Lehrbuch der anorganischen Chemie [Reprint 2019 ed.]
 9783111509600, 9783110059625

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
Teil A. Atom und Molekül
Kapitel I. Der reine Stoff
Kapitel II. Atom- und Molekulartehre
Kapitel III. Atom- und Molekulargewichtsbestimmung
Kapitel IV. Das Wasser und seine Bestandteile
Kapitel V. Die Luft und ihre Bestandteile
Teil B. Hauptgruppen des Periodensystems
Kapitel VI. Das Periodensystem der Elemente
Kapitel VII. Die chemische Bindung
Kapitel VIII. Die chemische Reaktion
Kapitel IX. Die Gruppe der Edelgase
Kapitel X. Die Gruppe der Halogene
Kapitel XI. Die Gruppe der Chalkogene
Kapitel XII. Die Stickstoffgruppe
Kapitel XXIII. Die Kohlenstoffgruppe
Kapitel XIV. Die Borgruppe
Kapitel XV. Die Gruppe der Erdalkalimetalle
Kapitel XV. Die Gruppe der Erdalkalimetalle
Teil C. Nebengruppen des Periodensystems
Kapitel XVII. Das Periodensystem der Elemente
Kapitel XVIII. Die chemische Bindung
Kapitel XIX. Die Komplexbildung der Übergangsmetalle
Kapitel XX. Die Kupfergruppe
Kapitel XXI. Die Zinkgruppe
Kapitel XXII. Die Scandiumgruppe
Kapitel XXIII. Die Titangruppe
Kapitel XXIV.867 Die Vanadingruppe
Kapitel XXV. Die Chromgruppe
Kapitel XXVI. Die Mangangruppe
Kapitel XXVII. Die Eisengruppe
Kapitel XXVIII. Die Gruppe der Platinmetalle
Teil D. Lanthaniden und Actiniden
Kapitel XXIX. Das Periodensystem der Elemente
Kapitel XXX. Die natürliche Elementumwandlung
Kapitel XXXI. Die künstliche Elementumwandlung
Kapitel XXXII. Die Lanthaniden
Kapitel XXXIII. Die Actiniden
Schlußwort: die gegenseitige Umwandlung von Masse und Energie
Teil E. Anhang
Personenregister I
Personenregister II
Sachregister I
Sachregister II

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Holleman-Wiberg Lehrbuch der Anorganischen Chemie

„Die Wissenschaft sucht nach einem Perpetuum mobile. Sie hat es gefunden: sie ist es selbst." (Victor Hugo, 1863)

Holleman-Wiberg

Lehrbuch der Anorganischen Chemie begründet von A. F. Holleman

81.-90., sorgfältig revidierte, verbesserte und stark erweiterte Auflage von

Egon Wiberg

W DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1976

em. Professor Dr. Dr. h. c. Dr. h. c. Egon Wiberg Universität München

Das Buch enthält 216 Abbildungen und auf einer Klapptafel das „Periodensystem der Elemente"

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Holleman, Arnold Frederik Lehrbuch der anorganischen Chemie / Holleman-Wiberg. Begr. von A. F. Holleman. - 81.-90., sorgfältig rev., verb. u. stark erw. Aufl. / von Egon Wiberg. - Berlin: de Gruyter, 1976. ISBN 3-11-005962-2 NE: Wiberg, Egon; Holleman-Wiberg,...

© Copyright 1976 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl I. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: IBM-Composer Walter de Gruyter & Co., Berlin Druck: Graphik + Druck, München Bindearbeiten: Liideritz & Bauer, Buchgewerbe GmbH, Berlin Einbandgestaltung: Thomas Bonnie, Hamburg

Vorwort Nachdem bereits die vorhergehende (71.-80.) Auflage weitgehend umgearbeitet und ergänzt worden war 1 , hat die vorliegende (81.-90.), sorgfältig revidierte Auflage eine erneute starke Umarbeitung und Erweiterung erfahren. Der gesamte Text wurde, unter Beibehaltung der bewährten Untergliederung in ñinf große Teile, neu gesetzt. 1. In Teil A („Atom und Molekül", S. 3—84) werden die Begriffe des A t o m s und M o l e k ü l s abgeleitet und einige zugehörige grundlegende Gesetze besprochen, die dann bei drei besonders wichtigen Elementen — dem Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff, als den Bestandteilen des Wassers und der Luft — angewandt und erweitert werden. Hierauf folgen in Teil B (,Jiauptgruppen des Periodensystems", S. 85—740) die 44 Elemente der acht H a u p t g r u p p e n (Ausbau der äußersten Elektronenschalen), in Teil C (,flebengruppen des Periodensystems, S. 741—990) die 34 Elemente der acht N e b e n g r u p p e n (Ausbau der zweitäußersten Elektronenschalen) und in Teil D (,¿anthaniden und Actiniden", S. 991 bis 1112) die 28 Ü b e r g a n g s e l e m e n t e (Ausbau der drittäußersten Elektronenschalen). Zum besseren Verständnis des Behandelten wird dabei jeder dieser drei Teile B, C und D durch drei Kapitel eingeleitet: je ein Kapitel über das P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e (S. 87ff., S. 743ff., S. 993ff.), worin vom „Gekürzten Periodensystem" der Hauptgruppen ausgehend stufenweise durch Einbeziehung erst der „äußeren", dann der „inneren" Übergangselemente das GesamtPeriodensystem entwickelt wird, sowie je zwei Kapitel mehr t h e o r e t i s c h e n Inhalts (S. 93 ff. und 159ff., bzw. S. 755ff. und 767ff., bzw. S. 997ff. und 1039ff.), in denen vom Einfachen zum Komplizierteren übergehend Fragen des Atombaus, der chemischen Bindung, der chemischen Reaktion, der Komplexverbindungen, des Atomkerns und der natürlichen und künstlichen Elementumwandlung zur Sprache kommen, die für den betreffenden Teil B, C und D jeweils von Wichtigkeit sind. Der abschließende Teil E (, Anhang", S. 1117-1193) enthält K u r z b i o g r a p h i e n der im Lehrbuch erwähnten Forscher (S. 1119ff.), eine c h e m i e g e s c h i c h t l i c h e Z e i t t a b e l l e (S. 1167 ff.), ein Verzeichnis der N o b e l p r e i s t r ä g e r für Chemie und Physik (S. 1179ff.) und umfangreiches Z a h l e n m a t e r i a l (S. 1186ff.). 2. Bei der Umarbeitung und Erweiterung des Lehrbuchtextes blieb praktisch keine Buchseite unverändert. Um dem Benutzer der neuen Auflage einen leichteren Überblick über die im Vergleich zur vorhergehenden Auflage neu hinzugekommenen Stichworte, Seitenhinweise, Sachverhalte, Übersichtsreferate usw. zu ermöglichen, wurden die zugehörigen Registerangaben in einem separaten „Personenregister II" (S. 1203 ff.) und „Sachregister II" (S. 1299ff.) zusammengestellt, die dem bisherigen Personenregister I (S. 1195ff.) und Sachregister I (S. 1207ff.) angefügt wurden. Das Ausmaß der Umarbeitung geht daraus hervor, daß die Zahl der neu hinzugekommenen Registerhinweise nahezu 5000 (rund 700 im Personen-, über 4000 im Sachregister) beträgt, so daß sich die Gesamtzahl der Hinweise von rund 25 000 im alten Gesamtregister (rund 3000 im Personen-, rund 22 000 im Sachregister) auf rund 30 000 im neuen Gesamtregister (rund 3500 im Personen-, rund 26 000 im Sachregister) erhöhte. 1

Vgl. hierzu das ausführliche Vorwort auf S. V.-XII1 der 71.-80. Auflage.

VI

Vorwort

Alle Z a h l e n w e r t e im Text und in den Tabellen wurden auf den neuesten Stand gebracht, die A b b i 1 d u n g e n , wo erforderlich, verbessert (Abb. 27, 36, 50, 51, 55, 88,121,124,129, 135, 145, 148, 149, 155,165,197), ergänzt (Abb. 91, 211, 212, 213) oder durch andere Abbildungen ersetzt (Abb. 78, 89,116,125), die K u r z b i o g r a p h i e n um 14 neue Namen (Alfvén, Carnot, Franck, Helmont, Hertz G., Hertz H., Jungius, Lomonossow, Newton, Pascal, Semjonow, Thomsen, Trouton, Watt) auf 289 erhöht und die Namen der N o b e l p r e i s t r ä g e r für Chemie und Physik bis zum Jahre 1975 ergänzt. Stark vermehrt wurden die Angaben über weiterführende Ü b e r s i c h t s r e f e r a t e und M o n o g r a p h i e n 2 (vgl. Autorenregister II), über M o l e k ü l - u n d G i t t e r s t r u k t u r e n (vgl. Sachregister II) und über erwähnenswerte Fakten in der chemiegeschichtlichen Z e i t t a b e l l e . Ein längerer Abschnitt (S. 1190ff.) „SI-Einheiten" berichtet über die SI - G r u n d einheiten, die davon a b g e l e i t e t e n SI-Einheiten, ihre D e f i n i t i o n und ihre U m r e c h n u n g in andere gebräuchliche Maßeinheiten. Die bisherige R a u m b i l d e r b e i l a g e wurde der neuen Auflage nicht mehr beigefügt. Sie kann, da die Nachfrage nach dieser Beilage, unabhängig vom Bezug des Lehrbuches, sehr groß ist, separat bezogen werden (E. Wiberg und F. Klages: „Atom-, Molekül- und Gitterstrukturen in stereoskopischer Darstellung", Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 1976). Die Raumbilderhinweise im Text beziehen sich auf diese Sonderpublikation. 3. Bei der Umarbeitung des Lehrbuches hatte ich mich auch dieses Mal wieder der Mithilfe zahlreicher Leser (in- und ausländische Kollegen aus Universitäten, technischen Hochschulen, Fachinstituten und der Wirtschaft, Studenten) zu erfreuen, die mich in — teilweise sehr ausführlichen — Bei den häufiger zitierten Zeitschriften und Sammelwerken wurden folgende Abkürzungen gebraucht: Advances .Advances in Inorganic Chemistry and Radiochemistry" (seit 1959), Academic Press, New York. Adv. Fluorine Chem. Advances in Fluorine Chemistry" (seit 1960), Butterworth, London. Adv. Organomet. Chem. „Advances in Organometallic Chemistry" (seit 1964), Academic Press, New York. Angew. Chem. Angewandte Chemie" (seit 1887), Gesellschaft Deutscher Chemiker. Chemie „Chemie in unserer Zeit" (seit 1970), Gesellschaft Deutscher Chemiker. Chem. Rev. „ChemicalReviews" (seit 1924), American Chemical Society. Comprehensive Inorganic Chemistry J. C. Bailar, H. J. Emeleus, R. Nyholm, A. F. Trotman-Dickenson (Herausgeber): „ComprehensiveInorganic Chemistry", 5 Bände (1973), Pergamon Press, Oxford. Endeavour „Endeavour" (deutsche Ausgabe) (seit 1942), Imperial Chemical Industries, London. Fortschritte „Fortschritte der chemischen Forschung" seit 1949), jetzt „Topics in Current Chemistry", Springer-Verlag Berlin - Göttingen - Heidelberg. Gmelin „Handbuch der Anorganischen Chemie", 8. Auflage, Springer-Verlag Berlin - Heidelberg - New York. Hydride E. Wiberg und E. Ambergen „Hydrides of the Elements of Main Groups I-IV", Elsevier, Amsterdam 1971. J. chem. Educ. „Journal of Chemical Education" (seit 1924), American Chemical Society. Physik „Physik in unserer Zeit" (seit 1970), Verlag Chemie, Weinheim. Progress „Progress in Inorganic Chemistry" (seit 1959), Interscience Publishers, New York. Quart. Rev. „Quarterly Reviews" (seit 1947), ab Band 26 als Band 1 aufgegangen in Chem. Soc. Rev., Chemical Society London. „Chemical Society Reviews" (seit 1972), hervorgegangen aus Quart. Chem. Soc. Rev. Rev., Chemical Society London. „Survey of Progress in Chemistry" (seit 1963), Survey Academic Press, New York. „Umschau in Wissenschaft und Technik (seit 1897), Umschau Umschau-Verlag, Frankfurt.

Vorwort

VII

Zuschriften oder in anregenden mündlichen Gesprächen auf Verbesserungsmöglichkeiten hinwiesen und wertvolle Vorschläge zur Modernisierung und Neueinfügung von Abschnitten machten. Besonders erwähnt und bedankt seien dabei die Herren Doz. Dr. Th. L. Ackermann — Hannover, Prof. Dr. H. R. Allcock - Pennsylvania, Prof. Dr. W. Beck — München, Dr. Baronetzky — Aachen, Prof. Dr. H. Behrens — Erlangen, Dr. E. Bessler — Ludwigsburg, Prof. Dr. J. Bjerrum — Kopenhagen, Prof. Dr. E. Blasius — Saarbrücken, Dr. H. Blechschmidt — Schwarmstedt, M. Bockisch — St. Augustin, Prof. Dr. H. Bode — Hannover, Dr. H. Bokranz — Krefeld, Dr. Braukmann — Bochum, Dr. Hj. Buhl — Heilbronn, Prof. L. Chardonnens — Fribourg, Prof. Dr. G. Denk — Karlsruhe, Prof. Dr. H. tom Dieck — Frankfurt, E. Faninger - Ljubljana, Dr. F. Flohr — Gießen, Prof. Dr. E. Fluck Stuttgart, Prof. Dr. N. N. Greenwood - Leeds, Doz. Dr. K. Hartl — München, Dir. Grossimlinghaus Köln, Dr. A. J. Hegedüs — Budapest, Prof. Dr. W. Hieber — München, A. Hirmer — Pfaffenhofen, Prof. Dr. R. Juza — Kiel, Prof. Dr. E. Lange — Erlangen, Chr. Lohmann — Halle, Dr. W. Lücke — Karlsruhe, F. Mechsne - Büschfeld, Meyer-Ahiens — Wilhelmshaven, Prof. Dr. Th. Moeller — Tempe (Arizona), Prof. Dr. Hk. Müller-Buschbaum - Kiel, Prof. Dr. H. Nöth - München, Dr. Kl. Ploog Jülich, Prof. Dr. F. A. Pohl - Frankfurt, Prof. Dr. W. Preetz - Kiel, S. Rambaum - Bickenbach, Dr. K. Reber - Basel, St. Roller - Koblenz, Doz. Dr. K. Rossmanith - Wien, Prof. Dr. M. Schmeißer — Dortmund, Prof. Dr. H. Schmidbaur — München, Prof. Dr. A. Schmidpeter - München, Dr. K. H. Schmidt - Essen, Prof. Dr. O. Schmitz-DuMont - Bonn, Prof. Dr. G. T. Seaborg — Washington, Prof. Dr. F. Seel - Saarbrücken, Dr. Steinbrecher — Essen, Dr. W. Seeger — Feldkirch (Österreich), Dr. P. Seidel — Berlin, M. Speckbacher - Leverkusen, Prof. Dr. R. Spieser — Zürich, Prof. Dr. F. Straßmann - Mainz, G. Süß - Weiden, A. Stirner - Landshut, H.-J. Voigt - St. Augustin, Prof. Dr. U. Wannagat — Braunschweig, Dr. Weber — Berlin, Prof. Dr. F. Weigel — München, Prof. Dr. N. Wiberg - München, K. Wilhelm - Münster, D. Zobel — Wittenberg. Hervorheben möchte ich hierbei insbesondere Herrn Prof. Dr. F. Weigel für seine Mitarbeit bei der Ausgestaltung der radiochemischen Abschnitte sowie meinen Sohn Prof. Dr. N. Wiberg für seine wertvollen Vorschläge zur Umgestaltung des Lehrbuchs und seine Mitarbeit beim Lesen der umfangreichen Korrekturen. 4. Ganz besonderen Dank schulde ich meiner lieben Frau Doris für die aufreibende, wochenlange Mitarbeit bei der durch den Neusatz bedingten Umpaginierung der in rund 30 000 Register-Einzelkarten niedergelegten Stichworte des umfangreichen Personen- und Sachregisters (dreispaltig auf insgesamt 129 Seiten) sowie der im Buchtext verstreuten vielen tausend Seitenhinweise. Ohne diese Mithilfe wäre es mir unmöglich gewesen, die Korrekturarbeiten an der neuen Auflage des Lehrbuchs termingerecht abzuschließen. Die durch den Zusatz „II" gekennzeichneten Seitenhinweise im Text beziehen sich auf die letzte (37.-41.) Auflage (1961) des zweiten (organischen) Teils des Holleman-Lehrbuchs („HollemanRichter"). München und Lugano, März 1976

Egon Wiberg

Inhalt Einleitung

1

A. Atom und Molekül KapitelI. D e r r e i n e S t o f f 1. Homogene und heterogene Systeme 2. Zerlegung heterogener Systeme a) Zerlegung auf Grund verschiedener Dichten b) Zerlegung auf Grund verschiedener Teilchengrößen 3. Zerlegung homogener Systeme a) Zerlegung auf physikalischem Wege a) Phasenscheidung durch Temperaturänderung aa) Verdampfen und Verdichten bb) Schmelzen und Erstarren ß) Phasenscheidung durch Lösungsmittel y) Phasenscheidung durch Chromatographie b) Zerlegung auf chemischem Wege 4. Element und Verbindung

5 5 6 6 8 9 9 9 9 10 11 11 13 13

Kapitel II. A t o m - u n d M o l e k u l a r l e h r e 1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff a) Experimentalbefunde a) Gesetz von der Erhaltung der Masse ß) Stöchiometrische Gesetze aa) Gesetz der konstanten Proportionen bb) Gesetz der multiplen Proportionen cc) Gesetz der äquivalenten Proportionen b) Daltonsche Atomhypothese 2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff a) Experimentalbefunde b) Avogadrosche Molekularhypothese 3. Wahl einer Bezugsgröße für die relativen Atom- und Molekulargewichte

17 17 17 17 19 19 21 21 22 23 23 24 27

Kapitel III. A t o m - u n d M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g 1. Relative Atom- und Molekulargewichte a) Bestimmung relativer Molekulargewichte a) Zustandsgieichung idealer Gase ß) Methoden der Molekulargewichtsbestimmung b) Bestimmung relativer Atomgewichte c) Stöchiometrische Berechnungen 2. Absolute Atom- und Molekulargewichte

29 29 29 29 33 34 37 38

X

Inhalt

Kapitel IV. D a s W a s s e r u n d s e i n e B e s t a n d t e i l e 1. Der Sauerstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus Luft ß) Aus Wasser y) Aus festen Sauerstoffverbindungen c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Der Wasserstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus Wasser ß) Aus Säuren c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften e) Die chemische Reaktionswärme f) Atomarer Wasserstoff 3. Das Wasser a) Vorkommen b) Reinigung c) Physikalische Eigenschaften a) Aggregatzustände des Wassers ß) Zustandsdiagramm des Wassers y) Osmotischer Druck wässeriger Lösungen 8) Molekulargewichtsbestünmung in Lösungen d) Chemische Eigenschaften

41 41 41 41 41 45 45 47 47 49 49 50 50 51 52 56 58 62 64 64 65 66 66 68 71 74 76

Kapitel V. D i e L u f t u n d i h r e B e s t a n d t e i l e 1. Der Stickstoff a) Vorkommen b) Darstellung a) Aus Luft ß) Aus Ammoniak c) Physikalische Eigenschaften d) Chemische Eigenschaften 2. Die Luft a) Zusammensetzung der Luft b) Kreislauf des Sauerstoffs c) Kreislauf des Stickstoffs d) Flüssige Luft

77 77 77 77 77 78 79 79 81 81 82 82 83

B. Hauptgruppen des Periodensystems Kapitel VI. D a s P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e (Teil I) 1. Gekürztes Periodensystem 2. Verbreitung der Elemente

87 88 90

Kapitel VII. D i e c h e m i s c h e B i n d u n g (Teil I) 1. Der Bau der Atome a) Das Bohr'sche Atommodell b) Die Elektronenhülle

93 93 93 95

Inhalt c) Die Atomspektren o) Die optischen Spektren ß) Die Röntgen-Spektren 2. Die Elektronentheorie der Valenz a) Verbindungen erster Ordnung a) Die Ionenbindung aa) Das Ionengitter bb) Die Ionenwertigkeit cc) Die Mischkristallbildung ß) Die Atombindung aa) Die Atomwertigkeit bb) Die Ionenbildung cc) Das Tetraedermodell dd) Das Dipolmoment ee) Die Elektronegativität ff) Der Bindungsgrad gg) Die formale Ladungszahl hh) Die Mesomerie (Resonanz) ii) Die Bindungslänge kk) Die Molekülgestalt y) Die Metallbindung aa) Das Metallgitter bb) Die kubisch- und hexagonal-dichteste Kugelpackung cc) Die Legierungen 5) Übergänge zwischen den verschiedenen Bindungsarten e) Übergänge zwischen den verschiedenen Bindungsgraden b) Verbindungen höherer Ordnung a) Allgemeines aa) Komplexbildung am Elektronen-donator bb) Komplexbildung am Elektronen-acceptor cc) Komplexbildung am Elektronen-donator-acceptor ß) Polarität der koordinativen Bindung aa) Koordinative Bindung und formale Ladungszahl bb) Anlagerungs- und Durchdringungskomplexe y) Molekülgestalt der Koordinationsverbindungen aa) Tetraeder und Dreieck bb) Trigonale, tetragonale und pentagonale Bipyramide cc) Bindungswinkel dd) Bindungslängen c) Das Äquivalentgewicht Kapitel VIII. D i e c h e m i s c h e R e a k t i o n 1. Die elektrolytische Dissoziation a) Qualitative Beziehungen b) Quantitative Beziehungen a) Ionenladung ß) Dissoziationsgrad c) Ionenreaktionen 2. Das chemische Gleichgewicht a) Die Reaktionsgeschwindigkeit a) Die „Hin"-Reaktion ß) Die „Rück"-Reaktion •y) Die Gesamt-Reaktion 5) Die Kinetik der Halogenwasserstoffbildung

XI

.

100 101 106 109 109 110 110 113 114 115 115 117 119 120 122 124 125 126 128 130 135 135 136 138 139 141 143 143 144 145 147 148 148 150 151 152 153 155 156 156 159 159 159 162 162 164 165 167 167 167 170 171 173

XII b) Der Gleichgewichtszustand a) Das Massenwirkungsgesetz ß) Sonderanwendungen des Massenwirkungsgesetzes aa) Das Verteilungsgesetz bb) Die elektrolytische Dissoziation aa) Allgemeines ßß) Dissoziation schwacher Elektrolyte c) Die Beschleunigung der Gleichgewichtseinstellung a) Beschleunigung durch Katalysatoren ß) Beschleunigung durch Temperaturerhöhung d) Die Verschiebung von Gleichgewichten a) Qualitative Beziehungen aa) Das Prinzip von Le Chatelier bb) Folgerungen des Prinzips von Le Chatelier ß) Quantitative Anwendungsbeispiele aa) Die Hydrolyse bb) Die Neutralisation e) Heterogene Gleichgewichte a) Fest-gasförmige Systeme ß) Fest-flüssige Systeme 3. Die Oxydation und Reduktion a) Ableitung eines neuen Oxydations- und Reduktionsbegriffs b) Die elektrochemische Spannungsreihe a) Das Normalpotential aa) Allgemeines bb) Normalpotentiale in saurer Lösung cc) Normalpotentiale in basischer Lösung dd) Relative Stärke gebräuchlicher Oxydations- und Reduktionsmittel ß) Die Oxydationsstufe y) Die Konzentrationsabhängigkeit des Einzelpotentials c) Die elektrolytische Zersetzung d) Die Acidität und Basisität

Inhalt 174 174 177 177 178 178 180 183 183 185 185 185 185 186 188 188 190 193 193 195 196 196 198 198 198 201 205 207 208 210 213 215

Kapitel IX. D i e G r u p p e d e r E d e l g a s e 1. Geschichtliches 2. Vorkommen 3. Gewinnung a) Aus Luft b) Aus Erdgasen c) Aus Mineralien 4. Physikalische Eigenschaften 5. Chemische Eigenschaften a) Edelgas-halogenide b) Edelgas-oxide und -oxidfluoride 6. Anwendung 7. Spezifische Wärme chemischer Stoffe a) Gasförmige Stoffe b) Feste Stoffe

221 221 222 223 223 224 224 224 226 227 231 233 235 235 237

Kapitel X. D i e G r u p p e d e r H a l o g e n e 1. Freie Halogene a) Das Chlor

239 239 239

Inhalt a) Vorkommen ß) Darstellung aa) Aus Chlorwasserstoff (Salzsäure) bb) Aus Natriumchlorid 7) Physikalische Eigenschaften 5) Chemische Eigenschaften b) Photochemische Reaktionen c) Das Fluor d) Das Brom e) Das Jod f) DasAstat g) Pseudohalogene 2. Wasserstoffverbindungen der Halogene a) Chlorwasserstoff a) Darstellung ß) Eigenschaften b) Fluorwasserstoff c) Bromwasserstoff d) Jodwasserstoff 3. Sauerstoffverbindungen der Halogene a) Sauerstoffsäuren des Chlors a) Übersicht und Nomenklatur ß) Hypochlorige Säure HCIO aa) Darstellung bb) Eigenschaften cc) Salze y) Chlorige Säure HC10 2 6) Chlorsäure HC10 3 aa) Darstellung bb) Eigenschaften cc) Salze e) Perchlorsäure HC10 4 b) Oxide des Chlors a) Dichloroxid C1 2 0 ß) Chlordioxid C10 2 7) Dichlortrioxid C1 2 0 3 und Dichlortetroxid C1 2 0 4 S) Dichlorhexoxid Cl 2 O s e) Dichlorheptoxid C1 2 0 7 c) Sauerstoffsäuren und Oxide des Fluors d) Sauerstoffsäuren und Oxide des Broms e) Sauerstoffsäuren und Oxide des Jods 4. Verbindungen der Halogene untereinander 5. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Halogene

Kapitel XI. D i e G r u p p e d e r C h a l k o g e n e 1. Der Sauerstoff a) Ozon a) Darstellung ß) Physikalische Eigenschaften 7) Chemische Eigenschaften b) Wasserstoffperoxid a) Darstellung ß) Physikalische Eigenschaften

XIII 239 240 240 241 242 242 245 246 248 250 253 254 256 256 256 257 258 260 262 263 263 263 264 264 265 266 267 268 268 268 269 269 271 271 272 274 274 274 275 277 280 282 287

291 291 291 292 293 294 295 295 296

XIV

7) Chemische Eigenschaften 5) Salze aa) Natriumperoxid bb) Bariumperoxid 2. Der Schwefel a) Elementarer Schwefel a) Vorkommen j3) Gewinnung aa) Aus natürlichen Vorkommen bb) Aus Schwefelwasserstoff cc) Aus Schwefeldioxid y) Physikalische Eigenschaften 5) Das Zustandsdiagramm des Schwefels e) Chemische Eigenschaften b) Wasserstoffverbindungen des Schwefels a) Schwefelwasserstoff (Sulfan) ß) Polyschwefelwasserstoffe (Polysulfane) c) Halogenverbindungen des Schwefels d) Oxide des Schwefels a) Schwefeldioxid ß) Schwefeltrioxid y) Sonstige Schwefeloxide e) Sauerstoffsäuren des Schwefels a) Systematik und Konstitution ß) Schweflige Säure H 2 S0 3 y) Schwefelsäure H 2 S0 4 und Dischwefelsäure H 2 S 2 0 7 aa) Darstellung aa) Kontaktverfahren ßß) Bleikammerverfahren bb) Physikalische Eigenschaften cc) Chemische Eigenschaften dd) Halogenderivate 6) Sulfoxylsäure H 2 S0 2 . Dithionige Säure H 2 S 2 0 4 . Dithionsäure H 2 S 2 0 6 e) Peroxomonoschwefelsäure H 2 SO s . Peroxo-dischwefelsäure H 2 S 2 0 8 f) ThioschwefelsäureH 2 S 2 0 3 rj) Polythionsäuren H 2 S„0 6 3. Das Selen a) Elementares Selen b) Verbindungen des Selens 4. Das Tellur 5. Das Polonium 6. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Chalkogene Kapitel XII. D i e S t i c k s t o f f g r u p p e 1. Der Stickstoff a) Wasserstoffverbindungen des Stickstoffs a) Systematik und Konstitution aa) Stöchiometrie und Struktur bb) Struktur und Isomerie ß) Ammoniak NH 3 aa) Darstellung aa) Aus den Elementen ßß) Aus Gaswasser

Inhalt

297 299 299 300 300 301 301 301 302 302 303 304 307 311 311 311 315 317 322 323 325 326 328 328 330 333 333 333 335 337 337 340 343 345 347 348 350 350 352 356 357 358 363 363 364 364 364 365 366 366 366 370

Inhalt bb) Physikalische Eigenschaften cc) Chemische Eigenschaften y) Hydrazin N 2 H 4 . . . . 5) Triazan N 3 H S und Tetrazan N 4 H 6 e) Nitren NH f) Diimin N 2 H 2 tj) Triazen N 3 H 3 und Tetrazen N 4 H 4 d) Stickstoffwasserstoffsäure i) Hydroxylamin NH 2 (0H) b) Halogenverbindungen des Stickstoffs c) Oxide des Stickstoffs a) Distickstoffmonoxid N 2 0 ß) Stickstoffmonoxid NO. Distickstoffdioxid N 2 0 2 7) Distickstofftrioxid N 2 0 3 5) Stickstoffdioxid N 0 2 . Distickstofftetroxid N 2 0 4 e) Distickstoffpentoxid N 2 O s ?) Stickstofftrioxid N 0 3 . Distickstoffhexoxid N 2 O s d) Sauerstoffsäuren des Stickstoffs a) Salpetersäure H N 0 3 aa) Darstellung bb) Physikalische Eigenschaften cc) Chemische Eigenschaften dd) Nitrylverbindungen ß) Salpetrige Säure HN0 2 7) Hyposalpetrige Säure HNO. Hypodisalpetrige Säure H 2 N 2 0 2 6) Nitroxylsäure H 4 N 2 0 4 e) Peroxosalpetersäure H N 0 4 e) Schwefelverbindungen des Stickstoffs a) Schwefelnitride ß) Stickstoffsulfonsäuren 2. Der Phosphor a) Elementarer Phosphor a) Vorkommen ß) Darstellung y) Modifikationen aa) Der weiße Phosphor bb) Der violette (rote) Phosphor cc) Der schwarze Phosphor dd) „Mischpolymerisate" des Phosphors 8) Chemische Eigenschaften aa) Weißer Phosphor bb) Violetter (roter) Phosphor cc) Schwarzer Phosphor e) Verwendung b) Wasserstoffverbindungen des Phosphors a) Monophosphan PH 3 ß) Diphosphan P 2 H 4 y) Triphosphan P 3 H 5 c) Halogenverbindungen des Phosphors d) Oxide des Phosphors e) Sauerstoffsäuren des Phosphors a) Systematik und Konstitution ß) Phosphorsäure aa) Orthophosphorsäure H 3 P 0 4 bb) Diphosphosphorsäure H 4 P 2 0 7

XV 371 372 375 378 379 380 382 382 385 388 392 393 394 397 398 400 401 401 402 402 402 404 406 407 412 413 413 414 414 419 422 423 423 424 425 426 427 427 428 429 429 430 431 431 431 432 435 435 436 440 444 444 449 449 453

XVI

Inhalt cc) Polyphosphorsäuren H n + 2 P n 0 3 n + 1 und Metapolyphosphorsäuren H n P n 0 3 n dd) Phosphathaltige Düngemittel 7) Phosphorige Säure H3PO3. Diphosphorige Säure H 4 P 2 0 5 8) Hypophosphorige Säure H 3 P 0 2 . Hypo-diphosphorsäure H 4 P 2 0 6 e) Peroxo-monophosphorsäure H3PO5. Peroxo-diphosphorsäure H 4 P 2 0 8 f) Schwefelverbindungen des Phosphors a) Binäre Phosphorsulfide ß) Thiophosphorsäuren 7) Phosphorsulfidhalogenide g) Stickstoffverbindungen des Phosphors

453 457 458 459 460 461 461 462 462 463

3. Das Arsen a) Elementares Arsen b) Arsenwasserstoff c) Halogenverbindungen des Arsens d) Sauerstoffverbindungen des Arsens a) Arsentrioxid A s 2 0 3 . Arsenige Säure H 3 A s 0 3 ß) Arsenpentoxid A s 2 O s . Arsensäure H 3 A s 0 4 e) Schwefelverbindungen des Arsens

465 465 468 470 471 471 474 475

4. Das Antimon a) Elementares Antimon b) Antimonwasserstoff c) Halogenverbindungen des Antimons d) Sauerstoffverbindungen des Antimons e) Schwefelverbindungen des Antimons

477 477 479 480 482 484

5. Das Wismut a) Elementares Wismut b) Verbindungen des Wismuts

485 485 487

6. Vergleichende Übersicht über die Stickstoffgruppe

489

Kapitel XIII. D i e K o h l e n s t o f f g r u p p e 1. Der Kohlenstoff a) Elementarer Kohlenstoff а) Vorkommen ß) Physikalische Eigenschaften aa) Diamant bb) Graphit 7) Adsorption an Aktivkohle aa) Die Langmuirsche Adsorptionsisotherme bb) Aktivkohlen б) Chemische Eigenschaften b) Wasserstoffverbindungen des Kohlenstoffs c) Halogenverbindungen des Kohlenstoffs d) Sauerstoffverbindungen des Kohlenstoffs a) Kohlendioxid C 0 2 ß) Kohlenmonoxid CO aa) Darstellung bb) Eigenschaften 7) Kohlensuboxid C 3 0 2 .

493 494 494 494 496 499 500 504 504 506 506 507 510 510 511 515 515 518 521

e) Stickstoffverbindungen des Kohlenstoffs f) Carbide

521 522

2. Molekülspektroskopie a) Schwingungsspektren

523 524

Inhalt a) Allgemeines aa) Experimentalbefunde bb) Deutung cc) Molekülschwingungen ß) Anwendung der Schwingungsspektroskopie aa) Kraftkonstanten bb) Frequenzlagen der Grundschwingungen cc) Zahl und Intensität der Grundschwingungen b) Rotationsspektren c) Elektronenspektren

XVII 524 524 525 526 526 527 527 528 530 531

3. Das Silicium a) Elementares Silicium b) Wasserstoffverbindungen des Siliciums c) Halogenverbindungen des Siliciums d) Sauerstoffverbindungen des Siliciums a) Siliciumdioxid ß) Kieselsäuren, Silicate y) Natürliche Silicate 5) Silicone e) Sonstige Siliciumverbindungen f) Kolloiddisperse Systeme a) Vergleich grob-, kolloid- und molekulardisperser Lösungen ß) Beständigkeit kolloider Lösungen y) Kieselgele g) Technische Silicate a) Glas aa) Zusammensetzung von Gläsern bb) Darstellung und Verarbeitung von Gläsern cc) Färbung und Trübung von Gläsern ß) Tonwaren aa) Tongut bb) Tonzeug y) Zement

531 533 536 539 545 545 548 553 555 557 561 562 565 567 568 568 569 570 571 572 572 574 575

4. Das Germanium a) Elementares Germanium b) Germanium(IV)-Verbindungen c) Germanium(II)-Verbindungen

576 576 579 581

5. Das Zinn a) Elementares Zinn b) Zinn(II)-Verbindungen c) Zinn(IV>Verbindungen

582 582 584 586

6. Das Blei a) Elementares Blei b) Blei(II)-Verbindungen c) Blei(IV)-Verbindungen d) Der Bleiakkumulator

589 589 591 593 596

7. Vergleichende Übersicht über die Kohlenstoffgruppe

597

Kapitel XIV. D i e B o r g r u p p e 1. Das Bor a) Elementares Bor b) Wasserstoffverbindungen des Bors

601 601 604 607

XVIII c) Halogenverbindungen des Bors d) Sauerstoffverbindungen des Bors e) Stickstoffverbindungen des Bors f) Phosphor- und Kohlenstoffverbindungen des Bors g) Metallboride 2. Das Aluminium a) Elementares Aluminium а) Vorkommen ß) Darstellung aa) Gewinnung von reinem Aluminiumoxid aus Bauxit bb) Schmelzelektrolyse des Aluminiumoxids y) Physikalische Eigenschaften б) Chemische Eigenschaften e) Anwendungen b) Sauerstoffverbindungen des Aluminiums c) Sonstige Aluminiumverbindungen 3. Der aktive Zustand der festen Materie a) Energieinhalt und Oberflächenentwicklung a) Zerteilungsgrad ß) Oberflächenbeschaffenheit b) Energieinhalt und Gitterstörungen c) Energieinhalt und Gleichgewichtskonstante 4. Das Gallium, Indium und Thallium 5. Vergleichende Übersicht über die Borgruppe

Inhalt 622 626 632 636 637 638 640 640 641 641 643 644 645 646 647 650 660 660 660 664 665 666 667 670

Kapitel XV. D i e G r u p p e d e r E r d a l k a l i m e t a l l e 1. Das Beryllium a) Elementares Beryllium b) Verbindungen des Berylliums 2. Das Magnesium a) Elementares Magnesium b) Verbindungen des Magnesiums 3. Das Calcium a) Elementares Calcium b) Verbindungen des Calciums c) Mörtel a) Luftmörtel ß) Wassermörtel 4. Das Strontium 5. Das Barium 6. Das Radium 7. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Erdalkalimetalle

673 673 676 678 681 682 684 689 689 690 699 699 700 701 701 703 704

Kapitel XVI. D i e G r u p p e d e r A l k a l i m e t a l l e 1. Das Lithium 2. Das Natrium a) Elementares Natrium b) Verbindungen des Natriums a) Natriumchlorid (Kochsalz) ß) Natriumhydroxid (Ätznatron) y) Natriumsulfat (Glaubersalz) 5) Natriumnitrat (Chilesalpeter) e) Natriumcarbonat (Soda)

707 707 710 712 716 716 718 721 722 722

Inhalt

3. Das Kalium a) Elementares Kalium b) Verbindungen des Kaliums a) Kalisalz-Lagerstätten ß) Kaliumchlorid y) Kaliumhydroxid (Ätzkali) 5) Kaliumsulfat e) Kaliumnitrat (Salpeter) f ) Kaliumcarbonat (Pottasche) rj) Kalihaltige Düngemittel 4. Das Rubidium, Cäsium und Francium 5. Die Ammoniumverbindungen a) Freies Ammonium b) Ammoniumsalze 6. Die Oxoniumverbindungen 7. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Alkalimetalle 8. Vergleichende Übersicht über alle Hauptgruppenelemente

XIX

725 725 726 726 727 727 727 728 729 729 730 731 731 731 734 736 737

C. Nebengruppen des Periodensystems Kapitel XVII. D a s P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e (Teil II) 1. Die Elektronenhüllen der Übergangselemente 2. Einordnung der Übergangselemente in das Periodensystem

743 744 748

Kapitel XVIII. D i e c h e m i s c h e B i n d u n g (Teil II) 1. Die Atomorbitale 2. Die Hybridisierung der Atomorbitale

755 755 761

Kapitel XIX. D i e K o m p l e x b i l d u n g d e r Ü b e r g a n g s m e t a l l e 1. Die Valence-Bond-Theorie a) Komplexliganden b) Zusammensetzung der Komplexe c) Beständigkeit der Komplexe d) Räumliche Konfiguration der Komplexe

767 767 767 769 773 775

2. Die Ligandenfeldtheorie KapitelXX. D i e K u p f e r g r u p p e 1. Das Kupfer a) Elementares Kupfer b) Kupfer(I)-Verbindungen c) Kupfer(II)-Verbindungen d) Kupfer(III)- und Kupfer(IV)-Verbindungen 2. Das Silber a) Elementares Silber a) Vorkommen ß) Darstellung von Rohsilber aa) Aus Silbererzen bb) Aus Werkblei aa) Anreicherung des Silbers ßß) Isolierung des angereicherten Silbers

777 783 784 784 788 791 796 796 796 796 797 797 798 798 798

XX y) Reinigung von Rohsilber 6) Physikalische Eigenschaften e) Chemische Eigenschaften f ) Verwendung b) Silber(I)-Verbindungen c) Silber(II)-Verbindungen d) Silber(III)-Verbindungen e) Der photographische Prozeß 3. Das Gold a) Elementares Gold b) Verbindungen des Golds 4. Schmelz-und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme a) Abscheidung reiner Stoffe a) Keine Verbindungsbildung (?) Bildung einer Verbindung b) Abscheidung von Mischkristallen a) Lückenlose Mischungsreihe fi) Vorhandensein einer Mischungslücke 5. Vergleichende Übersicht über die Kupfergruppe

Inhalt 799 799 799 800 801 803 805 805 807 807 809 812 813 813 814 815 815 817 817

Kapitel XXI. D i e Z i n k g r u p p e 1. Das Zink a) Elementares Zink a) Vorkommen ß) Gewinnung •y) Physikalische Eigenschaften 5) Chemische Eigenschaften b) Verbindungen des Zinks 2. Das Cadmium 3. Das Quecksilber a) Elementares Quecksilber b) Quecksilber(I)-Verbindungen c) Quecksilber(II)-Verbindungen 4. Vergleichende Übersicht über die Zinkgruppe

819 821 821 821 821 823 823 824 828 830 830 832 835 841

Kapitel XXII. D i e S c a n d i u m g r u p p e 1. Das Scandium 2. Das Yttrium 3. Das Lanthan 4. Das Actinium 5. Vergleichende Übersicht über die Scandiumgruppe

843 843 844 845 846 847

Kapitel XXIII. D i e T i t a n g r u p p e 1. Das Titan 2. Das Zirkonium 3. Das Hafnium 4. Das Eka-Hafnium 5. Vergleichende Übersicht über die Titangruppe

849 849 854 855 855 856

Kapitel XXIV. D i e V a n a d i n g r u p p e 1. Das Vanadin 2. Das Niob und Tantal

859 859 862

Inhalt 3. Das Eka-Tantal 4. Vergleichende Übersicht über die Vanadingruppe

XXI 864 865

Kapitel XXV. D i e C h r o m g r u p p e 1. Das Chrom a) Elementares Chrom b) Chrom( VI)-Verbindungen a) Chromate, Dichromate ß) Peroxochromate c) Chrom(V)-Verbindungen d) Chxom(IV)-Verbindungen e) Chrom(III)-Verbindungen f) Chrom(II)-Verbindungen g) Isomerie komplexer Verbindungen 2. Das Molybdän 3. Das Wolfram a) Elementares Wolfram b) Verbindungen des Wolframs 4. Das Eka-Wolfram 5. Magnetochemie a) Magnetische Grundbegriffe b) Die magnetische Suszeptibilität c) Der Diamagnetismus d) Der Paramagnetismus a) Allgemeines ß) Anwendungsbeispiele 6. Vergleichende Übersicht über die Chromgruppe

867 867 867 869 869 873 875 875 876 879 880 882 885 885 887 890 891 891 893 896 897 897 898 900

Kapitel XXVI. D i e M a n g a n g r u p p e 1. Das Mangan a) Elementares Mangan b) Verbindungen des Mangans 2. Das Technetium i 3. Das Rhenium a) Elementares Rhenium b) Verbindungen des Rheniums 4. Vergleichende Übersicht über die Mangangruppe

903 904 904 905 910 911 911 912 915

Kapitel XXVII. D i e E i s e n g r u p p e 1. Das Eisen a) Elementares Eisen a) Vorkommen ß) Darstellung aa) Erzeugung von Roheisen bb) Gewinnung von Stahl cc) Stahllegierungen y) Physikalische Eigenschaften 5) Chemische Eigenschaften b) Eisen(II)-Verbindungen c) Eisen(III)-Verbindungen d) Komplexe Eisen(II)- und Eisen(III)-Verbindungen e) Eisen(VI)-, (V)- und (IV)-Verbindungen

917 917 917 917 919 919 922 924 925 925 927 929 933 935

XXII 2. Das Kobalt 3. Das Nickel 4. Die Metallcarbonyle a) Systematik und Konstitution a) Einkernige Metallcarbonyle ß) Höherkernige Metallcarbonyle b) Darstellung a) Aus Metall und Kohlenoxid ß) Durch Reduktion von Metallsalzen in Anwesenheit von Kohlenoxid y) Durch Oxydation von Carbonylmetallaten 5) Durch energetische Zersetzung von Metallcarbonylen e) Darstellung gemischter Metallcarbonyle c) Eigenschaften a) Substitutionsreaktionen ß) Oxydationsreaktionen aa) Metallcarbonylhalogenide bb) Metallcarbonyl-kationen y) Reduktionsreaktionen 6) Additionsreaktionen d) Trifluorphosphin-Metallkomplexe e) Metall-7r-Komplexe 5. Vergleichende Übersicht über die Eisengruppe Kapitel XXVIII. D i e G r u p p e d e r P l a t i n m e t a l l e 1. Vorkommen 2. Gewinnung 3. Physikalische Eigenschaften 4. Chemische Eigenschaften a) Osmiumgruppe b) Iridiumgruppe c) Platingruppe 5. Verwendung 6. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Platinmetalle 7. Vergleichende Übersicht über alle Nebengruppenelemente

Inhalt 936 940 943 944 944 946 949 949 950 951 951 951 951 952 958 958 959 960 965 966 969 973 975 975 976 976 977 977 980 981 985 986 988

D. Lanthaniden und Actiniden Kapitel XXIX. D a s P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e (Teil III) 1. Die Elektronenhüllen der Lanthaniden und Actiniden 2. Einordnung der Lanthaniden und Actiniden in das Periodensystem der Elemente . . . . Kapitel XXX. D i e n a t ü r l i c h e E l e m e n t u m w a n d l u n g 1. Der Atomkern a) Bau der Atomkerne a) Urbausteine der Materie aa) Proton und Neutron bb) Negatron und Positron ß) Präparative Isolierung von Isotopen 7) Leichter, schwerer und Superschwerer Wasserstoff b) Drall der Atomkerne a) Ortho- und Para-Wasserstoff ß) Kernmagnetische Resonanz

993 993 995 997 997 997 997 997 1005 1008 1010 1014 1014 1016

Inhalt 2. Die natürliche Radioaktivität a) Radioaktive Elemente a) Verschiebungssatz ß) Zerfallsreihen b) Radioaktive Strahlung а) Geschichtliches ß) Energieinhalt 7) Wechselwirkung mit Materie б) Radioaktive Indikatoren c) Radioaktive Zerfallsgeschwindigkeit a) Halbwertszeit ß) Radioaktives Gleichgewicht 7) Altersbestimmung von Mineralien d) Radioaktiver Energieumsatz a) Massenverlust durch Strahlung ß) Kernbindungsenergie

XXIII 1017 1017 1017 1018 1021 1021 1023 1025 1027 1028 1028 1031 1032 1034 1034 1035

Kapitel XXXI. D i e k ü n s t l i c h e E l e m e n t u m w a n d l u n g 1. Die Kern-Einzelreaktion a) Die einfache Kernreaktion a) Methoden der Kernumwandlung aa) Kernumwandlung mit Heliumkernen bb) Kernumwandlung mit Wasserstoffkernen cc) Kernumwandlung mit Neutronen dd) Kernumwandlung mit schwereren Atomkernen ee) Kernumwandlung mit 7-Strahlen ß) Die Elemente 43, 61, 85 und 87 7) Die künstliche Radioaktivität b) Die Kernzersplitterung c) Die Kernspaltung d) Die Kernverschmelzung 2. Die Kern-Kettenreaktion a) Die gesteuerte Kern-Kettenreaktion b) Die ungesteuerte Kern-Kettenreaktion

1039 1039 1042 1042 1042 1045 1047 1049 1050 1051 1053 1056 1056 1059 1061 1061 1066

Kapitel XXXII. D i e L a n t h a n i d e n 1. Geschichtliches 2. Vorkommen a) Allgemeines b) Wichtige Mineralien c) Häufigkeit 3. Trennung a) Trennung durch Fraktionierung b) Trennung durch Wertigkeitsänderung 4. Physikalische Eigenschaften 5. Chemische Eigenschaften 6. Das Promethium 7. Vergleichende Übersicht über die Lanthanidengruppe

1069 1070 1071 1071 1072 1072 1073 1073 1076 1076 1079 1082 1083

Kapitel XXXIII. D i e A c t i n i d e n 1. Allgemeiner Überblick a) Analogie zwischen Lanthaniden und Actiniden

1085 1085 1088

XXIV b) Darstellung der Actiniden c) Physikalische Eigenschaften der Actiniden d) Chemisches Verhalten der Actiniden 2. Die einzelnen Actinidenelemente a) Das Thorium b) Das Protactinum c) Das Uran d) Das Neptunium e) Das Plutonium f) Das Americium g) Das Curium h) Das Berkelium i) Das Californium k) Das Einsteinium 1) Das Fermium m) Das Mendelevium n) Das Nobelium o) Das Lawrencium 3. Vergleichende Übersicht über die Actinidengruppe Schlußwort: Die gegenseitige Umwandlung von Masse und Energie

Inhalt 1090 1091 1092 1095 1095 1096 1097 1101 1103 1105 1106 1108 1108 1109 1110 1110 1111 1111 1112 1113

E. Anhang 1. Kurzbiographien der im Lehrbuch erwähnten Chemiker, Physiker und Techniker . . . . 2. Zeittabelle zur Chemiegeschichte (Anorganische und Allgemeine Chemie) 3. Die Laureaten des Nobelpreises für Chemie 4. Die Laureaten des Nobelpreises für Physik 5. Zahlentabellen

1119 1167 1179 1182 1186

Personenregister I

1195

Personenregister II

1203

Sachregister I

1207

Sachregister II

1299

Einleitung Die Chemie ist die L e h r e v o n d e n S t o f f e n u n d S t o f f ä n d e r u n g e n , die Physik — ihre Schwesterwissenschaft — die L e h r e v o n d e n Z u s t ä n d e n u n d Z u s t a n d s ä n d e r u n g e n . Einige Beispiele mögen diesen Unterschied erläutern: Hält man einen P l a t i n d r a h t in eine nichtleuchtende Gasflamme, so beginnt er zu glühen. Zieht man ihn wieder aus der Flamme heraus, so kühlt er sich ab, und im abgekühlten Zustande ist an ihm keine Änderung gegenüber dem Ausgangszustande zu bemerken. Hier handelt es sich um einen p h y s i k a l i s c h e n V o r g a n g : das Glühen stellt nur eine vorübergehende Z u s t a n d s ä n d e r u n g dar. Sobald die Ursache dieser Zustandsänderung beseitigt ist, kehrt der Draht in seinen ursprünglichen Zustand zurück. Hält man aber einen M a g n e s i u m d r a h t in die Flamme, so verbrennt dieser mit glänzender Lichterscheinung zu einem weißen Pulver (,Magnesiumoxid"), das von dem ursprünglichen Magnesium vollkommen verschieden ist. Hier hat man es mit einem c h e m i s c h e n Vorgang zu tun: beim Erhitzen verwandelt sich der Magnesiumdraht in einen a n d e r e n S t o f f . Als weiteres Beispiel sei das Verhalten zweier weißer kristallisierter Stoffe, Naphthalin und Rohrzucker, beim Verdampfen betrachtet. Bringt man N a p h t h a l i n in einer Retorte auf steigende Temperaturen, so schmilzt es bei 80.04° zunächst zu einer farblosen Flüssigkeit, beginnt dann bei 218.18° zu sieden, destilliert über und kondensiert sich in einem vorgelegten kalten Gefäß wieder zu festem weißem Naphthalin. Dieses destillierte Naphthalin gleicht vollkommen dem undestillierten. Der Stoff hat also durch das Schmelzen, Verdampfen und Verdichten nur wiederholt seine Z u s t a n d s f o r m geändert, ist aber an sich derselbe geblieben. Es liegt also ein p h y s i k a l i s c h e r Vorgang vor. Erhitzt man dagegen R o h r z u c k e r auf steigende Temperaturen, so beobachtet man ganz andere Erscheinungen. Auch hier tritt zu Beginn bei 182° ein Schmelzen ein, doch färbt sich der Rohrzucker dann bald braun. Bei stärkerem Erhitzen wird die Masse noch dunkler, während eine braune Flüssigkeit überdestilliert und ein „brenzlicher" Geruch wahrzunehmen ist. Schließlich bleibt in der Retorte eine verkohlte, poröse Masse (,Zuckerkohle") zurück. Beim Rohrzucker tritt also beim Erhitzen eine bleibende s t o f f l i c h e Ä n d e r u n g ein: wir haben es mit einem c h e m i s c h e n Vorgang zu tun. Als drittes Beispiel diene das Verhalten eines Metalldrahts und das Verhalten von angesäuertem Wasser beim Hindurchleiten eines elektrischen Stroms. Der M e t a l l d r a h t zeigt, solange der Strom fließt, andere Eigenschaften, z. B. in magnetischer Hinsicht (Ablenkung einer herangeführten Magnetnadel). Schaltet man den Strom ab, so verschwinden diese Eigenschaften wieder, und es kehrt der u r s p r ü n g l i c h e Z u s t a n d zurück. Hier handelt es sich um einen p h y s i k a l i s c h e n Vorgang. Bei dem angesäuerten W a s s e r verursacht der Strom dagegen eine Gasentwicklung, und das aus dem Wasser gebildete Gas („Knallgas") hat ganz andere Eigenschaften als das Wasser selbst. Hier ist eine bleibende Ä n d e r u n g d e s S t o f f e s eingetreten: es hat ein c h e m i s c h e r Vorgang stattgefunden. Entsprechend dieser Definition der Chemie als der Lehre von den Stoffen und Stoffänderungen müssen wir uns in TeilA (S. 3—84) des Lehrbuchs zunächst mit dem B e g r i f f des S t o f f s und speziell des r e i n e n S t o f f s befassen, zumal sich dabei Gelegenheit bietet, eine Reihe chemischer Grundoperationen, Grundbegriffe und Grundgeräte kennenzulernen. Vom Begriff des reinen Stoffs ausgehend, sollen dann die für die Gewichts- und Volumenverhältnisse bei chemischen Umsetzungen geltenden G r u n d g e s e t z e behandelt

2

Einleitung

werden, deren experimentelle Ableitung das Arbeiten mit solchen reinen Stoffen voraussetzt. Die chemischen Grundgesetze werden uns dann zur Aufstellung der für das Verständnis chemischer Reaktionen grundlegenden L e h r e v o m A t o m u n d M o l e k ü l führen, welche ihrerseits an einigen wichtigen Elementen, dem S a u e r s t o f f , W a s s e r s t o f f und S t i c k s t o f f als den Bestandteilen des W a s s e r s und der L u f t praktisch angewandt wird. Es folgen dann in Teil B (S. 85—740) die 44 Elemente der acht H a u p t g r u p p e n (Ausbau der äußersten Elektronenschalen), in Teil C (S. 741-990) die 34 Elemente der acht N e b e n g i u p p e n (Ausbau der zweitäußersten Elektronenschalen) und in TeilD (S. 991 —1112) die 28 L a n t h a n i d e n - und A c t i n i d e n-Elemente (Ausbau der drittäußersten Elektronenschalen). Zum besseren Verständnis des Behandelten wird dabei jeder dieser drei Teile durch drei Kapitel eingeleitet: ein Kapitel über das P e r i o d e n s y s t e m d e r E l e m e n t e , in dem vom gekürzten Periodensystem der Hauptgruppen ausgehend stufenweise das Gesamtsystem durch Einbeziehung erst der Nebengruppen und dann der Lanthaniden und Actiniden entwickelt wird, sowie zwei Kapitel t h e o r e t i s c h e n I n h a l t s , in denen vom Einfachen zum Komplizierteren übergehend Fragen des Atombaus, der chemischen Bindung, der chemischen Reaktion, der Komplexverbindungen, des Atomkerns und der natürlichen und künstlichen Elementumwandlung zur Sprache kommen, die für den betreffenden Teil von Wichtigkeit sind. Im abschließenden TeilE (S. 1117—1193) finden sich Angaben zur Chemiegeschichte (Kurzbiographien, Zeittabelle, Nobelpreise für Chemie und Physik) sowie Zahlentabellen.

