Legitimation durch Begründung: Eine erkenntniskritische Analyse der Drittwirkungs-Kontroverse [1 ed.] 9783428431595, 9783428031597

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Legitimation durch Begründung: Eine erkenntniskritische Analyse der Drittwirkungs-Kontroverse [1 ed.]
 9783428431595, 9783428031597

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FRIDEL

ECKHOLD-SCHMIDT

Legitimation durch Begründung

S c h r i f t e n zur Rechtstheorie Heft 36

Legitimation durch Begründung Eine erkenntniskritische Analyse der Drittwirkungs-Kontro verse

Von Dr. Fridel Eckhold-Schmidt

D U N C K E R

&

H Ü M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1974 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 03159 8

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Konstanz i m Sommersemester 1973 als rechtswissenschaftliche Dissertation vorgelegen. Die Arbeit wurde von Professor Dr. Ekkehart Stein betreut. Für ausführliche Diskussionen und hilfreiche K r i t i k schulde ich i h m meinen besonderen Dank. Konstanz, i m März 1974

Fridel

Eckhold-Schmidt

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil: Einführung I . Einleitung

15

1.

Untersuchungsinteresse

15

2.

M i n i m a moralia der Begründung richterlicher Entscheidungen

16

Untersuchungsplan

23

3.

I I . Der soziale Sachverhalt

24

I I I . Die Einführung von Grundrechten zeß bei der Lösung privatrechtlicher und Lehre

in den Rechtsgewinnung sproKonflikte in Rechtsprechung 26

1.

Problematisierungsansatz i n Rechtsprechung u n d Lehre

2.

Die einzelnen Lösungsansätze i n ihrem Begründungszusammenhang

28

a)

Dualistischer Ansatz

28

b)

Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt

32

Absolute Geltung der Grundrechte

33

c)

IV. Strukturierung des Problembereichs — Sprachregelungen —

26

40

1.

Ordnungsbereich der Grundrechte

41

2.

Anwendungsbereich der Grundrechte

41

3.

Anwendungsform der Grundrechte

41

Zweiter Teil: Ermittlung des normativen Rahmens der Problemlösung Überlegungen zur Normsituation I. Zur Methodik

der Untersuchung

43

nsverzeichnis 1.

Anknüpfungspunkt der Untersuchung

43

2.

Voraussetzungen der Normqualität der dogmatischen Grundannahmen

43

Erkenntnismittel

45

3.

I I . Prüfung der unmittelbaren Normhypothesen 1.

Normqualität

der vertretenen 45

Legitimierbarkeit durch positivierte Normen

45

a)

Dualistischer Ansatz

45

b)

Grundrechtsorientierung des Privatsrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt

46

c)

Absolute Geltung der Grundrechte

47

d)

Z u m Legitimationswert der f ü r die dogmatischen Grundannahmen vorgetragenen Argumente aa) Z u m Erkenntnis w e r t der herkömmlichen Auslegungsbehelfe bb)

Z u m Legitimationswert der mittels der herkömmlichen Auslegunsbehelfe gewonnenen Argumente . .

48 48 49

2.

Legitimation durch Rechtspraxis

50

3.

Ergebnis

51

I I I . Prüfung der mittelbaren Normqualität der vertretenen Normhypothesen — Gesellschaftsverfassung des GG und dogmatische Konstruktion des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Privatrecht — 1.

2.

51

Z u r gesellschaftspolitischen Tendenz der vertretenen dogmatischen Konstruktionen des Verhältnisses v o n Verfassungsrecht u n d Privatrecht

52

a)

Dualistischer Ansatz

52

b)

Absolute Geltung der Grundrechte

53

c)

Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die G r u n d rechtsbindung der öffentlichen Gewalt

54

Z u r Gesellschaftsverfassung des Grundgesetzes a)

b)

55

Interpretationen einer freiheitlichen Sozialordnung zur Rechtfertigung der dogmatischen Konstruktionen des V e r hältnisses v o n Verfassungsrecht u n d Privatrecht aa) Formales Freiheitsverständnis

55 56

bb)

57

Materiales Freiheitsverständnis

Bestimmbarkeit der verfassungsgesetzlich gebotenen Ordn u n g des Soziallebens aa) Gesellschaftspolitische Offenheit des Grundgesetzes

58 59

nsverzeichnis bb)

c) 3.

9

Funktionelle Grenzen der judiziellen Verfassungskonkretisierung

cc) Der judizielle Konkretisierungsspielraum Zusammenfassung

59 61 64

Konsequenzen der möglichen Aussagen zur Gesellschaftsverfassung des GG f ü r die Normqualität der dogmatischen K o n struktionen des Verhältnisses von Verfassungsrecht u n d Privatrecht

I V . Ergebnis

64 65

Dritter Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert der vertretenen Lösungsansätze I . Darstellungs- und Erkenntniswert tigkeitskriterium" I I . Dualistischer 1. 2. 3.

4. 5. 6.

eines Lösungsansatzes

66

Ansatz

67

Rekurs auf die den Grundrechten vorgegebene Wertordnung bzw. überpositive Menschenrechte als Rationalitätsverzicht . . .

67

Unvereinbarkeit v o n dualistischem Ansatz und interpretativer Einbeziehung der Grundrechte i n das Privatrecht

69

Verfassungspolitische Zielbestimmung u n d Anwendungsform der Grundrechte i m Privatrecht — Verhältnis von Form u n d Inhalt —

71

Gewaltenteilungsgrundsatz Grundrechtsanwendung

73

als Verbot

2.

einer

unmittelbaren

Der methodologische Wert der mittelbaren Anwendung von Grundrechten

75

Zusammenfassung

77

I I I . Grundrechtsorientierung des Privatrechts dung der öffentlichen Gewalt (Schwabe) 1.

als „Rich-

Differenzierung rechten

über die

zwischen Freiheitsrechten

Grundrechtsbin78 und

Gleichheits78

Staatsgerichtetheit der Grundrechte u n d Grundrechtsbindung des Zivilrichters bzw. Zivilgesetzgebers

79

3.

Die „Unmöglichkeit" v o n Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private

81

4.

Die mittelbare A n w e n d u n g von Grundrechten auf rechtsverhältnisse

83

5.

Zusammenfassung

Privat83

10

nsverzeichnis

IV. Die absolute

Geltung

der Grundrechte

84

1.

Vorbemerkung

84

2.

Absolute Geltung der Grundrechte u n d restriktive Bestimmung des Anwendungsbereichs der Grundrechte i m P r i v a t recht

84

3.

Nebeneinander von unmittelbarer u n d mittelbarer G r u n d rechtsanwendung — Noch einmal zum Verhältnis von F o r m und I n h a l t —

88

4.

Zusammenfassung

89

V. Ergebnis

90

Vierter Teil: Inhaltliche Plausibilität der vertretenen Lösungsansätze Rechtspolitische Richtigkeitskontrolle I. Überprüfbarkeit ansatzes 1. 2.

eines

Lösungsan91 91

Notwendige und nachprüfbare Elemente der rechtspolitischen Rechtfertigung eines Lösungsansatzes

93

a)

II. Inhaltliche

2.

Richtigkeit

Rechtspolitische Richtigkeitskontrolle als Argumentationskontrolle

b)

1.

der rechtspolitischen

Z u m Verfahren judizieller Normgewinnung

94

aa)

E r m i t t l u n g der Normalternativen

95

bb)

Normwahl

97

Zusammenfassung der notwendigen u n d nachprüfbaren Elemente der rechtspolitischen Rechtfertigung eines L ö sungsvorschlags Plausibilität

der vertretenen

Lösungsansätze

99 100

Z u r inhaltlichen Plausibilität der Rechtfertigung der Lösungsansätze

100

a)

Dualistischer Ansatz

101

b)

Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt

102

c)

Absolute Geltung der Grundrechte

103

d)

Ergebnis

105

Z u r rechtspolitischen Begründbarkeit der vertretenen sungsansätze — Rationalität eines allgemeinen Lösungsansatzes —

Lö106

nsverzeichnis a) b)

c)

11

Typen v o n Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private

107

Die vertretenen Normvorschläge u n d deren Anwendungsbereich — Z u r Einheitlichkeit der Problemlage der jeweils erfaßten Fallgruppen —

109

Ergebnis

115

Fünfter Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung I. Bewertung

der Drittwirkungskontroverse

II. Argumentationsregeln für die rechtliche Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private . . Literaturverzeichnis

117

118 120

Abkürzimgsverzeichnis a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AcP

A r c h i v f ü r die civilistische Praxis

Anm.

Anmerkung

AöR

A r c h i v des öffentlichen Rechts

AP

Arbeitsrechtliche Praxis

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AuR

A r b e i t u n d Recht

BAG

Bundesarbeitsgericht

BB

Der Betriebsberater

Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof (Zivilsachen)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

dies.

dieselbe

Diss.

Dissertation

DÖV

Die öffentliche V e r w a l t u n g

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

f., ff.

folgende

FGO

Finanzgerichtsordnung

Fn.

Fußnote

GG

Grundgesetz

ggfs.

gegebenenfalls

Hrsg.

Herausgeber

insbes.

insbesondere

i. S.

i m Sinne

i. V. m.

i n Verbindung m i t

Abkürzungsverzeichnis JuS

13

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

JurA

Juristische Analysen

KJ

Kritische Justiz

KZfSS

K ö l n e r Zeitschrift f ü r Soziologie u n d Sozialpsychologie

MDR

Monatsschrift f ü r Deutsches Recht

Nachw.

Nachweise

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

OLG

Oberlandesgericht

österr. Z. f. öff. R. österreichische Zeitschrift f ü r öffentliches Recht RAG

Reichsarbeitsgericht

RdA

Recht der A r b e i t

Rspr.

Rechtsprechung

s.

siehe

s. a.

siehe auch

s. o.

siehe oben

Sp.

Spalte

st.

ständige

StPO

Strafprozeßordnung

T.

Teil

u. a.

unter anderem

v.

von

vgl.

vergleiche

Vorbem.

Vorbemerkung

WDStRL

Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

ZfSchweiz.R.

Zeitschrift f ü r Schweizerisches Recht

ZgesStw

Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft

ZMR

Zeitschrift f ü r M i e t - u n d Raumrecht

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZRP

Zeitschrift f ü r Rechtspolitik

Erster Teil

Einführung I. Einleitung 1. Untersuchungsinteresse Der juristische Determinismus ist tot 1 . Diese Einsicht setzt sich i n der neueren methodologischen Literatur immer mehr durch 2 . Damit ist aber die Rechtfertigung insbesondere der richterlichen Entscheidungstätigkeit als bloße Gesetzesanwendung hinfällig geworden. Die Justiz und die i h r zuarbeitende Rechtswissenschaft scheinen m i t dem Problem dieser Rechtfertigung dennoch keine besonderen Schwierigkeiten zu haben, denn die Gerichte fällen ihre Entscheidungen und die Rechtswissenschaft unterbreitet ihre Norm- und Argumentationsvorschläge ohne Anzeichen einer vermehrten Unsicherheit. Dieses ungebrochene Selbstverständnis mag seine Ursache darin haben, daß der juristische Determinismus tatsächlich keineswegs tot ist, oder aber darin, daß die Praxis sein Ableben noch nicht bemerkt hat — es ist allerdings auch denkbar, daß die Praxis bereits neue Argumentationsmuster entwickelt hat, von denen die Methodenlehre ihrerseits noch keine Kenntnis genommen hat. 1

Vgl. Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 239; Adomeit, ZRP 1970, S. 176. Die Vorstellung, daß das Recht f ü r jede beliebige Rechtsfrage n u r eine richtige A n t w o r t bereit halte, die durch logische Operationen ermittelt w e r den könne, wurde allerdings schon sehr v i e l früher angezweifelt, etwa v o n der Freirechtsbewegung (vgl. z.B. Kantorowicz, der K a m p f u m die Rechtswissenschaft, S. 13 ff.), der Interessenjurisprudenz (vgl. Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung, S. 13 ff., ders., Gesetzauslegung u n d Interessenjurisprudenz, S. 102 ff.) u n d der Wiener Schule (vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 94 ff.) ; vgl. auch von Bülow, Gesetz u n d Richteramt, S. 28 ff. Doch während damals das Ungenügen des Subsumtionsmodells meist i m m e r noch als A u s nahme angesehen wurde, äußert sich die K r i t i k am juristischen Positivismus heute zwingender u n d radikaler; vgl. insbesondere Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 47 ff.; Esser, Grundsatz u n d Norm, S. 253 ff.; ders., Vorverständnis und Methodenwahl i n der Rechtsfindung; Friedrich Müller, Juristische Methodik; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 104 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S 23 ff.; Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 67 ff., 224 ff.; — s.a. Podlech, AöR 95/185 ff., 190 f.; Rüthers, I n s t i t u tionelles Rechtsdenken, S. 13 f., 16 f.; Wassermann, Der politische Richter, S. 17 ff., 32 ü.;Winter, Rechtstheorie 1971, S. 171; Zippelius, J Z 1970, S. 241 ff. — Eine anschauliche Demonstration des Versagens des Subsumtionsmodells liefert Rüthers m i t seiner Schrift „Die unbegrenzte Auslegung". 2

1. Teil: Einführung

16

I m folgenden soll nun anhand einer i n Rechtsprechung und Schriftt u m sehr ausführlich diskutierten juristischen Streitfrage dem Problem der Rechtfertigung richterlicher Entscheidungen auf einer etwas konkreteren Ebene nachgegangen werden, wobei weniger ein Interesse an Verallgemeinerungsfähigkeit i n methodischer Hinsicht verfolgt w i r d als das Interesse daran, die Entscheidung bestimmter sozialer Konflikte einer rationaleren und offeneren Diskussion zugänglich zu machen. Z u diesem Zweck sollen die i n der Diskussion verwendeten Erkenntnismittel und Argumentationsmuster einer erkenntniskritischen Uberprüfung unterzogen werden, u m von daher Aufschluß darüber zu gewinnen, welche Argumentationsansätze am ehesten geeignet sind, i n nachvollziehbarer Weise zu vernünftigen Ergebnissen zu führen. Gegenstand der hier zu analysierenden juristischen Kontroverse soll die Frage der rechtlichen Behandlung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private sein, wobei von der Hypothese ausgegangen wird, daß die umfängliche Diskussion dieses Problem bisher noch keine Argumentationszusammenhänge bereitgestellt hat, die geeignet wären, gefundene Ergebnisse plausibel zu machen und die Auffindung noch unbekannter Lösungen rational anzuleiten. Dabei w i r d hier von einem bestimmten Vorverständnis dessen, was eine Begründung leisten soll und unter welchen Bedingungen sie dies zu leisten am ehesten i n der Lage ist, ausgegangen. Mag dieses Vorverständnis auch i m wesentlichen durch literarisch bereits vorfindbare Überlegungen geprägt sein, so ist es doch i m Interesse der Transparenz der nachfolgenden Ausführungen erforderlich, die hier zugrundegelegte Sicht des Begründungsproblems kurz darzulegen. I n diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß sich die hier angestellten Überlegungen nicht nur hinsichtlich des zu lösenden Rechtsproblems, sondern auch hinsichtlich der Entscheidungssituation des Richters als Überlegungen de lege lata verstehen, d. h. es w i r d eine unvollkommene Situation i n Rechnung gestellt, für die es nur unvollkommene Empfehlungen geben kann.

2. Minima

moralia

der Begründung

richterlicher

Entscheidungen

Das Interesse an Begründungen stellt sich häufig als Interesse an dogmatischer Aufarbeitung einer bestimmten Entscheidungspraxis i. S. einer Verbesserung von Argumentationsketten zur Rechtfertigung bereits gefundener Problemlösungen dar. Damit sind jedoch die hier verfolgten Intentionen nicht zureichend beschrieben. Geht man davon aus, daß Begründungen sich immer als rationale Rekonstruktionen des Rechtserkenntnisprozesses darstellen bzw. darstellen sollten, so ist die Beschäftigung mit Begründungen richterlicher Entscheidungen immer auch eine Beschäftigung m i t Kriterien der Pro-

I. Einleitung

17

blemlösung und damit wiederum mit Möglichkeiten der Problemlösung selbst. Als Problemlösung kommt nur i n Betracht, was auch begründbar ist, und gelingt es, einen Argumentationsgang nachhaltig zu erschüttern, so werden dadurch regelmäßig neue Handlungsspielräume eröffnet, mögen diese auch i n der Praxis häufig mit Stillschweigen übergangen werden. Das Erfordernis der Begründbarkeit richterlicher Entscheidungen ist n u n allerdings unbestritten. Soweit die Verfahrensordnungen die Begründung von Entscheidungen nicht ausdrücklich vorschreiben 3 , ergibt sich die Begründungspflicht aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Kontrollierbarkeit staatlicher Machtausübung (Art. 20 Abs. I I I , 28 Abs. I GG) 4 . Diskussion kann es nur darüber geben, wann man eine Entscheidung als begründet ansehen w i l l , und dies hängt wesentlich davon ab, welche Funktionen man den Begründungen richterlicher Entscheidungen beimißt. Eine Funktion, die man als Rechtsschutzfunktion bezeichnen könnte, wurde m i t dem Grundsatz der Kontrollierbarkeit staatlicher Eingriffe bereits angesprochen. Von daher lassen sich bestimmte Mindestanforderungen an richterliche Begründungen formulieren, wie Brüggemann dies etwa i n seiner Untersuchung zur richterlichen Begründungspflicht getan hat*. M i t der Ermöglichung der Rechtmäßigkeitskontrolle sind die Funktionen richterlicher Begründungen jedoch nicht zureichend beschrieben; hinzu kommt vielmehr noch eine darüber hinausgehende Legitimationsfunktion, die sich aus dem spezifischen Legitimationsbedarf richterlicher Entscheidungen ergibt. Die richterliche Entscheidungstätigkeit ist Ausübung staatlicher Gewalt, die als solche demokratischer Legitimation bedarf (Art. 20 Abs. I GG). Das Grundgesetz hat dieses Legitimationsproblem durch die Gesetzesbindung des Richters zu lösen versucht 6 . Wenn der Richter lediglich Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vollzieht, so bedarf es einer besonderen Legitimation richterlichen Handelns nicht mehr. Dieser Legitimationsmechanismus funktioniert jedoch nur insoweit, als richterliches Handeln tatsächlich durch Gesetzesbestimmungen vorprogrammiert ist, was wiederum nur dann der Fall ist, wenn jeweils einschlägige Normen zur Verfügung stehen und diesen Normen ein eindeutiger Sinn entnommen werden kann, wobei von vornherein zu berücksichtigen ist, daß es Eindeutigkeit des Normsinns nur i. S. intersubjektiver Einigkeit über den Inhalt einer Norm geben 3

Vgl. z. B. §§ 313 ZPO, 34, 267 StPO, 112 Abs. 2 V w G O , 113 Abs. 2 FGO. Vgl. dazu i m einzelnen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, S. 110 ff., 168 ff. 5 Siehe dort insbes. S. 171 ff. 6 Siehe auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 236. 4

2 Eckhold-Schmidt

18

1. Teil: Einführung

kann 7 . Den einschlägigen Rechtssätzen kann aber regelmäßig nur für Fragen, die den Kernbereich der Norm treffen, eine eindeutige A n t w o r t entnommen werden, während i m übrigen ein mehr oder weniger großer Interpretationsspielraum bleibt, der mittels der herkömmlichen Auslegungsbehelfe nicht reduziert werden kann 8 . Lassen die verschiedenen Auslegungsbehelfe unterschiedliche Normdeutungen zu, so besteht auf der Ebene der Sinnermittlung keine Möglichkeit, den durch die einzelnen Interpretationsgesichtspunkte eröffneten Entscheidungsspielraum auf eine einzige Entscheidungsmöglichkeit einzugrenzen, da es eine verbindliche Rangfolge der zur Verfügung stehenden Auslegungsbehelfe nicht gibt* und Kriterien, an denen das Gewicht der gewonnenen Interpretationshinweise gemessen werden könnte, nicht angebbar sind. Die verfassungsgesetzlich vorgesehene Legitimationskette reißt daher an dieser Stelle ab 10 . Die Eingrenzung des von den vorgegebenen Normen belassenen Entscheidungsspielraums stellt sich nicht mehr als Entscheidung des demokratischen Gesetzgebers, sondern als Entscheidung des Richters selbst, d. h. als judizielle Normsetzung dar, die an der demokratischen Legitimation nicht mehr teilhat 1 1 . Der Umstand, daß judizielle Normsetzung sich meistens innerhalb eines mehr oder weniger weiten vorgegebenen rechtlichen Rahmens abspielt, schafft keine hinreichende Legitimationsbasis, denn erst die richterliche Normkonkretisierung bestimmt den Inhalt der Entscheidung und stellt sich damit für den Rechtsunterworfenen als der relevante politische A k t dar. Das Legitimationsproblem erhält seine Schärfe dadurch, daß der unter Entscheidungszwang stehende Richter ständig politisch handeln muß, dieses Handeln aber prinzipiell unverantwortet bleibt. Die Regelung der Rekrutierung der Richter und die ihnen verfassungsrechtlich zugesicherte Unabhängigkeit schließen jede gesellschaftliche Kontrolle aus 12 . Wissenschaft und Praxis überdecken dieses Legitimationsdefizit meist immer noch i n der Weise, daß durch ergebnisorientierte Wahl der Interpretationsgesichtspunkte oder die mehr oder weniger willkürliche Be7

Vgl. Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 237. Z u r Unmöglichkeit, Interpretationsspielräume durch Interpretation zu beseitigen, vgl. bereits Kelsen, S. 96 ff.; vgl. i m übrigen auch Naucke, i n : Festschrift f ü r Engisch, S. 278 f. 9 Z u r Gleichrangigkeit der Auslegungsmethoden vgl. etwa Esser, Vorverständnis, S. 122 ff.; Engisch, Einführung i n das juristische Denken, S. 93 ff.; Brüggemann, S. 74; Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, S. 60 f.; Naucke, i n : Festschrift f ü r Engisch, S. 278; Schwerdtner, JuS 1972, S. 259; Ehmke, V V D S t R L 20, S. 100; Opp, Soziologie i m Recht, S. 124; Rottleuthner, Richterliches Handeln, S. 30 f. 10 Siehe auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 236; Wassermann, S. 97. 11 Dazu auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 236; Wassermann, S. 97. 12 Vgl. Wassermann, S. 97 ff. 8

I. Einleitung

19

hauptung des Vorrangs einer bestimmten Auslegungsmethode 13 die getroffene Entscheidung als zwingende Folge vorgegebener Rechtsnormen ausgegeben wird 1 4 . Es liegt auf der Hand, daß diese Form der Legitimationserschleichung keine Lösung des Problems darstellen kann, wenn man nicht die Vorstellung einer Gesellschaft mündiger Bürger preisgeben will. Zum Problem der Legitimation richterlicher Entscheidungen unter den Bedingungen der gegenwärtigen Justizverfassung stehen i m wesentlichen zwei Legitimationskonzepte zur Diskussion: Legitimation durch Verfahren und Legitimation durch sprachlich symbolische Implikation i. S. einer auf Konsensfähigkeit gerichteten Darstellung der Entscheidungsgründe 15 . Während sprachlich-symbolische Legitimation auf Zustimmung der Adressaten einer Entscheidung aufgrund eigenverantwortlicher Überzeugung von der Wahrheit bzw. Richtigkeit der getroffenen Entscheidung beruht, geht es bei der Legitimation durch Verfahren um die Ablösung vom normativen Sinnbezug 16 . Luhmann w i l l Legitimation als rein faktisches Geschehen begreifen 17 . Legitimität beruht für ihn „gerade nicht auf freiwilliger' Anerkennung, auf persönlich zu verantwortender Überzeugung, sondern i m Gegenteil auf einem sozialen Klima, das die Anerkennung verbindlicher Entscheidungen als Selbstverständlichkeit institutionalisiert.. ." 18 . A u f eine Darstellung dieses Legitimationsmechanismusses kann hier jedoch verzichtet werden 19 , da Luhmanns Konzeption für unseren Zusammenhang bereits deshalb unbrauchbar ist, weil sie auf Prämissen beruht, die genau das Phänomen ignorieren, das hier thematisiert werden soll 20 . Luhmann konzediert, „daß eine Legitimation durch Verfahren nur in Verbindung mit kondi13 Siehe hierzu die Beispiele aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts u n d des Bundesgerichthofes bei Hesse, S. 24, u n d Esser, Vorverständnis S. 122 f. 14 Siehe auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 236 f.; Esser, a.a.O., S. 123; Säcker, Grundprobleme, S. 115 f.; Brüggemann, S. 72. 15 Siehe dazu Luhmann, Legitimation durch Verfahren, u n d Rottleuthner, K J 1971, S. 70 ff.; während das systemtheoretische Konzept einer Legitimation durch Verfahren von L u h m a n n i n die Diskussion eingebracht worden ist, entspricht die Vorstellung einer Legitimation durch sprachlich-symbolische I m p l i k a t i o n dem klassischen Verfahrensverständnis (Luhmann, a.a.O., S. 18 ff.), das allerdings das spezifische Legitimationsproblem richterlicher Rechtspolit i k nicht einbezog. 16 Vgl. Luhmann, a.a.O., S. 37. 17 Vgl. Luhmann, a.a.O., S. 37. 18 Vgl. Luhmann, a.a.O., S. 34. 19 Vgl. die Darstellungen bei Esser, Vorverständnis, S. 202 ff.; Rottleuthner, K J 1971, S. 69 ff.; siehe auch Münstermann, K J 1969, S. 323 ff.; Schwerdtner Rechtstheorie 1971, S. 71 ff. 20 Umfassendere Auseinandersetzungen m i t diesem Ansatz sind zu finden bei Esser, a.a.O., S. 202 ff.; Münstermann, K J 1969, S. 323 ff.; Rottleuthner, K J 1971, S. 69 ff.

2*

1. Teil: Einführung

20

tionaler Programmierung des Entscheidens institutionalisiert werden kann" 2 1 , sieht aber diese Voraussetzungen beim Rechtsanwendungsprozeß als gegeben an 22 . Ausgeklammert bleibt die Tatsache, daß das Subsumtionsmodell eben weitgehend nicht funktioniert, sondern der Richter die Programme überwiegend selbst mitbestimmt 2 3 . Indem Luhmann auf diese Weise die politische Dimension richterlichen Handelns aus dem Problemfeld eliminiert, trifft er weder analytisch noch normativ das hier genannte Problem und verschafft seinen Überlegungen die bereits von anderen herausgearbeitete konservative Pointe 24 . Bekommt man m i t der Luhmannschen Konzeption einer Legitimation durch Verfahren das Problem der Legitimation richterlicher Rechtspolitik nicht angemessen i n den Griff, so bleibt nur der Rückgriff auf die Vorstellung einer Legitimation durch sprachliche Verständigung über die Richtigkeit der Entscheidung 25 . Legitimation durch interpersonale Einigung über die Richtigkeit einer Entscheidung stellt sich jedoch als gesellschaftlich amfoitioniertestes Legitimationsmodell dar, da es jedem Beteiligten ein Optimum an Selbstbestimmung zugesteht. Für den hier angesprochenen Zusammenhang muß diese Vorstellung denn auch erhebliche Einschränkungen erfahren. Die Herstellung von Konsens ist, wenn freie Zustimmung intendiert ist, nicht nur eine Frage der Uberzeugungskraft der vorgetragenen Argumente, sondern zugleich eine Frage der Kommunikationsbedingungen 26 . Verzerrungen der Kommunikation durch ungleiche Verteilung der Einflußchancen hindern die zwanglose Übernahme von Argumenten und damit die Erzielung eines „wahren Konsensus" 27 . Das Verfahren, in dem Richter zu ihren Entscheidungen gelangen, ist nun aber gerade dadurch gekennzeichnet, daß eine uneingeschränkte Kommunikation nicht möglich ist. Faktoren wie Rollenverteilung, Entscheidungszwang und das Institut der Rechtskraft bedeuten, daß Gerichtsverfahren nur als „systematisch verzerrte Interaktion" 2 8 zu begreifen sind. Auch ein noch so ausführliches Rechtsge21

Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 133. Vgl. Luhmann, AöR 94, S. 3; ders., Rechtssoziologie, Bd. 2, S. 227 ff. 23 Siehe auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 73, 236 Fn. 290 ;Rottleuthner, K J 1971, S. 80; Esser, Vorverständnis, S. 209 f.; Münstermann, K J 1969, S. 336. 24 So insbesondere Münstermann, K J 1969, S. 336 u n d Rottleuthner, K J 1971, S. 74, 80 f.; siehe auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 73; Esser, a.a.O., S. 209 f. / 25 Siehe auch Esser, a.a.O., S.211f.; Rottleuthner, K J 1971, S.75ff. 2e Vgl. zum folgenden Habermas, i n : Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 123 ff., 221 ff.; Rottleuthner, K J 1971, S. 80 ff. 22

27 28

Vgl. Habermas, a.a.O., S. 136 f. Rottleuthner, K J 1971, S. 81.

I. Einleitung

21

spräch i m Prozeß kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Einflußchancen sehr unterschiedlich verteilt sind und letztlich doch nur einei entscheidet, was rechtens sein soll. Stellt sich die richterliche Entscheidung i m Verfahren als autoritativer Abbruch einer Diskussion dar, so kann sie doch immerhin außerhalb des Verfahrens als prinzipiell unbeschränkt kritisierbarer Beitrag i n der Diskussion darüber, wie Fälle dieser A r t zu entscheiden sind, verstanden werden. Unter diesem Aspekt sind nicht n u r die Verfahrensbeteiligten Adressaten richterlicher Entscheidungen, sondern alle diejenigen, die als professionelle Rechtsanwender, Rechtswissenschaftler und sonstige Interessenten an der Normdiskussion teilnehmen 29 . Innerhalb dieser Gesprächsrunde erweist sich die Antizipation idealer Kommunikationsbedingungen und damit die Erwartung von Verständigungsmöglichkeiten als weniger fiktiv, als zwischen den unmittelbar Beteiligten, deren zwanglose Verständigung eher ein Glücksfall ist, als daß sie erwartet werden könnte. Soweit nun eine Verständigung durch zwanglose, uneingeschränkte Kommunikation nicht möglich ist, reduziert sich der Anspruch einer Legitimation von Entscheidungen durch freien Konsens auf „Legitimation" durch die Bemühung um konsensfähige Entscheidungen i m mehr oder weniger fiktiven „Vorgriff auf die ideale Sprechsituation" 30 . M i t t e l dieser Bemühungen kann dabei nur die Begründung der zu treffenden Entscheidung sein 31 . Es bleibt die Frage, unter welchen Bedingungen eine Begründung am ehesten geeignet ist, eine Entscheidung konsensfähig zu machen. Ist die Bemühung um Konsensfähigkeit einer Entscheidung nicht auf jede irgendwie geartete Zustimmung, sondern auf Annahme der Entscheidung aufgrund freier Uberzeugungsbildung gerichtet, weil hier i m Unterschied zu Luhmann von der prinzipiellen Einsichtsfähigkeit der an der Normdiskussion Beteiligten ausgegangen wird 3 2 , so muß die Begründung die Entscheidung nicht nur nachvollziehbar, sondern auch nachprüfbar, d. h. kritisierbar machen 33 , wobei Kritisierbarkeit hier eben mehr sein soll als die Ermöglichung einer Rechtmäßigkeitskontrolle, da die Ausfüllung des dem Richter immer verbleibenden politischen Handlungsspielraums gerade wegen dieses Handlungsspielraums 29 Rottleuthner, K J 1971, S. 76 f., weist m i t Recht darauf hin, daß Luhmann m i t seiner Beschränkung auf die Verfahrensbeteiligten den Abnehmerkreis der zu legitimierenden Entscheidungen v i e l zu k l e i n ansetzt. 30 Habermas, a.a.O., S. 136. 31 Siehe auch Rottleuthner, K J 1971, S. 75 ff. 32 Vgl. dazu Esser, Vorverständnis, S. 211. 33 Siehe auch Rottleuthner, K J 1971, S.75f.; Winter, Rechtstheorie 1971, S. 173.

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1. Teil: Einführung

einer Rechtmäßigkeitskontrolle nur i n beschränktem Umfange — etwa unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Denkgesetzen — zugänglich ist. Kritisierbarkeit ist Voraussetzung der Konsensfähigkeit, weil die Wahrheit bzw. Richtigkeit von Normen nicht vorgegeben ist, sondern nur i m Wege intersubjektiver Verständigung begründet werden kann 3 4 , mit der Konsequenz, daß zustimmungsfähig nur solche Entscheidungen sein können, die durch nachprüfbare und damit kritisierbare Darstellung der Entscheidungsgründe der Diskussion zugänglich gemacht werden. Die Nachprüfbarkeit richterlicher Entscheidungen ist aber nur gewährleistet, wenn der stattgefundene Rechtserkenntnisprozeß i n der Begründung transparent gemacht wird. Das bedeutet, daß die bei der Inhaltsermittlung von Normen immer wieder auftretenden Entscheidungsspielräume nicht durch eine ergebnisorientierte Wahl der Interpretationsgesichtspunkte verdeckt werden dürfen, u m auf diese Weise einen gegen K r i t i k abschirmenden Ableitungszusammenhang zwischen vorgegebenen Rechtsnormen und Ergebnis zu konstruieren, der in Wahrheit nicht gegeben ist, sondern daß offenzulegen ist, bei welchen Fragen die Beantwortung nicht eindeutig durch Normen determiniert ist und welche Gründe dafür maßgeblich sind, daß eine Auslegungsmöglichkeit einer anderen vorgezogen wird 3 5 . Eine Entlastung vom Begründungszwang in dem Sinne, daß die inhaltliche Vernünftigkeit einer zugrundegelegten Norm vorausgesetzt werden darf, kann nur insoweit zugebilligt werden, als der Richter aufgrund seiner Gesetzesbindung tatsächlich gebunden ist, ihm die Normwahl also nicht als eigene Entscheidung zugerechnet werden kann. Dabei kann als bindender rechtlicher Rahmen einer Entscheidung nur ausgegeben werden, was denkgesetzlich fehlerfrei aus Rechtssätzen hergeleitet wurde, über deren Inhalt Konsens besteht. Soweit die einschlägigen Normen mehrere Deutungen zulassen, ist die Normkonkretisierung als politische Entscheidung des Richters m i t den hierzu zur Verfügung stehenden Argumentationstechniken zu rechtfertigen 36 . Gegen die Forderung, daß richterliche Rechtspolitik auch als solche auszuweisen und inhaltlich zu rechtfertigen ist, w i r d immer noch das Argument der Beeinträchtigung der Rechtssicherheit ins Feld geführt. Es ist sicher unbestritten, daß Rechtssicherheit i. S. von Voraussehbarkeit staatlichen Handelns und Gleichbehandlung vor Gericht ein erstre34 Vgl. dazu Habermas, i n : Habermas / Luhmann, S. 241; siehe auch Winter, Rechtstheorie 1971, S. 173. 35 Z u r Notwendigkeit der Rechtfertigung der W a h l des Auslegungsbehelfs vgl. auch Brüggemann, S. 73 f. 36 So bereits Kelsen, S. 98 f.; siehe auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 236; Wassermann, S. 17 ff.

I. Einleitung

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benswertes Ziel ist, dessen Verwirklichung i n den Grenzen des Erreichbaren verfassungsgesetzlich aufgegeben ist. Nur kann Rechtssicherheit nur dort beeinträchtigt werden, wo bis dahin sicher war, was rechtens ist. Wo Normen hingegen unterschiedliche Entscheidungen zulassen, da gibt es eben keine Rechtssicherheit 37 . Insofern richtet sich der Appell an den falschen Adressaten. Soweit der Gesetzgeber die konkreten politischen Entscheidungen dem Richter überläßt, besitzt dieser Handlungsspielräume, deren Ausfüllung er nur u m den Preis der Unaufrichtigkeit als Rechtsanwendung darstellen könnte 38 . 3. Untersuchungsplan Die vorausgegangenen normativen Überlegungen zum Problem der Begründung richterlicher Entscheidungen sollen als Maßstab die Erörterung der Frage leiten, wie man das Problem der rechtlichen Behandlung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private — Stichwort: D r i t t w i r k u n g der Grundrechte — sinnvoll, d. h. mit Aussicht auf den Entwurf plausibler Lösungsvorschläge, diskutieren kann. Dabei werden die methodologischen Ausführungen i n analytischer Hinsicht (Was leisten die herkömmlichen Erkenntnismittel tatsächlich?) zu überprüfen und i n normativer Hinsicht (Wie soll man ggfs. sonst argumentieren?) zu konkretisieren sein. Da das Drittwirkungsproblem bis i n die neueste Zeit sehr ausführlich und hinreichend repräsentativ diskutiert worden ist, bietet sich als Untersuchungsmethode eine Analyse der bisherigen Problemlösungsversuche daraufhin an, welche Argumentationsstrategien am ehesten geeignet sind, gefundene Lösungen plausibel zu machen und die Auffindung noch unbekannter Lösungen rational anzuleiten. Die Analyse w i r d sich i n drei Schritten vollziehen, wobei m i t jedem Schritt m i t der Konkretisierung des Maßstabs der Analyse zugleich Argumentationsregeln erarbeitet werden, die eine offenere und rationalere Diskussion des Sachproblems anleiten sollen. Die Arbeit beginnt zunächst m i t Informationen darüber, welche sozialen Konflikte m i t der Diskussion der rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private angesprochen werden und welche Lösungsansätze hierzu bisher i n die Diskussion eingebracht worden sind. Sodann werden i n einem ersten Schritt der Analyse die in den verschiedenen Lösungsansätzen enthaltenen Normhypothesen daraufhin überprüft, inwieweit die Problemlösung tatsächlich und i n welchem Sinne durch Normen determiniert ist. 37 Vgl. dazu auch Rottleuthner, K J 1971, S. 80; Schwerdtner, 1971, S. 239 f. 38 Siehe auch Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 236.

Rechtstheorie

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1. Teil: Einführung

I n einem zweiten Schritt werden die Lösungsvorschläge einer systemimmanenten Stimmigkeitskontrolle und i n einem dritten Schritt schließlich einer inhaltlichen Richtigkeitskontrolle unterzogen. I n einem letzten Teil werden sodann die Ergebnisse der Analyse zusammengefaßt und einige aus der Analyse gewonnene Argumentationsregeln für die rechtliche Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grimdrechtsbeeinträchtigung durch Private zusammengestellt. I I . Der soziale Sachverhalt Bei den nachfolgend aufgeführten Fällen handelt es sich u m solche, die typischerweise m i t der Frage der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private i n Verbindung gebracht werden bzw. u m solche, die, gemessen an den gemeinhin diskutierten Fällen, ebenfalls unter diesem Aspekt zu diskutieren wären. Die Aufzählung ist weder abschließend gemeint, noch soll für alle genannten Fälle behauptet werden, daß sie tatsächlich Grundrechtsprobleme aufwerfen. Es soll vielmehr prinzipiell offenbleiben, ob die aufgeführten Konfliktlagen überhaupt durch eine gemeinsame Rechtsproblematik verbunden sind und daher sinnvoll unter einer einheitlichen Fragestellung diskutiert werden können. Der Sinn dieser Aufzählung besteht i n erster Linie darin, die m i t der D r i t t wirkungskontroverse angesprochenen praktischen Regelungsprobleme zu veranschaulichen. (1) Gegen einige Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands werden Parteistrafen verhängt, w e i l sie an einer — friedlich verlaufenden — Vietnam-Demonstration unter Kenntlichmachung ihrer Parteizugehörigkeit teilgenommen haben. (2) Ein Lehrling des Hoechster Farbwerkekonzerns w i r d aus seinem Lehrverhältnis fristlos entlassen, w e i l er sich m i t seinem Verhalten bewußt gegen die „bestehende Ordnung" und die „herrschende Moralauffassung" auflehne. Die Auflehnung gegen die bestehende Ordnung w i r d in politischer Betätigung außerhalb des Betriebes gesehen und darin, daß der Lehrling zweimal in einem Mädchenwohnheim übernachtet hatte. (3) Ein führendes Sinfonieorchester weigert sich, weibliche Orchestermusiker einzustellen, auch wenn sie eine höhere Qualifikation aufweisein, als ihre männlichen Mitbewerber. (4) Die Landespressekonferenz Baden-Württemberg verweigert die Aufnahme des Stuttgarter Korrespondenten der DKP-Wochenzeitung „Unsere Zeit" 1 . 1

O L G Stuttgart JZ 1972, S. 490 ff.

