtskräftige Entscheidung über den Anspruch usw., die T i l g u n g (Konsumtion) des Strafantrags herbeigeführt wird, k o m m t die Darstellung dieser Strafaufhebungsgründe unzweifelhaft dem S t r a f p r o z e f s rechte zu. A l s dem materiellen Strafrecht angehörige Strafaufhebungsgründe werden regelmäfsig angeführt: I. D e r T o d des Schuldigen; 2. die thätige R e u e ; 3. die B e g n a d i g u n g ; 4. die Verjährung. Allein nur die beiden letzten können als allgemeine Strafaufhebungsgründe festgehalten werden, während der thätigen R e u e nur ausnahmsweise straftilgende Wirkung von unserer Gesetzgebung verliehen wird und der T o d des Schuldigen überhaupt nicht zu den Strafaufhebungsgründen, sondern nur zu denjenigen Umständen gerechnet werden kann, 19*

292

§ 74'

Die Strafaufhebungsgründe im allgemeinen.

durch welche die Verfolgung und Vollstreckung für immer ausgeschlossen wird. 1 ) II. Aus den Zwecken der Strafe folgt die höchstpersönliche Natur des Strafanspruchs. Während weder dem spätrömischen noch dem mittelalterlichen oder gemeindeutschen Rechte die Durchführung des Strafverfahrens gegen den Verstorbenen bis zur Vollstreckung der Strafe an dem Leichnam oder bis zur Hinrichtung im Bilde (in effigie) widerstrebte, während noch Wissenschaft und Gesetzgebung der Aufklärungszeit den Namen des Verstorbenen an Galgen oder Schandsäule anschlagen liefs (Josephinisches StGB. 1787 § 17), hemmt nach unserer heutigen Auffassung der Tod des Schuldigen nicht nur das Feststellungssondern auch das Vollstreckungsverfahren. Von einem Wegfall des Strafanspruchs infolge des Todes des Schuldigen könnte nur soweit gesprochen werden, als damit die Unmöglichkeit der Vollstreckung gegeben ist. Davon kann aber den rechtskräftig erkannten Vermögensstrafen gegenüber keine Rede sein. Nur aus dem S t r a f z w e c k e kann die höchstpersönliche Natur des Strafanspruchs abgeleitet und damit die Forderung begründet werden, dafs die Strafe die P e r s o n des Schuldigen treffe. Da das heutige Recht im allgemeinen diese Auffassung durchaus teilt, ist es eine nicht zu billigende Ausnahme, wenn das StGB., im Ansclilufs an die deutschen Landesrechte, in § 30 die V o l l s t r e c k u n g v o n G e l d s t r a f e n i n d e n N a c h l a f s anordnet, sofern das Urteil (dem der Strafbefehl gleichsteht) bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war. -) III. Der sog. t h ä t i g e n R e u e (d. h. der Abwendung oder Vergütung des Deliktsübels), welche zur Zeit des gemeinen Rechts (Sachsen 1572 XV 16, Preufsen 1685 u. a ) vielfach die Anwendung der ordentlichen Strafe ausschlofs, legt unsere Gesetzgebung nur ausnahmsweise und in durchaus willkürlicher Abgrenzung die Bedeutung eines Strafaufhebungsgrundes bei. Sie will in diesen Fällen dem Verbrecher die Möglichkeit des Rückzuges offen lassen und so das durch ihn bedrohte Rechtsgut vor Verletzung überhaupt oder doch vor gröfserer Verletzung schützen. Aufser dem bereits besprochenen R ü c k t r i t t e v o m V e r s u c h e (oben § 48) gehören hierher: I . W i d e r r u f der fahrlässigen falschen Aussage, StGB. § 163; 2. Abstehen vom Zweikampfe, StGB. § 204; 3. rechtzeitiges Löschen des bereits ausgebrochenen Brandes, StGB. § 310; 4. rechtzeitige Anzeige des geplanten Verbrechens nach § 5 Abs. 3 des Spionagegesetzes vom 3. Juli 1893; 5. Anzeige des Kriegsverrates nach § 61 des Mil.StGB. Dagegen hat die Reichsgesetzgebung dem Ersätze des Schadens, bez. der Rück') Einen ganz eigenartigen Strafaufhebungsgrund enthält das Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875. S. darüber Besonderen Teil. — In dem von R 21. Juni 97 30 187 entschiedenen Fall (Straflosigkeit einer Patentverletzung wegen nachträglicher Vernichtung des Patents) liegt Strafaufhebung überhaupt nicht vor. 2 ) Ebenso 1. 20 D . 48, 2, das gemeine Recht und die meisten neueren Gesetze. Die grofse Mehrzahl der Kriminalisten hat sich gegen die Bestimmung des § 30 erklärt; für sie Bierling Z 10 279, Jettinek System der subjektiven öffentlichen Rechte 1892 S. 61, Nissen (Litt, zu § 58) 9, v. Wächter 300, Weifsmann Hauptintervention 1884 S. 43 Note 5 u. a.

§ 75-

Begnadigung.

293

gäbe des Entwendeten, bei den Eigentumsverbrechen die straftilgende Wirkung, welche andere Rechte (so noch Österreich 1852, Sachsen 1868 sowie die Österreich. Entwürfe) in beachtenswerter Weise ihr einräumten, versagt. Die thätige Reue kann demnach Anspruch auf die Bedeutung eines allgemeinen Strafaufhebungsgrundes nicht erheben.

§ 75.

Die Begnadigung.

Litteratur. Lüder Das Souveränitätsrecht der Begnadigung 1860. v. Arnold Umfang und Anwendung des Begnadigungsrechtes 1860. Heime H H . 2 629. Vassalli Kritische Untersuchungen über das Begnadigungsrecht 1867. Lob Begnadigungsrecht 1881. Elsas Über das Begnadigungsrecht 1888. Seuffert WV. 1 147. Derselbe StG. I 65. Ortloff GA. 45 92. — Die Darstellungen des Strafprozefsrechts. — Löning Z 5 227 und Frauenstädt Z 17 887 (deutsches Mittelalter).

I. Begnadigung ist Beseitigung der Straffolgen durch Verfügung der Staatsgewalt, also Verzicht des Strafanspruchsberechtigten auf den ihm erwachsenen Anspruch. Sie soll.dazu dienen, als „Selbstkorrektur der Gerechtigkeit", als „Sicherheitsventil des Rechts" (y. Ihering), den starren Verallgemeinerungen des Rechts gegenüber die Forderungen der Billigkeit (freilich immer nur zu Gunsten des Verurteilten, nie umgekehrt) zur Geltung zu bringen; sie k a n n dazu dienen, einen (wirklichen oder vermeintlichen) Irrtum des Richters zu verbessern oder der Staatsklugheit auf Kosten des Rechts zum Siege zu verhelfen. Das Begnadigungsrecht entstammt der römischen Kaiserzeit. Mit der Aufnahme der fremden Rechte dringt es nach Deutschland herüber. Im 16. und 17. Jahrhundert wild es als landesfürstliches Regal von den Landesherren in Anspruch genommen und mehr und mehr nach öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten behandelt. Die Schriftsteller der Aufklärungszeit, von Beccaria und Filangieri (anders Montesquieu) bis auf Kant und Feuerbach, bekämpfen die Begnadigung lebhaft aber erfolglos. 1791 in Frankreich beseitigt, wird sie 1801 hier wiedereingeführt. Heute wird das Begnadigungsrecht der Krone von der deutschen Wissenschaft an sich kaum in Zweifel gezogen, wenn auch eine zweckentsprechendere Regelung seiner Ausübung durch rechtliche Ausgestaltung als möglich und wünschenswert zugegeben werden mufs.

II. Die Begnadigung ist Beseitigung der Rechtsfolgen des Verbrechens, nicht der begangenen strafbaren Handlung; diese kann daher später stets, insbesondere zur Begründung der Rückfallstrafe, in Betracht gezogen werden; vgl. StGB. §§ 245, 2$o Ziff. 5, 261, 264. Sie beseitigt nur die Straf-

294

§ 75-

Die Begnadigung.

folgen, nicht die privatrechtliche Ersatz- und Genugthuungspflicht, läfst also die Bufse unberührt. Sie kann die Straffolgen g a n z oder t e i l w e i s e ausschliefsen, umfafst also Erlafs und Milderung der Strafe, sowie insbesondere auch die S t r a f u m w a n d l u n g . Durch Begnadigung kann mithin auch an stelle der verwirkten eine andere (mildere) Strafart treten. Jedoch darf weder das gesetzliche Höchstmafs der Strafart überschritten 1 ), noch eine dem Strafensystem der Reichsgesetzgebung fremde Strafe (z. B. Prügelstrafe) verwendet werden. Statt der Hauptstrafen kann eine Nebenstrafe (z. B. Polizeiaufsicht) bestimmt werden; aber auch Erlafs der Nebenstrafe ohne Erlafs der Hauptstrafe ist möglich. So kann die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte erlassen werden (sog. Restitution, vgl. oben § 66 Note 4), nicht aber die von Rechts wegen eintretende E h r e n f o l g e der Verurteilung. V e r w a l t u n g s m a f s r e g e l n , wie die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt, werden von der Begnadigung nicht berührt. Der Begnadigung im e. S. oder dem Verzicht auf die rechtskräftig erkannte Strafe steht die N i e d e r s c h l a g u n g der Strafverfolgung (Abolition) gegenüber. Diese ist Verzicht auf den noch nicht festgestellten, also möglicherweise gar nicht vorhandenen Anspruch und schon darum verwerflich. III. Träger des Begnadigungsrechts ist in allen Fällen (auch in dem der Antrags- und Privatklageverbrechen) der Staat, und zwar bald das Deutsche R e i c h , welches durch den Kaiser, bald die deutschen Einzelstaaten, welche durch ihre Landesherren, bez. die Senate von Bremen, Hamburg und Lübeck, das Begnadigungsrecht ausüben. 2 ) 1. Dem Kaiser steht das Begnadigungsrecht (nicht die Niederschlagung) in folgenden Fällen zu: a) Nach StPO. § 484 in Sachen, in welchen das Reichsgericht in erster und letzter Instanz erkannt hat (vgl. G V G . § 136 Ziff. 1 ; § 12 des Gesetzes vom 3. Juli 1893). Denn das Strafensystem des R S t G B . s bindet unbedingt, und zu ihm gehören auch die gesetzlichen Höchst- und Mindestmafse. V g l . oben § 20 Note 4. 2 ) Eigenartige Bestimmungen in § § 2 2 und 2 3 des Deutsch-Österreichischen Zollkartells vom 6. D e z e m b e r 1 8 9 1 .

§ 75-

Die

Begnadigung.

295

Hierher gehören nicht nur Hoch- und Landesverrat gegen Kaiser und Reich sowie der Verrat militärischer Geheimnisse, sondern auch die mit diesen zusammenhängenden Verbrechen; auch Versuch und Teilnahme; nicht aber, abgesehen von dem Falle des Zusammenhanges, Begünstigung und unterlassene Anzeige. b) Nach dem Gesetz vom 10. Juli 1879 betr. die Konsulargerichtsbarkeit § 42 in Sachen, in welchen der Konsul oder das Konsulargericht in erster Instanz erkannt hat. Dasselbe gilt bezüglich der Schutzgebietsgerichte nach § 2 des Gesetzes vom 19. März 1888. c) In Elsafs-Lothringen nach § 3 des Gesetzes vom 9. Juni 1871 betr. die Vereinigung von Elsafs-Lothringen mit dem Deutschen Reiche. d) Hinsichtlich der Strafurteile der Marinegerichte, sowie der von den Reichsverwaltungsbehörden erlassenen Strafverfügungen. 3 ) 2. In allen übrigen Fällen sind die Einzelstaaten Träger des Strafanspruchs und mithin des Begnadigungsrechts. Doch ist die Niederschlagung in den meisten Bundesstaaten durch Verfassungsbestimmungen beschränkt oder beseitigt, 4) und die Begnadigung überhaupt darf in manchen Fällen, so insbesondere in den Fällen der Ministeranklage (oben § 58 Note 10), nur unter gewissen Voraussetzungen ausgeübt werden. 3. Das Begnadigungsrecht über militärisch Verurteilte steht an sich dem K r i e g s h e r r n zu; doch haben manche Landesherren bei Abschlufs der Militärverträge mit Preufsen sich die Begnadigung ihrer Unterthanen in Bezug auf nichtmilitärische Verbrechen vorbehalten. 3 ) Nicht hierher gehört die Prisengerichtsbarkeit nach Vdg. vom 15. Februar 1889 § 27, da hier ein Strafverfahren überhaupt nicht in Frage steht. *) Preufs. Verf. Art. 49 Abs. 3 (der König kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen). — Vgl. insbesondere Siebenhaar Z 8 465. D a f s die Abolition durch die Justizgesetzgebung überhaupt beseitigt sei, ist mehrfach behauptet werden; so von Bennecke 39 Note 14; v. Kries 104 (für die durch Reichsgesetze bedrohten Handlungen); Loning 82, Ortloff 227. Dagegen mit Recht die gemeine Meinung; so, neben den staatsrechtlichen Schriftstellern [Arndt, Bornhak, Laband, v. Könne, Schultze), insbesondere Siebenhaar Z 8 484. — Jedenfalls erlischt das Niederschlagungsrecht, sobald eine Strafsache beim Reichsgericht anhängig geworden ist. R 30. Mai/6. Juni 96 2 8 419.

296

§ 76.

Die Verjährung im allgemeinen.

Der Ü b e r t r a g u n g des Begnadigungsrechts seiner A u s ü b u n g nach steht das RStGB. nicht im Wege. 5 ) IV. Bei Zusammentreffen landesrechtlicher Begnadigungsansprüche unter einander ist davon auszugehen, dafs in Bezug auf Entstehung und Geltendmachung der Strafansprüche die deutschen Staaten zu einander in demselben Verhältnisse stehen, wie die verschiedenen Gerichte desselben Staates. Diese Satz ist der Grundgedanke der heutigen Gerichtsverfassung Deutschlands. 1. Liegt ein r e c h t s k r ä f t i g e s U r t e i l vor, so hat derjenige Einzelstaat das Begnadigungsrecht, dessen Gericht in erster Instanz erkannt hat. 2. Werden durch e i n e strafbare Handlung mehrere gleichberechtigte G e r i c h t s s t ä n d e in verschiedenen Staaten begründet, so entsteht durch Eröffnung der Untersuchung nach StPO. § 12 ein ausschliefsliches Niederschlagungsrecht für denjenigen Staat, dem das eröffnende Gericht angehört.6) Niederschlagung in einem andern Staate bleibt ohne rechtliche Wirkung. 3. Die Verbindung mehrerer zusammenhängender Strafsachen bei demselben Gerichte (StPO. §§ 4 und 13) begründet mit dem Augenblicke der Verbindung ein ausschliefsliches Niederschlagungsrecht bezüglich sämtlicher Strafsachen zu Gunsten desjenigen Staates, dein das betreffende Gericht angehört. Niederschlagung in einem andern Staat ist ohne rechtliche Wirkung. Bei nachträglicher Trennung leben die Niederschlagungsbefugnisse der einzelnen Staaten wieder auf. ^

§ 76.

Die Verjährung im allgemeinen.

L i t t e r a t u r . Dambach Beiträge zur Lehre von der Kriminalverjährung 1860. Abegg Verjährung rechtskräftig erkannter Strafen 1862. v. Schwarze Bemerkungen zur Lehre von der Verjährung im Strafrecht 1867. Heinze H H . 2 595. v. Kisch GS. 36 241 und Z 9 235. Binding 1 816. Hälschner 1 693. Koopmann Die Verjährung im Strafrecht. Göttinger Diss. 1888. Rindfleisch Die Verjährung der Strafvollstreckung. Göttinger Diss. 1892. Bühler Die Verjährung im Strafrecht mit besondrer Berücksichtigung der schweizerischen Strafgesetze. Berner Diss. 1893. Vonachten Die Verjährung im Strafrecht. Erlanger Diss. 1895. Del Prete L a prescrizione in diritto penale 1898.

I. Wenn durch den Ablauf einer bestimmten Reihe von Jahren der privatrechtliche Anspruch aufgehoben oder die Rechtsfolgen einer strafbaren Handlung beseitigt werden, so 6 ) V g ^ RGes. vom 4. Juli 1879, durch welches der Kaiser ermächtigt wird, die Ausübung in Elsafs-Lothringen einem Statthalter zu übertragen; und dazu Verordnung vom 28. September 1885 (5. November 1894), welche dem Statthalter die Befugnis zum Erlafs von Geldstrafen und zur Gewährung der Rehabilitation überträgt. e ) Selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dafs das Landesrecht des eröffnenden Gerichts überhaupt Niederschlagung zuläfst. ') Die Frage ist sehr bestritten. Näheres bei v. Kries 97. Für die mehreren deutschen Staaten „gemeinschaftlichen" Gerichte greifen besondere Vereinbarungen der beteiligten Staaten ein.

§ "¡6. Die Verjährung im allgemeinen.

2 97

liegt der Grund für diese Erscheinung und zugleich ihre innere Berechtigung nicht in einer mystischen, Recht erzeugenden oder Recht vernichtenden Kraft der Zeit, sondern darin, dais die Rechtsordnung, welche nicht die folgerichtige Durchführung allgemeiner Grundsätze, sondern die Verwirklichung praktischer Zwecke zur A u f g a b e hat, der M a c h t d e r T h a t s a c h e n Rechnung trägt. Wohl wäre die Verfolgung und Bestrafung auch der kleinsten Übertretung noch nach einem Menschenalter an sich denkbar; aber die Wirkung, welche die Strafe auch in diesem Falle dem Thäter, dem Verletzten und allen übrigen gegenüber erzielen könnte, stände aufser allem Verhältnisse zu den Schwierigkeiten und Unsicherheiten, welche die Feststellung des Sachverhaltes bietet, zu dem störenden Eingriff in neubegründete, tiefgewurzelte und weitverzweigte Verhältnisse. *) Die heutige Strafgesetzgebung räumt demnach auch ausnahmslos und mit vollstem Recht der Verjährung die Wirkung eines Strafaufhebungsgrundes ein; sie kennt sogar neben der Verjährung der verwirkten, aber noch nicht rechtskräftig festgestellten Strafe (sogenannte „ V e r f o l g u n g s verjährung") auch eine Verjährung der durch rechtskräftiges Urteil ausgesprochenen Strafe (sogenannte „ V o l l s t r e c k u n g s verjährung"). Vgl. StGB. § 66. 2 ) II. In ihren beiden Gestalten ist die Verjährung Strafaufhebungsgrund. Sie schliefst nicht nur die Verfolgung aus, sondern sie tilgt das staatliche Strafrecht. A l s A n s p r u c h s v e r j ä h r u n g , nicht K l a g e Verjährung, gehört sie inhaltlich und ihrer Eigenart nach nicht dem Prozefsrecht an, sondern dem materiellen Recht. 3 ) 1 ) Die Auffassung des Textes teilen im wesentlichen Berner, Hälschner, Janka, Meyer, v. Risch, sowie Koopmann, Rindfleisch und Bühler, Dagegen insbesondere Binding 1 823, welcher völlig verkennt, dafs im geltenden Recht die beiden Arten der Verjährung auf demselben Grundgedanken beruhen. Gegen ihn auch Finger 1 312. 2) Es ist ein völliges Verkennen des auf allen Rechtsgebieten gleichen Wesens der Verjährung, wenn man den Eintritt der Straflosigkeit an andre Bedingungen als an den blofsen Ablauf der Zeit knüpfen will. Vgl. Verhandlungen des 24. deutschen Juristentags (Gutachten von Lammasch 2 104 und Höge'. 2 134). 3) Daher eventuell freisprechendes Urteil. — Dafs es sich um Anspruchsverjährung handelt, geben zu Berner, Geyer, Heime, Hälschner, Samuely, Schütze,

298

§ 76.

Die Verjährung im allgemeinen.

A b e r sie tilgt nur die R e c h t s f o l g e n der That. Diese selbst vermag sie nicht aus der Welt zu schaffen. Auch die verjährte (wie die begnadigte) That kann mithin als Grundlage für die Annahme der Gewerbs- und Gewohnheitsmäfsigkeit oder des Rückfalls verwertet werden. III. Die Verjährung ist dem mittelalterlichdeutschen Strafrechte fremd. Auch in der Karolina wird sie mit keiner Sjibe erwähnt. Das römische Recht kennt die Kriminalverjährung (abgesehen von den Privatverbrechen) erst seit der lex Julia de adulteriis (736 oder 737 a. u.), welche für die von ihr mit Strafe bedrohten Verbrechen eine fünfjährige Verjährungsfrist einführte. Erst später finden wir (abgesehen von den Fleischesverbrechen) allgemein in Bezug auf alle crimina publica die zwanzigjährige Verjährungsfrist ausdrücklich anerkannt. Unverjährbar waren auch nach spätrömischem Recht parricidium, suppositio partus und Apostasie. Erst im Laufe des 16, und 17. Jahrhunderts findet die Verjährung in den deutschen Staaten Eingang; so kennt sie Preufsen schon 1620, während BadenDurlach sie 1622 beseitigt; 1656 wird sie in Niederösterreich als eine ganz neue, dem bayrischen Recht von 1616 entlehnte Einrichtung bezeichnet (bei Bratsch). Die gemeinrechtliche Wissenschaft erblickt den Rechtsgrund der Verjährung zumeist in der vermuteten Besserung des Verbrechers (Acquisitivverjährung), der sich deshalb weder aus dem Lande geflüchtet, noch ein neues Verbrechen begangen, noch den Nutzen aus seiner That noch in den Händen haben darf. Vielfach wird bei den schwersten Verbrechen die Verjährung ganz ausgeschlossen. Der Kampf der gesamten Aufklärungslitteratur von S. v. Cocceji und Beccaria bis auf Feuerbach und Henke gegen die ihr unerklärliche und auch dem heutigen englisch-amerikanischen Rechte fremde Kriminalverjährung (Österreich hatte sie 1787 beseitigt, 1803 aber wiedereingeführt) endete damit, dafs nicht nur die Verjährung der Strafklage neuerdings anerkannt, sondern nach dem Beispiele der französischen Gesetzgebung von 1791 und 1808 auch die (schon früher in der Rechtsprechung sich findende) Verjährung der rechtskräftig erkannten Strafe in die neuere deutsche Gesetzgebung (zuerst Sachsen 1838, n i c h t Preufsen 1851 und Österreich 1852) aufgenommen wurde. Doch wurde bei Verbrechen, welche mit dem Tode oder mit lebenslanger Freiheitstrafe bedroht waren, die Verjährung ausgeschlossen (so noch Österreich 1852). Die Reichsgesetzgebung folgt dem französischen Recht. v. Wächter, neuerdings Bennecke 13, v. Kries 28; ebenso im wesentlichen Rindfleisch 39. Dagegen sehen Eisler bei Grünhut 17 610, Frank § 66, Ophausen § 66 4 bis I I , v. Kisch in der Verjährung ein materiellrechtliches Institut, das aber in der geltenden Gesetzgebung die Eigenschaft einer negativen Prozefsvoraussetzung erhalten hat. Umgekehrt erblickt Binding 1 823 in ihr zunächst nur ein prozefsuales Hindernis mit materiell-rechtlichen Reflexwirkungen. Die Doppelnatur der Verjährung betonen auch Glaser 2 49, 544, Löwe zu StPO. § 259, Meyer 321 u. a. Gegen sie spricht StPO. § 380. Sehr bestimmt im Sinne des Textes R 8. Oktober 85 12 434, 25. März 97 30 31.

§ 77-

§ 77.

Die Verfolgungsverjährung.

299

Die Verfolgungsverjährung.

I. Die Strafklage (richtiger der Strafanspruch) jährt (StGB. § 67):

ver-

1. Bei Verbrechen in zwanzig Jahren, wenn sie mit dem T o d e oder mit lebenslänglichem Zuchthaus, in fünfzehn Jahren, wenn sie im Höchstbetrage mit einer Freiheitstrafe von einer längeren als zehnjährigen Dauer; in zehn Jahren, wenn sie mit einer geringeren Freiheitstrafe bedroht sind. 2. Bei Vergehen in fünf oder drei Jahren, je nachdem sie im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonatlichen Gefängnisstrafe oder aber mit einer milderen Strafe bedroht sind. Ist Geldstrafe angedroht, so beträgt die Frist immer nur drei Jahre, mag auch die ihr entsprechende Freiheitstrafe drei Monate übersteigen. 3. Bei allen Übertretungen in drei Monaten. Für die Berechnung ist das Höchstmafs des Strafrahmens mafsgebend; im einzelnen gelten auch hier die oben § 26 I V aufgestellten Grundsätze. Insbesondere ist für die Verjährung von Versuch und Beihilfe der nichtverminderte Strafrahmen entscheidend. 1 ) Besondere Verjährungsfristen finden sich in zahlreichen Nebengesetzen: so Wechselstempelgesetz vom 10. Juni 1869 § 17 (fünf Jahre); Gewerbeordnung § 145 (drei Monate); Vereinszollgesetz vom I. Juli 1869 § 164 (drei Jahre); Nachdrucksgesetz vom I I . Juni 1870 §§ 33 fr. (drei Jahre bez. drei Monate); Braumalzsteuergesetz vom 31. Mai 1872 § 40 (drei Jahre); Prefsgesetz vom 7. Mai 1874 § 22 (sechs Monate bei Verbrechen und Vergehen); Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 § 20 (drei Jahre); Tabaksteuergesetz vom 16. Juni 1879 § 45 (drei Jahre); Branntvveinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 (drei Jahre bez. ein Jahr); Patentgesetz vom 7. April 1891 § 39 (drei Jahre); Zuckersteuergesetz vom 31. Mai 1891 § 61 (ebenso). Vgl. auch Einf.Ges. zum StGB. § 7, nach welchem Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der Postgefälle in drei Jahren verjähren.

II. Der Fristenlauf beginnt mit dem T a g e , an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges (§ 67 Abs. 4). Mafs*) Dagegen die gemeine Meinung.

3oo

§ 77-

Die Verfolgungsverjährung.

gebend ist also für den Beginn der Verjährung der Augenblick der Willensbethätigung. Dagegen bleibt nicht nur der Eintritt des Schlufserfolges sondern auch eines etwaigen „Zwischenerfolges" (oben § 31 I) aufser Betracht. 2 ) Auch der Eintritt einer Bedingung der Strafbarkeit (oben § 44 Note 6) ist ohne Einflufs auf den Beginn der Verjährung. D o c h kann unter Umständen das Ausstehen einer Bedingung der Strafbarkeit das R u h e n der Verjährung zur F o l g e haben. Aus dem Gesagten folgt, dafs die Verjährung der Anstifter- oder Geliilfenthätigkeit unabhängig von der That des Hauptthäters beginnt. 3 ) Nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 35 Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887 (ebenso Zuckersteuergesetz) verjähren die den „Brennereibesitzer als solchen" treffenden Strafen (oben § 58 Note 5) zugleich mit der Strafe des Thäters. Eine Summe von Einzelhandlungen, welche das Recht zur j u r i s t i s c h e n H a n d l u n g s e i n h e i t zusammenfafst (oben § 55) ist auch in Bezug auf den Beginn der Verjährung als eine Einheit zu betrachten. So beginnt bei dem f o r t d a u e r n d e n und ganz ebenso bei dem f o r t g e s e t z t e n Verbrechen die Verjährung erst mit dem letzten Abschlüsse der verbrecherischen Thätiglceit; 4 ) dasselbe gilt von dem geschäfts-, gewerbs-, gewohnheitsmäfsigen Verbrechen, während bei dem Z u s t a n d s v e r b r e c h e n (z. B. mehrfacher Ehe; vgl. aber StGB. § 171) einzig und allein die verbrecherische Handlung selbst, nicht die Fortdauer des herbeigeführten Zustandes. mafsgebend ist. Die Verjährung der durch den Inhalt einer Druckschrift begangenen P r e f s d e l i k t e beginnt mit dem Beginn der Verbreitung. 6 )

-) Bei Brandstiftung durch eine feuergefährlich Anlage beginnt die Verjährung mit dieser zu laufen. — Der Standpunkt des Reichsgerichtes ist schwer festzustellen. Es scheint mehr und mehr dahin zu neigen, den Beginn der Verjährung, entgegen dem unzweideutigen Wortlaute des Gesetzes, erst von dem Erfolgseintritte an zu rechnen. Aufser Betracht bleiben nach ihm nur die Bedingungen der Strafbarkeit oder erhöhter Strafbarkeit. Vgl. insbes. R 5. Dezember 90 21 228, 30. November 94 26 261. Ebenso Olshausen § 67 9. Richtig Meyer 326. 3) Ebenso Hälschner 1 700, Meyer 327, v. Wächter 308. Dagegen die meisten, so Binding \ 840, Borchert (Litt, zu § 49) 55, Olshausen § 67 16; R 30. Dezember 81 5 282, 24. Juni 84 11 20; u. z. wegen der unselbständigen Natur der Teilnahme, die aber hier, wo der Erfolg einflufslos bleibt, nicht in Betracht kommen kann. 4 ) Ebenso grundsätzlich R 3. März 84 10 204; Berner 314, Binding 1 835, Hälschner 1 698, Merkel 245, Meyer 326, Olshausen § 67 14, Schütze 209; dagegen Binding 1 837 und Grundrifs 1 225 (der bei Kollektivdelikten stückweise Verjährung annimmt), Geyer 1 198, Heime HH. 2 617, Köhler Patentrecht 604, v. Wächter 309. 5) Vgl. v. Liszt Prefsrecht 206. Dagegen Binding Grundrifs 1 226, Rathenau GS. 53 376 (die beide den letzten Verbreitungsakt entscheiden lassen), Stenglein GS. 53 384.

§ 77-

D i e Verfolgungsverjährung.

Bei den U n t e r l a s s u n g s v e r b r e c h e n

30I

tritt der Beginn der Verjährung

ein, sobald die Verpflichtung zu handeln aufhört. Besondere Bestimmungen:

Nach § 100 der Seemannsordnung vom

27. Dezember 1872 beginnt die Verjährung mit dem T a g e , Schiff zuerst ein Seemannsamt I I . Jnni

erreicht.

1870: nach § § 33 und 37

an welchem

das

Beachtenswert Nachdrucksgesetz

beginnt die Verjährung des

vom

Nachdrucks

sowie der unterlassenen Quellenangabe mit dem T a g e der ersten Verbreitung, o b w o h l schon mit der Herstellung des ersten Exemplares nach § 22 das Vergehen vollendet war.

D i e Verjährung der Wechselstempelhinterziehungen be-

ginnt nach § 17 des Gesetzes vom 10. Juni 1869 mit dem T a g e der Ausstellung des Wechsels.

III.

Die

Verjährung wird

Handlung des R i c h t e r s , That

gegen

unterbrochen

welche

den Thäter

wegen

gerichtet

durch

der

jede

begangenen

ist ( S t G B . § 68).

Die

S t P O . hat in den § § 453 und 4 5 9 auch der polizeilichen Strafv e r f ü g u n g und

d e m S t r a f b e s c h e i d e der Verwaltungsbehörden,

das Wechselstempelgesetz amtlichen Nur

Handlung

gegen

That

den

gerichtete

10. Juni

1869 in §

unterbrechende

Thäter

erst auf die S p u r V e r j ä h r u n g ; es

die

vom als

Thäter

Handlungen,

Wirkung

einer

jeder

beigelegt.

bestimmten

Vorerhebungen,

die

des T h ä t e r s leiten sollen, unterbrechen

die

genügt

nicht

17

also nicht

die V o r l a d u n g als Z e u g e ,

selbst wenn der V o r g e l a d e n e sich bei dieser Gelegenheit schuldig bekennt

und

darum

nicht

beeidet

wird.

Die

Unterbrechung

findet nur rücksichtlich des Thäters statt, auf den die Handlung sich bezieht.

Mit der U n t e r b r e c h u n g

beginnt

eine neue

Ver-

jährung. IV. des

Die Verjährung ruht ( S t G B . § 6 9 in der F a s s u n g

Gesetzes

vom

26. März

1893)

welcher auf Grund gesetzlicher folgung nicht kann.

begonnen

oder

während

der Zeit,

Vorschrift die nicht

in

Strafver-

fortgesetzt

werden

Ist (insbesondere) der Beginn oder die Fortsetzung des

Strafverfahrens

von

einer

Vorfrage

abhängig,

scheidung nur in einem andern Verfahren

deren

Ent-

erfolgen k a n n ,

so

ruht die V e r j ä h r u n g bis zu dessen Beendigung. 6 ) Ist zur tigung

Strafverfolgung

ein

Antrag

oder

eine

Ermäch-

erforderlich, so wird der L a u f der V e r j ä h r u n g

6 ) V g l . Altona G S . 4-3 205, Meves 1893 Seuffert Z 14 543.

durch

G A . 3 9 1 4 7 ; über das Gesetz

von

302

§ 78.

den Mangel

Die Vollstreckungsverjjihrung.

des A n t r a g e s

oder

der

Ermächtigung

nicht

ge-

hindert. V.

Wirkung der Verjährung ist die Beseitigung des

Strafanspruchs, kann

die

nehmern

nicht

Verjährung eingetreten

die

des Verbrechens.

gegenüber sein,

einem

während

die

von

Ebendarum

mehreren

übrigen

noch

Teilstraf-

bar sind.

§ 78.

Die Vollstreckungsverjährung.

i. Die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen verjährt (StGB. § 70): a) W e n n auf T o d oder lebenslängliches Zuchthaus o d e r lebenslängliche Festungshaft erkannt ist, in dreifsig Jahren; b) wenn auf Zuchthaus oder Festungshaft v o n m e h r als zehn Jahren erkannt ist, in zwanzig Jahren; c) wenn auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder F e s t u n g s haft v o n fünf bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von mehr als fünf Jahren erkannt ist, in fünfzehn Jahren; d) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis von zwei bis zu fünf Jahren oder auf Geldstrafe v o n mehr als sechtsausend Mark erkannt ist, in zehn Jahren; e) wenn auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe v o n mehr als hundertfünfzig bis zu sechstausend Mark erkannt ist, in fünf Jahren; f) wenn auf Haft oder Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark erkannt ist, in zwei Jahren. *) IL Die V e r j ä h r u n g b e g i n n t mit d e m T a g e , an welchem das Urteil rechtskräftig g e w o r d e n ist ( S t G B . § 70). III. D i e V e r j ä h r u n g wird unterbrochen durch j e d e auf V o l l s t r e c k u n g der Strafe gerichtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die V o l l s t r e c k u n g obliegt, sowie durch die zum Z w e c k e der Vollstreckung erfolgende F e s t n a h m e des V e r urteilten. N a c h der Unterbrechung der V o l l s t r e c k u n g der Strafe beginnt eine neue V e r j ä h r u n g ( S t G B . § 72).

*) Hierher mufs auch der v o m Gesetzgeber vergessene V e r w e i s gerechnet werden. D a g e g e n Frank § 70 III (für Unverjährbarkeit des Verweises).

§ 78.

D i e Vollstreckungsverjährung.

303

IV. Die Vollstreckung einer Gesamtstrafe verjährt einheitlich. 2) Die Vollstreckung einer wegen derselben Handlung neben einer Freiheitstrafe erkannten Geldstrafe verjährt nicht früher als die Vollstreckung der Freiheitstrafe (StGB. § 71). Ebenso verjähren auch die übrigen Nebenstrafen, soweit sie überhaupt zur Vollstreckung gelangen, mit der Hauptstrafe. Eine Ausnahme stellt das Gesetz für die zeitigen Nebenstrafen an der Ehre (StGB. § 36) und für die Nebenstrafen der Polizeiaufsicht (StGB. § 38) auf. Bei beiden beginnt die Wirkung des gerichtlichen Erkenntnisses gerade mit der Verjährung der Hauptstrafe. Dasselbe gilt von der nach § 3 Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 eintretenden Nebenfolge der Verurteilung. V . Soweit

die Nebengesetze,

w i e dies insbesondere in den Zoll- und

Steuergesetzen der Fall ist, die Verfolgungsverjährung ausdrücklich regeln, ohne die Vollstreckungsverjährung zu erwähnen, mufs diese letztere als ausgeschlossen betrachtet werden.

Dasselbe

gilt im gleichen Falle für die der Landesgesetz-

gebung überlassenen Gebiete (oben § 20 Note 1). 2)

Gemeine Meinung.

D a g e g e n Frank

§ 74 V .

Besonderer Teil.

Die einzelnen Verbrechen und ihre Bestrafung.

v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

20

§ 79. Litteratur.

Übersicht des Systems.

Vgl. die zu § 13 angeführten Abhandlungen.

I. Den natürlichen, heute allgemein in den wissenschaftlichen Darstellungen des Strafrechts verwendeten E i n t e i l u n g s g r u n d des besondern Teiles unserer Wissenschaft bildet die Verschiedenheit des durch die Strafe geschützten, durch das Verbrechen bedrohten R e c h t s g u t e s , also jener I n t e r e s s e n , welche rechtlichen und zwar strafrechtlichen Schutz durch die Gesetzgebung geniefsen. 1 ) Rechtsgut als Gegenstand des Rechtsschutzes ist in letzter Linie stets das m e n s c h l i c h e D a s e i n in seinen verschiedenen Ausgestaltungen. Dieses ist d a s Rechtsgut, d. h. der Kern aller rechtlich geschützten Interessen. Das menschliche Dasein aber erscheint entweder als das Dasein des als E i n z e l w e s e n betrachteten Menschen oder als Dasein des einzelnen in der G e s a m t h e i t der Rechtsgenossen. Alle durch das Verbrechen angegriffenen, durch das Strafrecht geschützten Interessen zerfallen demnach in R e c h t s g ü t e r d e s e i n z e l n e n und in R e c h t s g ü t e r d e r G e s a m t h e i t . 2 ) *) Die Durchführung dieser Einteilung findet allerdings ihre Grenze an den durch das geltende Recht gegebenen Verbrechensbegriffen, bei deren Bildung vielfach, insbesondere in neuester Zeit, die einfachsten Grundregeln legislativer Technik aufser Acht gelassen worden sind. Die Wissenschaft mufs dieser Thatsache Rechnung tragen; aber gerade darum darf sie auf die Hervorhebung des obersten Einteilungsgrundes nicht verzichten. 2 ) In den heutigen Systemen (auch bei Meyer) herrscht diese Z w e i teilung vor. Für sie Kleinfeller K V S. 3 8 104. Aber die Auszeichnung der gegen die „Gesellschaft" im Unterschiede vom „Staate" gerichteten Verbrechen, die bei Birkmeyer, Finger u. a. zu einer D r e i t e i l u n g geführt hat, macht sich (so auch bei Janka) vielfach geltend. Grundsätzliche Bedeutung hat die Frage nur bezüglich der unten im Text zu Note 3 besprochenen Gruppe. 20*

3o8

§ 79.

Übersicht des Systems.

II. R e c h t s g ü t e r d e s e i n z e l n e n . Wenn das Dasein des Einzelwesens Gegenstand des Rechtsschutzes sein soll, so bedeutet das: Die Rechtsordnung als Friedensordnung gewährleistet dem einzelnen d i e u n g e s t ö r t e B e t h ä t i g u n g s e i n e r E i g e n a r t . Das ist das oberste Rechtsinteresse d e s e i n z e l n e n , d a s Rechtsgut desselben. Aus der verschiedenen Richtung dieser Bethätigung mufs sich die E i n t e i l u n g d e r R e c h t s g ü t e r d e s e i n z e l n e n ergeben. Der Schutz ungestörter Bethätigung der Eigenart schliefst in sich erstens als die Voraussetzung aller menschlichen Bethätigung den Schutz des k ö r p e r l i c h e n L e b e n s , der leiblichen Unversehrtheit. Diese bildet demnach das erste und wichtigste aller Rechtsgüter des einzelnen. Er umfafst weiter alle diejenigen Richtungen der Bethätigung, welche als höchstpersönliche Äufserungen des Individuums untrennbar mit diesem verbunden sind. Wir gewinnen damit eine zweite grofse Gruppe von Interessen, welche als u n k ö r p e r l i c h e ( i m m a t e r i e l l e ) R e c h t s g ü t e r zusammengefafst werden können. Hierher gehören: I. Die persönliche Geltung im Kreise der Rechtsgenossen (die E h r e ) ; 2. die persönliche F r e i h e i t ; 3. die freie Verfügung über den eigenen Leib im geschlechtlichen Verkehr ( G e s c h l e c h t s e h r e ) sowie die Wahrung des s i t t l i c h e n G e f ü h l s ; 4. d i e F a m i l i e n r e c h t e ; 5. die ungestörte Bethätigung des r e l i g i ö s e n L e b e n s ; 6. das freie Schalten und Walten in Haus und Hof ( H a u s r e c h t ) sowie die Wahrung des persönlichen und geschäftlichen Lebens vor unberufenem Eindringen ( B r i e f g e h e i m n i s usw.); 7. das Bewufstsein, in allen Richtungen der Bethätigung des Schutzes der Friedensordnung gewifs sein zu dürfen ( R e c h t s frieden). Von den unkörperlichen Rechtsgütern hebt sich eine dritte, von ihnen in jeder Beziehung verschiedne Gruppe von Interessen des einzelnen scharf ab: die der V e r m ö g e n s r e c h t e . Ihr Unterschied von jenen ist mit dem Hinweise gekennzeichnet, dafs sie n i c h t höchstpersönliche, mit dem Einzelwesen untrennbar verbundene Interessen desselben sind: die in den Vermögensrechten stofflich gebundene Bethätigung des einzelnen begründet für diesen eine Herrschaft über Sachen oder Personen, welche von ihm losgelöst, auf andre übertragen, in Geld abgeschätzt werden kann. In den Vermögensrechten tritt die Persönlichkeit des Berechtigten gänzlich zurück: das Rechtsgut des Eigentums ändert sein Wesen nicht, wenn es von dem A auf den B übertragen wird. Dieser ihrer Eigenart entspricht der hochentwickelte, durchaus nicht nur in V e r b o t e n sich erschöpfende Rechtsschutz, welchen die Rechtsordnung den Vermögensrechten gewährt. Zwischen die rein unkörperlichen Rechtsgüter und die Vermögensrechte tritt nun aber, den Übergang von den einen zu den anderen vermittelnd, noch eine vierte besondre Gruppe rechtlich geschützter Interessen, welche in sehr bezeichnender Weise „ I n d i v i d u a l r e c h t e " genannt worden sind. Der Schriftsteller, der Künstler, der Erfinder, der Gewerbsmann haben ein Interesse daran, den wirtschaftlichen Ertrag ihrer Thätigkeit für sich zu verwerten. Das

§ 79-

Übersicht des Systems.

309

Recht gewährleistet ihnen dieses Interesse, indem es einerseits dem „ U r h e b e r " das ausschliefsliche Recht einräumt, seine Schöpfung zu verwerten, anderseits den „ u n l a u t e r e n W e t t b e w e r b " , der die Früchte fremder Thätigkeit sich anzueignen sucht, allgemein oder doch in bestimmten Erscheinungsformen (Verwendung fremder Warenbezeichnungen) unter Strafe stellt. In allen Fällen ist es die selbstthätige, schaffende Individualität, die in dem Schrift- oder Kunstwerk, in der gewerblichen Erfindung, in dem Muster oder Modelle, ganz ebenso aber auch in dem bei den Abnehmern erworbenen Vertrauen, sich zur Geltung bringt. Insoweit berühren sich die Individualrechte mit den rein unkörperlichen Rechtsgütern. Aber sie fallen doch mit diesen nicht gänzlich zusammen. Der künstlerische Gedanke bedarf der F o r m , um sich darzustellen; nur an und in dem S t o f f äufsert sich die Schaffenskraft des Geistes; in der Beschaffenheit der W a r e n Geschick und Sorgfalt des Kaufmanns. Mit dieser Versinnlichung der schöpferischen Arbeit ist aber die Möglichkeit einer wenn auch nur teilweisen Loslösung von ihrem Urheber, eine, wenn auch unvollständige Übertragung an andre, eine wenn auch ganz ungenügende Abschätzung in Geld möglich. Das von mir verfafste Werk kann ich als Handschrift dem Verleger zur Vervielfältigung übertragen, mein Geschäft mit Waren und Kundenkreis einem Käufer überlassen. Durch diese Übertragbarkeit nähern sich die Individualrechte den Vermögensrechten, ohne ganz mit ihnen zusammenzufallen, sodafs die Aufstellung einer besonderen Gruppe zur systematischen Notwendigkeit wird. Wir gewinnen hiermit folgende Einteilung der gegen Rechtsgüter des einzelnen gerichteten Verbrechen: 1. Verbrechen gegen Leib und Leben; 2. Verbrechen gegen unkörperliche Rechtsgüter; 3. Verbrechen gegen Individualrechte; 4. Verbrechen gegen Vermögensrechte. Zu diesen vier Gruppen tritt eine f ü n f t e : die durch die A r t , insbesondere durch das M i t t e l , nicht durch den G e g e n s t a n d des Angriffs gekennzeichneten Verbrechen: d e r M i f s b r a u c h s t a a t l i c h e r E i n r i c h tungen, sowie menschlicher Entdeckungen und E r f i n d u n g e n zur Bekämpfung rechtlich geschützter Interessen (oben § 44 I 2). Indem der Staat diese Handlungen mit Strafe bedroht und dadurch eine Gruppe eigenartiger Vergehungen schafft, stempelt er nicht etwa neue, bisher nicht vorhandene oder nicht geschützte Interessen zu neuen Rechtsgütern, sondern er vervollständigt die Rüstkammer der Waffen zum Schutze längst vorhandener und längst wenn auch ungenügend geschützter Interessen. Hierher gehören die gemeingefährlichen Verbrechen sowie der Mifsbrauch von Sprengstoffen einerseits, Waren-, Geld- und Urkundenfälschung anderseits. 3 ) 3 ) Die Notwendigkeit dieser besonderen Gruppe, bei welcher der sonst festgehaltene Einteilungsgrund aufgegeben erscheint, ist vielfach anerkannt worden. Vgl. Feuerbachs „vage", Lönings „vagierende" Verbrechen. Auch Oppenheims „Verbrechen mit unbestimmtem Schutzobjekt" gehören, trotz seines Widerspruchs (S. 233), hierher. Meiner Auffassung hat sich völlig ange-

§ 79-

Übersicht des Systems.

III. R e c h t s g ü t e r d e r G e s a m t h e i t . Hier können wir drei Gruppen unterscheiden: die Gesamtheit wird uns dargestellt durch den S t a a t als solchen; die Bethätigung, die Arbeit der Gesamtheit durch die schützende und fördernde S t a a t s v e r w a l t u n g . Aber auch die Kraft, welche das Ganze zusammenhält und die einzelnen Glieder in Bewegung setzt: die S t a a t s g e w a l t als Abstraktum wie in ihren Organen bedarf des rechtlichen Schutzes. Die strafbaren Handlungen gegen die Gesamtheit zerfallen demnach in folgende Unterabteilungen: 1. Verbrechen gegen den Staat (die politischen Verbrechen) ; 2. Verbrechen gegen die Staatsgewalt; 3. Verbrechen gegen die Staatsverwaltung. schlössen Finger 2 291. Auch Binding Grundrifs weicht, trotz seiDer Polemik, nur insoweit von mir ab, als er die beiden Untergruppen getrennt beziffert. Anders die in Note 2 erwähnte Auffassung, die gerade auch in diesen Fällen von einer Verletzung „allgemeiner" Interessen spricht.

Erstes Buch.

Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter des einzelnen. Erster Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben. § 80.

Allgemeines.

I. Das Strafrecht gewährt seinen Schutz dem menschlichen Leben, nicht nur von der Geburt bis zum Tode, sondern bereits von der Empfängnis ab. Nicht nur der M e n s c h , d. h. das vom Weibe geborene Lebewesen, sondern auch die L e i b e s f r u c h t , das lebende, befruchtete Ei auf allen Stufen seiner Entwicklung, ist gegen rechtswidrige Eingriffe geschützt. Die Verschiedenheit dieses Strafschutzes, die am deutlichsten in dem Verhältnis der Kindestötung zur Abtreibung hervortritt, macht es notwendig, Kind und Leibesfrucht, Mensch und Embryo, begrifflich scharf zu scheiden. Mensch ist das Lebewesen, das ein selbständiges Dasein aufserhalb des Mutterleibes führt. Das selbständige Dasein beginnt aber für das Strafrecht nicht erst, wie nach BGB. § i, „mit der Vollendung der Geburt," also mit der völligen Loslösung des Kindes von der Mutter, auch nicht

312

§ 8o.

Delikte gegen Leib und Leben.

Allgemeines.

schon mit dem Anfange der Ausstofsungsbewegungen (den „Wehen"), sondern mit dem Authören der fötalen Plazentaratmung und der Möglichkeit der Atmung durch die Lungen. 1 ) Alles vom Weibe Geborene ist Mensch, auch die sogenannte M i f s g e b u r t , d. h. ein Lebewesen mit regelwidriger Bildung, mag das Fortleben unmöglich sein („Monstrum" im engern Sinne) oder nicht (die siamesisehen Zwillinge). L e b e n s f ä h i g k e i t ist nicht erforderlich; an dem lebensunfähigen Neugebornen kann Tötung und Körperverletzung begangen werden, wie an dem Greise, der in den letzten Zügen liegt. IL Das Strafrecht schützt Leib und Leben gegen V e r l e t z u n g wie gegen G e f ä h r d u n g . Die Verletzung ist der L e i b e s f r u c h t gegenüber nur als Tötung möglich, sei es im Mutterleibe, sei es durch Bewirkung einer vorzeitigen Geburt (unten § 94); dem g e b o r n e n M e n s c h e n gegenüber kann sie T ö t u n g , d. h. Zerstörung des Lebens (unter §§ 81 bis 86) oder aber K ö r p e r v e r l e t z u n g , d. h. Störung der Lebensfunktionen (unten §§ 87 bis 89), sein. Verursachung des Todes oder der Körperverletzung durch eine an sich strafbare Handlung wirkt vielfach als erschwerender Umstand (oben § 36 Note 6); liegt Vorsatz oder Fahrlässigkeit in Beziehung auf diesen Erfolg vor, so ist Idealkonkurrenz mit Tötung oder Körperverletzung anzunehmen. III. Gegen Gefährdung ist die L e i b e s f r u c h t durch die Strafdrohungen gegen Bewirkung einer nichttötlichen Frühgeburt geschützt (unten § 94). Dem g e b o r n e n M e n s c h e n gewährt das Strafrecht den Schutz gegen Gefährdung in dreifacher Gestalt: 1. durch die Strafdrohungen gegen Aussetzung, Ver') Die Frage ist von grofser praktischer Bedeutung, da zwar fahrlässige Tötung, nicht aber fahrlässige Abtreibung unter Strafe gestellt ist. Die Ansichten gehen weit auseinander. Den Beginn der Wehen lassen entscheiden Frank 16. Abschn. II, Hälschncr 2 61, Mittelstein GS. 34 173, Wekrli (Litt, zu § 84) 94, R 29. September 83 9 131, 5. November 94. 26 178. Dagegen verlangen den Austritt irgend eines Körperteils aus dem Mutterleibe Binding 1 220 Note 6 und Grundrifs 2 9, Finger 2 4, v. Holtzendorff HH. 3 451, Horch (Litt, zu § 94) 45, Merkel 308, Meyer 454 (der aber 466 für den Kindesmord den Beginn der Wehen entscheiden lassen will), Olsha-usen § 211 I, R 8. Juni 80 1 446. Der im Text vertretenen Ansicht entspricht die forensische Bedeutung der Lungenprobe. Vgl. Ortloff Kind oder Fötus? 1887. Derselbe Physiologische Kennzeichen für Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit 1890.

§ 8i.

Begriff und Arten der Tötung.

313

giftung, Raufhandel, Zweikampf und (soweit Leib und Leben der Schwangeren selbst in Frage steht) Abtreibung; also durch die Aufstellung b e s o n d e r e r G e f ä h r d u n g s d e l i k t e mit eng umschriebenem Thatbestand (unten §§ 90 bis 94); 2, durch die Strafdrohungen gegen g e m e i n g e f ä h r l i c h e V e r b r e c h e n (StGB. §§ 306 bis 330), deren Bedeutung allerdings auch in das vermögensrechtliche Gebiet wesentlich hinübergreift; 3. durch eine Reihe von p o l i z e i l i c h e n S t r a f d r o h u n g e n , die wegen ihrer ebenfalls weitertragenden Bedeutung an andrer Stelle zu behandeln sind. Das gilt insbesondere auch von den Bestimmungen der Gewerbeordnung und des Handelsgesetzbuchs, die Leib und Leben der gewerblichen Arbeiter usw. zu schützen bestimmt sind.

I. § 81.

Die

Begriff und Arten der Tötung.

Litteratur. KÖstlin Mord Verbrechen des Mordes und die Hälschner 2 19. Ferri L'omicidio — Nitschke Die Vitalität im Zivil-

I.

Tötung

Tötung.

ist

die

und Totschlag 1838. v. Holtzmdorff Das Todesstrafe 1875. Derselbe HH. 3 405. (oben § 14 Note 2). — Kohler Studien 4 . und Kriminalrecht. Erlanger Diss. 1892.

Zerstörung

des

menschlichen

Lebens. Gegenstand der Tötung ist mithin das vom Weibe geborne Lebewesen, nicht aber die Leibesfrucht. 1 ) II. Gegenstand der Tötung kann auch der Handelnde selbst sein, doch ist nach geltendem deutschen Recht nicht nur der S e l b s t m o r d selbst, sondern meist auch Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord straflos (oben § 35 Note 7). Bestimmung eines nicht Zurechnungsfähigen erscheint als mittelbare Thäterschaft (oben § 50 II); Tötung des Kaisers oder des Landesherrn unter Umständen als H o c hv e r r a t (StGB. §§ 80,81). III. Die H a n d l u n g besteht in der Verursachung des Oben § 80 Note I.

§ 82.

3i4

Die vorsätzliche gemeine Tötung.

Geschichte.

T o d e s ; doch steht auch hier (oben § 29 II) der Verursachung im strengen Sinne die Veranlassung, also das Setzen einer Bedingung, gleich (occidere; mortis causam praebere). Das angewendete Mittel ist gleichgültig. Die Tötung braucht nicht durch körperliche Einwirkung, sie kann durch Erschrecken, Verhinderung des Schlafes usw. erfolgen. Doch schliefst das Dazwischentreten der freien und vorsätzlichen Handlung eines andern hier wie sonst die Verantwortung für den Kausalzusammenhang aus (oben § 29 III). So ist vom Standpunkte des Rechts Tötung nicht anzunehmen, wenn A durch fortgesetzte Kränkungen den B dazu treibt, sich den T o d zu geben. D e m Thun steht das Lassen vollkommen gleich, w e n n u n d s o w e i t die Verpflichtung zum Handeln besteht (oben § 30); wenn die Mutter durch Nichtunterbindung der Nabelschnur oder durch Unterlassung der Ernährung den T o d des Neugebornen veranlafst, so ist sie der Kindestötung schuldig. IV. Das R S t G B . unterscheidet zunächst vorsätzliche und fahrlässige T ö t u n g ; innerhalb der ersteren tritt neben die gemeine Tötung die Tötung auf Verlangen und die Kindestötung.

§ 82.

Die vorsätzliche gemeine Tötung.

Geschichte.

Ijitteratur. Brunnenmeister Das Tötungsverbrechen im altrömischen Recht 1887. — Allfeld Die Entwicklung des Begriffes Mord bis zur Karolina 1887. Frauenstädt Blutrache und Totschlagsühne 1881. Brunner 2 627. Knapp 170. — Wachenfeld Die Begriffe von Mord und Totschlag sowie Körperverletzung mit tödlichem Ausgang in der Gesetzgebung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts 1890. I. Schon das älteste römische Strafrecht fafst abweichend von den übrigen indogermanischen Rechten die Tötung auf als ein gegen die öffentliche Rechtsordnung gerichtetes Verbrechen, dessen Verfolgung und Bestrafung der privaten Willkür entzogen wird (oben S. 7); der unmittelbaren körperlichen Tötung, dem caedere, stellt es schon in dem angeblichen Gesetze Numas die mittelbare Herbeiführung des Todes, das morti dare oder mortis causam praebere, in der Bestrafung gleich (vgl. aber auch Pernice Sachbeschädigung 148). Seit Sulla ruht das römische Recht über Tötungen auf der allerdings nach und nach sehr erweiterten Lex Cornelia de sicariis et venificis (D. 48, 8; C. 9, 16),

s ) Vgl. StGB. § 360 Ziff. 10. Ist infolge der unterlassenen Hilfe, wie der Aufgeforderte vorausgesehen hat, der Tod eines Menschen eingetreten, so haftet jener für den Erfolg nur dann, wenn seine Verpflichtung zum Thun nicht n u r durch § 360 Ziff. 10 begründet war.

§ 82.

Die vorsätzliche gemeine Tötung.

Geschichte.

315

welche den Banditenmord sowie das Auflauern in mörderischer Absicht, die Vergiftung (mit ihren Vorbereitungshandlungen), die mörderische Brandstiftung, die Bestechung eines Richters oder eines Zeugen in einem Kapitalprozesse und zahlreiche andre Fälle mit der Interdiktion bedrohte. Später wurden die Vornehmen mit Deportation und Verlust ihres Vermögens, die Geringeren mit dem Tode bestraft. Als besonders schwerer Fall trat das parricidium in veränderter Bedeutung als Tötung der nächsten Verwandten hervor (Lex Pompeja von 699 a. u.; D. 48, 9 ; C. 9, 17), deren eigentümliche Strafe, seitdem Konstantin die Sitte der Vorfahren erneuert hatte, die Säckung mit Schlange, Affe, Hund und Hahn, der culeus, bildete. Seit Hadrian wird in der Bestrafung zwischen dem überlegten Vorsatze und dem impetus zu unterscheiden versucht. Dafs die fahrlässige Tötung als solche bestraft worden sei, ist unrichtig (oben § 36 Note 2). II. Das frühere d e u t s c h e M i t t e l a l t e r legt — ganz abweichend vom römischen Recht — das Hauptgewicht auf die Unterscheidung innerhalb der Tötungsfälle. So wird neben dem Verwandtenmord (Lex. Rib. 69, 2) und der Tötung mit Bruch eines besondern Treuverhältnisses (petit treason des englischen Rechts) besonders der Unterschied von M o r d und T o t s c h l a g betont. Mord ist die heimliche, hinterlistige, auf diebische Art (furtivo modo) vollführte Tötung, gekennzeichnet durch die Verbeigung des Leichnams; Totschlag die Tötung im offenen, ehrlichen Kampf, für welche einzustehen der Thäter sich nicht scheut. Mord wird mit wesentlich strengerer Strafe belegt als Totschlag. 1 ) Die Strafverfolgung des T o t s c h l ä g e r s liegt in den Händen der Sippe des Verletzten, wie früher die Blutrache; und bis tief in die Neuzeit hinein steht die Ledigung (Totschlagsühne) in dem Ermessen des Verfolgungsberechtigten, während gegen den flüchtigen M ö r d e r im Mordachtsprozefs die V e r f e s t u n g ausgesprochen wird. 2 ) Die Landfrieden haben vielfach den Totschlag ohne weitere Abstufung mit dem Tode bedroht. Aber noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters findet sich vielfach die alte Auffassung wieder (Schsp. 174). Daneben aber dringt bereits die von den italienischen Juristen ausgebildete Unterscheidung von dolus praemeditatus und impetus in die deutschen Rechtsaufzeichnungen ein, mit dem deutschrechtlichen Unterschied sich verbindend und verschmelzend. 3 ) Im allgemeinen werden Mord und Totschlag auch in der Bestrafung unterschieden: für jenen das Rad, für diesen das Schwert (vgl. Ssp. II 13). x ) Dreifaches Wergeid bei den Franken; neunfaches bei Alemannen, Friesen, Bayern, Sachsen; bald auch, bes. in den Kapitularien, der Tod. Cap. 596 (Boretius 16). Vgl. Günther 1 182. Noch in der Bambergensis, nicht in der PGO. Erhält sich dennoch landesrechtlich über das 17. Jahrhundert hinaus. Ausdrücklich noch Hamburg 1603 ®) Im Anschlufs an 1. 11 § 2 D. 48, 19. Vgl. Glosse zum Sachsenspiegel, Stadtrechte von Strafsburg 1249, Frankfurt 1297. — Einteilung bei Clarus: 1. Homicidium simplex: a. necessarium, i. casuale, c. culposum, d. dolosum. 2. Homicidium deliberatum : a. ex proposito, b. ex insidiis, c. proditorie, d. per assassinium.

3i6

§ 82.

Die vorsätzliche gemeine Tötung.

Geschichte.

III. Auf deutscher Rechtsanschauung beruht PGO. 137: „Und also, dafs der Gewohnheit nach ein f ü r s e t z l i c h e r m u t w i l l i g e r M ö r d e r mit dem Rade, und ein ander, d e r e i n T o t s c h l a g a u s G ä h e i t u n d Z o r n g e t h a n , . . . mit dem Schwert vom Leben zum Tode gestraft werden sollen. Und man mag in fürgesetztem Mord, so der an hohen trefflichen Personen, des Thäters eigenen Herrn, zwischen Eheleuten oder nahe gesippten Freunden geschieht, durch etlich Leibstraf, als mit Zangen reifsen oder Ausschleiffung vor der endlichen Tötung um gröfserer Furcht willen die Strafe mehren." 4 ) Die Vergiftung wird in Art. 130 besonders erwähnt. IV. Die gemeinrechtliche Wissenschaft pflegte, ohne sich viel um P G O . 137 zu kümmern, innerhalb des homicidium dolosum eine Anzahl von besonders schwer zu strafenden Mordfällen hervorzuheben. Regelmäfsig unterschied man : a) P a r r i c i d i u m , Verwandtenmord mit vielfachen Abstufungen in der Bestrafung (schon in Sachsen 1572 4 3, ebenso in Preufsen 1620 eingehend behandelt); b) h o m i c i d i u m p r o d i t o r i u m , Meuchelmord (bei Engau, Böhmer u. a.); c) l a t r o c i n i u m , Strafsenraub (nach Carpzov) oder Raubmord (lucri faciendi causa nach Koch, En g au, Böhmer); d) a s s a s s i n i u m , Banditenmord (nach der politisch-religiösen Sekte der schiitischen Mohammedaner, 1090 gestiftet, wird der Ausdruck seit dem 12. Jahrhundert gebräuchlich; assassinator ist der Auftraggeber, assassinus der Mörder) ; die einfache Zusage straft Preufsen 1620 als Totschlag ; e) v e n e f i c i u m , der Giftmord. Daneben wurde noch das p r o p r i c i d i u m , der Selbstmord, besonders hervorgehoben (oben § 35 Note 7). Frühzeitig beginnen die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorliegen der Verursachung. Schon die Sächsischen Konstitutionen 4 6 erwähnen den Irrtum in der Person. Auch die Tötung durch Unterlassung wird ausdrücklich geregelt. Der Begriff des Totschlages wurde unter Verwertung des dolus indirectus (oben S. 153) auf diejenigen Fälle erweitert, in welchen nicht Tötungsvorsatz, sondern lediglich feindselige Absicht (der pravus animus Carpzovs) vorlag. So schon in Preufsen 1721 sowie in den StGBüchern für Österreich 1787 bis 1852 und im A L R . 806. V. Preufsen A L R . bedroht als Mörder mit der Strafe des Rades von oben herab denjenigen, der mit vorher überlegtem Vorsatz zu töten einen Totschlag wirklich begeht. Daneben werden besonders erwähnt der verabredete und der befohlene Mord (839, 849), Banditenmord (854), Raubmord (855), Vergiftung (856), Verwandtenmord (873). Neue Bahnen schlugen der Code pénal sowie das bayrische StGB, von 1813 ein. Der erstere nennt Mord (meurtre) jede vorsätzliche Tötung; Meuchelmord (assassinat) den Mord mit Vorbedacht oder Hinterhalt (avec préméditation ou guet-apens). Bayern 1813 stellt Mord und Totschlag scharf gegenüber; ersteren kennzeichnet Vorbedacht beim Entschlufs und Überlegung bei der Ausführung, letzteren die aufwallende Hitze des Zorns. Das englische Recht verwendet nach wie vor den vorbe-

4 ) Über die streitige Auslegung dieses Art. vgl. jetzt Loffler (Litt, zu § 2) 164 (Fürsatz = propositium; Gäheit und Zorn = impetus). Dagegen (wohl mit Recht) Wachenfeld (Fürsatz = Tötungswille).

§ 83.

Die vorsätzliche gemeine Tötung.

Das geltende Recht.

dachten Vorsatz (malice aforethought) zur Unterscheidung von murder manslaughter.

317 und

VI. Für die heutige Gesetzgebung ist die Unterscheidung von Mord und Totschlag nur darum von Wert, weil sie es ermöglicht, die Todesstrafe auf ein kleines Gebiet der Tötungen zu beschränken. Dabei wird regelmäfsig der Unterschied zwischen ü b e r l e g t e m und n i c h t ü b e r l e g t e m Tötungsvorsatz (oben S. 120) verwendet. So auch das RStGB. im Anschlufs an Frankreich 1810, Preufsen 1851. Doch haben die neueren Entwürfe dieses von Berner, Haus, v. Holtzendorff, Hälschner, Meyer, Wachenfeld u. a. lebhaft bekämpfte Unterscheidungsmerkmal mit Recht ganz aufgegeben und dem Regelfalle der vorsätzlichen Tötung einerseits eine Reihe von erschwerten Fällen, anderseits die in heftiger Gemütsbewegung ausgeführte Tötung (Totschlag) gegenübergestellt.

§ 83.

Die vorsätzliche gemeine Tötung.

Litteratur.

Kräwcl GS. 38 177.

Das geltende Recht.

Wachenfeld (Litt, zu § 29 Note 4).

1. Nach dem RStGB. liegt Mord vor (§ 211), wenn der Thäter die vorsätzliche Tötung mit Überlegung; Totschlag (§ 212), wenn er sie nicht mit Überlegung ausgeführt hat. Durch diese von dem preufsischen StGB, abweichende und an das sächsische sich anschliefsende Fassung wollte der Gesetzgeber betonen, dafs das Schwergewicht auf der A u s f ü h r u n g liege und dafs eine Tötung, welche mit Überlegung beschlossen, aber ohne Überlegung ausgeführt wurde, nicht als Mord, sondern als Totschlag aufzufassen und zu bestrafen sei. Allein bei näherer Betrachtung stellt sich die Abweichung als durchaus unwesentlich dar. Überlegung ist ein Merkmal des Entschlusses, nicht aber des Vorsatzes (oben § 29 Note 4). In dem angenommenen Falle ist die Ausführung des frühern Entschlusses unterblieben, und die Tötung beruht in der That auf einem n e u e n , nicht überlegten Entschlüsse. Wir können demnach bestimmen: Mord ist die vorsätzliche überlegte, Totschlag die vorsätzliche nicht überlegte Tötung. *) 1 ) Preufsisches StGB. § 175: „Wer vorsätzlich und mit Überlegung tötet". Ebenso die Mehrzahl der übrigen deutschen StGBücher. Dafs die Fassung des RStGB.s eine sachliche Änderung nicht bedeute, wird von R mit der gem. Meinung bestritten. Richtig besonders Hälschner 2 52 Note I. — Doch bleibt der Wortlaut des RStGB.s selbstverständlich für die Fragestellung im schwurgerichtlichen Verfahren sowie überhaupt für die Feststellung im Urteile mafsgebend.

§ 83.

Die vorsätzliche gemeine Tötung.

Die S t r a f e

Das geltende Recht.

des Mordes ist der T o d ; die des T o t s c h l a g e s

Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. II.

M i l d e r b e s t r a f t wird der Totschlag ( S t G B . § 2 1 3 ) ,

wenn der Thäter ohne eigne Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen (oben § 3 4 N o t e

4) zugefügte Mifshandlung

oder

schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur T h a t hingerissen schlag auf P r o v o k a t i o n )

worden ist ( T o t -

oder wenn andere mildernde

Um-

stände vorhanden sind. S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Auch hier bleibt der Totschlag V e r b r e c h e n ; der Versuch ist daher strafbar. 2 ) „Mifshandlung und schwere Beleidigung" sind nicht im technischen Sinne zu nehmen, auch Ehebruch würde z. B. hierher gehören. — „Auf der Stelle" ist nicht örtlich oder zeitig aufzufassen, sondern bedeutet die Fortdauer der durch die Kränkung hervorgerufenen heftigen Gemütsbewegung. — StGB. § 213 stammt aus Code pénal Art. 321. Das Mindestmafs von sechs Monaten Gefängnis ist erst während der parlamentarischen Beratung des RStGB.s aufgenommen worden. Dadurch entsteht ein unlöslicher Widerspruch zu §§ 216 und 217, welche beide höhere Mindestmafse haben. III.

Schwerer

bestrafte

Fälle

(unter Ausschlufs

der

Strafmilderung des § 2 1 3 ) . x.

Tötung

bei

Unternehmung

einer

strafbaren

H a n d l u n g ( S t G B . § 2 1 4 ) , um ein ihrer Ausführung entgegentretendes Hindernis zu beseitigen oder um sich der E r g r e i f u n g auf frischer T h a t zu entziehen. 2.

Tötung

eines V e r w a n d t e n

aufsteigender

Linie

(StGB. § 215). Beide Bestimmungen sind dem Code pénal (Art. 304 und 302) entlehnt. — Die S t r a f e ist Zuchthaus von zehn bis zu fünfzehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Noch Preufsen 1851 hatte die Todesstrafe angedroht.— „Unternehmen" umfafst auch die Vorbereitungshandlungen (oben § 46 Note 6).3) — Die unternommene Handlung mufs nach deutschem Recht, wenn auch nicht nach Reichsrecht, objektiv „strafbar" sein, mag auch für den Thäter ein Strafausschliefsungsgrund (z. B. StGB. § 247 Abs. 2) vorliegen. — Das „um . . . zu" bezeichnet die Absicht als Beweggrund. — Der Begriff des „Verwandten"

®) Oben § 25 IV, wo in Zeile 5 von oben statt „§ 213 Abs. 2" zu lesen ist: „§ 313 Abs. 2". 3 ) Ebenso Hälschncr 2 45, v. Holtzendorff HH. 3 441, Olshausen § 214 2. Dagegen Meyer 460 u. a, Frank § 214 II rechnet hier auch die letzten Vorbereitungshandlungen zum Unternehmen.

§ 84. Die Kindestötung.

319

ist nach dem geltenden Privatrecht zu bestimmen. Den nicht verwandten Mitthäter oder Teilnehmer trifft die schwere Strafe des § 215 nicht.

§ 84.

Die Kindestötung.

L i t t e r a t u r . Jordan Begriff und Strafe des Kindesmordes 1844. Kunze Der Kindesmord 1860. v. Kleist Das Verbrechen der Kindestötung 1862. v. Fabrice Lehre von der Kindesabtreibung und vom Kindesmord 1868. Wehrli Der Kindesmord 1889. Ciosmann Die Kindestötung 1889. Knapp 184. I. Die K i n d e s t ö t u n g , vom römischen Recht zu keiner Zeit besonders hervorgehoben, wird unter dem Einflüsse der Kirche im deutschen Rechte zu einem besondern, aber im Gegensatze zu den milden Bestimmungen der Bufsbücher (welche bereits die Schande als den Beweggrund der unehelich Gebärenden bezeichnen und den Kindesmord bei den Fleischesverbrechen be. handeln) mit erschwerter Todesstrafe (Lebendigbegraben und Pfählen) bedrohten Verbrechen. Dies ist auch der Standpunkt der PGO. In Art. 131 bestimmte sie: „Welches Weib ihr Kind, das Leben und Gliedmafs empfangen hätte, heimlicher, boshaftig'er, williger Weise ertötet, die werden gewöhnlich lebendig begraben und gepfählt. Aber darinnen Verzweiflung zu verhüten, mögen dieselben Übeltäterinnen, in welchem Gericht die Bequemlichkeit des Wassers dazu vorhanden ist, e r t r ä n k t werden. Wo aber solche Übel oft geschehen, wollen wir die gemeldete Gewohnheit des V e r g r a b e n s u n d P f ä h l e n s um mehrerer Furcht willen solcher boshafter Weiber auch zulassen oder aber dafs vor dem Ertränken die Übelthäterin mit glühenden Zangen gerissen werde." In der Rechtsprechung begnügte man sich in Oberdeutschland (wo vielfach, wie in Österreich, das Ertränken überhaupt nicht Sitte war) meist mit dem Schwert; anderswo, wie in Breslau (Z 10 13), vollzog man die Pfählung bis ins 17. Jahrhundert thatsächlich, später bildlich (Güntker 1 262, 2 68). Sachsen wandte dagegen den culeus an (Const. Sax. 4 3; noch 1734), welcher 1714 auch in Preufsen eingeführt, hier aber 1740 wieder beseitigt wurde. Frühzeitig aber (schon im Anfange des 18. Jahrhunderts)1) bemächtigt sich die naturrechtliche Litteratur der Untersuchung des Kindesmordes; sie macht eine Reihe von Milderungsumständen geltend, welche die Todesstrafe als ungerecht erscheinen lassen, und legt das Hauptgewicht auf die Vorbeugungsmittel. Rasch folgt die Gesetzgebung; schon ein die Todesstrafe einengendes preufsisches Edikt von 1765, dann die Theresiana von 1768, welche *) Schon in Leysers Meditationen. Servin u. a. verlangen sogar völlige Straflosigkeit. Die 1780 von Dalberg und Michaelis gestellte Preisfrage nach den besten Mitteln zur Verhütung des Kindesmordes rief dann eine ganze Flut von Schriften hervor. Man vgl. insbes. die 1783 anonym erschienene Schrift von Pestalozzi'. Über Gesetzgebung und Kindesmord. Wahrheiten und Träume. Nachforschungen und Bilder. — Der Kindesmord ist zugleich ein Lieblingsvorwurf der schönen Litteratur jener Zeit. Über die siebziger Jahre des l8. Jahrhunderts (insb. Schillers Kindesmörderin) vgl. Max Koch Helferich Peter Sturz 1879 S. 210. Auf der gegnerischen Seite stand J. Moser (Abeken 1 368, 2 164), welcher die Milde der neuern Gesetzgebung tadelte.

320

§ 84.

Die Kindestötung.

zwar noch Pfählung des Leichnams

vorschreibt, aber

hütung des Kindesmordes in den Vordergrund stellt; Weise aber das A L R . von 1794,

doch schon

in völlig

die V e r -

bezeichnender

nach welchem (2 20, 902) die Mutter ver-

pflichtet wird, ihre vierzehnjährige Tochter über die Kennzeichen der Schwangerschaft und die Unterbindung der Nabelschnur zu belehren. hier noch immer die Todesstrafe, die erst Osterreich beseitigen.

Doch finden wir

1 8 0 3 und Bayern

1813

Seither behauptet die Kindestötung in der deutschen Gesetzgebung

(anders in England

und Frankreich)

Minderzahl von Gesetzgebungen

ihre bevorzugte

Stellung,

wobei

(auch Österreich und die Niederlande

eine sowie

die französisch-schweizerischen Gesetzbücher) die eheliche Mutter der unehelich Gebärenden grundsätzlich gleichstellt.

II. Kindestötung ist die vorsätzliche, sei es überlegte, sei es nicht überlegte Tötung des unehelichen Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt (StGB. § 217). Der Ausdruck umfafst mithin sowohl den Kindesmord, wie den Kindestotschlag. Fahrlässige Tötung ist nach StGB. § 222 zu bestrafen. III. Gegenstand der Tötung ist das Kind, nicht die Leibesfrucht (oben § 80 Note 1). Und zwar das Kind entweder in d e r G e b u r t , d. h. von dem Aufhören der Plazentaratmung bis zur Lösung der physiologischen Verbindung mit der Mutter (Lösung der Nabelschnur) oder g l e i c h n a c h der Geburt. Lebensfähigkeit des Kindes ist nicht erforderlich. Die mildere Behandlung der Kindestötung findet in diesem letztern Falle ihre zeitliche Grenze, sobald die Voraussetzungen wegfallen, von welchen der Gesetzgeber ausgegangen ist, sobald also der Zustand sein Ende findet, durch welchen die günstigere Stellung der Kindesmörderin bedingt ist. 2 ) Der Grund für die mildere Behandlung der Kindestötung liegt aber einerseits in der Stärke der die unehelich Gebärende zur Tötung treibenden Beweggründe, anderseits in der durch den Gebärakt hervorgerufenen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit (oben S. 15 7). Ob diese Gründe eine soweit gehende Berücksichtigung verdienten, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist anzunehmen, dafs der Gesetzgeber den ersten dieser beiden Gesichtspunkte als den entscheidenden betrachtet, da a ) Von d;er in der früheren Gesetzgebung sich findenden ziffermäfsigen Begrenzung hat das R S t G B . mit Recht abgesehen.

§ 85. Die Tötung auf Verlangen.

321

der zweite in gleicher Weise auch bei der e h e l i c h Gebärenden zutreffen kann. Die Ehelichkeit des Kindes ist ohne jede Rücksicht auf zivilrechtliche Präsumtionen zu bestimmen. Der Irrtum der Kindesmutter über die Ehelichkeit bleibt einflufslos. 8 ) I V . T h ä t e r kann nur die Mutter selbst sein. Aber nicht nur die unverheiratete, sondern auch die verheiratete Frau, wenn sie unehelich gebiert. Die mildere Behandlung der Kindestötung tritt ein, mag die Kindesmutter in der F o r m der (unmittelbaren oder mittelbaren) Thäterschaft, mag sie in der Form der Teilnahme zu dem Eintritte des Erfolges mitwirken, während etwa beteiligte dritte (Thäter oder Teilnehmer) wegen gemeiner Tötung zu bestrafen sind (oben § 53 II). V. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter zwei Jahren. 4 )

§ 85.

Die Tötung a u f Verlangen.

I i i t t e r a t u r . Bühlau GA. 5 489. Miitermaier GA. 9 433. Ahegg GA. 13 387. Ortmann GA. 25 104, 26 195. v. Wächter GS. 20 5. Garelts Über die Tötung auf Verlangen als Verbrechen im Sinne des § I RStGB. und über die Bestrafung des Versuchs dieses Delikts. Tübinger Diss. 1896. I. Die Tötung des Verlangenden wird schon von der gemeinrechtlichen Wissenschaft des 18. Jahrhunderts lebhaft besprochen. Krejs, Böhmer, Engelhard, später Soden u. a. verlangen mildere Bestrafung gegen Carpzov, Mathäus, Leyser, Willenberg. Preufsen 1721 läfst die volle Strafe des Totschlages eintreten. ALR. 834 dagegen bestraft sie wie Beihilfe zum Selbstmord, also wesentlich milder als die vorsätzliche Tötung. Die Mehrzahl der LandesStGBücher (nicht aber Preufsen 1851, Österreich 1852, Bayern 1861) folgt diesem Beispiele, wobei die Schwierigkeit, vielleicht Unmöglichkeit der Ab' ) Oben § 40 Note 2. Für diese Ansicht spricht auch die Erwägung, dafs die Ehelichkeit des Kindes lediglich dessen rechtliche Stellung zu den Erzeugern betrifft. Die Gegner unterscheiden. 1. Bei irrtümlicher Annahme der Unehelichkeit soll § 217 „analog" angewendet werden; so Binding Grundrifs 2 8, Geyer 2 8, Hälschner 2 60, Meyer 467, Olshausen § 217 5, Wehrli 70. 2. Bei irrtümlicher Annahme der Ehelichkeit soll nach Binding und Hälschner § 211 4 (212), nach Geyer und Olshausen § 217 angewendet werden. ) § 213 bleibt unanwendbar. Dagegen Binding Grundrifs 2 9 . — Zu beachten ist, dafs nach StGB. § 367 1 die Beerdigung oder Beiseiteschaffung der Leiche eines neugeborenen Kindes als Übertretung strafbar sein kann. Dagegen kennt das RStGB. das gemeinrechtliche Vergehen der Verheimlichung der Schwangerschaft oder der Niederkunft nicht mehr. T o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

21

§ 8j.

322

Die Tötung auf Verlangen.

grenzung von der Beihilfe zum Selbstmord den Ausschlag gab. Die Bestimmung des RStGB.s ist dem sächsischen Recht (schon 1838) entnommen. II. U n t e r R S t G B . § 2 1 6 f ä l l t d i e v o r s ä t z l i c h e oder

nicht

durch

das

überlegte)

Tötung,

ausdrückliche

und

zu

welcher

ernstliche

G e t ö t e t e n b e s t i m m t w o r d e n ist.

(überlegte der

Thäter

Verlangen

des

D e r T o d mufs also durch

den dritten, er darf nicht durch den Getöteten selbst (er bleibt z. B . im Zimmer,

nachdem

auf sein V e r l a n g e n

der

dritte die

Ofenklappen geöffnet hat) verursacht sein. Erforderlich

ist

zurechnungsfähigen

das freie und 1

Erwachsenen. )

mufs durch den Getöteten

bewufste V e r l a n g e n

eines

D e r Entschlufs zur

That

in dem T h ä t e r

Einwilligung g e n ü g t mithin nicht.

hervorgerufen

Die That

mufs daher

sein; auch,

wie bei der Anstiftung, dem Willen des V e r l a n g e n d e n in allem Wesentlichen (Zeitpunkt, Tötungsmittel usw.) entsprechen. Annahme

des

Verlangens

kann

dessen

Vorliegen

Irrige

nicht

er-

setzen. 2 ) III. S t r a f e : Gefängnis von drei bis zu fünf Jahren. Da es sich nicht um einen milder bestraften Fall des Mordes oder Totschlages, sondern um ein selbständiges Delitt handelt, ist dieses als V e r g e h e n zu betrachten. 3 ) Der Versuch bleibt mithin nach § 216 straflos, kann aber als Körperverletzung strafbar sein. 4 ) Da mildernde Umstände nicht vorgesehen sind, kann unter das Mindestmafs von drei Jahren in keinem Falle herabgegangen werden. 5 ) Teilweise abweichend Frank § 216 II. ) Vgl. oben § 40 Note 2. Ebenso Binding 1 721. Dagegen Binding Grundrifs 2 10, Frank § 216 IV, v. Holtzendorff HH. 3 447, Meyer 463, Olshousen § 216 4, die § 216 auch in diesem Falle anwenden wollen. 3 ) Ebenso die Ver. Strafsenate 8. Februar 96 28 200 mit der herrschenden Ansicht. Dagegen Hälschner 2 58, Kohler Studien 1 128, sowie neuerdings Garelts. 4 ) Ebenso R 8. Februar 96 (oben Note 3); Frank § 216 III, v. Holtzendorff H H . 3 447, Meyer 463 u. a. Dagegen Baumgarten Versuch 354, Binding 1 721, Hälschner 2 58 Note 3, Olshausen § 216 5, auch alle diejenigen, welche bei körperlicher Verletzung des Einwilligenden Straflosigkeit annehmen. Vgl. unten § 87 Note 4. — Mit dem Tötungsvorsatz kann ein eventueller Verletzungsvorsatz verbunden sein. Oben § 39 Note 7. 6 ) So Meyer 463, Olshausen § 216 6 mit der gemeinen Meinung. Dagegen Binding 1 468 und Grundrifs 2 io, Hälschner 2 58, v. Holtzendorff H H . 3 447 u. a., welche hier das Mindestmafs des § 2 1 3 anwenden wollen. 2

§ 86.

§ 86. I. Die f a h r l ä s s i g e Hadrian fremd, wird in den Italienern vielfach erörtert. setzung von 1. 9 § 4 und 1. im römischen Gewände. 1 )

Die fahrlässige Tötung.

323

Die fahrlässige Tötung. T ö t u n g , dem römischen S t r a f r e c h t e auch nach Quellen des deutschen Mittelalters und von den So bringt Art. 158 PGO., mit seiner freien Über11 prooem. D. 9, 2, deutsche Rechtsanschauungen

II. StGB. § 222 setzt auf die fährlässige Tötung Gefängnis bis zu drei Jahren; Gefängnis bis zu 5 Jahren trifft den Thäter, wenn er zu der von ihm aus den Augen gesetzten Aufmerksamkeit vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war. 2 ) Nach allgemeinen Grundsätzen (oben § 29 II 2) wird die Zurechenbarkeit des Erfolges durch die mitwirkende Fahrlässigkeit eines dritten oder des Getöteten selbst nicht berührt. Wohl aber hebt das freie und vorsätzliche Handeln eines Zurechnungsfähigen die Verantwortlichkeit für den Erfolg auf. Beihilfe zum Selbstmord kann daher nicht als mittelbare Tötung aufgefafst werden.')

II.

Die Körperverletzung.

§ 87.

Geschichte und Begriff.

L i t t e r a t u r . Geyer H H . 2 517, 4 363; Hälschner 2 83; Berner GS. 18, 19, GA. 14; Verhandlungen des 12. d. Juristentages (Gutachten von Thomseri); Hecker GA. 3 3 70, auch selbständig 1885. Günther Über die Hauptstadien der geschichtlichen Entwicklung des Verbrechens der Körperverletzung und *) In Sachsen wird noch im 18. Jahrhundert im Anschlufs an Ssp. 2 14, I, 2 38, 2 40, 1, 2 65 und an die Sächsischen Konstitutionen 4 I I bei fahrlässiger Tötung, wenn keine Verurteilung zu Leibesstrafe stattfindet, den verfolgenden Verwandten das W e r g e i d gezahlt (20 Thaler für den Mann, i o für die Frau). In den übrigen Teilen Deutschlands wird wohl auch eine actio legis Aquiliae utilis gegeben. s ) Die vorgenommene Handlung mufs also in den Kreis der Amts- usw. Geschäfte hineinfallen. Dies ist auch bei verbotenem Gewerbebetriebe, Kurpfuscherei, Mifsbrauch der Amtsgewalt usw. der Fall; vgl. R 8. April 95 27 167. — Über ä r z t l i c h e K u n s t f e h l e r vgl. oben § 42 VI. Es tritt mithin wegen der Verletzung besonderer Pflichten erhöhte Strafe ein; n i c h t aber handelt es sich um einen schwereren Grad der Fahrlässigkeit (culpa lata). 3 ) Verhältnis zu dem (wesentlich strengeren) § 226: § 222 setzt voraus, dafs nicht einmal Körperverletzungsvorsatz vorgelegen hat.

21*

§ 87.

324

Die Körperverletzung.

Geschichte und Begriff.

seiner Bestrafung. Erlanger Diss. 1884. Schmidt GS. 42 57. Scheitlin Die Ausscheidung des Verbrechens der schweren Körperverletzung usw. Diss. 1890. Arthur B. Schmidt Medizinisches aus deutschen Rechtsquellen 1896. Köhler Studien 4. — Über die Einwilligung des Verletzten vgl. oben zu § 35 IV. I. Der Begriff der Körperverletzung als eines selbständigen Vergehens ist dem r ö m i s c h e n Rechte fremd geblieben. Die Körperverletzung geht hier völlig auf in dem unbestimmten und zunächst nur dem Gebiete des zivilrechtlichen Vergehens angehörigen Begriffe der injuria. Zwar hatten die XII Tafeln bei membrum ruptum Talion angedroht, wenn ein Vergleich nicht zu stände kommen sollte (ni cum eo pacit). Aber schon bei os fractum aut collisum trat Geldstrafe ein (300 bez. 150 As) und ebenso bei allen übrigen Injurien (25 As). Das prätorische Recht setzte an die Stelle dieser festen Bufssätze die zivilrechtliche actio injuriarum aestimatoria. Auch kann unter Umständen das crimen vis gegeben sein. Zur Zeit des Quästionenprozesses werden drei Fälle der injuria als injuriae atroces mit peinlicher Strafe bedroht: das pulsare, verberare und domum vi introire, von welchen nur die beiden ersten unter den heutigen Begriff der Körperverletzung fallen würden. Auch den i t a l i e n i s c h e n Praktikern ist infolgedessen das selbständige Vergehen der Körperverletzung fremd. Anders das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r . Schon die Volksrechte widmen der Körperverletzung die gröfste Aufmerksamkeit (oben S. 13). Ihnen folgen die Quellen des späteren Mittelalters. Im allgemeinen unterschied man die einfachen Schläge (der römischen Realinjurie entsprechend) einerseits, Blutwunden und Verstümmelungen (Lähmungen, debilitationes) anderseits. Die ersteren wurden niedergerichtlich, die letzteren (auch im SSp. und in den Landfrieden) mit dem Verlust der Hand bedroht. Daneben waren das Messerzücken usw. besonders hervorgehoben. Trotz des Schweigens der PGO. erhielt sich die deutschrechtliche Auffassung, welche die Körperverletzung als selbständiges Vergehen betrachtete und wenigstens in den schwereren Fällen mit peinlicher Strafe belegte, auch zur Zeit des gemeinen Rechts. Die Wissenschaft hält an dem Vergehen der violatio corporis oder laesa sanitas fest, auch nachdem die Landesgesetzgebung (so schon Bayern 1616, Preufsen 1620) begonnen hatte, die romanistische Anschauung zur Geltung zu bringen. Während noch im ALR. die Grenzlinie zwischen Beleidigung und Körperverletzung fast völlig verwischt war, fand letztere selbständige Behandlung im österr. StGB, von 1803, im Code pénal und im bayrischen StGB, von 1813. Auch die neuere Gesetzgebung steht auf diesem Standpunkte, ist aber weniger glücklich in ihrem Bestreben, den Begriff der Körperverletzung schärfer zu fassen und die Strafbarkeit der unter ihn fallenden Verletzungen abzustufen, wobei die Schwere des Erfolges, häufig (auch Ungarn 1878, Italien 1889) gemessen an der Dauer der verursachten Krankheit und Berufsunfähigkeit, neben der Art der VerÜbung regelmäfsig als ausschlaggebend erachtet wurde. II. rung

i. Körperverletzung ist die ( w i d e r r e c h t l i c h e ) S t ö -

der körperlichen

Unversehrtheit

(der

Lebensfunk-

§ 87.

Die Körperverletzung.

Geschichte und Begriff.

325

tionen) eines andern. Sie liegt vor, sobald in den im Augen« blicke des Handelns gegebenen körperlichen Zustand störend (sei es schädigend, sei es auch fördernd) eingegriffen wird. D o c h mufs ein gewisser, grundsätzlich nicht näher zu bestimmender, Grad der Störung verlangt werden. 1 ) Schmerz e m p f i n d u n g ist in keinem Falle nötig. Als Körperverletzung erscheinen mithin: das Stofsen und Schlagen (das pulsare und verberare der Römer), Verwundungen (die coups et blessures des C. pénal), Verstümmelung, Lähmung; das Abschneiden von Haaren, Ausbrechen von Zähnen; Verursachung einer körperlichen oder geistigen Krankheit; Herbeiführen von Erbrechen, Durchfall, Samenergufs; das Berauschen, Betäuben, Hypnotisieren; Erregung von Schmerz; von Unbehagen, Ekel, Abscheu, Furcht, Schrecken nur dann, wenn die Störung keine ganz unbedeutende war; unter derselben Voraussetzung störende Einwirkung auf die Sinne (Katzenmusik, blendendes Licht, Gestank, Kitzeln, Kratzen, unzüchtige Berührung); Verursachung von Hunger und Durst.

D e r Erfolg kann unmittelbar durch die eigene Körperbewegung des Thäters oder mittelbar durch Benutzung eines Werkzeuges (Hetzen eines Hundes) herbeigeführt sein. Dem Thun steht das pflichtwidrige Unterlassen (Entziehung der Nahrung) gleich. 2. Das R S t G B . hat den einheitlichen Begriff der Körperverletzung gespalten in zwei schwer auseinanderzuhaltende Unterbegriffe: k ö r p e r l i c h e M i f s h a n d l u n g u n d B e s c h ä d i g u n g a n d e r G e s u n d h e i t . Erstere liegt vor bei Schlagen, Stofsen und andern unmittelbaren oder mittelbaren ä u f s e r e n E i n wirkungen auf den Körper des andern; letztere dagegen bei Störung i n n e r e r körperlicher Funktionen (auch Entziehung der Nahrung, Erregung von Ekel, Schrecken usw.). Beide Arten treffen häufig in derselben Handlung zusammen. 2 ) ') An Stelle des geschichtlich gewordenen Begriffs der Körperverletzung setzt Btnding Grundrifs 2 13 den durchaus „selbstgeschaffenen" der G e s u n d heitsverletzung, unter den Verletzungen der „blofsen Körperoberfläche" (!) dann freilich nicht passen wollen. Auch die „Förderung" meiner „Gesundheit" brauche ich mir gegen meinen Willen nicht gefallen zu lassen. 2) Die Ansichten gehen weit auseinander. Man vgl. Beling Z !8 286, Frank § 223 I, Hälschner 2 84, Meyer 470. Nach Olshausen ist körperliche Mifshandlung: das Zufügen von Mifsbehagen oder Störung des Wohlbefindens sowie die entstellende Beeinträchtigung der Unversehrtheit; Gesundheitsbeschädigung: das Verursachen einer Krankheit. Ähnlich auch R . 2. Juli 96 29 58 (Abschneiden des Bartes). Diese Ansicht führt in vielen

326

§ 87.

Die Körperverletzung.

Geschichte und Begriff.

3. Die Körperverletzung erscheint , zugleich als Beleidigung (Thätlichkeit), wenn sie bewufster Ausdruck der Nichtachtung ist. In diesem Falle findet § 73 StGB. Anwendung. 4. Der Vorsatz der Körperverletzung kann sich mit unbestimmtem (eventuellem) Töfungsvorsatz verbinden; in dem Vorsatz der Tötung wird jener der eventuellen Verletzung meist mitenthalten sein. 3 ) III. Die allgemeinen Grundsätze über die Widerrechtlichkeit der Handlung und über die Gründe, welche diese ausschliefsen (oben §§ 32—35), finden auch auf die Körperverletzung uneingeschränkte Anwendung. Dies gilt aber auch von jeder Überschreitung der Berechtigung (der Zuchtgewalt, des Berufsrechts usw.). Schwierigkeiten bietet die Einwilligung des Verletzten (oben § 35 Note 6). Die Bestimmungen des StGB.s geben keinen Anhalt für die (wenigstens in Bezug auf schwere Fälle) unserm Rechtsbewufstsein entschieden widerstreitende Annahme, dafs der Einzelne dominus membrorum suorum (1. 13 pr. D. 9, 2) sei. Die Einwilligung mufs mithin als gleichgültig erklärt werden. Dafs bei der Tötung die Einwilligung Einflufs auf die Strafbarkeit der Handlung ausübt, ist ein Beweis nicht gegen, sondern für die aufgestellte Behauptung. Denn aus StGB. § 216 müssen wir entnehmen, dafs es ausdrücklicher Anordnung bedurfte, um der Einwilligung diesen Einflufs zu sichern, und dafs dieser trotzdem nur bis zur Strafmilderung, nicht aber bis zum Ausschlüsse der Rechtswidrigkeit reicht. Überdies läfst sich ohne Übertreibung die Verstümmelung eines Einwilligenden als das schwerere Verbrechen gegenüber der Tötung bezeichnen. Der Hinweis aber auf unbedeutende Körperverletzungen erledigt sich durch die Erwägung, dafs leichte vorsätzliche Körperverletzungen nur auf Antrag verfolgt werden können, bei Stellung des Antrages trotz Einwilligung aber bis auf einen Tag Gefängnis oder drei Mark Geldstrafe herabgegangen werden kann. *) Fällen, insbesondere bei dem vielbesprochenen „Zopfabschneiden", zu ganz unbefriedigenden Ergebnissen. s ) Oben § 39 Note 7. *) Vgl. Litt, zu § 35 I V . Übereinstimmend R 15. November So 2 442, 22. Februar 82 6 61, Breithaupt 56, Hälschner 1 471, 2 91. — Dagegen Binding 1 722, 724 und Gnmdrifs 2 15, v. Hippel Z 12 917, Kefsler 73, Krontcker GS. 35 219, Olshausen § 223 9, Ortmann G A . 25 119, Rödenbeck (Litt, zu § 96) 38, 47 und GS. 37 140, v. Wächter 190, Zimmermann GA. 29 441. — Merkel 170, Meyer 472, Oppenheim Schweizer Zeitschrift 6 344 (dieser auf Grund eines „Gewohnheitsrechtes") nehmen Straflosigkeit bei leichten Körperverletzungen an; ähnlich Frank 17. Abschnitt II.

§ 88.

§ 88.

Die Arten der Körperverletzung.

327

Die Arten der Körperverletzung.

I i i t t e r a t u r . v. Buri GS. 34 342 (Beiträge 220). v. Krits GA. 25. Bernau Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs im § 223 a StGB. {Bennecke Heft 2).

I. Die leichte vorsätzliche Körperverletzung ( S t G B . § 223). Sie ist Vergehen; der Versuch daher straflos. Die leichte Körperverletzung ist e r s c h w e r t , wenn die Verletzung gegen Verwandte aufsteigender Linie begangen wurde. S t r a f e : a) im einfachen Fall Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu tausend Mark; b) im erschwerten Fall Gefängnis nicht unter einem Monat, bei mildernden Umständen wie zu a) (StGB. § 228).

II. Gefährliche vorsätzliche Körperverletzung ( S t G B . § 223 a). Sie liegt vor, wenn die Verletzung begangen wurde 1. mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines andern g e f ä h r l i c h e n W e r k z e u g e s ; 2. mittels eines h i n t e r l i s t i g e n Ü b e r f a l l e s (insbesondere mittels Auflauerns oder eines andern unvorhergesehenen Angriffs aus gedeckter Stellung); 3. von m e h r e r e n g e m e i n s c h a f t l i c h (oben § 50 Note 12); 4. mittels einer d a s L e b e n g e f ä h r d e n d e n B e h a n d lung. W a f f e ist hier nicht im technischen Sinne (unten § 93 II) zu nehmen und bedeutet daher jedes zur angriffs- oder verteidigungsweisen Zufügung von Verletzungen auf mechanischem Wege, und zwar in der im E i n z e l f a l l gewählten Anwendung, g e e i g n e t e Werkzeug, ohne Rücksicht auf Bestimmung und gewöhnliche Verwendung, sodafs z. B. ein Spazierstock, ein schwerer Hausschlüssel, ein Bierglas usw. hierher gehören. Als Arten der Waffe in diesem Sinne führt das Gesetz beispielsweise an: „Messer und andre gefahrliche Werkzeuge". W e r k z e u g ist jeder bewegliche Gegenstand der Sinnenwelt, welcher durch menschliche Körperkraft in Bewegung gesetzt wird; auch der Stein, das Getriebe einer Maschine; nicht der gehetzte Hund (wohl aber die geschleuderte Katze), nicht der angetriebene Geisteskranke; nicht der ruhende Fels, die Herdplatte, die Dampfmaschine; nicht chemisch wirkende Gifte oder Betäubungsmittel. Auch hier mufs die Gefährlichkeit, d. h. die Möglichkeit einer Verletzung, im Einzelfall gegeben sein. J ) ') Sehr bestritten. Zustimmend Frank § 223 a II. Schwankend, im Auschlufs an R , Olshausen § 223 a 5. StGB. § 367 Ziff. 10 bedroht mit Übertretungsstrafe denjenigen, welcher bei einer Schlägerei, in die er nicht

328

§ 88. Die Arten der Körperverletzung.

In allen vier Fällen mufs der Thäter das Bewufstsein gehabt haben, dafs einer der erschwerenden Umstände vorliege, dafs also seine Handlung das Leben des andern gefährde, dafs er eine Waffe gebrauche usw. 2 ) S t r a f e : Gefängnis nicht unter zwei Monaten; bei mildernden Umständen (StGB. § 228) Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu tausend Mark.

