Leben in Berlin, Aufstand in Polen, Sendung nach Frankreich 1828-1833

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Leben in Berlin, Aufstand in Polen, Sendung nach Frankreich 1828-1833

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Aus

dem

Leben

des Generals der Infanterie 3. D.

Dr.

Heinrich

von

Brandt .

Z weiter Theil :

Leben in Berlin , Aufſtand in Polen, Sendung nach

Frankreich 1828 - 1833.

Aus den Tagebüchern und Aufzeichnungen ſeines verſtorbenen Vaters zuſammengeſtellt von Heinrich v. Brandt, Major im Nebenetat des großen Generalſtabes, à la suite des Pommerſchen Feld -Artiứerie-Regiments Nr. 2.

De

Berlin , 1869 . Ernſt Siegfried Mittler und Sohn , Königliche Hofbuchhandlung, (Kodſtraße 69.)

Mit Vorbehalt des Ueberſetungsrecht 8.

V or wo r t .

Die

herzliche

Waffengefährten

Theilnahme,

meines

welche

verſtorbenen

von

Vaters

alten den

und

jungen

Aufzeichnungen

ſeiner kriegeriſchen Erlebniſſe gewidmet worden iſt, die große Leſer Anzahl, welche das Buch, auch in nicht militairiſchen Kreiſen, ſchnell ſich erworben und die allſeitige wohlwollende Beſprechung, die es in der Breſſe erfahren hat , geben mir den Muth , die Veröffentlichung des zweiten Bandes ſchon jegt folgen zu laſſen. Leider iſt es meinen angeſtrengten Bemühungen nicht gelungen, ſoviel Material zu ſammeln, um

in ununterbrochener Folge ein Bild

der militairiſchen Thätigkeit meines Vaters vom Jahre 1812–1828 geben zu können.

Uus dem Jahre 1813 liegt außer flüchtigen Notizen nur das Tagebuch vor ,

durch welches die Marſchrichtung und Verwendung

des aus den Trümmern der Legion de la Viſtule geſchaffenen Regi ment de la Biſtule feſtgeſtellt werden kann. Das genannte Regiment ging Anfang Februar über Mejerig, Frankfurt, Mittenwalde , Teltow nach Spandau , war bei den dorti gen und den Ereigniſſen um Potsdam betheiligt und ſetzte am 27 . April über Nauen, Frieſacf, Havelberg, Salzwedel, Nordheim, Göt tingen , Heiligenſtadt, Mühlhauſen, Langenſalza ſeinen Marſch nach Erfurt fort, woſelbſt es am 21. Mai eintraf und mehrere Wochen blieb.

IV

Erft hier traf mein Vater, der ſo lange an ſeiner Wunde und den Folgen der Beſchwerden

des Rückzuges aus Rußland gelitten

hatte, bei ſeiner Truppe ein und übernahm die Stellung als Capi taine Adjutant Major. Am 27. Juni marſchirte das Regiment über Weißenfels, Leip zig, Düben nach Wittenberg,

am

11. Auguſt über Rieja, Meißen

nach Dresden, von dort über Baugen, Hochfirchen, Löbau, Zittau nach Gabel , in deſſen Nähe am 20. Auguſt die Vereinigung des Regiments mit dem

Corps des Prinzen Poniatowski Statt fand.

Ueber Rumburg , Schlukenau ging es im nach Löbau, woſelbſt es am 5. zu einem

Anfang

September

Scharmüşel fam .

Nach einem mehrtägigen Aufenthalt und einem Gefecht am 12. September bei Stolpen, wurde wieder der Marſch nach Dresden , von dort nach Chemnit, Reinsdorf, Königsfelden und Frohberg an getreten, woſelbſt während eines kurzen Aufenthalts eine Revue am 4. Oktober abgehalten wurde.

In der Gegend von Leipzig fanden

einzelne Engagements ſtatt, bei welchen das Regiment thätig war. Am erſten Schlachttage jelbſt (den 16. ) wurde mein Vater zweimal ſchwer verwundet und von den Ruſſen gefangen. zember lag er im über Delitzſch,

Bis zum 15. De

Lazareth zu Leipzig und wurde an dieſem

Deſjau,

Lucau ,

Tage

Guben , Croſſen, Züllichau, Poſen ,

Pudewitz, Trzemeszno mittelſt Zwangspaß in die veimath geſchicft, mit der Weiſung, dieſelbe nicht ohne Erlaubniß des Bezirks Romman danten zu verlaſſen. Am Sylveſter- Tage des Jahres 1813 fam er in Lafi in dem verarmten,

freudeleeren

Vaterhauſe

an ,

das

ihm

in

feiner Weiſe

Troſt und Hülfe bieten founte.

Während in Wien die Fürſten und Diplomaten tagten, um über das Schidjal Europa's

zu

entſcheiden,

begann der Großfürſt Cone

ſtantin die Reorganiſation der polniſchen Armee.

Auf des General

Chlopidi, des alten, ſo hoch verehrten Chefs Aufforderung, trat mein ein und wurde 1815 als Rapitain imd kom

Vater bei derſelben

pagnie Chef in das neu formirte 7. Regiment verſekt .

Als die Grenzregulirung Großherzogthum

anerkannt

erfolgt und

war,

forderte

Poſen

als

Preußiſches

mein Vater ſofort ſeinen

Abſchied , um in die Dienſte ſeines angeſtammten Königs, ſeines alten Vaterlandes zurückzutreten. Der Großfürſt Couſtautin hatte dem

braven , ſich eines ſtolzen

Rufes erfreuenden Offizier ein großes Wohlwollen zugewendet, ſagte ihm den Abſchied und ertheilte ihm nur einen Urlaub.

ver

unbeſchränkten

Der preußiſche Miniſter-Reſident ſcheute ein energiſches Auf

treten und erſt im Jahre 1816 gelang es , die Entlaſſung aus pol niſchen Dienſten und geraume Zeit nachher die Anſtellung im preußi ſchen Heere zu erhalten. Bis zum April 1818 blieb mein Vater als Hauptmann dem 11. Jnfanterie - Regiment aggregirt, wurde dann Kompagnie - Chef im 35. und 1820 im 37. Infanterie - Regiment. Bei einem

Kommando in Glogau als Lehrer an der Diviſions

Schule daſelbſt, lernte ihn der General v. Valentini kennen, und auf deſſen Verwendung wurde

er 1828

als Lehrer nach Berlin

kom

mandirt. Die dazwiſchen liegenden langen zehn Jahre, zugebracht in klei nen ſchleſiſchen und polniſchen Garniſonen, vergingen unter mancherlei Prüfungen und ſteten Entbehrungen. Emſig

bemüht,

die

gewonnenen kriegeriſchen Erfahrungen im

praktiſchen Dienſt z11 verwerthen, wurden dabei die Wiſſenſchaften mit Vorliebe gepflegt.

Die große Zahl der im Nachlaß vorgefundenen

Auszüge und kleineren Arbeiten auch aus jener Zeit, beweiſt, welch' ernſtes Streben meinen Vater allezeit beſeelt hat. Das erſte Buch, mit welchem

er in die Deffentlichkeit trat, er

ſchien bereits 1823 und behandelte die Wiedereinführung der Dra goner als

ſpäteſte Alter hielt

der

Verfaſſer ſeine damaligen Anſichten aufrecht. Daß die praktiſche Ausführung in Rußland geſcheitert war ,

Doppelkämpfer.

Bis

in das

be

wies nach ſeiner Meinung nichts weiter , dort nicht richtig angefangen hatte.

als daß man die Sache

VI

Die Verbeſſerung der Feuerwaffen , die unzweifelhaft geſteigerte Intelligenz des Erſaßes, ſollten zur Wiederholung des Verſuches

er

muthigen , die Zeit werde lehren, daß er nicht falſch prophezeiht. Die ſpaniſchen Wirren 1823 beſchäftigten damals alle Welt und legte der alte Feind Mina's ſeine reichen Erfahrungen über jenes Land in einem heute wohl faſt ganz vergeſſenen und vergriffenen Büchlein : ,, Ueber Spanien , mit beſonderer Rüdſicht auf einen etwaigen Krieg “ nieder.

Dieſer Arbeit folgten 1824 die „, Anſichten über die Kriegskunſt

im Geiſte der Zeit." Mit dem Jahre 1828 hat mein Vater wiederum die Aufzeich nung ſeiner Erlebniſſe und der daran geknüpften Beobachtungen gonnen .

be

Leider muß ich es mir einſtweilen verſagen, die Veröffent:

lichung weiter als bis

zum

Jahre 1833 auszudehnen.

Mit jedem

Schritte vorwärts mehren ſich die zu nehmenden Rückſichten und ich glaube im Sinne des Dahingeſchiedenen zu handeln , wenn ich über ſeinem Grabe keine Streitigkeiten heraufbeſchwöre. Noch eine kurze Spanne Zeit und alle die Mitſpieler in dem denkwürdigen Stück preußiſcher und deutſcher Geſchichte von 1840 bis 1850 dedt , gleich ihn , die fühle Erde ; dann wird es an der Zeit ſein, dem

fünftigen Geſchichtsſchreiber auch die Aufzeichnungen meines

Baters zu übergeben. Berlin , im März 1869 .

Inhalts - Verzeichniß .

Zu Theil I. . Erſter Abſchnitt . Geburt Jugendjahre – Erziehung im elterliģen Hauſe , im Penſionat zu Königsberg N/M. Univerſitätsleben in Königsberg i /Pr. Eintritt 1807 in die preußiſche Armce. Entlaſſung aus derſelben nach dem Frieben von Tilfit. Ver gebliche Verſuche, bei Blücher und Schil angeſtellt zu werden . Ernennung zum Lieutenant in der Legion de la Vistule . Marſch mit einem Relruten - Transport durch Deutjøland und Frankreid nad Sedan, dem Hauptdepot der Legion. Wei terer Marích durch Frankreich und Spanien. Eintreffen bei der Armee. Solacht von Tubela 1808 . Zweite Belagerung von Zaragoza 1808–1809. Zweiter Abſchnitt.

1809

Seite 1

53

Ausmaríď aus Zaragoza mit der Brigade Habert. Gefechte gegen Perena. Belegung von Monzon. Rüdzug auf Barbaſtro. Uebergang über die Cinca duro einen Woltenbrud im Gebirge unterbrochen .' 8 Hompagnien Voltigeurs der ver: idiebenen Regimenter, die bereits über den Fluß geſeßt , von den Spaniern ge fangen. Rüdmaríď nach Zaragoza. Beſichtigung durch General Sudhet, welcher das Kommando des 3. Korps erhalten. Solacht von St. Maria den 15. Juni 1809. Solat von Belchite den 18. Juni 1809 . Verfolgung des Feindes auf Alcañiz. Dritter Abſchnitt. 1809 Nusbrechen des allgemeinen Aufſtandes in Arragonien. Bildung der Guerillas und ftete Kämpfe mit denſelben. Einnahme von Nueſtra Senora del Aguila. Marſch auf Daroca. Belegung von Paniza. Ueberfall baſelbſt. Belegung von Almunia. Gefechte bei El Frasno. Bejeßung von Calatayud unter General Chlo pidi. Exkurſionen in die Sierra de Molina, nach Yunta, Calamocha. Ein turzer Liebestraum. Abmarſch nad ber Ribera (Thal) von Daroca. Vereinigung mit einem Detašement aus Zaragoza unter Oberſt Henriod . Zug in die Sierras de Molina und Albarracin . Einnahme von Nueſtra Senora del Tremedad am 25. November.

76

Vierter Abſchnitt. 1809. 1810 Streifzüge in der Ribera von Daroca und im Xiloca- Thal. Vorübergehende Belegung von Teruel. Marích nad Almunia. Rüdlehr nach Calatayub. Das Ende der Idylle. Marſch über Talamoda nad Teruel. Eintreffen des Generale Sudet daſelbſt. Aufgeben der Stellung und Beziehen von Winterquartieren um Montreal. Bejegung von Teruel. Züge in': Gebirge. Gefecht von Villel. Shwere Bermundung. Transport nad Teruel. Verunglückte Erpedition des General Sucet

113

VIII Seite nad Balencia. Belagerung von Teruel duro Villacampa. Şelbenmüthiger Wider : ſtand der Beſaßung unter Oberſt Plicque unb Rapitain leviftone. Entjaş buro die von dem Zuge nad Valencia zurüdlehrenden Truppen. Aufenthalt in Zaragoza. Fünfter Abſchnitt.

1810

.

140

Rüdłehr aus Zaragoza zum Regiment in Calamoda. Streifzüge gegen die Banden von Comorano und Hernandez. – Gefecht bei Nueſtra Senora de lancoſa. Erlurſion nad Montalvan. Maríď über Calando , MonrroVo nad Morella . Bereinigung der Diviſion laval. Maríd von Morella nad Chert durch das lange , gefährliche Defilee von S. Mateo. Hinunterſteigen in die paradieſijden Gegenden Valencia'e . Marſch nad la Jana, Uldecona, am 4. Juli. Eintreffen vor Tortoja. — Wir gelangen bis dicht an den Brüdentopi , blutiges Gefect vor demſelben . Theilweiſe Einſchließung von Tortoſa. — Großer Ausfall am 3. Auguſt. - Abſendung als Parlamentair nad Tortoja. Die Eskortirung des ertrantten General Laval nad dem Hauptquartier Mora . Zug nad Becepte. Zerſtörung der Stadt. Gefecht auf dem Rüdmatíde in der Peña goloſa. Aufenthalt in dem lager vor dem Brüdentopf bis Mitte Dezember. . Sechſter Abſchnitt. 1810. 1811 . Ulebergang über den Ebro bei Xerta. Belagerung von Tortoſa. Am 29. Des zember Eröffnung des Artillerie- Feuers. Am 1. Januar Beginn der Unterhands lungen. Abbreden derſelben. Wiederanknüpfen derſelben. Energijớes Benehmer des Generals Sudet , iawawe, unentídloſſene Sandlungsweiſe des Gouverneurs General Graf v. Alađa. Uebergabe der Feſtung am 2. Januar. Transport der Gefangenen nad Zaragoza, Pamplona und Bayonne.

167

Siebenter Abſchnitt. 1811 . Ruhe in Bayonne. Munteres leben daſelbſt. Ter deutſche Oudlaſten -Mann. Am 31. Januar Abmaríd nad Vittoria mit einem Konvoi. Rüdlebr nao Bam plona. Maríd nach Tajalla - Sangueſja Lumbier. Zerſtörung von Mina's Haus in Irozin. Aufenthalt in dem Bezirl der Cinco Vidas. – Rüduari “ nad Zaragoza. Revolte des Regiments. Nodmaliger Abmaríď in den Bezirt der Cinco - Villas und Streifereien in demſelben und den Grenzbezirten von Navarta. -Tetadhirung naco Zaragoza. Sbilderung des Lebens daſelbſt. Rüdlebr in den Diſtritt der Cinco -Villas. Tertullia bei General Chlopidi's Wirthin. Streifzüge in der Umgegend, um die Reiſe der Maridallin Suchet ju ſidern. Feſtlicher Em pfang derſelben . Zug nach Pintano. Gefangennehmung von Peſaduro's Bruder. Rüdmaric nach Zaragoza. Des Marſmalle Benehmen gegen das Regiment in Bes treff der Revolte beim Au8marío. • Achter Abſchnitt . 1811. 1812 Bemerkungen über den Zuſtand Spaniend am Ende des Jahre: 1811. — Aue . mario deo Regimenté aus Zaragoza. – Mariđ über Fuentes, Alcaniz , Montano, San Mateo ; Wegbarmadung des Defilees zwiſden Morella und San Mateo. Sturm des alten Warttburme Torre del Rey. Marſd Marío nad Oropeſa.. nadi Caſtellon de la Plana. Parate vor dem Marſchau Sudhet. Belagerung von Murvietro ( Sagunto ). Schladt von Sagunto (den 25. Oltober ). Ulebergabe der Feſtung ( ben 26). Gefangnen - Transport nad Caspe und Rüdlebr nach Murviedro. Eintreffen dee General Reille. Bormaríd gegen Balencia. Treffen baſelbſt am 26. Eröffnung der Barallelen in der Namt vom 1. zum 2. Januar 1812, Uebergabe von Palencia am 9. Januar. Beurtheilung tee Benehmens des General Blate und der Balencianiſhen Armee.

192

231

IX

Neunter Abſchnitt. 1812 Charakteriſtik des Marſdal Suốet und Urtheil über ſeine Memoiren . Roma manbo zur Eslorte des General Blate. Erſte Etappe in Caftellon de la Plana. Marjó über Peniscola, Benicarlo nad uldecona. Das Abenteuer daſelbſt. An kunft in Tortoſa. Aufenthalt daſelbſt. Antunft des General Chlopidi. Abmario aus Spanien. Anſichten über den frieg in Rußland. Ausmarſch aus Zaragoza am 18. Februar. Maríd über Jaca . Ueberſdreiten der Pyrenäen. Quartier und Aufenthalt in Pau. Einiges über die Basten und Bearner. Die fügenakademie zu Moncrabeau. Ankunft in Bordeaux. Abmaríď nach Verſailles , von Montlieu an zu Wagen.

Seite 267

Zehnter Abſchnitt. 1812 Am 22. März Revue in Paris, vor dem Raiſer. Maríď burch Frankreich nach Sedan, dem Depot der Region. General Claparède erhält das Kommando. Formirung des dritten Bataillons. Saarbrüc , Mainz , Frankfurt , Hanau. Bon leşterer Stadt wird der Marſ wieder zu Wagen fortgeſeßt. Die Zuſtände in den durchzogenen Landestheilen. — Gotha, Erfurt, Leipzig, Guben, Züliđau. Paſ firen der Grenze. – Zuſtände im Vaterlande. Der Kaiſers Antunft in Poſen. Urtheile über ihn. Der Mario nach Preußen. Der Zuſtand der großen Armee beim Beginn der Concentration . Wir treffen am Niemen ein.

302

Elfter Abſchnitt. 1812. ( Der Feldzug in Rußland . ) Uebergang über den Niemen , den 26. Juni. Erſtes Bivoual auf ruffiſdem Boben bei Rowno. Marſo auf Wilna , Rałow , Minsk. Energiſche Maßregeln Davouſt's. Marſo auf Boriſom . Uebergang über die Berezina. Marſch auf Bobr, Sillow, Mohilew (23. Juli). Dann nördlich nach Drsja (29. Juli). Marſch nach Dubrowna. Bau eines Lagers. Aufenthalt baſelbſt bis zum 13. Auguft.

337

Zwölfter Abſchnitt Abmarſch aus dem Lager. Marſo auf fjady, Krasnoi. Konzentrirung der Armee daſelbſt. Gefecht bei Krasnoi, den 4. Auguſt. Urtheil über Murat's Ge brauch der Savalerie. Marích auf Smolenst. Bejáreibung der Stadt. Solacht daſelbſt. Mitt nach Walutina - Gora. Beſiậtigung des Korps des Fürſten Ponia towoli durch den Kaiſer. — Urtheile über die damaligen Verýältniſſe der franzöſi jøen Armee. Verjeßung der Regimento -Kommandeurs. Abmarſ aus Smolens! den 24. Auguft.

367

Dreizehnter Abſchnitt . Abmarſch von Emolenst über das Solatfeld von Walutina - Gora auf Do regubush , Semlewo, Wjazma, oshatel. Konzentrirung der Armee. Gefecht bei der Scanze von Schewardino. Unbedeutende Gefechte am 6. Solacht bei Mo zaisl am 7. September. Bivoual auf dem Sốladtfelde. Marío auf Moshaisl, grimstoje 2c. Abmarſch am 14. nach Mostau.

394

Bierzehnter Abſchnitt . Eintreffen am 14. 1 uhr vor den Barrieren Mostau's. Einrüđen um 2 Uhr. Paſſiren duro die Stadt und Aufſtellung bei Koroszarowo. Plünderung der Stadt. Abmaríd nach Banti. Betrachtungen über den Brand von Moskau, die Lage der Armeen . Weiterer Vormarſū. Ueberſchreiten von der Mostwa. Bormario bis Brownity. Ritt nad Mostau mit Beriďten . Flüchtige Beſichtigung des Kreml. Rüdlehr. Marí“ auf Haezir, Dobrowica, Czi8luwica und Bastowica. – Kleines

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х Seite Gefecht mit ruffiſher Kavallerie. - Marjó nad Xilowa, Islowa, Miðhalowa, Gefecht bei letterem Orte (2. Ottober). - Gefecht bei Czernicznin . Berkundung, Trans . port nad Mostau .

. Funfzehnter Abſchnitt . Transport nad Moslau, Auſnahme im gut eingerichteten Hoſpital. Abmarjo auf der großen Straße nad Smolenst. Kameradſchaftliche Fürſorge ber polniſden Offiziere. Traurige Zuſtände in Smolenet. Abmarjó mit einem Kommando nas Aragnoi, dann nad Dubrowna, Oroja, Toloczin, Bobr, Boriſom . Unmöglichkeit, weiter zu kommen . Soledte Maßregeln Bronilow sli's und Dombrowali'8. Ankunft der Ruſſen, Wegnahme der Brüde. Rüdfahrt nad Bobr. Unglaubliche Unords nung und Auflöſung der Armee. Am 26. November Eintreffen meines Regiments. Ridfahrt an die Berizina. Brüdenídlag oberhalb Boriſow. Baſſiren der Brüde durch die Berwundeten der Legion und die Truppen ; id tomme glüdlic mit hinüber. Am 29. Anfang unſeres unbeſchreiblichen Elende. Marío auf Pleszenicze , Malo deczno, Smorgonie.

454

Sechzehnter Abſchnitt . Eintreffen in Smorgonie. Abmaríď auf Dozmiana, Mietniti ; Maríd nach Wilna. Zuſammentreffen daſelbſt mit dem Regiments -gommandeur und den Ueber bleibſeln der Legion. Abmaríu aus Wilna. Von den Truppen abgedrängt, bleiben wir, ein Kamerad und id, am Wege liegen ; wir werden durch einen Soldaten des Regimento gerettet , zu den Unſrigen geführt. Marío auf Rumozieli und Sowno. Fahrt nad Thorn. Solußbetrachtungen

486

Zu Theil II . Erſter Abſchnitt . 1828-1830 gommandirung als Lehrer ins Kadetten -Korps. Eintreffen in Berlin . Mel . dungen dajelbſt. Charakteriſtil der verſhiedenen Perſönliðleiten, mit denen ich all mählich in Berührung lam. Beginn der Vorträge. Bildungeſtand der Ladette jes ner Zeit. Ernennung zum Eraminator bei der Ober - Militair - Eraminationstoms miſſion, zum Lehrer an der Kriegøjdule. Urtheil über die Organiſation der 91 ftalt, die Leiſtungen der Søüler. Die Anweſenheit der Kaiſers Nitolaus in Berlin . Die llebungsreiſe der Generalſtabel. Sonſtige wiſſenjớaſtlide und geſellige Era lebniſje.

1

3 weiter Abſchnitt . 1830 Ernennung zum Major im Generalſtabe. – Meldung beim Könige, beim Geu neral v. Krauſened. - Ausbrud der Unruhen in Frankreid), in TeutſĐland, in Gol: land. - Die llebungsreiſe unter dem Chef des Generalſtabes der Armee. Die Parteiſtellungen in Berlin. Antunft des Generals Grafen Mouton loban, tee Feldmarjdalló Tiebietſd. – Die militairiſden Vorbereitungen im Miniſterium und Generalſtab. -- Zur Charakteriſtik des Herzog & Rarl von Medlenburg.

30

Dritter Abſchnitt. 1830–31 . Ausbruch des Aufſtandes in Warimau . Meine Beſchäftigung für General v. Wißleben. - Politiſche Anidauungen in Berlin. -- Tas Zuſammenſein mit Die bietſch. – Geſellige Zuſtände zu jener Zeit. – Die wadjende Theilnahme an den politiſchen Ereigniſſen. - Ernennung der Feldmarſdalle Gneiſenau zum lomman .

48

XI

Seite direnden General der vier öftliđen Armee-sorps ; id werbe zu ſeinem Stabe lonman birt und reiſe naď Poſen ab. — Zuſtände daſelbſt. — Bildung des Generalftabes des Feldmarſchalls. — Id erhalte das Kommando, ins Hauptquartier des Feldmar í alls Diebitíd abzugehen und paſſire in der Nähe von Szczuczyn die Grenze. Bierter Abſchnitt. 1831 Reiſe ins ruſſijde Hauptquartier über Lomza, Brol, Węgrow , liw, Kaluszyn Meldung beim Feldmaridad, na Siennica. --- Auſfinden des Oberſt v. Caniß. Das Lager-leben iu Siennica. Diner bei demjelben und nadheriger Vortrag. Meine Rüdlehr. – Einiges über Land und Leute, die ruſſiſchen Truppen , ſonſtige Erlebniſſe und Beobachtungen.

61

Fünfter Abſchnitt. 1831 . Der Bortrag beim Feldmarſdali Gneiſenau. Meine Reiſe nach Berlin. Uudienz beim Könige. Die Stimmung in den verſdiedenen Kreiſen. Rüdlebr nac Boſen. Aufregung daſelbſt, durd falde Gerüchte hervorgerufen . Des Feldmarſchals Gneiſenau Klarheit und Rube denſelben gegenüber. – Dienſtliche und geſellige Verhältniſſe im Hauptquartier. – Einwirkung der Shlacht bei Oſtrolenta. - Sơilderung einzelner polnijder Kreiſe. – Das Auftreten der Cholera im ruſ fijden Heere. - Einzelne Fälle zeigen ſich in Poſen. — Eintreffen der commission médicale de Paris, des Profeſſor Hilduſơeffsty von Mostau. – Die desfallfigen Unter handlungen mit den polniſchen Behörden. Rüdtehr nad Pojen und ſofortige Abreiſe nad Thorn , um dort und an der Grenze Ermittelungen anzuſtellen. Ertrankung an der Cholera . Eintreffen der Naďricht Rüdtehr nac Poſen. vom Tode des Feldmarſchall Diebitſở, ſeine Beiſeßung, Urtheil über ihn.

