Lehrbuch des deutschen Strafrechts [2., durchaus umgearb. Aufl. Reprint 2018]
 9783111541365, 9783111173238

Table of contents :
Vorwort zur zweiten Auflage
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Einleitung
Allgemeiner Teil
Erstes Buch. Das Verbrechen
Zweites Buch. Die Strafe
Anhang
Besonderer Teil
Einleitung
Erstes Buch. Die strafbaren Handlungen gegen Rechtsgüter des Einzelnen
Zweites Buch. Die durch das Mittel des Angriffes charakterisierten Delikte
Drittes Buch. Strafbare Handlungen gegen die Gesamtheit
Paragraphenregister
Register der Nebengesetze
Sachregister

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Lehrbuch des

Deutschen Strafrechts. Von

Dr. Franz von Liszt, o. ö. Professor der Rechte in Marburg a/L.

Zweite durchaus umgearbeitete Auflage.

ßerlitt und Leipzig. Verlag von I. Guttentag (D. Collin).

1884.

Vorwort zur zweiten Auflage. Die im Jahre 1881 erschienene erste Auslage dieses Buches hatte sich ein bescheidenes Ziel gesteckt; sie sollte der Ein­ führung in das Studium des Strafrechts dienen. Sie setzte Besitz und Gebrauch eines der vorhandenen größeren Lehr- oder Handbücher von seiten des Studierenden voraus und glaubte des­ halb, sich auf eine möglichst kurze aber streng wissenschaftliche Darstellung der Begriffe, des Zusammenhangs der Grund- und Folgesätze, unter Ausschluß geschichtlicher und litterarischer Notizen, beschränken zu dürfen. Meine eigenen Erfahrungen und die befreundeter Kollegen haben mich gelehrt, daß, während das Buch int allgemeinen größeren als den von mir erwarteten Beifall fand, das ins Auge gefaßte Ziel nur teilweise erreicht wurde. Es stellte sich gar bald heraus, daß die an sich und in allen Fällen schwierige gleich­ zeitige Benutzung zweier Lehrbücher durch die tiefgehende Ver­ schiedenheit meines wissenschaftlichen Standpunktes von dem der herrschenden Schule fast unmöglich gemacht wurde. Zur Allein­ benutzung aber eignete sich das Buch schon wegen seiner knappen, überall die Ergänzung durch das gesprochene Wort des Lehrers oder durch die Ausführungen der Lehr- und Handbücher voraus­ setzenden Darstellung, für den Studenten wenig oder gar nicht. So reifte in mir der Wunsch, durch gänzliche Umgestaltung das Lehrbuch auf seine eignen Füße zu stellen. Die innere Umi*

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Vorwort.

Wandlung hat in der veränderten äußeren Gestalt entsprechenden Ausdruck gefunden. Ob ein neues Lehrbuch neben den vorhandenen Eststenzberechtigung hat? Ich habe mir selbst die Frage ernstlich vor­ gelegt, und glaube sie bejahen zu dürfen. Schütze hat seit 1874 keine neue Auflage erlebt; Berners für den Studenten so an­ ziehendes Buch ist in den letzten Auflagen mehr und mehr hinter dem heutigen Stande unserer Wissenschaft zurückgeblieben; und das sonst so treffliche Lehrbuch von H. Meyer krankt nach wie vor an der Scheu des Verfassers, den Dingen auf den Grund zu gehen und Prinzipicnfragen prinzipiell zu lösen. Hälschner, v. Bcr und Binding aber sind mit mehrbändigen Handbüchern beschäftigt. So schien mir nicht nur das Bedürfnis, daß die von zahlreichen jüngeren Kollegen vertretene Auffassung unsrer Wissenschaft in zusammenfassender Darstellung des Stoffes zum Worte gelange, sondern zugleich auch für mich selbst die Berechtigung gegeben, in Ermangelung besserer Kräfte die Arbeit auf mich zu nehmen. Über die Art und Weise, wie ich den Stoff behandelte, habe ich wenig zu sagen. In bezug auf die Litteraturangabcn bin ich möglichst sparsam gewesen; insbesondere habe ich cs für gänzlich überffüssig gehalten, Lehrbücher und Kommentare fortlaufend zu citieren oder unbedeutende Abhandlungen überhaupt anzuführen. Die geschichtlichen Notizen befriedigen mich selbst nur wenig; aber ich mußte es künftiger Arbeit überlassen, hier über das landes­ übliche Niveau hinwegzukommen. Im übrigen ist meine wissen­ schaftliche Grundanschauung dieselbe geblieben. Ich war im all­ gemeinen Teile bemüht, die Methode durchzuführen, welche ich für die allein richtige halte: die höheren und allgemeineren Begriffe aus den positivrechtlich gegebenen, niederern und besonderen zu entwickeln. Das ist keine Ablehnung der Philosophie, sondern nur die Anwendung dessen, was sie uns lehrt. Auch möchte ich meine Methode nicht gern als Realismus int Gegensatze zum Idealismus bezeichnet haben. Im besonderen Teile bin ich mehr in die

Vorwort.

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Einzelnheiten eingegangen, als meine Vorgänger. Ich bin eben der Überzeugung, daß nur an den einzelnen Verbrechen die all­ gemeinen Begriffe mit Erfolg gelehrt und gelernt werden können, und daß das Überwuchern des allgemeinen Teils in Lehrbüchern und akademischen Vorträgen wesentlich Schuld trägt an der Zer­ fahrenheit unsrer Wissenschaft. Besonders viel habe ich aus dem II. Bande von Hälschncrs Deutschem Strafrecht sowie aus Olshausens trefflichem Kom­ mentar gelernt. Reichste Anregung habe ich in den Entscheidungen des Reichsgerichtes gefunden, dessen Anschauungen ich, trotz vieler Abweichungen, vielleicht näher stehe als die meisten meiner Kollegen. Über den Präjudizienkultus, dem die preußische Strafrechtspflege noch mehr als die anderer Staaten zu huldigen pflegt, kann nur die eingehende und kritische Prüfung der Vorentscheidungen hinweghelfen. Freilich müßte, um die Hoffnung als berechtigt erscheinen zu lassen, daß die Kriminalpraxis sich zu der Höhe ihrer zivilistischcn Schwester erheben werde, gar manches noch anders werden; vor allem die unglückselige preußische Prüfungs­ ordnung. Aber darüber zu sprechen sindet sich ein andermal und anderswo passendere Gelegenheit. Uns, den Lehrern des Rechts, obliegt es, mit all unsrer Kraft, trotz der Ungunst der Verhält­ nisse, an der Hebung des wissenschaftlichen Ernstes der studentischen Jugend zu arbeiten, ihr immer und immer wieder einzuschärfen, daß nur die Wissenschaft im stände ist, die ganze reiche Fülle des praktischen Lebens zu umspannen. Wenn das Lehrbuch dazu bei­ trägt, in dem einen oder dem andern diese Überzeugung zu festigen, dann hat cs seinen letzten Zweck erreicht. Westerland auf Sylt im August 1884.

Franz v. Liszt.

Inhaltsverzeichnis. Einleitung. I. Kegriff und Aufgabe der Strafrechtswissenschaft.

Seite

§ 1. §

§

§

§

Die Strafrechtswissenschaft und ihre Zweige. I. Ver­ brechen und Strafe. II. Strafrecht und Kriminalsoziologie .... 1 2. Kriminalsozio logie: 1. Das Verbrechen als soziale Erscheinung. I. Aufgabe der Kriminalsoziologie. II. Die Fak­ toren des Verbrechens und die Verbrechergruppen. III. Die Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens...................................................................3 3. Kriminalsoziologie: 2. Die Strafe als soziale Funk­ tion. I. Die primitive Strafe als Triebhandlung. II. Die Objek­ tivierung der Strafe. III. Die Wirkungen der Strafe und das Pro­ gramm der Kriminalsoziologie....................................... 5 4. Die Philosophie des Strafrechts: 1. Die Herleitung der Strafe. I. Die thatsächliche Ubiquität der Strafe. II. Unsre Hypothese. III. Das erkenntnis-kritische Problems IV. Die Stellung der Strafrechtstheorieen.......................................................................................... 9 5. Die Philosophie des Strafrechts: 2. Das Maß der Strafe. I. Die Vergeltung. II. Der Zweckgedanke. III. Ver­ mittelungsversuche. IV. Versöhnung der Gegensätze................................ 14

II. Die Geschichte des Strafrechts. § 6.

Das Strafrecht der Römer. I Die älteste Zeit. II. Die Periode des Quästionenprozesses. III. Die Kaiserzeit.................................24 § 7. Das mittelalterlich deutsche Strafrecht. I. Volksrechte und Kapitularien. II. Die Zeit der Reaktion. III. Die Periode der Rechtsaufzeichnungen..............................................................................................30 § 8. Die Rezeption der fremden Rechte und die peinliche Gerichtsordnung Karls V. I. Die italienischen Juristen des Mittelalters. II. Die populär-juristische Litteratur Deutschlands. III. Deutsche Kodifikationen; insbesondere die Schwarzenbergschen Ar­ beiten. IV. Die Entstehungsgeschichte der PGO. V. Ihre Bedeutung 38

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Inhaltsverzeichnis. Seite

§ 9.

Das gemein-deutsche Strafrecht. I. Die Zeit bis 1750. II. Die Periode der Aufklärung. III. Das Aufblühen der Straf­ rechtswissenschaft ........................................................................................... 44 § 10. Die partikular-deutsche Gesetzgebung. I. Die Kodifi­ kationen aus dem Boden des gemeinen Rechts. II. Die Gesetzgebung der Auftlärungszeit. III. Das bayrische StGB, von 1813. IV. Die Zeit von 1813 bis 1850. V. Die Zeit von 1850 bis 1870. VI. Der Stand der Gesetzgebung im Jahre 1870 .............................................. 51 § 11. Die außerdeutsche Gesetzgebung. I. Die deutsch-rechtliche Gruppe. II. Die nordgermanischen Rechte. III. Die Gruppe des französischen Rechts. IV. Das englisch-amerikanische Recht. V. Die Gesetzgebung der Schweiz. V. Die slavo-türkische Gruppe .... 55

MI. Die HueUerr des Reichsstrafrechts. Erster Abschnitt.

Die Geschichte der Huelkcn. § 12. Das Reichs st rafgesetzbuch. I. Fehlgeschlagene Versuche. II. Das StGB, für den norddeutschen Bund. III. Das RStGB. IV. Spätere Abänderungen desselben............................................................................ 58 §13. Die übrigen Reichsstrafgesetze (in chronologischer Ordnung) 63 Zweiter Abschnitt.

Are Litteratur der Huellen. § 14. Die Litteratur des Re ichs strafrechts und seiner Hilfs­ wissenschaften. I. Lehr- und Handbücher. II. Kommentare. III. Zeitschriften. IV. Spruchsammlungen. V. Rechtsfälle. VI. Hilfs­ wissenschaften ................................................................................................ 67 Dritter Abschnitt.

Die Theorie der Huessen. § 15. Gesetztes und ungesetztes Recht. Auslegung der Strafrechtssätze. I. Das gesetzte Recht als einzige Quelle der Strafrechtssätze. II. Ausschluß von Gewohnheit und Wissenschaft. Analogie. III. Begriff des Gesetzes. Druckfehler und Redaktions­ versehen ............................................................................................................ 69 § 16. Die Bestandteile der Strafrechtssätze. I. Eigentliche und uneigentliche Rechtssätze. II. Das Wesen der Norm. III. Ihre Selbständigkeit.................................................................................................. 72 §17. Das sachliche Geltungsgebiet derReichs-Strafrechtssätze gegenüber dem Landesrecht. I. Das Prinzip. II. Die reichsrechtlich nicht geregelten Materien. III. Weitere Beschränkungen der Landesgesetzgebung. IV. Die Ausführungsgesetze der Einzel­ staaten ..................................................................................................................74 § 18. Das zeitliche Herrschaftsgebiet der Strafrechtssätze. I. Beginn und Ende ihrer Herrschaft. II. Die sog. rückwirkende Kraft der Strafrechtssätze. III. Anwendung des mildesten Gesetzes 77

Inhaltsverzeichnis.

rx Seite

§ 19. Das räumliche oder nationale Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. I. Begriff des sog. internationalen Strafrechts. II. Theoretische Grundlegung. III. Die verschiedenen Systeme. IV. Das Prinzip des RStGB. V. Abweichungen von demselben . 81 § 20. Fortsetzung. Auslieferung und Asylrecht. I. Die Auslieferung als Akt der internationalen Rechtshilfe. II. Die deutschen Auslieferungsverträge. Das Asylrecht politischer Verbrecher. und die belgische Attentatsklausel......................................................87 § 21. Das persönliche Geltungsgebiet der Strafrechtssätze. I. Staatsrechtliche und II. völkerrechtliche Befreiungen ..... 90 § 22. Friedensrecht und Kriegsrecht. I. § 4 des Einführungs­ gesetzes zum RStGB. II. §§ 160 und 155 des Militär-StGB. III. § 36 des Preßgesetzes....................................................................92

Allgemeiner Teil. Erstes Buch.

Bog Verbrechen. A.

I. Kegriff und Einteilung. § 23. Begriff des Verbrechens. I. Das Verbrechen als Handlung. II. Das Verbrechen als rechtswidriger Angriff. III. Das Verbrechen als schuldhafte Rechtswidrigkeit. IV. Das Verbrechen als mit Strafe belegtes Unrecht....................................................................................... 94 § 24. Das Verbrechen im Unterschiede vom zivilen Unrecht. I. Die Unmöglichkeit einer begrifflichen Unterscheidung. II. Die Ge­ fährlichkeit des Angriffes als positiv-rechtliches Unterscheidungsmerkmal 95 § 25. Die Trichotomie der strafbaren Handlungen. I. Die Dreiteilung in Verbrechen, Vergehen, Übertretungen. II. Die An­ wendung der Dreiteilung.................................................................... 97

B. Die Begriffsmerkmale des Verbrechens. II. Das Verbrechen als Handlung. § 26. Das Objekt des Verbrechens. I. Das Rechtsgut als An­ griffsobjekt des Verbrechens. II. Die Arten des Angriffes: Ver­ letzung, Gefährdung, Ungehorsam. III. Kriminelles und polizeiliches Unrecht...................................................................................................... 100 § 27. Das Subjekt des Verbrechens. 1. Die Deliktsfähigkeit der Tiere. II. Die Deliktsfähigkeit der Kollektivpersönlichkeit .... 103 § 28. Die Handlung im engeren Sinne (das Thun). I. Der psychologische Handlungsbegriff. II. Wegfall der Handlung. III. Der Entschluß; die Überlegung und das unüberlegte Handeln .... 104

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Inhaltsverzeichnis.

Seite § 29. Handlung und Erfolg. I. Juristischer und materieller Erfolg. II. Mittel und Zweck. III. Vorsatz und Absicht. IV. Der Erfolg als Bedingung der Strafbarkeit........................................................................ 107 §30. Der Kausalzusammenhang. I. Der Ursachenbegriff. II. Die Folgerungen aus demselben............................................................................. 109 §31. Die Unterlassung. I. Die Geschichte des Problems. II. Die Kausalität der Unterlassung. III. Das strafrechtlich relevante Unter­ lassen ..........................................................................................................................112 § 32. Zeit und Ort der Begehung (oder Unterlassung). I. Das Prinzip. II. Seine Anwendung....................................................... 117

HI. Das Derdrechen als rechtswidrige Handlung. § 33. Der Wegfall der Rechts Widrigkeit im allgemeinen. I. Geschichte. II. Allgemeine Grundsätze. III. Einzelfälle. . . . 121 §34. Die Notwehr. I. Begriff und Geschichte. II. Die einzelnen Merkmale des Begriffes.........................................................................................127 §35. Der Notstand. I. Begriff und Geschichte. II. Das positive Recht..........................................................................................................................131

IV. Das Verbrechen als schuldhafte Handlung. §36. Die Zurechnungsfähigkeit. I. Zurechnung. II. Begriff der Zurechnungsfähigkeit. III. Ihr Verhältnis zur Willensfreiheit. IV. Die sog. verminderte Zurechnungsfähigkeit. V. Das RStGB. VI. Die prozessualische Behandlung der Zurechnungsfähigkeit. VII. Die actiones liberae in causa. VIII. Mangelnde Zurechnungsfähigkeit und die Teilnahme............................................................................................. 135 § 37. Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. I. Fehlende geistige Reife. II. Fehlende geistige Gesundheit. III. Bewußtseins­ störungen .................................................. 142 §38. Die Schuld. I. Der Begriff. II. Seine Geschichte. III. De­ likte ohne Schuld. IV. Die Schuld und die Bedingungen der Strafbarkeit. V. Die Schuld und der allgemeine Thatbestand. VI. Dolus subsequens und antecedens.......................................................147 §39. Der Vorsatz. I. Begriff. II. Die Terminologie der Reichs­ gesetzgebung. III. Vorsatz und Bewußtsein der Nechtswidrigkeit. IV. Die Arten des Vorsatzes............................................................................. 155 §40. Der Irrtum. I. Begriff und Einfluß auf den Vorsatz. II. Irrtum in bezug auf Begriffsmerkmale. III. Wesentlicher Irrtum in bezug auf Thatumstände. IV. Aberratio ictus und error in persona . 160 §41. Die Fahrlässigkeit. 1. Begriff. II. Einfluß des Irrtums. III. Die fahrlässigen Delikte in der Reichsgesetzgebung. IV. Fahr­ lässigkeit in bezug auf einzelne Deliktsmerkmale: die Partiererei. V. Grade der Fahrlässigkeit.............................................................................164

V. Das Verbrechen als die mit Strafe bedrohte Handlung. § 42. Die Bedingungen der Strafbarkeit im allgemeinen. I. Der Begriff. II. Folgesätze. III. Unterschied von Prozeß-

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Inhaltsverzeichnis.

Seite

Voraussetzungen, Strafaufhebungsgründen, individuellen Schuldaus­ schließungsgründen .........................................................................................168 § 43. Der Antrag des Verletzten insbesondere. I. Geschichte und Stand der Gesetzgebung. II. Die beiden Gruppen. III. Der Antrag im positiven Recht....................................................... ..... 172

C. Die Erscheinungsformen des Verbrechens. VI. Vollendung und Versuch des Verbrechens. § 44. Der Begriff des Versuches im allgemeinen. I. Der Begriff und seine Arten. II. Geschichte des Begriffes. III. Der legislative Grund und der Umfang der Strafbarkeit des Versuches. IV. Der Grad der Strafbarkeit. V. Unmöglichkeit des Ver­ suches .........................................................................................................................178 §45. Das unvollendete Verbrechen. I. Nähere und entferntere Versuchshandlungen. II. Die Vorbereitungshandlungen des RStGB. III. Ausnahmsweise Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen. IV. Beendeter und nicht beendeter Versuch................................................. 184 §46. Das fehlgeschlagene Verbrechen. I. Geschichte der Frage. II. Die richtige Ansicht........................................................................................ 188 §47. Der Rücktritt vom Versuch. I. Seine Bedeutung. II. Frei­ willigkeit des Rücktritts. 111. Der Rücktritt als Strafaufhebungsgrund. IV. Rücktritt bei Vorbereitungshandlungen................................................. 192

VII. Thäterschaft und Teilnahme. §48. Überblick. I. Geschichte der Frage. II. Die verschiedenen mög­ lichen Formen. III. Begünstigung; Komplott und Bande; notwendige Teilnahme. IV. Mehrfache Beteiligung.......................................................195 §49. Die (All ein-) Thäterschaft. I. Begriff. II. Begehung durch einen Zurechnungsunfähigen. III. Begehung durch einen Getäuschten oder Gezwungenen. IV. Fingierte Thäterschaft...................................... 200 § 50. Die Mehrthäterschaft. I. Mitthäterschaft. II. Nebenthäterschaft.............................................................................................................. 202 §51. Die Anstiftung. I. Der Begriff. II. Die Anstiftung als vor­ sätzliche Bestimmung zu vorsätzlichem Thun. III. Der Vorsatz des Anstifters. IV. Der aceefforische Charakter der Anstiftung. V. Folge­ sätze. VI. Die Bestrafung................................................

204

§52. Die Beihilfe. I. Der Begriff. II. Die Beihilfe als vorsätzliche Förderung vorsätzlichen Thuns. III. Der Vorsatz des Gehilfen. IV. Der aceefforische Charakter der Beihilfe. V. Folgesätze. VI. Die Bestrafung..............................................................................................................208 § 53. Einfluß persönlicher Verhältnisse auf die Strafbar­ keit der Anstiftung und der Beihilfe. I. § 50 StGB. II. Seine Bedeutung. III. Folgesätze. IV. Einschränkungen. V. Ein­ fluß von Strafaufhebungsgründen u. s. w........................................................ 211

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Tin. Handlirngseirrhril und Uervrechensmehrchett. § 54. Übersicht. I. Die herrschende Ansicht. II. Bedenken gegen dieselbe......................................................................................................................... 213 §55. Die natürliche Handlungseinheit. I. Der Ausgangspunkt. II. Die sog. gesetzliche Einheit. III. Natürliche Handlungsmehrheit 215 § 56. Die juristische Handlungseinheit. I. Der Begriff. II. Die Anwendungsfälle...................................................................................................216 § 57. Das sogenannte Kollektivdelikt. 1. Die hierher ge­ hörenden Fälle. II. Rechtfertigung des Begriffs..................................... 219 § 58. Die sogenannte Jdealkonkurrenz. I. Die richtige Auf­ fassung derselben. II. Die unzweifelhafte Gesetzeskonkurrenz. III. Die scheinbare Jdealkonkurrenz. IV. Die „gleichartige Jdealkonkurrenz" 221 § 59. Die Mehrheit der Verbrechen. I. Der Rückfall. II. Die Realkonkurrenz........................................................................................................ 225

Zweites Buch.

Oie Strafe. i. § 60. Der Begriff der Strafe. I. Begriffsbestimmung. II. Strafe und Genugthuung. III. Objektive Maßregeln. Subsidiäre Haftung Dritter. IV. Konventionalstrafe. Disziplinarstrafe. Rechtsfolgen der Verurteilung. V. Prozeßstrafe. VI. Exekutivstrafe. VII. Ordnungs­ und Polizeistrafe. VIII. Verwaltungsmaßregeln...................... . 227

n Die Strafakten. (Das Strafensystem.) § 61. Die Strafarten im allgemeinen. I. Notwendige Eigen­ schaften eines guten Strafmittels. II. Prüfung der Strafmittel des modernen Rechts......................................................................................... 234 § 62. Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung. I. Das System der Strafmittel. II. Seine bindende Kraft für die Landes­ gesetzgebung. III. Kritik desselben.............................................................237

A. Die Haupt st rasen. §63. 1. Die Todesstrafe. I. Geschichte. II. Anwendungsgebiet. III. Vollzug der Todesstrafe...........................................................................239 § 64. 2. Die Freiheitsstrafe. Ihre Geschichte. I. Die alten Zuchthäuser. II. Der Beginn der Reform. III. Die Erfolge der Einzelhaft. IV. Das sog. irischeSystem......................................................242 § 65. Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung. I. Die Arten. II. Ihre Unterschiede.......................................................................... 245 § 66. Der Vollzug der Freiheitsstrafe. I. Unzulänglichkeit der reichsrechtlichen Bestimmungen. II. Die Einzelhaft. III. Bedingte Entlassung. IV. Jugendliche Verbrecher.................................................... 247

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XIII Seite

§67. 3. Die Geldstrafe. I. Anwendungsgebiet. II. Mindest- und Höchstmaß. III. Verwertung der eingezogenen Beträge.......................249 §68. 4. Der Verweis. I. Anwendungsgebiet. II. Vollstreckung . 261 B.

Die Nebenstrafen.

§ 69. 1. Nebenstrafen an der Freiheit. I. Polizeiaufsicht. II. Überweisung an die Landespolizeibehörde. III. Ausweisung. IV. Aufenthaltsbeschränkung. V. Beschränkung des Hausrechts . . 252 § 70. 2. Nebenstrafen am Vermögen. I. Die accessorische Geld­ strafe. II. Die Einziehung. III. Die Unbrauchbarmachung. IV. Die Entziehung der Gewerbebefugnis........................................................................ 255 § 71. 3. Nebenstrafen an der Ehre. 1. Begriff. II. Aberkennung sämtlicher, III. Aberkennung einzelner Ehrenrechte.................................257 Anhang. §72.

Die Buße.

I. Anwendungsgebiet.

II.Charakter..............................260

BEI. Das Strafmaß in Gesetz und Urteil. § 73. Überblick. Die richterliche Strafzumessung. I. Absolute und relative Strafdrohungen. II. Die Strafrahmen des modernen Rechts. III. Die Strafzumessung. IV. Strafumwandlung. V. Straf­ änderung. Strafanrechnung............................................................................. 262 § 74. Strafänderung: 1. Strafschärfung. I. Die Rückfalls­ schärfung. II. Die übrigen Fälle.................................................................. 265 §75. Strafänderung: 2. Strafmilderung. I. Die „mildernden Umstände". II. Jugend. III. Versuch. IV. Beihilfe. V. Andre Fälle..........................................................................................................................267 §76. Strafumwandlung. I. Umwandlung der Geldstrafe in Frei­ heitsstrafe. II. Umwandlung einer Freiheitsstrafe in eine andre . 270 § 77. Strafanrechnung. I. Anrechnung der Untersuchungshaft. II. Anrechnung des ausländischen Urteils. III. Retorsion. . . . 272 § 78. Bestimmung der Strafe im Falle realer Konkurrenz mehrerer Verbrechen. I. Notwendigkeit einer Milderung des Kumulationsprinzips. II. Die Gesamtstrafe. III. und IV. Ab­ weichungen. V. Besondere Bestimmungen der Nebengesetze . . . 274

IV. Der MegfaU des staatlichen Strafansprnchs. § 79. Die Strafaufhebungsgründe im allgemeinen. I. Der Strafanspruch. II. Die Aufhebungsgründe. III. Der Tod des Schuldigen. IV. Die thätige Reue.................................................................. 277 §80. Die Begnadigung. I. Begriff, Geschichte und Aufgabe. II. Die Arten. III. Die Träger des Begnadigungsrechtes. IV. Kollision mehrerer Begnadigungsrechte.............................................................................279 § 81. Die Verjährung im allgemeinen. I. Das Prinzip der Verjährung. II. Ihre Geschichte........................................................................ 282 §82. Die Verfolgungsverjährung. I. Die Verjährungsfristen.

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XIV

Seite

II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung. IV. Ruhen, V. Wirkung der Verjährung............................................................... 284 §88. Die Vollstreckungsverjährung. I. Die Verjährungsfristen. II. Beginn der Verjährung. III. Unterbrechung der Verjährung. IV. Verjährung der Nebenstrafen......................................................287

Besonderer Teil. §84. Übersicht des Systems. I. Das Rechtsgut. II. Einteilung der Rechtsgüter. III. Die durch das Mittel des Angriffes charakte­ risierten Delikte................................................................................... 289 Erstes Buch.

Die strafbaren Handlungen gegen Necht?güter de? Einzelnen. Erster Abschnitt.

verbrechen gegen Leib und Leben. I. Die Tötirng. § 85. Begriff und Geschichte. I. Begriff der Tötung. II. Die vorsätzliche Tötung. III. Die fahrlässige Tötung. IV. Die Kindes­ tötung. V. Tötung des Einwilligenden............................................292 §86. Das geltende Recht. I. Mord und Totschlag. II. Tötung auf Verlangen. III. Die Kindestötung. IV. Die fahrlässige Tötung 296

II. Die Körperverletzung. § 87. Geschichte und Begriff. I. Geschichte. II. Begriff der Körperverletzung.......................................................................................301 § 88. Die Arten der Körperverletzung. I. Die leichte vorsätz­ liche, II. die gefährliche, III. die schwere Körperverletzung. IV. Die Körperverletzung mit tödlichem Ausgange. V. Die fahrlässige Körper­ verletzung ..................................................................................................... 303 §89. Verfolgung und Bestrafung. I. Antragserfordernis. II.An­ tragsberechtigung. III. Buße. IV. Retorsion......................................306

in.

Die Gefährdung von Leid und Jeden.

§ 90. 1. Die Aussetzung. I. Geschichte. II. Begriff. III. Be­ strafung ..................................................................................................... 307 § 91. 2. Die Vergiftung. I. Geschichte. II. Begriff. III. Be­ strafung ..................................................................................................... 309 §92. 3. Die Abtreibung. I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten...........................................................................................................311

Inhaltsverzeichnis.

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§ 93. 4. Der Raufhandel. I. Geschichte. II. RStGB. § 227, I. Absatz. III. RStGB. § 227, 2. Absatz............................. 315 § 94. 5. Der Zweikampf. I. Geschichte und systematische Stellung. II. Begriff des Zweikampfes. III. Versuch und Vollendung. IV. Be­ strafung ................................................................................................. 317 Zweiter Abschnitt.

verbrechen gegen das vermögen. I. Verbrechen gegen Eigentum und andre dingliche Rechte. § 95. 1. Der Diebstahl. Geschichte. I. Das römische Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. Die Italiener. IV. Die PGO. V. Das gemeine Recht und die Partikulargesetzgebung.................................. 323 § 96. Begriff des Diebstahls. I. Begriffsbestimmung. II. Die fremde bewegliche Sache. III. Der Gewahrsam. IV. Das Weg­ nehmen. V. Die Zueignungsabsicht. VI. Versuch und Vollendung. VII. Der Verletzte.................................................................................. 326 § 97. Die Arten des Diebstahls. I. Der einfache Diebstahl. II. Der schwere Diebstahl. III. Diebstahl im Rückfall. IV. Der räuberische Diebstahl. V. Privilegierte Fälle.......................................332 §98. Dem Diebstahl verwandte Fälle. I. Gebrauchsanmaßung. II. Besitzentziehung. III. Forst- und Felddiebstahl. IV. Zueignung von Munition. V. und VI. RStGB. § 370 Zisf. 1 und 2. VII. Der Mundraub. VIII. Der Futterdiebstahl................................................ 338 §99. 2. Der Raub. I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten des Raubes. IV. Nebenstrafe.........................................................................341 § 100. 3. Die Unterschlagung. I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten der Unterschlagung.........................................................................345 § 101. 4. Die Sachbeschädigung. I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten............................................................................................ 349

II. Verbrechen gegen GKKupaltonsrechte. § 102. I. Verletzung des Jagdrechts. II. Verletzung des Fischereirechts. III. Verletzung des Bergrechts...............................................................352

III Verbrechen gegen Forderungsrechle. § 103. 1. Der Vertragsbruch. I. Geschichte. II. Das geltende Recht...........................................................................................................357 § 104. 2. Die Untreue. 1. Geschichte. II. RStGB. § 266. III. Hilfs­ kassengesetz vom 7. April 1876. IV. und V. Versicherungsgesetze vom 15. Juni 1883 und 6. Juli 1884. VI. Aktiengesetz vom 18. Juli 1884. VII. Untreue des Sachwalters..................................................... 358 § 105. 3. Der Bankbruch. Geschichte und Begriff. I. Ge­ schichte. II. Begriff.................................................................................. 362 § 106. Die Arten des Bankbruchs. I. Der einfache, II. der be­ trügerische Bankbruch.................................................................................. 366

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Seite § 107. Dem Bankbruche verwandte Delikte. I. Die sog. Grati­ fikation. II. KO. § 212. III. Der Stimmenkauf.................................368 § 108. 4. Die Vereitelung der Zwangsvollstreckung . . . 369

IV. Verbrechen gegen das Vermögen überhaupt. § 109. 1. Der Betrug. Geschichte und Begriff. I. Geschichte. II. Die Begriffsmerkmale.............................................................................370 § 110. Die Arten des Betruges. I. Der einfache Betrug. II. Be­ trug im Rückfall. III. Versicherungsbetrug............................................377 § 111. 2. Die Erpressung. I. Geschichte. II. Der Begriff. III. Die Erpressung im geltenden Recht. IV. Die Arten der Erpressung. . 378 § 112. 3. Die strafbare Ausbeutung andrer. I. Allgemeines. II. Die ÜbervorteilungMinderjähriger........................................................ 381 § 113. Fortsetzung. Der Wucher. I. Geschichte. II. Begriff. III. Die Arten........................................................................................................384 § 114. 4. Die Gefährdung des Vermögens. Das Glücks­ spiel. I. Begriff. II. Die Arten................................................................ 388 § 115. Fortsetzung. Die öffentliche Ausspielung (Lotterie). I. Geschichte. II. RStGB. § 286. III. Prämienpapiere: Gesetz vom 8. Juni 1871 .............................................................................................. 390 § 116. Fortsetzung. Gefährdung durch Konterbande . . . 394 § 117. 5. Die Sachhehlerei (Partiererei). 1. Geschichte. II. Be­ griff. III. Die Arten....................................................................................... 394 Dritter Abschnitt.

Strafbare Wandlungen gegen Individualrechte. § 118. Übersicht. I. Der Begriff des Individualrechtes. II. Seine Arten.........................................................................................................................399 § 119. Die Verletzung des Autorrechtes. I. Der eigentliche Nachdruck. II. Unterlassene Quellenangabe. III. Verbreitung von Nachdrucksexemplaren............................................................................................ 403 § 120. Die übrigen Verletzungen von Individualrechten. I. bis III. Verletzung des Urheberrechtes an Werken der bildenden Kunst, an Photographieen, an Mustern und Modellen. IV. Verletzung des Markenrechts. V.Verletzung desPatentrechts ............................. 406 Vierter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen immaterielle Rechtsgüter.

I. Verbrechen gegen die Ehre. § 121. Geschichte und Begriff. I. Geschichte der Beleidigung. II. Der Begriff...................................................................................................408 § 122. Die Arten der Beleidigung. I. Die einfache Beleidigung. II. Die üble Nachrede. III. Die Verleumdung. IV. Die Kredit­ gefährdung. V. Die sog.Beleidigung Verstorbener.................................... 412

xvn

Inhaltsverzeichnis.

Seite

§ 123. Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung. I.Weg­ fall der Rechtswidrigkeit. II. Die Buße. III. Das Antragserfordernis. IV. Retorsion.................................................................................................417

II.

des Briefgeheimnisses und Offenbarung fremder Geheimnisse.

§ 124. I. Verletzung des Briefgeheimnisses. II. Verletzung fremder Ge­ heimnisse. III. Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 . . . 422

III Verbrechen gegen die persönliche Freiheit. § 125. Begriff und Geschichte. 1. Der Begriff der persönlichen Freiheit. II. Geschichte der Freiheitsdelikte. III. Übersicht über dieselben........................................................................................................... 424 § 126. 1. Die Nötigung. 1. Begriff. II. Die Nötigungsmittel. III. Die Widerrechtlichkeit. IV. Vollendung und Versuch. V. § 153 der Gewerbeordnung.......................................................................................426 § 127. 2. Die Freiheitsberaubung (oder Gefangenhaltung). I. Geschichte. II. und III. Der Begriff und seine Merkmale. IV. Die Bestrafung....................................................................................... 429 § 128. 3. Der Menschenraub. I. Geschichte. II. Begriff. III. Der eigentliche Menschenraub. IV. Der Kinderraub................................... 431

IV. Die Störung des Rrchtsfriedens. § 129.

1. Die Bedrohung.

I. Geschichte.II. Begriff............................. 433

§ 130. 2. Der Hausfriedensbruch. III. Die Arten..............................

I. Geschichte.

II. Begriff. 434

V. Verbrechen gegen die geschlechtliche Freiheit (die Geschlechtsehre). § 131. Allgemeines. I. Der juristische Begriff der Sittlichkeit. II. Der strafrechtliche Schutz der geschlechtlichen Freiheit................................... 437 § 132. 1. Der Frauenraub (oder die Entführung). I. Ge­ schichte. II. Begriff. III. Die Arten........................................................ 439 § 133. 2. Die Nötigung zur Unzucht (insbes. die Notzucht). I. Geschichte. II. Die Fälle des RStGB...................................................442 § 134. 3. Unzucht mit Verletzung eines Autoritätsverhält­ nisses. I. Begriff. II. Die Arten........................................................445 § 135. 4. Die Verführung zum Beischlaf. I. Die Erschleichung des Beischlafes. II. Die Verführung eines unbescholtenen jungen Mädchens............................................................................................................446

XVIII

Inhaltsverzeichnis. Seite

Zweites Buch.

Die durch das Mittel des Angriffes charak­ terisierten Delikte. § 136. -Übersicht. I. Die systematische Bedeutung der Gruppe. II. Unhaltbarkeit des Begriffs der Fälschungsdelikte.................................

447

I. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Ueichsftrafgesetzbuches. § 137. Allgemeines. I. Die Terminologie des RStGB. II. Grund­ charakter der Gruppe. III. Der Begriff der Gemeingefahr . . . 451 § 138. Brandstiftung und Überschwemmung. I. Geschichte der Brandstiftung. II. und III. Begriff und Arten der Brandstiftung. IV. Die Überschwemmung.................................................................................. 453 § 139. Strafbare Handlungen gegen Eisenbahntransporte und Telegraphenanstalten. I. Gefährdung von Eisenbahn­ transporten. II. Gefährdung des Telegraphenbetriebes. III. Neben­ strafen ..........................................................................................................................458 § 140. Strafbare Handlungen in bezug auf Wasserbauten; Gefährdung der Schiffahrt u. s. w. I. Beschädigung von Wasserbauten. II. Delikte an Schiffahrtszeichen. III. Strand enoder Sinken-Machen eines Schiffes.................................................................. 462 § 141. Strafbare Handlungen in bezug aus ansteckende Krankheiten. I. Verletzung der Anordnungen bei Volksseuchen. II. Verletzung der Anordnungenbei Viehseuchen........................................ 463 § 142. Vergiftung von Brunnen und Gebrauchsmitteln. I. RStGB. § 324. II.Übergang zumNahrungsmittelgesetz . . . 465 § 143. Nichterfüllung von Lief er ungsverträgen. I. Geschichte. II. Begriff.............................................................................................................. 466 § 144. Verletzung der Regeln der Baukunst. I. Geschichte. II. Begriff..............................................................................................................467

II. Mißbrauch tum Sprengstoffen. § 145. I. Das Gesetz vom 9. Juni 1884 im allgemeinen. II. Die von ihm bedrohten strafbaren Handlungen. III. Nebenstrafen und ob­ jektive Maßregeln................................................................................................... 467

III Die Marenfälschung. § 146. I. Systematische Stellung. II. Geschichte. III. Das geltende Recht......................................................................................................................... 471

IV. Strafbare Handlungen an Geld. § 147. Geschichte und systematische Stellung. I. Geschichte der sog. Münzdelikte. II.Ihre Stellung im System........................................475 § 148. Die Arten der Gelddelikte. I. Die eigentliche Münz­ fälschung. II. Der Münzbetrug. III. Einführen von falschem Gelde.

Inhaltsverzeichnis.

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IV. Das Kippen und Wippen. V. Vorbereitungshandlungen. VI. Ver­ wandte Übertretungen........................................................................................ 478

V. Strafbare Handlungen an Urkunden. § 149. Allgemeines. I. Geschichte. II. Systematische Stellung der Urkundendelikte. III. Begriff der Urkunde............................................ 481 § 150. Die eigentliche Urkundenfälschung. I. Die Handlung. II. Die Absicht. III. Die Arten. IV. Vollendung. V. Bestrafung

483

§ 151. Die Falschbeurkundung (intellektuelle Urkunden­ fälschung). I. Legislativer Grundgedanke. II. Das geltende Recht

486

§ 152. Die übrigen Urkundendelikte. I. Urkundenbeseitigung. II. Grenzverrückung. III. Delikte an Stempel-, Post- und TelegraphenWertzeichen. IV. Delikte an Legitimationspapieren. V. Delikte in bezug auf Gesundheitszeugnisse...................................................................488

Drittes Buch.

Strafbare Handlungen gegen den Staat. Erster Abschnitt.

Die verbrechen gegen den Staat. § 153. Übersicht. I. Staatsform und Staatsverbrechen. II. Die Entwickelung des modernen Rechts. III. Der nationale Charakter der politischen Rechtsgüter................................................................................... 492 § 154. Hoch- und Landesverrat. Geschichte. I. Römisches Recht. II. Das deutsche Mittelalter. III. Die PGO. IV. Das gemeine Recht und die moderne Gesetzgebung............................................................ 495 § 155. 1. Der Hochv errat im geltenden Recht. I. Begriff. II. Arten. III. Vorbereitungshandlungen. IV. Beschlagnahme des Vermögens. V. Hochverrat gegen auswärtige Staaten........................... 497 § 156. 2. Der Landesverrat. I. Der Begriff im allgemeinen. II. Der militärische, III. der. diplomatische Landesverrat....................................... 502 § 157. 3. Die Majestätsbeleidigung. I. Begriff. II. Thätlich­ keiten. III. Einfache Beleidigung. IV. Beleidigung auswärtiger Monarchen und Gesandten.................................................................................. 506 § 158. 4. Strafbare Handlungen gegen politische Körper­ schaften. I. Vergewaltigung von gesetzgebenden Versammlungen. II. Verhinderung der Abstimmung..................................................................510 § 159. 5. Strafbare Verletzungen des politischen Wahlund Stimmrechts. I. Wahlverhinderung. II. Wahlfälschung. III. Wahlbestechung..............................................................................................511

XX

Inhaltsverzeichnis. Sette Zweiter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter der Gesellschaft. I. Strafbare Handlungen gegen den öffentlichen Frieden. § 160. 1. Die Friedensstörungen des Strafgesetzbuchs. I. Landzwang. II. Landfriedensbruch. III. Ansammlung von Waffen. IV. Aufreizung zum Klassenkampf. V. Kanzelmißbrauch .... 513 § 161. 2. Störungen des öffentlichen Friedens durch so­ zialistische Umsturzbestrebungen. I. und II. Die im Sozia­ listengesetz bedrohten Handlungen. III. und IV. Nebenstrafen und polizeiliche Maßregeln. V. Der „kleine Belagerungszustand" . . . 517 § 162. 3. Strafbare Handlungen gegen den religiösen Frieden. I. Allgemeines. II. Gotteslästerung. III. Beschimpfung von Religionsgesellschaften. IV. Beschimpfender Unfug. V. Störung des Gottesdienstes. VI. Störung des Gräberfriedens...................... 519

II. Strafbare Handlungen gegen den Personenstand und Ehe. § 163. 1. Strafbare Handlungen in bezug auf den Per­ sonenstand. I. Begriff. II. Geschichte. III. § 68 des Personen­ standgesetzes. IV. Die Unterdrückung des Personenstandes . . . 524 §164. 2. Der Ehebetrug. I. Systematische Stellung. II. Begriff. 526 § 165. 3. Die Doppelehe. I. Begriff und Geschichte. II. Das gel­ tende Recht......................................................................................................... 527 § 166. 4. Der Ehebruch. I. Geschichte. II. Begriff............................528

m. Strafbare Handlungen gegen die öffentliche Sittlichkeit. § 167. Übersicht. I. Begriff der öffentlichen Sittlichkeit. II. Geschichte der Sittlichkeitsdelikte. III. Der Standpunkt der Reichsgesetzgebung 530 § 168. 1. Die Blutschande. I. Legislative Erwägungen. II. Ge­ schichte. III. Das geltende Recht.................................................................. 532 § 169. 2. Die widernatürliche Unzucht. I. Geschichte. II. Gel­ tendes Recht..............................................................................................................534 § 170. 3. Erregung eines öffentlichen Ärgernisses und Verbreitung unzüchtiger Schriften. I. Öffentliches Ärgernis. II. Unzüchtige Schriften....................................................................................... 535 § 171. 4. Die Kuppelei. I. Geschichte. II. Begriff. III. Arten . 537 Dritter Abschnitt.

Strafbare Landlungen gegen die Autorität der Staatsgewalt. § 172. 1. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen. I. Widerstand. II. Thätlicher Angriff. III. Nötigung. IV. Auf­ ruhr. V. Auflauf...................................................................................................541 § 173. 2. Gewalt gegen Forst- oder Jagd beamte. I. Begriff. II. Arten. III. Bestrafung.............................................................................545

Inhaltsverzeichnis.

XXI Seite

§ 174. 3. Die Befreiung von Gefangenen. I. Begriff und systematische Stellung. II. Geschichte. III. Die Arten.....................547 § 175. 4. Die strafbaren Aufforderungen. I. Begriff und syste­ matische Stellung. II. Die Arten.........................................................549 § 176. 5. Mißachtung der Autorität der Staatsgewalt. I. Verleumdung des Staatswillens. II. Amtsanmaßung. III. Be­ seitigung amtlicher Urkunden. IV. Beschädigung von Bekannt­ machungen. V. Wegnahme von Autoritätszeichen. VI. Siegelbruch. VII. Arrestbruch........................................................................................555 Vierter Abschnitt.

strafbare Bandlungen gegen den Sang der Staatsverwaltung. § 177. Übersicht. I. Die Aufgaben der Staatsverwaltung. II. Ihr Schutz durch die Strafgesetzgebung. III. Abgrenzung der hierher gehörenden Deliktsgruppe........................................................................ 559

I. Amtsdelikte. § 178. Geschichte undBegriff. I. Begriff der Amtsdelikte. II. Ihre Geschichte. III. Begriff des Beamten. IV. Einteilung der Amts­ delikte ............................................................................................................561 § 179. Die einzelnen Amtsdelikte I. Bestechung. II. Rechts­ beugung. III. Delikte bei Trauung und Eheschließung. IV. Be­ drückung der Staatsbürger. V. Amtsmißbrauch im Strafverfahren. VI. Urkundendelikte. VII. Amtsunterschlagung. VIII. Übermäßiges Sportulieren. IX. Diplomatendelikte. X. und XI. Delikte der Post- und Telegraphenbeamten. XII. Die Prävarikation. XIII. Kon­ nivenz ............................................................................................................563

II. Die falsche Aussage (die sog. Gidesdelikte). § 180. Geschichte und systematische Stellung. I. Geschichte. II. SystematischeStellung...............................................................................573 § 181. Das geltende Recht. I. Die Arten der Eidesdelikte. II. Die Bestrafung . . ............................................................................................ 575

III Strafbare Handlungen gegen die Rechtspflege. § 182. 1. Die falsche Anschuldigung. I. Systematische Stellung. II. Geschichte. III.Geltendes Recht...........................................

583

§ 183. 2. Begünstigung und Hehlerei. I. Geschichte. II. Begriff und Arten. III. Die Begünstigung im geltenden Recht. IV. Die Hehlerei.................................................................................................. . 586 § 184. 3. Die übrigen Delikte gegen die Rechtspflege. I. Eidesbruch. II. Veröffentlichung der Anklageschrift. III. Ver­ letzung der Dingpflicht. IV. Unterlassung der Anzeige. V. Selbst­ hilfe......................................................................................................................590

Inhaltsverzeichnis.

XXII

Seite

IV. Strafbare Handlangen gegen die Verwaltung des Kriegswesens. § 185. I. Falschwerbung. II. Verleitung zur Desertion. III. Untauglichmachung. IV. Bezügliche Umgehung der Wehrpflicht. V. Verletzung der Wehrpflicht durch Auswanderung. VI. Geschäfts­ mäßige Verleitung zur Auswanderung. VII. Verletzung des Kriegsleistungsgesetzes. VIII. Übertretung des Festungsrayonsgesetzes. IX. Aufnehmen von Festungsrissen. X. Veröffentlichungen über Truppenbewegungen. XI. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen . 593

V. Strafbare Handlungen gegen die staatliche Überwachung des prestwesens: die Pretzpolizridelikte. § 186. I. Nichtnennung des Druckers und Verlegers. II. Nichtablieferung der Pflichtexemplare. III. Nichtaufnahme amtlicher Bekanntmachungen. IV. Nichtausnahme von Berichtigungen. V. Verbreitung verbotener ausländischer Druckschriften. VI. Verbreitung mit Beschlag belegter Druckschriften............................................................................................598

VI. Strafbare Überschreitungen des Uereinsrechtes. § 187.

1. Geschichte.

II. Das geltende Recht

....

.

.

599

VII. Strafbare Handlungen gegen die Sicherheitspolizei. § 188.

I. Allgemeines.

II. Die Bestimmungen des RStGB.'s

.

.

.

601

VIII. Strafbare Handlungen gegen die Gefundheitspolizei. § 189. I. Verletzung der Anordnungen bei Volksseuchen. II. Ver­ letzung der gegen Viehseuchen getroffenen Anordnungen. III. Über­ tretung der Reichsimpfgesetze. IV. AndreFälle.....................................605

IX. Strafbare Handlungen gegen die Sittlichlreitspolizei. § 190. 1. Vagabondage. II. Bettel und Alkoholismus. III. Pro­ stitution. IV. Tierquälerei. V. Grober Unfug. VI Übertretung der Polizeistunde. VII. Verletzung derSonntagsruhe.................................608

X. Strafbare Handlungen gegen das Miinz- und Kanlrwefen des Reichs. § 191. I. Delikte gegen das Münzwesen. II. Delikte gegen das Bank­ wesen ................................................................................................................611

XI. Strafbare Handlungen gegen die Gewerbepolizei. § 192. 1. Die Übertretungen der Gewerbeordnung. I. Die einzelnen strafbaren Handlungen. II. Die Strafe. III. Allgemeine Bestimmungen................................................................................................ 613 § 193. 2. Strafbare Handlung en auf dem Gebiete des Aktienwesens. I. Untreue. II. Wissentlich falsche Angaben bei

Inhaltsverzeichnis.

XXIII Seite

Eintragung des Gesellschaftsvertrages. III. Verschleierung des Standes der Gesellschaftsverhältnisse. IV. Unterlassene Bestellung des Auf­ sichtsrates und Nichtbeantragung der Konkurseröffnung. V. Be­ trügerische Täuschung des Publikums. VI. Stimmenkauf. VII. Wahl­ fälschung .............................................................................................................. 617 § 194. 3. Die übrigen Fälle. Übertretungen I. des Gesetzes vom 7. April 1876 betreffend die eingeschriebenen Hilfskassen; II. des Gesetzes vom 4. Juni 1868 betreffend die Erwerbs- und Wirtschafts­ genossenschaften; III. des Gesetzes vom 13. Mai 1884 betreffend die Anfertigung und Verzollung von Zündhölzern; IV. des Kranken­ versicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 und V. des Unfallversicherungs­ gesetzes vom 6. Juli 1884 . ........................................................................ 621

XII. Strafbare Handlungen in bezng auf die Maß- und

Gewichts- fawie Kegierungspolizei. § 195. I. Falsches Maß und Gewicht. II. Verletzung des Gesetzes vom 20. Juli 1881 betreffend die Bezeichnung des Raumgehaltes der Schankgefäße. III. Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom 5. Juli 1872. IV. Verletzungen des Gesetzes vom 16. Juli 1884 be­ treffend den Feingehalt der Gold- und Silberwaren............................623

XIII. Strafbare Handlungen in bezug auf das Gifenbahn-

nnd das postwefen. § 196. I. Zuwiderhandlungen gegen das Bahnpolizeireglement. II. Ver­ letzung der besondern Vorrechte der Posten............................................ 624

XIV. Strafbare Handlungen in bezug auf das

Schifffahrtswefen. § 197. I. Gesetz vom 25. Oktober 1967 betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe. II. Gesetz vom 28. Juni 1873 betreffend die Registrierung der Kauffahrteischiffe. III. Gesetz vom 25. März 1880 betreffend die Schiffsmeldungen bei den deutschen Kon­ sulaten. IV. Verletzungen der Schiffsvermessungsordnung vom 5. Juli 1872. V. StGB. § 145 und die kaiserlichen Verordnungen. VI. Gesetz vom 27. Dezember 1872 betreffend die Verpflichtung zur Mitnahme hilfsbedürftiger Seeleute. VII. Übertretungen der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874. VIII. Übertretungen der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872. IX. Verletzung der Bestimmungen über Küstenschiffahrt............................................................. 626

XV. Strafbare Handlungen In bezug auf das Finanzwesen

des Reichs. § 198. Allgemeines. I. Gruppierung der hierher gehörenden Delikte. II. Die typischen Fälle. III. Eigentümlichkeiten der in den Zoll-. und Steuergesetzen enthaltenen Strafdrohungen................................. 630 §199. 1. Verletzung der Gebührenpflicht. I. Post und PortoDefraudationen. II. Qualifizierte Hinterziehung der Postgebühren.

XXIV

Inhaltsverzeichnis. Seite

III. und IV. Strafbare Handlungen in bezug auf Telegraphen-Freimarken................................................................................................................ 634 § 200. 2. Strafbare Handlungen gegen die Zollgesetze. I. Konterbande und Defraudation. II. Rückfall. III. Strafschärfung. IV. AllgemeineBestimmungen.................................................................... 635 § 201. 3. Strafbare Handlungen gegen die Steuergesetze. I. Salzsteuer. II. Tabaksteuer. III. Rübenzuckersteuer. IV. Brau­ steuer. V. Branntweinsteuer. VI. Zuckersteuer. VII. Banknoten­ steuer ................................................................................................................ 637 § 202. 4. Strafbare Handlun gen gegen die Stempelge setze. I. Die Delikte des RStGB's. II. Der Wechselstempel. 111. Der Spielkartenstempel. IV. Der Stempel auf Wertpapiere. V. Die sog. statistische Gebühr................................................................................. 640

Abkürzungen. Die Mehrzahl der Abkürzungen bedarf keiner Erläuterung. Die Ent­ scheidungen des Reichsgerichtes sind (mit Angabe des entscheidenden Senates) nach der von den Mitgliedern desselben herausgegebenen Sammlung citiert. Z. bedeutet: „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft"; GA.: „Goltdammers Archiv für Strafrecht"; GS. „v. Schwarzes Gerichtssaal"; HH.: „v. Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafrechts in Einzelbeiträgen"; HR.: „v. Holtzendorffs Rechtslexikon", 3. Aust.

Einleitung. I. Kegriff und Aufgabe der Strafrechtswissenschaft. § 1. Die Strafrechtswiffenschaft und ihre Zweige. I. Strafrecht im subjektiven Sinne ist Recht zu strafen, jus puniendi. Dieses Recht steht nicht nur dem Staate, sondern innerhalb der vom Staate gezogenen allerdings sehr eng gesteckten Grenzen auch dem Einzelindividuum (in Haus und Schule) sowie den verschiedensten Gruppen von Einzelindividuen zu (Kirchen, Ver­ einen und Gesellschaften, Vertretungs-Körpern u. s. w.). *) Wir haben es in dieser Schrift nur mit dem staatlichen Straftecht zu tijmt.*2) *) Das außerstaatliche jus puniendi umfaßt das interessante, bisher wenig erforschte Gebiet der sog. Disziplinarstrafe, die nicht durch Inhalt oder Voraussetzung, sondern durch das geschützte Interesse von der staatlichen Strafe verschieden ist (vgl. v. Li s z t, HR. „Ordnungsstrafen"). Wir können unterscheiden: 1. die staatlich anerkannte D., geregelt durch Bestimmung ihres In­ halts und Bestrafung ihrer Überschreitung. Beispiele bieten das Züchtigungs­ recht des Hausvaters, Ehemannes (?), Schullehrers, Lehrherrn, Dienstherrn, Schiffers u. s. w. (vgl. unten § 33 III); das interne und autonome Strafrecht der verschiedensten Jndividuengruppen, der geselligen Vereine und der politischen Vertretungskörper, der Innungen und der Universitäten (vgl. Ortlofs, GS. XXXIII [3. I S. 617]), der Religionsgenossensch asten und der regierenden Häuser. Mit der Bedeutung der Gruppe steigt Recht und Pflicht des Staates zur Überwachung der Strafbefugnis derselben (Exkommunikation, Bann­ fluch u. s. w.) 2. Die vom Staate übernommene D., angewendet gegen Beamte, Notare, Handelsmäkler u. s. w. Vgl. darüber unten § 60 IV. 2) Das staatliche Recht zu strafen umfaßt, wie wir sehen werden, 1. das Recht Strafe anzudrohen, also das Strafgesetzgebungsrecht, prinzipiell dem Reiche zustehend (vgl. unten § 17); 2. das Recht der Strafverfolgung, d. h. der Geltendmachung des entstandenen Strafanspruches; 3. das Recht, die Strafe zu erkennen und zu verhängen, also Strafgerichtsbarkeit, prin­ zipiell den Einzelstaaten zustehend (vgl. unten § 80); 4. das Recht des Straf­ vollzuges. von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

2

§ 1.

Die Strafrechtswissenschaft und ihre Zweige.

Aber gibt es ein staatliches Straf-Recht?

Kann von einem

Recht, als der, von der rechtsetzenden Gewalt gewährten und ge­ währleisteten Willensmacht dort gesprochen werden, wo der Träger der gewährten Willensmacht zugleich der Gewährende ist?

Paßt

der Begriff des subjektiven Rechtes überhaupt auf die Willensmacht des Staates? Die Beseitigung dieses Einwandes ist von grundlegender Be­ deutung. Die an sich schrankenlose,

der juristischen Fassung spottende

Straf g e w a l t des Staates wird zum staatlichen Straf rechte durch Selbstbeschränkung.3)4 Die rechtsetzende Gewalt setzt sich selber Recht, indem sie Voraussetzung und Inhalt ihrer Bethätigung normiert.

Das staatliche Strafrecht im subjektiven Sinne ist die

rechtlich begrenzte Strafgewalt des Staates. Inbegriff jener Rechtssätze, übung

der

Staates

an sich

nach

durch

unbeschränkten

Voraussetzung

und

welche

Und der die Aus­

Strafgewalt Inhalt

des

begrenzt

wird, bildet das Strafrecht im objektiven Sinnes) Damit haben wir zugleich zwei weitere Grundbegriffe gewonnen. Durch die Bestimmung der Voraussetzungen, an deren Vor­ liegen der Staat die Ausübung seiner Strasgewalt knüpft, entsteht der Begriff des Verbrechens; durch die Bestimmung dieser Aus­ übung selbst nach ihrem Inhalte der Begriff der Strafe (im engern, juristischen Sinne). II. Verbrechen und S träfe sind Gegenstand der Straf­ rechtswissenschaft.

Aber je nach der verschiedenen Art der Betrachtung

teilt sich diese in zwei selbständige, wenn auch nahe verwandte Zweige. 1. Als rein juristische Disziplin hat das Strafrecht im engern Sinne Verbrechen und Strafe in begrifflicher All­ gemeinheit darzustellen: einzelnen Verbrechen und

im besondern Teile des Systems die die auf dieselben gesetzten Strafen;

im allgemeinen Teile den Begriff des Verbrechens, der Strafe überhaupt. Diese Darstellung wird auf der Entwickelungs g e s ch i ch t e der begrifflichen Abstraktionen zu fußen haben. 2. Als Zweig der Gesellschaftswissenschaft hat

die

3) Vgl. damit die Fassung des Rechtsbegriffes bei v. IHering, Der Zweck im Recht, I. Bd. 2. Aufl. 1884. — v. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht

Z.

III S. 1 ff. 4) In diesem Sinne zuerst von Tittmann 1798 gebraucht.

Kriminalsoziologie: 1. Das Verbrechen als soziale Erscheinung.

§ 2.

ß

Kriminalsoziologie das Verbrechen als soziale Erscheinung, die Strafe als soziale Funktion in Vergangenheit und Gegen­ wart zu erkennen und darzustellen. Unsre Aufgabe beschränkt sich auf das Strafrecht im ju­ ristischen Sinne. Aber mit wenigen Worten mag auch des andern Zweiges der Strafrechtswissenschaft gedacht werden. § 2. Kriminalsoziologie: 1. Das Verbrechen als soziale Erscheinung. I. Die Aufgabe der Kriminalsoziologie umfaßt: 1. Die Dar­ stellung des Verbrechertums in seiner Geschichte und seiner heutigen Gestalt; *) 2. die Feststellung der Faktoren, aus deren Zusammenwirken das Verbrechen entsteht; 3. die Angabe der Mittel zur Bekämpfung des Verbrechertums. Als sicherste Methode ist ihr zu dienen bestimmt die (einer wesentlichen Vervollkommnung fähige und bedürftige) systematische Massenbeob­ achtung oder die Statistik als Kriminal- (oder Moral-) Statistik.-) Diese lehrt uns die Ausgestaltung des „Hanges zum Verbrechen" (penchant au crime) nach Geschlecht, Alter, Nationalität, Konfession, Beruf nicht nur kennen; sie deckt uns auch die Faktoren auf, die ihn bestimmen. II. Wir können diese Faktoren auf folgende Gruppen zurückführen: 1. Physische oder natürliche Faktoren wie Klima, Tem*) Mit der Geschichte des (professionellen) Verbrechertums beschäftigt sich das große Werk von Ave-Lallemant, Das deutsche Gaunertum in seiner sozial-politischen, litterarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestände 1858—62. Seine heutige Gestalt schildern u. a. Valentini, Das Verbrechertum im preußischen Staate 1869. Schräder, Das Verbrechertum in Hamburg 1879. Starcke, Verbrechen und Verbrecher in Preußen 1854 bis 1878, 1884. (Vgl. über dieses Buch Z. IV S. 323 und S. 391.) 2) Begründer des Krim.Statistik ist Qu etel et, Sur l’homme et le developpement de ses facultes ou essai de physique morale 1835. Haupt­ werk A. v. Oettingen, Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine So­ zialethik. 3. Ausl. 1882. Man vgl. auch dess. Vers. Aufsatz: Über die metho­ dische Erhebung und Beurteilung krimininalstatistischer Daten. Z. I S. 414. — Die offizielle Krim.Statistik, in Frankreich seit 1826 konsequent weiter geführt, liegt in Deutschland sehr im argen; erst seit der Einrichtung einer Reichs­ justizstatistik darf die Gewinnung wirklich brauchbaren Materials gehofft werden. (Vgl. Z. IV S. 319.)

4

8 2. Kriminalsoziologie: 1. Das Verbrechen als soziale Erscheinung.

peratur8), Bodenbeschaffenheit u. s. w. So steigt in kalten Wintern die Zahl der Holzdiebstähle, während in warmen Sommern (Wein­ jahren) die gegen die Person gerichteten Verbrechen zunehmen. 2. Gesellschaftliche oder soziale Faktoren, so Bildung, Ernährung, Gesundheitszustand, ökonomische Lage der Bevölkerung. So steht die Höhe der Getreidepreise zur Zahl der Eigentumsdelikte in geradem, zu jener der Sittlichkeitsdelikte im umgekehrten Ver­ hältnisse. 3. Individuelle Faktoren. Hier haben wir weiter zu unterscheiden: a) angeborne („erbliche Belastung"); b) erworbene (Gewohnheit); c) gelegentliche (Provokation, Verführung, Alkoholmißbrauch, Leichtigkeit der Verübung u. s. w.) Wir gewinnen auf diese Weise auch eine überaus wichtige und fruchtbare Einteilung der Verbrecher in 1. geb orne Verbrecher (delinquenti nati der Italiener); 2. Gewohnheits-Verbrecher; 3. Gelegenheits-Verbrecher. Da wir aber die Gewohnheit als bereits festgewurzelte und als erst in Bildung begriffene unter­ scheiden müssen, umfaßt unsre 2. Verbrechergruppe zwei Unterklassen, die wir als Unverbesserliche und Besserungsfähige be­ zeichnen wollen. III. Aus der Gruppierung der Faktoren des Verbrechens ergibt sich, ob und welche Mittel zur Bekämpfung des Verbrecher­ tums der Gesellschaft zu Gebote stehen. 1. Den natürlichen Faktoren gegenüber ist die Gesellschaft machtlos. 2. Die gesellschaftlichen Faktoren lasser^ sich beeinflussen durch Hebung der Bildung, der Ernährung, des Wohlstandes u. s. w., überhaupt durch jede Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Diese durchaus indirekte Bekämpfung des Verbrechens gehört demnach mit zu den Aufgaben der Sozialpolitik. 3. Innerhalb der individuellen Faktoren haben wir die Unterteilung derselben ins Auge zu fassen. Während die gebornen Verbrecher aus später zu erörternden Gründen als zurechnungs­ unfähig besonderen Anstalten für verbrecherische Irre zuzuweisen sind, ist die Bekämpfung der übrigen Gruppen die Hauptaufgabe der 3) Vgl. beispielsweise Ferri, Das Verbrechen in seiner Abhängigkeit von dem jährl. Temperaturswechsel. Mit 2 Tafeln. Zeitschrift II S. 11.

Kriminalsoziologie: 2. Die Strafe als soziale Funktion.

§ 3.

5

Kriminalsoziologie im engsten Sinne. Ihre Waffe in diesem Kampfe ist die Strafe als soziale Funktion. ^) 45)6 § 3. Kriminalsoziologie: 2. Die Strafe als soziale Funktion. *)

I. In jeder, auch der entlegensten Periode der Geschichte des Menschengeschlechtes finden wir die Strafe, wenn auch in primitiven Formen, welche den vorhandenen primitiven Gestaltungen der Gesellung entsprechen (Religions-, Friedens-, Geschlechts-Genossenschaft). In all diesen Formen trägt die Strafe sozialen Charakter, ist sie soziale Reaktion (Reaktion der gegebenen Gesellung) gegen 4) Aus dem Gesagten erhellt die beschränkte Bedeutung der Kriminal­ anthropologie. Nur die Klarlegung der angebornen individuellen Faktoren ist ihre Aufgabe. Nicht den „homo delinquens“, sondern eine Spezies desselben, den „gebornen" Verbrecher hat sie zu schildern. Wenn das anfänglich von dem Begründer und Haupte der Schule, C. Lombroso, übersehen wurde, so haben E. Ferri u. a., bald auch Lombroso selbst den Fehler erkannt und eingestanden. Hauptwerk: C. Lombroso, L’uomo delinquente in rapporto all7 antropologia giurisprudenza etc. 3. Ausl. 1884. Organ der Richtung das von Lombroso, Ferri und Garofalo herausgegebene Archivio di psichiatria, scienze penali etc. Man vgl. weiter Lombrosos Artikel: Über den Ursprung, das Wesen und die Bestrebungen der neuen anthropologisch­ kriminalistischen Schule in Italien Z. I S. 108, und denselben: pro schola mea Z. III S. 457. — Die weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete (von Ferri, Puglia, Ziino, Tamassia, Messedaglia, Lacassaigne u. a.) sind aus dem system. Jnhaltsverz. zu den einzelnen Bänden der Zeitschrift zu entnehmen. — Hierher gehören auch die Untersuchungen über „Verbrechergehirne" von Bene­ dikt, Flesch, Schwekendiek u. a., deren methodischer Grundfehler eben auch in der Nichtberücksichtigung der verschiedenen Verbrechergruppen besteht. 6) Die Feststellung der Verbrechergruppen bildet eine der wichtigsten Auf­ gaben der Kriminalsoziologie. Es ist ein großes und bleibendes Verdienst Wahlbergs, in seinen verschiedenen Schriften den fundamentalen Unterschied von Gewohnheits- und Gelegenheitsverbrechen energisch betont zu haben. Man vgl. insbes.: „Über das gewohnheitsmäßige Verbrechen mit be­ sonderer Rücksicht auf den Gewohnheitsdiebstahl". Gesammelte kleinere Schriften I S. 136 f.; „Das Maß und der mittlere Mensch im Strafrecht" (Zeitschrift für das Privat- und öffentl. Recht der Gegenwart, Bd. V S. 465 ff.); „Das Ge­ legenheitsverbrechen" (Ges. kl. Schriften III S. 55 ff.; „Das Maß und die Wertsberechnung im Strafrechte" daselbst S. 101 ff.; Gutachten an den internst. Pönitentiar-Kongreß zu Stockholm über die Bekämpfung des Rückfalls (daselbst S. 213 ff.). — Dieses Verdienst wird durch den Nachweis nicht geschmälert, daß der Begriff der Gewohnheit besser durch den der Rückfälligkeit ersetzt wird. *) Vgl. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht. Zeitschrift III S. 1. (Zuerst als Marburger Univ.Programm erschienen.)

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§ 3.

Kriminalsoziologie: 2. Die Strafe als soziale Funktion.

antisoziale Handlungen. Dieser wichtige Satz erleidet keinerlei Einschränkung; er gilt von der nordischen Friedlosigkeit und der römischen Sacerdät ebensogut, wie von der germanischen Blutrache, die nicht Sache der Nächstbeteiligten allein, sondern Recht und Pflicht der Sippe, der Geschlechtsgenossenschaft auf beiden Seiten ist.2) Die primitive Strafe ist aber nicht zweckbewußte und zweckbestimmte Funktion der Gesellschaft; sie erfolgt vielmehr mit der instinktartigen Naturwüchsigkeit und uneingeschränkten Naturmächtigkeit der unge­ zügelten Triebhandlung. II. Mit der allmählichen Auflösung der primitiven Gesellungsformen durch den Staat verwandelt sich die primitive Strafe in die staatliche. Damit ist die Möglichkeit einer weit und tief greifenden Umgestaltung der strafenden sozialen Reaktion gegeben. Die nun erst möglich gewordene ruhig objektive Betrach­ tung und Beurteilung der Strafe durch die am Streite nicht un­ mittelbar beteiligten strafenden Staatsorgane bewirkt: 1. Bestimmung der Strafe nach ihrem Inhalte; das (wenn auch noch so schwerfällig und vielleicht rein äußerlich berechnete) Strafmaß tritt an die Stelle zielloser und uneingeschränkter Schädigung des Verbrechers; die strafende Reaktion differenziert sich qualitativ und quantitativ zu verschiedenen Strafarten. 2. Bestimmung der Strafe nach ihren Voraussetzungen. Die antisoziale Handlung wird analytisch und synthetisch untersucht; die staatlichen Interessen kristallisieren sich zu Rechtsgütern, geschützt durch motivierende Normen und zwingende Staats­ macht; in der Begriffsbestimmung der einzelnen Verbrechen und der Klarlegung der allgemeinen Merkmale eines jeden Ver­ brechens wetteifern Gesetzgebung und Wissenschaft. 3. Bestimmung der Strafe nach ihren Wirkungen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, diese Wirkungen als Zweck zu setzen, die Strafe dem Zweckgedanken im Interesse des Rechtsgüterschutzes dienstbar zu machen. So schließt der Entwickelungsgang der Strafe ab mit ihrer Objektivierung. Die blinde, instinktartige Reaktion ist zur zweckbestimmten und zweckbewußten Funktion geworden; die un2) Beweis dafür die aktive und passive Teilnahme der Familien an der Wehrgeldzahlung, sowie der genossenschaftliche Charakter der (an Stelle der Kampfpflicht getretenen) Eid hilfepflicht (unten S. 32).

Kriminalsoziologie: 2. Die Strafe als soziale Funktion.

§ 3.

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eingeschränkte Strafgewalt hat sich zum Strafrechte beschränkt (vgl. oben § 1 I), die coercitio sich zur judicatio reguliert,3) die Triebhandlung sich zur W i l l e n s Handlung entwickelt. Damit sind aber auch unsrer Wissenschaft ihre Aufgaben vor­ gezeichnet; als juristische Disziplin hat sie die begriffliche Analyse und Synthese fortzusetzen, als soziologische die Herrschaft des Zweckgedankens zu erweitern und zu vertiefen, die Strafe als soziale Funktion zur Bekämpfung des Verbrechens zu erforschen. III. Wir wollen an dieser Stelle die Aufgabe der Kriminal­ soziologie etwas näher ins Auge fassen. Zunächst handelt es sich darum, die Wirkungen der Strafe festzustellen. Die Strafe ist Zwang wie alles Recht. Die Einwendungen gegen diesen Satz übersehen, daß auch die Motivation eine Form des Zwanges ist. Als Zwang kann sie doppelter Natur sein: a) Indirekter, mittelbarer, psychischer Zwang oder Motivation. Die Strafe gibt dem Verbrecher die ihm fehlenden Motive, welche der Begehung von Verbrechen entgegenzuwirken geeignet sind, und die vorhandenen Motive vermehrt und kräftigt sie. Sie erscheint als künstliche Anpassung des Ver­ brechers an die Gesellschaft und zwar entweder «.durch Besserung, d. h. durch Einpstanzung und Kräf­ tigung altruistischer, sozialer Motive; ß. durch Abschreckung, d. h. durch Einpflanzung und Kräf­ tigung egoistischer, aber in der Wirkung mit den altruistischen zusammenfallender Motive. b) Direkter, unmittelbarer, mechanischer Zwang, oder Gewalt. Die Strafe ist Sequestrierung des Verbrechers; vorüber­ gehende oder dauernde Unschädlichmachung, Ausstoßung aus der Gesellschaft oder Internierung in derselben. Sie erscheint als künstliche Selektiondes sozial untauglichen Individuums. Besserung, Abschreckung, Unschädlichmachung: das sind demnach die unmittelbaren Wirkungen der Strafe; die in ihr liegenden Triebkräfte, durch welche sie den Schutz der Rechtsgüter bewirkt.4) Es wird sich diesen Wirkungen des Strafvollzuges nichts Wich­ el Mommsen, Staatsrecht I S. 133. 4) Man vgl. die drei Strafzwecke bei Plato, Legg. IX, 854 ff.; Aristo­ teles, Eth. Eicom. II. 3. § I, X. 9. §§ 3, 8, 9. Auch bei allen späteren Schriftstellern bis auf unsre Tage herab kehren sie wieder.

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§ 3.

Kriminalsoziologie: 3. Die Strafe als soziale Funktion.

tiges hinzufügen lassen. Daß die Strafe eine ganze Reihe von Reflexwirkungen hat, wie ich sie nennen möchte, ^) ist klar, aber nicht bedeutsam genug, um unsre Einteilung umzustoßen. Nur eins bedarf noch der Erwähnung: die Bedeutung der Strafdrohung. Warnend und abschreckend verstärkt sie die vom Verbrechen abhaltenden Motive. Wir dürfen diese Wirkung nicht übersehen, müssen sie aber hier beiseite lassen. Denn sie ist nichts den Straf­ drohungen Eigentümliches, sondern allen staatlichen Imperativen (Normen) gemeinsam, wenn auch bei jenen durch die Pönalsanktion wesentlich verstärkt. Wollen wir die Strafe in ihrer Funktion als Rechtsgüterschutz ausnützen, so müssen wir aber weiter diese Wirkungen der Strafe den Faktoren des Verbrechens anpassen. Als solche kommen, wie wir gesehen haben, der Strafe gegenüber nur die individuellen in Betracht. Hier wird nun die oben (§ 2 II) aufgestellte Einteilung der Verbrechergruppen von ausschlag­ gebender Bedeutung. Die Vergleichung derselben mit den Straswirkungen ergibt eine vollständige Parallele und damit die beste Bewährung unsrer Ansicht. Unschädlichmachung der Unver­ besserlichen, Besserung der Besserungsfähigen, Ab­ schreckung der Gelegenheitsverbrecher: das ist das kurze, aber inhaltsreiche Programm der Kriminalsoziologie.36) * * 3) Hierher rechne ich die Wirkungen der Strafe auf andre Personen, welche keiner ihrer Formen mangeln und nicht nur als Generalprävention, sondern auch als Kräftigung der sozialen Motive in andern erscheinen; hierher auch ihre Wirkungen auf den Verletzten, die als Genugthuung zu­ sammengefaßt werden können. Ganz unrichtig werden diese Reflexwirkungen als „der Brennpunkt des Strafschutzes" bezeichnet von Jank a, Strafrecht 1884. 6) Ich glaube in meinem „Zweckgedanken" (Z. III S. 86 ff.) den Nachweis erbracht zu haben, daß die Durchführung des aufgestellten Programmes ohne radikalen Bruch mit der bisherigen Gesetzgebung möglich ist. Auf zwei Punkte lege ich entscheidendes Gewicht: 1. auf die systematische Ausbildung der im geltenden Rechte planlos und ungenügend behandelten Rückfalls st rase; 2. auf die Beseitigung der in der Praxis so beliebten kurzzeitigen Frei­ heitsstrafen gegen angehende Gewohnheitsverbrecher. Um eine gänzliche „Ab­ schaffung des Strafmaßes", wie sie von Kräpelin in der gleichnamigen Schrift 1880 (Z. I S. 157) empfohlen worden ist, handelt es sich also nicht. Anderseits kann ich auch Mittel st ädts Vorschlag (für und wider die Frei­ heitsstrafen, Z. II S. 419 ff.) auf Beseitigung oder doch wesentliche Beschränkung des richterlichen Strafzumessungsrechtes nicht beistimmen. Teilweise mit dem Text übereinstimmend die große Zahl, derjenigen Schriftsteller (insbes. in

Die Philosophie des Strafrechts: 1. Die Herleitung der Strafe. §4.

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§ 4. Die Philosophie des Strafrechts: 1. Die Herleitung der Strafe. I. Wir haben uns bisher damit begnügt, die Ubiquität der Strafe zu betonen, d. h. die geschichtliche Thatsache festzustellen, daß der Anfangspunkt der Geschichte der Strafe zusammenfällt mit dem Anfangspunkte der Geschichte der Menschheit. Wir haben damit den Boden geschichtlicher Forschung nicht verlassen. Die Thatsache selbst wird heute und wurde stets ziemlich all­ gemein zugegeben. Nur ganz vereinzelt war die Behauptung auf­ gestellt worden, daß Verbrechen und Strafe konventionelle Be­ griffe seien, geschaffen durch Menschenwitz zu praktischen Zwecken. So von den Sophisten, von Protagoras und Aristipp, aber auch von Hobbes und Spinoza?) Diese Ansicht muß so lange als eine durchaus ungeschichtliche bezeichnet werden, als die These von der Ubiquität der Strafe durch kein einziges Gegenbeispiel erschüttert werden kann. II. Wir bewegen uns immer noch auf dem Gebiete empirischer Forschung, wenn wir es versuchen, uns die geschichtliche Thatsache durch eine (im wesentlichen psychologische) Hypothese zu erklären. Die Berechtigung zur Aufstellung derselben wird in ihrer Fruchtbarkeit als heuristisches Prinzip zu begründen sein. Der Nachweis ihrer Richtigkeit ist nicht zu fordern, denn durch ihn würde die Hypothese zur wissenschaftlichen Thatsache werden. Ihre Unrichtigkeit ist durch den Nachweis ihrer Unverträglichkeit mit wissenschaftlich feststehenden Thatsachen zu erweisen. Die Hypothese lautet: Die (empirische) Wurzel der Strafe ist der Selbsterhaltungstrieb-) des Individuums im Italien und Frankreich), welche ernste Bekämpfung des Gewohnheitsverbrecher­ tums, sei es durch Deportation, sei es auf andre Weise fordern. *) Thomas Hobbes f 1679. De cive 1640. Leviathan 1651. — Spinoza -j- 1677. Tractatus theologo-polit. 1670. 2) Diese Ansicht ist verwandt mit derjenigen, welche die Wurzel der Strafe in dem Naturtriebe der Rache (dem „ressentiment“) als Ausfluß des Selbst­ erhaltungstriebes erblickt. So — außer Luden (in dessen Einleitung zu Romagnosi) — Dühring, Kursus der Philosophie 1875. —E. v. Hartmann, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins 1879. — Dankwart, Psychologie und Kriminalrecht 1863. — Ebenso Kräpelin, Lombroso u. a. — Aber die Ansicht der genannten Schriftsteller ist nicht im stände, den sozialen Charakter der Strafe auf allen Stufen ihrer Entwickelung zu erklären. Unsere Hypothese beruht auf der unerläßlichen Versöhnung des individuellen Triebes und der sozialen Zwecke.

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§ 4. Die Philosophie des Strafrechts: 1. Die Herleitung der Strafe.

unbewußten Dienste der Arterhaltung.:}) Nur diese Hypo­ these erklärt uns den sozialen Charakter der primitiven Strafe und zugleich das Elementare, Naturwüchsige und Naturmächtige ihres Auftretens; nur sie gibt uns den Schlüssel zur Objektivierung der Strafe, indem sie uns gestattet, sie als Umsetzung der Triebhandlung in die Willenshandlung aufzufassen; nur sie endlich erklärt und ge­ währleistet die Selbständigkeit der Rechtstrafe gegenüber Religion, Moral und Sitte?) III. Die erkenntnis-theoretische Frage nach dem All­ gemeinen und unbedingt Notwendigen in jener geschichtlich festgestellten und psychologisch erklärten Thatsache — diese Frage hat nicht das Strafrecht, sondern die Philosophie zu lösen. Nur zwei Bemer­ kungen seien gemacht, um die Kritik der philosophischen Versuche anzubahnen. 1. Die Frage nach dem a priori der Strafe ist streng zu trennen von jener nach dem a priori von Religion, Recht, Ethik und Sitte. Hier handelt es sich um Grundsätze für das Zusammen­ leben der Menschen, also um Forderungen an menschliches Han­ deln, um W e r t u r t e i l e über menschliche Handlungen. Die Strafe aber ist nicht Imperativ und ist nicht Werturteil;^ sie ist selber Handlung. Ihr Prinzip kann daher nicht dasselbe sein wie das Prinzip der Norm. Damit ist die Möglichkeit ausgeschlossen, die Strafe aus der Religion oder aus der Ethik ableiten zu wollen; sie tritt ja neben diese, wie neben Recht und Sitte. 3) Vgl. Liszt, Zweckgedanke. 4) Jede Gesellung und jedes System von ausdrücklich oder stillschweigend anerkannten Grundsätzen, ohne welche eine Gesellung eben undenkbar ist, führen auf den Selbsterhaltungstrieb im Dienste der Arterhaltung zurück. Das gilt von der Religion so gut wie vom Recht, von der Ethik so gut wie von der Sitte. Der scheinbare Gegensatz von Egoismus und Altruismus schwindet. Aller Fortschritt aber besteht darin, daß die Triebhandlung in die Willens­ handlung umgesetzt wird, daß wir mit Wissen und Willen uns und unsre Kraft in den Dienst der Gesamtheit stellen. — Die Strafe gehört allen vier Gebieten an; es gibt keine Art der Gesellung und keine Ordnung derselben, welche be­ stehen könnte ohne die Strafe, d. h. ohne Reaktion gegen antisoziale Hand­ lungen. Daraus folgt aber, daß so gut Religion, Recht, Ethik, Sitte selb­ ständige Ordnungen verschiedener, wenn auch gemeinsamer Wurzel entsprungener menschlicher Gesellungen sind, ebensogut die rechtliche Strafe unabhängig sein muß von der ethischen, die von der Religion gebotene von derjenigen, welche die Sitte verhängt. Vgl. auch unten III. 5) Vgl. auch Liszt, Zweckgedanke III S. 14.

Die Philosophie des Strafrechts: 1. Die Herleitung der Strafe. § 4.

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2. Das a priori der Strafe wird vielmehr dasselbe sein wie das des menschlichen Handelns überhaupt. Die Aufsuchung desselben wäre Aufgabe einer sog. Strafrechtstheorie, das Wort im engsten Sinne genommen. IV. Die meisten Straf rechtstheorieen beschränken sich jedoch nicht auf die Frage der Herleitung der Strafe, sondern ver­ mengen damit die durchaus verschiedene und selbständig zu beant­ wortende Frage nach dem Strafmaße; sie unterscheiden weiter die geschichtliche und psychologische Untersuchung viel zu wenig von der erkenntniskritischen; sie führen endlich vielfach tief in das Gebiet einer dogmatisierenden Metaphysik. Eben darum ist auch jede nicht rein geschichtliche Darstellung mit den größten Schwierigkeiten ver­ bunden. 6) Für unsere Zwecke genügt folgende Übersicht. 1. Verbrechen und Strafe sind konventionelle Begriffe.7)8 2. Die Wurzel der Strafe liegt in den ewigen Gesetzen der Gottheit, in dem göttlichen Befehl. Dies ist die Ansicht von S. v. Cocceji, Jarcke, Link, E. I. Bekker, Walther und insbes. von Stahls) Nach dem letzteren ist der Staat dazu von Gott gesetzt, um die äußere ethische Ordnung auf Erden zu handhaben. Kraft dieser Vollmacht übt er die Strafgerechtigkeit, stellt er dem Verbrechen gegenüber die Herrlichkeit des Staates, auf dem der Abglanz der Gottheit ruht, wieder her durch die Nieder­ werfung desjenigen, der sich gegen die ethische Ordnung empörte. 3. Nahe verwandt mit dieser, der wissenschaftlichen Kritik sich ent­ ziehenden Ansicht ist die auf die Pythagoräer zurückweisende Her­ leitung der Strafe aus der Welt Harmonie, wie sie Platon 6) Aus den zahlreichen Darstellungen der verschiedenen „Strafrechtstheorieen" hebe ich hervor: Heinze in HH. I; v. Bar, Handbuch I; insbes. aber Laistner, Das Recht in der Strafe 1872. Sie kranken jedoch alle an dem im Texte hervorgehobenen Fehler. — Daß nach dem hier festgehaltenen Standpunkte die landläufige Einteilung der Theorieen in absolute, relative und gemischte aufgegeben werden mußte, dürfte einleuchtend sein. Man vgl. den folgenden Paragraphen. Ebenso unhaltbar ist der Einteilungsversuch, den Binding, zuletzt in seinem Grundriß, gemacht hat. 7) Vgl. oben Note 1. 8) Cocceji f 1755. Introductio ad Grotium illustratum 1751. Jarcke, Handbuch d. gem. deutschen Strafr. 1827. Bekker, Theorie d. heut, deutschen Strafr. 1857. Stahl, Die Philosophie des Rechts nach geschichtl. Ansicht (1802—1861).

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§ 4. Die Philosophie des Strafrechts: 1. Die Herleitung der Strafe.

im Gorgias unternommen, Leibniz (f 1716) in feinen Nouveaux essais de th6odicee durchgeführt hat.

4. Bei Kantb) ruht die Strafe durchaus auf den Grund­ lagen der Ethik. Sie ist ein Postulat der praktischen Ver­ nunft, ein kategorischer Imperativ; ihr Prinzip die Talion. 5. Ähnlich, aber nicht mit gleicher Entschiedenheit, führt Herbart^") die Strafe zurück auf die Idee der ausgleichenden Ge­ rechtigkeit, der Vergeltung. Die unvergoltene That mißfällt; die Strafe wird gefordert als ästhetische Notwendigkeit. Aber da Vergeltung lediglich um der Vergeltung willen der Sphäre des Übelwollens angehört, bedarf die Strafe noch eines Motives, und dieses liefern die ethischen Ideen des Rechts und des Wohlwollens. 6. Mitten in das Reich metaphysischer Spekulation führt uns die Hegelsche Betrachtung der ©träfe.11) Sie stammt aus dem Begriffe, als dem Absoluten. Alles, was ist, ist nur ein Moment in der dialektischen Entwickelung des Begriffs. Ursprünglich sind Denken und Sein, Begriff und Ding, instinktiv Eins und ungeschieden; dann treten sie auseinander und werden durch die Re­ flexion einander entgegengesetzt, bis die Spekulation sie in der höheren bewußten Einheit zusammenfaßt. So ist auch die Strafe die dia­ lektische Verwirklichung des Rechtsbegriffes, die Ver­ nichtung des Verbrechens durch die begriffliche Macht des Rechts. Das Recht ist das verwirklichte Reich der Vernunft, die äußere Existenz des vernünftigen Wesens des Willens. Im Verbrechen lehnt sich der Einzelwille gegen den allgemeinen Willen auf, er steht darum im Widerspruche mit sich und ist daher an sich nichtig. Er ist Schein, und das Wesen dieses Scheins ist, daß er sich selbst auf­ hebt. Aber in seiner äußern Existenz bedarf er der Nichtigerklärung, der Konstatierung seines Scheins, und das geschieht durch die Strafe. Die Strafe ist die Offenbarung der Nichtigkeit des Verbrechens, die Konstatierung seiner Scheinexistenz; die Strafe ist Negation der Ne­ gation des Rechts (als Negation des Verbrechens), mithin die Po*) Kritik der prakt. Vernunft 1788. Metaphys. Anfangsgründe der Rechts­ lehre 1797. 10) Allg, praktische Philosophie 1808. Hauptvertreter seiner Ansicht in der kriminalistischen Litteratur ist A. Geyer. Vgl. insb. Geyers Geschichte und System der Rechtsphilosophie 1863, seine Einleitung in v. Holtzendorffs Rechts­ encyklopädie 4. Ausl., und seinen Grundriß S. 3 ff. “) Grundlinien der Philosophie des Rechts 1821.

Die Philosophie des Strafrechts: 1. Die Herleitung der Strafe. §4.

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fitton, die Wiederherstellung des Rechts. — Hegels Theorie ist von bestimmendem Einflüsse gewesen auf manche der bedeutendsten Kri­ minalisten, insbesondere auf Köstlin, Luden, Hälschner und Berner; aber auch in v. Bars Reprvbativnsthevrie (Grundlagen des Strafrechts 1869), Heinzes Leistungstheorie, Kitz' Rescissionstheorie (1874) lassen sich die bestimmenden Einwirkungen Hegelscher Grundgedanken nachweisen, während von den modernen Rechtsphilosophen insbesondere A. ßaffon12) durchaus aus Hegelschem Standpunkte steht. 7. Wiederholt hat man seit Aristoteles die Strafe zurückzuführen gesucht auf den Willen desVerbrechers selbst. Freilich weichen die Anhänger dieser Ansicht weit voneinander ab in der Formu­ lierung des Vertrages, in dem jener Wille zum Ausdrucke gelangen soll. Bei Aristoteles wie bei Grotius wird die Begehung des Verbrechens selbst als eine Art von Quasi-Kontrakt aufgefaßt, und später noch ist Feuerbach in seinen älteren Schriften auf diesen Gedanken zurückgekommen. Rousseau und Beccaria (und diesem folgend Schopenhauer) greifen bis auf den „Staats­ vertrag" selbst zurück, um die Wurzel der Strafe zu finden. Die konsequenteste und schärfste Durchführung hat die Vertragstheorie bei Fichte gefunden. Nach ihm wird durch den „Bürgervertrag" in seinen beiden Bestandteilen („Eigentumsvertrag" und „Schutz­ vertrag") die Grenze für den Gebrauch der individuellen Freiheit bestimmt und gegenseitiger Schutz der Rechte zugesichert. Wer den Bürgervertrag bricht, verliert die durch diesen ihm zugesicherten Rechte und müßte aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen werden, hätte er nicht in dem zu dem Bürgervertrage hinzutretenden „Ab­ büßungsvertrag" das Recht erlangt, durch Abbüßung einer Strafe sich des Lebens in der Gesellschaft wieder würdig zu machen. Nur die Unverbesserlichen (und hierher gehören alle Mörder ohne weiteres) werden dauernd aus der Gesellschaft ausgestoßen.18) 8. Es wäre hier endlich noch diejenige Ansicht anzuführen, nach 12) System der Rechtsphilosophie 1882 (Z. II S. 141 u. IV S. 318). 13) Aristoteles, Nicom. Ethik. — H. Grotius (f 1645), De jure belli ac paeis 1625. — I. I. Rousseau (f 1778), Contrat social 1762. — Beccaria (f 1794), Dei delitti e delle pene 1764. — Fichte, Grundlagen des Naturrechts 1796. — Heinze Berg, Geyer u. a. betonen, daß dem Kennen auch das Können zur Seite stehen müsse. ®) Vgl. auch oben § 28 I.

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§

36.

Die Zurechnungsfähigkeit.

sonst wäre niemand in dieser Welt als zurechnungsfähig zu be­ zeichnen. *0) 3. Willensfreiheit als metaphysische ist die Fähigkeit, als causa sui eine Kausalreihe zu beginnen. Sie führt uns zu Begriffen, die außer der Erfahrung, mithin außer aller Wissenschaft liegen. Mit dem Strafrecht als Wissenschaft hat sie nichts zu schaffen. Nicht ein Grundsatz, nicht ein Begriff des Straf­ rechts wird geändert, mögen wir die intelligible Freiheit des Wollens behaupten oder leugnen. Nur die empirische (psycho­ logische) brauchen wir, und diese kann uns die Metaphysik ebenso­ wenig rauben wie die Naturwissenschaft.u) IV. Der normale Zustand geistiger Reise schwankt zwischen einem eben noch hinreichenden Minimum und einem Maximum. Es sind innerhalb der Zurechnungsfähigkeit unendlich viele Abstufungen möglich, wie innerhalb der körperlichen Gesundheit. Aber wir können für jedes Volk und für jede Zeit ein Durchschnittsmaß aus den einzelnen konkreten Fällen abstrahieren.12) Halten wir an diesem Durchschnittsmaße fest, so gruppieren sich die Abstufungen innerhalb der Zurechnungsfähigkeit in zwei Klassen; wir können eine unter­ durchschnittliche und eine überdurchschnittliche Zurech­ nungsfähigkeit unterscheiden, ohne die Minimal- oder die Maximal­ grenze zu überschreiten. Es fragt sich nun: soll der Gesetzgeber diese Abstufungen berücksichtigen, wenn er die Straffolgen an den straf­ baren Thatbestand anknüpft? Das Minimum liegt ja tief unter dem Durchschnittsmaße der geistigen Befähigung, und dieses noch viel tiefer unter dem Maximum; soll der Gesetzgeber vielleicht einen doppelten Strafrahmen aufstellen, den einen für die unterdurchschnittliche, den anderen für die überdurchschnittliche Zurechnungsfähigkeit? Man 10) A. A. insbesondere Geyer, Krit. VJSchr. N. F. 1877 und sonst auf Grund der von Volkmann ausgeführten Herbartschen Ansicht. ") Es ist daher gleich verkehrt, wenn in strafrechtlichen Untersuchungen diese metaphysische Frage im verneinenden oder aber im bejahenden Sinne beant­ wortet wird. Der Fehler, den die Leugner der Willensfreiheit, wie die modernen italienischen Krimminalisten begehen, ist um nichts größer als der, den Bin ding Rümelin, Hälschner u. a. sich zu schulden kommen lassen, wenn sie das Strafrecht aufbauen auf dem schwankenden Grunde metaphysischer Spekulation. — Für die richtige Auffassung vgl. insbes. Merkel, Z. I S. 558, u. Janka, Straft. S. 80. 1S) Vgl. Wahlberg, Das Maß und die Wertsberechnung im Strafrecht. Ges. kl. Schriften III S. 101.

Die Zurechnungsfähigkeit.

§ 36.

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hat die Frage verwirrt, indem man die über das Minimum sich er­ hebende, aber unter dem Durchschnittsniveau zurückbleibende Zu­ rechnungsfähigkeit als verminderte Zurechnungsfähigkeit bezeichnete, und dadurch vielfach den Glauben erweckte, als handle es sich um einen Geisteszustand, der weniger sei als Zurechnungsfähigkeit. Gegen die Bejahung der ausgeworfenen Frage spricht die Weite der Strafrahmen der deutschen Strafgesetze, insbesondere ihr äußerst geringes Minimum und das System der „mildernden Umstände"; für dieselbe aber die auf diesem Felde noch weitverbreitete und tiefgewurzelte Verwirrtheit, welche eine gesetzliche Regelung der Frage dringend wünschenswert macht. In einem Falle — bezüglich der jugendlichen Thäter (StGB. § 57) — hat übrigens das StGB, selbst der „verminderten" Zurechnungsfähigkeit Rechnung getragen. Ebenso läßt sich auch die milde Behandlung des Kind es morde s 13) auf einen ähnlichen Gedanken zurückführen.14) V. Unsre Reichsstrafgesetzgebung hat davon abgesehen, den Begriff der Zurechnungsfähigkeit festzustellen; sie hat die Lösung dieser Aufgabe den Bemühungen der juristischen und psychologischen Wissenschaft überlassen und sich damit begnügt, dieser und der Praxis einzelne leitende Gesichtspunkte an die Hand zu geben. Sie erschöpft den Begriff der Zurechnungsfähigkeit nicht und will ihn nicht er­ schöpfen, wenn sie hier (StGB. § 51) die „freie Willensbestimmung" und dort (StGB. §§ 56—58) die „zur Erkenntnis der Strafbarkeil erforderliche Einsicht" hervorhebt. Sie konnte das um so leichter thun, als Zurechnungsfähigkeit der normale Zustand ist. Das Schweigen der Reichsgesetzgebung ist mithin ein weiteres Argument für die Richtigkeit der oben vertretenen Ansicht. VI. Die Zurechnungsfähigkeit muß, als Voraussetzung der 13) Vgl. unten Bef. Teil. 14) Selten hat ein unglücklich gewählter Ausdruck soviel Streit um eine Frage veranlaßt, die eigentlich gar keine Frage sein kann, wie die „verminderte" Zurechnungsfähigkeit. Wer sie mit der Bemerkung erledigen zu können glaubt: der Mensch sei entweder zurechnungsfähig oder nicht, ein drittes sei undenkbar — beweist, daß er die Frage selbst nicht verstanden hat. Für die richtige Ansicht Mittermaier,v. Wächter, v.Kräwel, Tippelskirch, v. Rönne, Doll­ mann, v. Schwarze, Geyer, Meyer, Jdeler, v. Krafft-Ebing und viele andere. Dagegen neben andern insbes. Berner, Hälschner, Strafr. I S. 225. — Im I. Entw. des RStGB. hatte die verminderte Zurechnungs­ fähigkeit ausdrückliche Anerkennung gefunden, wie sie auch in mehrere deutsche Partikulargesetze aufgenommen war.

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§ 36.

Die Zurechnungsfähigkeit.

Schuld, wie alle relevanten Umstände, von Amtswegen fest­ gestellt, ihr Mangel braucht nicht vom Angeklagten bewiesen zu werden. Ausdrücklicher Feststellung im Urteile bedarf es (StPO. § 266), wenn ihr Vorhandensein im Laufe der Verhandlung bestritten Worden war. Eine Ausnahme von dieser Regel tritt nur ein, wenn es sich um einen jugendlichen oder taubstummen Thäter handelt: hier muß — eventuell durch eine an die Geschwornen gerichtete Nebenfrage — in allen Fällen ausdrücklich festgestellt werden, ob der Thäter bei Be­ gehung der That die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen habe. VII. Die Zurechnungsfähigkeit muß beiBegehungder That vorhanden gewesen sein. Später eintretende Zurechnungsunfähigkeit kann nur prozessuale Folgen nach sich ziehen. Maßgebend ist dabei") jener Augenblick, in welchem die den Naturkausalismus in Bewegung setzende körperliche Bewegung selbst vorgenommen wurde; irrelevant der Geisteszustand des Thäters in dem Augenblicke, in welchem die von ihm benutzten Kräfte ihre Wirksamkeit entfalten oder der Erfolg eintritt.16) Wer einen Brunnen vergiftet und dann sich berauscht, ist verantwortlich, wenn, während er sich im Zustande der Volltrunkenheit befindet, die von ihm in Aussicht genommenen Personen aus dem vergifteten Brunnen trinken. Wer einen Wahn­ sinnigen zu einem Verbrechen bestimmt, hat im Zustande der Zu­ rechnungsfähigkeit gehandelt, wenn auch der Wahnsinnige das Ver­ brechen ausführt, während der geistige Urheber der That im tiefsten Schlafe liegt. Wir haben nur diese allgemeine Regel konsequent zur Anwendung zu bringen, um die berühmte Schulstreitfrage nach der Beurteilung der sog. actiones liberae in causa zu entscheiden. Sie liegen vor, wenn im Zustande der Zurechnungsunfähigkeit durch Thun oder Unterlassen ein rechtswidriger Erfolg herbeigeführt, dieses Ver­ halten aber veranlaßt wurde durch einen im Zustande der Zurechnungs­ fähigkeit gefaßten Entschluß oder eine in diesem Zustande begangene Fahrlässigkeit. Beispiele: der Eisenbahnwächter betrinkt sich, um beim Herannahen des Eilzuges die Weichen nicht zu stellen; die Mutter, die wissen sollte, daß sie im Schlafe sich unruhig hin und 16) Anders, als bei der Frage nach Zeitpunkt und Ort der Begehung, vgl. oben § 32 I. ") Anerkannt in § 51 StGB.

Die Zurechnungsfähigkeit.

§ 36.

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her wirft, hat fahrlässigerweise ihr Kind zu sich ins Bett genommen und erdrückt. Insbesondere, aber nicht ausschließlich, sind es Unter­ lassungsdelikte, welche in dieser Gestalt begangen werden können; seltener fahrlässige Begehungsverbrechen; am seltensten und zweifel­ haftesten dürften die Fälle sein, in welchen vorsätzliche Handlungen als actiones liberae in causa erscheinen. Aber unmöglich ist auch das nicht; so gut wir den Wahnsinnigen oder Trunkenen als Mittel für unsre Zwecke benutzen können, weil bei ihm die Bestimmbarkeit durch Motive zwar abnorm, aber nicht ausgeschlossen ist; ebensogut können wir im Zustande geistiger Gestörtheit oder Trunkenheit uns selbst zur Ausführung vorgefaßter Pläne benutzen. Wenn Kausal­ zusammenhang und Schuld in bezug auf den Erfolg im Einzelfalle gegeben ist,17) so bietet die juristische Beurteilung keine weitere Schwierigkeit. Im entscheidenden Augenblicke — und das ist nicht der Eintritt des Erfolges, sondern der Anstoß zum Abrollen der Kausalkette — war Zurechnungsfähigkeit vorhanden. Im nüchternen Zustande hat der Wächter, wachend hat die Mutter die Ursache zu dem eingetretenen Erfolge gelegt. Der Zurechnung derselben steht nichts im Wege.1S) VIII. Ohne Zurechnungsfähigkeit ist Schuld undenkbar, ein Verbrechen unmöglich. Eben darum ist auch — und an diesem Satze muß ohne Ausnahme festgehalten werden — strafb are Teil­ nahme dritterPersonen an der von einem Zurechnungsunfähigen gesetzten Rechtsverletzung begrifflich unmöglich. Wohl aber können dritte Personen eventuell als Selbstthäter zur Verantwortung gezogen werden.ie) 1J) Ob ersterer vorliegt, ist quaestio facti und eventuell unter Zuziehung von Sachverständigen festzustellen. 1S) Die reiche Litteratur der Frage geht zumeist an dem entscheidenden Punkte vorüber. Die Annahme des Kausalzusammenhanges berechtigt uns noch immer nicht, den Erfolg zur Schuld zuzurechnen. Meist begnügt man sich aber damit, die Möglichkeit des Kausalzusammenhangs zu erörtern. Sie wird ganz geleugnet von Köstlin, Wahlberg; nur bei Unterlassungsdelikten ange­ nommen von Schütze, v. Schwarze; allgemein bejaht von Berner; unter Beschränkungen bejaht von v. Wächter, Geib, Meyer, Geyer, Binding u. a. Man vgl. insbes. die interessante Darstellung bei Binding, Normen II S. 195. le) Vgl. unten § 49 IV. Das gilt von Strafunmündigen ebensogut wie von Wahnsinnigen. Über die abweichende Praxis des Reichsgerichtes vgl. unten § 37 Note 6.

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§ 37.

Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.

§• 37. Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.*) Die Zurechnungsfähigkeit, als der normale Geisteszustand des geistig reifen und geistig gesunden menschlichen Individuums, ist nicht vorhanden: I. bei fehlender geistiger Reife. Diese kann wieder eine doppelte Ursache haben: 1. Noch nicht abgeschlossene Entwickelung, Strafun­ mündigkeit des Thäters.-) Während das französische Recht und ihm folgend Preußen (1851) und Bayern (1861) eine einzige strafrechtlich relevante Altersgrenze (16 Jahre) aufstellten, um unterhalb derselben Prüfung der Zu­ rechnungsfähigkeit in jedem einzelnen Falle, oberhalb derselben aber volle Zurechnung eintreten zu lassen, hat das RStGB.,^) im An­ schlüsse an die das römisch-kanonische und gemein-deutsche Recht*4) 2 3 beherrschenden Grundsätze, eine doppelte Altersgrenze gezogen. *) Der Ausdruck ist als sprachlich unrichtig bezeichnet worden von v. Lilien thal, Beitrag zur Lehre von den Kollektivdelikten 1878 und H. Meyer, Lehr­ buch. Aber mit Unrecht. Wenn Meyer betont, daß man nur bei Wörtern von aktiver Bedeutung die Negation zwischen die verbundenen Teilwörter setzt (z. B. Arbeitsunfähigkeit), nicht aber bei solchem von passivem Sinne (z. B. Unliebenswürdigkeit), so ist diese Behauptung durchaus aus der Luft gegriffen. Man vergleiche die „passiven" Wörter: Besserungsfähigkeit, Trans­ portfähigkeit, Kompensationsfähigkeit, Kürzungsfähigkeit (der Freiheitsstrafe) u. a. Es kommt vielmehr nur darauf an, ob das Kompositum uns als solches erscheint, oder ob es uns durch den Sprachgebrauch zum einheitlichen Be­ griffe geworden ist. Nur im letzteren Falle setzen wir die Negation voran. Ob diese Voraussetzung bei unserm Worte zutrifft, scheint mir zum mindesten zweifelhaft. 2) Vgl. Ullmann in Grünhuts Z. III; Baumert, Zurechnungsfähigkeit und Bestrafung jugendl. Personen 1877; Geyer, HR. „Altersstufen". 3) Nach § 50 des Militär-StGB. ist — mit Rücksicht auf die schon mit dem vollendeten 17. Lebensjahre beginnende Waffensähigkeit — das Alter des Thäters ohne Einfluß auf die Bestrafung militärischer Verbrechen und Vergehen. 4) Das ältere römische Recht scheint an der Bestrafung des unmündigen Diebes keinen Anstoß genommen zu haben. Das spätere römische und das kanonische Recht halten an der Straflosigkeit des infans (bis zum vollendeten 7. Jahre) fest. Darüber hinaus findet bei Verbrechen der impuberes Prüfung des konkreten Falles statt. In den deutschen Volksrechten wird bei Rechts­ verletzungen Jugendlicher vielfach die Zahlung des fredum ausgeschlossen. Die PGO. schließt in Art. 164 gegen junge Diebe (unter 14 Jahren) nur die Todesstrafe aus, soweit nicht besondere Ursachen vorliegen, und anerkennt den

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a) Kindheit; bis zum vollendeten 1*2. Jahre (StGB. § 55). Unbedingte und ausnahmslose Zurechnungsunfähigkeit. Infolge dieses Grundsatzes Ausschluß jeder strafgerichtlichen Untersuchung. Als polizeiliche Maßregel ist seit der Novelle von 1876 die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt zuge­ lassen, wenn die Vormundschaftsbehörde die Begehung einer straf­ baren Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt hat.^) Die Aufsichtspersonen können nach StGB. § 361 Ziff. 9 wegen unterlassener Aufsicht oder als Selbstthäter, nie aber als Teilnehmer — da ein Verbrechen nicht vorliegt*6) *—* * 5 zur Verantwortung gezogen werden. b) Jugendliches Alter vom vollendeten 12. bis zum vollen­ deten 18. Lebensjahre. Prüfung der Zurechnungsfähigkeit über­ haupt, der zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That erforderlichen Einsicht insbesondere (die letztere muß positiv, eventuell durch die Geschwornen — StPO. § 298 — festgestellt werden) in jedem einzelnen Falle. Festzuhalten ist, daß nicht Erkenntnis der Strafbarkeit (auch nicht Bewußtsein der Rechtswidrigkeit), sondern die zur Erlangung dieser Erkenntnis erforderliche geistige Reise, das „discernement“ des code penal, das „Unterscheidungsvermögen" des preuß. StGB, vom Gesetze betont wirb.7) Und zwar muß jene Einsicht vor­ handen sein, welche zur Erkenntnis der Strafbarkeit der be­ gangenen Verbrechensart erforderlich ist.8) Es kann dieselbe Satz: malitia supplet aetatem. Art. 179 verweist bei Jugend der Übelthäter ganz allgemein auf den Rat der Rechtsverständigen. Die klare und befriedigende Gestaltung der Lehre ist erst der späteren Doktrin gelungen. Die partikular­ deutschen Gesetzbücher schwanken zwischen 8 und 14 Jahren als Minimalgrenze. Zwölf Jahre dürfte um so mehr als zu hoch gegriffen erscheinen, als für die Unterbringung verwahrloster Kinder noch lange nicht in genügender Weise Sorge getragen ist. 5) Vgl. das preuß. Gesetz vom 13. März 1878, betr. die Unterbringung verwahrloster Kinder, und dazu die Novelle von 1884. — Hier hat die Kriminal­ soziologie noch ein weites, bisher kaum erschlossenes Feld fruchtbringender Thätigkeit vor sich. 6) A. A. — aber gewiß mit Unrecht — III. S. 12. April 1882 VI/187 und II. S. 6. Juni 1882 VI/356 im Anschlüsse an die frühere preußische Praxis. Gegen diese Schütze, GA. XXI (1873); Hälschner, Straft. 1 S. 223. 7) Unrichtig ist es daher, wenn III. S. 8. Februar 1882 VI/22 das Be­ wußtsein des Thäters fordert, er mache sich einer strafbaren Handlung schuldig. 8) III. S. 18. Januar 1882 V/395.

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ja in bezug auf Eigentumsdelikte erlangt sein, in bezug auf politische Verbrechen dagegen fehlen. Trotz vorhandener Einsicht kann die Zurechnungsfähigkeit aus einem andern Grunde, z. B. wegen Trunkenheit, ausgeschlossen sein, a. Fehlt die Fähigkeit, so tritt Freisprechung ein (StGB. § 56). In dem Urteile kann die Unterbringung in eine Erziehungs­ oder Besserungsanstalt ausgesprochen werden. Bezüglich dritter Personen gilt das oben unter a Gesagte. ß. Wird die Zurechnungsfähigkeit festgestellt, so tritt in Berück­ sichtigung der „verminderten" Zurechnungsfähigkeit eine Reduktion der den Erwachsenen treffenden Strafrahmen ein (StGB. § 57).») Einen singulären subjektiven Ausschließungsgrund enthält StGB. § 173 (Blutschande) für Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie unter 18 Jahren?») 1. Gehemmte Entwickelung. Auch hier muß die Zurechnungsfähigkeit überhaupt, die zur Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen That erforderliche Einsicht insbesondere in jedem einzelnen Falle geprüft und letztere positiv festgestellt werden (StGB. § 58). Bei konstatierter Zurechnungs­ fähigkeit tritt jedoch eine Reduktion der normalen Strafrahmen nicht ein, obwohl sie auch hier ohne Zweifel angezeigt wäre. Wenn auch das Gesetz nur von Taubstummen ausdrücklich spricht, so sind doch diese Bestimmungen auf alle Fälle von Ent­ wickelungshemmung gleichmäßig anzuwenden (man denke an geringeren Kretinismus, an Angehörige wilder Völkerstämme, in völliger Ab­ geschlossenheit aufgewachsene Menschen u. s. w.). Dabei handelt es sich durchaus nicht um einen auf dem Wege der Rechtsanalogie gewonnenen neuen Rechtssatz, sondern um eine Konsequenz aus dem von uns aus den gesetzlichen Bestimmungen abgeleiteten allgemeinen Begriff der Zurechnungsfähigkeit.") °) unten § 75 II.