II. Sozialer Sachverhalt

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(5) I n einem Tarifvertrag ist die Klausel enthalten, daß weiblichen Arbeitskräften für die jeweils gleiche Arbeit nur ein bestimmter Hundertsatz der tariflichen Löhne als Mindestlohn zu zahlen ist 2 . (6) Einem Arbeitnehmer w i r d wegen seiner politischen Äußerungen am Arbeitsplatz fristlos gekündigt 3 . (7) Die Teilnehmer einer Seminarveranstaltung an einer wissenschaftlichen Hochschule verlangen vom Dozenten eine Änderung der Konzeption des Seminars 4 . (8) Einige Gastwirte i m süddeutschen Raum sind dazu übergegangen, i m Aushang darauf hinzuweisen, daß Gastarbeiter unerwünscht seien. (9) Die Vermieterin eines möblierten Zimmers verbietet ihrem Mieter Damenbesuch nach 22 Uhr. (10) Die Ehefrau eines vielbeschäftigten Arztes w i l l wieder ihren Beruf aufnehmen, obwohl zwei schulpflichtige Kinder zu versorgen sind. (11) Die Eltern eines siebzehnjährigen Schülers verbieten diesem die Mitarbeit i n einer politischen Jugendorganisation und die Verteidigung der politischen Ziele dieser Gruppe. (12) Ein Rentner beschäftigt sich den größten Teil des Tages damit, m i t Hilfe eines Fernglases die Vorgänge i n den Zimmern eines gegenüberliegenden Studentenwohnheimes zu beobachten5. (13) Die Zeitschrift D M veröffentlicht Ergebnisse von Leberwursttests, die sehr zum Nachteil eines Nürnberger Wurstfabrikanten ausgehen6. (14) Ein Journalist einer Tageszeitung w i r d vom Herausgeber dieses Blattes veranlaßt, bestimmte Stellen aus seinem politischen Kommentar zu streichen. (15) Ein Kinobesitzer hat sich gegenüber einer Verleihgesellschaft verpflichtet, deren Filme zur Aufführung zu bringen. Er weigert sich nun aus Gewissensgründen, auch den F i l m „Die Sünderin" i n seinem Filmtheater laufen zu lassen. (16) I n einem Arbeitsvertrag w i r d festgelegt, daß das Arbeitsverhältnis enden soll, wenn die Arbeitnehmerin eine Ehe eingeht 7 . 2

B A G 1/258ff.; 1/348ff.; 4/125ff.; 4/133ff.; 4/240ff.; 11/135 ff.; 15/228ff. Vgl. auch B A G 1/185 ff.; 2/266 ff.; 7/258 ff.; A P Nr. 28 zu §66 B e t r V G ; A P Nr. 57 zu §626 B G B ; L A G Saarland K J 1971, S. 319 ff.; neuestens B A G U r t . v o m 28. 9. 72 — K J 1972, S. 409 ff. 4 Vgl. V G Koblenz N J W 1973, S. 1244 ff. 5 Z u einer ähnlichen Problematik vgl. B a y O L G N J W 1962, S. 1782. 6 B G H B B 1966, S. 1320; O L G Nürnberg M D R 1965, S. 133; vgl. auch O L G Stuttgart N J W 1964, S.48; O L G Stuttgart N J W 1964, S.595; B G H N J W 1966, S. 2010. 7 Vgl. B A G 4/274 ff. 3

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1. Teil: Einführung

(17) Der Springerkonzern veranlaßt durch die mittelbare Androhung einer Liefersperre die Zeitungs- und Zeitschriftenhändler i m Räume Hamburg dazu, den Verkauf der kommunistisch orientierten Wochenzeitung „Blinkfüer" einzustellen 8 . (18) Ein Facharzt unterhält unterschiedliche Wartezimmer für Kassenund Privatpatienten, um die Wartezeiten der Privatpatienten auf Kosten der Wartezeiten der Kassenpatienten verkürzen zu können. (19) Das B i l d eines bekannten Unternehmers w i r d ohne dessen Zustimmung zur Werbung für ein sexuelles Kräftigungsmittel verwendet 9 . I I I . Die Einführung von Grundrechten in den Rechtsgewinnungsprozeß bei der Lösung privatrechtlicher Konflikte in Rechtsprechung und Lehre 1. Problematisierungsansatz

in Rechtsprechung

und

Lehre

Dogmatischer Ansatzpunkt der Kontroverse ist — grob gesagt — die unterschiedliche Einstellung zum Regelungsbereich der Grundrechte. Zwar gehen alle, die sich bisher zu diesem Thema geäußert haben, zumindest implizit davon aus, daß das Grundgesetz nicht lediglich als Teilordnung zu verstehen ist, die ausschließlich die Organisation des Staates und dessen Verhältnis zum Einzelnen regelt. Das Grundgesetz enthält danach auch Aussagen darüber, nach welchen Regeln sich das gesellschaftliche Leben vollziehen soll; zu dieser Frage werden dem Grundgesetz jedoch ganz unterschiedliche Hinweise entnommen, die jeweils als verbindlich vorgegebene Rechtssätze zur Grundlage der vertretenen Lösungsansätze gemacht werden. Vereinfachend lassen sich drei verschiedene Normhypothesen unterscheiden: (1) Die verfassungsgesetzlich positivierten Grundrechte regeln ausschließlich das Verhältnis des einzelnen zum Staat, während sich die Rechtsbeziehungen Privater untereinander ausschließlich nach privatrechtlichen Normen richten. Die Grundrechte liefern keine Verhaltensmaßstäbe für privatrechtliches Handeln 1 . 8 B V e r f G 25/256 ff.; vgl. auch B V e r f G 7/198 ff.; O L G K ö l n N J W 1965, S.2345 ff. 9 Β G H Z 26/349 ff.; vgl. auch B G H Z 13/334 ff.; B G H Z 31/308 ff.; B G H Z 35/363 ff. 1 Dieser Normhypothese werden insbesondere die nachfolgend genannten Stellungnahmen zugeordnet. Zuordnungsgesichtspunkt ist p r i m ä r der argumentative Hinweis auf die Eigenständigkeit des Privatrechts und das Festhalten am klassischen staatsgerichteten Grundrechtsbegriff. Vgl. Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 157 ff.; ders., i n : Maunz - Dürig, Grundgesetz, A n m . 127 ff. zu A r t . 1 Abs. I I I GG, A n m . 56 ff. zu A r t . 2 Abs. I GG; ders.,

I I I . Rechtsprechung u n d Lehre

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(2) D i e G r u n d r e c h t s b e s t i m m u n g e n v e r m i t t e l n z w a r gleichermaßen auch O r d n u n g s v o r s t e l l u n g e n f ü r das L e b e n i m Staate, e n t h a l t e n aber keine unmittelbaren Verhaltensmaßstäbe f ü r privatrechtliches Handeln, s o n d e r n b i n d e n l e d i g l i c h die ö f f e n t l i c h e G e w a l t b e i der l e g i s l a t i v e n oder j u d i z i e l l e n O r d n u n g des sozialen Z u s a m m e n l e b e n s 2 . (3) D i e G r u n d r e c h t s b e s t i m m u n g e n r e g e l n n i c h t n u r das V e r h ä l t n i s des e i n z e l n e n z u m Staat, s o n d e r n s i n d G r u n d s a t z n o r m e n f ü r die gesamte Rechtsordnung. A l s solche g e l t e n sie a b s o l u t u n d e n t h a l t e n d a m i t auch u n m i t t e l b a r e H a n d l u n g s m a ß s t ä b e f ü r p r i v a t r e c h t l i c h e s H a n d e l n 3 . ZgesStW 109/326ff. (339ff.); ders., D Ö V 1958, S. 194ff.; Reimers, Die Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht; ders., M D R 1967, S. 533 ff.; W. Geiger, Die Grundrechte i n der Privatrechtsordnung; Vogt, Die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte u n d Grundrechtsbestimmungen i n der Bundesrepublik Deutschland; Wespi, Die D r i t t w i r k u n g der Freiheitsrechte; Bydlinski, österr.Z.f.öff.R. X I I (1962/63), S. 423 ff.; Wintrich, i n : Festschrift f ü r Apelt, S. 9 ff.; Koebel, J Z 1961, S. 521 ff.; Mikat, i n : Festschrift f ü r Nipperdey, Bd. 1, S. 581 ff.; SchmidtRimpler, AöR 76/165 ff.; Bosch - Habscheid, JZ 1954, S. 213 ff.; Hueck, Alfred, Die Bedeutung des A r t . 3 des Bonner Grundgesetzes für die L o h n - und A r beitsbedingungen der Frauen; Raiser , Grundgesetz u n d Privatrechtsordnung; Herzog, i n : Maunz - Dürig, A n m . 51 ff. zu A r t . 4 GG, A n m . 27 ff. zu A r t . 5 GG. Klein, i n : v. Mangoldt - Klein, Das Bonner Grundgesetz, Vorbem. A I I 4; Franz Klein, in: Schmidt-Bleibtreu - Klein, Kommentar zum Bonner G r u n d gesetz, Vorbem. v o r A r t . 1, A n m . 6; Hamann - Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Vorbem. Nr. 3, 4 (S. 121 f.); Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 104; Hesse, S. 145ff.; Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 251 ff.; Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 78 f t ; Forsthoff, i n : Festschrift für C. Schmitt, S. 35 ff. (45 ff.); R. Schmidt, Wirtschaftspolitik u n d Verfassung, S. 245 ff.; R.Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 4 ff.; Kuhn, Grundrechte u n d Minderjährigkeit, S. 58 ff.; BVerfG 7/198 ff.; 24/236 ff.; 25/256 ff. 2 Dieser Normhypothese werden die Lösungsansätze zugeordnet, die einerseits einen Dualismus von Verfassungsrecht u n d Privatrecht als Problemlösungskriterium ablehnen, andererseits aber am klassischen staatsgerichteten Grundrechtsbegriff festhalten. Dieser Argumentationsansatz w i r d konsequent v e r w i r k l i c h t n u r von Schwabe, Die sogenannte D r i t t w i r k u n g der Grundrechte; zwar behelfen sich auch die meisten Vertreter eines dualistischen Ansatzes — insb. das BVerfG — m i t der Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt, w e n n Grundrechtsschutz auf der Privatrechtsebene gew ä h r t werden soll; dies w i r d jedoch mehr oder weniger als konsequente Fortführung des dualistischen Ansatzes verstanden, während die dem L ö sungsansatz Schwabes zugrunde liegende Normhypothese den dualistischen Anknüpfungspunkt gerade ablehnt. 3 K r i t e r i u m f ü r die Zuordnung zu dieser Normhypothese ist die A b l e h nung einer dualistischen K o n s t r u k t i o n von Verfassungsrecht u n d Privatrecht sowie die Ablehnung der klassischen ausschließlich staatsbezogenen Grundrechtskonzeption. Z u nennen sind hier insbesondere Nipperdey, i n : Enneccerus - Nipperdey, Allgemeiner T e i l des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, S. 71 ff.; ders., i n : Die Grundrechte, Bd. I V 2, S. 741 ff.; ders., i n : Festschrift f ü r Molitor, S. 17ff.; ders., B B 1951, S. 282 ff.; Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht; Koll, Die Grundlagen der Wandlung des materiellen Verfassungsbegriffs; Laufke, i n : Festschrift für Lehmann, Bd. 1, S. 145 ff.; Ramm, Die Freiheit der Willensbildung, S. 38 ff.; ders., JZ 1972, S. 137 ff.; Reichenbaum, Grundrechte u n d soziale Gewalten; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 156 ff.; ders., i n : Evangelisches Staatslexikon, Sp. 730 f.; ders., i n : Bonner Kommentar, A n m . 34 ff.

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1. Teil: Einführung

Die auf der Basis dieser Normhypothesen entwickelten Lösungsansätze seien unter folgenden Stichworten eingeführt: 1. Dualistischer Ansatz, i. S. Verfassungs- bzw. Grundrechtsneutralität des Privatrechts, 2. Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt und 3. Absolute Geltung der Grundrechte. 2. Die einzelnen Lösungsansätze in ihrem Begründungszusammenhang Wenn auch zuzugeben ist, daß die verschiedenen Ansätze zur rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private nicht so strikt klassifizierbar sind, wie es durch die Dreiteilung der Lösungsansätze vorgegeben wird, so lassen sich doch zu jeder der drei Normhypothesen typische Lösungsansätze anführen, denen die übrigen Lösungsansätze zwar nicht klassifikatorisch untergeordnet, so doch typologisch zugeordnet werden können: a) Dualistischer Ansatz aa) Als repräsentativ für die Gruppe der Autoren, die von einem dualistischen Verhältnis der Grundrechte zum Privatrecht ausgehen, kann immer noch die Position Dürigs 4 gelten, wenn auch Begründung und rechtstechnische Folgerungen nicht immer uneingeschränkt übernommen werden. Dürig leitet aus dem Postulat der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. I GG) und der Gewährleistung deren primärer Erscheinungsform, der Freiheit (Art. 2 Abs. I GG), das Verfassungsgebot zu A r t . 1 GG, A n m . 57 ff. zu A r t . 4 GG; Huber, Z.f.schweiz.R. Bd. 74, S. 173 ff.; Olbersdorf, A u R 1958, S. 193 ff.; Gamillschegg, AcP 164, S. 385 ff.; Brecher, i n : Festschrift f ü r Nipperdey, Bd. 2, S. 29 ff.; Hildegard Krüger, R d A 1964, S. 365 ff.; dies., Ehe u n d Familie 1956, S. 329 ff.; dies., i n : Krüger - Breetzke Nowack, Gleichberechtigungsgesetz, Einleitung, A n m . 164 ff.; Roth - Stielow, Grundgesetz u n d Rechtsanwendung, S. 70 ff.; Bullinger, öffentliches Recht u n d Privatrecht, S. 87 ff.; Frey, A u R 1961, S. 239 ff.; G. Müller, R d A 1964, S. 121 ff.; Schmittner, A u R 1968, S. 353 f£.;Hellge, Die privatrechtlichen Schranken der Pressefreiheit, S. 149 ff.; B A G i n st. Rspr., vgl. insbesondere B A G 1/185 ff.; 1/258 ff.; 4/125 ff.; 4/274 ff.; 7/258 ff.; 11/135 ff.; 15/258 ff.; A P Nr.28 zu § 66 B e t r V G ; A P Nr. 57 zu § 626 B G B ; B G H Z 6/360 ff.; 13/334 ff.; 16/71 ff.; 24/349 ff.; 27/284 ff.; 30/7 ff.; 31/308 ff.; 35/363 ff.; 39/124 ff.; 50/1 ff.; B G H N J W 1958, S. 138; N J W 1964, S. 29 ff.; N J W 1966, S. 1617; N J W 1968, S. 1773; N J W 1969, S.774; B G H J Z 1972, S. 559. 4 Festschrift f ü r Nawiaski, S. 157 ff.; Maunz - Dürig, A n m . 127 ff. zu A r t . 1 Abs. I I I GG, A n m . 56 ff. zu A r t . 2 Abs. I GG; ZgesStW 169, S. 326 ff.; D Ö V 1958, S. 194 ff.

III. Rechtsprechung und Lehre

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der Erhaltung der privatrechtlichen Entfaltungsfreiheit her 5 . Wesentlicher Inhalt der privatrechtlichen Entfaltungsfreiheit ist die Befugnis Privater, i m Rechtsverkehr m i t anderen, gleichgeordneten Privaten auch über grundrechtlich geschützte Güter zu disponieren, d. h. gerade nicht den Bindungen unterworfen zu sein, denen der Staat i n seinem Handeln unterworfen ist 6 . Daraus folgt, daß das Handeln Privater nach anderen Regeln zu beurteilen ist, als das des Staates7. Nicht die Grundrechte sind maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit privatrechtlichen Handelns 8 — die Grundrechte sind diesem gegenüber grundsätzlich indifferent 9 —, sondern ausschließlich die Normen des Privatrechts. Erhaltung der privatrechtlichen Entfaltungsfreiheit bedeutet daher zugleich Freihaltung des Privatrechts von grundrechtlichen Bindungen, d. h. Erhaltung der „Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit des Zivilrechts gegenüber dem verfassungsrechtlichen Grundrechtssystem" 10 . Das Grundrechtssystem ist demgegenüber ein gegen den Staat gerichtetes „Anspruchssystem", das u. a. der Sicherung der privatrechtlichen Entfaltungsfreiheit dient 1 1 . Konsequenz dieser „dualistischen Konstruktion" 1 2 ist es, daß auch Fälle möglicher Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private grundsätzlich nur nach den Regeln des Privatrechts zu beurteilen sind, da das Grundgesetz die Grundrechte von vornherein vermindert denkt um die den anderen gegenüber bestehenden subjektiven Rechte und voraussetzt, daß die Menschenrechte i m Verhältnis der einzelnen untereinander bereits i n der Privatrechtsordnung aktualisiert sind 13 . Soweit spezielle zivilrechtliche Schutznormen fehlen, verläuft die Abwehr von Angriffen aus der Drittrichtung auf grundrechtlich geschützte Positionen über die wertausfüllungsfähigen und wertausfüllungsbedürftigen Begriffe und Generalklauseln des Privatrechts 14 . Als Auslegungsrichtlinien können hier die Grundrechte dienen, soweit diese Ausdruck einer allgemeinen Wertordnung sind, die den Bezugspunkt für die Wahrung der „Einheit des Gesamtrechts i n der Rechtsmoral" darstellt 15 . Bei der „Realisierung der Grundrechtswerte" über diese Begriffe und Generalklauseln werden dann drei Intensitätsgrade unterschieden 16 : 5

Festschrift für Nawiaski, S. 168, 164. a.a.O., S. 158 f. 7 a.a.O., S. 167. 8 a.a.O., S. 167; ders., ZgesStW 109, S. 342. 9 ZgesStW 109, S. 342. 10 Festschrift f ü r Nawiaski, S. 104. 11 a.a.O., S. 176. 12 a.a.O., S. 164. 13 a.a.O., S. 173 f.; ZgesStW 109, S. 342. 14 Maunz - Dürig, A n m . 132 zu A r t . 1 Abs. I I I GG. 15 Festschrift f ü r Nawiaski, S. 177. 16 a.a.O., S. 177; Maunz - Dürig, A n m . 133 zu A r t . 1 Abs. I I I GG.

β

30

1. Teil: Einführung

(1) W e r t d i f f e r e n z i e r u n g u n d W e r t v e r d e u t l i c h u n g d u r c h H e r a n z i e h u n g d e r G r u n d r e c h t s g e h a l t e z u r B e g r ü n d u n g der A n w e n d u n g z i v i l r e c h t l i c h e r Abwehrnormen 17. (2) W e r t a k z e n t u i e r u n g u n d W e r t v e r s c h ä r f u n g d u r c h „ w e r t a u s f ü l l e n d e A u s l e g u n g " p r i v a t r e c h t l i c h e r A b w e h r n o r m e n a n h a n d der als m a ß g e b liche A u s l e g u n g s r i c h t l i n i e n f u n g i e r e n d e n G r u n d r e c h t e 1 8 . (3) W e r t s c h u t z l ü c k e n f ü l l u n g , w o i m p r i v a t r e c h t l i c h e n Schutzsystem d i e „ b e n a n n t e n O r i e n t i e r u n g s p u n k t e " f ü r e i n e n d u r c h die W e r t o r i e n t i e r u n g des G G ( A r t . 11, 2 I GG) verfassungsrechtlich gebotenen W e r t schutz fehlen, w i e insbesondere b e i m Schutz d e r I n t i m s p h ä r e 1 9 . bb) D e m D ü r i g s c h e n A n s a t z sehr n a h e stehen v o r a l l e m d i e P o s i t i o n e n Raiser 24, Hesse 25, v o n Herzog 20, Reimers 21, Bydlinski 22, Wintrich 23, 26 27 29 W . Geiger , Hamann-Lenz sowie d i e des BVerfG . Die Genannten w e i c h e n v o n D ü r i g a l l e r d i n g s i n s o w e i t ab, als sie f ü r das P r i v a t r e c h t n i c h t a u f eine d e n G r u n d r e c h t e n vorgegebene W e r t o r d n u n g r e k u r r i e r e n

17 Festschrift f ü r Nawiaski, S. 177 f.; Maunz-Dürig, A n m . 133 zu A r t . 1 Abs. I I I GG. 18 Festschrift f ü r Nawiaski, S. 178 f.; Maunz-Dürig, A n m . 133 zu A r t . 1 Abs. I I I GG. 19 Festschrift f ü r Nawiaski, S. 1791; Maunz - Dürig, A n m . 139 zu A r t . 1 Abs. I I I GG. 20 Maunz - Dürig, A n m . 51 zu A r t . 4 GG, A n m . 27 ff. zu A r t . 5 GG. 21 Die Bedeutung der Grundrechte f ü r das Privatrecht; ders., M D R 1967, S. 533 ff. 22 österr.Z.f.öff.R. X I I , S. 423 ff. 23 Festschrift f ü r Apelt, S. 9 ff. 24 Grundgesetz u n d Privatrechtsordnung; zu Raiser ist allerdings zu bemerken, daß dieser sich gegen die liberale Trennung von Staat u n d Gesellschaft wendet (S. 9 f.) u n d die Vorstellung „einer unpolitischen wertfreien Eigenständigkeit des Privatrechts" f ü r überholt hält (S. 30), andererseits aber doch i m m e r wieder auf die zu erhaltende Selbständigkeit u n d die Eigengesetzlichkeit des Privatrechts hinweist (S. 19,21,28, 31). Er sieht die i n den G r u n d rechten enthaltenen Wertentscheidungen — i n Anlehnung an Esser, G r u n d satz u n d Norm, S. 39 ff., 69 ff. — lediglich als Rechtsgrundsätze an, die erst einer Übersetzung f ü r privatrechtliche Rechtsverhältnisse bedürfen, die regelmäßig durch den Gesetzgeber zu geschehen hat (S. 13,19 f.), während i m übrigen die bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln als Transformator grundrechtlicher Wertentscheidungen dienen sollen (S. 29). 25 Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 145 ff. 26 Die Grundrechte i n der Privatrechtsordnung. 27 Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Vorbem. Nr. 3, 4; des weiteren sind hier unter anderem noch zu nennen Koebel, JZ 1961, S. 521 f l ; Mikat, i n : Festschrift f ü r Nipperdey, Bd. 1, S. 581 ff.; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 104; Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 251 ff.; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, S. 8 f.; R. Schmidt, Wirtschaftspolitik u n d Verfassung, S. 245 ff.; Scholz, Die Koalitionsfreiheit, S. 4 ff.; Kuhn, Grundrechte u n d M i n derjährigkeit, S. 58 ff. 28 Β V e r i G 7/198 ff. ; 24/236 ff. ; 25/256 ff.

III. Rechtsprechung und Lehre

31

— dieser überpositive Anknüpfungspunkt w i r d w o h l am ehesten von Geiger und Hamann-Lenz geteilt 2 9 —, sondern an die mit den Grundrechtsbestimmungen getroffenen Wertentscheidungen anknüpfen 30 . A m konsequentesten w i r d der dualistische Ansatz von Forsthoff 31, Rupp 3 2 und Wespi 33 propagiert, die jede Einbeziehung von Grundrechtsinhalten bei der richterlichen Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private ablehnen, wobei die Ablehnung Forsthofïs mehr methodologisch motiviert wird 3 4 , während Rupp sowohl rechtssystematisch 35 als auch pragmatisch m i t der geringen Effektivität eines judiziellen Grundrechtsschutzes auf der Privatrechtsebene argumentiert 3 6 . Auf der Mitte zwischen den Vertretern eines dualistischen Ansatzes und den Vertretern einer absoluten Geltung der Grundrechte ist der Ansatz Friedrich Kleins 37 einzuordnen, der i n seiner Argumentation zwar eindeutig zum dualistischen Ansatz tendiert, in der Konstruktion aber eher den Vertretern einer absoluten Geltung der Grundrechte zuzuordnen ist. M i t seiner Differenzierung zwischen den subjektivöffentlichen Grundrechten und den die Grundrechte gewährenden objektiv-rechtlichen Grundrechtsbestimmungen 38 gelingt es Klein, einerseits einen strikt staatsbezogenen Grundrechtsbegriff aufrechtzuerhalten 3 9 ohne andererseits jeglichen Einfluß der Normen des Grundrechtskatalogs auf das Privatrecht verneinen zu müssen; denn als objektives Recht stellen die Grundrechtsbestimmungen zugleich Grundsatznormen für die gesamte Rechtsordnung dar 4 0 und haben als solche auch Einfluß auf das Zivilrecht. I n Ausnahmefällen können die objektiv-rechtlichen Grundrechtsbestimmungen sogar als gesetzliche Verbote i m Sinne des § 134 BGB fungieren, d. h. unmittelbare Wirkungen entfalten 41 ; bei der 29 W. Geiger (S. 33) verweist f ü r das Privatrecht auf die überpositiven M e n schenrechte, deren Gehalt über die bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln i n das Privatrecht eingehen kann. Entsprechend Hamann - Lenz, Vorbem. Nr. 3, 4. 30 So insbesondere das BVerfG, s. A n m . 28. 31 Festschrift f ü r C. Schmitt, S. 45 ff. 32 Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, S. 109 Fn. 15, S. 231 Fn. 409. 33 Die D r i t t w i r k u n g der Freiheitsrechte. 34 Festschrift f ü r C. Schmitt, S. 45. 35 S. 231 Fn. 40. 36 S. 109 Fn. 15. 37 ν . Mangoldt - Klein, Vorbem. A I I , V I ; entsprechend Vogt, Die D r i t t w i r kung der Grundrechte. 38 Vorbem. A V I (S. 79). 39 Vorbem. A I I 4. 40 Vorbem. A V I 4. 41 Vorbem. A I I 4 e.

1. Teil: Einführung

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Beurteilung privatrechtlicher Konflikte werden sie jedoch i. d. R. — mangels gesetzgeberischer Konkretisierung — nur als Auslegungsrichtlinien relevant und auch dies nur subsidiär 42 . b) Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt Die Normhypothese (2) liegt dem Lösungsansatz Schwabes 43 zugrunde. Schwabe leitet aus A r t . 1 Abs. I I I GG her, daß die Grundrechte als ausschließlich gegen den Staat gerichtete subjektiv-öffentliche Rechte verstanden werden müssen 44 . Die Grundrechte wirken jedoch als subjektiv-öffentliche Abwehrrechte i m Privatrecht prinzipiell genauso wie i m öffentlichen Recht 45 . Dies erklärt Schwabe damit, daß jede privatrechtlich zu duldende Beeinträchtigung von Freiheitsrechten — für Gleichheitsrechte soll dies nicht gelten — auf staatlicher Rechtsmacht beruhe, da eine privatrechtliche Verpflichtung zur Hinnahme von Grundrechtsbeeinträchtigungen nur aufgrund staatlicher Anerkennimg der Verpflichtungs- oder Eingriffsmöglichkeit begründet werden könne4®. Von privatrechtlichen Normen zugelassene Grundrechtsbeeinträchtigungen sind deshalb nicht dem privatrechtlich Berechtigten, sondern der normsetzenden bzw. normanwendenden staatlichen Gewalt zuzurechnen. Privatrechtlich nicht abwehrfähige Freiheitsbeeinträchtigungen durch private Gewalt gibt es nicht 47 . Wenn derartige Grundrechts'beeinträchtigungen aber stets auf staatlicher Rechtsmacht beruhen, so müssen diese Rechtsmacht und die von ihr ausgehenden Freiheitsbeeinträchtigungen auch stets an den Grundrechten gemessen werden, wie sich zwingend aus A r t . 1 Abs. I I I GG ergibt 4 8 . Die Grundrechtsbindung der normsetzenden bzw. rechtsprechenden Gewalt ist unabhängig davon, ob die zu setzenden bzw. anzuwendenden Normen öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche sind. Freiheitsbeeinträchtigungen können n u r durch die i n den Normen enthaltenen I m perative bewirkt werden, die einer Qualifizierung i n öffentliches oder privates Recht nicht zugänglich sind, da der öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Charakter einer an Private gerichteten Norm erst anhand der „sekundären N o r m " 4 9 entschieden werden kann, die Aufschluß 42 43 44 45 46 47 48 49

Vorbem. A I I 4 f. Die sogenannte D r i t t w i r k u n g der Grundrechte. S. 140. S. 107, 140, 148. S. 17 ff., 26. S. 17 fï. S. 26. S. 29.

III. Rechtsprechung und Lehre

33

darüber gibt, auf wessen Betreiben die Befolgung der Norm durchgesetzt werden kann 5 0 . Wenn aber nur von den i n den Normen enthaltenen Imperativen Freiheitsbeeinträchtigungen ausgehen können, so sind allein diese an den Grundrechten zu messen, was zugleich bedeutet, daß die Grundrechtsbindung der normsetzenden bzw. normvollziehenden öffentlichen Gewalt nicht nach der Zugehörigkeit der Normen zum öffentlichen bzw. privaten Recht differenziert werden kann, da die i n diesem Zusammenhang allein interessierenden Imperative einer solchen Differenzierung nicht zugänglich sind 51 . Rechtstechnisch ist der Schutz vor den der öffentlichen Gewalt zuzurechnenden Freiheitsbeeinträchtigungen auf der Privatrechtsebene zu vollziehen durch Normenkontrolle, verfassungskonforme Auslegung von Generalklauseln, judizielle Bildung grundrechtskonformer Abwehrrechte, verfassungsikonforme Vertragsauslegung sowie gegebenenfalls Zunichtemachen eindeutig grundrechtswidriger Vertragsklauseln 52 . Der Schutz von Freiheitsrechten vollzieht sich i m Privatrecht prinzipiell ebenso wie i m öffentlichen Recht 53 . Genauso wie beim Aufeinandertreffen von öffentlichem und privatem Interesse i m öffentlichen Recht, so ist auch die Abgrenzung privater Rechtssphären i m Wege der Güterund Interessenabwägung vorzunehmen 64 . Da nach Ansicht Schwabes — i m Unterschied zu Freiheitsbeeinträchtigungen — Ungleichbehandlungen auf der Privatrechtsebene dem Staat nicht zugerechnet werden können, w e i l der Staat m i t der Gewährung von Rechtsformen wie Schenkung, Testament u. ä. Ungleichbehandlungen lediglich i n Kauf nimmt, aber nicht billigt, können die Gleichheitsrechte wegen ihres subjektiv-öffentlichen Charakters auf der Privatrechtsebene keinerlei Wirkungen entfalten 55 . Dennoch w i l l Schwabe i n manchen Fällen des Vertragszwangs zur Diskriminierung die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. I I I GG i m Privatrecht zur Geltung kommen lassen5®. c) Absolute Geltung der Grundrechte aa) A u f der Annahme einer absoluten Geltung der Grundrechte basieren insbesondere die Lösungsansätze von Nipperdey und Leisner, die zunächst wiedergegeben werden sollen. 50 51 62 53 54 55 56

S. 31 ff. S. 36 ff. S. 63 ff. S. 107. S. 107. S. 149 ff. S. 152.

3 Eckhold-Schmidt

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1. Teil: Einführung

aaa) Nipperdey lehnt es ab, die Frage, ob die Grundrechte auch Regeln für das Handeln Privater enthalten, nach dem Grundrechtsverständnis des 19. Jahrhunderts zu beantworten 57 . Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen, insbesondere der zunehmenden Erfahrung, daß eine Bedrohung der Freiheitssphäre des einzelnen nicht n u r vom Staat, sondern auch von gesellschaftlichen Mächten zu gewärtigen ist, und einer damit zusammenhängenden Veränderung des Verfassungsverständnisses, das bereits i n der Weimarer Verfassung seinen Niederschlag gefunden hat, ist ein Bedeutungswandel der Grundrechte i n Richtung auf eine Ausdehnung des grundrechtlichen Schutzes eingetreten 58 . Diese Entwicklung hat m i t dem Grundgesetz seine Fortsetzung gefunden; das Grundgesetz stellt nicht nur eine Neuordnung der staatlichen Organisation dar, sondern w i l l auch „dem staatlichen Leben eine neue Ordnung geben", die keine wertneutrale, sondern eine objektive Wertordnung sein soll 59 . Darunter kann aber nichts anderes als eine „Gesamtordnung des Lebens i m Staate" verstanden werden 60 , m i t der Konsequenz einer unmittelbaren normativen Wirkung der Grundrechte i m Privatrecht 61 . Eine solche unmittelbare normative Wirkung der Grundrechte i m Privatrecht w i r d dogmatisch ermöglicht durch einen dem klassischen staatsgerichteten Grundrechtsbegriff gegenüber erweiterten Grundrechtsbegrifi Nipperdey unterscheidet — ähnlich wie Klein 6 2 — zwischen Grundrechten i. w. S. — den i m Grundgesetz enthaltenen Grundrechtsbestimmungen — und den Grundrechten i. e. S., womit die i n den Grundrechtsbestimmungen enthaltenen subjektiven öffentlichen Rechte gemeint sind 63 . Die Bestimmungen des Grundrechtskatalogs enthalten nun nicht nur die klassischen Abwehrrechte sowie gegebenenfalls Instituts» oder Einrichtungsgarantien, sondern sie haben größtenteils noch die Funktion von „Ordnungssätzen oder Grundsatznormen für die gesamte Rechtsordnung" 64 . I n dieser Funktion entfalten die Grundrechtsbestimmungen als objektives Verfassungsrecht ihre unmittelbare normative Wirkung i m Privatrecht, welche nicht eine „ D r i t t w i r k u n g " der Grundrechte ist, da die klassischen Grundrechte eben nur staatsgerichtet sind, sondern eine „absolute Wirkung" gewisser Grundrechte 65 . Diese 57 Festschrift f ü r Molitor, S. 25; ders., i n : Enneccerus - Nipperdey, Allgemeiner Teil, Bd. 1, S. 95. 58 Ebenda. 59 Enneccerus - Nipperdey, S. 96; ders., i n : Die Grundrechte, I V , 2, S. 749. 60 Die Grundrechte, I V , 2, S. 750. 61 Enneccerus - Nipperdey, S. 96. 62 v. Mangoldt - Klein, Vorbem. A V I . 63 Die Grundrechte I V , 2, S. 747 Fn. 24. 64 Enneccerus - Nipperdey, S. 93; Festschrift für Molitor, S. 23. 65 Ebenda.

I I I . Rechtsprechung und Lehre

35

absolute W i r k u n g der Grundrechte kann sich i m Privatrechtsverkehr „als (bloß) objektiv-rechtliche B i n d u n g der Rechtsgenossen oder auch als subjektives Privatrecht des einzelnen" auswirken 6 6 . Eine (unmittelbare) Anwendung der Grundrechte ist insbesondere i m Verhältnis des einzelnen zu „sozialen Gewalten" geboten, aber auch bei „Rechtsbeziehungen einzelner Privater untereinander, wenn der eine dem anderen gegenüber eine wirtschaftliche oder sonstige Machtposition besitzt", d. h. also i n Fällen, die eine Parallele zur Unterworfenheit des einzelnen gegenüber hoheitlicher Macht nahelegen 67 . Wo dagegen eine rechtliche und tatsächliche Gleichheitslage der Vertragspartner gegeben ist, w i r d die absolute Geltung der Grundrechte durch die privatrechtliche Entfaltungsfreiheit relativiert i n dem Sinne, daß i n V e r w i r k l i c h u n g der Entfaltungsfreiheit über grundrechtlich geschützte Güter disponiert werden darf, solange die grundrechtlichen Positionen dadurch nicht i n ihrem Wesenskern getroffen werden 6 8 . Als Anhaltspunkt für die Zulässigkeit der Selbstbeschränkung können die Gesetzesvorbehalte der einzelnen Grundrechte dienen 69 . bbb) Leisner 70 gewinnt aus der entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung der Formen der Freiheitssicherung die tragenden Argumente dafür, daß eine D r i t t w i r k u n g der Grundrechte „näher beim Grundgesetz steht, als eine grundsätzliche Staatsrichtung" 7 1 . E r gelangt zu der Feststellung, daß die Grundrechte ursprünglich m i t „allerseitiger Tendenz" entstanden seien 72 ; lediglich i m 19. Jahrhundert hätten sie eine fast ausschließliche Staatsrichtung erhalten 7 3 , während seit der Weimarer Zeit wieder ein Ubergreifen auf das Privatrecht eingetreten sei 74 . Dem Grundgesetz könne zwar keine ausdrückliche Entscheidimg zugunsten einer D r i t t w i r k u n g der Grundrechte entnommen werden, w o h l aber eine H i n w e n dung zu einem materialen Freiheitsdenken und damit eine Hinwendung der Grundrechte zum Privatrecht i n Richtung auf eine grundsätzliche D r i t t w i r k u n g der Grundrechte 7 5 . Dies schließt Leisner insbesondere aus den Entscheidungen des Grundgesetzes zugunsten der Menschenwürde 76 , dem absoluten Kernbereichsschutz der Grundrechte, der m i t der Wesensββ

Die Grundrechte, Die Grundrechte, 68 Die Grundrechte, 69 Die Grundrechte, 70 Grundrechte und 71 S. 335. 72 S. 332. 73 S. 333, 30 ff. 74 S. 333, 52 ff. 75 S. 333, 149. 7 « S. 152 ff. 67

3*

I V , 2, S. 748. I V , 2, S. 752 fï.; Festschrift für Molitor, S. 28. I V , 2, S. 754; Festschrift für Molitor, S. 27. I V , 2, S. 755. Privatrecht.