Teil A Atom und Molekül

Kapitel I

Der reine Stoff 1. Homogene und heterogene Systeme Die chemischen Eigenschaften eines aus einem gegebenen Material bestehenden Körpers sind praktisch u n a b h ä n g i g von seiner G r ö ß e u n d G e s t a l t 1 . Es hat sich daher als zweckmäßig erwiesen, Körper, die sich nur in Größe und Gestalt voneinander unterscheiden, sonst aber in allen spezifischen Eigenschaften (wie Farbe, Dichte, elektrischer Leitfähigkeit, Löslichkeit, chemischen Reaktionen usw.) miteinander übereinstimmen, unter einem materiellen Sammelbegriff zusammenzufassen. Dieser Sammelbegriff ist der Begriff,.Stoff". Ein Messer, ein Bohrer, eine Schere, eine Schreibfeder unterscheiden sich beispielsweise voneinander durch Größe und Gestalt; sieht man aber von diesen beiden Eigenschaften ab, so bleibt ein Eigenschaftskomplex zurück: der Stoff „Stahl". Marmor, Granit, Messing, Schwefel sind derartige S t o f f e . Will man den stofflichen Aufbau der Umwelt näher erforschen, so wird man sich zunächst die Frage vorlegen, ob ein vorgegebener Stoff äußerlich e i n h e i t l i c h oder u n e i n h e i t l i c h ist. Dies läßt sich häufig schon mit bloßem Auge, in anderen Fällen erst unter dem Mikroskop feststellen. Betrachtet man z.B. Schwefel oder Messing oder Marmor unter dem Mikroskop, so stellt man fest, daß sie e i n h e i t l i c h aufgebaut sind. Derartige Stoffe nennt man „homogene2 Stoffe" oder allgemeiner auch „homogene Systeme". Der Granit dagegen erweist sich schon mit bloßem Auge als u n e i n h e i t l i c h e r , „heterogener3 Stoff" {„heterogenesSystem"). Er enthält weiße oder graue, halbdurchsichtige, sehr harte Anteile („Quarz"), weichere, rötliche oder gelbliche, undurchsichtige Stücke („Feldspat") und Silber- oder schwarzglänzende, leicht in Blättchen spaltbare Teilchen („Glimmer"), besteht also aus verschiedenen — in sich wieder homogenen — festen Anteilen. In dieser Weise gelangt man zu einer ersten groben Einteilung aller chemischen Stoffe in einheitliche homogene und uneinheitliche heterogene Systeme. Je nach dem Aggregatzustand der homogenen Anteile oder „Phasen " (S. 310) eines heterogenen Systems kann man verschiedenartige heterogene Systeme unterscheiden (vgl. S. 561): f e s t - f e s t e G e m i s c h e (z.B. Granit oder Schießpulver), f e s t - f l ü s s i g e G e m i s c h e (z.B. Kalkmilch oder Töpferton), f e s t - g a s f ö r m i g e G e m i s c h e (z.B. Rauchgas oder Bimsstein), f l ü s s i g - f l ü s s i g e G e m i s c h e (z. B. Milch oder Lebertran) und f l ü s s i g - g a s f ö r m i g e G e m i s c h e (z.B. Seifenschaum oder Nebel). Ein a u s . z w e i g a s f ö r m i g e n P h a s e n bestehendes heterogenes System ist nicht haltbar, da Gase sich stets homogen miteinander vermischen. Will der Chemiker die verschiedenen chemischen Systeme näher kennenlernen, so ist es seine erste Aufgabe, aus dem Gemenge der von der Natur dargebotenen heterogenen Stoffe die einzelnen 1 Erst beim Übergang zu sehr kleinen Teilchengrößen ändern sich die chemischen Eigenschaften einer gegebenen Substanz merklich (S. 660ff.). 2 homoios (biioloq) = gleich; genos (yevoflüssiges, sich an den kälteren Teilen des Rohres in feinen Tröpfchen absetzendes und in der Einbuchtung zusammenfließendes silberglänzendes Metall, das wir Q u e c k s i l b e r nennen, und ein farbloses, die Verbrennung lebhaft unterhaltendes Gas, das den Namen S a u e r s t o f f trägt (vgl. S. 46). Quecksilberoxid läßt sich also 17 Der Benutzung der F a r b e als analytischem Merkmal verdankt die Chromatographie ihren Namen: chroma (xpwiia) = Farbe. 18 Genauer: die den Siede- bzw. Schmelzpunkt der Lösung erniedrigenden Bestandteile (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie).

14

I. Der reine Stoff

in Quecksilber und Sauerstoff z e r l e g e n („Analyse") 1 9 . Umgekehrt kann man aus Quecksilber und Sauerstoff wieder Quecksilberoxid a u f b a u e n („Synthese") 2 0 , indem man beide Stoffe auf etwa 300° erwärmt (vgl. S. 81): Quecksilberoxid ^400° Quecksilber

Sauerstoff 300° Quecksilberoxid

Die Stoffe Quecksilber und Sauerstoff können zum Unterschied vom Quecksilberoxid durch keine der gebräuchlichen physikalischen und chemischen Methoden weiter zerlegt werden. Man nennt derartige Stoffe nach A. L. Lavoisier(S. 1145) 2 1 „ G r u n d s t o f f e " oder „Elemente" 2 2 , zum Unterschied von den „Verbindungen", wie Quecksilberoxid, die weiter zerlegbar sind 23 . Nicht immer entstehen bei der Zerlegung einer Verbindung direkt die aufbauenden Elemente. Erhitzt man z.B. K a l k s t e i n auf 900°, so erhält man zwei neue Stoffe: festen Ä t z k a 1 k und gasförmiges K o h l e n d i o x i d (S. 691). Beide sind aber keine Elemente, sondern Verbindungen, da sie sich bei sehr hohen Temperaturen weiter in metallisches Calcium und gasförmigen Sauerstoff bzw. in festen Kohlenstoff und gasförmigen Sauerstoff zerlegen lassen. Erst die drei Stoffe Calcium, Kohlenstoff und Sauerstoff widerstehen allen weiteren Zerlegungsversuchen und müssen daher als Elemente bezeichnet werden 2 4 . Durch Vereinigung von Calcium und Sauerstoff 19

analysis (dviXuoiç) = Trennung. synthesis (aivSeam) - Zusammenfügung. Wichtigste Vorläufer als Begründer der Elementtheorie waren 1661, also über ein Jahrhundert vor Lavoisier (1777), R. Boyle (S. 1124f.) und 1642, weitere 20 Jahre zuvor, J. Jungius (S. 1142). 22 elementum (lat.) = Baustein. 23 Bezüglich einer etwas genaueren Definition vgl. S. 26 und S. 1005. - Altertum und Mittelalter kannten nur die vier „Elemente" Erde, Wasser, Luft und Feuer (vgl. S. 1167), die im Lichte unserer heutigen Anschauungen nur Symbole für die vier Aggregatzustände - den festen, flüssigen, gasförmigen und plasmatischen Zustand darstellen. Im Ausdruck „Alle Elemente waren entfesselt" (Erdbeben, Überschwemmung, Orkan, Gewitter) hat sich der alte Elementbegriff bis auf den heutigen Tag erhalten. 24 Lavoisier hielt den Ätzkalk und mehrere andere, sehr schwer zerlegbare Stoffe wie Magnesia, Quarz, Korund noch für Elemente. In seinem Buch,, Traité élémentaire de Chimie" (1789) führte er insgesamt 33 Elemente an, von denen aber nur 23 wirkliche Elemente im heutigen Sinne waren. 20

21

15

4. Element und Verbindung

bzw. Kohlenstoff und Sauerstoff können Ätzkalk und Kohlendioxid wieder synthetisiert werden; die Vereinigung von Ätzkalk und Kohlendioxid schließlich führt zum Ausgangsprodukt Kalkstein zurück: Kalkstein

Während die Zahl der chemischen Verbindungen unbegrenzt groß ist (man kennt bis heute schon mehr als 1 Million genau definierter Verbindungen), ist die Zahl der diese Stoffe aufbauenden Elemente begrenzt. Sie beträgt bis heute 106 (vgl. S. 746) und dürfte sich in naher Zukunft kaum wesentlich erhöhen. Z u s a m m e n f a s s e n d ergibt sich damit folgendes (vgl. S. 26): Die chemischen Stoffe lassen sich in homogene Stoffe und heterogene Stoffe (d.h. h e t e r o g e n e G e m i s c h e h o m o g e n e r S t o f f e ) einteilen. Bei den aus den heterogenen Systemen gewinnbaren homogenem Stoffen wiederum kann man reine Stoffe und Lösungen (d.h. h o m o g e n e G e m i s c h e r e i n e r S t o f f e ) unterscheiden. Die aus den homogenen Lösungen isolierbaren reinen Stoffe Schließlich können Elemente oder aus solchen Elemente aufgebaute Verbindungen sein:

{

Heterogene Stoffe

i , Lösungen Homogene Stoffe | 4r Verbindungen l Reine Stoffe | l l Elemente Über die weitere Unterteilung der aus den Verbindungen darstellbaren Elemente in Misch- und Reinelemente vgl. S. 1005. Unsere bisherigen Betrachtungen haben gezeigt, auf welchen Wegen man die heterogenen Gemische in die homogenen Bestandteile und die homogenen Mischungen weiter in die reinen Stoffe zerlegen kann. Die so erhältlichen reinen Stoffe (Elemente und Verbindungen) wollen wir den folgenden Betrachtungen über einige wichtige Grundgesetze der Chemie zugrunde legen, welche das experimentelle Fundament der sogenannten A t o m - u n d M o l e k u l a r l e h r e bilden.

Kapitel II

Atom- und Molekulartehre 1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff. a) Experimentalbefunde

a) Gesetz von der Erhaltung der Masse Die bei chemischen Reaktionen äußerlich beobachtbaren G e w i c h t s ä n d e r u n g e n können verschiedener Art sein. Lassen wir z.B. eine S t e a r i n k e r z e brennen, so stellen wir einen G e w i c h t s v e r l u s t der Kerze fest. Rostet dagegen ein E i s e n n a g e l an feuchter Luft, so tritt eine G e w i c h t s v e r m e h r u n g des Nagels ein. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man daher schließen, daß bei chemischen Vorgängen bald Substanz V e r l u s t e , bald Substanz g e w i n n e auftreten. Dies ist aber bei genauerer Nachprüfung nicht der Fall. Führen wir nämlich chemische Reaktionen in einem g e s c h l o s s e n e n Gefäß durch, so daß nichts hinzukommen und nichts entweichen kann, so stellen wir fest, daß das Gefäß samt Inhalt vor und nach dem Versuch das g l e i c h e G e w i c h t besitzt. Beim Rosten des Nagels ist jetzt keine Gewichtszunahme mehr zu beobachten, da der Rostvorgang auf der Aufnahme eines Gases (Sauerstoff) aus der Luft beruht und sich das Luftgewicht dementsprechend um den Betrag der Gewichtszunahme des Nagels vermindert; in gleicher Weise macht sich beim Brennen der Kerze kein Substanzverlust mehr bemerkbar, da die beim Verbrennen (Vereinigung mit Sauerstoff) entstehenden Gase (Kohlendioxid, Wasserdampf) aus dem geschlossenen Gefäß nicht entweichen können und daher mit zur Wägung gelangen. Man kann also ganz allgemein den Satz aussprechen: B e i a l l e n c h e m i s c h e n V o r gängen b l e i b t das G e s a m t g e w i c h t der R e a k t i o n s t e i l n e h m e r unv e r ä n d e r t . Da das Gewicht G einer gegebenen Masse m eine Funktion ihres Standortes ist: G = m • g (Gewicht = Masse X Schwerebeschleunigung), ist es allerdings zweckmäßiger, vom Standort zu abstrahieren und an die Stelle des Begriffs „Gesamt g e w i c h t " den Begriff „Gesamtm a s s e" zu setzen. Wir kommen so zum Gesetz von der Erhaltung der Masse: Bei allen chemischen Vorgängen bleibt die Gesamtmasse der Reaktionsteilnehmer unverändert. Es wurde namentlich von dem französischen Chemiker Antoine Laurent Lavoisier (1743—1794)1 in seiner vollen Bedeutung erkannt (1774). 1 Wichtigste Vorläufer für die Formulierung des Gesetzes von der Erhaltung der Masse waren 1756, also rund 20 Jahre vor Lavoisier, M. W. Lomonossow (S. 1147) und 1620, also über anderthalb Jahrhunderte zuvor, J. B. van Helmont (S. 1138).

18

II. Atom- und Molekularlehre

Die S c h w e r e b e s c h l e u n i g u n g g hängt von der geographischen Breite und der Höhe Uber dem Meeresniveau ab. Um diese Abhängigkeit auszuschalten, hat man sich international auf einen N o r m w e r t der Schwerebeschleunigung von 9.80665 m/s 2 (45° geographischer Breite, Meeresniveau) geeinigt Die Einheit der M a s s e ist das G r a m m (g) oder sein tausendfacher Wert, das K i l o g r a m m (kg), vgl S. 67. Als Einheit des G e w i c h t s benutzt man die Kraft, welche die Masse von 1 g bzw. 1 kg bei dem Normwert gn der Schwerebeschleunigung auf die Unterlage ausübt. Da somit Masse und Gewicht Größen verschiedener Art sind, kann man sie nicht mehr wie früher in der gleichen Einheit g bzw. kg messen und hat deshalb für die Einheit des Gewichts die Bezeichnung P o n d 2 (p) bzw. K i l o p o n d (kp) eingeführt3 (vgl. S. 67): 1 P = 1 g • in

1 kp = 1 kg •

Bei der üblichen Wägung spielt die Größe der Schwerebeschleunigung keine Rolle, da sie auf beiden Waagschalen mit dem gleichen Wert wirkt. Man pflegt daher im täglichen Leben auch die G e w i c h t s einheit als Gramm bzw. Kilogramm zu bezeichnen. Das vorliegende Lehrbuch schließt sich diesem Brauch an. Die experimentelle Prüfung des Fundamentalsatzes von der Erhaltung der Masse, die eine peinlichste Berücksichtigung aller denkbaren Fehlerquellen voraussetzt, ist am sorgfältigsten und genauesten 1908 durch den deutschen Physikochemiker Hans Landolt (1831—1910) und 1909 durch den ungarischen Physikochemiker Lorand v. Eötvös (1848—1919) erfolgt. Landolt verfuhr bei seinen Versuchen so, daß er in die beiden Schenkel des nebenstehend abgebildeten Gefäßes (Fig. 9) je eine von zwei chemisch umzusetzenden Lösungen einfüllte, das Gefäß zuschmolz und mit der größtmöglichen Sorgfalt wog. Durch Umdrehen des Gefäßes wurden dann die Lösungen gemischt und so zur Reaktion gebracht. Nach Beendigung der Reaktion wurde schließlich erneut genauestens gewogen. Die Versuche, zu denen jeweils Substanzlösungen von rund 300 g Gesamtgewicht zur Anwendung kamen, ergaben, daß in keinem Falle die beobachtete Gewichtsschwankung über die vorher durch Blindversuche experimentell ermittelte maximale Fehlergrenze der Gewichtsbestimmung (0.00003 g) hinausging. Wenn also bei chemischen Reaktionen überhaupt Gewichtsänderungen auftreten, so müssen sie kleiner als 0003 /3oo Viooooooo — d.s. 10"5 % — des Gewichts der reagierenden Substanzen sein. Eötvös konnte die Fehlergrenze noch um eine weitere Zehnerpotenz herabsetzen. I n n e r h a l b d i e s e r F e h l e r g r e n z e n besitzt also das Gesetz von der Erhaltung der Masse s t r e n g e G ü l t i g k e i t . Würde man allerdings die Genauigkeit der Gewichtsbestimmung über die von Landolt und von v. Eötvös erreichte Genauigkeit hinaus steigern können, so würde sich herausstellen, daß das Gesetz von der Erhaltung der Masse n i c h t m e h r s t r e n g z u t r i f f t . Bei fast allen chemischen Reaktionen wird nämlich nicht nur

Einfüllrohre

/

\

K?\ Lösung 1 Läsung

2

Fig. 9. Landoltsches Gefäß zur Prüfung des Gesetzes von der Erhaltung der Masse

pondus (lat.) = Gewicht. 1 Kilopond ist demnach das Gewicht, mit dem eine Masse von 1 Kilogramm bei den Normalbedingungen eine Unterlage belastet: 1 kp = 9.80665 kg m/s 2 . Da man für die Krafteinheit (Gewichtseinheit) 1 kg • 1 m/s 2 im Jahre 1954 international die Größe „1 Newton" (N) eingeführt hat (vgL S. 1192), lautet die Beziehung zwischen kp und N wie folgt: 1 kp = 9.80665 N bzw. 1 N = 0.10197 kp. Die zum Heben von 1 kp auf 1 m Höhe erforderliche Arbeit (1 kp • 1 m) nennt man „1 Kilopondmeter" (kpm). Die i n t e r n a t i o n a l e Arbeitseinheit ist seit 1954 „1 Joule" (J), worunter man die zum Heben eines Gewichts von 1 N auf 1 m Höhe erforderliche Arbeit versteht (1 J = 1 N • 1 m) (S. 1192). 3

19

1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff M a t e r i e umgesetzt, sondern auch E n e r g i e frei oder gebunden. Und jeder E n e r g i e m e n g e E kommt, wie wir heute wissen, eine Masse m zu, die sich aus der „Einsteinschen Gleichung" E = m • c2

(1)

(m = Masse in g, c = Lichtgeschwindigkeit in cm/sec, E — Energie in erg) ergibt. Die Wärmeeneigiemenge E, die erforderlich ist, um 1 g reines Wasser um 1°C von I4V2 auf 15V2°C zu erwärmen (1 cal = 4.1840 X 10' erg) (S. 67 f.) „wiegt" danach beispielsweise E/c2 = (4.1840 X 1Ö7) : (2.997925 X 10 10 ) 2 =4.6554 X 10"14 g. Wird also bei einer chemischen Reaktion etwa eine Wärme-energiemenge von 100 000 cal frei, so entspricht dies einem Gewichtsverlust von (4.6554 X 10~14) X 105 = 4.6554 X 10"9 g. Um diesen Gewichtsverlust feststellen zu können, müßte eine Gewichtsbestimmung auf mindestens Vi 000000 m 8 genau reproduzierbar sein, was die von Landolt erreichte Genauigkeit von 3/ioo mg um 4 Zehnerpotenzen übertrifft. Landolt und auch v. Eötvös konnten daher zwangsläufig die nach unseren heutigen Kenntnissen zu erwartende Massenänderung bei chemischen Reaktionen nicht auffinden, zumal der Wärmeumsatz der von ihnen benutzten chemischen Reaktionen um Größenordnungen kleiner war als die oben angenommene Wärme-energiemenge von 100 000 caL Während es so mit den uns zur Verfügung stehenden Waagen und Untersuchungsmethoden zur Zeit unmöglich ist, die bei g e w ö h n l i c h e n c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n infolge des Energieumsatzes auftretenden minimalen Massenänderungen festzustellen, läßt sich bei den mit w e i t g r ö ß e r e m E n e r g i e - u m s a t z verbundenen Reaktionen der E l e m e n t u m w a n d l u n g die Gültigkeit der Masse-Energie-Gleichung (1) nachweisen (S. 1035, 1113 ff.). In diesen Fällen gilt das Gesetz von der Erhaltung der Masse in seiner eingangs gegebenen Fassung nur dann, wenn wir auch die E n e r g i e als Reaktionsteilnehmer in Rechnung setzen"*. Das Gesetz von der Erhaltung der Masse befaßt sich mit dem G e s a m t gewicht bei chemischen Reaktionen. Interessante Feststellungen ergeben sich nun auch, wenn man das Gewichts v e r h ä l t n i s untersucht, in welchem chemische Stoffe zu neuen Stoffen zusammentreten. Die sich hiermit befassenden Gesetze heißen „stöchiometrische5 Gesetze". ß) Stöchiometrische Gesetze aaj Gesetz der konstanten

Proportionen

Wasser ist eine chemische V e r b i n d u n g . Denn es läßt sich durch Zufuhr von Energie — z.B. thermischer oder elektrischer Energie — in gasförmigen W a s s e r s t o f f und gasförmigen S a u e r s t o f f zerlegen: Wasser + Energie -» Wasserstoff + Sauerstoff.

(2 a)

Wasserstoff und Sauerstoff sind ihrerseits durch gewöhnlich physikalische und chemische Methoden nicht in einfachere Stoffe trennbar und werden daher als E l e m e n t e bezeichnet. Die Zerlegung des Wassers in seine elementaren Bestandteile kann beispielsweise im ,,Hofmannsehen Zersetzungsapparat" (Fig. 10) durchgeführt werden. Man füllt zu diesem Zwecke den aus drei miteinander kommunizierenden Röhren bestehenden Apparat durch den Trichter der mittleren Röhre so weit mit Wasser, daß die beiden äußeren Rohre bis an die Hähne — die dann geschlossen werden — mit Wasser angefüllt sind. Im unteren Teil der beiden äußeren Rohre befindet sich je ein kleines Platinblech mit einem nach außen führenden Platindraht. Sobald die Platindrähte mit einer Stromquelle von genügender Spannung verbunden werden, beginnen an den Platinblechen („Elektroden") kleine Bläschen aufzusteigen: das Wasser wird unter Bildung von Wasserstoff und Sauerstoff „elektrolytisch zersetzt", und zwar bildet sich der Wasserstoff (brennbares, die Verbrennung nicht unterhaltendes Gas) an der mit dem n e g a t i v e n Pol der Stromquelle verbundenen Elektrode („Kathode"), während der Sauerstoff (die Verbrennung unterhaltendes, nicht brennbares Gas) an der p o s i t i v e n Elektrode („Anode") entwickelt wird. Da reines Wasser den elektrischen Strom nur sehr schlecht leitet, verwendet man zur „Elektrolyse" ein durch Ansäuern mit Schwefelsäure besser leitend gemachtes Wasser. 4 Das Gesetz von der Erhaltung der M a s s e (S. 17) und das Gesetz von der Erhaltung der E n e r g i e (S. 60) müssen also im Sinne der E i n s t e i n sehen Masse/Energie-Äquivalenzbeziehung zu einem Gesetz von der Erhaltung der M a s s e / E n e r g i e verschmolzen werden (vgL S. 1113). 5 stoicheion (aroixelov) = Grundstoff; metron (uirpov) = Maß.

20

II. Atom- und Molekularlehre

Sauerstoff-''

•Wasserstoff

•Wasser

positive Elektrode (Anode)

; negative r ,Elektrode j (Kathode)

^

Fig. 10. Hofmannscher Apparat zur elektrolytischen Zerlegung von Wasser

Ermittelt man nun die G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e , in denen Wasserstoff und Sauerstoff bei der beschriebenen Wasserzersetzung oder bei irgendeiner Art der Wasserzerlegung auftreten, so stellt man fest, daß Sauerstoff und Wasserstoff unabhängig von den Versuchsbedingungen (Menge des zersetzten Wassers, Temperatur, Druck, Stromstärke usw.) stets im Gewichtsverhältnis 7.936 : 1 gebildet werden. Zu dem gleichen Ergebnis wie bei dieser A n a l y s e kommt man umgekehrt auch bei der S y n t h e s e des Wassers aus Wasserstoff und Sauerstoff: Wasserstoff + Sauerstoff

Wasser + Energie.

(2b) 6

Führt man z.B. in den linken, geeichten Schenkel („Eudiometerrohr") des nachstehenden, mit Quecksilber gefüllten Gefäßes (Fig. 11) ein Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch ein und bringt das Gasgemisch durch einen kleinen elektrischen Funken zur Reaktion, so verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff unter explosionsartiger Wärmeentwicklung (Freiwerden der nach (2 a) zur Wasserzersetzung erforderlichen Energie) zu Wasser (vgl. S. 56), das sich in Form eines aus feinsten Wassertröpfchen bestehenden Beschlags auf der Innenwand des Rohres niederschlägt. Auch hier erfolgt

•Funkenstrecke Jn/asserstoffSouerstoffSemisch

I

Quecksilber ¥ Que

Fig. 11. Synthese von Wasser

6

Das Eudiometerrohr geht auf A. Volta (S. 1164) zurück.

21

1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff

die Vereinigung im Gewichtsverhältnis Sauerstoff: Wasserstoff = 7.936 : 1. Ist der Wasserstoff (Sauerstoff) im Ü b e r s c h u ß über dieses Gewichtsverhältnis hinaus vorhanden, so bleibt die überschüssige Wasserstoffmenge (Sauerstoffmenge) bei der Reaktion u n v e r ä n d e r t zurück. Analoge Beobachtungen macht man bei anderen chemischen Reaktionen. Zerlegt man beispielsweise den aus den beiden gasförmigen Elementen Chlor und Wasserstoff bestehenden Chlorwasserstoff, dessen wässerige Lösung unter dem Namen „Salzsäure" bekannt ist, in seine elementaren Bestandteile, so ergibt sich stets das konstante Gewichtsverhältnis Chlor: Wasserstoff = 35.175 : 1. Das aus den Elementen Wasserstoff und Stickstoff aufgebaute Ammoniak, dessen wässerige Lösung wir unter dem Namen „Salmiakgeist" kennen, enthält seine Bestandteile stets im unveränderlichen Gewichtsverhältnis Stickstoff: Wasserstoff = 4.632 : 1. In dem aus Wasserstoff und Kohlenstoff bestehenden Methan, das manchen Erdgasquellen als „Grubengas" entströmt, sind die Elemente stets im konstanten Gewichtsverhältnis Kohlenstoff: Wasserstoff = 2.979 : 1 enthalten. Zahlreiche Untersuchungen haben nun gezeigt, daß es sich hier um ein a l l g e m e i n g ü l t i g e s G e s e t z handelt. Man nennt es das Gesetz der konstanten Proportionen: Das Gewichtsverhältnis zweier sich zu einer chemischen Verbindung vereinigender Elemente ist konstant. Das Gesetz wurde 1799 von dem französischen Chemiker Joseph Louis Proust (1754-1826) aufgefunden. bb) Gesetz der multiplen Proportionen Häufig bilden zwei Elemente nicht nur e i n e , sondern m e h r e r e Verbindungen miteinander. So lassen sich z.B. S t i c k s t o f f und S a u e r s t o f f allein zu f ü n f verschiedenen Verbindungen verknüpfen. Vergleicht man nun die verschiedenen Gewichtsverhältnisse, nach denen der Zusammentritt der beiden Elemente erfolgt, so stellt man fest, daß sie nicht w i l l k ü r l i c h e , v o n e i n a n d e r u n a b h ä n g i g e Zahlenwerte darstellen, sondern untereinander in e i n f a c h e m Z u s a m m e n h a n g stehen. Die mit einer gegebenen Menge Stickstoff verbundene Menge Sauerstoff verhält sich nämlich bei den verschiedenen Verbindungen wie 1 : 2 : 3 : 4 : 5 : Verb. 1: Gewichtsverhältnis Sauerstoff Verb. 2: Gewichtsverhältnis Sauerstoff Verb. 3: Gewichtsverhältnis Sauerstoff Verb. 4: Gewichtsverhältnis Sauerstoff Verb. 5: Gewichtsverhältnis Sauerstoff

: Stickstoff = : Stickstoff = : Stickstoff = : Stickstoff = : Stickstoff =

0.571 1.142 1.713 2.284 2.855

: 1= : 1= : 1= : 1= : 1=

(1 X (2 X (3 X (4 X (5 X

0.571): 1, 0.571): 1, 0.571): 1, 0.571): 1, 0.571) : 1.

Auch hier handelt es sich, wie eingehende Untersuchungen zeigten, um ein a l l g e m e i n g ü l t i g e s G e s e t z . Es wurde im Jahre 1803 von dem englischen Naturforscher John Dalton (1766—1844) aufgefunden und wird das Gesetz der multiplen Proportionen genannt: Die Gewichtsverhältnisse zweier sich zu verschiedenen chemischen Verbindungen vereinigender Elemente stehen im Verhältnis einfacher ganzer Zahlen zueinander. Das Gesetz erweitert das Gesetz der konstanten Proportionen und schließt es in sich ein. cc) Gesetz der äquivalenten Proportionen Vergleicht man die Gewichtsverhältnisse, nach denen sich S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f miteinander zu den oben genannten fünf Verbindungen vereinigen, mit den Gewichtsverhältnissen, nach denen Sauerstoff und Stickstoff mit W a s s e r s t o f f zusammentreten (S. 20f.), so macht man eine neue interessante Feststellung. Man kann nämlich das für die Sauerstoff-Stickstoff-Verbindung 3 geltende Gewichtsverhältnis Sauerstoff : Stickstoff = 1.713 : 1 auch durch das Zahlenpaar 7.936 : 4.632 (= 1.713) zum Ausdruck bringen, also durch jene Zahlenwerte, die schon in den für die Vereinigung von Sauerstoff und Stickstoff mit W a s s e r s t o f f geltenden Gewichtsverhältnissen auftraten. In gleicher Weise können naturgemäß auch die Gewichtsverhältnisse der übrigen Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen (s. oben) mit Hilfe dieser Verhältniszahlen ausgedrückt werden:

22

II. Atom- und Molekulailehre Verb. 1: Gewichtsverhältnis Verb. 2: Gewichtsverhältnis Verb. 3: Gewichtsverhältnis Verb. 4: Gewichtsverhältnis Verb. 5: Gewichtsverhältnis

Sauerstoff Sauerstoff Sauerstoff Sauerstoff Sauerstoff

: : : : :

Stickstoff Stickstoff Stickstoff Stickstoff Stickstoff

= = = = =

0.571 1.142 1.713 2.284 2.855

1 =

(1 X

7.936)

(3 X

4.632),

1 =

(2 X

7.936)

(3 X

4.632),

1 = (3 X

7.936)

(3 X

4.632),

1 =

(4 X

7.936)

(3 X

4.632),

1 =

(5 X

7.936)

(3 X

4.632).

Analoges gilt ganz allgemein in anderen Fällen: Bilden zwei Elemente .4 und 5 mit einem d r i t t e n Element C in bestimmtem Gewichtsverhältnis je eine Verbindung, so ergibt sich bei der Vereinigung der beiden Elemente .4 und 5 m i t e i n a n d e r nie ein ganz neues Gewichtsverhältnis, sondern ein Zahlenpaar, das in den beiden anderen Zahlenpaaren bereits enthalten ist. Man nennt dieses Gesetz, das grundsätzlich schon im Jahre 1791 von dem deutschen Chemiker Jeremias Benjamin Richter (1762—1807) erkannt wurde, das Gesetz der äquivalenten Proportionen: Elemente vereinigen sich stets im Verhältnis bestimmter Verbindungsgewichte („Äquivalentgewichte")7 oder ganzzahliger Vielfache dieser Gewichte zu chemischen Verbindungen. Das Gesetz geht über die Aussagen der beiden vorhergehenden Gesetze hinaus und schließt diese in sich ein.

b) Daltonsche Atomhypothese Eine einfache und einleuchtende D e u t u n g finden alle bisher behandelten Gesetzmäßigkeiten durch die von J. Dalton schon vor experimenteller Sicherstellung der stöchiometrischen Gesetze konzipierte (wichtigster Vorläufer: J. Jungius, S. 1142) und 1808 veröffentlichte Atomhypothese. Nach dieser Hypothese sind die chemischen Elemente n i c h t b i s i n s U n e n d l i c h e t e i l b a r , sondern aus k l e i n s t e n , c h e m i s c h n i c h t w e i t e r z e r l e g b a r e n T e i l c h e n , den sogenannten Atomen 8 aufgebaut. Alle Atome eines g e g e b e n e n Elements haben dabei untereinander g l e i c h e s Gewicht 9 , während die Gewichte der Atome zweier v e r s c h i e d e n e r Elemente 4 und B charakteristisch voneinander v e r s c h i e d e n sind. Vereinigt sich nun ein Elemente mit einem ElementB zu einer chemischen Verbindung, so kann dies nur so geschehen, daß je a Atome A mit je b Atomen B zu je einem kleinsten Teilchen AgBb der chemischen Verbindung zusammentreten, wobei a und b ganze Zahlen darstellen. Also z.B.: A + B-*AB 2A + B-+A2B A + 2B^AB2 2A + 3B-*A2B^

oder oder oder usw.

Da die Atome hierbei mit ihren charakteristischen Gewichten (Massen) in die Verbindung eintreten, finden alle bisher besprochenen stöchiometrischen Gesetze ihre zwanglose Deutung. So erklärt sich das Gesetz von der Erhaltung der Masse daraus, daß bei chemischen Reaktionen entsprechend der Atomhypothese k e i n e U m w a n d l u n g v o n M a t e r i e , sondern nur eine Z u s a m m e n l a g e r u n g o d e r U m g r u p p i e r u n g v o n A t o m e n erfolgt, so daß die Gesamtmasse des chemischen Systems naturgemäß unverändert bleiben muß. Die nach dem Gesetz der konstanten und der multiplen Proportionen experimentell bestimmbaren k o n s t a n t e n u n d m u l t i p l e n G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e bei der Vereinigung von Elementen zu chemischen Verbindungen geben nach der Atomvorstellung das Verhältnis der Element- A t o m g e w i c h t e bzw. ihrer g a n z z a h l i g e n V i e l f a c h e wieder. In gleicher Weise stellt das 7 Der Begriff des Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s , der hier nur im Sinne der bei chemischen Reaktionen immer wiederkehrenden Verhältniszahlen gebraucht ist, wird später (S. 156 f.) in anderer Weise definiert werden. 8 atomos (äro/ioc) = unteilbar. 9 Wegen der Existenz von isotopen Atomarten eines Elements (vgl. S. 999ff.) muß man heute statt „Gewicht" richtiger „Durchschnittsgewicht" sagen.

2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff

23

nach dem Gesetz der äquivalenten Proportionen experimentell beobachtbare Verhältnis der V e r b i n d u n g s g e w i c h t e nichts anderes dar als das Verhältnis der A t o m g e w i c h t e bzw. ihrer V i e l f a c h e . Über das G e w i c h t s v e r h ä l t n i s d e r A t o m e der einzelnen Elemente („relative Atomgewichte") läßt sich auf Grund der bei der Bildung chemischer Verbindungen aus Elementen feststellbaren G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e naturgemäß keine eindeutige Aussage machen. Denn es ist ja zunächst noch u n b e k a n n t , i n w e l c h e m Z a h l e n v e r h ä l t n i s sich die Atome zur Verbindung vereinigen. Erfolgt z.B. die Wasserbildung aus Wasserstoff und Sauerstoff so, daß je 1 Wasserstoff- und 1 Sauerstoffatom zu einem Wasserteilchen zusammentreten, so besagt das experimentell gefundene Gewichtsverhältnis Wasserstoff: Sauerstoff = 1 : 7.936, daß ein Sauerstoffatom 7.936 mal schwerer als ein Wasserstoffatom ist. Erfolgt aber die Vereinigung im Atomzahlenverhältnis Wasserstoff : Sauerstoff = 2 : 1 oder 1 : 2, so folgt aus dem beobachteten Gewichtsverhältnis ein doppelt bzw. halb so großes Atomgewicht des Sauerstoffs, nämlich von 7.936 X 2 = 15.872 bzw. 7.936 : 2 = 3.968 (bezogen auf ein Atomgewicht 1 des Wasserstoffs), da dann 1 Sauerstoffatom 7.936 mal schwerer als 2 Wasserstoffatome bzw. 7.936 mal schwerer als V2 Wasserstoffatom ist. Es bedarf also mit anderen Worten zur Festlegung der relativen Atomgewichte noch der K e n n t n i s d e s Z a h l e n v e r h ä l t n i s s e s , nach welchem die Atome zu den kleinsten Teilchen der chemischen Verbindungen zusammentreten. Wie im folgenden gezeigt werden soll, ist diese Aufgabe bei Reaktionen g a s f ö r m i g e r Stoffe in einfacher Weise durch Ermittlung der V o l u m e n v e r h ä l t n i s s e zu lösen, nach denen die Bildung der Verbindungen erfolgt.

2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff. a) Experimentalbefunde Jeder G e w i c h t s m e n g e eines Stoffes entspricht, wenn der Stoff gasförmig ist oder sich vergasen läßt, bei bestimmtem Druck und bei bestimmter Temperatur ein bestimmtes G a s v o l u m e n . Wir können daher die besprochenen stöchiometrischen G e w i c h t s g e s e t z e bei Reaktionen gasförmiger Stoffe in V o l u m e n g e s e t z e umwandeln, indem wir den Ausdruck „Gewichtsverhältnis" durch den Ausdruck „Volumenverhältnis" ersetzen (z.B.: ,ßas

Volumenverhältnis zweier sich zu einer chemischen Verbindung vereinigender gasförmiger Elemente ist konstant"). Bei dieser Umformung der Gewichtsgesetze zu Volumengesetzen ergibt sich nun eine neue interessante Tatsache: die V o l u m e n Verhältnisse chemisch reagierender Gase sind nicht nur konstant oder multipel, sondern lassen sich zum Unterschied von den G e w i c h t s Verhältnissen darüber hinaus durch e i n f a c h e g a n z e Z a h l e n ausdrücken. Ermittelt man z.B. bei der elektrolytischen Zerlegung des Wassers im Hofmannschen Zersetzungsapparat (Fig. 10, S. 20) die gebildeten V o l u m i n a Wasserstoff und Sauerstoff, so stellt man fest, daß auf 1 Volumen Sauerstoff genau 2 Volumina Wasserstoff entstehen. Während also das G e w i c h t s Verhältnis Wasserstoff: Sauerstoff den n i c h t g a n z z a h l i g e n Wert 1 : 7.936 besitzt, ist das V o l u m e n Verhältnis durch die einfachen g a n z e n Z a h l e n 2 : 1 ausdrückbar. Das gleiche Volumenverhältnis ergibt sich bei der Synthese des Wassers in dem auf S. 20 beschriebenen Synthese-Apparat (Fig. 11): jede über das Volumenverhältnis Wasserstoff : Sauerstoff = 2 : 1 hinausgehende ü b e r s c h ü s s i g e Wasserstoff- oder Sauerstoffmenge wird nach der Explosion des Gasgemisches u n v e r ä n d e r t vorgefunden. Nimmt man die Synthese bei einer Temperatur oberhalb 100° vor, so daß nach der Reaktion auch das gebildete W a s s e r in Dampf-

24

II. Atom- und Molekularlehre

form vorliegt, so zeigt sich, daß auch das W a s s e r d a m p f v o l u m e n in einfachem ganzzahligem Verhältnis zu den Volumina der Ausgangsstoffe steht. Je Volumen Wasserstoff wird nämlich 1 Volumen Wasserdampf (gemessen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur) gebildet: 2 Volumina Wasserstoff + 1 Volumen Sauerstoff-» 2 Volumina Wasserdampf.

(1)

Analoge Beobachtungen macht man z.B. bei der früher schon erörterten Chlorwasserstoff-, Ammoniak- und Methan-synthese. Während für die G e w i c h t s Verhältnisse Wasserstoff: Chlor bzw. Wasserstoff: Stickstoff bzw. Wasserstoff: Kohlenstoff die Zahlen 1 : 35.175 bzw. 1 : 4.632 bzw. 1 : 2.979 gelten, lassen sich die V o l u m e n Verhältnisse durch die viel einfacheren Gleichungen 1 Volumen Wasserstoff + 1 Volumen Chlor 3 Volumina Wasserstoff + 1 Volumen Stickstoff 4 Volumina Wasserstoff + Kohlenstoff 10

2 Volumina Chlorwasserstoff -> 2 Volumina Ammoniak 2 Volumina Methan

(2) (3) (4)

wiedergeben. Entsprechendes ergibt sich bei anderen Gasreaktionen. Es handelt sich hier also wieder um ein a l l g e m e i n g ü l t i g e s G e s e t z . Es wurde erstmals im Jahre 1808 von dem französischen Naturforscher Joseph Louis Gay-Lussac (1778—1850) aufgefunden und wird als chemisches Volumengesetz bezeichnet: Das Volumenverhältnis gasförmiger, an einer chemischen Umsetzung beteiligter Stoffe läßt sich bei gegebener Temperatur und gegebenem Druck durch einfache ganze Zahlen wedergeben.

b) Avogadrosche Molekularhypothese Nach dem Gesetz der äquivalenten Proportionen treten Elemente im Verhältnis b e s t i m m t e r V e r b i n d u n g s g e w i c h t e oder deren M ú l t i p l a zusammen (S. 21 f.). Die Tatsache, daß die für chemische Umsetzungen gasförmiger Stoffe gültigen Gewichtsverhältnisse bei der Umformung zu Volumenverhältnissen in g a n z z a h l i g e P r o p o r t i o n s w e r t e übergehen, zeigt demnach, daß sich die 'G e w i c h t e g l e i c h e r V o l u m i n a elementarer Gase wie die V e r b i n d u n g s g e w i c h t e dieser Gase oder deren Vielfache verhalten. Nach Dalton sind nun aber die V e r b i n d u n g s g e w i c h t e oder deren Vielfache den A t o m g e w i c h t e n proportional (S. 22 f.). Es liegt daher nahe — und dieser Schluß wurde zunächst auch gezogen —, das chemische Volumengesetz durch die einfachste Annahme zu deuten, daß gleiche Volumina aller elementaren Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von A t o m e n enthalten, daß also mit anderen Worten das V o l u m e n v e r h ä l t n i s chemisch miteinander reagierender gasförmiger Elemente direkt das Z a h l e n v e r h ä l t n i s der dabei in Reaktion tretenden A t o m e dieser Grundstoffe wiedergibt. Diese Annahme gleicher Teilchenzahl in gleichen Gasvolumina erklärte zugleich in zwangloser Weise das völlig gleichartige Verhalten der Gase gegenüber Druck-, Temperatur- und Volumenänderungen (S. 29 ff.). Allerdings mußte man dann gerade wegen dieses gleichartigen physikalischen Verhaltens aller Gase schließen, daß auch gasförmige V e r b i n d u n g e n ebenso wie gasförmige Elemente in gleichen Volumina gleich viele kleinste Teilchen enthalten, und das führte zu W i d e r s p r ü c h e n zwischen der Annahme eines atomaren Aufbaus der elementaren Gase und den bei chemischen Gasreaktionen beobachtbaren Volumenverhältnissen: So zeigt z.B. die Bildung von 2 Volumina Chlorwasserstoff aus 1 Volumen Chlor und 1 Volumen Wasserstoff, daß sich je kleinstes Teilchen Wasserstoff und kleinstes Teilchen Chlor 2 kleinste Teilchen Chlorwasserstoff bilden. Da nun jedes Teilchen Chlorwasserstoff sowohl Wasserstoff wie Chlor 10 Kohlenstoff ist kein Gas, sondern ein fester, äußerst schwer veigasbarer Stoff, für den praktisch keine Gasvolumenbestimmung möglich ist.

2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff

25

enthalten muß, muß sich jedes Teilchen Wasserstoff und Chlor in z w e i H ä l f t e n aufgespalten haben. Dann kann es sich aber bei diesen Teilchen des Wasserstoffs und Chlors nicht um die A t o m e handeln, da diese ja definitionsgemäß chemisch n i c h t m e h r t e i l b a r sind. Man wird daher, wenn man an der Vorstellung einer gleichen Zahl kleinster Teilchen in gleichen Gasvolumina festhalten will, zwangsläufig zu dem Schluß geführt, daß gleiche Volumina von Wasserstoff und Chlor nicht eine gleiche Anzahl von A t o m e n , sondern eine gleiche Anzahl g r ö ß e r e r , m i n d e s t e n s a u s z w e i A t o m e n b e s t e h e n d e r K o m p l e x e enthalten (vgl. auch S. 236). Diese größeren Atomv.erbände nennt man Moleküle 11 oder Molekeln. Der Begriff des Moleküls wurde im Jahre 1811 von dem italienischen Physiker Amedeo Avogadro (1776—1856) eingeführt. Nach ihm gilt der —heute als Avogadrosches Gesetz bezeichnete —

Satz: Gleiche Volumina idealer12 Gase enthalten bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gleich viele Moleküle.

Aus den Volumenverhältnissen bei der Chlorwasserstoffbildung folgt zunächst nur, daß ein Molekül Wasserstoff oder Chlor eine d u r c h 2 t e i l b a r e Anzahl von Atomen enthalten muß. Nun zeigt sich aber, daß es keine Reaktion gibt, bei der aus 1 Volumen Wasserstoff oder Chlor m e h r als 2 Volumina eines gasförmigen, Wasserstoff bzw. Chlor enthaltenden Reaktionsproduktes gebildet werden. Es besteht daher k e i n G r u n d zur Annahme, daß das Wasserstoff- oder Chlormolekül m e h r a l s z w e i A t o m e enthält. Damit ergibt sich für die Chlorwasserstoffbildung das folgende Bild:

1U

1W.

ZU.

Misserstoff Chlor

Chlorwasserstoff

Die aus je zwei Atomen bestehenden Moleküle des Wasserstoffs und Chlors reagieren danach unter gegenseitigem Austausch von Atomen so miteinander, daß zwei aus je einem Wasserstoff- und Chloratom bestehende Chlorwasserstoffmoleküle entstehen. In analoger Weise kann eine „Reaktionsgleichung" für die Wasser-synthese abgeleitet werden. Die Bildung zweier Volumina Wasserdampf aus 2 Volumina Wasserstoff und 1 Volumen Sauerstoff zeigt, daß jedes S a u e r s t o f f m o l e k ü l aus mindestens z w e i A t o m e n S a u e r s t o f f besteht. Da keine sonstige Reaktion bekannt ist, bei der aus 1 Volumen Sauerstoff m e h r als 2 Volumina einer gasförmigen Sauerstoffverbindung entstehen, besteht keine Veranlassung, m e h r a l s z w e i Sauerstoffatome je Sauerstoffmolekül anzunehmen. Für den W a s s e r s t o f f folgt aus den Volumverhältnissen der Wassersynthese kein zwingender Schluß zur Annahme eines mehr als einatomigen Aufbaus der kleinsten Wasserstoffteilchen. Denn da aus je 1 Teilchen Wasserstoff 1 Teilchen Wasser entsteht, wäre dem atomaren Aufbau des Wasserstoffs dann Genüge geleistet, wenn jedes Wassermolekül 1 Wasserstoffatom enthielte (wie man dies in der Tat eine Zeitlang annahm). Da nun aber die bei der C h l o r w a s s e r s t o f f synthese beobachtbaren Volumenverhältnisse, wie oben auseinandergesetzt, zur Annahme eines aus z w e i A t o m e n bestehenden W a s s e r s t o f f m o l e k ü l s zwingen, muß man diesen Schluß auch hier zugrunde legen und kommt so zu der Gleichung:

ZU.

Missersloff 11 12

1V0I.

Sauerstoff

molecula (lat.) = kleine Masse. S. 33.

ZU

Wosserdompf

26

II. Atom- und Molekulailehre

Danach besteht jedes Wassermolekül aus 2 Wasserstoffatomen und 1 Sauerstoffatom. Entsprechende Überlegungen ergeben für die ^/nmowiafc-synthese aus Wasserstoff und Stickstoff das folgende Bild: 3 Vol.

OO

o o

o o

Wasserstoff

1M

ZU

Stickstoff

Ammoniak

+

Jedes Ammoniakmolekül enthält danach 1 Stickstoffatom und 3 Wasserstoffatome. Für den laufenden Gebrauch ist die oben angewandte Schreibweise für Reaktionsgleichungen natürlich zu u m s t ä n d l i c h . Man ist daher zur Vereinfachung der Ausdrucksweise übereingekommen, die einzelnen Atomarten durch chemische „Kurzschriftzeichen", Elementsymbole, zum Ausdruck zu bringen (S. 36). So bezeichnet man z.B. das Wasserstoffatom mit H (vom latinisierten Namen Hydrogenium = Wasserbildner13 für Wasserstoff), das Chloratom mit C1 (vom latinisierten Namen Chlorum 14 ), das Sauerstoffatom mit 0 (vom latinisierten Namen Oxygenium = Säurebildner 15 für Sauerstoff), das Stickstoffatom mit N (vom latinisierten Namen Nitrogenium = Salpeterbildner 16 für Stickstoff), das Kohlenstoffatom mit C (vom latinisierten Namen Carboneum 1 7 für Kohlenstoff). Damit v e r e i n f a c h e n sich die Reaktionsgleichungen" (1), (2), (3) und (4) auf S. 24 wie folgt: H2 2H 2 3H 2 4H 2

+ + + +

Cl 2 02 N2 2C 1 8

= = = =

2HC1, 2H20, 2NH 3 , 2CH 4 .

Wie aus diesen „chemischen Gleichungen" hervorgeht, pflegt man die Anzahl der in einem Molekül vorhandenen Atome eines Elements durch einen entsprechenden Z a h l e n i n d e x rechts unterhalb des Elementsymbols auszudrücken. L i n k s vor dem Gleichheitszeichen stehen die Symbole und Formeln der A u s g a n g s s t o f f e , r e c h t s die dabei entstehenden R e a k t i o n s p r o d u k t e . Die Z a h l und A r t der Atome muß entsprechend dem Gesetz von der Erhaltung der Masse auf beiden Seiten der Reaktionsgleichung d i e s e l b e sein.

Die aus den Gewichts- und Volumenverhältnissen bei chemischen Reaktionen abgeleitete Atomund Molekularlehre gestattet, die im ersten Kapitel behandelten Begriffe des heterogenen und homogenen Stoffs, der Lösung und des reinen Stoffs, der Verbindung und des Elements wie folgt etwas strenger zu definieren (vgl. auch S. 1005): I. Heterogene Stoffe:

Stoffaufbau aus v e r s c h i e d e n e n

Phasen.

II. Homogene Stoffe:

Stoffaufbau aus e i n e r e i n z i g e n

Phase.

1. Lösungen:

Phasenaufbau aus v e r s c h i e d e n e n

Molekülarten.

2. Reine Stoffe:

Phasenaufbau aus e i n e r e i n z i g e n

Molekülart.

a) Verbindungen:

Molekülaufbau aus v e r s c h i e d e n e n

Atomarten.

b) Elemente:

Molekülaufbau aus e i n e r e i n z i g e n

Atomart.

13 hydor (öScjp) = Wasser; gennan (yewäv) = erzeugen. Der Name gründet sich wie der deutsche Name W a s s e r Stoff auf die Bildung von Wasser bei der Verbrennung von Wasserstoff. 14 chloros (x*-cjp = 22.4136; n — 1) bei den Normalbedingungen (p = 1; T = 273.15) in die allgemeine Gasgleichung (4) ergibt. Die Dimension von R ist [Energie]/[Grad] [Mol], weil p • v die Dimension einer Energie besitzt: [Druck] X (Volumen] = ([Kraft]/[Fläche]) X [Volumen] = [Kraft] X [Länge] = [Energie]. Drückt man R - statt, wie oben geschehen, in Liter • Atmosphären/Grad Mol - in Kalorien/Grad Mol aus, so besitzt es den Zahlenwert 1.98717 cal/Grad Mol. Bezieht man die Gaskonstante statt auf 1 Mol auf 1 Molekül, indem man sie durch die Avogadrosche Zahl (S. 38), d. h. die Anzahl der Moleküle eines Mols dividiert, so erhält man die „Boltzmannsche Konstante" k — 3.29959 X 1rAtomnummem" („Ordnungszahlen"). Unter letzteren wollen wir dabei zunächst einfach die laufende Nummer verstehen, die einem Element zukommt, wenn man die Grundstoffe nach steigendem Atomgewicht anordnet (vgl. S. 88). Die Tabelle wird laufend von einer internationalen Atomgewichtskommission kritisch geprüft und — falls zuverlässigere und genauere Atomgewichtsbestimmungen vorliegen — berichtigt. Die Zahl der Dezimalen (von denen die letzte als noch unsicher angenommen wird) gibt den Grad der " Um dies anzudeuten, wurden die Molekulargewichte in der Tabelle auf S. 34 nur durch abgerundete Zahlen zum Ausdruck gebracht. 11 Bei exakter Berücksichtigung aller Korrekturglieder sind selbstverständlich auch auf dem Wege über die Bestimmung des Molekulargewichts von Gasen genaueste Atomgewichtsbestimmungen möglich. 12 Bei den radioaktiven Elementen (vgl. S. 1017ff.), bei denen man als Atomgewicht das der s t a b i l s t e n gesicherten Atomart anzugeben pflegt, ergeben sich z. B. die Atomgewichtswerte indirekt aus den Atomgewichten der Muttersubstanzen.

36

III. Atom- und Molekulargewichtsbestimmung

Relative Atomgewichte der Elemente (bezogen auf

12

C = 12)

(Stand 1973)

Element

Symbol

AtomAtomnummer gewicht

Element

Symbol

AtomAtomnummer gewicht

Actinium . . . Aluminium. . Americium . . Antimon . . . Argon Arsen Astat Barium . . . . Berkelium . . Beryllium . . Blei Bor Brom Cadmium. . . Cäsium . . . . Calcium....... Californium . Cer Chlor Chrom . . . . Curium . . . . Dysprosium . Einsteinium . Eisen Eka-Wolfram. Erbium . . . . Europium . . Fermium . . . Fluor Francium . . . Gadolinium . Gallium. . . . Germanium . Gold Hafnium . . . Hahnium . . . Helium . . . . Holmium . . . Indium . . . . Iridium . . . . Jod Kalium . . . . Kobalt Kohlenstoff , Krypton . . . Kupfer . . . . Lanthan . . . Lawrencium . Lithium . . . Lutetium . . , Magnesium . . Mangan . . . Mendelevium

Ac AI Am Sb Ar As At Ba Bk Be Pb B Br Cd Cs Ca Cf Ce Cl Cr Cm Dy Es Fe Eka-W Er Eu Fm F Fr Gd Ga Ge Au Hf Ha He Ho In Ir J K Co C Kr Cu La Lr Li Lu Mg Mn Md

89 13 95 51 18 33 85 56 97 4 82 5 35 48 55 20 98 58 17 24 96 66 99 26 106 68 63 100 9 87 64 31 32 79 72 105 2 67 49 77 53 19 27 6 36 29 57 103 3 71 12 25 101

Molybdän . . . . Natrium Neodym Neon Neptunium.... Nickel Niob Nobelium .... Osmium Palladium . . . . Phosphor Platin Plutonium . . . . Polonium Praseodym . . . . Promethium . . . Protactinium. . . Quecksilber . . . Radium Radon Rhenium Rhodium Rubidium . . . . Ruthen Rutherfordium. . Samarium . . . . Sauerstoff . . . . Scandium .... Schwefel Selen Silber Silicium Stickstoff . . . . Strontium . . . . Tantal Technetium . . . Tellur Terbium Thallium Thorium Thulium Titan Uran Vanadin Wasserstoff. . . . Wismut Wolfram Xenon Ytterbium . . . . Yttrium Zink Zinn Zirkonium . . . .