90

Sechſter Abſchnitt. 1831 Aufbruch der Cholera in Poſen. -- Umſichgreifen derſelben, des Feldmarſchalls gleid energiſce, wie verſtändige Handhabung der betreffenden Maßregeli , Ver kehr mit Fürſt Pastewitſch. — Uebergang der Nuſſen über die Weichſel. Einfluß ihrer Fortſchritte auf die Verhältniſſe im Großherzogthum . Des Feldurarſchalls Ertrantung und Tod. Erinnerungen aus ſeinen Geſpräden. — Beiträge zu ſeiner Charakteriſtik.

125

Siebenter Abſchnitt. 1831-1832 Die Quarantaine in Kobylepole bei Pojen. Eintreffen der Nachricht der Einnahme von Warſchau und Rüctehr nad Bojen. Hommandirung zum General von Zepelin. - Meine Thätigkeit an der Grenze. – Ankunft des Generals v. Ane jebeđ . – Der Uebertritt der Polen auf das preußiſche Gebiet. Beſuc beim Fürften Baslewitid. Ankunft des General v. Kraft aus Königsberg und ſeine Uebernahme der Geſchäfte. Meine Sendung ins ruſſiſche Hauptquartier. Vers handlungen mit General v. Þahlen . Rüdlehr nad Thorn , nad Poſen. Auflöſung des Ober -Hommando's . Verabſchiebung des Generals v. Nöber und Ernennung des Generals v. Grođmann zum fommandirenden General des V. Armee dorps. Rüđłehr nach Berlin. Kommandirung nad Danzig , Elbing und Ges genb. Verhandlungen mit den Polen. Abmarſch derſelben nad Polen , Ruß land, · uad Frankreich. Einige Details zur Charakteriſirung der damaligen Berhältniſſe. . Uchter Abſchnitt. 1832–33 . Alerlei Details über die Polniſchen Verhältniſſe. Rüdfehr nach Berlin. Meine litterariſche Thätigkeit in Betreff derſelben und endliche Erlöſung von dem

149

179

XII Seite unerquidlichen Geidäft. – Io erhalte den Auftrag, nac Frantreich abzugehn und die lager der Franzöſiſden Armee zu beſuden. Abreiſe nac Coblenz und von dort mit meinen Reiſegefährten Hauptmann Ende und Lieutenant Hoffmann nad Meg , St. Omer. · Empfang baſelbſt. Sdilderung der Truppen , Charakteriſtik der höheren Offiziere. – Einige hiſtoriſche Notizen über die früheren Lager bei St. Omer. Neunter Abſchnitt. 1833 Abreiſe ing lager von Wattignies. Hiſtoriſche Notizen über daſſelbe. Charakteriſtit einiger höheren Difiziere. Abreiſe ins Lager von Rocroi. – $ iſtos riſde Notizen. – Kurze Beſchreibung des Lagers. Der Karliftiſde Geiſt in dem ſelben.

199

Zehnter Abſchnitt. 1833 Abreiſe nach Compiègne. — Vorſtellung beim Herzog von Orleans, Herzog von Nemours , Marſhall Soult. – Diner beim Prinzen. — Beſidhtigung des Lager8. - Charakteriſtik der Prinzen und höheren Offiziere. Abreiſe nach Baris und Luneville. — Shilderung der dortigen Verhältniſſe und Perſönlicleiten. – Rüdlehr nad Berlin.

212

Erſter Abſchnitt. 1828-1830 . Kommandirung als Lehrer ins Kadetten-Korps. Eintreffen in Berlin. Meldungen daſelbſt. Charakteriſtik der verſøiedenen Berjönlichkeiten , mit denen ich allmählich in Berührung fam. Beginn der Vorträge. Bildungsſtand der Kadetten jener Zeit. Ernennung zum Eraminator bei der Ober-Militair : Examinationsłommiſſion, zum Lehrer an der Kriegsſdule. Urtheil über die Organiſation der Anſtalt, die Leiſtungen der Schüler. Die Anweſenbeit des Kaiſers Nikolaus in Berlin. Die Uebungsreiſe des Generalſtabes. Sonſtige wiſſenſqaftlice und geſellige Erlebniſſe.

Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas. Wir waren kaum in Thorn eingerückt und ich hatte mich eben als ich Befehl erhielt , mich nach Berlin zu

erſt etwas eingerichtet,

begeben um dort am Kadetten -Korps eine Lehrerſtelle zu übernehmen. Ich dankte dieſe Berufung meinem geneigten Gönner, dem General Lieutenant v . Valentini , der vor nicht gar langer Zeit ſelbſt zum General - Inſpecteur des Militair - Erziehungs- und Bildungsweſens er nannt worden war und mich nicht vergeſſen hatte . Nachdem ſich der brave Herr über die Bildungs - Anſtalten , die unter ſeiner direkten Einwirkung ſtanden , orientirt , hatte er mehrere Veränderungen ein treten laſſen. Zu dieſen gehörte nun auch, daß er dem Studium der franzöſiſchen Sprache, das ihm ſehr vernachläſſigt ſchien , mehr Ein gang verſchaffen wollte. Er hatte demnach einen kriegsgeſchichtlichen franzöſiſchen Vortrag in der vaterländiſchen Kriegsgeſchichte eingerichtet und meine Berufung für denſelben veranlaßt. Mir war die Sache eigentlich nicht recht gelegen. Seit 20 Jahren unausgeſegt dem praf tiſchen Dienſte zugewandt, hatte ich dieſen lieb gewonnen und meine Rompagnie war mir an's Herz der Reſidenz,

gewachſen .

Dabei

fürchtete ich in

wo mir der Wirkungsfreis neu und alle Welt fremd 1

2

war , anzuſtoßen , nicht zu gefallen , mich gehemmt, genirt zu fühlen und vielleicht nicht zu reuſſiren . Jedoch ich nahm die Stelle an und reiſte bald darauf nach Berlin ab. Die Weichſel ging beim Ueber ſeşen ſtark mit Eis - es hätte wenig gefehlt und wir wären veruna glüct.

Wir fuhren uns feſt; die Fähre ſaß bald zwiſchen zwei Eis

bänken wie eingefeilt,

wir konnten nicht vorwärts ,

nicht rückwärts

und nur die Entſchloſſenheit einiger Bootsleute, welche aus der Fähre ſprangen und mit Aerten einige Eisſchollen zertrümmerten, ermöglichte es , daß das Fahrzeug, ſo eingefeilt wie es war, ſich mit den großen Eisſchollen fortbewegte und endlich landete. Einige Leute , die es verſucht, ſich aus der Fähre zu retten und über das Eis , das ſich überall geſtopft, das Land zu gewinnen, hätten dieſen Verſuch beinahe ſchwer gebüißt.

Sie entgingen nur mit Mühe dem Tode , indem ſie,

von Scholle zu Scholle ſpringend , wieder zurück zu uns gelangten . Id erreichte ſonſt ohne Unbequemlichkeit aber bei großer Kälte Berlin am Sylveſter -Abend des Jahres 1828.

Eine Droſchke brachte

mich nach meinem Quartier , Kanonierſtraße Nr. 13 , Freund gemiethet hatte ; die Wohnung war parterre , und fonvenirte mir nicht recht . Aber meine Wirthin , Fraut ,

ſchlug

jede Ausſtellung mit dem

das mir ein etwas dunkel eine Bürger

Bemerken nieder,

daß der

General v . Schack und Oberſt v . Wițleben als Lieutenants auch hier gewohnt und ſich ſehr gefallen hätten. Am andern Tage beſuchte ich den Major Bleſſon vom Jugenieur Korps , der damals Lehrer an der Kriegsſchule und der vereinigten Artillerie- und Ingenieur - Schule war und der als Redafteur zweier Militair - Journale und Ruf in der gelehrten Mann, mit dem ich in ſchaftlichen Beziehungen

Herausgeber mehrerer Werke einen gewijjen Welt hatte . Blejjon , ein redlicher , braver allen Phajent meines Lebens in ſteten freund geblieben bin , orientirte mich über alle Ver :

hältniſſe und jetzte mich au fait von allen

den Klippen ,

welche man

zu umjegeln hätte, um nicht gleich Anjangs auf den Grund zu ge rathen , von den Rüdjichten, die zu nehmen wären , von den Cliquen und Coterien , die ſich überall geltend machten und imterrichtete mich zugleich in all den hundert Courtoiſieert, die bei meinen Meldungen zu beobachten wäreit. General v . Valentini, bei dem ich mich ziterſt vorſtellte, empfing mich wie einen alten Freund und Bekannten da war nichts von dem verſteinerten Hodınıuthe mancher hochgeſtellten Männer , es war Alles Humanität und Menſchenfreundlichkeit. ich iufte bei ihm ejfen und ward beim Diner dem General Rühle

3

v. Lilienſtern , einem unſerer geiſtreichſten Militairs , der zugleich des Generals Schwager war , vorgeſtellt. Noch war bei der Tafel ein Baron von Oelſen nebſt Frau. Der Baron, ebenfalls ein Schwager des Generals , war lange Zeit Geſandter in Dresden geweſen und war in die Hofverhältniſſe ſehr eingeweiht , iſt aber meines Wiſſens nie zu wichtigen diplomatiſchen Miſſionen verwandt worden. Die Tafel währte bis faſt 7 Uhr. Das anregende Geſpräch drehte ſich um Krieg , Frieden , Geſchichte, Politik , Aſtronomie und weiß Gott um was ſonſt noch. General v . Valentini ſtreute eine Menge Anek doten ein , woran er ſehr reich war ; General v . Rühle jetzte mich durch die Maffe ſeiner Kenntniſſe in Erſtaunen ; er beſchäftigte ſich damals gerade mit den Vorbereitungen zu einem hiſtoriſchen Werke und nahm mich ſofort in Beſchlag uin ihm bei Leſung einiger Hand ſchriften und bei Ueberſetzung polniſcher Autoren behülflich zu ſein , ein Auftrag, dem ich mich mehrere Jahre hindurch mit wahrer Freude und ſteter Bereitwilligkeit unterzogen habe. General v . Valentini war übrigens ſehr zufrieden , daß ich mich mit ſeinem

Schwager auf

dieſem Gebiete zuſammengefunden , denn derſelbe war Mitglied der Direktion an den meiſten militairiſchen Unterrichts - Anſtalten. Am andern Tage meldete ich mich bei General v . Brauſe, der ſich das mals an der Spiße der Kadetten Anſtalten befand , ein biederer, ein facher Mann ,

der durch die Art und Weiſe wie er ſich gab , ſehr

für ſich einnahm . Er hatte ein freies offenes Weſen, blieb ſich ſtets gleich und trug das Gepräge eines gebildeten Offiziers jener Zeit, das ſich von dem der Front - Offiziere durch eine gewiſſe Urbanität auszeichnete. Ich nehme Sie eigentlich ungern an , " ſagte er zu mir , ,,denn noch weiß ich nicht, aus welchem Fond ich Ihnen eine Zulage

geben

nicht.“

„ Der Reichthum des Menſchen ," antwortete ich ihm , ,, liegt

ſoll ,

und ohne dieſe geht es nun einmal in Berlin

in ſeinen Bedürfniſſen ,

und ich habe deren nur wenig ;

aber komme .

ich Ihnen , Herr General, ungelegen , ſo kehre ich eben ſo gern zu meinem Regiment zurück. Ich darf ohne Eigenliebe ſagen, daß man mich dort ungern hat ſcheiden ſehen .“ ,, Nein , " ſagte der General einlenkend ,

ſo iſt dies nicht gemeint ,

ich heiße Sie im

Gegentheil

recht willkommen , aber ich gedachte nur des Geldpunktes, eben weil ich in meinen Fonds ſehr beſchränkt bin . “ Einige Tage darauf ward ich vom General zur Tafel geladen und wir ſind ſeitdem in ftetem guten Vernehmen geblieben. 1*

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Der Rommandant ,

General v. Tippelskirch ,

bei dem ich mich

bereits eingeſchrieben , dem ich mich aber doch perſönlich befannt maden wollte, war bei meiner Meldung überaus gütig gegen mich. Da er hörte, daß ich aus Thorn fäme, ſo fing er ſofort an von dem Feld: zuge in Preußen zu ſprechen. Da wir im Laufe des Geſprächs auf die Schlachten von Oſtrolenka und Pultust famen und ich erwähnte , daß ich die Schlachtfelder ſehr genau kenne, und dabei zugleich auch des Umſtandes gedachte, wie der Herr General ſich dainals im ruſſi ſchen Hauptquartier befunden und viel zum glücklichen Rechtsabmarid der Ruſſen nach Preußen beigetragen , ſo ward der General überaus gütig gegen mich und er hat mir ſtets dieſelbe Geneigtheit erhalten. Er machte wiederholte Verſuche, mich ſowohl als die andern Offiziere, die um dieſe Zeit in Berlin eingetroffen , dem Könige vorzuſtellen und ließ uns wohl ſechs bis acht Mal zur Parade - Zeit wieder kommen, aber da in der ganzen Zeit eine überaus ſtarke Kälte herrſchte,

jo

wurden wir zuletzt ſämmtlich der perſönlichen Meldung entbunden . Ich bekam alſo den König diesmal nicht zu ſehen . Einen eigenthümlichen Eindruck machte Oberſt v . Wigleben, diejer damals allmächtige Mann, auf mich.

Ich mußte lange Zeit warten ,

ehe ich vorgelaſſen wurde, viele , die nach mir kamen , wurden anges wieſen ſich einzuſchreiben -, andere erhielten eine Stunde zur Audienz beſtimmt.

Ich blieb jo allein in einem kleinen , ganz einfadyen Zimmer

und hatte Zeit mir meine Gedanken zurecht zu legen . Endlich ward ich in das Kabinet des Oberſten gerufen. Die etwas nach vorn ge beugte Haltung deſſelben , das düſtere Feuer, das aus ſeinen Augen unter einer edlen Stirn hervorglänzte, eine gewiſſe Erſchöpfung , die aus ſeinem ganzen Wejen ſprach , die aber bald in eine eigenthümlidie Steigerung überging, etwas Peremtoriſches in ſeiner Sprache, ſein fupferfarbener Teint, der einfache lleberrod ohne Epauletten, das mit Tabaksrauch

angefüllte

lokal ,

die

ganze

unſcheinbare

Einrichtung

deſſelben , gaben der Situation etwas Eigenthümliches. „ Sie ſind auf Empfehlung des Generals v . Valentini hierher berufen worden , " ſagte er nach meiner Meldung, ,,um zu ertheilen.

Unterricht am Nadetten - Korps

Wie denken Sie die Sache anzufangen ? "

„ Vor allen

Dingen, Verr Oberſt ," entgegnete ich, „ wird es darauf ankommen , den Bildungsgrad der jungen Leute, die mir anvertraut werden dirfs ten , fennen zu lernen , um

demgemäß einen beſtimmten Lehrgang an

nehmen zu fümmen . ld habe mir bis jeựt nur allgemeine Umrijſe entworfen und gedenke dieſe dann dem Zwecke gemäß auszubauen ."

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,, Das ſcheint mir auch ganz zwedmäßig, " entgegnete der Oberſt, 11,, aber worauf werden Sie Ihr Hauptaugenmerk richten ?" „ General v. Valentini hat mir geſagt," erwiderte ich , „ das Stoffliche mit dem Sprachlichen genau zu verbinden und darauf hinzuwirken , daß der Bortrag bei den jungen Leuten nicht allein Eingang finde, ſondern auch deren Eigenthum werde. Ich ſolle dabei dem wirklichen Be dürfniß und beſonders dem Durchſchnittsmaße der Fähigkeiten und Vorbildung derſelben Rechnung tragen . Es bedürfe dazu nicht eines ſyſtematiſchen Vortrages ; ich könnte aus der vaterländiſchen Geſchichte vorzugsweiſe nur das Intereſſante und Belehrende hervorheben , um ſo allmählich den Geſichtskreis der jungen Leute zu erweitern. Ich dachte mit dem ſiebenjährigen Kriege zu beginnen, das Charakteriſtiſche der großen Begebenheiten beſonders zu beleuchten , hieran Bemer fungen und Erläuterungen zu knüpfen und ſo eine Art applicatoriſcher Methode anzubahnen , um die jungen Leute allmählich daran zu ge wöhnen , wideln ."

ihre Gedanken in einer fremden Sprache mündlich zu ent

„Nun ," ſagte mir der Oberſt, „ das ſcheint mir ja ganz angemeſſen . Sie müſſen ſich nur an den alten Schlendrian nicht viel binden , vor allen Dingen darauf hinwirken, friſches Blut zu erzeugen . Es verdumpft

und ſtocft bei uns gar Vieles

und wir können nicht

wachſam genug ſein. Ich werde ſuchen einige Vorträge zu hören -wenn Sie meiner Unterſtütung bedürfen, wenden Sie ſich an mich "

hiermit war ich entlaſſen . Dieſe wenigen Worte flößten mir eine große Hochachtung ein . Ich bin ſpäter in mannigfache Berührungen mit Oberſt v . Wißleben gekommen und habe in ihm ſtets den beſonnenen, ruhigen, klaren und feſten Mann gefunden . General d. Müffling , den Chef des Generalſtabes der Armee, fand ich nicht zu Hauſe . Ich ſchrieb mich daher nur ein, ward aber ſehr bald zum Diner bei ihm eingeladen. Ich fand bei demſelben außer der Frau Generalin und noch einer anderen Dame die Gene rale v . Pjuel, v . Valentini, Thile I. , Rühle v . Lilienſtern und noch einige Offiziere meines Grades . Das Diner war ſplendid, aber noch intereſſanter war die Unterhaltung. Das Geſpräch war , ich weiß nicht wie , auf den Fanatismus im Glauben gekommen . General v . Pfuel bemächtigte ſich ſogleich der Converſation, kam von der In quiſition in Spanien auf Huß und Servet und flocht dabei zugleich eine Menge von Anekdoten ein , ſo daß er die ganze Geſellſchaft in die

angeregteſte Stimmung

verſette .

Uebrigens machte der Herr

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General in ſeinen Erzählungen viele chronologiſche Schniter, die man ihm aber gern durchließ. Sonſt ward noch manch freies Wort über die Tagesneuigkeiten geſprochen und namentlich ergoß ſich General v . Pfuel in ebenſo drolliger als ſarkaſtiſcher Art über manche Berſön lichkeiten der Zeit. Auch die Literatur war eine Zeit lang der Ge genſtand des Geſprächs und betheiligten ſich hieran die Damen leb haft . - Ich meinerſeits beſchränkte mich , meine Beobachtungen im Stillen zu machen und die Phyſiognomien zu ſtudiren. Ich 30g mir in Gedanken eine Barallele zwiſchen vielen polniſchen , ruſſiſchen und franzöſiſchen Generals ,

welche ich nach und nach kennen gelernt und

ich darf wohl ſagen , daß der Vergleich ganz zum Vortheil der preu : Biſchen Herrn ausfiel. Wie viel brutale Generals hatte ich fennen gelernt , die auf eine vorübergehende, oft noch durch Zufall erlangte Celebrität pochten und die ihren Hochmuth in einer oft ungeſchlachten Art und Weiſe zur Schau trugen. Hier gewahrte man nichts von einem ſteifen Amtsgeſicht, von Rangſtolz -- Alles war Liebenswürdig keit , Geiſt und ein anmuthiges Sichgehenlaſſen ; dabei doch Würde und Haltung, umgeſuchte Gefälligkeit und ungezwungene Leutſeligkeit. Namentlich machte ſich mir noch ein bedeutender Unterſchied zwiſchen dieſen Generals und einigen der weniger liebenswürdigen Eremplare in der Provinz bemerkbar. Das Geſicht des Generals v . Müffling machte auf mich einen eigenthümlichen Eindruck - eine ſchöne Stirn, in den Zügen ein Ausdruck von langjanier Veſtändigkeit , einer ge laſſenen Unveränderlichfeit – ein Mann von großem Geiſte, von ſcharfſinniger Auffaſſung und bedeutenden Kenntniſſen ! General v. Müff ling jagte mir nach Tiſch noch ein Paar freundliche Worte über meine literariſchen Beſtrebungen. ,, Wir haben wenig Offiziere, " ſchloß er, ,, die es verſtehen ihr Garniſonleben und die reiche Muße, welche es gewährt, einigermaßen zu verwerthen . Sie haben darin eine rühm : liche Ausnahme gemacht." Intereſſant war es mir geweſen, Þjuel und Thile zu beobachten . - Erſterer geiſtreich und glänzend, voller Anekdoten , Paradoren und herausfordernder Bemerkungen - der Andere falt , beſonnen , aber treffend in ſeinen Entgegnungen und immer einen Theil derſelben gleidjam als Reſerve behaltend , ließ er dies in Blick und Heberde durchſchimmern . Den Herzog Karl von Medlenburg, ſowie die andern Generale des Garde Korps befam

ich einſtweilen nicht zu ſehen --- ich machte

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deren Bekanntſchaft erſt nach und nach , beſonders ſeit ich Major im Generalſtabe geworden . Mein Vortrag

hatte

einſtweilen begonnen ;

Vorträge wie alle

andern, von denen wenige Schüler Vortheil hatten, in denen viele ſich langweilen mochten und von denen die meiſten ſich gewiß weit fort wünſchten ,

weil die applicatoriſche Art und Weiſe die Unachtſamkeit

und Unwiſſenheit der Mehrzahl bloß ſtellte. Die jungen Männer, deren Väter faſt ohne Ausnahme der Armee angehörten , waren im Allgemeinen nur nothdürftig unterrichtet, hatten nur gerade das gelernt, was ſie eben zur Offizier- Prüfung bedurften und waren in der Mehr zahl nur Mittelgut. Als ich den Curſus eröffnete, hatte ich mich dahin geäußert, wie es mir zur Freude gereiche, mit einer brillante jeunesse in nähere Beziehung zu treten , worauf ſie in ſchallendes Gelächter ausbrachen . Ich ließ ſie ruhig auslachen ,

fügte aber dann ernſt hinzu , ich hätte

mich dieſes Ausdrucks in Bezug auf ihre Namen bedient , von denen die meiſten rühmlichſt in der vaterländiſchen Kriegsgeſchichte verzeich net ſeien ; ich hätte von ihnen eine zu gute Meinung, um nur voraus zuſeßen, daß ihr Lachen einen Proteſt gegen meine Annahme bedeuten könne und würde jeden bedauern , der nicht mit dem feſten Vorſatze in die Armee trete , den Ruhm ſeiner ancêtres noch zu überſtrahlen . Die Wendung, welche ich der Sache gab , wirkte und ich habe wäh rend des Semeſters , daß ich jenen Unterricht ertheilte , nie Urſache gehabt, irgend Etwas zu rügen . Einige jener jungen Leute haben ſeit der Zeit höhere Grade in der Armee erreicht, aber dies verdanken ſie entweder den allgemeinen Verhältniſſen oder den verwandtſchaftlichen Verbindungen . Die Apathie vieler von ihnen war ſo bedeutend, daß ſelbſt die Erinnerung an die Großthaten der Vorfahren , woran zit erinnern die Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges vielfach Gelegenheit gab , faum deren Eifer anfachen konnte . mit

General v . Brauſe, gegen den ich meine Bemerkung allerdings der ſeinem Inſtitute gebührenden Rüdjicht ausſprach , meinte,

daß ich meine Forderungen zu hoch ſtelle. General v . Wigleben aber, gegen den ich einſt dieſelbe Anſicht ausſprach , urtheilte anders und ſagte mit der ihm eigenen Beobachtungsgabe: „ ja, das iſt auch meine Meinung - es fönnte weit mehr geleiſtet werden , aber ſpan nen wir die Saiten höher, ſo müſſen wir die Hälfte der jungen Leute als Gemeine oder Unteroffiziere in die Armee einſtellen und hinterher

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bekommen wir die Diviſions - Schulen dann ſo voll, daß man nicht weiß , was damit anzufangen und damit iſt die Sache nur noch ſchlimmer ." Später hat man in die ganze Lehrmethode mehr Schwung ge bracht und ſomit erreichte man auch andere Erfolge; ich glaube hierzu indirekt wohl mitgewirkt zu haben , wenngleich die Reſultate meiner Anregungen erſt ſpäter an's Licht getreten und das Verdienſt, den Anſtoß dazu gegeben zu haben , nommen wurde .

von Andern in Anſpruch

ge

Karl Ritter , damals einer der Studien-Direktoren , den ich be ſuchte und deſſen Zuhörer ich ſpäter wurde,

empfing mich mit der

Freundlichkeit und Artigkeit, die wahrhaft Gebildeten immer eigen iſt. Er hat mir ſeine freundliche Zuneigung ſtets erhalten und wenn uns unſer Beruf ſpäter auch auseinander geführt, ſo habe ich dennoch, ſo oft ſich mir die Gelegenheit geboten ,

dieſein humanen und edlen

Mann meine Hochachtung an den Tag zu legen, dies aus der Fülle des Herzens gethan. Ich habe am Abend meines Lebens ihn mit zur Ruheſtätte geleitet und mich an der wohlwollenden Güte , die er für Alle hatte , und wovon auch ein Theil mir zu Gute fam , in Dankbarkeit erinnert . Auch Loebell, der damals Geſchichte beim Kadetten -Rorps lehrte und

der befannt iſt als Fortſeter der Becker - Woltmannſchen Welt

geſchichte, machte ich meinen Beſuch. Ich kann nicht ſagen , daß er mich beſonders zu ſich hingezogen , – ein einmaliger Beſuch reicht übrigens faum hin , einander kennen zu lernen ; ſonſt ſah ich ihn nur einige Mal in den Soireen bei General v. Brauſe, wo wir einander doch nur wenig ſprachen. Mehr Intereſſe hatte für inich der erſte Lehrer der franzöſiſchen Sprache, Herr Jeanrenaud, ein Neufchateler. Ohne gerade ein Gelehrter in dem Sinne zu ſein , wie man dies in Deutſchland zu ſein pflegt , hatte er doch ein genügendes Maß von Kenntniſſen , um

einer der Klaſſen -Ordinarien am

franzöſiſchen Gym

naſium zu ſein und das Franzöſiſche, wenngleich nicht mit großem Er folg , am Kadetten - Rorps zu lehren. Er war ein Mann von liebens würdigen Formen , der von ſeinen Schülern ſehr gern geſehen ward und in allen prinzlichen , fürſtlichen und höheren Väuſern Unterricht ertheilte . Was den Geiſt unter den Offizieren, die ich hier kennen lernte, betrifft, jo gefiel er mir nicht.