36

1. Teil: Einführung

gehaltsgarantie des Art. 19 Abs. I I GG positi viert worden ist, sowie dem sozialen Rechtsstaat 77 . Der Hinwendung des Verfassungsrechts zum Zivilrecht entspricht die Entwicklung eines freiheitlichen Bereichsschutzes i m Privatrecht, insbesondere i m Arbeitsrecht 78 . Diese Entwicklung hat einerseits den Grundrechtsschutz i m Privatrecht „vorgeformt", verlangt aber andererseits auch eine erweiterte Grundrechtsgeltung zur Fortentwicklung und Spezifizierung der i m Ansatz bereits ausgebildeten Schutzbereiche 79 . Hinsichtlich der Anwendungsform geht Leisner davon aus, daß eine D r i t t w i r k u n g der Grundrechte immer nur eine unmittelbare sein kann 8 0 ; dabei versteht er unter D r i t t w i r k u n g jedoch nur die „direkte oder (über die Sinnerfüllung der Generalklauseln vollzogene) mittelbare Übertragung des Normgehalts der Freiheitsrechte i n das Privatrecht, soweit dies die Ausgestaltung subjektiver Rechte der Rechtsgenossen untereinander zu beeinflussen vermag" 8 1 , d. h. Einwirkungsmöglichkeiten der Grundrechte auf das Privatrecht, die unterhalb dieser Schwelle liegen, wie z. B. die verfassungskonforme Auslegung, scheiden aus der Betrachtung aus 82 . Die D r i t t w i r k u n g kann nun deshalb nur eine unmittelbare sein, weil die als Alternative diskutierte mittelbare D r i t t w i r k u n g keine Auslegung mehr darstellt, sondern eine Ausfüllung der Norm durch Übernahme anderer Norminhalte 8 3 , so daß sich die privatrechtlichen Generalklausein jeweils nur als überflüssiger Rahmen des grundirechtlichen Norminhalts erweisen 84 . Faktisch werden die Grundrechte also immer nur unvermittelt angewendet, so daß dies auch i n der Anwendungsform zum Ausdruck kommen sollte. Leisner unterscheidet zwei Grundformen der D r i t t w i r k u n g : D r i t t w i r k u n g i m vertraglichen Bereich und i m außervertraglichen Bereich 85 , wobei der vertragliche Bereich durch das materiale K r i t e r i u m faktischer Vertragsfreiheit bestimmt wird 8 6 . Nur wo noch von Freiheitsbestätigung die Rede sein kann, besteht Vertragsfreiheit, während monopolähnliche und andere Abhängigkeitsverhältnisse, bei denen der der Privatgewalt Unterworfene praktisch keinen Handlungsspielraum mehr besitzt, dem außervertraglichen Bereich zuzurechnen sind 87 . 77 78 79 89 81

83 84 85 ββ 87

S. 161 ff. S. 333, 215 ff., 241 ff. S. 333. S. 378. S. 286. S. 286. S. 362 ff., 364. S. 369. S. 379. S. 379. S. 379 f.

III. Rechtsprechung und Lehre

37

I m vertraglichen Bereich besteht weitgehende „Verzichtbarkeit" auf Grundrechtsschutz; die Grenzen der Verzichtbarkeit sind den Gesetzesvorbehalten der einzelnen Grundrechte zu entnehmen 88 . I m außervertraglichen Bereich, wo das ausgleichende Moment der Vertragsfreiheit fehlt, bedarf es einer Regel für Grundrechtskollisionen 89 , die Leisner wieder den Grundrechten selbst entnimmt, indem er die Gesetzesvorbehalte als Anhaltspunkt für die Lösung von Grundrechtskollisionen heranzieht: Eine Kollision von Grundrechten ohne Gesetzesvorbehalt ist ohnehin von der Rechtsordnung axiomatisch ausgeschlossen, und i m übrigen genießt jeweils das stärkere, d. h. mit engerem Gesetzesvorbehalt versehene, bzw. das speziellere Grundrecht den Vorrang 9 0 . Lediglich für die Kollision gleich starker Grundrechte kann die Lösung nicht den Grundrechtsbestimmungen selbst entnommen werden, sondern es müssen zusätzliche Gesichtspunkte für einen Ausgleich herangezogen werden 91 . bb) Während der Lösungsansatz Leisners soweit ersichtlich keine w i r k lichen Anhänger gefunden hat, w i r d die Konzeption Nipperdeys vor allem vom B A G 0 2 sowie von Olbersdorf 3, K o l l 9 4 und G. Müller 95 geteilt. Ebenso stehen Reichenbaum 96 und Gamillschegg 97 der Lösung Nipperdeys sehr nahe, wenn sie auch dessen Grundrechtsbegriff nicht teilen und i n der Begründung einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Grundrechte abweichen 98 . Beide halten m i t Nipperdey eine unmittelbare A n wendung von Grundrechten, soweit sie für das Privatrecht relevant sein können, für zulässig und geboten, wenn zwischen Privaten ein Unterworfenheitsverhältnis besteht, das dem Unterworfenheitsverhältnis des einzelnen zum Staat vergleichbar ist 99 . Eine solche Situation ist gegeben, 88

S. 384. S. 391. 90 S. 391 f. 91 S. 392. 92 St. Rspr., vgl. insbesondere die ersten Grundsatzentscheidungen des B A G i n B A G 1/185 ff.; 1/258 ff. 93 A u R 1958, S. 193 ff. 94 Die Grundlagen der Wandlung des materiellen Verfassungsbegriffs. 95 R d A 1964, S. 121 ff.; vgl. auch Frey, A u R 1961, S. 239 ff.; Schmittner, A u R 1968, S. 333 ff. 96 Grundrechte u n d soziale Gewalten. 97 A c P 164, S. 385 ff. 98 Reichenbaum, S. 144, begründet die Grundrechtsbindung sozialer Gewalten m i t der Menschenrechtsqualität gewisser Grundrechte; Gamillschegg, S. 406, begründet die Grundrechtsbindung Privater i m Wege der Analogie: „Was dem Staat nicht erlaubt ist, ist erst recht dem Privaten verwehrt", sofern dieser eine staatsähnliche Machtstellung besitzt. 99 Reichenbaum, S. 143, 103; Gamillschegg, S. 407 i.V.m. 404; i n diesem Z u sammenhang ist auch Conrad, Freiheitsrechte u n d Arbeitsverfassung, zu nennen, der eine Grundrechtsgeltung i m Arbeitsverhältnis m i t der Überlassung eines an sich dem Staat zugeordneten Bereichs von Herrschaftsausübung an Private begründet, S. 77 ff., u n d auf diesen Bereich beschränkt. 89

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1. Teil: Einführung

wenn eine Partei eine Abhängigkeit begründende soziale Machtposition innehat („soziale Gewalt"), aufgrund derer sie die grundrechtlich geschützten Freiheiten des Abhängigen erheblich einzuschränken vermag 100 . Reichenbaum beschränkt seinen Begriff der „sozialen Gewalt" allerdings auf Kollektive 1 0 1 . Rechtstechnisch weichen Gamillschegg 102 und Reichenbaum 103 insofern von Nipperdey ab, als sie ein Nebeneinander von unmittelbarer und mittelbarer Grundrechtsanwendung für zulässig und sinnvoll halten, wobei Gamillschegg die mittelbare Grundrechtsanwendung über Generalklauseln sogar für die Hauptanwendungsform der Praxis hält 1 0 4 . Brecher 105 weicht zumindest sprachlich von den übrigen Vertretern einer absoluten Geltung der Grundrechte ab, indem es ihm nicht um eine direkte oder analoge Anwendung der Grundrechte geht, sondern um das Aufsuchen „homologer Figuren" 1 0 8 , womit gemeint ist, daß die Grundrechte i m Privatrecht nicht i n ihrem verfassungsgesetzlichen Inhalt, sondern i n einer den jeweiligen Rechtsbeziehungen angepaßten Form gelten 107 . Anwendbarkeit und Anwendungsbereich hängen vom jeweiligen Inhalt und der Struktur der privatrechtlichen Rechtsbeziehungen ab. Je mehr ein Rechtsgeschäft dem liberalen Vertragsmodell vom „frei ausgehandelten Individualvertrag auf gleicher Ebene stehender Parteien" 1 0 8 entspricht, desto weniger Raum besteht für eine unmittelbare Geltung der Grundrechte; hier ist das Verfahren Dürigs und des BVerfG der geeignete Weg, den gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich zu schaffen 109 . Je mehr sich dagegen ein Rechtsgeschäft vom liberalen Vertragsmodell entfernt, desto grundrechtsoffener ist es 110 . Dies gilt insbesondere für Fälle privater Normsetzung, für personal betonte Rechtsgeschäfte wie für die Ehe 111 . Bei der rechtlichen Behandlung derartiger Fälle sind die Grundrechte jedoch in dem Maße, in dem sie hier 100

Gamillschegg, S. 407 f.; Reichenbaum, S. 67 ff. S. 67; Reichenbaum schließt allerdings die Möglichkeit nicht aus, daß einzelne Private wirtschaftliche Machtstellungen erreichen, die sie den sozialen Gewalten vergleichbar machen (S. 141 f.). 102 S. 419, 403, 423. 103 S. 111. 104 S. 423. 105 Festschrift f ü r Nipperdey, Bd. 2, S. 29 ff. 106 S. 30. 107 S. 43. 108 S. 39. 109 S. 47. 110 S. 39. 111 S. 42. 101

II. Sozialer Sachverhalt

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zur Anwendung gelangen können, qualitativ abzuwandeln und der Eigenart des Falltypus wie der spezifischen Fallsituation anzupassen 112 . Zurückhaltender hinsichtlich der grundrechtlichen Beeinflussung des Privatrechts zeigen sich Laufke 113 und Ramm 1 1 4 , die zwar beide i n A b lehnung der herkömmlichen Argumentation 1 1 5 eine unmittelbare Geltung der Grundrechte für das Privatrecht grundsätzlich für möglich halten 1 1 6 , ihr jedoch nur einen beschränkten Raum zuweisen. Gemeinsamer Ausgangspunkt zur Begründung der Anwendbarkeit der Grundrechte i m Privatrecht ist die Feststellung, daß die Vertragsfreiheit und damit die Freiheit zur Selbstbindung zwar grundgesetzlich garantiert ist 1 1 7 , daß aber andererseits der verfassungsrechtlich geschützten Dispositionsfreiheit wiederum verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind 118 . Bei der Frage, ob ein Rechtsgeschäft durch das grundrechtlich geschützte Positionen betroffen werden, die Schranken der Vertragsfreiheit überschreitet, stellt Ramm allerdings allein auf den Inhalt der getroffenen Vereinbarungen ab 119 , während Laufke primär auf die äußeren Umstände der privatrechtlichen Beziehungen abstellt und eine Beschränkung der Vertragsfreiheit dann annimmt, wenn „Einzelpersonen oder Verbände Funktionen des Gesetzgebers übernehmen" 120 . Daher sollen „alle Personen oder Personengruppen, welche Ordnungen aufstellen, die auch nur soziologisch eine Funktion von Gesetzen übernehmen", dem Art. 3 GG unterstellt werden, und zwar auch „bezüglich ihrer sonstigen Geschäftsgebahrung", wenn sie als Monopolisten Träger sozialer Macht sind 121 . Ramm w i l l dagegen i n diesen Fällen nur über § 138 BGB einen Ausgleich schaffen 122 . Schließlich sind noch Huber 123 und Zippelius 124 zu nennen, die beide den klassischen staatsgerichteten Grundrechtsbegriff für inadäquat halten 1 2 5 , i n ihren rechtstechnischen Folgerungen aber eher i n die Richtung 112

S. 43. Festschrift f ü r Lehmann, Bd. 1, S. 145 ff. Die Freiheit der Willensbildung. 115 Laufke, S. 148 ff.; Ramm, a.a.O., S. 50 ff. 11β Laufke, S. 155; Ramm, a.a.O., S. 56. 117 Laufke, S. 163; Ramm, a.a.O., S. 55. 118 Laufke, S. 167; Ramm, a.a.O., S. 56. 119 S. 58 ff. 120 S. 181. 121 S. 182; daneben kommen f ü r Laufke allerdings noch einige weitere Fälle einer Grundrechtsanwendung auf Privatrechtsverhältnisse i n Betracht. 122 S. 67 f. 123 ZfSchweizR Bd. 74, S. 173 ff. 124 Ev. Staatslexikon, Sp. 730 f.; i n : Bonner Kommentar, A n m . 34 ff. zu A r t . 1 GG, A n m . 57 ff. zu A r t . 4 GG; Allgemeine Staatslehre, S. 156 ff. 125 Zippelius, Ev. Staatslexikon, S. 730; ders., i n : Bonner Kommentar, A n m . 34 zu A r t . 1 GG; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 157; Huber, S. 190 ff. 113

114

40

1. Teil: Einführung

der Vertreter eines dualistischen Ansatzes tendieren. Zippelius spricht lediglich dem Art. 1 Abs. I GG eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g zu 1 2 6 , während er i m übrigen weitgehend auf den Dürigschen Lösungsansatz verweist 1 2 7 . IV. Strukturierung des Problembereichs — Sprachregelungen — Wesentliche Aufgabe der Untersuchung w i r d die Analyse der Ansätze der rechtlichen Behandlung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private in ihrem Begründungszusammenhang sein, u m von daher Aufschluß über Möglichkeiten der Argumentation zu gewinnen. Die Analyse eines Argumentationsgangs setzt jedoch die Kenntnis des Bezugspunkts der Argumentation, d. h. der Fragestellung voraus, deren Beantwortung gesucht und gerechtfertigt werden soll. Das heißt, auch hier müssen, nachdem die Standpunkte der Kontroverse überschlägig referiert worden sind, die Fragen benannt werden, die für die Kontroverse das Problem ausmachen, bevor zur Analyse der Lösungsversuche übergegangen werden kann. Die Benennung der Fragestellungen stößt allerdings sogleich auf die Schwierigkeit, die Fragestellungen der verschiedenen Diskussionsbeiträge auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Gemeinsam ist immerhin, daß implizit oder explizit drei Aspekte des Problems unterschieden werden, die jedoch teils recht vage, teils voneinander abweichend formuliert werden. Der erste Aspekt bezieht sich auf die Frage danach, ob die Grundrechte überhaupt Bedeutung für das Privatrecht haben 1 , bzw. ob die Grundrechte auch auf der Privatrechtsebene gelten 2 . Der zweite Aspekt ist die Frage iiach dem Umfang bzw. dem Anknüpfungspunkt einer Grundrechtsanwendung i m Privatrecht 3 , und der dritte Aspekt des Problems betrifft die Frage nach der Form der Einbeziehung der Grundrechte in privatrechtliche Erwägungen 4 . 12β

Bonner Kommentar, A n m . 35 zu A r t 1 GG. Ev. Staatslexikon, Sp. 731; Bonner Kommentar, A n m . 36 zu A r t . 1 GG, A n m . 57 zu A r t . 4 GG; Allgemeine Staatslehre, S. 159; eine vergleichbare Position v e r t r i t t Roth-Stielow, Grundgesetz u n d Rechtsanwendung, S. 70 ff. 1 Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 306; Laufke, S. 146; Koll, S. 10; Wintrich, S. 9; BVerfG 7/204. 2 Bydlinski, österr.Z.f.öff.R. X I I , S. 423; Nipperdey, i n : Festschrift für M o litor, S. 22; Olbersdorf, A u R 1958, S. 198 f. 3 Leisner, a.a.O., S. V I I I , 384 ff.; Koll, S. 10; Bydlinski, S. 437 ff.; Dürig, i n : M a u n z - D ü r i g , A n m . 132 f. zu A r t . 1 Abs. I I I GG; Brecher, S. 42; Laufke, S. 167 ff. 4 Leisner, a.a.O., S. 306; Laufke, S. 150 ff.; G. Müller, R d A 1964, S. 122; Bydlinski, S. 441 ff.; Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 82; W. Geiger, S. 37; Wintrich, S. 9; B V e r f G 7/205; Dürig, a.a.O., A n m . 32. 127

IV. Strukturierung

41

Von diesen Differenzierungen ausgehend soll eine einheitliche Bestimmung der unterscheidbaren Aspekte dessen, was von der Kontroverse als Problem der rechtlichen Behandlung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private angesehen wird, vorgenommen werden. Die beabsichtigte Strukturierung des Problembereichs ist also insoweit systemimmanent, als sie von der Problemsicht und Problemdifferenzierung der Kontroverse ausgeht und in diesem Rahmen die Fragestellung der Kontroverse korrigierend vereinheitlicht. Dementsprechend seien folgende Problembereiche unterschieden: 1. Ordnungsbereich

der Grundrechte

Ordnungsbereich der Grundrechte soll die Summe der Sachverhalte genannt werden, für die den Grundrechtsbestimmungen ein Ordnungshinweis entnommen werden kann; unabhängig davon, ob dieser Ordnungshinweis bereits eine für den Richter handhabbare Regel darstellt oder erst vom Gesetzgeber i n justiziable Regeln übersetzt werden muß. Die Frage nach dem Ordnungsbereich der Grundrechte ist danach die allgemeinste Frage zum Verhältnis der Grundrechte zum Privatrecht, da ihre Beantwortung lediglich Auskunft darüber gibt, welche Lebensverhältnisse grundrechtskonform geordnet sein sollen — nur die Beziehungen des einzelnen zum Staat oder auch zumindest bestimmte Beziehungen Privater zueinander? — ohne zugleich eine Aussage darüber zu enthalten, ob der Richter bei der Beurteilung privatrechtlicher Konflikte Grundrechtsbestimmungen anwenden darf oder ob insoweit ein Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers besteht. 2. Anwendungsbereich

der Grundrechte

Anknüpfend an die übliche Verwendung des Begriffs Rechtsanwendung soll als Anwendungsbereich der Grundrechte die Summe der Sachverhalte bezeichnet werden, für welche die Grundrechtsbestimmungen bereits vom Richter anwendbare, d. h. vom Gesetzgeber nicht weiter zu konkretisierende Regeln enthalten. Die Frage nach dem Anwendungsbereich der Grundrechte ist also die speziellere, da der Anwendungsbereich der Grundrechte notwendigerweise nicht über den Ordnungsbereich der Grundrechte hinausgehen kann. 3. Anioendungsform

der Grundrechte

Der Inhalt der Frage nach der Anwendungsform der Grundrechte bestimmt sich danach, welche Formen der Einbeziehung der Grundrechte in privatrechtliche Erwägungen man als Grundrechtsanu;endung an-

42

1. Teil: Einführung

sehen w i l l . Von Grundrechtsanwendung soll hier nur gesprochen werden, wenn die Grundrechtsbestimmungen selbst zur Beurteilung von Rechten und Pflichten der Parteien eines Konflikts herangezogen werden, was faktisch allerdings auch dann der Fall ist, wenn die Grundrechte über Generalklauseln eingeführt werden, die selbst keinen eigenen sachentscheidenden Regelungsgehalt aufweisen, wie etwa die bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln §§ 242, 138, 826 BGB 5 . Ausgeklammert bleiben damit die Fälle, i n denen die Grundrechte in ihrer „Kontrollfunktion" bzw. i n ihrer „Erschließungsfunktion" 6 herangezogen werden. Die Heranziehung von Grundrechten als Kontrollnorm i m Rahmen der Normenkontrolle soll deshalb nicht als Grundrechtsanwendung bezeichnet werden, w e i l dabei nur darüber entschieden wird, ob eine Norm angewendet werden darf oder nicht. Ähnlich verhält es sich bei der Heranziehung der Grundrechte als Erschließungsnormen i m Rahmen der verfassungskonformen Auslegung. Dort w i r d anhand der Grundrechte beurteilt, welche der gegebenen Auslegungsmöglichkeiten einer Norm den einschlägigen Grundrechtsinhalten am ehesten gerecht w i r d und daher als maßgeblich zugrundezulegen ist. Angewendet werden hier nicht die lediglich als Auslegungsrichtlinien fungierenden Grundrechtsbestimmungen, sondern lediglich die auszulegende Norm. Dies gilt allerdings nur soweit, wie der auszulegenden Norm ein eigener sachentscheidender Regelungsgehalt zukommt. Wenn also nach der A n wendungsform der Grundrechte gefragt wird, so kann es nur darum gehen, ob die Grundrechte unmittelbar oder mittelbar über ausfüllungsbedürftige Generalklauseln anzuwenden sind 7 .

5 Vgl. Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 364; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 213; B V e r f G 7/206; s.a. Bender, M D R 1959, S.446; Dürig, D Ö V 1958, S. 196; Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, S. 48. 6 Z u m Verhältnis dieser beiden Funktionen vgl. Burmeister, S. 27 Fn. 35. 7 Vgl. auch Leisner, a.a.O., S. 286.

Zweiter Teil

Ermittlung des normativen Kähmens der Problemlösung Überlegungen zur Norm situation Die Lösungsansätze zur rechtlichen Erfassimg und Entscheidimg von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private werden i. d. R. als verbindliche Folgerungen aus geltenden Normsätzen ausgegeben. Dabei gibt der Umstand, daß diese Lösungsansätze durchaus verschieden aussehen, Anlaß zu der Untersuchung, inwieweit das Problemlösungsverhalten tatsächlich durch Normen determiniert ist und i n welchem Sinne; denn verbindlich kann ein Lösungsansatz nur sein, wenn die Rechtsordnung andere Lösungsansätze nicht zuläßt.

I· Zur Methodik der Untersuchung 1. Anknüpfungspunkt

der Untersuchung

Voraussetzung der Verbindlichkeit der vertretenen Lösungsansätze ist zunächst die Normqualität der den Lösungsansätzen zugrundegelegten Normhypothesen (s. 1. Teil I I I 1), d. h. diese müßten sich als verbindliche Anweisungen an den Richter darüber erweisen, welcher Stellenwert den Grundrechten bei der Lösung privatrechtlicher Konflikte beizumessen ist. Besitzen nämlich bereits diese Grundannahmen keine Normqualität, so können auch die daraus abgeleiteten Lösungsansätze keine Normqualität besitzen, so daß die Überprüfung der Normqualität zunächst auf die Normhypothesen beschränkt werden kann. 2. Voraussetzungen der dogmatischen

der Normqualität Grundannahmen

Die Verbindlichkeit der Normhypothesen ist theoretisch auf zwei Ebenen begründbar: a) Zum einen kann die Normqualität einer Normhypothese darauf beruhen, daß vorhandene Normsätze den Gehalt gerade dieser Normhypothese unmißverständlich ausdrücken. Dabei muß dieser Gehalt nicht notwendig durch positivierte Rechtssätze ausgedrückt sein, es

44

2. Teil: Normativer Rahmen

genügen auch judizielle Rechtssätze, sofern über diese i n der Rechtspraxis Konsens besteht. Allerdings gilt für judizielle Rechtssätze auch dann, wenn über sie Konsens besteht, die Einschränkung, daß der Richter diese zwar wie verbindliche Normen behandeln kann, d. h. sie ohne erneute Rechtfertigimg seiner Entscheidung zugrundelegen kann (Entlastung vom Begründungszwang 1 ), andererseits aber nicht an sie gebunden ist, wenn er gute Gründe hat, den Konsens zu durchbrechen 2 . Soweit der Gehalt einer Normhypothese bestehenden Normen unmittelbar entnommen werden kann, soll hier von unmittelbarer Normqualität gesprochen werden. b) Es kann aber auch sein, daß die Normqualität einer dogmatischen Grundannahme nur mittelbar begründbar ist. Dies kommt dann i n Betracht, wenn den vorhandenen Rechtssätzen gar keine oder keine eindeutige Aussage dazu entnommen werden kann, welche Rolle den Grundrechten bei der Beurteilung privatrechtlicher Konflikte zukommt. Voraussetzung der Legitimation einer der vertretenen Normhypothesen vom Telos des Regelungszusammenhangs her ist zunächst, daß den einschlägigen Rechtssätzen — insbesondere dem Grundrechtskatalog — gesicherte Hinweise darauf entnommen werden können, wie sich das gegesellschaftliche Leben vollziehen soll (Telos). Der Aussagegehalt dieser Hinweise muß mindestens durch einen (wenn auch u. U. nur minimalen) Konsens der Rechtspraxis gesichert sein. Ist ein solcher Konsens vorhanden, so kann für diejenige Normhypothese Verbindlichkeit i n A n spruch genommen werden, deren Anwendung zu Ergebnissen führt, die der verfassungspolitischen Zielbestimmung am ehesten gerecht werden. Ob dies der Fall ist, ist i m Wege der Folgenanalyse zu ermitteln 3 . Die Verbindlichkeit der Normhypothese ergibt sich also nicht bereits aus der Interpretation des vorhandenen Normenbestandes, sondern erst axis der Zweck-Mittel-Relation. Diese nur mittelbare Normqualität be1 Das Richterrecht v o m Begründungszwang entlastet, versteht sich angesichts der Legitimationsbedürftigkeit judizieller Normsetzung nicht von selbst. Die Entlastung v o m Begründungszwang rechtfertigt sich jedoch daraus, daß man aus Gründen der Gleichbehandlung v o r Gericht u n d der Voraussehbarkeit richterlicher Entscheidungen — d. h. aus Gründen der Rechtssicherheit — v o m Richter erwarten muß, daß dieser nicht ohne Not eine feste Entscheidungspraxis durchbricht. Bindet man aber den Richter an einen Konsens der Rechtsprechung, so ist nicht die Übernahme dieses Konsenses, sofern erst dessen Durchbrechung eigenverantwortliche u n d daher begründungsbedürftige Entscheidung des Richters. Die Entlastung v o m Begründungszwang w i r d hier also i m Gegensatz zu Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 262, als Konsequenz einer vorläufigen, d. h. n u r besserer Einsicht weichenden, Verbindlichkeit v o n Richterrecht begriffen u n d nicht als deren maßgeblicher Grund. 2 Vgl. auch Säcker, R d A 1969, S. 293; i m Ergebnis m i ß t Esser, Vorverständnis, S. 192, dem Richterrecht w o h l denselben Stellenwert bei. 3 Z u r Z w e c k - M i t t e l - A r g u m e n t a t i o n bei N o r m w a h l vgl. auch Winter, Rechtstheorie 1971, S. 178.

II. Unmittelbare Normqualität

45

deutet zugleich, daß von der Verbindlichkeit der Normhypothese nur solange aufgegangen werden kann, wie die Zweck-Mittel-Relation stimmt. Allerdings kann dann die Situation eintreten, daß die Normhypothese verselbständigt als judizieller Normsatz weiterbesteht.

3.

Erkenntnismittel

Bei der Prüfung der Normqualität der vertretenen dogmatischen Grundannahmen sollen zunächst die herkömmlichen Auslegungsbehelfe (Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte) ausgeschöpft werden; dabei w i r d davon ausgegangen, daß es zwar eine teleologische Begründung i m oben genannten Sinne, aber keine besondere teleologische Auslegunigsmethode gibt, sondern das Telos eines Regelungszusammenhangs selbst wieder nur aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte erschlossen werden kann 4 . Der tatsächliche Erkenntniswert dieser herkömmlichen Auslegungsbehelfe w i r d sich bei der konkreten Prüfung allerdings erst erweisen müssen. Korrespondierendes Erkenntnismittel w i r d immer die Ermittlung des Problemlösungsverhaltens der Rechtspraxis sein. II. Prüfung der unmittelbaren Normqualität der vertretenen Normhypothesen 1. Legitimierbarkeit

durch

positivierte

Normen

a) Dualistischer Ansatz Die Ausgangsfrage lautet i n diesem Fall: Können den einschlägigen Normen — hier dem Grundgesetz — gesicherte Hinweise darauf entnommen werden, daß sich das Zusammenleben i m Staate prinzipiell frei von jeder Grundrechtsorientierung vollziehen soll und den Grundrechtsbestimmungen deshalb keine Entscheidungsgesichtspunkte für die Lösung privatrechtlicher Konflikte entnommen werden dürfen? Diese Fragestellung mag verfälschend w i r k e n angesichts der Tatsache, daß die Vertreter eines dualistischen Ansatzes ja den gelegentlichen Rückgriff auf die den Grundrechten vorgegebene Wertordnung bzw. auf überpositive Menschenrechte vorsehen. Jedoch handelt es sich bei diesen Korrektiven u m zusätzliche, d. h. i n der These zum Regelungsbereich der Grundrechtsbestimmungen noch nicht enthaltene Annahmen, so daß die Uberprüfung der Normqualität der dogmatischen Grundannahme 4

Vgl. Hesse, S. 24; Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 13.

46

2. Teil: Normativer Rahmen

isoliert von der eingeräumten Möglichkeit des Rekurses auf vorgegebene Werte o. ä. vorgenommen werden kann. Zur Rechtfertigung des dualistischen Ansatzes werden folgende Argumente vorgetragen: Wortlaut: A r t . 1 Abs. I GG 1 und A r t . 1 Abs. I I I GG 2 sprechen nur von einer Verpflichtung der öffentlichen Gewalt, woraus zu entnehmen ist, daß nur die öffentliche Gewalt mit den Grundrechtsbestimmungen angesprochen werden soll. Aus der ausdrücklichen Erstreckung der Verbindlichkeit des A r t . 9 GG auf Private i n A r t . 9 Abs. I I I kann der Schluß gezogen werden, daß die Grundrechte i m übrigen nur die öffentliche Gewalt binden 3 . Entstehungsgeschichte: Die Grundrechte sind ursprünglich — B i l l of Rights, Französische Revolution — als reine Abwehrrechte gegen den Staat entstanden 4 . Von Mangoldt hat sich i m Parlamentarischen Rat i. S. des herkömmlichen Grundrechtsverständnisses geäußert 5 . Systematik: Es w i r d herkömmlicherweise zwischen öffentlichem und privatem Recht unterschieden. Dieser grundsätzlichen Unterscheidung widerspricht eine Grundrechtsorientierung des Privatrechts, da die Grundrechtsbestimmungen als Bestandteile der Verfassung dem öffentlichen Recht zugehören e . b) Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt Daß die Grundrechtsbestimmungen gleichermaßen Ordnungshinweise für das Zusammenleben Privater vermitteln, aber ausschließlich die öffentliche Gewalt bei der Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens binden, w i r d i m wesentlichen m i t dem Wortlaut des GG sowie m i t rechtssystematischen Erwägungen belegt. 1

Schmidt-Rimpler, AöR 76, S. 170. Jellinek, B B 1950, S. 425; Hueck, Die Bedeutung des A r t . 3, S. 16. 3 Hueck, S. 16; Bosch - Habscheid, J Z 1954, S. 214; Reimers, MDR1967, S. 534. 4 Reimers, Die Bedeutung der Grundrechte, S. 10 ff.; ders., M D R 1967, S. 533 f.; Klein, i n : v. Mangoldt - Klein, Vorbem. A I I 4 a; Schmidt-Rimpler, AöR 76, S. 169, 171; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 104; Jellinek, B B 1950, S. 428; Bosch - Habscheid, J Z 1954, S.214; Stree, N J W 1954, S.1026; B V e r f G 7/204 f. 5 Hueck, S. 18. 6 Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 164, 167 f., 173; ders., i n : MaunzDürig, A n m . 130 zu A r t . 1 Abs. I I I G G ; Wespi, S. 60; Rupp, S. 231 Fn. 409; W.Geiger, S. 37; Bettermann, J Z 1954, S. 465; Ehmke, Wirtschaft u n d V e r fassung, S. 81; Bydlinski, österr.Z.f.öff.R. X I I , S.441; B V e r f G 7/205. 2

II. Unmittelbare Normqualität

47

Wortlaut: Gemäß A r t . 1 Abs. I I I GG ist die öffentliche Gewalt an die Grundrechte gebunden. Daraus ergibt sich zum einen, daß nur die öffentliche Gewalt an die Grundrechte gebunden ist, die Grundrechte also ausschließlich subjektiv-öffentliche Rechte sind; zum anderen ergibt sich daraus, daß die öffentliche Gewalt bei jeder Maßnahme an die Grundrechte gebunden ist, d. h. auch bei der legislativen oder judiziellen Ordnung des Soziallebens 7 . Systematik: Die Grundrechtsgeltung kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob es sich u m einen privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Konflikt handelt; denn die i n den Normen enthaltenen I m perative, von denen allein Freiheitsbeeinträchtigungen ausgehen können und die daher allein an den Grundrechten zu messen sind, sind einer Qualifizierung i n öffentliches bzw. privates Recht nicht zugänglich 8 . c) Absolute Geltung der Grundrechte Für die Annahme, daß die Mehrzahl der Grundrechtsbestimmungen Grundsatznormen für die gesamte Rechtsordnung enthalten, die aufGrund ihrer absoluten Geltung auch unmittelbare Verhaltensmaßstäbe für privatrechtliches Handeln liefern, werden ebenfalls Argumente vorgetragen, die mittels herkömmlicher Auslegungsmethoden gewonnen werden. Wortlaut: Die Grundrechtsbestimmungen sind absolut i m Sinne allseitiger Geltung gefaßt 9 . Art. 1 Abs. I I GG spricht von unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft. Dam i t ist die absolute Geltung der i n den Grundrechtsbestimmungen enthaltenen Grundsatznormen unmittelbar angesprochen 10. Die ausdrückliche Erstreckung der Bindungswirkung der Koalitionsfreiheit auf Private in Art. 9 Abs. I I I Satz 2 GG beweist, daß das Grundgesetz nicht einem Dualismus von Verfassungsrecht und Privatrecht ausgeht 11 . Entstehungsgeschichte: Zwar w a r bei den ersten Proklamierungen der Grundrechte aufgrund der damaligen sozialpolitischen Situation nur die Abwehrfunktion der Grundrechte ins Auge gefaßt worden, die 7

Schwabe, Die sogenannte D r i t t w i r k u n g der Grundrechte, S. 26, 140. Schwabe, S. 31 ff. 9 Huber, ZfSchweizR 74/200; Gamillschegg, A c P 164, S. 405; Reichenbaum, S. 117 \Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 287. 10 G. Müller, R d A 1964, S. 125; Leisner, a.a.O., S. 149; Hamel, Die Bedeutung der Grundrechte i m sozialen Rechtsstaat, S. 20 f.; siehe auch Laufke, S. 154f. 11 Nipperdey, i n : Enneccerus - Nipperdey, S. 93. 8

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2. Teil: Normativer Rahmen

historische Ausgangssituation hat sich jedoch erheblich gewandelt, was bereits i n der WRV seinen Niederschlag gefunden hat. Man kann deshalb heute nicht mehr von einem Grundrechtsverständnis des 19. Jahrhunderts ausgehen, sondern muß den Regelungsbereich der Grundrechte weiter fassen 12. I n den Beratungen des Parlamentarischen Rats sind auch Äußerungen gefallen, die zugunsten eines erweiterten Regelungsbereichs der Grundrechte sprechen 13. I m übrigen ist dieses Problem i m Parlamentarischen Rat explizit nie diskutiert worden, so daß es zu einer bestimmten W i l lensbildung nicht gekommen ist 1 4 . Systematik: Die herkömmliche Trennung von öffentlichem und privatem Recht, die bei dem gegenwärtigen Rechtszustand ohnehin nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, w i r d durch die Annahme einer allseitigen Geltung der Grundrechte keineswegs aufgehoben; diese Trennung kann schon deshalb keine Rechtfertigung für eine Begrenzung des Regelungsbereichs der Grundrechte auf die Staat-Bürger-Beziehungen darstellen 15 . Es widerspricht dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, die Trennung von öffentlichem und privatem Recht auch auf der Ebene der höchsten Normen, der Verfassungsbestimmungen, fortzuführen 16 . d) Zum Legitimationswert der für die dogmatischen Grundannahmen vorgetragenen Argumente aa) Zum Erkenntniswert der herkömmlichen Auslegungsbehelfe Die herkömmlichen Methoden zur Ermittlung des Inhalts einer Norm — grammatische Interpretation, Aufdeckung systematischer Bezüge, Erm i t t l u n g der historischen Entwicklung eines Rechtsinstituts und der Motive des Gesetzgebers — vermögen Hinweise auf den möglichen Sinn der auszulegenden Norm zu erschließen. Führen alle Interpretationsbehelfe zu demselben Ergebnis, so besteht eine ziemliche Gewißheit über den verbindlichen Sinn der Norm, da i n einem solchen Fall i. d. R. Konsens über den Norminhalt vorausgesetzt werden kann. Dies schließt jedoch nicht aus, daß die Rechtspraxis gelegentlich dennoch von einem 12 Leisner, a.a.O., S. 333, 52 ff.; Laufke, S. 147 ff.; Ramm, Willensbildung, S. 42 ff.; Koll, S. 71 ff.; G. Müller, RdA 1964, S. 126; Nipperdey, i n : Enneccerus Nipperdey, Bd. 1, S. 95 f.; ders., i n : Festschrift für Molitor, S. 25 ff. 13 Roth-Stielow, S. 71; siehe auch Leisner, a.a.O., S. 313 Fn.74a. 14 Leisner, a.a.O., S. 313; siehe auch Laufke, S. 149. 15 Leisner, a.a.O., S. 334; s. a. Bullinger, öffentliches Recht u n d Privatrecht, S. 87 ff. 16 Gamillschegg, A c P 164, S. 420 f.; Nipperdey, i n : Festschrift f ü r Molitor, S. 26; ders., i n : Die Grundrechte, I V , 2, S. 751.

II. Unmittelbare Normqualität

49

anderen Normsinn ausgeht, w e i l dieser zu befriedigenderen Konsequenzen führt, wobei die Grenze zur Entscheidung contra legem kaum angebbar ist 1 7 . Zweifelhaft bleibt der Normsinn spätestens dann, wenn der Einsatz der verschiedenen Auslegungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führt oder sogar dasselbe Erkenntnismittel gegenläufige Hinweise auf den Normsinn zutage fördert; denn es gibt weder eine verbindliche Rangordnung der Auslegungsmittel, noch existiert eine Regel des Inhalts, daß derjenige Normsinn als verbindlich anzusehen ist, für den sich die meisten Hinweise aus Gesetz und Entstehungsgeschichte auffinden lassen, unabhängig vom Gewicht dieser Hinweise 18 . I m Falle divergierender Interpretationsergebnisse können die herkömmlichen Auslegungsbehelfe daher keine Entscheidungshilfen für die Bestimmung des Normsinns vermitteln; ihr Erkenntniswert erschöpft sich i m A u f zeigen von Möglichkeiten der Inhaltsbestimmung. bb) Z u m Legitimationswert der mittels der herkömmlichen Auslegungsbehelfe gewonnenen Argumente Der Legitimationswert der für die jeweilige Normhypothese vorgebrachten Interpretationöhinweise hängt davon ab, ob die zugrundeliegenden Feststellungen zutreffen, die daraus gezogenen Folgerungen in sich zwingend sind und keine gegenläufigen Interpretationshinweise aufgefunden werden können. Die zur Rechtfertigung der dogmatischen Grundannahmen vorgetragenen Argumente sind i n ihrem Feststellungsgehalt wohl durchweg schwer angreifbar, i n ihren Folgerungen jedoch wegen des Vorliegens divergierender Interpretationshinweise durchweg nicht zwingend. Der Wortlaut des GG liefert für jede der drei Normhypothesen eine Stütze und damit zugleich jeweils auch deren Relativierung. Die Beratungen des Parlamentarischen Rats sagen für alle drei Positionen gleichermaßen wenig aus. Hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte der 17

Vgl. dazu Kriele, S. 254 f. Siehe dazu auch oben 1. T e i l 12. Insbesondere k a n n ein P r i m a t der historischen Auslegung nicht anerkannt werden. Abgesehen von der Unsicherheit historischer Auslegungsarbeit ist ein Primat der historischen Auslegung w e der theoretisch zwingend begründbar — vgl. dazu Esser, Vorverständnis, S. 124 ff.; ders., Grundsatz und Norm, S. 122 ff.; Kriele, S. 209; Engisch, S. 93 fï.; siehe auch Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung — noch als faktisch geltende Rechtsgewinnungsregel nachweisbar. Die Rechtsprechung bedient sich der historischen Auslegung als maßgeblichen Erkennungsmittels regelmäßig dann, w e n n diese die Formulierung des angestrebten Ergebnisses eher ermöglicht als die grammatische u n d systematische Interpretation, vgl. Naucke, i n : Festschrift f ü r Engisch, S. 278 f.; Esser, Vorverständnis, S. 122 f.; erweist sich die historische Auslegung dagegen i m Hinblick auf das vorgestellte Ergebnis eher als hinderlich, so werden andere Interpretationsgesichtspunkte i n den Vordergrund gestellt, vgl. Naucke, a.a.O., S. 278 f.; Hesse, S. 24, m i t Beispielen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 18

4 Eckhold-Schmldt

2. Teil: Normativer Rahmen

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Grundrechte ist zwar unbestreitbar, daß die Grundrechte ursprünglich als Abwehrrechte gegen den Staat entstanden sind; wenn man aber schon der historischen Ausgangssituation bei der Entstehung eines Rechtsinstituts Erkenntniswert für die Ermittlung des Normsinns beimißt, so muß man w o h l auch die Veränderungen der historischen Ausgangslage bis zum Zeitpunkt der Setzung der auszulegenden Norm berücksichtigen. Ohne Anerkennung einer Beweislast für die Veränderung der historischen Ausgangssituation 19 — bedenkt man, daß seit der Französischen Revolution bis zur Schaffung des Grundgesetzes mehr als anderthalb Jahrhunderte vergangen sind, so müßte man ohnhin von einer Umkehr der Beweislast reden — ließen sich unschwer eine Reihe sozialpolitischer Phänomene nennen, die eine Wandlung der gesellschaftspolitischen Situation seit der Französischen Revolution anzeigen 20 . I m übrigen w i r d man auch den Wandel von Rechtsüberzeugungen als relevantes historisches Faktum behandeln müssen. Ein Indiz für die Veränderung der historischen Situation ist der Umstand, daß heute selbst die Gegner einer Grundrechtsanwendung i m Privatrecht überwiegend ein Bedürfnis nach Grundrechtsschutz auf der Privatrechtsebene anerkennen 21 . M i t diesen Hinweisen w i r d das historische Argument für die dualistische Konstruktion allerdings nur relativiert, da die Entstehungsgeschichte i m Rahmen der Sinnermittlung nur unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Vorstellung des Gesetzgebers relevant ist und der Gesetzgeber ja trotz historischer Veränderungen von dem klassischen Grundrechtsverständnis ausgegangen sein kann. — Schließlich ist auch die systematische Argumentation nicht zwingend ausschließlich zugunsten einer bestimmten Normhypothese verwertbar. Aus dem Gesagten folgt, daß auf der Ebene der Sinnermittlung eine verbindliche Entscheidung zugunsten einer der drei dogmatischen Grundannahmen nicht gefällt werden kann, da die herkömmlichen Auslegungsbehelfe gegenläufige Interpretationshinweise erschließen. Die insoweit vorgetragenen Argumente besitzen somit keinen Legitimationswert. 2. Legitimation

durch Rechtspraxis

Die Inhaltsbestimmung einer Norm ist durch die Rechtspraxis legitimiert, wenn in der Entscheidungspraxis der Gerichte durchgängig dieser Normsinn zugrundegelegt wird. Ein derartiger Konsens ist bezüglich w

Wie sie etwa von Vogt, S. 33, 47 fï. behauptet w i r d . Vgl. dazu unter anderem Laufke, S. 148 ff.; Ramm, Willensbildung, S. 42 fï. ; Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 52 ff. 21 So z.B. Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 166; ders., i n : MaunzDürig, Anm. 57 zu A r t . 2 Abs. I GG; Klein, i n : v. Mangoldt - Klein, Vorbem. A I I 4c; Reimers, Die Bedeutung der Grundrechte, S. 17 f.; Vogt, S. 56; Schneider, N J W 1954, S. 941, Mikat, S. 586; Wespi, S . 3 f . 20

III. Mittelbare Normqualität

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keiner der vertretenen dogmatischen Grundannahmen feststellbar. Der Dissens darüber, ob die Grundrechte absolute Geltung besitzen oder nur über die Grundrechtsbindung der Zivilgesetzgebung bzw. rechtsprechung i n das Privatrecht eingeführt werden dürfen, oder ob bei der Problemlösimg allenfalls auf überpositive Menschenrechte zu rekurrieren ist, reicht bis i n die Rechtsprechung der obersten Gerichte 22 . Allerdings läßt sich ein minimaler Konsens des Inhalts feststellen, daß bei der Lösung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private nicht von einem absoluten Verbot jeglicher Grundrechtsorientierung des Privatrechts ausgegangen werden darf 2 3 . 3.

