Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte [Reprint 2020 ed.]
 9783112379585, 9783112379578

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Berichtigungen und Nachträge
Verzeichnis der häufigsten Abkürzungen
Einleitung
Erste Periode. Die germanische Urzeit
Zweite Periode. Die fränkische Zeit
Erstes Kapitel. Die Bildung der Stammesreiche
Zweites Kapitel. Die Verfassung des fränkischen Reiches
Drittes Kapitel. Die Rechtsquellen
Viertes Kapitel. Privatrecht, Strafrecht und Gerichtsverfahren
Dritte Periode. Das Mittelalter
Einleitung
Erstes Kapitel. Das deutsche Reich und Land und seine Bewohner
Zweites Kapitel. Die Verfassung des deutschen Reiches und seiner Teile
Drittes Kapitel. Die Rechtsquellen
Viertes Kapitel. Privatrecht, Strafrecht und Gerichtsverfahren
Vierte Periode. Die Neuzeit
Erster Abschnitt. Bis zur französischen Revolution
Einleitung
Erstes Kapitel. Die allgemeinen Verhältnisse
Zweites Kapitel. Die Verfassung des Reiches und seiner Teile
Drittes Kapitel. Die Rechtsquellen
Zweiter Abschnitt. Seit der französischen Revolution
Erstes Kapitel. Verfassung und innere Reformen
Zweites Kapitel. Die Rechtsquellen
Sach- und Wortregister
Erläuterungen zu Tafel V (Karte der Gerichtsorganisation)
Tafeln

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MEINEM LIEBEN

SCHWAGER,

DEM RITTERGUTSBESITZER

PAUL

KOLBE

AUF BLESEWITZ IN POMMERN, UNTER DESSEN GASTLICHEM DACHE SO MANCHE AUFLAGE DIESES BUCHES ZUSTANDE GEKOMMEN IST, IN DANKBARER LIEBE UND FREUNDSCHAFT ZUGEEIGNET.

LEHRBUCH DER

DEUTSCHEN RECHTSGESCHICHTE VON

DR. RICHARD SCHRÖDER PROFESSOR IN HEIDELBERG

FÜNFTE, VERBESSERTE

AUFLAGE

MIT EINER ABBILDUNG IM TEXT UND FÜNF KARTEN

LEIPZIG V E R L A G VON V E I T & COMP. 1907

Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.

Vorwort. Die vorliegende fünfte Auflage dieses Buches ist immer noch weit entfernt von dem, was dem Verfasser als das Ideal eines Lehrbuches der deutschen Rechtegeschichte vorschwebt, aber als eine wesentlich verbesserte ist sie gleichwohl, und vielleicht noch mit größerem Recht als ihre Vorgängerin, zu bezeichnen. Kein einziger Abschnitt ist unverändert geblieben, namentlich die §§ 26, 43, 49 bis 51 haben umfangreiche Veränderungen erfahren, nächst ihnen besonders die §§ 11, 17, 21, 25, 27 bis 29, 31, 35, 36, 41, 42, 45, 53 bis 55, 61, 63, 66. Einehedeutende Verbesserung verdanke ich der Anregung meines Freundes F. P. BREMER: die Trennung der vierten Periode in zwei Abschnitte („Bis zur französischen Revolution" und „Seit der französischen Revolution"), wodurch eine Verschiebung und zum Teil starke Veränderung der §§ 87 bis 90 ^jetzt §§ 82 bis 85) und der §§ 82 bis 86 (jetzt §§ 86 bis 90) notwendig wurde. Das Sach- und Wortregister hat, vielfach geäußerten Wünschen entsprechend, eine erhebliche Erweiterung erfahren, wenn auch aus buchhändlerischen Rücksichten gewisse Grenzen innegehalten werden mußten. Die im Register verzeichneten Rechtswörter und sonstigen quellenmäßigen Bezeichnungen wurden durch Kursivdruck hervorgehoben. Eine abermalige Erweiterung auch des Textes (um 23 Seiten) hat sich trotz allen Bemühungen des Verfassers, nach Möglichkeit zu kürzen und Überflüssiges zu streichen, nicht vermeiden lassen, hauptsächlich wegen des außerordentlichen Anwachsens der Literatur. Die (leider noch nicht vollkommen durchgeführte) alphabetische Anordnung der Literaturverzeichnisse wird die Übersicht erleichtern. Daß der Verfasser die zweite Auflage von BRÜNNEB s deutscher Rechtsgeschichte nicht mehr hat berücksichtigen können, ist tief zu beklagen, wenn auch ein gewisser Trost darin gefunden werden mag, daß die beiden neben- und unabhängig voneinander gedruckten Werke in allen wesentlichen Ergebnissen eine erfreuliche Übereinstimmung zeigen. Bei den immer wiederkehrenden Versuchen einiger Forscher, alle bisherigen Feststellungen umzustoßen und durch eigene Einfälle zu ersetzen, mag

VI

Vorwort.

ein solches Zusammengehen der Alten nicht ohne Wert sein. Leider hat der Verfasser, da der Druck dieses Werkes schon im Frühjahr 1906 begonnen wurde, auch die übrige seitdem erschienene Literatur nicht mehr, oder nur noch zu gelegentlichen Notizen verwenden können. So haben u. a. die wertvollen Untersuchungen von FEHB und JÄKEL nur noch in einzelnen Punkten Berücksichtigung gefunden, während die Arbeit von KÖNIGES über die Sendgerichte in Deutschland und manche andere treffliche Publikation überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Besonderen Dank schuldet der Verfasser seinen Hilfsarbeitern bei dem Wörterbuch der deutschen Rechtssprache, DB. EBEBHABD VON KÜNSSBEBG, DB. LEOPOLD PEBELS und DE., GUSTAV WAHL. Der Erstgenannte hat die mühsame Arbeit der Revision und Umgestaltung des Registers auf sich genommen und trefflich durchgeführt, während die beiden anderen bei der Korrektur und bei so manchen Literaturangaben erwünschte Hilfe geleistet haben. H e i d e l b e r g , im September 1907.

Der Verfasser.

I n h a l t . Seite

Einleitung § 1. Die Aufgabe und die Perioden § 2. Literatur und Hilfsmittel

1 1 2

Erste Periode.

Die germanische Urzeit. § § § § § § § § § § §

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Die Die Die Das Die Die Die Das Das Das Das

Zustände der Germanen im allgemeinen staatliche Gliederung der Völkerschaften Landesgemeinde und das Königtum Beamtentum und das Gefolge Heerverfassung Gerichtsverfassung Stände Grundeigentum Privatrecht Strafrecht Gerichtsverfahren

11 16 22 28 37 41 47 . 5 3 60 74 84

Zweite Periode.

Die fränkische Zeit. Erstes Kapitel. D i e B i l d u n g d e r S t a m m e s r e i c h e . § 14. Die Bildung germanischer Reiche § 15. Die Gründung und Ausbreitung des fränkischen Reiches . . § 16. Die Stellung der Römer in den germanischen Reichen . . . Zweites Kapitel. D i e V e r f a s s u n g d e s f r ä n k i s c h e n R e i c h e s . § 17. Das Königtum § 18. Die staatliche Gliederung des fränkischen Reiches § 19. Die öffentlichen Beamten § 20. Der königliche Hof § 21. Die Kirche § 22. Der Reichstag § 23. Das Heerwesen § 24. Die Entstehung des Lehnwesens 1. Die Vassallität 162. — 2. Das Benefizialwesen 166. — 3. Die Verbindung der Vassallität mit dem Benefizialwesen 169. § 25. Die Gerichtsverfassung 1. Die ordentlichen Gerichte 170. — 2. Das Königsgericht 179. — 3. Herrschaftliche und Immunitäts-Gerichte 183. — 4. Die kirchliche Gerichtsbarkeit 186. § 26. Das Finanzwesen § 27. Die Immunitäten § 28. Das Grundeigentum . § 29. Die Stände

92 97 102 107 122 128 140 145 153 157 162 170

190 207 211 224

VIII

Inhalt

Drittes Kapitel. D i e R e c h t s q u e l l e n . § 30. Die Rechtsbildung im allgemeinen § 31. Die Volksrechte und die Leges Romanae 1. Die Gesetze der Westgoten 243. — 2. Die ostgotischen Gesetze 247. — 3. Die burgundischen Gesetze 248. — 4. Die Lex Salica 249. — 5. Die Lex Ribuaria 253. — 6. Die langobardischen Gesetze 254. — 7. Die Lex Alainannorum 257. — 8. Die Lex Baiuwariorum 258. — 9. Die Lex Saxonum 260. — 10. Die Lex Angliorum et Werinorum 261. — 11. Die Lex Frisionum 261. — 12. Die Lex Francorum Chamavorum 263. — 13. Die Capitula Remedii und Lex Rom. Curiensis 264. — Die angelsächsischen Gesetze 265. § 32. Die fränkischen Reichsgesetze § 33. Die Urkunden § 34. Die Formelsammlungen und die übrige juristische Literatur . Viertes Kapitel. P r i v a t r e c h t , S t r a f r e c h t u n d G e r i c h t s v e r f a h r e n . § 35. Das Privatrecht 1. Rechts- und Handlungsfähigkeit 282. — 2. Sachenrecht 285. — 3. Die Schuldverhältnisse 300. — 4. Familienrecht 309. — 5. Erbrecht 336. § 36. Das Strafrecht • 1. Das Strafensystem 349. — 2. Zurechnung und Zumessung 357. — 3. Einzelne Verbrechen 363. § 37. Das Gerichtsverfahren 1. Übersicht 369. — 2. Das ordentliche Verfahren 371. — 3. Ungehorsamsverfahren 383. — 4. Verfahren bei handhafter Tat 385. — 5. Verfahren mit Anfang (Dritthandverfahren) 385.— 6. Betreibungsverfahren 390. — 7. Immobiliarprozeß 391. — 8. Rügeverfahren 392. — 9. Verfahren im Königsgericht 393.

Seite

238 243

266 273 276 281

349 368

Dritte Periode.

Das Mittelalter. Erstes Kapitel. D a s d e u t s c h e R e i c h u n d L a n d u n d s e i n e B e w o h n e r . § 38. Das deutsche Reich § 39. Die staatliche Gliederung des Reiches § 40. Das Lehnwesen Allgemeiner Charakter des Lehnwesens 407. — Lehnsfähigkeit 407. — Heerschildordnung 408. — Gegenstand der Verleihung 410. — Belehnung 411. — Lehnserneuerung 413. — Belehnung zur gesamten Hand 414. — Lehn mit Gedinge 415. — Lehnspflichten 418. — Rechte des Mannes 418. — Vererbung 420. — Regalienrecht 427. — Spolienrecht 428. — Heimfall 429. — Lehnentziehung 429. § 41. Das Grundeigentum § 42. Die Stände 1. Der Herrenstand 445. — 2. Die Dienstmannen und Ritter 447. — 3. Der Ritterstand 455. — 4. Die Gemeinfreien 458. — 5. Die Grundhörigen 464. — 6. Die Leibeigenen 466. — 7. Die Ebenbürtigkeit 471. — 8. Die Juden 476. Zweites Kapitel. D i e V e r f a s s u n g d e s d e u t s c h e n R e i c h e s u n d s e i n e r Teile. § 43. Der König § 44. Der königliche Hof § 45. Die Fürsten und Reichsbeamten

397 401 406

430 444

480 496 503

Iubalt.

IX Seite

§ 46. Der Reichstag § 47. Das Heerwesen § 48. Das Finanzwesen Reichs- und Hausgut 532. — Reichskirchengut 532. — Münzwesen 536. — Zölle 539. — Märkte 540. — Geleite, Heimfallsrecht 541. — Gerichtsgefälle 542. — Vermögenseinziehung, Bannbußen, Krongüter 543. — Bodenregal, Landrecht, Grafenschatz 544. — Strandregal, Stromregal, Straßen 545. — Jagd 547. — Fischerei, Bannrechte, Berg- und Salzregal 549. — Schätze, Tribute, Jahresgeschenke, Servitiumregium, Investiturabgaben, Judenschatz 553. — Reichssteuern 555. — Verwendung der Reichseinnahmen 555. § 49. Die Gerichtsverfassung 1. Reichshofgericht 558. Austräge 564. Kammergericht 565. — 2. Die Landfriedensgerichte 566. — 3. Die Landgerichte 569. — 4. Reichsvogteien und andere hohe Vogteien 577. — 5. Die Gerichtsorganisation in den Marken 580. — 6. Die Bannleihe 582. — 7. Königliche Landgerichte 586. — 8. Die Femgerichte 588. — 9. Lehns- und Dienstgerichte 595. — 10. Die geistlichen Gerichte 596. § 50. Die Territorien 1. Entwicklung der Landeshoheit 600. — 2. Inhalt der Landeshoheit 606. — Die Organe der Zentral Verwaltung 611. — 4. Die Gerichtsverfassung 613. — 5. Die niedere Verwaltungsorganisation 622. — Landessteuern und Landstände 626. §51. Die Städte Drittes Kapitel. D i e R e c h t s q u e l l e n . § 52. Die Rechtsbildung im allgemeinen § 53. Die Reichsgesetze § 54. Die Rechtsbücher § 55. Die Landrechte und Landesgesetze § 56. Die Stadtrechte §57. Die Lehn- und Dienstrechte § 58. Die ländlichen Rechtsquellen . . . . § 59. Die Urkunden § 60. Die Formelbücher und die sonstige Rechtsliteratur Viertes Kapitel. P r i v a t r e c h t , S t r a f r e c h t u n d G e r i c h t s v e r f a h r e n . § 61. Das Privatrecht 1. Rechts- und Handlungsfähigkeit 727. — 2. Das Sachenrecht 728. — 3. Schuldverhältnisse 748. — 4. Familienrecht 752. — 5. Das Erbrecht 768. § 62. Das Strafrecht . . . § 63. Das Gerichtsverfahreu

51» 524 531

557

599

632 663 667 674 688 694 711 713 716 723 726

776 785

Vierte Periode. Die Erster Abschnitt.

Neuzeit,

Bis zur französischen Revolution.

Erstes Kapitel. D i e a l l g e m e i n e n V e r h ä l t n i s s e . § 64. Das Reichsgebiet § 65. Die Reichsreform § 66. Die Rezeption der fremden Rechte

800 803 805

X

Inhalt. Seite

§ 67. Das Lehnwesen und das Grundeigentum 1. Das Lehnwesen 816. — 2. Grundeigentum 819. § 68. Die Stände und die Konfessionen Zweites Kapitel. D i e V e r f a s s u n g des R e i c h e s u n d s e i n e r Teile. § 69. Der Kaiser § 70. Die Reichshof beamten § 71. Die Kurfürsten § 72. Der Reichstag und die Reichsgesetzgebung § 73. Die Reichskreise und das Reichsregiment § 74. Die Reichsgerichte § 75. Das Reichsheerwesen § 76. Das Reichsfinanzwesen § 77. Das Reichspolizeiwesen § 78. Die Territorien 1. Übersicht 862. — 2. Die Hausgesetze 864. — 3. Der Inhalt der landesherrlichen Gewalt 865. — 4. Verhältnis zum Reiche 868. — 5. Die Landstände 871. — 6. Das Heerwesen 874. — 7. Das Gerichtswesen 877. — 8. Das Finanzwesen und die Verwaltungsorganisation 880. § 79. Die Städte § 80. Die Reichsritterschaft und die Reichsdörfer § 81. Der Niedergang des Reiches Drittes Kapitel. D i e R e c h t s q u e l l e n . § 82. Die juristische Literatur • § 83. Die Reichsgesetze . . . . § 84. Die Landesgesetzgebung . § 85. Die Stadtrechte

815 824 832 833 837 839 844 848 853 856 857 860

884 887 889 891 894 897 901

Zweiter Abschnitt. Seit der französischen Revolution. Erstes Kapitel. V e r f a s s u n g und i n n e r e Reformen. § 86. Die Auflösung des Reiches und die Zeit des Rheinbundes . . 903 § 87. Die Verfassung des Deutgehen Bundes 909 § 88. Reformbestrebungen im Bunde und den Bundesstaaten bis 1848 916 924 § 89. Der Deutsche Bund von 1848 bis 1866 § 90. Der Norddeutsche Bund u. die Errichtung des Deutschen Reiches 930 Zweites Kapitel. D i e R e c h t s q u e l l e n . § 91. Die Landesgesetzgebung . . 936 § 92. Bundes- und Reichsgesetze von 1867 bis 1900 . . 939 Sach- und Wortregister 942 Erläuterungen zu Tafel V (Karte der Gerichtsorganisation) . .1015

Berichtigungen und Nachträge. S.

1 Z. 2 v. u. HIRT I n d o g e r m a n e n ,

S. S. S. S.

2 3 6 7

S. 10 S. 26 S. 32 8. S.

2 Bde

1905—6.



Z. 4 v. u. SCHRÄDER

Sprachvergl. u. Ur-G. 1 3. 1906. Z. 2 v. u. 1906 st. I. 1905. Z. 8 v. u. Mittelalter 3 , 2 Bde 1897. Z. 3 over den st. over det. Z. 22 Toulouse 1895 (Thèse de Paris). — Z . 31 ARNHEIM, 3 Bde 1899—1907. — Z. 4 v . u . history 8 1895. — Z. 5 v . u . of England I e . 1897. 2*. 3 5 . 1896. — Z. 10 v. u. BIRCH Cart. Sax., 3 Bde 1885—93, dazu Index Saxonicus 1899. Z. 7 V/B. 8 1906. — Z. 18 and st. an. Z. 7 ßeoden. Z. 8 v. u. Gegen BODEN vgl. AMIRA, Hist. VJSchr. 1906 S. 527 ff.

4 4 Z . 2 0 V. U. SCHMELLER St. SCHMOLLER. 7 4 Z. 1 8 LÖFFLEB.

S. 91 Z. 14 1. 4 Bde, 1885—1902. — Z. 15 st. in Aussicht 1. 1906. S. 119 Z. 15 (Gesetz oder Gewohnheitsrecht) verbot. S. 154 Z. 12 v. u. widerfahrenen. S . 1 6 8 Z . 9 v . u . WERUINQHOFF —

INAMA-STERNEQQ.

S. 170 Z. 23 v. u. carolingiens. S. 172 n. 9 i s t a u s g e f a l l e n : BRUNNER 2, 218.

S. S. S. S. S.

205 237 246 286 304

Z. Z. Z. Z. Z.

9 v. u. § 27 n. 6. 6 v. u. 213 st. 283. 7 v. u. Aquitanien. 16 v. u. udvikling. 4 v. u. triuwa.

S . 4 3 2 Z . 1 2 v . u . TZSCHOPPE.

S. 487 Z. 20 v. u. Lehnr. 8. S. 557 Z. 21 1. 1, 1—154. S. 635 Z. 2 ausgefallen: Emmerich: 1904.

SCHDÉ Einwanderung in E . , Festg. f. Finkc

S . 6 4 0 Z . 1 8 v . u . GFRÖRER.

S. 651 Z. 1 v. u.

ganzen.

S . 6 5 4 n . 7 5 SCHDÉ.

S. 663 n. 1. S. 670. 673. 679. 684n. 686. 689. S. 670 n. 8: Es sucht einen ewigen Landfrieden. S . 6 7 1 Z . 9 v . u . ALTMANN u . BERNHEIM 3 S . 2 5 9 . S . 7 3 2 Z . 1 5 v . u . GIERKE. S . 7 7 6 Z . 1 8 v . u . PFENNINGE«.

S. 802 Z. 1 st. Nassau 1. Nassow. S. 829 n. 15 ausgefallen: Graf KRASINSKI Geschichtl. Darstellung verhältnisse in Polen, 2 Bde 1898. S. 943 Z. 2 4 Sp. 1 st. 456, w 1. 4 5 5 , «3.

der

Bauern-

Verzeichnis der häufigsten Abkürzungen. AMIRA2: Grundriß des germanischen Rechts* 1897. — Archiv S.N.Archiv. — Grundz. 2 : Grandzüge der deutschen Rechtsgeschichte 2 1903; R G . : Deutsche Rechtsgeschichte I. II. — DA.: Deutsche Altertümer. — DG.: Deutsche Geschichte. — F D G . : Forschungen zur deutschen Geschichte. — G.: Geschichte. — G G A . : Göttingische gelehrte Anzeigen. — G I E R K E Unters. : Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, her. v. Otto Gierke. — GRIMM RA. : Deutsche Rechtsaltertümer (Seitenzahlen nach den älteren Auflagen, da diese auch iu der 4. Auflage angegeben sind). — Hist. VJSchr. : Historische Vierteljahrsschrift, Neue Folge der Z. f. G W . — Hist. Z.: Historische Zeitschrift. — H W B . : Handwörterbuch.— J B . , J B B . : Jahrbuch, Jahrbücher.— INAMA W G . : Deutsche Wirtschaftsgeschichte. — J R A . : Jüngster Reichsabschied. — Kr. VJSchr.: Kritische VJSchr. f. R W . — L I E B E R MANN : Gesetze der Angelsachsen I. II. — MG. : Monumenta Germaniae. — Mitt. d. öst. Inst. : Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. — MÖLLENHOFF = MÖLLENHOFF DA. — N. Archiv (bezw. Archiv): Neues Archiv (bezw. Archiv) der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde. — N. Revue : Nouvelle Revue de droit français et étranger. — OStR. : Oberrheinische Stadtrechte, her. v. d. Badischen Historischen Kommission. — RA.: Reichsabschied (siehe aber auch GBIMM RA.). — RHR.: Reichshofrat. — R K G . : Reichskammergericht. — R K G . O . : Reichskammergerichts-Ordnung. — ROTH B W . : Benefizialwesen. — R W . : Rechtswissenschaft. — S B . : Sitzungsberichte der philos.-historischen Klassen der Akademien. — SCHMOLLER Forsch.: Staats- u. sozialwissenschaftliche Forschungen. — SOHM R.- u. GV.: Reichs- und Gerichtsverfassung. — VJSchr.: Vierteljahrsschrift. — VJSchr. f. Soz.-G. : für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. — W G . = Wirtschaftsgeschichte. — W L . = Wirtschaftsleben. — Z. = Zeitschrift. — ZDA. : Z. für deutsches Altertum. — ZDR.: Z. für deutsches Recht. — Z. f. G W . : Z. für Geschichtswissenschaft. — Z. f. g. R W . : " Z. für geschichtliche Rechtswissenschaft. — Z. f. HR.: Z. für Handelsrecht. — Z. f. Soz. u. W G . Z. für Sozial- und Wirtschaftegeschichte. — ZGO.: Z. für die ^Geschichte des Oberrheins. — ZRG.: Z. für Rechtsgeschichte (Band 1—13) und Z. der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, germanistische Abteilung (von Band 14 an). afrk.: altfränkisch. — afirs.: altfriesisch. — ags.: angelsächsisch. — ahd.: althochdeutsch. — an.: altnordisch. — as.: altsächsisch. — lang.: langobardisch. — mhd: mittelhochdeutsch. — mnd.: mittelniederdeutsch. — pg. : die mit römischen Ziffern bezeichneten Seitenzahlen. BRUNNER

Einleitung. § I. Die Aufgabe und die Perioden. EG. I . §§1, 2, 5. AMIRA Grundriß2 lff.; Zweck und Mittel der germanischen Rechtsgeschichte 1 8 7 6 . SOHM Fränkisches Recht und römisches Recht 1880 (ZRG. XIV). ROTH Die rechtsgeschichtlichen Forschungen seit Eichhorn (ebd. I). EICHHORN Das geschichtliche Studium des deutschen Rechts (Z. f. g. RW. I). BRÜNNER

Innerhalb des indogermanischen Sprachstammes bilden die Germanen mit den Letto-Slawen, Kelten, Italikern, Albanesen, Griechen und Armeniern eine engere Gruppe, die als westarische der ostarischen oder schlechthin arischen Gruppe (Indier und Eranier) gegenübergestellt wird. Die Kultur- und Rechtszustände dieser Nationen in der Zeit vor ihrer Sonderung zu erforschen ist die Aufgabe der vergleichenden Sprachwissenschaft und der vergleichenden Rechtswissenschaft1. Die deutsche Rechtsgeschichte beginnt um die Mitte des ersten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung, wo durch Casars Eroberung Galliens die antike Kulturwelt bis unmittelbar an die Grenze Germaniens vorgeschoben, ein Teil der Germanen bereits in den Machtbereich Roms hineingezogen wurde. Die erste P e r i o d e umfaßt die Urzeit bis zur Gründung der germanischen Reiche auf römischem Boden. Sie hat es außer mit den Südgermanen auch mit den Skandinaviern oder Nordgermanen zu tun, deren Rechtsaufzeichnungen zwar einer erheblich späteren Zeit und vielfach entwickelteren Kultur1 Die vergleichende Rechtswissenschaft gehört nur, soweit sie sich auf das indogermanische Gebiet bezieht, in den Bereich der deutschen Rechtsgeschichte, darüber hinaus in den Bereich der Ethnologie und ethnologischen Rechtswissenschaft. Hauptorgan in Deutschland die Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (seit 1 8 7 8 ) , her. von BERNHÖFT, COHN und KOHLEB, auch die Revue de droit français et étranger bewegt sich zum Teil auf gleichem Gebiete. Unter den monographischen Arbeiten dieser rüstig aufstrebenden Wissenschaft sind namentlich die von BEBNHÖFT, DARODN, DARESTE, B. DELBRÜCK, JOLLY, EAFRAS, KÖHLER, LAVELEYE, LEIST, MAINE und P O S T auch für die germanische Rechtsgeschichte bedeutsam. Vgl. noch L E I S T , Altarisches ius gentium 1 8 8 9 ; Altarisches ius civile 1 8 9 2 — 1 8 9 6 . JHERING Vorgeschichte der Europäer 1 8 9 4 . WILUTZKY Vorgeschichte des Rechts, 3 Bde 1 9 0 3 . O . SCHRÄDER Sprachvergleichung u. Urgeschichte', 1 8 9 0 ; Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde 1 9 0 1 . LAMBERT La fonction du droit civil comparé I 1 9 0 3 . H I R T Indogermanen I 1 9 0 5 . G- COHN Die Gesetze Hammurabis 1903.

R. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte.

5. Aufl.

1

Einleitung.

2

stufe angehören, mit entsprechender Vorsicht aber zu den wichtigsten Rückschlüssen für die germanische Urzeit benutzt werden können. Die zweite Periode, ton der Gründung bis zur Auflösung des fränkischen Reiches, beschäftigt sich ausschließlich mit den deutschen (westgermanischen) Stämmen und dem Teil der Ostgermanen, der sich infolge seiner geographischen Lage der gleichen Entwickelung angeschlossen hat. Das Recht und der Staat der Frauken tritt in den Vordergrund. Die dritte Periode, von der Teilung des fränkischen Reiches bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, beschränkt sich auf das deutsche Reich, dessen Rechtseinrichtungen vielfach ein siegreiches Vordringen des fränkischen Rechts erkennen lassen. Die rechtlichen Zustände Frankreichs, Englands (seit der normannischen Eroberung) und wohl auch Spaniens beruhen vorwiegend auf den Grundlagen des fränkischen Rechts. Französische, englische, spanische und italienische Rechtsgeschichte sind die wichtigsten Hilfsmittel für die deutsche Rechtsgeschichte des Mittelalters. Die vierte P e r i o d e , die Neuzeit, beginnt mit der Einsetzung des Reichskammergerichts, der Beseitigung des Fehderechts durch den ewigen Landfrieden, den mannigfachen Reformbestrebungen auf dem Gebiete der Reichsverfassung. Die Rezeption des römischen Rechts, wie es aus der italienischlombardischen Jurisprudenz und der kanonistischen Doktrin und Praxis hervorgeht, führt auf allen Gebieten des Rechts zu neuen Gestaltungen. Diese Periode zerfällt in zwei Abschnitte (erstens bis zur französischen Revolution, zweitens seit der französischen Revolution) und schließt mit der Errichtung des Deutschen Reiches, der Einsetzung des Reichsgerichts und den auf die Herstellung der Rechtseinheit gerichteten Gesetzen. Im Gegensatz zu der Methode der alten Staats- und Rechtsgeschichte ist die politische Geschichte nur so weit in Betracht zu ziehen, als sie zur Erklärung der Rechtsentwickelung unentbehrlich ist. Dagegen haben die in der Rechtsgeschichte oft zu sehr vernachlässigten wirtschaftlichen Verhältnisse eine größere Berücksichtigung zu J beanspruchen. Die Darstellung jeder einzelnen Periode beginnt mit den allgemeinen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundlagen, dann folgen Verfassung und Rechtsquellen. In den drei ersten Perioden schließt sich an die letzteren die besondere Darstellung des Privat- und Strafrechts sowie des Gerichtsverfahrens an, dagegen fällt diese in der vierten Periode weg, weil nur die Umbildungen der rezipierten fremden Rechte, aber nicht diese selbst in ein Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte gehören. § 2.

Literatur und Hilfsmittel.

Die besonderen Quellen nebst der einschlägigen Literatur sind je an ihrer Stelle anzuführen, hier nur was eine allgemeine Bedeutung hat. Eine vortreffliche Übersicht bei D A H L M A N N - W A I T Z , Quellenkunde der deutschen Geschichte7, her. von BBANDENBURG, I. 1905. Vgl. auch COSTA Bibliographie der deutschen RG., 1858.

§ 2. Literatur und Hilfsmittel.

3

I. Deutsche Bechtsgeschichte (vgl. A M I R A 2 TO). Über die ältere Literatur vgl. § 82. K. F. EICHHORN Deutsehe Staats- u. Rechtsgeschichte s, 4 Bde 1843—44. 2 BRÜNNER Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte , 1903 (im wesentlichen auch 8 bei HOLTZENDORFF-KOHLEB Encyklopädie der RW. I 171 ff.); Deutsche Rechtsgeschichte I 2 1906. I I 1892 (vgl. AMIRA GGA. 1888 Nr. 2. 1896 Nr. 3. HERTZBERG Tidsskrift for Retsvidenskab 4, 385 ff. 5, lff. SCHRÖDER Hist. Z. 65, 301 ff. 78, 193ff. 79, 224ff. STÜTZ, Z. f. Schweiz. R., NF. 14, 178ff.). v. DANIELS Handbuch d. deutsch. Reichs- u. Staaten-Rechtsgeschichte, 4 Bde 1859—63 (unvollendet). 4 a ZÖPFL Deutsche Staats- u. RG. 1871—72. W A L T E R Deutsche RG. 1857. Kürzere 3 6 4 Lehrbücher: SIEGEL 1895. SCHULTE 1892. P H I L L I P S 1859. E . WINKELMANN, Allgemeine Verfassungsgeschichte her. v. A. WINKELMANN 1901. — Grundrisse: STENZEL 1832. H. 0. LEHMANN in BIRKMETERS Encyklopädie der Rechtswissenschaft S. 197 ff. GENGLER 1849—50 (unvollendet). FROMMHOLD 1894 (mit Quellenauszügen). Vorzüglich: v. AMIRA Grundriß des germanischen Rechts', 1897 (der Text auch in 2 P A U L S Grundriß der germanischen Philologie 3, 51—222). WAITH Deutsche Verfassungsgeschichte I* (Verfassung des deutschen Volkes in ältester Zeit) 1880; II 3 1882, III 8 1883, IV 2 1885 (Verfassung des fränkischen Reichs I—III); V—VIII (Deutsche Reichsverfassung von der Mitte des 2 9 . bis zur Mitte des 1 2 . Jahrhunderts, I—IV) 1 8 7 4 — 7 8 , V her. v. ZEUMER 1 8 9 3 , VI 9 her. v. SEELIGER 1 8 9 6 . Dazu: Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte im 1 1 . u. 1 2 . Jahrhundert 2 1 8 8 6 ; W A I T Z Abhandlungen zur deutschen Verfassungsund Rechtsgeschichte, her. v. ZEUMER 1 8 9 6 . A. HEUSLER Deutsche Verfassungsgeschichte 1 9 0 5 . BRUNNER Forschungen zur Geschichte des deutschen u. französischen Rechts 1 8 9 4 . J. FICKER Untersuchungen zur Rechtsgeschichte (a. u. d. T . : Untersuchungen zur Erbenfolge der ostgerman. Rechte), I—VI 1 , 1 8 8 1 — 1 9 0 4 ( v g l . AMIRA GGA. 1 8 9 2 S . 2 6 9 ff.). GIERKE Das deutsche Genossenschaftsrecht, 3 Bde 1 8 6 8 — 8 1 . BETHMANN-HOLLWEO German.-roman. Zivilprozeß im Mittelalter, 3 Bde 1 8 6 8 — 7 4 . K. LEHMANN Rezeptionen germanischer Rechte, Rost. Rektor.-Rede 1 9 0 5 . J. GRIMM Deutsche Rechtsaltertümer 1 8 2 8 (neue Abdrücke 1 8 5 4 , 1 8 8 1 , vgl. HOMEYER Berlin. JBB. f. wiss. Kritik 1 8 3 0 Nr. 6 5 — 7 0 ) , 4 . vermehrte Auflage her. von HEUSLER U. HÜBNER, 2 Bde 1 8 9 9 . NOORDEWIER Nederduitsche Regtsoudheden 1853. ZÖPFL Altertümer d. deutschen Reichs und Rechts, 3 Bde 1 8 6 0 — 6 1 . OSENBRÜGGEN Deutsche Rechtsaltertümer aus der Schweiz 1 8 5 8 — 5 9 (größtenteils in den „Studien" wiederholt); Studien z. deutsch, u. Schweiz. RG. 1868; Rechtsaltertümer aus Österreich. Pantaidingen (Wiener SB. 4 1 ) . SPANGENBEBG Beiträge z. d. teutschen Rechten des MA. 1822; Beiträge z. K. d. teutsch. Rechtsaltertümer u. Rechtsquellen 1 8 2 4 . GRUPEN Deutsche Altertümer z. Erläuter. d. sächs. u. schwäb. Landu. Lehnrechts 1746; Observationes rerum et antiquitatum Germ, et Rom. 1763. 2 PUFENDORF Observationes iuris universi (mit Appendix variorum statutorum et iurium), 4 Bde 1 7 5 7 — 7 0 . D R E T E R Sammlung vermischter Abhandlungen z. Erläuter. d. teutsch. Rechte u. Altertümer, 3 Teile 1 7 5 4 — 6 3 ; Zur Erläuterung d. teutsch. Rechte usw. angewandte Nebenstunden 1768; Beiträge z. Literatur u. Geschichte d. teutsch. Rechts 1 7 8 3 . STBUBEN Nebenstunden, 6 Teile 1 7 8 9 . W I G A N D Wetzlarsche Beiträge, 3 Bde 1 8 4 0 — 5 1 ; Denkwürdigkeiten a. d. Archive d. Reichskammergerichts 1854; Denkwürdige Beiträge f. Gesch. u. Rechtsaltertümer 1858. DALWIGK U. FALCK Eranien z. deutsch. Privatrecht 1 8 2 5 — 2 8 . GIERKE Untersuchungen z. deutsch. Staats- u. Rechtsgeschichte, seit 1 8 7 8 . D A H N Bausteine, 6 Bde 1 8 7 9 — 8 4 . 4 WEINHOLD Die deutschen Frauen in dem Mittelalter , 2 Bde 1 8 8 2 . LABOULAYE, La condition civile et politique des femmes 1842. J. GRIMM Von der Poesie im Recht (Z. f. g. RW. 2, 25—99). GIERKE Der Humor im deutschen Recht2 1886 (vgl. LIEBRECHT Z. f. deutsch. Phil. 6, 137ff.). REYSCHEB Beiträge z. K . des deutschen Rechte 1883. FRENSDOBFF Recht und Rede (Hist. Aufsätze f. W A I T Z 1886 S . 433—490). KÖHLER Germanische Altertümer im Beovulf (Germania 13, 129 ff). VILMAR Deutsche Altertümer im Heliand 2 1862. LAGENPUSCH Das germanische Recht im Heliand 1894 (GIERKF. Unters. 46). 1*

4

Einleitung.

R. SCHRÖDER Beiträge z. K. des deutschen Rechts aus deutschen Dichtern, ZDA. 13, 139ff.; Corpus iuris Germanici poëticum, Z. f. deutsch. Phil. 1, 257ff. 2,302ff.; Beitrüge z. deutsch. RG. a. d. Dichtungen Konrads von Würzburg, ZRG. 7, 131 ff. DREYER Abhandl. v. d. Nutzen des Gedichts Reinke de Vos in Erklärung der teutsch. Rechtsaltertümer (Nebenstunden 1—256). BÖHLAU Rechtsgeschichtliches aus Reineke Fuchs (N. Mitteil. d. thür.-sächs. Ver. 9 , 2 S. 77ff.). JACOBI Rechtsu. Hausaltertümer in Hartmanns Erec., Gött. Diss. 1903. GENQLEE Rechtsaltertümer im Nibelungenlied 1861; Ein Blic£ a. d. Rechtsleben Baierns unter Herzog Otto I. 1880; Aeneas Sylvius in seiner Bedeutung f. d. deutsche RG. 1860. HÄBERLIN Systemat. Bearbeitung der in Meichelbecks Hist. Frising. enthaltenen Urkundensammlung 1842. FRANKLIN Die freien Herren und Grafen von Zimmern, Beitrage z. RG. nach d. Zimmerischen Chronik 1884. STOBBE Geschichte der deutschen Rechtsquellen, 2 Bde 1860—64. HEUSLER Institutionen d. deutsch. Privatrechts, 2 Bde 1885—86. G I E R K E Deutsches Privatrecht I. II. 1895—1905. STOBBE Handbuch d. deutsch. Privatrechts, 5 Bde 1871—85, I ' bis IV' her. v. K . S C H O L Z U. H. LEHMANN 1893—1900. 6 K R A U T Grundriß zu Vorlesungen über d. deutsche Priv.R. , bearb. v. FRENSDORFF 1886. LOERSCH U. SCHRÖDER Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts 1 1881. ZEUKEB Quellensammlung z. G. der deutsch. Reichsverfassung in Mittelalter u. Neuzeit 1904. ALTMANN u. BERNHEIH Ausgewählte Urkunden zur Erläuterung der Verfassungsgeschichte Deutschlands im Mittelalter3 1904. H. O. LEHMANN Quellen z. deutsch. Reichs- u. RechtBgeschichte 1891. GOLDSCHMIDT Universalgeschichte des Handelsrechts (a. u. d. T . Handbuch des Handelsrechts I * ) 1 8 9 1 . HUVELIN L'histoire du droit commercial 1 9 0 4 . Z e i t s c h r i f t e n : für geschichtliche Rechtswissenschaft, 1 5 Bde 1 8 1 5 — 5 0 ; für deutsches Recht, 2 0 Bde 1 8 3 9 — 6 1 ; für Rechtsgeschichte, seit 1 8 8 1 (Neue Folge seit Bd XIV, 1880, a. u. d. T.: Zeitschr. der Savignystiftung f. Rechtsgeschichte, jeder Band eine germanistische und eine romanistische Abteilung umfassend). Krit. Überschau d. deutsch. Gesetzgebung u. Rechtswissenschaft, 6 Bde 1 8 5 8 — 5 9 . Krit. Vierteljahrsschrift f. Gesetzgebung u. Rechtswissenschaft, seit 1859. Zeitschr. für schweizer. Recht, seit 1852. Revue de droit français et étranger, 4 Bde 1 8 4 4 — 4 7 , 2 . Serie: Revue historique de droit français et étranger, 1 5 Bde 1 8 5 5 — 6 9 , з. Serie: Revue de législation ancienne et moderne française et étrangère, 6 Bde 1870—77, 4. Serie: Nouvelle Revue historique de droit français et étranger, seit 1877. Histor. Zeitschrift her. v. SYBEL, seit 1859. Forschungen z. deutsch. Geschichte, 26 Bde 1862—86. Deutsche Zeitschr. f. Gesch.-Wissenschaft 1889 ff., N. F.: Histor. Vierteljahrsschrift her. v. SEELIGER, seit 1898. Hist. Jahrbuch d. Görres-Gesellschaft, seit 1880. Zeitschr. f. d. Gesch. d. Oberrrheins, seit 1850, N. F. seit 1886. Westdeutsche Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst, seit 1882. Hansische Geschichtsblätter, seit 1871. Mitteilungen d. Instituts f. Österreich. Gesch.-Forschung, seit 1880. R e c h t s g e s c h i c h t e e i n z e l n e r T e r r i t o r i e n . BORNHAK Preußische Staats- u. RG. 1 9 0 3 . SEIBERTZ (Westfalen) 4 Bde 1 8 6 0 — 7 5 . FALCK Schlesw. holst. Privatrecht I — I I I 1 8 2 5 — 3 8 . v. MÖLLER RG. v. Helgoland 1 9 0 4 . GENOLER Beiträge z. RG. Baierns, 4 Hefte 1 8 8 9 — 9 4 . MÖSER Osnabr. Geschichte (Sämtl. Werke V I — V I I I ) , letzte Ausgabe v. ABEKEN 1 8 4 3 . THÜDICHÜM (Wetterau) 1 8 6 7 , 1 8 7 4 — 8 5 . SCHMIDLIN Urspr. u. Entfaltung der habsburg. Rechte im Oberelsaß 1 9 0 2 . LCSOHIN v. EBENQREÜTH ÖsteiT. Reichsgeschichte 1 8 9 6 ; Grundriß 1 8 9 9 . W E B T O S K T Osterr. Reichs- u. RG., seit 1 8 9 4 (im Erscheinen). HUBER Österr. Reichsgeschichte * her. v. DOFSCH 1 9 0 1 . CHABERT Denkschriften d. Wiener Ak. I I I . I V . 1 8 5 2 . v. SCHWIND и. DOPSCH Ausgewählte Urkunden z. Verf.-Gesch. d. deutsch-österr. Erblande 1895. Forschungen z. inneren Geschichte Österreichs her. v. DOFSCH, seit 1903. L I P P E B T Sozialgeschichte Böhmens in vorhussitischer Zeit, 2 Bde 1896—98. SCHREUER Verf.-Gesch. der böhm. Sagenzeit 1902, SCHMOLLERS Forsch. 20, 4 (vgl. ZRG. 36, 334ff.). SCHULER V. LIBLOY Siebenbürg. RG.4 1867—68; Materialien z. siebenb.

§ 2.

Literatur und Hilfsmittel.

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Statuta iurium munic. Saxonum in Transsilvania 1 8 5 3 . AKOS Ungarische Verf.- und RG-., übers, v. SCHILLER 1 9 0 4 (vgl. LABAND Arch. f. öffentl. R. 1 9 0 4 , S. 2 7 7 ; SCHBEUEB ZRG. 3 9 , 326FF.). BLUMEB Schweiz. Demokratien, 2 Bde 1 8 4 8 — 5 9 . v. W Y S S Abh. z. Gesch. d. Schweiz, öffentl. Rechts 1 8 9 2 . H U B E R Geschichte d. scliweiz. Privatrechta 1 8 9 3 (System u. Gesch. d. schw. Pr.-R. IV). BLUNTSCHLI (Zürich2 1 8 5 6 ) . STETTLER (Bern 1 8 4 5 ) . LEUENBERGER (Bern 1 8 7 3 ) . SEGESSER (Luzern, 4 Bde 1 8 5 1 — 5 8 ) . PLANTA (Rätien 1 8 7 2 ) . HÖBBIN Handb. d. Schweizer Geschichte (seit 1 9 0 0 im Erscheinen). RYFFEL Die schweizerischen Landgemeinden 1 9 0 3 . BONVALOT Histoire de droit et des inatitutions de la Lorraine 1 8 9 5 . PABISOT Le royaume de Lorraine sous les Carolingiens 1 8 9 9 . MAONI» Geschiedkundig overzigt van de besturen in Drenthe 1 8 3 8 — 5 0 . v. RICHTHOFEN Untersuchungen über friesische RG., 3 Teile 1 8 8 0 — 8 6 . HUQO DE GBOOT Inleiding tot de hollandsche Rechtsgeleerdheid, 1 6 3 1 , her. von FOCKEMA ANDREAE 1 8 9 5 ; FOCKEMA ANDBEAE Bijdragen tot de Nederlandsche Rechtsgeschiedenis, 7 Bde 1 8 8 8 — 1 9 0 0 . FRUIN Verspreide geschriften 1 9 0 2 . J . TELTING Schets van het oud-friesche privaatregt, 2 Bde 1 8 6 7 — 8 2 (Themis, Jahrg. 1 8 6 8 — 6 9 , 1 8 7 1 — 7 4 , 1 8 7 6 — 8 0 , 1 8 8 2 ) . BLOK Geschichte der Niederlande 2 Bde 1 9 0 2 — 0 5 . WENZELBUBGEB G. der Niederlande, 2 Bde 1 8 7 9 — 8 6 . 0 . SCHMIDT, her. v. NOTTBECK (Liv-, Esth- und Kurland 1 8 9 5 ) . v. GERNET (Bistum Dorpat 1 8 9 7 ) . RG.

1861—62;

VON TIMON

II. Literatur und Quellen verwandter Rechte. a) N o r d g e r m a n i s c h e s R e c h t . In Verbindung mit den südgermanischen Rechten namentlich bei v. AMIRA Grundriß, J. GRIMM Deutsche Rechtsaltertümer u. bei FICKER (vgl. S. 3). W I L D A Strafrecht der Germanen 1842. R I V E Vormundschaft im Rechte der Germauen 1862 (vgl. K. MAUBEB, Kr. VJSchr. 2, 75ff. 4, 412 ff.). OLIVECBONA Om Makars Giftorätt i Bo 6 1882. Im übrigen vgl. K. MAUBER Udsigt over den nordgermaniske Retskilders Historie 1878; Uberblick über die Geschichte der nordgermanischen Rechtsquellen in HOLTZENDORFFS Encyklopädie der EW. 5 , 1890, S. 351 ff. GRIMM Literatur der altnord. Gesetze, Z. f. g. RW. 3, 73 ff. K. LEUMANN Verzeichnis der Literatur der nordgermanischen RG., ZRG. 20, 205ff. 21, 165—173. 23, 246f. — M Ü N C H Det norske Folks Historie, 6 Bde 1852—63 (die 2 ersten Abschnitte u. d. T.: Die nordisch-german. Völker, ihre ältesten Heimatsitze, Wanderzüge u. Zustände, übersetzt v. CLAUSSEN 1853). WEINHOLD Altnordisches Leben 1856. _ KEYSER Nordmaendenes private Liv i Oldtiden (Efterladte Skrifter II. 1867); Norges Stats- og Retsforfatning i Middelalderen (ebd.); Norges Historie, 2 Bde 1866—70. BRANDT Forelsesninger over den norske Retshistorie, 2 Bde 1880—83 (vgl. K. MAURER Kr. VJSchr. 11, 410ff.). AUBERT Udsigt over de norske Loves Historie 1875. TABANQEB Udsigt over den norske Rets Historie 1898—1904. v. AMIRA Nordgermanisches Obligationenrecht, 2 Bde 1882—95. K. LEHMANN Königsfriede der Nordgermanen 1886; Abhandlungen zur germanischen, insbesondere nordischen Rechtsgeschichte 1888. — K. MAUBEB Island von seiner ersten Entdeckung bis zum Untergange des Freistaats 1874; Quellenzeugnisse über das erste Landrecht u. die Ordnung der Bezirksverfassung des isl. Freistaates, Abh. d. Münch. Ak. 12, 3ff.; Rechtsrichtung d. alt. isl. Rechts, Münchener Festgabe 1887, S . 119ff. FINSEN Om de islandske Love i Fristatstiden 1873. SCHÖNFELD Der isländische Bauernhof zur Sagazeit 1902 (Straßb. Quellen u. Forsch. 91). RHAMM: Die Großhufen der Nordgermanen 1905. — STJERNHÖÖK De iure Sveonum et Gothorum vetusto libri duo 1672. STRINNHOLM Svenska Folkets Historia, 5 Bde 1834—54. NOBDSTRÖM Bidrag tili den svenska Samhällsförfattnings Historia 2 Bde 1839—40. NAUMANN Svenska Statsförfatningens historiska Utveckling, zuletzt 1866—75; Sveriges Statsförfatningsrätt* I 1879. SCHLTTEB Juridiska Afhandlingar 1836—79. — KOFOD ANCHER Dansk Lov-Historie, 2 Bde 1769—76; Samlede juridiske Skrifter, 3 Bde 1807—11. KOLDERUP-ROSENVINQE Grundrids af den danske Retshistorie 2 1832 u. 1860 (bloßer Neudruck); deutsche Übersetzung, mit Anmerkungen begleitet, von HOMETEB 1825. LABSEN Samlede Skrifter, 4 Teile 1857—61. S T E -

6

Einleitung.

Den danske Retshistorie 1871; Geschichte des öffentl. u. Privatrechts des Herzogtums Schleswig, 2 Bde 1866. MATZEN Forelaesninger over den danske Retshistorie, 6 Bde 1893—98. JÖBQENSEN Forelaesninger over det danske Retshistorie, 1 1905. DAHLMANN Geschichte von Dänemark, 3 Bde 1840—43. — BODEN ZRG. 35, 109ff. 37, lff. 148ff.; Mutterrecht u. Raubehe im altnord. Recht 1904; Die isländ. Regierungsgewalt in der freistaatlichen Zeit 1905 (GIEBKE Unters. 78). GÜDMONDS2 SON u. KALUND, Skandinavische Verhältnisse, in P A U L S Grundriß 3 , 407ff. Tidsskrift for Retsvidenscab, seit 1888. Weitere Literaturangaben bei AMIRA 2 , 70 f. Zahlreiche Abhandlungen von E. MAURER in den Abhandlungen und Sitzungsberichten der Münchener Akademie, Anzeigen in der Kr. VJSchr. Vgl. auch Germanistische Abhandlungen, Konrad Maurer dargebracht, 1893. Gesamtausgabe der norwegischen Rechtsquellen: KEYSER, MÜNCH, STORM U. HEBTZBEBQ, Norges garnie Love, 5 Bde 1846—95 (V. 2 enthält ein Glossar); zweite Reihe, her. v. Taranger, I 1904. Dazu: Diplomatarium Norwegicum, 12 Bde 1848—88. Vgl. K . MAÜRER Art. Gulathing und Gulathingslög, bei EBSCH U. GBDBER Encyklopädie I 96, 377—418. 97, 1—74; Frostu|>ingslög, Abh. d. Münch. Ak. 13 (1875) und Historisk Tidsskrift II 6. v. AHIRA i. d. Germania 32, 129 ff. Für Island: Ausgabe der sg. Gràgâs von FINSEN nach dem Codex regius, 2 Bde 1852—70; nach dem Codex Arnamagnaeanus 1879; nach den übrigen Handschriften 1883. Vgl. K . MAURER, Art. Graagaas, bei ERSCH U. GBUBER a. a. O. 77, lff. und Germania 15, lff. 25, 232ff. Dazu: Diplomatarium Islandicum 1857—76. Gesamtausgabe der schwedischen Rechtsquellen bei COLLIN U. SCHLYTEB Corpus iuris Sueo-Gotorum antiqui, 13 Bde 1827—77. Dazu: Diplomatarium Suecanum, 6 Bde 1829—78, und Svenskt Diplomatarium, udg. af SILVERSTOLPE, 3 Bde 1875—88. Für Dänemark: KOLDERUP-ROSENVINGE, Sämling of gamle Danske Love, 5 Bde 1821—46; Udvalg af gamle Danske Domme, 4 Bde 1842—48. NYROP Sämling af Danmarks LavsskTaaer fra Middelalderen 1895—97. SECHEB Sämling af Kongens Retterthings Domme, 2 Bde 1881—86. Die vier Provinzialrechte (Skànske Lov nebst Sunesens Lex Scaniae provincialis, Sselandske Lov in den beiden Waldemar und Erich zugeschriebenen Rechtsbüchern, Jydske Lov) in vier Bändeben von THOBSEN (1852—53), das zuletzt genannte außerdem von PETERSEN (1850) herausgegeben; die Stadtrechte; THOBSEN Die dem jütischen Low verwandten Stadtrechte .1855. Dazu: Regesta diplomaties historiae Danicae 1847, 1880—89. — Über die Sagas als rechtsgeschichtliche Quellen vgl. K . MAURER Die Huldarsaga, Abh. der Münch. Ak. 20, 225ff.; Zwei Rechtsfälle in der Eigla, Münch. S.-B. 1895, S. 65ff.; Zwei Rechtsfälle a. d. Eyrbyggya, ebd. 1896, S. 3ff. K. LEHMANN u. SCHNORR V. CAROLSFELD Die Njalssage 1883. b) F r a n z ö s i s c h e s und b e l g i s c h e s Recht. MONOD Bibliographie de l'histoire de la France 1888. BRUNNER Uberblick über die Geschichte der französischen, normannischen und englischen Rechtsquellen 1890 (v. HOLTZENDORFFS Encyklopädie der Rechtswissenschaft6 S. 305ff.). Zum Teil vortreffliche Arbeiten französischer Rechtshistoriker in der „Revue historique de droit" (s. S. 4), der „Bibliothèque de l'école des chartes" (seit 1839), den Sitzungsberichten des Institut de France und der verschiedenen Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften, sowie in den Einleitungen zu den einzelnen Bänden der „Collection de documents inédits sur l'histoire de France". — WABNKÖNIO U. STEIN Französische Staats- und Rechtsgeschichte, 3 Bde 1846—48. SCHAFFNER Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs, 4 Bde 1845—50. PARDESSUS Mémoire sur l'origine du droit coutumier en France (Mémoires de l'Institut X. 1834); Essai historique sur l'organisation judiciaire depuis Hugues Capet jusqu'à Louis XII 1851. GINOULHIAC Histoire générale du droit français 1884. ESMEIN Cours élémentaire d'histoire du droit français 4 1901. VIOLLET Histoire du droit civil français 1893; Histoire des Institutions politiques et administratives de la France, 3 Bde 1890—1903 (vgl. STUTZ Z R G . 37, 424ff.); Les communes françaises au moyen-âge 1900 (Mém. de l'acad. des inscr. et belles lettres 26); Les établissements de S . Louis, 3 Bde 1881—83. GAUTIER Histoire du MANN

§ 2. Literatur und Hilfsmittel.

7

droit français 2 1884. FUSTEL DE COULANOES Histoire des institutions politiques de l'ancienne France, 6 Bde 1888—91; Recherches sur quelques problèmes d'histoire 1885. MINIER Précis historique du droit français 1854. GUÉTAT Histoire du droit français 1884. GLASSON Histoire du droit et des institutions de la France, 8 Bde 1887—1903; Le parlement de Paris, 2 Bde 1901. FLACH Origines de l'ancienne France, 3 Bde 1886—1904. LUCHAIRE Histoire des institutions monarchiques de la France sous les premiers Capétiens 2 , 2 Bde 1891; Manuel des institutions françaises, Période des Capétiens, 1892. GUILHERMOZ Essai sur l'origine de la noblesse en France au moyen-âge 1902. DUCOUDRAY Origines du parlement de Paris et de la justice au 13. et 14. siècles 1902. KÖNIGSWARTER Sources et Monuments du droit français 1853. BEAUNE Introduction à l'étude historique du droit coutumier français 1880; Droit coutumier français 1882—89; Nouveaux fragments de droit et d'histoire 1899. BEUGNOT Les Olim ou Registre des arrêts rendus par la cour du roi, 4 Bde 1839—48. SEIGNOBOS Le régime féodal en Bourgogne 1882. BOUTARIC Le régime féodal 1875. D E LAQRÈZE Histoire du droit dans les Pyrénées 1867. RIVIÈRE Histoire des institutions de l'Auvergne, 2 Bde 1874. K I E N E R V e r f . - G . der Provence 1900. BOUTHORS Les sources du droit rural 1865. TARDIF Études sur les institutions politiques et administratives de la France I 1881; Recueil de textes pour servir à l'enseignement de l'histoire du droit, 3 Bde 1883—85; Histoire des sources du droit français au moyen-âge 1890. DOONON Institutions politiques et administratives du pays de Languedoc du 13. siècle, Toulouse o. J . BEAUCHET Histoire de l'organisation judiciaire en France 1886. BRUNNER Wort und F.orm im altfranz. Prozeß (Wien. SB. 57); Das franz. Inhaberpapier des MA., Festschrift für Thöl 1879. J . HA VET Oeuvres, 2 Bde 1896. Flandrische Staats- u. Rechtsgeschichte, 3 Bde 1835—42; W A R N et GHELDOLF Hist, de la Flandre et de ses institutions, 5 Bde 1835—64 (zum Teil vermehrte französische Bearbeitung des vorher genannten Werkes). PODILLET Histoire politique nationale 1882. BRITZ Code de l'ancien droit belgique 1847. DÉFACQZ Ancien droit de la Belgique, 2 Bde 1846—73. VANDERKINDERE Introduction à l'histoire des institutions de la Belgique au moyen-âge 1890. PIRENNE Geschichte Belgiens, übers, v. ARNHEIM, 2 Bde 1899—1902. c) E n g l i s c h e s u n d n o r m a n n i s c h e s R e c h t . BRUNNER Überblick 3 2 4 — 4 7 ; Zur RG. der römischen und germanischen Urkunde ( 1 8 8 0 ) 1 4 9 — 2 0 8 ; Entstehung der Schwurgerichte 1 8 7 2 ; Das anglonormannische Erbfolgesystem 1 8 6 9 (vgl. MAURER Kr. VJSchr. 12, 306ff.); Zulässigkeit der Anwaltschaft im franz., norm. u. engl. Recht des MA. (Z. f. vergl. RW. I). v. AMIRA Anfänge des normannischen Rechts (Hist. Z. 3 9 , 2 4 1 ) . KEHBLE The Saxons in England 2 , her. v. W A L T E R DE GRAY BIRCH, MAURER Angelsächsische Rechts2 Bde 1 8 7 6 ; deutsch v. BRANDIS 1 8 5 3 — 5 4 . verhältnisse (Kr. Übersch. 1, 4 7 , 4 0 5 . 2 , 3 0 , 3 8 8 . 3 , 2 6 ) . PHILLIPS Geschichte des angelsächs. Rechts 1 8 2 5 ; Englische Reichs- u. Rechtsgeschichte, 2 Bde 1 8 2 7 — 2 8 . R. SCHMID Angels. Recht (HERMES kr. JB. der Literatur 3 1 . 3 2 ) ; Gesetze der Angelsachsen 2 1 8 5 8 , mit antiquarischem Glossar S. 5 2 1 — 6 8 0 . ADAMS, LODGE, YOUNG, LAUGHLIN Essais in Anglosaxon Law 1 8 7 6 . LARSON The kings household in England before the Norman conquest 1904 (Bullet, of the University of Wisconsin Nr. 1 0 0 ) . WINKELMANN Geschichte der Angelsachsen 1 8 8 3 . KEHBLE Codex diplomaticus aevi Saxonici, 6 Bde 1 8 3 9 — 4 6 . BIRCH Cartularium Saxonicum, 2 Bde 1885—87. THORPE Diplomatarium Anglicum aevi Saxonici 1 8 6 5 . GLASSON Histoire du droit et des institutions de l'Angleterre, 6 Bde 1 8 8 2 — 8 3 . POLLOCK and MAITLAND History of English Law before Eduard I., 2 Bde 1 8 9 5 (vgl. BRUNNER, ZRG. 3 0 , 125FF.); Publications of the Seiden Society, seit 1 8 8 8 (vgl. BRUNNER, ZRG. 2 7 , 164FF.). STUBBS Constitutional history of England, 3 Bde 1 8 7 4 — 7 8 ; Select charters of english constitutional history 2 1 8 7 4 . REEVES History of the English L A W , 5 Bde 1 8 1 4 — 2 9 (über die Bearbeitung von FINLASON, 1 8 6 9 , vgl. BRUNNER, Kr. VJSchr. 1 3 , 228ff.). GNEIST Engl. Verf.-Geschichte 1 8 8 2 ; Englisches Verwaltungsrecht* 1867; Selfgovernment, Kommunalverfassung u. Verwaltungsgerichte in England 1 WARNKÖNIO

KÖNIG

Einleitung.

8

Select Pleas in memorial and other seignorial courts I 1889 ZRG. 28, 184ff.); Domesdaybook and beyond 1897. HENEICI DE BBACTON De legibus et consuetudinibus Angliae libri quinqué, her. v. TRAVERS TWISS, 6 Bde 1878ff.; Bractons Note Book, her. v. MAITLAND, 8 Bde 1887 (vgl. BRÜNNER ZRG. 23, 240ff.). BIOELOW Placita Anglo-Normannica 1879; History of procedure in England 1880 (vgl. BRUNNER ZRG. 15, 202 f.). T A B M P Coutumier de Normandie 1881 (vgl. BRÜNNER ebd. 16, 226 f.). DELISLES Recueil dejugements de l'Echiquier de Normandie 1864. GUÉBIN Etüde sur la procédure criminelle en Angleterre et en Ecoase 1890. CHADWICK Studies on anglosaxon institutions 1905. d) S p a n i s c h e s Recht. MONTESA Y MANRIQUE Historia de la legislación y recitationes del derecho civil de España, 8 Bde 1 8 6 1 — 6 5 . SEMPERE Y MORENO Historia del derecho español 1 8 2 2 — 4 7 . PÉREZ PUJOL Historia de las instituciones sociales de la España goda 1 8 9 6 . v. BRAÜCHITSCH Geschichte des span. Rechts 1 8 5 2 . HINOJOSA Historia general del derecho espagnol I 1 8 8 7 . OLIVER Historia del derecho en Cataluña, Mallorca y Valencia, 4 Bde 1 8 7 6 — 8 1 . W O L F Beitrag zur Rechtssymbolik aas spanischen Quellen, Wien. SB. 51. Monumenta histórica Portugalliae I . Leges et consuetudines, 1 8 5 6 — 6 8 . Wertvolle Untersuchungen über spanisches Recht bei F I C K E B Über nähere Verwandtschaft zwischen gotisch-spanischem und norwegisch-isländischem Recht, Mitteil. d. öst. Inst., Erg. 2 , 455 ff. (vgl. MAUBEB Kr. VJSchr. 31, 190ff. AMIBA Literaturbl. f. germ. u. rom. Phil. 1888, Sp. lff.). e) I t a l i e n i s c h e s Recht. PESTILE Storia del diritto italiano 2 , 7 Bde 1892—1903. NANI Storia del diritto privato italiano 1 9 0 2 . F I C K E B Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens, 4 Bde 1 8 6 8 — 7 4 . v. BETHMANN-HOLLWEG Ursprung der lombardischen Städtefireiheit 1 8 4 6 . A . LATTES Diritto consuetudinario della città lombarde 1 8 9 9 . DAVIDSOHN Gesch. v. Florenz I. 1 8 9 6 ; Forschungen z. älteren Geschichte von Florenz, 3 Bde 1 8 9 6 — 1 9 0 1 . D E L GIUDICE Studi di storia e diritto 1 8 8 9 . H E S E L Geschichte der Städteverfassung von Italien, SALVIOLI Le giurisdizioni speciali nella storia del diritto italiano I. 2 Bde 1 8 4 7 . 2 1 8 8 4 ; Manuale di storia del diritto italiano 1 8 9 9 . F B . SCHÖPFER Manuale di storia del diritto italiano* 1904; Delle istitutioni politiche longobardiche 1863. CICCAOLIOIIEManuale di storia del diritto italiano 1 9 0 3 . CALISSE Storia del dir. ital. 1 8 9 1 . KOHLER Beiträge zur germanischen Privatrechtsgeschichte 1 8 8 3 — 8 5 . GAUDENZI Sulla proprietà in Italia 1884. Archivio giuridico, seit 1868. Studi e documenti di storia e diritto 1 8 8 0 — 8 4 . Quellenwerke: Monumenta historiae patriae, seit 1 8 3 6 ; Monumenti di storia patria delle provincie Modenese 1 8 6 4 — 7 8 ; Monumenti istorici pertinenti alle provincie della Romagna, Serie I. Statuti 1 8 6 9 — 7 7 ; Monumenta histórica ad provincias Parmensem et Placentínam pertinentia, I. Statuta 1 8 5 5 — 6 0 . BONAINI Statuti inediti della citta di Pisa, 3 Bde 1 8 5 4 — 5 7 . MURATORI Antiquitates Italicae medii aevi, 6 Bde 1 7 3 8 — 4 2 ; Dissertazioni sopra le antichita italiane. 3 Bde 1 7 5 1 . L A MANTIA Storia della legislazione di Sicilia, 2 Bde 1 8 6 8 — 7 4 ; Storia della legislazione italiana I . 1 8 8 4 . v. BRÜNNECK Siziliens mittelalterliche Stadtrechte 1 8 8 1 . MERKEL Commentatio qua iuris Siculi sive assisarum regum Siciliae fragmenta proponuntur 1 8 5 6 . KOHLEB Studien aus dem Strafrecht I I — V (Strafrecht der ital. Statuten vom 1 2 . bis 1 6 . Jh.) 1 8 9 5 — 9 7 . f) Römisches R e c h t im Mittelalter, v. SAVIQNY Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter*, 7 Bde 1 8 3 4 — 5 1 . M. CONBAT Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts im früheren Mittelalter I. 1889—90. g) K i r c h l i c h e R e c h t s g e s c h i c h t e . STÜTZ Die kirchl. Rechtsgeschichte 1 9 0 5 ; Kirchenrecht, in HOLTZENDOBFF-KOHLER Encyklopädie der RW. 2 , 8 1 2 — 9 0 1 . E. LÖNINO G . d. deutsch. KR., 2 Bde 1 8 7 8 . WERMINGHOFF G . d. Kirchenverfassung Deutschlands im Mittelalter I . 1 9 0 5 . HINSCHIIJS System d. kath. KR., 6 Bde. 1869—97. Kirchenrechtl. Abhandlungen her. v. STUTZ, seit 1 9 0 2 . III. Hauptquellenwerk. Monumenta G e r m a n i a e h i s t ó r i c a , seit 1826, früher unter PERTZ, jetzt unter eigener Zentraldirektion. Hauptabteilungen: Scrip1871.

(vgl.

MAITLAND

BBÜNNER

9

§ 2. Literatur und Hilfsmittel.

tores (fol. und 4°), Leges (fol. und 4°), Diplomata (fol. und 4°), Auetores antiquissimi (4°), Antiquitates (4°), Epistolae (4°), Necrología (4 % Deutsche Chronikeu (4°); Indices 1890. Auf Grund der Monumenta erscheinen: Scriptores rerum Germ, in usum scholarum, und: Geschichtschreiber der deutsch. Vorzeit. Organ der Monumenta seit 1820: Archiv der Gesellsch. f. ältere deutsche Gesch.-Kunde, seit 1876 als: Neues Archiv. IV. Hilfswissenschaften. Staats- u. sozialwissensch. Forschungen, her. v. SCHHOLLER, seit 1893. Vierteljahrsschrift f. Sozial- u. Wirtsch.-Geschichte, seit 1903. Archiv f. Kulturgeschichte, seit 1903. SCHMOLLER Grundriß der allg. Volkswirtsch.-Lehre, 2 Bde 1901—4; Umrisse u. Üntersuchungen z. Verf.-, Verwalt.- u. Wirtsch.-Geschichte 1898. v. INAMASTERNEGQ D e u t s c h e Wirtsch.-Geschichte I — I I I 2, 1879—1901;

W i r t s c h a f t (PAULS

Gründl-, d. deutsch. Phil. 3 2 , 1—50); Quellen d. deutsch. Wirtsch.-Gesch., Wien. SB. 1877; Untersuchungen über das Hofsystem im Mittelalter 1872; Ausbildung der großen Grundherrschaften in Deutschland während der Karolingerzeit 1878; Staatew. Abh. 1903. MEITZER, Siedelung und Agrarwesen der West- u. Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen, 3 Bde mit Atlas, 1895 (vgl. STÜTZ G G A . 1897 S. 515FF.).

LAMPRECHT D e u t s c h e s W i r t s c h a f t s l e b e n

im

Mittel-

alter, 3 Bde 1885—86; Beiträge zur Geschichte des französischen Wirtschaftslebens im 11. Jahrhundert 1878; Wirtschaftsgeschichtliche Studien in Deutschland (JBB. f. Nationalökonomie und Statistik, NF. Bd 6. 9. 11). HANSSEN Agiarhistorische Abhandlungen, 2 Bde 1880. LUSCHIN V. EBENQREUTH Münzkunde u. Geldgeschichte des Mittelalters und der neueren Zeit 1904. HANAUER Constitutions des campagnes de l'Alsace au moyen-âge 1864; Les paysans de l'Alsace au moyenâge 1865; Etudes économiques sur l'Alsace, 2 Bde 1876—78. WOLFF Beiträge zur siebenbürgisch-deutschen Agrargeschichte 1885. ASHLEY Englische Wirtsch.-Geschichte, übers, v. OPPENHEIM, 2 Bde 1896. BREYSIG Kulturgeschichte der Neuzeit II 2, 1901. E. H. MEYER Deutsche Volkskunde 1898. M. HEYNE Fünf Bücher deutscher Hausall ertümer. I. Wohnungswesen 1899. II. Nahrungswesen 1901. III. Körperpflege und Kleidung 1903. STEINHAUSEN Geschichte d. deutsch. Kultur 1904. STEPHANI Der älteste deutsche Wohnbau I. 1902. A. SCHULTZ Häusl. Leben der europ. Kulturvölker 1903. v. D. GOLTZ Gesch. der deutsch. Landwirtschaft I 1902. HOOFS Waldbäume und Kulturpflanzen im germ. Altertum 1905. J. WIMMER Gesch. des deutsch. Bodens mit seinem Pflanzen- u. Tierleben 1905. WATTENBACH Deutschlands Geschichtsquellen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts 7 , 2 Bde 1904. LORENZ Deutschlands Geschichtsquellen seit der Mitte des 13. Jahrhunderts 3 , 2 Bde 1886—87; Lehrbuch der Genealogie 1898. POTTHAST Bibliotlieca histórica medii aevi, Wegweiser durch die Geschichtswerke d. deutsch. Mittelalters 2 , 2 Bde 1896. BRESSLAU Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I 1889. ÖSTERLEY Wegweiser durch die Literatur der Urkundensammlungen, 2 Bde 1885—86. WATTENBACH Schriftwesen des Mittelalters 4 1896. GROTEFEND Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 2 Bde 1891—98 ; Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters u. der Neuzeit 1898. GÖDEKE Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung*, 6 Bde 1884—98. SCHERER Geschichte der deutschen Literatur® 18,91. KÖGEL Geschichte der deutschen Literatur 1894—97. ÖSTERLEY Historisch-geographisches Wörterbuch des deutschen Mittelalters, 1883. FÖRSTEMANN Altdeutsches Namenbuch, I. Personennamen 1856, II. Ortsnamen 2 1872. v. SPRUNER Handatlas f. d. Gesch. d. MA. UND: der neueren Zeit 3 , bearb. von MENKE 1880.

DROYSEN U. ANDREE H i s t o r i s c h e r A t l a s 1886.

WOLFF

Historischer Atlas 1877. KNOLL Histor. Geographie Deutschlands im Mittelalter 1903. KBETSCHMER Histor. Geographie v. Mitteleuropa 1904. Du CANGE Glossarium mediae et infimae latinitatis, ed HENSCHEL, 7 Bde 1840—50; n e u e s t e A u s g a b e von FAVRE, 10 B d e 1882—87.

DIEFENBACH Glossarium

Latino-Germanicum mediae et infimae aetatis 1857; Vergleichendes WB. der

10

Einleitung.

gotischen Sprache, 2 Bde 1851. UHLENBECK Etymol. WB. der gotischen Sprache 1896. MÖBIUS Altnord. Glossar 1 8 6 6 . STORM og HERTZBERG Norges garnie Love, V 1895. SCHLÜTER Glossarium ad corpus iuris Sueo-Gotorum antiqui (Corp. iur. Sueo-Got. X I I I 1 8 7 7 ) . KALKAR Ordbog til det aeldre danske Sprog, 2 Bde 1885—92. G R A F F Altliochd. Sprachschatz, 6 Bde 1 8 3 4 — 4 6 . STEINMEYER U. SIEVERS Die ähd. Glossen, 4 Bde 1879—98. BENECKE, MÜLLER U. ZARNCKE Mhd. WB., 3 Bde 1 8 5 4 — 6 7 . L E S E R Mhd. WB., 3 Bde 1 8 6 9 — 7 8 ; Mhd. Taschen-WB. 1 8 9 7 . SCHMELLER Baier. WB., 4 Bde 1 8 2 7 — 3 7 , 2 . Aufl. her. v. PROMMANN, 2 Bde 1 8 7 2 — 7 7 . SCHILLER U. LÖBBEN Mnd. WB., 6 Bde 1 8 7 5 — 8 1 . HALTAUS Glossarium Germanicam medii aevi 1 7 5 8 . BRINCKMEIER Glossarium diplomaticum, 2 Bde 1 8 5 0 — 5 5 . GBÜIM Deutsch. WB., seit 1 8 5 4 . HEYNE Deutsch. WB., 3 Bde 1890—95. KLUGE Etymolog. WB. d. deutsch. Sprache6 1901. v. RICHTHOFEN Altfriesisch. WB. 1840. DOORNKAAT-KOOLMAN WB. d. ostfriesisch. Sprache 1879 ff. VEBWIJS en VERDAM Middelnederlandsch Wordenboek, seit 1 8 8 2 . STALLAERT Glossarium van verouderde rechtstermen I 1 8 9 0 . BOSWOKTH Anglo-Saxon an English Dictionary 1849. TOLLER and BOSWORTH Anglo-Saxon Dictionary, seit 1 8 8 2 . R. SCHMID Gesetze der Angelsachsen2, Glossar. LIEBERMANN Gesetze der Angelsachsen, Glossar 1906. WRIGHT Anglosaxon an old english vocabularies by WÜLCKER, 2 Bde 1884. BRUCKNEB Sprache der Langobarden 1 8 9 5 . DIEZ Etymol. WB. d: roman. Sprachen6, 2 Bde 1 8 8 7 . DUPIN et LABOULAYE Glossaire de l'ancien droit français 1 8 4 6 . RAOUEAU et LAURIÈRE Glossaire du droit françois, neue Ausgabe von FAVRE 1 8 8 2 . RAYNOUARD Lexique Roman, 6 Bde 1838FF. L A CURKE DE SAINTEPALAYE Dictionnaire historique de l'anc. langage françois, 10 Bde 1 8 7 5 — 8 2 . GODEFROY Dictionnaire de l'ancienne langue française, seit 1881. KÖRTING Lateinisch-romanisches WB. 1890. Die Herstellung eines umfassenden Wörterbuches der Siteren deutschen Rechtssprache ist seitens der Berliner Akademie der Wissenschaft in Angriff genommen. PAUL Grundriß der germanischen Philologie2, 3 Bde seit 1 8 9 9 . GRÖBER, Grundriß der romanischen Philologie I 2 1 9 0 5 . I I 1 8 9 7 — 1 9 0 2 . Zeitschr. f. deutsches Altertum (begr. v. HAUPT), seit 1 8 4 1 . Germania (begr. v. P F E I F F E R ) , seit 1856. Zeitschr. f. deutsche Philologie, seit 1869. Zeitschr. f. deutsche Wortforschung her. v. KLUGE, seit 1 9 0 1 , Zeitschr. f. Volkskunde, seit 1 8 9 1 . VANCSA Das erste Auftreten der deutschen Sprache in den Urkunden 1 8 9 5 . VAN HELTEN Zu den malbergischen Glossen und den salfränkischen Formeln und Lehnwörtern in der Lex Salica (PAUL U. BRAUNE Beiträge 2 5 , 2 2 5 — 5 4 2 . Eine hervorragende Bedeutung für die Rechtsgeschichte besitzt die „Rechtsarchäologie", die sich teils auf alte Abbildungen, teils auf die Erforschung der im Rechtsleben angewendeten Gebrauchsgegenstände zu stützen hat. Vgl. Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, her. v. K. v. AMIBA, I 1902 (vgl. STUTZ ZRG. 37, 409ff. PUNTSCHART Mitt. d. öst. Inst. 24, 654ff.). v. AMIRA Die große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm, Münch. SB. 1903 S. 213C; Die Genealogie der Bilderhandschriften des Sachsenspiegels 1902 (Abh. d. Münch. Ak. 22, 327 ff.); Die Handgebärden i. d. Bilderhandschriften des Sachsenspiegels 1905 (ebd. 23, 161ff.); Grundriß1 lOf.

Erste Periode.

Die germanische Urzeit. CAESAR Commentarii de bello Gallico ( 5 1 v. Chr.). TACITUS Germania (98 Ii. Chr.); Historiae, Annales, beide unter Trajan (98—117 n. Chr.). MG. Auetores antiquissimi (S. 9). W A I T Z VG. I 3 1880. SOHM Fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung 1—8. v. SYBEL Entstehung des deutschen Königtums s 1881. ERHARDT, GGA. 1882 S . 1217—61. W. SICKEL Der deutsche Freistaat 1879; Zur germanischen Verfassungsgeschichte (Mitt. d. öst. Inst., Erg. 1, 7ff.). v. DANIELS Handbuch 1, 12—41. 313—50. M A J E R Germaniens Urverfassung 1798. HEUSLER VG. 3—16. THUDICHUM Der altdeutsche Staat 1862. ZACHER Germanien und die Germanen (EBSCH U. GBUBER Encyklopädie 61). v. BETHMANN-HOLLWEG Die Germanen vor der Völkerwanderung 1850. D A H N Könige der Germanen 11861; Deutsche Geschichte 11883; Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker I ! 1899 (vgl. SICKEL, Mitt. d. öst. Inst. 2, 127ff.); Die Germanen vor der Völkerwanderung (Bausteine 1, 396—431); Die Landnot der Germanen (Breslauer Festschrift f. Windscheid 1889); Die Germanen 1905. ARNOLD Deutsche Urzeit® 1881 (Deutsche Geschichte I s ). G. KAUFMANN Die Germanen der Urzeit 1880 (Deutsche Geschichte bis auf Karl den Großen I). LAMPRECHT Deutsche Geschichte I 3 1894. USINQER Anfänge der deutschen Geschichte 1875. GENQLER Germanische Rechtsdenkmäler 1875. BLANDINI La monarchia germanica prima della invasioni 1888. LANDAU Territorien 1854. DELBRÜCK Gesch. d. Kriegskunst II. 1. 1902 (vgl. L. SCHMIDT Hist. VJSchr. 7, 66 ff.). L. SCHMIDT Geschichte der Wandalen 1901. HOOPS Waldbäume und Kulturpflanzen im germ. Altertum 1905. BAUMSTARK Urdeutsche Staatsaltertümer 1873; Ausfuhrliche Erläuterung der Germania des Tacitus, 2 Bde 1875—81. KEMBLE Die Sachsen in England (S. 7). MAURER Angelsächsische Rechtsverhältnisse, Kr. Übersch. 1, 47—120, 405—31. 2, 30—68, 388—440. 3, 26—61. VANDERKINDEBE Introduction ä, l'histoire des institutions de la Belgique 91—105. MEITZEN Siedelung (S. 9) 1, 33ff. 378ff.

Deutsche Altertumskunde 5 Bde, 1 8 7 0 — 1 9 0 0 ( I 2 her. von RÜDIGER besonders wichtig Band 4 Die Germania des Tacitus 1 9 0 0 . MOMMSEN Römische Geschichte V 1885; Verzeichnis der römischen Provinzen um 297, mit einem Anhange von MÖLLENHOFF, 1 8 6 3 (Abh. d. Berl. Ak. 1 8 6 2 ) . JUNO Die romanischen Landschaften des römischen Reiches 1881. MÜLLENHOPF

1890),

§ 3. Die Zustände der Germanen im allgemeinen. WAITZ I 8 , 3 — 5 2 . BRUNNER RG. I , § § 6 , 7 , 1 5 . ZEUSS Die Deutschen und die Nachbarstämme 1 8 3 7 . MÖLLENHOFF DA. I I . I V . J . GRIMM Geschichte der deutschen Sprache 3 1 8 6 8 ; Deutsche Mythologie4 her. v. E. H. MEYEB, 2 Bde 1 8 8 0 . E . H . M E Y E R Germ. Mythologie 1 8 9 1 ; Mythologie der Germanen 1 9 0 3 . GOLTHER Handb. d. germ. Mythologie 1 8 9 5 . MOGK Germ. Mythologie, in P A U L S Grundriß

Germauische Urzeit.

12

BREMER Ethnographie der germ. Stämme, ebd. 3 2 , 735ff. FÖRSTEGeschichte des deutschen Sprachstammes, 2 Bde 1 8 7 4 — 7 5 . SCHRÄDER Sprachvergleichung und Urgeschichte* 3 4 7 — 6 1 5 . W E I N H O L D Altnordisches Leben 1 8 5 6 . K O S S I N N A Vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland (Z. f. Volkskunde 1 8 9 6 ) . 32,

230—406.

MANN

Die Nation der Germanen zerfiel wie die der Kelten in eine große Zahl selbständiger Völkerschaften (civitates)-, die germanische Bezeichnung für diese war „Volk" (got. piuda, ahd. thiot, an. piod, fylki). Sie führten, ohne dauernden Znsammenhang untereinander, jede für sich ein staatliches Leben. Die sprachlichen Verschiedenheiten ergeben die Sonderung der Nation in zwei Gruppen, nach ihren ursprünglichen Wohnsitzen als Ost- und Westgermanen unterschieden \ Ostgermanen waren die gotischvandalischen Völker östlich der Oderniederung und die Skandinarier oder Nordgermanen (Dänen, Norweger, Schweden, ursprünglich auch dieHeruler). Westgermanen die Deutschen, mit Einschluß der Franken und Friesen, sowie die Langobarden und Angelsachsen2. Die Westgermanen gliederten sich nach Maßgabe ihrer Abstammung in die Gruppen der I n g r ä o n e n , I s t v ä o n e n und H e r m i n o n e n . Eine rechtliche oder politische Bedeutung besaßen diese Einteilungen nicht mehr, doch bestanden immer noch innerhalb der alten Stämme umfassendere Kultverbände, die eine größere oder geringere Zahl verwandter Völkerschaften in Gebet- und Opferdienst zu gemeinsamer Ehrung des Stammesgottes vereinigten3. Der bedeutendste war der Tempelbund der herminonischen Sueben, dessen Mittelpunkt das Heiligtum [alafi] des Ziu-Irmin im Lande der Semnonen bildete. Die letzteren nahmen als Ziuwaren (Verteidiger des Ziu) eine führende Stellung ein; Tacitus bezeichnet sie als „caput Sueborum", und schließlich blieb der ursprünglich einem ganzen Völkerkreise eigene Name an 1

Vgl. SCHERER Zur G. d. deutsch. Sprache 9 7 ff. und Westgermanisch, Z O A . 1 9 , 3 9 3 . MÜLLENHOFF 3 , a. a. O . 2

164. 198.

ZIMMER 202.

4,

Ostgermanisch 121.

BREUER

815FF.

Die Burgunden waren Ostgermanen, vgl. K Ö G E L ZDA. 37, 221 FT F I C K E R (Über nähere Verwandtschaft zwischen gotisch-spanischem und norwegisch-isländischem Recht, i. d. Mitt. d. öst. Inst., Erg. 2, 455ff.; Das langobardischs und die skandinavischen Hechte, ebd. 22, lff.; Untersuchungen zur Rechtsgeschichte) zählt die Langobarden, Warnen und Friesen nach Maßgabe ihres Rechts zu der ostgermanischen Gruppe, doch steht ihr westgermanischer Charakter nach Sprache und Recht (vgl. Anm. 5) sowie nach den Zeugnissen der Geschichtsclireiber so fest, daB die Gegengriinde FICKER s in seinen an sich höchst bedeutenden Untersuchungen daran nicht zu rütteln vermögen. Vgl. M A U R E R Er. VJSchr. 31, 192. v. A M I B A GGA., 1892 Nr. 7 und Liter.-Bl. f. germ. u. rom. Phil. 1888, Sp. lff. D A B E S T E N. Revue 24, 155. Tidsskrift for Retsvidenskab 13, 339ff. Mit F I C K E R übereinstimmend K J E B Edictus Rotari 1898; Dansk og langobardisk arveret 1901 (vgl. P A P P E N H E I M ZRG. 34, 253ff. 35, 366ff.). 3 Tacitus Germania c. 9 über die Donausueben, c. 40 über den Nerlhusdienst der Ingväonen, c. 43 über den Ruitverband der Lugier (Vandalen), Annal. 1, c. 50 f. Uber den Tanfanadienst istv&onischer Völker im Lande der Marsen. Tgl. D A H N Könige 7, 1, S . 2 ff. SOHM R. U. GV. 2 f. BRUNNER RG. 1, 31 f. MÖLLENHOFF 4, 460. 485. 526 ff.

§ 3.

Zustände der Germanen im allgemeinen.

13

ihnen haften: die Semnonen sind der Kern der späteren „Schwaben" oder Alamannen4. Außer den Jahresfesten des Gottes, bei denen alle Völkerschaften des Bundes durch Gesandte vertreten waren, zeichneten sich die Sueben durch gewisse Eigentümlichkeiten in Tracht und Sprache aus. Bei ihnen mögen schon Keime der Lautverschiebung, die seit dem 6. Jahrhundert den Übergang zum Althochdeutschen bezeichnet, vorhanden gewesen sein, wenigstens tritt das Althochdeutsche zuerst bei den Alamannen und den ebenfalls suebischen Baiern und Thüringern, alsbald auch bei den Langobarden hervor5; seine weitere Ausbreitung über einen Teil der Franken hat, im Anschluß an die geographische Lage, auf reiner Kulturentwickelung beruht, wie dies noch heute bei dem Fortschreiten des Hochdeutschen in den niederdeutschen Gebieten der Fall ist. Geschlossene Kreise hoch- oder niederdeutsch redender Stämme hat es nie gegeben, für die Rechtsgeschichte ist diese aus sprachlichen Motiven hergenommene Einteilung daher nicht von der Bedeutung, die man ihr zum Teil hat beilegen wollen6. Auf dem Festland ursprünglich nur in der norddeutschen Tiefebene zwischen Elbe und Oder seßhaft, hatten die Germanen sich schon vor Augustus ostwärts bis zur Weichsel und über diese hinaus bis an den Pregel ausgedehnt. Hier berührten sie sich mit den Eisten (Aestii), d. h. den von den Slawen als „Preußen" zusammengefaßten Preußen, Letten und Littauern. Ihre Grenze gegen die Slawen (Venedae, Yeneti) war die obere Weichsel. Die Ausdehnung der Germanen nach Süden und Westen erfolgte auf Kosten der Kelten. Neue Sitze suchend fand Cäsar die keltischen Bojer in Gallien, nachdem sie ihre noch heute nach ihnen benannte frühere Heimat (Boiohaemum, Baiahaim) vor den Markomannen , * Vgl. Germania c. 39. B A U H A N N Forschungen z. schwäb. Geschichte 1899, S. 500 ff. K O S S I N N A Die Sueben im Zusammenhang der ältesten deutschen Völkerbewegungen, Westd. Z. 9, 199ff. 10, 104ff. MÖLLENHOFF 4, 456f. 460. W E L L E R Besiedlung des Alamannenlandes 1898. CRAMER Geschichte der Alamannen 1899; Württemb. Vierteljahrshefte NF. 9, 467 ff. D E V R I E N T Die Sueben und ihre Teilstämme, Hist. VJSchr. 6, lff. 5 Die Langobarden zeigen auf dem Gebiete des Rechts und nach den Untersuchungen von BRUCKNER (S. 10) auch auf dem der Sprache eine so große Verwandtschaft mit den Sachsen und Angelsachsen, also ingväonischen Völkern, daß ihre Einordnung unter die Herminonen die größten Bedenken hat. Wenn sie gleichwohl von Strabo 7, 1, Ptolemaeus 2, c. 11, §§ 9, 15 und Tacitus (Ann. 2, 45) den suebischen Völkern zugezählt werden, so erklärt sich dies aus ihrer Beteiligung an dem großen Suebenbunde des Marobod, da umgekehrt die herminonischen Chatten und Cherusker (Plinius 4, 99), die dem Bunde fern geblieben waren, in Gegensatz zu den Sueben gestellt werden. Überhaupt dürfte die maßlose Ausdehnung des Suebenbegriffes bei Tacitus aus ungehöriger Vermischung politischer und ethnographischer Beziehungen zu erklären sein. Den frühzeitigen Übergang der Langobarden zum Hochdeutschen hat der jahrhundertelange Einfluß der suebischen Völker, unter dem sie seit dem Abzug aus der norddeutschen Heimat standen, veranlaßt. • Vgl. ZRG. 15, 20. B R A U N E Beitr. z. G. d. deutsch. Sprache 1, 2 f.

14

Germanische Urzeit.

hatten räumen müssen, während die auf beiden Ufern des Niederrheins angesiedelten Menapier sich allmählich zum Rückzug über den Rhein gedrängt sahen. Um den Beginn unserer Zeitrechnung war das ganze linke Rheinufer von Basel bis zur Nordsee schon von einer geschlossenen Reihe germanischer Völker besetzt, nur im Moselgebiet von keltischen Trevirern unterbrochen. Keltischer Herkunft ist auch der unserm Volke zuerst von den Galliern und Römern beigelegte Gesamtname Germanen Etwa seit 90 n. Chr. wurden die von den linksrheinischen Germanen eingenommenen Gebiete, die bereits seit Augustus einen zu Belgien gehörigen Heeresbezirk „Germania" bildeten, im Anschluß an die beiden belgischen Provinzen zu den Provinzen Ober- und Niedergermanien (Germania I. und II.) zusammengefaßt. Den Römern waren die Einwohner heerfolge-, zum Teil auch tributpflichtig, im übrigen behielten sie größtenteils ihre Verfassung und sonstigen nationalen Einrichtungen. Die Grenze der unabhängigen Germanen gegen das römische Reich bildeten im allgemeinen der Rhein und die Donau, nur die Provinzen Obergermanien und Rätien gingen darüber hinaus. Der von Domitian bis auf Antoninus Pius schrittweise weiter vorgeschobene Limes, der sich zu einem dauernden Grenzschutz gegen die Germanen ausgestaltete, erstreckte sich schließlich in mannigfachen Biegungen vom Rhein bei Rheinbrohl bis zur Mündung der Altmühl in die Donau 8 . Schon bei ihrem Eintritt in die Geschichte standen die Germanen erheblich über dem rohen Zustande bloßer Jagd- und Fischervölker. Zwar bestand ihre vornehmste Habe in den Viehherden, aber sie trieben auch regelmäßigen Ackerbau, der freilich noch durchaus extensiv war und sich auf die Frühjahrsbestellung beschränkte9. Die Jahre berechneten sie nach Wintern, die Tage nach Nächten 10 . Städtisches Leben und 7 Vgl. MÖLLENHOFF 2, 189ff. 4 , 129ff. W A I T Z 1, 125ff. B B E M E R 739f. H I R S C H Der Name Germani bei Tacitaa (Kiepert-Festschrift 1898). Den Germanennamen fährten anfangs nur gewisse belgische Völkerschaften, von denen ea streitig ist, inwieweit sie keltischer oder germanischer Abstammung gewesen sind. Über den Namen Deutsche vgl. § 38 n. 2. 8 Vgl. S A B W E V , HETTNER U . FABRICIOS Der obergermanisch-rhätische Limes des Römerreiches (im Auftrag der Reichs-Limeskommission), seit 1894, und das seit 1 8 9 3 erscheinende Limesblatt. GRADMANN Der obergermanisch-rhätische Limes u. das fränkische Nadelholzgebiet, PETERMANNS Mitteilungen 4 5 , 57ff. FABRICIOS Besitznahme Badens durch die Römer, Neujahrsbl. d. bad. Hist. Komm. 1905. 9 Einen bis in die Urzeit zurückreichenden Fortschritt ihres Ackerbaues gegenüber dem der übrigen Indogermanen bekundet der Ersatz des unvollkommenen indogermanischen Hakens durch den mit breiter Schar versehenen germanischen Pflug, der von Rindern gezogen und deshalb schon früh mit eigenem Rädergestell ausgestattet wurde. Vgl. H O O P S a. a. 0. 499 ff. 10 Ebenso die Gallier (Bell. Gall. 6, 18). Die Worte sie eonstituunt, sie condicunt (Germ. c. 11) besagen, daß sowohl Vertrags- wie Gerichtsfristen nach Nächten angesetzt wurden (ZANQEMEISTER). Vgl. MÖLLENHOFF 4 , 2 3 5 f. 6 4 1 f. Indem der neue Zeitabschnitt schon mit Sonnenuntergang begann (vgl. § 8 n. 24), berechnete' sich eine Woche von sieben Nächten (engl, sennight) zu acht Tagen, woran noch

FELD

§ 3. Zustände der Germanen im allgemeinen.

15

Gewerbe kannten sie nicht. Ihr Handel war reiner Tauschhandel, nur im Grenzverkehr mit den Römern bedienten sie sich des Geldes, zumal römischer Silberdenare. Im inneren Germanien wurden vorzugsweise goldene Ringe und Spiralen oder Bauge (ahd. pouc, an. baugr), deren Wert man nach einem wohl gelegentlich des Bernsteinhandels vom Schwarzen Meer eingewanderten Pfunde von etwa 350 g berechnete11, bei den Nordgermanen und Friesen aber Tuchstücke (vädmäl) zu Zahlungen verwendet. Eigentlicher Wertmesser war das Vieh, so daß faihu geradezu Geld oder Lohn bedeutete. Den Gebrauch gewisser Schriftzeichen hatten die Germanen wahrscheinlich aus der indogermanischen Urzeit mitgebracht. Sie verwendeten diese Zeichen ausschließlich zu religiösen Zwecken und zum Losen, wobei diese unter dem Raunen heiliger Worte (daher got. ahd. rum, an. ags. rün) in Holztäfelchen eingeritzt (daher as. ags. wrtian, an. rita, engl, write) und sodann aufgelesen (daher ahd. lesan) wurden12. Das regelmäßige Verlosen der Äcker mag dazu geführt haben daß jeder Hausherr ein eigenes Zeichen als Hausmarke (Handgemal) erhielt, das ihm auch zur Bezeichnung seiner Habe, später vielfach auch zu anderen Verwendungen, insbesondere bei Unterschriften diente1S. Die frühesten, seit dem zweiten Jahrhundert vorkommenden, in zusammenhängender Schrift verwendeten Schreiberunen sind wohl von den Römern übernommen14. Das ursprünglich nur adjektivisch, erst später auch substantivisch gebrauchte Wort „Recht" (got. raihts, an. rettr, ahd. reht) bedeutete das gerade gemachte („gerichtete"), also das subjektive Recht, erst abgeleitet die „Richtung", das objektive Recht, die Rechtsnorm15. Die geläufigste der heutige Sprachgebrauch und frz. huitaine festhält; zwei Wochen von vierzehn Nächten (engl, fortnight) waren gleich 15 Tagen (frz. quinxaine, quinxe jours), und die Gerichtsfrist von sechs Wochen berechnete man zudreimal vierzehn Nächten, also zu sechs Wochen und drei Tagen. Vgl. SCHRÄDER a. a. 0. 449 ff. 11 Daher wohl die Bezeichnung saiga (d. i. Wage) für einen gewissen Münzwert, später auch für gewisse Münzstücke. Vgl. E. SCHRÖDER, Z. f. Numismatik 2 4 , 3 3 9 ff. 14 Vgl. W I M M E R Runenschrift, übers, v. HOLTHAUSEN 1887. SIEVERS Runen, in P A U L S Grundriß L 2 , 248ff. W. GRIMM Altdeutsche Runen 1821. v. LILIENCBON u. MÖLLENHOFF Zur Runenlehre 1852. MÖLLENHOFF 4, 226f. 585 f. Die gemeingermanische Bezeichnung für diese [Schreibtafeln war bok, daher „Buchstabe". Ob Zusammenhang mit „Buche", ist bestritten. Dafür K L U G E U. d. Wort, sowie GRIMM DWB. 2, 466 f. 470. Dagegen SIEVERS a. a. 0. 13 Derartige Märken haben sich zum Teil bis heute im Gebrauch erhalten. Vgl. HOMEYEB Haus- und Hofmarken 1870, und Berl. SB. 1872, S. 611—23; Über das gernianische Losen (ebd. 1853 S. 747—774); Die Losstäbchen, Symbolae Bethmanno-Hollwegio oblatae 1868. STEBLER Ob den Heidenreben 1901 (vgl. His ZRG. 37, 403ff.), v. KOSTANECKY, Der wirtsch. Wert vom Standpunkt der geschichtl. Forschung 1900, bezeichnet die mit der Marke versehenen Stäbchen als „Kerbhölzer", legt ihnen aber eine zu weit gehende Bedeutung bei. u „Schreiben" (ahd. seriban) ist Lehnwort von scribere. 15 Vgl. A M I R A 2 7 ; Nordg. Obl.-R. 1 , 55ff. D I E F F E N B A C H WB. d. got. Spr. 2 , 1 6 1 f. K L U G E U. d. W . GRIMM D W B . 8 , 3 6 4 f. Entsprechend mlat. directum,

Germanische Urzeit.

16

Bezeichnung für die letztere war bei den Nordgermanen lag16, bei den Westgermanen ehe (ahd. ewa, as. eo, eu, ags. ä, a, \ Vgl. SCHREÜEB 2ff.27 ff.

'* Vgl. Kapitular v. 805 c. 5 (Boketics 1, 123), wo wegen der Tötung des Gegners, nachdem auf Königsbefehl die Urfehde beschworen worden war, neben der Totschlagsbuße die Zahlung des Rönigsbannes und Abhauen der meineidigen Hand verhängt wird. Vgl. Bbünner 2, 542. Schreuer 4 6 — 7 6 . 2 6 4 . Vgl. Schreder 60. Liutpr. 131: wegen Einbruekdiebstahls bei dem Entleiher einer fremden Sache soll nur diesem eine Klage zustehen, dagegen die Spaltung in eine Diebstahlsklage des Eigentümers und eine Klage des Bestohlenen wegen Hausfriedensbruches vermieden werden: non possumus in unam causam duas calomnias inponere, ideoque ille, qui res suas comendavit, recepiat eas ab ipso, de cuius casa perierunt, et ipse, de cuius casam perierunt aut ipsum furtum exitrit, querat ad ipsum furonem eonpositionem, et tollat sieut lex est, et ipse für, lieit malefaetor sit, non habeat de una causa duas calomnias. 76 So namentlich bei der Verletzung eines Sonderfriedens. Als höhere Sonderfrieden sind hervorzuheben: der Friede der Königsburg und Königspfalz, überhaupt der Königs- und der ihm nachgebildete Herzogsfriede, der Friede der Kirchen, Kirchhöfe, Mühlen und Schmieden, Ding- und Heerfriede, Marktfriede, Straßenfriede, Hausfriede, dazu der gelobte Friede (Roth. 143. Liutpr. 42). Vgl. S. 121. Bronner 2, 45. 574. 580ff. Wilda 233ff. Amira2 144. Weinhold Friedund Freistätten (n. 6). Osenbröqqen Strafr. d. Langob. 9ff.; Hausfrieden 1857. E. Lönino De pace domestica, Bonn. Diss. 1865. His 129ff. Gaüpp Gesetz der Thüringer 388 ff. Richthofen Zur L. Saxonum 229 ff. 251 ff. Stütz, G. d. kirchl. BW. 1, 91 f. Del Giüdioe. Dir. pen. 75 ff. Wer sich an Königs-, Herzogs- oder Kirchengut vergriff, hatte dreifache Buße zu leisten, wobei aber bei Königsgut der Fredus wegfiel. Vgl. Schreuer 95. 78

Vgl. Sohreder 27 ff.

§ 36. Strafrecht. 3. Einzelne Verbrechen.

363

Bußen und Friedensgelder wurden stets kumuliert77, ebenso Bußen und Banngelder, während Friedens- und Banngelder sich gegenseitig ausschlössen und immer nur der höhere Betrag angesetzt wurde78. Bußen und Leibesstrafen schlössen bei einheitlichen Delikten einander aus, dagegen blieben sie bei Yerbrechenskonkurrenz nebeneinander bestehen 79 . Acht und Todesstrafe schlössen nach den meisten Stammesrechten jede andere Strafe, insbesondere jede Buße, aus, nur nach nordgermanischem, ostgotischem, kentischem und altlangobardischem Recht (vor der fränkischen Herrschaft) fand Kumulation statt 80 . 3. E i n z e l n e Verbrechen. Das Verbrechen des H o c h - u n d L a n d e s v e r r a t s fiel, der veränderten Staatsverfassung entsprechend, allgemein unter den Begriff des crimen laesae maiestatis oder des Treubruches {infidelitas) gegen den König 81 . Dabei sind im einzelnen zum Teil römische Einflüsse bemerkbar. Unter den Begriff der Infidelität fiel Landesverrat, Landesflucht (unerlaubte Auswanderung), Heeresflucht (herisliz) 82 , ferner jeder Angriff oder Anschlag auf das Leben des Königs oder der Seinigen 83 , Beleidigung des Königs (L. Sal. 14, 4. Eib. 60, 6), Begünstigung Geächteter, überhaupt schwerer Verbrecher, schwere Amtspflichtverletzung eines Beamten 84 . Die regelmäßige Strafe der Infidelität war Tod und Vermögenseinziehung, geringere Fälle wurden unter den Karolingern nach königlichem Ermessen bestraft85. " Vgl. SCHBEUER 96 ff. His 109. Der Fredus wurde immer neben jeder einzelnen Buße, zuweilen aber in erhöhten Beträgen, berechnet. Über Ausnahmefalle, in denen neben einer Mehrheit von Bußen nur ein einfaches Friedensgeld in Ansatz kam, vgl. SCHREÜER 1 1 6 . 78

SCHBEUER 1 0 3 f .

121.

BBUNNEB R G .

™ SCHREUEB 2 6 2 ff. V g l . n . 7 3 . 80 Vgl. SCHBEUEB 151—201. 224—54.

2,

39.

Wurde das Vermögen des Geächteten oder Gerichteten eingezogen, so hatte der König nach den die Kumulation ausschließenden Rechten an den Verletzten nur Zahlungen zu leisten die keine pönale, sondern wirtschaftliche Genugtuung bezweckten, wie capitale, wirdira und Kurkosten. Vgl. ebd. 194. 204 f. 228. Dieselbe Stellung nahmen die Erben des Übeltäters ein, wenn das Vermögen ihnen zufiel. 81 Vgl. S. 121. W I L D A 984ff. D E L GIUDICE 177ff. BRÜNNER 2, 685ff. O S E N BRÖQQEN Lang. 52ff. ROTH B W . 128ff. 388ff. W A I T Z 2, 1 S. 195f. 2, 291. 3, 307ff. RICHTHOFEN Zur Lex Saxonum 320ff. D A H N Studien 236 ff. EHBENBEBO Kommendation 115ff. AMIRA Vollstr. 21 f. 8a Vgl. L. AI. 24. Baiuw. 2, 1. Wis. 2, 1 c. 7. Roth. 3 f. 7. ^thelred 5, 28. Cnut 2, 77 (LIEBEBM. 1, 244. 364). BOBETIDS 1, 14. 128 c. 9. 129 c. 12. 166 c. 4. 205 c. 3. Form. Marc. 1, 32. SICKEL, GGA. 1889 S . 962. ROTH a. a. 0 . 134 ff. 88 Vgl. L. AI. 23. Baiuw. 2, lf. Sax. 24. Wis. 2, 1 c. 7. Roth. 1. ^Ethelred 5, 30. 6, 37. Cnut 2, 57 (LIEBEBM. 244. 256. 348). Ein Wergeid hatte der fränkische König nicht, aber der angelsächsische, ebenso der Alamannen- und Baiernherzog. Vgl. W A I T Z , G G A . 1869 S. 124ff. 84 Vgl. COHN Justizverweigerung 5. 63ff. 73ff. 84ff. 130f. LEHMANN Rechtsschutz 104ff. SOHM R.- u. GV. 147. 415. 88 Vgl. S . 371. BBÜNNER 2, 64f. D A H N Könige 7 , 3 S . 132f. L . Rib. 69, 1 .

364

Fränkische Zeit.

Das unterscheidende Merkmal zwischen Mord und Totschlag fand auch die fränkische Zeit noch in der Heimlichkeit der Tötung, wenn auch nicht mehr ausschließlich in der Yerbergung des Leichnams; das langobardische Recht (Roth. 14) ließ ausdrücklich auch den Meuchelmord (homtcidtum absconse penetratum) unter den Begriff des Mordes fallen86. Während der Totschlag mit dem einfachen Wergeid des Getöteten gesühnt wurde, hatte der Mörder das Drei- oder Neunfache, bei den Langobarden die Hochbuße von 900 sol. zu zahlen; die Nordgermanen straften ihn mit unsühnbarer Acht Zu einem Kapitalverbrechen wurde im burgundischen und langobardischen Recht sowie in der fränkischen Reichsgesetzgebung auch der vermessentliche Totschlag (in feindlicher Absicht, im Gegensatz zum Zufall oder einer Anreizung des Gegners) erhoben87. Erhöhte Strafbarkeit trat außerdem ein bei Verwandtenmord und Tötung unter Verletzung eines Sonderfriedens. Dem Totschlag (bei den Ribuariern dem Morde) wurde gleichgestellt die F r e i h e i t s b e r a u b u n g durch widerrechtlichen Verkauf eines Freien in die Sklaverei88. Gelang es dem Täter, diesem die Freiheit wiederzuverschaffen, so hatte er nur eine Buße (in der Regel das halbe, bei den Ribuariern das ganze Wergeid) zu zahlen. Die Unterschiede zwischen Raub und D i e b s t a h l haben sich in der strafrechtlichen Behandlung mehr und mehr verwischt, wenn auch der Raub im allgemeinen immer noch milder angesehen wurde89. Bei Diebstahl unterschied man zwischen großem und kleinem, bei ersterem wieder Cap. de part. Sax. 11* Baiuw. 2, 1. 284 c. 18. 88

Vgl.

S. 75.

355.

BBUNNER

2,

Wis,

627FF.

2t

1 c. 7.

DEL

BORETIUS

GIUDICE

125FF.

1, 97 c* 34. WILDA

706FF.

Entwickl. des Begr. Mord ( 1 8 7 7 ) 52FF. B A R 6 4 f f . O S E N B R Ö Q G E N L a n g . 6 1 ff. RICHTHOFEN Zur L. Sax. 2 3 9 . 2 4 8 ff. AMIRA Vollstr. 1 9 f. MÖLLEB Wergeid des Täters und des Verletzten, Bonn. Diss. 1898 S. 5f. L. Sai. 41, 2. 4. Zweitessai. Kap. c. 5 , B E H R E N D ' 1 3 9 . Rib. 1 5 . Fris. 2 0 , 2 . Sax. 1 9 . Pact. Alam. 2 , 4 1 . Alam. 48. Baiuw. 19, 2 f. 87 Vgl. W I L D A 563 f. BRUNNEB 2, 630f. TITZE Notstandsr. 40. L. Burg. 2, 1. 29, 1. Liutpr. 20. Decr. Childeb. c. 5 (BORETIUS 1, 16). Cap. leg. add. v. 818/19 c. 7 (ebd. 282). Jede vorsätzliche Tötung strafte mit dem Tode L. Wis. 6, 5 c. llff. 88 Vgl. W I L D A 797 f. OSENBRÜGQEN Lang. 77. RICHTHOFEN Zur L. Sax. 295. D A H N Studien 228. MÖLLER a. a. 0. 10ff. L. Sai. 39, 2. Rib. 16. Pact. Alam. 3, 12. Alam. 45ff. Baiuw. 9, 4. 16, 5. Fris. 21. Sax. 20. Angl, et Wer. 40f. Liutpr. 48. Ine 11 (LIEBERM. 94). Cod. Euric. 290. L . Wis. 7, 3 c. 3 ließ die Sippe des Verkauften zwischen seinem Wergeid und der Auslieferung des Verkäufers zur Rache wählen. Nach ostfriesischem Recht hatte dieser den Hals zu lösen. Über erlaubte Verkäufe in die Knechtschaft vgl. S. 67. 331. RICHTHOFEN a. a. 0 . 293 f. 89 Vgl. S . 7 5 f , BRUNNEB 2, 637ff. W I L D A 859ff. 907ff. D E L GIUDICE 135ff. HÄLSCHNER Preuß. Strafr. 3, 396 ff. OSENBRÜGQEN Lang. 1 1 8 ff. 151 ff. G B I H H RA. 634ff. His 334ff. KÖSTLIN, K R . Übersch. 3 , 149ff. SOHM, Z R G . 5, 411 ff. M A T E R Entst. d. L. Rib. 116FF. RICHTHOFEN Zur L. Sax. 311 ff. THONISSEN a.a.O. 310ff. SCHMID Ges. d. Angela. 5 5 4 ff. A M I R A Vollstr. 32. 162 ff. ALLFELD

§ 36.

Strafrecht.

365

3. Einzelne Verbrechen.

zwischen handhaftem und nichthandhaftem. Todesstrafe oder Halslösung stand nach manchen Rechten auf gewaltsamen Raub 90 , allgemein aber auf handhaften großen Diebstahl, wo der Dieb entweder auf frischer Tat ergriffen oder nach der Tat durch Haussuchung überfährt worden war91. Sonst wurden Raub und Diebstahl (sowie Unterschlagung, d. h. diebliches Behalten ohne den Tatbestand der Wegnahme) bei den Chamaven und allen außerfTänkischen Stämmen mit einer proportionalen Buße gesühnt, die im allgemeinen das Zwei-, Drei- oder Neunfache des entwendeten Wertes (meistens diesen miteingerechnet) ausmachte, während das salische, zum Teil auch das ribuarische Yolksrecht ein kasuistisch ausgestaltetes System fester Diebstahlsbußen besaß92. Neben oder mit der Buße war das Friedensgeld, nach fränkischem und thüringischem Recht außerdem die wirdira (S. 357) zu entrichten. Soweit Diebstahl und Raub als Kapitalverbrechen galten, war außergerichtliche Sühne verboten. Die Franken und Angelsachsen hatten besondere Einrichtungen für die Verfolgung der Täter und Prämien für die Verfolger93. Heimsuchung des Landes durch bewaffnete Banden fiel unter den Begriff der Heerung 9 4 . Für den Begriff der Bande (trustis, manus collecta, contubernium, ags. hlöi) reichte schon die Vereinigung von fünf, sieben oder zehn Gefährten aus, während für ein „Heer" eine größere Zahl (mindestens 36 nach Ine 13,1, LIEBEBM. 94) erforderlich war. Ab90

Vgl. L. Fria. 8. 9, 14ff. add. sap. 9. ^thelred 3, 15. Cnut 2, 63 (LIEBEBM. 232. 352). Die fränkischen Reichsgesetze über latrones oder latronieum machen zwischen Baub und Diebstahl keinen Unterschied. Vgl. Regino De syn. caus. 2, 275. 279. Raub war die offene, aber nicht notwendig unter Gewalt oder Drohungen erfolgte, Diebstahl die heimliche Wegnahme beweglicher Sachen aus fremder Gewahrsam. Gewaltsamer Raub (ndinäma, notnumft, scäehroub) war ein aasgezeichneter Raub, ebenso wie der Leichen- oder Gräberraub (reroub, walaroub, a g s . walreäf).

V g l . § 12 n. 8.

SCHBEUER 64 f.

H i s 339.

91

Die Lex Salica und das sechste sal. Kapitular c. 3 (BEBBEND3 157) kennen nur das System der Diebstahlsbußen, aber schon das Landfriedensgesetz Chlothars I und Childeberts I führte die Todesstrafe ein. Das sächsische und burgundische Recht setzte Todesstrafe auf jeden Einbruchs- und jeden großen Diebstahl, auch wenn er nicht handhaft war, das sächsische außerdem auf nächtlichen Diebstahl (ohne Rücksicht auf den Wert des Gestohlenen). Vgl. L. Burg. 4, 1. 29, 3. 47, 1. extrav. 19, 2. Rom. Burg. 4, 4. Sax. 32—35. Ssp.II. 13 § 1. 28 § 3 . Das langobardische Recht (Roth. 253) legte dem für manifestus neunfachen Ersatz und eine Nebenbuße, später außerdem 2—3jähriges Gefängnis auf; im Nichtzahlungsfall wurde der Dieb dem Bestohlenen zur Tötung übergeben, deren Nichtvollziehung durch Cap. Ital. von 801 c. 4 (BOR. 1, 205) unter Buße gestellt wurde. Die karolingische Gesetzgebung ließ Todesstrafe erst bei wiederholtem Rückfall eintreten, vorher Verstümmelungsstrafe. Vgl. BORETIUS 1, 49 c. 12. 51 c. 23. 205 c. 4. L. Cham. 48. Über den Rückfall als Strafverschärfungsgrund BKUNNEB 2, 5 4 0 . 6 3 1 . 6 4 6 f.

SCHRECER 1 3 0 ff. 2 4 3 .

92

V g l . SCHBEUER a . a . 0 .

93

V g l . S. 126.

27—45.

BOBETIUS 1, 5 c. 3 . 6 c . 1 3 . 1 7

c. 8 . 7 0

c. 24.

205

c . 4 , c . 7.

L. Rib. 73, 1. Baiuw. 9, 16. Burg. 71. Allgemeine Anzeigepflicht Cham. 30f. Anzeigeprämie (meldfeoh) SCHMID Ges. d. Angels. 632. 94 Vgl. S. 75. WILBA 612ff. 915ff. BaUNNER 2, 570ff. His 83.

366

Fränkische Zeit.

gesehen von der höheren Strafbarkeit der in Banden vollführten Missetaten für die Täter selbst galt die Teilnahme an der Bande schon für sich allein als ein Verbrechen, das stufenweise verschieden bestraft wurde. Eine Unterart der Heerung war die H e i m s u c h u n g , aus der sich allmählich der einfache H a u s f r i e d e n s b r u c h als eigenes Verbrechen herausbildete95. Ein Fall der Heimsuchung war auch der sogenannte Gewaltbrand (afrs. Waldbrand). Im übrigen galt die B r a n d s t i f t u n g 9 6 , in verschiedenen Hechten aber nur die heimliche, nächtliche Brandstiftung („Mordbrand")9', als selbständiges Verbrechen, das im Norden mit unsühnbarer Acht, bei Sachsen und Angelsachsen mit dem Tode, in den übrigen Hechten mit einer festen Buße oder mehrfachem Schadenersatz (nebst wirdira bei Franken und Thüringern) bestraft wurde. Ergänzend trat, nachdem Karl der Große die Brandstiftung unter die acht Bannfälle aufgenommen hatte, die Strafe des Eönigsbannes ein, namentlich auch für die bis dahin erlaubte Brandlegung gegen Friedlose oder Befehdete98. Zauberei, zu der man auch die Giftmischerei zählte, wurde in verschiedenen Bechtsgebieten von Personen, die dem Zauberer den Tod eines Menschen zur Last legten, im Wege der Bache oder der Volksjustiz mit dem Feuertode geahndet, was die Gesetzgebung wiederholt verbot. Vor dem Gesetze galten Zauberer nur als büß- und schadenersatzpflichtig, bis kirchliche Einflüsse den Staat bestimmten, der Kirche für die Ausrottung des heidnischen Unwesens seine Unterstützung zu versprechen, jedoch ohne der Zauberei den Charakter eines eigentlichen Kapitalverbrechens beizulegen80. Auch der Meineid wurde erst unter kirchlichem Einfluß, und nur wenn er in christlicher Form abgelegt worden war (im Gegensatz zu den altgermanischen Eiden auf Waffen, Eidring u. dgl.), unter öffentliche 95 Vgl. A N M . 75. W I L D A 781 f. 952ff. BRUNNEB 2, 651 ff. SCHBEUEB a . a . O . 46 ff. 61 ff. OSENBBÜGGEN Str. d. Lang. 139 ff. GAUPP Oes. der Thür. 3 8 8 ff. His 352. Die Heimsuchung gehörte zu den acht in das Volksrecht aufgenommenen Bannfällen. ,e Vgl. S . 75. 8 4 n . W I L D A 940ff. DEL GIUDICE 165ff. BRUNNEB 2 , 654ff. OSENBBÜQGEN Brandstiftung 1854; Lang. 154f. RICHTHOFEN Zur L. Sax. 305ff. GAUPP Thüringer 3 7 2 ff. SCHMLD Ges. d. Angels. 5 3 3 . AMIBA Vollstr. 2 0 . SCHBEUEB 50 f. His 349. 97 L. Sal. 16, 1. Rib. 17, 1. Angl, et Wer. 43. Alam. 76. Baiuw. 1, 6. 10, 1. Diese Rechte behandeln die offene Brandstiftung nur als bußwürdige Sachbeschädigung. Anders L. Fris. 7. Sax. 38. Roth. 146. 149. SCHMID Ges. d. Angels. 411. .dfithelstan 2, 6 c. 2. Cnut 2, 64 (LIEBEBM. 154. 352). Andr. Sunesons Lex Scaniae prov. 61. Über die Bezeichnung mordbrand, vgl. S. 75. Schwsp. Lafib. 174. Jütisch Lov 3, 66. Eriks Ssellandske Lov 2, 15. RICHTHOFEN Altfries.

WB.

936. 98

ALLFELD a . a . O .

V g l . S. 79 n. 2 6 0 n.

HOFEN Z u r L . S a x . 3 0 5 f .

52. C a p . S a x . v o n 7 9 7 c . 1 u . 8 (BORETIUS 1, 7 1 f.).

RICHT-

99 Vgl. W I L D A 961ff. D E L GIUDICE 169f. BRUNNEB 2, 678ff. OSENBBÜQGEN Lang. 61. 160ff. D A H N Studien 234 f. AMIRA Vollstr. 29. BORETIUS 1, 25 c. 5. 45 c. 7. 58 c. 65. 69 c. 23. Eadw. u. Guthrum 11. iEthelred 6, 7. Cnut 2, 4 a (LIEBEBM. 134. 248. 310). Liutpr. 85. Gegen die Hexenverbrennung Cap. de part Sax. 6. Vgl. Roth. 376.

§ 36. Strafrecht.

3. Einzelne Verbrechen.

367

Strafe gestellt (meistens Verlust der Schwurhand mit oder ohne Lösung), während die älteren Volksrechte, die Strafe von der mit dem Eid verbundenen Selbstverfluchung erwartend, den Meineid nur mit einer Geldbuße belegten100. U n z u c h t weiblicher Familienglieder unterlag in alter Weise dem Familienstrafrecht, während der dabei beteiligte Mann bußfällig wurde; eine öffentliche Strafe trat nur bei geschlechtlichen Vergehungen Freier mit Unfreien ein101. Ehebruch konnte, da die Kebsehe erlaubt war (S. 315), nur mit einer Ehefrau begangen werden102. Der Ehebruch galt als Fehdesache; auf handhafter Tat Ertappte konnten straflos getötet werden (n. 12). Auf Klage des Ehemannes konnte der Ehebrecher in eine besondere Ehebruchbuße verfällt werden; manche Rechte verhängten aber Todesstrafe, Halslösung, Verknechtung. Die Verfolgung der B l u t s c h a n d e galt in erster Reihe als Sache der Kirche, die öffentliche Gewalt schritt in der Regel erst ein, wenn die Beteiligten sich der vom geistlichen Richter verlangten Trennung nicht fügten. Die Strafe für die schwersten Fälle des Inzestes war der Tod, in anderen Fällen Vermögenseinziehung und Verbannung, bei Unvermögenden Verknechtung oder Gefängnis. Die karolingischen Gesetze überließen die Strafe königlichem Ermessen103. N o t z u c h t (nötnumft) und F r a u e n r a u b wurden in den Gesetzen meistens unter dem Begriff des raptus zusammengefaßt10*. Die Notzucht 100

Vgl. n.

172ff. BRÜNNER 2 , 3 8 9 . 6 8 1 f.; bei Zur L . Sax. 2 3 6 f f . OSENBRÜGGEN a.a.O. 1 5 8 . F R E U N D Lag und Trug uuter den Germanen 1 8 6 3 . SCHKID Ges. d. Angela. 6 3 1 . L. Burg. 8 , 3 . 8 0 , 2 . Liutpr. 5 7 . 6 3 . 1 4 4 . Cham. 3 2 . Cnut 2 , 3 6 (LIEBERM. 3 3 8 ) . BORETIUS 1 , 4 9 c. 1 0 . 9 8 c. 3 6 . 1 2 4 c. 1 0 . 1 3 9 c. 4 . 2 6 9 c. 1. 2 8 3 c. 1 0 . L. Fris. 1 0 verband Hals- und Handlösung, während Sax. 21, 22 Todesstrafe für wissentlichen, Handlösung für unwissentlichen Meineid verhängte. 101 Vgl. S . 67. W I L D A 809ff. D E L GIÜDICE 152FF. BRÜNNER 2 , 658ff. O S E N (MOMMSEN)

46.

W I L D A 978FT*.

a . a . O . 54.

D E L GIUDICE

RICHTHOFEN

BRÜQQEN a . a . O . 9 7 ff. 102 Vgl. S . 3 1 4 . W I L D A

821ff. D E L GIUDICE 157ff. B R U N N E R 2 , 662ff. O S E N a. a. 0 . 100ff. SOHM Trauung u. Verlobung 2ff. ROSENTHAL Rechtsfolgen des Ehebruchs 1 8 8 0 . BENNECKE Strafrechtliche Lehre vom Ehebruch 1 8 8 4 . ZEÜMER, N . Arch. 2 4 , 6 0 6 F F . Für B i g a m i e hatte das weltliche Recht keine besonderen Strafbestimmungen, da sie als Ehebruch behandelt wurde. Vgl. W I L D A 852 f. OSENBRÜGGEN 1 0 4 f. D A H N Studien 2 3 2 . THONISSEN a. a. 0 . 3 0 2 . ioa y g i . W I L D A 855ff. D E L GIUDICE 160. B R U N N E R 2, 664ff. LÖNJNG KR. 2, 550 ff. ZEÜMER, N . Arch. .24, 613 f. L . Burg. 36. Fris. add. sap. 3, 78. Cnut 2, BRÜGGEN

5 1 (LIEBERM. 3 4 6 ) .

L. Wis.

3 , 5 c . 1.

BORETIUS C a p . 1 , 1 5 c . 2 . 2 3

c. 18. 97

c. 33.

Über L. Alam. 39 und Baiuw. 7, 1—3 vgl. §31 n. 71. Der ursprünglich sehr enge Begriff der Blutschande im altgermanischen Recht (vgl. B R U N N E R und ROETHE bei MOMMSEN a. a. 0 . 58. 65 f.) ist nur sehr allmählich und schrittweise unter dem Einfluß der Kirche erweitert worden. 104 Vgl. S . 315. 331 n. W I L D A 829—52. D E L GIUDICE 162ff. BRUNNER 2, 666 ff. OSENBRÜGGEN a. a. 0 . 109 ff. G A U P P Thür. 379 ff. RICHTHOFEN Zur L. Sax. 285 ff. GRIMM RA. 633f.; ZDR. 5, lff. SCHRÖDER, G . d. ehel. Güterr. 1, 11 ff. SOHM, ZRG. 5, 398. D A R G D N Mutterrecht und Raubehe 111 ff. His 108. 181.

368

Fränkische Zeit.

sowie jeder andere Angriff auf die weibliche Geschlechtsehre war mit schweren Bußen, in ausgezeichneten Fällen mit Wüstung und mit der Halslösung bedroht105. Frauenraub, dem die mit Zustimmung der Geraubten erfolgte Entführung durchaus gleichgestellt wurde, erfahr anfangs, unter der Nachwirkung der früheren Anerkennung der Raubehe (S. 70), eine mildere Beurteilung, indem der Entführer eine dem gesetzlichen Brautkauf entsprechende Muntbrüche an die Sippe, den Muntwalt oder den Bräutigam der Entführten, unter Umständen auch noch eine besondere Buße an die letztere, zu zahlen hatte. Das Vorbild der Freiheitsberaubung (S. 364) ließ zum Teil an die Stelle der Muntbrüche das Wergeid der Entführten treten. Aber schon unter den Merowingern führte der Einfluß des römischen Rechts zur Yerhängung der Todesstrafe mit Halslösung über den Frauenräuber und die mit ihrem Willen Entführte 106. Die karolingische Zeit hielt die größere Strenge im allgemeinen nur fest, wenn es sich um gewaltsame Entführung oder um fremde Ehefrauen oder Bräute handelte107. Im übrigen wurde die Entführung, soweit nicht höhere Strafen bestimmt waren, als einer der acht Bannfälle mit dem Königsbann bestraft108. § 37.

Das Gerichtsverfahren.

Literatur S.84f. BBÜNNER RG. 2, 327—527; Grundzüge* 73ff.; Entsteh, d. Schwurgerichte (1872) 43—126. 397 ff. 438 ff. 458 ff. 469; Zeugen- u. Inquisitionsbeweis d. karol. Zeit (Wien. SB. 51. Forsch. 88ff.); Wort und Form im altfranz. Prozeß (Wien. SB. 57. Forsch. 260ff.); Zulässigkeit der Anwaltschaft im franz., normann. u. engl. R. des Mittelalters (Forsch. 389ff. Z. f. vergl. EW. 1, 321 ff.): Gerichtszeugnis und fränk. Königsurkunde (Festgaben für Heffter 1873). AMIRA* 161 ff. BATTAGLIA La difesa nei giudizi sotto la monarchia dei Franchi, Riv. di storia del diritto 1 9 0 0 . BETHMANN-HOLLWEG Germ.-rom. Zivilprozeß 1 . 2. B E W E R , ZRG. 26, 116ff. COHN Justizverweigerung 1876. D A H N Könige 7, 3 S . 66ff. 8, 4 S. 83ff. 9, 1 S . 284ff. 2 S. 245ff.; Westg. Studien 243ff. DECLABEÜIL Les preuves judiciaires du droit franc., N. Revue 1898—99. ESMEIN Hist. de la procédure criminelle en France 1892. FICKER Forsch, z. Reichs- u. R G . Italiens 1, 21—62. FUSTEL DE COULANOES Mon. franque 4 0 6 ff. GLASSON Histoire 3, 390—522. HEINZE Zur G. d. Sicherheitsstellung im germ. Strafverfahren, ZRG. 10, 450ff. H Ü B N E R Der Immobiliarprozeß d. fränk. Zeit 1893 (GIERKE Unters. 42. Vgl. STUTZ, ZRG. 30, 148. SCHWIND, GGA. 1894 S . 4 4 1 ff.); Gerichtsurkunden d. fränk. Zeit, ZRG. 106 Vgl. n. 39. Das mittelalterliche Recht setzte voraus, daß die Vergewaltigte das Gerüft erhoben habe. Spuren davon bei BRUNNER 2, 667 n. 11. loe Vgl. L. Rib. 34. Pact. Alam. 5, 17. Angl, et Wer. 46. Erstes aal. Kap. c. 6 ( B E B B E N D ' 132). Decr. Childeb. c. 4 (BOR. 1, 16). Vgl. Cod. Theod. IX. 24, 1 . 2. MÖLLER a. a. O . 14ff. nimmt an, daß in allen Fällen das Wergeid der Entführten, nicht das des Täters zu entrichten gewesen sei. 107 Vgl. L. Sax. 40. 48. Fris. add. sap. 3, 76. L. Cham. 47. Cap. leg. add. 818 c. 9 (BORETIUS 1, 282). Ebd. c. 4 Entführung einer Witwe vor dem Dreißigsten (vgl. S. 344). In fränkischen Formeln (Form. Marc. 2, 16. Tur. 16. Sal. Lindenbr. 16) klingt die frühere Strenge noch in einer formelhaften Phrase nach. 108 Vgl. S . 119 n. Cap. Remedii 6. SCHREUER a. a. 0. 121.

§ 37. Gerichtsverfahren. 1. Übersicht.

369

25. 27, Beilage (vgl. K E H R , Hist. Z . 73, 75 ff. SICKEL, G6A. 1891 S . 737). IMMEBDie Verschweigung im deutsch. R. 1895 ( G I E R K E Unters. 48). H . 0. LEBMANN Rechtsschutz gegenüber Staatsbeamten nach altfränk. R. 1883. E. LÖNINQ KR. 2, 496ff. 755ff. R. LÖNING Vertragsbruch 1876. E. M A T E R Lex Ribuaria 128ff. P E R 2 TILE u. D E L GIUDICE Storia del dir. ital. 6 . POLLOCK and MAITLAND Hist. of engl, law 2, 556—670. SALVIOLI La giuridizioni speciali nella stor. del dir. ital. 1. 1884. A. SCHMIDT Echte Not 1888. SCHREUER Verbrechenskonkurrenz 148ff. 226f. 229 bis 241. 255ff. SOHM R.- U. GV. 113ff. 123ff. 140ff. 355ff. 581ff. V A L DE LISVRE Launegild u. Wadia 134ff. 160ff. 196ff. W A C H Der ital. Arrestprozeß 1—33. a 2 W A I T Z 2 , 2 S. 170ff. 362. 4 , 409f. 422ff. 438. 484f.