Mo Na Nd Ne Np Ni Nb No Os Pd P Pt Pu Po Pr Pm Pa Hg Ra Rn Re Rh Rb Ru Rf Sm O Sc S Se Ag Si N Sr Ta Tc Te Tb T1 Th Tm Ti U V H Bi W Xe Yb Y Zn Sn Zr

42 11 60 10 93 28 41 102 76 46 15 78 94 84 59 61 91 80 88 86 75 45 37 44 104 62 8 21 16 34 47 14 7 38 73 43 52 65 81 90 69 22 92 23 1 83 74 54 70 39 30 50 40

227 26.98154 243 121.75 39.948 74.9216 210 137.34 247 9.01218 207.2 10.81 79.904 112.40 132.9054 40.08 251 140.12 35.453 51.996 247 162.50 254 55.847 263 167.26 151.96 257 18.99840 223 157.25 69.72 72.59 196.9665 178.49 262 4.00260 164.9304 114.82 192.22 126.9045 39.098 58.9332 12.011 83.80 63.546 138.9055 260 6.941 174.97 24.305 54.9380 258

95.94 22.98977 144.24 20.179 237.0482 58.70 92.9064 255 190.2 106.4 30.97376 195.09 244 209 140.9077 145 231.0359 200.59 226.0254 222 186.207 102.9055 85.4678 101.07 261 150.4 15.9994 44.9559 32.06 78.96 107.868 28.086 14.0067 87.62 180.9479 97 127.60 158.9254 204.37 232.0381 168.9342 47.90 238.029 50.9414 1.0079 208.9804 183.85 131.30 173.04 88.9059 65.38 118.69 91.22

1. Relative Atom- und Molekulargewichte

37

Genauigkeit an, bis zu dem das betreffende Atomgewicht bis jetzt bestimmt worden ist. Sehr genaue chemische Atomgewichtsbestimmungen verdanken wir dem amerikanischen Forscher Theodore William Richards (1868-1928) und dem deutschen Chemiker Otto Hönigschmid ( 1 8 7 8 1945). Die Elementsymbole wurden von dem schwedischen Chemiker Jons Jakob Berzelius (1779—1848) im Jahre 1814 eingeführt und sind im allgemeinen den lateinischen (latinisierten) oder griechischen (gräzisierten) Namen der Elemente entlehnt (vgl. S. 26); z. B. Antimon (Stibium Sb), Wismut (Bismutum Bi), Gold (Aurum Au), Kobalt (Cobaltum Co), Kupfer (Cuprum Cu), Quecksilber (Hydraigyrum Hg), Blei (Plumbum Pb), Zinn (Stannum Sn), Eisen (Ferrum Fe), Silber (Argentum Ag), Schwefel (Sulfur S), Wasserstoff (Hydrogenium H), Sauerstoff (Oxygenium O), Stickstoff (Nitrogenium N), Kohlenstoff (Carboneum C). Damit löste Berzelius die zwei Jahre zuvor (1812) von Dalton vorgeschlagenen, etwas schwerfälligen Atomsymbole (Kreise mit eingefügten Punkten, Strichen, Zeichen, Buchstaben und Schattierungen) ab.

c) Stöchiometrische Berechnungen Die auf Grund der Kenntnis der Atom- und Molekulargewichte aufstellbaren „chemischen Gleichungen" (S. 26) bringen in kürzester Form sowohl qualitativ wie quantitativ alle jene experimentellen Beobachtungen und Grundgesetze zum Ausdruck, die zu ihrer Aufstellung führten. Die Gleichung H 2 + Cl2 = 2 HCl besagt also z.B. nicht nur q u a l i t a t i v , daß Wasserstoff und Chlor unter Chlorwasserstoffbildung miteinander reagieren und daß die Moleküle des Wasserstoffs und Chlors aus je zwei gleichen Atomen, die des Chlorwasserstoffs aus je einem Wasserstoff- und Chloratom bestehen, sondern auch q u a n t i t a t i v , d a ß l Mol = 2.016 g = 22.4141 (0°; 1 Atm.) Wasserstoff und 1 Mol = 70.906 g = 22.4141 (0°; 1 Atm.) Chlor 2 Mole = 72.922 g = 44.8281 (0°; 1 Atm.) Chlorwasserstoff ergeben. Dementsprechend ermöglichen derartige Reaktionsgleichungen in einfacher Weise die Berechnung der G e w i c h t s m e n g e n und G a s v o l u m i n a , welche bei chemischen Reaktionen verbraucht oder gebildet werden. Einige Beispiele mögen dies erläutern: 1. Es sei danach gefragt, w i e v i e l g W a s s e r d u r c h U m s e t z u n g v o n 3 g W a s s e r s t o f f m i t S a u e r s t o f f m a x i m a l g e w o n n e n w e r d e n k ö n n e n . Die Gleichung für die Wasserbildung lautet: 2H 2 + 0 2 = 2H 2 0. Da das Atomgewicht des Wasserstoffs gleich 1 und das des Sauerstoffs gleich 16 ist, lassen sich entsprechend der Gleichung aus 4 g Wasserstoff 36 g Wasser, aus 3 g Wasserstoff demnach (36 X 3)/4 = 27 g Wasser bilden. 2. W i e v i e l L i t e r S t i c k s t o f f von 0° u n d 760 mm k ö n n e n s i c h m a x i m a l m i t 1.5 g W a s s e r s t o f f z u A m m o n i a k u m s e t z e n ? Nach der Gleichung 3H 2 + N2 = 2NH 3 reagieren 6 g Wasserstoff mit 1 Mol = 22.4 1 (0°; 760 mm) Stickstoff. Mit 1.5 g Wasserstoff können sich demnach (22.4 X 1,5)/6 = 5.61 Stickstoff umsetzen. Bei n i c h t g a s f ö r m i g e n Stoffen verzichtet man bei der Aufstellung chemischer Gleichungen im allgemeinen darauf, die w a h r e M o l e k ü l g r ö ß e dieser Stoffe einzusetzen und begnügt sich damit, die e i n f a c h s t e B r u t t o f o r m e l des betreffenden Stoffs anzugeben. So schreibt man z.B. für die Vereinigung von festem Schwefel mit Sauerstoff zu Schwefeldioxid durchweg die vereinfachte Gleichung S + 0 2 = S 0 2 , obwohl man weiß, daß der feste Schwefel die Molekülformel Sg besitzt und die Gleichung daher richtiger Sg + 8 0 2 = 8 S 0 2 lauten müßte. Bei n i c h t g a s f ö r m i g e n Stoffen ist es eben im allgemeinen nicht erforderlich, die chemische Gleichung durch Einsetzen der richtigen Molekülgrößen zugleich zum S y m b o l d e r V o l u m e n v e r h ä l t n i s s e zu machen, wie dies bei Reaktionen g a s f ö r m i g e r Stoffe zweckmäßig ist

38

III. Atom- und Molekulargewichtsbestimmung

2. Absolute Atom- und Molekulargewichte Die r e l a t i v e n , d. h. auf 12 C = 12 bezogenen Gewichte der Atome und Moleküle verhalten sich naturgemäß zueinander wie ihre a b s o l u t e n Gewichte, so daß relative und absolute Atomund Molekulargewichte nur um einen k o n s t a n t e n F a k t o r voneinander unterschieden sind. Jedes G r a m m - a t o m ( G r a m m - m o l e k ü l ) eines Stoffs enthält also g l e i c h v i e l e A t o m e ( M o l e k ü l e ) des betreffenden Stoffs, und man kann daher die a b s o 1 u t e n Gewichte aus den r e l a t i v e n in einfacher Weise dadurch errechnen, daß man letztere durch die Z a h 1 N der in 1 Gramm-atom (Gramm-molekül) enthaltenen Atome (Moleküle) dividiert. Die Bestimmung der Konstante N, die nach dem österreichischen Physiker Joseph Loschmidt (1821— 1895) auch „Loschmidtsche Zahl" bzw. nach dem italienischen Physiker Amedeo Avogadro (S. 25) „Avogadrosche Zahl" 1 3 genannt wird, ist in verschiedenster Weise möglich. So kann man sie z.B. ableiten: 1. Aus der k i n e t i s c h e n G a s t h e o r i e , 2. aus der B r o w n s c h e n M o l e k u l a r b e w e g u n g , 3. aus der O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g v e r d ü n n t e r L ö s u n g e n , 4. aus den G e s e t z e n d e r s c h w a r z e n S t r a h l u n g , 5. aus der e l e k t r i s c h e n L a d u n g v o n Ö l t r ö p f c h e n (S. 163), 6. aus der Z e r s t r e u u n g b z w . S c h w ä c h u n g d e s H i m m e l s l i c h t s i n d e r A t m o s p h ä r e , 7. aus der G r ö ß e d e s E l e m e n t a r w ü r f e l s v o n K r i s t a l l e n , 8. aus r a d i o a k t i v e n P r o z e s s e n (S. 1026), 9. aus der F e i n s t r u k t u r v o n S p e k t r a l l i n i e n u. a. m. So verschiedenartig aber alle diese physikalischen Methoden, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie), auch sein mögen, sie führen doch alle zu dem g l e i c h e n W e r t 6 X 10 23 (genauester derzeitiger Wert: 6.0220943 X 10 2 3 ) für die Zahl der Atome (Moleküle) je Gramm-Atom (Gramm-molekül). E i n e d e r a r t i g e Ü b e r e i n s t i m mung der U n t e r s u c h u n g s e r g e b n i s s e wäre u n d e n k b a r , wenn n i c h t den d u r c h diese M e t h o d e n e r f a ß t e n M o l e k ü l e n und A t o m e n eine obj e k t i v e R e a l i t ä t z u k ä m e . Der aus den G e w i c h t s - und V o l u m e n v e r h ä l t n i s s e n b e i c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n von Dal ton und Avogadro i n d i r e k t e r s c h l o s s e n e B e g r i f f des A t o m s und M o l e k ü l s s t e l l t d a h e r h e u t e k e i n e u n s i c h e r e H y p o t h e s e m e h r dar, s o n d e r n ist als f e s t b e g r ü n dete Erfahrungstatsache anzusehen. Wie aus dem Wert der Avogadroschen Zahl hervorgeht, sind die Atome und Moleküle u n v o r s t e l l b a r w i n z i g e T e i l c h e n . Denn 602 209 430 000 000 000 000 000 Wasserstoffatome wiegen danach zusammen erst 1.008 g, so daß ein einzelnes Wasserstoffatom ein Gewicht von nur 1.008/(6.022 X 10 2 3 ) = 1.674 X 10"24 g besitzt; in gleicher Weise errechnet sich, daß 1 Sauerstoffatom 15.999/(6.022 X 10 23 ) = 26.568 X 10" 2 4 g, 1 Wassermolekül also (2 X 1.674 + 26.568) X 10" 2 4 = 29.916 X 10" 2 4 g wiegt. Der Durchmesser der Atome und Moleküle liegt in der Größenordnung von 10" 7 mm = 1 „Angström" (A). Von der Kleinheit derartiger Masseteilchen kann man sich an Hand folgender zwei Zahlenbeispiele einen anschaulichen Begriff machen: 1.) Würde man 1 cm 3 = 0.8 g Alkohol (Molekulargewicht 46) ins Meer gießen und sich über sämtliche Weltmeere (1370 Millionen Kubikkilometer) verteilen lassen, so enthielte j e d e r L i t e r Meerwasser — gleichgültig ob er im Atlantischen oder Indischen oder Stillen Ozean, im Nördlichen oder Südlichen Eismeer, an der Oberfläche oder in 1000 m Tiefe entnommen würde — noch 8 M o l e k ü l e Alkohol! 2.) Die in einem S t e c k n a d e l k o p f (1 mm3) enthaltene ungeheure Zahl von rund 10 20 (100 Trillionen) Eisen- A t o m e n 1 4 ergäbe, zu einer Perlenkette aneinandergereiht, eine Strecke von 2 X 107 km, entsprechend der m e h r a l s 50f a c h e n E n t f e r n u n g

13 Man bezieht heute die Loschmidtsche Zahl NL auf 1 cm 3 , die Avogadrosche Zahl N ^ auf 22.4136 1 (1 Mol) gasförmiger Substanz: N A = 22413.6 X N L (vgl. S. 1114). 14 Der Durchmesser des Eisenatoms beträgt etwa 2 A.

2. Absolute Atom- und Molekulargewichte

39

z w i s c h e n E r d e u n d M o n d 1 5 , wobei auf jedes einzelne M i l l i m e t e r dieser riesigen Strecke allein schon 5 M i l l i o n e n A t o m e entfielen! Es ist eine erstaunliche Leistung der Naturforscher, daß sie die Gewichte und Durchmesser solch winziger Teilchen mit so großer Genauigkeit anzugeben in der Lage sind, ja, daß es ihnen — wie wir später sehen werden — darüber hinaus gelungen ist, festzustellen, daß die Atome ihrerseits aus einem billionenmal kleineren (S. 94) Atomkern und einer Atomhülle bestehen (S. 94 ff.), die beide immer noch nicht die kleinsten Bestandteile der Materie darstellen, sondern in noch winzigere Urteilchen (,.Elektronen", „Protonen" und .fleutronen") zerlegt werden können (S. 997ff.). — Nunmehr wenden wir uns der speziellen Betrachtung einiger wichtiger Elemente, des W a s s e r s t o f f s , des S a u e r s t o f f s und des S t i c k s t o f f s zu, die uns in Form des W a s s e r s und der L u f t in großen Mengen zur Verfugung stehen.

15

Der mittlere Abstand des Mondes von der Eide beträgt 3.844 X 10 s km = 60.27 Erdradien.

Kapitel IV

Das Wasser und seine Bestandteile 1. Der Sauerstoff1 a) Vorkommen Der Sauerstoff wurde 1772 von Carl Scheele als ,J?euerluft" und 1774, unabhängig davon, von Joseph Priestley als „dephlogistierte Luft" (S. 49) und von Antoine Laurent Lavoisier als „Lebensluft" (S. 81) entdeckt. Den Namen Lebensluft änderte Lavoisier später in Oxygen (= Säurebildner, (S. 216) ab (S. 26), wovon sich das Elementsymbol O ableitet. In f r e i e m Z u s t a n d e kommt der Sauerstoff in der Natur als Bestandteil der L u f t vor, welche getrocknet 20.95 Volumenprozente oder 23.16 Gewichtsprozente Sauerstoff enthält (S. 81). In g e b u n d e n e m Z u s t a n d e finden wir ihn im W a s s e r , welches gereinigt zu 88.81, als Meerwasser zu etwa 85.8 Gewichtsprozenten aus Sauerstoff besteht. Weiter ist er in Form von Oxiden und Oxosalzen (Carbonaten, Silicaten usw.) zu 47.3 % am Aufbau der äußersten — bis zu 16 km Tiefe untersuchten (S. 90f.) — Schale der festen Erdrinde beteiligt. Der Gesamtgehalt von Erdrinde, Meer und Luft an Sauerstoff beträgt 50.5 Gewichtsprozente (vgl. S. 91). Der Sauerstoff ist somit das w e i t e s t v e r b r e i t e t e E l e m e n t und kommt in seiner Gewichtsmenge der Gewichtsmenge s ä m t l i c h e r ü b r i g e n E l e m e n t e — zusammengenommen — gleich. Der natürlich vorkommende Sauerstoff besteht aus den Isotopen g6 O (99.7587 %), ' 8 7 0 (0.0374 %) und ' ¿ b (0.2039 %) (vgl. hierzu S. 1012f.), ' | 0 wird häufig zum Markieren des Sauerstoffs bei Untersuchungen über den Reaktionsmechanismus von Sauerstoffverbindungen eingesetzt (vgl. S. 1010).

b) Darstellung Als A u s g a n g s m a t e r i a l z u r t e c h n i s c h e n Darstellung von Sauerstoff dienen vor allem die L u f t (a) und das W a s s e r (/3). Im L a b o r a t o r i u m werden zur Sauerstoffgewinnung auch f e s t e S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (7) herangezogen. Die zweckmäßigste Laboratoriumsmethode zur raschen Gewinnung von Sauerstoff ist neben der Elektrolyse von Wasser (S. 45) die katalytische Zersetzung von Perhydrol (S. 297), soweit nicht der in Stahlflaschen erhältliche Sauerstoff (S. 44) genügt. a) Aus Luft Die L u f t enthält außer S a u e r s t o f f in der Hauptsache noch S t i c k s t o f f (S. 81). Will man daher aus der Luft Sauerstoff gewinnen, so muß man das homogene Sauerstoff-Stickstoff1 Vgl. hierzu Comprehensive Inorganic Chemistry, Band 2 (1973), S. 685-741 sowie S. 291ff. des vorliegenden Lehrbuchs.

42

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

Gemisch z e r l e g e n . Dies kann auf c h e m i s c h e m oder auf p h y s i k a l i s c h e m Wege erfolgen. Die Zerlegung auf chemischem Wege läßt sich nicht so durchführen, daß man die Luft mit einem Stoff zur Umsetzung bringt, der nur den Stickstoff, nicht aber den Sauerstoff bindet. Denn der S a u e r s t o f f ist chemisch viel r e a k t i o n s f ä h i g e r als der S t i c k s t o f f , so daß er stets leichter als dieser reagiert. Daher muß man so verfahren, daß man den Sauerstoff durch einen Stoff bindet, welcher den gebundenen Sauerstoff leicht wieder a b z u g e b e n imstande ist. Ein solcher Stoff ist z. B. das B a r i u m o x i d (BaO). Erhitzt man Bariumoxid an der Luft auf etwa 500°, so nimmt es unter Bildung von B a r i u m p e r o x i d (Ba0 2 ) Sauerstoff auf (vgl. S. 300): 2 BaO + 0 2

700°

2 Ba0 2 .

Bei Temperaturerhöhung auf 700° (oder bei Druckverminderung) gibt das so gebildete Bariumperoxid in Umkehrung dieser Reaktion unter R ü c k b i l d u n g von Bariumoxid den gebundenen Sauerstoff wieder ab. Dieses Verfahren der Sauerstoffgewinnung aus Luft ( „Brinsches Bariumperoxid- Verfahren") war früher die einzige technische Methode der Sauerstoffgewinnung und machte den Sauerstoff ab 1886 als erstes technisches Gas verfügbar. Heute zerlegt man die Luft nur noch auf physikalischem Wege, indem man sie v e r f l ü s s i g t und die verflüssigte Luft f r a k t i o n i e r t d e s t i l l i e r t . Zur Verflüssigung muß die Luft auf sehr tiefe Temperaturen (bei 1 Atmosphäre Druck auf unter - 192°) abgekühlt werden. Hierzu bedient man sich des „Joule-Thomson-Effektes"2: Entspannt man ein unter hohem Druck stehendes („komprimiertes") r e a l e s (S. 33) Gas auf einen niedrigen Druck, so kühlt es sich — auch wenn bei der Entspannung („Expansion") keine äußere Arbeit geleistet wird — ab, weil bei der Ausdehnung A r b e i t gegen die gegenseitigen Anziehungskräfte der Gasmoleküle aufgewendet wird. Die zur Leistung dieser „inneren Arbeit" erforderliche Energie, die ja nach dem Gesetz von der Erhaltung der Energie irgendeinem Energievorrat entstammen muß, wird dem W ä r m e i n h a l t des Gases entnommen. Die Celsiusgrade ^Anfang ~~ ?Ende> um die sich die Luft bei der — ohne äußere Arbeitsleistung erfolgenden — Entspannung um PAnfang PEnde Atmosphären abkühlt, können nach der F a u s t r e g e l /

273

\2

'Anfang — 'Ende = k ' (PAnfang — PEnde) ' ( ) V273 + fAnfang/

(1)

berechnet werden (k V4 °C/Atm. bei nicht zu hohen Werten von PAnfang)' Bei °C (¿Anfang = 0) kühlt sich hiernach die Luft um etwa 1 I 4 " je Atmosphäre Druckunterschied (PAnfang — PEnde = 1) ab. Auch bei sehr hohen Druckdifferenzen ist also die Verflüssigung der Luft durch einmaliges Expandieren nicht zu erreichen. Man vereinigt daher nach Carl von Linde (1842—1934) durch Anwendung des sogenannten „Gegenstromprinzips" die Wirkung beliebig vieler Expansionen in der Weise, daß man j e d e v o r a n g e h e n d e A b k ü h l u n g zur V o r k ü h l u n g d e r n a c h f o l g e n d e n L u f t vor der nächsten Entspannung benutzt („Linde-Verfahren"). Hierdurch sinken die Temperaturen schrittweise, bis die Verflüssigungstemperatur erreicht ist. Die Arbeitsweise einer derartigen „Linde-Maschine" sei an Hand nachstehender schematicher Zeichnung (Fig. 15) kurz erläutert: Die aus der Umgebung angesaugte L u f t wird durch einen V e r d i c h t e r („Kompressor") von Atmosphärendruck auf etwa 200 Atmosphären k o m p r i m i e r t (PAnfang) u n d geht dann durch einen von Kühlwasser umflossenen K ü h l e r , wo die Kompressionswärme beseitigt und die verdichtete Luft nahezu auf die Temperatur des Kühlwassers a b g e k ü h l t wird. Die so abgekühlte, verdichtete Luft wird mittels eines Drosselventils wieder auf den ursprünglichen Druck e n t s p a n n t (PEnde). wobei — wenn 2 J. P. Joule und W. Thomson beobachteten 1853, daß komprimierte reale Gase sich bei der Expansion um etwa 1 °C je 4 atm Druckabfall abkühlen und damit nicht dem Boyle-Mariotteschen Gesetz p • v = const. (S. 33) gehorchen.

1. Der Sauerstoff

43

'Anfang z - gleich 15° ist — eine A b k ü h l u n g um etwa '/ 4 • 200 • 0.9 = 45° eintritt. Die in dieser Weise a u f - 30° ('Ende) abgekühlte Luft strömt im G e g e n s t r o m-W ä r m e a u s t a u s c h e r der nachkommenden verdichteten Luft entgegen und kühlt diese noch stärker als die vorangegangene vor, so daß sie mit t i e f e r e r T e m p e r a t u r /Anfang z u m Drosselventil gelangt als die vorhergehende und daher bei der folgenden Entspannung gemäß (1) auch auf t i e f e r e T e m p e r a t u r iE n ( j e abgekühlt wird als diese usw. So sinkt die Temperatur immer mehr, zumal nach der angegebenen Formel (1) der Joule-Thomson-Effekt mit fallender Temperatur ¿Anfang immer größer wird. Schließlich reicht die durch die Expansion bewirkte Kälteleistung zur V e r f l ü s s i g u n g eines Teils der Luft aus.

Die erhaltene flüssige Luft (die größten Anlagen haben heute eine Kapazität von 200 000 m 3 Luft pro Stunde erreicht) läßt sich durch F r a k t i o n i e r u n g (S. 9 f.) in ihre beiden Hauptbestandteile S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f trennen. Die W i r k u n g s w e i s e der Fraktionierung geht aus dem nachstehenden D i a g r a m m (Fig. 16) hervor: F l ü s s i g e r S t i c k s t o f f siedet bei - 196°, f l ü s s i g e r S a u e r s t o f f bei - 183°. M i s c h u n g e n beider Flüssigkeiten sieden bei d a z w i s c h e n l i e g e n d e n Temperaturen, flüssige Luft 80 Mol-% N 2 + 20 Mol-% 0 2 ) beispielsweise bei - 194'/ 2 °. Trägt man die Siedepunkte aller Mischungen von Sauerstoff und Stickstoff in ein Koordinatensystem (Abszisse: prozentuale molare Zusammensetzung der Mischung; Ordinate: Siedetemperatur) ein, so erhält man die in Fig. 16 als „Siedekurve" bezeichnete Kurve. Erwärmt man nun die flüssige Mischung von Stickstoff und Sauerstoff gegebener Zusammensetzung, so besitzt der entstehende D a m p f nicht die gleiche Zusammensetzung wie die A u s g a n g s f 1 ü s s i g k e i t (S. 9 f.), sondern ist stets reicher am flüchtigeren, tiefer siedenden Stickstoff. Trägt man auch die Zusammensetzung dieser bei den verschiedenen Siedetemperaturen mit den einzelnen flüssigen Mischungen im Gleichgewicht befindlichen Dampfphasen in das Koordinatensystem ein, so erhält man die in Fig. 16 als „Taukurve" bezeichnete Kurve. Sie gibt die Temperaturen an, bei welchen dampfförmige Sauerstoff-StickstoffGemische der durch die Abszisse gegebenen Zusammensetzung beim Abkühlen die ersten Flüssigkeitströpfchen („Tau") — von der durch die Siedekurve bei der gleichen Temperatur zum Ausdruck gebrachten Zusammensetzung — abscheiden. Das so erhaltene G e s a m t d i a g r a m m ermöglicht in anschaulicher Weise eine Beurteilung des V e r l a u f s d e r F r a k t i o n i e r u n g flüssiger Stickstoff-Sauerstoff-Gemische. Erwärmt man beispielsweise eine flüssige Mischung der Zusammensetzung 60 % Sauerstoff + 40 % Stickstoff, so beginnt diese bei - 190.6° zu sieden (Punkt des Diagramms). Der dabei entstehende Dampf hat die Zusammensetzung 30 % Sauerstoff + 70 % Stickstoff (ß 2 ). Da somit der D a m p f s t i c k s t o f f r e i c h e r a l s d i e F l ü s s i g k e i t ist, ist die F l ü s s i g k e i t r e l a t i v s a u e r s t o f f r e i c h e r geworden. Das bedeutet gemäß der Siedekurve eine E r h ö h u n g d e s S i e d e p u n k t e s . Wir bewegen uns also während der Destillation auf der S i e d e k u r v e in der Richtung aufyl 3 a u f w ä r t s . Würden wir die g e s a m t e Flüssigkeit verdampfen, so be-

44

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

säße der D a m p f in seiner Gesamtheit natürlich die g l e i c h e Z u s a m m e n s e t z u n g 60 % Sauerstoff + 40 % Stickstoff (04) wie die A u s g a n g s f l ü s s i g k e i t , und der letzte verdampfende Flüssigkeitstropfen hätte dementsprechend die dieser Dampfzusammensetzung entsprechende Flüssigkeitszusammensetzung (A4), da sich die Flüssigkeit jeweils mit dem G e s a m t dampf im Gleichgewicht befindet. Man muß daher die Destillation schon dann u n t e r b r e c h e n („fraktionierte" Destillation), wenn der D a m p f eine Zusammensetzung z w i s c h e n den beiden Punkten u n d B 4 (etwa.ß 3 ; 55 % N 2 + 45 % 0 2 ) und die F l ü s s i g k e i t eine Zusammensetzung z w i s c h e n den beiden P u n k t e n u n d y J 4 (etwa-4 3 ; 75 % 0 2 + 25 % N 2 ) aufweist. Wir haben dann die ursprüngliche Flüssigkeit (A 2 ) in einen s t i c k s t o f f r e i c h e r e n g a s f ö r m i g e n (B 3 ) und einen s a u e r s t o f f r e i c h e r e n f l ü s s i g e n Anteil (A 3 ) getrennt. Kondensiert man den Dampf (5 3 ) völlig, so erhält man eine Flüssigkeit (A 0 , welche beim Sieden einen schon s e h r s t i c k s t o f f r e i c h e n Dampf (Bi; 80 % N 2 + 20 % 0 2 ) ergibt. Bei völligem Verdampfen des flüssigen Anteils (A3) andererseits entsteht ein Dampf (B 5 ), welcher beim Kondensieren zu einer s e h r s a u e r s t o f f r e i c h e n Flüssigkeit (A s; 90 % O2 + 10 % N 2 ) führt. Auf diese Weise gelingt es, durch w i e d e r h o l t e fraktionierte Destillation und Kondensation schließlich r e i n e n S a u e r s t o f f (im schwerer flüchtigen Destillationsrückstand) und r e i n e n S t i c k s t o f f (im leichter flüchtigen Destillat) zu gewinnen. In der Technik wird diese „Rektifikation" der flüssigen Luft in großem Maßstabe unter Verwendung selbsttätig wirkender Rektifikationsapparate durchgeführt. In den H a n d e l kommt der Sauerstoff in (blau gestrichenen) S t a h l f l a s c h e n („Bomben") mit Linksgewinde 4 unter einem Druck von 150 Atmosphären. Der Transport kann auch als Flüssigkeit in kälteisolierten Kesselwagen (bis 20 m 3 ) erfolgen und die Flüssigkeit von dort in Standtanks (bis 100 m 3 ) übergepumpt werden.

3 Ein ähnliches Aussehen wie das „Siedediagramm" 0 2 / N 2 (Fig. 16) haben einfache „Schmelzdiagramme" (z. B. Cu/Au). An die Stelle der Taukurve tritt dann die „Erstarrungskurve" (,JSoliduskurve"), an die Stelle der Siedekurve die „Schmelzkurve" („Liquiduskurve"). Vgl. hierzu S. 738ff. 4 Zwecks Vermeidung einer Verwechslung mit anderen Gasen.

45

1. Der Sauerstoff

ß) Aus Wasser Eine einfache Methode zur Zerlegung des W a s s e r s in seine elementaren Bestandteile W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f haben wir auf S. 19 schon kennengelernt. Es ist die sogenannte „Elektrolyse des Wassers", d. h. die S p a l t u n g durch Zufuhr e l e k t r i s c h e r E n e r gie: Energie +

2H2 0

-*

2H 2 + 0 2 .

Hierbei wird der W a s s e r s t o f f an der negativen K a t h o d e , der S a u e r s t o f f an der positiven A n o d e entwickelt. Der Energieverbrauch zur Darstellung von 1 m 3 Sauerstoff (+ 2 m 3 Wasserstoff) beträgt rund 10 Kilowattstunden (kWh) gegenüber nur rund 1 kWh bei der Gewinnung durch die vorangehend beschriebene Luftzerlegung. Daher ist die technische Sauerstofferzeugung durch W a s s e r e l e k t r o l y s e nur in Ländern mit b e s o n d e r s b i l l i g e n W a s s e r k r ä f t e n lohnend. Technisch verfahrt man bei dieser Methode im Prinzip so, daß man (Fig. 17) m e h r e r e h u n d e r t Z e r s e t z u n g s z e l l e n hintereinanderschaltet und die e r s t e Elektrode (Nickel) der e r s t e n Zelle mit dem p o s i t i v e n , die l e t z t e E l e k t r o d e (Eisen) der letzten Zelle mit dem n e g a t i v e n Pol der Stromquelle verbindet, während die m i t t l e r e n Elektroden aus anodenseitig vernickeltem Eisenblech als „bipolare" (d. h. in der einen Zelle als Kathode, in der benachbarten als Anode wirkende) Elektroden benutzt werden. Eine poröse, den Stromtransport gestattende S c h e i d e w a n d („Diaphragma") verhindert in jeder Zelle die Vermischung des kathodisch gebildeten Wasserstoffs und anodisch entwickelten Sauerstoffs zu Knallgas (vgl. S. 56). Zwecks besserer Stromleitung wird das Wasser mit Natron- oder Kalilauge versetzt (Spannung je Zelle rund 2 Volt; theoretische Zersetzungsspannung für eine ln-OIT-Lösung: 0.828 (H+) + 0.401 (OH~) = 1.229 Volt, S. 212). So läßt sich im Laboratorium Sauerstoff leicht durch Elektrolyse 30%iger Kalilauge an Reinnickelektroden gewinnen.

Wasserstoff

Sauerstoff

Wasser-

Anode(IHM)

Diaphragma

•Kathode (Eisen)

zjzza bipolare

Elektrode

Fig. 17. Schematische Darstellung der Wasserstoff- und Sauerstoffgewinnung durch Wasserelektrolyse

Statt durch den e l e k t r i s c h e n S t r o m kann das Wasser auch durch c h e m i s c h e A g e n t i e n zerlegt werden, indem man es mit Stoffen zusammenbringt, die ein großes Bestreben haben, sich mit dem Wasserstoff des Wassers zu vereinigen. Ein solcher Stoff ist z. B. das gasförmige F l u o r (F 2 ), das sich mit Wasser heftig unter S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g und Bildung von F l u o r w a s s e r s t o f f (HF) umsetzt: F j + H 2 0 - 2HF + V2 0 2 .

In gleicher Weise — jedoch nur unter der gleichzeitigen Einwirkung von L i c h t — reagiert das in seinen chemischen Eigenschaften dem Fluor ähnliche C h l o r (vgl. S. 244). Diese c h e m i s c h e n Verfahren der Wasserzersetzung haben aber keinerlei praktische Bedeutung. y) Aus festen Sauerstoffverbindungen Wie das Wasser können auch a n d e r e S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n durch Zufuhr von Energie unter Bildung von Sauerstoff gespalten werden. So geben z. B. die Sauerstoffverbindun-

46

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

gen („Oxide"; frühere Bezeichnung: Oxydef der E d e l m e t a l l e (etwa des Silbers und Golds) besonders leicht, schon bei verhältnismäßig schwachem Erwärmen, ihren S a u e r s t o f f ab: 2Ag20>

160

" > 4Ag + 0 2

2AU 2 0 3

>

160

° . 4Au + 3 0 2 .

Ein Beispiel für diese Spaltung von Metalloxiden — die auch zur E n t d e c k u n g des Sauerstoffs führte (vgl. Anm. 4, S. 81) — hatten wir schon auf S. 13 f. bei der Besprechung der Zersetzung von Q u e c k s i l b e r o x i d (2HgO ->• 2Hg + 0 2 ) kennengelernt (vgl. S. 81). Im Laboratorium verwendet man zur Sauerstoffherstellung allerdings nicht solche E d e l m e t a l l - Oxide, sondern w o h l f e i l e r e Sauerstoffverbindungen, z.B. K a l i u m c h l o r a t KCIO3 (s. unten), K a l i u m n i t r a t K N 0 3 (vgl. S. 405), K a l i u m p e r m a n g a n a t KMn0 4 (vgl. S. 908f.), B a r i u m p e r o x i d Ba0 2 (vgl. S. 300), C h l o r k a l k CaCl 2 0 (vgl. S. 267). So stellt etwa das Erhitzen von K a l i u m c h l o r a t eine Möglichkeit zur Gewinnung von Sauerstoff dar. Die Reaktion verläuft so, daß zunächst ein Austausch des Sauerstoffs unter Bildung einer sauerstoff-reicheren und einer sauerstoff-ärmeren (bzw. sauerstoff-freien) Verbindung erfolgt (, ,Disproportionierung") 6 4KCIO3

Kaliumchlorat

3KCIO4 + KCl,

Kalium-

Kalium-

Perchlorat Chlorid

worauf die sauerstoffreiche Verbindung (Kaliumperchlorat) bei stärkerem Erhitzen (Explosionsgefahr) unter Sauerstoffabgabe zerfällt: K C 1 0 4 - ^ - > KCl + 2 0 2 .

Wichtig für die Laboratoriumspraxis ist, daß diese Sauerstoffgewinnung aus Kaliumchlorat durch sogenannte „Katalysatoren" 7 beschleunigt werden kann. Unter Katalysatoren (S. 183 ff.) versteht man dabei ganz allgemein Stoffe, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion e r h ö h e n {„positive Katalysatoren") oder erniedrigen („negative Katalysatoren"), o h n e d a b e i i m E n d e f f e k t (Rückbildung des verbrauchten Katalysators) v e r b r a u c h t z u w e r d e n , so daß sie nach der Reaktion u n v e r ä n d e r t wieder vorliegen und in der R e a k t i o n s g l e i c h u n g daher n i c h t a u f t r e t e n . So wird z. B. die Sauerstoffabgabe aus Kaliumchlorat durch die Zugabe von M a n g a n d i o x i d (Braunstein), Mn0 2 , wesentlich erleichtert. Erhitzt man eine Mischung von Kaliumchlorat (Sauerstoffentwicklung bei 500°) und Braunstein (Sauerstoffentwicklung bei 600°) im Gewichtsverhältnis 10 : 1, so tritt die Sauerstoffentwicklung schon bei 150° ein, ohne daß es zu der oben erwähnten Disproportionierung kommt: KCIO3

150 ° » KCl + 1V2 0 2 . Mn0 2

Die Gegenwart des Katalysators bewirkt also eine Erniedrigung der Zerfallstemperatur des Kaliumchlorats um 350°. 5 Der Name Oxide statt Oxyde wurde in Anlehnung an Bezeichnungen für analoge binäre Körperklassen wie Fluoride, Sulfide, Nitride, Phosphide usw. gewählt. Entsprechend den drei möglichen Bindungsarten (S. 109ff.) gibt es ionische (z. B. Metalloxide wie CaO), kovalente (z. B. Nichtmetalloxide wie CO) und metallische Oxide (z. B. Ubergangsmetalloxide wie NbO). 6 Die Umkehrung der Disproportionierung ist die „Komproportionierung" (Bildung einer mittleren aus einer niederen und einer höheren Oxydationsstufe): dis (lat.) = auseinander; com (lat.) = zusammen; proportio (lat.) = Verhältnis. 7 katalyein (KaraXveiv) = losbinden, aufheben. Katalysatoren heben die „chemische Reibung" auf (vgl. S. 183f.).

47

1. Der Sauerstoff

c) Physikalische Eigenschaften Sauerstoff ist bei gewöhnlicher Temperatur und unter normalem Luftdruck ein färb-, geruchund geschmackloses Gas. Durch starke Abkühlung läßt er sich zu einer bläulich gefärbten Flüssigkeit 8 verdichten, welche bei - 182.97°C (90.18 K) siedet und bei - 218.75°C (54.40 K) zu hellblauen, kubischen Kristallen ( 7 - 0 2 ) erstarrt (unterhalb — 249.26° und — 229.35° existieren noch eine monokline ( a - 0 2 ) und eine rhomboedrische ( ß - 0 2 ) Modifikation des festen Sauerstoffs). Die Dichte des gasförmigen Sauerstoffs (0°, 760 Torr, 45° geographischer Breite) beträgt 0.001429, die des flüssigen Sauerstoffs (beim Siedepunkt) 1.118 und die des festen Sauerstoffs (bei - 252°) 1.426 g/cm 3 . Fester Sauerstoff ist also rund 1000 mal schwerer als gasförmiger. In 100 Volumina Wasser lösen sich bei 0° 4.91, bei 20° 3.05, bei 25° 2.75 und bei 100° 1.70 Raumteile Sauerstoffgas (vgl. S. 79). Der O-O-Abstand in 0 2 beträgt 1.20741 A. Außer den normalen Molekülen 0 2 (vgl. S. 116,130, 142) des Sauerstoffs existieren noch die Teilchen-

formen O („atomarer Sauerstoff", S. 64), O2" („Oxid-anion", S. 113), 0 2 + (,J)ioxygenyl-kation'\ S. 142, 227, 276ff.), 02"(,JRyperoxid anion", S. 142, 714f.), O 2 2 ' LJ'eroxid-anion", S. 142, 299, 714f.), 0 3 („Ozon", S. 142, 291 ff.), 0 3 („Ozonid-anion" S. 142, 294, 714f.) und 0 4 (vgl. Anm. 8). Zur Zusammensetzung des natürlichen Sauerstoffs aus den Isotopen '86 O, ' 8 7 0 und l$0 vgl. S. 41, 1002, 1012f.

d) Chemische Eigenschaften Die charakteristischste chemische Eigenschaft des S a u e r s t o f f s ist seine Fähigkeit, sich — meist bei erhöhter Temperatur — mit zahlreichen Stoffen unter Energieabgabe ( L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g ) zu verbinden 9 . Auf dieser Umsetzung mit Sauerstoff — „Oxydation" — beruht ja der Vorgang der V e r b r e n n u n g von Stoffen an der Luft. Allerdings sind die Verbrennungserscheinungen in der Luft n i c h t s o l e b h a f t w i e i n r e i n e m S a u e r s t o f f , da der in der Luft neben Sauerstoff noch vorhandene, die Verbrennung nicht unterhaltende S t i c k s t o f f einen Teil der Verbrennungswärme zu seiner Erwärmung verbraucht. Infolgedessen kann die Temperatur und damit die Lichtentwicklung — die ja in hohem Maße von der Temperatur abhängt — trotz Entwicklung der gleichen Wärmemenge nicht den gleichen Grad wie bei der Verbrennung in reinem Sauerstoff erreichen, bei dem der Stickstoffballast wegfällt. So verbrennt z. B. H o l z k o h l e , die an der Luft nur mäßig und ohne große Lichtentwicklung glüht, in reinem Sauerstoff mit großem Glänze. Es wird dabei der Kohlenstoff (C) der Holzkohle zu gasförmigem, farblosem K o h l e n d i o x i d ( C 0 2 ) „oxydiert": C + 0 2 -» C0 2 + Energie (vgl. S. 511).

In gleicher Weise beginnt ein glimmender H o l z s p a n in einem mit Sauerstoffgas gefüllten Gefäß sogleich mit heller Flamme und ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zu brennen, was man zur E r k e n n u n g d e s S a u e r s t o f f s („Reaktion auf Sauerstoff) benutzt. Der an der Luft mit schwacher blauer Flamme brennende S c h w e f e l (S) verbrennt in Sauerstoff mit intensiv blauem Licht zu gasförmigem, farblosem, stechend riechendem S c h w e f e l d i o x i d (S0 2 ): S + O j ->• S0 2 + Energie (vgl. S. 323).

Entzündeter P h o s p h o r (P) ergibt unter blendend weißer Lichtentwicklung festes, weißes P h o s p h o r p e n t o x i d (P 2 O s ): 4P + 5 0 2

2P 2 O s + Energie (vgl. S. 442).

8 In der Flüssigkeit wurden neben den 02-Molekülen auch instabile (0 2 ) 2 - = 04-Aggregate (Dissoziationsenergie 0.13 kcal/mol) nachgewiesen. ® Sauerstoff bildet mit allen Elementen außer He, Ne und Ar auf direktem oder indirektem Wege Sauerstoffverbindungen.

48

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

Beim Auflösen in W a s s e r ergeben die vorstehenden N i c h t m e t a l l oxide („Säureanhydride',rAnsolvosäuren")10 s a u e r schmeckende Lösungen (Bildung von „Säuren": C0 2 + H 2 0 ->• H 2 C0 3 ; S0 2 + H 2 0 ->• H 2 S0 3 ; vgl. S. 160). Eine an einem Ende glühend gemachte stählerne U h r f e d e r ( E i s e n Fe) verbrennt im Sauerstoff unter lebhaftem Funkensprühen zu E i s e n o x i d (Fe 2 0 3 ): 4Fe + 3 0 2 - 2 F e 2 0 3 + Energie (vgl. S. 929).

M a g n e s i u m d r a h t (Mg) oder C a l c i u m s p ä n e (Ca) verbrennen unter blendender Lichterscheinung und Bildung weißer M a g n e s i u m o x i d - bzw. C a l c i u m o x i d - Nebel: 2Mg + 0 2 - 2MgO + Energie (vgl. S. 683)

2Ca + 0

2

- 2CaO + Energie (vgl. S. 690).

Beim Auflösen in W a s s e r ergeben die vorstehenden M e t a l l oxide („Baseanhydride", „Ansolvobasen") l a u g e n h a f t schmeckende Lösungen (Bildung von „Basen": MgO + H 2 0 -»• Mg(OH2); CaO + H 2 0 Ca(OH)2; vgl. S. 161). Noch energischer als in g a s f ö r m i g e m Sauerstoff verlaufen die Verbrennungsprozesse, wenn man den Sauerstoff in k o n z e n t r i e r t e r Form (z. B. als flüssigen Sauerstoff; vgl. S. 83f.) oder als atomaren Sauerstoff (S. 64) anwendet oder die zu verbrennenden Stoffe in f e i n v e r t e i l t e r , o b e r f l ä c h e n r e i c h e r Form (vgl. S. 660ff.) einsetzt (z. B. „Mehlstaubexplosion", „Kohlenstaubexplosion"). - Zur Oxydationswirkung von Sauerstoff in w ä s s e r i g e r L ö s u n g vgl. S. 212.

N i c h t a l l e O x y d a t i o n s v o r g ä n g e verlaufen wie die vorstehend beschriebenen Verbrennungsvorgänge unter sinnfälliger L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g . Es gibt vielmehr auch l a n g s a m b e i U m g e b u n g s t e m p e r a t u r v e r l a u f e n d e O x y d a t i o n e n , die o h n e diese auffallenden Begleiterscheinungen vor sich gehen. Man nennt sie „stille Verbrennungen" („Autoxydationen"). Hierzu gehören z. B. das R o s t e n und A n l a u f e n von Metallen, das V e r m o d e r n von Holz und sonstige V e r w e s u n g s e r s c h e i n u n g e n , sowie vor allem die A t m u n g d e r O r g a n i s m e n (zum Ablauf dieser e n z y m a t i s c h k a t a l y s i e r t e n Vorgänge vgl. Lehrbücher der Biochemie). Bei dem Atmungsvorgang (ein Erwachsener verbraucht im Ruhezustand stündlich etwa 201 Sauerstoff, entsprechend 250 kg/Jahr) spielen sich im Organismus der T i e r e und M e n s c h e n (bezüglich der Tagesund Nachtatmung von P f l a n z e n vgl. Lehrbücher der Biochemie) stille Verbrennungen ab, durch welche die Nahrungsmittel — z. B. „Kohlenhydrate", C m ( H 2 0 ) n — mittels des eingeatmeten Sauerstoffs der Luft 1 1 in Kohlendioxid (ausgeatmet) und Wasser (ausgeschieden) übergeführt werden (über den komplizierten M e c h a n i s m u s dieses durch Katalysatoren vermittelten Verbrennungsvorgangs vgl. Lehrbücher der Biochemie): Cm(H20)n + n02

Tier

m C O j + n H 2 0 + Energie.

Die bei dieser Oxydation langsam f r e i w e r d e n d e E n e r g i e dient zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und L e b e n s v o r g ä n g e . Der umgekehrte Vorgang, der Aufbau von Kohlenhydraten aus Kohlendioxid, Wasser und Energie (Sonnenlicht) spielt sich bei der Assimilation" (vgl. II, S. 529f.) der P f l a n z e n ab. Auf diese Weise wird der von Mensch und Tier verbrauchte Sauerstoff wieder r ü c k g e b i l d e t . Pflanzliche Assimilation und tierische Atmung sind dabei so a u f e i n a n d e r a b g e s t i m m t , daß sich — zumal wenn man die unge10

an (de) = verneinende Vorsilbe; hydor (üficop) = Wasser; solvens (lat.) = Lösungsmittel. Der Sauerstoff wird in den Lungen dem Blut zugeführt und vom dunkelroten Blutfarbstoff, dem „Hämoglobin", locker zum hellroten „Oxyhämoglobin" gebunden (vgl. S. S20f.), das mit dem Blutkreislauf in die Gewebe wandert und dort den Sauerstoff an die zu oxydierenden Nahrungsmittel abgibt. 11

2. Der Wasserstoff

49

heure Sauerstoffmenge der Atmosphäre (S. 82) in Rechnung stellt — der Sauerstoffgehalt der Luft praktisch nicht ändert (S. 82). Nicht immer wurde die Verbrennungserscheinung richtig als die Vereinigung von Stoffen mit Sauerstoff gedeutet. So stellte z. B. der deutsche Arzt und Chemiker Georg Ernst Stahl (1660—1734) im Jahre 1697 die Theorie auf, daß beim Verbrennen eines Stoffs ein g a s f ö r m i g e s E t w a s entweiche, das er „Phlogiston" 12 nannte. Nach dieser Theorie („Phlogistontheorie"), die fast ein Jahrhundert lang das Denken der Chemiker beherrschte, nahm man an, daß ein Stoff um so leichter und heftiger verbrenne, je mehr Phlogiston er enthalte. S c h w e f e l , P h o s p h o r , K o h l e n s t o f f , W a s s e r s t o f f galten danach als s e h r p h l o g i s t o n r e i c h e S t o f f e . Auch als Lavoisier (S. 17) im Jahre 1777 zeigte, daß der von Carl Wilhelm Scheele (17421786) und Joseph Priestley (1733-1804), unabhängig voneinander, im Jahre 1774 als Luftbestandteil erkannte Sauerstoff (vgl. S. 81) für die Verbrennung notwendig ist und daß bei der Verbrennung eine Gewichts z u n a h m e und nicht eine Gewichts a b n a h m e zu beobachten ist, gab man die Phlogistontheorie noch nicht auf, sondern suchte sie durch Zusatzhypothesen zu retten. So betrachtete man den Sauerstoff als „dephlogistierte", d. h. von Phlogiston befreite Luft, welche ein großes Bestreben habe, anderen Stoffen ihr Phlogiston zu entziehen, und schrieb dem Phlogiston ein „negatives Gewicht" zu. Heutzutage mag man vielleicht die Hartnäckigkeit nicht ganz begreifen, mit der man ein Jahrhundert lang die Phlogistonhypothese aufrechtzuerhalten suchte. Man muß aber bedenken, daß diese Hypothese einen wahren Kern enthielt. Das, was die Phlogistiker als e n t w e i c h e n d e s P h l o g i s t o n ansahen, ist in der heutigen Ausdrucksweise die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e . Dadurch, daß die Phlogistontheorie bei den Verbrennungserscheinungen nicht klar zwischen den e n e r g e t i s c h e n und den s t o f f l i c h e n Umsetzungen unterschied und auch das P h l o g i s t o n als einen S t o f f betrachtete, verstrickte sie sich bald in unlösbare Widersprüche, was zwangsläufig zur Klärung des Problems führte. Verwendung des Sauerstoffs: Das größte Anwendungsgebiet des Sauerstoffs liegt zur Zeit in der Stahlerzeugung (S. 922ff.). Zur Verwendung in der Schweiss- und Schneidetechnik vgl. S. 57.

2. Der Wasserstoff a) Vorkommen Der Wasserstoff 1 s , der im Jahre 1766 von dem englischen Privatgelehrten Henry Cavendish (1731—1810) entdeckt wurde, kommt in der unteren E r d a t m o s p h ä r e in f r e i e m Z u s t a n d e nur spurenweise (5 X 10~s Vol.-%) vor. Mit steigender Höhe nimmt der prozentuale Wasserstoffgehalt zu, bis in einigen 100 km Höhe die Erdatmosphäre fast ausschließlich aus Wasserstoff besteht. In g e b u n d e n e m Z u s t a n d e ist der Wasserstoff als Bestandteil des W a s s e r s (11.19 Gewichtsprozente Wasserstoff) und anderer Verbindungen weit verbreitet; und zwar ist im Durchschnitt jedes sechste Atom aller am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Wasser- und Lufthülle) beteiligten Atome ein Wasserstoffatom (entsprechend 1.02 Gewichtsprozent Wasserstoff; vgl. S. 91). Im Weltall ist der Wasserstoff das bei weitem verbreitetste Element (vgl. S. 91). So besteht etwa die Sonne ganz überwiegend (zu rund 80 Atom- = über 50 Gewichtsprozent) aus Wasserstoff (vgl. S. 1115), dessen unter riesiger Energieerzeugung erfolgende Umwandlung in Helium (die man in der „ W a s s e r s t o f f b o m b e " (vgl. S. 1068) nachzuahmen versucht) seit Jahrmilliarden der Erde Licht und Wärme spendet (vgl. S. 1060). Man nimmt an, daß bei der Entstehung des Weltalls durch einen „ Urknall" (S. 1115) primär ausschließlich Wasserstoff entstand („Am Anfang war der Wasserstoff) (vgl. S. 1061, 1115).

12

phlogistos (phoyioTSi) = verbrannt. Vgl. hierzu etwa D. McKie: „Die Phlogistontheorie", Endeavour 18 (1959), 144—147. Vgl. hierzu etwa Comprehensive Inorganic Chemistry, Band 1 (1973), S. 1-138. 15 1783 hat Lavoisier erstmals für Wasserstoff den Namen Hydrogen (= Wasserbildner, S. 26) vorgeschlagen, wovon sich das Elementsymbol H ableitet (S. 26). 13 14

50

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

b) Darstellung a) Aus Wasser Die Darstellung von W a s s e r s t o f f erfolgt zweckmäßig aus W a s s e r (H 2 0), das in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfugung steht. Wie bei der Sauerstoffdarstellung kann die Zerlegung des Wassers auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. Die Zersetzung auf physikalischem Wege durch Elektrolyse haben wir beim Sauerstoff schon geschildert (S. 45). Wie dort wird das Wasser auch hier zwecks Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit mit N a t r o n l a u g e versetzt. Auch wässerige K o c h s a l z l ö s u n g e n werden zur Elektrolyse verwandt („Chbralkaii-elektrolysevgl. S. 241 f., 718ff.). Zur Zersetzung des Wassers auf chemischem Wege können alle Metalle und Nichtmetalle dienen, welche ein großes Bestreben haben, sich zu oxydieren.-Unter den M e t a l l e n sind die sogenannten A l k a l i m e t a l l e (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Cäsium, Francium; vgl. die I. Hauptgruppe des Periodensystems auf S. 89) besonders reaktionsfähig. Bringt man beispielsweise ein Stückchen N a t r i u m m e t a l l (Na) auf Wasser, so bewegt es sich unter lebhafter Wasserstoffentwicklung und unter Schmelzen auf der Wasseroberfläche umher und geht als N a t r i u m h y d r o x i d (NaOH) in Lösung (zum Mechanismus der Reaktion vgl. S. 202f.): 2HOH + 2Na-* 2NaOH + H 2 + Energie (vgL S. 715).

In ganz analoger Weise reagieren die übrigen Alkalimetalle unter Bildung entsprechender Metallhydroxide MOH (M = Alkalimetall). Die Heftigkeit der Reaktion nimmt dabei mit steigendem Atomgewicht des Alkalimetalls zu. Die gleiche Beobachtung macht man bei den sogenannten E r d a l k a l i m e t a l l e n (Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium, Barium, Radium; vgl. die II. Hauptgruppe des Periodensystems auf S. 89). Während Calcium, Strontium und Barium sich mit dem Wasser verhältnismäßig lebhaft — wenn auch weniger heftig als die Alkalimetalle — gemäß dem Schema 2HOH + Ca

Ca(OH)2 + H 2 + Energie (vgl. S. 690, 691)

unter Bildung von Metallhydroxiden M(OH)2 (M = Erdalkalimetall) umsetzen, reagiert das Magnesium erst bei erhöhter Temperatur (Uberleiten von Wasserdampf über erhitztes Magnesiumpulver), dann allerdings ohne weitere Energiezufuhx unter starker Licht- und Wärmeentwicklung und Bildung des Oxids: H 2 0 + Mg-» MgO + H 2 + Energie (vgl. S. 684). Größer wird die entwickelte Wasserstoffmenge, wenn man anstelle der f r e i e n Alkali- und Erdalkalimetalle ihre W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n („Hydride") anwendet, da dann auch der an die Metalle gebundene Wasserstoff mitentwickelt wird; z. B.: 2HOH + 2NaH - 2NaOH + 2H 2 (vgL S. 715)

2HOH + CaH2 - Ca(OH)2 + 2H 2 (vgl. S. 690).

Für die t e c h n i s c h e Wasserstoffherstellung kommen die vorstehend genannten Metalle wegen ihres hohen Preises nicht in Frage. Dagegen dient die Zerlegung von Wasser durch E i s e n bei Rotglut 16 in begrenztem Umfange zur technischen Wasserstofferzeugung17 (vgl. S. 193): Energie + H 2 0 + Fe - FeO + H 2 (vgl. S. 930).

(1)

16 Zur ungefähren Bezeichnung höherer Temperaturen bedient man sich häufig der Ausdrücke „Rotglut" und „ Weißglut" wobei man folgende Unterscheidungen macht: Beginnende Rotglut ~ 500° Gelbglut ~ 1100° Dunkelrotglut ~ 700° Beginnende Weißglut . . . . ~ 1300° Hellrotglut ~ 900° Weißglut ~ 1500°. 17 Die Gleichung ist hier mit dem einfachsten Eisenoxid FeO formuliert; in Wirklichkeit sind die Verhältnisse aber komplizierter. So ist FeO nur oberhalb 560° stabil (S. 928), während unterhalb 560° ein Mischoxid „FeO • F e 2 0 3 " = F e 3 0 4 (S. 928, 930) vom Spinelltyp (S. 650) entsteht (Energie + 4 H 2 0 + 3Fe F e 3 0 4 + 4H 2 ).