Ergebnis

Für keine der vertretenen dogmatischen Grundannahmen kann unmittelbare Normqualität i n Anspruch genommen werden. Unmittelbare Normqualität besitzt lediglich der Satz, daß bei der Lösung privatrechtlicher Konflikte nicht von einer strikten Verfassungsneutralität des Privatrechts ausgegangen werden darf, sondern zu berücksichtigen ist, daß die Grundrechtsinhalte auch für das Privatrecht bedeutsam sein können. Dieser judizielle Normsatz zwingt zwar nicht zu einer Modifizierung der These von der dualistischen Konstruktion von Verfassungsrecht und Privatrecht, da ein judizieller Konsens lediglich vom Begründungszwang entlastet, eine Durchberechung des Konsenses jedoch nicht hindert; w o h l aber muß man gute Gründe dafür fordern, warum die Möglichkeit der Berücksichtigung von Grundrechtsinhalten bei der Lösung privatrechtlicher Konflikte nicht als notwendiger Bestandteil i n den dogmatischen Grundsatz m i t aufgenommen wird. Von den Vertretern eines dualistischen Ansatzes ist eine Durchbrechung des bestehenden Konsenses allerdings auch gar nicht intendiert — er w i r d vielmehr i m Ergebnis geteilt —, die Diskrepanz zum Inhalt dieses M i n i malkonsenses besteht lediglich i m Argumentationsansatz, worauf i m dritten Teil einzugehen sein wird. I I I . Prüfung der mittelbaren Normqualität der vertretenen Normhypothesen Gesellschaftsverfassung des G G und dogmatische Konstruktion des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Privatrecht

Ob einer der vertretenen dogmatischen Grundannahmen mittelbare Normqualität zukommt, hängt davon ab, ob diese nachweisbar dem 22 Vgl. dazu insbesondere die i m 1. Teil, I I I , 1, Fn. 1 u n d 3 angeführten Rechtsprechungsnachweise. 23 Vgl. BVerfG 7/198 ff.; 24/236 ff.; 25/256ff. F ü r die Rspr. des B A G u n d des B G H versteht sich dieser Konsens v o n selbst.



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2. Teil: Normativer Rahmen

Telos des Grundgesetzes am ehesten gerecht wird. Relevantes Telos wäre i n diesem Fall die vom Grundgesetz intendierte Ordnung des Soziallebens. 1. Zur gesellschaftspolitischen Tendenz der vertretenen dogmatischen Konstruktionen des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Privatrecht Die Rechtfertigung einer dogmatischen Konstruktion m i t der Gesellschafts V e r f a s s u n g des GG setzt voraus, daß der Konstruktion eine bestimmte gesellschaftspolitische Tendenz innewohnt, wenn die Argumentation nicht von vornherein leerlaufen soll. Eine dogmatische Konstruktion weist dann eine gesellschaftspolitische Tendenz auf, wenn sie eine bestimmte Ordnung gesellschaftlichen Zusammenlebens — wenn auch u. U. nur für Teilbereiche — indiziert. Ob dies bei den vertretenen Konstruktionen des Verhältnisses von Verfasungsrecht und Privatrecht der Fall ist, ergibt sich aus der Analyse der Folgen einer konsequenten Anwendung der von den jeweiligen Konstruktionen implizierten Problemlösungsregeln. Allerdings können die Konsequenzen der vertretenen dogmatischen Grundannahmen aufgrund ihrer Allgemeinheit nur hypothesenhaft und sehr global angedeutet werden. Dabei bleibt zunächst unberücksichtigt, daß die Vertreter der verschiedenen Normhypothesen aus diesen ζ. T. weniger strikte Problemlösungsregeln ableiten, als durch die Normhypothesen nahegelegt wird. a) Dualistischer Ansatz Das Postulat einer strikten Verfassungsneutralität des Privatrechts impliziert nicht nur das Verbot der Anwendung von Grundrechtsbestimmungen auf privatrechtliches Handeln, sondern das Verbot jeglicher Grundrechtsorientierung des Privatrechts. Wenn nämlich die Grundrechtsbestimmungen nicht zum Verhaltensmaßstab für Private erhoben werden dürfen, w e i l diese keine Hinweise darüber vermitteln, wie das Zusammenleben Privater geordnet sein soll — mit Ausnahme eben des Hinweises, daß privatrechtliches Handeln frei von grundrechtlichen Bindungen sein soll —, so können die Grundrechte auch nicht Handlungsmaßstab bei der legislativen Ordnung gesellschaftlichen Zusammenlebens sein, m i t der Folge, daß für richterliche Normenkontrolle und grundrechtskonforme Auslegung „materieller Zivilrechtsnormen" 1 kaum 1 M i t „materiellen Zivilrechtsnormen" sollen i n Anlehnung an Reuter, K i n desgrundrechte u n d elterliche Gewalt, S. 76, solche Zivilrechtsnormen gemeint sein, die Interessenkonflikte zwischen Privaten regeln.

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noch Raum bleibt 2 . Die völlige Freistellung privatrechtlichen Handelns von grundrechtlichen Bindungen und das damit verbundene Verbot richterlicher oder gesetzgeberischer Intervention zum Ausgleich von Freiheitspositionen bedeuten jedoch eine Rückkehr zum Trennungsdenken von Staat und Gesellschaft, zum Prinzip des Laissez-faire des frühen Liberalismus. Dessen strikte Abwehrhaltung gegen jegliche staatliche Intervention i m Vertrauen auf die freiheitssichernde Selbstregulierung der Wirtschaftsordnung vermochte zwar den einzelnen vor Übergriffen des Staates zu schützen, um ihn dann jedoch um so intensiver den Willkürakten ungezügelter wirtschaftlicher Macht auszusetzen3. Diese rigide liberalistische Tendenz des dualistischen Ansatzes ist von dessen gegenwärtigen Vertretern natürlich keineswegs intendiert, es handelt sich dabei vielmehr um eine idealtypische Überhöhung der Konsequenzen dieses Argumentationsansatzes. b) Absolute Geltung der Grundrechte Vielbeschworene Konsequenz einer absoluten Geltung der Grundrechte ist die „Sozialisierung des Privatrechts" 4 i m Sinne eines staatlichen Zwangs, von seinen grundrechtlich geschützten Freiheiten Gebrauch zu machen 5 . Diese Folgerung ist allerdings nicht besonders einsichtig; denn solange das Prozeßrecht es den Parteien überläßt, die Beeinträchtigung von Rechten vor Gericht geltend zu machen, gibt es keine Instanz, die einen freiwilligen Verzicht auf das Gebrauchmachen von Grundfreiheiten verhindern könnte. W i l l aber eine Partei an der Selbstbeschränkung seiner Freiheit nicht mehr festhalten und gesteht das Gericht ihr dies zu, so verschafft es ihr nur den beanspruchten Freiheitsraum, übt aber keinen „Zwang zur Freiheit" 6 aus. Konsequenz einer absoluten Geltung der Grundrechte wäre wohl eher eine Lähmung allen sozialen Handelns durch das unvermittelte Aufeinanderprallen von Freiheitspositionen. Die Anerkennung einer absoluten Geltung der Grundrechte würde zwar einen unbeschränkten Freiheitsschutz verschaffen, aber der Umstand, daß jeder mit einem umfassenden Grundrechtsschutz ausgestattet wäre, würde jedenfalls dann, wenn jeder auf seiner Freiheitssphäre beharrte, eine Realisierung der ge-

2 So auch Reuter, S. 75 ff.; Schwabe, S. 88 ff.; siehe auch Schaumann, J Z 1970, S. 49 ff., 53. 3 Vgl. Euchen, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 52 f. ; Runge, Die A n t i nomien des Freiheitsbegriffs i m Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 12; s.a. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 128; Denninger, Staatsrecht 1, S. 123. 4 Dürig, i n : Festschrift für Nawiaski, S. 184. 5 Dürig, a.a.O., S. 184 Fn. 61, S. 168. β Dürig, a.a.O., S. 168.

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2. Teil: Normativer Rahmen

schützten Entfaltungsmöglichkeiten i m gesellschaftlichen Zusammenleben unmöglich machen. Dabei würde die Unmöglichkeit der Realisierung von Freiheit innerhalb der Gesellschaft wesentlich auf dem Zusammentreffen von Gleichheitssatz und Freiheitsrechten beruhen, da die Bindung an den Gleichheitssatz i n einem unauflösbaren Widerspruch zur individuellen Entfaltungsfreiheit steht. Man könnte daher sagen, daß die Praktizierung eines absoluten Grundrechtsschutzes einen Zustand gesellschaftlichen Stillstandes (mit der Tendenz zum Umschlag in einen Zustand der Anarchie) indiziert. Diese — sicherlich spekulative — gesellschaftspolitische Tendenz w i r d von den Vertretern einer absoluten Geltung der Grundrechte allerdings durch die Einführung von Kollisionsregeln bzw. mehr oder minder einschränkender Voraussetzungen der Grundrechtsbindung Privater wieder rückgängig gemacht, ohne jedoch die Gegenläufigkeit dieses A n satzes zur liberalistischen Tendenz — nämlich Einschränkung privater Herrschaft anstelle von Freisetzung privater Herrschaft — ganz aufzugeben. c) Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt Die Annahme, daß der Ordnungsbereich der Freiheitsrechte des Grundgesetzes sich auch auf die Rechtsbeziehungen zwischen Privatleuten erstreckt, die Verletzung von Freiheitsrechten auf der Privatrechtsebene aber nur als Beeinträchtigung durch die öffentliche Gewalt dem Staat gegenüber geltend gemacht werden kann — die Grundrechte bleiben staatsgerichtete Abwehrrechte — bedeutet, daß die gesellschaftspolitische Tendenz dieses Ansatzes davon abhängt, inwieweit Freiheitsbeeinträchtigungen i m privaten Rechtsverkehr dem Staat zugerechnet werden. Rechnet man m i t Schwabe 7 jede privatrechtlich zu duldende Beeinträchtigung von Freiheitsrechten dem Staat zu, so weist auch dieser Lösungsansatz eine dem dualistischen Ansatz gegenläufige Tendenz auf. Diese gesellschaftspolitische Stoßrichtung w i r d jedoch entscheidend dadurch abgeschwächt, daß der Gleichheitssatz generell aus dem Privatrecht ausgeklammert wird, m i t der Folge, daß lediglich der vertragliche Zwang zum Verzicht auf Freiheiten und eine unmittelbare Sanktionierung der Realisierung grundrechtlich geschützter Freiheiten ausgeschlossen bleiben, nicht aber all jene mittelbaren Freiheitsbeeinträchtigungen, die aufgrund ökonomischer Machtüberlegenheit ausgeübt werden können, wie ζ. B. Diskriminierung beim Vertragsschluß, bei Kündigungen, bei der Verteilung von Zuwendungen, bei Beförderungen u. ä. So ist es denn auch erklärlich, daß Schwabe gar nicht erst den 7

Die sogenannte D r i t t w i r k u n g der Grundrechte, S.17 ff., 26.

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Versuch macht, seinen Lösungsansatz anhand gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen des Grundgesetzes zu legitimieren, sondern sein Interesse von vornherein auf die dogmatische Aufarbeitung des Problembereichs beschränkt. 2. Zur Gesellschaftsverfassung

des Grundgesetzes

Da jedenfalls zwei der vertretenen dogmatischen Grundannahmen zum Verhältnis von Verfassungsrecht und Privatrecht eine bestimmte gesellschaftspolitische Tendenz aufweisen, hat es Sinn, nach dem gesellschaftspolitischen Leitbild des GG zu fragen, um von daher Aufschluß darüber zu gewinnen, ob von einem dieser Ansätze behauptet werden kann, daß er von allen konkret vorstellbaren Lösungsansätzen dem gesellschaftspolitischen Leitbild des GG am ehesten gerecht wird. Nur unter dieser Voraussetzung könnte diesem Ansatz mittelbare Normqualität zugesprochen werden. Sowohl für den dualistischen Ansatz als auch für den der Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte w i r d i n Anspruch genommen, den gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen des GG optimal gerecht zu werden, wobei notwendigerweise unterschiedliche Interpretationen dessen, was als freiheitliche Ordnung gesellschaftlichen Zusamenlebens i. S. des Grundgesetzes anzusehen ist, angeboten werden. a) Interpretationen einer freiheitlichen Sozialordnung zur Rechtfertigung der dogmatischen Konstruktionen des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Privatrecht Wenn hier undiskutiert davon ausgegangen wird, daß nach dem Grundgesetz für die gesellschaftliche Sphäre das Prinzip der Freiheitlichkeit gelten soll, so w i r d dies damit gerechtfertigt, daß weder die verfassungsgebende Versammlung noch je ein Interpret des GG auf die Idee gekommen ist, daß dies nicht der Fall sei, so daß man hier von einem fundamentalen, wenngleich relativ inhaltsleeren Konsens ausgehen kann. Dabei w i r d sich ein Konsens auch noch darüber erzielen lassen, daß ein Verhalten dann als frei bezeichnet werden kann, wenn es ohne das Risiko einer Sanktion ausgeübt werden kann 8 . Danach ist eine Gesellschaft dann freiheitlich organisiert, wenn der einzelne einem M i n i m u m an Bindung i m Sinne von sanktionsbewehrten Geboten bzw. 8 Vgl. Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 227; siehe auch Podlech, Gehalt u n d F u n k t i o n des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S. 186: „Rechtlich frei ist ein Verhalten genau dann, w e n n es nicht Tatbestandsmerkmal einer Sanktionsnorm ist".

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2. Teil: Normativer Rahmen

Verboten unterworfen ist. Unter welchen Bedingungen nun eine größtmögliche Entfaltungsfreiheit gegeben ist, w i r d allerdings sehr unterschiedlich angegeben. aa) Formales Freiheitsverständnis Für Dürig ist die m i t A r t . 1 Abs. I i. V. m. A r t . 2 Abs. I GG verfassungsrechtlich gewährleistete größtmögliche Entfaltungsfreiheit dann gegeben, wenn sich das gesellschaftliche Leben frei von staatlichen Interventionen vollziehen kann, wozu ganz wesentlich gehört, vom Staat ungehindert i m Privatrechtsverkehr von Grundrechtssätzen abweichen zu können 9 . Bedingung einer freiheitlichen Sozialordnung ist für ihn — und tendenziell auch für die anderen Vertreter eines dualistischen Ansatzes — die Freiheit von grundrechtlichen Bindungen bei der rechtlichen Gestaltung sozialer Beziehungen, d. h. die Freiheit, über grundrechtlich geschützte Positionen disponieren zu können und die Freiheit zu privater W i l l k ü r 1 0 . Da die Bindung an die Grundrechte ein Mehr an rechtlicher Bindung bedeutet, scheint das Weniger an rechtlicher Bindung, nämlich die Freiheit von grundrechtlichen Bindungen, tatsächlich ein Mehr an individueller Entfaltungsfreiheit zu bedeuten. Diese Konzeption w i r d hier deshalb als formales Freiheitsverständnis bezeichnet, weil allein auf die rechtliche Freiheit abgestellt wird, unter Vernachlässigung der gesellschaftlichen Tatsache, daß die Möglichkeit der Realisierung von Freiheit wesentlich eine Funktion des Kapitals ist 11 . I n dem Maße, in dem es für den Unternehmer einen Gewinn an Freiheit darstellt, nicht nur durch sein eigenes, sondern auch durch das vertraglich programmierte Handeln anderer sich selbst verwirklichen zu können, in dem Maße stellt die Disponibilität grundrechtlich geschützter Freiheiten für den Arbeitnehmer eine Vermehrung von Bindungen und damit einen Verlust an Freiheit dar. Niemand w i r d es als Realisierung seiner persönlichen Freiheit ansehen, wenn er, u m eine Anstellung zu bekommen, die Verpflichtung zur Ehelosigkeit eingehen muß, wenn er, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten, seine Ansichten zurückhalten muß, oder wenn er, u m eine Wohnung zu bekommen, Reglementierungen seiner Lebensführung hinnehmen muß, u. ä. Die Freistellung privatrechtlichen Handelns von grundrechtlichen Bindungen optimiert die Freiheit desjenigen, für den die Selbstentfaltung ohnehin kein Problem ist und minimisiert den Handlungsspielraum derjenigen, die ohnehin schon abhängig sind. 9 Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 158f.; ders., i n : A n m . 130 zu A r t . 1 Abs. I I I GG. 10 Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 159f.; ders., i n : A n m . 130 zu A r t . 1 Abs. 1 I I I GG. 11 Siehe dazu auch Mückenberger, K J 1971, S. 253, 263.

Maunz-Dürig, Maunz-Dürig,

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bb) Materiales Freiheitsverständnis Auch für Nipperdey ist das Privatrecht — beruhend auf Privateigentum, Gewerbe-, Wettbewerbs- und Vertragsfreiheit — integrierender Bestandteil einer freiheitlichen Ordnung des Soziallebens 12 . Privatrecht ist das Medium der Realisierung der mit Anerkennung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. I GG) und Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. I GG) gewährleisteten Privatautonomie und Vertragsfreiheit, wobei die Garantie des Privateigentums als konstituierender Bestandteil der Privatrechtsordnung und damit als Bedingung von Freiheit angesehen wird 1 3 . Dabei impliziert die privatrechtliche Entfaltungsfreiheit, wenn sie ihren freiheitlichen Gehalt nicht verlieren soll, notwendigerweise auch die Freiheit, Einschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheiten vereinbaren zu können 14 . Der Unterschied zur Dürigschen Konzeption besteht nun darin, daß Nipperdey der liberalistisch-kapitalistischen Tendenz dieser Privatrechtskonzeption dadurch die Schärfe nimmt, daß er die Berücksichtigung der faktischen Bedingungen von Freiheit als Element der Gesellschaftsverfassung des GG versteht. Aus der uneingeschränkten Anerkennung der Menschenwürde i n Verbindung m i t der Gewährleistung der Entfaltungsfreiheit einerseits 15 und dem Sozialstaatsprinzip andererseits 16 w i r d geschlossen, claß jedem eine Sphäre freier Selbstentfaltung erhalten bleiben muß 17 , m i t der Konsequenz, daß die Freiheit, Grundrechtspositionen qua Vertrag einzuschränken, dort endet, wo der Wesensgehalt der Grundrechte getroffen w i r d oder wo Freiheitsdispositionen lediglich i m Hinblick auf die wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit des anderen getroffen werden 18 . Da die rechtliche und faktische Gleichheitslage der Parteien Bedingung freiheitlicher Kooperation i m gesellschaftlichen Bereich ist, muß bei fehlender Gleichheitslage der Freiheitsstatus des Schwächeren abgesichert werden 19 . Nach Nipperdey ist die verfassungsgesetzlich vorausgesetzte freiheitliche Ordnung der Gesellschaft somit nicht lediglich als eine Zuweisung formaler Freiheitspositionen zu interpretieren, sondern material unter Einbeziehung der Bedingungen der Realisierung von Freiheit zu verstehen; dies allerdings nicht i. S. eines Gebots der Herstellung materialer 12 13 14 15 M 17 18 19

Festschrift f ü r Molitor, S. 17. a.a.O., S. 18. a.a.O., S. 27. a.a.O., S. 18. a.a.O., S. 19. a.a.O., S. 18. a.a.O., S. 27. a.a.O., S. 27 f.

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2. Teil: Normativer Rahmen

Gleichheit als Bedingung von Freiheit, sondern als Gebot des Freiheitsschutzes des Schwächeren i n Situationen faktischer Ungleichheit 20 . b) Bestimmbarkeit der verfassungsgesetzlich gebotenen Ordnung des Soziallebens aa) Gesellschaftspolitische Offenheit des Grundgesetzes Bei unbefangener Lektüre der ersten zwanzig A r t i k e l des Grundgesetzes ist es kaum möglich, das Grundgesetz auf ein bestimmtes gesellschaftspolitisches Leitbild festzulegen. Zwar kann davon ausgegangen werden, daß eine freiheitliche Gesellschaftsordnung intendiert ist, ob diese aber eher i n Gestalt eines sozialstaatlich abgemilderten Liberalismus oder i n Gestalt eines demokratischen Sozialismus verwirklicht gesehen wird, kann dem Grundgesetz nicht entnommen werden. Diese gesellschaftspolitische Spannbreite des GG ist nun nicht lediglich eine Folge der unvermeidlichen begrifflichen Unschärfe der Grundrechtsund Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes, sondern auch Resultat der divergierenden verfassungspolitischen Zielvorstellungen zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes 21 . Die Frage, ob die Wiederherstellung der überkommenen spätkapitalistischen Gesellschaftsordnung oder eine Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, Sozialisierung und Wirtschaftsplanung anzustreben seien, wurde i m Parlamentarischen Rat nicht mehrheitlich entschieden, sondern der zukünftigen Entwicklung überlassen, wobei die Möglichkeit geschaffen wurde, beide Ziele gleichermaßen ohne die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung zu verfolgen 22 . Der Umstand, daß die verfassungsgesetzlich eröffnete Möglichkeit einer sozialistischen Umgestaltung der Sozialordnung in Parlamenten und Bürokratie nicht ernsthaft diskutiert wird, darf nicht zu der Annahme verleiten, daß die bestehende Wirtschaftsordnung grundgesetzlich garantiert sei 23 . Es ist vielmehr festzuhalten, daß dem Grund20 Auch Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 139 ff., gewinnt aus der grundgesetzlichen Anerkennung der Menschenwürde, dem Kernbereichsschutz der Grundrechte sowie dem Sozialstaatsprinzip Hinweise auf die H i n w e n dung des Grundgesetzes zu einem materialen Freiheitsverständnis, das f ü r eine Begrenzung der Verfügbarkeit über grundrechtlich geschützte Freiheiten sowie einen Ausgleich faktischer Ungleichheit durch verstärkten Schutz des Schwächeren sprechen soll. 21 Vgl. Abendroth, Das Grundgesetz, S. 69 ff.; ders., i n : Antagonistische Gesellschaft, S. 128ff., 133 f.; Hartwich, Sozialstaatspostulat u n d gesellschaftlicher status quo, S. 50 ff. 22 Vgl. Abendroth, Das Grundgesetz, S. 65; ders., i n : Antagonistische Gesellschaft, S. 134 f., 138; Hartwich S. 50 ff., 344 ff. 23 So aber Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft, S. 21 ff.; vgl. dagegen Abendroth, i n : Antagonistische Gesellschaft, S. 115 ff.; ders., Das Grundgesetz, S. 67; Harwich, S. 346; siehe auch Ramm, Der Arbeitskampf u n d die Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes, S. 159 ff.; ders., JZ 1972, S. 143.

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gesetz eine Entscheidung für eine bestimmte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht entnommen werden kann, sondern m i t dem Grundrechtskatalog und den Staatszielbestimmungen (Sozialstaat, Rechtsstaat, Demokratie) einer liberalen wie einer sozialistischen Ordnung der Gesellschaft lediglich äußerste Grenzen gezogen werden 24 . bb) Funktionelle Grenzen der judiziellen Verfassungskonkretisierung Die Offenheit des Grundgesetzes für sehr verschiedene Gestaltungen der Sozialordnung bedeutet nun nicht, daß der Richter bei der Entscheidung sozialer Konflikte jeweils das i h m angemessen erscheinende Verständnis einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung zugrundelegen kann. Der von der Verfassung belassene Konkretisierungsspielraum kann nämlich m i t Wirkung für die Gerichte durch legislative Entscheidungen bereits erheblich eingeengt worden sein, denn man w i r d dem Demokratieprinzip i n Verbindung m i t dem Gewaltenteilungsgrundsatz zumindest so viel Gehalt beimessen müssen, daß die Entscheidung gesellschaftspolitischer Grundfragen primär eine Aufgabe des Gesetzgebers sein soll, die i h m vom Richter nur dann abgenommen werden kann, wenn dieser vor der Alternative der Rechtsverweigerung steht 25 . Hat der Gesetzgeber eine derartige Entscheidung getroffen, so w i r d kraft des Legitimationsvorsprungs der Legislative die Gesetzesbindung des Richters aktuell, die auch nicht m i t der Verfassungsbindung der Rechtsprechung überspielt werden kann, sofern sich die gesetzgeberische Verfassungskonkretisierung i m Rahmen des verfassungsgesetzlich belassenen Konkretisierungsspielraums hält 2 6 . Die Zuweisung des „Konikretisierungsprimats" an den Gesetzgeber 27 ist allerdings nicht nur eine Frage der demokratischen Legitimation, sondern auch sachlich bedingt. Abgesehen davon, daß die Gesetzgebungskörperschaften aufgrund ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eher zu sachgerechten Entscheidungen finden können, ist es der Legislative i m Unterschied zur fall- und personengebundenen Judikative möglich, alle relevanten Faktoren i n ihrer Regelung zu berücksichtigen 24

Vgl. Abendroth, i n : Antagonistische Gesellschaft, S. 133 f.; Harwich, S. 49 f. Vgl. auch Säcker, Grundprobleme, S. 101 f., 115 f.; dabei soll hier i n Übereinstimmung m i t Säcker, S. 116 Fn. 273, das Reditsverweigerungsverbot nicht lediglich i n dem formalen Sinne verstanden werden, daß der Richter überhaupt eine Entscheidung fällen muß — m i t der Konsequenz, daß dieser V e r pflichtung i m Falle einer „Gesetzeslücke" regelmäßig m i t einer Klagabweisung genüge getan wäre —, sondern i m Sinne einer materialen Rechtsgewährungspflicht. 26 Siehe auch Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 188; Säcker, S. 103. 27 Vgl. Göldner, S. 182 ff.; siehe auch Kriele, S. 60 ff., der von der „Rechtssetzungsprärogative" des Gesetzgebers spricht. 25

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2. Teil: Normativer Rahmen

und ihre Entscheidung für alle gleichermaßen verbindlich zu machen 28 . Diese sachlichen Gründe für den Vorrang der legislativen Verfassungskonkretisierung lassen den Konkretisierungsprimat der Legislative auch dann relevant werden, wenn der Konkretisierungsspielraum durch legislative Maßnahmen noch nicht eingeengt ist: I n diesen Fällen w i r d man von der Rechtsprechung die Berücksichtigung ihrer eigenen Möglichkeiten der Beherrschung der Folgen ihrer Entscheidungen verlangen müssen. Das heißt, sie darf den gegebenen Konkretisierungsspielraum nicht in einer Weise ausnutzen, daß Entscheidungen gefällt werden, auf welche die Rechtsgemeinschaft organisatorisch und/oder bewußtseinsmäßig noch nicht vorbereitet ist — es sei denn, der Gesetzgeber vernachlässigt zu lange einen Konkretisierungsauftrag der Verfassung, wie dies ζ. B. i n der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der Gleichstellung unehelicher Kinder der Fall war. Wo dem Gericht die i m Interesse einer sachgerechten Regelung zu verändernden gesellschaftlichen Faktoren nicht zur Disposition stehen, w i r d es sich i. d. R. m i t der Anmahnung legislativer Maßnahmen begnügen und i m übrigen i n herkömmlicher Weise — d. h. systemkonform — entscheiden müssen 29 . Die Anerkennung eines Konkretisierungsprimats der Legislative birgt allerdings die Gefahr i n sich, daß der freiheitliche Gehalt der Verfassung durch die gesetzgeberische Ausgestaltung permanent reduziert wird, ohne die Grenze der Verfassungswidrigkeit je zu erreichen 30 . Dabei läßt sich diese Gefahr auch m i t Hilfe der Normenkontrollfunktion der Rechtsprechung nicht v o l l auffangen 31 . Zwar steht das Gesetz i m Range unter der Verfassung und muß an dieser gemessen werden, doch bindet der weite Konkretisierungsspielraum verfassungsrechtlicher Bestimmungen auch die Normenkontrollinstanz, so daß ein Gesetz, das sich (noch) am unteren Rande des verfassungsrechtlich Zulässigen hält, nicht als verfassungswidrig verworfen werden kann 3 2 . Die Korrektur einer sich noch i m Rahmen der Verfassung haltenden Gesetzgebungspolitik bleibt in einem demokratisch verfaßten Staat notwendigerweise Sache des Wählers.

28

Vgl. auch Göldner, S. 186 f. I n diesen Fällen richtet die „konservative" Entscheidung regelmäßig weniger Schaden an als eine „progressive" Entscheidung, die einen Gesellschaftszustand antizipiert, der real noch nicht gegeben ist, sondern dessen Herstellung unter anderem erst mittels legislativer Maßnahmen vorbereitet werden muß. 29

30 Z u diesem Problem vgl. insbesondere Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, u n d Majewski, Auslegung der Grundrechte durch einfaches Gesetzesrecht; siehe auch Göldner, S. 126 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 103. 31 Hierauf vertraut jedoch Göldner, S. 128. 32 Siehe dazu auch Säcker, a.a.O., S. 103 f.

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cc) Der judizielle Konkretisierungsspielraum Wenn der Gesetzgeber aufgrund seines Konkretisierungsprimats den Konkretisierungsspielraum der Rechtsprechung bei der Bestimmung dessen, wie sich das gesellschaftliche Zusammenleben vollziehen soll, einengen kann, so stellt sich hier die Frage, inwieweit dies tatsächlich geschehen ist und ob aufgrund der legislativen Ausgestaltung der Verfassung zumindest aus der Perspektive des Richters einigermaßen bestimmbar ist, wie unter den gegebenen Bedingungen eine freiheitliche Sozialordnung i m Sinne des Grundgesetzes auszusehen hat. Vorgegeben ist zunächst die Tatsache, daß von der grundgesetzlich eingeräumten Chance einer Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie einer Sozialisierung der Schlüsselindustrien kein Gebrauch gemacht worden ist, sondern das nach dem Zusammenbruch von 1945 wiederhergestellte spätkapitalistische Wirtschaftssystem beibehalten wurde 3 3 . Faktisch knüpfte man also an die auf der dominierenden Stellung von Privateigentum und Vertragsfreiheit beruhende bürgerlich-liberalistische Gesellschaftsordnung an, allerdings „sozialstaatlich transformiert" 3 4 als konsequente Reaktion auf die Erkenntnis der Funktionsbedingungen eines liberalen Staates, wenn dieser seinem Anspruch als freiheitliche Gesamtordnung gerecht werden w i l l 3 5 . Der Unterschied der bestehenden Gesellschaftsordnung i m Vergleich zu der des frühen Liberalismus besteht wesentlich i m Funktionswandel des Staates, der nimmehr selbst zum Träger der gesellschaftlichen Ordnung wird 3 6 . Nur stellt diese m i t dem — ursprünglich ideologisch noch nicht festgelegten — Sozialstaatsprinzip verfassungskräftig gemachte Entwicklung keinen wirklichen Bruch m i t der liberalen Tradition dar, sondern lediglich eine von deren Ansprüchen her notwendige Modifikation 3 7 . Nachdem sich erwiesen hat, daß eine Selbstregulierung der Gesellschaft durch den Marktmechanismus dem einzelnen nicht die i h m zugedachten Freiheitsräume sichert, mußte der Staat als Garant der Funktionsfähigkeit einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eintreten; und zwar zum einen durch legislative Sicherung des freien Wettbewerbs und zum anderen durch einen materialen Freiheitsschutz derer, die auch unter den Bedingungen eines funktionierenden 33 Vgl. dazu Hartwich, 1. Teil, 2. K a p i t e l u n d zweiter T e i l ; Geulen, i n : Geulen/Stuby, Disziplinierung der Wissenschaft, S. 194 ff. 34 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 242 ff.; siehe auch Hartwich, S. 119 ff. 35 Vgl. Habermas, a.a.O., S. 244; Ramm, J Z 1972, S. 145. 36 Vgl. Habermas, a.a.O., S. 244; Abendroth, i n : Antagonistische Gesellschaft, S. 120 ff. 37 Vgl. Habermas, a.a.O., S. 244; Ramm, JZ 1972, S. 145.

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2. Teil: Normativer Rahmen

Marktes keine reale Chance der Selbstverwirklichung besitzen 38 . D. h. es ist eine Hinwendung zu einem materialen Freiheitsdenken feststellbar, aber nicht i m Sinne einer Herstellung der faktischen Bedingungen von Freiheit, einer „Aufhebung des Gegensatzes von Privatbesitz an Produktionsmitteln und gesellschaftlicher Produktion" 3 9 , was ζ. Z. der Schaffung des Grundgesetzes als gesellschaftspolitische Alternative noch mitgedacht wurde 4 0 , sondern i. S. eines „sozialen Kapitalismus" 4 1 , d. h. eines sozialen Ausgleichs der systembedingten Verknüpfung von Freiheit und Kapital i n Form sozialer Sicherungen und Schutz der A r t i k u lation der eigenen Interessen der abhängig Beschäftigten 42 . Unter diesem Gesichtspunkt sind die Sozialgesetzgebung und die bisherigen Realisierungen der Sozialbindung des Eigentums insbesondere durch das A r beitsrecht und Mietrecht zu sehen. Die gesetzgeberische Ausformung der Gesellschaftsverfassung des Grundgesetzes i m Sinne einer privatkapitalistischen Gesellschaftsordnung stellt sich als Systementscheidimg dar, über die sich die Rechtsprechung mangels besserer Legitimation nicht hinwegsetzen kann. Die judizielle Verfassungskonkretisierung bleibt daher unter den gegenwärtigen politischen Machtverhältnissen grundsätzlich einem liberalistischen Gesellschaftskonzept verpflichtet, ohne dadurch allerdings auf den gesellschaftlichen status quo festgelegt zu sein. Die Verpflichtung auf ein liberales Freiheitsverständnis impliziert zwar das Verbot einer richterlichen Umverteilung von Gütern durch extensive Auslegung der Sozialbindung des Eigentums — etwa zivilrechtliche Legitimation von Hausbesetzungen — oder allzu restriktives Verständnis von Vertragsfreiheit durch weitgehende Anwendung des Gleichheitssatzes — ζ. B. Annahme eines Kontrahierungszwangs für Arbeitgeber oder Vermieter — erlaubt aber andererseits auch den Rückgriff auf den schon fast verschütteten emanzipativen Impetus liberalen Denkens 43 . I n dem Maße, in dem die Verdrängung des Staates aus dem gesellschaftlichen Bereich und die Postulierimg des Privateigentums als Bedingung der Freiheit von gesellschaftlicher Abhängigkeit sich i m Kampf gegen die Feudalgewalten noch als fortschrittliche Verbindung zur Emanzipation von Herrschaft darstellte 44 , erwies sich i n der Folgezeit

38

Siehe auch Abendroth, a.a.O., S. 121, 131. Vgl. von Brünneck, Haupt, Leibfried, K J 1971, S. 126. 40 U n d auch i n der Staatsrechtslehre zunächst noch als reale Alternative mitdiskutiert wurde, siehe dazu Hartwich, S. 284 ff. 41 Vgl. Hartwich, S. 54 ff., 259 ff. 42 Vgl. Hartwich, S. 260 ff. 43 Siehe auch Ramm, JZ 1972, S. 141. 44 Vgl. Hoff mann, K J 1970, S. 50; Ramm, JZ 1972, S. 145. 39

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die F i k t i v i t ä t der Freiheitsgewähr einer privatautonomen Gesellschaft des freien Warenverkehrs 45 . Indem das Privateigentum zum unveräußerlichen Menschenrecht erhoben wurde, spaltete man die Gesellschaft i n die Klasse derer, die Eigentum und damit auch Freiheit besaßen, und die Klasse jener, die nur ihre Arbeitskraft und damit auch ihre Freiheit verkaufen konnten 46 . Diese i n der historischen Entwicklung eingetretene Formalisierung privater Freiheit heute zum Essentiale des liberalen Gesellschaftskonzepts zu erheben und das Sozialstaatsprinzip lediglich als ein Gebot des Ausgleichs sozialer Härten zu interpretieren, wäre eine Verkehrung der materialen Freiheitsidee des Liberalismus. Deren konsequente Verfolgung bestünde vielmehr in einem effektiven Freiheitsschutz i m gesellschaftlichen Bereich zur Kompensation der von den politischen Instanzen festgeschriebenen Güterverteilung und der dadurch bedingten sozialen Abhängigkeitsverhältnisse 47 . Während dem judiziellen Eingriff i n die bestehenden ökonomischen Strukturen enge Grenzen gesetzt sind, ist der richterliche Handlungsspielraum i n Richtung auf einen materialen Freiheitsschutz i m gesellschaftlichen Bereich sehr weit, wobei als Grenze die Funktionsfähigkeit des jeweils betroffenen sozialen Systems anzusetzen ist; d. h. äußerste verfassungsrechtliche Grenze des judiziellen Schutzes der Meinungsfreiheit i m Betrieb ζ. B. wäre nicht bereits die Beeinträchtigung des Betriébsfriedens, sondern erst die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Betriebes, die durch eine Störung des Betriebsfriedens noch nicht ohne weiteres gefährdet ist. Diese Grenzziehung folgt wieder aus dem Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers: Solange dieser — verfassungskonform — an einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung festhält, ist es dem Richter untersagt, die Funktionsfähigkeit dieses Systems zu unterminieren. Zur anderen Seite hin, d. h. bei restriktiver Interpretation einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung i. S. des Grundgesetzes, ist der Handlungsspielraum des Richters durch die m i t dem Sozialstaatsprinzip verfassungskräftig gemachte Hinwendung zu einem materialen Freiheitsdenken begrenzt, die auch auf der gesellschaftlichen Ebene den Schutz des Kernbereichs der Freiheitsrechte fordert. Insoweit ist auch ein minimaler Konsens der Rechtsprechung feststellbar, die einen effektiven Freiheitsschutz auf der Privatrechtsebene zwar i m Ergebnis selten gewährt, dessen Möglichkeit aber prinzipiell offen hält.