10) Die Minderjährigkeit wird nicht berücksichtigt. Anders im österr. und Ungar. Recht sowie im russ. Entwurf. Schütze und Geyer halten (wohl mit Unrecht) die Berücksichtigung für angezeigt. — Auch das Greisenalter ist nach geltendem Recht kein Milderungsgrund, während es als solcher im russ. Entw. sich findet. “) Vgl. oben § 15 Note 9. Von Analogie spricht hier, außer Meyer, Lehrbuch, insbes. auch Bin ding. Normen II S. 75. — Die richtige Ansicht ver­ tritt Merkel, HH. III S. 82.

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II. Bei fehlender geistiger ©efunbljett.12) Auf Grund des von fachmännischer Seite erstatteten Gutachtens erklärt § 51 des RStGB.: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande (von Bewußtlosigkeit oder) krankhafter Störung der Geistes­ thätigkeit befand, durch welchen seine freie Willens­ bestimmung ausgeschlossen roar."13) Der Ausdruck „krankhafte Störung der Geistesthätigkeit" wurde gewählt, um nicht nur die eigentlichen sog. Geisteskrankheiten, sondern auch die psychischen Entartungszustände, körperliche Krankheiten im engern Sinne, die mit psychischen Störungen verbunden sind, (Fieber­ delirien), sowie vorübergehende Störungen der geistigen Funktionen (Jntoxikationszustände u. s. w.) zu umfassen. Sowie aber nicht jede Störung der vollen körperlichen Gesundheit als Krankheit bezeichnet werden kann, so wird auch nicht durch jede Störung in dem Spiele der geistigen Funktionen die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen; das Minimalmaß, mit dem sich das Recht überhaupt begnügen muß, bildet auch hier die untere Grenze. Darum verlangt StGB. § 51, auch bier lediglich eine Seite in dem Inhalte der Zurechnungs­ fähigkeit besonders (aber durchaus nicht ausschließlich) betonend, einen solchen Zustand, durch welchen „die freie Willensbestimmung des Thäters ausgeschlossen" war. Dieselbe bedeutet auch hier nicht mehr als die normale Bestimmbarkeit durch Motive. Die Darstellung der einzelnen Formen „krankhafter Störung der Geistesthätigkeit" gehört nicht mehr zur Aufgabe der Strafrechts12) Aus der reichen psychiatrischen Litteratur ist außer den oben § 14 an­ geführten Werken über gerichtliche Medizin, welche auch die gerichtliche Psycho­ pathologie mehr oder weniger eingehend behandeln, insbes. zu empfehlen v. Krafft-Ebing, Grundzüge der Kriminalpsychologie für Juristen 2. Aufl. 1882, und derselbe HR. „Zurechnungsfähigkeit". Die neuesten Ergebnisse der psychiatr. Theorie und Praxis sind übersichtlich dargestellt von v. KrafftEbing in dessen Berichten in Bd. II, IV u. V der Zeitschrift. 13) Die juristische Anerkennung der Geisteskrankheiten als eines Falles der Zurechnungsunfähigkeit hat mit der medizinischen Erforschung derselben gleichen Schritt gehalten. Die Auffassung des deutschen Mittelalters tritt uns aus Sachsenspiegel III, 3 entgegen: „Über rechten Thoren und über sinnenlosen Mann soll man nicht richten." PGO. Art. 179 verweist bezügl. des Thäters, welcher „Jugend oder andrer Gebrechlichkeit halber wissentlich seiner Sinne nicht hätte", auf den Rat der Rechtsverständigen. 10 von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

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Wissenschaft, wenn auch der Kriminalpraktiker mit ihnen genau ver­ traut sein muß, um, wo es not thut, den Rat der Sachverständigen einzuholen, v. Kr afft-Ebing unterscheidet: I. Geisteskrankheiten: I. Melancholie. 2. Manie. 3. Wahnsinn (Verfolgungswahn, Querulantenwahn, religiöser Wahnsinn). 4. Erworbene geistige Schwäche als Terminalstadium nach Melancholie, Manie, Wahnsinn; nach blutigem Schlagfluß; nach Körperverletzungen; als dementia paralytica. 5. Alcoholismus chronicus. 6. Epileptisches Irresein. 7. Hysterisches Irresein. II. Psychische Entartungs- (Degenerations-) Zustände: 1. Moralisches Irresein. 2. Impulsives Irresein. Aus der oben § 36 S. 136 bereits betonten Einheitlichkeit unsres psychischen Organismus ergibt sich die doppelte Konsequenz: Einerseits, daß Störungen nicht bloß des Vorstellungslebens, sondern auch des Empfindungslebens (wie konträre Sexualempfindungen) und des Trieblebens (wie die sog. Paradoxie des Willens) 14) die Zurechnungsfähigkeit aufzuheben geeignet sind. Anderseits, daß jede Störung des Geisteslebens den gesamten psychischen Organismus ergreift, daß also partielle, lokalisierte Störungen bei sonstiger Unversehrtheit der Psyche nicht möglich sind. Die moderne Wissenschaft hat daher den Begriff der sog. Monomanieen als Entartungen des Trieblebens bei völliger Klarheit des Intellektes aufgegeben und betrachtet dieselben nur als Teil­ erscheinungen allgemeiner Erkrankung der Psyche. Ob durch die von sachverständiger Seite festgestellte geistige Störung die Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen wird oder nicht, hat der Richter, hier wie sonst, nach eigener Prüfung und unter eigner Verantwortlichkeit zu entscheiden. Das ärztliche Gutachten bindet ihn nicht und deckt ihn nid)*.15) III. Aber auch das Seelenleben des geistig reifen und geistig gesunden Menschen unterliegt Schwankungen, welche, wenn auch auf 14) Vgl. Spitta, Die Willensbestimmungen und ihr Verhältnis zu den impulsiven Handlungen 1881 (Z. I S. 614). 15) Über die insbes. auch von medizinischer Seite begehrte Einrichtung beson­ derer Anstalten für geisteskranke Verbrecher (mamcomi criminali, lunatic asylums) vgl. die Motive zu dem Entwürfe eines Reichsges. betr. die Vollstreckung der Freiheitsstrafen, welche die Frage als noch nicht spruchreif bezeichnen.

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physiologischer Grundlage beruhend, doch die Zurechnungsfähigkeit ausschließen können, und überdies in unmerklichen Übergängen auf das pathologische Gebiet hinüberführen. Das RStGB. bezeichnet sie in § 51 als Zustände von „Bewußtlosigkeit." 16) Genauer sprechen wir von hochgradiger Trübung oder Aufhebung des Be­ wußtseins, durchweiche die normale Bestimmbarkeit durch Motive als gestört erscheint. Hierher gehören Ohnmacht, Schlaf, Schlaf­ trunkenheit, Somnambulismus, Trunkenheit^) (soweit wir dieselbe nicht als akute Alkoholvergiftung auffassen wollen) u. a. § 38. Die Schuld. I. Mit der Zurechnungsfähigkeit ist die Möglichkeit der vollen Zurechnung, nicht bloß objektiv zur That, sondern auch subjektiv zur Handlung des Verbrechers gegeben; sie ist die unerläßliche Vorbedingung der Schuld. **) Diese aber setzt noch mehr voraus als Zurechnungsfähigkeit des Thäters; es gibt auch schuld­ lose Handlungen des Zurechnungsfähigen. Wir haben den Schuld­ begriff aus den beiden Schuldarten des modernen Rechts, Vorsatz und Fahrlässigkeit, abzuleiten. Vorsatz ist die Vorstellung (das Bewußtsein) von der Kausalität des Thuns, also von dessen Wirk­ samkeit in der Sinnenwelt; Fahrlässigkeit ist der Mangel dieser Vorstellung, obwohl der Thäter sie hätte haben können und sollen. Demnach besteht das Wesen der Schuld immer in der Beziehung des Vorstellungslebens zur Kausalität des Thuns. Diese Beziehung gestaltet die That zur Handlung, bewirkt die volle Zurechenbarkeit des Erfolges. 16) Schivartzer, Die Bewußtlosigkeitszustände als Strafausschließungs­ gründe 1878. Spitta, Schlaf- und Traumzustände der menschlichen Seele 1878. 17) Geyer, HR. „Trunkenheit", v. Schwarze, GS. XXXIII (1881 Z. II S. 153) im Anschlüsse an den im Bundesrate liegen gebliebenen, ju­ ristisch vielfach verfehlten Entwurf eines Ges. gegen die Trunkenheit (1881). — Wenn durch Trunkenheit die Zurechnungsfähigkeit aufgehoben wird, so können die oben § 36 VII besprochenen Grundsätze über die actio libera in causa zur Anwendung gelangen. *) Berner, Jmputationslehre 1848. Derselbe, Die Teilnahme und die Kontroversen über dolus und culpa 1847. Krug, Dolus und culpa 1854. Geßner, Begriff und Arten des Dolus 1860. Bin ding. Normen II. Rupp, ModernesRecht und Verschuldung 1880. Lucas, Die subjektive Verschuldung im heutigen deutschen Strafrechte 1883 (Z. IV S. 141).

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§ 38.

Die Schuld.

II. Der uns heute als selbstverständlich klingende Satz, daß Schuld die unerläßliche Voraussetzung des Verbrechens, daß ohne Schuld keine Strafe möglich sei, ist das Resultat einer langen, viel zu wenig beachteten und auch gegenwärtig nicht abgeschlossenen Ent­ wickelung. Erst allmählich nimmt der Begriff des Unrechts das Moment der Verschuldung in sich auf; an der Vertiefung der Schuld­ lehre bemißt sich der Fortschritt des Strafrechts. Wie es der religiösen Auffassung nicht widerstrebt, daß die Sünden der Väter heimgesucht werden an Kind und Kindeskindern, wie in den Tra­ gödien der Alten das blindwaltende Fatum die Stelle individueller Verschuldung vertritt,2) so kennt auch das älteste Recht aller Völker Strafe ohne Schuld. Nach römischem Sakralrecht erregt die zufällige Rechtsverletzung in gleicher Weise den durch Sühne abzuwendenden Zorn der Götter wie die vorsätzliche;3)4und 5 noch die deutschen Volksrechte kennen die auf Generationen sich vererbende Blutschuld der Familie?) Ist so der Begriff der Schuld selbst ein Erzeugnis rechts­ geschichtlicher Entwickelung, so sind es in um so höherem Maße die Schuldarten. Dem römischen Strafrechte ist in allen Perioden seiner Geschichte das fahrlässige Verbrechen als solches unbekannt geblieben. Der scharfsinnigen Durchbildung der aquilischen Culpa läßt sich auf dem Gebiete des Strafrechts nichts gegenüberstellen, und die seit Hadrian sich mehrenden Versuche, die Strafe der Schuld entsprechend zu bemessen, hindern nicht, daß culpa und casus einer­ seits, und culpa und impetus anderseits zusammengeworfen werden?) Auch dem deutschen Mittelalter ist die Scheidung nicht gelungen. Gestützt auf die mittelalterlich italienische Jurisprudenz erörtert PGO. in Art. 146 (im Anschlüsse an 1. 9, § 4 und 1. 11 pr. D. 9, 2) das Wesen der fahrlässigen Tötung. Dieser Artikel sowie die Art. 136, 138, 180 bilden die Grundlage, auf welcher das gemeine Recht 2) Man denke an Ödipus und Orest. 3) Pernice, Labeo II S. 239 ff. 4) oben § 7 ) Die Vorstellung der Kausalität braucht auch hier nicht treibendes Motiv zu sein. Zum Versuche ist Vorsatz genügend, Absicht nicht erforderlich. Ganz unklar III. S. 18. Oktober 1882 VII/119, wo ein „stärkerer, ener­ gischerer Grad solchen Bewußtseins" erfordert wird, „um die Bethätigung des ... Entschlusses erkennen zu können." Als ob Stärkegrade (statt Helligkeitsgraden) des Bewußtseins unterschieden werden könnten! 12*

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II. Der Versuchsbegriff verdankt seine Entstehung der mittel­ alterlichen Jurisprudenz Italiens. Das römis che RechtG) ist zu feststehenden allgemeinen Grundsätzen nicht gelangt. Während bei den Privatdelikten wirkliche Herbeiführung einer Rechtsverletzung auch noch im Justinianeischen Rechte gefordert wird, sind schon in den leges Corneliae einzelne Versuchs- und Vorbereitungshandlungen mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht. Unter dem Einflüsse der schöngeistigen und philosophierenden Rhetorik wird, insbesondere seit Hadrian, die subjektive Seite des Verbrechens, die voluntas im Gegensatze zum exitus, mehr und mehr in den Vorder­ grund gestellt. Aber einen allgemeinen Begriff des Versuches hat das römische Recht nicht gewonnen. Ebensowenig das deutsche Mittel alter. Vielfach werden zwar schon in den Volksrechten Angriffe auf Leib und Leben, auch wenn sie ohne Erfolg geblieben, unter Strafe gestellt; aber wie wir aus dem angedrohten Bußsatze mit Sicherheit entnehmen können, nicht als Versuchshandlungen, sondern als selbständige Verbrechen.^) Dagegen arbeiten die ita­ lienischen Praktiker mit Eifer und Erfolg au der Verallge­ meinerung des Begriffes.68) 7 Ihnen folgen Klagspiegel und Bambergensis. Die PGO. gibt im Art. 178 eine durchaus gelungene und ganz allgemeine Definition: „Item so sich jemand einer Misse­ that mit etlichen scheinlichen Werken, die zur Vollbringung der Missethat dienstlich sein mögen, untersteht, und doch an Vollbringung der selben Missethat durch andre Mittel wider seinen Willen ver­ hindert würde, solcher böser Will, daraus etlich Werk, als obsteht, folgen, ist peinlich zu strafen. Aber in einem Fall härter denn in dem andern........... " Die Bestimmungen der Carolina bilden die Grundlage des g e m e i n e n R e ch t e s und der auf diesem beruhenden territorialen Strafgesetzbücher. Erst in der modernen partikular­ deutschen Gesetzgebung werden sie durch die Scheindefinition des code penal verdrängt, welche aus dem preußischen auch ins Reichsstrafgesetzbuch übergeht und hier (§ 43) folgende Fassung gewint: 6) P ernice, Labeo 11 S. 40 ff., Seeger, Versuch des Verbrechens nach röm. Recht 1879. 7) Eine Ausnahme macht wahrscheinlich das salfränkische Recht. 8) Seeger, Ausbildung der Lehre vom Versuch in der Wissenschaft des Mittelalters. 1869.

Der Begriff des Versuches tut allgemeinen.

§ 44.

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„Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, bethätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuches zu bestrafen. Der Versuch eines Vergehens wird jedoch nur in den Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt." III. Der legislative Grund für die Bestrafung des Ver­ suches ist kein andrer, und kann gar kein andrer sein, als der Grund für die Bestrafung des Verbrechens überhaupt. Er liegt in der Be­ deutung der Versuchshandlung für die Rechtsordnung, in ihrer Ge­ fährlichkeit für die Rechtsgüter weit.') Mehr aber als beim vollendeten oder gelungenen Verbrechen treten beim Versuche die beiden Elemente hervor, aus welchen die Gefährlichkeit sich zu­ sammensetzt : 1. das subjektive, gelegen in der vorsätzlichen Zuwider­ handlung gegen den staatlichen Imperativ; und 2. das objektive, gelegen in der durch den Versuch herbei­ geführten Veränderung in der Sinnenwelt, in der darin gelegenen Bedrohung der staatlich geschützten Rechtsgüter. Aus dem Gesagten ergibt sich aber auch, daß der Versuch der verschiedenen Verbrechen auch eine verschiedene Bedeutung für die Rechtsordnung hat; die Gefährlichkeit des Versuches ist — subjektiv wie objektiv betrachtet — eine andre, wenn es sich um ein Verletzungsverbrechen, eine andre, wenn es sich um ein Gefährdungs- oder ein Ungchorsamsverbrechen handelt. De lege ferenda würde es sich demnach empfehlen, diese sachliche Einteilung der Verbrechen bei der Feststellung der Strafbarkeit des Versuches zu Grunde zu legen, und vielleicht den Versuch eines Verletzungs­ verbrechens immer, den eines Gefährdungsverbrechens mit gewissen Ausnahmen für strafbar zu erklären, den eines Ungehorsamsdeliktes dagegen straflos zu lassen. Das RStGB. geht auch hier, im Anschlüsse an das französische Recht, von seiner formalen Einteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen aus, und stellt in § 43 folgende Regel auf: Der Versuch eines Verbrechens wird immer, der ») Vgl. oben § 26 II.

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Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

eines Vergehens ausnahmsweise in den besonders ausge­ zeichneten gälten,10) der einer Übertretung nie gestraft. IV. Während der Code penal („toute tentativc cst le crime meme“) und ihm folgend das preußische StGB, für das versuchte wie für das vollendete Verbrechen einen einheitlichen Strafrahmen aufstellten, ist die Reichsgesetzgebuug aus guten Gründen zu dem deutsch rechtlichen (schon von der mittelalterlich-italienischen Jurisprudenz in Abweichung von dem römischen Recht vertretenen) Prinzipe zurückgekehrt, nach welchem der Versuch milder zu bestrafen ist als das vollendete Verbrechen, und hat die Durchführung dieses Prinzipes sowohl durch dessen ausdrückliche An­ erkennung/als insbesondere durch die Aufstellung eines reduzierten Strafrahmens für den Versuch") gewährleistet. Nur ausnahmsweise wird dieses Prinzip verlassen: 1. § 80 StGB, bestraft den hochverräterischen Mordversuch wie den Mord selbst mit dem Tode; auch § 153 Gew.Ordg. stellt Versuch und Vollendung in der Strafe einander gleich.1S) 2. In einer Reihe von Fällen ist das „Unternehmen" einer strafbaren Handlung ihrer Vollendung in der Bestrafung gleich­ gestellt. Vgl. StGB. §§ 81, 82, 105, 114, 122 Abs. 1, 159, 357; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 § 11, Vercinszollgcsctz vom 1. Juli 1869 §§ 134 und 135, Tabaksteuergesctz vom 16. Juli 1879 §§ 32 und 38, u. s. w. 3. Soweit Vorbereitungshandlungen als solche bestraft werden, fallen sie nicht unter den reduzierten, sondern unter einen besonderen Strafrahmen. StGB. §§ 83—86, 151, 201, teilweise 49 a. V. An unserer begrifflichen Auffassung des Versuches und seiner beiden Unterarten haben wir festzuhalten bei Entscheidung der vielbesprochenen Frage, ob und in welchen Fällen die Möglichkeit des Versuches aus logischen Gründen als ausgeschlossen betrachtet werden müsse. 10) Es sind dies §§ 107, 120, 140, 141, 148, 150, 160, 169, 240, 242, 246, 253, 263, 289, 303 — 305, 339 , 350 , 352 StGB.; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 12, Gesetz gegen Rinderpest vom 21. Mai 1878 § 1, Bankgesetz vom 14. März 1875 § 57 Abs. 2. “) StGB. § 44 Abs. 1. la) StGB. §§ 44, 45. Vgl. unten § 74 II. 13) Auch § 4 des Preuß. Forstdiebstahlsges. vom 15. April 1878 und § 8 des Preuß. Feld- und Forstpolizeiges. voin 1. April 1880 bedroht den Versuch mit der Strafe der Vollendung.

Der Begriff des Versuches im allgemeinen.

§ 44.

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1. Der Versuch eines fahrlässigen Verbrechens ist logisch unmöglich. Denn die Fahrlässigkeit schließt begrifflich das Bewußtsein der Kausalität des Handelns aus, während der Versuch dasselbe ebenso notwendig fordert14). Gerade die Vorstellung der Kausalität berechtigt und befähigt uns, das Geschehene als versuchte Herbeiführung eines gar nicht eingetretenen Erfolges überhaupt auf­ zufassen. Beim fahrlässigen Verbrechen entfällt auch diese subjektive und nur in der Vorstellung enthaltene Beziehung der Handlung auf den Erfolg gänzlich. Man denke an folgenden Fall: der Thäter hat in fahrlässiger Unkenntnis ein geladenes Gewehr auf einen andern abgeschossen, ohne diesen zu treffen. Wo wäre hier der Erfolg, dessen „versuchte" Herbeiführung wir bestrafen könnten? 2. Bei unbestimmtem Vorsatze ist Versuch möglich. Da jeder der vorgestellten Erfolge vom Vorsatze umfaßt wird, muß der schwerste derselben, ob eingetreten oder nicht, als für die straf­ rechtliche Beurteilung des Thäters maßgebend betrachtet werden. Wer also seinen Gegner töten oder verwunden will,15) ist der ver­ suchten Tötung schuldig, wenn seine Handlung nur eine Verwundung des Gegners zur Folge gehabt hat oder gänzlich erfolglos ver­ laufen ist.") 3. Wenn die Strafbarkeit der Handlung von einer objektiven Bedingung abhängt, ist Versuch möglich, sobald die Bedingung eingetreten, die Handlung aber entweder un­ vollendet geblieben oder mißlungen ist.17) 4. Bei den (eigentlichen wie uneigentlichen) Unterlassungs ­ delikten ist der Versuch als fehlgeschlagenes, nicht aber als unvollendetes Verbrechen möglich.") Beispiel: Der Eisenbahnwächter läßt vorsätzlich, um die Ent­ gleisung des Personenzuges zu bewirken, ein auf den Bahnkörper gerolltes Felsstück liegen; das Hindernis wird aber von dem Lokomotiv") So auch die herrschende Ansicht, wenn auch sehr verschiedene Gründe bei den verschiedenen Schriftstellern den Ausschlag geben. 15) genauer: wer sich vorgestellt hat, daß er entweder töten oder ver­ wunden werde. 10) Ebenso H. Meyer, Hälschner u. a. Dagegen, vom Standpunkte des unbewußten Wollens aus. Bi »ding. Normen II S. 412 ff. 17) Oben § 42 II. 18) Die herrschende Ansicht unterscheidet nicht und gelangt dadurch zu ganz unhaltbaren Ansichten.

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§ 45.

Das unvollendete Verbrechen.

führer rechtzeitig bemerkt und der Zug im letzten Augenblicke zum Stehen gebracht. 5. Aus dem gleichen Grunde ist nur fehlgeschlagenes, nicht aber unvollendetes Verbrechen in allen den­ jenigen Fällen möglich, in welchen die Ausführungs­ handlung als eine durchaus einheitliche schon im ersten wie in jedem folgenden Zeitteilchen ihrer Verwirklichung dem gesetz­ lichen Thatbestände voll und ganz entspricht. Rasches Fahren in belebten Straßen, Rauchen an feuergefährlichen Stellen, Betreten eines fremden Grundstückes und ähnliche Begriffe gestatten die An­ nahme einer begonnenen aber noch nicht abgeschlossenen Thätigkeit nicht. Ein andres Beispiel bieten die durch Verbreitung von Druck­ schriften begangenen strafbaren Handlungen.19) 6. Wenn das Gesetz ausnahmsweise Versuchs - oder Vor­ bereitungshandlungen als selbständige Verbrechen unter besondere Strafe stellt, so ist Versuch weder als fehlgeschlagenes, noch als unvolle ndetes Verb reche u mög­ lich. Denn die Annahme eines Versuches des Versuches oder eines Versuches der Vorbereitung würde nicht nur zu unlöslichen logischen Schwierigkeiten führen, sondern auch die durch jene Ausnahmen bereits gestörte Gleichmäßigkeit der gesetzlichen Straf­ bestimmungen doppelt erschüttern.*2") § 45.

Das unvollendete Verbrechen.

I. Der Versuch als unvollendetes Verbrechen (die nicht abge­ schlossene Handlung i. w. S.) !) umfaßt nicht bloß die willkürliche Körperbewegung,2) sondern auch die durch diese in Bewegung gesetzte Kette von Ursachen und Wirkungen. Aber es kann, auch wenn wir von dieser Benutzung der Naturkräfte und Naturgesetze absehen, die Handlung selbst aus einer ganzen Reihe von einzelnen, durch die einheitliche Zweckvorstellung zu einer Gesamtheit verbundenen körper­ lichen Bewegungen bestehen, welche von der abschließenden Bewegung 19) Vgl. v. Liszt, Preßrecht §§ 41 und 42. 20) Die Frage ist sehr bestritten. Gegenteiliger Ansicht sind u. a. John, Schütze, H. Meyer, Olshausen. Vgl. den besondern Teil. *) vgl. oben § 44 I. 2) Bei den Unterlassungsdelikten ist, wie oben § 44 S. 183 hervorgehoben, ein unvollendetes Verbrechen überhaupt nicht denkbar.

Das unvollendete Verbrechen.

§ 45.

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mehr ober weniger entfernt sind. Es kann somit die auf den Er­ folg gerichtete Thätigkeit selbst ein durchaus kompliziertes Bild bieten, sowie sie anderseits auch in ebenso rascher wie einfacher und durch­ sichtiger Weise verlaufen kann. Ob das eine oder das andre der Fall, hängt nicht von der Natur des zu begehenden Verbrechens, sondern von der Art des gewählten Mittels, ja von den sämtlichen äußeren Verhältnissen überhaupt ab, unter welchen die That'vor sich geht. Wenn nun nach Vorstellung des Thäters eine Reihe von ein­ zelnen körperlichen Bewegungen erst ihn zum Ziele führen sollte und die Aufeinanderfolge derselben unterbrochen wurde, also unvollendetes Verbrechen vorliegt, so entsteht die Frage, ob für die strafrechtliche Beurteilung des Verbrechers der Zeitpunkt, in welchem die Unter­ brechung stattfand, ob also die größere oder geringere Entfernung des Geschehenen von der Vollendung aus die Beurteilung der That von Einfluß sein solle oder nicht. Eine einfache kriminal­ politische Erwägung ergibt die Bejahung der ersten Alternative. Das Wesen des Versuches besteht in der Beziehung des Geschehenen auf einen nicht eingetretenen Erfolg. Diese Beziehung muß gegeben sein, damit von Versuch gesprochen werden kann. Je entfernter aber das Geschehene von der Vollendung, in einem je früheren Stadium die Haudlung unterbrochen,wurde: desto schwieriger, desto unsicherer ist der Nachweis jener Beziehung; ob der verbrecherische Vorsatz die genügende Kraft besessen haben würde, um die Ausführung bis ans Ziel zu bringen, und ob die Handlung die Richtung auf den behaupteten Erfolg thatsächlich gehabt habe oder nicht — ist schwer zu entscheiden, wenn die Handlung in ihren ersten Stadien unter­ brochen worden ist. Der Ankauf eines Revolvers kann zu ver­ schiedenen Zwecken erfolgen; wer sagt uns, daß er zum Werkzeuge eines Mordes bestimmt war; wer sagt uns, selbst wenn der Zweck des Ankaufes außer Zweifel gestellt sein sollte, daß der Käufer den Mut gehabt hätte, es bis zum äußersten kommen zu lassen? Aus dem Gesagten ergibt sich die Notwendigkeit, die ent­ fernteren Versuchshandlungen straflos zu lassen. So gelangen wir zu einer Unterscheidung innerhalb der Versuchshandlungen, und wir können, der einfacheren Terminologie wegen, die entfernteren Versuchshandlungen als straflose Vorbereitungs­ handlungen den näheren, strafbaren Versuchshandlungen i. e. S. gegenüberstellen. II. Statt nun, wie es am zweckmäßigsten wäre, die Zuteilung

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§ 45.

Das unvollendete Verbrechen.

einer in Frage stehenden konkreten Handlung in die eine oder die andere Kategorie dein Ermessen der Praxis im Einzelfalle zu über­ lassen, hat die Reichsgesetzgebung int Anschlüsse an das französische Recht es unternommen, die Greitzlitiie ein für allemal zu ziehen. Diesem Bestreben verdanken wir die scheinbare^) Versuchsdefiuition in StGB. § 43: Versuch ist Bethätigung des Entschlusses, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Ver­ brechens oder Vergehens enthalten. Die Grenzlinie zwischen Vorbereitung und Versuch i. e. S. (strafbarem Versuch) bildet demnach der A n f a n g der Ausführung, das commencement d’execution. Aber dieser Begriff selbst ist ein relativer, tvelcher juristischer Fassung spottet. Nur so viel geht aus § 43 StGB, hervor, daß nach Absicht des Gesetzgebers einmal Vorbereitung und Versuch überhaupt auseinandergehalten, und iveiter nur nahe an die Vollendung heranreichende Handlungen als Versuch gestraft werden sollen. Anfang der Ausführung bedeutet also nichts andres als die letzte entscheidende Thätigkeit in der vom Thäter vorge­ stellten Reihe von Einzelhandlungen (den conatus proximus des gemeinen Rechts). Beispiele: Der strafbare Versuch der Doppelehe beginnt erst mit dem Akte der (zweiten) Eheschließung, der Versuch des Meineids erst mit dem Beginne des Schwuraktes; der Versuch der Entführung, des Diebstahls erst in dem Augenblicke, in welchem die Schutzgewalt, der Gewahrsam des Machthabers gestört wird; bei den sogenannten zusammengesetzten Verbrechen, wie Raub, Not­ zucht u. a., ist strafbarer Versuch anzunehmen, sobald mit der Ge­ waltanwendung begonnen wurde, u. s. w.34) 3) Scheinbare Versuchsdefinition: denn es soll nur Borbereitungshandlung von Versuchshandlung i. e. S. abgegrenzt, nicht aber der Versuch als solcher bestimmt werden. Auf den Gegensatz von gelungenem und fehlgeschlagenem Verbrechen bezieht sich § 43 StGB, überhaupt nicht. Es ist demnach ganz verkehrt, bei der Frage nach der Strafbarkeit des untauglichen Versuches mit dem „Anfange der Ausführung" operieren zu wollen, und etwa zu sagen: wenn die Ausführung nicht vollendet werden kann, dann kann sie auch nicht angefangen werden. Vgl. den folgenden §. 4) Unhaltbar, weil lediglich tautologisch ist die von Zachariae aufgestellte, von Geyer, Meyer u. a. (auch in der ersten Aust, dieses Buches) ver­ teidigte, ebenso vom Reichsgerichte angenommene Formulierung: „Versuch sind jene Handlungen, welche bereits einen wirklichen Bestandteil der im Gesetze

Das unvollendete Verbrechen.

§ 45.

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III. Von der grundsätzlichen Straflosigkeit der VorbereitungsHandlungen hat die Gesetzgebung einzelne Ausnahmen gemacht. Es gehören hierher: 1. Die §§ 83—86, 151, 261 StGB., welche einzelne Vor­ bereitungshandlungen unter besondere Strafe stellen. 2. Alle jene Fälle, in welchen schon das Unternehmen einer strafbaren Handlung mit der Strafe des vollendeten Verbrechens bedroht wird.5) Denn „Unternehmen" ist ein weiterer Begriff als das in § 43 StGB, eng begrenzte „Versuchen". Ersteres umfaßt auch solche Handlungen, welche als Vorbereitungshandlungen noch nicht in das Gebiet des strafbaren Versuches hineinfallen würden.6) Eben daraus ergibt sich die logische wie juristische Unmöglichkeit eines unvollendeten, mithin versuchten Unternehmens, da dieses ja doch nur als Versuch des Versuches erscheinen würde.7) IV. Aus der im Eingänge dieses Paragraphen betonten Unter­ scheidung der Körperbewegung einerseits und der durch diese in Be­ wegung gesetzten Kausalkette anderseits ergibt sich nicht nur die Notwendigkeit, innerhalb des unvollendeten Verbrechens weiter noch den beendeten und den nicht beendeten Versuch zu untermit Strafe bedrohten That bilden." III. S. 15. Februar 1882 VI/46; I. S. 2. Oktober 1882 VII 54; II. S. 19. Oktober 1883 IX/81; III. S. 15. Oktober 1883 IX/84. Ganz unrichtig aber ist es, die gesetzliche Bestimmung gänzlich außer acht zu lassen und mit Häberlin, Hälschner, v. Buri u. a. Straf­ barkeit anzunehmen, wenn nur die Absicht in der That zur vollkommen erkenn­ baren Darstellung gelangt ist. 5) Die Fälle wurden oben § 44 II 2 zusammengestellt. 6) Die Frage ist sehr bestritten. Die herrschende Ansicht ist der im Text vertretenen entgegengesetzt. Ich habe meine Auffassung eingehend begründet in meiner falschen Aussage S. 175 ff. — Gegen dieselbe läßt sich insbes. nicht ins Feld führen die Definition des § 82 StGB.: „Als ein Unternehmen, durch welches das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird, ist jede Handlung anzusehen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll." Denn 1. ist die hier gegebene Begriffsbestimmung nicht ohne weiteres über das Gebiet des Hochverrats auszudehnen (vgl. II. S. 9. No­ vember 1880 III/26); 2. enthält § 82 eine positivrechtliche, dem Begriffe des Unternehmens im gewöhnlichen wie juristischen Sprachgebrauche nicht ange­ hörende Beschränkung in dem Worte „unmittelbar" (vgl. III. S. 4. Juni 1883 VIII/344); 3. greift trotz dieser Beschränkung auch das Unternehmen des § 82 über den Umfang des Versuchsbegriffes hinaus. Vgl. darüber unten bes. Teil (Hochverrat). 7) Vgl. oben § 44 V 6 (S. 184).

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§ 46.

DaS fehlgeschlagene (mißlungene) Verbrechen.

scheiden,8)* sondern auch ein sicherer Anhaltspunkt zur juristischen Bestimmung dieses Unterschiedes. Beendeter Versuchs liegt vor, wenn die auf den Erfolg gerichtete körperliche Bewegung vollzogen, der Eintritt des Erfolges aber10) noch zweifelhaft ist. Beendet ist der Mordversuch, wenn der Thäter die lebensgefährliche Stichwunde beigebracht, das Gift ein­ geflößt hat u. s. w. Es sind die bereits11) erwähnten Fälle des „suspendierten Erfolges", welche hierher gehören. Unbeendet ist der Versuch, solange die Körperbewegung selbst noch nicht vollzogen ist, z. B. der zum Schlage ausholende Arm noch in seiner Bewegung gehemmt werden kann. Die Unterscheidung wird beim Rücktritte vom Versuche von Wichtigkeit.12) Außerdem wäre die Gleichstellung des beendeten Versuches und des vollendeten Verbrechens in bezug aus die Bestrafung ernster legislatorischer Erwägungen wert. § 46. Das fehlgeschlagene (mißlungene) Verbrechen.3)

I. Schon bei den römischen Juristen, von Neratius und Pomponius bis auf Ulpian und Paulus scheint die Strafbarkeit des un­ tauglichen Versuches zu den vielbesprochenen Streitfragen gehört zu haben. Die späteren von ihnen bemühen sich, strafbare und straf8) Berner, GS. XVII (1865). Die Gutachten zum XIII. deutschen Juristentage (1876) von Berner, Lamm, Leuthold. — Vielfach wird der Unterschied gänzlich geleugnet, so auch von Binding, noch öfter aber unrichtig aufgefaßt. — Nach Berner liegt beendeter V. vor, „wenn der Thäter die auf den Erfolg gerichtete Handlung erfolglos vollzogen hat." °) delictum perfectum im Unterschiede von dem del. consumatum oder vollbrachten Verbrechen. 10) soweit derselbe nicht etwa bloß Bedingung der Strafbarkeit ist. n) oben S. 179 Note 4. 12) Vgl. § 47; StGB. § 46 ist übrigens der deutlichste Beweis für die Richtigkeit der im Texte aufgestellten Unterscheidung. *) Hertz, Versuch mit untauglichen Mitteln 1874. Lammasch, Das Moment objektiver Gefährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches 1878. Derselbe, Handlung und Erfolg in Grünhuts Zeitschr. IX (Z. II S. 622). Eohn, Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen 1880 und GA. XXVIII (1880). — Geyer, Über die sog. untauglichen Versuchshandlungen, Zeitschrift I S. 30; v. Buri, unter dem gleichen Titel das. S. I 185 ff.; v. Liszt, Das fehlgeschlagene Delikt und die Cohnsche Versuchstheorie, Zeitschr. I S. 93 ff. (Ganz unbedeutend ist Goldfeld, Über den Versuch yrit untauglichen Mitteln u. s. w. 1882 sZ. II S. 380].)

Das fehlgeschlagene (mißlungene) Verbrechen. § 46.

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freie Fälle zu unterscheiden, ohne aber zur Aufstellung eines all­ gemeinen Prinzipes zu gelangen.2)3 In unsern Tagen hat F e u e r bach den Streit wieder lebhafter entfacht. Er will nur die ge­ fährliche Verfuchshaudlung bestraft wissen, und verlangt daher, daß die Handlung ihrer äußeren Beschaffenheit nach mit dem beab­ sichtigten Erfolge in ursächlichem Zusammenhange stehe.s) Diese Forderung führt zur Unterscheidung von Mittel und Objekt der mißlungenen Handlung und weiter (Mittermaier 1816) zur Unterscheidung von absoluter und relativer Untauglichkeit des Mittels oder Objektes. Rasch wurde diese Ansicht, trotz der von manchen wie Köstlin, Hälschner, v. Schwarze u. a. gegen sie erhobenen Bedenken, zur herrschenden und blieb es bis in die jüngste Zeit. Danach sprach man von a b s o l u t untauglichem Ver­ suche, wenn die Handlung mit den angewendeten Mitteln und gegen­ über dem angegriffenen Objekte in keinem Falle zum Ziele führen konnte (Mordversuch mit einer ungeladenen Pistole; gegen einen bereits Verstorbenen); von relativ untauglichem Versuche, wenn das gewühlte Mittel, das angegriffene Objekt zwar im all­ gemeinen geeignet waren, im Einzelfalle aber, wegen der be­ sonderen Gestaltung der Verhältnisse, sich als ungeeignet herausstellten (Mordversuch mit einer im Augenblicke des Abdrückens zerspringenden Pistole; gegen jemand, der sich durch ein Panzerhemd geschützt hat). In der Behandlung der beiden Fälle gingen die Ansichten weit auseinander. Die chtcit4) — so auch die Praxis in Preußen, Bayern, Österreich — straften den relativ untauglichen Versuch, ließen den absolut untauglichen dagegen straflos; die andern5) — und ihnen folgte die Württembergische und sächsische Praxis — verlangten Be­ strafung nicht bloß des relativ, sondern anch des absolut untauglichen Versuches.") War diese letztere Ansicht an sich schon gegen die Mittermaiersche Unterscheidung gerichtet, so begann nun auch bald die kritische Prüfung und Bekämpfung derselben. Man argumentierte etwa folgendermaßen: Der Versuch beruhe immer auf einem Irr2) Vgl. Pernice, Labeo II S. 46 ff.; Seeger, Versuch des Verbrechens nach römischem Rechte 1879. Bin ding, Nonnen II S. 285 sf. 3) Vgl. darüber insbes. Lammasch a. O. 4) Zachariae, Berner, Schütze, Geyer, Meyer, Binding u. a. 6) Köstlin, Hälschner, v. Schwarze, v. Buri, Hertz, Janka u. a. ti) Einzelne, wie v. Bar, wollten wohl auch die Untauglichkeit des Mittels anders behandeln als die des Objekts.

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§

46.

Das fehlgeschlagene (mißlungene) Verbrechen.

turne über die Kausalität des Thuns, d. h. auf der (irrigen) An­ nahme, daß eine zur Herbeiführung des vorgestellten Erfolges un­ taugliche Handlung zur Herbeiführung tauglich sei. Nur die Taug­ lichkeit der Handlung, als des Mittels zum Zwecke, stehe mithin zur Frage. Eine bestimmte vorgenommene Handlung aber könne zur Herbeiführung eines bestimmten vorgestellten Erfolges immer nur tauglich oder nicht tauglich, d. h. kausal oder nicht kausal sein, nicht aber mehr oder weniger nicht-kausal; die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Untauglichkeit des Mittels (oder des Objektes) sei daher eine grobe Verkennung des Ursachenbegriffes. Das Wesen des Versuches bestehe in der Kundgebung eines auf Verletzung ge­ richteten Willens; diese Kundgebung finde sich aber in durchaus gleicher Weise auch bei dem sogenannten untauglichen Versuche. Und wenn jeder Versuch in einem Irrtume über die Kausalität des Thuns bestehe, so könne, dieser Irrtum keinen Grund abgeben, um einzelne Versuchsfälle nicht strafen zu wollen. Diese Ansicht hat die rückhaltlose Billigung des Reichsge­ richtes gefunden. Mit aller Entschiedenheit hat sich dieses auf den insbesondere von v. Buri wiederholt vertretenen Standpunkt gestellt und in einer Reihe von Entscheidungen,7) vor allen aber in der viel­ besprochenen Entscheidung der vereinigten Strafsenate vom 24. Mai 18808)9 die Strafbarkeit auch des absolut untauglichen Versuches proklamiert, ohne vor irgend einer der sich aus diesem Prinzipe er­ gebenden Konsequenzen zurückzuschenen. II. Die Ansicht des Reichsgerichtes ruht auf einer falschen Prämisse. Wenn wirklich jeder Versuch strafbar wäre, so müßte auch der untaugliche Versuch in allen Fällen bestraft werden: denn er ist Versuch. °) Aber unser positives Recht hat, wie die Motive 7) I. S. 10. Juni 1880 1/451 (Tötungsversuch an einen: totgebornen Kinde); III. S. 30. Mürz 1883 VIII/198 (Abtreibungsversuch von seiten einer nicht schwängern Frauensperson); II. S. 1. Juni 1883 V111/351. s) I. S. 439. - Vgl. gegen dieselbe Cohn, GA. XXVIII (1880); Geyer, Zeitschr. I S. 30 f.; v. Liszt, Zeitschr. I S. 204 ff.; Wahlberg, Zeitschr. II S. 194; Zimmermann, GS. XXXIII (1882; Z. II S. 156). „Hoch bedauerlich" nennt sie Binding, Grundriß S. 114. 9) A. A. Geyer, Zeitschr. I S. 30 ff. Er unterscheidet zwei Fälle. 1. Irrtum, d. h. Divergenz zwischen Vorstellung des Thäters und Außenwelt. 2. Inkon­ gruenz zwischen der Hoffnung auf den Ablauf der Dinge und diesem selbst. Der 1. Fall ist nach Geyer gar nicht Versuch, da dieser in der „teilweisen

Das fehlgeschlagene (mißlungene) Verbrechen.

§ 46.

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zu § 43 StGB, ergeben, nirgends den Satz aufstellen wollen und nirgends, wie ein Blick auf § 43 zeigt, ihn thatsächlich aufgestellt: daß jeder Fall des mißlungenen Verbrechens mit der Versuchsstrafe zu belegen sei. Vielmehr sollte die Entscheidung dieser alten und schwierigen Streitfrage, zu deren Lösung der Gesetzgeber sich nicht berufen fühlte, nach wie vor der Wissenschaft und der Praxis über­ lassen bleiben. Mit der Prämisse entfällt auch die Schlußfolgerung, zu welcher das Reichsgericht gelangte. Somit können wir, uneingeschränkt durch gesetzliche Anordnung, an die Lösung der Frage herantreten. Dabei ist auszugehen von der — wie ich glaube unbestreitbaren — Thatsache, daß unser Rechts­ bewußtsein in verschiedener Weise je nach der Gefährlichkeit der Ver­ suchshandlung gegen dieselbe reagiert.^) Wenn wir diese Thatsache in eine Rechtsregel umsetzen, so gewinnen wir den Satz: Straflos bleibt der ungefährliche Versuch. So sind wir zu der Fe u erb ach scheu Formel, wenngleich in negativer Fassung, zurückgekehrt. Aber die Formel selbst hat durch die Klarstellung des Begriffes der Gefahr") an Bestimmtheit wie Brauchbarkeit wesentlich gewonnen. Ungefährlich nennen wie den Versuch, wenn, wie die nachträgliche Prognose ergibt, die Möglichkeit des Eintrittes des vorgestellten Erfolges eine ver­ schwindend kleine gewesen ist. Bei dieser Beurteilung haben wir abzusehen von all dem, was der konkrete Verlauf uns gelehrt hat, und uns zurückzuversetzen in jene Umstände, unter welchen die Versuchshandlung vorgenommen worden ist. Demnach kann z. B. der Versuch der Abtreibung von seiten einer gar nicht schwangeren Frauensperson ganz wohl strafbar sein, wenn nicht die Umstände bei Vornahme der Versuchshandlung das Vorhandensein einer Schwangerschaft als äußerst unwahrscheinlich erscheinen ließen. Anders in den viel mißbrauchten Schulbeispielen: beim Totbeten, NestelVerwirklichung der Absicht" besteht. — Deutlich zeigt sich hier die verhängnis­ volle Verrnengung von unvollendetem und mißlungenem Verbrechen. 10) Ähnlich L a m m a s ch a. O. Er findet den Grund der Verschiedenheit darin, daß beim sog. gefährlichen Versuche die Vorstellung von seiner Straf­ barkeit durch den unwillkürlichen Prozeß der Gedankenverknüpfung unmittel­ bar, beim ungefährlichen erst mittelbar, insbes. auf dem Wege einer Schluß­ folgerung, entsteht. Doch soll nach L. diese Verschiedenheit keinen Einfluß auf die rechtliche Beurteilung ausüben. n) Vgl. oben § 26 II (Note 3).

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§ 47.

Der Rücktritt vom Versuche.

knüpfen, Verhexen; bei dem Versuch, den auf Kanonenschußweite in einem Kahne befindlichen B mit dem Revolver zu töten u. s. w.12) § 47. Der Rücktritt vom Versuche. I. In dem Augenblicke, in welchem die Grenzlinie zwischen den straflosen Borbereitungshandlungen und dem strafbaren Versuche überschritten wird, in demselben Augenblicke ist die auf den Versuch gesetzte Strafe verwirkt. Diese Thatsache kann nicht mehr geändert, nicht „nach rückwärts annulliert", *) nicht aus der Welt geschafft werden. Wohl aber kann die Gesetzgebung ans kriminalpolitischen Gründen dem bereits straffällig gewordenen Thäter eine „goldene Brücke, zum Rückzüge bauen. Sie hat es gethan, indem sie den f r e i w i l l i g e n Rücktritt zum S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d e machte (StGB. § 46). -) Der freiwillige Rücktritt ist unmöglich, wenn die Herrschaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter entrissen ist, mag der Eintritt oder der Nichteintritt des Erfolges gewiß sein, also sowohl beim gelungenen als auch beim mißlungenen Verbrechen. Er ist dagegen möglich: 1. Bei dem nichtbeendeten Versuche-') durch Nichtvoll­ endung der körperlichen Bewegung (StGB. § 46 Nr. 1). Der Thäter läßt den zum Schlage erhobenen Arm sinken; die nach dem Giftbecher ausgestreckte Hand zieht sich zurück. Mit der Beendigung 12) Durchaus verfehlt ist die oben ermähnte Arbeit von Cohn. Nach ihm ist Versuch, d. h. fehlgeschlagenes Delikt nur bei denjenigen Verbrechen möglich, „bei welchen die Wirkung durch das Verhältnis von Grund zu Folge gesetzt werden kann". Im Sinne der Cohnschen Terminologie heißt das: Fehl geschlagen es Verbrechen ist nur möglich, wenn die Wirkung auch ausbleiben, also das Verbrechen fehlschlagen kann: ein Musterbeispiel für tautologische Definition. Vgl. v. Liszt, Zeitschr. T a. O. *) Vielfach wurde und wird in dieser Wiederaufhebung der selbst gesetzten Wirksamkeit ein Rechts gründ für die Straflosigkeit des Versuches bei Rück­ tritt erblickt. So auch von Bind ing. Normen II S. 234, 250 f. auf Grund seiner Kausalitütstheorie. Richtig Osenbrüggen, John, Geyer, Schütze, v. Schwarze, Meyer, Janka u. a. 2) Vgl. Motive zum StGB. — In den früheren Gesetzgebungen war dem Rücktritte vielfach nur die Bedeutung eines Milderungsumstandes beigelegt worden. 3) Vgl. oben § 45 IV.

Der Rücktritt vom Versuche.

§ 47.

193

der körperlichen Bewegung entfällt mithin auch die Anwendbarkeit der Ziffer 1 des § 46.4)* 2. Bei dem beendeten Versuche

durch Abwenden des

Erfolges, also durch direktes Eingreifen in das bereits rollende Rad des Kausalzusammenhanges (StGB. § 46 Nr. 2): der abgesendete Brief wird während des Postlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch Gegengift paralysiert. II. In beiden Fällen verlangt das Gesetz Freiwilligkeit des Rücktrittes.

§ 46 sagt:

,,Der Versuch als solcher bleibt straflos, wenn der Thäter 1) die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat, ohne daß er an dieser Ausführung durch Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen unabhängig waren, oder 2) zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht entdeckt war, den Eintritt des zur Vollendung des Verbrechens oder Vergehens gehörigen Erfolges durch eigene Thätigkeit abge­ wendet hat." Die Freiwilligkeit wird am besten negativ bestimmt durch ihren Gegensatz: die thatsächliche oder angenommene Unmöglichkeit der Vollendung des Verbrechens. Der Rücktritt darf nicht in äußeren Umständen, er muß in einem freigefaßten Entschlüsse des Thäters, mag dieser aus Furcht oder Reue, mag er vielleicht auch den niedrigsten Motiven entspringen, seinen Grund haben.6) De­ finitives Aufgeben des verbrecherischen Entschlusses kann nicht gefordert werden.7)8 Im zweiten Falle ist die strafaufhebende Wir­ kung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, daß die Handlung noch nicht entdeckt, d. h. noch niemandem außer den an der That strafbar beteiligten Personen oder dem durch die Handlung Verletzten^) bekannt war.

4) II. S. 12. März 1880 1/307. °) Oben § 45 IV. o) Vgl. auch II. S. 17. Juni 1881 IV,290. 7) A. A. Binding. 8) A. A. II. S. 12. März 1880 1/307. Nach Ansicht des Reichsgerichtes märe mithin bei denjenigen Verbrechen, bei welchen die Kenntnisnahme des Verletzten zu den Begriffsmerkmalen gehört, § 46 Ziff. 2 überhaupt nicht an­ wendbar. Dagegen mit Recht Olshausen. von Liszt, Strafrecht.

2. Aufl.

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§ 47.

Der Rücktritt vom Versuche.

Bekanntsein der That, ohne Rücksicht auf ihre juristische oder insbesondere strafrechtliche Bedeutung, nicht erst Bekanntsein des Thäters schließt die straffreimachende Wirkung des Rücktrittes aus?) III. Den freiwilligen Rücktritt behandelt das RStGB. als Strafaufhebungsgrund; nicht mehr ist, wie im gemeinen Rechte auf Grund der PGO., im code penal, im preußischen und anderen partikularen Strafgesetzbüchern, die Nichtfreiwilligkeit der Nichtvollendung Bedingung der Strafbarkeit des Versuches. Das heißt: der Rücktritt beseitigt die bereits verwirkte Strafe, aber er ändert nichts an dem Verbrechenscharakter der Versuchshandlung. Und daraus folgt: 1. Der Rücktritt des Thäters macht weder den Mitthäter noch den Anstifter oder Gehilfen straffrei; denn die Thatsache, daß sie sich an einer strafbaren Handlung beteiligt haben, bleibt befielen.910) 2. Aber die Teilnehmer können sich selbst der Wohlthat des Gesetzes teilhaft machen: Anstifter und Gehilfe allerdings nicht durch Nichtvollendung der Handlung nach § 46 Nr. 1, denn hatten sie ihre Handlung noch nicht beendet, so waren sie überhaupt noch nicht strafbar geworden; wohl aber durch selbständige Abwendung des Er­ folges nach § 46 Nr. 2. 3. Nur die Strafe der versuchten Handlung entfällt (§ 46: ,,der Versuch als solcher bleibt straflos"), nicht aber die Straf­ barkeit der etwa in der Versuchshandlung gelegenen vollendeten anderweitigen Normübertretung. So bleibt trotz Abwendung des Erfolges beim Giftmordversuch die Beibringung des Giftes nach StGB. § 229 strafbar.21) IV. Wenn Vorbereitungshandlungen mit besonderer Strafe bedroht sind oder das unternommene dem vollendeten Verbrechen in der Bestrafung gleichgestellt ist, so entspricht es wohl am meisten der Absicht des Gesetzes, hier die strafaufhebende Wirkung des Rücktrittes auszuschließen. Wir sind berechtigt, dies zu thun, weil jene Wirkung 9) III. S. 8. Dezember 1880, III/93. 10) Die Frage ist sehr bestritten. Im Sinne des Textes Zachariae, Geyer, Hälschner, v. Schwarze, nunmehr auch das Reichsgericht: I. S. 13. Januar 1881 III/249; II. S. 6. Juni 1882 VI'341. — A. A. sind v. Bar, Berner, Schütze, Meyer, Olshausen u. a. ir) Irreleitend ist es, hier mit Feuerbach u. a. von „qualifiziertem Versuche" sprechen zu wollen.

Teilnahme.

Überblick. § 48.

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nicht aus dem Begriffe der Versuchshandlung folgt, sondern auf be­ sonderer positiv-rechtlicher Anordnung beruht. 12)

VII. Thäterschaft und Teilnahme. § 48.

Überblick.

I. Der Satz, daß nicht bloß der Alleinthäter, sondern daß alle welche sich an der Begehung einer strafbaren Handlung beteiligt haben, für diese Beteiligung zu Verantwortung und Strafe zu ziehen sind, ist in allen Rechtssystemen und zu allen Zeiten anerkannt worden. Aber ob und wie die verschiedenen Formen der Be­ teiligung begrifflich unterschieden, wie Schuld- und Thatanteil eines jeden bestimmt und demgemäß die Strafe bemessen werden solle, darüber gehen die Ansichten bis auf den heutigen Tag aus­ einander. 2) Das römische Recht hatte nicht nur durch die regelmäßige Formel der leges cm§ der Zeit des Quästionenprozesses: cujus ope consilio dolo malo id factum erit quive id fieri jusserit faciendumve curaverit — sondern auch vorher wie nachher die Beteiligten, die autores, socii, ministri, fautores. participes mit Strafe belegt. Aber erst die freiere Stellung des Richters im Verfahren extra ordinem ermöglichte jene Individualisierung in der Beurteilung, welche die Vorbedingung für die Entwickelung der ganzen Lehre von der Teil­ nahme ist. Doch ist auch das spätrömische Recht zur Ausbildung allgemeiner Grundsätze nicht gelangt. Und wenn im mittelalter­ lichen Deutschland der Anstifter von jeher dem Thäter, wenigstens bei einer Reihe von Delikten, in der Bestrafung gleichgestellt wurde, so hinderte anderseits die dem deutschen Rechte eigentümliche Tendenz, 12) Die Frage ist sehr bestritten. Andrer Ansicht mit den meisten auch B inding. Vgl. insbes. auch unten bes. Teil (Hochverrat). *) Berner, Teilnahme 1847. v. Bar, Zur Lehre von Versuch und Teilnahme 1859. v^ Buri, Zur Lehre von der Teilnahme 1860. Langenbeck, Teilnahme 1867, 1868. Schütze, Notwendige Teilnahme 1869. Geyer, HH. II. Bd.

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§ 48.

Teilnahme.

Überblick.

nicht etwa die Schuld zu ignorieren, wohl aber sie an äußeren Umständen zu messen,-) die Aufstellung begrifflicher Unterscheidungen. Auch die mittelalterliche Jurisprudenz Italiens, so energisch sie auch, kräftig gefördert durch die individualisierende Tendenz des k a n o n i s ch e n Rechts, an der Weiterbildung der Lehre arbeitete, gelangte nicht zu abschließenden, allgemein anerkannten Ergebnissen. So sah sich denn auch die PGO. gezwungen, in Art. 177 23) von einer Begriffsbestimmung abzusehen und einfach auf den Rat der Rechtsverständigen zu verweisen. Es blieb demnach der Wissenschaft des gemeinen Rechts überlassen, die Aufstellung fester Begriffe zu versuchen. Aber man konnte sich im Grunde nur über den Einen Satz einigen: daß der Anstifter ebenso schwer, der Gehilfe geringer zu bestrafen sei als der Thäter. Auch die neuere Litteratur ist, seitdem Feuerbach auch diese Frage wieder in Fluß gebracht hat, nicht viel glücklicher ge­ wesen. Zwei Punkte sind es vornehmlich, über welche auch heute noch keine Einigung erzielt ist: 1. Ob Anstiftung und Beihilfe selbständige, wenn auch mittelbareHerbeiführung des Erfolges seien, ihren strafbaren Charakter also in sich selbst trügen, oder ob sie lediglich als Betei­ ligung an dem Thun eines andern, dem sie ihren strafbaren Charakter entlehnten, mithin als Teilnahme im engern Sinne mit accessorischem Charakter aufzufassen seien. Irrtümliche Überspannung des Begriffes der Willensfreiheit, mißverständliche Annahme einer „Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" durch die freie Handlung eines zurechnungsfähigen, der Kausalität seines Thuns sich bewußten Thäters spielten und spielen bei der Erörterung dieser Frage ihre verhängnisvolle Rolle. 2) So werden bei den mit gesammeltem Gefolge begangenen Verbrechen vielfach die tres priores in der Bestrafung hervorgehoben. Ähnlich bei den consacramentales, welche den Meineid des Hauptschwörenden bekräftigt haben. 3) Item so jemand einem Missethäter zu Übung einer Missethat wissent­ licher und gefährlicher Weise einicherlei Hilfe, Beistand oder Förderung, wie das alles Namen hat, thut, ist peinlich zu strafen, als aber vorsteht in einem Fall anders denn in dem andern; darum sollen in diesen Fällen die Urteiler . . . Rates pflegen. — Der Anstifter wird in Art. 107 (Meineid) besonders erwähnt.

Teilnahme.

Überblick.

§ 48.

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2. Ob die Beihilfe von der Mitthäterschaft durch objektive, in der Handlung und ihrer verursachenden Bedeutung, oder durch subjektive, der Willensrichtung des Thäters angehörende Merk­ male von einander zu unterscheiden seien. Vermittelnde, objektiv­ subjektive Theorieen suchten — mit dem gewöhnlichen negativen Erfolge — die Gegensätze zu versöhnen. 3. Dazu kam als dritter Streitpunkt von untergeordneterer Bedeutung die Frage nach dem Wesen der Begünstigung, die von den einen als nachträgliche Beteiligung an der That des Thäters, von den andern als selbständiges Verbrechen aufgefaßt und in den besondern Teil des StGB, verwiesen wurde. Die Unklarheit der wissenschaftlichen Anschauungen spiegelte sich in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, unser RStGB. nicht ausgenommen, getreulich wider. •II. Wenn wir uns bemühen, mit vorläufiger Vermeidung streitiger Fragen (soweit dies überhaupt möglich ist) die Formen der Begehung des Verbrechens in bezug auf die Einheit oder Mehrheit der Be­ gehenden zu unterscheiden, so gewinnen wir folgende Übersicht. 1. Der Begriff der (Allein-)Thäterschaft ist am reinsten verwirklicht, wenn eine Person allein den ganzen Thatbestand, den das Gesetz mit Strafe bedroht, durch ihr Thun oder Lassen ver­ wirklicht hat. 2. Anstiftung ist die Bestimmung eines andern zu der von ihm begangenen That. Sie wird in unserm positiven Recht nicht als intellektuelle Urheberschaft, sondern als (accessorische) Teilnahme an der Handlung eines andern aufgefaßt. 3. In allen andern Fällen kann die Beteiligung mehrerer an demselben Verbrechen entweder eine gleichwertige oder eine ungleich­ wertige sein. Im letzteren Fall tritt dem Thäter der Gehilfe gegenüber; nach der Auffassung unsres positiven Rechts nicht als Nebenurheber, sondern als (accessorischer) Teilnehmer an der Handlung eines andern. Im ersteren Falle können wir von Mehrthäter­ schaft sprechen; das positive Recht zerlegt sie in die vorsätzliche, die es Mitthäterschaft nennt, und in die nichtvorsätzliche, für die ich den Ausdruck Nebenthäterschaft in Ermangelung eines bessern gebrauchen werde. III. Keine Formen, oder doch keine selbständigen Formen der Beteiligung am Verbrechen sind: 1. Die Begünstigung. Denn es fehlt ihr, da sie erst nach

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§ 48.

Teilnahme. Überblick.

Begehung der That möglich ist, das einzige Merkmal, das allen Formen der Beteiligung gemeinsam ist: das Setzen einer Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge. Wir haben keinen Grund, von der durchaus sachgemäßen Auffassung unsres RStGB., das die Be­ günstigung in den besonderen Teil gestellt hat, abzugehen?) 2. K o m p l o t t und B a n d e, die früher in Gesetzgebung, Litteratur und Praxis eine hervorragende Rolle spielten. a) Das Kompl ott ist die Verabredung mehrerer zur Begehung eines oder mehrerer bestimmter Verbrechen; in StGB. § 83, MB. § 59 und § 6 Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 wird es als selbständiges Verbrechen, sonst wohl auch — Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§ 146 und 147; Seemannsordnung vom 27. De­ zember 1872 §§ 87 und 91 — als Strafschärfungsgrund behandelt. b) Dagegen ist die Bande, das ist die auf die Begehung mehrerer noch nicht individuell bestimmter Verbrechen gerichtete Ver­ bindung 45); in der Reichsgesetzgebung — StGB. § 248 Nr. 6, 250 Nr. 2; Vereinszollgesetz § 146 — nur mehr als Strafschärfungsgrund von Bedeutung. (Ausnahme in § 6 des cit. Sprengstoffgesetzes.) Nach der heute feststehenden Ansicht wird allen Äomplottanten sowie allen Mitgliedern der Bande das begangene Verbrechen (wenn nicht wie in RStGB. § 83 und in § 6 des Sprengstoffgesetzes die Verabredung selbst unter besondere Strafe gestellt ist) nur in soweit zugerechnet, als eben die Begriffe der Thäterschaft, Anstiftung, Beihilfe im konkreten Falle thatsächlich durch die Thätigkeit der einzelnen ver­ wirklicht worden sind. Dagegen hatte die ältere, jetzt völlig überwundene Auffassung durch Anstellung gewaltsamer Fiktionen alle Mitglieder als „gegenseitige Anstifter" für den gesamten Erfolg verantwortlich gemacht, oder aber die Verabredung selbst als den Versuch des Verbrechens bestraft. 3. Die sog. notwendige Teilnahme,6) vorliegend, wenn zur Begehung eines Verbrechens, wie bei Ehebruch, Blutschande, Zweikampf einerseits, Aufstand, Aufruhr anderseits das Zusammen­ wirken mehrerer Personen begrifflich erforderlich ist. Auch hier finden vielmehr die allgemeinen Formen der Beteiligung uneingeschränkte 4) Für die richtige Ansicht u. a. Berner, Hälschner, Binding, Gretener, Geyer. Ebenso I. S. 7. April 1881IV/60. — Dagegen H. Meyer u. a. 5) III. S. 13. Dezember 1883 IX/296. °) Concursus necessarius im Gegensatze zum facultativus. Doch sind diese Bezeichnungen ganz irreleitend und werden besser vermieden.

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§ 48.

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Anwendung; insbesondere wird auch hier die Strafbarkeit des einen Beteiligten durch die Straflosigkeit des andern (vielleicht zurechnungs­ unfähigen) Genossin nicht berührt?) IV. Bei mehrfacher Beteiligung derselben Person an dem­ selben Delikte wird die leichtere Form der Beteiligung durch die schwerere konsumiert, wie ja auch Vorbereitung und Versuch neben der Vollendung des Verbrechens nicht mehr in Betracht kommen?) Wenn der Anstifter sich später an der Ausführung des Verbrechens als Thäter oder aber als Gehilfe beteiligt, behandelt ihn das Straf­ recht im ersten Falle nur als Thäter, im zweiten nur als Anstifter?) Daß dieser Satz auf das Verhältnis der Teilnahme zur Be­ günstigung keine Anwendung findet, bedarf nach dem oben") Gesagten keines Beweises. Daher kann der Anstifter zu einer straf­ baren Handlung sich (in realer Konkurrenz) der Hehlerei in bezug auf die vom Thäter erlangte Sache schuldig machen.") Eine abweichende Bestimmung enthält StGB. § 257 Abs. 3: „Die Begünstigung ist als Beihilfe zu bestrafen, wenn sie vor Begehung der That zugesagt worden ist.

Diese Bestimmung leidet

auch auf Angehörige Anwendung." Die Bedeutung dieser Anordnung wird vielfach mißverstanden. Sie erweitert nicht den Begrisi der Beihilfe und verengert nicht den Begriff der Begünstigung, sondern gibt lediglich eine auf die Be­ strafung bezügliche Bestimmung. Leistung des schon vorher zu­ gesagten Beistandes wäre Beihilfe und Begünstigung in realer, unter Umständen in idealer Konkurrenz;

diese Konsequenz weist § 257

Abs. 3 zurück: b e i B e m e s s u n g d e r S t r a f e ist nicht Begünstigung und Beihilfe, sondern nur Beihilfe anzunehmen.

Darum sagt

das Gesetz nicht: „Die Begünstigung ist Beihilfe" sondern: „sie ist als Beihilfe zu bestrafen." Begünstigung des Diebstahls ist daher unter 7) Doch ist zu beachten, daß, wenn der Gesetzgeber in einem Falle der not­ wendigen Teilnahme (z. B. Entführung mit Willen der Entführten) nur eine der Beteiligten Personen ausdrücklich mit Strafe belegt, damit sein Wille aus­ gesprochen sein kann, die andre unter allen Umständen straflos zu lassen.

Vgl.

II. S. 27. April 1883 VIII S. 294. «) Vgl. unten § 58 IL ») Ausdrücklich anerkannt III. S. 1. Mai 1880 11/145, 1. Dezember 1880 III/163. 10) unter III, 1. n) Ebenso I. S. 7. April 1881 IV/60; II. S. 30. Dezember 1881 V/282; III. S. 19. Juni 1883 VIII/371.

200

§ 49.

Die (Allein-)Thäterschaft.

den Voraussetzungen des § 257 Abs. 3 zwar so zu bestrafen, als wenn sie Beihilfe wäre; aber die Verurteilung erfolgt aus § 257, nicht aus § 242 und kann daher niemals als Vorstrafe für Diebstahl im Rückfalle in Betracht sommert.12) § 49. Die (Allein-)Thirterschaft. I. Thäter (Alleinthäter) ist derjenige, der die ganze Ver­ brechenshandlung begeht, den gesetzlichen Thatbestand des Verbrechens voll und ganz verwirklicht; Notzüchter also z. B. der­ jenige, der nötigt und geschlechtlich mißbraucht; Räuber derjenige, der Gewalt anwendet und die Sache wegnimmt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Erfolg lediglich durch eigne körperliche Thätigkeit, oder durch Benutzung der Naturkräfte, eines Werkzeuges oder eines Tiers herbeigeführt wurde. Derjenige also, der durch seinen Hund ein Stück Fleisch aus dem Metzgerladen wegholen läßt oder den Hund auf einen Menschen hetzt, ist als Thäter des Dieb­ stahls oder der Körperverletzung gerade so gut schuldig, wie derjenige, der sich die Wurst vom Fenster der Speisekammer mittels einer Stange herabholt oder der mit der Faust oder durch einen unglück­ lichen Schrotschuß das Auge des andern beschädigt. II. Dasselbe gilt aber auch von der Benutzung eines zu­ rechnungsunfähigen Menschen?) Wer etwa dem Tobsüchtigen ein Messer in die Hand gibt und ihn auf einen andern hetzt, damit dieser erstochen werde, ist als Thäter des Mordes schuldig. Dem Wahnsinnigen steht aber nicht nur das Kind, sondern auch der Strafunmündige durchaus gleich.*2)3 Die Grundlage dieses im Gesetze nirgends ausdrücklich ausgesprochenen Satzes bildet die gesetzlich aufgestellte Auffassung der Anstiftung als eines Falles accessorischer Teilnahme. Mit dieser Auffassung ist die unerläßliche Voraussetzung aufgestellt, daß auf seiten des Bestimmten eine straf­ bare Handlung vorliege?) Da nun durch die Zurechnungsunfähigkeit die Strafbarkeit der Handlung ausgeschlossen wird, kann die Ver12) A. A. — aber nicht überzeugend, weil lediglich aus der Entstehungs­ geschichte der Bestimmung argumentierend — II. S. 8. Juni 1883 VIII/317') Vgl. oben § 36 VIII und § 37 Note 6. 2) Die entgegenstehende Praxis des Reichsgerichts wurde bereits oben § 37 Note 6 erwähnt. Sie beruht auf der ganz irrigen Annahme, daß StGB. § 55 nur die Prozeßfähigkeit regle. 3) Vgl. unten § 51 IV.

Die (Allein-)Thäterschaft.

§ 49.

201

leitung eines Wahnsinnigen, eines strafunmündigen Kindes u. s. w. niemals Anstiftung, sondern immer nur mittelbare Selbstbegehung der in Frage stehenden Handlung sein. III. Wir müssen aber noch einen Schritt weiter gehen. Auch die Benutzung eines Zurechnungsfähigen kann Selbstthäter­ schaft sein. Und zwar in zwei Fällen. 1. Wenn der Bestimmte unfrei, t>. h. genötigt gehandelt hat; genauer: wenn er „durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andre Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist" (StGB. § 52). Denn in diesem Falle entfällt mit der Rechts­ widrigkeit 4) 5 auch 6 7 die Strafbarkeit des Thuns; und damit ist die Unmöglichkeit strafbarer Teilnahme gegeben?) 2. Wenn der Bestimmte nicht vorsätzlich, d. h. nicht mit dem Bewußtsein der Kausalität seines Thuns gehandelt hat. Nur ist der Grund hier ein andrer als im vorigen Falle. Teilnahme überhaupt, Anstiftung insbesondere ist nach positiv-rechtlicher Auf­ fassung nur an, bez. zu vorsätzlichem Handeln möglich?) Daher erscheint die Veranlassung eines Zurechnungsfähigen, der über die Kausalität seines Thuns sich täuscht, nicht als Anstiftung, sondern als (mittelbare) Selbstbegehung des in Frage stehenden Verbrechens. Wer die Krankenpflegerin durch Täuschung bestimmt, statt des vom Arzte verordneten Chinins Gift zu geben, ist nicht Anstifter zu einem von der Pflegerin überhaupt nicht begangenen Morde, sondern einfach selbst Mörder. IV. Man spricht in den unter II und III bezeichneten Fällen von fingierter, besser mittelbarer Thäterschaft?) Diese mittelbare Begehung ermöglicht die Annahme der Thäter­ schaft auch dort, wo körperliche oder überhaupt unmittelbare Be­ gehung unmöglich wäre: so kann — z. B. durch Bestimmung eines Wahnsinnigen oder durch Nötigung eines Zurechnungsfähigen — 4) Vgl. oben § 35 I ©. 133. 5) Anders wäre zu entscheiden, wenn Nötigung nicht die Rechtswidrigkeit der That, sondern lediglich die Strafbarkeit des Thäters ausschlösse. 6) Vgl. unten § 51 V. 7) Der Begriff ist sehr bestritten. Die richtige Ansicht vertritt III. S. 17. Januar 1880 1/146; 8. Dezember 1880 III/96; II. S. 14. Juni 1881 IV/256. — A. A. Schütze, Binding, Herzog und viele andre.

202

§ 50.

Die Mehrthäterschaft.

sich eine Frauensperson der Notzucht oder der Päderastie, ein Nicht­ verwandter der Blutschande, ein Nichtbeamter eines eigentlichen Amtsdeliktes auf dem Wege der fingierten Thäterschaft schuldig machen. Das Gesetz hat diesen ziemlich allgemein anerkannten Satz nur in § 160 StGB. (Verleitung zum Falscheide) verleugnet, s) ohne aber mit dieser Bestimmung bei der modernen außerdeutschen Strafgesetzgebung Beifall und Nachahmung zu finden. § 50.

Die Mehrthäterschaft.

I. Das RStGB. hat in § 47 die vorsätzliche gleichwertige Be­ teiligung mehrerer an einem Verbrechen als Mitthäter schaft^) hervorgehoben. § 47 sagt: „Wenn mehrere eine strafbare Handlung gemeinschaftlich ausführen, so wird jeder als Thäter bestraft." Trotz oder vielleicht gerade infolge dieser Begriffsbestimmung gehört die Abgrenzung der Mitthäterschaft von der Beihilfe auch heute noch zu den bestrittensten Fragen. Mit aller Entschiedenheit und voller Konsequenz hat das Reichs­ gericht, gestützt auf die ausdrückliche Erklärung der Motive, in einer Reihe von Entscheidungen-) die auch in der Litteratur und Praxis vielfach verteidigte*3) 2Ansicht vertreten, nach welcher der Unterschied ein lediglich subjektiver, in der Willensrichtung des Thäters gelegener sein soll; nach welcher der Mitthäter den animus auctoris, der Gehilfe den animus socii haben, jener die That als die seine, dieser die That als die eines andern wollen muß. Nur auf die Willensrichtung, nicht auf die objektive Bedeutung der Beteiligung käme es daher an; auch das Wachestehen, während die Genossen das gemeinsam geplante Verbrechen vollführen, könnte als Mitthäterschaft betrachtet werden. 8) Vgl. unten besond. Teil. 0 Hirsch, Überden Unterschied zwischen Mitthäterschaft und Beihilfe 1881. Schmidt, Mitthäterschaft 1882 (Z. II S. 181). 2) III. S. 12. Mai 1880 11/160; I. S. 7. Januar 1881 III/181; II. S. 17. Mai 1881 IV/177; III. S. 7. Mai 1883 IX/3; II. S. 16. Oktober 1881 IX/76. Gegen die beiden ersten Entscheidungen Fuchs, GA. XXIX (1877; Z. I S. 616). Vgl. auch Ruhstrat, GS. XXXII (1880; Z. I S. 166), Geyer, Grundriß S. 138. 3) Köstlin, Glaser, v. Schwarze, v. Buri, Hälschner u. a.; die höchsten Gerichtshöfe von Sachsen und Württemberg.

Die Mehrthäterschaft.

§ 50.

203

Zunächst ist dieser Ansicht gegenüber unbedingt daran festzu­ halten, daß der Ansicht des Verfassers der Motive zum RStGB. hier sowenig wie sonst entscheidende Bedeutung beigelegt werden kann, wenn diese Ansicht nicht in den allein maßgebenden Bestim­ mungen des Gesetzes Anerkennung und Ausdruck gegeben hat. Dies ist aber nicht der Fall. Das Gesetz verwendet vielmehr zur Chakterisierung der Mitthäterschaft einen uns bereits aus der Lehre vom Versuche bekannten technischen Ausdruck: „gemeinschaftliche Aus­ führung." Ausführung aber bezeichnet4)* die 6 letzte entscheidende Thätigkeit im Gegensatze zu jenen Handlungen, welche die Begehung vorbereiten oder befördern. M i t t h ä t e r ist mithin derjenige, welcher an der Ausführungshandlung teilgenommen hat. So beim Morde derjenige, der eine tödliche Verletzung beigebracht; beim Diebstahl, wer die Sache weggenommen; beim Betrüge, wer an der Täuschung sich beteiligt hat. Bei den sogenannten zusammen­ gesetzten Verbrechen ist Mitthäter derjenige, welcher auch nur eine der das Verbrechen bildenden Ausführungshandlungen begangen hat. So sind A und B Mitthäter, wenn A die Frauensperson C ver­ gewaltigt oder den D mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben bedroht und B die C mißbraucht oder dem D die Brieftasche weg­ nimmt: denn Gewalt und Drohung sind Thatbestandsmerkmale für Not­ zucht und Raub. Wenn aber A Wache stand, während B einen Einbruchsdiebstahl verübte, so ist A nicht Mitthäter sondern Ge­ hilfe; denn das Wachestehen ist nicht Ausführungshandlung beim Diebstahl?) Indem das Gesetz „gemeinschaftliche Ausführung" ver­ langt, bezeichnet es den Vorsatz der Beteiligten als Begrifssmerkmal der Mitthäterschaft?) Vorsatz aber als Bewußtsein von der Kausalität des Thuns umfaßt hier die Vorstellung des einzelnen, daß er durch seine Handlung zusammenwirke mit den Handlungen der übrigen zu gemeinsamem Ziele?) Fehlt es an diesem Bewußtsein gemeinsamer Thätigkeit, so kann von Mitthäterschaft im Sinne des Gesetzes keine Rede mehr sein. Ob die Handlung ein 4) Vgl. oben § 45 II S. 186. 6) Ähnlich Berner, Geyer, Meyer u. a. 6) Ebenfalls bestritten. ’) Im wesentlichen übereinstimmend III. S. 11. Januar 1883 VIII/42.

9. Oktober 1880 III/7,

204

§ 51.

Die Anstiftung.

Thun oder ein Unterlassen, kann nach richtiger Auffassung keinen Unterschied begründen?) Die Mitthäterschaft ist nach dem Gesagten keine Form der Teilnahme i. e. S.; also nicht (accessorische) Teilnahme an dem Thun eines andern, sondern Selbstherbeiführung des Erfolges. Eben darum ist jeder Mitthäter für den gesamten Erfolg verantwortlich, aber in der Bestrafung unabhängig von seinen Genossen?) II. Die gleichwertige, aber nicht vorsätzliche Beteiligung mehrerer an demselben Verbrechen bezeichnen wir zum Unterschiede von der Mitthäterschaft als Nebenthäterschaft. Sie liegt, um ein viel­ gebrauchtes Beispiel zu wiederholen, vor, wenn mehrere Bauarbeiter gemeinsam einen Balken von dem Gerüste des abzutragenden Baues herabwerfen, ohne die Vorübergehenden zu warnen, und durch ihr unvorsichtiges Gebaren einen Menschen töten. Die praktische Beurteilung dieser Fälle ist dieselbe wie bei der Mitthäterschaft: jeder einzelne haftet, unabhängig von den übrigen, für den gesamten Erfolg.^) § 51.

Die Anstiftung.

I. Anstiftung ist die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zu der von ihm vorsätzlich begangenen straf­ baren Handlung, mag diese Verbrechen, Vergehen oder Über­ tretung sein. Das Gesetz sagt in § 48: ,,Als Anstifter wird bestraft, wer einen anderen zu der von demselben begangenen strafbaren Handlung durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittel vorsätzlich bestimmt hat." 8) Interessant I. S. 6. November 1882 VII/395. e) Die „gemeinschaftliche Ausführung" wird von der Strafgesetzgebung vielfach als erschwerender Umstand behandelt. So StGB. 88 123, 223a, 119, 293; Vereinszollges. 88 146, 147. Dieser Ausdruck umfaßt auch hier nur die Mitthäterschaft im technischen Sinne des Wortes. Ebenso III. S. 9. Oktober 1880 III/7; I. S. 16. Juni 1881 IV/262; III. S. 17. Dezember 1881 V/306; III. S. 11. Januar 1883 VIII/42. — Unrichtig Meyer, sowie die 1. Ausl, dieses Buches. 10) Doch kann hier nicht der oben Note 9 erwähnte erschwerende Um­ stand angenommen werden. Das ist die einzige praktische Bedeutung des Unterschiedes.

Die Anstiftung.

§ 51.

205

Die clausula generalis in dieser Begriffsbestimmung „oder durch andre Mittel" läßt deutlich erkennen, daß die Aufzählung der Anstiftungsmittel lediglich beispielsweise erfolgte und jedes Mittel, im gegebenen Falle sogar scheinbares Abraten von der Begehung der Handlung, als genügend erachtet werden muß. Nur ist zu beachten, daß Zwang und Drohung nicht in „Nötigung" übergehen, Jrrtumserregung nicht die Vorsätzlichkeit des Thuns ausschließen darf, denn damit würde an Stelle der Anstiftung mittelbare Selbstbegehung treten?) II. Wesentlich ist der Anstiftung die vorsätzliche Bestim­ mung eines andern zu der von ihm begangenen That, d. h. die Hervorrrufung des Entschlusses in dem andern, die That zu begehen. Eben daraus folgt aber auch, daß nur Bestimmung zu v o r s ä tz l i ch e m H a n d e l n als Anstiftung im Sinne des Gesetzes betrachtet werden kann. Es ist mithin nicht Anstiftung: 1. Vorsätzliche Bestimmung zu fahrlässigem Handeln. Viel­ mehr liegt hier ein Fall der fingierten (mittelbaren) Thäterschaft vor. 2. Fahrlässige Bestimmung zu fahrlässigem Handeln. Hier greift, wie oben unter 1 die allgemeine Regel -) durch, daß jeder, der durch sein Verhalten eine Bedingung zu dem eingetretenen Erfolge gesetzt hat, für diesen verantwortlich zu machen ist. 3. Fahrlässige Anstiftung zu vorsätzlichem Thun muß straflos bleiben. Anstiftung im technischen Sinne kann nicht angenommen werden, weil das gesetzlich erforderliche Merkmal der Vorsätzlichkeit fehlt; aber auch mittelbare Selbstbegehung ist ausgeschlossen, da nach Annahme des Gesetzes durch die freie und vorsätzliche Handlung des scheinbar Angestifteten der Kausalzusammenhang unterbrochen wurde?) III. Der Vorsatz des Anstifters setzt sich aus mehreren Ele­ menten zusammen. Er umfaßt: 1. die Vorstellung der eignen >) Vgl. oben § 49 III. 2) Vgl. oben § 48 I. 3) Abweichend von den im Texte dargestellten (sehr bestrittenen) Grund­ sätzen spricht StGB. § 121 Abs. 2 von fahrlässiger Beförderung der Ent­ weichung eines andern. Doch liegt hier eben keine Teilnahmehandlung, son­ dern ein selbständiges Verbrechen vor. — Eine unzweifelhafte Ausnahme ent­ hält dagegen § 18 des Nachdruckgesetzes vom 11. Juni 1870 (geltend auch für die Gesetze vom 9., 10., 11. Januar 1876): „Wer vorsätzlich oder aus Fahr­ lässigkeit einen anderen zur Veranstaltung eines Nachdrucks veranlaßt u. s. w., wird bestraft, mag dieser andere vorsätzlich oder fahrlässig oder schuldlos gehandelt haben."

206

§ 51.

Die Anstiftung.

Thätigkeit; 2. die Vorstellung einer fremden Thätigkeit; 3. die Vor­ stellung, daß diese fremde Thätigkeit durch die eigne werde hervor­ gerufen werden?) Der Anstifter hastet nur für die von ihm vorsätzlich hervor­ gerufene Handlung. Decken sich Handlung des Angestifteten und Anstiftervorsatz in einem wesentlichen Punkte nicht, so liegt dies­ bezüglich Anstiftung nicht vor. Die oben über Vorsatz und Irrtum überhaupt gegebenen Regeln beanspruchen auch hier durchgreifende Geltung. In durchaus unzutreffender Weise spricht man hier wohl von einem excessus mandati. Hat der zu Raub Angestiftete einen Mord, der zu Betrug Angestiftete einen Diebstahl begangen — oder auch umgekehrt —, so kann die begangene Handlung dem Anstifter nicht zum Vorsatze zugerechnet werden. Nur wenn sich die vom Angestifteten begangene Handlung als das Plus gegenüber derjenigen darstellt, zu welcher angestiftet worden, ist Zurechnung des Minus zum Vorsatze des Anstifters möglich; so wenn es sich um Raub statt Diebstahl, oder um einen qualifizierten Fall statt des einfachen handelt. Zu beachten ist in allen diesen Fällen, daß der unbestimmte Vorsatz alle nicht ausgeschlossenen Erfolge umfaßt?) Das Gesagte gilt auch dann, wenn auf seiten des Angestifteten ein sog. error in objecto oder ein sog. aberratio ictus vorliegt?) Auch hier kommen schlechtweg die allgemeinen Regeln über die Behandlung des Irrtums zur Anwendung. Doch kann hier, wenn infolge dieser Regeln der Vorsatz des Hauptthäters als aus­ geschlossen erscheint, auf seiten des Anstifters fingierte (mittelbare) Thäterschaft vorliegen?) IV. Die Anstiftung ist nach der Auffassung unsres positiven Rechtes nicht intellektuelle Urheberschaft, sondern (accessorische) Teil­ nahme an der That eines andern; sie trägt den Grund ihrer Strafbarkeit nicht in sich, sondern entlehnt sie aus dieser fremden 4) Vgl. (teilweise übereinstimmend) II. S. 14. Juni 1881 IV 252; II. S. 9. Dezember 1881 V/227. 5) Vgl. oben § 40 III S. 161. ö) Vgl. oben § 40 IV S. 163. ') Vgl. hier die an einen praktischen Fall (Dochow-Liszt, Strafrechts­ fälle Nr. 62) sich anschließende Litteratur. Bühlau, Der Fall Rose-Rosahl 1859. Goltdammer und Hälschner, GA. VII (1859); Böhlau, GA. VIII (1860); Pfotenhauer, GS. XIII (1861); Geyer, HH. II. S. 360 ff.; Geßler, Dolus u. s. w. S. 240.

Die Anstiftung.

That?)

Daraus folgt,

207

§ 51.

daß von Anstiftung keine Rede sein kann,

wenn auf seiten des Angestifteten nicht eine strafbare Handlung, wenigstens im Stadium des Versuches vorliegt. 1. Anstiftung erscheint demnach als ausgeschlossen, wenn infolge des Mangels

der Rechtswidrigkeit,

der Zurechnungsfähigkeit

einer Bedingung der Strafbarkeit die That

strafbare nicht ist;8 9) sie bleibt dagegen bestehen, strafung

oder

des Hauptthäters eine wenn nur die Be­

oder Verfolgung des Thäters infolge eines

Strafauf­

hebungsgrundes, eines individuellen (subjektiven) Schuldausschließungsgrundes oder des Mangels einer Prozeßvoraussetzung beseitigt oder gehemmt ist. 2. Die versuchte, sei es fehlgeschlagene,

sei es unvollendete,

Anstiftung ist nicht Anstiftung im technischen Sinne.

Denn es fehlt

an der strafbaren Handlung des Thäters, aus welcher die Anstiftung ihren strafbaren Charakter ableiten könnte. Dagegen ist Anstiftung zum Versuche möglich.

Anders liegt

die Sache bei den sog. Agents provocateurs: Anstiftung ist an­ zunehmen, wenn der

Agent die Vollendung wollte; Straflosigkeit

(wegen der Nichtübereinstimmung zwischen seinem Vorsatze und dem des Thäters), wenn er Ertappung auf dem Versuche plante. — Dies ist auch der Grund, aus welchem die versuchte Anstiftung nicht als versuchte Selbstbegehung des Verbrechens betrachtet werden tarnt.10) Zur versuchten (mißlungenen) Anstiftung gehört auch die An­ stiftung des sog. alias facturus, d. h. des schon vor der Einwirkung zur That Entschlossenen. Keine Ausnahme von diesem Satze, vielmehr eine schlagende Bekräftigung desselben,' bilden diejenigen Fälle, in welchen der Gesetz­ geber die erfolglos gebliebene Anstiftung unter Strafe gestellt hat.11) Denn in all diesen Fällen handelt es sich um delicta sui generis, um Handlungen, welche den Grund ihrer Strafbarkeit in sich selbst tragen.

Nur indem ihr Charakter

als Teilnahmehandlungen auf­

gegeben wurde, war ihre Pönalisierung möglich.

8) A. A. v. Buri, Herzog, Binding, Hälschner u. a. Für die richtige Ansicht u. a. auch Schütze, Geyer, Meyer. 9) Es kann hier ein Fall der mittelbaren Thäterschaft vorliegen. 10) A. A. Hälschner u. a. n) So StGB. §§ 49a, 85, 111, 141, 159, 210, 357; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 § 88.

208

g 52.

Die Beihilfe.

V. Aus der accessorischen Natur der Austiftung folgt weiter: 1. Anstiftung zur Anstiftung und Anstiftung zur Beihilfe erscheint als mittelbare Teilnahme an der Hauptthat. 2. Mehrfache Anstiftung zu einer und derselben Hauptthat ist immer nur ein Verbrechen; wenn dagegen zu mehreren Haupt­ thaten durch ein und dieselbe Handlung, z.B. durch ein aufreizendes Wort, angestiftet worden ist, so liegt reale Konkurrenz ebensovieler Verbrechen vor?-) 3. Der Anstifter bleibt straflos, wenn er selbst, sei es durch psychische sei es durch physische Einwirkungen das Zustandekommen der strafbaren Handlung verhindert (daß „Widerruf" nicht genügt, sollte selbstverständlich sein). Auch dieser Satz ergibt sich aus der accessorischen Natur der Teilnahme, und ist nicht als Rücktritt vom nicht beendeten Versuche nach § 46 Ziff. 1 StGB, auszufassen. Dagegen kann sich, wenn beendeter Versuch vorliegt, der Anstifter allerdings durch freiwillige Abwendung des Erfolges (StGB. § 46 Ziff. 2) einen Strafaufhebungsgrund für seine Person sichern?'^) 4. Wenn der Gesetzgeber Versuchs-oder Vorbereitungshandlungen als delicta sui generis unter besondere Strafe gestellt hat?^) so ist Anstiftung zu diesen selbständig strafbaren Handlungen möglich. VI. Die Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat?^)

§ 52. Die Beihilfe. I. Beihilfe ist die vorsätzliche Unterstützung des von einem anderen begangenen vorsätzlichen Verbrechens 12) Sehr bestritten. Die richtige Ansicht vertritt konsequent und entschieden das Reichsgericht. II. S. 21. Dezember 1880 III/145; 111. S. 9. April 1881 IY/95; II. S. 9. Dezember 1881 V/227; II. S. 30. März 1883 VIII/153. 13) Vgl. oben § 47 III 2. 14) Vgl. oben § 45 III S. 187. 1B) Verschieden von dem Anstifter ist der „Anführer" oder „Rädelsführer", welchen der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen — so StGB. §§ 115, 125; Vereinszollges. vom 1. Juli 1869 §§ 146, 147; Seemannsordnung vom 27. De­ zember 1872 §§ 89, 91 u. a. — verwertet hat. — Vgl. auch die Hervorhebung der Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner, Kassierer in sozialdemokratischen Vereinen und Versammlungen in § 17 Sozial.Gesetz vom 21. Oktober 1878. — Die „Stifter" und „Vorsteher" der Verbindung hebt hervor StGB. §§ 128, 129.

Die Beihilfe.

§ 52.

209

oder Vergehens (StGB. § 49). Oder wie das Gesetz sich ausdrückt: „Als Gehilfe wird bestraft, wer dem Thäter zur Begehung des Verbrechens oder Vergehens durch Rat oder That wissentlich Hilfe geleistet hat." Die Beihilfe zu einer Übertretung bleibt demnach straflos?) Die Unterstützung der fremden Handlung kann eine psychische oder physische sein („Rat oder That"), sie kann auch in der vor der That gegebenen Zusage nachträglicher Begünstigung derselben bestehen (StGB. § 257 Abs. 3). Nie aber darf sie Teil der Ausführungs­ handlung, d. h. der letzten entscheidenden Thätigkeit sein.*2)3 II. Obgleich das Gesetz es nicht ausdrücklich hervorhebt, muß doch einerseits wegen der durchgreifenden Parallele zwischen Beihilfe und Anstiftung, anderseits wegen der in unserm positiven Recht festgehaltenen Auffassung der Unterbrechung des Kausalzusammen­ hanges durch die freie und vorsätzliche Handlung eines Zurechnungs­ fähigen, mit einem Worte: wegen der positivrechtlichen Behandlung auch der Beihilfe als eines Falles der Teilnahme — der Begriff der Beihilfe auf die vorsätzliche Unterstützung vorsätzlichen Thuns eingeschränkt werden. Es ist demnach nicht Beihilfe: 1. Vorsätzliche Beihilfe zu fahrlässigem Thun. Vielmehr liegt hier ein Fall der fingierten (mittelbaren) Thäterschaft vor. 2. Fahrlässige Beihilfe zu fahrlässigem Thun. Hier ist der Erfolg allen denjenigen zur Last zu legen, welche schuldhaft eine der Bedingungen zum Erfolge gesetzt haben. 3. Fahrlässige Beihilfe zu vorsätzlichem Thun. Hier kann mittelbare Selbstbegehung wegen der Unterbrechung des Kausal­ zusammenhanges, Beihilfe aber wegen Mangels der vom Gesetze geforderten Vorsätzlichkeit nicht angenommen werden. Es muß dem­ nach Straflosigkeit eintreten. III. Der Vors atz des Gehilfen umfaßt: 1. die Vorstellung der eignen Thätigkeit; 2. die Vorstellung der Thätigkeit eines andern; 3. die Vorstellung, daß diese Thätigkeit durch jene unter* J) 2) 3) zember von

Ausnahme in § 71 des Bahnpolizeireglements vom 4. Januar 1875. Vgl. oben § 50 I 6. 203. Vgl. oben § 51 II S. 205. Tie richtige Ansicht vertritt I. S. 5. De­ 1883 X/8. Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

210

§ 52. Die Beihilfe.

stützt werde.4) Dagegen ist Kenntnis des Thäters von der ihm geleisteten Hilfe nicht erforderlich. Wie der Anstifter,5)6 so 7 haftet auch der Gehilfe für die That des Thäters nur fo weit, als dieselbe von seinem Vorsatze ®) umfaßt war. Wesentlicher Irrtum schließt nach allgemeinen Grundsätzen die Zurechnung zum Vorsatze aus. IV. Die Beihilfe fetzt als (accesforifche) Teilnahme an der That eines andern unerläßlich voraus, daß auf seiten des Thäters eine straf­ bare Handlung, fei es auch nur im Stadium des Versuches, vorliege.') 1. Sie entfällt daher, wenn die Strafbarkeit der That des Hauptthäters aus irgend einem Grunde ausgeschlossen ist, wird dagegen von dem Wegfall der Bestrafung des Thäters nicht berührt. 2. Die versuchte, sei es unvollendete sei es fehlgeschlagene Beihilfe muß straflos bleiben. Hierher gehört auch der Fall, daß die geleistete Hilfe ohne Einfluß auf den Erfolg geblieben ist.8)* 10 Wohl aber kann die Gesetzgebung ausnahmsweise sowohl die Beihilfe zu einem an sich straflosen Thun (z. B. Beihilfe zum Selbst­ morde) als auch die versuchte Beihilfe — immer aber nur als delicta sui generis — unter Strafe stellen. Unser Positives Recht hat das erstere gethan in StGB. §§ 120, 121, 180, 285, 347, 354, 355; das letztere in StGB. §§ 141, 347. V. Aus der accessorischen Natur der Beihilfe folgt weiter8): 1. Beihilfe zur Beihilfe und Beihilfe zur Anstiftung erscheint als mittelbare Teilnahme an der Hanptthat. Daher ist im ersten dieser beiden Fälle die durch § 49 StGB, geforderte Re­ duktion des Strafrahmens nur-einmal vorzunehmen.'8) 2. Mehrfache Beihilfe zu einer und derselben Hauptthat (z. B. durch Rat und That) ist immer nur ein Verbrechen; wenn dagegen zu mehreren Hauptthaten durch eine und dieselbe Hand­ lung (z. B. Anfertigung desselben Einbruchswerkzeuges) Beihilfe ge­ leistet wurde, so liegt reale Konkurrenz ebensovieler Verbrechen vor. 3. Auch der Gehilfe bleibt straflos, wenn er die Hauptthat 4) Vorsatz genügt auch hier, Absicht ist nicht erforderlich. Ebenso III. S. 29. Oktober 1881 V/141. 6) Vgl. oben § 51 III S. 206. «) Unbestimmter Vorsatz genügt auch hier; III. S. 9. April 1881 IV/96. 7) Vgl. oben § 51 IV S. 206. «) A. A. I. S. 20. April 1882 VI,169. «) Vgl. oben § 51 V 6. 208. 10) A. A. Olshausen u. a.

Einfluß pers. Verhaltn, auf d. Strafbarkeit d. Anstiftung u. d. Beihilfe. § 53.

211

verhindert, wird straflos — aber nur für feine Person — durch Abwendung des Erfolges. 4. Beihilfe zu Versuchs- oder Vorbereitungshand­ lungen, welche der Gesetzgeber als delicta sui generis unter be­ sondere Strafe gestellt hat, ist möglich. VI. Die Strafe des Gehilfen ist nach demjenigen Gesetze zu bestimmen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, jedoch nach den über die Bestrafung des Versuches aufgestellten Grundsätzenir) zu ermäßigen. Liegt Beihilfe zum Versuche vor, so ist zweimalige Reduktion des Straf­ rahmens nötig. Nur in einzelnen Fällen droht das Gesetz dem Gehilfen gleiche Strafe wie dem Thäter; so in StGB. § 143 und in § 3 des Stempel­ abgabengesetzes vom 1. Juli 1881. Einen besonderen Strafrahmen für die Beihilfe enthalten StGB. §§ 203 und 219; Wechselstempel­ gesetz vom 10. Juni 1869 § 15 (gegen Makler und Unterhändler, welche wissentlich unversteuerte Wechsel verhandelt haben). Aus­ nahmsweise belegt § 18 Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 die Beihilfe (Hergeben von Räumlichkeiten zu verbotenen Vereinen und Versammlungen) mit schwererer Strafe als die Thäterschaft (das Sich-Beteiligen an solchen Vereinen). Zu beachten ist ferner, daß überall dort, wo der Gesetzgeber Versuch und Vollendung in bezug auf die Bestrafung gleichstellt oder gar schon das Unternehmen mit der Vollendungsstrafe belegt, wegen der thatsächlichen Unmöglichkeit, die vorgeschriebene Reduktion des Strafrahmens vorzunehmen, Thäter und Gehilfe unter denselben Strafrahmen faßen.12) § 53.

Einfluß persönlicher Verhältnisse auf die Strafbar­ keit der Anstiftung und der Beihilfe.

I. Die konsequente, ausnahmslose Durchführung des unser positives Recht beherrschenden Grundgedankens, nach welchem An­ stiftung wie Beihilfe als accessorische Teilnahme an der That eines andern erscheinen, den Grund ihrer Strafbarkeit nicht in sich tragen, sondern aus der That des andern entlehnen — wird durch § 50 “) Vgl. unten § 75 III. 12) Eine besondere Form der Beihilfe enthält § 92 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872: Verweigerung des Gehorsams gegenüber solchen Be­ fehlen des Vorgesetzten, welche sich auf Abwehr oder Unterdrückung von Nöti­ gung und Widerstand beziehen.

212

§ 53. Einfluß pers. Verhaltn, auf d. Strafbarkeit d. Anstiftung u. b. Beihilfe.

StGB, in wesentlicher und auffallender Weise durchbrochen, und an ihre Stelle eine Bestimmung gesetzt, welche nur dann theoretisch gerechtfertigt ist, wenn man in Anstiftung und Beihilfe Formen der Selbstbegehung des Verbrechens erblickt. § 50 bestimmt: „Wenn das Gesetz die Strafbarkeit einer Handlung nach den persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisssen des­ jenigen, welcher dieselbe begangen hat, erhöht oder vermindert, so sind diese besonderen Thatumstände dem Thäter oder demjenigen Teilnehmer (Mitthäter, Anstifter, Gehilfen) zuzurechnen, bei welchem sie vorliegen." II. Die Abweichung von der prinzipiellen Auffassung der Teil­ nahme, welche in dieser Anordnung liegt, ist eine doppelte: 1. Die „besonderen Thatumstände" sind den Anstiftern oder Gehilfen/) bei welchen sie nicht vorliegen, nicht zuzurechnen, ob­ wohl sie, in der Person des Thäters gegeben, die Strafbarkeit der Haupthandlung erhöhen oder vermindern. 2. Die „besonderen Thatumstände" sind den Anstiftern nnd Gehilfen, bei welchen sie vorliegen, zuzurechnen, obwohl sie, weil in der Person des Thäters nicht gegeben, die Strafbarkeit der Haupt­ handlung unberührt lassen. III. Die Bestimmung des § 50 findet nur Anwendung, wenn 1. es sich um persönliche Eigenschaften oder Ver­ hältnisse handelt. Zu diesen gehören Verwandtschaft des Thäters mit dem Verletzten, Beamtenstellung, Jugend, Rückfall/) Gewohnheits- und Gewerbsmäßigkeit/) sowie die in StGB. §§ 157 und 158 erwähnten Fälle/) 2. Wenn die persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafbarkeit der Handlung erhöhen oder vermindern, d. h. zur Aufstellung eines besonderen Strafrahmens führen, mithin als Schärfungs- oder Milderungs-, nicht bloß als Mehrungs- oder Minderungsgründe erscheinen.5) Beispiele: Wenn der Nichtverwandte B den Sohn A des Vaters *) Die Erwähnung der Mitthäter in § 50 ist überflüssig und irreleitend; denn die Mitthäterschaft ist gar kein Fall der Teilnahme. Vgl. oben § 50. Richtig Berner. 2) Ausdrücklich ausgesprochen in § 39 des Tabaksteuerges. vom 16. Juli 1879. ->) II. S. 20. Mai 1881 IV/185. 4) Ferien-S. 10. August 1881 IV/377. 5) Vgl. unten § 73.

Übersicht.

§ 54.

213

C, oder die Mutter A des neugebornen Kindes C zur Tötung des Vaters oder Kindes 0 bestimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A oder die Mutter A dem extraneus B zur Tötung des Vaters oder des Kindes C Hilfe geleistet haben: so ist in beiden Fällen der Fremde B nach den Bestimmungen über gemeine Tötung, der Sohn A nach jenen über Aszendententotschlag, die Mutter A nach jenen über Kindestötung zu beurteilen.6) IV. Handelt es sich dagegen um persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse, welche ein an sich strafloses Thun erst zu einem strafbaren machen, welche die Strafbarkeit also erst begründen, nicht erhöhen oder vermindern: so sind sie, wenn beim Thäter vor­ liegend, dem Anstifter und Gehilfen zuzurechnen; fehlt es an einer solchen Bedingung in der Person des Thäters, so liegt eine strafbare Hauptthat überhaupt nicht vor, und es kann daher auch von Teil­ nahme an einer solchen keine Rede sein. Beispiel: Anstiftung und Beihilfe zu einem reinen Amtsver­ brechen sind nach den für dieses gegebenen Bestimmungen zu beur­ teilen, während wenn der Beamte Anstifter oder Gehilfe, ein Nicht­ beamter aber Thäter ist, ein Verbrechen überhaupt nicht vorliegt; denn der Nichtbeamte kann nur als fingierter, nicht aber als un­ mittelbarer Thäter ein Amtsdelikt begehen.7) V. Dagegen wirken umgekehrt Strafaufhebungsgründe, prozessuale Hindernisse der Strafverfolgung und subjektive Strafausschließungsgründe, auch wenn sie in persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen ihren Grund haben, immer nur für denjenigen, in dessen Person sie vorliegen, so daß es für diese Fälle der Vorschrift des § 50 gar nicht bedurfte.

VIII. Handlungs-Girchett und UerdrechrnsMehrhrit. § 54. Übersicht. I. Die herrschende Ansicht pflegt der Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen (dem sog. concursus delinquentium) die Be*) Bez. der Kindestötung ausdrücklich anerkannt III. S. 8. Mai 188011/154. ’) Ausnahmen in StGB. §§ 354, 355; 331 ff. — Die richtige Ansicht vertritt I. S. 22. Juni 1882 VI/414.

§ 54.

214

Übersicht.

gehung mehrerer Verbrechen durch denselben Thäter als das Zusammentreffen von Verbrechen oder als Verbrechens-Konkurrenz (concursus delictorum, wohl auch Strafen­ konkurrenz) gegenüberzustellen. Sie unterscheidet dabei nach einer doppelten Richtung und gewinnt dadurch folgendes Schema: 1. Gleichartige ideale (oder einthätige) Konkurrenz: durch eine Handlung hat der Thäter dasselbe Verbrechen mehr­ mals begangen.

Beispiel: Ein Wort beleidigt mehrere Personen,

Ein Steinwurf beschädigt mehrere Gegenstände. 2. Ungleichartige ideale Konkurrenz: durch eine Hand­ lung hat der Thäter mehrere Verbrechen verschiedener Art begangen.

Beispiel: Notzucht an der verheirateten Schwester.

3. Gleichartige reale (mehrthätige) Konkurrenz: durch mehrere selbständige Handlungen hat der Thäter das­ selbe Verbrechen

mehrmals

begangen.

Beispiel:

mehrere

selbständige Diebstähle desselben Thäters. 4. Ungleichartige

reale

selbständige Handlungen hat

Konkurrenz: der Thäter

durch

mehrere

mehrere Ver­

brechen verschiedener Art begangen. Beispiel: der Thäter hat sich im Jänner eines Betruges, im März eines Mordes, im Mai einer Unterschlagung schuldig gemacht. Von dem zweiten Falle soll nach der herrschenden Ansicht StGB. § 73, von dem dritten und vierten StGB. § 74 (und 79) handeln; der Fall Eins sei im Gesetze gar nicht ausdrücklich erwähnt; der Begriff der realen Konkurrenz sei dahin einzuschränken, daß die einzelnen Handlungen begangen sein müssen, ehe Eine von ihnen zur Aburteilung kommt.

II. Der herrschenden Ansicht stehen die schwerwiegendsten Be­ denken entgegen. Die Zusammenfassung beider Arten der Konkurrenz zu einem einheitlichen Begriffe beruht auf der Annahme, daß auch in den Fällen der Jdealkonkurrenz eine Mehrheit von Verbrechen begangen worden sei.

Diese Annahme aber steht im Widersprüche

mit den klaren Bestimmungen des Gesetzes und ist auch wissenschaftlich unhaltbar. Wir werden demnach Ideal- und Realkonkurrenz zunächst gänzlich voneinander zu trennen und gesondert zu betrachten haben.

Wir

müssen weiter das Wesen der Jdealkonkurrenz unbefangen, d. h. ohne von dem vorweggenommenen einheitlichen Begriffe der Konkurrenz auszugehen, selbständig untersuchen.

Dabei wird das Schwergewicht

Die natürliche Handlungs-Einheit. § 55.

215

auf die Abgrenzung der Handlungseinheit zu legen sein. Diese Untersuchung wird ergeben, daß auch eine Mehrheit von Einzel­ handlungen auf dem Wege juristischer Abstraktion zu einer Einheit zusammengefaßt werden kann. So tritt neben der natürlichen die juristische Handlungseinheit in den Vordergrund unserer Betrachtungen. § 55. Die natürliche Handlungs-Einheit. *)

I. Um die natürliche Handlungs-Einheit bestimmen zu können, müssen wir von dem Begriffe der Handlung ausgehen?) Wenn Handlung die willkürliche Körperbewegung mit dem durch sie verursachten Erfolge ist, so kann die natürliche Einheit dieser erweiterten Handlungsreihe gegeben sein: 1. Durch die Einheit der Körperbewegung trotz Mehr­ heit des Erfolges. Wenn ein Wort mehrere Menschen beleidigt, ein Schuß mehrere Jagdvögel trifft u. s. w., liegt immer nur eine Handlung vor. Daran kann selbst die Art-Verschiedenheit der ein­ getretenen mehreren Erfolge nichts ändern. Hat der geschleuderte Stein einen Menschen getötet, den zweiten verletzt und außerdem eine Scheibe zertrümmert, so können wir nur von einer Handlung mit mehreren Erfolgen, nie aber von mehreren Handlungen sprechen?) 2. Durch die Einheit des eingetretenen oder vorgestellten Erfolges trotz Mehrheit der Körperbewegungen. Sechs Schüsse aus dem sechsläuffgen Revolver treffen den B und töten ihn durch ihr Zusammenwirken; A beleidigt seinen Gegner, indem er ihn mit einer Flut von Schimpfwörtern überschüttet; die kostbare Marmor­ statue wird durch eine Reihe von Hieben in eine Anzahl kleiner Stücke zerschmettert. Die Schwierigkeit der Beurteilung dieser Fälle liegt in der Mehrdeutigkeit des Ausdruckes „Erfolg"*4) *und 3 in der Schwierigkeit, den materiellen Erfolg juristisch zu bestimmen. Eine durchgreifende Regel läßt sich nicht aufstellen. Doch ist Einheit des Erfolges dann an­ zunehmen, wenn, sei es Einheit des Trägers des angegriffenen x) v. Buri, Einheit und Mehrheit der Verbrechen 1879; Hilter, GS. XXXII (1880; Z. I S. 167); Schütze, Z. III S. 48 ff.; und gegen diesen v. Schwarze, GS. XXXIV (1882; Z. III S. 507). =) Vgl. oben § 28. 3) Eine durch positivrechtliche Anordnung geschaffene Ausnahme von diesem Satze haben wir oben §§ 51 V 2 und 50 V 2 kennen gelernt. 4) Vgl. oben § 29 I.

216

§ 56.

Die juristische Handlungs-Einheit.

Rechtsgutes, fei es eine gewisse Einheitlichkeit der sinnlichen Ver­ körperungen desselben gegeben ist. Wenn daher mehrere Gegen­ stände desselben Eigentümers aus demselben Schranke oder derselben Stube oder demselben Hause gestohlen werden, so liegt immer noch eine (natürliche) Handlungseinheit vor. II. Vielfach hat das Gesetz selbst durch seine Wortfassung darauf hingewiesen, daß die Mehrheit der Körperbewegungen wegen der Ein­ heitlichkeit des Erfolges zu einer Einheit zusammenzufassen sei. Es sind dies die von v. Buri u. a. sogenannten Fälle gesetzlicher Einheit. So spricht § 146 ff. StGB, nicht von der Nachmachung einzelner Geldstücke, sondern von Geld u. s. w. überhaupt;^) so gebraucht § 176 StGB. — wie viele andre — den Plural „unzüchtige Handlungen"; so umfassen die Ausdrücke „Zweikampf", „Schlägerei", „Raufhandel", „Mißhandlung" und manche andre selbstverständlich eine Reihe von Einzelhandlungen. Dennoch ist es unrichtig oder doch irreführend, hier von „gesetzlicher Einheit" zu sprechen. Denn die Einheit ist nicht erst durch das Gesetz geschaffen, sondern in der Einheitlichkeit des Erfolges begründet; auch wenn das Gesetz sich andrer Wendungen bediente, könnte und würde niemand an der Einheit zweifeln. Mit andern Worten: die sog. gesetzliche Einheit ist nur ein Fall der natürlichen Handlungs­ einheit. III. Dagegen liegt eine natürliche Handlungsmehrheit vor, wenn Mehrheit der Körperbewegung und Mehrheit des Erfolges zusammentreffen. So wenn der Thäter durch sechs Schüsse aus seinem Revolver sechs verschiedene Personen verwundet hat; wenn der Injuriant in verschiedenen Äußerungen mehrere Personen be­ leidigt; wenn der Verleger Werke verschiedener Verfasser nach­ druckt u. s. ro.56) § 56,

Die juristische Handlungs-Einheit.