III. Schwere vorsätzliche Körperverletzung (StGB. § 224). Sie liegt vor, wenn die Handlung zur F o l g e hatte x. den V e r l u s t 3 ) sei es a) eines (im Verhältnis zum Gesamtorganismus) w i c h t i g e n G l i e d e s , sogenannte Verstümmelung (Gebrauchsunfähigkeit genügt mithin nicht, während Wiederherstellbarkeit durch ärztliche Kunst, z. B . durch Rhinoplastik, die Anwendung des § nicht ausschliefst); oder b) des S e h v e r m ö g e n s auf einem oder beiden A u g e n , d. h. den (dauernden) Verlust der Fähigkeit, Gegenstände zu erkennen, mag auch Lichtempfindung geblieben sein; c) des G e h ö r s u. z. auf beiden Ohren, d. h. den (dauernden) Verlust der Fähigkeit, artikulierte Laute zu verstehen, m a g auch die Schallempfindung geblieben sein; d) der S p r a c h e , d. h. der Fähigkeit, Gedanken durch Worte auszudrücken; e) der Z e u g u n g s f ä h i g k e i t , d. h. nicht der Begattungs-, sondern der Fortpflanzungsfähigkeit (Zeugungs- und Gebärfähigkeit). Das römische Recht hatte die Entmannung unter die lex Cornelia de sicariis gestellt (das spadones aut thlibias facere) und bestrafte auch den, der sich dazu hergab (Kastraten als Sklaven, Sänger usw.). Justinian bedrohte 558 die That mit Wiedervergeltung. Die Beschneidung war nur den Juden gestattet und wurde im übrigen als Entmannung behandelt (1. II D. 48, 8 ; Nov. 142). Das fränkische Recht bestrafte mit vollem Wergeid. PGO. Art. 133 fafste die Bewirkung von Zeugungsunfähigkeit (Unfruchtbarkeit) als Fall der Tötung (homicidium conditionale) neben der Abtreibung auf. Daohne sein Verschulden hineingezogen worden ist, oder bei einem (auch nur von ihm selbst, nicht von mehreren, aus gehenden) Angriffe sich einer Waffe, insbes. eines Messers oder eines andern gefährlichen Werkzeuges, bedient. 2 ) Übereinstimmend im Ergebnis Frank § 223 a II, Hähchner 2 95, Lucas (Litt, zu § 39) 27, Merkel 298, Meyer 475, Olshausen § 223 a 12; dagegen mit der überwiegenden Meinung R, zuletzt 14. Februar 84 10 IOI. Sehr unklar R 12. März 88 17 279. 3 ) Verlust ist auch in dem oben § 29 Note 8 besprochenen Falle anzunehmen.

§ 88.

Die Arten der Körperverletzung.

329

gegen behandelte die spätere gemeinrechtliche Wissenschaft die procuratio sterilitatis als besondres Verbrechen und bedrohte sie mit willkürlicher Strafe. Auch die Rechtsprechung hielt an der Todesstrafe nicht fest. In der neuern Gesetzgebung (abweichend Code pénal 316) ist die Kastration als besondres Verbrechen aufgegeben worden. Bewirkung einer Frühgeburt (unten § 94) ist in § 224 ebensowenig erwähnt, wie der Verlust des Geruchs oder Geschmacks.

2. E r h e b l i c h e d a u e r n d e E n t s t e l l u n g , d. h. eine die äufsere Gesamterscheinung verändernde, aber nicht notwendig auffallende Verunstaltung, auch wenn sie durch Toilettenkünste verborgen werden kann (Perücke, falsche Zähne, Glasauge) oder durch die Kleidung verborgen wird. 4 ) 3. S c h w e r e G e s u n d h e i t s s c h ä d i g u n g , und zwar V e r f a l l in a) S i e c h t u m , d.h. schwere chronische Erkrankung ohne bestimmte Hoffnung auf Heilung; oder b) L ä h m u n g , d. h. eine mindestens mittelbar den ganzen Menschen ergreifende Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Muskeln (auch die Schliefsmuskeln des Afters oder der Blase) willkürlich anzuspannen, daher besonders der Fähigkeit zur Bewegung im Raum (auch hier ohne bestimmte Hoffnung auf Heilung); oder c) G e i s t e s k r a n k h e i t in dem oben § 38 erörterten Sinne, also auch Bewufstlosigkeits- und Entartungszustände umfassend. Dagegen ist vorübergehende Geistesstörung kein „Verfallen" in eine solche; dasselbe Ergebnis folgt aus der Gleichstellung mit „Siechtum" und „Lähmung". 5 ) S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahr; bei mildernden Umständen (StGB. § 228) Gefängnis nicht unter einem Monate. Die Strafe tritt ein, auch wenn in Bezug auf den schweren Erfolg weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit auf Seiten des Thäters vorliegt (oben § 36 Note 6). — Versuch ist möglich (oben § 46 Note 8), wenn durch die unvollendete Handlung der schwere Erfolg verursacht worden ist. Ist der eingetretene Erfolg beabsichtigt (also bezweckt) 6) worden, so ist auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen, § 225. War der Erfolg beabsichtigt, aber nicht 4) zweiten s) 6)

Übereinstimmend bezüglich des ersten, abweichend bezüglich des Falls Olshausen § 224 6 und R 1. Oktober 86 14- 344. Ebenso Frank § 224 II; dagegen Meyer 475. Nach Frank § 225 genügt direkter Vorsatz.

§ 89.

33°

Verfolgung und Bestrafung der Körperverletzung.

eingetreten, so ist der Strafrahmen des § 225 nach StGB. § 44 zu ermäfsigen. 7 ) Mildernde Umstände sind (aus Versehen) im Gegensatz zu den unter IV behandelten Falle nicht zugelassen.

IV. Die vorsätzliche Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (StGB. § 226). Versuch ist auch hier bei unvollendeter Handlung möglich. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder Gefängnis nicht unter drei Jahren; bei mildernden Umständen (StGB. § 228) Gefängnis nicht unter drei Monaten.

V . Die fahrlässige Körperverletzung (StGB. § 230); (Gesundheitsbeschädigung oder körperliche Mifshandlung). 8 ) S t r a f e : Geld bis zu neunhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren; bei Verletzung einer besondern Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht (oben § 86 Note 2) kann die Strafe auf drei Jahre Gefängnis erhöht werden.

VI. Die Körperverletzung im Amte (StGB. § 340) wird bei den Amtsdelikten behandelt werden.

§ 89. Litteratur.

Verfolgung und Bestrafung.

Zu III: oben bei § 67.

Zu I V : oben bei § 72 III.

I. Die Strafverfolgung tritt nur a u f A n t r a g ein (StGB. § 232), wenn es sich um l e i c h t e v o r s ä t z l i c h e (nicht § 223a) oder um f a h r l ä s s i g e Körperverletzung handelt; aber nur dann, wenn die Körperverletzung nicht mit Ubertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbspflicht begangen worden ist. Rücknahme des Antrages zulässig, wenn gegen einen Angehörigen (StGB. § 52 Absatz 2) verübt. II. A n t r a g s b e r e c h t i g t ist der Verletzte bez. dessen Vertreter (oben § 45). Eine Ausnahme enthalten die auch hier (nach StGB. § 232) anwendbaren §§ 195 und 196 StGB., nach welchen auch der Ehemann und der Vater sowie der amtlich Vorgesetzte des Verletzten neben diesem und unabhängig von ihm zur Antragstellung berechtigt sind (vgl. unten § 97 II)7)

Ebenso Frank § 43 V ; dagegen Binding Grundrifs 2 19. Übereinstimmend Olshausen § 230 1 mit der gem. Meinung. Dagegen nehmen Geyer HH. 3 534, Hälschner 2 I I I u. a. an, dafs die „körperliche Mifshandlung" nur vorsätzlich begangen werden könne. 6)

§ $9.

Verfolgung und Bestrafung der Körperverletzung.

331

Eine Erweiterung, bez. Beschränkung der Antragsfrist tritt bei w e c h s e l s e i t i g e n Körperverletzungen ein. Der Begriff der Wechselseitigkeit erfordert weder thatsächlichen, noch ursächlichen Zusammenhang; es genügt, wenn der klagende Verletzte den beklagen Verletzter ebenfalls verletzt hat. In diesem Falle ist, wenn von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, der andre Teil bei Verlust seines Rechtes verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens bis zur Beendigung der Schlufsvorträge in 1. Instanz (StPO. § 428) zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist (StGB. § 232 mit § 198). Auf den Fall, dafs Körperverletzung und Beleidigung einander gegenüberstehen, ist diese Bestimmung nicht anzuwenden. 2 ) III. In allen Fällen der Körperverletzung 3 ) kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an ihn zu erlegende B u f s e bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. Die Zuerkennung der Bufse schliefst die Geltendmachung eines weitern Entschädigungsanspruchs aus. Für diese Bufse haften die dazu Verurteilten als Gesamtschuldner (StGB. § 231). IV. E r w i d e r u n g (Retorsion) (StGB. § 233). Wenn leichte Körperverletzungen *) mit solchen, Beleidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit ersteren auf der Stelle erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte oder für einen von ihnen eine der Art oder dem Mafse nach mildere oder überhaupt keine Strafe eintreten lassen. ') Übereinstimmend R 4. Juni 80 2 87; Gabler (Litt, zu § 95) 85, Glaser 2 23, Hälschner 2 209, Kronecker Olshausen § 1 9 8 I, Schütze 366.

GS. 3 3 21 u. a.

D a g e g e n Frank

§ 198 I ,

Bestritten. Übereinstimmend Olshausen § 198 7In allen Fällen, in welchen eine vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Körperverletzung im Sinne des § 223 vorliegt, mag sie auch nach einem a n d e r n A b s c h n i t t e des StGB.s strafbar sein, kann auf die Bufse erkannt werden. Ebenso Binding Grundrifs 2 19, Frank 17. Abschn. IV, 2) 3)

Meyer 3 7 6 ; dagegen insbesondre Olshausen § 231 5.

4 ) Umfafst sowohl § 223, als auch § 230, wenn kein schwerer Erfolg im Sinne der §§ 224 und 226 eingetreten ist.

332

§ 90.

I. Die Aussetzung.

III. Die Gefährdung von Leib und Leben. § 90.

I. Die Aussetzung.

L i t t e r a t u r . v. Holtzendorjf H H . 3 463. Platz Geschichte des Verbrechens der Aussetzung 1876. v. Schwarze GS. 14 52. v. Buri GS. 27 517. HäMehner 2 76. Elster HSt. 1 993. H. Schmidt Aussetzung und Gefährdung. G ö t tinger Diss. 1896. Ziehm Das Delikt der Aussetzung (StGB. § 221). Greifswalder Diss. 1897. I. G e s c h i c h t e . Während das Recht des frühern deutschen Mittelalters ebenso wie das Recht des römischen Freistaates Strafdrohungen gegen Aus Setzungen nicht enthält, finden wir in der römischen Kaiserzeit, und zwar seit der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts, oft wiederholte Bestimmungen gegen die expositio infantium (C. 8, 5211), die aber nicht als besonderes selbständiges Verbrechen betrachtet, sondern als Fall der Tötung behandelt wird. So a:uch von Justinian in der Novelle 153. Erst das kanonische Recht fafst die Aussetzung als G e f ä h r d u n g von Leib und Leben auf und hebt sie als selbständiges Verbrechen hervor. D i e selbe Auffassung vertritt, trotz des Schwankens der italienischen Juristen, auch die PGO. im Art. 132. Sie straft das Weib, welches „ihr Kind, damit sie dessen abkomme, von sich legt", an Leib und Leben, wenn das Kind stirbt; dagegen mit aufserordentlicher Strafe, wenn es am Leben bleibt. Die Verweisung auf die Strafe des Kindesmordes, welche noch in der Bambergensis sich findet, hat die PGO. gestrichen. Das gemeine Recht (Preufsen 1620, Österreich 1656 bis 1768) unterschied dagegen zwei Fälle, einen schwereren, wenn Tötungsvorsatz vorlag, und einen leichteren, wenn dies nicht der Fall war; dort trat die Strafe des Kindesmordes, hier mildere Strafe ein. Erst Österreich 1787 scheidet die Aussetzung scharf von der Tötung, während ALR. die gemeinrechtliche Auffassung beibehält. Die heutige Gesetzgebung (schon Bayern 1813 Art. 174) erweitert, im Anschlüsse an das kanonische Recht und einzelne gemeinrechtliche Schriftsteller (so JSF. Böhmer), die Strafbarkeit auf die Aussetzung von Hilfsbedürftigen (languidi) überhaupt.

II. Begriff. Nach dem RStGB. (§ 221) umfafst die Aussetzung folgende Begriffsmerkmale: 1. Als Gegenstand eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person. Die H i l f l o s i g k e i t , d. h. das Unvermögen, selbst oder durch Anrufung dritter die Leibesgefahr von sich abzuwenden, mufs mithin in bestimmten Umständen ihre Ursache haben. Bezüglich des j u g e n d l i c h e n A l t e r s ist die feste Altersgrenze des preufs. ') Abweichend Binding

Grundrifs 2 21.

§ 9°-

I- Die Aussetzung.

333

S t G B . (7 Jahre) mit Recht beseitigt; es wird also hier wie in den andern Fällen darauf ankommen, ob Hilflosigkeit vorliegt oder nicht, ob also das ausgesetzte Kind bereits genügend entwickelt ist, um durch eigene Kraft oder durch Anrufung fremder Unterstützung sich aus der hilflosen L a g e zu befreien. Die G e b r e c h l i c h k e i t kann, mufs aber nicht durch Altersschwäche hervorgerufen sein. Als K r a n k h e i t ist auch Geistesstörung (nicht aber eine in regelmäfsigen körperlichen Zuständen begründete Bewufstlosigkeit, wie tiefer Schlaf u. dgl.), sind insbesondere Betäubungs- und Rauschzustände anzusehen; auch chloroformierte oder hypnotisierte Personen gehören, ebenso wie blödsinnige, zu den „Kranken" im Sinne des Gesetzes. Dagegen liegt Aussetzung nicht v o r , wenn die Hilflosigkeit andre als die im Gesetze genannten Ursachen hatte (z. B . Fesselung, Knebelung, Erschöpfung, Taubstummheit). 2. Als Handlung entweder a) ein Aussetzen im engern Sinn: das Versetzen aus dem bisherigen Zustande in einen andern; vollendet mithin, sobald jene Beziehungen zur Aufsenwelt, in welchen der Verletzte sich bisher befunden, gelöst worden sind. Und zwar ein Aussetzen i n h i l f l o s e r L a g e , d. h. das Versetzen in einen Zustand, in welchem die körperliche Unversehrtheit des Ausgesetzten g e f ä h r d e t ist (oben S. 1 1 7 ) . Aussetzung liegt daher nicht vor, wenn die sichere Erwartung des Thäters gerechtfertigt war, dafs der Ausgesetzte durch dritte Personen aufgenommen werden würde; doch ist die blofse Möglichkeit einer Errettung durch dritte nicht ausreichend. Oder b) ein Verlassen in hilfloser L a g e ; strafbar nur dann, wenn der Verlassene unter der Obhut des Thäters stand, oder wenn dieser für die Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme des Verlassenen zu sorgen hatte. Die Verpflichtung kann hier, wie überall (oben § 30), begründet sein durch Gesetz, Vertrag, aber, auch durch vorangegangenes Thun, z. B. durch das Aufnehmen eines ausgesetzten Kindes von Seiten eines unbeteiligten dritten. 2 ) Ein V e r s e t z e n in a n d r e L a g e ist a ) Übereinstimmend Binding Grundrifs 2 22, Frank § 221 II. Hälschner 2 79, Merkel 302, Meyer 484, Schütze 393 Note 15, R 21. März 88 17 260; dagegen Ols hausen § 22t 6.

334

§91.

2. Die Vergiftung.

hier nicht erforderlich; wohl aber mufs eine r ä u m l i c h e T r e n n u n g , durch Sichentfernen, sei es des Thäters sei es des Schützlings oder aber auch durch Verschliefsen des Einganges usw., stattgefunden haben. Vernachlässigung der pflichtgemäfsen Obsorge (Unterlassung) genügt unter dieser Voraussetzung. 3 ) 3. A l s V o r s a t z das B e w u f s t s e i n v o n der g e f ä h r d e n den B e d e u t u n g der Handlung. Der Gefährdungsvorsatz schliefst den (eventuellen) Verletzungsvorsatz ebensowenig begrifflich aus wie dieser jenen. 4 ) III. S t r a f e . Die Aussetzung ist regelmäfsig V e r g e h e n : der Strafsatz beträgt Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren ; wenn von den leiblichen Eltern 6 ) gegen ihr Kind begangen, Gefängnis nicht unter sechs Monaten» Die Schwere des (wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten) Erfolges macht die Aussetzung zum V e r b r e c h e n ; ist eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthaus bis zu zehn Jahren und, wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus von drei bis zu fünfzehn Jahren ein. Der Versuch ist nur strafbar, wenn die Aussetzung Verbrechen ist; er ist auch hier (oben § 46 Note 8) möglich. 6 )

§ 91.

2. Die Vergiftung.

Iiitteratur. Gengier Verbrechen der Vergiftung 1842. Miitermaier GA. 4 und 5. V. Buri GA. 10 745. Berner GS. 19 7. Geyer HH. 3 557. Hälsch• ner 2 103. Hetzer Das Verbrechen der Vergiftung. Greifswalder Diss. 1897. I. G e s c h i c h t e . Die Vergiftung ist erst im heutigen Recht, und zwar als in Verletzungsabsicht mit gewissen Mitteln begangene G e f ä h r d u n g von Leib und Leben, wieder zum selbständigen Verbrechen geworden. Die Sullanische Gesetzgebung stellte das Geben, Zubereiten, Ankaufen, Verkaufen von Gift unter die 1. Cornelia de sicariis et veneficis. Die römischen Kaiser das ) Dagegen R 12. Juni 83 8 343, 21. Februar 84 10 183; Binding Grundrifs 2 22, Landsberg (Litt, zu § 30) 204, sowie die früheren Auflagen dieses Buchs. Übereinstimmend mit dem Text H'alschner 2 77, Meyer 484, Olshausen § 221 7, insbesondere Ziehm. — Eine Erweiterung des Gesetzes auf Zurücklassung von Kindern in nichthilfloser Lage, z. B. im Eisenbahnwartesaal, wäre wünschenswert. 4 ) Oben § 39 Note 7. Ebenso Schütze 394 Note 16, sowie R 27. April 94 25 321. Dagegen Binding 1 359, Frank § 221 IV, Hälschner 2 81, Meyer 433, Olshausen § 221 13. Wichtig bei Rücktritt vom Versuch. Eigentümliche Folgerungen ergeben sich daraus, dafs § 217 mildernde Umstände zuläfst, § 2 2 1 Abs. 3 aber nicht. 5 ) Nicht Stief-, Schwieger-, Pflege-, Grofseltern. °) Dagegen Ziehm 37.

§91-

2. Die Vergiftung.

335

gegen brachten, unter dem Einflufs kirchlicher Anschauungen, die Vergiftung als maleficium mit der Zauberei in engste Berührung (C. g, 18). Ganz ebenso das deutsche Mittelalter; so auch SSp. 2 13, 7, welcher daher die Strafe des Feuertodes verhängt. Die PGO. droht in Art. 130 die Strafe des Rades gegen denjenigen, welcher „jemanden durch Gift oder Venen an Leib oder Leben beschädigt" ; Tötungsvorsatz oder Tötungserfolg wird vorausgesetzt, aber nicht verlangt, die Vergiftung mithin als selbständiges Verbrechen anerkannt. Das gemeine Recht und die ihm folgende Gesetzgebung sondert im Anschlüsse an die Sächsischen Konstitutionen 4 18 die gemeingefährliche Vergiftung von Brunnen und Weiden ab; die Vergiftung aber wird zumeist (nicht Österreich 1656 und 1768, wohl aber Österreich 1787 und 1803, sowie ALR.) als Fall des Meuchelmordes aufgefafst und damit ihrer selbständigen Bedeutung entkleidet. Dagegen macht, den spätem gemeinrechtlichen Schriftstellern (Grolman, Feuerbach, Martin u. a.) folgend, Preufsen 1851 die Vergiftung wieder zum selbständigen Verbrechen, und ihm schliefst sich das R S t G B . an, individuelle und gemeine Gefährdung (Vergiftung von Brunnen usw.) streng voneinander trennend.

II. Begriff der Vergiftung nach § 229 StGB. 1. Als Mittel fordert das Gesetz entweder G i f t , d. h. einen Stoff, der auch in kleinen Gaben auf chemischem W e g e die Gesundheit zu zerstören geeignet ist, oder aber a n d r e Stoffe, welche (wenn auch erst in gröfserer Gabe) geeignet sind, die Gesundheit, sei es auf chemischem, sei es auf mechanischem W e g e (z. B. gestoisenes Glas), zu zerstören, also, wie Code pénal 301 sagt, mehr oder weniger rasch den T o d herbeizuführen. Unter den Begriff des Giftes fallen auch die von Körper zu Körper übertragbaren Ansteckungsstoffe, wie bei Cholera, Syphilis, Tuberkulose u. a. 2. Die Handlung besteht in dem Beibringen der genannten Stoffe, d. h. bei Verwendung von Gift im engern Sinn in dessen Einführung in den Organismus, also in das Blut des Verletzten. Ob diese Einführung durch Gewalt oder Täuschung bewirkt wird, ob sie durch die Verdauungs- oder durch die Atmungsorgane (Narkotisierung), durch Einspritzung unter die Haut oder auf andre Weise (Klysma) erfolgt, ist durchaus gleichgültig. Mit dem Beibringen ist das Verbrechen vollendet; etwaige Anwendung von Gegengift schliefet daher die Bestrafung aus § 229 StGB, nicht aus. Die Stratbarkeit des untauglichen Versuches (Zucker statt Arseniks usw.) richtet sich nach den allgemeinen, oben § 47 erörterten Grundsätzen.

336

§ 92- 3- Der Raufhandel.

3. Der Vorsatz mufs die Vorstellung umfassen, dafs die beigebrachten Stoffe die Gesundheit zu zerstören gee i g n e t sind. Die Vorstellung, dafs die Handlung die Gesundheit zerstören w e r d e , ist nicht erforderlich, es genügt mithin

Gefahrdungsvorsatz. Es mufs aber weiter als Beweggrund des Handelns hinzutreten: die Absicht, die Gesundheit eines andern zu beschädigen; (oben § 87 II). Die Vergiftung ist mithin Gefährdungsverbrechen in Verletzungsabsicht. Ging der Vorsatz des Thäters dahin, durch das Gift zu töten, 1 ) so liegt möglicherweise Idealkonkurrenz mit §§ 2 1 1 ff. vor. III. S t r a f e : regelmäfsig Zuchthaus bis zu zehn Jahren; wenn durch die Handlung eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Auch hier ist der höhere Strafsatz lediglich durch den Eintritt der, wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig, herbeigeführten schweren Erfolge bedingt. Versuch ist auch hier (oben § 46 Note 8) möglich; so wenn die beabsichtigte Einspritzung von Gift zwar mifslingt, aber einen Herzschlag des zu Vergiftenden oder den Verlust des Sehvermögens (beim Ringen dringt die Spitze des Instruments ins Auge) zur Folge hat. Neben der Strafe kann auf Bufse erkannt werden, da die Vergiftung ausnahmslos als sei es vollendete, sei es versuchte Körperverletzung erscheint.a)

§ 92.

3. Der Raufhandel.

Iiitteratur. Berner GS. 18. Geyer HH. 3 551. Hälschner 2 107. Marti Der Raufhandel mit Berücksichtigung des französischen und schweizerischen Rechts. Diss. 1891. Vgl. auch Heimberger (Litt, zu § 49), bes. S. 47. I. G e s c h i c h t e . Verletzungen und Tötungen im Raufhandel bieten der rechtlichen Beurteilung in doppelter Beziehung besondere Schwierigkeiten. Einmal ist es in zahlreichen Fällen unmöglich, mit einiger Sicherheit festzustellen, wer von den Beteiligten den Tod oder die Körperverletzung verursacht hat. Ferner kann aber rfuch der Fall sich ereignen, dafs der eingetretene Erfolg nur durch das Zusammenwirken mehrerer Verletzungen entstanden ist. Wie die deutschen Quellen, so beschäftigte sich auch die italienische Wissenschaft des späteren Mittelalters vielfach mit diesen Schwierigkeiten, für ') Oben § 39 Note 7. .Ebenso, wie früher das Kammergericht {Oppenhoff Rechtsprechung 15 452), Herzog (Litt, zu § 46) 235; dagegen Binding Normen 2 520 und Grundrifs 2 21, Frank § 229 IV, Hälschner 2 104, Meyer 433 (abweichend von seiner früheren Ansicht), Olshausen § 229 9. Es kann daher bei Rücktritt vom Tötungsversuch strafbare Vergiftung vorliegen. a ) Dagegen Geyer 2 22, Hälschner 2 112, Merkel 302, Olshausen § 231 4, Schütze 404. Übereinstimmend Frank § 2 3 1 II. Vgl. oben § 89 Note 3.

§ 92-

3- Der Raufhandel.

337

welche das römische Recht (1. II § 3 D. 9, 2 vgl. mit 1. 51 eod.) widersprechende Entscheidungen getroffen hatte, ohne dafs sie jedoch über die Aufstellung gewaltsamer Fiktionen hinwegzukommen vermocht hätte. Auch die PGO. begnügt sich mit einer solchen, wenn sie in Art. 148 bestimmt: „Wäre aber der Entleibte durch mehr denn einen, wie man wüfste, gefahrlicherweise tödlich geschlagen . . . worden und man könnte nicht beweislich machen, von welcher sonderlichen Hand und That er gestorben wäre, so sind dieselben, so die Verletzung wie obsteht gethan haben, alle als T o t s c h l ä g e r zum Tod zu strafen." Die Landesgesetzgebung aus der Zeit des gemeinen Rechts ist trotz aller Anläufe zu sachgemäfser Regelung (vgl. z. B. Sächsische Konstitutionen 4 7) nicht glücklicher gewesen. Noch ALR. 844 bestimmt, dafs derjenige als Totschläger anzusehen sei, welcher zuerst von einer tödlichen Waffe Gebrauch gemacht habe. Die heutige Gesetzgebung bemüht sich, seit den Gesetzbüchern für Braunschweig und Preufsen, alle willkürlichen Annahmen zu vermeiden und die Strafe nach dem Verschulden zu bemessen, hat aber mit diesen Bemühungen einen nur teilweisen Erfolg erzielt. Dies gilt auch von § 227 RStGB., welcher zwei wesentlich voneinander verschiedene Fälle umfafst und in deren zweitem gänzlich ungerechtfertigte Bestimmungen trifft. Das einzig richtige ist, die Beteiligung an einem Rauf handel als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung mit möglichst strengen Strafen zu belegen. IL

Der

erste Fall.

Nach

w e n n durch eine S c h l ä g e r e i reren g e m a c h t e n A n g r i f f eine

dem 1. A b s . des § 227 ist,

oder durch einen v o n

der T o d

schwere Körperverletzung

oder

( § 224) v e r u r s a c h t

wird,

jeder, w e l c h e r s i c h an der S c h l ä g e r e i beteiligt strafen,

hat,

schon

wegen

falls er nicht ohne

meh-

eines M e n s c h e n

dieser

oder dem A n g r i f f e Beteiligung

sein V e r s c h u l d e n

zu

be-

hineinge-

zogen w o r d e n ist.

Demnach ist die B e t e i l i g u n g a l s s o l c h e , wenn die übrigen Voraussetzungen zutreffen, strafbar; die Beteiligung am Raufhandel ist in durchaus zutreffender Weise zum selbständigen Vergehen erhoben, der Eintritt des Todes oder der schweren Körperverletzung zur Bedingung der Strafbarkeit gemacht. S c h l ä g e r e i ist der in Thätlichkeiten ausgeartete Streit zwischen mehr als zwei Personen. A n g r i f f ist gleichbedeutend mit „thätlichem Angriff" oder „Thätlichkeit" in dem unten § 96 Note 2 erörterten Sinn. „ B e t e i l i g t " aber ist jeder, welcher an dem Orte und zur Zeit des Raufhandels persönlich anwesend ist und, sei es psychisch (wie durch Aufreizung usw.), sei es physisch, mitwirkt. Dabei macht es, vorausgesetzt, dafs sich der Raufhandel als einheitlicher Vorgang darstellt, keinen Unterschied, ob v. L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

22

338

§ 93-

4- Der Zweikampf.

die Mitwirkung vor oder nach jenem Zeitpunkte stattfand, in welchem T o d oder Körperverletzung verursacht wurden. Ist der Urheber der tödlichen oder schweren Verletzung bekannt, so kann dieser nach §§ 211 ff., bezw. 224 fr. StGB, bestraft werden, während die übrigen Beteiligten nach § 227 haften. Die S t r a f e ist Gefängnis bis zu 3 Jahren. Auf Bufse ist nicht zu erkennen , da der Schuldige nicht wegen Verursachung des Erfolges, sondern wegen des Sondervergehens der Beteiligung am Raufhandel bestraft wird. 1 )

III. Dagegen setzt der 2. Abs. des § 227 S t G B , voraus, dafe durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der T o d eines Menschen oder eine s c h w e r e Körperverletzung (§ 224) verursacht worden, diese Folge aber mehreren (vorsätzlichen, nicht fahrlässigen) 2 ) Verletzungen zuzuschreiben ist, welche sie nicht einzeln, sondern nur durch ihr Zusammentreffen verursacht haben. Hier wäre nach den allgemeinen Grundsätzen jede derjenigen Personen, welcher eine dieser Verletzungen zur Last fällt, mit der Strafe der §§ 224—226 zu belegen. In ganz ungerechtfertigter und nur aus geschichtlichen Nachklängen erklärbarer Weise stellt der Gesetzgeber für diesen Fall einen b e s o n d e r n S t r a f r a h m e n auf, welcher im Vergleiche mit den angeführten Paragraphen einerseits als unverhältnismäfsig mild, anderseits als ungerechtfertigt streng erscheint. Die Streichung des ganzen Absatzes ist demnach dringend wünschenswert. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen (§ 228) Gefängnis nicht unter einem Monat. Auf B u f s e ist zu erkennen, wenn eine Körperverletzung vorliegt.

§ 93.

4. Der Zweikampf.

L i t t e r a t u r . Wertvolle Darstellung in der Begründung des preufs. Entw. von 1833 (S. 101 ff.). Teichmann HH. 3 381, 4 354. Rödenbeck Der Zweikampf im Verhältnis zur Tötung und Körperverletzung 1883. Hälschner 2 933 und GS. 34 1, 35 161. Zucker bei Grünhut 15 760. Levi Zur Lehre vom Zweikampfverbrechen 1889. Bodenheimer Die geschichtliche Genesis der strafrechtlichen Bedrohung der Vorbereitungshandlungen zum Zweikampf im StGB, für das Deutsche Reich. Würzburger Diss. 1891. Gressly Das Zwei') Übereinstimmend Frank 231 II, Hälschner 2 112, v. Wächter (Litt, zu § 67) 50. Dagegen Olshausen § 231 4 mit der gem. Meinung. Vgl. oben § 89 Note 3. 2 ) Übereinstimmend Hälschner 2 110 u. a. Dagegen Olshausen § 227 17.

§ 93-

4- D e r Z w e i k a m p f .

339

k a m p f d e l i k t . Berner D i s s . 1896. v. Below Januarheft der Göttinger Gelehrten Anzeigen 1896. Derselbe D a s Duell und der germanische E h r b e g r i f f 1896. Derselbe Z 16 720. Derselbe P r o g r a m m der A k a d e m i e zu Münster 1896/7. Derselbe D a s D u e l l in Deutschland. Geschichte und G e g e n w a r t 2. Aufl. 1897 Erichson D a s D u e l l im alten Strafsburg 1 8 9 7 . (dazu Rosenfeld Z 18 577). — Gwinner Über die juristische Natur d e s sogenannten amerikanischen Duells. E r l a n g e r D i s s . 1892. — Über studentische Schlägermensuren insbesondere Sontag Z 2 1. v. Buri G S . 34- 3 5 4 (Beiträge 220), 3 5 328. Zimmermann GS. 3 4 G S . 3 5 201. Martin D i e juristische Behandlung des studen379. Kronecker tischen Schlägerduells 1887. Berger D a s sogenannte amerikanische Duell und d i e studentische Schlägermensur 1892. I.

Geschichte

und

systematische

mungen g e g e n die H e r a u s f o r d e r u n g , Kampf,

finden sich seit

Stellung.

Die

der zweiten H ä l f t e des Mittelalters. 1 )

sich einerseits an den Schutz gerichtlichen Z w e i k a m p f e s .

Strafbestim-

das „ A u s h e i s c h e n " oder „ A u s l a d e n "

des H a u s r e c h t e s ,

Sie

zum

knüpfen

anderseits an das Verbot

B i s in den A n f a n g des

17. Jahrhunderts

des

wird,

unter dem Einflufs der Sächsischen Konstitutionen ( 4 10), der Herausgeforderte, selbst wenn er seinen Gegner tötet, nur willkürlich bestraft. strenge D u e l l m a n d a t e in den verschiedenen L ä n d e r n

B a l d a b e r treten

(in R e u f s schon 1 6 1 3 , in

v. Below herüberdringende Unsitte auf. D a s Reichsgutachten von 1668, d a s allerdings niemals gesetzliche K r a f t e r l a n g t e , drohte dem im Z w e i k a m p f Gebliebenen schimpfliches B e g r ä b n i s , dem Überlebenden entehrende Todesstrafe. D i e Schriftsteller d e r Aufklärungszeit sind auch hier geteilter Ansicht. Während Beccaria, Soden u. a . den Z w e i k a m p f überhaupt oder doch auf Seiten des Geforderten straflos lassen w o l l e n , verlangen Friedrich I I . und yoseph I I . strengste B e strafung. D a s A L R . 667 fafst den Z w e i k a m p f als Standesdelikt, u. z. als eigenmächtige Selbsthilfe für erlittene B e l e i d i g u n g , auf, straft T ö t u n g d e s G e g n e r s als Mord oder T o t s c h l a g , droht beiden T e i l e n Adels- und E h r v e r l u s t und l ä f s t d a s B i l d des flüchtigen T h ä t e r s an den öffentlichen S c h a n d p f a h l hielt (wie früher Michaelis, Sonnenfels u. a.) entschlagen. N o c h v. Savigny ehrende Strafen f ü r angezeigt. Erst allmählich überzeugt sich die Gesetzg e b u n g des 19. Jahrhunderts, dafs der Widerspruch zwischen d e m Verbot der S t r a f g e s e t z g e b u n g und dem G e b o t der Sitte e i n e , wenn auch ernste, so d o c h nicht entehrende S t r a f e dringend v e r l a n g e ; und s o verwendet, im AnÖsterreich

1624;

Duelledikt

des

Kaisers

Matthias

von

1617

bei

Z 16 7 2 7 ) g e g e n die aus den romanischen L ä n d e r n in neuer Gestalt

!) G e g e n v. Below halte ich an meiner früheren Ansicht fest. v. Below bestreitet den germanischen U r s p r u n g des Duells. E s stammt nach ihm aus S p a n i e n (erste sichere Nachricht 1 4 7 3 und 1480), dringt dann nach F r a n k r e i c h und I t a l i e n , später nach Deutschland (erste Nachricht 1 5 6 2 ) . D e m g e g e n ü b e r betone i c h : 1. F ü r mich handelt es sich g a r nicht um den geschichtlichen Urs p r u n g der D u e l l s i t t e , sondern d e r D u e l l s t r a f e n . G e g e n v. Below sprechen übrigens die italienische Statutarrechte ( Kohler Studien 4 ) , die schon im 14. Jahrhundert das D u e l l kennen. 2 . I c h behaupte nur, dafs die S t r a f d r o h u n g e n g e g e n das D u e l l unmittelbar an die g e g e n d a s „ A u s h e i s c h e n " anknüpfen. D e n B e w e i s dafür erbringt unter anderm das von v. Below angeführte .Strafsburger Duellmandat von 1650, d a s die früheren Strafdrohungen g e g e n d a s Ausheischen wörtlich wiederholt. 22*

34°

§ 93-

4- Der Zweikampf.

schlufs an Preufsen 1851, auch unser RStGB. (von den Fällen in §§ 207 und 210 abgesehen) die Festungshaft als custodia honesta zur Bestrafung des Zweikampfes. Der Kampf gegen den Zweikampf hat jedenfalls an d i e s e r Stelle n i c h t einzusetzen. Der Grund für die Strafbarkeit des Zweikampfs liegt aber nicht darin, dafs er als Krieg zweier Menschen (duellum) eine Störung des öffentlichen Friedens enthielte: denn der Zweikampf geht heutzutage meist in stiller Abgeschiedenheit vor sich; auch nicht darin, dafs er als ungerechte Selbsthilfe den Gang der Rechtspflege durch eigenmächtigen Eingriff störte: denn diese wird einfach beiseite gelassen und niemand Gewalt angethan; sondern nur darin, dafs er ein Spiel um Leib und Leben, eine G e f ä h r d u n g eignen und fremden Daseins ist, wie sie der Staat nicht ruhig mitansehen zu können glaubt. In systematischer Beziehung nimmt der Zweikampf unter den Verbrechen gegen Leib und Leben dieselbe Stellung ein, wie das Glücksspiel unter den strafbaren Handlungen gegen das Vermögen. 2 )

II. D e r B e g r i f f des Zweikampfes wird im StGB, nicht bestimmt, sondern als durch die Sitte vorgezeichnet vorausgesetzt. Das ist für eine Reihe von Einzelfragen von Bedeutung. Im allgemeinen können wir sagen: Zweikampf ist der verabredete, den hergebrachten oder vereinbarten Regeln entsprechende Kampf mit gleichwertigen Waffen zwischen zwei Personen. Die Tödlichkeit der Waffe gehört nicht zum Begriffe des Zweikampfes, aber unser geltendes Recht b e s t r a f t nur den Zweikampf mit tödlichen Waffen. Der B e w e g g r u n d des Zweikampfes ist begrifflich gleichgültig; es ist unrichtig, (mit Berner, Hälschner u. a.) nur den E h r e n z w e i k a m p f oder nur diesen und den R a c h e z w e i k a m p f als Zweikampf im Sinne des Gesetzes gelten lassen zu wollen. Der Begriff des K a m p f e s erfordert gegenseitiges Einsetzen von Kraft, Entschlossenheit, Gewandtheit. Es ist kein Zweikampf, wenn etwa die beiden Gegner das (ausdrückliche oder stillschweigende) Ubereinkommen getroffen haben, den Gesetzen der Ehre scheinbar Genüge zu leisten, aber beiderseits in die 2 ) Diese Ansicht kann heute als die allgemein herrschende bezeichnet werden. — Bei Nichterwähnung des Zweikampfes im Gesetz (so Code pénal, Bayern 1813, Norwegen seit 29. Juni 1889, anders Belgien und die grofse Mehrzahl der übrigen Staaten) würde die Frage, ob der Zweikampf überhaupt strafbar sei, wegen seiner durchaus eigenartigen Bedeutung sehr schwierig zu entscheiden und am richtigsten zu verneinen sein. Vgl. die französische Rechtsprechung und unten Note 6.

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Luft zu schiefsen. Aber auch das sogenannte a m e r i k a n i s c h e D u e l l (besser: die Losung ums Leben) ist kein Zweikampf. Will man es überhaupt mit Strafe bedrohen, so bedarf es, da auch alle übrigen strafrechtlichen Gesichtspunkte versagen, der Aufstellung eines neuen selbständigen, am besten dem Zweikampfe anzureihenden Verbrechensbegriffes. Ä) Der Kampf mufs v e r a b r e d e t sein. Ob der Vereinbarung eine längere oder kürzere Überlegung vorhergegangen, ist gleichgültig. Daher ist auch das sog. R e n c o n t r e wahrer Zweikampf, nicht aber die A t t a c k e , bei welcher der Angegriffene in Notwehr handelt. Der Begriff der Waffe ist hier im engern (technischen) Sinne zu nehmen: er umfafst alle zur angriffs- oder verteidigungsweisen Zufügung von Verletzungen bestimmten und bei bestimmungsgemäfser Anwendung geeigneten Werkzeuge. Ein Faustkampf ist mithin ebensowenig Zweikampf wie das englische Boxen oder das „Hackein" oder „Hosenlupfen" der Alpenbewohner. Die Waffe mufs aber der hergebrachten Sitte entsprechen, „Duellwaffe" in diesem Sinne sein; Stöcke und Knüttel sind ebenso ausgeschlossen wie Messer und Dolch oder Streitkolben und Schleuder.4) G l e i c h h e i t der Waffen ist nicht erforderlich, auch nicht Gleichheit der Art nach, soweit diese nicht durch die Sitte gefordert wird. Wohl aber ist, wie das schon aus dem Begriffe des „Kampfes" hervorgeht, G l e i c h w e r t i g k e i t der Waffen erforderlich, sodafs nicht von vornherein der Sieg unzweifelhaft 3 ) Vgl. v. Liszt Allg. österr. Gerichtszeitung 1875 Nr. 101, 102. Im Sinne des Textes jetzt die meisten; insbesondere Berger und Qwinner. Wichtigste abweichende Ansichten: 1. Das amerik. Duell ist Zweikampf; so Neubauer Allg. österr. Cerichtszeitung 1865 Nr. 5, 19; Lüder GA. 13 540, Schütze 293 Note 7 (dagegen aber Schütze selbst GS. 38 121). 2. Es ist Teilnahme am Selbstmord; so u. a. Levi 96, Meyer 491, Orlloff 152, Schaper HH. 2 1 1 7 , Teichmann HH. 3 395, Villnow 617, v. Wächter 354. 3. Es ist Tötung des Einwilligenden; so Kohler Studien 1 144. 4. Es ist Mord (!); so Binding 1 702 und Grundrifs 2 5 . — Richtig hebt Berger 10 hervor, dafs auch Pistolenduelle über das Taschentuch usw. aus dem Begriffe des Zweikampfes auszuscheiden wären. *) Ebenso R 10. Juli 82 7 29 und Olshausen § 201 9. Dagegen (wesentlich weiter) Frank 15. Abschn. II, Grefsly, Meyer 492. Da das Gesetz den Begriff des Zweikampfes als durch die Sitte gegeben voraussetzt, mufs der Kampf zwischen Frauen oder zwischen Mann und Weib aus dem gesetzlichen Begriffe ausgeschlossen werden. Dagegen Grefsly ioo, Meyer 491.

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entschieden ist. Aus dem gleichen Grunde mufs aber auch eine g e w i s s e Gleichwertigkeit der G e g n e r , welche auch dem Schwächern eine, wenn auch noch so geringe Hoffnung auf den Sieg gewährt, gefordert werden. Wenn in einem Pistolenduell ein Sehender seinen blinden Gegner erschiefst, so liegt für die rechtliche wie für die sittliche Beurteilung gemeiner Mord vor. Das Gesetz verlangt aber weiter tödliche Waffen, d. h. solche Waffen, w e l c h e zur angrifls- oder verteidigungsweisen Zufügung von tödlichen Verletzungen bestimmt und bei bestimmungsgemäfser Anwendung geeignet sind. Ein „Kampf mit tödlichen Waffen" liegt nicht vor, wenn die Waffe zur Zufügung tödlicher Verletzungen nicht bestimmt oder ihre Eignung dazu durch besondre Schutzvorrichtungen aufgehoben ist. Nicht nur eine bestimmte Eigenschaft der Waffen, sondern auch eine dieser Eigenschaft entsprechende Verwendung im Kampfe ist erforderlich. Pistolen dürfen nicht auf Flintenschufsweite verwendet werden, und ausgestattet mit undurchdringlichen Panzern kann man keinen Zweikampf ausfechten. D e r K a m p f s e l b s t mufs l e b e n s g e f ä h r l i c h sein. Demnach erscheinen die gewöhnlichen studentischen S c h l ä g e r m e n s u r e n zwar als ein vielleicht strafwürdiger Zweikampf, nicht aber als strafbarer Zweikampf im Sinne des RStGB.s 5) Die Anwendung der strafgesetzlichen Bestimmungen über Körperverletzung und Rauthandel ist ausgeschlossen, weil die im Zweikampf vorkommenden Verletzungen zum Zweikampf selbst gehören und nicht getrennt von diesem zur Strafe gezogen werden können. 6) Die a k a d e m i s c h e n V o r s c h r i f t e n s ) Die Ansichten und deren Begründung gehen weit auseinander. Im Ergebnisse, wenn auch nur teilweise in der Begründung übereinstimmend: Berger 36, Binding Normen 1 392 Note 40 und Grundrifs 2 26, v. Buri GS. 3 4 35S) Frank 15. Abschn. II, Grefsly 115, H'dlschner 2 948, v. Jagemann HG. 2 108, Janka 205, Ke/sler (Litt, zu § 35) 95, Kronecker GS. 35 214, Levi IIO, .Merkel 305, Meyer 492, Olshausen § 201 13, 14, Rodenbeck GS. 37 14, Sontag Z 2 5, Teichmann HH. 3 394, Villnow GS. 37 165. Vgl. auch Z 8 352. — Dagegen hat R nach öfterm Schwanken durch Entsch. der Ver. Strafsenate vom 6. März 83 8 87 die Schlägermensur für strafbaren Zweikampf im Sinne des Gesetzes erklärt. a ) Ebenso Binding 1 368, 724, Frank 15. Abschn. III, Olshausen 15. Abschn. 3, Sontag Z 2 7 u. a.; insbesondere auch alle diejenigen, welche die körperliche Verletzung des Einwilligenden straflos lassen (oben § 87 Note 4).

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über Studentenduelle sind durch das R S t G B . als Straf-, nicht als Disziplinargesetze beseitigt worden. ^ Der Zweikampf ist v o l l e n d e t , sobald auch nur einer der beiden Gegner den Kampf begonnen, d. h. von seiner Waffe zum Angriff Gebrauch gemacht hat, auch wenn die Waffe (Pistole) versagt haben sollte, oder wenn der Duellant absiphtlich, aber ohne Einverständnis mit seinem Gegner (oben S. 340), in die Luft geschossen hat. 8 ) Der Versuch (Zielen mit der Pistole, Ausholung zum Schlag) ist nicht strafbar. III. Der Gesetzgeber hat sich aber nicht damit begnügt, den Zweikampf selbst unter Strafe zu stellen, sondern bedroht auch im Anschlüsse an die geschichtliche Entwickelung des Verbrechensbegriffes gewisse Vorbereitungshandlungen, nämlich die H e r a u s f o r d e r u n g 9 ) zum Zweikampf und die A n n a h m e 9 ) einer Herausforderung. S t r a f e : regelmäfsig (StGB. § 201) Festungshaft bis zu sechs Monaten; wenn aber bei der Herausforderung die Absicht (gleich Vorsatz), dafs einer von beiden Teilen das Leben verlieren soll, entweder ausgesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt (StGB. § 202, Festungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren. Der V e r s u c h ist wegen der Vergehensnatur dieses Deliktes nicht strafbar. T e i l n a h m e ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Einen Fall der Beihilfe hebt der Gesetzgeber besonders hervor, indem er (in § 203) die Kartellträger, d. h. diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung (nicht den Auftrag zur Annahme) übernehmen und ausrichten (auch im Falle des § 202) mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bedroht. Die Strafe der Herausforderung und deren Annahme, sowie die Strafe der Kartellträger f ä l l t w e g (StGB. § 204), wenn die Parteien den Zweikampf Dagegen H'dlschner 2 951, Merkel 305, Meyer 493. Die gegenteilige Ansicht zwingt dazu, gerade den ungefährlichen Zweikampf (als gemeine Körperverletzung usw.) härter zu bestrafen als den gefährlichen. ') Ebenso Binding 1 316, 321, Hälschner 2 944, Meyer 497, Olshausen 15. Abschn. 2; dagegen Frank 15. Abschn. IV, Keßler (Litt, zu § 35) 96, Kronecker GS. 35 233, Schütze 292 Note 3, Sontag Z 2 6, Teichmann HH. 3 392, Villnow GS. 37 629; ferner die frühere preufs. Rechtsprechung, sowie das badische Einf.-Ges. vom 23. Dezember 1871, welches in Art. 8 die Schlägermensur mit Haft bedroht. Jedenfalls würde sich gesetzliche Regelung der ganzen Frage, u. z. durch ausdrückliche Überweisung der studentischen Schlägermensur an die Disziplinargerichtsbarkeit der Universitäten, empfehlen. 8 ) Ebenso Meyer 494, Olshausen § 205 I, R. II. November 90 21 146. Dagegen Frank 15. Abschn. I, Grefsly 108. 9 ) Sie mufs ernstlich gemeint sein; vgl. Frank § 201 I und Z 14 387 gegen R 18. September 91 22 139.

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vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben. 10 ) Entgegen der allgemeinen Regel (oben § 74 I)i dafs Strafaufhebungsgründe nur demjenigen zu gute kommen, in dessen Person sie sich ereignen, wirkt hier die „thätige Reue" der Hauptthäter zu Gunsten aller Beteiligten. Kommt der Zweikampf wirklich zu stände, so wird dadurch die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen für die beiden Parteien beseitigt (oben § 56 II); die übrigen Beteiligten, auch die Kartellträger (StGB. § 203), haften nach den allgemeinen Grundsätzen über Teilnahme; aber nunmehr wegen ihrer Beteiligung am Zweikampfe selbst. 11 ) IV. Die S t r a f e des Zweikampfes ist im Gesetze verschieden abgestuft. 1. Regelmäfsiger Strafrahmen (StGB. § 205): Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Bufse ausgeschlossen. 2. Wer seinen Gegner im Zweikampf (durch eine vorsätzlich zugefügte Verletzung) tötet (StGB. § 206), wird mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren, und wenn der Zweikampf ein solcher war, welcher den Tod des einen von beiden herbeiführen sollte, mit Festungshaft nicht unter drei Jahren bestraft. Der schwere Strafrahmen ist ausgeschlossen, wenn der Tod aus einer nicht vorsätzlichen Verletzung hervorging, z. B. durch Abspringen der Klinge, oder wenn der Getötete durch einen Sturz sich die Klinge des Gegners in den Leib stiefs; sowie dann, wenn er überhaupt nicht die Folge einer im Kampfe erlittenen Verwundung, sondern z. B. des durch die Bandagierung bewirkten Blutandranges zum Kopfe war. IS ) Dagegen ist im übrigen der regelmäfsige Ursachenbegriff (oben § 29) uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen. 3. Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfes bewirkt worden, so ist der Übertreter (StGB. § 207), sofern nicht nach den oben erwähnten Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt (nicht: „angedroht") ist, nach den allgemeinen Vorschriften über Tötung oder Körperverletzung zu bestrafen. Das Besondere dieser im übrigen selbstverständlichen Anordnung liegt darin, dafs die Zweikampfstrafen, wenn höher, eintreten sollen, obwohl der Zweikampf in dem Augenblick aufgehört hat, Zweikampf zu sein, in welchem Überschreitung der Kampfesregeln eingetreten ist. Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die nach §§ 205, 206 verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über fünfzehn Jahre erhöht werden (StGB. § 208). Die Behandlung der T e i l n e h m e r richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Insbesondere können auch die Mitglieder des Ehrengerichts, welches den Zweikampf anordnet, sich der Teilnahme schuldig machen, wenn ihr 10 ) Rücktritt beider Parteien ist erforderlich. Ebenso Grejsly 132, Levi 122, Meyer 495. Dagegen Frank § 204 I I , Olshausen § 2 0 4 5 u. a. u ) Übereinstimmend Olshausen § 205 4. Dagegen Frank § 205 IV, Hälschner 2 958, Levi 127, Meyer 496 Note "47 (abweichend von seiner früheren Ansicht), Schütze 296; auch R 4. Dezember 84 11 279. 12 ) Ebenso Olshausen § 206 2. Dagegen rechnet Grefsly 140, auch fahrlässige, Frank § 206 II selbst unverschuldete Tötungen hierher.

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5- Die Abtreibung.

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Spruch auf den Entschlufs der Gegner, sich zu schlagen, bestimmend eingewirkt hat. Einen Fall hat auch hier der Gesetzgeber als selbständiges Vergehen besonders hervorgehoben (StGB. § 210) und damit für unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme erklärt. Wer nämlich einen andern zum Zweikampf mit einem dritten absichtlich (gleich vorsätzlich), insbesondere durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung, anreizt, 1S ) wird, falls der Zweikampf (wenn auch nicht infolge seiner Anreizung) stattgefunden hat, statt mit Festungshaft, der regelmäfsigen Strafe des Zweikampfes, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. S t r a f l o s bleiben (StGB. § 209) Kartellträger, welche ernstlich bemüht gewesen sind, den Zweikampf (nicht blofs seine Fortsetzung) zu verhindern, Sekundanten, sowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen, Ärzte und Wundärzte.

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5. Die Abtreibung.

L i t t e r a t u r . Hrehorowicz Das Verbrechen der Abtreibung der Leibesfrucht 1876. v. Fabrice Kindesabtreibung und Kindesmord 1868. v. Holtzendorff H H . 3 455. v. Wächter GS. 29 I. Hälschner GS. 32 583. Derselbe 2 64. Horch Abtreibung. Giefsner Diss. 1878. Jungmann Das Verbrechen der Abtreibung 1893. Elster HSt. 1 13. — Köhler Studien 4. Knapp 184. I. G e s c h i c h t e . Das ältere r ö m i s c h e Recht hatte die Ahndung der Abtreibung (abactio partus, procuratio abortus) der zensorischen Rüge und der hausväterlichen Gewalt überlassen. Staatliche Strafdrohungen finden wir erst seit Septimius Severus (1. 4 D. 47, n ; 1. 8 D. 48, 8). Die Zerrüttung des Familienlebens, welche die Folge der bei den römischen Frauen weitverbreiteten Abneigung gegen die Übernahme der mütterlichen Pflichten war, sollte hintangehalten werden; unwürdig erschien es dem Kaiser, dafs der Gatte, welcher um der Zeugung von Kindern willen die Ehe geschlossen hatte, durch die Frau um seine Hoffnungen betrogen werde. Dem Embryo selbständigen Schutz zu verleihen, widersprach der stoizistischen Auffassung der römischen Juristen, welche die Leibesfrucht als mulieris portio vel viscerum betrachteten. Anders das k a n o n i s c h e Recht. Die Tötung der belebten Frucht erscheint als homicidium. Belebt aber ist nach der bei den kirchlichen Schriftstellern vertretenen, auf das zweite Buch Mosis gestützten Ansicht der Embryo erst, wenn die anima rationalis in ihn eingegangen ist, also erst sechs bis zehn Wochen nach der Empfängnis. Vor diesem Zeitpunkte wird die Abtreibung nur willkürlich gestraft. Denselben Standpunkt nimmt auch PGO. ein, während der Rechtsanschauung des deutschen Mittelalters die Strafbarkeit der Abtreibung widersprach {Knapp). Art. 133 sagt: „Wer einem Weibsbild durch Bezwang, Essen oder Trinken ein l e b e n d i g e s Kind abtreibt, so solch Übel fürsätzlicher oder 13 ) Oben § 51 Note 4. Der Begriff des Anreizens wird durch das Vorliegen edler Motive nicht ausgeschlossen. Abweichend Frank § zio.

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5- Di e Abtreibung.

boshaftiger Weise geschieht, soll der Mann mit dem Schwert, a l s e i n T o t s c h l ä g e r , und die Frau, so sie es auch an ihr selbst thäte, ertränkt oder sonst zum Tode gestraft werden. So aber ein Kind, das noch n i c h t l e b e n d i g wäre, von einem Weibsbild getrieben würde, soll der Rat Rechtsverständiger eingeholt werden." Obwohl die Uberzeugung von der Unrichtigkeit jener Unterscheidung zwischen belebter und nichtbelebter Frucht in medizinischen Kreisen bald allgemein Eingang fand, hielt doch Gesetzgebung, Rechtsprechung und bis tief ins i8. Jahrhundert hinein auch die Wissenschaft des gemeinen Rechts an der Unterscheidung, wenn auch auf veränderter Grundlage, fest. Die Sächsischen Konstitutionen 4 4 (ebenso Österreich 1656) unterschieden zwischen der ersten und der zweiten Hälfte der Schwangerschaft (Anklänge noch ALR. 986); die Rechtsprechung betrachtete zumeist das Auftreten der Kindesbewegungen als ausschlaggebend (so noch das heutige englische Recht). Von den Juristen war Leyser (-[• 1752) der erste, welcher die Unterscheidung grundsätzlich verwarf. Aber nur allmählich gelangte seine Ansicht zur Anerkennung. Für die heutige Gesetzgebung handelt es sich darum, einerseits die Leibesfrucht, anderseits aber auch Leben und Gesundheit der Schwangern selbst gegen gefährdende Eingriffe sicherzustellen. Aus diesen Erwägungen ergibt sich die Doppelstellung der Abtreibung in den Gesetzbüchern: sie ist einerseits Tötung oder Gefährdung der Frucht, anderseits Gefährdung der Schwangern. Den Bestimmungen des RStGB.s (§§ 218—220) kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, dafs sie durch ihre unklare und fehlerhafte Fassung den Anlafs zu zahlreichen und schwierigen Streitfragen gegeben haben. II. B e g r i f f der A b t r e i b u n g . 1. Gegenstand ist die n o c h nicht geborene, d. h. die noch nicht zu selbständigem L e b e n aufserhalb des M u t t e r leibes (oben § 80 N o t e 2 ) gelangte L e i b e s f r u c h t . 2. D i e Handlung ist e n t w e d e r a) A b t r e i b u n g im engern Sinn, nämlich das ( r e c h t s w i d r i g e ) B e w i r k e n einer F r ü h g e b u r t , mag auch der Vorsatz des Thäters nicht auf Tötung der Leibesfrucht gerichtet gewesen und dieser Erfolg auch nicht eingetreten s e i n . E s wäre ') Sehr bestritten. Im Sinne des Textes Janka 215, Merkel 309, Meyer 481, Ortloff GS. 34 445, V. Wächter 336 und GS. 29 10, Wehrli (Litt, zu § 84) 96 (wie früher schon Martin und andre gemeinrechtliche Schriftsteller); dagegen die gemeine Meinung, insbes. Olshausen § 218 I, sowie auch R 9. Juli 81 4 380 (auch der österr. Kassationshof, Urteil vom 21. Februar 91 12 137). Darnach wäre stets Tötung der Frucht erforderlich, sei es durch ihre vorzeitige Ausstofsung, sei es durch Einwirkung auf sie im Mutterleibe, sodafs die bereits getötete Frucht ausgestofsen wird. Doch sind die Gründe der Gegner, ist insbes. die Entstehungsgeschichte der §§218 bis 220 StGB., dem klaren

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5- ^i® Abtreibung.

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mithin strafbare Abtreibung anzunehmen, wenn die bald nach dem T o d e ihres Mannes von einem andern geschwängerte Witwe im achten Monate ihrer Schwangerschaft eine Frühgeburt bewirkt, um das Kind als ein ehelich erzeugtes erscheinen zu lassen. O d e r b) Tötung der Frucht im Mutterleibe. Durch welche Mittel die Abtreibung bewirkt wird, ob durch „Anwendung" äufserlicher oder mechanischer, ob durch „Beibringung" innerlicher oder dynamischer Mittel (Abortivmittel im engern Sinne), oder vielleicht durch psychische Einwirkung — ist für den Begriff des Verbrechens gleichgültig. Selbstmordversuch der Schwangern ist in keinem Falle als vollendete oder versuchte Abtreibung strafbar, 2 ) da die Frucht kein von dem mütterlichen Leben trennbares Dasein hat. A u s dem gleichen Grunde ist auch Tötung der Schwangeren durch einen dritten niemals zugleich als Abtreibung strafbar. III. Die Arten der Abtreibung. i . Der einfache Fall (StGB. § 218) umfafst sowohl die von der Schwangern selbst, als auch die von einem dritten mit Einwilligung der Schwangern an dieser bewirkte Abtreibung. „Einwilligung" ist dasselbe wie das „mit Wissen und Willen" in StGB. § 220; sie setzt hier wie überall Zurechnungsfähigkeit der Einwilligenden voraus. 3 ) Irrige Annahme der Einwilligung kann deren Fehlen nicht ersetzen. Die Handlung des dritten mufs jedoch, damit sie unter den gleichen Strafrahmen wie die Abtreibung durch die Schwangere selbst fallt, nach den allgemeinen Grundsätzen als Thäterschaft oder Mitthäterschaft erscheinen (das Gesetz verlangt, dafs er „die Mittel zur A b treibung bei der Schwangern äufserlich a n g e w e n d e t oder ihr innerlich b e i g e b r a c h t hat"); blofses V e r s c h a f f e n der Mittel würde als Beihilfe unter den herabgesetzten Strafrahmen fallen.

Wortlaute dieser §§ gegenüber, welche „abtreiben" und „töten" überall einander entgegensetzen, nicht beweisend. 2 ) Ebenso Finger 1 142, v. Holtzendorff HH. 3 459. Dagegen Frank § 218 DI, Horch 41, Meyer 481, Ohhausen § 218 5. 3 ) Ebenso Binding Grundrifs 2 12, Ohhausen § 218 7 sowie R 10. Juni 90 21 14; dagegen Hälschner 2 70, Horch 48.

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5- Die Abtreibung.

Die Schwangere kann in Bezug auf die Handlung des dritten als Mitthäterin oder aber auch als Teilnehmerin nach den allgemeinen Grundsätzen erscheinen.4) S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Zu den mildernden Umständen wird der Richter wegen StGB. § 217 die Unehelichkeit der Empfängnis zu rechnen h a b e n , wie dies einige neuere Gesetze und Entwürfe ausdrücklich vorschreiben. Aus der Wortfassung des 3. Abs. des § 2 1 8 : „angewendet oder beigebracht hat" ergibt sich, dafs von Strafbarkeit des dritten keine Rede sein kann, wenn es ihm nicht gelungen ist, die Mittel anzuwenden oder beizubringen (die Schwangere ist z. B. nicht im Stande, den übelriechenden T r a n k zu sich zu nehmen). Dagegen liegt strafbarer Versuch vor, wenn die thatsächlich angewandten oder beigebrachten Mittel erfolglos geblieben sind, d. h. gegen Erwarten des Thäters die Abtreibung, bez. Tötung nicht herbeigeführt haben. 6 ) Die Vollendung tritt auch hier mit der Abtreibung oder T ö tung ein.

2. Die Lohnabtreibung (StGB. § 219). Sie liegt vor, wenn jemand einer Schwangern, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen E n t g e l d die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. Entgelt ist gleichbedeutend mit Vermögensvorteil (unten § 140) umfafst also nicht Vorteile andrer Art. 6 ) S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren. — Die Bedeutung dieser dem preufsischen StGB, unbekannten Bestimmung liegt in der wesentlichen E r höhung des Strafrahmens gegenüber d e r , so häufig gewerbsmäfsig betriebenen entgeltlichen Thätigkeit dritter. Ebendarum wird nicht nur das Beibringen oder Anwenden von Abtreibungsmitteln, also eine als Thäterschaft oder Mitt ä t e r s c h a f t erscheinende Mitwirkung, sondern auch das V e r s c h a f f e n der Mittel, also eine B e i h i 1 f e handlung, von dieser strengern Strafdrohung getroffen, während alle a n d e r n Beihilfehandlungen (insbesondere durch Rat), nur nach dem mildern Strafsatze des § 218 zu beurteilen sind. Dieser Grund-

4 ) Ebenso R 21. Februar 96 2 8 164, 19. Juni 96 29 10. Dagegen nimmt Binding Grundrifs 2 12 stets Mitthäterschaft an. Die blofse Duldung der Schwangeren genügt jedoch nicht einmal zur Annahme der Beihilfe. — Gegen Mitthäterschaft der Schwangeren und des Dritten auch R 26. Februar 97 29 419, da erstere aus tj 218 Abs. I, letzterer aus § 2 1 8 Abs. 3 strafbar sei. Beide Absätze behandeln jedoch dasselbe Verbrechen. 5 ) So die gemeine Meinung, insbes. Olshausen § 218 9. Gegen die Annahme eines Versuches R wiederholt, zuletzt 10. Juni 90 21 1 4 ; auch Baumgarten Versuch 434. Umgekehrt nimmt Frank § 2 1 8 V in beiden Fällen Versuch an. e ) So die gem. Meinung. Dagegen Meyer 480, Olshausen § 219 1.

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5- D i e Abtreibung.

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gedanke des Gesetzgebers zwingt aber zu der Folgerung, dafs die Mitwirkung der Schwangern selbst unter gar keinen Umständen nach § 219, sondern nur nach § 2 1 8 Abs. I oder 3 gestraft werden kann. 7 ) Teilnahme dritter an der L o h n abtreibung fällt unter § 219. D a f s die Frucht abgetrieben oder getötet w o r d e n , ist nach der Fassung des Gesetzes B e d i n g u n g d e r S t r a f b a r k e i t . Strafbarer Versuch nach § 219 könnte daher nur unter der oben § 46 Note 8 genannten Voraussetzung angenommen werden. 8 ) Abgesehen von diesem Falle, würde der Versuch nach § 2 1 8 gestraft werden können.

3. Abtreibung durch einen dritten ohne W i s s e n oder Willen der S c h w a n g e r n (StGB § 220). Mangel der Einwilligung begründet ebenso die Strafbarkeit des Thäters, welcher mit Wissen der Schwangern (etwa gewaltsam) handelt, wie Mangel des Wissens bei erfolgter Einwilligung. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren; ist durch die Handlung der T o d der Schwangern verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. S c h u l d in Bezug auf den schweren Erfolg ist nicht erforderlich, da er auch hier Bedingung der Strafbarkeit ist. V e r s u c h des schweren Falles ist möglich, wenn durch die Versuchshandlung der schwerere Erfolg verursacht wurde, die Abtreibungsmittel also zwar nicht die Ausstofsung oder den T o d der Leibesfrucht, wohl aber den T o d der Schwangern (etwa durch Blutvergiftung) herbeigeführt haben (oben § 46 Note 8). Dagegen R 10. April 80 1 350, 13. Juli 87 16 184; Hälschner 2 7 1 , Olshausen § 219 2, Schütze 391 Note 9; übereinstimmend mit dem T e x t Binding Grundrifs 2 12, Frank § 219 HI, v. JCries Z 7 537, Meyer 482 Note 27. Vgl. auch oben § 52 V. 8 ) Im wesentlichen übereinstimmend die gem. Meinung, insbes., im A n schlüsse an O T . , R in einer Anzahl von Entscheidungen. Dagegen Binding Grundrifs 2 12, Hälschner 2 73, Meyer 481, Olshausen § 219 3.

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§ 95-

Geschichte und Begriff der Beleidigung

Zweiter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen unkörperliehe Reehtsgüter. I. Strafbare Handlungen gegen die Ehre. § 95.

Geschichte und Begriff der Beleidigung.

I i i t t e r a t u r . Pernice Labeo 2 (2. Aufl.) 1. Abt. S. 19. Brunner 2 6 7 1 . Günther 3 I. Hälfte 525. Kohler Studien 4. — Weber Injurien und Schmähschriften (1793) 4. Aufl. 1820. Köstlin Abhandlungen 1858. v. Buri Abhandlungen 1862. Derselbe Beiträge 25. Bochow H H . 3 337. John Z 1 277 und gegen ihn v. Buri GS. 3 3 409. Binding Die Ehre und ihre Verletzbarkeit 1892. Hefs Die Ehre und die Beleidigung des § 185. Ein psychologischjuristischer Versuch 189t. Kratz Der strafrechtliche Begriff und das passive Subjekt der Ehrverletzung 1891. Gabler Das Vergehen der üblen Nachrede 1892. Lammasch Diebstahl und Beleidigung 1893. Hälschner 2 157. Frank GA. 35 36. Kronecker GS. 3 8 481. Stenglein GS. 4 2 79. Rump GA. 35 370. Wilhelm GS. 4 5 1 6 1 (aus: Das Moment der Rechtswidrigkeit bei der Beleidigung. Strafsburger Diss. 1890). v. Bülow GS. 4 6 260, 4 8 I . Landsberg Injurien und Beleidigung 1886. Eiselen Wesen und Wert der Ehre 1894. Klöppel 435. Fraafs Die Verletzung der E h r e und § 193 RStGB. Erlanger Diss. 1893. Spiecker Beiträge zur Lehre von der Beleidigung 1895. v. Bar GS. 52 81. v. Volkmann, der Begriff der Beleidigung im Sinne des Abschnitts 14 des RStGB. Hallische Diss. 1896. Ortloff Zur Lehre von der Beleidigung für die Rechtsübung 1896 (S.A. aus den Blättern für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt 43). Eichmann Über das Wesen der Beleidigung und der falschen Anschuldigung nach deutschem Reichsrecht. Leipziger Diss. 1896. Bartolotnäus Z 16 399 (zu StGB. § 193). I. Kaum tritt auf einem andern Gebiete des Strafrechts der Wechsel der Anschauungen, welcher nicht nur neue Interessen zu Rechtsgütern stempelt, sondern auch anerkannte Rechtsgüter innerlich umgestaltet, so deutlich zu Tage wie auf dem Gebiete der gegen die Ehre gerichteten Vergehen. Was wir heute Ehre nennen und was der Germane von j e her so genannt hat, ist dem r ö m i s c h e n R e c h t e stets fremd geblieben. Ihm war E h r e der Vollgenufs der römischen Bürgerrechte (dignitatis illaesae status legibus ac moribus comprobatus), deren Besitz wie Verlust durch festbestimmte Vorschriften genau geregelt und damit dem verletzenden Angriffe dritter so gut wie entzogen war. Wörtliche Schmähung von Mann zu Mann fafste er als klagbare Beleidigung nicht auf (Pernice). C o n t u m e l i a ist der kränkende Angriff auf die Person, insbesondere auf Bürgerstellung, Frauenwürde, Knabenehre. Auch die privatrechtliche actio injuriarum geht von der Körperverletzung aus. I n ihrer weitern Entwicklung umfafst sie aber jeden übermütigen Eingriff in fremden Rechtskreis. Das pulsare, verberare und domum vi introire der lex Cornelia de injuriis (oben S. 9) fällt gänzlich aus dem Umfang des Be-

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Geschichte und Begriff der Beleidigung.

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leidigungsbegriffes heraus. Es ist daher für unsre Lehre ohne wesentliche Bedeutung, dafs nach spätrömischem Recht (1. 10 J. 4, 4; 1. ult. D. 47, 10) bei injuria dem Verletzten die Wahl zwischen der actio injuriarum und der strafrechtlichen Verfolgung offen stand. Nur in e i n e m Punkte war das römische Recht von je her empfindlich gewesen. Schon die XII Tafeln (oben S. 7) bedrohten es mit kapitaler Strafe, si quis occentasset sive Carmen condidisset, quod infamiam faceret flagitiumve alteri. Und in der Kaiserzeit waren die l i b e l l i f a m o s i , die anonymen Schmähschriften, mit strenger Strafe bedroht (C. 9, 36). Anders das d e u t s c h e R e c h t . Für den Germanen wurzelt die Ehre in der Person und mit dieser in der Anerkennung von Seiten der Genossen. Sie kann durch jedes Wort verletzt, aber sie kann auch wie durch das Schwert, so durch den Spruch der Genossen und die Ehrenerklärung des Gegners wiederhergestellt werden. Die Volksrechte zählen uns die Scheit- und Schimpfwörter mit den auf sie gesetzten Bufsen auf; sie schildern uns die verschiedenen thätlichen Angriffe und ergehen sich in behaglicher Breite über die Unterschiede in den Strafen, welche die unzüchtigen Berührungen einer Frau oder eines Mädchens nach sich zogen. Die Quellen des s p ä t e m M i t t e l a l t e r s , insbesondere die Stadtrechte, stehen auf dem gleichen Standpunkte; Widerruf, Abbitte und Ehrenerklärung, neben die Zahlung der Geldsumme oder an ihre Stelle tretend, sollen dem Verletzten Genugthuung gewähren. In schwerern Fällen werden aber auch (nichtverstümmelnde) Leibesstrafen, Ausstellung am Pranger, gegen Frauen das Lastersteintragen oder ähnliche Übel verhängt. Peinliche Strafe (an Hals und Hand) ist ausgeschlossen. Die PGO., welche die Regelung der niedern Gerichtsbarkeit sich nicht zur Aufgabe gestellt hatte, erwähnt im Art. 107 (vgl. aber auch Art. 216) nur die S c h m ä h s c h r i f t (Vorwurf eines Verbrechens) und bedroht diese mit der Talion. Das g e m e i n e R e c h t entwickelt, gestützt auf die Reichspolizeiordnungen, die Lehre vom Pasquill (dem das Schandgemälde, die pictura famosa, gleichgestellt wird) weiter, setzt aber an Stelle der Talion willkürliche Strafe, welche in schwereren Fällen bis zur Todesstrafe sich steigern kann. Die Landesgesetzgebung des 16. bis 18. Jahrhunderts überläfst zumeist (abweichend Preufsen 1620) die Beleidigung dem Privatrecht und betrachtet nur die schwersten Fälle als landgerichtlich. Die Sächsischen Konstitutionen, auch hier vielfach vorbildlich, heben die Berühmung, mit einer Frau oder Jungfrau geschlafen zu haben, "besonders hervor (4- 45) und gewähren im übrigen dem Beleidigten das Recht (4 42), auf öffentlichen Widerruf vor Gericht und daneben auf willkürliche Strafe bis zur ewigen Landesverweisung zu klagen, wenn er sich nicht bei der bürgerlichen Klage beruhigen will. Vielfach (besonders in den Duellmandaten) wird die peinliche Privatklage durch amtliche Verfolgung verdrängt; wo jene fortbesteht, verjährt sie (in leichteren Fällen) in einem Jahr. Die neuere Gesetzgebung ist in der Behandlung der Beleidigung wenig glücklich gewesen. Sie hat es nicht verstanden, dem Verletzten eine unserem, vielleicht überspanntem, Ehrgefühl entsprechende Sühne zu sichern. Dies gilt

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auch VOD unserm RStGB., welches den schwierigen Begriff der einfachen Beleidigung unbestimmt läfst, den Beleidigten auf den dornenvollen Weg der Privatklage verweist, den Wahrheitsbeweis uneingeschränkt auch dann zuläfst, wenn Thatsachen des Familienlebens durch die Tagespresse in die Öffentlichkeit gezerrt wurden, und in seinen Strafdrohungen bis zu dem äufsersten Mindestmafs hinabgeht. In der Unausrottbarkeit des Zweikampfes liegt der unwiderlegliche Beweis für die Unzulänglichkeit unserer Gesetzgebung.

II. Der Begriff der Ehre. i. Ehre im Rechtssinne ist nicht der durch Handlungen dritter nicht verletzbare innere Wert des Menschen, sondern seine Wertung durch die andern; sie ist die persönliche Geltung bei den Rechtsgenossen. *) Ehre ist also zunächst eine Thatsache: die durch die Lebensführung erworbene Achtung. Ehre bedeutet aber weiter das Interesse des einzelnen, seiner Lebensführung gemäfs geachtet zu werden. Diesem Interesse entspricht die Rechtsordnung nur negativ: durch das Doppelverbot, der eigenen Mifsachtung eines andern Ausdruck zu geben oder für die Mifsachtung des andern durch dritte die thatsächliche Unterlage wahrheitswidrig zu schaffen (unten III). Die Geltung aber beruht auf der Anerkennung a) des s i t t l i c h e n W e r t e s ; b) der Erfüllung der durch die Stellung auferlegten Pflichten (des s o z i a l e n Wertes); c) des Besitzes derjenigen k ö r p e r l i c h e n u n d g e i s t i g e n E i g e n s c h a f t e n u n d F ä h i g k e i t e n , ohne welche die Erfüllung der übernommenen Pflichten unmöglich ist. Aus dieser für den Begriff der Beleidigung grundlegenden Auffassung folgt die Berechtigung des Begriffs der Standesehre, erklärt sich die ausgezeichnete Stellung der Majestätsbeleidigung (s. unten). Nach ihr gehört zur Ehre auch der Diese Auffassung wird im Wesentlichen vertreten von v, Bülow GS. 4 6 269, Finger 2 1 1 7 , Frank 14. Abschn. X, Gierke 1 417, v. lhering Zweck im Recht 1 143, 2 545, janka 219, Krontcker 484, Merkel 287, Olshattsen § 18S 2, Gabler, Kratz, Wilhelm, v. Volkmann. Abweichend einerseits Meyer 515 (Achtungswürdigkeit), v. Buri 1862 und Hälschner 2 164 (sittlicher Wert); anderseits Binding (Beleidigung ist nicht Ehr- sondern Willensverletzung, Verletzung der Achtungswürdigkeit, soweit sie zugleich Achtungsbedürftigkeit ist; anders 1 726), v. Bar, Eichmann, Grommes (unten Note I i ) , He/s, teilweise auch v. Volkmann, die die „subjektive Seite" der Ehre, das Ehrgefühl betonen.

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Geschichte und Begriff der Beleidigung.

353

K r e d i t (die w i r t s c h a f t l i c h e Seite der Ehre), d. h. das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Kreditnehmenden, soweit die Berufsstellung auf die Beanspruchung des Kredits verweist. 2 ) 2. Träger des Rechtsgutes der Ehre kann nur der lebende Mensch sein. Der Verstorbene ist nicht mehr Rechtssubjekt. Die sog. Beleidigung Verstorbener ist mithin in Wahrheit stets Beleidigung der Überlebenden; und zwar nicht der e i n z e l n e n , etwa antragsberechtigten Familienglieder, sondern der F a m i l i e selbst als Gesamtpersönlichkeit. 3 ) Beleidigung ist dagegen möglich gegenüber dem K i n d e , aber nur sobald es in irgend einen Pflichtenkreis, etwa in der Schule, eintritt und das Bewufstsein dieser Pflichten besitzt. Sie ist auch möglich gegenüber dem G e i s t e s k r a n k e n ; einerseits im Hinblick auf den früheren Zustand geistiger Gesundheit (Behauptung ehrenrühriger Thatsachen aus seiner Vergangenheit), anderseits wegen der vielleicht nur teilweisen Umnachtung des Geistes. 4) Ebenso ergibt sich aber aus dem Begriffe der Ehre auch mit Notwendigkeit die, auch von der gesamten ältern Litteratur gezogene Folgerung, dafs nicht nur der einzelne, sondern auch 2 ) Diese Auffassuog teilen im Wesentlichen Doerr (Litt, zu § 140) 25 Note 17, He/s 28, v. Völkmann 39. Gegen sie die herrschende Meinung. Vgl. unten § 96 I V . Anders liegt die Sache beim unlauteren Wettbewerb. a ) Ebenso Gabler 21, Hälschner 2 199, Mainzer 56, v. Volkmann 52. Beleidigung des Verstorbenen nehmen an Amsler Die Möglichkeit einer Injurie an Verstorbenen 1871, Meyer 594, Spieker 39, 45. Nach der überwiegenden Ansicht soll StGB. § 189 das „religiöse Gefühl" der Angehörigen schützen. Ähnlich Herbst Die Beschimpfung Verstorbener. Göttinger Diss. 1894. Auch Binding Grundrifs 2 89. Diese, auch in der Begründung des StGB.s vertretene, Ansicht wird durch die Stellung des § 189 widerlegt. 4 J Ähnlich Frank 14. Abschn. II. Regelmäfsig wird die Frage sowohl bezüglich des Kindes wie auch des Geisteskranken in gleicher Weise entschieden. Dies gilt sowohl von der gemeinen Meinung, welche die Möglichkeit einer Beleidigung des Kindes wie des Geisteskranken annimmt (R 3. Oktober 95 27 366, Meyer 519, Olshausen § 185 7), als auch von v. Bar 182, v. Buri und John HR., welche sie für beide in Äbrede stellen. Zustimmend wohl Finger 2 124. Wird die Handlung (auch die Thätlichkeit) nur in Gegenwart des Betroffenen selbst vorgenommen, so kann von Beleidigung hier wie stets nur dann die Rede sein, wenn der Ausdruck der Nichtachtung von dem Betroffenen verstanden werden kann. Dagegen freilich R 19. Februar 97 29 398. Der Satz „Pati quis injuriam etiamsi non sentiat potest" (1. 3 § 2 D. 47, 10) ist mithin zweifellos einseitig. Das im Text Gesagte gilt auch für die Majestätsbeleidigung.

v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

23

354

§ 95-

Geschichte und Begriff der Beleidigung.

die Individuengruppen, soweit sie als G e s a m t p e r s ö n l i c h k e i t innerhalb des gesellschaftlichen Körpers anerkannt sind, Träger des Rechtsgutes „Ehre" und als solche Gegenstand der „Beleidigung" sein können. Das Reichsstrafrecht hat freilich diese Folgerung nicht gezogen. Von besonderer Anordnung abgesehen, schützt es nur die Ehre des e i n z e l n e n , nicht die der Körperschaft. 5 ) Ausnahmen enthalten: a) StGB. §§ 196, 197 Beleidigung von B e h ö r d e n und p o l i t i s c h e n K ö r p e r s c h a f t e n ; b) StGB. § 1 8 7 Gefährdung des Kredits von H a n d e l s g e s e l l s c h a f t e n ; c) StGB. § 189 Schutz der F a m i l i e n ehre. Dazu käme noch d) § 166: Beschimpfung von R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t e n (darüber unten § 118). Mit der Frage nach der Möglichkeit einer Beleidigung von G e s a m t p e r s ö n l i c h k e i t e n ist die andre Frage nicht zu verwechseln, ob und inwieweit E i n z e l personen durch G e s a m t b e z e i c h n u n g beleidigt werden können. Eine derartige Bezeichnung, wie die „Geistlichkeit Berlins" oder „die braunschweigischen Leutnants" mufs als genügend erachtet werden, s o b a l d durch sie einzelne Personen in erkennbarer Weise bezeichnet sind, mag es auch zweifelhaft bleiben, w e l c h e einzelne Person gemeint ist. 6 ) Dagegen würden a l l g e m e i n e Bezeichnungen, wie „die Juden", „die Deutschfreisinnigen", „die Börsianer", „die Professoren", nicht geeignet sein, eine Beleidigung zu begründen. III. Die Handlung. Beleidigung ist im allgemeinen jeder Angriff auf die Ehre eines andern. Dabei haben wir zu unterscheiden: 1. Die Ehrverletzung als Ausdruck der Nichtachtung (also des eigenen Unwerturteils). Sie umfafst: a) Das Absprechen des sittlichen und sozialen Werts (sei es mit, sei es ohne Anführung bestimmter ehrenrühriger Thatsachen), sowie das Absprechen der zur Ausübung des Berufs 6 ) So die gem. Meinung. Dagegen Frank 14. Abschn. II, Merkel 290, Schütze 355, Stenglein GS. 42 84, v. Wächter 388, welche die Beleidigungsfahigkeit in weiterem Umfange annehmen, während v. Bar 189 und Binding Grundrifs 2 56 sie ganz verneinen. ') R 30. September 93 23 247.

§ 95-

Geschichte und Begriff der Beleidigung.

erforderlichen geistigen Fähigkeiten. 7 )

wie

körperlichen Eigenschaften

355 und

b) Jedes andre die Nichtachtung zum Ausdrucke bringende Benehmen, so Schimpfworte und Thätlichkeiten (Realinjurien), grobe Scherze (Karikaturen, Verspottungen), schwere Unhöflichkeiten, die Zumutung unsittlicher Handlungen. Innerhalb der Ehrverletzung tritt die B e s c h i m p f u n g , gekennzeichnet durch die Roheit der Form und die Schwere der Nichtachtung 9 ), besonders hervor; sie kann durch Äufserungen wie durch andre Handlungen erfolgen. 2. Die Ehrgefährdung (Rufgefährdung) als die Behauptung unwahrer ehrenrühriger Thatsachen (Verleumdung und üble Nachrede). Dem Thun steht die U n t e r l a s s u n g (Nichtannahme der dargebotenen Hand, Nichterwiderung des Gruises) gleich, soweit das Thun als geboten (oben § 30) erwartet werden durfte. Der durch die Handlung bewirkte E r f o l g besteht darin, dafs ein anderer, sei es der Beleidigte, sei es ein dritter, von dem Ausdruck der Nichtachtung oder der ehrenrührigen Behauptung Kenntnis nimmt. In diesem Augenblicke tritt die V o l l e n d u n g ein. Bei Ubergabe eines Schriftstückes an die Post oder die Telegraphenanstalt oder an den Setzer darf weder ohne weiteres angenommen werden, dafs diese Personen den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis genommen haben, noch darf die thatsächlich erfolgte Kenntnisnahme als gleichgültig behandelt werden. Der V e r s u c h der Beleidigung ist denkbar, aber nicht strafbar. Die Beleidigung ist nur als vorsätzlich begangene nach geltendem Rechte strafbar. Der V o r s a t z besteht aber auch hier lediglich in der Kenntnis von der beleidigenden Bedeutung der Handlung. Eine darüber hinausgehende A b s i c h t (sogenannter animus injuriandi) ist nicht erforderlich. IV. Die allgemeinen Grundsätze über Rechtswidrigkeit ') Nicht die Kritik eiiizelner Leistungen. Ähnlich v. Bar 102, Frank § 185 II. Ganz abweichend Binding Grundrifs 2 59. 8) Vgl. R 2. Juni 96 28 403. Dagegen verlangt Beling Z 18 285 den Ausdruck niedriger Gesinnung. 23*

356

§ 65.

Geschichte und Begriff der BeleidigUDg.

und deren Wegfall (oben §§ 32 ff.) beanspruchen uneingeschränkte Geltung auch auf dem Gebiete der Beleidigung. Insbesondere wird durch die E i n w i l l i g u n g des Verletzten nicht die Rechtswidrigkeit der Beleidigung ausgeschlossen, da die Ehre kein verzichtbares oder veräufserliches Recht ist; 9 ) wohl aber wird es in diesem Falle zumeist an dem erforderlichen Vorsatze fehlen. War dagegen der Thäter zur Vornahme der Handlung berechtigt, so entfällt damit die Rechtswidrigkeit der Beleidigung. Der Gesetzgeber wollte in § 193 diese allgemeine Regel dem Richter gerade hier ins Gedächtnis rufen und zugleich durch Beispiele erläutern, hat aber eben dadurch die Rechtsprechung vielfach irregeführt. Sachlich hat die Sondervorschrift des § 193 die gleiche Wirkung, als wenn das Merkmal der Rechtswidrigkeit in den Thatbestand der Beleidigung ausdrücklich, und zwar schlechthin, aufgenommen worden wäre. (Vgl. oben § 41 Note 4.)' °) § 193 bestimmt: „ T a d e l n d e Urteile über wissenschaftliche, oder gewerbliche Leistungen,

ingleichen Äufserungen, w e l c h e

künstlerische

zur Ausführung

oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen

der Vorgesetzten gegen ihre

Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten eines Beamten und ähnliche F ä l l e sind n u r i n s o f e r n Beleidigung

aus

der

Form

der

welchen sie geschah, hervorgeht."

strafbar,

Äufserung u

Zu den im Gesetz erwähnten

als das Vorhandensein

oder

aus

den

Umständen,

einer unter

) „ähnlichen Fällen"

werden

beispielsweise

zu rechnen sein: die Erfüllung der Zeugenpflicht; die Ausstellung eines Dienstzeugnisses; tadelnde öffentlich

eine

Urteile

im

Glauben

militärische

stattfinden (Truppenschau,

der verantwortlichen

9)

guten

über

Minister);

erfolgende oder

Anzeige

amtliche

bei

Leistungen,

Schwurgerichtssitzung,

Mitteilungen

des

Arztes

der

Behörde;

soweit

diese

Geschäftsführung an

das

Familien-

D a g e g e n Binding 1 725, Hälschner 1 472, Meytr 524. § 193 mufs für den Thäter gegeben sein, w i r k t aber auch dann zu Gunsten der T e i l n e h m e r ; R 12. Juni 96 29 6. n ) Ähnlich schon das gemeine R e c h t . — Gegen die im T e x t vertretene Ansicht von der rein deklaratorischen Bedeutung des § 193 neuerdings Binding Grundrifs 2 65, v. Bülow 2 7 1 , Kronecker 495, 499, Merkel 294, Meyer 525 (abweichend von seiner früheren Ansicht), Spiecker 57, Wilhelm; auch Ueymann D i e Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 S t G B . Greifswalder Diss. 1S97, sowie Grommes (unten Note 16). R i c h t i g dagegen insbesondere v. Bar 170, Hälschner 2 184, Klöppel 448, Olshausen § 193 I sowie Kump. V g l . auch R 5. November 86 15 16. — Nach Fraa/s handelt es sich um einen F a l l der Interessenkollision; das überwiegende Interesse g i b t den Ausschlag. Ähnlich Frank § 193 III. 10)

§ 95-

Geschichte und Begriff der Beleidigung.

357

haupt über Krankheiten der Familienmitglieder; kaufmännische Auskünfte überhaupt und insbesondere Mitteilungen der sog. „Auskunftsbureaus" oder „Schutzgenossenschaften" an ihre Mitglieder über zahlungsunfähige oder säumige Schuldner'-) usw. D i e „Wahrnehmung berechtigter Interessen" d r i t t e r Personen fallt unter § 193 StGB., wenn und soweit der Handelnde zu der Wahrnehmung b e r u f e n w a r , wenn auch nicht gerade durch Rechtspflicht (sondern als Freund, Kollege, überhaupt aus sittlich gerechtfertigten Beweggründen), und wenn er die Äufserung zum Zwecke der Wahrnehmung dieser Interessen gemacht hat. 1 3 ) Ein besonderer Beruf der P r e s s e , fremde Interessen wahrzunehmen, kann nicht zugegeben werden; auch der Redakteur mufs durch persönliche Beziehungen zur Wahrnehmung berechtigt sein. E s ist jedoch (im Gegensatze zum Reichsgericht) daran zu erinnern: I. Dafs auch der Redakteur, wie jeder Staatsbürger, zur Wahrnehmung allgemeiner Interessen persönlich beufen i s t ; , 4 ) 2. dafs der allgemeine Zusatz „ähnliche F ä l l e " auch dort zutreffen kann, wo eine „Wahrnehmung berechtigter Interessen" geleugnet werden mufs. Durch die Schlufsworte des § 193 wird der ebenfalls selbstverständliche Grundsatz zum Ausdrucke gebracht, dafs mit jeder Überschreitung der Berechtigung nach Inhalt oder Form (wozu auch der T o n der Äufserung gehört) das Gebiet des rechtswidrigen Handelns wiederbetreten wird. Von der „Absicht zu beleidigen" ist aber auch in diesen Worten nicht die R e d e ; das Bewufstsein der Überschreitung genügt. 1 6 ) Selbstverständlich sollte es endlich sein, dafs § 1 9 3 , welcher überhaupt keinen neuen Rechtssatz ausspricht, auf a l l e Arten der Beleidigung, insbesondere auch auf die V e r l e u m d u n g Anwendung findet. Wenn auch eine B e r e c h t i g u n g zur Verleumdung nur ganz ausnahmsweise gedacht werden kann, so darf doch die Möglichkeit einer solchen grundsätzlich (man denke an einen Fall der Notwehr oder des Notstandes) nicht geleugnet werden. 1 9 ) 1 2 ) Übereinstimmend R 30. Juni 82 6 406, 20. März 84 10 3 6 1 ; Cordes G A . 2 8 4 1 6 , Ehrenberg HSt. 1 983, Gerlach in Conrads Jahrbüchern N . F . 2 0 126, Jakobi Die Krediterkundigung nach ihrer wirtschaftlichen und nach ihrer rechtlichen Seite. Diss. 1 8 9 1 , Olskausen § 193 6. 1 5 ) Übereinstimmend im allgemeinen R , zuletzt 9. April 97 3 0 4 1 , sowie v. Bülow. Weitergehend Kronecker 5 1 2 , Olshatisen § 193 2, Wilhelm, nach welchen die A b s i c h t des Thäters, berechtigte Interessen zu wahren, genügt. V g l . aber B G B . § 824 II. — Gegen die Berücksichtigung sittlicher Beweggründe Fraajs 41. 1J) R 2 1 . Mai 94 2 5 362 giebt zu, dafs der Redakteur als Gemeindeangehöriger ein individuelles Interesse an Gemeindeangelegenheiten haben kann. Aber warum nicht auch als Staatsbürger an allgemeinpolitischen Angelegenheiten ? 1 6 ) Dagegen R 5. Dezember 89 2 0 loo, 5. April 92 23 40 und dazu Frank Z 12 308. l ö ) Übereinstimmend R 7. Juni 87 16 1 3 9 ; Meyer 530, Olshausen § 193 2 sowie Grommes Bezieht sich der Schutz des § 1 9 3 StGB, auch auf den F a l l der verleumderischen Beleidigung? Erlanger Diss. 1897. Dagegen Binding Grundrifs 2 65, Hälschner 2 186.

358

§ 96.

§ 96.

Die Arten der Beleidigung.

Die Arten der Beleidigung.

I. Ehrverletzung (StGB. § 185) oder Beleidigung im eigentlichen Sinne ist der Ausdruck eigener Nichtachtung, mag er in der Form eines Urteils oder in der Form einer das Urteil in sich schliefsenden Thatsachenbehauptung, dem Betroffenen oder dritten gegenüber, erfolgen. 1 ) Die Äufserungen; „Du bist ein Betrüger" und „Er hat mich betrogen" sind strafrechtlich von durchaus gleicher Bedeutung. Immer aber mufs es sich um e i n U r t e i l d e s B e l e i d i g e n den s e l b s t , nicht nur um die Herbeischaffung der Grundlage für das Urteil andrer handeln. Darin liegt der Unterschied der Beleidigung im engern Sinn von der Rufgefährdung (Verleumdung und üblen Nachrede). Bei der Beurtheilung der Frage, ob ein Ausdruck der Nichtachtung vorliege, ist die Anschauungsweise der betreffenden Kreise, nicht etwa ein allgemeiner Mafsstab zu Grunde zu legen: die Bezeichnung eines Katholiken als Hugenotten, eines Protestanten als Papisten kann eine Beleidigung enthalten. S t r a f e : a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn mittels einer T h ä t l i c h k e i t , d. h. mittels eines unmittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriffes 2 ), begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Der verschiedene Vorsatz scheidet thätliche Beleidigung und Körperverletzung; ist (was wohl in der Regel der Fall sein dürfte) das Bewufstsein vorhanden, dafs die Handlung nach b e i d e n Richtungen hin von Erfolg sein werde, so gibt nach allgemeinen Grundsätzen (StGB. § 73) der höhere Strafsatz den Ausschlag.

II. Die Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede (StGB. § 186) oder das Behaupten oder Verbreiten von nicht erweislich wahren Thatsachen in Beziehung auf >) Die sog. bedingte Beleidigung („Wenn du das thust, bist du ein Schurke") ist entweder gegenwärtige unbedingte Ehrverletzung (Ausdruck des Mifstrauens in die Ehrenhaftigkeit) oder überhaupt nicht Beleidigung. Denn es ist fraglich, ob der heute Urteilende auch bei Eintritt der Bedingung an seinem Urteile noch festhält. V g l . dazu Knoblauch (Litt, zu § 1 0 0 ) 37. s ) Also gleichbedeutend mit dem „thätlichen Angriff". Übereinstimmend R 29. November 95 2 8 32; Baumgarten Versuch 411 Note 81, Frank § 185 V I , Meyer 523. Dagegen u. a. Olshausen § 94 II. Der fehlgehende Peitschenhieb ist vollendete thätliche Beleidigung wie der geraubte Kufs.

§ g6.

Die Arten der Beleidigung.

359

einen andern, welche diesen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet sind. Den Gegensatz bildet das Aussprechen des eignen, wenn auch auf Thatsachen gestützten Urteils. Die üble Nachrede ist mithin nicht Verletzung, sondern Gefährdung der Ehre (Rufgefährdung); nicht Ausdruck der Nichtachtung, sondern Mitteilung der thatsächlichen Grundlage, welche a n d r e zur Nichtachtung veranlassen kann. 3 ) Sie kann daher nicht g e g e n ü b e r dem Betroffenen, 4 ) sondern nur i n B e z u g auf ihn dritten Personen gegenüber begangen werden; und sie ist v o l l e n d e t mit der Behauptung oder Verbreitung der Thatsache, d. h. sobald die Thatsache zur Kenntnis einer dritten Person gebracht ist. Daher ist ferner — im Gegensatze zu dem oben unter I Gesagten — nicht die Anschauung derjenigen Kreise, für welche die Äufserung zunächst berechnet ist, sondern die des unbefangen urteilenden Publikums mafsgebend. T h a t s a c h e ist hier wie beim Betrug (StGB. § 263; vgl. auch StGB. § 131) im Gegensatze zu Urteilen, Meinungen, A n sichten des Behauptenden alles, was der Gegenwart oder der Vergangenheit, nicht aber was der Zukunft angehört. Dabei sind die Behauptungen des Beleidigers mafsgebend; auch etwas Unmögliches kann als Thatsache hingestellt werden. Vorgänge der Aufsenwelt wie im Innern des Beleidigten gehören hierher; den physischen Thatsachen stehen psychische, wie Eigenschaften, Ansichten und Absichten (z. B. gewinnsüchtige A b sicht) des Beleidigten, durchaus gleich. B ) Die Thatsache ist b e h a u p t e t , wenn sie als Gegenstand eignen Wissens hingestellt wird; sie ist v e r b r e i t e t , wenn sie sonst einem andern mitgeteilt wird. Der Ausdruck „Verbreitung" bedeutet also 3 ) Ebenso Merkel 287, 290. Dagegen Gabler 32, Geyer 2 37, Kronecker GS. 3 8 488, Meyer 515, Olshausen § 186 I, v. Volkmann 29. Die §§ 185 einerseits, 186 und 187 anderseits schliefsen sich nach meiner Auffassung mithin gegenseitig aus. Der Vorwurf einer ehrenrührigen Handlung, dem Betroffenen unter vier Augen und ohne den Ausdruck des eigenen Unwerturteils, bleibt mithin straflos. Vgl. auch unten Note 7. 4 ) Ebenso R, insbesondere 30. November 82 7 285, 7. Juli 96 2 9 40. Dagegen Bind mg Grundrifs 2 68. 5 ) Dagegen Hälschner 2 191, Merkel 292. Auch Frank § 186 I verlangt, dafs die inneren Thatsachen im Zusammenhang mit einem bestimmten Vorgange behauptet werden. Übereinstimmend die gem. Meinung, auch R, zuletzt 9. Oktober 93 2 4 300 (für StGB. § 131).

§ 96.

3is zu zwei Jahren.

§ 147.

5. Die Sachhehlerei (Partiererei).

I i i t t e r a t u r . Villnow (Litt, zu 129). Gretiner Begünstigung und Hehlerei in historisch-dogmatischer Darstellung 1879. Merkel HH. 3 735, 4 419. Waldthausen GA. 29 375. Hälschner 2 859, 887. Hetmberger (Litt, zu § 49). Sü/sheim Die Begünstigung. Erlanger Diss. 1898. I. Erst das s p ä t r ö m i s c h e Recht hat, wenn wir von der auf das triplum gehenden actio furti concepti absehen, die Sachhehlerei, das crimen receptatorum, („pessimum genus hominum, sine quibus nemo latere diu potest") als selbständiges Vergehen mit Strafe bedroht (D. 47, 16) und darunter sowohl das Hehlen der durch Diebstahl oder Raub erlangten Sachen als auch das Verbergen des Verbrechers verstanden. Das d e u t s c h e M i t t e l a l t e r stellt den Hehler dem Stehler gleich, ohne ein selbständiges Verbrechen der Sachhehlerei zu kennen. Infolgedessen schweigt denn auch die PGO. in ihrem strafrechtlichen Teile über die Hehlerei, führt aber in Art. 40 unter den Verdachtsgründen gegen jene, „so Räubern oder Dieben helfen", auch den Fall an, dafs „einer wissentlich und gefährlicherweise von geraubtem oder gestohlenem Gute Beute oder Teil nimmt". Im g e m e i n e n R e c h t und der auf diesem beruhenden L a n d e s g e s e t z g e b u n g wird zumeist (anders z. B. Preufsen 1620, Österreich 1 7 8 7 , welche den Ankauf gestohlener Sachen als selbständiges Vergehen behandeln) die Sachhehlerei mit der Begünstigung zusammen als Fall der Teilnehmung an dem begangenen Vermögensvergehen aufgefafst (so auch im A L R ) . Die Strafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts sind bemüht, einerseits die Begünstigung von der Hehlerei zu trennen, anderseits beiden Verbrechen die •hnen zukommende Stellung im Systeme des besondern Teiles anzuweisen. Diese Bemühungen, welche von der stets (insbesondere in Bezug auf die Auffassung der Begünstigung) schwankenden Wissenschaft nur ungenügend unter-

§ 147-

5- Die Sachhehlerei (Partiererei).

tj 1 1

stützt wurden, haben bisher nicht zum Ziele geführt. Auch das RStGB. hat in durchaus ungerechtfertigter Abweichung von dem preufsischen StGB, nicht nur Begünstigung und Sachhehlerei in einunddemselben Abschnitte zusammengefafst, sondern auch durch Aufstellung des ganz mifslungenen Zwitterbegriffes der einfachen Hehlerei (StGB. § 258) beide Vergehungen in eine unnatürlich nahe innere Verbindung gebracht. Im Gegensatz dazu mufs als Grundgedanke sowohl der Gesetzgebung als auch der Wissenschaft festgehalten werden: dafs Begünstigung als Verbrechen gegen die R e c h t s p f l e g e (unten § 183) und Sachhehlerei als Verbrechen gegen das V e r m ö g e n an durchaus verschiedenen Stellen des Systems ihren Platz einzunehmen haben.