Ich bemerkte darin zu viel Streben,

ſich bemerkbar zu machen und eine gewiſje Lengſtlichfeit , die eigenen

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Verdienſte nicht gehörig gewürdigt, ſtete Befürchtungen , ſich verdun felt zu ſehen. Sonſt waren Stellungen wohl genügten . General v . Brauſe

es

bewies

ehrenwerthe Männer,

mir ſtets viel Güte

öfters in ſeinem Hauſe. Er war ein redlicher, einfachen Sitten , der nach Kräften dahin wirkte,

die ihren

und ſah mich

braver Mann von den jungen Leuten

eine größere Einfachheit anzuerziehen. Aber wie wäre dies in Berlin möglich geweſen ? Der fönigliche und die prinzlichen Höfe , an denen die jungen Leute als Pagen fungirten , die vielen Zerſtreuungen , denen

ſie durch

ſtete Beſuche

in

der Stadt ausgeſegt waren ,

die

Störungen durch Familienbälle, Theaterbeſuche 2c . bereiteten des Generals gut gemeinten Abſichten eine Menge Hinderniſſe, die er nicht zu überwinden vermochte.

Daraus entwickelten ſich denn von

ſelbſt eine Menge Uebelſtände, die hier zu erwähnen, zu weit führen würde . Der General hatte eine Gräfin v . Schmettau zur Frau , eine Tochter des bekannten Generals v. Schmettau , der ſich durch eine zu pünktliche Vollziehung der Befehle Friedrichs II . in Bezug auf die Uebergabe von Dresden des Königs Ungnade zugezogen. ES darf als ein rühmliches Zeugniß des Charakters des Generals v. Brauſe angeführt werden , daß in ſeiner ſonſt gut eingerichteten die mit einer Menge von ſchönen Sachen ausgeſchmüct war , die er vom Könige oder vom Prinzen Wilhelm Sohn , deſſen Erzieher er geweſen , erhalten , ein Zimmer eingerichtet war, das die Meubles , die er zu ſeiner Ausſtattung bei der Verheirathung er Wohnung ,

Ein halbes Dußend Rohrſtühle, ein Sopha mit halten , enthielt. Rohrgeflecht, ein fleiner Spiegel und einige Tiſche bildeten das be das ein einfacher Schrank vollendete. Er pflegte es , ich möchte ſagen mit einer Art Wehmuth , zu zeigen und dabei auf den Unterſchied zwiſchen ſonſt und heute hinzuweiſen . ,,Glau ben Sie mir," fügte der brave Mann wohl hinzu, ,, der Lurus unter ſcheidene Ameublement ,

gräbt die Sittlichkeit des Volks und zugleich unſere militairiſchen 11 Sitten. Böfen Einwirkungen ſolcher Art widerſteht kein Heer ." Die Generalin ' ſelbſt war eine ehrwürdige geiſtreiche Dame, die aber viel fränkelte ; zwei liebenswürdige , erwachſene Töchter heiratheten bald darauf, eine den Grafen York, die andere den durch ſeine Schick eine jüngere ward ſpäter die ſale befannten General v. Williſen ; Gemahlin des Generallieutenants und Oberſtallmeiſters gleichen Namens.

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Der General, deſſen Frau und die beiden älteren Töchter ſind längſt hinabgeſunken in das Reich der Schatten.

Die Achtung und

Verehrung, welche die Nachgebliebenen und Freunde des pauſes ihnen gezollt , verbürgen ohne Zweifel den innern Werth der Veimge gangenen. Bald in den erſten Tagen meiner Anweſenheit in Berlin machte ich auch die Befanntſchaft des Major v . Radowig . lentini wollte die Güte haben , mich ihm fanden ihn nicht zu Hauſe. ſcheidenen Zimmer umgeben

bei

General v . Vas

ſelbſt vorzuſtellen, aber wir

Eines Abends , als ich in meinem be

meiner kleinen dunklen Campe von Büchern

an meinem Arbeitstiſche ſaß ,

meldete mir meine Wirthin

einen Herrn Offizier, der mich zu ſprechen wünſchte. — Als derſelbe eintrat, ſtellte er ſich mir als Major v . Radowitz vor, der fäme, um meinen freundlichen Beſuch zu erwiedern . Der Major hatte auf den erſten Blick etwas Einnehmendes ein ſchönes Gejicht, lebhafte Augen

und

gefällige Manieren .

Wir waren bald in einer ernſten

Unterhaltung über militairiſche Studien und Erziehung begriffen . ET ſprach viel , mit großer Schärfe und Tiefe des Urtheils , mit einer merkwürdigen Leichtigkeit des Redefluſſes aber etwas dogmatiſchem Ton . ,, Sie treten unter günſtigen Umſtänden in ein Verhältniß , " ſagte er

beim

Weggehen zu mir ,

das ſeine Schwierigkeiten ,

ſeine

Verwicklungen hat , aber ich denke, Sie werden ſich bald (Heltung verſchaffen ." Ich bin ſeitdem in ſteter Verbindung mit Radowit ges blieben und habe in ihm immer den beſten und aufrichtigſten Freund gefunden , ſo verſchieden und mannigfach auch die Lebenstreiſe geweſen, in denen wir einander getroffen . Unter Studien und Unterricht gingen die erſten Monate meines neuen Wirkungsfreiſes vorüber . Eines Tages ſagte mir General v . Valentini,

daß mich General v . Steinwehr,

Direktor der Ober :

Militair - Eraminations - Rommiſſion zu ſprechen wünſche. Ich fand denjelben in einer fleinen Billa im Thiergarten - ein faſt jemitel blonder magerer Herr

mit

gefurchtem

Geſicht und kleinen

grauen,

blißenden Augen. Nach den erſten Eingangskomplimenten fragte er mich , ob ich die Stelle eines Eraminators für deutſche und französ fiſche Sprache und Literatur annehmen wolle ? Ich hatte feinen Grund, dies Anerbieten abzulehnen ,

erhielt vom General

ſofort eine Fleine

mündliche Orientirung über meinen Wirkungsfreis und trat dann auch alsbald meine Funftionen an . Da der Feldmarſchall Graf Gneiſenau eigentlich Präjes dieſer Kommiſſion war, ſo mußte ich mich

1

11

bei ihm perſönlich melden . Ich hatte ihn noch nicht geſehen , denn obwohl der Feldmarſchall die vornehmſte Militair - Perſon in Berlin war ,

nahm er nie Meldungen an .

Wahrſcheinlich aber machte er

ſeines ſpeziellen Verhältniſſes wegen zur Kommiſſion diesmal eine Ausnahme. Die ächt militairiſche Geſtalt des Feld -Marſchalls , ſein Ehrfurcht gebietender Kopf und das ſchöne leuchtende Auge hätten ihn unter Tauſenden kenntlich gemacht. Ohne jegliche Prätenſion hatte er ſich , ich möchte ſagen abſichtlich in den Hintergrund geſtellt; aber von großer Ueberlegenheit in ſeinen Anſchauungen und von ſel tener Geiſtesſchärfe beherrſchte er aus dieſem Hintergrunde die Schaar bedeutender Männer , die ſich um ihn geſammelt. Man hatte zu allen Zeiten die Ueberzeugung , daß er in der Stunde der Gefahr der Führer ſein würde, dem alle Welt mit Vertrauen folgen würde. Ich fand den Feld - Marſchall in

ſeinem

Arbeitszimmer.

Er hörte

meine Meldung ruhig an . „ Sie haben alſo den Degen mit der Feder vertauſcht," ſagte er zu mir , -- ..ich hoffe es ſoll Sie nicht reuen !" ,, Vielleicht," entgegnete ich , ,, Ercellenz iſt es nur auf kurze Zeit, denn wenn man lange im praktiſchen Dienſte geweſen , verliert man die geiſtige Elaſtizität für höhere Sphären ." , Da machen Sie mir kein Rompliment , " ſagte der gütige Held, ,, der Fürſt Blücher iſt ſein Leben lang und ich bin über dreißig Jahre in der Linie geweſen und ich denke , wir haben uns ganz gut aus der Affaire gezogen !" ,, Er cellenz !" nahm ich mir die Courage zu erwiedern , „ wir ſind auch nicht alle Scipionen ." ,, Wo ſind Sie dekorirt worden ? " ,, Bei Santa Maria und Teruel. "

,, Alſo unter Suchet ! Sie haben da den Krieg

der Fatiguen und Chikanen mitgemacht, ab und zu von gewaltigen Exploſionen unterbrochen . “ Darauf machte mir der Herr eine Ver beugung und entließ mich mit einem ,,auf Wiederſehen !" Einige Tage darauf wurde ich zu Tiſche eingeladen.

Aber es

waren ſo viele Miniſter und Generäle zugegen , auch der berühmte A. v. Humboldt , daß ich mich in dem Gewirre kaumn orientiren fonnte. General v . Valentini ſagte mir im Vorübergehen: „ Sie glauben nicht, lieber Brandt, wie ich mich freue, Sie hier zu ſehen ; das geht ja Alles vortrefflich !" General v . Rühle ſagte mir, daß er eben ein neues polniſches Werk erhalten und wünſchte , daß ich ihn nächſtens beſuchte, die ineiſten aber jahen mich natürlich nicht an, denn was konnte ſie auch ein obſcurer ihnen ganz unbekannter Linien Kapitain intereſſiren. General v . Rühle bat ich, mich Humboldt vorzu ſtellen , wenn ſich dazu ein geeigneter Moment fände. Bald nach

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aufgehobener Tafel gab er mir denn auch einen Wint, dem ich folgte. Wir fanden Humboldt , wenn ich nicht irre, in einem lebhaften Ges ſpräch

mit General v . Müffling

in

einem

kleinen Zimmer in

der

Nun hatte ich ſchon früher in Thorn Beran Nähe eines Kamins. laſſung gehabt, Humboldt einige wichtige Notizen über Ropernikus zus gehen zu laſſen , die ihn ſehr befriedigt hatten . Kaum hatte der General ihm meinen Namen genannt und hinzugefügt, daß ich aus Thorn hierher verſekt ſei, ſo überſchüttete mich der berühmte Gelehrte Er fragte mich nach dieſem und mit allerhand Verbindlichkeiten. jenem , was ſich im Munde des Volts über den großen Aſtronomen erhalten und war nicht wenig erſtaunt zu hören , daß Napoleon das Gebäude, das er angeblich bewohnt, beſucht haben ſollte. Unſer Ges ſpräch ward nur zu bald durch den allgemeinen Aufbruch unterbrochen , aber Humboldt iſt mir ſeitdem ſtets freundlichſt geneigt geblieben. Was mein Verhältniſ zur Ober - Militair - Eraminations - Rom miſſion betraf, ſo gab es mir Gelegenheit, mich über den Bildungs grad der Offizier - Aſpiranten der Armee zu orientiren . Ich dari wohl ſagen ,

daß ich mehr wie einmal über die foloſſale Ignoranz

Einzelner derſelben erſtaunt geweſen bin . So gering ich meine For derungen auch ſtellen mochte , ſo blieben ſie doch unerfüllt. General v . Steinwehr,

der

den

jedesmaligen

Prüfungen

beiwohnte ,

hatte

Beobachtungsgeiſt genug, um einzuſehen, woher die Sache fam .

„ Es

thut Noth , " ſagte er zu mir , ,,daß wir das Verſäumte ſchnell nach : holen ich bin ſelbſt erſtaunt, wie viel hier unterlaſſen . “ Durch eine Mittheilung an die Studien -Direktion über die mangelhafte Aus bildung der Eraminanden in dieſen Disziplinen ſollte dem Uebel ab geholfen werden ; aber es dauerte eine Weile , ehe die Sache eine beſſere Wendung nahm. Der Prinz Auguſt, ein eifriger Förderer alles Guten, fam mir in meinen Bemühungen inſofern indirekt zu Hülje, als er der Obers Militair-Eraminations-Kommiſſion die Arbeiten einiger Offiziere, welche ſie beim Eintreten in die Artillerie - Brigaden angefertigt, zujandte, aus denen ein jo mangelhafter Bildungsgrad hervorgegangen, daß der Prinz anzunehmen für gut befand, ſie hätten ſich wahrſcheinlich uner: laubter Hülfe bei ihren Prüfungsarbeiten bedient. -- Die Kadetten machten im Allgemeinen wohl eine Ausnahme, aber man bemerkte doch ,

daß Vieles nur ein äußerlich Angelerntes war ,

hörige Durchbildung fehle ,

ein Hebelſtand,

daß eine ge

der faſt allen Inſtituten

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anklebt , die in einer gewiſſen Zeit eine gewiſſe Anzahl von jungen Leuten für ein beſtimmtes Fach vorbereiten ſollen. General v . Steinwehr ſelbſt erfüllte ſeine Obliegenheiten mit der größten Pünktlichkeit und Pflichttreue, - er war ſtets der Erſte im Klaſſenzimmer und verließ es nur , wenn der legte Eraminator ſich zurückgezogen. Wenn nun auch die Pflichttreue ein durchgehender Zug in den preußiſchen Offizieren iſt, ſo kann doch der Gleichmuth, die Haltung, die Geduld und Aufmerkſamkeit, welche ein ſo ſchwie riges Amt verlangte, und die er demſelben bis zum legten Augen blide widmete , nicht genug anerkannt werden . Die freiſinnigen An jichten , die er dabei äußerte und ohne Scheu vertrat , - damals noch ein gewagtes Unternehmen – fonnten nur die Hochachtung für ihn vermehren. Leider gerieth er gegen den Abend ſeines Lebens auf Abwege, die ihm viel Unannehmlichkeiten verurſachten. Ich komme wohl ſpäter darauf zurüd. Sekretair der Kommiſſion war ein Hauptmann v . Hanemann, ein Original wenn man will, aber die biederſte und treueſte Seele Es circuliren in der Armee eine Menge von unter der Sonne. Anekdoten über ihn , die jedoch in der Mehrzahl erfunden ſein dürf ten .

Seine Stellung war eine ſehr ſchwierige; denn Jahr aus Jahr

ein eine ſolche Menge junger Leute bei ihren Arbeiten zu überwachen, ihre Führung dabei beaufſichtigen zu müſſen und doch allen den billigen Wünſchen derſelben noch zu genügen, erforderte eine Beobach Es ließen ſich ganz intereſſante Sachen tungsgabe ohne Gleichen. über all die Abenteuer erzählen , welche der brave Mann täglich zu beſtehen , über die Schlauheit , welche die Jugend anwandte , den Wächter zit hintergehen und wie er ſtets aufmerkſam und gewandt allen ihren Ränken , auch den auf das Feinſte angeſponnenen und aus Er war bei Pr. Eylau gedachten Pfiffen und Kniffen vorbeugte . franzöſiſchen Kavalleriſten unter die Hände gerathen und tüchtig zer hauen worden. Hierdurch war er etwas ſchief geworden, was ſeiner an ſich unbedeutenden Figur etwas Linkiſches gab und ab und zu Aber der Orden pour le wohl einen leiſen Spott entſtehen ließ . mérite , der ihn ſchmückte, ſtellte ihn ſonſt gegen alle und jede Un Aber der regelmäßigkeit im Betragen der jungen Leute ſicher. Argus , der mit ſo glücklichem Erfolge die Jugend hütete , war von dem Kanzlei - Diener , der zugleich das Lokal , in dem die Jugend Derſelbe hatte ſich nämlich hauſte , überwachte, arg hintergangen. Nachſchlüſſel zu den Pulten in den verſchiedenen Dienſtzimmern und

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zu den Mappen, die er von den Eraminatoren abholte, machen laſſen und ſich ſo die Themata für die Eraminanden verſchafft und dann damit einen argen Wucher getrieben . Die Sache war eine Zeit lang ſehr günſtig für ihn ausgefallen , ſchließlich aber fam ſie an’s Licht und der gute Mann ward ſeiner Orden für verluſtig erklärt, ſeines Amtes entſegt und kam eine Zeit lang in's Zuchthaus. Während ich alſo docirte und eraminirte fuhr ich einſtweilen fort eifrig zu ſtidiren.

Die recht gute Bibliothek des Kadetten- Rorps bot

mir hierzu ein reiches Material, deſſen Benutzung mir die Liebeng würdigkeit des Bibliothefars bedeutend erleichterte. Die kleinen (War niſonen , in denen ich bis dahin geſtanden , hatten es mir unmöglich gemacht, den großen Fortſchritten in den Wiſſenſchaften und Künſten zu folgen und je mehr ich anfing mich umzuſehen, deſto mehr bemerkte ich , wie viel mir zu thun übrig blieb . Aber ich kann wohl ſagen, daß ich meine Zeit redlich benutzte und fleißig ſtudirte. Eines Tages ließ mich der General v . Miffling zu ſich fommen , der damals am Wilhelmsplate wohnte. „ Seßen Sie ſich ," ſagte er mir beim Herein treten , ,, ich werde Shnen eine Fleine Aufgabe geben , um zu ſehen, wie weit Sie in Auffaſſung und Bearbeitung größerer Fragen auf dem Gebiete der Kriegskunſt gekommen , " und nun diftirte er mir folgendes Thema: „ Der Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten zeigt an , daß die Verhältniſſe mit Deſterreich dergeſtalt verſchoben ſind, daß man in einem Zeitraum von 36 Tagen auf eine Offenſive von öſterreichiſcher Seite gefaßt ſein muß, daß der deutſche Bund und das Königreich Sadijen einſtweilen ſich neutral verhalten, das Leytere jedoch jedem Zwang wird nachgeben müſſen . - Der König befiehlt dem Chef des Generalſtabes der Armee durch ein Memoire in ge drängter Kürze darzuſtellen, welche Maßregeln, auf folgenden Voraus ſetzungen gebant, zu nehmen ſind : 1.

2.

3.

die öſterreichiſche Armee in Pöhmen kann mit ca. 90,000 Mann in Beweging geſetzt werden ; die Truppen an der Donau mit 23,000 Mann. Bemerkung. Mehr als dieſe Zahl von Truppen fönnen zu einer Offenſive bis zum 36. Tag nicht verwandt werden. Die ſächſiſche Armee kann am Tage des Ausbruchs mit 15,000 Mann zur öſterreichiſchen Armee ſtoßen , da die fächliche Pos litif der Art iſt,

daß

ein

ſolches Nachgeben als eine Folge

von Drohungen Statt findet.

15 Von preußiſcher Seite

iſt

die Erhaltung von Berlin als das

erſte Objekt verbunden mit dem Ravitaillement der ſchleſiſchen Feſtun gen , der Feſtung Erfurt und der drei Elbfeſtungen anzuſehen. Vier Armee - Korps ſind hierzu zu verwenden ; vier Wochen ſpäter auftreten.

ein fünftes fann erſt

Welche Stellung haben dieſe vier Armee - Korps von heute ab am

36. Tage einzunehmen ,

in Folge der früheren Berechnung, daß

jedes Armee - Korps innerhalb 30

Tagen

an jedem

Punkt ſeines Be

zirts komplett ausgerüſtet ſich befinden kann ? " Dazu gab er mir eine Karte . Nachdem ich mir die Sache etwas überlegt, mir die Karte angeſehen und einige Diſtancen abgenommen, ging ich flugs an die Arbeit . Ich mochte etwa eine ſtarke halbe Stunde geſchrieben haben , als ſich der General den Bogen geben ließ , ihn mit Aufmerkſamkeit durchlas und ohne ein Wort weiter zu jagen, hinzuſezte : „ Gehen Sie nun nach Hauſe und machen Sie die Arbeit fertig ;

Sie brauchen ſich damit gar nicht zu übereilen ,

Sie

fönnen damit ganz wie es Ihre Zeit erlaubt fortfahren.“ Der General erinnerte ſich dieſer Scene noch 1850, als ich ihn in ſeinem

damaligen Wohnort Erfurt, wo ich zur Zeit Mitglied des

Voltshauſes war ,

beſuchte .

„ Ich habe mir wohl ſchon damals ge

dacht!, " ſagte der gütige Herr zu mir , „ daß Sie Carrière machen würden und habe Sie auf Shrem Wege ſtets im Auge behalten ; -es macht mir meinerſeits eine wahre Freude, zu Ihrem Fortkommen beigetragen zu haben .“ Unter meinen Bekanntſchaften ſtehen die mit Major v. Maliszewski, Major v . Cyriaci und Kapitain Blejjon , Redakteur der Militair Literatur-Zeitung und der Zeitſchrift für Kunſt, Wiſſenſchaft und Ge Ma Wir beſuchten einander oft. ſchichte des Krieges oben an . liszewski war damals noch bei dem ſogenannten Militair - Kabinet, kam ſpäter zum Kriegs- Miniſterium , wo er der Geh . Kriegs-Kanzlei attachirt und ſpäter deren Chef ward . Cyriaci , ein liebenswürdiger, unterrichteter Mann , war bei der Direktion der allgemeinen Feriegs ſchule angeſtellt, ſtarb aber früh. Ich bin mit den braven Männern ſtets in gutem Vernehmen geblieben und ſo verſchieden auch die Lebenswege waren , welche wir gewandelt, die Fata geweſen , welche wir beſtanden , wie , ab und zu auch unſere politiſchen Anſichten aus einander gegangen , wir ſind ſtets die beſten Freunde geblieben . Bleſſon hatte damals ſchon eine Menge Verdrießlichkeiten , die mit ſeinem Austritt aus dem Dienſte endeten . Eine Sache beſonders machte Ein gewiſſer Szumski, Profeſſor am Gym damals viel Redens .

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naſium in Poſen , hatte ſich an ihn gewandt und um Begutachtung einer angeblich militairiſchen Erfindung gebeten, die er das Schaufel beil nannte. Die Sache beſtand, glaube ich, darin, daß er auf einem Stiel , der in den Lauf geſteckt werden ſollte , eine Art Grabſcheit eigener Sonſtruktion befeſtigte, das gleichzeitig zum Graben und bauen dienen ſollte. aus ,

daß

Blefjon ſprach ſich in

die Sache

verbeſſert ,

einem

ſich wohl

Zeugniß darüber dahin als praktiſch bewähren

fönne. Dies Zeugniß reichte Herr Szumski mit ſeinem Beile dem Kriegs - Miniſterium ein und ſprach zugleich den Wunſch aus , daß damit Verſuche angeſtellt werden möchten. Das Miniſterium nahm von der Sache nur inſofern Kenntniß, als es die Erfindung dem General - Inſpekteur des Ingenieur-Korps zuſchichte und dabei bemerkte , daß es zweckmäßig ſein dürfte ,

den Major v . Blefjon bald wieder

dem praktiſchen Dienſte zuzuwenden, weil er ſich demſelben, wie das erwähnte beigefügte Zeugniß beweiſe, zu entfremden ſchiene. Ohne weiter die Erfindung Szumski's in Betracht zu ziehen , bemerfe ich zum nähern Verſtändniß der Sache mur , daß die in genieur - Mitglieder des Kriegs - Miniſteriums damals eigentlich nur Delegirte des General - Inſpekteurs waren , in direftem Verfehr mit den Adjutanten deſſelben , des Chefs eigene Anſichten vertraten und betrieben. Es war mithin eine und dieſelbe Autorität, welche begut achtete und entſchied . Nun waren die Adjutanten des General - In ſpefteurs ſeit längerer Zeit init Bleſſon in Streit und ſomit war Zuvör nichts natirſicher , als daß über ihn abgeurtheilt wurde. derſt hatte man ihn während der Ferien der Kriegsſchule nach Glogau zur Dienſtleiſtung geſchickt und ſpäter ward er nach Stralſund als Ingenieur - Offizier vom Prat verſetzt. Er fügte ſich natürlich dem Ausſpruche ſeiner Vorgeſetten , nahm aber bald darauf ſeinen Abs ichied. In ſeinem ſpätern Verhältniſ hat er ſich in Berlin vielfach nützlich gemacht und ſteht noch heute * ) , ein Siebziger, an der Spite der Berliner Renten - Auſtalt, die er, man fann wohl ſagen, in's Leben gerufen hat. Sein Streit mit den Herren vom Rorps hatte ſeine Die Herrn, welche dem neuern Feſtungsſyſtem , dem tiefere Urſache . Polygonal Syſtem , huldigten, waren janımt und ſonders im Miniſte Vleſſon aber war ein entſchiedener rium 11110 in der Adjutantur. Gegner deſſelben und vertrat das Vauban Cormontaigne'iche Prinzip . Es fommte jenen Herrn alſo nicht gleichgültig ſein , einen ſo entſchie: denen Gegner als Lehrer an den beiden höchſten Pehranſtalten zu

Vermuthlich um 1857 geichrieben.

Bieſjon ſtarb 1861.

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ſehen und - hinc illa irae. - Das Berfahren war übrigens weder edel noch klug , denn Bleſſon , damals noch im Vollbeſitz aller geiſti gen und körperlichen Kräfte, war einer der gebildetſten und unterrich tetſten Offiziere des Korps ; nebenbei gehörte er mit zu denen , die noch einige Erfahrung vom Kriege hatten , eine ſeltene Sache in einem Korps, dem im Feſtungskriege ziemlich jede Erfahrung abging. Die heiterſten Stunden verlebte ich im Hauſe des General 8. Valentini , wo wir die Zeit bald verplauderten , bald zuſammen etwas laſen. Buchhändler Finke, ein vortrefflicher Vorleſer, las uns mehrere Dranien und Luſtſpiele Shakespeares bor. Häufig wur den einzelne Abſchnitte aus Gibbon oder andern Hiſtorikern durch genommen ; die neuen literariſchen Erſcheinungen wurden beſprochen, es verging fein ſolcher Abend, an dem nicht irgend etwas Intereſſan tes vorgekommen wäre. Eines Tages

hatten ſich Rühle , General v . Thile I. und Ra

dowiz durch Zufall hier zuſammeu gefunden und das Geſpräch kam auf Seelen-Leben , Seelen - Zuſtände, Geiſtererſcheinungen und Todes Ahnungen. Die Unterhaltung war ungemein belebt , Jeder wußte etwas Intereſſantes mitzutheilen ; zugleich wurden aus dem Feldzuge von 1813–14 mannigfache Ahnungen von einem Todes -Vorgefühl, Traumgeſichte erzählt, daß faſt nichts übrig blieb , als ſich dem Ge neral v. Thile , der von der Möglichkeit ſolcher Erſcheinungen tief durchdrungen war , gefangen zu geben. Mir fiel dabei mein alter Kapitain Razowski ein, deſſen ich früher bereits oft gedacht habe. Fürſt Büdler fand ich auch einige Male beim General und ward ihm auch vorgeſtellt

aber ich habe ihn ſeit jener Zeit nicht

wieder geſehen.