51

2. Dei Wasserstoff

Das gebildete Eisenoxid wird in der Technik durch Kohlenoxid CO (z. B. in Form von Wassergas; s. unten) immer wieder in Eisen zurückverwandelt: FeO + CO

Fe + C 0 2 ,

(2)

indem man abwechselnd Wasserdampf und Wassergas über das Eisen bzw. Eisenoxid leitet. Auf diese Weise kommt man mit einer endlichen Menge Eisen aus. Addiert man die beiden Gleichungen der Wasserstoffbildung (1) und Eisenregenerierung (2), so heben sich Eisenoxid und Eisen heraus, so daß man die Gesamtgleichung H 2 0 + CO ->• H 2 + C 0 2

(3)

erhält. Das Verfahren beruht also in summa darauf, daß Wasserdampf und Kohlenoxid zu Wasserstoff und Kohlendioxid umgesetzt werden. Da sich diese Reaktion bei Gegenwart eines Katalysators auch d i r e k t — d. h. ohne den Umweg einer vorherigen Bildung von Eisenoxid — durchfuhren läßt (s. unten), spielt das Verfahren der Wasserstofferzeugung aus Wasserdampf und Eisen gegenüber diesem direkten Verfahren (3) keine große Rolle mehr.

Statt durch M e t a l l e kann das Wasser auch durch N i c h t m e t a l l e zerlegt werden. Ein wichtiges derartiges Nichtmetall ist der K o h l e n s t o f f , der sich bei Gelb- bis Weißglut mit Wasserdampf nach der Gleichung Energie + H 2 0 + C - CO + H 2 (S. 517)

(4)

umsetzt. Wegen der Billigkeit der Kohle ist dieses Verfahren der Wasserstoffdarstellung in Deutschland das technisch gebräuchlichste und wichtigste. Das entstehende Gemisch von Kohlenoxid und Wasserstoff heißt „Wassergas" (S. 517). Die Abtrennung des Kohlenoxids aus diesem Gas erfolgt in der Technik in geschickter Weise so, daß man es bei Gegenwart eines Katalysators mit weiterem Wasserdampf nach der oben schon erwähnten Reaktion (3) unter N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu Kohlendioxid „verbrennt": H 2 0 + CO -> H 2 + C 0 2 + Energie (vgl. S. 517),

(3)

welches sich unter Druck leicht mit Wasser herauswaschen oder durch Tieffühlung abtrennen läßt (S. 368). Die beiden Gleichungen (3) und (4) ergeben addiert die Gesamtgleichung Energie + 2 H 2 0 + C - 2H 2 + C 0 2 (vgl. S. 517).

(5)

In summa reagiert also der Kohlenstoff mit dem Wasserdampf unter Bildung von Wasserstoff und Kohlendioxid. Bei Verwendung von B r a u n k o h l e gelingt es, die Gesamtreaktion (5) technisch auch in e i n e m Arbeitsgang durchzufuhren. — In den Handel kommt der Wasserstoff in (rot gestrichenen) Stahlbomben, in denen er unter einem Druck von 150 Atmosphären zusammengepresst ist.

ß) Aus Säuren Für die Darstellung von Wasserstoff im L a b o r a t o r i u m benutzt man im allgemeinen nicht das W a s s e r H 2 0 als Ausgangsmaterial, sondern andere Wasserstoffverbindungen, sogenannte „Säuren" H n A (S. 160), aus denen der Wasserstoff leichter als beim Wasser durch Metalle in Freiheit gesetzt wird. Eine solche Säure ist z. B. die durch Auflösen des schon oft erwähnten Chlorwasserstoffs (HCl) in Wasser entstehende S a l z s ä u r e . Bringt man z . B . Z i n k — das mit Wasser erst bei erhöhter Temperatur reagiert — mit Salzsäure zusammen anerfolgt bereits bei Zimmertemperatur lebhafte Wasserstoffentwicklung: Zn + 2HC1 -» ZnCl 2 + H 2 .

(6)

Die Reaktion wird zweckmäßig in einem „Kippschen Apparat" (vgl. S. 1143) durchgeführt, der auch für die Entwicklung vieler anderer Gase (z. B. von C 0 2 , 0 2 , Cl 2 ) im Laboratorium geeignet ist.

52

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

Er besteht (Fig. 18) aus einem K u g e l t r i c h t e r und einem mit einer Einschnürung versehenen E n t w i c k l u n g s g e f ä ß . Trichter und Entwicklungsgefäß sind durch einen Glasschliff derart miteinander verbunden, daß das lange Ansatzrohr des ersteren bis in den unteren Teil des letzteren hineinragt, ohne dabei die Verbindung der beiden Volumenteile des Entwicklungsgefäßes zu unterbrechen. Im m i t t l e r e n Teil des Apparates befindet sich das Zink, der o b e r e und u n t e r e enthält Salzsäure. Öffnet man den H a h n der mittleren Kugel, so fließt infolge des Überdrucks der Flüssigkeitssäule Säure aus dem oberen in den unteren Teil, gelangt so schließlich mit dem Zink des mittleren Teils in Berührung und setzt sich mit diesem nach der obigen Reaktionsgleichung (6) unter Bildung von Wasserstoff und Zinkchlorid (ZnCl 2 ) um. Schließt man den Hahn, so wird durch die zunächst noch fortdauernde Wasserstoffentwicklung die Säure aus der m i t t l e r e n Kugel auf dem Wege über den u n t e r e n Teil und das Ansatzrohr des K u g e l t r i c h t e r s in diesen zurückgedrängt, so daß die Berührung zwischen Säure und Metall unterbrochen wird und die Gasentwicklung zum S t i l l s t a n d kommt. Auf diese Weise ist man in der Lage, durch einfaches Öffnen und Schließen des Hahns die Wasserstoffentwicklung in Gang zu bringen oder zu beenden. Beim Arbeiten mit Wasserstoff im Laboratorium achte man stets auf die E x p l o s i o n s g e f a h r (Mischung mit Luft: Knallgas; S. 56) und auf die Möglichkeit g i f t i g e r Beimengungen (wie ASH3 aus dem As-Gehalt des Zinks; S. 468).

Fig. 18. Wasserstoffgewinnung im Kippschen Apparat

c) Physikalische Eigenschaften Wasserstoff ist ein färb-, geruch- und geschmackloses, wasserunlösliches Gas. Durch sehr starke Abkühlung läßt er sich zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, welche bei —252.76°C (20.39° abs.) siedet und bei— 259.19°C (13.96° abs.) zu einer festen Masse (bestehend aus einer hexagonaldichtesten Kugelpackung von H2-Molekülen) erstarrt. Seine Reinigung kann durch Durchleiten durch erhitztes Pd oder Ni (S. 981) oder durch Umsetzen mit Ti oder U zu Hydriden (S. 1100) erfolgen, die dann im Vakuum thermisch zersetzt werden. — Der H—H-Abstand im gasförmigen H2-Molekül beträgt 0.7414 Ä. — Zu einer metallischen Form des Wasserstoffs vgl. S. 64. Dichte. Da der Wasserstoff unter allen Stoffen das k l e i n s t e M o l e k u l a r g e w i c h t (2.01594) besitzt, ist er das l e i c h t e s t e aller Gase. 1 Liter Wasserstoff wiegt bei 0°, 760 mm und 45° geographischer Breite 0.089870 g; die Luft besitzt demgegenüber unter gleichen Bedingungen ein rund 14 mal größeres Litergewicht von 1.2928 g. Dementsprechend zeigt der Wasserstoff in Luft einen A u f t r i e b von rund 1.2928 - 0 . 0 8 9 9 = 1.2029 g j e Liter oder 1.2029 kg je Kubikmeter. Er eignet sich somit bestens als F ü l l g a s f ü r L u f t b a l l o n s u n d L u f t s c h i f f e . Zum Tragen von zwei Personen samt Ballon, Gondel und Ausrüstung sind etwa 600 m 3 Wasserstoff (Auftrieb von 720 kg; Ballondurchmesser von 10—11 m) erforderlich; ein Zeppelinluftschiff benötigte seinerzeit etwa 250 000 m 3 . Nachteilig für die Verwendung des

53

2. Der Wasserstoff

Wasserstoffs als Füllgas ist seine B r e n n b a r k e i t (S. 56) und sein großes D i f f u s i o n s v e r m ö g e n (S. 5 3 f.). Daher bevorzugt man jetzt H e l i u m (S. 234) als Traggas. — Auch im flüssigen und festen Zustande ist der Wasserstoff erheblich leichter als andere Stoffe. So wiegt der flüssige Wasserstoff beim Siedepunkt 0.0700 g/cm 3 und der feste Wasserstoff beim Schmelzpunkt 0.0763 g/cm 3 , was dem rund 800fachen Wert der Dichte des gasförmigen Wasserstoffs entspricht. Kritische Daten. Lange Zeit hindurch hielt man den Wasserstoff — wie auch verschiedene andere Gase — für ein sogenanntes „permanentes Gas", d. h. ein Gas, das in k e i n e n d e r b e i d e n a n d e r e n A g g r e g a t z u s t ä n d e übergeführt werden könnte. Zu dieser Meinung gelangte man, weil alle Versuche, den Wasserstoff durch Druck zu verflüssigen, fehlschlugen, obwohl man Drucke bis zu mehreren Tausend Atmosphären anwandte. Heute weiß man, daß es für jedes Gas eine M a x i m a l t e m p e r a t u r gibt, oberhalb derer es auch durch einen noch so hohen Druck n i c h t v e r f l ü s s i g t w e r d e n k a n n . Diese Temperatur nennt man „kritische Temperatur". Wir können die Bedeutung dieser Temperatur leicht verstehen, wenn wir uns die Vorgänge beim Erhitzen einer Flüssigkeit näher vergegenwärtigen: In einem g e s c h l o s s e n e n G e f ä ß (Fig. 19) befinde sich eine Flüssigkeit unter ihrem eigenen Dampfdruck (S. 68 f.). Bei bestimmter Temperatur ii hat die F l ü s s i g k e i t eine

d

d

Akn>d Hn, so wird bei der Umsetzung die Energiedifferenz Hi — Hu = AH — meist in Form von Wärme — a b g e g e b e n ; wir sprechen dann von einer „exothermen" Reaktion. Ist umgekehrt d a s E n d s y s t e m e n e r g i e r e i c h e r a l s d a s A u s g a n g s s y s t e m , also H n > Hj, so wird bei der Umsetzung die E n e r g i e (Wärme) HJJ — Hi = AH von außen her a u f g e n o m m e n : wir haben eine „endotherme" Reaktion vor uns 31 . Beispiele für stark exotherme Reaktionen haben wir auf S. 47 f. in den Verbrennungserscheinungen kennengelernt. Die Energie wurde dabei in Form von Licht und Wärme frei. Man pflegt den bei chemischen Reaktionen stattfindenden E n e r g i e u m s a t z 3 2 auf einen der Reaktionsgleichung entsprechenden M o l u m s a t z an Materie sowie auf 25 °C und 1 atm zu 29 VgL hierzu etwa Comprehensive Inorganic Chemistry, Band 1 (1973), S. 2 3 - 7 6 ; E. Wiberg: „Neuere Ergebnisse der präparativen Hydrid-Forschung", Angew. Chem. 65 (1953), 1 6 - 3 3 ; E. Wibeig und E. Ambergen „Hydride der I. — IV. Hauptgruppe", Elsevier, Amsterdam 1971; K. M. Mackay: „Wasserstoffverbindungen der metattischen Elemente", Barnes u. Noble, New York 1966; T. R. P. Gibb jr.: ,J>rimäre feste Hydride", Progress 3 (1962), 315 - 5 0 9 ; G. G. Libowitz: „Die Festkörperchemie der binären Metallhydride", Benjamin, New York 1965; B. L. Shaw: „Anorganische Hydride", Pergamon, Elmsford N. Y., 1967. W. Mueller, J. P. Blackledge und G. G. Libowitz (Herausgeber): „Metallhydride", Academic Press, New York 1968. 30 Die Formel ThH4 wird nicht ganz erreicht, sondern nur die Zusammensetzung TI14H15 = „ThH3,75". 31 Der Energieumsatz AH ist gemäß der Einsteinschen Gleichung E = m • c 2 (S. 19) dem verschwindend geringen Massenverlust bzw. -gewinn m bei chemischen Umsetzungen, also der Abweichung vom Gesetz von der Erhaltung der Masse (vgl. S. 18f., 1034,1113ff.) äquivalent. 32 Der Energieumsatz AH = H u — Hi bezieht sich auf Reaktionen bei konstantem D r u c k . Zur Unterscheidung davon wird der Energieumsatz von Reaktionen bei konstantem V o l u m e n mit AU = U n — Ui bezeichnet.

59

2. Der Wasserstoff

beziehen und in K i l o k a l o r i e n (kcal) auszudrücken (s. unten), da sich alle Reaktionen so leiten lassen, daß der damit verknüpfte Energieeffekt ganz in Form von W ä r m e („Reaktionswärme") 3 3 auftritt. Die Gleichung H 2 + Vi 0 2

H 2 0 + 68.315 kcal

(8)

besagt gemäß Vorstehendem, daß bei der Umsetzung von 1 Mol = 2.0159 g Wasserstoff und V2 Mol = 15.9994 g Sauerstoff unter Bildung von 1 Mol = 18.0153 g Wasser bei 25° und 1 atm eine Wärmemenge von 68.315 kcal frei wird („Bildungsenthalpie" des Wassers) und daß umgekehrt zur Zerlegung von 18.0153 g Wasser in seine elementaren Bestandteile eine Energiemenge von 68.315 kcal aufgewendet werden muß („Spaltungsenthalpie" des Wassers). Unter 1 kcal (Kilokalorie) versteht man dabei die Wärmemenge, die erforderlich ist, um 1 kg Wasser um 1° (von 14.5 auf 15.5 °C) zu erwärmen (genauer: die einer K i 1 o j o u 1 e -Menge von 4.1840 kJ äquivalente Wärmemenge) (S. 68). Man betrachtet übereinkunftsgemäß den aus der Differenz der Energieinhalte Hj (Ausgangssystem I) und Hu (Endsystem II) hervorgehenden Energieumsatz AH einer chemischen Reaktion stets von der Seite des A u s g a n g s s y s t e m s her und versieht ihn dementsprechend bei e x o t h e r m e n Reaktionen (Energie V e r l u s t des Ausgangssystems) mit einem n e g a t i v e n , bei e n d o t h e r m e n Reaktionen (Energie g e w i n n des Ausgangssystems) mit einem p o s i t i v e n Vorzeichen, definiert also einheitlich AH als Hu — Hj. Gemäß dieser Festlegung hat die Bildungswärme AH des Wassers den Wert —68.315 kcal, die Spaltungswärme AH den Wert + 68.315 kcal, entsprechend den „thermochemischen Reaktionsgleichungen": H 2 + V 2 0 2 ->• H 2 0 ;

AH = - 68.315 kcal

H20-»H2 + V202;

AH = + 6 8 . 3 1 5 kcal.

Das Vorzeichen der — in Tabellenwerken34 zu findenden — Reaktionswärmen ist nach dem vorstehend Gesagten identisch mit dem Vorzeichen, das diese erhalten, wenn man sie auf die l i n k e Seite der Reaktionsgleichung schreibt: H 2 + V 2 0 2 - 6 8 . 3 1 5 kcal->H 2 0 H 2 0 +68.315 kcal-» H 2 + V 2 0 2 .

(8a) (8b)

Wie ersichtlich, sind diese Gleichungen (8 a) und (8 b) untereinander und mit Gleichung (8) (s. oben) identisch, da man bei thermochemischen Gleichungen wie bei mathematischen Gleichungen Zahlenwerte unter Vorzeichenwechsel auch auf die andere Seite der Gleichung setzen kann.

Bei der Angabe einer thermochemischen Gleichung wie der Gleichung (8) müssen A n f a n g s u n d E n d z u s t a n d d e s c h e m i s c h e n S y s t e m s g e n a u d e f i n i e r t sein, da der E n e r g i e g e h a l t Hder Stoffe von ihrem Z u s t a n d abhängig ist. So bezieht sich die Gleichung (8) auf 25 °C, 1 Atm. Druck, gasförmigen Wasserstoff, gasförmigen Sauerstoff und flüssiges Wasser. Leitet man z. B. die Reaktion so, daß nicht f l ü s s i g e s Wasser, sondern g a s f ö r m i g e s W a s s e r entsteht, so geht von dem obigen Energiebetrag die Wärmemenge ab, die erforderlich ist, um 1 Mol Wasser bei 25° und 1 Atm. Druck zu verdampfen. Sie beträgt 10.519 kcal, so daß bei der Bildung eines Mols d a m p f f ö r m i g e n Wassers aus gasförmigem Wasserstoff und gasförmigem Sauerstoff bei 25 °C und 1 Atm. Druck nur 68.315 - 10.519 = 57.796 kcal frei werden (vgl. S. 61). Die im vorstehenden zum Ausdruck kommende Erfahrungstatsache, daß die umgesetzte Reaktionswärme nur vom A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d des chemischen Systems, n i c h t aber davon abhängt, ob die Reaktion d i r e k t (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas -*• Wasserdampf) 33 Da die Reaktionswärme bei konstantem Druck (AH), die der Chemiker durchweg mißt, von der Reaktionswärme bei konstantem Volumen (AU) verschieden ist, bezeichnet man erstere zur Unterscheidung von letzterer auch als „Reaktionsenthalpie": thalpos (lîdXn-oç) = Wärme; en (&) = darin. 34 Vgl. hierzu etwa die vom National Bureau of Standards, Washington, herausgegebenen „Selected Values of Chemical Thermodynamic Properties", Teil 1 (1965), Teil 2 (1966), TeU 3 (1968), Teil 4 (1969), Teil 5 (1971), Teil 7 (1974). Der letzte (8.) Teil ist noch nicht erschienen.

60

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

oder i n S t u f e n (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas -»• flüssiges Wasser; flüssiges Wasser Wasserdampf) vorgenommen wird, gilt für alle chemischen Reaktionen und wurde von dem Petersburger Chemieprofessor Hermann Heinrich Hess (1802—1850) im Jahre 1840 zu folgendem Gesetz („Hessscher Satz") verallgemeinert: Die beim Übergang eines chemischen Systems von einem bestimmten Anfangs- in einen bestimmten Endzustand abgegebene oder aufgenommene Wärmemenge ist unabhängig vom Wege der Umsetzung. Führt man hiernach ein chemisches System (Fig. 23) einmal auf Wegl I * Anfangszustond A I

1 Endzustand B

»

Wegü

t

Fig. 23. Wärmeentwicklung und Reaktionsweg

dem Wege I, das andere Mal auf dem Wege II von einem gegebenen Anfangszustand A in einen gegebenen Endzustands über, so sind die auf beiden Wegen insgesamt entwickelten bzw. verbrauchten W ä r m e m e n g e n W\ und Wn e i n a n d e r g l e i c h : Wi = w n .

(9)

Der Hesssche Satz stellt seinerseits einen Spezialfall des 2 Jahre später (1842) von dem deutschen Arzt Julius Robert Mayer (1814—1878) erkannten, von J. P. Joule (1843) durch Versuche gestützten und von H. v. Helmholtz (1847) allgemein aufgestellenten 1. Hauptsatzes der Thermodynamik oder Satzes von der Erhaltung der Energie dar, welcher ganz allgemein zum Ausdruck bringt, daß die bei i r g e n d e i n e m - also nicht nur bei einem c h e m i s c h e n - V o r g a n g abgegebene oder aufgenommene E n e r g i e nur vom A n f a n g s u n d E n d z u s t a n d des Systems, n i c h t aber vom W e g e des V o r g a n g s abhängig ist. Träfe dieser 1. Hauptsatz nicht zu, so könnte man (vgl. Fig. 23) einen Vorgang sich auf dem Wege I unter Entwicklung der Energie £ j abspielen lassen, um ihn dann auf dem Wege II unter Aufwendung der k l e i n e r e n Energie E n wieder r ü c k g ä n g i g zu machen. G e w o n n e n wäre dabei der E n e r g i e b e t r a g E\- i n = AE, während sich das zur Arbeitsleistung verwendete System w i e d e r i m A n f a n g s z u s t a n d befände und daher zu e r n e u t e r A r b e i t s l e i s t u n g verwendbar wäre. Die Erfahrung zeigt, daß ein derartiges „Perpetuum mobile 1. Art", das fortgesetzt Energie aus Nichts erschafft, nicht konstruierbar ist.

Der Hesssche Satz wird häufig dazu benutzt, um R e a k t i o n s w ä r m e n , die direkt nicht oder nur schwierig meßbar sind, i n d i r e k t zu bestimmen. So kann man z. B. die bei der Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n o x i d ( C + V2O2 CO) freiwerdende Wärme AHc->co unterhalb 1000 °C nicht unmittelbar ermitteln, weil hier bei der Verbrennung von Kohlenstoff stets ein G e m i s c h v o n K o h l e n o x i d u n d K o h l e n d i o x i d entsteht (S. 516). Dagegen ist sowohl die quantitative Verbrennung von K o h l e n s t o f f mit überschüssigem Sauerstoff zu K o h l e n d i o x i d (C + O2 CO2 + 94.051 kcal) wie die quantitative Verbrennung von — auf anderem Wege rein dargestelltem — K o h l e n o x i d zu K o h l e n d i o x i d (CO + V2O2 CO2 + 67.635 kcal) experimentell leicht realisierbar. Gemäß dem aus dem Hessschen Satz folgenden Schema: AHc_co

AH = — 67.635 kcal • CO + \ 0 2

| C + P2 |

|

C02

|

AH = - 9 4 . 0 5 1 kcal

gilt dann, daß AH c ^co + (-67.635) = -94.061 ist, woraus sich AHC->co z u "94.051 + 67.635 = —26.416 kcal ergibt. Die angegebenen Reaktionswärmen („ Verbrennungsenthalpien") gelten dabei für Graphitkohlenstoff, 25 °C und 1 Atm. Druck. Um die genaue Messung chemischer Reaktionswärmen 35 haben sich in früherer Zeit vor allem der dänische Chemiker Julius Thomsen (1826—1909) und der französische Chemiker Marcelin Berthelot (1827—1907) sowie 35 Vgl. hierzu etwa C. T. Mortimer und H. D. Springall: „Moderne Thermochemie", 22-26.

Endeavour 23 (1964),

61

2. Der Wasserstoff

später der deutsche Physikochemiker Walther Roth (1873—1950) verdient gemacht. Alle im vorliegenden Lehrbuch angegebenen Reaktionswärmen beziehen sich — wenn nicht anders angegeben — auf 25 °C, 1 Atm. Druck und die unter diesen Bedingungen stabilen Zustandsformen der beteiligten Stoffe. Früher glaubte man, daß die G r ö ß e d e r R e a k t i o n s w ä r m e einer Reaktion ein M a ß f ü r i h r e c h e m i s c h e T r i e b k r a f t (, .Affinität") sei („Thomsen-Berthelotsches Prinzip") und daß dementsprechend nur e x o t h e r m e Reaktionen f r e i w i l l i g ablaufen könnten. Diese Annahme hat sich als i r r i g erwiesen. Wie wir heute wissen, setzt sich die Reaktionswärme ^gesamt a u s z w e i Gliedern, der ,Jreien" (Wfrej) und der „gebundenen" Energie ( W g e b u n d e n ) zusammen: "'gesamt

=

'•'frei + "'gebunden»

(10)

von denen lediglich der bezüglich seiner E n e r g i e f o r m f r e i e , d. h. auch als A r b e i t s l e i s t u n g gewinnbare Anteil W ^{„maximale Arbeit" AF = Fn — Fi bzw. AG = Gn — Gi einer Reaktion) 3 6 den Reaktionsablauf bestimmt (J. H. van't Hoff, 1883), indem nur solche Umsetzungen f r e i w i l l i g abzulaufen vermögen, bei denen freie Energie a b g e g e b e n wird, also Arbeit gewonnen werden kann ( n e g a t i v e s Vorzeichen der freien Energie), während Reaktionen, bei denen freie Energie aufgenommen werden muß, nur durch Energiezufuhr e r z w u n g e n werden können ( p o s i t i v e s Vorzeichen der freien Energie) 37 (vgl. Egon Wiberg: „Die chemische Affinität"-, g e s a m t e Energie: S. 1 3 - 3 5 ; f r e i e Energie: S. 3 7 - 7 9 ; g e b u n d e n e Energie: S. 81—131). Der in seiner Energieform g e b u n d e n e , nur in Form von W ä r m e umsetzbare Anteil Wgebunden ist mit diesem Reaktionsablauf z w a n g s l ä u f i g g e k o p p e l t . V o r z e i c h e n und G r ö ß e des Umsatzes Wgebunden bedingen dabei gemäß (10) das V o r z e i c h e n d e r G e s a m t e n e r g i e Besamt des freiwillig verlaufenden Vorgangs und damit dessen e x o t h e r m e n oder e n d o t h e r m e n Charakter 38 . Auch für die f r 4 i e E n e r g i e Wf re i (und damit auch für die g e b u n d e n e Energie W gebunden) 8 il1 ein dem 1. Hauptsatz entsprechender — auf den französischen Physiker Sadi Carnot (1796—1832) zurückgehender (1824) und von R. Clausius und W. Thomson weiter ausgebauter (1850) — Satz über die Unabhängigkeit dieser Energie vom (isothermen) Reaktionsweg (2. Hauptsatz der Thermodynamik oder Satz von der Erhaltung der freien Energie). Als Beispiel hierfür seien im nachfolgenden Schema (obere Zahl: Wf re j, mittlere Zahl: "'gebunden» untere Zahl: Wgesamt) d i e Energieumsätze (in kcal) bei der stufenweisen und bei der direkten Bildung von gasförmigem Wasser aus Wasserstoff- und Sauerstoffgas (25°, 1 Atm.) wiedergegeben: -56.688 -11.627

+ 2.053 + 8.466

-57.796 Leitet man also z. B. die Bildung von flüssigem Wasser aus Wasserstoff- und Sauerstoffgas in einem galvanischen Element („Knallgaselement") so, daß e l e k t r i s c h e E n e r g i e dabei gewonnen wird (vgl. S. 198ff.), so lassen sich je Mol gebildeten Wassers von den 68.315 kcal Bildungswärme (Waesamt) maximal 56.688 kcal (Wfrei) in Form von elektrischer Energie gewinnen, während der Restbetrag von 11.627 kcal (^gebunden) das galvanische Element erwärmt. Ein „perpetuum mobile 2. Art" (vgl S. 60), das laufend Arbeit durch r e s t l o s e Umwandlung von W ä r m e leistet, ist erfahrungsgemäß nicht konstruierbar. 36 AF („Helmholtz-Energie") = Nutz- + Volumenarbeit einer Reaktion, AG („Gibbs-Energie") = ausschließliche Nutzarbeit einer Reaktion, entsprechend AF = aG + A ^ v bzw. (bei Gasreaktionen) a F = a G — An RT (A^ v = — An RT: die auf die Änderung der Gasmolzahl um An und auf die dadurch bedingte Änderung des Volumens um Av zurückzuführende Volumenarbeit). Vgl. hierzu E. Wiberg: ,ßie chemische Affinität", S. 37-79. 37 Vgl. die analoge Vorzeichengebung bei der Reaktionswärme (S. 59). 38 Auch e n d o t h e r m e Reaktionen können somit f r e i w i l l i g ablaufen, wenn die Gesamtenergie durch die gebundene Energie überkompensiert wird. Beispiel: Zerfall von N 2 0 3 (g) in NO + N 0 2 (S 398) (»'gesamt = + 9.49, Wfrei = - 0 . 3 7 , K u n d e n = + 9.86 kcal.

62

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

f) Atomarer Wasserstoff39 Wesentlich reaktionsfähiger als der gewöhnliche m o l e k u l a r e Wasserstoff (H 2 ) ist der atomare Wasserstoff (H). Man erhält ihn aus ersterem durch Z u f u h r v o n E n e r g i e (z. B. Erhitzen auf einige tausend Grad, elektrische Durchladung bei hoher Stromdichte und niedrigem Druck, Bestrahlung mit dem ultravioletten Licht eines Quecksilberbogens, Bombardierung mit Elektronen im 10—20 eV- Energiebereich, Mikrowellenbestrahlung): 104.190 kcal + H 2

2H (Gleichgewichtskonstante K p bei 25°C = 10

71

).

(11)

Diese erhöhte Reaktionsfähigkeit der Wasserstoff a t o m e im Vergleich zu den Wasserstoff m o 1 e k ü 1 e n erklärt sich aus dem M e h r g e h a l t a n E n e r g i e . Besonders geeignet zur Darstellung größerer Mengen atomaren Wasserstoffs sind die Verfahren von R. W. Wood (*1898) und von I. Langmuir (1881-1957). Woodsches Darstellungsverfahren. Das W o o d s c h e V e r f a h r e n besteht darin, daß man gewöhnlichen molekularen Wasserstoff unter stark vermindertem Druck einer e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g aussetzt. Ein hierfür sehr zweckmäßiger Apparat wird in Fig. 24 wiedergegeben. Aluminiumblech-Elektroden

atomarer Wasserstoff

X

Regulierventil

Anode

r\

Kathode Entladegefoß'

WosserstoffEnMckler

Fig. 24. Darstellung von atomarem Wasserstoff nach Wood

Er besteht im wesentlichen aus einem elektrolytischen W a s s e r s t o f f e n t w i c k l e r (vgl. S. 19 f.) und einem E n t l a d u n g s g e f ä ß . Letzteres ist ein 2 cm weites, 2 m langes, zwecks Platzersparnis U- oder S-förmig gebogenes, mit zylinderförmigen A l u m i n i u m b l e c h - E l e k t r o d e n versehenes Glasrohr. Durch entsprechendes Einstellen eines zwischen Entwicklungsund Entladungsgefäß angebrachten R e g u l i e r v e n t i l s und durch lebhaftes A b s a u g e n d e s W a s s e r s t o f f s am Ende der Apparatur wird der Druck des — in einem Ausfriergefäß von Wasserdampf befreiten — Wasserstoffs auf Vio bis 1 Torr gehalten und ein rascher Gasstrom bewirkt. Durch Anlegen einer Spannung von 3000—4000 V o l t an die Aluminiumelektroden des Entladungsgefäßes erzeugt man dann eine G l i m m e n t l a d u n g , in welcher gemäß (11) eine A u f s p a l t u n g der Wasserstoffmoleküle zu A t o m e n erfolgt. Die Ausbeute beträgt bei geeigneten Vorsichtsmaßregeln (s. unten) bis zu 95% der Theorie. Zwar vereinigen sich die Atome nach kurzer Zeit (V3 bis V2 Sekunde) wieder zu Molekülen; diese Zeit genügt aber, um den atomaren Wasserstoff aus dem Entladungsgefäß abzusaugen und über die in Reaktion zu bringenden Stoffe zu leiten. Die g r ö ß e r e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t des atomaren Wasserstoffs im Vergleich zum molekularen Wasserstoff zeigt sich z. B. darin, daß er sich zum Unterschied vom letzteren bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r mit Chlor, Brom, Jod, Sauerstoff, Schwefel, Phosphor, Arsen, Antimon, Germanium unter Bildung von W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n 39 Vgl. hierzu etwa W. E. Jones, S. D. Macknight und L. Teng: „Die Kinetik von Reaktionen des atomaren Wasserstoffs in der Gasphase", Chem. Rev. 73 (1973), 465—486; P. Neta: „Reaktionen von Wasserstoffatomen in wässerigen Lösungen", Chem. Rev. 72 (1972), 5 3 3 - 5 4 3 .

63

2. Der Wasserstoff

(HCl, HBr, HJ, H 2 0 , H 2 S, PH 3 , AsH 3 , SbH 3 ) GeH 4 ) vereinigt und viele Oxide schon bei Raumtemperatur zu den Elementen (z. B. S 0 2 , CuO, S n 0 2 , PbO, B i 2 0 3 ) oder zu niederen Oxiden (z. B. N02 NO) reduziert. Die R ü c k b i l d u n g ( R e k o m b i n a t i o n " ) von Wasserstoff m o 1 e k ü 1 e n aus Wasserstoffa t o m e n wird durch verschiedene Stoffe stark b e s c h l e u n i g t . Da hierbei je Mol ( = 2 g) gebildeten molekularen Wasserstoffs die zur Aufspaltung der Moleküle (11) verwendete Energie von 104.190 kcal wieder frei wird, kann man die beschleunigende Wirkung der einzelnen Stoffe in einfacher Weise z. B. dadurch messen, daß man die Substanzen auf die Kugel eines Thermometers bringt und dieses in den Wasserstoffstrom einhängt. Je stärker die beschleunigende Wirkung ist, um so höher steigt die Temperatur des Thermometers. Die katalytische Wirkung der M e t a l l e nimmt beispielsweise in der Reihenfolge Platin, Palladium, Wolfram, Eisen, Chrom, Silber, Kupfer, Blei ab. Umgekehrt gibt es auch Stoffe, welche die Rückbildung der Wasserstoffmoleküle h e m m e n . Hierzu gehört z. B. die sirupöse P h o s p h o r s ä u r e . Daher pflegt man die Wandungen der Rohre, durch welche der atomare Wasserstoff geleitet wird, mit sirupöser Phosphorsäure auszustreichen. Langmuirsches Darstellungsverfahren. Die bei der Rückbildung von Wasserstoffmolekülen aus Wasserstoffatomen freiwerdende R e k o m b i n a t i o n s w ä r m e kann zum S c h w e i ß e n u n d S c h m e l z e n hochschmelzender Metalle oder Metallverbindungen verwandt werden. Man benutzt hierzu zweckmäßig die sogenannte „ Langmuir-Facket'40 (Fig. 25). Im Prinzip beruht das

•H

Fig. 25. Darstellung von atomarem Wasserstoff nach Langmuir

Verfahren darauf, daß man zwischen W o l f r a m e l e k t r o d e n in einer aus einem Kranz feiner Düsen ausströmenden W a s s e r s t o f f a t m o s p h ä r e einen L i c h t b o g e n erzeugt und durch diesen mittels einer Düse einen scharfen W a s s e r s t o f f s t r a h l bläst. Richtet man den auf solche Weise erzeugten Strom von h e i ß e m , a t o m a r e m W a s s e r s t o f f auf eine einige cm vom Lichtbogen entfernte M e t a l l o b e r f l ä c h e , so erfolgt auf Grund der katalysierten Vereinigung der Atome zu Molekülen und der hierdurch bedingten s e h r s t a r k e n W ä r m e e n t w i c k l u n g eine i n t e n s i v e l o k a l e E r h i t z u n g . Es lassen sich so die höchstschmelzenden Stoffe - z. B. W o l f r a m (Smp. 3380°), T a n t a l (Smp. 2990°), T h o r i u m d i o x i d (Smp. 3220°) — zum Schmelzen bringen. T e c h n i s c h wendet man das geschilderte Langmuir-Verfahren zum S c h w e i ß e n (vgl. S. 57) an; es besitzt den großen Vorteil, daß der Wasserstoff eine S c h u t z a t m o s p h ä r e bildet, so daß ein o x y d a t i v e r A n g r i f f der Schweißfläche durch den Sauerstoff der Luft a u s g e s c h l o s s e n ist. Die maximale Temperatur der Langmuir- F a c k e l (4000°) ist um rund 1000° höher als die des K n a l l g a s g e b l ä s e s (S. 57). 40 Eine Weiterentwicklung der Langmuir-Fackel ist der „Plasma-Brenner", bei dem Gase durch ein 20 000 kHz-Hochfrequenzfeld in Atomionen und Elektronen gespalten werden, die sich am Brennerausgang in sehr stark exothermer Reaktion wieder zu normalen Gasmolekülen vereinigen und dabei Temperaturen von 15 000— 19 000° erzeugen.

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IV. Das Wasser und seine Bestandteile

„Status nascendi". Auch bei der auf S. 50ff. besprochenen c h e m i s c h e n und e l e k t r o c h e m i s c h e n Darstellung des Wasserstoffs aus Wasser oder Säuren entsteht der Wasserstoff im ersten Augenblick a t o m a r oder doch wenigstens in einem a n g e r e g t e n , e n e r g i e r e i cheren Zustand: Na(f) + H + (aq) - Na + (aq) + H(g) + 5.184 kcal.

So kommt es, daß der Wasserstoff i m A u g e n b l i c k d e s E n t s t e h e n s („in statu nascendi") v i e l r e a k t i o n s f ä h i g e r als gewöhnlicher Wasserstoff ist. Leitet man z. B. den in einem K i p p s c h e n A p p a r a t aus Zink und Säure entwickelten Wasserstoff (S. 51 f.) in eine mit Schwefelsäure angesäuerte, verdünnte violette K a l i u m p e r m a n g a n a t l ö s u n g (KMn0 4 ) oder orangegelbe K a l i u m d i c h r o m a t l ö s u n g (K 2 Cr 2 07), so beobachtet man k e i n e F a r b ä n d e r u n g , da der reaktionsträge molekulare Wasserstoff diese sauerstoffreichen gefärbten Stoffe nicht zu anders gefärbten sauerstoffärmeren Produkten zu reduzieren vermag. Gibt man aber das Zink d i r e k t zu den beiden sauren Lösungen, so daß sich der Wasserstoff i n d i e s e n L ö s u n g e n s e l b s t entwickeln und so i n s t a t u n a s c e n d i auf die gelösten Stoffe einwirken kann, so beobachtet man im Falle des Kaliumpermanganats bald eine reduktive E n t f ä r b u n g (Bildung von farblosem Mn 2+ , S. 909), im Falle des Kaliumdichromats bald eine reduktive G r ü n f ä r b u n g (Bildung von grünem Cr 3+ , S. 871) der Lösung. Die erhöhte Reaktionsfähigkeit von Stoffen im Augenblick des Entstehens ist eine ganz allgemeine Erscheinung. Wie der W a s s e r s t o f f lassen sich auch a n d e r e E l e m e n t e durch Zufuhr von Energie in den atomaren Zustand überführen. Erwähnt seien hier: der S a u e r s t o f f (119.106 kcal + 0 2 -> 20), der S t i c k s t o f f (225.958 kcal + N 2 2N), das (gasförmige) C h l o r (58.164 kcal + Cl2 2C1), das (flüssige) B r o m (53.482 kcal + Br2 2 Br) und das (feste) J o d (51.070 kcal + J 2 -» 2J). Elektro p o s i t i v (H + ) tritt das Wasserstoffatom auf in den S ä u r e n H n A wie HCl oder H 2 S 0 4 (S. 117, 160), elektro n e g a t i v (H~) in den M e t a l l h y d r i d e n MH n vom Typus NaH oder CaH 2 (S. 160). Es sei weiterhin darauf hingewiesen, daß sich im gewöhnlichen Wasserstoff physikalisch verschiedenartige, aber chemisch nur wenig unterscheidbare Wasserstoffmoleküle („leichter", „schwerer", superschwerer" Wasserstoff; „ortho"- und „para"-Wasserstoff) nachweisen lassen 41 ; näheres hierüber S. lOlOff. und S. 1014ff. Zur Bildung kationischer und anionischer W a s s e r s t o f f b r ü c k e n vgl. S. 258f. 361, 608 bzw. 602f., 608, 651. Über ein instabiles Molekül-Kation H 2 * s. S. 141. Bei sehr hohen Drucken (3—4 Millionen atm) geht der Wasserstoff, wie man annimmt, in eine metallische Form über, bei der die intermolekularen H-H-Abstände den intramolekularen H-H-Abständen gleichen, so daß die Elektronen wie in einem Metall als delokalisiert betrachtet werden können. Möglicherweise enthalten die großen Planeten wie Jupiter (der zu 78% seiner Masse aus Wasserstoff besteht) in ihrem Innern solchen metallischen Wasserstoff.

3. Das Wasser42 a) Vorkommen Das W a s s e r bedeckt in Form der O z e a n e 3 / 4 der Erdoberfläche. Das übrige Viertel ist von W a s s e r l ä u f e n durchzogen und enthält G r u n d w a s s e r . Auch am Aufbau der P f l a n z e n - u n d T i e r w e l t ist das Wasser in bedeutendem Maße beteüigt. So besteht z. B. der 41 Vgl. hierzu etwa S. Akhtar und H. A. Smith: „ Trennung und Analyse von verschiedenen WasserstoffFormen durch Adsorption und Gaschromatographie", Chem. Rev. 64 (1964), 261—276. Zur Trennung mit Hilfe von Molekularsieben vgl. S. 555. 42 Vgl. hierzu etwa Comprehensive inorganic Chemistry, Band 2 (1973), S. 7 4 1 - 7 4 7 ; D. Eisenberg und W. Kauzmann: „Struktur und Eigenschaften von Wasser", Oxford University Press, Oxford 1969.

3. Das Wasset

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menschliche Körper zu 60—70% aus Wasser; manche Gemüse und Früchte, z. B. Blumenkohl, Radieschen, Spargel, Spinat, Kopfsalat, Kürbis, enthalten mehr als 90% Wasser. Die A t m o s p h ä r e kann bis zu 4 Vol.-% Wasser in Dampfform aufnehmen und gibt es bei Druck- und Temperaturänderungen in flüssiger (, Jeebel", „Wolken", ,Jiegen") oder fester Form („Reif, „Schnee", ,flager) wieder ab. Schließlich enthalten auch zahlreiche M i n e r a l i e n chemisch gebundenes Wasser (z. B. als „Kristallwasser").

b) Reinigung Wegen der weiten Verbreitung erübrigt sich eine chemische Darstellung des Wassers. Die Gewinnung r e i n e n Wassers läuft stets auf eine Reinigung n a t ü r l i c h vorkommenden Wassers hinaus. Unter den natürlichen Wässern ist das Regenwasser das relativ r e i n s t e , da es einen natürlichen Destillationsprozeß durchgemacht hat. Es enthält jedoch S t a u b t e i l c h e n und G a s e (Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxid) aus der Luft. Quell- und Flußwasser enthält 0.01 bis 0.2% f e s t e S t o f f e , die zum größten Teil aus C a l c i u m - und M a g n e s i u m Verbindungen bestehen. Sind wenig Calcium- und Magnesiumverbindungen vorhanden, so nennt man das Wasser w e i c h , andernfalls h a r t (S. 694f.). Quellwässer, die g r ö ß e r e M e n g e n fester oder gasförmiger Stoffe enthalten und bisweilen eine höhere Temperatur als gewöhnliches Wasser besitzen, nennt man Mineralwässer. Ihnen kommt häufig eine besondere Heilwirkung zu. Je nach den gelösten Stoffen unterscheidet man S o l w ä s s e r (mit Kochsalz), B i t t e r w ä s s e r (mit Magnesiumsalzen), S c h w e f e l w ä s s e r (mit Schwefelwasserstoff), S ä u e r l i n g e (mit Kohlensäure), E i s e n w ä s s e r (mit Eisensalzen) usw. Das Meerwasser enthält durchschnittlich 2.9% Alkalichlorid und insgesamt ungefähr 3.6% Salze. Darunter finden sich — wenn auch teilweise nur in äußerst geringen Mengen — Verbindungen von etwa 50 verschiedenen Elementen: außer den genannten Alkalichloriden vor allem MgCl2 (0.30%), MgBr2 (0.04%), MgS0 4 (0.18%) und CaS0 4 (0.16%). Als T r i n k w a s s e r ist im allgemeinen Q u e l l w a s s e r am besten geeignet. In Ermangelung dessen nimmt man G r u n d w a s s e r oder F l u ß w a s s e r . In letzteren Fällen ist eine mechanische und meist auch chemische R e i n i g u n g (vor allem E n t k e i m u n g ) erforderlich. Diese Reinigung wird aber nicht bis zur völligen Entfernung aller gelösten Stoffe durchgeführt, da völlig reines Wasser fade schmeckt. Der erfrischende Geschmack des Quellwassers rührt von etwas gelöster Kohlensäure und Luft her. I m c h e m i s c h e n L a b o r a t o r i u m wie auch in manchen t e c h n i s c h e n B e t r i e b e n ist die Verwendung von destilliertem Wasser von Wichtigkeit. Dieses wird erzeugt, indem man n a t ü r l i c h e s W a s s e r — gegebenenfalls unter Zugabe chemischer Mittel — der D e s t i l l a t i o n (S. 9 f.) unterwirft, wobei die gasförmigen Stoffe entweichen und die festen Stoffe im Destilliergefäß zurückbleiben. Schon bei der ersten Destillation wird recht reines Wasser erhalten, das für die meisten Verwendungen ausreicht. Soll das Wasser v o l l k o m m e n r e i n gewonnen werden, so ist eine m e h r m a l i g e D e s t i l l a t i o n in Apparaturen aus Quarz oder Edelmetallen erforderlich, wobei die mittlere, reinste Fraktion in einer Edelmetall-Vorlage gesondert aufgefangen wird. Für viele technische Zwecke — etwa zur Gewinnung von Speisewasser für Dampfkessel oder von Gebrauchswasser für Wäschereien — wird das Wasser statt durch Destillation durch c h e m i s c h e Methoden, z. B. durch Ausfallung oder chemische Bindung der störenden gelösten Salze „enthärtet". Näheres hierüber s. S. 695.

Ein ausgezeichnetes Merkmal für die Reinheit des Wassers liefert die Messung des e l e k t r i s c h e n L e i t v e r m ö g e n s , das mit zunehmender Reinheit abnimmt. V o l l k o m m e n r e i n e s W a s s e r besitzt bei 18° eine spezifische Leitfähigkeit K von nur 4 X 10~8 reziproken Ohm („Siemens") (S. 831) pro cm. Demgegenüber beträgt z. B. das spezifische Leitvermögen des

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IV. Das Wasser und seine Bestandteile

K u p f e r s bei der gleichen Temperatur 6 X 105 reziproke Ohm/cm. 1 K u b i k m i l l i m e t e r reinstes Wasser besitzt also bei Raumtemperatur den gleichen elektrischen Widerstand wie ein K u p f e r d r a h t vonl mm 2 Querschnitt und (6 X 10 s ): (4 X 10"8) = 1.5 X 10 13 mm = 15 M i l l i o n e n K i l o m e t e r L ä n g e . Diese Drahtlänge entspricht der 40fachen Entfernung zwischen Erde und Mond! Die geringsten Spuren von Salzen oder die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft steigern das Leitvermögen des Wassers erheblich. So besitzt z. B. das für Leitfähigkeitsmessungen Verwendung findende besonders reine „Leitfähigkeitswasser" schon eine spezifische Leitfähigkeit von 1 X 1CT6 reziproken Ohm/cm, entsprechend dem 25fachen Wert von völlig reinem Wasser.

c) Physikalische Eigenschaften a) Aggregatzustände des Wassers Reines Wasser ist bei gewöhnlicher Temperatur eine geruch- und geschmacklose, durchsichtige in dünner Schicht farblose, in dicker Schicht bläulich schimmernde F l ü s s i g k e i t , welche definitionsgemäß (S. 70) bei 0° zu E i s erstarrt und bei 100° unter Bildung von W a s s e r d a m p f siedet. Die verschiedenen A g g r e g a t z u s t ä n d e sind dabei hier wie in allen anderen Fällen molekularkinetisch wie folgt zu charakterisieren: Moleküle eines gegebenen Gases üben wegen ihres Aufbaus aus elektrisch geladenen Teilchen — vgl. S. 93 ff. — aufeinander A n z i e h u n g s k r ä f t e aus. Im gasförmigen, also stark verdünnten Zustande, in welchem die einzelnen Moleküle eine relativ g r o ß e E n t f e r n u n g voneinander aufweisen und sich in dauernder u n g e o r d n e t e r B e w e g u n g befinden (S. 29 f.), treten diese Anziehungskräfte naturgemäß u m s o w e n i g e r in Erscheinung, j e g r ö ß e r d i e A b s t ä n d e zwischen den Molekülen und die molekularen G e s c h w i n d i g k e i t e n (vgl. S. 32) sind. Da e r s t e r e mit steigender V e r d ü n n u n g , letztere mit steigender T e m p e r a t u r zunehmen, verhält sich ein gegebener g a s f ö r m i g e r S t o f f um so „idealer" (S. 33), j e v e r d ü n n t e r u n d h e i ß e r er ist, und um so „realer" (S. 33), je mehr man ihn k o m p r i m i e r t und a b k ü h l t . V e r k l e i n e r t man die E n t f e r n u n g e n zwischen den Molekülen eines gegebenen Gases durch K o m p r i m i e r e n oder die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasteilchen durch A b k ü h l e n des Gases, so werden die A n z i e h u n g s k r ä f t e immer w i r k s a m e r . Bei einem bestimmten Druck oder bei einer bestimmten Temperatur v e r l i e r e n schließlich die Moleküle, diesen Kräften folgend, sprunghaft e i n e n T e i l ihrer Energie. Auch jetzt schwirren die Teilchen noch ungeordnet umher; sie können sich aber — abgesehen von einer relativ geringen Anzahl besonders energiereicher Teilchen (s. S. 68) — unter dem Einfluß der gegenseitigen Anziehung nicht mehr wie vorher beliebig weit voneinander entfernen. Aus dem Gas ist eine energieärmere Flüssigkeit geworden, der man zwar noch jede beliebige äußere Form geben kann, die aber nicht mehr wie das Gas jedes ihr dargebotene Volumen auszufüllen vermag. Die bei der Änderung des Aggregatzustandes a b g e g e b e n e E n e r g i e wird als „Kondensationswärme" frei. Die gleiche Energiemenge muß als „ Verdampfungswärme'''' zugeführt werden, um umgekehrt die Flüssigkeit wieder in Dampf zu verwandeln. Sie beträgt für Wasser 539.4 cal/g =9.717 kcal/mol bei 100°. Verringert man die B e w e g u n g s e n e r g i e der Moleküle durch erneute A b k ü h l u n g noch w e i t e r , so nimmt der Energiegehalt bei einer bestimmten Temperatur unter dem Einfluß weiterer Kohäsionskräfte in derselben Weise nochmals s p r u n g h a f t —um den Betrag der „Erstarrungswärme" — ab. Die Flüssigkeit erstarrt zum energieärmeren festen Stoff. Die Moleküle haben ihre freie Beweglichkeit eingebüßt, ihre W ä r m e b e w e g u n g besteht nur noch in einem p e n d e l a r t i g e n , e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n um bestimmte Ruhelagen. Die Materie

3. Das Wasser

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besitzt in diesem Aggregatzustand daher eine b e s t i m m t e G e s t a l t . Die Anordnungsgesetze, denen die einzelnen Teilchen dabei unterliegen, finden ihren wissenschaftlichen Ausdruck in der Angabe des „Kristallgitters" (vgl. z. B. S. 110f., 134ff., 496ff.). Das Eis büdet mindestens 9 solcher kristallisierter Modifikationen (mit kubischer, hexagonaler und rhombischer Symmetrie). Beim S c h m e l z e n eines festen Stoffs muß die beim Erstarren freigewordene E r s t a r r u n g s w ä r m e als „Schmelzwärme" wieder zugeführt werden. Sie beträgt beim Wasser 79.724 cal/g = 1.4362 kcal/mol bei 0°. Die Abgabe und Aufnahme der Erstarrungs- bzw. Schmelzwärme durch die im Winter unter Wärmeentwicklung gefrierenden und im Frühling unter Wärmeverbrauch wieder auftauenden Wassermassen trägt wesentlich zum Temperaturausgleich unserer Erdoberfläche bei. Beim Übergang vom f l ü s s i g e n in den f e s t e n Zustand d e h n t sich das Wasser zum Unterschied von den meisten anderen Flüssigkeiten unter Abnahme der Dichte a u s . Und zwar beträgt die Dichte des Eises bei 0 °C 0.9168, die des flüssigen Wassers bei 0° 0.9999 g/cm 3 , so daß 1 Raumteil flüssiges Wasser beim Erstarren 0.9999 : 0.9168 = 1.0906 Raumteile Eis ergibt. Diese A u s d e h n u n g d e s W a s s e r s um Vi i des Volumens 43 (9%) beim Gefrieren ist g e o l o g i s c h insofern von Bedeutung, als im W i n t e r das in die Risse und Spalten von Gesteinen eingedrungene Wasser beim Erstarren die F e l s m a s s e n s p r e n g t 4 4 und so durch Schaffung neuer Oberflächen die V e r w i t t e r u n g fördert und eine N e u b i l d u n g des für die Vegetation erforderlichen E r d b o d e n s ermöglicht. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nimmt die Dichte des flüssigen Wassers — ebenfalls zum Unterschied von fast allen anderen Flüssigkeiten — zunächst bis 4° zu, um erst dann wie bei den meisten sonstigen Flüssigkeiten abzunehmen (0° : 0.9999, 4° : 1.0000, 10° : 0.9997, 15° : 0,9991, 20° : 0.9982, 25° : 0,9971, 100° : 0.9584 g/cm 3 ). Alles Wasser von höherer und tieferer Temperatur als 4° ist somit leichter als Wasser von 4°. Auch diese Tatsache ist in der N a t u r von Bedeutung. So kühlt sich das Wasser von Seen bei Frostperioden zunächst nur bis 4° ab, da das 4° kalte, schwerere Wasser nach unten sinkt und dafür das leichtere, wärmere Wasser an die Oberfläche kommt und dort auf 4° abgekühlt wird. Bei Abkühlung unter 4° bleibt das kältere Wasser auf der Oberfläche und erstarrt dort zu spezifisch leichtem und daher ebenfalls an der Oberfläche bleibendem Eis. Dementsprechend kann die Kälte nur langsam in größere Tiefen vordringen, so daß tiefere Gewässer nie bis zum Grunde gefrieren, was für das Fortbestehen der Lebewesen des Wassers naturgemäß von Bedeutung ist. Die Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren ist darauf zurückzuführen, daß das E i s ein w e i t m a s c h i g e s , von zahlreichen H o h l r ä u m e n durchsetztes K r i s t a l l g i t t e r (von SiC>2-Struktur45; vgl. S. 55 2) bildet, während im f l ü s s i g e n Wasser, bei dem diese Kristallstruktur weitgehend zerstört ist, die Moleküle wie bei jeder Flüssigkeit zu einer d i c h t e n K u g e l p a c k u n g zusammengelagert sind. Immerhin kommen auch im flüssigen Wasser bei 0° noch kleinere, aus 8 Molekülen bestehende „kristalline" H 2 0-Aggregate vor, deren Zusammenbrechen beim Erwärmen das weitere Anwachsen der Dichte des Wassers bis 4° bedingt. Von hier ab wird die Volumen a b n a h m e infolge „Entkristallisierung" durch die Volumenzunahme infolge Erhöhung der Molekularbewegung ü b e r k o m p e n s i e r t , so daß die Dichte wieder abnimmt. Die Assoziation des Wassers im festen und flüssigen Zustand 46 bedingt seinen vergleichsweise hohen Schmelz- und Siedepunkt (vgl. S. 360 f.). Das Wasser diente schon häufig zur Definition von Maßeinheiten. So wurde z. B. die M a s s e e i n e s K u b i k z e n t i m e t e r s W a s s e r v o n 4° a l s 1 G r a m m (g) — tausendfacher Wert: 1 Kilogramm 47 (kg) - , das G e w i c h t der so festgelegten Masseneinheit als 1 pond (p) - tausendfacher Wert: 1 Kilopond (kp) b e z e i c h n e t (vgl. S. 18). Die W ä r m e m e n g e , d i e e r f o r d e r l i c h i s t , u m l g W a s s e r

43 Ein Eiswürfel taucht dementsprechend nur zu 11/12 seiner Höhe in Wasser ein (Dichte von Wasser = 1/1 = 1, von Eis = 1/(1 + V n ) = 11/12). Eisberge in M e r w a s s e r tauchen nur zu etwa 9/10 ein, da Meerwasser infolge gelöster Salze eine etwas höhere Dichte als 1 besitzt. 44 Füllt man z. B. eine gußeiserne Kugel vollständig mit Wasser und stellt sie festverschraubt in eine Kältemischung, so wird die Kugel nach kurzer Zeit infolge der Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren gesprengt. 45 Beim gewöhnlichen Eis: jJ-Tridymit-Struktur (Wurtzit-Gitter): Si-Atome des Si0 2 durch O-Atome, OAtome durch H-Atome ersetzt (vgl. Fig. 116, S. 552). 46 VgL hierzu etwa W. Luck: „Über die Assoziation des flüssigen Wassers", Fortschritte 4 (1965), 653—781; R. A. Home: „Die Struktur von Wasser und wässerigen Lösungen", Survey 4 (1968), 1—43. 47 Zur heutigen Definition eines Kilogramms vgl S. 1191.