II. Nach § 25g besteht die Sachhehlerei darin, dafs der Thäter seines Vorteils wegen Sachen, von denen er w e i f s oder den Umständen nach annehmen mufs, dafs sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfände nimmt oder sonst an sich bringt oder zu deren Absätze bei andern mitwirkt. Demnach erscheint die Sachhehlerei als A u f r e c h t e r h a l t u n g , in den meisten Fällen sogar als Vertiefung und Sicherung e i n e r r e c h t s w i d r i g e n V e r m ö g e n s l a g e ; sie tritt zu einer bereits erfolgten Vermögensbeschädigung 1 ) hinzu, setzt diese begrifflich voraus,, bringt aber den dem Berechtigten entzogenen Vermögensgegenstand in noch weitre Entfernung von seiner Verfügungsgewalt. 1. Ihr Gegenstand sind Sachen, welche mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind. Also S a c h e n (nicht Rechte), gleichgültig ob bewegliche oder nicht, ob fremde oder nicht; Hehlerei ist auch möglich in Bezug auf die Sache,, welche der Eigentümer dem Rückhaltungsberechtigten entzogen hat. Gegenstand der Hehlerei sind ferner nur jene S a c h e n s e l b s t , welche unmittelbar durch die betreffende strafbare Handlung erlangt wurden, mögen sie auch einer Bearbeitung unterzogen worden sein; 2 ) nicht aber andre an deren Stelle getretene Sachen oder der aus ihnen gewonnene Erlös. Die Sachen müssen mittels einer s t r a f b a r e n Handlung,, sei diese auch nur eine Übertretung, erlangt sein. Die strafbare •) Das "Wort im w eiteren Sinne (oben S. 439) genommen, da es sich auch um w e r t l o s e gestohlene Sachen handeln kann. 9 ) Also z. B. der Rock, den sich der Dieb aus einem gestohlenen Kleiderstoff hat anfertigen lassen; R. 5. Juni 94 25 402.

512

§ 147-

5- D i e Sachhehlerei (Partiererei).

Handlung kann Eigentumsverletzung oder irgend ein andres Vermögensvergehen sein. Die strafbare Handlung mufs das M i t t e l gewesen sein, durch welches die Sachen erlangt wurden; sie mufs daher als vollendete Handlung der Sachhehlerei vorangegangen sein, den Sachen den ihnen anhaftenden Makel bereits eingeprägt haben. Wird erst durch den Verkauf der Sache Unterschlagung begangen, so ist der Kaufende nicht Hehler, sondern Gehilfe. Ist die Sache durch ein Antragsvergehen erlangt worden, so haben wir die Bedeutung des Antrages als einer Prozefsvoraussetzung im Auge zu behalten (oben § 45). Wenn auch der Antrag nicht gestellt oder wenn er zurückgenommen wurde, so liegt doch eine strafbare, wenn auch nicht verfolgbare, Handlung vor; die durch sie erlangten Sachen können mithin Gegenstand der Sachhehlerei sein. War die Handlung von einem Schuldunfähigen begangen, so kann, weil sie eine „strafbare" nicht ist, nicht Hehlerei, wohl aber gegebenenfalls Unterschlagung angenommen werden. 3 ) Dasselbe gilt bei Strafaufhebungsgründen (z. B. Verjährung). Dagegen wird der Begriff der Hehlerei durch das Vorliegen eines persönlichen Strafausschliefsungsgrundes (z. B. Diebstahls zwischen Ehegatten, oben § 44 II) nicht berührt. Die Sachen erscheinen nicht als m i t t e l s einer strafbaren Handlung erlangt, wenn die Handlung, durch welche sie erlangt wurden, z w a r an s i c h , nicht aber in B e z u g a u f d i e E r l a n g u n g von Sachen durch sie strafbar ist, wenn also der Thäter durch die Handlung das Eigentum an der Sache erlangt hat. Dies gilt vom Betteln, der gewerbsmäfsigen Unzucht, der Schmuggelei, von der Jagdausübung durch den Jagdberechtigten während der Schonzeit usw. Zu dem gleichen Ergebnisse führt auch die Erwägung, dafs das Wesen der Sachhehlerei in der Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Vermögenslage besteht, von einer solchen aber hier nicht gesprochen werden kann. 2. Die Handlung besteht darin, dafs der H e h l e r dem 3 ) Das gilt auch von dem Strafunmündigen (vgl. aber oben § 38 N o t e 3). Ebenso Binding Normen 2 572 und Grundrifs 2 210, Herbst GA. 2 8 120, Meyer 6li. Dagegen Olshausen § 259 3, auch R. 6. Juni 82 6 336, 17. D e zember 88 18 298.

§ 147-

5- Die Sachhehlerei (Partiererei).

513

Berechtigten die Wiedererlangung erschwert oder unmöglich macht. D a s Gesetz zählt die unter diesen Begriff fallenden Handlungen ausschliefsend auf: a. D a s „Verheimlichen" (oben § 137 Note 3), durch welches (so durch Verarbeitung des gestohlenen Stoffes) dem Berechtigten die Auffindung erschwert oder unmöglich gemacht wird; b. das „Ansichbringen" durch Ankauf, in Pfand nehmen oder auf eine andre A r t , durch Welche der Hehler die Verfügungsgewalt v o m Thäter übertragen erhält; c. das „Mitwirken zum A b s a t z " bei andern 4 ), d. h. zur wirtschaftlichen Veräufserung durch Verkauf, Tausch, Verpfandung usw., m a g der Absatz auch nicht erfolgt sein. A l s „ A n sichbringen" ist auch das s i n n l i c h e G e n i e f s e n (Essen, Trinken) der erlangten Sachen aufzufassen, wenn der Genieisende die thatsächliche Verfügungsgewalt über die Sache erlangt hatte. 3. Die Sachhehlerei mufs um des eignen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vorteils des Hehlers willen vorgenommen sein. V e r m ö g e n s v o r t e i l wird nicht gefordert (oben § 108 N o t e 7). Die A b s i c h t kann a u c h auf Begünstig u n g des Thäters gerichtet gewesen sein; dann ist Konkurrenz von Hehlerei und Begünstigung anzunehmen. 5 ) 4. Die Sachhehlerei gangen werden:

kann vorsätzlich

oder fahrlässig be-

a) D e r V o r s a t z mufs das Bewufstsein umfassen, dafs die S a c h e durch eine s t r a f b a r e Handlung erlangt ist. b) A u c h die f a h r l ä s s i g e Sachhehlerei ist strafbar. A b e r nicht jede, anderseits nicht nur die g r o b e Fahrlässigkeit fallt unter das Gesetz, sondern nur ein ganz bestimmter Fall des fahrlässigen Verhaltens: „wenn der Thäter den Umständen nach annehmen mufs, dafs die Sache durch eine strafbare Handlung erlangt ist". D i e Fahrlässigkeit mufs sich also gerade auf den Ürsprung der verhehlten Sache beziehen. 6 ) 4 ) Dieser Andere kann auch der Beschädigte selbst sein, der z. B. die ihm gestohlene Sache nicht erkennt; R 29. November 97 30 401. 6 ) Ebenso R 25. September 97 30 268. a

) Vgl.

oben

§

42 V .

Ebenso

Frank

§

259 I V ,

Meyer

612,

Seußert

Z 14- 593. Die herrschende Ansicht sieht in den fraglichen Worten eine R e g e l f ü r d e n N a c h w e i s d e s V o r s a t z e s (also eine widerlegliche Schuldvermutung); so R. 29. September 81 7 85, 10. April 94 25 221, und Olskaasen von L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

33

§ 147-

514 5.

5- Die Sachhehlerei (Partiererei).

Die Sachhehlerei ist v o l l e n d e t ,

Gesetze angeführten Thätigkeiten

sobald

eine der im

gesetzt ist, sobald die S a c h e

e i n e n weitern Schritt aus dem Machtbereiche des Berechtigten gemacht hat.

Wenn also A eine gestohlene S a c h e am 1. Januar

in Frankreich a n g e k a u f t und am r. Juli in Deutschland weiter verkauft

hat, so kann er nur w e g e n j e n e s Ankaufes,

nicht

wegen d i e s e s Verkaufes zur Verantwortung

gezogen werden.

D o c h können

derselben

andere

Personen

hinsichtlich

Sache

sich weiterer Hehlerei schuldig machen. 6.

Bezüglich der T h ä t e r s c h a f t

gelten die allgemeinen Grundsätze.

und

der

Teilnahme

D a die Hehlerei nicht Teil-

nahme, sondern selbständig strafbare Handlung ist, müfste auch an sich strafbare Teilnahme des an teiligten

an

der Sachhehlerei

dem

als möglich

Vorverbrechen

Be-

angesehen werden.

D a g e g e n erscheinen Verheimlichung und A b s a t z (nicht der A n kauf) der S a c h e

durch

den Erstthäter

selbst und seine Teil-

nehmer in allen Fällen der rechtswidrigen

Zueignung

als V e r -

wirklichung eines zum Begriff des Vorverbrechens wesentlichen Merkmals und somit (oben § 5 5 II 4 b) als straflos. III. D i e S t r a f e . 1. Bei e i n f a c h e r Sachhehlerei (StGB. § 259): Gefängnis. 2. Bei g e w e r b s - o d e r g e w o h n h e i t s m ä f s i g e r (oben S. 242) Sachhehlerei (StGB. § 260): Zuchthaus bis zu zehn Jahren. 3. Bei S a c h h e h l e r e i i m z w e i t e n R ü c k f a l l e (StGB. § 261): a) Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre, wenn sich die letzte Handlung auf einen schweren Diebstahl (StGB. § 243), einen Raub oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Verbrechen (räuberischen Diebstahl, räuberische Erpressung) bezieht; doch mufs der Sachhehler wissen, dafs das Vorverbrechen diese Eigenschaft an sich trägt; b) in allen andern Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. In Bezug auf die V o r s t r a f e n stehen Partiererei und Hehlerei (StGB, § 258) einander gleich. Vgl. im übrigen oben § 57 I. In allen Fällen (1 — 3) ist neben der Gefängnisstrafe Ehrverlust und neben jeder Verurteilung Polizeiaufsicht zulässig (StGB. § 262J. 4. Eine der Sachhelilerei verwandte Übertretung bedroht StGB. § 370 § 259 21. Unbestimmten Vorsatz verlangen Schützt 461 Note 14, v. Schwarze GS. 23 394, Waldthausen GA. 29 408. Grobe Fahrlässigkeit ist erforderlich nach Merkel HH. 4 430 und R. 28. April 80 2 140. Jede Fahrlässigkeit soll genügen nach v, Buri GS. 20 51, Merkel 327.

§ 148.

Gemeingefährliche Verbrechen.

Allgemeines.

5j 5

Zift 3. Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft trifft denjenigen, der von einem zum Dienststande gehörenden Unteroffizier oder Gemeinen des Heeres oder der Marine ohne schriftliche Erlaubnis des vorgesetzten Kommandeurs Montierungs- oder Armaturstücke kauft oder zum Pfände nimmt. Hehlerei ist (nach § 73) anzunehmen, wenn die Gegenstände nicht Eigentum des Verkaufenden oder Verpfändenden sind.

Fünfter Abschnitt.

Die dureh das Mittel des Angriffs gekennzeichneten Vergehungen. 1 ) I. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Reichsstrafgesetzbuchs. § 148.

Allgemeines.

L i t t e r a t u r . Schaper H H . 3 859. Hähchner 2 593. Siebenhaar Z 4 245. Kotering GA. 31 266. Ferner Litt, zu § 28.

I. Das RStGB. hat nach dem Vorbilde des preufsischen ALR.s und des sächsischen StGB.s von 1838 im 27. Abschnitte des II. Teils eine gröfsere Anzahl von strafbaren Handlungen unter der Bezeichnung „Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" zusammengestellt. Diese Handlungen weisen im allgemeinen dasselbe kennzeichnende Merkmal auf: die Gemeingefahrlichkeit; aber nähere Betrachtung zeigt uns, dafs einerseits die einzelnen hierher gehörigen Vergehungen jenem Merkmale gegenüber in wesentlich verschiedener Weise sich verhalten, dafs anderseits dasselbe Merkmal auch bei andern, in diesen Abschnitt nicht aufgenommenen Verbrechen (z. B. StGB. § 366 Ziff. 2) wiederkehrt ; dafs also die Bezeichnung „Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" nur bei unbedingtem Festhalten an der Sprach*) Die Rechtfertigung dieser systematischen Gruppe ergibt sich aus dem oben SS. 187 und 309 Gesagten. Über die Unmöglichkeit, die „Fälschungsverbrechen" als besondere Gruppe aufrecht zu erhalten, vgl. unten § 158 Note 2. 33*

§ 148.

Gemeingefährliche Verbrechen.

Allgemeines.

weise des G e s e t z e s einen festbegrenzten Inhalt umschliefst. E s empfiehlt sich demnach aus praktischen Gründen, die genannte Bezeichnung auf die im 27. Abschnitte des StGB.s aufgeführten Falle zu beschränken, anderseits aber auch auf alle diese Fälle zu erstrecken. II. Nach dem Gesagten ist eine einheitliche Auffassung aller hierher gehörenden Verbrechen unmöglich. Wohl aber werden wir von den vorbildlichen Fällen ausgehend die Eigenart der Gruppe zu bestimmen berechtigt sein. Als typische Fälle aber stellen sich uns Brandstiftung und Überschwemmung dar. Sie kennzeichnen sich als E n t f e s s e l u n g d e r N a t u r k r ä f t e , welchen sonst eine hervorragende Rolle im Dienste der Menschheit und ihrer Zwecke zukommt, zur Verwirklichung gesellschafts- und menschheitsfeindlicher Bestrebungen (oben S. 187). Wer die Naturkraft aus ihren Fesseln entläfst, der kann ihr die Grenzen ihrer Ausbreitung nicht vorzeichnen, die Folgen nicht abwägen, welche seine Handlung mit sich bringt: die entfesselte Naturkraft spottet seiner Macht wie seiner Vorhersicht. In diesem Unbegrenzbaren und Unabsehbaren wurzelt der Begriff der G e m e i n g e f a h r , welcher den 27. Abschnitt des RStGB.s zusammenhält. Daraus erklärt sich auch die geschichtliche Thatsache, dafs der Umfang und Inhalt dieser Gruppe mit den Erfindungen und Entdeckungen wechselt und sich mehrt. III. Der Begriff der Gemeingefahr erfordert nach dem Gesetz : 1. G e f ä h r d u n g , in dem oben S. 1 1 7 entwickelten Sinne. 2. Gefahrdung von L e i b und L e b e n oder des V e r m ö g e n s . Es entspricht dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der Gesetzgebung nicht, auch z. B. die Prefsvergehen als ge-. meingefährliche zu bezeichnen, obwohl diese Bezeichnung logisch wie rechtlich durchaus zutreffend wäre. 3. G e m e i n g e f ä h r d u n g , d. i. Herbeiführung eines Zustandes, in welchem nicht blofs e i n einzelner bestimmter Träger oder m e h r e r e , nach Zahl und Individualität bestimmte Träger der genannten Rechtsgüter, sondern ein n i c h t i n d i v i d u e l l b e s t i m m t e r u n d b e g r e n z t e r P e r s o n e n k r e i s als gefährdet erscheint. Gemeingefahr für Leib und Leben mufs daher auch dann angenommen werden, wenn feststeht, dafs die Verletzung

§ 149-

Brandstiftung und Überschwemmung.

nur einem einzigen Menschen oder nur einer beschränkten Zahl von Menschen droht, diese Personen aber nicht i n d i v i d u e l l bestimmt sind. Soweit es sich um Gemeingefahr für fremdes E i g e n t u m handelt, bedarf die Begriffsbestimmung einer Umgestaltung; Gemeingefahr bedeutet in diesem Falle Gefahr für einen n i c h t i n d i v i d u e l l b e s t i m m t e n u n d b e g r e n z t e n K r e i s v o n S a c h e n , mögen diese auch einunddemselben Eigentümer gehören. IV. Das genannte Merkmal wird nun aber vom Gesetzgeber in doppelter Weise zur Bildung der einzelnen Verbrechensbegriffe verwertet. 1. Bei manchen Verbrechen ist die r e g e l m ä f s i g e , wenn auch im einzelnen Falle n i c h t vorliegende, Eigenart der Handlung für die Strafdrohung des Gesetzgebers mafsgebend; dann ist die Gemeingefährlichkeit nicht Begriffsmerkmal, die Handlung mithin auch gar nicht Gefährdungsverbrechen, sondern polizeiliches Unrecht (oben § 31 Note 3). Beispiel: Die Brandstiftung (soweit sie nicht als Sachbeschädigung Verletzungsverbrechen ist). 2. In andern Fällen hat der Gesetzgeber die Gemein"gefahrlichkeit, wie bei der Überschwemmung, zum B e g r i f f s m e r k m a l erhoben und somit ihr Vorliegen im e i n z e l n e n F a l l e zur unerläfslichen Voraussetzung für die Möglichkeit der Verurteilung und Bestrafung gemacht.

§ 149.

I. Brandstiftung und Überschwemmung.

L i t t e r a t u r . v. Wächter De crimine incendii 1833. Osenbrüggen Die Brandstiftung 1854. Ulimann GS. 30 589. Uälschner 2 606. Pape Versuch und Vollendung bei der Brandstiftung. Hallische Diss. 1889. — Kohler Studien 4 410. Günther 1 127. Brunner 2 654. — Vgl. auch v. Spefshardt (Litt, zu § HO). I. G e s c h i c h t e . Die B r a n d s t i f t u n g ist weitaus das älteste aller gemeingefährlichen Vergehen. Schon das angebliche Zwölftafelgesetz erklärte (1. 9 D. 47, 9): „Qui aedes acervumve frumenti juxta domum positum combusserit, vinctus verberatus igni necari jubetur." Dennoch ist es zweifelhaft, ob wir mit Bezug auf das r ö m i s c h e R e c h t von einem selbständigen Verbrechen der Brandlegung sprechen dürfen. Die Lex Cornelia de sicariis stellte die mörderische Brandlegung unter die Tötungsfalle (oben S. 315), und auch die Kaiserzeit ist über diese Auffassung wohl kaum hinausgekommen, obwohl

5I8

§ 149-

i . Brandstiftung und Überschwemmung.

sie (1. 28 § 12 D. 48, 19) die Erregung eines Brandes innerhalb der Stadt, das Anzünden einer casa oder villa hervorhebt und die „messium per dolum incensores vinearum olivarumque" mit aufserordentlicher Strafe belegte. Das d e u t s c h e R e c h t , welches von j e her die Brandstiftung als selbständiges Verbrechen aufgefafst hatte, unterschied zwischen der heimlichen, diebischen Brandlegung, dem M o r d b r a n d , und dem offenen (gewaltsamen) Waltbrand. Noch der Sachsenspiegel verfügte (2 13, 4 und 5): „Mordbrenner soll man radebrechen; wer den Mann brennt ohne Mordbrand, dem soll man das Haupt abschlagen", während die oberdeutschen Quellen zumeist den Feuertod verhängen. Die PGO. begnügte sich (Art. 125) mit der kurzen Erklärung: „Die boshaften überwundenen Brenner sollen mit dem Feuer vom Leben zum Tod gerichtet werden." Das g e m e i n e R e c h t nahm trotz Carpzovs Widerspruch (ihm folgt u. a. Österreich 1768) die Unterscheidung von Mordbrand und einfacher Brandstiftung, wenn auch mit schwankender Abgrenzung, wieder auf (so Hamburg 1603, Preufsen 1620, Österreich 1656), betonte aber mehr und mehr den Gesichtspunkt der gemeinen Gefahr (Engau, Koch, Böhmer', contra securitatem publicam, ignis periculosa). *) Auch die n e u e s t e G e s e t z g e b u n g weist bedenkliche Schwankungen auf, die sich insbesondere in der Verwertung des Begriffs der Gemeingefährlichkeit äufsern.

II. Brandstiftung ist die gänzliche oder teilweise Zerstörung einer Sache durch Verbrennen, also durch die von der Naturkraft des Feuers hervorgerufene Hitze. Sie unterscheidet sich durch ihre Gemeingefährlichkeit von der S a c h b e s c h ä d i g u n g . Aber nicht jede im einzelnen Falle gemeingefährliche Sachbeschädigung durch Brandlegung ist Brandstiftung im Sinne des Gesetzgebers; dieser hat vielmehr die Fälle der gemeingefährlichen Brandstiftung ausschliefsend aufgezählt und damit die Untersuchung nach dem Vorliegen jenes Merkmales im Einzelfalle ein für allemal abgeschnitten.2) Die Brandstiftung ist v o l l e n d e t , sobald nicht nur der Zündstoff in Brand gesetzt, sondern das Feuer a u s g e b r o c h e n ist, d. h. sobald sich das Feuer über den Zündstoff hinaus in einer solchen Weise mitgeteilt hat, dafs sein selbständiges Weiterbrennen auch nach Entfernung des Zündstoffes als möglich erscheint. Dafs eine „Flamme" entstanden, ist nicht erforderlich; auch Weiterkohlen, Weiterglimmen usw. genügt. ') Über die Verbrennung der Brandstifter (noch A L R . 1512) vgl. Günther Sie wurde noch 1804 in Eisenach vollzogen. s ) Die Strafdrohungen gegen Sachbeschädigung sind daher anzuwenden, soweit sie schwerer sind (StGB. § 73).

2 37.

§ 149-

I. Brandstiftung und Überschwemmung.

5x9

Die t h ä t i g e R e u e (oben S. 292) ist als Strafaufhebungsgrund anerkannt (StGB. § 310) und über den Versuch auf die Vollendung ausgedehnt. Sie liegt vor, wenn der Thäter den Brand wiedergelöscht hat, bevor dieser entdeckt und ein weitrer als der durch die blofse Inbrandsetzung bewirkte Schaden entstanden ist. E i g n e Thätigkeit des Schuldigen ist erforderlich; dagegen sind die Mittel gleichgültig, deren er sich zur Löschung bedient: insbesondere genügt das Herbeiholen fremder Hilfe. Die Wirkung des Strafaufhebungsgrundes kommt j e d e m Beteiligten (Thäter oder Teilnehmer) zu gute, in dessen Person er vorliegt, aber auch n u r ihm (oben § 74 I). III. D i e A r t e n der Brandstiftung. 1. V o r s ä t z l i c h e Brandstiftung mit (abstrakter) Gemeingefahr für das Leben. E i n f a c h e r F a l l (StGB. § 306). Brandstiftung an a) einem zu gottesdienstlichen Versammlungen (oben S. 416) bestimmten Gebäude (oben S. 452); b) einem Gebäude, einem Schiff oder einer Hütte, die, wenn auch nicht dazu bestimmt, zur Wohnung (oben S. 419) von Menschen (nicht nur des Thäters) dienen, wenn auch im Augenblicke der That keine Menschen sich darin befanden; c) einer Räumlichkeit, die zeitweise zum Aufenthalte von Menschen dient, zu einer Zeit, während welcher Menschen in ihr sich aufzuhalten pflegen (wenn auch thatsächlich im Augenblicke der That keine Menschen sich darin befanden). Der Vorsatz des Thäters mufs die in Ziff. 1 bis 3 hervorgehobenen Merkmale mit umfassen. S t r a f e : Zuchthaus.

S c h w e r e r F a l l (StGB. § 307). Er liegt vor: a) Wenn der Brand den Tod eines Menschen dadurch verursacht hat, dafs dieser zur Zeit der That in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand.3) Schuld in Beziehung 3) Darin liegt eine nicht unwesentliche Einschränkung des allgemeinen Ursachenbegriffs (oben § 29 II). Dafs der Tod durch die Brandstiftung überhaupt verursacht worden ist, genügt nicht; sondern gerade die dem Thäter bekannte (dagegen Binding, Frank) A n w e s e n h e i t in der Räumlichkeit zur Zeit der That, mufs die Ursache des eintretenden Todes gewesen sein. Dies ist z. B. der Fall, wenn einer der Anwesenden durch einen Sprung aus dem Fenster, durch Schrecken usw. ums Leben kommt; nicht aber, wenn jemand

520

§ 149-

I- Brandstiftung und Überschwemmung.

auf den eingetretenen Erfolg ist nicht erforderlich; wenn gegeben, liegt Konkurrenz mit §§ 211 bis 222 vor. b) Wenn die Brandstiftung in der Absicht (gleich Beweggrund) begangen worden ist, um unter ihrer Begünstigung Mord (211) oder Raub (also StGB. §§ 249—251, nicht 252 oder 255) zu begehen oder einen Aufruhr zu erregen. Wirkliche Ausführung der Absicht begründet eine neue, selbständige Handlung. c) Wenn der Brandstifter, um das Löschen des Feuers zu verhindern oder zu erschweren, Löschgerätschaften entfernt oder unbrauchbar gemacht hat. Nicht hierher gehört das Trunkenmachen der Löschmannschaften, das Auslaufenlassen von Wasser usw. haus.

S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches ZuchtV e r s u c h ist nach allgemeiner Regel (oben § 46 Note 8) möglich.

2. Vorsätzliche Brandstiftung mit (abstrakter) Gemeingefahr für Eigentum oder L e b e n (StGB. § 308). Sie liegt vor, wenn Gebäude, Schiffe, Hütten, Bergwerke, Magazine, Warenvorräte, welche auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Bau- oder Brennmaterialen, Früchte auf dem Felde, Waldungen oder Torfmoore in Brand gesetzt werden und diese Gegenstände entweder a) fremdes Eigentum sind (sog. „unmittelbare Brandstiftung"), sodafs nicht nur bei Einwilligung des Eigentümers, sondern auch bei Inbrandsetzen von herrenlosen Sachen, z. B. von verlassenen Gebäuden, Strailosigkeit angenommen werden mufs (wenn nicht untauglicher Versuch vorliegt), oder b) zwar dem Brandstifter eigentümlich gehören, jedoch ihrer Beschaffenheit und Lage 4 ) nach geeignet sind, das Feuer einer der im § 306 Nr. 1 — 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vorstehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen (sog. „mittelbare Brandstiftung"). bei Löschungs-, Rettungs- oder Bergungsversuchen, die ihn nach der That in die Räumlichkeit geführt oder zurückgeführt haben, den Tod findet. 4 ) unter Berücksichtigung der konkreten Umstände (Windrichtung). Dagegen Frank § 308 I, Olshauscn § 308 6.

§ 149-

Brandstiftung und Überschwemmung.

521

S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. — Thäter kann auch ein Miteigentümer sein. 3, F a h r l ä s s i g e nur,

wenn

in der

Branderregung in den §§ 3 0 6

(StGB.

und 3 0 8

§

309),

strafbar

bezeichneten

Art

herbeigeführt. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark; wenn durch den Brand der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Neben Zuchthaus Polizeiaufsicht zulässig (StGB. § 325). 4. D e r gänzliche

Brandstiftung ist gleichgestellt

oder teilweise Z e r s t ö r u n g

(StGB. § 3 1 1 )

einer S a c h e durch

die den

G e b r a u c h von P u l v e r oder anderen explodierenden Stoffen (Sprengstoffen). 5 )

D o c h findet § 3 1 0 S t G B , (nach seiner Stellung)

hier keine A n w e n d u n g . IV. Die

Überschwemmung.

Sie ist als besonderes Verbrechen der PGO. sowie dem gemeinen Recht fremd. Nur vereinzelt (so Kurpfalz 1582) wird sie in den Landesgesetzen als solches behandelt. Erst die neuere Gesetzgebung (schon ALR. 1571) stellt sie. von dem Gesichtspunkte der Gemeingefahr ausgehend, neben die Entfesselung der Naturkraft des Feuers. Ü b e r s c h w e m m u n g ist die E n t f e s s e l u n g der N a t u r k r a f t des W a s s e r s .

Es

genügt

demnach nicht j e d e s Überströmen

oder Überrieseln usw., sondern es mufs gefordert werden, dafs d e r T h ä t e r die B e h e r r s c h u n g der v o n ihm wachgerufenen Naturkraft nicht m e h r in seiner Hand hat. Das gefahr

RStGB.

in

D a h e r mufs

den

hat

demgemäfs

Begriff

der

das V e r s c h u l d e n

das M e r k m a l

Überschwemmung des T h ä t e r s

der

Gemein-

aufgenommen.

(Vorsatz

wie F a h r -

6

lässigkeit) auch dieses M e r k m a l umfassen. ) Strafen: I. Bei v o r s ä t z l i c h e r

Überschwemmung.

6 ) Vgl. unten § 156. S p r e n g s t o f f e sind Stoffe, deren Entzündung eine gewaltsame Ausdehnung von Flüssigkeiten oder Gasen und damit die Zerstörung ihrer Umhüllung bewirkt. Nicht Stoffe, die anders als durch Entzündung explodieren; also nicht der Wasserdampf. Vgl. R. 21. Januar 92 22 304. Zahlreiche Strafdrohungen gegen feuergefährliche Handlungen im 29. Abschnitt des StGB.s. So §§ 367 Ziff. 4—6, 368 Ziff. 3—8, 369 Ziff. 3. 6 ) Übereinstimmend Bindmg Normen 2 580, Frank § 3 1 2 IV, Hälschner 2 638, Meyer 699; abweichend wegen der Stellung des Wortes „vorsätzlich" Olshausen § 312 5.

522

§ '5°-

Delikte gegen den Eisenbahn- und Telegraphenbetrieb.

a) Mit Gemeingefahr (im einzelnen Fall) für M e n s c h e n l e b e n (StGB. § 312): Zuchthaus nicht unter drei Jahren; wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen (wenn auch nicht durch Ertrinken) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Der Versuch des schwerern Falles ist unter den bekannten Voraussetzungen (oben § 46 Note 8) möglich. b) Mit Gemeingefahr (im einzelnen Falle) für das E i g e n t u m (StGB. § 313): Zuchthaus; wenn die Absicht des Thäters (im engern technischen Sinn) nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet gewesen, Gefängnis nicht unter einem Jahre. Der Versuch bleibt straflos (oben S. 112). 2. Bei f a h r l ä s s i g e r Überschwemmung mit Gemeingefahr (im einzelnen Fall) für Leben oder Eigentum (StGB. § 314): Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Neben Zuchthaus ist in beiden Fällen Polizeiaufsicht zulässig (StGB. § 325).

§ 150.

2. Strafbare

Handlungen gegen den Eisenbahn- und Telegraphenbetrieb.

L i t t e r a t u r . Müller Das Verbrechen gegen die materielle Integrität der Eisenbahnen 1846. Meves GS. 26 167, 242. Hälschner 2 641. Loock (Litt, zu § 28). Supper Das deutsche Eisenbahnstrafrecht. Diss. 1893. — Dambach Das Telegraphenrecht 2. Aufl. 1897. — Lautenbach Die Strafbarkeit der Beschädigung unterseeischer Telegrapheukabel auf hoher See. Hallische Diss. 1889. Dambach HV. 3 337.

I. Gefahrdung von Eisenbahntransporten. Mit der Entwicklung des Eisenbahnwesens hat der strafrechtliche Schutz des Bahnbetriebes im allgemeinen gleichen Schritt gehalten. D e r Begriff der E i s e n b a h n ist in dem oben § 1 2 8 Note 5 entwickelten Sinne zu nehmen. 1 ) Ob die Eisenbahn öffentlichen oder privaten Z w e c k e n (in Fabriken, B e r g werken usw.) dient, ist hier gleichgültig. E b e n s o , ob sie bereits dem öffentlichen Betriebe übergeben worden. Transport bedeutet den Betrieb auf der B a h n überhaupt, nicht nur den einzelnen Eisenbahnzug.'-) B e t r i e b s gefahrdung genügt mithin. B a h n b e t r i e b aber liegt nur v o r , wenn er in der dem Begriff der Eisenbahnen entsprechenden Weise, also durch tote Naturkräfte (auch Verschieben der W a g e n unter Benutzung der B o d e n flächenunterschiede) und auf festem Geleise v o r g e n o m m e n wird. *) Hier übereinstimmend Frank § 315 II, Loock 158, Olshaustn Ebenso R, zuletzt 14. Juni 97 30 179.

a)

§ 315 3.

§ 150.

2. Delikte gegen den Eisenbahn- und Telegraphenbetrieb.

523

Beförderung durch Pferde oder durch Menschenkraft (Kurbelwagen) gehört mithin nicht hierher. Das R S t G B . bedroht — von § 316 A b s . 2 abgesehen — die Transportgefährdung nur dann, wenn sie begangen wird entweder a) durch B e s c h ä d i g u n g v o n Eisenbahnanlagen, Beförderungsmitteln oder sonstigem Zubehör oder b) durch B e r e i t u n g v o n H i n d e r n i s s e n auf der Fahrbahn (nicht durch Hinderung des Lokomotivführers) mittels falscher Zeichen oder Signale oder auf andre Weise. Zur V o l l e n d u n g ist im Einzelfalle thatsächliche Gefährdung des Transportes erforderlich, nicht aber die (damit allerdings wohl immer gegebene) Gemeingefahrdung von Leben oder Vermögen. In betreff der R e c h t s w i d r i g k e i t gelten die allgemeinen Grundsätze. Notstand, Erfüllung der Amtspflicht usw. schliefst die Rechtswidrigkeit aus. Bewufstsein der Rechtswidrigkeit ist hier sowenig wie sonst erforderlich. Das RStGB. unterscheidet in der B e s t r a f u n g : 1. Die v o r s ä t z l i c h verursachte Gefährdung (§ 315). S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. § 224) Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes nicht unter zehn Jahren oder lebenslänglich. Polizeiaufsicht kann erkannt werden (§ 325). Für den V e r s u c h gelten die allgemeinen Grundsätze. Der V o r s a t z mufs nicht nur die Beschädigung der Anlagen usw., sondern auch die Gefährdung des Transportes mitumfassen. 2. Die f a h r l ä s s i g verursachte Gefährdung (§ 316). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit mufs sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die verursachende Handlung (Beschädigung der Anlagen usw.) vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen kann. Die unter 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Leitung der Eisenbahnfahrten und zur Aufsicht über die Bahn und (oder!) den Beförderungsbetrieb a n g e s t e l l t e n P e r s o n e n , wenn sie durch V e r n a c h l ä s s i g u n g d e r i h n e n o b l i e g e n d e n P f l i c h t e n einen (bestimmten) Transport in Gefahr setzen. Verursachung der Gefährdung durch Beschädigung der Anlagen usw. ist also nicht erforderlich. In betreff der Fahrlässigkeit gilt das oben Gesagte; sie mufs sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die Pflichtvernachlässigung eine vorsätzliche oder fahrlässige sein kann. 3 ) ®) Anders die gem. Meinung. welche von jedem Verschulden absehen will, da, wie bei jedem Unterlassungsverbrechen, der polizeiliche Gesichtspunkt den Ausschlag gebe. So auch I.oock 203, Olshausen § 316 5 (vgl. aber oben § 36 Note 5), R 18. Mai 85 12 203. Wieder andere, wie Hälschner 2 648, rechnen nur fahrlässige Pflichtverletzung hierher. Richtig Meyer 700, Supper 54.

§ 150.

2 . D e l i k t e gegen den Eisenbahn- un

Telegraphenbetrieb.

II. Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlage (Gesetz v o m 13. Mai 1891). T e l e g r a p h e n a n l a g e n sind die dauernden (elektrischen, optischen usw.) Vorrichtungen, welche die von ihnen beförderte Nachrichten-Mitteilung nicht in ursprünglicher Gestalt, sondern in einer R e p r o d u k t i o n überliefern. O b die A n l a g e eine ober- oder unterirdische oder aber eine unterseeische ist, bleibt gleichgültig. Die R o h r p o s t - und F e r n s p r e c h a n l a g e n , von welchen diese, aber nicht jene unter den Begriff der Telegraphenanlage fallen, sind durch § 3 1 8 a (Gesetz von 1891) beide ausdrücklich gleichgestellt worden. O b die A n l a g e n öffentliche oder private sind, ist gleichgültig; doch müssen sie öffentlichen Z w e c k e n dienen, d. h. für den Gebrauch oder den Nutzen des Publikums oder aber des Staates bestimmt sein. Die H a n d l u n g ist (Gesetz von 1891) näher dahin bestimmt, dafs Teile oder Zubehörungen der Anlage beschädigt oder Veränderungen daran vorgenommen sein müssen. Abschneiden der Leitungsdrähte, Umbrechen der Stangen usw. gehört daher hierher; nicht aber etwa die Verhinderung der Beamten an der Erfüllung ihrer Dienstpflicht. Sie ist vollendet, erst wenn der Betrieb thatsächlich verhindert oder gefährdet worden ist. G e m e i n g e f ä h r d u n g im Einzelfalle ist begrifflich nicht erforderlich, wird aber wohl immer g e g e b e n sein, wenn die B e nutzung der Telegraphenanstalt verhindert o d e r gestört ist. In der Bestrafung unterscheidet das Gesetz: 1. Die v o r s ä t z l i c h e (und rechtswidrige) Begehung (StGB. § 317). S t r a f e : Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Der Vorsatz mufs die Verhinderung oder Gefahrdung des Betriebes mitumfassen. 2. Die f a h r l ä s s i g e Begehung (g 318). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. Die Fahrlässigkeit mufs Verhinderung oder Gefährdung mitumfassen, während die Verursachungshandlung selbst vorsätzlich oder fahrlässig begangen sein kann. Die zu 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Beaufsichtigung und Bedienung der Telegraphenanlagen und ihrer Zubehörungen a n g e s t e l l t e n Personen, wenn sie durch Pflichtvernachlässigung den Betrieb verhindern oder gefährden. 4 ) Nach R. 9. Oktober 91 22 163 mufs zwar die Pflichtvernachlässigung vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt, braucht aber die Transportgefährdung nicht vorhersehbar gewesen zu sein. Ebenso Btling Z 18 298, Frank § 316 II. *) Vgl. die vorige Note.

§ 151.

3- Beschädigung von Wasserbauten; Gefährdung der Schiffahrt.

525

III. Für beide Fälle ( I und II) droht das Gesetz eine eigentümliche Nebenstrafe an. Es können nämlich die wegen einer der (in den §§ 315 bis 318, nicht 318 a) angeführten Handlungen verurteilten Angestellten zugleich für (dauernd) u n f ä h i g zu einer Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste (nicht im Rohrpostdienste) oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste erklärt werden (StGB. § 319). Die V o r s t e h e r der Eisenbahngesellschaft 5 ) oder einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt, welche nicht sofort nach Mitteilung des rechtskräftigen Erkenntnisses die Entfernung des Verurteilten bewirken, werden mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft (StGB. § 320). Vorsatz ist nicht erforderlich, Fahrlässigkeit genügt. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher für unfähig zum Eisenbahn- oder Telegraphendienste erklärt worden ist, wenn er sich nachher bei einer Eisenbahn- oder Telegraphenanstalt wiederanstellen läfst; sowie diejenigen, welche ihn wiederangestellt haben, obgleich ihnen die erfolgte Unfähigkeitserklärung bekannt war.") IV. Das deutsche Ausführungsgesetz vom 21. November 1887 (RGBl. 1888 S. 169) zu dem internationalen Vertrage über den Schutz der unterseeischen Kabel von 1884 (oben S. 102) bedroht in § 2 mit einer Vergehensstrafe (Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten) alle Zuwiderhandlungen gegen die in Art. 5 uud 6 des Vertrages zum Schutze der Kabelschiffe und ihrer Thätigkeit vereinbarten Bestimmungen.

§151.

3. Beschädigung von Wasserbauten usw.; Gefährdung der Schiffahrt.

Litteratur. Pereis Strandungsdelikte im deutschen Recht. Diss. 1898 (Teil einer demnächst erscheinenden gröfseren Arbeit).

Breslauer

I. 1. Zerstörung oder Beschädigung (oben § 130) a. von (Wasserleitungen, Schleusen, Wehren, Deichen, Dämmen oder andern) Wasserbauten; b. von (wenn auch nicht öffentlichen) Brücken, Fähren, Wegen, Schutzwehren; c. von Bergwerksvorrichtungen zur Wasserhaltung, Wetterführung, zum Einund Ausfahren der Arbeiter; 2. Störung des Fahrwassers (nicht nur der ungehinderten Fahrt) in schiffbaren (nicht in nur 6 ) Zwischen Privatgesellschaften "und Staatsbahnen besteht in dieser Beziehung kein Unterschied. So die gem. Meinung; auch Loock 207, Meyer 700, Supper 60. Dagegen Frank § 320, Olshausett § 320 2. 6 ) Damit ist auch der Fall getroffen, wenn jemand, der „in einem bestimmten Zweige dieser Dienste" für unfähig erklärt wurde, in dem betreffenden Dienste nachher wiederangestellt wird. So die gem. Meinung. Dagegen Olshausett § 320 4.

52Ö

§ ISI-

3- Beschädigung von Wasserbauten; Gefährdung der Schiffahrt.

flöfsbaren) Strömen, Flüssen oder Kanälen (nicht in Binnenseen): w e n n dadurch G e f a h r f ü r L e b e n o d e r Gesundheit a n d r e r herbeigeführt wurde (Gemeingefahr nicht erforderlich; Gefahrdung des Vermögens nicht genügend). 1. V o r s ä t z l i c h begangen (StGB. §321). S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. § 224) Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Neben Zuchthaus Polizeiaufsicht nach Ermessen (§ 325). Der Vorsatz mufs auch die Herbeiführung der Gefahr umfassen.1) Der schwerere Erfolg ist dagegen lediglich Bedingung der höheren Strafbarkeit. 2. F a h r l ä s s i g begangen (§ 326). S t r a f e : Bei Verursachung eines Schadens Gefängnis bis zu einem Jahre j bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit mufs, wie oben der Vorsatz, auch die Herbeiführung der Gefahr in sich schliefsen. Verursachung eines Schadens, d. h. Entwickelung der Gefahr zur Verletzung „an Leben oder Gesundheit andrer", 2 ) ist Bedingung der Strafbarkeit. II. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n a n S c h i f f a h r t s z e i c h e n , d. h . an Feuer- und andern Zeichen, die zur Sicherung der Schiffahrt (See- oder Flufsschiffahrt) angebracht sind (auch schwimmende Zeichen); und zwar i . B e s e i t i g u n g eines solchen Zeichens (Zerstören, Wegschaffen, Unbrauchbarmachen, Auslöschen, dienstpflichtwidriges Nichtaufstellen); 2. Aufstellen eines f a l s c h e n Zeichens, insbesondere nächtliches Anzünden von Feuer auf der Strandhöhe, welches die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist (abstrakte Gemeingefährdung genügt). i. V o r s ä t z l i c h begangen (StGB. § 322). S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung der Strandung eines Schiffes Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes eines Menschen Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§ 325). 2. F a h r l ä s s i g e begangen (§ 326). Begriff und Strafe wie oben zu I, 2. III. B e w i r k u n g d e s S t r a n d e n s o d e r S i n k e n s e i n e s S c h i f f e s , wenn dadurch Gefahr für das L e b e n eines andern herbeigeführt wird (Gemeingefährdung nicht erforderlich). 1. V o r s ä t z l i c h begangen (StGB. § 323). S t r a f e : Zuchthaus nicht ') Ubereinstimmend Hälschner 2 653, Meyer 702; dagegen Olshausen § 321 8. ') R. 17. April 83 S 218 rechnet auch Schaden an Eigentum hierher. Ebenso auch Hälschner 2 655, Meyer 702, Olshausen § 326 4. Dagegen spricht die Fassung des § 321 und das allgemeine Verhältnis zwischen Gefährdung und Verletzung. Für den Text: Frank § 326.

§ 152.

4- Stratbare Handlungen in Bezug auf ansteckende Krankheiten.

unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes eines Menschen Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§ 325). 2. F a h r l ä s s i g begangen (§ 326). Begriff und Strafe wie oben zu 1,2. Vorsatz wie Fahrlässigkeit müssen die Herbeiführung der Gefahr mitumfassen.

§ 52.

4. Strafbare Handlungen in Bezug auf ansteckende Krankheiten.

I i i t t e r a t u r . Hälschner 2 677. Keller GA 45 249. — Beyer Viehseuchengesetze 4. Aufl. 1897. Hof mann und Bei/swänger Die Viehseuchengesetze 1897. Um die vom Gesetzgeber als „gemeingefährlich" zusammengefafsten Vergehen in der Darstellung nicht auseinanderzureifsen, seien an dieser Stelle auch die §§ 327 und 328 erwähnt, obwohl sie teils wegen ihres unlöslichen innern Zusammenhanges mit andern Reichsgesetzen, teils wegen ihrer Eigenart als Blankettstrafgesetze, insbesondere aber weil sie b e s t i m m t e , e i n z e l n e Anordnungen im Auge haben, systematisch richtiger zu den strafbaren Handlungen gegen die G e s u n d h e i t s p o l i z e i , gestellt würden. I. S t G B . § 3 2 7 bedroht d i e w i s s e n t l i c h e V e r l e t z u n g

der

Absperrungs- oder Aufsichtsmafsregeln oder Einfuhrverbote, welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens einer ansteckenden Krankheit *) angeordnet werden. N u r A n o r d n u n g e n der B e h ö r d e n (auch die Ortspolizeibehörden), nicht aber allgemeine Gesetze oder Rechtsverordnungen gehören hierher; aber auch jene A n o r d n u n g e n nur, wenn sie unter die im Gesetze aufgezählten B e g r i f f e fallen (nicht andere, dem gleichen Z w e c k e dienende Mafsnahmen). Die A n o r d n u n g mufs mithin mit Rücksicht auf eine bestimmte, bereits ausgebrochene oder drohende Krankheit erlassen werden oder in K r a f t treten. 2 ) D e r Vorsatz des Thäters m u f s die K e n n t nis dieser A n o r d n u n g e n umfassen. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren; wenn infolge dieser Verletzung ein Mensch von der Krankheit ergriffen worden, Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren. *) d. h. einer für M e n s c h e n ansteckenden Krankheit, mag sie auch zunächst Tiere befallen. Idealkonkurrenz mit § 328 mithin nicht ausgeschlossen. 2 ) Übereinstimmend R. 24. Januar 88 17 72. Dagegen Frank § 327 II, Hälschner 2 675, Olshausen § 327 5.

§ 153-

5- Vergiftung von Brunnen und Gebrauchsmitteln.

II. § 328 bedroht die wissentliche Verletzung der Absperrungs- oder Aufsichtsmafsregeln oder Einfuhrverbote, welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens von Viehseuchen angeordnet sind. Der Thatbestand dieses Vergehens deckt sich vollständig mit dem des § 327; nur sind die Viehseuchen an Stelle der Volksseuchen getreten. E s sind daher die oben aufgestellten Grundsätze auch hier zur Anwendung zu bringen. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn infolge der Verletzung Vieh von der Seuche ergriffen worden, Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren.

§ 153.

5. Vergiftung von Brunnen und Gebrauchsmitteln.

I. Die Selbständigkeit der Vergiftung von Brunnen und Weiden gegenüber der einfachen Vergiftung beruht (oben § 91 I) auf der Anordnung der Sächsischen Konstitutionen 4 18, welche die Strafe des Feuertodes androhen. Dieselbe Auffassung vertritt auch die gemeinrechtliche Landesgesetzgebung (so Kurpfalz 1582, Preufsen 1620). Im neueren Recht bildet das Verbrechen den unmittelbaren Übergang zu der Fälschung von Nahrungsmitteln und verwandten Gegenständen. Doch hebt das sogenannte „Nahrungsmittelgesetz" (unten § 157) einerseits g e w i s s e G e g e n s t ä n d e , welche der Nahrung, dem Genüsse oder Gebrauche dienen, besonders hervor, weil hier jede Fälschung oder Verfälschung erhöhte Gefahr in sich schliefst; anderseits bedroht das Nahrungsmittelgesetz, weit über § 324 hinausgreifend, nicht blofs die Gefährdung der G e s u n d h e i t sondern auch die Beschädigung des V e r m ö g e n s durch Herstellung und Verkauf geringwertiger Fälschungen (Surrogate).

II. Der § 324 StGB, bedroht: 1. Die vorsätzliche Vergiftung (vgl. oben § 91) a) von Brunnen- oder Wasserbehältern, die zum Gebrauche andrer (d. h. zur Wassergewinnung für den persönlichen Gebrauch von Menschen, also nicht etwa als Betriebsmittel, zur Wäsche, Viehtränke, Fischzucht usw.) dienen; b) von Gegenständen, welche zum öffentlichen Verkaufe oder Verbrauche (also ohne individuelle Bestimmung und Begrenzung der Abnehmer) bestimmt sind; 2. das wissentliche Inverkehrbringen*) solcher ver') „Inverkehrbringen" bezeichnet jede, auch die unentgeltliche, Überlassung

§ 154-

6. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen.

gifteter Sachen mit Verschweigung dieser Eigenschaft. 2 ) Abstrakte Gemeingefährdung genügt. S t r a f e d e r v o r s ä t z l i c h e n Begehung (StGB. § 324): Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (§ 325). Bei' f a h r l ä s s i g e r Begehung tritt die oben § 151 I 2 angegebene Strafe ein (StGB. § 326).

154.

6. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen.

L i t t e r a t u r . Hälschner 2 681. Lafs Das Delikt gegen die Kriegsmacht des Staates nach § 329 StGB. 1888 (Abhandlungen des kriminalist. Seminars zu Marburg 1 2. Heft). Ferner Sickel Litt, zu § 134, 174. I. Abweichend von den sonst festgehaltenen Grundsätzen (oben S. 470), hat das RStGB. in § 329 unter gewissen Voraussetzungen den Bruch der mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge unter Strafe gestellt. Die Bestimmung entstammt dem Code pénal (Art. 430—433), welcher aber nur Lieferungen für die Militärverwaltung unter seinen Schutz stellte. Preufsen (1851) schlofs sich an, indem es auch Lieferungen aus Anlafs eines Notstandes heranzog, und aus ihm ging die Strafdrohung in das Reichsrecht über. Dabei wurde jedoch übersehen, dafs das Vergehen des § 329 StGB, in seinem ersten Teile (unten II a) nicht sowohl durch seine Gemeingefährlichkeit, als vielmehr durch seine Richtung gegen die Kriegsmacht des Staates sich kennzeichnet.

II. Strafbar ist nach RStGB. § 329 die Nichterfüllung (Erfüllung nicht zur bestimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weise) von mit einer (deutschen) Behörde geschlossenen Lieferungsverträgen: a) Über Bedürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit eines Krieges*) oder b ) über Lebensmittel zur Abwendung oder Beseitigung eines Notstandes, mag dieser durch Mifsernte, Überschwemmung, Sturmflut oder durch andre Ursachen, z. B. Hungertyphus oder andre Volkskrankheiten, herbeigeführt sein.2) an einen andern zum bestimmungsgemäfsen Gebrauch oder Verbrauch; insbes. auch das Verkaufen (Veräufsern) sowie das „Feilhalten", d. h. das Bereitstellen aum Verkauf. a ) also nicht bei Mitteilung an den gewissenlosen Zwischenhändler. Also nicht andre Verträge, i. B. über die Beförderung der Truppen. Handlungen gegen Bundesgenossen, sowie von Ausländern im Auslande begangene Handlungen müssen straflos bleiben. *) Notstand ist das Bedürfnis eines nicht geschlossenen "Kreises nicht nur t o b L i s x t , Strafrecht.

9. Aufl.

34

§ 155-

530

7- Verletzung der Regeln der Baukunst.

M a f s g e b e n d ist w e d e r der Zeitpunkt, in dem die L i e f e r u n g fällig w i r d ,

noch

derjenige, in dem

w u r d e ; sondern der

Augenblick,

der

Vertrag

geschlossen

in d e m die Bedürfnisse

ent-

stehen und Befriedigung erheischen. Strafe: 1. B e i v o r s ä t z l i c h e r B e g e h u n g : Gefängnis nicht unter sechs Monaten; Ehrverlust nach Ermessen. Abstrakte Gemeingefahr genügt. Der Vorsatz mufs auch die Bestimmung der Lieferungen mitumfassen. 2. B e i f a h r l ä s s i g e r B e g e h u n g , d. h. fahrlässiger Nichterfüllung des Vertrages, während Kenntnis der Bestimmung der Lieferungen auch hier erforderlich ist: Gefängnis bis zu zwei Jahren. Doch ist die Strafbarkeit b e d i n g t dadurch, dafs ein „Schaden" verursacht worden, d. h. Bedürfnisse des Heeres oder der Marine nicht befriedigt oder der Notstand nicht abgewendet oder beseitigt wurde. 3 ) Dieselben Strafen finden auch gegen U n t e r l i e f e r a n t e n , V e r m i t t l e r u n d B e v o l l m ä c h t i g t e d e s L i e f e r a n t e n Anwendung, welche mit Kenntnis des Zweckes der Lieferung die Nichterfüllung vorsätzlich oder fahrlässig verursachen.

§

155.

7. V e r l e t z u n g der Regeln der

Baukunst.

D i e H e r b e i f ü h r u n g einer G e f a h r für andre durch letzung der allgemein anerkannten R e g e l n

der

Ver-

Baukunst

b e i A u s f ü h r u n g o d e r L e i t u n g e i n e s B a u e s 1 ) wird v o m R S t G B . unter den gemeingefährlichen V e r g e h e n bedroht (§ 3 3 0 ) . Nach der Fassung des Gesetzes kann G e m e i n g e f a h r nicht gefordert werden. Die Gefahr mufs ferner in dem g e g e n w ä r t i g e n Zustand des Bauwerkes begründet, darf nicht erst von künftig eintretenden Ereignissen (z. B. Weiterbau) abhängig sein. V o r s a t z ist nicht erforderlich, F a h r l ä s s i g k e i t genügt; beide müssen die Gefahr umfassen. S t r a f e : Geldstrafe bis zu neunhundert Mark einem Jahre.

oder Gefängnis bis zu

nach Zufuhr von Lebensmitteln (so Olshausen § 329 3), sondern nach materieller Hülfe (Kleidung, Wohnung, Beheizung) überhaupt. 3 ) Übereinstimmend Frank § 329 II, Lafs 52. Weitergehend Meyer 705, Oishausen § 329 6, Wagner Beitrag zur Lehre von den Objekten des Verbrechens. Erlanger Diss. s. a. 72. 1 ) Jede Bauthätigkeit gehört hierher, Hoch- wie Tiefbauten, Wasser- und Bergbauten (R. 10. November 92 23 277), die Aufführung, das Umgestalten, das Abbrechen von Gebäuden (R. 23. Januar 94 25 90, 27. April 96 28 31& gegen 4. November 90 21 142). — Vgl. auch StGB. § 367 Zifi". 13 bis 15.

§ 156.

Mifsbrauch von Sprengstoffen.

531

II. Mifsbrauch von Sprengstoffen. § 156. Iiitteratur.. H'dlsehner GS. 38 161. Schriff Das Dynamitgesetz vom 9. Juni 1884. 1886. Neukamp HSt. 5 816. Lenz Z 16 I. Hoffmann Eine systematische Darstellung der nach dem Sprengstoffgesetze vom usw. strafbaren Handlungen. Erlanger Diss. 1897.

I. Das durch das Umsichgreifen anarchistischer Unternehmunger veranlafste Gesetz vom 9. Juni 1884 (nachgeschrieben dem englischen Gesetz von 1883) g e g e n d e n v e r b r e c h e r i s c h e n u n d g e r n e i n g e f ä h r l i c h en G e b r a u c h v o n S p r e n g s t o f f e n hat eine Anzahl neuer Vergehungen geschaffen, welche am zweckmäfsigsten an dieser Stelle im Zusammenhange behandelt werden, obwohl sie zum Teil g e w e r b e p o l i z e i l i c h e r Natur sind (Vereitelung der staatlichen Aufsicht), zum Teil andern Verbrechensbegriffen (öffentliche Aufforderung, Nichtanzeige) sich anschliefsen. Dafs das Mittel des Angriffe das Wesen dieser Vergehungen und damit ihre Stellung im Systeme des besondern Teiles bestimmt, dürfte gerade hier in unbestreitbarer Weise hervortreten. Bedauerlich ist die überaus schlechte Fassung des Gesetzes. IL D i e s t r a f b a r e n 1.

Die

Eigentum, durch

Handlungen.

vorsätzliche Herbeiführung Gesundheit

Anwendung

von

oder L e b e n

einer G e f a h r

eines andern,

Sprengstoffen

(§ 5). 1 )

für

bewirkt

Gefahr

im

Einzelfall und Bewufstsein davon erforderlich. S t r a f e : Zuchthaus. Bei Verursachung einer schweren Körperverletzung Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, bei Verursachung des Todes eines Menschen Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus (§ 5 Abs. 2). Versuch ist möglich (oben § 46 Note 8). Ist durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden und hat der Thäter einen solchen Erfolg voraussehen können, so ist auf Todesstrafe zu erkennen (§ 5 Abs. 3). a ) ') Über den Begriff des Sprengstoffes vgl. oben § 149 Note 5. Sie müssen aber hier als Sprengmittel verwendet werden; Verwendung als Schiefsmittel (§ 1 Abs. 3 des Gesetzes) fällt nicht unter § 5. 2 ) Eine durchaus unklare Bestimmung. Wer vorhersieht, dafs seine Handlung den Tod eines Menschen zur Folge haben werde, hat eben v o r s ä t z l i c h gehandelt. Wer es nicht voraussah, aber voraussehen konnte u n d s o l l t e , hat fahrlässig gehandelt. Das Gesetz droht also einerseits die Todesstrafe für Fälle an, in welchen ihre Anwendung selbstverständlich ist, anderseits für solche Fälle, in welchen nicht einmal notwendig Fahrlässigkeit vorliegt. — Auf Fahrlässigkeit beziehen die Bestimmung Löning 102, Meyer 698. Andre verlangen grobe Fahrlässigkeit, andre unbestimmten Vorsatz. Wieder, anders die Begründung des Entwurfs. Unklar Hälschner 2 633 Note I. Gegen die Bestimmung (wie gegen die Fehler des Gesetzes überhaupt). S e u f f e r t StG. 1 40.

34*

532

§ 156.

Mifsbrauch von Sprengstoffen.

2. Verbrecherische Verabredungen („Dynamitverschwörung") sowie andre Vorbereitungshandlungen. a) K o m p l o t t und B a n d e (oben S. 2 1 8 ) werden als selbständige Verbrechen, auch ohne dafs der Entschlufs der VerÜbung des Verbrechens durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung enthalten, bethätigt worden ist, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft (§ 6). Strafbarer Versuch ist ausgeschlossen (oben § 46 Note 10). Durch die Ausführung der verabredeten Handlung wird infolge der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes („auch ohne dafs" usw.) die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlung entgegen der allgemeinen Regel (oben § 56 I I ) n i c h t konsumiert. b) Wer Sprengstoffe h e r s t e l l t , a n s c h a f f t , b e s t e l l t 0 d e r (wissentlich) i n s e i n e m B e s i t z e (gleich thatsächlicher Innehabung) h a t , i n d e r A b s i c h t , durch ihre Anwendung Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines andern entweder selbst herbeizuführen oder andre Personen zur Begehung dieses Verbrechens in den Stand zu setzen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft (§ 7 Abs. 1). Der gleichen Strafe verfällt, wer Sprengstoffe, wissend, dafs diese zur Begehung eines in dem § 5 vorgesehenen Verbrechens bestimmt sind, an andre Personen überläfst (§ 7 Abs. 2). c) Wer Sprengstoffe h e r s t e l l t , a n s c h a f f t , b e s t e l l t , wissentlich i n s e i n e m B e s i t z e h a t o d e r a n a n d r e P e r s o n e n ü b e r l ä f s t unter Umständen, welche nicht erweisen, dafs dies zu einem erlaubten Zweck (im Gegensatz zu den Zwecken des § 5) geschieht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft. Diese Bestimmung findet auf die gemäfs § I Abs. 3 vom Bundesrat bezeichneten Stoffe (Schiefsmittel) keine Anwendung (§ 8).

3. Verletzung der Anordnungen zum Zwecke der Überwachung der Herstellung, des Vertriebes, des Besitzes und der Einführung von Sprengstoffen (gewerbepolizeiliche Anordnungen). S t r a f e (ohne Rücksicht auf den vom Thäter verfolgten Zweck): fängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren (§ 9 Abs. 1).

Ge-

4. Öffentliche Aufforderung (unten § 175 III 2) zu Übertretungen des Gesetzes, sowie deren Anpreisung (Glorifizierung). Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder andern Darstellungen o d e r w e r i n S c h r i f t e n o d e r a n d e r n D a r s t e l l u n g e n 1 ) *) Die durch den Druck hervorgehobenen Worte fehlen in dem Thatbestande. der übrigen öffentlichen Aufforderungen unserer Reichsstrafgesetzgebung^ Der Begriff der ö f f e n t l i c h e n Aufforderung ist damit überschritten. Der § 1 0 bestraft also in der That auch die versuchte Anstiftung zur Teilnahme an der Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens.

§ 157-

Di« Warenfälschung.

533

zur Begehung einer der in den §§ 5 und 6 bezeichneten strafbaren Handlungen oder zur Teilnahme an ihnen auffordert, wird mit Zuchthaus bestraft (§ i o Abs. 1). Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung der im Abs. I gedachten strafbaren Handlungen insbesondere dadurch a n r e i z t o d e r v e r l e i t e t (oben § 51 Note 4), dafs er sie anpreist o d e r als etwas Rühmliches darstellt (§ 10 Abs. 2).

5. Nichtanzeige (unten § 184 IV). Der in § 139 RStGB. angedrohten Strafe verfällt, wer von dem Vorhaben eines im § 5 vorgesehenen Verbrechens oder von einer in § 6 vorgesehenen Verabredung oder von dem Thatbestande eines im § 7 unter Strafe gestellten Verbrechens in glaubhafter W e i s e Kenntnis erhält und es unterläfst, der durch das Verbrechen bedrohten Person oder der Behörde rechtzeitig Anzeige zu machen (§ 13). 4 ) III. N e b e n s t r a f e n u n d o b j e k t i v e M a f s r e g e l n . In den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und 10 kann auf Z u l ä s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t erkannt werden. I n den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und in dem Falle einer Anwendung der Strafvorschriften des § 9 ist auf E i n z i e h u n g der zur Zubereitung der Sprengstoffe gebrauchten und bestimmten Gegenstände, sowie der im Besitze des Verurteilten vorgefundenen Vorräte von Sprengstoffen zu erkennen, o h n e U n t e r s c h i e d , ob diese dem Verurteilten gehören oder nicht (§ I i ) . IV. Endlich dehnt das Gesetz die Bestimmungen in § 4 Abs. 2 Nr. I StGB. (Strafbarkeit der im A u s l a n d e begangenen strafbaren Handlungen) auf die in §§ 5, 6, 7, 8 und 10 des Sprengstoffgesetzes vorgesehenen V e r brechen aus (§ 12).

III.

Die Warenfälschung. § 157.

I i i t t e r a t u r . Zu I I I : Die Vorarbeiten zu dem Gesetze in GA. 27. Kommentierte Ausgaben von Meyer und Finkelnburg 2. Aufl. 1885; Zinn, 2. Aufl. 1885; Katz 1895. Löbner Die Gesetzgebung des alten und neuen Deutschen Reichs wider Verfälschung der Nahrungsmittel 1878. Hälschner 2 665. Reiffei GA. 39 109. Uffelmann HSt. 5 2. Damme GS. 4 5 125. Geschichtliches bei Elben Zur Lehre von der Warenfälschung 1881. — Zu IV und V die Ausgaben von Haas 1887 mit Materialien. — Zu V I I I : Fleischmann, Das Margarinegesetz vom 15. Juni 1897, 1898. Rahts HSt. 2. Erg. Bd. 639. — Zu I X : Koch H S t . 1. Erg. Bd. 457. I. Die Strafbarkeit der Warenfälschung, welche heute auf dem Gesetze vom 14, Mai 1879 (abgeändert 29. Juni 1887) betreffend den Verkehr mit Nahrungs-, Genufs-, Gebrauchsmitteln beruht, bildet die Brücke von den ge*) Man beachte die Abweichungen von der Fassung des § 139 StGB.

534

§ 157-

Die Warenfälschung.

meingefährlichen Verbrechen zu den Fälschungen. Mit j e n e n teilt sie die R i c h t u n g gegen Leib und Leben sowohl wie gegen das Vermögen einerseits und die Heranziehung der Naturkräfte anderseits, die freilich nicht mit imponierender Gewalt, aber dafür um so sicherer das Werk der Zerstörung vollenden; mit d i e s e n die eigenartige H a n d l u n g , das Fälschen und Verfälschen, die mifsbräuchliche Herstellung oder Veränderung gewisser im Verkehr anerkannter Formen. Wenn es demnach auch eine systematisch berechtigte Gruppe der Fälschungsvergehen gäbe, so würde doch die Warenfalschung (wenigstens die der Reichsgesetzgebung) eine besondre Stellung innerhalb dieser beanspruchen dürfen. II. Die Warenfälschung spielt schon im deutschen Mittelalter ihre Rolle. Die Stadtrechte enthalten vielfache Strafdrohungen gegen die Fälschung von Gold- und Silberwaren, von Tuch und Seide, von Speisen und Getränken. Selbst die Todesstrafe findet sich (Z 10 242). Auch die Polizeiordnungen im Reich wie in den Einzelstaaten beschäftigen sich mit verwandten Vergehen. Art. 133 der PGO. bedroht mit peinlicher Strafe, gegebenenfalls mit dem Tode den, der „böslicher und gefährlicher Weise Mafs, Wage, Gewicht, S p e z e r e i o d e r a n d r e K a u f m a n n s c h a f t fälscht und die für gerecht gebraucht und ausgibt". Auch das gemeine Recht hat die Warenfälschung, besonders die adulteratio vini, als „benannten Fall' : des falsum hervorgehoben und unter Umständen sogar mit der Todesstrafe, meist dem Strang als der Strafe des Diebstahls, bedroht. Österreich 1707 hebt einzelne Fälle bei der Vergiftung hervor. Noch ALR. 723 verhängt ein- bis dreijährige Freiheitstrafe gegen denjenigen, welcher Lebensmittel auf eine der Gesundheit nachteilige Weise verfälscht, während (ALR. 1442) die Fälschung von Waren sowie von Mafs und Gewicht als erschwerter „Betrug des Publici" behandelt wird. Der deutschen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts fehlte das Verständnis für die praktische Bedeutung des Vergehens, und es bedurfte erst der Anregung von auswärts, insbesondere von England und Frankreich, um es wieder in das deutsche Strafrecht einzuführen. Die jüngste deutsche Gesetzgebung zeigt dabei eine bedenkliche Neigung zur vorschnellen Aufstellung nicht genügend überlegter Strafdrohungen.

III. Das Reichsgesetz vom 14. Mai 1879, bezieht sich (§ 1) auf den Verkehr mit Nahrungs- und Genufsmitteln] (oben S. 460), sowie mit Spielwaren, Tapeten, Farben, Efs-, Trink- und Kochgeschirr und Petroleum, und enthält Bestimmungen von verschiedener grundsätzlicher Bedeutung, welche hier nur der Übersichtlichkeit wegen im Zusammenhange dargestellt werden sollen. A . Zunächst ist der Verkehr mit den genannten Gegenständen der gewerbepolizeilichen Beaufsichtigung unterstellt (§§ x—4). Widerstand gegen diese unterliegt, soweit nicht StGB. § 1x3 eingreift einer Geldstrafe von fünfzig bis hundertfünfzig Mark oder der Strafe der Haft

§ 157-

Warenfälschung.

535

(§ 9)- Übertretung der kaiserlichen Verordnungen über das Verbot der Herstellung, Aufbewahrung, Verpackung, des Verkaufs, der Verwendung gewisser Gegenstände wird mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft (§ 8).

B. Die weiter folgenden Bestimmungen bezwecken in erster Linie den Schutz des V e r m ö g e n s gegen Beeinträchtigung durch Fälschungen, und ergänzen somit die (übrigens in den meisten einschlagenden Fällen anwendbaren) Strafdrohungen gegen Betrug. Wir haben zu unterscheiden: 1. Die Nachmachung oder Verfälschung von Nahrungsoder Genufsmitteln zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr (die Täuschung mufs Beweggrund sein). Kenntnis des Erwerbers, nicht aber Mitteilung an den Zwischenhändler schliefst die Strafbarkeit aus. Dabei bedeutet „ N a c h m a c h u n g " die Herstellung von (nicht als solchen bezeichneten) Ersatzmitteln oder Surrogaten; „ V e r f ä l s c h u n g " sowohl die Verleihung des Anscheins besserer, d. h. wertvollerer, Beschaffenheit als auch die Verschlechterung durch Zusatz fremder Stoffe. 2. Das wissentliche Verkaufen von verdorbenen, nachgemachten, verfälschten Nahrungs- oder Genufsmitteln unter Verschweigung dieses Umstandes, sowie deren wissentliches Feilhalten unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung. Entgeltliche Übertragung erforderlich (oben § 153 Note 1). „ V e r d o r b e n " ist die Ware, wenn sie infolge einer Veränderung ihres regelmäfsigen Zustandes ungeeignet geworden ist, als Nahrungs- oder Genufsmittel zu dienen; nicht also unreifes Obst, Fleisch von ungebornen Kälbern. 1 ) Jede dieser Handlungen wird (§ 10) mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark o d e r mit e i n e r dieser Strafen; die f a h r l ä s s i g e Begehung der unter 2 bezeichneten Handlungen aber (§ Ii) mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.

C. Dem Schutz der G e s u n d h e i t (oben § 86) gegen g e m e i n g e f ä h r l i c h e Fälschungen dient endlich eine 3.Gruppe von Strafbestimmungen. — Sie umfafst: 1. Die Herstellung von Gegenständen, welche bestimmt sind, andern als Nahrungs- oder Genufsmittel zu dienen, in solcher Weise, dafs der (bestimmungsgemäfse) !) Wenn derselbe Thäter dieselbe Ware nachmacht u n d verkauft, so liegt (oben § 55 N o t e 3) Deliktseinheit vor. Dagegen R. 13. März 84 10 198. °

§ 157-

536 Genu{s®) d i e eignet

ist;

Die Warenfälschung.

menschliche

sowie

das

Gesundheit zu beschädigen

Inverkehrbringen

solcher

ge-

Gegen-

stände ; 2. d i e H e r s t e l l u n g v o n a n d e r n in § i g e n a n n t e n s t ä n d e n in einer s o l c h e n W e i s e , gemäfser

oder

vorauszusehender

liche Gesundheit zu beschädigen Inverkehrbringen

solcher

Gegen-

dafs d e r e n b e s t i m m u n g s Gebrauch

die

g e e i g n e t ist,

mensch-

sowie

das

Gegenstände.

In diesen beiden Fällen ist eine Vermögensbeschädigung des Käufers ebensowenig erforderlich, wie eine Beschädigung seiner Gesundheit. Daher ist auch Überlassung unter Mitteilung der gesundheitsgefahrlichen Eigenschaft strafbar. Die S t r a f e ist in folgender Weise abgestuft: a) V o r s ä t z l i c h e Begehung, or) E i n f a c h e r F a l l (§ 12): Gefängnis, daneben nach Ermessen Ehrverlust. Versuch strafbar. Bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. § 224) oder des Todes Zuchthaus bis zu fünf Jahren. — ß) S c h w e r e r F a l l (§ 13), vorliegend, wenn der Genufs oder Gebrauch der genannten Gegenstände die menschliche Gesundheit z u z e r s t ö r e n (oben S. 335) geeignet und diese Eigenschaft dem Thäter bekannt war: Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiaufsicht nach Ermessen (unmittelbare Anlehnung an § 324 StGB.). b) F a h r l ä s s i g e Begehung (§ 14). Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten; bei Verursachung eines Schadens an der Gesundheit eines Menschen Gefängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. E i n z i e h u n g d e r f r a g l i c h e n G e g e n s t ä n d e ist in den zur dritten Gruppe gehörenden Fällen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, neben der Strafe bindend, als objektive Mafsregel nach Ermessen vorgezeichnet. In den übrigen Fällen kann neben der Strafe auf Einziehung erkannt werden (§ 15). D i e ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g d e r V e r u r t e i l u n g 3 ) auf Kosten der Schuldigen k a n n , die der F r e i s p r e c h u n g auf Kosten der Staatskasse, bez. des Anzeigers, m u f s auf Antrag der Freigesprochenen angeordnet werden (§ 16). 4 ) s ) Der Genufs selbst, nicht etwa ihn begleitende oder ihm nachfolgende Vorstellungen und Empfindungen (Ekel usw.); R. 1. Oktober 88 18 135. Hier Nebenstrafe; vgl. oben § 58 Note 3. Auch R. 3. März 84 10 206. *) Über die Verwendung der Geldstrafen (§ 17) vgl. oben S. 268. — Vgl. auch § 367 Ziff. 7 StGB, (für dessen fortdauernde Geltung R. 18. Juni 85 12 301); er bedroht mit Übertretungsstrafe denjenigen, welcher verfälschte oder verdorbene Getränke oder Efswaren, insbes. trichinenhaltiges Fleisch, feilhält oder verkauft.

§ 157-

D i e Warenfälschung.

537

IV. Die Bestimmungen des Nahrungsmittelgesetzes werden ergänzt durch das Gesetz vom 25. Juni 1887, betreffend den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen. Gewerbsmäfsige (oben S. 242) Übertretungen

des Gesetzes werden

Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit H a f t bestraft (§ 4). Strafe trifft denjenigen, welcher zur Verfertigung von Nahrungsmitteln bestimmte Mühlsteine unter V e r w e n d u n g

v o n Blei-

Verfertigung von Nahrungs- oder Genufsmitteln verwendet. nicht erforderlich (§ 5).

Neben der

oder Genufs-

oder

Stoffen an der Mahlfläche herstellt oder derartig hergestellte

mit

Gleiche

bleihaltigen

Mühlsteine

zur

Gewerbsmäfsigkeit

Strafe kann auf Einziehung

der Gegen-

stände, welche den Vorschriften zuwider hergestellt, verkauft, feilgehalten oder verwendet sind, sowie der vorschriftswidrig werden.

hergestellten

Ist die V e r f o l g u n g oder Verurteilung

ausführbar, so kann

auf

die

Einziehung

Mühlsteine

erkannt

einer bestimmten Person nicht

selbständig

erkannt

werden

(§ 6).

Nahrungsmittelgesetz § § 16 und 17 finden A n w e n d u n g (§ 7).

V . Eine weitere Ergänzung bietet das Gesetz vom 5. Juli 1887, betreffend die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genufsmitteln, kosmetischen Mitteln, Spielwaren und andern Gebrauchsgegenständen. Das Schwergewicht des Gesetzes (§§ 1 — 1 1 ) ruht in seinen eingehenden technischen Bestimmungen, von deren Wiedergabe an dieser Stelle abgesehen werden kann. Übertretungen

des Gesetzes

durch vorschriftswidriges

Herstellen,

Auf-

bewahren oder Verpacken, Verkaufen oder Feilhalten werden, u. z. teilweise nur bei

gewerbsmäfsiger

Begehung,

Mark oder mit H a f t bestraft (§ 12). Gesagte (§ 13).

Ebenso bezüglich

mit Geldstrafe

bis

Über Einziehung

der Anwendbarkeit

zu einhundertfünfzig gilt das oben

zu I V

der § § 16 und 17 des

Nahrungsmittelgesetzes.

VI. Ferner gehört hierher das Gesetz vom 20. April 1892, betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken (Obstwein usw.), welche bestimmt sind, andern als Nahrungs- oder Genufsmittel zu dienen. Nach § 7 wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen bestraft, a) w e r vorsätzlich die im § I des Gesetzes bezeichneten Stoffe dem W e i n e zusetzt oder solche W e i n e feilhält oder v e r k a u f t ; b) w e r wissentlich W e i n , Rohr-, R ü b e n - oder Invertzucker halten hat, unter Bezeichnungen

welcher

einen Zusatz

von technisch

reinem

oder von technisch reinem Stärkezucker erfeilhält oder verkauft, welche die

Annahme

hervorzurufen geeignet sind, dafs ein derartiger Zusatz nicht gemacht ist.

538

§ 157-

Die

Warenfälschung.

Ist die unter a bezeichnete Handlung aus Fahrlässigkeit

begangen,

so

tritt Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder H a f t ein (§ 8). Mit Ausnahme des Falles unter b ist Einziehung

der Getränke

zulässig,

auch wenn sie dem Verurteilten nicht gehören, sowie wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist (§ 9).

VII.

In derselben Richtung

bewegt

sich das Gesetz v o m

6. Juli 1898 betr. den Verkehr mit künstlichen Süfsstoffen (in K r a f t seit 1. O k t o b e r 1898). 1. D i e Verwendung solcher Stoffe b e i Herstellung

von Nahrungs- und

(oder!) Genufsmitteln ist als Verfälschung im Sinne des § 10 Nahrungsmittelgesetz anzusehen im übrigen

der

(§ 2 A b s .

1).

Thatbestand

Bestrafung

des

§

tritt j e d o c h nur ein, wenn auch

10 jenes

Gesetzes

gegeben

ist

(oben

III B I und 2). 2. Verboten ist ferner (§ 3 ) : a. die Verwendung künstlicher Süfsstoffe bei der gewerbsmäfsigen Herstellung von Bier, W e i n und weinähnlichen Getränken von Fruchtsäften, Konserven und Likören sowie von Zucker- oder Stärkesyrupen; b. der V e r k a u f und das Feilhalten der unter a genannten Nahrungs- und Genufsmittel,

denen künstliche Süfsstoffe zugesetzt sind.

H i e r tritt

(§ 4) die

Strafe des § 10 Nahrungsmittelgesetz ein, auch wenn im übrigen der Thatbestand jenes Gesetzes nicht gegeben ist.

Einziehung w i e zu I V .

D i e § § 16, 17

Nahrungsmittelgesetz finden Anwendung.

VIII. D a s Margarinegesetz vom 12. Juli 1887 ist durch das wesentlich strengere Gesetz vom 15. Juni 1897 betr. den V e r kehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln ersetzt worden. 1. Mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen wird (§ 14) bestraft: a. W e r zum Z w e c k e der Täuschung im H a n d e l § 3 unzulässigen Mischungen herstellt; b. wissentlich

solche Mischungen

und V e r k e h r eine der

nach

wer in Ausübung eines G e w e r b e s

in Verkehr

bringt;

Magarinekäse ohne den nach § 6 erforderlichen

c.

w e r Margarine

oder

(die allgemeine Erkennbarkeit

erleichternden) Zusatz vorsätzlich herstellt oder wissentlich in Verkehr bringt. — Im Wiederholungsfalle nach Ermessen Gefängnisstrafe bis zu sechs

Monaten,

daneben Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert M a r k , wenn nicht seit Verbüfsung oder Erlafs der Vorstrafe drei Jahre verflossen sind. —

Fahrlässige

Begehung ist nur nach § II des Nahrungsmittelgesetzes strafbar. 2. Über den Strafschutz der Betriebsgeheimnisse vgl. oben § 124. 3. Mit Vergehens-,

bez. Übertretungsstrafe w i r d die Übertretung anderer

Vorschriften des Gesetzes bedroht. N a c h § 16 mit Geldstrafe von fünfzig b i s zu einhundertfünfzig Mark oder mit H a f t : 1. W e r den Vorschriften des § 8 zuwider den Eintritt in die Räume, die Entnahme einer Probe oder die Revision verweigert (vgl. oben III A ) ; 2. wer die in Gemäfsheit des § 9 von ihm

erforderte Auskunft nicht erteilt

oder bei der Auskunfterteilung wissentlich unwahre Angaben macht.

§ 158.

Geschichte und systematische Stellung der Geldverbrechen.

Nach § 17 mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit H a f t bis zu vier Wochen: 1. Wer den Vorschriften des § 7 (Anzeigepflicht) zuwiderhandelt; 2. wer bei der nach § 9 von ihm erforderten Auskunfterteilung aus Fahrlässigkeit unwahre Angaben macht. Nach § 18 werden andre Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften dieses Gesetzes sowie gegen die in Gemäfsheit der §§ 11 und 12 Ziffer I ergehenden Bestimmungen des Bundesrats mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit H a f t bestraft. Im Wiederholungsfall ist auf Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder auf H a f t oder auf Gefängnis bis zu drei Monaten zu erkennen. Rückfallsverjährung wie oben unter I (S. 538). 4. Neben der Strafe, sowie selbständig, ist Einziehung zulässig (§ 19). Die Vorschriften des Nahrungsmittelgesetzes bleiben unberührt. Die Vorschriften in d e n § § 16, 17 desselben finden bei allen Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz mit der Mafsgabe Anwendung, dafs in den Fällen des § 14 die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung angeordnet werden mufs (§ 20).

IX. Und endlich gehört hierher das Gesetz vom 19. Mai 1891, betr. die Prüfung der Läufe und Verschlüsse von Handfeuerwaffen: d. h. von solchen Feuerwaffen, die von e i n e m Mann bewegt und bedient werden können. Nach § 9 trifft Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten den, der Handfeuerwaffen feilhält oder in Verkehr bringt, deren Läufe oder Verschlüsse nicht mit den vorgeschriebenen oder zugelassenen Prüfungszeichen versehen sind. Fahrlässigkeit genügt. 6 ) Auf Einziehung i s t zu erkennen, auch wenn die Waffen dem Verurteilten nicht gehören; k a n n erkannt werden, wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist.

IV. Strafbare Handlungen an Geld. § 158. Geschichte und systematische Stellung. I i i t t e r a t u r . Merkel HH. 3 215. Hälschner 2 570. Gubscr Die'Münzverbrechen in den kantonalen Strafgesetzgebungen der Schweiz. Vergleichende kritische Studie. Zürcher Diss. 1891. Caspar Abschieben falschen Geldes. Göttinger Diss. 1896. I. G e s c h i c h t e . Im römischen Rechte bildete die Münzfälschung im eigentlichen Sinne des Wortes (nummos rädere, tingere, fingere) den einen der beiden Hauptbestandteile der lex Cornelia testamentaria n u m m a r i a . War s

) R. 6. April 94 25 241, 16. April 94 25 251.

540

§

1

G e s c h i c h t e und systematische Stellung der Geldverbrechen.

schon durch diese Einreihung in den dehnbaren Begriff des falsum die selbständige Entwickelung des Verbrechensbegriffes gefährdet, so wurde diese so gut wie unmöglich, als das spätere Recht den Gesichtspunkt des verletzten Hoheitsrechts heranziehend, die Münzfälschung teilweise als crimen laesae majestatis auffafste (C. 9, 24). In den Quellen des deutschen Mittelalters wird die Münzfälschung meist mit dem Feuertode (Schsp. mit Enthaupten), der Besitz und das Ausgeben falscher Münzen mit dem Verlust der Hand bedroht (Ssp. 2 26, 1). PGO. Art. I I I zerlegt die Münzvergehen in drei Fälle: I. „Wann einer betrüglicherweise eines andern Zeichen darauf schlägt"; 2. „wann einer unrecht Metall dazu setzt"; 3. „so einer der Münze ihre rechte Schwere gefährlich benimmt" — Fälle, die wir als Falschmünzerei, Münzbetrug, Kippen und Wippen unterscheiden können. Nur im schwersten Falle tritt Feuertod,') im übrigen Strafe an Leib und Gut ein. Wer sein Haus wissentlich dazu leiht, hat dieses verwirkt. Die spätere Gesetzgebung (Reichsmünzordnung von 1559, Münzedikt von 1759 u. a ) vermehrte, zum Teil nnter dem Einflüsse verkehrter Anschauungen über Münzpolitik, die herrschende Verwirrung. Ausführung oder Einschmelzung einheimischer guter, Einführung schlechter ausländischer Münze treten zu den Münzverbrechen hinzu. Die gemeinrechtliche Wissenschaft unterschied innerhalb der Münzfälschung: I. Fälle, quae in falsum, 2. solche, quae in crimen laesae majestatis in specie, 3. quae in utrumque incidunt, und beschränkte die Anwendung der Todesstrafe. In der Landesgesetzgebung tritt der rein fiskalische Gesichtspunkt gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts mehr und mehr hervor; so behandelt auch A L R . die Münzverbrechen unter den „Anmafsungen und Beeinträchtigungen der vorbehaltenen Rechte des Staates". In neuester Zeit wird der Begriff wesentlich erweitert durch Gleichstellung des P a p i e r g e l d e s sowie andrer geldvertretender Wertpapiere ( G e l d p a p i e r e ) mit dem gemünzten Gelde. Dagegen ist der wissenschaftliche Streit über das durch die Münzverbrechen verletzte oder gefährdete Rechtsgut auch in der Litteratur unserer Tage nicht zur Erledigung gebracht.

II. D i e s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g d e r s o g e n a n n t e n M ü n z v e r b r e c h e n . Die Münzverbrechen (ein Ausdruck, der dem geltenden Recht gegenüber jedenfalls viel zu eng ist) kennzeichnen sich dadurch, dafs sie rechtswidrige Handlungen in B e z u g a u f b e s t i m m t e W e r t z e i c h e n sind. Angriffsgegenstand der Geldverbrechen ist mithin nicht das angebliche Rechtsgut der publica fides (Treu und Glauben im rechtlichen Verkehr), das jeder schärferen begrifflichen Fassung widerstrebt. Auch nicht der Kredit (die Beweiskraft) gewisser Beglaubigungsformen für *) Über das noch bis tief ins 18. Jahrhundert angewendete Verbrennen der Münzfälscher vgl. Günther 2 45,

§ 158.

Geschichte und systematische Stellung der Geldverbrechen.

J41

rechtlichbedeutsame Thatsachen ( M e r k e l ) . Denn nicht wegen der Integrität der Geldzeichen an sich erläfst der Gesetzgeber seine Strafdrohungen, sondern weil durch die Verletzung dieser Integrität a n d r e Rechtsgüter, die Vermögensinteressen des Einzelnen, das Interesse des Publikums an der Sicherheit des rechtlichen Verkehrs, sowie die Münzhoheit des Staates, bedroht werden. Die Geldverbrechen gehören mithin als Mi f s b r a u c h d e r G e l d z e i c h e n zu den durch das M i t t e l d e s A n g r i f f e s gekennzeichneten Delikten (oben S. 187 und 309); und es kann nur verwirren, wenn man sie mit den Urkundendelikten zu einer angeblich einheitlichen Gruppe der „Fälschungsverbrechen" zusammenzufassen sucht. 2 ) III. Die Wertzeichen, die nach geltendem Recht den Gegenstand der Münzverbrechen bilden, sind: 1. G e l d , d. h. das vom Staate anerkannte Tauschmittel (als Wertmesser und Wertträger), und zwar Metallgeld wie Papiergeld, inländisches wie ausländisches Geld (StGB. § 146); 2. die StGB. § 149 angeführten 3 ) g e l d v e r t r e t e n d e n W e r t z e i c h e n (Geldpapiere); nämlich auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle vertretende Interimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Erneuerungsscheine, wenn diese von dem Reich, dem Norddeutschen Bunde, einem Bundesstaate oder einem fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privatperson ausgestellt sind. a ) In der Litteratur überwiegt die MerkePsdae Auffassung. Ihr huldigen unter andern Dinding Grundrifs 2 178 (Echtheit von Beweismitteln oder Be-

glaubigungsformen), v. Lilienthal Z 15 341, Meyer 707, Oppenheim (oben § 26

Note 2); insbes. Lenz (Litt, zu § 160). Dieser rechnet zu den Beglaubigungsmitteln: I. Geld, 2. Urkunden, 3. Mafs und Gewicht, 4. Grenz- und Wasserstandszeichen, 5. Warenzeichen. Damit ist der einheitliche OberbegrifT gesprengt. Und die entscheidende Frage bleibt trotz Lenz: ob diese Gegenstände um ihrer selbst oder um andrer Rechtsgüter willen geschützt werden. Dafs die Frage im Sinne der zweiten Alternative beantwortet werden mufs, scheint mir unbestreitbar. — Über die Bedenken gegen die herrschende Lehre vgl. v. Liszt falsche Aussage 1877 (S. 9.) Sie gewinnen bei den Urkundendelikten (auch beim Meineid) erhöhte Bedeutung. ' ) nicht aber Stempel-, Post- und Telegraphenwertzeichen, Versicherungsmarken usw.; vgl unten § 163 III, IV.

§ 159-

542

Die Arten der Geld verbrechen.

Die internationale Bedeutung der Geldzeichen S t G B , in § 4 Ziff. i anerkannt (oben S. i o i ) .

§

159.

hat

das

Die Arten der Geldverbrechen.

I. D i e eigentliche fafst zwei Fälle:

Münzfälschung (StGB. §

146) um-

1. Die F a l s c h m ü n z e r e i , d. h. d i e r e c h t s w i d r i g e Her-* Stellung von unechten G e l d z e i c h e n . O b diese an Metallwert den echten Münzen gleichstehen oder hinter ihnen zurückbleiben, ist gleichgültig. 1 ) Ebenso, ob sie ein thatsächlich vorhandenes G e p r ä g e „nachmachen" oder nicht (Herstellung v o n Vierzigmarkstücken). 2 ) Selbstverständlich ist ein gewisser Grad von Ähnlichkeit mit dem echten Gelde erforderlich, sonst könnte nur von untauglichem V e r s u c h der Münzfälschung oder von vollendetem B e t r u g gesprochen werden; aber es genügt, dafs die Möglichkeit eines wenn auch kurzen Umlaufs g e g e b e n ist, die Ähnlichkeit mithin hinreicht, um Täuschung im gewöhnlichen V e r k e h r herbeizuführen. D a „verrufenes", d. h. aufser K u r s gesetztes, Geld nicht mehr G e l d ist, so ist es rechtlich als Falschmünzerei zu betrachten, wenn verrufenem Gelde das An? sehen noch geltenden Geldes gegeben wird, obwohl das Gesetz diesen Fall zur Münzverfälschung gestellt hat. 2. Die Münzverfälschung, d. h. die Vornahme einer solchen Veränderung an echten Geldzeichen, durch welche diesen der Schein höhern W e r t e s gegeben wird (usw.). S o w o h l die Falschmünzerei als auch die Münzverfälschung erfordern begrifflich V e r b r e i t u n g s a b s i c h t auf Seiten des Thäters, d. h. die Absicht (gleich B e w e g g r u n d ) , das nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst (als echtes Verkehrsmittel) in V e r k e h r zu bringen (vgL oben § 153 Note 1). D a s Geld mufs „als echtes" übertragen werden, der E m p f ä n g e r also über seine Unechtheit sich im Irrtum befinden. E s genügt j e d o c h völlig, wenn die A b s i c h t des Thäters darauf gerichtet war, dieses Ziel erst durch eine oder *) Die Frage hat durch die steigende Silberentwertung erhöhte Bedeutung gewonnen. 3 ) Dagegen Frank § 146 I.

§ 159-

Die Arten der Geldverbrechen.

543

mehrere Mittelspersonen zu erreichen. Das „Gebrauchen" erscheint als Unterfall des Inverkehrbringens. Verbreitungsabsicht liegt demnach nicht v o r , wenn die Verfügungsgewalt bei dem Thäter bleiben soll, wenn dieser also etwa zur Erlangung von Kredit, zur Vedeckung eines Kassenabgangs usw. das unechte Geld lediglich vorzeigt; wohl aber, wenn er es zur Bestellung einer Sicherheit verwendet. Auch das Anbieten, ohne dafs das Geldstück endgültig aus der Hand gegeben wird, ist noch kein Verbreiten, wohl aber unter Umständen dessen Versuch. Die V o l l e n d u n g tritt jedoch nicht erst mit dem Verbreiten, sondern schon mit dem Fälschen ein. S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, daneben nach Ermessen Polizeiaufsicht; bei mildernden Umständen Gefängnis.

II. Der Münzbetrug (StGB. § 147), s ) d. h. das Verbreiten von gefälschten (nachgemachten oder verfälschten) Geldzeichen. V e r b r e i t e n bezeichnet auch hier jene Handlungen, durch welche das Geld, wenn auch nur in einzelnen Stücken, in den Verkehr gebracht wird. Der Münzbetrug ist als solcher nur stafbar : 1. Wenn die Fälschung von dem Verbreiter selbst, aber (das Gesetz sagt unrichtig „auch") ohne Verbreitungsabsicht vorgenommen worden; 2. wenn der Verbreiter sich das gefälschte Geld in Kenntnis dieses Umstandes anderweitig verschafft; 3. wenn der Thäter das gefälschte Geld zum Zwecke der Verbreitung (im Inland oder Ausland) aus dem Auslande einführt. Die Vollendung tritt in den beiden ersten Fällen mit der Verbreitung, im dritten bereits mit der Einfuhr ein. Das Geld mufs im ersten, nicht aber in den beiden andern Fällen als „echt" in den Verkehr gebracht werden. Die Strafe ist die der Münzfälschung (StGB. § 146).

III. A n ' d e n Münzbetrug reiht sich der Fall des § 148 StGB.: wenn jemand gefälschtes Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit 4 ) als echtes in Verkehr bringt.6) Das „Empfangen" verlangt Übertragung von seiten 3 ) Idealkonkurrenz mit § 263 ist auch hier möglich. Dagegen betrachtet Frank § 263 X die Münzdelikte überhaupt als Spezialfälle des Betrugs. 4 ) Eventueller Vorsatz genügt; dagegen Frank § 148 II. „Abschieben" verringerter M'.nzen (unten IV) gehört nicht hierher. 6 ) Schon im gemeinen Recht (Österreich 1656; Leyser u.a..) als milderer Fall des falsum behandelt.

§ 159-

544

Arten der Geldverbrechen.

eines andern, schliefst einseitiges Ansichnehmen (Stehlen, Finden usw.) aus.6) V o l l e n d e t mit der Verbreitung; S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert M a r k ; V e r s u c h strafbar. Dem -Betrüge gegenüber enthält § 148 den besonderen F a l l ; Idealkonkurrenz daher ausgeschlossen.

I V . Das sog. Kippen und Wippen oder die Münzverringerung, d. h. (StGB. § 150) das Verbreiten von echten, zum Umlaufe bestimmten Metallstücken, welche auf mechanischem (oder chemischem) W e g e (Beschneiden; Abfeilen, Ausschälen usw.) in ihrem Metallwerte verringert sind. Die Handlung ist demnach M ü n z verbrechen i. e. S.; entsprechende Verringerungen an Papiergeld vorgenommen fallen nicht unter § 150. Sie ist nur strafbar, 1. wenn der Thäter (Wipper) die Verringerung selbst vorgenommen hat oder 2. wenn er die von einem andern (Kipper) verringerten Münzen gewohnheitsmäfsig (oben S. 242) oder 3. im Einverständnisse mit dem Verringerer als vollgültig in Verkehr bringt. S t r a f e : Gefängnis, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie Ehrverlust. V e r s u c h strafbar.

V . Das AnschafFen oder Anfertigen von (Stempeln, Siegeln, Stichen, Platten oder andern) zur Anfertigung von Geldzeichen dienlichen Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens (StGB. § 151). Das Gesetz stellt hier gewisse V o r b e r e i t u n g s - , bez. V e r s u c h s h a n d l u n g e n als selbständige Verbrechen unter besondre Strafe; durch die Begehung des geplanten Münzverbrechens selbst wird die Strafbarkeit jener Handlungen beseitigt. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren. In allen bisher erwähnten F ä l l e n 7 ) ist auf E i n z i e h u n g des nachgemachten oder verfälschten Geldes, sowie der unter V bezeichneten Gegenstände zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet (StGB. § 152). 6)

Dagegen

§ 1 4 8 i , Meyer 7 2 2 .

die überwiegende Ansicht;

insbes

Caspar 36, Olshausett

R i c h t i g Frank 8 1 4 8 I, Hälschner 2 5 8 1 , Merkel H H . 3 2 2 4 .

' ) Dazu gehört anch die Münzverringerung des § 150 StGB. g e m . M e i n u n g , i n s b e s . Frank

Dagegen die

§ 1 5 2 I, Meyer 7 2 3 , Olshausett § 1 5 2 2 .

§ 159-

f i « Arten der Geldverbrechen.

545

V I . Im Zusammenhange mit den eigentlichen Münzverbrechen stehen die im § 360 Ziff. 4, 5, 6 StGB, enthaltenen Übertretungen ( S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder H a f t ) ; nämlich a) die A n f e r t i g u n g der oben unter V genannten Gegenstände ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde oder ihre V e r a b f o l g u n g an einen andern als die Behörde; b) das U n t e r n e h m e n e i n e s A b d r u c k e s von diesen Gegenständen oder d e s D r u c k e s v o n F o r m u l a r e n zu derartigen Papieren ohne schriftlichen Auftrag der Behörde oder die V e r a b f o l g u n g von Abdrücken an andre als die Behörde; c) die A n f e r t i g u n g o d e r V e r b r e i t u n g von Drucksachen oder A b bildungen, welche in Form oder Verzierung d e n G e l d z e i c h e n ä h n l i c h sind; sowie das Anfertigen von Formen, welche zur Erzeugung derartiger Drucksachen oder Abbildungen dienen können. Auf Einziehung der Vervielfältigungsmittel, Abdrücke, Abbildungen kann neben der Strafe erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Thäter gehören oder nicht.

VII. E s ist endlich in diesem Zusammenhange hinzuweisen auf das Gesetz vom 26. Mai 1885, betreffend den Schutz des zur Anfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung. Papier, welches dem zur Herstellung von Reichskassenscheinen verwendeten, durch äufsere Merkmale erkennbar gemachten Papier hinsichtlich dieser Merkmale gleich oder so ähnlich ist, dafs die Verschiedenheit nur durch Anwendung besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden kann, darf (§ 1) ohne Erlaubnis weder a n g e f e r t i g t oder aus dem Auslande e i n g e f ü h r t , noch (verkauft, feilgehalten oder sonst) in V e r k e h r gebracht werden (oben § 153 Note 1). Vorsätzliche Zuwiderhandlung wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und, wenn die Handlung zum Zweck eines Münzverbrechens begangen worden ist, mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Ist die Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so findet Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten Anwendung (§ 2). Neben der Strafe, aber auch selbständig, ist auf Einziehung zu erkennen (§ 3).

v o n L i s z t . Strafrecht.

9. Aufl.

35

§ i6o.

546

V.

Urkundenverbrechen.

Allgemeines.

Strafbare Handlungen an Urkunden. § 160. Allgemeines.

L i t t e r a t u r . Merkel HH. 3 784, 4 441. John Z 4 I ; gegen ihn v. Buri GS. 36 173 (Beiträge 260). Mommsen GS. 36 34; gegen ihn v. Buri GS. 36 310. John Z 6 I ; gegen ihn v. Buri GS. 39 36. v. Kries Z 6 88, insbes. 148. Riedel GS. 38 534 und GS. 39 161. Börne GS. 41 383. IVeismann Z 11 1. Warneyer GA. 41 2. Meyer GS. 47 81. Brodmann GS. 47 401. Pfizer GS. 52 425. Goldschmil GS. 55 161. Beling Z 18 293. — Hälsckner 2 5 1 8 . Lenz Die Fälschungsverbrechen in dogmatischer und rechtsvergleichender Darstellung. 1. Bd. Die Urkundenfälschung 1897. Dazu Kleinfeller KVS. 40 439. Teichmann Schweizer Zeitschrift 10 173. I. G e s c h i c h t e u n d s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g . Wie die Münar fälschung, so hat auch die Urkundenfälschung ihre Wurzel in der lex Cornelia t e s t a m e n t a r i a nummaria, deren zunächst auf Testamentfälschung beschränkte Bestimmungen durch eine Reihe von Quasifalsumsfällen wesentlich erweitert wurde. Das d e u t s c h e Recht hat der Fälschung von Siegeln und Urkunden (chartae, notitiae, Briefe und Handfesten usw.) die Stellung eines selbständigen Verbrechens eingeräumt und sie regelmäfsig mit dem Verluste der Hand oder auch mit der Strafe des Siedens bedroht. Die PGO. bestraft in Art. 1 1 2 an Leib oder Leben diejenigen, „welche falsche Siegel, Briefe, Urbar-, Rent- oder Zinsbücher oder Register machen". Das g e m e i n e Recht hat durch die Einreihung der Urkundenfälschung unter den allgemeinen und unbestimmten Begriff der Fälschung als der Verletzung der „öffentlichen Treue" die richtige Auffassung wesentlich erschwert. Auch das RStGB. spricht immer noch irreleitend von „Urkundenfälschung", obwohl der Inhalt des 23. Abschnittes zu dieser Überschrift nicht pafst, und verleitet dadurch auch die Wissenschaft (oben § 158 Note 2), an der veralteten und unzutreffenden Überlieferung festzuhalten. Nur in dem Falle des § 267 StGB, liegt eine „Fälschung" im eigentlichen Sinne vor. Aber auch hier tritt das F ä l s c h e n gänzlich zurück hinter dem G e b r a u c h m a c h e n , mit welchem erst die Vollendung gegeben ist. Bei der F a l s c h b e u r k u n d u n g aber (StGB. § 271) ist von Fälschung ebensowenig die Rede, wie bei der V e r n i c h t u n g einer fremden Urkunde (StGB. § 274 Ziff. I). Das Gemeinsame der hierher gehörenden Fälle kann vielmehr nur darin gefunden werden, dafs sie an U r k u n d e n , also an Beweismitteln, begangen werden. Wie bei den Geldverbrechen ist es das M i t t e l und nicht die R i c h t u n g des Angriffs, wodurch sich die einheitliche Eigenart der Gruppe bestimmt. Nicht um ihrer selbst willen schützt der Gesetzgeber die Urkunde, sondern um der verschiedenartigen Rechtsgüter willen, für welche die Urkunde im Rechtsverkehr von Bedeutung werden kann. Aber auch der Urkundenbegriff bildet nicht mehr als den Kern, um den sich andre vom Gesetzgeber in diesem Abschnitte behandelte Vergehen anlagern. Wenn der Grenzstein zwar nicht immer eine Urkunde darstellt, wohl

§ l6o.