I. Eine Mehrheit natürlicher Handlungen kann durch juristische Abstraktion zu einer künstlichen Handlungseinheit zusammengefaßt werden. 5) Vgl. auch I. S. 4. Dezember 1879 1/25. «) Vgl. III. S. 2. Februar 1881 III/311; II. S. 21. Mai 1881 IV/188; III. S. 28. Januar 1884 X/53 (hier wird mit Recht betont, daß die Einheit des Entschlusses nicht ausreicht, um die Handlungseinheit zu begründen).

Die juristische Handlungs-Einheit.

217

§ 56.

In diesen Fällen muß die Einheit in allen juristischen Beziehungen als solche betrachtet und behandelt werden.

Das

juristisch einheitliche Verbrechen ist demnach überall dort begangen, wo, und

in jedem der Augenblicke,

in welchen

eine der Hand­

lungen begangen wurde; bei einem Wechsel der Gesetzgebung kommt immer das mildere, bei einer Kollision des einheimischen und des fremden Rechtes immer das erstere zur Anwendung.

Ist auch nur

Eine der Einzelhandlungen qualifiziert, so ergreift diese Qualifikation auch die übrigen Handlungen, soweit nicht eben durch die Qualifikation einer Einzelhandlung die Einheit aufgehoben wird.

Die Verjährung

beginnt nicht, ehe die letzte der Handlungen gesetzt wurde, und ebenso ist die Antragsfrist von der letzten Handlung zu berechnen?)

Durch

die Entscheidung über auch nur eine der Einzelhandlungen wird Rechts­ kraft bezüglich der gesamten Einheit begründet u. s. w. II. Die wichtigsten Fälle einer solchen künstlich Verbrechenseinheit sind:

geschaffenen

1. Das fortdauernde Verbrechen,d. i. die kontinuierliche (ununterbrochene) Verwirklichung eines Verbrechensbegriffes. Beispiel: eine durch Wochen oder Monate andauernde Freiheitsentziehung. Nicht zu verwechseln mit dem fortdauernden ist das Zustands verbrechen, welches durch eine einmalige Handlung einen dauernden rechtswidrigen Zustand erzeugt: hierher gehört z. B. die Doppelehe, der Diebstahl u.s. w. Der rechtswidrige Zustand kommt als weitere Folge

der

völlig abgeschlossenen Handlung

strafrechtlich

nicht in

Betracht?) 2. Das fortgesetzte Verbrechen,s) d. i. die nicht konti­ nuierliche, stoßweise Verwirklichung des Verbrechensbegriffes; eine Mehrheit von Handlungen, juristisch zusammengehalten durch die Gleichartigkeitder Schuld, der Körperbewegung und des Erfolges. Wann diese Gleichartigkeit vorliegt, wann nicht, läßt sich durch eine allgemeine Regel hier ebensowenig wie in all den anderen Fällen entscheiden,

in welchen die Rechtswissenschaft mit dem Begriffe der

*) Bedenklich III. S. 29. September 1880 11/338; III. S. 29. Januar 1881 III/326. Vgl. auch unten § 82 Noten 8 und 9. 2) Daher beginnt hier die Verjährung schon mit der Begehung der Hand­ lung, nicht erst mit dem Aufhören des rechtswidrigen Zustandes I. S. 14. Fe­ bruar 1881 III/382. 3) v. Woringen, Über den Begriff des fortgesetzten Verbrechens 1857; John, Fortgesetztes Verbrechen und Verbrechenskonkurrenz 1860. Merkel, Zur Lehre vom fortgesetzten Verbrechen 1862. Derselbe, HH. II und IV.

218

§ 56.

Die juristische Handlungs-Einheit.

Gleichartigkeit arbeitet. Beispiele: Das ehebrecherische Verhältnis des A mit der 0 führt zu einer Reihe von Beischlafsakten; der Diener nimmt sich täglich eine Zigarre aus dem Zigarrenkästchen seines Herrn/) Dagegen könnte von fortgesetzten Verbrechen keine Rede mehr sein, wenn der Ehebrecher, nachdem er das Verhältnis gelöst, später mit einer andern Frauensperson sich vergeht; oder wenn der Zigarrendieb das früher offene, später gesperrte Kästchen gewaltsam erbricht. Zu beachten ist, daß das fortgesetzte Verbrechen als lediglich juristische Handlungseinheit aus einer Mehrheit natürlicher Handlungen besteht. Mit dieser Erkenntnis erscheinen alle Versuche, welche man gemacht hat, um die natürliche Einheit in der Einheit des Entschlusses oder des Erfolges oder der Verübung nachzuweisen, als notwendig verfehlte. Doch läßt sich anderseits auch nicht die nahe Verwandtschaft verkennen, in welcher das fortgesetzte Verbrechen zu dem zweiten Falle der natürlichen Handlungseinhcit45)6steht. * 8 Daß das Gesetz nicht ausdrücklich von dem fortgesetzten Verbrechen spricht, ist kein Grund, dasselbe gänzlich zu verwerfen; °) auch die übrigen Fälle der juristischen Einheit werden nicht ausdrücklich im Gesetze erwähnt. 3. Auch durch eine gemeinsame objektive Bedingung der Strafbarkeit^) kann eine Mehrheit natürlicher Handlungen zur juristischen Einheit zusammengefaßt werden. Ein Beispiel bietet der Bankbruch?) 4. Endlich sind hierher die beiden folgenden vielbesprochenen Fälle zu rechnen:9) a) Die verbrecherische Handlung, welche als Mittel zur Begehung einer andern gedient hat (Beispiel: die Sachbeschädigung beim Einbruchsdiebstahl), ist mit dieser zu einer Einheit zusammen­ zufassen, wenn sie entweder zu den gesetzlichen Merkmalen des letzteren 4) Andre Beispiele: Verausgeben des auf einmal verschafften falschen Geldes in Teilbeiträgen, I. S. 4. Dezember 1879 1/25; wiederholt in mehreren aufeinanderfolgenden Nächten mit demselben Knaben getriebene widernatürliche Unzucht, I. S. 10. Juli 1880 1/450. ») Vgl. oben § 55 II. 6) wie v. Wächter, Oppenhoff, Ortloff, v. Buri, Geyer, Nü­ tz orff u. a. es thun. Dies hat das Reichsgericht wiederholt und ausdrücklich anerkannt. ') Vgl. oben § 42. 8) Vgl. unten § 105 II über die Konsequenzen aus dieser Ansicht. ») Vgl. Schütze Z. III S. 48ff.

Das sogenannte Kollektivdelikt.

§ 57.

219

gehört, oder als das dem gewöhnlichen Hergange entsprechende Mittel vom Gesetzgeber stillschweigend vorausgesetzt wird. 10) b) Die verbrecherische Handlung, welche als Mittel zur Verdeckung einer andern gedient hat (Beispiel: die Aneignung der durch Betrug erlangten Sache), ist mit dieser zu einer Einheit zusammenzufassen, wenn sie zu den gesetzlichen Merkmalen der letzteren gehört oder als das dem gewöhnlichen Hergange entsprechende Mittel stillschweigend von dem Gesetzgeber vorausgesetzt wird. § 57. Das sogenannte Kollektivdelikt?)

I. Als Kollektivdelikte werden folgende Fälle bezeichnet. 1. Das gewerbsmäßige Verbrechen.2)* 4Dasselbe 56 charakte­ risiert sich einerseits durch den auf öftere Wiederholung gerichteten Vorsatz, anderseits durch die Absicht des Thäters, sich durch diese Wiederholung eine, wenn auch nicht regelmäßig oder dauernd fließende Einnahmsquelle zu verschaffen?) 2. Das geschäftsmäßige Verbrechen?) Es teilt mit dem gewerbsmäßigen den auf öftere Wiederholung gerichteten Vorsatz, unterscheidet sich von ihm aber durch das Fehlen der Absicht, sich eine Einnahmsquelle zu eröffnen. 3. Das gewohnheitsmäßige Verbrechen.^) Es liegt vor, wenn infolge wiederholter Begehung die motivierende Kraft des ver­ brecherischen Reizes verstärkt, die Widerstandskraft geschmälert ist. °) Im Bilde ausgedrückt ist Gewohnheit für den Kriminalisten der Zu­ stand des labilen sittlich-rechtlichen Gleichgewichts, in welchem ein dem Durchschnittsmenschen gegenüber nicht motivierender Reiz dem sittlich 10) Nicht im Widerspruche mit dem Gesagten II. S. 3. Oktober 1882 VII/60. 4) Dochow, Zur Lehre vom gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Verbrechen 1871. v. Lilienthal, Beiträge zur Lehre vom Kollektivdelikt 1879. Schütze Z. III S. 48ff. Wahlberg, Ges. Schriften I S. 136 ff. 8) Dgl. StGB. §§ 260, 284, 294, 302d, 360 Ziff. 6; Münzgesetz vom 9. Juli 1873 § 13; Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 § 57 Abs. 2; Patent­ gesetz vom 25. Mai 1877 §. 4. 8) III. S. 10. Dezember 1879 1/119. 4) StGB. § 144, Sozialistengesetz § 22. 5) StGB. §§ 150, 180, 260, 302 d; Münzgesetz vom 9. Juli 1873 § 13. 6) Vgl. Hälschner I. 543, 197. Sozialpolitische Bedeutung oben §§ 2 und 3.

220

§ 57.

Das sogenannte Kollektivdelikt.

herabgekommenen Verbrecher gegenüber die Kraft eines Motives er­ langt. Die Wiederholung bewirkt, daß der Mechanismus von Vor­ stellungen und Willensimpulsen sich beinahe selbstthätig abwickelt, daß die Handlung gewissermaßen in ausgefahrenen Geleisen sich ohne Hindernis fortbewegt. II. Der Begriff des Kollektivdeliktes ist wiederholt, in jüngster Zeit insbesondere von v. Lilienthal, lebhaft angefochten worden. Nähere Betrachtung zeigt, daß die Angriffe teilweise, aber auch nur teilweise berechtigt sind. Zunächst ist zuzugeben, daß eine einzige begangene oder für den Strafrichter in Frage stehende Handlung als eine gewerbs-, geschäfts-, gewohnheitsmäßig begangene erscheinen kann. Wo aber nur eine natürliche Handlung vorliegt, da könne, meint man, von künst­ lerischer Schaffung einer juristischen Handlungseinheit keine Rede sein. Dennoch läßt sich auch in diesem Falle von einem Kollektivdelikte sprechen. Mit der einen begangenen Handlung werden nämlich zur juristischen Einheit zusammengefaßt: a) beim gewerbs- und geschäfsmäßigen Verbrechen die vom Thäter beabsichtigten, aber noch nicht begangenen weiteren Delikte; b) beim gewohnheitsmäßigen Verbrechen die vorher begangenen, wenn auch strafrechtlich irrelevanten Handlungen. Deutlicher aber zeigt sich der Charakter dieser Fälle, wenn wirklich mehrere Handlungen der richterlichen Entscheidung unter­ zogen werden. Denn hier ist trotz der Mehrheit der selbständigen natürlichen Handlungen nicht Realkonkurrenz, sondern unzweifelhaft nur ein Verbrechen anzunehmen.^) Eben darum ist für die Zusammenfassung die Strafbarkeit der einzelnen zusammenzufassenden Handlungen gleichgültig; auch ver­ jährte, begnadigte, im Auslande begangene, bereits abgeurteilte, ja selbst nicht einmal rechtswidrige Handlungen können mit heran­ gezogen werden.8) Am deutlichsten aber tritt der Kollektivdelikts-Charakter dieser Fälle zu Tage aus dem Gebiete des Prozeßrechts. Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung sind die sämtlichen zur Einheit ge’) Ebenso II. S. 23. Januar 1883 VIII/16. 6) Daher können auch Wucherhandlungen, welche vor dem 14. Juni 1880 begangen worden, zur Begründung der Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit des Wuchers verwendet werden. Das Reichsgericht schwankt. Richtig I. S. 23. Januar 1882 V/397; unrichtig II. S. 24. Januar 1882 V/370.

Die sogenannte Jdealkonkurrenz.

§ 58.

221

hörigen wenn auch nicht bekannt gewordenen Handlungen; nach­ trägliche Verfolgung der einen oder andern dieser später bekannt werdenden Handlungen wird durch die rechtskräftige Erledigung des Kollektivdeliktes ausgeschlossen.9) Somit gehört auch das gewerbs-, geschäfts- und gewohnheits­ mäßige Verbrechen als Kollektivdelikt zu den Fällen der juristischen Handlungseinheit, und ist in allen juristischen Beziehungen als eine solche zu betrachten und zu behandeln.10) § 58.

Die sogenannte Jdealkonkurrenz.*)

I. Das Verbrechen ist in erster Linie Handlung, d. h. ein (na­ türliches) Thun oder Lassen.*2)3 Daraus folgt mit unabweislicher Notwendigkeit, daß Einer natürlichen Handlung auch immer nur Ein Verbrechen entsprechen kann; daß es un­ möglich ist, durch eine Handlung mehrere Verbrechen zu begehen. Der natürlichen Handlungseinheit steht aber in allen juristischen Be­ ziehungen die juristische Handlungseinheit gleich. Die herrschende Ansicht dagegen stellt, wir wir gesehen haben, der Realkonkurrenz die (gleichartige oder ungleichartige) Jdealkon­ kurrenz gegenüber: die Begehung mehrerer Verbrechen durch eine und dieselbe Handlung. Diese Ansicht wird zunächst durch das Gesetz selbst widerlegt. Dieses kennt nirgends die gleichartige, sondern einzig und allein die ungleichartige Jdealkonkurrenz. Und auch diese ist ihm nicht etwa Begehung mehrerer Verbrechen, sondern (§ 73) Verletzung mehrerer Strafgesetze durch eine und dieselbe Handlung. Und in der That ist in diesen Worten des Gesetzes das Wesen der sogenannten Jdealkonkurrenz so klar und scharf wie nur irgend möglich ausgesprochen. Sie ist Verletzung mehrerer Straf­ gesetze durch eine und dieselbe Handlung; also nicht Ver­ brech e n s konkurrenz, sondern Gesetzeskonkurrenz. In der Be°) Ebenso das Reichsgericht. 10) Vgl. oben § 56 I 6. 217. *) Unbedeutend: Habermaas, Die ideale Konkurrenz der Delikte 1882 (Z. III S. 506), und Löwenstein, Die Verbrechenskonkurrenz nach dem RStGB. 1883 (Z. III. 706). 2) Vgl. oben § 23 I. 3) Vgl. oben § 54 I.

222

§ 58.

Die sogenannte Jdealkonkurrenz.

Handlung der sogenannten Jdealkonkurrenz aber müssen zwei Fälle unterschieden werden. II. Der erste Fall. letzten

Strafgesetzen

Wenn eins

von den mehreren ver­

die Handlung nach

allen

ihren Seiten berücksichtigt, so daß Thatbestand und Ver­ brechensbegriff

sich vollständig

decken,

so

ist lediglich

Strafgesetz auf die Handlung anzuwenden.

dieses

Es gehören

hierher jene Fälle, welche bereits von Merkel aus der Jdealkon­ kurrenz ausgeschieden und als „Gesetzes-Konkurrenz" bezeichnet wurden. Im einzelnen wäre zu beachten:

1. Die besondere Bestimmung — lex specialis — geht der allgemeinen — der lex generalis vor. So fällt Majestätsbeleidigung immer unter § 95 StGB., nie unter § 185; so ist Fälschung eines Legitimationspapieres zum Zwecke besseren Fortkommens immer nach § 363 StGB., nie als Urkundenfälschung im Sinne des § 267 zu behandeln. In den Nebengesetzen ist dies zum Teil ausdrücklich angeordnet; vgl. Gewerbeordnung vom 21. Juni 1867 §§ 147, 148.4)* 6 2. Die qualifizierte Normübertretung absorbiert die einfache, die schwerere vernichtet die leichtere. Einbruchsdiebstahl ist nur nach § 243 StGB, zu beurteilen; wer die falschen Schlüssel geliefert und dann mit andern Thätern selbst gestohlen hat, kommt nur als Mitthäter, nicht auch als Gehilfe in Betracht;^) vollendeter Zweikampf schließt die Anwendung des § 201 StGB., vollendeter Hochverrat die der §§ 83—86 StGB. aus. Ebenso geht umgekehrt der privilegierte Fall dem Normalfall vor: die Tötung eines unehelichen Kindes durch die Mutter in oder gleich nach der Geburt ist immer nur nach StGB. 8 217 zu be­ strafen. 3. Wenn das positive Recht die Möglichkeit einer mehrfachen Bedeutung derselben Handlung für die Rechtsordnung dadurch be­ rücksichtigt,

daß es

zusammengesetzte Verbrechensthatbestände

bildet, so ist die konkrete Handlung nur unter diesen zusammen­ gesetzten Thatbestand, nicht aber unter dessen Elemente zu subsumieren. So ist der Begriff des Raubes aus Diebstahl und Nötigung, jener

4) In § 147 ist die Gewerbe-Ordnung, in § 148 sind die Steuergesetze als lex specialis bezeichnet. 6) Vgl. oben § 48 IV.

Die sogenannte Jdealkonkurrenz.

§ 58.

223

der Notzucht aus Nötigung und Verletzung der Geschlechtsehre des Weibes zusammengesetzt; gewaltsame Sachentziehung, erzwungener Bei­ schlaf sind darum immer nur als Raub oder Notzucht aufzufassen. 4. Wenn zwei zum Schutze desselben Rechtsgutes bestimmte Normen zu einander in betn Verhältnisse von allgemeiner Norm und Gehorsamsnorm stehen ®) und dieselbe Handlung beide Normen ver­ letzt, so ist nur die Übertretung der allgemeinen Norm ins Auge zu fassen. Wer z. B. durch schnelles Fahren einen Menschen getötet hat, ist nur nach § 222, nicht auch nach § 366 Ziff. 2 StGB, zu bestrafen. III. Der zweite Fall. Die unvermeidliche Lückenhaftigkeit unserer Gesetzgebung bringt es mit sich, daß diese Regel in zahl­ reichen Fällen versagt, daß wir keinen Paragraphen finden, welcher der Handlung nach allen ihren Seiten gerecht würde. In diesen Fällen bleibt nur ein, freilich gewaltsamer und wenig befriedigender Ausweg: wir wenden jenes Strafgesetz an, welches uns durch die Spannweite seiner Strafrahmen die volle Würdigung der Handlung wenigstens annäherungs­ weise gestattet. So ist die Notzucht an der eignen Tochter, die sowohl unter § 173 als unter § 177 StGB, fallen würde, nach dem letzteren Paragraphen zu bestrafen. Diese subsidiäre Aus­ hilfsregel und nicht mehr spricht § 73 StGB, aus: „Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze ver­ letzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung." Ein begrifflicher Unterschied zwischen diesen Fällen und den oben II. besprochenen liegt nicht vor. Hier wie dort handelt es sich nicht um die Konkurrenz von Verbrechen, sondern um die Konkurrenz von Strafgesetzen.*7) Der Unterschied liegt nur darin, daß wir dort im Gesetze selbst einen sicheren Anhaltspunkt zu durchaus sachgemäßer Entscheidung haben, hier dagegen nur mühsam über die vom Gesetze gelassene Lücke hinwegkommen.8) «) Vgl. oben § 26 II. 7) Ähnlich auch Hiller und Schütze. 8) Sehr bezeichnend ist der von Olshausen gelegentlich gemachte Ver­ gleich : Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn sich die Verbrechensbegriffe wie konzen­ trische, Jdealkonkurrenz, wenn sie sich wie exzentrische Kreise zu einander verhalten.

224

§ 58.

Die sogenannte Jdealkonkurrenz.

Für den Richter ergiebt sich in dem letzteren Falle die Not­ wendigkeit, urteilsmäßig festzustellen9) — eventuell durch Befragung der Geschwornen —, daß die Handlung unter beide Strafgesetze fällt, und was ihn bei der Auswahl geleitet. Hat er aber die Wahl einmal getroffen, so ist das mildere Strafgesetz in keiner Weise zu berücksichtigen. Eben darum kann, wenn das schwerere Gesetz ein geringeres Minimum hat als das mildere, unter das Mindestmaß des letzteren bei der Strafzumessung herabgegangen werden.10) Eine etwa in dem milderen Strafgesetze angedrohte Nebenstrafe kann bei Anwendung des schwereren Gesetzes, welches sie nicht kennt, nicht verhängt werden.xl) Nachträgliche Verfolgung wegen des leichteren Deliktes wird durch die Rechtskraft des Urteils ausgeschlossen, es kann mithin auch nicht etwa später die Annahme eines Rückfalls auf jene Feststellung gegründet werden.12) Welches Strafgesetz als das mildere anzusehen, ist nach den oben13) angegebenen Regeln zu beurteilen. IV. Die sog. gleichartige Jdealkonkurrenz der herr­ schenden Ansicht dagegen ist weder Konkurrenz überhaupt, noch auch Jdealkonkurrenz in betn eben erörterten Sinne. Hat ein Schuß mehrere Menschen verletzt, ein Wort mehrere Personen beleidigt, ein diebischer Griff mehrere Eigentümer geschädigt, so ist die Handlung unzweifelhaft als Körperverletzung, Beleidigung, Diebstahl aufzufassen und ein anderer Verbrechensbegriff kommt gar nicht in Frage.14) Damit entfällt die einzige Voraussetzung, die uns berechtigt, von idealer Konkurrenz zu sprechen. Es ist die übertretene Norm auch nicht mehrmals, sondern nur einmal, wenn auch in verschiedenen Trägern des durch die Norm geschützten Rechtsgutes verletzt. Die Strafrahmen der Reichsgesetzgebung sind groß genug, °) Verurteilung wegen beider Verbrechen im entscheidenden Teile des Ur­ teils ist nicht notwendig. Vgl. aber auch II. S. 17. Mai 1881 IV/180. 10) Unrichtig I. S. 3. März 1881 III/390. Richtig III. S. 8. Februar 1883 VIII/84. n) I. S. 5. Januar 1882 V/420. — Ob Z 200 neben der schwereren Strafe angewendet werden kann, hängt davon ab, ob man die Publikations­ befugnis für Strafe oder für Genugthuung hält. Vgl. darüber unten § 60 II. 12) Ebenso v. Buri, Binding, Merkel, Geyer, v. Schwarze; da­ gegen Meyer, Oppenhoff, Olshausen. 13) § 18 III. 14) Im Resultate, nicht in der Begründung übereinstimmend I. S. 1. Juli 1880 11/255.

Die Mehrheit der Verbrechen.

Rückfall und Realkonkurrenz.

§ 59.

225

um die Berücksichtigung dieses Umstandes zu gestatten. Von idealer Konkurrenz aber kann keine Rede sein. Das der herrschenden Ansicht so unerklärliche Schweigen des Reichs­ strafgesetzbuches hat mithin seinen guten Grund. Eine Handlung, ein Verbrechen, ein Strafgesetz: für diese Fälle bedurfte es keiner ausdrücklichen Vorschrift. Damit ist auch die vielbesprochene Frage, ob auf diese Fälle § 73 StGB, analog anzuwenden sei15) — eine Frage, die bei richtiger Fassung des Konkurrenzbegriffes gar nicht aufgeworfen werden kann — erledigt. § 59. Die Mehrheit der Verbrechen. Rückfall und Nealkonkurrenz. *) Mehrere Verbrechen desselben Thäters stehen nicht notwendig in juristischer Beziehung zu einander. Wir haben im Gegenteile, von besonderer gesetzlicher Anordnung abgesehen, die mehreren Verbrechen desselben Thäters ebenso selbständig zu behandeln, wie mehrere Handlungen verschiedener Thäter. Eine strafrechtlich relevante Be­ ziehung der mehreren Handlungen desselben Thäters untereinander entsteht nur durch positivrechtliche, von sekundären Gesichtspunkten beeinflußte Anordnung des Gesetzgebers. Nach geltendem Rechte kann diese Beziehung sein: I. Rückfall; d. i. Begehung eines gleichen oder gleichartigen Verbrechens nach gänzlicher oder teilweiser Verbüßung oder Er­ lassung der wegen eines früher begangenen gleichen oder gleicharti­ gen Verbrechens zuerkannten Strafe; vorausgesetzt, daß nicht seit Verbüßung oder Erlaß der früheren Strafe bis zur Begehung des neuen Verbrechens ein gewisser Zeitraum (sogenannte Rückfalls Verjährung) verstrichen ist, welcher die strafrechtliche Beziehung zwischen beiden Handlungen als zerrissen erscheinen läßt. Der Rückfall wird nach Reichsrecht nur in einzelnen Fällen, und zwar immer nur als Strafschärfungsgrund verwendet?) II. Sogenannte reale Konkurrenz oder Zusammen­ treffen mehrerer strafbarer Handlungen. Die konsequente Durch“) Bejaht von Merkel, Wächter, Meyer, Hälschner u. a; v. Buri will § 74 anwenden, Schütze das richterliche Ermessen entscheiden lassen. ]) Olshausen, Einfluß der Vorbestrafungen 1879. Rosenblatt, Strafenkonkurrenz 1879. s) Vgl. unten § 74 I. von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

226

§ 59.

Die Mehrheit der Verbrechen.

Rückfall und Realkonkurrenz.

führung des prinzipiell unstreitig richtigen Gedankens, daß bei Be­ gehung mehrerer Verbrechen durch denselben Thäter jede der ver­ brecherischen Handlungen mit der ihr entsprechenden Einzelstrafe, die Summe jener Handlungen daher mit der Summe dieser Einzel­ strafen zu belegen sei, führt nach der heute in der Gesetzgebung herrschenden Auffassung zu unerträglichen Härten?) Die gesetzliche Anordnung der Milderung dieser Härten erheischt die gesetzliche Fixierung der Voraussetzungen, unter welchen die Abweichung von dem Prinzipe stattfinden soll, und führt somit zu der Aufstellung des Begriffes der Realkonkurrenz. Der Begriff verdankt mithin lediglich den Bedürfnissen der Strafanwendungspolitik seine Ent­ stehung?) Voraussetzungen der Realkonkurrenz sind: einerseits die, wenn auch thatsächlich vereitelte, rechtliche Möglichkeit gleich­ zeitiger Aburteilung, anderseits die thatsächliche Mög­ lichkeit nachträ glich er Berücksichtigung jener recht­ lichen Möglichkeit. Genauer gesprochen: Realkonkurrenz ist die Begehung mehrerer verbrecherischer Handlungen durch denselben Thäter, wenn 1. die mehreren Handlungen begangen waren, ehe wegen einer von ihnen das Urteil gesprochen worden ist (Rechtskraft des Urteils nicht erforderlich). Beispiel: Die Verbrechen a, b, c sind am 1. Januar, 1. Februar, 1. März begangen; Real­ konkurrenz liegt vor, wenn die Aburteilung wegen a, b und c am 15. März erfolgt; aber auch dann, wenn am 15. März lediglich über das Verbrechen a gesprochen wurde und die Verbrechen b und c erst nachträglich zum Vorschein kommen. Dagegen steht das am 16. März begangene Verbrechen d nicht mehr in Realkonkurrenz mit a, b und c (StGB. § 74). 2. Wenn die verwirkten Strafen gleichzeitig zur Vollstreckung kommen. Dies ist zunächst der Fall, wenn sämtliche strafbare Handlungen Gegenstand derselben Verhandlung und Entscheidung waren. Bei nicht gleichzeitiger Aburteilung ist Realkonkurrenz nur dann anzunehmen, wenn die nachträgliche Ent­ scheidung über das später entdeckte Verbrechen stattfindet, solange eine Verbessemng des früheren Urteils noch möglich ist, solange also die in dem früheren Urteile ausgesprochene Strafe noch nicht voll-) Vgl. unten § 78 I. 4) Eben darum sprechen Geyer, Hälschner, Rosenblatt u. a. statt von Verbrechenskonkurrenz von Strafenkonkurrenz.

Der Begriff der Strafe.

§ 60.

227

ständig verbüßt, verjährt oder erlassen ist (StGB. § 79). Beispiel: Ist der Verbrecher wegen a am 15. März zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden, so ist Realkonkurrenz von b und c mit a an­ zunehmen, wenn b und c vor dem 15. Juni zur Aburteilung kommen, nicht aber, wenn an dem Tage, an welchem das Urteil wegen b und c gefällt werden soll, die wegen a erkannte Strafe bereits verbüßt, verjährt oder erlassen ist. Das spätere Urteil hat dann unter Be­ rücksichtigung der früher ausgesprochenen Gesamtstrafe auf eine Zusatz st rase zu erkennen?)

Zweites Buch.

Die Strafe. I.

§ 60. Der Begriff der Strafe. I. Strafe ist die Rechtsgüterverletzung, welche der Staat, als Träger und Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung (als Inhaber der öffentlichen Zwangsgewalt), gegen den Übertreter eines staatlichen Imperatives aus Anlaß dieser Übertretung durch seine gericht­ lichen Organe verhängt. Das ist der formale Begriff der Strafe. Alle einzelnen Merk­ male müssen gegeben sein, um ihn zu erfüllen. Eine Rechtsfigur, welcher eins dieser Merkmale fehlt, kann mit der Strafe verwandt, sie kann aber nie Strafe sein. II. Die Strafe ist Rechtsgüterverletzung („Einbuße an Rechtsgütern" sagt Binding); sie ist ein malum passionis.1) Dadurch unterscheidet sie sich wesentlich von dem Schadensersatz, mag sie auch mit ihm unter den gemeinsamen höheren Begriff der Reaktion 5) Aber auch wenn jemand mit Außerachtlassung des § 79 StGB, durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu mehreren Strafen verurteilt wurde, sind die erkannten Strafen noch nachträglich durch gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen. StPO. §§ 492, 494. 2) Daher kann die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besserungs­ anstalt nicht als Strafe aufgefaßt werden.

§ 60.

228

Der Begriff der Strafe.

gegen das Unrecht gebracht werden können.

Denn Schadensersatz

ist Beseitigung der Rechtsgüterverletzung; er heilt die Wunde, während die Strafe eine neue Wunde schlägt?) Es warnen.

ist jedoch dabei

vor einem

weitverbreiteten Irrtume zu

Ersatz des Schadens ist ein weiterer Begriff als Ersatz des

pekuniären Schadens; jedes Rechtsinstitut, das die Heilung der durch das Unrecht geschaffenen Rechtsverletzung bezweckt, können wir unter jenen Begriff bringen, auch wenn die Verletzung der Abschätzung in Geld nicht zugänglich ist.

Paffend bezeichnet man den Ersatz des

ideellen, d. h. pekuniär nicht abschätzbaren, Schadens als Genug­ thuung. zur Strafe.

Sie ist nach dem Gesagten in begrifflichem Gegensatze Fälle der Genugthuung sind:

1. Die Buße, die sich im RStGB. wie in den die Indi­ vidualrechte schützenden Nebenstrafgesetzen findet;^ das gleiche gilt von dem Schmerzensgelde, das eben darum, soweit das Gebiet der Buße reicht, als aufgehoben zu betrachten ist?) 2. Die Ausfertigung des verurteilenden Erkenntnisses an den Verletzten, sowie die Befugnis zur öffentlichen Bekanntmachung desselben auf Kosten des Verurteilten?) Denn auch hier handelt es sich nicht darum, durch Demütigung des Beleidigers diesen in seinen Rechtsgütern zu verletzen, sondern darum, die verletzte Ehre des Be­ leidigten durch gerichtliche Ehrenerklärung wieder herzustellen (resti­ tutio famae).2 6) 3 4 5

Eine ganz singuläre Verbindung von Ersatz und Strafe, von Schadensersatz und pönalem Element enthält § 55 Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870, nach welchem die Entschädigung des Verletzten gebildet wird durch den ganzen Betrag der Einnahme von jeder 2) Ebenso Binding, Normen I S. 166; a. A. Merkel, Abhandlungen I S. 57, Heinze, HH. I S. 337. 3) Vgl. unten § 72. 4) Vgl. oben § 18 I. 5) StGB. §§ 165 und 200; § 17 Markenschutzgesetz vom 30. November 1874; § 35 Patentgesetz vom 25. November 1877. Dagegen ist die Veröffent­ lichung des Urteils Neben st rase in § 16 Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879. 6) A. A. das Reichsgericht im Anschlüsse an Dochow, Meyer, Schütze, Rudorfs, aber ohne überzeugende Gründe. Vgl. I. S. 7. April 1881IV/218; Ver. S. 17. April 1882 Vl/180; II. S. 19. Januar 1883 VII/437. Auch in der Litteratur ist die Frage kontrovers. Die richtige Ansicht vertritt gegen das Reichsger. Fuchs, GA. XXIX (Z. 1881; II S. 380). Ebenso im wesentl. John, Olshausen u. a.

Der Begriff der Strafe.

§ 60.

229

unbefugten öffentlichen Aufführung eines dramatischen u. f. w. Werkes ohne Abzug der auf dieselbe verwendeten Kosten. III. Strafe ist Verletzung eines Rechtsgutes, dessen Träger der Normübertreter ist. Trifft die Verletzung einen dritten, so liegt nicht Strafe im eigentlichen Sinne vor. Daher scheiden aus dem Begriffe der Strafe aus: 1. Objektive Maßregeln, wie die Auflösung einer Ver­ sammlung, das Schließen eines Vereines, einer Kasse; ferner die Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung von Gegenständen in zwei Fällen: a) wenn die Einziehung u. s. w. selbständig, d. h. unabhängig von der Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person ausgesprochen werden kann;7)8 9 b) wenn die Einziehung u. s. w. zwar an die Verurteilung einer bestimmten Person geknüpft ist, sich aber auch auf solche Gegen­ stände erstrecken kann, welche weder dem Thäter, noch einem der Teilnehmer gehören?) 2. Die subsidiäre Haftung dritter Personen für die von dem Schuldigen verwirkten Geldstrafen, die sich in vielen Reichs­ und Landes-Nebenstrafgesetzen ausgesprochen findet?) Doch ist die Natur dieses Rechtsinstitutes keine unzweifelhafte. Am nächsten liegt es, dasselbe als eine besondere, aus öffentlich-recht­ lichen Gründen erfolgte Ausgestaltung der zivilen Haftung für fremde Schuld aufzufassen. Danach würden in bezug auf Verjährung, Be­ gnadigung u. s. w. die Grundsätze des Zivilrechts anzuwenden fern.10) 7) StPO. §§ 477 ff. regeln das besondere hier eintretende „objektive" Ver­ fahren. Hierher gehören: StGB. §§ 42 und 152 ; Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§ 21, 22 und 25, und die Urheberrechtsgesetze vom 9., 10., 11. Januar 1876; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1876 § 10; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 15; Ges. betr. die Küstenfrachtfahrt vom 10. Juni 1881 § 3. 8) StGB. §§ 41, 152, 295, 296 a, 367, 369; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 15; Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 §§ 65 und 66; Ges. betr. Küstenfrachtfahrt vom 10. Juni 1881 § 4. Dagegen enthält § 295 eine eigentliche Strafe, I. S. 17. Dezember 1882 VII/311. 9) Vgl. die Reichsgesetze vom 8. Juli 1868; § 153 Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869; § 18 Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878; § 43 Tabak­ steuergesetz vom 16. Juli 1879; Warenverkehrsstatistikgesetz vom 20. Juli 1879 § 17; die landesrechtl. Feld- und Forstpolizeigesetze u. s. w. 10) Vgl. über dieses Institut insbes. Krone cker, GA. XXVIII(1880; Z. I S. 168). — III. S. 25. Mai 1882 VI/382 betont, daß „eigentliche strafrechtliche Fahrlässigkeit" nicht erforderlich sei, ohne sich aber prinzipiell auszusprechen.

230

§ 60.

Der Begriff der Strafe.

Ist der Haftpflichtige selbst neben einer derjenigen Personen, für die er zu haften hat, an dem begangenen Delikte strafrechtlich be­ teiligt, so kann ihn die Zahlung zweimal treffen: einmal als Strafe, dann aber als (zivilrechtliche) Haftung für seinen Genossen.") Es ist weiter möglich, daß dieselbe Person für mehrere an der­ selben That Beteiligte mehrfach zur Haftung herangezogen wird, oder daß trotz Erfüllung der Haftpflicht hinterher noch Anklage wegen Teilnahme an dem Vergehen erhoben wird, und umgekehrt. Auch ist es nur bei dieser Auffassung erklärlich, daß auch Kollektivpersönlichkeiten, wie Aktiengesellschaften, Eisenbahnunternehmungen u. s. w., deren strafrechtliche Verantwortlichkeit in unserem positiven Rechte prinzipiell ausgeschlossen ist,12) vom Gesetze ausdrücklich der Haftung unterstellt werden. Diesen Erwägungen gegenüber kann es für die Konstruktion dieses Rechtsinstitutes nicht als entscheidend betrachtet werden, daß vielfach die Haftung mit dem Nachweise entfällt, die Übertretung sei ohne Vorwissen des Haftpflichtigen begangen worden. Am interessantesten ist in dieser Beziehung § 38 Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872, nach welchem der Gewerbsinhaber für seine Verwalter, Gehilfen, Hausgenossen nur dann haftet, wenn er bei Auswahl, Anstellung, B eaufsichtigung dieser Personen fahrlässig, d. h. nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Ge­ schäftsmannes zu Werke gegangen ist. Wesentlich verschieden von dieser subsidiären, nicht strafrechtlichen Haftung ist die primäre rein strafrechtliche Haftung des Gewerbe­ inhabers, die nicht im Reichsrechte, wohl aber partikularrechtlich (z. B. preußische Steuerordnung vom 8. Februar 1819) sich findet.") Dagegen ist die in § 151 Gewerbe - Ordnung bestimmte Mit­ haftung des verfügungsfähigen Vertretenen, mitdessenVor wissen der Stellvertreter die Übertretung begangen hat, als eigentliche Strafdrohung (für Mitthäterschaft) zu betrachten. IV. Die Rechtsgüterverletzung muß von dem Staate als dem Inhaber der öffentlichen Zwangsgewalt, als dem Träger und Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung verhängt werden. Sie muß vom Staate verhängt werden. Die Konventio“) vember 12) 1$)

A. A. III. S. 24. März 1880 1/334; richtig dagegen III. S. 6. No­ 1880 III/105 (im Anschlüsse an die Praxis des OT.). Vgl. oben § 27 II. Vgl. II. S. 28. Mai 1880 11/70.

Der Begriff der Strafe.

§ 60.

231

naIstrafe hat somit mit der staatlichen Strafe sowenig zu thun, wie die außerstaatliche Disziplinarstrafe.") Sie muß vom Staate verhängt werden. Alle die ipso jure eintretenden Rechtsfolgen der Verurteilung scheiden demnach aus dem Gebiete der Strafe aus. Dies gilt auch von der dauernden Unfähigkeit zum Dienste in dem deutschen Heere und der Kaiser­ lichen Marine, sowie zur Bekleidung öffentlicher Ämter, welche mit der Verurteilung zur Zuchthausstrafe „von Rechtswegen" verbun­ den ist.15) Sie muß endlich vom Staate verhängt werden als dem Inhaber der öffentlichen Zwangsgewalt, als dem Träger und Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung. So wie die Bestrafung in Haus und Schule, in Kirche und Vereinigung nicht Strafe im technischen Sinne ist, so ist auch die Bestrafung, die zwar vom Staate, aber nicht kraft der ihm zukommenden öffentlichen Zwangsgewalt ausgeht, keine eigentliche Strafe. Dies ist der Grund, warum die staatliche Disziplinarstrafe, die der Staat im Interesse des internen Dienstes verhängt, nicht Strafe im engeren Sinne ist. Konsequenzen: Ihre Verhängung ist, weil nicht Strafsache, nicht Sache der ordent­ lichen Strafgerichte; dieselbe Normübertretung kann Disziplinarstrafe und überdies eigentliche Strafe nach sich ziehen (anerkannt u. a. in § 95 der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872); wenn jemand mehreren Dienstkreisen angehört, so kann er wegen desselben Ver­ gehens zweimal disziplinarisch bestraft werden (z. B. als Beamter und als Reserveoffizier"). V. Nachteile, die auf die Nichtbeachtung eines nicht impera­ tiven Rechtssatzes gesetzt sind, sind nicht Strafe. So die soge­ nannten Prozeß st rasen aller Art; die prozessualen Vorschriften heischen nicht unbedingten Gehorsam, wie die staatlichen Imperative, sie stellen vielmehr die Wahl zwischen zwei Alternativen frei.17) VI. Die Strafe ist an die begangene Rechtsverletzung ge­ knüpft, und wenn sie auch durch ihre Zweckbestimmung in die Zukunft reicht, so hat sie doch nicht einzelne konkrete Handlungen und ") Vgl. oben § 1 Note 1. 1S) StGB. § 31. 10) Weiter ausgeführt beiv. Liszt „Ordnungsstrafe" HR. — Vgl. Laband, Staatsr. I S. 448; Zorn, Staatsr. I S. 243. Aus der älteren Litt, insbes. Heffter, N. Archiv XIII (1833). 17) Ein sehr interessantes Beispiel bietet § 48 des Gerichtskostengesetzes.

232

§ 60.

Der Begriff der Strafe.

Unterlassungen, sondern diese Handlungen und Unterlassungen in abstracto im Auge. Dadurch unterscheidet sie sich vom Straf­ zwange, der auf die Herbeiführung einer konkreten Handlung oder Unterlassung durch Rechtsgüterverletzung gerichtet ist.18) Wichtig ist die Unterscheidung für das Prozeßrecht: Strafzwang zur Reali­ sierung der Zeugnispflicht findet sich hier neben der Strafe- für Nichterfüllung derselben?0) Auch sonst wird der Strafzwang vielfach in der Reichsgesetz­ gebung verwertet; zahlreiche Gesetze schreiben vor, daß der Wider­ strebende „durch Ordnungsstrafen angehalten" werden solle.20) VII. Begrifflich mit der eigentlichen Strafe sich deckend, sind dennoch von derselben kraft positiv gesetzlicher Anordnung zu unter­ scheiden 21) jene kleinen Strafen für geringfügigere Rechtsverletzungen, welche die Reichsgesetzgebung mit dem Namen der Ordnungs­ strafen bezeichnet.22) (Besonders häufig in den Zoll- und Steuergesetzen.2^) Hierher gehören auch insbesondere die Fälle der einfachen Nichterfüllung der Dingpflicht,24) und zwar: 1) Durch Schöffen, Geschworne, Vertrauensmänner des zur Wahl derselben berufenen Ausschusses (GVG. §§ 56 und 96). Ordnungsstrafe von fünf bis zehntausend Mark. 18) Vgl. v. Liszt a. O. 19) StPO. §§ 69, 50, 95; ZPO. §§ 355 und 345 ; Postgesetz vom 28. Oktober 1871 § 38. 20) So außer den vielen Fällen des Handelsgesetzbuches auch ZPO. §§ 774, 762; GVG. § 178; § 66 des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juni 1868; § 33 Gesetz vom 7. April 1876 über die eingeschriebenen Hilfskassen; die „exekutorischen Geldstrafen" in § 40 des Tabaksteuergesetzes vom 16. Juli 1879. 21) Vgl. auch darüber v. Liszt a. O. 22) Zu unterscheiden auch von den unter VI erwähnten „Ordnungsstrafen", die nicht Strafe sondern Zwang sind. § 40 Tabaksteuergesetz vom 16. Juli 1879 nennt beide Arten nebeneinander. 23) Vgl. z. B. Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 §§ 13, 15; Zucker­ steuergesetz von 1869 § 4; Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§ 151, 152, 160, 161; Rübenzuckersteuergesetz vom 2. Mai 1870 (Verordn, von 1846 § 17); Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 §§ 32, 35, 36; auch GVG. §§ 56, 96, 179 ff.; Spielkartenstempelgesetz vom 3. Juli 1878 §§ 11, 16; Tabaksteuergesetz §§ 34, 40—42; Gesetz betr. die Statistik des Warenverkehrs vom 20. Juli 1879 § 17 ; Stempelsteuergesetz vom 1. Juli 1881 § 23; HGB. § 251 u. a. 24) Vgl. auch unten bes. Teil (Delikte gegen die Rechtspflege).

Der Begriff der Strafe.

2) Nichterscheinen

des

§ 60.

ordnungsmäßig

(StPO. § 50, ZPO. § 345).

233 geladenen

Zeugen

Geldstrafe bis zu dreihundert

Mark, bei Uneinbringlichkeit derselben Haft bis zu sechs Wochen; bei wiederholtem Ausbleiben kann die Strafe noch einmal er­ kannt werden. 3) Verweigerung der Zeugenaussage oder derEidesleistung durch den Zeugen (StPO. § 69, ZPO. § 355). Strafe wie zu 2, aber ohne die Zulässigkeit abermaliger Ver­ hängung derselben. 4) Nichterscheinen des Sachverständigen oder Ver­ weigerung der Erstattung des Gutachtens (StPO. § 77, ZPO. § 374).

Geldstrafe bis zu dreihundert Mark, bei

wiederholtem Ungehorsam bis zu sechshundert Mark.^) 5) Nichterscheinen der im Eheprozesse vorgeladenen Partei (ZPO. § 579). Dagegen ist die sogenannte Polizei st rase, von besonderer gesetzlicher Anordnung abgesehen, von der Strafe im engeren Sinne nicht verschieden, selbst wenn zwischen dem kriminellen und dem polizeilichen Unrecht eine prinzipielle Verschiedenheit bestehen sollte. VIII. Endlich sind von der Strafe zu unterscheiden die Ver­ waltungsmaßregeln, welche unabhängig von der gerichtlichen Konstatierung

einer

strafbaren Handlung von den Organen

der

Staatsverwaltung verhängt werden können. Als Beispiele seien erwähnt die in dem Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867, dem Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872, dem Gesetz bett. die Ver­ hinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern vom 4. Mai 1874 u. s. w. angedrohten Nachteile.

26) Vgl. § 38 Postgesetz vom 28. Oktober 1871, welches die Vorladung vor die Postbehörde der gerichtlichen Vorladung gleichstellt.

234

§ 61.

Die Strafarten int allgemeinen.

II. Die Strafarten. (Das Strafensystem.) § 61. Im allgemeinen?)

I. Die Strafe ist Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverletzung. Sie ist Mittel zum Zweck. Jenes Strafmittel wird darum das geeignetste sein, welches den Zweck (Rechtsgüterfchutz) am sichersten, am vollständigsten und zugleich am billigsten (durch möglichst geringe Rechtsgüterverletzung) erreicht. Wir werden daher de lege ferenda folgende Anforderungen an die in Frage kommenden Strafmittel zu stellen haben. 1. Da die Strafe je nach Lage der Umstände verschiedene Zwecke verfolgt, so müssen wir jenem Strafmittel den Vorzug geben, welches am geeignetsten ist, sich den verschiedenen Strafzwecken je nach Bedürfnis anzupassen; jenem, mit dem wir bald drohen und abschrecken, bald bessern, bald die Rechtsordnung schützen und sichern können (Elastizität der Strafmittel). Darum muß das unseren höchsten Anforderungen entsprechende Strafmittel nach Inhalt und Umfang abstufbar sein, nach Intensität und Extensität eine Reihe von Graden zulassen, verschiedene Arten des Strafvollzuges gestatten. Strafmittel, mit welchen wir nur den einen oder den anderen der Strafzwecke — es ist gleichgültig, welcher von ihnen es ist — zu verfolgen in der Lage sind, werden hinter dehnbareren und teilbareren Strafmitteln zurückstehen müssen. 2. Das Strafmittel darf nicht die günstige Wirkung, die es nach der einen Richtung hin erzielt, paralysieren durch ungünstige Wirkung nach einer anderen Richtung hin. Es darf, wenn es bessern will, nicht zugleich die abschreckende oder sichernde Wirkung der Strafe vernichten; nicht, wenn es die beiden letztgenannten Zwecke verfolgt, die Massen entsittlichen und damit der Strafe ein wichtiges Moment ihrer motivierenden Kraft entziehen. Die verstümmelnden und beschimpfenden Strafen, öffent­ licher Vollzug grausam verschärfter Hinrichtungen u. s. w. einer­ seits; der schablonenhafte Besserungseifer so mancher unsrer mo­ dernen Gefängnisreformer anderseits mögen als warnende Beispiele dienen. *) Vgl. insbesondere Wahlberg, Stimm, und nationaleson. Gesichtspunkte 1872. Vgl. zu diesem Paragraph überhaupt das oben § 3 Gesagte.

Die Strafarten im allgemeinen.

§ 61.

235

3. Wir werden jene Strafmittel verwerfen muffen oder doch nur im Notfälle acceptieren können, die den Strafzweck nur mit Aufwand unverhältnismäßig drastischer Mittel zu erreichen in der Lage sind. Vernichtung der physischen, ökonomischen, ethischen Persönlichkeit (Todesstrafe, Vermögenskonfiskation, Ehrlosigkeit) sind als Mittel zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes zurückzuweisen, so­ lange wir denselben Zweck mit geringerem Kraftaufwande erreichen können. (Billigkeit der Strafmittel.) Daher ist ganz besonders der in den romanischen Rechten vielfach verwertete bürgerliche Tod (la mort civile) ein durchaus verkehrtes und höchst verwerf­ liches Strafmittel. 4. Da ein einziges Strafmittel wohl kaum für die vollständige Erreichung sämtlicher Straszwecke ausreichend ist, wir mithin eine Anzahl von Strafmitteln miteinander kombinieren müssen, um zum Ziele zu gelangen, so entsteht die weitere an das Strafmittel­ system zu stellende Anforderung, daß die verschiedenen Strafmittel untereinander in einem klaren, einfachen, Abschätzung und stufen­ weisen Übergang zulassenden Verhältnisse zu einander stehen. Man kann diese Eigenschaft als die Kommensurabilität der Strafmittel bezeichnen. II. 1. Aus dem eben Gesagten folgt die unbestreitbare Be­ rechtigung der Freiheitsstrafe, weitaus die erste Stelle im Strafensysteme der Neuzeit einzunehmen. Sie ist schmiegsam, wie kein anderes Strafmittel; sie kann von stundenlangem Stubenarrest bis zu lebenslanger Kerkerstrafe steigen; sie gestattet es dem unbefangenen Strafvollzug, die sämtlichen denkbaren Strafzwecke mit größtmöglicher Sicherheit anzustreben; sie läßt Verbindung mit den anderen Straf­ mitteln und nicht-unvermittelte Abgrenzung von denselben (den meisten von ihnen wenigstens) zu. Freilich verlangt die Freiheitsstrafe, um ihre segensreiche Wirkung entfalten zu können, klarere Einsicht in Wesen und Zweck der Strafe, als sie heute noch in weiten und engen Kreisen vorhanden zu sein pfiegt; schärfere und durchdachtere Anpassung an die verschiedenen Strafzwecke, als sie unsere moderne Gesetzgebung ermöglicht. Aber wenn die Vorzüge der Freiheitsstrafe von ihren ersten Entwickelungsstufen an bis auf den heutigen Tag unausgenützt geblieben sind, so wird doch durch diesen Umstand die Ansicht derjenigen nicht gerechtfertigt, welche in unseren Tagen (Mittel st ä dt) mit gleicher Einseitigkeit die zufälligen Fehler des Strafvollzuges als wesentliche Fehler des Strafmittels aufgefaßt

236

§ 61.

Die Strafarten ttn allgemeinen.

und die Stellung der Freiheitsstrafe in dem modernen Strafmittelfysteme angefochten haben. Insbesondere wird auch der Deportation, als eigentüm­ licher Ausgestaltung der Freiheitsstrafe, größere und unbefangenere Aufmerksamkeit gewidmet werden müssen2) als bisher.3) 2. Der Todesstrafe haften die meisten jener Eigenschaften an, die ein zweckentsprechendes Strafmittel nicht besitzen soll. Sie paralysiert ihre abschreckende und sichernde Wirkung durch das Mit­ leid für den Hingerichteten, das sie in den Massen, durch das ästhe­ tische Mißbehagen, das sie in den Gebildeten wachruft; sie vernichtet eine Existenz, die vielleicht noch den Zwecken der Gemeinschaft hätte dienstbar gemacht werden können; sie steht ohne jede Vermittelung neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Übergang zu ihr gibt; sie zwingt zu absoluten Strafdrohungen und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein Hinrichtungsrecht. Das gilt nicht bloß von der verschärften und öffentlichen Todesstrafe früherer Zeit, sondern auch von der einfachen Jntramuranhinrichtung unserer Tage. Auch ist es falsch, daß ihre abschreckende und sichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht werden könnte. Aber solange die Freiheitsstrafe diese abschreckende und sichernde Wirkung vermissen läßt, muß die Todesstrafe als unentbehrlich bezeichnet werden. Die Reform des Gesängniswesens — nicht im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird auch die Frage der Todesstrafe zur befriedigenden Lösung bringen. 3. Die Vermögensstrafe ist teilbar und dehnbar, paßt sich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Triebfeder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; gestattet aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen des Strafvollzuges. Sie ist daher trefflich geeignet, eine zweite Rolle im Strafensysteme zu spielen, und besonders als Nebenstrafe von großem Werte; darf aber auch nicht zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden. 2) Hauptwerk: v. Holtzendorff, Die Deportation als Strafmittel 1859. Fabri, Bedarf Deutschland der Kolonieen? 1879. — Verhandlungen des Ge­ fängnis-Kongresses zu Stockholm 1878; der rheinisch-westfäl. Gefängnis-Ges. von 1879 (S troff er und Stursberg, Strafkolonieen 1880). Auch die unten § 64 Note 1 angeführten Schriften von Mittel st ädt und v. Schwarze. — Über die französischen Entwürfe betr. die Deportation rückfälliger Verbrecher vgl. insbes. den Bericht von Garraud Z. III S 151 ff. 3) Zunächst wäre die Unterstützung der Auswanderung entlassener und ge­ besserter Sträflinge ins Auge zu fassen.

Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung.

Durchaus

verwerflich

ist

die

237

§ 62.

Vermögenskonfiskation,

die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz, welche aus dem römischen Recht ins gemein-deutsche herübergenommen und erst in neuerer Zeit aus dem System der Strafmittel ausgeschieden worden ist. 4. Große Gefahren birgt die Ehrenstrafe.

Auch in ihren

mildesten Formen nimmt sie der gesunkenen ethischen Persönlichkeit den letzten Halt. Pranger, Brandmarkung und die beschimpfenden Aufzüge, welche die Phantasie des deutschen Mittelalters zu Volks­ belustigungen gestaltete, beseitigt worden.

sind zum Teil erst im 19. Jahrhunderte

Die moderne Gesetzgebung kennt eine Strafe an

der Ehre i. e. S. des Wortes nicht mehr. 5. Derselbe Grund spricht auch gegen die verstümmelnden oder nicht verstümmelnden L eib es strafen überhaupt, gegen die Prügel­ st r a f'e insbesondere. Als kriminelle Strafe wurde sie in den deutschen Staaten teilweise vor 1848, großenteils aber nachher, in Österreich 1867, in Sachsen 1868, in Ungarn 1869, in Mecklenburg erst 1871 durch das RStGB., beseitigt. Doch findet sie sich als D i s z i p l i n a r strafmittel in den Strafanstalten von Preußen, Sachsen, Hamburg, Lübeck; in England, Rußland, den nordi­ schen Königreichen, in zahlreichen schweizerischen und amerikanischen Gefängnissen.*) Sie wird nur dort gebilligt und — kaum entbehrt werden können, wo wie bei den Unverbesserlichen die Gefahr einer Depravation verschwunden ist, oder wo wie bei vielen jugendlichen Verbrechern mehr der Schmerz als die Schmach der Prügel empfunden wird.

§ 62.

Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung.

I. In dem Systeme der Reichsgesetzgebung haben wir Hauptund Neben st rasen zu unterscheiden. Erstere sind jene, die auch allein, letztere jene, die (regelmäßig) nur in Verbindung mit einer Hauptstrafe verhängt werden können. Ein weiterer Einteilungsgrund ergibt sich, wenn wir die Rechts­ güter des Verbrechers ins Auge fassen, deren Verletzung der Staat zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes vornimmt.

Es sind:

Leben,

Freiheit, Vermögen, Ehre. 4) Vgl. insbes. die Motive zum Entwürfe eines deutschen Strafvollzugs­ gesetzes (1879), welcher die körperliche Züchtigung beibehalten hatte. Mit den landläufigen Redensarten läßt sich die Frage nicht erledigen.

238

§ 62.

Das Strafensystem der Reichsgesetzgebung.

Danach gewinnen wir folgendes System: A. Hauptstrafen.

1. Am Leben: die Todesstrafe. 2. Ander Freiheit: Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft, Haft. 3. Am Vermögen: die Geldstrafe. 4. An der Ehre: der Verweis. B. Nebenstrafen.

1. Am Leben: fehlt. 2. An der Freiheit: a) Stellung unter Polizeiaufsicht. b) Überweisung an die Landespolizeibehörde.

c) Ausweisung aus dem Reichsgebiet. d) Beschränkung des Aufenthaltes. e) Beschränkung des Hausrechts. 3. Am Vermögen: a) Die accesforische Geldstrafe. b) Die Einziehung einzelner Gegenstände.

c) Die Unbrauchbarmachung von Schriften u. dgl. d) Die Entziehung der Gewerbebefugnis. e) Weiter gehören hierher: Nahrungsmittelgefetz vom 14. Mai 1879 § 16 Bekanntmachung der Verurteilung auf Kosten des Schuldigen; Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 § 63 Wegfall des Entschädigungs­ anspruches für getötete Tiere; § 11 Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 Verlust des Anspruchs auf steuerfreien Salzbezug; Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 Wegfall des Zinfenanspruches. 4. An der Ehre: a) die Aberkennung sämtlicher, b) die Aberkennung einzelner bürgerlichen Ehrenrechte. c) Als vereinzelte Fälle: Gewerbe-Ordnung §§ 106, 150, 154 Verlust der Fähigkeit, sich mit der Anleitung von Arbeitern unter 18 Jahren zu befassen; StGB. § 161 dauernde Unfähigkeit als Zeuge oder Sach­ verständiger eidlich vernommen zu werden; StGB. § 319 Unfähigkeit zu einer Beschäftigung im Eisen­ bahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste.

1. Die Todesstrafe.

§ 63.

239

II. Die Bestimmungen !des Reichsstrafgesetzbuchs über das Strafensystem sind absolut gemeines Recht. Sie binden die Landes­ gesetzgebung auch auf jenen Gebieten, auf welchen diese im übrigen autonom ist. **) III. Wenn wir von der durchaus ungenügenden Regelung des Vollzugs der Freiheitsstrafe absehen, entspricht das Strafensystem der Reichsgesetzgebung allen billigen Anforderungen. Freilich be­ nimmt jene Lücke im System dem Systeme selbst den größten Teil seines Wertes. A. Die Hauptstrafen. § 63.

1. Die Todesstrafe. -)

I. Die Todesstrafe, einst die peinliche Strafe des gemeinen Rechtes, ist nach Inhalt und Umfang, seit der Beseitigung der grausam geschärften Arten der Todesstrafe und seit ihrer Beschrän­ kung auf wenige Ausnahmsfälle, in dem Systeme des modernen Strafrechts neben der Freiheitsstrafe völlig in den Hintergrund getreten. Der Kampf, den die Schriftsteller der Aufklärungsperiode (vor allen Beccaria und Sonnenfels 1764) gegen die Todes­ strafe eröffneten, hatte zunächst nur geringen Erfolg: Abschaffung der Todesstrafe in Toscana 1786, in Österreich 1787 (bis 1795.) In seinen weiteren Wirkungen aber führte er, in Verbindung mit der seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beginnenden Gefängnisreform, zur allmählichen Beseitigung der qualifizierten und zur allmählichen Einschränkung der Todesstrafe überhaupt auf eine geringe Anzahl von Straffällen. Infolge des § 9 der deutschen Grundrechte von 1848 wurde die Todesstrafe in einer Reihe von deutschen Staaten (nicht aber in *) Vgl. Einf.Ges. zum StGB. § 6 und oben § 11 III 2. *) Aus der ebenso reichen wie im allgemeinen seichten Litt, seien hervor­ gehoben: Berner, Abschaffung der Todesstrafe 1861; Mittermaier, Todes­ strafe 1862; Geyer, Todesstrafe 1869; Hetze!, Die Todesstrafe in ihrer kulturgeschichtlichen Entwickelung 1870 (Hauptwerk); v. Holtzendorf, Das Verbrechen des Mordes und die Todesstrafe 1875; Wahlberg, Ges. kl. Schriften II S. 138. — Vgl. auch die Anlagen der Motive zum RStGB. und Bismarcks große Rede vom 23. Mai 1870 in den stell. Reichst.-Ber. von 1870 S. 129.

240

§ 63.

1. Die Todesstrafe.

Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen) beseitigt; doch führte in den meisten dieser Staaten die Herrschaft der Reaktion zur Wiederher­ stellung der Todesstrafe. Nur Oldenburg, Anhalt, Bremen hielten an der Beseitigung fest; Sachsen fand es noch im Jahre 1868, als die Gesetzgebung des Bundes in Strafsachen vor der Thüre stand, für angezeigt, zur Abschaffung der Todesstrafe zu schreiten. So stand die Frage, als die Beratung des norddeutschen Strafgesetz­ buchs in Angriff genommen wurde. Die harten parlamentarischen Kämpfe, die mit der Beibehaltung (bez. Wiedereinführung) der Todesstrafe endeten, sind bereits ^) geschildert worden. Auch außerhalb Deutschlands hat die abolitionistische Bewegung nur geringe Fortschritte zu verzeichnen. Die Todesstrafe ist beseitigt in Toscana seit 1786, Rumänien seit 1864, Portugal seit 1867, Holland seit 1870. Sie besteht außerdem nicht in San Marino und in einzelnen der Vereinigten Staaten'Nord­ amerikas. Die größeren Staaten, insbesondere England und Frankreich haben sie beibehalten, und zwar für eine größere An­ zahl der verschiedenartigsten Delikte. Die Schweiz hatte durch Bundesgesetz von 1874 die Todesstrafe für unzulässig erklärt; seit 1879 bleibt sie nur für politische Delikte von Bundeswegen ausge­ schlossen. Die Kantone haben damit das Recht zur Wiedereinführung der Todesstrafe zurückgewonnen. Bis jetzt machten von demselben Gebrauch: Schwyz, Uri, Obwalden, Unterwalden, Appenzell i. Rh., Zug, St. Gallen, Luzern, Zürich, Glarus. Von den neueren Ge­ setzentwürfen hat nur der italienische (Savelli 1883) aus die Todesstrafe verzichtet. II. Anwendungsgebiet der Todesstrafe. Wenn wir von dem Militär-StGB. absehen, welches die Todesstrafe in 10 Fällen absolut, in 8 Fällen alternativ androht, findet sich dieselbe in der Reichsgesetzgebung: 1. Als Strafe des vollendeten Mordes nach StGB.8 211. 2. Als Strafe des Mordes und Mordversuchs an dem Kaiser, dem eignen Landesherrn und dem Landes­ herrn des Aufenthalts st aates StGB. § 80 (Antrag v. Kardorff)?) In beiden Fällen kann die Todesstrafe verschärft werden durch die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte; in beiden Fällen 2) oben § 12 II S. 61. 3) Dazu tritt jetzt Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 § 5 Abs. 3.

1. Die Todesstrafe.

§ 63.

241

wird ihr Anwendungsgebiet beschränkt durch die im StGB, vorge­ schriebene Reduktion der Strafrahmen bei Versuch, Beihilfe und jugendlichem Alter des Thäters/) 3. Eine wesentliche Erweiterung des Anwendungsgebietes der Todesstrafe hat der Eintritt des Kriegsrechtes zur Folge?) III. Vollzug der Todesstrafe. Die Todesstrafe ist nach StGB. § 13 durch Enth aupten, nach § 14 Militär-StGB. durch Erschießen zu vollstrecken, wenn sie wegen eines militärischen, im Felde auch dann, wenn sie wegen eines nicht militärischen Ver­ brechens erkannt worden ist. Im übrigen ist die Vollstreckung der Todesstrafe (durch Fallbeil oder Fallschwert in der Rheinprovinz und den meisten deutschen Bundesstaaten; durch das Beil in den altpreußischen Provinzen)46)7*landesrechtlich geordnet. Doch hat die Strafprozeßordnung einzelne hierher gehörende Be­ stimmungen gebracht. So ist nach StPO. § 485 die Vollstreckung der Todesstrafe erst zulässig, wenn der Träger des Begnadigungs­ rechtes erklärt hat, von demselben keinen Gebrauch machen zu wollen. Geisteskrankheit oder Schwangerschaft hemmen die Vollstreckung. Ferner ist durch die StPO. (§ 486) die seit den vierziger Jahren in den meisten deutschen Staaten (in Preußen 1851) einge­ führte sogenannte Jntramuran Hinrichtung^) (Vollstreckung in einem umschlossenen Raume bei beschränkter Öffentlichkeit) Reichs­ recht geworden. Bei der Hinrichtung müssen zwei Mitglieder des Gerichtes erster Instanz, ein Beamter der Staatsanwaltschaft, ein Gerichtsschreiber und ein Gefängnisbeamter gegenwärtig sein. Der Gemeindevorstand des Ortes, an welchem die Hinrichtung stattsindet, ist aufzufordern, 12 Personen aus den Vertretern oder aus anderen achtbaren Mitgliedern der Gemeinde abzuordnen, um der Hinrichtung beizuwohnen. Außerdem ist einem Geistlichen von dem Religions­ bekenntnisse des Verurteilten, dem Verteidiger und nach Ermessen des die Vollstreckung leitenden Beamten auch anderen Personen der Zutritt zu gestatten. Über den Hergang ist ein von dem staats4) Vgl. unten § 75. 6) Vgl. oben § 22. 6) Österreich, England und die Vereinigten Staaten halten, um an tiefgewurzelten Gewohnheiten nicht zu rütteln, an der Hinrichtung mit dem Strange fest. 7) Sie ist auch in Österreich seit 1873, England seit 1868, Ruß­ land seit 1881 eingeführt. von Liszt. Strafrecht. 2. Aufl.

242

§ 64. 2. Die Freiheitsstrafe.

Ihre Geschichte.

anwaltschaftlichen Beamten und dem Gerichtsschreiber zu unterzeich­ nendes Protokoll aufzunehmen. Der Leichnam des Hingerichteten ist den Angehörigen auf ihr Verlangen zur einfachen, ohne Feierlich­ keiten vorzunehmenden Beerdigung zu verabfolgen. § 64. 2. Die Freiheitsstrafe.x) Ihre Geschichte. I. Die Freiheitsstrafe gehört als eigentliche peinliche Strafe der Neuzeit an. Noch der peinlichen Ger.Ordnung Karls V. ist sie in dieser Bedeutung fremd; und die seit dem Ende des 16. und dem Anfange des 17. Jahrhunderts allmählich auftauchenden Zuchthäuser-) (in Amsterdam 1595, Lübeck 1613, Hamburg 1616 u. s. w.), für Landstreicher und Arbeitsscheue, für Bettler und liederliche Dirnen, für störriges Gesinde und ungeratene Kinder bestimmt, waren alles andere eher als Strafanstalten im modernen Sinne. Erst allmählich dringt die Freiheitsstrafe in wechselnden, häufig noch ganz embryo­ nalen Formen in das Strafensystem ein. Ihr Sieg war entschieden, als man in der Gemeinschaft der Häftlinge den Krebsschaden des bisherigen Strafvollzuges erkannt und damit zugleich den Weg zur Beseitigung der gröbsten Mißstände gefunden hatte. II. Als erster Vorläufer der modernen Strafanstalten kann das x) Wagnitz, Historische Nachrichten und Bemerkungen über die merk­ würdigsten Zuchthäuser in Deutschland 1791 f. Arnim, Bruchstücke über Ver­ brechen und Strafe 1803. Howard, State of prisons in England and Wales 1777 (wiederholt aufgelegt und übersetzt, ins Deutsche von Köster 1780). Julius, Vorlesungen über Gefängniskunde 1828. Mittermaier, Gefäng­ nisverbesserung 1858. Hägele, Erfahrungen in einsamer und gemeinsamer Haft 1662. Roed er, Strafvollzug im Geiste des Rechts 1863. D erselbe, Besserungsstrafe als Rechtsforderung 1864. Hänell, System der Gefängnis­ kunde 1866. Wahlberg, Das Prinzip der Individualisierung 1869. Starke, Das belgische Gefängniswesen 1877. Baer, Die Gefängnisse in hygienischer Beziehung 1871. — Mittelstädt, Gegen die Freiheitsstrafe 1879 (2. Abdr. 1880). v. Schwarze, Die Freiheitsstrafe 1880. Krohne und Sontag Z. I; Mittelstädt und Willert Z. II; v. Liszt und Streng Z. III. — Be­ sonders wichtig die Verhandlungen der internationalen Gefängniskongresse zu London 1872 und Stockholm 1878. —Jahrbücher der Gefängniskunde (von Julius, Varrentrapp und Nöllner) 1842—48. Blätter für Gefängniskunde, seit 1865 von Ekert herausgegeben. 2) Vgl. oben § 9 II S. 47. Sog. Spinn- und Raspelhäuser finden sich in Deutschland noch früher. Sie sind die unmittelbaren Nachfolger des mittelalterlichen „Thurms" für säumige Schuldner und die Übertreter polizei­ licher Anordnungen.

2. Die Freiheitsstrafe.

Ihre Geschichte.

§ 64.

243

von Clemens XI. zu Rom 1704 erbaute Besserungshaus für böse Buben betrachtet werden; gemeinsame Arbeit bei Tage, Einzel­ haft bei Nacht wurden' hier zum erstenmal in erfolgreicher Weise angewendet. Aber die Ära der Gefängnisreform beginnt. doch erst mit dem 1775 eröffneten Zuchthause zu Gent, welches, nach den Plänen Villain XIV. unter Maria Theresia erbaut, wie jenes BöseBuben-Haus tagsüber die Sträflinge zu gemeinsamer Arbeit ver­ einigte, des Nachts sie in Einzelzellen voneinander getrennt hielt. Ungefähr gleichzeitig3) begann John Howard (geb. 1727, t 1790) *) seine Untersuchungen über den Zustand der englischen und kontinentalen Gefängnisse. 1777 erschien sein „state of prisons etc.“ und weitere Veröffentlichungen über die mit unermüd­ lichem, opferfreudigem Eifer fortgesetzten Reisen folgten, bis Howard als Opfer des selbstgewählten Lebensberufes 1790 zu Cherson starb. Rasch hatte die Reformbewegung in England, unterstützt durch die seit 1776 eingetretene Stockung in der überseeischen Transportation der Verbrecher, festen Fuß gefaßt; Männer wie Blackstone, Romilly, Auckland traten für sie ein; Jer. Bentham (geb. 1748, f 1832) veröffentlichte um 1790 sein „Panopticon or the Inspection House“ und knüpfte zur Durchführung seines „panoptischen Systems" (das sich von dem heutigen in wesentlichen Punkten unterscheidet) mit der englischen Regierung Unterhandlungen an, die aber nicht zum Ziele führten. Zunächst fehlte es an klaren, positiven Gedanken, und das im Jahre 1816 erbaute kolossale Besserungshaus zu Millbank erwies sich als ein kostspieliges, aber gänzlich ver­ unglücktes Experiment. III. Inzwischen war, insbesondere unter dem Einflüsse B. Franklins (f 1790) die Reformbewegung nach Nordamerika ver­ pflanzt worden; gehörte doch die Transportation der englischen Ver­ brecher mit unter die schon 1775 betonten Beschwerdepunkte. In Amerika entwickelten sich, nach vielfachem Schwanken, in dem zweiten und dritten Dezennium unsres Jahrhunderts zwei rivalisierende Systeme, deren Vorzüge und Nachteile von Freund und Feind leb­ haft erörtert wurden. Das eine, zu A u b u r n im Staate New-Iork .s) Wenn Starke, Belg. Gefängniswesen 1877 S. 2 die Erbauung des Genter Gefängnisses auf Howards Bemühungen zurückführt, so ist das ein schwer begreiflicher histor. Irrtum. 4) (Englische) Biographie von Aikin 1790; übersetzt von Fick 1792. 16*

244

§ 64.

2. Die Freiheitsstrafe.

Ihre Geschichte.

durchgeführt, hielt an der Trennung bei Nacht und gemeinsamer Tagesarbeit fest, suchte aber bei dieser den entsittlichenden Verkehr der Häftlinge untereinander durch das mit größter Strenge aufrecht erhaltene absolute Schweiggebot zu verhindern („Auburnsches Schweigsystem"). Dagegen wurde im Staate Pennsylvanien, unter dem Einflüsse der tonangebenden Quäkerischen Gefängnisgesell­ schaft, der Gedanke der Einzelhaft mit aller Konsequenz zur voll­ ständigen und immerwährenden Isolierung der Sträflinge weiter­ gebildet. Besondere Berühmtheit erlangte das sog. Baste rnPenitentiary (auf Chersetz Hill in Philadelphia). Zahlreiche Besucher aus Europa empfahlen dieses „Pönitentiarsystem" ihren Heimat­ ländern zur Nachahmung; so W. Crawford aus England (1833), Beaumont und Toqueville (1831), Demetz und Blou.et aus Frankreich (1836), Julius aus Deutschland (1834). Und mit bestem Erfolge. Schon 1840 wurde der Grund zu dem englischen Mustergefäng­ nisse zu Pentonville bei London gelegt, welches, 1842 eröffnet, die Einzelhaft bei Tag und Nacht, aber ohne die Einseitigkeiten des Eastern Penitentiary, durchführte. Pentonvilles Ruf blieb hinter dem seines Vorbildes nicht zurück. Zahlreiche gekrönte Häupter besuchten die Anstalt, und die Regierungen beeilten sich, Kommissäre mit dem Studium ihrer Einrichtungen zu beauftragen. Man beachtete nicht, daß die Pentonviller Einzelhaft (erst achtzehn Monate, später mehr und mehr gekürzt) nur die Vorstufe der Transportation und somit ein integrierender Bestandteil dieses ganz eigentümlichen älteren englischen Probationssystems bildete. Bruchsal und Moabit, jenes 1848, dieses 1849 eröffnet,5) waren die ersten deutschen Anstalten nach dem Muster von Pentonville. Bald wetteiferten die verschiedenen Staaten in der Erbauung von Zellengefängnissen mit Zentralbau und Zellen­ flügeln, mit stals in Kirche und Schule, mit Jsolier-Spazierhösen und Masken, sowie in der gesetzlichen Regelung der Einzelhaft. Allen voran hatte B elgien die vollständige Umgestaltung seiner Gefängnisse nach dem Systeme der Einzelhaft in Angriff genommen und konse­ quent weiter geführt. IV. Aber noch während die Zellenhaft ihren Siegeszug durch Europa hielt, war ihr ein gefährlicher Gegner entstanden in dem von Walter Crofton aufgestellten, 1857 in Irland, 1864 teilweise 5) Doch wurde erst 1856 die Einzelhaft in letzterem wirklich durchgeführt.

Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung.

§ 65.

245

in England eingeführten irischenProgressivsystem. Auf dem Ge­ danken allmählicher Wiederherstellung des sittlichen Gleichgewichts im Sträflinge, allmählicher Wiedereinführung desselben in die bürger­ liche Gesellschaft aufgebaut, besteht dasselbe im wesentlichen aus fol­ genden, von dem Verurteilten zu durchlaufenden Stadien: a) strenge neunmonatliche Einzelhaft; b) gemeinsame Arbeit in vier progressiven Abteilungen (Maconochiesches Markensystem); c) Aufenthalt in der Zwischenanstalt (intermediate prison), in welcher dem Sträfling freierer Verkehr mit der Außenwelt gestattet ist; d) bedingte Ent­ lassung mit der Möglichkeit des Widerrufes. In Deutschland wurde das irische System von Mittermaier und v. HoltzendorffO) warm empfohlen, von Röder und andern bekämpft, im allgemeinen aber kühl aufgenommen. Man übersah, daß der Grundgedanke des Systems, losgelöst von den zum guten Teile lokal bedingten Einzelheiten der Durchführung (also Marken­ system einerseits, und die Zwischenanstalten anderseits), schon im vorigen Jahrhundert von Wagnitz, später von Tellkampf und andern vertreten und in mehreren Schweizer Anstalten (so insbesondere in St. Jakob bei St. Gallen), sowie auch in England 67) längst ver­ wirklicht worden war. Am engsten schlossen sich an das irische Vor­ bild Ungarn (Leopoldstadt a. d. Waag 1869) und Kroatien (Lepoglava 1877). Noch heute ist der Streit zwischen den Anhängern der Einzel­ haft und den Freunden des progressiven Strafvollzuges nicht zum Abschlüsse gebracht. Aber die Gemüter sind ruhiger geworden und die Verständigung erscheint näher gerückt. Sie wird aber wohl ebenso lange nicht erfolgen können, als die Unterscheidung der Ver­ brecherklassen 8) der allgemeinen Anerkennung und Durchführung harrt. § 65.

Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung.

I. Die Reichsgesetzgebung hat vier verschiedene Freiheitsstrafen für nötig erachtet?) Diese sind 6) D. Holtzendorff. Das irische Gefängnissystem 1859. Derselbe, Kritische Untersuchungen über den irischen Strafvollzug 1865. Derselbe, HR. „Progressivsystem". 7) Siehe unten § 66 III. 8) Vgl. oben § 2. *) Über die Frage der Unifizierung der Freiheitsstrafe vgl. die Verhand-

246

§

65.

Die Freiheitsstrafen der Reichsgesetzgebung.

1. Zuchthaus, als schwere, entehrende Strafe mit Arbeits­ zwang; 2. Gefängnis, als mittelfchwere, an sich nicht entehrende Strafe mit Arbeitszwang; 3. Haft, als leichte, nicht entehrende Strafe ohne Arbeits­ zwang; 4. Festungshaft/) als schwere nicht entehrende Strafe ohne Arbeitszwang. Infolge der Mangelhaftigkeit der reichsrechtlichen Bestimmungen über den Vollzug der Freiheitsstrafen ist jedoch der Unterschied zwischen Zuchthaus und Gefängnis sowie zwischen Gefängnis und Haft in der Praxis so gut wie ganz verwischt?) II. Nach den Bestimmungen des RStGB. unterscheiden sich die Freiheitsstrafen in folgenden Punkten: 1. Art der Verwendung. Zuchthaus ist die Verbrechens­ strafe ; Gefängnis die Vergehens-, Haft die Übertretungsstrafe. Doch findet sich Haft ausnahmsweise (StGB. § 185 sowie in § 147 der Gew.Ordnung) auch bei Vergehen. Die Festungshaft soll sowohl Zuchthaus als auch Gefängnis ersetzen, und wird wahlweise mit diesen beiden Strafen bei einer Reihe politischer Delikte, aus­ schließlich bei Zweikampf angedroht. 2. Dauer. Zuchthaus und Festungshaft sind lebens­ lange oder zeitige, Gefängnis und Hast immer zeitige Freiheits­ strafen. Das Maximum beträgt bei den beiden ersten fünfzehn Jahre, bei Gefängnis fünf Jahre/) bei Haft sechs Wochen?) Der Mindestbetrag ist bei Zuchthaus ein Jahr, so daß Bruchteile eines Jahres in Gefängnis umgewandelt werden müssen; bei den übrigen Freiheitsstrafen ein Tag (StGB. §§ 14—18). 3. Die Bemessung der Zuchthausstrafe erfolgt nach vollen Monaten,* 6) 2die 3 4 der * übrigen Freiheitsstrafen nach vollen Tagen (StGB. § 19). 4. Arbeitszwang ist mit Zuchthaus obligatorisch verlungen des Stockholmer Kongresses. — Auch hier wird unsere Fundamental­ einteilung der Verbrecher (siehe oben § 2) von durchgreifender Bedeutung. 2) Sontag, Die Festungshaft 1872. 3) Vgl. darüber Krohne Z. I S. 53 ff. 4) Ausnahmen StGB. §§ 57 und 74. °) Ausnahmen StGB. §§ 77 und 78, 6) Vgl. unten § 76 II.

Der Vollzug der Freiheitsstrafe.

§ 66.

247

bunden (StGB. § 15); Außenarbeit bei Trennung von freien Arbeitern gestattet. Die zu Gefängnis Verurteilten (StGB. § 16) können auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnisfen angemessene Weise be­ schäftigt werden; auf ihr Verlangen sind sie in dieser Weise zu beschäftigen; Außenarbeit ist nur mit ihrer Zustimmung zulässig. Bei Festungshaft (StGB. § 17) ist Arbeitszwang ausnahmslos ausgeschlossen; bei H a f t findet er nur ganz ausnahmsweise (StGB. §§ 362, 361 Z. 3—8 gegen, Landstreicher, Bettler, Müßiggänger, Arbeitsscheue, Prostituierte, Erwerbslose) statt. 5. Neben Zuchthaus tritt der Verlust gewisser Ehrenrechte von Rechtswegen ein (StGB-8 31); neben Zuchthaus und (unter gewissen Voraussetzungen) neben Gefängnis kann vollständige, neben letzterem und (in gewissen Fällen) neben der Festungs­ haft teilweise Aberkennung der Ehrenrechte stattfinden (StGB. 88 32 ff.); neben Haft ist die Aberkennung ausgeschlossen?) 6. Einzelhaft und bedingte Entlassung (StGB. 88 22 ff.) finden bei Zuchthaus und Gefängnis, nicht aber bei Festungshaft und Haft Anwendung?) § 66.

Der Vollzug der Freiheitsstrafe.

I. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist nur zum kleinsten Teile durch die bisherige Reichsgesetzgebung geordnet, zum weitaus größten Teile der landesrechtlichen Bestimmung überlassen. Für Preußen erfolgte diese, soweit es sich um die der Justizverwaltung unterstehenden Gefängnisse handelt, durch das Reglement vom 16. März 1881?) Das Bedürfnis nach reichsrechtlicher Regelung hatte in den Motiven zum Entwürfe des norddeutschen StGB. Ausdruck gefunden; wiederholte Resolutionen des Reichstages aus den Jahren 1870, 1875 und 1876 sprachen sich im gleichen Sinne aus, und auch der Verein deutscher Strafanstaltsbeamten betonte im Jahre 1874 auf seiner Ver­ sammlung zu Berlin die Notwendigkeit, der partikularrechtlichen Zer­ fahrenheit des Strafvollzuges ein Ende zu machen. Aber alle diese Wünsche harren noch der Erfüllung. Der Entwurf eines Reichsgesetzes 7) Vgl. unten § 71. 8) Vgl. unten § 66 II. *) Zu empfehlen: Dalcke und Genzmer, Handbuch der Strafvollstreckung und Gefängnisverwaltung in Preußen 1881.

248

§ 66.

Der Vollzug der Freiheitsstrafe.

betr. die Vollstreckung der Freiheitsstrafen, welcher 1879 dem Bundesrate vorgelegt und von diesem eingehend durchberaten wurde, blieb ohne Folgen. Da seine Bestimmungen nur zu deutlich die in den Kreisen der Gefängnis-Praktiker herrschende Unklarheit über Wesen und Auf­ gabe der Freiheitsstrafe erkennen ließen, hatte man keinen Anlaß, das Scheitern dieses Versuches zu bedauern. Die mangelnden Bestimmungen des RStGB. betreffen lediglich die Zulässigkeit der Einzelhaft, die bedingte Entlassung sowie die Strafanstalten für jugendliche Verbrecher. II. Die Einzelhaft (StGB. § 2*2). Zuchthaus und Ge­ fängnisstrafe können sowohl für die ganze Dauer, wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzelhaft vollzogen werden, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird. Die Einzelhaft darf ohne Zustimmung des Ge­ fangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen. Aus dem klaren Wortlaute dieser Bestimmung folgt ebenso wie aus der Bedeutung der Einzelhaft, daß sie bei Festungshaft und Haft ausgeschlossen ist. Die erstere, welche lediglich in Freiheits­ beschränkung besteht, gestattet prinzipiell keine Besserungsversuche; und bei der letzteren sind diese wegen der kurzen Dauer der Anhaltung unmöglich?) III. Die bedingte Entlassung. Als England in den Jahren 1853 ff. allmählich die Deportation abschaffte und die Straf­ arbeit (penal servitucle) an deren Stelle setzte, wurde die bedingte Entlassung (ticket of leave) aus den Kolonieen nach Europa verpflanzt. Das englische System des Strafvollzuges umfaßt demnach 3 Sta­ dien : 1. Einzelhaft von sechs Monaten; 2. progressive Gemeinschaftshaft; 3. bedingte Entlassung. In England hatte dieses neue Probations­ system sich gar nicht bewährt und eben darum zur Aufstellung des Croftonschen Systems23)4 Anlaß gegeben. In Deutschland aber wurde es durch v. Holtzendorff/) Wahlberg, 2) Doch wird die Anwendung der Einzelhaft auf Haft von der herrschen­ den Ansicht für zulässig erklärt. Dasselbe thut das preuß. Reglmt. vom 16. März 1881. Gebilligt wird diese Auffassung auch von Binding und Meyer. 3) oben § 64 IV. 4) v. Holtzend orff, Die Kürzungsfähigkeit der Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung der Sträflinge 1861. Van Duy 1, de voorwaardelijke Infrijheidstelling 1881. Bauer, Stimme aus Baden 1874.

3. Die Geldstrafe.

§ 67.

249

v. Schwarze u. a. warm empfohlen; 1862 führte man in Sachsen die „bedingte Entlassung" („Entlassung auf Widerruf", „Beur­ laubung") allgemein ein und behauptete schon 1864, mit ihr glänzende Erfolge erzielt zu haben. Ebenso bestand sie vor dem Jnslebentreten des RStGB. (vorübergehend und mit ungünstigem Erfolge) in der Strafanstalt Vechta (Oldenburg). Seither wurde sie in Ungarn und Holland eingeführt?) Die Ansichten über den Wert der Einrichtung sind sehr geteilt. Jedenfalls war es verkehrt, im RStGB. zwar den Strafvollzug in den Strafanstalten selbst ungeregelt zu lassen, aber die bedingte Entlassung, welche doch ein durchaus geregeltes System des Vollzugs der Freiheitsstrafen voraussetzt, reichsrechtlich einzuführen. Nach §§ 23—26 RStGB. können die zu einer längeren (zeitigen) Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilten, wenn sie drei Vierteile, mindestens aber ein Jahr der ihnen auferlegten Strafe verbüßt, sich auch während dieser Zeit gut ge­ führt haben, m i t i h r e r Z u st i m m u n g vorläufig entlassen werden. Ist die festgesetzte Strafzeit abgelaufen, ohne daß ein Widerruf der vorläufigen Entlassung erfolgt ist, so gilt die Freiheitsstrafe als verbüßt. Dagegen hat der Widerruf — zulässig bei schlechter Führung des Entlassenen, sowie wenn derselbe den ihm auferlegten Verpflich­ tungen zuwiderhandelt — die Wirkung, daß die seit der vorläu­ figen Entlassung bis zur Wiedereinlieferung verflossene Zeit auf die festgesetzte Strafdauer nicht eingerechnet wird. Entlassung und Widerruf liegen in der Hand der obersten Justiz­ aufsichtsbehörde; die vorläufige Festnahme Entlassener kann auch von der Ortspolizeibehörde verfügt werden. IV. Die gegen jugendliche Personen erkannten Freiheits­ strafen sind in besonderen, nur für diesen Zweck bestimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen (StGB. § 57 letzter Abs.). § 67. 3. Die Geldstrafe.2)

I. Die Geldstrafe ist die einzige Vermögens-Hauptstrafe im Strafensystem der Reichsgefetzgebung. Sie hat hier reiche — vielleicht 5) Vgl. überhaupt Anlage II der Motive zum RStGB. *) Stooß, Zur Natur der Vermögensstrafe 1878. v. Buri GS. 1878. Kronecker GA. XXVII (1879) und XXVIII (1880; Z. I S. 168).

§ 67.

250

3. Die Geldstrafe.

zu reiche — Verwendung gefunden.

Sehen wir von den Fällen ab,

in welchen Geldstrafe neben Freiheitsstrafe kumulativ angedroht, in welchen sie also Nebenstrafe ist, so tritt sie uns bei den ein­ zelnen Delikten bald als ausschließlich, bald als mit der Freiheits­ strafe alternierend und zwar bald an erster bald an zweiter Stelle angedrohte Strafe entgegen. II. Der Mindestbetrag der Geldstrafe ist bei Verbrechen und Vergehen drei Mark, bei Übertretungen eine Mark (StGB § 27). Der Höchstbetrag der Geldstrafe ist im allgemeinen Teile des StGB, nicht angegeben; im besonderen Teile übersteigt er sechshundert Mark nicht, nur in dem durch das Wuchergesetz vom 24. Mai 1880 eingefügten § 302 d kann bis auf fünfzehntausend Mark erkannt werden?) Weit höher reicht die Geldstrafe in den Nebengesetzen, wo sie in zahlreichen Fällen als Vielfaches oder quoter Teil der hinterzogenen Abgaben, des defraudierten Portos u. s. w. auftritt. Außer zahlreichen Zoll- und Steuergesetzen seien als Beispiele erwähnt: Gesetz betr. die Jnhaberpapiere mit Prämien, vom 8. Juni 1871 § 6: Geld­ strafe, welche dem fünften Teile des Nennwertes der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleichkommt, mindestens aber 100 Thaler betragen soll; Bankgesetz vom 14. März 1865 § 55: Geldstrafe, welche dem Zehnfachen des Betrages der unbefugt aus­ gegebenen Wertzeichen gleichkommt, mindestens aber fünftausend Mark beträgt; Wechselstempelsteuergesetz vom 10. Juni 1869 § 15: Geld­ buße, welche dem fünfzigfachen Betrage der hinterzogenen Abgabe gleichkommt; Gesetz betr. Ausgabe von Banknoten vom 21. De­ zember 1874 Art II § 2: 4facher Betrag der gesetzwidrig aus­ gegebenen Banknoten, mindestens aber tausend Mark. Die Seemansordnung vom 27. Dezember 1872 rechnet in den §§ 83 und 84 nach dem Betrage der Monatsheuer. III. Die Geldstrafe wird vom Staate eingezogen und für öffentliche Zwecke verwendet, die in einzelnen Nebengesetzen besonders bezeichnet sind.

Vgl. z. B. Personenstandsgesetz vom 6. Februar

1875 § 70, nach welchem die hier angedrohten Geldstrafen jenen Gemeinden zufließen, welche die sachlichen Kosten der Standesämter zu tragen haben; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 17, nach welchem jene Kassen bezugsberechtigt sind, welchen die Unter« 2) Noch wesentlich höher greift das Ges. betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien u. s. w. von 1884.

Vgl. über dieses erst während des Druckes zu stände

gekommene Gesetz unten § 193.

4. Der Verweis.

§ 68.

251

Haltung der zur technischen Untersuchung von Nahrungs- und Ge­ nußmitteln bestimmten Anstalten obliegt; Gewerbe-Ordnung § 146 (Hilfskasse, andere zum Besten der Arbeiter bestehende Kassen, even­ tuell Ortsarmenkasse, Gewerbe-Ordnung § 116); Postgesetz vom 28. Oktober 1871 § 33 (Postarmen- oder Unterstützungskasse); Tabak­ steuergesetz vom 16. Juli 1879 § 46 (Fiskus desjenigen Staates, von dessen Behörden die Strafentscheidung erlassen ist); Warenverkehrs-Statistik-Gesetz vom 20. Juli 1879 § 17 (ebenso); Wechsel­ stempelgesetz vom 10. Juni 1869 § 17 (ebenso); Spielkartenstempel­ gesetz vom 3. Juli 1878 § 19 (ebenso); Seemansordnung vom 27. Dezember 1872 § 107 (Seemannskasse bez. Ortsarmenkasse des Heimatshafens des Schiffes). Die Vollstreckung der Geldstrafen erfolgt nach den Vorschriften über die Vollstreckung der Urteile der Zivilgerichte (StGB §. 495)?) § 68, 4. Der Verweis.r) I. Der Verweis, schon im gemeinen Recht und in mehreren deutschen Partikularstrafgesetzbüchern als Strafmittel anerkannt, findet sich in der Reichsgesetzgebung in einem einzigen Falle (StGB. § 57 Ziff. 4): Hat ein jugendlicher Thäter ein Vergehen oder eine Übertretung begangen, so kann in besonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden. II. Der Verweis ist eigentliche Strafe, und zwar die einzige Hauptstrafe an der Ehre. Er kann daher erst erteilt werden, wenn das auf ihn erkennende Urteil rechtskräftig geworden ist. Über den Vollzug dieser Strafart fehlt es — auch in der StPO. — an aus­ drücklichen Anordnungen; es sind daher die übrigen Bestimmungen in der StPO, zur analogen Anwendung zu bringen. So hat z. B. die Erteilung des Verweises gemäß § 483 StPO, durch die Staatsanwaltschaft auf Grund einer von dem Gerichtsschreiber zu erteilenden, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen, beglaubigten Abschrift der Urteilsformel zu geschehen. Wo die 3) Vollstreckung in den Nachlaß vgl. unten § 79 III.; Umwandlung in Frei­ heitsstrafe unten § 76 I. — Geldstrafen können im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden, KO. § 563. *) Dochow GS. XXIII (1871) und HR. „Verweis". Vgl. insbes. die Dar­ stellungen des Strafprozeßrechts bei der Lehre von der Strafvollstreckung.

252

§ 69.

1. Nebenstrafen an der Freiheit.

Analogie der Bestimmungen der StPO, nicht ausreicht, ist landes­ gesetzliche Regelung notwendig und maßgebend^).

B. Die Nebenstrafen. § 69. 1 Nebenstrafen an der Freiheit. Daß wir es hier mit wirklichen Nebenstrafen, nicht aber mit polizeilichen Maßregeln zu thun haben, ergibt sich aus dem oben § 60 besprochenen Begriffe der Strafe. Die richtige Auffassung der Strafe, nach welcher sie Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterver­ letzung ist, nach welcher Art und Maß der Strafe lediglich bestimmt wird durch das Bedürfnis nach Schutz der Rechtsgüter, hat gerade in diesen Nebenstrafen an der Freiheit, freilich ohne daß der Gesetz­ geber sich klar geworden wäre über die theoretische Tragweite seiner Anordnungen, prägnanten gesetzlichen Ausdruck gefunden. Ziel­ bewußte Erweiterung dieser Einrichtungen und Verschmelzung derselben mit den Hauptstrafen bildet die Aufgabe künftiger rationeller Straf­ gesetzgebung. Es gehören hierher I. Das gerichtliche Erkenntnis auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht^), das neben der Freiheitsstrafe, und zwar regelmäßig neben Zuchthaus, ausnahmsweise (StGB. §§ 180, 262, 294) auch neben Gefängnis, aber nur in durch das Gesetz aus­ drücklich vorgesehenen Fällen, dem richterlichen Ermessen anheim­ gegeben ist. ' Diese Nebenstrafe entstammt dem französischen Rechte, dem renvoie sous la surveillance de la policc, welche in mehrere deutsche Partikular-Gesetzbücher, insbesondere auch in das preußische, Auf­ nahme fand, im RStGB. aber, auf Grund der in Preußen gemachten Erfahrungen, eine wesentlich andre Gestalt erhielt. Die im RStGB. ausdrücklich vorgesehenen Fälle, in welchen auf Zulässigkeit der Polizeiaufsicht erkannt werden kann, sind: StGB. §§ 115, 116 (Aufruhr und Auflauf), 122 (Meuterei von Gefangenen), 2) § 57 giss. 4 StGB, gilt in einzelnen Landes-Strafgesetzen überhaupt nicht. Man vgl. Preuß. Forstdiebst.Ges. vom 15. April 1878 § 10. 0 Vgl. Anlage III der Motive. Triest GS. IX (1857). v. Schwarze GS. XXIV (1872). Berner GS. XXXIII (1881; Z. II 156); v. Holtzendorff HR. „Polizeiaufsicht".

1. Nebenstrafen an der Freiheit.

§ 69.

253

125 (Landfriedensbruch), 146, 147 (Münzverbrechen), 180, 181 (Kuppelei), 248 (Diebstahl und Unterschlagung), 256 (Raub und Erpressung), 262 (Hehlerei), 294 (gewerbsmäßige Wilddieberei), 325 (Reihe von gemeingefährlichen Delikten), 49 a (Aufforderung und Erbieten zu Verbrechen); ferner bei dem Versuch eines mit Tod oder lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechens und der Bei­ hilfe zu einem solchen (StGB. §§ 44 und 49); Nahrungsmittel­ gesetz vom 14. Mai 1879 § 13. Sprengstoffgesetz vom 9. Juni 1884 ZU. Ist Polizeiaufsicht neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens zulässig, so gilt gleiches bei der Versuchsstrafe (StGB. § 45); ist sie wegen einer von mehreren real konkurrie­ renden strafbaren Handlungen zulässig, so kann auf sie auch neben der Gesamtstrafe erkannt werden (StGB. § 76). Dem jugendlichen Thäter gegenüber darf Zulässigkeit der Polizei­ aufsicht nicht ausgesprochen werden (StGB. § 57 Ziff 5). Durch ein solches Erkenntnis erhält die höhere Landespolizei­ behörde die Befugnis, nach Anhörung der Gefängnisverwaltung den Verurteilten auf die Dauer von höchstens fünf Jahren unter Polizei­ aufsicht zu stellen. Diese Zeit wird von dem Tage berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist (StGB § 38). Die Polizeiaufsicht hat folgende Wirkungen (StGB. § 39): a) dem Verurteilten kann der Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten von der Landespolizeibehörde untersagt werden; b) die höhere Landespolizeibehörde ist befugt, den Ausländer aus dem Bundesgebiete zu verweisen; c) Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hinsichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen?) Zuwiderhandlungen gegen diese Beschränkung fallen unter StGB. § 361 Ziff. 1. II. Die Überweisung an die Landespolizeibehörde. Neben der Verurteilung zur Haft wegen der in § 361 StGB. Ziff. 3—8 bedrohten Delikte (gegen Landstreicher, Bettler, Müßig­ gänger, Prostituierte, Arbeitsscheue, Erwerbslose) kann zugleich er­ kannt werden, daß die verurteilte Person nach verbüßter Strafe der Landespolizeibehörde zu überweisen sei. Diese erhält dadurch die Befugnis, den Verurteilten entweder bis zu zwei Jahren in ein Arbeits8) Weitere Folgen enthält die StPO, in den §§ 103, 104, 106, 113.

254

§ 69.

1. Nebenstrafen an der Freiheit.

Haus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Im Falle des § 361 Zifs. 4 (Bettel) ist dies jedoch nur dann zu­ lässig, wenn der Verurteilte in den letzten drei Jahren wegen dieser Übertretung mehrmals rechtskräftig verurteilt worden ist, oder wenn derselbe unter Drohungen oder mit Waffen gebettelt hat. Gegen Ausländer kann an Stelle der Unterbringung in ein Arbeitshaus Verweisung aus dem Bundesgebiete eintreten (StGB. § 362). Man spricht hier auch wohl von „korrektioneller Nachhaft" oder „Anhang". III. Die Ausweisung aus dem Reichsgebiete ist als Nebenstrafe nur gegen Ausländer zulässig, und zwar in folgenden Fällen: 1. Bei gewerbsmäßigem Betriebe des Glücksspiels StGB. § 284. 2. An Stelle der Polizeiaufsicht oder der Unterbringung in ein Arbeitshaus StGB. §§ 39 Zifs. 2 und 362 Abs. 3. 3. Gegen Personen, welche sich die Agitation für sozialdemo­ kratische Bestrebungen zum Geschäfte machen, hier tut Stelle der Versagung des Aufenthaltes. Sozial.Gesetz vom 21. Ok­ tober 1878 § 22. Zuwiderhandlungen fallen unter § 361 Ziff. 2 StGB., bez. unter § 22 des Sozial.Gesetzes. Doch hängt die Strafbarkeit der Rückkehr von der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ab, welche von den Gerichten selbständig zu prüfen ist.34) IV. Aufenthaltsbeschränkung 5) als Verwaltungsmaß­ regel häufig, als Nebenstrafe nur im Sozial.Gesetz (§ 22) an­ gedroht. Bei geschäftsmäßiger Agitation für sozialdemokratische Be­ strebungen kann neben der Freiheitsstrafe wegen gewisser Übertretungen des Sozial.Gesetzes auf die Zulässigkeit der Einschränkung des Aufenthaltes erkannt werden. Die Landespolizeibehörde erhält dadurch das Recht, dem Verurteilten den Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ortschaften zu versagen; in seinem Wohnsitze jedoch nur dann, wenn er denselben nicht bereits seit sechs Monaten inne hat. Die Aufenthaltsbeschränkung darf nie in Konfinierung, d. h. in An­ weisung eines bestimmten Aufenthaltsortes, durch Versagung des 3) Ausdehnung derselben auf rückfällige Eigentumsverbrecher würde sich gewiß empfehlen. Dies ist auch die Ansicht von Mittelstadt, v. Schwarze, Kröpelin, Sichart u. a. Dgl. v. Liszt, Zweckgedanke Z. III. 4) 3. S. 17. Juni 1882 VI/378. *) Vgl. Leuthold in HR. „Aufenthaltsbeschränkung".

2. Nebenstrafen am Vermögen. § 70.

255

Aufenthaltes in allen übrigen, übergehen. Ausländer können aus­ gewiesen werden. V. Beschränkung des Hausrechts trifft nach § 3 Nah­ rungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 die auf Grund der §§ 10, 12, 13 dieses Gesetzes zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Personen in­ sofern, als die Polizei durch die Verurteilung die Berechtigung er­ hält, in den zu Herstellung, Aufbewahrung, Verkauf der Nahrungs­ mittel usw. bestimmten Räumlichkeiten Revisionen vorzunehmen. Die Befugnis beginnt mit der Rechtskraft des Urteils und erlischt mit dem Ablaufe von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist.

§♦ 70. S. Nebenstrafen am Vermögen.

I. Die access arische Geldstrafe, welche überaus häufig, besonders bei den aus Gewinnsucht hervorgegangenen Verbrechen, in der Reichsgesetzgebung angedroht wird. II. Die Einziehung der instrumenta und pro­ ducta sceleris, d. i. derjenigen Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen hervorgebracht oder welche zur Begehung eines solchen gebraucht oder bestimmt sind.. Die Ein­ ziehung ist im Urteile auszusprechen (StGB. § 40). Nur aus­ nahmsweise ist sie auch bei Übertretungen zulässig: StGB. 88 360, 367, 369 Ziff. 2. Regelmäßig ist der Ausspruch der Einziehung dem Ermessen des Gerichtes anheimgestellt; in einzelnen Fällen (StGB. 88 152, 295, 296 a, 335, 369 Ziff. 2) muß jedoch auf Einziehung erkannt werden.

Die Einziehung verliert den Charakter der Strafe, sobald sie nicht den Verurteilten, sondern dritte Personen trifft, oder unab­ hängig von der Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person ausgesprochen werden kann, ü Sehr häufig, und teilweise obligatorisch angedroht findet sich die Einziehung in den Nebengesetzen. Man vgl. Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 88 21 und 25, die Urhebergesetze vom 9., 10., 11. Januar 1876, Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 8 17, Reichsflaggengesetz vom 25. Oktober 1867 88 13-15, die Zoll') Vgl. oben § 60 III.

256

§ 70. 2. Nebenstrafen am Vermögen.

und Steuergesetze, Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 § 20, Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 15, Viehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 §§ 65 und 66, Küstenfrachtschiffahrtsgesetz vom 10. Juni 1881 § 3 u. s. w. Sehr eingehende Bestimmungen über Konfiskation enthält das Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§ 134, 135, 147, 154—157; zu bemerken ist, daß, wenn die Konfiskation selbst nicht vollzogen werden kann, an ihre Stelle die Zahlung einer Geldsumme tritt (§§ 155 und 147 letzter Absatz). III. Die Unbrauchbarmachung von Schriften u. dgl. Wenn der Inhalt einer Schrift, Abbildung oder Darstellung strafbar ist, so ist im Urteile auszusprechen, daß alle Exemplare, sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind. Die Vorschrift bezieht sich jedoch nur aus die im Besitze des Verfassers, Druckers, Herausgebers, Verlegers oder Buch­ händlers befindlichen und auf die öffentlich ausgelegten oder öffentlich angebotenen Exemplare. Ist nur ein Teil der Schrift, Abbildung oder Darstellung strafbar, so ist, insofern eine Ausscheidung möglich ist, auszusprechen, daß nur die strafbaren Stellen und derjenige Teil der Platten und Formen, auf welchem sich diese Stellen befinden, unbrauchbar zu machen sind 2)3(StGB. § 41). IV. Dauernder oder zeitiger Verlust der Befugnis zum Gewerbebetrieb. Obwohl nach § 143 der Gew.Ordg. vom 21. Juni 1869 (vgl. mit § 4 des Preßgesetzes vom 7. Mai 1874) die Berechtigung zum Gewerbebetriebe weder durch richterliche noch durch administrative Entscheidung entzogen werden kann, so ist dieser Satz von der Reichsgesetzgebung doch nicht ausnahmslos durch­ geführt worden. 1. So findet sich der Verlust der Gewerbeberechtigung als Strafe in manchen Steuergesetzen angedroht, man vgl. z. B. Brannt­ weinsteuergesetz vom 8. Juli 1868 §§ 52 und 53; Salzsteuergesetz vom 12. Oktober 1867 § 14. ®) 2. Nach § 23 des Sozial.Gesetzes vom 21. Oktober 1878 kann gegen sozialdemokratische Agitatoren neben der Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen gewisser Übertretungen des Sozial.Gesetzes auf 2) Das Nähere bei v. Liszt, Reichspreßrecht §§ 54 ff. 3) Der von Olshausen u. a. vertretenen Ansicht, nach welcher diese Strafdrohungen beseitigt sind, steht der Charakter derselben als Spezialbestimmungen entgegen. Man vgl. auch § 26 des Ges. betr. die Untersuchung von Seeunfällen vom 27. Juli 1877.

3. Nebenstrafen an der Ehre.

§ 71.

257

Untersagung des Gewerbebetriebes erkannt werden, wenn es sich um Gastwirte, Schankwirte, mit Branntwein oder Spiritus Kleinhandel treibende Personen, Buchdrucker, Buchhändler, Leihbibliothekare und Inhaber von Lesekabinetten handelt (vgl. auch §§ 24, 25 SozialistenGesetz).*4) 2 3 § 71. 3. Nebenstrafen an der Ehre. 4) I. Die Nebenstrafen an der Ehre bestehen nach der Reichs­ gesetzgebung nicht etwa in einex Vernichtung oder Schmälerung des Rechtsgutes der Ehre, sondern in der gänzlichen oder teilweisen Ab­ erkennung gewisser vom Gesetze genau bezeichneter „Ehrenrechte", d. h. von Rechten und Fähigkeiten, welche sich auf die öffentliche, nicht aber auf die privatrechtliche oder soziale Stellung des Ver­ urteilten beziehen.2):j) II. Die Aberkennung sämtlicher Ehrenrechte. Sie umfaßt: 1. den dauernden Verlust der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten hervorgegangenen Rechte, ingleichen den dauernden Verlust der öffentlichen Ämter,4) Würden, Titel, Orden und Ehren­ zeichen (nicht des Adels). StGB. § 33; 2. den Verlust der Fähigkeit, während der im Ur­ teile bestimmten Zeit a) die Landeskokarde zu tragen; b) in das deutsche Heer oder in die Kaiserliche Marine einzutreten; 4) Außerdem gehören die oben § 62 I 93. 3 c. zusammengestellten Be­ stimmungen zur Gruppe der Nebenstrafen am Vermögen. *) Wieck, Ehrenstrafen und Ehrenfolgen 2. Aufl. 1853. Wahlberg, Ehrenfolgen der strafgerichtlichen Verurteilung 1864. Zugschwerdt, Schär­ fungen der Freiheitsstrafe 1865. Glaser, Studien z. österr. Entw. 1870. Groß, Ehrenfolgen 1874. Mandry , Der zivilrechtl. Inhalt der Reichsgesetze 2. Aufl. 1882. Teich mann HR. „Ehrenstrafen". 2) Vgl. außerdem die oben § 62 I 93. IV c. angeführten Nebenstrafen an der Ehre. — Die militärischen Ehrenstrafen s. in §§ 30 ff. des Militär-StGB. 3) Die von Reichs- und Landesgesetzen an die Thatsache der Aberkennung vielfach angeknüpften nachteiligen Folgen erscheinen schon darum, weil sie ipso jure eintreten, nicht als Ehrenstrafen. 4) Darunter sind Advokatur, Anwaltschaft, Notariat sowie Geschwornenund Schöffendienst mitbegriffen (StGB. § 31 Abs. 2). 6) Auf die Reichskokarde nicht auszudehnen. So Rüdorff u. Rubo gegen Oppen ho ff und Bind in g. Es handelt sich eben um eine Lücke im Gesetze. von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

258

§ 71.

3. Nebenstrafen an der Ehre.

c) öffentliche Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen zu erlangen; d) in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen,

zu wählen oder

gewählt zu werden oder andre politische Rechte auszuüben;

e) Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein; f) Vormund, Nebenvormund, Kurator, gerichtlicher Beistand oder Mitglied eines Familienrates zu sein, es sei denn, daß es sich um Verwandte

absteigender Linie

handle

und

die obervor­

mundschaftliche Behörde oder der Familienrat die Genehmigung erteile (StGB. § 34).«) Die Dauer der Unfähigkeit beträgt neben zeitiger Zuchthaus­ strafe mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, neben Gefängnisstrafe mindestens eins und höchstens fünf Jahre (StGB. § 32).6 7)

Die

Wirkung der Aberkennung tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein; die Zeitdauer der Unfähigkeit wird von dem Tage berechnet, an dem die Freiheitsstrafe,

neben welcher jene Aberkennung ausgesprochen

wurde, verbüßt, verjährt oder erlassen ist (StGB. § 36). Die Aberkennung der sämtlichen Ehrenrechte ist regelmäßig dem Ermessen des Gerichtes überlassen; obligatorisch vorgeschrieben ist sie nur in den §§ 161 (Meineid), 181 (schwere Kuppelei), 302 d StGB. (Wucher nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880) Neben Todes- und neben Zuchthausstrafe kann sie ohne weiteres, neben Gefängnisstrafe aber nur dann ausgesprochen werden (StGB. § 32), wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate erreicht und entweder das Gesetz den Verlust der bürger­ lichen Ehrenrechte ausdrücklich zuläßt o d e r die Gefängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände an Stelle von Zuchthausstrafe aus­ gesprochen wurde. Die Fälle, in welchen das Gesetz den Verlust ausdrücklich zu­ läßt, sind die §§ 49 a, 108, 109, 133, 142, 143, 150, 160, 161, 164, 168, 173, 175, 180, 183, 248, 256, 262, 263, 266, 280,

6) Der Adelsverlust ist vom Gesetze mit Recht nicht unter die Ehrenfolgen aufgenommen worden; denn derselbe würde eine Schmälerung der familien­ rechtlichen Stellung des Betroffenen sein und daher mit dem Grundgedanken der modernen Ehrenstrafe im Widerspruche stehen. ’) Um diese Bestimmung mit dem früheren Rechte in Einklang zu bringen, haben die meisten Einführungsgesetze zum RStGB. die vor Geltung desselben auf Lebenszeit erkannten oder von Rechtswegen an die Verurteilung geknüpften Ehrenstrafen auf zehn, bezw. zwei Jahre herabgesetzt.