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IV. Das Wasser und seine Bestandteile

v o n 14.5 a u f 15.5 "C z u e r w ä r m e n , d i e n t e u n t e r d e m N a m e n „ K a l o r i e " ( c a l l s ° c ) — tausendfacher Wert: „Kilokalorie" (kcal 15 ° c ) — a l s W ä r m e e i n h e i t . Auch die Definition der C e l s i u s t e m p e r a t u r (°C) gründet sich auf das Wasser (s. S. 70). Anstelle der „15 °C-Kalorie" (cal l s ° c ) verwendet man in der Chemie gebräuchlicherweise die „ thermochemische Kalorie" (cal), die durch die Beziehung 1 cal = 4.1840 J bzw. 1 J = 0.23901 cal (J = Joule) definiert und etwas kleiner als die 15°-Kalorie ist (1 cal = 0.99957 cal, 5 ° r bzw. 1 cal 15 ° c = 1.00043 cal). Da Wärmemengen meist in elektrisch geeichten Kalorimetern mit großer Präzision in Joule-Einheiten (S. 199) gemessen werden, gibt man sie jetzt mehr und mehr gleich von vorneherein in Joule (bzw. Kilojoule) an, ohne sie in Kalorien (bzw. Kilokalorien) umzurechnen. Im vorliegenden Lehrbuch ist diesem Brauch noch nicht gefolgt, da cal- und J-Werte in der Literatur beide verwendet werden und leicht ineinander umrechenbar sind (überschlagsmäßig 1 J = V4 cal; 1 cal = 4 J).

ß) Zustandsdiagramm des Wassers Jede F l ü s s i g k e i t und jeder f e s t e S t o f f hat bei gegebener Temperatur einen ganz bestimmten D a m p f d r u c k 4 8 . Schließt man z. B. irgendeine Flüssigkeit in ein Gefäß von bestimmtem Volumen ein (Fig. 26), so beobachtet man, daß sich der freie Raum über der Flüssigkeit

• Dampf •

T^TTZ^TTTTTTTTTPZ, Fig. 26. Dampfdruck einer Flüssigkeit

bis zu einer bestimmten Konzentration mit dem Dampf der Flüssigkeit anfüllt. Ein Teil der durch die Anziehungskräfte innerhalb des Flüssigkeitsvolumens festgehaltenen Moleküle vermag also die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Das kommt daher, daß wie beim Gas (S. 32) so auch bei der Flüssigkeit nicht a l l e Moleküle g l e i c h e kinetische Energie besitzen, sondern daß letztere um einen bestimmten M i t t e l w e r t schwankt. Nur den „ h e i ß e r e n " , d. h. infolge von Zusammenstößen mit anderen Molekülen besonders e n e r g i e r e i c h gewordenen Molekülen ist der Übertritt in die Dampfphase möglich, da es nur diesen gelingt, die in der Grenzfläche wirksamen, zurücktreibenden Kräfte zu überwinden. Die in den G a s r a u m gelangten Moleküle fliegen nun regellos umher, prallen auf die Grenzflächen des einschließenden Raumes und üben damit auf diese einen D r u c k aus. Sie stoßen dabei natürlich auch auf die F l ü s s i g k e i t s o b e r f l ä c h e zurück und werden von dieser wieder e i n g e f a n g e n . Solange die Zahl der die Flüssigkeitsoberfläche v e r l a s s e n d e n Teilchen g r ö ß e r als die der z u r ü c k k e h r e n d e n ist, findet in summa noch eine V e r d a m p f u n g statt. Sobald aber infolge dieser weiteren Verdampfung die Konzentration der Gasmoleküle so weit gestiegen ist, daß die Zahl der sich kondensierenden und der wieder verdampfenden Moleküle g l e i c h geworden ist, kommt der Verdampfungsvorgang n a c h a u ß e n h i n zum Stillstand. Es herrscht jetzt mit Erreichung des „Sättigungsdampfdrucks" dynamisches Gleichgewicht. Der S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k einer Flüssigkeit oder eines festen Stoffs ist fiir eine gegebene Temperatur eine K o n s t a n t e und unabhängig von der Größe der Oberfläche. Ist die Oberfläche doppelt so groß, so werden zwar doppelt so viele Moleküle die Grenzfläche verlassen, aber es werden bei gegebenem Dampfdruck auch doppelt so viele Gasmoleküle zurückkehren, da ja der Druck eines Gases definitionsgemäß die Kraft pro F l ä c h e n e i n h e i t ist (S. 30), die Kraft also, die durch die auf 1 cm 2 Fläche aufprallende Zahl von Gasteilchen ausgeübt wird.

E r h ö h t man die T e m p e r a t u r der Flüssigkeit und damit die mittlere k i n e t i s c h e E n e r g i e der Flüssigkeitsteilchen, so vermag eine g r ö ß e r e A n z a h l von Molekülen die 48 Der Dampf d r u c k einer Flüssigkeit wird oft fälschlicherweise auch als Dampf S p a n n u n g (lateinische Ubersetzung: T e n s i o n ) bezeichnet. S p a n n u n g ist aber nach der physikalischen Definition eine längs einer S t r e c k e wirkende Kraft (Kraft/Länge) (vgl. Oberflächenspannung, S. 661), D r u c k zum Unterschied davon eine auf eine F l ä c h e wirkende Kraft (Kraft/Fläche) (vgl. S. 30).

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3. Das Wasser

Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Damit stellt sich ein n e u e s dynamisches Gleichgewicht mit einem h ö h e r e n Sättigungsdampfdruck ein. Trägt man alle diese Sättigungsdampfdrucke in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m mit dem Druck als Ordinate und der Temperatur als Abszisse ein, so erhält man demgemäß eine mit zunehmender Temperatur a n s t e i g e n d e K u r v e , wie sie für das Beispiel des Wassers in K u r v e t von Fig. 27 (nicht maßstäblich) dargestellt ist 49 . Längs der Kurve befinden sich F l ü s s i g k e i t u n d D a m p f im G l e i c h g e w i c h t . Bei h ö h e r e n Drucken und n i e d r i g e r e n Temperaturen als den durch die Kurve angezeigten ist nur die F l ü s s i g k e i t , bei n i e d r i g e r e n Drucken und h ö h e r e n Temperaturen nur der D a m p f beständig. Erwärmt man z. B. flüssiges Wasser von der Temperatur und dem Druck des Punktes 1 (Fig. 27) bei gleichbleibendem Druck, bewegt man sich also in der Richtung des gestri-

TemperaturFig. 27. Zustandsdiagramm des Wassers (nicht maßstäblich)

chelten Pfeiles nach rechts, so beginnt das Wasser bei der Temperatur des Schnittpunktes mit Kurve A zu „ s i e d e n " . W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s d e r F l ü s s i g k e i t i n d e n D a m p f z u s t a n d ä n d e r t s i c h d i e T e m p e r a t u r n i c h t , da die zugeführte Wärme restlos als V e r d a m p f u n g s w ä r m e verbraucht wird. Erst nach v ö l l i g e r V e r d a m p f u n g ist w e i t e r e E r w ä r m u n g möglich, wobei man sich in Richtung des gestrichelten Pfeiles von der Kurve entfernt. In gleicher Weise beginnt ein Wasserdampf von der Temperatur und dem Druck des Punktes 2 sich bei Druckvermehrung (Richtung des gestrichelten Pfeiles) zu k o n d e n s i e r e n , sobald die K u r v e t erreicht ist. W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s des D a m p f e s in den f l ü s s i g e n Z u s t a n d ä n d e r t sich der D r u c k n i c h t , da der Dampf einer D r u c k e r h ö h u n g durch K o n d e n s a t i o n zur dichteren Flüssigkeit ausweicht. K u r v e t trennt somit das Existenzgebiet des f l ü s s i g e n Wassers von dem des Wasser d a m p f e s. Diejenige Temperatur, bei welcher der Sättigungsdampfdruck einer Flüssigkeit den Wert von 1 Atmosphäre (= 760 mm) erreicht, nennt man definitionsgemäß den Siedepunkt der Flüssigkeit (Taupunkt des Dampfes). Er liegt für Wasser bei 100 °C. Die Dampfdruckkurve des Wassers endet bei der kritischen Temperatur von 374.1 °C und dem kritischen Druck von 218.5 Atm. (kritische Dichte: 0.324 g/cm 3 ), da bei höheren Temperaturen und Drucken flüssiges und gasförmiges Wasser identische Eigenschaften besitzen (vgl. S. 53). 49

Dampfdrucke p des Wassers zwischen 0 und 100 °C: r(°C) 0 10 20 30 40 p (Torr) 4.58 9.21 17.53 31.82 55.32

50 92.51

60 149.38

70 233.7

80 355.1

90 525.8

100 760.

70

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

Eine analoge Kurve wie für die Verdampfung einer F l ü s s i g k e i t ergibt sich für die Verdampfung eines f e s t e n S t o f f e s . Sie gibt in entsprechender Weise die zusammengehörenden Paare von Druck und Temperatur an, bei denen sich f e s t e r S t o f f und D a m p f miteinander im dynamischen G l e i c h g e w i c h t befinden, und verläuft — wie sich theoretisch auch begründen läßt — stets s t e i l e r als die Dampfdruckkurve der Flüssigkeit (vgl. Kurve B in Fig. 27). Ein besonders ausgezeichneter Punkt ist der S c h n i t t p u n k t der beiden Dampfdruckkurven des f e s t e n und f l ü s s i g e n Stoffes. U n t e r h a l b der Temperatur des Schnittpunktes hat die F l ü s s i g k e i t , o b e r h a l b der f e s t e S t o f f den g r ö ß e r e n D a m p f d r u c k . Bringt man daher z. B. die flüssige und die feste Form des gleichen Stoffes getrennt in ein Gefäß der nachstehenden Form (Fig. 28) und kühlt das Ganze auf eine u n t e r h a l b der s0 Temperatur des Kurvenschnittpunktes (Fig. 27) gelegene Temperatur t (pnüss. > Pfest) wird die Flüssigkeit links (Fig. 28) bis zum konstanten Sättigungsdampfdruck p n ^ verdampfen und sich

Pfliiss.



¡111 Flüssigkeit

-\-'Pfest-\

mm fester Stoff

Fig. 28. Gefriei-(Schmelz-)punkt und Dampfdruck

rechts — wegen Überschreitung des kleineren Sättigungsdampfdruckes p f ^ — als fester Stoff kondensieren: d i e F l ü s s i g k e i t e r s t a r r t . Liegt umgekehrt t o b e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (pfijss. < Pfest)> s o verdampft rechts fester Stoff und kondensiert sich links zu Flüssigkeit: d e r f e s t e S t o f f s c h m i l z t . Nur dann, wenn PfKss. = Pfest ist> d. h. b e i d e r T e m p e r a t u r d e s S c h n i t t p u n k t e s der beiden Dampfdruckkurven A und B, befinden sich f l ü s s i g e und f e s t e F o r m eines Stoffes miteinander im G l e i c h g e w i c h t . Der Schnittpunkt gibt also den Gefrier- oder Schmelzpunkt einer Substanz unter dem eigenen Dampfdruck an. Er liegt für reines, luftfreies Wasser (Fig. 27) unter einem Eigendampfdruck von 4.579 Torr bei + 0.0099 °C = 273.16 K („Tripelpunkt" des Wassers). Der S c h m e l z p u n k t (Gefrierpunkt) eines Stoffes ist v o m ä u ß e r e n D r u c k a b h ä n g i g . Und zwar kann er mit steigendem Druck zu- oder abnehmen (vgl. S. 186). Beim Wasser fällt er für je 1 Atmosphäre Drucksteigerung im Mittel um 0.00753°. Bei 1 Atmosphäre Druck schmilzt (gefriert) demnach r e i n e s , luftfreies Wasser bei 0.0099 - 0.0075 = 0.0024 °C, l u f t g e s ä t t i g t e s reines Wasser (Gefrierpunktserniedrigung von 0.0024°) bei 0° = 273.15 K (Eispunkt" des Wassers). In Fig. 27 wird die Druckabhängigkeit des Schmelzpunktes durch Kurve C wiedergegeben. Die drei Kurvend, B und C teilen das D r u c k - T e m p e r a t u r - D i a g r a m m des Wassers in d r e i F e l d e r . Innerhalb dieser F e l d e r ist nur je e i n Aggregatzustand des Wassers existenzfähig; längs der Kurven dagegen sind je z w e i Phasen, beim S c h n i t t p u n k t der drei Kurven alle d r e i Phasen nebeneinander beständig („koexistent"). Das ganze Diagramm heißt „Zustandsdiagramm des Wassers" (vgl. S. 307 ff.). Es ist in Fig. 27 stark vereinfacht und schematisch wiedergegeben. In Wirklichkeit kommt z. B. das Eis bei hohen Drucken in zahlreichen Modifikationen vor (vgl. S. 67). D i e T e m p e r a t u r s k a l a von A. Celsius (vgl. S. 1126) g r ü n d e t s i c h a u f d e n Schmelz- und S i e d e p u n k t reinen, l u f t g e s ä t t i g t e n Wassers. Und zwar dient d e f i n i t i o n s g e m ä ß der S c h m e l z p u n k t u n t e r Atmos p h ä r e n d r u c k als N u l l p u n k t der S k a l a , w ä h r e n d der T e m p e r a t u r p u n k t 100° durch den S i e d e p u n k t bei A t m o s p h ä r e n d r u c k defin i e r t i s t . 1 Celsiusgrad (1 °C) ist dementsprechend der hundertste Teil dieses Temperaturintervalls.

71

3. Das Wasser Unter „1 Kelvin" (vgl. S. 31) versteht man ganz analog den 273.16ten Teil der Differenz zwischen dem absoluten Nullpunkt (0 K) und dem absoluten Tripelpunkt des reinen Wassers (273.16 K). Als Bezeichnung für 1 Grad K e l v i n dient seit 1967 das Symbol K (statt, wie bis dahin, das Symbol °K).

7) Osmotischer Druck wässeriger Lösungen W a s s e r ist ein L ö s u n g s m i t t e l von sehr allgemeiner Anwendbarkeit, da zahlreiche Stoffe darin mehr oder weniger löslich sind. Die g e l ö s t e n S t o f f e befinden sich dabei in der Lösung in einem dem G a s z u s t a n d ähnlichen Zustand. Analoges gilt für die Lösungen von Stoffen in anderen Lösungsmitteln. Löst man z. B. Z u c k e r in Wasser auf, so verteilt er sich darin m o l e k u l a r . Die Zuckermoleküle schwirren in der Lösung wie die Moleküle eines Gases regellos umher, so daß sich der g e l ö s t e Stoff wie ein g a s f ö r m i g e r Stoff verhält. Zwar üben die Moleküle des flüssigen und daher spezifisch dichten Lösungsmittels starke Anziehungskräfte auf die gelösten Moleküle aus. I n n e r h a l b d e r L ö s u n g heben sich diese aber gegenseitig auf, da sie hier — wie in Fig. 29 an einem solchen Teilchen • gezeigt ist — von allen Seiten her gleichmäßig wirken. Nur an der A u ß e n f l ä c h e der Flüssigkeit, an der die Anziehung (vgl. Fig. 29) einseitig nach dem Innern

Losung

Fig. 29. Wirkung der Anziehungskräfte des Lösungsmittels auf gelöste Teilchen

zu erfolgen muß, wirken sich die Kräfte aus (vgl. S. 660f.). Daher kommt es, daß die in einer Lösung g e l ö s t e n M o l e k ü l e k e i n e n d e m G a s d r u c k e n t s p r e c h e n d e n D r u c k auf die Wände des einschließenden Gefäßes auszuüben vermögen. D i e s i s t e r s t d a n n d e r F a l l , wenn das die Lösung enthaltende Gefäß v o n L ö s u n g s m i t t e l u m g e b e n ist und die Wände des Gefäßes h a l b d u r c h l ä s s i g („semipermeaber)so, d. h. d u r c h l ä s s i g für das L ö s u n g s m i t t e l und u n d u r c h l ä s s i g für den g e l ö s t e n S t o f f sind. Denn nur dann wirken — wie in Fig. 30 an einem gelösten Teilchen gezeigt ist — auch an der W a n d g r e n z f l ä c h e die Anziehungskräfte wie im Innern der Lösung gleichmäßig von allen Seiten her auf die g e l ö s t e n M o l e k ü l e , so daß diese — in summa der Anziehung entzogen — wie G a s m o l e k ü l e gegen die für sie undurchlässige Wand anprallen und halbdurchlössige Wand

Fig. 30. Zustandekommen des osmotischen Druckes

50

semi (lat) = halb; permeare (lat) = hin durchgehen.

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

72

damit einen D r u c k

auf diese ausüben. Ist die halbdurchlässige Membran e l a s t i s c h ,

so

bläht sie sich d e m n a c h im Lösungsmittel unter d e m E i n f l u ß des D r u c k e s der gelösten Moleküle wie ein m i t Gas gefüllter G u m m i b a l l o n auf, während zugleich Lösungsmittel durch die ausgeweitete, für das Lösungmittel durchlässige Membran in die Lösung e i n d r i n g t 5 1 . Es ist n a c h dieser Analogie z w i s c h e n d e m Druck eines Gases u n d d e m eines gelösten S t o f f e s nicht verwunderlich, daß der „ o s m o t i s c h e D r u c k " ( P ) — wie n a m e n t l i c h quantitative Untersuchungen des holländischen P h y s i k o c h e m i k e r s Jacobus Henricus van't H o f f ( 1 8 5 2 — 1 9 1 1 ) i m Jahre 1 8 8 5 zeigten — bei v e r d ü n n t e n

{„idealen")

Lösungen in d e r s e l b e n

Weise

von dem

V o l u m e n ( V), der Zahl gelöster Mole (n) u n d der absoluten Temperatur ( T ) abhängt wie der druck

Gas-

(S. 3 3 ) :

P-V^n-R-T u n d daß die K o n s t a n t e (S. 3 3 ) besitzt. G e l ö s t e

(1) R den g l e i c h e n Stoffe

Wert

man sie vergasen k ö n n t e — bei gleicher T e m p e r a t u r Gase

wie bei der Zustandsgieichung der Gase

üben s o m i t d e n s e l b e n

Druck

aus, den sie — falls

u n d im gleichen V o l u m e n

auch als

ausüben würden. Alle an die Gasgleichung geknüpften Folgerungen (S. 3 3 ) gelten daher

auch für den Lösungszustand. Enthalten also z. B. 2 2 . 4 1 Wasser 1 Mol eines S t o f f s , so beträgt der o s m o t i s c h e Druck bei 0° 1 Atmosphäre. Das Zustandekommen des osmotischen Druckes kann statt von der Seite des g e l ö s t e n S t o f f e s aus auch von der Seite des L ö s u n g s m i t t e l s her abgeleitet werden. Diese andere Art der Betrachtungsweise läßt die Analogie zwischen Gasdruck p und osmotischem Druck P weniger gut erkennen, ermöglicht dafür aber ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen dem osmotischen Druck P und der Dampfdruckerniedrigung Ap (S. 74 f.) einer Lösung. Auch läßt sie leichter das Verhalten von Lösungen bei Verwendung s t a r r e r halbdurchlässiger Wände verstehen. Infolge ihrer ungeregelten Wärmebewegung (S. 66) passieren die Moleküle des Lösungsmittels fortwährend die halbdurchlässige Trennungswand von innen nach außen und umgekehrt. Die Zahl der aus dem reinen Lösungsmittel mit einem „Diffusionsdruck" p p ¡ f f . in die Lösung diffundierenden Moleküle ist dabei größer als die Zahl der in umgekehrter Richtung (Diffusionsdruck p ' n i f f . ) aus der Lösung in das reine Lösungsmittel wandernden Teilchen, da in der Lösung das Lösungsmittel durch den gelösten Stoff verdünnt und die Konzentration an diffundierbaren Lösungsmittelmolekülen in ihr dementsprechend geringer als im reinen Lösungsmittel ist. Die Differenz Apujff beider Diffusionsdrucke (Apojff - Ppiff. — p ' ü i f f . ) ' s t numerisch gleich dem osmotischen Druck Ps2 und bei gegebener Temperatur und Flüssigkeitsmenge der Molzahl n des gelösten Stoffes proportional 5 3 : A P o i f f . =P

=

(2)

K-n.

Infolge dieses „Diffusions-Überdruckes" A p o i f f . dringt, falls die halbdurchlässige Membran starr ist und das Lösungsgefäß ein Steigrohr aufweist, solange Wasser in das Gefäß ein, bis der hydrostatische Druck Phydr. der Flüssigkeitssäule im Steigrohr den Wert des Differenzbetrags A p o j f f . = P o i f f . — PDiff. u n d damit des osmotischen Druckes P erreicht hat (Fig. 31). Nunmehr gilt Phydr. + P D i f f . = PDiff.. daß Jetzt unter dem Einfluß des um den hydrostatischen Druck Phydr. vermehrten Diffusionsdruckes p'oiff.>n der Zeiteinheit gleich viele Lösungsmittelmoleküle die halbdurchlässige Wand in beiden Richtungen durchwandern. Die experimentelle Messung des osmotischen Drucks P = Appjff läuft hiernach auf eine Messung des hydrostatischen Druckes Phydr. = ^PDiff. der Flüssigkeitssäule im Steigrohr hinaus. Eine z w e c k m ä ß i g e Anordnung für die Messung des o s m o t i s c h e n Drucks stellt die Zelle"

(Fig. 3 2 ) dar. Sie besteht aus e i n e m T o n z y l i n d e r ,

durchlässige 51

„Ifeffersche

in dessen Wandung eine als

Wand wirkende starre Membran aus K u p f e r c y a n o f e r r a t

halb-

Cu2[Fe (CN)6]

Hiervon haben die osmotischen Erscheinungen ihren Namen: osmos (wojidc) = Eindringen. Osmotischer Druck P und Diffusionsdruck A p ^ i f f . beschreiben ja dieselbe Erscheinung des V e r d ü n n u n g s b e s t r e b e n s e i n e r L ö s u n g , nur von verschiedenen Standpunkten (dem der gelösten Moleküle und dem der Lösungsmittelmoleküle) aus. Während P den Druck wiedergibt, mit dem sich die gelösten Moleküle bei Verwendung e l a s t i s c h e r halbdurchlässiger Membrane unter Ausweitung der Membran relativ zum „ruhenden" Lösungsmittel von innen nach außen (Fig. 30) bewegen (erste Betrachtungsweise; S. 71), bringt das gleich große A p o i f f . den Druck zum Ausdruck, mit dem umgekehrt die Lösungsmittelmoleküle bei Verwendung s t a r r e r semipermeabler Wände unter Aufsteigen von Flüssigkeit in einem Steigrohr relativ zum „ruhenden" gelösten Stoff von außen nach innen (Fig. 31) wandern (zweite Betrachtungsweise; S. 72). 53 Gemäß (1) ist der ProportionalitätsfaktorK = RT/V. 52

73

3. Das Wasser

Fig. 31. Zustandekommen des osmotischen Druckes

Fiillonsotz Stopfen

•holMurci Membran Lösung •Lösungsmittel

Fig. 32. Messung des osmotischen Drucks in der Pfefferschen Zelle

eingebettet ist. Diese Membran wird durch Füllen des Tonzylinders mit Kupfer(II)-sulfat-Lösung und Eintauchen des Gefäßes in eine Kaliumcanoferrat(II)-Lösung erzeugt, wobei die beiden Lösungen von entgegengesetzten Seiten in das Wandinnere eindringen und in der Mitte einen Niederschlag von Kupfer(II>cyanoferrat(II> bilden: 2 C u S 0 4 + K 4 [Fe(CN) 6 ] Cu 2 [Fe(CN) 6 ] + 2 K 2 S 0 4 . Die Tonzelle ist durch einen S t o p f e n dicht verschlossen, durch den ein Füllansatz und ein Kapillarmanometer fuhren. D e r F ü l l a n s a t z ermöglicht eine luftfreie Beschickung der Zelle mit der zu untersuchenden Lösung; das am einen Ende verschlossene K a p i l l a r m a n o m e t e r ist mit Quecksilber gefüllt, welches die Lösung von dem Luftpuffer im äußeren Manometerschenkel trennt.

74

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

Während des Versuchs wird der Quecksilberfaden im Manometer durch den osmotischen Druck der Losung so lange gegen das Luftpolster vorgeschoben, bis Gegendruck und osmotischer Druck einander gleich geworden sind. Die Analogie zwischen Gas und Lösung erstreckt sich auch auf den V e r d a m p f u n g s und L ö s u n g s v o r g a n g . Genau wie eine Substanz bei gegebener Temperatur bis zu einem bestimmten D a m p f d r u c k („Sättigungsdampfdruck") bzw. einer bestimmten K o n z e n t r a t i o n („Sättigungskonzentration") v e r d a m p f t , löst sich ein mit einem L ö s u n g s m i t t e l zusammengebrachter S t o f f bis zu einem bestimmten o s m o t i s c h e n S ä t t i g u n g s d r u c k bzw. einer bestimmten S ä t t i g u n g s k o n z e n t r a t i o n (gesättigte Lösung"). Dieser S ä t t i g u n g s w e r t {„Löslichkeit") ergibt sich auch hier als Folge des dynamischen G l e i c h g e w i c h t s zwischen „unverdampften" — d. h. u n g e l ö s t e n — und „verdampften" — d. h. g e l ö s t e n — Molekülen und w ä c h s t , falls keine chemischen Reaktionen mit dem Lösungsmittel erfolgen, mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r . Erhöht man den osmotischen Druck (Gasdruck) einer bis zur Sättigung gelösten (verdampften) Substanz bei konstanter Temperatur durch Verkleinern des Lösungs-(Gas-) Volumens, also z. B. durch Verdunsten des Lösungsmittels (Komprimieren des Dampfes), so tritt solange eine Ausfällung (Kondensation) des gelösten (verdampften) Stoffs aus der Lösung (dem Dampf) ein, bis der osmotische Druck (Gasdruck) den ursprünglichen Wert des Sättigungsdrucks wieder erreicht hat. Verkleinert man ihn durch Vergrößern des Volumens, also z. B. durch Verdünnen der Lösung (Expandieren des Dampfes), so erfolgt, falls noch ungelöster Stoff — „Bodenkörper" — (unverdampfter Stoff — „Kondensat" —) vorhanden ist, umgekehrt weitere Auflösung (Verdampfung) bis zur Wiedereinstellung des Gleichgewichtsdrucks.

5) Molekulargewichtsbestimmung in Lösungen Die der G a s g 1 e i c h u n g (4) — S. 33 — entsprechende o s m o t i s c h e G l e i c h u n g (1) — S. 72 — ermöglicht die Ermittlung von M o l e k u l a r g e w i c h t e n wassergelöster Stoffe, indem man durch Messung der Größen/', F u n d T die in einer Lösung je Liter Wasser vorhandene Molzahl n des gelösten Stoffes bestimmt, woraus sich bei Kenntnis des Gewichtes g dieser n Mole das Gewicht e i n e s Mols, d. h. das Molekulargewicht M (M = gjn; vgl. S. 33) ergibt. Diese Methode der M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g ist deshalb von großer W i c h t i g k e i t , weil sich sehr viele Stoffe, wie z. B. der Zucker, nicht unzersetzt vergasen lassen, während sie durch Auflösen in Wasser (oder anderen Lösungsmitteln) leicht in eine dem Gaszustand entsprechende molekulare Aufteilung gebracht werden können, so daß eine Ermittlung ihres Molekulargewichts mittels der der Gasgleichung (4) (S. 33) entsprechenden osmotischen Gleichung (1) (S. 72) möglich ist. Leider stößt aber die Messung (S. 72 f.) des osmotischen Drucks P meist auf e x p e r i m e n t e l l e S c h w i e r i g k e i t e n , da es in vielen Fällen nicht gelingt, eine wirklich i d e a l e h a l b d u r c h l ä s s i g e W a n d zu konstruieren. Glücklicherweise gibt es nun andere, ohne Zuhilfenahme einer semipermeablen Wand meßbare Größen, die wie der osmotische Druck P (vgl. S. 72) der Molzahl n des gelösten Stoffs p r o p o r t i o n a l sind und daher an seiner Stelle zu deren Bestimmung und damit zur Ermittlung des Molekulargewichts M des gelösten Stoffes dienen können. Es handelt sich hier um die „Dampfdruckerniedrigung", die „Siedepunktserhöhung" und die „Gefrierpunktserniedrigung" von Lösungsmitteln. Löst man in einem Lösungsmittel einen beliebigen n i c h t f l ü c h t i g e n S 4 Stoff auf, so werden die Moleküle der g e l ö s t e n S u b s t a n z das Lösungsmittel verdünnen, so daß im Zeitmittel weniger Lösungsmittelmoleküle die Flüssigkeitsoberfläche verlassen als vor der Auflösung 54

Bei flüchtigen Stoffen liegen die Verhältnisse komplizierter.

75

3. Das Wasser

760mm

tj Temperatur t

ti



Fig. 33. Gefiierpunktserniediigung, Siedepunktserhöhung und Dampfdruckerniedrigung

des Fremdstoffs 5 5 . Das dynamische G l e i c h g e w i c h t zwischen D a m p f und F l ü s s i g k e i t (S. 68f.) stellt sich damit bei einem g e r i n g e r e n S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k ein als beim reinen Lösungsmittel: die Dampfdruckkurve der L ö s u n g (Fig. 33) liegt u nt e r h a 1 b der Dampfdruckkurve des r e i n e n L ö s u n g s m i t t e l s . Und zwar ist bei g e g e b e n e r F l ü s s i g k e i t s m e n g e u n d g e g e b e n e r T e m p e r a t u r die Dampfdruckerniedrigung A p - p — p wie die in analoger Weise zustandekommende Diffusionsdruckerniedrigung Ap D iff. = p D i f f . - p' D i f f . - vgl. (2), S. 72 - und wie der osmotische Druck P— vgl. (1), S. 72 — d e r M o 1 z a h 1 « d e s gelösten Stoffes p r o p o r t i o n a l : A p = k • n,

(3)

so daß man bei Kenntnis von k durch Messung von A p die Molzahl n ermitteln kann. E x p e r i m e n t e l l n o c h e i n f a c h e r ist die Messung der durch die Dampfdruckerniedrigung bedingten Gefrierpunktserniedrigung und Siedepunktserhöhung des Lösungsmittels. Wie aus Fig. 33 hervorgeht, liegt der Schnittpunkt der Dampfdruckkurve der L ö s u n g mit der Dampfdruckkurve des f e s t e n L ö s u n g s m i t t e l s und damit der G e f r i e r p u n k t t'g d e r L ö s u n g (S. 70) bei einer t i e f e r e n , ihr Schnittpunkt mit der AtmosphärendruckHorizontalen und damit der S i e d e p u n k t t 's d e r L ö s u n g (S. 69) bei einer h ö h e r e n n Temperatur als beim r e i n e n L ö s u n g s m i t t e l ( t g bzw. fj). Genau wie die Dampfdruckerniedrigung ( A p t = p t ~ p ' t ) ist n u n > w ' e der französische Physikochemiker Francois Marie Raoult (1830— 1901) fand, auch diese F i x p u n k t s v e r s c h i e b u n g (A tg = tg — t'g bzw. A ts = t's— ij) bei g e g e b e n e m F l ü s s i g k e i t s v o l u m e n der in diesem Volumen aufgelösten M o 1 z a h 1 « d e s gelösten Stoffs p r o p o r t i o n a l („Raoultsches Gesetz"): At = E • n

(4)

Übereinkuftsgemäß bezieht man die Anzahl Mole n stets auf ein Volumen von 1000 g Lösungsmittel. Der Proportionalitätsfaktor E nimmt dann beim W a s s e r den Wert 1.860 (Gefrierpunktserniedrigung) bzw. 0.511 (Siedepunktserhöhung) an 5 6 . 55 Die Flüssigkeitsoberfläche spielt hier die Rolle einer idealen semipermeablen Wand, indem nur das flüchtige Lösungsmittel die Trennungsfläche durchwandern (verdampfen) kann, während der — voraussetzungsgemäß (vgl. oben) — nichtflüchtige gelöste Stoff an der Flüssigkeitsoberfläche zurückbleibt (vgl. die analogen Betrachtungen über das Zustandekommen der Diffusionsdruckerniedrigung, S. 72). 56 Eine hohe molare Gefrierpunktserniedrigung (40°) weist z. B. der Campher (Kampfer) C 1 ( ) H 1 6 0 (Smp. 179.5°) auf, der deshalb gerne für orientierende Molekulargewichtsbestimmungen im Schmelzpunktsröhrchen herangezogen wird.

76

IV. Das Wasser und seine Bestandteile

Zeigt also z. B. eine l%ige wässerige Lösung eine Gefrierpunktseiniediigung von 0.614°, so enthält sie in 1000 g = 1 Liter Wasser n = At: E = 0.614 : 1.860 = 0.33 Mole gelöster Substanz, woraus für letztere gemäß der Beziehung M — g/n ein Molekulargewicht M von 10 : 0.33 = 30.3 folgt.

Der Proportionalitätsfaktor E wird als „molare Gefrierpunktserniedrigung" bzw. „molare Siedepunktserhöhung" bezeichnet, weil er die Fixpunktsverschiebung einer Lösung wiedergibt, die je 1000 g Lösungsmittel (vgl. oben) 1 Mol Substanz enthält (für n= 1 ist At = E). Die Bestimmung des Molekulargewichts nach dem Gefrierpunktsverfahren nennt man auch „kryoskopische"51, die nach dem Siedepunktsverfahren „ebullioskopische" s s Methode. Letztere steht an Bedeutung hinter der ersteren zurück, da der Wert der Siedepunktserhöhung stets merklich kleiner als der der Gefrierpunktserniedrigung ist. Zur praktischen Ausführung beider Methoden dienen u. a. Apparate, die auf den deutschen Chemiker Ernst Beckmann (1853—1923) zurückgehen (1888). Zur Messung der Fixpunktsverschiebung werden dabei sogenannte „Beckmann-Thermometer" verwendet, deren Skala nur etwa 6° umfaßt, welche in Vioo Grade eingeteilt sind; eine besondere Vorrichtung erlaubt, den Nullpunkt der Skala willkürlich auf eine gewünschte Temperatur einzustellen, so daß ein e i n z i g e s Thermometer für a l l e Bestimmungen benutzbar ist. Zur Molekulargewichtsbestimmung bei Elektrolyten vgl. S. 159 und 164f., zur Molekulargewichtsbestimmung durch Dialyse S. 564.

d) Chemische Eigenschaften Die Bindung zwischen Wasserstoff und Sauerstoff im Wassermolekül ist s e h r f e s t und läßt sich nur durch Zufuhr e r h e b l i c h e r E n e r g i e m e n g e n (vgl. S. 58f.) sprengen: 136.630 kcal + 2 H 2 0 -» 2H 2 + O2. Die Energie kann dabei in verschiedenster Weise, z. B. in Form t h e r m i s c h e r oder e l e k t r i s c h e r oder c h e m i s c h e r Energie zugeführt werden. Beispiele für die e l e k t r i s c h e und c h e m i s c h e Wasserzersetzung haben wir auf S. 45 und S. 50 f. schon kennengelernt, so daß wir hier nicht mehr darauf einzugehen brauchen. Die t h e r m i s c h e Spaltung des Wassers in seine elementaren Bestandteile gelingt nur bei s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n und auch hier nur u n v o l l k o m m e n . So sind gemäß folgender Tabelle: T (abs.) % Spaltung

1000 0.00003

1500 0.020

2000 0.582

2500 4.210

3000 14.400

3500 30.900

bei 2500 K (~2200 °C) erst rund 4% des Wasserdampfes in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Das Wasser ist also eine thermisch sehr beständige Verbindung. Über die c h e m i s c h e n U m s e t z u n g e n des Wassers wird im Rahmen der Besprechung der einzelnen Elemente und Verbindungen berichtet.

57 58

kryos (xpóo?) = Eis; skopein (oxoiret») = beobachten. bulla (lat.) = Siedeblase.

Kapitel V

Die Luft und ihre Bestandteile 1. Der Stickstoff1

Der Stickstoff wurde 1772 von dem deutsch-schwedischen Apotheker Carl Scheele („verdorbene Luft") und, unabhängig davon, von dem schottischen Botaniker Daniel Rutherford entdeckt und als Bestandteil der Luft erkannt (vgl. S. 81). A. L. Lavoisier gab ihm den Namen Azote (S. 79). Der Name Nitrogen (= Salpeterbildner, S. 26), von dem sich das Elementsymbol N ableitet, wurde erstmals von dem französischen Chemiker J. A. C. Chaptal (1756-1832) eingeführt.

a) Vorkommen In f r e i e m Zustande kommt der Stickstoff als wesentlicher Bestandteil der L u f t (78.09 Vol.-% bzw. 75.51 Gew-% N 2 ) vor (S. 81). In g e b u n d e n e m Zustande findet er sich hauptsächlich in Form von N i t r a t e n (S. 405), z. B. Natriumnitrat, NaN0 3 (Chilesalpeter). Weiterhin bildet er einen wichtigen Bestandteil der E i w e i ß s t o f f e des tierischen und pflanzlichen Organismus (vgl. II, S. 304 ff.). Der Gesamt-Stickstoffgehalt der Erdrinde einschließlich Luft- und Wasserhülle beträgt 0.33 Gew.-%. Damit steht der Stickstoff an 11. Stelle der Häufigkeit (S. 91). Bemerkenswert ist das Vorkommen vom Ammoniak NH 3 (neben Methan CH 4 und Wasserdampf H 2 0 ) in der A t m o s p h ä r e verschiedener P l a n e t e n . CH 4 , NH 3 und H 2 0 dürften demnach wichtige Ursubstanzen bei der Entstehung der Biosphäre unserer Erde gewesen sein (Bildung von Aminosäuren — II, S. 291 ff. — bei Energieeinwirkung). Der natürlich vorkommende Stickstoff besteht aus den Isotopen (99.6337%) und (0.3663%). wird häufig zur Markierung des Stickstoffs bei Untersuchungen über den Reaktionsmechanismus von Stickstoffverbindungen verwendet (S. 1010).

b) Darstellung a) Aus Luft Zur technischen Darstellung von Stickstoff, der in (grün gestrichenen) S t a h l b o m b e n unter einem Druck von 150 Atmosphären in den Handel kommt, dient ausschließlich die L u f t . Die Abtrennung des in der Luft neben Stickstoff enthaltenen Sauerstoffs kann dabei auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. 1 Vgl. hierzu Comprehensive Inorganic Chemistry, Band 2 (1973), S. 1 4 7 - 1 9 9 sowie S. 363 fT. des vorliegenden Lehrbuchs.

78

V. Die L u f t und ihre Bestandteile

Die p h y s i k a l i s c h e Zerlegung der Luft (Fraktionierung flüssiger Luft) haben wir bereits bei der Besprechung der technischen S a u e r s t o f f gewinnung behandelt (S. 42ff.) Die c h e m i s c h e Methode der technischen Stickstoffgewinnung aus Luft bedient sich der K o h l e als sauerstoffbindenden Mittels. Verbrennt man Kohle mit überschüssiger Luft, so erhält man ein Gemisch von S t i c k s t o f f und K o h l e n d i o x i d : 4N2 + 0

2

+ C - 4N2 + C02,

Luft

aus dem sich das Kohlendioxid durch Behandlung mit K a l i u m c a r b o n a t l ö s u n g (vgl. S. 511) oder mit W a s s e r unter Druck (vgl. S. 368) leicht auswaschen läßt. Bei b e g r e n z t e m L u f t z u t r i t t (Kohlenstoffüberschuß) verbrennt die Kohle nur zu K o h l e n monoxid: 4N2 + 0 2 + 2 C - 4 N

2

+ 2CO.

Das so gebildete Gemisch von Stickstoff und Kohlenmonoxid heißt „Generatorgas" und wird technisch ebenfalls zur Stickstoffgewinnung herangezogen (S. 368).). Im Laboratorium verwendet man als sauerstoffbindendes Mittel nicht Kohle, sondern Kupfer: 4 N 2 + 0 2 + 2Cu

4 N 2 + 2CuO,

indem man Luft über glühendes Kupfer leitet. In allen diesen Fällen erhält man, da die Luft außer Stickstoff und Sauerstoff noch rund 1% Edelgase enthält (S. 81, 222), keinen r e i n e n Stickstoff, sondern e d e l g a s h a l t i g e n „Luftstickstoff" (vgl. S. 223). Wegen der chemischen Reaktionsträgheit der Edelgase (S. 226) stört dieser Gehalt aber normalerweise nicht. R e i n e n Stickstoff gewinnt man zweckmäßig aus S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n . Eine hierfür sehr geeignete Verbindung ist das A m m o n i a k , NH 3 (s. u.). S p e k t r a l r e i n e r Stickstoff ist bequem durch thermische Zersetzung von Natrium- oder Barium-azid gewinnbar (S. 384 f.). Die Entfernung von S a u e r s t o f f spuren aus Bombenstickstoff erfolgt zweckmäßig durch Zumischen von etwas H 2 und Leiten des Gemisches über einen Pt-Katalysator (2H 2 + 0 2 -»• 2 H 2 0 ) oder durch auf Kieselgur (S. 545, 568) niedergeschlagenes K u p f e r bei 160—180° (2Cu + 0 2 -»• 2CuO). ß) Aus Ammoniak Die Überführung von A m m o n i a k in Stickstoff erfolgt ganz allgemein durch Einwirkung eines O x y d a t i o n s m i t t e l s , welches den Wasserstoff des Ammoniaks als Wasser entfernt: 2NH3 + 3 0 - N

2

+

3H20.

So bildet sich z. B. Stickstoff beim Eintropfen von konzentrierter Ammoniaklösung in einen wässerigen C h l o r k a l k brei (CaCl 2 0 -»• CaCl2 + O). Noch häufiger wird im Laboratorium s a l p e t r i g e S ä u r e H N 0 2 als Oxydationsmittel benutzt, weil hierbei auch der Stickstoff der Säure mitgewonnen wird (vgl. S. 408): N H 3 + H N 0 2 -» N 2 + 2 H 2 0 .

Man erhitzt zu diesem Zwecke eine konzentrierte wässerige Ammoniumnitritlösung (NH4N02 NH 3 + H N 0 2 ) oder die Lösung eines Gemisches von Ammoniumchlorid und Natriumnitrit (NH 4 C1 + NaN0 2 ^ N H 4 N 0 2 + NaCl) auf etwa 70°.

79

1. Der Stickstoff

Auch mit Hilfe von C h l o r , das sich mit Ammoniak und konzentrierten Ammoniaklösungen energisch umsetzt, kann der Wasserstoff des Ammoniaks entfernt werden: 2NH 3 + 3C12 - N 2 + 6HC1.

In Erweiterung des ursprünglichen Oxydationsbegriffes (S. 47 f.) spricht man auch in diesem Falle von einer O x y d a t i o n des Ammoniaks zu Stickstoff und definiert ganz allgemein eine Oxydation als die Zufuhr von Sauerstoff oder den Entzug von Wasserstoff und ein Oxydationsmittel dementsprechend als ein sauerstoffzuführendes oder Wasserstoff entziehendes Mittel. In gleicher Weise versteht man in Erweiterung des ursprünglichen Reduktionsbegriffes (S. 57) unter einer Reduktion den Entzug von Sauerstoff oder die Zufuhr von Wasserstoff und unter einem Reduktionsmittel dementsprechend ein sauerstoffentziehendes oder Wasserstoff zu führendes Mittel. Zur moderneren Definition des Oxydations- und Reduktionsbegriffes vgl. S. 196 ff.

c) Physikalische Eigenschaften Stickstoff ist ein färb-, geschmack- und geruchloses Gas. Das Litergewicht r e i n e n S t i c k s t o f f s beträgt bei 0° und 760 mm Druck (45° geographischer Breite) 1.25046 g, ist also geringer als das der Luft (1.2928 g/1), welche ja noch den schwereren Sauerstoff (1.42895 g/1) enthält. 11 „Luftstickstoff", also edelgashaltiger Stickstoff wiegt 1.2567 g. Wie Sauerstoff und Wasserstoff läßt sich auch Stickstoff nur schwer kondensieren (kritische Temperatur: —146.95 °C, kritischer Druck: 33.54 Atm., kritische Dichte: 0.3110 g/cm 3 ). Der Siedepunkt des farblosen flüssigen Stickstoffs liegt bei —195.82 °C (77.33 K), der Schmelzpunkt des farblosen festen Stickstoffs bei - 2 0 9 . 9 9 °C (63.16 K) (hexagonal-dichteste Kugelpackung von N2-Molekülen (j3-N2); unterhalblb —237.54 °C existiert noch eine kubisch-dichteste Packung (a-N 2 ); die Dichte des flüssigen Stick- cstoffs beim Siedepunkt beträgt 0.8076, die des festen Stickstoffs bei - 2 5 3 °C 1.0265 g/cm 3 . Der N-N-Abstand in N 2 beträgt 1.0976 Á. In Wasser ist Stickstoff nur etwa halb so gut löslich wie Sauerstoff von gleichem Druck. 11 Wasser von 0° löst — unabhängig vom Gasdruck (vgl. hierzu S. 177f.) - 23.2 cm 3 Stickstoff bzw. 49.1 cm 3 Sauerstoff (vgl. S. 47). Die aus Wasser ausgetriebene Luft ist somit sauerstoffreicher ( 0 2 : N 2 = 2 : 1 ) als die atmosphärische ( 0 2 : N 2 = 1 : 4) und enthält, bezogen auf den Stickstoff, achtmal mehr Sauerstoff als die letztere. Dieser größere prozentuale Sauerstoffgehalt ist von Wichtigkeit für die Atmung der Fische im Wasser. Außer den normalen Molekülen N 2 (S. 116, 130) des Stickstoffs existieren noch Teilchenformen N („ato-

marer StickstoffS.

80), N3" („Nitrid-ion", S. 374) und N3~ (,,Azid-ion" S. 383). Zu den natürlichen Iso-

topen des Stickstoffs vgL S. 77, 1002,1010.

d) Chemische Eigenschaften Der S a u e r s t o f f (S. 47) unterhält die Verbrennung, ist aber selbst nicht brennbar. Der W a s s e r s t o f f (S. 55) ist selbst brennbar, unterhält aber nicht die Verbrennung. Der S t i c k s t o f f ist weder brennbar, noch unterhält er die Verbrennung. Taucht man einen brennenden Holzspan in Stickstoff ein, so erlischt er sofort. Lebewesen e r s t i c k e n im Stickstoffgas, woher das Gas seinen Namen hat 2 . 2 Der von Lavoisier stammende französische Name „azote" für Stickstoff bringt ebenfalls diese Eigenschaft zum Ausdruck: azotikos (dfojnKdO = das Leben nicht unterhaltend. In Bezeichnungen wie „Azane" (S. 364),

„Azide" (S. 383), „Azoverbindungen" (S. 421), „Azotierung" (S. 697), „Borazol" (S. 633), „Hydrazin"

(S. 375) usw. findet sich dieser Wortstamm auch in der deutschen chemischen Nomenklatur.

V. Die Luft und ihre Bestandteile

80

Überhaupt ist der Stickstoff bei gewöhnlicher Temperatur ein s e h r r e a k t i o n s t r ä g e s („inertes") Gas. Dies kommt daher, daß die beiden Atome des Stickstoffmoleküls besonders fest aneinander gekettet sind (vgl. S. 64 und 124), so daß der Stickstoff selbst die beständigste Stickstoff-„Verbindung" ist. Zur Sprengung des Moleküls in die wesentlich reaktionsfähigeren Atome bedarf es g r o ß e r E n e r g i e m e n g e n : 225.958 kcal + N 2 - 2N (K p = 10 1 6 0 ),

(1)

die entweder der V e r b i n d u n g s e n e r g i e anderer Elemente entnommen oder von außen her als Energie der W ä r m e oder der E l e k t r i z i t ä t zugeführt werden müssen. So wird die Aktivität des Stickstoffs z. B. durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g bedeutend gesteigert, so daß er bei hohen Temperaturen mit zahlreichen Metallen und Nichtmetallen Verbindungen eingeht. Unter den M e t a l l e n vereinigen sich verschiedene Alkali- und Erdalkalimetalle (z. B. Lithium, Calcium, Magnesium) besonders leicht und vollständig mit Stickstoff (vgl. S. 374): 3Mg + N 2

Mg 3 N 2 + 110.24 kcal

6Li + N 2 -» 2Li 3 N + 94.4 kcal

Aber auch viele andere Metalle wie Aluminium, Titan, Vanadin, Chrom verbinden sich bei Glühhitze direkt mit dem Stickstoff zu „Nitriden" (vgl. S. 523). Unter den Reaktionen des Stickstoffs mit N i c h t m e t a l l e n seien besonders die Umsetzungen mit Wasserstoff und mit Sauerstoff hervorgehoben. Erstere führt zur exothermen Bildung von Ammoniak: N 2 + 3H 2

2NH 3 + 22.04 kcal ( K p = 10 s - 78 )

und wird in größtem Maßstabe technisch durchgeführt (S. 366 ff.). Letztere geht unter endothermer Bildung von Stickstoffoxid vor sich: 43.14 kcal + N 2 + 0 2

2NO (K p = 10" 3 0 3 2 )

und hat eine Zeitlang erhebliche Bedeutung für die Gewinnung von Salpetersäure gehabt (S. 394 f.). Zur Reaktion von Stickstoff mit Calciumcarbid, die zu Kalkstickstoff führt, vgl. S. 697 f. Atomarer Stickstoff. Bei Einwirkung e l e k t r i s c h e r G l i m m e n t l a d u n g e n auf Stickstoff unter vermindertem Druck findet eine merkliche Aufspaltung der Stickstoffmoleküle gemäß (1) in Stickstoffatome statt, wie 1913 zuerst John William Strutt (1942-1919; seit 1873:3: Lord Rayleigh) beobachtet hat. Dieser a t o m a r e S t i c k s t o f f 3 ist chemisch s e h r a k t i v . So bildet er mit zahlreichen Metallen (z. B. Quecksilber, Zink, Cadmium, Natrium, Magnesium) schon b e i g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r Nitride (z. B. 3Mg + 2N Mg3N2 + 336.20 kcal; vgl. oben), ebenso mit Nichtmetallen wie Phosphor und Schwefel. Die Wiedervereinigung der Atome zu Molekülen ist mit einem charakteristischen gelben N a c h l e u c h t e n verbunden, das bei geeigneten Versuchsbedingungen noch 6 Stunden nach Ausschalten der elektrischen Entladung anhalten kann. Verwendung von Stickstoff: Stickstoff findet starke Verwendung als i n e r t e s S c h u t z g a s (Spülen von Behältern und Rohrleitungen, Schutzatmosphäre für leicht oxydierbare Substanzen wie Phosphor oder Metallschmelzen und beim Löten, Schweißen, Glühen, Sintern, Härten), weiterhin zur Herstellung von A m m o n i a k , S t i c k s t o f f o x i d e n , C y a n i d e n , A m i d e n , N i t r i d e n . Flüssiger Stickstoff dient in steigendem Maße als K ü h l m i t t e l , insbesondere zum Schnellgefrieren von Lebensmitteln.

3 Vgl. hierzu etwa K. R. Jennings und J. W. Linnett: „Aktiver Stickstoff", Quart. Rev. 12 (1957), 116-132; G. G. Mannella: „Aktiver Stickstoff", Chem. Rev. 63 (1963), 1 - 2 0 ; A. N. Wright und C. A. Winkler: „Aktiver Stickstoff ", Academic Press, New York 1968; C. R. Brown und C. A. Winkler: „Das chemische Verhalten von aktivem Stickstoff", Angew. Chem. 82 (1970), 187—202.

81

2. Die Luft

2. Die Luft a) Zusammensetzung der Luft Die atmosphärische L u f t wurde bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts für ein E l e m e n t gehalten. Erst durch die Untersuchungen von Scheele, Priestley und Lavoisier (S. 49) wurde gezeigt, daß sie ein G e m e n g e zweier Gase — nämlich eines die Verbrennung unterhaltenden ( S a u e r s t o f f ) und eines die Verbrennung nicht unterhaltenden Gases ( S t i c k s t o f f ) — ist. Der Versuch, durch den Lavoisier dies im Jahre 1774 bewies, war der folgende (Fig. 34): In einer Retorte, die durch einen zweimal gebogenen Hals mit einer in einer Glasglocke über Quecksilber abgesperrten, gegebenen Luftmenge in Verbindung stand, wurde Quecksilber auf einem Kohleofen mehrere Tage lang nahe am Sieden erhalten (Sdp. 357°). Hierbei verschwand ein Teil der Luft (Sauerstoff), während sich gleichzeitig das Quecksilber teilweise in ein rotgelbes, kristallines Pulver (Quecksilberoxid) verwandelte. Der zurückgebliebene Teil der Luft (Stickstoff) unterhielt zum Unterschied von der ursprünglichen Luft weder die Verbrennung noch die Atmung. Die gebildete rotgelbe Quecksilberverbindung spaltete bei stärkerem Erhitzen ein Gas (Sauerstoff) ab (S. 13f.), das die Verbiennungserscheinungen und die Atmung viel lebhafter unterhielt (,J,ebensIuft") als die ursprüngliche Luft und dessen Volumen dem vorher verschwundenen Luftanteil entsprach 4 . — Für genauere Luftanalysen verwendet man statt Quecksilber zweckmäßig Kupfer als sauerstoffbindendes Mittel.

Außer Sauerstoff und Stickstoff enthält die Luft noch die E d e l g a s e (S. 222), sowie mehr oder weniger W a s s e r d a m p f und K o h l e n d i o x i d , ferner geringe Mengen A m m o n i a k und O z o n . Als zufällige Bestandteile (z. B. in der Nachbarschaft von Vulkanen und von Industrieanlagen) finden sich S c h w e f e l d i o x i d und andere Gase. Die niederen Luftschichten enthalten stets auch feste ,,Staub"teilchen. Die mittlere Zusammensetzung trockener, reiner Luft ( > 99 Vol.-% 0 2 + N 2 ) ist nach neueren Analysen die folgende:

Stickstoff Sauerstoff Edelgase Kohlendioxid

Vol.-% 78.09 20.95 0.93 0.03 100.00

Gew.-% 75.51 23.16 1.28 0.05 100.00.