WAHR

1. Ü b e r s i c h t . Die Fortbildung des Gerichtsverfahrens, das in seinen Grundzügen noch in der germanischen Urzeit zu einem gewissen Abschluß gekommen war, ist teils durch Volksrecht, teils durch Königsgesetze, teils durch die Rechtspflege im Königsgericht vor sich gegangen. Das Volksrecht hat insbesondere das Betreibungsverfahren sowie die Klage um Gut oder fahrende Habe ausgebildet Eine bürgerliche Klage zur Wiedererlangung einer beweglichen Sache gab es nicht, das Recht kannte nur die strafrechtliche Verfolgung wegen rechtswidriger Vermögensvorenthaltung oder dieblicher Entwendung, wobei der Kläger neben der Bestrafung des Gegners auch die Bückgabe oder den Ersatz der Sache erreichen konnte. Auch bei dem der Lex Salica noch unbekannten, dann aber in allen Volksrechten gleichmäßig ausgebildeten Verfahren in ImmobiliarSachen, das sich durchaus in den Formen des ordentlichen Prozesses bewegte, lag der Schwerpunkt in der vom Kläger gegen den Beklagten erhobenen Beschuldigung des mala ordine teuere oder iniuste invasisse. Die bedeutendsten Veränderungen des Verfahrens hat die Königsgesetzgebung herbeigeführt. Zwar war diese nicht dazu berufen, hier unmittelbar einzugreifen, aber sie vermochte durch Anweisung der Beamten Verbesserungen zu schaffen, die zunächst neben die volksrechtlichen Einrichtungen traten, bis sie diese ganz aus der Übung verdrängten. Die Verbesserungen bezogen sich teils auf das Verhandlungsprinzip, teils auf das Beweisrecht und die Vollstreckung. Während das alte Verhandlungsprinzip den Prozeß als einen sich vor den Augen des Richters abspielenden Privatkampf der Parteien betrachtete, führte der entwickeltere Staatsgedanke zu der Einsicht, daß das gemeinsame Interesse auch die Verfolgung des dem Einzelnen widerfahrenen Unrechts verlange und den Staat verpflichte, dem Verletzten zu seinem Recht zu helfen. Neben die durch Formalakt des Klägers vollzogene mannitio und diese mehr und mehr verdrängend trat infolgedessen die Ladung durch den auf Ansuchen des Klägers erlassenen Befehl des Richters (bannitio) \ Dem 9. Jahrhundert war nur noch diese bekannt; man sprach wohl noch von mannitio, verstand aber darunter die bannitio2. Auch die Ladung des 1 Vgl. SOHM R.- U. GV. 114ff. BRUNNER 2, 332ff. 337ff. BETHMANN-HOLLWEO 1, 66f. 242. 377f. 2, l l l f f . W A I T Z 4 s , 338ff. O P E T Prozeßeinleitungsformen 1, 1891 (vielfach unkritisch). * Nach den Cap. leg. add. v. 8 1 6 (BORETIOS 1, 2 6 8 c. 4 . 2 7 0 c. 3 ) und v.

B. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte.

5. Aufl.

24

Fränkische Zeit.

870

Gewährsmannes, der Eideshelfer und der Zeugen erfolgte nun durch bannitio, während das volksrechtliche Verfahren eine mannitio nur gegenüber dem Gewährsmann und den Geschäftszeugen, aber gegenüber den Eideshelfern und Gemeindezeugen überhaupt keinen Zwang gekannt hatte, Aach die Prozeßleitung wurde Sache des Richters. An die Stelle der rechtsförmlichen Aufforderung der Partei trat der richterliche Befehl an den Beklagten zur Antwort, an die beweispflichtige Partei zur Führung des Beweises, an die Urteiler zur Fällung des Urteils 3 . Andere Beformen bezogen sich auf die B e w e i s m i t t e l . Beim Eide wurde dem Gegner des Beweisführers ein Einfluß auf die Auswahl der Eidreshelfer eingeräumt 4 . Um die Verantwortlichkeit der einzelnen Eideshelfer zu erhöhen, hatten diese nicht mehr, wie früher, gleichzeitig (mit gesamtem Munde), sondern einer nach dem andern zu schwören5. Die Zulassung von Zeugen wurde an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, um eine Bürgschaft für ihre Glaubwürdigkeit zu gewinnen: Besitz eines gewissen Vermögens, Grafschafts- oder Stammeszugehörigkeit, Freiheit der Person, guter Leumund. Zur Feststellung dieser Voraussetzungen konnte vor der Vereidigung ein eigenes Legitimationsverfabren stattfinden, das bei den Langobarden als collaudatio testium eine besondere Organisation erhielt 6 , während Karl der Große dem Richter zur Pflicht machte, nach Feststellung, aber vor Ableistung des Zeugeneides die einzelnen Zeugen einer besonderen Vernehmung zur Erkundung ihrer Glaubwürdigkeit zu unterziehen 7 . Die Auswahl der Zeugen sollte im Beisein des Gegners geschehen, der eine etwaige Ablehnung sofort begründen mußte 8 . Für den Fall des Gemeindezeugnisses wurde seit Ludwig dem Frommen dem Gegner des Beweisführers die Aufstellung von Gegenzeugen gestattet, wobei, wenn beide Zeugenreihen einander widersprachen, gerichtlicher Zweikampf zwischen einem der Zeugen und einem Gegenzeugen die Wahrheit entschied0. 818/19 c. 12 (ebd. 283) fand die mannitio nur noch bei Freiheits- und Immobiliarprozessen, in allen anderen Füllen ausschließlich die bannitio Anwendung. Die Rezeption der letzteren war vollzögen, seit der ausgebliebene Beklagte neben der dem Richter zu zahlenden Bannbuße auch dem Ungehorsamsverfahren verfiel. » Vgl. SOHH 128ff. 141. BETHMANN-HOLLWEG 1, 67. 2, 103. 119. 126. 4 Vgl. K. MACBEB Beweisverfahren 1 9 8 ff. 2 0 6 f. SIEGEL a. a. O . 185 n. ZORN a. a. 0 . 5 231 n.

9

33.

BBÜHKEB 2 , 3 8 3 f .

Vgl. Form. Tur. 40. Cap. Olonn. v. 825 c. 8 BBUNSBB 2 ,

(BOBETIÜS

1, 331).

SIEGEL

434.

Vgl. MG. Leg. 4, 603, ' Vgl. BEDSNEB 2, 437; Schwurgerichte 67f. BOBETIUS 1, 124 c. 11. 148 c. 6. 210 c. 12. Bei den Westgoten fand diese Verhandlung noch vor der Feststellung des Eides statt, siei hatte demnach die Bedeutung einer eigentlichen auf Erforschung der Wahrheit gerichteten Zeugenvernehmung. 8 Vgl. Cap. miss. v. 805 II. c. 11 (BOB. 1, 124). Nach salischem Hecht mußte der Kläger seine Zeugen schon mit der Klage benennen und der Beklagte sich in der Klagebeantwortung über sie aussprechen. BBÜHNEB Schwurger. 68 f. 9

V g l . BOBETIUS 1 , 2 8 2 , 1 0 . 2 9 3 ,

12.

§37.

Gerichtsvorfahren.

2. Ordentliches Verfahren.

371

Die wichtigste Neuerung im Gebiet des Beweisrechts war die Einführung des Urkundenbeweises10. Der Königsurkunde gegenüber war die Behauptung, daß sie Unwahres enthalte, bei Todesstrafe verboten11; der Besitzer einer Königsurkunde hatte daher einen Widerspruch des Gegners nicht zu gewärtigen, für ihn lieferte sie, wenn sie echt war, vollen Beweis 12. Anders die Privaturkunde, die, sobald sie der Gegner nach Form oder Inhalt bestritt, als Beweismittel nicht weiter in Betracht gezogen wurde; es kam vielmehr zum Beweis über ihren Inhalt, den entweder der Produzent mit Eideshelfern oder die Urkundszeugen, nach ribuarischem, neulangobardischem und alamannischem Recht unter Mitwirkung des Schreibers, zu beschwören hatten 13 . Wenn der Gegner des Beweisführers sich nicht mit der einfachen Ableugnung begnügte, sondern unter Durchbohrung der Urkunde Schreiber und Zeugen der Fälschung zieh, so kam es über die Berechtigung dieser peinlichen Urkundenschelte zu einem besonderen Zwischenverfahren des Gegners mit dem Schreiber und den Zeugen, wobei der unterliegende Teil bußfällig wurde14. 2. Das o r d e n t l i c h e Verfahren. Der Formalismus des ordentlichen Verfahrens blieb im wesentlichen derselbe wie in der germanischen Zeit. Die Ladungsfristen waren bei der bannitio die gleichen wie bei der älteren mannitio, nach fränkischem Recht sieben, vierzehn oder vierzig (bezw. 42) Nächte15. Die feierliche Bekräftigung der Klage erfolgte, statt der heidnischen Formeln (S. 86), durch einen Gefährdeeid (fränk. „Widereid", ags. „Voreid"), den nur der Vertreter des Königs bei fiskalischen Prozessen

10

Vgl. S. 274f. BRUNNER 2, 420ff. 441; Schwurger. 64ff.; RG. d. Urk. 203ff; Gerichtszeugnis 143ff. 155ff. 171 f.; Carta u. Notitia (Comment, in hon. MOMMSENI 1877) 4 . 16ff. E . M A U R E R a. a. O . 196. BETHMANN-HOLLWEQ 1, 5 5 f . 246. 382f. 887. 498f. 553 ff. 2, 157 ff. ZORN Beweisverfahren 51 ff. A . S . SCHULTZE, Z . f. d. Priv. u. öff. R. 22, 99ff. 106. B R E S S L A Ü Urk.-Lehre 1, 476ff.; FDG. 26, Iff. SEELIQER, Mitt. d. öst. Inst. 11, 396 ff. WIQMORE A brief history of the parol evidence rule, Columbia Law Review (1904) 4, 338 ff. " Vgl. S. 363. L. Rib. 60, 6. " Wenn der Gegner ebenfalls eine Königsurkunde vorlegte, suchte man*ursprünglich den Inhalt beider Urkunden ausgleichend zu vereinigen (L. Rib. 60, 7), später erhielt die filtere Urkunde den Vorzug. Vgl. n. 30. BRESSLAU 1, 484 f. 14 Vgl. L. Rib. 58, 5. 59, 2. L. Sal. extrav. B. 3 (BEHREN»2 166). L. Alam. 2, 2. Lib. Pap. Widonis. c. 6. Daß der Beweiswert der Urkunde nur in den Zeugen lag, wird durch das Wort urkunde, das nichts anderes als „Zeuge" bedeutete, bestätigt. Vgl. GRIMM RA. 8 5 8 . RICHTHOFEN Altfr. WB. 970f. K . M A U R E R a. a. O. 188. u Vgl. L. Rib. 58, 5. 59, 3 f. L. Sal. extravag. B . 4. B R U E L Recueil des chartes de Cluny 1, 18, Nr. 15 (870). Über die Schriftvergleichung, falls der Schreiber bereits verstorben war, vgl. L. Rib. 59, 5. BRUNNER 1, 423 n. 15 Vgl. S. 172. 175. BRUNNER 2, 335. 338. Nach L. Alam. 36, 2 konnte der im Ding anwesende Gegner auch hier geladen werden, was im Mittelalter allgemein zulässig war. Vgl. B R U N N E R 2, 341. Über das die Ladung ersetzende Streitgedinge (Vereinbarung über das Erscheinen vor Gericht) ebd. 340f. 24*

372

Fränkische Zeit.

nicht zu leisten hatte16. Das rechtsförmliche Antwortgebot [tangano] des Klägers zwang den Beklagten, dem Klagevortrag Wort für Wort zu folgen. Was nicht ausdrücklich verneint wurde, galt als zugestanden. Hinsichtlich der einzelnen Klagepunkte gab es nur die Wahl zwischen Zugeständnis und Ableugnung, für ein „Ich weiß nicht" oder ein bedingtes Zugeständnis mit Einreden hatte der Prozeß, als ein Prozeß „mit Gefahr", weder Baum noch Bedürfnis17. In bestimmten Ausnahmefällen konnte der Beklagte sich dem entziehen, wenn er, ohne das „tangano" des Klägers abzuwarten, sich sofort auf Urkunden oder Verjährung, auf Prozeßunfähigkeit des Klägers oder auf eigene Unkenntnis von einer seinem Knecht zur Last gelegten Missetat berief und daraufhin die Antwort verweigerte18. Erst seit der richterliche Antwortbefehl üblich wurde, konnte der Beklagte Einreden erheben, die man als einen motivierten Widerspruch gegen den Befehl des ßichters auffaßte19. Auf Klage und Antwort, Bede und Widerrede erging sofort das Urteil, anfangs in alter Weise auf eine an die Urteiler gerichtete Aufforderung des Klägers (mit „tangano'*), später auf Urteilsfrage des Bichters, nachdem die Partei an ihn die Urteilsbitte gestellt hatte20. Das Urteil war ein Endurteil, wenn der Beklagte bekannt oder die eine Partei durch eine unscheltbare oder vom Gegner anerkannte Urkunde ihr Becht erwiesen hatte21. In allen anderen Fällen kam es zunächst zu einem Beweisurteil oder, wenn der Kläger eine Leistung des Beklagten beanspruchte, zu einem zweizüngigen Urteil, das zugleich Beweis- und bedingtes Endurteil war22. Auf das Urteil schlössen die Parteien in der Vgl. Bbunneb 2, 343 f. Amiba' 166. Löninq Eeinigungseid 302ff. Salvioii Iusiurandum de calnmnia (Festschr. des Circolo giur. di Palermo für Bologna 1888) 37ff. Der Eid wurde meistens vom Klager allein, nnter Umständen mit Eideshelfern geschworen. Der Eineid wurde vom Gegner häufig erlassen, manche Bechte ließen ihn Überhaupt nur auf Verlangen des Gegners eintreten. Er fiel weg, wenn der Kläger sich auf Augenschein, Urkunden oder Zeugen berief. Über Fortleben des Voreides in Trier vgl. Isnt, Trier. Arch. 1, 88 f. 17 Da der Kläger dem Beklagten ein rechtswidriges Verhalten vorwerfen mußte, so handelte es sich immer nur um Schuld oder Unschuld und der Beklagte konnte, auch wenn er die vom Kläger behauptete Tatsache zugab, doch mit einer einfachen Verneinung antworten (z. B. „Ich habe den N. nicht in feindlicher Absicht erschlagen", „Ich besitze die Sache nicht zu Unrecht"). 18 L. Bib. 30, 1: Quod si quis in iudieio pro servo interpellaius fuerit, quod si servos tales non fuerit, unde dominus eius de fiducia securus esse possei, in iudieio respondeat ad mterrogationis: „Sta tu", et lieeat ei sine tanganu hquere, et dieat: „Ego ignoro, utrum servos meos culparn innocens ex hoc extederet; propterea tum seeundum legem Bibuariam super 14 noctis ad igneum repraesento". Vgl. ebd. 59, 8. Liutpr. 121. Burg. 20, 2. Fris. 1, 13. MG. Leg. 4, 571. Sohm ebd. 5, 221 n. 37. Bbtonbb 2, 346; Gerichtszeugnis 146. w Vgl. Sora B.- u. GV. 141. Brunneb 2, 348; Schwurgerichte 44f. ,0 Vgl. S. 86. Bbuhnbr 2, 355. 362. 11 Vgl. Brvnner Schwurgerichte 64. Bethmann-Hollweq 1, 496. " Vgl. S. 86. Bbunneb 2, 362. Siegel a. a. O. 111. 152FF. Bethmann-Hollweo 1, 515. Erst allmählich wurde es üblich, der siegreichen Partei aber den

§ 87.

Gerichtsverfahren.

2. Ordentliches Verfahren.

373

Form eines gegenseitigen Wettvertrages den Urteilserfüllungsvertrag, der gleichzeitig auch Streitgedinge und Beweisvertrag sein konnte23. Wer den Vertrag nicht erfüllte, also im Termin ausblieb oder den übernommenen Beweis nicht führte, wurde sachfällig (iectivus, iactivus)u. Das Urteil entschied die Beweisrolle und stellte das Beweist h e m a fest. Bei handhaffcer Tat war der Kläger näher zum Beweise, den er mit Eid und Eideshelfern oder den auf das Gerüft herbeigeeilten Schreimannen führte 25 . Ebenso hatte der Kläger den Vorzug des Beweises, wenn er, soweit die Sache dazu angetan war, die Entscheidung durch Gottesurteil forderte26. Im übrigen war, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, der Beklagte näher zum Beweise 27 . Hatte Kläger seinen Anspruch ohne weitere Begründung und Beweisantretung vorgetragen („schlichte Klage"), so konnte der Beklagte die klägerische Behauptung einfach verneinen und diese Ableugnung durch Reinigungseid bestätigen28. Dagegen mußte er der begründeten Klage in entsprechender Weise antworten und bereit sein, seine Gegenbehauptungen durch Zeugen oder Urkunden zu beweisen; unterließ er dies, so ging sein Beweisvorrecht verloren und der Kläger konnte ihn durch Zeugen oder Urkunden ÜberAusfall des Beweisverfahrens ein deklaratorisches Urteil auszufertigen, was für den späteren Beweis vorteilhaft sein konnte. Vgl. BRDNNER 2 , 3 6 3 f. 3 6 9 ; Zeug.u. Inqu.-Bew. 40f. SOHM R . - U. G V . 1 2 7 n. 1 2 6 . " Vgl. S. 82. 87. 3 0 4 . V A L DE L I £ V B E Launegild 137 ff. SIEOEL a. a. 0 . 219 ff. SOHM Proz. d. L. Sal. 163 ff. BETHMANN-HOLLWEO 1, 515. HEÜSLER Inst. 2, 230ff. BRUNNER 2, 3 6 5 f f . ; Sehwurger. 52; Zeug.-u. Inqu.-Bew. 6 . 38. THONISSEN a. a. O . 4 6 2 ff. W O D O N Forme et garantie dans les contrats francs 1893. 24 Wahrscheinlich hatte der Gegner die ihm eingehändigte wadia (festuca) dem Gericht vorzuzeigen und dann in rechtsförmlicher Weise wegzuwerfen. Vgl. BRDNNER 2 , 3 6 8 f . Dir CANOE S. V. abiectire. L. Sal. extrav. B , c. 6 ( B E H R E N S ' 1 6 7 ) ist zu lesen: si non, pro iectivo conponat etc. M S. 90. BETHMANN-HOLLWEO 1, 5 1 1 . BRÜNNER 2 , 3 7 2 . Fact. pr. ten. pac. 2 . 28 Vgl. BRUNNES 2, 371. 374 f. Auf diese Weise verlegte man seinem Gegner auch den Beweis mit Eid oder Zeugen durch Eides- oder Zeugenschelte. 27 Einen Ausnahmefall bildete noch im Mittelalter die Klage einer Witwe auf ihre Morgengabe. Vgl. S . 328. L. AI. 54. SCHRÖDER , G. d. ehel. Gütern 1, 84. 106. 2, 1 S . 29 f. 42. 50. 2, 250. 3, 334. Im übrigen BRUNNSK 2, 375. B E T H MANN-HOLLWEO 2, 135f. L. Alam. 62, 1. 65, 1. 67, 2. 28 Vgl. .äCthelred 2, 9 c. 3 (LIEBERM. 226): a bift andscec swiäere ponne onsagu (immer ist Ableugnung näher zum' Beweise, als Klage). L. Burg. 45. Roth. 364. Die Strafbestimmungen der Volksrechte enthalten häufig die Alternative solvat aut iuret, so fast regelmäßig L. Rib., Fris., Sax, Angl, et Wer., Pact. Alam., häufig L. Alam., vgl. auch Bai. 1, 3, 5. 9, 2f. 13. 6ff. 20. Cham. 46. Daß auch die Lex Salica nicht grundsätzlich, sondern nur in der Zulassung zufälliger Überfuhrungszeugen abweicht, hat BRTTNNER 2, 371 f. 394f. nachgewiesen. Die formalistische Natur von Klage und Antwort brachte es mit sich, daß das Beweisthema nicht bloß auf Tatfragen, sondern auch auf die vom Kläger behauptete Rechtswidrigkeit (malo ordine, iniuste) gestellt wurde; die Gründe des Beklagten für die Verneinung seiner Schuld konnten in das Beweisthema aufgenommen werden. Vgl. Burg. 6, 6. 39, 3. 52, 4. Rib. 73, 3. Ed. Chilp. 6 (BORETIUS 1, 8). Gap. ad. leg. Rib. von 803 c. 5 (ebd. 117). Alam. 78, 6. Roth. 229f. 342.

Fränkische Zeit.

374

führen 29 . Bezogen beide Teile sich auf Urkunden, so gab es kein besonderes Beweis Vorrecht; beide Urkunden wurden im Gericht verlesen, worauf das Urteil entschied, wer das bessere Hecht für sich habe 30 . Der E i d 3 1 wurde nur ausnahmsweise als Eineid, in der Regel mit Eideshelfern geleistet, deren Zahl sich nach dem Gegenstand richtete. Der höchste Eid („Volleid") war im allgemeinen der Zwölfereid (mit oder odne Einrechnung des Hauptmannes), doch wurde unter Umständen auch das Doppelte, Drei-, Vier- oder gar Sechsfache verlangt32. Geringere Eide wurden selbsiebent oder selbsechst, selbviert oder selbdritt, vereinzelt auch wohl mit nur einem Helfer geleistet. Der Eid wurde der schwörenden Partei von ihrem Gegner, später vom Richter „gestabt", indem der Abnehmer des Eides, einen Stab in der Hand, den im Urteil formulierten Eid Wort für Wort vorsprach, der Schwörende unter Anrufung Gottes ebenso nachsprach33. Nach der Partei schwuren die Eideshelfer, ur19

Vgl. Bbunneb 2, 373; Zeug.- u. Inqu.-Bew. 31. L. Alam. 42, 1: quodiam manifestum est tribus vel quattuor testibus, tune poteatatem iurandi non habeat. Bai. 1, 10: si eonvictm erimtne negare non possit. 2, 1: et exinde probatus negare non potest. 9, 7: In his vero causis sacramenia praestentur, in quibus nullam probationem dismissio iudioantis invenerit. Sal. 39, 2: Si probatio certa non fuit, sicut pro oeeiso iuratore dornt. Der Gegensatz zwischen probatio nnd iusiurandum begegnet noch bei Obertns de Orto, II. F. 2 § 1 : si per quoslibet idoneos testes aut per publicum instrumentum probari poterit, aut inopia probationum res deeidatur per iusiurandum. 30 Vgl. Loebsoh u. Sohbödeb" Nr. 64. Über den Fall, wo sich zwei Königsurkunden gegenüberstanden, vgl. n. 12. Bbunner Gerichtszeugnis 155. 81 Vgl. S. 87. 370. Bbunneb 2, 377ff. 427ff. Sieoel 176ff. 225ff. 277ff. Bethmann-Hollweo 1, 28ff. 169. 172. 379. 513. 2, 127 f. 130. 134 ff. 160ff. Maubeb Beweisverfahren 196 ff. 239ff. Löninq Reinigungseid 1880. Gemeines Eideshilfe u. Eideshelfer 1848. Cosack Eidhelfer 1886. Sohh B.- u. GV. 575 ff. Beaüdouin Remarques sur la preuve par le serment du défendeur dans le droit franc, Ann. de l'Univ. de Grenoble 8. Koldebup-Rosenvinqe Dissertationes de usu iuramenti in litibus probandis et decidendis, iuxta leges Daniae antiquas 1815/17. Amira* 164ff.; Zar salfränkischen Eideshilfe, Germania 20, 53ff. Gbimm RA. 859ff. 892ff. Zoen a.a.O. 12—35. Thonisbin a.a.O. 516ff. Pardessus Loi Salique 624ff. Waitz 1, 443 f. Ein eigentümliches Überbieten des vom Kläger angetretenen Widereides dnrch einen größeren Eid des Beklagten fand nach dem 2. sal. Kapitular c. 8 bei Prozessen unter Antrustionen statt. Ursprünglich durften nur Verwandte oder Nachbarn des Schwörenden zur Eidhilfe genommen werden, was sich in einigen Rechten erhielt, in den übrigen wenigstens die Regel blieb. Bei Freiheitsprozessen wurden bestimmte Verwandte von Vater- und Mutterseite verlangt (Bbunneb 2, 381 f.). Sonst war, wo die nötige Zahl der Verwandten fehlte, Ergänzung aus anderen Personen gestattet. " Über den noch Ssp. 1, 6 § 2 erwähnten Eid mit 72 Helfern vgl. Bbunneb 2, 384 n. Brief Alkuins an Arno bei Migne Alcuini opéra 1, 324 f. 99 Daher in altfranzösischen und anglonormannischen Quellen iuramentum fractum, im Gegensatz zu dem nicht so wörtlich nachzusprechenden schlichten Eide (iuram. planum, non fractum, ags. mid unforedan ade), der insbesondere den der heimischen Sprache unkundigen Fremden, z. B. den Normannen in England, gestattet wurde. Vgl. Bbunneb, ZRG. 30, 128. Über die Form des Eides § 13 n. 12. Nach christlicher Sitte legte der Schwörende die Hand auf einen Reliquien-

§ 37. Gerichtsverfahren. 2. Ordentliches Verfahren.

375

sprünglich mit gesamtem Munde, später jeder für sich. Jeder Formverstcß bei dem Eide machte den Beweisführer sachfällig. So lange der Eid noch nicht geleistet war, konnte er durch den Gegner in feierlicher Form verlegt werden. Über die Berechtigung der Eidesschelte wurde in der Begel durch gerichtlichen Zweikampf entschieden. Der Z e u g e n b e w e i s 3 4 des volksrechtlichen Verfahrens beschränkte sich n alter Weise auf Urkunds- und Gemeindezeugen. Die ersteren waren entweder Zeugen über rechtserhebliche Tatsachen oder Geschäftszeugei; sie mußten in formeller Weise zur späteren Beurkundung aufgefordert sein und wurden dabei durch ein Urkundsgeld oder eine sonstige Gabe (Imbiß, Weinkauf] zur Ablegung des Zeugnisses verpflichtet35. Für Gemeindezeugen (bei Grenzstreitigkeiten, Besitzfragen u. dgl.) bestand eine Zougnispflicht zunächst nicht, sie wurde erst mittelbar begründet, seit die Ladur.g durch den ßichter üblich geworden war 36 . Das Gerichtszeugnis war dem volksrechtlichen Verfahren noch unbekannt; die Behauptung einer Partei über gerichtliche Vorgänge mußte wie jede andere Behauptung bewiesen werden37. Die Zahl der erforderlichen Zeugen richtete sich nach dem Gegenstand38. Eine Vernehmung der Zeugen fand nicht statt; sie hatten nur die durch das Urteil zum Beweisthema erhobene Behauptung des Zeugenführers Wort für Wort zu beschwören oder den Eid abzulehnen39. Ihr Eid war demgemäß ein assertorischer, kein proschreiu („auf den Heiligen schwören"), oder auf den Altar, das Evangelienbach oder ein geweihtes Kreuz. 34 Vgl. S. 87. 370. BRÜNNER 2, 391 ff. 435ff,; Zeugen- u. Inqu.-Bew. 11 ff.; Schwuiger. 50f. 54ff. K . MAURER ( S . 85) 185ff. 234ff. SIEGEL 127ff. 194ff. 231 ff. BETHMJNN-HOLLWEÖ 1, 33f. 170. 381. 495f. 505f. 2, 139ff. PABDESSUS 621 ff. T H O NISSEN a . a . 0 . 4 9 8 ff. ZOBN a . a . 0 . 4 3 3£

ff.

GRIMM R A . 8 5 6 f .

AMIBA'

166.

Vgl. S. 87 n. S. 308. Bei der allgemeinen Verbreitung des Urkundsgeldes im Mittelalter erscheinen die gegen sein Alter erhobenen Bedenken (vgl. BRUNNEB 2, 3921.) als anberechtigt, wenn auch für unsere Periode vielleicht noch keine erzwinfbare Haftung der Zeugen anzunehmen ist. Di rogatio testium und die Zahlung des Urkundsgeldes bei Zeugen über Tatsachen war Sache dessen, der sich d® Beweis sichern wollte, bei Gesch&ftszeugen lag sie dem VertragBgegner ob (ebd 393). Wer auf gehörige mannitio der beweisführenden Partei das Zeugnis verweigerte, verfiel jedenfalls in die gewöhnliche Prozeßbuße (nach fränkischem Kecht 15 sol.). Vgl. L. Sal. 49, 3. Rib. 50. 86 SOHM R.- u. GV. 355 ff. Das salische Recht ließ behufs der Überführung von Verbrechern auch Zufallszeugen zu. Vgl. n. 28. Die Schreimannen bei handhafter Tat waren Eideshelfer, wenn sie auch gleich Zufallszeugen durch ihre zufallige Anwesenheit bei der Erhebung des Gerüftes designiert wurden. Vgl. BRUNNIR 2, 399. Auch die in Freiheitsprozessen zugezogenen Verwandten des Beklagten (n. 31) waren Eideshelfer und keine Zeugen. 87 Vgl. BRONNER Gerichtszeugnis 1 4 0 ff. K . MAURER a . a . O . 190FF. Den Langotarden war das Gerichtszeugnis seit dem 8. Jh. bekannt. Vgl. S. 275. 88 Vgl. § 3 5 n. 3 9 . BRUNNER 2 , 3 9 7 ; Schwurgerichte 5 1 . 39 Vgl. BRÜNNER 2, 398; Schwurgerichte 54. Bei den Langobarden wurde der Zeigeneid nicht schon im Urteil formuliert, sondern der Richter hatte die Zeugen zu vernehmen und ihre Aussage dann durch Eid (ursprünglich vielfach bloß dircli Handschlag) bekräftigen zu lassen. An den Zeugeneid schloß sich

376

Fränkische Zeit.

missorischer Eid. Nach fränkischem Recht schworen die Zeugen ursprünglich wie die Eideshelfer mit gesamtem Munde, bei den Baiern nur einer, den das Los bestimmte. Nach den Zeugen schwur in der Kegel auch der Zeugenführer. Der Gegner konnte, soweit es sich nicht um Geschäftszeugen handelte, die Legitimation des Zeugen bestreiten, indem er ihm die gesetzlichen Eigenschaften absprach40, oder indem er seinen Eid schalt, was durch gerichtlichen Zweikampf zwischen ihm und dem gescholtenen Zeugen zu erledigen war. Zu erheblich größerer Bedeutung gegenüber dem Beweisverfahren der Urzeit waren die Gottesurteile gelangt41. Während der Langobardenkönig Liutprand sich skeptisch verhielt und nur dem Volksvorurteil nachgab42, schärfte Karl der Große ausdrücklich ein, daß den Gottesurteilen Glauben beizumessen sei43. Die Kirche bediente sich der Gottesurteile auch in rein kirchlichen Dingen und bildete eine eigene Liturgie dafür aus 44 . Im einzelnen zeigt sich ein eigentümliches Gemisch altarischer und neuchristlicher Einrichtungen. Das germanische Losurteil, obwohl in ein entschieden kirchliches Gewand gekleidet, trug doch zu viel Heidnisches an sich und trat daher mehr in den Hintergrund46. Dagegen stand der gerichtliche Zweikampf in allgemeiner Anerkennung, obwohl die Kirche ihm nicht geneigt war und ihn in ihrem Bereich zu beseitigen wußte46. Während die Westgoten ihn zu Pferde und demnach wohl mit dem Speer auskämpften, stritt man bei den übrigen Stämmen zu Fuß mit dem Schwert, bei den salischen Franken mit dem Kampfstock 4 '. Christlichen Ursprungs war die dem Zweikampf zeitweilig für der des Zeugenführers. Vgl. BRÜNNER Zeug- u. Inqu.-Bew. 14f. 32ff.; Schwurgerichte 55 ff. ZORN a. a. O. 44. Zu weit geht SOHM R.- U. 6 V . 186 n. 101. Über das dem karolingischen Inquisitionsverfahren schon sehr nahe kommende westgotische Recht vgl. BRUNNES Zeug.- u. Inqu.-Bew. 34ff. BETBMANN-HOLLWEG 1, 244f. DAHN Stadien 275f. 40 Vgl. S. 370. BMTKNEB 2, 396. 436; Zeng-. n. Inqu.-Bew. 32. 41 Vgl. S. 88 f. und die dort angeführte Literatur. BRUNNER 1, 182. 2, 374 f. 399 ff; 437 ff. PATETTA Le ordalie 1890. AMKA1 168 ff. HILDENBRAND Pnrgatio canonica und vulgaris 1841. KÖNIQSWARTER Revue de l£gisl. 3, 844 ff. BETHMANN-HOLLWEO 1, 30ff. 170f. 380. 384. 507f. 511f. 2, 135. 164ff. SIEOEI 112. 163ff. 202ff. 2 3 4 ff. PABDESSVB a . a . O . 6 3 2 f.

TBONISSEN a. a . O. 5 0 7 ff. LÖNIEQ

Reinigangseid

50ff. 75ff. WAITZ 4, 428ff. RETTBEBO KG. 2, 749ff. SCHMID Ges. d. Angels. 639f. " Liutpr. 118: Ineerti sumus de iudieio Dei, et multos audivimus per pugna/m sine iustitia causam suam perdere; sed propter consuetudinem gentis nostrae Langobardorum legem ipsam tetare non possumus. 43 Vgl. BORETIUS 1, 150, 20: Ut omnes iudiiium Dei eredant absque dubitatione. Die Gottesurteile galten im allgemeinen auch für Juden (vgl. BORETIUS 1, 259, 6), mit Ausnahme der königlichen Schutzjuden (Form. imp. 30, ZEUMER 3 0 9 ) . "

• 4 4 Vgl. S. 280. 46 Vgl. L. Rib. 31, 5. Fris. 14, l f . Pact. pro ten. pac. 5f. 8. lOf. 49 Vgl. Bischof Agobard an Ludwig d. Fr., MG. Leg. 3, 504. 47 In der Lex Salica wird der gerichtliche Zweikampf nicht erwähnt, doch darf man daraus kaum schließen, daß er auch dem ungeschriebenen Volksrecht unbekannt gewesen sei; nur spielte er eine geringere Rolle als in den übrigen

§ 37. Gerichtsverfahren. 2. Ordentliches Verfahren.

377

unkriegerische Personen substituierte Kreuzprobe, das einzige zweiseitige Gottesurteil außer dem Zweikampf, übrigens gleich diesem auch die Vertretung durch andere gestattend48. Ein einseitiges Gottesurteil kirchlichen Ursprungs war die Abendmahlsprobe, vielleicht nur eine christliche Umbildung der auf arische Herkunft hinweisenden Probe des geweihten Bissens 49 . Das vorherrschende Gottesurteil bei den salischen Franken war zur Zeit der Lex Salica der Kesselfang (

Landeshoheit Österreichs 41 ff. Oorkondenb. v. Holl, en Zeeland 2 Nr. 86 (1262). *» V g l . 94

WAITZ

62,

90.

92.

Vgl. H O M E Y E R 452f. W A I T Z 7, 12. S T O B B E 5, 325f. H. S C H U L Z E Erbund Fainilienrecht 35 ff. B Ö H M E R Acta imperii Nr. 335. 380. 838. Das Herzogtum Österreich wurde Weiberlehen durch das Privilegium minus v. 1156 (vgl. BERCHTOLD a. a. O. 40 ff.), das Herzogtum Braunschweig durch die Errichtungsurkunde v. 1235 (n. 25, vgl. Z A C H A B I Ä , Successionsrecht im Gesamthause Braunschweig 19 ff.). Vgl. I. P. 6 § 2. 8 § 1. II. F. 13. 18. 30 pr. 85 Vgl. K R A U T Vormundschaft 1 , 1 2 1 f. Sachs. Lehnr. 2 6 § § 2 . 5 . Lehnsgesetz v. 1 1 5 8 § 4 ( W E I L A N D 1, 2 4 8 ) . I I . F. 2 6 § § 1 2 . 1 3 . Da die Mündigkeit nach sächsischem Recht mit zwölf Jahren eintrat, so erstreckte der Sachsenspiegel (n. 90) die Mutungsfrist für Unmündige, unter Einrechnung der gewöhnlichen Frist, bis zum Alter von 13 Jahren 6 Wochen und 3 Tagen. 89 Über das Folgende vgl. K R A U T Vormundschaft 3 , lff. H O M E Y E R 4 7 8 ff. WAITZ 6», 9 3 . STOBBE 2 § 1 1 9 ( 2 3 § 1 7 7 ) . 97 KRAUT 3, 2 3 HOMEYER 4 8 9 .

SCHULZE a . a . O .

113FF.

Die Befugnis des Herrn, auch das Vgl. f. auf dem Lehen vorhandene Inventar als Angefälle in Anspruch zu nehmen, ist

426

Mittelalter.

und Angefälle in erster Reihe dem Herrn selbst zu 88 . Nur wenn der Allodialvormund des Kindes auch ein Lehnsmann des Herrn war, konnte der Herr ihm oder dem Kinde das Angefälle und damit zugleich die Lehnsvormundschaft einräumen. Wurde eine solche Übertragung ursprünglich als eine persönliche Gunst des Herrn aufgefaßt, so zeigen die außersächsischen Lehnrechtsquellen bereits eine weitere Entwicklungsstufe: der Vormund hatte das Recht und die Pflicht, für sein Mündel zu muten und die Lehnserneuerung zu empfangen, mußte aber auch für die Lehnsdienste, die in diesem Fall nicht suspendiert wurden, Sorge tragen. War aber der Allodialvormund nicht Vassall des Herrn, so konnte letzterer nach Belieben Angefälle und Lehnsvormundschaft für sich behalten oder einem seiner Mannen einräumen. Wo das Recht des Herrn auf das Angefälle durch besonderes Privileg oder gewohnheitsrechtliche Entwicklung beseitigt worden war 89 , bedurfte es eines besonderen Lehnsvormundes nur, wenn der Allodialvormund nicht Lehnsmann war; die Bestellung erfolgte in-diesem Fall wohl durch die Familie des Vassalien unter Mitwirkung des Herrn. Mit dem Eintritt der Mündigkeit hörten Angefälle und Lehnsvormundschaft von selbst auf, der junge Mann nahm das Lehen sofort selbst in Besitz und Verwaltung, nur für die Vertretung im Lehnsgericht pflegte er bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit aus der Reihe seiner Mitvassallen einen Treuhänder zu bestellen 90 . Seit die nießbräuchliche Vormundschaft außer Übung gekommen war und auch die Lehnsvormundschaft sich auf die Verwaltung und gerichtliche Vertretung des Lehns beschränkte, verband man jene Treuhänderstellung mit der Lehnsvormundschaft, indem man diese einfach bis zur Volljährigkeit des Vassalien fortdauern ließ 91 . War der Vormund nicht Lehnsmann, so bedurfte er, um in dieser Weise auch die Lehnsvormundschaft übernehmen zu können, der Belehnung zu treuer

wohl so zu verstehen, daß der Herr befugt war, das Gutsinventar vorbehaltlich späterer Herausgabe für die Daner des Angefalles wirtschaftlich auszunutzen. Vgl.

K R A U T 3 , 1 0 ff. 88 Vgl. K R A U T 3 ,

3 f. HOMEYER 486 f. Sachs. Lehnr. 26 ; § 2 : Di herre is immer des kindes vormünde an deme gude, dat it kind von ime hevet, die teile he it anevelle unverlegen hevet, unde sal dat gelt des gudes nemen, wente it kint to sinen jaren kome. W E I L A N D Const. 2, 3 9 3 c. 9 . 89 Den steirischen Ministerialen wurde schon 1186 bei dem Übergang des Landes auf Leopold von Österreich die Befreiung vom Angefälle gewährt. Vgl. LUSCHIN Beitr. z. Kunde Steiermark. G.-Quellen 9, 125 ff. 90 Sachs. Lehnr. 26 § 1: Hindere jartale is drittein jar unde ses weken von ir bort, dock, bedoreen sies dar na, of sie ieman bedegedingen wel um ir len, die teile sie to iren dagen nicht gekomen sin, dat is to enetne jare unde tvintich, so muten sie wol vormünden nemen enen irs herren man, die sie vorsta to Unrechte; deme solen sie die were loven mit vingere unde mit tungen, to behaldene unde to verliesene. Vgl. K R A U T 3, 26 f. 91 Vgl. H O H E T E R 4 9 7 ff. K R A U T 3, 37 ff. Diese Entwicklung ergibt sich schon aus einem jüngeren Zusatz des Sachsenspiegels (Ssp. I. 23 § 2).

§ 40. Lehnwesen.

Regalienrecht.

427

Hand seitens des Herrn, so daß die Lehnsträgerschaft an die Stelle der LehnsVormundschaft trat 92 . Dem Angefällerecht des Lehnsherrn bei weltlichen Lehen entsprach das R e g a l i e n r e c h t (tun regalium, ius regaliae) des Königs an den Erträgen der geistlichen Fürstentümer für die Dauer der Stuhlerledigung 93 . Es entstammte einem schon unter den Karolingern nachweisbaren Gebrauch bei den Eigenkirchen, indem der Kirchherr während der Erledigung der geistlichen Stelle die Bedienung der Kirche durch einen Vikar besorgen ließ, die Erträge aber für sich in Anspruch nahm. Durch die Ausdehnung des Eigenkirchenrechts auf die Reichsabteien und Bistümer gestaltete sich dieser Gebrauch zum Regalienreeht 94 . Während letzteres in Frankreich zuerst unter Ludwig VII zweifellos bezeugt ist, scheint es in Deutschland schon seit Heinrich V vereinzelte Anwendung gefunden zu haben 93 , so daß Friedrich I, unter dem es rücksichtslos zur Geltung gebracht wurde, sich bereits darauf berufen konnte, daß dies ex antiguo iure regum et imperatorum atque ex cotidiana consuetudine geschehe 96 . Eine genaue Abgrenzung scheint das Regalienrecht im Wege des Kompromisses erfahren zu haben, indem seine Dauer im allgemeinen auf ein Jahr nach dem Eintritt der Stuhlerledigung bestimmt wurde, was einerseits häufig in die Besitzzeit des Nachfolgers hinübergreifen mußte, andererseits aber einer willkürlichen Hinausschiebung durch Verzögerung der Investitur des Nachfolgers vorbeugte 97 . Eine wesentliche Erweiterung aber erfuhr das Regalienrecht in den späteren Regierungsjahren Friedrichs I, indem dieser, abermals durch Übertragung eines bei den Eigenkirchen entwickelten Gebrauches, außer den Vakanzgeldern auch den ganzen beweglichen Nachlaß der geistlichen Fürsten, soweit er aus ihrem Lehnsbesitz herrührte, für die Krone in Anspruch nahm. Das auf diese 93 Vgl. K R A U T 3 , 42f. ALBRECHT Gewere 244. Wer nicht Lehnsmann desselben Herrn war, konnte das Kind nicht im Lehnsgericht vertreten und darum nicht Lehnsrormund sein. 83 Vgl. F I C K E R Eigentum des Reichs am Reichskirchengut 381 ff. SCHEFFERBOICHORST Kaiser Friedrichs I letzter Streit mit der Kurie 189 ff. ZÖPFL Altert. 2, 43ff. BERCHTOLD Landeshoheit 65ff. 128ff. EICHHORN St.- u. RGr. 2, 518f. SUGENHEIM Staataleben des Klerus 267 ff. 287 ff. PHILLIPS Regalienrecht in Frankreich 1873. B L O N D E L Frédéric I I S. 242 ff. D E CANGE S. V . regalía. 94 Vgl. STÜTZ Eigenkirche 25f. 35f.; Kirchenrecht ( S . 8) 831. 840. W E R MINQHOFP ( S . 8) 185. G E F F C K E N Die Krone und das niedere deutsche Kirchengut, Leipz. Diss. 1890, S . 12 ff. PHILLIPS a. a. O. 17 ff. Daß bei Ausbildung des Regalienrechts lehnrechtliche Anschauungen mitgewirkt haben, ist wohl nicht zu bezweifeln, doch haben sie nicht die entscheidende Bedeutung gehabt, die ihr in den beiden ersten Auflagen dieses Buches beigelegt wurden. 95

Vgl.

FICKER

a. a. O .

384.

SCHEFFER-BOICHORST a . a . 0 .

189.

USSERMANN

Episcopatus Bambergensis, Cod. prob. pg. 65 (1115). 86 LACOMBLET ÜB. Z. G. d. Niederrheins 1, 288 Nr. 417 (1166). 97

Vgl.

n. 1 0 3 f.

FICKER a . a. 0 . 3 8 3 .

PHILLIPS a . a . 0 . 1 9 .

SCHEFFER-BOICHORST

191. Auch bei heimgefallenen Fahnlehen bestand eine Wiederverleihungsfrist von Jahr und Tag, vgl. Ssp. III. 60 § 1.

428

Mittelalter.

Weise begründete sogenannte S p o l i e n r e c h t 9 8 wurde seitens der hohen Geistlichkeit als eine schwere Bedrückung empfunden. Nachdem schon Heinrich VI bei seinem Versuch, die Fürsten zur Anerkennung der Erblichkeit der Krone zu bewegen, sich zur Aufgabe des Spolienrechts bereit erklärt h a t t e " , wurde Otto IV seitens der Kurie schon bei seiner Krönung (1198) zum Verzicht, und zwar unter ausdrücklicher Mißbilligung dieser consuetudo detestabilis bewogen100. Später haben Philipp, Otto IV und Friedrich II wiederholt in ähnlicher Weise nicht bloß auf das Spolien-, sondern auch auf das Regalienrecht verzichten müssen 101 ; dauernd durchgesetzt wurde aber nur die Beseitigung des Spolienrechts102, und auch diese nur gegenüber den geistlichen Fürsten, nicht aber gegenüber den Inhabern der niederen Reichskirchen. Die in dem Würzburger Privileg Friedrichs I I von 1216 ausgesprochene Aufhebung des Regalienrechts 103 t 8 Vgl. STÜTZ Eigenkirche 26f. 36.; Kirchenrecht 831. 840. WEBMINGHOEF a.a.O. 186. G B F F C K E N a. a. 0 . 1 3 f . W A I T Z 8, 248ff.; FDG. 13, 494ff. FICKEBReichskirchengut 387 ff. BLONDEL a. a. 0 . 2 4 4 ff. SCHEFPER-BOICHOEST 192 ff. W E I L A N D , Hist. Aufsätze für W A I T Z 2 64 f. MEIBOM Kerum Germ. 3 , 185 ff. ZÖPFL Altert. 2, 4 5 f. F K I E D BEBO De finium inter ecclesiam et civitatem regund. iudicio 220 ff. EISENBERQ Spolienrecht, Marb. Diss. 1896. E. MAYER Rirchenhoheitsrecht des Königs v. Baiern (1884) S. 17 n. W I L M A K S Kaiserurkunden Nr. 81. 121. 132. Über die sprachliche Bedeutung der Bezeichnung ius spolii vgl. § 12 n. 8. Daß das nicht vor 1183 nachweisbare Spolienrecht gegenüber den Reichskirehen erst von Friedrich I aufgebracht worden ist, wird von Otto IV ausdrücklich bezeugt (n. 100) und von der Vita Hartmanni Brixinensis bestätigt (vgl. FICKEK De Henrici V I . conatu 57 n. 1). Eine Urkunde Friedrichs I für Köln von 1166 (LACOMBLET UB. 1 Nr. 417) bezieht sich nur auf das Regalienrecht und kennt das Spolienrecht offenbar noch nicht. M Vgl. n. 69. F I C K E B De Henrici V I . conatu 57 f. 1 0 0 WEILAND Const. 2, 23. Vgl. ebd. 2, 25f. LACOMBLET UB. 1, 392 Nr. 562. 101 Philipps Versprechen an Innocenz III von 1203 ( W E I L A N D Const. 2, 9): Omnes abüsus, quos antecessores nostri in ecclesiis habuerunt, utputa mortuis prelatis bona ipsorum vel ecetesiarum eorum accipiebant, perpetuo relinquam. Sein Privileg für Bischof Konrad von Regensburg von 1205 (Mon. Bo. 29, 1 S. 517 Nr. 578) bezog sich nur auf das Spolienrecht und bezeichnete den Verzicht auf dieses als eine rein persönliche Gunstbewilligung. Die Versprechungen Ottos IV von 1209 ( W E I L A N D 2, 37) und Friedrichs II von 1213 u. 1219 (ebd. 2, 58. 60. 78) betrafen, nach einem einheitlichen vom Papst vorgelegten Formular, die Beseitigung des abusus in occupandis bonis decedentium prelatorum aut etiam eeelesiarum vaeantium. Vgl. n. 103. 105 Confoed. cum prine. eccl. v. 1220 § 1 ( W E I L A N D 2, 89): Primo promittentes, quod numquam deinceps in morte cuiusquam principis ecclesiastici reliquias suas fisco vendicabimus; inhibentes etiam, ne laieus quisquam aliquo pretextu sibi eas vendicet, sed cedant suceessori, si antecessor intestatus deeesserit; cuius testamentum, si quod inde feeit, volumus esse ratum. 10 ® W E I L A N D 2, 6 8 : Veterem illam eonsuetudinem detestantes, quam antecessores nostri Romanorum imperatores et reges in eatkedrales exercuerunt ecclesias et abbatias que manu regia porriguntur, quod videlicet, decedentibus episcopis et prelatis eorum, non tarn reliquias rerum mobilium eorundem consueverant oecupare ae conveliere in usus proprios oceupatas, quam etiam redditus et proventus per tocius anni primi cireulum ita prorsus auf erre, ut nee solvi possent debita deeedentis nec succedenti prelato necessaria ministrari, eidem consuetudini sire iuri, vel quoeumque vocabulo exprimatur, renunciamus — — —; illud eisdem ecclesiis perpetuo iure

§ 40. Lehnwesen.

Heimfall.

429

wurde nur auf die Erträge aus den eigenen Gütern der Kirche bezogen, so daß an den vom Reich verliehenen Hoheitsrechten das königliche Regalien recht auch ferner gewahrt blieb104. Die Auflösung des Lehnsbandes und die Rückkehr des Lehns an den Herrn trat mit dem Heimfall ein, indem das Lehen durch den unbeerbten Tod des Mannes, wenn weder ein Gedinge noch eine Afterleihe bestand, dem Herrn ledig wurde. Gänzliche Aufgabe des Heerschildes seitens des Mannes durch Eintritt in den geistlichen Stand wurde dem Tode gleichgeachtet105. Außerdem hatte der Mann, im Gegensatz zum Herrn, jederzeit das Recht einseitiger Kündigung, sei es, daß er dem Herrn unter Rückgabe des empfangenen Investitursymbols das Gut aufließ (irefutatio) und durch Lösung des dinglichen Verhältnisses auch das persönliche Band aufhob 106 , oder daß er dem Herrn die Treue aufsagte [entsayunge, widersagunge), wodurch sein dingliches Recht am Lehen von selbst beseitigt und die Verpflichtung zu sofortiger Rückgabe begründet wurde 107 . In Fällen einer Felonie 1 0 8 , wohin außer dem Bruch der Lehnstreue auch die Verweigerung der Lehnsdienste und bösliche Veräußerung des Lehns oder Versäumung der Mutungsfrist gerechnet wurde, konnte der Herr dem Mann und seinen Abkömmlingen das Lehen durch Privationsklage entziehen, so daß es in seiner Hand verblieb, bis die nächste Seitenlinie zur Lehnsfolge gelangte109. Lag nur eine Quasifelonie donantes et auetoritate regia statuenies, ut, ecclesiarum omnium libertate integra Semper in omnibus permanente, res et redditus huiusmodi in solvenda debita decedentium prelatorum et in alios ecclesiarum usus per manus legitime sueeedentium libere eonvertantur. 104 Hofgerichtaurteil Friedrichs II von 1238 (WEILAND 2, 285): cum in curia nostra dietante sentencia prineipum et de speciali peticione conquereneium sit obtentum, quod theloneum, moneta, officium sculteti et iudicium seculare necnon et eonsimilia, que principes ecclesiastici recipiunt et tenent de manu imperiali et predecessorum nostrorum, sine consensu nostro infeodari non possint, cumque quilibei imperator indicta curia percipere debet integraliter et vaeantibus ecclesiis omnia usque ad concordem electionem habere, donee electus ab eo regalia reeipiatetc. Vgl. FICKEB a. a. 0. 385 f. Seit Friedrich II beschränkte sich das Regalienrecht, wenn die Wahl des Nachfolgers rechtzeitig, d. i. binnen sechs Wochen, erfolgte, wohl, auf die Zeit der wirklichen Stuhlerledigang. Vgl. Ssp. III. 59 § 2. 105

,0

V g l . HOMEYEB 5 0 4 .

I I . F . 2 1 . 2 6 § 6.

' Der Herr konnte die Rücknahme des Lehns nur verweigern, wenn ihm die Bedingung, es einem Dritten zu verleihen, gestellt wurde. Verweigerte er die Rücknahme ohne Grund, so wurde der Mann von allen Lehnspflichten entbunden. Vgl. HOMEYEB 4 9 9 ff. Im Verhältnis zu den Lehnsfolgern stand die Rückgabe an den Herrn einer Veräußerung gleich. 11,7 Vgl. HOMEYEB 5 0 2 f. Gold. Bulle c. 13. FRANKLIN Sent. cur. Nr. 2 4 6 . 108 Über die Wortbedeutung vgl. DIEZ WB. 1, s. v. fello. 11)9

V g l . n. 2 4 .

HOMEYEB 4 7 3 . 5 0 5 ff. 5 1 2 f.

SCHRÖDER, Z R G . 5, 2 8 8 .

FRANKLIN

Sent. cur; Nr. 2 0 . 2 2 2 — 2 5 . 2 3 3 . I . F . 5. 2 0 (21). 2 1 (22). I I . F . 2 2 pr. 2 3 pr. 2 4 . 26 §4. 37 pr. MG. Const. 1, 107. 198, 17. 207 f. 248. War ein Afterlehnsmann vorhanden, so trat dieser unmittelbar mit dem Oberlehnsherrn in Verbindung.

Mittelalter.

430

vor, d. h. eine nicht gegen den Herrn gerichtete Handlang durch die der Mann recht- oder ehrlos geworden oder in die Acht verfallen war, so ging das Lehen nach dem lombardischen Recht sofort auf die Seitenlinie über, ohne auch nur vorübergehend an den Herrn zurückzukehren110. Das deutsche Lehnrecht unterschied zwischen Felonie und Quasifelonie nicht, doch trat schon Ende des 13, Jahrhunderts in beiden Fällen eine Wendung zu Gunsten der Erben des Mannes ein, die man unter den Freveln des letzteren nicht leiden lassen wollte 111 . Wie der Mann, so konnte auch der Herr sein Recht verwirken112. Wenn er dem Mann das Gut entzog, oder ihm keine Gewähr leistete, oder dem Mann einseitig das Lehnsband aufkündigte, oder sich eines Treubruches oder einer Rechtsverweigerung gegen ihn schuldig machte, so trat, falls ein Oberlehnsherr vorhanden war, der bisherige Afterlehnsmann unmittelbar mit diesem in Verbindung, der schuldige Unterlehnsherr schied gänzlich aus 113 . War dagegen der Schuldige selbst oberster Lehnsherr, so behielt der Mann das Lehen frei von allen Lehnspflichten und vererbte es in gleicher Weise auf seine Lehnserben, dem Herrn aber blieb das Recht auf den Heimfall gewahrt 114 . Ähnlich war die Lage, wenn dem Vassailen trotz rechtzeitiger Mutung infolge Weigerung oder Abwesenheit des Herrn die Lehnserneuerung nicht zuteil wurde; er behielt in diesem Falle das Lehen frei von Mannschaft, bis der Herr das Versäumte nachholte 115 .

§ 41.

Das Grundeigentum.

Vgl. S. 53 f. 211. § 38 n. 12. A D L E R Zur RG. d. adligen Grandbesitzes in Österreich 1902. A R N O L D Ansiedl. (S. 53) 241 ff. 439 ff. 543 ff. B E L O W Allmende u. Markgenossenschaft, VJSchr. f. Soz.- u. WG. 1, 120 ff. BESELER Neubruch (Symbolae Bethmanno-Hollwegio oblatae 1868). B E Y E R I . E Ergebnisse einer alamann. Urbarforschung (Bresl. Festgabe f. D A H N 1905). B I L G U E R Entwickl. d. ländl. Besitzverhältnisse in Meklenburg 1885. BLINK Geschiedenis van den boerenstand en den landbouw in Nederland 1, 1903. BLONDEL Frédéric II 355 ff. B L U M E R Staats- u. RG. d. Schweiz. Demokratien 1, 17 ff. 376 ff. BLUNTSCHLI Wirtschaftl. Rechtsordnung d. deutsch. Dörfer, Kr. Übersch. 2, 291 ff. BODMANN Rheing. Altert. 439—93. BORNHAK Entsteh, d. Rittergutsbesitzes östl. d. Elbe, FDG. 26, 125ff. BRÜMMER Das Vermessungsrecht, Rostock. Diss. 1892. BRÜNNECK Zur G. d. Grundeigentums in Ost- u. Westpreußen, 2 Bde 1891—96. B R U N N E R Grundz.8 81 ff. Vgl. n. 57. Über die Verwirkung des Lehnsfolgerechtes durch Felonie vgl. II. F. 51 § 1. 54 (55) § 5. 110 Vgl. II. F. 24 § 9. 26 § 18. 31. 37. 1,1 Vgl. HOMEYER 5 1 0 f. FRANKLIN a. a. 0 . Nr. 2 1 9 ; Reichshofgericht 2 , 3 6 5 ff. BÖHMER Acta imperii 5 6 2 . Schwab. Lehnr. 8 5 . Kl. Kaiserr. 3 , 3 2 . in Vgl. H O H E Y E R 514ff. Der Herr verwirkte sein Recht auch, wenn er seinen Heerschild niederte oder ein rechtes Lehen in ein Burglehen umwandelte. 113 Vgl. H O H E T E B 517ff. Siehe auch n. 57. m Vgl. H O M E T E R 515 f. Nach dem lombardischen Lehnrecht wurde das Lehn Eigentum des Vassailen. Vgl. II. F. 22 § 1. 26 § 24. 47. 118

Vgl.

HOMETER 4 7 6 f.

§ 4L.

Grundeigentum.

431

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432

Mittelalter.

Rodwesen Baierns u. Tirols, VJSchr. f. Soz.- u. WG. 3. VAN NIESSEN Stadt- u. territor. Wirtsch.-Leben im märk. Odergebiet bis Ende 14. Jhs. (SCHMOLLER'S Forsch. 16); Zur Entstehung d. Großgrundbesitzes u. d. Gutsherrsch. i. d. Neumark, Stettiner Schulprogr. 1903 (vgl. LUDWIG, YJSchr. f. Soz.- u. WG. 2, 325). NOOBDEWIEB Nederduitsche regtsoudheden 209—37. NORDHOFF Haus, Hof, Mark xi. Gemeinde Nordwestfalens (KIRCHHOFF'S Forsch. 4 ) . PETERKA Das Wasserrecht der Weistümer 1905. PLEYTE De rechtstoestand der marken in Nederlaud 1879. RACHFAHL Zur G. d. Grundherrsch, i. Schlesien, ZRG. 29, 108 ff. RENAUD Gemeindenutzungen, Realgemeinderechte, ZDR. 9, 1 ff. RENNEFAHRT Die Allmend im Berner J u r a 1905 ( G I E B K E Unters. 14, vgl. STÜTZ, ZRG. 39, 393). RICHTHOFEN Unters, über fries. RG. 2, 1041 ff. RIEDEL Mark Brandenb. i. J. 1250 2, 192 ff. ROSCHER Nat.ökon. d. Ackerbaues 8 §§ 71—76. 79. 84f. 102. K . ROTH, G . d. Forst- u. Jagdwesens i. Deutschi. 1879. RÜTTIMANN Die zugerischen Allmendkorporationen 1904 {vgl. STUTZ, Z R G . 39, 392). SCHARFF Das R . in der Dreieich 1868; Das R . in d. hohen Mark, Arch. f. Frankf. G., NF. 3, 255 ff. SCHLÜTES Siedelungen im nordöstl. Thüringen 1903. SCHMIDT Les paysans et la propriété rurale en Alsace an moyenâge 1897. G . A. SCHMIDT Zur Agrar-G. Lübecks u. Ostholsteins 1887. V . SCHMIDT Beitr. z. Agrar- u. Kolonis.-G. d. Deutschen in Südböhmen, Mitt. d. Ver. f. G. d. Deutsch, i. Böhmen 34. 35. SCHÖNINOH Einfl. d. Gerichtaherrsch. a. d. Gestaltung d. ländl. Verh. i. d. niederrh. Territorien 14. 15. Jh., Ann. d. hist. Ver. f. d. Niederrh. 79, 1905. E. O. SCHULZE Kolonisierung u. Germanisierung zwischen Saale u. Elbe 1896. SCHWAPPACH HB. der Forst- u. Jagd-G. Deutschlands, 2 Bde 1886—88. v. SCHWIND Entsteh, der freien Erbleihen 1891 (GIEBKE Unters. 67). H. SÉE Les classes rurales et le régime domanial en France au moyen-âge 1901. SOMMES Entwicklung d. bäuerl. R.-Verh. i. Deutscbl., 2 Bde 1823—30. STOUFF Les comtes de Bourgogne et leurs villes domaniales, N. Revue 1898 S. 351 ff. 489 ff. STBENGE Anfänge d. Dorf- u. Hufen-Verf. in Thüringen, Mitt. d. Vereinig, f. goth. G. 1902. STOVE Wesen u. Verf. d. Landgemeinden u. d. ländl. Grundbesitzes i. Niedersachsen u. Westfalen 1851. TELTINO Skets van het oud-friesche privaatregt, Themis 1874. THUDICHUM Gau- u. Mark-Verf. 1860 (vgl. W A I T Z Abhandl. 540ff.); RG. d. Wetterau 1, 47ff. 162ff.; G. d. freien Gerichts Kaichen 37ff. Vgl. ZALLINOER Schöffenb. 11 ff. 258. SOHM Frfink. Recht 49 ff. SCHRÖDER Gerichtsv. 35f. RICHTHOFEN Unters. 3, 53f. 83f. LINDNER Verne 374. MAURER

Fronhöfe 2, 361 ff. WYSB, Z. f. schw. R. 18, 129ff. (Abh. 278ff.). EICHHORN 2, 71 ff. 455ff. Der Ritterspiegel unterscheidet die Güter der Bauern, die nicht frei sind und verzinst werden müssen (Vers 413f.), die städtischen Besitzungen, die sich städtischer Freiheit erfreuen, aber verschoßt werden (Vers 418 f.), und die freien Güter der Ritter (Vers 426. 579 ff.). e9 Vgl. Ssp. I 2 §§ 1, 3. III 45 §§4, 5. Gl. z. Ssp. I 2 § 3: plechhaften sin, di in dem lande eigen hebben, dar si wat sin plichtig af to gevene oder to dunde. Pfleghafte in Thüringen bezeugt eine Walkenrieder Urk. von 1214, UB. d. hist. Ver. f. Nieders. 2 Nr. 83 (vgl. SCHBÖDEB Gerichtsv. 52 n. 2). Die Sachsenspiegelglosse hat das Wort an einigen Stellen auf die zinspflichtigen Vogteileute bezogen. V g l . n. 75

und

die

a l t m ä r k i s c h e G l . z. S s p . I I I

4 5 § 4.

(HOMEYER).

SCBILLEB-

LÜBBEN 3. 341. Daß nach dem Ssp. mindestens ein Eigenbesitz von einer halben Hufe erforderlich war, um zu den Pfleghaften zu gehören, ergibt sich aus I 34 § 1. III 4 5 § 5. 61 § 3. 70 Der scotbaere oder bedeseuldige huysman stand im Gegensatz zu den schoßfreien Edeln, die auch als welgheboren man (wenn auch vielleicht nicht immer technisch) bezeichnet wurden. Vgl. RICHTHOFEN Unters. 3, 53 ff. 62. 83. Kennemarlandrecht v. 1292 bei BERGH Oork.-B. v. Holl, en Zeeland 2, 375 f.

§ 42. Stände. 4. Gemeinfreie.

461

alte Bezeichnung bargilden (bergelden, biergelden) erhielt sich in den verschiedensten Gegenden, wurde aber schon im 14. Jahrhundert nicht mehr verstanden 71 . Eine andere nur in Westfalen bezeugte Benennung (malman) könnte sich auf die allgemeine Dingpflicht bezogen haben, im Gegensatz zu den Edeln, die allmählich überall zu einem privilegierten Gerichtsstand gelangten 72 . Zu der Klasse der freien Grundeigentümer müssen auch die von dem Sachsenspiegel nur beiläufig (III 79 § 1) berührten Inhaber freier Erbleihen, die vogteifreien Erbzinsleute, gerechnet werden, insbesondere die Besitzer der Wald- und Marschhufen in den altländischen Gebieten (S. 463), die Bauern der nach der Loi de Beaumont gefreiten Orte im Westen 73 , 71

Vgl. S. 227 f. und zu den dort Angeführten noch ZALLINGER Würzb. Herzogt. (S. 402) 32 n. Ë. MAYER Herzogt, d. Bisch. Würzb. (ebd.) 182 ff. BBESSLAD, F D G . 13, 100 n. PETZ, GRAUERT U. MAYERHOFER Drei bayer. Traditionsbücher 166 fr TELTINO a. a. 0 . 8. LINDNEB Verne 169. SCHBÖDEB Ger.-Verf. 41 ff. 51. Ssp. I I I

45 § 4. 64 § 8. 13 § 1. 80 § 1. Gl. z. Ssp. III 64 § 8: biergelden dat sin pleehaften, die egen in deme lande hebben dar si plege af dun. Der neuerdings von HECK angestellte Versuch, die Biergelden und Pfleghaften des Sachsenspiegels als Stadtbürger nachzuweisen, ist von AMIRA, ZRG. 40, 379ff.,so gründlich abgetan, daß er keine Berücksichtigung weiter verdient. Die Stadtbürger standen nach dem für das Sachsenspiegelgebiet maßgebenden Magdeburger Recht an Buße und Wergeid den Schöffenbaren gleich und wurden diesen auch sonst gleichgestellt, nur zum gerichtlichen Zweikampf waren sie ihnen als unritterliche Leute ebenso wenig ebenbürtig wie auf dem Lande die Biergelden und Landsassen. Vgl. Görlitzer Landr. 45 § 4: Ein iegelieh man, der von géburt scheffinbare is, der mac icol eamf ane [Var. ave] gewinnin seheffinbarin markitliutin unde den, die biergeldin sin odir lantsetin. Die HECK augenscheinlich noch unbekannten Bilderhandschriften des Sachsenspiegels stellen den Biergelden durchweg in bäuerlicher Kleidung dar. Wenn sie ihm als Kennzeichen einen Bierkrug in die Hand geben, so ist dies ebenso wie die paroehi quos bargüdon dieunt des unechten Würzburger Diploms v. 974 (MG. Dipl. reg. 1, 618) aus Volksetymologie zu erklären. Daß übrigens die Klasse der freien bäuerlichen Grundbesitzer in Niedersachsen erheblich im Schwinden war, ist unverkennbar. In manchen Grafschaften gab es keine Pfleghaften mehr und die Glosse zu Ssp. I 2 § 4 und III 45 § 4 weiß mit den „Biergelden'* überhaupt nichts Rechtes mehr anzufangen. 78 Vgl. WAITZ 52, 318. Im Osnabrückischen begegnet für den Grafenschatz malscult, für das Freistuhlsgut malgut. Vgl. LINDNER Verne 388 f. Auch als vrigengeld und letkege orbetre wird die Abgabe der westfälischen Stuhlfreien bezeichnet (ebd. 385), womit die sonst nur für gewisse Lehnsmannen (S. 449) gebrauchte Bezeichnung der Stuhlfreien als Ledigmänner, komines ligii (LINDNEB 381 f. 396), zusammenhängen wird. Sie mußten eben gleich jenen jedes Rufes gewärtig sein, wie jene zum Kriege, so sie zum Ding. 78 Vgl. BONVAIOT Le tiers état d'après la charte de Beaumont 1884 (dazu ZRG. 20, 119FF.). Die Loi de Beaumont (Lex Bellimontis, Borner Recht) war ein Privileg des Erzbischofs Wilhelm von Reims für das zu einer Stadt erhobene Dorf Beaumont, mit dem im Lauf des Mittelalters über 500 Dörfer und Städte in den Flußgebieten der Maas und Mosel, namentlich in den Grafschaften Bar, Luxemburg, Chiny, Aspermont-Dun, dem Bistum Verdun und der Champagne, bewidmet wurden. Außer der genauen Regelung der den Untertanen obliegenden Leistungen enthielt das Beaumontrecht auch wichtige Bestimmungen aus dem Gebiet kommunaler Freiheit und Selbstregierung.

Mittelalter.

462

die erblich gewordenen Meier des nordwestlichen Deutschlands (S. 440) und die große Masse der deutschen Landbevölkerung in den Kolonisationsgebieten des Ostens, und zwar ebensowohl in den eigentlichen Kolonistendörfern mit ihren flämischen und fränkischen Hufen wie in den zu deutschem Hecht angelegten früher slawischen Dörfern71. Alle diese hatten zwar einen Obereigentümer über sich, waren aber in ihrem vererblichen und veräußerlichen Besitzrecht so selbständig, daß die Theorie zwischen den grafenschatzpflichtigen Eigentümern und diesen erbzinspflichtigen Grundbesitzern keinen Unterschied machte, obwohl jene in einem öffentlich-, diese in einem privatrechtlichen Verhältnis standen75. Eine verbreitete Bezeichnung für freie Zinsleute, die zugleich die einfachen Pächter mitumfaßte, war Landsiedel, auch Landsasse oder Gast (hospes)™. In charakteristischer Weise weicht der Sachsenspiegel von diesem Sprachgebrauch ab. Ihm ist „Landsasse" oder „Gast" der Freie, der weniger als eine halbe Hufe oder gar kein Eigen im Lande besitzt, also entweder eine Ackerwirtschaft als bloßer Pächter oder Meier betreibt, oder überhaupt keine selbständige Ackernahrung hat, sondern als Häusler, Krüger, Handwerker oder freier Arbeiter (mit Einschluß des freien Gesindes) seinem Erwerb - nachgeht 77 . Dem Landsassen stellt er den zum Gute geborenen Zinsmann oder Zinsgelten, also den Erbzinsmann, gegen74

Vgl. S. 441 f. Daß die märkischen Bauern als Päeghafte angesehen wurdeu, ergibt sich ans der von HOMEYER mitgeteilten Glosse zu Ssp. III 32 § 1. Vgl. HEVSLER Inst. 2, 170. Später (seit dem 14. Jh.) gestaltete sich auch das Verhältnis der grafenschatzpflichtigen Freien teilweise zn einem privatrechtlichen oder doch patrimonialen, seit die Landesherren anfingen, -ihre Einnahmen von einzelnen Höfen oder ganzen Dörfern zu veräußern, zu verpfänden oder als Lehen wegzugeben. • Die Leistung des Bauern blieb auch so eine öffentlichrechtliche, aber der Bezugsberechtigte gründete seinen Anspruch auf einen privatrechtlichen Titel, den er vielfach zn einem Obereigentum und zu voller Gutsherrlichkeit zu erweitern wußte. Man hat dies Verhältnis „Vogtei" und die davon Betroffenen „Vogtleute" genannt, doch empfiehlt es sich, diese Bezeichnungen zu vermeiden, um einer Verwechselung mit der älteren (niederen) Vogtei und den eigentlichen Vogtleuten (homines advoeaticii) vorzubeugen. Vgl. HEUSLER 1, 132 ff. 169. ' Ein gewisser Übergangsstand zeigt sich bei den westfälischen Frei- oder Freistuhlsgütern, die als Eigentum der Grafschaft und bis zu einem gewissen Grade als vom Grafen lehnrührig aufgefaßt wurden. Vgl. LINDNER Verne 377ff.391. 79 STEINMEYER U. SIEVERS Glossen 1, 50f.: lantsidileo, der framada erda niuxxit. Vgl. ebd. 1 , 3 1 2 . 2 , 4 2 5 . 6 0 9 . HALTAUS Glossarium 1 1 8 2 f. GRIMM D W B . 6, 1 3 0 . 1 3 6 . L E S E R WB. 1, 1 8 2 9 . D V CANOE S. V. hospes. RICHTHOFEN Altfr. WB. 9 1 2 . W A I T Z 5 S , 3 1 4 . KÖTZCHKE a. a. O. 6 2 . G A U P P Ansiedlungen 5 7 9 f. Schwsp. Laßb. 70. 114. Landsiedelleihe nannte man besonders die Pacht auf Lebenszeit. Vgl. LAMPRECHT W L . 1 , 9 5 9 . ARNOLD a. a. 0 . 5 7 3 f. " Vgl. Ssp. I 2 § 4 und III 45 § 6 mit den Glossen. SCHILLEB-LÜBBEN W B . 2, 625. G A U P P a. a. O. 577 f. Über Kossäten (cotarii), Gärtner, Häusler usw. vgl. S. 434 n. 6. BÖHLAU Leibeigenschaft in Mecklenburg 373 f. Über die Stellung des freien Gesindes, die wir fast nur aus stadtrechtlichen Quellen kennen, vgl. H E B T Z Rechtsverhältnisse des freien Gesindes ( G I E B K E Unters. 6). LAMPRECHT 1, 1157. W . SICKEL Bestrafung des Vertragsbruches 96 ff. Freigelassene, die der bisherige Herr nicht mit eigenem Grundbesitz ausgestattet hatte, gehörten näch Ssp. I 16 § 1 und III 80 § 2 zu den freien Landsassen.

§ 42. Stände. 4. Gemeinfreie.

463

über, versteht aber unter dieser Klasse nicht die freien Erbzinsleute, wie sie in der Mark vorkamen, sondern die Liten (latelude), und die Glosse zu Ssp. II 59 § 1 bestätigt diese Auffassung: We in Sassen tu tinsgude geboren is, dat is en late, di mach des gudes âne sinis herren orlof nicht vortien78. Während die Pfleghaften und Landsassen bei aller Verschiedenheit ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage immer noch demselben Stand angehörten, dasselbe Wergeid, dieselbe Buße und den öffentlichen Gerichtsstand hatten ' 9 , bildeten sie einen entschiedenen Gegensatz zu den früheren freien Hintersassen, die ihren Gerichtsstand vor dem staatlichen Gericht nicht bewahrt hatten, sondern vor das grundherrliche Gericht gehörten und in den staatlichen Gerichten durch den Vogtherrn oder seinen Beamten vertreten wurden. Diese standen als Vogtleute (homines advocaticii) den freien Bauern gegenüber 80 , da die freie Leihe (Meiergüter, Bauerlehen, Erbleihe, Vitalpacht, Zeitpacht) die persönliche Freiheit des Beliehenen nicht berührte, Zinsen und Dienste ihm nur als dingliche Lasten aufbürdete, keine Veränderung seines persönlichen Gerichtsstandes herbeiführte und selbst das zwischen dem Leiheherrn und dem Beliehenen bestehende Verhältnis den öffentlichen Gerichten, mit Ausschließung des gutsherrlichen Baudinges, unterstellte 81 . Hervorzuheben ist namentlich die Leihe zu Waldrecht; wie bei der städtischen Hausleihe der Beliehene das Haus erst zu bauen hatte, so mußte die verliehene Waldhufe erst dem Walde abgewonnen werden, der Beliehene erwarb also den verliehenen Gegenstand mehr durch seine eigene Arbeit als durch das ihm übertragene Eecht des Leiheherrn, dieser mußte sich ebenso um ihn bewerben, wie er um die Leihe, er erschien fast wie der Eigentümer selbst und konnte nicht wie ein abhängiger Zinsmann behandelt werden 82 . Nicht anders bei den Marschhufeii und Leiheverhältnissen nach flämischem, kulmischem, fränkischem oder deutschem Recht in den Kolonisationsgebieten und im Westen nach dem Recht von Beaumont. Je mehr die grundherrliche Eigenwirt78

Vgl. Sächs. Lehnr. 73 §§ 1. 2, wo sich gegenüberstehen en gut, dar die tinsgelden to geboren sin, und en vri gut, dar nieman tinsrecht an ne kevet, noch dar to geboren is, das der Eigentümer eneme gaste bestadet. Des grandherrlichen Gerichtes für Zinsgenossen gedenkt Sachs. Lehnr. 68 § 5. Den Unterschied zwischen dem kündbaren Zinsmann, d. h. dem freien Pächter aus dem Stand der Landsassen, und dem zum Gut geborenen Zinsmann zeigt Ssp. II 59 §§ 1. 2. Am klarsten wird die Auffassung des Rechtsbuches durch die Standestafel (Ssp. III 45), in welcher der Verfasser, da er von den Dienstmannen absichtlich Abstand nimmt (III 42 §2), von den Pfleghaften und Landsassen sofort zu den Liten übergeht, eben weil die Vogtleute für ihn nichts anderes als Liten sind. n Vgl. Ssp. I I I 45 §§ 4. 6. SCHRÖDER Ger.-Verf. 58 ff. 80 Vgl. W Y S S a. a. O . 18, 19—184, besonders 106ff. 125ff. 178ff. (Abh. 252ff. 273ff. 328ff.). LAMPRECHT W L . 1, 1150ff. 1159f. 1177. 1519f. 81 Vgl. S. 299 und die § 28 n. 54, § 35 n. 79 und 88 Angeführten, ferner v.

SCHWIND ( S . 4 3 2 ) ,

WOPFNER ( S . 4 3 2 ) ,

WAITZ

137 f. 866ff.888 ff. 924 ff. 82 Vgl. A R N O L D Ansiedlungen 544 ff.

5*, 3 1 5 f .

und

LAMPRECHT

WL.

1,

Mittelalter.

464

schaft zurückging, desto mehr sahen sich die Gutsherren, um ihre Felder nicht brach liegen zu lassen, zu der Anwendung jener freieren Leiheformen genötigt. Freie, die in ein solches Verhältnis neu eintraten, oder Hörige, die von ihren Herren freigelassen wurden, um ihre Meier zu werden, betrachteten die abhängigen Erbzinsleute, auch wenn sie freier Herkunft waren, nicht mehr als ihre Genossen. Das 13. Jahrhundert bezeichnete den Höhepunkt dieser Entwicklung, ihren Abschluß zeigt ein Reichsweistum von 1282 (MG. Const. 3, 300). An das Gericht war die F r a g e gestellt: st rustici vel rustice, qui liberi dicuntur, cum homimbus advocaticiis vel aliarum superiorum aut inferiorum conditionum contraxerint, quam conditionem sequi debeat partus ex huiusmodi commixtione susceptus? Das Urteil erging dahin: quod partus conditionem semper

sequi debeat viliorem. Damit war die Scheidewand zwischen den freien Bauern (Pfleghaften und Landsassen) einerseits und den Vogtleuten andererseits und die Zugehörigkeit der letzteren zu den Grundhörigen festgestellt. 5. Die Grundhörigen 8 3 , in den Quellen des früheren Mittelalters gewöhnlich als „Zinsleute" (censuales) zusammengefaßt, zerfielen nach dem Reichsweistum von 1282 in verschiedene Gruppen höheren und niederen Standes84. Zu ersteren gehörten, außer den Vogtleuten, in den weinbautreibenden Gegenden auch die Weinbauern, auf den beim Reich gebliebenen oder in geistlichen Besitz gekommenen Krongütern die Fiskalinen, ferner die Wachszinsigen86. Zu der geringeren Gruppe darf man die alten Hörigen (Liten, Loten,

Lassen,

Aldien,

Barleute,

ßarschalken)

rechnen 8 6 ,

mit denen die angesiedelten Eigenleute [seroi casati, mansnarn) vollständig verschmolzen waren 87 . 88 V g l . WAITZ 5», 2 1 8 — 8 1 3 . HEUSLER 1 , 134ff. 185ff. LAMPEECHT W L . 1, 9 9 2 f . 1 1 7 7 — 1 2 2 3 . WITTICH Grundherrschaft i n N o r d w e s t d e u t s c h l a n d 320FF. 324FF FOCKEMA ANDREA B i j d r a g e n 3, 2 4 — 1 0 0 .

84 Vgl. HEUSLEB 1, 178. Personen, die dem Hofrecht zwar auf Grund ihres Leiheverh<nisseB unterstanden und sich insofern auch in einer gewissen persönlichen Abhängigkeit vom Grundherrn befanden, für ihre Person aber das Recht der Freizügigkeit bewahrt hatten, kann man nicht als Gruodhörige betrachten, wenn auch im Laufe der Zeit die meisten von ihnen durch den Satz „Luft macht unfrei" in wirkliche Hörigkeit gerieten. Vgl. § 50 zu n. 84. 85

89

V g l . LAMPRECHT 1, 903ff. 1213ff.

WAITZ 5 ' , 225FF. 2 5 5 f .

Der Sachsenspiegel und die Glosse bezeichnen die ganze Gruppe der Zinsleute als „Laie»". Vgl.Ssp. I 6 § 2. III 44 § 3. 45 § 7. Ob die vornehmlich in Baiern vorkommenden Barschalken von vornherein zu dieser Klasse gehört haben oder aus freien Vogteileuten später zu Hörigen geworden sind, ist streitig. Vgl. §29 n. 37. WAITZ 28, 1 S. 250. 5», 289f. MG. Dipl. 1 Nr. 29. 126. 170. 202. 203. 87 Daher hatte die frühere Unterscheidung der mansi ingemuiles, litiles, serviles (S. 221) ganz aufgehört. Freilassungen zu Litenrecht kamen in der Regel nicht mehr vor, da die Ansiedlung den Leibeigenen von selbst zum Liten machte. Vgl. WAITZ 5A, 224. Bei den Friesen scheinen Eigenleute bald durch Freilassung, bald durch Ansiedlung zu Liten geworden zu sein. Vgl. RICHTHOFBN Unters. 2,

§ 42. Stände. 5. Grundhörige.

465

Die Grundhörigen waren durchweg gutsherrliche Hintersassen, und zwar derart mit ihrem Gut verbunden (glebae adscripti), daß es weder ihnen vom Herrn ohne bestimmten gesetzlichen Grund entzogen, noch auch von ihnen ohne Genehmigung des Herrn geräumt werden durfte 88 . Sie hatten also nicht das Recht der Freizügigkeit, nur zuweilen wurde es ihnen unter der Bedingung zugestanden, daß sie dem Herrn ein bestimmtes Lösegeld zahlten und für die gehörige Besetzung ihres Hofes mit einem andern Manne sorgten. Einem Heiratszwang unterlagen die Hörigen im späteren Mittelalter nicht mehr, dagegen hatten sie dem Herrn eine Heiratssteuer (beddemund, bumede, maritagium) zu entrichten, meistens freilich nur die Braut, nach manchen Hofrechten auch nur bei Verheiratung mit einer nicht zu der Hofgenossenschaft gehörigen Person 89 . Derartige Ungenossenehen, wenn sie nicht durch Freizügigkeitsverträge (Raul)- und Wechsel vertrage) der Herren ein für allemal erlaubt waren 90 , bedurften der ausdrücklichen Genehmigung des Herrn, deren Mangel die Ehe zwar nicht ungültig machte, aber die Bestrafung der Ungehorsamen, in der Regel durch Vermögenseinziehung oder Verlust des Erbrechts, nach sich zog. Alle Hörigen hatten dem Herrn Kopfzins und Erbschaftssteuer zu entrichten. Schon in der vorigen Periode hatte der Herr gegen seine Hörigen im allgemeinen kein eigentliches Erbrecht mehr, sondern nur sin Heimfallsrecht für den Fall, daß keine der Hofgenossenschaft angehorigen Erben vorhanden waren (S. 284 f.). In der Hauptsache war dies auch der Standpunkt des Mittelalters, nur vereinzelt war das grundherrliche Heimfallsrecht dem des Fiskus gewichen. Aber als Rest eines wirklichen Erbrechts war die Erbschaftssteuer übrig geblieben. Ihre strengere Form, der „Bauteil", hatte noch am meisten von dem ursprünglichen Charakter bewahrt, indem der Herr entweder einen Anteil (die Hälfte, ein oder zwei Drittel) des ganzen beweglichen Nachlasses91, oder 1090 f. TELTING a. a. 0., Sonderabdruck 17 f. Uber Freilassungen zum Recht der Wachäzinsigen bis zum 13. Jh. LAMPRECHT 1, 1220 f. iS Vgl. S. 442 n. 45, S. 463 und unten n. 101. ÜB. d. hist. Ver. f. Niedersachsen 2 Nr. 3 9 9 ( 1 2 6 8 ) . LAMPRECHT 1, 1 1 8 9 ff. Vgl. W A I T Z 5a, 259 ff. HEÜSLER 1, 143. LAMPBECHT 1, 1204. Die Heiratssteucr hing mit dem alten Muntschatz (Wittum) zusammen, der sich ebenso in dem Lösegild der Hörigen erhalten hatte. Vgl. S. 233. Von dem Abkauf eines dem Herrn zustehenden ius primae noctis konnte schon darum keine Rede sein, weil ein solches dem deutschen Recht fremd gewesen ist. Vgl. E . SCHMIDT J U S primae noctis 1881. OSENBRÜGGEN Studien 84ff. W E I N H O L D Deutsche Frauen3 1, 271f. 2 G I E R E : Humor im Recht' 35f. W A I T Z 5 , 263f. 10 Solche Verträge über die Zulassung von Wechselheiraten unter verschiedenen Hofgenossenschaften (freier xug, unterxug, genossami) waren namentlich im Westea und Süden verbreitet. Manche Gotteshäuser gestatteten ihren Grundhörigen schlechthin die Verheiratung mit Hörigen geistlicher Fürsten, daher das Rechtssprichwort: Wir sollent aueh aller [beschornen] fürsten genoss sin und mögent wiben und n.annen, 6n eigenlüt, wo wir wollent. Vgl. H E U S L E B Inst. 1, 1 4 4 ; Der Bauer als Fü-stengenoß, ZRG. 2 0 , 2 3 5 . LAMPBECHT 1, 1 2 0 5 ff. ,J Vgl. Gl. z. Ssp. III 44 § 3. W A I T Z 52, 264f. 273. B . SCHRÖDER, D e u t s c h e R e c h t s g e s c h i c h t e .

5. Aufl.

30

Mittelalter.

466

doch des Viehbestandes, nebst dem Heergewäte des verstorbenen Mannes oder der Gerade der verstorbenen Frau, beanspruchte; die mildere Form war die des „Falles" (Sterbfall, Todfall) oder der kurmede, wobei der Herr nur das beste Stück Vieh (als Besthaupt) und das beste Kleid (als Gewandfall) erhob92. Im Lauf der Zeit hatte diese Abgabe meistens den Charakter eines bloßen Ehrschatzes für die Verleihung der Hufe an den Erben angenommen, wie dergleichen als „Handlohn", „Empfängnis", „Vorhure" oder „Weinkauf" auch bei freien Leiheverhältnissen üblich war 93 . Der „Fall" erschien demnach nur noch als eine dingliche Belastung, wie die Zinsen und Frondienste, die vom Gute geleistet wurden und freien Bauern ebenso gut wie den Grundhörigen auferlegt werden konnten 94 . Selbst der Kopfzins wurde zuweilen aus einer persönlichen Last in eine dingliche, als Rauch- oder Herdzins, umgewandelt 95 . Diese Radizierungen wirkten auf die Verhältnisse der Grundhörigen ebenso befreiend, wie die Stellung unter das Lehnrecht auf die Ministerialen. Selbst die einzige Veräußerungsbeschränkung, der die durchaus als Herren ihres Vermögens anerkannten Grundholden unterlagen, das Zustimmungsrecht des Herrn bei Immobiliarveräußerungen, machte mehr und mehr einem bloßen Vorkaufsrecht Platz oder wurde auch, soweit es sich nicht um grundherrliches Leihegut handelte, ganz aufgehoben 96 . Unter dem Einfluß der erwähnten Baub- und Wechselverträge entwickelte sich vielfach zwischen den beteiligten Hofgenossenschaften eine wahre Freizügigkeit, bei der nur vorausgesetzt wurde, daß der Ankömmling sich bei seinem früheren Herrn gehörig abgemeldet oder doch seinen alten Wohnsitz in offenkundiger Weise verlassen hatte und aus seiner früheren Stellung niemandem mehr etwas schuldig war97. In allen übrigen Fällen konnte der Entwichene von seinem „nachfolgenden Herrn" binnen Jahr und Tag zurückgefordert werden98. Die rechtsförmliche Aufhebung der Hörigkeit erfolgte durch Freilassung mittels Freibriefes98. 6. Die L e i b e i g e n e n . Die unterste Stufe der Bevölkerung bildeten die Eigenen oder Eigenleute, auch servi oder Sklaven, d. h. die nicht mit 92

Vgl.

HEUSLEB

1,

187ff.

LAMPRECHT

1,

926.

1182FF.

WAITZ

Über den Zusammenhang des Todfalles mit dem Totenteil vgl. 82,

130 98

f. Vgl.

LAMPBECHT

1, 1187f.

94

Vgl.

95

V g l . LAMPBECHT 1 , 1 1 8 0 f .

96

WAITZ

5-,

BRUNNER,

266FF.

ZRG.

5 2 , 308f.

LAMPBECHT 1, 7 7 8 ff. 8 1 6 f . 9 2 2 f .

WAITZ

52,

3 0 8 f.

Vgl. LAMPBECHT 1193f. und Urkunde v. 1268 (n. 88). Braunschweiger Hofgerichtsweistum von 1314, SÜDENDORF UB. d. Herz. Braunschw. 1 Nr. 236. Über das Eigentum der niedersächsischen Laten am Hause vgl. S. 434 n. 97 Vgl. LAMPBECHT 1, 1 2 0 8 F F . GRIMM Weistfimer 7 , 2 4 8 . 3 7 5 . 99 Vgl. LAMPRECHT 1 , 8 7 2 . 1 2 1 2 . GRIMM Weistümer 7 , 3 2 8 . U B . d. Stadt Lübeck 2 Nr. 1020: quatenus Lttdolphum, nostrum, litonem, iubeatis presentari. 99 Vgl. H A S S E Schlesw.-holst. lauenb. Urk. 3, 562 Nr. 977 (1338).

§ 42. Stände.

6. Leibeigene.

467

Grund und Boden ausgestatteten Hausdiener, die ehemaligen mancipia100. Während die Gutsuntertänigkeit der Grundhörigen auf dem ihnen vom Herrn verliehenen Grundbesitz ruhte 101 , gehörten jene dem Herrn mit ihrer Person zu eigen, sie waren Leibeigene102. Sie standen im Eigentum des Herrn, konnten aber in der Regel nur wie unbewegliche Sachen veräußert werden, da sie einem bestimmten "Fronhof als Zubehör zugeteilt zu sein pflegten 103 . Nur wenige hatten Haus und Garten, selbständige Ackerwirtschaft betrieben sie nicht. Sie hatten demgemäß in der Kegel auch keinen Zins zu zahlen, sondern nur Dienste zu leisten, und zwar nicht mit Beschränkung auf bestimmte Tage (als gemessene Dienste), wie die Grundhörigen, sondern Tag für Tag (servilia cotidiana), weshalb sie auch die Bezeichnung Tagwerker oder Tagknechte (dagescalci, dagewardi, tagewerker, nd. dagewerchten, servi cotidiani) führten 1 0 4 . Ihre Dienste bezogen sich teils auf das Haus (daher camerlingi, camerarii\ teils auf die Fronfelder, während die herrschaftlichen Beunden vorwiegend durch Frondienste der Grundhörigen bestellt wurden. Für die Dienste erhielten sie ihren Unterhalt vom Hof (daher praebendarii, provendarii, stipendiarii). Eigenen Vermögens waren sie nicht fähig; was sie besaßen, beruhte auf Herrengunst und fiel, wenn sie keine zum Hofe gehörigen Leibeserben hinterließen, bei ihrem Tode an den Herrn zurück 105 . Der Herr hatte 100 V g l

WAITZ

5",

204ff.

HEUSLER

1,

186.

LAMPRECHT

1,

1196.

1223FF.

„Sklaven" erst von den kriegsgefangenen Slawen. Vgl. LEXER W B . 2 , 9 6 4 . D I E Z WB. 1. s. v. schiava. 101 Das frühere Mittelalter kannte auch Zinsleute, die keinen Hof hatten, sondern nur mit ihrer Person abhängig waren ( W A I T Z 5 288. 813), seitdem 13. Jh. waren diese aber durchweg an die Scholle gebunden, also grundhörig, und wurden nicht mehr als servi bezeichnet. Am längsten hat sich die rein persönliche Untertänigkeit bei den Wachszinsigen erhalten. Vgl. LAMPBECHT 1, 1214. 102 Zuerst in einer Urkunde von 1289 (BÖHMER UB. v. Frankfurt 244) proprius de corpore, deutsch zuerst im 14. Jh. eigen von dem libe, dann auch lipeigen (zuerst 1388 bezeugt), was seit dem lä. und 16. Jh. die alte Bezeichnung eigen völlig verdrängt. Vgl. LEXER WB. 1, 518. 1931 f. GRIMM DWB. 6, 592 f. HALTAUS 1239. LAMPRECHT 1, 1228 n. Reichsgesetz von 1222 (WEILAMD Const. 2, 393): servi per stipitem et parentelam ex parte matris provenientem sunt retinendi; homines advocaciarum autem per curiam, cui sunt censuales, sunt retinendi. 109 Vgl. Ssp. I 2 0 § 1. 5 2 § 1. LAMPRECHT 1, 1 2 2 5 . W A I T Z 5 2 , 3 1 3 . Glebae adscriptus war der Leibeigene nicht, da er selbst kein Becbt darauf hatte, bei dem Hofe zu bleiben. Veräußerungen von Eigenen ohne den Fronhof kamen oft genug vor, ebenso Veräußerungen von Höfen ohne die dazu gehörigen Leute. Vgl. LAMPRECHT 1, 1 2 2 6 ff. Es empfiehlt sich daher auch nicht, mit letzterem die Leibeigenen als „Hofhörige" (im Gegensatz zu den „Grundhörigen") zu bezeichnen. Wo die Leibeigenen als unbewegliche Sachen behandelt wurden, bezog sich dies doch nur auf das Interesse der Erben des Herrn an der möglichst ungeschmälerten Erhaltung des Fronhofvermögens. 104 Diese waren es wohl auch vorzugsweise, die in der alten Rechtssprache als haistaldi, hagastaldi (mhd. hagestcilt) bezeichnet wurden. Vgl. n. 113. W A I T Z 4, 342 n. 2, 5 2 8 8 . LAMPRECHT 1, 1173 n. 3. 1223f. BRÜNNER 2, 267. Über eine andere Bedeutung des Wortes vgl. S. 34 n. 30. 104 Vgl. Ssp. III 32 § 8. Reichshofgerichtsurteil v. 1231 (MG. Const. 2, 422). V g l . BRÜNNECK, Z R G .

35,

lff.

30*

Mittelalter.

468

eine ausgedehnte Zuchtgewalt über sie, namentlich das Recht der körperlichen Züchtigung, aber nicht der Tötung 108 . Strafrechtlich standen sie unter dem Schutz des Landrechts107, ihre standesmäßige Buße war aber gering und zum Teil nur Spott, ein Wergeid besaßen sie nach dem Sachsenspiegel nicht 108 . Gerichtlich hatte der Herr sie zu vertreten109. Beendigt wurde die Leibeigenschaft durch Ansiedlung des Knechts oder durch Freilassung zu Grundhörigen- oder Landsassenrecht unter Zustellung eines Freibriefes, bis zum 11. Jahrhundert blieb auch die Freilassung durch Schatzwurf noch in Gebrauch110. Die wohl nie sehr zahlreich gewesene Klasse des unfreien Haus- und Hofgesindes schmolz im Lauf der Zeit immer mehr zusammen. Nachdem die Ministerialen ausgeschieden waren, entwickelte sich an manchen Höfen abermals eine höhere Hausdienerschaft, die es durch genossenschaftliches Zusammenhalten ebenfalls zu erheblichen Vorrechten brachte und sich zu einer Art niederer Ministerialität ausbildete111. Viele Leibeigene gelangten zu einem gutsherrlichen Amt oder kamen als Krüger, kleine Ackerwirte, Gärtner oder Handwerker in die Lage selbständiger Gewerbetreibenden, so daß sie entweder ganz dienstfrei wurden oder nur noch gemessene Dienste zu leisten hatten, dafür aber Leibzins und Erbsteuer nach Art der Grundhörigen übernehmen mußten112. Endlich fanden durch den Ausbau der Allmenden und den Bückgang der grundherrlichen Eigenwirtschaft zahllose Eigenleute Gelegenheit, von ihrem Herrn einen Hof zu erwerben und damit in die Klasse der Grundhörigen emporzusteigen oder freie Meier zu werden. Diesen Abgängen gegenüber kann der Nachwuchs nur ein geringer gewesen sein. Da Ehen nur mit Erlaubnis des Herrn geschlossen werden konnten, vielen auch schon durch ihre wirtschaftliche Lage die Eingehung einer Ehe unmöglich war, so mußte der eheliche Nachwuchs sich in bescheidenen Grenzen halten11S, wenn auch durch außereheliche Nachkommen, die der Mutter folgten, einiger Ersatz geschaffen wurde. Das alte Kriegsrecht, das den Kriegsgefangenen zum Eigenen machte, kam 108

Vgl. Dsp. 65. Schwsp. Laßb. 73 a. Vgl. v. BAR, Gr. d. deutsch. Straft. 95. i«8 Vgl. g S p. i n 45 §§ 8. 9. Das hier ausgesetzte ungeheure Wergeid war nur als Spott gemeint. Vgl. GRIMM BA. 675f. GIERKE Humor2 56. 108 Vgl. Ssp. II 19 § 2. III 32 § 9. TELTINO a. a. 0., Sonderabdr. lOff. 1.0 Vgl. n. 87. S. 234. Arch. f. österr. G. 6, 132 (1273). TELTINO a. a. 0. 18. m

RICHTHOFEN U n t e r s . 2, 1092. WAITZ 5 S , 247. 111 V g l . LAMPEECHT 1, 8 2 0 f f . WAITZ 5 2 , 2 1 4 f . 1.1

GÖHRUM 1, 3 2 2 f .

Vgl. LAHPRECHT 1, 1225 f., der nur zu sehr verallgemeinert. In einer Urkunde von 1289 (n. 102) verspricht ein zum Schulzenamt fortgeschrittener Leibeigener, seine Leibeigenschaft auch als Frankfurter Stadtbürger fortdauernd anzuerkennen und Besthaupt, Kopfzins et omnia alia iura et servicia treu zu erfüllen. 118 Die Bezeichnung hagastalt, hagestolx. hat schon im Mittelalter die Nebenbedeutung „Junggeselle" . angenommen. Vgl. GRIMM DWB. 4, 2 S. 154. KLUGE W B . u. d. W .

BBÜNNECK, Z R G . 35, 4 FF.

§ 42. Stände.

6. Leibeigene.

469

nur noch gegenüber niohtchristlichen Völkern in Anwendung. Was vom Ausland im Wege des Sklavenhandels nach Deutschland kam, kann nur unbedeutend gewesen sein, auch Verkäufe in die Knechtschaft zur Strafe kamen nur noch sehr vereinzelt vor 114 . Schuldknechtschaft gab es nicht mehr, an ihre Stelle war teils die Schuldhaft, teils Überweisung des Schuldners an den Gläubiger zur Abarbeitung der Schuld getreten 115 . Freiwillige Ergebung in die Leibeigenschaft kam vor, aber doch wohl nur bei völlig heruntergekommenen Personen, denen es um eine Brotstelle zu tun war116. Unter Umständen begegnete es, daß Grandhörige, die ihre Pflichten gegen den Herrn nicht erfüllten, zur Strafe in Leibeigenschaft versetzt wurden117. In den Kolonisationsländern des nordöstlichen Deutschlands gab es im allgemeinen weder Hörige noch Leibeigene 118 . Die deutschen Kolonisten waren durchweg Freie und die Bedingungen ihrer Ansiedlung derartige, daß ihre persönliche Freiheit und ihr öffentlicher Gerichtsstand dadurch nicht berührt wurden. Auch die im Lande verbliebenen Slawen kamen in kein persönliches Abhängigkeitsverhältnis, nur in Pommern lassen sich Grundhörige wendischen Stammes nachweisen, auch scheinen die hier und da (z. B. in Schlesien und zwischen Elbe und Saale) erwähnten Smurden oder Smarden slawische Hörige gewesen zu sein 119 . In den Deutschordenslanden wurde anfangs selbst die Freiheit der Preußen und Letten geschont; erst als sie sich des Abfalls von ihren neuen Herren und dem christlichen Glauben schuldig gemacht hatten, wurden sie einem milderen Hörigkeitsverhältnis unterworfen120. In ganz Deutschland hatte sich im 12. und 13. Jahrhundert die Lage des Bauernstandes überaus günstig gestaltet. Während die Grundherren durch den Aufwand, der ihnen durch ihre Ministerialen entstand, durch ihr Streben nach Landeshoheit und die dadurch bedingte Vernach114

Vgl. W A I T Z 5 2 , 2 0 7 . Sklavenhandel wurde von den Juden betrieben. Vgl. K O R N De iure creditoris in personam debitoria, qui solvendo non est, secundum ius aevi medii Germanorum, Bresl. Habilit.-Schrift ohne Jahr. KOHLER Shakespeare 22f. 38ff. 55; Nachwort lOf. STOBBE, G. d. Konkursprozesses 98 ff. LOERSCH u. SCHRÖDER Nr. 269 (250). 116 -Der Sachsenspiegel (III 32 §§ 2, 3. 8. 42 .§ 3. 45 § 9) unterscheidet die „eingeborenen" Eigenen und die sich in Eigenschaft gegeben haben. Die letzteren standen in derselben Verachtung wie das fahrende Volk. Sie waren bußelos. 115

111 Vgl. Ssp. III 44 § 3: Von den laten, die sik verwarchten an irme rechte, sint komen da gewerchten. WAITZ 52, 258 f. 118

Über das Folgende vgl. BÜHLAU Leibeigenschaft in Meklenburg, Z R G . 1 0 , Leibeigenschaft in Ostpreußen, ebd. 2 1 , 38ff. Leibeigenschaft in Pommern, ebd. 2 2 , 1 0 4 ff. HANSSEN Aufhebung d. Leibeigensch, in Schl.-Holst. ( 1 8 6 1 ) LOFF. SOGENHEIM, G . d. Aufhebung der Leibeigenschaft ( 1 8 6 1 ) 350FF. Ferner die S. 4 3 1 f. angeführten Arbeiten von FUCHS, K O R N , RACHFAHL. N» Y G ] . BRÜNNECK Leibeigenschaft in Pommern 111 ff. W A I T Z 5 2 , 219. TZSCHOPPE U. STENZEL Urk.-Samml. 6 6 . D U CANQE S. V. smurdus. HALTAUS Glossar 1638. Ssp. III 73 § 3. :2O Vgl. BRÜNNECK Leibeigensch, in Ostpreußen 4 1 ff. 357ff.

BRÜNNECK

470

Mittelalter.

lässigung der Eigenwirtschaft größtenteils verarmt waren und den früher jederzeit nutzbaren Hinterhalt der jetzt durch Rodungen erschöpften Allmenden und Urwälder verloren hatten, erfreuten sich die Bauern einer behaglichen Vermögenslage, die auch den Hörigen und Leibeigenen zu vielfacher Aufbesserung ihrer persönlichen Stellung verhalf121. Der im Mittelalter mehr und mehr verbreitete, die Unterschiede der Geburtstände erheblich ausgleichende Grundsatz, daß die Luft das Recht gebe, d. h. der Stand der Person sich nach dem Recht ihrer Niederlassung richte 122 , hatte sich in den Städten zu dem bekannten Grundsatz „Luft macht frei" ausgebildet, kraft dessen alle, die Jahr und Tag ohne gerichtliche Ansprache seitens eines nachfolgenden Herrn in einer Stadt gewohnt hatten, in ihrer Freiheit nicht mehr angefochten werden konnten. Wenn aber Eigenleute mit Genehmigung ihres Herrn in die Stadt zogen, so gelangten sie damit in eine den Hörigen entsprechende Stellung, die ihnen ermöglichte, sich später aus eigenen Mitteln frei zu kaufen. Nach beiden Richtungen hin wurde die Zahl der Landbevölkerung durch die Anziehungskraft der Städte sehr gemindert, und es hätte nicht erst der massenhaften Auswanderung in die Kolonisationsgebiete bedurft, um den Grundherren im eigenen Interesse die Sorge für Verbesserung der Lage ihrer Hintersassen ans Herz zu legen128. Auch die Loi de Beaumont war nur ein Zeichen ihrer Zeit. Das 13. Jährhundert bezeichnet den Höhepunkt der freiheitlichen Entwicklung des Bauernstandes. Nicht bloß in den Kolonisationslanden, sondern vielfach auch im inneren Deutschland gab es nur noch freie Leute, Leibeigenschaft und Hörigkeit waren überall im Schwinden begriffen. Erst im 15. Jahrhundert trat ein entschiedener Rückschlag ein 121 . Der Ausbau des Landes, die Auswanderung nach dem Osten und die Städtegründungen hatten aufgehört, die ländlichen Arbeitskräfte sanken im Preise. Das natürliche Wachstum der Landbevölkerung hatte schon früher zu Hufenteilungen genötigt, die bald das Maß des wirtschaftlich Erlaubten überschritten, während andererseits die mit den Vermeierungen verbundenen Zusammenlegungen mehrerer Hufen die Kleinbauern zu Büdnern machten. Es bildete sich ein neues ländliches Proletariat, das oft genug froh war, durch Ergebung in Leibeigenschaft oder Hörigkeit der Sorge um das tägliche Brot enthoben zu werden. Besonders empfindlich war der Gegensatz gegen die Städte. Brachte hier die aufkeimende Geldwirtschaft den Einzelnen zum Wohlstand, die Gesamtheit zu Bildung und politischer Machtstellung, so war die Fortdauer der Naturalwirtschaft auf dem Lande am wenigsten geeignet, die bedrängte Vermögenslage der m

Vgl.

S.

1,8

Vgl.

WAITZ

1,8

440. 464. 5J,

LAMPRECHT W L .

313f.

1, 862ff. 924ff. 972. 1238ff. 1511.

LAMPRECHT 1 ,

1154.

Ein lehrreiches Beispiel gewährt die von BESELER a. a. 0. (S. 444) besprochene Soester Urkunde. m Vgl. LAMPRECHT W L . 1, 1336 ff. 1512 und die S. 431 angeführten Schriften von LAMPRECHT und G O T H E I N über die Lage des Bauernstandes.

§ 42. Stände.

7. Ebenbürtigkeit.

471

Bevölkerung zu heben, ihre Kultur zu fördern. Politisch mundtot, vom Handwerk durch die städtischen Zünfte fast ausgeschlossen, durch Zwangsund Bannrechte eingeengt, erfuhr das Landvolk nicht sowohl den Segen, als vielmehr den Druck der erstarkenden Landeshoheit 125 . Beden und andere öffentliche Lasten wurden vorzugsweise auf die in den Landständen nicht vertretenen Bauern gelegt. Dazu kam das System der Anweisungen, d. h. der Gebrauch der Landesherren, sich durch Verleihung, Verkauf und Verpfändung staatlicher Gefälle Geld zu verschaffen, unbekümmert darum daß auf diese Weise zahllose freie Gemeinden in grundherrliche Untertänigkeit gerieten 136 . Jagd und Fischerei wurden, auch soweit sie nicht als Regal dem Landesherrn vorbehalten blieben, mehr und mehr den Bauern entzogen und als Reservatrecht der Grundherren behandelt. Besonders ausgebeutet wurde hierfür und in anderen Richtungen das Obereigentum an den Allmenden, das die Obermärker mit zunehmendem Erfolg sich anzumaßen wußten, so daß die Markhörigkeit freier Markgenossen vielfach in eine Art Grundhörigkeit umgewandelt wurde m . Überall wurden die Zügel straffer angezogen, Leibeigene und Hörige gerieten in strengere Abhängigkeit und die Freien vermochten ihre Freiheit immer weniger zu bewahren, selbst in den Kolonisationslanden gewann die Hörigkeit, vorher bei den Eingewanderten völlig unbekannt, seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an Boden. Überall bereiteten sich die Verhältnisse vor, die, durch andere Umstände unterstützt, im Beginn der folgenden Periode die allgemeine Erhebung der Bauern gegen ihre Unterdrücker hervorriefen. 7. Die E b e n b ü r t i g k e i t . Die Gliederung der Stände, obwohl nur noch vereinzelt nach alter Weise in bestimmten Büß- und Wergeidtaxen hervortretend 128 , hatte eine besondere Bedeutung für alle durch Ebenbürtigkeit bedingten Verhältnisse 129 . Denn das Mittelalter kannte eine 125 Vgl. DUNCKER Das mittelalterliche Dorfgewerbe 1 9 0 2 . 126 y g j g 4 4 3 X)ie m it öffentlichen Gerichten beliehenen Herren erweiterten nicht selten einfach ihre Fronhöfe zu grundherrlichen Gerichten, wodurch hörige und freie Gerichtsleute gleichgestellt wurden. Vgl. LAHPRECHT 1, 1 2 6 0 F F . Vgl. S . 436. LAMPEECHT 1, 797ff. lOlOff. 1075fF. 1158. 1519f. Berühmt sind die Verse des Freidank ( W . GRIMM) 76, 5ff.: Die fürsien twingent mitgewalt vdt steine waxxer unde walt, dar xuo wilt winde xam: dem lüfte teetens gerne alsam; der muox uns noch gemeine sin. möhtens uns der stmnen schin verbieten, wint oueh unde regen, man müese in zins mit golde wegen. 183 Vgl. RICHTHOFEN Unters. 2, 1103ff. HECK Ger.-Verf. 263ff.; Gemeinfreie 223 ff. Der Sachsenspiegel (III 45) gibt den Fürsten, freien Herren und Schöffenbarfreien die doppelte Buße der Gemeinfreien (30ß:15ß), aber nicht ganz das doppelte Wergeid (18 %: 10 den Laten das halbe Wergeid der Edeln (9 @>), aber eine auffallend hohe Buße. Nach dem Landr. v. Seeland v. 1290 (BERGH Oork.-B. v. Holl, en Zeel. I 2 Nr. 747) hatte der edelman 90 $ Wergeid, der onedel man 221/* *&>. Dasselbe Verhältnis bei der Buße (10 ß : 2'/2 ß). 129 Vgl. über das Folgende die S . 444 angeführten Schriften von GÖHRUM, MAUTITZ, SCHRÖDER, ferner HEÜSLER 1, 155FF. 162FF. SIEGEL a . a . O . 279FF.

472

Mittelalter.

Reihe rechtlicher Beziehungen, in die man nur mit Standesgenossen oder Untergenossen treten konnte, während man von den Übergenossen als unebenbürtig ausgeschlossen wurde. Soweit solche Gegensätze auf dem Gebiet des Lehnrechts hervortraten, wurde ihrer schon bei der Besprechung der Heerschilde und der Ritterbürtigkeit (S. 407 ff. 457) gedacht. Die landrechtliche Bedeutung der Ebenbürtigkeit bezog sich teils auf das Gerichtswesen, teils auf das Privatrecht. In peinlichen Sachen brauchte sich niemand einen Untergenossen als Richter, Urteiler, Zeugen oder Eideshelfer gefallen zu lassen. Um ein Urteil schelten zu können, mußte man Genosse oder Ubergenosse des Urteilfinders sein. Die öffentliche Pflicht, jeder darum nachsuchenden Partei als Fürsprecher beizustehen, galt nicht gegenüber dem Untergenossen; nur einen Ebenbürtigen brauchte man als Fürsprecher des Prozeßgegners anzuhören. Das Recht der kampflichen Ansprache hatte man nur gegen Genossen oder Untergenossen; den kampflichen Gruß eines Höheren durfte man nicht zurückweisen, obwohl man ihn selbst nicht ansprechen konnte. In privatrechtlicher Beziehung galt das Prinzip der Ebenbürtigkeit im Yormundschaftsrecht und im Erbrecht: nur der Ebenbürtige (Standesgenoß oder Übergenoß) konnte geborener Vormund und gesetzlicher Erbe sein, der Untergenosse hatte kein Recht. Anders stand es hinsichtlich der Ehe, indem diese Gleichbürtigkeit beider Ehegatten verlangte, also nicht bloß den Untergenossen ausschloß130. Allerdings bildete die Standesverschiedenheit als solche kein Ehehindernis mehr 131 , aber die vollen Wirkungen der Ehe traten nur unter Standesgenossen ein; war einer der Ehegatten geringeren Standes als der andere, so war die Ehe eine Mißheirat. Bei der standesgleichen Ehe teilte die Frau für die Dauer der Ehe unbedingt das Recht des Mannes 132 , nach Auflösung der Ehe kehrte sie zu ihrem angeborenen Rechte zurück 133 ; die Kinder erhielten den Stand des Vaters134. Bei der Mißheirat wurde die Frau Standesgenossin des Mannes nur, wenn sie einen Untergenossen 130

V g l . SCHRÖDER E b e n b ü r t i g k e i t 464FF. 4 6 9 ; Z R G . 7, 147 n . 2.

HEÜSLEB 1,

157 f. In der Literatur wird die Ebenbürtigkeit in der Regel als Gleichbürtigkeit aufgefaßt, was eben nur für die Ehe zutrifft. 191 Nur die Unkenntnis des einen Ehegatten von der Unfreiheit des andern kam als trennendes Ehehindernis in Betracht. Vgl. Schwsp. Laßb. 319. LOEBSCH u. SCHRÖDER Urk. Nr. 108 (82). c. 4, 5 C. XXIX. qu. 2; c. 2, 4 X. de coniugio servorum (4, 9). THANER Literargesch. Entwickl. d. Lehre vom error qualitatis u. error conditionis, Wiener SB. 1900. 132 Vgl. Ssp. I 4 5 § 1. III 4 5 § § 2. 3. 133 Daß dies der Fall war, wenn die Ehe durch den Tod des Mannes auf' gelöst wurde, ist im Sachsenspiegel klar ausgesprochen (vgl. auch I 33), aber auch im Fall einer Nichtigkeitserklärung kann es nicht anders gewesen sein. Aus Ssp. III 72. 73 § 1 ergibt sich weiter, daß die Mutter, wenn sie starb, nicht nach dem Recht des Mannes, sondern nach Maßgabe ihres Geburtsstandes beerbt wurde. V g l . SCHRÖDER a. a. 0 . 4 7 1 n. 14. 134

HEUSLER 1, 159 n.

Rechtssprichwort: Swar't kint is vri unde echt, dar behalt it sines vader recht, Ssp. I 16 § 2. Eine Variation III 72.

§ 42.

Staude.

7. Ebenbürtigkeit.

473

genommen hatte, dessen Stand sie für die Dauer der Ehe teilte, dagegen behielt die Frau, wenn der Mann ihr Übergenoß war, ihren geringeren Stand, wurde also nicht von ihm emporgezogen135. Wo sich die Leibeigenschaft in Toller Strenge erhalten hatte, kam es hin und wieder noch vor, daß der freie Mann, der eine fremde Eigene heiratete, dadurch selbst der Knechtschaft verfiel136. Die in einer ungleichen Ehe erzeugten Kinder folgten regelmäßig der ärgeren Hand 137 . Der Sachsenspiegel drückte dies dahin aus, daß das Kind bei der Ehe zwischen Freien und Ministerialen den Stand erhalte, in dem es geboren sei, d. h. also der Mutter folge138. Ob damit angedeutet sein sollte, daß das nach dem Tode des Vaters geborene Kind an der Rückkehr der übergenössischen Mutter zu ihrem Geburtsstand teilnehme, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls gestattete eine friesische Rechtsquelle des 14. Jahrhunderts einer solchen Mutter, unter Beobachtung gewisser Förmlichkeiten, auch die während der Ehe geborenen Kinder an ihrem Standeswechsel teilnehmen zu lassen139. Endlich aber machte sich vielfach eine Rechtsentwicklung in der Richtung geltend, daß die mit einem Hörigen oder Unfreien verheiratete Frau überhaupt in ihrem Geburtsstand belassen, der Stand der Kinder aber immer nach dem der Mutter geregelt wurde140. Fürsten und Edle bildeten einen einheitlichen, durch das Ebenbürtigkeitsprinzip nicht berührten Geburtsstand, bloß in prozessualischer Beziehung genossen erstere seit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts das Privileg, in Sachen, die Leben, Ehre oder Reichslehen betrafen, nur von 135 Dsp. 59 (Schwsp. Laßb. 67 b): Ist ein man seinem weibe niht ebenbürtick, er ist doch ir vormunt und ir vogt\ und ist si vrei, si muox doch sein sein gen&xxinne, als si an sein pette gat. und gewinnent si chint, den hörent xe der ergern hant. sicenne aver der man stirbet, so ist si ledieh von seinem rechte und behaltet recht nach ir gepurt; und nirnt si man darnach der vrei ist als si, so gewinnent si kint als si selbe ist. Vgl. ebd. 325. GBIMM Weistümer 4, 485 § 18. RICHTHOFEN

U n t e r s . 2, 1093.

TELTING a. a. 0 . 19.

LOEBSCH U. SCHRÖDER N r . 89 (63).

SCHRÖDER

a. a. 0. 471. KRAUT Grundriß § 41 Nr. 34—37. IS» Vgl. u. a. Weist, des Ober-Breisgaues von 1461 § 39 (GRIMM Weist. 3, 740).

GÖHBÜM a. a. 0 . 1, 3 1 3 . V g l . S. 4 6 4 u n d n . 135, 138, 1 4 4 — 4 8 . GÖHRUM 1, 3 1 3 f . 321. GBIMM W e i s t . 1, 155 § 15. 184. 3 5 4 § 59. 735. 3, 18. 2 1 2 f . 4, 387. 4 8 5 § 18. 4 9 3 § 55. LOEBSCH 137

u. SCHRÖDER Nr. 108 (82). XXXII qu. 4. 133

Ssp. I 16 § 2.

Stadtrechtsb. d. Ruprecht v. Freising e. 104. c. 15 C.

V g l . SCHRÖDEB a. a. O. 4 7 2 f f .

HEÜSLER 1, 159.

Der Um-

stand, daß der Beweis der freien Geburt durch je drei Zeugen von Vater- und Mutterseite geführt werden mußte (Ssp. III 32 § 5), spricht dafür, daß das Kind nur frei war, wenn es von freien Eltern abstammte, sonst aber der ärgeren Hand folgte. Vgl. Stadtr. v. Herford (her. v. NORMANN) 9 ff. 14. 139 Vgl. RICHTHOFEN Fries. Rechtsqu. 539 §21; Unters. 2, 1093. TELTING a. a. O. 19. Vgl. n. 102. ZÖPFL Altert. 2,228—58. GRIMM Weist. 1, 648. 3, 65 § 27 f. 638. 675. 722 § 11. 723. 735 §6. 4, 186. 348. 448. § 26. 453. § 22. 743 § 10. 5, 5. 668 § 6. 672 §11. 6, 724 §5. ÜB. d. L. ob der Enns 1, 377 Nr. 175. 379 Nr. 179. Sächs. Weichb. 3 §3. WIGAND Femgericht 223 (1170).

Mittelalter.

474

ihresgleichen abgeurteilt zu werden u l . Zwischen ihnen und den Gemeinfreien stand die Unebenbürtigkeit der letzteren schon zur Zeit des Sachsenspiegels fest, nur in betreff der Eheschließung galt noch Standesgleichheit142. Erst nachdem sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch hier die entscheidende Wendung vollzogen hatte, war die heute zu Recht bestehende Abgeschlossenheit des hohen Adels gegen die übrigen Stände vollendet143. Daß zwischen Edelfreien und Dienstmannen ungeachtet der gemeinsamen ritterlichen und lehnrechtlichen Beziehungen keine Ebenbürtigkeit bestand, namentlich bei Mischehen die Kinder nach der ärgeren Hand (ursprünglich nach der Mutter) folgten, wurde wiederholt durch reichsgerichtliche Entscheidungen festgestellt 144 . Das141 VGL. FRANKLIN Reichshofgericht. 2, 1 3 4 — 5 7 . Über lehnrechtliche Bestrebungen, die auf eine weitere Scheidung von Pürsten und Edeln gerichtet waren, vgl. ZDA. 13, 150f. 155. Z. f. deutsch. Phil. 1, 268f. 145

Vgl. SCHRÖDER a. a. 0 . 461. 468f.

HEDSLER 1, 167f.

WEINHOLD D e u t s c h e

Frauen' 1, 317f. Zu Ssp. I 16 § 2 (n. 134), wo alles Gewicht auf die Freiheit der Eltern gelegt wird, stimmt der „Arme Heinrich" Hartmanns von Aue aus dein Anfang des 13. Jh., vgl. n. 61. Über die früher in gleicher Richtung gedeutete Bezeichnung von Bauern als Fürstengenossen vgl. n. 90. 143 Vgl. Dsp. 62. Schwsp. Laßb. 70b. 123a. Belege aus dein 15. Jh. bei KRAUT Grundriß § 41 Nr. 30, 31. Das holländisch-friesische Recht bezeichnete die Kinder aus der Ehe eines Edeln mit einer Freien als Halbedle, die zwar hinter den wohlgeborenen Edeln zurückstanden, aber doch noch zum Adel gerechnet wurden; die Kinder eines halbedeln Mannes und einer unedeln Frau galten als Vierteledle. Vollbürtiger Adel verlangte wohl vier Ahnen. Vgl. RICHTHOFEN Unters. 3, 54. 59 ff. 83. Seine Ausführungen über die Ehen der bäuerlichen Edelinge (2, 1093 ff.) widerlegt von HECK. Ger.-Verf. 244 f. 144 Zuerst durch Reichsweistum v. 1190 (MG. Const. 1, 467). Die 'Mitwirkung des Erzbischofs Wichmann von Magdeburg bei diesem Spruch, und daß dieser durch das Streben der Ministerialen, die Folge nach der Mutter festzuhalten (vgl. Urk. v. 1170, n. 140), hervorgerufen war, ist noch der sächsischen Weltchronik (WEILAND) C. 336 bekannt, eine unbestimmte Erinnerung daran auch Ssp. I I I 73 § 2. Ein zweites Reichsweistum von 1192 (Const. 1, 501) zeigt, daß das erste noch nicht ganz durchgedrungen war, es bedurfte selbst eines dritten, von 1209 (ebd. 2, 35), das die in der Ehe eines Reichsministerialen mit einer Freien erzeugten Kinder für Ministerialen erklärte: alias enirn omnes •ministerielles omnium ecclesiarum imperii deperirmt. Wenn ein anderes Gesetz von 1222 (n. 102) die Nachfolge nach der Mutter anordnete, so kann es, falls es sich etwa auch auf Ministerialen bezog, nur in dem S. 473 erörterten Sinne von Ssp. I 16 § 2 verstanden werden. Vgl. die dazu gehörige Glosse: Dil is na keiserrechte, aver de Lantberdere unde wi Sassen slan na den snoderen elderen. dit recht brachte up bisehop Wichman von Meideburg. In Österreich wurde 1227 einer domina Offemia de Potendorf, nata de ministeriali terre, quamvis de matre libera et nobili, als commune ins in Austria, ab antiquis temporibus observatum entgegengehalten: quod, cum filii seu filie progeniti de Stirpe nobilium et liberorum copulati fuerint aliquibus non paris condieionis, sed inferioris, ut puta ministerialium — —, filii seu filie progeniti de talibus eopulatis, ut puta existentes deterioris eondicionis, eciam non habent nee debent habere ius vel aeeionem in prediis seu proprietatibus que ab antiquo respiciebant solummodo homines libere eondicionis, h. e. quod vulgo vocatur vreixaigen (Arch. f. K. öst.. GQu. 2 7 , 2 7 1 Nr. 20). Vgl. noch KRAUT Grundriß § 4 1 Nr. 3 0 bis 37. SCHUSTER, ZRG. 16, 136 ff. Übrigens wurden in Österreich seit Ende des

§ 42.

Stände.

7. Ebenbürtigkeit.

475

selbe Verhältnis bestand ursprünglich auch zwischen Gemeinfreien und Dienstmannen, aber seit ihrem Eintritt in die öffentlichen Gerichte müssen die letzteren in prozessualischer Beziehung sofort die Ebenbürtigkeit erlangt haben, der Mainzer Landfriede von 1235 c. 6 (20) zeigt die Bauern sogar schon als Untergenossen der Dienstmannen. Wie es mit den Mischehen beider Klassen gehalten wurde, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Daß die Dienstmannen noch als ärgere Hand hätten angesehen werden können, nachdem für die Ritterbürtigkeit bereits das Erfordernis der vier Ahnen feststand, ist undenkbar; ebensowenig aber kann in lancrechtlicher Beziehung eine Unebenbürtigkeit der Gemeinfreien angenommen werden. Wahrscheinlich galten in der zweiten Hälfte des Mittelalters Ehen zwischen dem niederen Ritterstand und dem freien Bürger- und Bauernstand als gleiche Ehen, bei denen die Kinder, unbeschadet der Frage der Ritterbürtigkeit, den Stand des Vaters erhielten 145 . Gegenüber den Edelfreien blieb der niedere Ritterstand auch ferner unebenbürtig, wenn auch bei den Grafen die Wirkungen der Unebenbürtigkeit erst bei fortgesetzter Mißheirat im dritten Geschlecht hervortraten W6 . Zwischen Gemeinfreien oder Dienstmannen einerseits und Grundhörigen andererseits konnten nur ungleiche Ehen stattfinden, bei denen die Kinder der ärgeren Hand folgten 14 '. Dasselbe Verhältnis bestand zwischen Hörigen und Leibeigenen.148. A:le durch Ebenbürtigkeit bedingten Verhältnisse setzten die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand voraus. Es gab aber Personen, die nicht ,,vollkommen an ihrem Rechte" waren, überhaupt kein „Recht",

13. Jh. 3ie eigenen Ritter nicht mehr als ebenbürtige Genossen der Dienstherren angesehen. 146 Vgl. Riclitst. Lehnr. 28 § 3 (S. 421 n. 67). Gl. z. Ssp. I 5 § 1 : Wo, eft ein ridier neme eines buren dochter, weren die hindere ertrn edder nicht? seghe ja tu landrechte, aver nicht tu lenrechte. Nach den Rechten des Landes Blankenberg von 14t7 wurden die Kinder von blankenbergi9chen Ministerialen oder Ministerialinnen, auch wenn sie von einem freien Vater oder einer freien Matter herrührten. immer wieder Ministerialen. GRIMM Weist. 3, 18. Über die ärgere Hand bei Ehen zwischen Dienstmannen und eigenen Rittern vgl. SIEGEL a. a. 0. 280. 146 Peter v. Andlau Lib. de César, mon. 2, 12 (ZRG. 26, 197): Est autern Alarmvmis inveteratus usus et longe retro observata consuetudo , ut baro copu. lando S'M militaris et inferioris generis eoniugem prolem suam inde creatam degeneret itque debaronixet filiique de cetero barones minime voeitentur. Comités vero per comubium cum simplieis militaris generis femina natos filios non decomitant, sed si e>rum filii itidem in militarium genus nubant, extune illorum demum proies decomitctur militariumque generis ordini deinceps eonnumeratur. Vgl. S. 464. Stadtrechtsb. d. Ruprecht v. Preising c. 104: Nimbt ein xinsär, der nur ein pfennig geit auf ein gotxhaus, oder wem er in geit, ein freie frauen, so xeucht die ring hant, der xinser, die kint nach im. Über Ehen der Dienstmannen mit Zinsleuten vgl. Kl. Kaisen*. 3, 5. 7. GÖHRDM a. a. 0. 1, 325 f. 146 Vgl. Hofrecht d. Bisch. Burchard von Worms c. 16: lus erit, si fisgilmus hämo dtgewardam accepit, ut filii qui inde nascantur seeundum peiorem manum vivant, similiter. si dagewardus fisgilinam. mulieren accepit.