3. Nebenstrafen an der Ehre.

§ 71.

259

284, 289, 294, 302, 302 a, b, c (Wucher nach dem Gesetz vom 24. Mai 1880), 304, 329, 333, 350; Nahrungsmittelgesetz vom 14. Mai 1879 § 12; Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 § 97. Bei Versuch (StGB. § 45) ist die Aberkennung zulässig oder geboten, wenn sie es neben der Strafe des vollendeten Deliktes wäre (die Versuchsstrafe muß also bei Gefängnis mindestens drei Monate betragen); ebenso neben der Gesamtstrafe, wenn sie auch nur neben einer der verwirkten Einzelstrasen zulässig oder geboten ist (StGB. § 76). Gegen den jugendlichen Thäter darf sie nie aus­ gesprochen werden (StGB. § 57 Ziff. 5). III. DieAberkennung(derVerlust)einzelnerEhrenrechte. Hier haben wir mehrere Fälle zu unterscheiden: 1. Neben einer Gefängnisstrafe, mit welcher die Aberkennung überhaupt hätte verbunden werden können, kann auf die Unfähig­ keit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von ein bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter hat den dauernden Verlust der bekleideten Ämter von Rechts­ wegen zur Folge (StGB. § 35). 2. Auf den dauernden Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter und der aus öffentlichen Wahlen hervorge­ gangenen Rechte kann erkannt werden in den Fällen ber §§ 81, 83, 84, 87—91, 94, 95 StGB., und zwar nach § 95 neben der Gefängnisstrafe, in den übrigen Fällen neben der Festungshaft, die hier ausnahmsweise mit einer Minderung der Ehrenrechte verbunden sein kann. 3. Nach den §§ 128, 129, 358 StGB, samt8) (nach den §§ 128 u. 129, nicht aber nach § 358, nur gegen Beamte, die sich dieser Delikte schuldig gemacht haben) auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von ein bis zu fünf Jahren erkannt werden. Für die Berechnung der Dauer der zeitigen Unfähigkeit gilt auch hier das oben zu I Gesagte. IV. Ist ein Deutscher im Auslande wegen eines Verbrechens oder Vergehens bestraft worden, das nach den Gesetzen des Deutschen 8) Auch dann, wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate nicht erreicht.

260

§ 72. Die Buße.

Reiches den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt odereinzelner bürgerlicher Ehrenrechte zur Folge hat oder zur Folge haben sann, so ist ein neues Strafverfahren zulässig, um gegen den in diesem Verfahren für schuldig Erklärten auf jene Folgen zu erkennen (StGB. § 37).9)

Anhang. § 73. Die »itfce.1) I. Anwendungsgebiet. Die Buße findet sich sowohl im Strafgesetzbuch selbst als auch in einzelnen Nebengesetzen. Die Fälle, in welchen auf Buße erkannt werden kann, sind die folgenden: 1. StGB. § 188. Üble Nachrede und Verleumdung (StGB. §§ 186 u. 187), wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisfe, den Erwerb oder das Fortkommen des Be­ leidigten mit sich bringt. Höchstmaß 6000 Mark. 2. StGB. § 231. Körperverletzung in allen Fällen. Maximum 6000 Mark. 3. Nachdrucksgesetz vom 11. Juni 1870 §§ 18, 43, 45. Bei vorsätzlichem wie bei fahrlässigem Nachdruck. Höchstmaß 6000 Mark. 4. Urheberrech'tsgesetze vom 9. Januar 1876 § 16, 10. Januar 1876 § 9, 11. Januar 1876 § 14. Wie unter 3. 5. Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 § 15. Höchstmaß 5000 Mark. 6. Patentgesetz vom 25. Mai 1877 § 36. Höchstmaß 10000 Mark. In allen Fällen ist der Zuspruch der Buße durch das im straf­ prozessualen Verfahren zu stellende Verlangen des Verletzten (StPO. §§ 443—446) bedingt; ist die Buße an den Verletzten zu entrichten; schließt die erkannte Buße die Geltendmachung eines weiteren Ent­ schädigungsanspruches aus; haften die zur Buße Verurteilten als Gesamtschuldner;2) darf auf einen höheren Betrag der Buße als den beantragten nicht erkannt werden (StPO. § 445); kann der °) Vgl. StGB. 8 5 Nr. 1 u. 3. *) Wächter. Die Buße 1874. Dochon>, Die Buße 1875. Windscheid § 326. v. Weinrich, Die Haftpflicht u. s. ro. 1883 S. 122 ff. (Z. IV S. 327). s) Wenn auch nur für die Fälle unter 2—6 ausdrücklich im Gesetze aus­ gesprochen, gilt dieser Satz doch auch in gleicher Weise für Fall 1.

Die Buße.

§ 72.

261

Anspruch des Verletzten von dessen Rechtsnachfolgern nicht erhoben oder fortgesetzt werden (StPO. § 444 Abs. 4); erfolgt die Eintrei­ bung nach den Vorschriften der ZPO. (StPO. § 495). II. Charakter der Buße. Das Wesen der Buße ist lebhaft bestritten; bald wird sie als Strafe, bald als Entschädigung, bald als ein aus beiden Elementen zusammengesetztes Institut betrachtet. Wenn wir im Auge behalten, daß der Begriff der Entschädigung durch den Ersatz vermögensrechtlicher Nachteile nicht erschöpft wird, sondern auch die dem Verletzten gebührende Genugthuung für den von ihm erlittenen Eingriff in seine Rechtssphäre überhaupt in sich schließt, b) so werden wir gegen die Auffassung der Buße als reiner Entschädigung, besser vielleicht: als Genugthuung keine Bedenken erheben können?) Diese Auffassung schließt nicht aus, daß der An­ spruch auf Buße ein höchst persönlicher, nur dem Verletzten, nicht aber seinen Erben zustehender ist. Direkte Bestätigung findet der Genug­ thuungscharakter der Buße in den Nebengesetzen („statt der Ent­ schädigung kann auf Buße erkannt werden"). Von diesem Stand­ punkte aus können wir die meisten der an die Buße anknüpfenden Kontroversen erledigen. So ist weder der Nachw eis eines pekuniären Nachteils, ^) noch ein solcher Nachteil überhaupt Bedingung für das Entstehen des Anspruchs; daher ist auch bei versuchtem Delikte Buße zuzusprechen; daher ist die Buße in jenen zahlreichen Fällen ausgeschlossen, in welchen der Eintritt einer nicht verschuldeten Kör­ perverletzung strafschärfend mxtt;*6) 4daher 5 verjährt der Anspruch auf Buße nach den Grundsätzen des Zivilrechtes, wenn auch seine Geltend­ machung im Strafprozesse durch die strafrechtliche Verjährung des Deliktes thatsächlich unmöglich gemacht wird; daher wird die zuer8) Vgl. oben § 60 II. 4) Im wesentlichen derselben Meinung (wenn auch meist mit Beschränkung der Genugthuung auf Ersatz des pekuniären Schadens) die meisten; so Dochow, Sontag, Stenglein,Binding, Geyer, Hälschner, Berner, Meyer, Rüdorff. Als Privatstrafe wird die Buße aufgefaßt von Reber, Flesch, Wahlberg, insbesondere aber von Heinze, während Wächter, Schütze, v. Schwarze, Stoos u. a. zwei Elemente in der Buße zu unterscheiden ver­ suchen, ein ziviles und ein pönales, v. Weinrich hat den Versuch gemacht, die Buße als Zwangsabfindung zu konstruieren. 5) Anerkannt I. S. 18. März 1880 1/328; II. S. 20. Juni 1882 VI/398. 6) Vgl oben § 42 I ) I. Geschichte. Während das Recht des früheren deutschen Mittelalters ebenso wie das Recht der römischen Republik Straf­ drohungen gegen Aussetzung nicht enthält, finden wir in der rö­ mischen Kaiserzeit, und zwar seit der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts 7) bestritten. 8) In allen Fällen, in welchen eine vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführte Körperverletzung vorliegt, mag diese auch nicht unter den 17. Abschnitt des RStGB. fallen, kann aus die Buße erkannt werden. Sie ist demnach nur dort ausgeschlossen, wo entweder eine Körperverletzung gar nicht eingetreten ist (wie möglicherweise bei der Vergiftung), oder wenn dieselbe schuldlos herbeigeführt wurde. — Sehr bestritten. 9) umfaßt sowohl § 223, als auch § 230, wenn kein schwerer Erfolg im Sinne der §§ 224 u. 226 eingetreten ist. 10) Vgl. oben § 77 III. x) d. Holtz endorff, Handb. III S. 463. Platz, Geschichte des Ver­ brechens der Aussetzung 1876. v. Schwarze GS. XXIV (1872); v. Buri GS. XXVII (1875).

308

§ 90.

Die Aussetzung.

oft wiederholte Bestimmungen gegen die expositio infantium (C. 8,52), die aber nicht als besonderes selbständiges Delikt aufgefaßt, sondern als Fall der Tötung behandelt wird. So auch von Justinian in der Novelle 153. Erst das kanonische Recht faßt die Aussetzung als Gefähr­ dung von Leib und Leben auf, und hebt sie als selbständiges Ver­ brechen hervor. Dieselbe Auffassung vertritt, trotz des Schwankens der italienischen Juristen, auch die PGO. in Art. 132. Sie straft das Weib, welches „ihr Kind, damit sie dessen abkomme, von sich legt", mit dem Tode, wenn das Kind stirbt, dagegen mit außer­ ordentlicher Strafe, wenn es am Leben bleibt. Und fortan bleibt dieser Charakter der Aussetzung unverloren. Die moderne Gesetzgebung erweitert, im Anschlüsse an das kanonische Recht, das Delikt auf die Aussetzung von Hilfsbedürftigen (languidi) überhaupt. II. Begriff. Nach dem RStGB. (§ 221) umfaßt die Aus­ setzung folgende Begrisssmerkmale: 1. Als Objekt eine wegen jugendlichen Alters,-) Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person. Als Krankheit sind auch Geistes­ störungen (nicht aber eine in normalen physiologischen Zuständen begründete Bewußtlosigkeit), insbesondere Jntoxikations- und Rausch­ zustände anzusehen.23) 2. Als Handlung entweder a) ein Aussetzen i. e. S., das Versetzen aus dem bis­ herigen Zustande in einen andern; vollendet mithin, sobald jene Beziehungen zur Außenwelt, in welchen der Verletzte sich bisher be­ funden, gelöst worden sind. Und zwar ein Aussetzen in hilfloser Lage, d. h. das Versetzen in einen Zustand, in welchem Leib und Leben des Ausgesetzten gefährdet sind. Aussetzung liegt daher nicht vor, wenn der Thäter hilfsbereit in der Nähe wartet, bis der Aus­ gesetzte durch dritte Personen aufgenommen wird;4) doch ist die bloße Möglichkeit einer Errettung durch dritte nicht ausreichend.5) Oder 2) Die im preuß. StGB, enthaltene feste Altersgrenze (7 Jahre) hat da? RStGB. mit Recht fallen lassen. ’) Ebenso I. S. 9. Januar 1882 V;393 mit der gern. Meinung. Dagegen Merkel, v. Holtzendorff u. a. 4) So III. S. 21. April 1880 11/15 mit der gemeinen Meinung. Un richtig die 1. Ausl. °) I. S. 23. Oktober 1882 VII/111.

Die Vergiftung.

§ 91.

309

b) einVerlassen in hilfloser Lage; strafbar nur dann, wenn der Berlassene unter der Obhut des Thäters stand, oder wenn dieser für die Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme des Verlassenen zu sorgen hatte (es genügt obligatio ex re, z. B. begründet durch das Aufnehmen eines ausgesetzten Kindes von seiten eines unbe­ teiligten dritten)?) Ein Versetzen in andere Lage ist hier nicht erforderlich; wohl aber muß eine räumliche Trennung, durch Sich-Entfernen des Thäters oder aber auch durch Verschließen des Einganges u. s. w., stattgefunden haben. Einfache Vernachlässigung der pflichtgemäßen Obsorge genügt nicht.67) 3. Als Vorsatz das Bewußtsein von dem gefährdenden Charakter der Handlung. Der Tötungsvorsatz schließt die Anwen­ dung des § 221 aus.8) 9 III. Strafe. Die Aussetzung ist regelmäßig Vergehen: der Strafsatz beträgt Gefängnis von drei Monaten bis fünf Jahren; wenn von den leiblichen Eltern gegen ihr Kind begangen, Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die Schwere des (wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten) Erfolges macht die Aussetzung zum Verbrechen: ist eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthaus bis zu zehn Jahren, und wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus von drei bis fünfzehn Jahren ein. Der Versuch ist nur strafbar, wenn die Aussetzung Verbrechen ist; er ist hier möglich/) wenn die versuchte Handlung eine der schweren Folgen nach sich gezogen hat. § 91. 2. Die Vergiftung. *) I. Geschichte. Die Vergiftung ist erst im modernen Recht, und zwar als in Verletzungsabsicht mit gewissen Mitteln begangene Gefährdung von Leib und Leben, zum selbständigen Delikte ge6) Ebenso Merkel, Schütze, H. Meyer, Rüdorff u. a.; II. S. 17. April 1883 VIII/205. 7) II. S. 12. Juni 1883 VIII/343. Unrichtig Olshausen mit der säch­ sischen Praxis. 6) Eigentümliche Konsequenzen ergeben sich daraus, daß § 217 mildernde Umstände zuläßt, § 221 Abs. 3 aber nicht. 9) Vgl. oben § 44 Note 17. x) Gengler, Verbrechen der Vergiftung 1842. Mittermaier GA. IV (1856); V (1857). Berner GS. XIX (1867). Geyer HH. III S. 557.

310

§ yi. Die Vergiftung.

worden. Die Sullanische Gesetzgebung stellte das Geben, Zubereiten, Ankäufen, Verkaufen von Gift unter die 1. Cornelia de sicariis et venificis. Die römischen Kaiser dagegen brachten, unter dem Einflüsse kirchlicher Anschauungen stehend, die Vergiftung als maleficium mit der Zauberei in engste Berührung (C. 9, 18). Ganz ebenso das deutsche Mittelalter. -) Die PGO. droht im Anschlüsse an die in Süddeutschland weitverbreitete Auffassung der Italiener, welche zumeist auf den Standpunkt der lex Cornelia sich gestellt hatten, in Art. 130 Strafe gegen denjenigen, welcher „jemanden durch Gift oder Venen an Leib oder Leben beschädigt", ohne dadurch die prinzipielle Stellung der Vergiftung dem Streite zu entrücken. Das gemeine Recht und die ihm folgende Gesetzgebung zieht teilweise wieder den Gesichtspunkt der Zauberei heran, schwankt über die Not­ wendigkeit der Tötungsabsicht und hebt vielfach, bis in die deutsche Partikulargesetzgebung hinein, den Giftmord als besonderen Fall des Meuchelmordes innerhalb der qualifizierten Tötungen hervor. Da­ gegen macht Preußen 1851 die Vergiftung zum selbständigen Delikte; und ihm folgt das RStGB., individuelle und gemeine Gefährdung (Vergiftung von Brunnen u. s. w.)*3) streng voneinander trennend. II. Begriff. Nach § 229 StGB, charakterisiert sich die Vergiftung durch folgende Begriffsmerkmale: 1. Als Mittel fordert das Gesetz entweder Gift, d. h. einen Stoff, der auch in Heineren Dosen auf chemischem Wege die Ge­ sundheit zu zerstören geeignet ist; oder aber andre Stoffe, welche geeignet find, die Gesundheit, sei es auf chemischem, sei es auf mechanischem Wege lz. B. gestoßenes Glas) zu zerstören. 2. Die Handlung besteht in dem Beibringen der genann­ ten Stoffe, d. h. in der Einführung derselben in den Organismus, also in das Blut des Verletzten. Ob diese Einführung durch Gewalt oder Täuschung, durch die Verdauungs- oder durch die Atmungs­ organe (Narkotisierung), durch subkutane Injektionen oder auf andre Weise erfolgt, ist durchaus gleichgültig. Mit dem Beibringen ist das Verbrechen vollendet; etwaige Anwendung von Gegengiften schließt daher die Bestrafung aus § 229 StGB, nicht aus.4) ä) Vgl. oben § 9 @. 47. 3) unten § 142. 4) Dag. Hälschner, welcher § 46 anwenden will.

Dis Abtreibung.

§ 92.

311

3. Der Vorsatz muß die Vorstellung umfassen, daß die beige­ brachten Stoffe die Gesundheit zu zerstören geeignet sind, muß also Gesährdungsvorsatz sein.5) Zu diesem Vorsatze muß aber weiter als treibendes Motiv des Handelns hinzutreten: die Absicht, die Gesundheit eines andern zu beschädigen. Die Vergiftung ist, wie erwähnt, Gefährdungsdelikt in Verletzungsabsicht.") III. Strafe: regelmäßig Zuchthaus bis zu zehn Jahren; wenn durch die Handlung eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) verursacht worden, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; wenn der Tod verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebens­ längliches Zuchthaus. Auch hier ist der höhere Strafsatz lediglich durch den Eintritt der, wenn auch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeigeführten, schweren Erfolge bedingt. Dennoch ist Versuch mög­ lich, wenn einer der genannten Erfolge durch die unvollendete oder an sich fehlgeschlagene Handlung verursacht wurde.67) Da die Vergiftung, auch wenn sie keine schwerere Beein­ trächtigung .der Gesundheit zur Folge hatte, als Körperverletzung im juristischen Sinne des Wortes8) erscheint, so ist in allen Fällen der Vergiftung auf Buße zu erkennen.8) § 93.

3. Die Abtreibung. Z

I. Geschichte. Das ältere römische Recht hatte die Ahndung der Abtreibung der zensorischen Rüge und der hausväterlichen Ge­ walt überlassen. Staatliche Strafdrohungen finden wir erst seit Septimius Severus.2) Die Zerrüttung des Familienlebens, welche die Folge der bei den römischen Frauen weitverbreiteten Abneigung gegen die Über­ nahme der mütterlichen Pflichten war, sollte hintangehalten werden; unwürdig erschien es dem Kaiser, daß der Gatte, welcher um der Zeugung von Kindern willen die Ehe geschlossen hatte, durch die 6) Ebenso Binding, Normen II S. 519. Dagegen Olshausen. 6) Vgl. auch oben § 26 II 2. ’) Vgl. oben § 44 Note 17. 8) Vgl. oben § 87 II und § 89 Note 8. •) Bestritten; a. 2t. v.Wächter, Schütze, v. Schwarze, Olshausen. *) v. Fabrice, Kindesabtreibung und Kindesmord 1868. v. Holtz endorff, Handb. III S. 455. v. Wächter GS. XXIX (1877). Horch, Ab­ treibung 1878. Hälschner, GS. XXXII (1880). 2) I. 4 D. 47, 11.

§ 92.

312

Die Abtreibung.

Frau um seine Hoffnungen betrogen würde/ Dem Embryo

selb­

ständigen Schutz zu verleihen, widersprach der stoizistischen Auffassung der römischen Juristen, welche die Leibesfrucht als mulieris portio vel viscerum betrachten. Anders das kanonische und das in dieser Frage unter seinem Einflüsse stehende mittelalterlich-deutsche Recht. Die Tötung des belebten Embryo erscheint als homicidium. Belebt aber ist der Embryo erst, wenn die anima rationalis in ihn eingegangen ist, also 40, bez. 80 Tage nach der Empfängnis.3)*

Vor diesem Zeit­

punkte wird die Abtreibung nur arbiträr gestraft. Denselben Standpunkt nimmt auch PGO. ein. „Wer

Art. 183 sagt:

einem Weibsbild durch Bezwang, Essen oder Trinken ein

lebendiges Kind abtreibt .... soll als Totschläger gestraft werden. So aber ein Kind,

das noch nicht lebendig wäre, von einem

Weibsbild getrieben würde, soll der Rat Rechtsverständiger eingeholt werden." Die Schwangere selbst wird nicht erwähnt. Als die Überzeugung von der Unrichtigkeit jener Unterscheidung zwischen belebter und nichtbelebter Frucht sich auch in den juristischen Kreisen (insbesondere infolge der Bemühungen Leysers f 1752) verbreitet hatte, entstand die Notwendigkeit, einerseits den Embryo von seiner ersten Entwickelung an unter den Schutz des Strafrechts zu stellen, anderseits aber den Gesichtspunkt des homicidium fallen zu lassen.

Dazu trat das Bedürfnis, Leben und Gesundheit der

Schwangeren Aus

diesen

selbst gegen Erwägungen

gefährdende ergibt

sich

Eingriffe sicher zu stellen. die Doppelstellung der Ab­

treibung in den modernen Gesetzbüchern: sie ist einerseits Tötung oder Gefährdung des Embryo, anderseits Gefährdung der Schwangeren. Das RStGB. (§§ 218—220) folgt in seiner durchaus fehlerhaften und

zu

fortwährenden

Kontroversen veranlassenden Fassung dem

preußischen StGB. II. Begriff. 1. Objekt ist die noch nicht geborne, d. h. die noch nicht zu selbständigem extrauterinalen Lebens gelangte Leibesfrucht in allen Stadien ihrer Entwickelung. Leibesfrucht aber ist das lebende befruchtete Ei; mithin auch die Mole oder das krankhaft degenerierte @t.5) 3) Mißverständnis von Mosis II. 21 V. 22ff. *) Vgl. oben § 85 Note 2. ö) So mit Recht Olshausen gegen die gemeine Meinung. (1857) S. 638.

Vgl. GA. V

Die Abtreibung.

§ 92.

313

2. Die Handlung ist entweder a) Die Abtreibung im e. S., nämlich das (rechtswidrige) Bewirken einer Frühgeburt, mag auch der Vorsatz des Thäters nicht auf Tötung der Leibesfrucht gerichtet gewesen und dieser Erfolg auch nicht eingetreten sein; oder b) die Tötung der Frucht im Mutterleibe. Es wäre mithin strafbare Abtreibung anzunehmen, wenn die bald nach dem Tode ihres Mannes von einem andern geschwängerte Witwe im 8. Monate ihrer Schwangerschaft eine Frühgeburt be­ wirkt, um das Kind als ein ehelich erzeugtes erscheinen zu lassen.67)* Durch welche Mittel die Abtreibung bewirkt wird, ob durch „Anwendung" äußerlicher, ob durch „Beibringung" innerlicher Mittel (Abortivmittel im e. S.), oder vielleicht durch psychische Einwirkung — ist für den Begriff des Deliktes gleichgültig. III. Die Arten der Abtreibung. 1. Der einfache Fall (StGB. § 218) umfaßt sowohl die von der Schwangeren selbst, als auch die von einem dritten mit Einwilligung der Schwangeren an dieser bewirkte Abtreibung. Die Handlung des dritten muß jedoch, damit sie unter den gleichen Strafrahmen wie die Abtreibung durch die Schwangere selbst fällt, nach den allgemeinen Grundsätzen als Thäterschaft oder Mitthäter­ schaft erscheinen (das Gesetz verlangt, daß er „die Mittel zur Ab­ treibung bei der Schwangeren angewendet oder ihr beigebracht hat"); bloßes Verschaffen der Mittel würde als Beihilfe zu dem Delikte der Schwangeren unter den reduzierten Strafrahmen fallen?) Die Schwangere kann in bezug auf die Handlung des dritten als Mitthäterin oder aber auch als Teilnehmerin nach den allgemeinen Grundsätzen erscheinen.9) Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei mildernden Um­ ständen nicht unter sechs Monaten. 6) Sehr bestritten. Im Sinne des Textes v. Wächter, H. Meyer, Lim an u. a.; dagegen Hälschner, Berner, Binding,Son tag, Schütze, v. Holtzendorff, Olshausen, überhaupt die gem. Meinung, insb. auch III. S. 9. Juli 1881 IV/380. Doch sind die Gründe der Gegner, insbes. die Entstehungsgeschichte der §§ 218—220 StGB, dem klaren Wortlaute dieser §§ gegenüber nicht beweisend. 7) Selbstmordversuch der Schwangeren kann nicht als Abtreibungsversuch betrachtet werden. Unrichtig Olshausen. «) I. S. 11. März 1880 1/270. v) III. S. 25. Februar 1880 1/263. Dagegen Hälschner.

314

§ 92.

Die Abtreibung.

Der Gebrauch des Perfektums im 3. Abs. des § 218 („ange­ wendet oder beigebracht hat") schließt die Strafbarkeit des Versuchs nicht au§.10) 2. Die Lohnabtreibung (StGB. § 219).n) Schwerere Strafe — Zuchthaus bis zu zehn Jahren — trifft denjenigen, der einer Schwangeren, die ihre Frucht abgetrieben hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beige­ bracht hat. Die Bedeutung dieser Bestimmung liegt in der wesentlichen Er­ höhung des Strafrahmens gegenüber der — so häufig gewerbsmäßig betriebenen — entgeltlichen Thätigkeit dritter. Eben darum wird nicht nur das Beibringen oder Anwenden von Abtreibungsmitteln, also eine als Thäterschaft oder Mitthäterschaft erscheinende Mit­ wirkung, sondern auch das Verschaffen der Mittel, also eine B e i h i l f e Handlung, von dieser strengeren Strafdrohung getroffen, während alle andern Beihilfehandlungen (insbesondere die sog. in­ tellektuelle Beihilfe) ebenso wie die Anstiftung nur nach dem milderen Strafsatze des § 218 zu beurteilen sind. Dieser Grund­ gedanke des Gesetzgebers zwingt aber zu der Folgerung, daß die Mitwirkung der Schwangeren selbst unter gar keinen Umständen nach § 219 gestraft werden lärm.12) Daß die Frucht abgetrieben oder getötet worden, ist nach der Fassung des Gesetzes Bedingung der Strafbarkeit. Straf­ barer Versuch nach § 219 könnte daher") nur dann angenommen werden, wenn, obwohl die Handlung des Lohnabtreibers fehlschlug oder unvollendet blieb, doch — infolge anderweitiger Thätigkeit — die Abtreibung erfolgte.14) Abgesehen von diesem Falle, würde der Versuch nach § 218 gestraft werden können. 3. Abtreibung durch einen dritten ohne Einwilligung der Schwangeren (StGB. § 220). Strafe: Zuchthaus nicht 10) So die gern. Meinung. Dagegen das Reichsgericht, insb. II. S. 24. Juni 1881 IV/302. ") abweichend vom preuß. StGB. ,s) Dagegen III. S. 10. April 18801/350; Hälschner, Meyer, Schütze, Olshausen. 13) Oben § 44 Note 17. ") Im wesentlichen übereinstimmend I. S. 9. Februar 1/194, III. S. 10. April 1880 1,-350, III. S. 1. Dezember 1880 III/163. Dagegen Hälschner Rudorfs, v.Schwarze, Olshausen.

Der Raufhandel. § 93.

315

unter zehn Jahren; ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebens­ längliches Zuchthaus. Schuld in bezug auf den schweren Erfolg ist nicht erforderlich, da derselbe auch hier Bedingung der Strafbarkeit ist. Versuch ist möglich, wenn durch die Versuchshandlung der schwerere Erfolg verursacht wurde. § 93. 4. Der Raufhandel. *) I. Geschichte. Verletzungen und Tötungen im Raufhandel bieten der juristischen Beurteilung in doppelter Beziehung besondere Schwierigkeiten. Einmal ist es in zahlreichen Fällen unmöglich, mit einiger Sicherheit festzustellen, wer von den Beteiligten den Tod oder die Körperverletzung verursacht hat. Ferner kann aber auch der Fall sich ereignen, daß der eingetretene Erfolg nur aus dem Zusammen­ wirken mehrerer Verletzungen entstanden ist. Die italienische und die von ihr beeinflußte deutsche Juris­ prudenz des späteren Mittelalters beschäftigte sich vielfach mit diesen Komplikationen, für welche das römische Recht widersprechende Ent­ scheidungen getroffen hattet) ohne jedoch über die Aufstellung gewalt­ samer Fiktionen hinwegzukommen. Auch die PGO. begnügt sich mit einer willkürlichen Fiktion, wenn sie in Art. 148 bestimmt: „Wäre aber der Entleibte durch mehr denn einen die man wüßte, gefährlicherweise tödlich geschlagen... worden und man könnte nicht beweislich machen, von welcher sonderlichen Hand und That er gestorben wäre, so sind dieselben, so die Verletzung wie obsteht gethan haben, alle als Totschläger zum Tod zu strafen." Die moderne Gesetzgebung bemüht sich, seit den Gesetzbüchern für Braunschweig und Preußen, alle Fiktionen vermeidend, die Strafe nach dem Verschulden zu bemessen, hat aber mit diesen Bemühungen einen nur teilweisen Erfolg erzielt. Dies gilt auch von § 227 RStGB., welcher zwei wesentlich voneinander verschiedene Fälle umfaßt. II. Nach dem 1. Abs. des § 227 ist, wenn durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht wor') Geyer HH. III S. 551. Berner GS. XVIII (1866). s) Vgl. 1. 11 § 3 D. 9, 2 mit 1. 51 eod.

316

§ 93.

Der Raufhandel.

den, jeder, welcher sich an der Schlägerei oder dem Angriffe beteiligt hat, schon wegen dieser Beteiligung mit Gefängnis bis zu drei Jahren zu bestrafen, falls er nicht ohne sein Verschulden hinein­ gezogen worden ist.3) Demnach.ist die Beteiligung als solche, wenn die übrigen Voraussetzungen zutreffen, strafbar; die Beteiligung am Raufhandel ist zum delicfcum sui generis erhoben, der Eintritt des Todes oder der schweren Körperverletzung zur objektiven Bedingung der Strafbarkeit gemacht. Beteiligt aber ist jeder, welcher an dem Orte und zur Zeit des Raufhandels persönlich anwesend ist und fei es psychisch (wie durch Aufreizung u. s. w.), sei es physisch mitwirkt.4) Dabei macht es, vorausgesetzt daß sich der Raufhandel als einheitlicher Akt darstellt, keinen Unterschied, ob die Mitwirkung vor oder nach jenem Zeit­ punkte stattffndet, in welchem Tod oder Körperverletzung verursacht wurden.5) Ist der Urheber der tödlichen oder schweren Verletzung bekannt, so kann dieser nur nach § 224 StGB, bestraft werden, während die übrigen Beteiligten nach § 227 haften. Auf Buße ist nicht zu erkennen, da der Schuldige nicht wegen Verursachung des Erfolges, sondern wegen des Svnderdeliktes der Beteiligung am Raufhandel bestraft wird. 6)7 III. Wesentlich andre Bedeutung hat die Bestimmung im 2. Abs. des § 227 StGB. Ist nämlich durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht worden, diese Folge aber mehreren (vorsätzlichen, nicht fahrlässigen) ^Verletzungen zuzuschreiben, welche dieselbe nicht einzeln, sondern nur durch ihr 3) Ergänzend tritt zu dieser Bestimmung der § 367 Ziff. 10 StGB, hinzu. Er bedroht (in der durch die Novelle von 1876 bestimmten Fassung) mit Geld­ strafe bis zu hundertundfünfzig Mark oder mit Hast denjenigen, welcher bei einer Schlägerei, in die er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist, oder bei einem Angriff sich einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges bedient. 4) I. S. 17. Oktober 1881 V/170. ->) III. S. 15. Juni 1883 VIlI/369. 6) So Wächter. Dagegen Olshausen mit der gern. Meinung. Vgl. oben § 89 Note 8. 7) Die schwere Körperverletzung des § 224 StGB, kann nur vorsätzlich begangen werden. Dagegen Olshausen.

Der Zweikamps.

§ 94.

317

Zusammentreffen verursacht haben, so wäre nach den allge­ meinen Grundsätzen8) jede derjenigen Personen, welcher eine dieser Verletzungen zur Last fällt, mit der Strafe der §§ 224—226, bez. 230 zu belegen?) In ganz ungerechtfertigter und nur aus histo­ rischen Reminiszenzen erklärbarer Weise stellt der Gesetzgeber für diesen FaÜ einen besonderen Strafrahmen auf: Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Umständen (StGB. § 228) sogar Gefängnis nicht unter einem Monate; ein Strafrahmen, welcher im Vergleiche mit den angeführten Paragraphen einerseits als unver­ hältnismäßig mild, anderseits als ungerechtfertigt streng erscheint. Die Streichung des ganzen Absatzes muß demnach als dringend wünschenswert bezeichnet werden. Auf Buße ist zu erkennen, wenn eine Körperverletzung vorliegt. § 94.

5. Der Zweikampf?)

I. Der Zweikampf ist ein modernes, dem römischen wie dem mittelalterlich deutschen Rechte unbekanntes, Delikt. Er hat seine Wurzel in dem Widerspruche, welcher zwischen unserem durchaus subjektiven und darum überspannten Ehrgefühle einerseits und der römisch-rechtlichen Behandlung der injuria seit der Aufnahme der fremden Rechte anderseits besteht. Er kann nur schwinden, wenn die Rechtspflege uns den nach unsern Anschauungen genügenden Schutz der Ehre garantiert, den zu verlangen wir berechtigt sind, den wir aber in der meist zu einer minimalen Geldstrafe führenden Privat­ klage gänzlich vermissen. Seit dem 16. Jahrhundert beschäftigt sich die Gesetzgebung viel­ fach aber vergeblich mit dem Zweikampf. Blieb auch das Reichs­ gutachten von 1668 Entwurf, so wurden doch vorher und nachher zahlreiche Duellmandate in den verschiedenen Territorien erlassen. In der Aufklärungszeit glaubte man (von Montesquieu und S o n n e n f e l s bis auf v. S a v i g n y) durch schwere und infamierende Strafen dem Zweikampfe entgegentreten zu können. Aber im 19. Jahr*) oben § 30 II. 9) Richtig auch Ianka. *) Gneist, Der Zweikampf und die germanische Ehre 1846. H älschner, Über das Duell 1868. Teichmann HH. III S. 381, IV S. 354. Roedenbeck. Der Zweikampf 1883 (Z. III S. 512), und gegen diese verfehlte Schrift Hälschner GS. XXXV (Z. III S. 712).

318

§ 94. Der Zweikampf.

hundert überzeugte man sich bald, daß die Kollision zwischen dem Verbot der Strafgesetzgebung und dem Gebot der Ehre eine, wenn auch ernste, so doch nicht entehrende Strafe dringend verlange; und so verwendet auch unser RStGB. — von den Fällen in §§ 207 und 210 abgesehen — die Festungshaft als custodia honesta zur Bestrafung des Zweikampfes. Auf die Bestrafung des Zweikampfes aber kann nicht verzichtet werden. Nicht sowohl darum, weil er als Krieg zweier Menschen (duellum) eine Störung des öffentlichen Friedens enthielte:2) denn der Zweikampf geht heutzutage meist in stiller Abgeschiedenheit vor sich; auch nicht darum, weil er als ungerechte Selbsthilfe den Gang der Rechtspflege durch eigenmächtigen Eingriff störte:3) denn diese wird einfach beiseite gelassen und niemand Gewalt angethan; sondern darum, weil er ein frevelhaftes Spiel um Leib und Leben, eine Gefährdung eigner und fremder Existenz ist, wie sie der moderne Staat nicht ruhig mit ansehen kann. In systematischer Beziehung nimmt der Zweikampf unter den Delikten gegen Leib und Leben dieselbe Stellung ein, wie das Glücksspiel unter den strafbaren Handlungen gegen das Vermögen. II. Zweikampf ist der verabredete, den hergebrachten oder vereinbarten Regeln entsprechende Kampf mit gleichwertigen tödlichen Waffen zwischen zwei Per­ sonen. Das Motiv des Zweikampfes ist gleichgültig; es ist unrichtig, nur den Ehrenzweikampf4)*oder nur diesen und den Rache­ zweikampf °) als Zweikampf im Sinne des Gesetzes gelten lassen zu wollen. Da das Kämpfen, d. h. das gegenseitige Einsetzen von Kraft und Gewandtheit, Begriffsmerkmal ist, kann das sog. amerikanische Duell oder die Losung ums Leben unmöglich als Zweikampf be­ trachtet werden.6) Auch als (straflose) Teilnahme am Selbstmorde7) 2) So Heffter, Schütze, v. Schwarze, Teichmann u. a. 3) Hälschner, Berner u. a. 4) So Berner (der aber in der letzten [13.] Auflage seine Ansicht ge­ ändert hat), Merkel, Hälschner u..a. 6) So Schütze und Teichmann. •) Unrichtig daher Lueder GA. XIII (1865), Schütze u. a. 7) Teichmann, v. Holtzendorff, Schaper, H. Meyer, Goltdammer GA. XIII (1865).

Der Zweikampf.

§ 94.

319

oder gar als fahrlässige Tötung8) läßt sich das amerikanische Duell nicht konstruieren. Will man dasselbe überhaupt mit Strafe bedrohen, so bleibt demnach nur die Aufstellung eines neuen selbständigen, dem Zweikampfe anzureihenden, Verbrechensbegrifses übrig.9) Der Kampf muß verabredet sein. Ob der Vereinbarung eine längere oder kürzere Überlegung vorhergegangen, ist gleichgültig. Daher ist auch das sog. Rencontre wahrer Zweikampf, nicht aber die A t t a ck e, 10) bei welcher der Angegriffene in Notwehr handelt. Der Begriff der Waffe ist hier im engeren (technischen) Sinne zu nehmen: er umfaßt alle zur angriffs- oder verteidigungsweisen Zufügung von Verletzungen bestimmten und bei bestimmungsgemäßer Anwendung geeigneten Werkzeuge.11) Ein Kampf mit Stöcken, Knütteln u. s. w. ist mithin ebensowenig Zweikampf wie das eng­ lische Boxen oder das „Hackeln" oder „Hosenlupfen" der Alpen­ bewohner. Gleichheit der Waffen ist nicht erforderlich,12)13auch nicht Gleichheit der Art nach. Zweikampf wäre möglich zwischen einem den Säbel führenden Reiter und einem Bajonettfechter zu Fuß. Wohl aber ist, wie das schon aus dem Begriffe des „Kampfes" hervorgeht, Gleichwertigkeit der Waffen erforderlich, so daß nicht von vornherein der Sieg unzweifelhaft entschieden ist. Aus dem gleichen Grunde muß aber auch eine gewisse Gleichwertigkeit der G e g n e r, welche auch dem Schwächeren eine, wenn auch noch so geringe Hoff­ nung auf den Sieg gewährt, gefordert werden. Wenn in einem Pistolenduell ein Sehender seinen blinden Gegner erschießt, so liegt gemeiner Mord vor. Das Gesetz verlangt weiter tödliche Waffen, also Waffen von einer gewissen Eigenschaft. Eine tödliche Waffe aber ist diejenige, welche zur angriffs- oder verteidigungsweisen Zufügung von töd­ lichen Verletzungen bestimmt und bei bestimmungsgemäßer Anwendung geeignet ist. Demnach sind studentische Schlägermensuren,ia) wenn unter 8) Oppenhoff. 8) Als solchen behandeln die österr. Entwürfe die „Losung ums Leben". 10) Bestritten. Richtig Berner, Teichmann, v. Schwarze, Olshausen; gegen Schütze, Rüdorff u. a. “) Ähnlich III. S. 2. Juni 1880 1/448. ,2) Anders Teichmann, Hälschner, v. Schwarze u. a. 13) Vgl. Sontag, Zeitschrift II S. 1 ff.; Hälschner GS. XXXIV (1882; Z. II S. 626); v. Buri GS. XXXIV (1882; Z. III S. 185);

320

§ 94.

Der Zweikampf.

Anwendung der regelmäßigen Vorsichtsmaßregeln vor sich gehend, zwar als ein vielleicht strafwürdiges (positiv-rechtlich strafloses). AufsSpiel-Setzen der körperlichen Integrität, nicht aber als Kampf mit tödlichen Waffen zu betrachten.14) Die Anwendung der strafgesetz­ lichen Bestimmungen über Körperverletzung und Raufhandel ist durch die Natur dieser Mensuren als eines vereinbarten und geregelten Kampfes ausgeschlossen.^) Die akademischen Vorschriften über Studentenduelle sind durch das RStGB. als Straf-, nicht aber als Disziplinargesetze beseitigt worden.16) III. Der Zweikampf ist vollendet, sobald auch nur einer der beiden Gegner den Kampf begonnen, d. h. von seiner Waffe zum Anonymus GA. XXXI (1883; Z. IV S. 147); Kronecker GS. XXXV (1883; Z. III S. 712); Ortloff GA. XXXI (1883; Z. IV S. 337). Vgl. auch Roedenbeck a. O. 14) Die Ansichten und deren Begründung gehen weit auseinander. Wer nur Ehren- und Rachezweikampf kennt (vgl. oben Noten 4, 5), muß die Be­ stimmungsmensur straflos lassen. Nach Sontag und Bin ding gehört zum Zweikampf eine gewisse Intensität der Gefahr, welche der Schlägermensur fehlt. Hälschner hält den erforderlichen Vorsatz für ausgeschlossen, sobald die Schutz­ maßregeln angewendet werden. Ähnlich Keßler. — Der Text geht davon aus, daß der studentische Schläger bei bestimmungsgemäßer Anwendung keine tödliche Waffe sei, sobald, wie das überall notwendig, außergewöhnliche Komplikationen außer Betracht bleiben. — Dagegen hat das RG., nach öfterem Schwanken (III. S. 2. Juni 1880 1/443; III. S. 22. Februar 1882 71/61; I. S. 10. Juli 1882 VII/29), durch Entsch. der Ver. Str.Senate vom 6. März 1883 VIII/87 die Schlägermensur für Zweikampf im Sinne des Gesetzes erklärt. Aber die Gründe dieser Entscheidung sind merkwürdig schwach. 1. „Die Entstehungsgesch. des preuß. StGB, erweise, daß „ „tödliche"" Waffe (im Unterschiede zum ALR.) nur „ „Waffe"" im techn. Sinne bedeuten solle." Als ob diese Reminiszenz den leisesten Wert für die Interpretation des RStGB. hätte. 2. „Die gegen­ teilige Ansicht führe zu unerträglichen Konsequenzen." Das ist weder richtig noch beweisend. Solche Konsequenzen zu beseitigen, ist Sache des Gesetzgebers. 3. „Im preuß. StGB, habe es nie einen bes. Thatbestand des Duells gegeben." Eine Behauptung, welche der im Texte vertretenen Ansicht gegenüber ohne alle Relevanz ist. — Ganz aus der Luft gegriffen ist die Behauptung Ortloffs (Z. III S. 513), nach welcher nur zur Herausforderung, nicht aber zum Zwei­ kampfe selbst tödliche Waffen gefordert werden. 15) A. A. III. S. 2. Juni 1880 1/443, Hälschner; richtig Roedenbeck, Kronecker, Binding, Meyer u. a. 16) Ebenso. III. S. 2. Juni 1880 1/443; Berner, Olshausen u. a. Dag. Schütze, Rüdorff, v. Schwarze, Teich mann, Sontag, Hälsch­ ner, v. Buri; die frühere preuß. Praxis; das badische Einf.Ges. vom 23. Dezember 1871, welches in Art. 8 die studentische Schlägermensur mit Haft bedroht. Vgl. auch die preuß. Vorschriften für Studierende vom 1. Oktober 1879.

Der Zweikampf.

§ 94.

321

Angriff Gebrauch gemacht hat, auch wenn die Waffe (Pistole) ver­ sagt haben sollte.17) Versuch ist demnach nur als fehlgeschlagenes, nicht als unvollendetes Delikt mögtict).1S) Der Gesetzgeber hat sich aber nicht damit begnügt, den Zwei­ kampf selbst unter Strafe zu stellen, sondern bedroht auch gewisse Vorbereitungshandlungen, nämlich die Herausforderung zum Zweikampf") und die Annahme einer solchen, mit Strafe, und zwar regelmäßig (StGB. § 201) mit Festungshaft bis zu sechs Monaten; wenn aber bei der Herausforderung die Absicht (= Motiv), daß einer von beiden Teilen das Leben verlieren soll, entweder aus­ gesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt (StGB. § 202), mit Festungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren. Der Versuch ist wegen der Vergehensnatur dieses Deliktes nicht strafbar. Teilnahme ist nach allgemeinen Grundsätzen zu be­ urteilen. Einen Fall der Beihilfe hebt der Gesetzgeber besonders hervor, indem er (in § 203) diejenigen, welche den Auftrag zu einer Herausforderung (nicht den Auftrag zur Annahme) übernehmen und ausrichten (die Kartellträger), mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bedroht. Die Strafe der Herausforderung und der Annahme derselben, sowie die Strafe der Kartellträger fällt weg (StGB. § 204), wenn die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig auf­ gegeben haben.20) Entgegen der allgemeinen Regel,21) daß Straf­ aufhebungsgründe nur demjenigen zu gute kommen, in dessen Person sie sich ereignen, wirkt hier die „thätige Reue" der Hauptthäter zu gunsten aller Beteiligten. Kommt der Zweikampf wirklich zustande, so wird dadurch22) die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen für die beiden Parteien konsumiert;2S) die übrigen Beteiligten, auch die Kartellträger (arg. StGB. § 209) haften nach den allgemeinen Grundsätzen über ”) II. S. 20. September 1881 IV/408. 1S) oben § 44 Note 17. • le) u. zw. auch wenn die Annahme nicht erfolgt. 20) Straflosigkeit tritt auch dann ein, wenn der Herausforderer nach Ab­ lehnung seiner Forderung durch den Gegner den Zweikampf aufgibt. Dag. I. S. 28. April 1881 IV/114. Richtig Olshausen. 21) oben § 79 II. 22) nach dem oben § 58 n Gesagten. 2S) So die gern. Meinung. Auch II. S. 20. September 1881 IV/408. A. A. nur Binding, Normen I S. 123. von Liszt, Strafrecht.

2. Stuft.

322

§ 94.

Der Zweikampf.

Teilnahme; aber nunmehr wegen ihrer Beteiligung am Zweikampfe selbst. 2i) IV. Die Strafe des Zweikampfes ist im Gesetze verschieden abgestuft: 1. Regelmäßiger Strafrahmen (StGB. § 205): Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren. 2. Wer seinen Gegner im Zweikampfe (durch eine vorsätzlich zu­ gefügte Verletzung) tötet (StGB. § 206), wird mit Festungs­ haft nicht unter zwei Jahren, und wenn der Zweikampf den Tod des einen von beiden herbeiführen sollte, mit Festungs­ haft nicht unter drei Jahren bestraft. Der schwere Strafrahmen ist ausgeschlossen, wenn der Tod aus einer nicht vorsätzlichen Verletzung hervorging, der Getötete z. B. durch einen Sturz sich die Klinge des Gegners in den Leib stieß; sowie dann, wenn er überhaupt nicht die Folge einer im Kampfe erlittenen Verwundung, sondern z. B. des durch die Bandagierung be­ wirkten Blutandranges zum Kopfe war. Dagegen ist im übrigen der regelmäßige Ursachenbegriff uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen; daß der Tod nur Folge begleitender äußerer Umstände oder hinzutretender Zwischenursachen war, hindert demnach die Anwendung des § nicht.25) 3. Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfes bewirkt worden, so ist der Übertreter (StGB. § 207), sofern nicht nach den oben erwähnten Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vor­ schriften über Tötung und Körperverletzung zu bestrafen. Das Singuläre dieser im übrigen selbstverständlichen Anord­ nung liegt darin, daß die Zweikampfstrafen, wenn höher, eintreten sollen, obwohl der Zweikampf in dem Augenblick aufgehört hat, Zweikampf zu sein, in welchem die Über­ schreitung der Kampfesregeln stattgefunden hat. 4. Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über fünfzehn Jahre erhöht werden (StGB. § 208)?°) 21) Ebenso auch Olshausen. 26) Unrichtig u. a. Olshausen S. 716. 26) Findet auf den Fall des § 207 keine Anwendung. burg) GA. XVIII (1870). Dagegen Olshausen.

So Fuchs (Mar­

Der Diebstahl.

Geschichte.

§ 95.

323

Die Behandlung der Teilnehmer richtet sich nach den all­ gemeinen Regeln. Insbesondere können auch die Mitglieder des Ehrengerichts, welches den Zweikampf anordnet, sich der Teilnahme schuldig machen.27) Einen Fall hat auch hier der Gesetzgeber als delictum sui generis besonders hervorgehoben (StGB. § 210), und damit für unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme28) erklärt. Wer einen andern zum Zweikampf mit einem dritten absichtlich (— vorsätzlich), insbesondere durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung anreizt, wird, falls der Zweikampf (wenn auch nicht infolge seiner Aufreizung) stattgefunden hat, mit Gefäng­ nis (also nicht mit Festungshaft, der poena ordinaria des Zwei­ kampfes) nicht unter drei Monaten bestraft. Straflos bleiben (StGB. § 209) Kartellträger, welche ernst­ lich bemüht gewesen sind, den Zweikampf zu verhindern,29) Sekun­ danten ,3") sowie zum Zweikampf zugezogene Zeugen, Ärzte und Wundärzte.31)

Zweiter Abschnitt.

Verbrechen gegen das Vermögen. I. Gegen Gigenlnm und« andre dingliche Rechte. § 95. 1. Der Diebstahl. Geschichte. I. Der Diebstahl war im klassischen römischen Recht **) lediglich Privatdelikt. Zwar hatten die XII Tafeln das furtum manifestum, wohl anknüpfend an den indogermanischen Unterschied zwischen HandHafter und nicht Handhafter That, mit kapitaler Strafe belegt, 27) III. S. 29. Oktober 1881 V/141. 28) oben §§ 51 IV und 52 IV. 29) Thätige Reue als Strafaufhebungsgrund, oben § 79 IV. 30) Subjektiver Strafausschließungsgrund; vgl. oben § 43 III 3. 31) Selbstverständlich, weil eine Beteiligung an der strafbaren Handlung hier überhaupt nicht vorliegt. Dagegen Olshausen. *) Rosenberger, Das turtum nach klassischem röm. Recht 1873; Bachem, Unterschied zwischen dem furtum des röm. Rechts und dem Diebstahl nach dem deutschen RStGB. 1880 (Z. I S. 169).

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§ 95.

Der Diebstahl.

Geschichte.

während das furtum nec manifestum mit der poena dupli bedroht war. Auch war das Tötungsrecht des Angegriffenen dem nächtlichen Diebe gegenüber unbedingt, dem Tagesdiebe gegenüber, wenn er be­ waffnet war, anerkannt. Aber schon das prätorische Rechts kannte nur mehr die Geldbuße für den Diebstahl: das Vierfache bei f. manifestum und prohibitum, das Zweifache bei f. nec manifestum, das Dreifache bei f. conceptum et oblatum. Das Recht der Kaiser­ zeit hob einzelne Fälle des Diebstahls 23) als crimina extraordinaria hervor und bedrohte sie mit peinlicher Strafe. Aber im großen und ganzen wurde dadurch nicht viel geändert, wenn nicht die zweifel­ hafte Überlieferung richtig ist,4)* nach welcher zu Justinians Zeiten bei jedem Diebstahle (rei ipsius) die Wahl zwischen ziviler Klage (actio) und peinlicher Verfolgung (crimen) offen stand. Bekannt ist die Begriffsbestimmung, welche Paullus in 1. 1 § 3 D. 47, 2 gibt: furtum est contrectatio rei fraudulosa lucri faciendi gratia vel ipsius rei vel usus ejus possessionisve. Nach ihr umfaßte der Begriff des furtum nicht bloß den heutigen Diebstahl, sondern auch den Raub, die Unterschlagung, die Besitz­ entziehung, die Gebrauchsanmaßung, sowie einzelne Betrugsfälle. Der Verletzte hatte die Wahl zwischen der rein-zivilen condictio furtiva und der infamierenden actio furti. Diese letztere wurde versagt 1) gegen den Ehegatten (in hono­ rem matrimonii); 2) gegen Hauskinder (wegen der unitas personarum); 3) gegen Sklaven (wegen der Strafgewalt des Hausvaters). II. Wesentlich anders behandelt das mittelalterlich deutsche Recht den Diebstahl. Dieser erscheint hier als heimliche Weg­ nahme aus fremder Gewehre und hebt sich dadurch scharf ab von dem Raube als der offenen Wegnahme einerseits und der Unter­ schlagung als dem dieblichen Behalten von zu treuer Hand gegebenen Sachen anderseits.6) Frühzeitig finden wir, insbesondere in den Kapitularien, strenge öffentliche Strafen gegen den Diebstahl angedroht. Wichtig ist insbe2) Gajus III, 183—194. 3) Vgl. oben 8 6 S. 29. 4) oben 8 6 S. 29 a. E. B) Cropp in Hudtwalcker und Trümmer, Krim. Beiträge II S. 3 ff., S. 234 ff. Köstlin, Krit. Überschau III S. 149 f., 334 f. Derselbe, Abhandlungen 1858. 6) Bestritten. Vgl. Lüning, Vertragsbruch S. 228.

Der Diebstahl.

Geschichte.

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sondere ein Kapitular von 779, welches den dritten Diebstahl mit dem Strange bedroht. Zahlreich sind die Unterscheidungen innerhalb des Diebstahls und die Abstufungen in der Bestrafung. So ist qualifiziert der Diebstahl an gewissen eines höheren Friedens bedürftigen Gegen­ ständen (Pstug auf dem Felde, Vieh, Getreide) oder an befriedeten Orten (Königliche Pfalzen, Kirchen, Mühlen, Schmieden), zu ge­ wissen Zeiten (während des Heersriedens, insbesondere aber nächtlicher Diebstahl), der Diebstahl mit Einbrechen u. s. w. Daneben spielt die allgemeine Unterscheidung von handhafter und nicht Handhafter That auch hier eine entscheidende Rolle. Von größter Bedeutung aber ist die das ganze Mittelalter beherrschende Einteilung des Diebstahls nach dem Werte des Gestohlenen in einen großen an Hals und Hand, und einen kleinen an Haut und Haar gehenden, wobei die vielfach schwankende Grenze am häufigsten fünf Schillinge betrug. III. Die italienische Jurisprudenz des Mittelalters begnügte sich auch hier im allgemeinen damit, für die von dem deutschen (langobardischen) Rechte beherrschte Praxis nach Anknüpfungs­ punkten im römischen Rechte zu suchen. In der Sache ist es deutsches Recht, was sie entwickelt. IV. So steht denn auch die PGO. in dieser wie in den meisten andern Fragen durchaus auf dem Boden deutsch-rechtlicher Auffassung. Sie behandelt den Diebstahl und die verwandten Delikte mit größter Ausführlichkeit in den Artikeln 157—175. Und zwar in folgender Reihenfolge. Art. 157: der allerschlechteste heimliche Diebstahl (Zwispiel, event. Kerker). Art. 158: der erste öffentliche Diebstahl unter fünf Gulden (Landesverweisung, bei Besserungsfähigkeit das vierfache). Art. 159: der erste gefährliche Diebstahl durch Ein­ steigen oder Brechen „oder mit Waffen, damit er jemand, der ihm Widerstand thun wollt', verletzen möcht'" (Todes- oder schwere Leibes­ strafe). Art. 160: der erste große Diebstahl im Werte von fünf Gulden und darüber (Strafe an Leib und Leben). Art. 161: der zweite einfache Diebstahl (Landesverweisung). Art. 162: der dritte Diebstahl,7) „das ist ein mehrer verleumdeter Dieb und einem Ver­ gewaltiger gleich geachtet" (Todesstrafe)... Art. 164: Von jungen ’) ohne daß zwischen Realkonkurrenz und Rückfall unterschieden worden wäre; vgl. oben § 74 I.

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§ 96.

Begriff des Diebstahls.

Dieben. Art. 165: Diebstahl an Gütern, deren nächster Erbe der Thäter ist, oder zwischen Mann und Frau (Ausschluß der amtlichen Verfolgung). Art. 166: Stehlen in echter Hungersnot. Die fol­ genden Artikel 167—169 behandeln den Diebstahl an Früchten auf dem Felde, an Holz und Fischen; Art. 170 die Veruntreuung. Art. 171 bestimmt den Kirchendiebstahl (an: res sacrae e loco sacro, res sacrae e loco non sacro, res non sacrae e loco sacro) und Artikel 172 ff. stufen die Strafe für denselben ab, indem sie mit dem Feuertode beginnen. V. Diese Bestimmungen bilden nicht nur die Grundlage des gemeinen Rechts, sondern im allgemeinen auch der neueren Gesetzgebung. Doch hat diese den Begriff des Diebstahls wesent­ lich vereinfacht und auch die qualifizierten Fälle zum Teil anders bestimmt. Bedenkliches Schwanken herrscht insbesondere in bezug auf die Frage, ob zum Begriffe des Diebstahls gewinnsüchtige Absicht des Thäters gefordert werden soll oder nicht, ob also der Diebstahl als Bereicherungsdelikt oder lediglich als Verletzung des Eigentums aufzufassen ist.8) § 96* Begriff des Diebstahls.

I. Diebstahl (StGB. § 242) ist Eigentumsverletzung durch rechtswidrige Aneignung einer fremden beweglichen Sache, welche zu diesem Zwecke erst durch Wegnahme in den Gewahrsam des Thäters gebracht werden muß. Das letzterwähnte Moment unterscheidet Diebstahl und Unterschlagung. Nach dieser Definition wären Diebstahl und Unterschlagung erst mit der Aneignung vollendet. Das positive Recht läßt aber die Voll­ endung schon mit der Wegnahme eintreten; Diebstahl ist demnach (StGB. § 242): Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in der Absicht rechtswidriger Aneignung. 8) unten § 96 V. 0 Klein, Revision der Grundsätze über das Verbr. des Sollmann, Die Entwendung nach den Quellen des gern. D. H. Temme, Die Lehre vom Diebstahl nach preuß. Recht Abhandlungen 1858 S. 192. Egldy, Das Verbrechen des Merkel HH. III S. 618, IV S. 405.

Diebstahls 1806. Rechts 1834. I. 1840. Ä oft litt, Diebstahls 1859.

Begriff des Diebstahls.

§ 96.

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II. Objekt des Diebstahls ist eine fremde bewegliche Sache. 1. Eine Sache, nicht also ein Mensch,2)3 nicht 4 das Urheber­ recht an litterarischen, künstlerischen Leistungen u. s. w.8) Ob die Sache einen Tauschwert hat oder nicht, ist gleichgültig;^) mithin ist Diebstahl auch an Urkunden möglich.5) 2. Eine fremde, d. h. in dem Eigentume eines andern stehende Sache. An Sachen, die in niemandes Eigentum stehen, ist Dieb­ stahl unmöglich. So an herrenlosen, derelinquierten u. s. w. Sachen; z. B. an verscharrten Tierkadavern, an den der Leiche ins Grab mitgegebenen Gegenständen (vorausgesetzt, daß diese wirklich als derelinquiert zu betrachten sind.)6) Auch an Leichen und Leichen­ teilen wird Diebstahl aus diesem Grunde regelmäßig unmöglich sein, soweit sie nicht zum Gegenstände des Handelsverkehrs geworden sind;7) er ist immer unmöglich an res extra commercium, sowie an res communes omnium, soweit nicht etwa eine Ausscheidung und Okkupation bereits stattgefunden hat. Auch die Verletzung eines ausschließlichen Okkupationsrechtes ist mithin nicht Diebstahl.8) Da res publicae, sacrae, religiosae nach heutigem Rechte im Eigen­ tume des Staates, der politischen und kirchlichen Gemeinden u. s. w. zu stehen pflegen, sind sie passende Objekte des Diebstahls. Die Aufgabe des Eigentumes durch den Eigentümer ohne Über­ tragung desselben an einen dritten, oder die Übertragung desselben an den Thäter schließt, da sie der Sache die Eigenschaft einer fremden benimmt, den Diebstahlsbegriff aus; damit ist jedoch die Einwilligung des Eigentümers in die Wegnahme oder in die Ergreifung der Sache nicht zu verwechseln. °) Irrige Annahme der Aufgabe, bez. Über2) anders die Auffassung des deutschen Mittelalters, vgl. unten§ 128 I. 3) Vgl. unten § 118 ff.Über furtum usus undpossessionis vgl. unten § 98. 4) So heute die gern. Meinung. Vgl. insb. Ruh st rat Z. 1399 ff.; dagegen neuerdings John, Zeitschr. I S. 266. Sehr bedenklich III. S. 14. Februar 1884 X/120 (eine Entsch., die sich allerdings zunächst nur aus Sachbeschädigung bezieht, aber allgemein behauptet, daß schlechthin wertlose Sachen nicht Objekte eines Eingriffes in fremde Herrschaftsrechte sein könnten). 5) II. S. 26. Januar 1883 VIII/79. 6) Ob dies der Fall, ist Thatfrage. Jede Generalisierung ist unrichtig. Vgl. auch unten Text zu Note 17. ’) Vgl. unten § 162 VI. 8) Vgl. unten § 102. ®) Vgl. unten Text zu Note 19. Die Frage ist seit den Römern bestritten.

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Begriff des Diebstahls.

tragung des Eigentums ist Irrtum in bezug auf ein Thatbestands­ merkmal („fremd") und fchließt mithin den Vorsatz aus. Irrige Nichtannahme derselben würde als untauglicher Versuch erscheinen und als solcher zu beurteilen sein.10) Der Eigentümer selbst kann sich des Diebstahls an der eignen Sache nicht schuldig machen, wohl aber der Miteigentümer an der ihm nicht ausschließlich gehörenden. “) 3. Eine bewegliche Sache. Ihr steht die — vielleicht gerade zum Zwecke des Diebstahls — beweglich gemachte Sache, z. B. Torf, Bäume, Früchte, Gebäudeteile u. s. w., durchaus gleich. Entziehung des Besitzes unbeweglicher Sachen ist thatsächlich und juristisch mög­ lich, aber nicht Diebstahl im Sinne des Gesetzes. III. Die Sache darf sich nicht in dem Gewahrsam des Diebes, sie muß sich im Gewahrsam eines andern befunden haben. Gewahrsam12) (nicht gleich Besitz im zivilrechtlichen Sinne")) ist die ausschließliche thatsächliche Verfügungsgewalt,14) verbunden mit dem Willen, dieselbe aufrecht zu erhalten,15) dem „Herrscherwillen". Diese Gewalt kann in der verschiedensten Gestalt und in den mannig­ fachsten Abstufungen sich zeigen; die Uhr in meiner Tasche ist ebenso in meinem Gewahrsam wie das Buch in dem Schranke, dessen Schlüssel ich während einer Ferienreise zu mir gesteckt habe, oder der Geldtopf, der an einem nur mir bekannten Orte im Walde von mir vergraben wurde, oder der Familienschmuck, den ich einem nahen Angehörigen in die Familiengruft mitgegeben habe.16) 17) Diebstahl kann demnach nicht begangen werden an Sachen, die in keines Menschen Gewahrsam stehen, wie an vom Hochwasser fort­ geschwemmten und in keiner Weise kenntlich bezeichneten Bretter­ hauptsächlich, weil man sich nicht bemüht hat, den Inhalt der „Einwilligung" des Eigentümers näher zu bestimmen. 10) Vgl. oben § 46. Dagegen Hälschner. ") II. S. 12. April 1881 IV/83; I. S. 9. Februar 1880 1/193. 1S) Vgl. Rotering GS. XXXV (Z. IV S. 148). 13) oder Gewahrsam im Sinne des ALR.; wohl aber gleich Detention. “) Ebenso III. S. 1. Oktober 1881 V/219; II. S. 13. Dezember 1881 V/222. 15) Bestritten. Doch sind die Meinungsverschiedenheiten mehr scheinbare als wirkliche. 16) Da es sich um ein thatsächliches Verhältnis zur Sache handelt, kann auch ein Kind, ein Wahnsinniger u. s. w. den Gewahrsam haben. So auch III. S. 19. Juni 1880 11/332. ”) oben Note 6.

Begriff des Diebstahls.

§ 96.

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Kalken;1S) auch nicht an Verlornen, wohl aber an vergessenen oder verlegten Sachen. Durch Aufgeben des Gewahrsams von seiten des Gewahr­ sams-Inhabers wird die Möglichkeit des Diebstahls ausgeschlossen; nicht notwendig aber schon durch Einwilligung in die Ergreifung der Sache. Wer ruhig. zuwartet, bis der ins Zimmer eingedrungene Gauner einen Wertgegenstand an sich nimmt, um den Dieb festhalten zu können, hat nur in die Ergreifung, nicht in die Wegnahme der Sache eingewilligt.19) Irrige Annahme der Einwilligung schließt den Vorsatz aus; irrige Nichtannahme begründet untauglichen Versuch. Der Gewahrsams-Inhaber selbst kann sich des Diebstahls nicht (wohl aber der Unterschlagung) schuldig machen; der Mitgewahrsams-Jnhaber begeht Diebstahl, wenn er sich rechtswidrig die aus­ schließliche Verfügungsgewalt verschafft.20) Der letzte Satz ist von großer praktischer Bedeutung, da in zahlreichen Fällen mehrfacher Gewahrsam an derselben Sache — sei es gleichgestellten, sei es ein­ ander untergeordneten Personen zustehend — vorkommt.2') Dem­ nach ist die Aneignung mitvermieteter Sachen durch den Mieter eines möblierten Zimmers als Diebstahl zu betrachten, da der Thäter nur Mit-Gewahrsamsinhaber ist.22) IV. Die Handlung besteht in dem Wegnehmen, d. h. in dem Brechen des fremden und der Begründung des eigenen Gewahrsams. In welcher Weise und durch welche Mittel die Wegnahme er­ folgt, ist gleichgültig. Wer sich ein Stück Fleisch durch den Hund aus dem Metzgerladen entwenden oder seine Kühe auf fremder Weide grasen läßt, wer durch Öffnen des Hahnes das Gas aus dem Gas­ rohr ableitet, oder ein Kind oder einen Geisteskranken bestimmt, ihm eine bewegliche Sache zu überlassen, hat „weggenommen" im Sinne des Gesetzes. Heimlichkeit der Wegnahme ist schon seit der PGO. nicht po­ sitives Erfordernis des Diebstahls; negativ ist Mangel von Gewalt ls) Ob Gegenstände, die sich auf einem gestrandeten Schiffe befinden, noch im Gewahrsam der Schiffsmannschaft stehen, wird mithin als Thatfrage be­ zeichnet werden müssen. Vgl. III. S. 7. Februar 1884 X/84. ">) Vgl. oben Note 9. 2#) Vgl. oben Note 11. **) I. S. 5. April 1880, II/l (Entwendung von Ladenvorräten durch einen im Geschäfte angestellten Verkäufer); ebenso II. S. 18. Januar 1881 IH/202. ■2) A. A. das Reichsgericht. So z. B. II. S. 18. Februar 1881 m/358. Richtig Berner u. a.

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§

96.

Begriff des Diebstahls.

und gefährlicher Drohung notwendig, damit der Diebstahl nicht in Raub übergehe. V. Die Wegnahme muß in der Absicht rechtswidriger Zueignung2^) erfolgen. Der in der gemeinrechtlichen Praxis und vielfach auch in der deutschen Partikulargesetzgebung (nicht aber Preußen 1851) geforderte animus lucri faciendi, die „gewinnsüchtige Absicht" ist vom RStGB. im Anschlüsse an das preußische aufgegeben worden. Der Diebstahl ist im heutigen Rechte kein Bereicherungs­ delikt. 24) Daher wird durch Hinterlegung des Wertes der weg­ genommenen Sache der Begriff des Diebstahls nicht ausgeschlossen.25) Aneignung aber ist Herstellung eines Verhältnisses zur Sache, welchem nur die rechtliche Anerkennung fehlt, um Eigentum zu sein; also eines Verhältnisses, in welchem die Sache, als wäre sie Eigen­ tum, den Zwecken des Thäters dauernd und ausschließlich dienstbargemacht wird.26) 27) Die Aneignung muß eine rechtswidrige sein. Diebstahl liegt also nicht vor, wenn ein Anspruch auf Übertragung des Eigen­ tums an der Sache selbst besteht,28) wohl aber dann, wenn ein anderer Anspruch durch die weggenommene Sache gesichert werden soll;29) Wegnahme von Geld, um sich für eine begründete Geld­ forderung bezahlt zu machen, ist demnach nur dann nicht Diebstahl, wenn, was zu den seltensten Fällen gehören dürfte, ein Anspruch auf Übertragung gerade der weggenommenen Geldstücke bestand. Irrige 23) Ullmann, Der dolus beim Diebstahl 1870. John, Zeitschrift I S. 245 und gegen ihn v. Buri GS. XXXIII (1881; Z. II S. 160), sowie Ruhstrat Z. I S. 383. 24) Wenn von Merkel, Binding, Hälschner u. a. die Beschränkung des Diebstahlsbegriffes auf den Fall der Bereicherung de lege ferenda em­ pfohlen wurde, so beruht das auf einer Vermengung der Eigentumsdelikte mit den Deükten gegen das Vermögen überhaupt. Zweifellos unhaltbar scheint mir der Versuch H alschners, dieselbe Ansicht auch für die lex lata durchzuführen. 25) So I.S. ll.Juli 1881 V/4; Meyer, Merkel, Binding, Ruhstrat; dagegen die Motive zum RStGB, Berner, Hälschner, John, Birkmeyer. 26) Ganz übereinstimmend I. S. 11. Juli 1881 V/4; II. S. 7. Dezember 1881 V/219. 27) Vgl. das Nähere unten § 100 II. 28) Hier will Hälschner Diebstahl annehmen. 29) I. S. 9. Februar 1880 1/193. Ebenso Köstlin, Merkel, Olshausen u. a. Dagegen Ruhstrat, Ullmann u. a.

Begriff des Diebstahls.

§ 96.

331

Annahme der Rechtmäßigkeit schließt hier als Irrtum über ein Thatbestandsmerlmal den Vorsatz aus. Das Gesetz verlangt Absicht rechtswidriger Zueignung und damit ein über den Vorsatz hinaus reichendes Motiv der That.30) VI. Der Diebstahl ist vollendet mit der vollendeten Weg­ nahme, also sobald der eigne Gewahrsam an der Sache durch den Thäter begründet ist. Es genügt mithin einerseits nicht, daß der Thäter die Sache ergriffen habe (Kontreltationstheorie), und es ist anderseits nicht erforderlich, daß er sie von dem bisherigen Aufbewahrungsorte weg oder gar in Sicherheit gebracht habe (Ablations- bez. Jllationstheorie). Am nächsten steht die Auffassung des heutigen Rechts vielmehr der sog. Apprehensionstheorie. Der Versuch — strafbar, auch wenn der Diebstahl Vergehen ist — beginnt mit denr Brechen des fremden Gewahrsams; daher in verschiedenen Zeitpunkten je nach der verschiedenen Erscheinung und Sicherung dieses Gewahrsams; mit dem Einbrechen, Einsteigen, Einschleichen bei Sachen, die sich in umschlossenen Räumen befinden; erst mit der Ergreifung von Vieh auf der Weide, geschlagenem Holz im Forste; mit dem Ausstrecken der Hand, wenn damit schon die Herrschaft des Eigentümers beeinträchtigt wird31) u. s. w. VII. Beim Diebstahl bildet die Verletzung des einen Rechts­ gutes — des Gewahrsams — das Mittel zur Verletzung des anderen: des Eigentums. Halten wir an dem theoretischen Begriffe des Dieb­ stahls fest, so erscheinen Eigentümer wie Gewahrsams-Inhaber als Verletzte im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Verletzter im technischen Sinne des Wortes3^) aber ist nur der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutes: mithin der GewahrsamsInhaber. Noch sicherer ist dieses Resultat von dem Standpunkte des positiven Rechtes.aus, welches die Verletzung des Gewahrsams so sehr in den Vordergrund stellt, daß es sogar die bloß beabsichtigte Eigentumsverletzung zum Begriffe des Diebstahls genügen läßt. Dennoch wird von der herrschenden Meinung, welche dem Begriffe „Verletzter" überhaupt eine ungebührlich weite Ausdehnung gibt, angenommen, daß sowohl der Eigentümer als auch der Gewahrsams30) Oben § 39 II. Dagegen wird Absicht als (erweiterter) Vorsatz ge­ nommen von Bind in g und Olshausen. 31) Sehr bestritten. 32) Oben § 43 III S. 173.

332

§ 97.

Die Arten des Diebstahls.

inhaber als durch den Diebstahl verletzt zu betrachten seien.33) Wichtig wird die Frage insbesondere bezüglich des privilegierten Diebstahls.34) § »7. Die Arten des Diebstahls.

I. Der einfache Di ebstahl (StGB. § 242). Strafe: Gefängnis. Daneben kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. § 248). II. Der schwere (qualifizierte) Diebstahl (StGB. § 243).*) Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. Neben der Gefängnis­ strafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, neben der Zuchthausstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. § 248). Das Reichsstrafgesetzbuch hat ohne irgendwelche ins Gewicht fallende Gründe die altdeutsche, dem Werte der gestohlenen Sache entnommene Unterscheidung in einen großen und einen kleinen Dieb­ stahl, welche allerdings unter dem Einflüsse des römischen Rechts in der gemeinrechtlichen Praxis ihre frühere Bedeutung verloren hatte, aber von Feuerbach und andern wieder aufgenommen worden war und sich in zahlreichen Partikular - Gesetzgebungen fand,3) völlig aufgegeben. Ebenso fehlen dem RStGB. die dem älteren deutschen Recht nachgebildeten, in den partikularen StGBüchern (auch Preußen) vielfach sich findenden Bestimmungen, nach welchen der Diebstahl an ungeschützten und darum eines höheren Friedens bedürftigen Gegen­ ständen mit erschwerter Strafe bedroht wird. Auch der Diebstahl an Sachen, welche Kinder oder Geisteskranke bei sich führen, sowie der Diebstahl zur Zeit einer Feuers- oder Wassersnot, ist zwar im preußischen, nicht aber int RStGB. zu den qualifizierten Fällen gerechnet. Dieses behandelt als qualifiziert die folgenden Fälle: 33) Diese Ansicht vertritt insbes. das Reichsgericht (III. S. 29. Mai 1880 11/73; II. S. 1. Juli 1881 IV/84); ebenso früher das Berliner OT., auch Hälschner. Nur ben (Eigentümer halten für verletzt v. Bar, Ruhstrat, Merkel, Herzog, v. Schwarze. Im Sinne des Textes Schütze und Rubo. 34) Vgl. unten § 97 V. 2) v. Schwarze, Die Lehre vom ausgezeichneten Diebstahle 1863. Hager GS. XXX (1876). 2) R. Temme, Über den Betrag des Diebstahls 1867. Gegen die Aufgebung dieses Unterschiedes Merkel, Meyer u. a.

Die Arten des Diebstahls.

§ 97.

333

1. Den alten Kirchendiebstahl (Sacrilegium i. e. S.): be­ gangen, wenn ans einem zum Gottesdienste bestimmten Gebäude Gegenstände gestohlen werden, welche dem Gottesdienste gewidmet sind. Sammelstöcke gehören demnach nicht hierher. Ob die Gegen­ stände konselriert oder benediziert sind oder nicht, ist gleichgültig. 2. Den sog.Einbruchsdiebstahl, qualifiziert einerseits wegen der höheren Bestiedung der angegriffenen Räume, anderseits mit Rücksicht auf die Intensität des verbrecherischen Vorsatzes. Er liegt vor, wenn aus einem Gebäude oder umschlossenen Raume, mittels Einbruchs, Einsteigens oder Erbrechens von Behältnissen gestohlen wird. Dabei bedeutet: „Gebäude" den durch Wände und Dach umgrenzten, mit der Erdoberfläche fest, wenn auch nur durch die eigne Schwere ver­ bundenen Raum, so daß z. B. Zirkusgebäude, nicht aber Schiffe hierher gehören.8) „Umschlossener Raum" einen Teil der Erdoberfläche, wel­ cher durch gewisse, wenn auch nicht bedeutende Hindernisse gegen das Eindringen Unberufener geschützt ist; vollständiger und fester Ver­ schluß ist mithin nicht erforderlich, so daß auch bewegliche Trink­ hallen, Marktbuden u. s. w. hierher gehören. „Einbruch" die gewaltsame, mit Verletzung der Sachsubstanz 8) verbundene Überwältigung der Hindernisse. „Einsteigen" das Umgehen der Hindernisse durch Eindringen auf einem dazu nicht bestimmten und nur bei erhöhter Anstrengung zugänglichen Wege. Auch das Einkriechen ist mithin hierher zu rechnen.36) 4 * „Erbrechen von Behältnissen" die gewaltsame, mit Ver­ letzung der Sachsubstanz verbundene Eröffnung von verschlossenen, zur Aufbewahrung von Sachen verwendeten Gegenständen, welche beweglich sind oder gemacht werden können.7)8 Ob das Erbrechen selbst innerhalb oder außerhalb des Gebäudes u. s. w. stattfindet, ist gleichgültig.8) 3) IIL ©. 24. September 1881 IV/433; III. S. 7. Juni 1883 VIII/364; II. S. 19. Februar 1884 X/103. 4) Vgl. vor. Note. 6) Ebenso Merkel, Olshausen. Dagegen begnügt sich die gern. Mei­ nung mit der Gewalt (auch Reichsgericht). 6) Dagegen III. S. 12. April 1882 Vl/187. 7) Also nicht von Gebäudeteilen. A. A. Olshausen. 8) Ebenso I. S. 11. Januar 1883 VII/419. Dagegen Olshausen.

334

§ 97.

Die Arten des Diebstahls.

3. Den dem neueren Rechte angehörenden Diebstahl mit falschen Schlüsseln:*) vorliegend, wenn zur Eröffnung eines Gebäudes oder der Zugänge eines umschlossenen Raumes, oder zur Eröffnung der im Innern befindlichen Thüreil oder Behältnisse falsche Schlüssel oder andere zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmte Werkzeuge angewendet werden. Es handelt sich dabei, im Gegensatze zu den Brechwerkzeugen, um solche, durch welche der eigentümliche „Mechanismus der Verschlußvorrichtung in Bewegung gesetzt wird".10) Falscher Schlüssel ist auch der verloren gegangene und durch einen andern ersetzte frühere echte, nicht aber der, sei es auch zum Zwecke des Diebstahls, von dem Thäter entwendete Schlüssel. 4. Den ebenfalls dem neueren Rechte") entstammenden Diebstahl an Gegenständen der Beförderung; vorliegend, wenn auf einem öffentlichen (d. h. zum Gebrauche des Publikums bestimmten) Wege, einer Straße, einem öffentlichen Platze, einer Wasserstraße oder einer Eisenbahn, oder in einem Postgebäude oder dem dazu gehörigen Hofraume, oder auf einem Eisenbahnhofe eine zum Reise­ gepäck oder zu anderen Gegenständen der Beförderung ge­ hörende Sache mittels Abschneidens oder Ablösens der Befestigungs­ oder Verwahrungsmittel, oder durch Anwendung falscher Schlüssel oder anderer zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmter Werk­ zeuge 12) gestohlen wird. „Eisenbahn" umfaßt hier nur die mit toten (mechanischen) Naturkräften (Dampf, Elektrizität, Schwerkraft u. s. w.) betriebenen Bahnen, nicht aber Pferdebahnen.13) Ob die Bahn eine öffentliche oder private, macht keinen Unterschied. „Gegenstände der Beförderung" sind die zur Beförde­ rung bestimmten Gegenstände, sobald sie an den bezeichneten Orten sich befinden, mögen sie auch der Transportgesellschaft noch nicht zur Beförderung übergeben worden sein. 5. Den bewaffneten Diebstahl: wenn der Dieb ober einer der Teilnehmer bei Begehung der That Waffen bei sich führt. °) welcher aber auch den deutschen Volksrechten nicht gänzlich unbekannt geblieben war. (Vgl: Wilda S. 878 ff.) 10) Olshausen. “) Die Qualifikation findet sich zuerst im preuß. ALR. 13) z. B. Anbohren von Fässern. 1S) Dagegen Olshausen.

Die Arten des Diebstahls.

§ 97.

335

„Waffe" ist hier im technischen Sinne zu nehmen.^) Da, abweichend von der PGO., welche den Entschluß, von der Waffe eventuell Gebrauch zu machen, als qualifizierend betrachtete, der Grund der höheren Strafbarkeit des bewaffneten Diebstahls in seiner größeren objektiven (durch die Möglichkeit des Gebrauchs be­ dingten) Gefährlichkeit liegt, ist es gleichgültig, einerseits ob der Dieb die Absicht hatte die Waffe nötigenfalls zu gebrauchen, anderseits ob infolge des äußerlich sichtbaren Tragens der Waffe der Bestohlene sich in seiner persönlichen Sicherheit bedroht fühlte.1B) 6. Den Bandendiebstahl: wenn zu dem Diebstahle mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten 16) Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben. Die Form der „Mitwirkung" (Thäter­ schaft, Mitthäterschaft, Teilnahme) ist gleichgültig. 7. Dennächtlichen Diebstahl; vorliegend, wenn der Dieb­ stahl zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude, in welches sich der Thäter in diebischer Absicht eingeschlichen, oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte, begangen wird, auch wenn zur Zeit des Diebstahls Bewohner in dem Gebäude nicht anwesend sind. Einem bewohnten Gebäude werden der zu einem solchen ge­ hörende umschlossene Raum und die in einem solchen befindlichen Ge­ bäude jeder Art, sowie Schiffe, welche bewohnt werden, gleich geachtet. Ein „bewohntes Gebäude" ist dasjenige, welches Men­ schen zur ordnungsmäßigen Nachtruhe dient.17) „Nachtzeit" ist, wie aus dem legislativen Grunde der Be­ stimmung hervorgeht, nicht die Zeit der Dunkelheit,^) sondern die Zeit der Nachtruhe.19) ") Vgl. oben § 94 II S. 319. Ebenso v. Kries, Merkel, Hälschner; dagegen v.Buri, Schütze, H. Meyer, Rüdorff, Olshausen, Merkel; III. S. 18. Januar 1883 VIII/45. 15) Die Qualifikation ist daher gegeben, wenn der Soldat das regelmäßige Seitengewehr trägt, nicht aber, wenn er seine Kanone begleitet. Denn nur dort, nicht hier liegt die Gefahr des Gebrauches vor. Und wenn das Dienst­ mädchen den Degen des Herrn zur Reparatur trägt, so wird wohl auch die „objektive Gefährlichkeit" nicht so arg sein. — Doch sind alle diese Fragen lebhaft bestritten. 16) Ungenau. Richtiger: „zur Begehung von individuell noch nicht bestimmten Diebstählen u. s. w." Vgl. oben § 48 III, 2 über den Begriff der Bande. 17) So die gem. Meinung. Dagegen Olshausen. 18) wieI. S.23. Dez. 1880III/209; Merkel, Olshausenu.a. annehmen. 19) Richtig Hälschner, Berner, Meyer, Geyer, v. Schwarze, Rüdorff, Schütze.

§ 97.

336

Die Arten des Diebstahls.

„Einschleichen" ist das heimliche, sich der Wahrnehmung durch andre absichtlich entziehende Eintreten.20)

Vornächtliches Ein­

schleichen ist nicht erforderlich.21)

III. Diebstahl im zweiten Rückfalle22) (StGB. §§ 244 und 245). Voraussetzung: zweimalige frühere Bestrafungim In lande wegen Diebstahls, Raubes, räuberischen Diebstahls und räuberischer Erpressung und Hehlerei. Ob die Vorstrafe durch Gericht oder Polizeibehörden ausgesprochen worden, ist gleichgültig, sobald es sich nur um eine eigentlich kriminelle Strafe handelt. Die technische Bezeichnung der Vordelikte bleibt außer Betracht, doch muß innere Gleichartigkeit derselben mit den in § 244 StGB, genannten Ver­ brechen gegeben sein.2S) Daher begründen Vorstrafen wegen Ent­ wendungen, welche das positive Recht vom Diebstahl trennt (wie Mundraub, Entwendungen im Sinne der Forst- und Feldpolizei­ gesetze u. s. w.), die Anwendung der Rückfallsschärfung nicht.2i) Der Thäterschaft bez. der Vollendung stehen in bezug auf erste, zweite und dritte Begehung Teilnahme bez. Versuch durchaus gleich.2S) Da­ gegen genügt Vorbestrafung aus § 257 Abs. 3 StGB, nicht.26) Die Vorbestrafung ist „im Jnlande" erfolgt, wenn das Gericht, welches dieselbe ausgesprochen, nach heutigem Rechte zum Jnlande gehört, mag es auch zur Zeit der Aburteilung dem Auslande ange­ hört haben.27) Die Vorstrafen müssen ganz oder teilweise verbüßt oder erlassen sein.

Ein zehnjähriger Zeitraum von Verbüßung

oder Erlaß der

letzten2^) Strafe bis zur Begehung des neuen Diebstahls schützt vor der Rückfallsstrafe (sog. Rückfallsverjährung). Die Strafe beträgt:

a) für einfachen Diebstahl (StGB. § 242) Zuchthaus bis zu 30) Ebenso III. S. 25. Januar 1882 V/401. 31) So Olshausen u. a. mit der konstanten Praxis des Reichsger. Da­ gegen Schütze, v. Schwarze, Merkel, Berner, Rüdorff. 33) Vgl. oben § 74 I. 3S) I. S. 7. Juni 1883 VIII,418. 34) Dag. II. S. 19. Oktober 1880 11/354. Richtig John, Zeitschr. IS.267. 35) Gemeine Meinung; auch die des Reichsger. 3e) Vgl. oben § 48 Note 12. 31) Gemeine Meinung. Dagegen Meyer. 3S) Der zwischen der ersten und der zweiten Verurteilung verstrichene Zeitraum kommt nicht in Betracht. So die gern. Meinung (anders Jena); jetzt auch Reichsger.

Die Arten des Diebstahls.

337

§ 97.

zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten; b) für schweren Diebstahl (StGB. § 243) Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre. IV. Der räuberische (raubähnliche) Diebstahl (StGB.§252), vorliegend, wenn der Dieb, auf frischer That, also vor Vollendung der Wegnahme,29) betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet,99) um sich im Besitze des gestohlenen Gutes zu erhalten. Strafe: die des Raubes. V. Privilegierte Fälle (StGB. § 247, der sog. Fami­ lien- und Hausdiebstahl): 1. Diebstahl von Verwandten aufsteigender Linie gegen Ver­ wandte absteigender Linie oder zwischen Ehegatten begangen (§ 247 Abs. 2), bleibt straflos 81) („Familiendiebstahl"). 2. Als relatives Antragsdelikt32) behandelt das RStGB. zwei Fälle (StGB. § 247 Abs. 1): a) ohne weitere Bedingung den Diebstahl gegen Angehörige") („Familiendiebstahl"); b) wenn es sich um Sachen von unbedeutendem Werte handelt, den Diebstahl gegen Personen, zu welchen der Thäter im Lehrlingsverhältnisse steht oder in deren häuslicher Gemein­ schaft er als Gesinde sich befindet (sog. „Hausdiebstahl"): auf Antrag zu verfolgen; Antrag rücknehmbar. Maßgebend ist hier lediglich die Eigenschaft des Bestohlenen, d. i. nach dem oben Gesagten34) des Gewahrsams-Inhabers, nicht die des Eigentümers. Der Diebstahl bleibt Antragsdelikt, wenn auch die vom Sohne bei seinem Vater gestohlenen Gegenstände Eigentum eines dritten sind. Beide Bestimmungen (1 und 2) finden auf Teilnehmer oder Begünstiger, welche nicht in einem der vorbezeichneten Verhältnisse stehen, keine Anwendung (StGB. § 247 Abs. 3). 2») 30) 31) 32) 33) 31)

Dagegen Olshausen. Vgl. über diese Begriffe unten § 126 II. Individueller Strafausschließungsgrund; vgl. oben § 42 III 3. Oben § 43 S. 177 a. E. StGB. § 52 Abs. 2. Vgl. oben § 96 VII, insbesondere Note 33.

von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

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338

§ 98.

Dem Diebstahl verwandte Fälle.

§ 98. Dem Diebstahl verwandte Fälle.

Aus dem Begriffe des Diebstahls haben sich im Laufe der historischen Entwickelung eine Reihe von Delikten losgelöst und selb­ ständige Bedeutung erlangt, die hier der besseren Übersicht wegen zusammengestellt und dem Diebstahle angeschlossen werden sollen, wenn sie auch, einzeln betrachtet, eine andere Stellung int Systeme des besonderen Teiles beanspruchen könnten. Es sei betont, daß wir es hier mit selbständigen Deliktsbegriffen zu thun haben, aus welche daher das über den Diebstahl Gesagte nicht ohne weiteres Anwendung findet. I. Das sog. furtum usus, richtiger die Gebrauchsanmaßung war im römischen Rechte ausdrücklich zum furtum gerechnet worden.*) Das deutsche Mittelalter dagegen behandelte ein­ zelne hierher gehörige Fälle, rote den Raubritt, die Benutzung eines fremden Kahnes, Bebauen eines fremden Grundstückes, als besondere, mit Buße zu belegende Delikte. Die gemeinrechtliche Theorie und Praxis griff auf die Auffassung des römischen Rechtes vielfach zurück. Je mehr aber der moderne Diebstahlsbegriff sich entwickelte, desto weniger wollte die Gebrauchsanmaßung unter ihn passen, da es ja an der Aneignungsabsicht bei ihr gänzlich mangelt. In mehreren deutschen Partikular-Gesetzbüchern, z. B. Sachsen, ganz allgemein unter Strafe gestellt, ist die Gebrauchsanmaßung nach Reichsrecht nur in dem einen besonderen, durch den Mißbrauch des öffentlichen Vertrauens qualifizierten Falle (StGB. § 290) strafbar, wenn öffentliche*2) Pfandleiher die von ihnen in Pfand genommenen Gegenstände unbefugt in Gebrauch nehmen; so daß alle andern Fälle, z. B. das Gebrauchen eines fremden Eisenbahn- oder Theaterbillets, heimliches Tragen der Kleider eines andern u. s. w., nicht als straf­ bare Gebrauchsanmaßung erscheinen würden. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre, das nach Ermessen mit Geldstrafe bis neunhundert Mark verbunden werden kann.3) 1L Das sog. furtum possessionis oder die Besitz­ entziehung, nach römischem Rechte ebenfalls zum furtum gerechnet, *) Vgl. oben § 95 I. 2) d. h. nicht etwa unter öffentlicher Autorität stehende, sondern solche Pfandleiher, deren Geschäft dem Publikum offen steht; II. S. 8. Mai 1888 VIII/253; III. S. 2. April 1883 VIII,269. 3) Vgl. § .249 f. der Aktiengesetznovelle von 1884 unten § 193.

Dem Diebstahl verwandte Fälle.

339

§ 98.

unterscheidet sich von dem modernen Diebstahl dadurch, daß sie nicht gegen den Eigentümer gerichtet ist, sondern von diesem oder zu dessen gunsten vorgenommen wird. Angriffsobjekt ist der Ge­ wahrsam als thatsächliche Herrschaftsmöglichkeit.4) Das RStGB. bedroht in § 289 die Wegnahme der eignen beweglichen Sache durch den Eigentümer oder die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache zu gunsten des Eigentümers derselben durch einen dritten aus dem Gewahrsam des Nutznießers, Pfandgläubigers oder Gebrauchs- oder Retentionsberechtigten.5) Die Wegnahme muß in „rechtswidriger Absicht" (gleich Motiv), d. h. zu dem Zwecke erfolgen, das Recht des Berechtigten zu verletzen.6) Strafe: Gefängnis bis zu drei Jahren (daneben nach Ermessen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte) oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. Versuch strafbar. Antragsdelikt. StGB. § 247 Abs. 2 und 3 7)8findet auch hier Anwendung. III. Forst- und Felddiebstahl, im deutschen Rechte von jeher vom gemeinen Diebstahl unterschieden, *) ist durch Einführungs­ gesetz § 2 der Partikular-Gesetzgebung überlassen worden. Er ist mithin nicht als „Diebstahl" im technischen Sinne des RStGB. zu betrachten. IV. Die widerrechtliche Zueignung von bei den Übungen der Artillerie verschossener Munition oder von Bleikugeln ), aus den Kugelfängen der Truppen-Schießstände (StGB. § 291). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. Das charakteristische Merkmal, welches (abgesehen von dem engbegrenzten Objekte) dieses Delikt9) von dem Diebstahl unter« 4) Vgl. oben § 96 III. 5) Das Verhältnis der Retentionsberechtigten zur Sache konnte, eben wegen der steten Möglichkeit es in eigentlichen Gewahrsam übergehen zu lassen, diesem gleichgestellt werden. Die Ausräumung der invecta et illata gegen den aus­ drücklichen oder stillschweigenden Willen des Vermieters fällt daher unter § 289. So auch die konstante Praxis des Reichsger. III. S. 8. Mai 1880 1/429; II. S. 23. November 1880 III/58; III..©. 6. November 1880 III/24; III. S. 29. April 1882 VI,321. 6) Dagegen nimmt Binding „Absicht" hier lediglich als Vorsatz. Gegen ihn Olshausen. ') Oben § 97 V. 8) Vgl. oben § 17 Note 10; PGO. Art. 167, 168. ®) Es entstammt der Pr. Kab.O. vom 23. Juli 1883, wurde im preuß. StGB.

22*



340

§ 98.

Dem Diebstahl verwandte Fälle.

scheidet, liegt in der eigentümlichen Gestaltung der Versügungsgewalt, welche den Truppen über die im § 291 genannten Gegenstände zusteht. Von einem Ausgeben des Eigentums (Dereliktion) verbunden mit einem staatlichen „Wiederokkupationsrechte"10) kann nicht die Rede sein. Wohl aber wird der Gewahrsam bis zur äußersten Grenze gelockert ohne gänzlich verloren zu gehen, solange die Artilleriemunition nicht über die Grenzen des Übungsfeldes hinaus­ fliegt und die Kugeln in den Kugelfängen sich befinden. Eben darum ist nicht § 291, sondern § 242 anzunehmen, sobald der Gewahrsam, wie etwa bei Schießübungen im geschlossenen Raume, völlig erhalten bleibt; und auch § 291 entfällt, wenn der Ge­ wahrsam völlig verloren geht, wie bei Übungen auf offenem Wasser. n) V. Unbefugte Verringerung eines fremden Grundstücks, eines öffentlichen oder Privatweges oder eines Grenzrains durch Abgraben oder Abpflügen (StGB. § 370 Ziff. 1). Strafe: Geldstrafe bis hundertundfünfzig Mark oder Haft. VI. Unbefugte Wegnahme von Erde, Steinen, Rasen ans öffentlichen oder Privatwegen; Graben von Erde, Lehm, Sand, Grand, Mergel aus fremden Grundstücken; Hauen von Plaggen oder Bülten; Wegnahme von Rasen, Steinen, Mineralien aus fremden Grund­ stücken, zu deren Gewinnung es einer Verleihung, einer Konzession oder einer Erlaubnis einer Behörde nicht bedarf, oder von ähnlichen Gegenständen (StGB. § 370 Ziff. 2). Strafe: wie zu V. VII. Entwendung von Nahrungs- oder Genußmitteln von un­ bedeutendem Werte oder in geringer Menge zum alsbaldigen Gebrauche (sog. „Mundraub" StGB. § 370 Ziff. 5).12) Tabak, Zigarren,18) Parfüms, Blumen, ") nicht aber Brenn­ materialien 15) oder Beleuchtungsgegenstände werden hierher zu rechnen sein. Der Mundraub, schon im deutschen Mittelalter — im Zu§ 349 Nr. 5 als Übertretung gestraft, im RStGB. aber im Hinblick auf den erhöhten Wert der Geschosfe zum Bergehen erhoben. 10) So Merkel, Olshaufen u. a. n) Gegen die Bestimmung Hälschner. “) Köstlin, Abhdlgn. S. 312ff., 315ff. Geyer, Zeitschrift II S. 299. I3) III. S. 31. Dezember 1881 V/289. ») III. S. 9. April 1881 IV/72. 15) II. S. 24. Februar 1880 1,223; I. S. 12. Juli 1883 1X 46.

Der Raub.

§ 99.

341

sammenhange mit dem Stehlen in echter Hungersnot — vielfach er­ wähnt, unterscheidet sich vom Diebstahl einerseits durch den geringen Vermögenswert des Objektes, anderseits durch die Absicht: nicht Zu­ eignung, sondern alsbaldiger Gebrauch, bez. Verbrauch ist der Zweck der Wegnahme.1C) Eben darum darf diese „Entwendung" in keiner Beziehung, insbesondere nicht in bezug auf die Strafschärfungen der §§ 243, 244, 252 als eigentlicher Diebstahl betrachtet toerben.17) Strafe: wie zu 5. Antragsdelikt; Rücknahme zulässig. Ent­ wendungen von Verwandten aufsteigender gegen Verwandte ab­ steigender Linie und zwischen Ehegatten bleiben straflos. VIII. Der sogenannte Futterdiebstahl (StGB. § 370 Ziff. 6): Wegnahme von Getreide oder anderen zur Fütterung des Viehs bestimmten oder geeigneten Gegenständen wider Willen des Eigentümers, um dessen Vieh damit zu füttern. Auch der Futter­ diebstahl darf — und zwar wegen der Verwendung der weggenommenen Gegenstände im Interesse des Eigentümers — nicht als Diebstahl im technischen Sinne der Reichsgesetzgebung betrachtet werden.18)

§ 99. 2. Der Raub.3) I. Geschichte. Der Raub als selbständiger Verbrechensbegriff ist deutschrecht­ lichen Ursprunges. Im älteren römischen Rechte lediglich als „schlechter Diebstahl" bezeichnet,2) durch die vom Prätor Lucullus 677 oder 678 a. u. für den Fall gewaltsamer Entwendung durch eine bewaffnete Rotte eingeführte actio vi bonorum raptorum (D. 47, 8) mit der Privatstrafe des quadruplum belegt, wurden 10) Oder im Sinne des gemeinen Rechts ausgedrückt: an Stelle der ge­ winnsüchtigen Diebstahlsabsicht tritt die Naschsucht. 17) A. A. Hälschner mit der gern. Meinung, sowie konstant das RG. So III., 28. Januar 1882 V/404; I. S. 8. Mai 1882 VI/325; III. S. 20. Dezember 1883 1X297. Richtig Geyer a. O. im Anschluß an Doktrin und Praxis des gesamten gemeinen Rechts. 18) Die durch das RStGB. erledigte Frage war schon im vorigen Jahr­ hundert streitig gewesen. 0 Breidenbach, Verbr. des Raubes nach röm. Recht 1839. Köstlin, Abhandlungen 1858 S. 389. Merkel HH. III S. 714. Villnow, Raub, Erpressung u. s. w. 1875. v. Buri GS. XXIX Beilageheft (1878). Wahl­ berg HR. „Raub". Wanjek GA. XXVII (1879). 2) Gajus III, 209.

342

§ 99.

Der Raub.

später gewisse Fälle des Raubes allerdings bald als vis (cum armis, ex incendio, naufragio), 3) bald als crimen extraordinarium (1atrones, grassatores)4) mit öffentlicher Strafe belegt; aber der all­ gemeine Begriff des Raubes bleibt dem römischen Rechte verschlossen.

Dagegen hat das mittelalterlich deutsche Recht den Raub als die offene Wegnahme einer fremden Sache von jeher scharf von der dieblichen Wegnahme geschieden;5) 6und auch, nachdem im Laufe des Mittelalters, insbesondere in Landfrieden und Rechts­ büchern das positive Merkmal der Gewalt in den Begriff des Raubes aufgenommen und damit seine Strafbarkeit bedeutend erhöht worden war, wurden Diebstahl und Raub immer als wesentlich ver­ schiedene Verbrechen behandelt. So finden wir auch in der PGO. die Strafdrohung gegen den „boshaften überwundenen Räuber" (Art. 126) nicht unter den zahlreichen den Diebstahl behandelnden Artikeln, sondern weit ab von diesen zwischen Brandstiftung und Aufruhr, so daß die Richtung gegen die allgemeine Sicherheit unzweideutig hervortritt. Bei diesem Widerstreite zwischen der deutschen und der römischen Auffassung kann es nicht wunder nehmen, wenn das gemeine Recht in seiner Auffassung des Raubes vielfach schwankt, bald den Gesichtspunkt des furtum, bald den der vis hervorkehrt, bald auch den Raub als selbständiges Delikt behandelt. Und dasselbe Schwanken zeigt auch die deutsche Partikulargesetzgebung des 19. Jahr­ hunderts. Das R.StGB. hat, im Anschlüsse an das preußische, Raub und Erpressung in denselben Abschnitt zusammengestellt und dadurch den ersteren sowohl von der Nötigung als auch vom Diebstahl schon äußerlich gesondert, so daß, trotz der Aufnahme sämtlicher Merkmale des Diebstahls in den Begriff des Raubes, dieser im heutigen Rechte als selbständiges Verbrechen betrachtet werden muß?) II. Der Begriff.

Nach § 249 StGB, ist des Raubes schuldig, „wer mit Ge­ walt gegen eine Person oder unter Anwendung von 3) 1. 3 D. 48, 6. 4) 1. 28 § 10 D. 48, 19. ö) besonders eingehend beschäftigen sich die Kapitularien mit dem latrocinium, welches als Friedensbruch mit schwerer öffentlicher Strafe bedroht wird. 6) Die außerdeutschen Gesetzbücher behandeln den Raub meist als qualifi­ zierten Diebstahl. So der code penal, das Holland. StGB. u. a.

Der Raub. § 99.

343

Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem andern in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen." 1. Charakteristisch für den Raub sind mithin zunächst die Mittel der Wegnahme, d. h. der Begründung des eignen Ge­ wahrsams auf feiten des Thäters: nämlich a) Gewalt „gegen eine Person", wie das Gesetz sagt; genauer: Gewalt an der Person (vis in homine),") und zwar an der Person des zu Vergewaltigenden. *8) Wer dem Kinde Ge­ walt anthut, um die Mutter zur Herausgabe der Wert­ sachen zu zwingen, ist nicht Räuber. Oder b) gefährliche Drohung; d. h. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben. Betäubung (Narkotisierung u. s. in.) begründet Raub, wenn und soweit sie durch Anwendung der genannten Mittel erfolgt.9) 2. Durch die Mittel der Wegnahme unterscheidet sich der Raub nicht nur einerseits vom Dieb stähle, mit dem er alle übrigen Begriffsmerkmale teilt,10) sondern auch von der Erpressung.11) 12 Die Gewalt bei der Erpressung darf nie Gewalt an der Per­ son ; die Drohung nie eine gefährliche, die Freiheit der Entschließung völlig aufhebende sein. Daraus folgt, daß die sog. „räuberische Erpressung" (StGB. § 255) nicht Erpressung sein kann.") 3. Aber auch noch ein andres wichtiges Merkmal unterscheidet den Raub von der Erpressung. Jener ist gerichtet gegen das Eigen­ tu m an beweglichen Sachen, diese gegen das Vermögen überhaupt. Die sog. „räuberische Erpressung" kann darum nicht Raub sein; sie ist vielmehr, wie der Name es ausdrückt, ein besonderes Delikt, welches durch Verbindung der M i t t e l des Raubes mit den G e g e n ständen der Erpressung gebildet und am besten als eine Erweite­ rung des Raubes vom Sachdelikte zum Vermögensdelikte auf­ gefaßt, mithin im Anschlüsse an den Raub behandelt wird. ’) vgl. unten § 126 II. 8) der aber nicht gerade der Inhaber der wegzunehmenden Sache zu sein braucht. 8) unten § 126 II. ">) Vgl. III. S. 29. April 1882 VI/243 ") Vgl. unten § 111 II. 12) Vgl. unten III, 3 und § 111 II.

344

§ 99.

Der Raub.

4. Der Raub ist vollendet (wie der Diebstahl) mit der voll­ endeten Wegnahme der Sache; der strafbare Versuch beginnt be­ reits mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung. III. Fälle des Raubes. 1. Einfacher Raub (StGB. § 249). Strafe: Zuchthaus; bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. 2. Qualifizierter Raub (StGB. § 250):13) a) Wenn der Räuber oder einer der Teilnehmer am Raube bei Begehung der That Waffen bei sich führt. b) Wenn zu dem Raube mehrere mitwirken, welche sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden haben. (Bande.) c) Wenn der Raub auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einer Eisenbahn, einem öffentlichen Platze, auf offener See14) oder einer Wasserstraße begangen wird (Straßenraub). d) Wenn der Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude (StGB. § 247 Ziff. 3) begangen wird, in welches sich der Thäter zur Begehung eines Raubes oder Diebstahls ein­ geschlichen oder sich gewaltsam Eingang verschafft oder in welchem er sich in gleicher Absicht verborgen hatte. e) Wenn der Räuber bereits einmal als Räuber oder wegen räuberischen Diebstahls (StGB. § 252) oder räuberischer Er­ pressung (StGB. § 255) im Jnlande bestraft worden ist (Raub im ersten Rückfall). StGB. § 245 findet auch hier Anwendung. Strafe: Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei mil­ dernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre. 5) Schwerster Fall (StGB. § 251): Raub, bei dem ein Mensch gemartert oder bei dem durch die verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) oder der Tod eines Menschen verursacht worden ist; gleichgültig, ob die ge­ marterte, verletzte, getötete Person der Beraubte selbst oder ein dritter ist. 13) Man vgl. dazu das über den teilweise übereinstimmend qualifizierten Diebstahl oben § 97 II Gesagte. 14) „Offene See" bildet lediglich den Gegensatz zu den Binnengewässern; staatsrechtliche und völkerrechtliche Fragen bleiben außer Betracht. A. A.Olshausen.

Die Unterschlagung.

§ 100.

345

Strafe: Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebens­ längliches Zuchthaus. 3. Die räuberische Erpressung (StGB. § 255). Sie liegt vor, wenn jemand, um sich oder einem dritten einen rechtswidrigenVermögensvorteil zu verschaffen, einen andern durch Gewalt an der Person 15) oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt.10) 17) Strafe: die des Raubes. 4. Der sog. räuberische Diebstahl (StGB. § 252) ist, wie bereits hervorgehoben,^) nicht Raub, sondern Diebstahl. 5. Der Seeraub gehört dem Völkerrecht, nicht aber dem Strafrecht an.19) IV. Neben der Zuchthausstrafe kann in allen Fällen auf Zu­ lässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. § 256). § 100. 3. Die Unterschlagung.*) I. Geschichte.

Während das römische Recht die Unterschlagung mit dem Diebstahl in dem weiten Begriffe des furtum zusammenfaßte, wurde im deutschen Mittel alt er das einfache diebliche Behalten von zu treuer Hand übergebenen oder auch durch Zufall erlangten Sachen von dem dieblichen Eingriff in fremde Gewehre zumeist geschieden?) Dem entsprechend widmet auch die PGO. einen besonderen Artikel (170) demjenigen, „welcher mit eines andern Gütern, die ihm in gutem Glauben zu behalten und verwahren gegeben sind, williger- und ge­ fährlicherweise dem Gläubiger zu Schaden handelt" — und gibt 15) Das Gesetz sagt, getreu seiner Terminologie: „gegen eine Person". 10) Vgl. oben II. 17) Die Auffassung des § 255 in seinem Verhältnisse zu Raub und Erpressung ist eine sehr bestrittene. Die im Text unter II vertretene Ansicht ergibt nach allen Richtungen hin einfache und klare Grenzen. 18) Oben § 97 IV. 19) v. Holtzendorff HR. „Seeraub"; Zorn, Staatsrecht II S. 602 ff. a) Schütze, GS. XXI (1869) S. 115. v. Stemann, Das Vergehen der Unterschlagung und Untreue 1870. Merkel HH. III S. 689. Huber, Unterschlagung 1875. Kapf, Unterschlagung 1879. Hälschner GA. XV (1867). — Walther, Die Lehre vom Funddiebstahl 1849. 2) Vgl. oben § 95 II.

346

§ 100.

Die Unterschlagung.

so, wenn auch in bezug auf die Bestrafung einfach auf den Diebstahl verwiesen wird, schon äußerlich der Unterschlagung Stellung und Be­ deutung eines selbständigen Deliktes. Das gemeineRecht hält diese Auffassung im wesentlichen fest, freilich nicht ohne zahlreiche und zum Teil bedenkliche Schwankungen. So hatte C a r p z o v die Unterschlagung als furtum improprium (contrectatio ficta) neben das furtum pro­ prium gestellt; Böhmer sogar den selbständigen Thatbestand der Unterschlagung geleugnet, während Quistorp u. a. dieselbe als einen Fall des Betruges auffaßten. Erst allmählich gewinnt die Unterschlagung in der modernen Gesetzgebung ausgeprägtere Ge­ stalt: die vielfach sich findende Beschränkung aus anvertraute Sachen („Veruntreuung") wird aufgegeben, die Unterschlagung als Sachdelikt von der Untreue als Verletzung obligatorischer Ansprüche und von dem gegen das Vermögen überhaupt gerichteten Betrug gesondert, der Begriff seiner kasuistischen Fassung entkleidet. Während noch Preußen 1851 von mit der Verpflichtung zur Rückgabe, Ver­ wahrung, Verwaltung oder Ablieferung erlangtem Gute gesprochen und die durch Finden oder zufällig erlangten Sachen gleichgestellt hatte, definiert das RStGB. in § ‘246 ganz allgemein die Unterschlagung als die rechtswidrige Zueignung einer fremden beweg­ lichen Sache, welche der Thäter bereits in seinem Ge­ wahrsame hat. Mit dieser allgemeinen Fassung entfiel die Not­ wendigkeit, die Fundverhehlung, welche wohl auch als Fund­ diebstahl bezeichnet und teilweise (so Österreich) als Betrug be­ handelt wurde, besonders auszuzeichnen. II. Begriff. 1. Das Objekt der Unterschlagung ist dasselbe wie das des Diebstahls: eine fremde bewegliche Sache.8) Mithin kann an Rechten überhaupt, an Forderungs­ rechten insbesondere Unterschlagung ebensowenig wie Diebstahl'be­ gangen werden,34) während die das Recht beweisende oder begründende Urkunde als solche Gegenstand des einen wie des andern Verbrechens sein kann. Daher wird weiter durch den Übergang des Eigentums an den Gewahrsamsinhaber die Möglichkeit einer Unterschlagung unbedingt ausgeschlossen, mag auch eine (obligatorische) Verpflichtung zur Rück3) Vgl. oben § 96 H. *) So konstante Praxis des Reichsgerichts.