Als es 1830 anfing bunt in der Welt auszuſehen, ich Seitens des General v . Valentini angegangen , ihm Vor träge über Taktik und Kriegsgeſchichte zu halten . Ich ſchlug es aber

ward

aus und empfahl Herrn Stockmarr, vom Regiment Alexander dazu, welcher denn auch die Vorträge übernahm . Sonſt blieb ich im Augemeinen ſtreng bei meinen Studien , ohne mich viel um andere Dinge zu bekümmern . Ich erhielt hierin von vielen Seiten her die freundlichſten Aufmunterungen und Anerkennun gen . Von des Königs Majeſtät ging mir nachſtehendes Allerhöchſtes Handſchreiben zu : ,, Ich habe das am 1. Juni 1829 Mir überreichte Handbuch über Kriegskunſt mit vielem Vergnügen empfangen und bezeige Ihnen dafür Meinen Dank, indem Ich Ihnen zugleich Meinen 2

18 Beifall an einer Arbeit zu erkennen gebe , welche einen rühmlichen Beweis Ihrer Beleſenheit und Kriegserfahrung liefert." Berlin , den 15. Januar 1830. Friedrich Wilhelm . Bald nachher ward ich als Lehrer zur Augemeinen Kriegsidule berufen. Ich ſollte dort eine Einleitung zur Kriegsgeſchichte vortra gen , d. h. die jungen Leute des jüngſten Cötus init der Litteratur dieſes militairiſchen Wiſſenszweiges bekanntmachen – ein etwas ſchwieriges Unternehmen ! Ich mußte der Studien - Direktion , die aus dem General Kühle v . Lilienſtern , Major v. Radowitz und einigen Herren vom Civil beſtand, ein Progamm einreichen, wie ich die Sade einzurichten gedächte, das deren vollkommene Beiſtimmung erhielt. Ich berührte das Alterthum und das Mittelalter hierbei ſelbſtredend nur in ſofern , als dies unerläßlich war , ging dann zur neueren und neueſten Zeit über , ſo daß die Zuhörer im Lauf eines Kurſus ein vollſtändiges Bild der Hauptveränderungen der Kriegskunſt mit ſteter Hinweiſung auf die Litteratur erhielten . Der Vortrag ſagte jenem Theile der Zuhörer, die eine gute Vorbildung mitbrachten , ſehr zu ; der größere Theil derſelben aber , der mit nur mangelhaften Kennt niſſen gekommen , hatte davon wenig Vortheil, langweilte ſich im Gegens theil gewaltig . Viele von den jungen Leuten waren faum im Stande, die Titel der angeführten Hauptwerke richtig zu ſchreiben und hatten überhaupt keine Ahnung von einem wiſſenſchaftlichen Vortrage dieſer Art. Wie ſich das Kriegsweſen der Griechen und Römer allmählich geſtaltet, was davon in das Mittelalter übergegangen , wie ſich aus demſelben der Uebergang in die neuere Zeit gebildet ließ die Mehrzahl völlig indifferent. Nur die neueſte Zeit intereſſirte ſie einigermaßen und aus dieſer beſonders das Nebenſächliche, wenn ich Z. B. erwähnte, wie der Name Bataillon, Sergeant, Fourier, Zapfen ſtreich 2c . entſtanden und ſich eingebirgert. Von dem gänzlichen Man gel an Vorbildung der Zuhörer erhielt ich erſt ein richtiges Bild bei den ſchriftlichen Arbeiten , die wurden .

am

Ende des Vierteljahres angefertigt

Was gab es da für Horribilia !

Die bekannteſten Werke

und Namen , wie z . B. Xenophons Cyropaedie und Anabaſis, Vegez , Curtius, waren verſtümmelt, anderer Sünden nicht zu gedenken. Ich eríah daraus nur zu deutlich, daß die meiſten jungen Leute in Bezug auf allgemeine Bildung nicht einmal die Reife für die Tertia eines nur mittelmäßigen Gymnaſiums hatten.

Dabei war die Handſchrift der

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meiſten abſcheulich. *) Der Fehler der Schule war , daß ſie eben feine Schule war . Der ganze Plan derſelben war darauf baſirt, Alles war daß der gentleman allein ſeine Berechtigung fand . der Diskretion der Scholaren überlaſſen . Eigentlich konnte Jeder thun und laſſen was er wollte , wenn er nur einige Male die Vor träge beſuchte. Wollte die Direktion ab und zu eingreifen, ſo fanden ſich dagegen ſo viel Hinderniſſe, daß ſie zulegt malgré bon gré von jedem Verſuche dazu abſtehen mußte . Niemand hat hierin bittrere Erfahrungen gemacht, als Oberſt v . Clauſewitz, der bei ſeiner großen Urbanität, ja bei einer gewiſſen Blödigkeit , ſich gewiß nie zu herben oder voreiligen Schritten und Ueußerungen hat hinreißen laſſen. Nichts deſto weniger ward er in allerhand Verdrießlichkeiten verwickelt, die zu Beſchwerden bei der General- Inſpektion und beim Kriegs-Miniſterium Veranlaſſung gaben und die wahrſcheinlich dazu beitrugen, neue Sphäre verſekt wurde.

daß er ſpäter in eine ganz

Die Verhältniſſe auf der Kriegsſchule waren damals eigener Art. Die vielen Elemente, die durch die Landwehr in die Armee gekom men waren , ſuchten ſich damals geltend zu machen. Dieſe hatten einen ſtarken Beigeſchmack von Demokratie, der denn in dieſem und jenem hervortrat, zu Händeln und Duellen führte, die mitunter einen tödtlichen Ausgang hatten. Ein großer Theil der jungen Leute benußte die Zeit , um ſich gut zu amüſiren . Unter Vergnügungen und Zerſtreuungen gelangten ſie von Cötus zu Cötus, denn es kam nur höchſt ſelten vor, daß ein Schüler nicht wieder einberufen worden wäre . Die Erzählung der kleinen Intriguen in dieſem Krieg der Schü ler gegen die Lehrer, in dem Hofleute, Hofdamen und ſelbſt der Her zog Karl mitſpielten und mitwirkten , würde reiche Unterhaltung ge währen, aber zugleich einen betrübenden Beitrag zur Charakteriſtik der Verhältniſſe bieten. Die damalige mangelhafte Organiſation der Allgemeinen Kriegs Shule war Schuld, daß dieſes Inſtitut , an dem meiſtens vortreff liche Lehrer fungirten , das eine werthvolle Bücher- und Karten Sammlung beſaß, im Vergleich zur école polytechnique und an

*) Das erſte Geſetz ſchon für die Zulaſſung zum Military Seminary in Addiscombe ſagt : It is an indispensable qualification to write a good legible hand. 2*

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deren Anſtalten dieſer Art ſo wenig leiſteté. Was nun die algemeine wiſſenſchaftliche Bildung, welche hier erworben werden ſollte, betraf, ſo war ſie faſt Null. Mit den Fachwiſſenſchaften war es zwar bei ſer beſtellt und es lieferte die Schule den alljährlichen Bedarf an Topographen und Generalſtabs -Offizieren. Doch ſeit dem faſt fünfzig jährigen Beſtehen dieſer Anſtalt iſt keine hervorragende Kapazität aus derſelben hervorgegangen , während ſich doch einzelne der Lehrer an derſelben wie Erman , Ritter , Müller, Dirichlet, Dirkjen , Baeyer, Ohm eines europäiſchen Rufes erfreuten . Aber die Direktoren dieſer Anſtalt ſind gewöhnlich nicht recht geeignet für ihren Poſten geweſen. Es iſt dieſe Stelle häufig nur als Verſorgungs-Anſtalt für Gjenerale, mit denen man ſonſt nichts anzufangen wußte, betrachtet worden. General v . Clauſewig iſt die einzige bekannte Perſönlichkeit unter den ſelben geweſen und dieſer machte total Fiasco hier , wie ich bereits erwähnte. Die mangelhafte Vorbildung der jungen Leute , die win = derliche Prüfung derſelben, um Zutritt zu erhalten , der zwitterhafte Charakter der Anſtalt, halb Ritter - Afademie, halb Schule , die geſtat tete Willfür bei Auswahl der Wiſſenszweige , welchen ſich die Schü ler widmen wollten , anderer Verhältniſſe nicht zu gedenken , ſind ge wiß gleichmäßig Schuld, daß die Anſtalt ſo wenig leiſtete. Ich möchte mit ſehr geringen Ausnahmen das ſogenannte wiſſenſchaftliche Beſtre ben der meiſten Schüler mehr als ein wiſſenſchaftliches Jrrlichteriren , das ſich kaum über die flachſte Unbedeutendheit erhob, wie als ein ernſt liches, gründliches Studium bezeichnen . Den Kriegswiſſenſchaften wurde zwar mit Recht die größte Aufmerkſamfeit zugewandt, aber die eigenthümliche Richtung des deutſchen Geiſtes , der ſich häufig noch ehe er ſelbſt eine Sache recht verſtanden und aufgefaßt hat , der Kri tik zuwendet, was bei der Jugend gewöhnlich beſonders ſtarf der Fal iſt, offenbarte ſid auch hier entſchieden. Die jungen Leute machen die Kritiker der Vorträge und ihrer Lehrer ; ihre Urtheile gewinnen häufig das Anſehen einer Art Autorität beim Publikum und ſo fommt es denn, daß oft die beſten Lehrer ſchief beurtheilt werden. Die Folgen davon bleiben natürlich nicht aus. Deren Vorträge werden vernach : läſſigt und ſo kommt es denn, daß die Jugend in den meiſten ( les genſtänden nur eine ſtümperhafte Ausbildung erlangt und ſich in den militairiſchen Wiſſenſdaften faum mittelmäßige Renntniſſe erwirbt. Wir dürfen dies im Allgemeinen auch als die Urſache betrachten, warum die Armee ſo wenig ſtreng wiſſenſchaftlich durchgebildete Män ner hat und warum es öfters an brauchbaren Lenten gefehlt hat,

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wenn man ſich für die Diplomatie oder ſonſtige höhere Stellen nach folchen in der Armee umgeſehn. Die alte Armee hatte , wie ich glaube, deren mehr wie die heutige, was die Namen Aller derer be zeugen, die bis vor einigen zwanzig Jahren in derſelben wirkſam ge weſen ſind. Während ich nun im eifrigen Lehren und Lernen treu beſchäftigt war ,

erfuhr ich zu meiner ſtillen Beunruhigung nichts über meine

Arbeit, welche ich dem General v. Müffling ſpäter, nach ihrer Voll endung eingereicht. Wichtige Ereigniſſe hatten indirekt auf das Schick fal derſelben eingewirkt. Der Kaiſer von Rußland , Nicolaus , war nämlich am 6. Juni 1829 mit der Kaiſerin nach Berlin gekommen , um der Vermählung des Prinzen Wilhelm beizuwohnen.

Bei einer der großen Vorſtel

lungen , die dergleichen Verhältniſſe mit ſich bringen, ward denn auch ich beſchieden und in zweiter Linie aufgeſtellt. Von hier aus hörte ich, was der Kaiſer mit Major v . Radowit ſprach, hinter dem ich ſtand. Er richtete an dieſen mehrere Fragen über Artillerie und artileriſtiſche Gegenſtände. Ich kann nicht ſagen , daß der Raiſer ſich hierbei auf einen ſehr hohen Standpunkt geſtellt hätte.

Die Unterhaltung drehte

ſich um lauter geringfügige Details, über Beſpannung nach ruſſiſcher oder preußiſcher Art , die Wiſcher , welche er bei uns geſehen , die neuen Lünſen ac .;

ich hörte auch nicht ein einziges Wort , das den

Mann verrathen, der die Details in einem großartigen Maßſtabe be trachtet und gewürdigt; - es waren Betrachtungen , die höchſtens einem Batterie- Chef zukommen . Als ich zu Radomiß mein Befrem den hierüber äußerte, ſagte mir dieſer: ,, Wie können Sie dies anders verlangen ? Ueber ſich hinaus kann Niemand ! " Bald darauf gewahrte ich den Kaiſer in einer Fenſterniſche mit General v . Müffling ſtehen . Sie ſprachen lange und viel mit einander. Später gingen ſie in das Zimmer , in welchem der König verweilte und ſich mit einigen ruſſiſchen Generalen unterhielt. Nach einiger Zeit war General v . Müffling auf der Reiſe nach Konſtantinopel. - Doch durch General v . Rühle erfuhr ich, daß mich der gütige Herr nicht vergeſſen . ,, Es iſt gut, daß ich Sie treffe," redete er mich an. General Müffling hat mir Ihre Arbeit gege ben und läßt Ihnen ſeine Zufriedenheit ausdrücken .

Er iſt in Allem

mit Ihnen einverſtanden und nur gegen das Formelle hat er Man ches einzuwenden ;" und nun ging er mit mir die Hauptpunkte durch und ſeşte mir auseinander , wie eine ſolche Arbeit formel gehalten

22 werden müſſe . Da ihn ſein Weg nach der Münzſtraße führte, hatte er vollauf Zeit, mir ſeine Anſicht mitzutheilen, die ich mir denn auch gemerkt und nach Möglichkeit angeeignet habe . Die Gegenwart des Kaiſers brachte übrigens eine Menge Pa raden, Couren und Feſtlichkeiten mit ſich . Ich hatte im Winter den ſogenannten Polonaiſen -Bällen beigewohnt , hatte mithin nur nig vom Hofe geſehen, denn dergleichen Feſtlichkeiten beſchränkten darauf, daß man ſich in dem großen Saale verſammelte und

nur we ſich hier

dicht zuſammen gedrängt eine Zeit lang wartete . Dann öffneten ſich die Thüren der Königlichen Gemächer, aus denen nur die Allerhöch ſten Berſönlichkeiten unter Vortritt eines Flügel-Adjutanten eine Runde unter Baufen und Trompeten durch den Saal machten und ſich dann wieder zurückzogen , worauf ſich die Thüren wieder ſchloſſen . Dies wiederholte ſich dann noch zweimal, worauf dann Aules, Damen und Herren , im wilden , bunten und

mitunter

abenteuerlichen Durchein

ander die Treppen hinunter ſtürmte und in den kalten langen Kor ridoren oder auf den zugigen Treppen die Ankunft der Wagen ab wartete .

Ganz etwas anderes war es diesmal mit den Feſtlichkei

ten ; es waren bei der Vermählungsfeier alle Solennitäten hervorges ſucht.

Dergleichen Akte würden etwas weit Feierlicheres haben, wenn

dabei mehr Ruhe, Ordnung und ich darf wohl ſagen mehr Anſtand herrſchte.

Aber das rückſichtsloſe Gedränge bei ſolchen Gelegenheiten,

dem ſelbſt Damen ausgeſetzt ſind, das Durcheinander, gleich nachdem die Züge 2c. ſich in Bewegung ſeten , das Geſchwirre und laute We fen , das nur ab und zu durch das Klopfen des Stabes des Ober Kammerherrn unterbrochen wird, machen auf Jemand, der dergleichen zum erſten Male ſieht, einen unangenehmen Eindruck . Die majestas regia, die aus der Ferne geſehen, etwas ſo Jm ponirendes hat, geht hier ganz verloren und eine ſolche Verſammlung der Allerhöchſten und Höchſten Herrſchaften hinterläßt am Ende fei nen andern Eindruck als jede andere größere Verſammlung gebildeter und halbgebildeter Leute. Einen

impoſanten Eindruck machte die Abendmuſik,

welche die

Offiziere der Garnijon unter Begleitung aller Muſifer, Sänger und Tamboure dem Raijer brachten . Rapellmeiſter Neidhardt leitete wie iminer die Sache, die zıır vollſten Zufriedenheit der hohen Herrſchaf ten ausfiel.

Die Zahl der handelnden Muſifer, Sänger und Spiel

leute ſoll ſich auf circa 600 bis 700 belaufen haben ; doch war der Lärm nicht ſo groß als man es hätte vorausſetzen ſollen.

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Die Kevüe am 8. Juni verlief in der gewöhnlichen Art, indem es nur darauf ankam , dem Kaiſer die Truppen , die er ſchon früher geſehen und von denen er viele Offiziere fannte , vorzuführen. Die Unerſättlichkeit des Raiſers in dergleichen Genüſſen fam hierbei mit in Anſchlag. Dergleichen Schauſpiele haben ſowohl für den Zuſchauer als den Mithandelnden etwas Ermüdendes. Der momentane Eindruck , der hervorgebracht wird ,

der nebenbei geſagt,

mit von hundert Kleinig

feiten abhängt, und ein ganz momentaner bleibt, ſteht zu der aufge wandten Mühe in gar keinem Verhältniß. Iſt der Beſichtigende nicht ein Mann von Einſicht, ſo wird er aus dem Herunterreiten an der Front und dem Vorbeimarſch ſelbſt ſchwerlich ein genügendes Bild von der Tüchtigkeit der Truppen erhalten. Die Kriegsbrauchbarkeit wird danach nur ſchwer, faum annähernd ermeſſen werden können. Dazu gehören ganz andere Dinge. einmal zurück.

Wir kommen wohl hierauf noch

Die Bietät des Kaiſers für ſeinen Schwiegervater, dem er vor den verſammelten Truppen und den zahlreichen Zuſchauern die Þand Die Verehrung , welche die füßte, machte einen guten Eindruck. Ruſſen im Allgemeinen für ihre Aeltern an den Tag legen , mochte hieran einigen Antheil haben ; jedenfalls lag aber auch etwas Berech nung barin . Der Herbſt 1829 brachte mir ein Kommando zur ſogenannten Generalſtabsreiſe. Die Reiſen hatten damals einen andern Charakter wie heute und es wurden dazu nur wenige Offiziere herangezogen . Wenn ich mich recht erinnere , ſo waren damals außer mir nur die Lieute nants v . Schöler, der ſpäter Generallieutenant und Diviſions - Rom mandeur geworden, Lieutenant Olberg , ſpäter General und Komman dant von Luxemburg , v. Vincke, der ſpäter als Mitglied des Land tages von ſich reden machte, und ein Lieutenant v . Stein ,

ein ſehr

fähiger und begabter junger Mann , den ſeit 20 Jahren bereits die Erde deckt, dazu kommandirt. Die Uebung auf der einen Seite lei tete der Major v. Williſen ,

auf der andern Major v . Röder ,

das

Ganze der General Leo v. Lütow ; noch waren dazu vom General ſtabe kommandirt die Majore . v. Below , D'Egel und einige andere. Die Sache war in vielen Stüden ſehr lehrreich für mich, denn ich lernte hier das Techniſche kennen, das mir bis dahin ganz fremd war und das erſt in jüngſter Zeit durch General v . Müffling die

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Form erhalten , wie ſie heute in der Armee noch gilt , das aber das mals ſorgfältig geheim gehalten ward . Ich ſah, wie viel mir noch zu thun blieb, und wie viel mancher meiner künftigen Kollegen, die ich an Kenntniſſen wohl weit übertraf, durch eine gewiſſe Technik vor mir voraus hatte.

Was mir aber

von eben ſo großem Werth war, waren die perſönlichen Beziehungen, in welche ich hier zu den Offizieren des Generalſtabes trat. Man kam mir mit wahrer Kameradſchaft entgegen und ich bin mit allen Genoſſen meiner erſten ſtrategiſchen Uebung fortan in den beſten Bes ziehungen geblieben. General v . Lüğow, eine hohe ſtattliche Figur, der einige Feld: züge in Spanien unter General Blafe mitgemacht, war eine damals in Berlin bekannte und beliebte Perſönlichkeit. Seine Laufbahn, das würdevolle in ſeiner äußern Erſcheinung, ſeine häuslichen Tugenden und die Reinheit ſeiner Sitten hatten ihm in der Geſellſchaft eine gewiſſe Geltung verſchafft.

Aber recht betrachtet hatte er mehr das

Gepräge eines Profeſſors als eines Soldaten .

Die Feierlichkeit jei

nes Ausdrucs gab ihm etwas Bedantiſches und ſollte ab und zu wohl dazu dienen , eine gewiſſe Gedankenarmuth zu verdeden ; ſein dogmatis ( cher Ton, ſeine Erörterungen ließen ihn bald als einen Doctrinair von nicht bedeutendem Range erkennen .

Sonſt war er von liebens

würdiger Leutſeligkeit, der ehrenhafteſten Gutmüthigkeit, einer großen Arbeitskraft und unermüdlichem Geſchäftseifer und Thätigkeitstrieb. Ganz anderer Natur waren die beiden unter ſeiner Leitung ſtes henden Majore v . Williſen und v . Röder. Williſen , der ſpäter durch ſeine Bojener und Holſteiner Affairen eine gewiſſe Berühmtheit ers langte , hatte ein freimüthiges Weſen , trotz ſeiner barſch ſcheinenden Haltung eine große Gutmüthigkeit und ein bedeutendes Talent Ver wickelungen zu beherrſchen.

Sein unerbittlicher Menſchenverſtand, die

Feinheit ſeines Geiſtes und dabei ein gewiſſer Hochmuth und Stolz ließen ihn ſich auf dieſer Reiſe öfters wohl zu einem Betragen gegen Lüyow hinreißen, das ganz nahe an eine Art Jronie ſtreifte, und ibn faſt aus der Geſetzlichfeit heraustreten ließ . – Aber eben dieſes Be nehmen erwarb dem Major die Sympathie der jüngeren Offiziere in einem höheren Grade, wie daſſelbe es wohl verdient hätte . Major v . Röder , Adjutant des Kronprinzen , ein redlicher und rechtſchaffener Mann , ſtand Williſen an Kenntniſſen unendlich nach ; aber

er

hatte

Biſchen Offiziere

jene

Art

häufig

natürlicher

Einſicht ,

charakteriſirt, oft die

welche

den

Preu :

ſchwierigſten Fragen

25

mit großem Glück löſt und den Mangel an Kenntniffen aus gleicht. Er neigte ſich in ſeinen Anſchauungen mehr auf die Seite des General v. lügow , weil ſie einen und denſelben Ge dankenkreis beherrſchten und mittelmäßige Röpfe ſich, ich möchte ſagen Während Williſen in ſeinen inſtinktartig , immer zuſammenfinden. Plänen und Ideen ſich den napoleoniſchen Anſchauungen zuneigte, ſei nen Befehlen ſogar die napoleoniſche Form gab, repräſentirte Röder klar , kurz, beſtimmt und einfach . das altpreußiſche Syſtem , Beide gelangten zu ein und demſelben Ziele, aber nur weil die Wege bahin beſtimmt vorgeſchrieben und eng begrenzt waren. Dieſe Uebungen, die vielfach gelobt und getadelt werden, haben ihren großen Nutzen, wenn ſie zweckmäßig geleitet werden.

Heute hat

man ſie vervielfacht, die Leitung fällt oft in ungeſchickte Hände und ſomit wirken ſie mehr ſchädlich als nüßlich. Der ſogenannte ſtrategiſche Calcul wird dadurch auf eine Spige getrieben , die nicht haltbar iſt; einzelne junge Leute entwickeln dabei eine Spitfindigkeit und eine Subtilität der Anſchauungen , die an das Unglaubliche grenzt und weit von dem Wirklichen entfernt bleibt ; es iſt eine wahre Haarſpalterei und erinnert nur zu oft an die Tän deleien , die wir auf Ererzirpläßen durchführen ſehen . Abſtrakte Bes ſchlußfaſſungen ſind allerdings immer leichter auszuſinnen, als prat tiſche Maßregeln auf der Stelle zu ergreifen. Neben den militairiſchen Dingen wurden auf der Reiſe auch aller hand wiſſenſchaftliche Gegenſtände

getrieben und literariſche

Neuig

keiten beſprochen. Da war kein Gebiet der franzöſiſchen Literatur, keine irgendwie bedeutende Erſcheinung, die wir nicht des Abends, wenn die Arbeiten beendet waren und wir uns bei dieſem oder jenem der Vorgeſetten oder Kameraden verſammelten , durchgenommen hätten . Nebenbei wurden allerhand antiquariſche Curioſa in Betrachtung ges zogen . Vieles aus des Tacitus Germania, den einige der Offiziere mit ſich führten , ward beſprochen, geprüft. Ich ſelbſt ward einſt von Williſen durch eine Stelle im Tacitus zurecht gewieſen. Ich hatte nämlich behauptet , daß mir für einen Auftrag zu wenig Zeit zuge : meſſen. Ohne ein Wort zu ſagen ſtand Williſen vom Tiſche auf, nahm den Tacitus und wies mir dann mit dem Finger die Stelle in den Histor . V. 21. Sane Cerialis parum temporis ad exse quenda imperia dabat ; subitus consiliis, sed eventu clarus ! Ich nahm die Zurechtweiſung natürlich ruhig hin , dachte mir aber mein Theil dabei.

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Oberſt v . Below , mit dem ich ſpäter einmal über dieſen Bor fall ſprach und der es liebte , kleine Anekdoten zu erzählen und ſich epigrammatiſch auszudrücken, nahm einen Theil der Butler’ſchen Werke aus ſeinem Schranke und deutete mir mit dem Bemerken, Sie hätten den Lateiner mit dem Engländer todt machen ſollen, die Stelle an : He who's convinced against his will, Is of the same opinion still. Ich führe dieſe kleinen Züge an , um den Geiſt unſerer Unter haltungen zu bezeichnen . Zwar ging man damals noch nicht in ſeinen politiſchen Anſichten nach allen Richtungen der Windroſe auseinander wie heute, aber den noch fand ſtets eine gediegene und erſchöpfende Erörterung ſtatt, wo zu General v . Müffling die Offiziere ſtets animirte und worin er, Rühle v . Lilienſtern und Radowiß Meiſter waren . Ich erinnere mich, daß wir einſt, als wir in Weſtphalen operirten, einige Säße aus Rumohrs Geiſt der Kochkunſt eben ſo gründlich discutirten als die Schlacht bei Minden , deren Referat auf dem Schlachtfelde mir zu gefallen war. Wenn ich offenherzig ſein will, ſo war das was als Beiwerk und Lückenbüßer mitging und Gegenſtand privater Discuſ fionen war, öfters nüglicher, bildender und belehrender als das was unmittelbar den Krieg betraf und eigentlich doch nur einem Calcul mit imaginairen Größen glich.