Es ist bemerkenswert, daß diese Zusammensetzung der Luft trotz der zahlreichen sauerstoff-, stickstoff- und kohlendioxid-umsetzenden Vorgänge in der Natur (die Edelgase beteiligen sich wegen ihrer Reaktionsträgheit nicht an chemischen Reaktionen) praktisch k o n s t a n t bleibt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Sauerstoff (gekoppelt mit dem Kohlendioxid) und der Stickstoff einen K r e i s l a u f durchmachen. 4 Bei der Zerlegung von Quecksilberoxid wurde der Sauerstoff auch von Priestley (vgl. S. 1154) im Jahre 1774 entdeckt („dephlogistierte Luft", S. 49). Unabhängig davon erhielt Scheele (vgl. S. 1157) kurz vorher (1772) Sauerstoff u. a. durch starkes Erhitzen von Salpeter ( „ F e u e r l u f t " ) .

82

V. Die L u f t und ihre Bestandteile

b) Kreislauf des Sauerstoffs Wichtige sauerstoffverbrauchende Vorgänge der Natur sind die t i e r i s c h e A t m u n g und die V e r w e s u n g . In beiden Fällen werden Kohlenstoffverbindungen — z. B. Kohlenhydrate (II, S. 234 ff.) — durch den Luftsauerstoff unter Freiwerden von Energie letzten Endes zu Kohlendioxid und Wasser „verbrannt" (vgl. S. 47, 56 und Lehrbücher der Biochemie). In gleicher Richtung wirken auch die Verbrennungsprozesse der Industrie, z. B. die Verbrennung von Steinkohle. Die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e wird dabei in verschiedenster Weise ausgenutzt; bei der tierischen Atmung beispielsweise zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und der L e b e n s V o r g ä n g e , bei der Steinkohlenverbrennung etwa zur Erzeugung hoher Temperaturen. Es müßte demnach infolge dieser Verbrennungsvorgänge eine dauernde Abnahme des Sauerstoff* und Zunahme des Kohlendioxid- und Wassergehaltes der Atmosphäre zu beobachten sein, wenn nicht ein e n t g e g e n w i r k e n d e r Prozeß stattfände, der in Umkehrung des sogenannten Verbrennungsprozesses unter Aufnahme von Energie Kohlendioxid und Wasser wieder in Kohlenhydrate und Sauerstoff verwandelt. Dieser regulierend wirkende Vorgang ist die „Assimilation" (II, S. 529 f.) der Pflanzen, bei welcher unter der Einwirkung des vom Blattgrün (Chlorophyll) absorbierten Sonnenlichtes das in der Luft oder im Wasser enthaltene Kohlendioxid in die Kohlenhydrate Zucker und Stärke verwandelt wird, die sich als Reservestoffe in den Pflanzen ablagern: Dissimilation (Blutfarbstoff) | Kohlenhydrate + Sauerstoff |

| Kohlendioxid + Wasser + Energie |

(Blattfarbstoff) Assimilation

Die Pflanzen dienen dann wieder Menschen und Tieren zur Nahrung, werden erneut „veratmet" („Dissimilation") usw., und so beginnt der Kreislauf des Sauerstoffs und Kohlendioxids von neuem. Der Kreisprozeß ist in seinen Teilen so a u s g e g l i c h e n , daß — soweit unsere Meßgenauigkeit und Erfahrung bisher reichen — der S a u e r s t o f f g e h a l t der Atmosphäre k o n s t a n t bleibt. Je höher beispielsweise infolge der Verbrennungsprozesse der Kohlendioxid- und Wasserdampfgehalt der Luft ansteigt, um so größer wird auch unter sonst gleichen Bedingungen die Assimilationstätigkeit der Pflanzen. Hinzu kommt, daß die jährlich in der geschilderten Weise im Kreislauf befindliche Sauerstoffmenge ( 1 0 1 1 1 ) verhältnismäßig gering ist im Vergleich zu der in der Atmosphäre vorhandenen (10 1 5 t).

c) Kreislauf des Stickstoffs Auch der S t i c k s t o f f beschreibt einen Kreislauf durch den pflanzlichen und den tierischen Organismus. In diesen Kreislauf tritt er aber praktisch nur als g e b u n d e n e r , nicht als freier Stickstoff. Der Stickstoff ist ein wichtiger Bestandteil des lebensnotwendigen tierischen und pflanzlichen E i w e i ß e s (II, S. 304ff.). Daher sind Tier und Pflanze auf Stickstoffzufuhr angewiesen. Der Stickstoff der L u f t wird von den Tieren und den meisten Pflanzen nicht aufgenommen, da wegen der Reaktionsträgheit des Stickstoffs weder Tier noch Pflanze imstande sind, Luftstickstoff zu assimilieren. Hierzu sind nur einige Bakterienarten und andere Mikroorganismen fähig, die in den Wurzelknöllchen von Schmetterlingsblütlern (z. B. Lupinen wie Erbsen, Bohnen, Klee) und anderen Pflanzenarten (z. B. Erlen, Ölweiden) vorkommen (vgl. S. 394). Ebenso besitzen einige im

2. Die Luft

83

Erdboden freilebende Bakterienarten („Azotobakter") die Fähigkeit zur Stickstoffassimilation 5 . Im allgemeinen entnimmt die Pflanze ihren Stickstoffbedarf aber dem B o d e n . Dieser enthält Stickstoff in Form von N i t r a t e n (S. 405) und A m m o n i u m s a l z e n (S. 731 ff.). Die Pflanze nimmt diese Verbindungen auf und baut daraus in komplizierter Weise ihre Zellen auf. Die T i e r e und M e n s c h e n besitzen diese Assimilationsfähigkeit nicht. Sie können den Stickstoff nur in Form von p f l a n z l i c h e m E i w e i ß oder geeigneten A m m o n i u m Verbindungen aufnehmen. Auf diese Weise kommt der Stickstoff in den tierischen Organismus. Beim Abbau des Eiweißes im Tierkörper wird der größte Teil des Stickstoffs als H a r n s t o f f CO(NH 2 ) 2 (II, S. 195 f.) mit dem Harn ausgeschieden; bei der Verwesung von Tier und Pflanze bleibt er in Form von Nitraten, Ammoniumsalzen und anderen Stickstoffverbindungen zurück. So steht er den Pflanzen wieder zur Verfügung, und der Kreislauf beginnt von vorn. Allerdings werden bei diesem Kreislauf, zumal bei intensiver Landwirtschaft, dem Boden mehr Stickstoffverbindungen entzogen als in verwertbarer Form wieder zurückkehren. Der deutsche Chemiker Justus von Liebig (1803—1873) wies daher daraufhin, daß es erforderlich ist, den Pflanzen den zur Assimilation erforderlichen Stickstoffbedarf in Form geeigneter Stickstoffverbindungen („künstlicher Stickstoffdünger"; vgl. S. 733 f.) zuzuführen. Diese gewinnt man — in jährlich steigenden Mengen — aus elementarem Stickstoff. Auf diesem Umweg über die chemische Industrie greift somit auch der L u f t s t i c k s t o f f in den Kreislauf des Stickstoffs in der Natur ein. Der Stickstoffgehalt der Luft wird hierdurch aber nicht verändert, weil etwa ebensoviel elementarer Stickstoff bei der Verbrennung der Steinkohle (II, S. 343) der Atmosphäre wieder zugeführt wird. Auch stellt die jährliche Stickstoffentnahme der Technik ( ~ 10 7 t) nur etwa den milliardsten Teil des in der Atmosphäre enthaltenen Stickstoffs 6 (10 1 5 bis 10 1 6 t) dar. Die bei Verwesungsprozessen oder durch die Wirkung von sogenannten „Denitrifikationsbakterien" in die elementare Form übergehende kleine Stickstoffmenge wird etwa ausgeglichen durch die Menge Salpetersäure ( H N 0 3 ) , die sich durch die oben schon genannten Bodenbakterien und bei Gewittern durch die elektrischen Entladungen (Blitz) aus Stickstoff, Sauerstoff und Wasserdampf bildet.

d) Flüssige Luft Bei starkem Abkühlen geht die Luft in den f l ü s s i g e n Zustand über. Diese Verflüssigung der Luft wird zwecks Gewinnung von Sauerstoff (S. 42 ff.), Stickstoff (S. 78) und Edelgasen (S. 223 f.) technisch in großem Maßstabe ausgeführt. In frischem Zustande ist die flüssige Luft praktisch farblos. Bei längerem Stehen nimmt sie immer deutlicher eine bläuliche Farbe an. Dies kommt daher, daß der farblose Stickstoff (Sdp. —196°) schneller absiedet als der bläuliche Sauerstoff (Sdp. —183°). Entsprechend dieser Sauerstoffanreicherung beim Verdunsten steigt der Siedepunkt der flüssigen Luft (—194.5°) beim Stehen bis auf —185° und höher. Zugleich nimmt die Dichte, die zuerst 0.9 g/cm 3 beträgt, bis zum Werte 1.1 g/cm 3 zu (1 cm 3 flüssiger Sauerstoff wiegt beim Siedepunkt 1.12, 1 c m 3 flüssiger Stickstoff beim Siedepunkt 0.81 g), so daß frische flüssige Luft (4N 2 + 0 2 ) auf Wasser schwimmt, während auf gestandener flüssiger Luft ( 0 2 ) umgekehrt das Wasser schwimmt. Füllt man ein Kupfergefäß mit flüssigem S t i c k s t o f f , so kondensiert sich an der Außenwand des Gefäßes der leichter kondensierbare (höher siedende) S a u e r s t o f f der Luft und tropft als flüssiger Sauerstoff ab.

5 Man hat berechnet, daß durch die Tätigkeit solcher Stickstoffbakterien in einem Ackerboden durchschnittlicher Zusammensetzung jährlich rund 5 0 kg Luftstickstoff pro ha assimiliert werden können. Durch Anbau von Leguminosen (Hülsenfrüchtler) läßt sich diese Menge in klimatisch günstig gelegenen leichten Böden bis auf 2 0 0 kg/ha steigern. 6 Die Atmosphäre enthält mehr als 99% des insgesamt auf der Erde vorkommenden Stickstoffs.

84

V. Die Luft und ihre Bestandteile

Um ein zu rasches Absieden der flüssigen Luft im Laboratorium zu vermeiden, bewahrt man sie zweckmäßig in besonders konstruierten Gefäßen auf. Eine für das Laboratorium geeignete Form stellt z. B. das nebenstehend (Fig. 35) abgebildete, doppelwandige „Dewar-Gefäß" (vgl. S. 1130) dar. Bei diesem ist zur Verringerung eines Wärmeverlustes durch Wärme 1 e i t u n g und - S t r a h l u n g der Raum zwischen beiden Wandungen evakuiert, während die Wandungen selbst innen versilbert oder verkupfert sind 7 . Auf dem gleichen Bauprinzip beruhen z. B. die „Thermosfla-

schen". ~ Vakuum -flüssige Luft 'Sefäßwondungen innen versilbert

Fig. 35. Dewar-Gefäß zum Aufbewahren flüssiger Luft

Interessant sind die Eigenschaftsänderungen, welche die Stoffe beim Abkühlen auf die Temperatur der flüssigen Luft erfahren: F a r b e . Taucht man ein mit Schwefel gefülltes Reagensglas in flüssige Luft, so wird der gelbe Schwefel weiß wie Kreide. Auch braunrotes Brom, roter Phosphor, orangerote Mennige oder rotes Quecksilberjodid werden beim Eintauchen in flüssige Luft in auffälliger Weise heller. E l a s t i z i t ä t . Ein in flüssige Luft getauchter Gummiball wird glashart und zerspringt in Splitter, wenn man ihn auf den Boden fallen läßt. Ein Bleiglöckchen gibt nach Kühlung mit flüssiger Luft beim Anschlagen mit einem Glasstab einen hellen Ton, als ob es aus Silber bestünde. A g g r e g a t z u s t ä n d e . Übergießt man flüssiges Quecksilber mit flüssiger Luft, so erstarrt es alsbald zu einem silberähnlichen Metall, das man auf dem Amboß aushämmern kann. PropanHeizgas verflüssigt sich leicht bei der Temperatur der flüssigen Luft. Wird eine Rose oder ein Apfel in flüssige Luft getaucht, so gefriert augenblicklich das Wasser in den Zellen; das Gewebe wird dadurch so spröde, daß man es im Mörser zu Pulver zerreiben kann. L e i t f ä h i g k e i t . Taucht man einen Kupferdraht in flüssige Luft, so nimmt dessen Leitfähigkeit wesentlich zu (bei sehr tiefen Temperaturen: „Supraleitfähigkeit"). Erwähnenswert sind noch die s t a r k o x y d i e r e n d e n E i g e n s c h a f t e n gestandener, also sauerstoffreicher Luft bzw. von flüssigem Sauerstoff. Taucht man z. B. einen glimmenden Holzspan in flüssigen Sauerstoff ein, so verbrennt der Span trotz der sehr tiefen Temperatur von —183° unter heftiger Reaktion mit heller Flamme. Wird Watte mit feinem Kohlepulver überstäubt, mit flüssigem Sauerstoff übergössen und dann angezündet, so verbrennt das Ganze explosionsartig. Man bedient sich dieser stark oxydierenden Eigenschaften des flüssigen Sauerstoffs bei den sogenannten „Qxy/i'i/i//7" 8 -Sprengstoffen (Mischungen von voluminöser Kohle oder anderen brennbaren Stoffen wie Petroleum, Paraffin, Naphthalin mit flüssigem Sauerstoff bzw. flüssiger Luft). Es ist hiernach sehr gefährlich, flüssigen Sauerstoff oder gestandene flüssige Luft mit brennbaren Substanzen zusammenzubringen. Trotz der tiefen Temperatur kann man flüssige Luft gefahrlos über die Hände gießen, ohne dabei das Gefühl von Kälte zu haben, da sich zwischen der warmen Haut und der kalten Flüssigkeit sofort eine schützende dünne Dampfhaut bildet, welche die Kälte nur schlecht leitet („Leidenfro st-

sches Phänomen"). 7 8

N i c h t m e t a l l i s i e r t e doppelwandige Gefäße obiger Art heißen „ Oxygenium (tat.) = Sauerstoff; liquidus (lat.) = flüssig.

Weinhold-Gefäße"

(vgl. S. 1164).

Teil B Hauptgruppen des Periodensystems

Kapitel VI

Das Periodensystem der Elemente1 (Teil I) Am Beispiel des Sauerstoffs (S. 41 ff.), Wasserstoffs (S. 49ff.) und Stickstoffs (S. 77ff.) sahen wir, daß jedes einzelne Element ganz c h a r a k t e r i s t i s c h e c h e m i s c h e E i g e n s c h a f t e n besitzt und Verbindungen ganz b e s t i m m t e r Z u s a m m e n s e t z u n g bildet. Es wäre nun recht unbefriedigend, das chemische Verhalten der übrigen 103 bis jetzt bekannten Elemente in gleicher Weise der Reihe nach zu behandeln, ohne die Elemente untereinander zu v e r g l e i c h e n und nach Z u s a m m e n h ä n g e n und c h e m i s c h e n A n a l o g i e n zu suchen. So nimmt es nicht wunder, daß im Laufe des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Versuche unternommen worden sind, die Elemente nach ihren chemischen Eigenschaften in Gruppen einzuteilen und Gesetzmäßigkeiten für diese Einordnung zu finden. Der erste Versuch dieser Art rührt von J. W. Döbereiner (S. 1130) her, der im Jahre 1829 nachwies, daß sich verschiedene Elemente ihrem chemischen Verhalten nach zu Gruppen von je 3 Elementen („Triaden") zusammenfassen lassen, in welchen die Atomgewichtsunterschiede jeweils annähernd gleich sind (,,Triadenregel"); z. B.: C1 Br J

35.5,... 79.9 126.9 > 4 7 0

S Se Te

32.1 79.0 > ^ 127.6

Ca 40.1 .. t Sr 87.6 > ^ Ba 1 3 7 . 3 > 4 9 " 7

Li 6.9 Na 23.0 > J«" K 39.1 > 1 6 1

Damit wurde zum erstenmal der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen E i g e n s c h a f t e n und A t o m g e w i c h t e n eingeführt. Eine Weiterentwicklung dieses Gedankens war erst nach Erweiterung der Kenntnis der Atomgewichte möglich. Im Jahre 1864 entdeckte der englische Chemiker John Alexander Reina Newlands (1838—1898), daß bei der Anordnung der Elemente nach steigendem Atomgewicht jeweils nach 7 Elementen ein Element folgt, das dem Anfangsgliede der Reihe chemisch ähnlich ist („Gesetz der Oktaven"). 1869 haben dann der russische Chemiker Dmitri Iwanowitsch Mendelejeff (1834—1907) und der deutsche Forscher Lothar Meyer (1830—1895) unabhängig voneinander diese Beziehungen schärfer formuliert (vgl. S. 1149) und zum „Periodensystem der Elemente"2 zusammengefaßt, dessen Grundprinzip ebenfalls die Ordnung der Elemente nach dem A t o m g e w i c h t ist. Auf dieses Periodensystem gehen letztlich alle heute in Gebrauch befindlichen Formen des Periodensystems zurück. Da zur Zeit der Aufstellung des Periodensystems noch eine Reihe von Elementen fehlten, blieben in diesem System seinerzeit verschiedene L ü c k e n , aus denen Mendelejeff auf die Existenz und die Eigenschaften von hierher gehörenden, aber bis dahin noch u n b e k a n n t e n Elementen schloß. Deren bald darauf erfolgende

1 Vgl. hierzu etwa J. W. van Spronsen: „Das Periodensystem der chemischen Elemente. Eine Geschichte der ersten hundert Jahre", Elsevier, Amsterdam 1969; D. G. Cooper: „Das Periodensystem", Plenum Press, New York 1968. 2 Häufig sprachlich inkorrekt auch „Periodisches System der Elemente" genannt.

88

VI. Das Periodensystem der Elemente (Teil I)

E n t d e c k u n g (vgl. S. 576) hat dann dem Mendelejeffschen Periodensystem wesentlich zum Durchbruch verholfen, während z. B. Newlands für sein analoges Gesetz der Oktaven seinerzeit noch wenig Verständnis gefunden hatte.

Im folgenden wollen wir uns zunächst auf die Ableitung einer übersichtlichen F o r m des Periodensystems beschränken.

gekürzten

1. Gekürztes Periodensystem Ordnet man die in der Atomgewichtstabelle (S. 36) aufgeführten Elemente nach steigender Größe des Atomgewichts, d. h. nach der Reihenfolge der Atomnummern (S. 35), so erhält man die folgende Reihe:

61Pm 62Sm 63Eu 64Gd 65Tb 66Dy 67Ho 68Er 69Tm 70Yb 71Lu 72Hf 73Ta 74W 760s 77Ir

78Pt

91Pa

93Np 94Pu 95Am 96Cm 97Bk

92U

79Äu 80Hg 181T1 82Pb 83Bi

84Po 85At 8 6 R n | 8 7 F r

9 8 a 99Es lOOFm lOlMd

75 Re

88Ra' ; 89Ac 90Th

102No 103Lr 104Rf

105Ha 106Eka-W

Ein Vergleich der p h y s i k a l i s c h e n u n d c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der so geordneten Elemente führt zu der interessanten Feststellung, daß sich diese Eigenschaften beim Fortschreiten vom einen zum nächsten Element in g a n z g e s e t z m ä ß i g e r W e i s e ändern und daß jeweils nach einer gewissen Anzahl von Schritten e i n e E l e m e n t r e i h e w i e d e r k e h r t , die in i h r e n E i g e n s c h a f t e n d e r v o r a n g e h e n d e n Elementreihe ähnelt. Als Beispiel hierfür sei etwa die — fettgedruckte — Elementfolge H e l i u m (He) bis A r g o n (Ar) herausgegriffen. H e l i u m (He, Atomnummer 2) ist ein reaktionsträges, monoatomares (vgl. S. 236) Gas, das sich zum Unterschied von anderen Elementen mit keinem anderen Element chemisch zur Umsetzung bringen läßt. Das achte auf Helium folgende Element N e o n (Ne, Atomnummer 10) ist wieder ein solches „Edelgas", ebenso das an achter Stelle hinter dem Neon stehende Element A r g o n (Ar, Atomnummer 18). Die z w i s c h e n den — fett umrahmten — Edelgasen Helium und Neon einerseits und Neon und Argon andererseits stehenden Elemente 3 ( L i t h i u m Li) bis 9 ( F l u o r F ) b z w . 11 ( N a t r i u m Na) bis 17 ( C h l o r Cl) zeigen eine ü b e r e i n s t i m m e n d e A b s t u f u n g i h r e r E i g e n s c h a f t e n . So sind z. B. die auf das Helium und Neon unmittelbar folgenden Elemente L i t h i u m (Li) und N a t r i u m (Na) beide silberglänzende Leichtmetalle, die sich mit Wasser lebhaft unter Wasserstoffentwicklung umsetzen, während die vor den Edelgasen Neon und Argon stehenden, diatomaren Elemente F l u o r ( F 2 ) und C h l o r (Cl 2 ) beide erstickend riechende Gase darstellen, die mit den vorerwähnten Leichtmetallen Li und Na lebhaft unter Bildung salzartiger Verbindungen analoger Zusammensetzung (LiF, LiCl, NaF, NaCl) reagieren.

89

1. Gekürztes Periodensystem

Ordnet man demnach die Elemente Helium bis Argon in zwei waagerechte „Perioden" wie folgt ein: He I Li Ne I Na

Be Mg

B AI

C Si

N P

O S

F Q

I Ne I Ar,

so weisen die u n t e r e i n a n d e r s t e h e n d e n Elemente („homologe" 3 Elemente) w e i t g e h e n d e Ä h n l i c h k e i t e n in Eigenschaften und Verbindungsformen auf. Die übrigen, auf das Argon noch folgenden Elemente lassen sich nur d a n n in überzeugender Weise in die damit vorgezeichneten acht verschiedenen senkrechten „Gruppen" einordnen, wenn man sich auf die in der obigen Zusammenstellung (S. 88) fett gedruckten Elemente beschränkt und alle übrigen — gestrichelt umrahmten — Elemente u n b e r ü c k s i c h t i g t läßt. Denn erst die Elemente 36 ( K r y p t o n , Kr), 54 ( X e n o n , Xe) und 86 ( R a d o n , Rn) haben wieder Edelgas-Charakter; und von den zwischen Argon und Krypton, Krypton und Xenon, Xenon und Radon stehenden Elementen zeigen nur die den Edelgasen nachfolgenden je z w e i und die den Edelgasen vorangehenden je f ü n f Elemente Eigenschaften, die eine eindeutige Einordnung in die obigen sieben Gruppen zwischen den Edelgasen rechtfertigen. Man kommt so zu folgender Anordnung: Ar Kr Xe Rn

f ! | ;

Ca Sr Ba Ra

K Rb Cs Fr

Ga In T1 ai3)

Ge Sn Pb (114)

Br J At (117)

Se Te Po (116)

As Sb Bi (115)

Kr Xe Rn (118),

in welcher der punktierte senkrechte Pfeil zum Ausdruck bringt, daß an dieser Stelle eine Reihe dazwischenliegender Elemente — Scandium (Sc) bis Zink (Zn), Yttrium (Y) bis Cadmium (Cd), Lanthan (La) bis Quecksilber (Hg) und Actinium (Ac) bis Element 112, insgesamt also 10 + 10 + 24 + 24 = 68 Elemente - ausgelassen worden sind (vgl. S. 744ff.). Man nennt die so erhaltene Elementanordnung „Gekürztes Periodensystem der Elemente". Es läßt sich in besonders übersichtlicher Form — unter Einfügung des Wasserstoffs4 (Atomnummer 1) und des später (S. 998, 1044 f.) noch zu besprechenden Neutroniums Nn (Atomnummer 0) wie folgt wiedergeben: Gekürztes Periodensystem der Elemente

1

3

0

X

II

0 Nn

1 H

2 He

0

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

2 He

3 Li

4 Be

5 B

6 C

7 N

8 0

9 F

10 Ne

10 Ne

11 Na

12 Mg

13 AI

14 Si

15 P

16 S

17 C1

18 Ar

18 Ar

19 K

20 Ca

31 Ga

32 Ge

33 As

34 Se

35 Br

36 Kr

36 Kr

37 Rb

38 Sr

49 In

50 Sn

51 Sb

52 Te

53 J

54 Xe

54 Xe

55 Cs

56 Ba

81 T1

82 Pb

83 Bi

84 Po

85 At

86 Rn

86 Rn

87 Fr

88 Ra

(113)

(114)

(115)

(116)

(117)

(118)

0

I

II

y

^



/

III

IV

V







VI

VII

VIII

I

homologos (ojuo^oyo?) = übereinstimmend. Der Wasserstoff zeigt chemische Ähnlichkeit sowohl mit den Alkalimetallen (Bildung von Kationen H+) wie mit den Halogenen (Bildung von Anionen H~). 4

90

VI. Das Periodensystem der Elemente (Teil I)

Dieses gekürzte Periodensystem der Elemente ist ein Teil des später (S. 743 ff.) zu behandelnden vollständigen Periodensystems der Elemente und enthält nur die sogenannten „Hauptgruppen" (die 44 „repräsentativen Elemente") des Gesamtsystems (vgl. S. 736ff.). Es umfaßt s i e b e n waagerechte P e r i o d e n („Periodennummer" 1 bis 7) und — abgesehen von der ersten, „kurzen Periode" — a c h t 5 senkrechte G r u p p e n („Gruppennummer" I bis VIII). Über den einzelnen Elementsymbolen ist die zugehörige „Atomnummer" angegeben. Auf die tiefere Bedeutung der Periodennummer, Gruppennummer und Atomnummer werden wir später (S. 99) noch zu sprechen kommen. Elemente einer gegebenen Gruppe bilden mit Elementen einer anderen gegebenen Gruppe Verbindungen a n a l o g e r Z u s a m m e n s e t z u n g . Beispiele hierfür sind etwa die Verbindungsreihen BeCl2, MgCl2, CaCl2, SrCl2, BaCl2, RaCl 2 oder B 2 0 3 , A1 2 0 3> G a 2 0 3 , l n 2 0 3 , T1 2 0 3 oder NaF, NaCl, NaBr, NaJ, NaAt oder C0 2 , CS2, CSe2, CTe 2 , CPo2 usw. In der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links nimmt im gekürzten Periodensystem der M e t a l l Charakter, in umgekehrter Richtung der N i c h t me t a 11 Charakter in der Weise zu, daß sich l i n k s einer von den Elementen Be, AI, Ge, Sb und Po gebildeten Diagonale die m e t a l l i s c h e n , r e c h t s d a v o n die n i c h t m e t a l l i s c h e n Elemente befinden, während die Diagonale selbst mit H a l b m e t a l l e n bestückt ist (S. 738). Eine scharfe Grenze läßt sich dabei allerdings nicht ziehen, weil der Übergang gleitend erfolgt. In ähnlicher Weise wie der Metall- und Nichtmetallcharakter unterliegen auch a n d e r e E i g e n s c h a f t e n solchen periodischen Abstufungen, z. B. der Atomradius (das Atomvolumen, vgl. Fig. 210, S. 1077), der Ionenradius, die Dichte, das Ionisierungspotential (vgl. Fig. 40, S. 105), die Elektronenaffinität, die Elektronegativität (vgl. Tabelle, S. 123), der Schmelzpunkt, der Siedepunkt, das Normalpotential, die Wertigkeit (vgl. Tabelle auf S. 739) und Oxydationsstufe, die Schmelz-, Verdampfungs- und Sublimationswärme, die Bildungswärme eines gegebenen Verbindungstyps usw. Hiervon wird in den späteren Abschnitten des Lehrbuchs noch die Rede sein. Die an der Stelle des punktierten Pfeils ausgelassenen 68 „Übergangselemente", von denen man bis jetzt 62 kennt, sind ausnahmslos M e t a l l e . Ihre Einordnung in sogenannte „Nebengrappen" wird uns erst bei der Besprechung des Gesamtsystems (S. 743 ff.) beschäftigen. Der auf S. 221 ff. folgenden Behandlung der H a u p t g r u p p e n -Elemente legen wir die durch das gekürzte Periodensystem gegebene Einteilung in acht charakteristische Elementgruppen zugrunde. Um eine überzeugende Einordnung der Elemente in das Periodensystem zu ermöglichen, mußte an einzelnen Stellen das Prinzip der Aufeinanderfolge nach steigendem Atomgewicht durchbrochen werden. So findet sich in den Hauptgruppen des gekürzten Periodensystems das A r g o n (Ar) v o r d e m K a l i u m (K) und das T e l l u r (Te) v o r d e m J o d (J), obwohl nach dem Atomgewicht (vgl. S. 36) die Reihenfolge u m g e k e h r t sein sollte 6 ; in gleicher Weise muß später bei den Nebengruppen (S. 751 ff.) entgegen dem Atomgewicht das K o b a l t (Co) v o r d a s N i c k e l (Ni) und das T h o r i u m (Th) v o r d a s P r o t a c t i n i u m (Pa) gestellt werden („Inversion"). Daraus geht hervor, daß in Wirklichkeit n i c h t d a s A t o m g e w i c h t , sondern eine a n d e r e — mit dem Atomgewicht in gewissem Zusammenhang stehende — Größe die Reihenfolge der Elemente bedingt. Hiervon wird auf S. 93ff., 106ff. und 997ff. die Rede sein. Bezüglich der bei Aufstellung des Periodensystems noch vorhandenen Lücken (S. 87f.) vgl. S. 107f.

2. Verbreitung der Elemente Die Verbreitung der im Periodensystem zusammengefaßten Elemente auf unserer Erde ist eine ganz unterschiedliche. So bestehen die uns zugänglichen Teile der Erdkugel („Erdhülle") — nämlich die Luft („Atmosphäre")1, das Meer („Hydrosphäre")*, die Tier- und Pflanzenwelt („Bios 6 7 8

Die 0. In der atmos hydor

und VIII. Gruppe sind miteinander identisch. Zusammenstellung der Elemente auf S. 88 sind diese Umstellungen bereits berücksichtigt. (ar/joc) = Dunst; sphaira (afalpa) = Kugel. (b'Sojp) = Wasser.

2. Verbreitung der Elemente

91

Sphäre")9 und eine etwa 16 k m ( = 10 Meilen) dicke S c h i c h t 1 0 ( „ E r d r i n d e " ) des äußeren Gesteinsmantels der Erde („Litho Sphäre")11 — zur Hälfte ihres Gewichts (50.5%) aus Sauerstoff und zu über einem Viertel (27.5%) aus Silicium. In das restliche Viertel teilen sich in der Hauptsache die Elemente AI, Fe, Ca, K, Na, Mg, H, Ti, N, Cl, C mit zusammen 2 1 . 6 2 % (Summe 99.62%):

Aluminium Eisen . . . . Calcium . . Kalium . . . Natrium . . Magnesium Wasserstoff Titan . . . . Stickstoff . Chlor . . . . Kohlenstoff

50.50 27.50 7.30 3.38 2.79 2.58 2.19 1.29 1.02 0.43 0.33 0.19 0.12 99.62 Gew.-%

Phosphor Fluor Mangan Schwefel Barium Strontium Zirkon Rubidium

.... ....

0.07 0.07 0.06 0.05 0.05 0.03 0.01 0.01 0.35 Gew.

während die übrigen 9 3 Elemente zusammen nur n o c h 0 . 3 8 % ausmachen, w o v o n der Hauptteil (0.35%) auf die Elemente P, F , Mn, S, Ba, Sr, Zr und Rb e n t f ä l l t 1 2 . Anschaulicher als die G e w i c h t s p r o z e n t e sind für den Chemiker die A t o m p r o z e n t e , welche die relativen A t o m h ä u f i g k e i t e n zum Ausdruck bringen. Bei dieser Betrachtungsweise rückt z. B. der leichte Wasserstoff an die d r i t t e Stelle, während die Reihenfolge der übrigen Elemente der obigen Tabelle weniger auffallende Änderungen erfährt. Ganz anders als auf der Erde ist die prozentuale Häufigkeit der Elemente im W e l t a l l , das zu 90 Atom-% aus Wasserstoff und zu 9 Atom-% aus Helium besteht, während die anderen Elemente (1%) demgegenüber verschwinden. Differenziertes Leben ist aber naturgemäß nur da möglich, wo v i e l e Elemente vorhanden sind, aus denen sich die komplizierten organischen Verbindungen aufbauen können. Aus Wasserstoff und Helium allein kann sich kein Leben entwickeln. Man unterscheidet beim Aufbau der Erdkugel gemäß Fig. 3 6 die „ E r d k r u s t e " (etwa 3 5 k m tief), den „ E r d m a n t e l " (bis zu einer Tiefe von 2 9 0 0 k m ) und den „ E r d k e r n " (Kugelradius von 3 5 0 0 km). Die E r d k r u s t e besteht wie die Erdrinde (s. oben) hauptsächlich aus Sauerstoff, Silicium und Aluminium, der E r d m a n t e l aus Silicatgesteinen v o n AI, Fe, Ca, K, Na, Mg; der aus Fe (90%) und N i (10%) aufgebaute E r d k e r n ist im i n n e r e n Teil (Radius von 1 4 0 0 k m ) f e s t (Druck v o n 1.5—3.5 Millionen atm, Temperatur kaum über 4 0 0 0 ° ) , im darum gelagerten ä u ß e r e n Teil (Schale v o n 2 1 0 0 k m Dicke) f l ü s s i g . Die Dichte nimmt v o n außen nach innen hin v o n 3 bis 9 g / c m 3 zu und ergibt eine Durchschnittsdichte der Gesamterde v o n 5 . 5 1 4 g / c m 3 . Nach A. Neuhaus besteht der Gesteinsmantel bis zu einer Tiefe von 400 km aus basischen Silicaten, die von dieser Tiefe ab bis etwa 2900 km in ein Gemisch von Oxiden übergehen, deren Kristallstrukturen sich infolge der hier herrschenden extrem hohen Drücke von den normalen Strukturen durch h ö h e r e K o o r d i n a t i o n s z a h l e n der Gitterbausteine und damit h ö h e r e D i c h t e n auszeichnen: vgl. etwa den bei hohen Drücken entstehenden Stishovit Si0 2 (Koordinationszahl 6 des Si; Dichte = 4.35 g/cm 3 ) mit dem unter Normaldruck beständigen Cristobalit Si0 2 (Koordinationszahl 4 des Si; Dichte = 2.32 g/cm 3 ). Unterhalb der 2900 km bis etwa 5000 km Tiefe ljegt nach Neuhaus eine flüssige, metallische, auch alles Sulfid enthaltende Phase vor, die ihrerseits den festen, metallischen Erdkern umgibt. 9

bios (/3io 10%: 10-1%: 1-10"'%: 10-l-10" 2 %: 10~2—10~3%: 10"3-10"4%: 10^-10" 5 %: 10~5—10~*%: 10"6-10"7%: 10"7-10"8%: 10~10—10_11%: 10" 14 -10" 16 %: 10~19—10~2I%: Spuren:

O, Si AI, Fe, Ca, K, Na, Mg, H Ti, N, Cl, C P, F, Mn, S, Ba, Sr, Zr, Rb V, Ce, Cr, Ar, Zn, La, Ni, Li, Yb, Y, Nd, B, Nb, Ga, Pb, Sc, Th, Co Br, Sm, Gd, Px, Dy, U, Er, Sn, Cu, Ta, Hf, Cs, As, Be, Ho, W, Ge, Tl, Eu, Tb, Mo, Lu J, Sb, Tm, Se, Hg, Cd Bi, In, Ne, Ag, Kr Pt, Pd, He, Au, Te Re, Ir, Os, Rh, Ru, Xe Ra, Pa Ac, Po, Np, Pu Rn, Fr Tc, At, Pm, Am, Transamericium-Elemente

12a Vgl. hierzu etwa R. G. Schwab: „Was wissen wir über die tieferen Schichten der Erde", Angew. Chem. 86 (1974), 612-624. 13 3 / 4 aller Elemente sind also Metalle, V4 Nicht- und Halbmetalle. 14 Vgl. hierzu etwa M. E. Weeks: „Entdeckung der Elemente", I. Chem. Educ. Publ. Company, Easton, Pa. 1968. Innerhalb jedes Bereichs sind die Elemente, soweit möglich, nach abnehmender Häufigkeit geordnet.

Kapitel VII.

Die chemische Bindung (Teil I)

Beim S t u d i u m der schon b e s p r o c h e n e n u n d n o c h zu b e s p r e c h e n d e n C h e m i e u n d Physik der E l e m e n t e u n d ihrer V e r b i n d u n g e n t a u c h e n für d e n a u f m e r k s a m e n Leser zahlreiche F r a g e n a u f . W a r u m sind z. B. die Edelgase so reaktionsträge u n d die im P e r i o d e n s y s t e m (S. 8 9 ) u n m i t t e l b a r b e n a c h b a r t e n H a l o g e n e u n d Alkalimetalle so r e a k t i o n s f r e u d i g ? W a r u m h a t N a t r i u m c h l o r i d die F o r m e l NaCl u n d n i c h t e t w a die Z u s a m m e n s e t z u n g N a 2 C l o d e r NaCl 2 u n d A m m o n i a k die F o r m e l N H 3 u n d n i c h t e t w a die Z u s a m m e n s e t z u n g N H 2 oder N H 4 ? W a r u m sind die Edelgase a t o m a r , andere Gase wie Chlor, S a u e r s t o f f u n d S t i c k s t o f f dagegen d i a t o m a r u n d der im P e r i o d e n s y s t e m b e n a c h barte Kohlenstoff polyatomar aufgebaut? Warum hat Phosphor zum Unterschied vom homologen S t i c k s t o f f N2 die F o r m e l P 4 , S c h w e f e l z u m U n t e r s c h i e d v o m h o m o l o g e n S a u e r s t o f f 0 2 die F o r m e l Sg u n d Siliciumdioxid z u m U n t e r s c h i e d v o m h o m o l o g e n m o n o m e r e n K o h l e n d i o x i d C 0 2 die hochp o l y m e r e F o r m e l ( S i 0 2 ) x ? W a r u m ist N a t r i u m c h l o r i d NaCl fest u n d nichtflüchtig, Chlorwassers t o f f HCl dagegen ein flüchtiges Gas? W a r u m leiten sich v o m N a t r i u m c h l o r i d NaCl S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n des T y p u s NaCIO, N a C 1 0 2 , N a C 1 0 3 u n d NaClC>4, dagegen keine der F o r m e l N a C 1 0 s , N a C 1 0 6 usw. ab? W a r u m dissoziiert N a t r i u m c h l o r a t in wässeriger L ö s u n g in die I o n e n Na + + C10 3 ~ u n d n i c h t e t w a in die I o n e n NaCl + + O3" o d e r NaCIO* + 0 2 ~ ? W a r u m leitet eine wässerige L ö s u n g o d e r eine S c h m e l z e v o n N a t r i u m c h l o r i d NaCl den elektrischen S t r o m , flüssiger Chlorwassers t o f f HCl als z u g r u n d e liegende S ä u r e dagegen nicht? W a r u m ist das dreiatomige H 2 0 - M o l e k ü l gewinkelt, das ebenfalls d r e i a t o m i g e C 0 2 - M o l e k ü l dagegen linear, das vieratomige C 1 0 3 - I o n pyramidal, das ebenfalls vieratomige N O j -Ion dagegen eben? A u f alle diese Fragen gibt u n s die „ E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z " eine einf a c h e u n d b e f r i e d i g e n d e A n t w o r t . Wir wollen u n s d a h e r im f o l g e n d e n e t w a s ausführlicher m i t den G r u n d l a g e n u n d Aussagen dieser T h e o r i e befassen, w o b e i wir zuvor auf den Bau der A t o m e — u n d zwar speziell d e n Bau der A t o m h ü l l e 1 — eingehen müssen. Der Anfänger wird vielleicht manche Abschnitte des vorliegenden Kapitels — insbesondere des bindungstheoretischen Teils — wegen noch mangelnder Stoffkenntnis beim ersten Studium nicht ganz erarbeiten können; er möge dann später, nach Aneignung des stofflichen Tatsachenmaterials, von Fall zu Fall wieder zu den hier behandelten Zusammenhängen zurückblättern.

1. Der Bau der Atome a) Das Bohr'sche Atommodell F u ß e n d auf E x p e r i m e n t e n u n d Ü b e r l e g u n g e n der Physiker A l b e r t Einstein ( 1 8 7 9 bis 1 9 5 5 ; N o b e l p r e i s Physik 1921), P h i l i p p L e n a r d ( 1 8 6 2 - 1 9 4 7 ; N o b e l p r e i s Physik 1905), Max P l a n c k ( 1 8 5 8 - 1 9 4 7 ; N o b e l p r e i s Physik 1918), Ernest R u t h e r f o r d ( 1 8 7 1 - 1 9 3 7 ; N o b e l p r e i s C h e m i e 1908), 1

Vom A t o m k e r n wird später (S. 99 7 ff.) ausführlicher die Rede sein.

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VII. Die chemische Bindung (Teil I)

Charles Thomson Rees Wilson (1869—1959; Nobelpreis Physik 1927) und anderer Naturforscher hat der dänische theoretische Physiker Niels Bohr (1885—1962; Nobelpreis Physik 1922) im Jahre 1913 ein A t o m m o d e l l entwickelt, das ein erstes anschauliches und brauchbares, wenn auch nach unseren heutigen Kenntnissen noch recht unvollkommenes (S. 755ff.) Bild vom Atombau vermittelte und die damals bekannten Experimentalbefunde befriedigend zu deuten vermochte. Gemäß dieser Bohrschen Theorie bestehen die Atome aus einem p o s i t i v g e l a d e n e n A t o m k e r n und einer n e g a t i v g e l a d e n e n A t o m h ü l l e . Der Atomkern (mittlere Dichte 2 X 10 1 4 g/cm 3 , entsprechend einem cm 3 -Gewicht von 200 Millionen Tonnen) befindet sich im Mittelpunkt des Atoms, besitzt in guter Näherung Kugelgestalt und verkörpert durchweg 99.95—99.98% der gesamten Masse des Atoms. Sein D u r c h m e s s e r beträgt durchschnittlich nur den etwa z e h n t a u s e n d s t e n T e i l (10~4) d e s D u r c h m e s s e r s d e s G e s a m t a t o m s , sein Volumen dementsprechend weniger als den billionten 2 Teil (10~ 12 ) des gesamten Atomvolumens. 1000 Kubikmeter ( = 10 1 2 m m 3 ) Eisen z. B. enthalten demnach weniger als 1 Kubikmillimeter Atomkerne mit einem Gewicht von rund 8000 Tonnen, während der übrige Raum von 1000 Kubikmetern, verglichen mit der Masse der Atomkerne, praktisch masseleer und nur von Kraftfeldern erfüllt ist. Der a b s o l u t e Durchmesser der Atomkerne 3 liegt in der Größenordnung von 1 0 1 1 mm, der der Atome in der Größenordnung von 1 Ä (10~7 mm), entsprechend einem Volumen in der Größenordnung 10~33 (Atomkern) bzw. 10" 21 (Atom) mm 3 . In einem Kubikmillimeter finden also 10 3 3 Atomkerne bequem Platz. Wie phantastisch groß diese Zahl ist, geht aus folgendem Z a h l e n b e i s p i e l hervor: Die Zahl der seit Christi Geburt bis auf den heutigen Tag vergangenen Sekunden ist nur ein w i n z i g e r B r u c h t e i l von 10 3 3 . Selbst wenn man für jede seit Beginn unserer Zeitrechnung verlaufene S e k u n d e einen Zeitraum von 1000 M i l l i a r d e n J a h r e n setzt (das Alter des Weltalls beträgt etwa 14 Milliarden Jahre), so beträgt die Zahl der in dieser unvorstellbar langen Zeitspanne verflossenen S e k u n d e n erst rund den t a u s e n d s t e n T e i l (!) der in einem Kubikmillimeter unterzubringenden Zahl von 10 3 3 Atomkernen. Es ist eine bewundernswerte Leistung des Physikers und Chemikers, daß er nicht nur von der E x i s t e n z solch winziger Atomkerne weiß, sondern daß er auch genauestens die zugehörigen M a s s e n und den inneren A u f b a u dieser — ihrerseits aus noch kleineren Partikeln aufgebauten (S. 997 ff.) — Teilchen kennt und die ihnen innewohnende Energie praktisch auszunutzen versteht (S. 1061 ff.). Die positive L a d u n g des Atomkerns ist stets e i n g a n z e s V i e l f a c h e s einer „Elementarladung" e von 1.60219 X 10" 19 Coulomb ( = 4.80298 X 10" 10 elektrostatischen Einheiten), die sich aus elektrolytischen und anderen Versuchen (vgl. S. 162) ableiten läßt. Bemerkenswert ist dabei, d a ß j e d e s c h e m i s c h e E l e m e n t durch eine g a n z b e s t i m m t e A n z a h l solcher positiver Einheitsladungen je Atomkern charakterisiert ist. Und zwar variiert die „Kernladungszahl" nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse von 1 bis 106, entsprechend 106 bis jetzt bekannten verschiedenen Elementen (vgl. S. 774ff., 993 ff.). So ist etwa ein Atom mit 8 Kernladungen stets ein Sauerstoffatom, ein Atom mit 17 Kernladungen stets ein Chloratom. Atomhülle. Da die Atome nach außen hin neutral erscheinen, muß die p o s i t i v e Ladung jedes Atomkerns durch eine entsprechende Menge n e g a t i v e r Elektrizität kompensiert werden. Dies geschieht dadurch, daß eine der Zahl Z der positiven Kernladungen gleiche Anzahl 2 1 Million = 10 6 , 1 Milliarde = 10 9 , I Billion = 10 1 2 , 1 Billiarde = 1 0 l s , 1 Trillion = 10 1 8 , 1 Trilliarde = 10 2 1 . In Amerika wird mit 1 Billion diejenige Zahl bezeichnet, die wir 1 Milliarde nennen (10 9 ), während unsere Billion (10 1 2 ) dort Trillion heißt. Die Bezeichnungen Milliarde, Billiarde, Trilliarde kommen im amerikanischen Sprachbereich nicht vor. 3 Der Durchmesser d der Atomkerne variiert gemäß der Beziehung d = 2.8 X 10" 12 X A 1 ' 3 mm (A = Atomgewicht = 1 bis 260) von 2.8 bis 17.6 X IGT12 mm, entsprechend einem Durchschnitt von 10 X ltT 1 2 = 10" 11 mm (vgl. S. 1008).

1. Der Bau det Atome

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Z von „Elektronen" 4 den Atomkern in Form einer _A t o m h ü 11 e (0.02—0.05% der Gesamtmasse des Atoms; Dichte — 2 X 10"4 X Z g/cm 3 ) umgibt. Jedes dieser Elektronen weist eine negative Einheitsladung von 1.60219 X 10~19 Coulomb auf und besitzt ein gegenüber dem Atomgewicht des Kerns (1 bis 260) verschwindendes Atomgewicht von 0.000548597 (bezogen auf 12 C = 12) s . Der Durchmesser des Elektrons liegt in der Größenordnung von 10~12 mm, das Volumen dementsprechend in der Größenordnung von 10~36 mm 3 , entsprechend einem lOmal (Durchmesser) bzw. 1000 mal (Volumen) kleineren Wert als beim Atomkern. In der auf S. 97 folgenden Tabelle, die mit der früher (S. 88) wiedergegebenen Anordnung der Elemente nach w a c h s e n d e m A t o m g e w i c h t übereinstimmt und auf die wir noch ausfuhrlicher zu sprechen kommen (S. 96 ff.), sind die Elemente nach s t e i g e n d e r K e r n l a d u n g s - u n d E l e k t r o n e n z a h l ihrer Atome angeordnet. Danach weist z. B. der Kern des Wasserstoffatoms 1 positive Ladung auf, die durch 1 negatives Elektron in der Außenhülle kompensiert wird; das Phosphoratom besteht aus einem Atomkern mit 15 positiven Ladungen und aus 15 Elektronen in der Atomhülle usw. Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der Elemente hängen gesetzmäßig mit dem B a u d e r E l e k t r o n e n h ü l l e („Elektronenwolke") zusammen. Die Kenntnis dieses Aufbaus, der wir uns jetzt zuwenden, ist daher die notwendige Voraussetzung für ein Verständnis des chemischen Verhaltens der Elemente und ihrer Bindungsverhältnisse.

b) Die Elektronenhülle Die Elektronen der Atomhülle umgeben den Atomkern nicht regellos, sondern verteilen sich g e s e t z m ä ß i g auf insgesamt 7 r ä u m l i c h e „Schalen", die von innen nach außen als 1., 2., 3. Schale usw. (Schale der ,JJauptquantenzahl" n= 1, 2 , 3 usw.) oder mit den Buchstaben K bis Q des Alphabets als K-, L-, M-Schale usw. bezeichnet werden. Man nahm früher mit Bohr an, daß die Elektronen in diesen Schalen planetengleich auf gegebenen „Bahnen" 6 um den Kern als „Sonne" rotieren 7 . Heute ist man von diesem anschaulichen Modell notgedrungen wieder abgekommen (vgl. S. 755 ff.), da es mit vielen Tatsachen in Widerspruch steht. Im Prinzip kann man sich aber immer noch des anschaulichen Schalertmodells bedienen, wenn man sich dabei nur dessen bewußt bleibt, daß die verschiedenen „Elektronenschalen" lediglich bildliche Symbole für verschiedene Energiezustände der Elektronen (nach der „Wellenmechanik" für verschiedene dreidimensionale Schwingungszustände der Elektronenwolken) darstellen (S. 755 ff.). Jede Schale vermag im Maximum 2 • n2 Elektronen aufzunehmen (vgl. S. 743 f.). Die innerste, e r s t e Schale (n = 1) ist demnach nach Einbau von 2 • l 2 = 2, die nächstäußere, z w e i t e 4 Die Bezeichnungen „Elektron", „Elektrizität" usw. stammen daher, daß Bernstein — griech. elektron (?l\eKTpov) —, wie schon im Altertum bekannt war, nach Reiben mit einem Fell leichte Körper (z. B. Holundermark-Kügelchen) anzieht, also nach unseren heutigen Kenntnissen „elektrisch" aufgeladen ist. William Gilbert (1540—1603) entdeckte, daß diese Eigenschaft des Bernsteins auch anderen Stoffen, z. B. Glas, zukommt (das nach Reiben mit Seide Kräfte ausstrahlt, die denen des Bernsteins entgegengesetzt sind). Er prägte dafür die Namen „Elektrizität" und „elektrisiert" („gebernsteint"). Die Reibungselektrizität war bis in das 17. Jahrhundert die allein beachtete elektrische Erscheinung. 1747 führte Benjamin Franklin (1706—1790) die Bezeichnung „positive" Elektrizität für die G l a s elektrizität und „negative" Elektrizität für die H a r z elektrizität ein. s Die Ruhemasse des Elektrons beträgt 9.109601 X 10" 28 g. 6 Nach Bohr sind nur solche Bahnen vom Radius r „erlaubt" („stationäre Elektronenzustände"), für die der Drehimpuls m • v • r des Elektrons (m = Masse, v = Geschwindigkeit) gleich h/2-n (h = Plancksches Wirkungsquantum; S. 245) oder einem ganzen Vielfachen davon ist („Impulsquantelung" des Bohi'schen Atommodells). Nur so ließ sich das Atom-Linienspektrum des Wasserstoffs (vgl. S. 54 f.) deuten (S. 101 ff.). 7 So sollte z. B. im Wasserstoffatom das Elektron den Kern im Grundzustand in einem Abstand von 0.529 A mit einer unvorstellbar großen Geschwindigkeit von 2180 km/sec rund 10 1 5 mal je Sekunde auf einer Kreisbahn umlaufen, da dann die Zentrifugalkraft m • v2/r des rotierenden Elektrons auf seiner nach Anmerkung 6 festgelegten Bahn die Coulombsche (elektrostatische) Anziehungskraft e2/r2 des Kerns auf das Elektron (e — Elementarladung) kompensiert. Das Wasserstoffatom besitzt damit die Gestalt einer Kreisscheibe („Scheibenmodell" des Wasserstoffs). Hierzu und zu den Einwendungen gegen das Bohr'sche Atommodell vgl. S. 755 f.

96

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

Schale (rt = 2) nach Aufnahme von 2 • 2 2 = 8 Elektronen gesättigt usw. Zur Unterteilung dieser Schalen in U n t e r s c h a l e n oder „Niveaus" (s-,p-, d-, f-„Orbitale") y^. S. 100,120 und. 743 f. Nebenstehende Tabelle gibt für die nach steigender Kernladungszahl angeordneten Elemente die Verteilung der Elektronen auf die verschiedenen Elektronenschalen wieder 8 . Vor jedem Elementnamen ist die Kernladungszahl und das Elementsymbol angegeben. Wir ersehen daraus (vgl. hierzu das „Gekürzte Periodensystem" der Elemente auf S. 89) folgendes: Das Elektron des W a s s e r s t o f f atoms befindet sich in der innersten, ersten Schale. Das gleiche gilt für die beiden Elektronen des H e l i u m atoms. Damit ist die 1. Schale bereits v o l l a u f g e f ü l l t (2 • l 2 = 2). Mit dem nächsten Element, dem L i t h i u m , beginnt der Aufbau der 2. Schale. Da diese insgesamt 8 Elektronen aufzunehmen vermag (2 • 2 2 = 8), ist sie erst nach 8 E l e m e n t e n , also beim N e o n abgeschlossen. Das nächste Elektron tritt in die 3. Schale ein (N a t r i u m). Diese erreicht dann beim A r g o n mit 8 Elektronen einen vorläufigen Abschluß. Sie ist zwar mit 8 Elektronen n o c h n i c h t g e s ä t t i g t , da ihre Maximalzahl an Elektronen 2 • 3 2 = 18 beträgt; aber die Zahl 8 stellt — wie aus der maximalen Elektronenzahl 8 der 2. Schale hervorgeht — eine s t a b i l e Z w i s c h e n s t u f e der Elektronenanordnung dar. Mit dem K a l i u m und C a l c i u m (Ausbildung einer Zweier-Außenschale wie beim Helium) beginnt die Bildung der 4. Schale. Dann folgen 10, in der Tabelle nicht aufgeführte, sondern nur durch eine punktierte Linie angedeutete „ Übergangselemente" (Kernladungszahl 21 bis 30), bei denen die Elektronenzahl der noch unvollständig gebliebenen 3. Schale von 8 auf die Sättigungszahl 18 ergänzt wird. Das G a l l i u m setzt dann die vorher begonnene Besetzung der 4. Schale fort, die beim K r y p t o n mit der schon erwähnten stabilen Zwischenanordnung von 8 Elektronen ihren vorläufigen Abschluß findet. R u b i d i u m und S t r o n t i u m (Ausbildung einer „Helium"-Außenschale als Zwischenschale) eröffnen den Aufbau der 5. Schale. Dann erfolgt wie zuvor durch 10 in der Tabelle nicht aufgeführte Übergangselemente (Kernladungszahl 39 bis 48) die Auffüllung der noch unvollständig gebliebenen nächstinneren 4. Schale von der Zahl 8 auf die n ä c h s t s t a b i l e , aber noch n i c h t m a x i m a l e (für n = 4 ist 2 • « 2 = 32) Zahl von 18 Elektronen. Dann erst wird wieder durch die Elemente I n d i u m bis X e n o n die 5. Schale bis zur Elektronenzahl 8 ergänzt. Mit dem C a e s i u m und B a r i u m (,,Helium"-Zwischenschale) beginnt die 6. Schale. Durch 10 + 14 = 24, in der Tabelle fortgelassene Übergangselemente (Kernladungszahl 57 bis 80) wird anschließend die 5. Schale von 8 auf 18 und die 4. Schale von 18 auf 32 Elektronen ergänzt, so daß erst mit dem T h a l l i u m der Weiterausbau der seit dem B a r i u m unverändert gebliebenen 6. Schale bis zur Elektronenzahl 8 (R a d o n ) erfolgt. Die Elemente 87 ( F r a n c i u m ) und 88 ( R a d i u m ) („Helium"-Zwischenschale) eröffnen die 7. Schale. Die folgenden, in der Tabelle nicht aufgeführten 10 + 14 = 24 Übergangselemente (Kernladungszahl 89 bis 112) bauen ihre neu hinzukommenden Elektronen in der noch ungesättigten 5. und 6. Schale ein. Man kennt von diesen 24 Elementen bis jetzt allerdings erst 18, da die Elemente mit wachsender Kernladungszahl immer instabiler werden und vom Polonium ab (Atomnummer 84) „radioaktiv" zerfallen (S. 1017ff.). Mit den Elementen 104 (Rutherfordium), 105 (Hahnium) und 106 (Eka-Wolfram) bricht daher zur Zeit die Reihe der Elemente und damit der Ausbau der 5., 6. und 7. Schale ab. Auf das Element 112 würden, wie man voraussagen kann, 6 Elemente (Kernladungszahl 113 bis 118) folgen, die gemäß der Tabelle die Elektronenzahl der 7. Schale von 2 auf 8 ergänzten. Element 118 wäre also wieder ein Edelgas (Eka 9 -Radon) (vgl. S. 224). In der 8. und 9. Periode entsprächen den Elementen F i und Ra der 7. Periode die Elemente 119, 120 bzw. 169, 170, den Elementen Eka-Tl bis Eka-Rn die Elemente 1 6 3 - 1 6 8 (168: Edelgas) bzw. 2 1 3 - 2 1 8 (218: „Edelflüssigkeit") (vgl. S. 746). 8 Über die Elektronenanordnung der in der Tabelle ausgelassenen Elemente (punktierte Linien) und ihre Einordnung in das Periodensystem wild auf S. 744ff. und S. 993ff. näher berichtet. 9 Zur Bezeichnung Eka vgl. Anmerkung 39 auf S. 253.