Die Unterschlagung.

§ 100.

347

gäbe oder zur Verwendung nach einer ganz bestimmten Richtung hin bestehen. Ob der Eigentumsübergang stattgefunden hat oder nicht, ist lediglich nach den Grundsätzen des maßgebenden Zivilrechtes zu entscheiden; und die, insbesondere in der preußischen Praxis beliebte Aufstellung des Begriffes eines „strafrechtlichen Eigentums" kann heute als von allen Seiten aufgegeben betrachtet werden.8) Wichtig und schwierig gestaltet sich diese Frage bei der praktisch häufigen Übergabe von regelmäßig vertretbaren Sachen. Hier ist es stets nach den genau ins Auge zu fassenden Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, ob jene regelmäßige Eigenschaft auch den in concreto übergebenen Gegenständen zukommt; ob die Rückgabe in genere oder in specie zu leisten, ob also das Eigentum an den einzelnen Stücken auf den Empfänger übergegangen ist oder nicht. Nicht nur die Individualisierung der hingegebenen Stücke (z. B. Ver­ siegelung des die Banknoten enthaltenden Kouverts), sondern auch die Vermögensverhältnisse des Empfängers und seine Beziehungen zu dem Übergebenden werden für die Entscheidung der Frage maßgebend sein. ») An einem Schatze ist Unterschlagung durch den Finder dann möglich, wenn nach dem maßgebenden Zivilrecht57) 6durch das Finden selbst einem dritten (dem Eigentümer des Grundstückes oder dem Staate) sofort Eigentum an einem Teile des Schatzes, nicht bloß ein Anspruch auf Herausgabe erworben wird. 2. Nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes muß der Thäter die Sache bereits in seinem Gewahrsam haben. Darin liegt der Unterschied der Unterschlagung vom Diebstahle. Streng ge­ nommen wäre die Abgrenzung nur dann eine durchgreifende, wenn der Unterschied rein negativ etwa dahin gefaßt worden wäre: „eine Sache, die der Thäter zu diesem Zwecke nicht erst aus dem Gewahr­ same eines andern weggenommen hat...." Aber auch die gegen­ wärtige Fassung des Gesetzes bietet einer verständigen Praxis keine ernstliche Schwierigkeit. Auf welche Weise der Unterschlagende den Gewahrsam erlangt hat, ob durch Zufall, durch Irrtum, durch ein Anvertrauen von seiten des bisherigen Gewahrsamsinhabers, oder endlich durch eine 5) Konsequent im gleichen Sinne auch das Reichsgericht. 6) Über die Unterschlagung von Amtsgeldern vgl. unten § 179 VII. 7) Über das röm. Recht vgl. Wind scheid § 184. Für das Gebiet des preuß. Rechts nimmt Unterschlagung an I. S. 17. November 1879 1/16.

§ 100.

348

Die Unterschlagung.

strafbare Handlung, ist gleichgültig.

Doch wird in dem letzten dieser

Fälle, in Anwendung des oben8) über Gesetzeskonkurrenz Gesagten, die Aneignung regelmäßig hinter dem strafbaren Jn-den-GewahrsamBringen zurücktreten.9) Insbesondere ist Aneignung einer gefundenen (von einem andern „verlorenen") Sache unzweifelhaft als Unterschlagung zu betrachten. 3. Die Handlung besteht in der Zueignung der fremden beweglichen Sache. Der Begriff ist derselbe wie beim Diebstahle?9) Die moderne Gesetzgebung hat von einer kasuistischen Umschreibung der Zueignung abgesehen. Jeder Akt, durch welchen die Sache der eigen­ tumsgleichen Herrschaft des Thäters unterworfen wird, gehört hier­ her.

Ob dieser Akt eine positive Handlung ist oder aber eine Unter­

lassung (wo das Handeln Pflicht war), ist hier wie sonst gleich­ gültig. ir)

Es ist Aneignung, wenn der Finder

einer verlornen

Sache den suchenden Eigentümer stumm an sich vorübergehen läßt, vorausgesetzt daß er seine frühere Absicht der Rückstellung eben erst in diesem Augenblicke definitiv aufgegeben hat. leugnen des Besitzes,

Beiseiteschaffen,

Ebenso kann Ab­

Veräußern, Anbieten zum

Kaufe u. s. w. als Aneignung erscheinen. Sofortige Vernichtung der Sache ist nicht Aneignung, ebenso­ wenig vorübergehender Gebrauch, wohl aber der allmähliche Verbrauch derselben. Verpfändung ist dann, aber auch nur dann, nicht An­ eignung, wenn die A b sicht und zugleich die gegründete Aus sicht recht­ zeitiger Wiedereinlösung besteht.12) Ähnlich ist Verkauf mit Vor­ behalt des Rückkaufrechtes zu beurteilen. 4. Die Widerrechtlichkeit der Zueignung ist zum Begriffs­ merkmal erhoben; der Irrtum über dieselbe mithin relevant.

Es

schließt daher die irrige Annahme, daß der bisherige Eigentümer in die

Aneignung

willige,

den

Begriff der Unterschlagung au§;13)

8) Oben § 58 II. °) bestritten. Vielfach wird die Unterschlagung auf jene Fälle beschränkt, in welchen der Gewahrsam anders als durch eine strafbare Handlung erlangt wurde. 10) Oben § 96 V. n) Im allgemeinen übereinstimmend die gem. Meinung; aber mit bedenk­ lichen Schwankungen. Richtig II. S. 13. Juli 1881 IV/404. 12) So das Reichsgericht — III. S. 24. April 1880 11/22, I. S. 7. Januar 1884 IX 382 — mit der gem. Meinung, während OT. mit Meyer, Schütze, v. Schwarze, Rüdorff u. a. ohne Unterscheidung Unterschlagung angenommen hatte. 13) Beispiel: ich rauche die Zigarren meines verreisten Stubengenossen,

Die Sachbeschädigung.

§ 101.

349

während bei Unkenntnis der thatsächlich erfolgten Einwilligung un­ tauglicher Versuch anzunehmen ist. 5. Die Vollendung tritt ein mit der geschehenen Aneignung (anders beim Diebstahl). Der Versuch — trotz der Vergehensnatur strafbar — beginnt mit der beginnenden Aneignung. 6. Verletzt ist der Eigentümer, und nur er, nicht etwa derjenige, der die Sache dem Thäter übergeben (anvertraut) hatte.14) III. Arten der Unterschlagung: 1. Einfache Unterschlagung (StGB. § 246). Strafe: Gefängnis bis zu drei Jahren; bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. 2. Die Veruntreuung oder Unterschlagung anvertrauter, d. h. auf Grund eines Rechtsgeschäftes mit der Verpflichtung zur Rückgabe oder Ablieferung übernommener Sachen. Strafe: Gefängnis bis zu fünf Jahren; bei mildernden Umständen Geld bis zu neunhundert Mark. 3. Privilegierte Fälle (StGB. § 247); dieselben wie beim Diebstahl;^) entscheidend hier immer die Qualität des ver­ letzten Eigentümers. Neben Gefängnis kann in allen Fällen auf Verlust der bürger­ lichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. § 248). § 101. 4. Die Sachbeschädigung.4) I. Geschichte. Die Sachbeschädigung ist ein durchaus modernes Delikt. Das römische Recht hatte neben dem dämmim injuria datum der lex Aquilia nur eine Anzahl von einzelnen Fällen, so die Beschädigung von Bäumen, Saaten und Weinbergen, von Mauern, Thoren und Straßen, und zwar wegen ihrer Richtung gegen allgemeine Interessen, extra ordinem bestraft. Auch das mittelalterlich deutsche Recht ist über vereinzelte Ansätze, so die Bestrafung der Beschädigung von Tieren, von Zäunen und oder benutze den Vorrat seines Weinkellers, um einen gemeinsamen dritten Freund zu bewirten. u) Herrschende Meinung. Anders Schütze. 15) oben § 97 V. *) Köstlin, Abhandlungen 1858 S. 169. Lueder, Die Vermögensbe­ schädigung 1867. Pernice, Die Sachbeschädigung nach röm. Recht 1867. Merkel HH. III S. 848, IV S. 455 und HR. „Sachbeschädigung".

350

§ 101.

Die Sachbeschädigung.

Hecken, von Feldern und Wäldern nicht hinausgekommen. Ebenso bot auch die PGO. (trotz der Art. 167 und 168) der Entwickelung des Deliktbegriffes keine irgendwie genügende Grundlage. Erst die neueste Gesetzgebung war bemüht, die fühlbare Lücke auszu­ füllen. Es gelang, nachdem die Gruppe der Feld-, Forst- und Flur­ frevel ausgeschieden und der Spezialgesetzgebung überwiesen, und nachdem die irreleitende Bezeichnung „Vermögensbeschädigung" auf­ gegeben worden war, dem RStGB., den Begriff in § 303 mit an­ nähernder Genauigkeit zu bestimmen. Doch wird durch die Fassung des § 304 und durch die Einfügung des gar nicht hierher gehörenden § 305 die Klarheit des kaum gewonnenen Begriffes wieder wesent­ lich getrübt; während anderseits in der Litteratur das Streben zu Tage getreten ist,2) das Delikt durch Erweiterung desselben zur Vermögensbeschädigung seiner festausgeprägten Gestalt zu be­ rauben. II. Der Begriff und seine Merkmale. Sachbeschädigung ist Eigentumsverletzung durch rechts­ widrige Verletzung oder Vernichtung der Sachsubstanz. 1. Objekt ist auch hier eine fremde Sache,3) und zwar wie der Sprachgebrauch, die Geschichte des Delikts und der Parallelismus mit den sämtlichen übrigen Eigentumsverbrechen meines Erachtens mit zwingender Notwendigkeit ergibt, nur die bewegliche bez. beweg­ lich zu machende Sache; die Beschädigung von unbeweglichen Sachen kann nur, soweit die §§ 304 und 305 eingreifen, als Sachbeschädi­ gung gestraft werden.4) Insbesondere gehören auch Tiere hierher. Vermögenswert braucht die Sache auch hier nicht zu besitzen. 2. Die Handlung bezeichnet das Gesetz als „Beschädigung oder Zerstörung" der Sache. Jede Vernichtung oder Verletzung der Sachsubstanz, wobei die Sache auch als natürliches oder künstliches Sachganzes in Betracht kommen kann, gehört hierher. Beispiele: Zerlegen einer Maschine, Fliegenlassen eines Bienenschwarmes, Ausströmenlassen von Gas, Überstreichen eines Gemäldes, Einsetzen eines Hechts in den Karpfenteich. Gebrauchsentziehung — selbst dauernde — 2) insbesondere bei Lueder. Gegen ihn Doch ovo, Glaser, Merkel, Hälschner. Doch geht auch Hälschner in seinen Vorschlägen noch viel zu weit. 3) Vgl. oben § 96 II. 4) Anders die gern. Meinung.

Die Sachbeschädigung.

§ 101.

351

gehört nicht hierher (Ausfliegenlassen eines Vogels; Versenken in die See), solange die Sachsubstanz unverletzt bleibt.B) 3. Die Rechtswidrigkeit ist Begriffsmerkmal, Bewußtsein derselben daher zum Vorsatz erforderlich. Ihr Wegfall richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen.56) 4. Verletzt im technischen Sinne des Wortes, mithin eventuell antragsberechtigt, ist immer nur der Eigentümer der beschädigten Sache.7) 5. Die Vollendung tritt mit der erfolgten Beschädigung oder Zerstörung der Sache ein; der Versuch ist — auch wenn das vollendete Delikt Vergehen — strafbar. III. Arten. 1. Die einfache Sachbeschädigung (StGB. § 303). Strafe: Geld bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Antragsdelikt. Antrag rücknehmbar, wenn gegen Angehörige (StGB. § 52 Abs. 2) verübt. 2. Beschädigung oder Zerstörung von res sacrae religiosae publicae (StGB. § 304). Das Gesetz nennt: Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Religions­ gesellschaft; Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet sind; Grab­ mäler, öffentliche Denkmäler; Gegenstände der Kunst, Wissenschaft, des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich ausgestellt sind; Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen (mögen sie auch nicht gerade zu diesem Zwecke bestimmt sein).8) Strafe: Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geld bis 5) Ebenso Merkel, Rüdorff,Olshausen; dagegen Lued er, Berner Meyer, Schütze, v. Schwarze. — Hälschner hat sich nunmehr auch der im Text vertretenen Ansicht angeschlossen. 6) Z. B. Tötung umherlaufender Hunde seitens Jagdberechtigter. ") Ebenso Merkel, Reber, Herzog, Hälschner; dagegen halten Olshausen, Schütze u. a. mit der früheren preuß. Praxis und dem Reichs­ gericht (II. S. 12. März 1880 1/306; III. S. 22. Juni 1881 IV/326; I. S. 18. Juni 1883 VIII/399) jeden für antragsberechtigt, welcher, mag er dinglich oder persönlich an der Sache berechtigt sein, durch die Beschädigung derselben unmittelbar verletzt wurde. (Der Antragsteller war im ersten der vom Reichsgericht entschiedenen Fälle berechtigt, an den beschädigten Wandpfeilern eines Hauses Firmenschilder anbringen zu lassen.) 8) Ebenso Olshausen und III. S. 30. Dezember 1881 V/318; wesentlich anders III. S. 25. Juni 1883 IX/26.

352

§ 102.

Delikte gegen Okkupationsrechte.

zu fünfzehnhundert Mark. Neben Gefängnis kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Nur des Zusammenhanges wegen — es fei dies ausdrücklich betont — ist dieser Fall mit der einfachen Sachbeschädigung unter den Eigentumsdelikten zu behandeln; die Richtung gegen den ein­ zelnen tritt völlig, die gegen das Eigentum hinter der Verletzung des öffentlichen Gebrauchsrechtes zurück. 3. Gänzliche oder teilweise Zerstörung (nicht Be­ schädigung) b oit in fremdem Eigentum stehenden Gebäuden, Schiffen, Brücken, Dämmen, gebauten Straßen, Eisenbahnen 9) oder anderen Bauwerken. Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monat. Hier ist der Charakter der einfachen Sachbeschädigung10) als eines gegen den einzelnen gerichteten Eigentumsdeliktes vollständig gewahrt; zu­ gleich aber bildet dieser dem code pen. Art. 437 entnommene Fall den Übergang von der Sachbeschädigung zu den gemeingefährlichen Delikten. 4. In einer ganzen Reihe von Fällen tritt die Bedeutung der Sachbeschädigung als eines Eigentumsdeliktes so sehr in den Hinter­ grund, daß die,Einreihung dieser Fälle unter andere Deliktsbegrisse oder ihre selbständige Behandlung angezeigt erscheint. Vgl. StGB. §§ 90 Zifs. 2, 133 ff., 168, 265, 274, 315 ff.; Forst- und Feld­ frevel u. s. w.

II. Strafbare Handlungen gegen (Dltlntpationsrechte. § 103. I. Verletzung des Jagdrechtes. 1. Die Geschichte dieses Deliktes beginnt erst mit dem Aus­ gange des Mittelalters. Während die gemeinrechtliche Praxis zumeist den Art. 169 der PGO. (Fischdiebstahl) analog zur Anwendung 9) oben § 97 II 4. -») vgl. I. S. 18. Juni 1883 VIII/399. *) Wächter, Jagdrecht und Jagdvergehen 1870 (Abhdlgn. der Leipziger Juristen-Fakultät I). Brunner HR. „Jagdrecht". — Wagner, Die preuß. Jagdgesetzgebung 1883 (Z. III S. 516).

Delikte gegen Okkupationsrechte.

§ 102.

353

brachte, schritt die Landesgesetzgebung, besonders des 17. und 18. Jahr­ hunderts, mit zahlreichen und zum Teil grausamen, aber zumeist ver­ geblichen Strafdrohungen gegen die „Wilddieberei" ein. Die theo­ retischen Zweifel an der wahren Natur des strafrechtlich-geschützten Rechtsgutes hemmten jedoch bis in die neueste Zeit eine allgemeine Übereinstimmung in bezug auf die systematische Stellung und prinzi­ pielle Auffassung des Deliktes, welches vom RStGB. in der Sammel­ rubrik „strafbarer Eigennutz" schlecht und recht untergebracht ist.2)3 2. Begriff.

Jagdrecht ist das Recht auf ausschließliche Okkupation jagd­ barer^) Tiere. Die Verletzung des Jagdrechtes ist daher' nur möglich, solange die Okkupation nicht erfolgte. An Wild in um­ schlossenem Gehege,4)*an gezähmten jagdbaren Tieren u. s. w. ist nur Diebstahl, nicht aber das Delikt des § 292 StGB, möglich. Die Verletzung des Jagdrechtes besteht in der Ausübung der Jagd an solchen Orten, an welchen zu jagen der Thäter nicht berechtigt ist. Maßgebend ist dabei das Gebiet, auf welchem das Wild, nicht dasjenige, auf welchem der Jäger sich befindet. Ich jage im eignen Revier, wenn ich das auf diesem sich aushaltende Wild von dem Gebiete meines Nachbars aus beschleiche?) Dagegen ist die Verfolgung des angeschossenen Wildes auf fremdes Gebiet rechtswidrige und strafbare Jagdfolge. Der Vorsatz muß das Bewußtsein der Widerrechtlichkeit (als Thatbestandsmerkmal) mit umfassen. „Ausübung der Jagd" begreift ein doppeltes: a) Schon das Aufsuchen und Verfolgen des Wildes,6) also das Nachstellen, Anschleichen, den Anstand, das Schlingen­ legen und Fallenstellen u. s. w. Mit diesen Handlungen ist das Verbrechen vollendet. b) Die wirkliche Okkupation jagdbarer Tiere, mag diese auf weidmännische Art erfolgen oder nicht. Hierher gehört also 2) Über den Schutz der Forst- und Jagdberechtigten vgl. unten § 173. 3) Welche Tiere „jagdbar" sind, ist nach dem lokalen Rechte zu beurteilen. Nicht jagdbare Tiere unterliegen dem freien Tierfange. 4) Es kommt eben darauf an, ob das Gehege die thatsächliche ausschließliche Herrschaft seines Besitzers wirklich begründet. Im wesentlichen übereinstimmend III. S. 16. April 1883 VIII/273. ö) III. S. 10. Juni 1882 VI/375. 6) III. S. 10. Juni 1882 VI/375. von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

354

§ 102.

Delikte gegen Okkupationsrechte.

auch das Ausnehmen von Jungen, das Ansichbringen von Fallwild u. s. w. Ob auch die Okkupation von Hirschstangen7) u. s. to., richtet sich nach dem geltenden Landesrechte. Verletzt ist in allen Fällen der Jagdberechtigte. 3. Die Arten. a) Einfacher Fall (StGB. Z 292). Strafe: Geld bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Antragsdelikt, wenn gegen einen Angehörigen (StGB. § 52 Abs. 2) begangen. Antrag rücknehmbar. b) Qualifizierter Fall (StGB. § 293), wenn dem Wilde nicht mit Schießgewehr oder Hunden, sondern mit Schlingen, Netzen, Fallen oder anderen Vorrichtungen nachgestellt, oder wenn das Vergehen während der gesetzlichen Schonzeit, in Wäldern, zur Nachtzeit (Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnen­ untergang) 8) oder gemeinschaftlich von mehreren9) begangen wird. Strafe: Geld bis zu sechshundert Mark oder Ge­ fängnis bis zu sechs Monaten. Antrag ist hier nicht er­ forderlich. 10) c) Wilddieberei (StGB. § 294): gewerbsmäßiges Betreiben des unberechtigten Jagens. Strafe: Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben welchem aus Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden kann. In allen drei Fällen ist (StGB. § 295) auf Einziehung des Ge­ wehrs, des Jagdgerätes und der Hunde, welche der Thäter bei sich geführt hat, ingleichen der Schlingen, Netze, Fallen und anderen Vorrichtungen zu erkennen, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, und ohne Unterschied ferner, ob diese Gegen­ stände zur Jagdausübung bestimmt waren oder nicht. n) ’) In Preußen nicht als Jagdausübung zu betrachten. 8) also die Zeit der Dunkelheit (anders beim Diebstahl). So im wesent­ lichen auch die gern. Meinung. ») oben § 50 Note 9. 10) Bei der klaren Fassung des § sollte darüber kein Zweifel sein. Den­ noch ist (oder war) die Frage lebhaft bestritten. Die richtige Ansicht vertritt, wie früher OT. in konstanter Praxis, so I. S. 23. Juni 1881 IV/330; ebenso Berner, Olshausen u. a. Dagegen Nissen, Merkel, Meyer, Schütze, Rüdorff, v. Schwarze, Geyer. n) III. S. 6. Dezember 1879 1/28.

Delikte gegen Okkupationsrechte.

§ 101.

355

d) Hierher gehören endlich noch StGB. § 368 Ziff. 10 u. 11: Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder Haft bis zu vierzehn Tagen trifft denjenigen, welcher et) ohne Genehmigung des Jagdberechtigten oder ohne sonstige Befugnis auf einem fremden Jagdgebiete außer­ halb des öffentlichen, zum gemeinen Gebrauche bestimm­ ten Weges, wenn auch nicht jagend, doch zur Jagd ausgerüstet, 12) betroffen wird; ß) unbefugt Eier oder Junge von' jagdbarem Federwild oder von Singvögeln ausnimmt. II. Verletzung des Rechts zur Okkupation von Fischen und Krebsen (auch die Austern-und Perlmuschelfischerei gehört hierher).13)

Auch hier handelt es sich um die Verletzung eines ausschließlichen Okkupationsrechtes, während der Eingriff in fremdes Eigentumsrecht als Diebstahl erscheint. So hatte schon PGO. (Art. 169) im An­ schlüsse an die Auffassung des deutschen Mittelalters,14) das Weg­ nehmen von Fischen „aus Weihern oder Behältnissen" als Diebstahl erklärt und davon den Fall unterschieden, wenn jemand „aus einem fließenden, ungefangenen Wasser Fische finge, das einem anderen zustünde". Auch nach geltendem Rechte muß, abweichend vom preuß. StGB., das Schwergewicht darauf gelegt werden, ob nicht die Ok­ kupation bereits stattgefunden hat; Fische in geschlossenen Teichen sind Gegenstand des Diebstahls.l5) Das RStGB. unterscheidet

1. Einfaches unberechtigtes Fischen oder Krebsen (StGB. § 370 Ziff. 4). Strafe: Geld bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft. 2. Unberechtigtes Fischen oder Krebsen zur Nachtzeit oder unter Anwendung schädlicher oder explodierender Stoffe (StGB. § 296). Hierher gehören nach dem preuß. Fischereigesetz vom 30. Mai 1874 „giftiger Köder oder Mittel zur Betäubung oder Vernichtung der Fische, Sprengpatronen oder andere Sprengmittel".

(Z.

12) Vgl. I. S. 7. Januar 1884 IX/412. ”) Staudinger, Der Fischereischutz durch die Strafgesetzgebung 1881 I S. 364). u) Sachsenspiegel II, 28, 1. ,s) II. S. 5. Februar 1884 X,78.

356

§ 102.

Delikte gegen Okkupationsrechte.

Strafe: Geld bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. 3. Ausländer, welche in den deutschen Küstengewässern un­ befugt

fischen, trifft die

unter 2

angegebene Strafe,

auch wenn

keiner der erschwerenden Umstände des § 296 vorliegt (StGB. § 296a). Durch diesen von der Novelle von 1876 eingefügten Paragraphen wird, übereinstimmend mit den Grundsätzen des modernen Völkerrechts, die Fischerei in den deutschen Küstengewässern (also bis auf drei- See­ meilen von dem äußersten Punkte der Ebbe) den Inländern vor­ behalten und zugleich der Strasschutz für das so geschaffene Rechts­ gut bestimmt. Neben der Geld- oder Gefängnisstrafe ist auf Einziehung der Fanggeräthe, welche der Thäter bei dem unbefugten Fischen bei sich geführt hat, ingleichen der in dem Fahrzeuge enthaltenen Fische zu erkennen, ohne Unterschied, ob die Fanggeräthe und Fische dem Verurteilten gehören oder nicht. 4. Die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee außer­ halb der Küstengewässer erfolgte durch einen internationalen Vertrag, geschlossen am 6. Mai 1882 zwischen Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, England, Holland. Das deutsche Ausführungs­ gesetz vom 30. April 1884 dehnt die Bestimmungen der §§ 6—23 dieser Konvention

auf die zur Seefischerei bestimmten Fahrzeuge

auch für die Zeit aus, während welcher sich diese in den zur Nord­ see gehörigen deutschen Küstengewässern aufhalten. Zuwiderhand­ lungen (auch gegen die vom Kaiser erlassenen Ausführungsverord­ nungen)

werden, soweit nicht

nach allgemeinen Strafgesetzen eine

höhere Strafe verwirkt ist, mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.

Im Falle des

Führens oder Gebrauchs verbotener Werkzeuge oder Geräte ist außer­ dem auf Einziehung dieser zu

erkennen,

sie dem Verurteilten gehören oder nicht.

ohne Unterschied,16) ob Ist die Verfolgung oder

Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden. III. Die Verletzung des Bergrechts^) ist reichsrechtlich gar nicht,

landesgesetzlich nur teilweise behandelt.

Für Preußen

verdient Erwähnung das Gesetz vom 22. Februar 1867, betr. die Bestrafung der unbefugten Aneignung von Bernstein.

H^oben Z 60 III, 1. 17) Leuthold HR. „Bergrecht".

Der Vertragsbruch.

§ 103.

357

ni. Strafbare Handlungen gegen Forderimgsrrchte. § 103. 1. Der Vertragsbruch. 4) I. Im römischen Rechte bei den contractus famosi (Man­ dat, Depositum, Sozietät, Tutel) mit der Infamie belegt,*2) im mittelalterlich deutschen Rechte vielfach mit Bußsätzen be­ droht, bleibt der Vertragsbruch sowohl im gemeinen Recht als auch in der modernen Gesetzgebung im allgemeinen straflos. Landesrechtlich finden sich zwar in Dienstbotenordnungen und auf verwandten Gebieten Strafdrohungen gegen einzelne Arten des Ver­ tragsbruches; aber der allgemeine Begriff fehlt. Und als in kurz­ vergangener Zeit (1874) die Strafbarkeit des Arbeitervertragsbruches de lege ferenda erörtert wurde, erwies sich die von apriorischen Konstruktionen ausgehende deutsche Kriminalistik als unfähig, die Frage zu einer befriedigenden Lösung zu bringen. II. Die Reichsgesetzgebung bedroht den Vertragsbruch nur in wenigen vereinzelten Fällen, deren Strafbarkeit aber mit einer ein­ zigen Ausnahme (unten als dritter Fall angeführt) auf einem andern Gesichtspunkte als dem der Nichterfüllung des geschlossenen Ver­ trages beruht. Es gehören hierher: 1. Die Nichterfüllung von gewissen mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsvertrügen (StGB. § 329); vom Gesetze als gemeingefährliches Delikt behandelt.3)4 2. Der Eidesbruch (StGB. § 162), der wegen seiner Rich­ tung gegen die Rechtspflege unter Strafe gestellt ist. 4) 3. Der Bruch des Heuervertrags, der einzige Fall des *) Lüning, Der Vertragsbruch und seine Rechtsfolgen, I. Der Vertrags­ bruch im deutschen Recht 1876. Sickel, Die Bestrafung des Vertragsbruches und analoger Rechtsverletzungen in Deutschland 1876. Lueder, Bestrafung des Arbeiterkontraktbruches 1875. Wiß, Die Arbeiter und die Strafbarkeit des Kontraktbruches 1876. Schriften des Vereins für Sozialpolitik VII (Gutachten von Roscher, Schmoller, Wächter u. a. über den Arbeits­ kontraktbruch). 2) 1. 1, 1. 6 §§ 5-7 D. 3, 2. 3) unten § 143. 4) unten § 184 I. Als „treulose Vertragsverletzung", mithin als Untreue wird der Eidesbruch aufgefaßt von v. Wächter, Schütze, v. Liszt, Falsche Aussage S. 35. Seine Stellung unter die Delikte gegen die Rechtspflege ergibt sich aus der positivrechtlichen Beschränkung seiner Strafbarkeit.

358

§ 104.

Die Untreue.

Vertragsbruchs, der als solcher mit Strafe bedroht ist. Der Bruch des Heuervertrages wird: a) Mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft, wenn die Heuer bereits gegeben war, und der Schiffsmann mit derselben entläuft oder sich verborgen hält, um sich dem übernommenen Dienste zu entziehen, und zwar ohne Unterschied, ob das Ver­ gehen im Jnlande oder im Auslande begangen ist (StGB. § 298).5) Durch den letzteren Zusatz wird der Eintritt der Strafe unabhängig gemacht von der sonst nach § 4 StGB, erforderlichen Strafbarkeit der Handlung am Orte der That. Der gesetzgeberische Grund liegt in der Straflosigkeit dieses Deliktes nach englischem und amerikanischem Recht. b) Die anderen Fälle des Bruches des Heuervertrages werden nach § 81 Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 auf Antrag des Schiffers mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark (bez. sechzig Mark) oder Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft.

§ 104. 2 Die Untreue. **) I. Geschichte. Die geschichtliche Entwickelung der Untreue knüpft einerseits an den Vertragsbruch, anderseits an die Unterschlagung an. Der die „Veruntreuung" behandelnde Art. 170 der PGO. enthielt ungeschieden Unterschlagung und Untreue in sich, während die R.Polizeiordnungen den ungetreuen oder fahrlässigen Vormund mit Strafe bedrohten. Im 17. und 18. Jahrhundert vielfach als qualifizierter Fall des erweiterten Betrugsbegriffes aufgefaßt (so auch im preußischen Landrecht), gewinnt die Untreue allmählich im 19. Jahrhundert unter dem Einflüsse des Code pen. (art. 408: abus de confiance) selbständige Stellung. Das RStGB. (§ 266) schließt sich zum Teil an das preußische, zum Teil aber auch an das sächsische StGB. (Art. 287 Abs. 2) an. Die Untreue des Sach­ walters (die praevaricatio des tönt. Rechtes) ist im Gesetz in 6) StGB. § 298: Da aber die hier gegebene Bestimmung in den §§ 81 Abs. 3 und 100 Abs. 1 der Seemannßordnung vom 27. Dezember 1872 in­ haltlich wiederholt ist, muß § 298 als aufgehoben betrachtet werden. *) v. Stemann, Unterschlagung und Untreue 1870. Wahlberg, Gesetz­ gebungsfragen in betreff der Untreue 1876 (Ges. kl. Schriften II S. 183 ff.).

Die Untreue.

§ 104.

359

durchaus verkehrter Weise zu den Amtsdelikten gestellt, richtig aber als ein Fall der Untreue zu behandeln. Die gewerblichen Hilfskassen und Versicherungskassen sowie die Aktien- und Kommanditgesellschaften auf Aktien bieten in ihren kompli­ zierten Verhältnissen reichliche Gelegenheit zur Vernachlässigung an­ vertrauter Interessen. Die moderne Gesetzgebung knüpft daher vielfach ihre Strafdrohungen, deren Zweck Schutz dieser Interessen ist, an den Begriff der Untreue an.2) II. Die Untreue im engern und eigentlichen Sinne behandelt StGB. § 266. Sie erscheint als die Verletzung der aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältnissen entspringenden Pflicht zur Wahrnehmung anvertrau­ ter fremder Vermögensinteressen. Sie unterscheidet sich von dem Vertragsbruch, der als ein­ fache Nichterfüllung erscheinen kann, durch ihre positive Richtung gegen fremde Interessen; von der Unterschlagung, welche Eigen­ tumsdelikt ist, durch ihre Richtung gegen fremde obligatorische Ansprüche. Die Untreue ist gerichtet gegen die Ansprüche andrer auf Wahr­ nehmung ihrer Vermögensinteressen. Nur solche, nicht aber etwa die Interessen an sittlich ernster Erziehung, an tiefer Bildung von Geist und Gemüt, an Stählung der Gesundheit und Ent­ wickelung der Körperkraft sind Angriffsobjekt der Untreue, die eben darum Vermögensdelikt ist.3) Und da diese Ansprüche aus Ver­ trägen oder aber aus vertragsähnlichen Verhältnissen entspringen, find wir berechtigt, die Untreue innerhalb der Vermögensdelikte im unmittelbaren Anschlüsse an den Vertragsbruch unter die strafbaren Handlungen gegen Forderungsrechte einzureihen. Nach StGB. § 266 trifft Gefängnis mit fakultativer Ab­ erkennung der bürgerlichen Ehrenrechte: a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massenver­ walter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, wenn sie absichtlich zum Nachteile der ihre Ansicht anvertrauten Personen oder Sachen handeln; b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Ver=) unten III, IV, V und VI. Sehr bestritten. A. A. (unter andern) H. Meyer. Richtig Olshausen, Berner, Merkel, Rüdorff, Hälschner u. a.

§ 104.

360

Die Untreue.

mögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nachteile des­ selben verfügen; c) Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaffner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andere zur Betreibung ihres Gewerbes von der Obrigkeit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen übertragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachteiligen, deren Geschäfte sie besorgen. In allen drei Fällen ist das

„absichtlich", welches an Stelle

des „vorsätzlich" in § 246 des preuß. StGB, getreten, eben einfach als „vorsätzlich" aufzufassen; es bezeichnet das Bewußtsein der Kausalität, nicht aber das Motiv des Handelns. H Die Untreue ist qualifiziert — neben Gefängnis fakultativ Geld­ strafe bis zu dreitausend Mark — wenn sie begangen wird, um4 5)6 sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil5) zu verschaffen. III. Nach dem Gesetz über eingeschriebene Hilfskassen vom 7. April 1876, abgeändert durch Gesetz vom 1. Juni 1884 § 34, unterliegen Mitglieder des Vorstandes oder des Ausschusses, welche absichtlich zum Nachteile der Kasse gehandelt haben, Strafbestimmung des § 266 StGB.

der

IV. Nach dem Reichsgesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 § 42 hasten die Mitglieder des Vor­ standes sowie Rechnungs» und Kassenführer der Kasse7)8 für pflicht­ mäßige Verwaltung wie Vormünder ihren Mündeln. Handeln sie absichtlich zum Nachteile der Kasse, so unterliegen sie der Bestimmung des § 266 StGB.5) V. Das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 bestimmt gleichfalls in § 26: Die Mitglieder der Genossenschaftsvorstände sowie die Vertrauensmänner haften der Genossenschaft für getreue

4) Ebenso III S. 28. Januar 1880 1/172; II. S. 21. November 1882 VII/279.

I. S. 23. März 1880 1/329;

21.21. Merkel.

Im Resultate überein­

stimmend Hälschner. 6) Motiv. *) unten § 109 II3. Daß derselbe ein rechtswidriger sei, verlangt das Gesetz sonderbarerweise nicht. 7) Gilt

für

die Orts-Krankenkassen,

die Betriebs- (Fabrik-) und Bau­

krankenkassen, die Jnnungskrankenkasse sowie für fortbestehende ältere Zwangs­ kassen. 8) Die übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes siehe unten § 194.

Die Untreue.

§ 104.

361

Geschäftsverwaltung wie Vormünder ihren Mündeln. Handeln sie absichtlich zum Nachteile der Genossenschaft, so unterliegen sie der Strafbestimmung des § 266 StGB?) VI. Eine wesentlich strengere Strafe droht § 249 des Gesetzes betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesell­ schaften in der Faffung von 1884, welcher den Thatbestand der Un­ treue nach § 266 StGB, im übrigen unverändert beibehält. Danach werden persönlich haftende Gesellschafter, Mitglieder des Aufsichts­ rats und Liquidatoren einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, sowie Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats und Liquidatoren einer Aktiengesellschaft, wenn sie absichtlich zum Nachteile der Gesell­ schaft handeln, mit Gefängnis und zugleich mit Geldstrafe bis zu zwanzigtausend Mark") bestraft. Zugleich kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.") VII. Die Untreue des Sachwalters. Das römische Recht hatte zwei Fälle unterschieden: die praevaricatio propria oder die Bestechung des Anklägers in einem Judicium publicum, und die praev. impropria oder die ungetreue Sachwaltung des advocatus oder patronus. Die PGO. behandelt in Art. 115 nur den zweiten dieser Fälle, und zwar im Zusammenhange mit den Fälschungsdelikten (wie das auch schon die Italiener gethan hatten). Die neuere Ge­ setzgebung pflegte die Prävarikation wegen der amtlichen Stellung des Anwaltes zu den Amtsdelikten zu rechnen. Das RStGB. hat diese Stellung beibehalten, obwohl ihr Grund hinweggefallen ist. Nach § 356 trifft Gefängnis nicht unter drei Monaten den Advo­ katen, Anwalt oder anderen Rechtsbeistand, der bei den ihm vermöge seiner amtlichen (?) Stellung anvertrauten Angelegenheiten in der­ selben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflicht­ widrig dient. Handelt er im Einverständnisse mit der Gegenpartei zum Nachteile seiner Partei, so tritt Zuchthaus bis zu fünf Jah­ ren ein. °) Die übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes siehe unten § 124 und 194. ,0) oben § 67 Note 2. “) Die übrigen Bestimmungen des Gesetzes vgl. unten § 193.

362

§ 105.

Der Bankbruch.

Geschichte und Begriff.

§ 105. 3. Der Bankbruch. Geschichte und Begriff.J) I. Die kriminelle Haftbarkeit desflüchtigen zahlungsunfähigen Schuldners tritt erst seit dem Ausgange des Mittelalters zunächst in den Stadtrechten neben die allmählich immer mehr gemilderte zivil­ rechtliche Personal-Exekution. Die RPolizeiordnungen von 1548 und 1577 bilden die Grundlage für zahlreiche Bankrott-Edikte und -Mandate in den verschiedenen deutschen Ländern, während die Reichsschlüsse von 1668 und 1670 nicht Gesetzeskraft erlangten und die Gesetzgebung zu Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts über unklare und kasuistische Bestimmungen nicht hinauskam. Die neuere Gesetzgebung steht vorzugsweise unter dem Einflüsse des französischen Rechts (code de comm. art. 593 ff., c. pen. art. 402 ff.). Diesem entstammt auch die in das preuß. StGB, von 1851 und in das RStGB. übergegangene Beschränkung der Strafbestimmungen auf den kaufmännischen Bankbruch. Erst die RKonk.O. vom 10. Februar 1877, deren §§ 209 — 212 an Stelle der §§ 281—283 des RStGB. getreten sind, kehrte zurück zu der schon im preuß. ALR. sich findenden Gleichstellung des Nicht­ kaufmannes mit dem Kaufmann, welche um so notwendiger gewor­ den, seitdem durch das Gesetz vom 29. Mai 1868 die Schuldhaft für das ganze Reichsgebiet aufgehoben worden war. II. Der Bankbruch gehört zu denjenigen Delikten, deren be­ griffliche Entwickelung eben im Flusse begriffen ist, ohne daß Gesetz­ gebung und Wissenschaft zu abschließenden Resultaten gelangt wären. Gerade darum bietet er der juristischen Konstruktion wie der praktischen Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen größere Schwierigkeiten als andere, zu endgültiger Gestaltung gelangte, Verbrechensbegriffe. 1. Bankbruch ist — wenn wir vom positiven Rechte absehen — i) Köstlin, Abhandlungen 1858 S. 362 ff.; Derselbe GA. V (1857), VI (1858). Hälschner GA. XVIII (1870). Seeger GA. XX (1872). Merkel HH. III S. 812, IV S. 450. Köhler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz 1884 (Z. IV S. 333). v. Hoiningen gen. Hüne, Beiträge zur geschichtlichen Entwickelung des strafbaren Bankrotts in Deutschland 1878. Vgl. auch Löning, Vertragsbruch S. 215 f., Hälschner II S. 398. Die Kommentare zur Konk.O. bieten wenig oder nichts.

Der Bankbruch.

Geschichte und Begriff. § 105.

363

Verletzung der Forderungsrechte der Gläubiger, be­ gangen von fetten des Schuldners durch vorsätzliche oder fahrlässige Verminderung des eignen Vermögens. Die Forderungen der Gläubiger sind das eigentliche Ängriffsobjekt des Bankbruches; sie werden getroffen in dem schuldnerischen Ver­ mögen selbst, als dem Mittel ihrer Befriedigung.23) Der Bankbruch ist mithin unzweifelhaft Vermögensdelikt, und zwar gerichtet gegen o b li gatorische Ansprüche; mag er auch in seinen Folgewirkungen, über die Vermögensinteressen der Nächstbe­ teiligten hinausgreifend, eine Erschütterung der publica fides, der Sicherheit des Kreditwesens in weiteren, nicht abgegrenzten und nicht abzugrenzenden Kreisen herbeiführen.3) Je nachdem die Verminderung des eignen Vermögens zu dem Zwecke erfolgt, um die Ansprüche der Gläubiger zu schädigen oder nicht, würden wir zwei Arten des Bankbruches, einen qualifizierten und einen einfachen Fall zu unterscheiden haben. 2. Das positive Recht hat den Begriff des Bankbruches in ab­ weichender Weise gestaltet. Danach liegt strafbarer Bankbruch vor, wenn Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben oder über deren Vermögen das Konkursver­ fahren eröffnet worden ist, gewisse (int Gesetze genau be­ zeichnete) Handlungen begangen haben. Eine Vergleichung dieser positiv rechtlichen Begriffsbestimmung mit der theoretischen ergibt interessante Resultate. a) An Stelle unsres allgemeinen Erfordernisses: „Verletzung der Forderungsrechte" setzt das positive Recht eine be­ stimmt bezeichnete Thatsache: „Zahlungseinstellung oder Kon­ kurseröffnung". Das heißt: Der Gesetzgeber schneidet die Erörterung der Frage, ob int Einzelfalle eine Verletzung der gläuberischen Ansprüche stattgefunden hat, ein für allemal ab. Er nimmt die Verletzung ohne weiteres als gegeben an, wenn diese Thatsache eingetreten ist; er betrachtet sie ohne weiteres 2) Das Reichsgericht hat diesen Standpunkt mit aller Bestimmtheit betont; so II. S. 1. April 1881 IV/41; insbes. aber II. S. 17. März 1882 VI/94. Durchaus richtig bezeichnet das holländ. StGB, den Bankbruch als „Benach­ teiligung voy Gläubigern oder Interessenten". 3) Unrichtig ist mithin die allerdings beliebte Auffassung des Bankbruchs als eines gegen „Treu und Glauben" gerichteten Deliktes. Richtig Hälschner.

364

§

105.

Der Bankbruch.

Geschichte und Begriff.

als ausgeschlossen, wenn die Thatsache nicht eingetreten ist. Der praktische Wert dieser Annahme dürfte ebenso klar sein wie ihre theoretische Bedenklichkeit. Die vom Gesetzgeber geforderte Thatsache umschließt eine doppelte Eventualität: a) Die Konkurseröffnung, welche nach § 94 Konk.O. durch Zahlungsunfähigkeit des Schuldners be­ dingt ist; d. h. durch die (thatsächlich vorhandene) Un­ fähigkeit, die Mittel zur Bezahlung fälliger Geldschulden herbeizuschaffen. ß) Die Zahlungseinstellung, das ist die Nichterfüllung einer fälligen Verpflichtung auf Grund wirklicher, ver­ meintlicher oder fingierter Zahlungsunfähigkeit, daher zu unterscheiden einerseits von der wirklichen Unfähig­ keit zur Erfüllung der schwebenden Verbindlichkeiten, anderseits von der Überschuldung, dem Überstiegen­ sein der Aktiva durch die Passiva. *) b) An Stelle unsres allgemeinen Erfordernisses: „durch vor­ sätzliche oder fahrlässige Verminderung des eignen Vermögens" setzt das positive Recht eine ganze Reihe einzelner, genau bezeichneter Handlungen, welche regel­ mäßig, wenn auch nicht immer, eine Verschlechterung oder doch eine Gefährdung der Vermögenslage herbeiführen. Die Folge dieser kasuistischen Fassung ist der Ausschluß aller andern, wenn auch durchaus gleichwertigen Handlungen. 3. Aus dem so festgestellten Begriffe des Bankbruches ergeben sich folgende Konsequenzen. a) Zahlungseinstellung, bez. Konkurseröffnung ist objektive Bedingung der Strafbarkeit.^) Die Gesamtheit der an derselben Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) be­ teiligten Gläubiger ist Trägerin des angegriffenen Rechts­ gutes. 4) Was Fitting, Reichskonkursrecht 1881 § 35 Note 4 gegen die 1. Aust, einwendet, beruht auf einem Übersehen dieser unter u und ß getrennten doppelten Eventualität. Über den Begriff der Zahlungseinstellung vgl. II. S. 11. Januar 1881 III/191, III. S. 22. Januar 1881 III/294 (übereinstimmend mit dem Texte). 5) Vgl. oben § 42.

Der Bankbruch.

Geschichte und Begriff.

§ 105.

365

b) Durch diese Bedingung der Strafbarkeit werden die sämt­ lichen

etwa

vom Gemeinschuldner begangenen Einzelhand­

lungen zu einer juristischen Handlungseinheit«) zu­ sammengefaßt. Und daraus folgt weiter:

a) Wenn ein Schuldner mit Rücksicht auf dieselbe Zahlungseinstellung (Konkurseröffnung) mehrere der vom Gesetze in demselben Paragraphen bezeichneten Handlungen begangen hat (z. B. Vernichtung

Differenzspiel und

der Handelsbücher), so

liegt nur eine

strafbare Handlung, nicht Realkonkurrenz mehrerer vor.

ß) Solange es sich um dieselbe Zahlungseinstel­ lung (Konkurseröffnung) handelt, können nicht zwei Bankbrüche angenommen werden, mag auch der That­ bestand des einfachen wie der des qualifizierten Falles vorliegen; der Schuldner hat sich vielmehr nur eines Bankbruches, und zwar des schwereren Falles schuldig gemacht.6 7)8 c) Kausalzusammenhang zwischen den Einzelhandlungen des Schuldners und der Zahlungseinstellung (oder Konkurs­ eröffnung) braucht nicht zu bestehen. d) Schuld in bezug auf die eingetretene Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) ist weder als Vorsatz noch als Fahr­ lässigkeit erforderlich. e) Die vom Gesetze bezeichneten Handlungen können der Zah­ lungseinstellung (Konkurseröffnung) zeitlich vorangehen oder ihr nachfolgen; im ersten Falle ist das Delikt mit der Zah­ lungseinstellung, im letzteren mit der Vornahme der betreffen­ den Handlung vollendet.^)

Versuch ist nach allgemeinen

6) oben § 56 II, 3. 7) Diese früher lebhaft bestrittene Frage kann nunmehr wohl als erledigt betrachtet werden. VI,94:

Mit größter Bestimmtheit sagt II. S.

17. März 1882

„Gegenüber derselben Zahlungseinstellung kann das Delikt... nur

einmal begangen werden, und eine reale Konkurrenz zwischen dem betrügerischen und dem einfachen Bankrott ist ebensowenig denkbar wie zwischen den einzelnen Formen, in welchen ein jedes dieser Delikte begangen werden kann." — Im Resultate, aber nicht in der Begründung übereinstimmend Berner, Hälschner u. a.

Abweichend Merkel.

8) So bestimmt I. S. 26. Juni 1882 VII, 392, während frühere Reichsger.Entschdgn. bedenklich schwanken.

366

§ 106.

Die Arten des Bankbruches.

Grundsätzend) anzunehmen, wenn die Bedingung der Straf­ barkeit eingetreten ist, die Einzelhandlung aber unvollendet blieb oder fehlschlug. 4. Subjekt des Deliktes ist nach der Konk.O. jeder Schuldner, nicht bloß der Kaufmann. Auch Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, sowie die Liqui­ datoren einer Handelsgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft, welche ihre Zahlungen eingestellt hat oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, können sich des Bankbruches schuldig machen, wenn sie in dieser Eigenschaft die mit Strafe be­ drohten Handlungen begangen haben (Konk.O. § 214). 5. Art und Zeitpunkt der Begehung sind nach den für die juristische Handlungseinheit gegebenen allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. 6. Für die Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln, soweit nicht § 212 Konk.0.10) eingreift. § 106.

Die Arten des Bankbruches.

In herkömmlicher Weise unterscheidet das Gesetz zwei Arten des Bankbruchs. I. Der einfache Bankbruch (Konk.O. § 210). Er liegt, die Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung vorausgesetzt, vor, wenn der Schuldner: 1. durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waren oder Börsenpapieren (nicht bloß das eigentliche Differenzgeschäft, sondern auch effektive Lieferungsgeschäfte, wenn auf unsolider Spekulation beruhend, gehören hierher)1) übermäßige Summen verbraucht hat oder schuldig geworden ist; 2. wenn er Handelsbücher zu führen unterlassen hat, deren Führung ihm gesetzlich oblag,2) oder dieselben verheimlicht, vernichtet oder so unordentlich geführt hat, daß sie keine Übersicht des Vermögensstandes gewähren; °) oben § 44 Note 17. 10) unten § 107 II. >) II. S. 31. März 1880 1/282. 2) Vgl. HGB. Art. 28. — Unkenntnis der Verpflichtung entschuldigt nicht. I. S. 8. Februar 1883 VIII147. Dagegen Hälschner.

Die Arten des Bankbruches.

§ 106.

367

3. wenn er es gegen die Bestimmung des Handelsgesetzbuchs unterlassen hat, die Bilanz seines Vermögens in der vor­ geschriebenen Zeit zu ziehen.8) Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren. Ganz verkehrt ist es, diesen Fall des Bankbruchs als fahr­ lässigen Bankbruch zu bezeichnen. Die einzelnen Handlungen müssen vielmehr alle vorsätzlich, d. h. mit dem Bewußtsein ihrer Kausalität begangen fein.*4)** Fahrlässigkeit aber in bezug auf die Zahlungseinstellung (oder Konkurseröffnung) kann aus den o6en6) angegebenen Gründen nicht gefordert werden. II. Der sog. betrügerische Bankbruch (Konk.O. § 209). Zu der Thatsache der Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung muß — außer den vom Gesetz bezeichneten Handlungen — die Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen, d. h. in ihren Ansprüchen zu schädigen, hinzutreten. Die Strafe — Zuchthaus, bei mildernden Umständen Ge­ fängnis nicht unter drei Monaten — trifft jenen Schuldner, welcher: 1. Vermögensstücke, seien es bewegliche oder auch unbewegliche6) Sachen, seien es Forderungen,7) verheimlicht oder beiseite geschafft, d. h. der Verfügung der Gläubiger entzogen hat; 2. Schulden oder Rechtsgeschäfte anerkannt oder aufgestellt hat, welche ganz oder teilweise erdichtet sind; 3. Handelsbücher zu führen unterlassen hat, deren Führung ihm gesetzlich oblag; 4. seine Handelsbücher (auch wenn er zur Führung nicht ver­ pflichtet war) vernichtet, verheimlicht oder so geführt oder verändert hat, daß dieselben keine Übersicht des Vermögens­ standes gewähren. 5) Der Unterlassung der Bilanzziehung steht die Nichtunterzeichnung der­ selben durchaus nicht gleich. Ver. Str.Senate 20. Juni 1883 VIH/425. 4) Daß die Bezeichnung „fahrlässiger Bankbruch" durchaus unpassend sei, erklärt auch III. S. 17. September 1881 IV/418 und III. S. 1. Februar 1882 V/407. Dagegen sehen beide Entschdgn. mit Unrecht von jeder Verschuldung in bezug auf die Einzelhandlungen ab. ») § 105 II 3 d. «) II. S. 22. Juni 1880 11/118. ') II. S. 30. November 1883 IX/231.

368

§ 107.

Dem Bankbruche verwandte Delikte.

§ 107. Dem Bankbruche verwandte Delikte. Die Konkursordnung stellt mit dem Bankbruche als mehr oder weniger ihm verwandt noch folgende strafbare Handlungen zusammen: I. Die sog. Gratifikation (Konk.O. § 211). Gefängnis bis zu zwei Jahren trifft jenen Schuldner, welcher — Zahlungs­ einstellung oder Konkurseröffnung vorausgesetzt — obwohl er feine Zahlungsunfähigkeit kannte, einem Gläubiger in der Absicht, ihn vor den übrigen zu begünstigen, eine Sicherung oder Be­ friedigung gewährt hat, welche derselbe nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Auch dieses Delikt entspricht dem allgemeinen Schema des Bankbruchs: Verletzung der gläubigerischen Ansprüche durch Ver­ minderung des eignen Vermögens. Aber es hält die Mitte zwischen den beiden Arten des Bankbruchs. Von dem einfachen wird es ge­ schieden durch das dem Thäter innewohnende Bewußtsein, daß seine Handlung eine Verminderung des eignen Vermögens als des Be­ friedigungsobjektes der Gläubiger bedeute; von dem qualifizierten durch den Mangel der Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen, an deren Stelle die Absicht tritt, einen der Gläubiger vor den übrigen zu begünstigen. Mit dieser Absicht ist das Bewußtsein (also Vorsatz, nicht Absicht), die übrigen Gläubiger zu benachteiligen, untrennbar verbunden. ’) Teilnahme dritter Personen ist nach allgemeinen Grundsätzen möglich. Insbesondere kann auch der begünstigte Gläubiger selbst als Anstifter oder Gehilfe erscheinen.*2)* Doch muß, damit dies möglich, seine Thätigkeit über die vom Gesetze eben einmal nicht bestrafte notwendige Teilnahme hinausgehen. *) II. Teilnahme dritter Personen am Bankbruche des Schuldners wird im allgemeinen nach den gewöhnlichen Grundsätzen behandelt.4) Doch hat das Gesetz (Konk.O. § 212) gewisse Fälle als delicta sui generis unter besondere Strafe gestellt und damit von den sonstigen Voraussetzungen der Teilnahme losgelöst: .') II. S. 10. Oktober 1882 VII/142. 8) III. S. 21. Dezember 1881 V/276; II. S. 10. Februar 1882 V/435. 8) Vgl. oben § 48 Note 7. Einfache Annahme genügt daher nicht. II. S. 12. November 1880 11/439. 4) I. S. 17. Januar 1884 IX/430.

Die Vereitelung der Zwangsvollstreckung.

§ 108.

369

mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis oder mit Geld bis zu sechstausend Mark wird bestraft, wer: 1. im Interesse des Schuldners — Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung auch hier vorausgesetzt — Vermögensstücke desselben verheimlicht oder beiseite geschafft hat; oder 2. im Interesse eines solchen Schuldners, oder um sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Ver­ mögensvorteil 5) zu verschaffen, in dem Verfahren erdichtete Forderungen im eignen Namen oder durch vorgeschobene Personen geltend gemacht hat. Versuch und Teilnahme an diesem selbständigen Delikte sind der allgemeinen Regel gemäß möglich. Versuch ist anzu­ nehmen, wenn die Teilnahmehandlung unvollendet blieb oder fehlschlug, die Bedingung der Strafbarkeit aber dennoch eingetreten ist. III. An den Bankbruch des Schuldners reiht das Gesetz noch ein besonderes Delikt des Konkursgläubigers an, welches sich als eine abstrakte Gefährdung der Interessen der Mitgläubiger darstellt: den Stimmenkauf (Konk.-O. § 213): Ein Gläubiger, welcher sich von dem Gemeinschuldner oder anderen Personen besondere Vor­ teile dafür hat gewähren oder versprechen lassen, daß er bei den Abstimmungen der Konkursgläubiger in einem gewissen Sinne stimme, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Bevorstehende Abstimmung ist vorausgesetzt; mit dem Gewähren oder Versprechen tritt die Vollendung ein, mag auch die spätere Abstimmung der Verabredung nicht entsprechen; Teilnahme dritter Personen, insbesondere des Bestechenden, ist möglich. § 108. 4. Die Vereitelung der Zwangsvollstreckung. *)

Sowie die Strafbestimmungen gegen Bankbruch die Vereitelung der Generalexekution, so bedroht StGB. § 288 (welcher dem Art. 310 des sächs. StGB, von 1868 nachgebildet ist) die Vereite­ lung der S p e z i a l exekution. Daher ist auch das Angriffsobjekt dort und hier nahe verwandt: dort die obligatorischen Ansprüche b) Begriff unten § 109 II 3.

') Merkel HH. III S. 834. von Liszt, Strafrecht. 2. Ausl.

370

§ 109.

Der Betrug.

Geschichte und Begriff.

der sämtlichen Konkursgläubiger, hier das Forderungsrecht des einzelnen vor der Zwangsvollstreckung stehenden Gläubigers.^) Nach § 288 StGB, liegt Exekutionsvereitelung vor, wenn jemand bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung, in der Absicht s) die Befriedigung des Gläubigers^) (aus dieser Zwangsvollstreckung, nicht notwendig überhaupt)25)63zu 4 vereiteln, Bestandteile seines Ver­ mögens veräußert oder beiseite schafft.°) Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren. Antragsdelikt. Die Zwangsvollstreckung ist eine drohende, sobald der Gläu­ biger Schritte zur gerichtlichen Eintreibung seiner Forderung gemacht hat; Klagerhebung kann genügen, Beginn des Vollstreckungsverfahrens ist nicht erforderlich?)

IV. Strafbare Handlungen gegen das Vermögen Überhaupt. § 109. !♦ Der Betrug. Geschichte und Begriff. *) I. Der nachhadrianischen Zeit gehört die Entstehung eines neuen römischrechtlichen Deliktsbegriffes, des stellionatus (D. 47, 2) Dagegen handelt es sich bei dem im übrigen nahe verwandten Delikte des § 137 StGB, um die Mißachtung der staatlichen Autorität (vgl. unten § 176 VII). 3) „Absicht" muß wohl auch hier als treibendes Motiv genommen werden. Wer demnach lediglich um einen Gläubiger zu befriedigen handelt, fällt nicht unter § 288. A. A. III. S. 5. November 1879 1/96 und die 1. Aust. 4) Gläubiger ist hier im weiteren, nicht technischen Sinne zu nehmen. II. S. 9. November 1883 IX/164. 6) II. S. 3. Oktober 1882 VII/62. 6) Vgl. oben § 106 II 1. "') So im allgem. das Reichsger., insbes. II. S. 16. Dezember 1879 1/37; Merkel, Berner u. a. Im einzelnen gehen die Ansichten noch weit aus­ einander. *) Cucumus, Archiv 1835. Escher, Die Lehre vom strafbaren Betrug 1840. Köstlin, Abhandlungen 1858. Freund, Lug und Trug 1863. Ortloff, Lüge, Fälschung und Betrug 1862. Merkel, Kriminalistische Abhand­ lungen II. 1867. Derselbe, HH. III S. 750, IV S. 432. Gryciecki, Studien über den strafbaren Betrug 1870. Zimmermann, GS. XXIX (1877) S. 120. Feige, GA. XXVI (1878) S. 103. Waag, GS. XXXI (1879) S. 242.

Der Betrug. Geschichte und Begriff. § 109.

371

20; C. 9, 34; von dem stellio ignotus abgeleitet) an, welcher, als crimen extraord. neben die zivilrechtliche actio doli tretend, die Grundlage für den heutigen Begriff des Betruges bildet. Das spätrömische Recht selbst hat den Begriff nur wenig entwickelt; sicher ist nur, daß eingetretene Vermögensbeschädigung und eine gewisse calliditas des Thäters gefordert werden müssen,2) daß das Delikt mithin — im Unterschiede von den Fällen des falsum — gegen die Privatrechtssphäre des einzelnen gerichtet ist. Auch das deutsche wie das italienische Mittelalter waren der Entwickelung des Begriffes nicht günstig; dieses bevorzugte das falsum und quasifalsum der römischen Kaiserzeit, und jenes arbeitete an der Herausbildung einzelner Fälschungsdelikte.3)4 So spricht auch die PGO. nur von Fälschungsfällen (Art. 111—114), ohne den Betrug mit einer Silbe zu erwähnen. *) Auch bei Carpzov und den ihm folgenden Schriftstellern erscheint der stellionatus als ein jeder praktischen Bedeutung entbehrender Aushilfsbegriff. Erst das spätere gemeine Recht, insbesondere aber die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts erkannte die praktische Be­ deutung des Betrugsbegriffes.5) Aber noch war man sich nicht klar über Auffassung und Umgrenzung des Deliktes. Bald verlangte man Eintritt der Vermögensbeschädigung zur Vollendung, bald begnügte man sich mit der geschehenen Täuschung. Insbesondere aber wurde — so in der öster­ reichischen und preußischen Gesetzgebung des vorigen Jahrhunderts — der Begriff des Betruges überspannt; er sollte auch die Fälschungs­ fälle mit umfassen, und auch Verletzung andrer als vermögensrecht­ licher Interessen (wie Meineid und andre Delikte) werden zum Be­ trüge gerechnet. Dieser Übertreibung gegenüber hat die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts den Betrug wieder zurückgedrängt auf sein natürliches Gebiet, ihn eingeschränkt zum Vermögensdelikt. Dies ist auch der Standpunkt des RStGB., welches sich von dem preußischen nur durch die Beseitigung des „qualifizierten" Betruges unterscheidet. II. Der Begriff und seine Merkmale. BetrugistVermögensbeschädigung in Bereicherungs2) 3) truges 4) 5)

Über das bes. Delikt der venditio fumi vgl. oben § 6 ©. 29. Nur ganz vereinzelt finden sich im späteren Recht auch Fälle des Be­ (trogene) erwähnt. Vgl. unten § 136 II. Vgl. dazu unten § 136 II.

372

§ 109.

Der Betrug.

Geschichte und Begriff.

ab sicht, herbeigeführt durch arglistige Täuschung, d. h. durch Erregung und Unterhaltung eines Irrtums. Der zu Beschädigende handelt selbst, aber ohne sich der Kausalität seines Thuns bewußt zu sein; juristisch betrachtet ist es also nicht der Be­ schädigte, der sich selbst, sondern der Täuschende, der einem anderen die Beschädigung zufügt. Durch das Mittel der Beschädigung (Täuschung) unterscheidet sich der Betrug von der im übrigen ihm nahe verwandten Erpressung, deren Mittel Gewalt oder Drohung sind. Wie die Erpressung ist der Betrug als Bereicherungs­ delikt gerichtet gegen das Vermögen überhaupt und dadurch wesentlich unterschieden von den bisher besprochenen, gegen be­ stimmte Bestandteile des Vermögens gerichteten Vermögensdelikten. 1. Die arglistige Täuschung besteht in der Vorspiege­ lung falscher oder in der Entstellung oder Unter­ drückung wahrer Thatsachen als Mittel zur Erregung und Unterhaltung des Irrtums. Thatsache ist alles, was der Gegenwart oder Vergangenheit, nicht aber was der Zukunft angehört; Vorgänge der Außenwelt und im Inneren des Täuschenden, physische wie psychische Thatsachen stehen einander gleich.ö) Auch Täuschung über Ansichten und Ab­ sichten des Thäters, z. B. über dessen animus solvendi, nicht aber z. B. über die Aussichten des ins Leben zu rufenden Unternehmens gehören hierher. 2. Die Erregung und die Unterhaltung des Irrtums stehen einander gleich. Beide können durch Verschweigen von Thatsachen begangen werden. Dieses Nichtreden ist aber nur dann dem Reden gleichwertig, wenn der Getäuschte berechtigt war, das Reden zu erwarten; wenn also eine Verpflichtung zum Reden be­ stand, die nicht notwendig eine Rechtspflicht zu sein braucht, sondern auch in den geschäftlichen Gewohnheiten begründet sein oder aber auch aus dem vorhergegangenen positiven Verhalten folgen kann. Es gelten hier ohne Ausnahme dieselben Grundsätze, welche für die Beurteilung der Unterlassungen überhaupt maßgebend sind;67) und es ist durchaus verkehrt, die Frage nach der Strafbarkeit dieses 6) Im Sinne des Textes die durchaus konstante Praxis des Reichsger.; ebenso Olshausen. Dagegen Merkel, Meyer, Hälschner und die frühere preuß. Praxis. 7) oben § 31 III.

Der Betrug.

Geschichte und Begriff.

§ 109.

373

sog. „qualifizierten" Schweigens beim Betrüge aus diesem Zusammen­ hange loszureißen.8) Nach dem Gesagten ist auch die Strafbarkeit des sog. Kredit­ betruges zu beurteilen;9) d. h. die Bestimmung eines andern zur Gewährung oder Verlängerung von Kredit unter Verhältnissen, welche (wie z. B. die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners) die Realisierung der gläubigerischen Forderung mehr oder weniger gefährden. Nur dann, wenn ein „Verschweigen" dieser Verhältnisse stattgefunden hat, wenn also der Gläubiger die Mitteilung derselben zu erwarten be­ rechtigt war, weil das gesamte Auftreten des Schuldners den Besitz der nötigen Zahlungsmittel erwarten ließ, — kann von Betrug ge­ sprochen werden. Dasselbe gilt von der Zechprellerei, die nur als Abart des Kreditbetruges erscheint. 3. Das Gesetz verlangt, daß die Täuschung erfolge „in der Absicht, sich oder einem dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen". An andern Stellen wird diese Absicht vom RStGB. als „gewinnsüchtige Absicht" be­ zeichnet; wir haben oben den Ausdruck „Bereicherungsabsicht" ge­ braucht. 10)* „Absicht" aber bedeutet auch hier das Motiv des Handelns, also nicht als Vorsatz lediglich das Bewußtsein der Kausalität.") Vermögens vorteil ist nicht bloß die Vermehrung des Vermögens, also die Gewinnung eines neuen dinglichen oder per­ sönlichen Anspruches, sondern jede Verbesserung der Vermögens­ lage, also die Sicherung oder Erweiterung der vorhandenen Ansprüche oder die Abwehr einer ihnen drohenden Schädigung.12) Immer aber muß der Vorteil, um als Vermögensvorteil zu erscheinen, seinem Werte nach in Geld abschätzbar sein. 8) Dennoch geschieht dies regelmäßig. Daher denn auch die Unsicherheit bei Entscheidung der Frage. Ganz steuerlos und teilweise gewiß unrichtig die Praxis des Neichsger., insbes. soweit sie eine „Rechtspflicht" zur Mitteilung der Wahrheit verlangt. Der Widerstreit der in der Litt, vertretenen Ansichten bezieht sich weniger auf das Resultat, als auf dessen Begründung. — Ganz abweichend neuerdings wieder Hälschner. °) Abweichend Hälschner, Merkel u. a. 10) Die früheren deutschen Gesetzgeber hatten meist gewinnsüchtigen und und nicht gewinnsüchtigen Betrug voneinander unterschieden. n) Anders die 1. Aufl. Anders auch III. S. 21. Dezember 1881 V/278. 12) Prinzipiell ausgesprochen I. S. 18. Oktober 188011/352; I. S. 10. Februar 1881 111/378.

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§ 109.

Der Betrug.

Geschichte und Begriff.

Rechtswidrig ist jeder Vorteil, auf welchen der Handelnde einen rechtlich begründeten Anspruch nicht hatte:13) nicht nur der dem Gesetze zuwiderlaufende Vermögensvorteil gehört hierher, sondern die ganze, überaus große und praktisch hochwichtige Gruppe der dem Rechte indifferenten Vermögensvorteile. Rechtswidrig hat demnach nicht positive, sondern rein negative Bedeutung; am entsprechendsten wäre der Ausdruck „nicht rechtlich begründet". Der Betrug entfällt also nur dann, wenn die arglistige Täuschung das Mittel zur Durch­ setzung eines wohl erworbenen und bereits fälligen Anspruchs ist. Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils schließt den Vorsatz aus; irrige Annahme derselben begründet untauglichen Versuch. Ob der Thäter den Vorteil sich oder einem dritten zu­ wenden will, ist gleichgültig; die beabsichtigte Zuwendung an die Armenkasse z. B. würde die Strafbarkeit nicht beseitigen. 4. Der vollendete Betrug setzt eingetretene Vermögens­ beschädigung voraus. Vermögensbeschädigung aber ist nicht nur die Verminderung des Vermögens, also der Verlust eines ding­ lichen oder persönlichen Anspruches, sondern jede Verschlechterung der Vermögenslage.14) Vereitelung zu erwartenden Gewinnes gehört nur dann hierher, wenn bereits ein Anspruch auf denselben vorhanden ttmt.15) Die Vermögensbeschädigung kann eine bleibende oder vor­ übergehende sein; durch die Möglichkeit künftiger Ausgleichung wird der Begriff nicht ausgeschlossen. Da der Betrug Bereicherungsdelikt ist, also Vermögensvorteil auf der einen und Vermögensnachteil auf der andern Seite durch­ aus miteinander korrespondieren müssen, kann von Betrug keine Rede mehr sein, sobald der Getäuschte ein volles Äquivalent für seine Vermögensbeschädigung erhält. Aber aus der eben betonten weiten Bedeutung der Ausdrücke Vermögensvorteil und Vermögens­ nachteil folgt mit Notwendigkeit, daß das „Äquivalent" nicht bloß 13) also nicht nur der contra jus verstoßende, sondern auch der Anspruch praeter legem. Früher lebhaft bestritten. Im Sinne des Textes die durch­ aus konstante Praxis des Reichsger. Dagegen Merkel, Berner, Binding, Olshausen u. a. “) A. A. Merkel, Hälschner u. a. 15) Übereinstimmend Köstlin, Schütze, Hälschner; auch II. S. 28. Februar 1882 VT/76; während III. S. 14. Januar 1880 1/68 lucrum cessans und damnum emergens einfach einander gleichgestellt hatte.

Der Betrug.

Geschichte und Begriff.

§ 109.

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den gleichen Geldwert repräsentieren, sondern auch die geänderte Vermögenslage wieder Herstellen mufi.16) Es ist Betrug, wenn ich durch arglistige Täuschung bestimmt werde, mir für meine preußischen Staatspapiere die Aktien einer Anilinfabrik-Aktiengesell­ schaft zu kaufen, mag auch der Ankauf um den gegebenen Preis als vorteilhaft erscheinen.17) Es kann mithin allerdings schon die Vermögensveränderung als eine Vermögensbeschädigung in diesem weiteren Sinne erscheinen. Beim Kreditbetrug wird es ebenfalls darauf ankommen, ob die Forderung des Gläubigers als volles Äquivalent für seine Leistungen erscheint oder nicht. 5. Die Täuschung muß das Mittel der Vermögensbeschädigung sein; beide müssen im Kausalzusammenhange zu einander stehen. Der Täuschende ist es ja, der selbst das Vermögen des Getäuschten beschädigt. Dies schließt die Möglichkeit mehrerer als Mittel be­ nutzter Zwischenglieder nicht ans; wie des Beschädigten selbst, ebenso kann sich der Betrüger schon nach allgemeinen Grundsätzen auch anderer Personen als Mittel für seine Zwecke bedienen. Mit anderen Worten: Identität der getäuschten undderbeschädigten Person ist nicht erforderlich.") Freilich wird der Getäuschte thatsächlich in der Lage sein müssen, über das Vermögen des zu Beschädigenden in einer diesen verbindenden Weise zu verfügen; aber diese Stellung braucht durchaus nicht notwendig auf einer be­ sonderen rechtlichen Beziehung zwischen dem Getäuschten und dem Berechtigten zu beruhen.") Insbesondere kann die Beschädigung des Prozeßgegners durch eine Täuschung des Richters herbeigeführt werden; vorausgesetzt, daß es sich nicht um einfach unwahre, durch Vernehmung der Gegen­ partei, bez. des zu Beschädigenden in dieser Eigenschaft erkennbare, Parteibehauptungen, welche durch keinerlei die richterliche Überzeugung beeinflussende Beweismittel unterstützt werden, sondern um ein Fälschen der Beweismittel handelt. 20) le) Dies wird übersehen von OlsHausen und Hälschner. 17) Andres Beispiel: Lieferung von preiswertigem Kunstwein statt des be­ stellten Naturweins: I. S. 20. Oktober 1881 V/137. 18) Jetzt wohl allg. Ansicht. Dagegen Köstlin, Schütze u. a. -») A. A. Merkel. 20) So die konstante Praxis des Reichsger.

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§ 109.

Der Betrug.

Geschichte und Begriff.

Das Erschleichen von Liberalitäten24) ist nur dann Be­ trug, wenn sie durch eine wirkliche Irreführung des Schenkgebers erlangt wurden; nicht aber dann, wenn der Kausalzusammenhang fehlt und nicht die Täuschung, sondern der Wunsch den lästigen Be­ werber loszuwerden oder Gutmütigkeit und Bequemlichkeit die Ur­ sache waren, welche den der Kausalität seines Thuns sich bewußten Schenkgeber zur Schenkung bestimmten.22) Dasselbe gilt von kaufmännischen Reklamen und wird wohl auch in der Mehrzahl der Fälle von den Gründungsprospekten gelten.23) 6. Der Versuch — der auch, wenn der Betrug als Vergehen erscheint, strafbar ist — beginnt bereits mit der Vorspiegelung, Ent­ stellung, Unterdrückung der Thatsachen. Ist die angestrebte Ver-. mögensbeschädigung auf dem vom Thäter gewählten Wege nicht zu erreichen, so liegt Versuch mit untauglichem Mittel vor, der nach den allgemeinen Regeln 24) zu beurteilen ist. 7. Verletzt ist immer der in seinem Vermögen Beschädigte; also nicht notwendig der Getäuschte. 8. Geschichtlich und positivrechtlich unterscheidet sich vom Be­ trüge die Hinterziehung öffentlicher Abgaben oder die Defraude, welche, auch wenn ihr Thatbestand sich vollständig mit dem des Betruges decken würde, nach den einschlagenden Spezial­ gesetzen 25) zu beurteilen ist.2Ö) 21) Den „bezüglichen Bettel" hatten schon die Partikulargesetzgebungen (auch Preußen) vielfach vom Betrüge ausgeschieden und unter mildere Strafe gestellt. 22) I. S. 4. Juli 1881 IV/352; III. S. 26. Mai 1882 VI/360. 23) FeigeGA.XXVI(1878). Merkel HH.IVS.436. Möller, Gründerprozesse 2. Ausl. 1876. Stenglein und Mittelstadt, Gutachten für den 14. d. Juristentag. Die Schmierigkeiten der Gründerprozesse liegen haupt­ sächlich darin, daß zumeist ein „Getäuschter" gar nicht vorhanden ist, sondern alle Beteiligten, auch diejenigen, welche zuletzt im Besitze der entwerteten Pa­ piere bleiben, nur durch Spekulation zu gewinnen beabsichtigten. Daher sind besondere Bestimmungen nötig, wie sie z. T. durch die Novelle zum Aktiengesellschaftsgesetz vom 18. Juli 1884 (vgl. unten § 193) vorgesehen werden. 2i) Oben § 46. In der Praxis häufig übersehen. 25) unten § 198. 26) Das Reichsg. schwankt.

Die Arten des Betruges.

§ 110.

§ 110.

377

Die Arten des Betruges.

I. Der einfache Betrug (StGB. § 263). Strafe: Gefängnis; daneben fakultativ Geldstrafe bis zu dreitausend Mark, sowie Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Bei mildernden Umständen kann aus­ schließlich auf Geldstrafe erkannt werden. Relatives Antragsdelikt, wenn gegen Angehörige (StGB. § 52 Abs. 2), Vormünder oder Er­ zieher begangen; Antrag rücknehmbar. II. Betrug im zweiten Rückfall (StGB. §§ 264 und 245). Voraussetzungen: a) Zwei inländische Vorstrafen wegen Betrugs. b) Gänzliche

oder teilweise Verbüßung oder Erlassung

dieser

Strafen.

c) Nichteintritt der (zehnjährigen) Rückfallsverjährung.r) Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich Geld­ strafe von hundertundfünfzig bis zu sechstausend Mark, bei mil­ dernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten, daneben fakultativ Geldstrafe bis zu dreitausend Mark.

III. Der sog. Versicherungsbetrug, welcher aus dem preußischen ALR. in das preußische StGB., und aus diesem in das RStGB. übergegangen ist, -) hat mit dem eigentlichen Betrüge nur den Namen und die Stellung im Systeme des Gesetzbuches gemein.

In Wahrheit handelt es sich um ein, durch die betrügerische

Absicht qualifiziertes, gemeingefährliches Delikt. Nach § 265 StGB, liegt Versicherungsbetrug vor, wenn jemand in betrügerischer Absicht eine gegen Feuersgefahr versicherte Sache in Brand setzt, oder ein Schiff, welches als solches oder in seiner Ladung oder in seinem Frachtlohn versichert ist, sinken oder stranden macht. Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich Geldstrafe von hundert­ undfünfzig bis zu sechstausend Mark, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten, daneben fakultative Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. „Betrügerische Absicht" ist die Absicht, auf Grund des Geschehenen einen Betrug zu begehen, also durch Vorspiegelung eines vom Willen des Versicherten unabhängig eingetretenen Ereignisses auf Kosten des Versicherers die Versicherungssumme ganz oder teilJ) Vgl. überhaupt oben § 97 III. 2) Besondere Ausbildung fand das Delikt im holländischen StGB.

378

§ 111.

Die Erpressung.

weise zu gewinnen. Absicht ist dabei als Motiv, nicht als Vorsatz aufzufassen. Wenn auch vom Standpunkte der Betrugsdefinition die Brand­ legung nur als Vorbereitungshandlung zum Betrüge erscheint, so muß doch schon aus dem hohen Strafrahmen geschlossen werden, daß es sich um ein durchaus eigenartiges, den Grund seiner Strafbarkeit in sich selbst tragendes Delikt handelt. Daher muß die Möglichkeit eines strafbaren Versuches zugegeben werden.3) Und aus dem gleichen Grunde sind, wenn der geplante Betrug wirklich ausgeführt wird, die allgemeinen Grundsätze über Einheit und Mehrheit der verbrecherischen Handlung uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen. § 111.

3. Die Erpressung.

I. Geschichte.

Die Wurzel des Deliktsbegriffes der Erpressung liegt im spät­ römischen Recht. Als das crimen repetundarum veraltet war und die actio quod metus causa sich als ungenügend herausstellte, entstand in der Kaiserzeit ein besonderes crimen extraordinarium: die concussio (D. 47, 13), welche vorlag, wenn entweder durch Vorspiegelung eines öffentlichen Amtes oder durch Androhung einer Kriminalklage (crimen minari) ein Vermögensvorteil errungen wurde. Da das deutsche Mittelalter einen entsprechenden Begriff nicht aufgestellt hatte und die PGO., welche hier wie in bezug auf beinahe alle strafrechtlichen Bestimmungen sich ganz auf den Boden des deutschen Rechtes stellte, infolgedessen die Erpressung mit Still­ schweigen überging, siel die Weiterbildung des Begriffes der gemeinrechtlichen Theorie und Praxis anheim. Aber diese war nicht im stände, das Verhältnis der Erpressung zu verwandten Delikten, insbesondere zum Raube in brauchbarer Weise festzustellen, und erst die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts gelangte allmählich zu einer wenigstens teilweise befriedigenden Definition der Erpressung. Doch enthält auch noch das RStGB. in dem vielbesprochenen 3) Unrichtig die 1. Stuft. ’) Köstlin, Abhandlungen 1858 S. 407. Glaser, Abhandlungen 1858 S. 155. Merkel HH. III S. 724, IV S. 416. Dalcke GA. XVII (1869). Billnow, Raub, Erpressung u. s. w 1875. Katz, GS. XXXI (1879). Wächter, Über Gewalt bei der Erpressung 1875.

Die Erpressung. § 111.

379

Zwitterbegriffe der räuberischen Erpressung2) eine greifbare Er­ innerung an jene noch nicht vollständig überwundene Verwirrung der Begriffe. II. Der theoretische Begriff der Erpressung. Erpressung ist Vermögensbeschädigung in Bereiche­ rungsabsicht durch Nötigung. Das Mittel der Vermögensbeschädigung scheidet die Erpressung zunächst vom Betrug. Negativ: hier aber nicht dort das mangelnde Bewußtsein von der Kausalität des Thuns auf seiten des Beschädigten; positiv: dort aber nicht hier das Bewußtsein von der Unfreiwilligkeit des Thuns. Das. Vorhalten einer nicht geladenen Pistole, die Behauptung Vertreter einer gefürchteten Räuberbande zu sein u. s. w., können als Mittel der Erpressung wie des Raubes, nicht des Betruges, in Betracht kommen. Abgesehen von diesem Unterschiede teilt die Erpressung mit dem Betrüge einer­ seits den Charakter als Bereicherungsdelikt, also die Richtung gegen das Vermögen, anderseits die Benutzung der eignen Thätigkeit des zu Verletzenden für die Zwecke des Verbrechers. Das Verhältnis der Erpressung zum Raubes aber bestimmt sich durch zwei unterscheidende Merkmale: 1. Die Erpressung ist ge­ richtet gegen das Vermögen überhaupt, der Raub gegen das Eigen­ tum ; 2. Die Erpressung setzt einen, wenn auch erzwungenen, Entschluß des Verletzten und eine auf diesem beruhende Handlung derselben voraus, während beim Raube die Entschließung des Beraubten ignoriert, seine Thätigkeit durch die des Räubers völlig ersetzt wird. Dieses letztere Merkmal läßt sich auch so ausdrücken: Die Inten­ sität der Mittel scheidet Raub und Erpressung; dort wird der Wille gebrochen, negiert; hier gebeugt, bestimmt. Von der Nötigung endlich hebt sich die Erpressung ab durch das Hinzutreten der Bereicherungsabsicht; die Nötigung ist gegen die Freiheit, die Erpressung nur zunächst gegen die Freiheit, in letzter und entscheidender Linie aber gegen das Vermögen gerichtet. III. Der Begriff im positiven Recht. Das RStGB. hat den eben entwickelten Begriff der Erpressung im allgemeinen durchaus anerkannt, im einzelnen aber teilweise anders ausgestaltet. Nach § 253 liegt Erpressung vor, „wenn jemand, -) Oben § 99 II. 3) Vgl. auch oben § 99 II.

380

§ 111.

Die Erpressung.

um sich oder einem dritten einen rechtswidrigen Ver­ mögensvorteil zu verschaffen, einen anderen durch Gewalt oder Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Eine nähere Betrachtung dieser Begriffsbestimmung ergibt fol­ gende Resultate:

1. Das Merkmal der Vermögensbeschädigung fehlt in der gesetzlichen Definition. Dasselbe ist aber einfach zu ergänzen. Dies folgt aus dem unzweifelhaften Charakter der Erpressung als Vermögensdelikt sowie aus ihrer ebenso unbestreitbaren Verwandtschaft mit dem Betrüge. 2. Während StGB. § 240 die Mittel der Nötigung beschränkt auf „Gewalt und Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen", genügt als Mittel der Erpressung, neben der Gewalt, Drohung mit irgend einem Übet; also auch mit solchen Übeln, deren Zufügung rechtmäßig (sog. minae Juris) oder rechtlich indiffe­ rent ist?) Hierher würden gehören: Einklagung einer Forderung, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, Mitteilung an Verwandte, Ver­ öffentlichung in der Presse u. s. w. 3. Die Mittel der Erpressung dürfen aber, wie sich insbesondere aus § 255 („räuberische Erpressung")45) ergibt, nie die dem Raube eigentümliche Intensität erreichen; die Gewalt darf also nur Gewalt gegen die Person (in hominem), also an andern Personen als dem zu Verletzenden oder an S a ch e n sein, darf aber nie zur Gewalt an der Person des zu Nötigenden selbst (in homine) werben;6)7die Drohung darf nie bis zur Drohung mit gegenwärtiger Ge­ fahr für Leib oder Leben sich verstärken. Daraus folgt, daß die „räuberische Erpressung" eben in Wahrheit nicht Erpressung ist?) 4. Da die Erpressung gegen das Vermögen überhaupt, mithin auch gegen das Eigentum gerichtet ist, erscheint auch der Zwang zur Duldung der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, 4) So auch I. S. 12. Februar 1880 1/205 und die gern. Meinung. De lege ferenda unterliegt diese Ausdehnung des Begriffes erheblichen Bedenken. 5) oben § 99 II. Vgl. unten § 126 II über Gewalt und Drohung als Mittel der Nötigung. 6) Hierin liegt ein wenig beachteter Unterschied von der Nötigung. — Die Gewalt ist demnach, wenn man überhaupt diesen Ausdruck gebrauchen will, immer vis compulsiva; so Wächter GS. XXVII (1875), Katz GS. XXXI (1879). Dagegen Merkel, Hälschner u. a. 7) Vgl. oben § 99 II.

Strafbare Ausbeutung andrer.

Allgemeines.

§ 112.

381

solange nicht die Mittel des Raubes angewendet werden, als Er­ pressung. 5. Gewalt und Drohung müssen Mittel der Erpressung sein, d. h. bestimmend auf den Entschluß des Verletzten einwirken?) 6. Die Bereicherungsabsicht ist genau ebenso wie beim Betrüge aufzufassen. Dasselbe gilt von der Vermögensbeschä­ digung.») 7. Die Vollendung tritt mit der erzwungenen Handlung, Duldung, Unterlassung ein; der Versuch ist immer strafbar. 8. Verletzt ist, da Erpressung zunächst und in erster Linie gegen die persönliche Freiheit gerichtet ist, immer der zur Handlung, Duldung, Unterlassung Gezwungene; also nicht notwendig derjenige, gegen den Gewalt oder Drohung angewendet wurde; auch nicht not­ wendig derjenige, in dessen Vermögen die Beschädigung eintrat. IV. Die Arten der Erpressung. 1. Die einfache Erpressung (StGB. § 253). Strafe: Gefängnis nicht unter einem Monat. 2. Die qualifizierte Erpressung (StGB. § 254), wenn durch Bedrohung mit Mord, Brandstiftung oder Überschwemmung begangen. Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren. 3. Die räuberische Erpressung (StGB. §. 255), die wir als eine Erweiterung des Raubes vom Eigentums- zum Ver­ mögensdelikte aufgefaßt und daher beim Raube behandelt haben?») Neben der wegen Erpressung erkannten Gefängnisstrafe (in den Fällen 1 und 3) kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte; neben der Zuchthausstrafe (in den Fällen 2 und 3) auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. § 256). § 112.

3. Strafbare Ausbeutung andrer. Allgemeines. Die Übervorteilung Minderjähriger. H

I. Prinzipielle Bedeutung. Als Mittel der Vermögensbeschädigung kennt die Reichsgesetzgebuna außer Täuschung und Zwang, von welchen erstere das Be8) III. S. 8. Januar 1883 VIII/5. 9) Vgl. das oben § 109 II, 3 und 4 Gesagte. ,0) Vgl. oben § 99 III, 3. ') Merkel H. H. III S. 845.

382

§ 112.

Strafbare Ausbeutung andrer.

Allgemeines.

wußtsein der Kausalität, letzterer die Freiheit des Handelns aus­ schließt, noch die Ausbeutung des Leichtsinns, der Uner­ fahrenheit oder der Notlage anderer. Auch in diesen Fällen ist, mag auch eine scheinbar freie und bewußte Handlung des Beschädigten selbst dazwischen liegen, der eingetretene Erfolg nach der Auffassung des Gesetzgebers auf Rechnung des Thäters zu setzen; Unerfahrenheit und Leichtsinn schließen nach Ansicht des Gesetzgebers das Bewußtsein von der Kausalität der Handlung auf seiten des Beschädigten, die Notlage schließt die Freiheit seiner Bestimmung, ganz oder wenigstens teilweise, aus. Der Gesetzgeber nimmt somit kraft einer durchaus berechtigten Analogie Kausalzusammenhang zwischen dem Thun des Thäters und der erfolgten Vermögensbeschädigung an, wo derselbe, bei strengem Festhalten des allgemeinen Grundsatzes,^) eigentlich in Abrede gestellt werden müßte. Er thut dies aber nur unter besonderen, genau bezeichneten, Voraussetzungen und verwendet die angedeutete Konstruktion zur Bildung von nur zwei, eng um­ schriebenen Deliktsbegriffen: Übervorteilung Minderjähriger und Wucher?) In der entwickelten Beziehung zu Trug und Zwang liegt nicht nur der Schlüssel zu richtiger Auffassung und systematischer Stellung der beiden Delikte, sondern zugleich auch ihre technisch-juristische Recht­ fertigung. Der Wucherbegrisi des modernen Rechts gliedert sich in durchaus organischer Weise dem Systeme der einzelnen Verbrechen ein, und auch seine nahe Verwandtschaft zu der Übervorteilung Minder­ jähriger ist durch die vom Gesetzgeber gewählte äußere Stellung des Wuchers in vollkommen gelungener Weise zum Ausdruck gebracht worden. II. Die Übervorteilung Minderjähriger, d. h. Ver­ mögensbeschädigung in Bereicherungsabsicht durch Benutzung des Leicht­ sinns und der Unerfahrenheit Minderjähriger, ist von dem RStGB., im Anschluß an das auf das ALR. zurückgreifende preuß. Gesetz vom 2. März 185724),* in den §§ 301 und 302 unter Strafe gestellt worden. Das Gesetz unterscheidet einen einfachen und einen schweren Fall. 2) oben § 48 I, 1. ’) In gewissem Sinne könnten auch die Strafbestimmungen gegen das sogenannte Trucksystem (Gew.Ordg. § 146) hierher gerechnet werden, die aber besser in anderem Zusammenhange zu behandeln sind. Vgl. unten § 192. *) Vgl. auch 0. p6n. Art. 406. — Lex Plaetoria aus dem 6. Jahrh, der Stadt?

Strafbare Ausbeutung andrer.

Allgemeines.

§ 112.

383

1. Der einfache Fall liegt vor (StGB. § 301), wenn jemand in gewinnsüchtiger Absicht und unter Benutzung des Leichtsinns °) und der Unerfahrenheit *6) eines Minderjährigen sich von demselben Schuldscheine, Wechsel, Empfangsbekenntnisse, Bürgschaftsinstrumente oder eine andere, eine Verpflichtung enthaltende Ur­ kunde ausstellen oder auch nur mündlich ein Zahlungs­ versprechen erteilen läßt. Strafe: Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark. Antrags­ delikt. Dabei ist in bezug auf die oben gegebenen theoretischen Begriffs­ bestimmungen folgendes zu beachten: a) Die „Vermögensbeschädigung" ist wie bei der Erpressung vom Gesetze nicht ausdrücklich hervorgehoben, aber als selbstver­ ständlich ohne weiteres in dasselbe hinein zu interpretieren, übrigens in den vom Gesetze ausdrücklich angeführten Hand­ lungen mit Notwendigkeit enthalten. b) Die „gewinnsüchtige Absicht" ist durchaus identisch mit der oben geforderten, von uns beim Betrüge erörterten „Be­ reicherungsabsicht". 7) 2. Der schwerere Fall liegt vor (StGB. § 302), wenn jemand in gleicher Absicht und auf gleiche Weise sich von dem Minderjährigen unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Versicherungen oder Beteuerungen die Zahlung einer Geldsumme oder die Erfüllung einer anderen, auf Gewährung geldwerter Sachen gerichteten Verpflichtung aus einem Rechtsgeschäfte versprechen läßt (StGB. § 302). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Neben Ge­ fängnis ist Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig. An­ tragsdelikt. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher sich eine Forderung abtreten läßt, von welcher er weiß, daß deren Berichtigung ein Minderjähriger in der vorbezeichneten Weise versprochen hat. An­ tragsdelikt. 6) Das Sich-Mcht-Kümmern um die weiteren Folgen. 6) Rusticitas; Nicht-Wissen, was alle wissen. "‘) § 109 II, 3.

384

§ 113. Der Wucher.

§ 113. Der Wucher.2) I. Geschichte. Von der Zeit der XII Tafeln an wendet die römische Ge­ setzgebung dem Geldwucher, d. h. der Überschreitung des fenus unciarium, ihre besondere Aufmerksamkeit zu und bedroht denselben, neben der poena quadrupli, auch mit ädilizischer Geldstrafe. In der Kaiserzeit tritt der Getreidewucher oder Dardanariat (annona fraudata) besonders hervor; schon nach der 1. Julia (von Cäsar oder August) wird er mit zwanzig aurei, später noch strenger bestraft. Einen neuen, ungleich strengeren Standpunkt nimmt die christ­ liche Kirche ein: sie verbietet das Zinsennehmen überhaupt; jede Übertretung des Verbotes ist strafbarer Wucher. Durch Karl den Großen (Kap. 789) wird dieses Verbot in die weltliche Gesetzgebung eingeführt. Daneben finden wir seit der zweiten Hälfte des Mittel­ alters zahlreiche Bestimmungen gegen den Handelswucher in seinen verschiedenen Gestalten (insbesondere als „Fürkauf"); auch die RPolizeiordnung des 16. Jahrhunderts und die späteren Landes­ gesetze (noch das preuß. ALR.) beschäftigen sich vielfach mit ihm. Während auch die Reformatoren dem Wucher gegenüber an der Auffassung des kanonischen Rechtes festhielten, vollzog sich unter dem Einflüsse der großen Juristen des 16. Jahrhunderts eine wesentliche Umgestaltung des Wucherbegriffes, die uns alsbald in der deutschen Reichsgesetzgebung entgegentritt, und in dem JRA. 1654 zum vorläufigen Abschlüsse gelangt. Der Wucher erscheint nunmehr wie früher im tönt. Rechte als die Überschreitung des gesetzlichen (fünfprozentigen) Zinsfußes. Aber die Bewegung griff alsbald weiter und drängte auf gänz­ liche Beseitigung aller Wuchergesetze. Die rationalistische Philosophie und die von ihr beeinflußte Wirtschaftstheorie eröffneten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts den Kampf für die Wucherfreiheit. Und zwar mit teilweisem Erfolge. So wurden in Österreich die 4) ü. Lilienthal in Conrads Jahrbüchern 1880. Derselbe HR. „Wucher", v. Schwarze, Das Reichsges betreffend den Wucher (Bezold) 1881. — M. Neumann, Geschichte des Wuchers in Deutschland 1865. Stintzing, Gesch. d. d. Rechtswissenschaft S. 19 ff. v. Stein, Der Wucher und sein Recht 1870. A. Wagner in Schönbergs HB. der pol. Ökonomie I. Bd. S.313ff. — Unbrauchbar Freudenstein, Das Reichswuchergesetz 1882.

Der Wucher.

§ 113.

385

Wuchergesetze 1787 abgeschafft, freilich um 1803 wieder eingeführt zu werden.

Erst um die Mitte unsres Jahrhunderts erlangte die

abolitionistische Bewegung den vollen, freilich für sie verhängnisvollen Sieg gegenüber den untereinander wesentlich abweichenden deutschen Partikulargesetzen, welche in ihrer Mehrzahl nur den qualifizierten Wucher (usurae palliatae oder den gewerbsmäßigen Wucher) unter Strafe gestellt hatten. Der Norddeutsche Bund trat, nachdem Bayern 1860, Lübeck 1863 die Strafbestimmungen gegen den Wucher aus­ gegeben hatten, durch Gesetz vom 14. November 1867, welches 1871 auf das ganze Reich ausgedehnt wurde, in die Reihe derjenigen Staaten, welche die Wuchergesetze entbehren zu können glaubten. Nur zu bald überzeugte man sich von der Unrichtigkeit dieser Ansicht. Seit dem Gesetz vom 24. Mai 1880 (ausgegeben am 31. Mai 1880, in Kraft seit 14. Juni 1880) zählt der Geldwucher wieder zu den nach deutschem Rechte strafbaren Handlungen?)

Auf

den Handelswucher erstreckt sich die Reform der Gesetzgebung bisher nicht; doch wäre vielleicht zu beachten, daß die Novelle zum Aktiengesetze vom 18. Juli 18842 3) das künstliche Hinauftreiben des Kurses von Wertpapieren unter Strafe stellt. II. Der Begriff und seine Merkmale. Wir können den theoretischen Begriff des Wuchers dahin be­ stimmen : Wucher ist Vermögensbeschädigung in Bereicherungs­ absicht, begangen durch Übervorteilung andrer bei Abschluß oder Stundung eines Gelddarlehens. Dagegen liegt nach der positivrechtlichen Definition in § 302 a Wucher vor, wenn jemand unter Ausbeutung der Notlage, des Leicht­ sinns oder der Unerfahrenheit eines

anderen für ein Darlehen oder

im Falle der Stundung einer Geldforderung sich oder einem dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, welche den üb­ lichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen.

2) Von den auswärtigen Wuchergesetzen der letzten Jahre sind zu er­ wähnen: das österr. vom 28. Mai 1881 (Z. II Beil. III); das Ungar, vom 27. April 1883 Z. (III Beil. II); das Zürcher von 1883 (Z. III S. 556). 3) Vgl. unten § 193. von Liszt, Strafrecht.

2. Ausl.

386

§ 113.

Der Wucher.

Ein Vergleich dieser gesetzlichen Definition mit der oben auf­ gestellten ergibt: a) Die „Vermögensbeschädigung" ist im Gesetze in ängstlich genauer Weise bestimmt. Sie darf nur dann als vorliegend angenommen werden, wenn 1. der übliche Zinsfuß überschritten wird, und 2. ein auffallendes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Ein Zinsfuß von mehreren Hundert im Jahre braucht demnach durchaus nicht in allen Fällen als ein wucherischer zu erscheinen; Rentabilität auf der einen, Risikoprämie auf der andern Seite werden mit in Anschlag zu bringen sein. b) Die „Bereicherungsabsicht" (gewinnsüchtige Absicht) ist im Gesetze nicht ausdrücklich hervorgehoben, aber vorausgesetzt.^) c) Die „Übervorteilung" ist im Gesetze genauer bestimmt als Ausbeutung^) der Notlage, des Leichtsinns, der Unerfahren­ heit andrer. III. Die Arten des Wuchers. 1. Einfacher Fall (StGB. § 302 a). Gefängnis bis zu sechs Monaten und Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Aberkennung der Ehrenrechte fakultativ. 2. Qualifizierter Fall (StGB. § 302b); vorliegend, wenn jemand sich oder einem dritten die wucherlichen Vermögens­ vorteile verschleiert (die sog. usurae palliatae) oder wechselmäßig oder unter Verpfändung der Ehre, auf Ehrenwort, eidlich oder unter ähnlichen Versicherungen oder Beteuerungen versprechen läßt. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu sechstausend Mark. Aberkennung der Ehrenrechte fakultativ. 3. Gewerbs- oder gewohnheitsmäßiger Wucher^) (StGB. § 302 d). Strafe: Gefängnis nicht unter drei Monaten und Geldstrafe von einhundertfünfzig bis zu fünfzehntausend Mark. Aberkennung der Ehrenrechte obligatorisch. 4. Während in bezug auf Thäterschaft und Teilnahme im übrigen die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung kommen, hat das StGB. 4) So auch Olshausen. 5) Aggressives Verhalten nicht erforderlich. Ausbeutung bedeutet lediglich die bewußte Benutzung. Ebenso I. S. 10. Januar 1881 III/218. «) Vgl. oben § 57.

Der Wucher.

§ 113.

in § 302c eine besondere Art der Beteiligung,

387 das sog. Mit-

wuchern?) zum besondern Delikte gemacht. Die unter 1 und 2 angeführten Strafen treffen nämlich auch denjenigen, welcher mit Kenntnis des Sachverhaltes eine Forderung der angegebenen Art erwirbt und entweder a) dieselbe weiter ver­ äußert, oder b) die wucherlichen Vermögensvorteile geltend macht. Gerade bei dieser Bestimmung ist die Frage nach der sog. rück­ wirkenden Kraft des Wuchergesetzes eine brennende geworden.

Nach­

dem das Gesetz selbst keine besondere Anordnung trifft, kommen die allgemeinen Grundsätze über die sog. rückwirkende Kraft der Straf­ gesetze 7 8) zur Anwendung.

Nach diesen findet das Wuchergesetz An­

wendung auf alle unter seiner Herrschaft entstandenen Thatbestände. Das ergibt für § 302 c: a) Erwerben und Veräußern oder Geltendmachen der Forderung muß nach dem 14. Juni 1880 stattgefunden haben. b) Wann die Forderung entstanden, ist gleichgültig. c) Wer eine vor dem 14. Juni 1880 von einem anderen er­ worbene wucherliche Forderung nach dem 14. Juni 1880 geltend macht, kann nicht nach § 302 c gestraft werden. d) Die Bestimmung bezieht sich nur auf die von

einem an­

deren erworbenen Forderungen; Geltendmachung einer vor dem 14. Juni 1680 entstandenen wucherlichen Forderung durch den Wucherer selbst fällt, wenn auch nach dem 14. Juni 1880 stattfindend, nicht unter das Gesetz?) 5. Im Zusammenhange mit den Strafbestimmungen gegen Wucher steht § 360 Ziff. 12 StGB, in der neuen, durch das Gesetz vom 24. Mai 1880 bestimmten Fassung: Wer als Pfandleiher oder Rückkaufshändler bei Ausübung seines Gewerbes den darüber erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt, ins­ besondere den durch Landesgesetz oder Anordnung der zuständigen

7) Der von Freuden st ein und Olshausen gebrauchte Ausdruck „Kom­ plottwucher" ist ungenau und irreleitend. 8) oben § 18 II. v) Dieser schon in der 1. Auslage vertretenen Ansicht hat sich nunmehr auch Olshausen angeschlossen. 26. April 1881 IV/110. nicht

zum Ausdrucke

Dagegen die gern. Meinung, und II. S.

Aber mit schwachen Gründen.

Denn erstens ist die

gelangte Absicht des Gesetzgebers irrelevant, zweitens

haben für die Unzweckmäßigkeit der Bestimmung nicht die Interpreten des Ge­ setzes aufzukommen.

388

§ -114.

Das Glücksspiel.

Behörde bestimmten Zinsfuß überschreitet, wird mit Geld­ strafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft bestraft.^) § 114.

4. Die Gefährdung des Vermögens. Das Glücksspiel. *)

I. Als eine Gefährdung eignen und fremden Ver­ mögens reiht sich das Glücksspiel an die übrigen Vermögensdelikte. Der Gesetzgeber wacht über den Vermögensinteressen der Staatsbürger, auch wenn diese selbst die nötige Vorsicht aus den Augen lassen. Es führen also zunächst, wenn man so will, sozialpolitische Er­ wägungen zur Verbietung und Bestrafung des Glücksspiels. Daneben sind auch sittenpolizeiliche und staatsfinanzielle Bedenken gegen das­ selbe in Betracht zu ziehen. Aber nicht außer acht lassend, daß es sich dabei um eine polizeiliche Bevormundung der freien Selbst­ bestimmung Mündiger handle, bedroht das moderne Recht nicht das einfache Selbstspielen, sondern — wenn wir von der Bestrafung des gewerbsmäßigen Glücksspiels absehen — nur die Gewährung der Gelegenheit zum Glücksspiel durch dritte Personen unter gewissen Voraussetzungen mit Strafe. ") Über die zivilrechtliche Nichtwirksamkeit wucherlicher Geschäfte vgl. Art. 3 des Ges. vom 24. Mai 1880. Dieser bestimmt: „Verträge, welche gegen die Vorschriften der §§ 302a, 302b StGB, verstoßen, sind ungültig. Sämtliche von dem Schuldner oder für ihn geleisteten Vermögensvorteile (302a) müssen zurückgewährt und vom Tage des Empfanges an verzinst werden. Hierfür sind diejenigen, welche sich des Wuchers schuldig gemacht haben, soli­ darisch verhaftet, der nach § 302c des Strafgesetzbuchs Schuldige jedoch nur in Höhe des von ihm oder einem Rechtsnachfolger Empfangenen. Die Verpflichtung eines dritten, welcher sich des Wuchers nicht schuldig gemacht hat, bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Das Recht der Rückforderung verjährt in fünf Jahren seit dem Tage, an welchem die Leistung erfolgt ist. Der Gläubiger ist berechtigt, das aus dem ungültigen Vertrage Geleistete zurückzufordern; für diesen Anspruch haftet die für die vertragsmäßige For­ derung bestellte Sicherheit. Die weiter gehenden Rechte eines Gläubigers, welchem nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts die Ungültigkeit des Vertrages nicht entgegengesetzt werden kann, werden hierdurch nicht berührt." ir) In Elsaß-Lothringen sind durch das vorliegende Reichsgesetz die Art. 2 bis 7 des franz. Ges. vom 19. Dezember 1850 aufgehoben. x) Bruck, Über Spiel u. Wette 1868. Schuster, Das Spiel, seine Ent­ wickelung und Bedeutung im deutschen Recht 1878.

Das Glücksspiel.

§ 114.

389

Dabei haben wir als Glücksspiele diejenigen zu betrachten, bei welchen, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwiegend der Zufall den Ausschlag gibt; den Gegensatz bilden Spiele, bei welchen Sieg und Gewinn hauptsächlich von Geschicklichkeit, Berech­ nung .oder Kraft abhängig ist, und welche als Kunstspiele be­ zeichnet zu werden pflegen. Da es sich bei dem Glücksspiel um ein Vermögensdelikt handelt, scheiden weiter die sog. Unter­ haltungsspiele aus, bei welchen der Vermögenswert des Spiel­ objektes nicht ins Gewicht fällt. Der zivilrechtliche Gegensatz von Spiel und Wette, an sich kaum in befriedigender Weise zu bestimmen, ist dem Strafrechte fremd?) Danach ist die Frage, ob die bei Pferderennen, sei es bei dem offiziellen „Totalisator", sei es bei den privaten „Buch­ machern", geschlossenen Wetten als solche oder als Glücksspiel anzu­ sehen sind, durchaus irrelevant; maßgebend ist lediglich, ob die Ent­ scheidung in der Hand des Zufalls liegt oder nicht. Jene Wetten, an welchen das große, mit den Vorzügen und Schwächen der in Frage kommenden Pferde gar nicht oder nur in höchst oberflächlicher Weise vertraute Publikum auch mit kleinen Beträgen sich beteiligen kann, fallen demnach unzweifelhaft unter den Begriff des Glücks­ spiels. 23)4 II. Die Arten des strafbaren Glücksspieles.^) 1. Das unbefugte Halten von Glücksspielen auf einem öffentlichen Wege, einer Straße, einem öffentlichen Platze oder in einem öffentlichen Versammlungsorte (StGB. § 360 Ziff. 14). Strafe: Geld bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft; daneben fakultative Einziehung der auf dem Spieltische oder in der 2) So Stenglein, Zeitschrift III S. 111 ff. gegen die herrschende An­ sicht und das Reichsgericht, nach welchen alles auf die Intention der vertrag­ schließenden Teile ankommt (vgl. die in der folgenden Note angeführten Entscheidungen). 3) Übereinstimmend im Resultat preuß. OVG. 6. April 1882 (Z. II S. 551 von Jonas mitgeteilt; daselbst auch eine gute Darstellung des Sach­ verhalts); Reichsger. III. S. 29. April 1882 VI/172; 30. Juni 1882 VI/421; II. S. 7. Juli 1882 VII/21. Allein diese Entscheidungen gehen alle von dem Unterschiede zwischen Spiel und Wette aus und suchen diesen im „Motive": dort Gewinn; hier Erhärtung der aufgestellten Behauptung. 4) Vgl. auch Ges. vom 1. Juli 1868. betr. die Schließung und Be­ schränkung der öffentlichen Spielbanken (vom 1. Januar 1873 an).

390

§ 115.

Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).

Bank befindlichen Gelder, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht. Dabei haben wir hier wie sonst als einen „öffentlichen" Ort denjenigen zu betrachten, welcher einem nicht individuell bestimmten und begrenzten Personenkreise offensteht.5)6 2. Das gewerbsmäßige 6) Glücksspiel (StGB. § 284). Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren, daneben fakultativ Geld­ strafe von dreihundert bis zu sechstausend Mark und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Ist der Verurteilte ein Ausländer, so ist die Landespolizeibehörde befugt, denselben aus dem Reichsgebiete auszuweisen; unerlaubte Rückkehr des Verwiesenen ist (nach StGB. § 361 Ziff. 2) strafbar. 3. Aus dem ALR. in das preuß. StGB, und aus diesem in das RStGB. übergegangen: Der Inhaber eines öffentlichen Versammlungsortes, welcher Glücksspiele daselbst gestattet oder zur Verheimlichung solcher Spiele mitwirkt (StGB. § 285), wird mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark bestraft. § 115♦ Die öffentliche Ausspielung (Lotterie). *)

I. Strenggenommen fällt die öffentliche Ausspielung unter den Begriff des Glücksspiels. Dennoch hat das preuß. StGB, (im An­ schlüsse an das ALR. und spätere Verordnungen) und ihm folgend das RStGB. die Ausspielung neben dem Glücksspiele besonders hervorgehoben. Diese besondere Auszeichnung erklärt sich aus der Geschichte der Lotterieverbote. Seit dem 15. Jahrhundert sich findend, tragen sie bis in die neueste Zeit fiskalischen Charakter; auch das ALR. bestraft die Lotterie als Eingriff in die (fiskalischen) Rechte des Königs. In dieser Periode der Entwickelung des Begriffs will der Staat die Gewinnsucht seiner Unterthanen für seine Zwecke aus­ beuten, und darum schützt er den Bürger gegen Ausbeutung durch ausländische oder private inländische Unternehmungen. Er verbietet 5) II. S. 28. Februar 1882 VI/70. 6) oben § 57. x) Endemann, Beiträge zur Geschichte der Lotterie 1882. Gar eis und Liszt HR. „Lotterie". Merkel HH. III S. 829. Vgl. auch Gar eis Handelsrecht 2. Aufl. 1884 S. 464 ff. Cohn im Endemannschen Hand­ buch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechts III. Bd.

Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).

§ 115.