45

Vgl. Habermas, Strukturwandel, S. 243 f.; Hoff mann, K J 1970, S. 50. Vgl. Hoff mann, K J 1970, S. 50; Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 78 f.; s. a. Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 129 f. 47 Siehe auch Ramm, J Z 1972, S. 140 f., 145. 46

2. Teil: Normativer Rahmen

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c) Zusammenfassung Die richterliche Verfassungskonkretisierung ist zwar aufgrund des Konkretisierungsprimats der Legislative auf eine sozialstaatlich transformierte liberale Gesellschaftsordnung festgelegt und damit den konstituierenden Elementen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung — Privateigentum und Vertragsfreiheit — verpflichtet; der Rechtsprechung verbleibt jedoch i m zulässigen Rekurs auf den materialen Gehalt der liberalistischen Freiheitsvorstellung ein erheblicher gesellschaftspolitischer Gestaltungsspielraum bei der Abgrenzung der Freiheitssphären i m privaten Raum, so daß eine konkrete Umschreibung der verfassungsgesetzlich gebotenen Gestaltung einer freiheitlichen Sozialordnung nicht möglich ist. Daraus folgt, daß keine der zur Rechtfertigung der dogmatischen Konstruktionen des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Privatrecht angebotenen Interpretationen einer freiheitlichen Sozialordnung i. S. des Grundgesetzes Verbindlichkeit für sich i n Anspruch nehmen kann. Der ermittelbare gesellschaftspolitische Rahmen des GG läßt allerdings die Aussage zu, daß die von Dürig 4 8 zum Verfassungsgebot erhobene Formalisierung privater Freiheit zur bloßen rechtlichen Freiheit nur i n Verbindung mit dem i m nachhinein eingeführten K o r rektiv der Rückgriffsmöglichkeit auf die vorgegebene Wertordnung 4 9 inhaltlich noch auf eine verfassungskonforme Ordnung des Soziallebens zielt. 3. Konsequenzen der möglichen Aussagen zur Gesellschaftsverfassung des GG für die Normqualität der dogmatischen Konstruktionen des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Privatrecht Während der Normhypothese, daß die Grundrechte staatsgerichtet seien und die Grundrechtsorientierung des Privatrechts sich über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt vollziehe, keine signifikante gesellschaftspolitische Tendenz zugeordnet werden kann, indizieren sowohl der dualistische Ansatz als auch die These von der absoluten Geltung der Grundrechte eine bestimmte Ordnung des Soziallebens und sind daher an der Gesellschaftsverfassung des Grundgesetzes meßbar. N i m m t man die beiden Ansätze i n ihrer Reinform, d. h. ohne die nachträglichen Abschwächungen, so müßten beide als verfassungswidrig qualifiziert werden. Der dualistische Ansatz deshalb, w e i l er dem Funktionswandel des Staates zum Träger gesellschaftlicher Ordnung und der Hinwendung zu einem materialen Freiheitsdenken zuwiderläuft, wäh48 49

s. o. 2. T e i l I I I 2 a, aa. s. o. 1. T e i l I I I 2 a.

IV. Ergebnis

65

rend die Annahme einer absoluten Geltung der Grundrechte m i t der Verfassung nicht vereinbar wäre, weil sie dem einzelnen zwar einen absoluten Grundrechtsschutz zuerkennt, i h m dadurch aber zugleich die Möglichkeit der Selbstverwirklichung innerhalb der Gesellschaft nimmt. Das bedeutet, daß beide Ansätze, u m überhaupt verfassungskonform zu sein, einer Relativierung ihrer Prämissen bedürfen, und zwar zum einen i n Richtung auf die Eröffnung eines materialen Freiheitsschutzes auf der Privatrechtsebene und zum anderen i n Richtung auf die Möglichkeit der vertraglichen Freiheitsbeschränkung. Werden jedoch beide Ansätze i n dieser Weise relativiert, so ist es angesichts des verfassungsgesetzlich belassenen Gestaltungsspielraums bei der Abgrenzung der Freiheitssphären auf der Privatrechtsebene unmöglich, einer der beiden Konstruktionen Normqualität zuzusprechen, da dem GG eine verbindliche Regel über die Abwägung widerstreitender Freiheitsinteressen nicht entnommen werden kann und auch i n der Rechtsprechung ein Konsens i n dieser Frage nicht besteht. IV. Ergebnis I n ihrer konkreten Ausformung halten sich alle vertretenen Lösungsansätze innerhalb des vorgegebenen normativen Rahmens, ohne daß einer dieser Ansätze als verbindliche Folgerung aus geltenden Normsätzen ausgegeben werden könnte. Die Sinnermittlung der einschlägigen Normen ermöglicht somit keine Entscheidung zugunsten eines bestimmten Lösungsvorschlags.

5 Eckhold-Schmldt

Dritter

Teil

Darstellungs- und Erkenntnis wert der vertretenen Lösungsansätze I. Darstellungs- und Erkenntniswert eines Lösungsansatzes als „Richtigkeitskriterium" Die bisherige Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, daß auf der Ebene der Sinnermittlung eine Entscheidung zugunsten eines bestimmten Ansatzes zur rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private nicht möglich ist, so daß es der Heranziehung anderer Gesichtspunkte bedarf, u m einen Ansatz als mehr oder weniger zur Problemlösung geeignet auszuweisen. Hierzu bieten sich zwei Aspekte an, die verschiedenen Argumentationsebenen zuzuordnen sind, nämlich zum einen der Gesichtspunkt des Darstellungs- und Erkenntniswerts eines Lösungsansatzes1 und zum anderen der Gesichtspunkt der rechtspolitischen Wünschbarkeit der m i t dem jeweiligen Lösungsansatz angelegten Entscheidungen. Darstellungs- und Erkenntniswert kommen einem Lösungsansatz dann zu, wenn dieser geeignet ist, gefundene Lösungen i n ihrer Begründung plausibel zu machen (Darstellungswert), bzw. wenn dieser Kriterien für die Auffindung noch unbekannter Lösungen vermittelt (Erkenntniswert) 2 . Dabei sind diese beiden Kriterien, wie bereits die Gegenüberstellung zur inhaltlichen Richtigkeitkskontrolle nahelegt, relativ formal zu verstehen. Die Prüfung des Darstellungs- und Erkenntniswertes versteht sich lediglich als systemimmanente Stimmigkeitskontrolle, die nicht nach der Sachgerechtigkeit der Lösungen oder der „Richtigkeit" der m i t dem jeweiligen Lösungsansatz verknüpften verfassungspolitischen Zielbestimmung fragt, sondern die Vernünftigkeit der implizierten Wertungen zunächst unterstellt und nur danach fragt, ob die vertretenen Lösungsansätze Begründungs- und Entscheidungsregeln bereitstellen, die zumindest den formalen Rationalitätsanforderungen wie Widerspruchsfreiheit und Transparenz der Entscheidungsfindung gerecht werden. Es handelt sich dabei also primär u m eine logisch-methodologische Überprüfung, die eine inhaltliche Richtigkeitskontrolle nicht ersetzen kann 1 Vgl. zu diesen Kategorien auch Karsten Schmidt, JuS 1970, S. 545, der allerdings v o m Darstellungs- u n d Argumentationswert spricht. 2 Vgl. auch K . Schmidt, JuS 1970, S. 545.

II. Dualistischer Ansatz

67

und soll. Aber trotz des begrenzten Stellenwerts einer systemimmanenten Stimmigkeitskontrolle stellen Darstellungs- und Erkenntniswert eines Lösungsvorschlags relevante Vorzugskriterien bei der Wahl eines Lösungsansatzes dar. Transparenz und Nachvollziehbarkeit einer Entscheidungsbegründung sind als Bedingungen intersubjektiver Verständigung Voraussetzung der Konsensfähigkeit einer Entscheidung. Diese formalen Anforderungen an eine Begründung, die i m wesentlichen den Darstellungswert eines Lösungsansatzes ausmachen, sind daher i n jedem Falle einzuhalten, unabhängig davon, ob die zugrundeliegenden Wertungen akzeptiert werden oder nicht. Damit soll natürlich nicht der Stimmigkeit einer Entscheidungsregel der Vorrang vor deren Sachgerechtigkeit eingeräumt werden; diese Alternative dürfte sich i n dieser Form auch gar nicht stellen, da die Unstimmigkeit eines Lösungsvorschlages regelmäßig ein Indiz dafür ist, daß die Sachprobleme noch nicht hinreichend geklärt worden sind, was allerdings nicht umgekehrt auch heißen soll, daß die Stimmigkeit eines Lösungsansatzes m i t derselben Regelmäßigkeit ein Indiz für dessen Sachgerechtigkeit darstellt 3 . Während das Postulat des Darstellungswerts eines Lösungsansatzes als Verständigungsvoraussetzung unabdingbar ist, kann dies für das Postulat des Erkenntniswerts nicht i n derselben Weise gelten. Zwar ist es wünschenswert, daß ein Lösungsvorschlag auch Kriterien für die Entscheidung künftig auftretender Fälle vermittelt, da dies die Voraussehbarkeit richterlicher Entscheidungen ermöglichen und dem Richter eine nützliche Entscheidungshilfe zur Hand geben würde. Z u m anderen aber fördert ein derartiges Postulat — nimmt man es allzu strikt — sehr viel überschüssige Normbildung, die dann i m nachhinein erst wieder abgebaut werden muß 4 . Die Frage nach dem Erkenntniswert eines Lösungsansatzes ist aber dann berechtigt und notwendig, wenn dieser, wie hier die Lösungsvorschläge zur Frage der rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private, für einen unübersehbaren Fallbereich verbindlich sein soll. I I . Dualistischer Ansatz I. Rekurs auf die den Grundrechten vorgegebene Wertordnung bzw. auf überpositive Menschenrechte als Rationalitätsverzicht Soweit die Anhänger einer dualistischen Konstruktion des Verhältnisses der Grundrechte zum Privatrecht den materialen Freiheitsschutz i m Privatrechtsverkehr durch gelegentlichen Rückgriff auf die den 3 4

5*

Siehe dazu auch Esser, Vorverständnis, S. 16; ders., i n : A c P 172, S. 124. Siehe dazu auch Esser, AcP 172/119.

3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

68

Grundrechten vorgegebene Wertordnung 1 bzw. überpositive Menschenrechte 2 sichern wollen, ist diesen zuzubilligen, daß sie zumindest theoretisch ihrem dualistischen Ansatz treu bleiben; dennoch ist das Korrekt i v des Rückgriffs auf vorgegebene Werte oder überpositive Menschenrechte i n jeder Hinsicht problematisch. Falls mit dem Verweis auf die vorgegebene Wertordnung nichts anderes gemeint ist, als daß i n den Fällen, i n denen die zivilrechtlichen Schutznormen allein keinen hinreichenden Freiheitsschutz bieten, auf die m i t den Grundrechtsbestimmungen gefällten Wertentscheidungen zurückgegriffen werden soll, so handelt es sich bei dem vorgeschlagenen Problemlösungsverfahren u m eine Anknüpfung an die verfassungsrechtlich positivierten Grundrechte (entsprechend der Lösung des BVerfG) 3 und nicht u m einen Rekurs auf vorgegebene Werte oder überpositive Menschenrechte. Die richterliche Anknüpfung an eine vorgegebene Wertordnung hat ja erst Sinn auf der Basis der Annahme, daß vorhandene Normen die erforderlichen Entscheidungsgesichtspunkte nicht zu vermitteln vermögen, so daß der Rekurs auf die m i t der Setzung von Normen getroffenen Wertentscheidungen etwas prinzipiell anderes ist, als der Rekurs auf außerhalb von Normen existierende Werte oder Menschenrechte. Soweit aber derartige für existent gehaltene Werte i n Normen keinen Ausdruck gefunden haben, ist unerfindlich, wie diese i n einer für andere nachvollziehbaren Weise erkannt werden können; denn Werte, die den gesetzten Normen vorgegeben und wegen dieser Vorgegebenheit von menschlichem Wollen losgelöst und damit unabhängig von einem gesellschaftlichen Konsens „existieren", können beliebig behauptet oder bestritten werden 4 . Anders verhielte es sich, wenn m i t vorgegebenen Werten oder überpositiven Menschenrechten immer schon vorhandene gesellschaftliche Interessen, wie das Interesse an Erhaltung von Leben und Gesundheit, an ungestörter Nutzung des Eigentums oder — historisch später auftretend — das Interesse an freier Religionsausübung und freier Kommunikation, gemeint wären, denn die Existenz derartiger Interessen ist bis zu einem gewissen Grade nachweisbar; diese Interpretation der Begriffe vorgegebene Wertordnung oder überpositive Menschenrechte liegt jedoch fern vom herkömmlichen Sprachgebrauch und ist w o h l auch kaum gemeint. Der Verweis auf die den Grundrechten vorgegebene Wertordnung bzw. überpositive Menschenrechte erweist sich somit als irreführend, wenn damit lediglich der Rückgriff auf die m i t der Positivierung der 1 2 3 4

So Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 176 f. So W. Geiger, S. 13, 33; Hamann - Lenz, Vorbem. 3, 4. Vgl. BVerfG 7/205. Vgl. auch Weinberger, österr.Z.f.öff.R. 23, S. 103.

II. Dualistischer Ansatz

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Grundrechte getroffenen Wertentscheidungen oder — was weniger wahrscheinlich ist — auf normativ nicht berücksichtigte reale gesellschaftliche Interessen gemeint sein soll; ist dagegen tatsächlich gemeint, daß bei der Lösung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private auf präexistente Werte oder Menschenrechte zurückgegriffen werden soll, so w i r d damit ein Problemlösungsverfahren propagiert, das von vornherein jeder rationalen Kontrolle entzogen ist. 2. Unvereinbarkeit von dualistischem Ansatz und interpretativer Einbeziehung der Grundrechte in das Privatrecht Die These, daß die verfassungsgesetzlich positivierten Grundrechte keine Verhaltensmaßstäbe für privatrechtliches Handeln vermitteln, impliziert das Verbot jeglicher Grundrechtsorientierung des Privatrechts; denn m i t jeder entscheidungsrelevanten Heranziehung von Grundrechtsinhalten bei der rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private werden Grundrechtsinhalte für privatrechtliches Handeln verbindlich gemacht. Dies ist evident, soweit Bestimmungen des Grundrechtskatalogs unvermittelt auf Privatrechtsverhältnisse angewendet werden, da hier Private aus den Grundrechten unmittelbar berechtigt und verpflichtet werden. Dasselbe gilt für die sogenannte „mittelbare" Anwendung von Grundrechten über die bürgerlichrechtlichen Generalklauseln, da die Grundrechtsbestimmungen i n diesen Fällen mangels normativen Eigengewichts der Generalklauseln nicht lediglich als Auslegungshilfen fungieren, sondern als selbständige Quelle privatrechtlicher Rechte und Pflichten i n die Beurteilung eingehen 5 . Aber auch dann, wenn die Grundrechte lediglich als Auslegungshilfen bei der Inhaltsbestimmung privatrechtlicher Normen herangezogen werden, d. h. bei der verfassungskonformen Auslegung i m weiteren — nicht auf die Fälle der Normkollision beschränkten — Sinne 6 , w i r d privatrechtliches Handeln grundrechtlichen Bindungen unterworfen. M i t der verfassungskonformen Auslegung von Privatrechtsnormen w i r d vorausgesetzt, daß der Rechtsunterworfene von privatrechtlichen Befugnissen von vornherein nur einen grundrechtskonformen Gebrauch machen darf. Für den B ü r ger bedeutet die Praktizierung dieses Rechtserkenntnisverfahrens, daß er bei der Gestaltung seiner privatrechtlichen Beziehungen den Einfluß grundrechtlich geschützter Freiheiten und Diskriminierungsverbote auf seine privatrechtlichen Handlungsmöglichkeiten i n seine Überlegungen 5 6

Vgl. Burmeister, S. 48; Leisner, Vgl. dazu Burmeister, S. 26 ff.

Grundrechte und Privatrecht, S. 364.

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

immer gleich einbeziehen muß, wenn er Sanktionen vermeiden w i l l ; die Grundrechtsbestimmungen werden also notwendigerweise — mehr oder weniger strikter — Verhaltensmaßstab auch für privatrechtliches Handeln. Dies gilt selbst für die Anerkennung richterlicher Normenkontrolle bei privatrechtlichen Normen und entsprechend für die Anerkennung der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers, sofern damit nicht nur das Verbot einer Grundrechtsverletzung durch den Gesetzgebungsakt selbst gemeint ist, sondern auch die Verpflichtung, eine legislative Förderung von Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private zu unterlassen und besonders gefährdete, grundsätzlich anerkannte Interessen zu schützen 7 ; denn diese Anerkennung impliziert die Aussage, daß sich auch privatrechtliche Beziehungen grundrechtskonform vollziehen sollen 8 . Die These von der dualistischen Konstruktion des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Privatrecht erweist sich somit als unvereinbar mit jeder Form der Grundrechtsorientierung des Privatrechts 9 , die ja zumindest in gewissen Grenzen auch von den Vertretern eines dualistischen Ansatzes für verfassungsrechtlich geboten angesehen w i r d 1 0 . Der Grundsatz der Verfassungsneutralität des Privatrechts ließe sich daher allenfalls als Faustregel für den Richter aufrechterhalten; aber gerade dann würde dieser Grundsatz seinen Erklärungswert einbüßen, denn der bloße Verweis auf die dualistische Konstruktion von Verfassungsrecht und Privatrecht vermag i m konkreten Fall die Ablehnung der Grundrechtsanwendung i m Privatrecht dann nicht mehr zu erklären, wenn zugleich zugestanden wird, daß Grundrechte und Privatrecht kein beziehungsloses Dasein führen 11 . Der Widerspruch zwischen dualistischer Konstruktion und (interpretativer) Grundrechtsorientierung des Privatrechts läßt sich auch nicht dadurch vermeiden, daß zwischen subjektivöffentlichen Grundrechten und den die Grundrechte gewährenden objektivrechtlichen Grundrechtsbestimmungen, die auch für privatrechtliche Beziehungen Bedeutung erlangen können, unterschieden wird 1 2 .

7

So etwa Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 224. Vgl. Schwabe, S. 88 ff.; Reuter, S. 70 ff.; siehe auch Schaumann, JZ 1970, S. 49, 53. 9 Vgl. Schwabe, S. 88 ff.; Olbersdorf, A u R 1958, S. 200; siehe auch Gamillschegg, AcP 164, S. 421; B A G 4/279. 10 Soweit ersichtlich, zweifelt lediglich Forsthoff auch heute noch daran, daß die Orientierungen privatrechtlicher Regelungen an Grundrechtsinhalten zulässig sei, vgl. i n : Festschrift für C. Schmitt, S. 45 ff.; ders., Z u r Problematik der Verfassungsauslegung, S. 19 f. 11 Siehe unter anderem Dürig, DÖV 1958, S. 196; ders., i n : Festschrift für Nawiaski, S. 176 ff.; Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 81; W. Geiger, S. 23; Wintrich, S. 9 f. 8

12

So Klein, i n : v. Mangoldt

- Klein, Vorbem. A V I 2c (S. 82 f.); Vogt, S. 33 ff.

II. Dualistischer Ansatz

71

Abgesehen davon, daß diese Differenzierung rechtstheoretisch äußerst zweifelhaft ist 13 , ist der praktische Sinn einer Unterscheidung zwischen dem subjektiv-öffentlichen und dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechtsbestimmungen schwer einsehbar, denn soweit dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechtsbestimmungen auch für privatrechtliche Beziehungen Bedeutung zuerkannt wird, verläuft die Fallbeurteilung ja nicht anders, als wenn man von einem einheitlichen Grundrechtsbegriff ausginge. Die Frage aber, w a r u m i m konkreten Fall Grundrechtsinhalte für die Fallbeurteilung relevant bzw. nicht relevant sind, kann durch die Unterscheidung zwischen subjektivrechtlichen und objektivrechtlichen Grundrechtsbestimmungen genausowenig erklärt werden, wie durch den Hinweis auf die grundsätzliche Verfassungsneutralität des Privatrechts. 3. Verfassungspolitische Zielbestimmung und Anwendungsform der Grundrechte im Privatrecht — Verhältnis

von Form und Inhalt —

M i t der Anerkennung der prinzipiellen Möglichkeit einer Grundrechtsorientierung i m Privatrecht durch die Vertreter eines dualistischen Ansatzes, reduziert sich der Aussagegehalt des Hinweises auf die dualistische Konstruktion von Verfassungsrecht und Privatrecht auf die prinzipielle Ablehnung einer unmittelbaren Anwendung von Grundrechtsbestimmungen auf privatrechtliche Sachverhalte, wobei das Verbot einer unmittelbaren Grundrechtsanwendung aus der m i t dem Grundgesetz intendierten Gesellschaftsordnung hergeleitet wird 1 4 . Die Konsistenz dieses Ableitungszusammenhangs soll i m folgenden untersucht werden. Der Hinweis auf die vom Grundgesetz intendierte Ordnung des Privatrechtsverkehrs vermag die Ablehnung einer unmittelbaren zugunsten einer mittelbaren Grundrechtsanwendung i m Privatrecht nur dann zu erklären, wenn die mittelbare Anwendung von Grundrechten auf Privatrechtsverhältnisse ein Weniger an Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns indiziert als die unmittelbare Anwendung, d. h. wenn ein notwendiger Zusammenhang zwischen Anwendungsbereich und Anwendungsform der Grundrechte i m Privatrecht besteht. Diese Frage wurde implizit bei der Frage der Vereinbarkeit von dualistischer Konstruktion und interpretativer Grundrechtsorientierung des Privatrechts 15 schon insoweit beantwortet, als immer dann, wenn Grundrechts13

Vgl. dazu Schwabe, S. 147; siehe auch Hamel, S. 20. Vgl. Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 158 f., 176 f.; ders., i n : Maunz Dürig, A n m . 130 zu A r t . 1 Abs. I I I GG, zu Dürigs Interpretation einer freiheitlichen Sozialordnung i. S. des Grundgesetzes siehe oben 2. Teil, I I I 2 a, aa. 15 Siehe oben 3. Teil, I I 2. 14

72

3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

inhalte als entscheidungsrelevante Gesichtspunkte bei der Lösung eines privatrechtlichen Konflikts herangezogen werden, die Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns vorausgesetzt wird, unabhängig davon, ob die betreffenden Grundrechte unmittelbar angewendet werden oder lediglich als Auslegungsrichtlinien bei der Inhaltsbestimmung privatrechtlicher Normen verwendet werden. Für den Betroffenen ist es völlig gleichgültig, ob er ζ. B. den Boykottaufruf eines anderen deshalb hinnehmen muß, w e i l er dessen Meinungsfreiheit zu respektieren verpflichtet ist oder w e i l der Aufruf i m Wege verfassungskonformer Auslegung des Begriffs der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt anzusehen ist. Hier bleibt also nur noch zu prüfen, ob durch das Gebot der nur mittelbaren Heranziehung von Grundrechten i m Privatrecht die Anzahl der Fälle begrenzt wird, bei denen Grundrechtsinhalte Eingang i n den Rechtsgewinnungsprozeß finden können, d. h. ob durch diese Regel der Anwendungsbereich der Grundrechte i m Privatrecht beschränkt wird. Die bürgerlichrechtlichen, arbeits- und wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln erweisen sich jedoch als offen und flexibel genug, u m allen Grundrechtsinhalten Eingang i n das Privatrecht zu verschaffen und dieselben Ergebnisse zu ermöglichen, die i m Wege einer unmittelbaren Grundrechtsanwendung erreichbar sind 16 . Entschließt man sich nämlich überhaupt dazu, Grundrechtsinhalte zur Inhaltsbestimmung von Generalklauseln heranzuziehen — was hinsichtlich der bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln, insbesondere des § 138 BGB nicht gerade selbstverständlich ist 1 7 , — so ist eine grundrechtliche Beeinflussung des Privatrechts auf diesem Wege methologisch nicht mehr eingrenzbar. Insbesondere kann auch dem Gleichheitssatz, der als schlimmste Bedrohung einer freiheitlichen Privatrechtsordnung angesehen wird 1 8 , über die bürgerlichrechtlichen Generalklauseln (entsprechend der Herleitung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 242 BGB) ein A n wendungsbereich i m Privatrecht verschafft werden, der weit über das hinausgeht, was von den Vertretern einer unmittelbaren Grundrechtsanwendung i m Privatrecht intendiert und etwa vom B A G praktiziert wird. Die Regel, daß Grundrechtsinhalte nur über privatrechtliche Normen i n das Privatrecht einbezogen werden dürfen, indiziert somit keine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Grundrechte, sondern erweist sich lediglich als rechtstechnischer Hinweis ohne inhaltliche Bedeutung 19 ; 16 Vgl. Bydlinski, österr.Z.f.öff.R. X I I , S. 435 ff.; Gamillschegg, AcP 164, S. 408, 422. 17 Vgl. dazu Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 370. 18 So etwa Bydlinski, S. 450 f.; W.Geiger, S. 26; Dürig, i n : Festschrift für Nawiaski, S. 168 f. 19 Ähnlich Bydlinski, S. 441 f.

II. Dualistischer Ansatz

73

unter dem Gesichtspunkt der Gestaltung des Soziallebens sind daher mittelbare und unmittelbare Grundrechtsanwendung austauschbar, da die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Grundrechte i m Privatrecht bei beiden Anwendungsformen extensiv oder restriktiv erfolgen kann, i n jedem Falle aber unabhängig von der Anwendungsform nach inhaltlichen Kriterien vorgenommen werden muß. Aus der Unabhängigkeit von Anwendungsform und Anwendungsbereich der Grundrechte folgt, daß ein Ableitungszusammenhang zwischen verfassungspolitischer Zielorientierung und Anwendungsform nicht herstellbar ist, so daß die Wahl der unmittelbaren Form der Grundrechtsanwendung nicht m i t der vom Grundgesetz intendierten Gesellschaftsverfassung gerechtfertigt werden kann. 4. Gewaltenteilungsgrundsatz als Verbot einer unmittelbaren Grundrechtsanwendung Häufiges Argument zur Begründung des Verbots einer unmittelbaren Grundrechtsanwendung zugunsten einer interpretativen Heranziehung von Grundrechtsinhalten ist der Hinweis darauf, daß die Grundrechte für privatrechtliche Sachverhalte nicht hinreichend konkretisiert seien, d. h. keine für den Zivilrichter handhabbaren Regeln darstellen 20 , und daß (deshalb) der Zivilrichter Funktionen des Gesetzgebers — wenn nicht gar des Verfassungsgesetzgebers 21 — wahrnehme, wenn er Grundrechte unmittelbar auf Privatrechtsverhältnisse anwende 22 . Abgesehen davon, daß diese Argumentation einem an den Realitäten des Rechtsgewinnungsprozesses vorbeigehenden apolitischen Richterbild und Privatrechtsverständnis verhaftet bleibt 2 3 , vermag sie auch i m übrigen das intendierte Ergebnis nicht zu begründen. 20 So Schmidt-Rimpler, AöR 76/173; Hueck, Die Bedeutung des A r t . 3, S. 22; Klein, i n : v. Mangoldt - Klein, Vorbem. A I I 4e; Reimers, M D R 1967, S. 535; Raiser, S. Β 19; Esser, Vorverständnis, S. 197 ff.; ders., Grundsatz und Norm, S. 75. 21 Eine ausdrückliche verfassungsgesetzliche Anordnung der Erstreckung des Anwendungsbereichs der Grundrechte auf Privatrechtsverhältnisse verlangen z.B. Bosch - Habscheid, JZ 1954, S. 214; Stree, N J W 1954, S. 1026; W. Geiger, S. 18; Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 252. 22 So Bydlinski, Österr.Z.f.off.R. X I I , S. 446 ff.; Ehmke, Wirtschaft und V e r fassung, S. 79; Geiger, S. 50; Reimers, M D R 1967, S. 535;Esser, Vorverständnis, S. 197 fï.; ders., Grundsatz und Norm, S. 75. 23 So insbesondere Ehmke, a.a.O., S. 81, und auch Esser, der v o r allem i n seiner Schrift „Grundsatz u n d N o r m i n der richterlichen Fortbildung des Privatrechts" zwar schon relativ frühzeitig den rechtsgestaltenden Charakter richterlicher Rechtsfindung herausgearbeitet hat, dabei aber auf deren E i n bindung i n tradierte zivilrechtliche Wertungszusammenhänge vertraut, vgl. a.a.O. S. 82 ff., deren prinzipiell apolitischer Charakter (vgl. dazu a.a.O. S. 289, 291 ff.) nicht durch die Einführung verfassungsrechtlicher Wertungsmaßstäbe

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

Es wurde bereits oben 24 zugestanden, daß der richterliche Konkretisierungsspielraum durch den Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers eingeschränkt ist und daß die funktionellen Grenzen der judiziellen Verfassungskonkretisierung insbesondere dann aktuell werden, wenn das verfassungspolitische Ziel der vom Richter intendierten Verfassungskonkretisierung judiziell nicht oder nur sehr unvollkommen erreichbar ist, sondern ein Tätigwerden des Gesetzgebers verlangt, w e i l nur diesem alle relevanten Problemlösungsfaktoren zur Disposition stehen. Zwar kann es auch i n derartigen Fällen gelegentlich geboten sein, ein Tätigwerden des Gesetzgebers nicht länger abzuwarten, u m diesen dadurch endlich zu einer Entscheidung zu nötigen 25 ; i m Normalfall w i r d man jedoch bei der judiziellen Verfassungskonkretisierung immer dann Zurückhaltung verlangen müssen, wenn es um die Regelung von Sachverhalten geht, die qua Einzelfallentscheidung nur unvollkommen bewältigt werden können — ein Problem, das sich vor allem bei der Konkretisierung des Gleichheitssatzes stellt, da es dort häufig um Verteilungsprobleme geht, die nur allgemein entschieden werden können. Diese Schranken richterlicher Verfassungskonkretisierung gelten aber ganz allgemein und können bei öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnissen genauso aktuell werden wie bei privatrechtlichen Rechtsverhältnissen 26 , so daß sich von daher keine spezifischen Schlüsse auf die Zulässigkeit der Grundrechtsanwendung auf privatrechtliche Sachverhalte ziehen lassen 27 . Erst recht kann der Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers nicht für die Begründung des Vorzugs der mittelbaren vor der unmittelbaren Grundrechtsanwendung in Anspruch genommen werden, denn die mittelbare Anwendung von Grundrechten setzt ja i n demselben Maße eine Konkretisierung der Grundrechtsbestimmung für den zu entscheidenden Konflikt voraus wie die unmittelbare Grundrechtsanwendung, so daß der V o r w u r f der Kompetenzüberschreitung durch den Richter auch die mittelbare Grundrechtsanwendung träfe. gefährdet werden soll, vgl. Grundsatz u n d Norm, S. 75, 330 f.; ders., Vorverständnis, S. 197 ff. Z u m Privatrechtsverständnis Essers vgl. auch Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 9 ff. 24 Vgl. 2. Teil I I I 2, b, bb. 25 So z.B. i n der Frage der Gleichberechtigung von M a n n und Frau und der Gleichstellung unehelicher Kinder. 26 Vgl. z.B. die Rspr. des BVerfG zu gesetzgeberischen Verstößen gegen den Gleichheitssatz, w o sich das BVerfG i m m e r dann auf die bloße Feststellung des Gleichheitsverstoßes beschränkt, ohne die betreffende N o r m für nicht i g zu erklären, w e n n eine sinnvolle Neuverteilung staatlicher Zuwendungen n u r durch den Gesetzgeber geleistet werden kann, siehe dazu die Beschlüsse des BVerfG v o m 25. 5.1970 bzw. 9. 6.1970 i n JuS 1970, S. 582. 27 Siehe auch Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 315 f. und Reichenbäum, S. 118, die m i t Recht darauf hinweisen, daß die Konkretisierung von Grundrechten i m öffentlichen Recht, d. h. die Abwägung zwischen privatem u n d öffentlichem Interesse, keineswegs einfacher ist als die Grundrechtskonkretisierung zur Entscheidung privatrechtlicher Konflikte.

II. Dualistischer Ansatz

75

Schließlich ist auch noch nie recht begründet worden, warum der Zivilrechtsprechung die Konkretisierung von privatrechtlichen Generalklauseln und die Schaffung ganz neuer Rechtsinstitute ohne weiteres anvertraut werden kann, während die Konkretisierung unbestimmter Verfassungsbegriffe nicht i n die Hand des Zivilrichters gelegt werden darf 28 . Dieses gespaltene Vertrauen i n die Zivilrechtsprechung verkennt, daß die Pervertierung der Rechtsordnung auch über bürgerlichrechtliche Normen geleistet werden kann und geleistet worden ist 29 . D. h. solange man der Zivilrechtsprechung die Konkretisierung bürgerlichrechtlicher, wirtschafts- und arbeitsrechtlicher Generalklauseln zutraut, sollte man ihr auch die Konkretisierung von Grundrechtsbestimmungen zutrauen können. 5. Der methodologische Wert der mittelbaren Anwendung von Grundrechten Die vorausgegangenen Ausführungen 30 haben ergeben, daß die Wahl der Anwendungsform der Grundrechte kein inhaltliches, sondern lediglich ein rechtstechnisches Problem darstellt, so daß die Entscheidung zugunsten einer bestimmten Anwendungsform nicht inhaltlich, sondern nur methodologisch gerechtfertigt werden kann. Ob nun die mittelbare Anwendung von Grundrechten auf Privatrechtsverhältnisse methodologisch vorzuziehen ist, soll i m folgenden untersucht werden. Der einzige, der überhaupt die mittelbare Anwendung methodologisch zu rechtfertigen versucht, ist Bydlinski 3 1 , indem er geltend macht, daß die unmittelbare Anwendung von Grundrechten auf Privatrechtsverhältnisse den Umstand verschleiere, daß nicht die verfassungsgesetzlich positivierten Grundrechte, sondern lediglich privatrechtlich relativierte Parallelerscheinungen der Grundrechte angewendet werden 32 . M i t diesem Argument w i r d zugleich der Aspekt angesprochen, unter dem der methodologische Vorzug der gewählten Anwendungsform zu messen ist, nämlich der Gesichtspunkt der größeren Transparenz des Rechtserkenntnisprozesses. Die Frage lautet nur, ob eine mittelbare Grundrechtsanwendung i m Privatrecht tatsächlich dem stattgefundenen Rechtserkenntnisprozeß eher gerecht wird. Aufschluß darüber vermag eine Rekonstruktion des Erkenntnisprozesses bei der Lösung eines Falles der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private zu geben. 28 29 30 31 32

So Bydlinski, österr.Z.f.öff.R. X I I , S. 448; Esser, Vorverständnis, S. 197 ff. Vgl. dazu Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. 3. T e i l I I 3. österr.Z.f.öff.R. X I I , S. 441 ff. S. 442, 443 f.

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

Als Beispiel seien die Fälle der Zölibatsklausel i m Arbeitsvertrag 3 3 bzw. der Rückzahlungsvereinbarung für Fortbildungsmaßnahmen im Falle vorzeitiger Kündigung 3 4 gewählt. I m einen Falle w i r d die Verletzung des Schutzes der Ehe (Art. 6), i m anderen die Verletzung des Rechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12) geltend gemacht, um die Unwirksamkeit der jeweiligen Vereinbarungen zu begründen. Privatrechtliche Norm, die zu dieser Rechtsfolge verhelfen könnte, wäre § 138 BGB. Wollte man nun der Klage stattgeben, so würde man bei unmittelbarer Grundrechtsanwendung die Vereinbarungen wegen Grundrechtsverstoßes für unwirksam erklären, und bei mittelbarer Grundrechtsanwendung würde man die Vereinbarungen wegen Grundrechtsverstoßes für sittenwidrig und deshalb für unwirksam erklären. Dabei würde die Frage, ob die Vereinbarungen Bestand haben sollen, auch i m Fall mittelbarer Grundrechtsanwendung allein aufgrund der Grundrechtsabwägung entschieden werden, während die bürgerlichrechtliche Generalklausel, i n deren Rahmen die Grundrechtserörterung vorgenommen werden würde, mangels normativen Eigengewichts keinerlei Entscheidungsgesichtspunkte vermitteln würde 3 5 . M i t diesem Hinweis soll nun nicht kritisiert werden, daß i m Rahmen einer Generalklausel Erwägungen angestellt werden, für welche die Norm selbst keine Gesichtspunkte liefert; die Generalklauseln sind vielmehr auf eine derartige Inhaltsausfüllung angewiesen, da sie wesentlich die Funktion haben, eine gesetzliche Ermächtigung für Wertungen zu bieten, für die i m übrigen Normenbestand ein Anknüpfungspunkt nicht gefunden werden kann 3 6 . I n Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private bieten die Grundrechtsbestimmungen jedoch selbst die erforderlichen normativen Anknüpfungspunkte für die vorzunehmende Wertung, so daß es eines Ausweichens auf die viel allgemeineren Generalklauseln gar nicht bedürfte 37 . Danach kommt den bürgerlichrechtlichen Generalklauseln bei der mittelbaren Grundrechtsanwendung weder Erkenntnis- noch Legitimationsfunktion zu 38 , sondern es bleibt nur die Funktion zu signalisieren, daß bei der Entscheidung eines privatrechtlichen Konflikts nicht die verfassungsgesetzlichen Grundrechte, sondern lediglich privatrechtlich relativierte Parallelerscheinungen angewendet werden. Es fragt sich nur, ob 33

Vgl. B A G 4/274 ff. Vgl. B A G N J W 1962, S. 1981 ff. 35 Vgl. dazu Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 361 ff.; Gamillschegg, AcP 164, S. 419; siehe auch Burmeister, S. 46 ff. 36 Vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 54 f., 213, 266 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 4761, 541 f.; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, S. 238; BVerfG 7/206. 37 Vgl. auch Gamillschegg, AcP 164, S. 421 fï. 38 Siehe auch Gamillschegg, A c P 164, S. 422. 34

II. Dualistischer Ansatz

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dies nicht klarer dadurch zum Ausdruck gebracht werden könnte, daß man die Unterschiede dieser „Parallelerscheinungen" zu den Grundrechtsbestimmungen des GG jeweils aufzeigt, statt die Grundrechtsbestimmungen völlig funktionslos i n Generalklauseln zu füllen und sich damit einer Symbolsprache zu bedienen, die den stattgefundenen Rechtserkenntnisprozeß eher verschleiert als erhellt. I m übrigen ist es ja keineswegs ausgemacht, daß die Grundrechtsabwägung bei der Lösung eines privatrechtlichen Konflikts wesentlich anders verläuft als bei der Lösung eines Konflikts zwischen Staat und Bürger. Handelte es sich nämlich i n den Ausgangsfällen nicht u m privatrechtliche Vereinbarungen, sondern um Verpflichtungserklärungen von Beamtenanwärtern gegenüber der Einstellungsbehörde, so hätte die anzustellende Interessenabwägung dieselbe Struktur wie bei einem Privatrechtsverhältnis, insbesondere aber hätte die Geltendmachung von Grundrechtsverletzungen gegenüber dem Staat keine größere Durchsetzungskraft als i m Konflikt m i t einem privaten Arbeitgeber 39 . Die mittelbare Grundrechtsanwendung i. S. einer Sinnerfüllung der Generalklauseln erweist sich somit nicht nur als inadäquates M i t t e l zur Kenntlichmachung, daß die Grundrechte nicht i n ihrem verfassungsgesetzlichen Inhalt, sondern in ihrer privatrechtlichen Relativierung zur Anwendung gelangen, sondern auch die Prämisse, daß auf der privatrechtlichen Ebene andere Inhalte zur Anwendung kommen, als i m Verhältnis des Einzelnen zum Staat, erscheint äußerst zweifelhaft und zumindest für einige Konfliktstypen sicher unzutreffend 40 . Danach ist die mittelbare Grundrechtsanwendung über privatrechtliche Generalklauseln weniger geeignet, den Rechtserkenntnisprozeß transparent zu machen als die offene Grundrechtsabwägung unter Verzicht auf den Rahmen einer Generalklausel. 6. Zusammenfassung Dem dualistischen Ansatz käme sowohl Darstellungs- als auch Erkenntniswert zu, wenn der Lösungsansatz eine konsequente Ausführung der zugrundegelegten Normhypothese wäre; indem jedoch — verfassungsnotwendig — die Möglichkeit der Heranziehung von Grundrechtsinhalten bei der Lösung privatrechtlicher Konflikte i n die Problemlösungsregeln m i t aufgenommen w i r d — bei gleichzeitiger Beibehaltung 39 Vgl. die Parallelentscheidungen des B V e r w G 14/21 (Zölibatsklausel); 30/65 (Unterstützungsvertrag m i t Beamtenanwärtern); ausführlich zur Parallelität der Interessenabwägung bei privatrechtlichen u n d öffentlichrechtlichen K o n flikten Schwabe, S. 78 ff.; vgl. auch Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 316 ff. 4 « Vgl. Schwabe, S. 78 ff.