1. Der Bau der Atome

Elemente

97

1. Schale

(»>

2. Schale

(», P)

8. Schale 4. Schale («, p, d)

5. Schale {»,P,d,ñ

6. Schale 7. Schale («, p, d) (». P)

1 H Wasserstoff 2 He Helium Li Be B C N O F 10 Ne

Lithium Beryllium Bor Kohlenstoff Stickstoff Sauerstoff Fluor Neon

11 12 13 14 15 16 17 18

Na Mg AI Si P S Cl Ar

Natrium Magnesium Aluminium Silicium Phosphor Schwefel Chlor Argon

19 20 31 32 33 34 35 36

K Ca Ga Ge As Se Br Kr

Kalium Calcium Gallium Germanium Arsen Selen Brom Krypton

37 38 49 50 51 52 53 54

Rb Sr In Sn Sb Te J Xe

Rubidium Strontium Indium Zinn Antimon Tellur Jod Xenon

55 56 81 82 83 84 85 86

Cs Ba T1 Pb Bi Po At Rn

Cäsium Barium

87 F r 88 R a (113) (114) (115) (116) (117) (118)

18 18 18 18 18 18

Thallium Blei Wismut Polonium Astat Radon

18 18 32 32 32 32 32 32

18 18 18 18 18 18

Francium Radium (Kka-Tlj (Eka-Pb) (Eka-Bi) (Eka-Po) (Eka-At (Eka-Rn)

32 32 32 32 32 32 32 32

18 18 "32 32 32 32 32 32

Fig. 3 7 gibt die Elektronenverteilung für die Elemente Lithium bis Chlor, also die beiden ersten Achterperioden des Periodensystems, b i l d l i c h einer waagerechten E l e m e n t p e r i o d e

wieder. Wir sehen daraus, daß innerhalb

der Atomradius entsprechend der wachsenden Anzie-

hung des positiven Kerns auf die negative Elektronenhülle mit steigender Kernladung abnimmt

98

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

(Li > Be > B usw.). Innerhalb einer senkrechten Element g r u p p e nimmt dagegen der Atomradius mit steigender Kernladung zu (Li < Na < K usw.), weil beim Fortschreiten vom einen zum nächsten Gruppenglied eine neue Elektronenschale hinzukommt. Beim Übergang eines Atoms in den p o s i t i v geladenen Zustand ( K a t i o n bildung durch Elektronen a b g a b e) wird der Teilchenradius infolge der stärkeren Anziehung des Kerns auf eine kleinere Elektronenzahl k l e i n e r , beim Übergang in den n e g a t i v geladenen Zustand (A n i o n bildung durch Elektronen a u f n ä h m e ) wegen der stärkeren gegenseitigen Abstoßung einer erhöhten Zahl von Elektronen g r ö ß e r (vgl. hierzu Fig. 38). So ist im Kristallgitter (S. 1 lOf.) das N a t r i u m i o n Na+ (Ionenradius 0.95 Ä) etwa so groß wie das C h 1 o r - a t o m C1 (Atomradius 0.99 Ä) und das C h l o r - i o n Cf (Ionenradius 1.81 Ä) etwa so groß wie das N a t r i u m - a t o m Na Mtron^

iSchole ' Z.Schalt sjüdiale'

Elektron.

Na

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Si

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Fig. 37. Elektronenschalcn und relative Atomradien der Elemente Lithium bis Chlor



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1. Der Bau der Atome

99

(Atomradius 1.86 Ä), so daß im Ionengitter des Natriumchlorids Na + Cf (vgl. Fig. 44, S. 112) das Chlor-ion C f wesentlich größer ist als das Natrium-ion Na + (fast doppelt so großer Ionenradius). Bei isoelektronischen Ionen steigt erwartungsgemäß der Ionenradius von den Kationen zu den Anionen hin, und zwar bei den Kationen mit abnehmender, bei den Anionen mit zunehmender Ladung des Ions: Ca 2 + < K * < Cl" < S 2 ". Vergleicht man die in der Tabelle auf S. 97 wiedergegebenen E l e k t r o n e n a n o r d n u n g e n der Atome mit dem auf Grund des c h e m i s c h e n V e r h a l t e n s der Elemente aufgestellten „Gekürzten Periodensystem" (S. 89), so stellt man fest, daß die zu einer G r u p p e des Systems gehörenden, also chemisch einander ähnlichen Glieder jeweils die g l e i c h e Z a h l v o n „Außenelektronen" aufweisen. Daraus geht hervor, daß die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der Atome u n d damit auch der aus diesen Atomen aufgebauten Elemente in der Hauptsache durch die in der ä u ß e r s t e n Elektronenschale enthaltenen Elektronen bedingt werden. Die g r a d u e l l e n A b s t u f u n g e n der Elemente i n n e r h a l b einer solchen Gruppe beruhen auf der Verschiedenheit von Zahl und Bau der i n n e r e n Schalen u n d dem dadurch gegebenen unterschiedlichen Radius der äußersten Schale. Da — wie aus der Tabelle ersichtlich — die Zahl der Außenelektronen nur zwischen 1 u n d 8 variiert, gibt es auch nur a c h t g r o ß e G r u p p e n von Elementen. Die auf Grund der chemischen Eigenschaften vollzogene Einordnung der Elemente in 8 Gruppen eines Periodensystems (S. 8 9 f . ) findet also durch die Lehre vom Atombau ihre t h e o r e t i s c h e E r k l ä r u n g . Damit gewinnen zugleich auch die dort nur zur G r u p p e n - , P e r i o d e n - u n d A t o m N u m e r i e r u n g benutzten Zahlen eine tiefere Bedeutung. Die über u n d unter einer senkrechten G r u p p e stehende römische Zahl stellt nicht einfach nur die Gruppennummer der betreffenden Elementfamilie dar, sondern gibt zugleich die Z a h l d e r A u ß e n e l e k t r o n e n in den Atomen dieser Gruppe wieder. Die links und rechts neben einer waagerechten P e r i o d e angegebene arabische Zahl bedeutet nicht einfach nur die Periodennummer der betreffenden Elementreihe, sondern gibt zugleich an, i n d e r w i e v i e l t e n Elektronenschale sich die durch die römische Gruppenziffer angegebene Anzahl von Außenelektronen befindet. Die über jedem E l e m e n t s y m b o l verzeichnete Ordnungszahl schließlich stellt nicht einfach nur die Atomnummer des betreffenden Elements dar, sondern gibt zugleich die Zahl der Kernladungen 1 0 u n d damit auch die G e s a m t z a h l d e r E l e k t r o n e n in der Atomhülle wieder. So läßt sich z. B. aus dem Gekürzten Periodensystem (S. 89) ohne weiteres ablesen, daß z. B. das Strontium 2 Außenelektronen in der 5. Schale bei einer Gesamtzahl von 38 und das Chlor 7 Außenelektronen in der 3. Schale bei einer Gesamtzahl von 17 Elektronen besitzt. Man unterscheidet bei den 8 Elektronen der z w e i t e n Schale noch zwischen zwei „ s-Elektronen" (Elektronen der „Nebenquantenzahl" (S. 744) / = 0) und sechs „p-Elektronen" (Elektronen der Nebenquantenzahl / = 1), indem sich die 8 Elektronen auf zwei Unterschalen, nämlich eine mit 2 Elektronen abgesättigte „s-Bahn" („s-Orbital")il und drei ebenfalls mit je 2 Elektronen abgesättigte, etwas energiereichere „p-Bahnen" („p-Orbitale") verteilen (vgl. hierzu S. 743 f.). In analoger Weise sind die 18 Elektronen der d r i t t e n Schale auf ein s-, drei p- und fünf ¿-Orbitale, die 32 Elektronen der v i e r t e n Schale auf ein s-, drei p-, fünf d- und sieben /-Orbitale verteilt, die alle je 2 Elektronen (von entgegengesetztem Spin; S. 744) aufnehmen können (S. 743f.). Nach dem „Prinzip der größten Multiplizität" erfolgt die fortschreitende Besetzung der Orbitale mit Elektronen so, daß nach Auffüllung des s-Orbitals mit 2 Elektronen die nachfolgenden Elektronen jedes der drei p-Orbitale zunächst einmal e i n f a c h , dann erst p a a r i g besetzen12. So verteilen sich z. B. die 10 Maßgeblich für die Aufeinanderfolge der Elemente ist also nicht das A t o m g e w i c h t , wie auf S. 88 vereinfacht angenommen, sondern die K e r n l a d u n g s z a h l (vgl. S. 94). Beide verlaufen allerdings, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (S. 90), symbath. 11 Da der auf Bohr zurückgehende Ausdruck „Elektronen-B a h n " der Beschreibung des Elektronenzustandes eines Atoms in neuerer Sicht nicht mehr gerecht wird, hat man das Wort „Bahn" (engl.: orbit) durch den Ausdruck „bahnartiger Zustand" (im englischen Schrifttum: orbital) ersetzt. — Zum Orbital-Begriff vgl. etwa C. K. Jörgensen: „Orbitale in Atomen und Molekülen", Academic Press, New York 1962. 12 In analoger Weise erfolgt z. B. die Besetzung der s-, p- und ¡¿-Orbitale in der d r i t t e n Hauptquantenschale so, daß zuerst die energiearmste s-, dann die drei Orbitale der energiereicheren p- und schließlich die fünf Orbitale der energiereichsten (/-Unterschale gruppenweise zunächst einmal einfach, dänn paarig mit Elektronen aufgefüllt werden.

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

100

5 Außenelektronen des S t i c k s t o f f s oder P h o s p h o r s derart, daß 2 Elektronen im ^Orbital und je 1 Elektron in den drei p-Orbitalen enthalten sind, während von den 6 Außenelektronen des S a u e r s t o f f s oder S c h w e f e l s 2 das s-, 2 weitere das erste p-Orbital und die 2 verbleibenden je eines der beiden restlichen p-Orbitale besetzen. Die s-, p-, d- und /-Orbitale der verschiedenen Schalen werden je nach deren H a u p t q u a n t e n z a h l (S. 95) als ls-, 2s-, 3s- bzw. 2p-, 3p- bzw. 3 d-, 4 d- bzw. 4/-, 5/-Orbitale usw. voneinander unterschieden, wobei die vorgesetzte Zahl die Hauptquantenzahl (Schalennummer) wiedergibt. Die jeweils im s-, p-, d- und /-Energieniveau vorhandene Elektronenzahl n eines Atoms wird durch einen hochgestellten Index zum Ausdruck gebracht: s n bzw. p n bzw. dn bzw. So gilt beispielsweise für die Konfiguration der 5 Außenelektronen des Stickstoffs (s. oben) das Symbol 2s 2p 3 , während dem homologen Phosphor das analoge Symbol 3s 2 3p 3 und dem homologen Arsen das Symbol 4 s 2 4 p 3 zukommt. Die Gesamt-Elektronenkonfiguration des Arsens wäre durch den Ausdruck I i 2 | 2s 2 , 2p 6 | 3s 2 3p 6 3 l^lvor-

1. Der Bau der Atome

101

l^lnach — I ^Ivor u n ( * damit auch nur ganz b e s t i m m t e F r e q u e n z e n v möglich („Frequenzbedingung" des Bohrschen Atommodells). So erklärt sich das Linienspektrum (S. 54f.) der Atome. Das bei der energetischen (z. B. thennischen, elektrischen oder optischen) Anregung von Atomen e m i t t i e r t e Linienspektrum wird auch „Emissionsspektrum" genannt. Führt man die zur Anregung erforderliche Energie in Form von w e i ß e m , d. h. ein k o n t i n u i e r l i c h e s S p e k t r u m ergebendem L i c h t zu, so werden die einzelnen Anregungsbeträge (1) diesem Licht entnommen. Dementsprechend treten in dem kontinuierlichen Spektrum des weißen Lichtes bei denjenigen Wellenlängen (Frequenzen), die vom Atom verschluckt („absorbiert") werden, „Absorptionslinien" als d u n k l e L i n i e n auf sonst k o n t i n u i e r l i c h e m G r u n d e a u f („Absorptionsspektrum"). Gemäß Beziehung (1) kann naturgemäß jeder Stoff nur Licht dergleichen Frequenzen (Wellenlängen) absorbieren, die er selbst zu emittieren vermag („Kirchhoffsches Gesetz der Absorption und Emission"). So emittiert beispielsweise angeregter N a t r i u m d a m p f eine charakteristische, bei 5893 A gelegene g e l b e Doppel-Linie 17 („D-Linie"). Betrachtet man dementsprechend Natriumdampf in der D u r c h s i c h t , so erscheint er uns p u r p u r f a r b e n , da er vom weißen Licht alles bis auf das genannte Gelb hindurchläßt und daher die K o m p l e m e n t ä r f a r b e zu Gelb zeigt. Die Tatsache, daß sich unter den Absorptionslinien des kontinuierlichen S o n n e n s p e k t r u m s („Fraunhofersehe Linien") auch die D-Lirtie des Natriums befindet, beweist, daß die Sonnenatmosphäre u. a. N a t r i u m d a m p f enthält. In dieser Weise kann uns die „Spektralanalyse" Aufschluß über die Zusammensetzung der S o n n e und der F i x s t e r n e geben. Das vom Natriumdampf aus weißem Licht absorbierte und daher in der Durchsicht im sonst lückenlosen Spektrum fehlende Licht wird in Form eines gelben L e u c h t e n s (Wellenlänge 5893 A) des Natriumdampfes nach allen Richtungen herausgestreut („Fluoreszenz")1*. In derselben Weise vermögen auch viele andere Stoffe bei Anregung durch Bestrahlung zu „fluoreszieren". Dabei braucht nicht immer wie im Falle des Natriumdampfes nur eine e i n z i g e (Doppel-)Linie ausgestrahlt zu werden. Vielmehr kann die Rückkehr des angeregten Atoms in den Grundzustand auch über m i t t l e r e E n e r g i e z u s t ä n d e hinweg erfolgen, so daß ein ganzes „Fluoreszenzspektrum" ausgestrahlt wird. Naturgemäß besitzt dieses bei der Fluoreszenz ausgestrahlte Licht kleinere Frequenzen (größere Wellenlängen) als die erregende, absorbierte Strahlung („Gesetz von Stokes"). Klingt die Fluoreszenz nicht — wie dies bei G a s e n und D ä m p f e n durchweg der Fall ist — s e h r r a s c h (S. 100), sondern verhältnismäßig l a n g s a m ab, so spricht man von , Phosphoreszenz"1*. Diese Art der „langsamen Fluoreszenz" trifft man in der Regel bei f e s t e n Stoffen an, z. B. beim Calciumsulfid (vgl. S. 697). Man unterscheidet somit bei Lumineszenz 1 '-Erscheinungen zwischen Fluoreszenz (Leuchten nur während der Erregung) und Phosphoreszenz (allmähliches Abklingen des Leuchtens nach Abschaltung der Erregung).

Die Energiedifferenzen eines Elektrons zwischen zwei benachbarten Schalen eines Atoms nehmen mit w a c h s e n d e m R a d i u s der Schalen, also zunehmender Entfernung des Elektrons vom Kern, ab (vgl. S. 100). Daher haben die beim Elektronensprung eines angeregten ä u ß e r e n Elektrons ausgesandten Spektrallinien eine k l e i n e r e F r e q u e n z v (größere Wellenlänge X) als die beim entsprechenden Elektronensprung zwischen i n n e r e n , kernnäheren Schalen ausgestrahlten Linien. So erklärt es sich, daß die im ersten Fall bedingten „äußeren" Spektren im energieärmeren i n f r a r o t e n ( \ > 10 3 ' 9 Ä), s i c h t b a r e n ( \ = 10 3 ' 9 - 10 3 ' 6 = 3900 - 7900 Ä) oder u l t r a v i o l e t t e n (X < 10 3 ' 6 Ä) Gebiet liegen („optische Spektren"), während die durch Elektronensprünge im Innern der Atomhülle verursachten „inneren" Spektren dem Gebiet der viel kurzwelligeren, energiereicheren Rx> n t g e n s t r a h l e n (X = 10"1 — 101 Ä) angehören („Röntgenspektren"). Wir besprechen im folgenden zunächst die ersteren und dann die letzteren, und zwar in einfachster Form. Bezüglich einer verfeinerten Darstellung vgl. die Lehrbücher der physikalischen Chemie. a) Die optischen Spektren Der einfachste Fall eines Atoms liegt dann vor, wenn ein e i n z e l n e s Elektron einem positiv geladenen Atomkern zugeordnet ist 20 . Dies ist z. B. der Fall bei einem n e u t r a l e n W a s s e r s t o f f a t o m H oder bei einem p o s i t i v g e l a d e n e n H e l i u m i o n He+ 17

Genaue Wellenlänge: 5889.953 und 5895.923 A (vgl. S. 714). Zur Bezeichnung Fluoreszenz und Phosphoreszenz vgl. Anmerkung 20 auf S. 247.>. lumen (lat.) = Licht (vgl. Anm. 151, S. 429). 20 In diesem Fall entfällt bei den einzelnen Schalen der Hauptquantenzahl n eine Unterteilung in energieverschiedene Niveaus des Typus s, p, d usw., so daß die Spektren einfacher werden. 18 19

102

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

(d. h. einem Heliumatom, dem man — etwa unter der Einwirkung eines starken elektrischen Funkens — ein Elektron entrissen hat) oder bei einem d o p p e l t p o s i t i v g e l a d e n e n — d. h. zweier Elektronen beraubten — L i t h i u m i o n Li2* usw. Die E n e r g i e die frei wird, wenn dieses einzelne, negativ geladene Elektron aus „unendlicher" Entfernung dem positiv geladenen Atomkern genähert und auf eine Elektronenschale vom Radius r gebracht wird (Orbitalenergie; vgl. S. 100) ist p r o p o r t i o n a l der K e r n l a d u n g Z des Atomkerns und u m g e k e h r t p r o p o r t i o n a l dem Radius r: \E\ = k • —. r

(2)

Der Proportionalitätsfaktor k hat dabei, wenn \E\ in cal und r in cm ausgedrückt wird, den Zahlenwert 2.755 X 10~27. Nun sind nach der Theorie von Bohr (abgeleitet aus den Atomspektren) nur ganz b e s t i m m t e E l e k t r o n e n s c h a l e n mit b e s t i m m t e m R a d i u s r möglich; und zwar verhalten sich in dem hier behandelten einfachsten Fall der Zuordnung eines einzelnen Elektrons zu einem positiven Atomkern die R a d i e n r der n-ten = 1., 2., 3. usw. Schale bei g e g e b e n e r K e r n l a d u n g s z a h l wie die Q u a d r a t e d e r Z a h l e n n (also wie 1 : 4 : 9 usw.) 21 und bei g e g e b e n e r S c h a l e n umgekehrt wie die K e r n l a d u n g s z a h l e n Z:

Der Proportionalitätsfaktor k' hat dabei in diesem Falle, wenn r wieder in cm ausgedrückt wird, den Wert 5.293 X 10"9. Damit ergibt sich für die oben genannte Energie \E\, wie durch Einsetzen von (3) in 2 folgt, die Beziehung 72 n2

k k oder „

72

(4)

wobei k" = ~ den Zahlenwert 5.206 X 10"19 besitzt ( | £ | in cal). k Um diesen Energiewert \E\ nimmt also der Energiegehalt eines Elektrons ab, wenn es von außen her (Orbitalenergie ¿T« = 0) in Auswirkung der Atomkern-Anziehung auf die n-te Schale eines Atoms der Kernladungszahl Z (Orbitalenergie E n ) gebracht wird. Die bei einem Elektronensprung von einem weiter außen liegenden Ausgangsorbital (Orbitalenergie Evot) zu einem weiter innen gelegenen Endorbital (Orbitalenergie ¿¿"nach) freiwerdende Energie ist naturgemäß gleich der Differenz beider Orbitalenergien 22 : l^lnach— l^lvor-

(5)

21 Im Falle des Wasserstoffatoms haben die Radien rn (n = Hauptquantenzahl) die Werte rl = 0.53 („Bohrscher Radius" a 0 i genauester derzeitiger Wert (S. 1186): 0.52917706 Ä), r2 = 2.12, r3 = 4 . 7 6 , r 4 = 8,47, rs = 13,23, r6 = 19.05 = 22 Vgl. Anm. 16 auf S. 100.

103

1. Der Bau der Atome

Beim Einsetzen von (4) folgt hieraus: l^lnach ~ l^lnach -

'

'

1

1 "nach

(6)

"vor

Bei Berücksichtigung von (1) fuhrt dies zur Beziehung h • v = h • ^ = k" • Z2



i

"nach

oder

1_ "vor

)

)

(7)

(v„ = Wellenzahl; S. 55). Die darin vorkommende Konstante R =

k"

1.097 X 10 s (c = Lichtgeschwindigkeit)

h • c

haben wir beim W a s s e r s t o f f , bei dem Z = 1 ist, schon als „Rydbergsche Konstante" (S. 55) kennengelernt. Wie die Werte von « n a ch und n v o t in den dort wiedergegebenen Serienformeln zeigen, erklärt sich die „ L y m a n - S e r i e " durch Elektronensprünge aus der 2., 3., 4., 5. usw. Schale in die 1. S c h a l e 2 3 , die „ B a l m e r - S e r i e " durch Elektronensprünge aus der 3., 4., 5. usw. Schale in die 2. S c h a l e , die „Paschen-Serie" durch Elektronensprünge aus der 4., 5. usw. Schale in die 3. S c h a l e und so fort (vgl. Fig. 39). Die der S e r i e n g r e n z e (S. 55) der einzelnen

Fig. 39. Zustandekommen der verschiedenen Serien des Wasserstoffspektrums

Serien entsprechende Energie gibt die beim Einfangen eines aus „unendlicher" Entfernung kommenden Elektrons (n v o r = in der n-ten Schale («nach = n ) f r e i w e r d e n d e und damit umgekehrt zur v ö l l i g e n L o s l ö s u n g des Elektrons aus der n-ten Schale des Atomverbands a u f z u w e n d e n d e Energie wieder (vgl. S. 104). Jenseits der Seriengrenze wird das Spektrum k o n t i n u i e r l i c h , da das vom Atom losgelöste Elektron b e l i e b i g e kinetische Energiegehalte besitzen kann. Beim positiv geladenen H e 1 i u m i o n He+ ist Z = 2 und Z 2 damit = 4. Daher zeigen die Spektrallinien der entsprechenden Serien des Heliumions eine 4 mal kleinere Wellenlänge als die 23 Auf Grund der Beziehung (7) sagte Bohr bei der Entwicklung seines Atommodells (1913) die Existenz einer Linien-Serie mit den Quantenzahlen n n a c h = 1 und nvor = 2, 3, 4, 5 usw. voraus; sie wurde dann 1916 von Theodore Lyman (S. 1147) aufgefunden.

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

104

des Wasserstoffs, wie z. B. ein Vergleich der auf S. 5 4 angeführten Wasserstofflinien der BalmerSerie mit den entsprechenden Heliumlinien z e i g t 2 4 : H a 6562.793 A

He*a 1640.4 A

H ß 4861.327 A

He^ 1215.2 A

H r 4340.466 A

He + 7 1085.2 A

H 6 4101.738 A

Heg 1025.6 A.

B e i m doppelt positiv geladenen L i t h i u m i o n Li 2 + ( Z = 3; Z2

= 9 ) ist die Wellenlänge ent-

sprechender Linien 9mal kleiner als b e i m Wasserstoff. Die von n e u t r a l e n A t o m e n ausgehenden Spektren pflegt man als „Bogenspektren" zu bezeichnen, da sie vorzugsweise bei der Anregung von Atomen in einem — mit nur geringer Spannung brennenden — elektrischen L i c h t b o g e n zu beobachten sind. Die Spektren p o s i t i v e r I o n e n nennt man dagegen „Funkenspektren", da die Erzeugung solcher Ionen naturgemäß einer stärkeren elektrischen Anregung bedarf, wie sie etwa in den F u n k e n kräftiger Leidener Flaschen vorliegt Die von einfach, zweifach, dreifach usw. ionisierten Atomen herrührenden Spektren unterscheidet man dabei als „erstes", „zweites", „drittes" usw. F u n k e n s p e k t r u m . Die oben abgeleitete Beziehung zwischen W a s s e r s t o f f l i n i e n und H e l i u m l i n i e n besagt demnach, daß das B o g e n s p e k t r u m d e s W a s s e r s t o f f s in seinem Bau dem e r s t e n F u n k e n s p e k t r u m d e s H e l i u m s und dem z w e i t e n F u n k e n s p e k t r u m d e s L i t h i u m s entspricht. Dieser Satz kann auch auf höhere Atome übertragen und wie folgt verallgemeinert werden: Das Bogenspektrum eines Elements gleicht in seinem Charakter dem ersten Funkenspektrum des im Periodensystem nächstfolgenden und dem zweiten Funkenspektrum des übernächsten Elements („spektroskopischer Verschiebungssatz von Sommerfeld-Kossel"). D i e Energie, die erforderlich ist, u m ein A t o m v o m Grundzustand aus zu n e n n t m a n „Ionisieningsenergie" 2 5 (kcal) oder „ I o n i s i e r u n g s s p a n n u n g "

ionisieren, („Ionisierungspotential")

( e V ) . Sie ergibt sich in einfacher Weise, indem m a n in die Serienformel des b e t r e f f e n d e n A t o m s für « v o r d e n der „Seriengrenze" entsprechenden W e r t 0 0 u n d für « n a c h die G r u n d b a h n des A u ß e n e l e k t r o n s (n = 1) einsetzt. Für Wasserstoff ( Z = 1; n n a c h = 1) f o l g t so aus Gleichung ( 6 ) der Wert ¿vor—-^"nach = 5 2 0 6 X 10" 2 2 kcal j e A t o m b z w . ( 5 . 2 0 6 X 10~ 2 2 ) X 6 . 0 2 2 X 1 0 2 3 ) = 3 1 3 . 5 kcal je Mol H (genauester derzeitiger Wert 3 1 3 . 5 1 k c a l / m o l = 1 3 . 5 9 5 e V / A t o m ( e V = Elektronenvolt, vgl. S. 1 0 2 3 ) . Für die Spaltung des Wasserstoffatoms in ein Wasserstoff-ion und ein Elektron ( © ) gilt damit die Gleichung: 313.51 kcal + H(g) - H + (g) + e .

(8)

Die Energie eines elektrischen F u n k e n s ist groß genug, u m Ionisierungsarbeiten dieser Größenordnung z u leisten. Z u m „ H e b e n " des Elektrons v o n der Grundbahn (n = 1) des Wasserstoffs auf eine n-te Schale sind g e m ä ß ( 6 ) (S. 1 0 3 ) naturgemäß kleinere Energien ( E t _»„) a u f z u w e n d e n als bei der völligen Ablösung v o m A t o m ( i F j - , « ) , da der Absolutwert | £ n l der Orbitalenergie m i t w a c h s e n d e m n abnimmt: n

=

En(eV)

=

Ei->„26=

2

3

4

5

6

»

-13.6

1

-3.4

-1.5

-0.9

-0.5

-0.4

0

0

10.2

12.1

12.7

13.1

13.2

13.6

Für Natrium errechnet sich aus der Seriengrenze des Absorptionsspektrums von Natriumdampf (X = 2 4 1 2 . 8 Ä ) in analoger Weise wie b e i m Wasserstoff ein Ionisierungspotential v o n 5 . 1 3 8 e V / A t o m . 24 Die Rydbergsche Konstante R hängt in ganz geringem Maße von der Masse des in Frage stehenden Atoms ab (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie). So beträgt sie für Helium ( « H e ) n i c h t w i e b e i m Wasserstoff ( ä h ) 109 677.576 cm"1, sondern 109 722.267 cm" 1 , für ein Atom mit unendlich großer Masse 109 737.31 cm" 1 . " 5 Der Wert der Ionisierungsenergie ist stets p o s i t i v , da die Energie zwecks Ionisation dem System zugeführt werden muß. Die Ionisierungsenergie ist somit bis auf das Vorzeichen (vgl. Anm. 14, S. 100) mit der Orbitale n e r c i e f j im Grundzustand (n = 1) identisch. « £ • , ^ „ , = £ „ - £ , = £ „ + 13.6.

105

1. Der Bau der Atome

Atomnummer —»Fig. 40.1. Ionisierungspotential (in eV) der Hauptgruppenelemente

Trägt man die I o n i s i e r u n g s p o t e n t i a l e der Hauptgruppen-Elemente (die zwischen 4 und 25 eV liegen) gegen die A t o m n u m m e r n (Kernladungszahlen) auf, so erhält man den in Fig. 4 0 wiedergegebenen Kurvenverlauf, der ähnlich wie die Atomvolumenkurve (S. 1077) das Periodensystem der Elemente widerspiegelt. Besonders h o h e Ionisierungspotentiale benötigt man für die E d e l g a s atome (He, Ne, Ar, Kr, Xe, Rn), ein Beweis für die besondere Stabilität einer Außenschale von 8 Elektronen. Demgegenüber zeichnen sich die um eine Stelle nach den Edelgasen folgenden A l k a l i m e t a l l atome (Li, Na, K, Rb, Cs, Fr) durch besonders k l e i n e Ionisierungspotentiale aus, da bei Abspaltung eines Elektrons Kationen ( L i \ Na + , K + , Rb + , Cs+, Fr + ) mit stabiler Edelgasschale verbleiben, was die Ionisation begünstigt 27 . Die Kurvenzüge der Ionisierungspotentiale für die einzelnen Element p e r i o d e n (Li bis Ne, Na bis Ar, K bis Kr, Rb bis Xe, Cs bis Rn) gleichen einander weitgehend: sie nehmen mit steigender Atomnummer zu, wobei in den ersten drei Perioden je zwei kleine Energiemaxima bei den Elektronenkonfiguratio27 Die 2. lonisierungspotentiale (Ablösung eines Elektrons aus einem positiv geladenen Ion) sind erwartungsgemäß stets höher als die 1. Ionisierungspotentiale. Die Maxima des ganz analogen, periodischen Kurvenzugs liegen jetzt bei den edelgasähnlichen Alkali-ionen M + , die Minima bei den alkalianalogen Erdalkali-ionen M*, so dtiß Jer Kurvenverlauf im Vergleich mit Fig. 40 um eine Atomnummer nach rechts verschoben ist.

106

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

nen s2 (vollbesetzte s-Orbitale bei Be, Mg und Ca) und p 3 (halbbesetzte 28 p-Orbitale bei N, P und As) durchlaufen werden. Innerhalb einer Element g r u p p e (z. B. Edelgase, Halogene, Alkalimetalle) nimmt das Ionisierungspotential mit steigender Atomnummer ab (vgl. die dünneren Verbindungslinien), da die Außenelektronen in Schalen zunehmender Hauptquantenzahl wegen des wachsenden Radius weniger fest vom Kern gebunden werden. Betrachtet man Gleichung (8) von rechts nach links 29 , so besagt sie, daß die „Elektronenaffinität" des (gasförmigen) Wasserstoff-i o n s H+ 313.51 kcal/Mol bzw. 13.595 eV/Atom beträgt 30 : H*(g) + © -> H(g) + 13.595 eV. Die Elektronenaffinität des n e u t r a l e n Wasserstoff-a t o m s H ist wesentlich kleiner und beläuft sich auf 0.756 eV/Atom: H(g) + © - Si, As-« P und Se -» S ab- statt zunimmt, hängt mit den zwischen Ca und Ga eingeschobenen 10 N e b e n g r u p p e n e l e m e n t e n S c b i s Z n zusammen, deren Elektronegativität wie die der Hauptgruppenelemente mit steigender Kernladung wächst, so daß die sich anschließenden 4 Elemente Ga, Ge, As und Se größere x-Werte aufweisen als ihre leichteren Homologen AI, Si, P und S. Die beim Übergang Na -» Li als 5. Ausnahmefall abnehmende Elektronegativität tritt bei den Pauling-Werten nicht auf, 73 Die in der Tabelle nicht mit aufgenommenen, an die VII. Gruppe rechts anschließenden Edelgase (VIII. Gruppe) haben die Elektronegativitätswerte 4.4 (Ne), 3.5 (Ar), 3.0 (Kr), 2.6 (Xe) und 2.4 (Rn).

124

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

Bei einer Elektionegativitätsdifferenz von etwa 2 (z. B. B F 3 ) handelt es sich hiernach um eine Atombindung mit etwa 50%igem Ionencharakter, bei k l e i n e r e n Differenzen (z. B. N F 3 ) um vorwiegend k o v a l e n t e , bei g r ö ß e r e n (z. B. NaF) um vorwiegend e l e k t r o v a l e n t e Bindungen.

f f ) Der Bindungsgrad Wie auf S. 115 f. aus der Elektronentheorie der Valenz abgeleitet wurde, enthält das C h l o r molekül CI2 eine E i n f a c h - , das S a u e r s t o f f molekül O2 eine D o p p e l - und das S t i c k s t o f f molekül N 2 eine D r e i f a c h bindung (vgl. S. 130). Man spricht hier auch vonin einem „Bindungsgrad" (einer „Bindungsordnung") 1 in CI2, 2 in O2 und 3 in Diese vom CI2 zum N2 hin wachsende Bindungsordnung und damit auch Bindungs f e s t i g k e i t drückt sich beispielsweise in der in gleicher Richtung zunehmend aufzuwendenden Dissoziationsenergie zur Spaltung der Moleküle in die Atome aus: |C3—CI| + 58.164,

0 = 0 + 119.106,

| N s N | + 225.958 kcal/mol.

Auf Grund der Vierwertigkeit des Kohlenstoffs (4 Außenelektronen) müßten in Fortführung der obigen Reihe die zwei Kohlenstoffatome eines Kohlenstoffmoleküls C2 durch eine V i e r f a c h bindung miteinander verknüpft sein: C=C, um beide Atome in den G e n u ß von Achterschalen zu bringen. Da aber nach dem T e t r a e d e r modell (S. 119f.) zwischen zwei A t o m e n nur e i n f a c h e (gemeinsame Tetraeder e c k e n ) , d o p p e l t e (gemeinsame Tetraeder k a n t e n ) und d r e i f a c h e Bindungen (gemeinsame Tetraederf l ä c h e n ) möglich sind, ist das Molekül C 2 unter normalen Bedingungen nicht existenzfähig u n d weicht der Ausbildung von Vierfachbindungen durch Polymerisation 7 4 zu einem hochmolekularen, kovalenten Atomgitter C x aus (vgl. S. 496ff.), womit sich die auf S. 93 gestellte Frage nach der unterschiedlichen Molekulaigröße von Kohlenstoff im Vergleich zu Stickstoff, Sauerstoff u n d Chlor beantwortet. Zum Unterschied von V i e r f a c h bindungen treten e i n f a c h , z w e i f a c h und d r e i f a c h verknüpfte C-Atome häufig auf, z. B. in den Molekülen H 3 C - C H 3 (Äthan), H 2 C = C H 2 (Athen; Äthylen), HC=CH (Äthin; Acetylen) und ihren Derivaten.

Doppel- und Dreifachbindungen kommen in Verbindungen erster Ordnung ganz allgemein nur bei Atomen mit k l e i n e m R a d i u s , also fast ausschließlich bei Elementen der e r s t e n A c h t e r p e r i o d e 7 5 , nicht dagegen bei h ö h e r e n Elementen mit g r ö ß e r e m Atomradius vor 7 6 („Doppelbindungsregel"). Man bezeichnet die in einer solchen Mehrfachbindung über die Einfachbindung („a-Bindung") hinaus vorhandenen Bindungen als „it-Bindungen", so daß etwa die Doppelbindung des Äthylens H2C=CH 2 aus einer a- und einer 7r-Bindung, die Dreifachbindung des Acetylens HC=CH aus einer a- und zwei 7r-Bindungen besteht. Da zur Ausbildung von Mehrfachbindungen in Verbindungen erster Ordnung die p-Elektronen herangezogen werden, spricht man hier auch von „pn~p„-Bindungen" und unterscheidet diese damit von den „p„—d„-Bindungen" in den Verbindungen höherer Ordnung der — über «¿-Orbitale verfügenden — schwereren Elemente (vgl. S. 764f.). Da p„—p„-Mehrfachbindungen praktisch nur von Elementen der e r s t e n Achterperiode gebildet werden, besitzt z. B. der P h o s p h o r (zweite Achterperiode) zum Unterschied vom homologen Stickstoff (1 a) nicht die Molekularformel P 2 , da diese eine D r e i f a c h b i n d u n g voraussetzt: | P ^ P | . Er weicht vielmehr der Ausbildung einer solchen Mehrfachbindung aus, indem er entweder ein Molekül P 4 („weißer Phosphor") bildet, den kleinsten Molekülverband, zu welchem sich dreiwertige Phosphoratome ohne Ausbildung von Mehrfachbindungen zusammenschließen können (1 b):

(a)

I

I

I

(1)

\ p / - \ p / - \ p / - V (c)

74

Polymerisation = Vereinigung vieler niedermolekularer Teilchen A zu einem hochmolekularen Gebilde A x : polys (rroXik) = viel und meros (ßepoc) = Teil. 75 In der z w e i t e n Achterperiode sind nur die kleinsten Atome (speziell die des S c h w e f e l s , weniger ausgeprägt die des P h o s p h o r s und C h l o r s ) begrenzt zur Ausbildung von p^-Bindungen befähigt. 76 Die Begründung hierfür werden wir später (S. 764 f.) kennen lernen.

125

2. Die Elektronentheorie der Valenz

oder indem er ein wabenförmiges, hochmolekulares Blattmolekül P x (1 c) aufbaut („roter Phosphor"), in welchem das gleiche Ziel einer mehrfachbindungsfreien Dreiwertigkeit erreicht wird. In analoger Weise vermeidet der S c h w e f e l die D o p p e l b _ i n d u n g des homologen Sauerstoffs (2 a), indem sich seine Atome nicht zu S2-Molekülen 55=S, sondern zu Ringen S n (2 b) (n z. B. = 6 oder 8) oder zu hochmolekularen Ketten S x (2c) zusammenschließen: IS—S—Sl

ö=ö (a)

ISI

ijl

IS—S—Sl

v

V

V

K

.

(2)

(N=?C1I

CK

Cl—O—Cll

C l — O ^ C l l

(1)

_

wodurch die abstoßende Kraft eines freien Elektronenpaares am Zentralatom w e g f ä l l t

und

daher der tetraedrische sp 3 -Zustand des Moleküls in den unter b ) (S. 133 f . ) beschriebenen t r i g o n a 1 e n sp 2 -Zustand (trigonal-planares Molekül mit Bindungswinkeln von 120°) übergeht, entsprechend einem Wachsen des Bindungswinkels infolge Mitbeteiligung dieser Resonanzstruktur. Bei den h ö h e r e n

Elementhomologen des Zentralatoms Z, z. B. beim Phosphor, Arsen und

Antimon sind die Bindungswinkel auch in den F l u o r Verbindungen größer als in den Wasserstoffverbindungen, da hier p^—d^-Doppelbindungen zum Z e n t r a l a t o m

hin ausgebildet

werden können (Besetzung von (¿-Bahnen des Zentralatoms) 9 2 : "

F

F

\

-

-

\p_Fl / -

F

[Na] + [:Na]~) n o c h durch gemeinsame Beanspruchung eines Elektronenpaares seitens beider Natriumatome (Na- + -Na-» Na:Na) eine stabile Achterschale für letztere geschaffen werden. Dies ist vielmehr nur dadurch möglich, daß b e i d e Natriumatome ihre Außenelektronen a b g e b e n und daß die so entstehenden p o s i t i v e n N a t r i u m - i o n e n (Pseudo-Neonatome) durch die n e g a t i v e n E l e k t r o n e n zusammengehalten werden; schematisch: Na- + -Na-> [Na]*!:] 2 " [Na]\

Diese Art der Bindung wird „Metallbindung" genannt (vgl. hierzu auch S. 140 f.). Die durch die Zahl der abgegebenen Valenzelektronen bedingte L a d u n g des Metall-ions, die im allgemeinen der Gruppennummer des Metalls im Periodensystem entspricht, gibt die „Metallwertigkeit" wieder. So steuert z. B. das Natriumatom 1 Elektron, das Magnesiumatom 2, das Aluminiumatom 3 Elektronen zur Metallbindung bei. Wie bei der Ionenbindung (vgl. S. 1 lOf.) liegen naturgemäß auch hier k e i n e g e r i c h t e t e n K r ä f t e vor, so daß sich die Anziehung zwischen Elektronen und Metallionen nicht auf z w e i A t o m e beschränkt, sondern — analog der Bildung eines „Ionengitters" bei den Salzen — zur Bildung eines „Metallgitters" führt, bei welchem ein Ionengitter von Metallionen in ein „Elektronengas", d. h. ein Fluidum leichtverschieblicher Elektronen eingebettet ist 97 . So haben wir uns z. B. das N a t r i u m m e t a 11, wie der in Fig. 47 wiedergegebene Ausschnitt aus dem Natriumgitter zeigt, als ein „kubisch-raumzentriertes" Gitter („ W-Typ"\ vgl. S. 886 und Raumbild 33) von Natriumionen vorzustellen, das von den Valenzelektronen der Natriumatome wie von einem Gas erfüllt ist. Lediglich im D a m p f z u s t a n d e kommen auch einfache Na2-Moleküle vor (S. 714). Die beiden anderen von Metallen bevorzugten

^

1-

^

%Z30sl «I O Nofrium-Ionen

Fig. 47. Ladungsschwerpunkte der Ionen des Natriumgitters (Hochtemperaturmodifikation) (vgl. hierzu das Raumbild 33)

97 An die Stelle der fixierten Anionen in den Salzgittern treten hier also die leichtverschieblichen Elektronen. Zur E n e r g e t i k des Elektronengases (z. B. „Bändermodell" der Metalle: Valenzband (Bindungselektronen), Leitungsband (Leitungselektronen)) vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie.

136

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

Gitteranordnungen sind die „kubisch-dichtesteKugelpackung" („Cu-7>p";vgl. S. 786 und Raumbild 28b) und die „hexagonal-dichteste Kugelpackung" („Mg-Typ"\vgl. S. 683 und Raumbild 28 a), die in ihrer räumlichen Anordnung der Metallionen eng miteinander zusammenhängen (s. unten). Von den im Periodensystem benachbarten Metallen Na, Mg und AI kristallisiert das erstere kubisch-raumzentriert, das zweite in hexagonal-dichtester, das dritte in kubisch-dichtester Kugelpackung. Überhaupt weisen über 80% aller bis jetzt untersuchten Metalle eines der drei genannten Gitter auf, wobei die kubisch-dichteste Kugelpackung (Beispiele: S. 786) am stärksten, das kubisch-raumzentrierte Gitter (Beispiele: S. 886) am schwächsten vertreten ist und die hexagonal-dichteste Kugelpackung (Beispiele: S. 683) eine Mittelstellung einnimmt. 9S

Substanzen, die im g l e i c h e n Gittertyp kristallisieren, werden „isotyp" genannt. Kommen gegebene 99 Substanzen in m e h r e r e n Gittertypen vor, so spricht man von „Polytypie" .

Die l e i c h t e B e w e g l i c h k e i t des Elektronengases bedingt den metallischen Charakter, vor allem die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der festen Metalle. Die Leitfähigkeit ist dabei zum Unterschied von der Leitfähigkeit der Salze n i c h t mit einer c h e m i s c h e n Z e r s e t z u n g des Leiters verbunden, da ja bei dem Vorgang der elektrischen Leitung das Metallionengerüst e r h a l t e n bleibt und lediglich eine Wanderung der E l e k t r o n e n (Abfluß zum positiven, Nachlieferung vom negativen Pol der Stromquelle) erfolgt. Leiter dieser Art nennt man „Leiter 1. Klasse" (vgl. S. 112). Die Geschwindigkeit, mit der sich die Elektronen in einem metallischen Leiter unter dem Einfluß einer angelegten Spannung bewegen, ist — entgegen einem weitverbreiteten Irrtum — s e h r k l e i n . Fließt z. B. in einem Kupferdraht von 1 m m 2 Querschnitt ein Strom von 1 A, so beträgt die Strömungsgeschwindigkeit der Elektronen weniger als '/io m m P r 0 Sekunde 1 0 0 , entsprechend einer S t u n d e n g e s c h w i n d i g k e i t von nur rund 30 cm. Da sich allerdings beim Einschalten des Stroms alle Elektronen des Leiters g l e i c h z e i t i g in Bewegung setzen (so wie sich beim Rangieren eines Eisenbahnzuges alle Wagen bewegen, wenn der letzte angestoßen wird), ist die W i r k u n g des Stromes auch an entfernten Stellen s o f o r t zu beobachten.

bb) Die kubisch- und hexagonal-dichteste Kugelpackung Während im k u b i s c h - r a u m z e n t r i e r t e n Gitter (Koordinationszahl 8 der Metallionen) die Raumerfüllung bei engster Kugelpackung 68% beträgt, werden bei der k u b i s c h und der h e x a g o n a l - d i c h t e s t e n K u g e l p a c k u n g (Koordinationszahl 12 der Metallionen) 74% des Raumes ausgefüllt 101 . Man kann die beiden letzteren Metallgitter wie folgt ableiten (vgl. hierzu auch die Raumbilder 28—31 und die zugehörigen Erläuterungen): Eine e i n z e l n e ebene Kugelschicht hat bei engster Kugelpackung das in Fig. 48 wiedergegebene'Aussehen. Legt man auf diese Schicht eine z w e i t e so auf, daß sich deren Kugeln in die M u l d e n der ersten Schicht einpassen, so erhält man die in Fig. 49 gezeigte Anordnung (gestrichelte Kugeln: untere Schicht; dunkle Kugeln: obere Schicht). Die Kugeln einer d r i t t e n Schicht können nun e n t w e d e r in die mit T o d e r die mit O bezeichneten freien Mulden der zweiten Schicht eingelegt werden 1 0 2 . Im ersten Fall kommen die Kugeln der d r i t t e n Schicht senkrecht über die (gestrichelten) Kugeln der e r s t e n zu liegen, so daß man bei analoger 98

isos (too• Mg2*; B 3 * AI 3 *) bedingte Verringerung der deformierenden Wirkung durch eine entsprechende Z u n a h m e d e r K a t i o n e n l a d u n g (Na* -» Mg2*; Mg2* AI 3 *; AI 3 * Si 4 *) wieder kompensiert wird. Die D e f o r m i e r b a r k e i t eines A n i o n s B" nimmt bei gegebenem Kation A* mit wachsender Größe des R a d i u s und der n e g a t i v e n L a d u n g des Anions zu. Daher besitzen die S u l f i d e eines Metalls weniger Salzcharakter als seine C h l o r i d e und O x i d e und die J o d i d e eines Metalls weniger Salzcharakter als seine B r o m i d e . In analoger Weise wächst die d e f o r m i e r e n d e W i r k u n g eines K a t i o n s A* bei gegebenem Anion B~ mit a b n e h m e n d e m R a d i u s und z u n e h m e n d e r L a d u n g des Kations, so daß die B e r y l l i u m Verbindungen weniger Salzcharakter besitzen als die entsprechenden L i t h i u m - oder N a t r i u m Verbindungen und die M a g n e s i u m Verbindungen weniger Salzcharakter als die entsprechenden N a t r i u m - oder C a l c i u m Verbindungen.

Der Übergang zwischen Ionen- und Atombindung läßt sich natürlich auch von der Seite der A t o m b i n d u n g her betrachten: In einer kovalenten Verbindung A~B ist das gemeinsame Elektronenpaar nur dann s y m m e t r i s c h auf die beiden Bindungspartner verteilt, wenn A und B i d e n t i s c h sind. Sind aber A und B und damit auch deren Elektronegativitäten (S. 122 f.) voneinander v e r s c h i e d e n , so wird mit zunehmender Elektronegativitätsdifferenz das gemeinsame Elektronenpaar zunehmend stärker auf die Seite des Atoms B mit der g r ö ß e r e n E l e k t r o n e g a t i v i t ä t gezogen („induktiver Effekt" des a n i o n i s c h e n Bindungspartners), wobei durch „Polarisierung" der Atombindung (Auftreten eines Dipolmoments, S. 120f.) ein Ü b e r g a n g s z u s t a n d (polare Atombindung) entsteht, der im G r e n z f a 11 in die I o n e n b i n d u n g übergeht. Metallbindung/Ionenbindung. Ersetzen wir im N a t r i u m c h l o r i d Na+Cl~ nicht wie im vorigen Fall (1) das N a t r i u m , sondern das C h l o r der Reihe nach durch die übrigen Elemente der 3. Periode des Periodensystems: NaCl

Na2S

Na3P

Na x Si

Ionenbindung

Na x Al

Na x Mg

NaNa

(2)

Metallbindung

(A in AB konstant, B variant), so kommen wir von der r e i n e n l o n e n b i n d u n g (Natriumchlorid) auf dem Wege über l e g i e r u n g s a r t i g e Ü b e r g a n g s t y p e n wie Natriumsilicid (metallische Ionenbindung) zur r e i n e n M e t a l l b i n d u n g (Natrium). Schematisch läßt sich dieser Übergang analog dem vorher formulierten wie folgt wiedergeben: [AI* [: B ] " - |A]*V B - » [AI* [:] 2 " [B]*. Ionenbindung

metallische Ionenbindung

Metallbindung

106 Daß allerdings selbst so typische S a l z e wie KCl, KBr oder CsCl noch einen partiellen k o v a l e n t e n Charakter aufweisen, erkennt man an den Dipolmomenten (S. 120 f. Lägen in ihnen kugelsymmetrische Ionen im gemessenen Kernabstand d vor, so sollte das Dipolmoment p theoretisch gleich e • d sein (e = Elementarladung) und somit in den drei Fällen 13—15 D betragen, während es in Wirklichkeit kleiner ist und zwischen 8 und 10 D liegt.

141

2. Die Elektronentheorie der Valenz

Es erfolgt also dabei ein allmählicher Übergang von gebundenen Elektronen in freie Leitungselektronen. Atombindung/Metallbindung. In analoger Weise kann auch ein allmählicher Übergang der A t o m b i n d u n g i n d i e M e t a l l b i n d u n g erfolgen: [A:B]-MA21 Atombindung

ß|

kovalente Metallbindung

lAf [:]2"[Br, Metallbindung

wie man etwa an der Reihe der Elemente C1C1

SS

PP

SiSi

A1A1

MgMg

NaNa

Atombindung

(3)

Metallbindung

(A und B in AB variant) sieht, die vom h o m ö o p o l a r e n C h l o r über das bereits den elektrischen Strom leitende Halbmetall S i 1 i c i u m (kovalente Metallbindung) zum m e t a l l i s c h e n N a t r i u m führt. e) Übergänge zwischen den verschiedenen Bindungsgraden Zweiatomige Moleküle. Auf S. 115f. stellten wir fest, daß die kovalente Verknüpfung zweier Atome nicht nur durch eine E i n f a c h bindung (e i n gemeinsames Elektronenpaar), sondern auch durch eine D o p p e l - oder D r e i f a c h bindung ( z w e i bzw. d r e i gemeinsame Elektronenpaare) erfolgen kann, entsprechend einem „Bindungsgrad" 1, 2 bzw. 3 (S. 124). Man beobachtet aber auch chemische Bindungen mit g e b r o c h e n e n Bindungsgraden, z. B. dem Bindungsgrad 1.5 ( a n d e r t h a l b gemeinsame Elektronenpaare) oder dem Bindungsgrad 2.5 ( z w e i e i n h a l b gemeinsame Elektronenpaare), wenn nur auf diesem Wege Edelgasschalen für die beteiligten Atome zu erreichen sind 1 0 7 . Dies sei an einigen Beispielen illustriert. Im S t i c k s t o f f m o n o x i d NO liegen 5 + 6 = 11 Außenelektronen vor, die sich gemäß der Elektronenformel (1 b) (• = Einzelelektron) so auf die beiden Atome verteilen, daß diese durch eine Z w e i e i n h a l b f a c h b i n d u n g miteinander verknüpft sind:

|NsO|

|N=Ö|

NO*

NO

Bindungsgrad 3 (a)

Bindungsgrad 2.5 (b)

|N=0| NO"

(1)

Bindungsgrad 2 (c)

Auf diese Weise verfugt jedes der beiden Atome über ein Elektronenoktett. Im Einklang mit Formel (1 b) entspricht die gemessene B i n d u n g s l ä n g e N—0 einem Z w i s c h e n z u s t a n d zwischen doppelter und dreifacher Bindung (vgl. S. 396). Durch Abgabe bzw. Aufnahme eines Elektrons kann das NO-Molekül in ein K a t i o n NO+ (1 a) bzw. ein A n i o n NO" (1 c) übergehen, denen in Analogie zu den isoelektronischen Molekülen N 2 bzw. 0 2 eine D r e i f a c h bzw. D o p p e l b i n d u n g zuzuweisen ist (vgl. hierzu S. 396).

107 Keine Edelgasschalen werden naturgemäß beim Bindungsgrad 0.5 (bindendes E i n z e l elektron) erreicht, wie er etwa in den Molekülen H 2 * und He 2 * vorliegt. Diese Moleküle sind in der Gasentladung spektroskopisch nachweisbar und bei Zimmertemperatur instabil. Verglichen mit der Z w e i elektronenbindung in H 2 (Bindungsenergie 109 kcal/mol, Kernabstand 0.74 A) ist die E i n elektronenbindung in H 2 * viel schwächer (Bindungsenergie 64 kcal/mol, Kernabstand 1.06 A). He 2 + : Bindungsenergie 70 kcal/mol, Kernabstand 1.08 A.