Ich laſſe dahingeſtellt, wie viel ein

Jeder von uns auf der Reiſe gelernt; wie wenig aber die Rekognos zirungen, welche bei ſolchen Gelegenheiten gemacht werden, für etwaige ſpätere Vorfommniſſe geeignet ſind, davon hatten wir mehrfache Bes weiſe. Manche Gegenden , die im vergangenen Jahre ganz trocken geweſen, ſtanden in dieſem Jahre unter Waſſer und waren für mili tairiſche Zwecke ganz unpraktikabel .

Wenn uns die intereſſanten Re

fognoszirungen des franzöſiſchen Oberſten Bimodan, welche er vor etwa 6 bis 8 Jahren im Spectateur über den Lobau - Uebergang publizirte, bei denen er "z. B. die Lobau von Stein zu Stein, die aus dem Waſſer hervorragten, ſpringend trodenen Fußes durchſchritt, hierüber auch nicht belehrten , ſo thut dies der Feldzug der Deſter reicher 1859 in Italien . Es wird daher ſtets großer Vorſicht be : dürfen , wenn man auf Rekognoszirungen, welche vor längerer Zeit gemacht wurden , Operationen baſiren will. Ein großer Uebelſtand , den dieſe Uebungsreiſen veranlaſſen , iſt die Ueberhebung, welche ſie bei einzelnen Offizieren hervorrufen . Man zieht ſich ſo aumählich eine große Menge begehrlicher Menſchen heran,

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die alle pouſſirt werden wollen und denen der Frontdienſt zum Etel wird. Avanciren nun ſolche Leute , die ihre Lorbeeren ſo leicht er werben , noch raſch, ſo erwecken ſie dadurch Mißmuth bei den Front offizieren . Man muß alſo bei der Wahl von ſolchen Offizieren ſehr vor ſichtig ſein , denn wenn man ſich öfters vergreift, ſo wird dadurch der Schaden , den man hervorruft, viel größer als der Nußen , den man ſchafft. Der größte Uebelſtand aber, den dergleichen Beförderungen her vorrufen, iſt, daß dadurch die ſogenannten Frontoffiziere in den Hin tergrund treten . Friedrich der Große, der meiſt bei Tiſche über der gleichen Offiziere den Stab brach, mußte vom Marſchall von Sach ſen hierüber die Bemerkung hinnehmen : Sire , ce sont pourtant ces officiers, qui vous gagnent vos batailles . Ich kehrte allerdings in mancher Hinſicht ſehr zufriedengeſtellt, aber durch den Verluſt zweier Pferde finanziell ſtark angegriffen , nach Berlin zurück. Dergleichen Unglücksfälle fönnen Jemand auf Jahre zurückbringen und mir ſind aus meiner ſpäteren Zeit, wo die Pferde anfingen theurer zu werden , eine Menge Fälle bekannt geworden, daß Offiziere durch ſolche Unglücksfälle ſogar zu Grunde gegangen ſind. Der Kriegsminiſter v . Haake , mit dem ich einſt über dieſe Verhält niſſe ſprach, fannte ſie ſehr wohl und hatte auch die Idee , irgend eine Maßregel dagegen zu ergreifen , irgend etwas veranlaßt zu haben .

aber er iſt abgetreten , ohne

Der Zufalt brachte mich bald nach meiner Heimkehr in einer Soiree bei General v. Valentini mit General v . Thile I zuſammen ; wir ſprachen unter Anderem über die religiöſen Verhältniſſe in Bolen. Da ich den General als einen ſehr gottesfürchtigen Mann nennen gehört, ſo ſette ich auch voraus , er werde auf dem Gebiete der Kirchengeſchichte ſehr orientirt ſein. Aber ſeine Kenntniſſe hierin waren nur ſehr beſchränkt und er war nicht wenig erſtaunt über das , was ich ihm über die religiöſen Wirren in dieſem Lande, zu ſeiner Zeit das beſtregierte, religiös toleranteſte Land in Europa, ſagte. Von der Jeſuiten -Wirthſchaft in Polen, beſonders in der Ukraine und Litthauen, hatte der General feine Idee , wie dieſe recht eigent lich den Sturz Polens herbeigeführt und nur die heilloſe Zeit in Thorn 1724 war ziemlich Alles ,

worauf ſich ſeine Kenntniſſe be

ſchränkten.

So unerheblich nun auch die Kenntniß von Verhältniſſen

dieſer Art

für

einen Miniſter des Handels ,

des Aderbaues ,

der

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Juſtiz und endlich auch des Krieges ſein mögen , ſo befremdete es mich doch, daß ein ſo hoch ſtehender Herr , der namentlich in firch: lichen Sachen einen hohen Einfluß haben ſollte , ſo wenig vertraut damit war. Aber ich habe noch oft Gelegenheit gehabt zu bemerken, wie wenig unſere Staatsmänner mit der Geſchichte des ſlawiſchen Nors dens vertraut ſind . Leider entſprangen viele ihrer Maßregeln aus dieſer Unfunde und haben nicht wenig dazu beigetragen , Mißgriffe gegen die polniſchen Provinzen hervorzurufen. Während ich ſo meinen Berufsbeſchäftigungen, von denen die bei der Ober- Militair- Eraminations - Kommiſſion die zeitraubendſte war , oblag, arbeitete ich fleißig fort. Ich ercerpirte viel, vielleicht zu viel, was ich bei meinen wiederholten Verſeßungen , wenn ich jedesmal das Vorhandene ſichtete, recht deutlich gewahrte . Zugleich hörte ich einige Collegia bei Hegel, Ritter, Gans und Mitſcherlich. Einſt traf ich auf dem Wege zu Profeſſor Gans einen Gehei men Rath im Miniſterio des Geiſtlichen Herrn Schmeding. „ Wo: hin geben Sie ?" fragte mich der Herr. „ Ins Colleg zu Gans !" „ Wie !" fuhr er fort , ,, dieſe Vorträge hören Sie ?" „ Nun , ja , " ſagte ich und mit mir ſehr viele, ,, denn man muß früh geben, wenn man einen Plat haben will. " , Nun ," ſagte er in ſeinem ſtark pros noncirten weſtphäliſchen Dialekt, da will ich doch der Neugier wegen einmal mitgehen und hören , was der Wundermann erzählen wird.“

Er

fam auch wirklich mit, ſetzte ſich neben mich und hörte mit der anges ſtrengteſten Aufmerkſamkeit zu .

Nach Beendigung der Vorleſung fragte

ich denn, wie ihm dieſelbe gefallen ? ,, Nun , " ſagte er, ,, etwas Seich teres und Schlechteres habe ich ſobald nicht gehört. Es gehört eine rieſige Frechheit dazu , dergleichen zu ſagen und die Geduld unſerer Studenten, ſolche Faſeleien anzuhören. Ich kenne den ſeichten Bur: ſchen ſeit längerer Zeit , aber ſo unbedeutend hätte ich ihn mir doch nicht gedacht. Entkleiden Sie den Vortrag ſeiner Wigeleien und es bleibt nichts übrig als ein Gewäſch von lauter Gemeinplägen .“ Unbes dingt beurtheilte der Herr Rath Gans viel zu hart. Es iſt wahr ,

der Redner Gans entſprach an dieſem Tage ſeis

nem Rufe nicht, dazu machte er ferner eine Menge von Wißen , die ihm bei dieſer Vorleſung nicht beſonders gelangen , die aber nichts deſto weniger jenes horse laughter der ſtudirenden Jugend eitt brachten , und wonach leider nur zu oft der Ruf und die Beliebtheit eines Lehrers abgemeſſen wird .

Dieſes Wigeln und Hajchen nach

29

Wortſpielen aber muß zu allen Zeiten Mode geweſen ſein.

Ich habe

als Student in Königsberg ein nachgeſchriebenes Heft der Anthropo logie Kant's , wie er ſie früher vorgetragen , beſeſſen, das reich mit Bonmots und Wigen durchwebt war und das an manchen Stellen noch

die Bemerkung

enthielt :

„ Hier wird ein Witz eingeſchaltet. "

Auch Hegel ließ es hieran nicht fehlen , wie dies hierüber noch fur ſirende Anekdoten beweiſen .

Zweiter Abſchnitt. 18 30. Ernennung zum Major im Generalſtabe. -- Meldung beim Könige, beim General v. & rau . fened. — Ausbrud der Unruhen in Frankreid ), in Deutſøland , in Holland. – Die Uebung : reiſe unter dem Chef des Generalſtabes der Armee. Die Parteiſtellungen in Berlitt. – 910 tunft des Generals Grafen Mouton - lobau, des Feldmarſchau : Diebitích. Die militairiiden Borbereitungen im Miniſterium und Generalſtab. -- Zur Charakteriſtik des Herzog8 Xarl von Medlenburg.

Das Frühjahr 1830 brachte für mich Gutes .

Am 7. April

1830 ward ich zum Major im Generalſtabe ernannt. Der König nahm die Meldungen der Offiziere, die avancirt waren , in ſeinem Ba lais an . Es waren deren eine große Menge, die in einem Halb freiſe der Eingangsthür des Königlichen Gemachs gegenüber in mch reren Reihen geordnet waren .

Unmittelbar nach dem

Glocenjchlage

12 trat der König von Oberſt v . Witzleben und einem Adjutanten begleitet ein . Der Flügel - Adjutant des Dienſtes blieb an der Thür ſtehen . - Ich ſah hier den König zum

erſten Male ſo ganz

in der Nähe. Man jah dem guten Herrn die innere Bewegung an , jo viele glücklich gemacht oder doch zufrieden geſtellt zu haben . Gr ging den ganzen Kreis durch , fagte Vielen etwas Berbindliches und redete mehrere ihm bekannte Offiziere an , ohne daß dieſe ſich noch gemeldet hätten. Mir pochte das Herz als die Reihe an mich fam . Als ich meine Meldung gemacht, ſchwieg der König einen Augenblick und ſagte dann : ,, Viel Gutes von Ihnen gehört , hoffe, werden mir nod) recht nüblich ſein 2c . " Als der gefürchtete Moment vorüber war , dachte ich an meine Unterhaltung mit Napoleon in Paris und Smolensk.

31

Die Scenen von Smolenst, auf dem Schlachtfeld von Valutina Gora ,

wo ich den gewaltigen Mann neben Leichen ,

Verwundeten,

unter Ruinen und Trümmern erblickt und dieſe ruhige, durch die Güte und das Wohlwollen des Monarchen ausgezeichnete Scene - Na poleon auf St. Helena todt , der König, den ich 1807 flüchtig und verlaſſen am Meeresſtrand bei Tilſit ſpaziren gehend geſehen , am Ende ſeiner Staaten , heute ruhig , vom Siegesglanze umgeben , von der Liebe ſeines Volkes getragen in ſeiner Reſidenz Berlin ! — Welch ein Wechſel in den Verhältniſſen der Staaten und der Für ſten ! Iſt dies Gottes Finger ? Iſt dies die Frucht der Weisheit der Staatsmänner ? Wer weiß dies ? Seit dem zweiten Pariſer Frieden hatten allerdings der Krieg zwiſchen den Türken und Griechen , der Franzöſiſch - Spaniſche Krieg und der Kampf zwiſchen Don Pedro und Donna Maria da Gloria, ſowie der Türkiſch - Ruſſiſche Krieg die Ruhe Europas geſtört und Aleranders Tod hatte des Rönigs Herz tief betrübt – im Allgemei nen aber war Breußen jede direkt einwirkende Unruhe fern geblieben und der Wohlſtand des Landes hatte eine , über alle Vorſtellungen hinaus gebende , geſegnete Entwidelung genommen . - Zwar thürm ten ſich zur Zeit hier und dort Wolfen ,

aber Niemand ahnte wohl,

daß bald darauf ein Sturm losbrechen ſollte, der einen Theil des mühſam vollbrachten Friedenswerkes von 1814 und 1815 in Frage. ſtellen , den wieder errichteten Thron der Bourbons auf immer zer trümmern und eine Menge Verwirrungen herbeiführen ſollte, bei wel chen Preußen ſtark betheiligt werden konnte. Nach der Meldung bei des Königs Majeſtät fanden auch die andern ſtatt, welche in der herkömmlichen Art heruntergearbeitet wur den. Auffallend war mir die bei General Krauſeneck, der kurz vor her zum Chef des Generalſtabes der Armee ernannt worden war . Obwohl er eben erſt dieſe Stelle erhalten , gab er mir doch die Ver ſicherung, daß er meine Ernennung vorzugsweiſe bewirkt hätte , um praktiſche Offiziere in den Generalſtab zu bringen. Dieſe Leußerung überraſchte mich inſofern, als ich durch Rühle wußte, daß dies durch General v. Müffling bereits eingeleitet und vom General v. Wiple ben gut geheißen worden war. Der General ſelbſt imponirte durch eine angenehme äußere Erſcheinung. Seiner Bildung nach gehörte er einer etwas verflungenen Zeit an, deren Mängel er, unterrichteten Leuten gegenüber, durch eine gewiſſe Zurückhaltung und Schweigſam keit zu bemänteln verſtand . Vor Leuten geringerer Einſicht prunkte

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er wohl mit lateiniſchen Citaten – die aber nicht immer korrekt wa ren .

In militairiſchen Dingen hatte der General ein geſundes Urs

theil. In ſeinen jungen Jahren hatte er Beweiſe von Muth und Entſchloſſenheit gegeben und ſchon in der Franzöſiſchen Campagne 1806–7 den Orden pour le mérite erhalten. Er erfreute ſich zur Zeit ſeiner Ernennung eines Anſehens, das er vielleicht überſchäşte. Zwar im Beſitz einiger Fähigkeiten, welche Vertrauen zu erzeugen und zu feſſeln pflegen , ſtieß er doch oft zurück; ſeine gewinnende Ber: fönlichkeit machte ſich wohl ab und nicht dauernd;

zu

bemerkbar ,

aber ſie feſſelte

ſelbſt wenn er ſich in Freundlichfeit gegen jemand

erging, ſo trat darin etwas Protektoriſches hervor, das leicht verlegte. In hohen Kreiſen hat man ihm dieſe etwas herablaſſende Art und Weiſe , ſeine Anſprüche auf eine gewiſſe Geltung und ſeine Gering : ſchägung

der pofleute

nie

nachgeſehen. – Der

Grund

zu dieſer

ſtammte vielleicht noch aus der Zeit her , wo er das Garde - Füſilier: Bataillon fommandirte, und als Bürgerlicher möglicher Weiſe mande Unbil erfahren haben mochte. Nach der Schlacht von Lügen übernahm

er ,

da Scharnhorſt

verwundet und Gneiſenau in Folge heftiger Anſtrengungen war , die Leitung des Generalſtabes .

erfrantt

Aus dieſer Zeit her ſtammte

die Animoſität, welche zwiſchen ihm und dem Feldmarſchau Gneiſenau herrſchte. Sie ſoll ihren Grund in Neußerungen Krauſenects über die Geſchäftsführung im Hauptquartier gehabt haben . ſtimmung zwiſchen

beiden

ſchrieb man es auch

zu ,

Dieſer Miß daß Krauſened

1815 keine Anſtellung bei der Armee erhielt , ſondern als Komman dant und Gouverneur in Mainz verblieb . Der Ausbruch der Unruhen in Paris ,

den Karls des Zehnten

unkluges Benehmen hervorgerufen, war das erſte Zeichen einer neuen Geſtaltung der Dinge Maſſe.

und

ſchlug

wie

ein zündender Blig in die

Die Art und Weiſe, wie man den Begebenheiten dort folgte,

wie man ſie an öffentlichen Orten beurtheilte, mit Jubel und Freuden Aeußerungen begrüßte, beklatſchte, gaben den deutlichſten Beweis, daß man in eine neue Sphäre getreten . Alle Welt lauſchte den Nad) richten, horchte auf die Nufe von dort -- ein Fingerzeig für die he gierungen, welchen die meiſten leider ! unbeachtet ließen. Der Enthuſiasmus für die Bewegung in Frankreich grenzte in Leute , die noch Beziehungen an das Außerordentliche.

manchen

friſche Erinnerungen aus den Jahren 1813 und 14 hatten , verſicher: ten , daß die Aufregung damals faum ſtärker geweſen. Daß hierzu

33

die Neugier nach politiſchen Neuigkeiten viel beigetragen, verſteht ſich von ſelbſt, aber viel war durch die Zuſtände wie ſie einmal waren, hierzu vorbereitet. Die erwähnten politiſchen Verhältniſſe machten uns im großen Generalſtabe viel zu ſchaffen. Karten wurden fleißig ſtudirt, das Alte mit dem Neuen in Verbindung gebracht, alle Eventualitäten ſorgfäl tig erwogen. Ade Berichte, welche von der Grenze her eingingen, wurden zuſammengeſtellt; man ſammelte Nachrichten, Notizen von ver ſchiedenen Seiten her, ſtudirte die Kräfte des Landes , wog ab , ver glich ; die event. betheiligten Feſtungen, die muthmaßlich zu treffenden Maßregeln wurden in Betracht gezogen – mit einem Worte , man bereitete mit Umſicht Aues vor , um die Kommandirenden ſchnell in den Beſiß alles zur Kriegführung auf dieſem Kriegstheater nothwen digen ſeßen zu können. Dabei wurden Tableaur zu Verſammlungen von Truppen auf verſchiedenen Punkten , Ordres de bataille ent worfen ; ſelbſt Verpflegungsmaßregeln wurden in unſern Bereich ge zogen – mit einem Worte , es blieb nichts unbeachtet, was irgend zur Kriegführung gehören konnte. Hierbei aber fiel mir vorzugsweiſe auf, daß dieſe Anregung we niger vom Chef des Generalſtabes ſelbſt ausging , ſondern daß ſie eigentlich von unten fam , ich möchte ſagen von denen ausging , wel chen ſie eigentlich von oben her hätte eingeflößt werden ſollen. General ſelbſt nahm

von dergleichen immer

erſt Notiz ,

Der

wenn die

Chefs ihm das Geleiſtete vorlegten, oder wenn durch General v . Wiß leben , was häufig geſchah, eine Anregung dazu durch eine Nachfrage 2. gegeben ward.

Ich habe Verhältniſſe dieſer Art auch in ſpäteren

Zeiten beobachtet. Mir ſchien es, daß ſie den Grund in zwei Uebel ſtänden haben . Der erſte iſt wohl der , daß öfters Leute an die Spiße von Branchen kommen , welche ſie nicht gründlich kennen , in dem ſie als Adjutanten oder in Verhältniſſen außerhalb der Armee zu den oberen Stellen hinaufrücken und ſo ohne die nöthige Detail fenntniß bleiben , oder daß die Leute zu alt in gewiſſe Wirkungsſphä ren verſetzt werden und dann bereits die rechte Elaſticität des Geiſtes und Körpers eingebüßt haben .

Dieſem abzuhelfen iſt allerdings eine

ſchwierige Sache, indem vielen Leuten die nöthigen Vorzüge, ich möchte ſagen, erſt mit den Jahren zuwachſen, andere ſie aber gerade mit den Jahren verlieren . Darum bleibt es für höhere Offiziere eine der weſentlichſten Obliegenheiten, ihre Untergebenen recht gründ ſich kennen zu lernen , um für alle Eventualitäten tüchtige Leute in 3

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Bereitſchaft zu haben. Hierzu aber gehört viel Menſchenkenntniß und Beobachtungsgeiſt und das gerade iſt es, was ſelten in der Welt ge funden wird. In den gewaltigen Wirren dieſer Zeit machte ſich, ſoviel ich be merken konnte , feine beſondere politiſche Rapacität geltend. Es wur den wohl Konferenzen vollauf gehalten, doch tranſpirirte im Augemei nen nur wenig von deren Beſchlüſſen. Im Allgemeinen bemerkte man wohl, daß man mit ſich ſelbſt nicht recht einig war – es ſchien ſich immer nur darum zu handeln , das Augenblicliche , was unbequem werden konnte, zu beſeitigen – von einem feſten entſchiedenen Change offenbarte ſich in den militairiſchen Maßregeln Nichts.

Was mich

vorzugsweiſe frappirte, war , daß man von einer Menge Einflüſterun gen und Machinationen ſprach , daß man Koterien bezeichnete, in de 'nen die Politik -eifrigſt beſprochen , die Regierungsmaßregeln kritiſirt und angegriffen wurden . Man begnügte ſich aber nicht mit Beur theilung der Verhältniſſe ,

auch die Perſonen wurden nicht verſchont.

Namentlich entbrannte der Zorn der Leute , welche ſofort zuſchlagen wollten, gegen General v . Wißleben , der dem Könige in allen Be ziehungen am nächſten ſtand. Klar , ruhig und beſonnen ſcheint ſich dieſer in den Verhältniſſen leicht zurecht gefunden zu haben, aber bei den vielen widerſtrebenden Anſichten , die ihm ſtets und von allen Seiten entgegengetreten ſein ſollen, mußte er es wohl aufgeben, einer ächten ſtaatsmänniſchen Politik zu folgent .

Was von Muth ,

Willen

und Charakter im General war , fonnte nicht völlig zur Geltung kom = men .

Man durfte aus dem , was man täglich fah, folgern, daß man

das flare Urtheil über Menſchen und Dinge in den höheren Sphä ren verloren hatte . Unter den Offizieren des Generalſtabes herrſchten im Allgemei nen ſehr geſunde Anſichten über die Verhältniſſe und ich darf wohl ſagen, daß ſie den andern Offizieren un Vieles voraus waren . Eine Uebungsreiſe, die wir im September machten und die ſich bis gegen den Rhein hin ausdehnte, gab uns vollfommen Stoff zu Beobachtun gen und fomparativen Zuſammenſtellungen . Der Aufſtand in Brüjjel ( 25. Auguſt) und die Bewegungen in Heſjen ,

Sachſen und Braunſchweig ,

hatten bereits ſtattgehabt.

die Flucht des Herzogs Karl,

Da wir einzeln, oft auch mehrere zuſam

inen Braunſchweig, Kaſſel , Aroljen und andere größere Städte bes rührten und mit vielen Leuten aller Stände in Berührung famen, ſo hatten wir genügend Gelegenheit,

die Volfsſtimmung kennen zu ler:

35

nen.

Das Material, das wir zu einer richtigen Würdigung der Ver

hältniſſe hätten liefern können , würde unbedingt vollkommen hingereicht haben , ſich ein ganz klares Bild derſelben zu machen. Aber ich zweifle , daß man irgend Jemand von den Generalſtabs - Offizieren hierüber befragt.

Man iſt,

glaube ich ,

bei den Berichten der Ge

ſandten ſtehen geblieben , und was das heißt , weiß man ja . Das Lie abroad for his country , das lie in ſeinem Doppelſinn als lügen oder liegen genommen , iſt heute noch eben ſo wahr als ſonſt, wenn nicht ein Friedrich der Große das Treiben dieſer Herren beob achtet und ſie anhält, das Richtige zu ſehen und zu berichten. Die diesmaligen Uebungen leitete der General Krauſeneck ſelbſt; unter ihm fungirten die Majors v . Felden und Staff b. Reißenſtein. Wenngleich die drei Herrn in ihren Anſchauungen ſehr auseinander gingen und auch auf einer ſehr verſchiedenen Bildungsſtufe ſtanden, ſo war die Reiſe doch belehrend. Staff v . Reißenſtein , der einen Theil des Krieges in Spanien mitgemacht , 1813-15 gefochten und dann dem Feldzug an der Donau unter Diebitſch beigewohnt , hatte eigentlich wenig gelernt und trieb ſeine fernere Ausbildung auch nur oben hin , weil ihin die Verhältniſſe, in denen er lebte , hierzu keine Zeit ließen ;

er beſaß aber bei ſeiner Kriegserfahrung gute geſchicht

liche Kenntniſſe.

Ich habe wenig Offiziere kennen gelernt,

die ein

ſolch eminentes Talent für ſogenannte ſtrategiſche Kalculs beſaßen wie Major v . Staff Bläne entwerfen , ſie eventuell umarbeiten , in neue Formen gießen , ſie neu gegebenen Verhältniſſen anpaſſen und das nöthige Detail dazu liefern, das Alles geſchah von ihm mit einer unglaublichen Leichtigkeit. Wäre ihın Gelegenheit gegeben worden , in irgend einem großen Hauptquartier ſeinen Fähigkeiten gemäß ver wendet zu werden , ſo würde er gewiß bedeutende Reſultate erreicht haben. Es iſt zu bedauern , daß Talente und Fähigkeiten dieſer Art nicht vererbt werden können . Durch Studien glaube ich, ſind ſie auch nur dann zu erreichen , wenn angeborne Fähigkeiten dafür vor handen ſind. Major v. Felden war weit entfernt, ſeines Gegners Anſchauungs weiſe zu theilen. Von eiſernem Fleiße und einer peinlichen Strupu loſität in den Details , aber weniger orientirt für den höhern Theil der Kriegskunſt, blieb er allen Extravaganzen, wozu das Manövriren ohne Truppen nur zu leicht verleitet, immer fremd und ſorgte beſon ders auch dafür, daß die Extravaganzen auf anderen Seiten vermieden wurden .

Er repräſentirte das Prinzip der 3 Tage - Märſche und des 3*

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9 tägigen Mundbedarfs , das er meiſterhaft aufrecht erhielt, wenn die Auf gabe nicht ſeinen Fähigkeiten überlegen war. Eine gewiſſe Zähigkeit und ein Beharren auf ſeinen Ideen machte ihn dem der

bei

jeinen

Kritifen

indeſſen

meiſtens

nur

General unbequem , bei Einwendungen

ſtehen blieb , welche mehr auf höfliche als entſchiedene Urtheile hin ausliefen. Bei alledem war die Uebung ſehr lehrreich. Der Gene : ral ſelbſt faſte die Sache wie ein geiſtreicher in militairiſchen Tin gen geübter Mann auf . Die beiden Chefs unterließen nichts , um die

ihnen

zugetheilten

Offiziere

zu

unterweiſen.