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

der These von der dualistischen Konstruktion von Verfassungsrecht und Privatrecht —, w i r d ein unlösbarer Widerspruch i n den Lösungsansatz hineingetragen, der den Verlust jeglichen Darstellungs- und Erkenntniswerts dieses Ansatzes zur Folge hat. I m übrigen werden keine inhaltlichen Kriterien angegeben, anhand derer beurteilt und begründet werden kann, ob bzw. w a r u m i m konkreten Falle die Grundrechtsinhalte für die Entscheidung relevant sind und i n einem anderen Fall wiederum nicht. Die Regel, daß die Grundrechtsinhalte immer dann über die bürgerlichrechtlichen Generalklauseln i n die Fallbeurteilung einzubeziehen seien, wenn zivilrechtliche Schutznormen fehlen 41 , ist lediglich eine formale Subsidiaritätsregel, die keinerlei Aufschluß darüber gibt, bei welchen Fallkonstellationen man annehmen darf, daß eine zivilrechtliche Schutznorm fehlt und bei welchen nicht. So wenig der dualistische Ansatz plausibel zu machen vermag, warum in einem Falle die Grundrechte mittelbar anwendbar sind und i m anderen Falle nicht, so wenig ermöglicht er eine Erklärung dafür, daß die Grundrechte nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar angewendet werden dürfen, denn die gesellschaftspolitische Rechtfertigung dieser A n wendungsform verfehlt von vorherein das Problem, da die Frage des Anwendungsbereichs einer anderen Argumentationsebene zugehört als die Frage der Anwendungsform. Aber auch methodologisch läßt sich die mittelbare Grundrechtsanwendung nicht begründen, da sie nicht geeignet ist, den Rechtserkenntnisprozeß transparent zu machen, sondern diesen eher verschleiert. I I I . Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Schwabe) 1. Differenzierung

zwischen Freiheitsrechten

und Gleichheitsrechten

Schwabe w i l l den rechtstheoretischen Nachweis führen, daß es eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private gar nicht geben kann, da jede privatrechtlich zu duldende Beeinträchtigung von Freiheitsrechten auf staatlicher Legitimation beruhe und deshalb auch dem Staat zuzurechnen sei1. Dies soll uneingeschränkt auch dann gelten, wenn privatrechtliche Befugnisse nicht i m einzelnen normiert sind (ζ. B. Kündigungsrecht aus wichtigem Grund) oder auf vertraglicher Vereinbarung beruhen 2 , da erst der staatliche Imperativ „ D u sollst, wenn D u Dich vertraglich verpflichtet hast, dies oder jenes t u n " 3 die vertragliche Bindung 41 So Dürig, i n : Festschrift für Nawiaski, S. 176; ders., i n : Maunz-Dürig, A n m . 132 zu A r t . 1 Abs. I I I GG. 1 Schwabe, Die sogenannte D r i t t w i r k u n g der Grundrechte, S. 17 ff. 2 S. 20. 3 S. 44.

III. Grundrechtsorientierung des Privatrechts

79

erzeugt, so daß auch vertragliche Freiheitsbeeinträchtigungen auf staatlicher Rechtsmacht beruhen 4 . Diese Regeln sollen jedoch nicht für die Beeinträchtigung von Gleichheitsrechten zutreffen — mit der Folge, daß der Gleichheitssatz aus dem Privatrecht völlig ausgeklammert w i r d 5 —, da der Staat m i t der Schaffung von Rechtsfiguren wie Schenkung, Eigentumsübertragung und Testament eine willkürliche Auswahl der Begünstigten lediglich i n Kauf genommen habe, ohne daß dies bereits eine Billigung i n dem Ausmaße wäre, daß die W i l l k ü r dem Staat zugerechnet werden müßte 6 . A n dieser Stelle aber rächt sich Schwabes Beschränkung auf eine rein formale Argumentation 7 , denn auch m i t der Setzung der Norm „pacta sunt servanda" oder mit der Schaffung des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund n i m m t der Staat lediglich i n Kauf, daß von diesen privatrechtlichen Befugnissen ein grundrechtswidriger Gebrauch gemacht wird. Rechnet man dem Staat die Bindung an die vertragliche Verpflichtung, von der Meinungsfreiheit keinen Gebrauch zu machen, zu, so muß man dem Staat auch die Bindung an die vertragliche Verflichtung zur Diskriminierung bestimmter Gruppen zurechnen. Wenn man also das Problem der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private auf dieser formalen Ebene lösen w i l l , so ist eine Differenzierung zwischen Freiheitsrechten und Gleichheitsrechten ausgeschlossen. Durchbricht man aber an dieser Stelle den Beweisgang durch inhaltliche Begründungen, so verliert die vorangegangene Argumentation sowohl ihren Darstellungswert als auch ihren Erkenntniswert. 2. Staatsgerichtetheit der Grundrechte und Grundrechtsbindung des Zivilrichters bzw. Zivilgesetzgebers Schwabe vertritt die Ansicht, daß die Grundrechte ausschließlich subjektiv-öffentliche Rechte seien und deshalb nur die öffentliche Gewalt, damit aber auch Zivilrechtsprechung und Zivilgesetzgebung binden 8 . Damit stellt er jedoch zwei Regeln auf, die einander ausschließen, denn das Gebot der grundrechtskonformen Ordnung des Zusammenlebens Privater durch den Zivilrichter bzw. den Zivilgesetzgeber setzt die Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns immer schon voraus. Beschränkt ζ. B. der Richter das Kündigungsrecht eines Arbeitgebers grundrechtskonform dahin, daß die Äußerung unerwünschter politischer Ansichten keinen Kündigungsgrund darstelle, so geht er von 4

S. 44. Siehe oben, 1. T e i l I I I 2, b. 6 S. 149. 7 Vgl. auch S. 14 f., w o Schwabe explizit das rechtspolitische Problem ausklammert. 8 S. 140, 26. 5

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

der Existenz eines Gebots des Inhalts aus, daß ein Arbeitgeber ihm mißliebige Äußerungen eines Arbeitnehmers tolerieren muß, d. h. diese nicht sanktionieren darf. Genau dies macht aber die Bindung an das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus. Wollte man m i t Schwabe die Grundrechtsbindung des Arbeitgebers verneinen, so müßte das Gericht die grundrechtskonforme Einschränkung des Kündigungsrechts damit begründen, daß der Arbeitgeber zwar abweichende Ansichten eines A r beitnehmers m i t einer Kündigung sanktionieren dürfe, dieser Sanktionierung die gerichtliche Anerkennung aber versagt bleiben müsse, da das Gericht als öffentliche Gewalt an die Grundrechte gebunden sei 9 . D. h. das Gericht würde nach der Regel judizieren: Ein Arbeitgeber darf die Grundrechte seines Arbeitnehmers mißachten, wenn er dies aber tut, so muß er dazu verurteilt werden, sie zu beachten, indem das Gericht ζ. B. einer Kündigungsschutzklage stattgibt. Abgesehen davon, daß es grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien widerspricht, einen Rechtsstreit nach Normen zu entscheiden, die für die zu beurteilenden privatrechtlichen Beziehungen gar nicht verbindlich sind, liefe die Praktizierung der von Schwabe entworfenen Problemlösungsregeln doch auf eine zumindest faktische Grundrechtsbindung Privater hinaus, da jeder, der den Verlust eines nachfolgenden Prozesses vermeiden w i l l , bei der Gestaltung seiner privatrechtlichen Beziehungen den Grundrechten von vornherein mehr oder weniger Rechnung tragen wird, auch wenn diese als nur für die öffentliche Gewalt verbindlich deklariert werden. Die Unvereinbarkeit von Staatsgerichtetheit der Grundrechte und einer Grundrechtsbindung der Zivilrechtsprechung besteht prinzipiell genauso i m Verhältnis zu einer Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers. Geht man nämlich davon aus, daß einerseits auch die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen grundrechtskonform geordnet sein sollen, andererseits aber das Gebot grundrechtskonformer Gestaltung des Soziallebens nur an den Zivilgesetzgeber gerichtet sein soll, so ließe sich ein Ausschluß der Grundrechtsbindung Privater widerspruchsfrei nur damit begründen, daß die Grundrechte nicht justiziabel seien, sondern stets der gesetzgeberischen Konkretisierung bedürften, um Rechtswirkungen entfalten zu können. Dieses Argument läßt sich jedoch schwerlich aufrechterhalten, wenn man bedenkt, daß die Verwaltungsgerichte ständig die Grundrechte unmittelbar anwenden und auch anwenden müssen, wenn die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 1 Abs. I I I GG) nicht völlig leerlaufen soll. Der Einwand aber, daß die Grundrechtskonkretisierung für privatrechtliche Rechtsverhältnisse 9 A u f diesen Widerspruch zwischen Staatsgerichtetheit der Grundrechte und Grundrechtsbindung der Zivilrechtsprechung hat bereits Olbersdorf hingewiesen, A u R 1958, S. 200.

III. Grundrechtsorientierung des Privatrechts

81

etwas prinzipiell anderes sei als die Grundrechtskonkretisierung für Rechtsbeziehungen des einzelnen zum Staat, wäre eine Rückkehr zu einem dualistischen Denken, welches von Schwabe insoweit auch konsequent abgelehnt wird 1 0 . Hält man jedoch die Grundrechte grundsätzlich für justiziabel, so muß man entweder auch eine Grundrechtsbindung Privater anerkennen oder aber jede Form der Grundrechtsorientierung des Privatrechts ablehnen. 3. Die „Unmöglichkeit" Grundrechtsbeeinträchtigungen

von durch Private

Dem Lösungsansatz von Schwabe liegt die Annahme zugrunde, daß es Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private nicht gebe, da alle privatrechtlich zu duldenden Freiheitsbeeinträchtigungen auf staatlicher Rechtsmacht beruhen und daher dem Staat zuzurechnen seien 11 . I n seiner Begründung der abweichenden Beurteilung von Verstößen gegen den Gleichheitssatz 12 weist Schwabe jedoch gleichzeitig einen A n satzpunkt zur K r i t i k seiner Konzeption auf. Gemeint ist die Tatsache, daß zwar alle privatrechtlichen Befugnisse auf staatlicher Rechtsmacht beruhen, der Staat jedoch m i t der Gewährung dieser privatrechtlichen Befugnisse i. d. R. nur i n Kauf nimmt, daß von diesen ein grundrechtsbeeinträchtigender Gebrauch gemacht wird, ohne daß man dies als Billigung auffassen und deshalb von Privaten bewirkte Grundrechtsbeeinträchtigungen ohne weiteres dem Staat zurechnen müßte. Eine Zurechnung ist möglich, wenn die eine privatrechtliche Befugnis gewährende Norm die Beeinträchtigung von Grundrechten bereits indiziert, wie ζ. B. der früher vorgesehene Stichentscheid des Ehemannes oder die noch bestehenden Vorschriften über die eheliche Lebensgemeinschaft (§§ 1356 Abs. 1, 1357 Abs. 1, 1360 BGB) 1 3 ; bei derartigen Normen w i r d bereits bei der Normsetzung gegen Grundrechte verstoßen und nicht erst m i t der Realisierung der m i t den Normen gewährten privatrechtlichen Befugnisse. Anders verhält es sich aber m i t privatrechtlichen Befugnissen, von denen zwar auch ein grundrechtswidriger Gebrauch gemacht werden kann, die jedoch die Beeinträchtigung von Grundrechten nicht bereits indizieren, so daß die Setzung der diese Befugnisse gewährenden Normen noch nicht als Grundrechtsverstoß angesehen werden könnte. Als Beispiele seien die Gestaltungsrechte, insbesondere Kündigungsrechte, sowie die Möglichkeit der Verpflichtung anderer durch Vertrag genannt. 10 11 12 13

S. 75 ff. S. 16, 26. Siehe oben 3. T e i l I I I 1. Vgl. dazu die Begründung von Ramm, JZ 1968, S.41 ff., 90 ff.

6 Eckhold-Schmidt

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

Zwar kann auch i n Fällen der Freiheitsbeeinträchtigung durch vertragliche Vereinbarung die öffentliche Gewalt dann als ( m i t v e r a n t wortlich angesehen werden, wenn die freiheitsbeschränkende Vereinbarung richterlich legitimiert worden ist; bringt das Gericht die Vereinbarung aber zu Fall, so muß man dies nicht notwendig als Selbstkritik der öffentlichen Gewalt verstehen (wegen Unterlassung der Verhinderung einer derartigen Freiheitsbeeinträchtigung durch grundrechtskonforme Beschränkung der Verpflichtungsmöglichkeit durch Vertrag). Unter der Annahme, daß die Grundrechte auch für privatrechtliches Handeln verbindlich sein können, kann die grundrechtskonforme Korrektur der streitigen Vereinbarung auch als Hinweis darauf verstanden werden, daß eine Partei die verfassungsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit überschritten habe. Unter der Voraussetzung der Grundrechtsbindung Privater sind ja die durch Normen gewährten privatrechtlichen Befugnisse als von vornherein durch die Grundrechte begrenzt anzusehen, so daß auch privatrechtlich zu duldende Freiheitsbeschränkungen nicht dem Staat zugerechnet werden können, da insoweit die Grundrechtsbindung Privater eingreift. A n dieser Stelle w i r d deutlich, daß Schwabe einem Zirkelschluß erliegt: Quasi voraussetzungslos w i l l er begründen, daß jede privatrechtlich zu duldende Freiheitsbeeinträchtigung durch Private auf staatlicher Rechtsmacht beruht 1 4 , u m auf diese Weise glaubhaft zu machen, daß alle Fälle von Freiheitsbeeinträchtigungen gemäß A r t . 1 Abs. I I I GG an den Grundrechten zu messen seien, ohne daß man dadurch i n einen Widerspruch zu dem subjektiv-öffentlichen Charakter der Grundrechte geriete 15 . Tatsächlich geht Schwabe jedoch bereits bei der Begründung seiner Voraussetzung — Freiheitsbeeinträchtigungen beruhen auf staatlicher Rechtsmacht — davon aus, daß die Grundrechte ausschließlich staatsgerichtet sind. Aber auch wenn man m i t Schwabe von der ausschließlichen Staatsbezogenheit der Grundrechte ausginge, so käme man nicht zu seinem Ergebnis. Zwar ist bei prinzipieller Staatsbezogenheit der Grundrechte eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private i n der Tat ausgeschlossen, denn Rechtspositionen, die einem auf der Privatrechtsebene nicht zustehen, können durch privatrechtliches Handeln auch nicht beeinträchtigt werden. Allerdings kann dann auch nicht der Staat zum „Täter" derartiger Grundrechtsbeeinträchtigungen erhoben werden, denn hier w i r d wieder der Grundsatz aktuell, daß die grundrechtskonforme Ordnung des Privatrechtsverkehrs durch den Zivilrichter bzw. dem Z i v i l gesetzgeber die Grundrechtsbindung Privater voraussetzt 16 . Verneint 14 15 16

S. 14 ff. S. 26, 140 ff. Siehe oben 3. T e i l I I 2, I I I 2.

III. Grundrechtsorientierung des Privatrechts

83

man die Grundrechtsbindung Privater, so kann auch der Staat nicht durch grundrechtskonforme Privatrechtsgesetzgebung oder Zivilrechtsprechung Grundrechte für Private verbindlich machen. Was dem Staat aber von Verfassung wegen versagt ist, kann i h m nicht als Freiheitsbeeinträchtigung auf der Privatrechtsebene zugerechnet werden m i t der Konsequenz, daß der Bürger gegen den Staat einen Anspruch auf grundrechtskonforme Korrektur der vom Staat gewährten privatrechtlichen Befugnisse hätte. Bei Anerkennung der Staatsbezogenheit der Grundrechte kann man somit die freiheitsbeschränkende Ausnutzung privatrechtlicher Befugnisse weder als Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private noch als Grundrechtsbeeinträchtigung durch die öffentliche Gewalt qualifizieren 17 . Diese Konsequenz ließe sich nur durch die von Schwabe abgelehnte Annahme einer Grundrechtsbindung Privater vermeiden; allerdings könnte man auch dann Freiheitsbeeinträchtigungen durch Private dem Staat — als „Mittäter" — nur dann zurechnen, wenn dieser Normen erläßt, die Grundrechtsbeeinträchtigungen bereits indizieren oder wenn er Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private judiziell legitimiert. 4. Die mittelbare Anwendung von Grundrechten auf Privatrechtsverhältnisse Wie bei den Vertretern eines dualistischen Ansatzes sollen auch bei Schwabe dann, wenn zivilrechtliche Schutznormen fehlen, die Grundrechte über die bürgerlichrechtlichen Generalklauseln Eingang i n das Privatrecht finden 18. Zum methodologischen Wert dieser Anwendungsform kann auf die bereits oben 19 gemachten Ausführungen verwiesen werden. 5. Zusammenfassung Schwabe w i l l m i t seinem Ansatz weniger zur Lösung bestimmter sozialer Probleme beitragen, als vielmehr eine einfachere und plausiblere Begründung der rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private liefern 20 . Gerade dies gelingt ihm aber schlecht. 17

Eine privatrechtliche N o r m k a n n n u r dann grundrechtswidrig sein, w e n n das betreffende Grundrecht selbst eine verbindliche Regelung f ü r das m i t der Privatrechtsnorm angesprochene Rechtsverhältnis enthält, vgl. Burmeister, S. 43. 18 S. 62 ff. 19 3. T e i l I I 5, 20 S. 9.

6*

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

Abgesehen davon, daß er durch seine Beschränkung auf eine vorwiegend formale Argumentation keine Erklärung für seine unterschiedliche Behandlung von Verstößen gegen den Gleichheitssatz und Verstößen gegen die Freiheitsrechte liefern kann, bringt er i n seinen Ansatz dadurch einen unlösbaren Widerspruch, daß er einerseits ein ausschließlich staatsbezogenes Grundrechtsverständnis propagiert und zum anderen von einer Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers bzw. des Z i v i l richters ausgeht und jede privatrechtlich zu duldende Freiheitsbeeinträchtigung auf der Privatrechtsebene an den Grundrechten gemessen sehen w i l l . Da ein strikt staatsbezogener Grundrechtsbegriff unvereinbar ist m i t jeder Grundrechtsorientierung des Privatrechts, ermöglicht der Lösungsansatz Schwabes weder die Erklärung bekannter Ergebnisse, noch bietet er angesichts der widersprüchlichen Problemlösungsregeln eine Anleitung zur Auffindung noch unbekannter Lösungen. IV. Die absolute Geltung der Grundrechte 1. Vorbemerkung Die Lösungsansätze der Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte sind weniger homogen als die der Vertreter eines dualistischen Ansatzes, so daß nur hinsichtlich weniger Aspekte allgemeinere Aussagen zum Darstellungs- und Erkenntniswert gemacht werden können, während es i m übrigen eines gesonderten Eingehens auf einzelne Autoren bedarf. Diese Einzelanalyse soll hier jedoch nicht besonders weit getrieben werden, da es ja nicht darum geht, möglichst viele Fehlschlüsse aufzudecken, sondern zu ermitteln, m i t welchem Lösungsansatz am meisten Plausibilität erzeugt werden kann. 2. Absolute Geltung der Grundrechte und restriktive Bestimmung des Anwendungsbereiches der Grundrechte im Privatrecht Wie für die Vertreter eines dualistischen Ansatzes gilt auch für die Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte, daß die Ausgangsthese wesentlich weitergreift als die konkreten Problemlösungsregeln. Dies gilt vor allem für diejenigen, die die Lehre von der absoluten Geltung der Grundrechte aufgebracht und i n die Rechtspraxis eingeführt haben, nämlich Nipperdey und das BAG. Die These von der absoluten Geltung der Grundrechte läßt erwarten, daß die Grundrechte auf der Privatrechtsebene grundsätzlich anwendbar seien und eine zumindest ähnlich starke Schutzwirkung entfalten sollen, wie i m Verhältnis des einzelnen zum Staat. Diese Erwartung

IV. Absolute Geltung der Grundrechte

85

w i r d durch das konkrete Problemlösungsverhalten der Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte jedoch keineswegs bestätigt, wobei die Lösungsvorschläge Leisners diesen Erwartungen am nächsten kommen, während beim B A G und Nipperdey 1 die größte Diskrepanz zur Ausgangsthese festzustellen ist. Der Einflußbereich der Grundrechte auf der Privatrechtsebene w i r d von diesen von zwei Seiten beschränkt. Zum einen werden die Fälle tatbestandsmäßig beschränkt, i n denen die Grundrechte überhaupt Schutzwirkungen entfalten sollen 2 , und zum anderen w i r d i n den Fällen, in denen die Anwendbarkeit der Grundrechte bejaht wird, die Durchschlagskraft der Berufung auf Grundrechte wieder so einschränkenden Voraussetzungen unterworfen, daß aus der „albsoluten Geltung" der Grundrechte doch nur eine „ausnahmsweise''' Geltung der Grundrechte i m Privatrecht wird 3 . M i t diesen Einschränkungen des Anwendungsbereichs bzw. der Durchsetzungskraft der Grundrechte i m Privatrecht geraten die Lösungsansätze des B A G und Nipperdeys nicht nur i n Widerspruch zu ihrer Ausgangsthese, sondern auch zur verfassungspolitischen Begründung einer absoluten Geltung der Grundrechte. Es werden ζ. T. Lösungen angeboten, die man nur als konsequente Folgerungen aus einem strikt dualistischen Lösungsansatz verstehen kann, da sie sich als Konkretisierung eines ganz formalen Freiheitsverständnisses darstellen, das ja gerade m i t der Anerkennung einer absoluten Geltung der Grundrechte überwunden werden sollte. Gedacht ist hier vor allem an Nipperdeys vehemente K r i t i k des „Lüth-Urteils" des BVerfG 4 und die von Nipperdey beeinflußte Rechtsprechung des B A G zum Grundrechtsschutz i m Betrieb. Obwohl das Arbeitsverhältnis den Prototyp eines privaten Herrschaftsverhältnisses darstellt, das durch die faktische Überlegenheit des Unternehmers gegenüber dem Arbeitnehmer gekennzeichnet ist und damit auch für Nipperdey und das B A G einen offenkundigen Fall der Anwendbarkeit von Grundrechten auf der Privatrechtsebene darstellt, war der vom B A G gewährte Grundrechtsschutz bisher relativ spärlich, vor allem i m Hinblick auf den Schutz intellektueller Freiheiten. Indem auf der einen Seite dem Arbeitgeber ein extensiver Tendenzschutz gewährt wird, der selbst die Lebensführung tendenzneutral beschäftigter

1 Entsprechend auch G. Müller, RdA 1964, S. 121 ff. Vgl. die Darstellung der genannten Lösungsansätze oben 1. Teil I I I 2, c. 2 Die Grundrechte sollen i m wesentlichen n u r i m Falle überlegener Sozialmacht eines Beteiligten zur A n w e n d u n g kommen, vgl. Nipperdey, i n : Die Grundrechte, I V 2, S. 752 ff.; ders., i n : Festschrift f ü r Molitor, S. 27 ff. 3 V g l dazu die weiter unten aufgeführten Beispiele. 4 Nipperdey, DVB1. 1958, S. 445 ff.

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3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

Arbeitnehmer erfaßt 5 , auf der anderen Seite aber etwa die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers i. d. R. dadurch leerläuft, daß diese durch die Grundregeln des Arbeitsverhältnisses beschränkt wird, ohne daß diese Grundregeln selbst wieder einer Kontrolle an den Grundrechten unterworfen würden 6 , w i r d trotz demonstrativer Anerkennung der absoluten Geltung der Grundrechte das bestehende Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eher bestätigt als abgemildert. Zwar hat das B A G i n einigen neueren Entscheidungen 7 die Auffassung vertreten, daß eine politische Betätigung des Arbeitnehmers einen Grund zur fristlosen Kündigung nur dann darstelle, wenn sie das A r beitsverhältnis konkret beeinträchtige; diese Rechtsprechung stellt jedoch solange keinen Fortschritt i. S. einer Effektierung des Grundrechtsschutzes dar, wie Treupflicht des Arbeitnehmers und Erhaltung des Betriebsfriedens i n ihrem bisherigen Verständnis als Schranken der Meinungsfreiheit i m Betrieb aufrechterhalten werden; denn die Meinungsäußerungsfreiheit des Arbeitnehmers erstarkt erst dann zu einem materialen Freiheitsstatus als Gegengewicht zur Position des Arbeitgebers, wenn auch Äußerungen gemacht werden dürfen, die innerhalb eines Betriebes eine gewisse Resonanz finden und u. U. auch zu begrenzten Konflikten führen 8 . Durchgängig rührt das B A G an der liberalistischen Monopolisierung der Freiheit beim Kapital nur insoweit, als der Arbeitgeber immer dann an den Gleichheitssatz gebunden wird, und damit eine Beschränkung seiner Freiheit zur W i l l k ü r hinnehmen muß, wenn Arbeitsbedingungen, insbesondere Lohnfestsetzungen, Gratifikationen u. ä. allgemein geregelt werden. Ein derartiges Willkürverbot, das es dem Arbeitgeber versagt, einzelne Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund von einer allgemein gewährten Vergünstigung auszunehmen, galt innerhalb bestehender A r beitsverhältnisse allerdings schon zu Zeiten des RAG 9 als Grundsatz der 5 K ü n d i g u n g eines Anstreichers i n einem katholischen Krankenhaus wegen Verstoßes gegen das kanonische Eherecht, B A G 2/279. 6 B A G 1/185; 2/266; 21/340; A P Nr. 28 zu §66 B e t r V G ; A P Nr. 57 zu §626 B G B ; A P Nr. 58 zu § 626 B G B ; B A G U r t . v. 28. 9. 72, K J 1972, S. 409 ff. 7 A P Nr. 28 zu §66 B e t r V G ; A P Nr. 57 zu §626 B G B ; restriktiv jedoch wieder B A G Urt. v. 28. 9. 72, K J 1972, S. 409 ff. 8 Auch die Entscheidung des B A G v o m 15. 7. 71 (JZ 1971, S. 785 ff.) verschafft dem i n seinem Grundrecht der Gewissensfreiheit betroffenen Fernmeldehandwerker nur einen Scheinsieg, denn die Unzulässigkeit der K ü n d i g u n g wegen der Weigerung, am Vollzug des Abhörgesetzes mitzuwirken, w i r d lediglich m i t der Zweifelhaftigkeit der Rechtslage zur Zeit der K ü n d i g u n g gestützt — die Abhörentscheidung des BVerfG w a r noch nicht ergangen —, während undiskutiert bleibt, ob der Kläger an seiner Weigerung festhalten kann, ohne das Risiko erneuter K ü n d i g u n g einzugehen. 9 Erstmals anerkannt m i t Urt. v. 19.1.1938, Bd. 33/172.

IV. Absolute Geltung der Grundrechte

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gleichmäßigen Behandlung i m Arbeitsverhältnis 1 0 ; insoweit ist lediglich eine argumentative Verbesserung eingetreten, als der nationalsozialistische Begründungszusammenhang 11 zum Teil dadurch abgelöst worden ist, daß das Gleichbehandlungsgebot als Korrektiv gegenüber der Machtstellung des Arbeitgebers begriffen wird 1 2 , wobei dieses Verständnis die Legitimation des Grundsatzes am Gleichheitssatz erlaubt 13 . Ein Fortschritt gegenüber früherer Praxis besteht erst darin, daß die Bindung an den Gleichheitssatz auf das Stadium des Vertragsschlusses insoweit vorverlegt wird, als Tarifverträge, die ja die Mindestbedingungen des Vertrages zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber enthalten, der Bindung an den Gleichheitssatz unterworfen werden. Der Bejahung einer Grundrechtsbindung des Arbeitgebers beim Vertragsabschluß — was als spürbarer Angriff auf die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers verstanden werden könnte — w i r d jedoch dadurch aus dem Wege gegangen, daß Tarifverträge als Gesetze i. S. des A r t . 3 Abs. I GG qualifiziert werden 14 , um auf diese Weise verfassungsnotwendig den Gleichheitssatz anwenden zu können, ohne dessen Verbindlichkeit für den Privatrechtsverkehr diskutieren zu müssen 15 . Durch die Bindung des Arbeitgebers an den Gleichheitssatz w i r d der Freiheitsstatus des Arbeitnehmers allerdings kaum verstärkt, denn diese Begrenzung der Machtstellung des Arbeitgebers gewährleistet nur eine Gleichheit der sozial Abhängigen untereinander, rührt aber nicht an dem Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und trägt damit nichts zur Rekonstruktion faktischer Gleichheit, der Bedingung materialer Freiheit, bei. Insofern ist es durchaus zutreffend, wenn Nipperdey gegenüber den Gegnern einer absoluten Geltung der Grundrechte geltend macht, daß eine absolute Geltung der Grundrechte i n seinem Sinne keineswegs zu einer Aufhebung der Privatautonomie führe 1 6 ; die Privatautonomie w i r d vielmehr i m wesentlichen bei denen belassen, die bisher schon deren Vorteile innehatten, während der A n spruch, die Privatautonomie auch für den sozial Abhängigen zu einem materialen Freiheitsstatus werden zu lassen, nicht eingelöst wird. I n ihrer konkreten Handhabung erschöpft sich das Neue der Lehre von einer absoluten Geltung der Grundrechte bei Nipperdey und dem B A G i m wesentlichen i n der Anwendungsform der Grundrechte auf der 10

Vgl. Hueck - Nipperdey, Grundriß des Arbeitsrechts, S. 95 f. Vgl. Hueck - Nipperdey, S. 96. 12 Vgl. Söllner, Arbeitsrecht, S. 218 m i t Fußnote 14. 13 So B A G 11/338; Gamillschegg, AcP 164, S. 409; siehe auch Nipperdey, Festschrift für Molitor, S. 31. 14 Vgl. B A G 1/258 ff. 15 Z u diesem Fehlschluß vgl. weiter unten I V 3. Festschrift f ü r Molitor, S. 26 ff. 11

in:

88

3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

Privatrechtsebene, wenn auch zuzugeben ist, daß gelegentliche Lösungen gefunden werden, i n denen der Rekurs auf Grundrechte zu einer A b sicherung des Freiheitsstatus des sozial Unterlegenen führt, die von den Vertretern eines dualistischen Ansatzes nicht ohne weiteres gewährt werden würde 1 7 . 3. Nebeneinander von unmittelbarer und mittelbarer Grundrechtsanwendung — Noch einmal zum Verhältnis

von Form und Inhalt —

Einer Reihe von Vertretern einer absoluten Geltung der Grundrechte ist gemeinsam, daß sie ein Nebeneinander von unmittelbarer und mittelbarer Grundrechtsanwendung auf Privatrechtsverhältnisse vorsehen 18 , wobei durchweg davon ausgegangen wird, daß die mittelbare Grundrechtsanwendung etwas qualitativ anderes sei, als die unmittelbare A n wendung. Beide Anwendungsformen werden nicht als austauschbare Konstruktionen der Heranziehung von Grundrechten bei der Lösung privatrechtlicher Konflikte angesehen19, sondern die mittelbare Grundrechtsanwendung soll regelmäßig dann Platz greifen, wenn für eine unmittelbare Anwendung von Grundrechten kein Raum ist 2 0 . Es w i r d davon ausgegangen, daß die mittelbare Anwendung von Grundrechten ein Weniger an grundrechtlicher Beeinflussung des Privatrechts bedeute 21 und das Problem der Grundrechtsgeltung i m Privatrecht gar nicht aufwerfe, da die mittelbare Anwendung von Grundrechten deren Geltung i m Privatrecht nicht voraussetze 22 . Eine mittelbare Heranziehung von Grundrechten solle daher immer dann i n Betracht kommen, wenn die Geltung der Grundrechte für den konkreten Fall zu verneinen sei 23 . M i t dieser Qualifizierung der mittelbaren Anwendung von Grundrechten erliegen die genannten Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte denselben Mißverständnissen, die bereits bei der Analyse 17 So etwa die Entscheidungen B A G 4/274 ff. (zu A r t . 6 GG) , 15/23 ff. und 19/194 ff. (zu A r t . 12 GG). 18 Gamillschegg, AcP 164/423; Zippelius, i n : Bonner Kommentar, A n m . 35 zu A r t . 1 GG, A n m . 57 zu A r t . 4 GG; Reichenbaum, S. 114; Brecher, S. 41; Laufke, S. 183; Olbersdorf, A u R 1958, S. 201. 19 Vgl. Brecher, S. 41; Reichenbaum, S. 110 f. 20 Vgl. Brecher, S.41; Laufke, S. 183. 21 Vgl. Brecher, S.41; Laufke, S. 183; Reichenbaum, S. 113f.; auf dasselbe Verständnis deutet die Bemerkung v o n Zippelius hin, daß A r t . 4 GG m i n destens mittelbar, wenn nicht sogar unmittelbar i m Privatrecht Anwendung finde, Bonner Kommentar, A n m . 57 zu A r t . 4 GG. 22 Vgl. Reichenbaum, S. 110f.; Brecher, S.41; Laufke, S. 183; Olbersdorf, A u R 1958, S. 201. 23 Brecher, S. 41; Laufke, S. 183.

IV. Absolute Geltung der Grundrechte

89

des dualistischen Lösungsansatzes festgestellt wurden 2 4 . Es w i r d vernachlässigt, daß auch bei „ n u r " mittelbarer Grundrechtsanwendung i m Privatrecht Grundrechtsinhalte für Private verbindlich gemacht werden 2 5 und daß die Wahl der Anwendungsform keinen Einfluß auf das Ausmaß grundrechtlicher Bindungen Privater hat, sondern lediglich ein rechtstechnisches Problem darstellt 26 , wobei die mittelbare Form der Grundrechtsanwendung methodologisch zweifelhafter ist 27 . Zur Begründung kann insoweit auf die Ausführungen zum dualistischen Lösungsansatz verwiesen werden. Einem ähnlichen Mißverständnis erliegt i m übrigen auch das BAG 2 8 , wenn es meint, einer Auseinandersetzung m i t der Frage der Geltung des Art. 3 GG i m Privatrecht dadurch aus dem Wege gehen zu können, daß es Tarifverträge als Gesetze i m Sinne des A r t . 3 GG qualifiziert 29 , denn nur unter der Voraussetzung der Verbindlichkeit des Gleichheitssatzes für den Arbeitgeber ist es möglich, die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Verträge der Bindung an den Gleichheitssatz zu unterwerfen 30 . 4. Zusammenfassung Es ließen sich zu den einzelnen Lösungsansätzen noch eine Reihe weiterer Anmerkungen machen, welche die Konsistenz der Lösungsvorschläge zweifelhaft werden ließen; so ist es z.B. schwer einsehbar, warum Nipperdey dem klassischen staatsgerichteten Grundrechtsbegriff weiterhin eine Existenzberechtigung zuweist, wodurch er zu der normlogisch kaum haltbaren Differenzierung zwischen klassischen subjektivöffentlichen Grundrechten und den diese Grundrechte gewährenden Grundrechtsbestimmungen, die selbst wieder normative Wirkungen haben sollen, gezwungen w i r d 3 1 ; ebenso uneinsichtig ist Nipperdeys Unterscheidung zwischen objektiv-rechtlichen und subjektiv-rechtlichen W i r kungen der absolut geltenden Grundrechtsbestimmungen auf der Privatrechtsebene, denn w o r i n sollte der praktische Unterschied dieser beiden Wirkungsformen liegen? Bei Leisner wäre u. a. zu fragen, warum er hinsichtlich der Beschränkbarkeit von Grundrechten auf der Privatrechtsebene zwischen vertraglichem und außervertraglichem Bereich 24 25 26 27 28 29 30 31

Siehe oben 3. T e i l I I . Siehe oben 3. T e i l I I 2. Siehe oben 3. T e i l I I 3. Siehe oben 3. T e i l I I 5. Vgl. B A G 1/258 ff. Vgl. B A G 1/262. Siehe oben 3. T e i l I I 2. Vgl. Nipperdey, i n : Die Grundrechte, I V 2, S. 747 m i t Fn. 24.

3. Teil: Darstellungs- und Erkenntniswert

90

unterscheidet, wenn er für beide Bereiche die Grenzen der Beschränkbarkeit bzw. Verzichtbarkeit von Grundrechtspositionen gleich ansetzt — Einschränkbarkeit i m Rahmen der Gesetzesvorbehalte 32 — und damit zu der gerade nicht gewollten Gleichbehandlung von sog. „Unentrinnbarkeitssituationen" und frei ausgehandelten Vertragsbeziehungen gelangt. Eines näheren Eingehens auf diese Details bedarf es hier jedoch deshalb nicht, w e i l derartige Ungereimtheiten jeweils spezifische Mängel eines bestimmten Lösungsansatzes sind, die für die übrigen Lösungsansätze nicht repräsentativ sind. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Darstellungswert und Erkenntniswert der Lösungen der meisten Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte darunter leiden, daß Ausgangsthese und deren rechtspolitische Rechtfertigung in keiner angemessenen Relation zum tatsächlichen Problemlösungsverhalten stehen, das i. d. R. auf Ergebnisse zielt, die sich von den Lösungen der Vertreter eines dualistischen Ansatzes nur unwesentlich unterscheiden. I m übrigen werden die meisten Lösungsansätze dadurch verunklärt, daß i n Verkennung der Bedingungen jeglicher Grundrechtsorientierung des Privatrechts nur die unmittelbare Anwendbarkeit von Grundrechten auf Privatrechtsverhältnisse als Problem der Privatrechtsgeltung der Grundrechte diskutiert wird, wodurch die Frage des Ordnungs- bzw. Anwendungsbereichs der Grundrechte uneingestanden dann doch offenbleibt, da mittelbare Grundrechtsanwendung und Grundrechtsorientierung der Zivilgesetzgebung unter dem Gesichtspunkt der Privatrechtsgeltung nicht problematisiert werden. V. Ergebnis Sowohl dem dualistischen Lösungsansatz als auch dem Lösungsvorschlag der Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt kommen weder Darstellungsnoch Erkenntniswert zu. Aber auch die Ansätze der Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte sind nicht durchgängig geeignet, gefundene Lösungen plausibel zu machen bzw. handhabbare Regeln für die Auffindung noch unbekannter Lösungen zu vermitteln.

32

Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 384 ff., 391 ff.