142

V I I . Die chemische Bindung ( T e i l I )

Isoelektronisch

mit dem NO-Molekül ist das S a u e r s t o f f k a t i o n

(„Dioxyge-

0 2 + (2 a), wie es etwa in den Verbindungen 0 2 + PtF 6 ~ (S. 227) und 0 2 + BF 4 ~ (S. 276)

nyl-Kation") enthalten ist:

|0=0| 02

+

Bindungsgrad 2.5 (a)

|0=0|

10—Ol

|0—Ol

02

02"

022"

Bindungsgrad 2.0 (b)

Bindungsgrad 1.5 (c)

(2)

Bindungsgrad 1.0 (d)

Es kann durch Aufnahme eines, zweier oder dreier Elektronen in das S a u e r s t o f f m o l e k ü l 02, H y p e r o x i d a n i o n

0 { (S. 714f.) bzw. P e r o x i d a n i o n

0 2 2 " ( S . 299, 714f.) über-

gehen, für die sich die Elektronenformeln (2b), ( 2 c ) bzw. ( 2 d ) ergeben. In Übereinstimmung mit diesen Formeln (2a) bis ( 2 d ) und ihrem von 2.5 bis 1.0 abnehmendem Bindungsgrad nehmen die Bindungslängen

von 1.12 bis 1.49, also um 0.37 Ä zu: 0 2 + : 1.12, 0 2 : 1.21, 0 2 ~: 1.33,

0 2 2 " : 1.49 Ä ( b e r . für 0 = 0 1.10,für 0 = 0 1 . 2 0 , f ü r 0 - 0 1.48 Ä). Analog fallen die konstanten

(S. 527): 16.0, 11.4, 6.2, 2.8 mdyn/Ä,

Kraft-

Schwingungsfrequenzen

(S. 527f.): 1860, 1555, 1145, 770/cm und D i s s o z i a t i o n s e n e r g i e n (S. 64): 150, 119, 95, 30 kcal/mol. Bis auf 0 2 ~ sind alle genannten Teilchen paramagnetisch. Dreiatomige Moleküle. Das S t i c k s t o f f d i o x i d

N 0 2 (3 b) verfügt über 5 + (2 X 6) = 17

Außenelektronen und kann durch Abgabe bzw. Aufnahme eines Elektrons in das N i t r y 1 K a t i o n N 0 2 4 (3 a) bzw. das N i t r i t - a n i o n

0=N=0 N02+

N 0 2 ~ (3 c) übergehen (vgl. hierzu S. 399):

0=N—O|

0=N—Ol

N02

Bindungsgrad 2.0 (a)

N02"

Bindungsgrad 1.75

(3)

Bindungsgrad 1.5

(b)

(c)

Im Einklang mit dem von 2.0 bis 1.5 abnehmenden mittleren Bindungsgrad wachsen die N—OB i n d u n g s 1 ä n g e n von 1.15 ( N 0 2 + ) über 1.19 ( N 0 2 ) bis zu 1.24 Ä ( N 0 2 ~ ) (ber. für N = 0 1.17, für N—0 1.45 Ä ) . Bezüglich der B i n d u n g s w i n k e 1 (S. 130ff.) gilt, daß erwartungsgemäß freie E i n z e l elektronen am Zentralatom weniger abstoßend auf die Bindungselektronen einwirken als freie Elektronen p a a r e , so daß der ONO-Bindungswinkel in der Reihe ( 3 ) von N0 2 + (180°) über N 0 2 (134°) zum N 0 2 " h i n (115°) abnimmt. I s o e l e k t r o n i s c h mit dem Nitrit-anion N 0 2 " ist (vgl. S. 294) das O z o n m o l e k ü l O3 (4a) (18 Außenelektronen), das durch Aufnahme eines Elektrons in das O z o n i d a n i o n 0 3 " ( 4 b ) übergehen kann (vgl. S. 294f., 714f.):

0=0-01

-

-

03 Bindungsgrad 1.5 (a)

1O-O-O1 03Bindungsgrad 1.25 (b)

(4)

143

2. Die Elektronentheorie der Valenz

Auch hier sind die O—O-Bindungslängen ( 0 3 : 1.28 Ä, O3 : 1-22 Ä) wie die Bindungswinkel ( 0 3 : 117°, 0 3 ": 100°) im Einklang mit den angegebenen Bindungsgraden (Kernabstand ber. für 0 = 0 1.20, für 0 - 0 1.48 A). Man darf bei den Verbindungen N O j und O3" mit g e b r o c h e n e m Bindungsgrad ebensowenig wie bei den Verbindungen mit g e r a d z a h l i g e m Bindungsgrad (vgl. S. 126 f.) annehmen, daß das eine O-Atom anders an das Zentralatom gebunden sei als das andere. Vielmehr muß man auch hier einen Z w i s c h e n z u s t a n d z w i s c h e n zwei G r e n z f o r m e l n annehmen („Resonanz hybrid"):

b) Verbindungen höherer Ordnung a) Allgemeines Verbindungen, wie die bis jetzt besprochenen, bei denen durch kovalenten oder elektrovalenten Elektronenausgleich für die beteiligten Bindungspartner erstmals Edelgasschalen erreicht werden, heißen „Verbindungen erster Ordnung". Die Fähigkeit der Atome zur Bindung anderer Atome ist aber nach Bildung dieser Verbindungen n o c h n i c h t e r s c h ö p f t , wenn sie über f r e i e E l e k t r o n e n p a a r e oder über besetzbare f r e i e d- O r b i t a l e verfügen. So vermag z. B. das C h 1 o r - a n i o n CT (etwa des Natriumchlorids NaCl) in ein Perchloratanion C104~ überzugehen, indem es — unter Erhaltung seiner Argonschale — an seine vier freien Elektronenpaare vier Sauerstoffatome 0 anlagert, denen je ein Elektronenpaar zur Vervollständigung ihrer Neonschale fehlt. In ähnlicher Weise kann z. B. das B e r y 11 i u m - k a t i o n Be2+ (etwa des Berylliumperchlorats Be(C10 4 ) 2 ) unter Bildung eines Komplexions Be(NH 3 ) 4 2+ vier Ammoniakmoleküle NH 3 anzulagern, die je ein freies Elektronenpaar besitzen und dadurch die Heliumschale des Be2+-ions in eine Neonschale umwandeln. Weiterhin vermag z. B. das S c h w e f e 1 - a t o m S (etwa des Schwefeldifluorids SF 2 ) durch Aufnahme von weiteren vier Fluoratomen F (kovalente Beisteuerung je eines Elektrons) seine Argon-Achterschale (s 2 p 6 ) unter Heranziehung noch unbesetzter ¿/-Orbitale zu einer Zwölferschale (s2p6d*) zu erweitern 108 . In allen diesen Fällen erhält man unter Energiegewinn „Verbindungen höherer Ordnung" („Molekularkom plexe")109

Die Verknüpfung der bei der Komplexbildung neu in das Molekül eintretenden Liganden L mit dem Zentralatom Z erfolgt wie bei der Atombindung jeweils durch ein g e m e i n s a m e s E l e k t r o n e n p a a r

(„koordinative110

Bindung")'11:

Z:L 108 Bei Betätigung aller fünf d-Orbitale sind maximal s7p6d10-A c h t z e h n e r schalen möglich (vgl. S. 146). — Zur Frage der Bildung von Verbindungen mit Koordinationszahlen > 4 und der Valenzbetätigung von ¿-Orbitalen vgl. etwa J. I. Musher: „Hypervalente Moleküle", Angew. Chem. 81 (1969), 68—83; R. F. Hudson: „Höhere Koordinationszahlen der typischen Elemente", Angew. Chem. 79 (1967), 756—763; K. A. R. Mitchell: „Der Gebrauch von äußeren d-Orbitalen beider Bindung", Chem. Rev. 69 (1969), 157—178. 109 complex (lat.) = verbunden. 110 coordinare (lat.) = beiordnen. ' " K o o r d i n a t i v e Bindungen sind demnach von k o v a l e n t e n Bindungen nicht zu unterscheiden, da die Herkunft der Elektronen bei der fertigen Bindung keine Rolle mehr spielt. So sind z. B. in dem gemäß (1 a) aus: NH3 und H+ zustandekommenden Komplez NH4+ alle vier N—H-Bindungeneenau gleichwertig; die koordinative N—H-Bindung unterscheidet sich also in nichts von den drei kovalenten-^-H-Bindungen des NH 3 (vgl. Anm. 116, S. 146).

144

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

Dabei kann, wie aus den vorstehenden drei Beispielen hervorgeht, das Bindungselektronenpaar g a n z vom Z e n t r a l a t o m Z ( l a ) , g a n z vom L i g a n d e n L ( l c ) o d e r h ä l f t i g von Z und L (1 b) stammen („EDA-Komplexe") 1 1 2 : © 0 Z : + L->Z : L

Z • + • L-*Z : L

Komplexbildung Komplexbildung am Elektronenam Elektronendonator Z donator-acceptor Z (,,fluorids :XeF fi vor (S. 230). 125 Die Existenz der Verbindung X e V I I I F 8 ist noch unsicher. Wohl aber gibt es ein Xe V I F g 2 " (Anm. 124).

VII. Die chemische Bindung (Teil I)

148

wobei, wie ersichtlich, keine formalen Ladungen auftreten, da in allen Fällen die auf das Xenonatom gemäß S. 125 entfallende Elektronenzahl gleich 8 ist ( g e b u n d e n e Elektronen h ä l f t i g , f r e i e Elektronen g a n z zum X e gerechnet). Die Gesamtwertigkeit (Oxydationsstufe) ist hier daher gleich der Zahl der koordinativen Bindungen. Auch das mit dem Xenon-atom Xe isoelektronische Jod- a n i o n kann in dieser Weise Fluoratome aufnehmen ( 7 a ) bis ( 7 d ) 1 2 6 :

p \

/ : J:

F

/ F 1 : J: jr/ \ p

P \

1

(a)

[ F F \ J/: F 1 F> F / \ F

(b)

(c)

J~ ( 4 freie Elektronenpaare)

I X / F 1 F F j F > < F F / \ F (d)

ebenso das mit dem Tellur-atom Te isoelektronische J o d - k a t i o n J* (3 freie Elektronenpaare): + F—J—F

[

F

\ / F l F—J—F

+ f

F \ / F l F— i—F

F / \ F In analoger Weise vermag das Jod- a t o m des Jodfluorids JF ( 3 freie Elektronenpaare) — gleiches gilt v o m T e 11 u r - a t o m des Tellurdifluorids T e F 2 ( 2 freie Elektronenpaare) und v o m A n t i m o n -atom des Antimontrifluorids S b F 3 ( 1 freies Elektronenpaar) — wie das X e n o n -atom ( 4 freie Elektronenpaare) je freies Elektronenpaar zwei Fluor-atome zu binden unter Bildung der Endglieder ( 9 ) : F- F \//F Xe FV \ V F F F Xenon(VIII)-fluorid F

F

F

x

F / VF

F F Jod(VII)-fluorid

F/

Te

I XF F Tellur(VI)-fluorid

F l / F F-Sb I NF . F Antimon(V)-fluorid

as chemische GleichgewichtS. 167ff.) und 3 („Die Oxydation und Reduktion", S. 196ff.) gelegt. Der Anfänger wird vielleicht manche Abschnitte des vorliegenden Kapitels wegen noch mangelnder Stoffkenntnis beim ersten Studium nicht voll erarbeiten können. Ihm wird empfohlen, diese Teile anfangs nur informatorisch zu durchblättern, um dann später, nach Aneignung des stofflichen Tatsachenmaterials, von Fall zu Fall wieder zu den hier behandelten Zusammenhängen zurückzukehren.

1. Die elektrolytische Dissoziation Löst man C h l o r w a s s e r s t o f f HCl, ein bei —85° verflüssigbares, farbloses Gas (S. 256 f.), in Wasser auf, so erhält man die sogenannte „Salzsäure". Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n des reinen, w a s s e r f r e i e n , v e r f l ü s s i g t e n Chlorwass e r s t o f f s sind nun ganz andere als die seiner w ä s s e r i g e n L ö s u n g . So löst z. B. die wässerige Lösung Zink, Eisen und viele andere Metalle unter Entwicklung von Wasserstoff auf (vgl. S. 51 f.): Zn + 2HC1 -> ZnCl2 + H 2 und rötet blaues Lackmuspapier, während weder der reine verflüssigte Chlorwasserstoff noch das reine flüssige Wasser diese Reaktionen geben. Gleiches gilt von den p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n . So leitet z. B. die wässerige Lösung gut den elektrischen Strom unter Bildung von Chlor am positiven und Wasserstoff am negativen Pol, während reiner, flüssiger Chlorwasserstoff und reines, flüssiges Wasser praktisch Nichtleiter sind. Der Chlorwasserstoff muß sich demnach bei seiner Auflösung in Wasser irgendwie verändern.

a) Qualitative Beziehungen Welcher Art diese Veränderung ist, ergibt sich bei einer Bestimmung des M o l e k u l a r g e w i c h t s des gelösten Chlorwasserstoffs, z. B. nach der Gefrierpunktsmethode. Es stellt sich dabei nämlich heraus, daß die Gefrierpunktserniedrigung At der wässerigen Lösung rund doppelt so groß ist, als sie sich gemäß der Gleichung Ai = E • n (S. 75) aus der Molmenge n des aufgelösten Chlorwasserstoffs — bei Zugrundelegung des Molekulargewichts 36.5 — errechnet. Das bedeutet, daß die Lösung doppelt so viele (2n) Teilchen enthält, als der aufgelösten Zahl (n) von Chlorwasserstoffmolekülen entspricht. Jedes Chlorwasserstoffmolekül HCl muß sich also in der wässerigen Lösung in zwei Teilchen aufgespalten haben. Diese beiden Teilchen können nach der Formel HCl nur das W a s s e r s t o f f - und das C h l o r a t o m sein.

VIII. Die chemische Reaktion

160

Die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der Lösung zeigt andererseits, daß die beiden Teilchen e l e k t r i s c h g e l a d e n sind, und zwar wandern bei der elektrischen Stromleitung die C h l o r teilchen zur p o s i t i v geladenen und die W a s s e r s t o f f teilchen zur n e g a t i v geladenen Elektrode (vgl. Fig. 53, S. 162), was eine negative Aufladung der Chloratome und eine positive Aufladung der Wasserstoffatome nahelegt. Somit sprechen alle Anzeichen für die Annahme einer Spaltung ungeladener Chlorwasserstoffmoleküle HCl in positiv geladene Wasserstoffteilchen H+ und negativ geladene Chlorteilchen Cl": HCl & h +

+ er.

Die Spaltung wird „elektrolytische Dissoziation" genannt. Die Tatsache, daß die Dissoziation des Chlorwasserstoffs erst beim Auflösen von HCl in Wasser erfolgt, erklärte man anfangs damit, daß sich das Wasser als „Dielektrikum" (Wasser hat eine große Dielektrizitätskonstante)1 zwischen die geladenen Chlorwasserstoff-Bestandteile H+ und Cl" schiebt und diese dadurch voneinander trennt. Später erkannte man dann (vgl. S. 117), daß sich die Wassermoleküle gemäß

HCi + H 2 o ± > H 3 c r + c r nicht nur „physikalisch", sondern auch „chemisch" als „Dielektrikum" zwischen die (potentiellen) Ionen H* und Cl~ des Chlorwasserstoffs einschieben.

Die Erscheinung der elektrolytischen Dissoziation ist nicht auf die Salzsäure beschränkt, sondern a l l g e m e i n e r A r t . Zahlreiche Verbindungen erleiden in wässeriger Lösung eine derartige Spaltung in geladene Teilchen. Es war daher zweckmäßig, für letztere einen besonderen Namen — den Namen „Ionen" 2 — einzuführen, und zwar nennt man die positiv geladenen Teilchen „Kationen", weil sie bei der Elektrolyse zur negativen K a t h o d e wandern, und die negativ geladenen Teilchen Unionen", weil sie von der positiven A n o d e angezogen werden 3 . Unter den in Lösung elektrolytisch dissoziierenden chemischen Stoffen — die man zur Unterscheidung von den nicht leitenden „Nichtelektrolyten" (wie Alkohol, Äther, Chloroform, Benzol, dest. Wasser) auch unter der Bezeichnung „Elektrolyte" 4 zusammenfaßt — lassen sich drei große Gruppen unterscheiden: die „Säuren", die „Basen" und die „Salze". Unter Säuren H n A (n = Wertigkeit des Säurerestes — „Acylrestes"5 — A) versteht man solche Stoffe, die wie der Chlorwasserstoff HCl in w ä s s e r i g e r L ö s u n g p o s i t i v g e l a d e n e W a s s e r s t o f f - i o n e n H+ b i l d e n (bezüglich einer moderneren Definition der Säuren vgl. S. 117 und 215 ff.). Beispiele für solche Säuren sind etwa die S a l p e t e r s ä u r e (HN0 3 ), die S c h w e f e l s ä u r e ( H 2 S 0 4 ) und die P h o s p h o r s ä u r e ( H 3 P 0 4 ) : HNO3 j» H* + NO3"

H 2 S 0 4 sAD + t B C die

Beziehung v>_> = — ^ • dcAB/dt = — i • dcCD/dt = + ^ • dcAD/dt = + | • dcBC/dt. 17 Bei gegebener Konzentration cAB der Moleküle AB verdoppelt sich die Zahl ihrer Zusammenstöße mit den Molekülen CD bei Verdoppelung von deren Konzentration CQQ . Analoges gilt für die Abhängigkeit der Stoßzahl von der Konzentration cAB bei gegebener Konzentration CQQ .

169

2. Das chemische Gleichgewicht

p e i a t u r , da sich mit zunehmender Temperatur die Molekulargeschwindigkeit und damit die Zahl der Zusammenstöße erhöht. Zum Unterschied von der Geschwindigkeitskonstante k ^ ist die R e a k t i o n s g e s c h w i n digkeit k e i n e bei gegebener Temperatur konstante Größe. Sie hängt vielmehr, wie Gleichung (3) zeigt, von den K o n z e n t r a t i o n e n der Ausgangsstoffe ab und nimmt daher nach Einsetzen einer chemischen Reaktion in dem Maß dauernd ab, in dem die Konzentrationen dieser Stoffe infolge der Umsetzung kleiner werden. Aus diesem Grunde muß sie — vgl. Gleichung (2) — durch einen D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n ausgedrückt werden, da sie in jedem Zeitmoment eine andere Größe besitzt. Würde j e d e r Z u s a m m e n s t o ß zwischen zwei Molekülen AB und CD zur Reaktion führen, so müßte bei Gasreaktionen einen u n g e h e u e r g r o ß e n W e r t (10 11 bis 10 12 pro Mol und Sekunde) besitzen, da die Zahl der Zusammenstöße eines einzelnen Moleküls mit anderen je Sekunde ungeheuer groß ist («= 1 0 u bei den Einheiten der Konzentration und « 10 10 bei 1 atm Druck): ¥>max = *max ' CAB ' cCD (= In km3X— A/RT bzw. (da In k = 2.3025851 log k)ls: log

= log fcmax -/1/2.3026 RT

(„Anheniussche Gleichung"). fcmax ändert sich nur wenig mit der Temperatur und kann in erster Näherung als konstant angesehen werden. Sein Zahlenwert hängt nicht ausschließlich von der Z a h l der Zusammenstöße, sondern — in weniger starkem Maße — auch von der „richtigen" räumlichen O r i e n t i e r u n g der Moleküle beim Zusammenstoß („sterischer Faktor") sowie von der Rotations- und Schwingungsenergie (S. 235f.) ab, die den reagierenden Molekülen neben der Translationsenergie zukommt. B e i s p i e l : Für die Umsetzung von Wasserstoff und gasförmigem Jod zu Jodwasserstoff ist fcmax = 1 0 " ' 3 / mol sec und A = 40.0 kcal/mol. Daraus folgt z. B. für T = 629 K (t = 356 °C): log = 11.3 - 40.0/(2.303 X 0.001987 X 629) = - 2.6 oder = 2.5 X 10"3/mol sec (vgl. S. 173). Da zur Aufspaltung des gasförmigen Jodmoleküls in die Atome 36.147 kcal/mol erforderlich sind, kann man aus dem Wert 40.0 kcal für die Aktivierungsenergie schließen, daß die Reaktion auf dem Wege über a n g e r e g t e J o d a t o m e erfolgt 19 . In anderen Fällen genügt häufig auch nur eine L o c k e r u n g der Bindung (Aktivierungsenergie < Dissoziationsenergie) zur Auslösung der Reaktion. Bei p h o t o c h e m i s c h e n Umsetzungen wird die erforderliche Aktivierungsenergie durch das eingestrahlte L i c h t geliefert (vgl. S. 245 f.). Das Gesagte läßt sich folgendermaßen veranschaulichen: Im Zuge der Reaktion (1) nähern sich die Moleküle AB und CD, wobei sich unter stetiger Energieaufnahme die Bindungen A—B und C—D lockern und gleichzeitig zusätzliche chemische Bindungen zwischen A und D sowie B und C ausbilden. Es entsteht schließlich ein besonders energiereicher (.„aktivierter") Übergangskomplex ABCD („Reaktionsknäuel"), der aber sofort unter Energieabgabe und gleichzeitiger Lockerung der Bindungen A—B und C—D sowie Verfestigung der Bindungen A—D und B—C in die Reaktionsprodukte AD und BC im Sinne des folgenden Schemas zerfällt: A

|

D

+ j -»•

B C Ausgangsprodukte („Edukte")

A

i

D

i

¿-t energiereicher Übergangskomplex („Addukt")

A-

+

D

B C Endprodukte („Produkte")

18 In = natürlicher Logarithmus (bezogen auf die Basis e = 2.71828183); log oder lg = gewöhnlicher Logarithmus (bezogen auf die Basis 10). Vgl. hierzu Anmerkung 26 auf S. 174.

VIII. Die chemische Reaktion

170

Der Energiegehalt des Übelgangskomplexes hängt von der räumlichen Orientierung der Atome A, B, C und D während des Stoßes ab. Jener Reaktionsweg, auf dem die Ausgangsprodukte unter Überschreiten des energieärmsten der möglichen Übergangskomplexe in die Endprodukte übergeführt werden, wird als „Reaktionskoordinate" bezeichnet. Im energieärmsten Übergangszustand haben sich die Moleküle einander so genähert, daß die Endprodukte schon vorgebildet vorliegen. In übersichtlicher Form trägt man die E n e r g i e in einem „Reaktionskoordinaten-Diagramm" gegen die R e a k t i o n s k o o r d i n a t e in der in Fig. 55 veranschaulichten Weise auf („Energieprofil" einer chemi-

ABCD

AD+BC

Reaktionskoordinate

Fig. 55. Reaktionskoordinaten-Diagramm

schen Reaktion). In diesem Diagramm stellen die waagerechten Niveaus zu Beginn und am Ende des Kurvenzuges den Energiegehalt der Ausgangs- bzw. Endstoffe („Ausgangs"- bzw. „Endzustand" der Reaktion) dar, während das Maximum („ Übergangszustand" der Reaktion) dem Energiegehalt des Übergangskomplexes entspricht. Die Aktivierungsenergie AHi; der Reaktion (1) (= A in der Arrheniusschen Gleichung, S. 169) 20 ist dann die Energiedifferenz zwischen dem Energiegehalt der Reaktanden (AB, CD) und dem des Übergangskomplexes (ABCD). Die Energiedifferenz AHvon Ausgangs- und Endzustand der Reaktion gibt die während der Reaktion (1) abgegebene R e a k t i o n s w ä r m e (S. 58) wieder. Dem Reaktionskoordinaten-Diagramm entnehmen wir weiterhin, daß die Geschwindigkeit einer Reaktion nicht von der Reaktionsenergie AH bestimmt wird, wie man früher einmal annahm, sondern von der A k t i v i e r u n g s e n e r g i e Alti; (richtiger: von der f r e i e n Aktivierungsenergie (vgl. S. 61)). Katalysatoren setzen durch Bildung eines energieärmeren Übergangskomplexes die Aktivierungsenergie herab. Vgl. auch S. 171.

ß) Die „Rück"-Reaktion Die bisherigen Betrachtungen über die Reaktionsgeschwindigkeit gelten nur für den Fall, daß die Reaktion im Sinne der Reaktionsgleichung (1) e i n s i n n i g („irreversibel") von links nach rechts verläuft. Diese Voraussetzung trifft aber nur für einen Teil der bekannten chemischen Umsetzungen näherungsweise zu. Im allgemeinen sind die chemischen Reaktionen u m k e h r b a r („reversibel"), d. h. die an der Reaktion beteiligten Stoffe haben das Bestreben, im Sinne der Reaktionsgleichung AB + CD -&-AD + BC sowohl von links nach rechts (,,Hin"-Reaktion) wie von rechts nach links (,,Rück"-Reaktion) zu reagieren. Es werden also die Moleküle AD und BC bei Zusammenstößen ihrerseits die Neigung zeigen, sich wieder rückwärts unter Bildung der ursprünglichen Stoffe AB und CD umzusetzen. Für diese Reaktion läßt sich, falls die Stoffe AD und BC ebenfalls gasförmig oder gelöst sind, in entsprechender Weise eine der Gleichung (3) analoge Geschwindigkeitsgleichung ableiten: ¥>A + DE (E = Fremdelement oder -Verbindung). Für den speziellen, doch häufig anzutreffenden Fall, daß das empirisch ermittelte Geschwindigkeitsgesetz irgendeiner Gesamtreaktion von Molekülen A mit B, C usw. dem Ausdruck

- ^ ^ . c V c V c f c . . . genügt, gilt der Begriff der „Reaktionsordnung" n, welche als Summe der Exponenten aller Konzentrationen definiert ist:

n = a + b + c+ ... Findet m a n demnach experimentell das Gesetz (7), so spricht man von einer „Reaktion 1. Ordnung", bei einem Gesetz (8) von einer „Reaktion 2. Ordnung". Dabei ist zu beachten, daß Stöchiometrie, Molekularität und Ordnung einer Reaktion keineswegs miteinander übereinstimmen müssen. Beispielsweise wäre nach den stöchiometrischen Reaktionsgleichungen häufig eine vier-, fünf- oder noch höhermolekulare Reaktion zu erwarten, während in Wirklichkeit praktisch ausschließlich ein- bzw. zweimolekulare Reaktionen auftreten. Die Reaktionsordnungen n ergeben sich experimentell zu n = 0 bis n = 3 (einschließlich gebrochener Zahlen). Aus der gefundenen Reaktionsordnung einer Reaktion allein können demnach keine sicheren Schlußfolgerungen auf den Reaktionsmechanismus gezogen werden, wenn man unter einem „Reaktionsmechanismus" im weiteren Sinne die Summe aller gleichzeitig oder nacheinander ablaufenden Teilreaktionen der Gesamtreaktion und im engeren Sinne darüber hinaus die Art und Weise versteht, in der die aktivierten Komplexe aus den Reaktionspartnern unter Änderung der Bindungslängen und -winkel entstehen. 22 Der Zusammenstoß von 2 Molekülen hat im Vergleich mit Dreierstößen eine tausendmal größere Wahrscheinlichkeit.

(9)

173

2. Das chemische Gleichgewicht

6) Die Kinetik der HalogenwasserstoffbOdung Um alles bisher Gesagte durch ein Z a h l e n b e i s p i e l zu veranschaulichen, wollen wir die eingangs (S. 167) erwähnte Reaktion der Bildung und des Zerfalls von J o d w a s s e r s t o f f (aktivierter Komplex: (HJ) 2 ) eingehender betrachten: H 2 + J 2 (g) ** HJ + HJ + 2.26 kcal.

(10)

Für die Abhängigkeit der Geschwindigkeit dieser Reaktion von den Konzentrationen der Reaktanden fand M. Bodenstein im Jahre 1894 ein der Gleichung (9) entsprechendes Geschwindigkeitsgesetz 23 : =

= *->••



c^uj.

(11)

Die beiden Geschwindigkeitskonstanten Ar_> und haben bei den in Spalte 1 der folgenden Tabelle angegebenen Temperaturen die in Spalte 2 und 3 wiedergegebenen Werte (wobei k_> in diesem Temperaturbereich durchweg um rund 2 Zehnerpotenzen größer als k 2HJ + 38.41 kcal erfolgen kann — wofür neuere Untersuchungen mit photochemischer Spaltung der Jodmoleküle ( \ = 5780 A; vgl S. 245) bei relativ niedriger Temperatur (140—250°) sowie die hohe Aktivierungsenergie von 40.0 kcal (S. 169) sprechen—, so ändert sich nichts an der Bodensteinschen Geschwindigkeitsgleichung = • CH2 • cj2> da dann cj (proportional \fcy 1 ) im Q u a d r a t auftritt, was wieder Cj2 ergibt. Man kann also aus einem gefundenen Geschwindigkeitsgesetz keine eindeutigen Schlußfolgerungen auf den Reaktionsmechanismus Riehen.

175

2. Das chemische Gleichgewicht

reaktion die Reaktionsprodukte AD und BC bilden, cAD und cBC daher größer werden. Die Geschwindigkeit = — (6) der von links nach rechts verlaufenden G e s a m t r e a k t i o n muß demnach nach Beginn der chemischen Umsetzung dauernd a b n e h m e n . Schließlich kommt ein Punkt, bei dem _> = w wird. Dann ist D.h.: d i e G e s c h w i n d i g k e i t d e r n a c h a u ß e n h i n b e o b a c h t b a r e n R e a k t i o n i s t g l e i c h N u l l ; die Reaktion ist n a c h a u ß e n h i n zum Stillstand gekommen, sie befindet sich „im chemischen Gleichgewicht". Das chemische Gleichgewicht ist also kein s t a t i s c h e s , sondern ein d y n a m i s c h e s . Im Gleichgewichtszustand befinden sich nicht etwa die Moleküle AB, CD, AD und BC indifferent nebeneinander („statisches Gleichgewicht"). Vielmehr findet auch hier wie zuvor eine „Hin"- und „Rück"-Reaktion statt; nur h e b t s i c h n u n m e h r d e r g e g e n s e i t i g e U m s a t z g e r a d e a u f („dynamisches Gleichgewicht"). Es werden mit anderen Worten in einem gegebenen Zeitabschnitt ebenso viele Moleküle AB und CD unter Bildung von AD und BC v e r b r a u c h t , wie umgekehrt Moleküle AB und CD am AD und BC wieder e n t s t e h e n , so daß keine Konzentrationsänderungen mehr erfolgen, nach außen hin also keine Veränderung des Systems mehr wahrzunehmen ist. Bei w e l c h e n K o n z e n t r a t i o n e n der Reaktionsteilnehmer sich das dynamische Gleichgewicht einstellt, ergibt sich aus der Gleichgewichtsbedingung (15). Ersetzen wir hierin die Werte yu und durch die Ausdrücke (3) und (4), so erhalten wir: * CAB ' cCD —

AD ' cBC AB ' cCD

' CAD ' cBC

=

®

C

c

C

bzw

"

k

- ' CAB ' cCD = *«- " CAD ' cBC

oder (16)

Diese Gleichung (16) ist unter dem Namen „Massenwiikungsgesetz" bekannt und besagt folgendes: Eine chemische Reaktion kommt bei gegebener Temperatur dann zum Stillstand (,,Gleichgewichtszustand"), wenn der Quotient aus dem Produkt der Konzentrationen der Reaktionsprodukte und dem Produkt der Konzentrationen der Ausgangsstoffe einen bestimmten, für die Reaktion charakteristischen Zahlenwert Kc erreicht hat. Welche E i n z e l w e r t e den verschiedenen Konzentrationen im Gleichgewichtszustand zukommen, ist gleichgültig, sofern nur der Q u o t i e n t aus den Konzentrations- P r o d u k t e n dem Wert der „Gleichgewichtskonstante" Kc entspricht. Es gibt also unendlich viele Gemische von AB, CD, AD und BC, die der Gleichgewichtsbedingung (16) genügen und daher nach außen hin nicht reagieren27. Das Gesetz der chemischen Massenwirkung wurde zum ersten Male klar und umfassend im Jahre 1867 von dem norwegischen Mathematiker Cato Maximilian Guldberg (1836—1902) und dem norwegischen Chemiker Peter Waage (1833—1900) ausgesprochen. Es blieb zunächst unbekannt und wurde dann von verschiedenen Seiten, unabhängig von Guldberg/Waage, neu entdeckt. Daß in dei Tat gemäß Gleichung (16) die Gleichgewichtskonstante K c gleich dem Quotienten der beiden Geschwindigkeitskonstanten und ist, geht für das schon behandelte Beispiel H 2 + 1 2 ^ HJ 4- HJ aus der auf S. 173 gebrachten Tabelle hervor, in welcher der Quotient i_»/Arso nimmt cH+ den Wert 10~6 (10~7) an usw. Trägt man daher auf der Abszisse eines Koordinatensystems die Wasserstoffionen-konzentration in Zehnerpotenzen und auf der Ordinate die zugehörigen Mengen HA und A" in Molprozenten auf, so erhält man das nebenstehende Kurvenbild (Fig. 56), aus dem sich für jede vorgegebene Wasserstoffionen-konzentration e H - das Molverhältnis HA/A" und für jedes vorgegebene Molverhältnis HA/A" die Wasserstoffionen-konzentration cH+ entnehmen läßt. Die Kurve hat bei allen schwachen Säuren das gleiche Aussehen, nur ist sie entsprechend den verschiedenen Werten von K längs der Abszisse mehr nach links (K > 10~5) oder mehr nach rechts (K < 10"s) verschoben (vgl. S. 191 f.). Die Wasserstoffionen-konzentration c H+ (genauer: die Wasserstoffionen-aktivität a H+ ) pflegt man hier und in anderen Fällen der kürzeren Schreibweise halber statt durch eine Zehnerpotenz 10"pH (cH* = 10"pH) durch den negativen Potenzexpontenten pH („Wasserstoffexponent", ,,pH-Wert• HA) haben in dem schraffierten Gebiet von Fig. 56 nur eine g e r i n g e Ä n d e r u n g desp H -Wertes zur Folge 38 . Erwähnt sei zum Schluß noch das D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t d e s W a s s e r s : HÖH ^ H+ + OHT (richtiger: H 2 0 + H 2 0 ^ H 3 0 + + OH ; vgl. S. 117). Die Dissoziationskonstante K hat hier bei 25° den außerordentlich kleinen Wert 39 c

H*'cohc h2o

= 1 8 x

10-16,

Hierin ist die Konzentration c H j 0 des Wassers — die wegen des äußerst geringen Dissoziationsgrades praktisch der Gesamtkonzentration an Wasser gleichkommt — bei r e i n e m W a s s e r gleich 997 4 0 : 18 = 55.3 mol/1, während sie in v e r d ü n n t e n w ä s s e r i g e n L ö s u n g e n , bei denen 1 Liter etwas mehr oder etwas weniger als 997 g Wasser enthalten kann, ein wenig, aber nicht viel von 55.3 mol/1 verschieden ist. Man pflegt daher diese praktisch konstante Größe mit der Dissoziationskonstante K zusammenzuziehen (55.3 X 1.8 X 1CF16 = 1.0 X 10~14) und kommt so zu der Beziehung c H + • c O H - = k w = 1.0 X 10" 14 ,

(23 a)

die man als , Jonenprodukt des Wassers" (bei 25°) bezeichnet 41 und die logarithmiert in die Gleichung PH + P O H " =

1 4 0

(23 b)

übergeht. In reinem, neutralem Wasser, welches äquivalente Mengen an Wasserstoff- und Hydroxid-ionen enthält („Neutralpunkt"), beträgt die Wasserstoffionen- (= Hydroxidionen-)konzentration danach 10~7, entsprechend einem p H -Wert (p OH -Wert) von 7 (—loglO"7). 1 Liter Wasser enthält hiernach nur Vioooo mg freie Wasserstoffionen. Ist die Wasserstoffionen-konzentration größer als 10~7 ( p H < 7), so ist die Hydroxidionen-konzentration gemäß (23) kleiner als 10"7 ( p O H > 7) und umgekehrt. S a u r e L ö s u n g e n sind also bei 25 °C durch die Bedingung c H + > 10~7 (p H < 7) bzw. c H+ > c O H -, b a s i s c h e L ö s u n g e n durch die Bedingung c H+ < 10"7 ( p H > 7) bzw. cH+ < c O H - und n e u t r a l e L ö s u n g e n durch die Bedingung e H , = 10"7 (p H = 7) bzw. cH+ = c 0 H - charakterisiert:

Saure Lösungen Neutrale Lösungen Basische Lösungen

. . . . . . . .

cH+

COH-

PH

POH

>10"7

7 7 /£• 2 H 2 0 ) bzw. S c h w e f e l t r i o x i d s ( 2 S 0 2 + 0 2 2 S 0 3 ) liegt. Ebenso müßten sich bei Zimmertemperatur eigentlich a l l e o r g a n i s c h e n S u b s t a n z e n an der Luft zu C 0 2 , H 2 0 usw. o x y d i e r e n , so daß ein pflanzliches und tierisches Leben unmöglich wäre, wenn es sich hier nicht um metastabile Zustände handeln würde, die unter normalen Bedingungen nur mit u n m e ß b a r k l e i n e r G e s c h w i n d i g k e i t in den wahren stabilen Endzustand übergehen. Ein m e t a s t a b i l e s System ist einem Wagen vergleichbar, der auf einem Bergabhang stehenbleibt, weil die Bremse angezogen ist. Erst wenn die Bremse gelöst, die Reibung also beseitigt ist (vgl. unten), setzt sich der Wagen — der auf ihn einwirkenden Schwerkraft folgend — in Bewegung 4 2 . Bei chemischen Reaktionen kann die „Reibung" durch K a t a l y s a t o r e n (vgl. S. 4 6 ) und durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g vermindert oder aufgehoben werden. So verbrennen z. B. die metastabilen Nahrungsmittel im menschlichen Körper unter dem Einfluß von Katalysatoren, explodiert das metastabile Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch beim Erhitzen.

a) Beschleunigung durch Katalysatoren Genau wie ein auf einem Bergabhang stehender Wagen beim Lösen der Bremse unter dem Einfluß der Schwerkraft von selbst stets nur b e r g a b w ä r t s , n i e b e r g a u f w ä r t s fahren kann, die Aufhebung der Reibung also nur die G e s c h w i n d i g k e i t der Gleichgewichtseinstellung, nicht dagegen die stabile Gleichgewichtslage beeinflußt, wird auch durch die Zugabe eines Katalysators nur die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t , nicht aber die G l e i c h g e w i c h t s l a g e einer chemischen Umsetzung geändert. Der deutsche Physikochemiker Wilhelm Ostwald (1853—1932), dem wir eine eingehende Erforschung der katalytischen Erscheinungen verdanken, hat die Wirkungsweise eines Katalysators sehr anschaulich mit der Wirkung eines Schmiermittels auf ein Räderwerk (etwa ein Uhrwerk) verglichen, welches sich ungeölt nur mit 42 Noch zutreffender ist vielleicht der Vergleich mit einem auf einem Bergabhang in einer M u l d e stehenden Wagen. Der (entbremste) Wagen muß erst aus der Mulde herausgezogen werden (Aufwand der „Aktivierungsenergie"; vgl. S. 169), damit er den Berg hinunterrollen kann.

VIII. Die chemische Reaktion

184

großer Reibung und daher sehr langsam unter dem Einfluß der treibenden Kraft (etwa der Spannung einer Uhrfeder) bewegt. Ölt man die Achsen, so erfolgt der Ablauf des Räderwerks schneller, während die treibende Kraft durch das Ölen keine Änderung erfährt. Wie nun eine Taschenuhr o h n e F e d e r a n t r i e b durch das ölen allein nicht in Bewegung gesetzt werden kann, vermag auch ein Katalysator Reaktionen ohne c h e m i s c h e T r i e b k r a f t ( „ A f f i n i t ä t " ; vgl. E. Wiberg: ,J)ie chemische Affinität", S. 29) nicht in Gang zu bringen, sondern lediglich die einer vorhandenen Triebkraft entgegenwirkenden „chemischen Reibungen" zu vermindern und damit langsam (gegebenenfalls unmerklich) ablaufende Reaktionen zu b e s c h l e u n i g e n . Die katalytischen Wirkungen können nicht alle auf gleiche Weise erklärt werden. Die beiden wichtigsten Deutungen sind: 1. die Annahme der Bildung leicht reagierender Z w i s c h e n p r o d u k t e , 2. die Annahme einer reinen O b e r f l ä c h e n w i r k u n g . Nach der e r s t e n H y p o t h e s e verläuft eine Reaktion etwa des Typus y4 + B^-AB bei Anwesenheit eines Katalysators K nach dem Schema A+K&AK AK + B&K + AB A + B^AB derart, daß ein Z w i s c h e n p r o d u k t AK gebildet wird, welches sofort nach seiner Entstehung unter R ü c k b i l d u n g d e s K a t a l y s a t o r s weiterreagiert. Die beiden T e i l r e a k t i o n e n sind dabei dadurch charakterisiert, daß sie zusammengenommen mit g r ö ß e r e r G e s c h w i n d i g k e i t ablaufen als die d i r e k t e Reaktion. Man nennt derartig wirkende Katalysatoren „ Überträger". Ein hierher gehörendes Beispiel ist etwa die Übertragung von Sauerstoff auf Schwefeldioxid (S0 2 + V2O2 S0 3 ) durch Stickstoffoxide (Bleikammerverfahren der Schwefelsäuregewinnung, S. 335). Man beobachtet diese Überträgerwirkung von Katalysatoren vor allem bei der „homogenen Katalyse", bei der reagierende Stoffe und Katalysatoren eine e i n z i g e P h a s e (Gas- oder Lösungsphase) bilden. Die „heterogene Katalyse", bei der G a s - oder L ö s u n g s reaktionen durch f e s t e Katalysatoren („Kontakte"; vgl. das Kontakt verfahren der Schwefelsäuregewinnung, S. 333) beschleunigt werden, ist meist durch die z w e i t e H y p o t h e s e , die Annahme einer O b e r f l ä c h e n w i r k u n g des Katalysators, zu deuten. Nach dieser Hypothese werden die reagierenden Stoffe durch A d s o r p t i o n (S. 504 f.) an der Oberfläche des Katalysators in einen reaktionsbereiteren Zustand übergeführt, in dem sie befähigt sind, schneller als im „unaktivierten" Zustand zu reagieren. Die Festigkeit der Adsorptions-Bindung muß dabei naturgemäß sehr spezifisch abgestuft sein, damit das adsorbierte Molekül zwar durch die Oberflächenbindung in einen gegenüber dem Normalzustand reaktionsfähigeren,,,angeregten" Zustand versetzt wird, andererseits aber nicht infolge zu fester Bindung eine stabile chemische O b e r f l ä c h e n - V e r b i n d u n g mit dem festen Katalysator bildet 43 . Auch muß die Art der Bindung eine leichte Loslösung des R e a k t i o n s p r o d u k t e s vom Katalysator ermöglichen, was ebenfalls dazu beiträgt, daß für jede chemische Reaktion ganz spezifische Katalysatoren erforderlich sind. Die Tatsache, daß die Wirkung fester Katalysatoren häufig durch minimale Mengen von „Kontaktgiften" („Hemmungsstoffen") aufgehoben werden kann, zeigt, daß nicht die ganze Oberfläche des festen Katalysators, sondern wahrscheinlich nur bestimmte ,aktive Stellen" (z. B. Spitzen, Ecken, Kanten, Gitterstörungen) des Katalysators — welche bei der „ Vergiftung" durch anderweitige Adsorption blockiert werden — für die Katalysatorwirkung verantwortlich zu machen sind (S. 665). Durch Zugabe bestimmter Fremdstoffe {„Aktivatoren", ,fromotoren"~), die an sich für die fragliche Reaktion gar nicht katalytisch wirksam zu sein brauchen, kann die Wirkung eines Katalysators häufig in s e h r b e d e u t e n d e m M a ß e verstärkt werden. So beschleunigt beispielsweise fein verteiltes Eisen die Bildung von Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff 43 Auf die Bildung solcher Oberflächen-Verbindungen ist z. B. die Passivierung (S. 645, 868f., 925 f.) vieler Metalle an der Luft oder in oxydierenden Säuren zurückzuführen.

Z Das chemische Gleichgewicht

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(3H 2 + N 2 2NH 3 ) weit weniger als ein Gemisch von Eisen und Aluminiumoxid (vgl. S. 369), da das schwerschmelzende Aluminiumoxid die Eisenteilchen bei der erhöhten Reaktionstemperatur der Ammoniaksynthese am allmählichen Zusammensintern („Rekristallisieren") hindert und so deren große unregelmäßige Oberfläche stabilisiert. Die Entwicklung solcher aus mehreren Stoffen bestehender „Mischkatalysatoren", die den Ausgangspunkt der modernen katalytischen Großindustrie bildet, ist weitgehend den systematischen Untersuchungen des deutschen Naturforschers A. Mittasch (1869—1953) zu danken. Vielfach läßt sich bei der heterogenen Katalyse k e i n e s c h a r f e G r e n z e zwischen einer Adsorptionsverbindung und einer wahren chemischen Zwischenverbindung und damit zwischen der ersten und zweiten Art der Katalysatorwirkung ziehen. ß) Beschleunigung durch Temperaturerhöhung Ein anderes Mittel zur Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Umsetzung ist die E r h ö h u n g d e r R e a k t i o n s t e m p e r a t u r , und zwar steigert bei Raumtemperatur eine T e m p e r a t u r e r h ö h u n g u m j e 10° nach einer von van't Hoff (vgl. S. 72) erkannten Regel die Reaktionsgeschwindigkeit im allgemeinen auf das z w e i - b i s v i e r f a c h e 4 4 . Eine chemische Reaktion verläuft daher bei 100° mindestens 2 1 0 = lOOOmal schneller als bei 0°, so daß Reaktionen, die bei 100° in einer Stunde ablaufen, bei 0° mindestens 40 Tage erfordern. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung der Temperatursteigerung beruht meist auf einer L o c k e r u n g oder gar S p r e n g u n g der Bindung zwischen den Atomen der reaktionsträgen Moleküle. Die hierfür erforderliche Energie (Aktivierungsenergie) kann statt in Form von W ä r m e vielfach auch in Form anderer Energie, z. B. L i c h t e n e r g i e (vgl. Chlorknallgasreaktion, S. 243 f.) oder c h e m i s c h e r E n e r g i e (vgl. katalytische Wirkung von Pd durch Palladiumwasserstoffbildung bei Hydrierungsreaktionen, S. 54) zugeführt werden. Zum Unterschied vom vorher (Abschnitt a) besprochenen K a t a l y s a t o r , welcher die Lage eines Gleichgewichts n i c h t v e r ä n d e r t , also die Geschwindigkeit der „Hin"- und „Rück"-Reaktion in gleicher Weise beschleunigt, beeinflußt die T e m p e r a t u r s t e i g e r u n g — vgl. Gleichung (18), S. 176 — auch den G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d (S. 187 f.), da sie die Geschwindigkeiten der Hin- und Rückreaktion in verschieden starker Weise erhöht. Daher läßt sich das Mittel der Geschwindigkeitssteigerung durch Temperaturerhöhung immer dann nicht anwenden, wenn es mit einer Verschlechterung der Gleichgewichtslage der erwünschten Reaktion verbunden ist. Das ist bei e x o t h e r m e n Reaktionen der Fall (vgl. S. 187f.), weshelb man bei solchen Umsetzungen (etwa der NH3-Synthese; S. 366) zum Unterschied von e n d o t h e r m e n Reaktionen (etwa der NO-Synthese; S. 394) Katalysatoren statt Temperaturerhöhung zur Reak tionsbeschleunigung anwendet.

d) Die Verschiebung von Gleichgewichten a) Qualitative Beziehungen aa) Das Prinzip von Le Chatelier Ein Gas oder ein gelöster Stoff ist nach der allgemeinen Zustandsgieichung p = c • R • T (S. 176) durch drei Größen charakterisiert: den D r u c k p, die K o n z e n t r a t i o n c und die T e m p e r a t u r T. Dementsprechend kann man ein im chemischen Gleichgewicht befindliches homogenes System durch Veränderung dieser Größen, also durch V e r g r ö ß e r n 44 Diese Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit beruht weniger auf einer Zunahme der Stoßzahl als auf einer Zunahme der Zahl eneigiereicher Teilchen (vgl. S. 169).

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VIII. Die chemische R e a k t i o n

( V e r k l e i n e r n ) d e s R e a k t i o n s d r u c k s , durch V e r g r ö ß e r n ( V e r k l e i n e r n ) d e r K o n z e n t r a t i o n dar Reaktionspartner oder durch E r h ö h e n ( E r n i e d r i g e n ) d e r R e a k t i o n s t e m p e r a t u r stören und v e r s t e h e n . Nach welcher Seite der chemischen Reaktionsgleichung hin die Gleichgewichtsverschiebung bei derartigen äußeren Eingriffen erfolgt, geht qualitativ aus dem im Jahre 1888 von dem französischen Chemiker Henry Le Chatelier (1850—1936) formulierten „Prinzip des kleinsten Zwanges" hervor: Übt man auf ein im Gleichgewicht befindliches System durch Änderung der äußeren Bedingungen einen Zwang aus, so verschiebt sich das Gleichgewicht derart, daß es dem äußeren Zwange ausweicht. Das Gesetz gilt sowohl für p h y s i k a l i s c h e wie für c h e m i s c h e G l e i c h g e w i c h t e . Beispiele ersterer Art sind z. B. die V e r ä n d e r u n g d e s S c h m e l z p u n k t e s mit dem Druck und das V e r d a m p f e n e i n e r F l ü s s i g k e i t beim Erwärmen: Übt man auf ein bei 0° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Eis einen D r u c k aus, so tritt S c h m e l z e n des Eises ein (Grundlage des Schlittschuhlaufens), weil beim Übergang von Eis in Wasser eine V o l u m e n v e r m i n d e r u n g (S. 67) erfolgt und so dem äußeren Druck ausgewichen wird. E r h i t z t man ein bei 100° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Wasserdampf, so erfolgt V e r d a m p f u n g des Wassers, weil der Übergang von flüssigem in dampfförmiges Wasser W ä r m e v e r b r a u c h t (S. 66) und so dem äußeren Zwang der Wärmezufuhr ausgewichen wird. In ganz entsprechender Weise lassen sich auch die Verschiebungen voraussehen, welche die Ausübung eines äußeren Zwanges bei c h e m i s c h e n Gleichgewichten zur Folge haben muß. bb) Folgerungen des Prinzips von Le Chatelier Veränderung der Konzentration eines Reaktionspartners. Fügt man zu einem im chemischen Gleichgewicht befindlichen System A+B&C+D n e u e n S t o f f A hinzu, so verschiebt sich das Gleichgewicht nach r e c h t s , da hierdurch dem äußeren Zwang der Konzentrationsvergrößerung von A durch Verbrauch von .4 ausgewichen wird. Wie weit die Verschiebung geht, ergibt sich aus dem M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z , da auch die Stoffkonzentrationen des n e u s i c h e i n s t e l l e n d e n Gleichgewichts natürlich wie vorher der Beziehung C

c

c' D _ ca-Cb~Kc

,,

genügen müssen. Befanden sich also vorher in der Volumeneinheit a Mole A, b Mole B, c Mole C und d Mole D und erhöhen wir die Konzentration des Stoffs um a Mole auf a + a , so wird, wenn wir die bis zur neuen Gleichgewichtseinstellung umgesetzte Molmenge des Stoffs A mit * bezeichnen, das neue Gleichgewicht durch die Beziehung (c + x) (d + x) 0a + d-x)(b-x)

c

wiedergegeben, aus der sich x errechnen läßt. Fügt m a n also z. B. zu einer Säure HA (A = Säurerest) oder einer Base BOH (B = Baserest): HA

H + + A~

BOH 3000°) dagegen werden die e x o t h e r m e n Verbindungen größtenteils z e r s t ö r t und e n d o t h e r m e g e b i l d e t . Q u a n t i t a t i v läßt sich die Gleichgewichtsverschiebung durch Temperaturveränderung mit Hilfe der R e a k t i o n s i s o c h o r e (18a)bzw. R e a k t i o n s i s o b a r e (18b) — S. 176 — errechnen, die ja für negatives Ai/bzw. AH (exotherme Reaktionen) eine A b n a h m e und für positives Ai/bzw. AH (endotherme Reaktionen) eine Z u n a h m e der Gleichgewichtskonstante K von Reaktion (24) ergibt. Zur Auswertung der Differentialgleichungen (18) ist allerdings eine vorherige Integration erforderlich, welche die Kenntnis der Temperaturabhängigkeit von AU bzw. AH voraussetzt (vgl. E. Wiberg: „Die chemische Äffinität", S. 109ff.). ß) Quantitative Anwendungsbeispiele aaj Die Hydrolyse S a l z e BA (Baserest B, Säurerest A) sind im allgemeinen praktisch v o l l s t ä n d i g dissoziiert (BA -»• B+ + A~). Löst man ein solches Salz BA in Wasser auf, welches in geringem Betrage in Wasserstoff- und Hydroxid-ionen gespalten ist (HÖH ^ H+ + OH"), so liegen in der wässerigen Lösung nebeneinander die Ionen B+, A", H + , OH"

vor. Je nach der Stärke der aus diesen Ionen zusammensetzbaren S ä u r e HA und B a s e BOH kann nun verschiedenerlei erfolgen. Handelt es sich um eine s t a r k e Säure HA und eine s t a r k e Base BOH — wie bei dem Salz NaCl (B = Na; A = Cl) —, so können die vier Ionen u n v e r ä n d e r t n e b e n e i n a n d e r bestehen (I), so daß keine Reaktion des Salzes mit dem Wasser („Hydrolyse") eintritt, die Lösung also n e u t r a l reagiert ( p H = 7). Ist aber bei starker Base BOH die Säure HA oder bei starker Säure HA die Base BOH s c h w a c h — wie im Falle von

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2. Das chemische Gleichgewicht

Natriumacetat NaAc 45 (B = Na; A = Ac) bzw. von Ammoniumchlorid NH4C1 (B = NH 4 ; A = Cl) —, so setzen sich die Anionen A" bzw. Kationen B+ mit den — in geringer Konzentration vorliegenden — Wasserstoff- bzw. Hydroxid-ionen des Wassers teilweise zu undissoziierter Säure (Base) um, so daß eine a l k a l i s c h e ( s a u r e ) Reaktion der Lösung auftritt (II; III). Sind schließlich s o w o h l S ä u r e HA w i e B a s e BOH s c h w a c h - wie im Falle von Ammoniumacetat NH 4 Ac (B = NH 4 ; A = Ac) —, so bildet sich unter weitgehender Hydrolyse sowohl undissoziierte Säure wie undissoziierte Base (IV), und die Reaktion der Salzlösung hängt in diesem Falle von der relativen Stärke der hydrologisch gebildeten schwachen Säure und schwachen Base ab (vgl. S. 190): B'OH'rA" (I) (starke Base, starke Säure) B*OH~H* A~ (III) (schwache Base, starke Säure)

B'OH-H'A" (II) (starke Base, schwache Säure) B*OH"H* A~ (IV) (schwache Base, schwache Säure)

Wie weit jeweils die Hydrolyse fortschreitet, läßt sich leicht mit Hilfe d e s . M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z e s errechnen, wie nachfolgend am Beispiel eines aus einer s c h w a c h e n S ä u r e HA und einer s t a r k e n B a s e B+OH" aufgebauten Salzes B+A" gezeigt sei: Die Hydrolyse eines solchen Salzes setzt sich aus den beiden Teilreaktionen HOH*±H + + O i r H* + A ' ^ H A A' + H O H ^ H A + OH"

(la) (lb) (1)

zusammen. Solange die durch die Gleichgewichtskonstante der e r s t e n Teilreaktion (Ionenprodukt kw des Wassers; S. 182) bedingte Wasserstoffionen-konzentration c H . = kwlcOHgrößer als die durch die Gleichgewichtskonstante der z w e i t e n Teilreaktion (Dissoziationskonstante KHA der Säure) bedingte Wasserstoffionen-konzentration c H+ = KHA • cHA/cA- ist, geht die H y d r o l y s e gemäß (1) w e i t e r . Dabei nimmt