476

Mittelalter.

d.h. keinen Stand hatten149. Dies waren die Rechtlosen, die entweder durch Verbrechen (Ungericht) ihr Recht ein für allemal verwirkt hatten150, oder durch uneheliche Geburt oder unehrliches Gewerbe der Standesehre für ihre Person verlustig gegangen waren161. Außerdem gab es eine vorübergehende, auf einen einzelnen Fall beschränkte Rechtlosigkeit, in die jeder verfiel, der .sich vor Gericht unbefugterweise einen höheren Stand angemaßt hatte (Ssp. I 16 § 1). Die Rechtlosigkeit bedeutete nicht, wie die Echtlosigkeit oder Fried losigkeit der Reichsächter, die Ausstoßung aus dem allgemeinen Rechtsschutz, sondern nur den Verlust der durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand bedingten Rechte. Obwohl unter dem Schutz des Strafrechts stehend, hatte der Rechtlose doch kein Wergeid und keine Buße, oder nur eine zum Hohn aufgestellte Scheinbuße. Obgleich fähig, eine rechtsgültige Ehe einzugehen, war er doch nicht in der Lage, eine ebenbürtige Ehe zu schließen, weil er niemand ebenbürtig war. Ebendarum konnte er weder gesetzlicher Erbe, noch gesetzlicher Vormund seiner Verwandten werden, konnte niemand zum gerichtlichen Zweikampf fordern, war unfähig zum Richteramt und konnte in Strafsachen gegen keinen, der nicht gleich ihm rechtlos war, als Urteiler, Zeuge oder Fürsprecher auftreten. 8. Die Juden 1 6 2 . 148

Die rechtliche Stellung der Juden war in der

Vgl. S. 351. BUDDE Rechtlosigkeit. Ehrlosigkeit u. Echtlosigkeit 1842. Von unehrlichen Leuten 1863. HILLEBBAND Entziehung der bürgerlichen Ehre n. d. deutschen Rechtsbüchern des Mittelalters 1844. HÄLSCHNEU Preuß. Strafrecht 8, 204 ff. KBAUT Grundriß § 49. 160 Die Verurteilung zum Tode oder Verlust der Hand hatte Rechtlosigkeit auch dann zur Folge, wenn die Strafe abgekauft wurde. Auch der Dieb oder Räuber der sich außergerichtlich mit seinem Gegner ausgesöhnt hatte und dessen überführt wurde, galt als rechtlos. Sühne nach Übeltaten bei einer rechten Fehde war gestattet und zog keine Rechtlosigkeit nach sich. Vgl. ZEOMEB ZRG. 36,110 f. 161 Als unehrlich galt namentlich das Gewerbe des fahrenden Volkes. Die Unehrlichkeit der Lohnkämpfer ging auch auf ihre Kinder über. 162 Vgl. S. 237. STOBBE Die Juden in Deutschi. 1866. HÖNIGEB Zur G . der Juden Deutschlands, Z. f. d. G . d. Judentums 1, 65 ff. 136 ff. ROSCHES Die Juden des MA., Ansichten d. Volkswirtsch. 23, 311ff. ABONIÜS Regestenz. G . der Juden im fränk. u. deutschen Reich bis 1273 (seit 1887). NÜBLING Judengemeinden des MA. 1896. L I E B E Rechtl. u. wirtschaft.l. Zustände der Juden im Erzst. Trier, Westd. Z. 12, 311ff. W E I S S , G . u. rechtl. Stellung d. Juden i. Fürstent. Straßburg, Heidelb. Diss. 1894. SCHEBEB Rechtsverh. d. Juden i. d. deutsch-österr. Ländern 1901. STEINBERG Studien z. G . der Juden in der Schweiz 1903. SCHULTE, G . d. mittelalterl. Handels 1, 77f. 152f. 314. GOLDSCHMIDT Universal-G. d. Handelsrechts 1, 107 ff. EMDEHANN Studien i. d. roman.-kanOD. Wirtschaftslehre, 2 Bde 1874—83. NEUMANN, G . d. Wuchers 1865. JSOPESCUL-GBECUL Wucherstrafrecht l l l f f . (1906). F U N K , G . d. kirchl. Zinsverbotes 1876. HOLZAPPEL Die Anfänge der Montes Pietatis 1462—1515 (KNÖPFLER Veröffentlich, d. kirchenhist. Seminars in München 11, 1903). W A I T Z 5 S , 419ff. LAMPBECHT W L . 1, 1449ff. G I E B K E Genoss.-R. 1, 337f. GENGLER Stadtr.-Altert. 97ff. ROSENTHAL Zur G . des Eigentums in Würzburg 17 ff. Ein Regensburger Judenprivileg Friedrichs I mit Bestätigung Friedrichs I I von 1216 bei SCHEFFEB-BOICHOBST, Mitt. d. öst. Inst. 10, 459 ff. BENEKE

§ 42.

Stände.

8. Juden.

477

ersten Hälfte des Mittelalters im allgemeinen dieselbe wie in der vorigen Periode. Sie bildeten einen wesentlichen Bestandteil der städtischen Einwohnerschaft. Der Warenhandel, namentlich das Levantegeschäft, ruhte fast ausschließlich in ihren Händen 153 . Geldgeschäfte betrieben sie anfangs nur in beschränktem Maß, da sich in erster Reihe die Klöster mit Darlehnsgetschäften befaßten. Die Juden konnten unter denselben Bedingungen wie Christen Grundbesitz erwerben, waren denselben Gerichten wie diese unterworfen und hatten sich in manchen Städten der christlichen Bevölkerung so weit angenähert, daß sie mitten unter dieser wohnten und nicht, wie später allgemein, in besonderen Judenvierteln. Erst das 12. Jahrhundert, namentlich die Judenverfolgung von 1146 und 1147, brachte einen Umschwung. Der Grund lag zum Teil in den durch die Kreuzzüge verschärften nationalen und religiösen Gegensätzen. Wichtiger war die mit dem Aufschwung der Städte verbundene Reaktion des deutschen Handelsgewerbes gegen die auf diesem Gebiet bis dahin bestehende Alleinherrschaft der Juden. Durch die Konkurrenz der Kaufmannsgilden mehr und mehr, wenn auch keineswegs so vollständig wie gewöhnlich angenommen wird, aus dem Warenhandel verdrängt 154 , warfen sich die Juden mit verstärktem Eifer auf die Geldgeschäfte, die seit der von den Cluniacensern angebahnten Reform der geistlichen Orden den Klöstern verboten waren. Hatten die letzteren grundsätzlich nur unentgeltliche Darlehnsgeschäfte gemacht und sich bloß in ihrer Entartung auch wucherlichen Unternehmungen hingegeben 155 , so wurde das Geschäft von den Juden, da für sie die kanonischen Zinsverbote nicht maßgebend waren, von vornherein nur gegen Zinsen betrieben. Die Verachtung, in der dies Gewerbe trotz seiner Unentbehrlichkeit bei den Christen stand, und der Druck den die maßlose Ausbeutung des Wucherprivilegs, nur wenig gemildert durch die Konkurrenz der christlichen Lombarden und Kawerzen156, auf die kreditbedürftige Bevölkerung ausübte, war der Hauptanlaß für den Umschwung der öffentlichen Meinung und die Verfolgungen und 153

151

Vgl.

STOBBE a . a . 0 .

103.

200.

231.

Das Regensburger Privileg Friedrichs I genehmigt noch, ut eis liceat atirum et argentum et quaelibet genera metallorum et res cuiuscunque mereationis vendere et antiquo more suo comparare, res et merces suas commutationi rerum exhibere et utilitatibus suis modis quibus consueverimt providere. 155 Die Leihhäuser der Franziskaner nahmen von Anfang an 4 bis 10% Zinsen. 156 Die „Lombarden", italienische Geldwechsler, die sich fast in allen größeren Städten Deutschlands niedergelassen hatten, waren durch ihre heimatlichen Geschäftsverbindungen für die modernen Wechselgeschäfte (eambia eum litteris) vorzüglich geeignet. Daneben betrieben sie das noch heute nach ihnen benannte Lombardgeschäft (Dahrlehn gegen Faustpfand). Der Zinswucher war ihnen vielfach durch persönliche Privilegien freigegeben, wurde aber auch unerlaubt von ihnen betrieben. Die Kawerzen waren ursprünglich Südfranzosen, die nach der Stadt Cahors (Cadurcum) anfangs Cadureini benannt wurden, später verstand man unter diesem Namen vornehmlich die Lombarden aus der Stadt Asti. Vgl. SCHULTE a. a. 0. 1, 270 f. 308 ff. AMIET, JB. f, Schweiz. G. 2, 143 ff.

Mittelalter.

478

Rechtsverletzungen, deren sich die Regierenden wie die Regierten gegen die Juden schuldig gemacht haben. Ein erst neuerdings aufgefundenes Privileg Friedrich I von 1157 für die Wormser Juden, in der Hauptsache die Bestätigung eines Privilegs Heinrichs IV, durch Friedrich II 1236 zu einem Privileg der gesamten deutschen Judenschaft erhoben, gewährt einen authentischen Einblick in die allmählich eingetretenen Veränderungen 157 , die auch in den Einträgen verschiedener Stadtbücher, namentlich der Kölner Schreinsbücher, hervortreten158. Der Landfriede Heinrichs IV von 1103 sprach zuerst den für die rechtliche Stellung der Juden später maßgebend gewordenen Satz aus, daß alle Juden im Reich unter dem Frieden des Königs ständen 159 . Vorher hatten wohl in alter Weise in den aus der Karolingerzeit bekannten Formen einzelne angesehene Juden königliche Schutzbriefe und Handelsprivilegien ausgewirkt160, die übrigen aber standen einfach unter den örtlichen Obrigkeiten. Im Sinne jenes Landfriedens nahm sich Konrad III zur Zeit der Judenverfolgung von 1146 der Bedrängten an 161 . Eine eigentliche Organisation des Judenschutzes scheint aber nicht vor Friedrich I erfolgt zu sein, dessen Wormser Judenprivileg von 1157 zuerst den Satz aussprach, daß alle Juden ad cameram nostram attineant; sie hatten also schon damals für die ihnen gewährten Privilegien eine bestimmte Abgabe an des Königs Kammer zu zahlen. Man erkennt die stufenweise Verschlechterung in der Stellung der Juden, wenn Friedrich II sie in einem allgemeinen Privileg von 1236 schon als Kammerknechte (servi camere nostre) bezeichnet, Heinrich VII aber gar von camere nostre servis, et quorum res et persone ad nos et imperium spectant immediate, spricht162. Nach den hohenstauflschen Privilegien standen die einzelnen Judengemeinden unter einem selbstgewählten, aber vom König ernannten Bischof, dem zugleich die Vertretung der Gemeinde nach außen oblag 103 . 157 Vgl. W E I L A N D Const. 1 , 226. 2, 274. ALTMANN U. BERNHEIM » 143. 144. 153. 158. 164. HÖNIGER a.a.O. 1, 136ff. BRESSLAU Dipl. Erläuterungen z. d. Judenprivilegien Heinrichs IV, Z. f. G. d. Judentums 1, 152 ff. 158 In Köln wurden bezeichnenderweise die Immobiliarrechtsgeschäfte der Juden bis Mitte des 12. Jh. ungesondert mit denen der Christen in den Schreinskarten, später in einem eigenen Judenschreinsbuch verzeichnet. Vgl. HÖNIGER Judenschreinsbuch der Laurenzpfarre zu Köln (Quellen z. Gr. der Juden 1, 1888). 158 JJQ. < ] ) 125. STOBBE findet die Veranlassung in den Judenverfolgungen bei Beginn des ersten Kreuzzuges; W A I T Z 5 2 , 421 f. möchte die Entstehung des allgemeinen Judenschutzes des Königs bis in die Karolingerzeit zurückverlegen. leo j j u r ¡ N DIESEM Sinne ist, wie BRESSLAU nachgewiesen, das Speierer Privileg Heinrichs IV von 1090 zu verstehen, das man früher teils auf die gesamte Judenschaft ven Speier bezog (STOBBE 9 f.), teils sogar für ein allgemeines deutsches Judenprivileg hielt (vgl. BESELER, ZRG-. 2, 374). 161 Vgl. Otto Frisingensis gesta Friderici 1, 37. 1,8 BÖHMER Acta imp. Nr. 6 4 4 ( 1 3 1 2 ) . Vgl. ARONIÜS, Z . f. G . d. Judent.

5,

269. 18s

Vgl.

LOEKSCH U. SCHRÖDER U r k .

Nr. 153

(127).

§ 42.

Stände.

8. Juden.

479

Von den öffentlichen Gerichten wurden die Juden eximiert; ihren ordentlichen Gerichtsstand sollten sie vor ihrem Bischof haben, für alle wichtigeren Angelegenheiten (si de magna causa inculpati fuerint) wurde ihnen das Evokationsrecht an den König bewilligt 164 . Für ihr bewegliches und unbewegliches Vermögen wurde ihnen Sicherheit versprochen, über Friedensbrüche gegen sie eine erhebliche, .an den König zu entrichtende Geldstrafe verhängt, der Geldwechsel außerhalb der Münzstätten und privilegierten Wechselbänke ihnen freigegeben, ihr Warenhandel mit wichtigen Freiheiten ausgestattet, auch von verschiedenen öffentlichen Lasten ihnen Befreiung gewährt. Sie durften heidnische Sklaven und freies christliches Gesinde halten. Die günstige Stellung, die den Juden auf diese Weise eingeräumt worden war, blieb nicht lange bestehen. Wiederholte Ausbrüche des religiösen Fanatismus der Menge, namentlich zur Zeit des schwarzen Todes, und immer wiederkehrende, in ihrem sittlichen Grunde verständliche, aber Maß und Ziel überschreitende Reaktionen der durch den Wucher der Juden bedrückten oder zu Grunde gerichteten Schuldner machten es den Trägern der Staatsgewalt vielfach unmöglich, den versprochenen Rechtsschutz zu gewähren. Auch betrachtete man das Privileg des Wuchers, weil es in der Auffassung des Mittelalters den guten Sitten widersprach, nur als auf Widerruf erteilt, die Könige hielten sich daher berechtigt, Forderungen der Juden für nichtig zu erklären, und zwar nicht bloß in einzelnen Fällen, sondern zuweilen selbst durch allgemeine Maßregeln. Vor allem aber führte die feudalistische Auffassung des Mittelalters dahin, das Judenregal gleich anderen Hoheitsrechten nicht vom Gesichtspunkt staatlicher Pflichten, sondern von dem einer Finanzquelle anzusehen. Verleihungen des Judenregals über ganze Städte oder Territorien waren bald an der Tagesordnung, selbst einzelne Juden wurden mit Rücksicht auf ihre Abgaben an des Königs Kammer als Vermögensobjekte behandelt und verliehen. Durch derartige Verleihungen kamen die von den königlichen Privilegien getroffenen Einrichtungen mehr und mehr in Verwirrung, so. daß sich die Lage der Juden in den einzelnen Gebieten sehr verschieden gestaltete, auch wurde ihre persönliche Freiheit, die sie trotz der Bezeichnung als königliche Kammerknechte behauptet hatten, vielfach angetastet, indem man ihnen das Recht der Freizügigkeit benahm und einen Judenleibzoll auferlegte165. 164 Daß dies Recht nicht bloß auf dem Papier stand, zeigt das berühmte Reichsurteil Friedrichs II von 1236 über die Anschuldigung des ritualen Kindermordes (MG. 2, 274). Vgl. HÖNIOER a. a. 0. 1, 142f. STOBBE 184. 281. 166

STOBBE a . a . 0 .

26.

41.

Mittelalter.

480

Zweites Kapitel.

Die Verfassung des deutschen Reiches und seiner Teile. § 43.

Der König.

6* 139—322. SIEGEL RG.3 206ff. EICHHORN 2 §§ 287f. W A L T E R §§44—47. AMIRA Grundr.' 97f. BRÜNNER Grundz.« 120-29. H E Ü S L E R V G . 124 ff. 188. 191. 210. R Ö P K E Widukind v. Korvei 128—68. BLONDEL Étude sur Frédéric II, 27ff. T E I E P E I , Das Interregnum 1892. K E M P F , G . d. d. Reiches während des Interregnums 1893. K Ü P K E Reichsvikariat des Pfalzgr. b. Rh., Hall. Diss. 1891. M . G. SCHMIDT Staatsrechtl. Anwendung der Goldenen Bulle bis zum Tode Sigmunds, Hall. Diss. 1894. R. SCHOLZ Beiträge z. G . der Hoheitsrechte des deutschen Königs z. Z. der ersten Staufer 1896. (Leipziger Studien 2, 4.) DEVBIENT Reichsverfassung unter d. sächs. u. sal. Herrschern (RICHTEE'S Annalen 3, 2, Anh.). E . MATER Deutsche u. franz. VG. 2, 379 ff. 414 (dazu STÜTZ, ZRG. 34, 171 f.). WAITZ

§§ 251 ff.

ZöPFL

Der Titel des Königs im zehnten Jahrhundert war einfach Rex oder, wenn er zugleich die Kaiserwürde bekleidete, Imperator, vereinzelt unter Otto I, Heinrich II und III auch rex Lothariensium et Francigenum, rex Francorum et Langobardorum1. Seit Otto II, regelmäßig seit der Kaiserkrönung Ottos III, wurde Romanorum imperator augustus geschrieben, während der noch nicht zum Kaiser gekrönte deutsche König nach wie vor schlechtweg Rex, seit Heinrich IV und V, um sein Anrecht an Rom anzudeuten, Romanorum rex genannt wurde?. Beide Titel, in deutscher Form Römischer heiser und Römischer chunig, haben sich bis zum Ende des Mittelalters erhalten, zuweilen unter Beifügung einer Bezugnahme auf den Hausbesitz, wie unter den späteren Staufern Jerusalem et Sicilie rex, unter Karl IV und Wenzel kunig zu Beheim, unter Sigismund und Friedrich III zu Rungern, zu Behem, Dalmatien, Croacien etc. kunig. Die „ R e i c h s k l e i n o d i e n " , d. h. die Wahrzeichen des Königtums ( Ertrag der königlichen Münzen, mit Ausnahme der Münzen am Hof und in den Pfalzen, gehörte wohl allgemein zu den Amtseinkünften der Grafen25, wodurch die seit dem 11. Jahrhundert beginnenden Münzverleihungen an weltliche Große, neben den vorher allein üblichen an kirchliche Stifter, vorbereitet wurden. Die Stammesherzöge übten das Münzrecht aus, ohne daß, wie anzupassen und so ihre volle Gleichstellung mit den weltlichen Fürsten herbeizuführen. 20 Vgl. GEFFCKEN a. a. O. 17 ff. FICKEB Reichsfürstenstand 363 ff. 21 Vgl. HINSCHIDS 2, 621 ff. 628ff. GEFFCKEN 4ff. STUTZ, Realenzykl. f. pr. Theol. 15, 13ff. Daneben behielt die Krone vielfach die Vogtei (§ 49). Das Regalien- und Spolienrecht am niederen Reichskirchengut wurde von der Krone behauptet, von Friedrich II aber 1223 auf den Deutschorden übertragen. Vgl. GEFFCKEN 1 2 ff.

" Vgl. S. 191 ff. IHAMA-STEHNEOQ WG. 2, 392ff.; 3, 2 S. 363ff.; Die Goldwährung im deutschen Reiche während des Mittelalters, Z. f. Soz.- u. WG. S, lff. W A I T Z 8, 317 ff. EHEBERO Über das ältere deutsche Münzwesen a. die Hausgenossen 1879. E. METER a. a. 0. 1, 94 ff. BERCHTOLD Entwicklung der Landeshoheit 97 ff. EICHBORN 2, 405 ff. DAKNENBERO Die deutschen Münzen der sächs. u. fränk. Kaiserzeit, 3 Bde 1876—98. MONE, ZGO. 2, 385ff. 3, 309ff. 6, 257 ff. 11, 385ff. 18, 175ff. HANAUER Études économiques sur l'Alsace, 1. Les monnaies 1876. ARNOLD Verf.-Gesch. der deutschen Freistädte 2, 248 ff. L U S C H I N V. E B E N GREUTH Das Münzwesen in Österreich zur Zeit Rudolfs I (Festschr. zur 600jährigen Gedenkfeier der Belehnung des Hauses Habsburg 1882). LAUFRECHT WL. 2, 351—480. KRÖTE Kölnische Geldgeschichte bis 1386, Westd. Z. Erg. 4. H » Fries. Strafrecht 16ff. SCHULTE, G. des mittelalterl. Handels 1, 329ff. Eine Geschichte des altfriesischen Geldwesens ist von H. JÄKEL ZU erwarten. 19 Vgl. A R N O L D , G. d. Eigentums i. d. deutschen Städten 206ff. ROSCHER Grundlagen der Nationalökonomie9 § 117 n. 10. " Vgl. n. 28. 34. Ssp. II 26 §§ 4, 5. "

Vgl.

W A I T Z 7 , 2 8 ff, 8 ,

323.

§ 48.

537

Finanzwesen.

es scheint, eine besondere Verleihung stattgefunden hatte. Verleihungen an Städte kamen erst seit dem 13. Jahrhundert vor. Die Münzverleihungen hatten schon im 10. Jahrhundert eine viel weitergehende Bedeutung als früher, sie übertrugen nicht bloß das nutzbare Recht des Schlagschatzes, sondern das Recht der selbständigen Prägung mit eigenem Stempel, seit dem 12. Jahrhundert sogar nach eigenem Münzfuß, wobei von Reichs wegen nur darauf gehalten wurde, wenigstens den schlimmsten Auswüchsen und willkürlichem Abweichen vom Hergebrachten entgegenzutreten 26 . Denn die Oberaufsicht über das Münzwesen war dem Reiche verblieben, auch wurde daran festgehalten, daß grundsätzlich nur der König das Münzrecht besitze, jeder andere nur durch königliche Verleihung, und daß die Münzen an den Reichstagsorten während der Dauer des Reichstages, die der geistlichen Fürsten auch während der Stuhlerledigung dem königlichen Regalienrecht unterworfen seien 27 . Aber schon Friedrich I I mußte den fürstlichen Münzherren das Zugeständnis machen, daß innerhalb ihrer Territorien keine neuen Zoll- oder Münzstätten ohne ihre Einwilligung errichtet werden dürften 28 , so daß der König nur noch in den unmittelbaren Reichslanden freie Hand behielt. Andererseits räumte die Goldene Bulle (c. 10 § § 1 , 3) den Kurfürsten das von einzelnen Fürsten schon vorher ausgeübte Recht ein, in ihren Ländern nach Belieben Münzstätten anzulegen. Der Münzfuß folgte bis zum 12. Jahrhundert im wesentlichen dem karolingischen System. Man prägte im allgemeinen nur Silbermünzen oder versilberte Kupfermünzen 29 , neben ganzen Denaren oder Pfennigen a u c h h a l b e (Hälblinge, Heller,

oboli)

und

viertel (Vierlinge,

Fierdunge,

fertones). In alter Weise wurden 240 Pfennig oder 20 Schillinge zu 12 Pfennigen (in Baiern 8 Sch. zu 30 Pfg.) auf das Pfund (talentum, libra, pondus) gerechnet, mehr und mehr gelangte aber die kölnische Mark (ein halbes Pfund zu 210,24 g), die in 12 Sch. zu je 12 Pfg. ausgeprägt wurde, zur Vorherrschaft 30 . Goldmünzen prägte man in der ersten Hälfte Schwsp. L. 192° klagt, da£ die Könige hier ihre Pflicht versäumten. Erst ein Reichsarteil Rudolfs I von 1293 (Mß. Const. 3, 333) bestimmt, daß quilibet prineeps imperii ecclesiasticus vel secularis, ab ipso imperio monetam tenens in feodum, ipsam monetam poeius debet eudere rel eudi faciei secundum ius et eonsuetudinem quibus ab antiqui* temporibus de iure haetenus est gavisus, quam iuxta voluntatem eonsoreium qui vulgariler huesgenoes appellantur. Vgl. LOBENZ Deutsche G. 2, 2 S. 362 f. 41

Vgl.

FKAMMIN

Nr.

187—90.

192—94.

EHEBERO

27 f.

Ssp. II

26

§

4.

Schwsp. L. 192B. 364. Const, gener. v. 1234 c. 9 (MG. Const. 2, 429). Mainzer Landfriede von 1235 c. 23 (11), ebd. 3, 278. 2, 244. Unter Friedriehl waren die Bischöfe von Reichs wegen mit der Beaufsichtigung der Münzprägungen innerhalb ihrer Diözesen beauftragt. Vgl. MG. Const. 1, 272. *• Confoed. c. princ. eccl. von 1220 c. 2 (Const. 2, 89). Constit. in fav. principum von 1 2 3 1 / 3 2 c. 1 7 (ebd. 2 , 2 1 2 . 4 1 9 ) . Reichsurteile von 1 2 2 0 und 1 2 2 3 (ebd. 9 2 . 3 9 7 ) . Ssp. I I 2 6 § 4 . 29 Vgl. Ssp. praef. rythm. 250ff. Schwsp. L. 192 c . Vgl. HULIQER Studien (S. 1 9 1 n.). Die später auf 2 3 3 , 8 5 g ( 1 6 Lot) er-

Mittelalter.

538

des Mittelalters fast gar nicht, später meistens im Anschluß an den florentinischen Goldgulden 31 . In den Münzverleihungen war das Recht der Goldprägang nicht enthalten. Es blieb ein ausschließliches Recht des Königs und konnte nur durch ausdrückliche Verleihung auf andere übertragen werden 32 . Die Kurfürsten erhielten das Recht der Goldprägung allgemein durch die Goldene Bulle (c. 10 §§ 1, 3), nachdem es vorher nur dem König von Böhmen zugestanden hatte. Die Münzherren übten das Recht des Münzbannes aus 33 , kraft dessen sie den Gebrauch auswärtigen Geldes unbedingt untersagen konnten, während die Umwechselung desselben sowie der Verkauf ungeprägter Edelmetalle nur an der Münze gestattet wurde 34 . Die Münzstätten wurden dadurch zu privilegierten Wechselbanken, die nicht nur den Zufluß neuen Prägematerials sicherstellten, sondern auch durch den bei jedem Wechselgeschäft erhobenen Schlagschatz eine bedeutende Einnahme gewährten. Für die im Besitz mehrerer Münzstätten befindlichen Münzherren war diese Einnahme vielfach der Grund, selbst innerhalb ihres Landes den einzelnen Münzen einen begrenzten Bannbezirk zu überweisen. Dem gleichen Interesse diente der Münzverruf, durch den ältere Münzen außer Kurs gesetzt und die Inhaber an die Wechselbank verwiesen wurden 35 . War dies ursprünglich nur bei einem Wechsel in der Person des Münzherrn üblich gewesen, so wurde der Münzverruf allmählich zu einer fiskalischen Erpressungsmaßregel, die sich in einzelnen Territorien von Jahr zu Jahr wiederholte36. Nur durch das Überwiegen des Tauschhandels war eine derartige Handhabung des Münzbannes ohne vollständigen Ruin des Landes möglich. Unerträglich wurde sie mit der fortschreitenden Entwickelung der Geldwirtschaft, zunächst in den Städten. Das Reich, dessen Münzen dem landesherrlichen Münzbann nicht unterlagen und daher überall, soweit nicht Sonderprivilegien entgegenstanden, freien Umlauf hatten, hätte durch massenhafte Ausprägungen dem Übel einigermaßen abhelfen können. Da aber von dieser Seite aus Mangel an Mitteln wie an Interesse nichts geschah, so blieben die Städte auf die Selbsthilfe angewiesen 37 . Zuweilen höhte kölnische Mark ist bis 1857 die vornehmste Grundlage des deutschen Münzsystems geblieben. Bei größeren Zahlungen wurden die Pfennige, wegen ihres Sehr verschiedenen Gewichts, nicht gezählt, sondern nach „Pfund Pfennigen'* gewogen. Vgl. v. LUSCHIN, Mitt. d. öst. Inst. 24, 317 f. 31 Vgl. EHEBEBO a. a. O . 44f. Über die Wertrelation von Silber zu Gold vgl. §26 n. 5. Über Goldpfennige ebd. n. 31. In- einer Urkunde-von 1144 (Wirtemb. UB. 2, 32 Nr. 320) wird der Wert eines Goldpfennigs zu 12 Würzburger Pfennigen angegeben. 82

38

Vgl.

EHEBEBO a . a . 0 .

4 4 f.

Über das Folgende vgl. EHEBEBO 5 Ì — 7 7 . " Vgl. FRANKLIN Nr. 181. 182. 184. 186. MG. Const. 2, 397. 416. 35 Vgl. Ssp. II 26 § 6. Schwsp. L 192". M Vgl. Ssp. I I 2 6 §1, nebst Glosse (HOMEVEB S. 2 5 5 ) . Schwsp. - L . "

Vgl.

EHEBEBO 8 0 ff.

192*.

§48.

Finanzwesen.

539

gelang es ihnen, den Münzherrn durch Bewilligung einer regelmäßigen Abgabe zum Verzicht auf den Münzverruf zu bewegen; in dieser Weise ist das „Münzgeld" der schlesischen und das „Ungeld" (eine Schanksteuer) der österreichischen Städte entstanden 38 . Vielfach setzten die Städte aucli durch, daß ihnen ein Mitaufsichtsrecht über die Handhabung des Münzwesens eingeräumt wurde, namentlich aber gelang es seit dem 13. Jahrhundert vielen Städten, teils durch königliche Verleihung, teils durch Verkauf oder Verpfändung der Münzherren, selbst in Besitz des Münzrechtes zu kommen. In ihrem eigenen Interesse mußten sie darauf halten, nur gutes Geld zu prägen und diesem ein möglichst großes Umlaufsgebiet zu sichern. Dazu dienten die Münzvereine, an denen neben den Städten mehr und mehr auch Fürsten teilnahmen; sie begründeten einheitliche Münzsysteme unter Vereinsaufsicht und mit gleichem Umlaufsrecht für alle Vereinsmünzen. Die städtischen Münzen standen infolgedessen schon im 14. Jahrhundert in solchem Ansehen, daß die königlichen Münzprivilegien wiederholt auf sie als Muster verwiesen 39 und die landesherrlichen Münzen nicht selten durch städtische aus dem Verkehr gedrängt wurden. Die Z o l l e i n r i c h t u n g e n waren im wesentlichen dieselben wie in der vorigen Periode 40 . Die Zoll Verleihungen nahmen beständig zu, namentlich waren die Zollstätten vielfach mit den Grafschaften verbunden, so daß die Fürsten mehr und mehr anfingen, die Zölle als ihre eigene Angelegenheit zu betrachten und nach Belieben selbst Zollerhöhungen eintreten zu lassen, was erst durch den Mainzer Landfrieden von 1235 c. 1 8 (7) verboten wurde 41 . Nur daran wurde festgehalten, daß die Errichtung neuer Zollstätten nicht anders als durch das Reich erfolgen dürfe 42 . Aber auch dem Reich wurden in dieser Beziehung seit dem 98 Zuweilen haben auch solche Städte, die selbst im Besitz des Münzrechts waren, eine feste Steuer statt der ihnen bis dahin aus dem Münzverruf zugeflossenen Ginnahmen eintreten lassen. 39

Vgl.

EHEBERG 9 5 f .

Vgl. S . 199. W A I T Z 8, 292ff. I N AM A-STERNEGG 3, 2 S . 218 f. SCHOLZ 94 ff. ZÖLLNER Zollregal der deutschen Könige bis 1235, 1889. BRAUNHOLTZ Das deutsche Keichszollwesen z. Z. der Hohenstaufen u. des Interregnums, Berl. Diss. 1890. SICKEL Zum ältesten deutschen Zollstrafrecht, Z. f. d. ges. Strafr.-W. 7, 505 ff. W E T Z E L Zollrecht der deutsehen Könige bis zur goldenen Bulle 1892. G. M A T E R a. a. 0. 1, 79 ff.; Zoll, Kaufmannschaft und Markt ( S . 191). HOFFMANN Deutsches Zollrecht I 1900—1902. SCHULTE. Gesch. d. mittelalterl. Handels 1, 177f. I83ff. 194. 203ff. KALISCH Verhältnis des Geleitsregals zum Zollregal, Berl. Dies. 1901. SCHELLER, Zoll u. Markt im 12. u. 13. Jh. 1903. SOMMERLAD Die Rheinzölle im Mittelalter 1894. BESELER, ZRG. 2, 382ff. LAMPRECHT W L . 2, 271 ff. Festgehalten •wurde bei der Zollpflichtigkeit an der Beschränkung auf Kaufmannsgüter. Vgl. MG. Const. 1, 180 (1149). 41 Vgl. W A I T Z 8 , 3 0 5 f. Andererseits durften die mit einer königlichen Zollstätte Beliehenen ihren Ertragswert nicht durch Erteilung von Zollbefreiungen schmälern. Vgl. Reichsurteil von 1 3 1 0 bei FRANKLIN Sent. Nr. 1 7 . « MG. Const. 1, 225. 2, 35. 243 c. 7. 471. 489. FRANKLIN Sent. 191 (1290). Der königliche Charakter der Zollstätten trat auch in dem mehrfach üblichen

Mittelalter.

540

13. Jahrhundert enge Schranken gezogen. Daß wohlerworbene Rechte Dritter durch die Errichtung neuer Zölle nicht beeinträchtigt werden durften, verstand sich von selbst; auf Grund dieses Satzes mußte Friedrich II sich infolge eines Reichsurteils von 1220 dazu verstehen, gewisse dem Grafen von Geldern in seinem eigenen Lande verliehene Rheinzölle auf Beschwerde der benachbarten Fürsten wiederaufzuheben 43 . Den geistlichen Fürsten machte die Confoederatio cum prineipibus ecclesiasticis von 1220 das Zugeständnis, daß in ihren Territorien ohne ihre Genehmigung von seiten des Reiches keine neuen Zölle errichtet werden dürften, was gegenüber den weltlichen Fürsten schon vorher gewohnheitsrechtlich festgestanden haben muß 41 . Außerdem versprach der König, die in den Händen der Fürsten befindlichen Zölle aufrecht zu erhalten und keine Beeinträchtigung oder Verringerung zu gestatten. Damit war das bisherige Recht des Königs, nach Belieben Zollbefreiungen zu erteilen, den fürstlichen Zollstätten gegenüber aufgehoben 45 , während die Errichtung neuer Zollstätten für das Reich fortan auf die Reichsstädte und Krongüter beschränkt und selbst hier ein Einspruch der Nachbarn zu besorgen war. Endlich wurde 1234 (MG. Const. 2, 429 c. 9), und zwar mit rückwirkender Kraft bis auf die Zeit Friedrichs I, die Aufhebung aller ohne Genehmigung der Fürsten errichteten Zölle angeordnet. Gleich der Zollgerechtigkeit konnte auch die M a r k t g e r e c h t i g k e i t nur von Reichs wegen verliehen werden 46 . Wegen ihres Zusammenhanges mit dem Städtewesen wird von den Märkten erst später näher zu reden sein. Als Finanzquelle kamen sie wegen des Marktzolles, der Budengelder, der während des Marktes verwirkten Bannbußen und der Marktgerichtsgefalle in Betracht. Gleich den Münzen und Zöllen waren auch die Märkte größtenteils verliehen, nur wenige befanden sich unmittelbar in den Händen des Reiches, auch den Reichsstädten gelang es seit dem 13. Jahrhundert allgemein, diese Gerechtigkeiten für eigene Rechnung zu erwerben. Eine Einnahmequelle für das Reich bildeten sie dann nur Wahrzeichen des Zollkreuzes hervor.

Vgl. SCHRÖDER Weichbild (Hist. Aufsätze z.

A n d . a n WAITZ) 309.

Vgl. MG. Const. 2, 92. BERCHTOLD Entstehung der Landeshoheit 99. Vgl. BEBCHTOLD a. a. 0. 98. Hätte es sich bei der Confoederatio darum gehandelt, den geistlichen Fürsten ein Recht zu gewähren, das den weltlichen noch abging, so würden diese sich bei Gelegenheit der Constitutio in favorem prineipum von 1231 dasselbe ausgebeten haben, das letztere handelt (c. 17) aber nur von neuen Münzen und nicht von neuen Zöllen. Ohnehin ist es selbstverständlich, daß die königlichen Machtbefugnisse auf dem Reichskirchengut längere Dauer gehabt haben, als in den weltlichen Territorien. 46 Dagegen erteilte Ludwig der Baier 1332 den Nürnbergern gegenseitige Zollfreiheit im Verkehr mit 70 Städten, Karl IV 1351 den Augsburgeru mit sämtlichen Reichsstädten. Vgl. INÀMA-STERNEQO WG. 3, 2 S. 212. Eine gegenseitige Zollfreiheit der Reichsstädte erwähnen schon Metzer Urkunden von 1227 und 1804,. auf die Herr Dr. MÜSEBECK in Metz mich aufmerksam gemacht hat. 44

48

V g l . S. 200.

IHAMA-STEBNEOQ W G .

Zoll, Kaufmannschaft u. Markt 420 ff.

2, 377.

E . MAYEB a . a . O . 2 ,

2 1 8 ff.;.

§ 48.

Finanzwesen.

541

noch während der Reichstage (S. 534). Wie bei den Zöllen, so wurde auch bei den Marktprivilegien streng auf wohlerworbene Rechte gehalten. Die Constitutio in favorem principum von 1 2 3 1 / 3 2 c. 2 bestimmte ausdrücklich, daß den bestehenden Märkten keine Beeinträchtigung durch Errichtung von Konkurrenzmärkten geschehen dürfe 47 , auch sollten die bestehenden Landstraßen nicht' willkürlich verlegt und die Reisenden nicht zum Einschlagen anderer Richtungen gezwungen werden, u m einzelnen Märkten oder Zollstätten dadurch einen größeren Verkehr zuzuführen 48 . Zu den Einnahmequellen des Reiches gehörte auch das G e l e i t s r e c h t {¿us conductas, ducatus), indem die unter Geleite Reisenden für den ihnen vom Geleitsherrn gewährten Schutz, der auch in bewaffnetem Geleite bestehen konnte, ein besonderes Geleitsgeld zu entrichten hatten 49 . Dem König stand das Geleitsrecht im ganzen Reiche zu, auch da, wo auf Herkommen oder Verleihung beruhende Geleitsrechte mit ihm konkurrierten 60 . Die Herzöge scheinen das Geleitsrecht von jeher geübt zu haben 51 , ebenso wohl die Markgrafen und, soweit ihnen die Wahrung des Landfriedens anvertraut war, auch die Landgrafen. .Die Verleihungen trugen anfangs nur den Charakter einer persönlichen Begünstigung. I m Lauf des 13. Jahrhunderts wurde das Geleitsrecht zu einem fürstlichen Hoheitsrecht, unbeschadet der Fortdauer des königlichen Rechtes. Das H e i m f a l l s r e c h t des Reiches an erblosem Gute 5 2 ging im Lauf des 13. Jahrhunderts fast allgemein auf die territorialen Gewalten 47

Vgl. M G . Const. 2 , 2 1 4 . SCHRÖDER Weichbild 3 0 6 . Vgl. S. 547. Const. in fav. princ. v. 1231/32, c. 3. c. 4. Keichsurteil v. 1236 (Const. 2, 273). 49 Vgl. W A I T Z 8 , 315ff. SCHOLZ 9 4 . E . M A Y E B a. a. 0 . 2, 203ff.; Zoll, Kaufmannschaft u. Markt 388f. U H L H A N N Sigmunds Geleit für Hus u. das Geleit im Mittelalter 1894 ( L I N D N E R S Hall. Beiträge 5). 10 Vgl. Const. 1, 335 § 9 (1173). 2, 444 (1240). Zu Geleitsbehörden waren nach dem Mainzer Landfrieden v. 1235 §19 (7) die Zöllner bestimmt, da mit dem Becht der Zollerhebung stets eine Pflicht zur Erteilung eines Geleits verbunden war. " Die Urkunde über die Errichtung des Herzogtums Westfalen von 1180 (MG. Const. 1, 385) hebt das Geleitsrecht besonders hervor. !2 Vgl. S. 203. 347. W A I T Z 8, 247. 250f. INAMA-STERNEGQ 2, 112. E. M A T E R &. a. C . 1, 103 ff. STOBBE Privatr. 5 § 297. G E N G I E R Lehrb. d. deutsch. Private. 12850. EICHHORN, Z . f. gesch. R W . 13, 339ff. SIEGEL Erbrecht 203ff. TOMASCHEK Heimfallsrecht 10 ff. 16 ff. H E T D E H A K N Elemente der Joachim. Konstitution 241 ff. Der bewegliche Nachlaß im Lande verstorbener Fremder, die keine inländischen Erben hinterlassen hatten, wurde als erbloses Gut behandelt (vgl. STUMPF Acta imperii Nr. 280 v. 1025), bis Friedrich I I für sein ganzes Reich die Freigs.be derartiger Erbschaften anordnete. Vgl. MG. Const 2 Nr. 85 § 9 (Auth. Omnei peregrini, 1. 10 C. comm. de succ. 6, 59). Seitdem blieb nur der Totenteil als NachlatSsteuer, gabella hereditäria, ius albanagii (Fremdlingsrecht, droit d'aubcine) zu entrichten, soweit diese nicht durch internationale Verträge ausgeschlossen wurde. Der Übergang vom Königs- zum Territorialrecht, hat sich seit dem 13. Jh. auch auf diesem Gebiet vollzogen. 49

Mittelalter.

542

über, indem es zwar theoretisch als ein königliches Recht festgehalten wurde, aber doch nur als ein solches, das der Richter, d. h. der vom König mit der Gerichtsbarkeit belehnte Fürst, für eigene Rechnung auszuüben habe 53 . Das älteste Beispiel dieses Überganges auf die Landesherren gewährt die Freiburger Stadtrechtsurkunde54. Im allgemeinen fällt die Umwandlung erst in das 13. Jahrhundert. Die MagdeburgBreslauer Rechtsmitteilung von 1261 und das Kleine Kaiserrecht (2, 95) halten noch an dem königlichen Heimfallsrecht fest 55 . Bestehen blieb das letztere, da es als ein Ausfluß der Gerichtsbarkeit behandelt wurde, gegenüber den Reichsfürsten, die ihren Gerichtsstand vor dem König hatten 66 , und ferner in den Reichsvogteien, namentlich den Reichsstädten, bis es diesen gelang, das Recht für sich selbst zu erwerben. In Lübeck bestand das Königsrecht noch nach den Privilegien von 1188 und 1226 und dem ältesten Stadtrechtsfragment; die ältesten vollständigen Stadtrechte haben Halbteilung zwischen König und Stadt, die jüngste Stadtrechtsform endlich kennt nur noch ein Recht der Stadt 57 . In einzelnen Reichsstädten, z. B. Frankfurt, hat sich das Recht des Königs ungeschwächt bis zum 16. Jahrhundert erhalten 58 . Geltend gemacht wurde das Heimfallsrecht in der Form der Fronung, die sich nach Jahr und Tag zu einer endgültigen Vermögenseinziehung gestaltete, falls nicht den Erbberechtigten, wenn sie sich wegen echter Not verschwiegen hatten, Restitution bewilligt wurde. Mit dem Heimfallsrecht dürften die Ansprüche des Königs auf zwei Drittel der G e r i c h t s g e f ä l l e gleichen Schritt gehalten haben, wenigstens findet sich kein Quellenbeleg dafür, daß die Grafen sich auch noch im späteren Mittelalter mit einem Drittel begnügt und das übrige an den König abgegeben haben 59 . Offenbar verwalteten die Fürsten die Gerichte ausschließlich für eigene Rechnung. Wie und wann sich aber die Umwandlung vollzogen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. 83 Charakteristisch ist namentlich das Meißner Rechtsbuch (sog. RB. nach Distinktionen) 1, ö dist. 9. 20 dist. 2, womit die Glosse des Sachs. Weichbildrechts im wesentlichen übereinstimmt. Vgl. TOMASCHEK a. a. O . 13. Ssp. I 28. III 80 § 1. Dsp. 32. Schwsp. L. 30. 155\ M Von allem erblosen Gut wird ein Drittel für die Armen (als Totenteil), ein Drittel für Stadt- und Kirchenbauten und ein Drittel für den Herzog bestimmt. 65 Vgl. auch F B A N K L I N Nr. 57 und Constitutio de regalibus von 1158 (Const. 1, 244). 59 Nach Ssp. I 28. III 80 § 1. 81 § 1 fiel erbloses Gut von mehr als 30 Hufen dem König, jeder geringere Bestand aber dem Landesherrn heim. Vgl. EICHHORN 2, 707 n. 91 Vgl. F R E N S D O R F ? Das lübische Recht nach seinen ältesten Formen 35. 48 f. H A C H Das alte lübische Recht, Cod. 1 c. 19, Cod. 2 c. 26, c. 40, Cod. 3 c. 132. 58

5

Vgl.

TOMASCHEK a . a . 0 .

21.

" Vgl. S. 133. 204. Nach dem n. 13 angeführten Reichsurteil von 1238 wurden die Gerichtsfälle wohl schon unbedingt zu den landesherrlichen Einnahmen, die der Krone nur unter bestimmten Voraussetzungen ledig wurden, gerechnet. Vgl. v. ZALLIKGER, Mitt. d. öst. Inst, 10, 229 n.

§ 48.

Finanzwesen.

543

Eine nicht unbedeutende Einnahmequelle des Königs bildete die Strafe der V e r m ö g e n s e i n z i e h u n g , die nicht nur als Folge der Reichsacht eintrat, sondern auch bei manchen Verbrechen, namentlich Majestätsverbrechen, unmittelbar ausgesprochen zu werden pflegte 00 . Durch Reichsurteil wurde festgestellt, daß Konfiskationen dem Reich und nicht dem Hausvermögen des Königs zu gute kämen 61 . Auch die B a n n b u ß e n , die sich im Mittelalter für Fürsten auf 100 Pfd. (2000 ß), für Edle und Dienstmannen auf 10 Pfd. (200 Ii) zu belaufen pflegten, lieferten unter Umständen sehr reiche Erträge 62 . Noch bedeutender waren die Opfer, die von manchen gebracht wurden, um die verlorene Gnade des Königs wieder zu gewinnen. Die K r o n g ü t e r waren seit der Vergeudung des Reichsgutes unter Philipp und Otto IV sehr zusammengeschmolzen, warfen aber immerhin noch bedeutende Erträge ab 63 . So lange sie in Eigenwirtschaft gehalten wurden, dienten ihre Früchte in erster Reihe zum Unterhalt des Königshofes und wurden daher, soweit tunlich, auf den Pfalzen aufgespeichert. Seit dem Interregnum hörte die Eigenwirtschaft gänzlich auf, an ihre Stelle traten die verschiedensten Formen der Pacht und des Leiherechts M . Bei dem Wechsel der Dynastien wurde sorgfältig darauf gesehen, daß die Krongüter nicht mit den Hausgütern des früheren Königshauses vermischt würden. Untersuchungen in dieser Beziehung wurden besonders von Konrad II in Baiern und Heinrich IV in Sachsen vorgenommen, als allgemeine Maßregeln aber unter Lothar I I I , Rudolf I , Adolf, Albrecht I und Heinrich VII 6 6 . Diese Revindikationen gaben den Anlaß, die Krongutsverwaltung durch das Mittel der Landvogteien wieder einigermaßen zu sichern 66 . Wahrscheinlich wurde auch die schon von Karl dem Großen 60 Vgl. Const. de regalibus von llö8(Const. 1, 244). Ssp. I 38 § 2. FRANKLIN Reichshofgericht 2, 870 ff.; Sent. cur. reg. Nr. 57. WAITZ 8, 252ff. INÄMA-STERNEOO 2, 113. Vermögenseinziehung bei Landfriedensbruch, so daß der König das Eigentum erhält, der Graf aber damit belehnt wird, MG. Const. 1, 195 c. 2. 91

92

V g l . n. 1.

WAITZ 8, 254 n. 2.

FRANKLIN Sent. S. 29 n.

Vgl. Otto Fris. gesta Friderici 2, 28. Ssp. III 64 § 2. W. SICKEL Zur G. des Bannes, Marb. Progr. 1886. Über Vertragsstrafen vgl. S. 566. 83

V g l . S. 206. 5 1 6 f .

WAITZ 8, 239ff. 2 6 4 f f .

INAMA-STERNEGG 2, l l l f f . 140FF.

FREY Schicksale des königlichen Gutes in Deutschland unter den letzten Staufern 1881 (dazu WEILAND, GGA. 1881 S. 1551 ff.). NIESE Verwaltung des Reichsgutes i m 13. Jh. 1905 (vgl. WERMINGHOFF, ZRG. 4 0 , 396FF.). KÜSTER D a s R e i c h s g u t in den Jahren 1 2 7 3 — 1 3 1 3 , L e i p z . D i s s . 1883. LAMPRECHT W L . 1, 714ff. 726FF. 1357FF.

MAURER Fronhöfe 2, 132 ff. 436 ff. 94 93

V g l . S. 438. 440. 4 6 3 f . KÜSTER a. a. 0 . 42. V g l . S. 532. WAITZ 8, 244. 3 8 8 f . INAMA-STERNEGG 2,

112.

LAMPRECHT,

FDG. 21, lff. KÜSTER a. a. 0. 13 ff.' Die Empörung, welche die Revindikationen Heinrichs IV bei den Sachsen hervorriefen, ist wohl weniger durch die materiell damit verbundenen Härten, als die dem Volk ungewohnte Anwendung des Inquisitionsbeweises (S. 395) veranlaßt worden. Vgl. ULLMANN Hist. Aufs, für WAITZ 119FF.

BRUNNER R G . 2, 526. 99

Vgl. S. 517.

Über die königlichen Burgen als neue Mittelpunkte der

G ü t e r v e r w a l t u n g v g l . SCHOLZ 62 ff.

Mittelalter.

544

vorgeschriebene allgemeine Inventarisation der Krongüter von neuem eingeschärft.. Üas in einem Bruchstück erhaltene Nürnberger Salbuch aus dem Ende des 13. Jahrhunderts scheint einer solchen Maßregel seine Entstehung zu verdanken 07 . Das ausschließliche Eecht des Reiches auf h e r r e n l o s e G r u n d s t ü c k e blieb auch im Mittelalter besteben 08 , erlitt aber einen doppelten Abbruch; einmal durch den von der Krone teils veranlaßten, teils stillschweigend geduldeten Ausbau in der Landesailmende, wodurch für den Ackerbau geeignete Landstriche in Privateigentum übergeführt wurden (S. 438), sodann durch die Ausbildung der Landeshoheit, indem die Reichsfürsten sich auch hier an die Stelle des Königs zu setzen bestrebt waren 69 . Dies zeigte sich namentlich in den eroberten slawischen Gebieten im Osten des Reiches. Während der eroberte Grund und Boden anfangs durchaus als Eigentum des Reiches behandelt, also dem strengen Bodenregal unterworfen wurde 70 , bildete sich schon früh die Ansicht aus, daß die mit den markgräflichen oder gräflichen Rechten über jene Gebiete belehnten Fürsten damit auch das Bodenregal in ihren Territorien erworben hätten. Das Bodenregal war aus einem Reichsrecht zu einem reichslehnbaren Territorialrecht geworden. Dasselbe Schicksal hatte die Abgabe, die der Inhaber des Bodenregals als „ L a n d r e c h t " von allen Neukulturen zu erheben berechtigt war 71 . Diese Abgabe hatte ihren ursprünglichen Charakter einer öffentlichrechtlichen Leistung schon in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters verloren, indem sie durch massenhafte Übertragung auf geistliche wie auf weltliche Herren zu einer grundherrlichen Abgabe geworden war, und diesen Charakter hatte sie auch in den verschiedenen Formen des Königszinses, unter denen sie hier und da als eine fiskalische Leistung bestehen blieb, annehmen müssen 7a . Dasselbe war der Fall bei der seit dem 10. Jahrhundert bezeugten allgemeinen Haussteuer (huslatha, Uusiotha, huszins), welche die Friesen an den König zu zahlen hatten; sie wurde schon 9 4 8 teilweise an den Bischof von Utrecht übertragen und gestaltete sich im Lauf der Zeit zu einer Abgabe an den Landesherrn, so daß sie mit dem Grafenschatz oder Schoß verschmolz 73 . Der Versuch Sigmunds, das Recht der Krone an dieser

67

Herausgegeben von KÜSTER a. a. 0 . 100 ff.

88

V g l . S . 219.

WAITZ 8, 2 5 6 .

INAMA-STERNEQO 2 ,

115.

E . MATER 1 ,

lOlf,

SCHOLZ 85 f. BÖHMES Acta imperii 41 (1018). 654 (1318). FRANKLIN Sent. Nr. 66 (1114. 1144). Über das Außendeichsregal vgl. § 41 n. 30. " Vgl. Urkunde des Herzogs von Baiern, Mon. Boica 9, 293 Nr. 163 (1472). 78

V g l . WAITZ 8, 2 5 4 f.

INAMA-STEBNEOO 2, 115 f.

" Vgl. S. 441. Unrichtig die früher vom Verfasser sowie von WAITZ 8, 391 f. angenommene Verbindung mit dem Markreeht (marehfutter, marehmutte) oder Herzogskorn, einer auf das fodrum (S. 205) zurückzuführenden Abgabe an den Landesherrn. 72 Vgl. S. 202. 439. WAITZ 8, 386f. 389f. MAURER Fronhöfe 2, 356ff. '» Vgl. RICHTBOFEN Unters. 2, 1053 ff. 3, 83 f.

HECK Altfries. GV. 291 f. MG.

Dipl. reg. 1, 181. 2, 418. Andere Bezeichnungen waren huisgeld,

huesscattinge,

§ 48.

545

Finanzwesen.

Abgabe wieder zur Anerkennung zu bringen, mißglückte ebens,o, wie seinerzeit ähnliche Versuche Heinrichs I Y in Sachsen und Schwaben74. Auch gegenüber den Allmenden vermochte sich das Bodenregal des Reiches nicht zu erhalten. Es wich der Obermärkerschaft, welche die Landesherren auf Grund eines territorialen Bodenregals (S. 436) in Anspruch nahmen. Ähnlich war es mit dem S t r a n d r e g a l , auf Grund dessen noch zu Anfang des 12. Jahrhunderts Schiffbrüchige dem Reich mit Leib und Gut verfielen, soweit man nicht durch internationale Verträge Vorsorge getroffen hatte' 5 . Seit dem 13. Jahrhundert erscheinen die Landesherren und Städte als die eigentlichen Strandherren, ihr Recht erstreckte sich aber, durch zahlreiche internationale Verträge gemildert, nur noch auf herrenloses Strandgut und den reklamierenden Eigentümern gegenüber auf den (für den Strandherrn oder die Arbeiter zu erhebenden) Bergelohn , e . Das Reich beschränkte sich darauf, weitergehende Ansprüche der Strandherren oder Strand bewohner als Mißbräuche zu verbieten und dem Raube gleichzustellen". Besser hat das Reich hinsichtlich der S t r ö m e seine Rechte zu wahren gewußt. Während das römische Recht, entsprechend dem Klima und der geographischen Gestaltung Italiens, das öffentliche Interesse an den Flüssen in ihrem Wassergehalt fand und daher alle flumina perennia dem öffentlichen Recht unterstellte, legte das deutsche Recht alles Gewicht auf die Wasserstraßen: öffentliche Flüsse waren nur die schiffbaren Gewässer, diese aber auch mit Einschluß ihrer noch nicht schiffbaren Quellflüsse78. Als „des Reiches Straße" blieben die schiff- oder floßbaren Flüsse nicht bloß dem Privatrecht entrückt, sondern wurden auch von der Territorialbildung nur so weit ergriffen, als eine ausdrückliche Verleihung, sei es der Stromhoheit überhaupt oder der einzelnen stromhoheitlichen Rechte, seitens des Reiches stattgefunden hatte 79 . Ohne eine solche Verleihung konigssckielde, koninkhure. Von E. MATER a. a. 0 . 1, 19 ff. werden Königszins, die friesische Haussteuer und der Grafenschatz für wesentlich gleichbedeutend gehalten. Siehe Übrigens § 47 n. 14. 74

V g l . RICHTHOFEN 2, 1 0 5 7 .

75

Vgl. WAITZ 8 , 275.

WAITZ 8, 3 8 7 ff.

E . MATER 1 , 102f.

MG. Const. 1 , 41 (983). 2, 39

(1209). 94 (122U). 76 Vgl. u. a. Hansisches ÜB. 1 Nr. 1323 (1299). 2 Nr. 658 | 7 (1340). 725 (1342). v. D. BEBGK Oorkondenb. v. Holl, en Zeeland 1 Nr. 514. über Fälle von Übertragungen ganzer Meeresteile und des dazu gehörigen Strandes in Privateigentum vgl. SCHRÖDER, ZRG. 39, 37 f. 77 Vgl. Friedrichs II Const. Romana von 1220 c. 8 (MG. Const. 2, 109), als Authentica Navigia 1. 18. C. de furtis 6, 2. Reichsweistum v. 1255, ebd. 2, 473 (wohl auch das Grundruhrrecht mitumfassend). Peinl. HGO. Karls V Art. 218. Privileg Friedrichs II für Lübeck von 1226 (ÜB. d. Stadt Lübeck 1 Nr. 35). '* Const. de regalibus von 1158 (MG. Const. 1, 244. II. P. 56): Regaliasunt vie publice, flumina navigabilia et ex quibus fiunt navigabilia, portus, ripatica. V g l . WAITZ 8 , 2 9 8 ff. INAMA-STERNEGG 2, 3 6 6 . 79

Vgl. S. 406.

SCHOLZ 9 1 FF.

GEFFCKEN Zur G. des Wasserrechts, ZRG. 34, 188 ff. 197 ff.

PETERKA Das Wasserrecht der Weistümer 1905. R. SCHRODER, Deutsche Reehtsgescbichte.

5. Aufl.

Ssp. II 28 § 4. 66 § 1. 35

Urk.

Mittelalter.

546

endigte die landesherrliche Gewalt am Ufer, und der Strom selbst, bis zu den Grenzen seines gewöhnlichen Inundationsgebietes, stand ausschließlich dem Reiche zu, das darüber unabhängig von der territorialen Zugehörigkeit der Ufer verfugte. Selbständig war namentlich die Gerichtsbarkeit auf dem Strom 8 0 , ebenso das Geleits- und Leinpfadrecht 8 1 , die Befugnis zur Herstellung und Ausnutzung von Hafen-, Fähr-, Brücken-, Mühlenanlagen und sonstigen Wasserbauten 8 2 , das dem Strandrecht entsprechende Grundruhrrecht an gestrandeten Schiffen und ihrer Ladung 8 3 . Das Strombett war Eigentum des Reiches; in ihm entstandene Inseln fielen dem Reiche oder dem mit der Stromhoheit vom Reich Beliehenen zu 8 4 . Friedrichs I von 1165 (Const. 1, 323): aqua Rheni, libéra et regia strata. Urk. desselben von 1157 (BÖHMER U B . von Frankfurt 16) von dem Leinpfade am Main: per ripam fluminis, que via regia esse dinoseitur. Görlitzer Landr. 34 § 1: iegelieh vlixinde woxxir heizet des riehes straxe. Reichsurteil Lothars III über die Saar WAITZ 8, 3 0 2 n . 90

Auf Grund der Verleihung Friedrichs I übten die Lübecker auch auf der oberen Trave bei Oldesloe, obwohl die Ufer holsteinisch waren, die Stromgerichtsbarkeit aus. Vgl. SCHRÖDER Landeshoheit über die Trave (S. 406 n. 18) S . lof. 13ff. Die holsteinischen Grafen erkannten das Recht der Stadt Lübeck 1247 (UB. d. Stadt Lübeck 1 Nr. 124) ausdrücklich an: omriia que per aquarum inundaeionem et alluvionem consueverunt oceupari, ad wiehbelede civitatis perpetuis temporibus annumerari eoneedimus et asseribi. 81 Das n. 84 besprochene Reichsweistum von 1294 behandelte den conduetu» in flumine als ein von der Landeshoheit der Uferherren unabhängiges Recht. Lübeck erhielt das Geleitsrecht auf der Trave durch Privileg Friedrichs I I von 1226. Seit Mitte des 14. Jh. war das Leinpfadrecht wohl allgemein landesherrlich. V g l . LAMPBECHT W L . 91

2, 38. 2 9 1 f.

Friedrichs I Privileg für Lübeck von 1188 hob ausdrücklich hervor, daß auch die Travebrücke in die iusticia et libertas der Stadt aufzunehmen sei. Auf verschiedene Strombauten im Niederrhein bezieht sich die Urkunde desselben von 1165 (n. 79). Den Kurfürsten von Brandenburg erteilte Kaiser Friedrich III 1456 die Erlaubnis: daß'sie in allen ihren landen KU ihrer und der land notdurft auf ihren wassern, wo, wie und wann sie wollen, mühten aufrichten, bauen und derer nach ihrem gefallen gebrauchen und genießen sollen und mögen (PFEFFINGER Vitriarius illustr. 3, 1467). Vorher hatten sie also das Mühlenregal noch nicht besessen, es hatte dem Reiche zugestanden. Ähnliche Verleihungen werden in den Reichsurteilen bei FRANKLIN Nr. 109 f. vorausgesetzt. Andere Bewilligungen von Stromanlagen bei PFEFFINGER a. a. 0 . 3, 1469f. Zerstörung unerlaubter Strombauten MG. Dipl. reg. Otto I I Nr. 209 (979). Über Strombauten in der Trave vgl. SCHRÖDER a. a. 0 . 19, über Deichbauten J . GIEBKE, G. d. Deichrechts 1, 175. 99 Vgl. n. 7 7 . E. MATER 1,103. Den Straßburgern bewilligte Friedrich I I 1236 (UB. d. Stadt Straßburg 1 Nr. 246) Befreiung vom Grundruhrrecht. Die Ausübung des letzteren seitens der Uferherren wurde wiederholt von Reichs wegen verboten. Vgl. FRANKLIN Nr. 208 und dazu gehörige Note. MAURER Einleitung 120f. 91 Vgl. SCHRÖDER a. a. 0 . 1 9 . Angebliche Rheingauer Landgerichtsentscheidung von 1 1 4 8 über die Rheininseln bei BODMANN Rheing. Altertümer 6 0 4 . Das S. 406 n. 18 angeführte Reichsweistum von 1294 billigte die insula in flumine nata nur dem zu, der die vojle Stromhoheit, nämlich Zollgerechtigkeit, Geleitsrecht und gräfliche Gerichtsbarkeit über den Strom, vom Reich zu Lehen trüge. Der Graf des Ufergeländes als solcher hatte keinen Anspruch. Ssp. I I 56 § 2 hat nur Privatflüsse (vliet, im Gegensatz zu stram) im Auge. Nach PETERKA (n. 7 9 ) standen

§ 48.

Finanzwesen.

547

Gleich den schiffbaren Gewässern galten auch die großen L a n d - und H e e r s t r a ß e n als „des Königs Straßen" 85 . Von der Territorialbildung scheinen sie nicht in gleichem Maß wie die Ströme ausgenommen gewesen zu sein, doch blieben sie der willkürlichen Verfügung der Landesherren entzogen, auch wurden sie wenigstens in die territoriale Zersplitterung, der die alte Gauverfassung seit dem 13. Jahrhundert verfiel, nicht so ganz hineingerissen, indem die gräfliche Gerichtsbarkeit sich zum Teil als „Straßengericht" zu erhalten vermochte. Das Eeich wachte darüber, daß die besonders für den Marktverkehr bedeutsamen alten Königsstraßen der allgemeinen Benutzung geöffnet blieben. Die Constitutio in favorem prineipum von 1231/32 § 4 und der Mainzer landfriede von 1235 § 2 0 (10) verboten die einseitige Verlegung solcher Straßen und jeden durch Straßensperrungen gegen die Eeisenden (itranseúntes) geübten Zwang zur Einschlagung anderer Wege. Die Aufsicht über das Eeichsstraßenwesen lag wohl den Pfalzgrafen, später den Reichslandvögten oder einzelnen besonders damit betrauten Fürsten ob. Die Unterhaltung der Straßen war in erster Reihe Sache der Zollberechtigten86. Das J a g d r e c h t hat seinen Ausgang in Deutschland nicht von der Jagdberechtigung der Grundbesitzer, sondern von dem Recht des freien Tierfanges genommen. Auch die Grundbesitzer bedurften eines königlichen Wildbannprivilegs, um eine ausschließliche Jagdberechtigung auf ihrem Grund und Boden zu erlangen. Außerhalb der königlichen Bannforsten galt das Recht des freien Tierfanges, dem der Grundbesitz als solcher nur tatsächliche, aber nicht rechtliche Schranken zu setzen vermochte 87 . Die aus der früheren Zeit herrührenden großen Bannforsten blieben bestehen 88 , vielfach wurden Teile davon verliehen' oder verschenkt. Neueinforstungen für Rechnung des Reiches sind nicht mehr bezeugt, dagegen wiederholten sich königliche Wildbannprivilegien für die verschiedenen Großen des Reiches ganz in der alten Weise bis zum 11. oder 12. Jahrhundert 8 9 . Dabei macht sich in der Form eine allmähliche Abdie nichtschiffbaren, dem örtlichen Wasserbedarf dienenden Gewässer (in der Regel als Allmendgewässer) unter dem Schutz des Königs oder des Landesherrn (als Obermärker), während wilde Wasserläufe (Ssp. II 28 § 1) den Ufereigentümern Uberlassen blieben, wenn auch nicht so unbeschränkt wie die stehenden Gewässer. 85 Vgl. n. 78. W A I T Z 8, 316. SCHOLZ 91. H A L T A U S Glossar 1115. 1754. GBIMM DWB..5, 1716. G A S S N E B Zum deutschen Straßenwesen (1889) 44ff. KALISCH a. a. 0 . (n. 40). ZEIJMER Straßenzwang und Straßenregal, ZRG. 36, 101 ff. FRANKLIN Nr. 202f. Ssp. II 59 § 3. 66 § 1. Die früheren Auflagen dieses Buches nahmen bereits ein landesherrliches Stvaßenregal an, indem sie die Landesherren als die allein berufenen Vertreter der transeúntes und die letzteren als die Anwohner der Straßen auffaßten. Die darauf gestützten Ausführungen sind nunmehr nach ZEDMER richtig gestellt worden. 88 Mainzer Landfriede v. 1235 § 19 (7). 87 Vgl. Ssp. I I 61. 88 Vgl. K R A U T Grundriß § 87 Nr. 9. 89 Vgl. S. 204. W A I T Z 8, 257ff. E. MAYER 1, 86fi'. LAMPRECHT W L . 1, 110. 35*

548

Mittelalter.

Schwächung der königlichen Gewalt bemerkbar. Während Otto I noch frei über die Grenzen des Wildbannes verfügte, ohne sich auf den Beichsboden und den Besitz des Privilegierten zu beschränken, selbst ohne gewohnheitsrechtlich bestehende Jagdberechtigungen Dritter zu schonen 90 , wurde schon in einem Diplom Ottos II ausdrücklich hervorgehoben, daß die Verfügung cum populi consensu getroffen sei, und ähnlich heißt es in einem Wildbannprivileg Heinrich II von 1018: consensu vicinorum91. Dagegen wird in einer Urkunde Ottos III von 9 9 2 der von dem Wildbann eingeschlossene Grundbesitz eines Dritten ausdrücklich ausgenommen, und im 11. Jahrhundert werden die zustimmenden Grundbesitzer regelmäßig persönlich hervorgehoben, unter Heinrich IV sogar mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß das Wildbannrecht für sie mit gelten sollte 92 . Die Abschwächung des Bodenregals vollzieht sich schrittweise vor unseren Augen: anfangs wie in der Karolingerzeit freiestes Wildbannrecht des Königs, dann Befugnis der Interessenten zu summarischer, später zu persönlicher Zustimmung, zunächst nur als rein formelle Schranke gedacht, seit Heinrich IV aber auch materiell ins Gewicht fallend, indem die in die Wildbanngrenzen einbezogenen Grundbesitzer und Vogtherren nur unter der Bedingung der Mitberechtigung ihre Zustimmung erteilten 93 . Man darf wohl annehmen, daß seit dem 12. und 13. Jahrhundert so ziemlich alle Grundbesitzer aus dem Stand der Fürsten und Herreu in den Besitz des Wildbannrechtes gekommen waren 94 . Letzteres hatte sich demnach aus einem hoheitlichen zu einem grundherrlichen Recht umgestaltet, nahm aber mit der Ausbildung der Landeshoheit alsbald den Charakter eines landesherrlichen Hoheitsrechtes an 9 5 . Nur die niedere Jagd wurde den Ministerialen überlassen, während die Landesherren sich die hohe Jagd vorbehielten 96 . Zum Teil erhielt sich auch die

SICKEL Zur Gr. des Bannes 46 ff. K. ROTH, G. des Forst- u. Jagdwesens in Deutschl a n d § § 49 ff. STOBBE Privatreclit 2 § 151 (2" § 127).

THUDICHÜM G a u - und Mark-

Verfassung 306 f. Die jüngsten Wildbannprivilegien sind wohl von Heinrich V von 1108 und Lothar III von 1132 (KRAUT Grundriß § 86 Nr. 80. 76), beide aber von zweifelhafter Echtheit. 80 MG. Dipl. reg. Otto I Nr. 131 (951): in quaprius erat communis omnium eivium venatio. Ebd. Nr. 62 (auch LOERSCH U. SCHRÖDER2 Nr. 75) erstreckt sich der Wildbann über den ganzen Gau Drenthe, ohne daß der Grundbesitzer des Gaues auch nur gedacht würde. 91 MG. Dipl. reg. Otto II Nr. 50. STUMPF Acta imperii Nr. 267. Keiner Zustimmung gedenken Otto II Nr. 39. 90. 221. 82 Vgl. KRAUT G r u n d r i ß § 86 Nr. 62. 64. 65. THUDICHÜM a. a. O. 307. DRONKE Cod. dipl. F u l d . Nr. 7 6 0 (1059). 9S U n r i c h t i g HEUSLER I n s t i t u t i o n e n 1, 370, d e m SICKEL a. a. O. beitritt. 94 V g l . MAURER F r o n h ö f e 3, 35ff. 41 f. LAMPRECHT W L . 1, 4 7 0 f f . 480. 4 9 4 f f . GRIMM W e i s t ü m e r 7, 296. 95 V g l . § 4 2 n. 127. KRAUT Grundriß § 86 Nr. 6 8 ; § 87 Nr. lOf. 1 5 f . S c h w s p .

Laßb. 236. 238. 98 Vgl. Bergisches Ritterrecht 34 (LACOMBLET Archiv 1, 93). Ilzstatt v o n 1256 § 13 (Mon. B o . 28, 2 S. 511.

Dienstm.-R.. von

GRIMM W e i s t . 6, 114).

§ 48.

Finanzwesen.

549

alte Jagdfreiheit als Recht der freien Birsch in den Markgenossenschaften 97 . Mit der Entwicklung des Jagdrechts hat das F i s c h e r e i r e c h t im allgemeinen gleichen Schritt gehalten 98 . Die königlichen Wildbannprivilegien bezogen sich regelmäßig auf Jagd und Fischerei zusammen, den Bannwäldern entsprachen die Banngewässer. I m späteren Mittelalter galt die Fischerei in den öffentlichen Flüssen, soweit nicht anderweitig seitens des Reiches darüber verfügt war, im Zweifel allgemein als Regal des Stromherrn 99 . Bei den Allmendegewässern machte sich der Anspruch der Fürsten und Grundherren in geringerem Maße wie bei der Jagd geltend, so daß hier der freien Berechtigung der Markgenossen Raum gelassen wurde 1 0 0 . Wie bei der Jagd in der Regel zwischen hoher und niederer Jagd unterschieden wurde, so trat auch bei der Fischerei vielfach eine verschiedene rechtliche Behandlung je nach den Fischen oder der Fangart ein. Die Fischerei in geschlossenen Gewässern galt als Gegenstand privater Berechtigungen 101 . Das königliche B a n n r e c h t machte sich auch in der Richtung geltend, daß Mühlen oder andere gewerbliche Anlagen, wie Brauereien oder Backöfen, für einen gewissen Umkreis (die Bannmeile) ein jede Konkurrenz ausschließendes Recht erhielten 102 . Eine verwandte Einrichtung war der Bann wein, der aber immer nur für bestimmte Zeiten, wie Jahrmärkte und Kirchweihfeste, verordnet wurde 103 . Die Constitutio in favorem principum von 1 2 3 1 / 3 2 § 5 setzte dem Bannrecht des Königs auf dem Gebiet des Gewerbewesens bestimmte Grenzen 104 . Auf derselben Grundlage wie das königliche Wildbannrecht beruhte das B e r g - und S a l z r e g a l 1 0 6 . Wie das Wild im Walde und der Fisch 97

Vgl. n. 90 u. S. 436. K R A U T a. a. 0. § 87 Nr. 12—17. LAMPEECHT 1, 485 f. Fronhöfe 1, 43fl'.; Einleitung 152ff. THUDICHUM a. a. 0. 309. STOBBE a.a.O. Note 11. GHIMM Weistümer 7, 317. MAURER 99

09

Vgl.

WAITZ

8, 2 6 3 .

STOBBE 2 § 1 5 0

(128).

Vgl. W A I T Z 8 , 2 6 8 . Constitutio de regalibus von 1 1 5 8 (II. F. 5 6 ) : piseationum rcdditus. Die durch zahlreiche Beispiele zu belegende Berechtigung des Königs, über die Fischerei in den öffentlichen Gewässern'zu verfügen, war eine natürliche Folge des Stromregals. Soweit der König von seinem Bannrecht keinen Gebrauch machte, konnten sich abweichende Gewohnheiten, namentlich im Sinne der Fischereifrciheit, erhalten. Vgl. Ssp. II 28 § 4. Schwsp. Laßb. 197. Dienstm.-R. von Uzstatt (n. 9 6 ) § 1 1 . K R A U T Grundriß § 9 1 Nr. 5 . H E U S L E R Institutionen 1 , 369. GEFFCKEN a.a.O. 1 9 5 . 1 9 7 . 100 Vgl. GRIMM Weistümer 7, 2 4 4 . 317. MAURER Fronhöfe 3, 33f. LAMPRECHT a . a . O . 1, 283. 486f. THODICHDM a . a . O . 312. GEFFCKEN 200ff. 101 Vgl. Ssp. II 28 §§ 1. 2. Schwsp. L . 196. LOERSCH u. SCHRÖDER» 193 (170). 102 Vgl. W A I T Z 8 , 2 7 5 F F . KOEHNE Studien über die Entstehung der Zwangsu. Bannrechte, ZRG. 39, 172 ff. Über die Anlage von Wassermühlen vgl. S 41 n. 20. GEFFCKEN a . a . 0 .

1 9 6 . 2 0 8 ff.

Vgl. W A I T Z 8, 278 f. GRIMM Weist. 7, 218. In eivitatibus nostris novis bannitum miliare deponaiur. LOS Vgl. S . 2 0 4 f. und die dort angeführte Literatur. ACHENBACH Das gemeine deutsche Bergrecht 1, 8 1 ff. GRÜTER De regali metallorum iure, Bonner Diss. 1 8 6 7 . LOS 1M

550

Mittelalter.

im Wasser, so galten auch die im Schoß der Erde verborgenen mineralischen Schätze an sich als herrenlos, sie waren nicht der Herrschaft des Grundeigentümers unterworfen, sondern gehörten nach der Volksauffassung den Erdgeistern, denen sie mit Gewalt oder List abgewonnen werden mußten 1 0 6 . Kraft des Bodenregals erhob der König von allen privaten Betrieben einen Berg- oder Salzzins (S. 205) und war berechtigt, die freien Erdschätze überall im Reich für sich oder andere mit dem Bann zu belegen. Die königlichen Grubenfelder entsprachen den Bannforsten 10T . Das älteste Zeugnis ist wohl die 940 von Otto I bestätigte Verleihung des Königshofes Salzburghof an den Erzbischof von Salzburg durch König Ludwig IV im Jahre 907: cum curtilibus omnibusque aedificiis, campis, agris, pratis, pascuis, silvts, lacis, aquis aquarumque decursibus, venalionibus, molinis atque piscationibus — — —, cum omnibus censibus in salina et extra salinam circa fluvios Sola elSalzaha vueatos in auro etsale109. Mit Bannwäldern, Mühlen und Banngewässern wurde also auch der Bergbann für Gold und Salz, und zwar für das ganze Gebiet zwischen Saalach und Salzach, das keineswegs durchweg fiskalisch war, auf das Stift übertragen 1 0 9 . Seit Heinrich II fließen die Quellen für die Anwendung des zum Bergregal erweiterten Bergbannrechtes reichlicher und im 12. Jahr-

De iuris regalis metallorum origine ac progressu, Tüb. Dies. 1871. BÖHLAC De regaliuM notione et de salinarum iure regali, Hall. Habil.-Schrift 1855. HÜLLMANN, 6 . des Urspr. der Regalien in Deutschland 1806. KARSTEN Ursprung des Bergregals in Deutschland 1844. SACHSSE, ZDR. 10, 70 ff. W E I S S E ebd. 12, 270 ff. STEINBECK ebd. 11, 254ff. ZACHABIX ebd. 13, 319ff. KOMMEB, Z . f. Bergrecht 10, 376ff. STOBBE Privatrecht 2 §§141 f. (2» §§ 123f.). E . MAYEB 1 , 92f. EICHHORN St.- u. RG. 2, 412 ff. KBAÜT Grundriß § 94 Nr. 1—12. v. KOCH-STERNFELD Die deutschen Salzwerke im Mittelalter 1836. ABIQNENTE La proprietà del sottosuolo 1888. INAMA-STERNEOQ W G . 2, 329ff. 3, 2 S. 139ff.; Zur V G . der deutsch. Salinen im Mittelalter, Wien. SB. 1885 S . 5 6 9 F F . SCHMOLLER, JB. 1891 S . 660ff. 963FF. GRIMM Weist. 7, 220. SCHOLZ 87ff. SCHRÖDER Erbsälzer zu Werl, ZRG. 10, 258ff. ERMISCH Das sächs. Bergrecht des MA. p>g. 27 f. W U T K E Entw. d. Bergregals in Schlesien 1897. Z I V I E R , G. des Bergregals in Schlesien 1898. NEUBCBQ Goslars Bergbau (1892) 8 ff. TOMASCHEK Bergrecht von Iglau 1896. ZYCHA Das böhmische Bergrecht des MA., 2 Bde 1 9 0 0 (vgl. SCHREÜER, ZRG. 36, 329ff.). GOTHEIN Bergbau im Schwarzwald, ZGO. 41, 385 ff. v. KÜNSSBERO Der Wald im deutsch. Bergrecht, JB. d. Bergak. 1904.

VIBNICH

106 Vgl. schon Tacitus annal. 13, 57. •07 Y G I ACHENBACH a. a. 0 . 90 ff., der insbesondere auf die Formel den wildfang auf der erden und in der erden aufmerksam macht. 109 MG. Dipl. reg. Otto I Nr. 32. Zu vergleichen ist eine zweite Schenkung Ottos I an Salzburg von 959 (ebd. Nr. 202), betreffend Besitzungen in Grabenstedt, et in salina curtilia cum, patellis patellarumque loeis, eum foresto adflumen Truna et — — — venationibus, aquis aquarumque decursibus, piscationibus, prout ante regali potestate in panno erant. 109 Vgl. ARNDT 29f., der auch auf Karls Capitolare de villis c. 28, 62 und die Ordinatio imperii von 817 c. 12 (BORETIÜS 1, 85. 8 9 . 272) verweist, wonach der König Silbergruben besaß und Einkünfte aus Eisen- und Bleigruben bezog.

§ 48.

Finanzwesen.

551

hundert sind sie so zahlreich und entschieden, daß sie keinem Zweifel über die Gemeingültigkeit des Bergregals Baum lassen 110 . In Deutschland erstreckte sich das Bergregal schon im Mittelalter auf alle Metalle, genannt werden insbesondere Gold, Silber, Zinn, Kupfer, Blei und Eisen 111 . Ebenso waren die Salzquellen von Anfang an und nicht erst seit der Goldenen Bulle der Regalität unterworfen112. Die zunächst nur für Italien bestimmte Constitutio de regalibus von 1158 hebt Silbergruben und Salzquellen hervor113. Die ersten Kohlenbergwerke, die im 14. Jahrhundert im Wurmrevier bei Aachen vorkommen, scheinen von vornherein dem Regal unterlegen zu haben 1 U . Die finanzielle Ausnutzung des Berg- und Salzregals beschränkte sich auf die Anlage fiskalischer Betriebe auf Reichsboden und die Erhebung bestimmter Abgaben (urbar, /'ronteil, census), zumal des Berg- oder Salzzehnten, von allen Privatbetrieben, zuweilen auch auf den Mitbau zur halben oder dritten Schicht. Alle Privatbetriebe, auch die des Grundeigentümers, bedurften ausdrücklicher Verleihung, unter Zumessung des Grubenfeldes115. Aus dem schon im 12. Jahrhundert vielfach von Seiten der Grundeigentümer geübten Gebrauch, gegen Gewährung eines Gewinnanteils Felder für die Aufsuchung und Gewinnung von Bergschätzen freizugeben („gefreite Berge"), entwickelte sich unter dem Einfluß des Bergregals zum Teil schon im 13. Jahrhundert die Bergbaufreiheit, vermöge deren die Bergherren, d. h. die Träger des Bergregals, dem Finder auf vorschrifts110 VGL. WAITZ 8, 270. Verordnung Heinrichs VI von 1189 (MG. Const. 1, 466): Cum omnis argentifodina ad iura pertineat imperii et inter regalia nostra sit eomputata, nuUi venit in dubium, quin ea que nuper in episeopatu Mindensi dieitur inventa ad nostram lotaliter speetei distributionem. Durch Reichsurteil von 1158 wurde dem Kaiser das Regal an den Silbergruben bei Ems zuerkannt. Vgl. ACHENBACH ä. a. 0 . 84.

ARNDT 194 f.

BETER Mittelrh. U B . 1, 673.

STUMPF Kaiser-

urkunden Nr. 3808. Über den Sachsenspiegel, auf den sich die Gegner der Ursprünglichkeit des Bergregals in erster Reihe berufen, vgl. n. 117. 111 Vgl. KRAUT § 94 Nr. 2. 4. 5. 7. In den preußischen Ordenslanden war d&3 Eisen ausgenommen, ebd. Nr. e. Ober Waschgold vgl. ebd. Nr. 5. ARNDT 187 1,2 Vgl. die im Text angeführte Salzburger Urkunde von 907 und die Kulmer H a n d f e s t e (RRAUT N r . e).

ARNDT I 2 2 f . 1 3 5 f . 143FF. 155. 158. 166. 169. 181.

Der

letztere weist S. 160ff. nach, daß auch die Erbsälzer in Werl (n. 115) nur auf Grund königlicher Verleihung berechtigt gewesen sind. Verleihung einer königlichen Salzquelle im Jahre 833 bei WILMANNS Kaiserurkunden 1 Nr. 14 (MOHLBACHER Regest, d. Kar. 894). lls

Const. de reg. (II. F. 56): argentariae , piscationum redditus et salinarum. Über argentariae vgl. Du CANGE Glossar. 8. v. ACHENBACH a. a. 0. 83f. IM YG], LOEBSCH Rechtsverhältnisse des Kohlenbergbaues im Reich Aachen (a. d. Z, f. Bergrecht 13) 6. Dagegen ist in Sachsen die Kohlengewinnung noch heute dem Grundeigentümer anheimgegeben. 119 Vgl. Urkunde Friedrichs II für den Erzbischof von Mainz von 1219, GUDEN Cod. dipl. Magunt 1, 465 Nr. 173. KRAUT Nr. 2 c. 3, 5, 6. MÖSER Osnabr. G., Dok. Nr. 168 (1235). CHMGL Regesta Ruperti 213 Nr. 20(1405). Während die

Spezialverleihung die Regel bildete, besaßen die Werler Erbsälzer eine Distriktsverleihung für die ganze Stadtmark. Vgl. n. 118. ARNDT a. a. 0. 164.

Mittelalter.

552

m ä ß i g e M u t u n g das B e r g w e r k s e i g e n t u m zu verleihen h a t t e n , die G r u n d e i g e n t ü m e r aber sowohl die v o m B e r g h e r r n genehmigten Schürfarbeiten wie d e n Betrieb der G r u b e n u n t e r i h r e m G r u n d u n d Boden gegen Einräumung eines gewissen Mitbaurechts, zuweilen auch u n t e r d e m V o r b e h a l t eines Mutungsvorrechts, zu dulden verpflichtet w a r e n 1 1 0 . Der Sachsenspiegel, der das Bergregal ausdrücklich a n e r k e n n t , l e h n t die B e r g b a u f r e i heit n o c h a b ; der G r u n d e i g e n t ü m e r b r a u c h t keine f r e m d e n Betriebe, m i n d e s t e n s solche ü b e r Tage, zu gestatten u n d behält, w e n n er sie genehm i g t , die Vogtei d a r ü b e r 1 1 7 . N e b e n den SpezialVerleihungen f ü r bestimmte G r u b e n f e l d e r oder Salzquellen u n d den auf ein größeres Gebiet erstreckten Distriktsverleihungen f ü r bestimmte M i n e r a l i e n 1 1 8 begegnen schon f r ü h V e r l e i h u n g e n des ganzen Regals f ü r einzelne Landesteile, d a n n f ü r ganze T e r r i t o r i e n 1 1 9 . N a c h d e m die Goldene B u l l e von 1 3 5 6 (c. 9 § 1) den K u r f ü r s t e n das B e r g - u n d Salzregal f ü r i h r e K u r l a n d e allgemein e i n g e r ä u m t h a t t e , g e l a n g es bis z u m E n d e des Mittelalters wohl sämtlichen Reichsfürsten, das

118

Vgl. ZYCHA Recht des ältesten Bergbaues 65ff.; Böhm. Bergrecht 1, 143.

176FF. 2, 3. 7. 9. 2 4 f. 121. 298FF.

ARNDT a. a. 0 . 51FF. 82. 2 3 3 .

ERMISCH p g . 29FF.

35. GRIMM Weistümer 7, 220. Nacb ACHENBACH Bergrecht 68 ff. hätte die Bergbaufreiheit, die der Verfasser aus dem Recht der gemeinen Mark herleitete, den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Bergrechts gebildet. 117 Ssp. I 35 § 1: AI sehat under der erde begraten deper den ein pliieh ga, die kort to der koningliken gewalt. § 2. Silver ne mut ok neman breken up enes anderen mannes gude, ane des teilten des de stat is. gift he's arer orlof, de vogedie is sin dar over. Dazu die Glosse: Dat olle sehat höre in dat rike, dat is war, war man sehat nimt vor erexe. Gegen alle Segeln einer gesunden Interpretation hat man § 1 aus dem Zusammenhang mit § 2 gerissen, indem man den ersteren auf ein Schatzregal deutete, in § 2 dagegen die Ablehnung des Bergregals ausgesprochen fand. Gegenüber den Ausführungen von ZECHER (n. 121) ist nur zuzugeben, daß der „Schatz" des Sachsenspiegels nicht bloß auf die natürlichen Bergschätze, sondern auch auf den Schatzfund bezogen werden muß, indem der Spiegier Berg- und Schatzregal zusammenfaßt. Wenn er weiterhin, auf den Bergbau allein übergehend, nur von „Silber" spricht, so erklärt sich dies aus der unbedingten Vorherrschaft des Silberbergbaues in der Heimat des Verfassers. Streitig ist pur, ob die Ablehnung der Bergbaufreiheit, allgemein zu verstehen oder auf den Bau über Tage (das .„Brechen" im Gegensatz zum „Graben") zu beschränken sei. Die letztere Auffassung wird durch das Löwenbergcr Goldreclit unterstützt. Vgl. ARNDT a. a. 0 . 95 ff. ZYCHA Recht d. Bergb. 56—63. Über den Begriff derBergvogtei vgl. ZYCHA 124 ff. 118 Vgl. n. 115. Die Verleihung des Gold- und Salzrechtes an die Salzburger Kirche (S. 550) war wohl als eine Verleihung des ganzen Regals gemeint, wobei Gold und Salz nur ausdrücklich hervorgehoben wurden. Eine Distrikts Verleihung für Silber besaß der Bischof von Brixen (vgl. BÖHMER Acta imperii Nr. 226) und der Graf von Nassau (ebd. Nr. 775). Andere Beispiele bei ZTCHA Böhm. Bergr. 1, 153. 1,9

V g l . KRAUT N r . 2. 4 — 6 .

ARNDT 169. 1 9 9 — 2 0 5 .

Acta imperii 519 Nr. 364 (1170). 159 (1189).

ERMISCH p g . 16. 2 8 .

ACHENBACH 85FF.

STUMPF

BÖHMER Acta imperii selecta Nr. 144 (1184).

§48.

Finanzwesen.

553

Regal ebenfalls vom Reich zu erwerben, so daß der König sich als Bergherr nur auf dem unmittelbaren Reichsboden behauptete 120 . Neben dem Bergregal und als „Fund unter der Erde" in den Quellen häufig mit diesem zusammengefaßt, wurde dem Reich und später den Landes- oder Gerichtsherren vielfach auch ein Recht auf gefundene S c h ä t z e , oder einen Anteil daran, zugestanden 121 . Ein gemeines Gewohnheitsrecht bestand aber hinsichtlich des Schatzregals nicht; die Bestimmungen der Constitutio de regalibus von 1158 und des Scbwabenspiegels stehen unter ersichtlichem Einfluß des römischen Rechts 122 . Bedeutende Geldleistungen bezog der König aus I t a l i e n 1 2 3 . Die slawischen Völker hatten bis zu ihrer Einverleibung in das Reich Tributz a h l u n g e n zu leisten 124 . Die Reichsfürsten hatten dem König, wenn er in ihrer Provinz hofhielt, zu den Hoftagen Ehrengeschenke mitzubringen, worin man einen Rest der altgermanischen J a h r g e s c h e n k e erkennt 125 . Dagegen sind die umfassenden Geldleistungen (servitium, subsidium regium), mit denen die meisten Reichsabteien und Propsteien belastet waren, nur zum Teil auf jene Jahrgeschenke und die alten Naturalleistungen des servitium iegis zurückzuführen, in der Hauptsache aber als Abgaben für den Königsschutz und als Rente aus dem Reichskirchengut aufzufassen126. Für die Investitur mit den Reichslehen, obwohl sie grundsätzlich ohne Entgelt erteilt werden sollte, wurden tatsächlich regelmäßig unter verschiedenen Titeln Gebühren (die späteren Lehnstaxen), oft von bedeutender Höhe, erhoben127. Nach der Krönung pflegten die Reichsstädte besondere „Ehrungen" darzubringen128. Auch die Juden, von denen außer dem Judenschatz (S. 478) vielfach noch besondere Gelegenheitsabgaben verlangt wurden, hatten zuweilen eine besondere Judenkrönungssteuer zu entrichten 129 . Die ersten Anfänge der späteren Staatssteuern finden sich in den sogenannten B e d e n oder B e t e n (petitiones, precariae, collectae, talliae, LSO Vgl. GKIMH Weistilmer 2, 783. 794. Der König von Böhmen war jedenfalls schon lange vor der. 6B. im Besitz des Bergregals, ohne daß sich eine Verleihung seitens des Reiches nachweisen ließe. Vgl. ZYCHA Böhm. Bergrecht 1,145. 121

2,

194.

Vgl. n. 117.

STOBBE Privatrecht 2 4 § 149 II ( 2 ' § 131 II).

HÜBER, G.

d. Schweiz.

VG. 1, 93.

Privatrechts

741.

WAITZ 8 ,

HEÜSLER Inst.

275.

E. MAYER

ZEUMER Der begrabene Schatz im Sachsenspiegel, Mitt. d. öst. Inst.

22, 434. 438ff.

IM Vgl. Schwsp. Laßb. 347. Const. de regalibus: dimidium thesauri in loco Caesaris inventi, non data opera, vel loco religioso; si data opera, totum ad eum pertineat. 1,3

154

,!6

V g l . WAITZ 8, 375 ff.

Vgl. ebd. 372 f. V g l . WAITZ 8, 377 f. MAURER F r o n h ö f e 3, 4 0 3 f. V g l . S. 117. 528. WAITZ 8, 378ff. EICHHORN 2 , 409.

MAURER a. a. O.

3, 402. ls9 159

Vgl. S. 509. 535. WAITZ 8, 378. 407 ff. Gold. Bulle v. 1356 c. 29. Vgl. QCIDDE Reichstagsakten 11, Vorwort S. 33. V g l . QUIDDE a. a. 0 . 3 0 ff.

Mittelalter.

554

stiura, geschoi,, gewerf), die zunächst nicht auf Grund eines Rechtsanspruches gefordert, sondern mit Röcksicht auf bestimmte vorliegende Bedürfnisse erbeten wurden, wegen der Stellung des Bittenden aber in der Regel nicht verweigert werden konnten 130 . Aufgekommen sind die Beden zunächst in den Immunitäten, als immer wiederkehrende Unterstützungsgesuche der Stiftsvögte an die Vogtleute, die anfangs von den geistlichen Grundherren lebhaft bekämpft, seit dem 12. und 13. Jahrhundert aber allgemein in rechtlich bestimmten Beträgen anerkannt wurden. In den Reichsvogteien übten die Könige das Bederecht in Gemeinschaft mit etwaigen geistlichen Immunitätsherren aus. Von besonderer Bedeutung waren die Beden, die von den Städten, und zwar als Gemeindelast, gefordert wurden, während die Landbeden zum Teil unmittelbar von den einzelnen Grundstücken (mit Ausnahme der stets bedefreien Rittergüter) zu entrichten waren. Das Recht auf die städtische Bede stand dem Stadtherrn zu, also in den Reichsstädten, deren Steuerpflicht seit dem 13. Jahrhundert feststand, dem König; in den Bischofstädten, die unter einer Reichsvogtei standen, bezog in der Regel der Stadtherr die eine, der König (als Vogtbede) die andere H ä l f t e m , während die zur Reichsfreiheit emporgestiegenen Bischofstädte kleine Bede zahlten und zum Teil aus diesem Grande als „freie Städte" bezeichnet wurden. Im übrigen haben sich die ordentlichen Beden als feste Jahrsteuern sämtlicher Reichsstädte in wesentlich unveränderter Gestalt (selbst in den Beträgen immer erst nach größeren Zeitabschnitten verändert) bis tief in die folgende Periode; zum Teil bis zur Auflösung des Reiches erhalten 132 . Außer den ordentlichen Beden kamen fortdauernd noch außerordentliche Steuern vor, bei denen es in der Natur der Sache lag, daß der Fordernde sein Gesuch begründen und sich eine gewisse Prüfung seitens der Belasteten gefallen lassen mußte. Eine allgemeine außerordentliche Städtesteuer zu Heereszwecken wurde schon 1238 von Friedrich II ausgeschrieben. König Rudolf I sah sich 1274, nachdem ihm die geistlichen Fürsten die Aufnahme in ihren Städten verweigert hatten, zur Ausschreibung einer Hofsteuer genötigt, indem er die sämtlichen Reichsstädte zu dem infolge jener Weigerung nach Nürnberg einberufenen 1.0

Über das Folgende vgl. Anm. 143 und die S. 531 angeführten Arbeiten and SCHULTE, ferner E . M A T E R V G . 1, 72ff. W A I T Z 8, 399ff. KNÖPFLEE Reichsstädtesteuer in Elsaß, Schwaben u. am Oberrhein 1902 (Wiirtemb. VJHefte NF. 11, 287ff.). KÜSTER a. a. 0 . 45ff. MAURER Fronhöfe 3, 405ff. L A M PRECHT Wirtschaftsleben 1, 6 0 5 f f . SCHÖN, Mitt. d. öst. Inst. 17, 234ff. BRUNNER Grundzüge2 131. 1.1 Ebenso teilten der König und der Bischof die ordentliche Bede der Stadt Regensburg, wo der König zwar nicht dieVogtei, aber die Burggrafschaft besaß. 131 Die Beden wurden noch unter Friedrich II Jahr für Jahr festgesetzt, im allgemeinen nach Herkommen, aber wobl immer auf Grund vorheriger Verhandlungen mit den einzelnen Gemeinden. Häufig begegnen Steuererlasse wegen stattgehabter Brände oder zur Unterstützung von Mauerbauten. von

SCHWALM, ZEUMER

§ 48.

Finanzwesen.

555

Reichstag beitragen ließ 133 . Derartige allgemeine Städtesteuern, bei denen, wie bei allen außerordentlichen Beden, auch die freien Städte herangezogen wurden, sind dann von Rudolf I noch mehrfach, auch unter Heranziehung der bischöflichen und selbst einiger laienfürstlicher Städte, zu dem jetzt zum erstenmal hervorgehobenen Zwecke pro conservatione imperii (teils zur Fahrt über Berg, teils zu Landfriedenszwecken) eingefordert worden134. zuletzt und mit allgemeinstem Erfolge 1290, nachdem der König sich mit einem allgemeinen Städtetag, den er als eine Art städtischen Parlaments nach Nürnberg einberufen, darüber verständigt hatte 13B . Auch unter den späteren Königen kommen noch wiederholt derartige außerordentliche allgemeine Städtesteuern vor. Bei diesen Steuern wurde schon unter Rudolf I der Versuch gemacht, statt der Matrikularsteuer eine direkte prozentuale Besteuerung der einzelnen Bürger eintreten zu lassen, was dank den Landvogteien in den schwäbischen und elsässischen Städten auch durchgeführt wurde. Außer, der Verpflichtung der Städte stand es reichsverfassungsmäßig fest, daß das R e i c h s k i r c h e n g u t in Notfällen seitens des Reiches zu außerordentlichen Beihilfen genötigt werden konnte 136 . Eine a l l g e m e i n e R e i c h s s t e u e r ist schon unter Heinrich IV ausgeschrieben worden 137 , dann folgte unter Philipp die auf dem Quedlinburger Reichstag von 1207 beschlossene Kreuzzugssteuer188, während kurz darauf Otto IV auf das Gerücht, daß er mit einer allgemeinen Reichssteuer umgehe, seine einflußreichsten Anhänger verlor 139 . Erst unter Sigmund kam es, unter dem Einfluß des Hussitenkrieges, wiederholt zu einer solchen Reichssteuer, die anfangs als gemeiner Pfennig, d. h. als unmittelbare Reichssteuer, versucht, später aber, nach dem Vorgang der Städtesteuern, unter Zugrundelegung der Heeresmatrikel als Matrikularsteuer durchgeführt wurde M0 . Dauernde Reichssteuern sind dem Mittelalter unbekannt geblieben. Die Lasten, die der König aus den Reichseinkünften zu bestreiten hatte, beschränkten sich auf den Unterhalt des Hofes und die dem König obliegenden Geschenke. Die Reichskanzlei erhielt sich durch die von ihr erhobenen Sporteln 141 ; die Kanzleibeamten waren teils auf diese, teilsauf Geschenke angewiesen; ihren Unterhalt empfingen sie vom Hofe, die meisten waren außerdem mit kirchlichen Pfründen ausgestattet. Für den Unterhalt des Hofes reichten die eigenen Vorräte der königlichen Vgl. S. 535. ZECHER a. a. 0 . 125f. F I C K E R , Wien. SB. 77, 816ff. Vgl. Z E C H E R 127 ff. Unter den von Rudolf I eingeführten Städtesteuern ist die des 30. Pfennigs zu besonderer Berühmtheit gelangt. 183 131

"

s

Vgl.

ZECHER 1 3 7 f.

1,4

Vgl.

S. 535.

WAITZ 8,

ZECHER

161.

•3' V g l .

LSS V g l . W E I L A N D 2 , 139

Vgl.

ZECHER

106.

16.

4 0 2 f. ZECHER 1 0 6 f .

WALTER D R G .

§ 269

n. 11.

140 Vgl. S. 5 3 0 . ZECHER 1 5 7 . DROYSEN Reichskriegssteuer von 1 4 2 7 , Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 7 , 1 8 5 6 . BEZOLD König'Sigmund 1, 90ff. 2 , 1 2 6 F F . 1 4 5 F F . Vgl. BRBSSLAC Urk.-Lebre 1, 412ff.

556

Mittelalter.

Pfalzen und das servitium regis (S. 205) im allgemeinen aus. Die den Hauptinhalt des letzteren bildende Verpflichtung, dem königlichen Hofe jederzeit Unterkunft und Unterhalt (Herberge und Atz oder Imbiß) zu gewähren, lastete seit dem 12. Jahrhundert nur noch auf dem Reichskirchengut und den Reichsvogteien, in erster Reihe also auf den geistlichen Fürsten und den Reichsstädten142. Der häufige Wechsel des königlichen Aufenthaltes im Reich diente dazu, diese Last zu verteilen. Als Rudolf I sich vorübergehend durch die Unbotmäßigkeit der geistlichen Fürsten auf die Reichsstädte beschränkt sah, suchte er jenen Zweck der Lastenverteilung durch Ausschreiben der schon erwähnten Hofsteuer (S. 554) zu erreichen. Weit drückender alsder Unterhalt des Hofes waren für die Reichsfinanzen die dem König obliegenden Geschenke, namentlich an Kirchen und Klöster, die Reichsfürsten und Reich8ministerialen (besonders zur Unterstützung bei Heerfahrten) und die Kurie (gelegentlich der Kaiserkrönung), wozu dann noch Aufwendungen für Brücken- und Burgenbauten u. dgl. kamen. Die Mauerbauten und sonstigen Befestigungsanlagen der Reichsstädte wurden als Leistungen für das Reich angesehen und mit dauerndem oder vorübergehendem Erlaß der Jahressteuern vergolten. Auch in anderen Fällen kam die Bede nicht selten an Ort und Stelle zu sofortiger Verwendung. Im allgemeinen aber herrschte noch unter Friedrich II eine gesunde Finanzverwaltung143; die Steuern wurden von der königlichen Kammer veranschlagt und von dieser als Zentralbehörde durch die Vermittlung der Reichsvögte und Schultheißen vereinnahmt und verwaltet. Kur für die sächsischen Reichsstädte scheint schon damals eine örtliche Verwaltung bestanden zu haben. Seit Rudolf I erfolgte die Einziehung der Steuern durch die Landvögte oder besondere Reichskommissare. Das von Italien ausgegangene Anweisungssystem griff seit dem 14. Jahrhundert auch im Reiche um sich und brachte die gesamte Finanzverwaltung in Verfall. Die meisten laufenden Einnahmen wurden von vorn herein der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse zugewiesen oder verpfändet. Die Auslösung der Reichspfandschaften erfolgte, wenn sie nicht ganz unterblieb, mit Hilfe neuer Vorschüsse, für die abermals Pfand oder Rente (durchschnittlich zu einem Zinsfuß von 10°/o) erforderlich wurden. Vgl. 7 7 , 820F.

WAITZ

8,

227

f.

MAÜBER

Fronhöfe

3,

382ff.

FICKEH,

Wien.

SB.

143 Ein 1 8 9 6 von SCHWALM aufgefundener Reichssteueranschlag von 1 2 4 1 (MG. Const. 3, 1) hat darüber unerwartete Aufklärung gebracht. Vgl. die Schriften^ von SCHWALM, ZEUMER und SCHULTE (S. 5 3 1 ) sowie KNÖPFLER (n. 130).

§ 49. Gerichtsverfassung.

§ 49.

557

Die Gerichtsverfassung.

Vgl. S. 170. A M I R A Gründl".4 159F.; Z R G . 40, 379ff. FOCKEMA A N D R E A E Kerkelijke rechtspraak in Nederland 1902 (Versl. en Mededeelingen d. Amsterd. Akad. 4, 5). BLONDEL Frédéric II S. 51 ff. B R U N N E B Grundz.* 138f.; Das gerichtl. Exemtionsrecht der Babenberger, Wien. SB. 47, 815ff. BÜRCHARD Hegung der deutsch. Gerichte im Mittelalter 1S93. E C K E R T Fronbote 1897. E G O E R Entstehung der Gerichtsbezirke Deutschtirols, Mitt. d. öst. Inst. 4. EICHHORN 2 §§ 293, 302f. 3 §§ 419—22. F E H R Fürst u. Graf im Sachsenspiegel 1906, Ber. d. Leipz. Ges. d. W. 58 (vgl. S T Ü T Z , ZRG. 40, 408). F I C K E R Forsch, z. Reichs- u. RG. Italiens, 4 Bde 1868—74. H E C K Altfries. Gerichtsverfassung 1894 (vgl. F O C K . A N D R E A E , Museum, April 1895; S E E R P GRATAMA, GGA. 1895 S. 842ff. His, ZRG. 29, 217. K. L E H MANN, Kr. VJSchr. 38, 11 ff.); Der Sachsenspiegel u. d. Stände der Freien 1905 (vgl. A M I R A , ZRG. 40, 379 ff.). H E U S L E R YG. 192. 220ff. H O M E Y E R Syst. d. Lehnrechts 528ff. (Des Sachsenspiegels 2. Teil, Bd2); Richtsteig Landrechts 412ff. H Ü B N E R Gerichtsurkunden (Beilage zu ZRG. 25. 27). J Ä K E L Abba, Asega und Rêdjeva, ZRG. 40, 114ff.; Etheling, Frîmon, Frîliug und Szêremon, ebd. 275ff. K Ü H N S , G. d. Gerichtsverfassung u. des Prozesses i. d. Mark Brandenburg, 2 Bde 1865—67. L E C H N E R Reichshofgericbt u. königl. Kammergericht im 15. Jh. 1904 (Mitt. d. öst. Inst. Erg. 7). L D S C H I N V. E B E N G R E U T H , G. des Gerichtswesens in Österreich 1879; Österreich. Reichs-G. 192ff. E. M A T E R Deutsche u. franz. VG. 1, 437—52. J. M E R K E L Der judex iin bairischen Volksrecht, ZRG. 1, 131 ff. PLANCK Daa deutsche Gerichtsverfahren im MA. 1 — 154. RIETSCHEL Das Burggrafenamt u. d. hohe Gerichtsbarkeit i. d. deutsch. Bischofsstädten 1905; Landleihen, Hofrecht u. Immunität, Mitt. d. öst. Inst. 27, 385 ff. ROSENTHAL, G. des Gerichtswesens u. d. Verwaltungsorganisation Baieras I 1889. J. SCHMITZ Das Gogericht im Herzogt. Westfalen, Z. f. vaterl. G. u. Alt.-K. 59, 2 S. 93 ff. SCHRÖDER Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels, ZRG. 18, lff. ; Der ostfälische Schultheiß u. der holstein. Overbode, ebd. 20, 1 ff. S E E L I Q E R Soziale u. polit. Bedeutung der Grundherrschaft im früheren MA. 1903, Abh. d. Leipz. Ges. d. W. 22 (vgl. v. B E L O W , Mitt. d. öst. Inst. 25, 462ff.; D O P S C H ebd. 26, 344ff.; R E H M E , Jahrb. f. Nat.-Ök. u. Stat. 86, 389ff.; S T E N O E L , ZRG. 38, 286ff. 39, 418ff.); Forschungen z. G. der Grundherrschaft, Hist. VJSchr. 1905 S. 305ff.; Grundherrschaft u. Immunität, ebd. STOBBE Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels, ZDR. 15, 82ff.; Grundsätze d. deutsch. Rechtsquellen über den Gerichtsstand, JB. d. gem. R. 1, 427 ff. S T Ü T Z Das habsburg. Urbar u. d. Anfange der Landeshoheit ebd. 38, 192 ff. U N O E R Altdeutsche Gerichtsverfassung 1842. W A I T Z 8, 1—94. W E T Z E L L System des Civilprozesses * 363—92 (großenteils von SOHM). Z E C M E B Über einen Zusatz zu c. 11 der Gold. Bulle, ZRG. 36, 264 ff.

5 . 129ff.

Der Sachsenspiegel 1 liefert noch durchaus das Bild einer monarchischen, in ihren Grundzügen mit der karolingischen übereinstimmenden Gerichtsverfassung. Der König ist der gemeine Richter im Reiche, im Grunde hat er allein über Eigen, Freiheit und Leben zu richten, und nur weil er selbst nicht allerorten sein kann, hat er andere mit seiner Vertretung betraut. Er reist richtend im Lande umher und überall, wo er hofhält, sind die Gerichte ihm ledig, die ordentlichen Gerichtsgewalten für die Dauer seiner Anwesenheit niedergelegt. Nur in den Marken zeigt sich ein strafferes landesherrliches Regiment, das der Entwickelung 1

Vgl. Ssp. III



§ 1. 52 § 2. 60 § 2.

Mittelalter.

558

der Territorialgerichtsbarkeit zu gute kommt. Aber die Niedergerichte sind überall schon aus dem Eeichsverband geschieden und den territorialen Gewalten anheimgefallen. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gestaltet sich alles anders. Die Reisen des Königs zum Zweck der Rechtspflege haben aufgehört, seine oberstrichterliche Tätigkeit erscheint bedeutend eingeengt, während in den Territorien höhere Gerichte entstehen; die meisten Landgerichte haben den Zusammenhang mit dem Reich verloren, die darin verbliebenen aber eine erhebliche Erweiterung ihrer Zuständigkeit erfahren. Diese Umwandlung wird erst bei der Territorialverfassung zur Darstellung kommen. Wir beschränken uns hier auf das Gerichtswesen des Reiches. 1. Das R e i c h s h o f g e r i c h t 2 . Wo der König persönlich an der Handhabung der Rechtspflege teilnahm, geschah es in alter Weise vermittelst des königlichen Hofgerichts. Gegenüber den ordentlichen Gerichten hatte der König das Evokationsrecht (ins evocandi), kraft dessen er nach Belieben jede noch nicht rechtskräftig erledigte Sache zu seiner Entscheidung ziehen konnte 3 . Sodann war es nach dem Verfall des Königsbotenamtes üblich geworden, daß die Könige zum Zweck der Rechtspflege im Reich umherreisten. Wo sie sich aufhielten, wurden ihnen die ordentlichen Gerichte ledig und das Hofgericht trat, wie ehedem das missatische Gericht (S. 139, 174, 182) an ihre Stelle; alle noch nicht anhängig gemachten oder rechtskräftig entschiedenen Klagen konnten beim König angebracht, alle noch nicht abgeurteilten Gefangenen mußten ihm vorgeführt werden 4 . Dies hörte auf, seit die Fürsten, unter dem Wegfall der königlichen Bannleihe, die volle Gerichtshoheit in ihren Territorien erlangt hatten 6 . Die Gerichtsreisen des Königs kamen infolgedessen außer Übung, die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts wußte nichts mehr davon®. Die unmittelbare Gerichtsbarkeit des Reichshofgerichts beschränkte sich seitdem auf die Reichstagsorte für die Dauer der Versammlung. Außerdem wurde es seit Rudolf I mehr und mehr üblich, Fürsten und Städten das Privilegium de non evocando zu erteilen, wodurch das königliche Evokationsrecht für ihr Gebiet aufgehoben wurde'. Nachdem zahlreiche Einzel4 Vgl. FRANKLIN Das Reichshofgericht im Mittelalter, 2 Bde 1867/69: Sententiae curiae regiae 1870. LECHNER a. a. 0. ( S . 5 4 5 ) . R. SCHOLZ a. a. 0 . ( S . 480) 6 ff. B E S E L E B , ZRG. 2, 391 ff. VOOEL, Beiträge z. G. d. Reichshofgerichts, ebd. 15, 151 ff. TÖMASCHEK Höchste Gerichtsbarkeit des deutschen Königs und Reichs im 15. Jahrhundert 1865, Wien. SB. 49. BAUMANN Zur G. des Hofgerichts, ZGO. 43, 69 ff. 392. Über die verschiedenen Bezeichnungen des Reichshofgerichtes vgl.

FBANKUN 2, 8

62.

Deutsche Bezeichnung für evocare war üxheischen, n. LOERSCH Ingelheimer Oberhof pg. 1 5 6 . * Vgl. Ssp. III 33 §§ 1—5. 60 §§ 2. 3. Otto Fris. gesta Friderici 2, 13. 6 Vgl. ZALLINGER, Mitt. d. öst. Inst. 1 0 , 2 2 5 n. 6 Vgl. Ssp. I 34 § 3 mit Dsp. 39 und Schwsp. Laßb. 39. Vgl.

FBANKLIN

urheischen. Vgl. ebd.

7

Vgl.

2,

4.

2,

10

FBANKLIN 2 , 5 ff.

§ 49. Gerichtsverfassung.

1. Reichshofgericht.

559

privilegien vorhergegangen waren, erklärte die Goldene Bulle von 1356 das Privilegium de non evocando für ein gesetzliches Recht aller Kurfürsten 8 , und im Lauf des 14. und 15. Jahrhunderts erlangten auch die übrigen Reichsfürsten, die meisten Reichsstädte und zahlreiche Stifter, Grafen und Herren die gleiche Freiheit, bis endlich 1487 das Evokationsrecht des Königs überhaupt beseitigt wurde 9 . In zweiter Reihe war das Reichshofgericht seit der Umwandlung der Urteilschelte (S. 379) in eine wahre Berufung zum Berufungsgericht für alle ordentlichen Gerichte geworden 10 . Auch in dieser Richtung geschah dem Reichshofgericht vielfach Abbruch durch privilegia de non appellando, so daß um die Mitte des 15. Jahrhunderts die Mehrzahl der Reichsstände die Exemtion besaßen 11 . Die Kurfürstentümer wurden durch die Goldene Bulle auch von den Appellationen an das Reichshofgericht eximiert 12 , was dann wohl Anlaß zur Errichtung eigener Oberlandesgerichte gegeben hat. Unberührt von den privilegia de non evocando und de non appellando blieben die Fälle der Rechtsverweigerung. Wo der ordentliche Richter kein Recht gewähren wollte oder konnte, etwa weil er des Beklagten nicht mächtig war, konnte die sich beschwert fühlende Partei immer das Reichshofgericht anrufen 13 . Der vierte Zuständigkeitsgrund für das Reichshofgericht war aus dem ehemaligen Reklamationsrecht (S. 182) hervorgegangen, das allmählich für alle Reichsunmittelbaren, namentlich Reichsfürsten, Reichsministerialen und Reichsstädte, ohne Rücksicht auf die ihren Territorien erteilten Freiheiten den ordentlichen persönlichen Gerichtsstand vor dem Reichshofgericht herbeigeführt hatte". Ferner gehörten Klagen über Reichsgut und Reichsrechte vor das Reichshofgericht, selbst wenn sie gegen landsässige Personen in einem mit Privilegium de non evocando ausgestatteten 9

Vgl. GB. c. 8 g l . c. 11 §§ lff. 5 f. ZEUMER, ZRG. 36, 264 ff. Nach einem Hofgerichtsurteil Karls IV (TÖPFER UB. Z. G. der Vögte von Hunolstein 1 Nr. 282) müssen die Kurfürsten schon 1353 allgemein im Besitz dieses Rechtes gewesen sein. 9 Vgl. FRANKLIN 2, 11. 74 ff. STOBBE Beiträge z. G. d. deutsch. Rechts 171 ff. ROSENTHAL a. a. 0. 9ff. Über die Wirkungen des Privilegs FRANKLIN 2, 17ff. 10 Vgl. Ssp. II 12 §§ 4. 8. 11 f. Sachs. Lehnr. 69 §§ 5 - 8 . Schwsp. Laßb. 114. 116B. 117". Schwab. Lehnr. 18. 35. 55. 64. Richtsteig Landr. 49. MG. Const. 1, 478 (1191—94).

BRÜNNER Exemt.

16.

HOMETER System 567 f. 625.

FRANKLIN 2, 205 ff. Auch von sich aus konnte ein niederes Gericht, ohne Berufung einer Partei, den Rechtszug an das Hofgericht, beschließen. Vgl. ebd. 2, 204 f. 11

12

V g l . FRANKLIN 2, 16. LECHNER a. a. 0 . 64. Vgl. G B . c. 8 § 2 c. 11 §§ 3. 5.

" Vgl. GB. c. 11 § 4. Ssp. I 34 § 3. II 25 § 2. III 87 §§ 3f. Sächs. Lehnr. 49 § 1. 68 § 5. HOMETER System 568. Die Fälle der Rechtsverweigerung wurden in den königlichen Befreiungen in der Regel ausdrücklich ausgenommen. Vgl. FRANKLIN 2, 15. 36 f. Siehe auch die Urkunde von 1353 (n. 8). M Vgl. FRANKLIN 2, 12f. 34ff. Ssp. III 55 § 1. Mainzer Landfr. v. 1235 c. 31 (28).

Mittelalter.

560

Territorium oder Stadtgebiet gingen 15 . Ursprünglich konnte auoh die Reichsacht nur vom Reichshofgericht verhängt werden 18 ; nachdem aber die meisten Landgerichte territorial geworden waren, wurde von den königlich gebliebenen Landgerichten auch das Recht der Ächtung ausgeübt. Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurden häufig vor dem Hofgericht vorgenommen, namentlich um sie durch das bestätigende Hofgerichtsurteil unanfechtbar zu machen 17 . Die Sitzungen des Reichshofgerichts waren öffentlich. Im übrigen stand, im Gegensatz zu der fränkischen Periode (S. 180), weder Zeit noch Ort fest, alles hing von dem jeweiligen Aufenthaltsort und dem Belieben des Königs ab 18 . Die Regel war zwar, über deutsche Dinge nicht anders als auf deutschem Boden zu verhandeln, aber nach dem Satz: cum ibi sit Alemannie curia, ubi persona nosira et principes imperii consistunt19, sind wiederholt auch in Italien Hofgerichtsentscheidungen in deutschen Angelegenheiten ergangen, nur war dazu die Besetzung des Gerichts mit deutschen Reichsangehörigen erforderlich20. Im eigentlichen Ausland konnte das Reichshofgericht nicht abgehalten werden21. Für gewisse Gegenstände bestanden weitergehende, wenn auch mehr tatsächliche als rechtliche Beschränkungen. Verhängung der Reichsacht und gerichtliche Zweikämpfe sollten im allgemeinen nur in der Heimatprovinz des Angeschuldigten erfolgen, Entscheidungen über gescholtene Urteile in der Provinz des Untergerichts, solche über Eigen in der Provinz der belegenen Sache2?. Der Grund für diese Beschränkungen, die übrigens nur bis zum 13. Jahrhundert aufrechterhalten wurden, war das Bedürfnis solcher Urteiler und Zeugen, die des in Betracht kommenden Stammesrechts genügend kundig waren; hatte man diese zur Stelle, so konnte das Hofgericht sein Urteil fällen wo es dem König beliebte23.

15

ie

FRANKLIN 2 , 3 6 .

Vgl. 8. 181. Ssp. I 71. III 34. " Vgl. S. 5 2 3 . FRANKLIN 2 , 37FF. Ssp. I 3 4 § 3 . Der in der fränkischen Zeit vielfach maßgebende Beweggrand, eine Königsurkunde zu gewinnen (S. 393), kam weniger in Betracht, nachdem auch die Landgerichtsurkunden den Charakter öffentlicher Urkunden erhalten hatten. Siehe jedoch auch FRANKLIN 2 , 3 8 . 1S Vgl. FRANKLIN 2 , 83FF. Über die Gerichtszeit ebd. 85FF. 19

50 51

V g l . S. 5 0 9 n . 3.

Vgl.

FRANKLIN 2 , 6 3 f .

FRANKLIN 2 , 6 4 .

V g l . FRANKLIN 2 ,

WAITZ 8, 14.

Otto Fris, gesta Frid.

2,

12.

65.

» Vgl. Ssp. II 18 §4. III 26 §2. 33 §§3. 4. Dsp. 106. Schwsp. L.aßb. 114. 296 f. FRANKLIN 1, 32. 93 f. 2, 66 ff. HOMEYER Heimat (Abh. d. Berl. Ak. 1852) 67 f. 75 f. STOBBE Gerichtsstand 429. 432 f. 434 f. SCHRÖDER, Hist. Z. 4», 49. In Lehensachen hat eine örtliche Beschränkung fur die Entscheidungen des Reichshofgerichts nié bestanden. Vgl. FRANKLIN 2, 73 n. *' Vgl. SOHM R.- n. GV. 326n. W A I T Z 8, 18f. SCHRÖDER, Hist. Z. 43, 47. K. SCHOLZ Urteil des Königsgerichts, Z. f. thür. G. 9, 42. Die Stadt Camiray wurde 1 2 0 9 durch ein Augsburger Reichshofgeiichtsurteil geächtet. Vgl. BÖHMER Acta imperii Nr. 231.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

561

1. Reichshofgericht.

Das Hofgericht war an die Person des Königs gebunden; es ruhte, wenn der König sich im Ausland befand, und löste sich auf, wenn der König starb oder des Reiches entsetzt wurde. Nur der zum römischen König gekrönte Kaisersohn war ebenfalls berechtigt, das Reichshofgericht abzuhalten 44 . Hatte der König für den Fall seiner Abwesenheit einen Reichsverweser bestellt, so war dieser in der Regel auch befugt, statt des Reichshofgerichts ein ebenso zusammengesetztes, aber von ihm gebildetes und an seine Person gebundenes Gericht abzuhalten25. Ebenso lag die Sache hinsichtlich der Reichsvikariats-Hofgerichte des Pfalzgrafen und des Kurfürsten von Sachsen im Fall einer Thronerledigung26. Wie in Beziehung auf Ort und Zeit, so fehlte dem Reichshofgericht auch in betreff seiner Zusammensetzung jede feste Organisation, das Gericht wurde in jeder Sitzung neu gebildet und hatte erst, nachdem dies geschehen war, einen selbständigen Charakter27. Die Urteiler wählte der König (oder sein Stellvertreter) frei aus den Personen seiner Umgebung, mit möglichster Berücksichtigung ihres Standes und ihrer Stammeszugehörigkeit28. In causae maiores, d. h. Sachen die Leib und Leben, Ehre oder Grundbesitz angingen, brauchte sich niemand von Untergenossen aburteilen zu lassen29; Reichsfürsten konnten hier seit dem 12. Jahrhundert ein nur mit Fürsten besetztes Gericht verlangen30. Mit Rücksicht auf die erforderliche Rechtskenntnis waren vorzüglich Stammesgenossen oder Landsleute des Beklagten, bei Prozessen um Eigen Angehörige der Provinz, in der es gelegen war, zu berufen31. Im übrigen genügte der Besitz der überhaupt für einen Urteiler erforderlichen Eigenschaften32. Die Zahl der Urteiler mußttf sich mindestens auf Sieben belaufenss, häufig war sie " Vgl. F R A N K L I N 2 , 7 8 f. B Ö H M E R Acta imperii Nr. 2 9 3 ( 1 2 2 7 ) . Vgl. F R A N K L I N 2 , 80FF. Die n. 6 1 erwähnte Magdeburger Versammlang könnte auch in diesem Sinn aufgefaßt werden, da die Äbtissin Mathilde von Quedlinburg die Reichsverweserschaft für Otto III führte. » Vgl. S . 4 9 4 . M G . Const. 2 , 6 3 3 ( 1 2 5 4 ) . T R I E P E L Interregnum 4 0 . 4 2 . " Vgl. F R A N K L I N 2, 88f. 125ff. 88 Bezeichnend für den Gegensatz zu Italien, wo der König als selbsturteilender Richter keines Urteilerkollegiums bedurfte. Vgl. F I C K E B 3, 179 (1276): quod illud diffiniat Budolphus rex secundum quod sibi videbitur, non tarnen, secundum cons uetudinem Alemaniae quaerendum a singulis eireumstantibus, ut Mortem diffmitio in praedictis pro senlentia habeatur, sed sua voce proferat sententiam secundum suam eonseientiam bonorum etperitorum consilio informatam, secundum quod sibi videbitur ad deurn et iustitiam habendo respectum. 85

2

» Vgl.

S. 472.

Ssp. II

12

§2.

III

19.

WAITZ

8,

19f.

FRANKLIN

2,

130.

Fürstliche Ministerialen begegnen nie als Urteiler im Reichshofgericht. Vgl. ZALLINQER, Mitt. d. öst. Inst. 4, 409 n. W A I T Z 8, 18. 30 Vgl. F R A N K L I N 2, 134—157, der mit Recht der Ansicht entgegentritt, als habe es für Fürsten von jeher besondere Fürstengerichte gegeben. 31

32

Vgl.

S. 560.

FRANKLIN

2,

1 2 9 f.

Ausgeschlossen waren Geächtete und Gebannte, in peinlichen Sachen alle Geistlichen. Urteiler aus dem Stande der Rechtsgelehrten kamen nicht vor. Seit dem 14. Jahrhundert kommen nur noch Urteiler ritterlichen Standes vor. 83

R.

Vgl.

FRANKLIN

SCHRÖDER,

2,

158.

Deutsche Becbtsgeschichte.

5.

Aufl.

36

Mittelalter.

562

aber eine sehr beträchtliche, namentlich wenn ein ganzer Reichstag als Hofgericht in Tätigkeit gesetzt wurde. Eine Vereidigung der Urteiler fand nicht statt, sie urteilten auf den Eid, den jeder seinem Herrn geleistet hatte 34 . Eine Entschädigung erhielten die Urteiler nicht, erst im 15. Jahrhundert haben die Könige, um der gänzlichen Auflösung des Hofgerichts vorzubeugen, hin und wieder besoldete Stellen eingeführt 36 . Richter im Hofgericht -war der König, im Reichsvikariatsgericht der Reichsverweser. War der König Partei, so pflegte er sich im Vorsitz vertreten zu lassen 36 . In Italien behauptete sich bis zum 11. Jahrhundert der Pfalzgraf in der Stellung des ersten Beisitzers und stellvertretenden Vorsitzenden (S. 512); in Deutschland liegt keine sichere Spur dafür vor, doch ist es möglich, daß der Pfalzgraf von Lothringen (der spätere Pfalzgraf bei Rhein) ursprünglich dieselbe Stellung eingenommen hat 37 . Einen ständigen Vertreter des Königs in allen Sachen, mit Ausnahme der ihm persönlich vorbehaltenen Verhängung der Reiohsacht38 und der hohen Sachen (swa ez get an ir lip oder an ir reht oder an ir ere oder an ir erbe oder an ir len und von andern hohen sacheri) der Fürsten und Fürstengenossen 39 , führte erst der Mainzer Landfriede Friedrichs I I von 1235 ein 40 . Der Reichshofrichter (iustitiarius curiae regiae) sollte dem Stand der freien Herren angehören (ein friman) und vom König immer mindestens für die Dauer eines Jahres ernannt werden. Entlassung vor der Zeit im Fall schlechter Führung blieb vorbehalten. Der Hofrichter war also Beamter, nicht Lehnsmann. Er hatte einen Amtseid zu leisten und erhielt als Besoldung die von den Reichsächtern für Lösung aus der Acht gezahlten Strafgelder (gewette, ahteschaz), soweit es sich um Fälle handelte die von ihm selbst abgeurteilt wurden 41 . Außer den dem König vorbehaltenen Sachen hatte der Hofrichter über alles, was an den Hof kam, zu richten, mußte aber von allen wichtigeren Angelegenheiten dem M

35

Vgl.

FRANKLIN 2 ,

1 5 9 ff.