Vierter

Teil

Inhaltliche Plausibilität der vertretenen Lösungsansätze Rechtspolitische Richtigkeitskontrolle Der Beantwortung der Frage der rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private ist lediglich ein relativ weiter normativer Rahmen vorgegeben. Die Ausfüllung dieses Rahmens obliegt i m Konfliktsfalle dem Richter als rechtspolitische Entscheidung, wobei es wesentliche Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, diese Entscheidung durch entsprechende Normvorschläge zu erleichtern 1 . Stellt sich die konkrete Normwahl aber letztlich als autonome Entscheidung des Richters dar 2 , besteht also keine Möglichkeit der politischen Entlastung durch Verweis auf gesetzgeberische Entscheidungen oder einen Konsens der Rechtspraxis, so trifft den Richter selbst die Last der inhaltlichen Rechtfertigung der von i h m gewählten Norm, die er zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. Erst die nachvollziehbare und nachprüfbare inhaltliche Rechtfertigung der Normwahl kann deren Geltungsanspruch begründen. I m folgenden soll nun geprüft werden, inwieweit es den Vertretern der verschiedenen Lösungsansätze gelingt, ihre Normvorschläge als sachgerecht auszuweisen bzw. — und damit w i r d hier der Rahmen der systemimmanenten Auseinandersetzung überschritten — ob die angebotenen Lösungsvorschläge überhaupt inhaltlich plausibel gemacht werden können. Diese Prüfung setzt zunächst Überlegungen darüber voraus, wie man denn die rechtspolitische Richtigkeit eines Normvorschlags überhaupt sinnvoll diskutieren und überprüfen kann. I. Uberprüfbarkeit der rechtspolitischen Richtigkeit eines Lösungsansatzes 1. Rechtspolitische Richtigkeitskontrolle als Argumentationskontrolle Praktische Intention der Begründung von Normvorschlägen ist es, die Zustimmung der an der Normdiskussion Beteiligten zu gewinnen. Die 1

Siehe dazu auch Dreier, Rechtstheorie 1971, S. 46 f. Vgl. Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 85, m i t Hinweis auf Säcker, Grundprobleme, S. 110. 2

92

4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

Chance, auf Zustimmung zu stoßen, ist umso größer, je besser es gelingt, den Normvorschlag als beste Regelung des zu ordnenden Lebensbereichs darzustellen. Da aber Werturteile theoretisch weder wahr noch falsch sein können 3 und ein Konsens aller darüber, daß eine Norm als wahr bzw. richtig gelten soll, nur angestrebt, aber regelmäßig nicht vorausgesetzt werden kann, ist die Diskussion von Normen m i t wesentlich mehr Unsicherheit belastet als die Diskussion von Tatsachenurteilen. Für diese besteht bei aller Vorläufigkeit jeglichen Erkennens doch ein Konsens darüber, wann ein Tatsachenurteil als „wahr" gelten soll 4 , so daß für eine empirische Behauptung, die diesen Anforderungen genügt, Zustimmung vorausgesetzt werden kann. Das bedeutet nun nicht, daß eine Diskussion praktischer Fragen von vornherein sinnlos wäre; denn wenn auch die Richtigkeit einer Norm nicht i n dem Sinne erwiesen werden kann, daß bei bestimmter Struktur der Normbegründung ein Konsens vorausgesetzt werden kann, — mehr an Gewißheit läßt sich ohnehin für keine Aussage i n Anspruch nehmen 5 — so ist doch die „Richtigkeit" einer Norm i n der Weise diskutierbar, daß Gründe vorgebracht werden, welche die Annahme oder A b lehnung eines Normvorschlags als vernünftig erscheinen lassen6. Ist nun die Begründbarkeit normativer Aussagen Voraussetzung ihrer Konsensfähigkeit und verlangt Konsensfähigkeit, daß ein Normvorschlag durch Angabe von Gründen der Diskussion und damit der K r i t i k zugänglich gemacht wird 7 , bemißt sich also der Geltungsanspruch normativer Aussagen an ihrer Kritisierbarkeit als Voraussetzung inhaltlicher Plausibilität 8 , so ist damit zugleich der Weg vorgezeichnet, den die rechtspolitische Richtigkeitskontrolle eines Lösungsvorschlags einschla3 Vgl. Habermas, i n : Habermas/Luhmann, S. 241; Winter, Rechtstheorie 1971, S. 175; Adomeit, JuS 1972, S. 631. 4 „ W a h r " nicht i m Sinne von Gewißheit, sondern i n dem Sinne, daß ein logisch konsistent u n d empirisch nachprüfbar formuliertes Tatsachenurteil so lange als richtig unterstellt werden kann, wie es nicht falsifiziert worden ist. Vgl. Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, S. 33, 35; siehe auch Popper, Logic of Scientific Discovery, S. 92. Der positivistische Wahrheitsbegriff w i r d insoweit auch von Habermas nicht prinzipiell i n Zweifel gezogen — kritisiert w i r d n u r dessen Ineinssetzung m i t dem Wissenschaftsbegriff und die damit verbundene Eliminierung praktischer Fragen aus dem Bereich wissenschaftlicher Diskussion, vgl. Habermas, KZfSS 1964, S. 653 f. 5

Vgl. Winter, Rechtstheorie 1971, S. 173. Siehe dazu Habermas, i n : Habermas/Luhmann, S. 239 fï.; Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, S. 285 ff.; Albert, T r a k t a t über kritische Vernunft, S. 70 ff., 73 ff.; ders., i n : Die Philosophie und die Wissenschaften, S. 267 ff.; Runciman, Sozialwissenschaft und politische Theorie, S. 163 ff.; Weinberger, J u r A 1971, S. 571. 7 Siehe dazu auch Habermas, a.a.O., S. 239; Runciman, S. 165 ff. 8 Vgl. auch Habermas, a.a.O., S. 239. 6

I. Überprüfbarkeit

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gen muß; sie kann Ergebniskontrolle nur i n Form einer Argumentationskontrolle sein. Halten die für einen Normvorschlag vorgebrachten Gründe einer K r i t i k nicht stand, so muß der Normvorschlag entweder durch bessere Gründe gestützt oder aber, falls er sich unter Berücksichtigung anderer Handlungsmöglichkeiten als weniger gut begründbar erweist, durch einen anderen Normvorschlag ersetzt werden. Soll aber die Sachgerechtigkeit eines Normvorschlags an der inhaltlichen Plausibilität seiner Begründung gemessen werden, stellt sich sogleich die Frage nach dem Maßstab dieser Prüfung. Es ist vorweg anzugeben, unter welchen Voraussetzungen den für die Annahme eines Normvorschlags vorgetragenen Argumenten inhaltliche Plausibilität zukommen bzw. nicht zukommen soll. Dies verlangt jedoch wiederum normative Aussagen, deren Geltungsanspruch selbst wieder Begründbarkeit als Bedingung von Konsensfähigkeit voraussetzt. Dieser unausweichliche Zirkel läßt sich nur i n der Weise überspielen, daß auf irgendeiner Ebene der Argumentation von einem präsumtiven Konsens ausgegangen wird 9 , der allerdings jederzeit durch begründete K r i t i k hinfällig gemacht werden kann. Dabei ist ohne weiteres einzuräumen, daß ein Konsens darüber, welche Mindestanforderungen an die inhaltliche Begründung von Normen m i t Plausibilitätsanspruch zu stellen sind, wesentlich unsicherer ist als etwa ein Konsens über die Geltung von Regeln der formalen Logik. Immerhin scheint ein solcher Konsens aber eher herstellbar zu sein als ein Konsens über die Verbindlichkeit eines gesellschaftspolitischen Leitbildes 10 . 2. Notwendige und nachprüfbare Elemente der rechtspolitischen Rechtfertigung eines Lösungsansatzes Die inhaltliche Rechtfertigung einer Norm besteht i n der Mitteilung Gründe, die den Auswahlprozeß bestimmt haben. Die Frage danach, wie eine Norm plausibel begründet werden kann, ist daher zugleich eine Frage danach, welche Erwägungen bei der Normgewinnung anzustellen sind, wenn eine sachgerechte Regelung gefunden werden soll. Es ist zwar denkbar, daß sachgerechte Regelungen gelegentlich auch i n t u i t i v gefunden werden, so daß die Normbegründung lediglich eine nachträgliche Rationalisierung des Rechtsgewinnungsprozesses darstellt; soll aber 9

Vgl. dazu die ähnliche Problematik bei der Unterscheidung eines wahren v o m falschen Konsensus bei Habermas, a.a.O., S. 134 f., u n d die Problematik bei der Anerkennung von Basissätzen bei Popper, The Logic of Scientific Discovery, S. 104 ff. 10 Z u r Problematik der Herstellung eines inhaltlichen Konsenses vgl. Schwerdtner, JuS 1972, S. 359.

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4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

die Sachgerechtigkeit einer Lösung nicht dem Zufall überlassen bleiben, ist primär die Frage danach, welche Überlegungen anzustellen sind, u m zu einer vernünftigen Lösung zu finden. Von daher läßt sich dann bestimmen, welche Gesichtspunkte i n der Normbegründung angesprochen werden müssen, wenn inhaltliche Plausibilität i n Anspruch genommen werden soll. a) Zum Verfahren judizieller Normgewinnung Richterliche Rechtsetzung folgt grundsätzlich denselben Regeln wie jede andere Form der Rechtsetzung, handele es sich nun um Gesetzgebung, Satzungsgebung oder den Erlaß von Verordnungen 11 . Alle Rechtsetzungsinstanzen werden innerhalb eines mehr oder weniger weiten normativen Rahmens 12 autonom tätig und bestimmen innerhalb dieses Rahmens nicht nur die M i t t e l zur Erreichung vorgegebener Zwecke, sondern i n größerem oder geringerem Maße nach die Zwecke selbst. Letzteres gilt auch für die judizielle Normsetzung, denn jede Normkonkretisierung ist auch eine Konkretisierung des Normzwecks innerhalb einer bestimmten Variationsbreite. Dieser Gesichtspunkt w i r d häufig vernachlässigt, wenn dem Normzweck allzu viel Steuerungsfähigkeit bei dre Normkonkretisierung beigemessen wird 1 3 . Dies gilt i n besonderem Maße für die richterliche Verfassungskonkretisierung, da die Verfassungsnormen regelmäßig bereits bei der Bestimmung der Normzwecke einen relativ großen Handlungsspielraum belassen. Rechtlichen Erwägungen kommt bei der Ausfüllung des ermittelten verbindlichen Rahmens der Problemlösung, d. h. bei der Wahl zwischen den positivrechtlich zulässigen Normalternativen, keine Steuerungsfunktion mehr zu 14 . A u f dieser Stufe der Normgewinnung ist für rechtliche Erwägungen nur insoweit Raum, also sie ganz allgemein die Entscheidungstätigkeit des Richters betreffen. I n dieser Hinsicht spielt insbesondere der Gesichtspunkt der funktionellen Grenzen des judiziellen Handlungsspielraums eine Rolle, soweit man diesen als Ausfluß von Demokratieprinzip und Gewaltenteilungsgrundsatz verstehen kann 1 5 . 11

Z u r S t r u k t u r rechtspolitischer Argumentation vgl. auch Kriele, S. 177 ff. Dies g i l t natürlich nicht f ü r den Verfassungsgeber, der i m Normalfall keinerlei positivrechtlichen Bindungen unterworfen ist. 13 So z.B. Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildung, S. 13. 14 Insofern ist die Forderung v o n Larenz, S. 13, daß die richterliche N o r m aus rechtlichen Erwägungen begründet werden müsse u n d nicht den Charakter einer Festsetzung tragen dürfe, n u r als Mißverständnis der Bedingungen richterlicher Rechtssetzung verstehbar; denn es ist j a gerade das Kennzeichen judizieller Normsetzung, daß die N o r m w a h l nicht mehr durch Normen determ i n i e r t ist, sondern notwendig den Charakter einer Festsetzung trägt, die auch anders hätte ausfallen können. 15 Siehe dazu oben 2. T e i l I I b, bb. 12

I. Überprüfbarkeit

95

Das Verfahren richterlicher Normgewinnung läßt sich i n einer Grobeinteilung i n zwei Phasen untergliedern, nämlich zum ersten i n das Stadium der Ermittlung der Normalternativen und zum zweiten i n das Stadium der Normwahl. Dabei lassen sich innerhalb dieser beiden Stadien wieder mehrere gedankliche Schritte unterscheiden, wenn auch lediglich m i t analytischem Anspruch, da eine derartige Trennung der einzelnen gedanklichen Operationen praktisch kaum durchführbar ist. aa) Ermittlung der Normalternativen Die vorherige Ermittlung der Entscheidungsaltenativen soll die vorzeitige Einengung des Problemlösungshorizonts verhindern 1 6 . Eine Entscheidung, der keine Überlegungen darüber vorausgegangen sind, mag zwar i m Ergebnis gleichwohl vernünftig sein, genauso, wie ein vorheriges Bedenken der möglichen Normalternativen keine Garantie für die Richtigkeit der schließlich getroffenen Entscheidung bietet, — nur kann man für eine Entscheidung, die andere Bewertungs- und Entscheidungsmöglichkeiten gar nicht i n Betracht zieht, schwerlich Plausibilität i n Anspruch nehmen, da sie von vornherein nicht darauf angelegt ist, mögliche Andersdenkende vom Vorzug dieser Lösung gegenüber anderen Lösungsmöglichkeiten zu überzeugen 17 . Wesentliches Element der Ermittlung der Normalternativen ist die Bestimmung der potentiellen Anwendungsbereiche einer Norm. Der A n wendungsbereich einer richterrechtlichen Norm ist i n den seltensten Fällen bereits durch den zu konkretisierenden Regelungszusammenhang vorgegeben, denn i n der Regel findet die Normkonkretisierung nicht auf der Rechtsfolgenseite, sondern auf der Tatbestandsseite einer Norm statt, wobei sich die Tatbestandsbestimmung wieder an den meist vorgegebenen Rechtsfolgen ausrichtet. Der Anwendungsbereich einer Norm w i r d also erst m i t der richterlichen Entscheidung bestimmt 1 8 . Die Bestimmung des Anwendungsbereichs der judiziellen Norm könnte allerdings deshalb kein echtes Problem sein, w e i l die Entscheidungskompetenz des Richters immer auf den i h m vorgelegten Fall beschränkt ist. Daran trifft zu, daß der Richter die seiner Entscheidung zugrundegelegte Norm immer nur für die Beteiligten des an ihn herangetragenen Konflikts verbindlich machen kann. Dies schließt jedoch nicht aus, daß der m i t der zugrundegelegten Norm angesprochene Fallbereich sehr viel weiter sein kann. 16 Z u r Notwendigkeit der Aufdeckung von Entscheidungsalternativen vgl. auch Naucke, i n : Naucke/Trappe, Rechtssoziologie u n d Rechtspraxis, S. 95. 17 Z u m Verständnis von Plausibilität der Begründung u n d Richtigkeit einer Entscheidung vgl. auch Esser, Vorverständnis, S. 168 f. 18

Vgl. Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 244 ff.

4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

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Zum Beispiel könnte ein Richter i n einem Rechtsstreit darüber, ob der Gastwirt G verpflichtet ist, dem Gastarbeiter A den Z u t r i t t zu seinem Lokal zu gestatten, die Klage des Diskriminierten aufgrund folgender Normen abweisen: (1) Der Gleichheitssatz findet bei privatrechtlichen Konflikten keine Anwendung. (2) Der Gleichheitssatz findet i m Warenund Dienstleistungsverkehr nur dann Anwendung, wenn der Anbieter von Waren oder Dienstleistungen eine Monopolstellung innehat. (3) Ein Gastwirt ist berechtigt, i h m unerwünschten Personen den Z u t r i t t zu seiner Gaststätte zu verweigern. (4) Der Gastwirt G ist berechtigt, dem Gastarbeiter A den Z u t r i t t zu seiner Gaststätte zu verweigern. Jede dieser vier Normen bietet für sich eine hinreichende Entscheidungsgrundlage für eine Abweisung der Klage des A, obwohl der potentielle Anwendungsbereich der Normen jeweils unterschiedlich bestimmt ist. Es besteht also ersichtlich ein erheblicher Spielraum bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs einer judiziellen Norm. Diese Bestimmung w i r d spätestens dann praktisch äußerst relevant, wenn sie durch eine obergerichtliche Entscheidung erfolgt, so daß eine Auseinandersetzung mit der Frage, nach welchen Gesichtspunkten der Anwendungsbereich zu bestimmen ist, nicht umgangen werden kann. Die Beschränkung auf Einzelfallgerechtigkeit — etwa i. S. der Normalternative (4) — ist für den Richter möglicherweise am befriedigendsten, w e i l sie ein Eingehen auf die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles ermöglicht. Der Nachteil dieser Vorgehensweise liegt jedoch i n der mangelnden Verallgemeinerungsfähigkeit und damit der mangelnden Wiederholbarkeit der Entscheidungen 19 . Ein M i n i m u m an Verallgemeinerungsfähigkeit und Wiederholbarkeit einer Entscheidung ist aber erforderlich, wenn ein M i n i m u m an Voraussehbarkeit und Kontrollierbarkeit richterlicher Entscheidungen gewährleistet sein soll 20 . Erst wenn allgemeine Entscheidungskriterien angegeben werden, w i r d überhaupt eine Regel konstituiert, deren Einhaltung von Dritten beurteilt werden kann 2 1 . Bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs einer Norm sind also die einander widerstreitenden Gebote möglichster Sachnähe der Entscheidung einerseits und einer möglichst gleichmäßigen, voraussehbaren und nachprüfbaren Entscheidungspraxis andererseits zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Sachnähe verlangt eine Analyse des möglichen Einzugsbereichs einer Norm daraufhin, ob die erfaßten Fallgruppen noch so viel gemeinsam haben, daß eine einheitliche Behandlung für 19

Siehe dazu auch Larenz, S. 9, 13. Vgl. auch Larenz, S. 13. 21 Z u m Begriff der Regel siehe auch Winch, Die Idee der Sozialwissenschaft u n d i h r Verhältnis zur Philosophie, S. 42 ff. 20

I. Überprüfbarkeit

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alle erfaßten Fallgruppen noch einheitlich begründbar, d. h. auf denselben materialen Regelungsgedanken rückführbar ist oder ob die angesprochenen Konfliktlagen doch so unterschiedlich sind, daß eine speziellere Normbildung erforderlich ist, wenn man sich in der Normbegründung nicht unter Verzicht auf jede Sachnähe auf allgemeinste Regelungsprinzipien zurückziehen w i l l . Ein Beispiel für eine zu allgemein geratene Norm bietet die oben angeführte Normalternative (1), denn es ist kein hinreichend konkreter materialer Gesichtspunkt angebbar, der einen generellen Ausschluß der Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen rechtfertigen könnte. Bei der Ermittlung der Normalternativen geht es nun nicht nur u m eine Konfliktsanalyse i m Hinblick auf mögliche Formulierungen des Tatbestandes einer judiziellen Norm, sondern zugleich auch um die mögliche Zuordnung der Rechtsfolgen. Zwar orientiert sich die Bestimmung des Tatbestandes i. d. R. bereits an den Rechtsfolgen, dennoch sind Tatbestandsbestimmung und Zuordnung der Rechtsfolgen nicht identisch, denn neben der möglichen Normalternative: Monopolunternehmen sind an den Gleichheitssatz gebunden, besteht zumindest theoretisch auch die Normalternative: Monopolunternehmen sind nicht an den Gleichheitssatz gebunden. Das heißt, zu jeder möglichen Tatbestandsbestimmung sind i m Hinblick auf die Rechtsfolgen zwei Normalternativen formulierbar, die — sofern sie nicht gerade abwegig erscheinen — i n den Katalog der denkbaren Normalternativen aufzunehmen sind, bevor eine Entscheidung zugunsten einer bestimmten Norm gefällt wird. bb) Normwahl Die Auswahl der Norm, die schließlich einer Entscheidung zugrundegelegt wird, erfolgt aufgrund von Wertungen, die zwar i m Ergebnis nicht als richtig oder falsch ausgewiesen, w o h l aber bis zu einem gewissen Grade rationalisiert und transparent gemacht werden können, wodurch eine konsensfähige Darstellung des Auswahlprozesses i n der Normbegründung erst möglich wird. Bei der Normwahl lassen sich mehrere gedankliche Stadien des Wertungsprozesses unterscheiden. Ein erster Schritt ist die Vergegenwärtigung des eigenen gesellschaftspolitischen Leitbildes bzw. — bescheidener formuliert — der eigenen Vorstellung von einer guten Ordnung des durch den konkreten Fall angesprochenen Lebensbereichs als materialem Bezugspunkt der Normwahl, der sich natürlich innerhalb des von den einschlägigen Normen belassenen Wertungsspielraums halten muß 2 2 . 22

Z u r wertverwirklichenden F u n k t i o n der Rechtsanwendung vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 434 ff., 438. 7 Eckhold-Schmidt

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4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

Daß der Richter m i t seinen Entscheidungen eigene gesellschaftspolitische Zielvorstellungen verfolgt, widerspricht zwar der wohl noch herrschenden Doktrin vom unpolitischen Richter, ist aber dennoch ein unausweichliches Faktum, soweit keine hinreichend konkreten normativen Anhaltspunkte gegeben sind 23 . Eine Entscheidung kann nur unter Bezugnahme auf bestimmte materiale Zielvorstellungen als gute Lösung eines Konflikts dargestellt werden und diese Zielvorstellungen sind notwendigerweise die gesellschaftspolitischen Überzeugungen des Richters selbst, denn bei einem Pluralismus gesellschaftspolitischer Leitbilder auf der gesellschaftlichen Ebene gibt es keine verbindlichen Leitbilder, auf die der Richter zurückgreifen könnte oder müßte 24 . Ein Wertungspluralismus i n der Rechtsprechung ist daher unvermeidbar. Soweit aber die Rechtsordnung unterschiedliche materiale Zielvorstellungen zuläßt, ist die gesellschaftspolitische Orientierung des Richters als dessen eigene Überzeugung in ihrer Relativität darzulegen 25 . Während die Bestimmung der rechtspolitischen Zielvorstellung als Bezugspunkt der Normwahl zwar prinzipiell diskutierbar ist, die Chancen der Erzielung eines realen Konsenses jedoch nicht allzu hoch veranschlagt werden dürfen, sind die weiteren Schritte der Normwahl i n stärkerem Maße rationalisierbar i n dem Sinne, daß eine intersubjektive Einigung möglich erscheint 26 . Ein nächster Schritt des Auswahlprozesses besteht darin, die ermittelten Normalternativen daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie zur Verwirklichung der intendierten Ordnung des in Frage stehenden Bereichs sozialer Beziehungen geeignet sind. M i t t e l dieser Überprüfung ist eine 23 Rüthers' Verweis auf die Wertungsmaßstäbe der Gesamtrechtsordnung (a.a.O., S. 436, 438) bzw. verfassungsgesetzliche Wertentscheidungen (a.a.O., S. 438 f.) gibt dem Richter wenig Hilfestellung, denn die Präzisierung dieser Wertungen f ü r konkrete Regelungsprobleme ist niemals n u r i n einem Sinne möglich. Die Gesetzesbindung des Richters k a n n auch hier n u r so w e i t gehen, w i e eindeutige Wertentscheidungen vorfindbar sind. 24 Wenn Rüthers demgegenüber auf die „sozial oder politisch herrschenden Wertüberzeugungen" i n der Gesellschaft verweist (a.a.O., S. 439), so entledigt er sich damit zu einfach der Legitimationsproblematik richterlicher Rechtspolitik. Der Rekurs auf herrschende Wertüberzeugungen — m i t dem i m übrigen sehr leicht Mißbrauch getrieben werden k a n n u n d der faktisch i m m e r ein Rekurs auf die eigene Wertüberzeugung des Richters ist — k a n n niemals eine Entscheidung legitimieren, wenn diese Wertüberzeugungen nicht i n Gesetzen ihren erkennbaren Niederschlag gefunden haben. Eine richterliche Bindung an gesellschaftliche Mehrheitsmeinungen gibt es nicht, so lange man an einer repräsentativen Demokratie festhält — eine derartige Bindung wäre w o h l auch aus Gründen, die f ü r eine Beibehaltung des Parlamentarismus sprechen, k a u m wünschenswert. 25 So auch Rüthers, JuS 1970, S. 611. 26 Z u diesem Rationalitätsbegriff vgl. auch Winter, Rechtstheorie 1971, S. 173.

I. Überprüfbarkeit

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Analyse der Folgen, welche die Annahme eines der zur Auswahl stehenden Normvorschläge haben würde 2 7 . Dabei beschränkt sich der Wert der Folgenanalyse nicht darauf, die geeignete Norm zur Realisierung des eigenen gesellschaftspolitischen Leitbildes aufzuzeigen, sondern die Folgenanalyse fördert zugleich auch die Nebenfolgen zutage, die als Kosten der Annahme eines bestimmten Normvorschlags i n Kauf zu nehmen wären 28 . Obwohl die am Schluß des Auswahlprozesses stehende Folgenbewertung wiederum nur eine beschränkt nachprüfbare Wertung darstellt, kann doch die Offenlegung der negativen Folgen der Annahme eines i m Hinblick auf die Zielvorstellung geeigneten Normvorschlags Begründungszwänge auslösen, die kaum einlösbar sind und daher zu einer Korrektur der Folgenbewertung und damit gegebenenfalls auch der gesellschaftspolitischen Zielvorstellung veranlassen können. b) Zusammenfassung der notwendigen und nachprüfbaren Elemente der rechtspolitischen Rechtfertigung eines Lösungsvorschlags Soll ein Lösungsansatz i n seiner Begründung als sachgerechter Regelungsvorschlag für einen bestimmten Bereich sozialer Beziehungen ausgewiesen werden, so müssen alle diejenigen Überlegungen angesprochen werden, die anzustellen sind, wenn eine vernünftige Regelung eines bestimmten Typus sozialer Konflikte intendiert ist. Dies gilt nicht nur für diejenigen Erwägungen, die einer empirischen Überprüfung zugänglich sind — etwa Konfliktsanalyse, Folgenbewertung und Zweck-MittelErwägungen i m Hinblick auf das gesellschaftspolitische Leitbild —, sondern auch für die wertenden Stellungnahmen, da nur so die Kritisierbarkeit als Voraussetzung der Konsensfähigkeit eines Lösungsvorschlags gewährleistet ist. I m einzelnen ist zu fordern, daß aufgrund einer Analyse des angesprochenen Fallbereichs die verschiedenen Möglichkeiten der Konfliktslösung aufgezeigt werden und sodann unter Offenlegung des eigenen 27 Z u r Notwendigkeit einer Diskussion der Folgen zur Erhöhung der Rationalität einer Entscheidung vgl. Popper. Die offene Gesellschaft, S. 286 f. ; Albert, Traktat, S. 179; Kriele, S. 178 f.; Schwerdtner, Rechtstheorie 1971, S. 87, 241; Podlech, AöR 95, S. 200, 209; Adomeit, ZRP 1970, S. 179; Säcker, R d A 1969, S. 293; Winter, Rechtstheorie 1971, S. 178 f., 190; Esser, Vorverständnis, S. 143 ff.; Naucke, i n : Naucke/Trappe, Rechtssoziologie und Rechtspraxis, S. 100; ders., Über die juristische Relevanz der Sozialwissenschaften, S. 40 ff.; Lautmann, Soziologie vor den Toren der Jurisprudenz, S. 21. Hingegen gehört für Luhmann die „gründliche Abwägung der Folgen seiner Entscheidung . . . nicht zum Programm des Juristen" (AöR 94, S. 3 ff.), da sich bei seinem Verständnis der richterlichen Entscheidungstätigkeit normalerweise keine Entscheidungsalternativen ergeben; vgl. auch Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 133 ff.; ders., Rechtssoziologie, Bd. 2, S. 231 ff. 28 Dazu bereits Max Weber, Methodologische Schriften, S. 4 f.

Ί*

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4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

rechtspolitischen Impetus und Darlegung der voraussichtlichen Konsequenzen der Annahme der möglichen Normalternativen der Vorzug des gewählten Lösungsansatzes gerechtfertigt wird. Die Begründung eines Lösungsansatzes; welche die Heterogenität des Anwendungsbereichs ihres Normvorschlags oder die Möglichkeit anderer Konfliktsregelungen nicht zur Kenntnis nimmt, kann schwerlich Plausibilität erzeugen und berechtigt zu Zweifeln an der Sachgerechtigkeit der Normwahl. Ebensowenig kann inhaltliche Plausibilität dann erzeugt werden, wenn die konkreten gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen, anhand derer der Vorzug eines Normvorschlags gemessen wird, nicht mitgeteilt werden, da nur bei Benennung des gesellschaftspolitischen Impetus die Normwahl nachvollziehbar und nachprüfbar wird. Erweisen sich schließlich für entscheidungserhéblich angesehene empirische Annahmen als unhaltbar, so rechtfertigt dies ohne weiteres die Zurückweisung eines Normvorschlags als inadäquate Regelung des zu ordnenden Fallbereichs. II. Inhaltliche Plausibilität der vertretenen Lösungsansätze 1. Zur inhaltlichen Plausibilität der Rechtfertigung der Lösungsansätze Nach der rechtspolitischen Richtigkeit einer Norm bzw. der rechtspolitischen Rechtfertigung einer Norm kann sinnvollerweise nur dann gefragt werden, wenn die betreffende Norm als Stellungnahme zu einem bestimmten gesellschaftlichen Problem begriffen werden kann und nicht lediglich als rechtstechnische Regel, die zwar unter dem Gesichtspunkt besserer Kommunizierbarkeit einer Entscheidung relevant sein kann, aber keinen Vorschlag zur Regelung eines sozialen Konflikts enthält. Die Frage der rechtlichen Behandlung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private spricht nun unzweifelhaft gesellschaftspolitische Ordnungsprobleme an, so daß Stellungnahmen zu dieser Frage notwendigerweise Vorschläge zur Ordnung bestimmter sozialer Beziehungen enthalten müßten, die auf ihre inhaltliche Plausibilität h i n untersucht werden könnten. Bei der Überprüfung der vertretenen Lösungsvorschläge stellt sich jedoch das Problem, daß die jeweils tatsächlich gemeinten inhaltlichen Empfehlungen aus den jeweiligen Begründungszusammenhängen kaum auszusondern sind. Dies liegt einmal daran, daß die den Lösungsansätzen zugrundegelegten Normhypothesen m i t dem tatsächlich intendierten Problemlösungsverhalten nicht übereinstimmen, sondern eher den Stellenwert dogmatischer Deutungsversuche besitzen, und zum anderen liegt es daran, daß rechtstechnische und inhaltliche Empfehlungen weitgehend vermengt werden. Das gilt beson-

. Inhaltliche Plausibilität ders für die Lösungsvorschläge der Anhänger einer dualistischen Konstruktion von Verfassungsrecht und Privatrecht. a) Dualistischer Ansatz Den Lösungsansätzen der Vertreter eines dualistischen Ansatzes läßt sich lediglich folgende Regel für die Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private entnehmen: Grundsätzlich ist allein nach privatrechtlichen Normen zu entscheiden; nur soweit privatrechtliche Bestimmungen keinen hinreichenden Freiheitsschutz gewähren, sind auch die Grundrechte (mittelbar) heranzuziehen 1 . Diese Empfehlung besagt inhaltlich zunächst gar nichts, da sie die entscheidende Frage offenläßt, wann denn der privatrechtliche Freiheitsschutz als nicht mehr hinreichend anzusehen ist. Eine inhaltliche Tendenz erfährt die genannte Regel erst aus dem Argumentationszusammenhang, der darauf hindeutet, daß die Heranziehung von Grundrechten die Ausnahme bleiben soll. Grundsätzlich soll es demnach bei der privatrechtlichen Zuordnung von Freiheitspositionen bleiben, d. h. die Freiheit desjenigen, der aufgrund seiner ökonomischen Überlegenheit als Arbeitgeber, Vermieter, Familienvater oder Kreditgeber die Grundrechtsrealisierung anderer i n seinem Sinne beeinflussen kann, ist weiterhin i n demselben Maße zu schützen wie die Freiheit des jeweils anderen, auf die Verwirklichung von Grundfreiheiten zu verzichten 2 . Auch weiterhin soll es möglich sein, die Grundrechte anderer zu beeinträchtigen und die Beeinträchtigung von Grundrechten hinzunehmen. Diese Abwehrhaltung gegen eine verstärkte Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns w i r d nun nicht als rechtspolitischer Vorschlag, sondern als zwingendes verfassungsrechtliches Gebot verstanden, das jede Erwägung von Alternativen von vornherein ausschließt. So ist es möglich, daß von den Vertretern eines dualistischen Ansatzes zwar eingeräumt wird, die individuelle Freiheit werde gerade auch von außerstaatlichen Mächten bedroht und daher bestehe ein praktisches Bedürfnis nach verstärktem Grundrechtsschutz auf der Privatrechts-

1 Vgl. Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 178; ders., i n : Maunz - Dürig, Anm. 132 zu A r t . 1 Abs. I I I GG; Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 81; W. Geiger, S. 35 ff.; Mikat, S. 587 ff.; Wintrich, S. 9 f.; BVerfG 7/205; siehe auch Scholz, S. 4 f.; Reiner Schmidt, S. 246 f. 2 Vgl. dazu Dürig, i n : Festschrift für Nawiaski, S. 159 ff.; siehe auch Bydlinski, österr.Z.f.öff.R. X I I , S. 441; es ist Bydlinski, S. 434 f., zwar zuzugestehen, daß das moderne Privatrecht den ökonomisch Schwächeren nicht mehr v ö l l i g schutzlos stellt, n u r beschränkt sich dieser Schutz, w i e Bydlinskis eigene Beispiele erhellen, wesentlich auf einen wirtschaftlichen Existenzschutz.

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ebene3, u m dann aber gleichwohl einen derartigen Grundrechtsschutz aus Rechtsgründen abzulehnen 4 . M i t dieser Argumentation w i r d nun gerade das verweigert, was man von der Begründung eines Lösungsvorschlags verlangen muß, wenn Konsensfähigkeit intendiert ist: eine eigenverantwortliche rechtspolitische Rechtfertigung des Normvorschlags. M i t dem Hinweis auf die privatrechts- bzw. freiheitszerstörenden Wirkungen einer Grundrechtsanwendung auf der Privatrechtsebene 5 werden zwar auch rechtspolitische Gesichtspunkte zur Bestätigung der Richtigkeit der „rechtlich gebotenen" Lösung vorgetragen, doch können diese schwerlich Plausibilität erzeugen. M i t dem Hinweis auf die zerstörerischen Wirkungen einer Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns w i r d eine Gegenposition aufgebaut — uneingeschränkte Grundrechtsanwendung, insbesondere auch des Gleichheitssatzes, auf privatrechtliches Handeln — welche i n der Tat den verfassungsrechtlichen Rahmen der Problemlösung überschreiten würde, i n dieser Form aber auch von niemanden vertreten wird. Verfassungsrechtlich zulässige Alternativen werden m i t dieser Argumentation dagegen nicht getroffen 6 . Indem auf diese Weise der Problemlösungshorizont unzulässig verkürzt wird, begeben sich die Vertreter eines dualistischen Ansatzes von vornherein der Möglichkeit, ihren Lösungsentwurf als sachgerechte Regelung des angesprochenen Fallbereichs darzustellen. b) Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt Waren schon dem dualistischen Lösungsansatz keine inhaltlich konkretisierbaren Entscheidungsregeln, sondern lediglich eine ziemlich undifferenzierte Abwehrhaltung gegen eine zu weit gehende Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns zu entnehmen, so liefert auch der

3 Vgl. Dürig, i n : Festschrift für Nawiaski, S. 166; ders., i n : Maunz-Dürig, A n m . 57 zu A r t . 2 Abs. I GG; Klein, i n : v. Mangoldt - Klein, Vorbem. A I I 4 c; Reimers, Die Bedeutung der Grundrechte, S. 17 f.; Mikat, S. 586; Maunz, S. 104; Schneider, N J W 1954, S. 941; Vogt, S. 56; Wespi, S. 3 f. 4

Vgl. ζ. B. Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 183. Vgl. Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 183; ders., i n : Maunz - Dürig, A n m . 129 zu A r t 1 Abs. I I I GG; Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 179; Hesse, S. 141; W.Geiger, S. 37, 26; Mikat, S. 587; R.Schmidt, S. 245; s.a. Bydlinski, österr.Z.f.öff.R. X I I , S. 450 f. 6 Vgl. zu dieser Argumentation auch Nipperdey, i n : Grundrechte, I V , 2, S. 754; Gamillschegg, AcP 164, S. 412 f.; Reichenbaum, S. 120; Brecher, S.41; Roth-Stielow, S. 73. 5

. Inhaltliche Plausibilität Lösungsansatz Schwabes nur recht globale, wenn auch weniger inhaltsarme Entscheidungsregeln: Jedes privatrechtlich zu duldende Handeln, welches die Freiheiten anderer beeinträchtigt, ist an den Grundrechten zu messen7; lediglich die Gleichheitsrechte dürfen prinzipiell nicht zur Beurteilung privatrechtlicher Konflikte herangezogen werden 8 . Auch Schwabe versteht seinen Lösungsvorschlag nicht als rechtspolitischen Entwurf, sondern als notwendige Folge verfassungsrechtlicher und rechtstheoretischer Erwägungen; jede andere Lösung ist für ihn bereits aus logischen Gründen ausgeschlossen. Die Fragen der politischen Wünschbarkeit bzw. der Sachgerechtigkeit einer bestimmten Entscheidungspraxis sind für Schwabe keine erkenntnisleitenden Gesichtspunkte. Die Lösung w i r d vielmehr auf einen ganz formalen Argumentationsgang gestützt, bei dem die Struktur der zu regelnden Konflikte und gesellschaftspolitische Leitbilder nicht diskutiert zu werden brauchen. Es liegt auf der Hand, daß eine auf jede Sachnähe verzichtende, rein theoretische Herleitung eines Lösungsvorschlags die Sachgerechtigkeit einer so gefundenen Lösung weitgehend dem Zufall überläßt. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Entscheidungsregeln Schwabes nicht dennoch zu vernünftigen Lösungen führen könnten — für die Regel der prinzipiellen Unanwendbarkeit des Gleichheitssatzes soll dies allerdings bezweifelt werden —, nur ist eine Begründung, welche jede materiale Argumentation vermissen läßt, i n keiner Weise geeignet, den Lösungsvorschlag unter dem Gesichtspunkt der Sachgerechtigkeit plausibel zu machen. c) Absolute Geltung der Grundrechte I m Unterschied zu den Vertretern eines dualistischen Ansatzes bieten die Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte überwiegend konkretere Entscheidungsregeln an. Lediglich Leisner t r i t t für eine durchgängige Anwendbarkeit der 1 Grundrechte auf privatrechtliche Konflikte ein 9 . Doch obwohl Leisner selbst auf die Unabhängigkeit einer positivrechtlich eindeutigen Entscheidung i n der Drittwirkungsfrage hinweist 1 0 , schreckt auch er vor einer explizit rechtspolitischen Rechtfertigung seines Lösungsvorschlags zurück. Pragmatische Gründe — wie die Feststellung eines Bedürfnisses nach erweitertem Grundrechtsschutz auf der Privatrechtsebene — haben für 7

Vgl. Schwabe, S. 26. Vgl. Schwabe, S. 151. 9 Grundrechte u n d Privatrecht, S. 378 ff. 10 Vgl. a.a.O., S. 335, siehe auch S. 289 ff.

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Leisner keinen selbständigen Erkenntniswert, sondern gewinnen Bedeutung erst auf dem Hintergrund einer entsprechenden gesetzgeberischen Intention 1 1 . Damit weicht Leisner doch wieder auf eine rechtliche Begründung seines Lösungsansatzes aus, die dann besonders wenig überzeugend w i r k t , wenn zuvor die methodologische Zweifelhaftigkeit eines solchen Vorgehens erörtert worden ist 12 . Ob für so generelle Entscheidungsregeln, wie Leisner sie gibt, überhaupt eine überzeugende inhaltliche Begründung geliefert werden kann, ist eine andere Frage, auf die weiter unten einzugehen sein w i r d ; nur würde die Unmöglichkeit einer plausiblen rechtspolitischen Rechtfertigung eher gegen als für die Sachgerechtigkeit dieses Lösungsansatzes sprechen. Den übrigen Lösungsansätzen ist weitgehend gemeinsam, daß die A n wendbarkeit der Grundrechte vom Vorliegen bestimmter Merkmale der zu beurteilenden privatrechtlichen Beziehungen abhängig gemacht wird, wobei allerdings von den einzelnen Autoren jeweils unterschiedliche Merkmale für maßgeblich gehalten werden. I m einzelnen werden insbesondere folgende Gesichtspunkte für entscheidend angesehen: (1) Die Beteiligten einer Privatrechtsbeziehung. Der daran anknüpfende Normvorschlag lautet: Die Grundrechte finden Anwendung auf Rechtsbeziehungen des einzelnen zu Gruppen oder Verbänden 13 . (2) Der personale Bezug der Rechtsbeziehungen. Normvorschlag: Bei personal betonten Rechtsbeziehungen, insbesondere Arbeitsverhältnis und Ehe, sind die Grundrechte anzuwenden 14 . (3) Die Form, i n der ein am Privatrechtsverhältnis Beteiligter tätig wird. Norm Vorschlag: Die Grundrechte finden Anwendung, wenn einer der Beteiligten Regeln schafft bzw. anwendet, die für eine Vielzahl künftiger Rechtsbeziehungen gelten sollen 15 . (4) Das Machtgefälle zwischen den an einem Privatrechtsverhältnis Beteiligten. Der entsprechende Normvorschlag lautet: Ist einer der Beteiligten wirtschaftlich oder sozial so überlegen, daß für den anderen faktisch kein Handlungsspielraum mehr besteht, so finden die Grundrechte Anwendung 1 6 .