Alles

was

auf

Märſche, Lagerungen , Poſitionen a . Bezug hatte , ward genau erwo gen , beachtet, der ſtrengſten Kritif unterworfen . Die Art und Weiſe, wie dies bei vorſchreitenden oder rückgängigen Bewegungen zu beach ten , wie die Zufuhren der Parts einzurichten , wo die Magazine zu etabliren , die Etappenſtraßen gegen feindliche Angriffe zu ſichern, wie einzelne wichtige Punkte zu befeſtigen Alles ward in den Kreis der Berathungen gezogen. — Ich habe ſpäter noch mehrere llebungen mitgemacht und mich überzeugt, daß wenn ſie gut geleitet werden, ſie ein

vortreffliches Mittel bleiben ,

Offiziere für größere Verhältniſſe

heranzubilden. Nur miiſjen ſie methodiſch vorbereitet und fortgeführt werden . Die ſtrategiſchen Fineſſen, womit von unpraktiſchen Naturen meiſtens ein wahrer Mißbrauch getrieben wird , müſſen beſeitigt und durch cine geſunde Anjicht friegeriſcher Verhältnijie erſetzt werden . Wie zu allen Dingen nicben einem hört, ſo auch hier .

gewiſſen Taft auch Erfahrung ges

Während die Ereigniſje in Franfreid ) wir unſere Federn in Bez wegung geſetzt hatten und einſtweilen durch die Einſchiffung der Pour bons in Cherbourg ( 16. Auguſt 1830 ) wieder etwas Beruhigung ein getreten war, hatte der Ausbruch der Revolution in Brüſſel ( 25. Au guſt 1830 ) neue Gährung geſchaffen , welche durch die Bewegungen in Heſſen, Sachſen, Vraumſchweig ( September ) ſtart vermehrt ward. Die Beſchießung Antwerpens ſteigerte die Eraltation der verſchiedenen Parteien aufs Göchſte, alle Welt war bis zur Erploſion geſpannt, welche Wendung die Dinge nchinen würden . Es fehlte nicht an leis denſchaftsloſen und einjichtsvollen Leuten , welche die Verhältniſſe rubig würdigten , aber eine große Menge Offiziere , an deren Spitze der of des Prinzen Albrecht ſtand, waren entſchieden für ein Eingreifen. Zugleich erſchienen Ruſſiſche Offiziere in Berlin , welche nicht unbeut: lich 311 verſtehen gabent, als handle es ſich um einen baldigen Kampf mit Frantreid ) .

Sie gingen viel mit Offizieren um , welche ähnliche

37

Gedanken hatten und es ward von Vorbereitungen für einen Marích nach Frankreich fortwährend geſprochen, es wurden ſogar Konzentri rungsprojekte und Marſchrichtungen bearbeitet, vielleicht ohne daß die Regierung hiervon Kenntniß hatte. – Man hatte hierbei wahrſchein lich auf Zufälligkeiten gerechnet , die dann ein Entrainement herbei führen könnten .

Jedenfalls befundeten dergleichen Verhältniſſe eine

Ungehörigkeit, indem ſie Beſtrebungen offenbarten , den Willen Unbe rechtigter an die Stelle des Willens der Regierung zu legen und ſo mit Verhältniſſe anzuſtreben , die vielleicht gar nicht in deren Abſicht lagen . – Der Heerd aller Neuigkeiten war das Caſino, in dem die meiſten Zeitungen gehalten wurden und in dem alle Diplomaten und Leute von Stande verkehrten.

Einzelne Blätter des Figaro oder des

Journal des débats , der Temps 2c. , die initunter Artikel brachten, welche recht verleşen konnten, wie z. B. der meinen Zeitgenoſſen noch erinnerliche über die Jagd im Grunewald , erregten mitunter den größ ten Unwillen. — Bei Steheli dagegen ſammelten ſich die Literatur und Alles, was den Fortſchritt wollte . Uebrigens waren viele Leute der höhern Stände einer konſtitutionellen Regierung durchaus nicht abgeneigt.

Fürſt Pückler ,

viele der berühmten

Profeſſoren an der

Univerſität , Oberſt v . Williſen , viele Offiziere , ſelbſt ſolche die den Prinzen beigegeben waren, wie Oberſt v . Below, ſprachen ohne Rück halt von der Nothwendigkeit konſtitutioneller Formen, man ſagte ſo gar ganz unverhohlen, daß der Kronprinz ſtarf dafür eingenommen ſei. Tragiſchen Inhalts aber und Ungeheures auf den Vorhang der Zu kunft malend waren die Briefe von Niebuhr , welche in vielen Ab ſchriften circulirten , ſie zeugten von einer Stiminung, welche mir den politiſchen Mann , den ich mir niemals mit dem Hiſtoriker habe zuſammen reimen können, verleidet hat. Die hervorragendſte Partei aber unter den Demokraten , wie man ſie damals

nannte ,

bildete der Beamtenſtand.

Er

war den

Grundſäßen der Revolution durchaus nicht fremd , und hat es ſpäter bewieſen, daß ſie ihm mehr wie willfommen war. In den niedern Schichten der Bevölkerung , namentlich in den größern Städten machte ſich eine Stimmung gegen die zahlreichen Beamten, namentlich

gegen die Steuerbeamten geltend,

ebenſo auch

in Berlin gegen die Garde - Offiziere, von denen Einzelne wohl durch ihr

rückſichtsloſes Betragen an

öffentlichen Orten Veranlaſſung

Mißdeutungen gegeben haben mochten .

zu

38

Aus allem aber , was man herausfühlte , was man hörte, er gab ſich ein getuiſſes Mißtrauen gegen die oberſten Behörden , die Ueberzeugung , daß das Ganze eigentlich mehr von unten herauf als von oben herab regiert werde . Man nannte plößlich eine Menge bis dahin obſcurer Namen , welche man mit Einfluß umgab, der nur zu deutlich darauf hinwies , daß wohl einzelne Branchen des großen Ganzen in guten Händen ſeien, leitenden Idee fehle .

daß es aber an einer allgemeinen

Die einzigen Männer , auf die man mit Ver

trauen blidte, waren Gneiſenau und Witzleben und erſterer wurde am 28. Oktober 1830 70 Jahre alt . Die Monate Oktober und November gingen in vielfachen Un ruhen hin , welche mit mannigfachen Truppenbewegungen verbunden waren, und dieſe wurden von

Jedem

nach dem Standpunkte , den er

gerade einnahm , gedeutet und ausgebeutet. Die Nachrichten aus Holland reſp . Brüſſel lauteten von Tag zu Tage trüber und afficirten die Königliche Familie täglich mehr. Die Prinzen und der Herzog Karl waren entſchiedene Anhänger der Holländiſchen Anſichten und hatten es allmählich dahin gebracht, das man ſtart an den Krieg glaubte. Diebitſch, der bereits ſeit einiger Zeit in Berlin war , und den der friſche Lorbeer aus dem Türfen friege ſchmückte ,

ſoll den König dahin gebracht haben ,

daß er für

gewiſſe Eventualitäten ſich zu einer Kriegserklärung bereit zeigte ; - man ſagte ganz öffentlich , daß man nur die beſſere Jahreszeit zum Beginn des Krieges erwarte und die ruſſiſchen Dffiziere jetzten mit einer gewiſſen Oſtentation die Anfertigung der Marſchtableaur , deren ich ſchon oben gedadyt, fort .

Bei einem Diner, das der König

am 27. Oktober in Charlottenburg gab, fand man ihn ſtil, die Stirn umwölft. Vignon's Schrift, welche dieſer Tage befannt ward, hatte alle Welt mit Untitlen erfüllt. Man ſchalt dabei fleißig auf An cillon, den man einen Doppelgänger nannte. bau's Ankunft brachte eine Art Stillſtand in hervor .

Wie man ſagte ,

General Mouton - 9o dieſen Angelegenbeiten

hatte er ſich überall mit großem

Taft bes

nommen und auch zum Könige wie ein Mann von Umſicht und Ehre geſprochen . Es circulirten damals allerhand Außerungen über Frans zöſiſche Zuſtände und Perſonen von ihm . Gegen den Herzog Gart, der von Lafayette's Wiederauftreten , von deſſen Einfluß geſprochen, follte er geantwortet haben , daß er einer Pampe gliche , die einen üblen Geruch verbreite , ehe ſie gänzlich verlöſche ? c . Seine ſolda tiſche Einfachheit, ſein offenes Weſen beruhigte ſelbſt die Furchtſamen

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und es wurde damals an guter Stelle erzählt und iſt mir auch in neueſter Zeit von der ſicherſten Seite her wiederholt worden , daß als man den Rönig ſpäter zu entſcheidenden Schritten habe drängen, ihn zur Zeichnung des Befehls der bereitliegenden Marſchordres bes wegen wollen, dieſer geſagt haben ſollte, daß er dem General Mou ton die Verſicherung gegeben habe, gegen Frankreich nichts unterneh men zu wollen, wenn dieſes nicht etwa gegen Deutſchland oder über haupt aggreſſiv vorginge.

Wipleben ,

der

erleuchtete

und

wirkliche

Freund des Königs , welcher ſeinen gütigen Herrn wohl kannte wie Niemand ſonſt, nahm dieſe Anſicht ſofort auf und hielt daran mit der ganzen Konſequenz ſeines Charakters feſt.

Hierüber zerfiel er

mit dem Kronprinzen und ſeit dieſer Zeit vermehrte ſich die Dishar monie zwiſchen beiden , welche ſchon mit der Vermählung deſſelben be gonnen. So erzählte man damals wenigſtens in vertrauten Kreiſen und ſehr wohl Unterrichtete beſtätigten mir dies noch im Jahre 1859. Die Wirren in Belgien und Holland, die Nachricht vom Abfall des Prinzen von Oranien , die Gerüchte vom Ausbruch der Cholera in Rußland und der dadurch verhinderten Aushebung der Rekruten ſteigerten den Unmuth in den politiſchen Kreiſen . Ueberall hörte man Aeußerungen der bitterſten Unzufriedenheit, wie das immer der Fau iſt, wenn alle Welt mitredet und Niemand entſchieden auftritt oder den Reigen führt. Man honorirte Diebitſch in einer Art und Weiſe, die kaum noch einer Vermehrung fähig war, Paraden ihm zu Ehren, wobei man ihn mit Hurrahs empfing und die Prinzen ihm die Trup pen vorbeiführten , wechſelten mit andern Ehrenbezeigungen ab , wäh rend das Betragen der Prinzen gegen Mouton Veranlaſſung zu Aus ſtellungen höchſten Orts gegeben haben ſoll. Der Sieger von Varna genoß ſeine Apotheoſe mit einer gewiſſen Naivetät und untermiſchte ſeine politiſche Thätigkeit mit Kurzweil aller Art . Während man ſeinen Arbeiten im

Kadetten -Rorps, wo er den Grund zit ſeiner Bil.

dung gelegt, nachjagte und aus einem kleinen Aufſag, den man glück lich entdeckte, den fünftigen Feldherrn herausdemonſtriren wollte, machte er einer Hofdame der Fürſtin Liegni ſo entſchieden den Hof , daß man allgemein glaubte, er werde ihr ſeine Hand anbieten . Des Feldmarſchalts Humanität aber und die Beſcheidenheit, er von

ſeinen

Feldzügen

Glauben Sie mir nur,

ſprach ,

mit welcher

machten viel von ſich reden . —

ſagte er zu

einem

ſeiner mir befreundeten

Verwandten in Berlin , man macht von dem Feldzuge viel zu viel Aufhe bens ,

ich habe einige Energie bewieſen,

bin dabei glücklich geweſen,

40

das iſt mein ganzes Verdienſt.

Es gehört gar nicht ſo viel dazu,

ein großer Feldherr zu ſein , als man gewöhnlich glaubt u . – Ich geſtehe, daß mich dieſe Anſicht, die ich ſpäter auch von einem andern hohen Militair habe wiederholen hören ,

frappirt hat.

Sie iſt mir

ein Beweis, daß er tief unter ſeinem Rufe geſtanden und daß er nur durch die Verhältniſſe getragen worden. Sein Feldzug in Polen be wies dies ſpäter zur Genüge. Bei der großen Liebenswürdigkeit,

die der Feldmarſchall

Die

bitſch für alle Welt hatte , zeigte er doch gegen den General b. Ba lentini ſtets eine gewiſſe Gereiztheit. Derſelbe hatte wiederholentliche Berſuche gemacht, ſich demſelben zu nähern, jedoch ſtets umſonſt. Je denfalls war hieran die neue Ausgabe des Türkenkampfes des Ge nerals ,

von 1829, Schuld , in der wahrſcheinlich der Feldherr gut

fritiſch beleuchtet worden war.

Schon der Kaiſer Nikolaus hatte ſich

bei ſeiner Anweſenheit nachtheilig über das Buch geäußert und ges meint , daſſelbe gliche dem General; ein bon mot , welches damals in einigen Kreiſen eine gewiſſe Heiterkeit erregte, deſſen ſich aber der Raiſer mit Hinſicht auf die unbedeutende Rolle, die er ſelbſt im Kriege geſpielt, wohl hätte enthalten ſollen . General v. Valentini bildete in Bezug auf ſeine äußere Erſchei nung allerdings den fompletteſten Gegenſat zum Kaiſer ; aber der kleine ſchwächliche Mann hatte auf mehreren Kriegstheatern ſein Blut verſprißt und nebenbei einen großſprecheriſchen Ruſſiſchen General in einem Duell tüchtig zuſammen gehauen. Es war Unrecht, ſein Bers Der nach ſeiner Körperlänge und Geſtaltung zu meſſen . tapfere General v . Valentini fühlte dies manchmal heraus, wenn er mit einigen athletiſchen Generalen zuſammenfam ; dann pflegte er ſich wohl mit einem gewiſſen lInmuthe dahin zu äußern , daß es ihm

dienſt

ginge wie Philopoemen , der das Geſchick gehabt , die Strafe ſeines ſchlechten Ausſehens tragen zu müſſen. Um

für alle Eventualitäten

in Bereitſchaft

zu ſein ,

vielleicht

aber auch nur um Diebitſch zufrieden 311 ſtellen , wurden Berathun gen gepflogen , zu denen auch General v. Grolmann herbeigerufen ward ;

doch

ſcheinen ſie fein

erhebliches Reſultat ergeben zu haben,

wenigſtens iſt mir darüber nichts bekannt geworden. Am 30. Oktober war ein Diner bei Gneiſenaut,

zu

dem Die

bitſch und die Generale Grolmann, Krauſeneď und Valentini eingela den waren , nach welchem man dann die zeitigen Verhältniſſe gleichfalls in Erwägung gezogen . Wie ich Abends vom Generalv. Valentini

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hörte , ſo war man jedoch nur bei allgemeinen Fragen ſtehen geblies ben .

Man hatte mehr die politiſche als die militairiſche Seite der

Sache in Betracht gezogen und war ziemlich getheilter Meinung aus einander gegangen . Namentlich ſollte ſich General v . Grolmann ſehr gegen die Holländer losgelaſſen haben. ,, Der König hätte angeblich das Geld für die Armee in die Taſche geſteckt, ſich Willkürlichkeiten jeder Art erlaubt und ſomit zum Aufſtand herausgefordert. Er habe ſich ſogar Gewaltmaßregeln gegen ſeine Bundesgenoſſen und Ver wandten , denen er recht eigentlich ſeine Wiedereinſetzung verdanke, zu Schulden kommen laſſen , er habe ſich treulos und falſch benommen und verdiene gar keine Rückſicht." Man erzählte ferner , daß Grol mann auch über Boſen geſprochen und zu ſehr energiſchen Maßregeln gerathen habe ; Diebitſch aber habe für Sitthauen und Volhynien durchaus feine Befürchtungen

gehabt.

Daß man aber in höheren

Kreiſen an Eventualitäten mancher Art dachte, geht wohl daraus her vor, daß der Herzog Karl ernſtlich daran ging , eine Inſtruktion für ſeinen Generalſtab zu entwerfen und zu dieſem Behuf über derglei, chen Inſtruktionen in den Bülowſchen und Yorkſchen Rorps - Akten, welche ſich im Generalſtabs - Archiv befanden, Nachforſchungen anſtel len ließ. Der Holländiſche Geſandte Graf Perponcher hatte unter dieſen Berhältniſſen eine üble Stellung, aber er behauptete ſie mit Würde und Takt.

Nur in kleineren Kreiſen hörte ich ihn über das Betra

gen der Großmächte, beſonders über England, klagen, aber auch dies mit Mäßigung und Ruhe , in der Haltung eines echten Diplomaten und vornehmen Mannes . Am 3. November erhielt man in Berlin die Nachricht von dem Bombardement Antwerpens.

Während

man von

der

einen Seite

über Chaſſé entzückt war , beehrte man ihn von der andern her mit den Epitheta eines Mordbrenners , eines Barbaren 2c. Es kam darüber zu Reibungen und Erörterungen mancher Art,

die in den

höheren Klaſſen eine noch prononzirtere politiſche Parteiſtellung herbei führten , welche ſich ſelbſt in der beſten Geſellſchaft fühlbar machte. Man konnte nirgends ohne die erregteſten Diskuſſionen bleiben , in denen aber meiſtens Anſichten zum Vorſchein kamen ,

die wohl von

einer gewiſſen Eingenommenheit, ſelten aber von einer richtigen Auf faſſung der Dinge zeugten . - In den Kreiſen des Feldinarſchalls Gneiſenau und ſeiner Freunde dominirte für die Holländer.

eine entſchiedene Vorliebe

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Um dieſe Zeit zeigten ſich die erſten Kegungen , daß man in Köln und anderen rheinländiſchen Städten wohl die Abſicht haben könne, ſich den belgiſchen Bewegungen anzuſchließen . Die Beſorgniſſe dafür wuchſen , als man die Kataſtrophe von Venlo erfuhr. Die älteren Herren träumten von einer Wiederkehr der Faſeleien von 1792, einer rheiniſchen Republit; die Jugend ſah den Moment fich nähern, wo man endlich dahin gelangen werde, das Schwert zu ziehen .

Ce

sont des coquins , qu'il faut terrasser , hörte man einige junge Heißíporne ſagen - andere wollten den Sturm beſänftigend zu Werfe gehen

von einer weiſen Energie war nirgend die Rede. Im Generalſtabe fuhr man fort, alle Eventualitäten zu ſtudiren .

Einſtweilen blieb es dabei , die großen Inundations-Linien zu begut achten , die Stärke der Feſtungen zu ermitteln , die Streitkräfte und Streitmittel der Holländer feſtzuſtellen , mit denen der Belgier zu balanciren , die Möglichkeiten eines ernſtlichen Zuſammenſtoßes abzu wägen, die Konzentrirungen für etwaige Aufſtellungen feſtzuſtellen a . , doch gab ſich auch hierbei mehr eine gewiſſe Selbſtthätigkeit der jün geren Offiziere des Generalſtabes fund , als eine ſtetige Einwirkung von oben.

Die Chefs der reſp . Kriegstheater ſtellten ſich Fragen,

für deren Beantwortung ſie ſich vorbereiteten und wozu die jüngeren das Material herbeiſchafften. Uebrigens ward dies von vielen Seiten her eingeſehen und gewürdigt.

Feldmarſchall Gneiſenau, auf

den Alle ſahen, ließ ſich jedoch hierüber gar nicht oder doch nur mit größter Diskretion vernehmen. General Boyen, bei dem ſich mehrere Generale öfters zuſammentrafen, ſchien mir in ſeinem Urtheil zu ſehr den Frondeur zu verrathen . So rieth er z . B. dem General v. Va lentini, nach Holland zu gehen , und ſich dort zur Dispoſition des Königs zu ſtellen . General v . Kneſebeck äußerte ſich mit einer großen Feinheit des Verſtandes , vielleicht ſogar mit zu vieler Vorſicht. Ich entſinne mich ihn einſt beim Bekanntwerden des damals berühmten Aufſages in der Gazette de France: Que veulent- ils et où vont - ils ? alle mili : tairiſchen und politiſchen Fragen distutiren gehört zu haben, wobei er auf unſere Verhältniſſe fam und ich fann wohl ſagen, daß er mir hierbei ausnehmend gefiel . – In dieſer Zeit machte auch eine Peuge rung des Duc de Mortemart, die er, ich weiß nicht wann, gemacht haben ſollte , die Runde durch die Salons, daß l'esprit manoeuvrier avait gâté l'esprit militaire. Grolmann war entſchieden gegen eine Einmiſchung, war aber in ſeinen Neußerungen gegen die Maßnahmen

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der Regierung ſehr lebhaft und ſehr rückhaltslos.

Einſt beim

Prin:

zen Auguſt, den 8. November - erklärte er , daß bei uns für den Krieg nichts organiſirt, daß unſere ganze Organiſation nur für den Frieden berechnet ſei, daß Alles in einem unverzeihlichen Schlendrian ſich fortſchleppe und von einer das Ganze leitenden Þand nirgend eine Spur ſei . Er flocht hierbei noch Mancherlei ein , worin man ihm wohl nur Recht geben konnte. Uebrigens war die Zeit inſofern noch merkwürdig , als manche aus dem Kriege rühmlichſt bekannte Geſtalten, wie z . B. die Generale Jürgaß und Oppen damals herkainen und die Dreyje’ſche Erfindung der Zündnadelgewehre zuerſt in Anregung fam. Es ward darüber ſogar ſchon eine Berathung auf Befehl des Königs gehalten , aber noch ward die Sache vertagt . Auch wurden Kommiſſionen über Umformung des Trains, Einführung von vermehrten Haubitzbatterien, über verbeſſerte Schanz - Utenſilien , Beſchleunigung von Belagerungs arbeiten 2. abgehalten. Alles dies ging mit der Kunſtausſtellung, welche gerade ſtattfand , Hand in Hand. Graf York ſchickte damals ſein Bild an General v . Valentini, ein von Roth gemaltes treffliches Delgemälde. Alle die Graf Yorf gekannt, waren von der Aehnlich lichkeit frappirt; der alte verr hatte ſich im ſchwarzen Frack mit dem Orden pour le mérite und dem ſchwarzen Adler - Orden darſtellen laſſen. Wenngleich dies nicht in des Königs Geſchmack war , der Herr überhaupt York nicht leiden mochte, ſo ließ er den General v . Valentini doch um laſſen zu dürfen.

das Bild erſuchen und wünſchte es ſich kopiren

Ich habe es ſpäter in

hängen ſehen. Gewiß Wilhelms III . !

ein

edler Zug

in

den

Palais des Königs

den

Charakter Friedrich

Die Londoner Konferenzen, die am 4. November begannen , be ruhigten die Politiker zwar für den Augenblick über den Ausbruch eines Krieges ,

doch erregte natürlich die Eröffnung des belgiſchen

National - Rongreſjes ( 10. November) und die Proklamirung der Un abhängigkeit Belgiens ( 19. November) je nach dem Barteiſtandpunft Freude oder Zorn im reichſten Maße . Jin Allgemeinen hatten die Unruhen das Gute für uns, daß man die Augen für die Gefahren öffnete , welche der lange Friede über uns gebracht. Man war erſtaunt über die große Nachläſſigkeit, der man ſich hingegeben. Von der Möglichkeit einer ſchnellen Zu ſammenziehung einer Armee fonnte keine Rede ſein, das mußten ſich alle Verſtändigen eingeſtehen.

Seit 1815 war

der Mechanismus

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dazu eingeroſtet; Ates mußte neu geſchaffen werden . Herr v . Schad , Adjutant des damaligen Kronprinzen , ein fähiger, ſehr orientirter Offi zier, während der Feldzüge Adjutant bei York, war ſeit längerer Zeit damit beſchäftigt geweſen , einen ſogenannten Mobilmachungsplan zu ſammenzuſtellen,

aber er war darüber heftig erfrankt und ſo war

denn die Arbeit liegen geblieben . Als aber durch die Zeitumſtände gedrängt alle Welt fragte, woher nehinen wir die Pferde für die Artillerie , Parts, Rolonnen 2c. , wie ſteht es mit der Verpflegung für dieſe und jene Eventualität zc . , da raffte ſich das Kriegsminiſterium auf. General v . Witleben bewog den König, eine Kommiſſion für die Entwerfung eines Mobilmachungsplans niederzuſetzen und wußte es auch dahin zu bringen, daß der Herzog Karl von Medlenburg zu deren Vorſtand ernannt wurde. Dieſer im Verein init den Direks toren der Departements

und mit Zuhülfenahne ſeiner Adjutanten ,

Majors Salpius und Schulemann, machte ſich ſofort ans Wert und in ſechs Wochen war dieſe Rieſenarbeit, welche eine weitläufige For reſpondenz mit allen Behörden der Monardie erforderte , beendigt. Der Herzog war unbedingt einer der begabteſten Männer der Armee und von einer ſeltenen Arbeitsfraft. ihn nicht, weil man

ihm

Im

Heere ſelbſt mochte man

die Bevorzugung

der Garden gegen die

Linie zuſchrieb . – Auch im Volke hatte er keine Sympathien , wenn gleich er der Bruder der ſo hoch verehrten Königin Couiſe war . Man trug ſich mit hundert Bonmots und Anekdoten in Bezug hierauf, von denen ſich einige bis auf den heutigen Tag erhalten haben . Um ſich für ſeine Vorliebe für die Medlenburger, der man ihn, ob mit Recht ob mit Unrecht, anklagte, zu rächen, hatte man folgende Aneldote in Cours gebracht: in Prag

und

Ein Garde-Offizier fatholiſchen Glaubens erfranft

läßt einen Geiſtlichen zu ſich bitten um zu beichten.

Nachdem er ihm eine Menge leichtfertiger Streiche offenbart, hält er plötlich inne als jammle er ſich zu neuten Bekenntniſſen und als der Geiſtliche in ihn dringt, ihm

nichts zu verheimlichen, geſteht er ends

lich , er habe noch eine ídwere Sünde auf dem Herzen. Auf die fortgeſetzten Ermahmungen des Geiſtlichen, Alles zu ſagen, nichts zu verſchweigen , beichtet er endlich , daß er ein Meclenburger ſei und Gott dieſerwegen herzlich um

Verzeihung bitte .

Nun, läßt man den

Geiſtlichen entgegnen , das iſt zwar eine ſchwere Sünde, aber Gottes Barmherzigkeit iſt groß ; hoffe alſo auch Verzeihung dieſer Sünde. Noch eine andere aber boshaftere Reminiszenz auf ihn iſt die : Im

Fürſtlich Radziwil'ſchen þauſe las er zu der Kompoſition des

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Fürſten zu Fauſt den Mephiſtopheles und zwar mit einer Art Meiſter ſchaft. Da nun zirkulirten eines Tages jene boshaften Verſe auf ihn, die man dem Geheimen

Rath Stägemann

zuſchrieb und die wohl

heute noch zu bekannt ſind, um ſie anführen zu dürfen . Wie nun dem aber auch ſei, ſo halte ich den Fürſten für eine der entſchiedenſten militairiſchen Rapazitäten

ſeiner Zeit.