Urkundenverbrechen.

Allgemeines.

547

aber sie darstellen kann, so ist bei den in StGB. §§ 275 und 276 angeführten Wertzeichen der Begriff der Urkunde bereits völlig verlassen.

II. D e r B e g r i f f d e r U r k u n d e . Urkunde im strafrechtlichen Sinne (anders im Sinne des Prozefsrechts) ist jeder Gegenstand, welcher zu dem Zwecke angefertigt ist, durch seinen gedanklichen Inhalt (nicht nur durch sein Dasein) eine rechtserhebliche Thatsache zu beweisen (also sowohl dispositive oder rechterzeugende wie rechtbezeugende Äufserungen). Urkunden sind daher nicht nur S c h r i f t s t ü c k e (auch Phonogramme), sondern auch andre Gegenstände, welche durch Worte oder w o r t v e r t r e t e n d e Z e i c h e n zur Mitteilung von Gedanken bestimmt und geeignet sind; auch Denkmäler, Kerbhölzer, Waldhammeranschläge, Marken, Siegel, Wappen usw. k ö n n e n hierher gehören. 1 ) Die Urkunde mufs a n g e f e r t i g t , errichtet, aufgenommen sein, d. h. die Beweisbestimmung durch einen mafsgebenden Willen bei der Errichtung aufgeprägt erhalten haben. Nur solchen Beweisurkunden, nicht allen, welche im zivil- und strafprozessualen Verfahren von Bedeutung sind, verleiht das Strafrecht seinen eigenartigen Schutz. B e w e i s b e s t i m m u n g , nicht B e w e i s f ä h i g k e i t , macht das Wesen der Urkunde aus.2) Die Urkunde mufs bestimmt sein, eine r e c h t l i c h e r h e b l i c h e T h a t s a c h e (nicht blofs die Identität eines Gegenstandes oder die Person seines Eigentümers) zu beweisen, d. L eine Thatsache, welche entweder für sich allein oder in Verbindung mit andern Thatsachen die Entstehung, Aufhebung oder Veränderung von Rechtsverhältnissen bewirkt. Die Urkunden sind entweder öffentliche oder private, in*) Auch an sich bedeutungslose Zeichen können durch Vereinbarung unter den Beteiligten Urkundenqualität erhalten. So R wiederholt; zuletzt 29. Januar 96 28 152. Vgl aber auch R 23. Oktober 96 29 118 (Durchlochuag der Bahnsteigkarte ist keine Urkunde). a ) Übereinstimmend insbes. Hälschner 2 520, Meyer 709, Olshausen § 267 3; auch R 19. Dezember 87 17 103, 25. Oktober 89 20 6, 19. Oktober •91 22 182. Dagegen insb. Ver. Strafsenate 6. März 83 8 92; ferner Beling, Borne, v. Buri, Frank, Goldschmit, John, v. Kries, Mommsen, Riedel, Teichmann, Weismann. — Viel weitergehend rechnet Lenz alle im Prozefs verwendeten Beweisstücke hierher (die Prozefsurkunde). Damit ist aber das Merkmal der Beweisbestimmung preisgegeben. Geld und geldvertretende Wertpapiere sind keine Urkunden im Sinne des Gesetzes; ebensowenig die Warenzeichen; Idealkonkurrenz ist daher ausgeschlossen. Milder bestrafte Sonderfälle enthält StGB. § 363 und Handelsgesetzbuch (neue Fassung) § 316. 35*

548

§ l6o.

Urkundenverbrechen.

Allgemeines.

ländische oder ausländische. Der Begriff der ö f f e n t l i c h e n Urkunden bestimmt sich nach ZPO. § 415 (neue Fassung). s ) Eine i n l ä n d i s c h e p r i v a t e Urkunde ist diejenige, die im Inlande (wenn auch von einem Ausländer) ausgestellt worden ist; eine inländische ö f f e n t l i c h e Urkunde dagegen diejenige, welche von einer inländischen öffentlichen Behörde (wenn auch im Auslande, z. B. von dem deutschen Konsul in London) ausgestellt worden ist. Inländischen wie ausländischen Urkunden gewährt das Gesetz den gleichen Rechtsschutz. Auch die öffentliche Urkunde mufs U r k u n d e sein, also der obigen Begriffsbestimmung entsprechen. Damit ist sie aber auch ohne weiteres unter den Schutz des Strafgesetzes gestellt; der Gesetzgeber verlangt hier schlechthin Achtung vor der Urkundenform. Anders bei Privaturkunden. Diese geniefsen den vollen Schutz des Gesetzes nur dann, w e n n s i e , sei es allein, sei es in Verbindung mit andern Beweismitteln, z u m Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen (also unmittelbar von rechtlich erheblichen Thatsachen) v o n E r h e b l i c h k e i t sind; aufser der B e w e i s b e s t i m m u n g der Urkunde, aufser der Rechtserheblichkeit der Thatsache ist B e w e i s e r h e b l i c h k e i t der Urkunde erforderlich. Es ist dies kein in dem Begriffe der Urkunde l i e g e n d e s , sondern ein zu den Begriffsmerkmalen h i n z u t r e t e n d e s Merkmal. Zu beachten ist, dafs die B e w e i s e r h e b l i c h k e i t sich durchaus nicht gerade auf jene Thatsachen zu beziehen braucht, zu deren Beweise die Urkunde b e s t i m m t ist. Die Beweiserheblichkeit der Privaturkunde setzt aber vor* aus, dafs der A u s s t e l l e r in der Urkunde entweder ausdrücklich genannt oder doch aus dieser, wenn auch nur in Verbindung mit andern Umständen, für die Beteiligten deutlich erkennbar sei. N a m e n s u n t e r s c h r i f t ist mithin nicht erforderlich ; es genügt einerseits Stempelung, mechanische Unterzeichnung jeder Art, insbesondere Druck, anderseits Nennung der Firma, Unterzeichnung durch Beisetzung eines Kreuzes, der Anfangsbuchstaben des Namens; ja, es kann von jeder Unter') Auch der Vermerk des Postbeamten auf der Postanweisung ist öffentliche Urkunde. So R 14. April 93 2 4 130; dagegen Beling Z 18 295 (weiL der Staat hier nur als Fiskus auftritt).

§ i6l.

i . Die eigentliche Urkundenfälschung.

549

Zeichnung gänzlich abgesehen werden (Blechmarken, Waldhammeranschläge, Stempel auf Eisenbahnschienen), w e n n über die Person des Ausstellers f ü r d i e B e t e i l i g t e n kein Zweifel besteht.

§ 161.

I. Die eigentliche Urkundenfälschung.

I. D i e H a n d l u n g . Nach dem R S t G B . (§ 267) setzt sich die Urkundenfälschung aus zwei, zeitlich und räumlich möglicherweise auseinander fallenden Handlungen zusammen: dem F ä l s c h e n und dem G e b r a u c h e n der Urkunde, wobei jedoch das Schwergewicht auf dem letzteren liegt. 1. Das Fälschen umfafst: a) Das Nachmachen oder Fälschen im engern Sinne, d. h. die Herstellung einer unechten urkundlichen Beglaubigungsform. U n e c h t aber ist die Urkunde, wenn ihre ausdrückliche oder stillschweigende A n g a b e über den Aussteller der Urkunde unrichtig ist. A u c h die Unterzeichnung des Namens eines verstorbenen oder überhaupt nicht vorhandenen Menschen ist mithin Urkundenfälschung; sie wird dagegen durch das rechtswirksame Einverständnis des dritten, dessen Name unterzeichnet werden soll, ausgeschlossen. Dagegen kann Urkundenfälschung nicht mehr angenommen werden, wenn die Unterschrift von dem angeblichen Aussteller thatsächlich herrührt, von diesem aber durch Täuschung oder Drohung erlangt wurde, oder wenn die in der Urkunde von dem angeblichen Aussteller wirklich bestätigte Thatsache unwahr ist. b) Das Verfälschen einer echten Urkunde, d. h. eine derartige Veränderung ihres Inhaltes, dafs ihre ursprüngliche Beweiserheblichkeit aufgehoben oder umgestaltet wird. Ob der nunmehrige Inhalt der Urkunde der thatsächlichen Wahrheit entspricht oder nicht, ist begrifflich gleichgültig. c) Der fälschlichen Anfertigung einer Urkunde wird gleichgeachtet (§ 269 RStGB.) der Blankettmifsbrauch, d. h. der Fall, wenn jemand einem mit der (echten) Unterschrift (oben S. 548) eines andern versehenen Papiere ohne dessen Willen oder dessen Anordnungen zuwider durch Ausfüllung einen

§ l6i.

i. Die eigentliche Urkundenfälschung.

urkundlichen Inhalt (oder einen a n d e r n als den verabredeten Inhalt) giebt. 2. Das Gebrauchen zum Zwecke der Täuschung, d. h. die Verwendung der Urkunde im rechtlichen Verkehr als eines in sinnlicher Gestalt sich darstellenden Beweismittels, mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Behauptung ihrer Echtheit und Unverfälschtheit.1) Gleichgültig ist es, ob der Zweck, die Täuschung des andern, erreicht wurde oder nicht. Die sinnliche Vorweisung der in den Händen des Thäters befindlichen Urkunde bildet den häufigsten, aber nicht den einzigen Fall des Gebrauchens; es genügt jede Veranstaltung, durch welche dem zu Täuschenden die Urkunde thatsächlich zu G e s i c h t g e b r a c h t w i r d , sei es, dafs sie durch eine Mittelsperson ihm vorgezeigt, sei es, dafs sie auf andre Weise (durch Hineinstecken in die Tasche, Einlegen in ein Buch, in andre Schriften, in den Schrank usw.) ihm in die Hand gespielt wird. Zur Vollendung ist s i n n l i c h e W a h r n e h m u n g der Urkunde durch den Getäuschten erforderlich. Dagegen ist nicht Gebrauchen die Bezugnahme auf eine Urkunde, das Vorlesen oder die Behauptung'ihrer Echtheit (wenn sie nicht gleichzeitig vorgewiesen wird), die Vorlegung einer Abschrift (falls diese nicht selber als eine Urkunde sich darstellt).2) Demnach ist die Aufgabe einer mit falschem Namen unterzeichneten rechtserheblichen Depesche nur ansnahmsweise als Urkundenfälschung zu betrachten. Denn durch die A u f g a b e depesche wird der Telegraphenbeamte nicht getäuscht, und in der A n k u n f t s d e p e s c h e erhält der Adressat keine Urkunde.8) Sie mufs als Beglaubigungsmittel für eine rechtlich erhebliche Thatsache gebraucht sein: R 21. Januar 96 2 8 130. Verkauf an Autographensammler genügt nicht. Vgl. oben S. 543. 2 ) Dagegen Olshausen § 267 35 (Möglichkeit der Wahrnehmung genügt); ähnlich Frank § 267 V (Zugänglichkeit), Meyer 714 und GS. 47 97, Weismann Z II 76, sowie R, insbes. 8. April 89 19 215. Vgl. ferner R 10. Dezember 86 15 110 (Vorlesen genügt), 27. Juni 87 16 228 (Abschrift genügt). Im Sinne des Textes R 3. Dezember 94 26 270, 26. Januar 97 29 357. 3 ) Die Entsch. der Ver. Senate 6. März 83 8 92 nimmt, wie früher OT., an, dafs die Ankunftsdepesche eine Urkunde sei, welche der Aufgebende durch das Werkzeug des Telegraphenamtes, „also unter Benutzung von Naturkräften", selbst mittelbar angefertigt (wohl auch ausgetragen?) habe. Ebenso Frank § 267 VIII, Goldschmit GS. 55 206, Hälschner 2 546, John 1 508 fr., Merkel H H 4 449, Meyer 710 und GS. 47 105, Momtnsen GS. 28 611, 36 56, Olshausen § 267 41, Scherer GS. 28 605, Weismann u. a. Diese Ansicht verkennt

§ i6l.

i . Die eigentliche Urkundenfälschung.

Anders liegt die Sache nur dann, wenn, was nach der Telegraphenordnung vom 9. Juni 1897 allerdings möglich ist, der Aufgeber zum Nachweise der Echtheit seiner Unterschrift angehalten worden ist oder ihn freiwillig erbracht hat. In diesem Falle liegt in der Aufgabe der Depesche ein Gebrauchmachen zum Zwecke der Täuschung. 4 ) Dafs der zu Täuschende und der zu Beschädigende nicht dieselbe Person zu sein brauchen, dürfte keinem Zweifel unterliegen. II. D i e A b s i c h t . Fälschen sowohl wie Gebrauchen mufs erfolgen in rechtswidriger Absicht, d. h. in der Absicht, von der Urkunde im rechtlichen V e r k e h r zum Z w e c k e der T ä u s c h u n g als B e w e i s m i t t e l Gebrauch zu machen. Diese Absicht mufs bei dem ersten Teil der stratbaren Thätigkeit, dem Fälschen, bereits als B e w e g g r u n d vorliegen; während sie bei dem zweiten Teil als V o r s a t z lediglich das Bewufstsein bedeutet, dafs man von der Urkunde als Beweismittel zum Zwecke der Täuschung Gebrauch mache. Schädig u n g s a b s i c h t ist nicht erforderlich. III. D i e A r t e n . 6 ) Nach StGB. § 267 liegt Urkundenfälschung vor, wenn d e r s e l b e T h ä t e r in rechtswidriger A b sicht eine inländische oder ausländische öffentliche Urkunde oder eine solche Privaturkunde, welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder das Wesen der Telegraphen, welches in der selbständigen Reproduktion der Mitteilung besteht (vgl. S. 524). Gegen die herrschende Ansicht neuerdings Dambach (Litt, zu § 150) 109. Unrichtig auch Lenz 1 1 5 , der in der Ankunftsdepesche die Bescheinigung erblickt, dafs eine bestimmte Mitteilung einer bestimmten Person eingetroffen sei. Das k a n n das Telegraphenamt gar nicht bescheinigen. — Übergabe der Aufgabedepesche erklären für Gebrauchmachen Ortloff GA. 28 203 und besonders Dambach (die Urkunde wird dadurch dem Adressaten, der Einsicht der Urschrift verlangen kann, „zugänglich" gemacht; vgl. oben Note 2). Dagegen (also übereinstimmend mit dem Text) die meisten, auch Olshausen, sowie Lenz 184. — Die Auslieferungsverträge erwähnen teilweise den Fall ausdrücklich. So (im Anschlufs an das belgische StGB.) der Vertrag mit dem Kongostaat vom 25. Juli 1890: „Faux en écritures ou dans des dépêches télégraphiques". Vgl. auch StGB. § 355. 4 ) Wenn ein Telegraphenbeamter dem am Apparate sitzenden Kollegen unter falschem Namen telegraphiert, k a n n Fälschung vorliegen, falls der Apparat selbstthätig auf dem abrollenden Papierstreifen die Zeichen druckt. Anders wenn der Empfänger die Nachricht nicht abliest, sondern dem arbeitenden Apparate unmittelbar abhört (Klopfapparat). 6 ) Über RStGB. § 92 Ziff. 2 vgl. unten § 166 III.

552

§ l6i,

I. Die eigentliche Urkundenfälschung.

fälschlich anfertigt u n d von ihr zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch • macht. Doch wird es nach S t G B . § 2 7 0 der Urkundenfälschung gleichgeachtet, wenn jemand von einer falschen oder verfälschten Urkunde, wissend, dafs sie falsch oder verfälscht ist, zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. Fälschen o d e r Gebrauchen begründet Thäterschaft (Mitthäterschaft). Bei mehrfachem Gebrauchen derselben falschen Urkunde liegt ebenso wie bei einmaligem Gebrauchen mehrerer gefälschter Urkunden nur e i n e strafbare Handlung vor. IV. D i e V o l l e n d u n g der Urkundenfälschung tritt in beiden Fällen (§ 267 und § 270) erst mit dem Gebrauchen der Urkunde (oben S. 550) ein. Dagegen beginnt der V e r s u c h , welcher allerdings bei der einfachen Urkundenfälschung nicht strafbar ist, im Falle des § 267 schon mit dem Beginne des Fälschens, 6 ) im Falle des § 2 7 0 erst mit dem Beginne des Gebrauchens. V. Die S t r a f e besteht regelmäfsig in Gefängnis (StGB. § 267). E r h ö h t e Strafe tritt ein (StGB, §268), wenn die Fälschung entweder I. in gewinnsüchtiger Absicht, d. h. in der Absicht, sich oder einem anderen einen (nicht notwendig rechtswidrigen)') V e r m ö g e n s v o r t e i l (oben § 1 3 9 Note 5) zu verschaffen oder aber 2. in der Absicht (gleich Beweggrund) begangen wird, einem andern S c h a d e n (an irgend einem Rechtsgut, nicht notwendig V e r m ö g e n s s c h a d e n ) 8 ) zuzufügen. Die erhöhte Strafe beträgt: a) Bei Fälschung von P r i v a t u r k u n d e n 6 ) Sehr bestritten. Übereinstimmend Frank § 268 II, Merkel 122 sowie HH. 3 801, 4 448, Weismann Z 11 78, R 27. Mai 87 16 133; dagegen Birkmeyer (Litt, zu § 49) 107, Hälschner 2 553, Schütze 487, R 2. Oktober 82 7 54, 17. Dezember 85 13 213, insbes. aber Olshausen § 268 7, welche die Lage des Einzelfalls entscheiden lassen wollen, während Baumgarten 413, Cohn (beide Litt, zu § 46) 1 640, Kohler 1 18, Lenz 197 die Annahme eines Versuchs unbedingt ablehnen. 7 ) Also anders als beim Betrug. Übereinstimmend R wiederholt, zuletzt 16. Oktober 84 11 155; Fuchs GA. 19 425, Meyer 712, Olshausen § 268 x. Dagegen Binding 1 464 Note 24, Frank § 268 I, Hälschner 2 551, Lenz 195, Merkel HH. 3 799. Es genügt also die Absicht, den Schuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtung zu veranlassen. 8 ) Alfo gleich dem „Rechtsnachteil" in StGB. § 158. Ebenso Meyer 713, v. Wächter 468; R. 5-/12. März 83 8 188. Dagegen Frank § 268 I, Hälschner 2 552, Lenz 196, Merkel HH. 3 800, Olshausen § 268 3, Schütze 488 Note 15. Verletzung der Ehre, der Freiheit usw. genügt; nicht aber Gefährdung. Franks Bestimmung (§ 274 I): „mefsbare Verschlechterung der Verhältnisse" deckt sich mit dem V e r m ö g e n s s c h a d e n : denn Mafsstab kann nur der Geldwert sein (oben § 108 Note 7).

§ IÖ2.

2. Die Falschbeurkundung.

553

Zuchthaus bis zu fünf Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark; b) bei Fälschung von ö f f e n t l i c h e n Urkunden Zuchthaus bis zu zehn Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark. — Bei mildernden Umständen zu a) Gefängis nicht unter einer Woche, zu b) nicht unter drei Monaten; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. — Neben Gefängnis Ehrverlust nach Ermessen (§ 280) 10 ).

§ 162.

2. Die Falschbeurkundung.

L i t f c e r a t u r . Kohler Studien 5 544. — J. Weifs Das Examen in strafrechtlicher Betrachtung. Erlanger Diss. 1891. Lenz (Litt, zu § 160) 209, 231.

I. Verschieden von der Urkundenfälschung ist die F a l s c h b e u r k u n d u n g . Das Wesen der ersteren besteht in der Nachmachung oder Veränderung der B e g l a u b i g u n g s f o r m . Ob der durch die Fälschung hergestellte I n h a l t der Urkunde mit der Wahrheit übereinstimmt oder nicht, ist begrifflich gleichgültig. Es kann trotz Ubereinstimmung Urkundenfälschung vorliegen; so z. B. wenn der Schuldner, welcher die Forderung des Gläubigers befriedigt, aber von diesem keine Empfangsbestätigung erhalten hat, sich eine solche anfertigt. Und es kann trotz Nichtübereinstimmung die Annahme einer Urkundenfälschung ausgeschlossen sein; so z. B. wenn der noch nicht befriedigte Gläubiger durch listige Vorspiegelungen von seiten des Schuldners zur Ausstellung der Empfangsbestätigung bestimmt wird. Das Wesen der Falschbeurkundung dagegen besteht in der i n h a l t l i c h e n U n w a h r h e i t der echten und unverfälschten Urkunde. Irreleitend ist der Ausdruck „ m a t e r i e l l e " oder „ i n t e l l e k t u e l l e " Urkundenfälschung, dem „faux intellectuel" des französischen Rechts (C. penal Art. 147) nachgebildet, aus welchem dieses Vergehen in das preufsische (§ 252) und in das deutsche StGB, übergegangen ist. III. Das R S t G B . bedroht im allgemeinen 1 ) nur die ö f f e n t l i c h e materiell unrichtige Beurkundung oder genauer (StGB. § 271) die in öffentlichen Urkunden, Büchern, Registern 10 ) Über die Bestrafung des Beamten, der eine ihm anvertraute oder zugängliche (echte) Urkunde verfälscht, vgl. StGB. § 348 Abs. 2 (unten § 179 V I 2). Vgl. aber auch unten § 163 V I 2.

554

§ IÖ2.

2. Die Falschbeurkundung.

erfolgende Beurkundung, dafs Erklärungen, Verhandlungen oder Thatsachen, welche für Rechte oder Rechtsverhältnisse von Erheblichkeit sind, abgegeben worden oder geschehen seien, während sie überhaupt nicht oder in andrer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer andern Person abgegeben oder geschehen sind. 2) Der Begriff der Urkunde ist derselbe wie oben S. 547; er umfafst auch die v o m Gesetze ausdrücklich hervorgehobenen „Bücher" und „Register". Die Urkunden müssen aber „öffentlich" in dem Sinne sein, dafs sie j e d e m g e g e n ü b e r vollen Beweis der beurkundeten Thatsache liefern, also für den ä u f s e r n Verkehr, nicht nur für den innern Dienst bestimmt sind. Grund- und Hypothekenbücher, Patentrollen, Handels-, Schiffahrts- und Standesregister gehören hierher; ebenso Listen der Gefängnisse und Strafanstalten über die Strafgefangenen, nicht aber die Strafregister der Staatsanwaltschaften oder die Impflisten der Ärzte. Der Beamte, welcher die falsche Beurkundung wissentlich vornimmt, macht sich eines Amtsvergehens (StGB. § 348) schuldig; 8 ) der Nichtbeamte wird, abgesehen von etwaiger Teilnahme an dem Amtsvergehen, bestraft, wenn er: a) die falsche Beurkundung b e w i r k t (StGB. § 2 7 1 ) , d . h . veranlafst, dafs der eintragende Beamte o h n e K e n n t n i s der Unwahrheit die unwahre Thatsache (z. B. dafs A die Mutter des neugeborenen Kindes sei, dafs B in die Löschung der zu seinen Gunsten eingetragenen Hypothek eingewilligt habe) in das öffentliche Buch usw. einträgt, 4 ) oder wenn er b) von einer solchen falschen 5) Beurkundung zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht (StGB. § 273). Die V o l l e n d u n g

tritt im ersten Falle mit dem Eintrag, im zweiten

2 ) Die Nichteintiagung einer einzutragenden Thatsache genügt, wenn sie Beweis liefert, dafs sich die Thatsache nicht ereignet habe. 3) Unten § 179 V I I. Vgl. Seemannsordnung von 1873 §§ 93 Ziff. 1, 99 Ziff. 2 (hier ist schon der Versuch einer Täuschung des Seemannsamtes unter Strafe gestellt). 4 ) Bewirkung der Eintragung durch den getäuschten Beamten wäre nach allgemeiner Regel (oben S. 221) Selbstbegehung des Amtsverbrechens. S t G B . § 2 7 1 enthält mithin eine völlig ungerechtfertigte Begünstigung des Nichtbeamten. Dagegen Frank § 271, I, Lenz 239. 6 ) also nach § 271 zu stände gekommenen. Viel weiter Frank § 271 I.

§ 163. 3- Die übrigen Urkundenverbrechen.

555

mit dem Gebrauchen ein. T e i l n a h m e ist nach allgemeinen Grundsätzen möglich. •) S t r a f e in beiden Fällen: I. Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark. 2. Wenn in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht (oben § 161 Note 7 und 8) begangen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren und daneben nach Ermessen Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark oder bei mildernden Umständen Gefängnis und daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark (StGB. §§ 272 und 273). Versuch hier strafbar.

§ 163.

3. Die übrigen Urkundenverbrechen.

1. D i e U r k u n d e n b e s e i t i g u n g (StGB. § 274 Ziff. 1), bildet das Gegenstück zur Urkundennachmachung. Wie diese Herstellung, so ist jene Beseitigung der (inländischen oder ausländischen) Urkunde a l s B e w e i s m i t t e l . Der Begriff der Urkunde ist derselbe wie oben S. 547. Als Beseitigungshandlungen nennt das Gesetz: einerseits V e r n i c h t u n g oder B e s c h ä d i g u n g der Urkunde, wobei in erster Linie der Beweismittelinhalt und nur mittelbar ihre Substanz in Frage kommt; 1 ) anderseits d i e U n t e r d r ü c k u n g d e r Urkunde. „Unterdrücken" umfafst sowohl das „Verheimlichen" als auch das Beiseiteschaffen" (oben § 137 Note 3). Den Gegensatz würde das Aneignen (oben S. 448) bilden. Doch schliefst die Absicht, später selbst von der jetzt unterdrückten Urkunde Gebrauch zu machen, den Begriff der Unterdrückung nicht aus. Die Urkundenbeseitigung ist nur strafbar, wenn 1. die Urkunde dem Thäter nicht oder nicht ausschliefslich gehört (also im Eigentum oder Miteigentum eines dritten steht)2) und 2. dafs die Beseitigung in der Absicht (gleich Beweggrund) 3 ) erfolgt, einem andern einen Nachteil (oben S. 552) zuzufügen. S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Ehrverlust nach Ermessen (§ 280) 4). ") R 28. Januar 98 30 429. ') Der Stempel einer Eisenbahnschiene kann ohne Substanzbeschädigung durch Erhitzen beseitigt werden [Finger). 2 ) Ebenso Frank § 2 7 4 , I, Hälschner 2 560, Merkel HH. 3 807; dagegen Olshausen § 274- 2 (Editionsrecht eines andern genügt). 3) R 24. Juni 87 16 150, Frank § 274 I ; dagegen Olshausen § 274 7. 4 ) Über die Strafbarkeit des Beamten, der eine ihm anvertraute oder

556

§ 163.

3- Di« übrigen Urkundenverbrechen.

II. Die Grenzverrückung (StGB. § 274 Ziff. 2). Der Grenzstein fallt nicht notwendig unter den Begriff der Urkunde. Wenn er auch Beweisbestimmung und Beweiserheblichkeit in sich trägt, so beweist er doch, soweit nicht wortvertretende Zeichen an ihm angebracht sind, nicht durch seinen Inhalt, sondern durch sein Dasein (seinen Standort). Dementsprechend nimmt die Grenzverrückung im römischen wie im mittelalterlichdeutschen Recht eine durchaus selbständige Stellung neben der Urkundenfälschung ein; eine Stellung, die sie insbesondere zäh festgehaltenen religiösen Vorstellungen verdankt. Die PGO. bedroht in Art. 114 mit willkürlicher Strafe denjenigen, „welcher böslicher- und gefahrlicherweise eine Untermarkung, Reinung, ein Mal oder einen Markstein verrückt, abhaut, abthut oder verändert". Diesen Standpunkt hält das g e m e i n e Recht wie die neuere Gesetzgebung fest.

§ 274 Ziff. 2 bedroht denjenigen, welcher einen Grenzstein oder ein andres zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes durch die Behörde oder durch den Willen der Berechtigten) bestimmtes Merkmal5) in der Absicht (Beweggrund), einem andern Nachteil (oben S. 552) zuzufügen, 1. wegnimmt oder vernichtet, 2. unkenntlich macht oder verrückt, 3. fälschlich setzt (d. h. den Schein erweckt, als sei durch mafsgebenden Willen der Standort bestimmt worden). Diese drei Fälle entsprechen dem Beseitigen, Verfälschen und Nachahmen von Urkunden. In jedem dieser Fälle ist vorausgesetzt, dafs dem „Merkmal" die Beweisbestimmung für eine rechtlich erhebliche Thatsache eingeprägt sei: die Beseitigung des Erinnerungszeichens an die Wasserhöhe bei einer besonders denkwürdigen Überschwemmung fällt nicht unter § 274. S t r a f e : Gefängnis; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie Ehrverlust (§ 280).

III. Strafbare Handlungen an oder mit Stempel-, Post- und Telegraphenwertzeichen. Da die Reichsgesetzgebung die ausländischen Staatseinrichtungen nicht ohne weiteres den inländischen gleichstellt und, wo dies geschehen soll, dies stets ausdrücklich hervorhebt, können die hierher gehörigen Bezugängliche Urkunde vernichtet, beschädigt, beiseiteschafft, vgl. StGB. § 348 Abs. 2 (unten § 179 V I 2); über das Delikt des § 1 3 3 StGB, unten § 176 III. •) Auch Grenzraine. StGB. § 370 Ziff. x hat nur das Abgraben oder Abpflügen, nicht das Beseitigen im Auge; R 29. Dezember 91 22 286, Nicht aber der Grenzbach, dessen Ableitung straflos bleibt.

§ 163.

3- Die übrigen Urkundenverbrechen.

557

Stimmungen nur auf i n l ä n d i s c h e Wertzeichen bezogen werden. 6 ) D i e richtige systematische Stellung dieser Gruppe

von

straf-

baren Handlungen wäre bei den Geld verbrechen ( S t G B . § 146), beziehungweise bei den Finanzverbrechen. Im einzelnen gehören hierher: 1. Das N a c h m a c h e n oder V e r f ä l s c h e n in Gebrauchsabsicht, sowie das G e b r a u c h e n von gefälschten Gegenständen dieser Art, mag auch die Fälschung nicht von dem Thäter herrühren (§ 275). „Gebrauchen" umfafst neben der Hinterziehung der Gebühr auch die Veräufserung als Wertzeichen (nicht für eine Markensammlung). Die Vollendung tritt im ersten Falle mit dem Fälschen, im zweiten erst mit dem Gebrauchen ein. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten, daneben Ehrverlust nach Ermessen (§ 280). 2. Die w i s s e n t l i c h e W i e d e r v e r w e n d u n g v e r w e n d e t e r S t e m p e l zu stempelpflichtigen Schriftstücken (StGB. § 276). Gleichgestellt ist durch Gesetz vom 13. Mai 1891 die wissentliche Benutzung schon einmal verwendeter Post- und Telegraphenwertzeichen zur Freimachung, n a c h gänzlicher oder teilweiser E n t f e r n u n g 7 ) des Entwertungszeichens. S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark. Abweichend von der Vorschrift des § 73 StGB, ist diese Strafe n e b e n der Hinterziehungsstrafe zu verhängen. 3. Das w i s s e n t l i c h e V e r ä u f s e r n o d e r F e i l h a l t e n von bereits verwendetem Stempelpapier n a c h E n t f e r n u n g der darauf gesetzten Schriftzeichen, sowie von bereits verwendeten Stempelmarken, Stempelblanketten, ausgeschnittenen oder sonst abgetrennten Stempelabdrücken (StGB. § 364). S t r a f e : Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark. 4. A n f e r t i g u n g von Formen, welche zur Erzeugung von Stempelpapier usw. dienen können, ohne schriftlichen Auftrag der Behörde, oder V e r a b f o l g u n g an einen andern als die Behörde (StGB. § 360 Ziff. 4). S t r a f e : Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft. 5. Das unbefugte U n t e r n e h m e n (gleich Herstellen) o d e r V e r a b f o l g e n e i n e s A b d r u c k e s von den unter 4 genannten Formen (StGB. § 360 Ziff. 5). S t r a f e : wie zu 4. Einziehung zu 4 und 5i ohne Unterschied, ob die Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht, nach Ermessen. Durch Gesetz vom 13. Mai 1891 sind auch in den Fällen unter 3—5 P o s t - u n d T e l e g r a p h e n w e r t z e i c h e n gleichgestellt worden. 6 ) Frank § 275 I, Hälschner 2 566, Heime (Litt, zu § 20) 131, Lenz 99, Olshausen § 275 2. Dagegen Dambach (Litt, zu § 150) 68, 81 (abweichend für StGB. § 276), Merkel HH. 3 810, Meyer 715, auch R 20. Juni 82 6 387. Durch den Weltpostvereinsvertrag (neue Fassung vom 15. Juni 1897) Art. 18 haben sich die Vertragsstaaten zur Gleichstellung der ausländischen und inländischen Postwertzeichen verpflichtet. Dieser Verpflichtung ist das deutsche Reich mithin noch nicht nachgekommen. — Gestempelte Briefumschläge und Telegraphenwertzeichen werden nicht mehr ausgegeben. ') Findet diese Entfernung nicht statt, so liegt einfache Gebührenhinterziehung vor.

55»

§ IV.

An

l
3-

3- Die übrigen Urkundenverbrechen.

die eben

erwähnten

Bestimmungen

schliefst

das

Gesetz v o m 2 2 . Juni 1 8 8 9 betreffend die Invaliditäts- und A l t e r s versicherung seine Strafdrohungen zum S c h u t z e der

Versiche-

r u n g s m a r k e n 8 ) (§§ 1 5 4 , 1 5 5 ) . Bedroht wird: 1. Das N a c h m a c h e n o d e r V e r f ä l s c h e n in Gebrauchsabsicht sowie das G e b r a u c h e n solcher Marken. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; daneben Ehrverlust nach Ermessen. 2. Die wissentliche W i e d e r v e r w e n d u n g bereits verwendeter Marken sowie das wissentliche V e r ä u f s e m oder F e i l h a l t e n verwendeter Marken, n a c h gänzlicher oder teilweiser E n t f e r n u n g der darauf gesetzten Entwertungszeichen. S t r a f e : wie zu I ; bei mildernden Umständen kann auf Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder auf Haft erkannt werden. In beiden Fällen (i und 2) ist auf Einziehung der Marken zu erkennen, ohne Unterschied ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht; und zwar auch dann, wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht stattfindet. 3. a) Die unbefugte H e r s t e l l u n g von F o r m e n , welche zur Anfertigung von Marken dienen können, sowie ihre V e r a b f o l g u n g an andre; b) das unbefugte U n t e r n e h m e n eines A b d r u c k e s der genannten Formen sowie die V e r a b f o l g u n g von Abdrücken an andre. S t r a f e : Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder H a f t ; daneben kann auf Einziehung der Formen erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. V. Strafbare Handlungen papieren.

an

S t G B . § 3 6 3 rechnet

und

zu

mit

diesen:

LegitimationsPässe,

Militärab-

schiede, W a n d e r b ü c h e r oder sonstige Legitimationspapiere (wie Taufschein u s w . ) ; Grund

Dienst- und A r b e i t s b ü c h e r oder sonstige auf

besonderer Vorschriften auszustellende Z e u g n i s s e ;

r u n g s - u n d Fähigkeitszeugnisse.

Füh-

S t r a f b a r ist: i . D i e F ä l s c h u n g ;

2. der wissentliche G e b r a u c h dieser A u s w e i s e ; 3. der G e b r a u c h v o n echten, aber für einen andern ausgestellten Papieren; 4 . das Uberlassen solcher Papiere an andre. die

Absicht

Zwecke

vorliegen,

eignen

Behörden

oder

In allen vier Fällen mufs oder

fremden

Privatpersonen

bessern

zum

Fortkom-

m e n s zu täuschen. 9 ) *) Nicht hierher gehören die Quittungskarten, deren Fälschung, da sie Urkunden sind, nach StGB. §§ 267 ff. strafbar ist. R 27. Oktober 93 2 4 348. *) Ist die Absicht auf Erlangung eines bestimmten Vorteils gerichtet, so sind die §§267 ff. anwendbar; R 23. November 91 22 225. Auch kann Betrug vorliegen; R 8. April 92 2 3 43.

§ 163.

3- Die übrigen Urkundenverbrechen.

559

Obwohl die genannten Papiere unzweifelhaft Urkunden im Sinne von StGB. § 267 sind und die in § 363 StGB, vorausgesetzte Absicht trotz ihrer Unbestimmtheit und Allgemeinheit jedenfalls unter die rechtswidrige Absicht jenes Paragraphen fällt; obwohl mithin eine eigentliche Urkundenfälschung vorliegt, die um so gefährlicher ist, als derartige Fälschungen zum Handwerk des gewerbsmäfsigen Gaunertums gehören: hat doch die neuere Gesetzgebung unter dem Einflüsse des französischen Rechts diese Fälle zum Sonderverbrechen gegenüber der Urkundenfälschung erhoben und mit einer ganz ungerechtfertigt milden Strafe (Haft oder Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark) bedroht.

VI. Strafbare Handlungen in Bezug auf Gesundheitszeugnisse. Diese sind nicht notwendig Urkunden, weil nicht notwendig zum Beweise r e c h t l i c h e r h e b l i c h e r Thatsachen bestimmt. Aber auch wenn dies der Fall sein sollte, ist die Anwendung der §§ 267—273 StGB, ausgeschlossen, ohne dafs zwingende Gründe für diese mildere Behandlung geltend gemacht werden können. Es gehören hierher folgende Fälle : 1. Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andre approbierte Medizinalperson 10 ) oder unberechtigt unter dem Namen solcher Personen ein Zeugnis über seinen oder eines andern Gesundheitszustand ausstellt (mag auch der Inhalt mit den Thatsachen übereinstimmen), oder wer ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht und davon zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (StGB. § 277). 2. Ärzte und andre approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauche bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen (Falschbeurkundung), werden mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft (StGB. § 278). 3. W e r , um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft über seinen oder eines andern Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeugnisse der in den §§ 377 und 278 bezeichneten Art Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (StGB. § 279). Neben der Gefängnisstrafe kann in allen drei Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. § 280). l0 ) Ob H e b a m m e n dazu gehören, richtet sich nach den Landesgesetzen. Übereinstimmend Olshausen § 2 7 7 I. Hälschncr'L 569 rechnet sie stets, R 27.März 84 10 340 niemals hierher.

560

§ 164.

Staatsverbrechen.

Überblick.

Zweites Buch.

Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter der Gesamtheit. Erster Abschnitt.

Die Verbreehen gegen den Staat. §

164.

Überblick.

I i i t t e r a t u r . Veraltet die Arbeiten von Feuerbach 1798, Zirkler 1836, Weiske 1836, Hepp 1846, Feder 1850. — Köstlin Die perduellio unter den römischen Königen 1841. Dazu Günther Z 12 603. Brunner 2 685. Homberger und Bader (Litt, zu § 23 Note 4). Meents Die Majestätsbeleidigung in geschichtlicher und dogmatischer Beziehung. Erlanger Diss. 1894. Haidien Der Hochverrat und Landesverrat nach altdeutschem Recht. Tübinger Diss. 1896. I. A l l g e m e i n e s . Der Begriff der Staatsverbrechen bestimmt sich nach dem jeweils geltenden Staatsbegriff. Die politischen Wandlungen spiegeln sich wider in den Strafdrohungen, durch welche das Gemeinwesen sich selbst zu schützen sucht. Mit gleicher Rücksichtslosigkeit rüsten sich das unumschränkte Königtum und die konstitutionelle Monarchie, der demokratische Freistaat und die Aristokratie zum Kampfe gegen die ihre Herrschaft bedrohenden Gegner. Daraus rechtfertigt sich nicht nur die eigenartige Stellung, die das Staatsverbrechen oder das „politische Delikt" in der nationalen Gesetzgebung (schwere aber nicht immer entehrende Strafen) wie in der internationalen Rechtshülfe (besonders bei der Auslieferung, oben S. 104) einnimmt; sondern es erklärt sich aus jener Thatsache auch die überall uns entgegentretende Erscheinung, dafs Gesetzgebung und Wissenschaft nur langsam und nach wiederholten Rückschlägen zu einer festen, juristischen Abgrenzung der einzelnen Arten des Staatsverbrechens gelangen. Drei grofse Gruppen lassen sich bei Tein begrifflicher Erwägung innerhalb der Staatsverbrechen unterscheiden. 1. Der Angriff auf die i n n e r e s t a a t l i c h e O r d n u n g , wie sie in der, sei es geschriebenen, sei es nur thatsächlich bestehenden, V e r f a s s u n g des Staates uns entgegentritt. Diese bestimmt aber zugleich nicht nur das S t a a t s g e b i e t , sondern auch die Träger der einheitlichen oder geteilten S t a a t s g e w a l t . Damit ist der wissenschaftliche Begriff des H o c h v e r r a t e s gegeben.

§ 164.

Staatsverbrechen.

Oberblick.

2. Der Angriff auf die ä u f s e r e S i c h e r h e i t des Staates oder der L a n d e s v e r r a t und seine Vorbereitung in den Zeiten des bewaffneten Friedens : die A u s s p ä h u n g militärischer Geheimnisse. 3. Der Angriff a u f f r e m d e S t a a t e n , der bei dem täglich wachsenden Verkehr zwischen den entlegensten Ländern in seiner Rückwirkung auch die heimischen Interessen auf das empfindlichste zu berühren vermag. Nur in unsicheren und wechselnden Umrissen läfst sich diese Unterscheidung geschichtlich und im geltenden Rechte feststellen. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gelingt die Trennung des Landesverrates vom Hochverrat. Das Übergewicht, das dem Träger der Krone im monarchischen Staatswesen zukommt, führt zu einer mafslosen Überspannung des Begriffs der Majestätsbeleidigung, während die politischen Rechte der einzelnen Staatsbürger und der Volksvertretungen nur allmählich des Strafschutzes teilhaftig werden. Angriffe auf fremde Staaten aber werden auch von der Gesetzgebung unsrer Tage nur vereinzelt und meist unter einschränkenden Voraussetzungen unter Strafe gestellt. II. Die r ö m i s c h e perduellio, einer der beiden Grundbegriffe des ältesten römischen Strafrechts (oben S. 7), die Wurzel des heutigen Begriffs des Hochverrates, tritt gegen das Ende des römischen Freistaates in den Hintergrund. In den Bedrängnissen der innern Kriege trat allmählich an ihre Stelle das crimen majestatis (zuerst lex Appuleja von 652 oder 654 a. u.), unter welches jede Verletzung der amplitudo ac dignitas des populus Romanus fiel. Sulla überwies 673 die Verhandlung und Aburteilung einer neu errichteten quaestio. Daneben sprach man von perduellio, wenn animo hostili eine Handlung vorgenommen wurde, welche das Dasein des Staates bedrohte. Das crimen majestatis überdauerte den Sturz des Freistaates; aber es veränderte seine Eigenart: an die Stelle des Volkes trat die Fülle der auf den princeps vereinigten Herrscherrechte. Jeder gegen den Kaiser gerichtete Angriff fällt nunmehr unter das crimen majestatis: das Halten von Privatkerkern wie die Münzfälschung, das Tragen der dem princeps vorbehaltenen Purpurgewänder wie der Schwur bei dem Namen des Kaisers und die in ihrer Vielgestaltigkeit unabgrenzbaren symbolischen Beleidigungen der kaiserlichen Majestät. Der Mifsbrauch, welchen tyrannische Kaiser mit dem schmiegsamen Verbrechensbegriffe trieben („majestatis singulare et unicum crimen eorum qui crimine vacarent", sagt Plinius), erlangt gesetzliche Anerkennung in der berüchtigten Lex quisquís (1. 5 C. 9, 8), welche Arkadius und Honorius im Jahre 397 erliefsen. Im d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r gestaltet sich der schon in den Volksrechten neben dem Angriff auf den Landesherrn bedrohte Kriegsverrat gegen die zur Heerfahrt gerüsteten Genossen und ihren Führer zum Treubruch gegen den Lehnsherrn, zur Infidelität (Rib. 69, I mit dem Tode bestraft). Der Begriff der V e r r ä t e r e i umfafst aber neben diesem schwersten Fall auch das treulose Handeln gegen andre Personen, welchen der Thäter zur Treue verpflichtet ist: die Richtung der That gegen den Landesherrn ist nicht Begriffsmerkmal, sondern erschwerender Umstand, von Liszt, Strafrecht. 9. Aufl.

562

§ 164.

Staatsverbrechen.

Überblick.

Daneben aber hatte, trotz der hervorragend nationalen Natur der Staatsverbrechen, das römische crimen majestatis durch die Goldne Bulle 1356, sowie früher in das kanonische, nun auch in das deutsche Recht Aufnahme gefunden. Die Bambergensis nahm in Art. 132 („Straf derjenigen, so die römische kaiserliche oder königliche Majestät lestern") das crimen laesae majestatis ausdrücklich auf und stellt ihm in Art. 133 „die Lästerung, die er sonst seinem Herrn thut", an die Seite. Art. 135 behandelt den Kriegsverrat (die proditio). Daneben wird in Art. 149 die Verräterei ganz in deutschrechtlichem Sinne behandelt (es fehlt nicht die Erwähnung der Bettgenossen und nahe gesippten Freunde) und mit der Vierteilung bedroht. Die PGO. nahm nur die Bestimmungen über Verrat (Art. 124) herüber. Der Grund ihres Schweigens über das Majestätsverbrechen lag wohl in der Zuständigkeit des Reichskammergerichts; jedenfalls zweifelte niemand an der fortdauernden Geltung der römischrechtlichen Bestimmungen. Das g e m e i n e Recht konnte zu festen Abgrenzungen nicht gelangen. Der Begriff der Verräterei trat mehr und mehr in den Hintergrund. Das crimen laesae majestatis wurde teilweise (so Österreich 1656), ganz im Sinne der römischen Kaiserzeit, auf alle gegen die Staatsverwaltung gerichteten Verbrechen ausgedehnt: auf Aufruhr, Bruch des Geleites, Befehden, drohliches Ausschreiben, Fälschen von Briefen, Münzen, Siegeln, Anmafsung von R e galien, Halten von Privatkerkern usw. Vergeblich bemühte man sich, die perduellio (auch proditio) als militärischen Landesverrat besonders hervorzuheben ; erfolglos blieb auch Carpzovs Versuch, gestützt auf 1. un. C. 9, 7 (von Theodosius I, aus dem J. 393), die maledictio in principem als Sonderverbrechen auszuscheiden, bei welchem Verfolgung und Bestrafung in den Händen des Landesherrn liegt. Erst als in der zweiten Hälfte des iS. Jahrhunderts unter dem Einflüsse neuer, durch die Schriftsteller der Aufklärungszeit vorbereiteter und ausgebildeter Anschauungen, insbesondere aber infolge kräftigerer Zusammenfassung der gröfsern deutschen Staaten unter hervorragenden Herrschern die Landesgesetzgebung zu frischer, durchgreifender und umfassender Thätigkeit sich aufraffte, gelang die Befreiung von der lähmenden Herrschaft des römischen crimen majestatis. Schon Österreich 1787 hatte Hochverrat und Landesverrat voneinander geschieden. Noch klarer und bestimmter aber erklärte A L R . Angriffe auf die Verfassung, auf Leben und Freiheit des Staatsoberhauptes für Hochverrat, Herbeiführung einer äufsern Gefahr und Unsicherheit gegenüber fremden Mächten für Landesverrat. Daneben wurde die Majestätsbeleidigung schärfer bestimmt. Die Litteratur, Feuerbach auch hier an der Spitze, folgte den so gewiesenen Bahnen und bemühte sich insbesondere, die gegen den Fürsten als Herrscher und die gegen ihn als Privatmann gerichteten Beleidigungen voneinander zu sondern. Für die deutsche Reichsgesetzgebung ergab sich die staatsrechtliche Notwendigkeit, das Verhältnis des Reichs zu den Gliedstaaten und dieser letztern untereinander zu berücksichtigen. Art. 74 der norddeutschen Verfassung hatte

§ 165.

i . Der Hochverrat.

563

in Anlehnung an einen Bundesbeschlufs von 1836 bestimmt, dafs verbrecherische Angriffe gegen die Integrität, die Organe und Behörden des Bundes nach den Landesgesetzen ebenso bestraft werden sollten, wie w e n n sie gegen den Einzelstaat gerichtet wären. Kurz darauf wurden durch das R S t G B . von Reichs wegen die nötigen Strafdrohungen aufgestellt, die durch das Gesetz vom 3 Juli 1893 betreffend den Verrat militärischer Geheimnisse eine wesentliche Ergänzung erfuhren. III. Seit der Heranziehung des Volkes zur Teilnahme an den Geschäften der Regierung bildet der Schutz der politischen Rechte der Staatsbürger eine wichtige Aufgabe der Strafgesetzgebung. W e n n auch manche der in den Verfassungsurkunden gewährleisteten „politischen Rechte", wie Hausrecht und Briefgeheimnis oder die persönliche Freiheit, bei ruhigerer Betrachtung später als nichtpolitische Rechtsgüter erkannt und die gegen sie gerichteten Handlungen teils dem gemeinen Rechte, teils auch den Amtsvergehen zugewiesen, andre aber, wie die Prefsfreiheit oder das Vereins- und Versammlungsrecht, durch eine Reihe von Strafdrohungen nicht sowohl in ihrem Dasein geschützt als vielmehr in die gesetzlich bestimmten Schranken eingegrenzt wurden — so fanden doch die Verbrechen und Vergehen gegen „ s t a a t s b ü r g e r l i c h e R e c h t e " (droits civiques) fortan dauernde Aufnahme in die deutschen Strafgesetzbücher. Das RStGB., welches auch in diesem Punkte unter dem Einflüsse des durch das preufsische StGB, vermittelten französischen Rechts (C. pénal Art. 1 0 9 — 1 1 3 ) steht, umfafst unter dieser Bezeichnung zwei wesentlich verschiedene Gruppen von strafbaren Handlungen. Es schützt durch seine Strafdrohungen: I. D i e g e s e t z g e b e n d e n V e r s a m m l u n g e n des Reichs oder eines Bundesstaates (neben Senat und Bürgerschaft der freien Hansestädte), als Träger der dem Volke mitübertragenen gesetzgebenden Gewalt, und 2. das p o l i t i s c h e W a h l - u n d S t i m m r e c h t des deutschen Bürgers. IV. Aus den Angriffen auf f r e m d e S t a a t e n behandelt das RStGB. unter der Bezeichnung „Strafbare Handlangen gegen befreundete Staaten" nur die dem Hochverrat entsprechenden Angriffe, die Majestätsbeleidigung, die Beleidigung von Gesandten, sowie die Mifsachtung von Autoritäts- oder Hoheitszeichen.

§ 165.

I. Der Hochverrat.

Litteratur. Knitschky Das Verbrechen des Hochverrats H H . 3 3. Hälschner 2 720. — Vgl. Litt, zu § 164.

1874.

John

I. B e g r i f f . Hochverrat (im Gegensatze zum Landesverrate) ist der Angriff auf den Staat in seinem inneren Bestand, mithin auf sein Dasein als Einzelwesen. 1 ) Die hochverräterischen Handlungen würden ihre Eigenart nicht verVgl. unten § 166 Note 1. 36*

§ 165.

564

i . Der Hochverrat.

lieren, auch wenn der Staat, gegen welchen sie gerichtet sind, der einzige auf Erden bestehende wäre. D e r Staat als Einzelwesen wird an sich hergestellt durch das S t a a t s g e b i e t , durch die S t a a t s v e r f a s s u n g und durch die Träger der S t a a t s g e w a l t (oben S. 560). Danach sind innerhalb des einheitlichen Hochverratsbegrififes drei verschiedene Gruppen von Handlungen zu unterscheiden. Nach geltendem Reichsrecht scheiden aber aus dem Gebiete des Hochverrats aus, um besondere Unterarten der Staatsverbrechen zu bilden: 1. Die Majestätsbeleidigung (unten § 168); 2. der Angriff auf Senat und Bürgerschaft der freien Hansestädte (unten § 169 1); 3. der Angriff auf das politische Wahl- und Stimmrecht sowie auf die gesetzgebenden Versammlungen (unten § 169 II). Angriffsgegenstand des Hochverrates im e. S. ist das inländische Staatsganze, mithin das Deutsche Reich und jeder einzelne deutsche Bundesstaat. Diese werden aber gegen Angriffe ohne Rücksicht auf deren Begehungsort geschützt (oben § 22 IV). II. Die Reichsgesetzgebung bezeichnet in kasuistischer Weise die Handlungen, in welchen sie einen Angriff auf den inneren Bestand des Staates erblickt. Diese sind: 1. Mord und Mordversuch a) an dem Kaiser, b) an dem eignen Landesherrn oder c) während des Aufenthaltes in einem Bundesstaate an dem Landesherrn dieses Staates. Mafsgebend ist demnach der Aufenthaltsort des Thäters, nicht der Begehungsort der That. A u f die freistaatlichen Gemeinwesen des Deutschen Reichs ist die Bestimmung ebensowenig anwendbar als auf den Regenten. S t r a f e : der Tod (StGB. § 80). Diese Bestimmung, welche auf Antrag des Abgeordneten v. Kardorff nach Wiederaufnahme der Todesstrafe am 24. Mai 1870 (oben S. 52) dem Gesetze eingefügt wurde, stellt der vorsätzlichen und überlegten Tötung des § 211 ein neues, selbständiges Verbrechen gegenüber, welches, als schwerster Fall des Hochverrates und nicht als besonders schwer bestrafter Mord, sich von diesem insbesondere durch die hochpolitische Bedeutung seines Angriffsgegenstandes unterscheidet. 9 ) Auf den teilnehmenden Fremden findet § 50 StGB. Anwendung. 2)

sein.

Aus

Tötung auf Verlangen des Landesherrn würde daher aus § 80 zu strafen, Ebenso Frank § 80 V.

§ 165.

I. Der Hochverrat.

565

der Gleichstellung von Versuch und "Vollendung ergibt sich: *) a) Die Unmöglichkeit eines straffrei machenden Rücktrittes; b) die Unmöglichkeit einer Herabsetzung der Gehilfenstrafe.

2. Das Unternehmen, einen Bundesfürsten (abgesehen von dem Falle unter 1 oben) zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu machen (StGB. § 81 Ziff. 1); also der „Angriff auf seine Herrscherstellung" {Meyer). Das „ T ö t e n " umfafst nicht die fahrlässige, wohl aber die überlegte wie die nichtüberlegte vorsätzliche Tötung. 3. Das Unternehmen, die Verfassung des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates oder die in ihm bestehende Thronfolge gewaltsam zu ändern (StGB. § 81 Ziff. 2). Dabei haben wir unter „Verfassung" zu verstehen jene grundsätzlichen Rechtseinrichtungen, auf welchen das staatliche Leben beruht, mögen sie in der Verfassungsurkunde aufgezählt sein oder nicht; also die Regierungsrechte des Staatsoberhauptes einerseits, die Zusammensetzung und die Befugnisse der gesetzgebenden Körperschaften anderseits. Eine Änderung des Wahlrechtes würde demnach hierher gehören, nicht aber die der Preisfreiheit oder der freien Religionsübung. Die geplante Änderung mufs eine g e w a l t s a m e sein; damit sind blofse Drohungen ausgeschlossen. 4 ) 4. Das Unternehmen, das Bundesgebiet einem fremden Staate oder das Gebiet eines Bundesstaates einem andern Bundesstaate ganz oder teilweise gewaltsam einzuverleiben; oder einen Teil des Bundesgebietes oder des Gebietes eines Bundesstaates vom Ganzen loszureifsen (StGB. § 81 Ziffer 3 und 4).») S t r a f e zu 2 — 4 : lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf J a h r e n ; 6 ) neben Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. а 4

) Vgl. oben § 48 Note S, § 51 Note 9. ) Ebenso Hälschner 2 737; dagegen Berner (18. Aufl.) 360, Merkel 376,

Olshausen § 81 6, Schütze 5

235.

) Das Unternehmen, das ganze Gebiet eines Bundesstaates gewaltsam zum Reichslande zu machen, fällt unter Ziff. 2 des § 81. б ) Das Höchstmafs. der Festungshaft beträgt hier wie überall fünfzehn und nicht zehn Jahre. So die gem. Meinung. Dagegen Berner 364 Note 2.

566

§ 165.

i . Der Hochverrat.

III. V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n . 1. Im Falle 1 unter II ist der gemeinrechtlichen Auffassung entsprechend Versuch und Vollendung in der B e strafung gleichgestellt; in den Fällen 2—4 gilt dasselbe von dem Unternehmen. StGB. § 82 gibt uns eine, nur für das Gebiet des Hochverrates geltende, Begriffsbestimmung dieses Unternehmens: „ j e d e H a n d l u n g , d u r c h w e l c h e d a s V o r h a b e n u n m i t t e l b a r zur A u s f ü h r u n g g e b r a c h t w e r d e n s o 11". Also nicht die beginnende A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g selbst, sondern die zum Beginn führende, den Beginn unmittelbar vorbereitende Handlung. Mit andern Worten: Das „Unternehmen" des Hochverrats umfafst ein weiteres Gebiet als der V e r s u c h , umschliefst also auch V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n ; aber, im Unterschiede von der sonstigen Bedeutung des Worts, nur diejenigen, die unmittelbar an das Versuchsgebiet angrenzen.7) Aus dieser Auffassung folgt, dafs, im Gegensatze zu dem allgemeinen Begriff des Unternehmens, entferntere Vorbereitungshandlungen nicht als Unternehmen des Hochverrates bestraft werden können; dafs das Vorhaben die Entwicklungsstufe allgemeiner Bestrebungen überschritten und die greifbare Gestalt einer bestimmten Einzelhandlung angenommen haben mufs, mögen auch immerhin nicht alle Einzelheiten der Ausführung nach Ort, Zeit und Mitteln beschlossen sein. Versuch des Unternehmens, Rücktritt davon, Herabsetzung der Gehilfenstrafe ist auch hier unmöglich (vgl. Note 3). 2. Die §§ 81 und 82 lassen demnach den bei weitem gröfsern Teil der Vorbereitungshandlungen straflos. Diese Lücke füllen die folgenden Paragraphen aus, indem sie a u c h d i e ü b r i g e n V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g e n zum Hochverrat unter Strafe stellen; und zwar in der Weise, dafs gewisse besonders gefährliche Vorbereitungshandlungen unter besondere höhere, alle übrigen unter einen gemeinsamen niedern Strafrahmen fallen. In allen Fällen mufs es sich jedoch um die Vorbereitung eines b e s t i m m t e n hochverräterischen Unternehmens handeln. ') Vgl. oben :§ 46 Note 6. Soweit das Unternehmen als der e n g e r e Begriff gegenüber dem Versuche aufgefafst wird, wie von Frank § 82 II, G'öbel (Litt, zu § 46) 6, Hälschner 2 744, Meyer 201, Olshausen § 8 2 I, Schütze 235, R 13 /18. Juni 87 16 165, ist Raum für die Möglichkeit eines Versuchs gegeben.

§165.

i. Der Hochverrat.

567

a) Die hochverräterische V e r s c h w ö r u n g ( K o m p l o t t ; S t G B . § 83), das ist die V e r a b r e d u n g der Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens (oben § 4 9 IV). S t r a f e : Zuchthaus oder Festungshaft nicht unter fünf Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter zwei Jahren. Neben Festungshaft ist teilweiser Ehrverlust nach Ermessen zugelassen. b) Dieselbe Strafe trifft (StGB. § 84) denjenigen, welcher zur Vorbereitung eines Hochverrates a) sich mit einer auswärtigen ") Regierung einläfst (Einleitung von Verhandlungen genügt, Abschlufs von V e r a b r e d u n g e n ist nicht erforderlich) oder ß) die ihm vom Reiche oder einem Bundesstaate anvertraute Macht 9 ) mifsbraucht oder y) Mannschaften anwirbt oder in den Waffen einübt. c) Jede andre, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlung. (StGB. § 86.) S t r a f e : Zuchthaus oder Festungshaft bis zu drei Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu drei Jahren. d) Die öffentliche Aufforderung zur Ausführung einer nach § 82 (also nicht § 80!) 1 0 ) strafbaren Handlung (StGB. § 85) wäre richtiger zu den strafbaren Aufforderungen (unten § 175) zu stellen, m a g aber des Zusammenhanges wegen hier erledigt werden. Auffallend — und sicherlich verkehrt — ist der Hinweis auf § 82; insbesondere auch darum, weil das eigentümliche Wesen der A u f f o r d e r u n g im Gegensatze zur Anstiftung in der mangelnden Bestimmung derjenigen Handlung liegt, zu welcher aufgefordert wird. Dennoch mufs nach geltendem Recht A u f forderung zu einem gemäfs § 82 genau b e s t i m m t e n Unternehmen (oben S. 566) gefordert werden. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer (d. h. von einem bis zu zehn Jahren); bei mildernden Umständen Festungshaft von einem Jahre bis zu fünf Jahren. Da wir es nach der eben betonten Auffassung mit dem selbständigen Vergehen der öffentlichen Aufforderung, nicht aber, 11 ) wie in den vorher8 ) Es ist dies auch die Regierung eines d eu t s e h e n Bundesstaates gegenüber der eines andern Bundesstaates. Dagegen nur Olshausm § 84 3. 9 ) (Nicht blofs militärische) Herrschaft über Personen oder Sachen. 10)

Ebenso Hälschner 2 7 5 0 ; d a g e g e n Frank § 85 III, Olshausen § 8 5 2,

R 5. Dezember 81 5 215.. " ) Dagegen Frank § 85 II.

568

§ l66.

2. Der Landesverrat.

gehenden Paragraphen, mit einer Vorbereitungshandlung zum Hochverrate zu thun haben, mufs hier die Möglichkeit eines strafbaren Versuches angenommen •werden. IV. In den Fällen der §§ 80, 81, 83, 84 StGB, kann bei Eröffnung der Untersuchung das Vermögen, welches der Angeschuldigte besitzt öder welches ihm später anfällt, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens mit Beschlag belegt werden (StGB. § 9 3 ; vgl. StPO. §§ 480, 333 fr.).

§ 166.

2. Der Landesverrat.

Litteratur. v. Kries Z 7 597. Müller GS. 40 204. Hälschner 2 753. Schwartze Landesverrat und Kriegsverrat nach dem Stande unserer heutigen deutschen Reichsstrafgesetzgebung. Hallische Diss. 1897. Epstein Der Landesverrat in historischer, dogmatischer und rechtsvergleichender Darstellung 1898 {Bennecke Heft 12). — Ferner Litt, zu § 167.

I. L a n d e s v e r r a t ist der Angriff auf die äufsere Sicherheit und Machtstellung des Staates, also auf den Staat in seiner Stellung innerhalb der andern Staaten. E r wird (im Gegensatze zum Hochverrat) erst möglich durch das Nebeneinanderbestehen mehrerer Gemeinwesen. Die V e r b i n d u n g des Thäters mit e i n e m f r e m d e n G e m e i n w e s e n unterscheidet den Landesverrat vom Hochverrat. 1 ) Anders als bei diesem wird daher beim Landesverrat das T r e u v e r h ä l t n i s des Staatsbürgers zu seinem Staate von entscheidender Bedeutung werden; ist der eigne Unterthan mit dem Feinde in Verbindung getreten, so erscheint sein Krieg gegen das Vaterland als arger, schlechter Krieg, als perduellio (oben S. 7), als verräterischer Treubruch. Aber auch der A u s l ä n d e r kann sich in folgenden Fällen des Landesverrates schuldig machen: 1. Bei dem sog. diplomatischen Landesverrat (StGB. § 92) ist die Staatsangehörigkeit des Thäters überhaupt gleichgültig. 2. Der Ausländer, welcher eine der in §§ 87, 89, 90 (nicht 88!) bedrohten Handlungen begeht, während er sich „unter dem Schutze" (also nicht als Angehöriger der feindlichen Kriegsmacht) des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates innerhalb des Bundesgebietes aufhält, wird ebenso bestraft wie der Inländer (StGB. § 91 Abs. 2). *) Die Grenze wird durch StGB. § 84 (oben S. 567) allerdings verwischt; Vgl. Epstein 52.

§ i66.

2. Der Landesverrat.

569

3. Im übrigen ist gegen den Ausländer wegen dieser Handlungen nach dem Kriegsgebrauche, d. h. nach den Kriegsgesetzen und, soweit diese keine Bestimmung enthalten, nach Völkerrecht zu verfahren (StGB. § 91 Abs. 1). Auf der andern Seite ist daran zu erinnern, dafs nicht nur nach StGB. § 4 Ziff. 2 (oben S. 100) der D e u t s c h e , auch wenn er im Auslande einen Landesverrat gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat2) begeht, ohne weiteres nach inländischem Rechte haftet, sondern dafs auch das MiLStGB. in den §§ 155, 157—161 die Strafbarkeit der im Auslande begangenen Handlungen überhaupt wesentlich erweitert hat (vgl. darüber unten). Wie dem Hochverrate, so gewährt auch dem Landesverrate gegenüber das inländische Recht nur den i n l ä n d i s c h e n Gemeinwesen (dem Reiche und seinen Gliedern) den Schutz seiner Strafgewalt. Eine dem § 102 StGB, (unten § 170 II 1) entsprechende Bestimmung fehlt. Das Gesetz nnterscheidet den m i l i t ä r i s c h e n und den d i p l o m a t i s c h e n Landesverrat. Ersterer besteht in der kriegerischen, letzterer (unter gesetzlicher Beschränkung der Strafbarkeit auf gewisse Fälle) in jeder anderweitigen Unterstützung einer auswärtigen Macht. II. Der militärische L a n d e s v e r r a t umfafst: 1. Die Verbindung oder „Konspiration" („Sicheinlassen"; oben S. 567) mit einer ausländischen (nichtdeutschen) R e gierung, u m diese zu einem Kriege g e g e n das D e u t s c h e R e i c h zu veranlassen (StGB. § 87). S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren; wenn der Krieg ausgebrochen ist,3) lebenslängliches Zuchthans, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren. — Neben Festungshaft kann auf den Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. Versuch möglich (oben § 46 Note 8),

2. Das Dienstnehmen in der feindlichen Kriegsmacht 2 ) Der militärische Landesverrat kann ausnahmslos nur gegeD das Deutsche R e i c h gerichtet sein. 8) Kausalzusammenhang mit den Umtrieben des Thäters nicht erforderlich. Dagegen Frank § 87 III, Epstein 66. Richtig Schwartze 22, Thomscn (oben § 46 Note 8) 100. V g l . über StGB. § 154 unten § 181 I 2.

§ l66.

57°

2. Der Landesverrat.

(sei es als Kombattant sei es als Beamter, Arzt, Prediger usw.) während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges oder das W a f f e n t r a g e n gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundesgenossen (StGB. § 88). S t r a f e : a) W e n n der Thäter schon vor Ausbruch des K r i e g e s in fremden Kriegsdiensten stand, Zuchthaus von zwei

bis zu zehn Jahren oder Festungs-

haft von gleicher D a u e r ; bei mildernden Umständen Festungshaft bis zu zehn Jahren; — b ) w e n n dies nicht der Fall, lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft, fünf Jahren. — lichen Ämter,

bei

mildernden

Umständen

Festungshaft

Neben Festungshaft ist Aberkennung sowie

der

aus

öffentlichen W a h l e n

der

nicht

bekleideten

unter öffent-

hervorgegangenen

Rechte

zulässig.

3. Die vorsätzliche Begünstigung (StGB. § 89) einer feindlichen Macht 4 ) während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges oder die Benachteiligung der Kriegsmacht des Deutschen Reichs oder seiner Bundesgenossen.5) Der V o r s a t z besteht hier wie überall in der Voraussicht des Erfolgs. Eine darüber hinausgehende Absicht, ein besonderer animus hostilis, ist nicht erforderlich. Beteiligung an einer Kriegsanleihe des Gegners, Beförderung der Entweichung von Kriegsgefangenen kann daher Landesverrat sein, wenn auch vielleicht jene Handlung lediglich der Gewinnsucht, diese lediglich der Gutmütigkeit des Thäters entsprungen ist. — V o l l e n d u n g tritt ein, sobald (oben § 51 Note 6), die kriegerische L a g e des Gegners eine günstigere, die der deutschen Kriegsmacht eine ungünstigere geworden ist. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren Dauer

(d.

h.

von

einem

bis

zu

Festungshaft bis zu zehn Jahren.

oder Festungshaft von

zehn Jahren),

bei

gleicher

mildernden Umständen

T e i l w e i s e r Ehrverlust wie oben zu 2.

4. A u s dem in § 89 StGB, (oben 3) aufgestellten Begriffe hebt § 90 gewisse besonders schwere Fälle hervor, um sie einer verschärften Strafe zu unterwerfen. Lebenslängliches Zuchthaus, unter zehn Jahren, Jahren (teilweiser

Ehrverlust w i e

während eines g e g e n 4)

Umständen Festungshaft nicht unter fünf

oben

zu

2)

trifft den Deutschen,

das Deutsche R e i c h ausgebrochenen K r i e g e s

welcher

vorsätzlich

nicht „ K r i e g s m a c h t " ; also gleich „feindlicher Staat". D i e § § 89 und 90 S t G B , haben durch das Gesetz vom 3. Juli 1893 (unten § 167) einige (unbedeutende) Abänderungen erlitten. 5)

§11

in minder schweren Fällen Zuchthaus nicht

b e i mildernden

§ i66. a) Festungen,

Pässe,

2. D e r L a n d e s v e r r a t .

besetzte

Plätze

oder

andere

jjy j Verteidigungsposten,

ingleichen T e i l e oder A n g e h ö r i g e der deutschen oder einer verbündeten K r i e g s macht in feindliche G e w a l t b r i n g t ; b) Festungswerke, Schiffe oder Fahrzeuge Gelder,

Vorräte

von Waffen, Schiefsbedarf

der Kriegsmarine,

oder

andern

öffentliche

Kriegsbedürfnissen

s o w i e Brücken, Eisenbahnen, 0 ) Telegraphen und (soll lieifsen: oder) Transportmittel in feindliche Gewalt bringt oder zum Vorteile des Feindes zerstört oder unbrauchbar macht; c) dem Feinde Mannschaften zuführt oder Angehörige der deutschen oder einer verbündeten Kriegsmacht verleitet, zum Feinde überzugehen; d) Operationspläne oder Pläne von Festungen oder festen Stellungen dem F e i n d e mitteilt; e) dem Feinde als Spion dient oder feindliche Spione aufnimmt, verbirgt oder ihnen Beistand leistet; 7 ) oder f ) einen Aufstand unter Angehörigen

der deutschen oder

einer

verbün-

deten Kriegsmacht erregt.

III. Der diplomatische Landesverrat 8 ) (StGB. § 92); vorliegend wenn jemand (Deutscher oder Ausländer) vorsätzlich: 1. Staatsgeheimnisse oder Festungspläne oder solche Urkunden (hier nicht im technischen Sinne, sondern gleich Schriftstück), Aktenstücke oder Nachrichten, von denen er weifs, dafs ihre Geheimhaltung einer andern (sei es auch deutschen) Regierung gegenüber für das Wohl des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates erforderlich ist, dieser Regierung mitteilt oder öffentlich bekannt macht.®) 2. zur Gefährdung der Rechte des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates im Verhältnis zu einer andern Regierung die über solche Rechte sprechenden Urkunden oder Beweismittel (Schriftstücke) vernichtet, verfälscht oder unterdrückt (vgl. oben §§ 161 ff.); 3. ein ihm von seiten des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates aufgetragenes Staatsgeschäft mit Begriff oben § 128 Note 5. Ebenso Epstein 77. Wesentlich weiter Loock (Litt, zu § 28) 151 (alle militärisch wichtigen Bahnen), Schwartze 36. ') Spion (v. Liszi Völkerrecht § 40) ist nicht der uniformierte A n g e h ö r i g e der fremden Kriegsmacht. Beihilfe und Begünstigung steht nicht unter den allgemeinen Grundsätzen (daher Strafbarkeit der begünstigenden Angehörigen). 8 ) Hierher würde auch der vom Gesetz zu den Amtsverbrechen gestellte § 3 5 3 a gehören. ») V g l . unten § 167. Unrichtig die von Frank § 92 II u. a. vertretene Ansicht, nach welcher der Verrat militärischer Geheimnisse nunmehr ausschliefslich unter das Gesetz vom 3. Juli 1893 fällt.

§ 167.

3- Ausspähung und Verrat militärischer Geheimnisse.

einer andern Regierung zum Nachteil des Auftraggebers führt. 30 ) S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter sechs Monaten. IV. In allen Fällen des Landesverrates kann (StGB. § 93) B e s c h l a g n a h m e d e s V e r m ö g e n s des Beschuldigten (oben § 165 IV) stattfinden. V. D e n i m F e l d e b e g a n g e n e n L a n d e s v e r r a t bezeichnet Mil.SlGB. § 57 als K r i e g s v e r r a t . Vgl. darüber unten.

VI. E s gehören hierher ferner zwei neue, durch das Gesetz vom 5. April 1888 (vgl. oben § 109 III) geschaffene Vergehen. "i. Wenn die Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung wegen G e f ä h r d u n g d e r S t a a t s s i c h e r h e i t ausgeschlossen ist, so kann das Gericht den anwesenden Personen die G e h e i m h a l t u n g v o n T h a t s a c h e n , welche durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift oder durch andre amtliche Schriftstücke des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Wer diese Pflicht durch unbefugte Mitteilung verletzt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (Art. II des Gesetzes). 2. Unter der gleichen Voraussetzung dürfen B e r i c h t e ü b e r d i e V e r h a n d l u n g durch die Presse nicht veröffentlicht werden. Das gleiche gilt auch nach der Beendigung des Verfahrens in betreff der V e r ö f f e n t l i c h u n g d e r A n k l a g e s c h r i f t o d e r a n d r e r a m t l i c h e r S c h r i f t s t ü c k e des Prozesses. Zuwiderhandlungen unterliegen der zu 1 angegebenen Strafe (Art. III des Gesetzes.) 11 )

§ 167.

3. Ausspähung und Verrat militärischer Geheimnisse.

L i t t e r a t u r . Seuffert Z 14 578. Hanke Archiv für öffentliches Recht 4 457, 10 497. Zürbin Die moderne Spionagegesetzgebung 1895. Müller GS. 40 204. — Litt, zu § 166.

I. Durch das Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juli 1893 haben die bisherigen Strafdrohungen gegen Ausspähung und Verrat militärischer Geheimnisse (StGB 10 ) Von der Untreue (oben § 135) dadurch unterschieden, dafs die Verletzung von Vermögensinteressen nicht erforderlich ist. n ) VgL auch die unten § 185 besprochenen strafbaren Handlungen.

§ 167.

3- Ausspähung und V e r r a t militärischer Geheimnisse.

§§ 90 und 92) nach dem von der Gesetzgebung andrer Länder gegebenen Vorbilde (vgl. insbesondere das französische Gesetz v o m 18. April 1886) eine sehr wesentliche Ausdehnung erfahren. Nach § 1 dieses Gesetzes sind militärische Geheimnisse alle bisher unbekannt gebliebenen (Schriften, Zeichnungen und anderen) Gegenstände 1 ), deren Geheimhaltung im Interesse der Landesverteidigung (nicht für das Wohl des Reichs und seiner Gliedstaaten überhaupt) erforderlich ist, m a g auch eine ausdrückliche Erklärung der zuständigen Behörde, dafs diese Gegenstände als „sekret" zu behandeln seien, nicht erfolgt sein. Es gehören hierher: der Mobilmachungsplan, Pläne von Festungen, Kriegshäfen, Küstenbefestigungen, Zeichnungen und Modelle von Gewehren und Geschützen usw. II. Die Ausspähung, d. h. das Sichverschaffen des Besitzes oder der Kenntnis solcher Gegenstände, ist nunmehr auch in Friedenszeiten strafbar. Dabei ist zu unterscheiden : 1. D i e e i n f a c h e Ausspähung (§ 4). Vorsatz und Rechtswidrigkeit, mithin auch das Bewufstsein derselben (oben § 40 Note 4) erforderlich. Der Beweggrund (Neugierde, Vaterlandsliebe) ist gleichgültig. Versuch strafbar. S t r a f e : Gefängnis oder Festungshaft bis zu drei J a h r e n ; Ermessen Geldstrafe bis zu fünftausend Mark.

daneben

nach

Bei mildernden Umständen kann

ausschliefslich auf die Geldstrafe erkannt werden (§ 4).

2. Die Ausspähung wird e r s c h w e r t durch die Absicht, davon zu einer die Sicherheit des Deutschen Reichs gefährdenden Mitteilung an andere Gebrauch zu machen (§ 3). Sie erscheint mithin als Vorbereitung (nicht als Versuch) des Verrats. Wird die Ausführung dieser Absicht begonnen oder vollendet, so findet, da eine neue selbständige Handlung nicht vorliegt (oben § 55 Note 3), StGB. § 73 Anwendung. 2 ) Nicht „Nachrichten"; v g l . unten Note 3. Gegenstände, die allgemein oder doch dem Empfänger der Mitteilung bekannt sind, sind keine „Geheimnisse". a ) § I des Gesetzes enthält nach allgemeiner Regel (oben S. 246) trotz der Zulassung mildernder Umstände (Festungshaft) die schwerere Strafdrohung. Ebenso im Ergebnis, aber in thatsächlicher Beziehung bedenklich (wegen A n nahme versuchter Mitteilung) R 16. Dezember 83 2 5 45. Richtig R 9. März 96 2 8 266. V g l . Seuffert 594 und 601.

§ 167.

3- Ausspähung und Verrat militärischer Geheimnisse.

S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn Jahren; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu zehntausend Mark, sowie (§ 6) Polizeiaufsicht.

III. Verrat militärischer Geheimnisse liegt vor, w e n n der Thäter Gegenstände der bezeichneten Art in den Besitz oder zur Kenntnis eines andern gelangen läfst (§§ i, 2, 7). Damit ist StGB. § 92 Ziff. 1 wesentlich erweitert, aber, auch soweit militärische Geheimnisse in Frage stehen, nicht beseitigt.3) Drei Fälle des Verats sind zu unterscheiden. 1. Der e i n f a c h e v o r s ä t z l i c h e Verrat (§ 2). Rechtswidrigkeit (daher auch Bewufstsein derselben) erforderlich. Der Thäter mufs wissen, dafs die Geheimhaltung im Interesse der Landesverteidigung erforderlich ist.4) Versuch strafbar: er liegt auch dann vor, wenn der Thäter irrtümlich annimmt, dafs die Geheimhaltung erforderlich sei. S t r a f e : Gefängnis oder Festungshaft bis zu fünf Jahren; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu fünftausend Mark.

2. Der s c h w e r e v o r s ä t z l i c h e Verrat, vorliegend, wenn der Thäter weifs, dafs durch seine Mitteilung die Sicherheit des Deutschen Reichs gefährdet wird. Versuch strafbar. Bewufstsein der Rechtswidrigkeit hier nicht erforderlich (§ 1). S t r a f e : Zuchthaus nicht unter zwei Jahren; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu füufzehntausend Mark; bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter sechs Monaten, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu zehntausend Mark. Neben jeder Freiheitsstrafe ist Polizeiaufsicht zulässig (§ 6).

3. D e r f a h r l ä s s i g e V e r r a t (§ 7). Strafbar als Thäter (anders bezüglich der Teilnehmer) ist nur derjenige, dem die Gegenstände amtlich anvertraut oder kraft seines Amtes oder eines von amtlicher Seite erhaltenen Auftrages zugänglich sind; also insbesondere auch die mit der Herstellung beauftragten Gewerbetreibenden (nicht ihre Arbeiter). Gefährdung der Sicher*) E r w e i t e r t : denn § 92 fordert Mitteilung an eine auswärtige Regierung oder öffentliche Bekanntmachung; das Gesetz begnügt sich mit der Mitteilung an einen andern. N i c h t b e s e i t i g t : denn die Mitteilung von „Nachrichten" geht weiter als die Mitteilung der „Kenntnis eines Gegenstandes", die eine vollständige, die sinnliche Wahrnehmung ersetzende Beschreibung voraussetzt. Ebenso Meyer 666, Seuffert 589, dagegen R. 16. Dezember 93 25 45. Vgl. oben § 166 Note 9. 4 ) Der Thäter mufs also wissen, dafs durch die Mitteilung das Interesse der Landesverteidigung gefährdet wird. Damit ist das Bewufstsein einer Gefährdung der Sicherheit des Deutschen Reichs notwendig verbunden. Ich vermag also einen greifbaren Unterschied zwischen den §§ I und 2 des Gesetzes nicht zu erkennen. Vgl. aber auch Seuffert 593.

§ l6y.

3. Ausspähung und Verrat militärischer Geheimnisse.

heit des Deutschen Reichs hier ausdrücklich gefordert. Die Fahrlässigkeit des Thäters kann sowohl durch den Irrtum darüber, dafs es sich um ein militärisches Geheimnis handelt, als auch durch die Unkenntnis gegeben sein, dafs er durch sein Verhalten die Gegenstände andern zugänglich macht. S t r a f e : Gefängnis oder Festungshaft bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Neben der Freiheitstrafe kann auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden.

IV. Neben der Ausspähung und dem Verrat selbst hat das Gesetz von 1893 noch weitere Handlungen, teils vorbereitender, teils rein polizeilicher Natur, unter Strafe gestellt: 1. Die Verabredung der schweren Ausspähung oder des schweren Verrates, wenn es zur Ausführung oder zu einem strafbaren Versuch nicht gekommen ist (das K o m p l o t t ; § 5). S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu fünftausend Mark. Straflos bleibt, w e r von der Verabredung zu einer Zeit, w o die Behörde nicht schon anderweit davon unterrichtet ist, in einer Weise Anzeige macht, dafs die Verhütung des Verbrechens möglich ist (oben § 74 III). Neben Gefängnis kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter und der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, sowie auf Polizeiaufsicht erkannt werden (§ 6).

2. Die Unterlassung der Anzeige (§ 9). Wer von dem Vorhaben eines der in den §§ I und 3 vorgesehenen Verbrechen zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläfst, hiervon der Behörde zur rechten Zeit Anzeige zu machen, ist, wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist, mit Gefängnis zu bestrafen. — V g l . unten § 182 I V . 3. Übertretungsstrafe (Geldstrafe bis zu 1 5 0 Mark oder Haft) trifft denjenigen, welcher den von der Militärbehörde erlassenen, an Ort und Stelle erkennbar gemachten Anordnungen zuwider, Befestigungsanlagen, Anstalten des Heeres oder der Marine, Kriegsschiffe, Kriegsfahrzeuge oder militärische Versuchs- oder Übungsplätze b e t r i t t (§ S). Fahrlässige Unkenntnis der Anordnungen entschuldigt nicht.

V . Auch die v o n I n l ä n d e r n (nicht aber von Ausländern) m A u s l a n d e begangenen Delikte der §§ i, 3, 5 des Gesetzes sind ohne weiters (oben S. 100) strafbar (§ 10). 6 ) 6 ) Über die staatsrechtlichen Bedenken gegen die Gültigkeit des ganzen Gesetzes vgl. Seuffert 607, sowie oben § 1 4 3 Note I.

576

§ i68.

§ 168.

4. Die Majestätsbeleidigung.

4. Die Majestätsbeleidigung.

I i i t t e r a t u r . Hälschner 2 764. Zimmermann GA. 31 103. Gertschen GA. 32 53 Meents (Litt, zu § 164). Frederichs Die Anwendung der allgemeinen Grundsätze über Beleidigungen speziell auf Majestätsbeleidigungen. Greifswalder Diss. 1897.

I. D e r B e g r i f f . Majestätsbeleidigung ist die Verletzung der dem Herrscher (als dem Träger der Staatshoheit) geschuldeten Achtung: sie ist, wie die gemeine Beleidigung, Ausdruck der Nichtachtung und von dieser nur soweit unterschieden, als die dem Herrscher geschuldete Achtung über die den Beherrschten gebührende emporragt. Die Aufstellung des besondern Verbrechens der Majestätsbeleidigung in der neueren Gesetzgebung hat demnach, wenn wir von dem veränderten, der Schwere wie der politischen Natur des Verbrechens Rechnung tragenden Strafrahmen absehen, rechtliche Bedeutung nur nach der Richtung hin, dafs die für die gewöhnliche Beleidigung gegebenen besondern (also nicht aus dem Begriffe des Verbrechens folgenden) Bestimmungen, so jene über Antragserfordernis, Privatklage, Bufse, Erwiderung usw., auf die Majestätsbeleidigung keine Anwendung finden. Alle Sätze dagegen, welche, sei es aus dem Begriffe der Beleidigung, sei es aus den allgemeinen Begriffen des Strafrechts, sich ergeben, müssen uneingeschränkt auch der Majestätsbeleidigung gegenüber zur Anwendung gebracht werden, mögen sie auch zufällig in dem 14. Abschnitte des StGB.s Aufnahme gefunden haben. So ist § 193 StGB, zwar nicht a l s s o l c h e r , wohl aber in seinem aus allgemeinen Grundsätzen sich ergebenden I a h a l t e 1 ) auch für die Beurteilung der Majestätsbeleidigung mafsgebend; dasselbe gilt von dem Wahrheitsbeweise usw. 2 )

Nur der m o n a r c h i s c h e Träger der Staatshoheit, sowie die Mitglieder seiner Familie und sein Stellvertreter (der Regent) können nach heutigem deutschen Rechte Gegenstand der Majestätsbeleidigung sein; die Träger der Staatshoheit in den freistaatlichen Gemeinwesen Deutschlands entbehren des erhöhten strafrechtlichen Schutzes ihrer Ehre. Der staatsrechtlichen Gestaltung des Deutschen Reiches entsprechend, hebt das Gesetz den K a i s e r , den Landesherrn des H e i m a t s t a a t e s und ') Vgl. oben § 95 IV. Ebenso die gem. Meinung, insbes. Frederichs 13Ö, Olshausen § 95 7, R 21. Mai 83 8 338. a ) Übereinstimmend v. Bar Lehrbuch S. 246, Binding Grundrifs 2 76, Frank § 95 III, Frederichs 26, Hälschner 2 768, John H H 3 69, Meents 84, Zimmermann GA 31 193. Dagegen Gertschen GA. 32 53, Merkel 383, Meyer 645, Olshausen § 95 7, Wilhelm (Litt, zu § 95); R 23. Juni 80 2 213.

§ l68.

4. Die Majestätsbeleidigung.

577

jenen des A u f e n t h a l t s s t a a t e s des Thäters aus den übrigen Bundesfürsten hervor (vgl. auch StGB. § 80). Der V o r s a t z des Thäters mufs auch die Herrscherstellung des Beleidigten umfassen. Da es eine „Kaiserliche Familie" staatsrechtlich nicht gibt, kommen die Familienangehörigen des Kaisers, insbesondere der „Kronprinz des Deutschen Reichs", nur als landesherrliche Familie (bez. Kronprinz von Preufsen) in Betracht; ein Ergebnis, das ohne Zweifel den thatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise gerecht wird. 3 ) Die Strafen stufen sich ab, je nachdem es sich um eine T h ä t l i c h k e i t oder eine B e l e i d i g u n g i. e. S. handelt. Dem Thun steht das Unterlassen auch hier nur insoweit gleich, als eine Rechtspflicht zum Handeln besteht; das Sitzenbleiben bei einem „Hoch" auf den Landesherrn ist demnach an sich nicht Majestätsbeleidigung. 4 ) „Thätlichkeit" bezeichnet auch hier (vgL, oben § 96 Note 2) die thätliche Beleidigung. 5 ) „Beleidigung" umfafst sowohl die V e r l e t z u n g als auch die, sei es bewufste, sei es unbewufste, G e f ä h r d u n g der Ehre (StGB. §§ 185, 186, 187), nicht aber die bloise Verletzung der Ehrfurcht. Verletzung der Familienehre durch Beleidigung verstorbener Herrscher ist nur nach StGB. § 189 strafbar. 6 ) Ob die Beleidigung auf Regierungshandlungen des Herrschers oder auf Handlungen seines Privatlebens sich bezieht, ist gleichgültig. AuchÄufserungen über Regierungshandlungen, welche unter Gegenzeichnung des verantwortlichen Ministers erfolgten, können als Majestätsbeleidigung erscheinen, soweit sie ein die Achtung verletzendes 3 ) Die Unklarheit der gesetzgeberischen Grundgedanken bei Regelung der Majestätsbeleidigung erhellt auch aus den durchaus unzutreffenden Überschriften der einschlagenden Abschnitte des StGB.s („Beleidigung des Landesherrn" ; „Beleidigung von Bundesfürsten".) 4 ) Anders, wenn vorausgehendes Thun (Teilnahme an einem Festmahle zu Ehren des Landesherrn) das spätere Unterlassen als rechtswidrig erscheinen läfst. Auch aus der dienstlichen Stellung kann die Pflicht zum Thun sich ergeben. 6 ) Dagegen Hälschner 2 765, Meyer 645, Ohlshausen § 9 4 3. E s ist zu beachten, dafs j e d e (rechtswidrige) Thätlichkeit gegenüber dem Herrscher wohl ausnahmslos zugleich als Beleidigung erscheint. 8) R 7. Februar 96 2 8 171 nimmt Majestätsbeleidigung an, wenn die Beleidigung der Vorfahren die Behauptung „bemakelter Abstammung" des gegenwärtigen Herrschers in sich schliefst (bedenklich).

v o n L i s z t , Strafrecht. 9. Aufl.

37

578

§ l68.

4. Die Majestätsbeleidigung.

Urteil über den Monarchen enthalten oder ermöglichen; dasselbe gilt von nach dem Regierungsantritte gemachten Äufserungen über Ereignisse, welche vor dem Regierungsantritte des angegriffenen Monarchen stattgefunden haben. Von einem Deutschen im A u s l a n d e gegen einen B u n d e s f ü r s t e n (nicht gegen eine landesherrliche Familie oder gegen den Regenten eines Bundesstaates) begangene Beleidigungen sind ohne weiteres nach inländischem Strafrechte zu bestrafen (StGB. § 4 Ziff. 2; oben S. 100). Die Verfolgung tritt in allen Fällen von Amts wegen ein.7) II. Bestrafung von T h ä t l i c h k e i t e n . 1. Gegen den K a i s e r , gegen den L a n d e s h e r r n d e s T h ä t e r s o d e r w ä h r e n d d e s s e n A u f e n t h a l t s in e i n e m B u n d e s s t a a t e g e g e n d e n L a n d e s h e r r n d i e s e s S t a a t e s : lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft, in minder schweren Fällen Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; neben Festungshaft teilweiser Ehrverlust zulässig; bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren (StGB. § 94). den oder haus haft

2. Gegen ein M i t g l i e d d e s l a n d e s h e r r l i c h e n H a u s e s 8 ) o d e r R e g e n t e n d e s H e i m a t - o d e r A u f e n t h a l t s s t a a t e s : Zuchthaus Festungshaft nicht unter fünf Jahren; in minder schweren Fällen Zuchtoder Festungshaft bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Festungsvon einem Jahre bis zu fünf Jahren (StGB. § 96).

3. Gegen einen a n d e r n B u n d e s f ü r s t e n : Zuchthaus oder Festungshaft von zwei bis zu zehn Jahren; bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (StGB. § 98). 4. Gegen e i n M i t g l i e d e i n e s b u n d e s f ü r s t l i c h e n H a u s e s o d e r d e n R e g e n t e n e i n e s B u n d e s t a a t e s : Zuchthaus oder Festungshaft bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Festungshaft von einem Monate bis zu drei Jahren (StGB. § 100). III. Bestrafung der e i n f a c h e n B e l e i d i g u n g . I. G e g e n d i e o b e n I I , I g e n a n n t e n P e r s o n e n : Gefängnis nicht unter zwei Monaten oder Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren? neben Gefängnis teilweiser Ehrverlust zulässig (StGB. § 95). 7 ) Anders nach verschiedenen älteren deutschen Landesrechten (Braunschweig, Sachsen, Baden, Württemberg), die (in nachahmenswerter Weise) zu jeder Verfolgung eine besondere allerhöchste Entschliefsung forderten. 8) Die Zugehörigkeit bestimmt sich nicht nach der Blutsverwandtschaft, sondern nach Staatsrecht und nach den Hausgesetzen. Vgl. R 28. September 1891 22 141 (Beleidigung des Fürsten Ferdinand von Bulgarien). — In ElsafsLothringen erscheint der Kaiser nicht als Landesherr; die Mitglieder der Kaiserlichen Familie sind daher auch nicht als Mitglieder des landesherrlichen Hauses anzusehen. Dasselbe gilt von den deutschen Schutzgebieten.

§ 169.

5- Vergehen gegen die politischen Rechte der Staatsbürger.

2. G e g e n d i e o b e n I I , 2 g e n a n n t e n P e r s o n e n : Gefängnis oder Festungshaft von einem Monate bis zu drei JahreD (StGB. § 97). 3. G e g e n d i e o b e n I I , 3 g e n a n n t e n P e r s o n e n : Gefängnis oder Festungshaft von einem Monate bis zu drei Jahren; Verfolgung nur mit Ermächtigung des Beleidigten (StGB. § 99). 4. G e g e n d i e R e g e n t e n (nicht gegen die Mitglieder des landesherrlichen Hauses) d e r o b e n I I , 4 g e n a n n t e n S t a a t e n : Gefängnis oder Festungshaft von einer Woche bis zu zwei Jahren; Verfolgung nur mit Ermächtigung des Beleidigten (StGB. § 101).

§ 169.

5. Strafbare Handlungen gegen die politischen Rechte der Staatsbürger.

L i t t e r a t u r . Hälschner 2 778, 782. Drenkmann GA. 17 163. GS. 4 0 I. Freudenthal (Litt, zu § 137 Note 7).

Schneidler

I. Strafbare Handlungen gegen gesetzgebende V e r sammlungen des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates (vgl. oben § 97 Note 4). 1. Das Unternehmen, eine dieser Körperschaften a. auseinanderzusprengen; b. zur Fassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nötigen; c. Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen (StGB. § 105). S t r a f e : Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter einem Jahre.

2. Die durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung begangene Verhinderung eines Mitgliedes einer der unter 1. bezeichneten Versammlungen, a. sich an den Ort der Versammlung zu begeben oder b. zu stimmen (StGB. § 106). Über die Begriffe Gewalt und D r o h u n g vgl. oben § 98. Nach S t G B . § 339 A b s . 3 steht diesen Mitteln der Mifsbrauch oder die A n d r o h u n g eines bestimmten Mifsbrauchs der A m t s g e w a l t völlig gleich. Positiver Zwang, insbesondere zur A b g a b e der Stimme, gehört nicht hierher, kann aber nach S t G B . § 240 strafbar werden. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft bis zu zwei Jahren.

II. Strafbare Handlungen gegen das politische W a h l und Stimmrecht. 1. Die W a h l - und Stimmverhinderung, d. h. die 37*

580

§ ¿6g.

5- Vergehen gegen die politischen Rechte der Staatsbürger.

durch Gewalt oder Bedrohung mit einer strafbaren Handlung begangene V e r h i n d e r u n g e i n e s D e u t s c h e n (nicht des Ausländers), in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen (StGB. § 107). Geschützt ist das p o l i t i s c h e Wahl- und Stimmrecht, also die Beteiligung an allen öffentlichen Angelegenheiten in Staat (Provinz, Kreis) und Gemeinde durch Abgabe der Stimme überhaupt, durch Wahl von Vertretern insbesondere. Die Ausdrücke „in Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte" (StGB. § 107) und „in öffentlichen Angelegenheiten" (§§ 108 und 109) erscheinen mithin als gleichbedeutend. Kirchliche Wahlen sind ebenso ausgeschlossen wie Handelskammerwahlen, Wahlen auf Grund der Versicherungsgesetze usw. Der „Verhinderung" steht zwar nicht die N ö t i g u n g zur Ausübung des Wahl- und Stimmrechts überhaupt, wohl aber die Nötigung zu dessen Ausübung nach einer andern als der dem Willen des Genötigten entsprechenden Richtung gleich. StGB. § 339 Abs. 3 findet auch hier Anwendung. Strafe:

Gefängnis nicht unter sechs Monaten

einem Tag) bis zu fünf Jahren.

oder Festungshaft

(von

Versuch strafbar.

2. Die W a h l f ä l s c h u n g . Sie umfafst (StGB. § 108) a. d i e F ä l s c h u n g i. e. S. oder die H e r b e i f ü h r u n g eines unrichtigen Ergebnisses bei Wahlhandlungen (nicht andern A b stimmungen) in öffentlichen Angelegenheiten und b. die V e r f ä l s c h u n g eines solchen Wahlergebnisses. Dabei haben wir unter „Wahlergebnis" nicht das Gewähltsein dieses oder jenes Bewerbers zu verstehen, auch nicht etwa das Stimmenverhältnis oder das Wahlprotokoll, sondern die dem Gesetze entsprechende thatsächliche A u s ü b u n g d e s W a h l r e c h t s (den „Willen der Wähler" nach F r a n k ) . Die Wahlfälschung ist mithin kein Fälschungsverbrechen i. e. S., also nicht Mifsbrauch einer Beglaubigungsform. Das Wahlergebnis ist g e f ä l s c h t , wenn die thatsächliche Ausübung dem Gesetze nicht entspricht, mithin z. B. ein Unberechtigter zur Wahl oder ein Berechtigter zu mehrfacher Stimmabgabe zugelassen wurde; es ist v e r f ä l s c h t , wenn seine *) Im wesentlichen übereinstimmend R 9. November 82 7 223, Freudenthal 65, Hälschner 2 784, Meyer 654. Dagegen insbes. Olshausen § 1 0 7 2. Frank § 107 I I und § 108 II nimmt den Ausdruck dort enger (nicht Gemeindewahlen), hier weiter (auch Angelegenheiten der Gemeinden, Kreise, Provinzen, Kirchen, Universitäten, Akademieen, öifentlichen Krankenhäuser).

§ 170.

6. Strafbare Handlungen gegen fremde Staaten.

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Feststellung der thatsächlichen Ausübung nicht entspricht, also z. B. die abgegebenen Stimmzettel unrichtig gezählt und eingetragen werden. 2 ) V o r s a t z ist in beiden Fällen erforderlich. Dafs es sich nur um i n l ä n d i s c h e W a h l e n handelt, unterliegt keinem Zweifel. S t r a f e : a) Wenn der Thäter mit der Sammlung von Wahl- oder Stimmzetteln oder -zeichen oder mit der Führung der Beurkundungsverhandlung beauftragt war, Gefängnis von einer Woche bis zu drei Jahren; b) wenn dies nicht der Fall, Gefängnis bis zu zwei Jahren. — In beiden Fällen Ehrverlust zulässig. 3. D e r S t i m m e n k a u f oder die W a h l b e s t e c h u n g , d. i. der Kauf oder Verkauf von Wahlstimmen in einer öffentlichen (inländischen) Angelegenheit (StGB. § 109). 3 ) S t r a f e : Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren; daneben Ehrverlust zulässig.

§

170.