391

nicht das Aufsspielsetzen des Vermögens, monopolisiert aber den aus diesem zu erwartenden Unternehmergewinn. Als dieser Standpunkt in der modernen Gesetzgebung aufgegeben worden war, änderte das De­ likt seinen Charakter: in der Gefährdung, in dem Aufsspielsetzen eigenen und fremden Vermögens wird nunmehr der Grund seiner Strafbarkeit erblickt. II. Das RStGB. bedroht in § 286 das öffentliche Ver­ anstalten von Ausspielungen beweglicher oder unbeweglicher Sachen ohne obrigkeitliche Erlaubnis; insbesondere das Veranstalten von öffentlichen Lotterien, d. i. das Ausspielen von Geldpreisen. Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu dreitausend Mark. Die Ausspielung charakterisiert sich als der zweiseitige Ver­ trag, in welchem der eine der beiden Kontrahenten (der Veran­ stalter 2) 3der 4 5Ausspielung) sich unter bestimmten Bedingungen zur Zahlung einer Geldsumme oder zur Lieferung einer Sache (des Gewinnes) an den andern Kontrahenten, dieser aber sich unbe­ dingt zur Zahlung eines fixen Geldbetrages (des Einsatzes) ver­ pflichtet?) Ausspielung ist auch dann anzunehmen, wenn in dem Einsätze zugleich der Preis für eine wirkliche Gegenleistung mit enthalten ist, z. B. bei Verbindung der Ausspielung mit der Pränumeration auf ein litterarisches Werk oder mit einer Theatervorstellung.^) Auch die durch Beteiligung an einer anderen (vielleicht sogar gestatteten) Lotterie erworbene Gewinnsthoffnung kann zum Gegen­ stände weiterer (strafbarer) Ausspielung gemacht werden (Partial­ scheine, Promessen u. dgl.)?) Man spricht in diesem Falle von einem Heuer- oder Promessengeschäft.6) Anders liegt die Sache, wenn das Eigentum an dem Lose selbst zu einem aliquoten 2) Wer als Mittelsperson fremde Lose ausbietet, ist demnach nicht „Ver­ anstalter". I. S. 29. September 1881 V/39. 3) Wesentlich abweichend Hälschner, welcher das Schwergewicht darauf legt, daß bei der Ausspielung im Unterschiede vom Glücksspiel die Wiederholung gar nicht oder erst nach längerer Zeit möglich ist, die Leidenschaften daher we­ niger entflammt werden. 4) II. S. 9. Januar 1880 1/54; II. S. 26. Oktober 1880 11/390. 5) Konstante Praxis des Reichsger. 6) Gareis HR. „Promessengeschäft".

392

§ 115.

Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).

Teile auf einen andern übertragen worden ist (sog. Kompaniegeschäft).') Die Ausspielung ist eine öffentliche, wenn die Beteiligung einem nicht individuell bestimmten und begrenzten Personenkreise zu­ gänglich ist.8) Vorsatz ist erforderlich; °) er muß das Bewußtsein mit um­ fassen, daß ohne Erlaubnis der zuständigen Obrigkeit eine öffentliche Ausspielung veranstaltet werde.10) Das Motiv des Thäters ist gleichgültig; auch Ausspielungen zu wohlthätigen Zwecken sind strafbar. Die Ausspielung ist in dem Augenblicke vollendet, in welchem dem Publikum die Beteiligung möglich ist; Vornahme der Ziehung oder Absatz auch nur eines einzigen Loses ist begrifflich irrelevant?4) Nur das Veranstalten von Ausspielungen, nicht aber das Spielen in solchen oder das Kollektieren für dieselben ist in § 286 StGB, mit Strafe bedroht. Dieses Schweigen des Reichsrechtes bedeutet aber — und zwar folgt dies aus dem nicht abschließenden Charakter der Strafbestimmungen im 25. Abschnitte des RStGB.4') — nicht stillschweigende Anordnung der Straflosigkeit für die nicht er­ wähnten Fälle, sondern lediglich Nichtbehandlung derselben, mithin fortdauernde Geltung etwaiger landesrechtlicher Strafdrohungen. So bleiben z. B. in Kraft die preußischen Verordnungen vom 5. Juli 1847 (für die alten Provinzen) und vom 25. Juni 1867 Art. IV (für die neuen Provinzen), durch welche das Spielen in auswärtigen Lotterien mit Strafe belegt wird.13)14) III. Als eine Verbindung des Darlehnsvertrages mit einem ’) II. S. 12. April 1881 IV/80; I. S. 24. Oktober 1882 VII/161; I. S. 3. Januar 1884 IX/405. 8) Ebenso wiederholt das Reichsgericht. 9) A. A. Merkel. 10) I. S. 9. Juni 1881 IY/251. lr) Ebenso im wesentlichen auch das Reichsger. Vgl. aber I. S. 22. No­ vember 1883 IX/202. 12) oben § 17 I ©. 75. 13) So die gern. Meinung. Auch OT. und Reichsger. in konstanter Praxis. A. A. nur Rubo und Olshausen. 14) Ausland ist hier auch ein Bundesstaat dem anderen gegenüber (vgl. oben § 19 Note 10).

Die öffentliche Ausspielung (Lotterie).

§ 115,

393

Spielvertrage erscheint die Ausgabe von Prämienpapieren,35) die entweder auf Namen oder auf den Inhaber (au porteur) gestellt sein können.

Besonders

diese letzteren

eignen sich

infolge ihrer

großen Zirkulationsfähigkeit zur Durchführung finanzieller Opera­ tionen sowie zur Anregung und Befriedigung der Spiellust des Publikums. Ebendarum empfiehlt sich eine genaue Überwachung der Ausgabe wie

des Vertriebes von Prämienanleihepapieren auf den

Inhaber sowohl aus finanzpolitischen wie aus polizeilichen Gesichts­ punkten.

Diesen Standpunkt hat auch die Reichsgesetzgebung ein­

genommen. Das Gesetz vom 8. Juni 1871, betreffend die Inhaberpapiere mit Prämien, verbietet in § 6: 1. Das innerhalb des Deutschen Reiches

erfolgende

Ausgeben von auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, in welchen allen Gläubigern oder einem Teile derselben außer der Zahlung der verschriebenen Geldsumme eine Prämie dergestalt zu­ gesichert wird, daß durch Auslosung oder durch eine andere auf den Zufall gestellte Art der Ermittelung die zu prämiierenden Schuld­ verschreibungen und die Höhe der ihnen zufallenden Prämie be­ stimmt werden sollen, wenn das Ausgeben nicht auf Grund eines Reichsgesetzes

und

zum

Zwecke der

Anleihe

eines

Bundesstaates oder des Reiches erfolgt. Strafe: Geldstrafe, welche dem fünften Teile des Nennwertes der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere gleichkommt, mindestens aber dreihundert Mark betragen soll. 2. Das Weiterbegeben solcher Papiere, welche a) im In lande nach Verkündigung des Gesetzes vom 8. Juni 1871, b) im Ausland e ausgegeben worden sind.

nach

dem 30. April 1871 Gleichgestellt ist der Fall,

wenn solche

Papiere an den Börsen oder an anderen zum Verkehr mit Wert­ papieren bestimmten Versammlungsorten zum Gegenstände eines Ge­ schäfts oder einer Geschäftsvermittelung gemacht werden. Strafe: wie zu 1. 3. Das Weiterbegeben von solchen Papieren, die im Aus­ lande

vor

dem 1. Mai

1871

ausgegeben und nicht abgestempelt sind.

16) Gareis HR. „Prämienpapiere" und die hier angegebene Litteratur.

394 §

116.

Gefährdung durch Konterbande.

§ 117.

Die Sachhehlerei.

Die dem Falle unter 2 gleichgestellten Geschäfte werden auch hier ebenso behandelt wie das Weitergeben selbst. Die Strafbarkeit be­ ginnt mit dem 14. Juli 1871. Strafe: wie zu 1. 4. Die öffentliche Ankündigung, Ausbietung, Em­ pfehlung von den unter 2 und 3 angeführten Papieren sowie die Notierung derselben zum Zwecke der Feststellung eines Kurswertes. Strafe: Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten.

§ 11G.

Gefährdung durch Konterbande.

Ein ganz eigentümliches Delikt enthält der § 297 StGB., welcher dem preuß. Seerecht Anl. 31 Kap. 4 entnommen ist. Er bedroht den Reisenden oder Schiffsmann, welcher ohne Vorwissen des Schiffers, ingleichen den Schiffer, welcher ohne Vorwissen des Rheders Gegenstände an Bord nimmt, welche das Schiff oder die Ladung gefährden, indem sie die Beschlagnahme oder Einziehung des Schiffes oder der Ladung veranlassen können,r) mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. Die Handlung erscheint als eine ganz genau begrenzte Ge­ fährdung des Schiffes oder der Ladung, mithin von Vermögensbestandteilen individuell bestimmter Personen. Unter­ scheidet sich schon durch dieses Merkmal das Delikt des § 297 StGB, von den gemeingefährlichen Delikten, so wird dieser Unterschied durch die Erwägung außer allen Zweifel gesetzt, daß bei der Gefährdung durch Anbordnahme von Konterbande die Entfesselung der Naturkräfte, dieses charakteristische Merkmal der gemeingefährlichen Delikte, gänzlich mangelt. § 117. Die Sachhehlerei (Partiererei). **) I. Erst das spätrömische Recht hat, wenn wir von der auf das triplum gehenden actio furti concepti absehen, die Sach­ hehlerei, das crimen, receptatorum, dieses „pessimum genus hominum, sine quibus nemo latere diu potest“, als selbständiges *) Zoll- oder Kriegskonterbande. *) Villnow, Raub, Erpressung u. s. w. 1875. Gretener, Begünstigung und Hehlerei 1879. Merkel HH. III S. 735, IV S. 419.

Die Sachhehlerei (Partiererei).

Delikt2) mit Strafe bedroht (D. 47,16).

395

§ 117.

Das deutsche Mittel­

alter stellt den Hehler dem Stehler gleich, ohne ein selbständiges Verbrechen der Sachhehlerei zu kennen.

Infolgedessen schweigt denn

auch die PGO. in ihrem strafrechtlichen Teile über die Hehlerei, führt aber in Art. 40 unter den Verdachtsgründen gegen jene, „so Räubern oder Dieben helfen", auch den Fall an, daß „einer wissent­ lich und gefährlicherweise von geraubtem oder gestohlenem Gute Beute oder Teil nimmt". Im gemeinen Recht und der auf diesem beruhenden

Partikulargesetzgebung wird die

Sach­

hehlerei mit der Begünstigung zusammen als Fall der Teilnahme an dem begangenen Vermögensdelikte aufgefaßt (so auch im ALR.). Erst die Strafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts sind bemüht, einerseits die Begünstigung von der Partiererei zu trennen, anderseits beiden Delikten die ihnen zukommende Stellung im Systeme des besondern Teiles anzuweisen.

Diese Bemühungen, welche von der

stets (insbesondere in bezug auf die Auffassung der Begünstigung) schwankenden Doktrin nur ungenügend unterstützt wurden, haben bisher nicht zum Ziele geführt.

Auch das RStGB. hat in durchaus un­

gerechtfertigter Abweichung von dem preußischen StGB, nicht nur Be­ günstigung und Sachhehlerei in einem und demselben Abschnitte zu­ sammengefaßt, sondern auch durch Ausstellung des ganz mißlungenen Zwitterbegriffes der (einfachen) Hehlerei (StGB. § 258) 3) beide Delikte in eine unnatürlich nahe innere Verbindung gebracht. Im direkten Gegensatz dazu muß als Grundgedanke sowohl jeder legis­ lativen Reform als auch.der wissenschaftlichen Darstellung festgehalten werden: daß Begünstigung als Verbrechen gegen die Rechtspflege und Sachhehlerei als Verbrechen gegen das Vermögen an durchaus verschiedenen Stellen des Systems ihren Platz einzunehmen haben. II. Nach § 259 besteht die Sachhehlerei darin, daß der Thäter seines Vorteils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung er­ langt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfande nimmt oder sonst an sich bringt oder zu deren Absätze bei anderen mitwirkt.

Demnach

erscheint die Sachhehlerei als Perpetuierung, in den meisten Fällen sogar als Vertiefung einer rechtswidrigen Vermö-

2) Dasselbe umfaßt sowohl das Hehlen der durch Diebstahl oder Raub erlangten Sachen, als auch das Verbergen des Verbrechers. 3) Vgl. unten § 183.

396

§ 117.

Die Sachhehlerei (Partiererei).

genslage; sie tritt zu einer bereits erfolgten Vermögensbeschädigung hinzu, setzt diese begrifflich voraus, bringt aber das dem Berechtigten entzogene Vermögensobjekt in noch weitere Entfernung von seiner Verfügungsgewalt. 1. Ihr Objekt sind Sachen, welche mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind. Also Sachen, gleichgültig ob bewegliche oder nicht, ob fremde oder nicht;4) nicht aber Rechte. Ferner nur jene Sachen selbst, welche unmittelbar durch die betreffende strafbare Handlung erlangt wurden; nicht aber andere an deren Stelle getretene Sachen, wie der aus denselben gewonnenen Erlös, oder Forderungen, deren Zession z. B. durch Betrug bewirkt wor­ den u. s. w.5) Die Sachen müssen mittels einer strafbaren Handlung, gleich­ gültig ob diese als Verbrechen, Vergehen oder Übertretung sich dar­ stellt, erlangt sein. • Die strafbare Handlung kann Eigentumsdelikt oder irgend ein anderes Vermögensdelikt, braucht aber überhaupt nicht gegen das Vermögen gerichtet zu sein; auch solche Sachen, welche durch eine Fälschung, einen Meineid, einen Mord u. s. w. er­ langt wurden, sind taugliche Objekte der Partiererei.6) Die strafbare Handlung muß das Mittel gewesen sein, durch welches die Sachen erlangt wurden; sie muß daher als vollendete Handlung der Partiererei vorangegangen sein, den Sachen das vitium rei inhaerens bereits eingeprägt haben.7) Ist die Sache durch ein Antragsdelikt erlangt worden, so haben wir die Bedeutung des Antrages als einer Bedingung der Straf­ barkeit im Auge zu behalten.8) Wird der Antrag nicht gestellt, so liegt eine durch eine strafbare Handlung erlangte Sache nicht vor, mithin auch keine Partiererei; wird er nachträglich gestellt, so ist die Erlangungshandlung ex tune eine strafbare, und eben darum das in der Zwischenzeit erfolgte Verheimlichen als strafbare Partiererei zu betrachten.e) 4) Hehlerei ist möglich in bezug auf das Wild, welches in das Eigentum des Wilddiebes übergegangen ist. s) I. S. 15. November 1880 11/443; II. 6. 8. Mai 1883 VIII/265. o) II. S. 27. September 1881 IV/440; Der. S. 17. April 1882 VI/218. ') II. S. 28. Mai 1880 11/69. 8) oben § 42. e) Ebenso Merkel. Dagegen die gern. Meinung; auch II. S. 12. April 1881 IV/83.

Die Sachhehlerei (Partiererei).

§ 117.

397

War die Handlung von einem Deliktsunfähigen begangen, so kann, weil sie eine „strafbare" nicht ist, nicht Hehlerei, wohl aber eventuell Unterschlagung angenommen werden. Im Urteile genügt die Feststellung, daß die Sachen durch eine strafbare Handlung erlangt wurden; genauere Bezeichnung derselben ist nicht erforderlich.10) Die Sachen erscheinen nicht als mittels einer strafbarm Handlung erlangt, wenn die Handlung, durch welche sie erlangt wurden, zwar an sich, nicht aber in bezug auf die Erlangung von Sachen durch dieselbe strafbar ist. Dies gilt vom Betteln, von der Jagdausübung durch den Jagdberechtigten während der Schonzeit u. s. w. Zu dem gleichen Resultate führt auch die Er­ wägung, daß das Wesen der Sachhehlerei in der Perpetuierung einer rechtswidrigen Vermögenslage besteht, von einer solchen aber hier nicht gesprochen werden kann.ir) 2. Die Handlung besteht darin, daß der Partierer die Sache mehr noch als dies bisher der Fall gewesen der Verfügungsgewalt des Berechtigten entzieht, ihm die Wiedererlangung dieser Gewalt erschwert oder unmöglich macht. Das Gesetz zählt die einzelnen unter diesen Begriff fallenden Handlungen in § 259 ausschließend auf. Zu bemerken wäre, daß als „Ansichbringen" auch das sinn­ liche Genießen (Essen, Trinken) der erlangten Sachen aufgefaßt werden muß,12) vorausgesetzt, daß der Genießende die faktische Ver­ fügungsgewalt über die Sache erlangt hatte.1S) 3. Die Partiererei muß um des eignen (nicht notwendig rechtswidrigen) Vorteils des Hehlers willen vorgenommen sein. Vermögensvorteil wird nicht gefordert; Gewährung des Bei­ schlafes u. et. kann genügen. 4. Die Partiererei kann vorsätzlich oder fahrlässig be­ gangen werden: a) Der Vorsatz besteht in dem Bewußtsein von der Kausalität des Thuns; der Thäter muß wissen, nicht nur daß er Sachen verheimlicht, verkauft u. s. w., sondern auch daß diese Sachen 10) Das Reichsgericht schwankt. “) Ebenso Der. S. 17. April 1882 VI 218; I. S. 9. Oktober 1882 VII/91; II. S. 29. Juni 1883 VIII/433. 12) So die gem. Meinung und das Reichsger. Abweichend Bind in g und Gretener. ") II. S. 20. November 1883 IX/199.

398

§ 117.

Die Sachhehlerei (Partiererei).

durch eine strafbare Handlung erlangt sind. Kenntnis dieser Handlung nach Art und Umständen kann dagegen nicht ge­ fordert werden. b) Auch die fahrlässige Partiererei ist strafbar. Aber nicht jede Fahrlässigkeit, auch nicht nur die culpa lata14) fällt unter das Gesetz; sondern nur ein ganz bestimmter Fall des fahrlässigen Verhaltens: „wenn der Thäter den Umständen nach annehmen muß, daß die Sache durch eine strafbare Handlung erlangt ist". Straflos bliebe z. B. derjenige, der nicht weiß, daß er zum Absätze der (wie ihm bekannt) gestohlenen Sache mitwirkt, obwohl er bei einiger Aufmerksamkeit dies hätte bemerken können.15) 5. Die Partiererei ist vollendet, sobald eine der im Gesetze angeführten Thätigkeiten gesetzt ist, sobald die Sache einen weiteren Schritt aus dem Machtbereiche des Berechtigten gemacht hat. Die folgenden Kreuz- und Querläufe der Sache sind juristisch irrelevant. Wenn also A eine gestohlene Sache am 1. Januar in Frankreich an gekauft und am 1. Juli in Deutschland weiter verkauft hat, so kann er nur wegen jenes Ankaufes, nicht wegen dieses Verkaufes zur Verantwortung gezogen werden.lö) 6. Bezüglich der Thäterschaft und der Teilnahme gelten die allgemeinen Grundsätze. Da die Partiererei selbständiges Delikt ist, kann auch ein an der „strafbaren Handlung" selbst Beteiligter sich der Partiererei in bezug auf die bei dieser von andern erlangten Sachen schuldig machen. ^) III. Die Arten der Partiererei. 1. Die einfache Partiererei (StGB. § 259). Strafe: Gefängnis. 2. Die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige1^ Par­ tiererei (StGB. § 260). Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren. 14) Vgl. überhaupt das oben § 41 IV Gesagte. ") Der Einwand, daß solche Fälle praktisch nicht vorkommen, trifft nicht die Richtigkeit der im Texte versuchten Konstruktion; wohl aber beweist er die praktische Wichtigkeit der Kontroverse: nach der früheren Ansicht des Reichsger. ist nur culpa lata, nach der im Texte vertretenen jede strafrechtliche relevante culpa in weitaus den meisten praktisch vorkommenden Fällen strafbar. 16) I. S. 15. März 1880 1/279. 17) So die gem. Meinung, während dieselbe Frage bei der Begünstigung lebhaft bestritten ist. Vgl. unten § 183 III. 18) oben § 57.

Verletzung der Individualrechte.

Übersicht.

§ 118.

399

3. Partiererei im zweiten Rückfälle (StGB. § 261). Strafe: a) Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Jahre, wenn sich die letzte Handlung auf einen schweren Diebstahl (StGB. § 243), einen Raub, oder ein dem Raube gleich zu bestrafendes Ver­ brechen (räuberischer Diebstahl, räuberische Erpressung) bezieht; b) in allen anderen Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. In bezug auf die V o r st r a f e n stehen Partiererei und Hehlerei einander gleich.19) In allen Fällen (1—3) kann neben der wegen Hehlerei er­ kannten Gefängnisstrafe auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und neben jeder Verurteilung wegen Hehlerei auf Zulässigkeit von Polizei­ aufsicht erkannt werden (StGB. § 262). 4. Ein der Partiererei verwandtes Delikt bedroht StGB. § 370 Ziff. 3: Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft trifft denjenigen, der von einem zum Dienststande gehörenden Unteroffizier oder Gemeinen des Heeres oder der Marine ohne schriftliche Er­ laubnis des vorgesetzten Kommandeurs Montierungs- oder Armatur­ stücke kauft oder zum Pfande nimmt.

Dritter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen Individualrechte. § 118. Übersicht. I. Zwischen die rein immateriellen Rechtsgüter und die Ver­ mögensrechte tritt, den Übergang von den einen zu den andern ver­ mittelnd, eine besondere Gruppe rechtlich geschützter Interessen, welche passend Individualrechte genannt worden sind?) 10) Vgl. im übrigen das oben § 97 III Gesagte. x) Gareis in Busch Archiv XXXV S. 202; Grundriß zu Vorlesungen über das deutsche bürgerliche Recht 1877 §§ 40 ff. Vgl. auch die hier ange­ führte Litteratur. Auch II. S. 29. März 1881IV/36 gebraucht den Ausdruck im gleichen Sinne.

400

§ 118.

Verletzung der Individualrechte. Übersicht.

Die rein immateriellen Rechtsgüter sind untrennbar an das Individuum geknüpft, als dessen höchstpersönliches SichDarleben sie erscheinen; sie können von ihrem Träger nicht losgelöst, auf einen andern nicht übertragen werden; sie sind nicht negoziabel und der Abschätzung in Geld nicht zugänglich. Das Rechtsgut der Ehre mag als typisches Beispiel dienen. In den Vermögensrechten dagegen tritt die Persönlichkeit vollständig zurück. Sie erschöpfen sich in ihrem Geldwerte und können eben darum von ihrem Träger losgelöst und auf jeden andern übertragen werden (Negoziabilität). Das Rechtsgut des Eigentums ändert seinen Charakter nicht, wenn es von dem A aus den B übergeht. Auch in den Individual­ rechten äußert sich die selbstthätige, schaffende Individualität; die höchstpersönliche Eigenart des bildenden Künstlers oder des for­ schenden Gelehrten spricht unmittelbar zu uns aus den Schöpfungen des einen wie aus den Geistesthaten des andern. Insoweit berühren sich die Individualrechte mit den rein immateriellen Rechtsgütern. Aber sie fallen doch mit diesen nicht gänzlich zusammen. Der künst­ lerische Gedanke bedarf der Form, um sich darzustellen; nur an und in der Materie äußert sich die Schaffenskraft des Geistes. Mit dieser Versinnlichung ist aber die Möglichkeit einer wenn auch nur teilweisen Loslösung des Gedankens von seinem Urheber, eine wenn auch unvollständige Übertragung an andre, eine wenn auch ganz ungenügende Abschätzung in Geld möglich. Mein Manuskript kann ich zum Verleger tragen; und meine technische Erfindung kann ich, sobald sie materialisiert worden, auf jeder Industrie-Ausstellung ausstellen und verkaufen. In diesem Punkte nähern die Individual­ rechte sich den Vermögensrechten, aber ohne in diese aufzugehen. So wird die Aufstellung einer besonderen Gruppe zu einer systematischen Notwendigkeit. II. In diese Gruppe gehören folgende rechtlich geschützte In­ teressen :2)3 1. Das Autorrecht. Obwohl das älteste der hierher ge­ hörenden Rechtsgüter, ist doch auch das Autorrecht neueren Ur2) Den richtigen Gedanken, daß alle fünf Rechtsgüter prinzipiell gleichen Charakter tragen, daß ihre Anerkennung demselben Rechtsgedanken entsprungen ist, vertritt auch Zorn, Staatsrecht II S. 121. 3) Eisenlohr, Das litterarisch-artistische Eigentum 1855. Klostermann, Das geistige Eigentum 1867, 1869. O. v. Wächter, Das Autorrecht 1875. Dambach HH. III S. 1022 ff. Lewis HR. „Urheberrecht".

Verletzung der Individualrechte.

sprungs.

Übersicht.

§ 118.

401

Dem römischen und mittelalterlich deutschen wie auch dem

älteren gemeinen Recht unbekannt,

entwickelt sich

das Autorrecht

allmählich aus den Druckerprivilegien, welche landesrechtlich seit betn 15. Jahrhundert sich finden.

Nur mühsam bricht sich insbesondere

im 18. Jahrhundert die Erkenntnis Bahn, daß der von zahlreichen Schriftstellern, von Luth er bis auf Kant, gebrandmarkte Nachdruck ein staatlich zu ahndendes Delikt darstelle.

Erst die Gesetzgebung des

deutschen Bundes (1832 und später) stellt einheitliche Grundsätze über die Voraussetzungen und die Bestrafung des Nachdruckes auf.

Die

Theorie arbeitet gleichzeitig an der richtigen Konstruktion des ge­ schützten Rechtsgutes; sie verwirft den durchaus unbrauchbaren Ge­ danken eines „geistigen Eigentums"; sie erkennt allmählich, daß dem Autorrecht, trotz seiner vermögensrechtlichen Seite, wegen seines Zu­ sammenhanges

mit

der individuellen Schöpfungskraft,

ein Platz

außerhalb der Vermögensdelikte gebührt, ^) freilich ohne daß bisher eine Einigung über die richtige Bestimmung dieses werden konnte.

Platzes erzielt

Unter dem Einflüsse der Wissenschaft nimmt die

modernste Gesetzgebung einen kräftigen Aufschwung.

Nur in einem

Punkte bedarf sie noch weiterer Entwickelung: um der Gegenseitigkeit willen muß die Gleichstellung inländischer und ausländischer Rechts­ güter, sei es auf dem Wege einzelner Staatsverträge, sei es durch Gründung eines internationalen Vereins angestrebt werden. 2.

Das

Urheberrecht

an

Werken

der

bildenden

Kunst?) 3. Das Urheberrecht an PHotographieen.c) 4. Das Urheberrecht an Mustern und Modellen.^) In England und Frankreich seit dem Ende des vorigen Jahr­ hunderts anerkannt, war dem deutschen Rechte der Musterschutz, mit 4) Heffter, Bluntschli, Lewis, Beseler, Harum, Schütze u. a. ö) O. v. Wächter, Das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, Photographieen und gewerblichen Mustern 1877. Klostermann, Das Ur­ heberrecht an Schrift- und Kunstwerken 1876. Lewis HR. „Urheberrecht". Klostermann in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie I S. 1012. 6) Vgl. die in der vor. Note angeführte Litteratur. 7) O. v. Wächter, Urheberrecht u. s. w. 1877. Aufsätze von Hack und von Schäffle in der Z. f. d. gef. Staatswissenschaft 1867. I annasch. Der Musterschutz und die Gewerbepolitik des Deutschen Reichs in v. Holtzendorffs Zeit- und Streitfragen 1873. Landgraf, Das deutsche Musterschutzgesetz in Hirths Annalen 1876. E. Meier HR. „Musterschutz". Klostermann in Schön­ bergs Handbuch der politischen Ökonomie I S. 1010. von Liszt, Strafrecht.

2. Aufl.

26

402

§ 118.

Verletzung der Individualrechte.

Übersicht.

Ausnahme der Länder des französischen Rechts, bis in die letzten Jahre fremd geblieben. Erst seit der Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Mutterlande führten die lebhaften Bestrebungen der dortigen Industrie zur Erlassung des deutschen Gesetzes von 1876. 5. Das Namen-, Firmen- und Markenrecht.8)9 10 Die gemeinrechtlichen Bestimmungen, welche § 287 RStGB. zum Schutze von Firmen und Namen getroffen hatte, erwiesen sich bald als unzureichend. Die allseitig verlangte und vor 1870 in mehreren Einzelstaaten schon vorhanden gewesene Ausdehnung auf Fabrik- und Warenzeichen wurde durch das Reichsgesetz vom 30. November 1874 in vollem Umfange gewährt. Auch hier handelt es sich um den Schutz eines Individualrechtes; wie die Schöpfungen der Kunst und Wissenschaft, sollen die Erzeugnisse des Handels und der Industrie gegen unbefugte Nachbildung geschützt werden. Ganz unrichtig ist es daher, die Verletzung der publica fides als aus­ schlaggebend zu erachten und den strafbaren Eingriff in das Marken­ recht unter die Fälschungsdelikte einzureihen?) 6. Das Patentrecht^0) schließt den Kreis der in diese Gruppe gehörenden Rechtsgüter ab. Der Schutz des Erfinderrechtes reiht sich an den Schutz des litterarischen, künstlerischen und gewerb­ lichen Urheberrechtes sowie des Markenrechts. Seit dem vorigen Jahrhundert in den meisten deutschen Staaten, wenn auch vielfach nur auf dem Wege der Verwaltungspraxis anerkannt, ist er durch das Reichsgesetz vom 25. Mai 1877 gewährleistet worden, nachdem eine weitverbreitete, von freihändlerischen Prinzipien ausgegangene, gegnerische Strömung durch den raschen und energischen Umschwung der öffentlichen Meinung seit dem Beginne der 60 er Jahre in den Hintergrund gedrängt worden war. Der internationale Schutz des Erfinderrechtes liegt dagegen noch gänzlich im argen. 8) Dambach HH. IV S. 467. Merkel HR. „Fabrik- und WarenzeichenFälschung". Meves HR. „Markenschutz". Kommentar zum Reichsges. von 1874 von Meves, Endemann, Stockheim, Landgraf. Klostermann in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie I S. 1014. 9) wie dies von Merkel, Meyer u. a. geschieht. 10) Köhler Deutsches Patentrecht 1878. E. Meier HR. „Erfinderpatente". Kommentare zum Reichsges. von Dambach, Grote, Landgraf, Gareis, Klostermann, Rosenth al. — Klostermann in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie I S. 998.

Die Verletzung des Autorrechtes.

§ 110.

§ 119.

403

Die Verletzung des Autorrechtes.

Quelle: Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken vom 11. Juni 1870. Das Gesetz findet Anwendung (§ 61) 1. auf alle Werke in­ ländischer Urheber, mögen sie im Jnlande oder Auslande er­ schienen x) oder überhaupt noch nicht veröffentlicht sein; 2. auf Werke ausländischer Urheber, wenn sie bei Verlegern erscheinen, die im Gebiete des Deutschen Reiches ihre Handelsniederlassung haben.2)3 I. Der eigentliche Nachdruck. 1. Nachdruck ist die mechanische Vervielfältigung a) eines Schriftw erkes; b) geographischer, topographischer, naturwissenschaftlicher, architektonischer, technischer und ähnlicher Zeichnungen und Abbildungen, welche nach ihrem Haupt­ zwecke nicht als Kunstwerke zu betrachten sind; c) musikalischer Kompositionen; und zwar ohne Genehmigung des Be­ rechtigten und in der Absicht, den Nachdruck innerhalb oder außerhalb des Deutschen Reiches zu verbreiten (§§ 4—7, 18, 43 f., 45 ff.).-) Dem Nachdrucke steht gleich die unbefugte öffentliche Aufführung eines dramatischen, musikalischen oder dramatisch-musikalisch en Werkes, mag die Aufführung eine vollständige sein oder mit unwesentlichen Änderungen vor sich gehen (§§ 50 und 54). 2. Strafbar ist die vorsätzliche oder fahrlässige Ver­ anstaltung eines Nachdrucks (Thäterschaft), sowie die vorsätz­ liche oder fahrlässige Veranlassung (Anstiftung) eines 2) Erscheinen ist soviel wie Ausgeben; vgl. darüber v. Liszt, Preßrecht § 42 V. scheint, so

Wenn dasselbe Werk zuerst im Auslande und später im Jnlande er­ liegen juristisch

zwei selbständige Werke vor, deren zweites den

Schutz des Gesetzes genießt. II 180).

A. A. (gewiß unrichtig) III. S. 12. Juni 1880

Ein passendes Beispiel bietet die „Tauchnitzedition" englischer Werke.

2) Die internationalen Litterarkonventionen sind

abgedruckt bei Stau­

dinger, Sammlung von Staatsverträgen des Deutschen Reichs über Gegen­ stände der Rechtspflege 1862.

Dazu Deutsch-französischer Litterarvertrag vom

19. April 1883 (Mit Erläuterungen von O. Dambach 1683 sZ. IV S. 141]). 3) Als Nachdruck kann auch die Dramatisierung eines Romans erscheinen, wenn sie einfache Wiedergabe desselben ohne schöpfung ist.

II. S. 22. Juni 1883 VIII/428.

selbständige künstlerische Neu­

§ 119.

404

Die Verletzung des Autorrechtes.

anderen zur — sei es vorsätzlichen oder fahrlässigen, sei es schuld­ losen — Veranstaltung eines Nachdrucks (§§ 18, 20, 54).

Daß

wir es hier mit einer durchaus singulären Abweichung von den all­ gemeinen Grundsätzen über Teilnahme zu thun haben (fahrlässige Anstiftung einerseits, Anstiftung zu fahrlässigem Delikt anderseits), wurde bereits oben § 51 Note 3 bemerkt. 3.

Strafe für Veranstaltung wie Veranlassung:

Geldstrafe

bis zu dreitausend Mark, die im Falle der Uneinbringlichkeit nach Maßgabe der allgemeinen Strafgesetze in eine entsprechende Freiheits­ strafe bis zu sechs Monaten umzuwandeln ist.

Rückfallsschärfung

ist ausgeschlossen (§ 23). 4. Der Veranstalter bleibt straffrei, wenn er auf Grund ent­ schuldbaren, thatsächlichen oder rechtlichen Irrtums in gutem Glauben gehandelt hat (§ 18 Abs. 2).

Somit schließt auch der Mangel des

Bewußtseins der Rechtswidrigkeit,

wenn

derselbe auf einem ent­

schuldbaren Irrtume beruht, die Strafbarkeit aus.4) 5. Statt der Entschädigung kann neben der Strafe auf Ver­ langen des Beschädigten auf eine an diesen zu erlegende Geld­ buße Die zu

bis zum Betrage von sechstausend Mark erkannt werden. derselben Verurteilten haften als Gesamtschuldner.

Zu­

erkennung der Buße schließt die Geltendmachung eines weiteren Ent­ schädigungsanspruches aus (§§ 18 und 54). Dagegen besteht die Entschädigung, welche dem Berechtigten im Falle der unbefugten öffentlichen Aufführung eines dramatischen u. s. w. Werkes zu gewähren ist, in dem ganzen Betrage der Einnahme von jeder Aufführung ohne Abzug der auf dieselbe verwendeten Kosten (§ 55).5) 6. Die vorrätigen Nachdrucksexemplare und die zur wider­ rechtlichen Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen unterliegen der Einziehung (§ 21), und sind, nachdem auf diese rechtskräftig erkannt worden ist, entweder zu vernichten oder ihrer gefährdenden Form zu entkleiden und alsdann dem Eigentümer zurück­ zugeben.

Die Einziehung

erstreckt sich

auf

alle Exemplare

und

Vorrichtungen, die sich im Eigentume des Veranstalters des Nach­ druckes, des Druckers, der Sortimentsbuchhändler, der gewerbsmäßigen Verbreiter und desjenigen, der den Nachdruck veranlaßt hat, befinden^

4) oben § 38 Note 26. B) oben 8 60 II a. E.

Die Verletzung des Autorrechtes.

§ 119.

405

Die Einziehung tritt auch dann ein, wenn der Veranstalter oder Veranlasser des Nachdruckes weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat.

Sie erfolgt auch gegen die Erben desselben.

Der Antrag auf Einziehung ist so lange zulässig (§ 36), als solche Exemplare oder Vorrichtungen vorhanden sind. 7. Das Vergehen des Nachdruckes ist vollendet, sobald ein Nachdrucksexemplar hergestellt worden ist (§ 22).

Im Falle des

Versuches tritt weder Bestrafung noch Entschädigungsverbindlich­ keit ein.

Die Einziehung der Vorrichtungen erfolgt jedoch auch in

diesem Falle. 8. Der Nachdruck ist Antragsdelikt. bis

zur

(§ 27).

Verkündung

eines

auf

Strafe

Antrag rücknehmbar

lautenden Erkenntnisses

Antragsberechtigt ist jeder in seinem Urheber- oder Verlags­

rechte Beeinträchtigte (§ 28).

Das Antragsrecht entfällt, wenn der

Antrag nicht binnen drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem begangenen Vergehen

und

von der

Person des

Thäters

gestellt

wird (§ 36). 9. Das Vergehen des Nachdruckes verjährt in drei Jahren, von dem Tage, an welchem die Verbreitung der Nachdrucksexemplare zuerst stattgefunden hat (§ 33). II. Vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassung der Quellen­ angabe (§ 24), soweit diese bei gestattetem Abdrucke bereits veröffentlicher Schriften vorgeschrieben ist (§ 7 a), wird an dem Ver­ anstalter

und

Veranlasser

sechzig Mark geahndet. schlossen.

des Abdruckes

mit Geldstrafe

bis

zu

Umwandlung in Freiheitsstrafe ist ausge­

Eine Entschädigungspflicht tritt nicht

ein.

Antrags­

delikt; das oben I, 8 Gesagte findet auch hier Anwendung.

Das

Delikt verjährt in drei Monaten von dem Tage, an welchem der Abdruck zuerst verbreitet worden ist (§ 37). III. Das vorsätzliche Verbreiten von Nachdrucks­ exemplaren (das gewerbsmäßige Feilhalten, Verkaufen u. s. w.). Strafe: wie oben I, 3; Geldbuße: wie oben I, 5.

Einziehung

findet auch dann statt, wenn der Verbreiter nicht vorsätzlich gehandelt hat.

Veranstalter

und

Veranlasser des

Nachdruckes

trifft Ent-

schädigungspslicht und Strafe, wenn sie nicht schon als solche ent­ schädigungspflichtig und strafbar sind (§ 25). Antragsdelikt: wie oben I, 8.

Die Verjährung tritt

in drei Jahren von dem Tage ein, an welchem die Verbreitung zu­ letzt stattgefunden hat.

406 § 130.

§ 120.

Die übrigen Verletzungen von Individualrechten.

Die übrigen Verletzungen von Individualrechten.

I. Verletzung des Urheberrechtes an Werken der bildenden Künste, nach dem Gesetz vom 9. Januar 1876 § 5 begangen durch unbefugte Nachbildung eines solchen Werkes in der Absicht, dieselbe zu verbreiten. Das oben § 119 I, 2—9, II und III Gesagte findet auch hier Anwendung (§ 16). II. Verletzung des Urheberrechtes an Photogra­ phiern, nach dem Gesetz vom 10. Januar 1876 § 3 begangen durch unbefugte mechanische Nachbildung eines photographischen Werkes in Verbreitungsabsicht. x) Auch hier gelten die oben § 119 I, 2—9, II und III angeführten Grundsätze (§ 9). III. Verletzung des Urheberrechtes an Mustern und Modellen, nach dem Gesetz vom 11. Januar 1876 § 5 begangen durch unbefugte Nachbildung eines Musters oder Modelles in Ver­ breitungsabsicht. Das oben § 119 I, 2—9, II und III Gesagte ist auch hier anzuwenden (§ 14). IV. Verletzung des Namen-, Firmen- oder Mar­ kenrechtes. Nach § 14 des Gesetzes vom 30. November 1874, der an Stelle des § 287 StGB, getreten ist, wird derjenige, welcher: a) Waren oder deren Verpackung wissentlich mit einem nach Maßgabe dieses Gesetzes zu schützenden Warenzeichen, oder mit dem Namen oder der Firma eines inlän­ dischen^) Produzenten oder Handeltreibenden widerrechtlich bezeichnet,*3) 2oder b) wissentlich dergleichen widerrechtlich bezeichnete Waren in Verkehr bringt oder feilhält, mit Geldstrafe von hundertfünfzig bis zu dreitausend Mark oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des verletzten Produ­ zenten oder Handeltreibenden ein. x) Hierher gehört die Anfertigung eines zweiten Exemplares des bei einem Photographen bestellten Bildnisses in der Absicht, dasselbe im Schaufenster auszuhängen. II. S. 21. September 1880 II 246. 2) Internationale Verträge bei Staudinger (oben § 119 Note 2). 3) Bei kleineren Abänderungen entscheidet der Gesamteindruck. III. S. 24. Dezember 1879 1/130, I. S. 6. November 1882 VII/214.

Die übrigen Verletzungen von Individualrechten.

§ 120.

407

Statt der Entschädigung kann neben der Strafe auf Verlangen des Beschädigten auf eine an diesen zu erlegende Buße bis zum Be­ trage von fünftausend Mark erkannt werden. Die zu derselben Verurteilten haften als Gesamtschuldner. Die Zuerkennung schließt die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches aus (§ 15).

In dem verurteilenden Erkenntnisse ist (§ 17) auf Antrag des Verletzten bezüglich der im Besitze des Verurteilten befindlichen Waren auf Vernichtung der Zeichen auf der Verpackung oder den Waren, oder wenn die Beseitigung der Zeichen in anderer Weise nicht möglich ist, auf Vernichtung der V erpackung oder der Waren selbst zu erkennen. Ferner ist (§ 17) dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung und die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu bestimmen.^) V. Die Verletzung des Patentrechtes. Gesetz vom 25. Mai 1877. Die Erteilung eines Patentes (sie findet nach § 1 statt für neue Erfindungen, welche eine gewerbliche Verwertung ge­ statten) hat die Wirkung, daß niemand befugt ist, ohne Erlaubnis des Patentinhabers den Gegenstand der Erfindung gewerbsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen oder feilzuhalten, bez. das er­ fundene Verfahren anzuwenden oder den Gegenstand der Erfindung zu gebrauchen (§ 4). 1. Wer unbefugt und wissentlich eine patentierte Erfindung in Gebrauch nimmt, wird (§ 34) mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Antragsdelikt. Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung (§ 35) wie oben unter IV. Statt der Entschädigung kann (§ 36) auf Buße bis zu zehntausend Mark erkannt werden. Weiterer Entschädigungsanspruch in diesem Falle ausgeschlossen. Mehrere Verurteilte haften als Ge­ samtschuldner. Die Klagen wegen Verletzung des Patentrechtes verjähren (§ 38) rücksichtlich jeder einzelnen dieselbe begründenden Handlung in drei Jahren. 2. Nicht als die Verletzung eines Individualrechtes, sondern als eine Gefährdung der Interessen des Publikums haben 4) oben § 36 Note 5.

408

§ 121.

Die Beleidigung.

Geschichte und Begriff.

wir die — nur des Zusammenhanges wegen an dieser Stelle be­ handelte — Simulierung des Patentschutzes (§ 40) zu betrachten. Mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft wird bestraft: a) wer Gegenstände oder deren Verpackung mit einer Bezeichnung versieht, welche geeignet ist, den Irrtum zu erregen, daß die Gegenstände durch ein Patent geschützt seien; b) wer in öffentlichen Anzeigen, auf Aushängeschildern, auf Empfehlungskarten oder in ähnlichen Kundgebungen eine Be­ zeichnung anwendet, welche geeignet ist, den gleichen Irrtum zu erregen.

Vierter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen immaterielle Nechtsgüter. I. Strafbare Handlangen gegen die Ehre. § 121. Geschichte und Begriff. *) I. Auf keinem andern Gebiete des Strafrechts tritt der Wechsel der Anschauungen, welcher nicht nur neue Interessen zu Rechtsgütern stempelt, sondern auch anerkannte Rechtsgüter innerlich umgestaltet, so deutlich zu Tage, wie auf dem Gebiete der gegen die Ehre gerichteten Delikte. Was wir heute Ehre nennen und was der Germane von jeher so genannt hat, ist dem römischen Rechte stets fremd geblieben. Ihm war Ehre der Vollgenuß der römischen Bürgerrechte (dignitatis illaesae status legibus ac moribus comprobatus), deren Besitz wie Verlust durch festbestimmte objektive Normen genau geregelt *) Weber, Injurien und Schmähschriften (1793) 4. Ausl. 1820. Köstlin, Abhdlgn. 1858. v. Buri, Abhdlgn. 1862. Dochorv, HH. III. John, HR. „Ehrenkränkung". Derselbe, Zeitschrift I S. 277 und gegen ihn v. Buri GS. XXXIII (1881 Z. II S. 160). Vgl. auch Osenbrüggen, Die Ehre im Spiegel der Zeit. Ganz unbrauchbar: Freudenstein, System des Rechts der Ehrenkränkungen. 2. Aufl. 1884.

Die Beleidigung. war.

Geschichte und Begriff. § 121.

409

Die injuria mit ihrem weiten Thatbestände, welcher jeden

vorsätzlichen Eingriff in die Rechtssphäre eines andern umfaßt, kann der modernen „Beleidigung" nicht an die Seite gestellt werden.

Die

actio injuriarum aestimatoria war aus der Körperverletzung hervorgewachsen; das pulsare und verberare jener angeblichen lex Cornelia stand auf demselben Boden. bedeuten, wenn,

wie

Und darum will es wenig

behauptet wird, nach spätrömischem Rechte

(J. 4, 4) bei jeder injuria dem Verletzten die Wahl offen stand zwischen der zivilen actio und der strafrechtlichen accusatio. Nur in

einem Punkte war das römische Recht von jeher

empfindlich gewesen.

Schon die XII Tafeln bedrohten es mit kapi­

taler Strafe, 2) si quis occentasset sive carmen condidisset, quod infamiam faceret flagitiumve alteri. Und in der Kaiserzeit waren die libelli famosi, die anonymen Schmähschriften, mit strenger Strafe bedroht. Anders die deutschen Volksrechte.

Für den Germanen

wurzelt die Ehre voll und ganz in der Person und mit dieser in der Anerkennung von seiten der Genossen.

Sie kann durch jedes Wort

verletzt, sie kann aber auch nicht nur durch das Schwert, sondern auch durch den Spruch der Genossen und die Ehrenerklärung des Gegners wieder hergestellt werden.

Die Volksrechte zählen uns die

Schelt- und Schimpfwörter mit den auf sie gesetzten Bußen auf; sie schildern uns die verschiedenen Realinjurien und ergehen sich in be­ haglicher Breite über die Unterschiede in den Strafen, welche die ver­ schiedenen unzüchtigen Berührungen einer Frau oder eines Mädchens nach sich zogen.

Die Quellen des späteren Mittelalters,

insbesondere die Stadtrechte, stehen auf dem gleichen Standpunkte; doch zeigt sich in ihnen bereits das Streben, Beschimpfung und Real­ injurie, Verleumdung und

falsche Anklage schärfer voneinander zu

sondern. Es war begreiflich, daß dieser Auffassung die römischrechtliche Behandlung der Ehrverletzung nicht genügen konnte, und daß, als die PGO. in Art. 110 nur die Schmähschriften mit peinlicher Strafe bedrohte und die RPolizeiordnungen

ihr darin

nachfolgten,

das

deutsche Rechtsbewußtsein nach einer andern Lösung der Frage drängte. Diese Lösung bot einerseits der Zweikampf, dessen Überhandnehmen seit dem Ausgange des Mittelalters zu steuern die Gesetzgebung nicht

2) Vgl. oben §6 6. 25.

410

§ 121.

Die Beleidigung.

Geschichte und Begriff.

Vermochte; bot anderseits das sächsische Recht, welches die alt­ deutschen, schon in den Volksrechten sich findenden, aus einer Art des Reinigungseides entstandenen Institute der Abbitte, des Wider­ rufs und der Ehrenerklärung^) erhalten und weitergebildet hatte. Außerdem zeigte die Landesgesetzgebung das entschiedene Streben, im Gegensatze zu der gemeinrechtlichen actio injuriarum, die dem deutschen Rechtsbewußtsein besser entsprechende kriminelle Strafbarkeit der Be­ leidigung festzuhalten. So entstand eine Verwirrung in der Behand­ lung der Ehrenbeleidigung, welche, gefördert durch den flachen, die festgewurzelten Volksanschauungen vornehm ignorierenden Rationalis­ mus des 18. Jahrhunderts, bis in die neueste Zeit hineinreicht und auch noch heutzutage in der unglückseligen Verbindung der Privat­ klage mit der Beleidigung ihren Ausdruck findet, dem Verletzten ctlf die Mühen, Kosten und Bitternisse einer Rechtsverfolgung vor dem Strafrichter, vielleicht auch noch vor „Laien" aufbürdend. II. D er 33 eg riss. 1. Ehre als Rechtsgut ist das rechtlich geschützte Inter­ esse desEinzelindividuums oder der Individuen gruppe, als die eingenommene Stellung innerhalb der geglie­ derten Gesellschaft vollkommen ausfüllend betrachtet und behandelt zu werden. In dieser Definition liegt — im Gegensatze zu der herrschenden Ansicht — ausgedrückt, daß Ehre im Rechtssinne und „Menschen­ würde" oder „bürgerliche Achtung" nicht identische Begriffe sind. Ehre ist durch die allgemein menschliche Geltung bedingt, geht aber über sie hinaus. Sie trägt einen höchst persönlichen, durchaus in­ dividuellen Charakter; und gerade in dieser subjektiven Färbung unsres modernen Ehrgefühles (welche durch eine gewisse Überspannung desselben bedingt ist und umgekehrt wieder diese fördert) liegt der charakteristische Unterschied des heutigen Ehrbegriffes gegenüber der römischen Bürgerehre. Aber sie ruht auf gesellschaftlicher Grundlage wie die germanische Genossenehre. Oder um mit Jhering zu sprechen:*4) Ehre ist „das Selbstzeugnis des bestim­ mungsgemäßen sozialen Daseins"; sie „findet ihren Maßstab in der sozialen Bestimmung des Individuums"; sie wird bedingt nicht durch ») Hälschner GS. (1864) S. 321. — Vgl. auch PGO. Art. 216. 4) dessen Auffassung (Zweck im Recht) mit der im Texte vertretenen in allem wesentlichen sich deckt. Die strafrechtliche Litteratur ist in der prinzipiellen Auffassung des Begriffes über Feuerbach nicht hinausgekommen.

Die Beleidigung.

Geschichte und Begriff.

§ 111.

411

das, „was der Mann an sich ist, sondern was er ihr (der Gesell­ schaft) ist". Der Inhalt der Ehre ist nach der hier vertretenen Auf­ fassung ein anderer, wenn es sich um den Bauer oder den Hand­ werker, den Offizier oder den Fabrikherrn, den Staatsmann oder den Gelehrten, den Beamten oder den Studenten handelt. Mit Recht hat das Reichsgericht in der Äußerung über eine Rede Bis­ marcks: „eine solche Rede könne jeder Schornsteinfeger halten" eine Beleidigung des Reichskanzlers erblickt, ohne damit der Menschen­ würde oder bürgerlichen Ehrenhaftigkeit der Schornsteinfeger nahe­ zutreten. Diese Auffassung — aber auch nur sie allein — erklärt uns auch die besondere Stellung, welche die Majestätsbeleidigung einnimmt. Die Ehre des Monarchen ist nur dann ihrem Inhalte nach eine andre als die des geringsten unter den Unterthanen, wenn wir ihn als Monarchen, nicht aber in seiner Menschenwürde oder nach seiner ethischen Tüchtigkeit ins Auge fassen. Die Ehre ist ein Rechtsgut, aber kein subjektives Recht. Der Rechtsschutz der Ehre erschöpft sich in dem Schutze gegen Verletzung. Der Ehre steht rechtlich kein positiver Anspruch auf Achtung, sondern nur ein negativer Anspruch auf Nichtausdruck der Nicht­ achtung, auf Nichtverletzung gegenüber. Sie ist in Geld nicht abschätzbar (die Buße ist Genugthuung für den Angriff, nicht Wieder­ herstellung der verminderten Ehre), nicht negoziabel: ein rein im­ materielles Rechtsgut. 2. Nach dem Gesagten ist es klar, daß nur der Lebende Träger des Rechtsgutes sein kann, welches wir Ehre nennen, daß also „Beleidigung" eines Verstorbenen juristisch nicht möglich ist. Ebensowenig kann auch das Kind — wobei freilich die Grenzlinie schwer zu ziehen ist — in seiner „Ehre" verletzt werden?) Anders steht es mit dem Geisteskranken, in welchem wir trotz der Umnachtung seines Geistes den Genossen zu achten verbunden sind?) 1 Ebenso ergibt sich aber aus dem Begriffe der Ehre auch mit Notwendigkeit die Folgerung, daß nicht nur das Einzelindividuum, sondern auch die Jndividuengruppen, soweit sie als Kollektiv6) Dagegen die gern. Meinung. Richtig v. Buri und John. 6) Regelmäßig wird die Frage sowohl bezüglich des Kindes wie auch des Geisteskranken in gleicher Weise entschieden. Der Satz des röm. Rechts (1. 3 § 2 D. 47, 10): Pati quis injuriam etiamsi non sentiat potest — kann nach der im Texte vertretenen Auffassung der römischrechtlichen injuria weder für noch gegen als Argument verwertet werden.

412

§ 122.

Die Arten der Beleidigung.

Persönlichkeit innerhalb des gesellschaftlichen Organismus an­ erkannt sind, Träger des Rechtsgutes „Ehre" und als solche Objekte der „Beleidigung" sein tonnen.7) Eine andre Frage ist es, inwie­ weit diese theoretische Folgerung die Anerkennung der Gesetzgebung gefunden hat. Das Reichsstrafrecht schützt regelmäßig, von besonderer An­ ordnung abgesehen, nur die Ehre des Einzelindividuums, nicht die der Jndividuengruppen.8) Ausnahmen finden sich:9)10 a) StGB. §§ 196, 197 Beleidigung von Behörden und politischen Körperschaften; b) StGB. § 187 Gefährdung des Kredits von Handels­ gesellschaften; c) StGB. § 189 Schutz der Familien ehre. Mit der Frage nach der Möglichkeit einer Beleidigung von Kol­ lektivpersönlichkeiten ist die andre Frage nicht zu verwechseln, ob und inwieweit Einzelpersonen durch Kollektivbezeichnung beleidigt werden können. Im allgemeinen muß eine derartige Be­ zeichnung, wie z. B. (aus der Praxis): „die Geistlichkeit Berlins" oder „die braunschweigischen Leutnants" als genügend erachtet werden, sobald durch dieselbe einzelne Personen in erkennbarer Weise bezeichnet sind.") § 122

Die Arten der Beleidigung.

I. Die Ehrverletzung (StGB. § 185) oder die Beleidigung im eigentlichen Sinne; der Ausdruck der Nichtachtung, mag derselbe in der Form eines Urteils oder in der Form einer das Urteil in sich schließenden Thatsachenbehauptung erfolgen. Die Äußerungen: „Er ist ein Betrüger" und „er hat mich betrogen" sind strafrechtlich von durchaus gleicher Bedeutung. Der Vorsatz (fahrlässige Beleidigung ist denkbar, aber nicht strafbar) besteht auch hier lediglich in dem Bewußtsein öjm der Kau’) So auch die gesamte ältere Litteratur. 8) Dies die heute ziemlich allgemein anerkannte Ansicht, welche auch das Reichsger. konsequent vertritt. Man vgl. auch Bolze GA. XXVI. ®) Außer den hier angeführten sei an StGB. § 166: Beschimpfung von Religionsgesellschaften — vgl. unten § 162 III — erinnert. 10) So auch im allg. das Reichsger., insbes. II. S. 3. Juli 1883 IX/1.

Die Arten der Beleidigung.

413

§ 122.

salität des Thuns; eine darüber hinausgehende Absicht, ein sog. animus injuriandi, ist nicht erforderlich. 4) *23 Die Beleidigung ist

vollendet, sobald der Ausdruck der

Nichtachtung zur Kenntnis des Beleidigten oder einer dritten Person gelangt.

Ob diese dritte Person ein Post- bez. Telegraphenbeamter

ist, welcher eine ihm zur Beförderung übergebene Mitteilung liest, oder aber ein gewöhnlicher Sterblicher, kann keinen Unterschied be­ gründen. 2)

Umgekehrt darf auch nicht angenommen werden,3) daß

jede offene Postkarte ausnahmslos von den Postbeamten und Brief­ boten gelesen zu werden pflegt. Der Versuch ist nicht strafbar.

War der gewählte Ausdruck

nicht geeignet, das Auszudrückende auszudrücken, so würde untaug­ licher Versuch vorliegen.

Dabei muß aber die Anschauungsweise der

betreffenden Kreise, darf nicht etwa ein objektiver Maßstab zu Grunde gelegt werden.4) Strafe: a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark, oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; b) wenn mittels einer Thätlichkeit, d. h. mittels eines un­ mittelbar gegen den Körper des zu Beleidigenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriffes begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren.

Der verschiedene Vorsatz scheidet Realinjurie5)6 und

Körperverletzung; ist — was wohl in der Regel der Fall sein dürfte — das Bewußtsein vorhanden, daß die Handlung nach beiden Richtungen hin kausal sein

werde,

so gibt

nach allgemeinen Grundsätzen der höhere Strafsatz den Aus­ schlag. °)

*) Über diese Frage herrscht noch vielfache, durch § 193 StGB, gesteigerte Unklarheit. Auch die einschlagenden Entscheidungen des Reichsger. enthalten manche recht bedenkliche Bemerkung.

Durchaus klar und richtig John Z. IS. 298.

2) A. A. Schütze, der diese Menschen nur als „Maschinen" betrachtet. 3) wie dies in der Praxis vielfach geschehen ist. 4) I. S. 22. April 1880 1/390. B) Im Gegensatze zur Realinjurie kann man von einer Ideal injurie sprechen, und diese in die Verbalinjurie und die symbolische Injurie unterscheiden. 6) Das preuß. StGB, hatte die Realinjurie in durchaus unglücklicher Weise in der Körperverletzung aufgehen lassen.

414

§ 122.

Die Arten der Beleidigung.

II. Die Gefährdung der Ehre durch üble Nachrede2) (StGB. § 186), d. i. das Behaupten oder Verbreiten von nicht erweislich wahren Thatsachen 78) in Beziehung auf einen anderen, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet sind. Die üble Nachrede ist nicht Ver­ letzung, sondern Gefährdung der Ehre; nicht Ausdruck der Nicht­ achtung, sondern Mitteilung des Materiales, das andere zur Nichtachtung veranlassen kann. Sie kann daher nicht gegenüber dem Betroffenen,9) sondern nur in b ezug auf ihn gegenüber dritten Personen begangen werden; und ist vollendet mit der Behaup­ tung oder Verbreitung der Thatsachen, d. h. sobald die Thatsache zur Kenntnis einer dritten Person gebracht ist. Daher ist ferner — im Gegensatze zu dem oben unter I Gesagten — nicht die Anschauung derjenigen Kreise, für welche die Äußerung zunächst berechnet ist, sondern die des objektiv urteilenden Publikums maßgebend.10)* Durch die Fassung des Nebensatzes: „wenn nicht diese That­ sachen erweislich wahr sind" hat der Gesetzgeber in möglichst deut­ licher Weise zum Ausdrucke gebracht, daß die Nichterweislichkeit der Thatsachen eine außerhalb der verbrecherischen Handlung liegende rein objektive Bedingung der Strafbarkeit ist. ") Daraus folgt, daß der Vorsatz des Thäters sich nicht auf die „Nichterweislichkeit" zu erstrecken braucht, daß mithin, trotz irriger Annahme der Erweislich­ keit oder trotz einer ohne alles Verschulden des Thäters infolge äußerer Umstände eingetretenen Nichterweislichkeit — der Thatbestand des § 186 gegeben sein fern«.12) Fahrlässige Begehung ist denkbar, aber nach der Fassung des § 186 nicht strafbar. Strafe: a) Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre; 7) in der älteren Litteratur (zu Anfang dieses Jahrhunderts) wohl auch als „kulpose Verleumdung" bezeichnet. 8) „Thatsache" vgl. oben § 109 Note 6. •) Ebenso III. S. 29. Juni 1881 IV/401; insbesondere III. S. 30. No­ vember 1882 VII/285. 10) II. S. 23. Januar 1880 1/161 (in bezug auf § 131 StGB.). “) Vgl. oben § 42. 12) So die gern. Meinung, wenn auch mit unsicherer Begründung. Auch I. S. 30. Oktober 1882 VIII/171; II. S. 28. September 1883 IX/150. Un­ richtig Binding, Normen II S. 611, sowie die 1. Ausl.

Die Arten der Beleidigung.

§ 122.

415

b) wenn a) öffentlich, d. h. fo, daß die Behauptung einem indi­ viduell nicht bestimmten und begrenzten Kreise von Per­ sonen zugänglich war, ß) durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen13) begangen, Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. III. Die Gefährdung der Ehre durch Verleumdung") (StGB. § 187) unterscheidet sich von der üblen Nachrede: a) dadurch, daß an Stelle der „nicht erweislich wahren" That­ sachen „unwahre" Thatsachen treten; b) dadurch, daß die Unwahrheit der Thatsache zum konstitutiven Element der verbrecherischen Handlung gemacht ist, so daß der Vorsatz (fahrlässige Begehung würde aus dem Rahmen des § 187 herausfallen) auch das Bewußtsein von der Un­ wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Thatsache mit umfassen muß.15) Im übrigen deckt sich der Thatbestand der Verleumdung mit jenem der üblen Nachrede. Ihre höhere Strafbarkeit gegenüber der Beleidigung beruht darauf, daß der Verleumder, wie der Verräter oder der Dieb, hinter dem Rücken des Angegriffenen und ohne sein eignes Urteil offen auszusprechen, also aus gedeckter Stellung, den Leumund seines Opfers untergräbt. Auch die Verleumdung ist Ge­ fährdung, nicht offene Verletzung der Ehre. Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren; wenn die oben zu II b angeführten Qualifikationen vorliegen, Gefängnis nicht unter einem Monate. Bei mildernden Umständen kann entweder die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt, oder auf Geldstrafe bis zu neunhundert Mark erkannt werden. IV. Die Gefährdung des Kredits durch Verleum­ dung (§ 187), d. i. die wider besseres Wissen in bezug auf einen ") Vgl. v. Liszt, Preßrecht § 42. ") seit Feuerbach und Grolmann als Verletzung des „Rechts auf den guten Namen" von der Beleidigung als der Verletzung der „bürgerlichen Ehre" unterschieden, und als Vorwurf rechtswidriger, bez. in der Meinung des Publikums herabsetzender Handlungen bestimmt. 15) Über das Verhältnis der Verleumdung zur falschen Anschuldigung vgl. unten § 182.

416

§ 122.

Die Arten der Beleidigung.

andern erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche dessen Kredit zu gefährden geeignet sind. Das Gesetz schützt durch diese, hauptsächlich dem sächs. StGB, von 1868 entnommene, Bestimmung nicht etwa ein andres Rechtsgut als die Ehre, insbe­ sondere nicht etwa vermögensrechtliche Interessen,16) sondern eine besondere (wirtschaftliche) Seite der Ehre, den Kredit als das „Vertrauen, das jemand hinsichtlich der Erfüllung seiner vermögens­ rechtlichen Verbindlichkeiten genießt" (OlsHausen), oder, wie wir sagen können, das Interesse des Kreditnehmenden, als zahlungsfähig und zahlungswillig betrachtet und behandelt zu werden. Daß diese Seite der Ehre auch in bezug auf Handelsgesellschaften, also Kollektivpersönlichkeiten, durch § 187 StGB, geschützt werden soll, wird allgemein zugegeben. Strafe wie zu III. V. Gefährdung der Familienehre durch Verleum­ dung Verstorbener (StGB. § 189), d. h. Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen durch wider besseres Wissen erfolgende Behauptung oder Verbreitung von Thatsachen, welche denselben bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wären. Der Tote ist nicht mehr Rechtssubjekt; er kann in seiner Ehre ebensowenig wie in seinem Leben verletzt werden, da er jene ebensowenig mehr besitzt wie dieses.") Aber die Interessen der Familie als einer Jndividuengruppe, einer Kollektivpersönlichkeit erstrecken sich über das Leben der einzelnen Generation hinaus. Die Familienehre wird verletzt durch Be­ schimpfung eines verstorbenen Gliedes, und diese Familienehre schützt der Gesetzgeber.") Daher die Antragsberechtigung der Ange­ hörigen (Eltern, Kinder, Ehegatten), daher die Beschränkung des 16) Unrichtig ist es demnach, die Kreditgefährdung zu den Vermögensdelikten zu stellen, wie Meyer das thut. Im wesentlichen mit diesem übereinstimmend auch Hälschner, Berner u. a. 17) Dies ist seit Weber herrschende Ansicht der Wissenschaft. Dagegen halten an der Möglichkeit einer Injurie gegen Verstorbene fest Meyer auf Grund einer ganz unhaltbaren Parallele, sowie Amsler in seiner völlig ver­ fehlten Schrift: Die Möglichkeit einer Injurie an Verstorbenen. 1871. 18) Die Konstruktion des § 189 StGB, ist eine sehr bestrittene. Für meine Auffassung scheint mir nicht nur Stellung und Fassung des § 189, sondern auch das natürliche Gefühl zu sprechen. Die Solidarität der Interessen der Familienglieder kann wohl nicht geleugnet werden, und sie ist es, welche die Familie hier wie sonst zur Kollektivpersönlichkeit erhebt.

Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.

§ 123.

417

rechtlichen Schutzes auf jene wenigen Generationen, die als im un­ mittelbaren Zusammenhange mit dem Verstorbenen befindlich und daher als durch das Urteil über den Verstorbenen mit berührt betrachtet werden können. Es enthält mithin auch § 189 einen Fall der Beleidigung im streng juristischen Sinne des Wortes, und die durch die Stellung des Paragraphen widerlegte Erklärung der Motive, es solle durch § 189 das „religiöse Gefühl geschützt werden, mit welchem der Über­ lebende seiner verstorbenen Angehörigen gedenkt" — erscheint demnach als durchaus unmaßgeblich.19) Strafe: Gefängnis bis zu sechs Monaten, bei mildernden Umständen Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. § 123. Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.

I. Die allgemeinen Grundsätze über Rechtswidrigkeit und Wegfall derselben **) beanspruchen uneingeschränkte Geltung auch auf dem Gebiete der Beleidigungen. Hatte der Handelnde ein Recht zur Vornahme der Handlung, so liegt eben kein Delikt vor. Der Gesetz­ geber wollte diese allgemeine Regel dem Richter gerade hier ins Ge­ dächtnis rufen und zugleich durch Beispiele illustrieren, hat aber gerade dadurch die Praxis vielfach irregeführt. Die hierher gehörigen Bestimmungen sind: 1. StGB. § 193. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahr­ nehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche 'Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle find nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Be­ leidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Dieser letzte Zusatz bringt nur, allerdings in ganz verunglückter Fassung, den nach den allge­ meinen Regeln gleichfalls selbstverständlichen Grundsatz zum Ausdrucke, daß mit jeder Überschreitung der Berechtigung nach 19) Dagegen sind Dochow, Wahlberg, Berner u. a. der Auffassung der Motive beigetreten. *) oben § 33. von Liszt, Strafrecht. 2. Stuft.

418

§

123.

Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.

Inhalt oder Form das Gebiet des rechtswidrigen Handelns wieder betreten wird. Durchaus verkehrt und unrichtig ist die weitverbreitete, auch in mehreren Reichsgerichtsentscheidungen eine recht bedenkliche Rolle spielende Auffassung, nach welcher die Anwendbarkeit des § 193 zu entfallen hätte, sobald sich „aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen u. s. w." die (vom Vorsatze verschiedene) Absicht zu beleidigen, ein sog. animus injuriandi ergibt. -) Die gesetzliche Aufzählung derjenigen Fälle, in welchen die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen anzunehmen ist, ist nur beispiels­ weise erfolgt. Dies ergibt sich schon aus der Klausel „und ähnliche Fälle". Zu diesen wird unter andern zu rechnen sein: die Erfüllung der Zeugenpflicht; die Ausstellung eines Dienstzeugnisses; eine im guten Glauben erfolgende Anzeige bei der Behörde;^) Mitteilungen der sog. „Auskunftsbureaus" oder „Schutzgenossenschaften" an ihre Mitglieder über zahlungsunfähige oder säumige Schuldner *) u. s. w. Hervorzuheben wäre, daß die „Wahrnehmung berechtigter Inter­ essen" dritter Personen unter § 193 StGB, fällt, wenn und soweit der Handelnde zu der Wahrnehmung berufen war, sei es durch rechtliche oder gesellschaftliche, sei es durch sittliche oder religiöse Verpflichtungen?) Ein besonderer Beruf der P r e s s e, fremde Inter­ essen wahrzunehmen, kann nicht zugegeben werden. Selbstverständlich sollte es endlich sein, daß § 193, welcher überhaupt keinen neuen Rechtssatz ausspricht, auf alle Arten der Beleidigung, insbesondere auch auf die V e r l e u m d u n g Anwendung findet. Wenn auch eine Berechtigung zur Verleumdung nur ganz ausnahmsweise gedacht werden kann, so darf doch die Möglich2) Wenn die Fassung des preuß. StGB, diese Interpretation nahelegte, so ist das für das RStGR. selbstverständlich ohne Bedeutung. — Mit dem Texte durchaus übereinstimmend John, Zeitschr. I S. 277; gegen ihn v. Buri GS. XXXIII (1881; Z. II S. 160). 3) Ebenso I. S. 8. Dezember 1879 1/233; II. S. 16. Januar 1880 1/80; vgl. Herzog GS. XXXII (1880; Z. I S. 173); John Z. I S. 303. ') Otto Meyer in den Jahrbüchern für Gesetzgebung u. s. w. 1882 (Z. III S. 512); Cordes GA. XXXVIII (1880; Z. I S. 359). Interessant II. S. 30. Juni 1882 VI/406. 3) Die Praxis des Reichsger. schwankt, neigt sich aber im allg. der im Texte vertretenen Ansicht zu.

Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.

§ 123.

419

feit einer solchen prinzipiell (man denke an einen Fall des Notstandes) nicht geleugnet werden. ®) 2. Mit dem Beweise der Wahrheit entfällt ohne weiteres die Annahme der in den §§ 186, 187, 189 RStGB. enthaltenen Delikte, welche begrifflich Unwahrheit oder wenigstens NichtBeweisbarkeit der behaupteten oder verbreiteten Thatsachen er­ fordern. 67)8 9Aber auch im Falle des § 185 RStGB. schließt die Wahrheit der Thatsachen (soweit solche überhaupt in Frage stehen) die Rechtswidrigkeit aus; es sei denn, daß die durch das Recht die Wahrheit zu sagen gezogenen Grenzen überschritten wurden, und der Thäter dem Vorbringen der Thatsachen etwas Weiteres, eine Beleidigung Enthaltendes, hinzugefügt hat. Dies und nichts anderes sagt § 192 mit den Worten: „Der Beweis der Wahrheit der be­ haupteten oder verbreiteten Thatsachen schließt die Bestrafung nach § 185 nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Um­ ständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht." Ist die Thatsache eine strafbare Handlung, so ist (§ 190 StGB.) der Wahrheitsbeweis a) als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechtskräftig verurteilt worden; b) ausgeschlossen, wenn er wegen derselben v 0 r der Behaup­ tung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist?) II. Auf Buße bis zu sechstausend Mark kann (StGB. § 188) auf Verlangen der Beteiligten in den Fällen der §§ 186 und 187 erkannt werden, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Be­ leidigten mit sich bringt. Damit ist die Geltendmachung eines weiteren Entschädigungsanspruches ausgeschlossen. III. Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrages ist in allen Fällen zulässig (StGB. § 194).») 6) Anders die herrschende Ansicht. Richtig I. S. 10. Oktober 1881 V/56. 7) Irreführend ist es, mit der an das römische Recht sich anlehnenden ge­ meinrechtlichen Doktrin von einer „exceptio veritatis“ zu sprechen. 8) Es handelt sich hier nicht um eine Beschränkung der freien Beweis­ würdigung, sondern um eine solche des Beweisthemas (der beweispflichtigen oder beweisfähigen Thatsachen). 9) Über die Privatklage vgl. StPO. § 414.

420

§

123.

Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.

In bezug auf die Berechtigung zur Antragsstellung gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze.10) Ist eine Mehrheit von Personen durch eine Kollektivbezeichnung verletzt worden, so ist jede der erkenntlich bezeichneten Personen antragsberechtigt.ir) Anders liegt die Sache bei Beleidigung einer Kollektiv Per­ sönlichkeit. Da für zwei der hierher gehörigen Fälle (§ 189 u. § 196) im Gesetze besondere Vorschriften ausdrücklich gegeben sind, bleibt nur noch die Gefährdung des Kredits einer Handelsgesellschaft zu erwähnen. Für diesen Fall ist daran festzuhalten, daß die Stellung des Antrages (wie die Erhebung der Privatklage) nur von den überhaupt zur Vertretung berufenen Personen ausgehen kann. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten, als deren Ehe­ männer und Väter das Recht, auf Bestrafung anzutragen (StGB. § 195).12) Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaffneten Macht, während sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf begangen ist, so haben außer den un­ mittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte das Recht, den Strafantrag zu stellen (StGB. § 196).33) Nicht Antrags-, sondern Ermächtigungsdelikt14) ist die Beleidigung (StGB. § 197), wenn dieselbe begangen worden ist gegen eine gesetzgebende Versammlung des Reichs15) oder eines Bundesstaats oder gegen eine andere politische Körperschaft. Modifikationen der Antragsfrist ergeben sich bei wechselsei­ tigen Beleidigungen nach § 198 StGB. Ist nämlich bei wechselseitigen Beleidigungen von einem Teile auf Bestrafung ange­ tragen worden, so ist der andere Teil bei Verlust seines Rechts verpflichtet, den Antrag auf Bestrafung spätestens vor Schluß der 10) oben § 43 III, 1. 11) I. S. 25. Oktober 1880 III/12. 12) Daß es sich hier nicht um einen Fall der sog. „mittelbaren Injurie" handelt, wird heute allgemein zugegeben. 13) Das preuß. StGB, hatte die Verletzung der „Amtsehre" als Offizial­ delikt unter die Vergehen gegen die öffentliche Ordnung gestellt. 14) oben § 42 III, 1. 15) Hierher gehört auch der Bundesrat; III. S. 14. Dezember 1882 VII/382.

Verfolgung und Bestrafung der Beleidigung.

§ 123.

421

Verhandlung in erster Instanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist.10) IV. Retorsion (§ 199 StGB.). Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären. 17) V. Neben der Buße kennt das Gesetz (StGB. § 200) bei der Beleidigung noch zwei andere Formen der Privat-Genugthuung,") die an Stelle der aufgehobenen Institute der Abbitte, des Widerrufes, der Ehrenerklärung getreten sind: 1. Die Ausfertigung des Schuldurteiles an den Beleidigten auf Kosten des Verurteilten (obligatorisch in allen19) Fällen). 2. Die Befugnis der Beleidigten (d. h. derjenigen, welche wegen der Beleidigung Strafantrag gestellt oder Privatklage erhoben haben)99) zur öffentlichen Bekanntmachung der Verur­ teilung auf Kosten des Verurteilten (eine Art von restitutio famae). Diese ist zuzusprechen bei öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Darstellungen, Abbildungen begangenen Beleidigungen. Art der Bekanntmachung und Frist zu derselben ist im Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Zeitung oder Zeitschrift, so ist der verfügende Teil des Urteils auf Antrag des Beleidigten durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift, an gleicher Stelle und mit derselben Schrift, wie der Abdruck der Be­ leidigung geschehen.21) ") 17) ") 19) 20) 21)

oben § 43 III 2. oben 8 77 III. oben § 60 II. bestritten. Sehr streitig. Vgl. v. Liszt, Preßrecht § 27 II.

422

§ 124.

Verletzung des Briefgeheimnisses u. s. w.

II. Verletzung des Sriefgeheimmlses und Offen­ barung fremder Getzeimniffe. § 124. I. Das sog. Briefgeheimnis,x) — schon im preuß. ALR., aus welchem das preuß. StGB, und mittelbar das RStGB. schöpfte, unter Strafschutz gestellt — ist das Interesse an ausschließlicher Kenntnisnahme von Schriftstücken, also ein selbständiges, wenn auch der Ehre nahe verwandtes, immaterielles Rechtsgut. Indem das positive Recht (RStGB. § 299) dieses Interesse nur anerkennt, wenn es sich um „v e r s ch l o s s e n e" Briefe oder andere verschlossene Urkunden*2)3 4 handelt, welche nicht zur Kenntnisnahme des Thäters bestimmt sind, hat es den Inhalt jenes Rechtsgutes und damit den Charakter der dasselbe verletzenden Handlung verändert: diese erscheint nunmehr als die widerrechtliches Eröffnung verschlossener Schrift­ stücke; erfolgte oder auch nur beabsichtigte Kenntnisnahme ist nicht' erforderlich. Zugleich gewann seit der Mitte des Jahrhunderts das Rechtsgut eine merkbare politische Färbung; und die Fälle, in welchen der Staatsgewalt der Eingriff in das Briefgeheimnis offen stehen sollte, wurden gesetzlich genau bestimmt. Verfolgung tritt nur aus Antrag ein. Antragsberechtigt ist der Eigentümer der verschlossenen Urkunde; bei Sendungen der Ab­ sender, solange bis das Eigentum auf den Adressaten übergeht, also bei Postsendung bis zur erfolgten Bestellung; später der Adressat?) Strafe: Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. *) RPostgesetz vom 28. Oktober 1871 § 5. 2) Urkunde ist hier nicht im technischen Sinne zu nehmen (unten § 149 III), sondern bedeutet jedes Schriftstück. Ebenso Bind ing, Meyer, O lshausen, Hälschner gegen Merkel und Schütze. Verschlossen ist das Schriftstück, sobald die Einsichtnahme nur durch Überwindung gewisser Hemmnisse möglich ist. 3) Das Gesetz sagt „unbefugterweise". Vgl. unten § 130 Note 8. Die Straf­ barkeit wird hier wie überall durch den Wegfall der Widerrechtlichkeit aus­ geschlossen. Doch ist hier Bewußtsein der Widerrechtlichkeit auf seiten des Thäters zum Thatbestände erforderlich. Vgl. auch StPO. §§ 99, 101. 4) Unrichtig ist die weitverbreitete, von Berner, Merkel, v. Schwarze u. a. vertretene Ansicht, welche Absender und Adressat nebeneinander für an­ tragsberechtigt hält.

Verletzung des Briefgeheimnisses u. s. w.

§ 124.

423

II. Die Offenbarung fremder Geheimnisse, im preuß. StGB, unter die Verletzungen der Ehre, mit welchen sie, trotz der Selbständigkeit des angegriffenen Rechtsgutes, nahe verwandt ist, im RStGB. in völlig unpassender Weise unter den strafbaren Eigen­ nutz gestellt, ist im geltenden Rechts in sehr beschränktem und den praktischen Bedürfnissen nicht genügendem Umfange unter Strafe ge­ stellt. So bleibt nicht nur die Verwertung fremder Geschäfts­ geheimnisse völlig straflos/) sondern auch die Verletzung öffentlicher und gesetzlich anerkannter Verpflichtung zur Verschwiegenheit (z. B. der Handelsmäkler, der Fabrikinspektoren u. s. w.) kann nicht einmal landesrechtlich unter Strafe gestellt werden. Das RStGB. bedroht in § 300 lediglich die widerrechtliche 67)8 9 Offenbarung von Privatgeheimnissen durch Rechtsanwälte, Ad­ vokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ärzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker, sowie die Ge­ hilfen dieser Personen, wenn ihnen die Geheimnisse kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut0) sind. Dritte Personen können jedoch nach allgemeinen Grundsätzen sich als Teil­ nehmer schuldig machen. Vorsatz ist erforderlich?) Die Verfolgung tritt nur auf An­ trag ein; antragsberechtigt ist derjenige, dessen Geheimnis in Frage steht, d. h. derjenige, der das Geheimnis anvertraut hat, ober,10) wenn es an einem solchen fehlt, derjenige, den es be­ trifft. Strafe: Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder Ge­ fängnis bis zu drei Monaten. III. Eine nicht unwesentliche Ergänzung dieser Bestimmungen brachte das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Dieses kennt einen leichteren und einen schwereren Fall der Verletzung fremder Geheimnisse von seiten der Mitglieder der Genossenschaftsvorstände, 6) Anders im preuß. StGB. ®) Vgl. darüber Dt Hoff in Schmollers Jahrb. VII (Z. III S. 714). Unbefugte: vgl. unten § 130 Note 8. 8) „Anvertrauen" ist nicht zu betonen: alles, was die genannten Personen, mag auch eine besondere Mitteilung nicht stattgefunden haben, kraft ihres Amtes u. s. w. in Erfahrung bringen, gehört hierher. Anders freilich die meisten. 9) Dagegen Schütze. ,0) Dagegen Olshaufen, Hälschner u. a.

424

§

125.

Begriff und Geschichte der Freiheitsdelikte.

deren Beauftragten (§§ 82 und 83) und der nach § 83 ernannten Sachverständigen.11) u) Leichterer Fall (§ . 107). Die genannten Personen werden mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, wenn sie un­ befugt Betriebsgeheimuisfe offenbaren, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebs­ unternehmers ein. b) Schwererer Fall (§ 108). Dagegen ist Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte er­ kannt werden kann, angedroht, wenn die genannten Personen absichtlich zum Nachteile der Betriebsunteruehmer^) Betriebsgeheimnisse, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, offenbaren, oder geheimgehaltene Betriebseinrichtungen oder Betriebsweisen, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, nachahmen, solange als diese noch Betriebsgeheimniffe sind. Thun sie dies, um sich oder einem andern einen (nicht notwendig rechtswidrigen) Ver­ mögensvorteil zu verschaffen,^) so kann neben der Gefängnis­ strafe auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden.

III. Strafbare Handlungen gegen die persönliche Freiheit. 123. Begriff und Geschichte. **) I. Das Rechtsgut, dessen Gefährdung oder Verletzung die hier­ her gehörigen Delikte charakterisiert, ist die Freiheit der Bewegung 11) Doch haben beide Fälle zugleich eine entschieden vermögensrechtliche Färbung. 12) Die Verwandtschaft mit der Untreue — oben § 104 — springt in die Augen. 13) Vgl. oben § 109 II 3. *) Tittmann, Beiträge zur Lehre von den Verbrechen gegen die Freiheit 1806; Bruck, Verbrechen gegen die Willensfreiheit 1875; Köstlin, Abhand­ lungen 1858; Geyer HH. III und IV; Villnow GA. XXIV (1876); v. Buri GS. XXVII (1875).

Begriff und Geschichte der Freiheitsdelikte.

§

125.

425

im Raume (der Lokomotion), die Freiheit des Handelns, nicht die des Entschließens, nicht also die sog. Willensfreiheit.8) Wie das Leben, als dessen Ausdruck sie erscheint, ist auch die persönliche Freiheit Voraussetzung dafür, daß das menschliche Individuum zur Selbstentfaltung seiner Kräfte gelangt und über das vegetativ­ animalische Dasein hinaus zur Menschheitlichkeit sich erhebt. Leben und Freiheit sind die Ur-Rechtsgüter der Person; durch sie sind alle andern in ihrem Entstehen wie Bestehen bedingt. II. Aber diese Auffassung der individuellen Freiheit ist modernen Ursprungs. Sie reicht über Feuerbach, Grolmann, Tittmann nicht zurück. Dem römischen Recht war das Rechtsgut der Freiheit in dem eben angedeuteten Sinne jederzeit völlig fremd geblieben. Erst gegen Ende der Republik rückte, unter dem Eindrücke der politischen Partei­ kämpfe, die vis, welche bisher neben dem metus ihre bescheidene Stelle im prätorischen Edikte innegehabt hatte, in die Reihe der kriminell strafbaren Handlungen ein. (Lex Plotia 665 a. u.; leges von Pomp ejus, Cäsar, August.) Aber das crimen vis hatte, trotz der schwer erkennbaren und stets schwankenden Grenz­ linie zwischen vis publica und privata,8) in allen seinen Formen einen eminent politischen Charakter. Störung des öffentlichen Friedens, wenn auch durch Angriffe auf Private, macht sein innerstes Wesen aus. So wird das crimen vis hinübergenommen in das deutsche Recht, und begegnet hier dem verwandten und äußerst dehnbaren Begriffe des Landfriedensbruches. Obwohl die PGO. von allen Freiheitsdelikten nur die vielfach, aber zu Unrecht hierher ge­ rechnete Entführung, und diese unter den Sittlichkeitsdelikten, nennt, baut doch die gemeinrechtliche Lehre vom crimen vis, wenn auch mit vielfachen Schwankungen und unter unsicherem Tasten, auf römisch­ rechtlicher Grundlage sich auf, bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts unter dem Einflüsse von Grolman und Feuerbach die ganze Lehre umgestaltet und allmählich im Laufe des 19. Jahrhunderts die „persönliche Freiheit" vom „öffentlichen Frieden" abgetrennt, zum selbständigen Rechtsgute erhoben und von der partikularen Gesetzgebung weiter gebildet wird. z) So Binding, Geyer, Hälschner, Olshausen und die meisten gegen Bruck. 3) Justinian rechnete die schwereren Fälle zu jener.

426

§ 126.

Die Nötigung.

III. Nach dem RStGB. haben wir zu den Freiheitsdelikten zu rechnen: 1. die partielle Beschränkung der persönlichen Freiheit (oder die Nötigung); 2. die totale Entziehung derselben, in welcher ein einfacher und mehrere qualifizierte Fälle zu unterscheiden sind (Frei­ heitsberaubung einerseits, Menschenraub anderseits). Dagegen bleiben Sklavenhandel und verwandte Gewerbe (kidnapping, labor trade) nach wie vor partikular-rechtlicher Regelung vorbehalten.^) Die Entführung aber, welche das RStGB. zu den Freiheitsdelikten gestellt hat, wird richtiger den Delikten gegen die geschlechtliche Freiheit angereiht.

§ 126.

1. Die Nötigung. *)

I. Nötigung (der Ausdruck wurde zuerst 1806 von Tittmann gebraucht) ist partielle Verletzung (Beschränkung) der persönlichen Freiheit; d. h. die widerrechtlich durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen er­ folgende Herbeiführung der Handlung, Duldung oder Unterlassung eines andern2) (StGB. § 240). II. Die Mittel der Nötigung sind nach dem Gesetze: 1. Gewalt,^) d. h. Anwendung mechanischer Kraft zur Über­ wältigung menschlichen Widerstandes oder zur Beseitigung gegen­ ständlicher Hindernisse. Die Gewalt muß, gegen den zu Nötigenden angewendet, dazu dienen, die Freiheit seines Handelns zu verletzen. Sie kann aber auf doppeltem Wege dieses Ziel erreichen: auf di­ rektem Wege, indem der Widerstand des zu Nötigenden durch Ver­ gewaltigen seines Körpers gebrochen wird (Gewalt an der Person; vis in homine); oder auf indirektem Wege, indem, sei es durch

*) Vgl. Reichstags-Verhdlgn. 1875/76 III S. 189; Gareis, Das heutige Völkerrecht und der Menschenhandel 1879; Derselbe, Die Bestrafung des Menschenhandels in Fleischers Revue VI (Z. I S. 621). — Für Preußen ist maßgebend die Verordg. Bett, den Handel mit Negersklaven von 1844 und die Übereinkunft mit Großbritannien vom 29. März 1879. — Eingehende Bestim­ mungen im niederländ. StGB., sowie im englisch-amerikanischen Recht. -) Köstlin, Abhandlgn. 1858 S. 417; Geyer HH. III S. 567. 2) Das Antragserfordernis wurde durch die Novelle von 1876 gestrichen. -) Hälschner GS. XXXV (1883; Z. III S. 708).

Die Nötigung.

§ 126.

427

Gewalt an Sachen (z. B. Zerstörung eines Steges, Aushängen von Fenstern und Thüren, um das Verlassen der Wohnung zu er­ zwingen)/) sei es durch Gewalt an dritten Personen, z. B. dem Führer des Blinden, sein Widerstand gebeugt wird (Gewalt gegen die Person, vis in hominem).45) Der Begriff der Gewalt wird jedoch dadurch nicht ausgeschlossen, daß wegen der offenbaren Übermacht des Angreifers thatsächlich Leistung eines Widerstandes gar nicht statt­ gefunden hat. 2. Bedrohung mit einem Verbrechen oder Ver­ gehen. Die Drohung braucht keine ernstlich gemeinte,6)7 8d.* h. 10 die Ausführung derselben braucht weder beabsichtigt noch möglich zu sein; sie muß aber dem Bedrohten als eine ernstliche erscheinen?) Die Drohung muß gegen den zu Nötigenden gerichtet, d. h. zur Be­ einflussung seiner Entschließung bestimmt und geeignet sein; nicht erforderlich ist, daß das angedrohte Verbrechen oder Vergehen an dem zu Nötigenden begangen werden soll. Die Drohung kann sich vielmehr, ganz wie die Gewalt, auf andere Personen oder auf Sachen beziehen. Sie kann ausdrücklich ausgesprochen oder durch konkludente Handlungen (Erheben der Faust, Anlegen des Gewehrs u. s. w.) angedeutet sein?) Die Möglichkeit der Flucht oder des Widerstandes schließt die Strafbarkeit der Drohung nicht aus?) Neben Gewalt und Drohung ist die List als Mittel der Nötigung im Gesetze nicht erwähnt, mithin auch nicht als genügend zu erachten. Der Beugung des Willens steht die Erschleichung der Einwilligung, der Überwältigung die Täuschung nicht ohne weiteres gleich? 0) 4) III. S. 14. Juni 1883 IX/58. 6) Die Frage ist eine ebenso schwierige wie bestrittene. Die im Text auf­ gestellten Begriffe empfehlen sich durch ihre leichte Verwendbarkeit. Innerhalb der Gewalt und im Unterschiede von der Drohung zwischen vis absoluta und compulsiva unterscheiden wollen, wie die herrschende Ansicht dies thut, kann nur irre führen. Auch die Rechtsprechung des Reichsger. läßt klare und feste Grundbegriffe vermissen. 6) II. S. 21. Januar 1881 III/262. 7) Ebenso III. S. 24. Dezember 1879 11/286; Geyer, Meyer, Schütze, Olshausen und die meisten. Dagegen 1. S. 24. Februar 1881 IV/10. 8) Über die Drohung, den Namen des säumigen Schuldners zu veröffent­ lichen, vgl. oben § 123 I Note 4. e) II. S. 1. Dezember 1882 VII/269. 10) Sehr bestritten. Richtig Binding,Olshausen u. s. w. gegen Bruck, Geyer, Hälschner.

428

§ 126.

Die Nötigung.

III. Die Nötigung ist nur strafbar, wenn sie widerrecht­ lich erfolgt. Die Widerrechtlichkeit der Nötigung entfällt aber.nur dann, wenn der Thäter nicht nur 1. berechtigt ist, die fragliche Handlung, Duldung oder Unter­ lassung zu erzwingen; sondern wenn er außerdem auch noch 2. zur Anwendung der von ihm angewendeten Nötigungsmittel berechtigt ist; also berechtigt, Gewalt anzuwenden oder aber Hand­ lungen anzudrohen, welche, ohne besondere Berechtigung vorge­ nommen, als Verbrechen oder Vergehen sich darstellen würden. Sobald entweder der Nötigungszweck oder das ange­ wendete Nötigungs m i t t e l widerrechtlich wird, erscheint die Nötigung selbst als rechtswidrig, mithin als strafbar.X1) Da die Widerrechtlichkeit in § 240 ausnahmsweise vom Gesetz­ geber zum Begriffsmerkmal erhoben ist, muß das Bewußtsein der­ selben zum Vorsatz verlangt werden. IV. Die V ollendung der Nötigung tritt erst mit der er­ zwungenen Handlung, Duldung, Unterlassung ein; ") der Versuch, der hier trotz der Vergehensnatur des Deliktes strafbar ist, beginnt schon mit der Anwendung von Gewalt oder Drohung, als der Mittel zur Herbeiführung der Handlung, Duldung, Unterlassung. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geld bis zu sechshundert Mark. V. Einen besonderen Fall der Nötigung enthält § 153 der Gewerbeordnung: „Wer andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen ver­ sucht, an Verabredungen zum Behufe der Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern n) Die Frage ist äußerst bestritten. Im Sinne des Textes konstant das Reichsgericht. Vgl. II. S. 21. Oktober 1879 1/5; III. S. 24. Dezember 1879 11/286; I. S. 17. Juni 1880 11/184; III. S. 5. Januar 1881 III/179; II. S. з. Oktober 1882 VII/63; III. S. 10. Mai 1883 VIII/302. Ebenso v. Buri GS. XXXIII (1881; Z. II S. 159), H. Meyer, Rüdorff, Olshausen и. a. Dagegen einerseits Geyer und Kronecker GS. XXXII (1880) und Zeitschr. III S. 638, welche das Wort „widerrechtlich" in § 240 nur auf „Gewalt" beziehen; anderseits Bruck, John, Zeitschr. I S. 222, welche das „widerrechtlich" lediglich mit den Nötigungszwecken in Verbindung setzen. 12) Die deutschen Partikular-StGB.er schwankten.

Die Freiheitsberaubung (oder Gesangenhaltung).

§ 127.

429

versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt." Die Erweiterung des Kreises der strafbarmachenden Nötigungsmittel sowie die Gleich­ stellung von Versuch und Vollendung unterscheiden — ganz ab­ gesehen von dem Inhalt der Nötigung — diesen Thatbestand von dem des § 240 StGB. § 127. 2. Die Freiheitsberaubung (oder Gefangenhaltung)?)

I. Während die Quellen des deutschen Rechtes das widerrecht­ liche Binden, das Einsperren und Festhalten und andre Fälle der Freiheitsberaubung als selbständige Angriffe auf die Person mit teilweise strenger Buße bedrohen, wird im römischen Recht die Frei­ heitsberaubung bald als vis (nur bedingungsweise als injuria), bald als Verletzung staatlicher Hoheitsrechte betrachtet?) Da die PGO. schwieg und die Landfrieden ihre Bedeutung verloren hatten, be­ handelte die gemeinrechtliche Praxis die Freiheitsberaubung im An­ schlüsse an das römische Recht als vis oder injuria, während die Partikulargesetzgebung zumeist der Auffassung des Codex folgte. Als selbständiges Delikt tritt die Freiheitsberaubung erst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts (zuerst im Pr. ALR.) hervor. II. Das RStGB. sagt in § 239: „Wer vorsätzlich und wider­ rechtlich einen Menschen einsperrt oder auf andre Weise des Gebrauches der persönlichen Freiheit beraubt, wird mit Gefängnis bestraft." Wir gewinnen daraus folgende Begriffsbestimmung: Freiheits­ beraubung ist die totale (wenn auch vorübergehende) Ver­ letzung (Entziehung) der persönlichen Freiheit. Damit ist der Unterschied von der Nötigung als partieller Verletzung bezeichnet?) Lediglich als Hauptfall hat das Gesetz die Einsperrung hervorgehoben, oder die Festhaltung in einem umschlossenen, d. h. in einem solchen Raume, aus welchem der Festgehaltene nur durch Überwindung *) GA. VIII (1860) S. 837; GA. IX (1861) S. 752. Geyer HH. III S. 587. 2) C. IX 5 De privatis carceribus inhibendis (Zeno 486). 3) Ganz übereinstimmend das Reichsger. Vgl. II. S. 28. November 1882 VII/259; insbesondere aber III. S. 26. April 1882 VI/231 (mit allerdings höchst bedenklicher Anwendung auf den Einzelfall).

430

§ 127.

Die Freiheitsberaubung (oder Gefangenhaltung).

äußerer Hindernisse sich entfernen kann?) Insbesondere gehört auch das Hypnotisieren unter den Begriff der Freiheitsberaubung?) Wider­ rechtlichkeit des Handelns ist auch' hier Begriffsmerkmal.46) * III. Abweichend von der Begriffsbestimmung der Nötigung zählt das RStGB. in § 239 die Mittel der Freiheitsberaubung nicht auf. Daraus folgt, daß nicht bloß Gewalt oder Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen, sondern alle Mittel, welche über­ haupt geeignet sind, die Handlungsfreiheit eines andern zu beein­ flussen — taugliche Mittel der Freiheitsberaubung sind. Dies gilt insbesondere auch von der List, d. h. von der Täuschung des Han­ delnden über die Kausalität seines Thuns. Nur wenn das Verhalten des der Freiheit Beraubten als dessen freies und vorsätzliches Thun erscheint, kann von einem Delikte keine Rede mehr sein.7) Objekt der Freiheitsberaubung ist jeder Mensch, welcher der selbständigen, d. h. durch klar erkannte Motive bestimmten, Bewegung im Raume fähig ist.8) Wann diese Fähigkeit beim Kinde eintritt, läßt sich durch eine allgemeine Formel nicht bestimmen; beim Geistes­ kranken muß sie als bis zum Lebensende fortdauernd angenommen werden.9) Die Vollendung tritt mit der Entziehung der Freiheit ein; länger dauernde Freiheitsentziehung begründet ein fortdauerndes Delikt. IV. Strafe: a) Normalsatz: Gefängnis von einem Tage bis zu fünf Jahren. b) Wenn die Freiheitsentziehung über eine Woche gedauert hat, oder wenn eine schwere Körperverletzung (StGB. § 224) des der Freiheit Beraubten durch die Freiheitsentziehung oder die ihm während derselben widerfahrene Behandlung verursacht worden ist: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter einem Monat. 4) II. S. 10. April 1883 VIII/210. — Aus den übrigen Fällen der Freiheitsberaubung wäre die widerrechtliche Einsperrung in eine Irrenanstalt hervorzuheben. 6) Vgl. Zeitschr. II S. 92 (Friedberg). 6) Vgl. oben § 38 V (5. 154. 7) Vgl. III. S. 7. Juli 1680 11/292. Die Frage ist sehr bestritten. „Be­ täubung" ist (was regelmäßig übersehen wird) nicht Mittel der Freiheits­ beraubung, sondern Freiheitsberaubung selbst. Vgl. Text zu Note 5. 8) Fähigkeit zu willkürlichen Bewegungen genügt nicht. e) Vgl. oben § 121 Noten 5 und 6.

Der Menschenraub.

§ 128.

431

c) Ist auf die zu b angegebene Weise der Tod der der Freiheit Be­ raubten verursacht worden, Zuchthaus nicht unter drei Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten. Versuch ist in den unter b und c genannten Fällen möglich, wenn der Erfolg aus der versuchten Handlung hervorgegangen ist.10) § 129. 3. Der Menschenraub?) I. Schon das römische Recht hat durch eine lex Fabia (nach dem Bundesgenossenkriege))Ärztenoderanderen Medizinal­ personen, welche in Gefängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen oder anderen Hilflosen bestimmten Anstalten beschäftigt oder angestellt sind, mit den in das Gefängnis oder die Anstalt aufgenommenen Personen. Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Um­ ständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. § 135.

4. Die Verführung zum Beischlaf.

I. Während die Erschleichung des Beischlafes durch Täuschung, d. h. durch Hervorufung oder Benutzung eines Irrtums des andern Teiles über die Kausalität seines Thuns zwar möglich, aber doch nur in einer verschwindend kleinen Zahl von Fällen prak­ tisch sein dürfte, hat das RStGB. in § 179 einen dieser Fälle be­ sonders hervorgehoben: die Verleitung einer Frauensperson zur Ge­ stattung des Beischlafes durch Vorspiegelung einer Trauung*) oder durch Erregung oder Benutzung eines andern Irrtums, in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt.^) (Stuprum voluntarium.) Vollendet mit dem Beischlaf, nicht mit der ihm etwa zeitlich vorangehenden „Gestattung". Antragsdelikt. Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Um­ ständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. II. Dem Irrtum steht die Unerfahrenheit zur Seite.*3)42 Darum bedroht § 182 RStGB. die Verführung eines unbeschol­ tenen Mädchens, welches das sechzehnte Lebensjahr nicht voll­ endet hat, zum Beischlafe. Unbescholtenheit darf dabei nicht als gleichbedeutend mit Jungfräulichkeit genommen werden; diese kann vorhanden sein, während jene fehlt und umgekehrt.*) Verführung 5) § 359 StGB, ist hier nicht maßgebend. Ebenso Hälschner u. a.; dagegen Olshausen mit den meisten. *) d. h. des nach dem positiven Rechte gültigen Eheschließungsaktes. 2) z. B. nächtliches Auftreten statt des Ehemannes. Jeder andre Irrtum, z. B. daß es sich um ein ärztliches Heilverfahren (etwa zur Beseitigung des Bettnässens) handle, müßte als unzureichend bezeichnet werden. Vgl. den Z. II S. 93 nach Brouardel mitgeteilten Fall. 3) vgl. oben § 112 I. 4) Bestritten. Für die richtige Ansicht Berner u. a.

Delikte gegen uneigentliche Rechtsgüter.

Übersicht.

§ 136.

447

setzt voraus, daß die geschlechtliche Unerfahrenheit und sittliche Wider­ standskraft des Mädchens mißbraucht und dadurch eine Einwilligung in die Vollziehung des Beischlafes erreicht wurde?) Fehlte es daran, oder war die Initiative sogar von der Seite des Mädchens aus­ gegangen, so kann von Verführung keine Rede sein.56)7 Die Ver­ folgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormundes der Verführten ein; denn ihnen, und nicht dem Mädchen, das ja vom Gesetzgeber noch nicht als reif und erfahren genug betrachtet wird, um frei über seine geschlechtliche Ehre verfügen zu können — ist die Wahrnehmung des verletzten Interesses anvertraut?) Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre.

Zweites Buch. Die durch das Mittel des Angriffes charakterisierten Delikte. (Strafbare Handlungen gegen uneigentliche Rechtsgüter). § 136.

Übersicht.

I. Die Verschiedenheit des angegriffenen Rechtsgutes enthält, wie bereits mehrfach hervorgehoben, kein für die Entwickelung des gesamten Systems des besonderen Teiles zureichendes Einteilungs­ prinzip der strafbaren Handlungen.J) Es entsteht daher das dringende Bedürfnis — falls man sich nicht mit der allerdings bequemeren Aufstellung von Pseudorechtsgütern begnügen will — einen zweiten Einteilungsgrund heranzuziehen. So haben wir den durch das angegriffene Rechtsgut charakterisierten 5) Wußte die Mißbrauchte überhaupt nicht, daß es sich um Vollziehung eines geschlechtlichen Aktes handle (z. B. in den oben Note 2 angedeuteten Fällen), so kann § 182 nicht angewendet werden. Ebenso Hälschner. 6) Ähnlich III. S. 28. März 1882 VI/135; I. S. 11. Februar 1884 X/95. 7) Ganz falsch ist es, hier mit ».Schwarze undOlshausen von einer „Vertretung der Familienehre" zu sprechen. -) Vgl. oben § 84 III; § 24 II, 4.

448

§

136.

Delikte gegen uneigentliche Rechtsgüter.

Übersicht.

Delikten eine andre Gruppe von strafbaren Handlungen gegenüber­ gestellt, welche durch das zum Kampfe gegen die Rechtsordnung ver­ wendete Mittel in ihrem Wesen wie in ihrer Gestalt bestimmt werden. Wir können die zu dieser Gruppe gehörenden Delikte auf zwei kleinere Kategorieen zurückführen: 1. die gemeingefähr­ liche Entfesselung der Naturkräfte; 2. rechtswidrige Hand­ lungen in bezug auf die staatlich anerkannten Geld­ zeichen und Beglaubigungsformen (die sog. Fälschungs­ delikte). An die erstere Kategorie reiht sich seit dem Gesetze vom 9. Juni 1884 die gemeingefährliche oder einfach rechtswidrige An­ wendung von Sprengstoffen; den Übergang von der ersten zur zweiten Kategorie vermittelt, weder der einen noch der andern aus­ schließlich angehörend, aber mit beiden verwandt, die sog. Fälschung von Nahrungs- und Genußmitteln; innerhalb der zweiten Kategorie sind endlich die strafbaren Handlungen an Geldzeichen von den Urkundendelikten völlig zu trennen. So zerfällt die Gruppe der durch das Mittel des Angriffs charakterisierten Delikte in fünf Unterabteilungen. II. Damit ist der einheitliche Begriff der sog. Fälschungs­ delikte aufgegeben. Und in der That zwingt dazu nicht nur die ganze Entwickelungsgeschichte des positiven Rechts mit Einschluß der heutigen Gesetzgebung, sondern auch die unbefangene Betrachtung des angeblich durch die Fälschungsdelikte verletzten Rechtsgutes. Der Begriff der „Fälschung" hat seine Wurzel im römischen Recht, in dem erweiterten falsum der römischen Kaiserzeit. Die 1. Cornelia (testamentaria nummaria) de falsis2) hatte die Fälschung von Testamenten, Siegeln und Urkunden, von Münze, Maß und Gewicht mit Strafe bedroht. Zu diesen Fällen gesellte sich das falsche, in einem nicht kapitalen Prozesse abgelegte Zeugnis, die Bestechung des Richters, die Erschleichung obrigkeitlicher Ver­ fügungen. Kaiserkonstitutionen und Senatsbeschlüsse erweiterten den Kreis durch Aufnahme der sog. quasifalsa; so wurden die asseveratio falsi nominis, die suppositio partns, der mehrfache Verkauf derselben Sache und andre Fälle zum falsum gerechnet. Damit war der Begriff des falsum selbst, ähnlich dem der vis, zu einem juristisch durchaus unbrauchbaren Sammelnamen für alle mög2) D. 48, 10; C. 9, 20.

Delikte gegen uneigentliche Rechtsgüter.

Übersicht.

§ 136.

449

lichen, bald gegen den einzelnen, bald gegen die Gesamtheit gerichteten Verletzungen der Wahrheit geworden. Anders stand die Sache im deutschen Mittelalter. Dieses strebte der Schaffung und Ausbildung einzelner selbständiger Fälschungsfälle zu. Es entschied: 1. Münzfälschung und Ur­ kundenfälschung, welche zumeist mit dem Verluste der Hand, wenn nicht mit dem Tode bestraft wurden; 2. dieWarenfälschung, regelmäßig mit wesentlich milderer Strafe bedroht; 3. die Fälschung von Maß und Gewicht, welche eine Mittelstellung — insbesondere auch in bezug auf die Bestrafung — zwischen den beiden andern Gruppen einnahm. Die PGO. steht in sofern unter dem Einflüsse des von den Italienern weiter gebildeten römischen Rechtes, als es die verschiedenen Fälschungsfälle im Systeme ihrer Strafsatzungen aneinanderreiht. Sie behandelt in Art. 111 die Münzfälschung; in Art. 112 die Fälschung von Siegeln, Briefen, Urbaren u. s. w.; in Art. 113 die Fälschung von Maß, Gewicht und Kaufmannschaft; in Art. 114 die Verrückung von Untermarkungen u. s. w.; in Art. 115 endlich die Untreue des Rechtsfreundes. Aber aus guten Gründen hat sich Schwarzenberg der Aufstellung eines allgemeinen Begriffes der Fälschung enthalten, so wie er auch in der Bestrafung die ein­ zelnen Fälle deutlich genug voneinander geschieden hatte. Damit war der weitern Entwickelung der Weg gewiesen: Durch möglichst scharfe Differenzierung der verschiedenen Begriffe mußten die einzelnen Fälschungsdelikte zu selbständiger Bedeutung erhoben werden. Statt diesen Weg einzuschlagen, kehrte die gemeinrechtliche Doktrin zurück auf den Standpunkt der Italiener, welche, an dem römisch-rechtlichen falsum festhaltend, dasselbe definiert hatten als die dolosa veritatis immutatio in damnum alterius facta. Da­ mit war nicht nur die Entwickelung der Fälschungsdelikte gehemmt, sondern auch die Ausbildung des stellionats3) wesentlich erschwert und die Abgrenzung des letzteren von dem falsum so gut wie unmöglich gemacht. Erst seit dem Ende des vorigen und dem Anfange dieses Jahr­ hunderts, insbesondere seit Kleinschrod (1799) und Cucumus (1820) arbeiteten Doktrin und Gesetzgebung wieder an der Klar3) Vgl. oben § 109 I. von Liszt, Strafrecht. 2. Stuft.

450

§ 136.

Delikte gegen uneigentliche Rechtsgüter.

Übersicht.

stellung beider Begriffe und ihres gegenseitigen Verhältnisses. Während aber die deutsche Partikulargesetzgebung immer entschiedener in die richtige Bahn einlenkte, den Betrug auf die durch Täuschung bewirkte Vermögensverletzung beschränkend, das falsum auflösend in eine Anzahl selbständiger Deliktsbegriffe (wobei freilich vielfach noch die irreführende Bezeichnung „Fälschung" beibehalten wurde), konnte die Doktrin sich von ihren veralteten Begriffen nicht losmachen. Sie stellte (insbesondere seit Mittermaier) ein besonderes Rechtsgut als Angriffsobjekt der Fälschungsfälle auf, die „publica fides,“ ohne sich um die Klarstellung dieses Begriffes irgend weiter zu kümmern; 4) sie reihte den Fälschungsdelikten, ganz der naiven Systematik der alten Italiener folgend, die Eidesdelikte, die Warenfälschung, die Fälschung von Firmen- und Markenzeichen an, und machte auf diese Weise den in der Gesetzgebung erreichten Fortschritt abermals illusorisch. Mit der Erkenntnis, daß die „publica fides“ kein Begriff, sondern ein leeres Wort ist, muß die Gruppe der Fälschungsdelikte in ihrem heutigen Umfange unbedingt fallen.5) Aber auch in beschränkterem Umfange läßt sie sich nicht aufrecht erhalten. Man müßte, wenn man dies wollte, die Fälschung etwa bezeichnen als die Herstellung einer unechten, oder die Veränderung einer echten, im rechtlichen Verkehr anerkannten Form, soweit diese durch ihre sinnfällige Er­ scheinung imponiert. Aber ein Blick auf die Geld- und Urkunden­ delikte — die einzigen, welche überhaupt unter diesen Begriff fallen würden6) — lehrt uns, daß eine ganze Reihe von strafbaren Hand­ lungen, welche unzweifelhaft zu den Geld- und Urkundendelikten gerechnet werden müssen, eben durchaus nicht als Fälschungen in diesem Sinne betrachtet werden können. Und daraus ergibt sich die unabweisliche Forderung an die Wissenschaft, wenn sie anders dem Gesetzgeber die Bahnen ebnen, seinen Fortschritt fördern und nicht wie im 16. und 17. Jahrhundert ihn hemmen will: mit dem Pseudo 4) Ich glaube nicht, daß der von mir in meiner Falschen Aussage 1877 S. 9 ff. für diese Behauptung angetretene Beweis widerlegt werden kann. 5) Gegen dieselbe haben sich erklärt Wächter, Birnbaum, Köstlin, Ortloff, Geßler, Merkel, Hälschner u. a. 6) Daß die Eidesdelikte nicht hierher gehören, ergibt die einfache Erwägung, daß der Gesetzgeber nicht die Verletzung der Form der eidlichen Erhärtung an sich, sondern nur die eidlich erhärtete Unwahrheit der vor Gericht (oder vor einer andern Behörde) abgelegten Aussage in eigner oder fremder Sache unter Strafe stellt. Vgl. unten § 180 II.

Die gemeingefährlichen Delikte.

Allgemeines.

§ 137.