Er hatte

Proben ſeiner Tapferkeit und einer verſtändigen Führung vor dem Feinde abgelegt , beſaß dabei ein eminentes Talent zu Anordnungen von Manövers und tummelte die Truppen beſſer wie irgend Jemand. Ich habe nie Truppen ſicherer und ich möchte jagen , zugleich mit mehr Eleganz führen ſehen. Die Garde- Dienſtvorſchriften , die wir als den Vorläufer und die Grundlage aller offiziellen Inſtruktionen in der Armee betrachten dürfen, und die heute noch eine große Auto rität haben, entſtanden unter ſeiner Leitung.

Aber die Eigenthümlich

feit des Königs geſtattete es dem Herzog nicht, das Werk allein zu vollenden . General v . Thile II , der damals eine Garde - Brigade kommandirte, wurde dem Herzog, ich möchte faſt ſagen, beigeordnet. Während der Intendant des Garde- korps die Verpflegungspartie, die Adjutanten des Herzogs, Salpius und Schulemann, die Aushebung der Truppen und den Garniſon- und Felddienſt bearbeiteten, wandte der Adjutant des Generals v . Thile, Hauptmann Gueinzius der Re daktion der einzelnen Artikel ſowohl als des Ganzen ſeine Aufmerk ſamkeit zu .

Der Herzog trug dann dem Könige die Baragraphen,

die Zweifeln unterworfen werden konnten, vor, hoſte deſſen Meinung ein und ſo entſtand dies vortreffliche Werf, das lange Jahre hindurch die Richtichnur der Armee geblieben. Der Herzog war ein wahrer Vater ſeines Armee - Rorps , aber wie bereits geſagt , förderte er deſſen Erziehung zu ſehr auf Koſten der Armee.

Die Ueberhebung der Garden gegen das Volf, die Ueber

ſchäßung derſelben gegen die Linie gingen lediglich hieraus hervor und die vielen finanziellen Verwickelungen , in welche ſich die Offiziere ſtürzten, um ſich, ich möchte ſagen, über die anderen Stände zu er heben ,

hatten in

jenen

Beſtrebungen

des Herzogs

ihren

Grund .

Die Urſache ſeines Þandelns geht aus der ächt ritterlichen Vorrede aber die Früchte deſſelben zu den Garde -Dienſtvorſchriften hervor entſprachen nicht mehr der Zeit. Die Gewandtheit des Herzogs war in allen Beziehungen außer ordentlich.

So weiß ich, wie er wiederholentlich an ein und dem

ſelben Tage die Manöver des Garde-Korps geleitet, dann dem Staats

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rathe präſidirt

und Abends Theatervorſtellungen arrangirt hat,

zu

denen er nicht ſelten noch Brologe dichtete und oft ganze Scenen änderte. Ich ſelbſt verdankte meine Befanntſchaft mit ihm einem Zufalle.

Eines Tages nämlich, nachdem ich ſchon längere Zeit Ma

jor war , hielt er die ſogenannte Bekleidung8 - Muſterung ab. Es waren nur wenige Offiziere , welche nicht dienſtlich dazu verpflichtet, dabei zugegen . Ich befand mich unter den erſteren. Der Herzog hatte nie mit mir geſprochen . Nachdem die Sache über eine Stunde gedauert, wandte er ſich , als er zu einer andern Kompagnie ging, gegen mich und ſagte : „ Das iſt nun die ſo und ſo vielte Parade dieſer Art , die ich abhalte und doch darf man in ſeinem Eifer nicht nachlaſſen .“ „ Ew . Hoheit , antwortete ich , ſo dachte auch der große Friedrich, wenn er in ſeiner art de guerre ſagt : Soignez ces détails, ils ne sont pas sans gloire ; C'est le premier pas, qui mène à la gloire . “ ,, Ja !" fuhr der Herr fort : ,, an dergleichen Vorbilder muß man ſich halten und ſtärfen ." Seit dieſer Zeit war er ſtets freundlich und richtete bei paſſen den Gelegenheiten meiſtens einige freundliche Worte an mich. Später, als ich gegen einen ſeiner Adjutanten einmal die Bemerkung gemacht, wie es wohl wünſchenswerth ſei, daß die Garde- Dienſt in ſtruktionen in den Buchhandel fämen , und nicht unter Schloß und Riegel gehalten würden , damit ſich auch andere Difiziere als die der

Garde

daraus

plar derſelben von

unterrichten könnten ,

ſchickte

er mir ein Erem Als

einigen freundlichen Zeilen begleitet zu .

man den Herzog zu Grabe trug, wurde ihm manch hartes Urtheil nadigeſandt . Ich habe ſeinen Heimgang als einen Verluſt für das Þeer betrachtet. Man darf ſich, glaube ich, mit Zuverſicht der An ſicht hingeben , daß er im Falle eines Krieges eine Armee treſſlich geführt haben würde. Man hat den Nachtheil, den er Einzelnen ge than haben ſoll , gewiß ſehr übertrieben ,

denn des Königs eigener

und des General Wigleben's Rechtsjinn hielten jedem Uebergreifen die Waage. Wie weit ſich dies manchmal erſtrecte, davon iſt die zur Zeit viel beſprochene Forſtner'ſche Angelegenheit ein Veweis. Der befannte Profeſſor de Mette in Berlin war in Folge ſeines Schreibens an die Mutter des unglücklichen Sand, worin man eine beſonders intri minirte Stelle gefunden haben wollte, ſeiner Profeſſur entbunden wor Die Verfolgung, welche ihm

auch ſpäter in anderen deutſchen

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Staaten ward, hatte einige Offiziere der Garde, welche ihn von Ber lin her fannten , nicht abgehalten ,

denſelben auf einer Reiſe , die ſie

mit Cornelius , Reimer u . A. nach Süddeutſchland unternahmen , zu beſuchen und zu ihm zu gehen. Als dies in Berlin ruchbar ward, nahmen einige Eiferer ſofort dieſe Sache auf und gaben ihr eine Art Loyalitäts -Charakter, indem ſie die Offiziere deſſelben Vergehens wie de Wette, daß er nämlich den Meuchelmord des Kogebue gut geheißen , anklagten und nun verlangten , daß die Garde von ſolchen Subjeften purifizirt

werde .

Der Regiments - Kommandeur Oberſt

v . Quadt

mußte daher den 20. v . Forſtner bei ſeiner Rückkehr über ſein Beneh men reftifiziren und verlangte die Erklärung von dein jungen Offi zier, jeden Umgang ſowohl mit de Wette als deſſen Freunden abzu brechen. Als ſich v . Forſtner jedoch entſchieden weigerte , dies zu thun, nahm die Sache eine ernſtere Wendung. Der Herzog von ſeinem Standpunkte aus unterſtützte die Partei jener Eiferer und ſo bekam ſie einen offiziellen Charakter. Die jun gen Offiziere aber ließen ſich hierdurch nicht einſchüchtern , machten gegen den gewaltigen Herzog Front und nahmen ſogar feinen An ſtand, das was ihnen zur Laſt gelegt ward , öffentlich zu geſtehen. Die Sache kam zur Unterſuchung und bei den zur Zeit herrſchenden Anſichten konnte es nicht fehlen, daß ſie verurtheilt und gleichſam zur Strafe zur Linie verſeßt wurden, denn damals ward eine Meinungs unabhängigkeit faſt noch wie

eine Empörung,

wie eine Majeſtäts

beleidigung betrachtet. Der König ging, wie man ſagte, ungern an die Angelegenheit. Ats aber die jungen Männer bei ihren reſp. Regimentern ankamen, waren dort bereits Schreiben vom

General v . Wigleben eingetroffen ,

worin dieſelben dem Diviſions - Rommandeur als junge wacere aber momentan verirrte Leute dringend zur Berückſichtigung empfohlen waren. Forſtner fam ſpäter ſogar wieder als Lehrer der Mathe matik an das Kadetten-Rorps und die allgemeine Kriegsſchule zurück und die ganze Sache hat nie den mindeſten Einfluß auf ſeine Kar riere gehabt. Ich theile dieſe wohl längſt vergeſſene Geſchichte ſo ſpeziell mit, um die ebenſo ritterliche wie kluge Handlungsweiſe des Militair-Ra binets hervorzuheben. Nergeleien und Maßregelungen werden ſtets ihren Zweď verfehlen und im Augemeinen nur Böſes ſtiften.

Dritter Abſchnitt. 1830-31 . Ausbruch des Aufſtander in Warſdau. Meine Deſcäftigung für General v. Wißleben . Politiſche Anſchauungen in Berlin. – Das Zuſammenſein mit Diebiti“ . -- Geſellige Zuſtände zu jener Zeit. Die wadjende Theilnahme an den politiſoen Ereigniſſen. – Ernennung des Feldmarſchau : Uneiſenau zum fommandirenden General der vier öſtlichen Armee - dorps ; i werde zu ſeinem Stabe lommandirt und reiſe nach Pojen ab. — Zuſtände dajelbſt. — Bildung des Generalſtabes des Feldinaricalls. — Id erhalte das Sommando, ins Hauptquartier des Feldmarjďalls Diebitio abzugehen und paſſire in der Nähe von Szczuczyn die Grenze.

Man an glaubte in Berlin die allgemeinen Unruhen ziemlich ab gethan, da kam daſelbſt am 3. Dezember die Nachricht vom Aufſtand in Warſchau an . Die Sache machte Anfangs nur in den höheren Streiſen Aufſehen , aber als die Details bekannt wurden und die Ruſ fen das Königreich Warſchau verließen, da verurſachte ſie nicht gerin gere Theilnahme als die Ereigniſſe in Paris und Brüſſel .

Kleinere

Seelen gaben ſich ſogar einer gewiſſen Beſorgniß hin und ſahen ſchon einen allgemeinen Aufſtand losbrechen.

Selbſt in Poſen theilte man

dieſe Anſicht und nahm demgemäß Maßregeln . Ich will es nicht tadeln , daß man auf ſeiner øut war , daß man aus Schleſien Truppen heranzog , aber jedenfalls that man für den Augenblick zu viel , indem man alle Landwehren einzog und die Korps auf die Kriegsſtärke brachte.

Aber man verfiel in dieſen Feh

ler , weil ſich nie Jemand der leitenden Herren mit dem Studium der Polniſchen Kriegsgeſchichte ernſtlich beſchäftigt hatte ind bemüht geweſen war, das Weſen ihrer Kriegsart gründlich kennen zu lernen . Sie würden daraus erſehen haben, daß es in den meiſten Fällen nur

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einiger Reiterei, von gut einmarſchirter Infanterie unterſtüßt, bedürfen wird , um ganze Abſchnitte in Ordnung zu halten und dies um ſo mehr,

als die Maſſe des Bolniſchen Volkes ſich ſelten bereitwillig

zeigt, dergleichen Umtriebe zu unterſtügen und es meiſtens nur einige Ehrſüchtige und

Unzufriedene ſind,

welche Aufſtände

unternehmen.

Im Poſenſchen hatte man um ſo weniger zu befürchten, als nament lich die Bauern ganz für die Regierung waren und ſehr wohl wuß ten , daß nur der Adel dergleichen Bewegungen für ſich auszubeuten bemüht ſei. Für mich ſollte die Sache eine eigene Bedeutung haben. Ich ſaß am 3. Dezember ruhig zu Hauſe , als um etwa 7 Uhr Abends eine Ordonnanz des Generals v . Wißleben eintrat und mir ein Backet und einen Brief von demſelben übergab. ,, Euer 2c . ", hieß es darin , ,, wollen das Wichtigere aus den anliegenden Blättern überſeßen und ercerpiren und mir ſobald wie möglich wieder zugehen laſſen ."

Die

Anlagen enthielten die neueſten Zeitungen und Extrablätter, Affichen und die Berichte über den Aufſtand, ſowie Alles darauf Bezügliche. Ich machte mich ſogleich an die Arbeit , ward aber erſt um Mitter nacht damit fertig. Ich trug ſie ſelbſt zum General , den ich noch am Schreibpult fand in eine wahre Tabacswolfe gehüüt. Der Ge neral war mit meiner Bünktlichkeit ſehr zufrieden , las die ganze Ar beit aufmerkſam durch und ſagte dann : „ Sie haben die Art und Weiſe, wie ich die Sache wünſche, ganz getroffen ; fahren Sie darin jo fort, ſondern Sie das Weſentliche von dem Unwichtigen , um ſomit Klar heit für das Erſtere zu gewinnen ." Zugleich fügte er hinzu, daß ich fünftig nicht ſelbſt toimen , ſondern ihm die Sachen nur zuſenden follte.

Als ich ſpäter die Sachen mit einem Anſchreiben übergab, er

hielt ich einen Brief mit folgenden Worten :

„ Ohne alle Umſtände,

Anſchreiben 2c. , lieber Major, wenn es nichts Beſonderes giebt." Dieſe Beſchäftigung dauerte Dezember , Januar und Februar unun terbrochen fort und ich darf wohl ſagen, daß ich ab und zu, nament lich als die kleinen Brochüren (z . B. die heilige Woche), die ſich meh renden kleinen Journale hinzu kamen , oft nur einige Stunden zum Schlafen hatte ; denn die unglüdlichen Zeitungen famen immer erſt Abends in meine Hände. Aber was mich in Erſtaunen.ſeşte, war, daß der General v . Wigleben es hierin mir gleich that , denn durch die Dr donnanzen erfuhr ich, daß er gewöhnlich, wenn die Ueberſetzungen und Ercerpte famen - was oft erſt um 2 Uhr der Fall war – noch immer bei der Arbeit geweſen.

Der Kanzleibote vaſe,

ein betagter

4

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Greis ,

aber noch immer im

Dienſt, klagte mir oft ſeine Noth ;

„ Ne! " ſagte er einſt zu mir, als ich zum General gerufen war, ,,das und nun hält fein Bär nicht aus , viel weniger noch ein Haſe ", vollends der gute General ! Wenn ich bedenke ,

daß die Angelegenheiten in Paris ,

Brüſſel

und Deutſchland den General in eben der Art in Anſpruch nahmen , daß er die Armee - Angelegenheiten bearbeitete und dabei noch des Ko nigs Rath in faſt allen wichtigeren Sachen war, ſo iſt es wirklich faum zu begreifen , wie es der General ſo lange ausgehalten. Sein ganz zes Perſonal beſtand in einem Adjutanten , zwei Räthen , einem Re : giſtrator und einigen Schreibern. Er muß ein Mann von außeror dentlicher Befähigung

geweſen

ſein .

Dabei lag er noch der Muſit

ob, ſpielte gut Klavier, Geige und komponirte allerhand. Man jagt, er habe die Muſik zur Liturgie komponirt, und der ſchwarhafte Vehje wirft ihm vor, den König in die Unannehmlichkeiten verwidelt zu ha ben, welche deren Einführung veranlaßte. Ebenſo redet er ihm nach, daß er die Verſammlungen der Muder beſucht und dieſer Secte ans gehört habe . Idh habe dergleichen zur Zeit zwar auch von einigen ſchlecht unterrichteten Leuten gehört , glaube aber nicht, daß dies be gründet. Der Bolniſche Aufſtand nahm indeß bald Dimenſionen an , die das Schlimmſte befürchten ließen. Es wurden nach und nach meh: rere Armee - Korps auf die Kriegsſtärfe geſegt , ſo daß an 100,000 Mann für gewiſſe Eventualitäten disponibel waren . Beim Einziehen der Landwehren kamen hier und dort Unordnungen vor , namentlich in Görliß , doch drang darüber wenig ins Publikum . Alle Welt dachte an Krieg und eine große Anzahl inactiver Offiziere, (zu denen unter Andern auch Fürſt Püdler gehörte ) meldete ſich zum Eintritt. Die Lager der Franzoſen bei Lille , Meß und Straßburg beun: ruhigten zivar einigermaßen, aber Lafayette's und Soult's Erklärungen in den Kammern wirkten calmirend. Bei alledem rüſtete man im Stillen .

Niemand fonnte wiſſen , wohin die Sachen führen würden .

Die Energie, welche die Polen entwicelten, die Unſicherheit der Fran zöſiſchen Zuſtände mahnten dringend zur Vorſicht. Tiebitich trieb nach Kräften zu einer energiſchen Maßregel, – er hätte gern Preu Ben bewogen, entſcheidend einzuwirken , ſich über Vals und Ropf in einen Krieg zu ſtürzen. Eine Partei in Berlin , wozu namentlich die Prinzen gehörten , wollte daſſelbe . Aber des Königs Wille, den Ge

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neral Witzleben nach Kräften vertrat, Entſchluſſe..

wehrte einem ſo unheilvollen

Während man ſo gewichtigen Entſcheidungen entgegen ſah , ging Ernſtes und Heiteres an mir vorüber. Der Miniſter Graf v . Dan felmann, mir aus Glogau her bekannt , ſtarb in dieſer Zeit. Major v. Ciriacy und einige andere werthe Freunde ſchieden gleichfalls vom Leben .

Doch bildeten auch frohe Stunden manch angenehmes Inter

mezzo. In den Häuſern der Generale v . Valentini , b . Rühle, des Generals v. Kalkreuth , des Generals v. Hellwig , deſſen Gemahlin , die geiſtreiche Amalie v . Imhof , die Ueberſeberin der Frithiofsſage war, Steinwehrs , Schinkels , Beuths , Engelhardts , Radowitz's , der Majore v . Maliszewski, Fouqué's, Bleſſons u. a . m . , wo ſich ſtets eine Menge namhafter Gelehrten , Künſtler, Muſifer, Reiſenden 2c. ver ſammelte, gab es die angenehmſten Zerſtreuungen und Berührungen. Auch die Befanntſchaft der einſt ſo berühmten Rahel machte ich, habe ſie aber nur ſelten geſehen ; in den Kreiſen , wo ſie ſich bewegte , ge fiel es mir nicht; es herrſchte in denſelben etwas Gezwängtes , Ge ziertes, Geſuchtes , dabei etwas von einem litterariſchen Salon und einer Verſammlung von Frondeurs , abſtieß.

deren Ton und Þaltung mich

Namentlich wurden die Bolniſchen Angelegenheiten hier wun

derbar beurtheilt ,

mit vielem Gefühl und wenig Verſtand.

Gans

führte das große Wort. Ich entſinne mich noch , daß , als Jemand die Ruſſiſche Regierung in Schutz nahm und es rühmte, daß ſie die materiellen Intereſſen der Ruſſen ſo ausnehmend gefördert, er die Ant wort von ihm erhielt: ,, Was hilft es dem Ranarienvogel, wenn man ihn mit Lerchenbraten füttern will !" -- ein Wig , der allgemein be lacht ward und doch wirklich nicht beſonders iſt. Vielleicht jedoch hätte ich meine Anſicht über dieſe ſonſt ja ſo viel gerühmte Geſell ſchaft geändert, wenn ich nicht bald darauf auf längere Zeit von Ber lin entfernt zu bleiben durch ben wäre.

ſung ,

dienſtliche Rückſichten

veranlaßt wor

Wahrhaft heimiſch fand ich mich jedoch nur in meiner Behau wo mich einige Freunde, unter denen ich den Dr. und Bro

feſſor Müller obenan ſtelte, beſuchten und wir Altes und Neues im bunten Gemiſch an uns vorüber ziehen ließen , oder aber die Zeit durch belehrende und unterhaltende Lektüre verfürzten . Einen merkwürdigen Abend verlebte ich in dieſer Zeit im Hauſe des Oberſtlieutenant v . Gontard, einer in Berlin wohlbekannten Ber fönlichkeit.

Ich traf den alten Herrn zufällig auf der Straße und 4*

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da erzählte er mir denn, daß Feldmarſchau Diebitſch, ein naher Ber: wandter ſeiner Frau, heute bei ihm Thee trinken würde, um zugleich Abſchied zu nehmen, indem er nach Betersburg berufen ſei , um dort den Oberbefehl über die Ruſſiſche Armee zu übernehmen . Da er mir nun ſehr wohl wollte, ſo bot er mir , wahrſcheinlich nur aus Ar tigkeit an , ſein Gaſt zu ſein. Ich aber ließ mir dies nicht umſonſt geſagt ſein und nahm die Einladung dankbar an. Punkt 8 Uhr er ſchien ich bei meinem Oberſtlieutenant, wo nur eine kleine Geſellſchaft verſammelt war , darunter mehrere ältere Damen , Verwandte und Freundinnen des Feldmarſchalls . Bald nach 9 Uhr kam dieſer ſelbſt in einer einfachen Uniform , nur mit dem ſchwarzen Adler- und dem St. Georgen - Orden erſter Klaſje geſchmückt, ein kleiner , runder, freundlicher Mann mit einem weder geiſtreichen noch einnehmenden Geſicht. Er ſette ſich ſofort zu den alten Damen und begann , wie die Engländer ſagen , ſofort eine miscellaneous conversation , die er tapfer fortführte . Nach einer kleinen Pauſe, die entſtand, jagte eine der Damen zu ihm : ,, Eure Excellenz werden uns bald verlaſſen, um neue Lorbeeren in Polen zu ſammeln ?" „ Ach , " entgegnete der Feldmarſchall, „ Sie erinnern mich da an eine traurige Sache, Kämpfe gegen Unterthanen, ſelbſt wenn ſie rebelliſch ſind, haben ſtets eine bes trübende Seite , und wer verbürgt mir den Sieg ? Zwar haben wir alle Chancen für uns , aber das Glück iſt eine treuloje Göttin und wie leicht kann ſie mich nicht verlaſſen ? " „ Wer ſo den Sieg an ſeine Fahnen zu feſſeln verſteht, wie Euer Erlaucht,“ entgegnete die geiſt reiche Frau , ,, der hat nichts von ihr zu fürchten." ,,Und doch ! Ma dame ," fügte der Feldmarſchal hinzu ; ,des Schickſals Mädyte ſind nur zu eiferſüchtig, und wer kennt die Kluft, welche ſich zwiſchen dem Heute und Morgen öffnen fann ." Dann ging er zu einem andern Thema über und verließ die Geſellſchaft, nachdem er etwa eine Stunde verweilt. Mir iſt dieſe Unterhaltung ſpäter oft eingefallen und trat mir beſonders recht lebhaft vor die Augen , Warſchau wiederjah .

als ich ihn im

März vor

Die Anfunft mehrerer Polniſcher Flüchtlinge aus Kalich , die nicht genug von der überraſchenden Schnelligkeit , mit der die Ereig niſſe dort ſich gefolgt, zu erzählen wußten, im Verein mit den diref ten Nachrichten von daher, ſteigerten hier die Beſorgniſſe der Furdt ſamen . Unter jenen Flüchtigen fand ſich der Kommandant der Pol : niſchen Gensdarmerie aus der Woiwodſchaft Kaliſch, ein Freund von

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mir, Oberſtlieutenant Cywinski. Durch ihn erfuhr ich zugleich , daß ein anderer Freund von mir, ein gewiſſer Major b. Niewadowski, deſſen ich bereits früher gedacht, in Erfüllung ſeiner Pflicht ſtark ver wundet worden ſei. Dieſer nämlich, Kommandant des Franziskaner Kloſters, in dem die politiſchen und andere Gefangene ſaßen , ward durch die Inſurgenten aufgefordert, das Kloſter zu übergeben und die Berhafteten freizulaſſen .

Er aber, von Pflichttreue beſeelt, ſchlug dies

ab. Erſt nach einer lebhaften Bertheidigung, bei der er ſelbſt ber wundet wurde, ward das Kloſter genommen. Man darf es als einen Aft von Milde Seitens der Stürmenden und auch der durch fie Be freiten anſehen , daß er nach der Wegnahme des Kloſters ſelbſt nicht ermordet ward . Im Palais des Ruſſiſchen Geſandten Alopeus ſammelten ſich allabendlich die Anhänger der Ruſſiſchen Regierung, deren es nicht wenige gab. Von hier aus wurden alle Nachrichten nicht allein der breitet ,

ſondern auch kolorirt und jede Mittheilung erhielt dort die

Farbe, unter der ſie circuliren ſollte, eine Taktik, die damals gang und gäbe war und ſich bei den zur Zeit mangelhaften telegraphiſchen Mittheilungen und den langſamen Verbindungsmitteln als ſehr vor theilhaft für die bewies, welche davon mit Geſchick zu vortheilen wuß ten. Nichts deſto weniger verlor die Bartei der Ruſſen allmählich an Einfluß.

Selbſt in der Armee, beſonders im Generalſtabe war dies

der Fau, und der Ruſſiſche Miniſter nannte laut den Oberſtlieutenant v . Williſen vom Generalſtabe als den, welcher hauptſächlich das anti ruſſiſde Element repräſentire. Die Kurheffiſche Verfaſſungsfrage, die zunächſt doch von großer Wichtigkeit war, trat gänzlich in den Hintergrund und die Nachricht, daß der Bundestag den perzog Wilhelm von Braunſchweig an die Stelle des verjagten Herzogs als Mitregenten anerkannt, ward von einigen Hyperlegitimiſten als Theilnahme deſſelben an der Revolution bezeichnet.

Man nannte die Bewegung, die dort ſtattgefunden , einen

Sturm in einem Theefeſſel und war indignirt darüber, daß man nicht gleich einige Preußiſche Regimenter hingeſchickt habe , um dort Ord nung zu machen. Von der Berſönlichkeit des neuen Regenten ſelbſt hatte man nur einen geringen Begriff. Man erinnerte ſich ſeines Lebens hier, als er bei den Garde - Dragonern geſtanden , ſprach mit Geringſchätzung von ſeinen Fähigkeiten und rangirte ihn in allen Be ziehungen zu den diis minorum gentium .

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Mir iſt noch eine Anekdote erinnerlich, die Feldmarſchau Gneiſenau von ihm erzählte. Ich war einſt , ſagte er , zur Königlichen Tafel geladen. Sofort als der König erſchien, ſprach er viel mit mir und als man zur Tafel ging, erhielt ich meinen Blaz neben einem Dra goner -Offizier angewieſen, von dem man mir ſagte, daß dies der Herzog von Braunſchweig ſei.