6. Strafbare Handlungen gegen fremde Staaten.

I i i t t e r a t u r . Lammasch Z 3 396. v. Mörtitz (Litt, zu § 21) 1 60, 71. v. Bar Lehrbuch 267. Rosenblatt Archiv für öffentliches Recht 8 97. Meents (Litt, zu § 164) 54. v. Liszt Völkerrecht § 24. I. Das Völkerrecht bindet und berechtigt nicht den einzelnen Bürger eines einzelnen Staates, sondern stets und ausnahmslos den Staat selbst. Der Staat allein ist völkerrechtliches Rechtssubjekt; er allein mithin das mögliche Subjekt eines v ö l k e r r e c h t l i c h e n D e l i k t s . Aber die Zugehörigkeit zu der Rechtsgemeinschaft der völkerrechtlich geeinten Kulturstaaten verpflichtet jeden einzelnen Staat, Angriffe auf einen der übrigen Staaten, die durch die seiner Gewalt unterworfenen Personen unternommen werden, zu unterdrücken und zu bestrafen. Übertretungen der zu diesem Zwecke aufgestellten Vorschriften erscheinen daher als Verletzung des heimischen, des n a t i o n a l e n Rechts, nicht des Völkerrechts. Ebendarum aber kann die nationale Gesetzgebung den Strafschutz auf die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft und auf die Zeiten des friedlichen völkerrechtlichen Verkehrs beschränken. Dies ist der Sinn, in welchem unser StGB, von „befreundeten" Staaten spricht. II. A l s „ f e i n d l i c h e H a n d l u n g e n g e g e n b e f r e u n d e t e S t a a t e n " bedroht das R S t G B . folgende Fälle: Ebenso im Wesentlichen Meyer 655, Schneidler 14, Olshausen §108 2; R 2. Juni 90 20 420, 6. April 91 21 414. a ) Vgl. das oben § 137 V Gesagte. — Die Nichtausübung des Stimmrechts bleibt an sich straflos. Anders nach dem Recht mehrerer Schweizer Kantone: Schollenberger Schweizer Zeitschr. 10 78.

582

§ 170.

6. Strafbare Handlungen gegen fremde Staaten.

1. Die Vornahme einer Handlung gegen einen aufserdeutschen Staat oder dessen Landesherrn, welche, wenn gegen einen Bundesstaat oder einen Bundesfürsten begangen, als Hochverrat unter StGB. §§ 81—86 fiele (StGB. § 102). Als Bedingung der Strafbarkeit verlangt § 102 V e r b ü r g u n g d e r G e g e n s e i t i g k e i t , d. h. der entsprechend schweren Bestrafung dieser Handlung nach dem ausländischen Recht, wenn sie gegen das Deutsche Reich oder einen deutschen Einzelstaat gerichtet sind. Die „Verbürgung" braucht nicht durch Gesetz oder Staatsvertrag, sie kann auch durch einen die Gewähr künftiger Festhaltung bietenden Gerichtsgebrauch gegeben sein. Während der d e u t s c h e U n t e r t h a n sowohl im Inlande wie im Auslande und hier ohne die Beschränkung der §§ 4, 5 StGB, (oben S. 100) für die Begehung derartiger Handlungen verantwortlich gemacht wird, haftet der A u s l ä n d e r nur w ä h r e n d s e i n e s A u f e n t h a l t e s i m I n l a n d e . Auch hier ist der Aufenthaltsort, nicht der Begehungsort mafsgebend. Die Verfolgung tritt nur a u f A n t r a g d e r a u s w ä r t i g e n R e g i e r u n g ein; der Antrag ist rüclcnehmbar. Die S t r a f e beträgt a) in den Fällen der §§ 81—84 StGB. Festungshaft von einem bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren; — b) in den Fällen der §§ 85 und 86 StGB. Festungshaft von einem Monat bis zu drei Jahren.

2. Die (thätliche oder nicht thätliche) Beleidigung des Landesherrn oder Regenten eines nicht zum Deutschen Reiche gehörenden Staates (StGB. § 103). Gegenseitigkeit mufs verbürgt sein. Der Präsident eines fremden Freistaates wird ebensowenig geschützt wie ein fremdes Volk. Auch nicht der Papst, da dieser zwar einzelne Souveränitätsrechte besitzt, aber nicht Souverän ist. Die Rechtssätze über gemeine Beleidigung finden in demselben Umfange Anwendung wie bei der Majestätsbeleidigung (oben § 167 Noten I und 2). S t r a f e : Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer. Antrag erforderlich; antragsberechtigt die auswärtige Regierung; Antrag rücknehmbar. 1 )

3. Die thätliche oder nicht thätliche Beleidigung eines bei dem Reich, einem bundesfürstlichen Hofe oder bei dem Senate einer der freien Hansestädte beglaubigten Gesandten o d e r Geschäftsträgers (StGB. § 104).2) S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Festungshaft von gleicher Dauer. Verfolgung nur auf Antrag des Beleidigten; Antrag rücknehmbar. *) Wird der Antrag gestellt, so ist die öffentliche Klage zu erheben; StPO. §§ 414 ff., insbesondere auch § 416, finden keine Anwendung. So die gem. Meinung. Dagegen Olshaustn § 103 5. s ) Die §§ 185 ff. StGB, sind anzuwenden, soweit sie strenger sind.

§ 171.

I. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.

583

4. Strafbare Handlungen an Autoritäts- oder Hoheitszeichen eines aufserdeutschen Staates (StGB. § 103 a). Thatbestand und Strafe entsprechen dem § 135 StGB. Vgl. darüber unten § 176 V.

Zweiter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt. §171.

I. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.

Z i i t t e r a t u r . John HH. 3 115, 129. Schultz Widerstand gegen eine auswärtige Staatsgewalt. Berliner Diss. 1881. Hiller Die Rechtsmäfsigkeit der Ausübung im Begriffe des Vergehens der Widersetzlichkeit 1873. Derselbe GS. 27. Bolze GA. 23. Guggenheimer Der Irrtum des Thäters in Bezug auf die Rechtmäfsigkeit der Amtsausübung 1883. Freund Archiv für öffentl. Recht 1 108, 355. Hälschner 2 789. Streit Die Widersetzung gegen die Staatsgewalt 1892. Pfeiffer Beiträge zur Interpretation des § 113 StGB. 1895.

I. Mit erhöhtem Strafschutze umkleidet das heimische Recht die Thätigkeit seiner B e a m t e n , als der Vollstrecker des Staatswillens. Und zwar nur s e i n e r Beamten. Sowenig unsere Gesetzgebung den ausländischen Staat und seine Vertreter dem Inlande gleichstellt, selbst wo sie durch ausdrückliche Bestimmung Strafandrohungen gegen den Angriff auf das Ausland richtet, ebensowenig oder richtiger noch weniger Veranlassung hat sie zur Gleichstellung der inländischen und der ausländischen Staatsbeamten. Und da besondere und ausdrückliche Bestimmungen fehlen, müssen wir mithin die in diesem Paragraphen zu erörternden Strafdrohungen auf die Gewalt gegen i n l ä n d i s c h e Staatsbeamte beschränken. 1 ) Privatklage hier möglich. Dagegen die gem. Meinung. Übereinstimmend Olshausin § 104 6. *) Die Frage ist gerade hier lebhaft bestritten. Im Sinne des Textes: v. Bar Lehrbuch 272, Frank 2. Teil, 6. Abschn., Hälschner 2 794 (der sich auf StGB. § 359 stützt), Heilborn Z 18 217, Heime GA. 17 737, John HH. 3 91, Lammasch Z 3 337, Merkel 388, Olshausen 6 Abschn. I, Schultz 14, 61, Seuffert Z 15 820 (der aber die Schlufsfolgerung aus dem Vertrage vom 6. Mai 1882 ablehnt), Streit 69, v. Wächter 505. Dagegen Meyer 635,

§171.

I. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.

Im Anschlufs an die römischen Bestimmungen über seditio und tumultus bedroht PGO. 127 denjenigen, welcher „gefährliche, fürsetzliche und boshafte A u f r u h r e n des gemeinen Volkes wider die Obrigkeit macht", mit der Schwertstrafe, in mildern Fällen mit körperlicher Züchtigung und Landesverweisung. Daran hielt das gemeine Recht fest, soweit es sich um die seditio simplex handelte (Preufsen 1620 hebt schon die „Rädleinführer" besonders hervor), während die schwerern Fälle zum Hochverrat gerechnet wurden. Daneben aber hatten schon die Stadtrechte des deutschen Mittelalters die Vergewaltigung von Stadtdienern, Wachen, Richtern, Beamten mit schweren Strafen belegt, und das gemeine Recht betrachtete die violatio personarum publicarum als besondern Fall der vis publica. In der neueren Gesetzgebung (Frankreich 1791, ALR.) entwickeln sich daraus, allerdings unter fortwährendem Schwanken, die besondern Vergehen des Auflaufs und Aufruhrs einerseits, des „Widerstands gegen die Staatsgewalt" (offence ä la loi) anderseits.

II. Widerstand gegen die Staatsgewalt (StGB. § 113) liegt vor, wenn einem Beamten, welcher zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder von Urteilen und Verfügungen der Gerichte berufen ist, in der rechtmäfsigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand geleistet wird. Der Begriff des Beamten ist aus StGB. § 359 zu entnehmen (vgl. unten § 178 III); doch stellt das Gesetz den Beamten gleich: jene Personen, welche zur Unterstützung des Beamten zugezogen waren; Mannschaften der bewaffneten Macht; Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürgerwehr. Gleichgestellt sind ferner durch § 3 des Gesetzes vom 21. November 1887 die Befehlshaber der zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel berufenen Schiffe. Die Amtsausübung mufs, wie schon das gemeine Recht (Leyser, Engau u. a.) forderte, eine r e c h t m ä f s i g e sein; sie Pfeiffer 18 (mit eingehender Begründung), Schütze 260, auch R 15. Februar 83 8 53» '4- Januar 87 15 221. — Das entscheidende Gewicht lege ich auf StGB. §§ 102—104. Nach der gegnerischen Ansicht wären diese Paragraphen unbegreifliche Folgewidrigkeiten. Dazu tritt als weiterer und schlagender Beweisgrund § 32 des intern. Vertrages betr. die Nordseefischerei vom 6. Mai 1882, nach welchem der Widerstand gegen die mit der Polizei beauftragten Kreuzer „wie der Widerstand gegen die Staatsgewalt der Nation des Fischfahrzeuges angesehen werden soll"; eine Bestimmung, die nur dann begreiflich ist, wenn diese Gleichstellung eben n i c h t aus allgemeinen Grundsätzen folgt. Ähnlich Art. 7 Abs. 4 des Vertrags vom 16. November 1887 zur Unterdrückung des Branntweinhandels unter den Nordseefischern auf hoher See. Doch sind diese Bestimmungen bisher nicht deutsches Recht geworden.

§171.

I. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.

585

ist es, wenn nicht nur die Amtshandlung innerhalb der Grenzen der allgemeinen Zuständigkeit des Beamten sich bewegt, sondern auch im Einzelfalle ihre Vornahme bei pflichtgemäfser Berücksichtigung der dem Beamten im Augenblicke vorliegenden Umstände als geboten erscheint, mag sie auch nachträglich, bei Klärung der Sachlage, als überflüssig oder sogar ungerechtfertigt sich darstellen. Wenn der ausführende Beamte dem Befehle des Vorgesetzten zu gehorchen unbedingt verpflichtet war, so befindet er sich in rechtmäfsiger Amtsausübung (vgl. oben § 35 I). Irrige Annahme der Rechtmäfsigkeit von Seiten des Beamten kann deren Mangel nicht ersetzen.2) Mit der Uberschreitung der Grenzen der Rechtmäfsigkeit beginnt hier wie sonst die Berechtigung des Widerstandes. Der Widerstand mufs „in der Ausübung des Amtes" geleistet, mithin gegen die Amtshandlung selbst gerichtet sein. Weigerung, den Namen zu nennen, eine Sache herauszugeben, die Thüre zu öffnen, sich verhaften zu lassen usw., bleibt als „passiver Widerstand" straflos; das Gesetz verlangt, dafs der Widerstand „durch Gewalt (an Personen oder Sachen) oder Bedrohung mit Gewalt" (oben § 98) geleistet wird. V o r s a t z ist erforderlich. Er umfafst auch hier alle Thatbestandsmerkmale, also auch die Rechtmäfsigkeit der Amtsausübung. Irriger Glaube des Thäters, dafs die Amtsausübung eine unrechtmäfsige sei, schliefst mithin die : Strafbarkeit des Widerstandes aus.8) S t r a f e : Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu tausend Mark.4) 2 ) Abweichend R 26. November 97 30 348 (hält den Rechtsirrtum, nicht aber den Thatirrtum für relevant). 3) Lebhaft bestritten. Für die hier vertretene Ansicht spricht die Fassung des Gesetzes wie seine Entstehungsgeschichte und Bedeutung. Ebenso Binding Normen 2 589, Frank § 113 V I , Guggenheimer 38, Hälschner 2 815, Kohler Studien t 73, Merkel 391, Meyer 649, Olshausen § 113 28, Pfeiffer 45, Streit 109. Dagegen Hiller Rechtmäfsigkeit 73, John HH. 3 II8, Lucas (Litt, zu § 39), 26; sowie R wiederholt, zuletzt IO. Februar 85 12 6. V g l . auch unten § 172 Note 2 und § 174 Note 4. 4 ) Besondere Bestimmungen vielfach in den Nebengesetzen; so Vereinszollgesetz von 1869 §§ 148, 161; Salzsteuergesetz von 1867 § 1 7 ; Brau- und Branntweinsteuergesetz von 1868 §§ 37 und 68; Braumalzsteuergesetz von 1872 § 36; Tabaksteuergesetz von 1879 § 4 1 ; Nahrungsmittelgesetz von 1879 § 9.

Ijgg

§ 171.

I. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.

III. Thätlicher Angriff auf eine der unter II genannten Personen,

während

ihres A m t e s

oder

sie in der rechtmäfsigen Dienstes

begriffen ist

Ausübung

(StGB.

§

113).

„Thätlicher A n g r i f f ' ist gleichbedeutend mit „Thätlichkeit" (oben § 96 N o t e 2).

Er braucht nicht die Vereitelung der Amtshand-

lung zum Z w e c k e zu haben.

Strafe wie unter II.

IV. Die Nötigung zu Amtshandlungen, d. h. daS Unternehmen,

durch

Gewalt

D r o h u n g mit Gewalt) zur

Vornahme

oder

Drohung

eine Behörde 5 )

oder

(nicht

notwendig

oder einen Beamten

Unterlassung

einer

Amtshandlung

zu nötigen ( S t G B . § 114). S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu zwei Jahren. Idealkonkurrenz mit § 113 möglich. 6 )

V . Aufruhr ist Zusammenrottung unter II bis I V

die T e i l n a h m e (oben

S. 4 2 1 ) ,

bezeichneten

an bei

einer öffentlichen welcher

Handlungen

mit

eine

der

vereinten

Kräften begangen wird ( S t G B . § 115). S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechs Monaten (Vergehen); gegen die R ä d e l s f ü h r e r (oben § 51 Note 4) sowie die Personen, die eine der unter I I — I V bezeichneten Handlungen (als Thäter) begangen haben, Zuchthaus bis zu zehn Jahren, ueben welchem Polizeiaufsicht zulässig ist; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten (Verbrechen).')

VI. Auflauf ist die V e r s a m m l u n g einer Menschenmenge auf öffentlichen (d. h. allgemein zugänglichen) W e g e n , Strafsen oder Plätzen. D e r A u f l a u f wird aber ( S t G B . § 116) strafbar erst dadurch, dafs die Versammelten, w e n n die Menschenm e n g e v o n d e m zuständigen B e a m t e n oder (dem zuständigen) Befehlshaber der bewaffneten Macht aufgefordert wurde, sich zu entfernen, nach der dritten A u f f o r d e r u n g sich nicht zerstreuen. Häufig sind insbes. ergänzende Ordnungsstrafen angedroht. Besonders wichtig sind die Vorschriften der Seemannsordnung; vgl. unten § 198 VIII. 5 ) Der Begriff der B e h ö r d e unterscheidet sich von dem des Beamten (unten § 178 III) durch die selbständige, dauernd geregelte Eingliederung in den Zusammenhang der Staatsverwaltung. Behörde ist der ideelle, dauernde Träger staatlicher Rechte und Pflichten. Beschlufs der vereinigten Strafsenate vom 14. November 88 18 246. — Begriff des „Unternehmens" oben § 46 Note 6. Über „Gewalt" und „Drohung" oben § 98. 8 ) Die gem. Meinung betrachtet § 1 1 3 als den engern gegenüber § 114; so, aufser Frank § 114 I und Olshausen § 114 7 (welcher aber zugibt, dafs diese Ansicht zu sehr wenig befriedigenden Ergebnissen führt), insbes. R, zuletzt 18. Januar 98 31 3. ^ Über militärischen Aufruhr vgl. Mil.StGB. §§ 106—110 (unten § 205

§ 172.

2. Gewalt gegen Forst- oder Jagdbeamte usw.

58/

Vorsatz erforderlich; dieser ist ausgeschlossen, wenn dem Thäter die dreimalige Aufforderung unbekannt bleibt. Anderseits braucht er sie nicht selbst gehört zu haben. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark. — Ist bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die bewaffnete Macht mit vereinten Kräften thätlicher Widerstand geleistet oder Gewalt (gegen Personen oder Sachen) verübt worden, so treten gegen diejenigen, welche an diesen Handlungen teilgenommen, die Strafen des Aufruhrs ein.

§ 172.

2. Gewalt gegen Forst- oder Jagdbeamte und die ihnen gleichgestellten Personen.

I. Dem preufsischen Gesetze vom 31. März 1837 folgend, hat das R S t G B . die Gewalt gegen Forst- oder Jagdbeamte, Waldeigentiimer, Forst- oder Jagdberechtigte oder gegen einen von diesen bestellten Aufseher mit strengen Strafen bedroht (§§ 1 1 7 — 1 1 9 ) , sie dem „Widerstande gegen die Staatsgewalt" angereiht und so diese Personen, welche meist Privatpersonen sein werden oder doch Staatsbeamte nicht zu sein brauchen, wegen ihres Bedürfnisses nach kräftigerem strafrechtlichen Schutze den Vertretern der Staatsgewalt gleichgestellt. 1 ) II. Es gehören hierher zwei Fälle, welche den oben § 171 unter II und III behandelten entsprechen: 1. Der durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt geleistete Widerstand gegen die genannten Personen, wenn sie in der rechtmäfsigen Ausübung ihres Amtes oder Rechts begriffen sind; 2. der thätliche Angriff gegen sie während der (rechtmäfsigen) Ausübung ihres Amtes oder Rechts. Der Vorsatz mufs auch hier (oben § 171 Note 2) das Bewufstsein umfassen, dafs der Gegner in rechtmäfsiger Ausübung handle. 2 ) Dafs die rechtswidrige Handlung i n n e r h a l b oder zwar aufserhalb des Revieres, aber in unmittelbarem Zusammenhange mit einer i n n e r h a l b des Revieres vorgenommenen AmtsEbendeshalb beschränkt sich der Schutz auf Inländer. Ober die Begehung im Auslande gelten im übrigen die allgemeinen Grundsätze. Ebenso Streit 116. Unklar Frank § 117 I, Olshausen § 117 I. 2) Ebenso hier die gem. Mein., insbesondere R 7. Januar 80 20 156.

§ 173-

3- D i e Befreiung von Gefangenen.

handlung oder Rechtsausübung stattgefunden habe, ist nicht erforderlich; es genügt die Richtung der Handlung gegen die genannten, eines höhern strafrechtlichen Schutzes bedürftigen Personen. Ebensowenig läfst sich bei dem klaren Wortlaute des Gesetzes die Ansicht rechtfertigen, dafs nicht die Ausübung des Jagdrechts oder andrer den angeführten Privatpersonen zustehender Rechte, sondern n u r die zum Schutze der Waldungen und Jagden in Ausübung der Forst- und Jagdpolizei g e g e n F o r s t - u n d J a g d f r e v l e r vorgenommenen Handlungen in § 1 1 7 gemeint seien.8) III. Die S t r a f e ist vielfach abgestuft. a) Regelmäfsiger

Strafrahmen:

Gefängnis von vierzehn Tagen bis

zu

drei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis bis zu einem Jahre (StGB. "7). b) Bei Anwendung von Drohungen mit Schiefsgewehr, Äxten oder andern gefährlichen Werkzeugen 4 ) oder von Gewalt an der Person (des Beamten oder Berechtigten): Gefängnis nicht unter drei Monaten, bei mildernden Umständen nicht unter einem Monate (StGB. § 117). c) Wenn durch den Widerstand oder den Angriff eine Körperverletzung dessen, gegen welchen die Handlung begangen ist, verursacht worden ist: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten (StGB. § 118). d) Wenn eine der Handlungen von mehreren gemeinschaftlich (oben § 50 Note 12) begangen worden ist, so kann die Strafe (a bis c) bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbetrages, die Gefängnisstrafe jedoch nicht über fünf Jahre erhöht werden (StGB. § 119). §

§ 173. Iiitteratur. Günther 3 475.

3. Die Befreiung von Gefangenen.

John

H H . 3 142.

Hälschner

2 960.

Stenglein

Z 4 487.

I. Die Befreiung von Gefangenen ist Eingriff in die o b r i g k e i t l i c h e G e w a l t , unter welcher der Gefangene sich befindet. Danach bestimmt sich ihre Stellung im System des Strafrechts. Dabei haben wir unter „Gefangenen" zu verstehen: Untersuchungs- und Strafgefangene, in zivilprozessualer wie in polizeilicher Haft Befindliche; auch wer im Arbeitshaus nach 8 ) Dagegen die gem. Meinung, insbes. O T . sowie R wiederholt, zuletzt 7. Januar 90 2 0 156. Richtig Frank § 1 1 5 m , Meyer 629. 4 ) Uber das „gefährliche Werkzeug" vgl. oben S. 327. Dagegen Oltr hausen § 117 12. D a s Schiefsgewehr mufs der Thäter s o , dafs es dem Bedrohten erkennbar wurde, zur Hand gehabt haben; R 17. April 96 2 8 314.

§ 173-

3- Die Befreiung von Gefangenen.

589

StGB. § 362, nicht aber wer in der Zwangserziehungsanstalt nach StGB. §§ 55, 56 1 ) oder im Irrenhause2) angehalten wird, gehört hierher. Gestellung auf Grund eines Vorführungsbefehls genügt; nicht aber Festnahme durch einen Privaten nach StPO. § 1 2 7. Der auf Ehrenwort internierte Kriegsgefangene ist durch die Anweisung eines bestimmten Aufenthaltsortes nicht nur moralisch, sondern thatsächlich in der Macht der Obrigkeit, mithin „Gefangener" im Sinne des Gesetzes.8) II. Die gemeinrechtliche Auffassung der Befreiung von Gefangenen (effractio carceris) ruht auf dem römischen Rechte. Dieses bedroht seit der Kaiserzeit nicht nur die (eventuell als laesa majestas zu bestrafende) Befreiung durch dritte, sondern auch die Selbstentweichung des Gefangenen. Insbesondere aber wird das Entweichenlassen durch den Gefangenaufseher, den commentariensis, bestraft und dabei, wenn auch in ganz ungenügender Weise, zwischen Vorsatz, Fahrlässigkeit und Zufall zu unterscheiden versucht; im schwersten Falle trifft den Aufseher die Talion (Günther 1 150). Ebenso bestimmt PGO. Art. 180: „So ein Hüter der peinlichen Gefängnisse einem . . aushilft, der hat dieselbe peinliche Strafe anstatt des Übelthäters, den er also ausgelassen, verwirkt. Kam' aber der Gefangene durch bemeld'ten Hüters U n f 1 e i f s aus Gefängnis, solcher Unfleifs ist nach Gestalt der Sachen zu strafen." Das gemeine Recht setzt an die Stelle der Talion (die sich noch Kurpfalz 1582, Hamburg 1603, Preufsen 1685 findet) willkürliche Strafe und hält im Gegensatze zu den römischen Quellen an der Überzeugung fest, dafs die Bestrafung der Selbstbefreiung dem ebenso natürlichen wie mächtigen Triebe nach Freiheit zuwiderläuft, mithin unnütz und darum verwerflich ist.

III. Das RStGB. unterscheidet drei Fälle. 4 ) 1. Die Selbstbefreiung, regelmäfsig straflos, ist nach dem RStGB. § 122 nur strafbar als Meuterei, und zwar; a) Als Meuterei gegen Personen, wenn die Gefangenen sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften a) die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten a n g r e i f e n oder ß) diesen W i d e r s t a n d l e i s t e n oder y) es unternehmen,5) sie zu Handlungen oder Unterlassungen zu n ö t i g e n , oder ') Ebenso Frank § 120 II, Meyer 664; dagegen Olshausen § 120 2 und R 8. November 86 15 39. a ) Dagegen Frank § 120 II. 3 ) Ebenso Merkel 395, Meyer 664; auch Mil.StGB. § 159. Dagegen Olshausen § 120 2. 4 ) Vgl. auch Mil.StGB. §§ 58 Ziff. 11, 79, 80, 144, 159 (unten § 205), Über das Amtsdelikt des § 347 StGB. vgl. unten § 379 V 5. 5 ) Über das „Unternehmen" vgl. oben § 46 Note 6.

§ 173-

3- Die Befreiung von Gefangenen.

b) als Meuterei gegen Sachen, wenn Gefangene sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen. S t r a f e : Gefängnis nicht unter sechs Monaten; gegen diejenigen Meuterer, welche Gewalttätigkeiten gegen die Anstaltsbeamten oder gegen die mit der Beaufsichtigung Beauftragten verüben, Zuchthaus bis zu zehn Jahren, neben welchem Polizeiaufsicht zulässig ist. Im übrigen genügt zur Bestrafung die Beteiligung an der Zusammenrottung mit dem Bewufstsein, dafs von den Beteiligten eine der genannten Handlungen begangen werde.

2. Die vorsätzliche Befreiung eines Gefangenen aus der Gefangenschaft oder aus der Gewalt der bewaffneten' Macht, des Beamten oder desjenigen, unter dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung er sich 6 ) befindet (StGB. § 120). Gleichgestellt ist die vorsätzliche Beihilfe zu der, wenn auch an sich straflosen Selbstbefreiung, während die Anstiftung dazu straflos bleibt. Teilnahme an der in § 120 bedrohten Befreiung eines and e r n ist nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. Doch kann der Gefangene selbst nach dem oben § 52 V 2 Gesagten nicht wegen Anstiftung oder Beihilfe zu dem Vergehen des § 120 gestraft werden.7) S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Jahren. Der Versuch (auch der Beihilfe zur Selbstbefreiung) ist strafbar. Beamte werden nach StGB. § 347 (unten § '79 V 5) gestraft.

3. Das vorsätzliche (nicht fahrlässige) Entweichenlassen eines Gefangenen s o w i e die vorsätzliche oder fahrlässige Beförderung der Befreiung des Gefangenen (durch einen dritten oder Selbstbefreiung) von Seiten einer mit der Beaufsichtigung (Bewachung) oder Begleitung beauftragten Person (St.GB. § 121). S t r a f e : a) bei vorsätzlichem Handeln Gefängnis bis zu drei Jahren; b) bei fahrlässiger Beförderung der Befreiung Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark. 6

) Etwa während der Aufsenarbeit. ') Übereinstimmend Borchert (Litt, zu 49) 16, Frank § 120 III, Geyer Z 2 315, Herzog GS 34- 81, Köhler Studien 1 135, Kräwel GS. 34 505, v. Kries Z 7 522, 536, Merkel 394. Dagegen R 29. November 80 3 140, IJälschner 2 960, Olshausen § 120 7.

§ 174-

§

174.

4- Die Störung des öffentlichen Friedens.

4 . Die S t ö r u n g des öffentlichen

591

Friedens.

Litteratur. v. Buri Beiträge I. John Landzwang und widerrechtliche Drohungen 1852. Hälschner 2 129, 487. Heilborn Z 18 1, 161. I. D e r ö f f e n t l i c h e samtheit

Friede

als R e c h t s g u t d e r

(oben S. 4 2 4 ) ist o b j e k t i v

Ge-

die schützende Macht

der in der Rechtsordnung verkörperten Staatsgewalt,

subjektiv

das Vertrauen der Rechtsgenossen in diese Macht, also in den ungestörten Fortbestand der R e c h t s o r d n u n g . J ) Friede

wird daher nicht nur durch

D e r öffentliche

die gewaltthätige S t ö r u n g

der Friedensordnung (Landfriedensbruch), sondern auch die Erschütterung des Gefühls die Rechtssicherheit verletzt.

Er

wird

gefährdet,

keit, sei es jener Gewaltthat,

sobald

durch

(Landzwang)

die nahe

Möglich-

sei es dieser Erschütterung

des

Vertrauens gegeben ist. II. Im römischen Recht trägt das c r i m e n v i s , trotz der stets zweifelhaften und schwankenden Unterscheidung von vis publica und privata, in allen seinen Erscheinungsformen die Eigenart einer Störung des öffentlichen Friedens. Nur dieser legislative Grundgedanke verbindet die verschiedenartigen Einzelfälle: Das Tragen von Waffen, Aufstand und Aufruhr, Plünderung von Häusern, Einfall in unbewegliches Gut, gewaltsames stuprum, Brandstiftung, Einsperrung, Erpressung, Entführung, Übergriffe der Beamten, Störung der gerichtlichen Thätigkeit. Nur örtliche Bedeutung hat der Skopelismus (1. 9 D. 47, 11), der dem gemeinrechtlichen Landzwange verwandt ist. Nach g e r m a n i s c h e r Anschauung ist die Rechtsordnung F r i e d e n s ordnung, das Verbrechen F r i e d e n s b r u c h , die Strafe F r i e d l o s l e g u n g . In abgeschwächter Bedeutung erhält sich diese Auffassung bis tief ins Mittelalter; sie findet ihren schärfsten Ausdruck in der ausgebildeten Strafgesetzgebung der Landfrieden (oben § 4 Note 14). So begegnet sich das römische crimen vis mit dem deutschen Landfriedensbruch; beides weitausspannende und gerade deshalb weiterer Klärung und Abspaltung bedürftige Begriffe. Die PGO. hat diese Abklärung nicht gebracht. Sie bedroht in Art. 128 den L a n d z w a n g , das bösliche Austreten, verwandt mit Raub, Erpressung, Brandschatzung, und in Art. 129 die b ö s l i c h e B e f e h d u n g (diffidatio; noch Österreich 1768) mit dem Schwert. Dagegen beschäftigt sich noch die Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts (Landfrieden von 1548, Reichsabschied von Der Begriff läfst sich mithin nicht einheitlich fassen. So auch Binding Nonnen 1 352, Meyer 686. Dagegen nehmen Oppenheim (Litt, zu § 26 Note 2) 321, Heilborn 214 den Begriff lediglich im objektiven Sinn. Gerade umgekehrt Finger 2 426.

§ 174-

592

4- Die Störung des öffentlichen Friedens.

1594) mit dem L a n d f r i e d e n s b r u c h , zu welchem auch die Störung des Religionsfriedens gerechnet wird, und bedroht ihn mit der Reichsacht. Der Begriff, im einzelnen vielfach bestritten, erfordert im Wesentlichen die Verbindung mehrerer Menschen zur Gewaltthat mit gewaffneter Hand. Das gemeine Recht bemüht sich vergebens, den allgemeinen Begriff der vis zu bestimmen, und hebt neben ihm, welcher aushilfsweise Anwendung findet, eine ganze Reihe von „benannten Fällen" der öffentlichen Gewaltthätigkeit (wie noch das geltende österreichische Recht) hervor. Insbesondere werden die gegen die S t a a t s g e w a l t selbst gerichteten Fälle allmählich ausgeschieden. Meist wird dann die Zusammenrottung als Begriffsmerkmal verlangt. Auch die h e u t i g e G e s e t z g e b u n g ist zu bestimmten und klaren Begriffen nicht gelangt und sieht sich daher gezwungen, die Lücken des gemeinen Rechts durch Ausnahmebestimmungen von zweifelhaftem Werte zu ergänzen, um diese alsbald wieder zu beseitigen. So ist das Reichsgesetz vom 21. Oktober 1878 gegen s o z i a l d e m o k r a t i s c h e , sozialistische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen mit dem I. Oktober 1890 abgelaufen, ohne erneuert zu werden. Der a n a r c h i s t i s c h e n „Propaganda der That" gegenüber hat .sich die Gesetzgebung meist darauf beschränkt, den Mifsbrauch von Sprengstoffen unter Strafe zu stellen. 3 ) Und völlig verfehlt war die gescheiterte U m s t u r z v o r l a g e von 1895.

III. Die Friedensstörungen des RStGB. sind, von der Störung des Religionsfriedens (oben S. 413) abgesehen, die folgenden: 1. Der Landzwang, d. h. die Störung des öffentlichen Friedens durch gefährliche Bedrohung; nach StGB. § 126 durch Bedrohung mit einem gemeingefährlichen Verbrechen (StGB. 27. Abschnitt). Vollendet, sobald die Bedrohung zu öffentlicher Kenntnis gelangt. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre.

2. Der Landfriedensbruch, d. h. (nach § 125 StGB.) die Teilnahme an einer öffentlichen Zusammenrottung, wenn von der zusammengerotteten Menschenmenge (oben S. 421) mit vereinten Kräften Gewaltthätigkeiten an Personen oder Sachen begangen werden. Voraussetzung ist also zunächst die Begehung von Gewaltthätigkeiten d u r c h d i e R o t t e s e l b s t . Thäter ist aber jeder Teilnehmer an der Zusammenrottung, der um die Begehung der Gewaltthätigkeit gewufst hat; mag er auch an der Gewaltthätigkeit selbst sich s

) Vgl, oben § 156; und dazu besonders Lenz Z 16 I.

ij 174.

4. D i e Störung des öffentlichen Friedens.

593

nicht beteiligt haben. 3 ) Die V o l l e n d u n g tritt mit der Begehung der Gewaltthätigkeiten für alle an der Zusammenrottung beteiligten Personen ein. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; die R ä d e l s f ü h r e r (oben § 5 1 Note 4) sowie diejenigen, welche Gewaltthätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert (vgl. Mil.StGB. § 129), vernichtet oder zerstört haben, trifft Zuchthaus bis zu zehn Jahren, nach Ermessen mit Polizeiaufsicht, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten.

3. Das Ansammeln von Waffen und Streitkräften. Strafbar ist: a) Wer unbefugterweise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt oder eine Mannschaft, von der er weifs, dafs sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen (oben S. 341) oder Kriegsbedürfnissen versieht (StGB. § 127 Abs. 1). Die „Mannschaft" unterscheidet sich durch die bereits vorhandene Mannszucht von dem „Haufen". b) Wer sich einem solchen bewaffneten Haufen (oder einer gesammelten Mannschaft) anschliefst (StGB. § 1 2 7 Abs. 2). S t r a f e : im ersten Falle Gefängnis bis zu zwei Jahren, im zweiten bis zu einem Jahre. c) Wer aufserhalb eines Gewerbebetriebes heimlich oder wider das Verbot der Behörde Vorräte von Waffen oder Schiefsbedarf 4 ) aufsammelt (StGB. § 360 Ziff. 2). S t r a f e : Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft. E i n z i e h u n g zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob die Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht.

4. Die Anreizung zum Klassenkampf, d. h. die öffentliche Anreizung verschiedener Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegeneinander (StGB. § 130). Die Fassung des aus dem französischen Rechte (Gesetz von 1835) in das Preufs. StGB. (§ 100, „Hafs- und Verachtungsparagraph") und aus diesem in das RStGB. übergegangenen Paragraphen ergibt, dafs erfolgte Gefährdung (nicht Verletzung) des öffentlichen Friedens im technischen Sinne des Wortes erforderlich, aber auch zur Vollendung genügend ist. D e r Frieden ist gefährdet, sobald die nahe Möglichkeit und da') R 29. November 97 30 391. ) Zum Zwecke des Gebrauchs (Frank).

4

v o n L i s z ' t , Strafrecht.

9. Aufl.

§ 174-

594

4- D i e Störung des öffentlichen Friedens.

mit die gegründete Besorgnis gegeben ist, dafs das Vertrauen in die schützende Macht der Rechtsordnung durch Gewaltthätigkeiten gestört werde. 5 ) D e r Vorsatz mufs die Gefährdung mitumfassen; dafs die Absicht auf diese gerichtet sei, ist nicht erforderlich. „Klassen der Bevölkerung" sind verschiedene durch gemeinsame Anschauungen und Interessen miteinander verbundene und dadurch von andern abgegrenzte Personenkreise 6 ) : die Bourgeoisie, die Arbeiter, die Fabrikbesitzer, die A g r a rier; Deutsche, Polen, Franzosen; Juden, Katholiken, Freimaurer usw. Uber das „ A n r e i z e n " vgl. o b e n ' § 51 Note 4. Strafe:

Geldstrafe bis

zu

sechshundert Mark

oder

Gefängnis

bis

zu

zwei Jahren.

5. Gefährdung des öffentlichen Friedens durch Mifsbrauch der geistlichen Stellung. StGB. § 130 a, der sogenannte Kanzelparagraph, *) bedroht den Geistlichen oder jeden anderen Religionsdiener, welcher in Ausübung (während dieser) oder in Veranlassung (bei Gelegenheit) der Ausübung seines Berufes 1. öffentlich vor einer Menschenmenge (oder in einer Kirche) oder an einem (andern) zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise vor mehreren zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht; oder 2. Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in welchen A n gelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind. „Religionsdiener" ist jeder, welcher zur Vornahme gottesdienstlicher Handlungen berufen ist. „Geistliche" sind die Religionsdiener der christlichen Bekenntnisse. „Angelegenheiten 5)

V i e l weiter gehend R 7. Januar 95 26 349: entfernte Möglichkeit g e Damit ist aber der Begriff der G e f a h r (oben S. 1 1 7 ) v ö l l i g preisgegeben. Enger Frank § 130 II und R 4. Januar 92 2 2 293, w o die Gesellschaftliche Gliederung einseitig betont wird. Zutreffend R 29. Juni 94 26 63. 7 ) Der erste Absatz wurde aufgenommen durch Ges. vom 10. D e z e m b e r 1871. Ähnliche Bestimmungen fanden sich bereits in mehreren LandesStGBüchern, w i e in C. pénal 199 bis 208 (troubles apportés à l'ordre public par les ministres des cultes dans l'exercice de leur ministère). Auch gemeinrechtlich als proditio strafbar. — D e r zweite Absatz wurde aufgenommen durch die Novelle; vom 26. Februar 1876. nügt.

6)

§ 175-

5- Die strafbaren Aufforderungen.

595

des Staates" ist dasselbe wie „öffentliche Angelegenheiten." 8 ) Auch hier ist thatsächlich erfolgte G e f ä h r d u n g des öffentlichen Friedens, wenn auch nicht durch Gewaltthätigkeiten, im Einzelfalle erforderlich. Der Vorsatz muls auch dieses ßegriffsmerkmal umfassen. Dritte Personen können sich an diesem wie an jedem Standesvergehen als mittelbare Thäter sowie als Teilnehmer beteiligen. S t r a f e : Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren.

§ 175.

5. Die strafbaren Aufforderungen.

L i t t e r a t u r . Hälschner 2 796. — Zu IV: Geyer H H . 4 143. Stemann GS. 28. Hälschner 1 407. Keiffei GS 42 175. Witte Erörterungen über den § 49 a des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich. Breslauer Diss. 1888. I. Begriff. Die Aufforderung 1 ) zur Begehung einer strafbaren oder doch wenigstens rechtswidrigen Handlung erscheint, soweit sie positivrechtlich unter Strafe gestellt ist, als selbständiges Verbrechen. Sie kann als versuchte Anstiftung nicht betrachtet und behandelt werden, solange in der Gesetzgebung die Anstiftung als Teilnahme an dem Thun eines andern aufgefafst w i r d : denn ein solches liegt nicht vor oder braucht doch nicht vorzuliegen. Ebendarum ist aber für die grundsätzliche Auffassung wie für die systematische Stellung der strafbaren Aufforderung die Eigenart jener Handlung, zu welcher aufgefordert wurde, durchaus gleichgültig. Die Aufforderung trägt den Grund ihrer Strafbarkeit in sich s e l b s t : sie ist V e r a c h t u n g , demonstrative Verhöhnung der Gesetze des Staates und des in ihnen ausgesprochenen Willens d e r S t a a t s g e w a l t . Am deutlichsten tritt diese Richtung in § 16 des Prefsgesetzes hervor (unten I I I i), welcher die Aufforderung zu einer nicht einmal immer rechtswidrigen Handlung unter Strafe stellt. Daher ist Teilnahme (Anstiftung wie Beihilfe) an den strafbaren Aufforderungen durchaus möglich; auch V e r s u c h ist nicht ausgeschlossen, freilich aber nur dann strafbar, wenn die Aufforderung selbst als Verbrechen erscheint. Aus demselben Grunde liegt endlich auf Seiten des Auffordernden immer nur e i n Vergehen vor, auch wenn die Aufforderung mehrere strafbare Handlungen zur Folge gehabt haben sollte (vgl. auch oben § 52 Note 9). Wenn wir von § 1 1 2 StGB, sowie von dem eigenartigen Falle § 49a StGB., teilweise auch von der unter III, 2 angeführten Bestimmung des Sprengstoffgesetzes absehen, bedroht unser Recht nur die ö f f e n t l i c h e Aufforderung. 4 ) Darin liegt eben das Gemeingefährliche dieser Vergehen, dafs 8

) vgl. oben § 169 Note 1. ') Die einfache Billigung oder Anpreisung einer strafbaren Handlung ist nicht unter Strafe gestellt. Anders im Sprengstoffgesetz; vgl. oben S. 532. 2 ) Das Gesetz sagt: „Wer öffentlich vor einer Menschenmenge, oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von 38*

596

§ 175-

5- Die strafbaren Aufforderungen.

die Wirkung der Handlung nicht übersehen und beherrscht, dafs in keiner Weise berechnet werden kann, ob und wie der in die Menge geschleuderte Funke zünden, ob er einen verheerenden Brand entfachen oder aber spurlos und unschädlich verglimmen wird. Durch diese Gemeingefährlichkeit wird der Umstand reichlich aufgewogen, dafs die öffentliche Aufforderung in Bezug auf die Bestimmtheit des Zieles und der Mittel zu seiner Erreichung hinter der Anstiftung zurückbleibt. Zur V o l l e n d u n g gehört in allen Fällen, dafs die Aufforderung zur Kenntnis desjenigen gelangt ist, an den sie gerichtet w a r ; bei der öffentlichen Aufforderung genügt daher die Kenntnisnahme durch irgend eine an der That nichtbeteiligte Person.

II. Die strafbaren Aufforderungen im RStGB. i. Die öffentliche Aufforderung zum (wenn auch passiven) Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit für den Einzelfall getroffenen Anordnungen (StGB. § iio). Der Ungehorsam darf sich aber nicht gegen die einzelne Verpflichtung oder Amtshandlung auf Grund der Gesetze, Verordnungen, Anordnungen, er mufs sich vielmehr gegen die in diesen ruhenden unpersönlichen Grundlagen der bestehenden Rechtsordnung, gegen die verbindliche Kraft des Gesetzes selbst richten. Aufforderung zum Vertragsbruch (zur vertragswidrigen Arbeitseinstellung) kann unter § iio nur dann fallen, wenn (was wohl nur ganz ausnahmsweise geschehen dürfte) nicht zum Bruch eines bestimmten einzelnen Arbeitsvertrages, sondern zur Mifsachtung „des Gesetzes schlechthin und überhaupt, seiner Autorität und bindenden Kraft" aufgefordert wird.8) Der Vorsatz mufs auch das Bewufstsein umfassen, dafs die Verordnung rechtsgültig, dafs die Anordnung innerhalb der Zuständigkeit der Obrigkeit getroffen sei.4) Schriften oder andern Darstellungen" usw. auffordert. Begriff der Menschenmenge oben S. 421; der Verbreitung oben S. 399. In allen diesen Fällen wird der Begriff der Öffentlichkeit durch die Wahrnehmbarkeit für einen nicht geschlossenen Personenkreis erfüllt. — Die Aufforderung braucht nicht an die Menge gerichtet zu sein. R IO./2I. Oktober 81 5 60. 3 ) Übereinstimmend Frank § 1 1 3 I, Goltdammer Materialien 2 112 (er wie Frank rechnen privatrechtliche Vorschriften überhaupt nicht hierher), R. Löning HSt. 1 751 (2. Aufl. 993), Olshansen § 110 16; übereinstimmend im Ergebnisse mit steigender Bestimmtheit auch R, zuletzt 2. Februar 91 21 355, 27. Oktober 91 22 185, 1. Juli 93 2 4 189. Dagegen (allgemein für Strafbarkeit) Ro/smann Ist die öffentliche Aufforderung zum Streik strafbar? 1892. Dagegen auch (allgemein für Straflosigkeit) Meyer 657. Vgl. Litt, zu § 134. 4 ) Übereinstimmend Frank § 110 VIII, Olshausen § 110 23. Dagegen R 10. Februar 85 12 6. Vgl. auch oben § 171 Note 3 und § 172 Note 2.

§ 175-

5- Die strafbaren Aufforderungen.

597

S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.

3. Die öffentliche Aufforderung zu einer (nach deutschem Recht peinlich, wenn auch nur landesrechtlich, und nur als Übertretung) strafbaren Handlung (StGB. § i n ) . Demnach enthalten die beiden Paragraphen 1 1 0 und 1 1 1 zwei wesentlich voneinander verschiedene Thatbestände; StGB. § 73 findet mithin- Anwendung.5) S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre; doch darf die Strafe, der Art und dem Mafse nach, keine schwerere sein, als die gegen die Handlung selbst, zu welcher aufgefordert wurde, angedrohte. W e n n die Aufforderung die strafbare Handlung (zu welcher aufgefordert wurde) oder deren strafbaren Versuch zur Folge gehabt hat, so ist der Auffordernde g l e i c h e i n e m A n s t i f t e r zu bestrafen. E r i s t dagegen Anstifter und nicht nach § 111, sondern nach § 48 StGB, strafbar, wenn die Merkmale des Anstiftungsbegriffes (Richtung des Vorsatzes auf H e r b e i f ü h r u n g e i n e r b e s t i m m t e n H a n d l u n g d u r c h e i n e b e s t i m m t e P e r s o n oder durch mehrere solche) gegeben sind. 6 ) Ob die strafbare Handlung des § I I I als Verbrechen, Vergehen oder Übertretung erscheint, läfst sich mithin nicht allgemein, sondern nur aus der Natur derjenigen Handlung bestimmen, zu welcher aufgefordert worden ist.

4. Die (wenn auch nicht öffentliche) Aufforderung oder Anreizung (oben § 51 Note 4): a. einer Person des Soldatenstandes, sei es des deutschen Heeres, sei es der kaiserlichen Marine, zum Ungehorsam gegen Befehle des Oberen; b. einer Person des Beurlaubtenstandes zum Ungehorsam gegenüber der Einberufung zum Dienste (StGB. § 112). 7 ) S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren.

III. Die übrigen strafbaren Aufforderungen. 1. Die öffentliche, mittels der Presse erfolgende Aufforderung zur Aufbringung der w e g e n einer strafbaren 6 ) Abweichend R 19. April 81 4 106, 4. Dezember 90 21 192, sowie. Merkel 389, Meyer 659 (darnach wäre § III der engere Begriff). Im wesentlichen wie im Text: R 13./15. März 84 10 296, sovile Frank § III I. Hälschncr 2 797, Klöppel 399, Olshausen § III 8. °) Ebenso Frank § III II, wohl auch Meyer 659. Abweichend Binding 1 590, Hälschner 2 800, Olshausen § III 6. Löwenheim (Litt, zu § 49) 60 Note I hält § 48 stets für gegeben. — Ist derjenige, der zum Diebstahl aufgefordert hat, bereits mehrfach wegen Diebstahls usw. vorbestraft, so tritt daher in diesem Falle Rückfallschärfung ein. 7 ) Wehrgesetz vom 9. November 1867 §§ 6, 7, 15; Mil.StGB. §§ 4—6; Militärgesetz vom 2. Mai 1874 § 56.

S9B

§175-

5 ' Die strafbaren Aufforderungen.

Handlung erkannten Geldstrafen und Kosten, sowie die öffentliche Bescheinigung mittels der Presse über den Empfang der zu solchen Zwecken gezahlten Beiträge (Prefsgesetz § 16). S t r a f e : Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu sechs Monaten (Prefsgesetz §

18 Ziff. i).

Das zufolge solcher Auffor-

derung Empfangene oder dessen Wert ist der Armenkasse des Orts der Sammlung für verfallen zu erklären.

2. Die öffentliche Aufforderung zu einer nach dem Sprengstoffgesetze vom 9. Juni 1884 strafbaren Handlung, Vgl. darüber oben S. 532. 3. Es ist ferner darauf hinzuweisen, dafs auch Mil.StGB. §§ 99—102, sowie S e e m a n n s o r d n u n g § 88 Fälle strafbarer (wenn auch nicht öffentlicher) Aufforderung enthalten. VgL darüber unten § 205 und § 198 VII. IV. Neben die ö f f e n t l i c h e n Aufforderungen ist seit der Novelle vom 26. Februar 1876 das in StGB. § 49 a bedrohte selbständige (nicht als versuchte Anstiftung aufzufassende) Verbrechen getreten. Dieser sogen. Duchesne-Paragraph, dem belgischen Gesetze vom 7. Juli 1875 8 ) nachgebildet, umfafst: a) Die Aufforderung eines andern zur Begehung eines Verbrechens (im engeren Sinne) oder zur Teilnahme an einem Verbrechen, sowie die Annahme einer solchen Aufforderung. b) Das Sicherbieten zur Begehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen, sowie die Annahme eines solchen Erbietens. Es wird jedoch das lediglich mündlich ausgedrückte Auffordern oder Erbieten, sowie die Annahme eines solchen nur dann bestraft, wenn die Aufforderung oder das Erbieten an die Gewährung von Vorteilen irgend welcher Art 9 ) geknüpft worden und dadurch die E r n s t l i c h k e i t desjenigen, von dem die Anregung ausgeht, bewiesen ist. Dem „lediglich mündlich ausgedrückten" Auffordern oder Erbieten steht das symbolisch *) Veranlafst dadurch, dafs ein gewisser Duchesne sich dem Erzbischof Hippolyte in Paris zur Ermordung Bismarcks anbot; abgedruckt in Anlage III zu den Motiven der StG-Novelle von 1 8 7 6 . 8 ) V g l . oben § 1 0 8 Note 7. E s genügen: Gewährung des Beischlafs, Unterlassung einer Strafanzeige, Verschaffung eines Ordens, Heiratsversprechen usw.

§ 175.

5- D i e s t r a f b a r e n A u f f o r d e r u n g e n .

(z. B. durch Kopfnicken, Handbewegungen usw.) ausgedrückte durchaus gleich; den Gegensatz bildet nicht nur das schriftliche, sondern jedes auf irgend eine Weise verstärkte Auffordern und Erbieten, welches die Ernstlichkeit des Entschlusses unzweifelhaft erkennen läfst.10) Bei mangelnder E r n s t l i c h k e i t der Aufforderung oder des Erbietens bleibt auch die Annahme straflos. Aufforderung und Erbieten müssen der Ausdruck eines (bedingt gefafsten) Entschlusses sein, der durch die Annahme zu einem unbedingten wird. Das Verbrechen ist v o l l e n d e t , sobald Aufforderung, Annahme oder Erbieten, dem Willen des Thäters entsprechend, zur Kenntnis des andern Teils gekommen ist. T e i l n a h m e dritter ist als Anstiftung wie auch als Beihilfe möglich. Dafs derjenige, von dem Aufforderung, Annahme oder Erbieten a u s g e h t , zurechnungsfähig sein mufs, um strafbar zu werden, bedarf keiner Bemerkung. Es kann aber auch dann von strafbarem Auffordern oder Erbieten keine Rede sein, wenn dem a n d e r n T e i l e die Zurechnungsfahigkeit mangelt. Und dasselbe gilt von der Annahme, wenn Auffordern oder Erbieten von einem Zurechnungsunfähigen ausgegangen sind. Der Grund liegt in dem gegenseitigen Bedingungsverhältnisse zwischen Auffordern und Erbieten einerseits, Annahme anderseits. Wird die strafbare Handlung wirklich versucht oder vollendet, so verwandelt sich das Verbrechen des § 49 a StGB, in Teilnahme, bez. Thäterschaft. D i e S t r a f e d e s § 49 a tritt n u r ein, oder Landesgesetz, Strafe androht".

„ s o w e i t n i c h t das Gesetz

letzteres auf d e m i h m ü b e r l a s s e n e n

(Reichs-

G e b i e t e ) eine

andre

S i e b e t r ä g t : a ) W e n n das g e p l a n t e V e r b r e c h e n m i t dem T o d e

o d e r m i t l e b e n s l ä n g l i c h e m Zuchthaus b e d r o h t

ist, Gefängnis nicht unter

drei

M o n a t e n ; b ) w e n n es m i t einer g e r i n g e m S t r a f e b e d r o h t ist, G e f ä n g n i s bis z u zwei J a h r e n o d e r F e s t u n g s h a f t von gleicher D a u e r .

N e b e n G e f ä n g n i s ist E h r -

verlust s o w i e Polizeiaufsicht zulässig.

,0 ) H i e r h e r g e h ö r t die A u f f o r d e r u n g zur A b t r e i b u n g der L e i b e s f r u c h t u n t e r gleichzeitiger Ü b e r g a b e d e r A b t r e i b u n g s m i t t e l . D a g e g e n R 12. N o v e m b e r 80 3 30, Olshausen § 4 9 a I I . — Beim S i c h e r b i e t e n g e n ü g t j e d e n f a l l s d a s V e r l a n g e n von V o r t e i l e n ; R 21. J a n u a r 95 2 6 421.

6oo

§ 176.

§ 176.

6. Mifsachtung der Staatsgewalt.

6. MiTsachtung der Staatsgewalt.

I i i t t e r a t u r . Exkurs in Anhang V der Motive S. 2 2 1 . Hälschner 2 834. Lern (Litt, zu § 138) 215, 188. Gtsellius Der Arrestbruch (§ 137 RStGB.). Greifswalder Diss. s. a.

1. Die sog. Verleumdung des Staatswillens, d. h. die öffentliche wissentliche*) Behauptung oder Verbreitung von erdichteten oder entstellten Thatsachen, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen (StGB. § 131). Während schon gemeinrechtlich (z. B. Kurpfalz 1582) die Aufreizung zu Ungehorsam und Verachtung der Obrigkeit in Schmähschriften mit dem Schwerte bedroht war, auch A L R . 155 die Erregung von Mifsvergnügen gegen die Regierung besonders hervorhob, schlofs sich Preufsen 185X in seinem § 101 („Hafs- und Verachtungsparagraph") dem französischem Rechte an. Die Fassung des RStGB.s ist der des § 187 nachgebildet. Jedoch verlangt § 1 3 1 , über § 187 hinausgreifend, dafs der Thäter nicht blofs den Vorsatz sondern die A b s i c h t hatte, verächtlich zu machen. Im übrigen ist auf die Erörterungen zu § 187 (oben S. 359) zu verweisen. Insbesondere genügt nicht das Aussprechen allgemeiner, nicht durch T h a t s a c h e n belegter Urteile.

Auch hier wird, abgesehen von StGB. § 103 a, nur die inländische Staatsgewalt geschützt; aber nicht nur die des Deutschen Reichs oder des Einzelstaates, in dem der Begehungsort liegt oder welchem der Thäter als Staatsbürger angehört, sondern auch die Staatsgewalt aller übrigen Einzelstaaten. Unter „Staatseinrichtungen" haben wir die bleibenden Bestandteile der S t a a t s v e r f a s s u n g oder S t a a t s v e r w a l t u n g , so z. B. den Bundesrat, den Reichstag, das Reichskanzleramt, die allgemeine Wehrpflicht, die Zivilehe usw., zu verstehen, nicht aber die a l l g e m e i n e n R e c h t s i n s t i t u t e der Ehe, der Familie, des Eigentums usw. 2 ) Die V o l l e n d u n g ist mit dem Behaupten oder Verbreiten gegeben; dafs der Zweck erreicht worden, ist nicht erforderlich; auch nicht einmal, dafs die Thatsachen zu seiner Erreichung geeignet waren. 3 ) ' ) Eventueller Vorsatz genügt; oben 2 ) Ebenso R 5. Oktober 91 2 2 253, gegen Beling Z 18 281. Herabsetzung genügt nicht; R 5. Januar 97 2 9 318. 5 ) Übereinstimmend Olshausen § 131 Hälschner 2 836.

§ 39 Note 6. Frank § 1 3 1 IV, Meyer 659. Daeinzelner Beschlüsse des Reichstags 7, dagegen R 23. Januar 80 1 1 6 1 ,

§ 176.

6. Mifsachtung der Staatsgewalt.

601

S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.

II. Die s o g e n . A m t s a n m a ß u n g , d. h. (StGB. § 132) die

unbefugte Ausübung eines öffentlichen A m t e s 4 ) oder die Vornahme einer Handlung, die nur kraft eines öffentlichen Amtes

vorgenommen werden

darf

(mag diese auch gar

nicht innerhalb der Zuständigkeit des behaupteten Amts legen sein). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre hundert M a r k . 5 )

oder

Geldstrafe bis

zu

gedrei-

III. Die vorsätzliche Vernichtung, Beschädigung oder Beiseiteschaffung6) von

(Urkunden, Registern, Akten

oder

andern) Gegenständen, w e l c h e sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmten Orte befinden oder welche einem Beamten (StGB. § 359) oder einem dritten a m t l i c h (wenn auch nur vorübergehend) w o r d e n sind (StGB. § 133).

übergeben

Auch der aufbewahrende Beamte selbst kann Thäter sein; dann gibt die Regel des § 73 StGB, zwischen den §§ 133 und 348 den Ausschlag. Aneignung, insbes. Verbrauch der Gegenstände (Brennholz, Schreib- oder Beleuchtungsstoffe usw.) durch den Thäter fällt nicht unter § 133. S t r a f e : Gefängnis; wenn die Handlung in gewinnsüchtiger A b s i c h t 7 ) begangen worden, Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben welchem auf Ehrverlust erkannt werden kann.

IV. Das böswillige Abreifsen, Beschädigen oder Verunstalten von öffentlich angeschlagenen Bekanntmachungen, Verordnungen, Befehlen oder Anzeigen von B e h ö r d e n oder B e a m t e n 8 ) (StGB. § 134). „Böswillig" bezeichnet ) Begriff in StGB. § 31. ) V g l . auch StGB. § 360 ZifT. 7 und 8 : „Mit Geldstrafe bis hundertfünfzig Mark oder mit H a f t wird bestraft, wer unbefugt die Abbildung des Kaiserlichen Wappens oder von Wappen eines Bundesfürsten oder von Landeswappen gebraucht; sowie wer unbefugt eine Uniform, eine Amtskleidung, ein Amtszeichen, einen Orden oder ein Ehrenzeichen trägt, oder Titel, Würden oder Adelsprädikate annimmt, ingleichen wer sich eines ihm nicht zukommenden Namens einem zuständigen Beamten gegenüber bedient." ') Vgl. oben § 137 Note 3. ' i Derselbe Begriff wie oben § 139 II 2. Ebenso Frank § 133 I V , Hälschner 2 841, John H H . 3 185, Merkel H H . 4 456. Dagegen Meyer 660, Olshausen § 133 8, Schütze 286 (jeder „materielle" Vorteil genügt). 8 ) „ B e h ö r d e " : oben § 171 N o t e 5 ; „ B e a m t e r " : S t G B . § 359. 4

6

602

§ 176.

6. Mifsachtung der Staatsgewalt.

die auf Herbeiführung des verbotenen Erfolges gerichtete Absicht als Beweggrund der Handlung; diese mufs erfolgen zu dem Zwecke, um die Mifsachtung der Staatsgewalt an den Tag zu legen, sie verächtlich oder lächerlich zu machen. Den Gegensatz zu „böswillig" würde der Ausdruck „mutwillig" bilden, welcher das vorsätzliche Handeln ohne Bezweckung des Erfolges bezeichnet. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.

V. Die böswillige Wegnahme, Zerstörung oder B e schädigung von öffentlichen Zeichen der Autorität „des Reichs oder eines Bundesfürsten" oder von Hoheitszeichen „eines Bundesstaates" oder die VerÜbung von beschimpfendem Unfug (oben S. 416) an diesen Gegenständen (StGB. § 135). Zwischen den „Zeichen der Autorität" und den „Hoheitszeichen" besteht keinerlei Unterschied; Grenzpfahle, Fahnen, Wappen, Schilder usw. gehören hierher. S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.

VI. Der sog. Siegelbruch, d. h. a) das unbefugte vorsätzliche Erbrechen, Ablösen oder Beschädigen eines amtlichen Siegels, welches von einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist, um Sachen zu verschliefsen, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehmen, oder b) die Aufhebung des durch ein solches Siegel bewirkten amtlichen Verschlusses (StGB. § 136). 9 ) Die Art des Verschlusses ist auch hier gleichgültig (vgl. oben S. 422). Ebenso ist es unwesentlich ob die amtliche Sperre durch Verletzung des Siegels oder auf andre Weise (Einsteigen durch das Fenster bei verschlossener Thür) gebrochen wird. Die Anlegung des Siegels mufs rechtmäfsig, d. h. innerhalb der Grenzen der amtlichen Befugnisse erfolgen. S t r a f e : Gefängnis bis zu sechs Monaten.

VII. Arrestbruch (Verstrickungsbruch) 10 ), vorliegend, 8 ) Vgl. Vereinszollgesetz von 1869 §§ 1 4 4 , 1 5 1 ; Salzsteuergesetz von 1867 § 1 5 . 10 ) Schon im deutschen Mittelalter vielfach bestraft. Das R S t G B . beruht auf § 272 des preufs. StGBs., und dieses auf einer Kabinettsordre von 1 8 3 3 .

§ 177-

Verbrechen gegen die Staatsverwaltung.

Übersicht.

wenn bewegliche o d e r unbewegliche Sachen (nicht Forderungen) 11), welche durch die zuständigen Behörden oder Beamten gepfändet oder (thatsächlich) in Beschlag genommen worden sind, vorsätzlich, d. h. in Kenntnis der amtlichen Beschlagnahme, beiseite geschafft, zerstört 12 ) oder in andrer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzogen werden (StGB. § 137). Rechtswirksamkeit der Beschlagnahme, d. h. Einhaltung der gesetzlichen Anordnungen, ist Voraussetzung der Strafbarkeit. Der Vorsatz des Thäters mufs die Zuständigkeit der Obrigkeit mitumfassen. Die V o l l e n d u n g tritt ein, sobald die Sache e n t z o g e n , d. h. der durch die Beschlagnahme begründete obrigkeitliche Gewahrsam gebrochen ist, was auch durch Täuschung der Obrigkeit geschehen kann. Aneignung durch den Thäter ist nicht erforderlich, nicht einmal Aneignungsabsicht. T h ä t e r kann sowohl der Eigentümer oder der Gepfändete als auch ein dritter, ja selbst der Gläubiger, zu dessen gunsten die Beschlagnahme erfolgte, oder der Gerichtsvollzieher sein. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre.

Dritter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen die Staatsverwaltung. § 177.

Übersicht.

I. Der Lebensbethätigung der Einzelpersönlichkeit, der vollen und ungehemmten Entfaltung der individuellen Lebenskraft, entspricht als Lebensl l ) Übereinstimmend Frank § 137 I, Gesellius 17, Merkel 400, Olshausen § 137 1, Wyszomirski GA. 36 l, im Ergebnis auch Lenz 199; insbes. aber Ver. Strafsenate 8. März 93 24 40; dagegen OT. Plenarbeschlufs vom 31. März 1856, wiederholt 3. Juli 1871, ferner (abgesehen von den Kommentaren zur ZPO.) Hälschner 2 845, Meyer 660. " ) Beschädigung (oben unter III) genügt nicht.

§ 177-

Verbrechen gegen die Staatsverwaltung.

Übersicht.

bethätigung der G e s a m t h e i t die Arbeit der S t a a t s v e r w a l t u n g . Die heutige Auffassung des Staates öffnet und ebnet ihm von Tag zu Tag auf weitem Gebieten die Bahn zur Erfüllung seiner Aufgabe: die Kräfte der Gesamtheit zu sammeln und zu verwenden im Dienste der Gesamtheit. Neben den S c h u t z d e r E i n z e l i n t e r e s s e n , auf welchen die Aufgabe des R e c h t s s t a a t e s durch kurzsichtigen Doktrinarismus beschränkt wurde, ist die F ö r d e r u n g d e r G e s a m t i n t e r e s s e n als höchstes Ziel des V e r w a l t u n g s s t a a t e s getreten. II. In ihren beiden Hauptrichtungen, als schützende wie als fördernde Bethätigung der staatlichen Lebenskraft, bedarf die Staatsverwaltung des Schutzes durch die Strafgesetzgebung. Und je weitere Gebiete in die Wirksamkeit der Staatsverwaltung einbezogen werden, desto gröfser wird der Umfang, desto mannigfaltiger der Inhalt der gegen die Staatsverwaltung gerichteten, durch Strafdrohungen verpönten strafbaren Handlungen. Ebendaraus erklärt es sich, dafs nur der kleinere Theil derjenigen Vergehungen, welche wir in diesem Abschnitte zu besprechen haben werden, eine längere Geschichte hinter sich hat. Von den gröfsern Gruppen reichen nur die A m t s v e r b r e c h e n , durch deren Bestrafung die Staatsverwaltung sich und ihre Schutzbefohlenen gegen ihre eignen Organe zu sichern bestrebt ist, sowie die ausschliefslich oder vorzugsweise gegen die R e c h t s p f l e g e , als die älteste und grundlegenste Aufgabe des Staates, gerichteten strafbaren Handlungen ebenso wie die E i d e s v e r b r e c h e n in eine ferner liegende Vergangenheit zurück. Die übrigen Gruppen sind zumeist neuern und neuesten Ursprunges. Aber wenn es unzweifelhaft ist, dafs die Strafgesetzgebung eines Volkes in einem bestimmten Zeitabschnitte seiner Entwicklung das Inventar derjenigen Interessen uns offenbart, welche ebendieses Volk in ebendiesem Zeitabschnitte als seine wichtigsten und wertvollsten Güter betrachtet — dann ist ebenso unzweifelhaft jedes wissenschaftliche System des Strafrechts lückenhaft und darum weder System noch wissenschaftlich, welches für die gegen die Staatsverwaltung gerichteten strafbaren Handlungen keinen oder keinen entsprechenden Platz in dem inneren Zusammenhange seiner Gliedteile aufzufinden vermag. Klarer tritt Wesen und Richtung des heutigen Staatslebens doch wohl nirgends zu Tage, als in den Strafdrohungen zum Schutze der Fabrikarbeiter oder in der Bestrafung des Gründungsschwindels. III. D i e E i n t e i l u n g der in diese Gruppe gehörenden strafbaren Handlungen wird mithin durch die Verschiedenheit der Verwaltungszweige gegeben. Eine Reihe von Vergehungen aber gefährdet nicht nur diesen oder jenen Verwaltungszweig, sondern die Verwaltung überhaupt. Sie bedürfen daher besonderer Hervorhebung. Es gehören hierher die Amtsverbrechen einerseits, die sogenannten Eidesverbrechen anderseits. Den vervollständigenden Abschlufs der ganzen Gruppe bilden die Vergehungen des Militärstrafrechts.

§ 178.

I.

Amtsverbrechen

Geschichte und Begriff.

Strafbare Handlungen im Amte. § 178.

Geschichte und Begriff.

Litteratur. Zucker Amtsverbrechen 1870. Meves HH. 3 916, 4 338. Hecker GS. 31. Oppenheim Die Rechtsbeugungsverbrechen des RStGBs. Mit einer Einleitung übe] das Wesen der Amtsverbrechen 1886. Meves GS. 39 216. Hälschner 2 1014. H Seuffert W V . 1 47 und StG. 1 66. — Vgl. auch die Litteraturangaben zu § 58 II. — G. Cohn Die Justizverweigerung im altdeutschen Recht 1876. HO. Lehmann Rechtsschutz gegenüber Eingriffen von Staatsbeamten nach altfränkischem Recht 1883. — Über die „Verbrechen der Religionsdiener" vgl. Hinschius HH. 4 497.

I. A m t s v e r b r e c h e n sind (wenn wir zunächst von den gesetzlichen Beschränkungen absehen) die öffentlich strafbaren (also nicht blofs disziplinarisch zu ahndenden) Verletzungen der durch die Anstellung begründeten Amtspflicht. Der Grund, weshalb disziplinarische Ahndung nicht genügt, liegt darin, dafs durch die Verletzung der Amtspflicht zugleich ein andres Rechtsgut, sei es des einzelnen, sei es der Gesamtheit, verletzt oder gefährdet wird. Wie aber die Amtsverbrechen, gegen welche Rechtsgüter immer sie zunächst und in erster Linie gerichtet sein mögen, in letzter Linie den G a n g der S t a a t s v e r w a l t u n g bedrohen und gewissem)afsen als öfifentlichrechtliche Untreue erscheinen, so sind auch die Formen, unter welchen sie uns in der Geschichte des Strafrechts entgegentreten, bestimmt durch die nach Zeit und Ort wechselnde Gestalt und Zusammensetzung des Verwaltungsorganismus. II. Es ist demnach durchaus begreiflich, wenn sowohl das römische wie auch das mittelalterlich deutsche Recht in dieser Materie für uns nur die Bedeutung geschichtlicher Erinnerungen ohne lebendigen Zusammenhang mit der Gegenwart besitzen. Die Am tsverbrechen der r ö m i s c h e n R e p u b l i k , das crimen repetundarum und der ambitus, der peculatus und das crimen sodaliciorum, jene Verbrechensbegriffe, welchen der römische ICriminalprozefs seine gesamte E n t w i c k l u n g verdankte (oben S. 8), verloren ihre ursprüngliche Bedeutung, als die Fülle der Macht vom Volke auf den princeps übergegangen war. I m d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r i s t e s trotz der eingehenden Bestimmungen der lex Salica über Justizverweigerung und Versagung der Pfändung, trotz der strengen Bedrohung des ungerechten Richters in der lex Ribuaria (88: de vita componat) zu einer einheitlichen Auffassung der Amtsverbrechen nicht gekommen. Ssp. 2 13, 8 setzt zwar auf Rechtsweigerung die Talion, die Landfrieden beschäftigen sich mit dem ungerechten Richter, und vielfach wird dem Grundherrn oder dem Landrichter die Erfüllung seiner Pflichten eingeschärft:

6o6

§ 178.

Amtsverbrechen.

aber vergebens suchen

Geschichte und Begriff.

wir in der P G O .

nach

einem Amtsverbrechen.

Reichs- und Landesgesetzgebung des 16. und 1 7 . Jahrhunderts schritt ein, und die g e m e i n r e c h t l i c h e

Die

teilweise

Wissenschaft griff auf die veralteten B e -

stimmungen des römischen Rechts zurück, um die Grundlage für ihre Behandlung der delicta ministrorum principis aufgeklärten Despotismus,

zu gewinnen.

Aber

erst der Zeit des

als der K ö n i g sich für den ersten Diener

seines

Staates erklärte, erst dem preufsischen Landrecht g e l a n g es, der Gesetzgebung auch hier neue Bahnen ziplinarvergehen

zu weisen.

Das

n e u e r e Recht

und peinliche Amtsverbrechen

für die letztern feste Begriffsbestimmungen zu g e w i n n e n ; besondern

Erfolg.

politische B e w e g u n g stimmungen

Aber um

zum Schutze

auch

der Rechte

Übergriffe der Staatsverwaltung eignisse haben

andre

die Mitte

Einflüsse

machten

unsres Jahrhunderts des

bemüht

sich,

voneinander abzugrenzen

einzelnen

freilich bisher sich

geltend.

hat neue

Bürgers

gegen

Disund ohne Die

Strafbeetwaige

hinzugefügt; und auch jüngstvergangene Er-

ihre Spuren zurükgelassen.

S o bietet der 28. Abschnitt

des

StGB.s mehr als andere das Bild kasuistischer, breit ausgesponnener und doch lückenhafter Bestimmungen, neben welchen der Landesgesetzgebung Raum zum Eingreifen bleibt.

III. Im wissenschaftlichen Sinne erfordert der Begriff des Amtsverbrechens nicht nur die B e g e h u n g durch einen Beamten, sondern überdies noch, dafs die von dem Beamten begangene Handlung e n t w e d e r einen nur für diesen Fall mit Strafe bedrohten Thatbestand darstellt o d e r aber, bei allgemeiner Strafbarkeit, erschwerte Strafe nach sich zieht. Nach dem Reichsstrafgesetzbuche dagegen sind Amtsverbrechen alle und nur die im 28. Abschnitte mit öffentlicher Strafe bedrohten pflichtwidrigen Handlungen s o w o h l d e r B e a m t e n i m engern Sinne, als a u c h a n d r e r mit der V e r w a l t u n g v o n A m t s g e schäften betrauter Personen. Beamter aber ist derjenige, welcher auf Grund staatlicher Anstellung als Organ der Staatsgewalt (mithin unter staatlicher Autorität) für Staatszwecke thätig zu sein berufen ist. S t G B . § 359 betont die „Anstellung" und das „Dienstverhältnis", 1 ) ohne damit eine erschöpfende Begriffsbestimmung des Beamten geben zu wollen, erklärt es aber im übrigen für gleichgültig, ob es sich um den unmittelbaren oder mittelbaren 2 ) Dienst des Reiches oder eines Bundesstaates, um vorläufige oder endgültige, zeitLohnschreiber (Diurnisten), die zur V e r w a l t u n g in einem rein privatrechtlichen Verhältnisse stehen, sind daher nicht Beamte. 2 ) Mittelbare Staatsbeamte sind die Beamten der öffentlich rechtlichen Körperschaften (Gemeinden, Kommunalverbände, Universitäten).

§ 178.

Amtsverbrechen.

Geschichte und Begriff.

607

weilige oder lebenslange Anstellung handelt; ob der Angestellte ein festes Gehalt oder ausschliefslich Gebühren bezieht; ob ein Diensteid geleistet worden ist oder nicht. Wohl aber rechnet er ausdrücklich, über unsern Begriff hinausgreifend, auch die N o t a r e zu den Beamten, ohne Rücksicht auf die landesrechtliche Verschiedenheit ihrer Stellung. Advokaten und Anwälte, Geschworne, Schiedsrichter und Schöffen sind keine Beamten {wohl aber die Handelsrichter nach G V G . § 116), wenn auch die drei letztgenannten Personen ein Amt im Sinne des Gesetzes (StGB. § 3 1 Abs. 2) ausüben. Die Begriffe „Amt" und „Beamter" decken sich hiermit nicht, und die Bezeichnung „Amtsverbrechen" würde daher richtiger durch die vom Gesetze in der Überschrift des 28. Abschnittes gebrauchte: „Verbrechen und Vergehen im Amte" ersetzt. Zu beachten ist aber weiter, dafs der 28. Abschnitt vielfach des Zusammenhanges wegen auch strafbare Handlungen solcher Personen aufgenommen hat, welche weder Beamte sind, noch ein Amt ausüben. Die V e r b r e c h e n d e r R e l i g i o n s d i e n e r ( K i r c h e n a m t s v e r g e h e n ) bilden nach Reichsrecht keine besondere Gruppe; ihre Regelung ist zum grofsen Teile der Landesgesetzgebung überlassen worden. 3 ) IV. Man teilt die Amtsverbrechen ein in e i g e n t l i c h e (reine) und u n e i g e n t l i c h e (gemischte), je nachdem sie nur von Beamten begangen werden können oder aber die Beamteneigenschaft als Strafschärfungsgrund erscheint. Zu den uneigentlichen Amtsverbrechen gehören auch die im StGB. §§ 128, 129, 222, 230, 300, 316, 318, 322 behandelten Fälle, während StGB. § 174 Ziff. 2 und 3 ein eigentliches Amtsverbrechen enthält. Die Einteilung ist von Wichtigkeit für die Behandlung der Teilnahme dritter Personen; vgl. oben § 53. Eine andre Einteilung ist die in a l l g e m e i n e und b e s o n d e r e Amtsverbrechen, je nachdem jeder Beamte oder nur gewisse Beamtengruppen als Thäter erscheinen können. Die einschneidende Bedeutung der Amtsverbrechen für die 3 ) Begriff des Religiondieners oben S. 594. Soweit ihnen staatliche Funktionen (z. B. Verwaltung des Kirchenvermögens) übertragen sind, erscheinen sie als Beamte im Sinne des § 3 5 9 StGB. Vgl. auch StGB. §§ 130 a, 338. — Offiziere sind Beamte im Sinne des § 3 5 9 ; R 16. Juni 96 29 1 5 . Über die Militärbeamten vgl. Mil.StGB. § 154 und unten § 204 III I.

6o8

§ 179.

Die einzelnen Amtsverbrechen.

Staatsverwaltung und mithin für die Interessen der Gesamtheit erklärt es, dafs, entgegen den sonst von unsrer Gesetzgebung festgehaltenen Grundsätzen, auch die im A u s l a n d e , sei es von Inländern, sei es von Ausländern, begangenen Amtsverbrechen ohne weiteres nach inländischem Rechte verfolgt werden können (oben S. 100). Endlich sei an dieser Stelle noch erwähnt, dafs neben der wegen einer Reihe von Amtsverbrechen (StGB. §§ 331, 339 bis 341, 352 bis 355, 357) erkannten Gefängnisstrafe, wenn diese auch die Dauer von drei Monaten nicht erreicht, gegen den Beamten (sowie gegen beteiligte dritte) auf V e r l u s t d e r F ä h i g k e i t z u r B e k l e i d u n g ö f f e n t l i c h e r Ä m t e r auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden kann (StGB. § 358; oben S. 275).

§ 179.

Die einzelnen Amtsverbrechen.

L i t t e r a t u r . Zu I : Kronecker GA. 31 361. Teichnmller Die Bestechung nach dem StGB, für das Deutsche Reich. Göttinger Diss. 1887. Alcalay Aktive und passive Bestechung 1889. — Zu II: Günther 3 475. — Zu I X : OT. 20. Oktober 1875 in GA. 2 3 460. v. Holtzendorff Rechtsgutachten, erstattet zum Prozefs des Grafen H. v. Arnim, von Wahlbtrg, Merkel, v. Holtzendorff und Rolin-Jacquemyns 1875. — Der Prozefs Arnim. Dargestellt von einem alten Juristen. Mit II Beilagen. 1877. Die Begründung zum Nachtragsgesetz von 1876. — Zu X : Dambach (Litt, zu § 161) 87.

I. Die Geschenkannahme in Amtssachen oder die Bestechung i. w. S. (das crimen repetundarum oder baratteriae des gemeinen Rechts). D a s R S t G B . unterscheidet 1. Die passive Bestechung i. w. S. oder die pflichtwidrige Geschenkannahme, d. h. das A n n e h m e n , Fordern ö d e r Sichversprechenlassen von (Geschenken oder andern) V o r teilen (oben § 175 Note 9) von Seiten eines Beamten für eine an sich nicht pflichtwidrige gegenwärtige, vergangene oder zukünftige Amtshandlung (StGB. § 331). 1 ) D a s Geschenk mufs Gegenleistung (Äquivalent) für die erkennbar zu bezeichnende Amtshandlung sein; wird es gegeben, um einem allgemeinen Gebrauche zu entsprechen (wie Trinkgelder, Neujahrsgeschenke), um besondere nicht in das A m t einschlagende Gefälligkeiten zu entlohnen, den Pflichten der Gastfreundschaft zu entsprechen oder um dem Gefühle persönlicher Dankbarkeit Vgl. auch Mil.StGB. § 140; Salzsteuergesetz von 1867 § 17; Branntweinstiuergesetz von 1868 § 68. Die Begriffe „Amtshandlung" und „in das Amt einschlagende Handlung" decken sich; dagegen Frank § 331 I.

§ 179-

Die einzelnen Amts verbrechen.

609

oder Verehrung Ausdruck zu geben usw., so liegt Bestechung nicht vor. Die Rechtswidrigkeit der Annahme usw. kann durch Gesetz und, soweit es dieses gestattet, durch Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde ausgeschlossen werden. Das Fordern nicht geschuldeter G e b ü h r e n fällt unter StGB. § 352. Die Annahme usw. kann auch mittelbar, so durch Nichtzurückstellung des der Frau des Beamten gewährten Geschenkes, begangen werden. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. — Der Geschenk g e b e r kann (wegen §§ 3 3 3 und 334 Abs. 2) nicht nach § 3 3 1 bestraft werden; doch trifft ihn nach einzelnen Nebengesetzen 2 ) eine Ordnungsstrafe. Im übrigen finden die Grundsätze über Teilnahme uneingeschränkte Anwendung.

2. Die einfache passive Bestechung i. e. S., d. h. das Annehmen, Fordern, Sichversprechenlassen von Geschenken oder andern Vorteilen von Seiten eines Beamten für eine Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthält (StGB. § 332). Die pflichtwidrige Handlung mufs als Amts- oder Diensthandlung, wenn auch nur als Mifsbrauch des freien Ermessens, erscheinen; Vornahme einer dem Beamten verbotenen a u f s e r amtlichen oder aüfserdienstlichen Handlung gehört nicht hierher. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis. Bezüglich des Geschenkgebers gilt das oben zu I Gesagte.

3. Die einfache aktive Bestechung i. e. S . , vorliegend, wenn jemand einem Beamten oder einem Mitgliede der bewaffneten Macht (sei es unmittelbar, sei es mittels Vorschiebung einer andern Person, sog. mittelbare Bestechung) Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, um ihn zu einer Handlung zu bestimmen, welche eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthält (StGB. § 333). Es stehen mithin hier nur künftige oder doch von dem Bestechenden dafür gehaltene Handlungen in Frage. Die Pflichtwidrigkeit der Handlung mufs beiden Teilen bekannt sein; eventueller Vorsatz genügt. 2 ) Vereinszollgesetz von 1869 § 1 6 0 ; Brausteuergesetz von 1 8 7 2 § 36, Tabaksteuergesetz von 1 8 7 9 § 4 1 .

v. L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

39

§ 179.

6io

D i e einzelnen A m t s v e r b r e c h e n .

S t r a f e : G e f ä n g n i s (daneben n a c h E r m e s s e n E h r v e r l u s t ) , b e i mildernden Umständen nach Ermessen G e l d s t r a f e bis zu f ü n f z e h n h u n d e r t M a r k .

4. Die richterliche (aktive und passive) Bestechung, d. h. das Annehmen, F o r d e r n , Sichversprechenlassen von (Geschenken oder andern) Vorteilen Schiedsrichters, eine R e c h t s s a c h e , obliegt,

zu gunsten

v o n Seiten

Geschwornen deren oder

um

L e i t u n g oder Entscheidung

zum

Nachteile

leiten oder zu entscheiden ( S t G B . § 334). gehören nicht nur

eines.Richters,

oder Schöffen,

ihm

eines Beteiligten

zu

Z u den Rechtssachen

das Zivil- und Strafverfahren, sondern auch

Disziplinarsachen, das Verwaltungsstreitverfahren sowie die s o g . freiwillige Gerichtsbarkeit. S t r a f e : Zuchthaus. bietet, verspricht

oder

R e c h t s b e u g u n g ist nicht erforderlich.

Denjenigen,

gewährt,

der

die G e s c h e n k e

trifft ebenfalls

Zuchthaus,

oder an

Vorteile dessen

an-

Stelle

j e d o c h b e i mildernden Umständen G e f ä n g n i s treten k a n n . In a l l e n v i e r F ä l l e n ( i bis 4) ist im Urteile das thatsächlich E m p f a n g e n e (nicht das,

was

b l o f s versprochen,

geboten,

gefordert

wurde)

oder

dessen

W e r t dem Staate für v e r f a l l e n zu e r k l ä r e n ( S t G B , § 335).

IL Die Beugung des Rechts zu gunsten oder zum N a c h teile einer Partei durch einen Beamten oder Schiedsrichter (nicht aber Schöffen o d e r Geschworenen) bei L e i t u n g oder Entscheid u n g einer Rechtssache (StGB. § 336). D e r B e g r i f f der R e c h t s sache ist derselbe wie oben unter I 4. S t r a f e : Zuchthaus bis zu f ü n f Jahren.

III. Strafbare Handlungen bei Trauung und E h e schliefsung ( S t G B . §§ 337, 338), bereits oben § 1 1 4 erwähnt. IV. Bedrückung der Staatsbürger. 1. W i d e r r e c h t l i c h e Nötigung zu einer Handlung, Duldung, Unterlassung durch Mifsbrauch oder durch A n d r o h u n g eines bestimmten Mifsbrauches der A m t s g e w a l t ( S t G B . § 339). V g l . das oben § 100 über die einfache N ö t i g u n g G e s a g t e . Strafe:

Gefängnis.

Versuch

strafbar.

2. A u c h der Thatbestand gewisser V e r g e h u n g e n , die sich als Sonderfälle d e m allgemeinen Begriffe der N ö t i g u n g

gegen-

überstellen lassen (es sind

StGB.),

die §§ 106,

107,

167,

253

erfährt durch § 339 A b s . 3 insofern eine Erweiterung, als Mifsbrauch oder Androhung der A m t s g e w a l t , an sich schon

eines bestimmten Mifsbrauches

wenn v o n

einem Beamten

g e e i g n e t e Begehungsmittel

ausgehend,

erklärt werden.

für Für

§ 179-

Die einzelnen Amtsverbrechen.

611

die Strafbarkeit des Versuchs sind die für das gemeine Verbrechen gegebenen Bestimmungen mafsgebend. 3. Körperverletzung (oben § 87), die der Beamte in Ausübung (während dieser) oder in Veranlassung der Ausübung seines Amtes (innerer Zusammenhang erforderlich) vorsätzlich begeht oder begehen läfst (StGB. § 340). s ) Das „Begehenlassen" umfafst nicht nur a. die A n o r d n u n g der Vollziehung, wobei, mag der Vollziehende vorsätzlich handeln oder nicht, stets der Beamte als Thäter erscheint, sondern auch b. das einfache G e s c h e h e n l a s s e n , vorausgesetzt, dafs der Beamte zur Hinderung amtlich verpflichtet war. 4 ) A n t r a g s e r f o r d e r n i s und A u f r e c h n u n g s f ä h i g k e i t entfallen für StGB. § 340, letztere auch zu ungunsten des beteiligten Nichtbeamten; dagegen kann dem Verletzten sein B u f s a n s p r u c h durch die Beamteneigenschaft des Thäters nicht entzogen werden. Die Bestimmungen über gemeine Körperverletzung sind, soweit strenger, anzuwenden. S t r a f e : a) Gefängnis nicht unter drei Monaten; bei mildernden Umständen Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark; b) wenn die Körperverletzung eine schwere (StGB. § 224) war, Zuchthaus nicht unter zwei Jahren; bei mildernden Umständen nach Ermessen Gefängnis nicht unter drei Monaten.

4. Beschränkung der persönlichen Freiheit a) durch Verhaftung, vorläufige Ergreifung und Festnahme oder Zwangsgestellung (Vorführung), die der Beamte vorsätzlich und widerrechtlich vornimmt oder vornehmen läfst, oder b) durch vorsätzliche und widerrechtliche Verlängerung der Dauer einer Freiheitsentziehung (StGB. § 341). naten.

S t r a f e : die des § 239 StGB.; mindestens aber Gefängnis von drei MoVgl. oben § 101.

5. Hausfriedensbruch durch einen Beamten in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung des Amtes (StGB. § 342). S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. 5 ) Vgl. oben § II9.

V . Mifsbrauch der Amtsgewalt im Strafverfahren (mit Einschlufs des Disziplinarverfahrens). 3)

Vgl. noch Mil StGB. §§ 122, 123, 148 (unten § 205). Ebenso Meyer 681. Dagegen Frank § 340 III, Hälschntr 2 1048, Landsberg (Litt, zu § 30) 213, Oppenheim 221, Oishausen § 340 3, Schütze 534 Note 8. 5 ) Vgl. Vereinszollgesetz von 1869 § 126. 4)

39*

ÖI2

§ 179.

Die einzelnen Amtsverbrechen.

1. Die Anwendung (oder das Anwendenlassen) von Zwangsmitteln in einer Untersuchung, um Geständnisse oder Aussagen zu erpressen (StGB. § 343). „Untersuchung" ist jedes von einer zuständigen Behörde (nicht blofs von dem Gericht) eingeleitete Verfahren, dessen Z w e c k die Feststellung einer peinlich oder disziplinarisch strafbaren Handlung und die Herbeiführung der auf diese gesetzten Rechtsfolge ist. Unter suchung umfafst daher nicht blofs das Strafverfahren, mit Einschlufs des vorbereitenden Verfahrens (aber mit Ausschluß der Fällung des Erkenntnisses), sondern auch das Verfahren zur Feststellung der von einem Kinde begangenen an sich strafbaren Handlung, um dieses in eine Anstalt unterzubringen. 6 ) S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren.

2. Vorsätzliche Beantragung oder Beschliefsung der Eröffnung oder Fortsetzung einer Untersuchung zum Nachteile einer Person, deren Unschuld dem Beamten bekannt ist (StGB. § 344). Der Begriff der „Untersuchung" ist derselbe wie unter V 1. „Unschuld" ist relativ zu beurteilen und umfafst auch die geringere Verschuldung. S t r a f e : Zuchthaus.

3. Das Vollstreckenlassen einer Strafe, von welcher der Beamte weifs, dafs sie überhaupt nicht oder nicht der Art oder dem Mafse nach vollstreckt werden darf (StGB. § 345). „Vollstreckenlassen" umfafst sowohl die A n ordnung, als auch das pflichtwidrige Geschehenlassen, nicht aber die Vollstreckung selbst. 7 ) Zur „Strafe" gehören auch die Ordnungsstrafen, nicht aber die Zwangsmafsregeln. Strafe:

a) bei vorsätzlicher Begehung Zuchthaus; b) bei

fahrlässiger

BegehuDg Gefängnis oder Festung bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark.

Fahrlässigkeit liegt vor bei Irrtum sowohl in Bezug auf

die Zulässigkeit als auch in Bezug auf die Ausführung der Vollstreckung.

4. Begünstigung von Verbrechen; und zwar a) die Unterlassung der Verfolgung einer strafbaren Handlung oder b) die Begehung einer Handlung, welche geeignet ist, eine Frank § 343 I ; R 22. Mai 94 2 5 366. Dagegen R 9. Januar 82 5 332, 21. Juni 89 19 342. Binding Normen 2 .494, Olshauscn § 345 3. Übereinstimmend im wesentlichen Frank § 345 X, Hälschner 2 1080. Der Wortlaut des Gesetzes macht leider die Auffassung des Textes unvermeidlich. 6)

7)

§ 179-

Die einzelnen Amts verbrechen.

613

Freisprechung oder eine dem Gesetze nicht entsprechende Bestrafung zu bewirken, oder c) das Nichtbefreiben der Vollstreckung einer ausgesprochenen Strafe, oder endlich d) die Vollstreckung einer gelindern als der ausgesprochenen Strafe: wenn von einem vermöge seines Amtes zur Mitwirkung bei Ausübung der Strafgewalt oder bei Vollstreckung der Strafe berufenen Beamten in der Absicht begangen, jemand der gesetzlichen Strafe rechtswidrig zu entziehen (StGB. § 346).8) Unter „strafbaren" Handlungen sind hier alle peinlich, nicht aber die nur disziplinarisch zu ahndenden zu verstehen. „ A b sicht" ist hier gleichbedeutend mit Vorsatz (vgl. oben S. 167).") S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Monat.

5. Das Entweichenlassen, die Bewirkung oder Beförderung der Befreiung eines Gefangenen durch den Beamten, dessen Beaufsichtigung, Begleitung oder Bewachung der Gefangene anvertraut (dienstlich übergeben) ist (StGB. § 347). 10 ) S t r a f e : a) bei vorsätzlicher Begehung Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Monate; b) ist die Entweichung (Selbstbefreiung oder Befreiung durch dritte) durch Fahrlässigkeit befördert oder erleichtert worden, Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu sechshundert Mark. Der Versuch ist strafbar, obwohl Versuch der Beförderung als Versuch der Beihilfe erscheint (oben § 52 Note 5).

VI. Urkundenverbrechen (StGB. § 348): 1. Die vorsätzliche Falschbeurkundung einer rechtlich erheblichen Thatsache oder das Falscheintragen einer solchen in öffentliche Register oder Bücher (oben S. 554) durch einen zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugten Beamten innerhalb seiner Zuständigkeit. Zur Vollendung ist Gebrauchmachen nicht erforderlich. Vgl. im übrigen oben § 162. S t r a f e : Gefängnis nicht unter einem Monat.

2. Die vorsätzliche Vernichtung, Beschädigung, Beiseiteschaffung 11 ) oder Verfälschung einer dem Beamten amtlich anvertrauten oder zugänglichen Urkunde durch 8) Vgl. Mil.StGB. §§ u 8 , XI9 (unten § 205). ») So ausdrücklich R 21. Mai 96 2 8 384. Dagegen Frank § 346 I V . 10 ) V g l . oben § 1 7 3 ; aufserdem Mil.StGB. § 144 (unten § 205). n ) „Unterdrückung" verlangt StGB. § 274 Ziff. 1 (oben S. 555). Über StGB. § 133 vgl. oben S. 601.

6i4

§ 179.

Die einzelnen Amtsverbrechen.

diesen. Urkunde ist auch hier jeder zur Feststellung rechtlich erheblicher Thatsachen bestimmte Gegenstand: Privaturkunden gehören auch dann hierher, wenn sie nicht beweiserheblich sind (oben S. 548). S t r a f e : wie zu I. In beiden Fällen (i und 2) tritt Zuchthaus bis zu zehn Jahren, neben welchem auf Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu dreitausend Mark zu erkennen ist, ein (StGB. § 349), wenn der Thäter die Handlung in der Absicht begangen hat, sich oder einem andern einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem andern Schaden (oben § 161 Note 7 und 8) zuzufügen.

VII. Die Amtsunterschlagung, d. i. die von einem Beamten begangene Unterschlagung von Geldern oder andern Sachen, die er in amtlicher Eigenschaft (also nicht aus Anlafs der Amtsausübung oder als Privatperson), wenn auch mit Überschreitung der Grenzen seiner Zuständigkeit, empfangen oder in Gewahrsam hat (StGB. § 350). „Geld" ist hier besonders hervorgehoben, weil anders als bei der gemeinen Unterschlagung (oben § 131) die Vertretbarkeit des in amtlicher Eigenschaft empfangenen Geldes für den Beamten regelmäfsig ausgeschlossen ist, daher bereits in der Vermischung mit dem eigenen Gelde rechtswidrige Aneignung erblickt werden kann. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; Ehrverlust nach Ermessen, V e r s u c h strafbar. — Die Strafe wird geschärft (Zuchthaus bis zu zehn Jahren ; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten), wenn der Beamte in Beziehung auf die Unterschlagung die zur Eintragung oder Kontrolle der Einnahmen oder Ausgaben bestimmten Rechnungen, Register oder Bücher unrichtig geführt, verfälscht oder unterdrückt oder unrichtige Abschlüsse oder Auszüge aus diesen Rechnungen, Registern oder Büchern oder unrichtige Belege dazu vorgelegt hat, oder wenn in Beziehung auf die Unterschlagung auf Fässern, Beuteln oder Packeten der Geldinhalt fälschlich bezeichnet ist (StGB. § 351). Die Verjährung beginnt in diesem Falle erst mit der Fälschung zu laufen.

VIII. Das übermäfsige Sportulieren , 12 ) d. h. die Erhebung von Gebühren, Abgaben, Steuern, Vergütungen, von welchen der Erhebende weifs, dafs der Zahlende sie überhaupt nicht oder nur in geringerm Betrage schuldet; und zwar: 12 ) Das crimen superexactionis des gemeinen Rechts (1. un. C. 10, 20; Nov. 124 c. 3). Im A L R . eingehend behandelt. — Wenn zugleich der Thatbestand des § 263 gegeben ist, findet § 73 Anwendung.

§ 1791. W e n n

von

Die einzelnen Amtsverbrechen.

einem B e a m t e n ,

Advokaten,

Anwalt

oder

s o n s t i g e n R e c h t s b e i s t a n d v o r g e n o m m e n , d e r G e b ü h r e n und a n d r e V e r g ü t u n g e n für amtliche V e r r i c h t u n g e n z u s e i n e m zu e r h e b e n hat ( S t G B . § 352). vor,

wenn

der B e a m t e

zu

Vorteile

D a s V e r g e h e n liegt a u c h d a n n

d e r T h ä t i g k e i t ü b e r h a u p t nicht b e -

f u g t w a r ; nicht a b e r dann, w e n n e r die L e i s t u n g nicht als V e r g ü t u n g , s o n d e r n als G e s c h e n k f o r d e r t ( o b e n S . 608). Jahre.

S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu einem V e r s u c h strafbar. 2.

W e n n v o n einem B e a m t e n b e g a n g e n ,

w e l c h e r Steuern,

Gebühren oder andre A b g a b e n f ü r e i n e ö f f e n t l i c h e

Kasse

zu e r h e b e n hat, s o f e r n er das r e c h t s w i d r i g E r h o b e n e g a n z o d e r zum Teil

nicht

zur K a s s e bringt ( S t G B . § 353).

e i g n u n g nicht erforderlich. § 3 5 3 nicht a n g e w e n d e t

Auf

Erfolgte Zu-

a n d r e als Geldleistungen k a n n

werden.18)

S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten. — Gleiche Strafe trifft den Beamten, welcher bei amtlichen Ausgaben an Geld oder Naturalien dem Empfänger vorsätzlich und rechtswidrig Abzüge macht und die Ausgaben als vollständig geleistet in Rechnung stellt (StGB. § 353 Abs. 2). IX.

Strafbare

Handlungen

im D i e n s t e

tigen A m t s des D e u t s c h e n R e i c h s ( S t G B .

des

Auswär-

§ 3 5 3 a ; „Arnim-

p a r a g r a p h " ) ; und z w a r : 1. V e r l e t z u n g der A m t s v e r s c h w i e g e n h e i t

durch wider-

rechtliche Mitteilung v o n amtlich anvertrauten o d e r z u g ä n g l i c h e n S c h r i f t s t ü c k e n o d e r v o n d u r c h seinen V o r g e s e t z t e n (wenn a u c h nur mündlich) erteilten A n w e i s u n g e n o d e r d e r e n Inhalt an a n d r e . T h ä t e r kann j e d e r i m D i e n s t e d e s A u s w ä r t i g e n A m t e s s t e h e n d e B e a m t e sein; also die B e a m t e n b e i m A u s w ä r t i g e n A m t bei d e n

Gesandtschaften,

schaftlichen schen

Instituten

Gliedstaaten).

Konsulaten

des D e u t s c h e n Die

Eigenschaft

selbst,

und a u s w ä r t i g e n wissenReichs als

(nicht

Beamter

d e r deutmufs

im

A u g e n b l i c k der T h a t g e g e b e n sein; n a c h t r ä g l i c h e Indiskretionen eines frühern

B e a m t e n w e r d e n d u r c h die F a s s u n g d e s § 353 a

nicht g e t r o f f e n . 3 4 ) 13 j werden. 14 ) dagegen

Nicht, wenn z. B. Lebensmittel, Dienstleistungen usw. gefordert Ebenso Olshausen § 350 3 ; dagegen Hälschner 2 1086, Note 2. Übereinstimmend Frank § 353 a II, Hälschner 1 1089, Meyer 684; Olshausen § 353 a 3.

6i6

§ 179.

D i e einzelnen Amtsverbrechen,

2. Vorsätzlicher 15 ) Ungehorsam gegen amtlich erteilte Anweisungen des Vorgesetzten und 3. Berichtung von erdichteten oder entstellten Thatsachen an den Vorgesetzten, in der Absicht (gleich Beweggrund), diesen in seinen amtlichen Handlungen irre zu leiten. T h ä t e r kann hier nur ein vom Deutschen Reich bei einer aufserdeutschen Regierung beglaubigter Gesandter oder der bei einer solchen Gesandtschaft beschäftigte Beamte sein. S t r a f e : Gefängnis oder Geldstrafe bis zu fünftausend Mark.