451

begriffe der xudlioakiäss auch die einheitliche Gruppe der Fälschungsdelikte fallen zu lassen.

I. Die gemeingefährlichen Verbrechen des Reichsstrafgrfrtzbnchs. § 137. Allgemeines.') I. Das Reichsstrafgesetzbuch hat im 27. Abschnitte des II. Teils eine größere Anzahl von strafbaren Handlungen unter der Bezeichnung „gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" zusammengestellt.*2) Diese Handlungen weisen im allgemeinen dasselbe charakteristische Merkmal auf: die Gemeingefährlichkeit; aber nähere Betrachtung zeigt uns, daß einerseits die einzelnen hierher gehörigen Delikte jenem Merkmale gegenüber in wesentlich verschiedener Weise sich verhalten, daß anderseits dasselbe Merkmal auch bei andern, in diesen Abschnitt nicht aufgenommenen Verbrechen wiederkehrt; daß also die Bezeichnung „gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen" nur bei unbedingtem Fest­ halten an der Terminologie des Gesetzes einen festbegrenzten Inhalt umschließt. Es empfiehlt sich demnach aus praktischen Gründen, die genannte Bezeichnung auf die im 27. Abschnitte des StGB, aufge­ führten Fälle zu beschränken, anderseits aber auch auf alle diese Fälle zu erstrecken. II. Nach dem Gesagten ist eine einheitliche Konstruktion aller hierher gehörenden Delikte unmöglich. Wohl aber werden wir von den typischen Fällen ausgehend den Charakter der Gruppe zu be­ stimmen berechtigt sein. Als typische Fälle aber stellen sich uns Brandstiftung und Überschwemmung dar. Sie charakterisieren sich als Entfesselung jener Naturkräfte, welchen sonst im Dienste der Menschheit und ihrer Zwecke eine hervorragende Rolle zukommt, zur Verwirklichung antisozialer und antimenschheitlicher Bestrebungen. In diesem Mißbrauch der Waffen, welche die Kultur dem Menschen gewonnen hat, in der retrograden Verwendung der Mittel, welche *) Schaper HH. III S. 859; Siebenhaar Z. IV S. 245 ff. („Der Begriff der Gemeingefährlichkeit und die gemeingefährlichen Delikte nach dem RStGB.") 2) Die Bezeichnung findet sich zuerst, im ALR.

452

§ 137.

Die gemeingefährlichen Delikte.

Allgemeines.

sie für den weiteren Fortschritt geschaffen hat, liegt das für die systematische Stellung dieser Delikte charakteristische Moment: es sind Handlungen, welche nicht durch die Richtung, wohl aber durch die Mittel des Angriffes sich von den übrigen Verbrechen abheben; deren unmittelbares Angriffsobjekt nicht als wirkliches, sondern höchstens als un eigentlich es Rechts gut bezeichnet werden kann.8) Und dadurch, daß diese Mittel eben gerade die Naturkräfte sind, bestimmt sich die Stellung der uns jetzt interessierenden Delikte innerhalb der weiteren Gruppe. Wer die Naturkraft aus ihren Fesseln entläßt, der kann ihr die Grenzen ihrer Ausbreitung nicht bestimmen, die Folgen nicht abwägen, welche seine Handlung mit sich bringt: die entfesselte Naturkraft spottet seiner Macht wie seiner Vorhersicht.34) In diesem Unbegrenzbaren und Unabsehbaren wurzelt der Begriff der Gemeingefahr, welcher den 27. Abschnitt des RStGB. zusammenhält. Daraus erklärt sich auch die geschichtliche Thatsache, daß der Umfang und Inhalt dieser Gruppe mit den Erfindungen und Entdeckungen sich mehrt und wechselt. III. Der Begriff der Gemeingefahr erfordert im einzelnen:5)6 1. Gefährdung, d. i. (in dem oben entwickelten Sinne)") die Herbeiführung eines Zustandes, der nach unserer Erfahrung in der Mehrzahl der Fälle zu dem rechtswidrigen Erfolge führt. 7) 2. Gefährdung von Leib oder Leben einerseits, des Ver­ mögens anderseits; nicht aber der übrigen privaten oder öffentlichen Rechtsgüter. Es entspricht dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der Gesetzgebung nicht, auch z. B. die Preß-Delikte als gemeingefährliche zu bezeichnen. 3. G e m e i n gefährdung, d. i. Herbeiführung eines Zustandes, in welchem nicht bloß ein einzelner Träger der genannten Rechts­ güter, oder mehrere, nach Zahl und Individualität bestimmte 3) oben § 84 III. *) Ebenso III. S. 23. Dezember 1881 V/390: welcher das Wesen der Ge­ meingefahr darin erblickt, daß der Thäter die Ausdehnung der Gefährdung nicht in seiner Gewalt habe. 6) Vgl. hauptsächlich die tüchtige Arbeit von Siebenh aar a. O. S. 255 ff. e) oben § 26 II 2. 7) Die bloße Möglichkeit einer Verletzung genügt demnach nicht. II. S. 11. März 1884 X/173.

Brandstiftung und Überschwemmung.

§ 138.

453

Träger derselben, sondern ein nicht individuell bestimmter und begrenzter Personenkreis 8) als gefährdet erscheint. Das genannte Merkmal wird nun aber vom Gesetzgeber in doppelter Weise zur Bildung der einzelnen Deliktsbegriffe verwertet. a) In manchen Fällen ist der regelmäßige, wenn auch im konkreten Falle nicht vorliegende, Charakter der Handlung für den Gesetzgeber maßgebend; dann ist die Gemeingefährlichkeit nicht Begriffsmerkmal. Beispiel: Die Brandstiftung. b) In anderen Fällen hat der Gesetzgeber die Gemeingefährlich­ keit, wie bei der Überschwemmung, zum Begriffsmerkmal erhoben, und somit ihr Borliegen im konkreten Falle zur unerläßlichen Voraussetzung für die Möglichkeit der Verur­ teilung, bez. Bestrafung gemacht.9) Bei der Handhabung der einzelnen Deliktsbegrifse ist diese ver­ schiedene Verwertung des Merkmals der Gemeingefährlichkeit wohl ins Auge zu fassen. § 138.

Brandstiftung und Überschwemmung.

I. Geschichte. Die Brandstiftung^) ist weitaus das älteste aller gemein­ gefährlichen Delikte. Schon die XII Tafeln erklärten (1. 9 D. 47, 9): Qui aedes acervumve frumenti juxta domum positum combusserit, vinctus verberatus igni necari jubetur. Dennoch ist es zweifelhaft, ob wir mit bezug auf das römische Recht von einem selbständigen Verbrechen der Brandlegung sprechen dürfen. Die Lex Cornelia dq sicariis stellte die mörderische Brandlegung 8) Eine „unbestimmte Vielheit" kann demnach nicht gefordert werden. Vgl. Siebenhaar a. O. — Die Verwandtschaft mit dem Begriffe „Öffentlichkeit" liegt auf der Hand. 9) Die 1. Aufl. hatte noch eine 3. Gruppe aufgestellt: Fälle, in welchen die regelmäßige Gemeingefährlichkeit genügt, die konkrete Handlung also diese Eigenschaft nicht an sich zu tragen braucht, wohl aber die Gefährdung eines oder mehrerer einzelner (nicht Gemeingefährdung) Bedingung der Straf­ barkeit ist (z. B. § 323 StGB.). Allein Siebenhaar scheint mir den Beweis dafür erbracht zu haben, daß hier nur eine ungenaue Ausdrucksweise des Ge­ setzes vorliegt und auch in diesen Fällen Gemeingefahr im konkreten Falle er­ fordert werden muß. *) Wächter, de crimine incendii 1833; Osenbrüggen, die Brand­ stiftung 1854; Ullmann GS.XXX (1878)S.589;JohnHR. „Brandstiftung"; Wanjek GS. XXXI (1879) S. 1.

454

§ 138.

Brandstiftung und Überschwemmung.

unter die Tötungsfälle,2) und auch die Kaiserzeit ist über diese Auf­ fassung wohl kaum hinausgekommen, obwohl sie die messium per dolum incensores vinearum olivariimque mit außerordentlicher Strafe belegte und auch der fahrlässigen Brandstiftung,3)4in gewissem Sinne wenigstens, ihre Aufmerksamkeit schenkte. Das deutsche Recht, welches von jeher die Brandstiftung als selbständiges Delikt aufgefaßt hatte, unterschied zwischen der heimlichen, diebischen Brandlegung, dem Mordbrand, und dem offenen (gewaltsamen) Waltbrand. Noch der Sachsenspiegel ver­ fügte:^) „Mordbrenner soll man radebrechen; wer den Mann brennt ohne Mordbrand, dem soll man das Haupt abschlagen." Die PGO. begnügte sich (Art. 125) mit der lakonischen Er­ klärung: „Die boshaften überwundenen Brenner sollen mit dem Feuer vom Leben zum Tod gerichtet werden", und gab dem ge­ meinen Rechte dadurch Anlaß zu mannigfachen Kontroversen. Auch die neueste Gesetzgebung weist bedenkliche Schwankungen auf, die sich insbesondere in der Verwertung des Begriffs der Ge­ meingefährlichkeit äußern. II. Der Begriff der Brandstiftung. Brandstiftung — vom Gesetzgeber nicht weiter desiniert — ist die vorsätzliche oder fahrlässige Entfesselung der Naturkrast des Feuers. Sie unterscheidet sich durch ihre Ge­ meingefährlichkeit von der Sachbeschädigung. Aber nicht jede im konkreten Falle gemeingefährliche Sachbeschädigung durch Brand­ legung ist Brandstiftung im Sinne des Gesetzgebers; dieser hat viel­ mehr die Fälle der gemeingefährlichen Brandstiftung ausschließend aufgezählt, und damit die Untersuchung nach dem Vorliegen jenes Merkmales im Einzelfalle ein für allemal abgeschnitten.5) Die Brandstiftung ist vollendet, sobald nicht nur der Zünd­ stoff oder ein Teil des Brandobjektes in Brand gesetzt, sondern das Feuer aus geb rochen ist, d. h. sobald sich das Feuer über den Zündstoff hinaus in einer solchen Weise mitgeteilt hat, daß ein selb2) Vgl. oben § 85 II. 3) Vgl. aber oben § 38 Note 5. 4) oben § 7 Note 21. 5) Bestritten von v. Buri, Kausalität S. 57, Beilageheft zu GS. XXIX (1878) S. 215, und Binding, Normen II S. 583, welcher die Brandstiftung nur als qualifizierte Sachbeschädigung auffaßt. Gegen diesen Siebenhaar a. O. S. 271.

Brandstiftung und Überschwemmung.

§ 138.

455

ständiges Weiterbrennen desselben auch nach Entfernung des Zünd­ stoffes als möglich erscheint.6) Daß eine „Flamme" entstanden, ist nicht erforderlich; auch Weiterkohlen, Weiterglimmen u. s. w. genügt. Die t h ä t i g e R e u e7) ist als Strafaufhebungsgrund anerkannt (StGB. § 310). Sie liegt vor, wenn der Thäter den Brand wieder gelöscht hat, bevor derselbe entdeckt und ein weiterer als der durch die bloße Inbrandsetzung bewirkte Schade entstanden ist. Daß eigne Thätigkeit des Schuldigen erforderlich fei, ergibt Wortlaut wie Zweck der Bestimmung. Dagegen sind die Mittel irrelevant, deren sich der Brandstifter zur Löschung bedient; insbesondere schließt das Herbeiholen fremder Hilfe die Anwendung des § 310 nicht aus?) Da es sich um einen Strafaufhebungsgrund handelt, kommt dessen Wirkung jedem Beteiligten — Thäter, Anstifter oder Gehilfen — zu gute, in dessen Person er vorliegt.9) III. Die Arten der Brandstiftung. A. Vorsätzliche Brandstiftung. 1. Mit (abstrakter) Gemeingefahr für das Leben. a) EinfacherFall (StGB. § 306): wenn in Brand gesetzt wird: 1. Ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Ge­ bäude ;10) 2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung “) von Menschen dienen, wenn auch im Augen­ blicke der That keine Menschen sich darin befanden; 3. eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufenthalte von Menschen dient, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in derselben sich aufzuhalten pflegen, wenn auch thatsächlich im Augenblicke der That keine Menschen sich darin befanden. Der Vorsatz des Thäters muß die in Ziff. 1—3 hervorgehobenen Momente mit umfassen.^) Strafe: Zuchthaus. e) Schwankend das Reichsger. Vgl. I. S. 3. Mai 1880 1/375; II. S. 20. Dezember 1882 VII/131. 7) Oben § 79 IV. 8) I. S. 3. Mai 1880 1/375. ») Oben § 47 III. 10) „Gebäude": oben § 97 Note 3. u) „Wohnung": oben § 130 Note 4 und 5. 12) A. A. (gewiß unrichtig) Binding, Normen II S. 582 f.

§ 138.

456

Brandstiftung und Überschwemmung.

b) Qualifizierter Fall (StGB. § 307). 1. Wenn der Brand den Tod eines Menschen dadurch ver­ ursacht hat, daß dieser zur Zeit der That in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand;48) 2. wenn die Brandstiftung in der Absicht (gleich treibendes Motiv) begangen worden ist, um unter Begünstigung derselben Mord oder Raub14) zu begehen oder einen Aufruhr zu erregen: 3. wenn der Brandstifter, um das Löschen des Feuers zu verhindern oder zu erschweren, Löschgerätschaften entfernt oder unbrauchbar gemacht hat.15) Strafe: Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebensläng­ liches Zuchthaus. Versuch ist auch im Falle der Ziff. 1 möglich, wenn der Tod durch die unvollendete oder fehlgeschlagene Handlung in der vom Gesetze geforderten Weise verursacht wurde. 2. Mit (abstrakter) Gemeingefahr für Eigentum oderLeben (StGB. § 308); wenn Gebäude, Schiffe, Hütten, Bergwerke, Maga­ zine, Warenvorräte, welche auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte48) von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Bau- oder Brennmaterialien, Früchte auf dem Felde, Waldungen4 ^) oder Torfmoore in Brand gesetzt werden, entweder a) fremdes Eigentum sind18)

und diese Gegenstände

(sog. „unmittelbare Brandstif­

tung"), oder 13) Mit dieser inkorrekten Fassung soll ausgedrückt werden, daß gerade die Anwesenheit in der Räumlichkeit zur Zeit der That die Ursache des ein­ getretenen Todes gewesen sein muß.

Dies ist z. B. der Fall, wenn einer der

Anwesenden durch einen Sprung aus dem Fenster, durch Schrecken u. s. w. ums Leben kommt; nicht aber, wenn jemand bei Löschungs-, Rettungs- oder Ber­ gungsversuchen, die ihn nach der That in die Räumlichkeit geführt oder zurück­ geführt haben, den Tod findet. 14) StGB. §§ 249—251, nicht aber 252 und 255. 16) Trunkenmachen der Löschmannschaft gehört selbstverständlich nicht hierher. 16) Erheblichere Quantitäten, auch wenn noch auf dem Transport befind­ lich (Getreidewagen).

I. S. 21. Februar 1884 X/186.

17) Hierher gehört nicht nur der Holzbestand, sondern auch die Bedeckung des Waldbodens, also Strauchwerk, Moos, Laub u. s. w.

I. S. 4. Oktober

1880 11/314. ") Jnbrandsetzen von herrenlosen Sachen, beispielsweise von derelinquierten Gebäuden, kann nach dem Wortlaute weder hierher noch zur litt. b. gerechnet

Brandstiftung und Überschwemmung.

§ 138.

b) zwar dem Brandstifter eigentümlich gehören,

457 jedoch ihrer

Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind, das Feuer einer der im § 306 Nr. 1—3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vor­ stehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen (sog. „mittel­ bare Brandstiftung").

Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Um­ ständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. B. Fahrlässige Brandstiftung (StGB. § 309), strafbar nur, wenn in der in den §§ 306 und 308 bezeichneten Art herbei­ geführt. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre, oder Geld­ strafe bis zu neunhundert Mark; wenn durch den Brand der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Neben Zuchthaus kann in allen Fällen der Brandstiftung auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden (StGB. § 325). C.

Der Brandstiftung

ist gleichgestettt (StGB. § 311) die

gänzliche oder teilweise Zerstörung einer Sache durch den Gebrauch von Pulver oder anderen explodierenden Stoffen.19) Doch findet § 310 StGB, hier keine Anwendung.20) IV. Die Überschwemmung.2*) Wenn wir von dem Codextitel De nili aggeribus rumpendis (9, 38) und von den Bestimmungen der verschiedenen lokalen Deich­ ordnungen im deutschen Mittelalter-absehen, fehlt es bis in die neueste Zeit an besonderen Strafdrohungen gegen Überschwemmung. Überschwemmung ist — eine gesetzliche Definition fehlt — die Entfesselung der Naturkraft des Wassers. Es genügt demnach nicht jedes Überströmen oder Überrieseln u. s. w., sondern es muß zum Begriffe der Überschwemmung gefordert werden, daß der Thäter die Beherrschung der von ihm wachgerufenen Naturkraft nicht mehr in seiner Hand hat.

werden.

Nichtiger wäre negative Fassung gewesen: „nicht Eigentum des Thäters

sind". 19) Die Verwendung von Dynamit, Nitroglycerin u. s. w. im Kampfe der internationalen Anarchisten gegen die Gesellschaft legt die Erlassung besonderer Sprengstoffgesetze nahe.

Vgl. unten § 145.

20) Zahlreiche Strafdrohungen gegen feuergefährliche Handlungen enthält der 29. Abschnitt des StGB.

So §§ 367 Ziff. 4—6, 368 Ziff. 3—8, 369

Ziff. 3. 20 Wanjek GS. XXXI (1879).

458

§ 139. Störung von Eisenbahntransporten und Telegraphenanstalten.

Das RStGB. unterscheidet folgende Fälle: 1. Vorsätzliche Überschwemmung. a) Mit Gemeingefahr (im konkreten Fall) für M e n s ch e n l e b e n (StGB. § 312). Strafe: Zuchthaus nicht unter drei Jahren; wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Der Versuch des qualifizierten Falles ist unter den bekannten Voraussetzungen möglich.22) b) Mit Gemeingefahr (im konkreten Falle) für das Eigentum (StGB. § 313). Strafe: Zuchthaus; wenn die Absicht des Thäters nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet ge­ wesen, Gefängnis nicht unter einem Jahre. Der Vorsatz muß in beiden Fällen auch das Bewußtsein der Gemeingefahr, dort für das Leben, hier für das Eigentum, mit umfassen.23) 2. Fahrlässige (StGB. §314)Überschwemmung mit konkreter Gemeingefahr für Leben oder Eigentum. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden, Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Neben Zuchthaus kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht er­ kannt werden (StGB. § 325). § 139.

Strafbare Handlungen gegen Eisenbahntransporte und Telegraphenanstalten.

I. Gefährdung von Eisenbahntransporten.') Mit der Entwickelung des Eisenbahnwesens hat der strafrecht­ liche Schutz desselben im allgemeinen gleichen Schritt gehalten. Eben darum liegt aber auch kein Grund vor, den Begriff der „Eisen­ bahn" auf dem Gebiete des Strafrechts in einem andern und engern Sinne zu nehmen, als auf dem Boden des gewöhnlichen Sprachgebrauches. Demnach umfaßt der Ausdruck hier wie sonst*2) alle mit toten Naturkrästen (mechanischen Kräften) betriebenen -2) Oben § 44 Note 17. 23) Sehr bestritten. Abweichend insbes. Olshausen. ') Meves GS. XXVI (1874) S. 242. 2) Vgl. oben § 97 Note 13.

Störung von Eisenbahntransporten und Telegraphenanstalten. § 139.

459

Bahnen; also nicht nur Lokomotivbahnen, sondern auch elektrische, Drahtseilbahnen u. s. w., nicht aber Pferdebahnen?) Ob die Eisen­ bahn öffentlichen oder privaten Zwecken (in Fabriken, Bergwerken u. s. w.) dient, ist auch hier gleichgültig.*4)** 6Ebenso, ob sie bereits dem öffentlichen Betriebe übergeben worden?) Transport aber bedeutet den Betrieb aus der Bahn überhaupt, nicht den einzelnen, aus Zug- und Transportmitteln mit den zu befördernden Personen und Gütern bestehenden Eisenbahnzug?) Das RStGB. bedroht jedoch — von einem Ausnahmsfall ab­ gesehen — die Gefährdung des Eisenbahntransportes nur dann, wenn sie begangen wird entweder a) durch Beschädigung von Eisenbahnanlagen, Beförderungs­ mitteln oder sonstigem Zubehör, oder b) durch Bereitung von Hindernissen auf der Fahrbahn mittels falscher Zeichen oder Signale oder auf andere Weise. Zur Vollendung ist im Einzelfalle thatsächliche Gefährdung des Transportes erforderlich, nicht aber die — damit allerdings wohl immer gegebene — Gemeingefährdung von Leben oder Vermögen. In betreff der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Grund­ sätze. Wer einen Transport gefährdet, um ihn vor größerer Gefahr (z. B. dem Hinabstürzen in einen tiefen Abgrund) zu retten, bleibt straflos; nicht weil ihm das, hier so wenig wie sonst erforderliche, Bewußtsein der Rechtswidrigkeit mangelt,7)8sondern weil er objektiv nichts Rechtswidriges gethan hat. Das RStGB. unterscheidet in der Bestrafung: 1. Die vorsätzlich herbeigeführte Gefährdung (§ 315). Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. § 224) Zuchthaus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes nicht unter zehn Jahren oder lebenslänglich. Polizeiaufsicht kann erkannt werden (§ 325). Für den Versuch gelten die allgemeinen Grundsätze?) DerVor3) Die Frage ist sehr bestritten, Olshausen will nur die Lokomotivbahnen hierher rechnen, aber ohne zwingende Gründe dafür geltend zu machen. Richtig Berner. *) So Olshausen. Dagegen die gern. Meinung. 6) II. S. 4. Dezember IX/233. 4) Sehr bestritten. 7) Unrichtig Olshausen. 8) Oben § 44 Note 17.

460

§ 139. Störung von Eisenbahntransporten und Telegraphenanstalten.

satz muß nicht nur die Beschädigung der Anlagen u. s. w., sondern auch die Gefährdung des Transportes mitumfassen?) 2. Die fahrlässig verursachte Gefährdung (§ 316). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; bei Verursachung des Todes Ge­ fängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit muß sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die verursachende Handlung (Beschädigung der Anlagen u. s. w.) vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen kann. Die unter 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Leitung der Eisen­ bahnfahrten und zur Aufsicht über Bahn und Beförderungsbetrieb angestellten Personen, wenn sie durch Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten einen Transport in Gefahr setzen. Verursachung der Gefährdung durch Beschädigung der An­ lagen u. s. w. ist also nicht erforderlich. In betreff der Fahrlässig­ keit gilt das oben Gesagte: sie muß sich auf die Gefährdung des Transportes beziehen, während die Pflichtvernachlässigung eine vorsätzliche oder fahrlässige sein samt.10) II. Verhinderung oder Störung der Benutzung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphen­ anstalt.11) Als Telegraphenanstalten sind nicht bloß elektrische, sondern auch optische, überhaupt alle diejenigen Anstalten zu verstehen, welche die von ihnen beförderte Mitteilung nicht im Originale, sondern in einer Reproduktion überliefern.1') Die Rohrpost gehört demnach nicht hierher, wohl aber die Fernsprechan st alten,1^) bei welchen ebenfalls eine Umsetzung und Wiedererzeugung der Schallwellen stattfindet. Ob die Anstalten öffentliche oder private sind, ist gleichgültig; doch müssen sie öffent­ lichen Zwecken dienen. Die Handlung ist im Gesetze nicht näher angegeben, wird sich aber meist als eine Sachbeschädigung darstellen. Gemeingefährdung im Einzelfalle ist begrifflich nicht erforderlich, 9) Dagegen die gern. Meinung. 10) Anders die gern. Meinung, welche von jedem Verschulden absehen will, da, wie bei jedem Unterlassungsdelikt, der polizeiliche Gesichtspunkt den Aus­ schlag gebe. Vgl. oben § 38 Note 14. ") Dambach GS. XXIII (1871). 12) II. S. 20. September 1881 IV/406. ") Fuld GS. XXXVI (1884; Z. IV S. 341) S. 202 spricht mit Unrecht diesen wie jenen den Charakter der Telegraphenanstalten ab.

Störung von Eisenbahntransporten und Telegraphenanstalten. § 139.

461

wird aber wohl immer gegeben sein, wenn die Benutzung der Tele­ graphenanstalt verhindert oder gestört ist. In der Bestrafung unterscheidet das Gesetz: 1. Die vorsätzliche Begehung (StGB. § 317). Strafe: Gefängnis von einem Monate bis zu drei Jahren. Der Vorsatz muß die Verhinderung oder Störung der Benutzung mit umfassen. 2. Fahrlässige Begehung (§ 318). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe bis zu neunhundert Mark. Die Fahrlässigkeit muß Verhinderung oder Störung mit umfassen, während die Verursachungs-Handlung selbst vorsätzlich oder fahrlässig begangen sein kann. Die zu 2 bezeichnete Strafe trifft die zur Beaufsichtigung und Bedienung der Telegraphenanstalten und ihrer Zubehörungen an­ gestellten Personen, wenn sie durch Pflichtvernachlässigung die Benutzung der Anstalt verhindern oder stören. Auch hier ist die für den analogen Fall bei der Gefährdung eines Eisenbahntransportes gegebene Regel zur Anwendung zu bringen. III. Für beide Fälle — I und II — droht das Gesetz eine eigentümliche Nebenstrafe an.14) Es können nämlich die wegen einer der angeführten Hand­ lungen verurteilten Angestellten zugleich für unfähig zu einer Be­ schäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphendienste oder in bestimmten Zweigen dieser Dienste erklärt werden (StGB. § 319). Die Vor st eher der Eisenbahngesellschaft15) oder einer zu öffent­ lichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt, welche nicht sofort nach Mitteilung des rechtskräftigen Erkenntnisses die Entfernung des Ver­ urteilten bewirkten, werden mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher für unfähig zum Eisenbahn- oder Telegraphendienste erklärt worden ist, wenn er sich nachher bei einer Eisenbahn oder Telegraphenanstalt wieder an­ stellen läßt, sowie diejenigen, welche ihn wieder angestellt haben, obgleich ihnen die erfolgte Unfähigkeitserklärung bekannt war.l6) u) Oben § 62 I B. 4 c. 15) Zwischen Privatgesellschaften und Staatsbahnen besteht in dieser Be­ ziehung kein Unterschied. So die gern. Meinung. Dagegen Olshausen und Berner. 16) Damit ist auch der Fall getroffen, wenn jemand, der „in einem be­ stimmten Zweige dieser Dienste" für unfähig erklärt wurde, in dem betreffen-

462

§ 140.

Strafbare Handlungen in bezug auf Wasserbauten u. s. w.

§ 140. Strafbare Handlungen in bezug auf Wasserbauten; Gefährdung der Schiffahrt u. s. tv. I. Zerstörung oder Beschädigung von Wasserleitungen, Schleusen,Wehren, Deichen,Dämmen oder anderen Wasserbauten; von Brücken, Fähren, Wegen, Schutzwehren; von Bergwerksvorrich­ tungen *) zur Wasserhaltung, Wetterführung, zum Ein- und Aus­ fahren der Arbeiter; Störung des Fahrwassers in schiffbaren Strömen, Flüssen oder Kanälen: wenn dadurch Gefahr für Leben oder Gesundheit anderer herbeigeführt wurde (mithin Gemeingefahr im Einzelfalle*2) erforderlich); Gefährdung des Ver­ mögens genügt nicht. 1. Vorsätzlich begangen (StGB. § 321). Strafe: Ge­ fängnis nicht unter drei Monaten; bei Verursachung einer schweren Körperverletzung (StGB. § 224), Zuchthaus bis zu fünf Jahren; bei Verursachung des Todes, Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Neben Zuchthaus Polizeiaufsicht fakultativ (§ 825). Der Vorsatz muß auch die Herbeiführung der Gefahr umfassen.3) Der schwerere Erfolg ist dagegen lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit. 2. Fahrlässig begangen (§ 326). Strafe: Bei Verur­ sachung eines Schadens, Gefängnis bis zu einem Jahre; bei Verur­ sachung des Todes, Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Die Fahrlässigkeit muß, wie oben der Vorsatz, auch die Herbeiführung der Gefahr umfassen. Verursachung eines Schadens, d. h. Entwicke­ lung der Gefahr zur Verletzung „an Leben oder Gesundheit andrer" 4) ist objektive Bedingung der Strafbarkeit. II. Strafbare Handlungen an Schiffahrtszeichen, genauer an zur Sicherung der Schiffahrt bestimmten Feuerzeichen oder anderen zu diesem Zwecke aufge­ stellten Zeichen; und zwar Zerstören, Wegschaffen, Unbrauchbarben Dienste nachher wieder angestellt wird. So die gern. Meinung, welche aber unrichtig von „Verbesserung des hier vorliegenden Redaktionsversehens" spricht. A. A. Olsh ausen, der diesen Fall nicht mit einbeziehen will. *) Eingefügt durch die Novelle von 1876. 2) Bestritten. Richtig Siebenhaar S. 286. 3) Dagegen die gern. Meinung. 4) Sehr bestritten. II. S. 17. April 1883 VIII/218 rechnet auch Schaden an Eigentum hierher. Dagegen spricht die Fassung des § 321 und das allgemeine Verhältnis zwischen Gefährdung und Verletzung.

Strafbare Handlungen in bezug auf ansteckende Krankheiten.

§ 141.

463

machen, Auslöschen, dienstpflichtwidriges Nicht-Aufstellen; Aufstellen eines falschen Zeichens, welches geeignet ist, die Schiffahrt unsicher zu machen; insbesondere nächtliches Anzünden von Feuer auf der Strandhöhe, welches die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist (abstrakte Gemeingefährdung genügt). 1. Vorsätzlich begangen (StGB. § 322).

Strafe: Zucht­

haus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung der Strandung eines Schiffes, des

Zuchthaus

Todes

nicht

unter fünf Jahren; bei Verursachung

eines Menschen, Zuchthaus nicht

oder lebenslängliches Zuchthaus.

unter zehn Jahren

Polizeiaufsicht fakultativ (§ 325).

2. Fahrlässig begangen (§ 326). oben zu I, 2.

Begriff und Strafe wie

III. Bewirkung des Strandens oder Sinkens eines Schiffes,

wenn dadurch Gefahr für das Leben eines anderen

herbeigeführt wird (konkrete Gemeingefährdung erforderlich). 1. Vorsätzlich begangen (StGB. § 323).

Strafe: Zucht­

haus nicht unter fünf Jahren; bei Verursachung des Todes eines Menschen, Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus.

Polizeiaufsicht fakultativ (§ 325).

2. Fahrlässig begangen (§ 326). oben zu I, 2.

Begriff und Strafe wie

Vorsatz wie Fahrlässigkeit müssen die Herbeiführung der Gefahr mit umfassen.

§ 141.

Strafbare Handlungen in bezug auf ansteckende Krankheiten.

Um die vom Gesetzgeber als

„gemeingefährlich"

zusammen­

gefaßten Delikte in der Darstellung nicht auseinanderzureißen, feien an dieser Stelle auch die §§ 327 und 328 erwähnt, selben teils

obwohl die­

wegen ihres unlöslichen inneren Zusammenhanges mit

andern Reichsgesetzen, teils wegen ihres Charakters als Blankett­ strafgesetze, insbesondere aber weil sie konkrete Anordnungen im Auge haben, systematisch richtiger *) zu den strafbaren Handlungen gegen die Staatsverwaltung, und zwar gegen die Gesundheits­ polizei gestellt würden.*2)

Wie das auch in der 1. Stuft, geschehen. 2) Vgl. unten § 189.

464

§ 141.

Strafbare Handlungen in bezug auf ansteckende Krankheiten.

I. StGB. § 327 bedroht: Die wissentliche Verletzung der Absperrungs- oder Aufsichtsmaßregeln

oder

Einfuhrverbote,

welche von

der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Ver­ breitens einer ansteckenden Krankheit angeordnet werden?) Nur die im Gesetze genannten, nicht aber andre dem gleichen Zwecke dienende Anordnungen der Behörden gehören hierher.

Daß

nicht ständige Einrichtungen, sondern nur solche Anordnungen gemeint sind, welche ad hoc, mit Rücksicht auf eine bestimmte bereits ausge­ brochene oder drohende Krankheit erlassen werden

oder in Kraft

treten, ergibt die Fassung des Paragraphen?) Eine „ansteckende Krankheit" im Sinne des Gesetzes ist nicht jede Krankheit, bei welcher unmittelbare oder mittelbare Übertragung (z. B. durch Verseuchung des Bodens) in größerem Umfange,

auf

immer weitere Kreise stattzufinden pflegt, wenn auch anderseits eine eigentliche Epidemie im Gesetze nicht vorausgesetzt wird. So wird z. B. Syphilis oder Tuberkulose nicht hierher gerechnet werden können?) Praktisch lösen sich die Schwierigkeiten dadurch, daß die hierher ge­ hörenden Krankheiten in den betreffenden Gesetzen und Verordnungen meist ausdrücklich aufgezählt zu werden pflegen. Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren; wenn infolge dieser Verletzung ein Mensch von der Krankheit ergriffen worden, Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren. II. § 328 bedroht die wissentliche Verletzung der Ab­ sperrungs- oder Aufsichts-Maßregeln oder Einfuhr­ verbote, welche von der zuständigen Behörde zur Verhütung des Einführens oder Verbreitens von Viehseuchen angeordnet sind. Der Thatbestand dieses Deliktes deckt sich vollständig mit dem des § 327; nur sind die Viehseuchen an Stelle der Volksseuchen getreten.

Es sind daher die oben aufgestellten Grundsätze auch hier

zur Anwendung zu bringen. Strafe:

Gefängnis bis zu einem Jahre; wenn infolge der

Verletzung Vieh von der Seuche ergriffen worden,

Gefängnis von

einem Monat bis zu zwei Jahren.

3) Finkelnburg HR. „Volksseuchen". 4) Bestritten. Dagegen Olshausen mit der Berliner Praxis. 6) A. A. Olshausen.

Vergiftung von Brunnen und Gebrauchsmitteln.

§ 142.

465

§ 142. Vergiftung von Brunnen und Gebrauchsmitteln. I. Der § 324 StGB, bedroht: a) Die Vergiftung von Brunnen oder Wasserbehältern, die zum Gebrauche anderer*4) 2dienen; * b) die Vergiftung von Gegenständen, welche zum öffentlichen2) Ver­ kaufe oder Verbrauche bestimmt sind, oder die Beimischung von Stoffen, von welchen dem Thäter bekannt ist, daß sie (bei sachgemäßem Gebrauche) ^) die menschliche Gesundheit zu zer­ stören geeignet sind; c) das wissentliche Verkaufen, Feilhalten, Jn-Verkehr-Bringen solcher vergifteter oder mit gefährlichen Stoffen vermischter Sachen mit Verschweigung dieser Eigenschaft. (Abstrakte Gemeingefährdung genügt.) Strafe der vorsätzlichen Begehung (StGB^ § 324): Zucht­ haus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus' nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizei­ aufsicht fakultativ (§ 325). Bei fahrlässiger Begehung tritt die oben § 140 I 2 angegebene Strafe ein (StGB. § 326). II. Dieses Delikt bildet in seinen Thatbeständen b und c den unmittelbaren Übergang zu dem sog. „Nahrungsmittelgesetz".4) Doch hebt dieses einerseits gewisse Gegen st än de, welche der Nahrung, dem Genusse oder Gebrauche dienen, besonders hervor, weil hier jede Fälschung oder Verfälschung erhöhte Gefahr in sich schließt; anderseits bedroht das Nahrungsmittelgesetz, weit über § 324 hinaus­ greifend , nicht bloß die Gefährdung der Gesundheit, sondern auch die Beschädigung des Vermögens durch Herstellung und Verkauf geringwertiger Fälschungen (Surrogate). *) b. h. zur Wassergewinnung für den persönlichen Gebrauch von Menschen; also nicht etwa als Betriebsmittel, zur Wäsche, Viehtränke u. s. w. 2) „öffentlich", d. h. ohne individuelle Bestimmung und Begrenzung der Abnehmer. 8) Bestritten. Doch kann bei bestimmungswidrigem Gebrauche jeder Gegen­ stand gesundheitszerstörend wirken. 4) Unten § 146.

466

§ 143.

Nichterfüllung von Lieferungsverträgen.

§ 143. Nichterfüllung von Lieferungsverträgen.

I. Abweichend von den sonst festgehaltenen Grundsätzen, **) hat das RStGB. in § 329 unter gewissen Voraussetzungen den Bruch der mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsverträge unter Strafe gestellt. Die Bestimmung entstammt dem code penal,2) welcher aber nur Lieferungen für die Militärverwaltung unter seinen Schutz stellte. Preußen (1851) schloß sich an, indem es auch Lieferungen aus Anlaß eines Notstandes heranzog, und so ging die Strafdrohung, obwohl die meisten übrigen deutschen StGBücher sich ablehnend verhielten und auch die Wissenschaft das Delikt ignorierte, unter Gleichstellung der kaiserlichen Marine mit dem Heere, in das Reichsrecht über. II. Strafbar ist nach diesem die Nichterfüllung (Erfüllung nicht zur bestimmten Zeit oder nicht in der vorbedungenen Weise) von mit einer Behörde geschlossenen Lieferungsver­ trägen: a) über Bedürfnisse des Heeres oder der Marine zur Zeit eines " Krieges; oder b) über Lebensmittel zur Abwendung oder Beseitigung eines Notstandes, mag dieser durch Mißernte, Überschwemmungen, Sturmfluten oder durch andre Ursachen herbeigeführt sein. Maßgebend ist weder der Zeitpunkt, in welchem die Lieferung fällig wird, noch derjenige, in welchem der Vertrag geschlossen; sondern der Augenblick, in welchem die Bedürfnisse entstehen und Befriedigung erheischen. Strafe: 1. Bei vorsätzlicher Begehung: Gefängnis nicht unter sechs Monaten; Ehrverlust fakultativ. Abstrakte Gemeingefahr genügt. Der Vorsatz muß auch die Bestimmung der Lieferungen mit umfassen. 2. Bei fahrlässiger Begehung, d. h. fahrlässige Nicht­ erfüllung des Vertrages, während Kenntnis der Bestimmung der Lieferungen auch hier erforderlich ist: Gefängnis bis zu zwei Jahren. Doch ist die Strafbarkeit objektiv bedingt dadurch, daß ein „Schaden" verursacht worden, d. h. Bedürfnisse des Heeres oder der *) Oben § 103 II. *) Vgl. Sickel, Vertragsbruch S. 174 ff.

Verletzung der Regeln der Baukunst.

§ 144.

467

Marine nicht befriedigt, oder der Notstand nicht abgewendet oder beseitigt wurde.3) Dieselben Strafen finden auch gegen Unterlieferanten, Vermittler und Bevollmächtigte des Lieferanten An­ wendung, welche mit Kenntnis des Zweckes der Lieferung die Nicht­ erfüllung vorsätzlich oder fahrlässig verursachen. § 144.

Verletzung der Regeln der Baukunst.

I. Während das Preuß. StGB, im Anschlüsse an das ALR. dieses Delikt zu den Körperverletzungen gerechnet hatte, stellte das RStGB. es an den Schluß der gemeingefährlichen Delikte. II. Nach § 330 StGB, wird derjenige, welcher bei der Leitung oder Ausführung eines Baues wider die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst dergestalt handelt, daß hieraus für andre Ge­ fahr entsteht, mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Nach der Fassung des Gesetzes muß Gemeingefahr, und zwar für Leben und Gesundheit, im Einzelfalle gefordert werden; die Gefahr muß ferner in dem gegenwärtigen Zustande des Bauwerkes begründet, darf nicht von erst künftig eintretenden Er­ eignissen (z. B. Weiterbau) abhängig sein. Vorsatz ist nicht erforderlich; Fahrlässigkeit genügt; un­ richtig ist es aber, von aller Schuld absehen zu wollen. **)

II. Mißbrauch von Sprengstoffen. § 145. I. Das durch anarchistische Unternehmungen dringend notwendig gewordene Gesetz vom 9. Juni 1884x) gegen den v erbreche­ rischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Spreng3) Abw. Olshausen. *) Doch ist das der Standpunkt der gern. Meinung. *) Während des Druckes der 2. Aust, erschienen, daher in der Übersicht oben § 13 noch nicht angeführt.

468

§ 145.

Mißbrauch von Sprengstoffen.

stoffen-) hat eine Anzahl neuer Delikte geschaffen, welche am zweckmäßigsten an dieser Stelle im Zusammenhange behandelt werden, obwohl sie zum Teil gewerbepolizeilicher Natur sind (Vereitelung der staatlichen Aufsicht), zum Teil andern Verbrechens­ begriffen (öffentliche Aufforderung, Nichtanzeige) sich anschließen. Daß das Mittel des Angriffs das Wesen dieser Delikte und damit ihre Stellung im Systeme des besonderen Teiles bestimmt, dürfte gerade hier auf das deutlichste hervortreten. II. Die im Gesetze vom 9. Juni 1884 bedrohten Delikte lassen sich in folgende Gruppen bringen: 1. Gemeing efährliche Anwendung von Spreng­ stoffen sowie darauf abzielende Vorbereitungshandlungen. a) Wer vorsätzlich durch Anwendung von Sprengstoffen Ge­ fahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines andern herbeiführt, wird mit Zuchthaus bestraft (§ 5 Abs. 1). Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren, und wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein (§ 5 Abs. 2). Ist durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden und hat der Thäter einen solchen Erfolg voraussehen können, so ist auf Todesstrafe zu erkennen (§ 5 Abs. 3).23)4 b) Haben Mehrere die Ausführung einer oder mehrerer nach 8 5 zu ahndender strafbarer Handlungen verabredet^) oder sich zur fortgesetzten Begehung derartiger, wenn auch im einzelnen noch nicht bestimmter Handlungen v e r b u n d e n,5) so werden dieselben, auch ohne daß der Entschluß der Verübung des Verbrechens durch Hand2) Über das engl. Ges. vom 10. April 1883 vgl. Z. III S. 739 und IV S. 123 (Bericht von Oliver Smith). 3) Eine durchaus unklare Bestimmung. Wer vorhersieht, daß seine Hand­ lung den Tod eines Menschen zur Folge haben werde, hat eben vorsätzlich gehandelt. Wer es nicht voraussah, aber voraussehen konnte und sollte, hat fahrlässig gehandelt. Das Gesetz droht also, von einer ganz veralteten, vom Reichsgericht längst aufgegebenen Begriffsbestimmung von Vorsatz und Fahr­ lässigkeit ausgehend, einerseits die Todesstrafe für Fälle an, in welchen ihre Anwendung selbstverständlich ist, anderseits für solche Fälle, in welchen nicht einmal Fahrlässigkeit vorliegt. 4) Komplott; vgl. oben § 48 III, 2 a. 6) Bande; vgl. oben § 48 III, 2 b.

Mißbrauch von Sprengstoffen.

§ 145.

469

lungen, welche einen Anfang der Ausführung enthalten, bethätigt worden ist, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft (§ 6). Komplott wie Bande erscheinen demnach als selbständige Delikte. c) Wer Sprengstoffe herstellt, anschafft, bestellt oder in seinem Besitze hat, in derAbsicht,9) durch Anwendung derselben Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben eines andern entweder selbst herbeizuführen oder andre Personen zur Begehung dieses Verbrechens in den Stand zu setzen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft (§ 7 Abs. 1). Der gleichen Strafe verfällt, wer Sprengstoffe, wissend daß dieselben zur Begehung eines in dem § 5 vorgesehenen Verbrechens bestimmt sind, an andre Personen überläßt (§ 7 Abs. 2). In beiden Absätzen handelt es sich um Vorbereitungshandlungen zu dem unter a bezeichneten Verbrechen, die aber als delicta sui generis aufgefaßt und bestraft werden. d) Wer Sprengstoffe herstellt, anschafft, bestellt, wissentlich in seinem Besitze hat oder an andre Personen überläßt unter Umständen, welche nicht erweisen, daß dies zu einem erlaubten Zweck geschieht, wird mit Zuchthausstrafe*7) bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft. Diese Bestimmung findet auf die gemäß § 1 Abs. 3 vom Bundes­ rat bezeichneten Stoffe8) keine Anwendung (§ 8). Ein selb­ ständiges, neben das unter a bezeichnete Delikt tretendes Verbrechen. 2. Verletzung der Anordnungen zum Zwecke der Überwachung der Herstellung, des Vertriebes, des Besitzes und der Einführung von Sprengstoffen (ge­ werbepolizeiliche Anordnungen). Wer der Vorschrift im ersten Abs. des § 1 zuwider es unter­ nimmt, ohne polizeiliche Ermächtigung Sprengstoffe her­ zustellen, vom Auslande einzuführen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonst an andre zu überlassen, oder wer im Besitze derartiger Stoffe betroffen wird, ohne polizeiliche Erlaubnis dazu nachweisen zu können, ist mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen (§ 9 Abs. I).9) ®) ’) 8) ®)

gleich treibendes Motiv. Warum nicht „Zuchthaus", wie überall sonst? Sprengstoffe, welche vorzugsweise als Schießmittel gebraucht werden. Über den Beginn des Inkrafttretens dieser Bestimmung vgl. §§ 14 und

15 des Ges.

470

§ 145.

Mißbrauch von Sprengstoffen.

Gleicher Strafe verfällt, wer die Vorschriften des § 1 Abs. 2,10) die von den Zentralbehörden in Gemäßheit des § 2 getroffenen An­ ordnungen,") oder die bereits bestehenden oder noch zu erlassenden sonstigen polizeilichen Bestimmungen über den Verkehr mit Spreng­ stoffen, auf welche § 1 Abs. 1 Anwendung findet,") übertritt (§ 9 Abs. 2). 3. Öffentliche Aufforderung.") Wer öffentlich vor einer Menschenmenge, oder wer durch Ver­ breitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder andern - Darstellungen, oder wer in Schriften oder andern Darstellungen") zur Begehung einer der in den §§ 5 und 6 bezeichneten strafbaren Handlungen oder zur Teil­ nahme an denselben auffordert, wird mit Zuchthaus bestraft (§ 10 Abs. 1). Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher aus die vorbezeichnete Weise zur Begehung der im Abs. 1 gedachten strafbaren Hand­ lungen insbesondere dadurch anreizt oder verleitet, daß er dieselben anpreist oder als etwas Rühmliches darstellt (§ 10 Abs. 2). 4. Nichtanzeige.") Der in § 139 RStGB. angedrohten Strafe verfällt, wer von dem Vorhaben eines im § 5 vorgesehenen Verbrechens oder von einer in § 6 vorgesehenen Verabredung oder von dem Thatbestände eines im § 7 unter Strafe gestellten Verbrechens in glaubhafter Weise Kenntnis erhält und es unterläßt, der durch das Verbrechen bedrohten Person oder der Behörde rechtzeitig Anzeige zu machen (§ 13). 10) Führung von Registern über die Mengen der hergestellten u. s. w. Sprengstoffe, über die Bezugsquellen und den Verbleib derselben; Verpflichtung zur Vorlegung dieser Register. u) Ausführungs-Verordnungen. 12) Also nicht Sprengstoffe, welche a) vorzugsweise als Schießmittel ge­ braucht, oder b) zum eignen Gebrauch durch Reichs- oder Landesbehörden von der zuständigen Verwaltung hergestellt, besessen, eingeführt oder vertrieben werden. 13) Vgl. unten § 175. ") Die durch den Druck hervorgehobenen Worte fehlen in dem Thatbestände der übrigen öffentlichen Aufforderungen unserer Reichsstrafgesetzgebung. In der That ist der Begriff der öffentlichen Aufforderung damit überschritten. 16) Vgl. unten § 184 IV.

Die Warenfälschung.

§ 146.

471

III. Nebenstrafen und objektive Maßregeln. In den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und 10 kann auf Zulässig­ keit von Polizeiaufsicht erkannt werden. In den Fällen der §§ 5, 6, 7, 8 und in dem Falle einer Anwendung der Straf­ vorschriften des § 9 ist auf Einziehung der zur Zubereitung der Sprengstoffe gebrauchten und bestimmten Gegenstände, sowie der im Besitze des Verurteilten vorgefundenen Vorräte von Sprengstoffen zu erkennen, ohne Unterschied, ob dieselben dem Verurteilten gehören oder nicht (§ 11).") IV. Endlich dehnt das Gesetz die Bestimmungen in § 4 Abs. 2 Nr. 1 StGB., nach welchen die von einem Deutschen oder von einem Ausländer im Auslande begangenen strafbaren Hand­ lungen ausnahmsweise nach inländischem Recht verfolgt und bestraft werden können,") auf die in §§ 5, 6, 7, 8 und 10 des Spreng­ stoffgesetzes vorgesehenen Verbrechen aus (§ 12).

IU. Die Marenfalschuirg. § 146. I. Die Strafbarkeit der Warenfälschung, welche heute auf dem Gesetze vom 14. Mai 1879 betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln, GebrauchsmittelnJ) beruht, bildet die Brücke von den gemeingefährlichen Verbrechen zu den Fälschungen. Mit jenen teilt es die Richtung gegen Leib und Leben sowohl wie gegen das Vermögen einerseits und die Heranziehung von Naturkräften ander­ seits, die freilich nicht mit imponierender Gewalt, aber dafür um so 18) Vgl. oben § 60 Note 8. 17) Oben § 19 V. *) Die Materialien zu dem Gesetz in GA. XXVII (1879). — Kommen­ tierte Ausgaben von Meyer und Finkelnburg 1879; Baer 1879 (in Bezolds Gesetzgebung) — Bresgen, Der Handel mit gefälschten und verdorbenen Ge­ tränken u. s. w., 2. Aufl. 1876; Wiener, Die moderne Gesetzgebung über die Warenfälschung (Nord und Süd V); Löbner, Die Gesetzgebung des alten und neuen Deutschen Reichs wider Verfälschung der Nahrungsmittel 1878; Merkel H.R. „Nahrungs- (und Genuß-) Mittelfälschung". — Geschichtliches bei Elben, Zur Lehre von der Warenfälschung 1881. — Vgl. auch Jolly in Schönbergs Handbuch der polit. Ökonomie II S. 528.

§ 146.

472 sicherer

das

Werk der

Die Warenfälschung.

Zerstörung

vollenden;

mit

diesen

die

charakteristische Handlung, das Fälschen und Verfälschen, die miß­ bräuchliche Herstellung oder Veränderung gewisser im Verkehr an­ erkannte Formen.

Wenn es demnach auch eine systematisch berech­

tigte Gruppe der Fälschungsdelikte gäbe,2)3 so würde doch die Waren­ fälschung — wenigstens die der Reichsgesetzgebung — eine eximierte Stellung innerhalb derselben beanspruchen dürfen. II. Die Warenfälschung spielt schon im deutschen Mittelalter ihre

Rolle.

Die

Stadtrechte enthalten

vielfache Strafdrohungen

gegen die Fälschung von Gold- und Silberwaren, von Tuch und Seide, von Speisen und Getränken.8)

Auch die Polizeiordnungen im Reich

wie in den Territorien beschäftigten sich mit verwandten Delikten. Art. 113 der PGO. bedroht mit peinlicher, eventuell mit der Todes­ strafe denjenigen, welcher „böslicher und gefährlicher Weise Maß, Wage, Gewicht,

Spezerei

oder

andre Kaufmannschaft

fälscht und die für gerecht gebraucht und ausgibt". bindung mit wesentlich verschieden gearteten Delikten,

Aber die Ver­ wie der sog.

Verfälschung von Maß, Wage und Gewicht, hinderte die gedeihliche Entwickelung des Deliktsbegriffes, der erst in unsern Tagen wieder zur Geltung gelangte, und zwar zunächst in Frankreich und Eng­ land, später erst im Deutschen Reich. III. Das Reichsgesetz vom 14. Mai 1879, welches sich vielfach an das englische Gesetz von 1875 anschließt, bezieht sich (§ 1) auf den Verkehr mit Nahrungs- und Genußmitteln, sowie mit Spielwaren, Tapeten, Farben, Eß-, Trink- und Koch­ geschirr und Petroleum, und enthält Bestimmungen von ver­ schiedener prinzipieller Bedeutung, welche hier nur der Übersichtlichkeit wegen im Zusammenhange dargestellt werden sollen. A. Zunächst ist — und hier handelt es sich um gesundheitsund

gewerbe-polizeiliche Maßregeln — der Verkehr mit den

genannten

Gegenständen

unterstellt (§§ 1—4).

der staatlichen

Beaufsichtigung

Widerstand gegen dieselbe (Verweigerung des

Eintrittes in die Geschäftsräumlichkeiten, der Entnahme von Proben, der Revision gegenüber den zuständigen Polizeibeamten) unterliegt (§9) einer Geldstrafe von fünfzig bis hundertfünfzig Mark oder der Strafe der Haft. Überdies ist dem Kaiser (mit Zustimmung des Bundesrates)

2) Darüber siehe oben § 136 II. 3) Vgl. v. Maurer, Städteverf. 1869 ff. III § 406.

Die Warenfälschung.

473

§ 146.

ein weitgehendes Verordn ungsrechtzuin Schutze der Gesund­ heit eingeräumt (§§ 5—7), kraft dessen Herstellung, Aufbewahrung, Verpackung, Verkauf, Verwendung gewisser Gegenstände verboten werden kann. Übertretung dieser Verordnungen wird mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder mit Hast bestraft (§ 8). B. Die weiter folgenden Bestimmungen bezwecken den Schutz des Vermögens gegen Beeinträchtigung durch Fälschungen. 1.

Die

Nachmachung^)

oder

Verfälschung^)

von

Nahrungs- oder Genußmitteln zum Zwecke der Täuschung im Handel und Verkehr; 2. das wissentliche Verkaufen von verdorbenen,*6)5 nachgemachten, verfälschten Nahrungs-

oder Genußmitteln

unter Verschweigung dieses Umstandes, sowie das wissentliche Feil­ halten derselben unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung wird (§ 10) mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark, oder mit einer dieser Strafen; die fahr­ lässige Begehung der unter 2 bezeichneten Handlungen aber (§ 11) mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder mit Haft bestraft.

0. Dem Schutze der Gesundheit gegen gemeingefähr­ liche Fälschungen dient endlich eine 3. Gruppe von Strafbe­ stimmungen. — Sie umfaßt: 1. Die Herstellung von Gegenständen, welche bestimmt sind, anderen als Nahrungs-

oder Genußmittel zu dienen, in solcher

Weise, daß der (bestimmungsgemäße) Genuß derselben die mensch­ liche Gesundheit zu beschädigen geignet ist; sowie das Verkaufen, Feilhalten, Jn-Verkehr-Bringen von Gegenständen, deren Genuß die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist, als Nahrungs- oder Genußmittel; 2.

die

Herstellung

von

Bekleidungsgegenständen,

Spiel­

waren,- Tapeten, Eß-, Trink- und Kochgeschirr oder Petroleum in

^Nachmachung ist die Herstellung von Surrogaten. 5) Der Begriff der Verfälschung ist hier, da es sich eben nicht um Be­ glaubigungsmittel oder Wertzeichen handelt, ein andrer als bei Münz- und Urkundenfälschung.

Er bedeutet jede menschliche Handlung, durch welche der

Ware der Anschein besserer, d. h. wertvollerer Beschaffenheit gegeben wird. Schwankend das Reichsger. 6) Verdorben ist die Ware, wenn sie infolge einer Veränderung des normalen Zustandes ungeeignet geworden ist, als Nahrungs- oder Genußmittel zu dienen.

III. S. 5. Oktober 1881 V/290; I. S. 12. Dezember 1882 IV/343.

§ 146.

474

Die Warenfälschung.

einer solchen Weise, daß der bestimmungsgemäße oder vorauszusehende Gebrauch derselben die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet ist; sowie das Verkaufen, Feilhalten, Jn-Verkehr-B ringen solcher Gegenstände. In diesen beiden Fällen ist eine Vermögensbeschädigung des Käufers ebensowenig erforderlich wie eine Irreführung desselben. Daher ist auch unentgeltliche Überlassung 7) sowohl wie Verkauf u. s. w. unter Mitteilung der gesundheitsgefährlichen Eigenschaft strafbar. Die Strafe ist in folgender Weise abgestuft: a) Vorsätzliche Begehung.

a) Einfacher Fall (§ 12): Gefängnis mit fakultativem Ehrverlust. schweren

Versuch strafbar.

Körperverletzung

Bei Verursachung einer

(StGB.

§

224)

oder des

Todes, Zuchthaus bis zu fünf Jahren.

ß) Schwerer Fall (§ 13), vorliegend, wenn der Genuß oder Gebrauch der genannten Gegenstände die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet, und diese Eigenschaft dem Thäter bekannt war. Zuchthaus bis zu zehn Jahren; bei Verursachung des Todes Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus. Polizeiauf­ sicht fakultativ. Hier lehnt sich das Gesetz vom 14. Mai 1879 sowohl in bezug auf den Thatbestand als auch in bezug auf die Strafe unmittelbar an § 324 StGB. an.9) b) Fahrlässige Begehung (§ 14). Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten; bei Verursachung eines Schadens an der Gesundheit eines Menschen, Gefängnis Verursachung des Todes,

Ge­

fängnis vyn einem Monat bis zu drei Jahren. Einziehung der fraglichen Gegenstände ist in

bis zu

einem Jahre;

bei

den

zur dritten Gruppe gehörenden Fällen, ohne Unterschied ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht, neben der Strafe obligatorisch, als objektive Maßregel fakultativ vorgezeichnet.

In den übrigen Fällen

kann neben der Strafe auf Einziehung erkannt werden (§ 15). Die ö ff entlicheBekanntmachung der Verurteilung") ’) I. S. 13. Dezember 1880 m/119. ®) III. S. 4. Januar 1882 V/389. ») Oben § 142 II. 1#) Hier Nebenstrafe; vgl. oben § 60 Note 5. Auch III. S. 3. März 1881 X/206.

Die Gelddelikte.

Geschichte und systematische Stellung.

§ 147.

475

auf Kosten der Schuldigen tonn, die der Freisprechung auf Kosten der Staatskasse, bez. des Anzeigers, muß auf Antrag der Freigesprochenen angeordnet werden (§ 16).")12)

IV. Strafbare Handlungen «m Geld. § 147. Geschichte und systematische Stellung. *) Geschichte. I. Im römischen Rechte bildete die Münzfälschung im eigent­ lichen Sinne des Wortes den einen der beiden Hauptbestandteile der lex Cornelia testamentaria nummaria.2) War schon durch diese Einreihung in den dehnbaren Begriff des falsum die selbständige Entwickelung des Deliktsbegriffes gefährdet, so wurde diese so gut wie unmöglich, als das spätere Recht, den Gesichtspunkt des verletzten Hoheitsrechtes heranziehend, die Münzfälschung teilweise als crimen laesae majestatis auffaßte (C. 9, 24). Auch die deutschen Quellen schwanken und bedrohen, von den Kapitularien angefangen, die Münzfälschung bald mit der Strafe des Feuertodes, bald mit der charakteristischen Fälschungsstrafe, dem Verluste der Hand. Im Anschlüsse an die Italiener und das kanonische Recht (Summa Angelica) zerlegt auch die PGO. in Art. 111 die Münz­ delikte in drei Fälle: 1. „wann einer betrüglicherweise eines andern Zeichen darauf schlägt"; 2. „wann einer ünrecht Metall dazu setzt"; 3. „so einer der Münze ihre rechte Schwere gefährlich benimmt," — Fälle, die wir als Falschmünzerei, Münzbetrug, Kippen und Wippen unterscheiden können. n) Über die Verwendung Iret Geldstrafen vgl. oben § 67 III. 12) Die Bestimmungen des Nahrungsmittelges. werden ergänzt durch § 367 Ziff. 7 StGB., für dessen fortdauernde Geltung sich auch das Reichsger. aus­ gesprochen hat: III. S. 11. Februar 1882 VI/34; II. S. 9. Mai 1882 VI/269. Dieser Paragraph bedroht mit Übertretungsstrafe denjenigen, welcher verfälschte oder verdorbene Getränke oder Eßwaren, insbes. trichinenhaltiges Fleisch feil­ hält oder verkauft. J) Merkel HH. III S. 215. 2) Oben § 136 I.

476

§ 147.

Die Gelddelikte.

Geschichte und systematische Stellung.

Die spätere Gesetzgebung vermehrte, zum Teil unter dem Einflüsse verkehrter Anschauungen über Münzpolitik stehend, die herrschende Verwirrung.s) Ausführung oder Einschmelzung einheimischer guter, Einführung schlechter ausländischer Münze treten zu den Münz­ delikten hinzu, während die Landesgesetzgebung vielfach den rein fiskalischen Gesichtspunkt hervorhebt.^) In neuester Zeit wird der Begriff wesentlich erweitert durch Gleichstellung des Papiergeldes sowie anderer geldvertretender Wertpapiere (Geldpapiere) mit dem gemünzten Gelde. Und gleich­ zeitig hemmt die Doktrin die richtige Auffassung, indem sie, fest­ haltend an dem durchaus unbrauchbaren Begriffe des falsum, den Gelddelikten als Angriffsobjekt das angebliche Rechtsgut der publica fides zuweist und danach ihre Stellung im Systeme bestimmt, ob­ wohl das RStGB. selbst die sog. Münzfälschung in durchaus anderem Zusammenhange behandelt, als die zu den Vermögens­ delikten gestellte Urkundenfälschung. II. Diesystematische Stellung der sog. Münzdelikte. Die sog. Münzdelikte charakterisieren sich dadurch, daß sie rechts­ widrige Handlungen in bezug auf bestimmte Wertzeichen sind. Und zwar rechnet das heute geltende Recht hierher: 1. Geld, d. h. das vom Staate anerkannte Tauschmittel (als Wertmesser und Wertträger), und zwar Metallgeld wie Papiergeld, inländisches wie ausländisches Geld (StGB. §. 146); 2. die StGB. § 149 angeführten geldvertretenden Wert­ zeichen; nämlich auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle vertretende Jnterimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils- oder Erneuerungsscheine (Koupons, Dividendenscheine und Talons), wenn von dem Reich, dem Norddeutschen Bunde, einem Bundesstaate oder fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privatperson, ausgestellt. Die internationale Bedeutung der Geldzeichen der modernen Kulturstaaten hat das StGB, in § 4 Ziff. 1 anerkannt: Münz­ verbrechen werden, auch wenn im Auslande, sei es von einem Auss) Vgl. Reichsmünzordnung von 1559, Münzedikt von 1759 u. a. 4) So behandelt das ALR. die Münzdelikte unter den „Anmaßungen und Beeinträchtigungen der vorbehaltenen Rechte des Staates".

Die Gelddelikte. Geschichte und systematische Stellung. § 147.

477

länber, sei es von einem Inländer begangen, ohne weiteres nach einheimischem Rechte bestraft.6) Die sog. Münzdelikte (ein Ausdruck, der dem geltenden Rechte gegenüber viel zu enge ist) gehören demnach zu jener Gruppe straf­ barer Handlungen, welche durch die Art, d. h. durch das Mittel des Angriffes ihren Charakter erhalten, zu den Übertretungen jener Normen, welche zum mittelbaren Schutze nicht eines, sondern verschiedener Rechtsgüter bestimmt sind. Sie erscheinen als Mißbrauch staatlicher Einrichtungen zu antistaatlichen Zwecken. Ihr juristisches Angriffsobjekt ist also ein „uneigentliches Rechtsgut" in unserem Sinne.6) Die Münzhoheit des Staates, das Interesse des Publikums an Sicherheit des rechtlichen Verkehrs und die Vermögensintressen des einzelnen verlangen in gleich gebieterischer Weise nach strafrechtlichem Schutze für die Integrität der Geldzeichen. Um dieser Interessen willen, nicht aber wegen der „Integrität der Geldzeichen" a n s i ch erläßt der Staat seine Straf­ drohungen. Danach bestimmt sich die Stellung der strafbaren Hand­ lungen an Geld und in bezug auf dasselbe im System des be­ sonderen Teiles. Diese Auffassung findet volle Bestätigung, wenn wir die vorn Gesetz bedrohte Handlung ins Ange fassen. Sie kann allerdings Fälschung sein, d. h. Mißbrauch der Geldzeichen als solcher, in jener Bedeutung, welche ihrer anerkannten sinnlichen Erscheinung innewohnt. Und zwar kann sie als solche entweder 1. Fälschung i. e. S. sein, d. h. rechtswidrige Herstellung eines (mithin unechten) Zeichens; oder aber 2. Verfälschung, d. h.Veränderung des (echten) Zeichens, um von diesem veränderten Zeichen zum Zwecke der Täuschung Ge­ brauch zu machen. Aber dieser Fall der eigentlichen Münzfälschung erschöpft lange nicht den Umfang der zu den Münzdelikten gehörenden strafbaren Handlungen, die untereinander keinen andern Zusammenhang haben, als das gemeinsame Mittel des Angriffes auf die Rechtsgüterwelt: die Geldzeichen. 6) Oben § 19 V. °) Oben § 84 III.

478

§ 148.

Die Arten der Gelddelikte.

§ 148. Die Arten der Gelddelikte.

I. Die eigentliche Münzfälschung (StGB. §146). Sie umfaßt zwei Fälle, und zwar: 1. Die Falschmünzerei d. h. die rechtswidrige Herstellung von unechten Geldzeichen. Ob diese an Metallwert den echten Münzen gleichstehen oder hinter denselben zurückbleiben, ist gleichgültig. Selbst­ verständlich ist ein gewisser Grad von Ähnlichkeit mit dem echten Gelde erforderlich, sonst könnte nur von Betrug gesprochen werden; aber es genügt, daß die Möglichkeit einer wenn auch kurzen Zir­ kulation gegeben ist, die Ähnlichkeit mithin hinreicht, um Täuschung im gewöhnlichen Verkehr herbeizuführen.1)2 Da „verrufenes", d. h. außer Kurs gesetztes, Geld nicht mehr Geld ist, so ist es juristisch als Falschmünzerei zu betrachten, wenn verrufenem Gelde das An­ sehen eines noch geltenden gegeben wird?) 2. Die Münzverfälschung, d. h. die Vornahme einer solchen Veränderung an den Geldzeichen, durch welche echtem Gelde der Schein höheren Wertes gegeben wird. Auch das Versilbern, Vergolden tion. Münzen geringen Metalls und ähnliche Fälle ge­ hören hierher. Sowohl die Falschmünzerei als auch die Münzverfälschung er­ fordern begrifflich Verbreitungsabsicht auf seiten des Thäters, d. h. die Absicht (gleich Motiv),3) von der dem Geldzeichen als solchem innewohnenden Bedeutung durch sinnliche Vorweisung desselben Gebrauch zu machen; oder, wie das Gesetz sich ausdrückt, die Absicht, das nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes zu gebrauchen oder sonst als echtes in Verkehr zu bringen. Die Vollendung tritt jedoch nicht erst mit dem Verbreiten, sondern schon mit dem Fälschen ein. Strafe: Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, mit fakultativer Polizeiaufsicht; bei mildernden Umständen Gefängnis.

II. Der Münzbetrug (StGB. § 147), d. h. das Ver­ breiten von gefälschten (nachgemachten oder verfälschten) Geldzeichen. Verbreiten bezeichnet auch hier das Gebrauchen der Geldzeichen >) I. S. 27. März 1882 VI/192. 2) So richtig Olshausen, während das Gesetz diesen Fall zur Münzver­ fälschung gestellt hat. *) Dagegen Binding und Olshausen.

Die Arten der Gelddelikte.

§ 148.

479

als solcher durch sinnliche Vorweisung derselben. Es ist daher gleich­ bedeutend mit dem „Jn-Verkehr-Bringen" oder „Gebrauchen" des Gesetzestextes, und mit dem „Anbieten" des Geldzeichens unzweifel­ haft bereits gegeben/) Der Münzbetrug ist unter den folgenden Voraussetzungen strafbar: 1. wenn die Fälschung von dem Verbreiter selbst, aber*5) ohne Verbreitungsabsicht vorgenommen worden; 2. wenn der Verbreiter sich das gefälschte Geld in Kenntnis dieses Umstandes anderweitig verschafft hat. In beiden Fällen tritt die Vollendung erst mit der Verbreitung ein. Die Strafe ist dieselbe wie die der Münz­ fälschung (StGB. § 146). 3. Wenn der Thäter das gefälschte Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes weitergibt (StGB. § 148). Vollendet mit der Verbreitung; Strafe: Ge­ fängnis bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark;6)* Versuch 8 strafbar. III. Das Einführen von gefälschtem Gelde aus dem Auslande zum Zwecke der Verbreitung (§ 147 StGB.). Vollendet mit der Einfuhr. Ob die Verbreitung im Jnlande oder im Auslande erfolgen soll, ist juristisch gleichgültig/) Die Strafe ist die der Münzfälschung (StGB. § 146). IV. Das sog. Kippen und Wippen, oder die Münzverr ingerung, d. h. (StGB. § 150) das Verbreiten von echten, zum Umlaufe bestimmten Metallstücken, welche auf irgend einem mechanischen oder chemischen Wege (Beschneiden, Abfeilen u. s. w.) in ihrem Metallwerte verringert sind/) Die Handlung erscheint demnach als ein Münzdelikt i. e. S.; analoge Verringerungen an Papiergeld vorgenommen, fallen nicht unter § 150. Die Voraus­ setzungen, unter welchen das Kippen und Wippen strafbar ist, sind: 1. wenn der Thäter (Wipper) die Verringerung selbst vor­ genommen hat, oder *) Bestritten. s) Das Gesetz sagt statt „aber" unrichtig: „auch". 6) Gegen diese geringe Strafe mit Recht Berner. ’) II. S. 11. Juli 1882 VI/441. 8) Hierher gehört auch das sogenannte Ausschälen, welches Berner un­ richtig zur Münzfälschung rechnet.

§ 148.

480

Die Arten der Gelddelikte.

2. wenn er die von einem anderen (Kipper) verringerten Münzen gewohnheitsmäßig") oder 3. im Einverständnisse mit dem Verringere! als vollgültig in Verkehr bringt. Strafe: Gefängnis, daneben fakultativ Geldstrafe bis zu drei­ tausend Mark, sowie Ehrverlust. Versuch strafbar. V. Das Anschaffen oder Anfertigen von Stempeln, Siegeln, Stichen, Platten oder anderen zur Anfertigung von Geldzeichen dienlichen Formen zum Zwecke eines Münz­ verbrechens wird (StGB. § 151) mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Das Gesetz stellt hier gewisse Vorbereitungs­ handlungen als delicta sui generis unter besondere Strafe, es wird daher durch die Begehung des geplanten Münzverbrechens selbst die Strafbarkeit jener Handlungen konsumiert?") In allen bisher erwähnten Fällen“) ist auf Einziehung des nachgemachten oder verfälschten Geldes, sowie der unter V bezeichneten Gegenstände zu erkennen, auch wenn die Verfolgung oder Verurteilung bestimmten Person nicht stattfindet (StGB. § 152). VI. Im Zusammenhange mit den eigentlichen Münzdelikten stehen die im § 360 Ziff. 4, 5, 6 StGB, enthaltenen Übertretungen (Strafe: Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft); nämlich a) die Anfertigung der oben unter V genannten Gegen­ stände ohne schriftlichen Auftrag einer Behörde oder die Ver­ abfolgung derselben an einen andern als die Behörde; b) das Unternehmen eines Abdruckes von diesen Gegen­ ständen oder des Druckes von Formularen zu der­ artigen Papieren ohne schriftlichen Auftrag der Behörde, oder die Verabfolgung von Abdrücken an andre als die Behörde; c) die Anfertigung oder Verbreitung von Drucksachen oder Abbildungen, welche in Form oder Verzierung den Geldzeichen ähnlich sind; sowie das Anfertigen von Formen, welche zur Erzeugung derartiger Drucksachen oder Abbildungen dienen können. 9) Oben § 57. 10) Oben § 58 II.

So auch die gern. Meinung. Dagegen Olshausen,

der hier reale Konkurrenz annehmen will. 11) Dazu gehört auch die Münzverringerung des § 150 StGB. die gern. Meinung.

Dagegen

Urkundendelikte.

Allgemeines.

§ 149.

481

Auf Einziehung der Vervielfältigungsmittel, Abdrücke, Ab­ bildungen kann neben der Strafe erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Verurteilten gehören oder nicht.

V. Strafbare Handlungen an Urlrunden. § 149. Allgemeines.1) I. Geschichte. Wie die Münzfälschung, so hat auch die Urkundenfälschung ihre Wurzel in der lex Cornelia testamentaria nummaria, deren zunächst auf Testamentsfälschung beschränkte Bestimmungen durch eine Reihe von Quasifalsums-Fällen wesentlich erweitert wurde. Das deutsche Recht hat der Fälschung von Urkunden (chartae, Briefe, Handfesten u. s. w.) die Stellung eines selbständigen De­ liktes eingeräumt und sie mit dem Verluste der Hand bedroht. Die PGO. behandelt in Art. 112 die „Strafe derjenigen, welche falsche Siegel, Briefe, Urbar-, Rent- oder Zinsbücher oder Register machen", mitten unter den Fälschungsfällen, und hemmt auf diese Weise die selbständige Entwickelung des Begriffes. Erst die neueste Gesetzgebung ist zu der Auffassung des deutschen Rechtes zurück­ gekehrt, erschwert aber durch die Überschrift „Urkundenfälschung" und durch die Zusammenstellung mit einer ganzen Reihe von „ver­ wandten" Delikten die richtige Auffassung und klare Einteilung der hierher gehörenden strafbaren Handlungen. II. Systematische Stellung. Die strafbaren Handlungen an Urkunden teilen den oben er­ örterten Charakter der Münzdelikte. Möglicherweise (in abstracto) gerichtet gegen die Sicherheit des öffentlichen Rechtsverkehrs, gegen die verschiedensten (nicht bloß gegen die das Vermögen bildenden) Rechtsgüter des einzelnen oder gegen die Staatsverwaltung (ins­ besondere die staatliche Rechtspflege) sind sie wegen dieser möglichen Beziehung unter Strafe gestellt ohne Rücksicht darauf, ob im kon­ kreten Falle eine dieser Beziehungen und welche gegeben ist. Auch ') Merkel HH. III S. 784, IV ©. 441. John, Zeitschr. IV S. 1 ff. und gegen ihn v. Buri GS. XXXVI (1884; Z. IV S. 340) S. 173. Mommsen GS. XXXVI (1884; Z. IV S. 339). — Vgl. oben § 136. 31 von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

482

§ 149.

Urkundendelikte.

Allgemeines.

hier entscheidet das Mittel und nicht die Richtung des Angriffes; auch hier müssen wir es vermeiden, von einer Verletzung der „pub­ lica fides“ zu sprechen, außer wenn es uns eben darum zu thun ist, durch den Gebrauch eines möglichst dehnbaren Ausdruckes uns tieferes Eindringen in die Natur dieser Delikte zu ersparen. Die Handlung erscheint nur in dem ersten und gewissermaßen typischen Falle der Urkundendelikte, der eigentlichen Urkundenfälschung, als ein Fälschen im strengen Sinne des Wortes. Aber auch hier tritt das Fälschen zurück hinter dem Gebrauchmachen, mit dem erst die Vollendung gegeben ist. Dagegen ist bei der sog. „intellek­ tuellen Urkundenfälschung" der Begriff der Fälschung völlig über­ wunden. Und dasselbe ist bei mehreren der verwandten Delikte der Fall. Damit ist die Unmöglichkeit nachgewiesen, die strafbaren Handlungen an Urkunden in dem Begriffe der „Fälschungsdelikte" aufgehen zu lassen. III. Der Begriff der Urkunde wird im Gesetzbuche nicht be­ stimmt; die Motive setzen ihn „bereits als bekannt und feststehend" voraus. In der That ein verhängnisvoller Irrtum; jedes einzelne Merkmal des Begriffes ist ebenso bestritten, wie das Prinzip, auf welchem er beruht?) Urkunde im strafrechtlichen Sinne ist j e d e r der Sinnenwelt ungehörige Gegenstand, der zur Feststellung rechtlich erheblicher Thatsachen bestimmt ist (Eignung dazu ist begrifflich weder genügend noch erforderlich)?) Es fallen demnach nicht bloß Schriftstücke unter den Begriff der Urkunde, sondern auch andre Gegenstände der Sinnenwelt, wie Denkmäler, Kerbhölzer, Waldhammeranschläge, Marken, Siegel, Wappen u. s. w„ voraus­ gesetzt, daß ihnen die Beweisbestimmung innewohnt. Inländische und ausländische Urkunden werden im Gesetz (StGB. § 267) aus­ drücklich einander gleichstellt. Die Urkunden zerfallen in öffentliche und private. Öffent­ liche Urkunden sind nach § 380 ZPO?) diejenigen, welche von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amts2) Man vgl. insbesondere die scharfsinnigen Untersuchungen von John a. O., dessen positive Resultate jedoch zu einer Reihe von Bedenken Anlaß geben. 3) So auch Berner, Olshausen. Dagegen Merkel u. a. 4) Bei ausländischen Urkunden entscheidet sich die Frage nach dem am wirklichen oder angeblichen Ausstellungsorte geltenden Rechte. Vgl. II. S. 26. Juni 1883 VIII/372 (teilweise abweichend).

Die eigentliche Urkundenfälschung.

§ 150.

483

befugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben ver­ sehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Alle übrigen Ur­ kunden sind private. Auch die öffentliche Urkunde muß Urkunde sein, also der obigen Definition entsprechen. Damit ist sie aber auch ohne weiteres unter den Schutz des Strafgesetzes gestellt. Anders bei Privaturkunden. Diese genießen den vollen Schutz des Gesetzes nur dann, wenn sie, sei es allein, sei es in Verbindung mit andern Beweis­ mitteln, zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit sind. Es ist dies kein in dem Begriffe der Urkunde liegendes, sondern ein zu den Begriffsmerkmalen hin­ zutretendes Merkmal?) Ein zur Feststellung einer Thatsache bestimmter Gegenstand kann dennoch für den Beweis dieser That­ sache durchaus unerheblich sein; die moderne Gestaltung des Prozeß­ verfahrens (insbesondere die freie Beweiswürdigung) kann diesen Gegen­ satz auf wenige Fälle einschränken, ohne ihn ganz zu beseitigen?) Zu beachten ist, daß die Beweis e r h e b l i ch k e i t sich durchaus nicht gerade auf jene Thatsachen zu beziehen braucht, zu deren Beweise die Ur­ kunde bestimmt ist. § 150.

Die eigentliche Urkundenfälschung.

I. Die Handlung. Nach positiv rechtlicher Fassung setzt sich die Urkundenfälschung aus zwei zeitlich und räumlich auseinander fallenden Akten zu­ sammen: dem Fälschen und dem Gebrauchen der Urkunde, wobei jedoch das Schwergewicht auf den späteren dieser Akte gelegt wird. Damit ist das Wesen des Fälschungsdeliktes aufgegeben, der Gesichtspunkt des Betruges zum ausschlaggebenden gemacht. 1. Das Fälschen umfaßt — wie bei der Münzfälschung — zwei verwandte Fälle: a) das Nachmachen oder Fälschen im engern Sinne, d. h. die Herstellung einer unechten urkundlichen Beglaubigungs­ form. Unecht aber ist die Urkunde, wenn ihre ausdrück­ liche oder stillschweigende Angabe in bezug auf den Aus5) Ebenso Olshausen. 6) Fast allgemein übersehen.

Richtig jetzt Olshausen.

484

§ 150.

Die eigentliche Urkundenfälschung.

steiler der Urkunde unrichtig ist. Auch die Unterzeichnung des Namens einer verstorbenen oder gar nicht existierenden Person ist mithin Urkundenfälschung; Jj sie wird auch durch das Einverständnis des dritten, dessen Name unterzeichnet werden soll, nicht ausgeschlossen, soweit nicht etwa infolge des Auftrages u. s. w. die Rechtswidrigkeit entfällt?) Da­ gegen kann Urkundenfälschung nicht mehr angenommen werden, wenn die Unterschrift von dem angeblichen Aussteller thatsächlich herrührt, von diesem aber durch Täuschung oder Drohung erlangt wurde, oder wenn die in der Urkunde von dem an­ geblichen Aussteller wirklich bestätigte Thatsache unwahr ist?) b) Das Verfälschen einer echten Urkunde, d. h. eine der­ artige Veränderung ihres Inhaltes, daß ihre ursprüng­ liche Beweiserheblichkeit aufgehoben oder modifiziert wird?) Ob der nunmehrige Inhalt der Urkunde der thatsächlichen Wahrheit entspricht oder nicht, ist begrifflich gleichgültig.*6) 2 3 4 * Nach dem aus dem französischen Recht durch Vermittelung des preuß. StGB, herübergenommenen § 269 StGB, wird der fälsch­ lichen Anfertigung einer Urkunde gleichachtet die Blankettausfüllung, d. h. der Fall, wenn jemand einem mit der Unterschrift eines anderen versehenen Papiere ohne dessen Willen oder dessen Anordnungen zuwider durch Ausfüllung einen urkundlichen Inhalt oder, wie wir unzweifelhaft hinzufügen dürfen?) einen andern als den verabredeten Inhalt gibt. 2. Das Gebrauchen zum Zwecke der Täuschung, d. h. die Verwendung der Urkunde als Urkunde, als eines in sinnlicher Ge­ stalt sich darstellenden Beweismittels. Die sinnliche Vorweisung der Urkunde bildet den häufigsten, aber nicht den einzigen Fall; jede Verwertung der dem sinnfälligen Beglaubigungsmittel in seiner äußern Form innewohnenden Beweis­ kraft gehört hierher?) *) So III. S. 5. und 12. März 1883 VIII/188 mit der gern. Meinung. Dagegen Merke l. 2) II. S. 8. November 1881 V/151. 3) I. S. 31. März 1884 X/273. 4) Vgl. III. S. 14. Dezember 1881 V/260. 6) I. S. 17. Januar 1881 111,-324. °) Ebenso I. S. 6. Dezember 1880 III/142. ’) So auch im wesentlichen das Reichsger. und die gern. Meinung.

Die eigentliche Urkundenfälschung.

§ 150.

485

Demnach ist die Aufgabe einer mit falschem Namen unterzeichneten Depesche nur ausnahmsweise als Urkundenfälschung zu betrachten. Denn durchs die Aufgabedepesche wird der Telegraphenbeamte nicht getäuscht, und in der Ankunftsdepesche erhält der Adressat kein als Urkunde ihm imponierendes Schriftstück. Anders liegt die Sache nur dann, wenn, was nach der Reichstelegraphenordnung von 1872 allerdings möglich ist, der Aufgeber zum Nachweise der Echtheit seiner Unterschrift angehalten worden ist?) Daß der zu Täuschende und der zu Beschädigende nicht identisch zu sein brauchen, dürfte keinem Zweifel unterliegen. II. Die Absicht.

Fälschen sowohl wie Gebrauchen muß er­

folgen in rechtswidriger Absicht, d. h. es muß beim Fälschen die Absicht (gleich Motiv) des Gebrauchens, beim Gebrauchen selbst aber das Bewußtsein rechtswidrigen Gebrauches (der auf die Rechts­ widrigkeit ausnahmsweise sich erstreckende Vorsatz) vorliegen?) III.

Die Arten.

fälschung vor,

Nach

StGB.

§ 267

liegt Urkunden­

wenn derselbe Thäter in rechtswidriger Absicht

eine inländische oder ausländische öffentliche Urkunde oder eine solche Privaturkunde, welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhält­ nissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder fälschlich anfertigt und von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. Doch wird es nach StGB. § 270 der Urkundenfälschung gleich­ geachtet, wenn jemand von einer falschen oder verfälschten Urkunde, wissend, daß sie falsch oder verfälscht ist, zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht. IV.

Die Vollendung der Urkundenfälschung tritt sowohl

im Falle des § 267, als auch in jenem des § 270 erst mit dem Ge8) Die Entsch. der Ver. S. 6. März 1883 VIII/92 nimmt allgemein Ur­ kundenfälschung an, weil die Ankunstsdepesche

eine Urkunde sei, welche der

Aufgebende durch das Werkzeug des Telegraphenamtes, „also unter Benutzung von Naturkräften", selbst mittelbar angefertigt (wohl auch ausgetragen?) habe. Ebenso Scherer GS. XXVIII (1876), Heusler, Archiv f. ziv. Praxis LXIi; John, Strafprozeßordnung 1. S. 508 ff., Olshausen u. a. Diese Ansicht ver­ kennt das Wesen der Telegraphen, welches in der selbständigen Reproduktion der Mittheilung besteht (vgl. oben § 139 Note 12). Ortloff GA. XXVIII (1880; Z. I S. 171). fälschung wird

Im Sinne des Textes

Die Möglichkeit einer Urkunden­

einfach verneint von Dambach GS. XXVIII (1876), Bin-

ding. Normen I S. 110, Oppenhoff u. a. e) So im wesentlichen Olshausen. II. S. 4. Januar 1884 IX/399.

Das Reichsger.

schwankt.

Richtig

486

§ 151.

Die Falsch-Beurkundung („intellektuelle Urkundenfälschung").

brauchen, d. h. mit dem sinnlichen Vorweisen der Urkunde ein. Da­ gegen beginnt der Versuch, welcher allerdings bei der einfachen Urkundenfälschung nicht strafbar ist, im Falle des § 267 schon mit dem Beginne des Fälschens,") im Falle des § 270 erst mit dem Beginne des Gebrauchens. V. Die Strafe besteht regelmäßig in Gefängnis (StGB. § 267). Erhöhte Strafe tritt ein (StGB. § 268), wenn die Fälschung entweder 1. in gewinnsüchtiger Absicht, d. h. in der Absicht einem artbem einen (nicht notwendig rechtswidrigen) ir) Vermög ensvorteil zu verschaffen, oder aber 2. in der Absicht (gleich Motiv) begangen wird, einem andern Schaden (nicht notwendig Vermögensschaden) l2) zuzufügen. Die erhöhte Strafe beträgt: a) bei Fälschung von P r i v a t urkunden Zuchthaus bis zu fünf Jahren mit fakultativer Geldstrafe bis zu dreitausend Mark; b) bei Fälschung von öffentlichen Urkunden Zuchthaus bis zu zehn Jahren mit fakultativer Geldstrafe von hundert­ fünfzig bis zu sechstausend Mark. Bei mildernden Umständen zu a) Gefängnis nicht unter einer Woche, zu b) nicht unter drei Monaten; daneben fakultative Geld­ strafe bis zu dreitausend Mark. Neben Gefängnis ist Ehrverlust fakultativ (§ 280). § 151.

Die Falsch-Beurkundung („intellektuelle Urkunden­ fälschung").

I. Das Wesen der Urkundenfälschung besteht in der Nach­ machung oder Veränderung der Beglaubigungsform. Ob der durch Nachmachung oder Veränderung hergestellte Inhalt der Urkunde 10) Sehr Bestritten. Ebenso Merkel, Berner, Rüdorff u. a. Die im Text vertretene Ansicht ergibt sich meines Erachtens mit Notwendigkeit aus dem zusammengesetzten Begriffe der Urkundenfälschung einerseits, dem Wesen der Ausführungshandlung (oben § 45 II) anderseits. n) Also anders als beim Betrug. Im übrigen ist das oben § 109 II, 3 Gesagte zu vergleichen. **) So die meisten. Dagegen Merkel, Schütze, Olshausen. Richtig auch III. S. 5. und 13. März 1883 VIII/188. Auch Schädigung der Ehre, Freiheitsberaubung u. s. w. würde mithin als genügend betrachtet werden müssen.

Die Falsch-Beurkundung („intellektuelle Urkundenfälschung").

§ 151.

487

mit der objektiven Wahrheit übereinstimmt oder nicht, ist begrifflich irrelevant. Es kann daher trotz Übereinstimmung Urkundenfälschung vorliegen; so z. B. wenn der Schuldner, welcher die Forderung des Gläubigers befriedigt, aber von diesem keine Quittung erhalten hat, sich eine solche anfertigt. Und es kann trotz Nichtübereinstimmung die Annahme einer Urkundenfälschung ausgeschlossen sein; so z. B. wenn der noch nicht befriedigte Gläubiger durch listige Vorspiege­ lungen durch den Schuldner zur Ausstellung der Quittung bestimmt wird. Aber diese formell unantastbare, echte und unverfälschte Be­ glaubigungsform steht hier im Dienste der Unwahrheit; sie ist inhaltlich falsch. So entsteht der Begriff der — irreleitend — sogenannten materiellen oder intellektuellen Urkunden­ fälschung, richtiger der Falschbeurkundung, des faux intellectuel des französischen Rechts,*) aus welchem dieses Delikt in das preußische und in das deutsche StGB, übergegangen ist. II. Das RStGB. bedroht nur die öffentliche materiell un­ richtige Beurkundung oder, genauer (StGB. § 271), die in öffent­ lichen Büchern, Urkunden, Registern erfolgende Beurkundung, daß Erklärungen, Verhandlungen oder Thatsachen, welche für Rechte oder Rechtsverhältnisse von Erheblichkeit sind, abgegeben worden oder geschehen seien, während sie überhaupt nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer anderen Person abgegeben oder geschehen sind. Wir haben dabei, wie aus dem Zusammenhange sich ergibt, unter „öffent­ lichen" Büchern, Urkunden und Registern diejenigen öffentlichen Urkunden zu verstehen, welche, auf dem Prinzipe der Publizität beruhend, zum Zwecke der beweiskräftigen Feststellung im öffentlichen Interesse, nicht bloß im Interesse des innern Dienstesb) bestimmt sind. Grund- und Hypothekenbücher, Patentrollen, Handels-, Schiffahrts- und Standesregister gehören hierher; nicht aber Listen der Gefängnisse und Strafanstalten über die aufgenommenen Strafge­ fangenen. 4) *23 Der Beamte, welcher die falsche Beurkundung wissentlich bor« !) C. p6n. Art. 147. 2) Oben § 149 III. Es handelt sich mithin um eine besondere Art der öffent­ lichen Urkunden. So im mesentlichen auch OlsHausen und John. 3) Ebenso konstant das Reichsger. Vgl. insbes. auch I. S. 13. März 1884 X/243. 4) II. S. 5. Januar 1883 VII/373.

488

§ 152.

Die übrigen Urkundendelikte.

nimmt, macht sich eines Amtsdeliktes (StGB. § 348)5) schuldig;6) der Nichtbeamte wird, abgesehen von einer etwaigen Teilnahme an dem Amtsdelikte, bestraft, wenn er: a) die falsche Beurkundung bewirkt (StGB. § 271), d. h. veranlaßt, daß der eintragende Beamte ohne Kenntnis der Unwahrheit die unwahre Thatsache — z. B. daß A. der Vater des neugebornen Kindes sei, daß B. in die Löschung der zu seinen gunsten eingetragenen Hypothek gewilligt habe — in das öffentliche Buch u. s. w. einträgt, oder wenn er b) von einer solchen falschen Beurkundung zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht (StGB. § 273). Die Vollendung tritt im ersten Falle mit dem Eintrag, im zweiten mit dem Gebrauchen ein; der Versuch bleibt straflos. Strafe in beiden Fällen: Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu dreihundert Mark; wenn in Bereicherungs­ oder Schädigungsabsicht7) begangen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren mit fakultativer Geldstrafe von hundertfünfzig bis zu sechstausend Mark, oder bei mildernden Umständen Gefängnis mit fakultativer Geldstrafe bis zu dreitausend Mark (StGB. §§ 272 und 273). § 153.

Die übrigen Urkundendelikte?)

I. Die Urkundenbeseitigung (StGB. § 274 Ziff. 1), vom preuß. StGB, unrichtig zum Betrüge gestellt, bildet das Gegen­ stück zur Urkundennachmachung. Wie diese Herstellung, so ist jene Beseitigung der Urkunde als Beweismittel. Demnach muß Beweisbestimmung, nicht aber Beweiserheblichkeit auch hier zum Begriffe der Urkunde gefordert werden.*2)3 Als Beseitigungshandlungen nennt das Gesetz: einerseits Vernichtung oder Beschädi­ gung der Urkunde, wobei in erster Linie der Beweismittel-Inhalt und nur mittelbar die Substanz derselben in Frage kommt;8) ander6) Unten § 179 VI. 6) Vgl. Seernannsordg, vom 27. Dezember 1873 §§ 93 Ziff. 1, 99 Ziff. 2. ’) Oben § 150 Note 11 und 12. ') Merkel HH. III S. 806 ff. 2) So jetzt auch III. S. 22. Oktober 1883 IX/141; dagegen die gern. Meinung. Vgl. auch unten § 179 VI (StGB. § 345). 3) II. S. 4. Mürz 1881 III/370; I. S. 19. Januar 1884 X/43.

Die übrigen Urkundendelikte.

§ 152.

489

seits die Unterdrückung^) der Urkunde, d. h. die dauernde oder vorübergehende Entziehung derselben aus der Verfügungsgewalt des Berechtigten, mag auch die Absicht vorliegen, später selbst von der Urkunde Gebrauch zu machen.45)6 Die Handlung ist nur unter der doppelten Voraussetzung straf­ bar, daß 1. die Urkunde dem Thäter nicht oder nicht ausschließlich ge« hört, und 2. daß die Beseitigung in der Absicht (gleich Motiv) erfolgte, einem andern einen Nachteil zuzufügen, welcher nicht notwendig Vermögensnachteil zu sein braucht. Strafe: Gefängnis mit fakultativer Geldstrafe bis zu drei­ tausend Mark. Ehrverlust fakultativ (§ 280). II. Die Grenzverrückung (StGB. § 274 Ziff. 2) fällt, rein logisch betrachtet, durchaus unter den Doppelbegriff der Urkun­ denfälschung und Urkundenbeseitigung. Der Grenzstein trägt alle Merkmale der Urkunde an sich, insbesondere Beweisbestimmung und Beweiserheblichkeit. Dennoch nimmt die Grenzverrückung im römischen wie im mittelalterlich deutschen Recht eine selbständige Stellung innerhalb der Fälschungsdelikte ein; eine Stellung, die sie insbe­ sondere zäh konservierten religiösen Vorstellungen verdankt. Auch die PGO. gedenkt in Art. 114 besonders desjenigen, „welcher böslicherund gefährlicherweise eine Untermarkung, Reinung, ein Mal oder einen Markstein verrückt, abhaut, abthut oder verändert". Selbst das RStGB. hat sich nicht dazu entschließen können, die Grenz­ verrückung, welche Preußen zum Betrüge gestellt hatte, als Sonder­ delikt fallen zu lassen. Die Gründe, welche für die überaus milde Bestrafung angeführt werden, entbehren der überzeugenden Kraft. Nach § 274 Ziff. 2 wird mit Gefängnis, neben welchem auf Geldstrafe bis zu dreitausend Mark erkannt werden kann, bestraft, wer einen Grenzstein oder ein anderes zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes bestimmtes Merkmal •) in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, 1. wegnimmt oder vernichtet, 4) Genau soviel wie Beiseiteschaffen. Dagegen Olshausen u. a. 6) Dagegen I. S. 22. Januar 1880 1/159; Olshausen u. a. 6) Urkundenqualität, d. h. insbes. Beweisbestimmung im technischen Sinne vorausgesetzt. Die Beseitigung eines Erinnerungszeichens an die Wasserhöhe bei

490

§ 152.

Die übrigen Urkundendelikte.

2. unkenntlich macht oder verrückt, 3. fälschlich setzt.7) III. Strafbare Handlungen an und mit (inländischen ^)) Stem­ pelwertzeichen (Stempel-Papier, -Marken, -Blanketten, -Ab­ drücken), sowie Post- und Telegraphenwertzeichen (Frei­ marken und gestempelten Briefkouverten).9) Das Gesetz bedroht: 1. das Nach machen und Verfälschen in Gebrauchsabsicht, *0) sowie das Gebrauchen von gefälschten Gegenständen dieser Art, mag auch die Fälschung nicht von dem Thäter herrühren (§ 275). Strafe: Gefängnis nicht unter drei Monaten, daneben Ehrverlust fakultativ (§ 280). 2. Die wissentliche Wiederverwendung verwendeter Stempel^) (von Marken, Blanketten, Papier, Abdrücken) zu stempelpflichtigen Schriftstücken (StGB. § 276). Strafe (neben der Defraudationsstrafe): Geldstrafe bis zu sechshundert Mark. 3. Das wissentliche Veräußern oder Feilhalten von bereits verwendetem Stempelpapier nach Entfernung der darauf gesetzten Schriftzeichen, sowie von bereits verwendeten Stempelmarken, Stempelblanketten, ausgeschnittenen oder sonst abgetrennten Stempelabdrücken (StGB. § 364). Strafe: Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark. 4. Anfertigung von Formen, welche zur Erzeugung von Stempelpapier u. s. w. dienen können, ohne schriftlichen Auf­ einer vor Jahren eingetretenen Überschwemmung wird nie nach § 274 straf­ bar sein. 7) Die drei im Texte unterschiedenen Fälle entsprechen dem Beseitigen, Verfälschen und Nachmachen von Urkunden. 8) A. A. die gem. Meinung und II. S. 20. Juni 1882 VI/387, welcher die ausländischen Wertzeichen gleichstellen will. Aber gewiß zu Unrecht. Richtig Olshausen, Rüdorff, teilweise Heinze. 9) Die richtige systematische Stellung finden diese strafbaren Handlungen unter den Finanzdelikten, wobei der Unterschied von Gebühr und Stempelsteuer zu beachten ist. Vgl. unten § 198 ff. Der Übersichtlichkeit wegen mußten sie aber hier im Zusammenhange mit den Urkundendelikten erwähnt werden. 10) Die Vollendung tritt hier — im Gegensatze zu der eigentlichen Urkunden­ fälschung — schon mit der Fälschung ein. ir) Wiederverwendung von Post-und Telegraphen zeichen unterliegt nur der Defraudationsstrafe; vgl. unten § 198 ff.

Die übrigen Urkundendelikte.

§ 152.

491

trag der Behörde, oder Verabfolgung an einen anderen als die Behörde (StGB. § 360 Ziff. 4). Strafe: Geldstrafe bis zu hundertfütifzig Mark oder Haft. 5. Das unbefugte Unternehmen oder Verabfolgen eines Abdruckes von den unter 4 genannten Formen (StGB. § 360 Ziff. 5). Strafe: wie zu 4. Einziehung zu 4 und 5, ohne Unterschied, ob die Gegenstände dem Verurteilten gehören oder nicht, fakultativ. IV. Strafbare Handlungen an und mit Legitimations­ papieren (StGB. § 363 nennt: Pässe, Militärabschiede, Wander­ bücher oder sonstige Legitimationspapiere; Dienst- und Arbeitsbücher oder sonstige auf Grund besonderer Vorschriften auszustellende Zeug­ nisse; Führungs- und Fähigkeitszeugnisse) in der Absicht, Behörden oder Privatpersonen zum Zwecke eignen oder fremden besseren Fortkommens zu täuschen; und zwar: 1. Fälschung derselben; 2. wissentliches Gebrauchen derselben; 3. Gebrauch machen von echten, aber für einen anderen ausge­ stellten Papieren;^) 4. Überlassen solcher Papiere an andere. Aus angeblich „kriminalpolitischen" Gründen hat die neuere Gesetzgebung unter dem Einflüsse des französischen Rechtes diese Fälle, deren Thatbestand in objektiver wie subjektiver Beziehung unter den Begriff der Urkundenfälschung fällt,1S) zum Spezialdelikt gegenüber der letzteren erhoben und mit einer ganz ungerechtfertigt milden Strafe14) (Haft oder Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark) bedroht. V. Strafbare Handlungen in bezug auf Gesundheits­ zeugnisse. Es gehören hierher folgende Fälle: 1. Wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson oder unberechtigt unter dem Namen solcher Personen ein Zeugnis über seinen oder 11!) Es gehört also nicht hierher der Gebrauch von Urkunden, welche für den Gebrauchenden selbst, aber auf einen falschen Namen desselben ausgestellt sind. I. S. 31. März 1884 X/262. 15) III. S. 18. Februar 1884 X/162. ") Handelt es sich doch um Fälschungen, welche innerhalb des gewerbs­ mäßigen Gaunertums einen hohen Grad von Vervollkommnung erreicht haben

492

§ 153.

Die Staatsverbrechen.

Übersicht.

eines anderen Gesundheitszustand ausstellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht, und davon zur Täuschung von Behörden oder Ver­ sicherungsgesellschaften Gebrauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (StGB. § 277). 2. Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauche bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft (StGB. § 278). 3. Wer, um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeugnisse der in den §§ 277 und 278 bezeichneten Art Ge­ brauch macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft (StGB. § 279). Neben der Gefängnisstrafe kann in allen drei Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden (StGB. § 280).

Drittes Buch.

Strafbare Handlungen gegen die Gesamtheit. Erster Abschnitt.

Die Verbrechen gegen den Staat. § 153.

Übersicht.

I. Die erste Stelle innerhalb der gegen die Gesamtheit gerichteten strafbaren Handlungen beansprucht die Gruppe der gegen die Existenz des Staates und gegen die Träger der Staatsgewalt gerichteten Verbrechen und Vergehen. Es sind die „politischen Delikte" im technischen Sinne des Wortes; x) charakterisiert durch das An­ griffsobjekt, nicht durch das Motiv des Thäters. Der Begriff des Staatsverbrechens ist so alt wie die Existenz des Staates. In dem Strafrechte aller Völker bilden die !) Oben § 20 Note 7.

Die Staatsverbrechen.

Übersicht.

§ 153.

493

gegen den Staat gerichteten Verbrechen den Ausgangspunkt der Ent­ wickelung; an ihnen gelangt der Gedanke der öffentlichen Strafe zuerst zur Anerkennung und Durchführung. nach

der Verschiedenheit der

Aber wechselnd wie die

treibenden Kräfte sich

verschiebende

Staatsform ist Inhalt und Umfang der Staatsv erbrechen. Im römischen Rechte verwandelt sich die perduellio in das crimen majestatis, als dessen Angriffsobjekt erst die Machtstellung des römischen Volkes, dann die Fülle der auf den princeps vereinigten Herrscher­ rechte erscheint.

Im deutschen Mittelalter gestaltet sich der in den

Volksrechten sich findende Kriegsverrat gegen die zur Heerfahrt ge­ rüsteten Genossen

und

ihren

Führer

zum

Treubruch

gegen den

Lehnsherrn. Dieser eminent nationale Charakter der Staatsverbrechen ließ die einfache Aufnahme der römisch-rechtlichen Begriffe im späteren deutschen Mittelalter als einen verhängnisvollen Irrtum erscheinen. Und als die Rezeption trotz des Jahrhunderte lang fortgesetzten, auch in der Entstehungsgeschichte wie in den Strafdrohungen der Karolina deutlich

zu

Tage tretenden Widerstrebens des

deutschen Rechts­

bewußtseins vollzogen, als die Weiterbildung der deutschrechtlichen Begriffe endgültig unterbrochen war, trat an die deutsche Strafgesetz­ gebung alsbald die Aufgabe heran, das römische crimen majestatis den Bedürfnissen des deutschen Rechtslebens entsprechend umzugestalten. II. Dem Reich fehlte die Kraft, dieser Ausgabe zu genügen. Und in den Einzelstaaten wurde die Entwickelung der Staatsver­ brechen gehemmt durch die politischen Verhältnisse, welche mehr und mehr im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts einem ungesunden, der kräftigen und nachhaltenden Initiative entbehrenden Despotismus der großen und kleinen Herren zutrieben, und in gar manchen Be­ ziehungen Analogieen mit der spätrömischen Kaiserzeit aufwiesen. Erst als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einflüsse neuer, durch die Litteratur der Aufklärungsperiode vorbe­ reiteter und ausgebildeter Ideen, insbesondere aber infolge kräftigerer Zusammenfassung der größeren deutschen Staaten unter hervorragenden Herrschern die Landesgesetzgebung zu frischer, durchgreifender und umfassender Thätigkeit sich aufraffte, gelang die Befreiung von der Herrschaft des römischen crimen majestatis. Dem preuß. ALR. gebührt das Verdienst, Hoch- und Lan­ desverrat voneinander gesondert zu habeu.

Die Ausscheidung der

Majestätsbeleidigung folgte, wenn auch erst nach langwierigen

494

§ 153.

Die Staatsverbrechen.

Übersicht.

Schwankungen und Irrungen. Neue Anregung brachte die Heran­ ziehung des Volkes zur Teilnahme an den Geschäften der Regierung. Wenn auch manche der in den Verfassungsurkunden gewährleisteten „politischen Rechte", wie Hausrecht und Briefgeheimnis oder die persönliche Freiheit bei ruhigerer Betrachtung später als nicht­ politische Rechtsgüter erkannt und die gegen sie gerichteten Hand­ lungen teils dem gemeinen Rechte, teils auch den Amtsdelikten zugewiesen wurden, während andre wie die Preßfreiheit oder das Vereins- und Versammlungsrecht durch eine Reihe von Strafdrohungen nicht sowohl in ihrer Existenz geschützt als vielmehr in die gesetzlich bestimmten Schranken gewiesen wurden — so bildeten doch die Ver­ brechen und Vergehen gegen „staatsbürgerliche Rechte" fortan eine stehende Rubrik in den deutschen Strafgesetzbüchern. Das RStGB., welches auch in diesem Punkte unter dem Einflüsse des durch das preuß. StGB, vermittelten französischen Rechtes2) steht, umfaßt unter dieser Bezeichnung zwei wesentlich verschiedene Gruppen von strafbaren Handlungen. Es schützt durch seine Strafdrohungen: 1. die gesetzgebenden Versammlungen des Reichs oder eines Bundesstaates (neben Senat und Bürgerschaft der freien Hansestädte) als Träger der dem Volke mitübertragenen gesetzgebenden Gewalt, und 2. das politische Wahl- und Stimmrecht des deutschen Bürgers.3) III. Aus dem eminent nationalen Charakter der durch die politischen Verbrechen angegriffenen Rechtsgüter erklärt sich die in allen Gesetzgebungen wiederkehrende Erscheinung, daß das heimische Recht nur den heimischen Rechtsgütern seinen Rechtsschutz zu teil roerben läßt. Auch das RStGB. steht, abweichend von den sonst von ihm festgehaltenen Grundsätzen,4)5auf diesem Standpunkte. Nur gegen das Inland kann Hoch- oder Landesverrat begangen werden; nur der Angriff auf einen inländischen Monarchen ist Majestäts­ beleidigung; nur inländische gesetzgebende Versammlungen werden in ihrer Thätigkeit, nur Deutsche in ihrem politischen Wahl- und Stimmrecht geschützt.6) Nur in ganz vereinzelten Bestimmungen (StGB. §§ 102, 103, 2) Code penal Art. 109—113. 8) Wesentlich weiter geht teilweise das ausländische Recht. italienische Wahlgesetz vom 22. Januar 1882 (Z. III Beil. I). 4) oben § 19 IV. 5) Vgl. auch unten § 172 Note 3.

Man vgl. das

Hoch- und Landesverrat.

Geschichte.

§ 154.

495

104) ist das RStGB. über diesen Standpunkt hinausgegangen; gewährt es auch dem ausländischen Staatswesen einen, wenn auch weniger intensiven, Schutz durch seine Strafdrohungen. Aber diese Bestimmungen berechtigen uns in keiner Weise, die „feindlichen Handlungen gegen befreundete Staaten", wie das RStGB. in ganz unzutreffender Weise sagt, zu einer besonderen Gruppe der gegen dasVölkerrecht gerichteten Delikte zusammenzufassen. Sowenig der Diebstahl gegen einen Ausländer oder die Verletzung eines ausländischen Individualrechts aufhört, Diebstahl oder Plagiat zu sein, weil der Träger des angegriffenen Rechtsgutes Ausländer ist, ebensowenig ist der Hochverrat nicht mehr Hochverrat, weil und soweit er gegen den fremden Staat gerichtet ist. Der betreffende Abschnitt des RStGB. kann daher Anspruch auf systematische Berücksichtigung nicht erheben. Wohl ließe sich aus den Verletzungen der internationalen Verpflich­ tungen der einzelnen Staaten untereinander eine Reihe von Delikts­ begriffen bilden, für welche der Neutralitätsbruch ein passendes Musterbeispiel abgeben würde; aber unser positives Recht hat von dieser Möglichkeit bisher keinen Gebrauch gemacht. § 154, 1 Hoch- und Landesverrat. x) Geschichte. I. Die römische perduellio,2) einer der beiden Grundbegriffe des römischen Strafrechts der ältesten Zeit,3) die Wurzel des modernen Begriffes des Hochverrates, war gegen das Ende der römischen Republik bereits veraltet. In den Bedrängnissen der innern Kriege trat allmählich an seine Stelle das crimen majestatis (zu­ erst lex Appuleja von 652 oder 654 a. u.), welches jede Ver­ letzung der Machtstellung des populus Romanus mit Strafe be­ drohte. Sulla überwies die Verhandlung und Aburteilung einer neu errichteten quaestio (lex Cornelia von 673 a. u.). Das crimen majestatis überdauerte den Sturz des Freistaates; aber es ver­ änderte seinen Charakter: an die Stelle des Volkes trat der prin2) Feuerbach, Philosoph.-jurist. Untersuchung über das Verbrechen des Hochverrats 1798. Zirkler, Majestätsverbrechen und Hochverrat 1836. Hepp, Politische und unpolitische Staatsverbrechen 1846. Ab eg g, Archiv 1853. John HH. III S. 3 ff. Knitschky, Verbrechen des Hochverrats 1874. 2) Weiske, Hochverrat und Majestätsverbrechen der Römer 1836. Köstlin. Die perduellio unter den röm. Königen 1841. Abegg, Archiv 1853. 3) Oben Z 6 S. 25.

496

§ 154.

Hoch- und Landesverrat.