Vgl. ebd. 2, 162. Besondere Pfalzschöffen (Pfalzriehter, Königsrichter, Ilofrichter) hat es nnr in Italien gegeben. Vgl. FICKER Forschungen 3, lff. Vgl. S . 4 9 2 . F R A N K L I N 2 , 1 0 1 ff. Wolfdietrich A . , Vers 1 6 9 ff. (Deutsch. Heldenb. 3, 100). 37 Vgl. S. 514. Der dem Pfalzgrafen durch Keichsweistam von 1274 übertragene Vorsitz in Fällen, wo der König gegen einen Fürsten zu klagen hatte (S. 492), wurde nicht als ein ausschließliches Recht betrachtet, der König konnte sich auch durch andere Fürsten vertreten lassen. Vgl. F R A N K L I N 1, 173ff. 2, lOOff.; Sent. Nr. 27f. 58 Er emsol niemen in die ahte tun noh ux der ahie lan, wan dax sollen wir selbe tun. ** Vgl. F R A N K L I N 2, 97 ff. Sich durch einen andern Fürsten für den einzelnen Fall vertreten zu lassen, war dem König unverwehrt. Vgl. n. 36. 37. Mainz. Landfr. c. 31 (28). Vgl. FRANKLIN 1. 66ff. 2, 112ff.; De iustitiariis curia« imperialis 1860. Nach dem Vorbild des deutschen Hofrichteramtes hat Friedlich II das G-rofihofjustitiariat für Sizilien eingerichtet. Vgl. FICKER. a. a. 0. 1, 860. 41 Über weitere Bezüge des Hofrichters vgl. FRANKLIN 2, 118f.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

1. Reichshofgericht.

563

König vor Ansetzung des Tages Anzeige machen, damit er den Vorsitz nach Umständen selbst übernehmen oder ihn einem außerordentlichen Vertreter übertragen konnte43. Der Hofrichter hatte, soweit ein Bedürfnis vorlag, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage tägliche Sitzungen abzuhalten. Einen festen Amtssitz hatte er nicht, er folgte dem Hof und war durchaus an die Person des Königs gebunden. Mit dem Tode des Königs erlosch seine Vollmacht. Eine Substitutionsbefugnis wurde dem Hofrichter erst im 15. Jahrhundert eingeräumt43. Innerhalb seiner Amtswaltung war der Hofrichter selbständig. Daß seine hofgerichtlichen Entscheidungen zu wiederholter Verhandlung vor dem König kommen konnten44, war nichts Eigentümliches, da die Hofgerichtsurteile überhaupt keine Rechtskraft besaßen45. Gleichzeitig mit der Einführung des Hofrichteramtes sorgte der Mainzer Landfriede für Neuerrichtung der völlig in Verfall geratenen Hofgerichtskanzlei. Während die Hofgerichtsurkunden früher von der Hofkanzlei ausgefertigt worden waren, erhielt das Hofgericht nunmehr einen eigenen Hofgerichtsschreiber (notarius curiae), der gleich dem Hofrichter (wegen der peinlichen Sachen) dem Laienstand angehören mußte und einen ähnlichen Amtseid wie dieser zu leisten hatte. Der Hofgerichtsschreiber erhielt insbesondere die Aufgabe, die Einläufe in Empfang zu nehmen und zu verzeichnen, sowie Achtregister und Urteilsbücher anzulegen 46 . Zur Beglaubigung der Gerichtsurkunden wurde ein besonderes Hofgerichtsiegel eingeführt47. Obwohl der Hofgerichtschreiber, um seinen Aufgaben gerecht zu werden, notwendig den Sitzungen beiwohnen mußte, gehörte er doch nicht zur ordnungsmäßigen Besetzung des Gerichts. Mit anderen als hofgerichtlichen Geschäften sollte er nicht belastet werden, doch könnte seine vielfache Bezeichnung als Kammerschreiber oder Protonotar darauf hindeuten, daß er gleichwohl später der Hofkanzlei angehörte, 41 Vgl. FRANKLIN 2, 109. Ladungen durfte er nur auf Anordnung des Königs ergehen lassen. « Vgl. ebd. 2, 113. 44 Vgl. ebd. 2, 117. In Achtsachen blieb das Schlußurteil dem König vorbehalten. Vgl. ZGO. 43, 72 f. DOPSCH Entstehung d. öst. Landr. (1892) S. 64. 45

Vgl. S. 395.

MG. Dipl. reg. Otto II Nr. 130 (976).

kondenb. v. Holl, en Zeeland 1 Nr. 278 (1220). (um 1165). 2 9 3 (1227).

F D G . 17, 554 (1289).

v. D. BERGH Oor-

BÖHMER Acta imperii Nr. 123

Mon. Zoller. 5 N r . 3 7 3 (1396).

Magd.

Fragen 1, 4 dist. 4. Der Sachsenspiegel kennt eine Berufung gegen Entscheidungen des Reichshofgerichts nur in der Form des Ziehens an die vordere Hand, d. h. des gerichtlichen Kampfes von Sieben gegen Sieben. Vgl. Ssp. I 18 S 3. II 12 §8. Richtst. Landr. 50 § 9 . FRANKLIN 2, 280ff. PLANCK Gerichtsverfahren 1, 270. Im Jahre 1374 hob Karl IV ein zugunsten eines Züricher Ritters ergangenes Hofgerichtsurteil gegen die Stadt Frankfurt im Weg der Gnade auf. BÖHMER UB. v. Frankfurt 738. Hierher ist auch zu ziehen, was JASTROW, Z. f. GW. 10, 71 ff. über die Ächtung Heinrichs des Stolzen (1138), die von ihm als „sententia nulla" aufgefaßt wird, bemerkt hat. " Über die Urteilsbücher vgl. FRANKLIN Sent. cur. reg., Einleitung pg. 5 ff. 41

V g l . FRANKLIN 2, 89.

36*

Mittelalter.

564

wenn jene Ausdrücke sich nicht darauf beziehen, daß er gelegentlich die Hilfe der Kanzleibeamten in Anspruch nahm. Ob das im 15. Jahrhundert erwähnte Amt eines „Nachschreibers'- am Reichshofgericht je ins Leben getreten, ist unbekannt, ebenso was wir unter den magistri cognicionvm und referendarii, die unter Karl IV und Ruprecht beim Hofgericht erwähnt werden, zu denken haben48. Seit dem 15. Jahrhundert begegnet als ständiger Vertreter der fiskalischen Interessen am Hofgericht ein besonderer Beamter, der später den Titel Kammer-Prokurator-Fiskal {procurator fiscalis camere et imperialis fisci) führte und seit Friedrich III ganz allgemein die Aufgabe hatte, jede Übertretung königlicher Gebote oder Verletzung königlicher Rechte von Amts wegen als Vertreter des Königs zu verfolgen 49 . Gingen bei Hof Klagen ein, die nach Lage der Sache weniger einer kontradiktorischen Verhandlung als einer Untersuchung an Ort und Stelle bedurften, so konnte der König von einer Verhandlung im Hofgericht absehen und die Sache einem Delegierten oder kaiserlichen Kommissar zur Untersuchung und Entscheidung übergeben60. Die Parteien wurden von der Ernennung des Kommissars in Kenntnis gesetzt und zum Gehorsam gegen seine Ladungen und richterlichen Anordnungen aufgefordert. Bei causae maiores durfte der Kommissar kein Untergenosse des Beklagten sein. Lagen Gründe vor, die den Kommissar der Parteilichkeit verdächtig erscheinen ließen, so konnten die Parteien ihn ablehnen. Zuweilen wurden mehrere Kommissare als Gesamtdelegierte, auch wohl ganze Stadträte, delegiert Unter Umständen hatte der Kommissar die Befugnis, sich Beisitzer zu wählen. Von der Entscheidung des Delegierten konnte Berufung an den König eingelegt werden51. Der Gebrauch delegierter Königsrichter begegnet seit dem 12. Jahrhundert; anfangs eine seltene Ausnahme, wurde er immer häufiger und bildete unter Friedrich i n fast die Regel 52 . Einen anderen Abbruch erfuhr die Tätigkeit des Reichshofgerichts seit der rechtlosen Zeit nach Mitte des 13. Jahrhunderts durch den zunehmenden Gebrauch der Parteien, ihre Streitigkeiten durch Schiedsspruch zu erledigen. Erheblich wichtiger als die Kompromisse von Fall zu Fall waren die sogenannten A u s t r ä g e (mhd. ü%trac), bei denen man sich gegenseitig verpflichtete, auch zukünftige Streitfälle einem bestimmten, durch die staatliche Ordnung nicht berufenen Gericht zur Entscheidung anheimzugeben 63 . Wie die Kurfürsten unter sich durch den Kurverein 4

» Vgl.

FRANKLIN

2,

49

Vgl.

S. 566.

60

51

Vgl.

FRANKLIN 2 ,

Vgl.

FBANKLIN

68

Vgl.

FBANKLIN 2 ,

58

1 2 3 f.

FRANKLIN 2 , 49—61.

2, 58.

1 7 6 ff. LECHNER

WIGAND

65FF.

Wetzl. Beiträge 1. 338.

60.

Vgl. F B A N K L I N 2 , 2 2 ff. und die von ihm angeführte Literatur. A H I B A Grundr.* 1 6 0 . H O M E Y E R Die Formel „Der Minne und des Rechts eines andern mächtig sein", Abh. d. Berl. Ak. 1 8 6 6 . Über das Wort „Austrag" GRIMM DWB. 1, 9 9 9 . H A L T A U S Glossarium 8 5 .

§ 49.

Gerichtsverfassung.

1. Reichshofgericht.

565

von Rense von 1 3 3 8 einen Austrag anordneten, der durch spätere Verträge nur immer wieder bestätigt wurde, so sind überhaupt die zahllosen Bündnisse und Einungen der verschiedensten Stände, die der zweiten Hälfte des Mittelalters ihr eigentümliches Gepräge gegeben haben, regelmäßig mit derartigen Festsetzungen verbunden. Hatten diese zunächst nur eine Bedeutung für Streitfälle unter den Genossen, so konnten durch königliches Privileg doch auch Dritte verpflichtet werden, ihre Klagen gegen jene zunächst bei dem Einungsgericht anzubringen, wenn es ihnen dann auch überlassen blieb, hinterher noch das ordentliche Gericht anzugehen. In dieser Weise wurden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Austräge der Fürsten und Reichsstädte zu amtlich anerkannten Instanzgerichten 54 . Unter Albrecht II und Friedrich III tauchten wiederholt Entwürfe auf, welche die Einsetzung bestimmter Austräge im Wege der Reichsgesetzgebung bezweckten, um auf diese Weise einen gewissen Ersatz für das absterbende Reichshofgericht zu gewinnen 55 . Seit dem 15. Jahrhundert führte der verwahrloste Zustand des Reichshofgerichtes dahin, daß der König die meisten bei ihm eingegangenen Rechtssachen mit Umgehung der letzteren durch delegierte Kommissäre oder auch persönlich unter Zuziehung seiner Räte erledigte, und zwar nicht bloß wenn die Parteien auf seinen Schiedsspruch kompromittiert hatten 56 , sondern auch auf einseitiges Anrufen des Klägers. Man darf vermuten, daß bei dieser Entwickelung die italienischen Anschauungen, denen der König als selbsturteilender Richter geläufig war (n. 28), von Einfluß gewesen sind. Die entgegenstehende deutsche Auffassung der richterlichen Stellung leistete wenigstens insoweit Widerstand, als die persönliche Rechtsprechung des Königs seit Sigmund wieder mehr gerichtliche Formen annahm, aus denen das 1415 zuerst bezeugte königliche K a m m e r g e r i c h t hervorgegangen ist 51 . Anfangs noch mehr den Charakter eines außerordentlichen Gerichtes tragend, gelangte es erst unter Friedrich I I I zu festerer Ausgestaltung und wurde zu einem mit dem Reichshofgericht konkurrierenden und diesem in manchem nachgebildeten obersten Reichsgericht. Das Hofgericht, dessen angemessene Besetzung mit Rittern oder gar mit Fürsten immer schwieriger wurde, da Friedrich III sich fast nur in seinen Erblanden aufhielt und nur ausnahmsweise in das Reich kam, trat immer seltener zusammen und verschwand seit 1451 gänzlich. Das Kammergericht erscheint seitdem auch unter dem Namen „Hof- und Kammergericht". Eine gesetzliche Regelung erfolgte durch eine Kammergerichtsordnung von 1471 58. Vor54

55

V g l . FRANKLIN 2, 13 D. 2. 25.

Vgl. ebd. 1, 320. 371 f.

Neue Samml. d. Reichsabschiede 1, 155. 199.

58

V g l . FRANKLIN 2, 41 ff. " Vgl. LECHNER a. a. 0 . (S. 557). 1'OMASCHEK a. a. 0 . (n. 2). FRANKLIN D a s k ö n i g l i c h e K a m m e r g e r i c h t v o n 1495 (1871); R e i c h s h o f g e r i c h t 1, 329FF. SEELIGER

Hofmeisteramt 113 ff. 58 Neue Samml. 1, 229. 249 ff. Staatsarchiv des Reichskammergerichts (HABPPRECHT) 1, 2 2 0 f f .

Ü b e r a n d e r e Q u e l l e n LECHNER 50FF.

566

Mittelalter.

sitzender war der König oder ein von ihm für den einzelnen Fall bestellter Vertreter; ständige Kammerrichter waren nur Bisehof Ulrich von Passau 1464—69 und Erzbischof Adolf von Mainz 1470—75 (beide als Gerichtspächter), seit 1492 Graf Eitelfritz von Zollern59. Die regelmäßig dem königlichen Bäte entnommenen Beisitzer wurden immer erst für die einzelne Sitzung berufen. Da sich, im Gegensatz zu dem nur mit ritterlichen Personen besetzten Hofgericht, häufig auch hohe Geistliche und Bechtsgelehrte unter den Beisitzern befanden, so ergab sich bei dem Verfahren (Schriftlichkeit, stärkere Beteiligung des ßichters an der Urteilsfindung) wie bei den materiellen Entscheidungen des Kammergerichts ein zunehmender Einfluß des römisch-kanonischen Rechtes. Die Beisitzer wurden vereidigt Unentbehrlich war der Gerichtsschreiber (das Haupt der Gerichtskanzlei ein Notar), obwohl er formell noch nicht zur Besetzung des Gerichts gerechnet wurde. Mit der Vertretung der finanziellen Interessen des Königs wie des Eeiches war der seit Anfang des 15. Jahrhunderts nachweisbare Fiskalprokurator (S. 564) betraut. Überhaupt scheinen bei der Einführung des Kammergerichts die Ansprüche der königlichen Kammer, zumal bei der Verfolgung von Majestätsverbrechen und der Eintreibung von Strafgeldern (auch solchen die auf die Verletzung königlicher Gebote oder durch Strafklauseln auf die Verletzung privater Abmachungen gesetzt waren) im Vordergrund gestanden zu haben, und selbst der Name „Kammergericht" dürfte, wie L E C H N E B vermutet, hierin seine Erklärung finden. Da das Kammergericht die Person des Königs bedeutete, so durfte es sich über alle Appellations- und Evokationsprivilegien, die dem Reichshofgericht so vielfach entgegenstanden, hinwegsetzen, während es sich im übrigen nach Ort, Zeit und Art seiner Sitzungen durchaus den für das letztere anerkannten Normen anschloß. In den späteren Regierungsjahren Friedrichs III ruhte das Kammergericht fast ganz. Unter Maximilian I wurde es wieder aufgenommen, aber eine tiefgreifende Reform war unabweisbares Bedürfnis. Sie erfolgte 1495, indem das königliche in ein gesetzlich geordnetes Reichskammergericht umgewandelt wurde. 2. Die L a n d f r i e d e n s g e r i c h t e . Eine Mittelstellung zwischen dem das ganze Reich umfassenden Königsgericht und den auf die einzelnen Gaue beschränkten Landgerichten der Grafen nahmen in der karolingischen Verfassung die Beamten tage der misscUica ein. Der eine (S. 139) wurde von den Königsboten sofort bei Eröffnung ihrer amtlichen Tätigkeit berufen, er war ein Botdiüg mit bestimmtem Vorsitzenden und sollte 69 Die Annahme, daß die Hofmeister das Amt eines Kammerrichters gehabt hätten (SEELIGEB), ist aufzugeben. Auch sie wurden nur in Einzelfällen dazu berufen. Die Gerichtsurkunden des Kammergerichts wurden stets als Urkunden des Königs ausgefertigt, weil sie als der Ausdruck seiner persönlichen Rechtsüberzeugung galten. Nur wenn der König selbst Partei war, erschien sein Vertreter im Gerichtsvorsitz als Aussteller.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

2. Landfriedensgerichte.

567

vornehmlich der allgemeinen Rechtsordnung dienen; gerichtliche Geschäfte waren nicht ausgeschlossen, standen aber in zweiter Reihe. Der zweite Beamtentag war ein Landfriedensgericht ohne bestimmten Vorsitzenden, eine allgemeine Versammlung der Grafen und Bischöfe, bei der die Bestrafung der Friedbrecher die Hauptaufgabe bildete, aber auch sonstige Maßnahmen zur Wahrung der Rechtsordnung ins Auge gefaßt werden konnten 6 0 . Derartige Versammlungen, die man als Landfriedensgerichte bezeichnen kann, lassen sich durch alle Jahrhunderte des Mittelalters verfolgen 6 1 . Mit der zur Bekämpfung der Fehde bestimmten eigentlichen Landfriedensgesetzgebung des Mittelalters nahmen sie einen bestimmteren Charakter an und erhielten eine festere Organisation 62 . Allem Anschein nach sind aus den karolingischen Beamtentagen die Hof- und Landtage der Staminesherzöge hervorgegangen, die zugleich als herzogliche Gerichte dienten und mit der den Herzögen besonders anvertrauten Wahrung des Landfriedens (im älteren wie im neueren Sinne) mehr oder weniger eine obergerichtliche Tätigkeit gegenüber den Landgerichten verbanden 6 3 . Das Herzogtum des Bischofs von Würzburg bestand in der 60 Vgl. S. 182. Karl der Große faßte den Zweck dahin zusammen: eommimia placita tarn ad latrones distringendos quam ad celeras iustitias faeiendas. Wenn der Kaiser dabei nur von Versammlungen der Grafen spricht, so zeigen die sonstigen Nachrichten, daß auch die Bischöfe regelmäßig erschienen, oft sogar eine führende Stellung bei den Versammlungen einnahmen. 41 Vgl. W A I T Z 4, 411ff. 7, 129. S T E I N D O B F F De duc. Bill. 91ff. W E I T E N D Sachs. Herzogtum 65. v. P O S E R N - K L E T T Verfassung der Markgrafschaft Meißen 26. SCHRÖDER Ger.-V. d. Sachsensp. 17. 21 n. 3 . 22f. H Ü B E R T I , ZEG. 26, 156ff. W A R T MANN, UB. v. St. Gallen 2 Nr. 680 (890). D R O N K E Trad. Puld. 138 (1058): eonventus fidelium prindpum de paee facienda et sedenda latronum tyrannide et raptorum compensanda seditione, zu Othalmeshusen in Ostfranken, anwesend der Abt von Fulda und verschiedene Grafen und iudiees. Vor der Versammlung vollzieht die Gräfin Albrat eine Auflassung an Fulda. Beachtenswert auch die bei Thietmar v. Merseburg Chron. 4, 26 erwähnte Magdeburger Fiirstenvereammlung von 998, in der über die Entführung einer Tochter des Markgrafen Ekkehard verhandelt wurde. Vgl. jedoch n. 25. 61 Vgl. die § 53 n. 1 u. 17 und § 55 n. 4ff. angeführte Literatur. G I E R K E Genossenschaftsrecht 1, 501 ff. 63 Vgl. W A I T Z 7, 125ff. 8, 44ff. C . F. STALIN Wirtemb. G. 2, 677. R O S E N THAL a. a. 0 . 109 ff. R I E Z L E R Bayer. G. 1, 730. H E I O E L U . R I E Z L E R Herzogt. Bayern 152ff. 188. 190. 194. 197. W E I L A N D Sachs. Herzogtum 129ff. 174ff. L I N D N E R Verne 349f. W. S I C K E L Wesen des Volksherzogtums, Hist. Z. 16, 438f. 442f. 459 (dieser Schrift ist nur vorzuwerfen, daß sie die Stammesherzogtümer des deutschen Reiches zu sehr mit denen der merowingischen Zeit gleichstellt und mit diesen auf dieselbe Grundlage zurückführt). Auf die Herzogsgewalt des Erzbischofs von Köln in Ribuarien (S. 402) ist wohl eine unter seinem Vorsitz abgehaltene Gerichtsverhandlung bei v. D. B E B G H Oorkondenb. v. Holl, en Zeeland 1 Nr. 154 (vor 1177) zu beziehen; sie spricht dafür, daß jene Herzogsgewalt nach Westen noch über die altribuarischen Grenzen hinausgriff. Nach der Teilung des Herzogtums Sachsen 1180 bestanden in Westfalen keine einheitlichen Verhältnisse, indem der Erzbischof von Köln die herzogliche Gewalt nur in den westfälischen Teilen seiner Erzdiözese und in der Diözese Paderborn erlangte, die Diözesen Minden und Osnabrück dagegen zu dem den Anhaltinern verliehenen Herzogtum Engern ge-

568

Mittelalter.

allmählich auch auf Immobiliar- und Freiheitsprozesse ausgedehnten Landfriedensgerichtsbarkeit über ganz Ostfranken, später wenigstens über die ganze "Würzburger Diözese, auch wo sie die Grenzen des bischöflichen Territoriums überschritt64. Auch die Stellung der thüringischen Landgrafen erklärt sich einzig aus ihrem Vorsitz in den thüringischen Landfriedensgerichten a5. Die seit dem 13. Jahrhundert in den Vordergrund tretenden Landfriedensbündnisse ordneten regelmäßig für die Dauer der Einung die Bildung amtlicher Landfriedensausschüsse mit bestimmt abgegrenzten Bezirken an 66 . Die Ausschüsse hatten alle zur Wahrung des Landfriedens erforderlichen Verwaltungsmaßregeln anzuordnen, die Friedbrecher abzuurteilen und ihre Bestrafung zu bewirken. Soweit es sich um Reichskommissionen handelte, standen diese als Landfriedensgericht durchaus an des Königs Statt Von Reichs wegen gab es verschiedene Landfriedensbezirke (namentlich Niederrhein, Westfalen, Sachsen, Thüringen, Elsaß), die den späteren Reichskreisen als Vorbild gedient haben. An der Spitze stand in der Regel ein Landvogt oder Landfriedenshauptmann (advocatus principalis, adv. provincialis, iudex generalis), neben ihm fünf bis fünfzehn Beisitzer (conservatores pacis, assessores pacis, iudices pacis). Der meistens vom König ernannte Hauptmann war anfangs regelmäßig ein Fürst, seit Ende des 13. Jahrhunderts wurden aber mit Vorliebe die Reichslandvögte (S. 517) zu diesem Amt berufen. Wo der Landfrieden auf der Landeshörten und die Bischöfe von Münster in ihrer Diözese selbst herzogliche Rechte zu behaupten wußten. Vgl. GBAUERT Herzogsgewalt in Westfalen 1 1 ff. 26 ff. LINDNEB Verne 337ff.349ff.352 f. Manche Spuren lassen vermuten, daß Heinrich der Löwe für die sächsischen Länder, in denen er die herzogliche Gewalt ausübte, ein herzogliches Obergericht begründet hatte. Aus Westfalen gab es einen Rechtszug nach der Brücke bei Lauenburg (vgl. GBAUEBT a. a. 0. 39 ff. LINDNEB Verne 342 f. LACOMBLET UB. 4, 303 n.), während die Gebiete des sogenannten schwerinischen Rechts in Pommern und Meklenburg ihren Oberhof in Siebeneichen bei Büchen in Lauenburg hatten. Der Rechtszug nach Siebeneichen könnte mit Provinziallandtagen Heinrichs des Löwen für die slawischen Grenzmarken zusammenhängen. Vgl. W E I L A N D a. a, O. 164 f. HOHEYEB Richtsteig Landr. 5 1 1 . FABBICIÜS, Hans. G.-Bl. 22, 1 4 ff. M Unsere in der ersten Aufl. S. 537 ausgesprochene Vermutung ist durch die treffliche Untersuchung von ZALLINGER Das würzburgische Herzogtum, Mitt. d. öst. Inst. 11 (Sonderabdruck 8. 11 ff. 24 ff. 39) bestätigt worden. Anderer Meinung E . MAYER, Deutsche Z . f. G W . N F . 1, 2 1 7 ff. 66 Vgl. S. 515. Seit dem 14. Jh. stehen die Landgrafen nicht mehr an der Spitze der Landfriedensgerichte, aber der Zusammenhang ist insoweit gewahrt geblieben, als das alte landgräfliche Gericht zu Mittelhausen 1316 und 1325 als Landfriedensgericht des Grafen Günther von Schwarzburg wieder auftaucht. Vgl. FDG. 16, 536ff. HEKQOET UB. v. Mühlhausen S. 32 n. Nr. 702. 807. SCHÜLTES Directorium dipl. 2, 113 (1154). SCHENK ZU SCHWEINSBERO, Arch. d. Ver. f. hess. G. 13, 446. 540 f. 69 Vgl. FRANKLIN RHG. 2 , 2 5 ff. GIEBKE Genossensch.-R. 1, 5 0 7 f. GBAUEBT a.a.O. 130FF. WYNEKEN Die Landfrieden in Deutschland von Rudolf I bis Heinrich VII (1886) 26 ff.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

3. Landgerichte.

569

gesetzgebung oder auf territorialen Landfriedenseinungen beruhte, wurden ähnliche Ausschüsse territorialen Charakters gebildet 87 . Von größerer Bedeutung als die immer nur auf begrenzte Zeit eingesetzten Landfriedensausschüsse sind die aus dem Gottesfrieden hervorgegangenen korporativen Bildungen geworden 68 . Der erste im deutschen Reich verkündigte Gottesfrieden war der für die Diözese Lüttich von 1082, ihm schlössen sich die für die Diözesen Köln (1083) und Bamberg (1085) an 6 9 . Während der Lütticher Gottesfrieden ein Friedensgericht aus dem Adel und Klerus, unter Vorsitz des Bischofs, ins Auge faßte, erklärten die beiden anderen die Durchführung ihrer Bestimmung ausdrücklich für eine Aufgabe des Volkes' 0 und legten damit den Grund zur Ausbildung von Gemeindeorganen, die auf dem Gebiet des Gerichtswesens und der städtischen Verfassung die größte Bedeutung erlangt haben. 3. D i e L a n d g e r i c h t e 7 1 . Die öffentliche Gerichtsverfassung war bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts im wesentlichen überall im Reiche dieselbe. Sie beruhte auf den karolingischen Einrichtungen, nur die Schöffenverfassung war in den Gebieten des alamannischen und namentlich des bairischen Rechts nicht überall durchgedrungen oder frühzeitig wieder außer tTbung gekommen (das Urteil wurde hier vielfach von einem in jedem Ding neu gebildeten Ausschuß von Beisitzern oder „Richtern" gefunden); in Sachsen waren Schöffen wenigstens bei den Untergerichten (den Godingen) nicht heimisch geworden. «' Vgl. W Y N E K E N a. a. 0 . 63ff: 90f. 94. 99. K Ü H N S a. a. 0 . 1 , 253ff. 2, 1 0 5 F F . 98 Vgl. § 53 n. 2. NITZSCH Heinrich IV und der Gottes- und Landfrieden,

FDG. 21, 269 ff.

88 MG. Const. 1, 602. 605. Der Bamberger Gottesfrieden galt früher für einen 1085 auf einem Mainzer Konzil im Beiwesen Heinrichs IV beschlossenen Gottesfrieden für das ganze Reich, dessen Text aber verloren gegangen ist.

" Vgl. Kölner Gottesfr. c. 15: Non magis in comitum, vel tribunorum vel potentum, quam in totim eommuniter populi potestate et arbitrio constabit, ut vindiotas superius dictatas violatoribus sanctae pacis inferant. " Außer der S. 557 aufgefühlten Literatur vgl. THÜDICHUM Gau- und Markverfassung 1—112; EG. der Wetterau 1867; Zur RG. der Wetterau, 2 Teile 1874—85. W I P P E R M A N N Zur Staats- und RG. der Wetterau, ZDR. 16. L A N D A U Beschreibungen des Gaues Wettereiba 1855; Beschreibung des Hessengaues 1857. B O D M A S N Rheingauische Altertümer 567ff. 594—684. LAMPRECHT WL. 1, 170—238. GBÜPEM Observationes (1763) 427ff. (Von Zentgerichten). ROCKINOER Magister Lorenz Fries zum fränkisch-wirzburgischen Rechts- u. Gerichtswesen, Abh. d. Münch. Ak. 11, 1871; Über fränkisch-wirzburg. Zentbücher, Münch. SB. 1872, 141 ff. S T Ü V E Untersuchungen über die Gogerichte in Westfalen u. Niedersachsen. 1870. SCHMITZ Gogerichte im Herzogtum Westfalen, Münst. Diss. 1901. J . M E B K E I Das Gericht auf dem Leineberge, Protokolle des Vereins f. G. Göttingens 1895 S. 83 ff. SAMSON De personarum et iudiciorum ordine ex Speculo Sax. cum eo qui per Guestphaliam vigebat, Berl. Diss. 1866. v. W Y S S Beitr. z. Schweiz. R G . , 2 Teile (Abdruck aus Z. f. Schweiz. R. 17. 3ff. 18, 19ff.; Abhandl. z. G. d. Schweiz, öffentl. Rechts 163 ff.).

Mittelalter.

570

Die Grafschaften, obwohl durch zahlreiche Exemtionen auf Grund königlicher Immunitätsprivilegien durchbrochen72 und unter dem Einfluß des Lehnrechts zu erblichen Territorien gestaltet, hatten doch bis zum 13. Jahrhundert ihren Amtscharakter noch nicht verloren. Dieser zeigte sich einmal in der unten zu besprechenden Vorschrift, daß niemand die gräfliche Gerichtsbarkeit ausüben durfte, der die Befugnis dazu (den „Königsbann") nicht unmittelbar vom König erworben hatte. Sodann in dem Verbot einseitiger Verfügungen des Inhabers der Grafschaft zum Nachteil der letzteren: er durfte diese ohne königliche Genehmigung weder teilen, noch durch Exemtionen schwächen73 oder durch Verlegung der Dingstätten verändern74, sie auch nur unter bestimmten Beschränkungen weiter verleihen. Jede Grafschaft mußte mit einem eigenen Grafen oder Vizegrafen besetzt sein und durfte nicht über Jahr und Tag ledig bleiben 75 . Die Vereinigung mehrerer Grafschaften in derselben Hand war ausgeschlossen 7e . Hatte also ein Fürst mehrere Grafschaften, so konnte er doch nicht allen in Person vorstehen, sondern mußte Vizegrafen einsetzen, wenn nicht mit königlicher Genehmigung die Vereinigung zu einer einzigen Grafschaft zu erreichen war77. 72 Im allgemeinen hatte der König bis zum 13. Jh. das unbedingte Recht zur Erteilung von Exemtionen, ohne der Zustimmung der davon betroffenen Inhaber der Grafschaft zu bedürfen. Die früheste Wendung zugunsten der letzteren enthält das Privilegium minus von 1156 für Österreich, an das sich ein Privileg für den Bischof von Würzburg von 1168 anschloß. Erst der Einfluß des Lehnwesens schützte die Grafen allgemein vor derartigen Benachteiligungen durch den König. Ihre Zustimmung erteilten sie zunächst in lehnrechtlicher Form durch Auflassung ihrer gräflichen Rechte über das zur Exemtion bestimmte Gebiet an den König. Befand sich die Grafschaft in Afterleihe, so mußte die Auflassung durch alle beteiligten Hände gehen. Später wurde es üblich, daß der Inhaber der Grafschaft unter Zustimmung des Königs die Exemtion erteilte. Vgl. B R U N N E S Exemtionsrecht 3ff. 17ff. 31 ff. 50f, 54ff. 58ff. '» Vgl. Ssp.III 53 § 3. 64 § 5. Schwsp. Laßb. 121b. Reichsurteile von 1174 und 1283 (MG. Const. 1, 337. 3, 332). HOMEYER a. a. 0. 536 f. SCHULZE Recht der Erstgeburt 108 ff. SCBKÖDEB Gerichtsverfassung 49. Der Herzog von Österreich übte seit Ende des 12. Jh. das Recht aus, auf eigene Hand Exemtionen zu erteilen, wobei die königliche Bestätigung nur ausnahmsweise, und dann erst nachträglich eingeholt wurde. Was anfangs reine Anmaßung war, wurde durch die Übung sanktioniert, von Friedrich II später ausdrücklich anerkannt. Vgl. BRUNKER a. a. 0. 34ff.44 ff. 54 ff. 59 f. LUSCHIN VON EBENQREÜTH a. a. 0. 17. Beispiele aus anderen Territorien bei SCHRÖDER a. a. O. 35 f. Bremisches UB. 1 Nr. 86 (um 1200). UB. d. hist. Ver. f. Niedersachsen 2 Nr. 310 (1255). 74 Vgl. BÖHMES Acta imperii sei. Nr. 5 2 0 ( 1 2 9 7 ) . " Vgl. n. 104. § 45 n. 12. Sachs. Lehnr. 71 § 3. Schwäb. Lehnr. 133. FIOKEB Entstehungszeit des Schwabenspiegels 132. HOMETER a. a. 0. 539. 77

V g l . SCHRÖDER a . a . 0 .

49.

Seit die Ministerialen die allgemeine Dingfähigkeit erlangt hatten (S. 455. 504 n. 4), wurden die Vizegrafen vielfach aus ihren Reihen genommen. Dabei scheint es nicht selten vorgekommen zu sein, daß einem solchen Ministerialgrafen nur die gräfliche Gerichtsbarkeit verliehen wurde, während der Landesherr sich die übrigen Grafenrechte vorbehielt. Vgl. S. 590.

§ 49. Gerichtsverfassung.

3. Landgerichte.

571

Jede Grafschaft oder jedes Landgericht besaß mehrere echte Dingstätten (Dingstühle, Königsstühle, Schrannen), die sich in den fränkischen und schwäbischen Gebieten auf die Hundertschaften oder Zenten, in Sachsen auf die Goe, d. h. die kleinen, von Karl dem Großen zu Grafschaften vereinigten altsächsischen Gaue (S. 177), verteilten. Als geringstes Maß einer sächsischen Grafschaft erscheinen drei Goe mit drei Dingstätten ' 8 . Auch die bairischen Landgerichte, obwohl ihre Bezirke („Pflegen") nicht in Untergerichtsbezirke zerfielen, hatten regelmäßig mehrere Schrannen, die auf verschiedene Orte des Gerichtsprengeis verteilt waren79. Die Grafen (Landrichter, Pfleger) bereisten ihren Amtsbezirk, indem sie in alter Weise an den einzelnen Dingstätten in der Regel dreimal jährlich das echte Ding, nach Bedürfnis unter Hinzufügung eines Afterdinges, abhielten80. Jedes Gericht war für die ganze Grafschaft zuständig, auch in den fränkischen Landesteilen war es nur in seiner Form Hundertschafts-, in seiner Zuständigkeit dagegen Landgericht (iudicium provinciale s. comitiale) für die ganze Grafschaft81. Die Zuständigkeit der Landgerichte erstreckte sich auf alles in der Grafschaft belegene Eigen82, ferner auf Freiheitsprozesse und Ungerichtsklagen gegen Personen die in der Grafschaft ansässig waren oder Grundbesitz hatten, mit Ausnahme der Fürsten und Fürstengenossen, die ihren 18 Vgl. SCHRÖDER a. a. 0 . 3 . 6 2 . Je fünf Goe bei Adam. Brem, gesta Hammah. eccl. 1, 13. ™ Vgl. S . 1 7 9 . ROSENTHAL a. a. O . 4 9 ff. 9 3 f. Das bairische Landgericht war ordentliches Hoch- und Niedergericht für den ganzen Sprengel. 80 Vgl. W A I T Z 8, 52f. SCHRÖDER a. a. O . 34. 43. 45ff.; Hist. Z . 43 , 448ff. THÜDICHDM Gau- und Markverfassung 62 ff. 62 ff. 107 ff. BADMANN Gaugrafschaften im wirtemb. Schwaben 50. 53. 63. 120. 137. GRIMM R A . 837; Weistümer 7, 267. Ssp. I 2 § 6. Die dreitägige Dauer des echten Dinges, die allmählich außer Übung kam, ist noch mehrfach bezeugt. Vgl. S . 575. 576 n. 598. GRIMM Weistümer 1, 184f. 4, 365, 6. 366, 3. 368, 2. 421. 5, 15. 17, 7. LUSCHIN a.a.O. 54. L I N D N E B Verne 539. Bezeichnungen des echten Dinges bei W A I T Z 8, 47 f. GRIMM Weist. 7, 260 ff. „Leuteding" (lutthiny) begegnet in Friesland, Holstein und der Altmark (RICHTHOFEN Rechtsqu. 27. 40 f. E O H N S a. a. O. 2, 95 f. SCHRÖDER a. a. 0 . 45). Vgl. S. 23 n. Anklingend die Bezeichnung des Drenther Eidstuhls als lotting, woneben auch wijssheit van den lande begegnet (FEITH Ordelboek 1. 8. 14f. 40. 92). Die Bezeichnung goding kommt in Holstein auch für das Landgericht, sonst in Sachsen nur für das Niedergericht vor. 81 Vgl. SCHRÖDER Gerichtsv. 3f. 9. 1 2 . 1 4 . 2 8 . 3 1 . 4 0 . 4 5 . Eine lehrreiche Urkunde aus dem bairischen Nordgau bei CHMEL Regesta Ruperti 2 2 3 : der Pfleger und Landrichter von Auerbach hielt am 20. Aug. oder 10. Sept. 1404 ein Landgericht zu Auerbach; in der dort verhandelten Sache wurde am 8. Okt. unter demselben Richter auf dem Landgericht zu Schnaitach fortgefahren. Vgl. auch P E T Z , GRAUERT U. MAYERHOFER Drei bairische Traditionsbücher ( 1 8 8 0 ) pg. 1 2 . Häufig wurden von den mehreren Dingstätten einer Grafschaft einzelne besonders bevorzugt, aber Landgerichte mit nur einer Dingstatt sind erst durch den Verfall der mittelalterlichen Gerichtsverfassung aufgekommen. 82 Vgl. PLANCK Gerichtsverfahren 1, 4 7 ff. STOBBE Grundsätze der deutsch. Rechtsquellen über den Gerichtsstand 4 3 4 F F . SCHRÖDER a. a. 0 . 3 f . 3 3 . Auch Reichsfürsten hatten ihr Eigen im forum rei sitae zu vertreten. Vgl. Reichsurteil von 1 2 2 6 , bei FICKER Eigentum am Reichskirchengut 1 3 9 .

Mittelalter.

572

persönlichen Gerichtstand vor dem König hatten (S. 559). Die Ungerichtsklagen beschränkten sich auf die innerhalb der Grafschaft begangenen Verbrechen; was auswärts begangen war, unterlag der Verfolgung nur im Fall der Reichsacht83; eine Auslieferung an das forum delicti commissi kannte das Mittelalter nicht 84 . Dagegen waren die Gerichte, solange eine Missetat nicht übernächtig geworden war, befugt, auf handhafter Tat Ertappte, auch wenn sie Gerichtsfremde waren, festzunehmen und sofort abzuurteilen, entlaufene auch in benachbarte Gerichte zu verfolgen und sie, wenn- man ihrer nicht habhaft wurde, zu verfesten85. Der Graf hatte daher bei handhafter Tat sofort ein Notgericht abzuhalten, zu dem durch Landgeschrei geladen wurde86. War der Graf nicht zur Stelle, so konnten die versammelten Schreimannen auch einen anwesenden Unterrichter zum Notrichter kiesen87. Außer dem Fall der handhaften Tat war das Gericht für Gerichtsfremde nur zuständig wegen einer in diesem Gericht übernommenen Bürgschaft, oder für den Fall einer Rechtsverweigerung, oder wenn der Fremde seinerseits in anderer Sache bei demselben Gericht geklagt hatte88. Der Dingpilicht am Landgericht unterlagen mit Ausnahme der Fürsten und Fürstengenossen alle in der Hundertschaft oder im Go, in Baiern alle in der Pflege angesessenen oder begüterten Freien, Edele wie Gemeinfreie, seit Mitte des 13. Jahrhunderts, zum Teil schon früher, auch die Ministerialen89. Die Immunitätsleute waren vielfach von der öffentlichen Dingpflicht befreit90. Auf Angehörige anderer Hundertschaften derselben Grafschaft erstreckte sich die regelmäßige Dingpflicht nicht, nur auf besonderen Befehl des Grafen trat die ganze Grafschaft zu einem Botding zusammen91. 88

M 86

a. a. 0 .

Vgl.

S s p . I I I 2 5 § 3.

148.

Vgl.

THÜDICHÜM

87

Vgl.

S. 176.

88

STOBBE

1,

74.

STOBBE a . a . O . 4 4 9 ff.

88

PLANCK

PLANCK

Vgl. PLANCK 1 , 7 4 . v. MARTITZ Intemation. Rechtshilfe in Strafsachen 2 7 1 . Vgl. Ssp. I I I 25. 3 5 . 7 1 § 6. I I I 25 § 2. PLANCK 1, 74f. 759ff. MARTITZ

1,

10.

Vgl.

Gau- u. Markverfassung

Ssp. I

55

§ 3.

III

ff.

SCHRÖDER a . a . 0 .

f.

Weistiimer 3,

SOHM R . - U. G V .

Ssp. I 60

71

§ 2. 5 6 f. 71. 440 25

§ 2.

a . a . O . 441. 443ff. 447f. 452f.

GRIMM 78

§ 3.

SOHM

87 §§ 2—4.

a . a . O . 327.

66;

ZRG.

24,

244.

PLANCK 1 , 7 2 f .

76f.

687.

Studien Reichsurteil von 1218, OSENBHÜGOEN

zur deutschen u. Schweiz. RG. 19—68 (Gastgerichte). BÖHMER Acta imperii Nr. 270. 88 Vgl. S. 455. PLANCK a. a. 0. 52 f. ZALLINGER Schöffenbarfreie 20 ff. 256 ff. SCHRÖDER a. a. 0. 51 ff. ERHARD Westf. UB. Nr. 198 (1126). Daß in den ostfälischen Landgerichten auch die Pfleghaften dingpflichtig waren, ergibt sich aus Ssp. I 2 § 3 (De plechhaftm sint ok plichtieh). Dasselbe galt für die freien Landsassen, wofern sie mit einem freien Gute beliehen waren (Sachs. Lehnr. 73 § 2). Vgl. PLANCK Ger.-Verfahren 1, 54 und (gegen HECK) A M I R A , ZRG. 40, 384, 387f. Unrichtig SCHRÖDER Ger.-V. 51 f. 90 Wo die Immunität die hohe Gerichtsbarkeit besaß, verstand sich dies von selbst, aber auch niedere Immunitäten erwarben häufig Befreiung vom Besuche des Landgerichts. Vgl. BRUNNER a. a. 0 . 2 7 . 5 1 . SCHRÖDER 5 3 n. 2 . 91

Vgl.

S. 175.

THODICHUM a . a . 0 .

82

ff.

SCHRÖDER 4 6 f .

WYSS a. a. 0 .

2, 52.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

3. Landgerichte.

573

Die Schöffen, deren Stellung im übrigen der karolingischen Verfassung entsprach, gehörten durchweg, ohne Unterschied zwischen Edeln und Bauern, dem Stande der Freien an. Nur in Ostfalen und wahrscheinlich auch in Thüringen und Holstein beschränkte sich die Schöffenbarkeit im allgemeinen auf die Edelen, während die Gemeinfreien (Pfleghafte wie Landsassen) ausgeschlossen waren 9 2 . Dagegen wußten sich die altfreien Ministerialen seit Anfang des 13. Jahrhunderts ungeachtet ihrer Standeserniedrigung in der Schöffenbarkeit zu behaupten, was dann bald von selbst dahin führte, die Ministerialen überhaupt zum Schöffenamt zuzulassen; sie sind seitdem sogar die berufensten Träger dieses Amtes geworden 93 . Regelmäßig war die Fähigkeit zum Schöffenamt durch Grundbesitz bedingt; ihre Verbindung mit bestimmten Gütern und die Erblichkeit der Sehöffenstühle war aber in dem hier in Betracht kommenden Zeitabschnitt noch wenig ausgebildet 94 . Die zur ordnungsmäßigen Besetzung des Gerichts notwendige Zahl der Schöffen belief sich in alter Weise auf sieben, vielfach bildeten zwölf oder vierzehn die Regel, üb die Schöffen zunächst für eine einzelne Hundertschaft ernannt wurden und an anderen Dingstühlen der Grafschaft nur aashalfen, oder ob sie von vornherein Grafschaftschöffen waren, läßt sich nicht sicher ermitteln. Die aktive Beteiligung der Gerichtsgemeinde oder des Umstandes beschränkte sich auf das Recht jedes Einzelnen, das von einem Schöffen vorgeschlagene Urteil, bevor es die Vollbort erlangt hatte, zu schelten und ein Gegenurteil zu finden. Das nicht gescholtene, von den Schöffen angenommene Urteil galt auch als vom Umstand gebilligt; ein besonderer Akt der Vollbortserteilung fand nicht mehr statt 9 6 . I m Gebiet des bairischen Rechte lassen sich die Schöffen nur bis Mitte des 13. Jahrhunderts verfolgen. Ihre Stelle nahmen seitdem die Beisitzer oder „Vorsprecher des Rechtens" ein, die vom Richter an jedem Dingtag besonders berufen wurden, und zwar anscheinend nicht schlechthin aus der Mitte der Gerichtsgemeinde, sondern aus einem engeren Kreise von Dinggenossen die für eine der116. 138 f. SOHM R.- u. GV. 433 n. 128. PLANCK a. a. 0. 54 n. 10. L I N D N E B Verne 538. Die entgegengesetzte Ansicht von W A I T Z 8, 55, die auch von ZALLINGER a. a. 0 . 237 n. noch nicht ganz überwanden ist, beruht auf mißverständlicher Auffassung der Botdinge (vgl. SCHRÖDER 34. 43. 46; Hist. Z. 43, 448). Daß übrigens Ladungen zum echten Ding auch an Angehörige anderer Hundertschaften derselben Grafschaft ergehen konnten, wenn ihre Anwesenheit als Parteien oder Zeugen erforderlich war, versteht sich von selbst. Vgl. SOHM 332 n. 12. 98 Es ist ein wesentliches Verdienst der wiederholt angeführten Untersuchung ZALLINOEBS, über diesen Umstand aufgeklärt zu haben. Über Thüringen vgl. meine Gerichtsverfassung 52 n. ZALLINGER 222 n. Die entgegenstehenden Ausführungen von H E C K widerlegt A M I R A a. a. 0 . _ 93 Vgl. ZALLINGER 268f. W A I T Z 8, 5 5 . Es gab eine gewisse Übergangszeit, die den Ministerialen wohl Teilnahme an der Vollbort, aber noch nicht an der Urteilsfindung gewährte. Vgl. H E C K a. a. 0 . 256 ff. 84 Gegenüber Ssp. III 26 §§ 2, 3 vgl. ZALLINGER 227 ff. 95 Immerhin mußte die Zustimmung des Umstandes durch den Richter festgestellt werden. Vgl. W A I T Z 8 , 6 0 f.

Mittelalter.

574

artige Tätigkeit ein für allemal in Eid und Pflicht genommen waren96. In Oberbaiern beschränkte sich ihre Aufgabe seit dem Landrecht von 1346 auf solche Fälle, die in dem Buche nicht vorgesehen waren, während im übrigen der Richter unmittelbar „nach des Buches Sage" den Spruch zu fällen hatte und die Beisitzer nur um des Dingzeugnisses willen da waren97. Gegenüber der karolingischen Verfassung, die das Amt des Gerichtsvollziehers mit dem des Unterrichters verband, war es ein erheblicher Fortschritt, daß die mittelalterlichen Landgerichte größtenteils einen eigenen, vom Grafen eingesetzten Beamten für Botendienst und Urteilvollstreckung (Scherge, Fronbote, Weibel, Büttel, budellus, praeco) besaßen98. Seine Anwesenheit gehörte in Sachsen zur ordnungsmäßigen Besetzung des Gerichts99. Des Niederrichters bedurfte es im Grafending nur wo sich, wie in der Schweiz, die altfränkische Verbindung des Fronbotenamtes mit dem des Schultheißen (S. 134) erhalten hatte. Bei den Ostfalen, Thüringern und Holsteinern scheint das Amt des Fronboten erst durch Abzweigung von dem des Schultheißen (praefectus, overbode) entstanden zu sein 10°. Dieser empfing sein Amt vom Grafen zu Lehen. Er mußte dem einheimischen Herrenstande angehören und hat ursprünglich wohl die Stellung eines Vicecomes eingenommen. Er war der unentbehrliche Beisitzer des Grafen im echten Ding und hatte ihm, wie anderwärts wohl der Fronbote, die Eröfifnungsurteile bei der Dinghegung zu finden. Den anwesenden Grafen konnte er im Vorsitz vertreten; bei Klagen gegen den Grafen selbst, soweit dieser nicht seinen Gerichtsstand vor dem Reichshofgericht hatte, war er der stellvertretende Richter. Außerdem stand ihm das Niedergericht über die in der Grafschaft ansässigen Pfleghaften zu101. 98

Vgl. S. 179. 576. ROBENTHAL a. a. 0. 66ff. RIEZLEB, G . Baierns 1,266ff. 752f. 2, 178; FDG. 18, 526f. LÜSCHIN V. EBENOREÜTH a. a. 0 . 135ff. BBUNNER Herkunft der Schöffen 185 (Forschungen 257). MERKEL, ZRG. 1, 146 ff. Daß das Schöffenamt im 13. Jh. auch in Schwaben nicht mehr als allgemeine Einrichtung bestand, zeigt die schon oft hervorgehobene Unsicherheit des Ausdrucks im Schwsp. L. 145. 172. 190 286*. 87 Vgl. ROSENTHAL 74 ff. RIEZLEB, G. Baierns 2, 544 f. 98

V g l . WAITZ 8 , 7 9 f.

PLANCK a . a . 0 .

91

ff.

GBIMM R A . 7 6 5

ff.

ECKERT a . a . O .

Glossar. 205f. 535ff. 1612. 2050. SCHRÖDER Ger.-V. 51; Schultheiß 8n. ROSENTHAL 79ff. Der sächsische Fronbote war kein Diener des Grafen, sondern ein vom Grafen und den Schöffen aus der Reihe der freien Bauern erkorener königlicher Beamter (Ssp. III 56 § 1). Zu seinen Amtsbezügen gehörte auch jede zehnte Halslösung verurteilter Verbrecher (§ 36 n. 2). »» Vgl. SCHBÖDEB Ger.-V. 5 1 . 6 2 . ECKEST Fronbote 3 5 ff. ,00 Vgl. S . 1 7 8 . SCHBÖDER Ger.-Verf. 29f.; Schultheiß 2f. 9 n. 13f. v. SCHOBERT KG. Schlesw.-Holsteins 1 3 3 n. BUBCHABD Hegung 2 8 6 ff. 101 Die von dem Verfasser bisher vertretene Annahme, daß das Niedergericht des sächsischen Schultheißen, entgegen den Angaben des Sachsenspiegels, erst einer späteren Entwicklungsstufe angehört habe, iBt aufzugeben. Ebenso unbegründet ist aber der Versuch von HECK (Biergelden 53ff.; Sachsenspiegel u. Stände

HALTAUS

§ 49.

Gerichtsverfassung.

3. Landgerichte.

575

Gerichtschreiber gehörten bis zum 13. Jahrhundert nicht notwendig zur Besetzung der Landgerichte. In Baiern machte das Landrecht von 1346 den Gerichtschreiber obligatorisch102. Wesentlich anders als in den übrigen Teilen des Reiches war die f r i e s i s c h e Gerichtsverfassung gestaltet 103 . Der dem germanischen Gaufürsten und dem salischen Thunkin entsprechende Beamte war der abba (kok, hödere,

aldirmon,

praefectus

pagi),

der aber in der

barolingischen

Verfassung als Volksbeamter durch die königlichen Beamten, Graf und Schultheiß, in den Hintergrund gedrängt wurde und erst im späteren Mittelalter wieder zu Macht und Ansehen gelangte. Seit Karl dem Großen war der ordentliche Richter in dem auf peinliche Sachen beschränkten Landgericht der Graf oder ein vom König mit dem Königsbann belehnter Vizegraf104, der ordentliche Richter des auch auf Immobiliarsachen ausgedehnten Niedergerichts der vom Grafen eingesetzte Schulze (skeltata, bon), der wohl aus dem altfriesischen frana hervorgegangen war und dem zum Hundertschaftsrichter gewordenen fränkischen Schultheißen durchaus entsprach 105 . Der Schulzensprengel, der im wesentlichen dem sächsischen Gau (go) und der fränkischen Hundertschaft entsprach, hieß „Bann" (bon, ban, ombecht)106. In Ostfriesland umfaßte jede Landschaft (lond, land, terra) durchschnittlich vier solcher Bänne, in Mittelfriesland dagegen bis zu zwölf. Das Landgericht trat jährlich dreimal als echtes Ding (afte thing), jedesmal mit dreitägiger Dauer, zusammen, gewöhnlich wohl abwechselnd von Bann zu Bann und nur in besonderen Fällen als Voll-

70 ff.), dies Niedergericht in die Städte zu verlegen und den sächsischen Schultheißen zum Stadtschulzen zu machen. Vgl. AMIRA a. a. O. (S. 557). F E H B Fürst u. Graf 76 n. 3. 78 ff. 104

Vgl.

BOSENTHAI. a . a . 0 .

63.

108

Die bisher als grundlegend betrachteten Untersuchungen von H E C K , Altfriesische Gerichtsverfassung, sind neuerdings durch JAEKEL Abba, Asega und Redjeva, ZRG. 40, 114 ff., in den wesentlichsten Punkten als unrichtig erwiesen worden. Bei der Darstellung der fränkischen Zeit (S. 178) konnten die Ausführungen von JAEKEL noch nicht berücksichtigt werden. IM Vgl. Schiedspruch Friedrichs I über die Grafenrechte im Oster- und Westergo, v. D. BEBGH O o r k . - B . v. Holl, en Zeel. 1, 93 (1165): eligent sibi eomitem qui viees eorum gerat in praedieto comitatu, qui praesentatus ab eis domino imperatori batmum et potestatem iudicandi a manu domni imperatoris aecipiat, ei iuramentum praestabit. Der Vizegraf hieß auch battirus, baliu. 106 Die Lehnschulzen gehörten erst der späteren Entwicklung an. Bei v. D. BEBGH a. a. 0. I, 121 (1204) wird, im Gegensatz zu den feoda der inbeneficiati, das Schulzenamt zu den officia gerechnet. Als Beamter des Grafen bedurfte der Schulze keiner königlichen Bannleihe, im Landgericht dingte er bei seines Grafen Hulden, d. h. in Ausübung des diesem verliehenen Bannes. Vgl. RICHTHOFEN Rqu. 390 §§ 22—24. Vgl. n. 160. Der Vollstreckungs- und Botendienst lag in den Händen der ebenfalls vom Grafen ernannten „Banner" (botmere). Vgl. HECK

43.

IOS Fuldaer Urkunden bezeichneten den friesischen Bann als pagus, huntari oder mareha. Vgl. D R O N K E Trad. Fuld. 4 3 , 6 . 4 7 , 8 0 . 4 9 , 1 0 7 . H E C K 2 4 .

Mittelalter.

576

gericht der ganzen Landschaft 107 . Die Vertretung des abwesenden Grafen fiel wohl immer dem Schulzen der jedesmaligen Dingstatt zu. Das gewöhnliche Schulzengericht war kein Vollgericht, sondern wurde wahrscheinlich anfangs von zwölf zu jedem Tag besonders aufgebotenen Dingzeugen (koninges orhenen) besucht, an deren Stelle später die ein für allemal angestellten „Zwölfer" oder „Geschworenen" {tolva, attha, ghezworen) traten 1 0 8 . Die Urteilsfindung lag bei beiden Gerichten in den Händen der Asegen 109 . Da jeder Schulzensprengel einen Asega hatte, so kamen auf die ostfriesischen Grafschaften durchschnittlich je vier, auf die mittelfriesischen etwa zwölf Asegen. Die Asegen wurden von den Gerichtsgemeinden je auf ein J a h r gewählt, und zwar (wie in Baiern, S. 573f.) ausschließlich aus einem abgegrenzten Kreise von Edelingsfamilien, deren Mitglieder dem König ein für allemal den Amtseid des Asega geschworen hatten. Neben dem Asega gab es in jedem Schulzensprengel vier „Redjeven" (redieva, redia, ikSra), deren Hauptaufgabe in der Sachwürdigung und in der Beratung des Richters wie des Asega bestand. Statt des Dingvolkes hatten die Redjeven dem von dem Asega gefundenen Urteil die Vollbort zu erteilen. Auch die Redjeven wurden auf je ein J a h r gewählt, je einer in jedem Viertel des Schulzensprengels, so daß zu jedem Schulzengericht vier, zu einem ostfriesischen Landgericht aber durchschnittlich sechzehn Redjeven gehörten. Im späteren Mittelalter wurde die Wahl der Gerichtsgemeinde durch einen jährlichen Wechsel unter bestimmten Höfen, deren Besitzer (Edelinge) zum Redjevenamt berufen waren, ersetzt. Der von den Redjeven zu schwörende Amtseid wurde nicht dem König, sondern dem aldirmon (hddere) des Sprengeis geleistet.

107

Vgl.

HECK

28 f.

32.

RICHTHOFEN R q u .

395

§ 52.

v . D. B E B G H a . a . 0 .

2,

374f. Im westerlauwerschen Friesland wurden die drei echten Dinge jedes vierte Jahr in der Weise, vereinigt, daß zunächst jeder Schulze in seinem Bann ein doppeltes (sechstägiges) Ding abhielt, worauf sich nach drei weiteren Tagen alle Schulzen mit ihren Dingleuten unter dem Grafen zu einem allgemeinen Landesding mit dreitägiger Dauer versammelten. Die Aufgabe des letzteren war die Fällung des dem Grafen persönlich vorbehaltenen SchluBurteils (iudicium supremum, vgl. n. 158) bei Ächtungen und Todesurteilen. Das Ganze hieß Botding (ibodthing), das den Schluß bildende allgemeine Landesding auch fimelthing. Vgl. RICHTHOFEN Rqu. 3 9 0 § § 2 2 — 2 9 . H E C K 3 1 ff. HECK U . SIEBS, Z . f. deutsche Philol. 2 4 , 435ff. J A E K E L a.a.O. 1 2 2 . 1 3 8 . 10 » Vgl. H E C K 32f. 92ff. 337ff. v. D. B E B G H 2, 375. 506. Die Zwölfer hingen wohl mit den fränkischen Inquisitionszeugen und den holländischen xevmiiug oder xei>en buren zusammen. Sie hatten über alle Gerichtsvorgänge (auch Ladungen, Besitzeinweisungen, Haussuchungen, gerichtlichen Augenschein) Zeugnis abzulegen, selbst eine Art Gemeindezeugnis lag ihnen ob. Es genügte für ihr Zeugnis, wenn sieben gegen fünf aussagten. Vgl. SEEKP GBATAMA a. a. 0. (S. 557) 84öf.; Bydrage tot de rechtsg. v. Drenthe (1883) 246 f. 10 * Über die Asegen und Redjeven vgl. J A E K E L a. a. 0 . , durch den die Ausführungen von H E C K berichtigt werden.

§ 49. Gerichtsverfassung. 4. Reichsvogteien.

577

Im holländischen Friesland wurden die Asegen schon Ende des 13. Jahrhunderts durch Schöffenkollegien verdrängt, nur in Einland fristeten sie, von den Obergerichten ausgeschlossen, noch bis zum 16. Jahrhundert ein kümmerliches Dasein n 0 . Dagegen traten in Mittel- nnd Ostfriesland seit dem 13. Jahrhundert die Redjeven (consules), nachdem die überall erfolgten ßechtsaufzeichnungen den Asega als lebendiges Rechtsbuch überflüssig gemacht hatten, ganz an die Stelle der Asegen als Urteilfinder 111 . Eine andere bedeutsame Veränderung erfolgte durch das gänzliche Ausscheiden der Grafen aus der Rechtspflege 112 und eine zunehmende Beschränkung der Zuständigkeit der Landgerichte, während andererseits auch ihr räumliches Gebiet zum Teil auf einzelne Schulzensprengel eingeschränkt wurde. Da die gegen die Grafen gerichtete Volksbewegung auch die Schulzen, als deren Organe, bekämpfte, so gelang es vielfach den in den Altermännern fortlebenden ehemaligen Volksrichtern [kokar, hödera), die sich an die Spitze der Bewegung stellten 113 , auch die Schulzen aus der Rechtspflege zu beseitigen und als „Häuptlinge" [capitanei, hoveüinge) die alte Richterstellung zurückzuerobern und die eigentliche Herrschaft im Lande zu erwerben 114 . 4. R e i c h s v o g t e i e n u n d a n d e r e h o h e V o g t e i e n . Die Exemtion von den Grafengerichten erfolgte zuerst in den Krongutämtern (fisci), die bereits in der karolingischen Zeit die niedere Gerichtsbarkeit bei Händeln der Kronbauern untereinander besaßen und mit Hilfe des Reklamationsrechtes schon früh die volle Exemtion erlangten, indem der König alle Reklamationsfälle aus den Krongütern an delegierte Richter zu verweisen pflegte (S. 186). Sobald diese Delegation eine ständige wurde, erhob sich das Domänenamt zu einer domanialen Grafschaft oder Reichsvogtei, in der ein vom König eingesetzter Vogt die gräfliche Gerichtsbarkeit über alle auf Reichsgut Angesessenen in einem eigenen Landgericht, wenn auch vielfach nur in dem räumlichen Umfang eines Zentgerichts, handhabte, während die Niedergerichtsbarkeit entweder in den Händen eines „Schultheißen" (des karolingischen iudex) verblieb oder auf die Meier (villici) der einzelnen Königshöfe, als Dorfschulzen, überging 115 . Die älteste hohe 110

111

Vgl.

HECK

1 1 3 ff.

Vgl. J A E K E L a. a. O . 1 4 7 f f . Die Annahme von H E C K , daß die Redjeven mit den Asegen identisch seien und nur eine Veränderung des Amtstitels stattgefunden habe, beruht auf irrtümlichen Voraussetzungen. 111 Vgl. H E C K 138. RICHTHOFEN Untersuchungen 1, 329ff. 374. 377ff. 425ff. 457. 512ff. 522ff. 555f. 113 Für sie galten wohl auch die Bezeichnungen gretman, grietman, kethere, ked. Vgl. H E C K 163ff. 180ff. 1.4 Vgl. J A E K E L a. a. 0 . 129f. HECK 1 4 0 F F . Der letztere führt die Häuptlinge auf das Schulzenamt, und zwar auf die Lehnschulzen zurück. 1.5 Vgl. S. 517. N I E S E a.a.O. (S. 531) 185. 187. 190ff. 200. 202. 269. 273ff. 279—83. 286. 289—96. 300ff. 305—10. 312. 314. RIETSCHEL Burggrafenamt 112f. E. MAYER Z. f. GW. NF. 1, 223ff. LAMPRECHT WL. 1, 180ff. 727ff. LOERSCH R. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichtc.

5. Aufl.

37

578

Mittelalter.

Yogtei des Reiches ist die schon 1073 nachweisbare Vogtei in Goslar11®. Ursprünglich nur die grundherrlichen Gebiete des Reiches umfassend, sind diese Landgerichte später nicht selten auch auf einzelne Absplisse früherer gräflicher Landgerichte ausgedehnt worden117. In manchen Reichsvogteien, namentlich in den Städten, kamen die Vögte später zugunsten der Organe korporativer Selbstverwaltung in Wegfall, während in anderen die Schultheißen die hohe Gerichtsbarkeit übernahmen und das Niedergericht an Dorfschulzen abgaben118. Die Vögte waren fast immer Beamte; Belehnungen mit der Vogtei kamen nur vorübergehend vor, erst gegen Ende des Mittelalters wurden sie zur Regel, wodurch die Reichsvogteien den Charakter landesherrlicher Territorien annahmen119. Dagegen ließen die Verpfändungen von Reichsvogteien den Reichscharakter unberührt120. Die Vögte gehörten in der ersten Hälfte des Mittelalters regelmäßig dem Herrenstand an (oft Grafen benachbarter Grafschaften), während die Schultheißen meistens Ministerialen waren; seit dem 13. Jahrhundert wurden fast nur noch Ministerialen zu Vögten ernannt, einfache Landrichter die den König als den eigentlichen Vogt zu vertreten hatten121. Seit der Errichtung der Landvogteien wurde das Landrichteramt stets von den Landvögten versehen122. Als Urteiler traten in den Reichsvogteien die Ministerialen in den Vordergrund, manche Landgerichte wurden zu reinen Rittergerichten123. Von besonderer Bedeutung wurden die Landgerichte der Reichsvogteien als Oberhöfe, und zwar auch für solche Niedergerichte die später aus dem Verband mit dem Reiche ausgeschieden wären m . Nach dem Vorbild der Reichsvogteien haben sich die hohen K i r c h e n v o g t e i e n entwickelt, die sich zum Teil, wie Zürich und St. Gallen, schon früh geradezu als Reichsvogteien gestalteten12B. Hervorgegangen sind die Ingelheimer Oberhof pg. 49 ff. Nach letzterem pg. 182 ff. scheinen sich in Ingelheim selbst Reste des alten Reklamationsverfahrens erhalten zu haben. 118 Vgl. N I E S E 182f. WOLFSTIEO VG. von Goslar 31f. Die spätere Reichsvogtei Zürich war nicht die älteste, da sie erst aus einer Kirchenvogtei hervorgegangen ist. m Vgl. E. MAYER a. a. 0. 232ff. 1,8 So in dem Ingelheimer Reich, wo früher die Vögte von Bolanden, später die Reichsamtmänner von Oppenheim dem hohen Gericht vorgestanden hatten. 119 Vgl. v. W Y S S Beiträge 1, 57ff. LAMPBECHT W L . 1, 729. 180 Das Ingelheimer Reich war seit 1375 Reichspfandschaft von Kurpfalz. 141 Vgl. v. W Y S S Beiträge 1, 31f. 44; Abhandl. 369ff. 391ff. 1,4 Anderer Meinung TEUSCH Reichslandvogteien 56, dem unsere früheren Auflagen beigetreten waren. Vgl. S. 517. 148 Besonders in Ingelheim. Die prineipes de fisco in Zürich schon im 10. Jh. Vgl. W Y S S Beitr. 1, 38. 80. 87; Abh. 378f. 184 Vgl. LOEBSCH a. a. 0 . pg. 202ff. Der angebliche Oberhof von Eltvil nebst seinen von BODMANN mitgeteilten, früher so geschätzten Urteilen beruht auf einem literarischen Betrage des berüchtigten Fälschers. Vgl. Herb. M E Y E B , ZRG. 37, 333 ff. 145 Vgl. W Y S S Beiträge 1, 3ff. 2, 149f.; Abhandl. 317ff. 367ff.

§ 49. Gerichtsverfassung.

4. Reichsvogteien.

579

hohen Kirchenvogteien aus den Immunitäten 120 , also aus der Grundherrschaft ; da sich aber ihre Bann bezirke vielfach im Interesse der Abrundung auch auf Besitzungen anderer Grundherren sowie auf Absplitterungen von Grafschaften erstreckten, so ist ihre von uns früher verwendete Bezeichnung als „grundherrliche Grafschaften" zu vermeiden 127 . Die Karolingerzeit kannte im allgemeinen nur die niedere Yogtei, d. h. die auf die niedere Gerichtsbarkeit beschränkte Immunität mit einem dem Zentenar entsprechenden Vogt (advocatus), der, anfangs auf die Klagen der Hintersassen gegeneinander beschränkt, schon unter den späteren Karolingern mehr und mehr auch für die Klagen Fremder gegen einen Hintersassen zuständig geworden war. Die niedere Vogtei war auch im Mittelalter noch von großer Bedeutung 1 2 8 . Sie gewährte nur die Exemtion vom Nieder-, nicht vom Grafengericht; die Vogteileute blieben, wenn keine besonderen Privilegien entgegenstanden, der Dingpflicht am Landgericht unterworfen (S. 572), Verbrecher mußten an das Landgericht ausgeliefert werden 1 2 9 ; auch der Rechtszug vom Vogtgericht an das Landgericht blieb gewahrt. Aber schon Ende des neunten und Anfang des zehnten Jahrhunderts kam es vor, daß einzelnen Reichskirchen für ihre 128

Vgl. S. 184ff. 208ff. und die S. 557 angeführten Schriften von RIETSCHEL nebst den von uns bei letzterem angeführten Rezensionen von B E L O W , D O P S C H , REHME und STENGEL. Ferner BLONDEL De advocatis ecclesiasticis in Rhenanis regionibus, Pariser Diss. 1892. F E H R Landeshoheit im im Breisgau 77ff. HEUSLER Stadtverfassung 20. 34FF. 44ff. 118f. LAMPRECHT W L . 1, 186f. 191. 1112ff. MAUSER Fronhöfe 4 , 442FF. SCHMIDLIN Ursprung und Entfaltung der habsburg. Rechte im Oberelsaß (1902) 34. 38 ff. SCHOCKINO Das Gericht des westf. K.-Vogts, Jen. Diss. 1897. SCHWEIZER, Quellen zur Schweizer-G. 15, 2 (Einleitungsband z. d. Ausgabe des Habsburg. Urbars). STUTZ a. a. 0 . (S. 557) 224. W A I T Z 7, 350ff. 358ff. 8, 63ff. 69f. WERMINGHOFF, G. der Kirchenverfassung 1, 224ff. v. W I C K E D E Die Vogtei in den geistl. Stiftern des fränk. Reiches, Leipz. Diss. 1886. v. W Y S S Beiträge (n. 71) 2, 131. 134f. 142ff. 149ff.; Abhandl. 298ff. 310ff. ZÖPPL Altert. 1, 12f. 67f. 291f. 127 Nur dies kann, ich SEELIOER zugeben, während seine übrigen Ergebnisse, soweit sie neu sind, mich nicht überzeugt haben, so belehrend seine Studien auch in vielen Einzelheiten sind. Über Fälle einer Ausdehnung der Bannbezirke über das Immunitätsgebiet hinaus vgl. u. a. RIETSCHEL Burggrafenamt 3 0 1 f. v. W Y S S Beitr. 2, 148; Abb. 318. 158 Vgl. LAMPRECHT 1,1046ff. ZÖPPL a. a. 0 . 1, 3ff. 21ff. 39ff. 70ff. G . M E T E R , ZRG. 16, 122ff. BRÜNNER Exemtionsi-echt 66ff. MAURER Fronhöfe 3, 67ff. 4, 84ff. 397ff. 423ff. 444ff. 458ff. Der letztere verwirrt die Sache durch die Annahme, daß jeder Grundherr schon als solcher, ohne königliche Verleihung, die Niedergerichtsbarkeit gehabt habe und daher zwischen grundherrlicher Fronhof- oder Hofmarkgerichtsbarkeit und der von dem Träger der Gerichtshoheit verliehenen niederen Vogtei zu unterscheiden sei. In Baiern wurde sämtlichen Landständen durch den Freiheitsbrief von 1311 als Preis für die Bewilligung einer Bede die niedere Gerichtsbarkeit auf ihren Gütern zugestanden. Lehen waren schon als Reichs- oder landesherrliches Gut mit der Immunität ausgestattet. Vgl. SIEGEL, Wiener SB. 102 S. 267 ff. is» Nach den bairischen Quellen so, wie sie mit dem Gürtel umfangen waren (eingulo ienus), d. h. unter Zurückbehaltung ihrer ganzen Habe. Vgl. ZRG. und

SEELIGER

5, 41. 45.

37*

580

Mittelalter.

Besitzungen auch die hohe Gerichtsbarkeit bewilligt wurde130, was seit den Ottonen durchaus die Regel bildete131. Später haben auch Propsteien und weltliche Grundherren die Grafenrechte für ihre Immunitäten erlangt 132 . In den hohen Vogteien bedurfte es zweier Beamten, eines für die gräfliche, eines anderen für die Schultheißengerichtsbarkeit. Träger der ersteren und der eigentlichen Vogtrechte war der Stifts- oder Kirchenvogt, der regelmäßig dem Herrenstande angehörte, nicht selten ein Graf oder sonstiger Reichsfürst, da das Verbot der Ämterhäufung (S. 209) sich nur auf die niedere Vogtei bezog, es auch schon früh üblich geworden war, die Stiftsvögte mit der Vogtei zu belehnen, wodurch ihr Amtscharakter in den Hintergrund trat. Die Gerichtsbarkeit der hohen Vogteien entsprach durchaus der Gerichtsbarkeit der Grafen. Das „Hochgericht" des Vogtes war ein vogteiliches Landgericht, das für die Niedergerichte der Vogtei zugleich als Oberhof galt. Seiner Gerichtsbarkeit unterstanden alle Unfreien, Hörigen und Zensualen des Vogteiherren, ohne Rücksicht auf ihren Wohnsitz, alle innerhalb der Bannherrschaft belegenen Güter und die auf diesen Angesessenen, ohne Rücksicht auf ihre persönliche Stellung, soweit sie nicht aus anderen Gründen einen auswärtigen Gerichtsstand besaßen. Nur die von je her mit höherem Sonderfrieden ausgestattete engere Immunität (S. 210), d. h. die das eigentliche Stift umfassende muntat, war samt ihren Bewohnern der Gerichtsbarkeit des Vogtes entzogen und dem geistlichen Gericht unterstellt133. Bei der oft sehr zerstreuten Lage der Immunitätsgüter sahen sich die Vögte, deren Aufgabe regelmäßig den gesamten Güterbestand ohne Beschränkung auf eine einzelne Grafschaft umfaßte, vielfach zur Ernennung von Untervögten zu ihrer Vertretung veranlaßt, was aber von den Stiftern als eine Bedrückung empfunden und auf ihr Andringen von Reichs wegen untersagt wurde134. 5. Die Gerichtsorganisation in den Marken 1 3 5 kennen wir nur aus Quellen die bereits einer jüngeren, seit dem 13. Jahrhundert auch in den übrigen Territorien hervortretenden Entwicklungsstufe angehören. Der ursprüngliche Zustand läßt sich nur im Wege der Kombiwo 111

Beitr. 1 , 1 4 . 21; Abb. 299 ff. v. WICKEDE 4 3 . läßt die hohe Vogtei überhaupt erst von den Ottonen einge-

VGL, W - S , S 8 HEUBLEE

führt sein. is! VGL, BRUNNER Exemtionsrecht 28. LUSCHIN a. a. 0. 31. 146. 183 Vgl. SEELIGER Bedeutung der Grundherrschaft 130 ff. RIETSCHEL Landleihen, Hofrecht und Immunität 414ff. 134 Vgl. W A I T Z 7 , 3 3 0 f . LAMPRECHT 1, 1 1 2 5 f. FRANKLIN, Sent. Nr. 1 2 4 . 195 Außer den S. 5 5 7 angeführten Werken von LUSCHIN, BRUNNER und R Ö H N S vgl. W A I T Z 7 , 8 4 f. 9 3 f. RIEDEL Mark Brandenburg im Jahre 1 2 5 0 2 , 3 9 0 F F . HÄLSCHNER Preußisches StrafBORNHAK, 6 . des preuß. Verwaltungsrechts 1 , 1 8 8 4 . recht 1, 7 ff. v. P O S E R N - K L E T T Zur G. der Verfassung der Markgrafschaft Meißen im 1 3 . Jh. (Mitt. d. deutsch. Ges. zu Leipzig 2 , 1 8 6 3 ) . ISAACSOHN, G. des preuß. Beamtentums 1, 192ff. SIEGEL, Wien. SB. 1 0 2 , 256FF. HASENÖHRL Österr. Landrecht 165FF. BERCHTOLD Landeshoheit Österreichs 156ff. DOPSCH, Arch. f. öst. G. 7 9 , 6 6 ff. HECK Sachsensp. u. Stände 7 4 7 ff. F E H B Fürst u. Graf 6 1 ff.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

5. Gerichte in den Marken.

581

nation in den Grundzügen feststellen. Charakteristisch ist vor allem die territoriale Einheit der Marken, im Gegensatz zu den übrigen Fürstentümern, die, soweit sie sich nicht ausnahmsweise auf eine einzige Grafschaft beschränkten, als Konglomerate verschiedener Grafschaften und Grafschaftsteile erschienen 136 . Während die übrigen Fürsten in der Regel n u r Obergrafen waren, unter denen einzelne Grafen kraft eigenen Rechts und königlicher Ermächtigung die Rechtspflege in den verschiedenen Grafschaften verwalteten, bildete jede Mark ein einheitliches Gerichtsgebiet unter dem Markgrafen als Richter. Die hohe Gerichtsbarkeit übten die Markgrafen ursprünglich persönlich oder durch einen jeweiligen Vertreter aus, indem sie die verschiedenen echten Dingstätten des Landes bereisten. Die bairische Ostmark hatte drei Dingstätten, an denen abwechselnd alle sechs Wochen, an jeder einzelnen also alle achtzehn Wochen oder jährlich dreimal, jedesmal mit dreitägiger Dauer, das markgräfliche oder herzogliche Landteiding abgehalten wurde 137 . Es ist unverkennbar, daß diese Landteidinge oder oberen Landgerichte nichts anderes als die alten Grafengerichte der Markgrafschaft waren 138 , auch darin übereinstimmend, daß sie nur von den Dingpflichtigen der jeweiligen Dingstatt besucht wurden 139 , während ihre Zuständigkeit die ganze Markgrafschaft umfaßte 140 . Daß sie den Blutbann über die geringeren Klassen an die niederen Landgerichte abgegeben und dafür die niedere Gerichtsbarkeit über den hohen Adel eingetauscht hatten, beruhte auf bloßer Fortbildung. Als Stellvertreter des Herzogs diente anfangs der oberste Landrichter, ein besoldeter Beamter, der als iudex provincialis tocius Austriae in sämtlichen Landtaidingen zum stellvertretenden Vorsitz berufen war, bis König Otakar von Böhmen vier obere Landrichter mit besonderen Sprengein einführte, wobei aber alle causae maiores des hohen Adels dem König-Herzog vorbehalten blieben 141 . In den Marken Meißen und Brandenburg lagen die Sachen im wesentlichen ebenso wie in Österreich. Auch hier erkennt man in den von den Markgrafen persönlich abgehaltenen Adelsgerichten die in ihrer 18« Vgl. § 40 n. 20. In den mit einer Mark verbundenen Grafschaften (S. 404) nahm der Markgraf nur Grafenstellung ein. Vgl. BRÜNNER Exemtionsrecht 44. 4 9 f . 52.

SCHRÖDER Ger.-Verf. 9—16. 25.

Ssp. II 12 § 6.

i>7 Ygi § 39 n . 8. Schon eine der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts angehörende bairische Zollrolle (MG-, Leg. 3, 480) läßt die Markgrafschaft des Arbo in drei eomüatus zerfallen. Vgl. den sogenannten Seifried Helbling 2, Vers 652 ff. 756ff. BRÜNNER a. a. 0 . 7. DOPSCH, Mitt. d. öst. Inst. 17, 307ff. LAS V g l . BRÜNNER a. a. 0 . 7.

LÜSCHIN V. EBENGREOTH 4 7 f .

103FF.

sieht

auch

die niederen Landgerichte als Trümmer ehemaliger Grafengerichte an. LAS Vgl. LÜSCHIN 61 f. Schöffenkollegien waren den österreichischen Gerichten unbekannt. Vgl. ebd. 60 f. 135. 140

Vgl. U r k u n d e von 1136 bei LÜSCHIN 48.

141

Vgl. ebd. 60ff.

Mittelalter.

582

Zuständigkeit teils erweiterten, teils verengerten ehemaligen Grafendinge U2 . In Meißen wurden diese Gerichte als Landdinge (placita s. iudicia provmcialia), in Brandenburg als Hofgeriehte bezeichnet. Der Markgraf hielt das Gericht wie in Österreich alle sechs Wochen ab, indem er die einzelnen Dingstätten bereiste143. In Meißen werden besonders Schköhlen und Colmitz oder Collm als markgräfliche Dingstätten genannt, wahrscheinlich gab es noch eine dritte, so daß an jeder dreimal jährlich, mit einer jedesmaligen Frist von achtzehn Wochen, gedingt wurde. Jede Dingstatt hatte ihren bestimmten Sprengel; die Dingpflicht beschränkte sich auf die diesem Sprengel angehörigen Ministerialen. Von den Dingstätten und Dingsprengeln der Mark Brandenburg weiß man nichts Bestimmtes, zu vermuten ist aber, daß die drei in dem Richtsteig Landr. (c. 50 §§ 2; 8) genannten altmärkischen Oberhöfe (die Klinke bei Brandenburg, die Krepe in der Altmark und das Gericht zur Linde) den ursprünglichen Dingstätten entsprochen haben 144 . Im 12. Jahrhundert hielten die Markgrafen das Gericht entweder persönlich ab oder ließen sich durch den Burggrafen des betreffenden Gerichtssprengeis, der eine ähnliche Stellung wie der ostfälische Schultheiß (S. 574) einnahm, vertreten 145 . Nach dem Verfall des Burggrafenamtes im Lauf des 13. Jahrhunderts begnügten sich die Markgrafen anfangs mit der Anordnung einer Vertretung von Fall zu Fall, seit dem 14. Jahrhundert wurden aber in Meißen wie Brandenburg bestimmte Generalvertreter der Markgrafen für die Zwecke der Rechtspflege angestellt. In Brandenburg führten diese den Titel gemeine richter des hofes zu Brandenburg, auch iudex generalis curiae oder capitaneus Marehiae14e. Wie sie durchaus den obersten Landrichtern in Osterreich entsprachen, so fanden auch die oben erwähnten Einrichtungen Otakars ihr Gegenstück in den nach Mitte des 14. Jahrhunderts eingerichteten brandenburgischen Distriktshofrichtern, deren Vertretungsbefugnis sich wie bei den vier österreichischen Landrichtern auf die causae minores (Schuldsachen) des Adels beschränkte 147 . 6. Die B a n n l e i h e . Den wesentlichsten Unterschied zwischen der Gerichtsverfassung der Herzogtümer und Marken gegenüber der der übrigen Territorien fand der Sachsenspiegel (III 64 §§ 3—7) darin, daß die Pfalzgrafen, Landgrafen, Grafen und Stiftsvögte unter Königsbann, Herzöge und Markgrafen dagegen, insbesondere die letzteren, ohne Königsbann u * An eine Ableitung aus ehemaligen Landfriedensgerichten, die man sonst angenommen hat, ist hier nicht zu denken. Vgl. Ssp. III 6 5 § 1 . 144 Vgl. H O H E Y E B Richtsteig Landrechts S. 510ff. R I E D E L a. a. 0. 2, 549f. K Ü H N S 2 , 5 3 4 ff. 145

Vgl. S. 518. Ssp. III 52 § 3 . R I E D E L a. a. 0 . 2, ISOff. 427. K Ü H N S 1, 99ff. Burggrafenamt 230 ff. In zwei Landdingen zu Schköhlen wird der Burggraf zu Leißnig als scultetus provindalis placiti bezeichnet ( P O S E B N - K L E T T a. a. O . 4 8 ) . 149 Vgl. K Ü H N S 1, 203ff. 2, 262ff. R I E D E L 2, 427ff. P O S E B N - K L E T T 4 8 . 112.

RIETSCHEL

Vgl.

K Ü H N S 1 , 2 0 9 ff. 2 , 2 8 0 ff.

§ 49. Gerichtsverfassung.

6. Bannleihe.

583

„bei ihren eigenen Hulden" dingten 1 4 8 . Der Gegensatz bezog sich auf die verschiedene Art der Gerichtsleihe, jenachdem durch diese die Gerichtshoheit selbst oder nur das Recht der Gerichtsverwaltung übertragen wurde. Bis zum 13. Jahrhundert gewährte die Belehnung mit einem Fahn- oder Scepterlehen nur das Recht der persönlichen Gerichtsverwaltung in Vertretung des Königs 1 4 9 . Bei Anwesenheit des Königs wurden ihm alle Gerichte ledig (S. 174. 557 f.), vermöge des Evokationsrechts konnte jede Klage mit Umgehung des ordentlichen Richters sofort an den König gebracht werden und Berufungen gingen von den Landgerichten unmittelbar an das Königsgericht (S. 558), die Gerichtsorganisation und Erteilung ge113

Vgl. Ssp. I 59 § 1. II 12 § 6. III 64 § 5. AMIRA Gründl-.2 98. 102. Landeshoheit Österreichs 159ff.; Entwicklung der Landeshoheit 151 ff. 2 BRUNNER Grundz. 127; Exemtionsrecht 11 ff. DAHN Germ. Studien (Bausteine 6). F E H R a. a. 0 . (n. 126) 24ff.; Fürst u. Graf 46ff. (konnte nicht mehr benutzt werden). G A U P P Stadtrechte 2, 208f.; Miszellen 122ff. HALTAUS Glossar. 94. 174. 1109ff. HECK Sachsenspiegel U.Stände 734—99. HOMEYER System des Lehnrechts 540 ff. KÜHNS a . a . O . 1, 42 ff. LINDNER Verne 334ff. LUSCHIN V. EBENGBEUTH a. a. 0 . 13. 25. SCHRÖDER Ger.Verf. 50. W. SICKEL Zur G. des Bannes, Marb. Progr. 1886. SIEGEL RG. 3 245. 264. 496. 528. W A I T Z 7, 26f. 39f. 84f. 251f. 340ff. W I E D I N G , GGA. 1866 S . 2046ff. ZALLINGER Über den Königsbann, Mitt. d. öst. Inst. 3, 539ff.; Zur G. des Königsbannes, ebd. 10, 224ff; Das würzb. Herzogtum (ebd. 11), Sonderabdruck 28ff. ZÖPFL Altertümer 1, 76 f. Eine wesentlich verschiedene Auffassung des Königsbannes entwickelt G. M E Y E R , Verleihung des Königsbannes nnd das Dingen bei markgräflicher Huld 1881, der das „Dingen unter Königsbann" auf das früher königliche Recht, Gebote und Verbote bei einer Strafe (Gewette) von 60 Schillingen zu erlassen, bezieht und die Angaben des Sachsenspiegels mit dem bekannten Zugeständnis Karls des Großen an die sächsischen Grafen (S. 133. 177) in Verbindung bringt; in Süddeutschland sei diese Art des Königsbannes im allgemeinen unbekannt gewesen, die von süddeutschen Quellen erwähnte Bannleihe sei daher nicht auf den Königsbann, sondern auf den Blutbann zu beziehen, den die geistlichen Fürsten ihren belehnten Richtern nicht selbst zu erteilen vermochten (vgl. n. 159. 161 f.) Aber das Gewette von 60 Schill, war schon unter den Karolingern mehr und mehr zu einem Gemeingut der Grafen geworden (vgl. SOHM R.- U. GV. 175 ff.) und auch in Süddeutschland stark verbreitet, während im Mittelalter in Nord- wie Süddeutschland, zum Teil wohl mit Rücksicht auf die Vermögenslage der Bevölkerung, vielfach abweichende, namentlich auch geringere Sätze vorkommen. Vgl. MG. Const. 1, 308 (1162). Ssp. III 64 § 3. Schwsp. L. 121». 138. 139. 158. G A U P P Misz. 117ff. BBUNNER Ezemtionsrecht 8 f. Wenn das Gewette in Schlesien und Preußen dieselbe Höhe wie in den Marken (30 Schill.) hatte, so wird der Grund hier wie dort in der wirtschaftlichen Lage der Kolonisationsbevölkerung zu suchen sein. Der eigentliche Königsbann (bannus regitts, b. imperialis), der auf die Verletzung königlicher Gebote gesetzt war, betrug im Mittelalter 100 Pfd. für Fürsten, 10 Pfd. für die übrigen Stände, unter Umständen noch mehr. Vgl. S. 543. Schwsp. L. 138. W A I T Z 6', 568 ff. FICKEB Forsch. 1, 62 ff. 76 ff. MG. Const. 1, 308. Der herzogliche Bann betrug nach Ssp. III 64 § 3 für Grafen und Herren 10 Pfd. (200 Schill.). BERCHTOLD

149

Wahrzeichen der königlichen Gerichtsbarkeit war das Schwert und die Gerichtsfahne. Vgl. SCHRÖDER Rolandsäulen 31 f. W A I T Z 8 , 492. LOERSCH, i. d. Bonner Festgruß an HOMEYER 42. 64. HALTAUS Glossar 1109 f. RIETSCHEL Markt u. Stadt 230 f. Über andere Gerichts Wahrzeichen (Kreuz, Strohwisch, Hut, Handschuh, eiserne Hand) vgl. SCHRÖDER a. a. 0 . 31 ff.; Weichbild 312. 319f.

584

Mittelalter.

richtlicher Exemtionen (S. 570) stand ausschließlich und unbeschränkt dem König zu. Ein Substitutionsrecht besaßen die Grafen, wie in der fränkischen Zeit, nur zu den Zwecken vorübergehender Vertretung oder in Sachen der niederen Gerichtsbarkeit, die eben darum als territoriale Angelegenheit behandelt wurde1B0. Dagegen bedurfte es für die Untergrafen der Fürsten und die Stiftsvögte (S. 580) einer besonderen Bannleihe durch den König 151 . Dies erforderte weder Lehnseid, noch Mannschaft, noch Lehnserneuerung im Fall eines Thronwechsels, sondern einen in die Hand des Königs zu leistenden Amtseid152. Die Bannleihe ließ die Empfänger als mittelbare Eeichsbeamte erscheinen (etwa entsprechend unsern Postund Militärbeamten); sie war die königliche Bestallung für alle Träger der gräflichen Gerichtsbarkeit welche diese nicht unmittelbar, sondern erst in dritter Hand vom Reich empfingen. Die Übertragung von Grafschaften bis in die vierte Hand kam nur in seltenen Ausnahmefällen vor153. Die Bannleihe durfte nur versagt werden, wenn dem mit dem Gericht Belehnten die gesetzlichen Eigenschaften fehlten; er mußte dem Herren-, seit Mitte des 12. Jahrhunderts wenigstens dem Ministerialenstand angehören und durfte sich nicht in Acht und Bann befinden154. In den Marken und Stammesherzogtümern kamen die Beschränkungen, die den übrigen Territorien durch die Gerichtshoheit des Königs auferlegt wurden, teils von vornherein in Wegfall, teils wurden sie infolge kräftigerer Entwicklung der landesherrlichen Gerichtshoheit schon früh ausgeschlossen. Nur die Oberaufsicht des Reiches über die Handhabung der Rechtspflege blieb auch hier gewahrt155. Die von der Gerichtsverfassung des Reiches 160 Vgl. S. 171. Constit. in fav. princ. 7f.: Centumgravii recipiant eentas a domino terre vel ab eo qui per dominum terre fuerit infeodatus. Item loeurn ernte nemo mutabit sine eonsemu domini terre. 161 Vgl. n. 104. MG. Const. 1, 181 (1149). Von den Rheingrafen sagt ein Urbar aus dem Anfang des 13. Jb. (KREMER Orig. Nass. 2, 217 Nr. 125): ob imperio habet in benefieio bannum in Rinchowe super cometiam, item ab archiepiseopo Mogontino habet in benefieio cometiam in Rinchowe. Vgl. erstes Straßb. Stadtr. c. 11 (ÜB. d. St. Straßb. 1, 468). Sächs. Weichb. 11 (Magd. RB. v. d. Gerichtsverfassung c. 6). Magd. Bresl. syst. Sch.-R. I I 2, 6. HOHEYER a. a. O. 542. EICHHORN 2, 424 f. FRANKLIN RHGericht 2, 116 n. 3. SEELIGER Bedeutung der Grnndberrschaft 94f. STENGEL, ZRG. 38, 300. 39, 421. ZAILINOER Königsbann 556. 560. 563; Bannleihe 231 n. 2. Das Privileg Friedrichs II von 1245 für die Grafschaft Haag (ZALLINGER Königsb. 558 f.) bezieht sich nicht auf eine Bannleihe, sondern eine Exemtion bei Gelegenheit der Einziehung der früheren Grafschaft Wasserburg (RIEZLER, G. Baierns 3, 972 f.) 168 Vgl. n. 1 0 4 . § 4 0 n. 1 7 . HOMEYER a.a.O. 5 4 1 ff. LINDNER Verne 4 8 7 f f . 153 Vgl. S. 590. Ssp. III 52 § 3 . Sächs. Lehnr. 71 § 2 . Scbwsp. L. U4C. Schwäb. Lehnr. 132. BÖHMER Acta imp. Nr. 122 (1152). HOMEYER 534f. 537 f. B R U N N E R Exemtionsr. 49ff. L A N D A U Hessengau 42. Über die Bezeichnung der Vizegrafschaft als Schultheißtum (Ssp. I I I 52 § 2) vgl. § 19 n. 29. SCHRÖDER G«r.Verf. 48 f. HOMEYER 539 f. EICHHORN 2, 357 f. 164 Vgl. FICKER Reichsfürstenstand 79 f. ZALLINGER Königsbann 559. W E I LAND Sächs. Herzogtum 109 f. Conf. c. pr. eccl. c. 6. 155 Vgl. MG. Const. 2, 429. Mainzer Landfr. y. 1235 c. 11 (4). Mit dem Oberaufsichtsrecht hing es zusammen, daß in Fällen der Rechtsverweigerung die

§ 49.

Gerichtaverfassung.

6. Bannleihe.

585

gebotene Einteilung in Grafschaften, deren jede ihren eigenen Grafen oder einen von diesem belehnten, vom Reiche durch die Bannleihe bestallten Untergrafen verlangte156, war den Marken von Anfang an fremd. Die Marken bildeten, abgesehen von den mit ihnen verbundenen Reichsgrafschaften, für die es durchaus beim alten blieb157, geschlossene Territorien, die zugleich als einheitliche Gerichtssprengel galten (S. 581). Ordentlicher Richter des Landes war der Markgraf selbst, der die einzelnen Dingstätten entweder persönlich bereiste oder das Gericht in seinem Namen durch Stellvertreter abhalten ließ. Auch nachdem an allen nicht der unmittelbaren landesherrlichen Jurisdiktion vorbehaltenen Dingstätten eigene Landrichter (Hofrichter, Vögte) mit bestimmt abgegrenzten Landgerichtssprengeln (Vogteien) Eingang gefunden hatten, hielt man doch daran fest, daß diese Beamten nur die Vertreter des Markgrafen waren, eine der königlichen Bannleihe bedürftige Übertragung der Gerichtsbarkeit daher nicht vorlag168. In derselben Richtung muß sich schon früh die Entwicklung in den Stammesherzogtümern bewegt haben: Berechtigung des Herzogs, in allen nicht verliehenen Grafschaften seines Herzogtums die Gerichtsbarkeit persönlich oder durch Stellvertreter auszuüben, Ersatz der Grafschaften durch ein System über das ganze Land ausgebreiteter Landgerichtsprengel (Pflegen, Ämter), an deren Spitze landesherrliche Beamte (Landrichter, Pfleger) bei des Herzogs Hulden, ohne Königsbann, der Rechtspflege oblagen159. Im Lauf des 13. Jahrhunderts gelang es allen bedeutenderen Fürsten, sich nach dem Vorbild der Herzöge und Markgrafen in den Besitz der Gerichtshoheit zu setzen, so daß die königliche Bannleihe auch bei ihren Landgerichten, obwohl für diese im allgemeinen noch das System der Afterverleihung festgehalten und von der Gerichtsverwaltung durch Beamte zunächst abgesehen wurde, außer Übung kam 160 . Auch die geistlichen Berufung an das Königsgericht auch gegenüber den Appellationsprivilegien gewahrt blieb. Vgl. S. 559. 566. 156 Vgl. n. 75. Ssp. III 53 § 3: Man ne mut ok nen gerichte delen, noch ganx it ne si en sunderlik grafseap, die lien noch del, de dem. it dar gelegen is, in en vanlen höre; die ne mut man san nicht ledich liebben. 151 Vgl. n. 136. 160 i. f. Ssp. I I 12 § 6. B R D N N E R Exemtionsr. 44. 49 f. 52. 158 Vgl. B R Ü N N E R a. a. 0. 13f. 60. Nur weil der Landrichter einzig der Stellvertreter seines Herrn war, konnte dieser sich das „letzte Urteil" vorbehalten. Vgl. n. 107. § 50 n. 66. § 51 n. 31. SCHBÖDER Ger.-Verf. 59; Schultheiß 1 n. P O S E H N K L E T T Verf. d. Markgrafsch. Meißen 59 f. R I E D E L a. a. O . 2, 421. 478f. BORNHAK a. a. 0. 1, 32. 75. Unrichtig K Ü H N S a. a. 0. 1, 150. 281ff. 159 Vgl. § 5 0 n. 9 3 . ROSENTHAL a. a. O. 5 0 ff. 3 2 2 ff. Da es in der bairischen Ostmark und den Herzogtümern Baiern und Schwaben ebenso wenig wie in Böhmen und Mähren eine königliche Bannleihe gab, so ist es erklärlich, wenn die letztere für Süddeutschland nur aus geistlichen Territorien bezeugt ist. 180 In Süddeutschland war die königliche Bannleihe nach Dsp. 81 in den weltlichen Fürstentümern bereits allgemein abgekommen: Dirre dinge bedarf ein lai nicht, der gerichte enphahet von dem chunige, der leihet wol den pan einem seinem richter. Vgl.ebd. 107. Schwsp. L.92.115.141. Schwäb. Lehnr. 41b. F E H K a.a.O. (n. 126) 27n. Dagegen gab es in Norddeutschland nach einer zwischen 1230 u. 1270 verfaßten

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Mittelalter.

Fürsten machten keine Ausnahme 181 , obwohl theoretisch bis auf Bonifatius VIII daran festgehalten wurde, daß ein geistlicher Fürst nicht nur persönlich an keinem Blutgericht teilnehmen dürfe, sondern auch den Blutbann nicht selbst auf einen anderen übertragen könne 1 6 2 . 7. K ö n i g l i c h e L a n d g e r i c h t e 1 6 3 . Während die meisten der in den Territorien belegenen Landgerichte unter dem Einfluß des Lehnwesens polnischen Rechtsquelle (VOLCKMANN Das älteste polnische Rechtsdenkmal 1869 c. 1 ; auch bei HELCEL Starodawne prawa polskiego I I 1870) außer den Markgrafen erst „etliche Fürsten", die ihr Gericht nicht mehr von Obergewalt, d. h. unter Königsbann, hegten: wen ir (d. h. der Polen) gerieht von dem kaiser in di werlt nicht enkunt, als dutscher vursten unie riehter tut, xo enhabinxe dex keine gewonheit, dax ze ir geriehte hegin von Obergewalt, alx dutsche riehter pflegen xu tun. wax abir xe geriehtin adir wax vor in bekant wirt adir geloukint, dax hat xo getane macht, al%e markgraven unde etlicher dutschen vursten, die ir ding nicht enhegm (erg. von Obergewalt), wen dax geriehte hat alter enden in ir gewalt gehegetes dinges macht. Vgl. BRUNNER, Kr. VJSchr. 12, 120. Einen Übergangszustand zeigt die Stellung des friesischen Schulzen (n. 105). In einem Lehenregister der Markgrafen von Meißen aus dem 14. Jh. (POSEBN-KLETT a. a. 0 . 56 f.) zeigt Bich noch deutlich das Bewußtsein, daß der Landesherr in seinen Marken Meißen und Landsberg kraft eigenen Rechte, dagegen in der Landgrafschaft Thüringen, in Pfalzsachsen und verschiedenen Grafschaften und Herrschaften nur kraft eines ihm vom König verliehenen Rechtes den Richtern den Bann erteile: in allen dissen lehen und herschaften do hat der her den ban inne xu lehene vom riche, âne in den marken. 161 Vgl. ZALLINOEB Königsbann 560ff.; Bannleihe 230ff. BODMANN a. a. O . 582 f. GRIMM Weistümer 6, 114 §§ 16. 19. MG. Const. 8, 190 (1278, Rudolf I an den Erzbischof von Salzburg): Ex concessione tuorum regalium plenam et liberam potestatem in tuis districtibus et territoriis iudicandi more maiorum nostrorum principum in causis civilibus et criminalibus accepisti. cum enim unum te ex sublimibus principibus Romani imperii cognoscamus, dubitari a nemine volumus, quin merum Imperium tuo principatui sit annexum, per quod habes ius animadvertendi in faeinorosos homines et gladii potestatem, per alium tarnen, prout ordini et honori tuo congruit, exhereendum. US YGJ_ c> 3 n e clerici V E I monachi, in VIto III 24. WEBMINQHOFF, G. d. K.-Verf. 1, 229. Wie sehr man sich schon im Anfang des 12. Jahrhunderts über die Verbote des kanonischen Rechtes (c. 5. 9 X ne clerici III 50) hinwegsetzte, zeigt W A I T Z 8, 21 n. Dsp. 81, 107, Schwsp. L. 92, 115 und Schwab. Lehnr. 41 halten noch streng an dem Verbot fest und fordern im Gegensatz zu den Laienfürsten für alle mit dem Blutbann ausgestatteten Richter der Pfaffenfürsten unbedingt die königliche Bannleihe. ZALUNGER vermutet wohl nicht mit Unrecht, daß das Schreiben Rudolfs I von 1278 (n. 161) gerade dazu bestimmt war, die Ausnahmestellung der hervorragenderen Pfaffenfürsten gegenüber dem Schwabenspiegel ausdrücklich zu bezeugen. 161 Vgl. NIESE Verwaltung des Reichsgutes (S. 531) 59—66. 202 f. 273. 289ff. 292f. 295f. 307ff. 312ff. PFEFFINGER Vitr. illustr. 4, 661ff. BBDNNER Grundzüge® 145. ROTH Bayr. Civilr. 1*, 59ff. VOGEL Ludwig von Eyb über das 'kaiserl. Landger. Nürnberg 1867. RIETSCHEL Burggrafenamt 112. R I E D E L , G, d. preuß. Königshauses 1, 465ff.; Abh. d. Berl. Ak. 1834 S. 386ff. K L U C K HOHN Ludwig der Reiche 59 ff. ZÖPFL Das alte Bamberger Recht 89 ff. ÖSTERBEICHER Denkwürdigk. d. fränk. G. 2, 54 ff. BENSEN Hist. Unters.- über Rotenburg 1837. ROSENTHAL a. a. 0 . lOOff. RIEZLEB, G. Baierns 3, 689. E. M A T E R , Z . f. GW. NF. 1, 204 ff. 222 ff. RUCKGABEB, G. d. Reichsstadt Rottweil 2, 1 S . 3 ff.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

7. Königliche Landgerichte.

587

und der fortschreitenden landesherrlichen Gewalt ihren Zusammenhang mit dem Reiche verloren und zu rein territorialen Einrichtungen wurden, hatte sich doch bei anderen unter der Einwirkung besonderer Umstände der Reichscharabter erhalten, so daß sie auch unter ihrem Landesherrn königliche Gerichte blieben. Dies war vor allem in Westfalen der Fall, aber auch in Süddeutschland fehlte es nicht an vereinzelten Beispielen. Hier hatte außerdem ein großer Teil der königlichen Landgerichte in den Landvogteien den Amtscharakter gewahrt, so daß sie auch nach dem Verfall der letzteren sich als Reichsanstalten und königliche Landgerichte behaupteten. Soweit die Zertrümmerung der Gauverfassung durch die Ausbildung der Territorien die alten gräflichen Landgerichte nicht in ihrem ganzen Bestände ergriffen, sondern einzelne reichsfreie Reste übrig gelassen hatte, wurden diese teils benachbarten königlichen Landgerichten angeschlossen, teils zu eigenen „freien" Gerichten oder „Hochgerichten" um einen neuen Mittelpunkt, ebenfalls unter dem Reiche, zusammengefaßt. Von den königlichen Landgerichten in Süddeutschland hatten die zu Ingelheim, Bornheimer Berg, Kaichen, Hirschberg, Rotenburg ob der Tauber, Bamberg u. a. m. nur einen beschränkten Wirkungskreis. Bedeutender war das aus einem Landftiedensgericht hervorgegangene, aber schon 1168 auch für Immobiliar- und Freiheitsprozesse zuständige königliche Landgericht des Herzogtums Franken (d. h. der Diözese Würzburg) zu Würzburg 164 , ferner das aus der fränkischen Landvogtei entstammte königliche Landgericht zu Nürnberg (später zu Onolzbach, Ansbach), mit dem die Burggrafen von Nürnberg belehnt waren, das die Reste der Landvogtei Oberschwaben zusammenfassende Landgericht in der Pürß (Pürßgericht, Birsgericht) mit den Dingstätten Lindau, Wangen und Ravensburg, zu denen später noch Leutkirch (Gericht auf der Leutkircher Haide) hinzutrat 166 , endlich das in gleicher Weise aus der Landvogtei von Niederschwaben hervorgegangene Landgericht („auf des Kaisers H o f , daher seit Wenzel „Hofgericht") zu Rottweil 166 . Diese Gerichte galten infolge ihrer Vereinzelung als berechtigt, innerhalb engerer oder weiterer Grenzen auch Rechtssachen aus anderen Gerichtsbezirken, die bei ihnen W E H N E R V. HELTENBERO Alte u. erneuerte Ordnung u. Reformation des Uofgerichts zu Rottweil 1610. ( W E O E L I N ) Gründl, hist. Bericht v. d. Reichslandvogtei in Schwaben wie auch dem Landgericht auf Leutkircher Haid u. i. d. Pirs 1755. BAUMANN Gaugrafschaften im wirt. Schwaben 42. 48f. 164 ff. PADLY Beschreibung d. Oberamts Leutkirch (Beschreibung d. Kgr. Würtemberg 18, 18^2) I03ff. P. STALIN Beschreibung d. OA. Rottweil (ebd. 56,1875) 295ff. W A L T E R DRG. §§ 625f. R I E D E L Landgericht an dem Roppach, Ber. d. hist. Vereins f. Bamberg 57, lff. 164 Vgl. S . 5 6 7 . H E N N E R Herzogl. Gewalt d. Bisch, v. Wirzburg 1 3 7 ff. ZALLINQER Würzburger Herzogtum, Mitt. d. öst. Inst. 1 1 , S A . 2 3 ff. 4 0 ff. E . M A T E R a. a. 0. 204 ff. " 6 Die freie Pürß (Birs, Pürsch) umfaßte die Landschaft zwischen Ravensburg, Leutkirch und dem Vorarlberg. i>< Auch bei Rottweil gab es eine „freie Bürsch" mit einem königlichen „Bürschgericht", ebenso bei Ulm. Vgl. N I E S E 2 0 2 . 2 9 3 . 2 9 5 f. RCCKQABER a. a. O . 122 ff.

Mittelalter.

588

angebracht wurden, zu entscheiden16'. Wurden solche von dem zuständigen Richter auf Grund eines Evokationsprivilegs abgefordert168, so war dies doch nur von Wirkung, wenn dem Kläger binnen bestimmter Frist sein Recht gewährt wurde; anderenfalls war die Zuständigkeit des kaiserlichen Landgerichts schon aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (S. 572) wegen Rechtsverweigerung begründet. Die königlichen Landgerichte galten ebenso wie das Reichshofgericht als berechtigt, die Acht zu verhängen und das Anleiteverfahren (Immobiliarexekution) eintreten zu lassen. 8. Die F e m g e r i c h t e 1 6 9 . Von ungleich größerer Bedeutung als die vereinzelten kaiserlichen Landgerichte Süddeutschlands sind die westfälischen Frei- oder Femgerichte gewesen. Die Gerichtsverfassung Westfalens beruhte von Hause aus auf denselben Grundlagen wie die von Ostfalen, nur fehlte ihr das hier vorherrschende aristokratische Element und dessen Führer, der Schultheiß oder Overbode 17°. Auch in Westfalen unterschied man Grafen- und Gogerichte, die letzteren auch hier unter Gografen, die von den Gerichtsherren entweder auf Wahl der Gemeinde eingesetzt oder mit dem Amt belehnt wurden. Aber die Grafengerichte waren nicht wesentlich Adelsgerichte, sondern Freiengerichte, da neben dem Adel und den hier schon früh in die öffentlichen Gerichte eingedrungenen Ministerialen die freien bäuerlichen Grundbesitzer ihren vollen Gerichtsstand und die Schöffenbarkeit vor dem Grafengericht behauptet hatten. Daß man nur aus diesem Grund, wie unter gleichen Voraussetzungen auch anderwärts im Reich, von Freigerichten, Freigrafschaften und Freistühlen sprach, unterliegt keinem Zweifel. Die westfälischen Landrichter waren Frei187 yg]. Nürnberger RA. von 1438 § 2 (Neue Samml. der Reichsabschiede 1, 161).

168

Vgl. FRANKLIN Reichshofgericht 2 , 7 ff. Von der umfangreichen, zum Teil freilich jedes wissenschaftlichen Wertes baren Literatur sind als beachtenswert hervorzuheben: LINDNEB Die Verne 1883; Der angebliche Ursprung der Vemegerichte aus der Inquisition 1890; Verne u. Inquisition, Hall. Progr. 1893; Deutsche G-. unter d. Habsb. u. Luxemb. 2, 378ff.; Die Vemeprozesse gegen Herzog Heinrich von Baiern, Z.f. GW. 3, 65ff. W I G A N D Das Femgericht Westfalens 1825 (2. Aufl. 1893). WÄCHTER Vehmgeriehte des Mittelalters (Beiträge z. deutsch. Gr. 3—38. 113—244). BRODE Freigrafschaft und Vehme, Hall. Diss. 1880; Histor. Aufsätze zum Andenken an W A I T Z 377ff. DÜNCKER Krit. Besprechung der wichtigsten Quellen z. Gr. der westf. Fehmgerichte, ZRG. 18, 116ff. BRUNNER Grundz.2 144f. 163f. HEUSLER VG. 220ff. EICHHORN 3,171—223. W A L T E R RG. §§ 627—33. SCHULTE RG. §§ 116ff. FRENSDORFF Dortmunder Statuten und Urteile 1882 pg. 144 ff. PHILIPPI Das westf. Vemgericht 1888. THUDICHUM Femgericht u. Inquisition 1889; Hist. Z. 68, lff. F I N K E , Hist. JB. 11, 491 ff. GÜNTHER, Z. f. Strafr.-Wiss. 11, 168ff. BOKNHAK, Preuß. JB. 66, 108ff. BRUNS Beiträge z. d deutschen Rechten des MA. 1799 S. 290ff. CRÜDELIÜB Von dem Gerichtszwang der westf. Freigerichte, bei (ANTON) Dipl. Beiträge 1877 S. 115ff. K O P P Verfassung der heiml. Gerichte in Westfalen 1794. BISCHOFF Mitteil. d. hist. Ver. f. Steiermark 21. ROSENTHAL a. a. 0 . 24 ff. HEINZE, N. Heidelb. JB. 3. 199 ff. 170 Vgl. SCHRÖDER Ger.-Verf. 5 1 ff. 189

§ 49.

Gerichtsverfassung.

8. Femgerichte.

589

grafen, weil sie im wesentlichen über die Gesamtheit der freien Bevölkerung zu Gericht saßen, während die ostfälischen Grafen in der Hauptsache nur mit dem Adel zu tun hatten. Größere Schwierigkeiten macht die Bezeichnung der Gerichte als Femgerichte, der Schöffen und zuweilen auch der Dingleute als Femgenossen (1vemenöte). Da die Freischöffen schon 1227 unter dem Namen „Femgenossen" erscheinen171, so kann das "Wort nicht mit den späteren Gestaltungen der Freigerichte, z. B. der heimlichen Acht (secretum iudicivm) oder dem Femschöffenbund, in Zusammenhang stehen. In den verschiedensten Teilen Norddeutschlands kommen im Mittelalter Landfriedensgerichte vor, die, ohne jeden Zusammenhang mit den westfälischen Gerichten, den Namen „Femgerichte" führen 172 ; aber gerade in Westfalen begegnet das Wort in Landfriedensbeziehungen nie, es muß technische Bezeichnung der Freigericbte schon zu einer Zeit geworden sein, .wo sie noch einfache gräfliche Landgerichte, also die ordentlichen Träger der hohen Gerichtsbarkeit, namentlich der peinlichen Gerichtsbarkeit an Hals und Hand, waren. Das Wort veme ist seit dem 13. Jahrhundert im Sinne von „Strafe", wie vemer in dem von „Scharfrichter", bezeugt, es ist daher anzunehmen, daß man in Westfalen die Grafendinge eben wegen dessen, was ursprünglich ihre hervortretendste Aufgabe bildete, als Straf- oder Femdinge zu bezeichnen liebte. Einmal eingebürgert, wurde diese Bezeichnung auch beibehalten, als die Freigerichte den Blutbann über die geringeren Klassen an die Go- oder Hofgerichte abgegeben hatten, und selbst dann noch, als die Konkurrenz der Landfriedensgerichte ihre Strafgerichtsbarkeit fast ganz lahm legte und sie sich in der Hauptsache auf Liegenschaftsprozesse beschränkt sahen. Als die weitere Entwicklung die strafrichterliche Tätigkeit wieder in den Vordergrund rückte, kam der althergebrachte Name zu neuen Ehren und gab Anlaß zu neuen, bisher unbekannten Wortbildungen (wie vemebriefe, vemewröge)17S. Die westfälischen Freigrafschaften umfaßten ursprünglich ebenso wie alle anderen sächsischen Grafschaften mehrere, auf die einzelnen Goe verteilte Dingstühle, die der Graf zu bereisen hatte 174 , doch ließen die Grafen sich früher als anderswo durch Ministerialgrafen vertreten, denen häufig nur ein einziger Ding- oder Freistuhl überwiesen wurde. Diese Isolierung der Freistühle nahm im Lauf der Zeit immer mehr zu, so daß man sich gewöhnte, die einzelnen Freistühle mit der zu ihnen gehörigen Gerichtsbarkeit als selbständige Vermögensobjekte zu behandeln, die für 171

Vgl.

LINDNER a . a . 0 .

309.

"» Vgl. ebd. 312ff. K Ü H N S Ger.-Verf. 1 , 256ff. Darauf bezieht sich die Erklärung von J O S T E S bei L I N D N E K a. a. 0. 307 f. " WB.

s

V g l . GRIMM D W B .

5, 232. 174

Vgl. Verf. 40 ff.

LESER M h d . LINDNER

3,

1 5 1 6 f f . ; b e i W I G A N D ( n . 1 6 9 ) 307FF.

WB.

Veme

3, 6 2 f.

1—193.

FBENSDORFF FBENSDORFF

a. a. 0 .

a. a.

0.

SCHILLER-LÜBBEH

p g . 1 3 8 ff. 1 5 2 . 150.

SCHRÖDER

Ger.-

590

Mittelalter.

sich, unabhängig von den sonstigen Grafschaftsrechten, verliehen, veräußert, verpfändet werden konnten175. Unter „Freigrafschaft" verstand man demnach nicht mehr eine Grafschaft, sondern den Inbegriff einer größeren oder geringeren Zahl von Freistühlen, selbst ein einzelner Freistuhl konnte eine Freigrafschaft bilden. Ihr Inhaber hieß Stuhlherr; soweit er dem Freigericht selbst vorsaß, war er zugleich Freigraf; ließ er sich durch einen angestellten Unterrichter vertreten, so war dieser der Freigraf176. Während der Besitz der vollen gräflichen Gerichtsbarkeit sonst den wesentlichsten Inhalt der Landeshoheit bildete, ließen sich die westfälischen Fürsten an der Gogerichtsbarkeit genügen. Soweit die Fürsten die Freigerichte festgehalten hatten, waren sie zugleich Stühlherren177, aber die meisten Freistühle befanden sich als Lehen in vierter oder fünfter Hand oder waren, obwohl ursprüngliche Bestandteile der Grafschaft, also eines- Reichslehns, zu allodialem Recht veräußert. Die zahlreichen Stuhlherren geringeren Standes (meistens Ministerialen) waren nicht in der Lage, sich selbst zu Landesherren aufzuschwingen; andererseits fanden sie gegenüber der beständigen Gefahr der Revindikation ihrer Freigrafschaften seitens der Fürsten und Grafen einen Halt nur beim Reiche. Die dem Reichsrecht widersprechende Art, wie sie ihre Freistühle erworben hatten, konnte nur durch die königliche Bannleihe wieder auf gesetzlichen Boden gestellt werden. Dies war der Grund dafür, daß in Westfalen, d. h. in den westfalisch-engerischen Gebieten zwischen Rhein und Weser178, die königliche Bannleihe bestehen blieb, während sie in den übrigen Teilen des Reiches seit Ende des 13. Jahrhunderts fast ganz außer Übung kam. Indem die Stuhlrichter regelmäßig persönlich dem König den Richtereid leisteten und von ihm den Bann empfingen, wodurch sie erst zu Freigrafen wurden, wahrten sie sich den Charakter als königliche Freigrafen. Was ursprünglich nur ein Interesse der kleinen Stuhlherren gewesen war, mußte auch der Politik der Landesherren eine andere Richtung geben, nachdem sich herausgestellt hatte, welche Vorteile den königlichen Gerichten aus ihrer reichsrechtlichen Stellung erwachsen. So bildete gerade das 15. Jahrhundert bei den westfälischen Stuhlherren den Höhepunkt der kaiserlichen Idee, die sich selbst da noch lebendig erhielt, als der Erzbischof von Köln seit Sigmund zum „Statthalter der heimlichen Gerichte" eingesetzt wurde, so daß er kraft königlicher Vollmacht den Königsbann verlieh, den Richter-

176 Vgl. n. 77. Ähnlich der Stellung der friesischen Häuptlinge nach der Verdrängung der Grafen aus der Rechtspflege. Vgl. 577. Wollte der Stuhlherr selbst den Vorsitz einnehmen, so mußte der von ihm angestellte Freigraf ihm jederzeit weichen. 1,7 Der Erzbischof von Köln besaß elf GogTafschaften, aber zu Anfang des 14. Jh. nur zwei Freigrafschaften. Vgl. LINDNER 350. 354. 178 In diesem Sinn wurde der Begriff „Westfalen" überall aufgefaßt, w o es sich um die westfälischen Gerichte handelte.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

8. Femgerichte.

591

eid abnahm und die Oberaufsicht über die Amtswaltung der sämtlichen Freigrafen zu führen berufen war179. Die Entstehung der westfälischen Freigerichte aus den gräflichen Landgerichten erkennt man namentlich an den echten Dingen, die von den Freigrafen ganz in alter Weise, wenn auch mit einer durch die erweiterte Gogerichtsbarkeit vielfach beschränkten Zuständigkeit, an den einzelnen Freistühlen je über achtzehn Wochen abgehalten wurden180. Daß sie sich in dieser Weise hatten halten können, während die Grafengerichte sonst überall teils den fürstlichen Hofgerichten, teils den niederen Landgerichten weichen mußten, erklärt sich aus der breiteren Grundlage der Freigerichte, denen durch den zahlreichen freien Bauernstand des Landes ein vollzähliges Dingvolk und ein genügender Ersatz für die Besetzung der Schöffenkollegien gesichert war, während es anderwärts den zu bloßen Adelsgerichten gewordenen oberen Landgerichten an beiden und an ausreichender Beschäftigung fehlte. Daß diese Freigerichte als einzige in Norddeutschland noch vorhandene königliche Landgerichte ihre Zuständigkeit auch auf auswärtige Sprengel ausdehnten, hatte die gleichen Gründe wie bei den süddeutschen Gerichten. Und wenn es ihnen seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts gelang, auch in Süddeutschland, der Schweiz, Böhmen und selbst den preußischen Ordenslanden festen Fuß zu fassen, so hatten sie vor Nürnberg und ßottweil, die ebenfalls das ganze Reich für sich in Anspruch nahmen, kaum etwas voraus. Die Eigentümlichkeit der westfälischen Gerichte beruhte vielmehr einzig darin, daß sie es verstanden hatten, sich durch eine der veränderten Stellung angepaßte neue Organisation und gewisse Besonderheiten ihres Verfahrens erheblich mehr zur Geltung zu bringen. Wie und wann diese Veränderungen vor sich gegangen sind, läßt sich nur vermuten. Die Anfänge müssen noch in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts fallen. Daß der Erzbischof von Köln und die westfälischen Bischöfe dabei einen wesentlichen Einfluß gehabt haben und die Einführung des Rügeverfahrens und des Freischöffenbundes unmittelbar auf das Vorbild der bischöflichen Sendgerichte zurückzuführen ist, läßt sich nicht bezweifeln. Dagegen scheint es, als werde den Landfriedensbestrebungen, namentlich dem Landfrieden von 1371, eine zu große Bedeutung beigelegt. Im 15. Jahrhundert haben namentlich die Könige Ruprecht und Sigmund und Erzbischof Dietrich von Köln, sodann die Freigrafenkapitel, die der Kölner Erzbischof auf Grund seiner

1,9 Für seine eigenen Freigrafen hatte der Erzbischof schon 1382 das Becht der Bannleihe erworben. Für alle westfälischen Freigerichte, auch außerhalb seines uur die Diözesen Köln und Paderborn umfassenden Herzogtums, erwarb Erzbischof Dietrich 1422 für seine Person das Recht der Statthalterschaft, das dann 1475 von Friedrich III dem erzbischöflichen Stuhl als solchem zugestanden wurde. Vgl. L I N D N E B 416. 418ff. 426f. G R A U E R T Herzogsgewalt in Westfalen (1877) 118ff. I8O Vgl. L I N D N E B 538ff. Sogar die dreitägige Dauer des echten Dinges (n. 80. 105 f.) kam noch vor.

Mittelalter.

592

Statthalterschaft zu berufen pflegte, das Ihrige zur Weiterbildung beigetragen 181. Außer dem echten Ding (in Westfalen mit einem auch anderwärts bezeugten Ausdruck „offenes" oder „offenbares" Ding genannt) 182 und dem Notgericht bei handhafter Tat, das bei der Feme eine hervorragende Bolle spielte 183 , kannten die westfälischen Freigerichte auch ein gebotenes Ding, das „heimliche" oder „stille" Gericht (iudicium secretum, stülegericht\ ein Ausdruck der ursprünglich wohl mehr den Gegensatz gegen das offene Gericht als die erst im Lauf der Zeit damit verbundene Geheimhaltung und unbedingte Ausschließung der Öffentlichkeit bezeichnete184. Während das offene Ding der gewohnten ordentlichen Gerichtsbarkeit in der Freigrafschaft vorbehalten blieb, war das heimliche Gericht für die von auswärts kommenden Sachen bestimmt. Später bezeichnete man die westfälischen Femgerichte schlechtbin als Still- oder heimliche Gerichte. Da die erste Erwähnung eines iudicium secretum oder stilledink schon aus dem Ende des 13. Jahrhunderts bezeugt ist 185 , so darf man vermuten, daß schon damals aus der Nachbarschaft, zumal dem fränkischen Teil der Kölner Diözese, einzelne Rechtssachen nach Westfalen gekommen sind; jedenfalls werden schon anfangs des 14. Jahrhunderts auch außerhalb Westfalens, und zwar zunächst in Wesel, Freischöffen westfälischer Gerichte erwähnt 186 . Jeder ehelich geborene, im Vollbesitz seiner Rechte befindliche gut beleumundete Freie 187 konnte nach genügendem Ausweis 181 König Ruprecht- berief 1408 mehrere Freigrafen nach Heidelberg und legte ihnen Fragen über die Stellung der westfälischen Gerichte zu Kaiser und Beich vor. Das über die Verhandlung aufgenommene Protokoll, die sogenannten

Ruprechtschen Fragen (LINDNER 212ff.

ALTMANN U. BERNHEIM8 Nr. 108), bildet das

älteste amtliche Aktenstück über die Femgerichte. Dann folgen die auf Anregung Sigmunds von Erzbischof Dietrich abgehaltenen Freigrafenkapitel zu Soest und Dortmund von 1430 (LINDNER 223 ff.) und zu Arnsberg von 1437 („Arnsberger Reformation", vgl. LINDNER 230ff-, Aasgabe bei USENER, Die Frei- uud heimlichen Gerichte Westfalens 1832, Urk. Nr. 7. 9). Die erste reichsgesetzliche Regelung, wenn auch nur in einzelnen Punkten, enthielt die sogen. Frankfurter Reformation Friedrichs III in dem Frankfurter RA. von 1442 §§ 13—15 (N. Samml. d. Reichsabschiede 1, 172 f.). Weiter liegen einige um 1470 gefaßte Kapitelbeschlüsse vor (LINDNER 298 f.). Dem 15. Jahrhundert gehören noch verschiedene Femrechtsbücher und Femrechtsweisungen privaten oder doch nichtamtlichen Charakters an. Vgl. QCIDDE Reichstagsakten 12 pg. 47 f. i8» VGL. LINDNER 545.

GRIMH W e i s t ü m e r 7, 261.

183

Vgl. S. 572. Mit Unrecht führt LINDNEU 534 die Entstehung der Femgerichte überhaupt auf das Notgericht zurück, das vielmehr eine uralte Beigabe des Grafen-, später auch des Zent- und Gogerichts war. 181 Vgl. GBIHM DWB. 4, 2, 873ff. Als „heimlich" konnte man das gebotene Ding auch gegenüber dem mit dem Landgeschrei eröffneten Notgericht bezeichnen. Die Annahme von LINDNER 540ff., daß es bei den Freigerichten für Immobiliarrecbtsgeschäfte auch „offene" oder „offenbare" gebotene Dinge gegeben habe, ist. mir zweifelhaft, da jene Bezeichnung sonst nur dem echten Ding zukam. 188 184

187

Vgt. LINDNER 477 flf. V g l . LINDNER 504.

Ministerialen wurden als Freie gerechnet.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

8. Femgerichte.

593

über seine Persönlichkeit Freischöffe werden. Der Aufzunehmende wurde durch einen Stuhlherrn oder Freigrafen vor dem Freigericht, nach Ableistung des Schöffeneides und Zahlung eines bedeutenden Aufnahmegeldes, durch Mitteilung der geheimen Erkennungszeichen „wissend" gemacht. Auch der Kaiser konnte Freischöffen ernennen. In Westfalen gehörte im 15. Jahrhundert wohl der gesamte hohe und niedere Adel nebst sämtlichen Stadträten dem Freischöffenbund an. Im ganzen Reiche, auch in der Schweiz und in Preußen, waren die angesehensten Männer bestrebt, Freischöffen zu werden. Kaiser Sigmund und Kurfürst Friedrich I von Brandenburg waren wissend, überhaupt zahlreiche Fürsten, auch Bischöfe und viele andere Geistliche, ungeachtet des kirchlichen Verbotes der Mitwirkung bei Bluturteilen. Die meisten Städte sorgten dafür, einen oder mehrere Wissende unter ihren Räten zu haben. Die Verpflichtung des Freischöffen bezog sich auf die strengste Geheimhaltung aller Femsachen (bei Todesstrafe), Beihilfe zur Hinrichtung Verurteilter, Mitwirkung zur Bestellung von Ladungen, Einbringung jeder ihm bekannt gewordenen Femwroge. Diese Rügepflicht legte insbesondere die Pflicht auf, jedem, der darum ersuchte, als Ankläger im Femgericht beizustehen. Dingpflichtig waren die Freischöffen nur in dem Gerichte, bei dem sie ihren allgemeinen Gerichtsstand hatten, auswärtige also überhaupt nicht. Dagegen waren sie berechtigt, in jedem Gericht zu erscheinen, da die Heimlichkeit ihnen gegenüber nicht bestand. Die Anziehungskraft des Freischöffentums beruhte in dem damit verbundenen Einfluß sowie den prozessualischen Vorteilen, die jedem Freischöffen als Angeklagten zustanden. Zur Besetzung des Stillgerichts gehörten der Freigraf, der Fronbote (Freifrone) und mindestens sieben Freischöffen; zuweilen waren Hunderte anwesend. Es war üblich, auch andere Freigrafen, in wichtigeren Fällen in großer Zahl, zuzuziehen. Diese hatten das Recht des Mitvorsitzes und gaben ihr Urteil noch vor den Freischöffen ab. Die Verhandlungen geschahen mit strengster Ausschließung der Öffentlichkeit, in der „heimlichen Acht". War der Kaiser oder sein Statthalter anwesend, so stand ihm der Vorsitz zu. Auswärtige, zur Zuständigkeit der Femgerichte gehörige Sachen hießen Femwrogen (d. h. Femrügen). Die i'emgerichte befaßten sich nur mit todeswürdigen Verbrechen und kannten nur eine einzige Strafe, die des Todes durch den Strang188. Voraussetzung jeder Femwroge war, daß das ordentliche Gericht das Recht verweigert hatte oder des Angeklagten nicht mächtig war. Verfahren wurde nur auf Anklage; die Rügepflicht der Freischöffen nötigte sie gegebenenfalls zur Anklage von Amts wegen. Der Angeklagte wurde schriftlich geladen. Der Kaiser hatte das Recht, jede anhängig gemachte Sache abzufordern, wenn sich der Verklagte recht" 9 Erst in ihrer späteren Entwicklung erklärten sie sich in allen Fällen einer Rechtsverweigerung, wenn nur eine Verletzung der zehn Gebote vorlag, für zuständig. R. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte.

5. Aufl.

38

Mittelalter.