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Vgl. Leisner, a.a.O., S. 334. Vgl. Leisner, a.a.O., S. 287 ff. 13 Vgl. Reichenbaum, S. 140 f.; Brecher, S. 42. 14 Vgl. Brecher, S. 42. 15 Vgl. Brecher, S. 42; Laufke, S. 182. 16 Vgl. Nipperdey, i n : Die Grundrechte, I V , 2, S. 752 ff.; ders., i n : Festschrift für Molitor, S. 27 ff.; Gamillschegg, A c P 164, S. 407; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S.157. 12

. Inhaltliche Plausibilität (5) Der Inhalt der Vereinbarungen. Norm Vorschlag: Bewirkt eine Vereinbarung die völlige Entäußerung einer Freiheitsposition, so finden die Grundrechte Anwendung 1 7 . Die Begründungen der aufgeführten Normvorschläge teilen die Schwäche aller bisher behandelten Begründungen: Die Normvorschläge werden alle aus mehr oder weniger allgemeinen Rechtssätzen hergeleitet, wodurch i n unzulässiger Weise die pragmatische Erörterung von Alternativen überflüssig gemacht wird. Dies gilt selbst für Gamillschegg 18 , der zwar einerseits die Relativität der herkömmlichen Auslegungsmethoden 19 und den rechtsetzenden Charakter richterlichen Entscheidens betont 20 , seinen eigenen Lösungsvorschlag dann aber m i t einem der prekärsten juristischen Argumentationsmittel — der Analogie — 2 1 begründet 22 , ohne das so gewonnene Ergebnis einer hinreichenden rechtspolitischen Richtigkeitskontrolle zu unterziehen. Die generelle Beschränkung der Grundrechtsanwendung auf Rechtsbeziehungen des einzelnen zu sozialen Gewalten 2 3 rechtfertigt Gamillschegg lediglich m i t dem Hinweis auf den Primat der Vertragsfreiheit, wobei offen bleibt, w a r u m die Grundrechte dann nicht wenigstens auf außervertragliche Rechtsbeziehungen oder i m Verhältnis zwischen Eheleuten Anwendung finden können 24 . Auch bei den anderen Lösungsvorschlägen bleibt offen, warum die Grundrechte gerade nur bei den angegebenen Fallkonstellationen zur Anwendung gelangen sollen und nicht auch bei den von einem anderen Autor vorgeschlagenen Konfliktsituationen. Die weitgehende Beschränkung auf rechtliche Überlegungen, der Verzicht auf eine genauere Analyse des zu regelnden Fallbereichs und die fehlende Erörterung anderer Regelungsmöglichkeiten lassen die Vorschläge zum Anwendungsbereich der Grundrechte auf der Privatrechtsebene als relativ w i l l k ü r l i c h und damit wenig sachgerecht erscheinen. d) Ergebnis Den diskutierten Lösungsansätzen ist gemeinsam, daß sie allgemeine Aussagen zur rechtlichen Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private enthalten. Dabei w i r d mit 17 Vgl. Nipperdey, i n : Die Grundrechte, I V , 2, S. 754; ders., i n : Festschrift für Molitor, S. 27; Ramm, Willensbildung, S. 58 ff. 18 Gamillschegg, AcP 164, S. 385 ff. 19 Vgl. AcP 164, S. 405 f. 20 Vgl. AcP 164, S. 444 f. 21 Z u m Begründungswert der Analogie vgl. Weinberger, Rechtslogik, S. 338. 22 Vgl. A c P 164, S. 406 f. 23 Vgl. A c P 164, S. 407 f. 24 V g l AcP 164,S. 414.

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4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

diesen Aussagen der Anspruch verbunden, nicht nur rechtstechnische Regeln, sondern auch inhaltliche Richtlinien zur Entscheidung von Fällen der genannten A r t zu vermitteln. Diese Richtlinien haben sich jedoch bei näherem Hinsehen entweder als ziemlich allgemein oder aber, wenn sie konkreter gefaßt waren, als relativ w i l l k ü r l i c h erwiesen. Zumindest aber sind die für die Normvorschläge vorgetragenen Gründe nicht geeignet, diese als sachgerechte Regelung des zu ordnenden Bereichs sozialer Konflikte plausibel zu machen. Dieser Mangel an Plausibilität beruht i n erster Linie darauf, daß die Normvorschläge nicht als rechtspolitische Entwürfe, sondern als Konsequenz geltender Rechtssätze begründet werden und deshalb weder eine nähere Auseinandersetzung mit dem Fallbereich noch eine pragmatische Auseinandersetzung m i t anderen Lösungsmöglichkeiten stattfindet. Wertungsprobleme werden entweder nur sehr global thematisiert oder aber sehr speziell auf einzelne Beispielsfälle bezogen. Dabei bleibt dann der Bezug der exemplarischen Detailbewertung zur allgemeinen Regel meist insofern ungeklärt, als die Beispielsfälle den allgemeinen Normvorschlag nicht als solchen zu konkretisieren vermögen, sondern nur eine unter vielen möglichen speziellen Unternormen aufzeigen und insofern keinen Abgrenzungswert für den allgemeinen Normvorschlag besitzen. Ist somit keine der vorgebrachten Begründungen geeignet, einen Lösungsvorschlag als gute Regelung des angesprochenen Fallbereichs konsensfähig darzustellen, so soll i n einem letzten Abschnitt auf die Frage eingegangen werden, ob denn die in der Drittwirkungskontroverse vorgetragenen Lösungsvorschläge — gemessen an den Anforderungen, die an die rechtspolitische Rechtfertigung eines Normvorschlags zu stellen sind — überhaupt hinreichend begründbar sind. 2. Zur rechtspolitischen — Rationalität

Begründbarkeit

der vertretenen

Lösungsansätze

eines allgemeinen Lösungsansatzes —

Die rechtspolitische Begründbarkeit der vertretenen Lösungsansätze hängt primär davon ab, ob die mit den Normvorschlägen jeweils angesprochenen Fallgruppen hinreichend vergleichbare Konfliktsmerkmale aufweisen und gemeinsame Wertungsprobleme aufwerfen. N u r wenn die von einem Normvorschlag erfaßten Fälle durch eine gemeinsame inhaltliche Problematik verbunden sind, ist es möglich, den Normvorschlag als sachgerechte Regelung dieses Fallbereichs auszuweisen. Es ist daher erforderlich, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, i n welchen Situationen Grundrechtskonflikte zwischen Privaten auftreten können, um dann anhand einer Ubersicht möglicher Fallgruppen zu prüfen, inwieweit sich die diskutierten Normvorschläge an Gemeinsamkeiten der Konfliktssituation und der Wertungsprobleme orientieren.

. Inhaltliche Plausibilität a) Typen von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private Während die i n der Einführung genannten Fallbeispiele lediglich eine Veranschaulichung des m i t der Drittwirkungsdiskussion angesprochenen Bereichs sozialer Konflikte dienen sollten, geht es nunmehr darum, den Fallbereich nach übergeordneten Merkmalen zu strukturieren, u m so eine bessere — wenn auch nicht notwendig vollständige — Ubersicht über die möglichen Fallgruppen zu gewinnen, auf die bei der Überprüfung der verschiedenen Lösungsansätze zurückgegriffen werden kann. Dabei sind mehrere Kriterien denkbar, nach denen Fallgruppen gebildet werden könnten. Insbesondere kommen drei Einteilungsgesichtspunkte i n Betracht: (1) Die verschiedenen Lebensbereiche, denen die Konflikte jeweils zuzuordnen sind, wie etwa Arbeitsverhältnis, Familie, Mietverhältnis, Wettbewerb u. ä. (2) Gemeinsamkeiten der faktischen Struktur der Konflikte wie Herrschaftsbeziehung zwischen den Beteiligten, emotioneller Charakter der Beziehungen, ökonomisches Gleichgewicht zwischen den Beteiligten. (3) Gemeinsamkeiten der rechtlichen Struktur der Beziehungen wie etwa vertragliche oder außervertragliche Beziehungen, A r t der betroffenen Rechtsposition, Vertragstyp u. ä. I m folgenden sollen die Fallgruppen in erster Linie nach der rechtlichen Ausgestaltung der jeweiligen Rechtsbeziehungen gebildet werden, um den nachfolgenden Überlegungen nicht mehr als notwendig vorzugreifen. I m einzelnen lassen sich etwa folgende Fallgruppen unterscheiden 25 : (1) Grundrechtskonflikte i n privaten Gewaltverhältnissen. Z u den privaten Gewaltverhältnissen sollen solche durch Gesetz oder Vertrag begründeten und auf Dauer angelegten Rechtsbeziehungen gezählt werden, bei denen der „Gewaltunterworfene" als Arbeitnehmer, K i n d oder Benutzer einer privaten Einrichtung sich über längere Zeit i m Einflußbereich des Gewalthabers aufhält und dessen durch Gesetz oder Vertrag begründeten Direktionsrecht unterworfen ist. Zu den privaten Gewaltverhältnissen werden gezählt das Arbeitsverhältnis 2 6 , die Eltern25

Dabei w i r d zur Veranschaulichung der Fallgruppen jeweils auf die einschlägigen Fallbeispiele i m 1. Teil, I I , verwiesen, die durch weitere Recht sprechungs- und Literaturhinweise ergänzt werden. 26 Vgl. dazu oben (1. Teil, II) die Fälle 2, 6 und 16 m i t den jeweiligen Rspr.nachw. Vgl. i m übrigen zu Grundrechtskonflikten i m Arbeitsverhältnis Gamillschegg, A c P 164, S. 385 ff.; Brecher, S. 29 ff.; Conrad, Freiheitsrechte u n d Arbeits Verfassung; Olbersdorf, A u R 1958, S. 193 ff.; Lepke, D B 1968, S. 1990 ff., 2037 ff.; Schmittner, A u R 1968, S. 353 ff.; siehe auch Hoff mann, K J 1970, S. 48 ff.; Stein, i n : Festschrift f ü r Brenner, S. 269 ff.

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Kind-Beziehung 2 7 sowie die Benutzungsverhältnisse i n privaten Anstalten wie Privatschulen 28 , Privatkliniken und privaten Altenheimen. (2) Grundrechtskonflikte i n Mitgliedschaftsverhältnissen. Hierzu zählen alle diejenigen Grundrechtskonflikte, die zwischen dem einzelnen als Mitglied eines Verbandes und einem Verband auftreten können, sowie solche Konflikte, die sich bei der Aufnahme bzw. Nichtaufnahme i n einen Verband ergeben können 29 . (3) Grundrechtskonflikte zwischen Eheleuten. M i t dieser Fallgruppe sind sowohl die Grundrechtskollisionen während des Bestehens einer Ehe als auch die — eher praktisch werdenden — Grundrechtskollisionen nach Auflösung der Ehe angesprochen 30. (4) Grundrechtsbeeinträchtigungen durch private Normsetzung. Zur privaten Normsetzung zählen insbesondere die Schaffung allgemeiner Geschäftsbedingungen, die Festlegung von Einheitsmietverträgen,der Abschluß von Tarifverträgen 3 1 und Betriebsvereinbarungen 32 . (5) Freiheitsbeschränkende Verträge. Hierzu zählen diejenigen Fälle, bei denen durch Einzelvertrag die Verpflichtung übernommen wird, von bestimmten Freiheiten keinen Gebrauch zu machen. Z u nennen wären hier ζ. B. Wettbewerbsvereinbarungen 33 , Mietverträge 3 4 oder die vertragliche Verpflichtung auf eine bestimmte Tendenz 35 .

27 Vgl. dazu oben (1. Teil, I I ) F a l l 11. Z u Grundrechtskonflikten i n der Eltern-Kind-Beziehung vgl. insbes. Kuhn, S. 23 ff.; Westermann, K J 1969, S. 355 ff.; Hildegard Krüger, Ehe und Familie 1956, S. 329 ff.; Herzog, in: Maunz - Dürig, A n m . 22 f. zu A r t . 5 GG. 28 Vgl. dazu den F a l l des O L G Stuttgart, N J W 1971, S. 2075. 29 Vgl. oben (1. Teil, I I ) die Fälle 1 u n d 4 m i t Rspr.nachw. Vgl. weiterhin Victor, K J 1970, S. 203 ff.; Birk, J Z 1972, S. 343 ff. 30 Vgl. oben (1. Teil, I I ) F a l l 10. Vgl. auch B G H JZ 1972, S. 559; Ramm, JZ 1968, S. 41 ff., 90 ff.; Hildegard Krüger, i n : Krüger - Breetzke - Now ack, Einl. Rdn. 256 ff. 31 Vgl. oben (1. Teil, I I ) FaU 5 m i t Rspr.nachw.; vgl. w e i t e r h i n B A G 11/195 ff.; 11/329 ff.; 14/61 ff.; 18/217 ff. 32 Vgl. B A G 11/338 ff.; 17/305 ff.; 19/300 ff. 33 Vgl. B A G 3/296 ff.; 6/291 ff.; 17/338 ff. 34 Vgl. oben (1. Teil, I I ) F a l l 9. Vgl. i m übrigen Hummel, Z M R 1971, S. 265 ff. 35 Z u r vertraglichen Festlegung auf eine bestimmte wissenschaftliche A u f fassung vgl. B G H N J W 1958, S. 138.

. Inhaltliche Plausibilität (6) Diskriminierungstatbestände 36 . M i t dieser Fallgruppe sind vor allem Fälle der Diskriminierung bei Vertragsschluß 37 sowie des Ausschlusses von freiwilligen Zuwendungen 38 gemeint. (7) Unternehmensschädigende Äußerungen. Darunter fallen insbesondere Fälle des Boykotts 3 9 und Fälle der öffentlichen K r i t i k an gewerblichen Erzeugnissen und Dienstleistungen 40 . (8) Persönlichkeitsrechtsverletzungen 41 . b) Die vertretenen Normvorschläge und deren Anwendungsbereich — Zur Einheitlichkeit der Problemlage der jeweils erfaßten Fallgruppen — Schon die grobe Übersicht über die häufigsten Typen von Grundrechtskonflikten zwischen Privaten legt die Vermutung nahe, daß es unter dem Gesichtspunkt der Sachnähe der Konfliktslösungen wenig sinnvoll ist, einen einheitlichen Lösungsvorschlag für alle Fälle der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private zu entwerfen. Die m i t der Drittwirkungskontroverse angesprochenen Fallgruppen sind nicht nur hinsichtlich der A r t der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten recht verschieden — wobei sich diese Verschiedenheit m i t der Unterscheidung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Rechtsbeziehungen kaum hinreichend ausdrücken läßt —, sondern auch hinsichtlich der faktischen Struktur der Konflikte und der jeweils aufgeworfenen Wertungsprobleme. Eine Regel des Inhalts, daß die Grundrechte nur i n Ausnahmefällen zur Entscheidung privatrechtlicher Konflikte herangezogen werden dürften 42 , bzw. des Inhalts, daß die Grundrechte grundsätzlich auch auf 36 Allgemein zum Tatbestand der Diskriminierung vgl. Rehbinder, Einführung i n die Rechtssoziologie, S. 155 ff. 37 Vgl. oben (1. Teil, I I ) die Fälle 3, 8 und 18. 38 Vgl. dazu Mikat, S. 581 ff. 39 Vgl. oben (1. Teil, I I ) F a l l 17 m i t Rspr.nachw. Vgl. dazu auch Nipperdey, DVB1. 1958, S. 445 ff.; Biedenkopf, JZ 1965, S. 553; Weick, Der Boykott zur V e r folgung nichtwirtschaftlicher Interessen; v. Koller, Meinungsfreiheit u n d u n ternehmensschädigende Äußerung. 40 Vgl. oben (1. Teil, I I ) F a l l 13 m i t Rspr.nachw. Vgl. weiterhin Kübler, AcP 172, S. 117 ff.; ders., Wirtschaftsordnung und Meinungsfreiheit; v. Koller, a.a.O.; siehe auch Wiethölter, K J 1970, S. 121 ff. 41 Vgl. oben (1. Teil, I I ) F a l l 19 m i t Rspr.nachw. Vgl. i m übrigen Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht; Scholler, Person u n d Öffentlichkeit. 42 So die Vertreter eines dualistischen Ansatzes, s. o. 4. Teil, I I , 1 a.

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privatrechtliches Handeln anzuwenden seien 43 , impliziert jedoch die Aussage, daß die Bejahung bzw. Verneinung einer Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns i n allen denkbaren Konfliktsituationen Ausdruck derselben rechtspolitischen Leitvorstellung sein könne; denn nur wenn ein übergreifender und zugleich hinreichend konkretisierbarer materialer Leitgedanke einer derartigen Regel benannt werden kann, ist eine inhaltliche Begründung möglich. Dabei ergibt sich die Notwendigkeit der Konkretisierbarkeit des gesellschaftspolitischen Leitbildes aus der Notwendigkeit der Kontrollierbarkeit der Begründung als Voraussetzung ihrer Konsensfähigkeit. Die rechtspolitische Rechtfertigung eines Normvorschlags ist nur kontrollierbar, wenn die Konsequenzen der Annahme des Normvorschlags an der i h m zugrundeliegenden materialen Zielvorstellung gemessen werden können, und dies ist wiederum nur möglich, wenn die Zielvorstellung für den Einzelfall konkretisierbar ist. Aus diesem Grunde bietet der Hinweis auf die Notwendigkeit der Erhaltung der privatrechtlichen Entfaltungsfreiheit 44 bzw. auf die Notwendigkeit der Hinwendung zu einem materialen Freiheitsdenken 45 keinen ausreichenden materialen Bezugspunkt für die inhaltliche Begründung des jeweils zugehörigen Normvorschlags. Die genannten Leitprinzipien sind allenfalls dann für den Einzelfall konkretisierbar, wenn sie als Extrempositionen — strikt formales Freiheitsverständnis / strikt egalisierendes Freiheitsverständnis — formuliert werden. Diese beiden Extrempositionen überschreiten jedoch den vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmen legitimer gesellschaftspolitischer Leitbilder. Schwächt man aber diese Leitprinzipien verfassungsnotwendig dahin ab, daß auf der einen Seite ein eher formales Freiheitsverständnis und auf der anderen Seite ein eher materiales Freiheitsverständnis angestrebt wird, so bleibt für den Einzelfall völlig offen, wie der Ausgleich kollidierender Entfaltungsansprüche vorzunehmen ist. Die Entscheidung darüber, welcher der kollidierenden Freiheitspositionen der Vorrang einzuräumen ist, kann nur unter Bezugnahme auf konkretere gesellschaftspolitische Ordnungsvorstellungen gefällt und begründet werden. M i t der Orientierung an spezielleren gesellschaftspolitischen Leitbildern entfällt jedoch die Möglichkeit, die grundsätzliche Ablehnung oder Bejahimg einer Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns als Ausdruck einer einheitlichen rechtspolitischen Leitvorstellung darzustellen, da es unmöglich ist, die konkreten gesellschaftspolitischen Leitbilder aus der allgemeinen Entscheidung 43 44 45

So Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 378 ff. Vgl. Dürig, i n : Festschrift f ü r Nawiaski, S. 168, 183. Vgl. Leisner, a.a.O., S. 143 ff., 333 f.

. Inhaltliche Plausibilität zugunsten eines eher formalen bzw. eines eher materialen Freiheitsverständnisses abzuleiten. Allgemeine Entscheidungsregeln, die für alle Fälle der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private gleichermaßen gelten sollen, sind daher inhaltlich nicht begründbar. Diese Aussage t r i f f t i n erster Linie die Lösungsvorschläge der Vertreter eines dualistischen Ansatzes sowie den Lösungsansatz Leisners. Desgleichen gilt sie für den Lösungsansatz Schwabes, der lediglich zwischen Freiheitsbeeinträchtigungen und Verstößen gegen den Gleichheitssatz differenziert. Die Normvorschläge Schwabes — Anwendbarkeit der Freiheitsrechte / keine Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes — sind bereits deshalb inhaltlich nicht begründbar, w e i l diese sich i n ihrer gesellschaftspolitischen Stoßrichtung weitgehend neutralisieren 4®. Aber auch für die Normvorschläge, die eine inhaltliche Richtlinie dafür zu geben versuchen, wann ein über den privatrechtlichen Interessenausgleich hinausgehender Freiheitsschutz zu gewähren ist 4 7 , ist zweifelhaft, ob diejenige Sachnähe gewahrt ist, die eine inhaltliche Begründung eines Normvorschlags erst möglich macht. Dabei ist problematisch vor allem der jeweilige negative Ausspruch der Normvorschläge, der besagt, daß es für alle die Fälle, die vom Normvorschlag nicht erfaßt werden, bei der rein privatrechtlichen Konfliktslösung bleibt. Dies w i r d bei Normvorschlägen etwa des Inhalts besonders deutlich, daß nur Gruppen und Verbände an die Grundrechte gebunden sein sollen 48 , oder, daß nur freiheitsbeschränkende Verträge an den Grundrechten zu messen seien 49 . Der von einer Grundrechtsanwendung ausgeschlossene Fallbereich ist hier jeweils so heterogen, daß die Verweigerung des Grundrechtsschutzes keinesfalls für alle betroffenen Konfliktsfälle auf dieselben materialen Erwägungen gestützt werden kann. Zur Begründung eines so weitgehenden Ausschlusses einer Grundrechtsanwendung auf privatrechtliches Handeln könnte man nur auf sehr allgemeine Prinzipien — z.B. Notwendigkeit der Erhaltung der privatrechtlichen Entfaltungsfreiheit — zurückgreifen, die aber nicht nur mangels Konkretisierbarkeit keine inhaltliche Plausibilität erzeugen könnten, sondern aufgrund ihrer Allgemeinheit notwendig auch für die Fälle eine Grundrechtsanwendung ausschließen würden, für die eine Anwendbarkeit der Grundrechte gerade bejaht werden sollte. 46

Siehe dazu oben 2. Teil, I I I , 1, c. Vgl. dazu die Lösungsansätze der Vertreter einer absoluten Geltung der Grundrechte, 4. Teil, I I , 1, c. 48 So Reichenbaum, S. 140 f. 49 So Ramm, Willensbildung, S. 58 ff. 47

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4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

Dies gilt i m Prinzip selbst für den häufiger vertretenen Normvorschlag, daß die Grundrechte immer dann anzuwenden seien, wenn aufgrund der ökonomischen oder sozialen Machtüberlegenheit einer Partei ein faktisches Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten eines Privatrechtsverhältnisses besteht 50 . Bei dieser Regel bleiben insbesondere die Rechtsbeziehungen zwischen Eheleuten, die meisten Diskriminierungstatbestände, Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die meisten Fälle unternehmensschädigender Äußerungen sowie Fälle freiwilliger Verfügung über Grundfreiheiten von einer Grundrechtsanwendung ausgeschlossen51. Nun mag es zwar gute Gründe dafür geben, ein Testament oder eine Schenkung nicht an A r t . 3 GG zu messen, etwa der Grund, daß jedem ein gewisser Bereich emotioneller Freiheit und damit ein Bereich w i l l kürlicher Handlungsmöglichkeiten erhalten bleiben müsse; m i t den Gesichtspunkten, die gegebenenfalls eine Diskriminierung rechtfertigen könnten, ließe sich aber kaum plausibel machen, w a r u m etwa die Rechtsbeziehungen zwischen Eheleuten nach Auflösung der Ehe von einer Grundrechtsanwendung ausgeschlossen sein sollen. Wieder völlig andere Wertungsprobleme tauchen bei der Frage auf, ob ein Boykottaufruf durch A r t . 5 GG gerechtfertigt sein kann oder ob der „wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit" wirklich ein absoluter Vorrang einzuräumen ist 52 . Der erwähnte Normvorschlag ist nicht nur hinsichtlich seines negativen Ausspruchs auf keinen einheitlichen materialen Regelungsgedanken rückführbar und daher i n dieser Form inhaltlich nicht begründbar, sondern auch hinsichtlich seines positiven Ausspruchs. Das Merkmal der faktischen Machtüberlegenheit einer Partei des Privatrechtsverhältnisses scheint zwar auf den ersten Blick ein relativ sachnaher A n knüpfungspunkt für eine Grundrechtsanwendung auf der Privatrechtsebene zu sein, bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß m i t diesem Merkmal Fallgruppen zusammengefaßt werden, die keineswegs durch eine gemeinsame inhaltliche Problematik gekennzeichnet sind. Das Merkmal faktischer Machtüberlegenheit eines Beteiligten t r i f f t u. a. für folgende Fallsituationen zu: Private Gewaltverhältnisse, private Normsetzung, den m i t wirtschaftlichen Druckmitteln durchgesetzten Boykott, Diskriminierung durch Monopole und die Herrschaft des Verbandes über das einzelne Mitglied. I n jeder dieser Fallsituationen ist für den jeweils Schwächeren die Möglichkeit der Grundrechtsverwirk50 So Nipperdey, i n : Festschrift für Molitor, S. 37 ff.; Gamillschegg, A c P 164, S. 407; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 157. 51 Insoweit w i r d allerdings von Nipperdey ein Kernbereichsschutz zugebilligt, vgl. i n : Festschrift f ü r Molitor, S. 27. 52 So Nipperdey, DVB1. 1958, S. 451.

. Inhaltliche Plausibilität lichung besonders gefährdet, so daß es naheliegt, i n Fällen dieser A r t einen besonderen Grundrechtsschutz zu gewähren. Diese Gemeinsamkeiten reichen jedoch nicht aus, u m die genannten Fallgruppen derselben Regel zu unterwerfen. Die Frage, ob tatsächlich i n jeder dieser Konfliktsituationen die Grundrechte zur Anwendung kommen sollen, kann wegen der unterschiedlichen Konfliktslage und Wertungsproblematik nur für jeden Falltypus gesondert beantwortet und begründet werden. Die Notwendigkeit einer spezifischen Begründung der Anwendbarkeit der Grundrechte bedeutet aber, daß für jeden Falltypus eine eigene Norm gebildet wird, wobei es sogar erforderlich sein kann, innerhalb einer Fallgruppe noch weitere Differenzierungen — etwa nach dem jeweiligen Lebensbereich, dem ein Konflikt entstammt — vorzunehmen. So ist es z.B. nicht möglich, die Norm, daß Träger privater Macht an die Grundrechte gebunden seien, für das Arbeitsverhältnis, die Eltern-Kind-Beziehung und das Verhältnis des Mitglieds zum Verband auf denselben materialen Regelungsgedanken zurückzuführen, obwohl die drei genannten Fallsituationen i m Vergleich zu anderen noch relativ viel gemeinsam haben. Es ließe sich zwar m i t dem Gesichtspunkt der Demokratisierung ein gemeinsamer materialer Bezugspunkt einer derartigen Regel nennen, nur bietet dieser Gesichtspunkt allein kein hinreichend konkretes gesellschaftspolitisches Leitbild, anhand dessen die genannte Vorschrift als Vorschlag zu einer wünschenswerten Ordnung der angesprochenen Lebensbereiche dargestellt werden könnte. Zwar sind alle drei Lebensbereiche dem Demokratisierungsgedanken prinzipiell zugänglich, nur impliziert die Entscheidung etwa zugunsten einer Demokratisierung des Arbeitsverhältnisses nicht zugleich die Entscheidung zugunsten einer Demokratisierung der Familie. Die jeweiligen Besonderheiten der sozialen Teilsysteme Betrieb, Familie und Verband und die daraus resultierenden unterschiedlichen Konsequenzen eines effektiven Grundrechtsschutzes werfen jeweils ganz spezifische Wertungsprobleme auf, deren Lösung sich notwendigerweise an spezielleren Leitbildern orientieren muß. Dabei bestehen Unterschiede primär i n der Interessenstruktur der i n dem jeweiligen Teilsystem verbundenen Personen und i n der Fähigkeit zur argumentativen Austragung von Konflikten. Betrieb und Verband erfüllen zwar beide — i m Gegensatz zur Familie — die Merkmale einer Organisation 53 , sie unterscheiden sich aber u. a. wesentlich hinsichtlich der Motivation der Mitglieder zum Beitritt zur Organisation und entsprechend hinsichtlich der Einstellung der M i t glieder zu den Organisationszielen. Erfolgt der Beitritt zu einem Ver53

Vgl. dazu Mayntz,

8 Eckhold-Schmldf

Soziologie der Organisation, S. 36 ff.

114

4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

band — etwa einer Gewerkschaft oder einer Partei — regelmäßig freiw i l l i g i n bewußter Entscheidung zugunsten der vom Verband verfolgten Ziele, so erfolgt der E i n t r i t t i n einen Betrieb wesentlich unter dem Zwang, durch eine Erwerbstätigkeit den eigenen Unterhalt verdienen zu müssen. Es bedarf keines Rückgriffs auf die marxistische Formel von Grundwiderspruch von Lohnarbeit und Kapital, u m zu erkennen, daß der Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft einen Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber konstituiert. Solange die Erträge eines Unternehmens nicht allen an dem Produktionsprozeß Beteiligten gleichermaßen zugutekommen, richtet sich das Interesse an Gewinnmaximierung immer auch gegen den A r beitnehmer, der den Gewinn ermöglicht, ohne für seine Leistung den vollen Gegenwert zu erhalten. D. h. i m Betrieb ist der Interessenkonflikt vorgegeben, während dies für den Verband gerade nicht gilt. Die Familie stellt demgegenüber ein soziales Gebilde dar, das wesentlich durch emotionale Bindungen geprägt und prinzipiell apolitisch ist. Divergierende Interessen einzelner Familienmitglieder treten hinter den persönlichen Bindungen zurück. Ein effektiver Grundrechtsschutz i n Betrieb, Familie und Verband bedeutet nun für jedes der drei sozialen Gebilde Schaffung neuer Konfliktsmöglichkeiten und Zwang zur argumentativen Austragung solcher Konflikte, die aus der Realisierung von Entfaltungsansprüchen resultieren. So verbietet etwa die Anerkennung der Meinungsäußerungsfreiheit des Arbeitnehmers, Verbandsmitglieds oder des Minderjährigen die autoritative Beendigung eines Meinungsstreits durch Sanktionen wie Kündigung, Verbandsausschluß oder Entzug von Zuwendungen. Sie nötigt vielmehr dazu, diesen Konflikt bis zu einem gewissen Grade per Diskussion auszutragen. Obwohl man dies für jeden der angesprochenen sozialen Bereiche für wünschenswert halten kann, ist deren Gleichbehandlung nicht ohne weiteres sachgerecht, da die Belastbarkeit des jeweiligen Typus sozialer Beziehungen unterschiedlich anzusetzen ist. Für einen politischen Verband ist das Ausdiskutieren von Meinungsverschiedenheiten kein Problem, solange der Konflikt nicht i n die Öffentlichkeit getragen wird. Sobald sich aber die Vertreter divergierender Meinungen auch öffentlich gruppieren, gerät durch eine derartige Fraktionsbildung die Funktionsfähigkeit des Verbandes als Vertreter bestimmter Interessen i n Gefahr. Dies gilt für den Betrieb nicht i n gleicher Weise. Zwar reagieren die Arbeitsgerichte meist dann besonders empfindlich, wenn die K r i t i k an der Unternehmensleitung i n die Öffentlichkeit getragen wurde 6 4 , doch w i r d die Funktionsfähigkeit eines Be54 Vgl. B A G 21/340 ff.; B A G K J 1972, S. 409 ff.; L A G Saarland, K J 1971, S. 319 ff.

II. Inhaltliche Plausibilität

115

triebes durch einen kritischen Leserbrief oder ein Flugblatt eines Belegschaftsmitglieds regelmäßig noch nicht berührt. I m übrigen hängt die Belastbarkeit durch Konflikte wesentlich von der Größe und der Struktur eines Betriebes ab. Dabei stellt sich noch das Wertungsproblem, ob nicht angesichts des vorgegebenen Interessenkonflikts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Grenze zumutbarer Konfliktsbelastung für den Betrieb wesentlich höher anzusetzen ist als für den Verband. Anders verhält es sich wieder m i t Konflikten innerhalb der Familie. Die Eltern-Kind-Beziehung stellt zwar einerseits das w o h l umfassendste Herrschaftsverhältnis auf der Privatrechtsebene dar, andererseits ist aber gerade i n dieser Beziehung ein Grundrechtsschutz des Minderjährigen äußerst prekär. Ein Verbot autoritativer Konfliktsbeendigung und der damit verbundene Zwang zur argumentativen Austragung von Konflikten führt zu einer Politisierung und Distanzierung der Beziehungen, die den Familienverband unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen psychisch und intellektuell viel eher überfordern würde als etwa die Belegschaft eines Betriebes. Gerade für die Eltern-KindBeziehung stellt sich daher die Frage, ob m i t der Bejahung eines durchgängigen Grundrechtsschutzes des Minderjährigen der judizielle Handlungsspielraum nicht insofern überschritten wird, als eine Bewußtseinslage antizipiert wird, die erst m i t anderen M i t t e l n — insbesondere B i l dungsarbeit — herzustellen ist, wenn die Kosten einer Grundrechtsanwendung auf familiäre Beziehungen nicht zu hoch sein sollen. Die aufgezeigten Unterschiede der inhaltlichen Problematik eines Grundrechtsschutzes i n Betrieb, Familie und Verband bedeuten zwar nicht, daß die Frage der Anwendbarkeit der Grundrechte notwendig jeweils unterschiedlich beantwortet werden müßte; sie nötigen aber dazu, die Frage der Anwendbarkeit der Grundrechte für jeden Typus sozialer Beziehungen anhand konkreter gesellschaftspolitischer Ordnungsvorstellungen jeweils gesondert zu entscheiden und zu begründen. Auch der Normvorschlag, daß Träger privater Macht an die Grundrechte gebunden sein sollen, kann daher i n dieser Allgemeinheit nicht als sachgerechte Regelung des angesprochenen Fallbereichs plausibel gemacht werden, wenn das Erfordernis der Kontrollierbarkeit der i m plizierten Wertungen aufrechterhalten werden soll. c) Ergebnis Die vertretenen Lösungsansätze halten sich auf einer Allgemeinheitsstufe, die es ausschließt, sie an konkretisierbaren gesellschaftspolitischen Leitbildern festzumachen. Die Normvorschläge zur rechtlichen Behandlung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private orientieren sich i n ihrem 8·

116

4. Teil: Inhaltliche Plausibilität

Anwendungsbereich zu wenig an der inhaltlichen Problematik der erfaßten Fallgruppen, als daß sie auf einen hinreichend konkreten materialen Regelungsgedanken zurückgeführt werden könnten. Dadurch entfällt die Möglichkeit einer sachnahen und kontrollierbaren Begründung dieser Normvorschläge. Sie sind daher i n der vertretenen Form rechtspolitisch nicht begründbar.

Fünfter Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung I. Bewertung der Drittwirkungskontroverse Die bisherige Diskussion über die rechtliche Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private leistet keinen Beitrag zur Erhöhung der Rationalität richterlicher Entscheidungsfindung i n Fällen der genannten A r t . Durch den Versuch, ein durch Normen nur äußerst vage determiniertes Regelungsproblem m i t Hilfe der herkömmlichen juristischen Erkenntnismittel zu lösen, w i r d der Problemlösungshorizont von vornherein verengt. M i t dem Anspruch, dieses Regelungsproblem i m Wege der Verfassungsinterpretation verbindlich lösen zu können, w i r d der Weg zu einer Diskussion der Sachgerechtigkeit der vertretenen Lösungen versperrt; zumindest w i r d eine derartige Diskussion funktionslos gemacht, da dem Gesichtspunkt der Sachgerechtigkeit eines Lösungsansatzes dann keine erkenntnisleitende Funktion beigemessen werden kann, wenn man der Fiktion anhängt, daß den einschlägigen Verfassungsnormen eine eindeutige Regelung entnommen werden kann. Indem aber die Sachgerechtigkeit möglicher Lösungsansätze nicht zum Gegenstand der Diskussion gemacht wird, bleiben die inhaltlichen Probleme einer Grundrechtsanwendung auf privatrechtliche Konflikte und die sich von da her anbietenden Entscheidungsalternativen weitgehend unerörtert. Die Drittwirkungskontroverse ist jedoch nicht nur dadurch gekennzeichnet, daß sie ihr Regelungsproblem m i t unzulänglichen Erkenntnismitteln zu lösen versucht und dadurch die vorhandenen Entscheidungsspielräume unzulässig verkürzt. Die Erörterung der rechtlichen Behandlung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private zeichnet sich weiterhin dadurch aus, daß sie durch ihr Festhalten an dem vermeintlichen inhaltlichen Gegensatz zwischen mittelbarer und unmittelbarer Grundrechtsanwendung auf der Privatrechtsebene über die Diskussion rechtstechnischer Konstruktionen kaum hinauskommt und dadurch jede praktische Relevanz einbüßt. So wenig ein Beitrag zur Klärung der inhaltlichen Problematik einer Grundrechtsanwendung auf privatrechtliche Konflikte geleistet wird, so wenig werden Begründungszusammenhänge bereitgestellt, welche eine

118

S.Teil: Zusammenfassung

plausible Darstellung gefundener Lösungen ermöglichen. Dabei vermögen die zur Rechtfertigung der vertretenen Lösungsansätze vorgetragenen Argumente nicht nur — wegen der Ausklammerung rechtspolitischer Erwägungen — keine inhaltliche Plausibilität zu erzeugen, sondern sie halten auch einer systemimmanenten Stimmigkeitskontrolle nicht stand. Diese Schwächen der Argumentation sind allerdings unausweichlich, da die vertretenen Regelungsvorschläge viel zu global sind, als daß sie als sachgerechte Regelung des zu ordnenden Bereichs sozialer Konflikte dargestellt und ohne Inkaufnahme von Widersprüchlichkeiten begründet werden könnten. II. Argumentationsregeln für die rechtliche Erfassung und Entscheidung von Fällen der Grundrechtsbeeinträchtigung durch Private 1. Die Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit von Grundrechten auf privatrechtliche Konflikte ist durch Normen nur insoweit determiniert, als die Lösung weder auf die Verwirklichung eines strikt formalen noch auf die Verwirklichung eines strikt egalisierenden Freiheitsverständnisses gerichtet sein darf. Innerhalb dieses vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmens der Problemlösung ist eine verbindliche Entscheidung zugunsten eines bestimmten Lösungsansatzes i m Wege der Sinnermittlung von Normen nicht möglich. 2. Die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht vermittelt kein geeignetes K r i t e r i u m für die Beantwortung der Frage, ob die Grundrechte zur Beurteilung eines Konflikts heranzuziehen sind. 3. Die Grundrechtsbindung privatrechtlichen Handelns ist primär ein Problem der Sozialgestaltung, dessen Thematisierung und sozialwissenschaftliche Aufarbeitung dem Entwurf und der Dogmatisierung eines Lösungsschemas notwendig vorausgehen muß. 4. Der mögliche Anwendungsbereich der Grundrechte auf der Privatrechtsebene steht nicht fest, sondern muß erst durch eine Analyse der verschiedenen Typen privatrechtlicher Konflikte erschlossen werden. Dabei sind die jeweiligen Folgen einer Grundrechtsanwendung sowie die funktionellen Grenzen des judiziellen Handlungsspielraums i n die Überlegungen m i t einzubeziehen. 5. Die Frage der Anwendbarkeit von Grundrechten auf Privatrechtsverhältnisse ist kein einheitliches Problem, sondern stellt sich für die verschiedenen Lebensbereiche und Typen privatrechtlicher Beziehungen jeweils anders. Die Wertungsprobleme einer Grundrechtsanwendung auf Privatrechtsverhältnisse sind daher nicht allgemein, sondern i n diskutierbarer Form nur für einzelne Falltypen formulierbar.

II. Argumentationsregeln

119

6. Die Anwendung bzw. Nichtanwendung von Grundrechten auf privatrechtliche Beziehungen orientiert sich notwendig an bestimmten gesellschaftspolitischen Leitbildern, die i m Interesse der Uberprüfbarkeit einer Entscheidung i n deren Begründung offenzulegen sind. Dabei ist innerhalb der von den vorgegebenen Normen belassenen Entscheidungsspielräume ein rechtspolitischer Pluralismus i n der Rechtsprechung unausweichlich. 7. Die Frage der Anwendungsform der Grundrechte auf der Privatrechtsebene ist kein inhaltliches, sondern ein rechtstechnisches Problem. Die unmittelbare Anwendungsform ist jedoch der mittelbaren Grundrechtsanwendung über privatrechtliche Generalklauseln vorzuziehen, da sie eine größere Transparenz des Rechtserkenntnisprozesses gewährleistet. Eine interpretative Heranziehung von Grundrechten i m Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung ist methodologisch nur insoweit vertretbar, als die auszulegende Privatrechtsnorm einen ermittelbaren eigenen sachentscheidenden Regelungsgehalt aufweist.

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