X. Strafbare Handlungen von Post- und Telegraphenbeamten. 1. W i d e r r e c h t l i c h e E r ö f f n u n g oder U n t e r d r ü c k u n g (oben S. 551) v o n der P o s t a n v e r t r a u t e n B r i e f e n o d e r P a c k e t e n d u r c h P o s t b e a m t e 1 6 ) (Verletzung des Briefgeheimnisses; oben § 120 II). Gleichgestellt ist die Gestattung der Vornahme einer solchen Handlung durch andre sowie die Beihilfe hierzu (StGB. § 354); der „andre" kann in diesem Falle nicht als Teilnehmer aus § 354, wohl aber als Thäter nach § 299 gestraft werden. „Brief' ist zunächst jede v e r s c h l o s s e n e Postsendung, die nicht unter den Begriff des Packets fällt. Dafs sie eine schriftliche Mitteilung enthalte, ist nicht erforderlich. 1 7 ) A b e r auch alle u n v e r s c h l o s s e n e n Postsendungen (Drucksachen, Warenproben, Postkarten, Postanweisungen) fallen, soweit das „Unterdrücken" in Frage ist, unter das Gesetz. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten.

2. Strafbare Handlungen von Telegraphenbeamten oder andern mit Beaufsichtigung und (oder) Bedienung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden (oben S. 524) Telegraphenanstalt betrauten Personen (StGB. § 355); und zwar: a) Verfälschung (oben S. 549) von der Anstalt anvertrauten Depeschen; b) ihre widerrechtliche Eröffnung oder Unterdrückung (oben S. 555); c) Benachrichtigung andrer von ihrem Inhalte (Verletzung des Depeschengeheimnisses). Gleichls

) Ebenso Meyer 684; dagegen Bälsckner 2 1089, Olshausen § 3 5 3 a 10. ) S o w e i t diese mit dem Briefe dienstlich befafst sind. G e g e n diese Einschränkung Frank 354 II, Hälschner 2 1092, Olshausen § 3 5 4 2. 17 ) Ebenso R 23/28. Mai 91 2 2 22; dagegen R 25. Mai 95 2 7 256, sow i e Frank 354 III. 16

§ 179-

gestellt

D i e einzelnen Amisverbrechen.

ist auch hier

die G e s t a t t u n g

617

der V o r n a h m e

solcher

Handlungen durch dritte, s o w i e die Hilfeleistung dazu. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten.

XI. Die Untreue des S a c h w a l t e r s (praevaricatio). D a s römische Recht hat z w e i F ä l l e unterschieden: die praevaricatio propria oder die Bestechung des A n k l ä g e r s in einem judicium publicum, und praevaricatio impropria oder die ungetreue patronus.

Sachwaltung

des advocatus

die oder

D i e P G O . behandelt in A r t . 1 1 5 nur den zweiten dieser Fälle, und

z w a r im Zusammenhange mit den Fälschungsverbrechen die Italiener gethan hatten).

Auch

(wie das auch

gemeinrechtlich pflegte man die

des Sachwalters als falsum zu bestrafen.

D i e neuere Gesetzgebung

schon

Untreue rechnete

zumeist die Prävarikation wegen der amtlichen Stellung des Anwaltes zu den Amtsverbrechen.

Das

RStGB.

hat

diese

Stellung

beibehalten,

obwohl

ihr

Grund h i n w e g g e f a l l e n ist.

§ 356 b e d r o h t den A d v o k a t e n , A n w a l t oder andern Rechtsbeistand, der bei den ihm v e r m ö g e seiner amtlichen (?) E i g e n schaft anvertrauten A n g e l e g e n h e i t e n

in derselben

Rechtssache

beiden Parteien durch Rat o d e r Beistand pflichtwidrig dient. S t r a f e : Gefängnis nicht unter drei Monaten; wenn der Thäter im Einverständnisse

mit der Gegenpartei

Zuchthaus bis zu fünf Jahren.

zum Nachteil seiner Partei gehandelt

hat,

A u f das Strafverfahren ist § 356 nur anwend-

bar, soweit sich hier „Parteien" gegenüber stehen (Privatklage); ausgeschlossen also für das Verhältnis des Verteidigers gegenüber dem Staatsanwalt. 1 8 )

XII. Die ( S t G B . § 357).

sogen. Konnivenz Sie liegt v o r :

des

Amtsvorgesetzten

1. W e n n der A m t s v o r g e s e t z t e seinen U n t e r g e b e n e n zu einer strafbaren Handlung

im A m t e (also nicht blofs zu einem

der

im 28. A b s c h n i t t e des S t G B . s behandelten V e r b r e c h e n ) vorsätzlich verleitet oder zu verleiten u n t e r n i m m t ; 1 0 ) 2.

wenn

er

eine solche

Handlung

seiner

Untergebenen

wissentlich g e s c h e h e n läfst; 3. wenn

die v o n einem andern Beamten b e g a n g e n e straf-

bare Handlung die zur Aufsicht oder Kontrolle des A n g e k l a g t e n gehörenden G e s c h ä f t e betrifft.

In den Fällen

unter 2 und

liegt, da die Verpflichtung zur

Verhinderung

vorhanden

ein Unterlassungsverbrechen

3

war,

vor.

Als Strafe für die Konnivenz g i l t die auf jene Handlung, zu welcher die Konnivenz geleistet wurde, gesetzte Strafe. 19)

D a g e g e n Frank § 356 II. Über die Begriffe „ v e r l e i t e n " Nöte 4 und § 46 Note 6. ,9)

und

„unternehmen"

v g l . oben §

51

6l8

§ 180,

II.

Die EidesverbrecheD.

Geschichte und systematische Stellung.

Die falsche Aussage (die sogenannten Eidesverbrechen). § 180.

Geschichte und systematische Stellung.

I i i t t e r a t u r . Bochow HH. 3 229 ff. v. Liszt Meineid und falsches Zeugnis 1876. Derselbe Die falsche Aussage vor Gericht oder öffentlicher Behörde 1877. Jagemann GS. 29 340. Voigt GA. 28 222. Hälschner 2 902. Lauterbürg Die Eidesverbrechen. 1886. Harburger Die Teilnahrae an dem Verbrechen aus StGB. § 159 durch Anstiftung oder Beihilfe 1887. v. Helldorff (Litt, zu § 49). — kotering GA. 4 0 93. G'obel (Litt, zu § 46). — Brunner 2 681. Günther insbes. 2 60, 3 385. I. G e s c h i c h t e . Das r ö m i s c h e Recht, sowohl der ältesten Periode wie zur Zeit der klassischen Juristen und unter der Herrschaft des Christentums, kennt das crimen perjurii als selbständige Strafklage nicht. Der Grund dieser Erscheinung liegt in der strengen Scheidung von fas und jus im ältesten Recht, von Recht und Moral im zensorischen Gerichte und endlich in der prozessualischen Auffassung des Schiedseides während des klassischen Zeitalters des römischen Rechts. Nur in besondern Fällen, immer aber wegen der n e b e n dem Meineid vorliegenden Rechtsverletzung, verordnen einzelne Kaiserkoustitutionen Bestrafung des Meineids, so wenn per genium prineipis falsch geschworen wurde (als Majestätsverletzung aufgefafst) oder wenn durch den Meineid das crimen stellionatus begründet wird usw. Von einer grundsätzlichen Anerkennung der Strafbarkeit des Meineids ist auch in der Gesetzgebung der christlichen Kaiser keine Rede. Anders beim f a l s c h e n Z e u g n i s s e . Von den ersten Zeiten des Freistaates her strafbar (in den XII Tafeln mit Herabstürzen vom Tarpejischen Felsen bedroht), wird die falsche Zeugenaussage in der Sullanischen Gesetzgebung eingehend behandelt und, je nachdem sie in einem judicium publicum abgelegt war oder nicht, nach der lex Cornelia de sicariis oder aber nach der lex Cornelia de falsis verfolgt und bestraft. Auf diesen Bestimmungen ruht auch das spätere römische Recht. Im m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e n Recht lassen sich (insbesondere wegen der eigentümlichen rechtlichen Natur der Eidhilfe) Meineid und falsches Zeugnis nicht voneinander trennen. Die Volksrechte drohen bald einfache Bufse (Lex salica, ribuaria, Bajuvariorum), bald Wergeid (L ex Burgund., Langob.), bald, unter dem Einflüsse des Christentums, auch Strafe an Leib und Leben (Friesen und Sachsen). In den Kapitularien finden wir vielfach als symbolische Talion den Verlust der Schwurhand angedroht. Die Strafbarkeit des Anstifters wird mehrfach hervorgehoben. Dasselbe Schwanken zeigt sich in den Quellen des spätem Mittelalters. Wo sie schweigen, greift die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte und mit ihr das kanonische Recht ein,

§

i8o.

D i e Eidesverbrechen.

welches rechnet.

den Meineid

Geschichte und systematische Stellang.

als Lästerung Gottes unter die schwersten

Verbrechen

V i e l f a c h ist das Eindringen des römischen Rechts festzustellen. 1 )

D i e K a r o l i n a folgt in Art. 107 dem Standpunkte der süddeutschen Quellen. S i e bedroht denjenigen, „ w e l c h e r

vor Richter oder Gericht

einen

gelehrten

Meineid schwört", zunächst mit der Infamie, dann aber mit dem Verluste Schwurfinger. Strafe

schwüre",

PGO.

der

„ W o aber einer durch seinen falschen Eid jemand zu peinlicher soll Talion

eintreten.

in Art. 68 (ebenfalls Talion).

gedenkt

die

D e n Anstifter trifft dieselbe Strafe

Des

falschen Zeugen

wie

den Thäter. D i e weitere

Entwicklung

der L e h r e

im gemeinen

Recht

Landesgesetzgebung beruht vorzugsweise auf der wechselnden Auffassung des Vergehens.

Auf der

wie

in

der

grundsätzlichen

einen Seite betrachtet man den Meineid

als einen schweren F a l l des Lasters der beleidigten göttlichen Majestät (Preufsen 1620, Böhmer Fall

u. a.), auf der andern (Österreich

der Fälschung.

Die

durch den Verlust der

Strafe

der P G O .

1656, Koch

wird

schon

u. a.) als

im

einen

17. Jahrhundert

v o r d e m Glieder der Schwurfinger ersetzt; später

willkürliche Strafe an ihre Stelle. gewinnt jene Ansicht den Sieg,

welche den Meineid

als einen

erschwerten

F a l l des Betruges auffafst (so Österreich 1787 bis zur Gegenwart, A L R . später insbesondere Feuerbacli).

In unserm Jahrhundert findet die von

maier

nach welcher

1818 vertretene Ansicht,

tritt

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Glauben" gerichtet ist und somit der Gruppe

der Meineid gegen

1405; Mttter-

„ T r e u und

der F ä l s c h u n g s v e r g e h e n

an-

gehört, ziemlich allgemeinen Beifall. II. Diese auch heute noch herrschende, Dochow,

Schütze,

Berner,

Meyer

als gänzlich unhaltbar, selbst wenn rechtfertigt wäre. durch,

von

Glaser,

Merkel,

und andern vertretene Auffassung

Schwarze, erscheint

die Aufstellung dieser Gesamtgruppe

D i e Fälschungsvergehen

kennzeichnen

dafs das Vertrauen mifsbraucht w i r d ,

sich

welches w i r

äufserlich

der

geda-

anerkannten,

sinnlich wahrnehmbaren Beglaubigungsform entgegenbringen; dafs weiter jenes Vertrauen mifsbraucht w i r d durch Herstellung einer unechten oder Veränderung einer echten Beglaubigungsform.

Nichts davon findet sich beim Meineid.

F o r m ist echt und unverfälscht; zum Meineid w i r d .

nur am I n h a l t e

liegt

Die

es, wenn der Eid

Daraus f o l g t aber, dafs die sogenannten

Eidesverbrechen

nicht neben Münzfälschung und Urkundenfälschung ihren richtigen Platz finden können, dafs sie also nicht zu den Fälschungsvergehen Dazu tritt

eine

weitre

Erwägung.

Eidesform an sich und w a s ihr gleichgestellt vielmehr nur dann,

wenn

gehören.

D e r Gesetzgeber ist;

schützt nicht

er bestraft den

die

Meineid

er vor dem Richter oder vor einer zur Abnahme

v o n Eiden zuständigen Behörde abgelegt wurde. matische Auffassung der Eidesverbrechen g e g e b e n ;

Damit ist die richtige systesie sind gerichtet

gegen

d i e S t a a t s v e r w a l t u n g überhaupt, g e g e n die R e c h t s p f l e g e insbesondere, soweit diese die feierlich bekräftigte Aussage ihrer Entscheidungen

machen.

Und z w a r

der Staatsbürger zur Grundlage

erscheinen

sie

als

Gefährdung

•) Besonders interessant ist in dieser Beziehung die Langenbecksche Glosse zum H a m b u r g e r Stadtrecht (15. Jahrh.). V g l . v. Liszt Meineid 73.

0)20

§ 180.

Die Eidesverbrechen.

Das geltende Recht.

der Staatsverwaltung in Bezug auf die sachliche Richtigkeit ihrer Entscheidungen oder aber als V e r l e t z u n g der Staatsverwaltung in ihrem Rechte auf wahrheitsgetreue Aussage der ihr Untergebenen. Diese Auffassung führt folgerichtig zu der Anforderung an den Gesetzgeber, auch die u n b e e i d i g t e f a l s c h e A u s s a g e unter Strafe zu stellen, von dieser als dem Regelfalle auszugehen und die eidliche Bekräftigung der falschen Aussage lediglich als erschwerenden Umstand aufzufassen. Damit aber verschwindet die selbständige Gruppe der „Eidesverbrechen" aus dem System uosres besondern Teils. 8 )

§ Das

RStGB.

behandelt.

181. hat

D a s geltende Recht. die

sog.

Eidesverbrechen

erschöpfend

Daraus folgt, dafs die landesgesetzlich vorhandenen

Vorschriften über die Strafbarkeit der falschen n i c h t e i d l i c h e n A u s s a g e aufgehoben sind (oben S . 92). 1. D i e

Arten.

1. D e r e i g e n t l i c h e M e i n e i d ,

vorliegend

wenn jemand

einen ihm z u g e s c h o b e n e n , z u r ü c k g e s c h o b e n e n legten Eid

wissentlich falsch

oder aufer-

s c h w ö r t (StGB. § 153).

Da-

nach ist zum B e g r i f f e des Meineides erforderlich: a) Ein in einem Zivilprozesse oder in einem fahren

abgelegter E i d ,

welcher

er

Wahrheit

gehört.

ist zum

ohne

Anrufung Begriffe

dieser A n r u f u n g bleibt

andern V e r -

Rücksicht auf die Unterart, der

Gottheit

des Eides

ohne Einflufs. 1 )

als Z e u g e n

unerläfslich;

die

zu der

Form

Die Weglassung

der

im Gesetz vorgeschriebenen oder gebräuchlichen Feierlichkeiten oder vielleicht

die Veränderung

fessionellen Beteuerungsformeln

oder Verwechselung der konberührt

demnach die S t r a f b a r -

keit nicht. D e r E i d mufs „zugeschoben,

zurückgeschoben,

oder auf-

s ) Ich halte demnach an dieser schon 1877 im Gegensatz zur herrschenden Ansicht ausgesprochenen Auffassung fest. Sie wird geteilt von Geyer 2 ISS, Hälschner 2 904, John 280, Lenz (Litt, zu § 160) 75, Läuterburg 142, Vötting 131, Merkel 405, Olshausen 9. Abschn. I, Stoofs Grundzüge 2 447. Ob man die falsche Aussage als Vergehen gegen die Rechtspflege oder aber als Vergehen gegen die Verwaltung überhaupt auffassen will, ist sachlich von geringem Belang. Abweichend Meyer 724 („Verletzung des rechtlichen Verkehrs"). *) Der Nichtgebrauch der Worte „Ich schwöre" würde demnach die Annahme eines Meineides nicht hindern ; ebensowenig wie der Wegfall des Satzes: „So wahr mir Gott helfe!" Dagegen Frank 2. Teil, 9. Abschn. I, Hälschner 2 907, Meyer 725, Olshausen § 153 I. Doch kann Versuch vorliegen.

§ i8i.

Die Eidesverbrechen. Das geltende Recht.

621

erlegt" sein. Damit ist die Notwendigkeit anerkannt, dafs der den Eid abnehmenden Behörde die Zuständigkeit zur Abnahme von eidlich bekräftigten Aussagen ü b e r h a u p t zukommt und dafs in Sachen der fraglichen Art ein solcher Eid überhaupt zulässig ist. Zuständigkeit und Zulässigkeit i m g e g e b e n e n F a l l e ist dagegen nicht erforderlich. Daher kann auch der durch Urteil für eidesunfähig Erklärte sich des Meineides schuldig machen. Anders steht die Sache bezüglich des Eidesunmündigen, da diesem nach Ansicht des Gesetzgebers die Einsicht in die Bedeutung des Eides und damit die Fähigkeit, einen strafrechtlich bedeutsamen Eid zu leisten, gänzlich mangelt. 2 ) D a der vergleichsweise zwischen den Parteien v e r e i n b a r t e E i d (Kompromisseid) weder als zugeschobener bez. zurückgeschobener noch als aufgelegter Eid angesehen werden kann, bleibt der bei seiner Ableistung begangene Meineid straflos, auch wenn der Eid von einem Richter abgenommen wurde. 3 ) b) U n w a h r h e i t d e r b e s c h w o r e n e n T h a t s a c h e . Diese besteht beim Glaubenseide in der Überzeugung von der Wahrheit des Beschworenen; der Glaubenseid ist also falsch, wenn der Schwörende diese Uberzeugung nicht hat. Soweit eine Festsetzung des Eidessatzes stattgefunden hat, ist für die Frage, ob Schwur und Wirklichkeit sich decken, lediglich der Wortlaut des Eidessatzes mafsgebend, ohne dafs zwischen dessen wesentlichen oder unwesentlichen Bestandteilen unterschieden werden dürfte. Der Schuldner, der am 12. Januar ein Darlehn von 1000 Mark empfangen hat, begeht keinen Meineid, wenn er schwört, das Geld am 13. Januar nicht erhalten zu haben. c) V o r s a t z , d. h. Bewufstsein des Schwörenden von der Unwahrheit der beschworenen Thatsache; beim Glaubenseide also das Bewufstsein, dafs er die Uberzeugung von der Wahrheit des Beschworenen nicht habe. Unbestimmter Vorsatz genügt auch hier. Eine über den V o r s a t z hinausreichende Schädigungs a b s i c h t ist nicht erforderlich. 2 ) Ebenso die gem. Meinung, insbes. R 18. November 95 28 88. Dagegen Frank 9. Abschn. XV, John 282, Meyer 726, Olshausen § 153 3. 8 ) Ebenso R 8. Oktober 81 5 94 mit der überwiegenden Meinung. Jene Entscheidung wurde Veranlassung zu einem Antrage Sachsens beim Bundesrate (abgedruckt Z 2 401). Vgl. auch die Verhandlungen des XVII. deutschen Juristentages (1884), insbes. die Gutachten von Stockei, Daude und Hagemann.

622

§ 181.

D i e Eidesverbrechen.

Das geltende Recht.

d) Der Meineid ist v o l l e n d e t mit dem Ende des Schwuraktes; v e r s u c h t mit dessen Beginn. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn J a h r e n .

2. Der Zeugenmeineid, vorliegend, w e n n jemand vor einer zur A b n a h m e v o n Eiden zuständigen B e h ö r d e 4 ) w i s s e n t l i c h ein falsches Zeugnis oder Gutachten mit e i n e m Eide bekräftigt oder den vor seiner V e r n e h m u n g g e leisteten Eid w i s s e n t l i c h durch ein falsches Zeugnis oder Gutachten verletzt (StGB. § 154). — Erforderlich ist demnach : a) Ein eidlich bekräftigtes Z e u g n i s oder G u t a c h t e n ; diesem steht die Ubersetzung des Dolmetschers gleich. Beantwortung der General- (oder Personal-) Fragen gehört nach den deutschen Prozefsordnungen zwar zum Zeugnis, nicht aber zum Gutachten. Ob der Eid als Voreid oder Nacheid geleistet worden, ist gleichgültig. b) U n w a h r h e i t d e s Z e u g n i s s e s oder G u t a c h t e n s . Diese kann insbesondere in der pflichtwidrigen Unterdrückung (Verschweigung) wesentlicher Thatsachen gelegen sein, da der Zeuge verpflichtet ist, die volle Wahrheit zu sagen. c) V o r s a t z des Schwörenden (vgl. oben 1 c). d) Die V o l l e n d u n g tritt erst mit dem endgültigen 'Abschlüsse der als Einheit aufzufassenden mündlichen oder schriftlichen Vernehmung ein;5) der strafbare Versuch beginnt mit deren Anfang. Versuch wäre auch anzunehmen, wenn der Thäter die von ihm beschworene, objektiv wahre Thatsache für unwahr hielt. S t r a f e : Zuchthaus bis zu zehn J a h r e n ; wenn die falsche Aussage in einer Strafsache zum Nachteile eines Beschuldigten abgegeben und dieser zum T o d e , zu Zuchthaus oder zu einer andern mehr als fünf J a h r e betragenden Freiheitstrafe verurteilt worden ist, Zuchthaus nicht unter drei J a h r e n . Kausalzusammenhang zwischen der Aussage und der Verurteilung ist nicht erf ö r d e r l i c h ; auch nicht Schuld (weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit) des T h ä t e r s in Bezug auf die Verurteilung. Versuch w ä r e anzunehmen, w e n n die Aussage unvollendet geblieben, dennoch aber die Verurteilung des Angeschuldigten eingetreten ist (oben § 46 Note 8). W a r der Vorsatz auf H e r b e i f ü h r u n g eines Todesurteils des Angeklagten gerichtet und ist dieses auf Grund der A u s s a g e gefällt und vollzogen w o r d e n , so ist Mord oder Totschlag anzunehmen. 4

) Begriff oben § 171 Note 5. ) Nach R 21. April 92 2 3 86 ist die Vernehmung dann abgeschlossen, w e n n auf i h r e r Grundlage weitere prozessualische Mafsnahmen getroffen sind. 6

§ 181.

D i e Eidesverbrechen.

623

D a s g e l t e n d e Recht.

3. D e m Meineid gleichgeachtete Fälle

( S t G B . § 155):

a) Falsche Aussage des Mitgliedes einer Religionsgesellschaft, welcher das Gesetz (auch das Landesrecht) den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides gestattet, unter der Beteuerungsformel seiner G e s e l l s c h a f t ; b) falsche Aussage Sachverständigen

einer Partei, eines

unter Berufung

Zeugen

oder

auf den bereits früher

in derselben (nicht in einer andern mit ihr prozessualisch verbundenen) Angelegenheit geleisteten Eid; c) falsche Aussage als solcher

eines Sachverständigen,

welcher

ein für allemal vereidet ist, unter Berufung

auf diesen von ihm geleisteten Eid; d)

falsche

amtliche

Aussage

eines

Beamten

(oben

S. 606) unter Berufung auf seinen Diensteid. S t r a f e : w i e zu I und 2.

4. Falsche Aussage vor einer zur Abnahme" von V e r sicherungen an Eides Statt zuständigen (oben S. 621) B e hörde unter Versicherung an Eides Statt oder unter B e rufung auf eine solche ( S t G B . § 156).

D i e A b g a b e der V e r -

sicherung mufs an die Behörde, sei es mündlich, sei es auch nur schriftlich, e r f o l g e n ;

dafs sie

in

Gegenwart

der

Behörde

erfolgte, ist nicht erforderlich. Strafe:

G e f ä n g n i s v o n e i n e m Monat bis zu drei Jahren.

5. Der fahrlässige Falscheid i. w. S., das heifst die f a h r lässige

B e g e h u n g einer

lungen ( S t G B . § 163).

der

unter

Notwendig

ausgesagten T h a t s a c h e ;

1 bis 4 genannten

Hand-

ist hier: a) Unwahrheit der

b) Unkenntnis

des A u s s a g e n d e n

von

dieser U n w a h r h e i t ; c) die Unkenntnis mufs durch Fahrlässigkeit verschuldet, Einsicht bei pflichtgemäfser Sorgfalt möglich

ge-

wesen sein. 6 ) Daraus folgt aber, dafs fahrlässiger G l a u b e n s e i d lich unmöglich ist. des S c h w ö r e n d e n

von der Wahrheit der festzustellenden That-

sache: hat er diese Ü b e r z e u g u n g , Wahrheit,

mag

recht-

Denn seinen Inhalt bildet die Ü b e r z e u g u n g

auch

so

die T h a t s a c h e

entspricht

der Eid

unwahr s e i n ; hat er

der sie

6 ) D i e F a h r l ä s s i g k e i t kann auch in der Unkenntnis d e s Thäters liegen, dafs seine Versicherung unter E i d s t e h t ; R 5. D e z e m b e r 90 21 198. Vgl. dazu oben § 42 V .

624

§ l8l.

Die Eidesverbrechen.

D a s geltende Recht.

nicht, so liegt, selbst bei Wahrheit jener Thatsache, w i s s e n t l i c h e r M e i n e i d vor.') Dagegen ist bei dem verstärkten Glaubenseide: „nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung" in Bezug a u f d i e s e n Z u s a t z, also nicht in Bezug auf die „Uberzeugung", fahrlässiger Falscheid möglich; dieser erscheint aber gerade deshalb nicht als G l a u b e n s e i d , sondern als T h a t s a c h e n e i d . S t r a f e : G e f ä n g n i s bis zu e i n e m J a h r e .

6. Während im allgemeinen die erfolglos gebliebene A n stiftung straflos bleibt (oben § 52 Note 5), bedroht § 159 StGB,

die unternommene Verleitung zur falschen Aussage (subornatio testium im römischen und im gemeinen Recht) als selbständiges Vergehen, an welchem mithin strafbare Teilnahme möglich ist, mit Strafe. Über die Begriffe „Verleiten" vgl. oben § 51 Note 4; „Unternehmen" oben § 46 Note 6; 8 ) über die Unmöglichkeit eines Versuches oben § 46 Note 10; und über den Ausschlufs des straffreimachenden Rücktrittes oben § 48 Note 5. Die an B gerichtete Aufforderung, den C zu einer falschen Aussage zu verleiten, ist als mittelbar gegen C unternommene Verleitung zu betrachten und daher nach StGB. § 1 5 9 strafbar, mag B der Aufforderung (erfolglos) entsprechen oder nicht. 9 ) Kommt es auf Grund der unmittelbaren oder mittelbaren Verleitung zu einer falschen Aussage, so liegt A n s t i f t u n g , nicht StGB. § 159 vor. D i e S t r a f e b e t r ä g t : a) W e n n es sich u m Meineid oder um einen gleichgestellten F a l l handelt,

Z u c h t h a u s bis zu f ü n f J a h r e n ;

falsche V e r s i c h e r u n g an E i d e s S t a t t a b g e g e b e n

b) w e n n d a g e g e n

werden

sollte, G e f ä n g n i s

eine bis

zu einem J a h r e .

7. Die Verleitung zur (objektiv) falschen Aussage ') V g l . v. Liszt F a l s c h e Aussage 51. Ü b e r e i n s t i m m e n d R 21. A p r i l 82 6 205, 27. F e b r u a r 85 12 58; d a g e g e n R 7. O k t o b e r 82 7 185, s o w i e Geyer 2 160, Meyer 730, Olshausen § 163 3 ; Frank § 163 I I h ä l t sogar b e i m Überzeugungseid F a h r l ä s s i g k e i t (von d e m F a l l i n N o t e 6 abgesehen) f ü r ausgeschlossen. 6 ) Ü b e r e i n s t i m m e n d h i e r R 4. J u n i 83 8 354, ü b e r h a u p t die g e m . Mein u n g . D a g e g e n insbes. Harburger 358. 9) v. Liszt 186; e b e n s o R 9. N o v e m b e r 80 3 26; Hälschner 2 928, Olshausen § 159 7. D a g e g e n Frank § 159 I I , Geyer Z 2 310, Harburger 358, Meyer 729, Schmitz GS. 4 7 40, w e l c h e A n s t i f t u n g zu § 159 a n n e h m e n und d a h e r s t r a f l o s lassen müssen, w e n n B d e r A u f f o r d e r u n g nicht n a c h k o m m t .

§ l8l.

Die Eidesverbrechen.

Das geltende Recht.

625

( V o r s a t z vorhanden beim Verleitenden, fehlend beim S c h w ö r e n d e n ) ist in der Reichsgesetzgebung, mit D u r c h b r e c h u n g der allgemeinen R e g e l n über mittelbare Thäterschaft (oben § 5 0 N o t e 3), ebenfalls zum selbständigen V e r b r e c h e n g e m a c h t ( S t G B . § 1 6 0 ) und damit eine theoretisch wie praktisch gleich verkehrte Begünstigung d e r Herbeiführung einer falschen A u s s a g e geschaffen w o r d e n . 1 0 ) Da

dies nun

aber

einmal geschehen,

dann zur A n w e n d u n g g e b r a c h t werden, fahrlässig gehandelt

hat.

Dagegen

kranken Selbstthäterschaft.

mufs § 1 6 0 S t G B , auch w e n n der

Schwörende

ist Verleitung

des Geistes-

D e r B e g r i f f des Verleitens erfordert

auch hier B e s t i m m u n g

zur Eidesleistung.

daher

wenn A

keine A n w e n d u n g ,

Entschlossenen B

§ 160

findet

in d e m zur A u s s a g e bereits

durch T ä u s c h u n g einen Irrtum über die aus-

zusagende T h a t s a c h e erregt. S t r a f e : a) bei Verleitung zum Falscheid Gefängnis bis zu zwei Jahren, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann; b) bei Verleitung zur falschen Versicherung an Eides Statt Gefängnis bis zu sechs Monaten. — Der V e r s u c h ist strafbar. Die V o l l e n d u n g tritt erst mit der erfolgten Eidesleistung ein. T e i l n a h m e ist als Anstiftung wie als Beihilfe möglich und strafbar. II. S t r a f e r m ä f s i g u n g , S t r a f a u f h e b u n g , N e b e n s t r a f e n . I. Bei vorsätzlicher falscher Aussage des Zeugen oder Sachverständigen ist wegen der moralischen Zwangslage des Schwörenden die an sich verwirkte und daher im Urteil auszuwerfende 11 ) Strafe auf die Hälfte bis ein Vierteil zu ermäfsigen (StGB. § 157), wobei Zuchthaus unter einem Jahre in Gefängnis umgewandelt werden mufs (oben § 71 I I 1), wenn a) die Angabe der Wahrheit gegen den Aussagenden eine Verfolgung wegen eines Verbrechens oder Vergehens (nicht aber wegen einer Übertretung) nach sich ziehen konnte; 1 2 ) oder b) der Aussagende die falsche Aussage zu gunsten einer Person, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durfte, erstattet hat, ohne über sein Recht, die Aussage ablehnen zu dürfen, belehrt worden zu sein. '") Vgl. v. Liszt 188. Übereinstimmend Hälschner 2 930, Janka 270, Kohler Studien 1 128, Merkel 407, Meyer 729; insbes. aber v. Helldorff. Dagegen Borckert (Litt, zu § 49) 106, Frank § 160 I, Göbel 16, Schnitze Die Verleitung zum falschen Eide 1870, Voigt GA. 28 222. 11 ) Ebenso Dochow H H . 3 246, Olshausen § 157 2 ; dagegen R 28. Juli 84 11 42. 12 ) Irrige Annahme des Schwörenden, dafs die Gefahr einer solchen Verfolgung vorliege, bleibt einflufslos; vgl. v. Liszt 244, dagegen Frank § 157 I, Meyer 727 Note 26, Olshausen § 157 9. Die Ermässigung kommt hier (wie im Falle des § 157 Ziff. 2) nur dem Schwörenden selbst, nicht aber den Teilnehmern zu gute; so R 29. Juli 91 22 106, dagegen Frank § 157 I. v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.



626

§ i8l.

Die Eides verbrechet).

D a s geltende Recht.

2. Die gleiche Strafermäfsigung tritt ein (StGB. § 158), wenn derjenige, der sich eines Meineides oder einer falschen Versicherung an Eides Statt (in eigener oder fremder Sache) schuldig gemacht hat, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein R e c h t s nachteil 1 3 ) für einen andern aus der falschen Aussage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat (unmittelbar oder durch Mittelspersonen), widerruft. 1 4 ) 3 . Bei der fahrlässigen falschen Aussage (StGB. §§ 153 bis 156) ist dem rechtzeitigen Widerruf unter den zu 2 angegebenen Voraussetzungen die W i r k u n g eines S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d e s beigelegt (StGB. § 163 Abs. 2). 4. Bei jeder Verurteilung wegen Meineids (StGB. § § 1 5 3 bis 156, nicht aber 159 bis 160) ist, soweit nicht Strafmilderung nach StGB. § 157 oder 158 eintritt, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (notwendig) und aufserdem auf die dauernde Unfähigkeit des Verurteilten als Zeuge, oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, zu erkennen (StGB. § 1 6 1 Abs. 1). Die letztere Nebenstrafe findet auch bei Anstiftung zum Meineid, nicht aber (wegen StGB. § 45) bei Versuch und Beihülfe Anwendung. 1 6 ) I n den Fällen der §§ 156 bis 159 StGB, kann neben Gefängnis auf Ehrverlust erkannt werden (StGB. § 1 6 1 Abs. 2), vorausgesetzt (StGB. § 32), dafs die erkannte Gefängnisstrafe drei Monate erreicht.

III. Strafbare Handlungen gegen die Rechtspflege. § 182.

I. Die falsche Anschuldigung.

L i t t e r a t u r . Kostlin Abhandlungen 39. v. Buri Abhandlungen 1862 S. 24. — RasJ>e Das Verbrechen der calumnia nach röm. Recht 1872. Dochow H H . 3 253. Jahn Z 1 277. Herzog GS. 37 8 1 . Hefs Die L e h r e von der falschen Anschuldigung. Tübinger Diss. 1888. Hähchner 2 895. Teichtnann Zeitschrift für schweizerisches Recht N. F. 9 346. Günther (an verschiedenen Stellen; insbes. 3 414). Wegele Zur Geschichte der falschen Anschuldigung 1892. Eichmann (Litt, zu § 95). Feldner Die falsche Anschuldigung. Göttinger Diss. 1896. I. Die s y s t e m a t i s c h e S t e l l u n g der falschen Anschuldigung bietet besondere Schwierigkeiten. Je nachdem von den mehreren Rechtsgütern, gegen 1S ) Vgl. oben § 161 Note 9. Rechtsnachteil ist bereits das verurteilende Erkenntnis erster Instanz. 14 ) W e n n mehrere Fälle des § 157 oder w e n n sowohl § 157 als auch § 158 in Bezug auf dieselbe falsche Aussage gegeben sind, tritt dennoch nur einmalige Ermäfsigung der verwirkten Strafe e i n ; R 12. Oktober 83 9 74. — Bei mehreren Meineiden wird die Gesamtstrafe aus den ermäfsigten EinzelStrafen gebildet. 15 ) Ebenso R 12. November 85 13 76, Frank § 1 6 1 II, Olshausen §161 I. Dagegen Dochow H H . 3 249, Meyer 728, Schütze 3 1 6 Note 23. — Über die Ehrenstrafen beim Meineid überhaupt vgl. Günther 3 515.

§ 182.

I. Die falsche Anschuldigung.

627

welche sie sich wendet, das eine oder das andre durch die wechselnde Gestaltung des Strafverfahrens in den Vordergrund gestellt wird, ändert die falsche Anschuldigung ihre Eigenart; sie erscheint bald als Irreführung der Rechtspflege, bald als schwere Verleumdung, bald als ernste Gefahrdung der Rechtssicherheit des einzelnen. Nach dem RStGB., welches im 10. Abschnitte des II. Teils die falsche Anschuldigung zwischen die Eidesvergehen und die Religionsvergehen gestellt hat und die Anzeige bei einer Behörde als wesentlich erachtet, mufs der erstgenannte Gesichtspunkt: die Richtung gegen die Rechtspflege als ausschlaggebend betrachtet werden, wenn auch die Bestimmungen in § 165 auf die Verwandtschaft mit der Verleumdung hinweisen. 1 ) Eine wichtige Folgerung aus dieser Auffassung ist die Einflufslosigkeit der von den Beschuldigten gegebenen Einwilligung. II. Nach dem r ö m i s c h e n Recht gehört die (durch eine Lex Remmia aus dem Jahre 693 der Stadt, später durch das SCtum Xurpillianum vom J. 61 v. Chr. bedrohte) falsche Anschuldigung -zu den drei Vergehen der Ankläger. Diese sind nach 1. I § I D. 48, 16: i . C a l u m n i a (falsa crimina intendere); 2. p r a e v a r i c a t i o (vera crimina abscondere); 3. t e r g i v e r s a t i o (omnino ab accusatione desistere). Die Strafe ist seit der Kaiserzeit die Talion, verbunden mit der Infamie. Aufserdem bedroht die 1. Cornelia de sicariis die böswillige Herbeiführung einer Verurteilung im Kapitalprozesse. Die Quellen des d e u t s c h e n M i t t e l a l t e r s erwähnen die falsche Anschuldigung verhältnismäfsig oft, freilich ohne sie scharf genug von der Verleumdung einerseits, von der Nichtdurchführung der erhobenen Anklage anderseits zu sondern, und bedrohen sie vielfach (so die Volksrechte wie die Rechtsbücher) mit der Strafe der Talion. Die PGO. behandelt in Art. 110 nur die Schmähschrift (oben S. 351). Aber die g e m e i n r e c h t l i c h e P r a x i s dehnt im Zusammenhange mit der Ausbreitung und Durchbildung des Inquisitionsprozesses die Strafbestimmungen dieses Artikels auch auf die falsche Anzeige oder Denunziation bei einer Behörde aus, wobei die (noch A L R . 1431 sich findende) Talion regelmäfsig durch eine willkürliche Strafe ersetzt wird. Erst seit dem A L R . wird die falsche Anschuldigung, insbes. gegenüber der Verleumdung, zum selbständigen Vergehen entwickelt, dessen richtige systematische Stellung in der Wissenschaft aber nach wie vor bestritten bleibt.

III. Nach dem RStGB. (§ digung vor, wenn jemand bei Note 5) eine Anzeige macht, dern wider besseres Wissen

164) liegt falsche Anschuleiner Behörde (oben § 171 durch welche er einen ander Begehung einer straf-

r ) Ebenso Berner 439, Binding 1 559, Dochow HH. 3 255, Eichmann 57, Hälschner 2 897, He/s 8, Merkel 408, Olshausen 10. Abschn. I, Teichmann 353, v. Viachter 500; insbes. aber R 23. Dezember 92 23 371. Dagegen Kefsler GS. 38 575, Löning 108, Meyer 620 (nach ihm ist die Verleumdung gegen ein besonderes Rechtsgut des einzelnen gerichtet). Nach Frank § 164 I verletzt sie den Beschuldigten u n d den Staat.

40*

628

§ 182.

I. Die falsche Anschuldigung.

baren Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht beschuldigt. Die falsche Anschuldigung setzt, wie aus dem Worte „Anzeige" hervorgeht, unzweifelhaft eine auf der e i g n e n E n t s c h l i e f s u n g des Anzeigenden beruhende Thätigkeit desselben („Freiwilligkeit der Anzeige") voraus; die bei Gelegenheit der Vernehmung als Zeuge oder Beschuldigter gemachte Aussage gehört demnach nicht hierher, wohl aber die Überreichung einer Privatklage. Nur die Anzeige selbst, nicht die künstliche Bereitung von Verdachtsgründen oder die Unterdrückung von Entlastungsbeweisen, fällt unter das Gesetz. Die Anschuldigung mufs gegen eine b e s t i m m t e P e r s o n gerichtet sein; Beschuldigung eines erdichteten Thäters bleibt ebenso straflos wie eine falsche Selbstanzeige. Die Anschuldigung mufs ferner in Bezug auf eine b e s t i m m t e e i n z e l n e T h a t erfolgen; allgemeine Verdächtigungen genügen nicht. Die angeschuldigte s t r a f b a r e That mufs alle Merkmale einer solchen an sich tragen. Mangelt es nach Inhalt der Anzeige an der erforderlichen Rechstswidrigkeit der That, an der Zurechnungsfahigkeit oder der Schuld des Thäters oder an einer Bedingung der Strafbarkeit, wird z. B. jemand beschuldigt, in Notwehr oder Volltrunkenheit einen andern getötet zu haben, so kann § 164 nicht zur Anwendung gebracht werden. Wohl aber kann in diesen Fällen Beleidigung vorliegen. Das gleiche mufs aber auch dann angenommen ;werden, wenn der staatliche Strafanspruch infolge des Eintrittes eines Strafauthebunggrundes (Verjährung, Begnadigung usw.) untergegangen ist, wenn ein persönlicher Strafausschliefsungsgrund vorliegt (Diebstahl zwischen Ehegatten) oder wenn eine Prozefsvoraussetzung endgültig mangelt; stets vorausgesetzt, dafs sich dies aus dem Inhalte der Anzeige ergibt: denn in all diesen Fällen ist die strafgerichtliche Verfolgung ausgeschlossen.2) Die Anschuldigung mufs o b j e k t i v u n w a h r sein, d. h. in Widerspruch zu den Thatsachen stehen. Auch eine Entstellung oder Unterdrückung von Thatsachen begründet, wenn sie die a ) Ebenso im wesentlichen Olshausen § 164 9, insbesondere 27. September 90 21 101, 23. Dezember 92 23 371.

aber

R

§ i82.

I. Die falsche Anschuldigung.

629

Bedeutung der That wesentlich ändert,3) die Unwahrheit der Anschuldigung. Die Anschuldigung mufs ferner s u b j e k t i v f a l s c h sein, d. h. wider besseres Wissen des Anzeigenden in Widerspruch zu den Thatsachen stehen. Der Thäter mufs v o r s ä t z l i c h , d. h. mit dem Bewufstsein handeln, dafs seine Anzeige eine strafgerichtliche Untersuchung oder die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zur Folge haben werde. Unbestimmter (eventueller) Vorsatz genügt hier wie überall.4) Eine über den Vorsatz hinausreichende Absicht ist nicht erforderlich; die Strafbarkeit der That wird demnach dadurch nicht ausgeschlossen, dafs der Endzweck des Thäters in der Abwendung des gegen ihn vorliegenden Verdachtes oder in der Beseitigung eines gegen ihn ergangenen Strafurteils bestand. Wenn die Anzeige in gutem Glauben erfolgte, später aber der Anzeigende sich von ihrer Unwahrheit überzeugt (mala fides superveniens), so kann, da die V o l l e n d u n g des Vergehens bereits mit der Überreichung der Anzeige bei einer Behörde eingetreten war, Verurteilung aus § 164 StGB, nicht mehr erfolgen, wohl aber das spätere Verhalten des Anzeigenden unter einem andern Gesichtspunkte, z. B. als falsches Zeugnis, strafbar sein.5) S t r a f e : Gefängnis nicht unter einem Monate; daneben nach Ermessen Ehrverlust. Als Privatgenugthuung, nicht als Nebenstrafe (oben § 58 Note 3), ist im Falle der Verurteilung des Anzeigers (StGB. § 165): I. dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, das Schuldurteil auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen (die Art der Bekanntmachung, sowie die Frist dazu ist in dem Urteile zu bestimmen); 2. dem Verletzten auf Kosten des Schuldigen eine Ausfertigung des Urteils zu erteilen. Solange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Verfahren anhängig ist, soll mit dem Verfahren und mit der Entscheidung über die falsche Anschuldigung innegehalten werden (§ 164 2. Abs. StGB.).

§

183.

2. B e g ü n s t i g u n g und Hehlerei.

L i t t e r a t u r . Vgl. die oben zu § § 49 (insbes. Heimherger) und 147 angeführten Schriften. Ferner: Villnow (Litt, zu § 130). Geyer HH. 2 417, Bedenklich R 9. März 96 2 8 253, 3o. Mai 96 2 8 391. V g l . oben § 39 Note 6, § 96 Note 8. Übereinstimmend Meyer 622. Dagegen die gem. Meinung, insbes. Frank § 164 III, Olshausen § 164 7. 5 ) Fällt die Handlung zugleich unter StGB. § § 185 bis 187, so findet § 73 Anwendung. So auch R wiederholt, zuletzt 29. Juni 96 29 54. 3)

4)

630

§ 183.

2. Begünstigung und Hehlerei.

4 170. Hälschner 2 859. Just Z 15 855. — Stenglein Z 4 497. Köhler Studien 1 154, 3 260. Nieland Über Zusammentreffen von Begünstigung mit Teilnahme. Göttinger Diss. 1892. Sü/sheim Die Begünstigung. Erlanger Diss. 1898. Brunner 2 575. L'oning Z 5 549. Günther 1 236. I. Die Begünstigung hat sich erst allmählich aus dem Begriff der Teilnahme losgelöst (oben § 49 III 2). Während das s p ä t r ö m i s c h e Recht das crimen receptatorum zum selbständigen extra ordinem zu bestrafenden Verbrechen entwickelt hatte, geht das m i t t e l a l t e r l i c h d e u t s c h e Recht von den Volksrechten bis zum 16. Jahrhundert von der Anschauung aus, dafs das Hausen und Hofen flüchtiger Verbrecher, insbesondere des Verfesteten, als Teilnahme an dem Verbrechen des Hauptthäters aufzufassen und mit der Strafe des Thäters zu belegen sei. Auch die PGO. und das ihr folgende g e m e i n e R e c h t steht im allgemeinen auf dem gleichen Standpunkte, obwohl vielfach, so von Carpzov, Krefs, Böhmer u. a,, welchen Preufsen 1620 (dagegen Heimberger 261) und Österreich 1768 folgen, die Begünstigung (der „Fürschub") als selbständiges Vergehen aufgefafst wurde. Auch die n e u e r e W i s s e n s c h a f t betrachtete zumeist im Anschlüsse an Feutrbach die Begünstigung als Teilnahme an der That nach der That (dagegen Sander 1838)^ und erst die G e s e t z g e b u n g u n s r e r T a g e gab der Begünstigung ihre selbständige Stellung zurück, ohne freilich bei der Wissenschaft damit allgemeinen Beifall zu finden. Und doch ist diese auch von dem RStGB. im Gegensatz zum preufs. StGB, vertretene Auffassung der Begünstigung die einzige, welche dem innersten Wesen dieses Verbrechens entspricht. II. Die Begünstigung erscheint nämlich in ihren beiden Formen, sowohl als p e r s ö n l i c h e (Sicherung des Schuldigen vor der Bestrafung) wie als s a c h l i c h e (Sicherung der von dem Schuldigen aus der That erlangten Vorteile), als eine Hemmung der staatlichen Rechtspflege; 1 ) sie hindert, mag sie als persönliche Begünstigung der strafenden Gerechtigkeit in den Arm fallen, mag sie als sachliche die zivilrechtliche Ausgleichung unmöglich zu machen trachten, den Eintritt der Rechtsfolgen, welche der Staat an die Begehung des Verbrechens oder Vergehens geknüpft hat. Dadurch bestimmt sich ihre Stellung im Systeme des besondern Teils; die Begünstigung ist nicht Teilnahme an dem begangenen Verbrechen, weil sie nicht Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge ist; sie hat auch mit der S a c h h e h l e r e i , die reines Vermögensvergehen ist. grundsätzlich nichts gemein. In unserm geltenden Recht ist sie freilich mit dieser durch den verunglückten Mittelbegriff der Personenhehlerei (StGB. § 258) in Verbindung gebracht.

III. Nach dem R S t G B . (§ 137) liegt Begünstigung vor, *) Heute herrschende Ansicht (begründet durch v. Buri 1860). Sehr bestimmt R 13. Februar 90 20 233 („Eingriff in die staatliche Rechtspflege").— Meyer betrachtet (auch in der 5. Auflage) die Begünstigung als nachfolgende Teilnahme. — Binding, Gretener, Olshausen, Sü/sheim wollen sachliche und persönliche Begünstigung ganz voneinander trennen und die erstere den Vermögensverbreehen zuweisen. — Häischner fafst auch die Sachhehlerei (oben § 147) als Vergehen gegen die Rechtspflege auf.

§ I&3-

2

- Begünstigung und Hehlerei.

631

wenn jemand nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens dem Thäter oder Teilnehmer wissentlich Beistand leistet, um ihn der Bestrafung zu entziehen oder um ihm die Vorteile aus seiner Strafthat zu sichern. 2 ) 1. A l l g e m e i n e s . a. Die Begünstigung setzt demnach zunächst das V o r liegen eines, sei es bürgerlichen, sei es militärischen, V e r brechens oder Vergehens voraus. Insoweit hat sie also accessorischen Charakter. Begünstigung einer Übertretung kann von der Landesgesetzgebung nur auf dem ihr überlassenen Gebiete mit Strafe bedroht werden; reichsrechtlich wird sie ausnahmsweise gestraft nach § 22 des Branntweinsteuergesetzes vom 24. Juni 1887. Von dem Vorliegen eines Verbrechens oder Vergehens kann aber nur dann gesprochen werden, wenn alle Begriffsmerkmale einer strafbaren Handlung gegeben sind. Zwischen der persönlichen und der sachlichen Begünstigung darf auch in dieser Beziehung ein Unterschied nicht gemacht werden. Ebendarum liegt Begünstigung auch dann vor, wenn die begünstigte Handlung Antragsvergehen ist und der Strafantrag nicht gestellt wurde. (Vgl. oben S. 512.) Da sich die Begünstigung von der Teilnahme gerade dadurch unterscheidet, dafs sie n i c h t Setzen einer Bedingung zu dem Erfolge ist, so mufs, damit Begünstigung angenommen werden kann, die Handlung des Begünstigten als eine für diesen abgeschlossene vorliegen, mag sie auch auf der Stufe des unvollendeten Verbrechens stehen geblieben sein. Der Begünstiger mufs v o r s ä t z l i c h gehandelt, d. h. insbesondere gewufst haben, dafs der von ihm Begünstigte ein Verbrechen oder Vergehen im Sinne des Gesetzes begangen habe. Irrige Annahme des Begünstigers, dafs es sich nur um eine Übertretung handle, schliefst mithin die Strafbarkeit aus; 8 ) irrige Annahme, dafs ein Verbrechen vorliegt, begründet untauglichen Versuch. Zu dem Vorsatz mufs die unten 2 und 3 näher bezeichnete A b s i c h t hinzutreten. 2

) Vgl. auch Vereinszollges. vom I. Juli 1869 § 149. ) Begünstigung eines gemeinen Diebstahls kann nach dem Forstpolizeigesetz strafbar sein, wenn der Begünstiger den Umstand nicht gekannt hat, der die Entwendung für den Thäter zu einem Diebstahl gemacht hat. R 21. Oktober 98 31 285. 8

632

§ 183.

2. Begünstigung und HeMerei.

b) Die Handlung erscheint als eine (in doppelt bestimmter Absicht vorgenommene) Beistandsleistung. Zur Vollendung ist mithin erforderlich, dafs thatsächlich die Lage des Schuldigen günstiger gestaltet wird (vgl. oben § 5 1 Note 6), mag auch die Absicht nicht erreicht sein. Kenntnis des Begünstigten von dem ihm geleisteten Beistand ist nicht erforderlich (vgl. oben § 51 II 3). Je nach dem verfolgten Zweck teilt sich die Begünstigung in die persönliche und die sachliche. 2. Persönliche Begünstigung liegt vor, wenn der Begünstiger die Absicht (gleich Beweggrund) hatte, den Schuldigen der Bestrafung, d. h. der Verurteilung oder dem Strafvollzuge (mag dieser auch bereits begonnen haben), zu entziehen. Als Begünstigungshandlungen seien beispielsweise erwähnt: Verbergen des Thäters; Verhinderung der Anzeige; 4 ) Verwischung der Spuren der That oder Beeinflussung von Zeugen; 6 ) Irreführung der Behörden; Aufsichnehmen der Schuld; falsche Angaben in einem Zeugnisse oder Gnadengesuch;6) Beförderung der Flucht; Befreiung des Verhafteten; Verbüfsung der Freiheitstrafe oder Zahlung der Geldstrafe unter dem Namen des Verurteilten usw. Dagegen liegt Begünstigung nicht vor, wenn der Betrag der Geldstrafe in das Vermögen des Verurteilten gebracht wird, mag dies v o r der Zahlung durch diesen (Schenkung) oder n a c h der Zahlung (Erstattung) geschehen.') Die S e l b s t b e g ü n s t i g u n g bleibt straflos. Ebenso Teil4 ) Dafs Nichtanzeige (daher auch Bestimmung dazu) trotz Anzeigepflicht nach geltendem Recht nicht Begünstigung ist, ergibt sich aus StGB. § 139. 6 ) Erfolglose Bemühung, Zeugen zu gunsten des Beschuldigten zu bestimmen, begründet nur Versuch der Begünstigung. Ebenso Frank Z 1 2 3 1 9 , Meyer 2 5 6 ; dagegen Olshausen 257 IO mit R 13. Februar 90 20 2 3 3 und 28. Januar 91 21 375. e ) Ebenso Frank § 257 V, Just 860, Meyer 256. Dagegen Olshausen § 257 19 mit der gem. Meinung. ") Herrschende Ansicht. Insbesondere Frank § 257 V , Friedmann Z 18 8 2 1 , Olshausen § 257 2 1 , Süjsheim 72. V g l . Reinhardt (Litt, zu § 63) 59. von der Decken Z 1 2 97. Raff Ist Zahlung einer Geldstrafe für einen andern Begünstigung f Erlanger Diss. 1892. Meiners Ist die Zahlung einer Geldstrafe für den Verurteilten als Begünstigung strafbar? Erlanger Diss. 1895. Gegen die herrschende Ansicht Lammasch Deutsche Juristenzeitung vom 15. November 1897 (Begünstigung liege vor, wenn derThäter von der Empfindung des Strafübels befreit werde; dagegen v. Lilienthal Deutsche Juristenzeitung vom 15. Dezember 1897 und Friedmann) sowie Stoo/s Schweizer Zeitschrift 11 364 (mafsgebend sei allein der Zweck des Handelnden). Vgl. auch oben § 63 Note 2.

§ 183.

2. Begünstigung und Hehlerei.

633

nähme (Anstiftung oder Beihilfe) des Begünstigten selbst an der ihm von einem Dritten gewährten Begünstigung (oben § 52 V). 8 ) Dagegen fällt die Begünstigung eines Teilnehmers oder Mitthäters durch den andern unter das Gesetz. 9 ) 3. Sachliche Begünstigung liegt vor, wenn der Begünstiger die Absicht hatte, dem Schuldigen die Vorteile seines Verbrechens oder Vergehens zu sichern. D a es sich hier um die Vereitelung der zivilrechtlichen Ausgleichung handelt, also um die Sicherung der rechtswidrigen Vermögenslage, ist einerseits unter „Vorteil" im Sinne des Gesetzes nur ein Vermögensvorteil 1 0 ) zu verstehen, anderseits auch dieser nicht genügend, wenn er die Ausgleichung nicht hemmt (Ausbessern der unterschlagenen Uhr, Heilung des gestohlenen Pferdes). 4. Da die Begünstigung als selbständiges Verbrechen von, unsrer Gesetzgebung aufgefafst und behandelt wird, hätte es an und für sich einer besondern Anordnung bedurft, um sie zum Antragsvergehen zu stempeln. Dennoch mufs, im Hinblick auf die Bestimmungen in §§ 63 und 247 Abs. 3 StGB., von welchen besonders die erstere schwer ins Gewicht fällt, an dem Satze festgehalten werden: Wenn die Hauptthat Antragsvergehen ist, so kann auch die Begünstigung nur auf Antrag verfolgt werden. 1 1 ) Der Gesetzgeber hat sich damit eben einer Folgewidrigkeit gegenüber seiner grundsätzlichen Auffassung der Begünstigung schuldig gemacht, zu deren Beseitigung die Auslegung weder berufen, noch auch berechtigt ist. 5. Dieselbe Folgewidrigkeit kehrt übrigens auch noch in den S t r a f b e s t i m m u n g e n wieder. Nach diesen beträgt die S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn der Thäter den Beistand seines Vorteils (nicht blofs Vermögensvorteils) wegen leistet, Gefängnis; d o c h d a r f d i e S t r a f e , der Art und dem Mafse s) Übereinstimmend die überwiegende Ansicht; insbesondere Binding 1 361, Frank § 257 IV, Geyer Z 2 318, Hälschner 2 882, Kohler Studien 1 119, v. Kries Z 7 523, 538, Meyer 25g, Schütze 161, Süjsheim 90. Dagegen, wie schon früher OT., jetzt R 7. April 81 4 60, 11. Juni 83 8 366, sowie Olshausen § 257 27. 9 ) So die herrschende Ansicht, besonders Nieland. Dagegen Frank § 257 IV. 10) Dagegen Frank § 256 VI (auch der durch die Fälschung erschlichene Adel). n ) Übereinstimmend die gemeine Meinung. Dagegen insbes. Olshausen § 257 5 1 .

634

§ 183.

nach, k e i n e s c h w e r e r e angedrohte.

2. Begünstigung und Hehlerei. sein,

als

die auf

die Handlung

selbst

Die Begünstigung bleibt straflos (persönlicher Strafausschliefsungsgrund), wenn sie dem Thäter oder Teilnehmer von einem Angehörigen unmittelbar oder mittelbar gewährt worden ist, um ihn der Bestrafung zu entziehen (StGB. § 257 Abs. 2). Die Begünstigung ist als Beihilfe (Herabsetzung des Strafrahmens!) zu bestrafen, wenn sie vor Begehung der That zugesagt worden ist. Damit ist die Anwendung der sonst anzuwendenden Grundsätze über Ideal- oder Realkonkurrenz ausgeschlossen; bei Bemessung der Strafe ist n i c h t Beihülfe u n d Begünstigung, sondern n u r Beihülfe, diese aber auch dann anzunehmen, wenn die Zusage ohne jeden Einflufs auf den Entschlufs geblieben ist. Ist durch die Zusage der Entschlufs zur That hervorgerufen worden, liegt in ihr also eine Anstiftung, so ist nur wegen d i e s e r (nicht aber wegen Begünstigung) zu bestrafen. 18 ) In beiden Fällen kann daher Begünstigung des Diebstahls später als Vordelikt für Rückfallsdiebstahl in Betracht kommen. Diese Bestimmung findet auch auf Angehörige Anwendung (StGB. § 257 Abs. 3). Sie ist ausgeschlossen, wenn StGB. § 258 vorliegt.

IV. Schwere Begünstigung, im Gesetze (StGB. § 258) unpassend „Hehlerei" genannt, wohl auch als „Personenhehlerei" von der S a c h h e h l e r e i (Partiererei) unterschieden, liegt vor bei (persönlicher oder sachlicher) Begünstigung um des eignen Vorteils willen, wenn mit Bezug auf gewisse Eigentumsverbrechen (Diebstahl, Unterschlagung, Raub, räuberischen Diebstahl, räuberische Erpressung) begangen. S t r a f e : I. Wenn der Begünstigte einen einfachen Diebstahl oder eine Unterschlagung begangen hat, Gefängnis; 2. wenn er einen schweren Diebstahl, einen Raub oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Verbrechen begangen hat, Zuchthaus bis zu fünf Jahren. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis nicht unter drei Monaten ein. Die Hehlerei bleibt strafbar, auch wenn der Hehler ein Angehöriger des Begünstigten ist. — Der Vorsatz des Thäters schliefst das Bewufstsein in sich, dafs eines der genannten Eigentumsverbrechen vorliegt. Versuch ist nur in dem unter 2 bezeichneten Falle strafbar; er ist (oben § 46 Note 8) möglich, sobald die Bedingung der Strafbarkeit erfüllt ist, während die Handlung des Begünstigers unvollendet oder erfolglos geblieben ist. In Bezug auf die gewerbs- oder gewohnheitsmäfsige Hehlerei (StGB. § 260), die Hehlerei im zweiten Rückfalle (StGB. § 261), die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und die Stellung unter Polizeiaufsicht sind die für die Sachhehlerei im Gesetz gegebenen Vorschriften (oben § 147) auch auf die Personenhehlerei anzuwenden. 18 ) i a ) Ebenso R IO. Januar 87 15 295, 3. November 87 16 374. Vgl. insbes. Nieland. l s i Über die Begünstigung von Spionen vgl. oben § 166 Note 7.

§ 184-

§ 184.

3- Die übrigen Vergehen gegen die Rechtspflege.

3. Die übrigen Vergehen gegen die Rechtspflege.

L i t t e r a t u r . Zu I : Hälschner 2 932. — Zu I I : v. Liszt Prefsrecht § 46 IV, Hälschner 2 854, sowie die Litt, zu § 43. — Zu I I I : Hälschner 2 852. — — Zu I V : Hälschner 2 855. Hefs D i e Anzeigepflicht im Strafrecht 1892. Heimberger (Litt, zu § 49) 91. Plagge Unterlassene Verhinderung von Verbrechen (§ 139 StGB.) strafrechtlich und zivilrechtlich betrachtet. Göttinger Diss. 1896.

I. Eidesbruch ist das vorsätzliche Zuwiderhandeln gegen eine durch eidliches Angelöbnis vor Gericht bestellte Sicherheit o d e r gegen das in einem Offenbarungseide gegebene Versprechen (StGB. § 162), soweit ein solches landesrechtlich (nach ZPO. und K O . ist der Offenbarungseid nur assertorisch, nicht promissorisch zu leisten) überhaupt noch möglich ist. Enthält der Offenbarungseid zwei Bestandteile, einen assertorischen und einen promissorischen, so ist die Verletzung beider nur durch mehrere selbständige Handlungen möglich. Die Bestrafung tritt nur bei vorsätzlicher Begehung ein. In andere als den in § 162 StGB, angeführten Fällen, z. B. bei Verletzung des Amtseides, findet eine selbständige Bestrafung des Eidesbruches überhaupt nicht statt. S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren.

II. Die mittels der Presse erfolgende Veröffentlichung der Anklageschrift oder andrer amtlicher Schriftstücke eines Strafprozesses, 1 ) bevor diese in öffentlicher Sitzung kundgegeben worden sind oder das Verfahren sein Ende erreicht hat (Prefsgesetz § 17). S t r a f e : Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder H a f t oder Gefängnis bis zu sechs Monaten (Prefsgesetz § 18 Ziff. 1).

III. Verletzung der Dingpflicht (der Pflicht, Recht zu sprechen und des Rechtes zu helfen) durch Vorschützen unwahrer Thatsachen 2 ) als Entschuldigung von Seiten desjenigen, der als Zeuge, Geschworner oder Schöffe berufen oder als Sachverständiger zum Erscheinen gesetzlich, verpflichtet ist (StGB. § 138).

28

Hierher gehört auch die polizeiliche Strafverfügung. 141.

R 28. Januar 96

) Auch wenn sie nach dem Termin angeführt werden, um die Aufhebung der Verurteilung zu bewirken. R 19. Januar 97 2 9 316. 2

636

§ 184. 3- Die übrigen Vergehen gegen die Rechtspflege.

S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Monaten. D i e auf das Nichterscheinen gesetzten Ordnungsstrafen werden durch diese Strafbestimmung nicht ausgeschlossen. Dasselbe gilt von der Verweigerung der Aussage oder ihrer eidlichen Bekräftigung (§ 138 Abs. 3). Vgl. auch oben § 58 IU 1.

IV. Unterlassung der rechtzeitigen Anzeige von dem Vorhaben gewisser Verbrechen 3) bei der Behörde oder bei der durch das Verbrechen bedrohten Person (StGB. § 139). Die v o m Gesetze genannten Verbrechen sind Hochverrat (StGB. §§ 80 bis 82, nicht 83 bis 86), Landesverrat, Münzverbrechen (nicht Münzvergehen), Mord (nur § 211), Raub (nur §§ 249 bis 251), Menschenraub (nur § 234), gemeingefährliche Verbrechen (nicht Vergehen). 4 ) Dazu treten § 13 des Sprengstofifgesetzes von 1884 (oben S. 531), sowie nach § 9 des Gesetzes von 1893 betr. den Verrat militärischer Geheimnisse die in den §§ 1 und 3 dieses Gesetzes genannten Verbrechen (oben S. 575). Die geplante Handlung mufs objektiv wie subjektiv als Verbrechen erscheinen; dem Vorhaben eines Geisteskranken gegenüber entfällt die Anzeigepflicht. Die Nichtanzeige ist aber nur unter der doppelten Voraussetzung strafbar: a) Dafs der Unterlassende von dem Vorhaben zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhielt; und b) dafs das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist. Die Voraussetzung unter b) erscheint als Bedingung der Strafbarkeit (oben § 44 III). Ob die Kenntnis eine glaubhafte war, ist nicht objektiv, sondern subjektiv, d. h. vom Standpunkte des Unterlassenden aus, zu beurteilen. 6 ) Die Anzeigepflicht dauert fort, auch wenn die Ausführung des Verbrechens bereits begonnen, aber noch nicht vollendet war. Bei Dauerverbrechen (oben S. 238) endet die Verpflichtung zur Anzeige nicht mit der juristischen Vollendung des Verbrechens, 3 ) Nach römischem Rechte nur bei parricidium und Münzfälschung (1. 2 D . 48, 9 ; 9 § I D . 48, 10), nach den Reichsgesetzen des 16. Jahrhunderts bei Gotteslästerung und Münzfälschung, nach (Bayern 1751, usterreich 1768) bei allen schweren Verbrechen gestraft. — Vgl. Mil.StGB. §§ 60 (Nichtanzeige als Mittäterschaft), 77, 104. 4 ) Vielfach weitergehend Plagge 9. 5 ) Ebenso die gem. Meinung, insbes. Frank § 139 VII, Hefs 22, Ophausen § 139 3. D a g e g e n Meyer 663, Plagge 16, Schütze 287 Note 34. Fiir die im Text vertretene Ansicht spricht auch die deutlichere Fassung des Sprengstoffgesetzes ( „ i n g l a u b h a f t e r W e i s e Kenntnis erhält").

§ 185.

I. Strafb. Handlungen gegen die Verwaltung des Kriegswesens.

637

sondern dauert ebensolange fort wie dieses. Anders bei Zustandsverbrecher Verpflichtet zur Anzeige sind auch (trotz StGB. § 257 Abs. 2) die Angehörigen des Thäters, sowie die von der Zeugnispflicht befreiten Personen nicht aber die an der beabsichtigten strafbaren Handlung als Mitthäter oder Teilnehmer beteiligten Personen. Der Grund für diese scheinbare Ausnahme liegt in der Subsidiarität der Strafdrohung des § 139 gegenüber den Bestimmungen über Thäterschaft und Teilnahme. Die Unterlassung ist nur als vorsätzliche strafbar. 6 ) S t r a f e : Gefängnis. V. Die deutschen Volksrechte (insbes. die Lex salica) kannten eine grofse Zahl von P r o z e f s v e r g e h e n , die meist mit dem einfachen Bufssatz belegt wurden. Auch die Quellen des spätem Mittelalters bieten eine Fülle hierhergehöriger, heute gänzlich veralteter Strafdrohungen. Im gemeinen Recht spielt der in PGO. 108 mit der Meineidsstrafe belegte U r p h e d e b r u c h (urfeda de non ulciscendo) eine bedeutende Rolle. Wesentlich milder gestraft wird der Bruch der urfeda de non redeundo, der einfache B a n n b r u c h . Seinen letzten Ausläufer bilden noch heute die Strafdrohungen in StGB. § 361 Ziff. I und 2. Danach steht Haftstrafe auf der Verletzung der infolge von P o l i z e i a u f s i c h t auferlegten Beschränkungen sowie auf der unbefugten R ü c k k e h r a u s g e w i e s e n e r Personen. S e l b s t h i l f e bleibt als solche heute straflos (vgl. oben S. 147).

IV.

Vergehungen gegen die Wehr- und Volkskraft des Staates.

§185.

I. Strafbare Handlungen gegen die Verwaltung des Kriegswesens.

L i t t e r a t u r . John HH. 3 201. — Zu V : Rott Die Strafvorschriften über die Wehrpflichtverletzungen. 1896. — Zu X I : v. Liszt Prefsrecht § 46 II und die Litt, zu § 43. — Zu X I I I : Scuffcrt Z 15 852.

I. Die F a l s c h w e r b u n g

(StGB. § 1 4 1 ) , d. i. die An-

8 ) Denn der Subsidiarität des § 1 3 9 würde es widerstreiten, Thäterschaft und Teilnahme nur bei vorsätzlicher, die Nichtanzeige aber auch bei fahrlässiger Begehung zu bestrafen. Dagegen freilich die gem. Meinung, insbes. Frank § 139 VII, Hefs 43, Meyer 663, Ohhausen § 139 12, Plagge 22. Richtig Binding Normen 2 499 Note 720.

638

§ 185. I. Strafb. Handlungen gegen die Verwaltung des Kriegswesens.

Werbung eines Deutschen zum Militärdienste einer ausländischen Macht oder die Zuführung an deren Werber. 1 ) Die Falschwerbung erscheint als Verletzung der staatlichen Militärhoheit. Dagegen tritt die Richtung gegen die persönliche Freiheit des Angeworbenen völlig in den Hintergrund: darin liegt der Unterschied dieses Vergehens von dem plagium militare des gemeinen Rechts (oben S. 369), sowie von dem Menschenraube des § 234 StGB. Strafe: strafbar.

Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren.

Versuch

IL Die vorsätzliche Verleitung eines deutschen Soldaten zur Fahnenflucht oder deren Beförderung (StGB. § MO- 2 ) Fahnenflucht ist nach Mil.StGB. § 69 die unerlaubte Entfernung in der Absicht, sich der gesetzlichen oder übernommenen Verpflichtung zum Dienste dauernd zu entziehen. Die Fahnenflucht ist mithin ein Fall der V e r l e t z u n g d e r W e h r p f l i c h t ; sie besteht in dem Sichentfernen und ist mit diesem vollendet. Der Entfernung an einen andern Ort steht das Sichverbergen an demselben Ort (z. B. Verstecken bei der Geliebten, in einem Steinbruch usw.) völlig gleich. Dafs die Fahnenflucht ein Dauerverbrechen sei, ist gänzlich unrichtig. 3 ) Ebendarum ist Beförderung der Fahnenflucht (Beihilfe und nicht Begünstigung) nur möglich, solange diese selbst nicht als vollendetes Vergehen vorliegt, solange also der Flüchtling nicht die von ihm beabsichtigte Flucht von dem Dienstorte an einen andern Ort vollendet hat, an welchem er wenigstens vorläufig gegen Festnahme gesichert ist Beförderung kann in der der Fahnenflucht vorhergehenden Belehrung über die nachher zu unternehmenden Schritte liegen. Die Verleitung zur Fahnenflucht, sowie deren Beförderung ist selbständiges Vergehen. Schon äufserlich ist dies aus der Vermeidung der technischen Ausdrücke „Anstiftung" und „Beihilfe" ersichtlich. Daraus folgt, dafs die Strafbarkeit unabhängig ist von dem Vorliegen einer sei es vollendeten, sei es „Anwerbung" bedeutet vorsätzliche Bestimmung und hat mit Gewerbsmäfsigkeit nichts zu thun. Ebenso Frank § 141 I ; dagegen Olshausen § 141 2. 2 ) Vgl. Mil.StGB. §§ 69 fr. und dazu Hecker 169 sowie unten § 204. 2 ) Übereinstimmend Berner (18. Aufl.) 417, Frank % 141 III, Merke! 404, sowie R I. Februar $2 6 7. Dagegen Binding 1 543 Note IO, Meyer 669, Olshausen § 8 H l 3. Anders nach Mil.StGB. § 76 (Hecker 135).

§185.

i . Strafb. Handlungen gegen die Verwaltung des Kriegswesens.

639

versuchten strafbaren Handlung auf Seiten desjenigen, der zur Fahnenflucht verleitet oder dabei unterstützt werden sollte. S t r a f e : wie zu I.

V e r s u c h strafbar.

III. Die vorsätzliche Untauglichmachung zur Erfüllung der Wehrpflicht; mag sie von dem Wehrpflichtigen an sich selbst durch Selbstverstümmelung oder auf andre Weise, mag sie durch einen dritten an dem Wehrpflichtigen auf dessen Verlangen begangen sein (StGB. § 142). In dem letzterwähnten Falle erscheinen der Wehrpflichtige wie der Untauglichmachende als Thäter; mit andern Worten: es nimmt das Gesetz hier ausnahmsweise (oben § 29 III 1) Unterbrechung des Kausalzusammenhanges nicht an, obwohl der als Zwischenursache handelnde dritte das Bewufstsein von der verursachenden Bedeutung seines Thuns hat. Absolute Untauglichkeit ist nicht erforderlich; es genügt, wenn der Thäter nach der That nicht mehr in derselben A r t und in demselben Umfange tauglich ist wie vorher. Das Vergehen ist v o l l e n d e t mit der Handlung (Verstümmelung usw.). In demselben Zeitpunkte beginnt auch die V e r j ä h r u n g , die daher abgelaufen sein kann, ehe die Stellung und mit ihr die Erkenntnis der Untauglichkeit erfolgt. Strafe: Ehrverlust. 4 )

Gefängnis nicht unter einem Jahre;

daneben nach Ermessen

IV. Die Anwendung von auf Täuschung berechneten (wenn auch nicht geeigneten) Mitteln, in der Absicht, sich der Erfüllung der Wehrpflicht ganz oder teilweise (etwa einzelnen Übungen) zu entziehen (StGB. § 143). A l s hierher gehörige Mittel erscheinen die Vorspiegelung falscher sowie die Unterdrückung oder Entstellung wahrer Thatsachen (oben § 139 II 1); einfache Lügen nur dann, wenn sie unter einen dieser Begriffe fallen. S t r a f e : Gefängnis, daneben nach Ermessen Ehrverlust. Dieselbe Strafe trifft den Teilnehmer (Anstifter und Gehilfen). (StGB. § 143 Abs. 2.) Damit ist eine kaum zu rechtfertigende Ausnahme von dem Grundsatze milderer Bestrafung des Gehilfen (oben § 51 Note 9) gemacht.

V . Verletzung der Wehrpflicht 6 ) durch Auswanderung. 4) 6)

V g l . auch Mil.StGB. § 81 und dazu Hecker 178 sowie unten § 204. W e h r p f l i c h t i g ist jeder Deutsche. R.Verf. Art. 57. Die Wehr-

640

§

Strafb. Handlungen gegen die Verwaltung des Kriegswesens.

1. Auswanderung eines Wehrpflichtigen im Widerspruche mit einer vom Kaiser für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlassenen und öffentlich bekannt gemachten b e s o n d e r n A n o r d n u n g (StGB. § 140 Ziff. 3). S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren; daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. V e r s u c h strafbar.

2. Verlassen des Bundesgebietes durch einen Wehrpflichtigen ohne Erlaubnis in d e r A b s i c h t (gleich Beweggrund), 6 ) sich dem Eintritte in den Dienst des stehenden Heeres oder der Flotte (bei den Fahnen oder bei der Reserve) zu entziehen; oder das Verbleiben aufserhalb des Bundesgebietes nach erreichtem militärpflichtigen Alter in gleicher Absicht (StGB. § 140 Ziff. 1). S t r a f e : Geldstrafe von einhundertfünfzig bis dreitausend Mark oder Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre; V e r s u c h strafbar.

3. Auswanderung eines Offiziers oder im Offiziersrange stehenden Arztes des Beurlaubtenstandes o h n e E r l a u b n i s (StGB. § 140 Ziff. 2; wiederholt im RMil.G. vom 2. Mai 1874 § 60 Ziff. 2). S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. V e r s u c h strafbar. In allen drei Fällen kann das Vermögen des Angeschuldigten, insoweit als es nach dem Ermessen des Richters zur Deckung der den Angeschuldigten möglicherweise treffenden höchsten Geldstrafe und der Kosten des Verfahrens erforderlich ist, mit Beschlag belegt werden (StGB. § 140 Abs. 3).

Die V o l l e n d u n g tritt in den drei Fällen des § 140 StGB, mit der Auswanderung, bez. mit dem Verlassen des Bundesgebietes ein; in dem zweiten Falle der Ziff. 2 (Verbleiben aufserhalb des Bundesgebietes) mit der Erreichung des militärpflichtigen Alters. Ist in diesem letzten Falle unzweifelhaft ein Dauerverbrechen gegeben, so wird dies, trotz des entgegenstehenden Wortlautes, auch in den übrigen, schwereren Fällen angenommen pflicht beginnt mit dem vollendeten 17. und dauert bis zum vollendeten 45. Lebensjahre (Wehrordg. vom 28. September 1875 I § 4 und dazu Gesetz betreffend Änderungen der Wehrpflicht vom I i . Februar 1888). M i l i t ä r p f l i c h t i g , d. h. der Aushebung unterworfen, ist jeder Wehrpflichtige vom I. Januar des Kalenderjahres, in welchem er das 20. Lebensjahr vollendet (Mil.Ges. § 10; Wehrordg. I § 20). e) Ebenso R I. November 84 11 380, Frank § 140 II; dagegen Binding Normen 2 597, Hälschntr 2 991, Meyer 667 Note 7, Olshausen § 140 2.

§185.

i . Strafb. Handlungen gegen die Verwaltung des Kriegswesens.

Ö4.I

werden müssen. 7 ) Die V e r j ä h r u n g beginnt daher erst mit der Endigung der Wehrpflicht oder mit der Rückkehr in das Bundesgebiet. D e r Thäter mufs im Augenblicke der That ein Deutscher sein; seine Staatsangehörigkeit zur Zeit der Verfolgung ist gleichgültig. Eine Abweichung von diesem Satze ergibt sich aus den sogenannten Bancroftverträgen zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika einerseits und dem Norddeutschen Bunde (vom 22. Februar 1868), sowie Bayern, Württemberg, Baden, Hessen anderseits. 8 ) Nach diesen kann der in den Vereinigten Staaten naturalisierte Deutsche bei seiner Rückkehr nach Deutschland hier nur wegen der v o r seiner Auswanderung verübten Vergehungen, nicht aber wegen der d u r c h die Auswanderung selbst 8 ) begangenen strafbaren Handlung zur Verantwortung gezogen werden. 4. a) Auswanderung eines beurlaubten Reservisten oder Wehrmannes der Land- oder Seewehr ersten Aufgebotes ohne Erlaubnis; b) eines Wehrmannes der Land- und Seewehr zweiten Aufgebotes ohne vorhergehende Anzeige an die Militärbehörde (StGB. § 360 Ziff. 3; vgl. mit RMil.G. v o m 2. Mai 1874 § 69 Ziff. 8 und Gesetz vom 11. Februar 1888 §§ 4, 11, 19). Strafe:

Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft, 1 0 )

VI. Übertretung der auf Grund des Gesetzes vom 13. Juni 1873 über die Kriegsleistungen hinsichtlich der Anmeldung und Stellung der Pferde zur Vormusterung, Musterung oder Aushebung getroffenen Anordnungen (§ 27 des Gesetzes). Strafe:

Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark.

VII. Übertretung des Gesetzes vom 21. Dezember 1871 betreffend die Beschränkungen des Grundeigentums in der Umgebung von Festungen ( F e s t u n g s r a y o n g e s e t z § 32). Strafe:

Geldstrafe bis zu fünfzehn bezw. einhundertfünfzig Mark.

? J Dagegen Frank § 140 II. •) V g l . v. Liszt Völkerrecht § I I . e ) Oder durch das Verweilen im Auslande nach erreichtem militärpflichtigen A l t e r ; R 18. Februar 97 2 9 391. 1 0 ) Über das Prozefsverfahren in den F ä l l e n I bis 4 vgl. S t P O . §§ 470 bis 476. Vgl. noch die im R M i l . G e s . vom 2. Mai 1874 § 33 und in den § § I I und 26 des Reichsgesetzes vom 11. F e b r u a r 1888 enthaltenen Übertretungen.

Yon L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

4*

642

§

2. Strafbare Handlungen bez. des Auswanderungswesens.

VIII. Auch das Gesetz betreifend die Reichskriegshäfen vom 19. Juni 1883 bedroht in den §§ 2 und 4 Zuwiderhandlungen mit Ubertretungsstrafen. IX. Das unbefugte Aufnehmen oder Veröffentlichen von Festungsrissen oder Rissen einzelner Festungswerke (StGB. § 360 Ziff. 1). Geschützt sind nur inländische Festungen. V g l . auch oben § 171 Note 1. S t r a f e : Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft. E i n z i e h u n g der Risse zulässig, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.

X. Veröffentlichungen (in der Presse) über Truppenbewegungen oder Verteidigungsmittel in Zeiten der Kriegsgefahr oder des Krieges trotz des öffentlich bekannt gemachten Verbotes des Reichskanzlers (Prefsgesetz § 15). Auch hier handelt es sich nur um den Schutz des Deutschen Reichs. S t r a f e : (Prefsgesetz § 18 Ziff. 1): Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.

XI. Die Nichterfüllung von Lieferungsverträgen, über Kriegsbedürfnisse (StGB. § 329), wurde des Zusammenhanges wegen bereits an andrer Stelle (oben § 154) behandelt. XII. Nach § 14 des Gesetzes vom 28. Mai 1894 betr. den Schutz der B r i e f t a u b e n und den B r i e f t a u b e n v e r k e h r im Kriege kann für den Fall eines Krieges durch Kaiserliche Verordnung bestimmt werden, dafs die Verwendung von Tauben zur Beförderung von Nachrichten ohne Genehmigung der Militärbehörde mit Gefängnis bis zu drei Monaten zu bestrafen ist.

§ 186.

2. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Überwachung des Auswanderungswesens.

Iiitteratur. Klotssel 1898.

Kommentare zu dem Gesetz von 1897 von Goetsck und

I. Die V e r l e i t u n g z u r A u s w a n d e r u n g verdankt ihre strafrechtliche Bedeutung ihrem geschichtlichen Zusammenhange mit dem plagium militare (oben S. 369). Wenn auch im 18. Jahrhundert (z. B. im Edikt Friedrich Wilhelms I. von 1721) volkswirtschaftliche Anschauungen ihre Strafbarkeit nahelegten, stellen sie doch noch Österreich 1787 und A L R . 143 (hier als Fall des Landesverrats) mit der Falschwerbung zusammen. Auch § 144 R S t G B . , der auf eine preufsische Verordnung vom 20. Januar 1820 zurückführt, schliefst sich an die Verletzungen der Wehrpflicht an.

§ l86.

2. Strafbare Handlungen bez. des Auswanderungswesens.

643

Erst allmählich bricht sich im 19. Jahrhundert nach Anerkennung der Auswanderungsfreiheit die Überzeugung Bahn, dafs die Beförderung der Auswanderer gewerbepolizeilicher Überwachung im Interesse der Auswanderer, und die Richtung der Auswanderung im Interesse des Mutterlandes der festen Leitung bedarf. An die Stelle der landesrechtlichen Bestimmungen ist jetzt für das ganze Deutsche Reich das G e s e t z ü b e r d a s A u s w a n d e r u n g s wesen vom 9. Juni 1897 getreten, das im wesentlichen gewerbepolizeilicher Natur ist, aber auch eine (nicht hierhergehörige) Strafdrohung gegen den M ä d c h e n h a n d e l aufgenommen hat. Daneben bleibt § 144 RStGB. in Kraft. IL S.

242)

StGB.

§

144

Verleitung

bedroht

die

Deutscher

auf T ä u s c h u n g berechnete

geschäftsmäßige

(oben

Auswanderung

durch

zur

M i t t e l (insbes. durch Vorspiege-

lung falscher Thatsachen oder bewufst unbegründete

Angaben).

D a f s die Mittel zur Täuschung wirklich geeignet sind, ist auch hier

nicht

erforderlich.

Über

den

Zeitpunkt

der

Vollendung

v g l . oben S. 397. Strafe: Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren. III. E r g ä n z e n d t r i t t h i n z u die B e s t r a f u n g d e r g e s c h ä f t s mäßigen

Anwerbung

deutschen

zur

des Gesetzes v o n 1897); Täuschung

Auswanderung

(nicht blofs überseeischen) berechneten

nach

aufser-

L ä n d e r n (§ 45 A b s . 2

hier ist von dem Erfordernis der auf Mittel

abgesehen.

„Anwerbung"

be-

deutet auch hier (oben § 184 N o t e 1) die vorsätzliche Bestimmung. S t r a f e : Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr u n d Geldstrafe his zu sechstausend Mark o d e r eine dieser Strafen. IV.

Daran

reihen

sich die g e w e r b e p o l i z e i l i c h e n

d r o h u n g e n des Ges. von

Straf-

1897.

1. B e t r i e b der Beförderung von Auswanderern (durch Unternehmer oder Agenten) ohne die erforderliche Erlaubnis sowie die gewerbsmäfsige Mitwirkung bei einem solchen Betriebe. S t r a f e : wie zu III. 2. Übertretung der §§ 8, 22, 23, 25, 32 und 33 Abs. 1 ') oder der für die Ausübung des Geschäftsbetriebs von den zuständigen Behörden erlassenen V o r s c h r i f t e n durch Unternehmer (§ 43). S t r a f e : Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. *) Pflicht des Unternehmers, sich aufserhalb seines Niederlassungsbezirkes der zugelassenen Agenten zu bedienen; Verbot der Beförderung ohne schriftlichen Vertrag oder mit gesetzwidrigem Vertrag; Verbot der Beförderung gewisser Personen; Verträge über überseeische Auswanderung; Sicherheitsleistung von Seiten des Unternehmers; Ausrüstung des Schiffs.

41*

§ 187.

644

l. Die Prefspolizeivergehen.

Sind die Zuwiderhandlungen von einem Stellvertreter (§ 9) begangen worden, so trifft die Strafe diesen; der Unternehmer ist neben diesem strafbar, wenn die Zuwiderhandlung mit seinem Vorwissen begangen ist, o d e r wenn er bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Stellvertreters es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen. D i e gleiche Strafe trifft Schiffsführer, welche den ihnen im § 33 Absatz 2 und im § 41 Abs. 3 auferlegten Verpflichtungen oder den auf Grund des § 36 erlassenen Vorschriften zuwiderhandeln, 8 ) ohne Unterschied, ob die Zuwiderhandlung im I n l a n d o d e r i m A u s l a n d e begangen ist. 3. Übertretung der Pflichten, die den Agenten durch die § § 1 5 , 16, 17, 22 Absatz 2, 23 und 25 3) oder die für die Ausübung ihres Geschäftsbetriebs von den zuständigen Behörden erlassenen Vorschriften auferlegt sind (§ 44). S t r a f e : Geldstrafe von dreifsig bis zu dreitausend Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. 4. Wer der Vorschrift des § 26 Absatz 1 4 ) zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft (§ 46). 5. Wer den auf Grund des § 42 6 ) erlassenen Vorschriften zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu sechstausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (§ 47).

V . Uber den Mädchenhandel vgl. oben S. 397.

V. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Überwachung des Preis- und des Vereinswesens. § 187. Litteratur.

I. Die Prerspolizeivergehen.

Oben zu § 43.

Q u e l l e : Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874.

I. Verletzung der Verpflichtung [zur Nennung] von Namen und Wohnort des Druckers und des Verlegers ! ) Ausrüstung des Schiffs; Auskunftspflicht gegenüber den Kommissaren j Schutz der Auswanderer in gesundheitlicher und sittlicher Hinsicht. 3) Die §§ 1 5 — 1 7 regeln den Umfang des Geschäftsbetriebs der Agenten; über die §§ 22, 23, 25 vgl. oben Note I. 4 ) Der Verkauf von Fahrscheinen an Auswanderer zur "Weiterbeförderung von einem überseeischen Platze aus ist verboten. 6 ) Zur Regelung der Beförderung von Auswanderern und Passagieren auf deutschen Schiffen, die von aufserdeutschen Häfen ausgehen.

§ 187.

I. Die Prefspolizeivergehen.

645

(oder beim Selbstverbetriebe des Verfassers oder Herausgebers) auf jeder Druckschrift; des verantwortlichen (mit den vom Gesetze geforderten Eigenschaften ausgestatteten) Redakteurs aufserdem auf jeder periodischen Druckschrift 1 ) (§§ 6—8): 1. Durch wissentlich falsche Angaben (§ 18 Ziff. 2), wobei der Verleger einer periodischen Druckschrift schon dann haftet, wenn er die fälschliche Angabe des Redakteurs wissentlich „geschehen läfst" (oben § 179 XII); 2. auf andre Weise (§ 19 Ziff. i). Strafe:

zu i Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder Haft oder

Ge-

fängnis bis zu sechs Monaten; zu 2 Geldstrafe bis zu einhundertfiinfzig Mark oder Haft.

II. Die Verletzung der Verpflichtung zur Ablieferung der Pflichtexemplare von jeder Nummer einer periodischen Druckschrift gleichzeitig mit dem Beginne der Austeilung oder Versendung (§ 9). S t r a f e (§ 19 Ziff. 2 ) : wie oben I, 2.

III. Verletzung der Verpflichtung zur Aufnahme amtlicher Bekanntmachungen in periodischen Druckschriften (§10). Strafe

(§ 1 9 Ziff. 3 ) :

wie oben I, 2.

Antragsvergehen.

Mit der

Verurteilung, bei unberechtigter Verweigerung der Aufnahme in gutem Glauben mit der Freisprechung,

ist

die Aufnahme des

Schriftstückes

in

die

nächst-

folgende Nummer anzuordnen.

IV. Verletzung der Verpflichtung des verantwortlichen Redakteurs einer periodischen Druckschrift, Berichtigungen mitgeteilter Thatsachen auf Verlangen eines Beteiligten ohne Einschaltungen und Weglassung aufzunehmen (§ 11). S t r a f e (§ 19 Ziff. 3 ) : wie oben I, 2.

Antragsvergehen.

Anord-

nung der Aufnahme wie oben I I I .

V. Verbreitung ausländischer periodischer Druckschriften gegen das vom Reichskanzler auf Grund des § 14 des Prefsgesetzes erlassene Verbot. S t r a f e (§ 18 Ziff. 1 ) : wie oben I, I.

VI. Vorsätzliche Verbreitung oder Wiederabdruck von in Beschlag genommenen Druckschriften (§ 28). E s genügt nicht, wenn der Name durch Schlufsfolgerungen erkannt werden kann, die Nennung mufs vielmehr ausdrücklich erfolgen; R 2. Juni 96 28 399-

§ i88.

2. Strafbare Überschreitungen des Vereinsrechts.

S t r a f e : Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten.

Eine besondere V e r j ä h r u n g s f r i s t für die Prefspolizeivergehungen ordnet § 22 des Prefsgesetzes an (oben § 77 I).

§ 188.

2. Strafbare Überschreitungen des Vereinsrechts.

I i i t t e r a t u r . Th. Mommsen De collegiis et sodaliciis ant. Rom. 1843. Merkel HSt. 2 845. Kayser Abhdlgn. 1873. Hälschner 2 502. Mascher Das Versammlungs- und Vereinsrecht Deutschlands 2. Aufl. 1892. Jolly WV. 2 666. Kulemann Die Sozialdemokratie und deren Bekämpfung 1890 S. 221 (mit guter Übersicht). Zeller Archiv für öffentliches Recht 10 239. — Über das preufsische Vereins- und Versammlungsrecht: Delius 2. Aufl. 1894. Caspar 1894. I. Nach spätrömischem Recht bedarf es zur Gründung von Vereinen obrigkeitlicher Genehmigung. Die Teilnahme au unerlaubten Verbindungen wird als crimen extraordinarium (D. 47, 22) bestraft. Die Quellen des deutschen Mittelalters bedrohen schon frühzeitig (Cap. von 779) die verbotenen Einigungen (gildonia). Die Strafbestimmungen mehren sich mit dem Aufblühen der Städte und dem Erstarken der Staatsgewalt. Nach g e m e i n e m Recht (Engau u. a.) wird das collegium illicitum aufgelöst, während die Mitglieder willkürliche Strafe erleiden. ALK. 185 bedroht die „heimlichen Verbindungen". Als unter dem Einflüsse der französischen Revolution einerseits das politische Leben der Regierten sich reger entfaltete, anderseits die Besorgnisse der Regierenden vor den Folgen dieser Bewegimg wachgerufen wurden, wurden die landesrechtlichen Strafdrohungen gegen die Teilnahme an unerlaubten Verbindungen zahlreicher und strenger. So untersagte das preufsische Edikt vom 20. Oktober 1798 alle geheimen Verbindungen. In derselben Bahn bewegte sich die Gesetzgebung des Deutschen Bundes; ein Beschlufs vom 20. September 1819 verbot alle Studentenverbindungen; ein Beschlufs vom 5. Juli 1832 dehnte das Verbot auf alle politischen Verbindungen überhaupt aus. Seitdem die deutschen Grundrechte von 1848 das Vereinsrecht ausdrücklich und allgemein anerkannt hatten, fand dieses, wenn auch nur unter gewissen Beschränkungen, Aufnahme in die meisten deutschen Verfassungsurkunden, und der Bundesbeschlufs vom 13. Juli 1854, welcher abermals Einschränkungen einzuführen versuchte, wurde in einzelnen Bundesstaaten gar nicht veröffentlicht, in andern bald wieder beseitigt. Die Reichsverfassung unterstellte in Art. 4 Nr. 16 „die Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen" der Beaufsichtigung durch das Reich und dessen Gesetzgebung. Von diesem Recht hat die Reichsgesetzgebung jedoch — abgesehen von den Strafdrohungen des RStGB s — bisher keinen Gebrauch gemacht.

II. Das RStGB. bedroht die Teilnahme an Verbindungen, welche entweder wegen ihrer Verfassung oder aber wegen ihrer Zwecke und Beschäftigungen als gefährlich erscheinen. „Verbindung" ist jede dauernde Vereinigung mehrerer Personen,

§ l88. 2. Strafbare Uberschreitungen des Vereinsrechts. welche auf Grund der Gliederung und Unterordnung ihrer Mitglieder („Organisation") gemeinsame Zwecke verfolgt. 1 ) Eine freie Tischgesellschaft gehört ebensowenig hierher, wie eine politische Partei, wenn deren Mitglieder nur durch die Ubereinstimmung der Ansichten zusammengehalten werden. „Teilnahme" bedeutet Mitgliedschaft, die nicht nur auf Grund förmlicher Aufnahme (Mitgliedskarte, Zahlung der Vereinsbeiträge usw.), sondern auch auf Grund thatsächlichen Anschlusses angenommen werden kann. Nur die Teilnahme ist im Gesetz bedroht; auch „Stifter" der Verbindung können daher nicht gestraft werden, wenn sie nicht Mitglieder der Verbindung geworden sind. 2 ) Strafbar ist: 1. Die Teilnahme an einer Verbindung, d e r e n Dasein, Verfassung oder Z w e c k vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen w i r d (StGB. § 128). Die Geheimhaltung braucht nicht ausdrücklich auferlegt, sie braucht auch nicht thatsächlich erreicht zu sein, wenn sie nur beabsichtigt ist. Freimaurerlogen und geistliche Orden (Jesuiten) würden wie alle andern Verbindungen unter das Gesetz fallen, wenn dessen Voraussetzungen (insbesondere unbedingter Gehorsam) gegeben wären. S t r a f e : gegen die Mitglieder Gefängnis bis zu sechs Monaten; gegen Stifter und Vorsteher der Verbindung Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre. Gegen Beamte kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. 2. Die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Z w e c k e n oder Beschäftigungen es gehört, Mafsregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche (wenn auch nicht strafbare) Mittel zu v e r hindern oder zu entkräften (StGB. § 129). S t r a f e : gegen die Mitglieder Gefängnis bis zu einem Jahre; gegen die Ebenso im wesentlichen R 6. Dezember 95 28 66. — „Wahlvereine" sind keine dauernden Vereinigungen, fallen mithin nicht unter das Gesetz. s)

Ebenso Frank

§ 128 II, Meyer 673, Olshausen § 128 1;

dagegen

R 1. Mai 82 6 215. Zu gunsten der im Text vertretenen Ansicht spricht insbesondere auch § 17 des Sozialistengesetzes von 1878, welcher Mitgliedschaft und Thätigkeit im Interesse des Vereins ausdrücklich voneinander unterschied.

§ 189.

648

i . S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e Sicherheit des L e b e n s u s w .

Stifter und Vorsteher der Verbindung G e f ä n g n i s von d r e i Monaten b i s zu zwei Jahren.

Gegen B e a m t e kann auf Verlust der F ä h i g k e i t

zur Bekleidung

öffent-

licher Ämter auf die D a u e r von einem J a h r e bis zu f ü n f J a h r e n erkannt werden.

VI. Strafbare Handlungen gegen die Sicherheitsund Sittlichkeitspolizei. §189.

I. S t r a f b a r e Handlungen gegen die Sicherheit Lebens, der Gesundheit, des Vermögens.

des

X i i t t e r a t u r . Z u l : V g l . Litt, zu § 1 5 2 . Rapmund D a s Reichsimpfgesetz 1889. Herist G A . 4 0 2 7 3 . Seipke G A . 4 3 89. Heller G A . 4 5 249. — Zu I I : Köhler Studien 1 48, 53. E b . Müller D i e s t r a f b a r e Hilfeverweigerung. Göttinger D i s s . 1896. Über Geheimmittel: Frank Z 8 51. Rahts H S t . 3 7 2 5 . — Zu H I : Litt, zu § 152. Über die R e b l a u s k r a n k h e i t Hermes W V . 2 329. Edgar Löning H S t . 5 882.

I. In das Gebiet der G e s u n d h e i t s p o l i z e i greifen zahlreiche strafbare Handlungen über, die des Zusammenhanges wegen an andrer Stelle teils bereits erwähnt, teils noch zu erwähnen sind. So insbesondere die Verletzung der zur Bekämpfung von V o l k s s e u c h e n getroffenen Anordnungen (oben § 152), verschiedene Fälle der W a r e n f ä l s c h u n g (oben § 1 5 7 ) sowie s i t t e n p o l i z e i l i c h e (unten § 190) und g e w e r b e p o l i z e i l i c h e (unten § 1 9 1 ) Übertretungen. Ergänzend treten die Strafdrohungen hinzu, die in den i n t e r n a t i o n a l e n V e r e i n b a r u n g e n zur Bekämpfung der Cholera und der Pest 1 ) enthalten sind und die den ersten Ansatz zu einem der Völkerrechtsgemeinschaft gemeinsamen Strafgesetzbuch bilden. Endlich ist an dieser Stelle das R e i c h s i m p f g e s e t z vom 8. April 1 8 7 4 zu erwähnen. Verletzungen des Gesetzes durch E l t e r n , Pflegeeltern, Vormünder, vorsteher

sowie

durch

Übertretungsstrafen.

den,

der unbefugt I m p f u n g e n vornimmt,

Schul-

unterliegen

Vergehensstrafe (Geldstrafe bis zu fünlhundert Mark oder

G e f ä n g n i s bis zu drei Monaten) trifft ( § 17) den,

der

bei A u s f ü h r u n g

einer

I m p f u n g f a h r l ä s s i g handelt ( v g l . oben § 4 2 I ) .

II. Zahlreich sind ferner die Strafdrohungen des letzten A b ) v. Liszt

l

Völkerrecht § 3 3 .

§ 189-

I. Strafbare Handlungen gegen die Sicherheit des Lebens usw.

schnittes unseres R S t G B . gegen Übertretungen, die, teils gegen die Sicherheit von Leib und Leben, teils gegen die Sicherheit des Eigentums, teils, wie die gemeingefährlichen Delikte (oben §§ 148 ff.), gegen beide Rechtsgüter gerichtet sind. E s

gehören hierher die §§ 360 Ziff.