Geschichte.

ceps. Der Mißbrauch, welchen tyrannische Kaiser mit dem bieg­ samen Verbrechensbegriffe trieben — majestatis singulare et unicum crimen eorum qui crimine vacarent, sagt Plimus —, ist weniger der vielgeschmähten spätrömischen Gesetzgebung als der Feig­ heit des Senates zur Last zu schreiben. Und auch die berüchtigte lex quisquis (1. 5 0. 9, 8), von Arkadius und Honorius im Jahre 397 erlassen, ist nicht so schlimm zu nehmen, als sie sich gibt. II. Ein eigentümliches Ringen deutscher und fremder Rechts­ begriffe zeigt uns das deutsche Mittelalter auf dem Gebiete der den Hochverrat regelnden Normen. Die Lehnsverfassung des Reiches spiegelt sich wider in dem schwersten der gegen die Gesamt­ heit gerichteten Delikte: der Verrat (high-treason noch im heutigen englischen Recht) charakterisiert sich in den Volksrechten wie in den Rcchtsbüchern als die Verletzung des Treu-Eides; er trägt lehnsrechtlichen Charakter; er ist nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden von dem Verrat an „des Thäters eignem Herrn" und ähnlichen Fällen (dem petit-treason des englischen Rechts). III. Daneben aber hatte, ebenso wie das kanonische Recht, die goldene Bulle von 1356 einfach die Bestimmungen des römischen Rechts rezipiert. Dennoch steht, während noch die Bambergensis sich dem römischen Recht anzuschließen suchte, die PGO. durchaus auf deutschem Boden. Sie bedroht im Zusammenhange mit Straf­ bestimmungen gegen Aufruhr, bösliches Austreten und Befehdung in Art. 124 denjenigen, „welcher mit boshaftiger Verräterei mißhandelt", mit der Strafe des Vierteilens; die Strafe aber soll erhöht werden, „wo solche Verräterei großen Schaden oder Ärgernis bringen möchte, als wenn sie ein Land, eine Stadt, seinen eignen Herrn, Bett­ genossen, oder nahe gesippten Freund beträfe". IV. Erst die gemeinrechtliche Doktrin brachte das crimen majestatis wieder zur Geltung, und die Gesetzgebung be­ mühte sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, den Be­ griff schärfer zu gestalten. So brachte das ALR. die seither allgemein angenommene Unterscheidung von Hoch- und Landesverrat, je nachdem sich die Handlung gegen die innere oder gegen die äußere Existenz des Staates richtete. Trotz all dieser Bemühungen bildet aber auch noch die modernste Gesetzgebung, das RStGB. mit ein­ geschlossen, ein wenig befriedigendes Bild; weit ausgedehnte und darum ebenso lückenhafte wie kontroversenreiche Bestimmungen können den Mangel prinzipieller Klarheit und Einfachheit nicht ersetzen.

Der Hochverrat im geltenden Recht.

§ 155»

§ 155.

497

1. Der Hochverrat im geltenden Recht.

I. Hochverrat — im Gegensatze zum Landesverräte — ist der Angriff auf Bestand und Sicherheit des Staates als eines Einzelindividuums. Die hochverräterischen Handlungen würden ihren Charakter nicht verlieren, auch wenn der Staat, gegen welchen sie gerichtet sind, der einzige auf Erden bestehende wäre. Objekt des Hochverrates im eigentlichen Sinne ist aber nur das inländische Staatsganze, d. h. dasjenige, dessen Gesetzgebung in Frage steht; für uns das Deutsche Reich und jeder einzelne deutsche Bundesstaat.*4) 2 3Es bedarf besonderer Anordnung, wenn Bestand und Sicherheit auch ausländischer Gemeinwesen unter strafrecht­ lichen Schutz gestellt werden soll; 2) zur Gewährung solchen Schutzes wird die heimische Gesetzgebung nicht nur durch ihr Interesse an der Aufrechthaltung freundnachbarlicher Beziehungen bestimmt, sondern in erster Linie durch die immer stärker werdende Interessengemein­ schaft sämtlicher Kulturstaaten, welche jede Erschütterung des einen Gemeinwesens auf alle übrigen zu reflektieren droht. Anderseits kommt dem Hochverrate gegenüber das inländische Strafrecht zur Anwendung, auch wenn die strafbare Handlung im Aus lande, sei es von einem Inländer, sei es von einem Ausländer begangen wurde (StGB. § 4 Ziff. 1).3) II. Die Reichsgesetzgebung bezeichnet in kasuistischer Weise, mit Ausschluß aller übrigen etwa gleichwertigen, jene Handlungen, in welchen sie einen Angriff auf Bestand und Sicherheit des Staates erblickt. Danach ist Hochverrat im Sinne des positiven Rechtes: 1. Mord und Mordversuch an dem Kaiser, andern eignen Landesherrn4) oder während des Aufenthaltes 5) in einem Bundes­ staate an dem Landesherrn dieses Staates verübt. Strafe: der Tod (StGB. § 80). Diese Bestimmung, welche auf Antrag des !) Soweit es sich nicht um Angriffe auf den Monarchen handelt, ist kein Unterschied gemacht zwischen Reich und Einzelstaat, kein Unterschied zwischen den Einzelstaaten untereinander. Gegen jede derartige Unterscheidung vom staatsrechtlichen Standpunkte aus (wohl mit Unrecht) Zorn a. O. 2) Vgl. oben § 153 III. 3) Oben § 19 V. 4) In bezug auf Hamburg, Bremen, Lübeck mithin nicht anwendbar. 5) Nicht der Begehungsort im juristischen Sinne (oben § 32), sondern der Aufenthaltsort des Thäters ist demnach maßgebend. von Liszt, Strafrecht. 2. Aufl.

§ 155.

498

Der Hochverrat im geltenden Recht.

Abgeordneten v. Kardorff nach Wiederaufnahme der Todesstrafe6) am 24. Mai 1870 dem Gesetze eingefügt wurde, stellt der vorsätz­ lichen und überlegten Tötung des § 211 ein neues, selbständiges Delikt gegenüber,7) welches sich von jener insbesondere durch die hochpolitische Bedeutung seines Angriffsobjektes unterscheidet.

Daher

ist auch der teilnehmende extraneus immer nach StGB. § 80, nicht nach § 211 ju bestrafen. Aus

der

gibt sich:

a)

trittes ;8)

b)

Gleichstellung

von

Versuch

und

Vollendung

die Unmöglichkeit

eines

straffrei

die

einer

Reduktion

Unmöglichkeit

er­

machenden Rück­ der

Gehilfen­

strafe. e) 2. Das Unternehmen, einen Bundesfürsten (abgesehen von dem Falle unter 1) zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes Ge­ walt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu machen (StGB. § 81

Bist- !)• 3. Das Unternehmen,

die

Verfassung10)

des

Deutschen

Reichs oder eines Bundesstaates oder die in demselben bestehende Thronfolge n) gewaltsam **) zu ändern (StGB. § 81 Ziff. 2). 4. Das Unternehmen, das Bundesgebiet einem fremden Staate oder das Gebiet eines Bundesstaates einem anderen Bundesstaate

ganz

oder teilweise

gewaltsam

einzuverleiben;

oder

einen Teil des Bundesgebietes oder des Gebietes eines Bundes­ staates vom Ganzen loszureißen (StGB. § 81 Ziff. 3 und 4).13) Strafe zu 2—4: lebenslängliches Zuchthaus oder lebensläng­ liche Festungshaft, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter

6) üben § 12 II S. 61. 7) So auch Binding und Olshausen gegen Knitschky und John. 8) Vgl. oben § 47 IV.

A. A. Berner, Schütze, Rüdorff, Ols­

hausen u. a. 9) Oben § 52 VI. 10) Gemeint sind die Fundamentaleinrichtungen, also jene Rechtsinstitute, auf welchen das staatliche Leben beruht, mögen sie in der Verfassungsurkunde aufgezählt sein oder nicht.

So die gem. Meinung.

n) Eine besondere Thronfolge im Reich gibt es nicht. 12) Rach dem konstanten Sprachgebrauchs des RStGB. umfaßt „Gewalt" eben nicht die „Drohungen". Dem gegenüber kann die Auslegung des preuß. StGB, gewiß nicht ins Gewicht fallen.

Doch ist die Frage sehr bestritten.

13) Das Unternehmen, das ganze Gebiet eines Bundesstaates gewaltsam zum Reichslande zu machen, könnte nicht als Hochverrat betrachtet werden: Folge der kasuistischen Fassung des Gesetzes.

Dagegen Olshausen.

Der Hochverrat im geltenden Recht.

§ 155.

499

fünf Jahren; neben Festungshaft kann auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervor­ gegangenen Rechte erkannt werden. III. Vorbereitungshandlungen.

1. Im Falle 1 unter II ist Versuch und Vollendung in der Bestrafung gleichgestellt; in den Fällen 2—4 gilt dasselbe von dem Unternehmen. StGB. § 82 gibt uns eine, nur für das Gebiet des Hochverrates geltende, Definition dieses Unternehmens: „jede Handlung, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll." Also nicht die beginnende Ausführungshandlung selbst, sondern die diesen Be­ ginn unmittelbar vorbereitende Handlung. Mit anderen Worten: das „Unternehmen" umfaßt ein weiteres Gebiet als der Versuch; umschließt auch Vorbereitungshandlungen; aber nur die­ jenige, die unmittelbar an das Versuchsgebiet angrenzen.15) Aus dieser Auffassung folgt,

daß entferntere Vorbereitungs­

handlungen nicht als Unternehmen des Hochverrates bestraft werden können;

daß

das Vorhaben greifbare Gestalt angenommen haben

muß, mögen auch immerhin nicht alle Modalitäten der Ausführung nach Ort, Zeit und Mitteln beschlossen sein.l6) Versuch des Unternehmens, Rücktritt von demselben, Reduktion der Gehilfenstrafe ist auch hier unmöglich.^)

2. Die §§ 81 und 82 lassen demnach den bei weitem größeren Teil der Vorbereitungshandlungen straflos. Diese Lücke füllen die folgenden Paragraphen aus, indem sie

14) Das Maximum der Festungshaft beträgt hier wie überall 15, und nicht 10 Jahre. Daß wir es mit einem Redaktionsversehen zu thun haben kann daran nichts ändern. Vgl. oben § 15 111. Unrichtig Sontag, Schütze, Berner.

lö) Die Frage ist sehr bestritten. Die gern. Meinung faßt das Unternehmen einfach als Versuch auf; so Knitschky, Berner, Rüdorff, Binding. Andere sehen in dem Unternehmen den engeren Begriff gegenüber dem Ver­ suche; so insbes. Olshausen. Wenig fördernd die Abhandlung von Thom­ son in Bödikers Magazin III (Z. III S. 145). — Die im Texte vertretene Ansicht stützt sich auf den Wortlaut des Gesetzes, durch welchen der allgemeine Begriff des Unternehmens (vgl. oben § 45 III, insbes. Note 6) wesentlich ein­ geschränkt und dem Versuche genähert wird, ohne in diesen selbst aufzugehen. 16) Ähnlich: Ver. II. und III. S. 10. bez. 21. Oktober 1881 V/60; Ver. II. und III. S. 5. Dezember 1881 V/215 (vgl. über erstere unten Note 24). 17) Oben Noten 8 und 9.

500

§ 155.

Der Hochverrat im geltenden Recht.

auch die übrigen Vorbereitungshandlungen zum Hoch­ verrat unter Strafe stellen; und zwar in der Weise, daß gewisse be­ sonders gefährliche Vorbereitungshandlungen unter besondere höhere, alle übrigen unter einen gemeinsamen niederen Strafrahmen fallen. In allen Fällen muß es sich jedoch um die Vorbereitung eines bestimmten hochverräterischen Unternehmens handeln.18) a) Das hochverräterische Komplott (die Verabredung der Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens zwischen mehreren)19) wird nach StGB. § 83 mit Zuchthaus oder Festungshaft nicht unter fünf Jahren, bei mildernden Um­ ständen mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren bestraft. Neben Festungshaft ist teilweiser Ehrverlust fakultativ zu­ gelassen. b) Dieselbe Strafe trifft (StGB. § 84) denjenigen, welcher zur Vorbereitung eines Hochverrates a) sich mit einer aus wärti gen -0) Regierung ein­ läßt, 21) oder ß) die ihm vom Reiche oder einem Bundesstaate anver­ traute Macht mißbraucht, oder y) Mannschaften anwirbt oder in den Waffen einübt. c) Jede andere, ein hochverräterisches-^) Unternehmen vor­ bereitende Handlung wird (StGB. § 86) mit Zuchthaus oder Festungshaft bis zu drei Jahren, bei mildernden Um­ ständen mit Festungshaft von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft. d) Die öffentliche Aufforderung zur Ausführung einer nach § 82 (also nicht § 80!) strafbaren Handlung (StGB. § 85) wäre richtiger zu den öffentlichen Aufforderungen^) zu stellen, mag aber des Zusammenhanges wegen hier erledigt 18) So die gern. Meinung. Jnsbes. auch Ver. II. u. III. S. 10. bez. 21. Oktober 1881 V/60. 19) Oben § 48 III, 2 a. 20) Es ist dies auch die Regierung eines deutschen Bundesstaates gegen­ über der eines anderen Bundesstaates. So auch John, Berner, Meyer, Schütze u. a. Dagegen Olshausen. 21) Beginn der Unterhandlungen genügt. So auch Olshausen gegen John, Meyer, Schütze. 22) „hochverratisch" sagt das Gesetz. 28) Unten § 175.

Der Hochverrat im geltenden Recht.

werden.

§ 155.

501

Auffallend — und sicherlich verkehrt — ist der Hin­

weis auf § 82; insbesondere auch darum, weil das Wesen der

Aufforderungen im

Gegensatze zur Anstiftung in der

mangelnden Individualisierung derjenigen Handlung liegt, zu welcher aufgefordert wird.

Dennoch muß de lege lata Auf­

forderung zu einem gemäß § 82 individualisierten,

also zu

einem bestimmten Unternehmen gefordert toerben.24) Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungs­ haft von gleicher ®cmet;25) bei mildernden Umständen Festungshaft von einem Jahre bis zu fünf Jahren. Da wir es nach der eben betonten Auffassung mit dem selbständigen Delikt der öffentlichen Aufforderung, nicht aber wie in den vorhergehenden Paragraphen mit einer Vor­ bereitungshandlung zum Hochverrate zu thun haben, muß hier die Möglichkeit eines strafbaren Versuches angenommen werden. IV. In den Fällen der §§ 80, 81, 83, 84 StGB, kann bei Eröffnung der Untersuchung das Vermögen, welches der An­ geschuldigte besitzt oder welches ihm später anfällt, bis zur rechts­ kräftigen Beendigung des Verfahrens mit Beschlag belegt werden (StGB. § 93).26) V. Wird eine der vorbezeichneten Handlungen2^) gegen ein ausländisches Gemeinwesen begangen, so liegt, wie bereits (oben I) bemerkt, zwar nicht eigentlicher Hochverrat, wohl aber ein diesem nächstverwandtes Delikt vor, welches in § 102 RStGB in unzu­ treffender Weise zu den „feindlichen Handlungen gegen befreundete (?) Staaten" gestellt ist.28) Als objektive Bedingung

der

Strafbarkeit

verlangt §

102

V erbürgung der Gegenseitigkeit, d. h. der entsprechend schweren Strafbarkeit dieser Handlungen nach dem ausländischen Recht, wenn sie gegen das Deutsche Reich oder einen deutschen Einzel­ staat gerichtet sind.

Die „Verbürgung" braucht nicht durch Gesetz

24) Bedenklich daher Entsch. des Ver. 11. u. III. S. 10. bez. 21. Oktober 1881 V/60. 25) d. h. von 1 bis zu 10 Jahren.

So auch die gern. Meinung.

26) Vgl. mit StPO. §§ 480, 333 ff. 27) Das Gesetz spricht von Handlungen, welche, wenn der Thäter sie gegen einen Bundesstaat oder einen Bundesfürsten begangen hätte, nach Vorschrift der §§ 81 — 86 zu bestrafen sein würden. 28) Oben § 153 III.

502

§ 156.. Der Landesverrat.

oder Staatsvertrag, sie kann auch durch einen die Gewähr-künftiger Festhaltung bietenden Gerichtsgebrauch gegeben sein. Während der deutsche Unterthan sowohl im Jnlande wie im Auslande und hier ohne die Beschränkungen der §§ 4, 5 StGB.29) für die Begehung derartiger Handlungen verantwortlich gemacht wird, haftet der Ausländer nur während seines Aufenthaltes im Jnlande.99) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Regierung ein; der Antrag ist rücknehmbar. Die Strafe beträgt a) In den Fällen der §§ 81 bis 84 StGB. Festungshaft von einem'bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren; b) in den Fällen der §§ 85 und 86 StGB. Festungshaft von einem Monat bis zu drei Jahren. § 156.

2. Der Landesverrat.

I. Landesverrat ist der Angriff auf Bestand und Sicherheit des Staates als eines Gliedes der Völkerfamilie. Er wird — im Gegensatze zum Hochverrat — erst möglich durch das Nebeneinanderbestehen mehrerer Gemeinwesen. Nicht die Benach­ teiligung des eignen Gemeinwesens, sondern die damit verbundene Unterstützung eines fremden Staates bildet sein charakteristisches Merkmal. Der Staatsbürger wird nicht nur zum Feinde, er wird zugleich zum Verräter des Vaterlandes; der Krieg, den er erregt oder an dem er teilnimmt, ist schlechter, arger Krieg (perduellio),1) Krieg mit dem eignen Vaterland, mit den Heimatsgenoffen. Nur hier, nicht beim Hochverrat, kann von einer Verletzung der dem Staate schuldigen Treue, als dem charakteristischen Merkmale des Deliktes gesprochen, die Unterscheidung zwischen Inländern und Ausländern gebilligt werden.2) Dieser Charakter des Landesverrates, der ihm zu Grunde *•) Oben § 19 V. 30) Der Aufenthaltsort des Thäters und der Begehungsort des Verbrechens brauchen nicht notwendig zusammenzufallen. Nur der erstere ist maßgebend. Vgl. oben Note 5. ') Oben § 6 @. 25. 2) A. A. Zorn, Staatsrecht S. 276 ff.

Der Landesverrat.

§ 156.

503

liegende qualifizierte Treubruch, bringt es mit sich, daß der Kreis der möglichen Subjekte dieses Deliktes eine Einschränkung erleidet. Der Deutsche haftet zwar auch, wenn er im Auslande einen Landesverrat gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesstaat3) begeht, ohne weiteres nach inländischem Rechte (StGB. Z 4Ziff. 2); 4) aber der Ausländer kann sich des in § 88 StGB, bedrohten Falles gar nicht, der übrigen Fälle des militärischen Landesverrates nur als subditus temporarius (während seines Aufenthaltes innerhalb des Bundesgebietes unter dem Schutze des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates) schuldig machen, und ist im übrigen nach Kriegs­ gebrauch zu behandeln (StGB. § 91). Dagegen kann der diplo­ matische Landesverrat (StGB. § 92) ohne Unterschied sowohl von Inländern als auch von Ausländern begangen werden. Wie dem Hochverrate, so gewährt auch dem Landesverräte gegenüber das inländische Recht nur den inländischen Gemein­ wesen (dem Reiche und seinen Gliedern) den Schutz seiner Straf­ gewalt. Eine dem § 102 StGB.5) 6analoge Bestimmung fehlt. Man teilt den Landesverrat ein in den militärischen und den diplomatischen. Ersterer besteht in der kriegerischen, letzterer (unter positiv rechtlicher Beschränkung der Strafbarkeit aus gewisse Fälle) in jeder anderweitigen Unterstützung einer auswärtigen Macht. II. Der militärische Landesverrat (auch Kriegs­ verrat genannt) umfaßt folgende Fälle: 1. Die Konspiration („Sich-Einlassen" StGB. § 87) mit einer ausländischen (nicht deutschen) Regierung, um die­ selbe zu einem Kriege gegen das Deutsche Reich zu veranlassen. Strafe: a) Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren; b) wenn der Krieg ausgebrochen ist,3) lebenslängliches Zucht­ haus, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren. 3) Der militärische Landesverrat kann ausnahmslos nur gegen das Deutsche Reich gerichtet sein. 4) Oben § 19 V. 5) Oben § 155 V. 6) Kaufalzusammenhang zwischen der Konspiration und dem Ausbruche des Krieges ist nicht erforderlich.

§ 156.

504

Der Landesverrat.

Neben Festungshaft kann auf den Verlust der bekleideten öffent­ lichen Ämter, fowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt werden. 2. Die Dienstleistung in der feindlichen Kriegs­ macht (fei es als Kombattant oder in andrer Stellung als Beamter, Arzt, Prediger u. s. w.) während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges, oder das Waffentragen gegen das Deutsche Reich oder dessen Bundesgenossen (StGB. § 88). Strafe: a) wenn der Thäter schon vor Ausbruch des Krieges in fremden Kriegsdiensten stand, Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren, oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Um­ ständen Festungshaft bis zu zehn Jahren; b) wenn dies nicht der Fall, lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche

Festungshaft,

bei

mildernden

Umständen

Festungshaft nicht unter fünf Jahren. Neben Festungshaft ist Aberkennung der bekleideten öffentlichen Ämter-, fowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte zulässig. 3. Die vorsätzliche Begünstigung („wer ... Vorschub leistet" StGB. § 89) einer feindlichen Macht während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges, oder Benachteiligung der Truppen des deutschen Reichs oder der Bundesgenossen desselben. Der Vorsatz besteht hier wie überall in dem Bewußtsein von der Kausalität des Thuns. Eine darüber hinausgehende Absicht, ein besonderer animus hostilis, kann nicht gefordert werden.

Be­

teiligung an einer Kriegsanleihe des Gegners, Beförderung der Entweichung internierter Kriegsgefangener kann daher als Landesverrat erscheinen, wenn auch vielleicht jene Handlung lediglich der Gewinn­ sucht, diese lediglich der Gutmütigkeit des Thäters entsprungen ist. Vollendung tritt ein, sobald die kriegerische Lage des Gegners eine günstigere, die der Deutschen Kriegsmacht eine ungünstigere ge­ worden ist. Strafe: Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer,7) bei mildernden Umständen Festungshaft bis zu zehn Jahren.

Teilweifer Ehrverlust wie oben zu 2.

7) Oben § 155 Note 25.

Der Landesverrat.

§ 156.

505

4. Aus dem in § 89 StGB, (oben 3) aufgestellten Begriffe hebt § 90 gewisse besonders schwere Fälle hervor, um sie einer ver­ schärften Strafe zu unterwerfen. Lebenslängliches Zuchthaus, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren (teil­ weiser Ehrverlust wie oben zu 2) trifft den Deutschen, welcher während eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges vorsätzlich a) Festungen, Pässe, besetzte Plätze oder andere.Verteidigungs­ posten, ingleichen deutsche oder verbündete Truppen oder ein­ zelne Offiziere oder Soldaten in feindliche Gewalt bringt; b) Festungswerke, Schiffe oder andere Fahrzeuge der Kriegsmarine, Kassen, Zeughäuser, Magazine oder andere Vorräte von Waffen, Schießbedarf oder anderen Kriegsbedürfnissen in feindliche Ge­ walt bringt oder dieselben, sowie Brücken und Eisenbahnen zum Vorteile des Feindes zerstört oder unbrauchbar macht; c) dem Feinde Mannschaften zuführt oder Soldaten des deutschen oder verbündeten Heeres verleitet, zum Feinde überzugehen; d) Operationspläne oder Pläne von Festungen oder festen Stel­ lungen betn Feinde mitteilt; e) dem Feinde als Spion dient oder feindliche Spione aufnimmt, verbirgt oder ihnen Beistand leistet; oder f) einen Aufstand unter den deutschen oder verbündeten Truppen erregt. III. Der diplomatische Landesverrat; nach StGB. § 92 vorliegend, wenn jemand (sei es ein Deutscher oder ein Ausländer) vorsätzlich 1. Staatsgeheimnisse oder Festungspläne, oder solche Urkunden, Aktenstücke oder Nachrichten, von denen er weiß, daß ihre Geheim­ haltung einer anderen Regierung gegenüber für das Wohl des Deut­ schen Reichs oder eines Bundesstaates erforderlich ist, dieser Regierung mitteilt oder öffentlich bekannt macht; 2. zur Gefährdung der Rechte des Deutschen Reichs oder eines Bundesstaates im Verhältnis zu einer anderen Regierung die über solche Rechte sprechenden Urkunden oder Beweismittel vernichtet, ver­ fälscht oder unterdrückt; 3. ein ihm von seiten des Deutschen Reichs oder eines Bundes­ staates aufgetragenes Staatsgeschäft mit einer anderen Regierung zum Nachteil dessen führt, der ihm den Auftrag erteilt hat. Strafe: Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter sechs Monaten.

506

§ 157.

Die Majestätsbeleidigung.

IV. In allen Fällen des Landesverrates kann (StGB. § 93) Beschlagnahme des Vermögens des Beschuldigten in der oben8) angegebenen Weise stattfinden. § 157.

3. Die Majestätsbeleidigung.

I. Der Begriff. Die Ehre des Trägers der staatlichen Souveränität ist be­ grifflich keine andere als die des Privatmannes; der Ehrbegriff selbst, richtig gefaßt, *) ist dehnbar genug, um sich jeder Lebensstellung des Individuums anzupassen. Wir bewegen uns innerhalb der allgemeinen Definition der Beleidigung, wenn wir die Majestäts­ beleidigung bestimmen als die Verletzung der dem Souverän (nicht als Menschen, sondern eben als dem Repräsentanten der Souveränität^)) geschuldeten Achtung; und es bedarf nach dem seinerzeit Gesagten keiner weiteren Ausführung darüber, daß diese Achtung nach Inhalt und Umfang die dem Privatmanne ge­ schuldete ebenso weit überragt, als die Stellung des Souveräns im staatlichen Leben die des Privatmannes. Die Aufstellung des be­ sonderen Deliktes Majestätsbeleidigung in der modernen Gesetzgebung*3) 2 hat demnach, wenn wir von dem veränderten, der Schwere wie der politischen Natur des Deliktes rechnungtragenden Strafrahmen ab­ sehen, juristische Bedeutung nur nach der Richtung hin, als die für die gewöhnliche Beleidigung gegebenen besonderen (also nicht aus dem Begriffe des Verbrechens folgenden) Bestimmungen, so jene über Antragserfordernis, Privatklage, Buße, Retorsion u. s. w., aus die Majestätsbeleidigung keine Anwendung finden. Alle Sätze dagegen, welche sei es aus dem Begriffe der Be8) § 155 IV. ') Oben § 121 II. 2) Damit soll selbstverständlich die unglückliche gemeinrechtliche Unter­ scheidung von laesa majestas und laesa veneratio nicht wieder aufgenommen werden. Der von mir festgehaltene Ehrbegriff hat es vielmehr überhaupt nicht mit dem Menschen als solchem, sondern immer mit der sozialen Stellung des Individuums zu thun. 3) Sie fehlt als selbständiges Delikt dem römischen wie dem deutschen Recht und geht durchaus im crimen majestatis auf. Wenn einzelne Kaiser ihren Beleidigern zu verzeihen pflegten (ut insanis illis parcendum sagt 1. un. C. 9 17 a. 393), so ist das juristisch ohne Bedeutung. Die Bemühungen des gem. Rechts, zu unterscheiden (vgl. vorige Note), blieben ohne Erfolg.

Die Majestätsbeleidigung.

§ 157.

507

leidigung, sei es aus den allgemeinen Begriffen des Strafrechtes sich ergeben, müssen uneingeschränkt auch der Majestätsbeleidigung gegenüber zur Anwendung gebracht werden, mögen sie auch zufällig in dem 14. Abschnitte des StGB. Aufnahme gefunden haben. So ist § 193 StGB, zwar nicht als solcher, wohl aber in seinem aus allgemeinen Grundsätzen sich ergebenden Inhalte®) auch für die Beurteilung der Majestätsbeleidigung maßgebend; dasselbe gilt von dem Wahrheitsbeweise u. s. w.45) * Nur der monarchische Träger der Souveränität, sowie die Mitglieder seiner Familie und sein Repräsentant (der Regent) können nach heutigem deutschen Rechte Objekt der Majestätsbeleidigung sein; die Träger der Souveränität in den republikanischen Gemein­ wesen Deutschlands entbehren des erhöhten strafrechtlichen Schutzes ihrer Ehre. Der staatsrechtlichen Gestaltung des Deutschen Reiches entsprechend, hebt das Gesetz den Kaiser, den Landesherrn des Heimatsstaates und jenen des Aufenthaltsstaates des Thäters aus den übrigen Bundesfürsten hervor, obwohl der Kaiser in staatsrechtlicher Beziehung nicht als Souverän erscheint. Da es eine „kaiserliche Familie" staatsrechtlich nicht gibt, kommen die Familienangehörigen des Kaisers, insbesondere der „Kronprinz des Deutschen Reichs" nur als landesherrliche Familie (bez. Kron­ prinz von Preußen) in Betracht; ein Ergebnis, das ohne Zweifel den thatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise entspricht. ®) Die Strafen stufen sich ab, je nachdem es sich um eine Thät­ lichkeit oder eine Beleidigung i. e. S. handelt. „Thätlichkeit" bezeichnet auch hier7)8 den unmittelbar gegen den Körper des zu Verletzenden gerichteten, wenn auch fehlgeschlagenen Angriff, also die Realinjurie.®) „Beleidigung" umfaßt sowohl die Verletzung 4) Oben § 123 I, S. 417. 6) Die Entscheidungen des Reichsgerichts sind teilweise recht bedenklich; vgl. III. S. 23. Juni 1880 11/213; II. S. 4. Oktober 1881 V/46; III. S. 21. Mai 1883 VIII/338. ®) Die Unklarheit der legislatorischen Grundgedanken bei Regelung der Majestätsbeleidigung erhellt auch aus den durchaus inkorrekten Überschriften der betreffenden Abschnitte des StGB. („Beleidigung des Landesherrn"; „Be­ leidigung von Bundesfürsten"). *) Oben § 122 I b. 8) Eben darum ist der Ausdruck „Majestätsbeleidigung" auch für diese Fälle durchaus zutreffend. A. A. Schütze und Olshausen, welche den Aus­ druck „Majestätsverletzung" vorschlagen.

§ 157.

508

Die Majestätsbeleidigung.

als auch die sei es bewußte, sei es unbewußte Gefährdung der Ehre (StGB. §§ 185, 186, 187). Die Verletzungen der Familien­ ehre (StGB. § 189) sind dagegen nicht hierher zu rechnen, und nur nach den Bestimmungen der §§ 95—101 StGB, zu bestrafen. Auch Äußerungen in Beziehung auf Regierungshandlungen, welche unter Gegenzeichnung des verantwortlichen Ministers erfolgten, können als Majestätsbeleidigung erscheinen, wenn und soweit sie ein die Achtung verletzendes Urteil über den Monarchen enthalten oder ermöglichen;9) dasselbe gilt von Äußerungen über Ereignisse, welche vor dem Regierungsantritte des angegriffenen Monarchen stattgefunden haben.10) Von einem Deutschen im Auslande gegen einen Bundes­ fürsten (nicht gegen eine landesherrliche Familie oder gegen den Regenten eines Bundesstaates) begangene Beleidigungen sind ohne weiteres nach inländischem Strafrechte zu bestrafen (StGB. § 4

Ziff. 2).") II. Bestrafung von Thätlichkeiten. 1. Gegen den Kaiser, gegen die Landesherren des Thäters oder während dessen Aufenthalts in einem Bundesstaate gegen den Landesherrn dieses Staates: lebenslängliches Zuchthaus oder lebenslängliche Festungshaft, in minder schweren Fällen Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; neben Festungshaft teilweiser Ehrverlust zulässig; bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter fünf Jahren (StGB. § 94). 2. Gegen ein Mitglied des landesherrlichenHauses^) oder den Regenten des Heimats- oder Aufenthalts­ staates: Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; in minder schweren Fällen Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft von einem Jahre bis zu fünf Jahren (StGB. § 96). 3. Gegen einen anderen Bundesfürsten: Zuchthaus von 9) Ebenso John, Meyer, Olshausen; dagegen Berner. 10) III. S. 21. Mai 1883 VIII/338. n) Oben § 19 V. 12) In Elsaß-Lothringen erscheint der Kaiser nicht als Landesherr;

die

Mitglieder der kaiserlichen Familie sind daher auch nicht als Mitglieder des landesherrlichen Hauses anzusehen.

I. S. 17. April 1884 X/312.

Die Majestätsbeleidigung.

§ 157.

509

zwei bis zu. zehn Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (StGB. § 98). 4. Gegen ein Mitglied eines bundesfürstlichen Hauses oder den Regenten eines Bundesstaats: Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft von einem Monate bis zu drei Jahren (StGB. § 100). III. Bestrafung der einfachen Beleidigung. 1. Gegen die oben II, 1 genannten Personen: Ge­ fängnis nicht unter zwei Monaten oder Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf Jahren; neben Gefängnis teilweiser Ehrverlust fakultativ (StGB. § 95). 2. Gegen die oben II, 2 genannten Personen: Ge­ fängnis von einem Monate bis zu drei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer (StGB § 97). 3. Gegen die oben II, 3 genannten Personen: Ge­ fängnis von einem Monate bis zu drei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; Verfolgung nur mit Ermächtigung des Belei­ digten (StGB. § 99). 4. Gegen die Regenten (nicht gegen die Mitglieder des landesherrlichen Hauses) der oben II, 4 genannten Staaten: Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; Verfolgung nur mit Ermächtigung des Belei­ digten (StGB. § 101). IV. Eigentliche Majestätsbeleidigung ist nach positiv rechtlicher Anordnung nur gegenüber einem deutschen Monarchen möglich; doch genießen auch die Landesherren und Regenten sowie die diplo­ matischen Repräsentanten ausländischer Staatswesen unter ge­ wissen Voraussetzungen eines, wenn auch geringeren, Schutzes durch das deutsche Strafrecht. Auch diese Bestimmungen sind^) im RStGB. in unzutreffender Weise zu den „feindlichen Handlungen gegen befreundete Staaten" gestellt und überdies durch den gar nicht hierher gehörenden § 103 a untereinander getrennt worden. Die Reichsgesetzgebung bedroht: 1. Die thätliche oder einfache Beleidigung des Landesherrn oder Regenten eines nicht zum Deutschen Reiche ge") Vgl. oben § 155 V.

510

§ 158.

Strafbare Handlungen gegen politische Körperschaften.

hörenden Staates; sie wird, sofern in diesem Staate dem Deutschen Reiche die Gegenseitigkeit verbürgt ist,14) nach StGB. §103 mit Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Antragsdelikt; antrags­ berechtigt die auswärtige Regierung; Antrag rücknehmbar. 2. Die thätliche oder einfache Beleidigung gegen einen bei dem Reich, einem bundesfürftlichen Hofe oder bei dem Senate einer der freien Hansestädte beglaubigten Gesandten oder Geschäfts­ träger, also gegen den diplomatischen Repräsentanten des aus­ wärtigen Staates; sie wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft (StGB. § 104). Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Beleidigten ein. Die Zurück­ nahme des Antrages ist zulässig. § 158. 4. Strafbare Handlungen gegen politische Körperschaften.

Unter der durchaus nicht zutreffenden Bezeichnung4) „Ver­ brechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürger­ licher Rechte" umfaßt das RStGB. zunächst eine Reihe von HandUmgen, welche gegen politische Körperschaften und deren Mitglieder gerichtet sind. I. Das Unternehmen, den Senat oder die Bürgerschaft einer der freien Hansestädte, oder eine gesetzgebende Versammlung des Reiches oder eines Bundesstaates*2) 1. auseinanderzusprengen; 2. zurFassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nötigen; 3. Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen (StGB. § 105). Strafe: Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder Festungs­ haft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft nicht unter einem Jahre. “) Oben § 155 V. ') Vgl. oben § 153 II S. 494. 2) Gesetzgebende Versammlungen des Reiches sind nur Reichstag und Bundesrat. Der Landesausschuß für Elsaß-Lothringen gehört nicht hierher (a. A. Olshausen). Ausländische Versammlungen sind nicht geschützt. Vgl. oben § 153 III.

Strafbare Verletzungen des politischen Wahl- und Stimmrechts. § 159.

511

II. Die durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer straf­ baren Handlung begangene Verhinderung eines Mitgliedes einer der unter I bezeichneten Versammlungen, 1. sich an den Ort der Versammlung zu begeben, oder 2. zu stimmen (StGB. § 106). Positiver Zwang, insbesondere zur Abgabe der Stimme gehört nicht hierher, sondern fällt eventuell unter StGB. § 240. Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer; bei mildernden Umständen Festungshaft bis zu zwei Jahren.3)4) § 159. 5. Strafbare Verletzungen des politischen Wahlund Stimmrechts.

Zu dieser Gruppe von strafbaren Handlungen, welche von der im vorhergehenden Paragraphen durch die wesentliche Verschiedenheit des Angriffsobjektes prinzipiell zu unterscheiden sind,4) obwohl das RStGB. sie mit jenen unter der nicht zutreffenden Bezeichnung „Verbrechen und Vergehen in Beziehung aus die Ausübung staats­ bürgerlicher Rechte" zusammenfaßt, gehören folgende Delikte: I.*2) Durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung begangene Verhinderung eines Deutschen,3) in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen (StGB. § 107). Strafe: Gefängnis nicht unter sechs Monaten oder Festungs­ haft bis zu fünf Jahren. Versuch strafbar.4) Geschützt ist das politische Wahl- und Stimmrecht, also die Beteiligung an allen öffentlichen Angelegenheiten in Staat und Gemeinde durch Abgabe der Stimme überhaupt, durch Wahl von Vertretern insbesondere. Insoweit besteht zwischen diesem und den beiden folgenden Fällen kein Unterschied.3) 9) Vgl. StGB. § 339 Abs. 3. 4) Vgl. auch StGB. § 197 oben § 123 III. 4) Oben § 153 II S. 494. 2) Vgl. Dochow HR. „Wahlvergehen". 8) Der Ausländer ist nicht geschützt. Vgl. oben § 153 III. 4) Ebenso I. S. 9. November 1882 VII/223. Die Frage ist sehr be­ stritten. Wesentlich enger insbes. Olshausen. ») Vgl. auch § 339 Abs. 3 StGB.

512

§ 159. Strafbare Verletzungen des politischen Wahl- und Stimmrechts.

Der „Verhinderung" steht zwar nicht die Nötigung zur Aus­ übung des Wahl- und Stimmrechtes überhaupt, wohl aber die Nö­ tigung zur Ausübung desselben nach einer andern als der dem Willen des Genötigten entsprechenden Richtung gleich. II. Die Wahlfälschung. Sie umfaßt (StGB. § 108) 1. die Fälschung i. e. S., oder die Herbeiführung eines unrichtigen Ergebnisses bei Wahlhandlungen (nicht andern Ab­ stimmungen) in öffentlichen Angelegenheiten; und 2. die Verfälschung eines solchen Wahlergebnisses. Dabei haben wir unter „Wahlergebnis" nicht das endliche Resultat, d. h. das Gewähltsein dieses oder jenes Kandidaten zu verstehen/) auch nicht etwa das Wahlprotokoll, sondern die dem Gesetze entsprechende thatsächliche Ausübung des Wahlrechtes. Die Wahlfälschung ist mithin kein Fälschungsdelikt im eigent­ lichen Sinne, also nicht Mißbrauch einer Beglaubigungsform. Das Wahlergebnis ist gefälscht, wenn die thatsächliche Ausübung dem Gesetze nicht entspricht, mithin z. B. ein Unberechtigter zur Wahl oder ein Berechtigter zu mehrfacher Abgabe der Stimme zugelassen wurde;67) es ist verfäl scht, wenn seine Feststellung der thatsäch­ lichen Ausübung nicht entspricht, also z. B. die abgegebenen Stimm­ zettel unrichtig gezählt und eingetragen werden. Vorsatz ist in beiden Fällen erforderlich. Strafe: 1. Wenn der Thäter mit der Sammlung von Wahl- oder Stimm-Zetteln oder -Zeichen oder mit der Führung der Be­ urkundungsverhandlung beauftragt war, Gefängnis von einer Woche bis zu drei Jahren; 2. wenn dies nicht der Fall, Gefängnis bis zu zwei Jahren. In beiden Fällen kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. III. Der Stimmenkauf oder die Wahlbestechung, d. i. der Kauf oder Verkauf von Wahlstimmen in einer öffentlichen Angelegenheit (StGB. § 109). Der zivilrechtliche Begriff des Kaufes findet dabei keine Anwendung; wohl aber ist eine, wenn auch nicht ausdrückliche Vereinbarung über Abgabe der Stimme in einem be­ stimmten Sinne einerseits und über die Gegenleistung anderseits 6) Ebenso I. S. 6. Oktober 1881 V/49; II. S. 20. Oktober 1882 VI1/144. 7) Vgl. I. S. 31. Januar 1884 X/60.

Die Friedensstörungen des Strafgesetzbuchs.

§ 160.

513

erforderlich. Mit dieser Vereinbarung ist das Vergehen vollendet, mag es auch gar nicht zur Abgabe der Stimme gekommen oder diese nicht der Verabredung gemäß erfolgt sein. Einseitiges Versprechen, sei es der Stimme sei es des Gegenwertes, bleibt als Versuch straf­ los. s) Bestechung zum Zweck der Wahlenthaltung gehört nicht hierher. Ebensowenig eine s ch e i n b a r e Vereinbarung, während der Stimmberechtigte sich im Innern die Disposition über seine Stimme vorbehält. Als Gegenwert für die Wahlstimme genügen Vorteile irgendwelcher Art; Verniögensvorteil ist nicht erforderlich. Strafe: Gefängnis von einem Monate bis zu zwei Jahren; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

Zweiter Abschnitt.

Strafbare Handlungen gegen Rechtsgüter der Gesellschaft. I. Ktraflmre Handlungen gegen den öffentlichen Frieden. § 160. 1. Die Friedensstörungen des Strafgesetzbuchs. Durch ihre gemeinsame Richtung gegen den öffentlichen Frieden, d. i. gegen das der Bevölkerung als solcher inne­ wohnende Bewußtsein der Rechtssicherheit,x) werden eine Anzahl von strafbaren Handlungen zusammengehalten, deren Gestaltung mit den wechselnden staatlich-gesellschaftlichen Verhältnissen sich ändert, während ihr Wesen sich gleich bleibt. Mehr als bei andern Gruppen werden die Strafdrohungen des Gesetzes hier den Charakter von Schutzmaß­ regeln der Gesellschaft gegen die ihr drohenden konkreten Gefahren auch äußerlich an sich tragen, vielleicht selbst als Ausnahmsgesetze erscheinen, ohne darum dem Kriminalisten oder dem Politiker Grund zur Mißbilligung zu geben. Am deutlichsten tritt dieser 8) II. S. 23. Juni 1882 VI/351. *) Es ist dasselbe Rechtsgut, dessen Träger auch der einzelne Bürger sein kann, und das wir als solches bereits oben § 129 kennen gelernt haben, von Liszt, Strafrecht. 2. Au fl. 33

514

§ 160.

Die Friedensstörungen des Strafgesetzbuchs.

Charakter der Gruppe in dem sogenannten Sozialistengesetze zu Tage. Es gehören hierher zunächst aus den im Strasgesetzbuche selbst bedrohten Delikten die folgenden. I. Der Landzwang, 2) d. h. die Störung des öffent­ lichen Friedens durch gefährliche Bedrohung. Sowohl der Skopelismus des römischen Rechts (1. 9. D. 47, 11) als auch das durchaus auf deutschrechtlicher Grundlage beruhende „bösliche Ans­ treten" der PGO. (Art. 128) haben heute nur mehr geschichtliche Bedeutung. Das RStGB. destniert in § 126 den Landzwang als die Störung des öffentlichen Friedens durch Bedrohung mit einem ge­ meingefährlichen 23)4 Verbrechen (StGB. § 126). Das Delikt ist vollendet, sobald die Bedrohung zu öffentlicher Kenntnis gelangt. Der Vorsatz muss sämtliche Begriffsmerkmale umfassen. Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre. II. Der Landfriedensbruch. Im römischen Recht in dem weiten Begriffe der vis enthalten, im deutschen Mittelalter bis tief ins 16. Jahrhundert hinein als Kollektivbezeichnung für jede Verletzung der Landfriedensgesetze gebraucht, entwickelt sich der Land­ friedensbruch nur ganz allmählich zum selbständigen, klar um­ schriebenen Verbrechensbegriffe. Der Art. 129 der PGO., welcher nur die „gegen Recht und Billigkeit" erfolgende „mutwillige Be­ fehdung" mit peinlicher Strafe bedrohte, war nicht geeignet, diese Entwickelung zu fördern. Und ebenso zeigt sich auch im heutigen Rechte ein unsicheres und unklares Herumtasten, als dessen Ausdruck im RStGB. die Aneinanderreihung von Hausfriedens- und Land­ friedensbruch erscheint. Nach § 125 StGB, ist Landfriedensbruch: die Teilnahme an einer öffentlichen Zusammenrottung, wenn von der zusammen­ gerotteten Menschenmenge mit vereinten Kräften Gewaltthätigkeiten an Personen oder Sachen begangen werden. 2) John, Landzwang und widerrechtliche Drohungen 1852. Glaser, Abhandlungen 1858. *) Es sind die im 27. Abschnitt des StGB, aufgezählten Fälle (oben §§ 137-144). 4) John HH. III S. 161 ff. 6) Oben § 130 Note 12.

Die Friedensstörungen des Strafgesetzbuchs.

§ 160.

515

Der Unterschied von dem gewaltsamen Hausfriedensbruch (StGB. § 124) 6) liegt in einem doppelten: a) Beim Hausfriedensbruch, nicht aber hier, ist Eindringen in fremde Wohnräume erforderlich. b) Beim Hausfriedensbruch genügt die auf Begehung von Ge­ waltthätigkeiten gerichtete Absicht, hier ist die wirkliche Be­ gehung von solchen erforderlich. Strafe: Gefängnis nicht unter drei Monaten: die Rädelsf üh rer 67)8 sowie diejenigen, welche Gewaltthätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert,^) vernichtet oder zerstört haben, trifft Zuchthaus bis zu zehn Jahren mit fakultativer Stellung unter Polizeiaufsicht, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. III. Ansammeln von 333affen9) und Streitkräften. Strafbar ist: 1. Wer unbefugter Weise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt, oder eine Mannschaft, von der er weiß, daß sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht (StGB. § 127 Abs. 1). Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren; 2. wer sich einem solchen bewaffneten Haufen anschließt (StGB. § 127 Abs. 2). Strafe: Gefängnis bis zu einem Jahre; 3. wer außerhalb seines Gewerbebetriebes heimlich oder wider das Verbot der Behörde Vorräte von Waffen oder Schieß­ bedarf aufsammelt (StGB. § 360 Ziff. 2); Strafe: Geld­ strafe bis zu hundertfünfzig Mark oder Haft. Einziehung zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob die Gegenstände dem Ver­ urteilten gehören oder nicht. IV. Gefährdung des öffentlichen Friedens durch öffentliche Aufreizung verschiedener Klassen der Bevölkerung, d.i. verschiedener durch gemeinsame Interessen miteinander verbundener und von 6). Oben § 130. 7) Oben § 51 Note 15. 8) Plünderung bedeutet (MiliärStGB. § 129) die in der Absicht rechts­ widriger Zueignung erfolgende Wegnahme fremder beweglicher Sachen unter Benutzung des durch den Landfriedensbruch entstandenen Schreckens. So auch Olshausen. 9) im technischen Sinne; oben § 94 Note 11.

516

§ 160.

Die Friedensstörungen des Strafgesetzbuchs.

anderen deutlich abgegrenzter Personenkreise/o) zu Gewaltthätig­ keiten gegeneinander (StGB. § 130). Die Formulierung des aus dem französischen Rechte in das Preuß. StGB.") und aus diesem in das RStGB. übergegangenen Paragraphen ergibt (durch die Worte: „wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise... anreizt") deutlich, daß erfolgte Gefähr­ dung des öffentlichen Friedens im technischen Sinne des Wortes er­ forderlich,

und erst mit ihrem Eintritte das Delikt vollendet ist.

Aber wohlgemerkt: nicht Verletzung, sondern Gefährdung wird er­ fordert;

thatsächliche Störung des Bewußtseins der Rechtssicher­

heit ist begrifflich irrelevant?-)

Der Vorsatz muß die Gefährdung

mitumfassen; daß die Absicht aus dieselbe gerichtet sei,

ist nicht er­

forderlich.^) Strafe: Geldstrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnis bis zu zwei Jahren. V. Gefährdung des öffentlichen Friedens durch Mißbrauch der geistlichen (Stellung (in Ausübung oder in Veranlassung der Aus­ übung des Berufes als Religionsdiener); begangen (StGB. § 130a) l.14) durch a) öffentlich vor einer Menschenmenge,") b) in einer Kirche oder einem anderen zu religiösen Versamm­ lungen bestimmten Orte vor mehreren erfolgende Verkündung oder Erörterung von Angelegenheiten des Staates; 2.16) durch Ausgabe oder Verbreitung von Schriftstücken, in welchen solche Angelegenheiten

zum Gegenstände einer Verkündung

oder Erörterung gemacht sind. 10) Z. B. die Bourgeoisie, die Infallibilisten, die Nationalliberalen, die Großgrundbesitzer u. s. w. n) Preußen 1851 § 100 („Haß- und Verachtungsparagraph"); vgl. auch unten § 176 Note 4. 12) Die Frage wird meist unrichtig gestellt und ist daher sehr bestritten. Bedenklich auch II. S. 10. November 1880 11/431. 13) II. S. 8. Januar 1884 IX/417. 14) Erster Absatz des sog. Kanzelparagraphm, aufgenommen durch Ges. vom 10. Dezember 1871; durch Verordg vom 15. Juni 1872 in Elsaß-Lothringen eingeführt. Ähnliche Bestimmungen fanden sich bereits in mehreren PartikularStGBüchern. 16) Menschenmenge ist eine ungeordnete Mehrheit von Personen; vgl. oben § 130 Note 11. 16) Zweiter Abs. des sog. Kanzelparagraphen, aufgenommen durch die No­ velle vom 26. Februar 1876.

Friedensstörungen durch sozialistische Umsturzbestrebungen.

§ 161.

517

Auch hier ist thatsächlich erfolgte Gefährdung des öffent­ lichen Friedens im Einzelfalle erforderlich. Der Vorsatz umfaßt sämtliche Begriffsmerkmale. Dritte Personen können sich an diesem, wie an jedem Standesdelikte, als Anstifter oder Gehilfen beteiligen. § 1G1«

2. Störungen des öffentlichen Friedens durch sozialistische Umsturzbestrebungen.12)3

Quelle: Reichsgesetz vom 21. Oktober 1878 2) gegen die ge­ meingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie; genauer (§ 1 des Gesetzes) gegen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschafts­ ordnung gerichtete Bestrebungen. Darnach erscheint als strafbar: 1. 1. Die Beteiligung an einem verbotenen sozia­ listischen Vereine als Mitglied oder durch irgend eine Thätig­ keit im Interesse des Vereines; oder die Teilnahme an einer verbotenen oder aufgelösten sozialistischen Versamm­ lung (§ 17). Strafe: Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder Ge­ fängnis bis zu drei Monaten; gegen die Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner, Kassierer des Vereins oder der Versammlung, sowie gegen diejenigen, welche zu der Versammlung auffordern, Ge­ fängnis von einem Monate bis zu einem Jahre. Das Hergeben von Räumlichkeiten für verbotene Vereine oder Versammlungen wird (§ 18) ebenfalls mit Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre bestraft.^) 2. Die Verbreitung, Fortsetzung, der Wiederabdruck einer verbotenen oder einer von der vorläufigen Beschlag­ nahme betroffenen Druckschrift (§ 19).4) 1) Gareis in Hirths Annalen 1879 S. 285 ff. v. Schwarze, Reichsges. gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie 1879 (Bezolds Sammlung). Vgl. auch die Ausgaben von Gneist 1878 und Brandt 1882. Bunsen GS. XXX (1878). 2) Die Gültigkeitsdauer dieses Gesetzes wurde abermals, und zwar (durch Ges. vom 28. Mai 1884) bis zum 30. September 1886 verlängert. 3) Vgl. oben § 52 Note 15. 4) v.' Liszt, Preßrecht §§ 33 u. 39. — Da zu den Druckschriften un­ zweifelhaft, mangels einer ausdrücklichen Vorschrift, auch gedruckte Stimmzettel gerechnet werden mußten (III. S. 15. März 1882 VI/86; Fuld GS. XXXIV [1882 Z. III S. 189]), bestimmte das, durch den Antrag Wülfel (Z. III

518

§ 161.

Friedensstörungen durch sozialistische Umsturzbestrebungen.

Strafe: Geldstrafe bis zu tausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. 3. Das Einsammeln von Beitrügen zur Förderung der oben genannten Bestrebungen, sowie die öffentliche Aufforderung zur Leistung solcher Beiträge trotz öffentlich bekannt gemachten polizei­ lichen Verbotes (§ 20). Strafe: Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder Gefängnis bis zu drei Monaten. Auch ist das zufolge der verbotenen Samm­ lung oder Aufforderung Empfangene der Armenkasse des Orts der Sammlung für verfallen zu erklären. In allen diesen Fällen hat der Strafrichter nicht die materielle, wohl aber die formelle Richtigkeit des polizeilichen Verbotes zu prüfen?) II. Wer eine der unter I genannten Handlungen nach erfolgter Bekanntmachung des Verbotes durch den Reichsanzeiger, aber ohne Kenntnis desselben, begeht, ist mit Geldstrafe bis zu hundert fünszig Mark oder mit Haft zu bestrafen (§ 21). III. Gegen Personen, welche sich die Agitation für die genannten Bestrebungen zum Geschäfte machen, kann neben der Freiheitsstrafe auf Zulässigkeit der Einschränkung ihres Aufenthaltes erkannt werden?) Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis von einem Monate bis zu einem Jahre bestraft (§ 22). IV. 1. Untersagung des Gewerbebetriebes kann (§ 23) als Nebenstrafe*7) *gegen * * 6gewisse Gewerbetreibende erkannt werden. 2. Personen, welche entweder sich die Agitation für sozialistische Bestrebungen zum Geschäfte machen, oder auf Grund einer Be­ stimmung des Sozialisten-Gesetzes rechtskräftig zu einer Strafe ver­ urteilt sind, kann (§ 24) von der Landespolizeibehörde die Be­ fugnis zur gewerbsmäßigen oder nicht gewerbsmäßigen öffentlichen Verbreitung von Druckschriften sowie die Befugnis zum Handel mit Druckschriften im Umherziehen entzogen w e r d e n.8) S. 548) erlassene Gesetz vom 12. März 1884: „Stimmzettel, welche im Wege der Vervielfältigung hergestellt sind und nur die Bezeichnung der zu wählenden Personen enthalten, gelten nicht als Druckschriften im Sinne der Reichs- und Landesgesetze." 6) II. S. 2. September 1879 1/23. 6) Oben § 69 IV. 7) Oben § 70 IV. 8) Vgl. v. Liszt, Preßrecht § 18 (ist keine Nebenstrafe, sondern eine poli­ zeiliche Maßregel).

Strafbare Handlungen gegen den religiösen Frieden.

§ 162.

519

Zuwiderhandlungen gegen jenes Urteil (§ 23; oben 1) oder diese Verfügung (§ 24; oben 2) werden mit Geldstrafe bis zu tausend Marl oder Haft oder Gefängnis bis zu sechs Monaten be** straft (§ 25). Y. Wer die bei Verhängung des sog. kleinen Belagerungs­ zustandes (§ 28) getroffenen Anordnungen mit Kenntnis derselben oder nach erfolgter öffentlicher Bekanntmachung derselben auch ohne Kenntnis derselben9) übertritt (§ 28 Abs. 4), wird mit Geldstrafe bis zu tausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. § 163. 3. Strafbare Handlungen gegen den religiösen Frieden. x)

I. Wenige Delikte bieten der richtigen prinzipiellen Auffassung und der durch diese bedingten Einreihung größere Schwierigkeiten als die Neligionsdelikte; wenige Deliktsgruppen haben im Laufe der Jahrhunderte öfter und rascher ihren Charakter verändert, Umfang und Inhalt gewechselt. Der Staat kann die Religion als solche zum Rechtsgute erklären, sie in das Inventar der von ihm geschützten Interessen aufnehmen; aber da die Religion gebunden ist an ein posi­ tives Bekenntnis, so wird durch jene Erklärung eine bestimmte Konfession zur Staatsreligion erklärt, das Religionsdelikt zum eminent poli­ tischen Delikte gemacht. Der Staat kann noch weitergehen und, wie eine große Zahl der auf dem Boden des gemein deutschen Straf­ rechts entstandenen partikularen Strafgesetzgebungen es gethan haben, die Gottheit selbst anthropomorphisieren, ihr seinen strafrecht­ lichen Schutz gegen die frevelnde Menschheit gewähren; dann schließen sich die Religionsdelikte zusammen zum crimen laesae maj estatis divinae, dem ersten und schwersten aller Verbrechen, in seinem Thatbestände dem bürgerlichen Majestätsverbrechen nach­ gebildet, wie der Begriff des göttlichen Herrschers dem des irdischen Landesherrn. Daß dieser Standpunkt unhaltbar, daß er mit den Denkgesetzen ebenso unvereinbar sei wie mit jedem tieferen religiösen Gefühl, hat die Litteratur und Gesetzgebung der Aufklärung scharf ») II. S. 13. April 1880 1/363. *) Wahlberg HH. III S. 263 ff.; Derselbe HR. „Religionsverbrechen". Villnow GS. XXXI (1879).

520

§ 162.

Strafbare Handlungen gegen den religiösen Frieden.

betont. Aber getreu einem ihrer verhängnisvollsten Irrtümer,2)3 4 suchte sie auch in den Religionsdelikten die Verletzung eines subjektiven Rechts nachzuweisen und verschloß sich dadurch den Weg zur richtigen Erkenntnis. Der modernen Gesetzgebung entspricht es wohl am meisten, die Religionsdelikte als gegen den Frieden der Religionsgesell­ schaften gerichtet aufzufassen und die Religion als solche nicht zu den vom Staate mit strafrechtlichem Schutze umkleideten Rechts­ gütern zu rechnen?) Damit ist die Unmöglichkeit gegeben, die seit der Aufklärungszeit verschwundenen Delikte der Apostasie und Häresie zu den Religionsdeliktcn zu rechnen. II. Die Gotteslästerung (Blasphemie) wurde im römischen Recht durch die Novelle 77 mit Strafe belegt, damit das Land nicht vom Zorne der unversöhnten Gottheit heimgesucht werde. Einen ähn­ lichen Standpunkt nimmt der Reichsabschied von 1495 ein, auf welchem Art. 106 der PGO. fußt. Erbedroht mit Strafe denjenigen, „welcher Gott zumißt, was Gott nicht bequem ist, oder mit seinen Worten Gott, was ihm zusteht, abschneidet, die Allmächtigkeit Gottes, seine heilige Mutter, die Jungfrau Maria schändet". Daneben finden sich auch — insbesondere in den RPOdgn. von 1548 und 1577 — zahlreiche polizeiliche Bestimmungen gegen das Fluchen und Schwören.

Die moderne Entwickelung beruht auf dem Bestreben, schon durch die Fassung des Thatbestandes jeden Zweifel darüber aus­ zuschließen, daß nicht „Gott"?) sondern das religiöse Gefühl der Religionsgesellschaften, der religiöse Frieden das juristische Angriffs­ objekt des Deliktes bildet. Nach StGB. § 166 besteht die Gotteslästerung in der Er­ regung eines Ärgernisses durch öffentlich und in be­ schimpfenden Äußerungen erfolgende Lästerung Gottes. Dabei ist der Gottesbegriff nicht etwa im Sinne einer philosophischen über Zeit und Raum sich erhebenden Abstraktion, sondern einfach in dem Sinne aufzufassen, wie er in den Bekenntnissen der christ­ lichen Kirchen und der übrigen mit Korporationsrechten innerhalb 2) Oben §9 6. 49. 3) Bezeichnenderweise spricht der 11. Abschnitt des RStGB. nicht von Vergehen gegen die Religion, sondern von solchen, „welche sich auf die Religion beziehen". 4) wie merkwürdiger Weise noch Olshausen behauptet.

Strafbare Handlungen gegen den religiösen Frieden.

§ 162.

521

des Deutschen Reiches bestehenden Religionsgesellschaften niedergelegt ist;5) ber Gottesbegriff hat also, wenn der Ausdruck gestattet ist, wie das Objekt der übrigen Religionsdelikte, einen religionsgenossen­ schaftlichen oder konfessionellen Charakter.

Daher fällt

auch

die

Lästerung Jesu oder des heiligen Geistes unter den Begriff der Gotteslästerung. Die Lästerung muß öffentlich erfolgen,

d. h. einem nicht

individuell bestimmten und begrenzten Personenkreise zugänglich sein; in beschimpfenden, d. h. in solchen Äußerungen, welche eine gewisse Roheit des Ausdruckes enthalten?) Die Lästerung an sich genügt aber nicht; es muß durch dieselbe vielmehr (und darin liegt der sicherste Beweis

dafür,

daß

nicht

„Gott" als durch die Lästerung verletzt angesehen werden darf) Ärgernis erregt,7) d. h. das religiöse Gefühl, wenn auch nur eines andern verletzt werden?)

Mangelnde Rechtswidrigkeit schließt

hier wie sonst die Annahme eines Deliktes aus; doch darf nicht vergessen werden, daß z. B. auch der Zweck wissenschaftlicher Unter­ suchungen die Wahl „beschimpfender Äußerungen" niemals rechtfertigen kann. Strafe: Gefängnis bis zu drei Jahren. III.

Öffentliche

Beschimpfung

einer

der

christlichen

Kirchen oder einer anderen mit Korporationsrechten inner­ halb des Bundesgebietes bestehenden Religionsge­ sell schaftO) als solcher, sowie ihrer Einrichtungen^) oder Ge-

B) II.

S. 3. März 1882 VI/77; ebenso Schütze, Olshausen; dagegen

Meyer. 6) III. S. 11. März 1882 VI/89. 7) Berner, welcher die Gotteslästerung als „mittelbar gegen die öffentliche Ordnung des Staates" gerichtet ansteht, tadelt daher — von seinem Stand­ punkte aus durchaus folgerichtig — die Aufstellung dieses Erfordernisses. 8) 1. S. 12. Juli 1880 11/196. 9) Auch die christlichen Kirchen gehören, nach der Wortfaffung des §, nur dann hierher, wenn sie „mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehen".

So die meisten.

Dagegen Berner, v. Schwarze u. a. — Da die

Altkatholiken in mehreren deutschen Staaten (so z. B. in Preußen) als Zweig der römischkatholischen Kirche rechtlich anerkannt sind, werden auch sie durch § 166 geschützt.

Vgl.

auch Haager, Sind die Altkatholiken in rechtlicher Hinsicht

noch Mitglieder der katholischen Kirche? 1674. 10) z. B. Ehe, Messe, Sakramente, Ablaß, Marienkultus, Mönchswesen u.s.w.

522

§ 162.

Strafbare Handlungen gegen den religiösen Frieden.

brauche,") von welchen die Glaubensätze12) einerseits, die einzelnen konkreten historischen Vorgänge^) anderseits zu unterscheiden sind (StGB. § 166). Berechtigter Kritik fehlt das Merkmal der Rechts­ widrigkeit. Strafe: wie zu II. IV. Die Verübung beschimpfenden Unfugs in Kirchen oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen (nicht nur der anerkannten, sondern aller bestehenden Religionsgesellschaften) be­ stimmten Orte (StGB. § 166). Unfug ist jedes der Zweckbestimmung des Ortes wider­ sprechende Betragen; der Unfug muß beschimpfend sein, d. h. durch die Roheit der Form die Mißachtung zum Ausdrucke bringen.— Friedhöfe gehören zu den vom Gesetze geschützten Orten, wenn und soweit sie zu religiösen Versammlungen bestimmt sind. Unter dieser Voraussetzung sind auch zur Feuerbestattung bestimmte Orte hierher zu rechnen; nicht aber Orte zu konfessionsloser Beerdigung. Strafe: wie zu II. V. Am deutlichsten bringt die Richtung der Religionsdelikte gegen den religiösen Frieden zum Ausdrucke die turbatio sacrorum, die schon in Justinianeischen Rechte mit kapitaler Strafe belegt war. Das RStGB. bedroht in § 167 die durch Thätlichkeit") oder Drohung^) begangene Hinderung^) eines anderen an der Ausübung des Gottesdienstes einer im Staate be­ stehenden Religionsgesellschaft; sowie die vorsätzliche Verhinde­ rung oder Störung des Gottesdienstes oder einzelner gottesdienstlicher Verrichtungen einer solchen Religionsgesellschaft durch Erregung von Lärm oder Unordnung in17) einer Kirche oder in einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte.

n) z. B. kirchliche Kollekten, Bittgänge, Amtstracht der Geistlichen u. f. w. 12) z. B. das Dogma von der Dreieinigkeit Gottes, der Menschwerdung Christi, der unbefleckten Empfängnis u. s. w. 13) z. B. die Reformation, das vatikanische Konzil, die Abschließung eines Konkordates. ") Hier soviel wie „Gewalt." 1D) Oben § 126 II; also nicht notwendig mit einer strafbaren Handlung. 16) Zwang zur Ausübung des Gottesdienstes kann nur als Nötigung strafbar sein. Anders noch Preußen § 136. 17) Auch wenn sich der Thäter außerhalb des betr. Ortes befindet. 8. Dezember 1881 Y/258.

I. S.

Strafbare Handlungen gegen den religiösen Frieden.

§ 162.

523

Über bett Ausschluß der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze. Strafe: Gefängnis bis zu drei Jahren. VI. Die Störung des Gräberfriedens wird gerade in den Jugendjahren der Völker mit besonders strengen Strafen belegt. Das römische Recht hat die sepulcri violatio zum selbständigen Delikt gemacht (D. 45, 12; C. 9, 19). Zahlreiche Stellen der deutschen Volksrechte beschäftigen sich mit der Störung der Toten­ ruhe,- das fränkische Recht droht dem Leichenschänder die Friedlosigkeit (wargus sit).18) Die religiöse Färbung des Totensriedens berechtigt uns, auch heute noch die Frevel an Gräbern und Leichen, trotz ihrer sich immer steigernden selbständigen Bedeutung, den Religionsdelikten anzureihen. Doch dürfen aus dieser Stellung keine Konsequenzen gezogen werden. Religiöse Weihe des Grabes ist gleichgültig. Auch der Leichnam des konfessionslosen Atheisten wird in seiner ewigen Ruhe geschützt. Das RStGB., welches dem preußischen folgt, um­ faßt in § 168 drei verschiedene Thatbestände: 1. Die unbefugte Wegnahme einer Leiche aus dem Ge­ wahrsam der dazu berechtigten Person.^) Nur ein Leichnam, dem der ewige Frieden wirklich zu teil geworden, gehört hierher; nicht aber Menschenleiber, welche, wie Mumien, an die Anatomieen verkaufte Leichen u. s. w., zum Gegen­ stände des Handelsverkehrs geworden sind. Wegnahme der letzteren kann aber als Diebstahl^) erscheinen. Die Wegnahme muß aus dem Gewahrsam des dazu Be­ rechtigten stattgefunden haben; fehlt es an einem solchen, wie bei Leichen, welche im Walde unbeerdigt vermodern oder welche der Fluß mit sich hinweggeschwemmt hat oder welche in Hünengräbern und Totenstädten gefunden werden, so ist Leichenfrevel im Sinne des § 168 ebenso unmöglich, wie wenn der Thäter selbst (z. B. der Totengräber) den Gewahrsam hat. 2. Unbefugte Zerstörung oder Beschädigung von Gräbern, d. h. denjenigen Orten, an welchen die Leiche zur Ruhe bestattet worden. 18) Oben § 7 Note 5. 19) Vgl. § 367 Ziff. 1: Geldstrafe bis zu einhundertundfünzig Mark oder Haft trifft denjenigen, welcher ohne Vorwissen der Behörde einen Leichnam beerdigt oder beiseite schafft, oder unbefugt einen Teil einer Leiche aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Personen wegnimmt. 20) Oben § 96 Note 7.

524 §

163.

Strafbare Handlungen in bezug auf den Personenstand.

3. Verübung beschimpfenden Unfuges an einem Grabe. Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren und fakultativen Ehrverlust.2l)

n.

Strafbare Handlungen gegen Personenstand und Este.

§ 163* 1. Strafbare Handlungen in bezug auf den Personenstand. *) I. Personenstand ist Voraussetzung sowie Inbegriff fämtlicher Familienrechte. Er wird begründet durch Geburt, Adoption, Legitimation und Ehe. Seine Verletzung erscheint als Verletzung und Gefährdung der Familienrechte, durch deren Integrität die ge­ samte Ordnung und Gliederung des staatlich-gesellschaftlichen Lebens bedingt ist. Danach bestimmt sich ihre Stellung im System: die Verletzung des Personenstandes ist gerichtet gegen eins der wichtigsten Rechtsgüter der Gesellschaft. II. Das römische Recht hatte nicht nur die Kindesunterschiebung (suppositio partus, und zwar als unverjährbares Delikt), sondern auch die Anmaßung des Personenstandes (asseveratio falsi nominis vel cognominis)* 2) als quasifalsa im öffentlichen Interesse unter Strafe gestellt.3) Die rein deutschen Volksrechte schweigen; ebenso die PGO. Das gemeine Recht kam über die Kindesunterschiebung kaum hinaus, und erst die neueste Gesetzgebung hat das Delikt zu seiner heutigen Gestalt entwickelt. III. Das Gesetz vom 6. Februar 1875 über die Beur­ kundung des Personenstandes und die Eheschließung bedroht im § 68 mit einer Übertretungsstrafe (Geldstrafe bis zu hundert­ fünfzig Mark oder Haft) die Verletzung der in den §§ 17—20, 22 21) Über Diebstahl aus Gräbern siehe oben § 96 Note 17; über Sach­ beschädigung an Grabdenkmälern oben § 101 III 2. *) v. Schwarze HH. III S. 275. 2) 1. 13 D. 48, 10.

3) Publice interest, partus non subjici, ut ordinum dignitas familiarumque salva sit.

Strafbare Handlungen in bezug auf den Personenstand.

§ 163.

525

bis 24, 56—58 dieses Gesetzes begründeten Anzeigepflichten. Doch tritt die Strafverfolgung nicht ein, wenn die Anzeige, obwohl nicht von den zunächst Verpflichteten, doch rechtzeitig ge­ macht worden ist: ein ganz singulärer Strafaufhebungsgrund.^) IV. Das RStGB. bedroht in § 169 die vorsätzliche Ver­ änderung oder Unterdrückung des Personenstandes eines andern, mag dieser auch gestorben seht;45) nicht aber die Ver­ änderung des eignen Personenstandes des Thäters, also die eigent­ liche Anmaßung eines fremden Personenstandes, falls diese, was freilich kaum möglich ist, den Personenstand aller übrigen un­ berührt läßt. Als besonders wichtigen Fall hebt der Gesetzgeber, der historischen Tradition folgend, die Unterschiebung oder vorsätzliche Verwechselung eines Kindes hervor, d. h. einer jugendlichen Person, welche wegen ihres Alters noch keine klare Kenntnis ihrer eignen Familienangehörigkeit hat und daher die Pläne des Thäters zu zerstören nicht im stände ist.6) Die Absicht, andere zu schädigen, ist zum Begriffe des Deliktes nicht erforderlich; wohl aber die, wenn auch nicht dauernde, Herbei­ führung eines Zustandes, die Begründung eines status, als der Grundlage der rechtlichen Stellung des Individuums, so daß also das einmalige, nur für den konkreten Fall erfolgende, Sich-Ausgeben für einen anderen nicht hierher gehört.7)8 Strafe: Gefängnis bis zu drei Jahren; wenn in gewinn­ süchtiger Absicht (Absicht, sich oder einem anderen einen rechts­ widrigen Vermögensvorteil zu verschaffen)^) begangen, Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Versuch strafbar. Die Verjährung beginnt, soweit nicht etwa ein Dauerdelikt vor4) Über die in den §§ 67 u. 69 desselben Gesetzes enthaltenen Amtsdelikte vgl. unten § 179 III. ß) Zwar ist der Verstorbene nicht mehr Rechtssubjekt; aber die Veränderung seines Personenstandes wird auch den Personenstand anderer lebender Men­ schen berühren. 6) Der Begriff des „Kindes" in § 169 ist sehr bestritten. Doch ist der Streit müßig, da es sich nur um eine beispielsweise Hervorhebung im Gesetze handelt und das Kind jedenfalls „ein andrer" ist. 7) Vgl. I. S. 7. Februar 1884 X/86. 8) Oben § 109 II, 3.

526

§ 164.

Der Ehebetrug.

liegt,d) mit der Handlung selbst, durch welche die Veränderung oder Unterdrückung des Personenstandes erfolgt.10) § 164. 2. Der Ehebetrug. I. Der Ehebetrug (auch Eheerschleichung genannt) ist in sofern mit der Veränderung des Personenstandes verwandt, als das Delikt die Herstellung eines nicht rechtsbeständigen Personenstandes zum Ziele hat. II. Der erst während der parlamentarischen Beratungen auf­ genommene § 170 RStGB. *) bedroht: 1. die arglistiges Verschweigung^) eines gesetzlichen (und zwar trennenden)^) Ehehindernisses bei Eingehung der Ehe dem andern Teile gegenüber; 2. die arglistige Verleitung des anderen Teiles zur Eheschließung mittels einer solchen Täuschung, welche den Getäuschten be­ rechtigt, 5) * 2die 3 4Gültigkeit der Ehe anzufechten. Auflösung6) der Ehe aus einem dieser Gründe ist Bedingung der Strafbarkeit. 7) 8 9 10 Antragsdelikt 8); die An tragsfrist beginnt zu laufen erst mit dem die Ehe lösenden rechtskräftigen Erkenntnisse. °) Da­ gegen läuft die Verjährungsfrist schon von dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, also von dem Tage der Ehe­ schließung. 10) 9) Oben § 56 II, 1. 10) Sehr bestritten. *) Ähnliche Bestimmungen fanden sich in zahlreichen Partikulargesetzbüchern; nicht aber im Preuß. StGB. 2) d. h. durch Vorspiegelung falscher, Unterdrückung oder Entstellung wahrer Thatsachen; vgl. oben § 109 II, 1. 3) Vorausgesetzt, daß Mitteilung erwartet werden konnte; oben § 31 III S. 116. 4) Welche Ehehindernisse trennende sind, bestimmen die Landesgesetze. ?) Wann dies der Fall, bestimmt sich nach Landesrecht. 6) Ungültigkeits- oder Nichtigkeitserklärung. 7) Oben § 42. 8) Das „nur" im 2. Abs. des § 170 hat keine weitere Bedeutung. 9) Oben § 42 Note 6. 10) Oben § 42 Note 10.

Die Doppelehe.

§ 165.

527

§ 165. 3. Die Doppelehe.*2) I. Die Doppelehe oder Bigamie erscheint als Verletzung des Ehebandes durch Mißbrauch der Eheschließungsform, mag diese eine staatlich oder kirchlich angeordnete sein. Sie wurde als selbständiges Delikt erst im späteren Mittelalter unter dem Einfluß kirchenrechtlicher Anschauungen anerkannt; dem römischen wie dem mittelalterlich deutschen Rechte ist der Begriff der Doppelehe fremd: er geht auf in dem des Ehebruches.2) Das durch diesen Umstand erklärliche Schwanken der italienischen Praktiker überträgt sich auf die Schwarzenbergschen Arbeiten; in wesentlicher Abweichung von der Bambergensis bestimmt die PGO. in Art. 121, daß die der Doppelehe Schuldigen, „wiewohl die kaiserlichen Rechte auf solche Übelthat keine Strafe am Leben setzen.. . nicht weniger als die Ehebrüchigen peinlich gestraft werden sollen". Nur mühsam be­ hauptet die Bigamie im gemeinen Rechte ihre Stellung als be­ sonderes Delikt, erst mit dem Siege des Prinzips der staatlichen Eheschließung ist ihre Stellung im Systeme bestimmt und gesichert. II. Die Bigamie wird nach geltendem Rechte (StGB. § 171) begangen durch Schließung einer Ehe von einem oder mit einem Ehegatten, bevor die frühere Ehe aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist. Vorausgesetzt ist eine den gesetzlichen Vorschriften über die Form der Eheschließung entsprechende Ehe, mag dieselbe auch ungültig oder nichtig sein. Ob beide Teile verheiratet sind oder nicht, ist begrifflich gleichgültig, doch weist die (nicht sehr ge­ lungene) Fassung des Gesetzes3) auf die alte Unterscheidung von bigamia simplex und duplex hin. Der Versuch beginnt mit dem Anfange des Eheschließungs­ aktes, so daß Verlobung, Aufgebot, Fahrt zum Standesamte u. s. w. als straflose Vorbereitungshandlungen erscheinen. Die Vollendung ist mit der vollendeten Eheschließung gegeben; Geschlechtsgemeinschaft ist nicht erforderlich. Die Bigamie ist mithin kein Dauerdelikt, sondern ein Zustandsdelikt. 4) ') Wächter, Abhandlungen 1835. Hälschner GS. XXII (1870). Wahl­ berg HR. „Bigamie". Villnow GS. XXX (1878). 2) Vgl. Bennecke, Die strafrechtliche Lehre vom Ehebruch 1884. 3) „Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht..., ingleichen eine unver­ heiratete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend, daß er verheiratet ist, eine Ehe eingeht..." 4) Oben § 56 II, 1.

528

§ 166.

Der Ehebruch.

Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden Um­ ständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die Verjährung beginnt, kraft singulärer, aus allgemeinen Grundsätzen nicht abzuleitender, daher auf andere Fälle nicht aus­ zudehnender, Vorschrift des Gesetzes erst mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist. § 166. 4. Der Ehebruch.') I. Geschichte. Erst durch die lex Julia de adulteriis vom Jahre 736 oder 737 a. u. wurde der Ehebruch dem Kreise der vom römischen Rechte mit öffentlicher Strafe belegten Delikte eingefügt.2) Im übrigen blieb der Gesetzgeber den aus der hausherrlichen Gewalt des Mannes erklärlichen Volksanschauungen treu: nur der Bruch der ehelichen Treue durch die Frau und die Störung fremder Ehe durch den Mann,3) nicht aber der geschlechtliche Verkehr des verheirateten Mannes mit einer unverheirateten Frauensperson erschien als adulterium. Die uralte Tötungsbesugnis blieb, wenn auch nur innerhalb enger Grenzen, dem Vater sowohl als auch dem Gatten erhalten. Nach Justinianeischem Rechte trifft den Ehebrecher das Schwert; die Ehebrecherin kommt ins Kloster, aus welchem sie ihr Gatte nach Ablauf von zwei Jahren befreien kann (Novelle 134). Seit Konstantin ist das Anklagerecht auf die nächsten Verwandten beschränkt. Auch nach der Auffassung des deutschen Rechtes kann der Ehebruch nur von der verheirateten Frau und ihrem Mitschuldigen begangen werden. Erst nach langem, durch vielfache Kompromisse unterbrochenem Ringen gelang es der Kirche, die Gleichstellung von Mann und Weib durchzusetzen.^) *) Wächter, Abhandlungen 1835; Hälschner GS. XXII (1870). Rosenthal, Die Rechtsfolgen des Ehebruchs nach kanon. und deutschem Recht 1880; Bennecke, Die strafrechtliche Lehre vom Ehebruch 1884. 2) D. 48, 5. C. 9, 9 Nov. 134. 3) temerator allenarum nuptiarum wird der Ehebrecher in den Quellen genannt. 4) c. 4 C. 32 qu. 4: eadem debetur a viro quae ab uxore castimonia. Vgl. darüber insbes. Bennecke a. O.

Der Ehebruch.

§ 166.

529

Die PGO. schließt sich in Art. 120 dieser Auffassung an. In bezug ans die Bestrafung verweist sie, abweichend von der Bambergensis und die lebhaften Kontroversen der Gelehrten vermeidend, einfach auf „die Sage unsrer Vorfahren und unsre kaiserlichen Rechte". Verfolgung von Amtswegen ist ausgeschlossen. Die Tötungsbefugnis wird in Art. 150 anerkannt. Die gemeinrechtliche Praxis scheute sich jedoch, die Todes­ strafe Justinians zur Anwendung zu bringen, und begnügte sich meist mit arbiträrer Ahndung. Nur bei öffentlichem Ärgernis (durch Zu­ sammenwohnen mit der Konkumbine) wurde nach den RPolizeiordnungen von Amtswegen eingeschritten. Noch milder war die Zeit der Aufklärung; sah sie doch in dem Ehebruch nur die Verletzung des aus dem Ehevertrage entspringenden rein privatrechtlichen An­ spruches auf Leistung der ehelichen Pflicht und auf ausschließlichen geschlechtlichen Verkehr. Die neuere Gesetzgebung ist bis auf wenige Ausnahmen (so Hamburg 1869) zu einer strengeren Auffassung zurückgekehrt; sie schützt die Ehe im staatlichen Interesse als die Grundlage der Familie und damit der staatlichen Gesittung, während sie gleich­ zeitig durch Aufstellung zweier Bedingungen der Strafbarkeit dem Interesse des verletzten Ehegatten an der N i ch t Verfolgung Rechnung trägt. II. Das geltende Recht. § 172 RStGB. setzt den Begriff des Ehebruches als gegeben voraus. Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird der Ehebruch nur begangen durch Beischlaf, d.h. durch die naturgemäße Vereinigung der Geschlechtsteile, während jeder andersartige, wenn auch sittlich noch so verwerfliche geschlechtliche Verkehr mit Personen des andern oder auch desselben Geschlechtes nicht als Ehebruch betrachtet werden darf.8) Ob die Vollziehung des Beischlafes auf der Willenseinigung beider Konkumbenten beruht oder nicht, ist begrifflich gleichgültig; auch durch Notzucht kann Ehebruch begangen werden. Voraussetzung des Ehebruches ist das Gegebensein einer mate­ riell bestehenden (also nicht nichtigen), wenn auch anfechtbaren (un­ gültigen) Ehe.8) 6) Anders das ALN., welches „Sodomiterei und andre unnatürliche Laster" ausdrücklich gleichgestellt hatte. 6) Sehr bestritten. non Liszt, Strafrecht.

2. Aufl.

530

§

167.

Öffentliche Sittlichkeitsdelikte.

Übersicht.

Die Vollendung tritt mit der Vereinigung der Geschlechtsteile ein; emissio oder immissio seminis darf nicht gefordert werden. Der Ehebruch ist Antragsdelikt. Doch ist die Strafbar­ keit des Ehebruchs nocki weiter bedingt durch die Scheidung der Ehe wegen des betreffenden7) Ehebruches; erst mit ihr beginnt daher der Lauf der Antragsfrist/) während die Verjährung der Strafverfolgung nach allgemeiner Regel schon mit der Begehung des Ehebruches beginnt, allerdings aber nach § 69 StGB, während der Dauer des Scheidungsverfahrens ruht. Die Strafe des Ehebruchs betrögt Gefängnis bis zu sechs Monaten.

H. Strafbare Handlungen gegen die öffentliche Sittlichkeit. § 167. Übersicht.

I. Das gesellschaftliche Rechtsgut der öffentlichen Sittlich­ keit wurde bereits oben}) bestimmt als das Interesse der Gesellschaft, daß der geschlechtliche Verkehr sich innerhalb der durch die positiv­ rechtlichen, nach Zeit und Ort wechselnden Normen gezogenen Schranken bewege. Das Rechtsgut der öffentlichen Sittlichkeit ist demnach wesentlich verschieden von dem privaten Rechtsgute der ge­ schlechtlichen Freiheit,") als dessen Träger der einzelne Staats­ angehörige erscheint; die in der modernen Gesetzgebung sich findende Gruppe der „Sittlichkeitsdelikte" muß daher bei systematischer Dar­ stellung in ihre beiden Elemente aufgelöst werden. II. Ein Blick auf die Geschichte des Strafrechts lehrt uns den Wechsel der Anschauungen in bezug auf die Behandlung der die öffentliche Sittlichkeit verletzenden Handlungen seltnen.8) Das rö­ mische Recht hat — von vereinzelten Bestimmungen abgesehen — bis in das 8. Jahrhundert der Stadt hinein die Ahndung der Ver7) 8) 1) 2) 3)

Identität unerläßlich. Vgl. über diese Kontroverse oben § 42 Note 6. § 131 I S. 438. Oben § 131 II. Vgl. insbes. Wächter, Abhandlungen 1835.

Öffentliche Sittlichkeitsdelikte.

Übersicht.

§ 167.

531

gehen gegen die Sittlichkeit der Strafgewalt des Hausvaters sowie der zensorischen Rüge überlassen. Erst als die allenthalben im Ge­ folge von Cölibat und Orbität eingerissene Sittenlosigkeit die Grund­ lagen des Staates zu zerstören drohte, stellte die wesentlich im öffentlichen Interesse erlassene lex Julia de adulteriis coercendis vom Jahre 736 a. u. (D. 48. 5; C. 9, 9) eine Anzahl von Sittlich­ keitsdelikten, und zwar adulterium, stuprum, lenocinium, incestus unter öffentliche Strafe. Als stuprum wurde der nicht gewaltsame Beischlaf des Mannes mit einer virgo vel vidua honeste vivens, nicht aber der Konkubinat oder der Verkehr mit einer meretrix erklärt. Dem früheren deutschen Mittel alt er ist der öffentliche Gesichtspunkt bei Bestrafung der Sittlichkeitsdelikte im wesentlichen fremd. Das einfache stuprum wird als Eingriff in die Mundschaft mit einer Buße an die Gewalthaber gesühnt. Auch der tiefgehende Einfluß des kanonischen Rechts, welches die Unsittlichkeit als Sünde betrachtete und in weitestem Umfange bis zu den Gedanken und Wünschen herab unter Strafe stellte, war nicht geeignet, die Interessen der Gesellschaft zur Geltung gelangen zu lassen. So erklären sich die Zustände des späteren Mittelalters mit seinen nicht bloß geduldeten, sondern anerkannten und vielfach privilegierten städtischen Frauenhäusern.4) Die PGO. bedroht, der deutschrechtlich-kanonischen Auffassung folgend, unter den Sittlichkeitsdelikten in den Artikeln 116—123 Sodomie, Inzest, Entführung, Notzucht, Ehebruch, Bigamie und Kuppelei. Ergänzend griffen die Reichsgesetze des 16. Jahrhunderts, besonders die RPolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 ein. Sie bedrohen stuprum, fornicatio, Konkubinat, Halten von Bor­ dellen u. s. w. mit Geldstrafe oder Gefängnis. Die Landesgesetzgebung des 17. und 18. Jahrhunderts erschöpft sich in zahlreichen, meist vergeblichen Strafdrohungen, während die gemeinrechtliche Praxis die strengen Strafen der PGO. durch weitgehende Einschränkungen des Thatbestandes wesentlich zu mildern bestrebt ist. Ein Rückschlag trat im Laufe des 18. Jahrhunderts unter dem Einflüsse der Aufklärungslitteratur5)6 ein, welche ihre verhängnis4) Hüllmann, Städtewesen des Mittelalters 1826 ff. IV S. 259 ff.; Schultz, Höfisches Leben zur Zeit der Minnesänger I S. 452 ff. 6) Vgl. besonders Cella, Über Verbrechen und Vergehen in Unzuchts­ fällen 1787.

532

§ 168.

Die Blutschande.

volle Ansicht, daß jedes Verbrechen die Verletzung eines subjektiven Rechts in sich schließen müsse,G) gerade auf dem Gebiete der Sittlich­ keitsdelikte folgerecht durchzuführen suchte und überdies vielfach von der durchaus unrichtigen Auffassung ausging, daß die durch den außerehelichen Geschlechtsverkehr erzielte Nachkommenschaft an körper­ licher und geistiger Tüchtigkeit die im Ehebette erzeugten „blöden und dummen Pflanzen" weit übertreffe.67)* 9 Erst allmählich gelang es der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, den richtigen Standpunkt zurückzugewinnen. Doch krankt dieselbe bis auf den heutigen Tag an der durchaus unklaren Auffassung des Begriffes der Sittlichkeit und der durch diese bedingten Zusammenwerfung zweier wesentlich verschiedener Gruppen von strafbaren Hand­ lungen. III. Von den im RStGB. bedrohten Delikten erscheinen als Verletzungen des öffentlichen Rechtsgutes der Sittlichkeit: 1. die Blutschande; 2. die widernatürliche Unzucht; 3. die Erregung eines öffentlichen Ärgernisses; 4. die Verbreitung unzüchtiger Schriften; 5. die Kuppelei. Der Konkubinats ist zwar nicht reichsrechtlich, wohl aber nach mehreren Landesrechtend) unter der Voraussetzung strafbar, daß durch fortgesetztes häusliches Zusammenleben zu öffentlichem Ärgernis Anlaß gegeben werde. Die in § 361 Zisf. 6 RStGB. enthaltene Strafdrohung gegen gewerbsmäßige Unzucht trägt lediglich sitten- und gesundheits­ polizeilichen Charakter.10) § 168.

1. Die Blutschande.

I. Blutschande (Inzest) ist die Vermischung nahe verwandten Blutes. Der Grund ihrer Strafbarkeit liegt einerseits in der durch die Blutschande notwendig herbeigeführten sittlichen Zerrüttung und 6) Oben 8 9 S. 49. 7) Vgl. Hommel, Philosophische Gedanken über das Krim.Recht 1784 S. 121 ff. b) Harburger Z. IV S. 499 mit vollständiger Zusammenstellung der in den verschiedenen deutschen und außerdeutschen Staaten geltenden Be­ stimmungen. 9) So in Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig; jetzt auch in Bayern nach dem Ges. vom 20. März 1882. 10) Vgl. unten § 190 III.

Die Blutschande.

§ 168.

533

Verwüstung des Familienlebens, anderseits in der hohen Wahr­ scheinlichkeit einer allseitigen Degenerierung der auf diesem Wege erzeugten Nachkommenschaft. Beide Erwägungen liegen so nahe, daß die Geschichte des Deliktsbegriffes, welcher so alt ist wie derjenige der Familie, fast nur in den, prinzipiell wenig bedeutsamen Schwan­ kungen in bezug auf den Umfang der für heilig erklärten Verwandt­ schaftskreise besteht. II. Das römische Recht, welches nicht den geschlechtlichen Verkehr zwischen Verwandten als solchen, sondern den Abschluß der auf denselben abzielenden Ehe unter Strafe stellte, unterschied zwischen incestus Juris gentium und Juris civilis. Ähnlich stellte das kanonische Recht dem incestus Juris divini die Blutschande nach Menschensatzung gegenüber; zugleich erweiterte es den Begriff ins Maßlose (bis zum 4. Grad kanonischer Komputation) *) und fügte überdies noch die cognatio spiritualis zur Blutsverwandtschaft hinzu. Die PGO. (Art. 117) hat durch ihre Fassung: „Item so einer Unkäusch mit seiner Stieftochter, mit seines Sohnes Eheweib oder mit seiner Stiefmutter treibt, in solchen und noch näheren Sippschaften u. s. w." — zu mancher langwierigen Streitfrage Anlaß gegeben.12) In bezug auf die Bestrafung verwies sie auf die Rechtsgelehrten, welche auf den Inzest die Ehebruchsstrafen anzu­ wenden pflegten. Die moderne Gesetzgebung suchte, ohne daß an dem Inhalt des Begriffes etwas geändert worden wäre, seinen Umfang auf das entsprechende Maß zurückzuführen. III. Nach StGB. § 173 ist Blutschande nur der Beischlaf, d. h. die naturgemäße Vereinigung der Geschlechtsteile (nicht aber andre unsittliche Handlungen) 1. zwischen ehelichen oder unehelichen Verwandten auf- und absteigender Linie; 2. zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie (mag auch die das Schwägerschaftsverhältnis begründende Ehe gelöst sein);3) 3. zwischen (vollbürtigen wie halbbürtigen) Geschwistern. 1) quia quatuor sunt humores in corpore, qui constant ex quatuor elementis. a) Gehören auch Geschwister hierher? 3) II. S. 22. April 1884 X/302.

534

§ 169.

Die widernatürliche Unzucht.

Strafe: zu 1: Zuchthaus bis zu fünf Jahren gegen die Aszen­ denten; Gefängnis bis zu zwei Jahren gegen die De­ szendenten; zu 2 und 3: Gefängnis bis zu zwei Jahren. In allen Fällen Ehrverlust fakultativ. Verwandte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben.4) § 169. 2. Die widernatürliche Unzucht.

I. Schon in der republikanischen Zeit beschäftigte sich die römische Gesetzgebung mit der wohl aus Griechenland herüber­ gedrungenen Monstrosa Venus (lex Scatinia von unbekanntem Datum). In der lex Julia wurde sie zum stuprum gerechnet, von den Kaisern mit Todesstrafe bedroht. Auch dem deutschen Mittelalter ist die widernatürliche Unzucht nicht fremd geblieben, wie die corpore infames bei Tacitus, Hinweisungen in den Volksrechten und Bestimmungen der Kapitu­ larien bezeugen. Seiner übertreibenden Strenge gegen die Fleischesdelikte getreu, erklärte das kanonische Recht, dessen Schriftsteller sich mit einem gewissen Behagen in die Erörterung der einschlagenden Detailfragen vertiefen, jede gegen die Natur erfolgende Befriedigung des Geschlechts­ triebes für verboten. Die PGO. droht in § 116 den Feuertod, „so ein Mensch mit einem Viehe, Mann mit Mann, Weib mit Weib Unkäusch treiben." In der modernen Litteratur und Gesetzgebung zeigt sich das teilweise erfolgreiche Bestreben, die widernatürliche Unzucht ganz aus dem StGB, zu verweisen oder doch den Begriff derselben wesentlich einzuschränken. Auch das Gutachten der preuß. Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen hatte sich vor der Ausarbeitung des norddeutschen Entwurfes für die Streichung des Deliktes aus­ gesprochen. **) Aber wohl mit Unrecht. Freilich die Strafdrohungen gegen Unzucht mit Tieren ließen sich um so leichter entbehren, als 4) Es liegt hier ein subjektiver (individueller) Strafausschließungsgrund in betn oben § 42 III, 3 erörterten Sinne vor. *) Ebenso neuerdings wieder Hälschner.

Öffentliches Ärgernis und Verbreitung unzüchtiger Schriften.

§ 170.

535

hier in den meisten Fällen Geistesstörungen vorliegen, und die widernatürliche Unzucht zwischen Frauen entzieht sich — trotz ihrer weiten Verbreitung in den Kreisen der Prostituierten — der gericht­ lichen Feststellung. Aber der gewerbsmäßige (passive) Päd er äst gehört zu den gemeingefährlichen Klassen der Gesellschaft, so daß Freigebung dieses Gewerbes von den bedenklichsten Folgen begleitet sein würde. Vielleicht würde die Beschränkung der Straf­ barkeit auf diesen Fall die gegen jede Bestrafung der widernatürlichen Unzucht gerichteten Bedenken entkräften und doch den Bedürfnissen der Rechtsordnung genügende Rechnung tragen. II. Nach geltendem Rechte ist bedroht (§ 175 StGB.) die widernatürliche Unzucht 1. zwischen Personen des männlichen Geschlechts (sog. sodomia ratione sexus); 2. zwischen Mensch und Tier (sodomia ratione generis). Dabei haben wir unter Unzucht nur Beischlaf und beischlafs­ ähnliche, nicht aber einfach unzüchtige Handlungen zu verstehen.2) Strafe: Gefängnis mit fakultativem Verlust der Ehren­ rechte. § 170.

3. Erregung eines öffentlichen Ärgernisses und Verbreitung unzüchtiger Schriften.

I. Das öffentliche *) Erregen eines Ärgernisses 2) (b. i. Verletzung des Sittlichkeitsgefühles) durch unzüchtige Handlungen (StGB. § 183). Als solche haben wir hier, wo es sich nicht um den Schutz der geschlechtlichen Freiheit des einzelnen, sondern um die Anschauungen und Empfindungen der Gesamtheit handelt, alle jene Handlungen zu verstehen, welche nach den herrschenden Anschauungen den sittlichen Anstand in geschlechtlicher Beziehung grob verletzen.3) Wie sehr 2) Daher scheidet wechselseitige Manustupration (Onanie) aus dem Gebiete der strafbaren Unzucht aus. So die gern. Meinung, insbes. auch die Praxis des Reichsger. *) d. h. durch eine Handlung, welche nicht nur von einem individuell be­ stimmten und begrenzten Personenkreise wahrgenommen werden konnte. 2) Vgl. oben § 162 II Noten 7 u. 8. Auch hier ist nicht „öffentliches Ärgernis" gefordert; es genügt, wenn eine Person Anstoß genommen hat, mag dies auch derjenige sein, gegen den die unzüchtige Handlung gerichtet war (I. S. 12. Juli 1880 11/196). 3) So auch im wesentl. das Reichsger.

536

§ 170.

Öffentliches Ärgernis und Verbreitung unzüchtiger Schriften.

die Richtung gegen die Gesamtheit vorherrscht, zeigt der Umstand, daß nach § 183 auch die öffentliche Vollziehung des Beischlafes zwischen Ehegatten als strafbare Verletzung der Sittlichkeit erscheinen würde. Fehlt es dagegen der Handlung an der geschlechtlichen Be­ ziehung, so kann sie trotz grober Verletzung des sittlichen Anstandes nicht als eine unzüchtige bezeichnet werden; man denke z. B. an die Entblößung des Unterleibes zum Zwecke der Verrichtung der Notdurft?) Auch mündliche Äußerungen sind unbedenklich zu den „Handlungen" im Sinne des Gesetzes zu rechnen?) Strafe: Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark; neben Gefängnis Aberkennung der Ehren­ rechte fakultativ. II. Die Verbreitung von unzüchtigen Schriften, Abbildungen, Darstellungen (StGB. § 184).46)7* 8Verbreiten setzt Zugänglichmachen für das Publikum, also für einen nicht individuell bestimmten und begrenzten Personenkreis voraus;^) das Gesetz selbst nennt „Verkaufen, Verteilen oder sonst Verbreiten.; sowie Aus­ stellen oder Anschlagen an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind". Die Schrift, Abbildung, Darstellung aber ist eine unzüchtige, wenn die Behandlung ihres Gegenstandes den Anstand in den ge­ schlechtlichen Beziehungen grob verletzt. Die Entscheidung darüber, ob dies der Fall, ob nicht durch den künstlerischen oder wissenschaftlichen Zweck der Arbeit die Verletzung der Sittlichkeit ausgeschlossen wird — kann nur im Einzelfalle aus Grund sorgfältiger Prüfung aller Thatumstände gefällt werden?) Der Charakter des Leserkreises, für welchen die Schrift bestimmt ist, wird bei der Entscheidung schwer ins Gewicht fallen. Strafe: Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten. 4) II. S. 30. Oktober 1882 VII/168. Es wird in diesen Fällen „grober Unfug" vorliegen. ö) Früher bestritten. Richtig jetzt das Reichsger. Jnsb. II. S. 30. Oktober 1882 VII/168. 6) Vgl. Binding, Unzüchtige Handlungen und unzüchtige Schriften. Gutachten des Leipziger Spruchkollegs. Z. II S. 450. — Über die sehr lehrreiche französische Gesetzgebung gegen die pornographische Litteratur s. Garraud in Z. III S. 156. 7) Das Nähere über den Begriff der Verbreitung bei v. Liszt, Preßrecht § 42. 8) Die öffentliche Ankündigung von Präservativs, Spezialitäten u. s. w. kann nach § 184 strafbar sein. Ebenso auch das Reichsger.

Die Kuppelei.

§ 171.

537

§ 171. 4 Die Kuppelei. Geschichte.

I. Der Begriff der Kuppelei, d. h. der selbständig strafbaren Unterstützung fremder Unzucht, ist erst seit der Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts zur Anerkennung/) aber auch im heutigen Rechte noch nicht zur völligen Abklärung gelangt. Das römische Recht der späteren Kaiserzeit bedrohte zwar-) die gewerbsmäßige Kuppelei, das Halten von Bordellen, als selb­ ständiges Delikt, behandelte aber das einfache lenocinium lediglich als Beihilfe zu adulterium und stuprum nach den für diese Hand­ lungen geltenden Bestimmungen, wobei der kuppelnde Ehegatte oder Vater mit besonders schwerer Strafe bedroht wurde. Dem deutschen Recht der Mittelalters ist der Begriff der Kuppelei im allgemeinen fremd geblieben; wir finden, soweit nicht die Auffassung des späteren römischen Rechts zur Anwendung kommt, lediglich polizeiliche An­ ordnungen in betreff der im übrigen anerkannten und geregelten Huren­ wirtschaft; daneben ist vielfach die Beredung Unmündiger zur Ehe­ schließung gegen den Willen der Gewalthaber als Eingriff in die Mundschaft, mithin als Familiendelikt unter Strafe gestellt. Das kanonischeRecht bemühte sich, insbesondere in den Bußordnungen, der Kuppelei entgegenzutreten, gelangte aber zu keinen festen Grund­ sätzen über Behandlung und Bestrafung derselben. Dasselbe Schwanken finden wir bei den Italienern. Erst Schwarzenberg bringt, ohne daß wir seine Quellen anzugeben im stände wären, Ordnung in das Chaos. Die PGO. unterscheidet einen schwereren und einen leichteren Fall (das leno­ cinium qualificatum und Simplex des gemeinen Rechts). Nach Art. 122 trifft denjenigen, welcher „sein Eheweib oder Kinder um einicherlei Genuß willen, wie der Namen hätte, williglich zu unkäuschen und schändlichen Werken gebrauchen läßt", Infamie und Bestrafung „vermöge gemeiner Rechten". Und in Art. 123 wird die einfache Kuppelei mit Leibesstrafe bedroht. Das gemeine Recht blieb bei dieser Auffassung stehen. Die moderne Gesetz­ gebung, auf welche der code penal wesentlichen Einfluß übte, bietet ein buntes Gemisch der verschiedenartigsten, meist kasuistisch x) Oben § 167 Note 4. 2) insbes. durch die Novelle 14.

538

§ 171.

Die Kuppelei.

gefaßten Bestimmungen, von welchen die des preuß. StGB., obwohl sie sich nicht gerade durch besondere Klarheit auszeichneten, mit gering­ fügigen Abänderungen in das Reichsrecht übergangen sind und Ver­ anlassung zu einer ganzen Reihe der schwierigsten Streitfragen ge­ geben haben. II. Begriff. Das Reichsstrafgesetzbuch definiert in § 180 die Kuppelei als die Vorschubleistung zur Unzucht durch Vermittelung oder durch Ge­ währung oder Verschaffung von Gelegenheit. Dabei haben wir als Unzucht zu betrachten: a) den außerehelichen Beischlaf überhaupt; b) die von dem Gesetze mit Strafe bedrohten beischlafs­ ähnlichen oder einfach unzüchtigen Handlungen. Förderung der widernatürlichen Unzucht zwischen Frauenspersonen würde mithin nicht als strafbare Unzucht betrachtet werden können?) Anderseits liegt keine Veranlassung vor, den Begriff auf die Be­ förderung jener Unzuchtsarten zu beschränken, bei welchen eine Mehr­ heit von Personen beteiligt ist, und die Förderung z. B. der Bestialität anzuschließen?) Die Kuppelei ist nicht als Teilnahme im Sinne des Straf­ rechts, sondern als selbständiges Delikt aufzufassen?) Denn: a) sie setzt keine strafbare Handlung, zu welcher Hilfe geleistet wird, voraus; ja gerade in weitaus der größten Mehrzahl der Fälle handelt es sich nur um Beförderung des einfachen, straflosen, außerehelichen Beischlafs; b) die Strafbarkeit der Kuppelei ist, auch wenn die unterstützte Unzuchtshandlung selbst vom Gesetze mit Strafe bedroht sein sollte, durchaus unabhängig von dem Vorliegen einer Schuld auf seiten derjenigen, welche diese Unzuchtshandlung vor­ genommen haben; c) nicht jede Hilfeleistung (z. B. Rat) zur Unzucht ist Kuppelei, sondern nur die Vermittelung, die Gewährung oder Ver­ schaffung von Gelegenheit, d. i. die Herbeiführung eines solchen Zustandes, welcher in bezug, sei es der Personen sei es der 3) Dagegen die gern. Meinung, welche Förderung auch der nichtstrafbaren Unzucht hierher rechnet. 4) wie dies Schütze u. Olshausen thun. 5) so bestimmt und konsequent auch das Reichsger. Jnsbes. III. S. 13. Mai 1882 Y1/286; I. S. 23. April 1883 VIII/236.

Die Kuppelei.

Räumlichkeiten,

539

§ 171.

der Ausübung der Unzucht günstigere Be­

dingungen bietet, als früher vorhanden waren. 6)7 8 9 10 Diese kann mithin liegen in dem Vermieten von Wohnungen an Prostituierte;^) sie liegt in dem Halten von Bordellen, und daran wird

durch

polizeiliche Konzessionierung der Bordelle nicht

das geringste geändert, so lange Reichsrecht nicht durch Landesrecht, Gesetz nicht durch Verfügung der administrativen Gewalt gebrochen werden kann?) d) Einmalige gleichzeitige Förderung mehrerer fremder Unzuchts­ akte begründet immer nur eine Handlung, mithin ein Delikt. In der mehrmaligen

Beförderung

der

Unzucht

derselben

Personen kann ein fortgesetztes Verbrechen liegen. e) Diejenigen Personen, deren Unzucht befördert werden soll, können sich nach allgemeinen Grundsätzen als Anstifter oder Gehilfen der Kuppelei schuldig machen?) f) Die Kuppelei

ist vollendet mit dem Vermitteln u. s. w.,

mag es auch zu einem Unzuchtsakte selbst nicht gekommen sein?") Auch § 181 Ziff. 2 enthält keine Ausnahme von diesem aus der Natur der Kuppelei als selbständigen Deliktes sich ergebenden Satze.") 6) So im allgem., wenn auch mit mehrfachen bedenklichen Schwankungen, das Reichsger. 7) So konstant das Reichsger. Soweit es sich dabei um Unterlassung der Wohnungskündigung handelt, kommen die allgem. Grundsätze über Unterlassungs­ delikte (oben § 31 III) zur Anwendung. Dasselbe gilt von Unterlassung der Beaufsichtigung und ähnlichen Fällen. Bedenklich III. S. 18. Oktober 1882 VII/119. 8) Im gleichen Sinne I. S. 29. Januar 1880 1/88. Damit dürfte die vor kurzem noch berühmte Kontroverse theoretisch wenigstens erledigt sein. Material über dieselbe (insbes. 10 Gutachten deutscher Juristenfakultäten) in: Das deutsche StGB, und die polizeilich konzessionirten Bordelle 1877. — Der Mangel des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit ist hier sowenig wie sonst von Belang. Gesetzliche Regelung wäre dringend wünschenswert, ist aber unter den gegebenen Verhältnissen praktisch wohl kaum durchführbar. 9) Anders die meisten. Vgl. unten § 174 Rote 10 die Kontroverse über die Strafbarkeit des Gefangenen, welcher durch Anstiftung oder Beihilfe an seiner Befreiung durch dritte Personen teilgenommen hat. 10) So gegenwärtig, gestützt auf die konstante preuß. Praxis, die gern. Meinung. Auch III. S. 15. Mai 1880 11/164. A. M. Schütze mit der herrschenden An­ sicht des späteren gemeinen Rechts. n) Vgl. unten Rote 19.

540

§ 171.

Die Kuppelei.

III. Die Arten der Kuppelei. Der Gesetzgeber hat nicht die einfache Beförderung fremder Unzucht, sondern nur gewisse schwerere Fälle derselben mit Strafe bedroht.^) Diese Fälle sind: 1. Die gewohnheitsmäßig^) oder aus Eigennutz, d. h. aus gewinnsüchtiger Absicht14) betriebene Kuppelei (StGB. § 180). Strafe: Gefängnis; Ehrverlust und Polizeiaufsicht fakultativ. 2. Die sog. qualifizierte Kuppelei des gemeinen Rechts, und zwar (StGB. § 181) a) die Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe,^) um der Unzucht Vorschub zu leisten; b) der Fall, wenn Eltern^) ihre Kinder, Vormünder ihre Pflegebefohlenen, Geistliche, Lehrer, Erzieher die von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen verkuppeln.18) In diesem letzteren Falle stellt das Gesetz mit den Worten: „wenn der Schuldige zu den Personen, mit welchen die Un­ zucht getrieben worden ist u. s. to.," eine objektive Bedingung der Strafbarkeit auf. Es muß demnach, damit überhaupt die schwere Strafe aus § 181 verhängt werden kann, zu einer Unzuchtshandlung ia) Es handelt sich dabei um innere Qualifikationen der Handlung, nicht aber um objektive Bedingungen der Strafbarkeit. Unrichtig die 1. Ausl. 13) Begriff oben § 57 I. 14) also die Absicht, sich oder einem andern einen rechtswidrigen Ver­ mögensvorteil zu verschaffen; vgl. oben § 109 II, 3. Dagegen Olshausen, der zu Unrecht jeden, auch einen nicht in Geld abschätzbaren, Vorteil hierher rechnet (z. B. die Abwendung einer Strafanzeige). 15) Sind die einzelnen Fälle teils gewohnheitsmäßig, teils aus Eigennutz geschehen, so können die beiden Gruppen untereinander in realer Konkurrenz stehen. So auch II. S. 10. November 1882 VII/229, I. S. 21. Dezember 1883 X/22. Sind dieselben Handlungen sowohl gewohnheitsmäßig als auch aus Eigennutz begangen worden, so liegt Gesetzeskonkurrenz vor. ,ö) d. h. Vorspiegelung falscher, Unterdrückung oder Entstellung wahrer Thatsachen; z. B. Verlockung unter der Vorspiegelung, der Frauensperson eine Anstellung oder einen Dienstplatz zu verschaffen u. s. w. 17) Hierher gehören auch die Adoptiv- und Pflegeeltern, sowie die Stief­ eltern; nicht aber Großeltern und Schwiegereltern. ") Verkuppelung der Ehefrau durch den Ehemann ist also im Gegensatze zum gemeinen Rechte nicht besonders hervorgehoben.

Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen.

§ 172.

541

gekommen sein.19) Dagegen tritt auch hier die Vollendung schon mit der Vorschubleistung ein. Strafbarer Versuch ist möglich, wenn die Vorschubleistung unvollendet blieb oder fehlschlug, dennoch aber eine Unzuchtshandlung erfolgte.20 Strafe: Zuchthaus bis zu fünf Jahren; Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte obligatorisch;21) Polizeiaufsicht fakultativ.

Dritter Abschnitt.

Ltrasöare Handlungen gegen die Autorität der Staatsgewalt. tz 172.

1. Gewaltsamer Eingriff in Amtshandlungen. *)

Mit erhöhtem Strafschutze umkleidet das heimische Recht die Thätigkeit seiner Beamten, als der Vollstrecker des Staatswillens. Und zwar nur seiner Beamten. Sowenig unsre Gesetzgebung den ausländischen Staat und seine Vertreter dem Jnlande gleich,) Oben ") Oben

§67 Note 2. §76 I