594

zeitig vor ihm zu Recht erbot. Außerdem konnte der erschienene oder durch einen Bevollmächtigten vertretene Angeklagte das weitere gerichtliche Verfahren durch „Aufnahme" abwenden, indem er unter Bürgschaft mehrerer Freischöffen versprach, dem Kläger an gehöriger Stelle zu Recht zu stehen. Der unentschuldigt ausgebliebene Verklagte wurde nach wiederholter Vorladung, nachdem Kläger selbsiebent die Schuld beschworen hatte, verfemt, d. h. unter feierlicher Formel in die Oberacht getan. Während das regelmäßige Verfahren durchaus an die westfälischen Gerichte gebunden war und außerhalb Westfalens nicht platzgreifen konnte189, vollzog sich das Notgericht am Orte der Tat. Zur Besetzung genügten drei Freischöffen, eines Freigrafen bedurfte es nicht. Auch hier wurde nur auf Klage oder Rüge eingeschritten. Auf das Urteil folgte sofort die Vollstreckung. Bei beidem mitzuwirken war Pflicht aller gegenwärtigen Freischöffen. Der Verfemte wurde, wenn man ihn ergriff, als ein auf handhafter Tat ertappter, bereits überführter Verbrecher behandelt. Auch hier genügte die Anwesenheit von drei Freischöffen, um die Hinrichtung sofort zu vollziehen. Einen Rechtszug innerhalb der westfälischen Gerichte gab es nicht, Berufung gegen die Femgerichtsurteile konnte an sich nur an den König eingelegt werden190, doch entwickelten sich die von dem Kölner Erzbischof als Statthalter der heimlichen Gerichte abgehaltenen Freigrafenkapitel allmählich zu einem Berufungsgericht, das auf Antrag und Kosten der beschwerten Partei mit einer Besetzung von mindestens sieben Freigrafen und 21 Freischöffen zusammentrat191. Im übrigen dienten die Freigrafenkapitel teils zur Beratung gemeinsamer Angelegenheiten, teils zur Unterstützung des Statthalters in der Ausübung der ihm obliegenden Disziplinargewalt, kraft deren er Freigrafen und Freischöffen selbst abzusetzen berechtigt war. Dasselbe Recht stand dem König zu. Überhaupt wurde daran festgehalten, daß die heimlichen Gerichte nur Organe des Königs seien, doch zeigte sich schon darin eine Überschreitung ihrer Grenzen, daß sie dem König das Recht der Lösung von der Verfemung theoretisch absprachen und ihm nur eine Begnadigung auf Zeit, allerdings auf die Dauer von 100 Jahren, zugestanden; auch darin, daß sie selbst Fürsten, nachdem diese zunächst vor dem Reichshofgericht belangt worden waren, vor ihre Stühle zogen, während sie andererseits in Gemäßheit der Reichsgesetze ihre Unzuständigkeit über Geistliche und Juden anerkannten192. 189

Die vielbestrittene Bezeichnung Westfalens als „rote Erde" kommt vor 1490 überhaupt nicht vor. Vgl. LINDNER 464f. 190 Die frühere Annahme eines Rechtszages an den Dortmunder Stuhl als Oberfreistuhl widerlegt FBENSDOBFF pg. 1 5 2 ff. Der König hat nur das Dortmunder Gericht wiederholt delegiert, um statt seiner zu entscheiden. 181 Vgl. LINDNEB 4 2 1 ff. Am häufigsten fanden die Freigrafenkapitel in Arnsberg statt, das dadurch den Euf eines Oberfemgerichts erlangte. Neben den außerordentlichen Kapiteln fanden regelmäßig Jahreskapitel statt, die zwar als allgemeine Kapitel geplant, meistens aber nur spärlich besucht waren. 132

V g l . LINDNEB 5 5 7 f .

§ 49.

Gerichtsverfassung.

9. Lehna- und Dienstgerichte.

595

Verblendet durch die unter Ruprecht und Sigmund mit königlicher Hilfe erzielten Erfolge, suchten die westfälischen Gerichte sich unter Friedrich III über den König zu stellen, wagten sogar, diesen selbst vor ihren Stuhl zu laden und ihm im Fall des Ungehorsams mit der Verfemung zu drohen193. Durch diese und andere Übergriffe wurde eine allgemeine Reaktion, namentlich der Landesherren und Städte, herbeigeführt, die, unterstützt durch zahlreiche vom Kaiser erteilte Exemtionsprivilegien, die Macht der Femgerichte noch vor Ablauf des 15. Jahrhunderts zu Fall brachte. 9. Lehns- und Dienstgerichte 1 9 4 . Außer den bisher allein in Betracht gezogenen staatlichen Gerichten kannte das Mittelalter für gewisse besondere Beziehungen eine Reihe nichtstaatlicher Gerichte. Eine Mittelstellung nahm das Lehnsgericht ein, das jeder Herr, der mehrere Vassalien hatte, abhalten konnte. Seine Zuständigkeit beschränkte sich subjektiv auf Streitigkeiten zwischen Herrn und Mann oder zwischen Mann und Mann, objektiv auf die von dem Herrn ausgehenden Lehen und die mit diesen zusammenhängenden Verhältnisse; dazu kam die freiwillige Gerichtsbarkeit in Lehnssachen, namentlich der Investiturakt selbst. Wer nicht Vassall war, konnte im Lehnsgericht nicht prozessieren, doch wußte man hierfür später durch eine bedingte Belehnung (Provisionalbelehnung) Rat zu schaffen. Richter war der Herr oder, wenn er Partei war, gewöhnlich einer der Mannen an seiner Statt. Urteiler waren die Mannen, soweit sie nicht als Partei, Fürsprecher oder Zeugen auftraten. Pflicht des Herrn war es, seinen Mannen „Lehnrecht zu tun", d. h. Lehnsgericht zu gewähren und sich seinem Spruche zu unterwerfen; Pflicht der Mannen, dem Herrn „Lehnrechtes zu helfen", d. h. sich der Mitwirkung im Lehnsgericht nicht zu entziehen und den Urteilen gehorsam zu sein. Berufungen gingen an das Gericht des Oberlehnsherrn, zuletzt an den König, der auch für Lehen an Eigen, obwohl sie nicht vom Reiche ausgingen, der höchste Richter war196. Verschieden von den Lehnsgerichten waren die Dienstgerichte, welche die Herren als Richter (auch wohl vertreten durch einen Hofbeamten) mit ihren Ministerialen als Urteilern abhielten19a. Während Streitigkeiten der Dienstmannen mit Dritten vor die ordentlichen Gerichte gehörten, 198

Vgl.

LINDNEK

Vgl.

HOMEYEB

439.

System des Lehnrechts 562 ff. PLANCK Gerichtsverfahren 1, 15ff. W A I T Z 4, 462. 6», 97f. B R Ü N N E R E G . 2, 266. EICBHOHN 2 , 448f. F I C K E R Forschungen 3, 324 ff. ALBRECHT Gewere 290 ff. MG. Const. 1, 89 (1037). 2, 393 (1222). II F . 16. 20. 22. F Ü R T H Ministerialen 393ff. FBENSDORFF Das Recht der Dienstmannen von Köln 20. 19S Vgl. H O M E Y E B 5 6 7 . P L A N C K 1 , 1 7 . Sachs. Lehnr. 6 9 § 8 . Schwab. Lehnr. C 128 . Über Fürstenlehen konnte das Reichshofgericht nur in der Besetzung als Fürstengericht urteilen. Vgl. Sachs. Lehnr. 71 § 20. Schwab. Lehnr. 143. 199 Vgl. MG. Const. 1 Nr. 127 (1149). 128 (1150). 38* IM

Mittelalter.

596

wo der Herr sie zu vertreten hatte, war das Dienstgericht für alle Streitigkeiten der Dienstmannen untereinander oder mit dem Herrn zuständig. Seit dem Eintritt der Ministerialen in die Landgerichte verloren die Dienstgerichte ihren früheren Charakter und verschmolzen schließlich ganz mit den Lehns- und fürstlichen Hofgerichten. 10. Die g e i s t l i c h e n G e r i c h t e hatten gegenüber der vorigen Periode eine erhebliche Erweiterung ihrer Zuständigkeit, hauptsächlich unter dem Einfluß der pseudoisidorischen Fälschungen, erfahren197. Klagen gegen Geistliche, auch in bürgerlichen Sachen, gehörten ausschließlich vor das geistliche Gericht198, nur Lehnssachen und teilweise auch Geldschulden blieben dem weltlichen Richter überlassen199. Streitigkeiten um Grundbesitz in der rechten Gewere einer Kirche wurden dem geistlichen Kichter überwiesen; vor Erlangung der rechten Gewere hatte demnach das weltliche Gericht der belegenen Sache zu entscheiden200. Partikularrechtlich, namentlich in Städten, wurde der eximierte Gerichtsstand der Geistlichen vielfach nicht anerkannt; Geistliche, die Waffen trugen oder die Tonsur abgelegt hatten, wurden auch reichsrechtlich als Laien behandelt 201 . Die Gerichtsbarkeit der Kirche über Laien beschränkte sich nicht mehr 1.7

Vgl. S. 186ff. 272. FOCK. ANDREAE a. a. 0. (8. 557). BRUNNEB EG. 2, 321 f. 493 f. DOVE De iurisdictionis ecclesiastieae progressu, Berl. Diss. 1855; Untersuchungen über die Sendgerichte, ZDR. 19, 321ff.; Z. f. KR. 4, 28ff. 157ff. 5, lff.; Realenzykl. f. Th. u. Kirche» 14, 119ff.; bei RICHTER KR.8 597f. 771ff. EICHHORN §§ 319—22. FRIEDBERO De finium inter ecclesiam et civitatem regundorum iudicio, Berl. Diss. 1861 S. 87ff; Grenzen zwischen Staat u. Kirche 52ff. GLASSCHRÖDER Der Archidiakonat in der Diözese Speier, Archiv. Z. N F . 10. GRIHM Weistümer 7, 256. 357. HECK Altfries. Ger.-V. 105f. 348f.; Biergelden 66f.; Sachsenspiegel a. Stände 54ff. 380ff. HILLING Bischöfl. Banngewalt, Archipresbyterat u. Archidiakonat i. d. sächs. Bistümern, Arch.f. KR. 80, 80ff. 323ff. 443ff. 645ff. 81, 86ff.; Geistliche u. Laien auf den Diözesansynoden, ebd. 79, 203ff.; Die westfälischen Diözesansynoden bis Mitte 13. Jhs., Miinst. Diss. 1898; Entsteh.-G. der Mänsterischen Archidiakonate, Münst. Diss. 1902; Beitr. z. G. der Verf. u. Verwalt. der Bist Halberstadt, 1. Archidiakonate 1902. H I N S C H I U S K R . 2,189ff. 274. 5, 304ff. 328ff. 377ff. 409ff.425—48. 449ff.454—81. K O P P Ausführt. Nachrichten v. d. Verfassung der geistl. u. Zivilgerichte in Hessen 1, 118ff. KüHNsa. a. 0. 1, 272ff. LINQG, G. des Instituts der Pfarrvisitation 1888. LÜSCHIN V. EBENGIREUTH a. a. 0. 258 ff. MAHBING Diözesansynoden des Stifts Hildesheim 1905 (Qu. u. Darstell, z. G. Niedersachs. 20). E. MATER VG. 1, 449 n. PHJLIPPI Archidiakonate d. Osnabr. Diözese, Mitt- d. Hist. Ver. z. Osnabr. 16. PLANCK Ger.-Verfahren 1, lff. RICHTHOFEN Untersuchungen 2, 730ff. 939—1021. 1194ff. 1257ff. 1285ff. A. SCHRÖDER Entwickl. d. Archidiakonate 1890. STUTZ Kirchenrecht ( S . 8) 833. 836; ZRG. 34, 132 n. U T T E N DO&FER Archidiakonate u. Archipresbyterate im Bist. Freising, Arch. f. KR. 63. W A L T E R RG. §§ 643 f. W E T Z E L L Zivilprozeß • 337 ff. W I N T E R , Z. d. Harz Vereins 2, 78ff. WUNDER Archidiakonate u. Dekanate d. Bist. Bamberg 1845. 188 Vgl. MG. Const 2, 108 § 4 (Auth. Statuimus, 1. 33 C. de episc. et cler. I 3). Ebd. 2, 180. 430. Bair. Landfriede von 1244 § 25 (Mon. Wittelsb. 1, 82). 1.8 Vgl. Dsp. 84. c. 6 X de foro comp. 2, 2. 200 Vgl. FRANKLIN Sent. cur. reg. Nr. 87 f. scl Vgl. Bair. Landfriede von 1281 § 63 (MG. Const. 3, 274). Ssp. III 2.

§ 49.

Gerichtsverfassung.

10. Geistliche Gerichte.

597

auf die kirchlichen Pflichten, sondern ergriff, zum Teil in Konkurrenz mit den weltlichen Gerichten, alle Vergehen in denen ein Moment der Sünde zu finden war, namentlich Ehebruch, Bigamie, Unzucht, Blutschande, Ketzerei, heidnischen Aberglauben, Blasphemie, Tötung eines Menschen (auch die nach weltlichem Recht erlaubte), Raub, Diebstahl, Betrug, falsches Zeugnis, Meineid, Wucher. Schon diese Fälle griffen tief in das bürgerliche Recht ein, ausdrücklich zugestanden wurde der Kirche aber, wenn auch ebenfalls zum Teil nur unter Konkurrenz der weltlichen Gerichte, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen, Testamentsachen (Seelgeräten), wucherlichen Geschäften, eidlich eingegangenen Verpflichtungen, Streitigkeiten um Zehnten und Kirchenpatronate, endlich in Rechtsangelegenheiten der Witwen und Waisen (personae miserabiles). Weitergehende Ansprüche wurden von weltlicher Seite als Übergriffe zurückgewiesen202. Im Fall einer Rechtsverweigerung auf weltlicher Seite wurde die Zuständigkeit des geistlichen Gerichts anerkannt, ebenso umgekehrt die des weltlichen Richters, wenn Tor dem geistlichen kein Recht zu erlangen war. Vielfach wurden auch Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, selbst Immobiliarrechtsgeschäfte, vor dem geistlichen Gericht oder dem Pfarrer vorgenommen, teils um der kirchlichen Beurkundung willen, teils um das Geschäft durch den bischöflichen Bann sicherstellen zu lassen 203 . Eine erhebliche Verbesserung erfuhr das bischöfliche S e n d g e r i c h t (S. 187) seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts durch die Übernahme der bis dahin nur auf staatlichem Gebiete (S. 393) eingeführten Rügegeschworenen [testes synodales, iuratores synodi), gewöhnlich sieben in jedem Kirchspiel, die aus den angesehensten, durch Alter und Wahrhaftigkeit hervorragenden Gemeindegliedern entnommen (später vielfach von der Gemeinde gewählt) und durch einen dem' Sendrichter geleisteten Eid verpflichtet wurden, alle zur Zuständigkeit des Sendes gehörigen kirchlichen Vergehen, die zu ihrer Kenntnis kamen, zu rügen. Der Rügezeuge wurde als Ankläger behandelt. Die übrigen Sendzeugen, namentlich aber die den Bischof begleitenden Geistlichen, entwickelten sich allmählich zu Sendschöffen, die dem Vorsitzenden Sendrichter das Urteil fanden, während der Bischof ursprünglich unter Beirat der ihn umgebenden Geistlichkeit selbst das Urteil gefällt hatte. Seit dem 12. Jahrhundert wurden auch Laien als Sendschöffen zugelassen; das spätere Mittelalter kannte überhaupt nur noch Sendschöffen weltlichen Standes. Dem Rügeverfahren der Sendgerichte waren anfangs auch die Geistlichen unterworfen, aber schon früh erfolgte die Beschränkung auf Vergehen von Laien. Schon im Laufe des 10. Jahrhunderts hörten die Bischöfe auf, ihre Diözesen regelmäßig zum Zweck der Sendgerichte zu bereisen; wenn sie sich den Send in den Schaltjahren noch persönlich vorbehielten, so bezog 20

' Vgl. Ssp. III 87 § 1. Über die der königlichen nachgebildete Banngewalt der Bischöfe vgl.

205

HILLING a . a . 0 .

8 0 , 8 5 ff.

Mittelalter.

598

sich dies meistens nur auf die Einnahmen aus dem Sendgericht und nicht auf die persönliche Abhaltung durch den Bischof. Andererseits wurde es nun vielfach üblich, die Mitglieder des Herrenstandes und die bischöflichen Ministerialen oder auch wohl überhaupt alle Personen von Rittersart von der Dingpflicht an den ordentlichen Sendgerichten zu befreien und sie dafür an den Hof des Bischofs zu entbieten, um dort entweder vor einem besonderen Sendgericht des Bischofs oder seines Vertreters, oder vor der Diözesansynode oder dem gewöhnlichen bischöflichen Gericht ihrer Sendpflicht zu genügen204. Die ordentliche Sendrechtspflege in der Diözese fiel mehr und mehr den Archidiakonen zu, anfangs nur als Yertretern des Bischofs, bald aber kraft eigenen Rechtes. Sie waren seit dem 11. und 12. Jahrhundert die eigentlichen Sendherren. Die meisten Diözesen wurden in mehrere Landarchidiakonate eingeteilt, deren jedem ein Archidiakon als Sendherr vorstand206. Die Archidiakonen hielten das Sendgericht nach dem Vorbild des echten Dinges jährlich ein- bis dreimal ab, jedesmal in der Begel mit dreitägiger Dauer und nach Bedürfnis noch unter Hinzufügung eines Aftersendes (secunda synodus, postsynodalia). Dingpflichtig waren, abgesehen von dem seit dem 13. Jahrhundert eximierten Ritterstande, alle Eingepfarrten des Sprengeis, Freie wie Unfreie. Zur Ergänzung dienten die in erster Reihe für die Handhabung der Disziplin über die Geistlichen bestimmten Landkapitel der Erzpriester oder Dekane, die infolge wiederholter Delegationen, zum Teil auf unmittelbares Betreiben der Bischöfe, denen die Archidiakonen zu mächtig geworden waren, nicht selten zu selbständigen Sendherren wurden, indem sie an ihren Hauptkirchen für die untersten Klassen der Pfarrkinder (Unfreie, Liten und besitzlose Freie) eigene Sendgerichte abhielten, so daß dem Archidiakon, als dem obersten Sendherrn, nur die nichtritterlichen Grundbesitzer freien Standes dingpflichtig blieben206. Zum Teil gelang 501

Vgl. HINSCHIUS 3, 588. 5, 433f. Ssp. I 2 § 1 : sceperibare lüde, die der biscope senet süken solen. Von dem Besuche der Diözesansynoden erhielten die Angehörigen des Ritterstandes in Süddeutschland die Bezeichnung hommes synodales, sentbeere vrie, sempervrie, semperliute (sendbare Leute), so daß sendmäßig geradezu gleichbedeutend mit „rittermäßig" wurde. Vgl. MG. Const. 2, 212 c. 9. 242 c. 3. 419 c. 9. 429 c. 5 f. 434. 3, 276 c. 6, c. 9. 278 c. 29. ZALLINGEB Ministeriales u. milites 77ff.; Mitt. d. öst. Inst. 10, 217ff. HASENÖHRL Österr. Landesrecht 77ff. EICHHORN, Abh. d. Berl. Ak. 1838 S. 361 ff. 108 Der vornehmste unter den Archidiakonen einer Diözese war stets der Dompropst als Archidiakon der Kathedrale. Aber auch die übrigen Archidiakon ate wurden mit Domherren oder mit Pröpsten der zur Diözese gehörigen Eollegiatstifter besetzt, so daß ein verbreiteter Sprachgebrauch die Archidiakonen geradezu als Pröpste oder „Dompröpste" bezeichnete. Vgl. HISSCHIPS 2, 191. 5, 432 n. 2. !0t Vgl. HINSCHIOS 2, 200. 5, 434. Ssp. I 2 § 1: scepenbare lüde, die der biscope senet süken solen, pleehhaften der dumproveste, lantseten der ereepriestere. Gegen die willkürlichen Ausfährungen von HECK, der seiner Biergeldentheorie (S. 461) zu Liebe den Send der Pfleghaften für ein städtisches Sendgericht erklärt, vgl. AMIHA, ZRG. 40, 381. In Priesland, wo die Archidiakonen teils überhaupt

§ 50. Territorien.

599

es auch einzelnen Klöstern und Stiftern neben der eigenen Exemtion vom Sendgericht die sendherrlichen Rechte eines Archidiakons oder die geringeren eines Erzpriesters für sich zu erwerben207. Selbst einfache Pfarrer erscheinen seit dem 12. Jahrhundert zuweilen im Besitze eines Sendgerichts 208 . Die Sendgerichte hatten es nur mit Strafsachen von Laien zu tun. Die Gerichtsbarkeit über die Geistlichen lag in der Hand des Bischofs, der sie teils in der Diözesansynode, teils persönlich oder durch delegierte Richter ausübte. Aus den Delegationen erwuchs das bischöfliche Offizialgericht (offkialatus), an das auch die der geistlichen Gerichtsbarkeit zufallenden bürgerlichen Sachen kamen. Seit dem 13. Jahrhundert ernannten die Bischöfe außerdem Landoffiziale {officiales foranei), die als bischöfliche Delegierte den Archidiakonen Konkurrenz machten und im Laufe des 14. Jahrhunderts das Sendgerichtswesen in der Hauptsache zu Fall brachten. Die engere Immunität des Hochstifts und ihre Insassen standen unter der Hausjustiz des Bisohofs oder seines Vertreters 209 .

§ 50.

Die Territorien.

Urk. z. brand.-preuß. Verf.- u. Verw.-G. 1897. AMIRA Grundr.* 101 ff. Bischöfl. Beamentum im MA. in d. Diözesen Halberst., Hildesh., Magdeb. u. Merseburg, Gött. Diss. 1900. BAUUANN, G. d. Allgäus 1, 300ff. v. BELOW Mitt. d. öst. Inst 25, 455 ff. BERCHTOLD Entwicklung d. Landeshoheit i. Deutschi. 1663; Landeshoheit Österreichs 1882. BESCHORNER Das sächs. Amt Freiberg u. s. Verwaltung i. 15. Jh. 1897. BITTNEB, G. d. direkten Staatssteuern im Erzstift Salzburg; d. ordentl. Steuern, Arch., f. öst. G. 92, 483ff. BLONDEL Fr6d, 1448) und Schiedam (1275)88, die beiden letzteren in deutscher Sprache. Yon besonderem Wert ist eine neuerdings erschienene Ausgabe der Dord r e c h t e r Rechtsquellen, die außer dem „Keurboek" von 1401 und zahlreichen Einzelsatzungen eine schätzenswerte Sammlung gerichtlicher Entscheidungen enthält 89 . In den lothringischen Gebieten diente das Recht von Beaumont von 1182 (S. 461) zahlreichen Städten als Muster. Yon einer damit zusammenhängenden Oberhofstellung ist nichts bekannt. Nach Lothringen gehören auch die ältesten uns überlieferten Stadtrechtsquellen, die Aufzeichnungen über die Rechte der Grafen zu Toul (1069) und D i n a n t (vor 1070)60. Unter den rheinischen Städten zeichnete sich Aachen durch eine bedeutende Oberhoftätigkeit, die sich bis tief nach Belgien hinein erstreckte, aus 61 . Oberhof der klevischen Städte war Kleve, das sein Recht selbst von K a l k a r empfangen hatte 68 . Auf das Recht der Kölner Kaufleute wurde, wie dies auch in betreff Magdeburgs, Goslars und anderer Städte geschah (S. 640 n. 642), im 12. Jahrhundert vielfach in Städteprivilegien, namentlich denen der Zähringer, als Muster verwiesen, und man hat deshalb schon im Mittelalter irrtümlicherweise angenommen, daß die zähringischen Städte mit dem Kölner Stadtrecht bewidmet worden seien; , erst neuere Untersuchungen haben ergeben, daß dies nicht der Fall gewesen ist. In Wahrheit hatte das Kölner Recht nur eine geringe Verbreitung und auch die eigenen Rechtsaufzeichnungen standen in keinem Verhältnis zu der Bedeutung der Stadt63. Möglich, daß die ausgedehnte 58 N

88

Nr. 4.

68

bei

Ausg. v. FRUIN und POLS 1880. Leidsche rechtsbronnen 1 8 8 4 . HAMAKER Keurboeken van Leiden 1 8 7 3 . v. D. BERGH a. a. 0. 1, 226. 230. 2, 125. TELTING, Versl. en Mededel. 4

BLOK

Ausg. v.

FBÜIN, 2

v . D. B E H O B 1 ,

Bde

1882.

Ein Privileg des Königs Wilhelm von

1252

292.

W A I T Z Urkunden* Nr. 8 . 9 . Vgl. LOERSCH Aach. Rechtsdenkmäler 1 8 7 1 ; Über den Aach. Schöffenstuhl als Oberhof, bei H A A G E N , G. Aachens 1, 347ff.; Ein verschollenes Aachener Stadtr.-B., Ann. d. hist. Ver. f. d. Niederrh. 32, 109 ff. WASSERSCHLEBEN Rechtsqu. 160ff. M Vgl. SCHRÖDER Mitteil, über klevische Rechtsqu., ZRG. 9, 421 ff. 10, 188ff.; Liber sententiarum Cliviensis, Bonn. Progr. 1870. BLCHME, SCHRÖDER, LOERSCH, Drei Abhandlungen z. G. d. deutsch. Rechts (1871) 19 ff. Das Stadtrecht von Eleve zeigt eine starke Benutzung der Sachsenspiegelglosse. Vgl. STEFFENHAGEN, Wien. SB. 129. 8S Vgl. STEIN Akten z. G. d. Verf. u. Verwalt. d. Stadt Köln im 14. u. 15. Jh., 2 Bde 1893—95. Der viel angefochtene Kölner Schied von angeblich 1169 (KEUTGEN Nr. 17), mag die Urkunde selbst echt oder unecht sein, enthält ein offenbar echtes, sehr wertvolles Burggrafenrecht, das dem Anfang des 12. Jahrhunderts angehören dürfte. Vgl. RIETSCHEL, Westd. Z . 2 2 , 3 2 7 ff. und die dort 80

61

§ 56. Stadtrechte.

705

Wirksamkeit von Aachen, Kleve, Dortmund, rheinaufwärts aber die Oberhöfe von Ingelheim (S. 694) und F r a n k f u r t einer größeren Entwicklung auf kölnischer Seite im Wege gestanden haben 64 . Von anderen fränkischen Stadtrechten ist noch das von B a m b e r g zu nennen, das 1306 abgefaßt und um die Mitte des 14. Jahrhunderts durch Zusätze vermehrt wurde 65 . Andere Städte scheinen mit Bamberger Recht nicht bewidmet gewesen zu sein. Ungemein reich an Rechtsquellen war S t r a ß b u r g . Das älteste Stadtrecht (ein Stadtrechtsweistum) ist um die Mitte des 12. Jahrhunderts, das zweite wohl 1214, das dritte zwischen 1245 und 1260 entstanden. Das älteste deutsche Stadtrecht wurde 1270 aufgezeichnet und dann noch bis 1282 erweitert; das zweite war eine von 1300—22 reichende Statutensammlung; das dritte deutsche Stadtrecht wurde 1322 verfaßt und 1441 einer Revision unterworfen; seine Bestimmungen sind im wesentlichen bis zum Untergang der reichsstädtischen Freiheit in Geltung geblieben66. Trotz der reichen Entwicklung seines Stadtrechts hat Straßburg auf andere Städte keinen unmittelbaren Einfluß gehabt. Dasselbe galt von Augsburg und Basel. Das A u g s b u r g e r Stadtrecht ging auf ein Privileg Heinrichs IV von 1104, das 1156 von Friedrich I erneuert worden war, zurück67. Die Stadtrechtsredaktion erfolgte zwischen 1276 und 1281 durch eine vom Rat eingesetzte Kommission, mit ausdrücklicher Genehmigung Rudolfs I. Das Stadtrecht ist in deutscher Sprache verfaßt und durch Reichhaltigkeit ausgezeichnet. Vielfach tritt Verwandtschaft mit angeführte Literatur. Der Kölner Schiedsprach von 1258 bei KEUTGEN Nr. 147. Kölnisches Recht galt in Neuß, Neußer Recht wieder in Rees. Über das Recht dieser Stadt vgl. LIESEGANG, R. U. Verfassung von Rees, Westd. Z. Erg. 6. 1890. 64

Vgl. THOMAS Der Oberhof zu Frankfurt, her. v. EULEB 1841.

Muß man

auch von den dort S. 119—162 verzeichneten 290 mit Frankfurter Recht bewidmeten Orten manche abziehen, die bloß Marktrecht nach Frankfurter Muster besaßen, so bleiben immer noch gegen 200 übrig, die in Frankfurt zu Haupt gingen. Davon waren Friedberg, Gelnhausen, Heilbronn, Oppenheim, Wetzlar und Wimpfen (Oberrh. Stadtr. 1, 63—96) selbst wieder Oberhöfe für engere Kreise. Gegen die Ansicht, daß hannoverisch Münden in Friedberg zu Haupt gegangen sei, vgl. EULER, Mitt. f. Frankf. G. 7 Nr. 6. Auszüge aus einem Frankfurter Statutenbuch bei EVI.EB Das 1417 angelegte Gesetzbuch d. Stadt Frankfurt 1855. Frankfurter Rechtsmitteilung an Weilburg v. 1297 bei KEDTQEN Nr. 155. 1)6

Ausgabe von ZÖPFL 1839.

«» Die drei ersten Stadtrechte herausgegeben von WIEGAND, UB. d. Stadt Straßburg 1, 467 ff. 477 ff. 482 ff. (die beiden ersten auch bei KEUTGEN Nr. 126 f.), die drei letzten von SCHULTE undWoLFBAM, ebd. 4, 2 S. 3 ff. 15ff.47 ff. Zahlreiche Rechtsaufzeichnungen und Weistümer über Einzelheiten ebd. 189 ff. Vgl. RIETSCHEL, Z. f. GW. NF. 1, 24ff. BLOCH, ZGO. 53, 271ff. 54, 464ff. KEUTGEN, Hist. VJSchr. 3, 78 ff. HEGEL, N. Arch. 25, 694 ff. Ausg. v. CHR. MEYEB 1872, das Stadtrecht v. 1156 bei KEUTGEN Nr. 125. Über die Privilegien von 1104 u. 1156 STUMPF Kaiserurkunden, Reg. 2968. 3747.

Von anderen schwäbischen Stadtrechten sind hervorzuheben das „rote Buch" von Rottweil (her. v. GKEINEB 1900) und die Rechtsaufzeichnungen von Villingen (her. v. Roder, Oberrh. Stadtr., Schwab. Rechte 1). R. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte. 5. Aufl.

45

706

Mittelalter.

dem Schwabenspiegel hervor, die vielleicht auf die gemeinsame Benutzung einer älteren Augsburger Rechtsaufzeichnung zurückzuführen ist (vgl. S. 681 n. 38. 685). Im Lauf der Zeit wurde das Stadtrecht durch zahlreiche, an den verschiedensten Stellen eingeschobene Novellen erweitert. Unter den B a s e l e r Stadtrechtsquellen68 nimmt das deutsche Bischofs- und Dienstmannenrecht, das nach 1250, vielleicht zwischen 1260 und 1262 auf Anlaß des Eoadjutors Heinrich von Neuenburg, aufgezeichnet wurde69, die erste Stelle ein. Daran schließt sich der erste Stadtfriede Rudolfs I von 1286, der zweite von 1342—65 (der sog. Einungsbrief) und die umfangreiche Gerichtsordnung von 1457. Dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts gehört das Stadtrecht von Luzern an 70 . Zu den ältesten Marktrechtsurkunden gehört das Reichenauer Privileg für Allensbach (1075) und das in den Mittelpunkt der Stadtrechtsforschungen getretene Privileg des Abtes Ulrich für das Städtchen Radolfzell (1100), das seinerseits auf iustkiam etlibertatem Constantiensem, quae ins fori est, verweist und insofern indirekt auch für E o n s t a n z als ältestes Zeugnis dienen kann 71 . Nur wenige Jahrzehnte jünger, zugleich aber das bedeutendste Mutterrecht am Oberrhein war das Stadtrecht von F r e i b u r g im Breisgau 7 2 . Den ältesten Bestandteil der Freiburger Handfeste bildete der wohl sofort bei der Gründung der Stadt 1120 erlassene Stiftungsbrief Eonrads von Zähringen, der dann, bis zum Aussterben der Zähringer (1218) noch durch eine Reihe von Zusatzbestimmungen des Herzogs vermehrt wurde73. Zum Teil im Anschluß an die Handfeste entstand nach 1218 unter der Herrschaft der Grafen von Urach eine aus der Bürgerschaft hervorgegangene umfassende Aufzeichnung •8 Rechtsquellen von Basel 1. 1856. •• Ausg. von WACKEBNAQEL 1852, und Rechtsqu. 1, 6 ff. REUIGEN NT. 132. 70 Ausg. von SEOBSSBB 1855. Von selbständigen schweizerischen Stadtrechten sind noch anzuführen der S c h a f f h a u s e r Richtebrief von 1291 (her. v. J. METES 1857) nnd der Züricher Richtebrief (13. u. 14. Jh.), Helvet. Bibliothek 2, 1735 u. Arcb. f. Schweizer 6 . 5, an den sich die im 14. Jh. beginnenden Stadtbücher von Zttrich (Auag. v. ZELLEB-WERDMÜLLER U. NABBOLZ, 3 Bde 1899—1906) anschlössen. Das Züricher Recht beruhte auf dem von Konstanz. " Vgl. A. SCHULTE Über Reichenauer Städtegründungen, ZGO. 44, 137 ff. (vgl. K. SCHAUBE und KÜNTZEL, ebd. 45, 296ff. 47, 626ff. 373ff.). ALBERT, & d. Stadt Radolfzell (1896) S. 35 ff. KEUTOEK Nr. 100. " Eine kritische Ausgabe steht in den Oberrhein. Stadtrechten zu erwarten. Bisherige Abdrücke: SCHREIBER Verf.-Urk. d. Stadt Freiburg 1 8 3 3 . GAUPP Stadtr. 2 , 1 9 ff. DÜMQE Regesta Badensia 1 2 2 ff. SCHULTE-MAUBEB, Z G O . 4 0 , 1 9 3 ff. KEUTOEK Nr. 1 3 3 . Über die Geschichte und Textkritik des Stadtrechts vgl. besonders WELTI, Samml. Schweiz. Rqu. 2 , 1 , 1 pg. 50 ff. GAUPP 2 , 1 — 1 9 . HDBER , Z . f. schw. R. 22; G. d. schw. Priv.-R. 80ff. HEGEL Entsteh, d. Städtewesens 152ff.; Kieler Monatsschr. 1 8 5 4 S. 703ff.; Z G O . 50, 277ff. H. MAUBEB, ebd. 4 0 , 170FF. RIETSCHEL, VJSchr. f. Soz.- u. WG. 1906. Durch die Ausführungen des letzteren sind die bisherigen Ansichten wesentlich berichtigt. " Der Stiftungsbrief besteht aas dem Prolog, § 1, § 2 Satz 1 und den §§ 3 bis 5 der Handfeste, dagegen sind § 2 Satz 2 und 3 und die §§8—15 spätere zähringische Zusätze. - Über die §§ 6 und 7 läßt sich nichts Bestimmtes sagen.

§ 56. Stadtrechte.

707

des Fneiburger Rechts, die in zwei amtlichen Bearbeitungen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts (dem Bremgartner Text und dem sogenannten Stadtrodel) erhalten ist 74 . Ein deutsches Stadtrecht, dessen Grundlage eine 1275 entstandene Bearbeitung des Stadtrodels bildete, kam 1293 unter Graf Egon von Freiburg zustande75. Die letzte Stadtrechtsredaktion erfolgte 1368 unter den Herzögen Albrecht und Leopold von Österreich76. Auf das Freiburger Stadtrecht gingen direkt oder mittelbar die meisten oberrheinischen und schweizerischen Stadtrechte zurück77. Die bedeutendsten waren F r e i b u r g i m Ü c h t l a n d (1249) 78 , M u r t e n 7 9 und C o l m a r (1278, 1293) 80 , während das vielumstrittene Stadtrecht von B e r n , angeblich von 1218, das aus der Freiburger Handfeste und dem Stadtrodel geschöpft hat, neuerdings mit Sicherheit als eine Fälschung aus dem Ende des 13. Jahrhunderts nachgewiesen ist 81 . Während diese und andere zähringische Städte wieder größere Kreise von Tochterstädten umfaßten, gingen in Freiburg i. Br. noch nach einer Urkunde von 1403 über 3 0 Städte und Dörfer, darunter Waldshut, Villingen, Tübingen, Überlingen, Offenburg, zu Haupte 82 . Die vermeintliche Bewidmung Freiburgs und der meisten Freiburger Tochterstädte mit dem Recht von Köln 74 Der Stadtrodel bei G A Ü P P 2 , 2 8 ff. SCHREIBER ÜB. d. St. Freiburg 1, 3 ff. £ine neue Ausgabe des Bremgartener Textes steht zu erwarten. Die §§ 16—55 der Handfeste in den bisherigen Ausgaben gehören nicht zu dieser, sondern sind ein bloßer Auszug aus der erwähnten Rechtsaufzeichnung. 75 SCHEEIBER ÜB. 1, 74ff. 123ff. GENQLEE Stadtr. 134ff. 74

77

SCHEEIBER 1, 5 3 9 ff.

Vgl. SCHWEIZER Habsb. Stadtrechte u. Städtepolitik (Festg. f. Bttdinger 1898). Samml. Schweiz. Rqu. 16, 1, 12. (her. v. MERZ u. W E I H 1898—99). Eine Reihe von Tochterrechten Freiburgs bei G A Ü P P 2, 38—169. Auf der Handfeste bèruhen Flumet (1228), Kenzingen (1249), Dießenhofen (1260), auf dem Bremgartner Text Bremgarten mit seiner Familie, Aarau, Brugg, Lenzburg, Colmar und Burgdorf (1273). 78 ZEHNTBADER Die Stadtrechte v. Freib. i. Ü . u. Arconciel-Illens 1 9 0 6 . GAÜPP 2 , 8 2 ff. Font. rer. Bern. 2 Nr. 2 8 1 . L E H B La Handfeste de Fribourg dans l'Uchtland 1 8 8 0 . FOREL Mémoires de la Suisse Romande 2 7 . Eine Sammlung von Freiburger Satzungen des 16. Jh. enthält das Stadtbuch („Municipale"), her. v. SCHNELL, Z . f. schw. R. 3 7 — 3 9 . 79

G A Ü P P 2 , 1 5 2 ff.

GENOLER Codex 617ff. Neben dem Freiburger Stadtrecht hatte Colmar auch das ganz selbständige B r e i s a c h e r Stadtrecht von 1275 (GENOLER 308f.), wenn auch in geringerem Maße, benutzt, im übrigen war es ebenso wie das Stadtrecht von Freiburg im Üchtland eine selbständige Arbeit. Auf Colmar beruhte das Stadtrecht von S c h l e t t s t a d t , auf diesem das von N e u e n b u r g im Breisgau, beide von König Adolf 1292 verliehen. Vgl. A. SCHULTE, Z G O . 40, 97ff. Die außerordentlich reichhaltigen Rechtsquellen von Schlettstadt bei G E N T Schlettstadter Stadtrechte 1902 (Oberrheinische Stadtrechte, 3. Abt. 1). 81 Die Berner Rechtsquellen liegen jetzt in der gediegenen Ausgabe von W E L T I (Samml. Schweiz. Rqu. 2, 1, 1. 1902) vor. Das angebliche Stadtrecht und die deutsche Übersetzung (Anf. 14. Jhs.) S. 3—24, das Satzungenbuch (14. 15. Jh.) S. 27—258, die kritischen Ausfahrungen pg. 9 ff. 82 Vgl. KRAUT Grundr." § 8 Nr. 1 1 . Über Villingen vgl. n. 6 7 . 80

45*

Mittelalter.

708

(S. 704) hatte nur die allgemeine Bedeutung, daß die Rechte und Freiheiten der Kölner Kaufleute als Vorbild für die Freiheiten der Freiburger Kaufleute gelten sollten 83 . Für die oberbairischen Städte ließ König Ludwig im Jahre 1347 sein Landrechtsbuch von 1346 zu einem Stadtrechtsbuch umarbeiten, das sich als M ü n c h e n e r Stadtrecht, durch verschiedene Ratsstatuten und Privilegien vermehrt, bis zur Gegenwart in Geltung erhalten hat 84 . Außer dem bairischen Landrecht hat das wahrscheinlich 1328 verfaßte F r e i s i n g e r Stadtrechtsbuch des Ruprecht von Freising (S. 687), dem außer örtlichen Satzungen und Gewohnheitsrechten besonders der Schwabenspiegel zu Grunde liegt, als Quelle gedient 85 . Von niederbairischen Stadtrechten sind die von L a n d s h u t und P a s s a u hervorzuheben86. Von Tiroler Stadtrechten nennen wir das von I n n s b r u c k (1239) 87 , Meran 8 8 , B r i x e n (1380), Yarn und S t e r z i n g (1417) 89 . Das einzige größere Stadtrecht der Steiermark war das von P e t t a u von 1376®°. Die meisten österreichischen Stadtrechte hatten ihr Mutterrecht in W i e n 9 1 , doch muß dahingestellt bleiben, ob die beiden wesentlich übereinstimmenden Stadtrechtsprivilegien Leopolds VI für E n n s (1212) und W i e n (1221) auf eine ältere Wiener Quelle (1198?) zurückzuführen sind, oder ob Enns das ursprüngliche Mutterrecht für Wien abgegeben hat 92 . Einen Freiheitsbrief erhielt Wien 1237 von Kaiser Friedrich II, ein erweitertes Stadtrechtsprivileg 1244 von Herzog Friedrich II. Diese Privilegien wurden durch die beiden Freiheitsbriefe Rudolfs I von 1278 in erweiterter Form bestätigt 93 ; sie bildeten die Grundlage für die deutschen Stadtrechte 89 Vgl. H U B E B Das kölnische Recht in den zähringischen Städten 1 8 8 1 , Z. f. sehw. R. 22. 84 Ausg. v. A D E R 1840. Vgl. S. 692. Über ein älteres Mönchener Stadtrecht Vgl. BBENNEB, i. d. Germ. Abh. f. K. MADBER 185ff. (1893). 86 Ausg. v. L . v. MAURER 1 8 3 9 . Vgl. STOBBE 1, 4 3 6 . 86 Über das Landshuter Privileg von 1279 (Quell, z. bair. u. deutsch. Gr. 5, 314ff..G A U P P 1, 147ff.)vgl. FBAMKUN Beitr. z. Gr. d. Rezeption 70 ff. Auszüge aus den Stadtbiichern von Landshut und Straubing bei ROSENTHAI. Beiträge z. deutsch. Stadtr.-G. 1. 1883. Oberbairische Stadtrechte bei HÄUTLE, Arch. d. hist. Ver. f. Oberbaiern 45, 162ff. Über das Stadtrecht von Regensburg vgl. GENQLEB Beitr. z. RG. Baien» 3. 1892. Ein Passauer Stadtrecht v. 1225 bei GENQLER 311, Stadtrecht v. 1299 und das auf diesem beruhende von St. Pölten (1338) bei W I N T E R , Bl. d. Ver. f. Landesk. Niederösterreichs NF. 17, 411 ff.

» ' SCHWIND U. DOPSCH N r . 3 7 . 88

G A U P P 2 , 2 5 3 ff.

ZDA. 6, 413 ff. 89 Geschichtsfreund, öder Beiträge z. tirol. G. (1867) 197ff. 237ff. 321 ff. 90 BISCHOPP, Wien. S B . 1 1 3 , 2 S . 6 9 5 ff. 91 Ausgabe der Wiener Stadtrechtsquellen, mit ausführlicher rechtsgeschichtlicher Einleitung, von TOMASCHEK Rechte und Freiheiten der Stadt Wien, 1 8 7 7 bis 1879. Die älteren Stücke auch bei SCHWIND U. DOPSCH Nr. 26. 35. 77. KEUTGEN Nr. 164—66. 98

Das dabei benutzte Privileg Leopolds V für die Regensburger Kaufleute in Wien ( 1 1 9 2 ) bei TOMASCHEK Nr. 1. SCHWIND U. DOPSCH Nr. 1 8 . 98 Die von LORENZ, Wien. S B . 46, 72 ff. gegen die rudolfinischen Freiheits-

§ 56. Stadtrechte.

709

Albrechts I (1296) und Albrechts II (1340). Im Jahre 1320 erhielt die Stadt mit der Tollen Bestätigung ihrer Autonomie die Erlaubnis zur Anlegung des „Eisenbuches" für ihre autonomischen Satzungen. Eine vorwiegend Privatrecht und Prozeß berücksichtigende Privatarbeit, die sich bald des größten Ansehens erfreute, war das W i e n e r S t a d t r e c h t s b u c h , eine Arbeit von hervorragendem Interesse, wahrscheinlich aus der Mitte des 14. Jahrhunderts 94 . Mit dem Recht von Wien war auch die Stadt W i e n e r - N e u s t a d t bewidmet 95 . Die Aufzeichnung des Stadtrechts, das die Form eines Privilegs eines Herzogs Leopold trägt, müßte, da sie jedenfalls nach 1251, also nicht mehr unter den Babenbergern stattgefunden hat, auf Herzog Leopold III (f 1386) bezogen werden, was aber wegen der lateinischen Sprache seine Bedenken hat. Möglicherweise ist das Stadtrecht eine Privatarbeit und die Bezugnahme auf den Herzog eine Fälschung. Manches spricht für die Abfassung zwischen 1251 und 1278, doch fehlt es auch nicht an Gründen für eine spätere Entstehung (erste Hälfte des 14. Jahrhunderts). Ein neues Stadtrecht erhielt Neustadt 1443 von König Friedrich III 9 6 . Das Wiener Stadtrecht hat auch den böhmisch-mährischen Stadtrechten als Quelle gedient, kam aber hier nicht zu gleichmäßiger Entwicklung, da die deutsche Bevölkerung hier außer den bairisch-österreichischen auch niedersächsische und flämische Elemente aufgenommen hatte, so daß neben dem Wiener Recht auch das Magdeburger und ebenso das selbst, in Osterreich bemerkbare flämische Recht seinen Einfluß äußerte97. Die Stadt I g l a u erhielt ihr erstes, auf Wien gegründetes Stadtrecht wahrscheinlich 1249 von König Wenzel I und Pfemysl Ottokar, das aber wohl nur in einem vorläufig bestätigten Entwurf überliefert ist. Nachdem es von späteren Königen wiederholt bestätigt worden, entstand gegen Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts ein das ältere Recht erweiterndes autonomes Stadtrecht, ebenfalls in lateinischer Sprache, das von dem Stadtschreiber Johann von Gelnhausen Ende des 14. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt wurde und bald in Mähren und Böhmen die größte Verbreitung erlangte 98 ; es wurde die Grundlage der Stadtrechte briefe erhobenen Einwendungen sind von TOMASCHEK widerlegt. Vgl. noch REDLICH, Mitt. d. öat. Inst. 12, 55 ff. 94 Ausg. von SCHUSTEB ( 1 8 7 3 ) , der die Entstehungszeit aber zu früh ( 1 2 7 6 — 9 6 ) ansetzt. Vgl. STABK und SANDHAAS, Wien. SB. 3 6 , 86FF. 4 1 , 368FF. Unter den Quellen des Stadtrechtsbuches war auch der Schwabenspiegel. Die übliche Bezeichnung „Wiener Weichbild" oder „Weichbildbuch" ist zu vermeiden, da der Ausdruck „Weichbild" (S. 647) in Süddeutschland unbekannt war. 95 Ausg. von WINTEB, Arcb. f. öst. G.-Qu. 60. 1880. Über die Summa legum des Raymund von Wiener Neustadt vgl. § 60 n. 16. 9 » Ausg. v. WINTEB ürkundl. Beiträge zur RG. (1877) 96ff. 97 Vgl. S. 4 0 0 . 6 9 7 . GAUPP 2 , 256ff. TOMASCHEK Deutsches R. in Österr. 80ff.; Rechte der Stadt Wien pg. 5 . RÖSSLEB Rechtsdenkmäler 2 pg. 8 ff. 99 Vgl. TOMASCHEK Deutsches R. in Österr. im 13. Jh. 1859; Oberhof Iglau

710

Mittelalter.

von Prag, Brünn und Schemnitz in Ungarn. Zugleich war Iglau für zahlreiche böhmische und mährische Städte der Oberhof; seine wertrollen Entscheidungen sind bis zu den Hussitenkriegen in lateinischer oder deutscher, von da an vorwiegend in tschechischer Sprache abgefaßt. Mutterrecht von P r a g " war außer dem Iglauer auch das Nürnberger Recht, es scheint sogar, als sei Prag bis 1387 in Nürnberg zu Haupt gegangen 1 0 0 . Das sog. Altprager Statutarrecht von 1269 ist eine deutsche Privatarbeit aus dem Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts, namentlich auf Grund des Iglauer und Brülltier Rechts, des Sachsenspiegels und älterer einheimischer Rechtssatzungen 101 . Das Prager Rechtsbuch, ebenfalls in deutscher Sprache, ist eine Bearbeitung des zweiten Iglauer Stadtrechts; auch das Statutarrecht hat neben zahlreichen lateinischen und deutschen Ratssatzungen aus der Zeit von 1 3 1 4 — 1 4 1 8 verschiedene Iglauer Bestimmungen aufgenommen 102 . Die Stadt B r ü n n 1 0 3 erhielt 1 2 4 3 ein lateinisches Stadtrecht (iura originalia) von König Wenzel I. Das deutsche Stadtrecht wurde zu Anfang des 14. Jahrhunderts aufgezeichnet, auf Grund des älteren Iglauer Stadtrechts, dessen Bestimmungen in der Form eigener autonomer Ratssatzungen aufgenommen sind, ein Verfahren das wohl auf private Entstehung schließen läßt. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfaßte der bereits erwähnte Stadtschreiber Johann von Gelnhausen sein S c h ö f f e n b u c h , eine systematische Sammlung von Brünner Urteilen, die der rechtskundige Verfasser mit doktrinären Einleitungen und vielfach aus dem römischen Recht entnommenen Urteilsgründen ausstattete. Manche der vorgetragenen Rechtsfälle sind nicht aus dem Leben genommen, sondern von dem Verfasser nach Anleitung der Digesten konstruiert. Neben Rechtsfällen begegnen hin und wieder auch Auszüge aus städtischen Privilegien und Statuten. Sieht man von den deutlich erkennbaren Zutaten des Verfassers ab, so ist der Inhalt rein deutschrechtlich, es war daher ein Irrtum, wenn ältere Forscher annahmen, daß man in Brünn schon im 14. Jahrhundert das römische Recht berücksichtigt habe. Die Sprache ist lateinisch. Die Urteile sind von einer

Jh.) 1 8 6 8 ; Das alte Bergrecht von Iglau u. seine bergrechtl. Schöffensprüche 1 8 9 7 . Das letztere besser bei ZYCHA Böhm. Bergrecht 2, 18FF., wo S. 298ff. auch die Iglauer Spruchpraxis in Bergsachen zusammengestellt ist. Über Johann von Gelnhausen, der auch das Iglauer Bergrecht übersetzte, vgl. n. 108. Andere Stadtrechte bei GBCNZEL Deutsche Stadtrechte Böhmens und Mährens, Mitt. d. Ver. f. Gr. Böhmens 80, 128ff. STBHAD Listär kralovsk£ho mSsta PlznS (UB. der Stadt Pilsen) 1. 1891. so VGL. RÖSSLER Rechtsdenkm. aus Böhmen u. Mähren 1. (a. u. d. T. Altprager Stadtrecht) 1845. TOMASOHEK Deutsches Recht 9 6 ff. CELAKOVSKY Cod. iur. munic. Bohemiae 1. 1886. 100 Vgl. KÖPL, Mitt. d. öst. Inst. 8, 306 ff. 1,1 Ausg. RÖSSLEB Bedeutung der 6 . d. R. in Österreich 1847 pg. 9 ff. 1 0 8 RÖSSLEB Rechtsdenkm. 1, lff. 103 ff. 1 0 9 RÖSSLEB Rechtsdenkm. 2 (a. u. d. T. Die Stadtrechte von Brünn) 1852. Ober Johann von Gelnhausen vgl. n. 98 und § 55 n. 22, § 60 n. 5. (13.—16.

§ 57.

Lehn- und Dienstrechte.

711

Klarheit und juristischen Schärfe, die sie stellenweise als würdige Seitenstücke zu den Entscheidungen der römischen Juristen erscheinen läßt. § 57.

Die Lehn- und Dienstrechte.

Zu den ältesten Rechtsquellen des deutschen Mittelalters gehören die Dienstrechte, d. h. die Aufzeichnungen des Rechtes der Ministerialen1. Da dieser Stand erst im Lauf des 11. Jahrhunderts zu voller Entwicklung gekommen war, so bedurfte es dringend einer Feststellung seiner rechtlichen Beziehungen. Das sogenannte Hofrecht des Bischöfe Burchard von W o r m s (1023—25) 2 behandelt die Ministerialen noch nicht als einen eigenen Stand; sie gehören noch schlechthin zu der „familia S. Petri", deren Rechtsverhältnisse im Anschluß an das Herkommen umfassend geregelt werden. Eine ähnliche Stellung nimmt das L i m b u r g e r Dienstrecht von 1035 3 und das ebenfalls noch dem 11. Jahrhundert angehörende Hofrecht von W e i n g a r t e n ein 4 , während das um die Mitte des 12. Jahrhunderts anzusetzende Dienstrecht des Klosters E b e r s h e i m bereits milites, eensuales und serviles auseinanderhält 5 . Unter den eigentlichen Dienstmannenrechten, obwohl sie an den verschiedenen Höfen gesondert festgestellt wurden, herrschte bei aller Verschiedenheit im einzelnen6 doch vielfache Ubereinstimmung, die sich teils aus der Benutzung fremder Dienstrechte bei der ersten Aufzeichnung, teils aus dem Umstand erklärt, daß die Dienstmannschaft geistlicher Fürsten nicht selten seitens des Königs mit dem Recht eines anderen Fürstenhofes bewidmet wurde 7 . Das älteste eigentliche Dienstmannenrecht war das von B a m b e r g aus dem 11. Jahrhundert 8 . Dem St. M a x i m i n e r Dienstrecht von 1135 ging ein Hofund Dienstrecht von 1056 vorauf 9 . Das K ö l n e r Dienstrecht10 in seiner ältesten Gestalt rührt wohl aus den Jahren 1154—76 her, die deutsche Bearbeitung aus der Mitte des 13. Jahrhunderts; eine Ergänzung bietet eine lateinische Aufzeichnung über den Kölner Hofdienst aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Das Bischofs- und Dienstmannenrecht von Basel wurde bereits bei den Stadtrechten erwähnt 11 . 1

Vgl.

2

MG.

VG. 5», 341 f. 2 134. Ausgabe mit Kommentar GENGLEE (Erlanger Festschr. f. MITTEBMAJER 1859). Vgl. ARNOLD , G. d. deutsch. Freistädte 1, 62 ff. * Const. 1, 8 7 . ALTMANN-BEKNHEIM 2 1 3 9 . 4 KINDLINGER, 6 . d. deutsch. Hörigkeit 220. 5 Vgl. DOPSOH, Mitt. d. öst. Inst. 19, 604 ff. • Vgl. Ssp. III 42 § 2. ' Vgl. BÖHMER Acta imperii Nr. 62. 9 v. FÜRTH Ministerialen 5 0 9 . ALTMANN-BEBNHEIM 2 1 4 2 . 9 Beide in B E T E R S Ü B . d. mittelrh. Territorien 1, 4 0 1 . 5 3 8 und danach GSIMM Weistümer 4 , 7 3 8 — 4 3 , wo die Echtheit mit Unrecht angezweifelt ist. 10 FRENSDORFF Das E. der Dienstmannen von Köln 1883 (Mitt. a. d. Stadtarchiv v. Köln 2). ALTMANN-BERKHEIM 2 148. 11 Weitere Dienstrechte bei FÖRTH Ministerialen 5 2 3 ff. Vgl. K B A Ü T GrundSTOBBE

1, 577ff.

CoDst. 1, 639 ff.

WAITZ

ALTMANN-BERNHEIM

712

Mittelalter.

Das Lehnrecht bildete in den Rechtsbüchern und einzelnen Landrechten (z. B. bairisches Landrecht von 1346 Tit. 16) den Gegenstand gesonderter Darstellung und wurde zum Teil auch durch besondere Gesetze geregelt. Namentlich geschah dies in den est- und l i v l ä n d i s c h e n L e h n - oder B i t t e r r e c h t e n des 14. und 15. Jahrhunderts 12 . Von der größten Bedeutung wurde aber für ganz Deutschland das in dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts zu Bologna entstandene lombardische Lehnrechtsbuch, die L i b r i F e u d o r u m (so seit dem 13. und 14. Jahrhundert, in den Handschriften meistens Consuetudines

feudorum)13.

Die Libri Feudorum sind eine allmählich entstandene private Kompilation verschiedenartiger italienischer Lehnrechtsquellen, deren Mittelpunkt die Lehnsgesetze Konrads II, Lothars I I I und Friedrichs I bilden. Durch die Aufnahme des Lehnsgesetzes von 1037 in das Papienser Rechtsbuch und die systematische Lombarda u wurde die Rechtsschule zu Pavia veranlaßt, auch dieses Gesetz in den Kreis ihrer Arbeiten zu ziehen. Daraus erklären sich Tit. 1—8 des ersten Buches, die Capitula Ugonis 15 und die sog. Lex „Quicumque"16. Durch Beifügung verschiedener Lehnrechtsarbeiten, die auf Mailand, zum Teil auf Piacenza und Cremona zurückgehen, und die beiden obertischen Briefe gelangte die Lehnrechtskompilation bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts zu einem ersten Abschluß in Gestalt der sog. obertischen Rezension, so benannt nach dem Mailänder Konsul Obertus de Orto, der neben seinem Landsmann und mehrfachen Amtsgenossen Gerardus Niger zu den bedeutendsten Feudisten Italiens zählte. Seine beiden Briefe an seinen ebenfalls als juristischen Schriftsteller bekannten Sohn Anseimus (II. F. 1—5. 7 § 1. 8—22. 23—24) enthalten eine vollständige Darstellung des Lehnrechts, namentlich in der Mailänder Gestaltung. Sie gehören zu den glänzendsten Leistungen der juristischen Literatur und zeigen den Verfasser gleichvertraut mit lombardischem wie römischem Recht und der Praxis des Mailänder Lehnhofes. Die Abfassungszeit ergibt sich aus der vielfachen Berücksichtigung riß* § 9 . FRENSDORF* a. a. 0 . 2 3 . Ein Dienstrecht von I l z s t a d t ( 1 2 5 6 ) Mon. Boica 2 8 , 2 S . 5 1 0 und 2 9 , 2 S . 2 2 4 , sowie bei GRIMM Weistümer 6 , 1 1 2 . Ein B l a n k e n h e i m e r Dienstrecht des 1 5 . Jh. Ann. d. hist. Ver. f. d. Niederrh. 9 , 1 2 2 f f . Über die Constitutio de expeditione Romana vgl. S. 673. u Vgl. v. BÜNOE Altlivlands Rechtsbücher 1879. STOBBE 1, 578f. 13 Vgl. K . LEHMANN Entstehung der Libri Feudorum (Rostocker Festschrift für BUOHKA 1891); Die Libri Feudorum, N. Arch. 16, 389 ff.; Das langobardische Lehnrecht (Handschriften, Textentwicklung, ältester Text und Vulgattext nebst den capitula extraordinaria) 1896. LASPEYRES Entstehung u. älteste Bearbeitung der Libri Feudorum 1830. DIECK Literär-G. des lang. Lehnrechts 1828. ANSCHÖTZ, Er. Übersch. f. R W . 3, 310ff. PEBTILE Storia del diritto ital. 2*, 96ff. SCHÖPFER Manuale di storia del dir. ital.8 4 4 7 ff. NEUMETER, ZRG. 33, 250ff. 14 Vgl. MG. Leg. 4, 583. 635. Das Gesetz selbst Const. 1, 89. 11 Ein Aufsatz des Ugo de Gambolado, ursprünglich im 2. Buch zwischen den beiden Briefen des Obertus, später in bearbeiteter Gestalt I. F. 14—18. la I. F. 19—24, ein angebliches Gesetz eines Kaisers Lothar, in Wahrheit nur eine Summa Uber das Gesetz Konrads von 1.037. Vgl. MG. Const 1, 680f.

§ 58.

Ländliche Rechtsquellen.

713

des lotharischen Lehnsgesetzes von 1136 und der Nichtberücksichtigung der ronkalischen Gesetze Friedrichs I von 1158". Die obertische Rezension der Libri Feudorum18 kennt noch keine Büchereinteilung und nur wenige Titelrubriken, enthält übrigens neben den Briefen des Obertus auch schon den gesamten Inhalt des ersten Buches der Yulgata (I. F. 1—28), die Capitula Ugonis noch in der ursprünglichen Form zwischen die Briefe des Obertus eingeschoben. Durch allmähliche Zusätze (II. F. 25—51), bei denen die Gesetzgebung Friedrichs I in den Vordergrund trat und außer der mailändischen Praxis auch der Liber constitutionum von 1216 (n. 17) benutzt wurde, entstand die sog. ardizonische Rezension, die der Summa Feudorum des Jacobus de Ardizone (1234—50) als Vorlage gedient hat. Sie hat bereits eine vermehrte Zahl der Titelrubriken und die Einteilung in zwei Bücher, von denen das erste im wesentlichen mit dem der Vulgata übereinstimmt. Aus einer Vermehrung der Titelrubriken, Einschiebung von II. F. 6 und 7 pr. und allmählichen Anhängung von IL F. 52—58 (darunter 53—56 die ronkalischen Gesetze Friedrichs I von 1158) erwuchs, frühestens Mitte des 13. Jahrhunderts, der Text der Vulgata, nach dem Glossator Accursius auch als accursische Rezension bezeichnet. Die Handschriften dieser Textklasse zeigen die Libri Feudorum meistens in Verbindung mit dem Corpus iuris civilis19. Eine Textrezension des Antonius de Pratoveteri in sechs Büchern wurde 1466 von Kaiser Friedrich III amtlich bestätigt20. Infolge seiner Verbindung mit dem Corpus iuris in den Handschriften und der Glosse hat das lombardische Lehnrechtsbuch die ferneren Schicksale des Corpus iuris geteilt und ist mit diesem in Deutschland rezipiert worden. § 58.

Die ländlichen Rechtsquellen.

1, 585ff. 2, 269ff. SCHRÖDER bei GRIMM Weistümer 7, 387ff. L A M WL. 2, 624 ff. INAMA-STERNEQO Quellen der deutsch. WG., Wien. SB. 84, 151 ff. H Ü B E B , Gr. d. Schweiz. Pr.-R. 52ff. Eine allgemeine Sammlung: J . GRIMM Weistömer, 7 Bde 1840—78. H A R D T Luxemburger Weistümer 1870. H A B E T S Limburgsche Wijsdommen 1891. W A S S E R S C H L E B E N Deutsche Rechtsquellen des Mittelalters 1892. H A R L E S S Niederrhein. Weistümer, Arch. f. G. d. Niederrheins 6. 7 STOBBE

PRECHT

17 Eine Bearbeitung der obertischen Briefe in dem Liber constitutionem von Mailand von 1 2 1 6 c. 2 7 — 3 0 (Hist. Patr. Monum. 1 6 , 9 3 8 F F . , ferner Ausgabe von BEBLAN 1 8 6 9 ) . Vgl. L E H M A N N Eine neue Rezension des Mailänder Lehnrechts, i. d. Jur. Festg. für J H E B I N G 1 8 9 2 . W E Y M A H N Vergleichung der lehnr. Kapitel des Mail. Stadtrechts mit dem Liber Feudorum 1887. 19 LEHMANN Consuetudines feudorum, 1 . Compilatio antiqua 1 8 9 2 . 19 Daher die Abdrücke der Vulgata in den Ausgaben des Corpus iuris. Eine kritische Ausgabe mit der gegenübergestellten obertischen Rezension bei L E H M A N N Das langob. Lehnrecht 83—185. 20 Vgl. GAUDENZI Notizie ed estratti dei manoscritti e docomenti 1886 S. 26 ff. In der Ausgabe des Cujacins (1566) ist der Text der Vulgata auf vier Bücher verteilt, während die Extravaganten sich IV. F. 73—109 und Buch V. finden und nach dieser Anordnung auch bisher zitiert zu werden pflegten. Jetzt bei L E H M A N N a. a. 0 . 186 ff.

Mittelalter.

714

(1868—70). GHÜB Öffnungen u. Hofrechte des Kantons St. Gallen, 2 Bde 1903—6 (Samml. Schweiz. Rqu. 14, 1). STUTZ Rechtsquellen von Höngg 1897. BOBCKHABDT Hofrödel von Dinghöfen Baselischer Gotteshäuser 1860. ROCHHOLZ Aargauer Weistümer 1876 (andere von WELTI, Argovia 4 veröffentlicht und danach bei GBIMM abgedruckt). HANAUER Les constitutions des campagnes de l'Alsace 1864 (andere von demselben gesammelte elsässische Weistümer bei GBIMH 5). Zahlreiche Weistümer in der ZGO., der Z. f. Schweiz. Recht und den Zeitschriften der historischen Vereine. Eine planmäßig geordnete Sammlung der österreichischen Weistümer ist von der Wiener Akademie der Wissenschaften, eine solche der rheinischen Weistümer von der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde unternommen. Vgl. Österreichische Weistümer, 8 Bde 1870—96. LOEBSCH Weistümer der Rheinprovinz 1. 1900. Verzeichnis der rheinischen Weistümer 1883. MATERHOFEB u. GLASSCHRÖDER Weistümer der Rheinpfalz, Mitteil. d. hist. Ver. d. Pfalz 1892.

Die nordgermanische Sitte regelmäßiger Rechtsvorträge in der Landesgemeinde war frei den Südgermanen wenig verbreitet1. Das Reichshofgericht und die Land- und Stadtgerichte erteilten Einzelweistümer auf besondere Anfragen, aber nur die Folizeiordnungen in den Städten wurden regelmäßig zu bestimmten Zeiten von den Bathäusern öffentlich verlesen. Dagegen war es im Mittelalter auf dem Lande (in Dorf- und gutsherrlichen Hofgerichten, Märkerdingen und anderen genossenschaftlichen Versammlungen) allgemein üblich, zu bestimmten Zeiten im Jahr durch die Ältesten oder Schöffen das Recht weisen zu lassen. Diese Vorträge hießen Weistümer oder Öffnungen; wo sie aufgeschrieben waren, kam auch die Bezeichnung Rotel oder Rodel (altfrz. rôle) vor. In Süddeutschland sprach man, da die Weisungen vornehmlich in den echten Dingen der Dorfgenossen erteilt wurden, von Ehaftrechten, Ehafttaidingen oder Pantaidingen. In regelmäßiger Übung haben sich die Weistümer bis zum 16. Jahrhundert erhalten; von da an verschwinden sie mehr, doch fehlt es nicht an solchen, die auch im 18. Jahrhundert, teilweise selbst im Anfang des 19. Jahrhunderts noch zu regelmäßigem Vortrag gelangten. Dem Inhalt nach überwiegen bei weitem die Hofweistümer, deren Mittelpunkt die Darlegung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses bildet. Sehr zahlreich sind sodann die Marken weistümer der Märkerdinge, während die Weistümer freier Dorfgemeinden in den Hintergrund treten. Auf besondere Rechtsverhältnisse beziehen sich die Send-, Markt-, Grenz-, Zoll-, Zeidler-, Fähr-, Mühlen-, Fischereiweistümer, die Weinbergsweistümer („Bergrechte") u. dgl. m. Hin und wieder hatte der Brauch der Weisungen auch in Städten Eingang gefunden. ' Charakteristisch ist es, daß in den .Kolonisationsgebieten des nordöstlichen Deutschlands keine Weistümer vorkommen2. Die Weistümer entsprachen eben uraltem Herkommen, aber nicht den von Grund aus neuen Verhältnissen, die hier zur Ausbildung gelangten. 1

Vgl. S. 240. § 55 n. 6. Dagegen findet sich ein holsteinisches Weistum des 14. Jahrhunderts (Kirch' spiel Elmshorn) bei HASSE Schlesw.-holst. Regesten u. Urk. 3, 647 Nr. 1090. 1

§ 58.

Ländliche Rechtsquellen.

715

Die Entstehung der Weistiimer muß in dem gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnis, das überall als der eigentliche Ausgangspunkt erscheint, gesucht werden. Es war das Inquisitionsrecht des Königs und der geistlichen Grundherren, das die ländliche Bevölkerung nötigte, auf die ihr vorgelegten Fragen Auskunft zu erteilen8 und, unterstützt durch das eigene Interesse der Bauern wie der Vögte, allmählich überall dahin führte, diese Auskünfte zu bestimmten Zeiten regelmäßig zu wiederholen. Dabei bildete sich naturgemäß bald eine typische Form für diese Weisungen, die auch beibehalten wurde, als man seit dem 13. und 14. Jahrhundert anfing, sie niederzuschreiben und dann nicht mehr mündlich vorzutragen, sondern öffentlich zu verlesen und von der Gemeinde bestätigen zu lassen. Der typische Charakter zeigt sich namentlich in zahlreichen von urwüchsigem Humor diktierten Aussprüchen4, nicht minder in Sätzen von hoher Altertümlichkeit, die sich oft noch in spät aufgezeichneten Weistümern finden, also unverkennbar auch dann noch wiederholt wurden, wenn ihr wahrer Sinn den Mitlebenden bereits unverständlich geworden war. Ihrem ganzen Wesen nach waren die Weistümer nichts anderes als Bezeugungen des hergebrachten Bechtes und eingewurzelter wirtschaftlicher Gewohnheiten. Neuerungen waren daher im allgemeinen ausgeschlossen, doch vermochten auch die Weistümer sich nicht ganz den Einflüssen des Zeitgeistes zu entziehen. Nicht selten wußten die Herren den Bauern dennoch unliebsame Neuerungen aufzuzwingen, oder diese den Herren Zugeständnisse, die bis dahin unbekannt oder bestritten gewesen waren, abzutrotzen. Manche Weistümer tragen infolgedessen geradezu den Charakter von Verträgen. Von den regelmäßigen Weistümern zu unterscheiden sind nicht nur die seit dem 16. Jahrhundert in Nachbildung der städtischen Polizeiordnungen aufkommenden Dorf-, Flur-, Märkerordnungen u. dgl., sondern auch die zu bestimmten Zwecken erteilten Einzelweistümer und Schiedssprüche, besonders häufig bei der Aufzeichnung von Urbarien, ferner bei Streitigkeiten der Klöster mit den Vögten oder dem Übergang einer Hofgenossenschaft an eine andere Herrschaft. Nicht selten wurden solche Einzelauskünfte dauernd in das Weistum aufgenommen. 3 LAMPBECHT WL. 2, 659 f. verweist auf ein Diplom Karls d. Großen für Prüm v. 775 (Mittelrhein. UB. 1, Nr. 29), in welchem die Klosterbauern angewiesen waren, der Abtei tarn in responsis dando quamque et reKquam legem ae consuetudinem ebenso zu dienen, sieut ceteri fiscalini habere videntur. Vgl. S. 276. Das vermeintlich älteste Weistum (die Iura curiae in Munchwilare) ist nicht mit GOTHEIN (Bonn. Univ.-Progr. 1899) in das Jahr 926, sondern erst in das 12. cder 13. Jh. zu setzen. Vgl. Abdruck und Besprechung von ZEUMEB, N. Arch. 25, £07 ff. 4 Vgl. GIEBKE Der Humor im deutschen Recht 8 1886.

Mittelalter.

716

§ 59.

Die Urkunden.

Vgl. S . 278 ff. 500 ff. BRESSLAÜ Handbuch der Urkundenlehre 1. 1889. POSSE Lehre von den Privaturkunden 1887. FICKER Beiträge zur Urkundenlehre, 2 Bde 1877—78. STENGEL Immunitätsurkunden v. 10.—12. Jh., Berl. Diss. 1902. v. BÜCHWALD Bischofs- und Fürstenurkunden des 12. 13. Jh. 1882. LINDNER Urkundenwesen Karls IV und seiner Nachfolger 1882. SCHULTE, UB. der Stadt Straßburg 3. (1884), Einleitung. BAÜMANN i. d. Qu. d. Schweiz. G. 3, 1 S. 174 ff. v. V O L TELINI Südtiroler Notariataimbreviaturen, Acta Tirolensia 2. 1899, Einleitung. F. K E H N Dorsualkonzept u. Imbreviatur, zur G. der Notariatsurkunde in Italien, Stuttg. Diss. 1906. REDLICH, Mitt. d. öst. Inst. Erg. 6, 14 ff. BRÜNNER Grundzüge1 118 ff. GOLDSOHMIDT Universal-G. des Handelsrechts 383 ff. PLANCK Gerichtsverfahren 2, 193ff. Vgl. auch AMIBA Nordgerm. Obligationenrecht 1, 298ff. 2, 337 ff.

Die Unanfechtbarkeit der Königsurkunden blieb das ganze Mittelalter hindurch bestehen. Aber während in der Merowingerzeit der Schwerpunkt ihrer Beweiskraft in der Namensunterschrift des Königs beruhte und das Siegel nur als Erkennungszeichen diente, erlangte seit den Karolingern das Siegel nebst dem Rekognitionsvermerk des Kanzlers immer größere Bedeutung und wurde, indem die königliche Unterschrift zu einem bloßen Monogramm einschrumpfte und seit dem 12. Jahrhundert überhaupt in Wegfall kam, zum eigentlichen Beglaubigungsmittel. Die Quellen sprechen seitdem regelmäßig von „Brief und Siegel". Die für dauernde Dispositionen bestimmten Diplome (seit der staufischen Zeit gewöhnlich Privilegien genannt) wurden seit Konrad III mit dem hängenden Kanzleisiegel (Hofgerichtsurkunden seit 1235 mit einem eigenen Hofgerichtssiegel) versehen; bei den bloß zu vorübergehenden Verwaltungsakten dienenden und nicht zu Beweismitteln bestimmten königlichen „Mandaten" oder „Patenten" fand das Siegel erst seit dem 14. Jahrhundert Eingang, indem es üblich wurde, sie mit einem Siegel zu verschließen (litterae clausae) oder ihnen ein Siegel beizudrucken (litterae apertae, l. patentes). Ein wichtiger Unterschied zwischen der Königsurkunde und der Privaturkunde, die Zeugenlosigkeit der ersteren und Zeugenbedürftigkeit der letzteren, trat seit Heinrich IV mehr und mehr in den Hintergrund, da man die Intervenienten, auf deren Fürbitte die einzelne .Königsurkunde ausgestellt wurde, nicht mehr an die Spitze des Textes, sondern als Zeugen am Schluß der Urkunden aufzuführen pflegte \ Anfangs wurden sie wie bei Privaturkunden als reine Handlungszeugen angesehen und erst allmählich brach sich die Auffassung Bahn, daß die im Königsbrief bezeugte Tatsache keines weiteren Beweises bedürfe, von den Zeugen also nicht der Inhalt, sondern nur entweder der Beurkundungsbefehl oder die Besiegelung, also die Echtheit der Urkunde, zu bestätigen sei.

1

Vgl.

BBESSLAU 7 9 8 . 8 0 9 ff.

§ 59.

Urkunden.

717

Die Privaturkunde war bei den Sachsen, Friesen und im wesentlichen auch bei den Thüringern bis zum 12. Jahrhundert noch ohne rechtliche Bedeutung; auch das bairische Urkundenwesen war seit Ludwig dem Deutschen in Verfall geraten, und nicht anders war es seit dem 10. Jahrhundert, nach dem Verschwinden des Gerichtsschreiberamtes, in Franken und Schwaben. Die theoretische Beschäftigung mit dem Urkundenwesen hörte auf, die carta wurde immer formloser und wich mehr und mehr der notitia, die selbst schließlich zu einem unbeglaubigten, jeder Beweiskraft entbehrenden „Akt" wurde und einzig das Gedächtnis an einen bestimmten Vorgang und die dabei zugezogenen Zeugen aufrecht zu erhalten bestimmt war. Dagegen erhielt sich die carta in Italien bis zum 12. Jahrhundert, um dann der notitia dauernd zu weichen. Die Neubelebung des Urkundenwesens ging von dem Teilzettel (carta partita, c. excisa, c. indentata, Zerter, Spalt-, Span-, Kerbzettel) und der Besiegelung aus. Bei den Angelsachsen war es schon im 9. Jahrhundert üblich, den Urkundentext zweimal hintereinander, nur durch das Chirographum getrennt, auf dasselbe Blatt zu schreiben und dann mittels eines Querschnittes durch das Chirographum zu teilen, so daß die beiden aneinander gelegten Stücke (chirographa\ von denen jede Partei eins erhielt, die Echtheit des Ganzen erwiesen. In Deutschland, wo man vorher wohl nur den Kerbstock gekannt hatte, fand diese Sitte des Chirographierens, verbessert durch Einführung des gezackten oder wellenförmigen Schnittes, seit Ende des 10. Jahrhunderts (zuerst in Lothringen) ebenfalls Eingang und seit dem 12. Jahrhundert weiteste Verbreitung 2 . Dem Nachteil, daß der Gegner seinen Zettel beseitigen und damit auch die Beweiskraft des anderen Zettels aufheben konnte, suchte man zuweilen durch Hinterlegung des zweiten oder eines dritten Zettels an einer öffentlichen Aufbewahrungsstelle oder dadurch, daß jeder seinen Zettel von dem Gegner besiegeln ließ, vorzubeugen. Im allgemeinen aber erkannte man bald in Brief und Siegel ein so viel zuverlässigeres Beweismittel, daß die Teilzettel fast ganz außer Übung kamen und sich nur bei Geschäften des täglichen Lebens erhielten 3 . Der Gebrauch der Siegel ist römischer Herkunft, aber während die Römer nur den Siegelverschluß, zum Schutz der Urkunden gegen Verfälschung, kannten, verwendeten die Germanen die Siegel im Sinne ihrer Hausmarke (S. 15) und des altnordischen jartein als Erkennungszeichen

2

V g l . B a E a s t A ü a. a. 0 . 502ff.

LOEKSCH U. SCHRÖDER2 Nr. 278. 293.

Waren

mehr als zwei Kontrahenten, so wurde die Zahl der Teilzettel entsprechend vermehrt. Vgl. ebd. Nr. 287. 3 Am längsten bei der Chartepartie des Seefrachtgeschäfts, die noch heute den Namen trägt. Bei der Ablohnung ländlicher Arbeiter in Norddentschland wurden bis vor wenigen Jahrzehnten Kerbhölzer als Quittungsbücher benutzt. Bei Scheckbüchern und Lotterielosen wird der wellenförmige Ausschnitt fast allgemein angewandt.

Mittelalter.

718

für die persönliche oder amtliche Stellung des Ausstellers4. Indem sich die Besiegelung der Königsurkunden allmählich zu einem Beglaubigungsakt für die Echtheit ausbildete, wirkte dies unwillkürlich auf die Privaturkunden zurück. Die höhere Geistlichkeit verwendete ihre Siegel schon Ende des 9. Jahrhunderts in diesem Sinn, seit dem 10. Jahrhundert folgten die weltlichen Fürsten ihrem Beispiel, bis im 13. Jahrhundert die Besiegelung zu einem allgemeinen Brauche wurde. Hatte es sich dabei zunächst nur um Beweisurkunden gehandelt, so kam es doch auf diesem Wege schon im Mittelalter auch zu wahren Geschäftsurkunden, die carta trat als „Brief und Siegel" von neuem ins Leben. Ein Privileg der Siegelmäßigkeit gab es nicht, vielmehr war jeder, der ein eigenes Siegel hatte, berechtigt, es in seinen Angelegenheiten zu verwenden6. Ein Vorrecht entwickelte sich nur insofern, als gewisse Personen das Recht erlangten, auch fremde Urkunden mit ihrem Siegel zu beglaubigen6, zuerst die Bischöfe, seit dem 13. Jahrhundert auch weltliche Fürsten und Herren, namentlich aber Stadtbehörden und die höheren weltlichen und geistlichen Gerichte. So schon der Deutschenspiegel: Ist daz ein lai insigels niht enhat, so sol man im der stcU insigel geben, ob siz hat, oder seines rihters insigel oder eines gotes hauses; swelkes er hat, so ist er sicher"1. Nach

dem Schwabenspiegel (Schwsp. L. 159) konnten Papst, König, geistliche und weltliche Fürsten sowie Kapitel und Konvente für sich wie für andere siegeln, freie Herren nur für sich und ihre Leute, Städte nur in städtischen Angelegenheiten (wozu aber auch die Privatangelegenheiten der Bürger gerechnet wurden), Richter im Bereich ihrer gerichtlichen Zuständigkeit, alle anderen Personen nur in eigenen Angelegenheiten. In manchen Gegenden erlangten die bischöflichen Offizialate und selbst Dekane das Recht, fremde Urkunden mit ihrem Siegel zu beglaubigen.8 Zeugen wurden in den Urkunden noch regelmäßig benannt, aber ihre Vernehmung im Prozeß erfolgte nicht mehr, den Beweis lieferten Brief 4

A.

Über die Besiegelung der Urkunden vgl. BBESSLAV 1, 510ff. POSSE Zur Lehre vom Urkundenbeweise, Z. f. d. Pr. u. öff. R. 2 2 ,

S . SCHULTZE

126FF. 102

ff.

FICKEB 1 , 9 1 ff. 2 , 1 8 8 ff. 6

Die Frage, inwiefern gewisse Personen die Ausschließlichkeit ihres Siegels beanspruchen konnten, bedarf genauerer Untersuchung. Daß alle, die eigenes Wappen oder eigene Hausmarke fährten, gegen die unbefugte Führung seitens Dritter Einspruch erheben konnten, ist selbstverständlich. Vgl. F. HAUPTMANN Wappenrecht ( 1 8 9 6 ) 2 4 8 ff. Man konnte auch sein Siegel unter der Verpflichtung, «s selbst nicht mehr zu führen, auf andere übertragen. Vgl. POSSE a. a. O. 181. HAUPTMANN 263ff. Über verwandte Rechtsverhältnisse handelt KLEE in: „Der deutsche Herold" 1907 Nr. 2. ' Der Unterschied des kanonischen Rechts zwischen authentischen (glaubhaften) und nicht authentischen Siegeln war in Deutschland unbekannt. 7 Dsp. 36. Vgl. Schwsp. L. 36*. 8 Während namentlich in Straßburg die freiwillige Gerichtsbarkeit des bischöflichen Offizialates zu hoher Bedeutung gelangte, entwickelte sich in Friesland und Ditmarschen eine freiwillige Gerichtsbarkeit der Kirchspielpfarreien. Vgl. A. SCHULTE, UB. d. St. Straßburg 3 pg. 17 ff.

§ 59.

Urkunden.

719

und Siegel allein, es hieß: „Briefe sind besser, denn Zeugen"9. Gegen die Wahrheit des Inhaltes einer als echt anerkannten oder erwiesenen Urkunde wurde keine Einrede mehr gestattet, auch die Übergabe der Urkunde galt als vollzogen, sobald die Besiegelung erfolgt war. Die eidliche Ableugnung des eigenen Siegels wurde von der jüngeren Rechtsentwicklung nicht mehr zugelassen, wenn der Gegner die Echtheit durch Siegelvergleichung zu erweisen vermochte. Wer sein Siegel anerkannte, aber leugnete, es an die Urkunde gehängt zu haben, hatte nach sächsischem Recht seine Ableugnung selbdritt zu beschwören. War die Besiegelung durch einen dazu befugten Dritten erfolgt, so genügte Anerkennung der Echtheit durch den Siegler, eine Ableugnung des Ausstellers kam nicht in Frage. In Italien hatte, vom römischen und kanonischen Recht begünstigt, das Amt der öffentlichen Notare sich nicht nur erhalten, sondern war durch die Anerkennung des öffentlichen Glaubens der Notariatsurkunden sogar zu erheblich größerer Bedeutung gelangt. Seit dem 14. Jahrhundert verbreitete es sich auch nach Deutschland, doch beschränkte sich der öffentliche Glaube der unbesiegelten Notariatsurkunden zunächst auf den Verkehr mit den geistlichen Behörden. Im weltlichen Verkehr wurden sie zwar seit dem 15. Jahrhundert häufig angewendet, erlangten aber erst durch die Notariatsordnung von 1512 Beweiskraft10. In Italien trugen die Notare seit dem 12. Jahrhundert den wesentlichen Inhalt der von ihnen aufgenommenen Urkunden regelmäßig in besondere Register ein. In Deutschland kamen derartige Eintragungen (imbreviaturae) zuerst in Südtirol (seit 1237) in Gebrauch. Den Kopialbüchern, in denen die geistlichen Grundherren seit dem 9. Jahrhundert Abschriften der für sie ausgestellten Urkunden sammelten, standen die Registerbücher gegenüber, in denen die Aussteller die von ihnen ausgegangenen Urkunden verzeichnen ließen. Derartige Registerbücher wurden anfangs nur in der päpstlichen, seit Friedrich II auch in der sizilianischen Kanzlei geführt; seit Ludwig dem Baiern kamen sie auch bei der Reichskanzlei und den größeren Fürstenhöfen in Gebrauch11. Zu besonderer Bedeutung gelangten im Laufe der Zeit die Traditionsbücher der großen Grundherrschaften, die seit dem 10. Jahrhundert mehr und mehr an die Stelle der Kopialbücher traten, im späteren Mittelalter » V g l . BBESSLAU L, 5 4 5 ff.

10

BBESSLAU 1 , 4 9 1 ff. 5 0 0 . OESTEBLEY Das deutsche Notariat Das Notariat der preußischen Monarchie ( 1 8 9 6 ) 1 2 ff. Besonders beliebt waren schon im 15. Jahrhundert die von einem öffentlichen Notar beglaubigten Abschriften (Vidimus), wobei aber die Prüfung des Originalsiegels nach strengem Recht als Sache des Richters galt and die Beglaubigung der Abschrift durch den Notar erst auf richterlichen Befehl erfolgte. Über die vielfach fortdauernde Bezeichnung der Notare und Schreiber als eleriei (S. 2 7 4 ) vgl. KLEE, Zentr.-Bl. f. Bibl. 20, 325 ff. 1. 1 8 4 2 .

11

Vgl.

S. 497. WEISSLEB

V g l . BBESSLAU 1, 91 ff.

720

Mittelalter.

aber wieder von diesen verdrängt wurden12. Die Traditionsbücher enthielten keine Abschriften, sondern gleichzeitige, protokollartige Originalaufzeichnungen über die auf Grundstücke bezüglichen Erwerbsgeschäfte des Grundherrn. Neben den Traditionsbüchern wurden bei den meisten Grundherrschaften Urbarien oder Salbücher geführt, die anfangs vorwiegend den Charakter grundherrlicher Heberollen hatten und auf Grund der von den Hintersassen erteilten allgemeinen oder besonderen Weistümer angefertigt, im späteren Mittelalter aber mit den Traditions- oder Kopialbüchern in Verbindung gesetzt und zum Teil zu vollständigen grundherrlichen Katastern erweitert wurden13. Für die bedeutenderen Lehnsherrschaften wurden vielfach auch besondere Lehnregister oder Lehnbücher angelegt 14 . Nach dem Vorbild der Traditionsbücher sind die seit dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts aufkommenden, seit dem 13. Jahrhundert in Norddeutschland allgemein, in Süddeutschland weniger verbreiteten S t a d t b ü c h e r (Schreins-, Schöffen-, Erbe-, Grund-, Insatz-, Währschafts-, Schuldbücher) entstanden 15 . Sie kommen zuerst in Köln, dann noch im 11 Vgl. BBESSLAU 8 5 ff. REDLICH Bairische Traditionsbücher und Traditionen, Mitt. d. öst. Inst. 5, lff. 18 Vgl. S . 276. LAMPBECHT WL. 2, 59—123. 657ff. S , 342ff. 500ff. Von den zahlreichen Veröffentlichungen auf diesem Gebiet nennen wir MAAG n. SCHWEIZER Das habsburg. Urbar, Qu. d. Schweiz. G. 14. 15, 1. 2. 1894—1904 (vgl. STÜTZ, ZRG. 38, 192ff.). DOPSCH Die landesfürstl. Urbare Nieder- u. Oberösterreichs a. d. 13. 14. Jh., Österreichische Urbare 1, 1. 1904 (vgl. SCHREÜER, ZRG. 39, 320ff.). Rheinische Urbare, 1. Die Urbare von St. Pantaleon in Köln her. v. HILLIQEB 1902; 2. Die Urbare der Abtei Werden a. d. Ruhr her. v. KÖTZSCHKE 1906. KÜCH Die ältesten Salbücher des Amtes Marburg, Z. d. Ver. f. hese. G. NF. 29. FRANKE Das rote Buch von Weimar 1891. 14 Vgl. L I P P E B T U. BESCHORNER Lehnbuch Friedrichs d. Strengen v. Meitten u. Thüringen, Sehr. d. Sfichs. Kommission f. G. 8. 1903. t5 Vgl. S. 6 9 5 . AUBERT Grundbögernes Historie i Norge, Danmark og tildels Tyskland 1892 S. 18ff.; die Deutschland betreffenden Teile, übersetzt und teilweise bearbeitet von DOUBMEB, ZRG. 2 7 , 1 — 7 4 . Mecklenburg. UB. 1 ( 1 8 6 3 ) , Einleitung. BBESSLIAD 1, 5 5 1 ff. PLANCK a. a. 0. 2 , 1 9 9 ff. STOBBE Privatrecht 1 § 6 7 . GIEBKE Deutsch. Priv.-R. 1 , 2 9 4 ff. 2, 2 § 0 . HOMEYER Stadtbücher d. MA. 1 7 ff. RANDA, Z . f. Priv.- u. öff. R. 6 , 105ff.. WABSCHAÜEB Stadtbücher d. Provinz Posen, 2 . d. hist. Ges. f. Posen 1 , 3 4 9 ff. FABBICIUS, MANKE, PYL U. WEHEMANN Stadtbücher Pommerns, Balt. Studien 4 6 , 4 5 ff. REHME Lübecker Ober-Stadtbuch ( 1 8 9 5 ) 1 — 2 7 0 ; Zur G. d. Münchener Liegenschaftsrechtes (Festg. f. Dernburg 1 9 0 0 ) ; G. d. München. Grundbuches (Festg. f. Fitting 1 9 0 3 ) . MEERWEIN Gerichtl. Fertigung im Basler Stadtrecht des 1 3 . Jhs., Basel. Diss. 1 9 0 3 . BETERLE im Konstanzer Häuserbuch 2 , 1 ( 1 9 0 6 ) . KBAUT-FBENSDOBFF Grundriß9 § 1 2 . LOERSCH u. SCHRÖDER 1 S. 2 5 9 . DÖRING Beiträge z. ältesten G. d. Bistums Metz 8 6 ff. EBHISCH Die sächsischen Stadtbücher des MA., N. Arch. f. sächs. G. 1 0 , 83ff. 177FF. Ausgaben: Aken (G.-Bl. f. Magdeburg 3 0 — 3 2 . 3 5 ) ; Andernach (HÖNIGER, Ann. d. hist. Ver. f. Niederrh. 4 2 ) ; Basel (HEOSLEB, ZRG. 16, 143ff.); Berlin (CLAUSWITZ 1 8 8 3 ; FIDICIN Hist.-dipl. Beitr. z. G. von Berlin 1 , 1 8 3 7 ; vgl. STEFFENHAGEN, Wien. SB. 1 3 1 . SELLO, Märk. Forsch. 16. 1 7 ) ; Bernburg (FÖRSTEMANN 1 8 9 7 ) ; Brandenburg (SELLO, Märk. Forsch. 18); Breslau (STOBBE, Z. f. G. Schlesiens 6—10., vgl. ebd. 4, lff. 179ff.); Falkenau

§ 59. Urkunden.

721

12. Jahrhundert auch in Andernach und Metz vor und scheinen sich erst von Köln aus nach anderen Städten verbreitet zu haben. Ursprünglich begnügte man sich mit einzelnen Zetteln (Schreinskarten, rotuli) die aneinander geheftet wurden, seit dem 13. Jahrhundert erfolgten die Eintragungen protokollartig (nur ausnahmsweise in dispositiver Form, zuweilen unter Beiheftung der von den Parteien mitgebrachten Urkunden) unmittelbar in das Buch. Wo die freiwillige Gerichtsbarkeit in den Händen der Geistlichkeit lag, wie u. a. in Straßburg, kam es zu keinen Stadtbüchern. Im Gegensatz zu den Traditionsbüchern beschränkten die Stadtbücher sich nicht auf Immobiliargeschäfte, sondern verzeichneten alle vor dem Buche verlautbarten Rechtsgeschäfte, wenn auch nicht selten nach Maßgabe des Inhaltes verschiedene Bücher angelegt wurden. Mit der Führung des Stadtbuches war entweder das Stadtgericht als solches oder ein Ausschuß des Schöffenkollegiums betraut; nicht selten gab es für einzelne Stadtteile oder Kirchspiele besondere Buchämter, denen eigene Schöffen oder Amtleute vorstanden. Die buchführende Behörde hatte alle vor ihr verlautbarten Geschäfte einzutragen und wurde durch Urkundsgeld verpflichtet, erforderlichenfalls Zeugnis darüber abzulegen. Bezog sich dies Zeugnis ursprünglich auf die Handlung selbst, so daß die Eintragung nur die Bedeutung eines zur Unterstützung des Gedächtnisses bestimmten „Aktes" hatte, so handelte es sich seit dem 13. Jahrhundert nur noch um die Bezeugung der Eintragung, bis man endlich dahin kam, von dem persönlichen Zeugnis überhaupt abzusehen und der Eintragung an sich, obwohl sie ohne Siegel erfolgte, volle Beweiskraft einzuräumen. Schon im 15. Jahrhundert kam man stellenweise dahin, die Eintragung als Perfektionsakt aufzufassen, während sie ursprünglich nur Beweismittel gewesen war 16 .

(RIETSCH 1895); Freienwalde i. P. (LEXCKE, Balt. Studien 32); Garx auf Rügen (ROBEN, Quell, z. pomm. 6 . 1, 1885); Gelnhausen (EITLER Zur £ 6 . der Reichsstadt 6., Neujahrabi. d. Frankf. G.-Ver. 1874); Olatx (G.-Qu. d. Grafschaft Glatz 4, 1889); Görlitz (JECHT, Gymn.-Progr. 1891 und Nied.-Lausitz. Magazin 69. 70); Halle (HEBTEL 2 Bde 1882—87); Hamburg (REMABUS, Z. d. Hamb. G.-Ver. 1, 329 ff. KOPPMANN Das hamb. Schuldbuch 1875); Kahla (BEBGNER Urk. d. Stadt. K . 1899); Kiel

(LUCHT 1842; HASSE 1 8 7 5 ;

REDTEB 1893—97:

STEBN 1904); Köln

(HÖNIOEB

Kölner Schreinsurkunden, 2 Bde 1884—94. HÖNIOEB u. STEBN Das Judenschreinsbuch

der Laurenzpfarre, Qu. z. G. d. Judentums 1, 1888); Lübeck (BBEHXEK, Z. f. lüb. G. 4, 222ff.-, PAULI Abh. a. d. lüb. Recht, 4 Bde 1837—65; Lübeck. Zustände, 3 Bde

1847—78; UB. d. Stadt Lübeck; REHME Das LUbeeker Oberstadtbuch 1895);

Lüneburg (REINECKE 1903, Qu. u. Darst. z. G. Niedersachsens 8); Olmütx (BISCHOFF 1877); Quedlinburg (JANICKE UB. d. Stadt Quedlinburg 2, 229ff.); Reval (ABBUSOW

u. NOTTBECK, Arch. f. G. Liv-, Esth- u. Kurlands, 3. Folge, 3 Bde); Riga (HILDEBRAND Schuldbuch 1872.

NAPIEBSKY Erbebücher 1888; Libri reddituum 1881);

Rostock (Beitr. z. G. d. Stadt R. 2, 2 S. lff.); Stralsund (FABRICIUS 1872; EBELINO 1903); Wien (Qu. z. G. d. St. W. 3. Abt. 1898); Zerbst (NEUBAUER, Mitt. d. Ver. f.

anh. G. 16

7).

Vgl. BRUNNER RG. d. Urk. 307, über Lübeck und Bremen vgl. AÜBERT

a. a. 0 . 28. 36; ZRG. 17, 6. 11.

REHME Lüb. Stadtb. 251 ff.

R. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte. 5. Aufl.

46

Mittelalter.

722

Dem Beispiel der Stadtgerichte sind die Landgerichte im Mittelalter im allgemeinen nicht gefolgt, nur in den Ländern der böhmischen Krone wurden sohon im 13. Jahrhundert Landtafeln (tabulae, tschechisch detky) geführt, die sich zwar nur auf Immobiliargeschäfte bezogen, im übrigen aber den Stadtbüchern durchaus entsprachen. Diese böhmische Einrichtung fand im 14. Jahrhundert auch in Polen Eingang und hat sich im Laufe der Zeit über ganz Osterreich verbreitet17. Neben der Einführung der Besiegelung sowie der Stadtbücher und Landtafeln ist für das Urkundenwesen, namentlich im Gebiet des Handelsverkehrs, die Ausbildung der Order- und Inhaberpapiere von bahnbrechender Bedeutung gewesen18. Hervorgerufen wurden sie teils durch das Bedürfnis der dem germanischen Recht noch unbekannten prozessualischen Stellvertretung, teils durch den Wunsch, die Übertragung einer Forderung von der Mitwirkung des Schuldners unabhängig zu machen. Die fränkische Zeit kannte die Orderklausel nur für den Fall der Zwangsvollstreckung, die sogenannte Exaktionsklausel: tibi auf cui dederis hanc cartam ad exigendum19. Nachdem diese in Italien zur vollen Orderklausel ausgebildet war, erschien sie in deutschen Urkunden des Mittelalters in der Form: „oder wer diesen Brief mit seinem Willen inne hat"; statt des später von Italien und Frankreich aus verbreiteten Indossaments diente eine besondere Übertragungsurkunde, der „Willebrief'20. Die Inhaberklausel ist langobardischen Ursprungs; sie begegnet in Italien schon im 9. Jahrhundert als alternative Inhaberklausel {tibi aut cui hoc scriptum in manu paruerit), daneben seit dem 10. Jahrhundert auch als unmittelbare Inhaberklausel (ad hominem apud quem hoc scriptum in manu paruerit). In Frankreich, Deutschland und den Niederlanden waren seit dem 13. und 14. Jahrhundert beide Formen nebeneinander verbreitet®1. " Vgl. KAPBAS, Z. f. vergi. RW. 18. RAUDA Entwicklang dee Instituts der öffentl. Bücher in Österreich, Z. f. Priv. u. öff. R. 6, 81 ff. CZTHLABZ Zar G . des bücherlichen Besitzes im böhm.-mähr. Landrecht, ebd. 10, 236 ff. v. MAASBUBO Entwicklung des Instituts der öffentl. Bflcher in Böhmen 1877. SCHALK Mediinger Grundbach a. d. 15. Jh., Blätter d. Ver. f. Landesk. v. Niederösterreich 34. LEKSZYOKI Die Sltesten polnischen Grodbücher, 2 Bde 1887—89. Ober' die Intabnlierang als Perfektionsakt CZTHLABZ a. a. 0. 272f. 283. U Vgl. GOLDSCHMIDT a. a. O . 390 ff. BBTTNNER Beiträge z. G . d. Wertpapiere, Z. f. HR. 22, 1—134. 505ff. 23, 225E (Forsch. 524ff. 631ff.);Das französische Inhaberpapier 1879; in ENDEMANNS HB. des Handelsrechts 2, 186ff. 196f. GIEBKE Deutsch. Priv.-R. 2, 105ff. HEUSLEB Inst. 1, 212ff. GABEIS, Z. f. H R . 21, 356ff. 9 STOBBE ebd. 11, 397ff.; Privatrecht 3 § 179 (3 § 254). CICCAOLIONE Titoli al portatore nell' Italia meridion. e nella Sicilia 1906. BBANDILEONE Le cosi dette clausole al portatore nei documenti medievali italiani 1903 (Riv. di dir: commerc. e marittimo 1, 5). 19

V g l . LOEBSCA a . SCHRÖDER N r . 17.

10

MANN, Z R G .

2 0 , 116FF.

32.

V g l . LOEBSCH U. SCHRÖDER N r . 1 9 7 . 2 2 4 .

275.

" Alternative Inhaberklauseln ebd. Nr. 152. 159. 161. 294. 317. Reine Inhaberklausel bei STOBBE, Z. f. HR. 11, 427.'

§ 60. Formelbttcher und sonstige Rechtsliteratur.

§ 60.

723

Die Formelbücher und die sonstige Rechtsliteratur.

Im Gegensatz zu Italien hatte die wissenschaftliche Pflege des Urkundenwesens in Deutschland vollständig aufgehört; sie wurde erst im 13. Jahrhundert von neuem aufgenommen1. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfaßte ein Magdeburger Geistlicher eine Summa prosarum dictaminis, die dem Magister Ludolf von H i l d e s h e i m bei seiner um 1250 entstandenen Summa dictaminum als wesentlichste Vorlage diente. Die letztere erlangte ein solches Ansehen, daß im 14. Jahrhundert ein Kommentar zu ihr (Notabilia de arte dictandi) verfaßt wurde 2 . Die bedeutendste Leistung der deutschen Notariatswissenschaft war das B a u m g a r t e n b e r g e r F o r m e l b u c h {Formularius de modo prosandi), von einem Mönch des Zisterzienserklosters Baumgartenberg bei Linz zu Anfang des 14. Jahrhunderts mit Benutzung eines in der Kanzlei K ö n i g R u d o l f s I entstandenen Formelbuches und der Summa des Ludolf verfaßt®. Während alle angeführten Werke die theoretische Lehre mit einer Mustersammlung von Formeln und Urkunden verbinden, hält sich die Summa de arte prosandi des Züricher Magisters K o n r a d von M u r e (1275—76) rein theoretisch4. Bloße Mustersammlungen sind die F o r m e l n der R e i c h s k a n z l e i , darunter die noch einer kritischen Ausgabe harrende Sammlung des Petrus de Yineis (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts). Aus der Kanzlei Karls IV stammen der Collectarius perpetuarum formarum des J o h a n n von G e l n h a u s e n 5 und die Summa canceüariae des Vize1 Vgl. BRESSLAU Urk.-Lehre 1, 633ff. 64Gff. STOBBE Rechtsquellen 1, 446ff. 2, 157ff. ROCKINOER Formelbücher vom 13.bis 16. Jh. 1855; Briefstellern. Formelbücher des 11. bis 14. Jh., Quell, u. Erört. 9; Über die ars dictandi u. die Summae dictaminum in Italien, Münch. SB. 1861. HEBZBERQ-FBÄNKEL, bei v. SYBEL U. SICKEL Kaiserurkunden 8, 229 ff. STEFFENHAGEN, ZRG. 4, 190 f. BÄBWALD Zur Charakteristik und Kritik mittelalterlicher Formelbücher 1858. OEBTERLEY Wegweiser durch die Literatur der Urkundensammlungen 1, 7 ff. * Die drei Werke bei ROCKUTOEB Qu. u. Erörter. 9 , 2 0 3 ff. 3 4 9 ff. 9 6 9 ff. 8 Her. v. BÄRWALD i. d. Font. rer. Anstr. 2 . Abt. 2 5 , 1 8 6 6 . Vgl. KRKTZSCHMAR FormularbQcher aus der Kanzlei Rudolfs v. Habsburg 1 8 8 9 . ROCKINQER a. a. 0 . 9 , 7 1 5 ff. REDLICH, Mitt. d. öst. Inst. 11, 3 3 0 ff. OTTO, N . Arch. 2 6 , 2 1 7 ff. SCHWALH ebd. 2 8 , 6 8 7 ff. 4

V g l . ROCKINQES a . a . O . 4 0 5 ff.

' Ausgabe: KAISER Collectarius perpetuarum formarum Johannis de Geyinhusen 1900 (vgl. desselben Straßburger Dissertation unter gleichem Titel 1898). Der Verfasser hat das Bergrecht des Königs Wenzel (§ 55 n. 22), das Iglaner Bergrecht und das zweite Iglauer Stadtrecht (§ 56 n. 98) ins Deutsche übersetzt und das Brfinner Schöffenbuch (S. 710) verfaßt. Er war Magister und Kleriker der Mainzer Diözese und nacheinander Unterbergschreiber in Kuttenberg, Registrator in der Kanzlei Karls IV (1357—73), Notarius publicus, seit 1384 Stadtschreiber in Brünn und ungefähr 1390—1404 Stadtschreiber in Iglau. Mit dem etwas älteren Johann von Gumpolcz hatte er nichts gemein. Vgl. ZYCHA Böhm. Bergrecht 1, 106ff. TOMASCHEK Oberhof Iglau 20ff.; Bergrecht pg. 9f. BÜSBACH, D. Liter.Zeitung 1898 Sp. 1959ff. TADBA, Mitt. d. öst. Inst. 29, lOOff. BRETHOLZ, Z. d. Ver. f. d. G. Mährens u. Schlesiens 7, 1. 2. 46*

724

Mittelalter.

kanzlers J o h a n n von N e u m a r k t , Bischofs von Olmütz6. Von Kanzleiformeln ans der Zeit Rudolfs I und Albrechts I ist die „Summa curiae r e g i s " abgeleitet7. Nach dem Vorbild der Reichskanzlei legten auch die fürstlichen Kanzleien Formelbücher an 8 . Auch in Land- und Stadtgerichten sowie in bischöflichen Offizialaten wurden Formulare bei der Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit angewendet9. Von besonderem Wert für die Erkenntnis des mittelalterlichen Prozesses und der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die in der Art des Richtsteiges (S. 687) gehaltenen G e r i c h t s f o r m e l n (in Holland „Dingtaalen"), in denen nach Art der Formeln desPapienser Rechtsbuches (S. 280) das Verfahren dramatisch dargestellt wird10. Dahin gehört auch der Frankfurter baculus iudicii (14. Jahrhundert) und eine mit zahlreichen TJrkundenbelegen ausgestattete Mainzer Sammlung aus dem 15. Jahrhundert 11 . In den Fastnachtspielen des 15. Jahrhunderts zeigen sich bereits die Anfinge des Prozeßdramas14. Auch in der erzählenden Dichtung wurden nicht selten prozessualische Vorgänge zur Darstellung gebracht13. Die bedeutendsten Erzeugnisse der juristischen Literatur des Mittelalters waren die Rechtsbücher, sowohl die allgemeinen Charakters, wie die besonderen Landrechts-, Stadtrechts- und Lehnrechtsbücher. Da sie, ungeachtet ihres privaten Ursprungs, im Wege der Rezeption den Charakter • Vgl. Lui,vfts Summa cancellariae des Johann von Neumarkt 1891. ' Her. v. STOBBE, Arch. f. öst. G. 14, 307 ff. 8 Vgl. BBESSLAU a. a. 0. 645 n. 2 . PALACKY Formelbücher 1 8 4 2 — 4 7 , Abh. d. k. böhm. Ges. d. W. 5. Folge 2. 5. * Vgl. BISCHOFF Steierm. Landr. 176 ff. SCHÖLTE, [ J B . d. Stadt Straßburg 3, pg. 12. 82 ff. 10 Vgl. § 54 n. 66. BÖHLAU Theoderich von Bocksdorffs Gerichtsformeln, ZBG. 1, 415ff. Die Dingtaalen von Dortrecht und Sadholland bei FRUIN De ondate rechten der stad Dordrecht 1, 357 ff. 2, 291 ff. Vgl. BBUNNEB, ZRG. 17, 237. MULLBR, Veralageit en Mededeelingen 1891. Eine Lehnrechtsdingteal (um 1550) bei GRAVAVA Drenthsehe Rechtsbronnen 174ff. Westfriesische Dingtaalen bei POLS Westfriesche Stadrechten 1, 143—74. Ober andere friesische Formeln vgl. HIB Fries. Strafr. 13 f. Die Neumünstersehen Kirchspielsgebr&nche (Ausg. v. SEESTEBN-PAULY 1824 S . 6—35) enthalten niederdeutsche Gerichtsformeln, die zwar erst in späterer Zeit aufgezeichnet sind, inhaltlich aber noch in das Mittelalter gehören. Rheinische Gerichtsformeln ZRG. 10, 191 ff. 206 ff. 229 ff. und HOMSYEB Richtsteig 327 ff., bairische bei STEFFENHAGEN, Wien. SB. 111, 1 S. 613 ff, ein Nürnberger Formular bei KNAPP, Z. f. d. ges. Strafr.-W. 12, 245ff. (vgl. BRUNNER Grundzüge4 104). " THOMAS Oberhof Frankfurt 222 ff. HALLEIN Mainzer Zivilrecht u. Ger.Formeln 1891. M KELLER Fastnachtsspiele 1853—58 (Stuttg. Liter. Ver. Nr. 28—30. 46). " So im Reinhard Fuchs in der flämischen wie in der niederdeutschen Form (vgl. S. 4), im Schwanritter Konrads von Würzburg (SCHRÖDER, ZDA. 13, 139ff.), in der wohl von demselben Verfasser herrührenden „Klage der Kunst" (Ausg. von JOSEPH 1885) und der „Märin" des Hermann von Sachsenheim (LOERSCH i. d. Bonner Abb. z. G. d. deutsch. Rechts für HOMEYER 1871).

§ 60. Formelbücher und sonstige Rechtsliteratur.

725

unmittelbarer Rechtsquellen erhalten haben, so mußten sie samt den dazu gehörigen Glossen im Zusammenhang mit jenen besprochen werden. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde der Inhalt der Rechtsbücher und Glossen mehrfach in a l p h a b e t i s c h e n R e p e r t o r i e n (Remissorien, Schlüsseln, Abecedarien) zusammengestellt14. Sie fanden ihr Vorbild in der ausgiebigen Literatur der Vokabularien, in denen nicht ohne Erfolg schon seit den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts eine gewisse enzyklopädische Kenntnis des römischen und kanonischen Rechts populär gemacht wurde15. Ähnliche Zwecke verfolgte die S u m m a l e g u m des Raymund von Wiener-Neustadt, ein kurzgefaßtes populäres Lehrbuch der Institutionen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, das für das städtische Rechtsleben bestimmt war und den Verfasser auch in dem Recht seiner Vaterstadt wohlbewandert zeigt16. An die Rechtsbücher knüpfen die Arbeiten des Eisenacher Stadtschreibers und thüringischen Chronisten J o h a n n R o t h e (t 1434) an, dem wir zwei Eisenacher Rechtsbücher aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, ein die städtischen Verhältnisse behandelndes Lehrgedicht Des ratis zucht und das schon erwähnte Gedicht „Ritterspiegel" verdanken Einem ungenannten Verfasser des 15. Jahrhunderts gehört eine in niederdeutscher Sprache verfaßte Streitschrift über die Lehnsfähigkeit der Bürger an 18 . Die wissenschaftliche Arbeit auf staatsrechtlichem Gebiet lieferte weniger positive Darstellungen als doktrinäre Erörterungen, bei denen es sich vornehmlich um die Auskämpfang der Streitfragen zwischen Kaiser und Papst handelte19. Eine umfangreiche Literatur wurde schon im 11. und 12. Jahrhundert durch den Investiturstreit hervorgerufen20. Das 14

15

V g l . STOBBE 1, 4 4 3 f .

Vgl. besonders SECKBL Beitr. z. Gr. beider Rechte im Mittelalter 1 . 1 8 9 8 . Vgl. TOKASCHEK Über eine in Österreich geschriebene Summa legnm, Wien. SB. 1 0 5 , 2 S. 2 4 1 ff. SECKEL a. a. 0. 4 8 3 ff. Benutzt hat der Verfasser namentlich das Wiener Stadtrecht von 1 2 4 4 . TOMASCHEK hält das Werk für eine der Qnellen des Stadtrechts von Wiener-Neustadt, das auch manche doktrinäre Sätze aufgenommen hat. • 17 Die beiden Rechtsbücher, von denen das zweite früher einem späteren oberflächlichen Bearbeiter (PVBOOLDT) zugeschrieben wurde, bei OBTLOFF Samml. deutscher Rechtsquellen 1, 6 2 5 ff. 2, 1 7 ff. Das Lehrgedicht bei VILMAB Von der stete ampten, Marburg. Gymn.-Progr. 1 8 3 5 . Vgl. BECH in PFEIFFEB'S Germania 6 , 52 ff. 59 ff. 273 ff. 7, 854ff. Ober den Ritterspiegel vgl. § 42 n. 44. 18 Herausg. u. erl. von FBENSDOBFF, Nachr. d. (iött Ges. d. W. 1894. " Vgl. STOBBE 1, 452 ff. REHM, G . d. Staatsrechtswissenschaft 182 ff. GIBBKE Genossenschaftsrecht 3 § 11; Johannes Althusius lf. 50 ff. FOBSTEB Staatslehre des Mittelalters, Allg. Monatsschr. f. W. u. Lit. 1853 S . 832ff. 922ff. SCHBÖDER Deutsche Eaisersage 1893. KAMPEHS Kaiserprophetien and Kaisersagen im Mittelalter (Die deutsche Kaiseridee in Prophetie u. Sage) 1895. FBIEDBEBO Die mittelalterl. Lehren über das Vcrhältn. v. Staat u. Kirche, Leipz. Dek. Progr. 1874. *> MG. Libelli de lite inter regnum et sacerdotium, 3 Bde 1 8 9 0 — 9 7 . Über eine andere Richtung in der Publizistik des 11. Jahrhunderts vgl. KOOH Manegold von Lautenbach und die Lehre von der Volkssouveränität unter Heinrich IV 1902 (EBEBDTO Hist. Stud. 3 4 ; vgl. KRAMMEB, ZRG. 3 8 , 3 5 0 ) . 19

Mittelalter.

726

13. Jahrhundert lieferte verschiedene Denkschriften über das Recht der Königswahl 21 . Unter Rudolf von Habsburg (um 1280) entstand die wertvolle Schrift des Canonicus und Domscholasters J o r d a n u s von Osnab r ü c k De prerogativa Romani imperiiM. An ihn schließt sich zeitlich zunächst der um 1250 geborene Abt E n g e l b e r t von A d m o n t mit seinen Schriften De regimine principum und De ortv et fine Romani imperii an. Ein sehr lebhafter literarischer Kampf bezeichnet die Regierungszeit Ludwigs des Baiern, dem in seinem Streit mit der Kurie als staatsrechtliche Schriftsteller namentlich L u p o i d von B e b e n b u r g , W i l h e l m von Occam und M a r s i l i u s von P a d u a (Marsiglio Mainardino) zur Seite standen 2S . Unter den Niederländern ragt hervor P h i l i p p von L e y d e n (t 1380), dessen Werk De cura reipublicae et sorte principantis zuerst 1516 erschien 24 . Eine möglichst objektive Darstellung des Reichsrechtes, den Libellus de Cegarea monarchia, verfaßte um 1460 der Baseler Professor P e t e r von Andlau 2 6 , neben dem noch sein Zeitgenosse Aeneas S y l v i n s (Papst Pius II) als publizistischer Schriftsteller erwähnt zu werden verdient 26 . Im übrigen war das 15. Jahrhundert das Zeitalter der Reiehsreformbestrebungen, von denen in anderem Zusammenhang (§ 65) zu reden sein wird.

Viertes Kapitel.

Privatrecht, Strafrecht und Gerichtsverfahren. § 61. Das Privatrecht. Literatur vgl. S. 4, 60, 281 f. and unten n. 7, 109, 130, 203. FOCKEMA ANDBBAB Het oud-nederlandsch burgerlijk recht, 2 Bde 1906. BEBELES Lehre •. d. E r b v e r t r a g e n , 3 B d e 1835—40.

v. DUHM D e u t s c h r e c h t l . A r b e i t e n 1877. FKANKLIN

Die freien Herren von Zimmern 15—94. GBNOLEB Ein Blick auf das R.-Leben Badems 1880. GIEBKE Deutsch. Pnvatrecht, 1. Allg. Teil u. Personenrecht 1895, 2. Sachenrecht 1905; Genossensohaftorecht 2,24—405; Genossenschaftstheorie 1887. GÖSCHEN Goslar. Statuten 128—290. v. GOSEN Das Priv.-B. n. d. Kl. Kaiserrecht 1866 (vgl. K. MACBEB, Kr. VJSchr. 9, 101). HAUEIN Mainzer Zivil-B. im 14.15. Jh. 4891.

HASENÖHBL ö s t e r r . L a n d - B . im 13. 14. J h . lOOff. 21 M

HUBES, G . d. Schweiz.

Vgl. LINDNEB Königswahlen 153ff. 175. WAITZ, A b h . d . G ö t t . G e s . d. W . 14, 1869.

" Vgl. BIEZLEB Die literar. Widersacher der Päpste z. Z. Ludwigs d. Baiern 1874; G. Baierns 2, 661 ff. LINDNEB Deatache G. unter d. Habsb. u. Luzemb. 1, 358 ff. Bald nach 1830 entstand auch der Traetatus de eoronatione imperatoria von einem unbekannten Verfasser. Vgl. WERWNQHOFP, ZBG. 37, 380 ff. -

11

N e u e s t e A u s g a b e v o n FBJJIN u n d MO&HUYSEN 1900.

" Vgl. HÜBBIN Peter von Andlau 1897; ZBG. 29, 41ff.31, lff.; Auegabe ebd. 25, 34ff. 26, 163 ff. " Vgl. GENOLEB A e n e a s S y l v i n s 1860. U n t e r s . 7 7 ; vgl. SCHOLZ, Z R G . 40, 399).

MBÜSEL E n e a Silvio 1905 (GIEBKE

§ 61.

Privatrecht.

1. Rechts- und Handlungsfähigkeit.

727

Priv.-R. 1893. KOHLEB Beitr. z. germ. Privat-RG. 3. 1888. KBAUT Die Vormundschaft n. d. Grunds, d. deutsch. R., 3 Bde 1835—59. LABAND Vermögensrechtl. Klagen n. d. sächs. Rechtsqu. des MA. 1869. NOORDEWIER Nederlandsche regtsoudheden 170—271. OVERVOORDE Ontwikkeling v. d. rechtstoestand der vrouw volgens het oudgermansche en oudnederlandsche recht, Leid. Diss. 1891. PAULI Abh. a. d. lübisch. Recht, 4 Bde 1837—65; Labeck. Zustände, 3 Bde 1817—78. PLATNER Histor. Entwiekl. d. deutsch. R. 1852—54. RETSCHER Beiträge z. E. d. deutsch. R. 1833. RIVE, G. d. deutsch. Vormundsch. 2, 1. 2. 1866—75 (vgl. v. AMIRA, Kr. VJSchr. 17, 421). ROSENTHAL Beitr. z. deutsch. Stadt-RG. 1, 147 ff. 2, 297ff. RÖSSLER Deutsche R.-Denkmäler 1, Einl. 58FF. 2, Einl. 62ff.; Deutsch. R. in Österreich 165 ff. H. SCHULZE Erb- u. Familienrecht d. deutsch. Dynastien 1871. STOBBE Beitr. z. G. d. deutsch. R. 1865: Zur G. d. deutsch. Vertrags-R. 1855. J. TELTINO Schets van het oudfriesche privaatregt, 2 Bde 1867—82 (SA. a. d. T h e m i s 1 8 6 8 — 6 9 . 1 8 7 1 — 7 4 . 1 8 7 6 — 8 0 . 1882).

v. VOLTELINI Siidtirolische N o t a -

riats-Imbreviaturen des 13. Jhs. 1. 1899 (Acta Tirolensia 2. vgl. A.SCHULTZ, ZRG. 34, 318ff.). WEISSE Grundsätze d. deutsch. Pr.-R. n. d. Ssp. 1826; Bemerkungen über d. Brünner Schöffeiabuch, ZDR. 14, 113 ff. v. Wrss Rechtshistor. Leeefrüchte (SA. a. d. Turicensia 1891). ZEEKLEDER Berner Handfeste 1891. ZÖPFL Das alte Bamberger R. 181 ff. "

1. Rechts- und H a n d l u n g s f ä h i g k e i t . Für den Beginn der persönlichen Handlungsfähigkeit haben sich die ursprünglichen Alterstermine zum Teil während des ganzen Mittelalters erhalten, daneben machte sich aber vielfach eine Hinansschiebung des Mündigkeitstermins geltend; verbreitet war namentlich der von 18 Jahren, den die Goldene Bulle von 1356 (7 § 4) auch für die Kurfürsten festsetzte1, und der von 21 Jahren, den das westfränkische Recht (§ 35 n. 8) einführte. Eigentümlich, dem altribuarischen Recht entsprechend, war der Standpunkt des sächsischen Rechts (Ssp. I 42), das die sonst gleichbedeutenden Ausdrücke „binnen seinen Jahren" und „binnen seinen Tagen" auf zwei verschiedene Altersstufen (unter 12 und unter 21 Jahren) bezog. Bevormundete, die „zu ihren Jahren gekommen", aber noch „binnen ihren Tagen" waren, pflegten noch freiwillig unter Vormundschaft zu bleiben, bis sie auch „zu ihren Tagen kamen", d. h. das 21. Lebensjahr vollendet hatten; wer über 60 Jahre alt und damit „über seine Tage" gekommen war, konnte sich ebenfalls nach Maßgabe des Bedürfnisses einen Vormund nehmen. Den nichtsächsischen Rechten waren diese Abstufungen unbekannt, obwohl sie eine freiwillige Verlängerung der Vormundschaft, wo ein Bedürfnis dafür vorlag, ebenfalls zuließen2. Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit des weiblichen Geschlechts trat immer mehr in den Hintergrund. Die meisten mittelalterlichen Rechte hatten die Geschlechtsvormundschaft entweder ganz aufgehoben oder auf eine bloße Beistandschaft in gerichtlichen Angelegenheiten be1 Vgl. KKAUT Vormundsch. 1, 135f. Erst die Gold. Bulle gab für den hohen Adel den Anstoß zur Einführung besonderer, vom Landrecht abweichender

Mfindigkeitstermine.

Vgl. SCHULZE a. a. 0 . 111.

' Vgl. HEUSLEB I n s t . 2 , 4 8 9 ff. KBAUT Vorm. 2,

144 ff. FOCKEVA ANDBKAE

Bijdrogen 1, 5 ff. Über das sächs. Lehnrecht vgl. § 40 n. 90.

Mittelalter.

728

schränkt; das Festhalten an der strengen Geschlechtsvormundschaft bildete die Ausnahme, nur die eheherrliche Vormundschaft blieb bestehen3. Eine Stellvertretung in Rechtsgeschäften war dem Mittelalter im allgemeinen ebenso unbekannt wie der vorigen Periode4. Ein Auskunftsmittel gewährten die Order- und Inhaberpapiere (S. 722) und bei GrundStückübertragungen die Salmannen und Treuhänder, die im Lehnrecht als Lehnsträger wiederkehrten8. In betreff der j u r i s t i s c h e n Personen war das deutsche Recht noch zu keiner abschließenden Entwicklung gelangt. Bei milden Stiftungen wurde bald der Heilige, bald der Stiftsvorsteher als das Rechtssubjekt aufgefaßt. Sehr bestritten ist das Verhältnis der Körperschaften, namentder Gemeinden, die in Deutschland ebenso wie bei den Römern den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Körperschaftsrechts gebildet haben6. Während die einen hier ganz wie im römischen Recht eine juristische Person finden und die Rechte der Gemeindeglieder am Gemeindevermögen als Rechte an fremden Sachen erklären, geht die Genossenschaftstheorie von der Annahme einer „realen Gesamtperson" mit körperschaftlichem Gesamteigentum, einer auf sozialrechtlichem Gebiet erwachsenen „Verbindung von Einheitsrecht und Vielheitsrecht'', aus. Der Personifikationstheorie ist zuzugeben, daß die mittelalterliche Gemeinde in ihren Vermögensangelegenheiten bereits einen Gesamtwillen, dargestellt durch die Gemeindevertretung oder Mehrheitsbeschluß der Gemeindeversammlung, kennt und sich insoweit über das von dem inviduellen Recht beherrschte und jeden Mehrheitsbeschluß ablehnende reine Gesamthänderverhältnis erhebt. Aber über diese Einheit in der Verwaltung ist die Körperschaft des altdeutschen Rechts nicht hinausgekommen, das Gemeindevermögen galt als Eigentam der Gemeindeglieder zur gesamten Hand, und für Schulden der Gesamtheit konnte jeder Einzelne haftbar gemacht werden. 2. Das S a c h e n r e c h t 1 . Hinsichtlich des F a h r n i s r e c h t e s behielt es während des ganzen Mittelalters bei dem Grundsatz „Hand muß Hand * Vgl. HEUSLEB 4

2, 5 1 1

Vgl. § 68 n. 4.

ff.

KBAUT

a. a.

0.

2, 266 ff. FOCKEKA

ANDBEAE

Bijdr.

1,40

ff.

HEUSLEB 1 , 2 0 3 ff.

* Vgl. 8. 293. 348. 416. 455 n. ALBBECHT Gewere231ff. STOBBE Über die Salmannen, ZRG. 7, 405ff. BBYBBLE a. a. 0. 1, llff. BEBELES Erbverträge 1, 261 ff. HEUSLEB 1, 215ff. LAMMES Das R. der treuen Hand, WUrzb. Dias. 1875. H E U MANN De salmannis (Opuscula 1747) 289 ff. LOEBBCH U. SCHBÖDEB* 260. * Vgl. GIEBKE Priv.-R. 1, 660ff.; Genossenschafter. 1. 2. STOBBE Priv.-R. 1 § 50. HEUSLEB 1 §§ 50—61. BESELEB Volks-R. u. Juristen-R. 158 ff. SOHM Die deutsche Genossenschaft, Leipz. Festgabe für Windscheid 1889 (vgl. HBUSLEB, GGA. 1889 S . 320ff.). LABAND, Z . f. HR. 30, 4 8 3 ff. BÜHLAU Rechtssubjekt und Personenrolle (Rostocker Festschr. für Homeyer 1871) 24f. 60ff.; Fiskus, landesherrliches und Landesvermögen in Mecklenburg 1877. LOEBSOH U. SCHBÖDER* 257f. Hauptvertreter der Genossenschaftstheorie ist GIEBKE, der Personifikationstheorie HEUSLEB; wir schließen uns der vermittelnden Auffassung SOHMS an. 7 Vgl. ALBBECHT Die Gewere als Grundlage d. ält. deutsch. Sachen-R. 1 8 2 8 . BBONS Becht des Besitzes 1 8 4 8 . HEUSLEB Gewere 1 8 7 2 (vgl. LABAND, Kr. VJSchr. 1 5 ) . HUBEB Bedeutung der Gewere im ält. deutsch. Sachen-R. 1 8 9 4 . v. MEIBOM Das

§61. Privatrecht. 2. Sachenrecht.