10 ; § 361 Ziff. 4 und 9; § 366

Ziff. 2 bis 10; § 366 a; § 367 Ziff. 2 bis 6, 8 bis 15 nebst dem durch das Gesetz vom 13. Mai 1891 eingeschalteten § 367 Ziff. 5 a ; § 368 Ziff. 1 bis 9; § 369 Ziff. 1 und 3. V o n eingehenderer Erörterung dieser Übertretungen, die wegen. ihrer rein polizeilichen Eigenart am besten der Landesgesetzgebung überlassen worden wären, kann hier abgesehen werden. 2 ) Besondere Erwähnung verdienen nur die folgenden Fälle. 1. Der sog. L i e b e s p a r a g r a p h (§ 360 Ziff. 10) bedroht den, der bei Unglücksfallen oder gemeiner Gefahr oder Not von der Polizeibehörde oder deren Stellvertreter zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Gefahr genügen konnte (vgl. oben § 81 Note 2). Die aus dem Code pénal ins preufsische StGB, herübergenommene Bestimmung führt bis auf das französische Gesetz von 1791 (sur la police municipale) zurück. — Den „Unglücksfällen", die auch i n d i v i d u e l l e r Natur sein können, tritt die g e m e i n e Gefahr oder Not gegenüber. Gefahr für das Vermögen genügt (Raupenfrafs). Stets aber mufs die Gefahr weiteren Schadens, und zwar gemeine Gefahr im technischen Sinne (oben S. 516) gegeben sein. Der Aufgeforderte wird nur durch eigene Gefahr für Leib und Leben entschuldigt (nicht Gefahr für seine Kleider, den zur Hilfeleistung geforderten Besondere VerpflichWagen). Gefahr für Angehörige entschuldigt nicht. tungen bestimmter Personen (Feuerwehrleute usw.) werden durch § 360 Ziff. 10 nicht berührt. Ebenso bleiben Sondervorschriften der Landesgesetzgebung über Hülfepflicht bei "Waldbränden, Überschwemmungen usw. bestehen (z. B. § 44 des preufs. Feldpolizeigesetzes von 1880). — Wesentlich weiter geht § 2 1 des Postgesetzes von 1871: „Wenn den ordentlichen Posten, Extraposten, Kurieren oder Estafetten unterwegs ein Unfall begegnet, so sind die Anwohner der Strafse verbunden, denselben die zu ihrem Weiterkommen erforderliche Hülfe gegen vollständige Entschädigung schleunigst zu gewähren." Übertretungen dieser Vorschrift sind aber nur strafbar, sofern der Thatbestand des § 360 Ziff. 10 gegeben ist. § 9 der Strandungsordnung von 1874 dehnt die Strafdrohung des § 360 Ziff. 10 auch auf den Ungehorsam gegen die von dem Strandvogt während einer Seenot getroffenen Anordnungen (Strandhülfe) aus. 9)

Vgl- dafür die Kommentare von Frank und Olshausen.

650

§ 189.

I. Strafbare Handlungen gegen die Sicherheit des Lebens usw.

S t r a f e : Geldstrafe bis zu 1 5 0 Mark oder Haft.'

2. Die Vernachlässigung der Beaufsichtigung von Kindern und andern Gewaltuntergebenen ist im StGB, selbst an zwei Stellen unter Strafe gestellt (§ 361 Ziff. 4 und 9). Dazu tritt § 6 des Vogelschutzgesetzes vom 22. März 1888. Genannt sind in allen drei F ä l l e n : Kinder oder andere unter der Gewalt des Schuldigen stehende Personen, welche seiner Aufsicht untergeben sind und zu seiner Hausgenossenschaft gehören. a) "Wer diese Personen vom Betteln abzuhalten unterläfst. wird mit Haft bestraff (§ 3 6 1 Ziff. 4). b) Wer diese Personen von der Begehung von Diebstählen, sowie von der Begehung strafbarer Verletzungen der Zoll- oder Steuergesetze, oder der Gesetze zum Schutze der Forsten, der Feldfrüchte, der J a g d oder der Fischerei abzuhalten unterläfst, wird mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu hundertundfünfzig Mark bestraft (§ 361 Ziff. 9). Die Vorschriften dieser Gesetze über die Haftbarkeit für die den Thäter treffenden Geldstrafen oder andern Geldleistungen werden hierdurch nicht berührt. c) Wer diese Personen von Zuwiderhandlungen gegen das Vogelschutzgesetz oder gegen die vom Bundesrat auf Grund des Gesetzes erlassenen A n ordnungen abzuhalten unterläfst, wird mit Geldstrafe bis zu hundertundfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.

3. Mit den Geheimmitteln, d. h. denjenigen angeblichen Heilmitteln, deren Zusammensetzung und Zubereitung weder angegeben noch aus den staatlichen Pharmakopoen bekannt ist, hat sich die Reichsgesetzgebung bisher nicht befafst. Nach § 367 Ziff. 3 wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft, wer ohne polizeiliche Erlaubnis Gift oder Arzneien, soweit der Handel mit ihnen nicht freigegeben ist, zubereitet, feilhält, verkauft oder sonst an andre überläfst. Danach ist weder der Verkauf, noch die Ankündigung von Geheimmitteln unter Strafe gestellt. Landesrechtlich kann nicht der Verkauf solcher Geheimmittel (wegen der Gewerbeordnung und der Verordnung vom 4. Januar 1875), wohl aber deren Ankündigung mit Strafe bedroht werden (oben S. 92). Reichsrechtliche Regelung wäre wünschenswert.

III. Dem Schutze des V e r m ö g e n s dienen die Anordnungen gegen Einschleppung und Verbreitung von V i e h s e u c h e n und P f l a n z e n k r a n k h e i t e n , deren staatrechtliche Grundlage in Art. 4 Nr. 15 der Reichsverfassung gegeben ist. 1. Die wissentliche Verletzung der von der zuständigen Behörde angeordneten Absperrungs- oder Aufsichtsmafsregeln oder Einfuhrverbote (StGB. § 328) wurde bereits oben § 1 5 2 behandelt.

§189.

I. Strafbare Handlungen gegen die Sicherheit des Lebens usw.

6tj j

2. Einen besondern Fall zeichnet das Gesetz vom 21. Mai 1878, betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote, durch erhöhte Strafdrohungen und teilweise Erweiterungen des Thatbestandes aus, sodafs § 328 StGB, e r g ä n z e n d anwendbar bleibt. a) Die v o r s ä t z l i c h e Übertretung der auf Grund des Gesetzes vom 7. April 1869 erlassenen Beschränkungen oder Verbote der Einfuhr lebender Wiederkäuer (§ 1). S t r a f e : Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren. V e r s u c h strafbar (während er nach StGB. § 328 straflos bleibt). Die Handlung besteht in der verbotswidrigen Einfuhr. Kenntnis des Verbotes ist zur Strafbarkeit erforderlich. Erwerbung zum Zweck der Einfuhr ist straflose Vorbereitungshandlung. b) S c h w e r e r F a l l (§ 2), wenn in der Absicht (gleich Beweggrund) begangen, sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) V e r m ö g e n s v o r t e i l (oben § 161 Noten 8 und 9) zu verschaffen oder einem andern (nicht notwendig an dessen Vermögen) S c h a d e n zuzufügen. S t r a f e : Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten. c) F a h r l ä s s i g e Übertretung der unter a genannten Beschränkungen und Verbote (StGB. § 328 bedroht nur die wissentliche Übertretung). S t r a f e : Geld bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten (§ 3). Bei Personen, welche nicht weiter als fünfzehn Kilometer von der Grenze ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder welche mit den betroffenen Tieren gewerbsmäfsig Handel treiben, i s t d i e U n k e n n t n i s d e r V e r b o t e als durch F a h r l ä s s i g k e i t v e r s c h u l d e t anzunehmen, wenn sie n i c h t d e n N a c h w e i s f ü h r e n , dafs sie ohne ihr Verschulden durch besondere Umstände verhindert waren, von ihnen Kenntnis zu erlangen (oben § 36 Note 3). d) Ist infolge der Zuwiderhandlung Vi e h v o n d e r S e u c h e ergriffen worden, so ist (§ 4) im Falle a) auf Gefängnis nicht unter drei Monaten, im Falle b) auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre, im Falle c) auf Geldstrafe bis zu zweitausend Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre zu erkennen.

3. Vernachlässigung der den Eisenbahnverwaltungen obliegenden Verpflichtung zur Desinfektion bei Viehbeförderungen auf Eisenbahnen. Sie wird nach § 5 des Gesetzes vom 25. Februar 1876 an denjenigen Personen, welchen vermöge ihrer dienstlichen Stellung oder eines ihnen erteilten Auftrages die Anordnung, Ausführung oder Überwachung der Desinfektion obliegt, mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark und, wenn infolge der Vernachlässigung Vieh von der Seuche ergriffen worden, mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft.

4. Das Gesetz v o m 23. Juni 1880, abgeändert am 1. Mai 1894, (nachgebildet dem preufsischen Gesetz vom 25. Juni 1875)

§ l9°-

652

2. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeitspolizei.

betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen (mit Ausnahme der Rinderpest) hat eine Reihe von Anordnungen getroffen, deren Befolgung, soweit nicht nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Ubertretungsstrafen bedroht wird. Die Bedeutung des Gesetzes gegenüber § 328 StGB, liegt darin, dafs K e n n t n i s der erlassenen Anordnungen n i c h t Thatbestandsmerkmal ist, mithin auch fahrlässig verschuldete Unkenntnis unter die Strafdrohung fallt. Die vom Gesetzgeber beliebte Ausscheidung der Rinderpest hat zur Folge, dafs die Übertretung der zum Schutze gegen diese erlassenen Anordnungen, die nicht Beschränkungen oder Verbote der E i n f u h r sind, nur wenn w i s s e n t l i c h begangen, bestraft werden kann. 5. Das Reichsgesetz vom 3. Juli 1883 betr. die A b w e h r und Unterdrückung der Reblauskrankheit, zur Ausführung der internationalen Reblauskonvention vom 3. November 1881 8 ) erlassen, bedroht Zuwiderhandlungen mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft.

§ 190.

2. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeitspolizei.1)

Litteratur. Zu I : Kr aufs HG. 2 407. Münsterberg W V . 1 191. GeKdhne fängniskongrefs zu Rom (1885) 1 507, 2 2, 558 mit reichen Angaben. Z 9 282. Bennecke Z 10 321. Kotering GA. 33 322, 34 123, Z 16 198. Benedikt Z 11 710. Stelling Über das Umherziehen als Landstreicher 1891. Lentner (Litt zu § 139 Note 10). Bertsch Über Landstreicherei und Bettel 1894. Sichart Z 13 I. Die Verhandlungen der IK.V. zu Paris 1893. Lands6erg Bettel, Landstreicherei, Armenpflege. Ein Reformvorschlag 1896. Insbesondere aber v. Hippel Die strafrechtliche Bekämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu 1895. — Zu II: Motive zu den Entw. eines Reichsgesetzes von 1881 und 1892. Bär Der Alkoholismus, seine Verbreitung und seine Wirkung 1878. Derselbe Die Trunksucht und ihre Abwehr 1890. Martius Der Kampf gegen den Alkoholmifsbrauch 1884. Kraufs HG. 2 401.. Verhandlungen des 19. und 21. deutschen Juristentages. Gefängniskongrefs zu Petersburg (1890; insbes. Gutachten von Heime und v. Lilienthal). Grotjahn Der Alkoholismus nach Wesen, Wirkung und Verbreitung. 1898. Weitere Litteraturangaben: HSt. 4 1155, Z 15 793. Zu § 3 6 1 Ziff. 10: Verhandlungen des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit 1898. — Zu II 4 : Seuffert Z 15 807. — Zu III: Seuffert Z 15 815. — I V : Krau/s HG. 2 404. 3)

Vgl. v. Liszt Völkerrecht § 34. Ich nehme das Wort im weiteren, auch die „öffentliche Wirtschaftsordnung" umfassenden Sinn.

§ 190.

2. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeitspolizei.

653

Schmölder Die Bestrafung und polizeiliche Behandlung der gewerbsmäfsigen Unzucht 1892. Barre GA. 40 127. Renk HSt. 5 295. Vgl. Z 13 110. Entw. eines Reichsgesetzes von 1892, wiedervorgelegt 1899 (Lex Heinze). Weitere Litteratur Z 15 797. — Zu V: Umfassende Darstellung von v. Hippel Die Tierquälerei in der Gesetzgebung des In- und Auslandes 1891. Scholl Z 13 279. Kohler GS. 47 32. Bregenzer Tierethik. Darstellung der sittlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen Mensch und Tier 1894. — Zu V I : Frank G A . 34 145, 36 267, 38 413. v. Bar GS. 40 429. Gillischewski G A . 39 129. Hacke Der grobe Unfug 1892. Kukutsch Grober Unfug. Eine zeitgemäfse Betrachtung 1892. Ernst Müller Gegen den groben Unfug in der heutigen Rechtsprechung, insbesondere den Prefs- und politischen Unfug 1895. Krau/se Z 16 657. — Zu V I I : Leuthold W V . 2 278. — Zu V I I I : Müller W V . 2 467.

I. L a n d s t r e i c h e r e i (Vagabondage) und B e t t e l wird nach StGB. § 361 Ziff. 3 und 4 mit Haft bestraft. Mit dieser kann Arbeitszwang verbunden (oben § 62 II 4), in dem Urteil Uberweisung an die Landespolizeibehörde (oben § 65 II) ausgesprochen werden (StGB. § 362). Das Wesen der Landstreicherei besteht in dem bettelnden Umherwandern von Ort zu Ort. Der grofsstädtische Bummler gehört demnach ebensowenig hierher wie der wandernde Gauner. 2 ) Wegen B e t t e l s wird bestraft, wer entweder selbst bettelt oder (sei es eigne, sei es fremde) Kinder zum Betteln anleitet oder Gewaltuntergebene vom Betteln abzuhalten unterläfst (oben S. 650). Betteln ist das Anrufen der allgemeinen Mildthätigkeit für sich oder Angehörige und mit diesem, auch wenn erfolglos geblieben, vollendet. Verschieden von dem „Betteln" ist das „Sammeln" (Kollektieren) für fremde Personen oder öffentliche Zwecke (Bau einer Kirche). 3 ) Wirksame Bekämpfung dieser beiden verwandten Vergehungen ist nicht möglich ohne Gewährung von Arbeit an arbeitsuchende Individuen einerseits (Naturalverpflegungsstationen, Arbeiterkolonieen, Arbeitsnachweisungsstellen), langwierige Bestrafung unverbesserlicher Landstreicher und Bettler anderseits.

II. Die gleiche Strafe ist weiter in vier ebenfalls untereinander zusammenhängenden Fällen angedroht: 1. Wenn jemand sich dem Spiel, Trunk oder Müfsiggang dergestalt hingibt, dafs er (eben d u r c h dieses Verhalten) in einen Zustand gerät, in welchem zu seinem Unterhalte oder zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet 8) Im wesentlichen übereinstimmend v. Hippel 8: „der gewerbsmäfsige Bettel im Umherziehen." Weiter wohl Frank § 361. *) So die überwiegende Ansicht, auch Frank § 361. Dagegen v. Hippel 10.

654

§ I 9°-

2. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeitspolizei.

ist, durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden mufs (StGB. § 361 Ziff. 5). 2. Wenn jemand, welcher aus öffentlichen Armenmitteln eine Unterstützung empfängt, sich aus Arbeitsscheu weigert, die ihm von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu verrichten (StGB. § 361 Ziff. 7). 3. Wenn jemand nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Prist sich kein anderweitiges Unterkommen (gleich Obdach)1) verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, dafs er solches der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht habe (StGB. § 361 Ziff. 8). 4. Wenn jemand, obwohl er in der Lage ist, diejenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, zu unterhalten, sich der (reichs- oder landesrechtlich ihm auferlegten) UnterhaltspSicht trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde derart entzieht, dafs durch Vermittlung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden mufs (StGB. § 361 Ziff. 10, eingefügt durch Art. 2 des Gesetzes vom 12. März 1894 betr. die Abänderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des StGB.s). Statt der Haft kann in diesem Falle auf Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark erkannt werden. Besondere Strafdrohungen gegen T r u n k e n h e i t sind mithin bisher der Reichsgesetzgebung fremd geblieben. 5 ) Die deutschen Gesetzentwürfe von 1881 und 1892 haben nicht zum Ziele geführt. Wünschenswert wäre: I.Bestrafung desjenigen, der sich in den Zustand der Trunkenheit versetzt und in diesem Zustande eine strafbare Handlung begeht (also Trunkenheit als selbständiges Vergehen); 2. unter gleicher Voraussetzung strenge Rückfallschärfung; 3. bei Gewohnheitssäufern Anhaltung in besonderen Asylen, wenn nötig, nach erfolgter Entmündigung (BGB. § 6) zeitlebens; 4. Verbot des Ausschankes an jugendliche oder bereits betrunkene Personen sowie an Trunkenbolde. Dagegen wäre es gänzlich verfehlt, an den allgemeinen Grundsätzen über Zurechnungsfähigkeit etwas ändern zu wollen. 4 ) Ebenso Köhnc Z 9 296. Dagegen bezieht v. Hippel 27 mit der überwiegenden Ansicht (auch Frank) das Wort „Unterkommen" auf die zum Lebensunterhalt nötigen Mittel. v- Schicker 4. Aufl. 1898. Meves Die Strafbestimmungen der Gewerbeordnung in Beaolds Gesetzgebung 3 i . Kulemann Der Arbeiterschutz sonst und jetzt in Deutschland und im Ausland. 1894. Scuffcrt StG. 45. Zeller GA. 4 4 352. Hilst GS. 55 449, GA. 46 19 über das Gesetz vom 26. Juli 1897). Q u e l l e : Die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869; neue Fassung nach dem Gesetz vom I. Juli 1883. Abgeändert durch Gesetz vom 1. Juni 1891 8 ) Die Rechtsprechung geht viel zu weit. Nach R, zuletzt 14. Juni 95 27 292, genügt die blofs psychische Beunruhigung (auch der Boykott). Ähnlich Kraufse 668, 672, 684 (psychische Beunruhigung, blofse. Gefahrdung genügt, Vorsatz nicht erforderlich); Binding Grundrifs 2 89 (Belästigung eines allein wohnenden Menschen; Erregung von sittlichem Unwillen, ästhetischem Anstois). Übereinstimmend mit dem Text im wesentlichen Berner 692 Note 1, Frank (GA.), Gillischewski, Hacke, Meytr 763, Müller, Olshausen § 360 Ziff. 11, insbesondere aber v. Bar und Frank (Kommentar). Neuerdings verlangt auch R 14. Juni 98 31 185 eine Verletzung oder Gefahrdung des a u f s e r e n Bestandes der öffentlichen Ordnung. 9 ) Vgl. auch unten § 191 I 4.

§ 19t.

I. Die Übertretungen der Gewerbeordnung.

(„Arbeiterschutzgesetz"), Handwerks").

6. August 1 8 9 6 , 26. J u l i

659

1897 („Organisation des

I. Neben den polizeilichen Anordnungen der Gewerbeordnung treten seit dem Gesetz vom 1. Juni 1891 diejenigen Bestimmungen besonders scharf hervor, deren „sozialpolitischer" Zweck es ist, in Ausführung der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1890 die Ausbeutung der gewerblichen Arbeiter oder doch einzelner Arbeiterklassen durch die A r beitgeber hintanzuhalten, Leben, Gesundheit, Sittlichkeit, Weiterbildung der Arbeiter zu sichern und den Arbeitsvertrag (Arbeitsordnung der Fabriken) unter staatliche Aufsicht zu stellen. Hierher gehören, soweit eine Aussonderung möglich ist, die Strafdrohungen gegen folgende Handlungen : 1. Die Verletzung der Koalitionsfreiheit (oben § 100 V). 2. Die Verletzung der Verpflichtung der Gewerbetreibenden (§ 115), die Löhne ihrer Arbeiter bar in Reichswährung auszuzahlen (§ 146 Ziff. 1 : Verbot des Trucksystems). Nach § 1 1 5 dürfen die Gewerbetreibenden ihren Arbeitern keine Waren kreditieren. Doch ist es gestattet, dafs den Arbeitern Lebensmittel für den Betrag der Anschaffungskosten, Wohnung und Landnutzung gegen die ortsüblichen Miet- und Pachtpreise, Feuerung, Beleuchtung, regelmäfsige Beköstigung, Arzneien und ärztliche Hilfe, sowie Werkzeuge und Stoffe zu den ihnen übertragenen Arbeiten unter Anrechnung bei der Lohnzahlung verabfolgt werden. Übertretung der Vorschriften über Lohn- und Abschlagszahlungen (§ 1 1 5 a : nicht in Gast- und Schankwirtschaften usw.) und Lohneinbehaltungen (§ 1 1 9 a) werden nach § 148 Ziff. 13 bestraft. 3. Die Übertretung der in den §§ 135, 136, 137 oder auf Grund der §§ 139, 139 a getroffenen Verfügungen über die Verwendung von jugendlichen Arbeitern und von Arbeiterinnen in den Fabriken (§ 146 Ziff. 2). 4. Die Übertretung der in den §§ 4 1 a , 55 a, 105 b bis g getroffenen Bestimmungen über die Gewährung von Arbeit sruhe an Sonn- und Festtagen (§ 146 a). 5. Die Verletzung der zum Schütze der Arbeiter gegen 42*

ggg

§ 191.

i . Die Übertretungen der Gewerbeordnung.

Gefahren für Lieben und Gesundheit, sowie zur Aufrechthaltung der guten Sitten und des Anstandes (§§ 120 a—e) getroffenen Anordnungen (§ 147 Ziff. 4). 6. Die Betreibung einer Fabrik, für welche eine Arbeitsordnung (§ 134a) nicht besteht, oder Nichterfüllung einer behördlichen Anordnung (§ 1341) wegen Ersetzung oder A b änderung der Arbeitsordnung (§ 147 Ziff. 5); die Nichterfüllung der Pflicht (§§ I 3 4 e und g) zur Einreichung der A r beitsordnung bei der Behörde (§ 148 Ziff. 12); die Verhängung von Strafen (gegen § 134 c Abs. 2), die in der Arbeitsordnung nicht vorgesehen sind oder den gesetzlich zulässigen Betrag übersteigen sowie die Verwendung von Strafgeldern oder verwirkten Lohnbeträgen (§ 134 b Ziff. 5) in einer in der Arbeitsordnung nicht vorgesehenen Weise (§ 148 Ziff. 11); Nichteintragung der Geldstrafen (§ 134 c) in das Register (§ 150 Ziff. 5). 7. Verletzung der Bestimmungen über Arbeitsbücher und Zeugnisse (§ 150 Ziff. 1 bis 3); insbesondere Eintragungen in das Arbeitsbuch (§ i n ) , die dessen Inhaber günstig oder nachteilig zu kennzeichnen bestimmt sind sowie das Versehen der Zeugnisse mit Merkmalen, die den Zweck haben, den A r beiter in einer aus dem Wortlaute des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu kennzeichnen (§ 146 Ziff. 3). 8. Verletzung der gesetzlichen Pflichten gegen die dem Gewerbetreibenden anvertrauten L e h r l i n g e (§ 148 Ziff. 9); das Halten, Anleiten oder Anleitenlassen von Lehrlingen durch Personen, denen (§ 126 a) die Befugnis dazu entzogen ist oder die (§ 126) sich nicht im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden (§ 148 Ziff. 9 a ) ; Verletzung der in den §§ 128, 129, 130 über das Halten usw. von Lehrlingen getroffen Bestimmungen (§ 148 Ziff. 9 b); Beschäftigung eines Lehrlings in demselben Gewerbe (§ 127 c), ehe neun Monate nach Auflösung des Lehrverhältnisses verstrichen sind (§ 148 Ziff. 10); A b schlufs eines nicht ordnungsmäfsigen Lehrvertrages (§ 150 Ziff. 4 a). 9. Anleitung von Arbeitern unter 18 Jahren durch Gewerbetreibende (§ 106), denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind (§ 150 Ziff. 1); Verhinderung solcher Arbeiter (§ 120) am Besuche der Fortbildungsschule (§ 150 Ziff. 4).

§ 191.

I. Die Übertretungen der Gewerbeordnung.

661

II. Dem g e w e r b e p o l i z e i l i c h e n Gebiete gehören dagegen die folgenden Übertretungen ') an : 1. Übertretung des Verbotes (§ 56 Ziff. 6), explosive Stoffe, insbesondere Feuerwerkskörper, Schiefspulver und Dynamit, im Umherziehen feilzubieten (§ 146 Ziff. 4); selbständiger Betrieb eines stehenden Gewerbes, zu dessen Beginn eine besondere polizeiliche Genehmigung (Konzession, Approbation, Bestallung) erforderlich ist, sowie die Errichtung einer gewerblichen Anlage, zu der mit Rücksicht auf die Lage oder Beschaffenheit der Betriebsstätte oder des Lokals eine besondere Genehmigung erforderlich ist — ohne die vorschriftsmäfsige Genehmigung (§ 147 Ziffer I und 2).2) 2. Unbefugte Bezeichnung als Arzt (Wundarzt, Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Tierarzt) oder Führung eines ähnlichen Titels, durch welchen der Glaube erweckt wird, sein Inhaber sei eine geprüfte Medizinalperson (§ 147 Ziff. 3). 3. Beginn eines stehenden Gewerbes ohne vorschriftsmäfsige Anzeige (§ 148 Ziff. i); unterlassene An- oder Abmeldung einer übernommenen Feuerversicherungsagentur (§ 148 Ziff. 2); Nichtanzeige des Betriebslokals (§ 148 Ziff. 3); Betreibung des Tanz-, Turn- oder Schwimmunterrichts oder eines andern in § 35 genannten Gewerbes trotz behördlicher Untersagung oder Unterlassung der bei Beginn des Gewerbes vorgeschriebenen Anzeige (§ 148 Ziff. 4). 4. Übertretung des § 33 b, nach welchem Darbietungen von Lustbarkeiten usw. von Haus zu Haus von der Erlaubnis der Ortspolizeibehörde abhängig gemacht werden; der §§ 42a bis 44a über die Beschränkung des Hausierhandels, des Ankaufens von Waren und des Aufsuchens von Warenbestellungen ; Überlassung der Legitimationskarte oder des Wandergewerbescheins zur Benutzung au andre (§ 148 Ziff. 5) ; wissentlich unrichtige Angaben zum Zwecke der Erlangung einer Legitimationskarte, eines Wandergewerbescheins oder der Erlaubnis zum Mitführen andrer Personen (§ 148 Ziff. 6); Gewerbebetrieb im Umherziehen ohne Wandergewerbeschein, Vertrieb selbstgewonnener Erzeugnisse oder selbstverfertigter Waren (§ 59) trotz der nach § 59 a erfolgten Untersagung (§ 148 Ziff. 7). 5. Verletzung der §§ 56, 56 a und 56 b, nach, welchen gewisse Gegenstände und Leistungen von dem Gewerbebetrieb im Umherziehen ausgeschlossen sind oder ausgeschlossen werden können (§ 148 Ziff. 7 a) ; Zuwiderhandlungen gegen die nach den §§ 56c, 60a, 60b Absatz 2 und 3, 60c Absatz 2 und 3 festgesetzten Beschränkungen in Bezug auf die Art der Ausübung des Gewerbebetriebes (z. B. Verbot des Eintritts in fremde Wohnungen, Feilbieten von Haus zu Haus durch weibliche Minderjährige usw. — § 148 Ziff. 7 b) ; Zuwiderhandlungen gegen die gemäfs §§ 60 Absatz I, 60 b Absatz I oder 60 d Absatz 3 in dem Wandergewerbeschein auferlegten Beschränkungen (§ 148 Ziff. 7 c) ; Mitführung von Kindern unter 14 Jahren beim Gewerbebetrieb im *) Weitere gewerbepolizeiliche Bestimmungen enthalten das Sprengstoffgesetz (oben § 156) sowie die Gesetze gegen Warenfälschung (oben § 157). s ) Vgl. auch StGB. § 360 Ziff. 9.

662

§ 19I-

Die Übertretungen der Gewerbeordnung.

Umherziehen zu gewerblichen Zwecken sowie deren Verwendung zu dem nach § 42 b Absatz 5 verbotenen Gewerbebetrieb (§ 148 Ziff. 7 d); Zuwiderhandlungen gegen die vom Bundesrat in Gemäfsheit des § 56 d in Bezug auf einen Ausländer bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen getroffenen Anordnungen (§ 148 Ziff. 7 e). 6. Überschreitung der von der Obrigkeit vorgeschriebenen oder genehmigten Taxen (§ 148 Ziff. 8). 7. Nichtmitsichfuhren des Erlaubnisscheins (§ 42 b) oder des Legitimationsscheins (§ 43) während der Ausübung des Gewerbebetriebes (§ 149 Ziff. 1); Nichtmitsichfuhren des Verzeichnisses der feilgebotenen Druckschriften (§ 56 letzter Absatz) oder des Wandergewerbescheins (§ 60c Absatz l) bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen (§ 149 Ziff. 2). 8. Gewerbebetrieb im Umherziehen unter Verletzung der Beschränkungen, welche der Wandergewerbeschein in Bezug auf den Gewerbebezirk oder die Warengattungen oder Leistungen enthält (§ 149 Ziff. 3 und 4); unbefugtes Mitsichführen oder Begleiten von Personen bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen (§ 149 Ziff. 5). 9. Zuwiderhandlungen gegen die polizeilichen Bestimmungen wegen des Marktverkehrs (§ 149 Ziff. 6). 10. Zuwiderhandlungen gegen verschiedene, dem Arbeitgeber durch die §§ 105c Absatz 2, I 3 4 e Absatz 2, 138, 1 3 8 a Absatz 5, 1 3 9 b auferlegten Verpflichtungen zur Führung von Verzeichnissen, Aushängung der Arbeitsordnung usw. (§ 149 Ziff. 7). 1 1 . Unbefugte Führung des Meistertitels (§ 148 Ziff. 9c). 12. Nichtanbringen des Familiennamens, bez. der Firma, an dem Laden (§ 1 5 a ; bestraft nach § 148 Ziff. 14). 3 ) III. Die Strafe beträgt: 1. Im Falle des § 146: Geldstrafe bis zu zweitausend Mark und im Unvermögensfalle Gefängnis bis zu sechs Monaten; 2. im Falle des § 1 4 6 a : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bez. Haft; 3. im Falle des § 1 4 7 : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bez. Haft; 4. im Falle des § 148: Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark bez. Haft bis zu vier Wochen; 5. im Falle des § 1 4 9 : Geldstrafe bis zu dreifsig Mark bez. Haft bis zu acht Tagen; 6. im Falle des § 1 5 0 : Geldstrafe bis zu zwanzig Mark bez. Haft bis zu drei Tagen. IV. Über die Verjährungsfrist (§ 145) vgl. oben S. 299; über die Idealkonkurrenz der Übertretungen der Gewerbeordnung mit Zuwiderhandlungen gegen die Steuergesetze vgl. Gewerbeordnung §§ 147 und 148; über die Mithaftung des verfügungsfähigen Gewerbeinhabers, mit dessen Vorwissen sein Stellvertreter eine strafbare Handlung begangen hat (§ 151), oben § 58 Note 5. ') Eingefügt durch Art. 9 Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch (Fassung von 1897).

§ 192-

2. Strafbare Handlungen gegen die Arbeiterversicherungsgesetze,

§ 192.

663

2. Strafbare Handlungen gegen die Arbeiterversicherungsgesetze.

Iiitteratur. Hilst Z 12 553. Fetisch. Z 12 755. 16 224. Frassati Z 15 409. Kulemann Z 16 340.

Zeller Z 14 705,

I. Aus dem Reichsgesetz vom 15. Juni 1883, abgeändert durch Gesetz vom 10. April 1892 und 1. Januar 1893, betreffend die Krankenversicherung der A r b e i t e r , gehören hierher diejenigen Strafdrohungen welche die Durchführung der Anordnungen dieses Gesetzes sichern sollen, während die Strafbestimmungen gegen Untreue bereits oben S. 478 behandelt worden sind. 1. Geldstrafe bis zu zwanzig Mark trifft denjenigen, welcher der ihm obliegenden Verpflichtung zur An- oder Abmeldung (§ 49 und § 2 Abs. 2) oder der ihm (nach § 49 a) obliegenden Anzeigepflicht nicht nachkommt (§ 81). 2. Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Haft trifft die Arbeitgeber, welche den von ihnen beschäftigten, dem Krankenversicherungszwange unterliegenden Personen bei der Lohnzahlung höhere als die nach dem Gesetze (§§ 53 UQ d 65) zulässigen Beträge in Anrechnung bringen oder der Bestimmung des § 53 Abs. 3 (Verpflichtung zahlungsunfähiger Arbeitgeber, die Lohnabzüge sofort an die berechtigte Kasse abzuliefern) oder dem Verbot des § 80 (die Anwendung der Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes zum Nachteile der Versicherten durch Verträge [mittels Reglements oder besonderer Übereinkunft] aüszuschliefsen oder zu beschränken) entgegenhandeln (§ 82). 3. Neben den zur Leitung oder zur Beaufsichtigung des Betriebes bestellten Personen ist der Arbeitgeber strafbar, wenn die Zuwiderhandlung mit seinem Vorwissen begangen ist, oder wenn er bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Betriebes oder bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Betriebsleiter oder Aufsichtspersonen es an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen (§ 82 a). 4. Arbeitgeber, welche den von ihnen beschäftigten Personen auf Grund des § 53 Lohnbeträge in Abzug bringen, diese Beträge aber in der Absicht, sich oder einem dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen oder die berechtigte Gemeindekrankenversicherung oder Krankenkasse zu schädigen, den letzteren vorenthalten, werden mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschliefslich auf Geldstrafe erkannt werden (§ 82 b). 1 ) ') Das sind dieselben Strafdrohungen wie in StGB. § 263. Ideelle Konkurrenz mit Betrug kann dennoch wichtig werden, da § 82b den Versuch straflos läfst. Bei Annahme eines versuchten Betrugs ist aber auch StGB, § 263 Abs. 4 anzuwenden.

664

§ 1 9 2 - 2. Strafbare Handlungen gegen die Arbeiterversicherungsgesetze.

IL Dagegen überläfst das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 die Erzwingung der von ihm gegebenen Vorschriften im allgemeinen der Ordnungsstrafbefugnis der Genossenschaftsvorstände (§§ 103 bis 106. Mit peinlicher Strafe ist nur die Untreue der Vorstandsmitglieder und Vertrauensmänner (oben S. 478), sowie die Offenbarung der Betriebsgeheimnisse (oben S. 436) bedroht. Auf demselben Standpunkte steht das Gesetz, betreffend die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen vom 5. Mai 1886 (§§ 1 2 3 bis 125 Ordnungsstrafen, § 3 1 Untreue, §§ 127, 1 2 8 Offenbarung von Betriebsgeheimnissen). Dasselbe gilt auch von den beiden Gesetzen vom 11., bez. 13. Juli 1 8 8 7 , betreffend die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen, bez. der Seeleute und andrer bei der Seeschiffahrt beteiligter Personen. III. Das Gesetz, betr. Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889, enthält aufser den Ordnungsstrafen (in §§ 142 bis 146), den Strafdrohungen gegen Untreue (oben S . 478), die Offenbarung von Betriebsgeheimnissen (oben S. 436) und gegen Fälschungshandlungen an Versicherungsmarken (oben § 163 IV) eine Reihe weiterer Strafbestimmungen. § 147. Arbeitgeber oder deren Angestellte, welche Verträge geschlossen haben, durch welche die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes zum Nachteil der Versicherten ganz oder teilweise ausgeschlossen oder durch welche diese in der Übernahme oder Ausübung eines in Gemäfsheit dieses Gesetzes ihnen übertragenen Ehrenamtes beschränkt werden, werden mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Haft bestraft. § 148. Die gleiche Strafe (§ 147) trifft 1. Arbeitgeber, welche den von ihnen beschäftigten, dem Versicherungszwange unterliegenden Personen wissentlich mehr als die Hälfte des für die beiden letzten Lohnperioden verwendeten, beziehungsweise in diesen fällig gewordenen, Betrages an Marken bei der Lohnzahlung in Anrechnung bringen (§§ 109 Abs. 3, 112 Abs. 2); 2. Angestellte, welche einen solchen gröfsern Abzug wissentlich bewirken; 3. diejenigen Personen, welche dem Berechtigten eine Quittungskarte widerrechtlich vorenthalten. Die Strafbestimmungen unter Ziffer I und 2 finden auf den Fall des § 119 (Unterbrechung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses) keine Anwendung. § 149. Arbeitgeber, welche wissentlich andere als die vorgeschriebenen Marken verwenden, sowie Angestellte und Versicherte, welche wissentlich eine solche unrichtige Verwendung bewirken, werden mit Geldstrafe von zwanzig

§ '93-

3- Strafbare Handlungen auf dem Gebiete des Aktienwesens.

665

bis eintausend Mark oder mit Gefängnis bestraft. Bei mildernden Umständen kann die Strafe bis auf drei Mark oder einen T a g H a f t ermäfsigt werden. § 151. Wer in Quittungskarten Eintragungen oder Vermerke macht, welche nach § 108 unzulässig sind (Urteile über Führung oder Leistungen), wird mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Bei mildernden Umständen kann statt der Gefängnisstrafe auf H a f t erkannt werden.

§ 193.

3. Strafbare Handlungen auf dem Gebiete des Aktienwesens.

I i i t t e r a t u r . Katz Die strafrechtlichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs usw. 1885. Fuld GS. 37 431. Hälschner 2 978. Frassati Z 15 409. Jordan (oben 137 Note 7). Da die Bestimmungen des auf der Novelle vom I I . Juni 1870 betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften beruhenden bisherigen Rechts sich in der praktischen Anwendung als unzulänglich herausstellten, um dem G r ü n d u n g s s c h w i n d e l in seinen vielfachen, aber doch immer auf dieselben Grundformen zurückführenden Gestalten wirksam zu steuern, hat die Reichsgesetzgebung sich veranlafst gefunden, in dem Gesetze vom 18. Juli 1884 die vorhandenen Strafdrohungen wesentlich zu erweitern und zugleich bedeutend, insbesondere durch Verbindung von schweren, über das bisherige Höchstmafs (oben § 63 II) weit hinausgehenden Geldstrafen mit der Gefängnisstrafe, zu erhöhen. Die Gesetzgebung verfolgte dabei insbesondere das Ziel, die Verantwortlichkeit der bei der G r ü n d u n g des Unternehmens mittelbar oder unmittelbar Beteiligten, sowie der mit der V e r w a l t u n g u n d B e a u f s i c h t i g u n g betrauten Personen zivil- und strafrechtlich zu verschärfen; weiter überhaupt durch Straf- und Ordnungsvorschriften den Aktionären wie dem Publikum einen gröfsern Schutz zu verleihen. Die Bestimmungen sind mit geringfügigen Abänderungen in das neue Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 §§ 3 1 2 bis 318 (in Kraft.vom I. Januar 1900) übergegangen und werden hier in dieser Fassung zur Darstellung gebracht. 1 )

Strafbar sind danach: I. Die Untreue der Leiter der Gesellschaft (§ 312), bereits oben § 133 IV behandelt. II. Wissentlich 2 ) falsche Angaben behufs Eintragung des Gesellschaftsvertrages oder einer Erhöhung des Kapitals in das Handelsregister oder in einer Ankündigung *) Die §§ 3 1 2 bis 318 betreffen nur Aktiengesellschaften. Nach § 325 Ziff. 9 finden aber die den Vorstand der Aktiengesellschaft betreffenden Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf die persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien entsprechende Anwendung. 2 ) Unbestimmter Vorsatz genügt; vgl. oben § 39 Note 6.

§ I 93- 3' Strafbare Handlungen auf dem Gebiete des Aktienwesens.

666

von Aktien. Die Vollendung ist mit der falschen Angabe gegeben*, Eintritt einer Vermögensbeschädigung, sei es der Gesellschaftsmitglieder, sei es dritter Personen, ist nicht erforderlich. Und zwar bedroht § 3 1 3 : 1. G r ü n d e r oder Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrats, die zum Zwecke der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister in Ansehung der Zeichnung oder Einzahlung des Grundkapitals oder der in § 186 vorgesehenen Festsetzungen (insbesondere der Gründervorteile, Apports, des Gründungsaufwands) wissentlich falsche Angaben machen; 2. diejenigen, welche in Ansehung der vorerwähnten Thatsachen wissentlich falsche Angaben in einer in § 203 vorgesehenen Ankündigung von Aktien machen; 3. Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrats, die zum Zwecke der Eintragung einer Erhöhung des Grundkapitals in das Handelsregister in Ansehung der Einzahlung des bisherigen oder der Zeichnung oder Einzahlung des erhöhten Kapitals oder in Ansehung des Betrages, zu welchem die Aktien ausgegeben werden, oder in Ansehung der im § 279 bezeichneten Festsetzungen (§ 279 entspricht für Nachgründungen dem in Ziff. I oben erwähnten § 186) wissentlich falsche Angaben machen. S t r a f e : Gefängnis; daneben Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark. Ehrverlust nach Ermessen. Bei mildernden Umständen ausschliefslich Geldstrafe.

III. § 314 fafst zusammen: 1. Die Verschleierung des Vermögensstandes; 2. und 3. Vorzeitige Ausgabe der Aktien; 4. und 5. Ausgabe von Aktien unter dem gesetzlichen Nennbetrage („Kleinaktien"). Mitglieder des Vorstandes oder des Aufsichtsrats oder Liquidatoren werden, wenn sie wissentlich 3) 1. in ihren Darstellungen, in ihren Übersichten über den Vermögensstand der Gesellschaft oder in den in der Generalversammlung gehaltenen Vorträgen den Stand der Verhältnisse der Gesellschaft u n w a h r d a r s t e l l e n o d e r v e r schleiern; 2. auf Namen lautende Aktien, in denen der Betrag der geleisteten Einzahlungen nicht angegeben ist (§ 179 Abs. 4), oder auf den Inhaber lautende Aktien a u s g e b e n , b e v o r darauf der Nennbetrag oder, falls der Ausgabepreis höher ist, dieser Betrag voll geleistet ist; 3. Aktien oder Interimsscheine a u s g e b e n , b e v o r die Gesellschaft oder im Falle einer Erhöhung des Grundkapitals die erfolgte Erhöhung in das Handelsregister eingetragen ist; 4. aufser den Fällen des § 180 Abs. 2, 3 Aktien oder Interimsscheine ausgeben, die auf einen g e r i n g e r e n B e t r a g als eintausend Mark gestellt sind; 3

) Vorsatz in allen Fällen erforderlich.

Vgl. Note 2.

§ '93- 3- Strafbare Handlungen auf dem Gebiete des Aktienwesens.

667

5. in den Fällen des § 180 Abs. 2, 3 Aktien oder Interimsscheine ausgeben. in denen die im § 180 Abs. 4 vorgeschriebenen A n g a b e n n i c h t enthalten sind. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahr; daneben Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark. I m Falle unter I Ehrverlust nach Ermessen. Bei mildernden Umständen ausschliefslich Geldstrafe.

IV. Es folgen in § 3 1 5 : 1. Die Unterlassung der W a h l des Aufsichtsrats; 2. (bereits oben § 137 VI erwähnt) die Unterlassung der Anmeldung des Konkurses. Nachweis eines Verschuldens nicht erforderlich. Bestraft werden (1.) die Mitglieder des Vorstandes oder die Liquidatoren sowie die Mitglieder des Aufsichtsrats, wenn länger als drei Monate die Gesellschaft ohne Aufsichtsrat geblieben ist oder in dem letztern die zur Beschlufsfähigkeit erforderliche Zahl von Mitgliedern gefehlt hat. S t r a f e : Gefängnis bis zu drei Monaten; daneben Geldstrafe bis zu fünftausend Mark. Bei mildernden Umständen ausschliefslich Geldstrafe. Straflos bleibt derjenige," bezüglich dessen festgestellt wird, dafs die Bestellung oder Ergänzung des Aufsichtsrats (oder der Eröffnungsantrag) ohne sein Verschulden unterblieben ist.

V. In § 3 1 6 ist bedroht die Ausstellung oder Benutzung falscher Bescheinigungen behufs Abstimmung („Fälschung des Mehrheitswillens"). Vorsatz erforderlich. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark wird bestraft, wer über die Hinterlegung von Aktien oder Interimsscheinen Bescheinigungen, die zum Nachweise des Stimmrechts in einer Generalversammlung dienen sollen, wissentlich falsch ausstellt oder verfälscht (womit hier auch die „Fälschung" umfafst wird) oder von eilier solchen Bescheinigung, wissend, dafs sie falsch oder verfälscht ist, zur Ausübung des Stimmrechts Gebrauch macht. 4 ) Ehrverlust nach Ermessen. Bei mildernden Umständen tritt ausschliefslich die Geldstrafe ein.

VI. Der Stimmenverkauf, nachgebildet in Fassung und Strafdrohung dem § 143 der KO. 6 ). Nach § 3 1 7 wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft, wer 6 ) sich besondere Vorteile dafür gewähren oder versprechen Iäfst, dafs er (persönlich oder durch einen Stellvertreter) bei einer Abstimmung in der Generalversammlung (also nicht in einer Vorstandssitzung) in einem, gewissen Sinne stimme oder an der Abstimmung in der Generalversammluag nicht Teil nehme. Die gleiche Strafe trifft den Stimmenkäufer. 4

) Sonderdelikt gegenüber StGB. §§ 267 ff. ) Vgl. oben § 136 III. Das dort Gesagte findet auch hier Anwendung. •) Als Aktionär oder auch als dessen Beauftragter von einem andern als dessen Auftraggeber. 6

668

§ '94-

4- Die übrigen Übertretungen der Gewerbepolizei.

VII. Unberechtigte Benutzung fremder Aktien bei Abstimmungen. Wer die Aktien eines andern, zu dessen Vertretung er nicht befugt ist, ohne dessen Einwilligung zur Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung oder zur Ausübung eines der in den §§ 254, 264, 266, 268, 271, 295, 309 bezeichneten Rechte benutzt, wird mit einer Geldstrafe von zehn bis dreifsig Mark für jede der Aktien, jedoch nicht unter eintausend Mark, bestraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher Aktien eines andern gegen Entgelt leiht und für diese eins der vorbezeichneten Rechte ausübt, sowie denjenigen, welcher hierzu durch Verleihung der Aktien wissentlich mitwirkt (§ 318).')

VIII. Zwei neue strafbare Handlungen hat das Gesetz vom 10. Mai 1897 geschaffen: 1. Die Verletzung der Pflichten dem Lehrling gegenüber; 2. Ordnungswidrigkeiten der Handelsmäkler. 1. § 82 (am I. Januar 1898 in Kraft getreten): Wer die ihm nach § 62 Abs. I, 2 oder nach § 76 Abs. 2, 3 dem L e h r l i n g gegenüber obliegenden Pflichten in einer dessen G e s u n d h e i t , S i t t l i c h k e i t oder A u s b i l d u n g gefährdenden Weise verletzt, wird mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher, obwohl er nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte ist, Handlungslehrlinge hält, ausbildet oder ausbilden läfst. 2. § 103: H a n d e l s m ä k l e r , die den Vorschriften über die Führung und Aufbewahrung des T a g e b u c h s zuwiderhandeln, werden mit Geldstrafe bis tausend Mark bestraft.

§ 194.

4. Die übrigen Übertretungen der Gewerbepolizei.

Iiitteratur.

Frassati Z 15 409.

I. Zuwiderhandlungen gegen die im öffentlichen Interesse getroffenen Anordnungen des Gesetzes vom 7. April 1876 (abgeändert durch Gesetz vom 1. Juni 1884) über die eingeschriebenen Hilfskassen. Mitglieder des Vorstandes, des Ausschusses oder einer örtlichen Verwaltungsstelle werden mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark bestraft. Vorsätzliches Handeln zum Nachteile der Kasse unterliegt den Strafbestimmungen gegen Untreue (oben S. 478). 'J Den Gehülfen trifft also hier die volle Thäterstrafe.

§ 194-

4- Die übrigen Übertretungen der Gewerbepolizei.

669

II. Eine Reihe von Strafdrohungen enthält das dem Aktiengesetz von 1884 nachgebildete Gesetz betr. die Er-

werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889, abgeändert 12. August 1896. 1. § 140 bestraft die Untreue; vgl. oben S. 478. 2. § 141 bedroht Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates und Liquidatoren, wenn sie in den von ihnen dem Gerichte zu machenden Anmeldungen, Anzeigen und Versicherungen w i s s e n t l i c h f a l s c h e Angaben machen, oder in ihren Darstellungen, ihren Übersichten über den Vermögensstand der Genossenschaft, über die Mitglieder und die Haftsumme, oder in den in der Generalversammlung gehaltenen Vorträgen den Stand der Verhältnisse der Genossenschaft wissentlich 1 ) unwahr darstellen. S t r a f e : Gefängnis bis zu einem Jahr; daneben Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Ehrverlust nach Ermessen. Bei mildernden Umständen ausschliefslich Geldstrafe. 3. § 142 bedroht die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates und die Liquidatoren, wenn länger als drei Monate die Genossenschaft ohne Aufsichtsrat geblieben ist oder in dem letzteren die zur Beschlufsfähigkeit erforderliche Zahl von Mitgliedern gefehlt hat (Ziff. i). Die in Ziff. 2 enthaltene Strafdrohung wegen verspäteter Beantragung der Konkurseröffnung wurde bereits oben § 137 VI erwähnt. S t r a f e : Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten oder beide Strafen zugleich. Die Strafe tritt nicht gegen denjenigen ein, welcher nachweist, dafs die Unterlassung ohne sein Verschulden geschehen ist. 4. § 143. Mitglieder des Vorstandes werden mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft: wenn ihre Handlungen auf andere als die im § I erwähnten geschäftlichen Zwecke gerichtet sind, oder wenn sie in der Generalversammlung die Erörterung von Anträgen gestatten oder nicht hindern, welche auf öffentliche Angelegenheiten gerichtet sind, deren Erörterung unter die Gesetze Über das Versammlungs- und Vereinsrecht fällt. § 144. Die Mitglieder des Vorstandes eines Revisionsverbandes werden, wenn unterlassen ist, die Versammlung in Gemäfsheit des § 57 Abs. 2 anzuzeigen, mit Geldstrafe bis sechshundert Mark bestraft. — Die Strafe tritt nicht gegen denjenigen ein, welcher nachweist, dafs die Unterlassung ohne sein Verschulden geschehen ist. § 145. (Stimmenverkauf.) Wer sich besondere Vorteile dafür hat gewähren oder versprechen lassen, dafs er bei einer Abstimmung in der Generalversammlung in einem gewissen Sinne stimme, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (vgl. § 193 VI).

III.

Die

Strafbestimmungen

des

Gesetzes

betreffend

*) Unbestimmter Vorsatz genügt auch hier; vgl. oben § 39 Note 6.

§ 194-

4- Die übrigen Übertretungen der Gewerbepolizei.

die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 sind ebenfalls denjenigen des Aktiengesetzes teilweise nachgebildet, aber wesentlich milder. Die §§ 81 und 82 des Gesetzes sind bereits oben S. 483 und 487 bei der Darstellung des Bankbruches angeführt worden. Strafdrohungen gegen Untreue und Stimmenverkauf fehlen. An dieser Stelle bedarf nur noch § 80 der Erwähnung. Nach § 80 werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre und zugleich mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark bestraft: 1. Geschäftsführer und Mitglieder, welche behufs Eintragung des Gesellschaftsvertrages in das Handelsregister, sowie Geschäftsführer, welche behufs Eintragung einer Erhöhung des Stammkapitals in das Handelsregister dem Gericht hinsichtlich der Einzahlungen auf die Stammeinlagen w i s s e n t l i c h f a l s c h e A n g a b e n machen; 2. Geschäftsführer, welche, um die Eintragung einer Herabsetzung des Stammkapitals in das Handelsregister zu erwirken, dem Gerichte hinsichtlich der Befriedigung oder Sicherstellong der Gläubiger w i s s e n t l i c h e i n e unw a h r e V e r s i c h e r u n g abgeben; 3. Mitglieder, Liquidatoren, sowie Mitglieder eines Aufsichtsrates oder ähnlichen Organs, welche in einer öffentlichen Mitteilung die V e r m ö g e n s lage der G e s e l l s c h a f t w i s s e n t l i c h unwahr darstellen oder verschleiern. Ehrverlust nach Ermessen. Bei mildernden Umständen ausschliefslich Geldstrafe.

IV. Das Gesetz betr. die Abänderung des unter II besprochenen Gesetzes und den Geschäftsbetrieb von Konsumanstalten vom 12. August 1896 bedroht: 1. Den Verkauf von Waren an andre Personen als an Mitglieder oder deren Vertreter durch die zum Verkauf für den Verein bestimmten Personen (§ 145 a). Die Verkäufer werden, wenn sie der Vorschrift des § 8 Absatz 4 zuwider wissentlich oder ohne Beobachtung der nach § 30 a von dem Vorstande (bezüglich der Legitimation der Mitglieder) erlassenen Anweisung Waren an andere Personen als an Mitglieder oder deren Vertreter v e r k a u f e n , mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark bestraft. Gleiche Strafe trifft das Mitglied, welches seine L e g i t i m a t i o n , durch die es zum Warenkauf in einem Konsumverein oder bei einem mit diesem wegen Warenabgabe an die Mitglieder in Verbindung stehenden Gewerbetreibenden berechtigt wird, einem dritten zum Zweck unbefugter Warenentnabme überläfst. Dritte, welche von solcher Legitimation zu demselben Zweck G e b r a u c h m a c h e n oder auf andere Weise zu unbefugter Warenabgabe zu verleiten unternehmen, werden in gleicher Weise bestraft.

§ 194-

4- Die übrigen Übertretungen der Gewerbepolizei.

(571

2. Die g e w o h n h e i t s m ä ß i g e oder gewerbsmäfsige W e i t e r v e r ä u f s e r u n g an Nichtmitglieder (§ 145 b). Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark wird bestraft, wer Waren, die er aus dem Konsumverein oder von einem mit diesem wegen Warenabgabe in Verbindung stehenden Gewerbetreibenden auf Grund seiner Mitgliedschaft bezogen hat, gegen Entgelt gewohnheitsmäfsig oder gewerbsmäfsig an Nichtmitglieder verändert. D ü s e Bestimmung findet keine Anwendung: 1. Wenn ein Mitglied eines Konsumvereins die von ihm bezogenen Waren in seiner Speiseanstalt oder an seine Kostgänger zum alsbaldigen persönlichen Verbrauch abgibt; 2. wenn ein Konsumverein, welcher Mitglied eines anderen Konsumvereins ist, die aas letzterem bezogenen Waren an seine Mitglieder abgibt.

3. Von Konsumvereinen oder von Gewerbetreibenden, welche mit solchen wegen Warenabgabe an die Mitglieder in Verbindung stehen, dürfen M a r k e n o d e r s o n s t i g e nicht auf den Namen lautende Anweisungen oder W e r t z e i c h e n , welche anstatt baren Geldes die Mitglieder zum Warenbezug berechtigen sollen, nicht ausgegeben werden (§ 30 b). Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu 150 Mk. bestraft (§ 145 c). V . Das Gesetz vom 13. Mai 1884, betreffend die A n fertigung und Verzollung von Zündhölzern, bedroht: 1. Zuwiderhandlungen gegen § 1, nach welchem die Anfertigung von Zündhölzern unter Verwendung von weifsem Phosphor nur in Anlagen stattfinden darf, welche ausschüefsllch für die Herstellung von Zündhölzern benutzt werden. S t r a f e : Geldstrafe bis zu dreihundert Mark, im Unvermögensfalle Haft. Neben, der Strafe ist auf Einziehung der in dem gesetzwidrigen Betriebe benutzten beweglichen Gegenstände und der hergestellten Zündhölzer zu erkennen (§ 3).

2. Zuwiderhandlungen gegen die in § 2 des Gesetzes getroffenen Bestimmungen zum Schutze der Gesundheit jugendlicher Arbeiter und von Kindern (§ 4). S t r a f e : Geldstrafe bis zu zweitausend Mark; im Unvermögensfalle Gefängnis bis zu sechs Monaten. Die Geldstrafe fliefst der in § 116 Gewerbeordnung bezeichneten Kasse zu (vgl. oben S. 268). In beiden Fällen genügt Fahrlässigkeit.

6 7 2 § 195-

Strafb. Handlungen gegen das Münz-, Bank- u. Börsenwesen.

VIII.

Strafbare Handlungen gegen das Verkehrswesen.

§ 195.

I. Strafbare Handlungen gegen das Münz-, Bankund Börsenwesen.

Litteratur.

Zu I und II: Hälschner 2 976. — Zu I V : Fuld GS. 54 186.

I. Nach Artikel 13 des Münzgesetzes vom 9. Juli 1873 ist der Bundesrat befugt, den Wert zu bestimmen, über welchen hinaus fremde Gold- und Silbermünzen nicht in Zahlung angeboten und gegeben werden dürfen, sowie den Umlauf fremder Münzen gänzlich zu untersagen. Gewohnheitsmäfsige oder gewerbsmäfsige (oben S. 242) Zuwiderhandlungen gegen die vom Bundesrate nach dieser Richtung hin getroffenen Anordnungen werden mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft.

II. Das Reich hat von dem ihm durch die Verfassung eingeräumten Rechte zur Regelung des Bankwesens nur in Bezug auf das Notengeschäft der Zettelbanken (Ausgabe von Banknoten) Gebrauch gemacht. Aus den hierher gehörenden Bestimmungen des Reichsbankgesetzes vom 14. März 1875 interessieren uns die folgenden: 1. D i e u n b e f u g t e A u s g a b e v o n B a n k n o t e n oder sonstigen auf den Inhaber lautenden unverzinslichen Schuldverschreibungen (wohin auch die Ausgabe von Banknoten gehört, welche auf einen Betrag unter einhundert Mark lauten), ist verboten (§ 55). S t r a f e : Geldstrafe, welche dem zehnfachen des Betrages der ausgegebenen Wertzeichen gleichkommt, mindestens aber fünftausend Mark beträgt.

2. Nach § 43 des Gesetzes dürfen Noten einer Bank, die sich bei Erlafs des Gesetzes im Besitze der Befugnis zur Notenausgabe befand, a u f s e r h a l b d e s j e n i g e n S t a a t e s , welcher ihr diese Befugnis erteilt hat, zu Z a h l u n g e n n i c h t g e braucht werden. Der Umtausch solcher Noten gegen andre Banknoten, Papiergeld oder Münzen unterliegt diesem Verbot nicht.

§ 195-

Strafb. Handlungen gegen das Münz-, Bank- u. Börsenwesen.

Zuwiderhandlungen werden nach § 56 mit Geldstrafe bis zu

673

einhundert-

fünfzig Mark bestraft.

3. A u s l ä n d i s c h e B a n k n o t e n oder sonstige auf den Inhaber lautende unverzinsliche Schuldverschreibungen ausländischer Korporationen, Gesellschaften oder Privaten dürfen, wenn sie ausschliefslich oder neben andern Wertbestimmungen in R e i c h s w ä h r u n g o d e r in e i n e r d e u t s c h e n L a n d e s w ä h r u n g a u s g e s t e l l t s i n d , innerhalb des Reichsgebietes zu Zahlungen nicht gebraucht werden (§ 11). D i e Verletzung dieser Anordnung w i r d (§ 57) mit Geldstrafe von fünfzig bis zu fünftausend Mark,

bei gewerbsmäfsiger Verwendung

fängnis bis zu einem Jahre bestraft.

nebenbei mit Ge-

V e r s u c h strafbar.

4. Den Notenbanken ist nicht gestattet (§ 7): a) Wechsel zu acceptieren; b) Waren oder kurshabende Papiere für eigne oder für fremde Rechnung auf Zeit zu kaufen oder auf Zeit zu verkaufen oder für die Erfüllung solcher Kaufs- oder Verkaufsgeschäfte Bürgschaft zu übernehmen. D i e Mitglieder des Vorstandes, welche dieser Bestimmung zuwiderhandeln, werden (§ 58) mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark bestraft.

5. Banken, welche bei Erlafs des Gesetzes sich im Besitze der Befugnis zur Notenausgabe befanden, dürfen (§ 42) a u f s e r h a l b d e s j e n i g e n S t a a t e s , welcher ihnen diese Befugnis erteilt hat, Bankgeschäfte durch Z w e i g a n s t a l t e n weder betreiben, noch d u r c h A g e n t e n f ü r i h r e R e c h n u n g betreiben lassen, noch a l s G e s e l l s c h a f t e r an B a n k h ä u s e r n sich beteiligen. Die Übertretung

dieser Anordnung w i r d (§ 58) an den Vorstehern der

Zweiganstalt, an den Agenten und Gesellschaftern der B a n k

und an den Mit-

gliedern des Bankvorstandes mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark bestraft.

6. Wissentlich unwahre D a r s t e l l u n g o d e r V e r s c h l e i e r u n g d e s S t a n d e s d e r B a n k v e r h ä l t n i s s e in den (durch § 8) vorgeschriebenen Veröffentlichungen ist strafbar. S t r a f e : (gegen die Mitglieder des Vorstandes): Gefängnis bis zu drei Monaten (§ 59 Ziff. 1).

7. Ebenso die unrichtige Aufstellung der im § 10 vorgeschriebenen Nach Weisungen, sodafs dadurch der s t e u e r p f l i c h t i g e N o t e n b e d a r f zu g e r i n g a n g e g e b e n w i r d . Strafe

gegen die Mitglieder des Vorstandes:

Geldstrafe, welche dem

zehnfachen der hinterzogenen Steuer gleichsteht, mindestens aber fünfhundert Mark beträgt (§ 59 Ziff. 2). von L i s z t , Strafrecht. 9. Aufl.

43

674

§ 195-

1

• Strafb. Handlungen gegen das Münz-, Bank- u. Börsenwesen.

8. Dieselbe Strafe (Mindestmafs das zehnfache des zuviel ausgegebenen Betrages) wird gegen dieselben Personen verhängt, wenn die Bank m e h r N o t e n a u s g i b t , als sie auszugeben befugt ist, oder wenn eine Korporation, welche das Recht zur Ausgabe von auf den Inhaber lautenden unverzinslichen Schuldverschreibungen besitzt, mehr solche Geldzeichen ausgibt, als sie auszugeben befugt ist ( § 5 9 Ziff. 3). III. An § 55 des Bankgesetzes (oben II 1) knüpfen die Strafdrohungen gegen die unbefugte Ausgabe von Inhaberpapieren, die nach Art. 34 IV EG. zum B G B . als § 145 a dem StGB, eingefügt werden sollen. W e r im Inlande Schuldverschreibungen

auf

den Inhaber, in

deuen die

Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird, ohne die erforderliche staatliche Genehmigung ausstellt und in den Verkehr bringt, wird mit einer Geldstrafe bestraft, die dem fünften Teile des Nennwerts

der

ausgegebenen

Schuldverschreibungen gleichkommen kann, mindestens aber dreihundert Mark beträgt.

IV. Die Bestimmungen des Börsengesetzes vom 32, Juni 1896 sind bereits an andrer Stelle gröfstenteils erwähnt worden; so §§ 75, 76, beim B e t r u g (oben § 140 IV), § 78 beim Wucher (oben § 143 VI), § 79 bei der U n t r e u e (oben § 135 VI). An dieser Stelle ist nur noch § 77 des Gesetzes zu erwähnen, der die widerrechtliche V e r b r e i t u n g v o n K u r s z e t t e l n unter Strafe stellt. W e r wissentlich den Vorschriften der §§ 40, 4 1 , Preislisten (Kurszettel) veröffentlicht oder in mechanisch

5 1 und 5 2

zuwider 1 )

hergestellter Verviel-

fältigung verbreitet, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.

V. Auch die Strafdrohungen des Bankdepotgesetzes sind bereits erledigt worden. Vgl. über die §§ 7 und 11 oben bei der Unterschlagung ( § 1 3 1 IV), über den § 10 oben beim Bankbruch (§ 137 VII). x ) Preislisten für Wertpapiere vor der Zuteilung an die Zeichner; für Wertpapiere, die zum Börsenhandel nicht zugelassen sind; für verbotene Börsentermingeschäfte.

§196,

2. Vergehen gegen die Mafs-, Gewichts- und LegieruDgspolizei.

§ 196.

2. Strafbare Handlungen in Bezug auf die Mafsund Gewichts- sowie die Legierungspolizei.

I. Übertretungen der Mars- und Gewichtsordnung. Das RStGB. bedroht in § 369 Ziff. 2 mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder mit Haft bis zu vier Wochen Gewerbetreibende, bei denen 1 ) zum Gebrauch in ihrem Gewerbe geeignete, mit dem gesetzlichen Eichungsstempel nicht versehene oder unrichtige Mafse, Gewichte oder Wagen vorgefunden werden oder welche sich einer andern Verletzung der Vorschriften über die Mafs- und Gewichtspolizei schuldig machen. 2 ) Neben der Strafe ist auf Einziehung der vorschriftswidrigen Mefswerkzeuge zu erkennen.

II. Übertretung des Gesetzes betr. die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäfse vom 20. Juli 1881. Nach § 5 trifft Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder Haft bis zu vier Wochen Gast- oder Schankwirte, welche den in diesem Gesetze gegebenen Vorschriften zuwiderhandeln. Gleichzeitig ist auf Einziehung der vorschriftswidrig befundenen Schankgefäfse zu erkennen; auch kann deren Vernichtung ausgesprochen' werden.

III. Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom 1. März 1895 haben die Erhöhung der Vermessungsgebühren auf den doppelten, bez. zehnfachen, Betrag zu F o l g e (§ 36). IV. Verletzung des Gesetzes über den Feingehalt der Gold- und Silberwaren vom 16. Juli 1884. Nach § 9 wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft: 1. Wer Gold- oder Silberwaren, welche nach diesem Gesetze mit einer Angabe des FeiDgehaltes nicht versehen sein dürfen, mit einer solchen Angabe versieht; 2. wer Gold- oder Silberwaren, welche nach diesem Gesetze mit einer Angabe des Feingehalts versehen sein dürfen, mit einer andern als der nach diesem Gesetze zulässigen Feingehaltsangabe versieht; 3. wer gold- oder silberähnliche Waren mit einem durch dieses Gesetz vorgesehenen Stempelzeichen oder mit einem Stempelzeichen versieht, welches nach diesem Gesetze als Feingehaltsbezeichnung für Gold- oder Silberwaren nicht zulässig ist; 4. wer Waren feilhält, welche mit einer gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes verstofsenden Bezeichnung versehen sind. Vorsatz erforderlich. Mit der Verurteilung ist zugleich auf Vernichtung ') In deren zum Verkehr mit den Kunden bestimmten Geschäftsräumen. *) Mafs- und Gewichtsordnung vom 17. August 1868, abgeändert durch Reichsgesetz vom 26. April 1893 u n d Eichordnung vom 27. Dezember 1884. 43*

676

§ I 97-

3- Vergehen gegen das Eisenbahn-, Telegraphen- u. Postwesen.

der gesetzwidrigen Bezeichnung oder, wenn diese in andrer Weise nicht möglich ist, auf Zerstörung der Waren zu erkennen. 8 )

V. Endlich gehört hierher die Verletzung des Gesetzes betr. die elektrischen Marseinheiten vom 1. Juni 1898. Bei der gewerbsmäfsigen Abgabe elektrischer Arbeit dürfen Mefswerkzeuge, sofern sie zur Bestimmung der Vergütung dienen sollen, nur verwendet werden, wenn ihre Angaben auf den gesetzlichen Einheiten (Ohm, Ampere, Volt) beruhen. Der Gebrauch unrichtiger Mefsgeräte ist verboten. Der Bundesrat kann Verordnungen über Beglaubigung und amtliche Überwachung der Mefswerkzeuge erlassen (§ 6). Zuwiderhandlungen trifft Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder Haft bis zu vier Wochen. „Neben der Strafe kann auf Einziehung der vorschriftswidrigen oder unrichtigen Mefswerkzeuge erkannt werden." 1 )

§ 197.

3. Strafbare Handlungen in Bezug auf das Eisenbahn-, Telegraphen- und Postwesen.

I j i t t e r a t u r . Bczold Die strafrechtlichen Bestimmungen in dem Gesetz über das Postwesen. In Bezolds Gesetzgebung 3 i S. 355. Supper und Darnbach {Litt, zu § 150). Maas Archiv für öffentliches Recht 7 479. Fischer HSt. 5 176. v. Bar Das Gesetz über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs, s. a. (1892). Fuld GS. 47 61. Schollen Die Rechtsgültigkeit der Strafdrohung in § 62 der Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands. Bonner Diss. 1897. Lahusen in Grünhuts Zeitschrift 24 357.

Der Betriebsverkehr der Eisenbahnen, sowie der Telegraphenanstalten ist durch eine Reihe von Strafdrohungen gegen gemeingefährliche Störungen geschützt (oben § 150); strafbare Handlungen der Post- und Telegraphenbeamten in Bezug auf die den Post- und Telegraphenanstalten anvertrauten Briefe, Pakete und Depeschen werden in der Gruppe der Amtsverbrechen mit Strafe belegt (oben § 179 X); das Anfertigen und Verfälschen von Postfreimarken, sowie das Gebrauchen von falschen oder gefälschten Freimarken wurde des Zusammenhanges wegen bereits bei der Urkundenfälschung (oben § 163 III) behandelt. Vgl. auch noch unten § 200 I. Somit bleiben ' ) Die Feingehaltsangabe ist Urkunde im Sinne des § 267 StGB. Aber die Delikte des Gesetzes vom 16. Juli 1884 sind nicht Fälschung von Urkunden, sondern unbefugte oder inhaltlich unrichtige Beurkundung und als solche nicht strafbar. 4 ) Also ohne Rücksicht darauf, ob sie dem Thäter oder einem Teilnehmer gehören. Als selbständige Mafsrcgel ist die Einziehung ausgeschlossen.

§ '97-

3- Vergehen gegen das Eisenbahn-, Telegraphen- 11. Postwesen,

(¡yj

für die in diesem Paragraphen ausgeschiedene Gruppe nunmehr folgende Vergehungen übrig: I . Zuwiderhandlungen 1. gegen die in den §§ 53 bis 61 der Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892 und in deh §§ 43i 44 "1er Bahnordnung für die Nebeneisenbahnen Deutschlands vom selben T a g e enthaltenen „Bestimmungen für das Publikum" (Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber der Bahnverwaltung und den Bahnpolizeibeamten, Verbot den Bahnkörper zu betreten, Anlagen und Betriebsmittel zu beschädigen, den Betrieb zu stören, eigenmächtiges Öffnen der Thüren, Ein- und Aussteigen während des Fahrens); 2. gegen die in § 62 der Betriebsordnung und in § 45 der Bahnordnung angeführte Bestimmung der Verkehrsordnung (Verbot des Mitnehmens feuergefährlicher Gegenstände in die Personenwagen). Diese Zuwiderhandlungen werdeD nach § 62 mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark bestraft, sofern nicht nach den allgemeinen Strafbestimmungen eine härtere Strafe verwirkt war. 1 ) II. Verletzung der „ b e s o n d e r e n V o r r e c h t e d e r P o s t e n " (Verbot der Pfändung, Verpflichtung zum Ausweichen, zum Öffnen der Thore und Schlagbäume, zur Bewirkung der Überfahrt) werden nach dem P o s t g e s e t z e vom 28. Oktober 1871 (§§ 18, 19, 23) mit Geldstrafe (von höchstens sechzig Mark) bedroht.

III. Nach dem Gesetz über das Telegraphenwesen des Deutschen Reiches vom 6. April 1892 § 9 wird mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft, w e r vorsätzlich entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes eine Telegraphenanlage errichtet oder (etwa mit Überschreitung der Konzession) betreibt (Verletzung des Telegraphenregals). Und nach § 10 trifft Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark denjenigen, welcher den nach § 4 des Gesetzes erlassenen Kontrollvorschriften zuwiderhandelt. *) Über die staatsrechtliche Verbindlichkeit vgl. Seuffert StG. 1 34, R 15. Mai 93 24 163, Gerstner Archiv für öffentl. Recht 11 1 6 1 . Insbes. aber Schollen (gegen die Verbindlichkeit) und Lahusen (für sie). D a der Bundesrat ein selbständiges Strafverordnungsrecht nicht hat, eine Delegation durch die Reichsgesetzgebung aber nicht vorliegt, ist die Verbindlichkeit zu verneinen.

§ 198.

Strafbare Handlungen in Bezug auf das Schiffahrtswesen.

IX. § 198.

Strafbare Handlungen in Bezug auf das Schiffahrtswesen.

I i i t t e r a t u r . Knitschky Die Seegesetzgebung des Deutschen Reichs 1883 (Textausgabe). Meves Gesetzgebung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen T. III Bd. I (Kommentar). Hälschner 2 983, 831. Katz (Litt, zu § 193) 113. Stoerk HV. 2 525. Knitschky Archiv für öffentliches Recht 7 255. Schon das gemeine Recht hat eine Reihe von delicta maritima ausgezeichnet, so die Verursachung eines Zusammenstofses von Schiffen auf hoher See, Doppelbenennung des Schiffes u. a. Eine besondere Rolle spielen diese Vergehen in dem altern Strafrecht der Hansestädte (so Hamburg 1603). Das neuere deutsche Recht dagegen hat sie sehr vernachlässigt. Die Strafgesetzgebung des Reichs (zuständig nach RVerf. Art. 4 Ziff. 7 und 9 und Art. 54) beruht zum Teil auf englischem Recht. Vorbildlich waren insbesondere der Merchant shipping act von 1854 sowie der Commercial code of signals for the use of all nations von 1857.

I. Verletzung der Vorschriften des Gesetzes vom 25. Oktober 1867, betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe und ihre Befugnis zur Führung der Bundesflagge. 1. Unberechtigte Führung der Bundesflagge (§ 13): Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten; Einziehung des Schiffes zulässig. 2. Führung der Bundesflagge vor Eintragung in das Schiffsregister oder Ausfertigung des Zertifikats (§ 14): Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder verhältnismäfsiges Gefängnis. Vermutung der Schuld (oben § 36 Note 3). 3. Nichtanmeldung der zum Schiffsregister anzumeldenden Thatsachen (§ 15): Strafe wie zu 2. Sie wird verdoppelt, wenn die Verpflichtung auch binnen sechs Wochen nach dem ersten Schuldurteile nicht erfüllt ist.

II. Verletzung des Gesetzes vom 28. Juni 1873, betreffend die Registrierung und Bezeichnung der Kauffahrteischiffe (das Schiff mufs seinen Namen auf jeder Seite des Bugs, seinen Namen und den Namen des Heimathafens am Heck tragen). S t r a f e : Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft.

III. Verletzung des Gesetzes vom 25. März 1880 (und der dazu gehörigen Verordnung vom 28. Juli 1880), betreffend die Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reichs. S t r a f e : Geldstrafe bis zu zweihundert Mark.

IV. Die Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung von 1895 wurden bereits oben S. 675 behandelt.

§ 198.

Strafbare Handlungen in Bezug auf das Schiffahrtswesen.

679

V . StGB. § 145 bedroht die Übertretung gewisser vom Kaiser zu erlassenden Verordnungen mit Strafe. Es kommen hier in Betracht: 1. Die Verordnung vom 9. Mai 1897 zur Verhütung des Zusammenstofsens der Schiffe auf See (über das Führen von Lichtern, Schallsignalen und Mäfsigung der Geschwindigkeit bei Nebel, über das Ausweichen der Schiffe usw.); 2. die Verordnung vom 15. August 1876 über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstofse von Schiffen auf See (jeder Schiffer hat dem andern den zur Anwendung oder Verringerung der nachteiligen Folgen des Zusammenstofses erforderlichen Beistand zu leisten, soweit er dazu ohne erhebliche Gefahr für das eigne Schiff und die darauf befindlichen Personen im stände ist, und ihm unter derselben Voraussetzung die nötige Auskunft über Namen und Heimat wie Kurs des eignen Schiffes zu geben); 3. Verordnung vom 10. Mai 1897 betr. die Lichter- und Signalführung der Fischerfahrzeuge und Lotsendampfboote. S t r a f e in allen drei Fällen nach § 145 StGB.: Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark. Die Strafe trifft, je nach dem Inhalte der Verordnung, nicht nur die vorsätzliche, sondern auch die fahrlässige, niemals aber die schuldlose Übertretung.

VI. Verletzung des Gesetzes vom 27 Dezember 1872 betreffend die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute. S t r a f e : Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft.

VII. Übertretungen der Bestimmungen der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874, welche die heutigen Rechtsanschauungen im Gegensatz zu der bis tief in die Neuzeit hineinragenden Schutzlosigkeit gestrandeter Schiffer (das sog. „Strand recht") *) zur Geltung bringt. 1. Unterlassene Anzeige eines Falles von Seenot (§ 7): 2. Nichtanzeige der Bergung von an das Land getriebenen Stücken des Schiffes, seiner Ladung usw., oder Nichtablieferung dieser Gegenstände (§ 13); 3. Nichtanzeige der Bergung von Seeauswurf, strandtriftigen, versunkenen oder seetriftigen Gegenständen (§§ 20 und 21); a ) *) Trotz der schon im 13. Jahrhundert sich findenden gesetzlichen Verbote und der Brandmarkung durch die PGO. — Die Strandungsordnung ist am 20. Juli 1895 auf Helgoland eingeführt worden. Aneignung dieser Gegenstände würde als Unterschlagung strafbar sein.

680

§ 198.

Strafbare Handlungen in Bezug auf das Schiffahrtswesen.

4. Bergung oder Hilfeleistung gegen den Willen des Schiffers (§§ 7 und 12). S t r a f e (nach § 4 3 ) : Geldstrafe bis zu einhundertfiinfzig Mark oder Haft (vgl. dazu auch oben § ISO).8)

VIIL Das Reichsgesetz vom 21. November 1887 betr. den Schutz der unterseeischen Kabel wurde bereits oben § 150 IV erwähnt. IX. Da die Staatsgewalt auf See durch den Führer des Schiffes dargestellt wird, das Verhältnis der Mannschaft zum Schiffer (Kapitän) demnach trotz seiner privatrechtlichen (vertragsmäfsigen) Grundlage in dieser Beziehung einem öffentlichrechtlichen Unterordnungsverhältnisse gleichsteht, räumt die Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 dem Schiffer eine weitgehende Disziplinarstrafgewalt ein, deren Durchsetzung durch zahlreiche Strafdrohungen gesichert, deren Überschreitung mit strengen Strafen bedroht ist. Aus den mit Strafe bedrohten Handlungen seien erwähnt: 1. Der Bruch des Heuervertrages (§§ 81, 82), Übertretungsstrafe; vgl. oben § 134. 2. Die Dienstesentziehung (§ 83): Geldstrafe bis zum Betrage einer Monatsheuer. 3. Gröbliche Verletzung der Dienstpflicht durch den Schiffsmann (§ 84): Geldstrafe bis zum Betrage einer Monatsheuer. 4. Verweigerung des Gehorsams gegenüber wiederholten Befehlen des Vorgesetzten (§ 86): Gefängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark. Erschwert bei gemeinschaftlich verabredeter Verweigerung durch zwei oder mehrere Personen der Schiffsmannschaft (§ 87): mildernde Umstände hier zugelassen. 5. Unternommene Nötigung des Schiffsvorgesetzten zur Vornahme oder zur Unterlassung einer dienstlichen Verrichtung; unternommener gewaltsamer Widerstand gegen oder thätlicher Angriff auf ihn (§§ 89 und 90). S t r a f e : Gefängnis bis zu zwei Jahren, bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu sechshundert Mark. Erschwert, wenn von mehreren auf Verabredung gemeinschaftlich begangen (§ 91). Mildernde Umstände in allen Fällen zugelassen. A l s Gehilfe wird derjenige bestraft (§ 92), welcher den auf Abwehr oder Unterdrückung dieser Handlungen gerichteten Befehlen des Vorgesetzten den Gehorsam verweigert (vgl. oben § 51 Note 9). 6. Aufforderung zweier oder mehrerer Personen der Schiffsmannschaft zur Begehung einer der unter 4 Und 5 angeführten Handlungen (§ 88). S t r a f e : wenn die Aufforderung Erfolg gehabt, die der Anstiftung; wenn nicht, bei Aufforderung zu den unter 4 angeführten Handlungen Geldstrafe bis zu drei») Über § 9 (Strandhilfe) vgl. oben S. 649.

§ 198.

Strafbare Handlungen in Bezug auf das Schiffahrtswesen.

681

hundert Mark, bei Aufforderung zu den unter 5 angeführten Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre. 7. Entstellung, Unterdrückung, Vorspiegelung von Thatsachen bei Verhandlungen vor dem Seemannsamte; Unterlassung der Stellung zur Musterung; Unterlassung des Ausweises über ein dem Dienstantritte entgegenstehendes Hindernis gegenüber dem Seemannsamte (§ 93). Übertretungsstrafe. 8. Vorsätzliches oder fahrlässiges Vorbringen einer auf unwahre Behauptungen gestützten Beschwerde über Seeuntüchtigkeit des Schiffes oder Mangelhaftigkeit des Proviants bei einem Seemannsamte, wenn auf Grund dieser Behauptungen eine Untersuchung eingeleitet wurde (§ 94). S t r a f e : bei vorsätzlicher Begehung Gefängnis bis zu drei Monaten, bei fahrlässiger Geldstrafe bis zu dreihundert Mark. 9. Mifsbrauch der Disziplinargewalt durch den Schiffsvorgesetzten (§ 96): Geldstrafe bis zu neunhundert Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre. 10. Mangelhafte Verproviantierung des Schiffes ( § 9 7 ) . S t r a f e : a) wenn vorsätzlich begangen, Gefängnis, daneben nach Ermessen Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark und Ehrverlust; b) wenn fahrlässig begangen und wenn infolgedessen der Schiffsmannschaft die gebührende Kost nicht gewährt werden kann, Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu einem Jahre. 11. Zurücklassung eines Schiffsmannes im Auslande ohne Genehmigung des Seemannsamtes (§ 98 vgl. mit § 71). Geldstrafe bis zu dreihundert Mark, H a f t oder Gefängnis bis zu drei Monaten. 12. Verschiedene kleine Pflichtverletzungen von Seiten des Schiffers sind in § 99 mit Übertretungsstrafe belegt. Diese Bestimmungen (1 bis 12) finden auch dann Anwendung (§ ioo), wenn die strafbaren Handlungen aufserhalb des Bundesgebietes begangen sind (vgl. oben S. 102). Über den Beginn der Verjährung vgl. oben S. 301.

X. Schiffahrt und Fischerei im Küstenmeere (Kabotage) werden regelmälsig den eignen Staatsangehörigen vorbehalten. Auch die deutsche Gesetzgebung steht auf diesem Standpunkte und sucht dieses Vorrecht ihrer Unterthanen durch Stratbestimmungen gegen auswärtige Schiffer zu schützen. Es gehören hierher die folgenden Anordnungen: 1. G e s e t z b e t r e f f e n d d i e Küstenfrachtfahrt vom 22. Mai 1881. . Der Führer eines ausländischen Schiffes, welches unbefugt Küustenfrachtfahrt betreibt, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark bestraft (§ 3). Daneben kann auf Einziehung des Schiffes und der unbefugt beförderten Güter erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. StGB. § 42 findet entsprechende Anwendung.

2. StGB. § 296 a bestraft Ausländer, w e l c h e in deutschen Küstengewässern unbefugt fischen (vgl. oben § 131 II 3). XI. 4. Die polizeiliche Regelung der Fischerei in der

§ 199-

682

Finanzvergehen.

Allgemeines.

Nordsee aufserhalb der Küstengewässer erfolgte durch den Haager Vertrag, geschlossen am 6. Mai 1882 zwischen Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, England, Holland. 4 ) Das deutsche Ausführungsgesetz vom 30. April 1884 dehnt die Bestimmungen der §§ 6 bis 23 dieser Vereinbarung für die zur Seefischerei bestimmten Fahrzeuge auch für die Zeit aus, während welcher sich diese in den zur Nordsee gehörigen deutschen Küstengewässern aufhalten. Zuwiderhandlungen (auch gegen die vom Kaiser erlassenen Ausführungsverordnungen) werden, soweit nicht nach allgemeinen Strafgesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Im Falle des Führens oder Gebrauchs verbotener Werkzeuge oder Geräte ist aufserdem auf deren Einziehung zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausfuhrbar, so kann auf die Einziehung s e l b s t ä n d i g erkannt werden. XII. In den beiden Gesetzen vom 15. Juni 1895 über die privatrechtlichen Verhältnisse der B i n n e n s c h i f f a h r t u n d d e r F l ö f s e r e i (§ 140 des ersten, § 32 des zweiten Gesetzes) wird mit Geldstrafe bis zu 30 Mark bedroht, wer den Bestimmungen des Bundesrates oder der Landesregierung zuwider das Gewerbe eines Schiffers, Maschinisten oder Flofsführers ausübt.

X.

Strafbare Handlungen in Bezug auf das Finanzwesen des Reichs. § 199.

Allgemeines.

I i i t t e r a t u r . Meisel Finanzarchiv 5 1. Derselbe Zur Reform des österreichischen Finanzstrafprozesses 1892. Arndt Z 5 277. Röhr Strafgesetzgebung und Strafverfahren in Bezug auf die Zuwiderhandlungen gegen die Zoll-, Steuer- und Kommunikationsabgabengesetze usw. 3. Aufl. 1892. Mangoldt Das deutsche Zoll- und Steuerstrafrecht 1886. v. Mayr WV. 2 561, 973. Seuffert StG. 1 52. H'dlschner 2 1001. Havenstein Die Zollgesetzgebung des Deutschen Reichs 1892. Schwaiger Über die strafrechtliche Stellung der Steuerdefraudation. Erlanger Diss. 1894 (abgedruckt GS. 4 9 4 0 1 ) . Trautvetter Das Strafrecht der Zoll- und .Verbrauchssteuergesetze in der Rechtsprechung 1894. Honemann und Kauila (Litt, zu § 139 Note n ) . Zeller Z 17 135, 395. — Sütel Z 7 505 (zum ältesten deutschen Zollstrafrecht).

1. 4

Die Einteilung der hierher

) Vgl. v. Liszt Völkerrecht § 34.

gehörenden

Vergehungen

§ 199-

Finanzvergehen.

Allgemeines.

683

erfolgt am zweckmäfsigsten nach der Verschiedenheit der E i n n a h m e q u e l l e n , aus welchen die Reichsfinanzen schöpfen. Soweit die Einnahmequellen des Reichs überhaupt durch Strafdrohungen geschützt sind, haben wir unter ihnen zu unterscheiden: 1. G e b ü h r e n , d. h. die A b g a b e n für Amtshandlungen, welche von staatlichen Organen im Interesse des einzelnen vorgenommen werden (Benutzung staatlicher Einrichtungen); 2. die Zollabgaben für Ein-, Aus- und Durchfuhr von zollpflichtigen Gegenständen; 3. die V e r b r a u c h s s t e u e r auf Salz, Tabak, Zucker, Bier und Branntwein; ihnen schliefst sich als Gewerbesteuer die B e s t e u e r u n g d e r N o t e n b a n k e n an; 4. die S t e m p e l s t e u e r auf Wechsel, Spielkarten und Wertpapiere, welchen die sogenannte s t a t i s t i s c h e G e b ü h r angereiht werden mufs. Diese Einteilung ist der Darstellung in den folgenden Paragraphen zu Grunde gelegt. II. Eine andre Einteilung ergibt sich, wenn wir die eigentümlichen Merkmale der durch die Reichsgesetzgebung bedrohten strafbaren Handlungen ins A u g e fassen. 1. V o n diesem Standpunkte aus erscheint die H i n t e r z i e h u n g ( D e f r a u d a t i o n ) als das Urbild und Vorbild aller Finanzvergehungen, die Hinterziehungsstrafe als der Grundstock aller auf das Finanzwesen des Reichs sich beziehenden Strafbestimmungen. Die Hinterziehung besteht in der Nichtentrichtung der nach dem Gesetze verfallenen Abgabe. Sie ist nicht ohne weiteres strafbar, da im allgemeinen die Mittel des Privatrechts ausreichen, um die Erfüllung der Verbindlichkeit zu erzwingen. Zu peinlicher Strafe pflegt die Gesetzgebung nur dann zu greifen, wenn die Mitwirkung des einzelnen zur Ermittelung des Daseins und der Höhe seiner Verbindlichkeit nicht zu entbehren und nur schwer zu überwachen ist. Dann mufs Strafe eintreten für die Entstellung oder Unterdrückung wahrer, sowie für die Vorspiegelung unwahrer Thatsachen. Die Hinterziehung trägt dann aber auch regelmäfsig (nicht immer) J ) alle einzelnen Merkmale des Betrugsbegrififes an sich: das Vermögen des Staates wird in gewinnsüchtiger Absicht durch arglistige ') Es kann an der Irreführung fehlen, soweit auf Seiten der Behörden vollständiges Nichtwissen vorliegt; vgl. oben § 139 Note 2.

684

§ 199-

Finanzvergehen.

Allgemeines.

Erregung eines Irrtums beschädigt (oben § 139 Note 11). Dennoch erscheint sie von je her als ein selbständiges, vom Betrüge verschiedenes Vergehen. Der Grund liegt zum Teil in der heute freilich nicht mehr bestehenden Unterscheidung der peinlichen und der polizeilichen Strafgewalt, also in der E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e des Zoll-und Steuerstrafrechts, nach welcher die Finanzvergehen dem Gebiete des polizeilichen Unrechts zugewiesen zu werden pflegten: zum andern Teile in den R e c h t s a n s c h a u u n g e n d e s V o l k e s , welches von den Zeiten des Kampfes zwischen der Freiheit des einzelnen und dem Polizeistaate her bis auf unsre Tage herab sich scheut, die Übervorteilung der Gesamtheit mit der betrüglichen Benachteiligung einzelner auf dieselbe Stufe su stellen. So verhalt sich auch noch im geltenden Rechte die Hinterziehung zum Betrug ähnlich wie die Forstentwendung zum Diebstahl. Aus diesem Verhältnisse aber ergibt sich der Satz, dafs eine unter die Begriffsmerkmale sowohl des Betruges als auch der Hinterziehung fallende Handlung immer nur nach den für die letztere geltenden Bestimmungen behandelt und bestraft werden kann. Das besondere Gesetz geht dem allgemeinen vor. 2. Neben die Hinterziehung tritt der Schmuggel oder die Konterbande als besonderes Zollvergehen. Es besteht darin, dafe Gegenstände, deren Ein-, Aus- oder Durchfuhr durch das Gesetz verboten ist, diesem Verbote zuwider ein-, aus- oder durchgeführt werden. 3. In einzelnen Fällen, so in den die Besteuerung von Zucker oder Tabak betreffenden Gesetzen, wird die Erschleichung einer Steuer- oder Zollrückvergütung, welche überhaupt nicht oder nicht in der geforderten Höhe beansprucht werden durfte, unter Strafe gestellt. 4. Ergänzend tritt zu den Strafdrohungen gegen die genannten Vergehungen eine Reihe von Bestimmungen hinzu, durch welche die Verletzung jener Anordnungen, welche zum Zwecke der Überwachung und Erhebung der Gebühren, Zölle, Steuern und Abgaben getroffen wurden, mit geringerer Strafe, vielfach nur mit Ordnungsstrafe bedroht wird. Man könnte diese Gruppe (mit M e i s e l ) unter dem Namen der „Kontrollvergehen" zusammenfassen.

§ 199-

Finanzvergehen.

Allgemeines.

685

III. Die Zoll- und Steuergesetze des Reichs bieten in ihren strafrechtlichen Bestimmungen gar manche Eigentümlichkeit. Hervortreten der rein fiskalischen Interessen; die Betonung des Abschreckungsgedankens und doch anderseits wieder das Streben, zwischen Verbrechen und Strafe eine wenn möglich ziffermäfsig auszudrückende Gleichung aufzustellen; der Anschlufs an ältere gesetzgeberische Vorbilder und die damit zusammenhängende Neigung, durch kasuistische Bestimmungen das freie richterliche Ermessen zu beschränken: all diese zusammenwirkenden Umständen machen die fraglichen Gesetze zu einer Fundgrube merkwürdiger strafrechtlicher Sonderbestimmungen. Näheres Eingehen auf diese ist hier nicht möglich; doch sollen die wichtigsten Eigentümlichkeiten zur Übersicht zusammengestellt werden. Als Vorbild kann das Vereinszollgesetz dienen. 1. Der Thatbestand, mit welchem die strafbare Handlung „als vollbracht angenommen wird", ist vielfach bis in die kleinsten Einzelheiten geschildert; man vgl. § 136 Vereinszollgesetz mit seinen 9 Ziffern, die wieder mehrfach untergeteilt sind. 2. Häufig begegnen Schuldvermutungen (oben § 36 Note 3); die „Thatsachen" sollen genügen, um die Strafe herbeizuführen, und Sache des Angeklagten ist es, durch die Führung des Beweises seiner Unschuld sich die Straflosigkeit oder doch die Ersetzung der peinlichen Strafe durch eine Ordnungsstrafe zu sichern. 3. Die regelmäfsig an erster Stelle verwendete Geldstrafe wird als Vielfaches oder als Teil der im Einzelfalle hinterzogenen Abgabe bemessen (oben § 63 III). Die Umwandlung in Freiheitstrafe, in einem Falle (Wechselstempelgesetz) ausgeschlossen, findet häufig nach einem andern als dem im StGB, aufgestellten Mafsstabe statt (oben § 71 I). Die Mafsregel der Einziehung wird reichlichst verwendet und ihre Anwendung durch eingehende Bestimmungen geregelt (z. B. Vereinszollgesetz §§ 1 5 4 — 1 5 7 ; vgl. oben § 58 Note 4). Auch die Nebenstrafe der Entziehung der Gewerbeberechtigung spielt hier eine gewisse Rolle (oben § 59 Note 5). 4. Eine der für die Wissenschaft interessantesten Bestimmungen ist die regelmäfsig wiederkehrende aushilfsweise Haftung dritter unschuldiger Personen für die von dem Schuldigen verwirkte Geldstrafe (oben § 58 Note 5). 5. Mit gröfster, dem ganzen Systeme der Reichsgesetzgebung gegenüber ausnahmsweiser Strenge wird der Rückfall getroffen: die Geldstrafe verwandelt sich in Freiheitstrafe, die Höchstmafse der Strafrahmen werden vervierfacht usw. (oben § 69). 6. A b e r auch sonst tritt das Streben, der richterlichen Neigung zur Milde zu begegnen, in der Verwendung zahlreicher Schärfungsgründe hervor. Auch

686

§ 2oo.

i. Verletzung der Gebührenpflicht.

nach dieser Richtung hin bildet das Vereinszollgesetz in den §§ 144 bis 148 ein lehrreiches Beispiel. 7. Vielfach finden sich besondere Bestimmungen über das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, sei es mehrerer Finanzvergehen unter sich, sei es eines Finanzvergehens mit einer strafbaren Handlung. 8. Endlich sind die Verjährungsfristen regelmäfsig abweichend vom StGB, bemessen (oben § 77) und selbst über Beginn und Unterbrechung der Verjährung besondere Anordnungen getroffen.

§ 200.

I. Verletzung der Gebührenpflicht.

L i t t e r a t u r (aufser der zu § 199 angegebenen): Dambach zum Postgesetz. 5. Aufl. 1892. Sydow WV. 2 291.

Kommentar

I. Nach dem G e s e t z e ü b e r d a s P o s t w e s e n des Deutschen Reichs vom 28. Oktober 1871 werden als „Post- und Portodefraudation" (§§ 27—33 bestraft: 1 . V e r l e t z u n g e n des P o s t z w a n g e s durch entgeltliche Beförderung von Briefen (Begriff oben § 179 Note 17) und politischen Zeitungen von Orten mit einer Postanstalt nach andern solchen Orten (also nicht innerhalb desselben Ortes). 2. M i f s b r a u c h d e r P o r t o f r e i h e i t durch rechtswidrige Verwendung einer von der Entrichtung des Portos befreienden Bezeichnung oder durch Einlegung einer portopflichtigen Sendung in eine portofreie. 3. V e r w e n d u n g e n t w e r t e t e r P o s t w e r t z e i c h e n zur Freimachung einer Sendung. Fahrlässigkeit genügt. Bei Entfernung des Entwertungszeichens ist StGB. § 276 gegeben (oben S. 557). 4. Mitgabe von portopflichtigen Sendungen an Postbeamte oder Postillone zur U m g e h u n g der Portogefalle. Die Strafe besteht in dem vierfachen Betrage des hinterzogenen Portos, darf jedoch nie unter drei Mark betragen. Sie ist in den Fällen unter 2 und 3 mit der Einlieferung der Sendung zur Post verwirkt. — Im ersten Rückfalle wird die Strafe verdoppelt; bei ferneren Rückfällen auf das vierfache erhöht. Rückfallsverjährung in drei Jahren. — Alle Geldstrafen fliefsen zur Postarmenund Postunterstützungskasse.

5. Die gleiche Strafe (aber ohne Rückfallschärfung) trifft den, der wissentlich, um d e r P o s t k a s s e d a s G e l d zu e n t z i e h e n , uneingeschrieben mit der Post reist.

§ 201.

2. S t r a f b a r e H a n d l u n g e n g e g e n d i e Zollgesetze.

687

II. Als erschwerte Hinterziehung der Post- und Teleg r a p h e n g e b ü h r , bez. als Vorbereitungshandlung hierzu, erscheinen in gewissem Sinne auch die in §§ 275, 276 StGB, bedrohten, bereits oben § 163 III im Anschlufs an die Urkundenfälschung behandelten Vergehungen. III. Die unter I angegebene Strafe traf nach dem Gesetze, betreffend die Einführung von Telegraphenfreimarken, vom 16. Mai 1869 auch denjenigen, welcher T e l e g r a p h e n f r e i m a r k e n n a c h i h r e r E n t w e r t u n g zur Freimachung einer telegraphischen Depesche b e n u t z t . Doch werden solche Freimarken nicht mehr ausgegeben.

§ 201.

2. Staafbare Handlungen gegen die Zollgesetze.

X i i t t e r a t u r (aufser d e r zu § 199 a n g e g e b e n e n ) : Lobe D a s deutsche Zolls t r a f r e c h t . 2. Aufl. 1890. Weinheimer D i e S t r a f g e s e t z e in Zoll- u n d Steuersachen 1881. Thümmel Z 12 784. Behr G S . 5 4 220. — Zu I V : Seuffert Z 16 548.

I. Es können hier nur die wichtigsten Bestimmungen des V e r e i n s z o l l g e s e t z e s vom i. Juli 1869 hervorgehoben werden. 1. a. Die Strafe des S c h m u g g e l s oder der Konterbande (oben S. 684) besteht in dem zweifachen des Werts der geschmuggelten Gegenstände, darf aber nicht unter dreiisig Mark betragen. Die Gegenstände selbst verfallen der Einziehung (§ 134). b. Die Strafe der H i n t e r z i e h u n g oder Defraudation (oben S. 683) beträgt das vierfache der hinterzogenen Abgaben: die Gegenstände verfallen der Einziehung (§ 135). Der Thatbestand beider Vergehungen wird in §§ 136 bis 139 in eingehender Kasuistik geschildert. Die Schuld des Angeklagten wird vermutet. 2. Der erste Rückfall (wobei Schmuggel und Hinterziehung als gleichartige Vergehen gelten) zieht verdoppelte Geldstrafe, jeder folgende in der Regel Freiheitstrafe bis zu zwei Jahren nach sich. Rückfallsverjährung in drei Jahren (§§ 140 bis 143). 3. U n t e r

den

Strafschärfungsgründen

sind

die

folgenden

von

gröfserer Bedeutung. a) Bei d e m s o g e n a n n t e n B a n d e n s c h m u g g e l

wird

die Strafe

gegen

688

§

2QI-

2-

Strafbare Handlungen gegen die Zollgesetze.

den Führer durch eine drei- bis sechsmonatliche, gegen jeden der übrigen Teilnehmer durch eine ein- bis dreimonatliche Freiheitstrafe geschärft. Bei Rückfall, oder wenn die Verbindung -für die Dauer eingegangen war, tritt einbis zweijährige, bez. sechsmonatliche bis einjährige Freiheitstrafe ein (§ 146). b) Wer Schmuggel oder Hinterziehung u n t e r d e m S c h u t z e e i n e r V e r s i c h e r u n g verübt, verfällt neben der auf das Vergehen selbst gesetzten Strafe in eine zwei- bis dreimonatliche Freiheitstrafe. Weitere Schärfung tritt ein, wenn die Handlung von drei oder mehreren zu diesem Zwecke verbundenen Personen begangen wurde. Auch der Versichernde, bez. Vorsteher, Rechnungsführer und Mitglieder der Versicherungsgesellschaft werden mit Freiheitstrafen (bis zu zwei Jahren) bedroht; die Fonds der Gesellschaft unterliegen der Einziehung (§ 147). c) Wer bei Verübung des Vergehens W a f f e n zum Widerstande gegen die Zollbeamten mit sich führt, hat neben der ordentlichen Strafe sechsmonatliche bis einjährige Freiheitstrafe verwirkt (§ 148}. 4. Ergänzend greift eine Reihe von Ordnungsstrafen ein. Durch besondere Bestimmung wird die aushilfsweise Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen, sowie der Vollzug der Einziehung geregelt. Treffen mit Schmuggel oder Hinterziehung andre strafbare Handlungen zusammen, so kommt die für erstere bestimmte Strafe zugleich mit der für letztere vorgeschriebenen zur Anwendung (§ 158). Die Umwandlung der uneinbringlichen Geldstrafe in Freiheitstrafe findet teilweise nach andern als den im RStGB. getroffenen Bestimmungen statt. Unbekanntschaft mit den Vorschriften dieses Gesetzes und den infolge derselben gehörig bekannt gemachten Verwaltungsvorschriften soll niemand, auch nicht den Ausländern zur Entschuldigung gereichen (§ 163; oben § 41 Note 5). Schmuggel und Hinterziehung verjähren in drei Jahren (§ 164).