729

wahren" sein Bewenden, bewegliche Sachen unterlagen der dinglichen Verfolgung gegen Dritte nur, wenn sie ohne den Willen des Eigentümers aus seiner Gewahrsam gekommen waren 8 , und selbst in diesem Fall hatte der redliche Besitzer, falls er Jude war, die Sache nur gegen Ersatz dessen, was er dafür gegeben oder darauf geliehen hatte, herauszugeben9. War diese schon einzelnen Volksrechten bekannte Begünstigung des redlichen Erwerbers im Mittelalter zunächst nur als ein Judenprmleg (sog. Hehlerrecht) anerkannt, so wurde sie doch vielfach erweitert, indem man sie auf alle auf Märkten von einem unbekannten Verkäufer erwordeutscbe Pfandrecht (vgl. E B A U T , GGA. 1867 Stück 43. STOBBE, Er. VJSchr. 9, 285). EOCKEBT Unteraach. üb. d. Sachen-R. d. Rechtsbücher 1860. v. SCHWIND Wesen u. Inhalt des Pfandrechtes 1899. — GIERKE Bedeutung d. Fahrnisbesitzes 1897. H E B B . METEB Entwerang u. Eigent. im deutsch. Fahrnis-R. 1902 (vgl. BEYEBLE, ZRG. 36, 344ff. J. GIEBKE, Z. f. HR. 52, 612. REHME, GGA. 1905 S. 976). A . SCHULTZE Publizität u. Gewährschaft im deutsch. Fahrnis-R.; JHEBINO'S JBB. 49, 159 ff. SOMMERBBODT Beitr. z. G. der Wegnahmerechte, Bresl. Diss. 1905. — FOCK. ANDBEAE Het recht van den kooper in het oude Nederland 1904 (Versl. enMededeel. d. Ak. v. Wet. 4, 6). AUBEBT Beitr. z. G. d. deutsch. Grundbücher, ZRG. 27, lff.; Grundbögernes Historie i Norge, Danmark og Tyskland 1892. BEYEBLE Grundeigentumsverhältnisse u. Bürgerrecht in Konstanz, 1, 1 Das Salmannenrecht 1900 (vgl. SCHBÖDEB, ZRG. 34, 351); Konstanzer Häuserbuch (Festschrift der Stadtgemeinde 1906), Bd 2. BBINK Bestellung der dingl. Rechte 1887. BBUCK Eigentümerhypothek 1903. FABBICIUS Das älteste Stralsunder Stadtbuch 264ff. GÖRLITZ Die Übertragung liegenden Gutes in Breslau 1906 (BEYEBLE Deutschr. Beitr. 1, 2). J S L E B Das thurgauische Fertigungsrecht, Bern. Diss. 1901. KAPRAS Das Pfand-R. im altböhm. Landrecht, Z. f. vergl. RW. 17, 422. 18, lff.; Das Pfand-R. im böhm.-mähr. Stadt- u. Bergrecht 1906 ( G I E R K E Unters. 83). M E E B WEIH Die gerichtl. Fertigung im Basler Stadtrecht, Bas. Dias. 1903. NAPIEBSEY Erbebücher der Stadt Riga 1888, Einl. 44ff. 57ff. REHME Das Lübecker Oberstadtbuch 1895; Die Lübecker Grundhauern 1905; G. d. Münch. Grundbuches 1903 (a. d. Festgabe f. Fitting); Zur G. d. Münch. Liegenschaftsrechtes 1900 (a. d. Festgabe f. Dernburg). 8 Vgl. S. 286. 385 ff. 390. Ssp. II 36. 60 § 1. Außer der § 37 n. 98, n. 100 angeführten Literatur vgl. GOLDSCBMIDT, Z . f. HR. 8, 246 ff. GIKBKE Pr.-R. 2, 552 ff. FOCK. ANDBEAE 1, 393. 398ff. HUBER a. a. 0 . 744ff.; Gewere 10ff. 60f. 81 ff. V . B A R Beweisurteil 152ff. PLANCK Gerichtsverfahren 1, 393ff. 2, 417ff. H. M E Y E R a . a. 0 . 29ff. KRAUT Grundriß* § 82 Nr. 8—29. 34—36. 39ff. LOBBSCH u. SCHBÖDEB* Nr. 232. 240. 251. 321. 326f. GILDEMEISTBR Beitr. z. K . d. vaterl. R. 2, 159ff. LABAND a. a. O. 69—83. ZÖPFL RG. §§ 109 f. Der Satz „Hand wahre Hand" fand keine Anwendung bei Sachen, die einem Handwerker zur Ausbesserung übergeben waren (KBAUT Nr. 50. 53. 54. H. MEYER 76ff.), ebenso wenig bei Veräußerungen des Gesindes (abgetragenes Gut): Ssp. III. 6 § 1. H. MEYER 57ff. vgl. n. 39. Eine dem Vertrauensmann entwendete Sache konnte, wie in der vorigen Periode, nur von diesem verfolgt werden (vgl. Meißener RB. 4,42 Dist. 6), doch gewährte Schwsp. L. 230 dem Eigentümer die Klage wenigstens für den Fall, daß der Vertrauensmann bereits verstorben war. • Vgl. § 3 7 n. 1 1 6 . Ssp. I I I 7 § 4 . Stadtbuch v. Oppenheim § 1 2 5 (FRANCK, G . v. Oppenh.). RIEDEL Cod. dipl. Brand. 1 . Abt 2 4 , 3 2 ( 1 3 4 1 ) . 3 5 ( 1 3 4 4 ) . LOERSCH u. SCHBÖDEB Nr. 3 2 7 . STOBBE Juden in Deutschi. 119ff. 2 4 1 ff.; Priv.-R. 2 § 1 4 6 n. 2 2 ( 3 . Aufl. § 9 2 n. 2 3 ) . GIERKE P r . - R . 1, 4 4 0 . 2 , 5 5 7 . MEIBOM Pfandrecht 311FF. GOLDSCHMIDT, 57. 60.

Z.

f.

SCHULTE, Z .

HR.

8,

226ff.

H . MEYEB a . a . 0 .

d. Museum Ferdinand.

192ff.

1907 S. 570

f.

v . VOLTELINI ( n . 1 8 )

730

Mittelalter.

benen Waren übertrug oder das gleiche Privileg auch anderen Gewerbetreibenden einräumte10 oder selbst dem ganzen Rechtssatz gemeine Geltung beilegte11. Über See gekommene Waren branchte der redliche Erwerber nach dem Recht der Seestädte überhaupt nicht herauszugeben12. Was dem Eigentümer in ehrlichem Kriege oder ehrlicher Fehde oder dem Besiegten im gerichtlichen Zweikampf abgenommen wurde, unterlag dem Beuterecht18. Gefundene Sachen mußten öffentlich aufgeboten werden. Sie unterlagen, wenn der Eigentümer sich verschwiegen hatte, vielfach ganz oder teilweise einem staatlichen oder grundherrlichen Fundregal; soweit ein solches nicht bestand, wutden sie Eigentum des Finders14. D4r Eigentomserwerb an solchen F r ü c h t e n , zu deren Erzeugung es einer Bearbeitung des Bodens bedurfte, wurde als Lohn der Arbeit aufgefaßt: „Wer säet, der mähet"15. Dies kam auch dem redlichen Besitzer zu statten, während der unredliche Besitzer seine Arbeit verlor18. Überfallendes Obst (a'nrts) gehörte dem,' auf dessen Boden es fiel: „Wer den bösen Tropfen genießt, soll auch den guten genießen"; ebenso hatte der Nachbar Anspruch auf die sein Grundstück überragenden Zweige, falls der Eigentümer des Baumes sie nicht auf sein Verlangen entfernte, nach manchen Rechtsquellen auch auf d&s an ihnen hängende Obst17. Das P f a n d r e c h t an fahrender Habe bewegte sich zunächst auf demselben Boden wie in der vorigen Pieriode18. Es gab nur ein Faustpfand10

Vgl.

STOBBE

LABEND ä . a . O . 8 9 .

Priv.-R. 2 § 146 n. 20 (3. Aufl. § 92 n. 21). HEUSLEB 2, 215. H . METER 1 2 8 ff. GOLDSCHMIDT, Z . f . H E . 8 ,

263.

VOLTELINI

(n. 18) 53. 66 f. FOCE. AMDREAE 1, 402. Stadtrecht von Steenwijk (Overijs&elsche stad-, dijk- en markeregten 1, 10. 1891) S. 62. Die besondere Begünstigung der Marktk&ufe entsprach einem schon im 11. Jh. bezeugten kaufm&nnischen Gewohnheitsrecht. Vgl. GBIMM E A . 610. EIETSCHEL Markt n. Stadt 191. Privileg für einen Lombarden v. J. 1328 EMMEN Quellen z. G. d. Stadt K51n 4, 129. Für die von Wirten angenommenen Pfänder ihrer Gäste: Münch. Stadtr. 110. " So namentlich in den Niederlanden (WABNKÖNIQ Flandr. E G . 2, 2, UB. 89. 194. 224. DE SLOET Orkondenb. Nr. 598) and der Sehweiz (Luzerner Stadtr. 72). Noch über das Judenprivileg hinaus gebt der Schutz des redlichen Erwerbers nach Bamberger Stadtr. 76 f. Siehe auch GBOTE Osterwieker Stadtb. S. 16. 11 Vgl. Hamb. Stadtr. v. 1270 7, 9. MICHELSEN Oberhof Lübeck 146. H. METER a. a. O. 141 ff. LABAND a. a. 0. 84. 89. So schon nach Westgotenrecht (§ 97 n. 116). " Vgl. AXBBECHT Gewere 9 6 . LOBBSCH U. SCHRÖDER* Nr. 8 2 6 . LABAND 7 6 f. M Vgl. S. 5 5 3 . 6 0 9 . HOPKANN Eigent.-Erwerb an der gefundenen Sache, Heidelb. Dies. 1 9 0 5 . GIERKB P r . - E . 2 , 582ff. 16 Vgl. Ssp. n 58 g 2. III 76 § 4. Saarbrücker Landr. 1, 10 §§ 5 f. 8, 1 § 11. LOEBSCH U. SCHRÖDER * Nr. 2 3 3 . 3 1 8 . STOBBE Priv.-R. 2 § 1 5 2 ( 3 . Aufl. § 1 3 0 ) ; Beiträge 5 9 ff. GIEBKE Pr.-E. 2 , 5 8 6 ff. HEUSLEB 2 , 1 9 5 f. HOBER 7 4 2 . Derselbe Satz beherrschte das. lombardische Lehnrecht (II. F. 28 § 8). "

n

V g l . GRAF U. DIETHEBB R e c h t s s p r i c h w ö r t e r S . 7 5 .

Z R G . 5,

44.

Vgl. A. B. SCHMIDT Das R. des Überhangs und Überfalls (GIBBEE Unters 21, 1886). SCHUSTER Überhang u. Überfall im deutsch, u. österr. E., Allg. österr. Gerichtszeitung 1882 Nr. 77—86. GRAF u. DIETHEBR 85. 18 Vgl. S . 286. MEIBOM Pfandrecht 264ff. 327ff. 353f. 366ff. 410ff.: JB. d. gem. deutsch. R. 4, 445ff. STOBBE Priv.-R. 2 § 154 (3. Aufl. § 164); Juden 247;

§ 61. Privatrecht.

2. Sachenrecht.

731

recht 19 , und zwar mit ausschließlicher Sachhaftung; ohne besondere Abmachung bestand eine persönliche Haftung des Schuldners nicht, der Gläubiger konnte ihn also wegen Minderwertes des Pfandes nicht in Anspruch nehmen 20 . Ging das Pfand unter, so verlor der Gläubiger seine Forderung; wurde es beschädigt, so gereichte die Wertverminderung ihm zum Nachteil. Hatte er den Untergang oder die Beschädigung des Pfandes verschuldet, so hatte er dem Eigentümer den Mehrwert des Pfandes über den Betrag der Schuld zu ersetzen21. Der Gläubiger hatte in der Regel das Recht der Pfandnutzung, doch kamen vielfache Ausnahmen vor22. War die Lösung des Pfandes unterblieben, so verfiel es nach Ablauf der Frist dem Gläubiger zu Eigentum, und zwar von Rechts wegen, wenn der Verfall ausdrücklich vereinbart war, sonst erst durch richterliche Übereignung nach dreimaligem Aufgebot. Seit dem 13. Jahrhundert, wurde es mehr und mehr üblich, mit der Pfandbestellung („Satzung'*) ein formelles Schuldversprechen zu verbinden, so daß das Pfand zum Sicherheitspfand wurde 23 . Die natürliche Folge dieser Entwicklung war die Umbildung vcm Verfall- zum Verkaufspfand. Die Verwertung des Pfandes erfolgte durch den Gläubiger, und zwar entweder durch Verpfändung, oder, wenn nicht ausdrücklich private Verwertung verabredet worden war, durch Verkauf auf gerichtliche Ermächtigung nach dreimaligem Aufgebot21. Den Mehrerlös hatte der Gläubiger dem Schuldner herauszugeben; für den Mindererlös haftete dieser auf Grund des Treugelöbnisses persönlich. War das Pfand durch Zufall untergegangen oder in seinem Werte vermindert, so hatte der Schuldner allein den Schaden zu tragen 26 . Ebendarum wurde vonseiten der Kirche darauf Kr. VJSchr. 9, 285ff.; Vertragsrecht 251ff. Giehxe Pr.-R. 2, 955ff. Fock. Andreae Oudn. Burg-R. 2, 97 ff. Heüsleb 2, 201 ff. Planck Gerichtsverfahren 2, 336 ff. Albbecht Gewerc 130 ff. Föbsteb, ZDR. 9, 101 ff. Bodde ebd. 9, 411 ff. Mapai ebd. 8, 284ff. Kbaut § 102. Hübeb 816ff. Puntschaet Schuldvertrag n. Treugelöbnis 232—79. v. Voltelihi Die ältesten Pfandleihbanken u. Lombardenprivilegien Tirols (Beitr. z. BG. Tirols, Festschr. z. 27. Jnrietentage 1904) S. 28ff. " Vgl. Bair. Landr. 17, 3 (c. 223). v. Meibom a. a. 0 . 317 f. 40 Vgl. Puntschaet a. a. 0 . 235 ff. 251. " Vgl. Pontschart 255- Zufälliger Untergang befreite den Pfandgläubiger von der Ersatzpflicht, wurde aber nach einigen Rechten nur beim Tode von „essenden Pfändern" und nicht bei Verlust von Schrein- oder Kietenpfändern angenommen. Ssp. III 5 4 f. Schwsp. L. 258. Manche Hechte ließen Berufung auf den Zufall nur dann zu, wenn auch eigene Sachen des Schuldners mit untergegangen waren. Vgl. Stobbe Vertragsrecht 257.. ** Vgl. n. 26. Die Ausnahmen (vgl. Schwsp. L. 258B. Meibom a. a. 0 . 328) sind teils auf den Einfluß der kirchliehen Zinsverbote, teils auf das Vorbild des Verkaufspfandes zurückzuführen. 23 Vgl. Pontschabt a. a. 0 . 252 f. " Vgl. Stobbe 2', 691 f. (2, 2* S. 312). Meibom 388ff, Hamb. Stadtr.v. 1270 1, 14. Kohleb Pfandrecht!. Forsch. 6ff. Loersch u. Schröder' Nr. 236. " Vgl. Ssp. III 5 § 5 (jüngerer Zusatz): ire gelovede ne stünde den anders. Brem. Stadtr. v. 1303 Ord. 3 (Ölrichs 1, 68). Magdeb. Fragen 1, 6 Dist. 6 (Loebsch u. Schröder2 Nr. 255). Bair. Landr. 17, 11 (c. 231). Einen Rest der älteren Auf'

732

Mittelalter.

geachtet, daß der Pfandgläubiger sich jeder Pfandnutzung enthalte; sie warde als wucherisch angesehen, während man das ältere Verfallpfand als Verkauf auf Wiederverkauf auffaßte und darum keinen Anstoß an der Pfandnutzung des Gläubigers nahm 36 . Nach der Aushildung der Stadtrechtssatzung bei unbeweglichen Sachen gestattete man auch, daß der Gläubiger ihm verpfändete Sachen, namentlich Schiffe, Warenlager und Hausrat, gegen einen Mietzins, den der Schuldner übernahm, in dessen Gewahrsam beließ", oder daß Schuldner sich verpflichtete, die gepfändeten Gegenstände nicht von der Stelle zu entfernen, so daß sie gewissermaßen zu gewillkürten unbeweglichen Sachen wurden 28 . Auch unter Eintrag in die Stadtbücher wurden derartige Verpfandungen vollzogen28. Im übrigen war der Bodmereivertrag bei Seeschiffen der einzige schon dem Mittelalter bekannte Fall der Verpfändung einer beweglichen Sache ohne Besitzübertragung30. Die seit Ende des 12. Jahrhunderts vorkommenden Verpfändungen eines ganzen Vermögens, die freilich nicht selten bloß auf juristischer Phrase beruhen mochten, fassang (reine Sachhaftung) zeigt noch Hamb. Stadtr. v. 1270 1, 14, im Gegensatz zu dem von 1292 C. 10. ** Vgl. Lttbecker Streitschrift gegen Herzog Erich von Sachsen von 1418 (UB. d. Stadt Lübeck 6, 78): In dudeascheme nim.pt me dat wort pant twierkie wijs: ene wijs so het dat en pand, dat en vor ghelt eneme anderen settet in der mute: tvan de jenne sin ghelt wü wedder hebben, dat he dat esschen moghe unde in deme rechte vorderen, unde eft he des an den.personen nicht vorderen hone, dat he dat an deme gudt soken moghe; unde eft he dat gud vorghinghe, dat he allilce wol sin ghelt mcrnen mochte van den personen; ok dat deme personen dat gud wedder werde, wan he dm sehuldener betalt; unde we sulkes pandes nut upboret, de doit dat mit wokere. To deme anderen male, wat gudes ein koft umme ene summen gheides, unde steit die (d. h. Gedeih) und vorderf des gudes, unde let dem vorkopere den wedderkop van gnaden, dat het ok ein pand ghemenliken in der leien tungen, wente gelijker wijs alse, de ghelt borghet uppe gud, dat gud mach wedderlosen van rechte, so mach desse dat verkofte gut wedderkopen van gnaden unde losen, darumme ghebruket man ghememliken dat wort pand to sulkem gude, dat ok weddeschat het. unde we sulkes gudes nut upboret, dat en is nen woher. " Vgl. hier&ber wie Uber das Folgende PAULI Abb. a. d. lüb. R. 4, 138FF.; LSb. Zustünde 3, 8ff. STODBE 2», 686ff. (2, 2 * S. 808). MEIBOM Pfandrecht 412FF. 442. GIEBE Pr.-R. 2, 981 f. PAPPENHEIII Seerecht 2, 128. H. METEB N e u e r e

Satzung an Fahrnis u. Schiffen 1903 (vgl. PAPPENHEIM, ZRG. 37, 433 ff. PUMTSOHABT, Kr. VJSchr. 48, 49FF.

EOQEB, Z. f. H R . 58, 626).

Schöne Beispiele für die

Verpfändung von Schiffen durch Übernahme eines Mietzinses: UB. d. Stadt Lübeck 6, Nr. 388. 7, Nr. 504. 521. 669. 701. *• V g l . ZGO. 20, 341 (LOEBSCH U. SGHBÖDEB* Nr. 206). PAULI Abh. 4, 1 3 8 f . ; Zustände 3, 115f. LOEBSCH U. SCHRÖDEB* Nr. 283 (217). D a s Pfandrecht war nur

wirksam, so lange die verpfändeten Gegenstände an der Stelle blieben; wurden sie entfernt, so kam es in Wegfall, trat aber wieder ins Leben, wenn sie wieder zurückgebracht wurden.' n Vg.. LOEBSCH U. SCHBÖDER" Nr. 216. FABBICIUS a. a. 0 . 271 f. Hamb. Stadtr. v. 1270 1, 13. PAULI Zustände 3, 116 ff. 80 V g l . SCHBSDEB, bei EKDEMANS» H B . d. HR. 4, 1 S. 245 f. LOEBSCH U. SCHRÖDER* Nr. 278. PAULI Zustände 3, 94 ff. 166. 169 ff. GOLDSCHWDT Universal-G. 345FF. PAPPESHEIH, Z. f. H R . 40, 378 ff.

§ 61. Privatrecht. 2. Sachenrecht.

733

haben erst gegen Ende unserer Periode unter dem Einfluß des römischen ßechts Wirkung gegen Dritte erlangt 31 ; vorher können sie nur die Bedeutung einer Pfandungsklausel, durch die der Gläubiger zu privater Pfändung ermächtigt wurde, gehabt haben, sowie die einer freiwilligen Verstrickung des Vermögens, indem der Schuldner sich verpflichtete, zum Nachteil des Gläubigers nicht darüber zu verfügen. Außer der durch Pfändungsklausel begründeten Konventionalpfändung und der gerichtlichen Pfändung gab es ein Privatpfändungsrecht des Zinsherrn gegen den Zinsmann (zuweilen auch ein solches des Rentengläubigers) und des Grundbesitzers gegen schädigende Menschen und Tiere, ferner ein Pfandungsrecht in Notfallen, wo richterliche Hilfe entweder unerreichbar oder (wie bei Spielschulden und Verpflichtungen von Ehefrauen, die der Mann nicht genehmigt hatte) gesetzlich versagt war 38 . Das Recht der Gewere 3 3 bezog sich in erster Reihe auf unbewegliche Sachen und solche Gerechtigkeiten, die als nnkörperliche unbewegliche Sachen angesehen wurden. Die Gewere an beweglichen Sachen fiel mit der Gewahrsam zusammen; was nicht in besonderer Gewahrsam war, folgte der Gewere des Grundstücks, auf dem die Sache sich befand 34 . 31 Vgl. M E T E R Neuere Satzung (n. 27) 12ff. 112. 117f. PUNTSOHART, Kr. VJScbr. 48, 52 ff. LOERSCH U. SCHRÖDER Nr. 321 (280) gegen 3 3 2 (292). Siehe noch ebd.® Nr. 160. 181. 199. FABRICIUS 81 Nr. 121. 105 Nr. 548. •« Vgl. MEIBOM a. a. 0. 190ff. W I L D A , ZDR. 1, 167 ff. N I O E L I Das german. Selbstpfändungsrecht 1876. SAMÜELSOBN Wirkungen der Privatpfändung 1878. K B A D T § 107. STOBBE Priv.-R. 1 § 70. HEUSLER 2, 205 ff. Löimia Vertragsbruch 231 ff. PLANCK Gerichtsverfahren 2, 340f. LOERSCH u. SCHRÖDER 1 Nr. 142. 191. 235. 251.292. 409. Privatpfändung wegen Rechtsverweigerung: BÖHLBAUM, Hans. U B . 1, Nr. 23. 56. Pfändung durch den Pfantner beim Spiel: SCHUSTER Spiel 59. Pfändung von Ehefrauen: SCHRÖDER, G. d. ehel. Güterr. 2, 3 S . 278. Uber das Pfändungspfandrecht vgl. HEUSLER 2, 129. 206. KOHLER Pfandr. Forsch. 22 f. ÖBTEL Entwickl. u. Bedeutung des Grundsatzes anteiliger Gl&ubigerbefriedignng 1901 S. 44 ff. Mit Unrecht wird die pfandrechtliche Natur in Abrede gestellt von MEIBOM a. a. O. 135 f. 177. S3 Vgl. S . 287. HEDSLER a. a. 0 . (n. 7 ) ; Inst. 2, 20—46. LABAND Vermögensr. Klagen 158ff.; Kr. VJSchr. 15, 378ff. STOBBE, bei ERSCH u. GRUBER, Enzykl. I. 1, 65 S . 428-88; Priv.-R. 2 §§ 72—74 (3. Aufl. §§ 85—87). ALBRECHT a. a. O. (n. 7). BRÜNS a. a. 0. (n. 7) 306 ff. HOMETER Sachsenspiegel 2, 2 S. 402 ff. G A U P P , Z D R . 1, 86ff. BRACKENHÖFT ebd. 3, lff. 5, 133ff. DELBRÜCK ebd. 14, 207ff.; Dingl. Klage 36ff. PLANCK Gerichtsverfahren 1, 509ff. 681 ff. v. B A R Beweisurteil 163ff.; Z R G . 12, llOff. SANDHAAS a.a.O. 81 ff. GERBER Ges. jurist Abh. 372ff. ( Z . f. Zivilr. u. Proz. NF. 11). STEIH Untersuchungen des deutsch. Sachenrechts 1857. RÜCKEST Sachenrecht 6 9 ff. GIERKE Fahrnisbésitz (n. 7); Priv.-R. 2, 187 ff. ÏTOCK. ANDREAS Ouduederl. Burg-R. 1, 200 ff. AORICOLA Gewere zu rechter Vormundschaft 96ff. KOHLER Pfandrechtl. Forschungen 173ff. SOHM Zur G. d. Auflassung (Straßb. Festgabe f. T H Ö L 1879) 81 ff. 107 ff. W A L T E R § § 528—34. SIEGEL* § 144. BRUNNERGrundz.* 375ff.AMIRA Grundr.2129 f. KRAUT § § 6 7 — 6 9 . LOERSCH U. SCHRÖDER' S . 262 f. TELTING a. a. O., Themis 1872. v. GOSEN a. a. 0. 46 ff. H U B E R Gewere (n. 7); G. d. Schweiz. Pr.-R. 232. CHAMPEAUX Essai sur la Vestiture ou Saisine dans l'anc. droit français 1899 (vgl. STUTZ, ZRG. 33, 327ff.). WUNDERLICH bei GRIMM, D W B . IV. 1, 3 Sp. 4784 ff. 34 Vgl. ALBRECHT a.a.O. 19ff. HEUSLER Gewere 66. 281; Inst. 2, 189ff.

734

Mittelalter.

Die Gewere an einem Grundstück hatte, wer die Nutzungen daraus zog. es „in Nutz und in Gelde" hatte 35 . Die mit Rechtswirkungen ausgestattete Gewere, also der juristische Besitz, hieß „rechte Gewere"88, im Gegensatz zu der unserm „fehlerhaften" Besitz entsprechenden „raublichen" Gewere, die erst, nachdem der frühere Besitzer sich verschwiegen hatte, also nach unangefochtener Fortsetzung durch Jahr und Tag, zur rechten Gewere (in diesem Sinne) wurde37. Besitz ohne Rücksicht auf einen bestimmten Titel hieß „habende", „gemeine" oder „bloße" Gewere. Gründete sich der Besitz auf einen Rechtstitel, gleichviel ob rechtsbeständig oder anfechtbar, so war „eigenliche" Gewere (Eigenbesitz) oder Gewere „zu rechter Vormundschaft", Leibzuchts-, Satzungs-, Lehns- oder Zinsgewere vorhanden38. Wer den Besitz als Knecht oder Beamter für einen anderen ausübte, hatte keine Gewere, sondern war nur Besitzdiener seines Herrn 39 . Hober Gewere 40f, Die durch Gedinge (z.B. L e i h e oder Satzung) ä b e r t r a g e n e b e s c h r ä n k t e . Gewere endigte mit dem Gedinge selbst. Die R ü c k f o r d e r u n g der Sache durch d e n . Verleiher oder P f a n d g e b e r erfolgte also nicht auf G r u n d des Gedinges (durch eine Vertragsklage), sondern auf G r u n d seiner durch das E r löschen des Gedinges wiederhergestellten Gewere. Vgl. Ssp. I 15 § 1. I I I 22 § 3. H o b e s Gewere lOf. 17. Gibrke Fahrnisbesitz 11. den * SEELIGEB a. a. 7 Vgl. W I N T E R

O. 208. Entwürfe einer Hofordnung von 1498 ebd. 192 ff. Der Ordo consilii von 1550, ein Beitrag zur Gr. des Reichshofrates, Archiv f. österr. G. 79, 101 ff.

§71. Kurfürsten.

837

sein. Ursprünglich war er außerdem das oberste Regierangskollegium, das geringere Sachen durch eigene Mehrheitsbeschlüsse erledigen konnte, in wichtigeren Angelegenheiten aber den Staatsrat des Kaisers bildete. In dieser Beziehung tat ihm der Geheime Bat mehr und mehr Abbruch. Seit 1559 hatte der Reichshofrat außer seinen gerichtlichen Aufgaben nur noch die Begutachtung der Reichslehensachen und kaiserlichen Privilegien. Zu den ersteren wurde auch die Bestätigung der Hausgesetze gerechnet. Alle Lehnserneuerungen von Reichslehen und die Vollmachten der zu ihrer Entgegennahme erschienenen Gesandten mußten zuvor vom Reichshofrat begutachtet werden, der dafür, unabhängig von den der Reichshofkanzlei zufallenden Kanzleitaxen, hohe Gebühren zur Verteilung unter die Mitglieder erhob. Die Verleihung der nichtfürstliehen Reichslehen geschah im Reichshofrat selbst, während die Fürstentümer vom Thron aus verliehen wurden. Einen engeren Kreis von „geheimen Räten" besaßen schon Friedrich III und Maximilian I. Der letztere hatte sich im Innsbrucker Landtagsabschied von 1518 die „eigenen geheimen großen Sachen" ausdrücklich zu besonderer Behandlung vorbehalten. Als ein festes Kollegium erscheint der „Geheime Rat" erst seit 1527. Er nahm die Stellung eines Staatsrates mit begutachtender Stimme ein. Anfangs wohl wesentlich nur mit auswärtigen Angelegenheiten befaßt, zog der Geheime Rat mehr und mehr auch die früher vor den Hofrat gehörigen Regierungsangelegenheiten an sich, bis dieser nur die Lehnssachen und Privilegien behielt Vorsitzender war der Kaiser oder statt seiner der oberste Hofmeister. Weitere Mitglieder waren der Vizekanzler, dem der erste Bericht über alle Einläufe oblag, der oberste Hofmarschall, der böhmische Kanzler, die Söhne des Kaisers und wen dieser aus persönlichem Vertrauen berufen hatte. Die geheimen Räte hatten unter allen Hofbeamten den ersten Rang, vor den Hofräten. Bis zur Hofratsordnung von 1654 stand ihnen das Recht zu, auch den Sitzungen des Reichshofrats beizuwohnen.

§ 71.

Die Kurfürsten.

Bis zum westfälischen Frieden blieb der Bestand des Kurfürstenkollegiums derselbe, wie ihn die Goldene Bulle von 1356 in bestimmter Reihenfolge festgestellt hatte: Mainz, Trier, Köln, Böhmen, Pfalz, Sachsen und Brandenburg. Die sächsische Kurwürde ging 1547 von der (älteren) ernestinischen auf die albertinische Linie über. Die pfälzische Kurwürde samt dem Erztruchseßamt wurde nach der Ächtung des Pfalzgrafen Friedrich V seitens des Kaisers an den Herzog von Baiern verliehen (1623), was der westfälische Friede in der Weise bestätigte, daß dem Pfalzgrafen für sich und seine Nachkommen das eventuelle Nachfolgerecht in die jetzt bairische Kur im Wege der Gesamtbelehnung vor-

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

838

behalten wurde1. Zugleich wurde für das pfalzische Haus eine achte Kur mit dem neuerrichteten Erzschatzmeisteramt errichtet Eine neunte Kur mit dem Amt eines Reichs-Erz-Bannerherrn erhielt BraunschweigLüneburg (Hannover) 1708, während gleichzeitig die Wiedereinführang des seit Jahrhunderten vom Eurförstenkollegium ferngebliebenen Königreichs Böhmen beschlossen wurde2. Die nennte Kurstimme wurde aber schon 1778 wieder beseitigt, indem der Ffalzgraf nach dem Aussterben des bairischen Hauses (1777.) und der Vereinigung Baierns mit Kurpfalz wieder die fünfte Kurstimme mit dem Erztruchseßamt übernahm, die achte Stimme mit dem Erzschatzmeisteramt aber nunmehr auf Braunschweig-Lüneburg überging 3 . Aus ihrem Wahlrecht leiteten die Kurfürsten seit der Wahl Karls V das Becht her, jeden Thronbewerber zuvor eine von ihnen vorgelegte Wahlkapitulation beschwören zu lassen, die den Charakter eines mit ihm abgeschlossenen Vertrages über die Führung der Reichsregierung hatte 4 . Die Verpflichtungen, die der Kaiser darin übernehmen mußte, bezogen sich teils auf das ganze Seich, teils auf die besonderen Rechte der Kurfürsten. Da die letzteren sich durchaus an das Hergebrachte hielten (Zustimmung der Kurfürsten zu Bündnissen und kriegerischen Unternehmungen, Erhebung von Steuern, Erteilung von Münz- und Zollprivilegien,.Veräußerung von Reichsgütern und Reichsgefällen, Wiederverleihung heimgefallener Lehen die etwas Merkliches ertrügen, Ausschreibung von Reichstagen, Zuziehung der Kurfürsten zur Beratung in allen wichtigen Reichsangelegenheiten, Berechtigung der Kurfüratentage, Anerkennung der Reichsvikäriatsrechte) und sich im übrigen darauf beschränkten, das Interesse der Reichsstände überhaupt wahrzunehmen, so wurde ihnen die Feststellung der Wahlkapitulation seitens der übrigen Reichsstände nicht bestritten, obwohl diese allmählich tatsächlich zu einem der wichtigsten Reichsgrundgesetze geworden war. Erst durch den westfälischen Frieden, der ohnehin in den meisten bisher der kurfürstlichen Bewilligung unterworfenen Fällen die Zustimmung des Reichstages verlangte, wurde der reichsgesetzliche Erlaß einer ständigen Wahlkapitulation in Aussicht genommen6. Der infolgedessen aufgestellte Entwurf v. J. 1711 erlangte zwar keine Gesetzeskraft, da die Kurfürsten nicht darauf verzichten wollten, in jedem einzelnen Wahlfall Zusätze einzufügen, hat aber tatsächlich die Grundlage aller späteren Wahlkapitulationen gebildet8. ' 1

V g l . J P O . 4 § § 3. 5. 9.

ERDMANNSDÖRFFER ( S . 7 9 9 ) X, 5 6 .

59.

* Vgl. N. Samml. 4, 224ff. A. SCHULTE a . a . O . 1. 161 ff. 236ff. ERDMAKNSDÖRFFER 2, 51 ff. Die Investitur mit dem Kurhut hatte der Kaiser schon 1692 erteilt.

' Vorübergehend, wegen der Ächtung des Baiern, hatte dieselbe Verschiebung schon 1 7 0 8 — 1 4 stattgefunden. * Vgl. EICHHORN 4 , llff. 282f. 517f. STOBBE ßechtsqu. 2, 188. POTTER Hist. Entwicklung 1, 350f. 2, 2. 32. 118f. 372. PFEFFINGER Vitr. illustratus 1, 834ff. FRENSDORFF, Z B G . 3 3 , LLÖFF. ZEUMEB Samml. Nr. 1 5 4 . * Vgl. JPO. A r t 8 § 3. 9

ZEUMER

Samml. Kr.

177.

§ 72.

§ 72. V g l . S. 519FF.

Reichstag und Reichsgesetzgebung.

839

Der Reichstag und die Reichsgesetzgebung. EICHHORN 3, 3 0 8 f f . 4, 284FF.

v. DANIELS H B . 4, 5 4 9 f f . LANCI-

ZOLLE Übersicht der deutschen Reichsstandschafts- u. Territorialverhältnisse 1830. FICKEK Reichsfurstenstand 264 ff. 371FF. MOSGB Von denen teutschen Reichsständen 1767. FBIEDENSBURG Reichstag zu Speier 1887. DOMCKE Virilstimmen im Reichsfürstenrat von 1495—1654 (GIERKE Unters. 11) 1882.

377ff.; Graf von Waldeck (1869) 95ff.

EBDMANNSDÖRFFER 1, 160 ff.

RAUCH Traktat über den Reichstag im

16. J h . 1905 (vgl. STUTZ, Z R G . 39, 382).

Die den Kurfürsten in Anknöpfung an den Kurverein von 1388 schon in der Goldenen Bulle von Reichs wegen zugestandene und in den Wahlkapitulationen regelmäßig bestätigte Befugnis, nach eigenem Ermessen auch ohne Beteiligung des Kaisers oder eines kaiserlichen Gesandten Zusammenkünfte zu halten und sich zu Kurvereinen zu verbinden1, führte dahin, daß sie auf den Reichstagen ein eigenes für sich verhandelndes Kollegium („einen besonderen Rat") bildeten, was durch den Speierer Reichsabschied von 1544 ausdrücklich als altes Herkommen bestätigt wurde2. Da man nun auch auf den Landtagen nicht immer gemeinsam, sondern auch in getrennten Kurien der verschiedenen Landstände zu verhandeln pflegte (S. 631), so machte sich auf dem Reichstag seit der Rezeption der Städte die Gliederung in drei Kollegien von selbst, indem die den Reichsfürstenrat bildenden Fürsten, Grafen und Herren das zweite, die Städte das dritte Kollegium bildeten. Im Reichsfürstenrat bestand ursprünglich keine feste Stimmordnung, insbesondere haftete das Stimmrecht nicht an den einzelnen Territorien, sondern trug einen rein persönlichen Charakter. Teilungen innerhalb eines Hauses vermehrten die Stimmenzahl, während die Stimmen eingegangener Linien oder ganzer Häuser erloschen und nicht auf den Erwerber ihres Landes übergingen. Dagegen ergibt sich aus dem JPO. von 1648, daß damals bei den Reichstagsbeschlüssen Stimmenmehrheit entschied und die Stimmen von den einzelnen Fürsten nicht als solchen, sondern für ihre Länder abgegeben wurden3. Diese Territorialisierung der Stimmen, die man früher irrtümlich auf den Augsburger Reichstag von 1582 zurückführte, während sie sich ganz allmählich auf gewohnheitsrechtlichem Wege vollzogen hat, trat zuerst bei den geistlichen Fürsten hervor, die bei der Vereinigung mehrerer Stifter in derselben Hand für jedes ihre Stimme abzugeben pflegten. Die evangelischen Reichsstände hatten demgegenüber das Interesse, dem Erlöschen weltlicher Stimmen möglichst vorzubeugen, zumal da das frühere Mittel, die eigene Stimmenzahl durch Erbteilungen zu vermehren, durch die zunehmende Einführung des Erstgeburtsrechtes immer weniger anwendbar wurde. Das Territorialprinzip 1

Der letzte Kurverein hat 1558 stattgefunden, GEBSTLACHEB 5, 511 ff.

> Vgl. GERSTLACHER 5, 508. 3

Vgl. J P O . Art. 5 § 62.

N. Samml. 2, 500 § 25.

Art. 10 §§ 9, 11.

Art. 11 §§ 1, 4.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

840

mußte deshalb auch den weltlichen Fürsten vorteilhafter erscheinen. Dazu kam das fiskalische Interesse des Reiches, daß einmal in die Anschläge aufgenommene Territorien nicht durch ihre Vereinigung mit anderen von der Beitragspflicht befreit würden4. Zu einer Notwendigkeit wurde die Festlegung der Stimmen, als es sich im westfälischen Frieden um die Aufnahme Schwedens als Reichsstand und die Entschädigung Brandenburgs für die Abtretung Vorpommerns handelte. An die Aufstellung einer gesetzlichen Norm für die altfürstlichen Häuser wurde dabei nicht gedacht. Schon seit dem 16. Jahrhundert hatte der Reichstag das Recht beansprucht, nicht bloß bei der Erhebung neufürstlicher Häuser durch den Kaiser, sondern auch bei Stimmteilungen und der Fortführung erloschener Stimmen über die Zulassung zu beschließen (S. 825). Die dabei regelmäßig von ihm beobachtete Praxis führte zu einer gewohnheitsrechtlichen Entwicklung, die schließlich zu einer anerkannten Grundlage der Reichsverfassung wurde. Das früher ganz ungeregelte Stimmrecht der Grafen und Herren und der nicht gefürsteten Prälaten hatte sich allmählich dahin ausgebildet, daß seit 1653 die ersteren vier Kuriatstimmen hatten (in älterer Zeit nur zwei, seit 1641 drei), die Prälaten zwei (vorher nur eine)6. Jede Kuriatstimme, wegen deren innerhalb der betreffenden Eurie zuvor gesondert abgestimmt werden mußte, galt so viel wie eine Fürstenstimme. Übrigens gab es auch fürstliche Kollektivstimmen, die mehreren Häusern gemeinschaftlich zustanden. Vor Beginn des französischen Revolutionskrieges bestand der Reichsfürstenrat aus 100 Stimmen, 35 geistlichen und 65 weltlichen. Die geistlichen Stimmen 6 gehörten zwei Erzbistümern (Salzburg, Besançon), dem Hoch- und Deutschmeister7, 22 Bistümern (darunter das evangelische Bistum Lübeck und das abwechselnd katholisch oder evangelisch besetzte Osnabrück), 7 Reichsabteien und Propsteien (die Stimme der Reichsabtei Prüm stand Kurtrier zu), endlich dem Großprior des Johanniterordens in 4

Vgl. Regensburger RA. von 1518 § 21 (N. Samml. 3, 957). * Schon im Lauf des 16. Jahrhunderts waren, im Anschluß an ältere Landfriedenseinungen, die Grafen und Herren der Wetterau und in Schwaben zu einheitlicher Vertretung ihrer beiden Verbfinde im Reichstag gelangt. Nach ihrem Vorbild wurde 1641 den Franken eine dritte, 1653 den Grafen in Westfalen, Niedersachsen und der Eifel eine vierte Eurie zugestanden. Die beiden Prälatenkurien (1653) haben sich augenscheinlich nach dem Muster der Grafenkurien gebildet. Vgl. FABRICICS Erläuterungen z. geschieht!. Atlas der Rheinprovinz 2, pg. 35 ff. Arch. f. hess. G. NF. 3, 201 ff. • Über den sogenannten „geistlichen Vorbehalt" zum Augsburger Religionsfrieden vgl. § 78 n. 9. Die Weigerung des Kaisers und der katholischen Reichsstände, den evangelischen Stiftsadministratoren die Ausübung der Reichsstandschaft zu gestatten, war eine der Hauptbeschwerden der Protestanten seit Rudolf II gewesen. 7 Der Deutschmeister war seit der Säkularisation Preußens (1526) Reichsfürst geworden. Er galt zugleich als Administrator des Hochmeistertums und führte daher den Titel .Hoch- und Deutschmeister. Vgl. § 64 n. 7, n. 8.

§ 72. ßeichstag und Reichsgesetzgebung.

841

Deutschland 8 ; dazu kamen die beiden Kuriatstimmen der schwäbischen und rheinischen Prälatenbank (mit 22 und 18 Beteiligten), auf der letzteren auch die Landkomthure der Deutschordensballeien Koblenz, Elsaß und Burgund und die evangelischen Stifter Gandersheim, Herford und Quedlinburg. Unter den weltlichen Stimmen befanden sich 39 altfürstliche, 9 von säkularisierten ehemals geistlichen Fürstentümern und 13 neufürstliche, erst nach dem westfälischen Frieden mit Reichstagsgenehmigung erhobene Häuser. Österreich hatte im Fürstenrat nur drei Stimmen. Von den weltlichen Kurfürsten besaß Brandenburg (Preußen) acht fürstliche Stimmen, Eurpfalz (mit Baiern) und Hannover je sechs, Kursachsen nur einen Anteil an der Henneberger Stimme. Yon den übrigen Fürsten hatten Baden und Meklenburg-Schwerin je drei, fünf andere je zwei, 17 je eine Stimme 9 ; dazu kamen fünf Kollektivstimmen, die sich auf zwölf Fürsten verteilten, und die vier gräflichen Kuriatstimmen (das wetterauische Grafenkollegium mit 27, da3 schwäbische mit 26, das fränkische mit 16, das westfälische mit 34 Beteiligten). An der schwäbischen Grafenkurie waren auch Kurpfalz und Osterreich, an der westfälischen Preußen und Hannover beteiligt. Die geistlichen Mitglieder des Reichsfürstenrates und Österreich saßen auf der geistlichen, alle übrigen auf der weltlichen Bank , 0 . Die freien und Reichsstädte erschienen als geschlossenes Kollegium zuerst auf dem Frankfurter Reichstag von 1 4 8 9 n . Die erste amtliche Anerkennung ihrer Reichsstandschaft erfolgte durch § 4 der Regimentsordnung von 1500 12 , die volle Gleichstellung mit den übrigen Reichsständen erlangten sie aber erst durch den westfälischen Frieden (JPO. Art. 8 § 4): Tarn in universalibus quam particularibus diaetis liberis imperii civitatibvs non minus quam caeteris statibus imperii comp etat votum decisivum. Das Städtekollegium zerfiel in eine rheinische and eine schwäbische Städtebank, die erstere zuletzt aus 14, die letztere au9 37 Mitgliedern bestehend. Zu der rheinischen Bank gehörten auch Dortmund, Hamburg, Lübeck, Bremen, Mühlhausen i. Thür., Nordhausen und Goslar. Magdeburg hat seine reichsunmittelbare Stellung später verloren 13 . Die Bestimmung des Wormser RA. von 1495, daß der Reichstag sich alljährlich versammeln sollte (S. 804), ist nicht ins Leben getreten. Umgekehrt mußten die Kaiser später in den Wahlkapitulationen ver8 Seit 1548 zu den Reichsfürsten gezählt, obwohl die Besitzungen des Ordens (Herrschaft Heitersheim) unter österreichischer Landeshoheit standen. ' Darunter das dem König von Sardinien gehörige Herzogtum Savoyen, das sich aber nie bei den Verhandlungen beteiligte. Meklenburg-Strelitz hatte keine eigene Stimme, sondern fährte die des säkularisierten Bistums Ratzeburg. 10 Österreich hatte seit Maximilian I den Sitz auf der geistlichen Bank, nm den Rangstreitigkeiten mit Baiern aus dem Weg zu gehen.

" Vgl. ULMANN Maximilian 1, 307. 12

ZEÜMEB N r . 152.

Vgl. STÖCKERT Reichsunmittelbarkeit der Altstadt Magdeburg, Hist. Z. 66, 193 ff. ERDMANNSDÖRFFER 1, 390 ff.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

842

sprechen, die Reichsstände nicht mit Reichstagen zu belästigen, was tatsächlich bedeutete, daß der Kaiser den Reichstag nur noch mit Zustimmung der Kurfürsten berufen sollte. Bis zu dem am 17. Mai 1654 verabschiedeten Regensburger Reichstag pflegte der Kaiser und ein größerer Teil der Fürsten sich noch persönlich auf den Reichstagen einzufinden, doch fanden, abgesehen von der Eröffnungs- und Entlassungsfeier, keine gemeinschaftlichen Sitzungen mehr statt. Da nach 1654 kein Reichstag mehr verabschiedet wurde, so hat der Regensburger RA. von 1654 die Bezeichnung Jüngster Reichsabschied" (JRA.) erhalten. Der nächstfolgende, 1663 zu Regensburg zusammengetretene Reichstag wurde nicht wieder entlassen, der Reichstag verwandelte sich seitdem in einen ständigen Gesandtenkongreß, bei dem der Kaiser durch einen Prinzipalkommissarius, der dem Fürstenstand angehören mußte, und einen rechtskundigen Konkommissarius vertreten wurde 14 . Das allgemeine Direktorium hatte der Erzkanzler. Außerdem hatte jedes der drei Kollegien sein eigenes Direktorium (im Kurfürstenkollegium Kurmainz, im Reichsfürstenrat abwechselnd Salzburg und Osterreich, im Städtekollegium die Stadt, in welcher der Reichstag abgehalten wurde); auch die vier Grafenkurien und die beiden Prälatenbänke hatten je ihr besonderes Direktorium. Die kaiserlichen Vorlagen gingen durch den Vizekanzler oder indirekt durch den Prinzipalkommissarius an den Erzkanzler, .der sie zunächst gleichzeitig dem Kurfürstenkollegium und dem ReichsfüTstenrat mitteilte. Beide Kollegien verhandelten gesondert, setzten sich aber miteinander in Relation. Kam ein übereinstimmender Beschluß der beiden ersten Kollegien (conclusum duorum) zustande, so ging er an das Direktorium zurück, um nunmehr dem Städtekollegium vorgelegt zu werden, das bei Nichtübereinstimmung der beiden ersten Kollegien gar nicht mit der Sache befaßt wurde. Wenn die Städte die Vorlage ablehnten, so war diese erledigt, wofern es nicht im Weg der Relation gelang, die beiden ersten Kollegien noch nachträglich für die von den Städten gewünschten Änderungen zu gewinnen. Traten aber die Städte dem Beschluß der Kurfürsten und Fürsten bei, so lag ein „Reichsgutachten" vor, das durch Vermittelung des Erzkanzlers dem Kaiser zugestellt wurde. Der Kaiser konnte nach freier Entscheidung das Reichsgutachten ablehnen oder seine „Ratihabition" erteilen. Geschah letzteres, so wurde das Gesetz, falls nicht eine besondere Publikation von Reichs wegen beliebt wurde 16 , im Reichsabschied (recessus imperii), seit 1663 aber als „Reichsschluß" (conclusum imperii) veröffentlicht, während den einzelnen Reichsständen die Sorge für

14

Vgl. H Ö X T E R Zur Vor-G. des immerwährenden Reichstags zu Regensburg, Heidelb. Diss. 1901. 16 Über derartige gesonderte Publikationen, neben denen in den Reichs• abschied nur eine kurze Erwähnung aufgenommen wurde, vgl. GÜTERBOCK Entstehungs-G. der Carolina 199 ff.

§ 72. Reichstag und Reichsgesetzgebung.

848

die weitere Verkündung und die Vollziehung der Reichsgesetze gegenüber ihren Untertanen überlassen blieb 18 . Eine förmliche Abstimmung fand in älterer Zeit in der Kegel nicht, statt, weshalb man die gefaßten Beschlüsse nachträglich noch von den ausgebliebenen Reichsständen durch Unterschrift genehmigen zu lassen pflegte. Seit dem westfälischen Frieden dagegen entschied innerhalb der einzelnen Kollegien S t i m m e n m e h r h e i t w ä h r e n d jedes der drei Kollegien als Ganzes eine entscheidende Stimme hatte. Nur in Fragen, die das konfessionelle Interesse berührten, sollte die Überstimmung der einen Konfession durch die andere ausgeschlossen sein; es fand daher itio in partes statt, indem sich der Reichstag in einen katholischen Teil unter dem Direktorium des Erzkanzlers [corpus catholicorum) und einen evangelischen {corpus evangelicorum) unter Kursachsen schied und ein übereinstimmendes Votum der beiden corpora oder der in ihnen vereinigten sechs Kollegien notwendig wurde 18 . War ein Reichsstand nicht persönlich erschienen, sondern durch Bevollmächtigte vertreten, so hatten diese nach ihrer Instruktion zu stimmen. Dasselbe war, seit der Reichstag ein ständiger Gesandtenkongreß geworden, bei sämtlichen Mitgliedern der Fall, so daß die Abstimmungen vielfach wegen mangelnder Instruktionen verschoben werden mußten. Die ohnehin äußerst schwerfällige Geschäftsordnung wurde dadurch noch unbrauchbarer. Eine Hauptbeschäftigung des ständig gewordenen Reichstages wurden die Rangstreitigkeiten der Gesandten. In besonders schwierigen oder der Geheimhaltung bedürftigen Angelegenheiten pflegte der Reichstag besondere Ausschüsse, sogenannte außerordentliche Reichsdeputationen, mit der Vorbereitung zu beauftragen. Außerdem bestand seit 1548 eine ordentliche Reichsdeputation, d. h. ein ständiger Reichstagsausschuß, der außer dem ganzen Kurfürstenkollegium Deputierte der beiden anderen Kollegien umfaßte und in dringenden Fällen, wenn die Einberufung des Reichstages selbst nicht möglich war oder dieser nicht länger beisammen bleiben konnte, zu einem sogenannten Reichsdeputationstag, als einem engeren Reichstag, berufen wurde 19 . Seit der Reichstag selbst ständig geworden war, kam die ordentliche Reichsdeputation in Wegfall, wenn sie auch theoretisch in den Wahlkapitulationen noch festgehalten wurde. Für sämtliche Reichsdeputationen verordnete der westfälische Friede die gleichmäßige Zusammensetzung nach den beiden Bekenntnissen 20 .

16

Deshalb mußten der auf dem Reichstag nicht vertretenen Reichsritterschaft (§ 80) die Reichsgesetze von Reichs wegen besonders mitgeteilt werden. 17 Bestritten bei der Bewilligung von Steuern. Vgl. S. 857. 18 Die „amicabilis compositio" des JPO. Art. 5 § 52. 19 Vgl. P ü t t e r a. a. O. 2, 124ff. 254. 259. 299. 3, 247. Erdmannsdöbpfer 1, ;167. 852FF. 80

JPO. Art. 5 § 51; Art 8 § 3. JRA. von 1654 §§ 191. 194.

Neuzeit bis zar französischen Revolution.

844

Über die Zuständigkeit des Reichstags bestimmte der westfälische Friede (JPO. Art. 8 § 2): Gaudeant sine conlradictione iure suffragii in omnibus deliberationibus super negotiis imperü, praesertim ubi leges ferendae vel interpretandae, bellum decernendum, tributa indicenda, delectus aut hotpiiationes militum instituendäe, nova munimenta intra Statuum ditiones exstruenda nomine publico veterave firmanda praesidiis, nec non ubi pax aut foedera facienda aliave eiusmodi negotia peragenda fuerint, nihil horum aut quicquam simile posthac unquam fiat vel adrnittatur, nisi de Comitiali liberoque omnium Imperü Statuum suffragio et consensu.

§ 73.

Die Reichskreise und das Reichsregiment.

BBUNNEB Grundz * 259. LANOWEBTH VON SIMMEBN Die Kreisverfassung Maximilians I u. der schwäbische Reichskreis 1896. F E S T E S Franken u. die Kreisverfassung 1906 (Neujahrsbl. d. Ges. f. fränk. G. 1). BECK, G. d. fränk. Kreises 1500—33 (Arch. d. hist Ver. f. Unterfr. u. Asch. 48). v. K R A Ü S Das Nürnberger Reichsregiment 1883. W T N E K E N Regimentsordnung von 1521, FDG. 8, 563ff. BBÜCXNEB Zur G. des Reichstages von Worms, die Verhandlungen über das Regiment 1860. M O S E S Von der teatschen Kreisverfassung 1773. LANCIZOLLE a. a. O . 12—32. BSBOHADS Deutschland vor 100 Jahren, 2 Bde 1859—60. v. DANIELS HB. 4, 556 ff. VIBCK u. W O L O K E B Des Hans v. d. Planitz Berichte aus dem Reichsregiment 1899.

Im Anschluß an die alten Landvogteien (S. 517) und Landfriedensbezirke (S. 568) hatte schon Albrecht II die Einteilung des Beiches in Kreise mit einer bestimmten Kreisverfassung unternommen (S. 803). Was infolge seines frühen Todes nicht zur Ausführung gekommen war, wurde durch die ßeformgesetzgebung unter Maximilian I wieder aufgenommen und unter Karl V zum Abschluß gebracht Die Regimentsordnung von 1500 teilte das Reich in sechs Kreise oder Provinzen, ließ aber die kaiserlichen Erb- und die kurfürstlichen Lande noch uneingekreist. Diese wurden 1512 in Gestalt von vier neuen Kreisen hinzugefügt, nur Böhmen (mit Mähren und Schlesien) blieb außerhalb der Kreisordnung. Durch die Wormser Ordnung von 1521 erfolgte eine bessere Abrundung der zehn Kreise, indem jeder der vier neuen um einige Gebiete der sechs alten Kreise vergrößert wurde. Die Kreiseinteilung von 1521 hat sich im wesentlichen bis 1803 erhalten 1 . 1 N. Samml. 2, 58. 138. 21 Iff. ZEUHEB Nr. 152. 156. Vgl. unsere Karte, Tafel IH. Zu jedem der zehn Kreise gehörte eine größere oder geringere Zahl von Prälaten, Grafen und Herren, im übrigen war die ursprüngliche Kreiseinteilung folgende. 1. Der ö s t e r r e i c h i s c h e Kreis: das Erzherzogtum, Innerösterreich (Steiermark, Kärnten, Krain, Friaul mit Triest), Oberösterreich (Tirol), Vorderösterreich (die Landgrafscbaften im Elsaß und Breisgau, Vorarlberg, schwäbisch Österreich), die Hochstifter Trient und Brixen, später auch Chur. 2. Der b u r g u n d i s c h e Kreis: Freigrafschaft, Luxemburg, Niederlande. 3. Der k u r r h e i n i ache Kreis: Kurmainz (nebst Erfurt und Eichsfeld), Kurtrier, Kurköln (nebst Herzogtum Westfalen), Kurpfalz, Aremberg. 4. Der o b e r s ä c h s i s c h e Kreis; Kursachsen, Kurbrandenburg, die Hochstifter Meißen, Merseburg, Naumburg,

§ 73. Reichskreise und Reichsregiment.

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Die Kreise hatten ursprünglich nur die Bestimmung, als Wahlbezirke für die Besetzung des Reichsregiments zu dienen. Die 1495 auf dem Reichstag gescheiterte Einsetzung eines Reichsrates kam, nachdem der Druck der auswärtigen Verhältnisse den Widerstand Maximilians gebrochen hatte, 1500 auf dem Augsburger Reichstag als Ersatz der 1495 beschlossenen jährlichen Reichsversammlung zustande. Zur obersten Leitung des Reiches wurde ein Reichsregiment („Unseres und des heiligen Reiches Rat", „Unser und des Reiches Regenten") mit dem ständigen Sitz zu Nürnberg eingesetzt, das aus einem Kollegium von 20 Mitgliedern unter dem Vorsitz des Kaisers oder eines von diesem ernannten Stellvertreters bestand. Von den sechs Kurfürsten (Böhmen blieb unbeteiligt) sollte immer einer mit je dreimonatlicher Abwechselung persönlich dem Kollegium angehören, während die übrigen durch fünf Deputierte vertreten wurden. Fernere Mitglieder waren: ein geistlicher Fürst als Deputierter der sechs bedeutendsten, im Gesetz bezeichneten geistlichen Reichsfürsten, ein in derselben Weise deputierter weltlicher Fürst, ein Deputierter der Grafen und Herren, ein Prälat als Deputierter der vier bedeutendsten Prälaten, zwei Deputierte von acht im Gesetz aufgezählten Reichsstädten und sechs Deputierte der sechs Kreise, endlich zwei Vertreter der kaiserlichen Erblande (einer für Österreich, einer für Burgund). Abgesehen von den sechs kurfürstlichen Stellen hatte das Reichsregiment das Selbstergänzungsrecht, mit Beschränkung auf den Kreis der das ausgefallene Mitglied deputiert hatte. Sämtliche Mitglieder, mit Ausnahme der Kurfürsten und Fürsten, erhielten eine Besoldung vom Reich. Die Reichsregimentskanzlei stand unter dem Erzkanzler. Die Ausfertigung Brandenburg, Havelberg, Lebus, die thüringisch-sächsischen Herzogtümer, Pommern, Anhalt, Schwarzbarg, Reufi. 5. Der f r ä n k i s c h e Kreis: Hochstifter Bamberg, Würzkurg und Eichstädt, Barggrafschaft Nürnberg (Fürstentum Onolzbach oder Ansbach, Fürstentum Kalmbach oder Baireuth), Hoch- and Deutschmeister, fünf Städte (darunter Nürnberg). 6. Der b a i r i s c h e Kreis: Baiern, Erzstift Salzburg, die Hochstifter Passau, Freising und Regensburg, Propstei Berchtesgaden, Fürstentum Neuburg, Landgrafschaft Leuchtenberg, freie Stadt Regensburg. 7. Der s c h w ä b i s c h e Kreis: Hochstifter Augsburg, Konstanz und Chur (später zam österrfichischen Kreise), Abteien Kempten, St. Gallen, Reichenau, Ellwangen, Herzogtum Wurtemberg, Markgrafschaft Baden, 35 Städte (daxunter Augsburg). 8. Dei o b e r r h e i n i s c h e Kreis: Hochstifter Basel, Besançon, Genf, Lausanne, Sitten, Metz, Toni, Verdun, Straßburg, Speier, Worms, Fulda, Herzogtum Savoyen, Lothringen, Pfalz-Zweibrücken, Nassau-Saarbrücken, Nassau-Weilburg, Waldeck, Landgrafschaft Hessen, 24 Städte (darunter Basel, Mülhausen, Straßbarg, Metz, Toal, Verdun, Frankfurt, Speier, Worms, Wetzlar). 9. Der n i e d e r r h e i n i s c h w e s t i ä l i s c h e Kreis: Hochstifter Paderborn, Lüttich, Utrecht, Münster, Osnabrück, Minden, Verden, Stifter Essen, Werden, Echternach, Stablo, Cornelimünster, Herford, Corvey, Herzogtümer Jülich, Cleve, Berg, Mark, Geldern, Nassau-Diez, Ostfrieslaid, Oldenburg, Pyrmont, Lippe, 13 Städte (darunter Köln, Aachen, Dortmund) 10. Der n i e d e r s ä c h s i s c h e Kreis: Erzstifter Magdeburg und Bremen, Hochetifter Hildesheim, Halberstadt, Lübeck, Ratzeburg, Schwerin, Herzogtümer Braunschweig, Sachsen-Lauenburg, Meklenbuig, Holstein, die Städte Lübeck, Hambarg, Bremen, Goslar, Mühlhausen, Nordhausen.

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'Neuzeit bis zur französischen Revolution.

aller Regimentserlasse geschah mit dem Vermerk „ad mandatum domini regis in consilio imperii"; sie bedurften der Gegenzeichnung des kurfürstlichen Mitgliedes. Alle Beschlüsse des Reichsregiments wurden mit Stimmenmehrheit gefaßt 2 ; abwesende Mitglieder wurden nicht gerechnet, auch die Abwesenheit des Kaisers oder seines Vertreters war kein Hindernis. Zuständig war das Reichsregiment für alle inneren und äußeren Angelegenheiten des Reiches, die sonst dem Kaiser allein oder mit den Kurfürsten oblagen. Der Kaiser war auf den Vorsitz im Reichsregiment und die ihm als Reichsstand zukommenden Befugnisse beschränkt. Die Monarchie war beseitigt, der aristokratische Bundesstaat durchgeführt. Dem Reich gegenüber war das Reichsregiment verpflichtet, sich in besonders wichtigen Angelegenheiten durch die Einberufung sämtlicher Kurfürsten (an Stelle ihrer Deputierten) und der übrigen zur Vertretung im Reichsregiment berufenen Fürsten zu verstärken. Auch das verstärkte Reichsregiment faßte seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. So oft es erforderlich war, hatte das Regiment einen Reichstag zu berufen; alle Reichsstände waren verpflichtet, der Berufung Folge zu leisten. Das Reichsregiment war von vornherein nur auf die Dauer von sechs Jahren vereinbart worden. Aber schon 1502 kam es zu unlöslichen Konflikten mit dem Kaiser. Maximilian erklärte das Reichsregiment für aufgelöst und forderte dem Erzkanzler das Regimentssiegel ab. Der 1512 unternommene Versuch des Kaisers, auf Grund einer neuen Ordnung einen kaiserlichen Reichsausschuß ins Leben zu rufen, hatte keinen Erfolg 3 . Die Opposition der Kurfürsten beschränkte sich auf die Errichtung eines neuen Kurverems mit der Abrede jährlicher kollegialer Zusammenkünfte; später setzten sie in die Wahlkapitulation das Versprechen, ein Reichsregiment wieder aufzurichten. Diesem Versprechen gemäß vereinbarte Karl V mit dem Wormser Reichstag von 1521 ein neues Reichsregiment*, ebenfalls mit dem Sitz in Nürnberg und genau nach dem Muster des ersten, nur daß der Kaiser als solcher ebenfalls zwei Mitglieder zu deputieren hatte, die Gesamtzahl also auf 22 erhöht wurde6. Zu seinem Statthalter im Vorsitz ernannte Karl seinen Bruder Ferdinand. Die Befugnisse des Reichsregiments wurden genau nach der Regimentsordnung von 1500 festgesetzt, auch hinsichtlich des Selbstergänzungsrechts und des verstärkten Reichsregiments, nur Verleihung und Entziehung von Reichslehen und die Abschließung von Bündnissen behielt der Kaiser sich vor. Die wichtigste Beschränkung war die, daß das Reichsregiment nur ein Statthaitemrat für die Dauer der Abwesenheit des Kaisers sein sollte, so daß es init * Da das Reichsregiment 20, das verstärkte Reichsregiment 30 Mitglieder zählte, so hatte der Kaiser oder sein Stellvertreter im Vorsitz wohl das Recht des Stichentscheides. * Vgl. Kölner RA. von 1512, N. Samml. 2,147 f. ULMANN Maximilian 1, 5«6f. * N. Samml. 2, 172 ff. ZEÜKEB Nr. 156.

8 Das System der vierteljährlichen Abwechslung wurde auch auf die Fürsten, Prälaten und Städte ausgedehnt

§ 73. Reichskreise und Reichsregiment.

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seiner Rückkehr in das Beich seine Vollmacht verlor. In dieser Gestalt hat sich das Reichsregiment bis 1530, wo Ferdinand zum römischen König gewählt wurde, erhalten. Schon durch den Trierer RA. von 1512 wurde der von der späteren Gesetzgebung und namentlich vom Augsburger RA. von 1555 weiter verfolgte Weg betreten, statt des als unausführbar erkannten Versuches einer rein ständischen Zentralregierung durch das Reichsregiment die Kreise zu lebenskräftigen Verfassungskörpern auf ständischer Grundlage zu entwickeln6. Man kehrte damit zu dem Gedanken zurück, der schon die Kreisverfassung Albrechts II von 1438 angeregt hatte. An die Spitze jedes Kreises sollte ein vom Kreis gewählter, nötigenfalls aber vom Kaiser ernannter Kreishauptmann zur Leitung der Kreisangelegenheiten gestellt werden. Tatsächlich führte die Entwickelung dahin, daß regelmäßig die beiden bedeutendsten Fürsten des Kreises die Kreistage „ausschrieben" oder „beschrieben" und als „ausschreibende Fürsten" auch die Leitung der Kreistage übernahmen. Wo es einem von ihnen gelang, die Leitung der Kreistage und die Kreiskanzlei ganz in seine Hand zu bringen, wurde für ihn die Bezeichnung „Kreisdirektor" verwendet. Der Kreishauptmann (später „Kreisoberst") wurde infolgedessen zu einem bloßen Kreisbeamten für die militärische Leitung und die Handhabung der Exekutivgewalt. Seine Anstellung erfolgte durch die Kreisstände, aber auf Widerruf. Ihm zur Seite standen vier oder sechs von den Kreisstähden gewählte Räte oder Zugeordnete. Zu den Kreisangelegenheiten gehörten die Wahlen zum Reichskammergericht, vorübergehend auch die zum Reichsregiment, die Verteilung der dem Kreis auferlegten Reichsanschläge und Truppenkontingente auf die einzelnen Kreisstände und die Sorge für ihre Aufbringung, Beschaffung der unmittelbaren Kreismilitärlasten, Exekution reichsgerichtlicher Urteile gegen Kreisstände (subsidiär auch solcher gegen Landsassen), Wahrung des Landfriedens, Kreispolizei, Aufsicht über das Münzwesen. In den zu voller Weiterentwickelung gelangten Kreisen wurde die Zuständigkeit noch sehr viel weiter ausgedehnt, nur Privatrecht und Prozeß blieben unberührt. Die dem Kreis angehörigen Reichsstände waren zugleich die Kreisstände. Die ausschreibenden Fürsten hatten sie in den Kreisangelegenheiten zu Kreistagen zu berufen, die durchaus den Charakter eines verkleinerten Reichstages trugen 7 . Die Kreistage setzten nach Bedürfnis Kreisdeputationen zur Bearbeitung besonderer Angelegenheiten ein. Zuweilen versammelten sich einzelne Bänke * Vgl. N. Samml. 2, 188. 148. 230ff. 449. 498f. 3, 25—32. ' Die getrennten Kollegien des Reichstags wiederholten sich hier nicht. Jedes kreisständische Territorium hatte eine volle Stimme. Vom Kaiser in den Stand der Grafen oder Herren erhobene Grundbesitzer konnten, auch wenn sie keine Reichsstandschaft besaßen, durch Beschluß des Kreistags die Kreisstandschaft erhalten, wenn sie bereit waren, die Reichs- und Kreislasten auf ihre Güter zu übernehmen. Die Kreisstände des schwäbischen Kreises verteilten sich auf fünf Bänke, jede später unter einem besonderen Bankdirektorium.

848

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

zu besonderen Banktagen. Ein wirklich kommunales Leben vermcchte sich nur in den Kreisen, in denen ausschließlich kleine Staategebilde vereinigt waren, zumal dem schwäbischen und fränkischen, zu entfdten. Wurden diese erst durch die Zusammenfassung zu einem größeren Orginismus für staatliche Zwecke verwendbar, so hatte die Kreisverfassun* in den übrigen Kreisen wenigstens den Vorteil, den mächtigeren Kreisstäiden einen gewissen Einfluß auf die kleinen zu verschaffen. § 74.

Die Reichsgerichte.

Vgl.

EICHHOBN 3, 122. 4, 5f. 266ff. 294ff. 873ff. 574ff. HEUBLEB VG.239. Grundz.* 256. HARPPBECHT Staatsarchiv des Reichskammergerichts, 6Bde 1757—85. PJPBPPTHOBB Vitriarius illastr. 4 , 499—705. MALBLANK Anleitung zur Kenntnis der deutsch. Reichs- u. Provinzial-Qerichts- und Kanzleiverfassung, SBde 1791. THODICHÜM Das vormalige Reichskammergericht und seine Schicksale, SDR. 20, 1 4 8 ff. WETZBIL System des Zivilprozesses9 370 ff. STÖLZEI Ein ältester RÜG.Prozeß, ZRG. 12, 257 ff. STOBBK Reichshofgericht und Reichskammergericht, Ieipz. Rekt.-Rede 1878. FRANKLIN Die freien Herren von Zimmern 112ff. BEIMHAUB Deutschi, vor 50 Jahren 2 , 125f. 142ff. ULMANN (S. 799) 1, 375ff. 832ff. 2, 79ff. 263 ff. 658 ff. ERDMANNSDÖRFFER (S. 799) 1 , 157 ff. 2, 34. v. WEECH Ein Projekt zur Reform der Reichsjustiz aus dem 1 6 . Jh., N. Heidelb. JB. 3, 1 7 ff. STIHZINQ, fr. d. RW. 1, 478 ff. W . ENDEHANN Von dem alten Reichskammergericht, Z. f. dettsch. Ziv.-Proz. 1898. WIGAND Denkwürdigkeiten a. d. Archiv des Reichskammergerchts 1854 S. 52ff. K . PEBELB Die Jnstizverweigerung im alten Reiche seit 1495, ZRG. 38, lff. W B I S S U B , G. der Rechtsanwaltschaft 1905 (vgl. B. SCHULTZB, ZRG. 40,146). BRUNNEB

Das 1495 errichtete Beichskammergericht unterschied sich von dem alten kaiserlichen Kammergericht (S. 565), als dessen unmittelbare Jortsetzung es betrachtet werden muß, durch den festen Sitz, die reichsgeietzliche Grundlage, den ständigen Kammerrichter und die größtenteils den Beichsständen überlassene Besetzung mit ständigen Beisitzern. Der Sitz des Reichskammergerichts, das allerdings aus Mangel an Mitteln wiederholt zu gänzlichem Stillstand kam, befand sich zunächst in Frankfurt a-M., unterlag dann mehrfachem Wechsel, bis er 1527 nach Speier und 1693 nach Wetzlar verlegt wurde, wo das Gericht bis zu seiner Auflösung im Jahre 1806 blieb. Die erste gesetzliche Grundlage 1 bildete die BKGO. von 1495 2 , die sich großenteils an die für das alte kaiserliche Kammergericht geltenden Nonnen anschloß. Nach verschiedenen .Veränderungen kam auf lern Wormser Reichstag von 1521 die zweite BKGO. zustande3, auf iem Augsburger Reichstag von 1548 die dritte, die mit geringen Änderurgen 1555 von neuem bekannt gemacht wurde 4 . Eine vierte BKGO. Wirde auf Grund erheblicher, i. J. 1600 beschlossener Veränderungen L J. 1603 1

Vgl. STOBBK Rechtsqu. 2 , 1 9 2 ff. Corpus iuris cameralis Samml. 2 , 6 ff. ZKDIIEB Nr. 1 4 9 .

1717.

' N.

* E b d . 2, 1 7 9 — 1 9 4 .

ZECHER N r . 1 5 7 .

Nr. 164. N. Samml. 3, 43—136. Über die in der Zvischeizeit (1521—48) vorgenommenen Änderungen ebd. 2, 247ff. 289ff. 317ff. 345ff. 356ff. 4t3ff. * ZEUMER

§ 74.

Reichsgerichte.

849

entworfen und dem nächsten Reichstag vorgelegt; obwohl die politischen Verhältnisse den Entwurf von 1603 nicht zum Reichsgesetz werden ließen, hat das RKG. selbst ihn als maßgebende Norm behandelt5. Weitere Veränderungen erfolgten durch den westfälischen Frieden und den JRA. von 1654«. An der Spitze des RKG. stand der vorzugsweise mit Verwaltungsgeschäften befaßte Kammerrichter, dem später zwei, schließlich vier Senatspräsidenten zur Seite traten. Der Kammerrichter mußte dem hohen Adel angehören und hatte fürstlichen Rang. Der Richter und die Präsidenten wurden vom Kaiser ernannt. Die Zahl der Beisitzer oder Assessoren betrug ursprünglich 16, später 22; nach dem westfälischen Frieden sollte sie 50 betragen, tatsächlich aber stieg sie nicht über 18, erst unter Joseph II auf 25. Von den Beisitzern hatte der Kaiser eine gewisse Zahl für sich, eine andere für seine Erblande zu präsentieren; die übrigen wurden teils von den Kurfürsten, teils von deil sechs alten Kreisen präsentiert. Die Ernennung erfolgte nach vorangegangener Prüfung durch das Gericht selbst, regelmäßig auf sechs Jahre. Die eine Hälfte der Beisitzer mußte den juristischen Doktorgrad, die andere den Adel besitzen. Seit 1521 sollten auch die adelichen Beisitzer möglichst, seit 1555 unbedingt aus dem Stand der Rechtsgelehrten genommen werden; graduiert brauchten sie nicht zu sein. Seit dem westfälischen Frieden mußte das Gericht und jeder Senat paritätisch zusammengesetzt sein. Kammerrichter war tatsächlich immer ein Katholik, bis 1721 wiederholt sogar ein geistlicher Fürst. Alle Mitglieder des Reichskammergerichts galten als reichsunmittelbar und könnten nur durch Urteil des Gerichts oder der Reichsvisitationsdeputation abgesetzt werden. Die Wahrnehmung der finanziellen Interessen des Gerichts, sowie Verfolgung der Preßvergehen und Betreibung der fiskalischen Prozesse war Aufgabe des Fiskalprokurators, dem ein Fiskaladvokat zur Unterstützung und Vertretung beigegeben wurde. Sämtliche Vertreter der Parteien, Prokuratoren für die persönliche Vertretung und Advokaten für die Schriftsätze, wurden vom Gericht selbst (Fiskalprokurator und Fiskalanwalt auf Vorschlag des Kaisers) angestellt, zum Teil erst nach vorheriger Prüfung, und waren der Disziplinargewalt des Gerichts unterworfen. Die RKG.-Kanzlei mit den Unterabteilungen Kanzlei und Leserei stand unter dem Erzkanzler; ihr unmittelbares Haupt war der Kanzleiverwalter. Die Gerichtskasse verwaltete ein besonderer Pfennigmeister. Als Gerichtsdiener hatte man einen Kanzleidiener, zwei Pedelle und 24 Boten (darunter zwölf reitende) unter einem Botenmeister. Für den Unterhalt des RKG. sollten in erster Reihe seine eigenen Einnahmen dienen, im übrigen versuchte man es anfangs teils mit dem gemeinen Pfennig, teils mit außerordentlichen Bei6 Vgl. N. Samml. 3, 472—498. Der Entwurf von 1603 bei SCHMAUSS Corp. iur. publ. (1770) pg. 330ff. 8 JPO. Art. 5 §§ 53 f. JRA. §§ 7 ff. N. Samml. 4, 588. 643 ff.

R. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte. 6. Aufl.

54

850

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

trägen des Kaisers and der Reichsstände, bis 1548 durch eine feste Reichssteuer, die sogen. Kammerzieler, die unentbehrliche finanzielle Grundlage gewonnen und weiteren Suspensionen des Gerichts, wie sie bis dahin wiederholt nötig geworden waren, vorgebeugt wurde7. Aber auch diese Steuer wurde so lässig bezahlt, daß der gesetzliche Mitgliederbestand aus Mangel an Mitteln nie aufrecht erhalten werden konnte, wodurch eine unglaubliche Verschleppung der Prozesse veranlaßt wurde. Das RKG. war das ordentliche Gericht für Landfriedensbrüche, eigenmächtige Pfändungen and Gefangennahmen8, ferner für alle fiskalischen Klagen, auch wegen der durch Übertretung kaiserlicher Gebote oder der Reichsgesetze verwirkten Strafen9, sodann für Besitzstreitigkeiten zwischen Reichsunmittelbaren oder den Untertanen verschiedener Herrenl0, endlich für alle Klagen gegen Reichsunmittelbare11, mit Ausnahme eigentlicher Kriminalklagen und der Reichslehensachen, so daß auch die Untertanen gegen ihren Landesherrn wegen Rechtsverletzung im Gebiet des öffentlichen Rechts beim RKG. klagen konnten. Bei Prozessen unter Fürsten oder Fürstengenossen hatte jedoch in erster Instanz ein vom Gesetz genau geregelter Austrag, als kaiserliche Kommission, zu entscheiden, wogegen jeder Partei die Berufung an das RKG. offen stand12. Für Prozesse unter Grafen, Prälaten und anderen Reichsunmittelbaren wurde das Austragsverfahren erst 1521 eingeführt13. Bei Klagen nichtgefürsteter Personen gegen einen Fürsten hatte zunächst ein von letzterem aus Mitgliedern seines Rates zu bildendes Schiedsgericht (seit 1521 auch unter Zuziehung anderer Mitglieder und unter Mitwirkung des Klägers bei der Bildung des Gerichts) zu urteilen, von dessen Entscheidung jede Partei Berufung an das Reichskammergericht einlegen konnte14. Einen weiteren Grund für die Zuständigkeit des RKG. bildeten die Fälle der Rechtsverweigerung15. Endlich war es in bürgerlichen Sachen 7 Vgl. Augsb. RA. von 1548 § 30 (N. Samml. 2, 533). Die Usualmatrikel über die Verteilung des Anschlags N. Samml. 4, Zugabe 100 ff. Über spätere Veränderungen des ursprünglichen Anschlags ebd. 3, 225. 644. 4, 260. 346. 358 f. 362. 371. Über Fälle der Anweisung auf den gemeinen Pfennig ebd. 2, 25. 80. 35f. 43. 68, über Anschläge auf beschränkte Zeit 2, 89. 103. 115. 171. 205f. 246. 433. 466. Über den Namen „Kammerzieler" vgl. GRIMM DWB. 5, 132. 8 RKGO. 1555 II Tit. 9, Tit. 12—19, Tit. 22. Hier konkurrierte das RKG. mit den Landesgerichten, doch konnten die letzteren nicht auf Reichsacht erkennten. » RKGO. 1555 II Tit. 20. 10 RKGO. 1521 c. 32; 1555 II Tit. 21, 11 RKGO. 1495 § 16. 1521 c. 22, 2. " Vgl. S. 564. EICHHORN 3, 122. 4, 373f. RKGO. 1495 § 28; 1555 II TSt. 2, Tit. 8 § 3. » RKGO. 1521 c. 33, 15—18. 1555 II Tit. 3, Tit. 5. M RKGO. 1495 § 30. 1521 c. 33, 1—14. 1555 II Tit. 4, Tit. 6, Tit. 8,, 3f. Über einen älteren Fall praktischer Anwendung vgl. R. KERN Die Kttlsheiimer Fehde 1463, Heidelb. Diss. 1897 S. 41 ff. 16 RKGO. 1495 § 16. 1521 c. 22, 2. 1555 II Tit. 1 § 2, Tit. 26.

§74.

Reichsgerichte.

851

oberstes Berufungsgericht für sämtliche Land- und Stadtgerichte16, während es in peinlichen Sachen auf die Nichtigkeitsbeschwerde wegen rechtswidriger Strafverhängung beschränkt blieb17. Mit der oberinstanzlichen Stellung war zugleich ein gewisses Aufsichtsrecht des EKG. über die Landesgerichte verbunden18. Wo kaiserliche privilegia de non appellando erteilt waren, fiel beides weg, nur die Zuständigkeit bei Rechtsverweigerung blieb unberührt 19 . Seit 1507 bestand am Reichstag eine eigene Visitationsdeputation für das RKG., an welcher der Reihe nach sämtliche Reichsstände beteiligt wurden. Diese entwickelte sich zugleich zu einer Revisionsinstanz über dem RKG. (auch mit Zuständigkeit für Syndikatsklagen gegen das letztere), und zwar seit 1555 mit Suspensivwirkung der eingelegten Revision. Seit 1588 kam die ordentliche Visitationsdeputation außer Gebrauch, die dafür von Zeit zu Zeit eingesetzten außerordentlichen Deputationen konnten aber nur den geringsten Teil der eingelegten Revisionen erledigen, so daß die meisten mit dem Rechtsmittel der Revision angefochtenen Urteile des RKG. unvollstreckbar blieben, bis § 124 des JRA. von 1654 die Suspensivwirkung der Revisionen wieder aufhob. Erst 1767 wurde auf Antrieb Josephs II eine neue Visitationskommission eingesetzt, die aber nach seinem Tode wieder in Verfall geriet. Die Vollstreckung der RKG.-Urteile gegen Reichsunmittelbare wurde dem betreffenden Kreise, die gegen Landsässige dagegen der zuständigen Obrigkeit und nur, wenn diese versagte, ebenfalls dem Kreise befohlen20. Das Recht des Kaisers zu persönlicher Entscheidung der an ihn gekommenen Rechtssachen wurde durch die Einsetzung des RKG. nicht beeinträchtigt. Er übte es entweder in alter Weise mit den Reichsständen, d. h. dem Reichstage, oder in der des alten kaiserlichen Kammergerichts mit seinen Räten, d. h. dem Reichshofrat21. Der letztere entwickelte sich seit der Ausbildung des Geheimen Rates aus einem Justiz- und Verwaltungskollegium zu einem reinen Justizkollegium, das als oberstes kaiserliches Gericht dem RKG. Konkurrenz machte. Der Reichshofrat hatte " RKGO. 1521 c. 24. 1555 II Tit. 28. Die Appellationssumme wurde im Lauf der Zeit von 50 fl. auf 400 fl., für manche Rechtsgebiete noch weiter erhöht. " RKGO. 1555 II Tit. 28 § 5. 18

19

Vgl.

EICHHORN 4 ,

375.

Vgl. ebd. 4, 376. Zuweilen waren die Appellationspririlegien auf bestimmte Rechtsmaterien, z. B. ImmobiliarsacheD, beschränkt, so daß in allen anderen Sachen Berufung an das RKG. eingelegt werden konnte. Vgl. S. 813. 20 Vgl. RKGO. 1555 III Tit. 48 §§ 6—10, Tit. 49. Die Vollstreckung bewegte sich in den Formen der Acht. Rechtskräftig gewordene Urteile der Austräge bedurften der Bestätigung durch eins der höchsten Reichsgerichte, um vollstreckbar zu werden. 21 Vgl. S. 836 f. HEBCHENHAHN, G . des kaiserl. RHR., 2 Bde 1792. B E R G M A N N , Wien. SB. 25, 187ff. LECHNER a . a . O . (S. 557) 61. Der durchaus persönliche Charakter des RHR. zeigte sich auch darin, daB seine Tätigkeit durch den Tod des Kaisers unterbrochen wurde und seine Funktionen auf die beiden Reichsvikarä, je in den ihnen überwiesenen Reichsteilen, überging. Vgl. P E B E L S a. a. 0. 11. 54*

852

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

die alleinige Zuständigkeit in Reichslehensachen22, Kriminalklagen gegen Reichsunmittelbare (mit Ausnahme der Landfriedensbrüche), Streitigkeiten über kaiserliche Privilegien and andere auf Grund kaiserlicher Reservatrechte geübte Akte23, endlich über italienische Angelegenheiten, da die in Italien bestehende kaiserliche „Pienipotenz" nur als delegiertes Gericht galt, von dem die Berufung an die Person des Kaisers ging24. In allem übrigen konkurrierte der Reichshofrat mit dem RKG.26, was nach langem Widerstreben der Reichsstände durch den westfälischen Frieden in der Art anerkannt wurde, daß das zuerst mit-einer Sache befaßte Gericht den Vorzug hatte 26 . Da der Reichshofrat nicht bloß Gericht, sondern zugleich juristischer Beirat des Kaisers war und als solcher in allen Reichslehen- und Gnadensachen sein Gutachten abzugeben hatte, so lag die Gefahr einer persönlichen Einmischung des Kaisers in die gerichtlichen Entscheidungen nahe, zumal der Unterhalt des Reichshofrats Sache des Kaisers war and sämtliche Mitglieder von ihm und nur für die Dauer seiner Regierung ernannt wurden. Nur die Stellung der Reichskanzlei (S. 835) bot eine gewisse Gewähr gegen kaiserliche Kabinetsjustiz. Der westfälische Friede traf eine Reihe von Maßregeln im Interesse unparteiischer Rechtspflege, vermochte aber doch das „votum ad imperatqrem", durch das der Reichshofrat dem Kaiser die persönliche Entscheidung überlassen konnte, nicht ganz zu beseitigen27. Nach den Bestimmungen des westfälischen Friedens {JPO. 5 §§ 54—56) sollte das Verfahren den für das RKG. bestehenden Normen folgen, die Besetzung mit Präsidenten, Vizepräsidenten und Räten sollte fest geordnet und jede nicht dazu gehörige Person, namentlich auch jedes Mitglied des Geheimen Rates, von der Teilnahme an der Rechtsprechung ausgeschlossen sein; unter den Räten sollte sich eine bestimmte Zahl Evangelischer befinden. Der Reichshofrat wurde der Visitation des Erzkanzlers unterstellt. Von den Urteilen des Reichshofrats sollte das Rechtsmittel der Revision (mit Suspensivwirkung) bei dem Kaiser eingelegt werden können; die Entscheidung über die Revision sollte ausschließlich durch Räte die bei dem angefochtenen Urteil nicht beteiligt gewesen waren, in wichtigen Fällen unter Zuziehung von Kurfürsten und Fürsten, aber unter Aufrechterhaltung des konfessionellen Gleichgewichts, " Diese hatte der Kaiser schon in der Beg.-Ordn. von 1 5 2 1 § 7 (ZEÜMER Nr. 156) seiner persönlichen Entscheidung vorbehalten. Vgl. RKGO. 1555 II Tit. 7. Streitig war, ob sich das Vorrecht des BHB. auch auf geringere Reichalehen bezöge. Vgl. PÜTTEB Hist. Entwickelung 2 , U L F . " Daher auch alle Prozesse Aber Hausgesetze von Reichsunmittelbaren, da diese vom Kaiser bestätigt sein mußten. Die ausschließliche Zuständigkeit des EHE. in betreff der Reservatrechte war bestritten. Vgl. PÜTTEB 3, 167 f. "

86

V g l . EICHHOBN 4,

300.

Dies wurde namentlich in Zeiten, wo das EKG. stillstand, von Bedeutung. Vgl. ROSENTHAI Behördenorganisation Ferdinands 25. 16 JPO. Art. 5 § 56. "

V g l . ROSENTHAL a . a . 0 .

2 2 ff.

§ 75.

Reichsheerwesen.

853

erfolgen. Das in Aussicht genommene Reichsgesetz zur Ordnung des Reichshofrats ist nicht zustande gekommen, dagegen trat die von Ferdinand III erlassene RHRO. von 1654 in Gebrauch 28 . Die Zuständigkeit in Achtprozessen wurde beiden höchsten Reichsgerichten durch Art. 20 der ständigen Wahlkapitulation entzogen. Sie sollten nur die Instruktion des Prozesses behalten und die Akten sodann an den Reichstag einschicken. Das Urteil sollte, auf das Gutachten einer aus den drei Kollegien unter Wahrung der konfessionellen Parität besetzten Reichsdeputation, von dem Kaiser mit dem gesamten Reichstage gefällt werden. Seit der Ächtung des Kurfürsten von Baiern • (1706) ist die Reichsacht nur noch zweimal (1708/9) verhängt worden. Durch die Einsetzung des RKG. und die völlig neue Regelung des Strafverfahrens durch die HGO. Karls Y verloren die westfälischen Gerichte den letzten Boden, den sie noch im Reiche hatten 29 . Als Landesgerichte ohne größere Bedeutung haben sie sich noch längere Zeit, in* gewissen Resten bis in das 19. Jahrhundert erhalten. Auch die kaiserlichen Landgerichte in Süddeutschland waren ganz bedeutungslos geworden. Zu ihrer von dem westfälischen Frieden angeregten reichsgesetzlichen Aufhebung ist es nicht mehr gekommen. § 75.

Das Reichsheerwesen.

J2HNS Zur Gr. der Kriegsverfassung d. deutsch. Reiches, Preuß. J B B . 39, 1 ff. 113 ff. 443 ff. A. SCHÖLTE Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden 1, 40 ff. 155 ff. 256f. 286. 335ff. 348f. 366ff. 520ff. ERDMANNSDÖBFFER ( S . 799) 1, 656ff. U L M A N N (S. 799) 2, 403 ff. FESTER Die armierten. Stände und die Reichskriegsverfassung 1681—97, Straßb. Diss. 1886. P Ü T T E R Historische Entwickelung 2, 283ff. 293ff. 3, 98 ff. EICHHORN 3, 315 ff. 4, 300 ff. 546. SCHULZEN Corpus iuris militaris* 1893. E B B E N Ursprung u. Entwicketung der deutsch. Kriegsartikel, Mitt. d. öat. Inst., Erg. 6, 473 ff.

Zur Einführung eines stehenden Heeres hat es das Reich nie gebracht; die nach dem 30jährigen Kriege wiederholt gestellten Anträge auf Einführung eines „miles perpetuus" waren erfolglos. Erst angesichts eines bevorstehenden oder bereits ausgebrochenen Krieges wurde das von Reichs wegen aufzustellende Heer zwischen Kaiser und Reichstag vereinbart. Unter Maximilian I hielt man noch an den zuerst im Hussitenkrieg (S. 530) gemachten Versuchen der Aufstellung eines Reichssöldnerheeres mit Hilfe einer direkten Reichssteuer, des gemeinen Pfennigs, fest 1 . 88

N. Samml. 4, Zugabe 44ff. ZECHER Nr. 172. Vgl. EICHHORN 3, 222. W I G A N D Wetzlarsche Beiträge 1, lff.; Denkwürdigkeiten 103 ff. Schon die vom Wormser Reichstag von 1495 beschlossene Reformation (N. Samml. 2, 18f.) trat den Femgerichten entschieden entgegen. 1 Vgl. U L M A N N Maximilian 1, 320ff. 390ff. 847ff. N. Samml. 2,14ff. ZEUMBR Nr. 151. Ein interessanter gesetzgeberischer Versuch war der von der Regimentsordnung von 1500 §§ 24ff. (ZEUMEB Nr. 152) vorgeschriebene 400. Mann, offenbar eine Art Aushebung. 19

854

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

Seit Karl V beobachtete man das System der Anschläge auf Grund der 1521 vom Wormser ßeichstag beschlossenen Matrikel, welche die Gesamtheeresstärke auf 4000 Reiter („Reisige") und 20000 Fußknechte festsetzte und ihre Verteilung auf die Kontingente der einzelnen Reichsstände ordnete2. Jeder Reichsstand hatte die ihm auferlegte Truppenzahl zu stellen, eine Ablösung in Geld war nicht gestattet. Wer Vassalien hatte, stellte seine Reiter im Laufe des 16. Jahrhunderts in der Regel noch mit Hilfe des Lehnsaufgebotes; später wurde den Lehnsmannen gewöhnlich die Wahl zwischen Dienst und Zahlung von Ritterpferdgeldern eingeräumt. Im übrigen half man sich mit Söldnern: Die Lehnsmannen erhielten Verpflegung, aber keinen Sold; die Söldner hatten, ihre Verpflegung selbst zu bestreiten; doch mußte der Kontingentherr ihnen den nötigen Proviant gegen Bezahlung zur Verfügung stellen. Jedes Kontingent war demnach *von einer eigenen Proviantkolonne begleitet, so daß die Schlagfertigkeit des Heeres durch einen ungeheuern Troß beeinträchtigt wurde. Der monatliche Sold wurde in den Wormser Beschlüssen auf 10 rhein. Gulden für einen Reisigen mit Pferd und 4 Gulden für einen Fußknecht festgesetzt Der hiernach für das einzelne Kontingent im ganzen erforderliche Monatssold wurde, in Erinnerung an die alten Römerzüge, als „Römermonat" bezeichnet. Wie die von der Wormser Matrikel festgesetzte Stärke des Gesamtheeres und der einzelnen Kontingente bei der jedesmaligen Vereinbarung mit dem Reichstag als „Simplum" behandelt wurde, so berechnete man auch die den einzelnen Reichsständen neben der Gestellung ihres Kontingents aufzuerlegende Kriegs- oder Matrikularsteuer nach den Römermonaten der Wormser Matrikel3. Diese Steuer floß in die Reichsoperationskasse und diepte teils zur Beschaffung des „Zeuges" oder Artilleriematerials, teils zur Besoldung der Reichsgeneralität und der vom Reich zu stellenden technischen Truppen. Ein Hauptfehler des Reichsheeres bestand darin, daß es ohne jede weitere Organisation ausschließlich in die einzelnen, nach Anzahl, Zusammensetzung und Bewaffnung überaus verschiedenen Kontingente zerfiel, deren Vereinigung zu größeren taktischen Körpern erst nach dem Zusammentritt des Heeres möglich wurde. In dieser Richtung schuf die sogenannte Reichsdefensionalverfassung von 1681 eine wesentliche Verbesserung, indem sie, unter gleichzeitiger Erhöhung des Simplums auf 12000 Reiter und 28000 Fußknechte, die Verteilung der Kontingente > ZEUMEB Nr. 1 5 5 . N. Samml. 2 , 2 0 8 . 216FF. Böhmen stellte 4 0 0 zu Roß und 600 zu Fuß, die sechs übrigen Kurfürsten sowie Salzburg, Baiern, Würtemherg und Savoyen je 60 zu Rofi und 277 zu Fuß, Österreich und Burgund je 120 und 600, Jülich-Kleve-Berg 90 und 540; von den Städten stellten die größten Kontingente Nürnberg, Metz (je 40 und 250) und Köln (30 und 322). Die kleinsten Kontingente beliefen sich auf 4 Fußknechte. 8 Zwei Simpla und ein Römermonat bedeuteten z. B. für Nürnberg 80 Reisige und 500 Fußknechte und eine Steuer von 1400 Gulden.

§ 75.

Reichsheerwesen.

855

auf die Reichsstände aufgab und dafür die Verteilung auf die zehn Kreise nach einem bestimmten Maßstab anordnete4. Den Kreisen blieb die Unterverteilung auf die einzelnen Kreisstände (nach der Wormser Matrikel) und die Vereinigung der von diesen gestellten Kontingente zu Regimentern überlassen. Ablösung durch Geld (Reluition) war nicht gestattet, dagegen durften die nichtgerüsteten Reichsstände mit ausreichend gerästeten (armierten) Mitständen Subsidienverträge abschließen. Die Erfüllung der den einzelnen Ständen obliegenden Leistungen Jconnte im Wege der Kreisexekution erzwungen werden. Die gesamte Mannschaft eines Kreises bildete ein geschlossenes Corps unter einer eigenen Kreisgeneralität. Außerdem hatte jeder Kreis einige technische Truppen und ein gewisses Artilleriematerial zu beschaffen. Als Kreiskriegsminister fungierte der Kreisoberst. Für die dem Kreise obliegenden Ausgaben wurde eine Kreisoperationskasse gebildet, so daß die Stände außer der Reichs- noch eine Kreiskriegssteuer zu zahlen hatten. Für beide Arten der Kriegssteuer blieben die Römermonate der Wormser Matrikel im Gebrauch. Die Beschaffung des Proviants blieb Sache der einzelnen Kontingentherren. Die Mitglieder der Reichsritterschaft waren dem Reich nicht unmittelbar kriegspflichtig. Da sie sich größtenteils im Lehnsbande befanden, so dienten sie entweder in den betreffenden Lehnsaufgeboten oder zahlten Ritterpferdgelder. Außerdem war es von alters her üblich, daß der Kaiser sie in Kriegsfällen zu einer freiwilligen Beisteuer aufforderte, die allmählich zu einem observanzmäßigen „subsidium caritativum" wurde. Über die Ernennung der Reichsgenerale hatte sich der Kaiser mit dem Reichstag zu verständigen. Der Generalfeldmarschall wurde erst im Kriegsfall ernannt, die übrigen Generale wenigstens in der späteren Zeit schon im Frieden designiert. Seit dem westfälischen Frieden mußte jede Generalstelle mit einem Katholiken und einem Protestanten besetzt sein. Die Aufsicht über die HeerfühTung stand dem von den Reichsständen gewählten, paritätisch zusammengesetzten Reichskriegsrat zu. Für die innere Disziplin des Heeres und die rechtliche Stellung der Söldner waren die bei der Musterung von den Truppen zu beschwörenden Artikel, der „Artikelbrief" für die Fußknechte und die „Reiterbestallung" für die Reisigen, maßgebend5. 4

Vgl. u. a. GERSTLACHEB 6, 853. Die größeren Reichsstände, welche mit ihren Territorien verschiedenen Kreisen angehörten, waren genötigt, ihre Eontingente dementsprechend zu zerreißen. 5 Die Artikelbriefe haben sich aus den Eiden der Landsknechte entwickelt und besonders an die bei der schweizerischen Eidgenossenschaft seit Ende des 15. Jahrhunderts üblichen Eide angeknüpft. Die Reiterbestallungen (auch „Reiterrechte", „Reiterartikelbriefe") sind dagegen aus den Verträgen der Kriegsherren mit den Unternehmern, die ihnen die Reitertruppen anwarben, hervorgegangen. Für die Reichstruppen wurden beide Ordnungen zuerst durch den Speierer Reichstag von 1570 festgestellt, doch hat sich nur der Artikelbrief in allgemeinerem Ansehen erhalten.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

856

Überaus schwerfällig und hier nicht weiter zu erörtern waren die dem Reich zu Gebote stehenden Mittel, die Reichsstände und Untertanen durch Dehortatorien, Avocatorien und Excitatorien zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen anzuhalten. Zur Anordnung von Einquartierungen, Musterplätzen und Durchzügen war nach der Wahlkapitulation die Einwilligung der Reichsstände erforderlich. Die Residenzen der Reichsstände und der Sitz des Reichskammergerichts waren von jeder Quartierlast befreit. Einige Reichsfestungen waren seitens des Kaisers während des 30jährigen Krieges angelegt Nach dem westfälischen Frieden durfte dies nur noch mit Reichstagsgenehmigung geschehen. Die Wahlkapitulation erklärte das Festungswesen für Landessache, doch war das Reich durch französische Abtretungen in den Besitz der Festungen Kehl und Philippsburg gekommen6. § 76.

Das Reichsfinanzwesen.

Vgl. GOTHEIN Ein neu nützlich- und'lustigs Colloquium von etlichen Reichstagspunkten 1893. EHRENSBEROBR Zur Gr. der Tiirkensteuer und des Subsidium caritativum, Freib. Diöz.-Arch. NF. 1, 396 ff. J. MÜLLES Das Steuer- u. Finanzwesen des Reiches im 16. Jh., N. JB. f. d: klass. Altertum 9, 652 ff.

Die früheren unmittelbaren Finanzquellen waren fast sämtlich versiegt oder durch Übertragung oder unvordenklichen Besitz auf die Reichsstände, zum Teil auch auf Privatpersonen übergegangen1. Erhalten hatten sich u. a. die Jahressteuern einzelner Reichsstädte, z. B. Frankfurt a. M.2, und der Opferpfennig der Juden von Worms und Mainz. Die Wiedereinlösung der an Reichsstände gegebenen Reichspfandschaften wurde durch den westfälischen Frieden an die Zustimmung des Reichstags gebunden8. Die Bestimmung der Wahlkapitulationen, daß einträgliche heimgefallene Reichslehen im Interesse des Reiches eingezogen werden sollten, hatte tatsächlich nur die Bedeutung, daß Kurfürstentümer nur mit Zustimmung des Kurfürstenkollegiums, alle anderen Reichslehen nur mit Einwilligung des Reichstags wiederverliehen werden durften4. Die einzige stehende Reichssteuer bildeten die 1548 als Matrikularsteuer eingeführten sogenannten Kammerzieler zum Unterhalt des Reichskammergerichts (S. 850). Im übrigen kamen nur außerordentliche Reichssteuern, namentlich aus Anlaß von Reichskriegen, vor. Die ältere Form * Vgl. PÜTTER a. a. 0 . 2, 290. 300. 1 Vgl. EIOHHOBN 4, 291 f.

* Vgl. S. 554. PÖTTER Histor. Entwickel. 2, 211. ZECMER Städtesteuern 153. LANG Histor. Entwickel. der deutsch. Steuerverfassung (1793) 157f. ' Vgl. JPO. Art. 5 § 26. PÖTTER a. a. 0. 2, 84. Was die Kaiser an andere als an Beichsstände verpfändet oder verschrieben hatten, sollten sie nach den Wahlkapitulationen tunlichst an das Reich zurückbringen. 4 Vgl. ständige Wahlkapitulation von 1711 Art 11 (N. Samml. 4, 241. ZEOMEB Nr. 177).

§ 76. Reichsfinanzwesen.

§ 77. Reichspolizeiwesen.

857

war der gemeine Pfennig, der als direkte Reichssteuer von landsässigen Personen ebenso wie von Reichsunmittelbaren erhoben wurde und in der Regel für die Vermögenderen den Charakter einer Kapital- und Rentensteuer, für die übrigen den einer Kopfsteuer trug 6 . Den gemeinen Pfennig hatten auch die Geistlichkeit und die Klöster zu zahlen. Allmählich wurde der gemeine Pfennig durch den dem staatsrechtlichen Charakter des Reiches mehr entsprechenden „Anschlag", eine der alten Städtesteuer nachgebildete Reichsmatrikularsteuer auf Grund der Wormser Matrikel von 1521, verdrängt 6 . Die Beibehaltung der damals erfolgten Veranlagung brachte, da die seitdem eingetretenen Territorialveränderungen unberücksichtigt blieben, vielfache Ungerechtigkeiten mit sich, aber die wiederholt beantragte Neuveranlagung kam nicht zustande. Seit dem westfälischen Frieden wurde es überhaupt streitig, ob der Reichstag berechtigt sei, Reichssteuern mit Stimmenmehrheit zu beschließen7. Zur Vereinnahmung der Reichssteuern wurden jedesmal besondere Legestätten angeordnet und Reichsschatz- oder Reichspfennigmeister eingesetzt. Das Reichskammergericht hatte einen eigenen Pfennigmeister als Rendanten. Die Verausgabung der Gelder stand stellenweise unter strenger reichsständischer Aufsicht8. Die von Maximilian I eingesetzte Hofkammer ist für das Reich nur von vorübergehender Bedeutung gewesen. § 77.

Das Reichspolizeiwesen.

Vgl. EICHHORN 4, 271 ff. 544 f. RA. von Worms 1495 §§ 36—44 (N. Samml. 2, 25f., vgl. ebd. 28f.), Lindau 1497 §§ 8—28. 33—46 (ebd. 31 ff.), Freiburg 1498 §§ 38—51 (ebd. 46ff.), Augsburg von 1500 §§ 22—34 (ebd. 77ff., vgl. 54ff.), Trier und Köln 1512 Tit. 4 §§ 1—20 (ebd. 141ff.), Nürnberg 1524 §§ 25—28 (ebd. 257f.), Speier 1529 § 9 (ebd. 294).

Eine in dem mittelalterlichen Staat nur den Stadtverwaltungen bekannte Aufgabe, die Fürsorge für das gemeine Wohl, wurde nach dem Vorgang 5

Auf dem Wormser Reichstag von 1495 (N. Samml. 2, 15) wurde der gemeine Pfennig für ein Vermögen von 500—1000 Gulden, dem eine Rente von 25—50 Gulden gleichgeachtet sein sollte, auf 0,1 °/0 festgesetzt, während alle, die weniger als 500 Gulden besaßen, mit einer Kopfsteuer von Vi« Gulden belegt worden. Wer mehr als 1000 Gulden besaß, sollte vom Oberschuß nach seiner „Andacht", d. h. seinem Ermessen, geben. Die Kopfsteuer sollte für jeden mit dem vollendeten 15. Lebensjahr beginnen, was man auf das ribuarische Recht zurückfuhren möchte, wenn nicht in dem Trier-Kölnischen RA. von 1512 der Beginn der Steuerpflicht auf das vollendete 12. Jahr gesetzt wäre. Der gemeine Pfennig wurde ursprünglich nicht bloß für das Reicbsheer, sondern auch für den Unterhalt des Reichskammergerichts und des Reichsregiments. (N. Samml. 2, 82) bestimmt. 6 Vgl. ZEUHEB Städtesteuern 153ff. Über ältere Anschläge für das Reichskammergericht vgl. § 74 n. 7. Die Anschläge wurden eine Zeitlang zugleich für das Reichsregiment bestimmt.. Vgl. N. Samml. 2, 205. 246. 7 Vgl. § 8 0 n. 2. 164ff.172 ff.

9

POTTEE a. a. 0 . 78. 122.

EBDMANSSDÖRFFER (S. 799) 1,

Vgl. die ständige Wahlkapitulation von 1711 Art. 5.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

858

verschiedener dem 15. Jahrhundert angehörenden „Landesordnungen" seit dem Wormser Reichstag von 1495 als eine der wesentlichsten Aufgaben der Reichsgesetzgebung angesehen. Man faßte alles dahin Gehörige unter dem weiten Begriff der Polizeiordnung, zusammen1 und verstand darunter namentlich Vorschriften über Kleidertrachten und Gastereien, Maßregeln gegen die Ausschreitungen des fahrenden Volkes sowie gegen Unzucht, Kuppelei, Gotteslästerung, überhaupt Störung des kirchlichen Friedens, Wucher, Mißbräuche in Handel und Wandel; auch Lehrlings- und Gesellenwesen, Bücherzensur, betrüglicher Bankerott, Apotheken- und Vormundschaftswesen wurden allmählich in den Bereich der Polizeiordnungen gezogen. Einen Hauptgegenstand bildete aber die Regelung des Münzwesens2. Die Prägungen von Reichs wegen hatten längst aufgehört. Jetzt handelte es sich darum, die Münzherren an die Beobachtung eines bestimmten Münzfußes zu binden und ihre Prägungen unter die Aufsicht des Reiches zu nehmen. Zur Ausübung der letzteren bediente man sich der Kreisverfassung. Die Reichskreise wurden angewiesen, jährliche Münzprobatidnstage abzuhalten, auch wurden besondere Kreismünzstätten eingerichtet, an denen die nicht im Besitz eigener Bergwerke befindlichen Reichsstände unter Aufsicht besonderer Kreisbeamten ihre Prägungen vorzunehmen hatten 3 . Nach der Münzordnung von 1559, durch welche die älteren Münzordnungen aufgehoben wurden4, bildete die kölnische Mark (S. 537) die Grundlage für alle Gold- und Silbermünzen. Aus der Mark zu 14 Lot 16 Grän reinen Silbers und 1 Lot 2 Grän Kupferzusatz wurden 9 % Reichsgulden (auch Speziesgulden) zu 60 und 19 halbe Reichsgulden zu 30 Kreuzern geprägt An Goldgulden sollten auf die Mark zu 18 Karat 6 Grän 72 Stück ausgebracht werden, außerdem wurde die mehrfach übliche Ausprägung von Dukaten (67 Stück auf die Mark zu 23 Karat 8 Grän) gestattet Das Wertverhältnis von Gold zu Silber wurde nur im Höchstbetrag festgesetzt, indem ein Dukaten höchstens zu 104, ein Goldgulden höchstens zu 75 Kreuzern gerechnet werden sollte. Die Münzen trugen auf der einen Seite das Reichs-, auf der andern dasJj&ndesmünzzeichen5. Andere als die im Gesetz aufgeführten Münzen durften nicht geprägt 1

Über den Sprachgebrauch vgl. EICHHORN 4, 272 Anm. a. Die erste vollständige Polizeiordnung kam 1530 auf dem Augsburger Reichstag zustande (a. a. O. 2, 332ff.), die zweite ebenda 1548 (ebd. &87ff.), die dritte 1577 zu Frankfurt (ebd. 3, 379ff.). Der Landesgesetzgebung wurde gestattet, die RPO. zu ermäßigen, also Ausnahmen zu machen, dagegen wurde verboten, sie. landesgesetzlich zu vermehren. 1 Vgl. v. PRAUN Gründl. Nachricht, von dem Münzwesen 1 7 8 4 . GEBSTLACHEB 9, 1 4 7 5 — 1 6 9 7 . ZACHABIÄ Deutsches Staats- u. Bundesrecht» 2 , 3 7 2 ff. * Vgl. W U T T E E Die Probationsregister des obersächsischen Kreises, Wiener numismat Z. 29. * N. Samml. 3, 186 ff. Vgl. Goldmünzordnung von 1495 (ebd. 2, 27) und die Seichsmünzordnungen von 1524 und 1548/51 (2, 261 ff. 616ff. 634f.). 6 So schon nach der Ordnung von 1495.

§ 77.

Reichspolizeiwesen.

859

werden, nur Heller und Pfennige blieben Landessache. Für alle Münzen bestand innerhalb des Reiches Annahmezwang, für Scheidemünzen nur bis zum Betrag von 25 Gulden. Die Ausfuhr inländischer Münzen ins Ausland und Verwendung ausländischer Münzen innerhalb des Eeiches wurde verboten. Die älteren inländischen Münzen wurden gesetzlich tarifiert. Verstöße gegen die Reichsmünzordnung wurden mit Suspension, unter Umständen mit Entziehung des Münzrechts bedroht. Der Augsburger RA. von 1566 6 gestattete für den Binnenverkehr der einzelnen Territorien auch „ihre sonderbare Landmünzen" und verlangte nur, daß diese auf den Gehalt und Wert der Reichsmünzen reguliert und geordnet und der Aufsicht der Münzprobationstage unterstellt würden. Damit war den Münzeinungen, zu denen die Kreise ohnehin neigten, Raum gegeben7. Die folgenreichste Münzeinung war die 1690 zu Leipzig zwischen Kurbrandenburg, Kursachsen und Braunschweig abgeschlossene 8, durch die der sogenannte Leipziger Münzfuß begründet wurde. Diese knüpfte an den alten 1566 ausdrücklich zugelassenen „Taler" (Reichs- oder Speziestaler) zu 68 Krz., von dem neun auf die Mark feinen Silbers ausgebracht wurden, an und teilte ihn in 2 Gulden zu je 60 Krz.; die Neugulden beruhten also auf dem 18 Gulden-Fuß. Neben den Gulden wurden auch Taler zu 90 Krz., 12 auf die Mark fein, geprägt. Dieser Münzfuß wurde 1738 zum Reichsmünzfuß erklärt 9 , gelangte aber als solcher nicht zur Durchführung. Dagegen kam es 1753 zu einer Münzkonvention zwischen Österreich und Baiern auf Grundlage des 20 Guldenfußes (Konventionsmünzfuß), während Preußen 1764 den 21 Guldenfuß (Graumann scher Münzfuß) einführte 10 . Eine ebenfalls unter den Begriff der Reichspolizei fallende Neuerung war das Postwesen11. Es war niederländischen Ursprungs und zunächst nur zur Verbindung der burgundisch-habsburgischen Länder mit der österreichischen Hauptstadt bestimmt. Unter der Leitung der Herren von Taxis, die anfangs burgundische Beamte waren, 1595 aber die Bestallung als Reichsgeneralpostmeister erhielten, wurde das Postwesen all• GERSTLACHER9,

1489.

' Über den Münzverband des schwäbischen, fränkischen und baierischen Kreises vgl. LANGWERTH v. SIMMERN a. a. 0 . (S. 844) 293 ff. 8 Sie schloß sich an den 1667 zwischen Brandenburg und Sachsen vereinbarten Zinnaer Münzfuß an. 9

10

GEBSTIACHER 9 ,

1 5 1 1 ff.

Aus der 121ötigen Mark wurden 14 Taler geprägt, der Taler zu 24 Groschen, der Groschen zu 12 Pfennig. Die preußische Goldmünze war der Friedrichsdor (5 Taler Goldes), der aber nur da angenommen werden mußte, wo die Zahlung vertragsmäßig oder gesetzlich in Gold zu leisten war. Vgl. SOETBEEK Deutsche Münzverfassung lf. (1874). 11 Vgl. EICHHORN 4, 276f. GERSTLACHER 9, 1697ff. P Ü T T E R Vom Beichspostwesen 1790. K L Ü B E R Das Postwesen in Deutschl. 1811. FLEQLER Zur G . der Posten 1858. H A R T H A N N Entwickel.-G. der Posten 1867. Über die Anfange eines deutschen Postwesens im 15. Jh. vgl. BETTQENHÄOSER Die Mainz-Frankfurter Marktschiffahrt 1896.

860

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

mählich auf das ganze Reich ausgedehnt. Die Kurfürsten hatten die Post schon 1570 als kaiserliches Regal anerkannt, doch wurde dem Kaiser das ausschließliche Recht zur Einrichtung neuer Posten schon im 17. Jahrhundert seitens der Reichsstände bestritten. Seit 1615 waren die Grafen von Taxis' (seit 1754 Fürsten von Thum und Taxis) erblich mit dem Reichsgeneralpostamt als Reichsregal belehnt, doch kam letzteres nur teilweise zur Durchführung, da in Osterreich, Kurbrandenburg, Kursachsen und einigen anderen Ländern eigene Landesposten errichtet wurden.

§ 78.

Die Territorien.

Vgl. S. 599 ff. v. BELOW Neuorganisation d. Verwalt. i. d. deutsch. Territorien des 16. Jh. (Territorium u. Stadt 283ff.); Ursprung der Gutsherrschaft (ebd. lff.); HB. d. Staats-W. Suppl. 2, 461 ff.; Untergang d. mittelalt. Staatswirtschaft, JBB. f. NafcÖk. 76, 449ff. 593 ff. BEBOHAUS Deutschi, vor 100 Jahren, 2 Bde 1859—60. BRDNNER Grundz.* 267 ff. v. DANIELS HB. 4, 547ff. EICHHORN 3, 223—84. 4, 251 ff. 290f. 316ff. 549ff. C . FÜEHBTENEBIUS (LEIBNIZ) De iure suprematus et legationis principum Germaniae 1677. G I E B K E Genossensch.-R. 1, 642ff. 781 f. 801ff.839 f. 2, 855ff. 3, 69lff. 763ff. HÄÜSSEB (S. 799) 1, 91 ff. H E L D Staat u. Gesellschaft 2, 393 ff. HEUSLEB VG. 271 ff. v. MAURER Fronhöfe 2, 242 ff. G. M E T E R Staatsr.» 86 ff. MOSER Von der Landeshoheit in Regierungssachen 1772; Von der deutsch. Reichsst&nde Landen 1769; Von der deutsch. Untertanen Rechten u. Pflichten 1744. v. D. NAHHEB HB. d. rhein. Partikularrechts 3. 1832. PERTHES Das deutsche Staatsleben vor der Revolution 1845. PFEFFINQEB Vitriarius illustr. 3, 1052—1520. 4, 1—228. PÜTTER Hist Entwickel. 1, 324ff. 2, 82ff. 156ff. 167ff. 3, 258ff. RACHFAHL Der dualistische Ständestaat (SOHHOLLEBS JB. 26, 3). R I T T E S ( S . 799) 1, 27ff. 256ff. v. ROTH Staatsrecht deutscher Reichslande, 2 Bde 1790—92. SCHULTE DRG. § 102. v. SICKENDORF? Deutscher Fiirstenstaat 1656. T E Z N E B Technik u. Geist des ständ.monarch. Staatsrechts 1901. W A L T E B DRG. §§ 362—74. 642. K . S. ZACHARIÄ Geist d. deutsch. Territorialverfässung 1800. ZÖPFL DRG.4 2, 413ff. Baden. CARLEBACH Bad. R G . 1 . 1 9 0 6 . GOTHEIN Der Breisgau unter Maria Theresia u. Joseph II, Bad. Neujahrsbl. 1907. BACHANN Die Territorien des Seekreises 1 8 0 0 , ebd. 1 8 9 4 . ROTH R.-Verhältnisse der landesh. Beamten in BadenDuriach im 18. Jh., Heidelb. Diss. 1906. Baiern. RIEZLER, G. Baiems 6, 11 ff. ROSENTHAL, G. d. Gerichtsw. u. der Verwalt-Organisation Baierns, 2 Bde 1889—1906. M . MAYER, Q U . Z. Behörden-G. Baierns, Die Neuorganisation Herz. Albrechts V 1890. v. FBEYBEBG Pragm. G. d. baier. Gesetzgeb. u. Stpatsverwalt. seit Maximilian I , 4 Bde 1836—39. PÖZL Baier. Verfassungs-R. 4 3ff. (1870). HOFFHANN, G. d. direkt. Steuern in B. 1883 (SCHHOLLERS Forsch. 4, 5). W I L D Staatl. Organisation d. Bist. Würzburg u. Bamberg, Heidelb. Habil.-Schr. 1906. A B E R T Wahlkapitulationen der Würzb. Bischöfe 1225—1698, Arch. d. hist. V. f. Unterfr. 46, 27—186. NEVDEOGER Beiträge z. G. der Behördenorganisationen 1887—98; Hof- u. Staatspersonaletats der Wittelsbacher, Z. d. hist. Ver. f. Niederbaiern 26; G. d. baier. Archive, 5 Bde 1881—96 (Bd. 1—4: Archiv. Z. 6. 7. NF. 1. 2. 4); Zur G. d. Reichsherrschaft Laber a. d. Nordgau 1902. EID Hof- u. Staatsdienst in Pfalz-Zweibr. 1444—1604, Mitt. d. bist. Ver. d. Pfalz 21. K H I O T E K Siedelnng u. Wald Wirtech, im Salzforst 1900 (SCHANZ • Wirtseh.- u. Verw.-Studien 8). Brandenburg-Preußen.. H . SCHULZE Das preuß. Staatsr.1, 2 Bde 1888—90. BORNHAK, G. d. preuß. Verwalt.-R., 3 Bde 1884—86. IBAACSOHN, G. d. preuß. Beamtentums, 3 Bde 1874—84» E. LOENINQ Gerichte u. Verw.-Behörden in Br.-Pr,, Verw.Arch. 2, 217ff. 437ff. 3, 94ff. 510ff. SCHMOLLER, KRAUSKE, L Ö W E U. HINTZE Behördenorganisat. u. allg. Staatayerwaltg. Preußens im 18. Jh. 1.2.6—8(1894—98.

§ 78. Territorien.

861

1901—6); SCHMOLLER Umrisse u. Unters, z. Verf.-, Verwalt.- u. Wirtach.-Gr., bes. d. preuß. St. im 17. 18. Jh. 1898; Stud. üb. d. Wirtsch.-Politik Preußens 1680—1786, JB. f. Ges.-Geb. im Deutsch. Reiche 8. 10. 11; Innere Verwalt. d. pr. Staates unter Friedrieh Wilhelm I, Preuß. JB. 26; Städtewesen unter Friedrich Wilhelm I, Z . F pr. G. 8. 10—12. ERDMANNSDÖRFFER Graf Waldeck 42ff. KOSER Friedrich d. Gr. I 2 , 322—388. 394ff. 2, 383ff. PHILIPPSON, G. d. pr. Staatswesens v. Tode Friedrichs d. Gr. bis 1797, 2 Bde 1880—82. ZACERZEWSKI Die preuß. Beformen der ländlichen Steuern im 18. Jh. (SCHMOLLERS Forsch. 7, 2. 1887). W. SCHULTZE, G. d. pr. Regieverwaltung 1766—1786 (ebd. 7, 3.1888). G E L P K E Geschichtl. Entwickel. d. Landratsamtes der pr. Monarchie, Verw.-Arch. 1902. v. HEDEHANN Landrat u. Landratsamt in Altpreußen u. in Schlesw.-Holstein, Z. d. Ges. f. schl.-holst. G. 32. 0. BEBRE, G. der Statistik in Br.-Pr. 1905. ALTHANN Ausgewählte Urkunden z. br.-pr. Verf.- u. Verw.-G. 1. 1897. BRETSIO, G. d. br. Finanzen 1640—1697, 1. 1895 (a. u. d. T.: Urkunden u. Aktenstücke z. G. d. inneren Politik des Kurf. Friedr. Wilhelm v. Brandenburg). Materialien u. Forschungen z. Wirtschafts- u. Verw.-G. Ost- u. Westpreußens, seit 1898. H O R N Verwaltung Ostpreußens seit der Säkularisation, 1890. FABRICIDS Erläuterungen zum geschichtl. Atlas der Rheinprovinz Bd. 2. 3.1898—1901. FORST, Dieselben Bd. 4. 1903. v. BELOW U. GEICH Quellen z. G. d. Behördenorganis. in Jülich-Berg im 16. Jh., Z. d. berg. G.-Ver. 30, 8 ff. RITTER Zur G. deutscher Finanzverw. im 16. Jh., ebd. 20. SALLMANN Organis. d. Zentr.-Verw. v. Jülich-Berg im 16. Jh. (Beiträge z. G. d. Niederrheins 17, 35 ff.). W A L T E R Das alte Erzstift u. die Reichsstadt Köln 1866. RATHJE Behördenorganismus im kurköln. Herzogt. Westfalen, Heidelb. DisS. 1905. SCHOTTHÜLLER Organisation d. Zentralverwalt. in Kleve-Mark vor 1609 (SCHHOLLERS Forsch. 14, 4. 1896). LÜDICKE Landesherrl. Zentralbehörden im Bist. Münster, Z. f. vaterl. G. 59, 1 S. 1—167. v. MEIER Hannov. Verf.- u. Verw.-G. von 1680—1866, 2 Bde 1898—99. M. BÄR Verw.-G. d. Regier.-Bez. Osnabrück, Qu. u. Darst. der G. Niedersachsens 5. 1901. SPANGENBERO Beitr. z. ält. Verf.- u. Verw.-G. d. Fürstent. Osnabr., Mitt. d. Ver. f. G. v. Osnabr. 25, 1—137. FALCK Schlssw.-Holst, Priv.-R. 2. 3. 1831—38. SPAHN Verf.- u. WG. d. Herzogt. Pommern 1478—1625 (SCHMOLLERS Forsch. 14, 1. 1895). v. BILOW Geschichtl. Entwickel. d. Abgabenverhältnisse in Pommern 1843. RACHFAHL Organisation d. Gesamtstaatsverw. Schlesiens vor d. 30jähr. Kriege (SCHMOLLERS Forsch. 13, 1. 1894). JOCKSCH-POPPE Verf. u. Verw. der Standesherrschaft Forst u. Pforten, Niederlausitz. Mitteil. 9. Meklenburg. BÖHLAU Mecklenb. Landrecht 1, 90—172; Fiskus, landesherrl. u. Landesvermögen in M. 1877. Österreich, v. LUSCHIN Öst. Reichs.-G. 263ff. 393—482 (vgl. SCHREÜER, Kr. VJSchr. 3. Folge 3, 177ff.); G. d. Gerichtsw. in Öst. 273ff. HINTZE Der öst. Staatsrat im 16. 17. Jh., ZRG. 21, 137ff.; Der öst. u. d. preuß. Beamtenstaat im 17. 18. Jh., Hist. Z. 86, 401 ff. SCHRÖTTER Fünf Abhandl. a. d. öst. Staatsr. 1762 ff. ADLER Organis. d. Zentralverw. unter Maximilian I 1886. ROSENTHAL Behördenorganisation Ferdinands I 1887. SEIDLER Studien z. G. u. Dogmatik d. öst. Staatsr. (1894) 70—188. MOTLOCH Landesordnungen u. Landhandfesten d. öst. Ländergruppe, Österr. StWB. ! u. d. W. TEZNER Landesfürstl. Verw.-R-.Pflege in Öst. (GRÜNHUTS Z. 24, 459ff. 25, lff. 29,627ff. 30, 7ff.). W O L F Die Hofkarnmer Leopolds I, Wien. SB. 1853. NEUDEGGER Geh.-Rats- u. Hofexpeditions-Reformation in Öst. (1611—15) 1898. v. HOCK u. BIEDERMANN Der öst. Staatsrat 1868—79. v. DOMINPETRUSHEVECZ Neuere öst. R G . 1869. BEIDTEL Über öst. Zustände 1740—92, Wien. SB. 1851 2, 707 ff. 806 ff.; Veränderungen i. d. Feudal Verhältnissen d. öst. Staaten, ebd. 1852 2, 925ff. 1853 2, 486ff.; G. d. öst. St.-Verw. 1740—1848, 2 Bde 1896—98. v. SABTORI-MONTECROCE Beiträge z. öst. Reichs- u. RG. 2. 1902. S . ADLER Das Gültbuch v. Nieder- u. Ober-Öst. 1898. STARZER Beiträge z. G . d. niederöst. Statthalterei 1897. MELL Lage d. steir. Untertanenstandes 1896. BEEMELMANS Organis, der vorderösterr. Behörden in Ensisheim im 16. Jh., ZGO. 61, 52ff. SCHLITTER Verf. u. Verw. d. belg. Provinzen Josephs II 1898 (Festgaben f. Büdinger 381 ff.).

862

Neuzeit bis zur französischen Revolution. Sachsen. WÜTTKE Einführ. d. Landakzise in Kursachsen, Heidelb. Diss. 1890.

OPPEBMANN D a s sächs. Amt Wittenberg Anf. d. 16. Jh. 1897.

BESCHORNEB D a s

sächsische Amt freiberg um die Mitte 15. Jh. 1897. v. RAAB Das Amt Plauen 16. Jh., Beilage z. d. Mitt. d. Alt.-Ver. Plauen 1901/2. BBANDENBDBO Moritz von Sachsen 1. 1898. Würtemberg. C. F. v. STALIN Wirtemb. G. 4 , 710 ff. WINTTERLIN, G. d. Behördenorganis. in Wart. 1. 1902 (vgl. STÜTZ, ZRG. 39, 397). HERMELINK, G. d.

allg. Kirchengntes in Würt. (Würt. JBB. f. Statist, u. Landesk. 1903).

1. Übersicht. Der noch in der zweiten Hälfte des Mittelalters in den Landvogteien zusammengefaßte Besitz des Reiches an unmittelbaren Reichslanden war durch Verleihung, Verpfändung oder Verjährung dahingeschwunden. Der Kaiser übte im Reich nur noch oberherrliche Rechte aus, während die unmittelbare Landesherrschaft in anderen Händen ruhte. Selbst in den als Trümmer der Landvogteien übrig gebliebenen Reichsdörfern (§ 80) gab es kein unmittelbares kaiserliches Regiment mehr. Zu der Klasse der Reichsunmittelbaren gehörten, abgesehen von den Reichsbeamten, jetzt nur noch die Herrschenden; alle übrigen waren landsässig, d. h. einer Landesherrschaft unterworfen und dem Reich nicht „ohne Blittel Untertan"1. Den Hauptbestandteil des Reiches bildeten die reichsständischen Territorien, deren Inhaber Sitz und Stimme auf dem Reichstag hatten. Dazu kamen die reichsunmittelbaren Herrschaften ohne Reichsstandschaft und die sogenannten Rezeßherrschaften. Die reichsständischen Territorien hatten mit Ausnahme der Reichsstädte und der zu diesen gehörigen Landgebiete ausschließlich monarchische Verfassung. Sie zerfielen, je nach ihrem Stimmrecht im Reichstag, in Kurfürstentümer, Fürstentümer und nichtfürstliche Territorien der Prälaten, Grafen und Herren. Mit Ausnahme Böhmens und seiner Nebenländer waren sämtliche Territorien auf die zehn Reichskreise verteilt und in der Reichsmatrikel veranschlagt. Sie waren die ordentlichen Teilnehmer an der Reichsregierung und den Reichslasten. In entsprechender Weise nahmen sie durch die Kreisstandschaft an der Kreisregierung und den Kreislasten teil. Neben einfachen Territorien gab es zusammengesetzte unter demselben Landesherrn, umgekehrt auch Territorien die mehreren Herren gemeinschaftlich gehörten (vgl. S. 840). Wo die Hoheitsrechte über ein Territorium geteilt waren, galt im Zweifel der Inhaber der Gerichtsbarkeit als der eigentliche Landesherr2. Die meisten Territorien waren lehnbar, die Fürstentümer Reichslehen, die nichtfürstlichen Territorien größtenteils Reichsafterlehen, einige auch Allode oder unmittelbare Reichslehen. Der 1 Die nicht zur Regierung gelangten ebenbürtigen Familienglieder der landesherrlichen Häuser galten nicht als Untertanen, sondern blieben reichsunmittelbar.

Vgl. SCHULZE Erstgeburtsrecht 381.

9 Vgl. S. 601. EICHHORN 4, 253. Die Strafgerichtsbarkeit allein war dafür nicht ausreichend. Vgl. JPO. 5 § 44: Sola criminalis iurisdictio, centgericht, solumque ins gladii et retentionis, patronatus, filialitatis neque coniunetim neque divisim ius reformandi tribuunt. Über Eigen- oder Unterherren innerhalb der Territorien vgl. S. 611.

§ 78. Territorien.

1. Übersicht.