II. Auf demselben Standpunkte steht im wesentlichen das Gesetz vom i. Juli 1869 betr. die Sicherung der Zollvereinsgrenze in den vom Zollgebiete ausgeschlossenen h a m b u r g i s c h e n Gebietsteilen; durch Gesetz vom 28. Juni 1879 die ausgeschlossenen b r e m i s c h e n Gebietsteile ausgedehnt. III. Das Gesetz v o m 23. Juni 1882 gewährt den Inhabern von Mühlen für die Ausfuhr Erleichterungen durch entsprechenden Nachlafs des Getreideeingangszolles. Es darf aber das zur Mühle zollamtlich ausgefertigte ausländische Getreide in unverarbeitetem Zustande nur mit Genehmigung der Steuerbehörde veräufsert werden. Zuwiderhandlungen trifft Geldstrafe bis zu eintausend Mark.

IV. Durch den Handelsvertrag mit Österreich-Ungarn vom 6. Dezember 1891, bez. das ihm als Anlage D beigefügte Zollkartell, ergab sich für das Deutsche Reich die Verpflichtung, auch die Übertretung der österreichisch-ungarischen Zoll-

§ 202.

3- Strafbare Handlungen gegen die Verbrauchssteuergesetze.

689

gesetze unter Strafe zu stellen. Das Reich hat dieser Verpflichtung Genüge geleistet durch das Gesetz vom 9. Juni 1895. 1. Der Schmuggel wird mit Einziehung und Geldstrafe im doppelten Wert der geschmuggelten Gegenstände (aber nicht unter dreifsig Mark) bestraft (§ 2). 2. Hinterziehung der Zollabgaben trifft neben Einziehung Geldstrafe im vierfachen Betrag der hinterzogenen Abgabe (§ 3). 3. Kann die Einziehung nicht vollzogen werden, so ist statt ihrer auf Erlegung des Wertes der Gegenstände und, wenn dieser nicht zu ermitteln ist auf Zahlung einer Geldsumme von fünfundsiebzig bis dreitausend Mark zu erkennen (§ 4). Andre Übertretungen werden mit Ordnungsstrafe bedroht (§ 5). 5. An Stelle der uneinbringlichen Geldstrafe tritt nach Mafsgabe des RStGB.s verhältnismäfsige Freiheitstrafe, welche die Dauer eines halben Jahres nicht übersteigen soll.

§ 202.

3. Strafbare Handlungen gegen die Verbrauchssteuergesetze.

I. Gegen das Gesetz, betreffend die Erhebung einer Abgabe von Salz, vom 12. Oktober 1867 (gilt nicht in den süddeutschen Staaten). Die unternommene Hinterziehung ist mit einer Geldstrafe im vierfachen Betrage der hinterzogenen Abgabe, jedoch nicht unter dreifsig Mark, bedroht. Das betreffende Salz, bez. die Gerätschaften, unterliegen der Einziehung (§ 11). Im ersten Rückfall wird die Strafe verdoppelt, in jedem ferneren Rückfall vervierfacht (§ 12). Der rückfällige Salzwerksbesitzer verliert die Befugnis zur eignen Verwaltung seines Salzwerks (§ 13; vgl. oben § 59 Note 5). Kann die Geldstrafe nach dem Gewichte der betreffenden Gegenstände nicht berechnet werden, so ist auf Zahlung einer Geldsumme von sechzig bis sechstausend Mark zu erkennen (§ 16). Im übrigen sind die Zollstrafgesetze entsprechend anzuwenden.

II. Gegen das Gesetz betreffend die Besteuerung Tabaks, vom 16. Juli 1879.

des

1. Die unternommene Steuerhinterziehung wird mit einer Geldstrafe im vierfachen Betrage der vorenthaltenen Abgabe bestraft (§§ 32—35). Kann dieser Betrag nicht festgestellt werden, so tritt eine Geldstrafe von dreifsig bis dreitausend Mark ein (§ 36). Der erste Rückfall zieht Verdoppelung der Strafe, jeder fernere Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren nach sich {§ 37). 2. Das Unternehmen, eine rechtswidrige Zoll- oder Steuervergütung zu -erlangen, wird ebenso bestraft (§ 38). v. L i s z t , Strafreche.

9. Aufl.

44

69O

§ 202.

3- Strafbare Handlungen gegen die Verbrauchssteuergesetie.

3. Rückfallsverjährung in drei Jahren (§ 39). Ordnungsstrafen greifen ergänzend ein (§§ 40 und 41). Die Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen wird in § 43, die Umwandlung der uneinbringlichen Geldstrafe in § 44 geregelt. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 45).

III. Gegen das Gesetz vom 31. Mai 1872 wegen Erhebung der Brausteuer (gilt nicht in den süddeutschen Staaten). Steuerhinterziehung begeht, wer Braustoffe zum Brauen verwendet, ohne die gesetzliche Anmeldung zur Entrichtung der Brausteuer bewirkt zu haben (§§ 2 7— 2 9)- Die Strafe besteht in dem vierfachen Betrage der vorenthaltenen Abgabe, beträgt aber mindestens dreifsig Mark (§ 30). Ist die Berechnung unmöglich, so tritt Geldstrafe von dreifsig bis dreihundert Mark ein (§ 31). Der erste Rückfall wird mit dem achtfachen Betrage der hinterzogenen Steuer, aber nicht unter sechzig Mark, jeder fernere Rückfall mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, in leichtern Fällen mit Gefängnis oder mit Geldstrafe nicht unter dem doppelten der ersten Rückfallsstrafe bestraft (§ 33). Rückfallsverjährung tritt in drei Jahren ein (§ 34). Ordnungsstrafen bedrohen geringere Übertretungen (§§ 35) 36)- Die Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen ist in § 38, die Umwandlung der uneinbringlichen Geldstrafe in § 39 geregelt. Die Hinterziehung verjährt in drei Jahren (§ 40).

IV. Gegen das Gesetz vom 8. Juli 1868, betreffend die Besteuerung des Branntweins in verschiedenen zum Norddeutschen Bunde gehörenden Staaten und Gebietsteilen (mit dem 1. Oktober 1887 für das gesamte Gebiet der Branntweinsteuergemeinschaft in Kraft getreten). Das Gesetz regelt die M a i s c h b o t t i c h - und Branntwein m a t e r i a l s t e u e r . Steuerhinterziehung begeht, wer eine Gewerbshandlung, von deren Ausübung die Entrichtung der Branntweinsteuer abhängig ist, vornimmt, ohne dafs diese in einem von der Steuerhebestelle vollzogenen Betriebsplane angegeben ist, oder unter einer solchen Abweichung von dem letzteren, dafs daraus eine Verkürzung folgt (§ 50). Die Strafe beträgt das vierfache der hinterzogenen Steuer; sie steigt im ersten Rückfalle auf das achtfache, in jedem folgenden auf den sechzehnfachen Betrag (§§ 52, 53). Sie darf nach § 40 des Gesetzes vom 24. Juni 1887 den Betrag von zehntausend Mark nicht übersteigen. Mit der ersten Rückfallstrafe ist Verlust des Brennereirechts auf zwei Monate, mit der zweiten auf immer verbunden. Eine ganze Zahl von „besonderen Strafbestimmungen" (§§ 58 bis 65) bedroht verschiedene andre Zuwiderhandlungen. Die Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen, sowie das Zusammentreffen mehrerer Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz sind in §§ 66 und 67 eingehend geregelt. Im übrigen kommen die Bestimmungen des Zollstrafgesetzes zur A n wendung (§ 68). Nach dem G e s e t z e , b e t r e f f e n d d i e S t e u e r f r e i h e i t d e s B r a n n t w e i n s z u g e w e r b l i c h e n Z w e c k e n , vom 19. Juli 1879 trifft denjenigen,, welcher

§ 202.

3' Strafbare Handlungen gegen die Verbrauchssteuergesetze.

1. es unternimmt, eine Rückvergütung der Branntweinsteuer zu gewinnen, welche überhaupt nicht oder zu einem geringeren Betrage zu beanspruchen war, 2. Branntwein, für welchen eine Rückvergütung gewährt oder zugesagt ist, zu einem andern als dem gestatteten Zwecke verwendet, eine dem vierfachen der beanspruchten Vergütung gleichkommende Geldstrafe (§ 2).

V . Gegen das Gesetz v o m 24. Juni 1887, abgeändert am 16. Juni 1895, betreffend die Besteuerung des Branntweins (durch eine V e r b r a u c h s a b g a b e ) . 1. Die §§ 17 bis 20 regeln genau den Begriff der H i n t e r z i e h u n g und stellen ihr die Erlangung einer Vergütung der Verbrauchsabgabe gleich. Die Schuld wird vermutet. 2. Die S t r a f e ist Geldstrafe im vierfachen Betrag der hinterzogenen Abgabe (aber nicht unter fünf Mark); kann der Betrag nicht festgestellt werden, Geldstrafe von fünf bis zehntausend Mark (§ 21). „Liegt eine Übertretung" (vgl. oben § 51 Note 5) „vor, so ist die Beihilfe und die Begünstigung mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark zu bestrafen" (§ 22). Die §§ 23 und 24 bestimmen die Rückfallsschärfung. 3. Im übrigen treten O r d n u n g s s t r a f e n (§§ 26, 27) oder e x e k u t i v i s c h e Geldstrafen (§ 31) ein. 4. B r e n n e r e i b e s i t z e r und B r e n n e r e i l e i t e r werden nach §§ 28 und 29, unabhängig von der Verfolgung der „eigentlichen" Thäter, mit Geldstrafen bis zu fünftausend Mark belegt (vgl. darüber oben § 58 Note 5). Auch kann ihnen unter gewissen Voraussetzungen der Gewerbebetrieb untersagt werden (§ 30). Daneben regelt § 32 die aushilfsweise Vertretungsverbindlichkeit der Gewerbe- und Handeltreibenden. 5. Für die Umwandlung der uneinbringlichen Geldstrafe sind die §§ 28 und 29 StGB, mafsgebend. Doch darf der Höchstbetrag der Freiheitstrafe für Hinterziehung im wiederholten Rückfalle zwei Jahre nicht übersteigen (§ 34). 6. Die Strafverfolgung der Hinterziehung verjährt in drei Jahren (§ 35).

VI. Gegen das Gesetz vom 31. Mai 1891, die Besteuerung des Zuckers betreffend. Abgeändert am 27. Mai 1896. Die Zuckersteuer wird erhoben als V e r b r a u c h s a b g a b e von dem Gewicht des zum inländischen Verbrauch bestimmten Zuckers. Die Strafbestimmungen sind im allgemeinen j'enen des Branritweinsteuergesetzes nachgebildet, sodafs hier eine Ubersicht über den Inhalt des Gesetzes genügen kann. 5. Abschnitt des Gesetzes. Strafbestimmungen. 1. Begriff der Hinterziehung (§§ 43—46). 2. Deren Strafe (§ 47). 3. Straferhöhung im Rückfalle (§§ 48, 49). 4. Straferhöhung wegen erschwerender Umstände (§ 50). 5. Ordnungsstrafen (§§ 5 1 — 5 3 ) . 6. Strafen für Inhaber oder Leiter von Zuckerfabriken (§§ 54—56). 7. Exekutivische Mafsregeln (§ 57). 8. Aushilfsweise Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen (§ 58). 9. Zusammentreffen mehrerer 44*

§ 203.

4- Strafbare Handlungen gegen die Stempelgesetze.

Handlungen (§ 59). 10. Umwandlung der Geldstrafe in Freiheitstrafen (§ 60). II. Strafverjährung (§ 61). 12. Strafverfahren (§§ 62—64). VII. In diese Gruppe gehört endlich noch eine der in dem R e i c h s b a n k g e s e t z vom 14. März 1875 § 59 Ziff. 2 enthaltenen Strafbestimmungen. Dieselbe ist in anderm Zusammenhang bereits oben § 192 II 7 erwähnt worden.

§ 203.

4. Strafbare Handlungen gegen die Stempelgesetze.

I i i t t e r a t u r . Hecht Die Strafen der modernen Stempelgesetze 1885. — Zu I V : Seujfert Z 15 846.

I. Das RStGB. hat eine Anzahl von Stempelvergehen teils der Urkundenfälschung angereiht, teils unter den Übertretungen behandelt. Es kann daher hier auf das bereits oben § 163 Angeführte verwiesen werden. II. Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz, betreffend die Wechselstempelsteuer, vom 10. Juni 1869, abgeändert am 4. Juni 1879. Die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempelabgabe wird mit einer Geldbufse bestraft, welche dem fünfzigfachen Betrage der hiuterzogenen Abgabe gleichkommt. Die Strafe ist besonders und ganz zu entrichten von jedem, welcher der ihm obliegenden Verpflichtung zur Entrichtung der Stempelabgabe nicht rechtzeitig genügt hat; ingleichen von inländischen Maklern und Unterhändlern, welche wissentlich unversteuerte Wechsel verhandelt haben. Umwandelung der uneinbringlichen Geldbufse in Freiheitstrafe findet nicht statt. Die Hinterziehungen verjähren in fünf Jahren. I m übrigen finden die Zollgesetze entsprechende Anwendung (§§ 15—18).

III. Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz, betreffend den Spielkartenstempel, vom 3. Juli 1878. 1 ) Nichtgestempelte Spielkarten unterliegen der Einziehung, gleichviel wem sie gehören und ob gegen eine bestimmte Person Anklage erhoben wird. Wer nichtgestempelte Karten feilhält, veräufsert, verteilt, erwirbt, damit spielt oder solche wissentlich in Gewahrsam hat, verfällt für jedes Spiel in eine Strafe von dreifsig Mark (§ 10). Dieselbe Strafe trifft "Wirte und andre Personen, welche Gäste halten, wenn in ihren Wohnungen oder Lokalen mit ungestempelten Karten gespielt und nicht nachgewiesen wird, dafs dies ohne ihr Wissen geschehen sei (§ 10 Abs. 3), sowie den Einbringer oder Empfänger von aus dem Auslande eingehenden Spielkarten, welcher es unterläfst, diese zur Abstempelung vorzulegen (§ I i ) . Das Mindestmafs der auf die angegebene Art berechneten Strafe beträgt fünfhundert Mark, wenn der Schuldige, welcher die Karten veräufsert, feilhält, in Gewahrsam hat, aus dem Auslande einbringt oder empfängt, *) Fälschungen sind durch § 275 StGB, bedroht (vgl. oben § 163 III).

§ 203.

4- Strafbare Handlungen gegen die Stempelgesetze.

den Handel mit Spielkarten betreibt (§ 12). Besondere Strafbestimmungen bedrohen eine Reihe weiterer Zuwiderhandlungen (§§ 13 bis 16). Die aushilfsweise Haftung dritter ist in § 18 geregelt. Die Strafverfolgung verjährt in drei Jahren (§ 20). Im übrigen sind die Zollgesetze analog anzuwenden (§ 19).

IV. Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz, betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben, vom i. Juli 1881, abgeändert 29. Mai 1885, neue Fassung vom 27. April 1884. (Stempel auf W e r t p a p i e r e . ) 1. Wer, ohne den Vorschriften des Gesetzes in Bezug auf die Versteuerung zu genügen, A k t i e n , R e n t e n o d e r S c h u l d v e r s c h r e i b u n g e n ausgibt, veräufsert, verpfändet oder ein andres Geschäft unter Lebenden damit macht oder Zahlung darauf leistet, verfällt in eine Geldstrafe, welche dem fünfundzwanzigfachen Betrage der hinterzogenen Abgabe gleichkommt, mindestens aber zwanzig Mark für jedes Wertpapier beträgt. Die Strafen treffen besonders und zum vollen Betrage jeden, der als Kontrahent oder in andrer Eigenschaft an der Ausgabe, Veräufserung, Verpfändung oder an dem sonstigen Geschäft teilgenommen hat (§ 3). Dieselbe Strafe trifft (Gesetz von 1894) den Erwerber a u s l ä n d i s c h e r Wertpapiere (der bezeichneten Art), welche durch ein im Ausland abgeschlossenes Geschäft von einem zur Zeit des Geschäftsabschlusses im Inlande wohnhaften Kontrahenten angeschafft und ihm aus dem Auslande übersandt oder von ihm oder einem Vertreter aus dem Auslande abgeholt werden, wenn er es unterläfst, sie binnen vierzehn Tagen nach der Einbringung ins Inland zur Versteuerung anzumelden. 2. Die Unterlassung der Ausstellung oder Versteuerung von S c h l u f s n o t e n o d e r R e c h n u n g e n wird mit einer Geldstrafe geahndet, welche dem fünfzigfachen Betrage der hinterzogenen Abgabe gleichkommt, mindestens aber zwanzig Mark beträgt. Kann der Betrag der hinterzogenen Abgabe nicht festgestellt werden, so tritt Geldstrafe von zwanzig bis fünftausend Mark ein. Rückfall zieht neben dieser Strafe noch eine Geldstrafe von einhundertundfünfzig bis fünftausend Mark nach sich (§§ 19, 20). 3. Die Nichtentrichtung der Stempelabgabe von L o t t e r i e l o s e n wird mit einer dem fünffachen Betrage der hinterzogenen Abgabe gleichkommenden Geldstrafe geahndet. Diese ist jedoch gegen den Unternehmer inländischer Lotterien oder Ausspielungen, sowie gegen jeden, welcher den Vertrieb ausländischer Lose oder Ausweise über Ausspielungen im Bundesgebiete besorgt, nicht unter dem Betrage von zweihundertfünfzig Mark festzusetzen. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, der W e t t e i n s ä t z e bei öffentlich veranstalteten Pferderennen oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen entgegennimmt, ohne einen Ausweis darüber zuzustellen.®) Ist die Zahl der abgesetzten Lose nicht 2 ) Die einheitliche Thätigkeit des Buchmachers (oben S. 506) begründet Idealkonkurrenz mit StGB. § 284. So R 11. Januar 98 30 396, 15. April 9S 31 114. Dagegen J. Goldschmidt GS. 55 106 (für Realkonkurrenz).

§ 204.

Die Militärverbrechen.

Allgemeine Bestimmungen.

zu ermitteln, so tritt Geldstrafe von zweihundertfünfzig bis fünftausend Mark ein (§ 26). Aufser den angeführten drei Fällen der Hinterziehung bedroht das Gesetz auch noch andre geringfügigere Zuwiderhandlungen mit milderer Strafe (§ 4 Abs. 2, 21, 34). Umwandlung der uneinbringlichen Geldstrafe in Freiheitstrafe findet nicht statt (§ 37). Im übrigen sind die Vorschriften des Wechselstempelsteuergesetzes vom 10. Juni 1869 (4. Juni 1879) zur entsprechenden Anwendung zu bringen (§ 36). V. Zuwiderhandlungengegen das G e s e t z , b e t r e f f e n d d i e S t a t i s t i k des Warenverkehrs des deutschen Zollgebiets mit dem Ausl a n d e , vom 20. Juli 1879 werden lediglich mit einer Ordnungsstrafe bis zu einhundert Mark geahndet (§ 17).

XI. § 204.

D i e Militärverbrechen. Allgemeine Bestimmungen.

Iiitteratur. Hecker Lehrbuch des deutschen Militärstrafrechts 1887. Hier S. 315 ausführliche Litteraturübersicht. Delius Z 9 833. Dangelmaier Die Militärverbrechen und -vergehen nach österreichischem Recht 1884. Weist GS. 4 3 71. Derselbe Das Heeresstrafrecht. Allgemeiner Teil 1892. — Günther Z 12 652. Seuffert StG. 1 69. I. Die G e s c h i c h t e des Militärstrafrechts beginnt mit dem Auftreten der stehenden Heere, welche die Erlassung besonderer „Kriegsartikel" und „Reuterbestallungen" notwendig machten. Für Süddeutschland wurden die Kriegsartikel Maximilians I. von 1508 (erneuert 1570), für Norddeutschland das (den schwedischen Kriegsartikeln von 1621 nachgebildete) Kurbrandenburgische Kriegsrecht des Grofsen Kurfürsten von 1656 (erneuert 1665) zur Grundlage der weitern Entwicklung. Die deutschen Einzelstaaten sahen sich jedoch fast alle erst im Laufe des 19. Jahrhunderts veranlafst, ihr Militärstrafrecht zu kodifizieren. Auf Grund des Art. 61 der norddeutschen Bundesverfassung wurde durch Verordnung vom 29. Dezember 1867 das in Preufsen geltende Militärstrafrecht, insbesondere das preufsische Mil.StGB. vom 3. April 1845, in das ganze damalige Bundesgebiet, mit Einschlufs von Baden und Hessen, aber mit Ausschlufs des Königreichs Sachsen eingeführt. Somit bestanden bei Gründung des Deutschen Reichs nebeneinander die folgenden untereinander z. T . weit abweichenden Mil.StG.-Bücher: 1. Das preufsische von 1845; 2. das sächsische vom 4. November 1867; 3. das bayrische vom 29. April 1869; 4. das württembergische vom 20. Juli 1818. Die Notwendigkeit einer einheitlichen, den veränderten Verhältnissen entsprechenden Regelung machte sich sofort geltend und wurde durch die Rechtseinheit auf dem Gebiete des bürgerlichen- Straf-

§ 204-

Die Militärverbrechen.

Allgemeine Bestimmungen.

rechts noch näher gelegt. Die Bemühungen waren von raschem Erfolg gekrönt. Das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 (durch Gesetz vom 8. Juli 1872 auch in Elsafs-Lothringen eingeführt) trat mit dem I. Oktober 1872 in Kraft.

II. Militärische Verbrechen oder Vergehen sind diejenigen strafbaren Handlungen, welche das Mil.StGB. mit Strafe bedroht. Sie sind entweder reine Militärvergehungen, wenn sie nur von Militärpersonen begangen werden können, oder militärisch-qualifizierte, d. h. solche gemeine Vergehungen, für welche das Mil.StGB. besondere Strafen angedroht hat (delicta militaria propria und impropia). Strafbare Handlungen der Militärpersonen, welche nicht militärische Verbrechen oder Vergehen sind, werden nach den allgemeinen Strafgesetzen beurteilt (§ 3). Die Militärdelikte sind (§ 1) entweder V e r b r e c h e n oder Vergehen; e r s t e r e s wenn sie mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Gefängnis oder Festungshaft von mehr als fünf Jahren, l e t z t e r e s , wenn sie mit Freiheitstrafe bis zu fünf Jahren bedroht sind. Ü b e r t r e t u n g e n kennt das Militärstrafrecht nicht (oben § 26 Note 5); Dienstpflichtverletzungen, welche das Mil.StGB. nicht mit Strafe bedroht, fallen in das Gebiet des D i s z i p l i n a r s t r a f r e c h t s . Nicht zu verwechseln mit diesem ist die A h n d u n g p e i n l i c h e r M i l i t ä r v e r g e h e n im D i s z i p l i n a r w e g e , welche § 3 EG. zum Mil.StGB. bei gewissen militärischen Vergehen „in leichteren Fällen" zuläfst. III. P e r s ö n l i c h e s G e l t u n g s g e b i e t d e s M i l i t ä r s t r a f r e c h t s . Die Bestimmungen des Mil.StGB.s finden ganz oder teilweise, uneingeschränkt oder mit Einschränkungen, Anwendung auf folgende Gruppen von Personen: 1. Auf die M i l i t ä r p e r s o n e n , d. h. (§ 4) die Personen des Soldatenstandes und die Militärbeamten. Die Klasseneinteilung dieser Personen ergibt sich aus dem dem MiLStGB. beigefügten Verzeichnisse. Dabei ist jedoch zu beachten: a. Dafs die M i l i t ä r b e a m t e n (§§ 153, 154) nur im Felde und nur wegen der unten § 205 I, II, III, VI, VIII aufgezählten Handlungen unter das MiLStGB. fallen; b) dafs P e r s o n e n d e s B e u r l a u b t e n s t a n d e s (§ 6) nur in der Zeit, in welcher sie sich im Dienste

§ 204.

Die Militärverbrechen.

Allgemeine Bestimmungen.

befinden, uneingeschränkt, aufser dieser Zeit nur in den vom Gesetze besonders hervorgehobenen Beziehungen (§§ i o i , 1 1 3 , 126; 42) dem Mil.StGB. unterliegen. 2. Auf die Offiziere ä la suite, welche nicht zum deutschen Heere oder zur Kaiserlichen Marine gehören (EG. § 2 Abs. 3), wenn und soweit sie zu vorübergehender Dienstleistung zugezogen sind, sowie in Bezug auf Handlungen gegen die militärische Unterordnung, welche sie begehen, während sie die Militäruniform tragen. 3. Auf die Landgendarmen, soweit sie bei Einführung des Mil.StGB.s nach der Landesgesetzgebung Militärpersonen waren (EG. § 2 Abs. 2). 4. Auf den sogenannten Armeetrofs, d. h. auf alle Personen (Fuhrleute, Krankenpfleger, Zeitungsberichterstatter usw.), welche während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges sich in irgend einem Dienst- oder Vertragsverhältnisse bei dem kriegführenden Heere befinden oder sonst sich bei ihm aufhalten oder ihm folgen (§§ 155, 156). 5. Auf die Angestellten eines Kriegsschiffes sowie auf andre dienstlich eingeschiffte Personen (§ 166). Letztere unterliegen jedoch nur, solange das Schiff im Kriegszustande sich befindet (d. h. aufserhalb der heimischen Gewässer allein fahrt) den Kriegsgesetzen. 6. Auf ausländische Offiziere, welche zu dem kriegführenden Heere zugelassen sind (§ 157), soweit der Kaiser nicht etwa besondere Bestimmungen getroffen hat. 7. Auf Kriegsgefangene (§ 158). Diese werden aufserdem mit dem Tode bestraft (§ 159), wenn sie a. unter Bruch des gegebenen Ehrenwortes entweichen oder b., auf Ehrenwort entlassen, die gegebene Zusage brechen oder c. den Bedingungen, unter denen sie aus der Kriegsgefangenschaft entlassen werden, vor Beendigung des Krieges entgegenhandeln. 8. Auf andere Personen, Deutsche oder Ausländer (§ 160), wegen gewisser auf dem Kriegsschauplatze begangener Handlungen.*) *) Landesverrat, Kriegsverrat, Verabredung eines solchen, Plünderung von Verwundeten, Gefallenen usw. (Mil.StGB. §§ 57—59, 134).

§ 204.

Die Militärverbrechen.

Allgemeine Bestimmungen.

IV. In Bezug auf das G e l t u n g s g e b i e t des MiLStGB.s sind ferner folgende Grundsätze zu beachten: 1. Strafbare Handlungen, welche von Militärpersonen i m A u s l a n d e , während sie dort bei den Truppen oder sonst in dienender Stellung sich befinden, begangen werden, sind ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlungen von ihnen im Bundesgebiete begangen wären (§ 7). 2. Ein Deutscher oder Ausländer, welcher in e i n e m v o n d e u t s c h e n T r u p p e n b e s e t z t e n a u s l ä n d i s c h e n Geb i e t e gegen deutsche Truppen oder deren Angehörige oder gegen eine auf Anordnung des Kaisers eingesetzte Behörde eine nach den Gesetzen des Deutschen Reichs strafbare Handlung begeht, ist ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlung von ihm im Bundesgebiete begangen wäre (§ 161). 3. Militärvergehen, welche g e g e n M i l i t ä r p e r s o n e n v e r b ü n d e t e r S t a a t e n in g e m e i n s c h a f t l i c h e n D i e n s t v e r h ä l t n i s s e n begangen werden, sind, wenn Gegenseitigkeit verbürgt ist, ebenso zu bestrafen, als wenn diese Handlungen gegen deutsche Militärpersonen begangen wären (§ 8). 4. Nach der Vdg. vom 26. Juli 1896 betr. die Einführung der deutschen Militärstrafgesetze i n d e n a f r i k a n i s c h e n S c h u t z g e b i e t e n treten jene Gesetze in diesen Gebieten gleichzeitig mit dem Gesetz betr. die Schutztruppe und die Leistung der Wehrpflicht daselbst vom 7. Juli 1896 und mit der Mafsgabe in Kraft, dafs im Sinne des MiLStGB.s unter „Heer" auch die Kaiserlichen Schutztruppen zu verstehen sind, V. Strafsystem des Militär-StGB.s 2 ). A. H a u p t s t r a f e n (Haft, Geldstrafe und Verweis fehlen). 1. T o d e s s t r a f e . 2. F r e i h e i t s t r a f e n : a) Zuchthaus, b) Gefängnis, c) Festungshaft, d) Arreststrafen (Stubenarrest, gelinder Arrest, mittlerer Arrest, strenger Arrest). B. N e b e n s t r a f e n . Sie sind ausschliefslich E h r e n s t r a f e n und zwar 1. gegen P e r s o n e n d e s S o l d a t e n s t a n d es a) Entfernung aus dem Heer oder der Marine, b) Dienstentlassung, c) Degradation, d) Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes; 2. gegen M i l i t ä r b e a m t e Amtsverlust; 3. bei einzelnen militärischen ') Htckir 45, v. Jagcmantt HG. 1 157.

§ 205.

Die einzelnen militärischen Verbrechen und Vergehen.

Vergehen (§§ 1 3 4 und 1 3 1 ) Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. VI. Im übrigen finden die a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g e n d e s b ü r g e r l i c h e n S t G B . s auch auf Militärverbrechen entsprechende Anwendung (§ 2). Es sind jedoch folgende, bereits im Allgemeinen Teil dieses Lehrbuchs besprochene Abweichungen zu merken. 1. Bezüglich der Ehrenstrafen neben der V e r s u c h s s t r a f e (StGB. § 45) vgl. oben § 66 II. 2. Über den B e f e h l d e s V o r g e s e t z t e n (oben § 35 Note 1) spricht besonders § 47. Wird durch die Ausführung e i n e s B e f e h l s in D i e n s t s a c h e n ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers, I. wenn er den ihm erteilten Befehl überschritten hat oder 2. wenn ihm bekannt gewesen, dafs der Befehl eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte. 3. Dafs der V e r b r e c h e r w a h n (oben § 41 Note 6) einflufslos bleibt, ist in § 48 ausdrücklich hervorgehoben. 4. D i e V e r l e t z u n g e i n e r D i e n s t p f l i c h t a u s F u r c h t v o r p e r s ö n l i c h e r G e f a h r ist nach dem schlecht gefafsten § 49 Absatz 1 ebenso zu bestrafen wie die Verletzung der Dienstpflicht aus Vorsatz (vgl. oben § 34 in 3). 5. S e l b s t v e r s c h u l d e t e T r u n k e n h e i t bildet nach § 49 Absatz 2 keinen Strafmilderungsgrund (vgl. oben § 38 Note 8). 6. Das j u g e n d l i c h e A l t e r d e s T h ä t e r s bleibt nach § 50 ohne Einflufs auf die Bestrafung (vgl. oben § 38 Note 4). 7. Die Verfolgung der Militärverbrechen ist nach § 51 u n a b h ä n g i g v o n d e r S t e l l u n g e i n e s A n t r a g e s (vgl. oben § 45 I). 8. Abweichend vom RStGB. hat das Mil.StGB. in den §§ 53 und 55 a l l g e m e i n e S t r a f s c h ä r f u n g s g r ü n d e aufgestellt (vgl. oben § 69). Zu ihnen gehört n i c h t der Rückfall.

§ 205.

Die einzelnen militärischen Verbrechen und Vergehen.

I. Kriegsverrat, d. i. der im F e l d e begangene L a n d e s verrat (§§ 57, 58). Die Strafen sind dem gemeinen Recht gegenüber wesentlich verschärft, in den Fällen des § 58 ist sogar Todesstrafe angedroht. § 59 bedroht das Komplott, während § 60 die unterlassene Anzeige mit der Strafe der Mitthäterschaft belegt. Thätige Reue wirkt nach § 61 als Strafaufhebungsgrund.

II. Gefährdung der Kriegsmacht im Felde, d. h. jede Verletzung der Dienstpflicht, durch welche bewirkt wird, dafs die Unternehmungen des Feindes befördert werden oder den

§ 205.

Die einzelnen militärischen Verbrechen und Vergehen.

kriegführenden Deutschen oder verbündeten Truppen Gefahr oder Nachteil bereitet wird (§ 62). In den schweren Fällen des § 63 tritt Todesstrafe ein.

III. Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht (§§64—80). Diese beiden Vergehungen unterscheiden sich dadurch voneinander, dafs Fahnenflucht nach § 69 die Absicht voraussetzt, sich der gesetzlichen oder übernommenen Verpflichtung zum Dienste nicht blofs vorübergehend, sondern d a u e r n d zu entziehen. Auch die Fahnenflucht ist unter Umständen (§§ 71, 73 und 72) mit dem Tode bedroht. Gemeinschaftliche Begehung wirkt strafschärfend (§ 72), thätige Reue strafmildernd (§ 75). Unterlassene Anzeige ist in § 77, Verleitung zur Fahnenflucht und ihre Beförderung in § 78 unter Strafe gestellt. Angereiht ist in § 79 die Selbstbefreiung, in § 80 der Bruch des Stubenarrestes.

IV. Selbstbeschädigung und Vorschützung von Gebrechen. Entsprechend den §§ 142 und 143 des Bürgerlichen StGB, bedroht Mil.StGB. § 81 denjenigen, der sich vorsätzlich durch Selbstverstümmelung oder auf andre Weise zur Erfüllung der Dienstpflicht untauglich macht oder durch einen andern machen läfst; § 82 die Untauglichmachung eines andern auf dessen Verlangen; § 83 die Anwendung von auf Täuschung berechneten Mitteln, um sich der Dienstpflicht ganz oder teilweise zu entziehen. V. Feigheit (§§ 84—88). Die Strafen sind verschieden abgestuft. Todesstrafe trifft nach § 84 denjenigen, welcher während des Gefechtes aus Feigheit die Flucht ergreift und die Kameraden durch Worte oder Zeichen zur Flucht verleitet.

VI. Strafbare Handlungen gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung (§§ 89—113.) In diesem Abschnitte ist eine Reihe verschiedener Handlungen zusammengefafst. Es gehören hierher i. die Verletzung der dem Vorgesetzten schuldigen Achtung (§ 89); 2. das Belügen Vorgesetzter in dienstlichen Angelegenheiten (§ 9°) > 3- Beleidigung eines Vorgesetzten oder im Dienstrange Höhern (§ 91); 4. Ungehorsam gegen Befehle in Dienstsachen und ausdrückliche Verweigerung des Gehorsams (§§ 92—95), unter Umständen sogar mit Todesstrafe bedroht; 5. Widersetzung (§ 96), d. h. das Unternehmen, einen Vorgesetzten mittels Gewalt oder Drohung an der Ausführung eines Dienstbefehls zu hindern oder zur Vornahme oder Unterlassung einer Diensthandlung zu nötigen; 6. Thätlichkeiten gegen Vorgesetzte (§ 97), im Felde mit dem Tode bestraft. — In diesen sechs Fällen tritt Strafmilderung ein, wenn der Untergebene dadurch,

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dafs der Vorgesetzte ihn vorschriftswidrig behandelt oder die Grenzen seiner Dienstgewalt überschritten hat, gereizt und auf der Stelle zu einer dieser Handlungen hingerissen worden ist (§ 99). — 7. Aufforderung oder Anreizung zu Ungehorsam, Widersetzung oder Thätlichkeit (§ 99, entsprechend dem § 1 1 2 des RStGB.s); 8. A u f w i e g e l u n g mehrerer zu g e m e i n s c h a f t l i c h e r Begehung einer der in § 99 genannten Handlungen (§ 100); 9. Veranstaltung von Versammlungen behufs Beratung über militärische Angelegenheiten oder Einrichtungen, Sammeln von Unterschriften zu gemeinsamen Vorstellungen oder Beschwerden, Erregung von Mifsvergnügen in Beziehung auf den Dienst (§§ 101, 102); 10. M e u t e r e i , d. h. Verabredung mehrerer zu gemeinschaftlicher Begehung von Ungehorsam, Widersetzung, Thätlichkeit (§§ 103 bis 105); II. m i l i t ä r i s c h e r A u f r u h r (vgl. RStGB. § 1 1 5 ) , vorliegend, wenn mehrere sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften es unternehmen, dem Vorgesetzten den Dienst zu verweigern, sich ihm zu widersetzen oder eine Thätlichkeit gegen ihn zu begehen (§§ 106 bis 110), unter Umständen mit dem Tode bestraft; 12. Verletzung der Achtung, Beleidigung, Ungehorsam, Widersetzung, Thätlichkeit gegen eine m i l i t ä r i s c h e W a c h e (§ Iii), so bestraft, als wenn die Handlung gegen einen Vorgesetzten begangen wäre; 13. Zweikampf aus dienstlicher Veranlassung (§ II2).

VII. Mifsbrauch der Dienstgewalt (§§ 114—126). Sie bildet das Gegenstück zu den im vorhergehenden Abschnitte behandelten strafbaren Handlungen. Es fallen unter diesen Begriff: I. Mifsbrauch der Dienstgewalt zu nicht dienstlichen Zwecken, Fordern oder Annehmen von Geschenken, Borgen von Geld usw. (§ 114); 2. vollendete oder unternommene Bestimmung eines Untergebenen zu strafbaren Handlungen (§§ II5, I I , I I 6 ) ; 3. Verhinderung von Beschwerden (§ 117); 4. Überschreitung der Strafbefugnisse (g 118); 5. gesetzwidriger Einflufs auf die Rechtspflege (§ 119); 6. Anmafsung einer Befehlsbefugnis oder Strafgewalt (§ 120); 7. Beleidigung und vorschriftswidrige Behandlung Untergebener (§ 121); 8. Mifshandlung oder Gesundheitsbeschädigung gegen Untergebene (§§ 122, 123). — Militärische Wachen stehen auch hier, wie im vorhergehenden Abschnitte, den Vorgesetzten gleich (§ 125).

VEI. Widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigentum (§§ 127—136). Das Antragserfordernis entfallt (§ 27), wenn im Felde ein Diebstahl, eine Unterschlagung, eine Körperverletzung, ein Sittlichkeitsverbrechen von einer Person des Soldatenstandes begangen wurde. Im einzelnen gehören hierher: I. Unerlaubtes Beutemachen (§ 128); 2. P l ü n d e r u n g (§§ 129 bis 133, unter Umständen mit dem Tode bestraft), vorliegend, wenn jemand im Felde unter Benutzung des Kriegsschreckens oder unter Mifsbrauch seiner militärischen Überlegenheit a. in der Absicht rechtswidriger Zueignung eine Sache der Landeseinwohner offen wegnimmt oder denselben abnötigt oder b. unbefugte Kriegsschatzungen oder Zwangslieferungen

§ 205.

Die einzelnen militärischen Verbrechen und Vergehen.

erhebt oder das Mafs der von ihm vorzunehmenden Requisitionen überschreitet, wenn dies des eigenen Vorteils wegen geschieht; gleichgestellt ist die boshafte oder mutwillige Verheerung oder Verwüstung fremder Sachen im Felde (§ 132); 3. Beraubung Gefallener, Verwundeter oder Gefangener (§ 134); 4. das M a r o d i e r e n , vorliegend, wenn jemand im Felde als Nachzügler Bedrückungen gegen die Landeseinwohner begeht (§ 135).

IX. Andere widerrechtliche Handlungen Eigentum (§§ 137, 138).

gegen

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1. Die Beschädigung, Zerstörung oder Preisgebung eines Dienstgegenstandes (§ 137); 2. Diebstahl oder Unterschlagung a. bei Ausübung des Dienstes oder unter Verletzung eines militärischen Dienstverhältnisses an Sachen, welche dem Thäter vermöge des Dienstes oder jenes Verhältnisses zugänglich oder anvertraut sind; b. gegen einen Vorgesetzten oder einen Kameraden, gegen den Quartierwirt oder eine zu dessen Hausstand gehörige Person.

X. Verletzung von Dienstpflichten bei Ausführung besonderer Dienstverrichtungen (§§ 139 bis 145). I. Erstattung unrichtiger dienstlicher Meldungen (§ 139); 2. die passive Bestechung (§ 140); 3. Pflichtverletzung im Wachdienst (§ 141), unter Umständen mit dem Tode bestraft; 4. Herbeiführung einer erheblichen Beschädigung eines Schiffes oder dessen Zubehörs durch Fahrlässigkeit in der Wahrnehmung des Dienstes (§ 142); 5. Begehenlassen von strafbaren Handlungen (§ 143); 6. vorsätzliches oder fahrlässiges Entweichenlassen eines Gefangenen sowie Nichtausführung einer Verhaftung (§ 144); 7. Pflichtverletzung bei Verwaltungsgeschäften (§ 145).

XI. Sonstige Handlungen gegen die militärische Ordnung (§§ 146—152). I. Verlassen der Wache und Austreten (§ 146); 2. Verabsäumung der Beaufsichtigung Untergebener und Nichtverfolgung strafbarer Handlungen (§ 147); 3. Körperverletzung durch unvorsichtige Behandlung von Waffen oder Munition (§ 148); 4. rechtswidriger Waffengebrauch und Aufforderung dazu (§ 149); 5. Verheiratung ohne dienstliche Genehmigung (§ 150); 6. Trunkenheit (§ 151), strafbar, wenn jemand im Dienste oder nachdem er zum Dienst befehligt worden, sich durch Trunkenheit zur Ausführung seiner Dienstverrichtung untauglich macht; 7. Mifsbrauch des Beschwerderechts (§ 152).

Paragraphenregister. Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch.

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Bürgerliches EinfG. Art. 34 160, I93N.5, 386 ,, 89 147 N. 2 „ 135 160 N. 2 BGB. § i

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12 403 31 114 N. i 104 193 N. 5 119 171 N. i 138 501 227 138 N. i, 139 Note 2 228 139 Note 2, 143 229—231 450 Note 16

703

Paragr. Seite 332\ 609 333/ 334Ì 335 336 610 337 338 339; 340' 611 341 342, 343 612 344 345 346 347 613 348 349 35°\ 614 351/ 352 615 353 ) 353aJ 354\ 616 355 / 477,617 356 617 357 608 358 606 359 360 Ziff. i 642 2 593 » >, 3 641 » 4-6 545,557 360 " 0)601 Note 5 ,, 9 661 Note I

)

Paragr. Seite 36oZiff.ic>3i4 N. 2.649 » 1 1 657 „ 12 504 » 13 656 » 14 506 361 Ziff. 3 - 8 653 „ 9 650 10 654 271 362 558 363 557 364 658 365 366 Ziff. 1 658 „ 2—10 649 366a 649 367 Ziff. 1 417 Note 8 '„ 2—6 649 » 7 536 Note 4 „ 8-15 649 » 16 504 368 Ziff. 1 - 9 649 „ 10 U.II 474 369 Ziff. i 649 „ 2 675 „ 3 649 370 Ziff. 1 459 „ 2 460 „ 3 SJ4 » 4 474 „ 5 460 „ 6 46]

Gesetzbuch.

229—239 147 Note 2 231 177 N. 7 252 492 254 122 254 123 N. 8 276 178 823 134 N. 2 826 140, 127 Note 2 827 159 N. 4, 162 N. 7

828 830 847 854 855 859 904 950

160 N. i 123 N. 7 216 N. 2 69, 276 Note X 446 N. 5 447 N. 7 140 N. 5 147 N. 2 144 470 N. 5

960 472 N. i, 474 984 475 N. i 1565 410 1612 254 N. 8 1631 147N. 3 1680 254 N. 8 1781 273 N. 4 1909 194 N.,7 2237 273N..4

Register der Nebengesetze. 12. Oktober 25. „ 8. Juli 16. Mai 10. Juni 21. „ I. Juli 1. „ 11. Juni 8. „ 28. Oktober 21. Dezember 31. Mai 20. Juni 27. Dezember 27. „ 13. Juni 28. „ 9. Juli 8. April 7. Mai 17. „ 6. Februar 14. März 9., 10., I I . Jan. 25. Februar 7. April 15. August 14. Dezember 10. Februar 21. Mai 3. Juli 14. Mai 28. Juni 16. Juli 19. „ 20. „ 25. März 24. Mai 23. Juni 22. Mai 20. Juli 23. Juni 15. Juni 19. „

Seite 1867 (Salzsteuer) 689 1867 (Nationalität der Schiffe) 678 1868 (Branntweinsteuer) 690 1869 (Telegraphenfreimarken) 687 1869 (Wechselstempel) 692 1869 (Gewerbeordnung) 372, 658 1869 (Vereinszollgesetz) 687 1869 (Ausgeschlossene hamburgische Gebietsteile). . . 688 1870 (Urheberrecht) 427 1871 (Prämienpapiere) 509 1871 (Postgesetz) 677, 686 1871 (Festungsrayongesetz) 641 1872 (Brausteuer) 690 1872 (Militär-StGB.) 695 1872 (Seemannsordnung § 81) . . . . . . . 476, 680 1872 (Mitnahme von Seeleuten) 679 1873 (Kriegsleistungen) 641 1873 (Registrierung der Schiffe) 678 1873 (Münzgesetz) 672 1874 (Impfgesetz) 648 1874 (Prefsgesetz . . . 182 (Verschuldung), 635, 642, 644 1874 (Strandungsordnung) 679 1875 (Personenstand) 4°3i 4°5 1875 (Bankgesetz) 672, 692 1876 (Urheberrechte) 43° 1876 (Desinfektion bei Viehtransporten) 651 1876 (Eingeschriebene Hilfskassen) 478, 668 1876 (Zusammenstofs auf See) 679 1876 (Robbenschonzeit) 657 1877 (Konkursordnung) 480 1878 (Rinderpest) 651 1878 (Spielkartenstempel) 692 1879 (Nahrungsmittel) 533 1879 (Ausgeschlossene bremische Gebietsteile) . . . . 688 1879 (Tabaksteuer) 689 1879 (Steuerfreiheit des Branntweins) 690 1879 (Statistik des Warenverkehrs) 694 1880 (Schiffsmeldung bei den Konsulaten) 678 1880 (Wuchergesetz) 5QI 1880 (Viehseuchengesetz) . . . 651 1881 (Küstenfrachtfahrt) 681 1881 (Raumgehalt der Schankgefäfse) 675 1882 (Nachlafs des Getreideeingangszolls) 688 1883 (Krankenversicherung) 663 1883 (Reichskriegshäfen) 642

Register der Nebengesetze.

13. Juli 2. März 10. April 13. Mai 9. Juni 6. Juli 16. „ 18. 26. Mai 29. April 24. Juni 25. 5. Juli 21. November 22. März 5. April I. Mai 22. Juni 22. März 7- April 13. Mai 19. n 31. n I. Juni 6. Dezember 6, April 20. „ 20. n 5. Juli 26. März 19. Juni 3. Juli 4. März 12. „ 27. April 12. Mai 16. n 28. „ I. März 9. Juni 15. „ 28. Juli 27. Mai 22. Juni 5. Juli 26. „ 12. August 9. Mai 10. n 10. „ 9. Juni 15. „ 26. Juli 17. Mai 1. Juni 6. Juli

J705 Seita 1883 (Reblausgesetz) 652 1884 (Stimmzettel) Note 1 182 1884 (Nordseefischerei) 682 1884 (Zündhölzer) 671 1884 (Sprengstoffgesetz) 531 1884 (Unfallversicherung) 435, 478 1884 (Feingehalt) .675 1884 (Aktiengesetznovelle) 665 1885 (Reichskassenscheine) 545 1885 (Deutsch-Belg. Vertrag) 100 1887 (Branntweinsteuer) 691 1887 (Blei- und zinkhaltige Gegenstände) 537 1887 (Gesundheitsschädliche Farben) 537 1887 (Unterseeische Kabel) 525 1888 (Vogelschutz) 656 1888 (Ausschlufs der Öffentlichkeit) 400, 572 1889 (Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften) . 479, 669 1889 (Invaliditäts- und Altersversicherung) 436, 478, 558, 664 1891 (Strafgesetz in Helgoland) 53 1891 (Patentgesetz) 431 1891 (Abänderung des StGB.s) 524, 557 1891 (Handfeuerwaffen) 539 1891 (Zuckersteuer) 691 1891 (Gebrauchsmuster) 432 1891 (Deutsch-österr. Zollkartell) 688 1892 (Telegraphenwesen) 677 1892 (Gesellschaften mit beschränkter Haftung) . . . 670 1892 (Weingesetz) 537 1892 (Eisenbahnbetriebsordnung) 677 1893 (§ 69 StGB.) 301 1893 (Wuchergesetz) 501 1893 (Militärische Geheimnisse) 572 1894 (Branntweinhandel auf der Nordsee) 655 1894 (Unterstützungswohnsitz) 654 1894 (Reichsstempelgesetz) 693 1894 (Warenzeichen) 436 1894 (Warenabzahlungsgeschäfte) 504 1894 (Brieftauben) 642 1895 (Schiffsvermessungsordnung) 675 1895 (Österreich. Zollgesetze) 688 1895 (Binnenschiffahrt und Flöfserei) 682 1895 (Sklaveniaub) 377 1896 (Unlauterer Wettbewerb) 433 1896 (Börsengesetz) 479, 495, 504, 674 1896 (Depotgesetz) 467, 487 1896 (Schutztruppe) 697 1896 (Konsumvereine) 670 1897 (Zusammenstofs auf See) 679 1897 (Lichter- und Signalführung) 679 1897 (Handelsgesetzbuch) 478, 668 1897 (Auswanderungsgesetz) 643 1897 (Margarinegesetz) 538, 436 1897 (Handwerkerorganisation) 659 1898 (Konkursordnung) 480 1898 (Elektrische Mafseinheiten) 676 1898 (Süfsstoffe) 538

v o n L i s z t , Strafrecht.

9. Aufl.

45

Sachregister. ( D i e Z i f f e r n b e d e u t e n die Seiten.)

A. Abbitte 93, 351. Aberkennung der Ehrenrechte 272. aberratio ictus 173. Abgeordnete, deren Straffreiheit 106. Abhängigkeitsverhältnis, Mifsbrauch desselben zur Unzucht 390. Abirrung 173. Ablationstheorie beim Diebstahl 450 Note 18. Abolition 294. Absatz 513. Absicht 167. Absolut bestimmte Strafdrohungen 278. — untauglicher Versuch 206. Abtreibung 345. Abzahlungsgeschäfte 504. actio injuriarum 93. actiones liberae in causa 158. adulterium 409. agents provocateur 231. Aktienstrafrecht 665. Akute Kriminalität 66. Alkoholismus 653. Altersversicherung 436, 478, 558, 664. Altkatholiken 4 1 5 . Amerikanisches Duell 341. Amt, öffentliches 272 Note 1. Amtsanmaßung 601. AmtsausUbung, rechtsmäfsige 584. Amtspflicht beseitigt die Rechtswidrigkeit 146. Amtsverbrechen 605. Analogie 83. Anarchismus 592. Aneignung 44S. Aneignungsrechte 472. Anfang der Ausführung 202. Anführer 227 Note 4. Angehörige 144 Note 4.

Angriff 337. Anhang 271. animus injuriandi 355, Anpreisung strafbarer Handlungen 532, 595 Note I. Anrechnung der Strafe 286, der Untersuchungshaft 286. Anreizen, Aufreizen, Verhältnis zur Anstiftung 227 Note 4. Anreizung als Milderungsgrund beim Totschlag 318. Anreizung zum Klassenkampf 593. Ansammeln von Waffen 593. Anschuldigung, falsche 626. Ansichbringen 513. Ansteckende Krankheiten 527. Anstiftung 225. Anthropometrisches Signalement 71 Note 8. Antragsvergehen 191. Anvertrauen von Geheimnissen 423, von Sachen 466. Anzeige unterlassene 533, 575, 636. Anwerbung 638 Note 1. Apostasie 412. Apprehensionstheorie beim Diebstahl 450 Note 18. Arbeit ohne Einsperrung 70 Note 6. Arbeiterversicherungsgesetze 663. Arbeitseinstellung, Nötigung dazu 372, Aufforderung dazu 596. Arbeitsfreiheit 372. Arbeitshaus 271, 71 Note 9. Arbeitsscheu 654. Arbeitsvertragsbruch 475. Arbeitszwang bei d. Freiheitsstrafe 265. Ärgernis durch unzüchtige Handlungen 398, durchGotteslästerung4I4, durch Tierquälerei 656; Arglist, Begriff 368 N o t e 4, 490, 406. Arglistige Täuschung 490.

ister. Arnimparagraph 6 1 5 . Arrestbruch 602. Ärztliche Kunstfehler 182. assassinium 316. Asylrecht für politische Verbrecher 105. Attacke 341. Attentatsklausel 105 N o t e 6. Auburnsches Schweigsystem 262. Aufenthaltsbeschränkung 2 7 1 . Aufforderung, Begriff 227 Note 4, strafbare 595. Aufklärungszeit 29. Auflauf 586. Aufrechnung 286. Aufruhr 586. Ausbeutung 498. Ausfertigung des Schuldurteils 251. AusfUhrungsgesetze 94. Ausführungshandlung 202, 222. Auskunftsbüreaus 357. Ausland, Begriff, siehe Inland: im •— begangene V e r b r e c h e n 100. Ausländische Staatsgewalt, Gleichstellung mit der inländischen 583 Note I. Auslegung der Rechtsquellen 83. Auslieferung 103. Aussage, falsche 618. Aussetzung 332. Ausspähung 573. Ausspielung 507. Ausübung eines Berufes schliefst die Rechtswidrigkeit aus 146. Auswanderung des Wehrpflichtigen 639, Verleitung zur 6 4 3 , Überwachung des Auswanderungswesens 643. Ausweisung 272. Automaten 453 Note 4. Autoritätsverhältnis, Mifsbrauch zur Unzucht 390. Autoritätszeichen 583, 602.

B. Bahnordnung 6 7 7 . Bambergensis 19. Bande, Begriff 218. Bandendiebstahl 455. Bandenraub 463. Banditenmord 3 1 6 . Bankbruch, Bankrott 479. Bankgesetz 672. Bannbruch 637. Banngewalt des K ö n i g s 15, Note 12. Baratterie 608. Baukunst, Verletzung der R e g e l n der 530. Bauwerk 4 7 1 .

707

Beamter, Begriff 606. Bedingte Entlassung 263, 266. Bedingte Verurteilung 69. Bedingung, Unterschied von Ursache 123. Bedingungen der Strafbarkeit 188. Bedrohung als Mittel der Nötigung 367. — als selbständiges Vergehen 424. Beendeter Versuch 203. Befehdung 591. Befehl der Vorgesetzten 146. Beförderungsgegenstände 454. Befreiung von Gefangenen 588. Befreundete Staaten 581. Befristung des Antragsrechtes 195. Begehung (Thun), Begriff 119. Begehungsort 130. Begnadigung 293. Begriffsentwickelung 83. Begünstigung ist nicht Teilnahme 2 1 9 . — als selbständiges Vergehen 629. — eines Gläubigers 485. Behörde, Begriff 586 Note 5. Beihilfe, Begriff 2 2 7 ; als Strafmilderungsgrund 282. Beischlaf 402. Beiseiteschaffen 484 Note 3. Bekanntmachung des Strafurteils 2 5 1 . Belagerungszustand 108. Beleidigung 350. Belgische Attentatsklausel IOJ Note 6. Belgisches System der Verantwortlichkeit in Prefssachen 184. Berechtigung zur Antragstellung 193. Bereicherungsabsicht 491. Bergrecht 475. Berichte über Kammerverhandlungen, Straffreiheit derselben 150. Bertillon'sches System 71 N o t e 8. Berufsausübung alsAusschliefsungsgrund der Rechtswidrigkeit 146. Beschimpfende Äusserungen bei der Gotteslästerung 414. Beschimpfender U n f u g 4 1 5 . Beschimpfung, Begriff 3 5 5 ; von R e l i gionsgesellschaften 4 1 5 , des Andenkens eines Verstorbenen 353, 361. Besitzentziehung 458. Besserungsanstalten s. Erziehungsanstalten. Bestechung 608. Betäubung 368 Note 5. Betriebsgeheimnisse, Offenbarung derselben 435. Betriebsordnung (der Eisenbahnen) 677. Betrug 489. Betrügerische Absicht, ß e g r i f f 4 9 i , beim Versicherungsbetrug 495. 45*

Sachregister.

708

Bettel 653, Gesetzgebungsfragen 71 Note 9. Bettelbetrug 493. Beugung des Rechts 610. Beurlaubung der Strafgefangenen 263, 266. Bevollmächtigung bei Antragstellung 194. Bewaffneter Diebstahl 454. Beweggrund des Handelns 120, 166, Berücksichtigung in der Gesetzgebung 70 Note 5. Bewegliche Sache, Begriff 445. Bewohntes Gebäude, Begriff 455. Bewufste Fahrlässigkeit 182 Note 6. Bewußtlosigkeit 164. Bewulstsein der Rechtswidrigkeit 174. BewufstseinsstSrungen 164. Bigamie 407. Bildende Kunst, Schutz von Werken der — 430. Binnenschiffahrt 682. Blankettstrafgesetze 85. Blasphemie 414. Bleihaltige Gegenstände 537. Blinde Passagiere 490 Note 2. Blutrache 4. Blutschande 401. Bordelle 394 Note 3. Bttrsengesetz 495, 504, 479, 674. Börsenspekulationsgeschäfte, Verleitung dazu 504. Böswilligkeit, Begriff 601. Boykottieren 657. Brandstiftung 517. Branntweinhandel auf der Nordsee 655. Brief, Begriff 616 Note 17. Briefgeheimnis, Verletzung desselben 422, 616. Brunnenvergiftung 528. Buchmacher 506. Bürgerliches Unrecht (Unterschied vom peinlichen) 186. Bulse 275. Butterersatzmittel 538.

C. calumnia 627. Carolina 18. circonstances atténuantes 283 Note 6. Chronische Kriminalität 66. concurrence déloyale 432. concursus ad delictum (Teilnahme) 214. — creditorum (Bankbruch) 479. — delietorum (Konkurrenz) 244, 246. concussio 496.

culpa (Fahrlässigkeit) 178. — dolo determinata 153. D. Dardanariat 500. Dauerverbrechen 238. Defraudation 494. 683. Depeschenfälschung 550 Note 3. Depeschengeheimnis 616. Deportation 71 Note 8. Depotgesetz 467, 487. Desertion 638. Desertionsbegilnstigung 638. Desinfektion der Viehtransporte 651» Determinismus (Willensfreiheit) 78 Note I I . Diebstahl 441. diffidatio 591. Dingpflicht, einfache Verletzung derselben 255, durch Vorschützen falscher Thatsachen 635. Diplomatenverbrechen 615. Diplomatischer Landesverrat 571. directarii 419. discernement 161. Disziplinargewalt schliefst die Rechtswidrigkeit aus 147. Disziplinarstrafe 254. dolus (Vorsatz) 164. — eventualis 167. — generalis 169 Note 8. — indeterminatus 169. — indirectus 153. — praemeditatus und repentinus 120 Note 4. — subsequens und antecedens 169 Note 8. Doppelehe 407. Dreiteilung der Verbrechen I I I . Drohung 367, 424. Druckfehler 84 Note 5. Druckschrift, Begriff 182 Note 1. Duchesneparagraph 598. Duell 338. Duldung, Verhältnis zur Unterlassung 371Dynamit (Sprengstoffe) 532, 521 Note 5.

E. Ehebetrug 406. Ehebruch 409. Eheerschleichung 406. Ehre, Begriff 352 Ehrenhauptstrafe (Verweis) 269. Ehrenerklärung 351.

Sachregister. Ehrenrechte, Aberkennung der — 275. Ehrenstrafe 272. Ehrgefährdung 355. Ehrverletzung 354. Eidesbruch 635. Eidesverbrechen 618. Eigennutz siehe StGB. § § 284 fr. Einbrechen 452. Einbruchsdiebstahl 452. EinfOhrungsgesetze zum StGB. 94. Eingriff in Amtshandlungen 583. Einheit der Handlung 235, des Verbrechens 239. Einsatzstrafe 288. Einschleichen 455. Einsicht, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche — 1 6 1 . Einsperrung 374. Einsteigen 453. Einwilligung des Verletzten im allgemeinen 149; bei Tötung 3 2 1 ; bei Körperverletzung 326; bei Beleidigung 356; bei Ehebruch 4 1 1 Note 4 ; bei Entführung 386. Einzelhaft 266. Einziehung 252. Eisenbahn, Begriff 454. Eisenbahnbetriebsreglement 677. Eisenbahntransporte, Gefahrdung derselben 522. Elektrizitätsdiebstahl 444 Note 3. Elmira 263. Entartungszustände 162. Entführung 383. Entlassung auf Widerruf 263, 266. Entmannung 328. Entschlufs 120. Entstehungsgeschichte des RStGB.s 50. Entwendung 460. Entwickelungshemmung 162. Erbrechen von Behältnissen 453. Erfolg der Handlung, Begriff 1 1 7 ; schwerer Erfolg als Strafschärfungsgrund 156 Note 6. ErfUllungszwang 253. Ermächtigungsverbrechen 1 9 1 . Erpressung 496 error überhaupt (Irrtum) 170. error in persona 1 7 4 . Ersatz, im Unterschiede von der Strafe 251. Erscheinen eines litterarischen Werkes 427 Note 2. Erschleichung des Beischlafs 391. — der Ehe 406. — einer Zoll- oder Steuerrückvergütung 684.

709

Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften 479, 669. Erwiderung (Retorsion) 286. Erziehungsanstalten 1 6 1 ; Gesetzgebungsfragen 70 Note 4. Erziehungsgewalt 147. Eventueller Vorsatz 168. excessus mandad 230. Exekutionsvereitelung 488. Exekutivstrafen 253. Exemptionen von der Herrschaft der Strafgesetze 106. Explodierende Stoffe 521 Note 5. expositio infantium 332. Exterritoriale Personen 107. ExzeSS der Notwehr 1 4 1 ; des Auftrages 230.

Fabrikgeheimnisse s. Geheimnisse. Fahnenflucht 638. Fahrlässigkeit 1 7 8 ; in Prefssachen 184. Fahrwasserstörung 525. Falschbeurkundung 553, 513. Falsche Anschuldigung 626. — Aussage 618. — Schlüssel, Begriff 453. FalSCheid, VerleitUDg dazu 624. Falschmünzerei 542. Fälschung von Nahrungsmitteln 534; von Geldzeichen 539; von Urkunden 546; des Mehrheitsvvillens 486, 581, 667. Fälschungsrerbrechen 541 Note 2. Falschwerbung 637. Familiendiebstahl 456. Familienehre, Verleumdung derselben 361. Familiengeheimnisse 423. Farben, gesundheitsschädliche 537. Fehderecht 16. Fehlgeschlagenes Verbrechen 203, 206. Feilhalten, Begriff 528 Note 1, 535. Feingehalt derGold-undSilberwaren675. Felddiebstahl 459. Fernsprechanlagen 524. Festungshaft 265. Festungsrayonsgesetz 641. Fides publica 518 Note 3. Finanzverbrechen 682. Fingierte Thäterschaft 220. Firmenschutz 436. Fischrecht 474. Flttlserei 682. Formelle Verbrechen (Formaldelikte) 117 Note s, 155 Note 5, 217 Note 1.

Sachregister.

7io

Forstbeamte, Widerstand gegen dieselben 587. Forstdiebstahl 459. Forst- und Gemeindearbeit 94. Fortdauerndes Verbreeben 238. Fortgesetztes Verbrechen 240. Frauenraub 383. Freiheit, persönliche, Begriff 365. Freiheitsberaubung 374. Freiheitstrafe, Geschichte 260 ; Reichsgesetzgebung 264. Freiheitsverbrechen 365. Freiwilliger Rücktritt vom Versuch 211. Fremde Sache. Begriff 444. FriedensbUrgschaft 69 Kote 3. Friedensstörungen 424. Friedhof 415. Friedlosigkeit 12. Funddiebstahl 465. Fundverhehlung 465. FDrkauf 500. furtum 441. — possessionis 458. — usus 457. FQrwarten 425. Futterdiebstahl 461.

G. Gebäude, Begriff 452. Gebrauchsanmafsung 457. Gebrauchsmittel, Verfälschung derselben 534; Vergiftung 528. Gebrauchsmuster 432. Gebührenpflicht, Verletzung derselben 686. Gefahr, Begriff 117. Gefährdung, Begriff 117. Gefährlicher Versuch 209. Gefangenbefreiung 588. Gefangenhaltung 369. Gefängnis, Begriff 8 — als Strafe in der Reichsgesetzgebung 264. Gefängnisreform 261. Gegenseitigkeit 582. Gegenstände der Beförderung 454. Geheime Verbindungen 647. Geheimmittel 650. Geheimnisse, Offenbarung von Privatgeheimnissen 423 ; von Fabriks- und Geschäfts- (Betriebs-) Geheimnissen 4 3 6 ; Verrat militärischer — 572; Verletzung des Briefgeheimnisses 422, 616. Gehilfe 228. Geisteskrankheit 162. Geistesstörung 162.

Geistlicher, Begriff 594. Geld, Begriff 541. Geldpapiere 541. Geldstrafe 2 6 7 ; Umwandlung in Freiheitstrafe 2 8 4 ; Gesetzgebungsfragen 70. Geldverbrechen 539. Gelegenheitsverbrecher 66. Geltungsgebiet der Reichsstrafgesetze, gegenüber dem Landesrecht 9 1 ; gegenüber dem ausländischen Recht 9 4 ; zeitliches — 8 8 ; persönliches — 106. Gemeingefahr, Begriff 516. Gemeingefährliche Verbrechen 515. Gemeinschaftliche Begehung 224 Note 12. Genossenschaften 479, 669. Genugthuung, Unterschied von der Strafe 251. Genufsmitteldiebstahl 460. Genufsmittelfälschung 535. Gerichtsgebrauch 83. Gesamtstrafe 288. Gesandte, Beleidigung derselben 582; Straffreiheit derselben 107. Geschäftsgeheimnisse, Offenbarung derselben 434. Geschäftsmäfsiges Verbrechen 242. Geschäftswucher 503. Geschenkannahme in Amtssachen 608. Geschichte des Strafrechts 3. Geschmacksmuster 430. Gesellschaften mit beschränkter Haftung 487, 670. Gesetz, Begriff 84. Gesetzgebende Versammlungen 364, 579. Gesetzeskonkurrenz 244 Note 3. Gesetzliche Einheit 238. Gesindediebstahl 456. Gesundheitsbeschädigung 325. Gesundheitspolizei 648. Gesundheitsschädliche Farben 537. Gesundheitszeugnisse, Fälschung derselben 559. Getreidewucher 500. Gewahrsam, Begriff 445. Gewalt als Mittel der Freiheitsverletzung 366 ; unwiderstehliche — 145 Note 5. Gewalttätigkeit 367. Gewerbebefugnis, Entziehung derselben als Nebenstrafe 256. Gewerbeordnung, Vergehen gegen dieselbe 658. Gewerbepolizei 658. Gewerbsmäßiges Verbrechen 242. Gewichtspolizei 675. Gewinnsüchtige Absicht, Begriff 491.

Sachregister. Gewohnheitsmäfsiges Verbrechen 242. Gewohnheitsrecht 83. Gewohnheitsverbrecher 66. Gift, Begriff 335. Giftmord 3 1 6 . Glaubenseid 623. Gleichartige Idealkonkurrenz 2 4 3 Note I. Glorifizierung strafbarer Handlungen 532, 595 Note I. Glücksspiel 505. Goldwaren s. Feingehalt. Gottesdienst, Störung desselben 4 1 6 . Gotteslästerung 4 1 4 . Gräberfrieden, Störung desselben 4 1 7 . Gratifikation eines Gläubigers 485. Grenzverrückung 556. Grober Unfug 657. H. Haft in der Reichsgesetzgebung 264. Halsgerichtsordnungen 19. Handfeuerwaffen 539. Handlung, Begriff 1 1 5 . Handlungseinheit 2 3 5 . Häresie 4 1 2 . Häufung der Strafen 288. Hauptstrafen 2 5 5 . Hausdiebstahl 456. Hausfriedensbruch 418. Hausrecht, Begriff 4 1 8 . Hehlerei 629, siehe auch Sachhehlerei. Heimsuchung 4 1 9 . Herausforderung zum Zweikampf 343. Heuergeschäft 508. Heuervertrag, Bruch desselben 476. Hexenprozesse 28. Hilfskassen, eingeschriebene 478, 668. Hindernisse der prozessualen Geltendmachung des Strafanspruchs 190. Hinterlist 368 Note 4. Hinterziehung von Abgaben 494, 683. Hochverrat 563. Hochverräterisches Komplott 567. Hoheitszeichen 583, 602. Holzdiebstahl 93 Note 3. Hypnotisierung, Ausschlufs der Zurechnungsfähigkeit 1 6 4 ; als Nötigung 368 Note 7.

I. Idealkonkurrenz 245. ignorantia, siehe Irrtum. Illationstheorie beim Diebstahl Note 18.

450

7 ii

Immunität der Kammerberichte 150, des Staatsoberhauptes 106, der Volksvertreter 106. Impfgesetz 648. Indeterminate sentence 7 2 Note 10. Indeterminismus (Willensfreiheit) 78 Note 12. Individualrechte 308, 426. Inhaberpapiere mit Prämien 509, ohne diese 674. injuria 350. Inland, Begriff 98. Innungen 1 1 4 Note 1. Intellektuelle Urheberschaft 220. Intellektuelle Urkundenfälschung 553, 613. Interesse (Rechtsgut) 59. Interferenztheorie 129. Internationale kriminalistische Vereinigung 68 Note 5. Internationale Rechtshilfe 102. Internationales Strafrecht 95. Interpretation der Rechtsquellen 83. Intramuranhinrichtung 260. Invaliditätsversicherung 436, 478, 558, 664. In Verkehr bringen 528 Note 1. Inzest 4 0 1 . Irisches System 263. Irrtum 170. JJagdbeamte, Widerstand gegen sie 587. Jagdrecht 4 7 2 . Jugendliches Alter; Einflufs auf die Zurechnungsfähigkeit 1 6 1 ; als Strafmilderungsgrund 2 8 2 ; Reformfragen 70. Juristische Einheit der Handlung 239. Juristische Person, siehe Körperschaft. K. Kabel, unterseeische 102, 5 2 5 , Kabotage 6 8 1 . Kammerberichte, Straffreiheit derselben 150. Kanonisches Strafrecht 15 Note 1 3 . Kanzelmifsbrauch 594. Kartellträger 343. Karzerstrafe 267 Note 5. Kastration 3 2 S . Kauffahrteischiffe; ihre Nationalität 678. Kausalität der Unterlassung 129. Kausalzusammenhang 1 2 1 . Ketzerei 4 1 2 .

712

Sachregister.

Kind, Begriff 160, 332, 405. Kinderraub 376. Kindestötung 319. Kindesunterschiebung 405. Kindheit als Ausschlufs der Zurechnungsfähigkeit 160. Kirchenamtsverbrechen 607. Kirchendiebstahl 452. Klassenkampf, Anreizung zu demselben 593Koalitionsfreiheit 372. Kollektivverbrechen 242. Kommissivverbrechen, durch Unterlassung begangen 127. mpensation 286. Komplott, Begriff 218. — hochverräterisches 567, zum Verrat militärischer Geheimnisse 575Kompositionensystem 5. Kompromilseid 621. Königsmord im internationalen Strafrecht 105. Konkubinat 383. Konkurrenz der Verbrechen 244, 246; Bestimmung der Strafe bei realer Konkurrenz mehrerer Verbrechen 287. Konkurrenz der Strafgesetze 244 Note 3. Konkurseröffnung (Bankbruch) 481. Konnivenz des Amtsvorgesetzten 617. Konspiration 569. Konsulargerichtsbezirke als Inland 99. Konsumvereine 670. Konterbande, Mitnahme derselben auf Schiffe S°9i selbstständiges Verbrechen 684, 687. Kontrektationstbeorie beim Diebstahl 450 Note 18. Körperliche Sache, Begriff 444. Körperschaften, Beleidigung von — 354; Körperschaftsverbrechen 114. Körperstrafe 69 Note 2. Körperverletzung 323. Korrektionelle Nachhaft 2 7 1 . Korrektionshaus 2 7 1 . Krankenversicherung 478, 663. Krebsrecht 474. Kreditbetrug 491. Krediterkundigung 356. Kreditgeschäfte 502. Kreditverleumdung 361. Kreditwucher 501. Kriegshäfen 642. Kriegsleistungen 641. Kriegsrecht 108. Kriegsverrat 698. Kriegszustand 108.

Kriminalanthropologie 64. Kriminalbiologie 64. Kriminalistik als Unterrichtsgegenstand 72 Note I I . Kriminalistische Vereinigung (Internationale1) 68 Note 5. Kriminalpolitik 68. Kriminalsoziologie 64. Kriminalstatistik 66 Note 2. Kriminelles und bürgerliches Unrecht 186. Kriminologie 64. Kumulationsprinzip 288. Kunstbutter 538. Kunstfehler der Ärzte 182. Kuppelei 392. Kurstreiben 495. Kurszettel 674. KQstenfrachtfahrt 681. KUstengewässer als Inland 99; Fischerei 475L. Landespolizeibehörde, Überweisung an diese 2 7 1 . Landesrecht, gegenüber dem Reichsrecht 91. Landesstrafgesetzgebung, deutsche —, (seit Anfang des 19. Jahrhunderts) 33. Landesverrat 568. Landfrieden 16. Landfriedensbruch 592. Landstreicherei 7 1 Note 9, 653. Landzwang 592. Latrocinium 316. Legierungspolizei 675. Legitimationspapiere, Fälschung derselben 558. Leibesfrucht 346. Leiche, Begriff 4 1 7 . — Diebstahl an den der — mitgegebenen Gegenständen 444. Leichenfrevel 4 1 7 . Leichtsinn 499. Lenocinium 392. Libell 351. Liebesparagraph 3 1 4 Note 2, 649. Lieferungsverträge, Nichterfüllung derselben 529. List 368. Litteratur des Reichsstrafrechts 85. Lohnabtreibung 348. Losung ums Leben 341. Lotsensignalordnung 679. Lotterie 507. Lotterielose 693. Luxuria 182 Note 6.

Sachregister.

M. Mädchenhandel 397. Majestätsbeleidigung 576. Margarine 436, 538. Markenschutz 436. Martern, Begriff 464. Mals- und Gewichtspolizei 675. Mafseinheiten, elektrische 676. Materialien als Auslegungsmittel 84. Materie 91. M a t e r i e l l e Verbrechen 1 1 7 Note 5 .

Mehrfache Ehe 407. Mehrheit der Verbrechen 235, 247. Mehrthäterschaft 225. Meineid 620.

M e n s c h , Begriff im Unterschiede von • der Leibesfrucht 312 Note 1.

Menschenmenge, Begriff 421. Menschenraub 375. Methode der Strafrechtswissenschaft 2, Meuchelmord 316. Meuterei der Gefangenen 589.

713

Mundraub 460. Munitionsaneignung 459. MOnzbetrug 543. Münzfälschung 542. Münzgesetz 672. MDnzverbrechen 539. Münzverringerung 544.

M D n z w e s e n , strafbare Handlungen dagegen 672.

MQIsiggang 653. Musterschutz 430, 432. Mutwillig, Begriff 602.

N. Nachdruck 427. Nachhaft, korrektioneile 271. Nachrede, üble 358. Nachstrafen 255. Nächtlicher Diebstahl 455. N a c h t z e i t , Begriff 455 (Diebstahl), 473 (Jagdausübung).

Mildernde Umstände 283. Militärische Geheimnisse 573. Militärischer Landesverrat 569. Militärpersonen 695. Militärstrafrecht 694.

Nahrungsmitteldiebstahl 460. Nahrungsmittelfälschung 534. Namenrecht 403, 436. Narkotisierung 368 Note 5. Nationalität der Kauffahrteischiffe 678. Nationalitätsprinzip 96. Natürliche Handlungseinheit 236. Nebengesetze, strafrechtliche 54. Nebenstrafen an der Freiheit 269, an

Ministerverantwortlichkeit 255. Milsachtung der Staatsgewalt 600. Miisbrauch der Amtsgewalt 369, 610,

Nebenthäterschaft 225. Negersklaven 370. Nichtanzeige von Verbrechen 533, 575,



der Soldaten 700.

M i n d e r j ä h r i g e , Übervorteilung derselben 498. M i n d e r j ä h r i g k e i t , s. Jugendliches Alter.

611. — von Sprengstoffen 531. — eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Unzucht 390.

Mifsgeburt 312. Mißhandlung 325. Mifslungene Anstiftung 231. Mißlungenes Verbrechen 203, 206.

M i t n a h m e hilfsbedürftiger Seeleute 679.

Mittelbare Thäterschaft 220. Mitthäterschaft 222. Mitursache 121. Modellschutz 430.

m o d e r a m e n inculpatae tutelae 140.

Monomanieen 163.

m o n s t r u m als Gegenstand der Tötung 312-

Moralisches Irresein (moral insanity) 163.

Mord 3 1 7 . Mordbrand 518. Motiv, s. Beweggrund.

der Ehre 272, überhaupt 255.

636.

Nichterfüllung von Lieferungsverträgen 529.

Niederschlagung 294.

der Strafverfolgung

Normenschutz 60. N o r m e n t h e o r i e Bindings 60 Note 2.

Nothilfe 141. Nötigung als Vergehen 371; als Ausschliefsungsgrund der Rechtswidrigkeit 143.

Nötigung zur Unzucht 387.

— zu Amtshandlungen 586.

Notlage 502. Notrecht 144. Notsignalordnung 679. Notstand 14I; vgl. auch 530. Notwehr 137. Notwendige Teilnahme 219, 235. Notzucht .387. nullum crimen sine lege 82.

Sachregister.

714 O.

Offenbarung, Begriff 4 2 3 ; — fremder Geheimnisse, s. Geheimnisse. Öffentliche Aufforderungen 5 9 5 . Öffentliches Amt 2 7 2 Note I. Öffentlichkeit, Begriff, siehe die betreffenden Verbrechen. Okkupationsrechte 472. Ommissivverbrechen 126. Onanie, wechselseitige 401 Note 2. Ordnungsstrafe 2 5 5 . Ort der begangenen That 130. P. Päderastie 4 0 1 . Papiere der Reichskassenscheine 545. Parlamentsberichte 150. parricidium 7, 3 1 6 . Partiererei 5 1 0 . Partikularstrafgesetzgebung, deutsche (im 19. Jahrhundert) 3 3 . Pasquill 3 5 1 . Patentschutz 4 3 1 . Peinliche Gerichtsordnung Karls V . 18. Peinliches Unrecht (Unterschied vom bürgerlichen) 186. Pennsylvanisches System 262. Perduellio 7, 5 6 1 . Perforation 148. Periodische Druckschriften 182 Note 1. Personenstand, Unterdrückung desselben 404. Personenstandsgesetz 405, 407. Persönliche Verhältnisse der Teilnehmer, Einflufs derselben auf die Strafbarkeit 2 3 3 , Persönliche Strafausschliefsungsgründe 188. Persönliches Geltungsgebiet 106. Pfandkehrung 458. Pfandleiher 458. Pferdebahnen 4 5 4 Note 5. Pfleger 194 Note 7. Photographieenschutz 430. Pietätsgefühl 3 5 3 , 4 1 3 . Piraterie 463. Plagiat 429. plagium 369, 638. Plünderung 5 9 3 . Politische Verbrechen, Begriff 1 0 5 . Politisches Wahl- und Stimmrecht 579. Polizeiaufsicht 269, 7 t Note 8. Polizeimaisregeln im Gegensatz zur Strafe 2 5 2 . Polizeistrafe 2 5 5 . Polizeistrafgesetzgebung 92 Note 2 . Polizeistunde 6 5 8 .

Polizeiunrecht, Unterschied vom kriminellen Unrecht 1 3 4 . Polygamie 407. Pönitentiarsystem 262. Pönologie 68. Postbeamtenverbrechen 6 1 6 . Postdiebstahl 454. Postgebühr 686. Postgeheimnis 616. Postgesetz 677, 686. Postwertzeichen 556, 686. Prämeditation 120. Prämienpapiere 508. Präsumtion der Schuld 1 5 4 ; der Thäterschaft des Redakteurs 185. Prävarikation 627. Prävention 61. Preispolizeivergehen 644. Preisverbrechen, Begriff 182, Verantwortlichkeit für sie 184. Privatgeheimnisse 4 2 3 . Privatgenugthuung bei Beleidigung 364. Privatstrafen, römische, beseitigt 93. Progressivsystem 263. Promessengeschäft 508. propricidium, s. Selbstmord. Prostitution 655. Provokation beim Totschlag 3 1 8 . Prozefsstrafen 254. Prozeisverbrechen 637. Prozefsvoraussetzungen 192. Prügelstrafe 69 Note 1. Putativverbrechen 176. QQuälen von Tieren 656. Qualifizierter Versuch 2 1 4 . Quantitätsverschleierung 4 3 5 . Quellen des Strafrechts 82. Quellenangabe, unterlassen 429. R. Rädelsführer 227 Note 4. Raub 4 6 1 . Räuberische Erpressung 498. Räuberischer Diebstahl 456. Raubmord 3 1 6 . Raufhandel 336. Raumgehalt der Schankgefäfse 675. Räumliches Geltungsgebiet der Strafgesetze 94. Realinjurie 3 5 5 , 358. Realkonkurrenz 247, 287. Reblaus 652. receptatores 510.

Sachregister.

des

Rechtlosigkeit

Verletzten

151

N o t e 8.

Rechtsbeugung 610. Rechtsfrieden, Begriff 424. Rechtsgut, Begriff 59. —

Einteilung

307.

Rechtshilfe (internationale) 102. R e c h t s i r r t u m , siehe Irrtum.

Rechtsverwirkung 254 Note S. Rechtswidrige Zueignung 448. Rechtswidriger Vermögensvorteil,

Be-

griff 4 9 1 .

Rechtswidrigkeit,

als Begriffsmerkmal

1 3 3 ; Bewufstsein derselben

174.

Redakteur, verantwortlicher 183. Redaktionsversehen 84. Redefreiheit der Volksvertreter 106. Reformatory-system 264. Registrierung der Kauffahrteischiffe 678. Rehabilitation 275 Note 5. Reichskassenscheine, Papier 545. Reichskriegshäfen 642. Reichsstempelgesetz 693. Reichsstrafgesetzbuch, Entstehungsgeschichte 50. Reklame, s. unlauteren W e t t b e w e r b . Relativ bestimmte Strafdrohungen 2 7 8 . Relativ untauglicher Versuch 2 0 7 .

Relative Antragsverbrechen 196. Religionsdiener, Begriff 594. Religionsdienerverbrechen 607. Religionsgesellschaften, Beschimpfung derselben

415.

Religionsstörung 4 1 3 . Religionsverbrechen 4 1 1 . Renkontre 341. Restitution der Ehrenrechte 2 7 5 Note 5. Retorsion, B e g r i f f 2 8 6 ; bei Beleidigungen 3 6 4 ; bei Körperverletzungen 3 3 1 . Reue, thätige, als Strafaufhebungsgrund 292.

Rinderpest 6 5 1 . Robbenschutz 657. Rohrpost 524.

Rückfall, B e g r i f f 2 4 7 ; Strafschärfungsgrund 2 8 1 ; Gesetzgebungsfragen 7 1 Note 8

Rückfallsdiebstahl 455. RUckfallsverjährung 247. Rücktritt vom Versuch 2 1 1 .

RDckwirkende K r a f t der Strafgesetze 8 9 .

Rügefrist (bei Antragsvergehen) 195. Ruhen der Verjährung 301.

715

s. Sachbeschädigung 468. Sache, Begriff 444. Sachhehlerei 510. Sachliches Geltungsgebiet 9 1 . Sachwalteruntreue 477. Sachwucher 503. sacrilegium 452. Salzsteuer 689. Schaden im Unterschiede vom Vermögensschaden 5 5 2 N o t e 8.

Schändung 387, 389. Schankgefäße,

Raumgehalt

675Schatzunterschlagung 469.

derselben

S c h i f f a h r t , G e f ä h r d u n g derselben

525.

Schiffahrtsverbrechen 678. Schiffsmeldungen 678. Schiffsvermessungsordnung 675. Schlafzustände 164. Schlägerei 337. Schlägermensur 342. Schleichhandel 684, 687. Schlüssel, falsche 453. Schmähschrift 3 5 1 . Schmähung von Staatseinrichtungen 600. Schmerzensgeld 93. Schmuggel 684, 687. Schuld, Begriff 1 5 1 . Schuldfähigkeit 156. Schuldvermutungen 154. Schutzgebiete als Inland 98. Schutzgenossenschaften 357. Schutzprinzip 96. Schutzvorrichtungen 139. Schwächung, unfreiwillige 389. Schwarzenberg 19. Schweigsystem, Aubumsches 262. Seemannsordnung 680. Seemarketenderei 655. Seeraub 463. Selbstbefreiung 589 Selbsthilfe als Ausschliefsungsgrund der Rechtswidrigkeit

147.

Selbstmord 150 Note 7. Selbstverletzung 150. Selbstverstümmelung 639. Sicherheitspolizei 648. Siegelbruch 602. Signalordnung für Schiffe auf See 679. Silberwaren, s. Feingehalt. Sittlichkeitsverbrechen 379. Sittlichkeitspolizei 652. Sklavenhandel 378. Sklavenraub 377. Skopelismus 591.

716

Sachi

s o c i e t a s delinquendi, s. Teilnahme; — delinquere non potest 114.

Sodomie 400. Sonntagsheiligung 658. Sozialistengesetz 592. Sparkassenbuch 449 Note 12. Spielkartenstempel 692. Spionage 587. Sportulieren, übermäfsiges 614.

Studentenmensuren 342.

s t u p r u m , siehe Unzucht; — nec violentum nec voluntarium (Schändung) 387. 5 ;

Staatsbürgerliche Rechte 579. Staatseinrichtungen 600. Staatsoberhaupt, Befreiung von der Herrschaft der Strafgesetze 106.

Staatsverwaltung, dieselbe 603.

Verbrechen

gegen

Statistische Gebühr 694. Stellionat 489. Stellvertretung bei der Antragsstellung 194.

Stempelverbrechen 692. Stempelwertzeichen 556. Steuervergehen 709. Stimmenkauf im Konkursverfahren 486; bei politischen Wahlen Aktiengesellschaften 667.

597;

in

Stimmzettel 184 Note 1. Störung des Gottesdienstes 416. — des Gräberfriedens 416.

Strafänderung 279. Strafanrechnung 285. Strafaufhebungsgründe 188. Strafausschließungsgründe 188. Strafbare Aufforderungen 607. Strafe, Begriff 250. Strafensystem 255. S t r a f f r e i h e i t , siehe Immunität.

Strafgrfllsen 279. Strafklagevoraussetzungen 190. Strafmafs 277. StrafmehrungsgrUnde 279. Strafmilderung 281. StrafminderungsgrCnde 279. Strafmittel (Strafensystem) 255. Strafrahmen 278. Straf recht, Begriff 1.

S t r a f r e c h t s i r r t u m , siehe Irrtum.

Strafrechtstheorieen 73. Strafregister 71 Note 8. Strafschärfung 280. Strafumwandlung 284. Strafunmündigkeit 160. Strafzumessung 277. Strafzwang im Unterschied von der Strafe 253.

Strandungsordnung 679. Strafsenraub 316, 463.

S t r e i k , siehe Arbeitseinstellung.

S p r e n g s t o f f e , Begriff 521 Note Mifsbrauch derselben 531.

Staatsverbrechen 560.

Straf zweck 6 1 . S t r a n d u n g eines Schiffes 526.

Subjekt des Verbrechens 113. Subsidiarität der Strafgesetze Note 3.

Subsidiäre Haftung 252 Note 5.

244

dritter Personen

Suspension der Frefsfreiheit 108. Sülsstoff 538.

T. Tabaksteuer 689. Tagebuch der Handelsmäkler 668. Taubstummheit 162. Teilnahme 214, 225. Telegraphenanlagen, Begriff 524. — Errichtung 677.

Telegraphenbeamte,

Verbrechen

der-

selben 525, 616. T e l e g r a p h e n b e t r i e b , Störung desselben 524.

Telegraphenkabel, unterseeische 102, S 2 5Telegraphenwertzeichen 556, 687. Telephon 535tergiversatio 627. terminus motus 556. Territorialprinzip 95. Thatbestand 110. Thäterschaft 214, 219. Thätige Reue als Strafaufhebungsgrund 292; als Rücktritt vom Versuch 211. T h a t l r r t u m , siehe Irrtum.

Thätlicher Angriff, Begriff 358 Note 2; auf Beamte 586.

Thätlichkeit, Begriff 358.

i T h ä t l i c h k e i t gegen Monarchen 577. T h a t s a c h e , Begriff 359, 498 Note 1 . T i e r e als Subjekt des Verbrechens 113.

Tierquälerei 656. Tierschutz 656.

T o d des Schuldigen 292. T o d e s s t r a f e , Geschichte 257; Reichsrecht 258; Debatte im Reichstage über die — 5 2 • T ö d l i c h e Waffe, Begriff 342.

Totalisator 506. Totenruhe 416. Totschlag 3 1 7 .

Sachregister. Tötung 313. Tötung auf Verlangen 321. Tstungsrecht des Ehemanns 148 Note 4, Transitverbrechen 131 Note 1. Transportgefährdung 522. Transportgegenstände (Diebstahl) 453. Trichotomie der strafbaren Handlungen in. Trucksystem, Verbot desselben 659. Trunkenheit als Grund der Zurechnungsunfahigkeit 164 Note 8; als Übertretung 653. turbatio sacrorum 415.

U. überlegter Vorsatz 120 Note 4. Überlegung 120. Überschreitung des Auftrages 230, der Notwehr 141. Überschwemmung 521. Übertretung i. e. S. m . Übervorteilung Minderjähriger 498. Überweisung an die Landespolizeibehörde 271. üble Nachrede 358. Umschlossener Raum, Begriff 452. Umwandlung der Strafe 284. Unbeeidete falsche Aussage 92, 620. Unbestimmte Verurteilung 72 Note 10. Unbewufste Fahrlässigkeit 182 Note 6. Unbrauchbarmachung von Schriften usw. 252. Uneinbringlichkeit der Geldstrafe 284. Unerfahrenheit 499. Unfallversicherung 435, 478, 664. Unfreiwillige Schwächung 389. Unfug, beschimpfender 415. — grober 65 7Ungehorsamsvergehen 134. Universalprinzip 97. Unkenntnis, siehe Irrtum. Unlauterer Wettbewerb 432. Unrecht, Unterschied des kriminellen vom zivilen 186; vom Polizeivergehen 134. Unschädlichmachung Unverbesserlicher 71 Note 8. Unsittliche Handlungen 380, 398. — Schriften 399. Untauglicher Versuch 206. Untauglichmachung zum Wehrdienst 639. Unterbrechung des Kausalzusammenhanges 123. — der Verjährung 301, 302. Unterdrücken, Begriff 555.

717

Unterdrückung des Personenstandes 403. Unterlassene Anzeige von Verbrechen 533. 575. 636. Unterlassung, Begriff 126; im Verhältnis zur Duldung 371. Unterlassungsverbrechen 126. Unternehmen, allgemeiner Begriff 202 Note 6. — beim Hochverrat 566. Unternommene Verleitung zum Meineid 624. Unterscheidungsvermögen 161. Unterschlagung 464. Unterseeische Telegraphenkabel 102, 525. Untersuchungshaft, Anrechnung der 286. Untreue 476. Untreue des Sachwalters 477, 617, des Diplomaten 5 7 1 . Unzucht, widernatürliche 400. Unzüchtige Handlungen 380, 398. — Schriften 399. Urheberrechte 426. Urheberschaft, s. Thäterschaft. Urkunde, Begriff 547. Urkundenbeseitigung 555. Urkundenfälschung, eigentliche 549, intellektuelle 553. Urkundenverbrechen 546. Urningsliebe 401. Urphedebruch 637. Ursache, Begriff 124. usurae palliatae 503.

Vagabondage, s. Landstreicherei, venditio fumi 10. veneficium 316. Veranlassen 428. Veranstalten 227 Note 4. Verantwortlicher Redakteur 183. Veräufsern 488. Verbindungen, unerlaubte 646; landesverräterische 569. Verbrauch fremder Sachen 449. Verbrauchssteuervergehen 689. Verbrechen im w. S., Begriff 109, im e. S. I I I . Verbrechenseinheit 239. Verbrechertypus 67 Note 2. Verbrecherwahn 176 Note 6. Verbreiten 399. — von Kurszetteln 674. Verbreitungsabsicht 542. VerbDrgung der Gegenseitigkeit 582.

•Sachregister.

718

Vereinsrecht,

Überschreitungen

des-

selben 646.

Vereitelung

der

Zwangsvollstreckung

488.

Verfolgungsverjährung 299.

Versicherungsgesetze 663. Versicherungsmarken 558. Verstorbene, 361.

Verleumdung

derselben

Verstrickungsbruch 602.

V e r f ü h r u n g eines unbescholtenen Mädchens 392.

V e r s u c h des Verbrechens, Begriff 199 ; als Strafmilderungsgrund 282.

V e r g i f t u n g 334; von Brunnen und Ge-



Vergehen im e. S. m . brauchsmitteln 528.

Verheimlichen 484 Note 3. Verjährung 296. V e r l e i t u n g , Begriff 227 Note 4 ; zur Auswanderung 6 4 3 ; zur Fahnenflucht 6 3 8 ; zum Falscheid 6 2 4 ; zu Börsenspekulationsgeschäften 504.

V e r l e t z t e r , Begriff 193.

V e r l e t z u n g fremder Geheimnisse, s. Geheimnisse ; des Briefgeheimnisses 422, 6 1 6 ; der Wehrpflicht 639.

Verleumdung 360.

Verminderte Zurechnungsfähigkeit 157.

V e r m ö g e n , B e g r i f f 496 Note I.

V e r m S g e n s b e s c h ä d i g u n g , Verhältnis zur Sachbeschädigung 4 6 9 : beim Betrug 492.

V e r m ö g e n s n a c h t e i l , Begriff 506.

Vermögensstrafe als Nebenstrafe in der Reichsgesetzgebung 258. V e r m ö g e n s v o r t e i l , Begriff 491, rechtswidriger 552 Note 7.

nicht

Thäterschaft

des

Redakteurs

V e r ö f f e n t l i c h e n , Begriff 398; der Anklageschrift 635.

Veröffentlichen von Festungsrissen 642. — v o n Truppenbewegungen 642. V e r o r d n u n g als Quelle des Strafrechts 83. V e r p f ä n d u n g fremder Sachen 449.

Verrat militärischer Geheimnisse 572. Verräterei 561. gesetzgebende

364,

579-

Verschleierter Wucher 502. Verschlossene Schriftstücke 422. Verschuldung bei Prefsverbrechen 182. V e r s c h w e i g e n von Thatsachen 490.

Verschwörung 567. Versicherung an Eidesstatt, 623.

Gegensatz

V e r w a n d t e n m o r d 77,318.

Verweis 269.

ben 537. Viehbeförderung tion) 6 5 1 .

(Gebot der Desinfek-

Viehseuchen £28, 652.

Versicherungsbetrug 495.

Vivisektion 149, 656. Vogelschutz 656.

v o l e n t i non fit injuria 149 Note 6.

Völkerrechtsverbrechen 5 0 7 . Volkskrankheiten 648.

V o l k s v e r t r e t e r , deren Straflosigkeit 106.

V o l l e n d u n g des Verbrechens 198. V o l l s t r e c k u n g der Todesstrafe 259 ; der Freiheitstrafen 2 6 5 ; des Verweises 2 6 9 ; der Geldstrafe 268.

Vollstreckungsverjährung 302. Vollzug d e r S t r a f e ,

siehe

Vollstrek-

kung.

Vermutung der Schuld 154.

Versammlungen,

im

zur Strafe 252.

v i s absoluta, compulsiva, siehe Gewalt.

— Verstorbener 361. — des Staatswillens 600. V e r l u s t der bürgerl. Ehrenrechte 272.

der 184.

des Armeelieferanten 5 2 9 .

Vertragseid 621. Veruntreuung 466. Verursachung 124. Verwaltungsmafsregeln

V e r w e n d u n g gesundheitsschädlicher Far-

Verletzung der Bauregeln 530.



Vertragsbruch 475.

falsche

Vorbereitungshandlungen 201. Vorrechte der Posten 677. Vorsatz 164. Vorschubleisten 394. V o r s t e l l u n g s t h e o r i é (beim Vorsatz) 1 6 5 Note 2.

V o r t e i l im Unterschiede von dem Vermögensvorteil 396 Note 7.

w. W a f f e im technischen Sinn 341 ; im nichttechnischen 327 ; tödliche Waffe 342.

Waffensammlung 593.

W a f f e n t r a g e n g e g e n das Deutsche Reich 569.

Wahlbestechung 581. Wahlfälschung 580. Wahlstimmenkauf 581. Wahlvergehen 579. Wahlverhinderung 579,

ister.

Wahnsinn 162. Wahnverbrechen 1 7 6 . Wahrheitsbeweis 362. Wahrheitsgetreue Parlamentsberichte iSo-

Wahrung berechtigter Interessen 356. Wareniälschung 533. Warenzeichenschutz 436. Wasserbauten 525. Wechselseitige Beleidigungen 364. — Körperverletzungen 3 3 1 .

Wechselstempelsteuer 692. Wegelagerung 425.

W e g n e h m e n , Begriff 447, 458 Note 1 .

Wehrptlichtverletzung 639. Weinfälschung 5 3 7 . Weltrechtspflege, Prinzip der 97. Wergeid 13 Note 7. Werke der bildenden Kunst, Schutz derselben 430.

Werkzeug 327. Wertlose Sachen 444 Note 4. W e t t b e w e r b , unlauterer 432*.

WettbDreaus 506. Widernatürliche Unzucht 400. Widerruf bei Beleidigungen 351.

— der falschen Aussage 626. W i d e r s t a n d gegen die Staatsgewalt 584. — gegen Forst- und Jagdbeamte 587.

Wilddieberei 474. Wille 1 1 9 Note 1 . Willensbethätigung 118. Willensfreiheit 78 Note 12. Willenstheorie Note 2.

(beim

Vorsatz)

Wucher 500.

z.

Zahlungseinstellung, Begriff 4S1. Zechprellerei 491. Z e i t l i c h e s Geltungsgebiet gesetze 88.

der

Straf-

Zeitpunkt der Begehung 130. Zellensystem 262. Zeugenmeineid 622.

Ziel des Handelns, s. Beweggrund.

Zinkhaltige Gegenstände 537. Zinsfufsiiberschreitung 501. Ziviles und kriminelles Unrecht 186. Zollvergehen 687. Zopfabschneiden 325 Note 2. Zuchtgewalt 147.

Z u c h t h a u s , alte Zuchthäuser 2 6 1 ; Reichsgesetzgebung 264. Z ü c h t i g u n g , körperliche, s. Prügelstrafe.

Zuckersteuer 691. Zueignung, Begriff 448. Zueignungsabsicht 448. Zueignungsrechte 472. Zuhälter 395 Note 4. Zulässigkeit der Polizeiaufsicht 269. Zündhölzer 671. Zurechnungsfähigkeit, Begriff 156. Zurechnungsunfähigkeit 160. Zusammengesetzte Verbrechen 241. Zusammenrottung, Begriff 421. Zusammenstoß der Schiffe auf See 679.

Zuammentreffen strafbarer Handlungen 165

Willkür, Begriff 119. Winkelehen 393. Wirtschaftsgenossenschaften 479, 669. Wohnung, Begriff 419. Wollen, Begriff 1 1 9 Note I .

719

244, 246; Bemessung der Strafe 287.

Zusatzstrafe 289 Note 1. Zustandsverbrechen 238. Zustandsverbrecher 66. Zwangserziehung, anstalten.

siehe

Erziehungs-

Zwangsvollstreckung, Vereitelung der-

selben 288. Z w e c k des Handelns, s. Beweggrund.

Zweikampf 338. Zwischenstrafgesetze 90.

Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.