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frühere formelle Unterschied zwischen Szepter- und Fahnlehen bestand nicht mehr, seit die Form der Belehnimg für beide die gleiche geworden war3. Hinsichtlich der Entwickelang der landesherrlichen Gewalt standen sich alle reichsständischen Territorien gleich, der frühere Gegensatz der kurfürstlichen, fürstlichen und gräflichen Territorien hatte sich verloren4. Die reichsunmittelbaren Herrschaften ohne Reichsstandschaft6 gehörten größtenteils der Reichsritterschaft (§ 80) an. Außerdem gab es etwa dreißig, die mit reichsständischen Territorien verbunden oder im Besitz von reichsständischen Nebenlinien waren; andere gehörten reichsunmittelbaren Stiftern oder weltlichen Herren, die ihre Reichsstandschaft wieder verloren hatten oder überhaupt nicht dazu gelangt waren6. Alle diese Herrschaften befanden sich außerhalb der Kreise, hatten also auch keine Kreisstandschaft. Ein reichsmatrikularmäßiger Anschlag bestand nur für wenige von ihnen; auch zu den Kammerzielern wurden die meisten nicht herangezogen. Rezeßherrschaften waren solche Gebiete, bei denen der ursprüngliche Landesherr seine Landeshoheit unter Vorbehalt bestimmter Hoheitsrechte und Wahrung seiner persönlichen Reichsunmittelbarkeit an einen benachbarten Fürsten abgetreten hatte7. Von den geistlichen Territorien und Herrschaften war infolge der Reformation eine große Zahl teils geradezu säkularisiert8, teils durch Glaubensänderung der Inhaber in weltliche Hände gekommen. Die darüber entstandenen Streitigkeiten wurden durch den westfälischen Frieden auf Grund des Besitzstandes vom 1. Jan. 1624 entschieden9. 3

Vgl. 817. Unter Karl V standen noch die alten Formen in Gebrauch. Vgl. RA. von 1521 § 4 (N. Samml. 2, 173). 4 Vgl. JPO. 8 §§ 1. 2. 4. Ein eigentümliches Privileg, das der Pfalzgraf auf Grund eines ihm angeblich früher verliehenen Regals in allen Ländern des fränkischen Rechts beanspruchte und teilweise auch bis zum 18. Jahrhundert behauptete, war das viel umstrittene, wahrscheinlich aus Frankreich eingewanderte W i l d f a n g r e c h t (droit d'aubaine, ius albanagii), kraft dessen er jeden „herkommenden Mann" ohne „nachfolgenden Herrn", d. h. jeden schutzlosen Fremden, nachdem er sich Jahr und Tag im Land aufgehalten hatte, als pfalzgräflichen Leibeigenen in Anspruch nahm. Der Fremde wurde durch einen pfalzgräflichen Büttel aufgefordert, den Treueid zu leisten und sich in das Leibsbederegister eintragen zu lassen. Vgl. S. 827. K. B R U N N E B Der Fremde im germ. Rechtsstaat, Z. f. vergl. R.- u. Staatswissensch. 2, 65ff.; Der pfälzische Wildfangstreit 1896. ERDMANNSDÖRFFER a. a. 0. l,378ff. s Auch unter den reichsständischen Territorien der Grafenkurien führten manche bloß den Titel „Herrschaft". Vgl. v. BOBCH Z . f. Staatsw. 4 4 , 3 8 3 ff. 8 Vgl. BERQHAUS Deutschi, vor hundert Jahren 2, 205 ff. ' Eine solche teilweise Mediatisierung hatte bei der stolbergischen Grafschaft Wernigerode gegenüber Preußen und bei den schönburgischen Herrschaften gegenüber Sachsen stattgefunden. Vgl. D A N I E L S a. a. 0 . 4, 616. 8 Vgl. D O V E Realenzyklopädie f. prot. Theol. u. Kirche 4 1 4 , 4 7 f . R I T T E R (S. 799) 1, 82 f. 191 ff. • Vgl. JPO. 5 §§ 14 f. 21 f. 25 f. Über den sogenannten geistlichen Vorbehalt des Augsburger Religionsfriedens vgl. § 83 n. 2 und R I T T E R a. a. 0. 1, 83 f. 191. 472. Der geistliche Vorbehalt und eine mit ihm verbundene kaiserliche Deklaration bestimmte, daß Inhaber geistlicher Lehen im Fall einer Glaubens-

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Neuzeit bis zur französischen Revolution.

2. Die Haasgesetze. In den weltlichen Territorien brach sich mehr and mehr die staatsrechtliche Auffassung Bahn;, mit dem privatrechtlichen System der Erbteilungen wurde gebrochen und die Primogeniturordnang eingeführt10. Für die Kurfürstentümer (aber nicht die mit ihnen verbundenen Nebenländer) war dies schon durch die Goldene Bulle, für Wörtemberg durch kaiserliches Privileg, gleichzeitig mit der Erhebung der Grafschaft zum Herzogtum (1495), geschehen. Im übrigen erfolgte die Änderung überall im Wege der Hausgesetzgebung, nachdem sich die Autonomie der regierenden Häuser gegenüber dem Widerstand einer romanisierenden Jurisprudenz mühsam zu allgemeiner Anerkennung durchgerungen hatte u . Die anfangs für notwendig, später nur noch für zweckmäßig erachtete kaiserliche Bestätigung wurde ausnahmelos eingeholt12. Die Gesuche gingen an den Reichshofrat, der die rechtliche Zulässigkeit zu begutachten und die Interessen der ungeborenen Familienglieder wahrzunehmen hatte. Die Entscheidung über eingelegte Widersprüche erfolgte durch den Kaiser persönlich. Die heute üblichen Kodifikationen der Hausgesetze waren vor 1806 unbekannt, man begnügte sich mit einzelnen Dispositionen in Haus-, Ehe-, Erbverträgen oder letztwilligen Verfügungen. Hauptsächlich handelte es sich um die Regelung der Sukzessionsordnung, Apanagen und Sekundogenituren für die jüngeren Linien (in den katholischen Häusern gewährten die Kanonikate eine erwünschte Versorgung^ Vormundschaft über die unmündigen Familiengliederia, Mißheiraten (S. 825), Wittum und Heimsteuer für die Frauen und Töchter. Von besonderer Bedeutung für die Territorialverhältnisse waren die Erbverbrüderungen, durch die sich die vertragschließenden Häuser gegenseitig für den Fall des Aussterbens zu Erben einsetztenM. Soweit die Rechte der Agnaten durch ein Hausgesetz berührt wurden, war ihre Zustimmung erforderlich; die männänderung Amt und Lehen verlieren, die evangelisch gewordenen Untertanen aber bei ihrem Bekenntnis belassen bleiben sollten. Die Berechtigung der Kapitel, in denen die Protestanten die Mehrheit hatten, zur Wahl eines protestantischen Fürsten, der dann den Titel Stiftsadministrator führte, blieb stillschweigend aufrechterhalten, nur die Reichsstandschaft dieser Administratoren war seit Rudolf II bestritten, bis sie durch den westfälischen Frieden nach Mafigabe des Normaljahrs 1624 anerkannt wurde. 10 Vgl. S . 6 0 4 . SCHULZE R. der Erstgeburt 3 4 4 ff. u Vgl. H. SCHULZE a. a. 0. 358ff.; Hausgesetze d. regierenden Fürstenhäuser, 3 Bde 1 8 6 2 — 8 3 ; bei STOBBE Rechtsqu. 2 , 4 9 8 ff. MOSES Familienstaatsrecht derer teutsch. Reichsstände, 2 Bde 1 7 7 5 . HEFFTER Sonderrechte der vormals reichsständ. Häuser Deutschlands 1 8 7 1 . BESELER Erbverträge 2 , 2 S. 1 7 ff. GIEBKE Genossenschaftsr. 1, 413ff. 3 , 719FF. MEJEB, BEBELES, GIEBKE i. d. Z. f. d. Priv.- u. öff. R. 5, 229FF. 540ff. 557ff. W I L D A in W E I S E E S Rechtslexikon 1 , 555 ff. E . MAUBBB bei BLÜNTSCHLI U. BRATEB StWB. 1 , 611ff. " Die Romanisten verlangten eine lex specialis in der Form eines kaiserlichen Privilegs. Seit P Ü T T E S n. MOSER galt die Einholung der kaiserlichen Bestätigung nur noch für zweckmäßig, aber nicht mehr für unentbehrlich. " Vgl. KBADT Vormundschaft 3, 140ff. " Vgl. BESELEB Erbverträge 2, 2 S. 90 ff. E. LOENINO Erbverbi-üderungen zwischen Sachsen, Hessen, Brandenburg 1867.

§ 78.

Territorien.

3. Inhalt der landesherrlichen Gewalt.

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liehen Abkömmlinge mußten ebenfalls gehört werden, wenn aueh von ihnen erhobene prinzipielle Widersprüche (z. B. gegen das Prinzip des Erstgeburtsrechts) unberücksichtigt blieben. Unmündigen Familiengliedern wurden seitens des Reichshofrats oder Reichskammergerichts für die erforderlichen Verhandlungen Spezialrormünder gesetzt. Der Zustimmung der Landstände bedurfte es nur, wo diese überhaupt das Mitwirkungsrecht bei wichtigeren Landesakten besaßen; aus .Zweckmäßigkeitsgründen wurde sie nicht selten auch ohne rechtliche Verpflichtung eingeholt. Das ßecht der Erstgeburt, das sich in der Regel zugleich auf die Stammgüter des Hauses („Hausfideikommiß") miterstreckte und nur das freie (Schatull-)Vermögen unberührt ließ, wurde hausgesetzlich zuerst für die gesamten brandenburgischen Länder durch Familienstatut des Kurfürsten Albrecht Achilles (die „Achillea") vom 22. Februar 1473 (vom Kaiser bestätigt 24. Mai d. J.) festgesetzt15. Dieses Familienstatut, dessen Grundsätze in der Folgezeit (1598, 1608, 1664, 1688) wiederholt bestätigt wurden, ist die Gründlage der mächtigen Entwicklung des brandenburgisch-preußischen Staates geworden. Dem brandenburgischen Beispiel folgte Sachsen (albert. Linie) 1499, Baiern 1578, Österreich 1584 ie . Die zahlreichsten Übergänge zum Erstgeburtsrecht vollzogen sich während des 17. Jahrhunderts 17 , im 18. Jahrhundert folgten beide Meklenburg, Anhalt, Sachsen-Weimar, -Hildburghausen, -Koburg und Nassau18. Am längsten wurde die privatrechtliche Erbteilung in Sachsen-Meiningen festgehalten, das erst 1802 dem allgemeinen Beispiel folgte. 3. Der I n h a l t der l a n d e s h e r r l i c h e n Gewalt beschränkte sich nicht mehr auf einen gewissen Inbegriff von Lehen, Hoheitsrechten und Vogteirechten. Was die Goldene Bulle den Kurfürsten für ihre Kurlande eingeräumt hatte, war im Lauf der Zeit teils durch Verleihung, teils durch unvordenklichen Besitz Gemeingut aller Reichsstände geworden; 19

Vgl. § 50 n. 16. Die fränkischen Lande (Markgrafschaft Ansbach und Markgrafschaft Kalmbach oder Baireuth, oder „auf dem Gebirge") sollten eine Sekuudo- oder Tertiogenitur bilden, alle übrigen Besitzungen des Hauses unteilbar mit der Kurmark verbunden bleiben. Durch Vertrag mit dem unbeerbten letzten Sprossen der fränkischen Linie, Markgraf Christian Friedrich Karl Alexander, wurden beide Fürstentümer noch bei dessen Lebzeiten (1791) mit dem preußischen Staat vereinigt. Der fränkische rote Adlerorden wurde infolgedessen zum zweiten preußischen Hausorden (nach dem schwarzen Adlerorden) erklärt. Weitere Bestätigungen 1621, 1703 und durch die pragmatische Sanktion Karls VI von 1713, durch die der Übergang auf die weibliche (lothringische) Linie gesichert wurde. 17 Darunter Holstein 1608/1650, Hessen-Darmstadt 1606, Hessen-Kassel 1627, Baden 1615, Braunschweig-Woifenbüttel 1636, Brauschweig-Lüneburg 1680, Oldenburg 1691, Sachsen-Eisenach, Sachsen-Gotha und Waldeck 1635. In Kurpfalz wurde die Primogenitur im Anschluß an die Bestimmungen des westfälischen Friedens stillschweigend angenommen. » Meklenburg (1701), Anhalt (1702, 1727), Sachsen-Weimar (1716/24), Hildburghausen (1703), Koburg (1746), Nassau (1761). B. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte. 5. Aufl.

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Neuzeit bis zur französischen Revolution.

nur die alten Exemtionsprivilegien gegenüber dem Reichshofgericht wurden mit dem Wegfall des letzteren gegenstandslos, während die Kurfürsten daran festhielten, daß die Bestimmungen der Goldenen Bulle zu ihren Gunsten auch auf die neuen Reichsgerichte Anwendung finden müßten. Gegenüber der Kirche hatten die Fürsten mehrfach schon im 15. Jahrhundert ein weitgehendes Aufsichtsrecht erlangt 19 , das teils aus der Vogtei, teils aus Resten des Eigenkirchenrechts hervorgegangen war. Das letztere war zwar, soweit es sich um das geistliche Amt (officium) handelte, dem grundherrlichen Patronatrecht gewichen, hatte sich aber im übrigen als Kirchenlehnsherrlichkeit erhalten und so zur Ausbildung eines landesherrlichen dominium eminens gegenüber den Kirchengütern und endlich zu einem landesherrlichen Patronatrecht geführt, das in dem sogen. Josephinismus unter Kaiser Joseph II seinen Höhepunkt erreichte 20 . In den protestantischen Ländern ging die gesamte bischöfliche Jurisdiktion (ins episcopale) auf die Landesherren über, die das ganze äußere Kirchenregiment über die evangelische Landeskirche in die Hand nahmen. Die Organe für das landesherrliche Kirchenregiment waren die Konsistorien und unter diesen die Superintendenten (Dekane). Nur die im Anschluß an Calvin gebildeten reformierten Gemeinden nahmen die auf dem Gemeindeprinzip beruhende Synodalverfassung an, die in Kleve-Mark auch auf die Lutheraner Anwendung fand. Den bedeutendsten Machtzuwachs erhielt die landesherrliche Gewalt durch das Recht des Religionsbannes (S. 830) und durch zahlreiche Säkularisationen von Klöstern und Stiftern. Auch in den katholischen Landesteilen hatte die religiöse Bewegung eine außerordentliche Erstarkung der Staatsgewalt gegenüber der Kirche herbeigeführt. Noch mehr trug der 30jährige Krieg zur Hebung der landesherrlichen Gewalt bei, so daß es sich im westfälischen Frieden zunächst nur darum handelte, den hergebrachten Rechten der Reichsstände ganz allgemein die reichsgesetzliche Bestätigung zu verschaffen. Sie erfolgte durch JPO. 8 § 1. Eine genauere Aufzählung wurde nur in betreff der Reichsstädte (liberi imperii civitates) beliebt, da ihnen der westfälische Friede die volle Gleichstellung mit den übrigen Reichsständen gewährleistete: iisqne rata et intacta maneant regalia, vectigalia, reditus annui, libertates, privilegia confiscandi, collectandi et inde dependentia aliaque iura ab imperatore et imperio legitime impetrata vel longo usu ante hos motus obtenta possessa et exercita, cum omnimoda iurisdictione intra muros et in territorio (8 § 4). Insbesondere wurde sämtlichen Reichsständen das während des Krieges schon in großem Maßstab von ihnen geübte Bündnisrecht zugestanden und nur der Vorbehalt gemacht, daß die Bündnisse nicht gegen Kaiser und Reich gerichtet sein dürften 21 . Ebenso wurde der Religionsbann (ius reformandi) als ein alt19 Vgl. v. Bezold, G. der Reformation 88f. Bhandenbdbö Zur Entstehung d. landesherrl. Kirchenregimentes im albert. Sachsen, Hist. VJSchr. 4, 195ff. i0 Vgl. Stütz Kirchenrecht (S. 8) 867 ff. 889 ff. 41 JPO. 8 § 2: Cumprimis vero ins faciendi inter se et cum exteris foedera

§ 78.

Territorien.

3. Inhalt der landesherrlichen Gewalt.

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hergebrachtes, in dem ius territorii et superioritatis liegendes Recht aller Reichsstände bestätigt und nur in seiner Ausübung durch die Gewährleistung des konfessionellen Besitzstandes in dem Normaljahr 1624 beschränkt22. Durch die Festsetzung des Normaljahrs wurde das seit der Reformation von protestantischen wie katholischen Reichsständen geübte und in dem Augsburger Religionsfrieden bestätigte Recht der Einziehung geistlicher Güter für die Zukunft aufgehoben28. Erst nach der Auflösung des Jesuitenordens durch Papst Clemens X I Y (1773) ergab sich eine neue Gelegenheit zu Säkularisationen, indem die Besitzungen des aufgelösten Ordens seitens der Staatsregierungen als herrenloses Gut eingezogen wurden24. Überhaupt aber machte sich in' der staatsrechtlichen Theorie des 18. Jahrhunderts die Auffassung geltend, daß die Staatsgewalt kraft ihres schon erwähnten dominium eminens die Aufhebung von Stiftern und Klöstern und die Einziehung ihrer Güter zum gemeinen Besten anzuordnen berechtigt sei. Während die protestantischen Fürsten durch den westfälischen Frieden verhindert waren, von dieser Theorie praktischen Gebrauch zu machen, fand sie in den katholischen Ländern, selbst denen geistlicher Fürsten, nach dem Vorgang Josephs I I und des Kurfürsten von Mainz die ausgedehnteste Anwendung25. Die landesherrliche Gewalt hatte sich zu einer wahren monarchischen Staatsgewalt umgebildet. Der französische Entwurf der westfälischen Friedensurkunde bezeichnete sie bereits als souveraineté, was die Urkunde selbst mit ius territorii et superioritatis (n. 22) wiedergab. Eine ältere Bezeichnung war landesfürstliche Obrigkeit, für die nichtfürstlichen Reichsstände Landes- oder hohe Obrigkeit. Die Theorie faßte sie, in Anlehnung an den kirchlichen Sprachgebrauch, als Jurisdiktion auf, worunter außer der Gerichtsbarkeit auch die gesetzgebende Gewalt und die Vertretung der Untertanen gegenüber dem Reich verstanden wurde. Durch das Bündnisrecht traten die deutschen Staaten, wie ehedem die Hanse, aus den Bahnen des Reiches heraas und wurden zu europäischen Mächten mit eigener völkerrechtlicher Persönlichkeit26.

pro sua euiusque consereatione ae seouritate, singulis staiibus perpetuo liberum esto, ita tarnen, ne eiusmpdi foedera sint contra imperatorem et imperitan paeemque eins publicum vel hane imprimis transactionem, fiantque salvo per omnia iuramento, quo quisque imperatori et imperio obstrietus est. 21 Vgl. JPO. 5 § 30: cum eiusmodi slatibus immediaiis cum iure territorii et superioritatis ex communi per totum imperium haetenus usitata praxi etiam ius reformandi exercitium religionis competat. Ober die Bedeutung des Religionsbannes sowie des Normaljahres vgl. ebd. §§ 30—37 und oben S. 830. " Vgl. Augsb. RA. von 1555 § 19 (N. Samml. 3, 18). JPO. 5 §§ 31f. DOVE a. a. O. (n. 8) 43ff.56 f. u

V g l . DOVE 48.

Vgl. DOVE 50. HÖBLER Eigentümer des Eirchengutes 49 ff. Vgl. PÖTTER a. a. O. 3, 274f. Streitig war eine Zeit lang, ob die Reichsfiirsten gleich den Kurfürsten auch Gesandte ersten Ranges bei auswärtigen Regierungen beglaubigen könnten. Vgl. die Schrift von LEIBNIZ (S. 860). 55* 95

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Neuzeit bis zur französischen Bevolution.

4. V e r h ä l t n i s z u m Reiche 2 7 . Lagen die Sachen hier klar und einfach, so waren die Beziehungen der Einzelstaaten zum Reich um so schwieriger juristisch zu erfassen und über ihre rechtliche Natur bestanden unter den Theoretikern wie den einander gegenüberstehenden staatlichen Parteien die verschiedensten Ansichten, nachdem es bei den westfälischen Friedensverhandlungen nicht gelungen war, eine vermittelnde Formel zu finden28. Die kaiserliche Partei hielt an der historischen Souveränität des Kaisers fest und wollte den Reichsständen nur die ihnen erweislich gebührenden Rechte zugestehen, so daß im Zweifel die Vermutung für den Kaiser platzgreifen sollte. Einen praktischen Erfolg hatte diese Auffassung noch im 16. Jahrhundert mit dem Postregal, während wenig später auch landesherrliche Posten ohne oder selbst gegen den Willen des Kaisers in Aufnahme kamen 89 . Den entschiedensten Gegensatz gegen die kaiserliche Theorie bildete die des Hippolithus a Lapide (v. CHEMNITZ), der das Reich für eine souveräne Fürstenaristokratie und die Gesamtheit der Reichsstände für den wahren Träger der Staatsgewalt erklärte; dem Kaiser gebührte nach ihm nur eine gewisse Oberleitung der Geschäftsführung und die Ausführung der Reichstagsbeschlüsse, außerdem waren ihm bestimmte unwesentliche Reservatrechte zu alleiniger Ausübung anheimgegeben. Die historische Auffassung, daß man es mit einer entarteten Monarchie zu tun habe, deren eigentliche Lebenskräfte auf die einzelnen Glieder übergegangen waren, ohne daß eine endgültige Abgrenzung zwischen ihnen und der früheren Zentralgewalt stattgefunden hatte, wurde von dem Begründer der deutschen Rechtsgeschichte, HERMANN CONBING (S. § 8 2 ) , namentlich aber von SAMUEL PUFENDOBF (Monzambano), und zwar unter Verzicht auf jede Möglichkeit einer juristischen Konstruktion (irreguläre aliquod corpus et monstro simile), vertreten 80 . Während dieser die Auffassung des Reichs als beschränkte Monarchie ebenso entschieden wie die Idee eines Staatenbundes [systema plurium civitatum foedere nexarum) zurückwies, entging ihm wie seinen Zeitgenossen die von LUDOLPH H U G O (De statu regionum Germaniae 1661) ausgegangene Hindeutung auf den Bundesstaat; seiner Zeit war die bundesstaatliche Theorie noch zu fremd, um sie für das Verständnis und die korporative Ausgestaltung der Reichsverfassung fruchtbar zu machen 31 .

" Vgl. GIEBKE Gen.-R. 3 , 6 9 1 ff. L E F U B U. POSENER Bundesstaat u. Staatenbund 1, 84 ff. " Vgl. EBDMANNSDÖRFFEB a. a. O. 1, 5 2 ff. F. W E B E B Hippolithus a Lapide, Hist. Z . 2 9 , 2 5 4 ff. STINTZING U. LANDSBEBG, G . d. BW. 2 , 3 2 ff. .Hauptvertreter der kaiserlichen Bichtung war Dietrich Beinking, ebd. 3, 89 ff. " Vgl. S . 859 f. STEPHAN, G . d. preuB. Post 1859. GBOSSE Postwesen der Kurpfalz 17. 18. Jh., 1902 (Volksw. Abh. d. bad. Hochschulen 5, 4). Vgl. S. 8 3 1 . STINTZING n. LANDSBEBG 3 , 1 9 ff. Auch JOHANN LIMNÄDS vertritt die Auffassung, daß der Status Imperii aus Monarchie und Aristokratie gemischt sei. Vgl. ebd. 2, 211 ff. 81 Vgl. STINTZING u. LANDSBEBG 3 , 4 0 ; Noten S . 2 0 . Eine Vergleichung der

§ 78. Territorien. 4. Verhältnis zum Reiche.

869

Die Territorialgewalt war eine wirkliche Staatsgewalt, ein Imperium, wie es ehedem dem Kaiser zugestanden hatte. Daher der Spruch: „Jeder Herr (Fürst) ist Kaiser in seinem Lande", „Quilibet status tantum potest in suo territorio, quantum imperator in imperio"32. Aber dieses Imperium war ein vom Reich abgeleitetes, lehnbares, unter Umständen entziehbares; darin lag ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem Bundesstaat, bei dem die Staatsgewalt der Bundesglieder das ursprüngliche, die Zentralgewalt das übertragene Element bildet; ein zweiter, verhängnisvollerer Unterschied lag darin, daß „dem Zeitbewußtsein der Staatsgedanke ganz allein in seiner Verkörperung als Obrigkeit faßlich war", man nicht „aus der ßeichsgemeinde den Staat in sich selbst zu verlegen vermochte", daher „alles, was der Reichsgenossenschaft an staatlicher Bedeutung verloren ging, ausschließlich der Landeshoheit zuwachsen mußte" 33 . Im übrigen war das Imperium der Reichsstände in derselben Weise der Reichsgewalt untergeordnet, wie dies in Bundesstaaten seitens der Bundesglieder gegenüber der Bundesgewalt der Fall ist. Die Reichsstände hatten für die Steueranschläge des Reiches wie der Kreise aufzukommen, mußten sich im Fall des gemeinen Pfennigs selbst eine direkte Besteuerung von Reichs wegen gefallen lassen, an Reichskriegen und Reichsexekutionen hatten sie teilzunehmen und durften nicht neutral bleiben 31 , ihre Bündnisverträge durften nicht gegen Kaiser und Reich oder den gemeinen Frieden gerichtet sein. Sie waren zur Beobachtung der Reichsgesetze verpflichtet und durften sich landesgesetzliche Abweichungen nur gestatten, wo die Reichsgesetze sich keine absolute Geltung beilegten 35 . Die höchsten Reichsgerichte waren obere Berufungsinstanz und Aufsichtsbehörde für die Landesgerichte. In den eximierten Territorien nahmen sie die gleiche Stellung wenigstens in Fällen der Rechtsverweigerung ein. In allen Territorien mußte für einen geordneten Instanzenzug, in den eximierten für drei Instanzgerichte gesorgt werden. Gegen Mißbräuche der Gewalt konnten die Untertanen bei den Reichsgerichten gegen ihre Landesherren klagbar werden, während umgekehrt diese den Schutz des Reiches gegen ungehorsame Untertanen zu beanspruchen hatten 36 . Eine weitere Beschränkung durch das Reich ergab sich aus den Reservatrechten, die überall im Reiche nur durch den Kaiser allein oder unter Zustimmung der Kurfürsten ausgeübt wurden (S. 833). Dahin geReichaverfassung mit der Bundesverfassung der Generalstaaten, der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika erst bei POTTEB a. a. 0. 2, 159 ff. 33

Vgl. GBAF U. DIETHEBR Rechtssprichwörter 487. 492.

deutsch. Vorzeit 1866 S. 141.

»• Vgl. GIERKE a. a. 0 . 1, 839. 2, 831. 854.

Anzeiger f. K. d.

•4 Wie wenig dies in Wirklichkeit beachtet wurde, zeigen Basel und Campo Formio. 35 Die Reichsgesetze, soweit sie nicht besonders von Reichs wegen publiziert wurden, galten zunächst nur für die Reichsstände, die ihrerseits für Publikation und Vollzug innerhalb ihrer Gebiete Sorge zu tragen hatten. Vgl. S. 842 f. 38 Vgl. S. 850. Ständ. Wahlkapitulation Art. 15 (ZEÜMER Nr. 177).

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

870

hörte u. a. die Errichtung neuer und Erhöhung bestehender Zölle, die nur von Kurbrandenburg auf Grund einer Verleihung Friedrichs III als landesherrliches Recht in Anspruch genommen wurde97. Bas kaiserliche Begnadigungsrecht beschränkte sich auf die Ton den Reichsgerichten verhängten Strafen. Für kaiserliche Gnadensachen, Standeserhöhungen, Bestätigung kaiserlicher Notare u. dgl. pflegten die Kaiser in den einzelnen Territorien besondere Hofpfalzgrafen einzusetzen, wobei die Landesherren in der Regel mitzusprechen hatten; zuweilen wurden die Landesherren selbst zu Hofpfalzgrafen mit der comitiva inaior ernannt, so daß sie, wenn auch nur im Namen des Kaisers, jene Akte auf eigene Hand vornehmen konnten38. Zunft-, Markt- und Stadtprivilegien wurden als ausschließliche Landessache behandelt, während bedeutendere Meßprivilegien vom Kaiser ausgehen mußten39. Moratorien zu bewilligen war im allgemeinen Sache der Landesherren, der Kaiser sollte es nur nach eingeholten Berichten der Landesobrigkeiten tun 40 . Bei Begnadigungen, Volljährigkeitserklärungen, Ehelichkeitserklärung unehelicher Kinder, zuweilen auch bei der Verleihung des niederen Adels, konkurrierten die Landesherren mit dem Kaiser41. Auf die Erteilung von Monopolen mußte der Kaiser, wenigstens in späterer Zeit, durch, die Wahlkapitulation verzichten42; landesherrliche Patente wurden seit Ende des 18. Jahrhunderts häufiger43. Der Schutz des schriftstellerischen Urheberrechtes durch Bücherprivilegien wurde in Deutschland seit Anfang des 16. Jahrhunderts, und zwar ebensowohl durch die Kaiser wie die Landesherren, geübt44, doch hatten die kaiserlichen Privilegien schließlich nur noch Bedeutung für den Bücherhandel auf den kaiserlichen Messen, namentlich in Frankfurt, während der regelmäßige Schutz nur noch durch landesherrliche Privilegien erworben werden konnte45. Im allgemeinen sprach sich die Theorie der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dahin aus: „Alles das»' Vgl. RA. von 1576 §§ 118—120 (N. Samml. 3, 372). Preuß. ALR. II Tit. 15 Abschn. 3. PÖTTEB a. a. O. 3, 264. A. HOFFHANN Deutsch. Zollrecht 1. 1900. " Vgl. S. 834. PÜTTER 2, 164. 3, 263. Die kaiserlichen Notare mußten sich in manchen L&ndern einer besonderen Landesprüfung unterziehen. »• Vgl. PÜTTEB 3, 266.

10

Vgl. JRA. § 175. PÜTTEB 3, 269 ff. Graf v. OBEBNDOBFF Das vom Landes-

herrn oder von Staats wegen erteilte Moratorium, Greifsw. Diss. 1905. 41

Vgl. S. 826. 833.

POTTEB 3 , 271.

EICHHORN 4 , 291 f.

D a s Preuß. A L R .

II Tit 9 §§ 2, 9, 10, 13, 14, Anh. § 113, verbietet den Untertanen, sich im Inland einer ihnen von „fremden Staaten" verliehenen Standeserhöhung ohne landesherrliche Erlaubnis zu bedienen. An eine Ausschließung kaiserlicher Standeserhöhungen kann dabei aber nicht gedacht sein. 41 Vgl. Ständige Wahlkapitulation Art. 7 (ZEUMEB Nr. 177). 49 Vgl. KLOSTEBMANN Geistiges Eigentum 2, 195. 44

Vgl. KLOSTEBMANN a. a. 0 . 1, 42. GÜTEBBOCK Entstehungs-G. der Carolina

203 ff. WIGAND Wetzlarsche Beiträge 1, 227 ff. Die Rechtlosigkeit aller nicht privilegierten Schriftsteller im 16. Jh. zeigt der Prozeß des Konr. Lagus. Vgl. MÜTHEB Zur G. der RW. 299 ff. PESOATOBE, Greifsw. Vöries.-Verz. 1901 Beilage. 45 Vgl. N. Samml. 4, Zugabe S. 114 ff. PÜTTEB a. a. 0. 3, 272 f.

§ 78. Territorien.

5. Landstände.

871

jenige, dessen rechtliche Wirkung sich nur innerhalb der Grenzen eines Landes äußert, ist in eines jeden Reichsstandes Landeshoheit begriffen. Alles, was seit der Zeit, als die Landeshoheit zu ihrer Vollkommenheit gediehen, erst neu in Gang gekommen ist oder künftig noch erdacht werden mag, gehört ohnehin für die Landeshoheit. Und alle Rechte der Landeshoheit sind ausschließlich zu verstehen, daß sie nur ein jeder Reichsstand in seinem Lande auszuüben hat, ohne daß der Kaiser darin vorgreifen darf" 46 . 5. Die L a n d s t ä n d e 4 7 . Die auf die Emanzipation vom Reich gerichtete Politik der Reichsstände verfolgte zugleich im Innern die Befreiung der landesfürstlichen Obrigkeit von den Landständen. Allerdings war die Stellung der letzteren nicht überall die gleiche. Fehlte es in den kleinsten Territorien und Herrschaften überhaupt an den Elementen, aus denen sich eine landständische Verfassung hätte entwickeln können, so war andererseits in den geistlichen Staaten durch die von den Kapiteln aufgestellten Wahlkapitulationen die Macht der Stände außerordentlich gewachsen, so daß an ihre erfolgreiche Bekämpfung nicht gedacht werden konnte. Wenn hier die Prälaten den wichtigsten Bestandteil der Landstände bildeten, so traten diese in den weltlichen, namentlich den protestantischen Staaten in den Hintergrund oder fehlten überhaupt. Andererseits fehlte in den südwestdeutschen Territorien der landsässige Adel, da der niedere Adel hier größtenteils seine Reichsunmittelbarkeit bewahrt hatte. Der Kampf der Landesherren gegen die Landstände ging nicht aus den Bestrebungen fürstlicher Willkürherrschaft hervor, er entbrannte vielmehr in den zusammengesetzten Territorien, für die es geradezu ein Lebensbedürfnis war, daß die Stände der einzelnen Landesteile verschwanden, um im Interesse der Staatseinheit entweder einem gemeinsamen Landtag oder " Vgl. PÜTTEB 3, 2 7 4 . ERDMAHNSDÖRFFEB 1, 57f. 66f. 7 3 . 410FF. Ständige Wahlkapitulation Art. 1 (N. Samml. 4, 234). Preuß. ALR. II 13 §§ 1—15. 41 Vgl. S. 6 2 6 ff. und die dort angeführte Literatur. WILDA in WEISKE 8 .Rechtslexikon 6, 7 9 1 ff. STBUV Diskurs v. Urspr. der Landstände 1 7 4 1 . HXBEBLIN Grundlinien und G. der teutsch. Landstände (SCHLÖZEBS Staatsanzeigen 67). STBUBEN Nebenstunden 2 ( 1 7 6 9 ) Abh. 10. LOHMANN Reichsgesetz v. 1 6 5 4 über die Steuerpflichtigkeit der Landstände, Bonner Diss. 1 8 9 3 . v. BELOW Syst. u. Bedeut. d. landst. Verfassung (Territorium und Stadt 1 6 3 — 2 8 2 ) ; Entstehung der Rittergüter (ebd. 95ff); Hand-WB. d. Staatswissenschaften Suppl. ( 1 8 9 5 ) S. 672ff.; Landtagsakten von Jülich u. Berg 1. 1 8 9 5 ; Die landst. Verf. in Jülich u. Berg 3 . 1 8 9 0 — 9 1 . WINTEB Die märkischen Stände z. Zeit ihrer höchst. Blüte 1 5 4 0 — 5 0 , Z. f. preuß. G. 19. 2 0 . HABS Die landst. Verf. u. Verw. i. d. Kurmark Brand. 1 5 7 1 — 9 8 , Berl. Diss. 1 9 0 5 . RACHEL Der gr. Kurf. u. die ostpr. Stände 1 9 0 5 (SCHMOLLERS Forach. 2 3 , 5). BERGMANN, G. d. ostpr. Stände u. Steuern 1 6 8 8 — 1 7 0 4 , 1 9 0 1 (ebd. 1 9 , 1). BIELFELD, G. d. magdeb. Steuerwesens 1 8 8 8 (ebd. 8, 1 ) . RIEZLEB, G. Baierns 6 , 23ff. v. WEECH Die badisch. Landtagsabschiede 1 8 7 7 . GOTHEIN Landstände der Kurpfalz, ZGO. 4 2 , lff. BUBKHABDT Ernestinische Landtagsakten 1. 1 9 0 2 (vgl. G. WOLF, GGA. 1 9 0 4 S. 8 7 7 — 9 2 8 ) . FALKE, Z. f. d. ges. St.-W. 3 0 , 3 9 5 ff. VANCSA Die ältesten Steuerbekenntnisse der Stände in Österreich u. d. E., Mitt. d. öst Inst. Erg. 6, 458ff. GLAQAÜ Anna von Hessen, Marb. Diss. 1 8 9 9 .

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

872

dem absoluten Begiment der Landesherren Platz zu machen. Ein Widerstand der Bevölkerung war dabei nicht zu besorgen, da die Stände tatsächlich nur ihre eigenen Interessen, aber nicht die des gesamten Volkes, am wenigsten die der Bauern, vertraten 18 . Eine gewisse Stütze fanden die gegen die Stände gerichteten Bestrebungen schon in der Beichsgesetzgebung, indem die den einzelnen Beichsständen auferlegten Beichs- und Kreislasten unbedingt beschafft werden mußten und von den Landständen nicht verweigert werden konnten 49 . Die Beichsgesetze bestimmten dabei ausdrücklich, daß selbst vertragsmäßige Steuerbefreiungen einzelner Untertanen und ganzer Körperschaften (Kapitel, Klöster) dem gegenüber anwirksam sein sollten. Säumnis in der Entrichtung der Steuern sollte mit Verdoppelung des Betrages bestraft werden und den Landesherren deswegen gestattet sein, gegen die ungehorsamen Untertanen bei einem der höchsten Reichsgerichte zu klagen. Nur wurde verlangt, daß die Steuern gleichmäßig umgelegt und auch die Kammergüter der Landesherren mitherangezogen, die Armen aber möglichst verschont würden 60 . Durch Beichsschluß von 1670 wurde festgesetzt, daß die Beichsstände auch berechtigt seien, von ihren Untertanen „zu Beichs-, Deputations- und Kreiskonventen die nötigen Legationskosten zu erheben" 61 . Von besonderer Bedeutung wurden aber die Bestimmungen der Beichsexekutionsordnung von 1555 über die Kreishilfe „zu Vollziehung des hievor gesetzten Friedstands, Exekution und Handhabung des Landfriedens, zu Erhaltung gemeiner Sicherheit und Buhe", wonach sich jeder Kreisstand in ständiger Bereitschaft halten und für genügende Befestigungen zum Schutz gegen Überfälle sorgen sollte, auch „daß derwegen eine jede Obrigkeit Macht haben soll, ihre Untertanen, geistlich und weltlich, sie seien exempt, gefreiet oder nicht gefreiet", bis zum Betrage ihres reichsinatrikularmäßigen Anschlages „mit Steuer zu belegen"52. In weiterer Ausführung dieser Bestimmung setzte der JBA. von 1654 § 180 fest, daß die Untertanen „zu Besetz- und Erhaltung der einem oder andern Beichsstand zugehörigen nötigen Vestungen, Plätzen und Guarnisonen ihren Landesfürsten, Herr48

Da die Ritterschaft unter Berufung auf ihre Ritterdienste möglichste Steuerfreiheit für sich beanspruchte und sich nur dazu herbeiließ, ihre Bauern and Mediatstädte zur Landessteuer heranzuziehen, so kam es zwischen den Städten und der Ritterschaft vielfach zu Prozessen wegen ungleicher Besteuerung. Vgl. EICHHORN 4 , 3 6 0 , Note m. Nnr in der wttrtembergischen Verfassung (Tubinger Vertrag von 1514) überwog das städtische und das bäuerliche Element, da die Reichsritterschaft an den Landtagen nicht teilnahm. Vgl. ERDMANNBDÖRFFER 1 , 6 6 . BBBQHAÜS Deutschi, vor 1 0 0 Jahren 1, 250FF. PERTHES Politische Zustände 1 , 4 3 3 ff. " Vgl. Reichsabschiede von 1507 § 8 (N. Samml. 2, 112), 1510 § 6 (133), 1530 § 118 (324), 1542 §53 (454), 1543 §§24f. (487), 1544 §§ 10f. (498), 1548 § 102 (545), 1566 §§ 42—45 (3, 220), 1576 §§ 11—15 (355f.), 1582 §§ 10—14 (401), 1594 §§ 11—15 (429), 1598 §§ 11—15 (454), 1613 §§ 7 - 9 (524), 1654 § 14 (645), Reichsschluß von 1719 Art. 4 (4, 346). M 51 Vgl. EICHHORN 4 , 3 0 6 f . N . Samml. 4 , 8 0 . 51 RA. von 1555 §§ 54. 82 (N. Samml. 3, 24. 30).

§ 78. Territorien.

5. Landstände.

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Schäften und Obern mit hilflichem Beitrag gehorsamlich an Hand zu gehen schuldig seien"53. Ein Reichsgutachten von 1670 wollte diese Bestimmung dahin ausgelegt haben, daß die Untertanen „nicht allein zur Lands-Defensions-Verfassung, sondern auch zu Handhab- und Erfüllung der gedachtem Instrumento Pacis nicht zuwiderlaufenden Bündnissen, wie auch nicht nur zu Erhalt- und Besetzungen der nötigen, sondern indefinite der Yestungen, Orte und Plätze, auch zur Verpflegung der Völker und andern hierzu gehörigen Notwendigkeiten ihren Landsffirsten, Herrschaften und Oberen die jedesmal erforderte Mittel und folgentlich alles, was an sie und so oft es begehrt wird, gehorsam- und unweigerlich darzugeben schuldig sein und daß einige Klage der Unterthanen weder bei dem kaiserlichen Reichshofrat noch Cammergericht hierwieder nicht angenommen [werden], auch den Landständen, Landsassen und Unterthanen einige privilegia und exemptiones nicht zu statten kommen sollen". Dieser Versuch, eine reichsgesetzliche Aufhebung des gesamten Steuerbewilligungsrechts der Landstände herbeizuführen, hatte zwar nicht den gewünschten Erfolg, da der Kaiser dem Reichsgutachten die Genehmigung versagte, es wurde aber doch erreicht, daß diejenigen Reichsstände, „so ein mehrers, als in vorangezogenem Paragraph begriffen, gegen Ihre Unterthanen und Landsassen rechtmäßig hergebracht", darin reichsgesetzlich bestätigt und die Untertanen demgemäß „dem Herkommen und erheischender Notdurft nach" „zu contribuiren" angewiesen wurden 64 . Ein derartiges Herkommen war in einer Zeit, wo wiederholt bewilligte außerordentliche Steuern schon als herkömmlich behandelt zu werden pflegten, unschwer zu erreichen. In Baiern bestand es zu militärischen Zwecken schon vor dem 30jährigen Kriege5B, und in Brandenburg wurde es in derselben Richtung durch den großen Kurfürsten zur Geltung gebracht 66 . Nur in Sachsen, Braunschweig, Hessen, Würtemberg und Meklenburg erhielten sich die Landstände in alter Weise (in Meklenburg gemeinsam für Schwerin und Strelitz), während ihr Einfluß in den übrigen Territorien mehr und mehr abgeschwächt wurde, indem die landesherrliche Gewalt ihnen nur noch die als hergebracht erwiesenen Rechte zugestand. In Osterreich, wo man bis zum 17. Jahrhundert mehrfach vergebens versucht hatte, Generallandtage aus Vertretern der Einzellandtage einzuführen, um eine größere Zentralisation auf ständischer Grundlage herzustellen, drehte sich der Kampf gegen die Landstände hauptsächlich um konfessionelle Fragen6T, in Branden68 M

N. Samml. 3, 674. Vgl. LOHKANN a. a. 0. (n. 47). Vgl. kaiserliche Resolution vom 12. Febr. 1671 (N. Samml. 4, 84).

LACHEB 7 , 9 8 9 . 66

56

GERST-

993.

V g l . EBDMANNSDÖBFFEB 1 ,

57.

In Brandenburg war der Landtagsrezeß von 1653 entscheidend, der gegen die Konzession einer Verstärkung der gutsobrigkeitlichen Rechte des Adels die vom Rurfürsten geforderten Steuern auf sechs Jahre bewilligte. " Nach den Bestimmungen des JPO. 5, 31 bedurften die Landesherren zu Änderungen in der Landesreligion gegenüber dem Normaljahr 1624 der landständischen Genehmigung. Das Recht, Andersgläubigen Duldnng zu gewähren,

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Neuzeit bis zur französischen Revolution.

burg-Preußen um militärische. Schließlich wurden in beiden Ländern und ebenso in Baiern die Landstände zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgedrückt, während die absolute Monarchie mit unbeschränktem Gesetzgebungs- und Besteuerungsrecht des Landesherrn durchgeführt wurde. Der Hauptgrund für diesen Rückgang der landständischen Verfassung lag in der durch den westfälischen Frieden zugestandenen internationalen Stellung der deutschen Reichsstände. Besaßen diese das Bündnisrecht, so war es selbstverständlich, daß ihnen auch das Gesandtschaftsrecht und das Recht über Krieg und Frieden zukam: Hatte das Reich ihnen diese Rechte gewährt, so wollten sie sich diese durch ihre eigenen Stände nicht verkümmern lassen. Die Erträge der Kammergüter und der mit kriegführenden Staaten abgeschlossenen Subsidienverträge genügten nicht für die Bedürfnisse der vielfach nach Versailler Muster eingerichteten Hofhaltungen, die Gesandtschaftskosten und den Sold für die Truppen. Landessteuern waren unentbehrlich, und es erschien nicht gerechtfertigt, wenn diese vorwiegend von solchen bewilligt werden mußten, die für ihre Person nichts bezahlten und jede Steuerbewilligung nur benutzten, um neue Freiheiten für sich herauszuschlagen. 6. Das Heerwesen 6 8 beruhte fast ausschließlich auf dem Söldnersystem. Man unterschied die Reisigen (zu Roß) und die Knechte (Fußoder Landsknechte). Bei der Reiterei sollte sich unter je zehn oder zwanzig Pferden ein regelmäßig ausgerüsteter „Kürisser" befinden. Als Regel wurde betrachtet, daß immer einige adeliche „Junker" mit einer gewissen, Zahl von ihnen geworbener Reisigen, für die sie den Sold mifcempfingen, in den Dienst traten; unter keinem Junker stehende „herrenlose Einspännige" sollten nur ausnahmsweise angeworben werden. Durch diese Anknüpfung an das Rittertum wurde der Reiterei ein mehr aristokratischer und landschaftlicher Charakter gewahrt, während sich die Landsknechte aus aller Herren Ländern und allen Ständen zusammenfanden; doch hielt man darauf, daß jedes Fähnlein von 300 bis 400 Mann mehrere berittene Führer der Schützenzüge hatte, die von Adel oder erfahrene stand den Landesherren auch ohne ständische Mitwirkung zu; streitig blieb nur, ob sich dies auch auf die Zulassung des Gottesdienstes erstrecke. 58 Vgl. S. 853. M O S E S Landeshoheit in Militärsachen 1773. BABTHOLD, Gr. d. Kriegsverfassung 2*, 142ff. SCHMOLLER Umrisse u. Forschungen 247ff. v. CBOUSAZ Organisation des brand.-preuß. Heeres1 1873. M. LEHMANN, Hist. Z . 67, 254ff. v. SCHBÖTXEB Brandenb.-preuß. Heeresverfassung unter dem Gr. Kurfürsten 1892 (SCHHOLLEBS Forsch. 11, 5). SCHWABTZ Organisation u. Verpflegung der preuß. Landmilizen im 7jfihrigen Kriege 1888 (ebd. 7, 4); Urkundl. Beitrage zur G. d. preuß. Heeres 2, 1; Die Anfänge der alten Armee, 1. Teil her. v. J A N Y 1901. J A N Y Lehndienst u. Landfolge, Forsch, z. br. u. preuß. G . 8, 2 S. 419 ff. LORENTZEN Die schwedische Armee im 30jährigen Kriege 1894. v. W B E D E , G . d. kais. k. Wehrmacht 1903. JOCKSCH-POFPE Kriegsverf. d. Markgrafsch. Niederlausitz, Niederl. Mitt. 9. RIEZLER a. a. 0. 6, 136 ff. v. STAÜDINQEB, G . d. baier. Heeres 1. 1901. P Î T E L Organis. d. hess. Heeres unter Philipp d. Großmütigen 1897.

§ 78.

Territorien.

6. Heerwesen.

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Kriegsmänner waren. Die Anwerbung wurde regelmäßig einem „Obristen" übertragen, dem die Hauptleute der 8 bis 10 Fähnlein seines Regimentes, bei der Reiterei die Rittmeister, als Unterwerber dienten59. Oberst, Hauptleute und Rittmeister waren nicht bloß Offiziere, sondern zugleich Unternehmer, die geworbenen Truppen standen nur zu ihnen im Vertragsverhältnis und empfingen von ihnen den Sold. Die Errichtung des Regiments geschah mit der „Musterung" vor den Musterungskommissaren des Kriegsherrn. Die Einzelnen wurden in die Musterrolle eingetragen. Mit der Verlesung des Artikelbriefes (S. 855) und der Vereidigung der Truppen auf diesen wurde die Musterung geschlossen. Die Generale pflegte der Kriegsherr selbst anzustellen®0, die übrigen Offiziere wurden von den Obersten oder Hauptleuten ernannt, die Unteroffiziere zum Teil von den „Knechten" gewählt. Seine kriegerische Ausrüstung und seinen Unterhalt hatte jeder Mann selbst zu bestreiten; Wohnung, Feuerung und Lagerstroh wurden ihm gestellt (das sg. Servis); bei der Artillerie stellte der Kriegsherr auch das Artilleriematerial („Zeug"), zu dessen Aufbewahrung im Frieden die Zeughäuser dienten. Außer dem Sold, der durch die Hände der Obersten und Hauptleute ging, erhielten die Truppen Handgeld und für die Zeit, wo man ihrer Dienste nicht bedurfte, Wartegeld. Außerdem wurde ihnen ein bestimmtes Beuterecht und bei Erstürmung von Festungen ein Sturmsold zugestanden. Das Gerichtswesen war korporativ geordnet, jedes Regiment hatte seinen Schultheißen und zwölf Gerichtsleute als Urteiler. Bei „Malefizsachen" wurden die Offiziere, Fähnriche und Feldweibel neben den Gerichtsleuten zugezogen, öffentlicher Ankläger war der Profoß. Bei dem sogenannten Spießrecht wurde das Urteil von dem versammelten Regiment als Gerichtsgemeinde gefällt und demnächst auch durch Vorhalten der Spieße beim Gassenlaufen vollstreckt61. Durch die Einführung der stehenden Heere in Österreich, Brandenburg und einigen anderen Territorien wurde seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der privatrechtliche Charakter des Heerwesens beseitigt und das Heer auf staatsrechtlicher Grundlage neu aufgebaut. Die Werbungen wurden jetzt von den Regierungen unmittelbar in die Hand genommen, die Obersten, Hauptleute und Rittmeister hörten auf Spekulanten zu sein und wurden zu Beamten. Das herren- und vaterlandlose Söldnertum der Truppen verlor sich, da sie auch im Frieden unter militärischer Zucht zusammengehalten wurden und die einzelnen Truppenteile eine 59 Das Reiterregiment hatte 4 Schwadronen, jede zu 250—300 Pferden unter einem Rittmeister; je 50 Pferde bildeten eine Rotte unter einem Rottmeister. 60 Den Generalen konnte aber auch die Anwerbung eines ganzen Heeres übertragen werden. Wer eine solche übernahm, war seinem Kriegsherrn nur durch seinen Vertrag (Kapitulation) und nur, soweit dieser reichte, zu Diensten verpflichtet. 11 Vgl. v. B O N I N Grundz. d. Rechtsverfassung i. d. deutsch. Heeren zu Beginn der Neuzeit 1904 (vgl. ZRG. 38, 358); Das Spießrecht des 17. 18. Jhs., ZRG. 38, 52ff.

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Neuzeit bis zur französischen Revolution.

militärische Überlieferung erhielten. An die Stelle der Artikelbriefe, die rechtlich nur Vertragsurkunden gewesen waren, traten die vom Staat erlassenen Kriegsartikel. Kleidung, Bewaffnung, Verpflegung der Truppen wurde Sache des Staates,, die Besoldung nach festen Grundsätzen geregelt. Erst jetzt kam die Bezeichnung „Soldaten" auf. Eine Hauptsache war die Fürsorge für eine regelmäßige Ergänzung des Heeres. Das alte Recht der Landfolge oder „Reis' und Folge" war in gesetzlicher Anerkennung geblieben 82 , aber nur selten und mit geringem Erfolg hatte man davon Gebrauch gemacht. Nur in den österreichischen Grenzprovinzen gegen die Türkei gab es organisierte Landesaufgebote63. In Preußen versuchten Friedrich I und Friedrich Wilhelm I, geregelte Landmilizen ins Leben zu rufen; auch Friedrich d. Gr. hat in der Not des siebenjährigen Krieges seine Zuflucht zu ihnen genommen. Militärisch spielten die Landmilizen eine untergeordnete Rolle, aber der ihnen zu Grund liegende Gedanke der Wehrpflicht als einer allgemeinen Untertanenpflicht wurde von entscheidender Bedeutung. In Preußen sprach, nach manchen Wandelungen, das Kantonreglement von 1733 zum erstenmal den Grundsatz aus, daß jeder Untertan der Wehrpflicht unterliege. Jedem Regiment wurde ein besonderer Aushebungsbezirk (Kanton) überwiesen und für die Wehrpflichtigen jedes Kantons (Kantonisten) wurden Stammrollen angelegt, wie sie seit den Tagen Karls des Großen (S. 160) nicht mehr vorgekommen waren 64 . Zwar blieb noch während des ganzen 18. Jahrhunderts neben der inländischen Aushebung die ausländische Werbung bestehen, auch enthielten die Kantonreglements so zahlreiche Ausnahmen, daß tatsächlich sich die Kantonpflicht auf die untersten Klassen der Bevölkerung beschränkte, während die übrigen befreit waren, aber die Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht war doch damit angebahnt 65 , und wenigstens dem Landesadel wurde es ungeachtet seiner •» Vgl. RA. von 1555 § 54 (N. Samml. 3, 24). " Vgl. LVSOHIN v. EBENOREUTH a. a. O . 4 6 7 ff. Über sonstige Versuche in dieser Richtung Tgl. LOBENTZEN a. a. 0 . 6 f. Z 6 0 . 4 0 , 3 6 6 . 4 7 , 3 8 2 . LAMPBECHT WL. 1, 1294. Das schwedische Heer unter Gustav Adolf beruhte großenteils bereits auf Aushebung. •• Vgl. ALTHANN Ausgew. Urk. 1, 166. EICHHORN 4 , 5 5 0 f. RIBBENTBOP Verf. d. preufi. Kantonwesens 1798. M . LEHMANN Preußen und die allgemeine Wehrpflicht i. J. 1809, Hist. Z. 61, 97ff.; Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heer Friedrich Wilhelms I, ebd. 67, 254ff. KOSEB a.a.O. 1, 530 ff. G. METER Verwaltungsrecht' § 198. 68 Das alle bisherigen Instruktionen zusammenfassende Kantongesetz Friedrich Wilhelms II von 1792 bestimmte bereits: „Die Verbindlichkeit, den Staat zu verteidigen, liegt jedem schntzgenießenden Unterthan auf, wenn ihm nicht besondere Ausnahmen zur Erhaltung und Beförderung der Wohlfahrt desselben zu statten kommen." Die zahlreichen Befreiungen beruhten auf dem Grundgedanken, daß nur solche Personen, die dem Staat oder dem gemeinen Wohl durch ihre sonstige Stellung nichts zu nützen vermöchten, der Kantonpflicht unterliegen sollten. Die letztere wurde bedingt durch die Geburt in einer kantonpflichtigen Familie und konnte durch einseitige Änderung des persönlichen Berufes nicht beseitigt werden.

§ 18.

Territorien.

7. Gerichtswesen.

877

Befreiung vom „Enrollement" schon von Friedrich Wilhelm I zur unbedingten Pflicht gemacht, sich dem Dienst im preußischen Offizierkorps nicht ohne zwingende Gründe zu entziehenee. 7. D a s Gerichtswesen 6 7 . Die auf allen Gebieten des staatlichen Lebens eingetretenen Veränderungen forderten eine völlige Umgestaltung der Behördenorganisation in den Territorien. Vor allem galt dies von der Gerichtsverfassung. Die Rezeption des römischen Rechts und die Umwandlung der Volksgerichte in gelehrte Gerichte bedingten sich gegenseitig; die erstere trat ins Leben durch die Errichtung des Reichskammergerichts mit seinen gelehrten Beisitzern und machte dann ihrerseits die entsprechenden Gerichtsreformen in den Territorien notwendig. Die Tätigkeit der Urteiler verlor ihre rechterzeugende Kraft und wurde zu einer bloßen Anwendung gegebener Normen, zur juristischen Kunst 68 . Dabei war die Entwickelung bei den Obergerichten eine andere als bei den Untergerichten. Jene blieben Kollegialgerichte, indem Rechtsgelehrte in das Urteilerkollegium aufgenommen wurden; der Richter behielt den Vorsitz, blieb aber nicht auf die Frozeßleitung beschränkt, sondern nahm auch an der Urteilfindung teil. In den Untergerichten starben die Urteilerkollegien allmählich ab, um einem rechtsgelehrten Einzelrichter zu weichen. Ein wesentliches Mitglied jedes Gerichts war der Gerichtschreiber (Aktuar). Die Obergerichte (Hof- oder Kammergerichte) in den Territorien (S. 617 f.) folgten durchaus dem Vorbild des Reichskammergerichts. Die verschiedenen Hof- oder Kammergerichtsordnungen stimmten großenteils Vgl. ALR. II 10 § 51. Die jährlichen Kantonrevisionen erstreckten sich auf die Kantonpflichtigen vom 16. bis zum vollendeten 45. Jahr. Die für tauglich Befundenen waren persönlich dienstpflichtig und konnten sich nicht vertreten lassen. Die Dienstzeit dauerte 20, bei Artillerie und Train 12 Jahre, Kriegsjahre doppelt gerechnet. Gewisse Landesteile waren teils wegen vermeintlich mangelnder militärischer Eigenschaften, teils aus Gründen ihrer Verkehrsverhältnisse befreit. Unabhängig von der Kantonpflicht bestand die Landmiliz. Vgl. ALR. II 10 § 14. «• Vgl. ALR. II 9 § 1. 6T Vgl. die S . 8 0 5 ü. 8 6 0 ff. angefahrte Literatur. STÖLZEL BrandenburgPreußens R.-Verw. u. R.-Verfassung, 2 Bde 1888. v. R A M I T Z , JB. f. d. preuß. Gesetzgebung 5 8 . 5 9 . BORNHAK Einfluß der fremden Rechte auf die Umgestaltung der deutschen Gerichtsverfassung, FDG. 2 6 , 4 1 7 f f . WETZELL Syst. des Zivilprozesses * 3 8 5 ff. A . S . SCHÜLTZE Privat-R. u. Prozeß 1 9 3 ff. STÖBBE Rechtsqu. 1, 642ff. 2, 63—110. G B U P E N Observationes (1763) 409ff. D I S T E L Beitrage zur älteren VG. d. Leipz. Schöffenstuhls, ZRG. 20, 89ff. 23, 63ff.; Beitrag z. VG. d. Hofgerichts zu Wittenberg, ebd. 25, 117ff. HOLTZE, G. des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen (a. u. d. Titel: Beiträge zur Brandenb.-Preuß. RG.), 4 Bde 1890—1904. KOSER a. a. O. 1, 321 ff. WINTTEBLIN Niedere Vogtei im 16. Jh., Würtemb. VJHefte 9, 413ff.; Dorfgemeindegerichte im Herz. Wttrtemb., ebd. 12. 1903. MELL Der comitatus Liupoldi u. dessen Aufteilung in die Landgerichte des 19. Jh., Mitt. d. öst. Inst. 21, 38äff. RIEZLER a. a. 0. 6, 99ff. ROSENTHAL a. a- 0. 2 , 4 ff. CABLEBACH Bad. RG. 1, 2 6 ff. K E C K Entwickel. d. Oberapp.-Ger. zu Cassel, Marb. Diss. 1 9 0 6 . ESCHBACH Die Erkundigung über die Ger.-Verf. im Herz. Jülich 1 5 5 4 / 5 5 , Beitr. z. G. d. Niederrheins, Düsseid. JB. 1 7 , 1 1 6 ff. 68 Vgl. STINTZINQ, Hist. Z. 29, 413.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

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wörtlich mit der RKGO. überein. Den Vorsitz behielt dem Namen nach der Landesherr, dessen ständiger Vertreter ein adelicher Hofrichter oder der Hofmeister oder Kanzler war. Die Urteiler wurden teils vom Landesherrn, teils voii den Ständen ernannt und mußten teils dem Adel, teils dem Gelehrtenstand angehören. In den zusammengesetzten Territorien wurden in der Regel für die einzelnen Provinzen besondere Obergerichte gebildet. Sie waren die ordentlichen Gerichte erster Instanz für die Eximierten und zugleich Berufungsgerichte für die niederen Stadt- und Landgerichte69. Wie dem Beichskammergericht aus dem Beichshofrat, so erwuchs den Hofgerichten aus dem Geheimen Bat (Hofrat, Kanzlei, Kammer, Regierung) in allen größeren Territorien ein nur vom Landesherrn abhängiges Konkurrenzgericht, durch welches das ständische Gericht zum Teil ganz beiseite geschoben wurde10. Anders in den Territorien die ein Privilegium de non appellando besaßen71 und infolgedessen, zur Wahrung der drei Instanzen, genötigt waren, ein eigenes Oberappellationsgericht einzusetzen, das naturgemäß fast überall aus dem Geheimen Bat hervorging 72 . In Österreich .übernahm anfangs der Beichshofrat diese Aufgabe, bis er auf die Beichssachen beschränkt und für die erbländischen Sachen ein eigener Hofrat eingerichtet wurde; Böhmen behielt seinen eigenen Hofrat. In der Mark Brandenburg war das Berliner Kammergericht der höchste Gerichtshof, gegen dessen Entscheidungen nur das Bechtsmittel der Aktenversendung, in früherer Zeit auch die Supplikation an die persönliche Entscheidung des Landesherrn offen stand. Der seit 1658 aus dem Geheimen Bat als besondere Abteilung („Geheimer Bat zu den "Verhören") ausgeschiedene „Geheime Justizrat" war nicht, wie früher angenommen wurde, ein oberster Gerichtshof der Kurmark, sondern ein mit verschiedenen Zuständigkeiten ausgestatteter Sondergerichtshof, der 1749 beseitigt wuTde. Für die nicht zur Kurmark gehörigen reichsländischen Territorien wurde 1703 ein eigenes Oberappellationsgericht in Berlin 69 Zwei Instanzen waren für jedes Territorium reichsgesetzlich vorgeschrieben. Vgl. R.-Dep.-Absch. von 1600 § 15 (N. Samml. 3, 476). Eine Urkunde des Pomnaernherzogs Bogislaw X von 1520 ergibt, daB auch die in den besonderen Sehutz oder das Geleit des Landesherrn aufgenommenen Personen damit ganz wie in der frSnkischen Zeit den Gerichtsstand vor dem Hofgericht erhielten. Vgl. Monaitsbl. d. pomm. G.-Ver. 1901 S. 89. 70

71

Vgl. LECHNER Reichshofgericht (S. 557) 62 ff.

Die Kurfürstentümer beanspruchten ein solches schon auf Grund der Goldenen Bulle, nur Kurköln verzichtete wegen der Kosten auf ein eigenes Oberappellationsgericht. Außer den Kurfürstentümern besaßen das Privileg Österreich, Baiern, Würtemberg und Schweden. Vgl. EICHBOBN 4, 376 Note k. Für ihre nicht zur Kurmark gehörigen Besitzungen erlangte die Krone Preußen ein unbedingtes Privileg erst 1746 und 1750, während die früheren Privilegien, such das von 1702, nur bis zu bestimmten Beträgen der Appellationssumme ginigen. Vgl. BOBKBAK 1, 962. 2, 192. n Vgl. JPO. 10 § 12. Braun schweig-Lüneburg errichtete das Tribunml in Celle unmittelbar nach dem Erwerb der Kurwürde, die das Privileg von stelbst mit sich brachte. Vgl. EICHBOBN 4, 560.

§ 78. Territorien.

7. Gerichtswesen.

879

errichtet, neben dem anfangs noch ein besonderes Appellationsgericht für Ravensberg (seit 1658) and das oranische Tribunal (für Mörs, Siegen und Tecklenburg) bestand. Im Jahr 1749 wurden alle diese Gerichte zu einem selbständigen vierten Senat des Kammergerichts unter dem Namen „Tribunal" vereinigt. Das Tribunal war das Oberappellationsgericht für den ganzen Staat, nur das Herzogtum Preußen behielt zunächst noch sein seit 1657 bestehendes Tribunal in Königsberg, bis 1774 auch dieses mit dem Berliner Tribunal, von nun an „Obertribunal", vereinigt wurde. Die Berufungen an die alten Oberhöfe kamen seit dem 16. Jahrhundert in Abnahme. Teils schritten die Landesherren dagegen ein 78 , teils erwiesen sie sich dem neuen Recht nicht gewachsen und verloren das Vertrauen. Nur wenige, wie Lübeck'4, haben ihr Ansehen noch im 17. oder selbst bis zum 18. Jahrhundert behauptet; namentlich solche, bei denen die Schöffenstühle rechtzeitig mit Doktoren besetzt wurden, ferhielten sich nicht nur, sondern wurden vielfach auch von anderen Seiten um Rechtsbelehrungen angegangen75. Dasselbe war bei einigen Hofgerichten, z. B. dem von Wittenberg, der Fall, namentlich aber sind die juristischen Fakultäten, besonders begünstigt durch die Halsgerichtsordnung Karls V (Art. 219), die Erben der alten Oberhöfe geworden. Das in den kleineren deutschen Staaten erst 1879 beseitigte Institut der Aktenversendung (auf Antrag einer Partei oder selbständigen Gerichtsbeschluß) hatte anfangs nur die Bedeutung eines Gesuches um Rechtsbelehrung; allmählich aber wurde es üblich, daß die um Belehrung angegangene Fakultät ihr Gutachten in der Form eines Urteils abgab, das von dem nachsuchenden Gericht als eigenes Urteil, wenn auch mit dem Zusatz „auf eingeholtes Erachten auswärtiger Rechtsgelehrten", unverändert verkündigt wurde. Die Juristenfakultäten wurden auf diese Weise zu Spruchkollegien, die den Rechtsinhalt des Urteils bindend feststellten, während das Rechtsgebot dem nachsuchenden Gericht verblieb76. Erheblich später als bei den Obergerichten hat sich die Umgestaltung bei den niederen Land- und Stadtgerichten vollzogen. Am frühesten verlor die Schöffenverfassung ihre Bedeutung für die Zivilrechtspflege, während sie sich auf dem Gebiet des Strafrechts zum Teil bis in das 18., bei Rügegerichten bis in das 19. Jahrhundert erhalten hat 77 . Wo ein rechtsgelehrter Amtmann oder Stadtrichter den Vorsitz im Gericht hatte, war es natürlich, daß er sich nicht wie der altdeutsche Richter auf die Leitung " V g l . Oberrhein. Stadtrechte 1, 203. Für Kursachsen wurde 1432 der Rechtszug nach Magdeburg aufgehoben und dafür der nach Leipzig eingeführt " FUNK Die lübischen Gerichte, ZRG. 39, 53 ff. 40, 61 ff. 75 Ganz besonders war dies bei dem berühmten Leipziger Schöffenstuhl der Fall, dem schon seit Anfang des 16. Jh. einzelne Mitglieder der Leipziger Juristenfakultät angehörten. Vgl. DISTEL, ZRG. 20, 89ff. 23, 63 ff. Auch die Schöffenstühle von Halle, Brandenburg, Stettin und Koburg standen lange in Ansehen. Über Brandenburg vgl. die S. 805 angeführten Werke von STOLZ ET. V g l . A . S. SCHCLTZE a. a. 0 . 211.

" Vgl. AIBEBT Steinbach bei Mudau 1899 S. 109ff.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

880

der Verhandlungen beschränkte, sondern an der Urteilsfindung selbst teilnahm und bald der allein maßgebende Faktor bei ihr wurde,s. Die Schöffen erschienen neben ihm als überflüssiges Beiwerk, dessen man sich möglichst bald entledigte, so daß der Richter als selbsturteilender Einielrichter übrig blieb und das Gericht nur noch aus Richter und Schreiber bestand. Länger erhielt sich die alte Verfassung, wo der Amtmann nicht landesherrlicher, sondern landständischer Beamter, also ein ohne Rücksicht auf vorhandene Rechtskenntnis gewählter Adelicher war, oder wo der Amtmann bloßer Verwaltungsbeamter war und ein ungelehrter Schulze oder Dingvogt den Vorsitz im Gericht führte. In solcher Lage half man sich mit einem rechtskundigen Gerichtschreiber oder mit AktenVersendung oder einem Amtschreiber, der zugleich die fiskalischen Geschäfte (als Rentmeister, Kästner) und die Gerichtschreiberei besorgte, oder mit gelehrten Rechtskonsulenten, auf deren Rat das Gericht in Bedürfnisfällen verwiesen wurde. Hier kam es, namentlich in Zivilsachen, vielfach in Gebrauch, den Schiedspruch eines Rechtskundigen, zumal des Amtmannes, anzurufen, woraus sich in manchen Gegenden eine regelrechte Austragsinstanz vor dem Amtmann entwickelte, die dann ebenfalls zum Einzelrichtertum hinüberführte79. Unterstützt wurde diese Umwandlung der Gerichte überall durch die bureaukratische Richtung des landesherrlichen Regiments. Auch die Gutsobrigkeiten mußten sich dem unterwerfen; wollten sie ihre Gerichtsbarkeit festhalten, so durften sie diese nicht mehr durch ihre Meier oder Schulzen verwalten lassen, sondern mußten rechtskundige Gerichtshalter oder Jostitiarien anstellen. Die Gerichtsbarkeit schied damit aus dem Zusammenhang mit der allgemeinen Gutsobrigkeit aus und wurde zur Patrimonialjustiz, die sich mehr und mehr zu einem bloßen Patronatrecht gestaltete: der Gerichtsherr hatte den Unterhalt des Gerichts zu tragen und dafür die Gerichtseinnahmen zu beziehen, aber hinsichtlich des Justitiars hatte er ein bloßes Präsentationsrecht, die Anstellung erfolgte durch den Staat, der auch durch Anordnung richterlicher Prüfungen dafür sorgte, daß keine ungeeigneten Personen zu dem Amt gelangten. In der Regel entwickelte sich die Sache dahin, daß die staatlichen Stadt- oder Landrichter (Amtmänner, Justizamtmänner) auch zu Justitiarien der benachbarten Guts» bezirke ernannt wurden. 8. Das Finanzwesen und die Verwältungsorganisation. Das Steuersystem war im wesentlichen das alte. Neben der alten Bede, die mehr den Charakter einer Reallast angenommen hatte, waren die von den Landständen bewilligten Steuern, überwiegend Grund- und Gebäude78

79

V g l . STÜTZING a . a . 0 .

Vgl. S. 812.

4 1 5 f.

ROSENTHAL a . a . 0 .

1, 7 4 ff.

Entw. d. gel. Richtertums 1, 3 3 1 ff. 2, 117. LAMPBEOHT W L . 1 , 1 3 3 0 ff. STINTZINO a. a. 0 . 416 ff. STAMMLER, R. des Breidenbacher Grundes 7 f. 50ff. Dem baierischen Recht waren schon im Mittelalter die selbsturteilenden Richter geläufig. Vgl. S. 574. ROSENTHAL a. a. O. 1, 139 f. STÖLZEL

§ 78. Territorien. 8. Finanzwesen u. Verwaltungsorganisation.

881

steuern, zu entrichten. Adel und Geistlichkeit waren in der Regel steuerfrei. Das Steuerbewilligungsrecht der Landstände hatte in sämtlichen Territorien zu einem Dualismus in der Finanzverwaltung geführt, indem die in erster Reihe zur Bestreitung der landesherrlichen und LandesBedürfnisse bestimmten Erträge der Kammergüter und nutzbaren Regalien «u freier Verfügung des Landesherrn blieben, während die von den Ständen bewilligten Steuern in die landständische Kasse (Landkasten) flössen und in Einnahme und Ausgabe unter strenger ständischer Aufsicht, ursprünglich sogar mit gänzlicher Ausschließung des Landesherrn, gehalten wurden. In Brandenburg wurde, obwohl es hier ebenso wie in Österreich und Baiern gelungen war, das landständische Steuerbewilligungsrecht zu brechen80, die getrennte Verwaltung noch geraume Zeit beibehalten; selbst nach der Vereinigung der verwaltenden Behörden blieben wenigstens die Kassen (Domänen- und Kriegskasse) getrennt. In materieller Beziehung wurde in Preußen der Dualismus des fiskalischen Vermögens durch ein Hausgesetz Friedrich Wilhelms I von 1713 beseitigt, das sämtliche Domänen für Staatseigentum erklärte und den bisherigen Unterschied zwischen Schatull- und gewöhnlichen Domänengütern aufhob 81 . Für die persönlichen Bedürfnisse des Königs wurde diesem eine bestimmte Summe aus den Jahreserträgen der Domänen ausgesetzt („Handgelderreichung"), aus der sich später der Kronfideikommißfond entwickelt hat. Ein wesentliches Bedürfnis der Territorialverfassung war die Organisation einer staatlichen Zentralverwaltung. Der mittelalterliche Staat hatte nur örtliche Verwaltungen und landesherrliche Hofverwaltung gekannt, allgemeine staatliche Aufgaben hatte es nicht gegeben. Dagegen traten jetzt die großen Ansprüche der Heeresverwaltung an den Staat heran, die Gerichte und das gesamte Beamtentum beruhten auf neuen Grundlagen, es bedurfte der regelmäßigen Aufstellung eines Staatshaushalts, überhaupt 80

Nach Ablauf der letzten von den Ständen bewilligten Kriegskontribution (1653) verlangte der große Kurfürst die dauernde Bewilligung einer regelmäßigen Jahreskontribution für das Heer. Nachdem er dies von 1662 an durchgesetzt hatte, war von einem Steuerbewilligungsrecht der Stände keine Rede mehr. Die Kontribution war eine ausschließlich auf dem bäuerlichen Besitz lastende Grundsteuer, während in den Städten die seit 1667 eingeführte Akzise erhoben wurde. Die Ritterschaft war kontributionsfrei (aber nicht ihre Bauern), trug aber, da alle bürgerlichen Gewerbe in den Städten konzentriert wurden, indirekt durch ihre Einkäufe zu der Akzise bei. Die Akzise diente gleich der Kontribution und den von der Ritterschaft erhobenen Ritterpferdgeldern, an deren Stelle im 18. Jh. der Lehnskanon trat, ausschließlich für Heerzwecke, ihr Ertrag floß daher in die Kriegskasse. Vgl. WCTTKE Einführung der Landakzise und der Generalkonsumtionsakzise in Kursachsen, Heidelb. Diss. 1890. 81 Vgl. B O B N H A K a. a. 0 . 2 , 97. ALR. I I 14 § § 11 ff. Über die sonstige Behandlung der Kammergüter vgl. R E Y S C H E R Rechte des Staates an den Domänen 1863. V O L L E R T Entstehung und rechtliche Natur des Kammervermögens 1857. Z A C H A B I Ä Eigentumsrecht am deutschen Kammergut 1864; Das rechtliche Verhältnis der fürstlichen Kammergüter 1861. R.

SCHRÖDER,

Deutsche Rechtsgeschichte. 5. Aufl.

56

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

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einer geregelten Finanzverwaltung, da das dem Mittelalter eigentümliche Anweisungssystem außer Gebrauch gekommen war; dazu kamen die kirchlichen Verhältnisse, Polizei- und Verkehrswesen, die staatliche Fürsorge für das gemeine Wohl u. dgl. m. Nach dem Vorgang der burgundisch-niederländischen Organisation sind die österreichischen Einrichtungen unter Maximilian I und Ferdinand I für ganz Deutschland vorbildlich geworden. Sie haben fast in allen deutschen Territorien im Lauf des 16. Jahrhunderts Nachahmung gefunden, in Osterreich selbst sich im wesentlichen bis in das 19. Jahrhundert erhalten, da die ßeformversuche unter Maria Theresia und Joseph II nicht zum Abschluß gelangten 82 . Als Zentralbehörden wurden der Hofrat (für Verwaltung und Rechtspflege) und die Hofkammer (für Finanzen und Rechtsprechung in Finanzsachen), außerdem 1556 der Hofkriegsrat eingesetzt. Die Hofkanzlei erhielt eine neue Organisation. Für vertrauliche Sachen wurde der Geheime Rat als ständige Kollegialbehörde eingerichtet. Als Mittelbehörden für die einzelnen Länder dienten die Regierungen oder Regimente in Justiz- und allgemeinen Landesverwaltungssachen, die Raitkammern (auch „Schatzkammern", „Kammerkollegien") in Finanzsachen. Die fiskalische Vertretung vor Gericht war Sache der Kammerprokuratoren, Die örtlichen Behörden behielten in Osterreich wie in den meisten übrigen deutschen Staaten noch ihre mittelalterliche Verfassung und wurden erst im 18. Jahrhundert teilweise reorganisiert. Nur in Preußen erfolgte gleichzeitig mit der Organisation der staatlichen auch die der örtlichen Landesverwaltung. Die brandenburgisch-preußische Verwaltungsorganisation beruhte bis 1806 auf den Einrichtungen Friedrich Wilhelms I 8 3 . Als Zentralbehörden errichtete er drei Ministerien, deren Geschäftsordnung auf dem strengsten Kollegialsystem beruhte; alles mußte entweder in einem Kollegium von Räten unter dem Vorsitz des Ressortministers oder in gemeinschaftlichen Sitzungen der Minister selbst erledigt werden. Die auswärtigen und Reichsangelegenheiten sowie alle Landeshoheitsachen und die Familienangelegenheiten des königlichen Hauses wurden dem Kabinetsministerium überwiesen. Während dieses zwei, später drei Minister an der Spitze hatte, bestand das Generaldirektorium (für Inneres und Finanzen) aus fünf, 88

Vgl. S. 834ff.861 und die dort angeführte Literatur. H Ü B E B , G. d. österr. Verwaltangsorganieation 1884. B E E B , Mitt. d. österr. Inst. 15, 237 ff. ROSENTHAL a.a.O. 1, 409ff. 2, 223ff. M . M A T E R Quellen zur Behörden-G. Baierns 1890. Über die Geheimratskollegien in Baiern, Kurpfalz, Würtemberg und Sachsen vgl. ROSENTHAL a. a. 0 . 1, 537ff.; Behördenorganisation 37ff., auch L O B E Oberste Finanzkontrolle des Königreichs Sachsen, bei SCHANZ, Finanzarchiv 2, 2 (1885). K E U S C H Entwickel. der braunschw. Zentralbehörden, Z. d. hist Ver. f. Nieders. 1893, S. 201 ff.; Eintritt gelehrter Räte in die braunschw. Staatsverwaltung, ebd. 1891, S . 60FF. 88

Vgl. die S. 8 6 0 f. angeführte Literatur. MEINABDUS Protokolle u. Relationen des brandenb. Geheimen Rates a. d. Zeit des Kurf. Friedr. Wilh. (Publikationen a. d. preuß. Staatsarchiven, 4 Bde 1 8 8 9 — 9 6 ) . ERDMANNSDÖRFFER (S. 7 9 9 ) 2 , 477ff.

§ 78. Territorien.

8. Finanzwesen u. Verwaltungaorganisation.

883

später vier Ministerien, die gewisse Angelegenheiten („Generaldepartement") gemeinschaftlich behandelten, im übrigen aber einzelnen, nach Sachen oder Provinzen verteilten Departements vorstanden. Schlesien erhielt einen eigenen, von dem Generaldirektorium unabhängigen Provinzialminister. Das Generaldirektorium beruhte auf der Vereinigung des vom großen Kurfürsten errichteten Generalkriegskommissariats mit dem Oberdomänendirektorium, der Hofkammer, Schatullverwaltung, dem Generalpostmeisteramt und mehreren anderen höchsten Behörden M . Jedem Provinzialbezirk stand als Organ des Generaldirektoriums eine Kriegs- und Domänenkammer, hervorgegangen aus einer Verschmelzung der früheren Kriegskommissariate und Amtskammern, und als Verwaltungsgericht eine Kammerjustizdeputation vor. In einigen Provinzen bestanden schon seit dem 16. Jahrhundert in Anlehnung an die alten Beritte (S. 625) und andere territoriale Gliederungen die Kreise, ursprünglich bloße Wahlbezirke für die Wahl der Landtagsausschüsse, die teils zu periodischer Mitwirkung bei der Regierung berufen waren, teils ein Mittelglied zwischen der Regierung und den Ständen bildeten. Aus bloßen Wahlkörpern hatten sich die Kreisstände allmählich zu öffentlichen Korporationen mit eigenen Kreistagen entwickelt. An ihrer Spitze standen Kreisdirektoren, die anfangs von den Kreistagen frei gewählt, dann aber durch die Verbindung mit dem Amt des Land- oder Marschkommissars (für die Verpflegung und Unterbringung der Truppen innerhalb des Kreises) zugleich zu Staatsbeamten wurden, deren Ernennung dem Landesherrn, auf Präsentation der Kreisstände, oblag. Da die Kreisdirektoren in der Regel zugleich als Kreisdeputierte in den Landtagsausschuß gewählt wurden, so wurde der für die letzteren übliche Titel „Landrat" allmählich zum Amtstitel für den Kreisdirektor. Als organische Einrichtung für die Landesverwaltung wurde die Kreiseinteilung unter dem großen Kurfürsten in mehreren Provinzen durchgeführt, im Lauf des 18. Jahrhunderts aber auf den ganzen Staat ausgedehnt. Zu den militärisch-fiskalischen Aufgaben der Landräte gesellten sich im Lauf der Zeit die Aufgaben der Landespolizei. Nach der Landesorganisation Friedrich Wilhelms I waren sie mit den ihnen zugeordneten Kreiseinnehmern und Ausreitern die ausführenden Organe der Kriegs- und Domänenkammern innerhalb der einzelnen Kreise; zu ihrer Beratung dienten die Kreistage. Die Kreisverfassung bezog sich aber nur auf das platte Land; die Städte wurden zu eigenen Inspektionsdepartements vereinigt und besonderen Steuerkommissaren, den späteren Kriegs- und Steuerräten, als Aufsichtsörganen unterstellt. Die Ortspolizei auf dem Lande blieb in den Händen der königlichen Domänenamtmänner (jetzt regelmäßig zugleich Domänenpächter) und der Gutsherrschaften, deren Organe die Ortsschulzen und Dorfgerichte waren. Das dritte Ministerium in der Organisation Friedrich Wilhelms I war 84

Seit Friedrich I hatte als oberste Finanzbehörde mit genau abgegrenzter Zuständigkeit die Geheime Hofkammer gedient. ' 56*

884

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

das Justizdepartement unter dem Großkanzler und mehreren Ministem, denen teils gewisse Provinzen, teils bestimmte sachlich abgegrenzte Geschäftskreise überwiesen waren. Die obersten Gerichtshöfe waren auf die Rechtspflege beschränkt, während die Appellationsgerichte (Provinziallandesjustizkollegien, Regierungen) zugleich die Justizverwaltung und gewisse andere Verwaltungssachen in den Provinzen besorgten. Der König selbst pflegte an den Verhandlungen der Ministerien nicht teilzunehmen; seine Entscheidungen erfolgten aus dem Kabinet, d. h. durch königliche Kabinetsschreiben (Cabinetsordres), bei deren Ausfertigung er sich nur seiner Kabinetssekretäre bediente. Die Zustellung an die Minister und sonstige Behörden erfolgte durch Feldjäger. Militärsachen wurden teils von dem direkt unter dem König stehenden Oberkriegskollegium, teils von dem Militärdepartement des Generaldirektoriums behandelt. Die Kultussachen waren den beiden geistlichen Departements des Justizdepartements überwiesen. Unter ihnen stand aueh das Oberkonsistorium und das Oberschulkollegium, denen die ProvinzialIconsistorien und Provinzialschulkollegien untergeordnet waren. Verwaltungsserichte zweiter und dritter Instanz waren das OberreVisionskollegium und die Oberrevisionsdeputation, beide dem Generaldirektorium und Justizdepartement gemeinsam unterstellt. Direkt unter dem König standen noch die Generalkontrolle der Finanzen, die Oberrechnungskammer und das Generalfiskalat, das die Beobachtung der Gesetze seitens der Beamten zu beaufsichtigen hatte. Der 1604 zuerst als Kollegium organisierte, 1651 mit einer neuen Geschäftsordnung versehene Geheime Rat, seit Friedrich Wilhelm 1 „Geheimer Staatsrat" oder „Geheimes Staatsministerium", bestand aus sämtlichen Ministern,' hatte aber keinen bestimmten Geschäftskreis und war daher ziemlich bedeutungslos, seine Sitzungen wurden immer seltener und kamen unter Friedrich dem Großen ganz außer Übung.

§ 79.

Die Städte.

Vgl. S. 632 ff. und die dort angeführte Literatur. PÜTTES Histor. Entwickelung 2, 207 ff. MÖSES Reichsstädtische Regimentsverfassung 1772. BABTHOLD, G. d. deutsch. Städte 4 , 3X1 ff. HAUSSE N Deutsche 6 . I 8 , 123 ff. BEBGHAUS Deutschi, vor hundert Jahren 1, 203 ff. 230. 284 ff. 353 ff. 442 ff. 2, 187 ff. L . v. MAURER, G. d. Städteverfassung 4 . 1871. ERDMAHNSDÖBFFEB a.a.O. 1, 81 ff, 178ff. 3 8 1 — 4 0 4 . ULMAMN a. a. O . 2, 600ff. HARSTES, ZGO. 34, 443ff. GOTHEIN, ebd. 4 , 129ff. WINCKELHANN Strasburgs Verf. u. Verw. im 1 6 . Jh., ebd. 18, 600 ff. RACHEL Verw.Organis. u. Amterwesen d. St. Leipzig bis 1627 (Leipz. Studien 8, 4. 1902). v. MÖLLEB Der Stadtschultheiß v. Bochum, ZRG. 38, 63ff. FUNK a. a. 0 . (§ 78 n. 74). GENQLEB Deutsche Städtepri vilegien 16.—18. Jh., Erlang. Festschr. f. Prinzregent Luitpold 1901. v. JAGEMANN Ein Nürnberger Ratsprozeß, N. Heidelb. JBB. 14, 173ff. FSENSDOBFF Das Zunftrecht Norddeutschlands u. d. Handwerkerehre, Hans. G.-Bl. 1907. FÜBSTENWEBTP Verfassungsänderungen i. d. oberdeutschen Reichsstädten z. Z. Karls V, Gött. Diss. 1893. LCSCHIN v. EBENQBEUTH Österr. Retchs-G. 446 ff.

§ 79.

885

Städte.

Die Reichsstädte, seit Wegfall der früheren Unterscheidung zwischen freien und Reichsstädten regelmäßig „freie Reichsstädte" (liberi imperii civitates) genannt, standen den übrigen Reichsständen jetzt wesentlich gleich. Die Reichsvogtei hatten die meisten abgelöst oder als Reiohspfandschaft erworben, gegen deren Wiedereinlösung seitens des Kaisers sie durch den westfälischen Frieden (S. 856) geschützt wurden; in Schweinfurt und Augsburg gab es noch Reichsvögte, die freilich vom Stadtrat selbst gewählt wurden; in Aachen, Wetzlar und bis 1715 in Nordhausen hatten sich benachbarte Fürsten im Besitz der Reichsvogtei erhalten; Köln und Worms standen in einer gewissen Abhängigkeit von dem Erzund Hochstift 1 , Friedberg von dem dortigen Burggrafen, Goslar vom Herzog von Braunschweig, Bremen eine Zeit lang von Schweden2. Der Streit zwischen Hamburg und Dänemark-Holstein wurde 1618 durch das Reichskammergericht zugunsten der Stadt entschieden. Ungeachtet ihrer teilweise bestehenden Abhängigkeit wurden sämtliche Reichsstädte im westfälischen Frieden hinsichtlich der Reichsstandschaft, der Landeshoheit über ihr Stadt- und Landgebiet und des Religionsbannes den übrigen Reichsständen völlig gleichgestellt3. In den Reichsstädten hatte der Rat, zum Teil auch die Bürgerschaft, dem Kaiser den Huldigungseid zu leisten. Die Reichsstädte hatten die Pflicht, Kaiser und Reichstag auf Verlangen bei sich aufzunehmen, von einem Ledigwerden der Regalien zugunsten des Kaisers für die Dauer des Reichstages war jedoch keine Rede mehr. Hier und da übte der Kaiser noch gewisse Regierungsrechte, z. B. in betreff der Frankfurter Messe (S. 870), aus. Einige Städte verfügten über ein eigenes Territorium (wie Nürnberg, Rotenburg, Ulm, Rottweil, Frankfurt, Aachen, Dortmund, Lübeck, Hamburg, Bremen, Mühlhausen), während andere (wie RegensbuTg, Augsburg, Köln, Goslar, Nordhausen) im wesentlichen auf die Stadtmark beschränkt waren. Die Verfassung beruhte überall in alter Weise auf den Bürgermeistern und dem Stadtrat, war aber im einzelnen sehr verschieden gestaltet. Dem streng patrizischen Regiment in Nürnberg, dem die Verfassung von Augsburg, Rotenburg o. d. Tauber, Heilbronn, Lindau, Frankfurt, Bremen, Nordhausen, Mühlhausen zunächst kam, standen andere mit wesentlich demokratischer Grundlage und einzelne demokratische Oligarchien gegenüber. Auf einer gesunden Vermittelung der Gegensätze beruhte namentlich die Verfassung Hamburgs. In gerichtlicher Beziehung bildete der Stadtrat meistens das Äppellationsgericht für das Stadtgericht. Nur das mächtige Nürnberg besaß ein eigenes Appellationsgericht und, wie Köln, eine eigene Universität (Altdorf). Unter den Bürgermeistern und Stadträten fanden sich jetzt regelmäßig mehrere rechtskundige Mitglieder. Die kleinsten Reichsstädte sorgten wenigstens für einen rechtskundigen Stadtschreiber, der

1

Vgl. KÖHNE Reformation des Wormser * V g l . ERDMAHNSDÖBFFEB 1, 1 7 8 ff. 3 9 5 ff.

3

Vgl. S.

8 4 1 . 8 6 6 . J P O . 5 § 2 9 . 8 § 4.

Stadtrechts

1 8 9 7 S . 19

ff.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

886

zugleich das Amt des Syndikus oder Beigeordneten versah. Die meisten Reichsstädte waren seit dem 30jährigen Krieg teils durch Überschuldung, teils durch innere Streitigkeiten und solche mit benachbarten Reiclsständen sowie kostspielige kaiserliche Kommissionen zu ihrer Begleichung in tiefe Zerrüttung geraten und wurden von vielen Landstädten, namentlich den fürstlichen Residenzen, an materiellem Vermögen weit übertroffen. Noch weniger als die Reichsstädte vermochten die Landstädte der aufstrebenden Staatsgewalt der Landesherren zu widerstehen4. Der Hansebund stand noch im 16. Jahrhundert in Ansehen, er wurde gelegentlich noch zu Beisteuern für das Reich angegangen 5 und traf in den Rezessen von 1591 und 1614 umfassende seerechtliche Bestimmungen, die sich zum Teil bis zum deutschen Handelsgesetzbuch erhalten haben 6 , aber eine Stadt nach der andern wurde durch ihren Landesherrn zum Austritt genötigt, und der Hansetag von 1630 sah nur noch die drei Städte Lübeck, Hamburg und Bremen, die als freie Reichs- und Hansestädte den Bund allein aufrechterhielten 7 . Nur wenige Landesstädte (wie Rostock, "Wismar, Stralsund, Greifswald) vermochten sich gegenüber der Landesgewalt eine größere Selbständigkeit zu erhalten. Alle übrigen kamen nach und nach zu Fall und wurden sogar in ihren berechtigten Ansprüchen auf Selbstverwaltung durch bureaukratische Bevormundung immer mehr verkümmert. In geringerem Maß war dies in solchen Territorien der Fall, wo die Landstände ihre alte Bedeutung behaupteten, weil hier die Städte durch die Landstandschaft einigermaßen für sich zu sorgen vermochten. Aber wo die Landstände zu bloßen Provinzial- und Kreisständen mit beschränkter Selbstverwaltung herabgedrückt wurden, wie in Österreich, Preußen und Baiern, sanken die Städte zu bloßen staatlichen Verwaltungsbezirken herab 8 . Die städtische Autonomie verschwand ganz oder wurde auf geringe Polizeisachen beschränkt. Das Befestigungsrecht verlor seine Bedeutung für die Städte, weil ihre Mittel nicht gestatteten, die neueren Befestigungsarten anzuwenden. Einige Städte wurden zu Landesfestungen, die meisten ließen ihre Werke verfallen oder erhielten sie nur zu steuerpolizeilichen Zwecken. Die Stadträte und Magistrate wurden zwar meistens noch von der Bürgerschaft oder einer Vertretung derselben gewählt oder durch Selbstergänzung berufen, bedurften aber obrigkeitlicher Bestätigung. 4

Vgl. Giebke Genossenschafter. 1, 679ff. Stbuben Nebenstunden 1, Abh. 5. Schulze Preußisches Staatsr. 1*, 459 ff. E. Meies Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg 70 ff. 5 Vgl. RA., von 1544 § 33 und 1576 § 22, 1582 § 21, 1594 § 8 (N. Samml. 2, 501. 8, 357. 402. 421). Fbensdorff Das Reich u. die Hansestädte, ZRG. 33, 115FF. 248. Sihson Organisation der Hanse in ihrem letzten Jahrhundert, Hans. G.-Bl. 1907 S. 207 ff. 8 Paedbssüs Collection de lois maritimes 2, 507 ff. 528 ff. 7

8

Vgl. Eichhobh 4, 277 ff. Pütter a. a. 0. 2, 195 f.

Die erste preußische Städteordnung (ALR. II Tit. 8 Abschn. 2) kam gegenüber den zahllosen, überaus verschiedenen Stadtrechten wegen ihrer bloß subsidiären Bedeutung nur wenig zur Geltung.

§ 80.

887

Reichsritterschaft und Reichsdörfer.

Ihre Geschäftsführung war namentlich in Preußen durch die staatlichen Aufsichtsorgane so beschränkt, daß sie den Charakter von Gemeindeorganen ganz verloren und nur noch als mittelbare Staatsbeamten erschienen. Eine Eigentümlichkeit der Stadtgemeinden blieb nur, abgesehen von- ihren etwaigen ständischen Befugnissen, die besondere Art der Besteuerung (Akzise), das Zunftwesen und die Beschränkung der meisten bürgerlichen Gewerbe auf den Betrieb in den Städten. Der Unterschied zwischen Landes- und Mediatstädten wurde durch das Herabsinken der städtischen Freiheit in den ersteren erheblich ausgeglichen9. Schließlich beschränkte er sich darauf, daß jene als Städte landesherrlichen, die anderen als Städte gutsherrlichen Patronates galten.

§ 80.

Die Reichsritterschaft und die Reichsdörfer.

Vgl. PFEFFINGER Vitriarius illustratus 3, 1134 ff. 4, 229 ff. 302 ff. ROTH VON SCHRECKENSTEIN, G. d. Reichsritterschaft, 2 Bde 1859—71. KERNES Staatsrecht

der Reichsritterschaft 1786—89. MOSER Vermischte Nachrichten von reichsritterschaftlichen Sachen, 1772; Neueste G. der Reichsritterschaft 1775—76. PERTHES Staatsleben 83 ff. PÜTTER Hist. Entwickelung 1, 457. 3, 74 ff. GIERKE Genossenschafter. 1, 836.

EICHHORM 3, 321 ff. 4, 309 ff. SCHULTE R G . § 104.

ZÖPFL R G . 2,

BEROHAUS Deutschi, vor 100 Jahren 2, 226ff. HIUSSER Deutsche G. I 3 ,114FF.

§ 72.

EBDMANNSDÖRFFER a. a. 0 . 1, 79 ff. RITTER a. a. O. 1, 13. 237 ff. WEISS D i e R e i c h s -

rittersch. beim Ende des alten Reiches, ZGO. 47, 289ff.

FELLNER Die fränk.

Rittersch. 1495—1524 (EBERING Hist. Studien 50. 1905).

In Süd- und Westdeutschland hatte sich der niedere Adel nebst den nicht zur Reichsstandschaft gelangten freien Herren im Lauf des 15. Jahrhunderts zu verschiedenen Ritterbünden vereinigt, die unter dem Schutz des 1487 errichteten großen schwäbischen Bundes 1 derartig erstarkten, daß ihre Mitglieder den auf Erweiterung ihrer Landeshoheit bedachten Fürsten und Herren erfolgreich widerstanden und für sich und ihre Besitzungen die volle Reichsfreiheit bewahrten. Seit 1500 unterschied man die drei „Ritterschaften" zu Schwaben, Franken und am Rhein. Sie traten 1577 zu einem Gesamtbunde, der Reichsritterschaft (libera et immediata imperü nobilitas), zusammen, der sich mit seiner 1650 reorganisierten Verfassung bis 1806 erhalten hat. Die mehrfach erstrebte und vom Kaiser befürwortete Reichsstandschaft ist der Reichsritterschaft nicht zu teil geworden, auch von der Kreisverfassung blieb sie ausgeschlossen. Dagegen wurde ihre unmittelbare Stellung von Reichs wegen dadurch anerkannt, daß ihr die Reichsgesetze besonders mitgeteilt, bei Reichssteuerbewilligungen aber regelmäßig direkte Verhandlungen mit ihr angeknüpft wurden, um sie ebenfalls zu einer Beisteuer (subsidium caritativum) zu » Vgl. ALR. II 8 §§ 166 ff. 1

GIERKE a. a. O. 1, 5 1 2 ff.

888

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

veranlassen2. Zur Heerfolge war die Beichsritterschaft an sich dem Reiche nicht verpflichtet, doch wurde in dringenden Fällen auch hierüber besonders mit ihr verhandelt3; im übrigen richtete sich alles nach den Lehnsverhältnissen der einzelnen Mitglieder. In den späteren Wahlkapitulationen mußten die Kaiser die Aufrechterhaltung der reichsritterschaftlichen Rechte ausdrücklich versprechen. Die Beichsritterschaft zerfiel in drei Bitterkreise (Schwaben, Franken und Rhein), die Kreise wieder in Kantone oder Orte. An der Spitze des Kantons stand ein Ritterhauptmann mit einigen Bitterräten und einem Kantonausschuß. Jeder Ritterkreis hatte seine Kreisversammlung und sein Direktorium. Die Versammlungen der drei Kreise wurden Korrespondenztage genannt. Im Direktorium lösten die Kreise einander ab. Die Mitglieder wurden mit ihren Besitzungen in eine Matrikel eingetragen. Die Besitzungen mußten eine gewisse Minimalgröße haben und durften nicht landsässig sein; dagegen machte es keinen Unterschied, ob sie Allode oder Lehen waren. Ein Reichsritter konnte neben seinen unmittelbaren Gütern auch landsässigen Besitz haben. Durch Yerlust des reichsritterschaftlichen Besitzes ging die persönliche ßeichsfreiheit an sich nicht verloren, ebenso behielten die reichsritterschaftlichen Güter ihren Charakter, auch wenn sie in andere Hände übergingen 4 . Die Aufnahme neuer Mitglieder oder Besitzungen in die Matrikel verlangte einen Mehrheitsbeschluß der betreffenden Kantons- und Kreisversammlung und die Zustimmung der beiden anderen Kreise. Die Beichsritterschaft als Korporation besaß das Becht der Besteuerung und der Autonomie 6 . Dagegen hatten die einzelnen Mitglieder ein Besteuerungsrecht nur, soweit es sich um Beichs- und Korporationslasten handelte, nicht zu eigenen Zwecken. Das Becht der Gesetzgebung besaßen sie nicht, wohl aber das der Hausgesetzgebung, im einzelnen Fall unter kaiserlicher Bestätigung. Ihr wichtigstes Recht bildete der Religionsbann 6 . Die meisten besaßen auch die hohe Gerichtsbarkeit, die sie jedoch in der Regel jedesmal neu vom Reich empfangen mußten 7 . Welche Hoheitsrechte sie außerdem auf ihren Besitzungen ausüben durften, richtete s Vgl. S. 843 n., 855. N. Samml. 2, 24 §§ 8. 9. 19—28 (RA. von 1495). 84 § 48. 488 § 28. 501 §§ 83. 3, 144 § 53. 221 § 49. 357 § 23. 402 § 22. 421 § 8. 558 § 33. 4, 7. 68. Die Verhandlungen über das subsidium caritativum beruhten nicht, wie man gewöhnlich annimmt, auf der von Steuern befreienden Ritterdienstpflicht, sondern auf der Anschauung, dafi ein Steueranschlag nur solchen auferlegt werden könne, die ihn bewilligt hätten, die vom Reichstag beschlossene Steuer also nur für die Reichsstände und ihre durch sie vertretenen Untertanen verbindlich sei. Zu den Kammerzielern trug die Reichsritterschaft nicht bei. ' Vgl. RA. von 1564 § 23 und von 1566 (N. Samml. 3, 206. 217). Ebd. 4, 5 (1664). 4 Bei Veräußerung an Fremde hatte die Genossenschaft das Vorkaufsrecht. * Über das sog. Geislinger Statut vgl. Reyscheb, ZDR. 6, 297 ff. 6 Augsb. Rel.-Friede von 1555 § 26 (N. Samml. 3, 20). JPO. 4 § 17. 5 § 2;8. 7 Als zweite Instanz dienten im Zweifel die kaiserlichen Landgerichte.

§81.

Niedergang des Reiches.

889

sich nach besonderer kaiserlicher Verleihung oder nachweisbarem Herkommen. Im übrigen hatte die beschränkte Landeshoheit nur die negative Bedeutung, daß alle etwaigen Hoheitsrechte, die einzelnen Reichsständen auf reichsritterschaftlichen Besitzungen zustanden, nur als öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten und nicht als Ausflüsse landesherrlicher Gewalt galten. Die Mitglieder der Reichsritterschaft besaßen für sich und ihre Güter den privilegierten Gerichtstand der Reichsunmittelbaren. Ihre Austragsinstanz war das Kantonsdirektorium. Außer der Reichsritterschaft gab es im Reich noch verschiedene unmittelbare adeliche Gauerbschaften, deren Rechtsverhältnisse, abgesehen von dem korporativen Element der ersteren, im wesentlichen dieselben waren 8 . Endlich waren von der Auflösung der Reichslandvogteien noch einige Dörfer übrig geblieben, die keiner landesherrlichen Gewalt unterworfen waren 9 . Sie hießen „Reichsdörfer" und befanden sich im Besitz einer ausgedehnten Selbstverwaltung, zum Teil der hohen Gerichtsbarkeit. Die protestantischen Reichsdörfer hatten eine gewisse Kirchenhoheit. Eine eigentliche Landeshoheit kam ihnen nicht zu.

§ 81.

Der Niedergang des Reiches.

Unter Maximilian I hatte man noch einmal den Versuch gemacht, den unverkennbaren Verfall des Reiches durch innere Reformen zu hemmen, aber die einem widerstrebenden Kaiser mit Mühe abgerungenen Reichsreformen waren ohne dauernden Erfolg geblieben. Indem dann die Kaiser es unternahmen, die kirchliche Bewegung, die den größten Teil des Reiches ergriffen hatte, mit Gewalt zu unterdrücken, gaben sie den Anlaß zu den verheerenden Kämpfen des schmalkaldischen und 30jährigen Krieges, wo Spanien, Frankreich und Schweden in deutschen Dingen den Ausschlag gaben und deutsche Gebiete die Beute des Auslands wurden. Aus dem westfälischen Frieden gingen die deutschen Territorien im wesentlichen als souveräne Staaten hervor, deren Unterordnung unter das Reich nur geringe Bedeutung hatte. Der Schwerpunkt der kaiserlichen Erblande 1 lag seit Sigmund außerhalb des Reiches. Unter der Krone Schweden standen Vorpommern und Wismar, bis 1719 auch das Herzogtum Bremen und das Fürstentum Verden, die dann auf Hannover übergingen; unter dem König von Dänemark das Herzogtum Holstein (Holstein-Gottorp von 1762 bis 1773 unter Rußland), von 1675 bis 1773 auch die Grafschaften Oldenburg

8 V g l . S . 862. BEBOHAUS a. a. 0 . 2, 294 f. * V g l . MAUBEB, G . d. Dorfverfassung 2, 3 6 4 — 4 1 2 .

BEBGHAUS a . a. 0 . 2, 2 9 6 ff.

BECKES Reichsdörfer der Landvogtei u. Pflege Hagenau, ZGRO. 53, 207 ff. 1 Die böhmische Krone war 1526, die ungarische 1527 an das Haus Österreich gekommen.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

890

und Delmenhorst; unter dem König von England seit 1713 das Kurfürstentum Hannover (Braunschweig-Lüneburg), samt dem Herzogtum Lauenburg (seit 1689 braunschweigisch) und den Fürstentümern Bremen und Verden; unter dem Erbstatthalter der vereinigten Niederlande die fürstlichen Lände von Nassau-Diez. Der brandenburgisch-preußische Staat gründete sein souveränes Königtum auf einen nicht zum Reiche gehörigen Landesteil. Der Kurfürst von Sachsen war von 1697 bis 1763 zugleich König von Polen. Der westfälische Friede hatte den deutschen Territorien die völkerrechtliche Persönlichkeit nur unter Vorbehalt der Rechte des Reiches bewilligt. Kriege unter den deutschen Staaten blieben untersagt. An einem Reichskriege hatten sich alle zu beteiligen. Gleichwohl stand Baiern im spanischen Erbfolgekrieg auf französischer Seite. Das Verbot der Fehde vermochte weder den österreichischen Erbfolgekrieg noch die beiden schlesischen Kriege und den siebenjährigen Krieg zu verhindern. Vom französischen Revolutionskrieg zog sich Preußen einseitig 1795 durch den Frieden von Basel, ebenso 1797 der Kaiser durch den Frieden von Campo Formio zurück, während der Reichskrieg, an dem sich Osterreich seit 1799 wieder beteiligte, erst 1801 durch den Luneviller Frieden beendigt wurde. Gegenüber der unheilbaren Zerrüttung des Reiches hatte Friedrich der Große in seinen letzten Regierungsjahren zum ersten Male den bemerkenswerten Versuch einer reichsverfassungsmäßigen Verbindung der deutschen Reichsfursten ohne den Kaiser gemacht. Der Fürstenbund, dem die Kurfürsten von Mainz, Sachsen, Hannover und zahlreiche kleinere Staaten beitraten, bezweckte ausschließlich die Aufrechterhaltung der bestehenden Reichsverfassung gegenüber den beständigen Übergriffen Josephs II 2 . Mit dem Anlaß, der ihn ins Leben gerufen hatte, kam auch der Fürstenbund nach wenigen Jahren seines Bestehens wieder in Wegfell.

Drittes Kapitel.

Die Rechtsquellen. Rechtsquellen 2, 1864. BBÜNNEB Grundz.8 242 ff. STINTZINQ U. LANDSBERO, G. d. deutsch. R.-Wissensch., 3 Bde 1880—1889. ROTH Deutsch. Priv.-R. 1. 1880. KRAUT Grundriß* §§ 13—18. A . B. SCHMIDT Geschichtl. Gründl, d. bürgert. R . im Großherz. Hessen, Gieß. Progr. 1893. AFFOLTER Das intertemporale Privat-R. 165ff. 177—219. 221—239. 242ff. 322ff. STOBBE

2

Vgl. RANKE Die deutschen Mächte und der Fürstenbund 1 7 8 0 — 9 0 , 2 Bde 1880. W. A. SCHMIDT, G. der preußisch-deutschen Unionsbestrebungen seit der Zeit Friedrichs des Großen 1 8 5 1 . H . MEYER Der Plan eines evang. Fürstenbundes im siebenjähr. Kriege, Bonner Diss. 1 8 9 3 . KOSER ( S . 7 9 9 ) 2 , 6 1 2 ff.

§ 82. Juristische Literatur.

§ 82.

891

Die juristische Literatur.

STOBBE 2, 4 0 ff. 143—182. 414—26. STINTZING, G. d. populär. Lit d. röm.kanon. R. in Deutschi. 1867; Ulrich Zasius 1857. BÖHLAÜ, Kr.VJSchr. 2 3 , 525 ff. 26, lff. MDTHEB, ZRG. 8, 99 ff. B R U N N E S , RG. 1, 14 ff. SECKEL Beiträge z. G . beider Rechte im M A . 1. 1898. A M I R A 2 2ff. SIEGEL RG.3 lff. 108ff. 128ff. 145ff. LÜSCHIN V. EBENGREUTH Österr. Reichs-G. 364IF. R E H M , G. d. Staatsrechtswissenschaft (1896) 231 ff. GIERKE Genossenschaftsr. 3 § 12; Johannes Althusius' 1902. GÜNTHER Wiedervergeltung 2, 74 ff. G. METER a. a. 0 . (S. 903) 92 ff.

Nach der Rezeption der fremden Rechte war es die nächste Aufgabe der Wissenschaft, diese dem Volk zugänglich und verständlich zu machen. Dies geschah zum Teil durch deutsche Rechtsbücher, in denen, wie schon in der Glosse zum Sachsenspiegel und Sachs. Weichbild, neben den benutzten einheimischen Quellen auch römisches und kanonisches Recht herangezogen wurde. Zu nennen sind hier 1 ' die Bearbeitungen des Sachsenspiegels von M e l c h i o r K l i n g (1542), die Erbrechtsregeln und die Schriften des Lorenz F r i e s über würzburgisches Gerichtswesen, namentlich sein Zentbuch2. Ein wertvolles, überwiegend rein deutschrechtliches Werk aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist das R ü g i s c h e L a n d r e c h t oder der W e n d i s c h - R ü g i a n i s c h e L a n d g e b r a u c h des Matthäus Normann 3 . Mechanische Zusammenstellungen der Abweichungen -des heimischen Rechts von dem römischen enthielten die sogenannten D i f f e r e n t i a e , während Werke aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, wie der Usus modernus pandectarum von S t r y k und S c h i l t e r s Praxis iuris Romani in foro Germanico das deutsche Recht in systematischem Zusammenhang mit dem römischen behandelten4. Den Notaren dienten verschiedene F o r m e l b ü c h e r oder Rhetoriken. Das römische Recht suchte man teils durch deutsche Übersetzungen, teils durch populäre Darstellungen zugänglich zu machen. Die älteste und ausführlichste Darstellung des römischen Rechte in deutscher Sprache ist der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich in Schwäbischhall verfaßte „ K l a g s p i e g e l " , später „Richterlich Klagspiegel" genannt. Das Werk behandelt das bürgerliche Recht, Strafrecht und Strafverfahren. Der Verfasser ist unbekannt. Irrtümlich wurde später Sebastian Brant für den Verfasser gehalten, weil der Klagspiegel seit der 6. Auflage (1516) von ihm, und zwar als zweiter Teil des Laienspiegels, 1

Erwähnung verdient auch die „Summa der rechte w e g gnant", vgl.

BÖHLATJ, Z R G . 8 , 1 6 5 FF. 3 2 5 . STINTZING U. LANDSBERG 1, 1 2 . 2 Vgl. ROCKINGER Magister Lorenz Fries, Abh. d. Münch.

Ak. 11, 149ff.; Über fränkisch-wirzb. Zentbücher, Münch. SB. 1872. 3 Ausgaben: FROMMHOLD 1896 (vgl. ZRG. 29, lff.). GADEBUSCH 1777. D K E T E R Monumenta aneedota 1. 1760. Vgl. HOMEYER Historiae iuris Pomeranici capita quaedam, Berl. Diss. 1821. HEINEMANN Matth, v. Normanns Denkschrift üb. d. Aufzeichn. der rüg. Landr., Pomm. JBB. 5, 85 ff. FROMMHOLD Eine Aufzeichn. rügischen Landrechts von Lorenz Kleist, ebd. 7, 257 ff. 4

Vgl.

STINTZING u . LANDSBERG 3 , 5 4 ff. 6 4 ff.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

892

herausgegeben wurde6. Der Laienspiegel (1509) war ein Werk des Ulrich Tenngier, Landvogt zu Hochstedt, früher Stadtschreiber zu Nördlingen 6 . Er schöpfte neben dem römischen und kanonischen Recht auch aus dem unmittelbaren Bechtsleben. Außer gemeinrechtlichen Quellen benutzte der Verfasser die italienische Jurisprudenz, besonders das Speculum des Durantis, ferner die Magdeburger Fragen, den Schwabenspiegel, den Klagspiegel und andere populäre Werke, die Bamberger Halsgerichtsordnung und die wichtigsten Reichsgesetze seiner Zeit. Der Laienspiegel sollte den bei der Rechtspflege beteiligten Laien als Handbuch dieDen. Er umfaßte Privatrecht, Strafrecht und Prozeß; man hat ihn nicht mit Unrecht als eine „Realenzyklopädie des gesamten weltlichen Rechtes" bezeichnet. Er verdrängte alsbald die gesamte übrige Literatur dieser RichtungT, nur der ihm von Seb. Brant als Anhang angefügte Elagspiegel vermochte sich neben ihm zu halten. Beider Ansehen verschwand erst, als der Laienstand gänzlich aus den Gerichten geschieden war. Aus der Praxis des Reichskammergerichts gingen die „Practicae observationes" des Andreas Gaill (1578) hervor, ein Werk das sich bis tief in das 18. Jahrhundert des größten Ansehens erfreute, zahllose Auflagen und selbst eine Übersetzung ins Deutsche erlebte8. Die von den Italienern überkommene Neigung, den Prozeß in dramatischer Form, als Prozeß des Teufels gegen Christus oder Maria, zu behandeln, begegnet schon bei Tenngier9. Bemerkenswert in dieser Richtung sind die Schriften des bekannten ältesten deutschen Dramatikers J a c o b Ayrer (f 1605) 10 und die bereits erwähnten F a s t n a c h t s p i e l e (S. 724). An den deutschen Universitäten wurde bis Mitte des 15. Jahrhunderts ausschließlich kanonisches Recht und lombardisches Lehnrecht gelehrt. Die einheimische Gesetzgebung wurde nur beim Strafrecht berücksichtigt Als Schriftsteller auf dem Gebiet des Strafrechts ragten seit Mitte des 17. Jahrhunderts B e r l i c h (1586—1638) und Benedict Carpzov (1595—1666) hervor11. Der erste Lehrstuhl für Naturrecht wurde 1 6 6 1 in Heidelberg errichtet und mit S A M U E L P U F E N D O B F besetzt12. 6

Vgl. STINTZING Popul. Liter. 337ff. 451 ff.; G. d. E W . 1, 43. 93.

* V g l . STINTZING a . a . 0 .

4 1 1 ff.

' Hervorzuheben sind noch die Schriften von P e r n e d e r u. G o b i e r (Mitte des 16. Jh.). Vgl. § 83 n. 9. Das „Statutenbuch" des letzteren ist eine bloße Kompilation aus seinen sonstigen Schriften und den Werken Perneders. Vgl. STINTZING, G. d. RW. 1, 573 ff. 582 ff. Besondere Berücksichtigung der Partikularrechte zeichnet die Werke von M e u r e r aus. 8 Vgl. BURCKHABD Andreas Gaill, Wurzb. Rekt.-Rede 1 8 8 7 . STINTZING, G . d. RW. I, 495ff. 9 Vgl. STINTZING Pop. Litter. 2 5 9 ff. 10 Vgl. ebd. 278. "

V g l . STINTZING U. LANDSBEBG, G . d . R W .

Vgl. S . 8 6 8 . Deutsche Biographie 11

STINTZING 26, 701

U.

ff.

LANDSBERG

VARRENTRAPP

lff. 193 ff. TREITSCHKE, Preuß. J B B . 35. 36.

1, 7 3 6 ; 2 , 5 ff. 5 5 ff.

1 1 ff., Noten S . 7ff. BRESSLAU, Briefe von Pufendorf, Hist. Z . 7 0 , 3,

§ 82.

Juristische Literatur.

89S

An derselben Universität war schon 1604 angeregt worden, die Professur des ius canonicum durch eine solche des ius Germanicum antiquum zu ersetzen, der Vorschlag wurde aber von der Fakultät abgelehnt. Ausgaben der Volksrechte und Kapitularien, aber noch ausschließlich zu antiquarischen Zwecken, wurden bereits im 16. und 17. Jahrhundert von Sichard, Herold und Lindenbrog veranstaltet. Unter den deutschen Publizisten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ragt besonders J o h a n n e s A l t h u s i u s (1557—1638) hervor. Einer seiner heftigsten Gegner war der Begründer einer wissenschaftlichen deutschen Rechtsgeschichte, H e r m a n n Conring zu Helmstedt (1606—1681), dem wir außer seinem bahnbrechenden Werk De origine iuris Germanici (1643) und der staatsrechtlichen Schrift De Germanorum imperio Romano noch verschiedene andere Arbeiten über deutsche Verfassungsgeschichte und Staatsrecht verdanken13. Ein für seine Zeit musterhaftes, auch heute noch sehr wertvolles Werk war die zuerst 1631 erschienene „Iuleiding tot de hollandsche rechtsgeleerdheit" des großen Völkerrechtslehrers Hugo de Groot 1 4 . Die auf Conring fußende rechtsgeschichtliche Forschung bewegte sich im übrigen zunächst auf dem Gebiet des Staatsrechts. Außer den schon S. 831 und 868 genannten Schriftstellern sind hier namentlich Rhez, Schweder, Textor, Pfeffinger, Lünig, Sagittarius, Obrecht und Datt 15 , ferner Gundling 16 , J.J.Moser 1 ', Häberlin18, J. S. Pütter 1B , v. Ludewig20, Schmauß21, sämtlich dem 18. Jahrhundert oder dem Ende des 17. Jahrhunderts augehörig, hervorzuheben. Für die Wissenschaft des deutschen Privatrechts wirkteil namentlich Schilter und Thomasius (1655—1728)22. Der letztere hat schon vor 1705 an der Universität Halle und sein Schüler Beyer seit 1707 an der Universität Wittenberg die ersten Vorlesungen über deutsches Privatrecht gehalten23. Um dieselbe Zeit erhielten verschiedene Universitäten eigene Lehrstühle für Partikularrechte. Der wissenschaftlichen Pflege des deutschen Privatrechts widmeten sich besonders Heineccius, Selchow und Runde2*, der Geschichte des Privatrechts namentlich Brunnquell26. Auf vorwiegend antiquarischem Gebiet bewegten sich die Arbeiten von Estor, H. Chr. v. Senckenberg, Olenschlager, Grupen, Strube, 19

3ff.

Vgl.

Hermann Conring 1 8 7 0 . STINTZING U. LANDSBERQ Deutsche Biographie 7 , 446ff. Neueste Ausgabe von FOCKEMA A N D R E A 1 8 9 5 . Über diese vgl. STINTZING U. LANDSBERQ 3, 40—48, Noten S . 21—28. Ebd. 3, 122 ff., Noten S. 72 ff. Ebd. 3 , 315ff., Noten S . 212ff. H. SCHÜLZE J. J. Moser 1 8 6 9 . Ebd. 3, 430, Noten S. 276. Ebd. 3, 331, Noten S. 217 f. FRENSDORFF, D. Biographie 26, 749ff. Ebd. 3, 117ff., Noten S. 68ff. Ebd. 3, 125ff., Noten S. 74ff. Ebd. 3, 55ff. 71 ff., Noten S. 82ff. 45ff. Vgl. ebd. 3, 90. 137 ff., Noten S. 55. 88. Ebd. 3, 179ff. 354ff. 451. 453, Noten S. 122ff. 226. 288. Ebd. 3, 177, Noten S. 120.

165FF. 14 11 14

"

19

"

20

" « " " »

S. 868.

BBESSLAU,

STOBBE

2,

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

894

Fr. Es. v. Pufendorf, Dreyer26. Als wirkliche Rechtshistoriker bewährten sich Mascov, Justus Moser, Reitemeier und Chr. G. Biener27. Sie sind als die Vorgänger der historischen Rechtsschule zu betrachten, durch die erst eine wahrhaft wissenschaftliche Methode begründet wurde. § 83.

Die Reichsgesetze.

Vgl. §72. STOBBE 2, 183—205. Ausgaben: ZEUHER Quellensammlung Nr. 148 bis 181. Neue Sammlung (S. 799). GERSTLACHER HB. d. teutach. Reichsgesetze, 11 Bde 1786—1794. EMMINQHAUS Corp. iur. Germ, academicum, 2 Bde 1844—1856. LEHMANN Quellen z. deutsch. Reichs- und RG. 1891.

Seit Maximilian I hatte die Reichsgesetzgebung einen außerordentlichen Aufschwung genommen, der trotz der Unterbrechung durch die Religionskriege bis 1654 anhielt. Der ständig gewordene Reichstag hat nichts Erhebliches mehr geleistet. Während die Reichsreformgesetze meistens nur vorübergehende Bedeutung behielten, kann man den ewigen Landfrieden von 1 4 9 5 1 und den Augsburger Religionsfrieden von 1555, der sich zugleich als „gemeine Constitution aufgerichteten Landfriedens" bezeichnete2, gewissermaßen als Reichsgrundgesetze betrachten. Ein wahres Reichsgrundgesetz war aber das westfälische Friedensinstrument, das sich selbst als solches bezeichnete und die Aufnahme seiner Bestimmungen in den nächsten Reichsabschied und die Wahlkapitulation vorschrieb: Sit kaec transactio perpetua lex et pragmatica imperii sandio, imposterum aeque ac aliae leges et constitutiones fundamentales imperii, nominatim proximo imperii recessui ipsique capitulationi caesareae inserenda, obligans non minus absentes quam praesentes, ecclesiasticos aeque ac políticos, sive status imperii sint sive non3. Bestätigt wurde diese Bestimmung durch den JRA. von 1654, der die Friedensurkunden von Osnabrück und Münster seinem Text einfügte und sie feierlich vor ein gegebenes Fundamentalgeselz des heil. Reicks und immerwährende Richtschnur und ewige norma iudicandi erklärte4. Auch die Wahlkapitulation, obwohl nach der Art ihres Zustandekommens überhaupt kein Reichsgesetz (S. 838), hatte tatsächlich die Bedeutung eines Reichsgrundgesetzes, s*

Ebd. 3, 240—263. 269f., Noten S. 156—177. 183ff. " Ebd. 3, 128f. 496. 498. 501, Noten S. 76. 316f. 1 ALTMANN U. BERNHEIM* 254. N. Samml. 2, 3ff. ZEÜMER Nr. 148. * Der Religionsfrieden bildet einen Teil des Augsb. RA. von 1555 §§ 7—30 ( Z E U H E R Nr. 163. N. Samml. 3, 16ff. Sonderausgabe von BRANDI 1896). Den sog. „geistlichen Vorbehalt" des § 18 (vgl. § 78 n. 9) hatte König Ferdinand I dem Religionsfrieden beigefügt, und zwar kraft einer ihm von den Reicbsständen erteilten Vollmacht, wenn auch unter ausdrücklicher Verwahrung der evangelischen wie der katholischen Stände gegen die Annahme ihrer Einwilligung in die von ihnen bekämpften Bestimmungen und deshalb mit dem Zusatz, daß eine Einigung der Stände in diesem Punkt nicht zu erzielen gewesen sei. ' JPO. 17 § 2. JPMunster. § 112 (116). N. Samml. 3, 602. 619. * JRA. §§ 4—6, N. Samml. 3, 642. ZEÜMER 383.

§ 83.

Reichsgesetze.

895

Sehr umfassend war die Reichsgesetzgebung über Verfassung und Verfahren des Reichskammergerichts (S. 848ff.), Münzwesen (S. 858 f.) Kreisverfassung (S. 847) und Heerwesen (S. 853), obwohl es zu einer dauernden Regelung des letzteren nicht kommen wollte. Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 (S. 858) zogen auch einige privatrechtliche Verhältnisse in ihren Bereich, und dasselbe war bei der Notariatsordnung von 1512 der Fall 5 . Im übrigen beschränkte sich die Reichsgesetzgebung im Gebiet des Privatrechts auf einige Bestimmungen über die gesetzliche Erbfolgeordnung, und zwar hier in einer jede partikularrechtliche Abweichung ausschließenden Form 8 , während der Landesgesetzgebung bei anderen das materielle Recht betreffenden Reichsgesetzen freier Spielraum gelassen zu werden pflegte7. Zivilprozessualische Bestimmungen, namentlich die Abkürzung des Verfahrens bezweckend, wurden in den auch sonst sehr inhaltreichen JRA. von 1654 aufgenommen8. Weitaus das bedeutendste Reichsgesetz war die sogenannte Carolina (CCC., d. h. Constitutio Carolina Criminalis), die peinliche oder Halsgerichtsordnung (HGO.) Karls V von 1532®. Wie auf dem Gebiet des Prozesses, so hatte auch auf dem des Strafrechts die Rezeption des römischen Rechts lediglich die Bedeutung einer Rezeption der italienischen Jurisprudenz gehabt, nachdem diese schon geraume Zeit vorher die volle Herrschaft über die italienische Praxis erlangt hatte; in Deutschland wurden ihre Erzeugnisse selbst von Schwarzenberg als die keiserlichen recht bezeichnet. Die italienischen Juristen, von denen für Deutschland besonders * N. Samml. 2, 151 ff. Art. 1 handelt von Testamenten, Art. 3 von Prozeßvollmachten. Das Vormundschaftsrecht behandeln RPO. von 1548 Art. 31 und von 1577 Art. 32 und RA. von 1570 (N. Samml. 2, 602. 3, 317 f. 394). 6 Freiburger RA. von 1498 § 37 (N. Samml. 2, 46) über das Eintrittsrecht der Enkel; Wormser RA. von 1521 §§ 18—20 (ebd. 2, 206) Uber das der Kinder verstorbener Geschwister; Speierer RA. von 1529 § 31 (ebd. 2, 299) über die successio in capita für die Rinder der Geschwister unter sich. Vgl. S. 770. STOBBE 2, 203f. ZRG. 31, 179f. ' Vgl. 8

S. 8 1 2 .

869.

897.

STOBBE 2 ,

186.

JRA. §§ 34—103. 107 (N. Samml. 3, 647—60). Diese Bestimmungen sollten auch bei den Landesgerichten zur Anwendung kommen, während § 137 der Wunsch ausgesprochen wurde, daß auch das reichskammergerichtliche Verfahren möglichst bei den Landesgerichten eingeführt werde. e Von den zahlreichen Ausgaben ist hervorzuheben ZÖPFL Die peinl. 6 0 . Kaiser Karls V nebst der Bamberger u. d. Brandenburger HGO., mit den Projekten der peinl. GO. Karls V von 1521 und 1529, Heidelberg 1842 (auf Grund des im praktischen Rechtsleben allein verwendeten Textes der Editio princeps von 1533). Auf einer Kölner Handschrift beruht die Ausgabe von KOHLER U. SCHEEL Die Carolina u. ihre Vorgängerinnen 1. 1900. Vgl. HERING Die Carolinahandschrift R. 1, ein Beitr. z. Carolinischen Quellenforschung 1904 (vgl. SCHREUER, ZRG. 39, 341 f.). GÜTERBOCK Entstehungs.-G. der Karolina 1876. HÄLSCHNER Preuß. Strafr. 1, 78ff. v. B A R , G. d. deutsch. Str.-R. §§ 40—45. STOBBE 2, 245 ff. STINTZINQ, G. d. RW. 1, 621 ff. Über einen Kommentar zur CCC. vgl. KANTOROWICZ Gobiers Karolinenkommentar 1904 (vgl. KRAMMEB, ZRG. 39, 342). Über den Inhalt des Gesetzes vgl. GÜNTHER Idee der Wiedervergeltung 1, 285 ff.

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

896

Gandinus, Angelas Aretinus und Bartolus in Betracht kamen, entnahmen aus dem römischen Recht die Hervorhebung des im deutschen Strafrecht zu wenig berücksichtigten Schuldmomentes, die Unterscheidung zwischen dolus und culpa, die Lehre von der Notwehr und dem Versuch 10 . Sie betonten das öffentliche Prinzip des Strafrechts und verlangten Unabhängigkeit der Bestrafung von dem Willen des Verletzten. Im übrigen beließen sie es bei der germanischen Einteilung der Delikte und dem germanischen Strafensystem. Neben dem römischen Recht betrachteten sie die Statutarrechte und die consuetudo generalis als vollgültige Rechtsquellen und nahmen nichts aus den römischen Satzungen auf, was dem Rechtsbewußtsein ihrer Zeit widersprach. In Deutschland wurde die italienische Strafrechtsdoktrin hauptsächlich durch den Klagspiegel volkstümlich gemacht, weiter ging sie über in die Wormser Reformation von 1499 und die beiden Ealsgerichtsordnangen Maximilians I für Tirol (1499) und Radolfzell (1506) u . Hauptsächlich auf diesen Quellen beruhte die von Johann von Schwarzenberg verfaßte Halsgerichtsordnung des Bischöfe Georg von Bamberg, die sog. Bambergensis von 1507, die gleichzeitig ebensowohl den Charakter eines Gesetzbuches wie den eines von Amts wegen zusammengestellten Lehrbuches des italienischen Strafrechts trug 11 . Vermöge ihres inneren Wertes, durch den sie ihre Vorgänger weit überragte, wurde die Bambergensis bald auch in verschiedenen Gerichten außerhalb des Bamberger Gebietes rezipiert, sie fand Eingang in den Laienspiegel und wurde der brandenburgisch-fränkischen HGO. von 1516 zugrunde gelegt Auch der auf Beschluß des Wormser Reichstages von 1521 noch in demselben Jahr verfaßte erste Entwurf der Carolina beruhte durchaus auf der Bambergensis, daneben auf dem „Correctorium in der Bamberg. HGO.", einer Sammlung bambergischer Entscheidungen und Verordnungen von 1507—1515 1 S . Erst nach zwei weiteren Entwürfen (Nürnberg 1523, Speyer 1529) wurde der dem Augsburger Reichstag von 1530 vorgelegte vierte Entwurf auf dem Regensburger Reichstag von 1532 endlich angenommen 11 . Die lange Verzögerung der gesetzgeberischen

10

Vgl.

1895—97. 11

KOHLER

Strafr. d. ital. Statuten

12.—16.

Jh., Studien a. d. Strafr.

2.

Vgl. WAHLBEBG Die maximil. HG.-Ordnungen, HAIMEBLS VJSchr. 4, 1 3 1 ff. " Aasgabe von KOHLES U. SCHEEL a . A . O . 2 . 1 9 0 2 . Über Schwarzenberg, der als Hofmeister des Bischofs von Bamberg Vorsitzender des fürstlichen Hofgerichts war, vgl. ebd. S . 6 5 ff. HEBBMANN Johann v. Schwarzenberg 1841. Ssitz Das Bamberger Hofgerichtsbuch mit den Urteilen Schwarzenbergs, Z R G . 2 , 4 8 5 T L BBDNNENMEIBTER Quelle der Bambergensis, 1879. STINTZINQ 1 , 608 ff. STOBBE 2 , 2 4 1 ff. 1( Ausgabe bei KOHLES U. SCHEEL a. a. 0. 2, 121 ff. 14 Ober die Publikation vgl. GÜTERBOCK a. a. 0. 206 ff. Kurfürst Albrecht von Mainz, der ein besonderes Interesse für das Gesetz zeigte und von dem die ganze Anregung ausgegangen sein dürfte, hatte für seine Lande schon seit. 1527 in seinen Stadtordnungen und anderen Erlassen die Einführung der HGO. nach dem Wormser Entwurf von 1521 angeordnet Vgl. Oberrh. Stadtrechte 1, 179f. 202. ZRG. 31, 181 f. 34, pg. 5.

§ 84.

897

Landesgesetzgebung.

Arbeit wurde durch den einer einheitlichen Strafgesetzgebung widerstrebenden Fartikularismus der Reichsstände veranlaßt, bis der Kaiser sich entschloß, dem Gesetz die sog. salvatorische Klausel beizufügen, wonach den alten wolherbrachten

rechtmessigen

und bülichen gebreuchen

nichts be-

nommen sein, das Gesetz also, soweit es nicht im einzelnen absolute Bestimmungen enthielt (Art. 218), gegenüber den bestehenden Partikularrechten nur subsidiäre Geltung haben sollte15. Die Carolina war eine vielfach verbesserte Bearbeitung der Bambergensis und gleich dieser und den älteren Vorarbeiten zunächst eine Strafprozeßordnung, in welche die Bestimmungen über das materielle Strafrecht (Art. 104—180) an gelegener Stelle eingeschoben wurden 16 . Sie war die erste wirkliche Kodifikation, durch die auf dem Gebiet des Strafrechts und Strafprozesses der Dualismus des einheimischen und des fremden Bechts überwunden wurde. Sie hat das deutsche Recht zwei Jahrhunderte hindurch beherrscht17.

§ 84.

Die Landesgesetzgebung.

Vgl. S . 805ff. E I C H H O B N RG. §§ 560. 618; Pr.-R. §§ 15—17. G I E R K E Pr.-R. 1, 66 ff. STOBBE Rqu. 2, 206 ff. 287ff.256—78. 336—413. 443—63. 476 ff. STINTZING U . L A N D S B E R G , G. d. E W . 1, 537ff. 551ff. 3, 214ff. S I E S E L RG.' U l f . KLEMFEUEB Deutsche Partik.-Gesetzg. über Zivilprozeß (Mäncb. Festg. f. Planck 1887). v. LÜSCHIN Öst. Reichs.-G. 345—64. 374ff. MOTLOCH, Öst. St.-WB.* noter: Landesordnungen u. Landbandfesten, MAURENBBEOHER Rbeinpr. Landrecht, 2 Bde 1830—31. A . B . S C H M I D T Geschichtl. Grandlagen d. bürg. R. im Großherz. Hessen, Gieß. Progr. 1893. CABLEBACH Bad. RG. 71 ff.

Die Rezeption der fremden Rechte und die Ausbildung der Landeshoheit zu einer wahren Staatsgewalt gab im 16. Jahrhundert den Anlaß zu einer außerordentlich lebhaften Landesgesetzgebung, die überall, wo die Reichsgesetzgebung keine absoluten Bestimmungen traf, den Vortritt vor dieser hatte 1 . Es handelte sich hauptsächlich darum, den bei der Rechtspflege beteiligten Laien gewissermaßen durch amtliche Lehrbücher die für sie unentbehrlichen Kenntnisse zu übermitteln, andererseits aber auch das einheimische Recht vor Übergriffen der gelehrten Juristen zu schützen, die vielfach nur das geschriebene Recht berücksichtigten, das Gewohnheitsrecht dagegen nur, wenn es von der sich darauf berufenden Partei nachgewiesen wurde. Dazu kam, daß die Rechtsanschauungen unter dem Einfluß der Rezeption vielfach andere geworden waren und eine Revision der bestehenden Ordnungen verlangten, die zahllosen Kontroversen unter den Rechtsgelehrten nur im Weg der Gesetzgebung abzuschneiden waren und der neu aufgekommene Begriff der „Polizei" ein 15 Daß auch spätere Landesgesetze der CCC. vorgehen sollten, entsprach jedenfalls nicht der Absicht. Vgl. GÜTERBOCK 197. 16 Vgl. SCHÖTENSACK Strafprozeß der Carolina 1904. 17 Über ihre Einführung in Polen vgl. D A B G Ü N , Z R G . 23, 168 ff. 1 Vgl. S. 895. EICHHOBN 4, 2 9 2 ff. P F E F F I N G E B Vitr. illust. 3, 1149.

E. SCHRÖDER, Deutsche Rechtügeachichte. 6. Aufl.

57

898

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

bis dahin unbekanntes Gebiet staatlicher und gesetzgeberischer Fürsorge aufgeschlossen hatte. Während es in manchen Ländern nur zu Einzelgesetzen oder einer dürftigen Aufzeichnung einzelner Gewohnheitsrechte kam, wurde in anderen eine gewissenhafte Tätigkeit in der Abfassung ausführlicher Landrechte oder Landrechtsreformationen entwickelt. Vielfach wurden dabei fremde Land- oder Stadtrechte zugrunde gelegt oder ohne Änderung einfach übernommen. Immer beschränkte man sich auf die wichtigsten Gegenstände, eine erschöpfende Behandlung wurde nicht beabsichtigt; subsidiär hatte sich der Richter an das gemeine Recht, bei einheimischen Rechtsmstituten an das Gewohnheitsrecht zu halten, soweit es nicht, wie in manchen Landrechten geschah, ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Den Hauptinhalt bildeten Gerichtsordnungen (Gerichtsverfassung und Zivilprozeß) und Privatrecht; weniger geschah seit 1532 für Strafrecht und Strafprozeß, wo durch die Carolina ausreichend gesorgt war. In manchen Territorien handhabte der Landesherr das Recht der Gesetzgebung durchaus einseitig, ohne Mitwirkung der Stände, in anderen wenigstens bei solchen Gesetzen, die dem Land keine Lasten auferlegten; andererseits gab es Territorien, in denen nichts ohne die Stände geschehen durfte 2 . Zuweilen zogen sich diese bei der Abfassung von Landrechten freiwillig, unter Berufung auf ihre mangelnde Rechtskenntnis, von der Mitwirkung zurück, was regelmäßig dabin führte, daß die mit der Abfassung betrauten Juristen der Arbeit ein römischrechtliches Gepräge gaben und das deutsche Recht mehr oder weniger verdrängten. Bei der Abfassung des würtembergischen Landrechts (1555) wurde das ausgezeichnete Material, das man durch Anfragen bei den Gerichten zusammengebracht hatte, als unbrauchbarer Wust beiseite geschoben und keiner Berücksichtigung gewürdigt 3 . Höchst mangelhaft waren die Einrichtungen für die Publikation der Gesetze. Man begnügte sich mit dem Druck, dem Ausruf durch einen Herold oder der Verlesung von den Eanzeln, in Rathäusern oder auf den Märkten, später begegnet auch Bekanntmachung durch öffentlichen Anschlag. Zuweilen wurde, wie am Schluß des Solmser Landrechts, nach dem Vorbild der Weistümer jährliche Verlesung in den Gerichten vorgeschrieben. Im 16. Jahrhundert überwogen die Landrechte und Landesordnungen, letztere mehr polizeilichen Inhalts und an die Reichspolizeiordnungen anknüpfend oder deren Bestimmungen wiederholend. Daneben ergingen zahlreiche Einzelgesetze über die verschiedensten Gegenstände. Das 17. Jahrhundert und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts waren an größeren gesetzgeberischen Erzeugnissen arm, dagegen überwucherte, wenn auch ohne jeden fruchtbaren Gedanken, die Einzelgesetzgebung. Inner* Über Verhandlungen der österr. Stände mit Maximilian II wegen des Entwurfes einer Landtafel des Erzherzogt. Österreich vgl. MOTLOCH, Z K G . 3 4 , 2 3 5 FF. 3 Mitteilungen aus den Materialien bei FISCHER Versuch über die G . der teutsch. Erbfolge 2 , 1 7 7 8 . KEYSCHER Samml. altwürtemberg. Statutarrechte 1 8 3 4 . Benutzt sind sie bei WÄCHTEB Würt. Privatrecht.

§ 84.

Landesgesetzgebung.

899

halb der Territorien wurde auch seitens einzelner Gerichtsherren eine gewisse Gesetzgebung in Aufstellung von Gerichtsordnungen, Dorfordnungen u. dgl. ausgeübt. Unter den Einzelgesetzen treten namentlich Gerichtsordnungen4, Halsgerichtsordnungen (S. 895), Lehnsmandate (-Edikte, -Konstitutionen), Wechselordnungen, Deichrechte, Bergrechte und in den protestantischen Ländern Eirchenordnungen hervor5. Eine Kodifikation des Verfassungsrechts war der Tübinger Vertrag von 1514 für Würtemberg (§ 78 n. 51) und die baierische Landesfreiheitserklärung von 1553. Von der großen Zahl der Landrechte sind hier nur die wichtigsten anzuführen. Durch ihren deutschrechtlichen Charakter zeichnen sich aus die Landrechte von Jülich (1537), Kedingen, Hadeln (1583), das Wurster Landrecht (1611), das Bremische Ritterrecht (1577), die Neumünsterschen Kirchspiels- und Bordesholmer Amtsgebräuche6. Im übrigen heben wir hervor: die bairische Landrechtsreformation von 1518 und das Landrecht von 1616, beide noch an den Grundlagen des Landrechts von 1346 festhaltend; die gut deutschen Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573 T ; das S o l m s e r Landrecht (Gerichts- und Landordnung der Grafschaft Solms), 1571 von dem Frankfurter Syndikus Fichard verfaßt, Gesetz- und amtliches Lehrbuch zugleich, wegen seiner Tüchtigkeit auch in vielen anderen fränkischen Gebieten als Gesetz angenommen 8 ; das Würtemberger Landrecht von 1555 (revidiert 1567, zuletzt 1610), hauptsächlich von dem Tübinger Professor Sichard, dem Herausgeber verschiedener Volksrechte, verfaßt, aber durchaus romanisierend, das deutsche Hecht nur wenig berücksichtigend, übrigens vielfach bei anderen Landrechten, z. B. dem Kurpfälzer von 1582/1610, als Vorlage benutzt9; die badische Erbrechts- und Vormundschaftsordnung von 1511 von Ulrich Zasius, fast ganz römisch10; die ausführliche badische Landesordnung und die aus dem würtembergischen und pfalzischen Recht geschöpften Landrechte von Baden-Baden (1588) und Baden-Durlach (1654); die Landgerichtsordnung des Herzogtums Franken (Würzburger Landrecht) von 1570 (revidiert 1580 und 1618); die kurkölnische Reformation (1538) und das Landrecht (Rechtsordnung) von 1663, samt Erläuterungen von 1767; das Landrecht von Jülich-Berg(1555/64), über4

Von Bedeutung die sächsischen Prozeßordnungen, STOBBE 2, 262 ff. Die evang. Kirchenordnungen des 16. Jhs. her. v. RICBTEB (2 Bde 1846); her. v. SEHLING 1, 1. 2. 1902—4. 9 Herausg. v. SEESTERN-PAULY 1 8 2 4 . 7 Zu behaupten vermochte sich das rein deutsche Recht in Tirol gleichwohl nicht. Vgl. LUSCHIN 353 f. 382 ff. 8 Vgl. FUCHS Zur G . der Solmser Gerichts- und Landordnung, ZRG. 8, 2 7 0 ff. A. B. SCHMIDT a. a. 0. 72ff. STINTZING, G. d. RW. 1, 586ff. 9 Vgl. STINTZING, G. d. RW. 1, 543ff. 10 Vgl. STOBBE 2, 390 f. Über Zasius vgl. STINTZING Ulr. Zasius 1857; G. d. RW. 1, 155 ff. Über das von Zasius verfaßte Familienstatut der Herren von Rappoltstein BBEMEB, ZRG. 31, 170 ff. 57* 9

Neuzeit bis zur französischen Revolution.

900

wiegend römisch; das o s t f r i e s i s c h e Landrecht von 1515, dasditmarsische von 1567; das Landrecht des Herzogtums (Königreichs) P r e u ß e n von 1620, revidiert 1684 und 1721 (dazu das preußische Seerecht von 1727); die brandenburgische Erbrechtskonstitution Joachims I (sog. J o a c h i m i c a ) von 1527 n ; die erneuerten Landesordnungen von B ö h m e n und Mähren von 1627/28 1 2 . Yon hervorragender Bedeutung für die Fortbildung des auf dem Sachsenspiegel beruhenden „gemeinen Sachsenrechts" waren die in ganz Norddeutschland zu großem Ansehen gelangten s ä c h s i s c h e n K o n s t i t u t i o n e n des Kurfürsten August von 1572 und die D e c i s i o n e s electorales Saxonicae von 1661 18 . Die jüngsten der hier zu erwähnenden Landrechte waren das B a m b e r g e r (1769), das Mainzer (1755), sowie das auf dem kölnischen Landrecht beruhende Trierer (1668/1714), das gleich dem Mainzer alle Statutar- und Gewohnheitsrechte für aufgehoben erklärte. Der von der HGO. Karls V seinerzeit auf ihrem Gebiet so glücklich durchgeführte Kodifikationsgedanke, der den Dualismus des einheimischen und des fremden Hechts zu überwinden bestrebt war, beschäftigte seit dem 16. Jahrhundert, mit besonderer Beziehung auf das bürgerliche Recht, die hervorragendsten Geister14. Im 18. Jahrhundert erkannte man auch die Reformbedürftigkeit des Gerichtsverfahrens und des Strafrechts, da die Carolina den Anschauungen der Aufklärungszeit nicht mehr entsprach. Ihr grausames Strafensystem war unvereinbar mit der neuen Auffassung, die den Zweck der Strafe nicht mehr in der Abschreckung, sondern in der sühnenden Gerechtigkeit erkannte. Man verlangte eine größere Abstufung der Strafbarkeit, auf dem Gebiete des Strafverfahrens vor allem Abschaffung der Tortur16. Die Kodifikationsarbeiten begannen zuerst in P r e u ß e n , unmittelbar nach dem Regierungsantritt Friedrichs d. Gr., der selbst die Grundzüge entwarf. Aber zunächst kam es nur zu dem wenig brauchbaren, von Cocceji verfaßten Projekt eines Corporis iuris Fridericiani (1749—51) 16 , erst im letzten Jahrzehnt der Regierung Friedrichs wurden die Arbeiten unter Minister von Carmer wieder aufgenommen. Für jetzt erlangte B a i e r n den Yorsprung. Unter Kurfürst Maximilian III wurden drei umfangreiche Gesetzbücher, deren Verfasser und Kommentator von Kreittmayr 11

Vgl.

u

V g l . LUSCHIN 3 5 7 ff. 8 8 6 f .

11

Vgl.

Z R G . 4, 168 14

HEYDEMANN MUTHEB ff.

Elemente der Joachim. Konstitution

Beitr. z.

G.

1841.

d. sächs. Konstitutionen u. des Sachsenspiegels

STINTZING, G . d . R W .

1 , 5 5 1 ff.

Vgl. SCHBÖDEB Zum 1. Januar 1 9 0 0 , ZRG. 3 4 pg. 5 ff. Der hervorragendste Vertreter des Kodifikationsgedankens war LEIBNIZ. Vgl. MOLLAT Zur Würdigung Leibnizens, ZRG. 2 0 , 7 1 ff. TABANOWSKY Leibniz u. die äußere Rechtsgeschichte, ebd. 4 0 , 1 9 0 ff. HABTMANN Leibniz als Jurist u. Rechtsphilosoph (Tübinger Festschrift f. Jhering). STINTZINO, G. d. RW. 1 , 2 8 . 15 Vgl. GANTHEB Idee der Wiedervergeltung 2 , lff. Die Folter wurde in Preußen 1740 durch Friedrich d. Gr. abgeschafft. 19 Vgl. STINTZINO U. LANDSBEBG 3 , 2 1 5 ff., Noten S . 1 3 8 ff.

§ 85.

Stadtrechte.

901

war, zustande gebracht17. Wirkliche Kodifikationen waren der Codex iuris Bavarici criminalis (Strafrecht und Strafprozeß) von 1751 und der Codex iuris Bavarici iudiciarii (Zivilprozeß) von 1753, während das kurbaierische Landrecht (Codex Maximilianeus Bavaricus civilis) von 1756 noch an der Subsidiarität des gemeinen Rechts festhielt. In Preußen 1 8 kam es unter Friedrich d. Gr. nur zu einer Zivilprozeßordnung (dem 1. Buch des „Corpus iuris Fridericianum") von 1781 19 und der Allgemeinen Hypothekenordnung von 1783. Die übrigen Kodifikationsarbeiten wurden erst nach dem Tode des großen Königs zum Abschluß gebracht.. In Österreich 2 0 beschränkte man sich auf Straf- und Privatrecht. Eine neue, auch das materielle Strafrecht umfassende Halsgerichtsordnung (Constitutio criminalis Theresiana) trat 1769 ins Leben. Dagegen erhielt der das bürgerliche Recht behandelnde Entwurf eines Codex Theresianus nicht die Genehmigung der Kaiserin21, erst 1786 unter Joseph II gelangte der das Familienrecht enthaltende erste Teil als „Josephinisches Gesetzbuch" zur Publikation. Eine allgemeine Gerichtsordnung wurde 1781, ein Strafgesetzbuch 1787, eine neue Prozeßordnung 1788 veröffentlicht. Die Stadtrechte 1 .

§ 85.

Der Unterschied zwischen Reichs- und Landstädten machte sich auf dem Gebiet der Gesetzgebung ganz besonders bemerklich. Während die ersteren zu voller Landeshoheit gelangten und dasselbe Gesetzgebungsrecht wie die Landesherren besaßen, wurde die Autonomie der Landstädte durch die Staatsgewalt mehr und mehr beschränkt und durch die Landesgesetzgebung verdrängt. Nur wo es zu keinen umfassenden Landrechtsaufzeichnungen kam, wurde den Städten eine freiere Bewegung gelassen, viele brachten es mit landesherrlicher Genehmigung zu amtlichen Aufzeichnungen ihrer Gewohnheitsrechte, Braunschweig (1532), Lüneburg " Vgl. ebd. 3, 223ff., Noten S. 142ff. « Vgl. ebd. 3, 465ff., Noten S . 297 ff. STÖLZEL Svarez 1885. 19 Das Gesetz wurde, unbeschadet seines eigentümlichen, die Verhandlungsmaxime verdrängenden Inquisitionsprinzips, schon nach wenigen Jahren einer Revision unterzogen, aus der dann die Allgemeine Gerichtsordnung von 1793 hervorging. Über eine preußische Ger.-Ordnung von 1 7 0 9 vgl. HÄSSENPFLÜQ Die erste Kammer-GO. Kurbrandenburgs 1895. !0 Vgl. STINTZINÖ u. LAKDSBEBO 3, 519ff., Noten S. 322ff. v. LUSCHIN Öst. Reichs-G. 511 ff. v. DOMIN-PETBÜSHEVECZ Neuere öst. RG. 1869. 11 Ausgabe u. Kommentar: HABBAS V. HABBASOWSKY, 5 Bde 1 8 8 3 — 8 6 . Vgl. OFNEB Urentwurf u. Beratungsprotokolle des öst. allg. RGB., 2 Bde 1 8 8 9 . SAXL Eine alte Quelle des allg. RGB., Z. f. Pr.- u. öff. R. 24, 425 ff. 1

V g l . STOBBE 2 , 2 2 4 ff. 2 7 9

ff.

GIEBKE P r . - R . 1 , 6 3 ff. FBENSDOBFF, Z R G .

39,

237 ff. GENGIEB Städteprivilegien des 16.—18. Jhs. (Erlanger Festschrift f. Prinzregent Luitpold 1901).

Neuzeit bis zur französichen Revolution.

902

(1577—83) und Rostock (1597) sogar zu umfangreichen Stadtrechtsreformationen. Im allgemeinen bewegte sich die städtische Gesetzgebung in denselben Bichtungen wie die der Territorien. Der Begriff der Reformationen, worunter man gänzliche Umarbeitungen älterer Bechtsquellen oder Tollständige Neuredaktionen verstand, kam, wahrscheinlich aus Italien eingeführt, zuerst in den Städten zur Anwendung 2 . Das älteste, noch fast ganz deutschrechtliche Stadtrecht dieser Zeit sind die K ö l n e r Statuten von 1487, denen später (1570) noch eine Prozeßordnung beigefügt wurde 3 . Die bedeutendste unter allen, zugleich das älteste gedruckte Stadtrecht, war die N ü r n b e r g e r Reformation von 1479/84 (rev. 1503, 1522, neubearbeitet 1564), die erste vollständige Verarbeitung des gemeinen und einheimischen Rechts auf dem Gebiet des Privatrechts und Prozesses4, während die zum Teil auf der Nürnberger von 1484 beruhende Wormser Reformation von 1499 mehr den Charakter eines amtlichen Lehrbuchs des gemeinen Rechts, und zwar mit geringer deutschrechtlicher Beimischung, hatte 6 . Wenig rücksichtsvoll gegen das ältere Recht erwies sich das F r a n k f u r t e r Stadtrecht von 1509, das auch in Wetzlar rezipiert wurde; dem von Fichard verfaßten Stadtrecht von 1578 (rev. 1611) hat das Solmser Landrecht sowie die Nürnberger und Wormser Reformation als Quelle gedient 6 . Das Stadtrecht von F r e i b u r g i. Breisg. von 1520 war ein Werk des Ulrich Zasius; es verhielt sich gegenüber dem heimischen Recht erheblich rücksichtsvoller als die von demselben Gelehrten verfaßte badische Erbrechts- und Vormundschaftsordnung7. Ausschließlich deutschrechtlich und nur eine Neuredaktion der älteren Statuten war das L ü b e c k e r Stadtrecht von 1586, das auch in den meisten mit lübischem Recht bewidmeten Städten angenommen wurde. Das H a m b u r g e r Stadtrecht von 1497, zu dem der Bürgermeister Langenbeck einen Kommentar schrieb, schloß sich noch ganz an das alte Hamburger Recht an; eine Verarbeitung desselben und der späteren Stadtrechtsnovellen oder „Rezesse", unter Benutzung verschiedener anderen Quellen, namentlich der Nürnberger Reformation, ist das Stadtrecht von 1603/5. 1

Vgl. E Ö H N E Reformation des Wormser Stadtrechts 1897 S. 51 ff. * AU Reformation wurden die Kölner Statuten erst seit 1622 bezeichnet. V g l . KÖBHB a . a . 0 . 4

52.

Vor der Neubearbeitung von 1564 hatte man ein Gutachten des berühmten Ensisheimer Kanzlers Cantiuncula eingeholt. Vgl. B B E U E B Cantiunculas Gutachten über das Nürnberger Stadtrecht, ZRG. 28, 123ff. 6

V g l . STINTZKG, G . d . R W .

1, 5 4 1 f .

KÖHNE a . a . 0 .

* V g l . STIMTZING a . a . O . 1 , 5 4 6 . 5 9 6 ff. 7 Vgl. STTNTZIKG a. a. 0. 1, 169; Zasius

157 ff.

62 f,

66.

§ 86. Auflösung des Reiches.

903

Zweiter Abschnitt. Seit der französischen Revolution. Erstes Kapitel.

Verfassung und innere Reformen. Ausgewählte Urkunden z. deutsch. VG. seit 1806, 2 Bde 1898. Deutsche Gr. v. Tode Friedrichs d. Gr. b. z. Gründung des deutsch. Bundes*, 4 Bde 1861—63. LANCIZOLLE Übers, d. deutsch. Reichsstandsch.- u. Territorialverhältnisse vor dem franz. RevoL-Kriege, der seitdem eingetr. Veränderungen u. der gegenwärt. Bestandteile d. deutsch. Bundes u. der Bundesstaaten 1830. M . L E B H A N N Freiherr vom Stein, 3 Bde 1902—5. M E J E R Einleit. in d. deutsche Staatsrecht2 131—344. G. M E T E R Deutsch. Staatsrecht' (bearb. v. ANSCHÜTZ) 90—192. SCHOLTHEISS Erläuterungen z. gesch. Atlas der Rheinprovinz 1. 1895. H. SCHULZE Einleit. ind. deutsche Staatsrecht 1865; Lehrbuch d. deutsch. St. - R. 1. 1881. v. TBEITSCHKE Deutsche G. im 19. Jh.4-8, 5 Bde 1886—94. H. A . ZACHABIÄ Deutsch. Staats- u. Bundes-R.8, 2 Bde 1885—67. v. ZWIEDINECKSÜDENHOBST Deutsche G. v. d. Auflösung des alten bis z. Errichtung d. neuen Kaiserreiches, 3 Bde 1897—1905. ALTHANN

HÄUSSEB

§ 86. v.

Die Auflösung des Reiches und die Zeit des Rheinbundes.

Zur Erinnerung an den 1. Januar 1 8 0 6 (Süddeutsche Monatshefte Zur V G . des Rheinbundes 1 8 9 0 . BEBOHAUS Deutschi, vor 5 0 Jahren, 3 Bde 1 8 6 1 — 6 2 . BITTEBAUF, G . d. Rheinbundes 1. 1 9 0 5 . EICHHOBN 4 , 580ff. L E F Ü R U. POSENEB Bundesstaat u. Staatenbund ( 1 9 0 2 ) 1 , 89ff. HÄÜSSEB a . A . O . 2 , 6 9 1 ff. 3 , 220FF. 4 9 8 ff. KLEINSCHMIDT, G . d. Königreichs Westfalen 1 8 9 3 . KLÜBER Staatsrecht d. Rheinischen Bundes 1 8 0 8 . LANCIZOLLE a. a. 0 . 9 4 ff. G . M E T E R a.a.O. 90f. 97ff. H . SCHULZE Einleitung 2 8 1 ff; Lehrbuch 1 , 8 1 ff. W I N K O P P Der Rheinische Bund, 2 3 Bde 1 8 0 7 — 1 3 . H . A . ZACHABIÄ a. a. 0 . 1 , 1 4 9 ff. K. S. ZACHARIX Staatsr. der Rheinischen Bundesstaaten 1810. 1906).

AHIBA

BECK

Nachdem das deutsche Reich durch den Luneviller Frieden das gesamte linke Rheinufer an Frankreich abgetreten hatte, suchte man zunächst durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 (8. 801) eine neue Ordnung für die zerrütteten Verhältnisse zu gewinnen. Die Kurfürstentümer Trier und Köln wurden aufgehoben; an Stelle von Mainz trat als nunmehr einziges geistliches Kurfürstentum das neuerrichtete Kurfürstentum Regensburg mit der Erzkanzlerwürde. Außerdem wurden vier neue weltliche Kurfürstentümer (Salzburg, Baden, Würtemberg, Hessen-Kassel) geschaffen. Abgesehen von Kurregensburg, dem Deutschen Orden und dem Johanniterorden, wurden sämtliche geistliche Territorien, ferner sämtliche Reichsstädte bis auf Lübeck, Hamburg, Bremen, Frankfurt, Nürnberg und Augsburg und die wenigen noch vorhandenen Reichsdörfer mediatisiert und den durch die Gebietsabtretung an Frankreich

904

Neuzeit seit der französischen Revolution.

betroffenen weltlichen Reichsständen als Entschädigung überwiesen1. Der Bestimmung des RDHSchl., daß die bisher von den Entschädigungsländern geführten Reichslagsstimmen auf die Erwerber übergehen sollten, verweigerte der Kaiser seine Genehmigung2. Als Napoleon in Frankreich das erbliche Kaisertum proklamiert hatte, geschah seitens des Kaisers Franz II, unbeschadet seiner Stellung zum Reiche, dasselbe hinsichtlich seiner österreichischen Erblande (14. Aug. 1804). Der Koalitionskrieg von 1805 sah Baiern, Wurtemberg und Baden bereits auf Feindesseite gegen Österreich, während das Reich neutral blieb. Der Preßburger Friede (26. Dez. 1805) brachte den drei Verbündeten Napoleons die Anerkennung der vollen Souveränität und aller daraus fließenden Rechte, unbeschadet ihrer Zugehörigkeit zu der „Confédération germanique", und reichen Zuwachs durch österreichische Gebietsabtretungen. Die Reichsstadt Augsburg wurde zugunsten Baierns, eine Besitzung des Johanniterordens zugunsten Würtembergs mediatisiert, das Amt des Hoch- und Deutschmeisters in eine österreichische Sekundogenitur verwandelt. Baiern und "Wurtemberg wurden zu Königreichen erhoben. Das deutsche Reich wurde bei diesen Abmachungen nicht gefragt, der Kaiser handelte nur als österreichischer, nicht als deutscher Kaiser und der Reichstag erhielt erst nach Monaten eine amtliche Anzeige des Geschehenen. Der erste Gebrauch, den die neuen Souveräne von ihrer Selbstherrlichkeit machten, war die gewaltsame Mediatisierung der Reichsritterschaft innerhalb ihrer Gebiete. Im März 1806 erhielt der Reichstag die Anzeige, daß Prinz Murat auf Anordnung Napoleons als Herzog von Kleve und Berg in die Reihe der Reichsstände getreten sei. Der .Kurerzkanzler Dalberg erhob einseitig, ohne Kapitelswahl, den Kardinal Fesch zu seinem Koadjutor, mit dem Recht der Nachfolge als Erzkanzler des Reichs. Am 1. August 1806 sagten sich die im Rheinbund unter Napoleons Protektorat vereinigten Fürsten durch Erklärung an den Reichstag „von ihrer bisherigen Verbindung mit dem deutschen Reichskörper" los. Eine gleichzeitige Erklärung Napoleons besagte, daß er das Dasein der deutschen Verfassung nicht mehr anerkenne, sondern nur die volle und absolute Souveränität eines jeden der Fürsten, deren Staaten das heutige Deutschland bildeten. Zehn Tage später übergab der kaiserliche Gesandte den bei dem Reichstag beglaubigten Gesandten der einzelnen Reichsstände (nicht dem Reichstag selbst) eine vom 6. Aug. 1806 datierte Akte des Kaisers, wodurch dieser, bei der Unmöglichkeit, seine Pflichten als Reichsoberhaupt ferner zu erfüllen, erklärte: „daß Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reichs gebunden hat, als gelöst ansehen, daß Wir das reichsoberhauptliche Amt und Würde durch die Vereinigung der konförderierten rheinischen Stände 1 Über die Säkularisationen des BDHSchl. vgl. DOYE, Realenzykl. f. prot. Theol. u. Kirche« 14, 51 f. 54f. STÜTZ Kirchenr. (S. 8) 874. * ÄGIDI Der Fürstenrat nach dem Luneviller Frieden 1853.

§ 86. Zeit des Rheinbundes.

905

als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das deutsche Beich losgezählt betrachten und die von wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen." Zugleich entband der Kaiser alle Reichsangehörigen, namentlich die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte und alle übrigen Reichsbeamten, von ihren Verpflichtungen gegen das Reichsoberhaupt. Seine „sämtlichen deutschen Provinzen und Reichsländer" sagte er ebenfalls von allen bisherigen Verpflichtungen los und stellte ihnen „in ihrer Vereinigung mit dem ganzen österreichischen Staatskörper" eine neue glückliche Zukunft in Aussicht 3 . Mit diesem Austritt der Rheinbundstaaten und der kaiserlichen Erblande war die Auflösung des Reiches vollzogen. Ein Reichstagsbeschluß ist darüber nicht mehr gefaßt worden, aber die späteren weltgeschichtlichen Ereignisse haben dem von Hause aus ungesetzlichen Akt nachträglich die stillschweigende Genehmigung der Mitlebenden und der Nachwelt zuteil werden lassen. Durch die Rheinbundsakte vom 12. Juli 1806 („Acte de la Confédération du Rhin") traten sechzehn deutsche Staaten, indem sie sich gleichzeitig vom Reich lossagten, als États confédérés du Rhin zu einem Staatenbund unter Napoleon als Protecteur de la Confédération zusammen *. Ursprüngliche Mitglieder waren der Kurerzkanzler von Regensburg, später Großherzog von Frankfurt, die durch den Preßburger Frieden von 1805 zu Königen erhobenen Herzöge von Baiern und Wurtemberg, der Kurfürst (jetzt Großherzog) von Baden, der Landgraf (jetzt Großherzog) von Hessen-Darmstadt, der Herzog von Kleve-Berg (jetzt Großherzog von Berg), die Fürsten von Nassau-Usingen und N.-Weilburg, Hohenzollern-Hechingen und H.-Sigmaringen, Isenburg-Birstein, Salm-Salm und S.-Kirburg, der Herzog von Aremberg, der Fürst von Liechtenstein und der Graf (jetzt Fürst) von der Leyen. Während die gleichzeitig von Preußen unternommene Gründung eines norddeutschen Bundes durch den unglücklichen Ausgang des Krieges von 1806—7 vereitelt wurde5, traten dem Rheinbund nach und nach die sämtlichen im Besitz gebliebenen deutschen Re* gierungen bei, bis auf Österreich, das durch den Tilsiter Frieden von 1807 verkleinerte Preußen, Schweden und Holstein-Dänemark. Die bedeutendsten unter den neuen Mitgliedern waren Kursachsen (jetzt Königreich), das neu errichtete Königreich Westfalen und das Kurfürstentum Würzburg (jetzt Großherzogtum). Der alleinige Zweck des Rheinbundes war das Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich, der vorgeschützte Zweck die Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Süddeutschlands. 3 Die drei Erklärungen vom 1. und 6. Aug. 1806 bei BEBGHAUS a. a. 0 . 2, 63—70. ZEÜMEB Nr. 186—88. 4 Ausgaben: BINDIKO Deutsche Staatsgrundgesetze 3. 1893. ZEUHEB Nr. 185. 9 Vgl. A. W. SCHMIDT, G. d. preuß. deutschen Unionsbestrebungen 1851; Preußens deutsche Politik 1867. v. WITZLEBEN Verhandlungen über den nord-

dentschen Bund, Arch. f. sächs. Gr. 6, 1868.

Neuzeit seit der französischen Revolution.

906

Sämtliche Mitglieder wurden als souveräne Staaten bezeichnet, als Sau« veränitätsrechte die Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, hohe Polizei, Militäraushebung und Besteuerung. Organ des Bundes sollte eine zu Frankfurt tagende Bundesversammlung [Biete de Francfori), geteilt in ein auch die Großherzogtümer umfassendes königliches und ein fürstliches Kollegium, sein, unter dem Vorsitz des bisherigen Reichserzkanzlers als Fürst-Primas (Prince-Primat) oder seines vom Kaiser-Protektor zu bezeichnenden Nachfolgers. Ins Leben getreten ist die Bundesversammlung nicht, auch das Grundgesetz des Bundes, dessen Ausarbeitung vorbehalten wurde, ist nicht zustande gekommen. Nach zwei anderen Bichtungen übte der Rheinbund eine für die spätere Entwicklung des Beiches höchst folgenreiche Wirkung aus. Einmal durch die Mediatisierung der Reichsritterschaft, des Deutschordens (1809) und des Johanniterordens sowie sämtlicher, nicht in den Rheinbund aufgenommener Fürsten, Grafen und Herren, die der Souveränität der Rheinbundstaaten unterworfen wurden und außer ihren Kammergütern und guts- und lehnsherrlichen Rechten nur gewisse untergeordnete Hoheitsrechte behielten, im übrigen aber zu privilegierten Untertanen wurden 8. Yon den Reichsstädten wurden Nürnberg und Frankfurt, später auch die drei Hansestädte ebenfalls mediatisiert. Durch gegenseitigen Gebietsaustausch wurden die Grenzen der Bundesstaaten gegen einander abgerundet Eine weitere Wirkung bestand in der Neuorganisation der einzelnen Rheinbundstaaten kraft der ihnen eingeräumten Souveränitätsrechte. Während Sachsen und Meklenburg die alten ständischen Verhältnisse fortbestehen ließen und das würtembergische Königtum, unter Aufhebung der wohlbewährten Verfassung (§ 78 n. 51), ein System reinster Gewaltherrschaft entwickelte, kam es in den meisten übrigen Rheinbundstaaten mehr oder weniger zu einer Nachahmung französischer Einrichtungen mit ihren guten, aber auch ihren bedenklichen Seiten. Die landständischen Rechte wurden beseitigt und teils schlechthin durch ein a

Die den standesherrlichen Familien eingeräumten Privilegien wurden durch BhBA. Art 27. 28 und DBA. von 18X5 Art. 14 gesetzlich festgelegt Ihnen wurde insbesondere die Zugehörigkeit zum hohen Adel und die Ebenbürtigkeit mit den regierenden Häusern gewährleistet Seitdem besteht der hohe Adel aus den landesherrlichen und den medi&tisierten standesherrlichen Häusern. Während die Hausgesetze des unmittelbaren hohen Adels dem BGB. vorgehen, übt der mittelbare hohe Adel die Autonomie nur noch nach Maßgabe der Landesgesetze und nur mit subsidiärer Geltung gegenüber den Reichsgesetzen aus. Dem unmittelbaren hohen Adel gehören auch das fürstliche Haus Hohenzollern, die früheren Herrscherhäuser von Hannover, Kurhessen und Nassau (jetzt Luxemburg) und das schleswigholsteinische Herzogshaus an, obwohl sie ihre landesherrliche Stellung teils aufgegeben , teils verloren haben. Vgl. BGB. EG. 57. 58. Seichsgesetz v. 25. März 1904. PreuB. Ges. v. 12. Mai 1850. Auch der ehemalige Reichsadel (in Baden „Grundherren") behielt trotz seiner Mediatisierung durch die RhBA. yon 1806 Art. 25 gewisse öffentlichrechtliche Privilegien und das Recht der Autonomie, beides aber nur nach Mafigabe der Landesgesetze. Vgl. DBA. v. 1815 Art. 14. BGB. EG. 58, 2.

§ 86.

Zeit des Rheinbundes.

907

absolutes Regiment, teils durch einen bloßen Scheinkonstitutionalismus ersetzt. Nach dem Vorbild der französischen Departementsverfassung wurden die Staatsgebiete ohne Rücksicht auf die geschichtliche Entwicklung nach geographischen oder mechanischen Gesichtspunkten im Bezirke oder Kreise unter Präfekten oder Generalkommissaren eingeteilt. Das Lehnwesen wurde großenteils aufgehoben, die Befreiung des Bauernstandes durchgeführt. Von den Grundsätzen einer eng begrenzten Parität auf konfessionellem Gebiet schritt man zur Anerkennung der Religionsfreiheit fort, aber die Kirchen selbst wurden nur als Staatsanstalten behandelt. Die Trennung von Rechtspflege und Verwaltung wurde durchgeführt. Die Justizorganisation erfolgte vielfach im Anschluß an die der Franzosen, Schwurgerichte wurden eingerichtet, die Einführung des Code angeordnet oder vorbereitet. Der staatsrechtliche Charakter der Wehrpflicht kam in der Konskription zum Ausdruck; indem aber den Vermögenderen das Recht der Stellvertretung eingeräumt und den gebildeten Klassen Freiheit von der Aushebung gewährt wurde, blieb man von den Grundgedanken der allgemeinen Wehrpflicht noch ebenso weit entfernt, wie dies in Preußen während des 18. Jahrhunderts der Fall gewesen war. Während die Rheinbundstaaten sich dem Kaiser-Protektor gegenüber im Zustand vollkommenster Rechtlosigkeit befanden7, ihren Untertanen gegenüber aber das System eines aufgeklärten Despotismus nach napoleonischem Muster zur Anwendung brachten, vollzog der p r e u ß i s c h e Staat in den Jahren der tiefsten Demütigung seiue vollständige Wiedergeburt von innen heraus, ohne fremdes Vorbild. Sie bildete die Aufgabe der großen Stein-Hardenbergischen Gesetzgebung8. Die Aufhebung der Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit, die bereits von Friedrich Wilhelm I und Friedrich d. Gr. angebahnt worden war, erfolgte durch das Edikt vom 9. Okt. 1807 für den ganzen Staat. Schon vorher hatten nach dem Vorbilde der französischen Revolutionsgesetzgebung, die auch auf diesem Gebiet in heilsamer Weise vorangegangen war, Baden, Hohenzollern-Hechingen, Isenburg und SchleswigHolstein die Bauernbefreiung durchgeführt. Es folgten Baiern (1808), Oldenburg (1811), Würtemberg (1817), Großherzogtum Hessen und Meyenburg (1820), das letztere jedoch nur so, daß man den Bauern zwar das Recht des Abzuges, aber nicht die notwendige Ergänzung dazu, das Recht, sich beliebig im Lande niederzulassen, gewährte, ein Mangel der erst ' Vgl. die von Napoleon befohlene Ermordung des Herzogs von Enghien and des Buchhändlers Palm, die Einverleibung ganzer Rheinbundstaaten (Oldenburg, Aremberg, beide Salm) oder von einzelnen Gebietsteilen. 8 Vgl. M. Lehmann Freiherr von Stein 2. E. Meieb Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg 1881. H. Schulze Preuß. Staatsrecht 1», 84ff. 234ff. 2, 195ff. Häüsser a . a . O . 3, 128ff. 488ff. Aitmann Urk. zur brand.-preuß. Verf.- u. Verwaltungs-G. 2. 1897. A. Stein Abhandl. u. Aktenstücke z. G. d. preuß. Reformbestrebungen 1807—15, 1885. Über ältere Reformbestrebungen vgl. Hintze, Hist. Z. 76, 413 ff. Häutung Hardenberg u. die preuß. Verwaltung in Ansbach-Bayreuth 1792—1806, 1906.

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Neuzeit seit dei französischen Revolution.

durch den Eintritt Meklenburgs in den Norddeutschen Bund beseitigt wurde. Erst unter dem Einfluß der französischen Julirevolution erfolgte die Bauernbefreiung in Hannover und Kurhessen (1831), Sachsen (1832) und Hohenzollern-Sigmaringen (1833). In Österreich hatte schon Joseph II in der Hauptsache die Bauernbefreiung durchgeführt, nur die Frondienstpflicht war bestehen geblieben, die erst 1848 aufgehoben wurde. Die vollste Gewerbefreiheit wurde in Preußen durch das Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer (2. Nov. 1810) begründet9. Erst durch die Aufhebung des Zunftzwanges wurde dem bisher auf die Städte beschränkten Handwerk auch das offene Land erschlossen. Allgemeine Beligionsfreiheit hatte schon das ALR. (II 11 §§ Iii.) eingeführt; die bürgerliche Gleichstellung der inländischen Juden mit den Christen wurde durch Edikt vom 11. März 1812 begründet. Das völlig verkümmerte städtische Gemeindewesen wurde durch die Städteordnung vom 19. November 1808 auf Grundlage einer gesunden Selbstverwaltung geregelt. Die Zentralverwaltung wurde durch Verordnung vom 24. Nov. und Publikandum vom 16. Dez. 1808 nebst den Verordnungen vom 26. Dezember 1808 und 27. Oktober 1810 einer völligen Umgestaltung unterzogen. An die Spitze der Verwaltung trat ein Kabinet von fünf Staatsministern (für Inneres, Finanzen, auswärtige Angelegenheiten, Krieg und Justiz), dessen Haupt, der Staatskanzler, als oberster Bat der Krone die Oberaufsicht über die ganze Verwaltung zu führen hatte; das Nebeneinanderbestehen von Fach- und Provinzialministern und das ungeeignete Kollegialsystem in den Ministerien wurde zugunsten des Bureausystems beseitigt. Nur für Sachen der Gesetzgebung wurde ein Staatsrat bestimmt, der außer den Staatsmimstern auch alle übrigen hervorragenden Kräfte des Staates umfassen sollte, zunächst aber noch nicht ins Leben trat. Die bisherigen Kriegs- und Domänenkammern, deren Geschäftskreis auf die gesamte Verwaltung ausgedehnt wurde, erhielten die Bezeichnung „Regierungen", während die bisher mit diesem Namen bezeichneten Gerichte zu Oberlandesgerichten wurden. Jede Regierung erhielt einen Präsidenten und als Vorsteher der einzelnen Abteilungen Direktoren. Das Kollegialsystem wurde bei den Regierungen beibehalten, seiner natürlichen Schwerfälligkeit aber durch Verteilung der verschiedenen Geschäftszweige unter ständige Referenten vorgebeugt. Als oberste Pro-, vinzialbeamten wurden die Oberpräsidenten eingesetzt, nicht als Zwischeninstanz, sondern als ständige Aufsichtsorgane des Kabinets gegenüber der gesamten Provinzialverwaltung. Die Gerichtsbarkeit der Kammerjustizdeputationen ging auf die Zivilgerichte über. Tiefgreifende Reformen auf dem Gebiet des Finanzwesens, namentlich auf die Aufhebung der Exemtionen und Durchführung einer gerechten und gleichmäßigen Be' Ein gewisser Rückschritt erfolgte durch die Gewerbeordnungen von 1845 und 1849. Außerhalb Preußens wurde die Gewerbefreiheit größtenteils erst in den 60 er Jahren eingeführt.

§ 87.

Verfassung des Deutschen Bundes.

909

Steuerung gerichtet, wurden durch Edikt vom 27. Okt. 1810 angebahnt, kamen aber vorerst nur teilweise zur Ausführung. Die zur Zeit wichtigste Reform war die des Heerwesens. Wie Österreich sich 1808 durch Errichtung einer allgemeinen Landwehr auf den neuen französischen Krieg vorbereitete 10 , so hatte Scharnhorst 1807 und 1808 in wiederholten Denkschriften die Bildung einer Nationalmiliz oder Landwehr aus den von der Kantonpflicht befreiten Klassen angeregt. Durchgesetzt wurde zunächst nur die Abschaffung der Werbungen im Ausland, Eröffnung der Offizierlaufbahn für alle Stände, Beseitigung der für die ausländischen Söldner berechneten entehrenden Strafen in den neurevidierten Kriegsartikeln und Bildung einer Armeereserve aus Kantonpflichtigen, die nach nur mehrmonatlichem Dienst wieder von den Fahnen entlassen wurden (sog. Krümpersystem). Erst die von den ostpreußischen Ständen bei Beginn der Erhebung im Februar 1813 beschlossene Errichtung der ostpreußischen Landwehr und des Landsturms brachte die Pläne Scharnhorsts zur Verwirklichung 11 . Zu derselben Zeit erging eine königliche Verordnung (9. Febr. 1813), die für die Dauer des Krieges alle Militärbefreiungen aufhob und den bisher Eximierten vom vollendeten 17. bis zum 24. Lebensjahr nur das Vorrecht einräumte, sich bei den freiwilligen Jägern oder der Artillerie zu stellen. Am 17. März 1813 folgte die Verordnung über Organisation der Landwehr, durch die ebenfalls für den bevorstehenden Krieg im ganzen Staat die Errichtung der Landwehr und des Landsturms angeordnet wurde. Nachdem diese Einrichtungen im ersten Kriegsjahr die Probe bestanden hatten, wurden sie durch das Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienst (3. Sept. 1814) dauernd eingeführt. Für alle Landeskinder, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten, wurde die Wehrpflicht festgestellt. Die Organisation des preußischen Heeres beruhte auf denselben Grundlagen, die heute für das deutsche Heer maßgebend sind.

§ 87.

Die Verfassung des Deutschen Bundes.

H. A. ZACHABIÄ a. a. 0 . (S. 903) 1, 172 ff. 2, 611FF. ZÖPFL'Grunds. d. allg. u. deutsch. Staatsrechts 5 , 2 Bde 1863. KLÜBEB Öffentl. ß. des Deutsch. Bundes u. der Bundesstaaten 4 1811; Quellensammlung zu dem öffentl. E. des Deutsch. Bundes 9 1830—33: Wichtige Urkunden für den Bechtszustand d. deutsch. Nation 1844. H. SCHULZE Lehrk. d. deutsch. Staatsr. 1, 91 ff. G. METER a . a . O . (S. 903) 104—32.

AEQIDI b e i BLUNTSCHLI u n d BBATEB S t a a t s - W B . 3, l f f .

EICHHORN B e -

trachtungen über die Verfassung des Deutsch. Bundes 1833. ILSE, G. d. deutsch. Bundesversammlung, 3 Bde 1860—62. LE FDB U. POSENEB a. a. 0 . (S. 903) 1, 96 ff. HÄÜSSER Deutsche G. 4 3 , 671 ff. v. METER Corpus iuris confoederationis Germanicae',

fortges. v. ZÖPFI,

3 Bde

1855—69.

10 Vgl. HXCSSER a. a. 0 . 3, 258f. österreichische Mafiregel nicht. 11

LANCIZOLLE a. a. 0 .

(S. 903) 108FF.

Eine dauernde Einrichtung bezweckte die

V g l . HÄUSSER a. a. 0 . 4, 33 ff. 48 ff.

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Neuzeit seit der französischen Revolution.

W. A. SCHMIDT, G. der deutsch. Verfassungsfrage während der Befreiungskriege U. des Wiener Kongresses 1812—15, her. v. STEBN 1890; Der Abschluß d. deutsch. Verf.-Werkes a. d. Wiener Kongresse, Z. f. GW. 3, 277 ff. EMMINGHAUS, Corp. iur. Germ. acad. 2. 1856. Diplomatisch getreuer Abdruck der DBA. u. WSchl.-A. bei BINDETO Deutsche Staatsgrundgesetze 3. 1893.

Schon das erste Jahr der Befreiungskriege hatte die Auflösung des Rheinbunds und der napoleonischen Schöpfungen (Königreich Westfalen, Großherzogtümer Berg und Frankfurt), sowie die Wiederherstellung von Hannover, Braunschweig, Kurhessen, Oldenburg, Nassau-Oranien, Frankfurt und den drei Hansestädten gebracht. Nachdem Deutschland durch den ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) von Frankreich die Gebietsgrenzen vom 1. Jan. 1792 wiedererlangt hatte, die durch den zweiten Pariser Frieden (20. Nov. 1815) auf die Grenzen von 1790 ausgedehnt wurden, erfolgte die Gebietsregelung zwischen den deutschen Staaten durch die Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815. Die durch diese und den Bezeß der Territorialkommission vom 20. Juli 1819 begründeten Verhältnisse haben sich im wesentlichen bis 1866 erhalten. Abgesehen Ton den erwähnten Restitutionen im Jahre 1813, denen 1815 noch die der Landgrafschaft Hessen-Homburg folgte, wurden die Mediatisierungen der Bheinbundsakte von 1806 und die napoleonischen Mediatisierungen von Aremberg und beiden Salm aufrechterhalten, die Eheinbundfürsten Isenburg und von der Leyen aber erst jetzt ihrer Landesherrlichkeit entkleidet. Das Großherzogtum Wörzburg wurde beseitigt. Schweden schied aus Deutschland aus, indem Neu-Vorpommern und Bügen mit Preußen vereinigt wurden; Stadt und Herrschaft Wismar, die sich schon seit 1803 in meklenburgischem Pfandbesitz befanden, sind durch Vertrag vom 20. J uni 1903 endgültig mit Meklenburg vereinigt1. Durch die auf dem Wiener Kongreß vereinbarte Deutsche Bundesakte (DBA.) vom 8. Juni 1815, deren 11 erste Artikel zugleich einen Teil der Wiener Kongreßakte bildeten, vereinigten sich die „souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands" zur „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten" zu einem „beständigen Bunde", der den Namen „der Deutsche Bund" erhielt. Mitglieder waren Osterreich und Preußen mit ihren früher zum deutschen Reich gehörigen Besitzungen2, die Königreiche Baiern, Sachsen, Hannover 3 und Würtemberg, Großherzogtum Baden, Kurfürstentum Hessen, Großherzogtum Hessen, 1 E.-6.-B1. 1904 S . 295. Vgl. R . SCHMIDT Der schwedisch-meklenburgische Pfandvertrag über Wismar 1901. s Die Provinzen Preußen und Posen und das Fürstentum Neuenburg blieben außerhalb des Bundes. 3 Der König von England hatte während des Wiener Kongresses für seine deutschen Lande den Titel „König von Hannover" angenommen. Die Verbindung Hannovers mit England erlosch 1837.

§ 87. Verfassung des Deutschen Bundes.

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Herzogtum Holstein4, Großherzogtum Luxemburg5, Herzogtum Braunschweig, Großherzogtum Meklenburg-Schwerin, Herzogtum Nassau, Großherzogtum Sachsen-Weimar, die sächsischen Herzogtümer Gotha, Koburg, Meiningen und Hildburghausen6, Großherzogtümer Meklenburg-Strelitz und Oldenburg, Herzogtümer Anhalt-Dessau, -Bernburg und -Kothen', Fürstentümer Schwarzburg-Sondershausen und -Rudolstadt, HohenzollernHechingen und -Sigmaringen8, Liechtenstein, Waldeck, Reuß älterer und jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe und die freien Städte Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg. Durch die Aufnahme Ton HessenHomburg (1817) wurde die Mitgliederzahl auf 39 erhöht, sank aber im Lauf der Zeit durch den Abgang verschiedener Häuser wieder auf 33 herab 9 . Der Aufruf von Kaiisch vom 25. März 1813 hatte dem deutschen Volk die Wiedergeburt des Reiches in Aussicht gestellt, nachdem aber Baiern und Würtemberg durch die Verträge zu Ried und Fulda (8. Okt., 2. Nov. 1813) die Wahrung ihrer vollen Souveränität zugesichert erhalten hatten, scheiterten alle auf eine bundesstaatliche Organisation gerichteten Versuche vornehmlich an ihrem Widerstand. Der Deutsche Bund trat als bloßer Staatenbund, als ein „völkerrechtlicher Verein der deutschen souveränen Fürsten und freien Städte", ins Leben10. Als Subjekt dieses Vereins wurde ausschließlich die in der Bundesversammlung vertretene Gesamtheit der Bundesregierungen hingestellt; die Versuche, auch dem Volk eine Beteiligung an der Bundesvertretung zu verschaffen, waren ergebnislos, selbst die in der Bunde3akte angeregte Heranziehung der mediatisierten ehemaligen Reichsstände unterblieb. Das zweite Bundesgrundgesetz, die Wiener Schlußakte (WSchl.-A.) vom 15. Mai 1820, ging * Das 1816 mit Dänemark vereinigte Herzogtum Lauenburg wurde ebenfalls, aber ohne eigene Stimme, in den Bund aufgenommen. 5 Luxemburg erhielt der König der Niederlande als Entschädigung der nassauoranischen Linie für die Abtretung der Stammländer an Preußen. Nachdem die LosreiBung der belgischen Provinzen von Holland auch die westliche Hälfte von Luxemburg mit dem neuen Königreiche Belgien vereinigt hatte, überwies der König der Niederlande dem Deutschen Bund als Ersatz das Herzogtum Limburg (1839), das aber als Provinz im holländischen Staatsverband blieb und nicht mit Luxemburg verbunden wurde. 9 Dafür nach dem Aussterben von S.-Gotha (1825) die Herzogtümer KoburgGotha, Meiningen-Hildburghausen und Altenburg. 7 Die anhaltischen Länder wurden nach dem Aussterben der Köthener (1847) und der Bernburger Linie (1863) unter Dessau vereinigt. 8 Durch Staatsvertrag von 1849 wurden beide Hohenzollern mit Preußen vereinigt. 9 Hessen-Homburg starb 1866, kurz vor der Krisis des Bundes, aus. 10 Vgl. Wiener Schl.-A. Art. 1. Den bundesstaatlichen Charakter des D.B. behauptet KLÖPPEL Dreißig Jahre deutscher VG-. 1, 3ff., doch ist ihm nur zuzugeben, daß es der Verfassung des D.B. nicht ganz an gewissen bundesstaatlichen Elementen fehlte.

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in der ausschließlichen Berücksichtigung der Regierungen und Ablehnung aller volkstümlichen Elemente noch über die Bundesakte hinaus 11 . Verfassungsmäßiges Organ des Bundes war die Bundesversammlung (gewöhnlich „Bundestag"), ein dem Regensburger Reichstag nachgebildeter beständiger Gesandtenkongreß mit dem Sitz zu Frankfurt a. M. Die Bundesversammlung bestand ausschließlich aus bevollmächtigten Gesandten der verschiedenen Bundesstaaten. Den Vorsitz hatte der Gesandte Österreichs als der Präsidialmacht Die Bundesversammlung hatte das Recht, sich bis zur Dauer von vier Monaten zu vertagen. Da die Bundesverfassung auf der Gleichberechtigung aller Bundesglieder beruhte, so bildete die Bundesversammlung einen einheitlichen Körper ohne Einteilung in Kollegien. Alle Verhandlungen fanden in dem sogenannten „engeren Rate" statt, in welchem die 11 ersten Bundesstaaten je eine Stimme führten, während sich die übrigen in 6 Gesamtstimmen teilten 12 . Über Abfassung und Abänderung von Grundgesetzen des Bundes, Beschlüsse welche 'die Bundesakte selbst betrafen, organische Einrichtungen und gemeinnützige Anordnungen, Aufnahme neuer Mitglieder, ferner über Kriegserklärungen und Friedensschlüsse hatte der engere Rat nur zu verhandeln, aber nicht abzustimmen. Die Abstimmung über solche Gegenstände mußte im „Plenum" erfolgen, in welchem Österreich und die fünf Königreiche je 4, die fünf nächsten Bundesstaaten je 3, die drei folgenden je 2 Stimmen, alle übrigen je eine Stimme hatten 13 . Im engeren Rat entschied absolute Stimmenmehrheit, im Plenum Zweidrittelmehrheit. Bei Stimmengleichheit gab der Vorsitzende den Ausschlag. Einstimmigkeit war bei der Annahme oder Abänderung von Grundgesetzen, bei Beschlüssen über organische Bundeseinrichtungen, Aufnahme neuer Mitglieder und Religionsangelegenheiten erforderlich; handelte es sich um Sonderrechte einzelner Bundesstaaten, so war die Zustimmung der Berechtigten unumgänglich. Abwesende konnten ihre Stimme durch den Gesandten eines andern Bundesstaates abgeben oder sich das Protokoll binnen einer gewissen Zeit zu nachträglicher Stimmabgabe offen halten lassen, widrigenfalls die nicht 11

Vgl. AEGIDI Die Schlußakte d. Wiener Ministerialkonferenzen 1860—69. Braanschweig und Nasgau hatten eine Gesamtstimme, ebenso beide Meklenburg, ferner Sachsen-Weimar und die sächsischen Herzogtümer, sodann Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg, die fünfte Oesamtstimme gehörte den übrigen Fürstentümern (Hessen-Homburg erst seit 1838), die sechste den vier freien Städten. 13 Das „Plenum" war keine vom engeren Rat verschiedene Versammlung, sondern bedeutete nur eine besondere Art der Abstimmung. Die Gesamtstimmenzahl im Plenum betrug 69, seit Aufnahme von Hessen-Homburg 70, zuletzt aber nur noch 64, da die Stimmen der sechs erloschenen Bundesstaaten nur durch besonderen Bundesbeschluß auf die Rechtsnachfolger hätten übertragen werden können, was nicht geschehen ist. Die Stimmverteilung im Bundesplenum ist auf den Bundesrat des Norddeutschen Bundes und Deutschen Reiches übergegangen, nur wurde die bairische Stimmenzahl auf 6, die preußische unter Hinzurechnung von Hannover (4), Kurhessen (3), Holstein (3), Nassau (2) und Frankfurt (1) auf 17 erhöht. 11

§ 87.

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Verfassung des Deutschen Bundes.

abgegebene Stimme als bejahend bebandelt wurde 14 . Jeder Bevollmächtigte hatte nach Maßgabe der von seiner Regierung erhaltenen Anweisung zu stimmen; für den Bund selbst kam aber die Stimme so, wie sie abgegeben worden, in Betracht. Die Verhandlungen der Bundesversammlung waren geheim. Nur anfangs wurden die Protokolle auszugsweise veröffentlicht 15 . Für gewisse Geschäfte des Bundes waren ständige Bundestagsausschüsse eingesetzt. Wo ein Bedürfnis vorlag, konnten außerordentliche Ausschüsse bestellt werden. Die innerhalb ihrer Zuständigkeit in gesetzmäßiger Weise gefaßten Beschlüsse der Bundesversammlung waren für sämtliche Bundesregierungen unmittelbar verpflichtend, während es für die einzelnen Bundesstaaten einer besonderen landesgesetzlichen Publikation bedurfte. In den konstitutionellen Bundesstaaten war dazu im allgemeinen die Mitwirkung der Landesvertretung erforderlich, die aber bei allen für Bundeszwecke beschlossenen Leistungen nur formelle Bedeutung hatte, da die Mittel nicht verweigert werden durften. Die Verteilung der Bundesleistungen auf die einzelnen Staaten erfolgte bei einmaligen oder außerordentlichen Auflagen durch besonderen Bundesbeschluß. Die regelmäßigen Beiträge für die Bundesmatrikularkasse richteten sich nach der in der jedesmaligen Bundesmatrikel verzeichneten Bevölkerungsziffer, die für die Bundeskanzleikasse nach den 17 Stimmen des engeren Rates. Als völkerrechtliche Persönlichkeit hatte der Bund das Gesandten-, Kriegs- und Vertragsrecht. Fremde Mächte hatten zum Teil ständige Gesandten bei dem Bunde beglaubigt, während dieser nur in außerordentlichen Fällen eigene Gesandten abordnete. Das Bundeskriegsrecht hing mit der gegenseitigen Gebietsgewährleistung der Bundesstaaten zusammen; sie setzte voraus, daß keine einzelne Bundesregierung durch rechtswidriges Verhalten gegen das Ausland eine Kriegsgefahr hervorrufe. Lag ein solcher Fall vor, so hatte der Bund auf Beschwerde des Verletzten die davon betroffene Regierung zur Abstellung des Beschwerdegrundes aufzufordern, nötigenfalls zu zwingen. Bündnisverträge mit dem Ausland waren jedem Bundesgliede unbenommen, soweit die Sicherheit des Bundes und der einzelnen Bundesstaaten dadurch nicht gefährdet wurde. Bei Gefährdung des Bundesgebiets seitens einer auswärtigen Macht konnte, bei unmittelbarer Gebietsverletzung mußte der Bundeskrieg erklärt werden. Er verpflichtete alle Bundesglieder zu bundesgemäßer Teilnahme und entzog ihnen bis zum Bundesfriedensschluß das Becht der einseitigen Verhandlung mit dem Feinde. Alle Beschlüsse der Bundesversammlung über Krieg und Frieden verlangten eine Zweidrittelmehrheit des Plenums le . Zu anderen Zwecken als der Verteidigung des Bundesgebiets konnte die " Vgl. Geschäftsordnung des DB. vom 14. Nov. 1816 Art. 1. 15 Vgl. Protokolle der deutsch. Bundesversammlung 1 8 1 6 — 2 8 . Die Verhandlungen der Bundesversammlungen 1 8 4 6 — 4 8 . v. METER Repertorium zu den Verhandlungen der deutsch. BV. 1822. » Vgl. WSchl.-A. 12. 40. 49.

R. SCHHÖDKB, Deutsche Bechtsgeschlchte. 5. Aufl.

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Bundesversammlung keinen Krieg beschließen17. Auswärtige Händel, auch wenn einzelne Bundesglieder daran beteiligt waren, konnten dem Bunde höchstens Anlaß zu gütlicher Vermittelung geben; selbst wenn nicht zum Btmd gehörige Gebietsteile eines Bundesstaats feindlich besetzt wurden, lag an sich kein Anlaß zu einem Bundeskrieg vor18. Die Kriegsverfassung des Bundes beruhte hauptsächlich auf den Bundesbeschlüssen vom 9. und 21. Apr. 1821, 11. Juni 1822 und 4. Jan. 1855. Das Bundesheer bestand aus sieben von Österreich (3), Preußen (8) und Baiern (1) gestellten ungemischten und drei gemischten Armeekorps nebst einer Reserve-Infanteriedivision aus den nach Maßgabe der Bun(Jesmatrikel gestellten Kontingenten der übrigen Bundesstaaten. Das Bundesheer als solches trat erst im Fall des Bundeskrieges zusammen, doch war auch im Frieden eine gewisse Präsenzstärke vorgeschrieben, über deren Aufrechterhaltung der Band zu wachen hatte. Bei den gemischten Armeekorps und der Reserve-Infanteriedivision konnten Bundesinspektionen abgehalten werden. Die Heerverfassung der einzelnen Bundesstaaten beruhte jetzt allgemein auf der Aushebung mit Zulassung der Stellvertretung; die gebildeten Klassen unterlagen der Aushebung nur für den Kriegsfall. Die allgemeine Wehrpflicht bestand nur in Preußen (S. 909). Das Bundesheer trat zusammen, sobald der Bundestag die Mobilmachung beschlossen hatte. Die Bundesversammlung hatte sodann den Oberfeldherrn und den Generalleutnant des Bundes zu wählen und in Pflicht zu nehmen. Die übrigen Befehlshaberstellen wurden von den Kontingentherren besetzt. Ais den matrikularmäßigen Beiträgen der Bundesstaaten wurde eine Bundeskriegakasse gebildet. Die beste Seite der Bundeskriegsverfassung war das Festungswesen, Die Bundesfestungen Mainz, Luxemburg und Landau, zu denen, später noch, Ulm und Rastatt kamen, standen, unbeschadet ihrer sonstige staatlichen Beziehungen, in militärischen Angelegenheiten ausschließlich unter der Bundesversammlung. Die Besatzungsund Kommandanturverhältnisse waren durch BundesbeschlOsse geregelt. Die Festungswerke waren Eigentum des Bundes. Als technischer Beirat in Heeresangelegenheiten stand dem Bunde eine Bundesmilitärkommission zur Seite. Selbsthilfe und Krieg von Bundesstaaten untereinander waren verboten. Nachdem die Einsetzung eines Bundesgerichts am Widerspruch der Mittelstaaten gescheitert war, begnügte man sich für die Streitigkeiten zwischen einzelnen Bundesstaaten mit der Anordnung eines bundesgesetzlich geregelten Austragverfahrens19. Die einzelnen Regierungen wurden 17

Vgl. WSchl.-A. 35. 39. Vgl. ebd. 37. 43. 46. 47. Vorläufige Verteidigungsmaß regeln und bewaffnete Neutralität konnten allen ausländischen Verwicklungen gegenüber vom engeren Rat beschlossen werden. Vgl. WSchl.-A. 38. 45. 19 Vgl. DBA. 11. WSchL-A. 18—24. Austrägalordnung vom 16. Juni 1817 und 3. Aug. 1820. v. LEONHARDT Austrägalverfahren des Deutsch. Bundes 1838 bis 1845. ZÖPPL, Arch. f. zivil. Praxis 27, 388 ff. 18

§ 87. Verfassung des Deutschen Bundes.

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verpflichtet, ihre gegenseitigen Streitigkeiten bei der Bundesversammlung anzubringen, die zunächst durch einen Ausschuß die gütliche Vermittelung versuchen, bei Erfolglosigkeit des Sühneversuchs aber den obersten Gerichtshof eines von den Parteien zu wählenden unbeteiligten Bundesstaats als „Austrägalinstanz" mit der Entscheidung „im Namen und anstatt der Bundesversammlung" beauftragen sollte. Die Übernahme eines solchen Auftrags und der Gehorsam gegen die Entscheidung des Austraggerichts galt als Bundespflicht. Dasselbe war der Fall, wenn der Streit unter Gewährleistung des Bundes einem Schiedsgericht oder einem älteren Familien- oder Yertragsaustrag zum Schiedspruch übergeben war. Vorbeugende Maßregeln und ein beschleunigtes Verfahren fanden Anwendung, wenn Tätlichkeiten zwischen Bundesgliedern stattgefunden hatten oder zu besorgen waren oder eine Besitzstörung vorlag 20 . Ein Austragverfahren konnte auch bei Privatforderungen gegen mehrere Bundesregierungen eintreten, wenn es unter diesen streitig war, wer zu leisten habe 21 . Im Fall einer Widersetzlichkeit der Untertanen gegen ihre Regierung sowie bei offenem Aufruhr oder gefährlichen Bewegungen in mehreren Bundesstaaten sollte der Bund auf Ansuchen der beteiligten Regierung, unter Umständen selbst ungerufen, zur Herstellung der Ordnung einschreiten, dagegen wurden Streitigkeiten zwischen den Landesherren und ihren Ständen ausdrücklich von der Zuständigkeit des Bundes ausgeschlossen 22 . In der Fürsorge für den Rechtsschutz der Untertanen beschränkte sich die Bundesverfassung auf die Bestimmung, daß in jedem Bundesstaat von einer gewissen Größe ein oberstes Gericht dritter Instanz bestehen müsse, während sich die kleineren Staaten über die Errichtung gemeinsamer oberster Gerichte, an denen dann auch die Aktenversendung (S. 879) zugelassen werden sollte, zu verständigen hatten28. Bei Beschwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege sollte der Bund die schuldige Regierung zur Gewährung der Rechtehilfe nötigen 21 . Um die einzelnen Bundesregierungen zur Erfüllung ihrer Bundespflichten, zum Gehorsam gegen die Bundesbeschlüsse und die unter der Auktorität oder Gewähr des Bundes ergangenen Austrags-Urteile oder Schiedsprüche, sowie zur Aufrechterhaltung der vom Bund vermittelten Vergleiche anzuhalten, stand der Bundesversammlung nach Erschöpfung aller anderen bundesverfassungsmäßigen Mittel das Zwangsmittel der 20 Bei Besitzstörungen sollte ein bei der Sache unbeteiligtes Bundesglied in der Nähe des zu schützenden Gebiets die Tatsache des jüngsten Besitzstandes and die angezeigte Störung durch seinen obersten Gerichtshof summarisch untersuchen und darüber einen rechtlichen Bescheid abfassen lassen, dessen Befolgung für die verurteilte Partei Bundespflicht war. Vgl. WSchl.-A. 20. Die vorbeugenden Maßregeln gegen etwaige Selbsthilfe sollten seitens des Bundes vor allem in der Sorge für Aufrechterhaltung des Besitzstands bestehen. Vgl. ebd. 19. " WSchl.-A. 30. " Ebd. 26—28. 61. «• DBA. 12. » WSchl.-A. 29.

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Bundesexekution zur Verfügung 25 . Bei Widersetzlichkeit oder aufrührerischen Bewegungen der Untertanen konnte auch eine Exekution gegen die letzteren erfolgen, die aber auf Yerlangen der beteiligten Regierung wieder eingestellt werden mußte26.

§ 88. Reformbestrebungen im Bunde und den Bundesstaaten bis 1848. 2 H . SCHULZE Lebrb. d. Staatsrechts 1, 107ff.; Preuß. Staatsr. 1, 96ff. ZACHAa. a. 0 . (S. 9 0 3 ) 1 ' , 190ff. G . M E T E R a. a. 0 . (S. 903) 132ff. 154ff.; Das parlamentarische Wahlrecht (1901) S. 106ff. v. TBEITSCHKE, Preuß. JBB. 29, 313ff. 409ff. 30, 397ff.479 ff. 648 ff. v. KALTENBORN, Gr. d. deutsch. Bundesverhältnisse u. Einheitsbestrebungen von 1806—56, 2 Bde 1857. v. SYBEL Begründung des Deutschen Reiches 1. 1889. JELLIKEK, R. des modern. Staates* 1, 452ff. 514ff.

BIÄ

Der Deutsche Bund vermochte dem deutschen Volk nach den von diesem in den Befreiungskriegen gebrachten ungeheuern Opfern keine Befriedigung zu gewähren. Gegen das Ausland erwies er sich als kraftlos1, während er sich nach innen, zumal seit den sogenannten demagogischen Umtrieben, mehr und mehr zu einer allen volkstümlichen Regungen feindlichen, die höchsten Güter der Nation in gehässigster Weise verfolgenden Polizeimacht verwandelte8. Während die Bundesakte von 1815 und die ersten Verhandlungen der am 5. Nov. 1816 eröffneten Bundesversammlung noch von nationalem Geist erfüllt waren und eine gewisse Fürsorge für die Interessen und Bedürfnisse der Nation zu erkennen gaben s , griff schon nach wenigen Jahren die entgegengesetzte Auffassung platz. Die unantastbare Souveränität und Gleichheit der im Bund vereinigten Staaten und Scheinstaaten machte bei der erforderlichen Einstimmigkeit von vornherein jede verfassungsmäßige Bundesreform und jede organische Einrichtung oder gemeinnützige Maßregel des Bundes 15

WSchl.-A. 31—34. Exekutionsordnung vom 3. Aug. 1820. WSchl.-A. 32. So bei der Luxemburger Angelegenheit. Vgl. § 87 n. 5. ZACHABJX a. a. 0 . 1", 193 f. * Den Anfang machten die Karlsbader und Wiener Konferenzen (1819), deren Ergebnis die in verfassungswidriger Weise von_der Bundesversammlung angenommenen Karlsbader Beschlüsse (1819) und die \VSchl.-A. von 1820 waren. Vgl. A E G I D I A U S dem Jahre 1819 (1861). Später folgten, nach den durch die Julirevolution hervorgerufenen Bewegungen, die Wiener Konferenzen von 1834. Die Ausnahmegesetze von 1819, die Zentraluntersuchungskommission zu Mainz, die Demagogenverfolgungen und andere Maßregeln lassen die ehemalige deutsche Bundesverfassung als eine der unnützesten und schädlichsten Einrichtungen der deutschen Geschichte erkennen. ' Förderung der Religionsfreiheit (DBA. 16), Freigabe des Grundeigentums-' erwerbs für alle Deutschen, Auswanderungsfreiheit für alle, die nicht durch ihre» Wehrpflicht gebunden waren, Aufhebung von Abschoß und Nachsteuer (itts detractus, gabella emigrationis) unter den deutschen Bundesstaaten (18), Verleihung landständischer Verfassungen (13), Gewährung gesetzlicher Privilegien für die mediatisierten Reichsstände und die Reichsritterschaft (14. 17). M 1

§ 88. Reformbestrebungen im Bund u. den Bundesstaaten bis 1848.

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so gut wie unmöglich. Berücksichtigt wurde diese Unantastbarkeit der Einzelstaaten nur, um nationale Fortschritte zu verhindern. Wo diese von einer Bundesregierung begünstigt wurden, betrachtete sich die Bundesversammlung als den wahren Souverän, indem sie sich die offenbarsten Eingriffe in die Selbständigkeit der Einzelstaaten erlaubte. Das Volk galt als die zum Gehorsam verpflichtete Masse, als bloßes Objekt für die Regierenden. Die Lehrfreiheit der Universitäten wurde beschnitten, die Spruchtätigkeit der Juristenfakultäten in Strafsachen aufgehoben, die Preßfreiheit, soweit sie landesgesetzlich anerkannt war, mußte der Zensur weichen, die Versammlungsfreiheit wurde beseitigt, die Bedefreiheit der Landtage auf das äußerste herabgedrückt4. Die Bekämpfung und möglichste Beseitigung aller konstitutionellen Verfassungen galt als eine der wesentlichsten Aufgaben der Bundesversammlung6. Man konstruierte deshalb in willkürlichster Weise ein sogenanntes monarchisches Prinzip unveräußerlicher Souveränitätsrechte8 und suchte die einzelnen Bundesregierungen, soweit sie eine konstitutionelle Verfassung eingeführt hatten, zu Verfassungsbrüchen oder mindestens VeTfassungsrevisionen im Sinn jenes Prinzips zu nötigen7. Selbst die Magistrate der freien Städte wurden mit dem monarchischen Prinzip beglückt (WSchl.-A. 62). Für die Beschwerden der Untertanen und Städte über Rechtsverletzungen seitens der Regierenden war die Bundesversammlung taub. Für die Beförderung des Handels und Verkehrs geschah von Bundes wegen nichts. Die einzigen Lichtseiten in der Tätigkeit des letzteren waren die Beschlüsse über die Monumenta Germaniae histórica und die in ihrer Art epochemachenden Bundesbeschlüsse vom 6. Sept. 1832, 2. Apr. und 5. Nov. 1835, 9. Nov. 1837, 22. Apr. 1841 und 19. Juni 1845 über den Schutz des geistigen Eigentums8. Erfreulicher als auf dem Gebiet des Deutschen Bundes waren die Verhältnisse in den Einzelstaaten0. Von den durch die Befreiungskriege zurückgewonnenen Gebieten deutscher Bundesstaaten wurde in denen des * Hiermit beschäftigten sich namentlich die sogenannten Ausnahmegesetze v. 10. Apr. 1819, die erst duTch die Bundesbeschlttsse vom 3. März und 2. Apr. 1848 wieder aufgehoben worden, und die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni und 5. Juni 1832, sowie das Schlußprotokoll der Wiener Ministerialkonferenzen v. 12. Juni 1834. 6 Diesem Zweck diente schon, wenn auch in verschämter Weise, die Auslegung der DBA. 12 in WSchl.-A. 54—58. • WSchl.-A. 57. Vgl. E. K A U F M A N N Studien zur Staatslehre des monarch. Prinzips, Hall.' Diss. 1906. JELLINEK a. a. 0. 1, 456 f. 7 Hauptaufgabe der Beschlüsse vom 28. Juni 1832 und des Wiener Schlußprotokolls vom 12. Juni 1834. 8 Vgl. S. 870. KLOSTEHMANN Das geistige Eigentum 1, 51 ff. (1867). Schon DBA 19 hatte eine Nachdrucksgesetzgebung in Aussicht gestellt. Eine wichtige Ergänzung der angeführten Bundesgesetzgebung bildeten die Bundesbeschlüsse v. 6. Nov. 1856 und 12. März 1857. 9 Vgl. ALTMANN Urkunden (§ 86 n. 8).

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linken Eheinufers die bisherige französische Gesetzgebung aufrechterhalten, dasselbe geschah zum Teil in den rechtsrheinischen Gebieten der preußischen Rheinprovinz. Im übrigen fand überall die Aufhebung der französischen Gesetze im Weg der Landesgesetzgebung statt. Während dies im allgemeinen mit schonender Hand und unter Aufrechterhaltung manches Guten, das dem Zwischenreich der Fremden zu verdanken war, geschah, wurde in Hannover und Eurhessen eine vollständige, die französisch-westfälische Zwischenherrschaft aus der Geschichte ausstreichende Reaktion unternommen und mit der größten Härte, ohne Schonung wohlerworbener Rechte, durchgeführt10. Eine dringende Aufgabe aller Bundesstaaten mit katholischer Bevölkerung war die durch RDHSchl. 62 in Aussicht gestellte Neuregelung der katholischen Kirchenverfassung, da dieses Gesetz sich nicht auf die Mediatisierung der geistlichen Reichsstände (S. 905) beschränkt, sondern schlechthin „alle Güter der fundierten Kapitel, Abteien und Klöster" im ganzen Reiche der „freien und vollen Verfügung der betreffenden Landesforsten'' preisgegeben hatte, „sei es zur Bestreitung der Kosten des Gottes» dienstes, des Unterrichts und anderer Anstalten zum gemeinen Besten, sei es zur Erleichterung ihrer Finanzen". Die daraufhin von den meisten Staatsregierungen ergriffenen Maßnahmen hatten zwar auch einige evangelische Stiftungen, hauptsächlich aber die katholische Kirche getroffen, der fast ihr ganzes Vermögen zugunsten staatlicher Allgewalt entzogen wurde11. Die Neuregelung erfolgte durch Vereinbarungen mit dem päpstlichen Stuhl, deren Inhalt durch die vom Papst erlassenen und von den Landesregierungen unter Wahrung der staatlichen Hoheitsrechte und der Gleichberechtigung der anerkannten Konfessionen publizierten Zirkumskriptionsbullen zum Gesetz erhoben wurde12. Die Religionsfreiheit wurde durch die DBA. 16 erheblich gefördert, indem der Genuß der „bürgerlichen und politischen Rechte" fortan von der „Verschiedenheit der christlichen Religionsparteien" unabhängig sein sollte. Das Recht des Religionsbannes war aufgehoben, doch blieb es der 10

Vgl. Häusssii a. a. 0. 4, 460 ff. RDHSchl. 84—80. Vgl. STUTZ Kirchenr. (S. 8) 874ff.(mit reichen Literaturangaben). BEBQHAÜS Deutschi, vor 50 Jahren 1, 968 f. DOVE, Realenzykl. f. prot. Theol. u. Kirche' 14, 62ff. 67. 59f. Von der Säkularisation verschont blieben nur die Frauenklöster, die nur im Einvernehmen mit dem Bischof eingezogen werden sollten. 11 Zirkumskriptionsbullen hießen diese Erlasse, weil die neue Abgrenzung der Diözesen (circumacribere) ihren Hauptinhalt bildete. Die nach ihren Eingängen benannten Bullen waren: für Preußen De salute animarum (1821), für Hannover Impmsa Romanorum pontificum (1824), fär die oberrheinische Kirchenprovinz Provida solersque (1821) und Ad dommiei gregis cusiodiam (1827). In Baiern wprden die Ergebnisse des Konkordats vom 5. Juni 1817 mit einigen durch die staatsrechtlichen Verhältnisse gebotenen Abänderungen durch das als 2. Beilage der Verfassungsnrkunde von 1818 erlassene Religionsedikt landesgesetzlieh eingeführt, so daß die Bulle gesetzliche Geltung nur erlangte, soweit sie nicht der Landesverfassung widersprach. 11

§ 88. Reformbeetrebungen im Band 11. den Bundesstaaten bis 1848.

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Landesgesetzgebung überlassen, inwiefern den Andersgläubigen auch die öffentliche Religionsübung zu gestatten sei. Die rechtliche Stellung der Dissidenten, die nach dem JPO. im Reiche nicht geduldet werden sollten, blieb der Regelung durch die Landesgesetzgebung anheimgestellt. Hinsichtlich der Juden beschränkte sich die DBA. darauf, ihnen die Ton den einzelnen Bundesstaaten eingeräumten Rechte zu gewährleisten, so daß ihre Lage wenigstens nicht mehr verschlechtert werden durfte 13 . Die bei der Bundesverfassung zurückgewiesene Beteiligung des Volkes an der Regierung sollte nach DBA. 13 wenigstens innerhalb der einzelnen Landesverfassungen platzgreifen. Die Bestimmung: „In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden", die in erster Reihe eine wahre Volksvertretung im Auge hatte, wurde aber durch WSchl.-A. 55 dahin ausgelegt, daß der Landesherr nach seiner Wähl entweder eine altständische oder eine Repräsentativverfassung einführen könne. Die den Ständen einzuräumenden Rechte wurden außerdem durch das in übertriebenem Sinn aufgefaßte monarchische Prinzip auf das äußerste begrenzt14 und die Bundesgewähr für die Landesverfassungen (WSchl.-A. 56. 60) tatsächlich nur zum Schutz altständischer Verfassungen ausgeübt15. Konstitutionelle Verfassungen kamen, teils im Wege der Vereinbarung mit den alten Ständen, teils durch einseitigen landesherrlichen Erlaß, zunächst nur in Nassau (1814/15), Waldeck, Schwarzburg-Rudolstadt und Sachsen-Weimar (1816), Hildburghausen (1818), Baiern und Baden (1818), Würtemberg (1819), Hessen-Dannstadt (1820), Altenbürg und Koburg (1821), Meiningen (1829) zustande. In einigen dieser Staaten hatte die Rheinbundzeit mit der Vergangenheit so völlig gebrochen, daß es, namentlich mit Rücksicht auf die zahlreichen neuerworbenen Gebiete, vollständiger staatsrechtlicher Kodifikationen bedurfte. Die zum Teil an die „charte constitutionelle" Ludwigs XVIII (1814) anknüpfenden Verfassungsurkunden, die übrigens an dem monarchischen Prinzip festhielten, entsprachen den Anforderungen der Zeit so gut, daß sie alle folgenden Stürme überdauert und sich im wesentlichen bis zur Gegenwart erhalten haben. Einen neuen Anstoß für die konstitutionelle Entwicklung Deutschlands gab die französische Julirevolution. Repräsentatitverfassungen erhielten 1831 Eurhessen und das Königreich Sachsen, das bis dahin streng an den altständischen Einrichtungen festgehalten hatte, 1832 -Braunschweig, 1833 Hannover und Hohenzollem-Sigmaringen, 1835 Hohenzollern-Hechingen, 1841 Schwarzburg-Sondershausen. Die hannoversche Verfassung wurde, nachdem die Verbindung des Landes mit England durch den Tod Wilhelms III gelöst worden war (1837), von Ernst August unter 18 In Preußen wurden die Juden 1787 vom Leibzoll befreit. Durch Gesetz vom 11, März 1812 erlangten sie die bürgerliche Gleichstellung mit den Christen. 14 Vgl. S. 917. WSchl.-A. 57—59. 16 Die altständische Verfassung Braunschweigs wurde vom Bubde gegen den Absolutismus des Herzogs geschützt (1830), der hannoversche Verfassungsbruch und die Vertreibung der sieben Göttinger Professoren (1837) blieb ungeahndet.

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Neuzeit seit der französischen Revolution.

dem nichtigen Vorwand, daß er als Agnat seine Zustimmung nicht erteilt habe, umgestoßen und 1840 durch eine neue, mit einer ungesetzlichen Ständeversammlung vereinbarte "Verfassung ersetzt. Die altständische Verfassung bestand jetzt nur noch in beiden Meyenburg, Oldenburg, Sachsen-Gotha, Anhalt und Reuß, mit gewissen Verbesserungen auch in Schaumburg-Lippe und Lippe. Schleswig-Holstein erhielt 1834 eine reformierte Verfassung, zum Teil auf Grund des in keinem anderen deutschen Staat angenommenen direkten Wahlrechts, aber immer noch auf altständischer Grundlage und mit bloßem Beratungsrecht bei der Gesetzgebung. Österreich beharrte in einem verknöcherten Absolutismus, der sämtliche habsburgische Länder zusammenfaßte und den deutschen Charakter des Kaiserstaats infolgedessen stark in den Hintergrand treten ließ; in einzelnen Provinzen bestanden Provinziallandtage mit untergeordneten Befugnissen; wesentliche Beformen erfolgten nur in der Organisation der Zentralbehörden16. In Preußen wurde noch 1820 das Versprechen einer „reichsständischen Verfassung" seitens des Königs wiederholt, aber es kam nur zu der Einrichtung von Provinzialständen (1823—24) auf vorwiegend altständischer Grundlage und mit beschränkter Zuständigkeit, insbesondere auf dem Gebiet der Gesetzgebung nur mit beratender Stellung11. Im übrigen wurde in landesväterlicher Fürsorge mit einem streng gewissenhaften Beamtentum an dem Ausbau des Staates auf Grundlage der Stein-Hardenbergischen Beformen gearbeitet. Die Heeres-, Zivil- und Finanzverwaltung wurde weiter vervollkommnet. Seit 1829 wurde die regelmäßige Veröffentlichung des Staatshaushalts eingeführt. Die konstitutionelle Entwicklung kam erst unter Friedrich Wilhelm IV mehr in Bewegung. Den Anfang machten die vereinigten ständischen Ausschüsse (1842), denen 1847 der vereinigte preußische Landtag, eine in Herrenkurie und Ständekurie geteilte Vereinigung der acht Provinziallandtage, folgte, aber auch dieser erhielt nur die Befugnisse, wie sie die alten Landstände besessen hatten, und den vom vereinigten Landtag gestellten Anträgen auf Einführung einer konstitutionellen Verfassung wurde keine Folge gegeben. Einer der wichtigsten preußischen Staatsakte war das Gesetz vom 26. Mai 1818 über den Zoll und die Gebrauchstöuer von ausländischen Waren und den Verkehr zwischen den Provinzen des Staats, wodurch sämtliche Binnenzölle aufgehoben und die Zollgrenze an die Landesgrenzen verlegt wurde. Die von preußischem Gebiet eingeschlossenen Enklaven anderer deutscher Staaten wurden nach und nach durch besondere Verträge mit dem preußischen Zollgebiet vereinigt, ebenso die " Vgl. v. LUSCHIN Osten-. Reichs-G. 568ff. 17 Das gewissenhaft gehaltene Versprechen des Königs, keine Staatsanleihen ohne landständische Genehmigung zu erheben, machte es notwendig, die ersten Eisenbahnunternehmungen in Preußen der Privatindustrie zu überlassen. Der Gedanke einer Staatseisenbahnpolitik hat in Preußen erst nach f$66 Boden gewonnen.

§88.

Reformbestrebungen im Bund u. den Bundesstaaten bis 1848.

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drei anhaltischen Herzogtümer, die Fürstentümer Waldeck-Pyrmont und Lippe und das Großherzogtum Luxemburg, das in diesem Verhältnis bis zur Gegenwart geblieben ist 18 . Nachdem Preußen und beide Hessen, sodann Baiern und Würtemberg besondere Zollvereine errichtet hatten, traten beide Vereine durch die Verträge vom 22. und 30. März 1883 zu dem „Zoll- und Handelsverein" zusammen, der auch Sachsen und die Anschlußstaaten des preußischen Zollgebietes mitumfaßte. Noch in demselben Jahr trat der thüringische Zollverein, dem Preußen und Eurhessen ebenfalls mit einigen Landesteilen angehörten, dem „Gesamt- Zoll- und Handelsverein" bei19, 1835 folgten Baden und Nassau, 1836 Frankfurt a. M., 1841 Lippe und Braunschweig, das bisher dem 1834—36 errichteten „Steuerverein" angehört hatte. Auch dieser, dem nur noch Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe angehörten, wurde auf Grund der Verträge vom 7. Sept. 1851 und 1. März 1852 mit dem Zollverein verbunden (1854), so daß er nunmehr ganz Deutschland mit Ausnahme von Österreich, Liechtenstein, Holstein-Lauenburg, beiden Meklenburg und den drei Hansestädten umfaßte. Der Zollverein war ein völkerrechtlicher Verein, der immer nur auf bestimmte Zeit (12 Jahre) abgeschlossen, aber regelmäßig, wenn auch zuweilen erst nach schweren Krisen, wieder erneuert wurde. Sein Organ war die jährlich an einem vorher vereinbarten Ort zusammentretende Zollkonferenz, aus Bevollmächtigten der Vereinsstaaten bestehend; alle Beschlüsse mußten einstimmig gefaßt werden. Preußen vertrat zugleich seine Zollanschlüsse, hatte aber im übrigen kein Vorrecht, wenn ihm auch tätsächlich die Führerschaft nicht entgehen konnte. Der Zollverein bildete ein einheitliches Verkehrsgebiet mit gemeinsamem Zoll- und Handelssystem, Zollgesetz und Zolltarif und einheitlicher Zollordnung. Auch über gleichmäßige Besteuerung innerer Erzeugnisse wurden Vereinbarungen, z. B. über die dem ganzen Zollverein gemeinsame Rübenzuckersteuer, getroffen. Gemeinsame Grundsätze wurden hinsichtlich des Münz- und Gewichtssystems aufgestellt. Während die Münzkonvention von 1838 noch die kölnische Mark zu Grunde legte20, ging der Münzverein von 1857, dem auch Osterreich und Liechtenstein beitraten, bereits von dem als Ge-

18

Der Anschluß erfolgte 1842, zunächst auf sechs, später auf je zwölf Jahre. Die letzte Erneuerung (1865) wurde durch § 14 des Staatsvertrages vom 11. Juni 1872 über die Übernahme der Luxemburger Eisenbahnen in die Verwaltung des Deutschen Reiches in der Weise unkündbar gemacht, daß der Zollanschluß bestehen bleibt, solange das Reich die Eisenbahnverwaltung behält. 19

Vgl. AEOIDI AUS der Vorgeschichte des Zollvereins 1865,

WEBEB Der

deatsche Zollverein 1869. NEBENIUS Der deutsche Zollverein 1835. Die rechtliche Unterlage des Zollvereins bildete DBA. 11 und WSchl.-A. 6. ,0 Vgl. S. 859. Die süddeutschen Staaten gingen von dem 24 Gulden-Fuß zum 24'/, Guldenfuß über, so daß der 14 Talerfuß und der reformierte rheinische Münzfuß in dem Taler (= 1®/« fl.) und dem 2 Talerstück (= 87 2 A-) eine beiden Systemen angepaßte Münze erhielten.

Neuzeit seit der französischen Revolution.

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wichtseinbeit angenommenes Zollpfand von 500 Gramm aus21. Noch auf einem zweiten Gebiete hat der Zollverein für ganz Deutschland eine Förderung gebracht, indem Preußen am 31. August 1847 auf Beschluß der Zollvereinskonferenz die deutschen Bundesregierungen zur Beschickung der Leipziger Wechselkonferenz einlud, deren Ergebnis der am 9. Dezember 1847 vollendete Entwurf der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung war. Eine besonders wichtige Aufgabe der wirtschaftlichen Reform fiel der Landeskulturgesetzgebang der Bundesstaaten zu22. Yon den Reformen auf dem Gebiete des Lehnwesens und von der Bauernbefreiung ist bereits in anderem Zusammenbange die Bede gewesen23. Die Bauernbefreiung war überall ohne Entschädigung der Herren erfolgt, aber die Leistungen, zu denen die Bauern verpflichtet gewesen waren, blieben der gutsherrlichbäuerlichen Regulierung vorbehalten. Das Dekret der französischen Nationalversammlung über die Aufhebung des régime féodal (4. Aug. 1789), das auch in den von Napoleon einverleibten deutschen Gebieten durchgeführt wurde, hatte die Bauern, soweit sie ein erbliches Recht besaßen, durchweg in Eigentümer verwandelt und von sämtlichen Lasten befreit; eine Entschädigung wurde den Herren, erst später zugebilligt In den deutschen Staaten erfolgte dagegen die gutsherrlich-bäuerliche Regulierung in der Weise, daß die Bauern bei erblichen und allen don Leihezwang unterworfenen nichterblichen Stellen gegen Entschädigung der Herren durch Kapital oder Rente für die bisherigen bäuerlichen Leistungen das volle Eigentum erwarben24. Zur Erleichterung der Ablösung wurden vielfach staatliche Rentenbanken gegründet, die gegen Abtretung der Ablösungsrente das Kapital in Gestalt von Rentenbriefen vorschössen26. In weniger glücklicher Weise hatte das preußische Landeskulturedikt von 1811 die Ablösung der Dienste durch eine Teilung der Bauergüter zwischen den Bauern und ihren bisherigen Herren ins Auge gefaßt. Die durch die Ablösung zu freien Eigentümern gewordenen, gleichzeitig aber wirtschaftlich geschwächten Bauern sahen sich in zunehmendem Maß zum Verkauf ihrer Höfe gedrängt, wobei diese teils zur Vergrößerung der herrschaftlichen Güter, teils durch Vereinigung mit " Aus dem Pfund feinen Silbers wurden 30 Taler oder 45 fl. österreichisch oder 621/, fl. rheinisch gepr>. Vereinsmünze -wurde der dein früheren Taler gleichwertige Vereinstaler zu l'/t Ssterr. und l*/4 fl. rheinisch. n

Vgl. 6 . MEYBB Lehrb. d. deutsch. Verw.-Rechts 1', 291—314 (mit aus-

führlicher Literatur). NosiLnra Die preuß. Landeskulturgesetze 1901. LBTTB n. RÖNNE LandeskulturgeBetzgebung d. preuß. Staates, 2 Bde 1858—54. M

M

Vgl. S. 819. 907 f.

Vgl. G. F. KNAPP und MEITZES a. a. 0 . (S. 815f.). JUDEICH Grundentlastung

in Deutschi. 1863. 11 Der Überschuß der Rente über den zur Verzinsung der Rentenbriefe erforderlichen Betrag wurde zur Amortisation der Rente bestimmt, so daß der Bauer durch die einige Jahrzehnte hindurch fortgesetzte Zahlung von selbst befreit wurde.

§ 88. Reformbestrebungen im Bund u. den Bundesstaaten bis 1848.

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anderen Höfen zur Neugründung großer Güter verwendet wurden. Als das Ablösungsgesetz von 1850 statt der Naturalteilung die in anderen Staaten bewährten Ablösungsrenten einführte, war es für die meisten Bauern zu spät. Noch bedenklicher war es gewesen, daß die Deklaration von 1816 alle kleineren Bauernstellen (die spanndienstfreien Dienstfamilienetablissements, im Gegensatz zu den selbständigen Ackernahrungen) von der Wohltat der Ablösungsgesetzgebung überhaupt ausgenommen hatte. Da die große Mehrzahl nicht in erblichem, sondern nur in Pacht- oder lassitischem Besitz stand, für diese Art Güter aber gleichzeitig der Bauernschutz aufgehoben wurde, so hatte das Gesetz die verderbliche Folge, daß die kleinbäuerliche Bevölkerung der ostelbischen Provinzen in eine besitzlose Klasse reiner Tagelöhner umgewandelt wurde 26 . Eine andere Aufgabe der Landeskulturgesetzgebung war die Zusammenlegung (Yerkoppelung) der Grundstücke im Wege des Zwangsumtausches der in Streulage befindlichen Ackerparzellen, womit zugleich der Flurzwang und die gegenseitige Brach- und Stoppelweide beseitigt wurde 27 . In Schleswig-Holstein, Lauenburg, Nassau-Oranien und NassauSaarbrücken waren die Verkoppelungen großenteils schon im Laufe des 18. Jahrhunderts durchgeführt 28 . In Preußen wurde das Verkoppelungsverfahren in mustergültiger Weise durch die Gemeinheitsteilungsordnung von 1821 geregelt, nachdem schon das ALB. I 17 §§ 311ff. gewisse Grundzüge aufgestellt hatte 29 . Für die süd- und westdeutschen Verhältnisse ist namentlich das nassauische Konsolidationsgesetz von 1823 vorbildlich geworden. Gegenwärtig befinden sich die meisten deutschen Staaten im Besitz einer verständigen Yerkoppelungsgesetzgebung30. Das Verfahren geschieht nur auf Antrag eines Teils der Interessenten und wird durch staatliche Auseinandersetzungsbehörden (in Preußen Generalkommissionen) durchgeführt. Es verfolgt den Zweck, jedem Beteiligten statt des in Streulage befindlichen Parzellenbesitzes einen möglichst abgerundeten Besitz zu verschaffen. Das Verfahren führt vielfach zugleich zu einer Aufteilung der Gemeindeweiden, während die Gemeindewälder in der Regel ungeteilt erhalten bleiben. Weitere Aufgaben der Landeskulturgesetzgebung des 19. Jahrhunderts " Anf diesen Umstand hat zuerst 6. F. K N A P P aufmerksam gemacht. ,T SCHENCK Einteilung der Felder u. Zusammenlegung der Grundstücke mit bes. Rücksicht auf das südwestl. Deutschland 1 8 6 7 . SCHUTTE Zusammenlegung der Grundstücke 1886. Vgl. die angeführten Werke von 6 . K N A P P und MEITZER (S. 815 f.). 28 Vgl. SCHENCK a. a. 0. 23 ff. HAUSSEN Agrarhistor. Abh. 2, 514 f. Dazu später Gesetz vom 2. Apr. 1872 und die provinziellen Verkoppelungsgesetze für Hessen-Nassau (13. Mai und 2. Sept. 1867), Schleswig-Holstein (17. Aug. 1876), Hannover (17. Juni 1883), Hohenzollern (28. Mai 1885), Rheinprovinz (24. Mai 1885, 5. April 1869), Landesgesetz für Waldeck und Pyrmont (25. Jan. 1869). 90 In Baiern wurde das unbrauchbare Gesetz von 1861 ersetzt durch Flnrberainigungsgesetz vom 29. Mai 1886.

Neuzeit seit der französischen Revolution.

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waren die Beseitigung des Jagdrechts auf fremdem Grund und Boden31, die Aufbebung, Ablösung oder Beschränkung kulturschädlicher Dienstbarkeiten (namentlich der Weidegerechtigkeiten), Ablösung der Zehnten und sonstigen kirchlichen ßeallasten, die Waldschutzgesetzgebung, das Wasserrecht, insbesondere die Yerhältnisse der Deich-, Bewässerungs- und Entwässerungsgenossenschaften u. dgl. m.32. Die früheren Beschränkungen des Eigentumserwerbes für gewisse Klassen, wonach Nichtadeliche in der Begel keine Bittergüter, Adeliche keine Bauergüter erwerben durften, wurden schon im Beginn des 19. Jahrhunderts allgemein aufgehoben. Ebenso wurden die aus früherer Zeit überlieferten partikularrechtlichen Beschränkungen der Teilbarkeit der Grundstücke größtenteils beseitigt. Dagegen hat sich die nur dem fränkischen Recht unbekannt gebliebene ungeteilte • Vererbung der Bauergüter (das Anerbenrecht) nach den Grundsätzen des Minorats oder Majorate in den verschiedensten Teilen Deutschlands erhalten33. Die neueren Höferechte oder Landgüterordnungen suchen diese Richtung zu befördern. Auf dem Gebiet des Großgrundbesitzes wurde, im Anschluß an die Ganerbschaften des Mittelalters, die ungeteilte Vererbung durch das Institut der Familienfideikommisse aufrecht erhalten, das sich, obwohl durch das französische Recht und die Gesetzgebung der Jahre 1848 und 1849 bekämpft, durchaus als lebensfähig und für die Erhaltung einer gesunden Aristokratie unentbehrlich erwiesen hat. Ebenso hat die durch die neuere Gesetzgebung zum Teil verbotene Erbpacht als ein für die Wiedergewinnung eines gesunden Bauernstandes unentbehrliches Institut in neuester Zeit teils in der alten Form, teils in der des Rentengutes die Unterstützung der früher vielfach abgeneigten Gesetzgebung wiedererlangt.

§89.

Der Deutsche Bund von 1848 bis 1866.

ZACHAHIZ (8. 903) 1*, 200ff. 6 . MEYEB (S. 903) 157FF.; D a s parlamentar. W a h l r e c h t 174—216. SCHULZE Staatsrecht 1, 123ff. KLÜPFEL, G. der d e u t s c h e n Einheitebestrebungen, 2 B d e 1872—73. WEIL Quellen u. Aktenstücke z. deutsch. V G . 1850. ROTH U. MERK Quellensammlung d. deutsch, öff. Rechts s e i t 1848, 2 B d e 1850—52. VOOEL S t u d i e n zur Gr. des Frankfurter Parlaments 1881. BIN81 Auf dem linken Rheinufer schon durch die französische Gesetzgebung,. im übrigen größtenteils erst seit 1848.

V g l . 6 . MEYEB V e r w a l t u n g s r e c h t ' 1, 288—882. ROSIN Recht der öffentl. Genossenschaft 1886 S. 79—89. 0 . GIEBKE Genossenschafter. 1 , 770 ff. A . ANGOHÜTZ W i e s e n g e n o s s e n S c h ä f t e n , J B . d. g e m . deutsch. R. 3, 396 ff. G. ANSCHÜTZ

Bewässerung u. Bewässerungsrecht, HWB. d. Staatsw.1 2, 773ff.; Deichwesen, ebd. S, 141 ff.; Wassergenossenschaften, ebd. 7, 669ff. J. GIEBKE, G. d. deutsch. D e i c h r e c h t s 1 (GIEBKE Unters. 68).

38 Vgl. v. MIASKOWSKI, Das Erbrecht und die Grundeigentums Verteilung im Deutschen Reiche 1882—84 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 20. 25). Siehe

a u c h die S. 815 f. angeführten Schriften v o n BBENTANO, V. DULTZIG, FICK, LUDWIG.

§ 89.

Deutscher Bund von 1848 bis 1866.

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DINO Versuch der Reichsgründung durch die Paulskirche 1892. v. SYBEI Begründung des Deutschen Reiches, Bd 1—5. — Getreuer Abdruck der Reichsverfassung von 1849 und der Erfurter Entwürfe bei BINDIKO Staatsgrundgesetze 2. 1893.

Die ungeheure Bewegung, die das deutsche Volk nach der französischen Februarrevolution durchzuckte, war in erster Reihe gegen den deutschen Bundestag und auf eine angemessene Beteiligung der Nation an der Regierung des Bundes und der Einzelstaaten, daneben auf innere Reformen (Rede- und Preßfreiheit, Versammlungsfreiheit, Beseitigung der Patrimonialgerichte, Aufhebung des Jagdrechts auf fremdem Grund und Boden u. dgl. m.) gerichtet. Die Bundesversammlung überstürzte sich seit dem März 1848 in patriotischen Beschlüssen, die zum Teil ohne die erforderlichen Instruktionen der Regierungen gefaßt wurden. Die früheren freiheitsfeindlichen Bundesbeschlüsse und Ausnahmegesetze wurden aufgehoben, die früher als hochverräterisch betrachteten Reichsfarben als Bundesfarben und der Reichsadler als Bundeswappen angenommen, die Revisionsbedürftigkeit der Bundesverfassung und die Notwendigkeit einer Nationalvertretung ausgesprochen. Während auf Einladung der Bundesversammlung ein Ausschuß von 17 Männern des allgemeinen Vertrauens (nach den 17 Stimmen des engeren Rates) den Entwurf eines deutschen Reichsgrundgesetzes ausarbeitete, dessen Grundgedanken vollständig in die heutige Reichsverfassung übergegangen sind1, erwuchs den Reformbestrebungen der Bandesversammlung eine volkstümliche Konkurrenz in dem sog. Vorparlament, einer aus freiem Antrieb zu Frankfurt zusammengetretenen Notabelnversammlung, zu der sich zahlreiche in Landes- oder Gemeindevertretungen hervorragende Männer eingefunden hatten. Obwohl dieser Versammlung jede amtliche Auktorität fehlte, erhielt das Vorparlament und der von ihm eingesetzte Fünfzigerausschuß einen großen Einfluß auf das Reformwerk. Bei den auf Bundesbeschluß vom 30. März 1848 von sämtlichen Bundesregierungen angeordneten Wahlen einer Nationalvertretung zur Vereinbarung einer Reichsverfassung wurden die von dem Vorparlament entworfenen Grundzüge eines Wahlgesetzes maßgebend2. Am 18. Mai 1848 trat die „deutsche konstituierende Nationalversammlung" in der Paulskirche zu Frankfurt zusammen. Nachdem diese zunächst ein Gesetz über die provisorische Zentralgewalt beschlossen und daraufhin den Erzherzog Johann von Osterreich zum Reichsverweser gewählt hatte, übertrug die Bundesversammlung am 12. Juli 1848 „namens der deutschen Regierungen" die Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen an die provisorische Zentralgewalt und legte sie feierlich in die Hände des Reichsverwesers, indem

1

Verfasser des Entwurfes, dem zunächst keine weitere Folge gegeben wurde,

w a r DAHLMANN.

' Bei den Wahlen beteiligten sich auch die Provinzen Ost- und Westpreußen und ein Teil von Posen, deren Aufnahme in den Deutschen Bund durch BundesbeBchlüsse vom 11. und 22. April und 2. Mai erfolgt war.

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sie erklärte, daß sie „ihre bisherige Tätigkeit als beendet" ansehe. Damit war die bisherige Bundesverfassung rechtlich aufgehoben und die Vollendung des Reformwerkes der provisorischen Zentralgewalt und der Nationalversammlung übertragen. Eine Verständigung mit den Einzelregierungen war rechtlich nicht mehr erforderlich, wohl aber durch die Staatsklugheit geboten. Das Reformwerk scheiterte, weil die Nationalversammlung in Überschätzung ihrer Macht von einer solchen Verständigung glaubte absehen zu können. Am 26. Nov. 1848 wurde der von der Nationalversammlung als Reichsgesetz angenommene Entwurf der Leipziger Wechselkonferenz, die „Allgemeine Deutsche Wechselordnung" (S. 922), im Reichsgesetzblatt verkündigt; ebenso am 27. Dez. die als Teil der Reichsverfassung beschlossenen „Grundrechte des deutschen Volkes" und am 12. April 1849 das Beichswahlgesetz. Die am 27. März 1849 beschlossene „Verfassung des deutschen Reiches" erhielt die Unterschrift des Reichsverwesers nicht; sie wurde ohne diese als „beschlossen und verkündigt" von der „deutschen verfassunggebenden Nationalversammlung" durch das Bureau derselben unter dem 28. März 1849 im Reichsgesetzblatt bekannt gemacht. Nach der „Verfassung des deutschen Reiches" sollte das bisherige Bundesgebiet einen konstitutionellen Bundesstaat bilden, mit einem erblichen „Kaiser der Deutschen" und verantwortlichen Reichsministern, sowie einem aus Staaten- und Volkshaus bestehenden Reichstag, das erstere zur einen Hälfte aus Vertretern der Regierungen, zur anderen aus Abgeordneten der Einzellandtage zusammengesetzt, das Volkshaus aus unmittelbaren, geheimen Volkswahlen hervorgehend. Die am 28. März von der Nationalversammlung vollzogene Kaiserwahl fiel auf Friedrich Wilhelm IV von Preußen, der die Wahl am 28. April endgültig ablehnte, weil die Nationalversammlung die von ihm gestellte Bedingung der freien Zustimmung der Einzelstaaten zu der Reichsverfassung verwarf. Es folgte die Abberufung der preußischen Abgeordneten zur Nationalversammlung vonseiten der preußischen Regierung, deren Beispiel die meisten übrigen Regierungen folgten. Damit war das Reformwerk der Jahre 1848—49 gescheitert. Die konstituierende Nationalversammlung löste sich auf. Die ohnmächtigen Versuche des in Frankfurt verbliebenen, dann nach Stuttgart übergesiedelten Restes der Versammlung (des „Rumpfparlamentes") zur-. Aufrichtung der Volkssouveränität und der Republik gehören nicht in die Rechtsgeschichte. Die ehemalige Bundesverfassung war seit dem 12. Juli 1848 aufgehoben und das Gesetz über die provisorische Zentralgewalt vom 28. Juni 1848 bot in dem nun eingetretenen Fall keine Handhabe, um dem gesetzlich unauflösbaren Bunde wieder eine verfassungsmäßige Organisation zu geben. Der Vertragsweg war das einzige Auskunftsmittel, das sogleich von der preußischen Regierung ergriffen wurde. Das am 26. Mai 1849 von Preußen, Hannover und Sachsen abgeschlossene Dreikönigsbündnis bezweckte, unbeschadet der Fortdauer des

§ 89. Deutscher Bund von 1848 bis 1866.

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noch genauer zu regelnden Bundesverhältnisses mit Osterreich, die Errichtung eines die übrigen deutschen Staaten umfassenden Bundesstaats unter dem Namen „Deutsches Reich". Der gleichzeitig vereinbarte Verfassungsentwurf schloß sich auf das engste an den Frankfurter Entwurf an, beseitigte aber die Übertreibungen des parlamentarischen Systems, trug der Selbständigkeit der Einzelstaäten größere Rechnung, ersetzte den Titel „Kaiser der Deutschen" durch „Reichsvorstand" und stellte dem letzteren, dessen Würde mit der Krone Preußens verbunden wurde, für Akte der Gesetzgebung ein Fürstenkollegium zur Seite. Dem Dreikönigsbündnis traten sämtliche Bundesregierungen bis auf Baiern, Würtemberg, Luxemburg, Liechtenstein, Hessen-Homburg und Frankfurt' bei, während Österreich gegen den Versuch eines engeren Bundes überhaupt Verwahrung einlegte; Nachdem Hannover und Sachsen sich wieder von dem Bündnis losgesagt hatten, wurde der Verfassungsentwurf durch eine Zusatzakte dahin geändert, daß der Bund den Namen „Deutsche Union" erhalten sollte. Der am 20. März 1849 zu Erfurt eröffnete Reichstag nahm die Verfassung unverändert an. Aber die preußische Regierung hatte nicht die Kraft und bald auch nicht mehr den Willen, dem um sich greifenden Abfall der Verbündeten zu steuern. Die Deutsche Union blieb ein totgeborenes Kind, die Erfurter Verfassung ist nie ins Leben getreten. Ebensowenig halte der von dem Vierkönigsbündnis aufgestellte Münchener Gegenentwurf einen Erfolg. Österreich und Preußen hatten sich nach der Auflösung der Nationalversammlung, da die von Preußen nicht mehr anerkannte provisorische Zentralgewalt des Reichsverwesers nur noch ein schattenhaftes Dasein führte, über eine gemeinsam zu übernehmende provisorische Bundesleitung verständigt, aber noch bevor diese ins Leben trat, berief Österreich als Präsidialmacht auf den 10. Mai 1850 eine außerordentliche Bundesplenarversammlung nach Frankfurt Obwohl nur acht, später elf Regierungen, darunter die noch mit Deutschland im Krieg befindliche dänische, vertreten waren, erklärte sich; die Versammlung für beschlußfähig und verfügte, nachdem sie sich auch als engerer Rat konstituiert hatte, sofort die Bundesexekution gegen das schleswig-holsteinische und das kurhessische Volk, die für ihr Festhalten an Recht und Verfassung vom Bunde gezüchtigt werden sollten. Nachdem Preußen sich im Olmützer Vertrage (29. Nov. 1850) unterworfen hatte und die zur Vereinbarung einer Bundesreform eröffneten Dresdener Konferenzen ergebnislos geblieben waren, wurde die Bundesversammlung (Mai 1851) wieder von sämtlichen deutschen Regierungen anerkannt. Der Bundestag hatte in den Jahren der Prüfung nichts gelernt und nichts vergessen. Die Reaktion im Bunde wie in den Einzelstaaten nahm ihren Anfang. In den Jahren der Bewegung hatten sämtliche Staaten, die noch keine Repräsentativverfassung besaßen, eine solche erhalten; in anderen waren die bestehenden Verfassungen zum Teil neugestaltet worden. Die Verfassungsgesetze waren größtenteils im Wege der Vereinbarung zustande gekommen, der geringere Teil beruhte

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auf einseitigem Regierungserlaß. Überall hatte ein erfreulicher Fortschritt stattgefunden. Die Patrimonialgerichte waren größtenteils beseitigt, die Gerichtsverfassungen überhaupt in einer den modernen Anschauungen entsprechenden Weise reformiert, Strafrecht und Prozeß in derselben Richtung umgestaltet, Religions-, Gewerbe-, Preß- und Versammlungsfreiheit durchgeführt, die verschiedene Berechtigung der Standesklassen aufgehoben, das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden beseitigt u. dgl. m. An Auswüchsen der Volksfreiheit und des parlamentarischen Systems fehlte es freilich nicht, und eine auf diese beschränkte Revision würde sich den Dank der Nation erworben haben. Aber in Osterreich, Holstein, Sachsen, Würtemberg und beiden Meklenburg wurden die neuen Verfassungen auf Bundesbeschluß wieder aufgehoben und die früheren Zustände hergestellt Am schroffsten waren die Verfassungsbrüche in Hannover und Kurhessen, beide vom Bundestag gutgeheißen und unter seinen Schutz, genommen. Das „monarchische Prinzip" der Wiener Ministerialkonferenzen kam wieder zu Ehren und wurde seitens der Bundesversammlung benutzt, um die Einzelregierungen zu mehr oder minder gewaltsamen Verfassungsrevisionen zu veranlassen oder darin zu bestärken3. Erst der Eintritt der Regentschaft des Prinzen von Preußen (1858) führte einen Umschlag herbei. Seit Preußen, von männlicher Hand regiert, sich wieder in verfassungsmäßigen Bahnen bewegte und einem gemäßigten Fortschritt huldigte, hatte die Reaktion auch in der Bundesversammlung allen Boden verloren. Die Bundesreform trat wieder in den Vordergrund. Ein von der sächsischen Regierung aufgestellter Entwurf hatte keine weiteren Folgen. Ein anderer, 1862 von neun Mittelstaaten in einer Konferenz zu Würzburg vereinbarter Entwurf, welcher der Bundesversammlung für gewisse Akte der Gesetzgebung eine aus Abgeordneten der Landesvertretungen gebildete Delegiertenversammlung zur Seite stellen wollte, wurde vom Bundestag abgelehnt. Ein neues Projekt einer sehr verwickelten Bundesverfassung wurde 1863 von Osterreich einem auf seine Einladung in Frankfurt zusammengetretenen Fürstentag vorgelegt, scheiterte aber am Widerspruch des Königs von Preußen, der jede Beteiligung an den Verhandlungen ablehnte, wenn nicht eine wahre Nationalvertretung auf Grund allgemeiner Wahlen und die volle Gleichstellung beider Großmächte in betreff des Präsidiums in Aussicht genommen würden; außerdem verlangte Preußen für jede der beiden Großmächte ein Veto gegen alle nicht den unmittelbaren Schutz des Bundesgebiets betreffenden Bundeskriege. Der Gegensatz der beiden Großmächte trat noch einmal in den Hintergrund infolge des von beiden gemeinsam unternommenen deutsch8 Die einzige verdienstvolle Leistung der Bundesversammlung aus dieser Zeit war ein auf Antrag Baierns gefaßter Bundesbeschluß (18. Dez. 1856), der die Bundesstaaten zur Beschickung der Nürnberger Komihission behufs Ausarbeitung eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches aufforderte.

§ 89. Deutscher Band von 1848 bis 1866.

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dänischen Krieges 4 , aber der den Krieg beendigende Wiener Friede (30. Okt. 1864), in welchem Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg zur Verfügung der beiden Verbündeten abtrat, brachte neuen Zündstoff. Zwar wurde die lauenburgische Frage durch den Gasteiner Vertrag (14. Aug. 1865) endgültig beigelegt, indem Österreich gegen eine Geldentschädignng seine Ansprüche an Preußen abtrat, aber im übrigen kam es nur zu einem bedenklichen Provisorium, da Preußen die alleinige Verwaltung in Schleswig, Österreich die in Holstein übernahm, die Hoheitsrechte über beide aber bis zu endgültiger Entscheidung über das Schicksal der Herzogtümer gemeinsam blieben. Nachdem Österreich einseitig diese Entscheidung in die Hände des Bundestages gelegt und die holsteinischen Stände einberufen hatte, sah Preußen darin eine Kündigung des Gasteiner Vertrages und rückte zur Wahrung seines Mitbesitzes wieder in Holstein ein. Österreich wich einer Begegnung aus, beantragte aber bei der Bundesversammlung die Mobilmachung gegen Preußen. Das Bundesrecht bot dafür keine Handhabe, nur die Einleitung eines Austragverfahrens wegen Besitzstörung (S. 915) würde der Bundesverfassung entsprochen haben. Indem der österreichische Antrag zum Bundesbescbluß (14. Juni 1866) erhoben wurde, machte sich die Bundesversammlung eines Verfassungsbruches schuldig, der für Preußen der Anlaß wurde, noch an demselben Tage seinen Austritt aus dem Bunde zu erklären. Ihm folgten die meisten norddeutschen Staaten. Die ausgetretenen bisherigen Bundesglieder vereinigten sich zu einem Schutz- und Trutzbündnis und zur Errichtung eines norddeutschen Bundesstaats in Anlehnung an die von Preußen kurz vor seinem Austritt in der Bundesversammlung vorgelegten „Grundzüge einer Bandesreform". Der Verlauf des Krieges entschied zugunsten des neuen Bundesstaates. Im Nikolsburger Präliminarvertrag (26. Juli) und dem Prager Frieden (23. Aug. 1866) erkannte Österreich die Auflösung des Deutschen Bundes an, trat seine Ansprüche auf Schleswig-Holstein an Preußen ab und erklärte seine Einwilligung zu der Errichtung eines Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung, sowie zu der Herstellung einer „nationalen Verbindung" desselben mit

* In Dänemark hatte nach dem Tode Friedrichs VII (15. Nov. 1863) anf Grund des Londoner Vertrages vom 8. Mai 1852 and des dänischen Thronfolgegesetzes vom 31. Juli 1853 Christian IX den Thron bestiegen, während die Sukzession in Schleswig-Holstein, wo die Stände die Änderung des Thronfolgegesetzes nicht genehmigt hatten, verfassungsmäßig dem Hause Augpustenburg zustand. Da aber das Haupt des letzteren, Herzog Christian, dem Londoner Vertrage zugestimmt hatte, so war damit nach lehnrechtlichen Grundsätzen für ihn und seine Nachkommen das Sukzessionsrecht beseitigt (S. 424). Es war daher gerechtfertigt, wenn Österreich und Preußen, zumal selbst durch den Londoner Vertrag gebunden, Christian IX auch als Herzog von Schleswig-Holstein anerkannten und nur verlangten, daß die seit dem 15. Jahrhundert gewährleistete verfassungsmäßige Verbindung beider Herzogtümer (S. 398) aufrechterhalten und die Einverleibung Schleswigs in Dänemark rückgängig gemacht werde. Erst als dies verweigert wurde, schritten sie zum Kriege. B. SCHRÖDER, Deutsche Rechtsgeschichte.

5. Aufl.

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den süddeutschen Staaten. Nachdem die "Verbündeten Österreichs in Einzelverträgen ebenfalls zugestimmt hatten, war die Bahn für die Neugestaltung Deutschlands geebnet. Am 24. Aug. 1866 löste sich der Best der zuletzt nach Augsburg übergesiedelten Bundesversammlung auf. § 90.

Der Norddeutsche Bund und die Errichtung des Deutschen Reiches.

LABAND Staatsr. des Deutsch. Reiches L 4 , 3 — 5 1 (1901). G. M E T E S a. a. 0. (S. 903) 166FF.; Parlamentär. Wahlrecht 2 3 5 — 6 6 . H. SCHULZE Staatsrecht 1, 146 bis 17.6 (1881). MEJEB Einleitung in das deutsche Staatsrecht' 1884. HÄNEL Studien z. deutsch. Staatsr., 2 Bde 1873/80. THUDICHUM Verfassungsr. d. Nordd. Bundes u. d. Deutschen Zollvereins 1870. BINDIMO Gründung des Nordd. Bundes 1889. v. SYBEL Begründung d. Deutsch. Reiches 5 — 7 . 1889—94. L E FORT U. POSENEB a. a. O . (S. 903) 1, 117FF. KLÖPPEL Dreißig Jahre Deutscher V G . 1. 1900.

Durch Bündnisvertrag vom 19./21. Aug. 1866 hatten sich achtzehn norddeutsche Staaten, denen noch Hessen-Darmstadt (mit seinen nördlich des Mains belegenen Gebietsteilen), ßeuß ä. L., Sachsen-Meiningen und das Königreich Sachsen in ihren mit Preußen abgeschlossenen Friedensverträgen (3. und 16. Sept., 8. und 21. Okt.), beitraten, zu einem Schutzund Trutzbündnis unter preußischer Führung und weiter zu seiner Umwandlung in ein verfassungsmäßiges Bundesverhältnis auf Grundlage der preußischen „Grundzüge einer Bundesreform" (10. Juni 1866) vereinigt Der Entwurf der Bundesverfassung sollte durch Bevollmächtigte der verbündeten Regierungen ausgearbeitet und dann einem auf Grund des Beichswahlgesetzes von 1849 (S. 926) zu wählenden Parlament „zur Beratung und Vereinbarung" vorgelegt werden. Soweit die Verfassung der einzelnen Staaten es erforderte, wurde von diesen die ständische Genehmigung des abgeschlossenen Bündnisvertrages eingeholt. Die Wahl des konstituierenden Reichstages erfolgte am 12. Febr. 1867, teils auf Grund einzelstaatlicher Ausführungsverordnungen zum Reichswahlgesetz, teils (nach dem Vorgang Preußens) auf Grund besonderer Landeswahlgesetze, in denen die landesgesetzliche Zustimmung zu dem vereinbarten Verfassungswerk vorbehalten blieb Eine nach Berlin einberufene Konferenz von Bevollmächtigten der verbündeten Regierungen hatte ihren auf Grund einer preußischen Vorlage ausgearbeiteten Entwurf einer Bundesverfassung am 7. Febr. 1867 zum Abschluß gebracht und die preußische Regierung mit der Vorlage und Vertretung bei dem Reichstage beauftragt. Der am 24. Febr. eröffnete Reichstag erteilte bereits am 16. April seine Zustimmung, und nachdem die von ihm beschlossenen Abänderungen des Entwurfs die einmütige Genehmigung der Regierungen gefunden hatten, wurde dem Reichstag am 17. April 1867 durch König Wilhelm im 1 Da der Inhalt der Bundesverfassung von den Regierungen lediglich mit dem konstituierenden Reichstage zu vereinbaren war, so konnte sich jener Vorbehalt, wie namentlich BINDINO hervorhebt, nur auf die Rechtskraft der neuen Verfassung gegenüber den Einzelverfassungen beziehen.

§ 90.

Norddeutscher Bund und die Errichtung des Deutschen Reiches.

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Namen der Verbündeten feierlich verkündet, daß die Regierungen die Bundesverfassung in dieser Gestalt nach Maßgabe der in den einzelnen Ländern bestehenden Verfassungen zur gesetzlichen Geltung bringen würden. Eine formelle Publikation von Bundes wegen erfolgte nicht, da es dafür noch an den verfassungsmäßigen Organen fehlte. Dagegen fand in sämtlichen Bundesstaaten, nachdem die Durchbrechung der einzelnen Landesverfassungen durch die Bundesverfassung überall die erforderliche ständische Genehmigung erhalten hatte, eine landesgesetzliche Verkündigung statt 3 . Die Bundesverfassung trat am 1. Juli 1867 in Kraft. Unter Gegenzeichnung des am 14. Juli zum „Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes" ernannten Grafen von Bismarck-Schönhausen verkündigte König Wilhelm I durch Publikandum vom 26. Juli, daß die in ihrem vollen Wortlaut mitgeteilte „Verfassung des Norddeutschen Bundes" von den verbündeten Regierungen „mit dem zu diesem Zwecke berufenen Reichstage vereinbart" und im ganzen Umfang des Norddeutschen Bundesgebiets unter dem 25. Juni verkündet worden und am 1. Juli in Kraft getreten sei, sowie daß der König die ihm „durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes übertragenen Rechte, Befugnisse und Pflichten" für sich und seine Nachfolger in der Krone Preußen übernehme 3 . Der „Norddeutsche Bund" umfaßte, außer dem durch Einverleibung von Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt und Schleswig-Holstein und kleinere baierische und hessische Abtretungen vergrößerten Königreich Preußen, die sämtlichen nördlich der Mainlinie belegenen deutschen Staaten 4 , mit Ausnahme der holländischen Provinz Limburg und des souverän gewordenen Großherzogtums Luxemburg 5 . Der Norddeutsche Bund war ein Bundesstaat, dessen Regierung in die Hände des mit der Krone Preußen verbundenen Bundespräsidiums und des aus den Vertretern der 2 Über die rechtliche Bedeutung dieser Verkündigungen, die in der Zeit vom 21. bis 27. Juni (nicht, wie das Publikandum angibt, am 25. Juni) erfolgten, vgl. . n. 1. Für den. Norddeutschen Bund selbst war die Bundesverfassung von vornherein Bundesgesetz, also gemeines Recht, nicht bloß übereinstimmendes Landesrecht der Einzelstaaten. 3 Nr. 1 des Bundesgesetzblattes. 4 Nämlich Königreich Sachsen, die Großherzogtümer Sachsen-Weimar, Oldenburg, Meklenburg-Schwerin und Strelitz, die Herzogtümer Braunschweig, Anhalt, Sachsen-Meiningen, Altenburg und Koburg-Gotha, die Fürstentümer SchwarzburgRudolstadt und Sondershausen, Waldeck, beide Reuß, Schaumburg-Lippe und Lippe (Detmold), die freien und Hansestädte Lübeck, Hamburg, Bremen und die rechts* mainischen Teile des Großherzogtums Hessen, während Baiern auch mit seinen nördlich des Maines gelegenen Gebietsteilen außerhalb des Bundes blieb. Über das Verhältnis der Oberlausitz zu Österreich und der Stadt Wismar zu Schweden