Da der junge Mann, fuhr der Feld

marſchall fort, von mir keine Notiz nahm , ſo ignorirte ich ihn gleich falls und wendete mich gefliſſentlich von ihm ab. Es muß toll ans . geſehen haben ,

ſchloß er ſeine Erzählung ,

uns ſo ,

gleichſam einen

Doppeladler bildend, neben einander fißend geſehen zu haben . Wenn nun auch die Verhältniſſe ſich im Augemeinen ruhiger ge ſtalteten und den Krieg nicht vorausſehen ließen , ſo blieb doch in Berlin eine Gährung in den Gemüthern zurück. Die Zeitungen , namentlich die engliſchen und franzöſiſchen , erzogen das große Publi fum allmählich zu einer Verallgemeinerung von Anſchauungen , welche bis dahin nur das Eigenthum Einzelner geweſen waren. Das fon ſtitutionelle Bewußtſein fing an , die verſchiedenen Voltsſchichten zu durchdringen , - man las viel , diskutirte noch mehr ; man gedachte der Verheißungen aus den Freiheitskriegen lebhafter wie ſonſt und ehe wohl recht eine Vorſtellung davon in den höheren Regionen flar wurde, hatte die öffentliche Meinung eine gänzliche Uingeſtaltung er balten. Namentlich war das im Beamten- und Lehrerſtande der Fall. Da dieſer immer mehr als jeder andere mit dem Volfe in Zuſam menhang ſteht, ſo verbreitete ſich die neue Anſicht der Dinge bald allgemein und die verſchiedenen Benennungen für Parteimänner und Anſichten wurden gang und gäbe . Ich glaube, daß das Jahr 1830 am meiſten dazu beigetragen hat, den Geiſt zu weden , der ſeit einem Vierteljahrhundert die Welt bewegt. Mit der Anerkennung der Emanzipation der Griechen hatte das Jahr 1830 begonnen , das mittelalterliche Defret des Papſtes über die gemiſchten Ehen, welches die Proteſtanten ſo tief verlegte und das einige hyperorthodore Biſchöfe Deutſchlands ſo albern und ungeſchidt auffaßten, war dieſer gefolgt, – die Eroberung Algiers verbreitete einen neuen Glanz über die Bourbonen und ſchien deren Lüſternbeit nach Grenzbeſtimmungen gegen den Rhein , worüber man bereits in linterhandlungen ſtand , einen ſicheren Boden zu verheißen , als am 25. Juli die Folgen der bekannten Ordonnanzen einen Theil des durch den Frieden von Paris mühjam gezimmerten Gebäudes des

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politiſchen Zuſtandes Europa's plöglich über den Haufen warfen und den Untergang des Reſtes anbahnten. Während man ſich Anfangs 1831 in Berlin mit dem Projekte einer Bürgergarde trug, dieſelbe aber nur auf 1500 Mann normirt wiſſen wollte, während die Stadt 10,000 offerirte, worüber ſich die ganze Unterhandlung wieder zerſchlug, forderten die weſtphäliſchen Land ſtände unter Stein eine Verfaſſung. Abſcheuliche Angriffe im Figaro auf den König ärgerten die guten Patrioten , welche überdies durch die Unabhängigkeitserklärung Belgiens , von der Londoner Konferenz vom 20. Januar anerkannt, ſehr in þarniſch geſegt wurden . Nach richten von Polen und Rußland her erſchütterten den Glauben an die ruſſiſche Diplomatie. Man ſprach viel von einem Operationsplan der Ruſſen gegen die Franzoſen , den man im Belvedere gefunden haben wollte: man citirte Worte des Kaiſers an die polniſchen Geſandten die viel Courage aber wenig Beſonnenheit verriethen. Das ,,Ecra ser les rebelles et puis passer le Rhin “ wurde bald das Loſungswort der Kriegspartei, welches bei vielen Gleichgeſinnten An klang fand. Glücklicherweiſe verſtand Wißlebens Energie den An ſichten des Königs, der entſchieden für den Frieden war, die gehörige Geltung zu verſchaffen. Man ſeşte Alles , ſoweit es ohne zu große Opfer anging, in Kriegsbereitſchaft, brachte die Kavallerie-Regimenter auf 700 Pferde, beſpannte die Batterieen, vermied aber alle Provokationen , welche die Kriegspartei ſo gern herbeigeführt hätte. - In den höheren Cirkeln äußerte man , daß der Herzog von Mortemart bei ſeiner Miſſion hier Lafayette la plus méchante vieille bête de la France genannt und zugleich gemeint , daß Louis Philipp ganz Herr der Revolution ſei . Wunderbar aber war es , daß die Volks bewegungen von vielen ſonſt ſehr liberalen Männern entſchieden ungünſtig aufgenommen wurden . In den Salons der höheren Stände ging es einſtweilen zwar munter zu, aber die wahre Heiterkeit fehlte doch ſehr. Ich vermied ziemlich alle, verweilte dagegen öfters bei Freunden.

Eines Abends

am 28. Januar begegneten ſich die Generale v . Valentini, b . Rühle, v. Thile I., Major Schulze, Radowig und ich bei Oberſt v. Reyher. Es kam das Geſpräch nach mancherlei Umſchweifen auf die weiße Dame, von deren Erſcheinen man ſeit einiger Zeit muntelte, und ſo unverſehens weiter auf Geiſtererſcheinungen , den ſchwarzen Ritter in Heſſen und Ahnungen überhaupt. Da erzählte Oberſt D. Reyher, wie die Majore v. Röder, der bei Culm, und Oppen, der bei Mont

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mirail geblieben ,

das entſchiedenſte Vorgefühl ihres Todes gehabt.

Es wurden hierin noch allerhand Bemerkungen über dergleichen ein geflochten, was mir die Sachen, die ich ſelbſt erlebt, lebhaft ins Ger dächtniß zurücrief. Wunderbar war es , daß ein eifriger Proteſtant und ein nicht minder gläubiger Ratholik , v . Thile und v . Radowit , ſich auf ein und demſelben Standpunkt in Bezug hierauf befanden . Ich habe nicht mehr Gelegenheit gehabt über dieſen Gegenſtand mit Radowit zu ſprechen, höre jedoch , daß er auch ſpäter denſelben An ſichten gehuldigt und noch bei Beginn ſeiner legten Krankheit ſich mit Pſychographie u . a . hierauf bezüglichen Dingen beſchäftigt habe . Die barbariſche Kälte, die wir in den letzten Tagen des Januar und am 1. und 2. Februar 1831 hatten, die bis auf 16 Grad ſtieg, hielt alle Leute zu Hauſe; am 3. war Gratulation zum Geburtstag des Prinzen Karl. Wie ich hörte, ſo wäre die Stimmung bei dem großen Déjeûner dinatoire, das im Schloſſe ſtattfand, keine ſonderliche ge weſen.

Abends erhielt man die Proklamation , welche Feldmarſchall

Diebitſch beim Beginn des Krieges erlaſſen. Die vielen Freunde, die er hier hatte , begleiteten ihn auf ſeinen Operationen , welche am 5. begannen, mit ihren beſten Wünſchen. Einige weiter ſehende Offi ziere prophezeihten

ihm

keinen ſonderlichen Erfolg, wenn das Wetter,

das hier am 4. vollſtändig zu Thauwetter umgeſchlagen , ihn in den Sümpfen des Narew überraſchen ſollte . Paſſen Sie auf , ſagte Rühle v . Lilienſtern einige Tage ſpäter zu mir, der dicke Diebitſch wird zwiſchen Bug und Narew ſtecken bleiben und wehe ihm , wenn er bereits dort angekommen.

Leider hat ſich für Diebitſch die Sache

nur zu ſehr beſtätigt, und wunderbarer Weiſe ſollte ich ſelbſt bald Zeuge eines Theils dieſer Kataſtrophe werden . Von dem Zuſtande der Dinge in Berlin, dem Wechſel der Ans ſichten und Urtheile eine Schilderung zu geben , würde höchſt intereſſant ſein ; aber dieſelben zu fixiren und ganz objektiv zu betrachten hätte unendliche Schwierigkeiten.

Ein Theil der Bewohner empfing ſeine

Anſichten vom Caſino, ein anderer von Steheli . Eine Menge Men ſchen wurde auch durch die Börſe influenzirt und ſie war es zulegt, die den meiſten Einfluß übte . Ich habe ſpäter gehört, daß ein großer Theil des Vermögens der großen Banquier- und Handlungs -Väuſer aus dieſer Zeit ſtammt, und ließ mir ſagen , daß wenn die Kataſtropbe länger

gedauert,

Berlin

einer

der

reichſten

Pläge

geworden

ſein

würde . Die Geſchäfte , weldie ſchon im Türkenkriege Rußlands eine große Steigerung hier erfahren , ſollen ſpäter eine noch bedeutendere

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Höhe erreicht haben .

Ich ſelbſt habe einen Banquier gekannt , der

1831 mehrere Millionen gewonnen , allerdings aber ebenſo auch wie der verloren hat. - Minder gute Geſchäfte machte bei allen dieſen Unruhen die Staats -Naſſe. Man erzählte, daß ſie im März bereits 13 Millionen Thaler ausgegeben, und noch war kein Schuß gefallen. Das war ungefähr die Hälfte des Geldes, das Friedrich II . durch ſchnittlich eine Campagne gekoſtet und ziemlich 1/3 des Betrages der Koſten von 1815 . Uebrigens war man im Februar allgemein der Anſicht , daß ein Krieg unvermeidlich.

Ich hörte ſelbſt Humboldt hierüber äußern, daß

man kaum hoffen dürfe, den Frieden zu erhalten,

und er war der Regel nach gut unterrichtet. Wahrſcheinlich gaben zu dieſer Anſicht die Unbändigkeit der Pariſer bei Gelegenheit der Demolirung der Kirche St. Roche und der Plünderung des erzbiſchöflichen Palaſtes

am 15. Februar, ſowie die Nachrichten von der Schlacht bei Grochow (25. Februar) und die Schweizer Wirren Veranlaſſung. Die Meinung, daß die Ruſſen bald den Aufſtand meiſtern wür: den, verlor ſich täglich mehr. Wenn nian Anfangs des Krieges nur hörte : les Russes marchent à la victoire , les Polonais au tombeau , ſo wurden die Meinungen dieſer Siegesverkündigungen . immer kleinlauter. Militairiſcherſeits bewies Williſen den Ruſſen durch einige Aufſätze im Militär-Wochenblatt , daß

ſie ihre Sache,

ſtrategiſch betrachtet, ſehr ſchlecht angefangen hätten.

Seine Aufſätze

und Aeußerungen erregten unglaubliches Aufſehen, aber während viele der jüngeren Offiziere ihn dafür bis in den Himmel erhoben , ward er andererſeits heftig angegriffen. Es circulirten damals über einen dieſer Aufſätze die wunderbarſten Gerüchte .

Es hieß, die Cenſur habe ihm

das Imprimatur verweigert und Williſen darauf ſich an den König gewandt, welcher das Manuſcript ſelbſt durchgeſehen, Manches darin eigenhändig geändert und dann befohlen, daß man es drucken laſſe. Einer ſolchen Autorität gegenüber verſtummten nun zwar die meiſten Stimmen , aber die Prinzen und einige Diplomaten ließen ſich nicht abhalten, mit dem Verfaſſer ernſtlich zu ſchmollen und ihm ihre Un gnade

zu

verſtehen

zu

geben .

Namentlich

herrſchte

im

ruſſiſchen

Geſandtſchafts- Hotel eine große Gereiztheit gegen ihn . -- Am 6. März ließ mich gegen 10 Uhr Morgens der Feldmarſchall Gneiſenau zu ſich rufen ; ich fand ihn unter Karten framend. „ Der König , ſagte, er ohne Umſchweiſ zu mir , hat mir den Oberbefehl über die 4 öſt lichen Armee- Rorps

1. 2. 5. 6 .

gegeben und ich habe ge

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wünſcht, daß Sie zu meinem Generalftabe kämen .

Sie werden noch

heute von Shrem Chef die Mittheilung hierüber erhalten . Richten Sie ſich ſo ein , den 8. in Boſen zu ſein und melden Sie ſich dort beim General v. Clauſerit, der Chef meines Generalſtabes ſein wird. Auf Wiederſehen ! Glüdliche Reiſe !" Ich traf ſofort meine Anſtalten zur Abreiſe, richtete alles feld kriegsmäßig ein , beſorgte Karten 2c . , machte meine Meldungen und empfahl mich meinen Freunden. Als ich bei Radomit war, fragte mich dieſer, ob es nicht angemeſſener wäre, wenn ich die Miſſion ab lehne ? Dieſe Anſicht befremdete mich ; freilich, fügte er hinzu, würde dies eine ſpätere Entlaſſung aus dem Dienſte überhaupt involviren , aber ich halte es für eine große Rücſichtsloſigkeit, daß man Sie nach Poſen chidt. Das wird die Verpflichtung für Sie herbeiführen , gegen Freunde, Verwandte und alte Waffengefährten aufzutreten , und das iſt immer eine böſe Sache. Er hatte Recht; ich habe bis zum Jahre 1848 an dieſer Sache laborirt, bin vielfach angefochten und angefeindet worden . - Ich komme ſpäter hierauf wohl zurücf. Am 8. März war ich in Poſen . Ich traf dort mit einem Major Chlebus vom 24. Regiment , der zum erſten Adjutanten des Feld marſchals ernannt war , mit Major D'Ebel vom Generalſtabe und drei Feldjägern zuſammen ; ſpäter kam noch ein Hauptmann v . Pirch als dritter Generalſtabs - Offizier hinzu . General v . Clauſewiß langte am 9. an und unmittelbar darauf der Feldmarſchall ſelbſt mit ſeinem Sohne, der als zweiter Adjutant fungiren ſollte, ſo daß das Þaupt quartier aus 10 Perſonen beſtand. - Bojen ſelbſt fanden wir in einem wunderbaren Zuſtande . Der Feſtungsbau, der erſt im Jahre 1829 begonnen , war zur Zeit noch wenig vorgerückt; die Citadelle allein nahte ſich im Rohbau ihrer Vollendung . Um das , was dort vorhanden, mit der Stadt in Verbindung zu bringen , hatte man auf dem

Kanonenplatz eine Art Wert aufgeworfen , welches meine ganze

Verwunderung erregte . Als ich dem Ingenieur vom Play und Feſtungs- Bau-Direftor v . Brittmit mein Erſtaunen darüber aus : drückte, meinte er, daß er genug darüber geredet und geſchrieben, das ihm aber der Befehl geworden , pünktlich den Anordnungen des Genes ral -Kommandos zu genügen . Wie ich hinterher hörte, ſo hat ſich der Felda marſchall in derſelben Art und Weiſe gegen den Major v. Prittwitz geäußert und dieſelbe Antwort erhalten . Erſt längere Zeit nachher ward dieſe inonſtröje Berhöhnung der Fortifikation, ich weiß ſelbſt nicht, wie ich

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fie nennen fout, beſeitigt unter dem Vorwande, Raum für größere Truppenmaſſen auf dem Kanonenplaß zu gewinnen, -- eine Rückſicht, welche der Feldmarſchall

dem alten General v . Röder angedeihen

ließ . Mir jedoch iſt, wie ich zu ſeiner Zeit erzählen werde , ſpäter der Genuß geworden , jene fortifikatoriſche Albernheit nochmals be kämpfen und ihr entſchieden entgegen treten zu müſſen. Von Boſen aus wurden die näheren Befehle an die

General

Kommando's erlaſſen und zugleich die Berichte und Rapporte einge fordert ; doch ehe dieſe noch eingegangen, ward ich am 10. Morgens zum Feldmarſchatt beſchieden . ,, Richten Sie ſich ſo ein, ſagte er zu mir, daß Sie noch heute in das ruſſiſche Hauptquartier abgehen fönnen . Ich werde Ihnen einen Brief an Feldmarſchall Diebitſch einhändigen. Wo das Hauptquartier iſt, weiß ich nicht, Sie müſſen es ſich aufſuchen. Laſſen Sie ſich aber nicht durch die In furgenten einfangen , das würde mir ſehr unlieb ſein . General v. Clauſewiß wird Ihnen das Weitere ſagen ."

Clauſewitz aber ſagte

mir gar nichts. Er gab mir nur eine offene Ordre Behufs meiner Reiſe in das ruſſiſche Hauptquartier, händigte mir das zur Reiſe nöthige Geld ein, und damit war ich abgefunden. Mittags ſpeiſete ich wie gewöhnlich an des Feldmarſchalls Tiſch , meldete mich um 4 Uhr dienſtlich ab und Abends um 6 Uhr trat ich, offen geſtanden nicht ohne Beſorgniß , meine Reiſe an . Ich war von Berlin aus bei heiterem Sonnenſchein weggefahren ; Niemand trug dort noch einen Mantel . In Boſen war es aber empfindlich fälter und als ich Abends mich embarquirte, hatte der Froſt alle kleinen Pfützen mit einer Eiskruſte überzogen . In Thorn wollte ich Erkundigungen über die Belegung der Grenze einziehen, aber Niemand war darüber orien tirt; ohne Zweifel ein arger Uebelſtand , der aber daher fam , daß für Kundſchafter , das Nachrichten -Weſen überhaupt , Niemand einen Fond hatte. Ich mußte alſo auf gut Glück weiter reiſen. Ich fuhr an der Grenze entlang , fand aber erſt in Strasburg zuverläſſige Nachricht, daß ſie überall geſperrt ſei , und daß ich ſehr wahrſcheinlich noch manche Meile werde reiſen müſſen , bevor ich daran denken könne, die Reiſe einigermaßen mit Sicherheit fortzuſeßen. Wenn ich nun auch aus meinen früheren Feldzügen wußte, wie viel und wie wenig auf dergleichen Mittheilungen zu geben , ſo mußte ich doch aus dem Um ſtande darauf achten ,

daß die Ruſſen vergebens verſucht ,

dieſer Seite her eine Kommunikation zu eröffnen .

ſich von

In der Gegend

60

von Lautenburg lag der Schnee jo tief , daß ich meinen Wagen auf einen Schlitten mußte ſetzen laſſen , was mit unglaublicher Sdneilig: keit und verhältniſmäßig geringen Koſten geſchah. Da ich mein Raſirzeug nicht auspacken , mich aber doch meines Bartes entledigen wollte, verlangte ich einen Barbier, aber ſtatt jei: ner erſchien eine hochſchwangere etwas ſchmutige Frau , welche mir mit eben nicht leichter Þand den Bart abnahm. Sändlich fittlich ! Ueber Soldau , Neidenburg , Willenberg durch die Johannisburger Heide ging es nach Onc . Es war empfindlich falt , die Wege waren abſcheulich ; zwiſchen Johannisburg und Pyd warf ich einige Male um , kam

aber glüdlich

davon .

In lyc traf ich bei etwas gelinderem

Wetter ein, doch ſtritten ſich Schnee und Roth noch um den Vorzug, - beſonders in der Stadt und in den Dörfern. Die Grenze bis Lyd entlang fand ich unſererſeits ſehr gut beſeßt.

Die

Soldaten

waren vorzüglich inſtruirt, die Infanterie gut gekleidet, die Kavallerie vortrefflich beritten . Cinie und Landwehr machten hierin feinen weſents lichen Interichied. Ich ſelbſt ward Nachts öfters angehalten und mußte es mir einige Male gefallen laſſen , zu dem Offizier: Poſten geführt zu werden , um die Erlaubniſ zur Fortſetzung meiner Reiſe zu erhalten. Ein großer Theil der hier ſtationirten Truppen beſtand aus Majuren, die polniſch ſprachen . Der Ilmſtand, daß ich mit ihnen polniſch ſpracy, war ihnen

eine Veranlaſſung mich um ſo mehr im

Auge zu behalten , da wohl Täuſchungen mancher Art in dieſer Zeit vorgefommen ſein mochten.

In lyd erhielt ich weniger durch die

dort ſtationirten Militairs als durch die Poſtbeamten genügende Nach richten . Es ſah mit der Kommunifation eigentlich ſchlecht aus. Die Poſten waren zwar noch nicht angefallen worden, aber Rourieren war dergleichen paſſirt. — Ich ſchwankte daher eine Zeit lang, ob ich nicht vielleicht den Poſtwagen beſteigen und mich als irgend ein Paſſagier geriren jollte. Da aber kam mir das Bedenken, daß ich damit mei nen offiziellen Charakter aufgäbe. Ich blieb alſo bei meiner bisheri: gen Art und Weiſe zu reijen , ſtellte meinen Wagen wieder her , lud mir meine Piſtolen , verbarg ſorgfältig im

den

Brief an Feldmarſchau Diebitid

Wagen und trat getroſt meinen Weg an .

Vierter Abſchnitt. 1831 . Reiſe ing ruſſiſche Hauptquartier über lomza, Brot, Węgrow , liw , Kaliszyn nach Siennica . Auffinden des Oberſt v. Canit. Meldung beim Feldmarſchau, Diner bei demſelben und nadheriger Vortrag. Das Lager - Leben in Siennica. - Meine Rüdkehr. – Einiges über land und Leute, die ruſſijoen Truppen, ſonſtige Erlebniſſe und Beobachtungen.

Big is gegen Szczuczyn ging die Reiſe ganz gut , auch fand ich bis dahin nirgends ruſſiſche Truppen , von Krieg und Unruhe war nichts zu ſpüren. Kurz vor dem Orte jedoch änderte ſich die Scene. Die Geſtalten der Bewohner erſchienen trotiger , die Reiſenden ver riethen Aengſtlichkeit – man jah , es laſtete etwas auf den Leuten . In der Stadt angekommen erklärte ſich die Sache. Die Nacht vor meiner Ankunft war nämlich ein Rourier überfallen und fortgeſchleppt worden , obwohl ein Bataillon Ruſſen im Orte ſtand. Daſſelbe hatte ſich höchſt ungeſchickt benommen .

Statt das Poſthaus , welches dicht

vor dem Städtchen lag, angemeſſen zu beſetzen, die Gemeinſchaft mit demſelben durch Patrouillen z11 unterhalten und die Liſiere eines Wäld chens, das ſich auf 1000 bis 1500 Schritt gegen das Poſthaus hin verlief, fleißig abzupatrouilliren, hatten ſich die Nuſſen im Orte ſelbſt ziemlich ungeſchickt verbarrifadirt und nicht verhindern können , daß der Rourier ſeiner Bapiere beraubt und fortgeſchleppt worden war. Der Poſtmeiſter ſelbſt, noch ein ehemaliger Preußiſcher Beamter aus der ſüdpreußiſchen Zeit mit Namen Braun, erzählte mir die Sache weit läufig und beklagte ſich über den ruſſiſchen Offizier , welcher erſt am andern

Morgen

ein Zeichen

des Lebens

von ſich

gegeben

hätte .

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Kurz vorher, ehe ich in den Wagen ſtieg, fragte er mich, wie es denn zuginge, daß hier immer einfache Briefe an den Oberſten v . Canig und Dalwit eingingen ? Den Canit verſicherte er bereits im Hauptquartier des Feldmarſchall Diebitſch aufgefunden zu haben, mit dem Dalwitz aber habe ihm dies trotz aller Mühe nicht glücken wollen . Ich erzählte dann Oberſt v. Canitz ſpäter dieſe Geſchichte, welche ihn in die heiterſte Stimmung verſeşte . In Szczuczyn erhielt ich einen flinken Poſtillon , der mich ſchon beim Einſteigen ſcharf fixirte. Der Umſtand, daß ich polniſch ſprach und mein farmoiſinfarbiger Kragen

ließen

ihn glauben , daß ich ein

polniſcher Offizier ſei. Als wir eine Meile gefahren , wendete er ſich gegen mich und fragte: „ Sie ſind einer von den Unſeren, Þerr ? " Und als ich dies mit einem Kopfniden bejahte und den Finger dabei auf den Mund legte , fuhr der Kerl los , daß ich jeden Augenblid glaubte meinen Wagen zertrümmert zu ſehen . So famen wir über raſchend ſchnell in Stawiszki an , wo ich von meinem Poſtillon dem neuen Automedon ſorgfältig überliefert ward . Der Silberrubel, welchen ich ihm Trinfgeld gab , trug hierzu gewiß ſein Theil bei . Als wir aber die Hälfte des Weges nach Lomza 311 , erreicht, ge wahrte ich plöglid) hinter einem Hügel links ſeitwärts einige Lanzen ſpigen ſichtbar werden .

„ Das ſind Unſere " , ſagte mir der Poſtillon

und machte zugleich Anſtalt in's Horn zu ſtoßen . Ich hatte aúe Mühe, ihn daran zu verhindern und ſdrickte mich an , mich in Ver theidigungsſtand zu ſetzen . Mir war die Sache im höchſten Grade fatal .

Aber als die Reiter eine kleine Höhe erreicht,

wo ich ſie

beſſer in's Auge faſſen fonnte , glaubte ich in ihnen Kojaden zu ent deden , was mir auch mein Boſillon bejahte, indem er mir zurief: ,, Das ſind nicht Unſere, das ſind Moskowiter !" Mir war hierdurch eine große Laſt vom Herzen genommen , denn es wäre mir feines : wegs angenehm geweſen , vielleicht nach Warſchau, dem Sit der Re gierung, gebracht zu werden, was mehr oder weniger den Verdacht eines gewiſſen Ungeſchicks auf mich geworfen hätte. Namentlich würden die verren , die

den

service de menin

in der Hauptſtadt

machten, ihren Sarfasmen freien Lauf gelaſſen haben. Pomza fand ich ſtarf mit Ruſſen beſetzt. Ich ging zum Kom mandanten , zeigte ihm meine offene Ordre und erſuchte ihn zugleich mir zu ſagen, wo das rujſijde Hauptquartier ſei, und mir die Mittel und Wege anzugeben , um dahin zu gelangen . Anfangs wollte er mich nicht reiſen laſſen ; ſpäter aber beſann er ſich eines andern wid

63

gab mir 50 Roſacken zur Bedeckung, mit denen ich mich gegen Abend auf den Weg machte. Dieſelben ſchienen eben keine Luſt zu haben, ſich viel um mich zu bekümmern .

Sie blieben alle in einem Klumpen ,

hatten nicht einmal eine Avantgarde

gebildet und

ich

fuhr ruhig

hinter ihnen her. Nachdem ich ſo einen Theil der Nacht hindurch unterwegs geweſen war , bemerkte ich am Himmel einen röthlichen Schein , der mir von einem Feuer herzukommen ſchien. Meine Kojacken wußten darüber keine Auskunft zu geben. Je mehr wir uns dem Scheine näherten, deſto mehr konnte man erkennen , daß er von keinem in Flammen ſtehenden Orte, — ſondern von einer A1 zahl niedrig brennender Feuer herrührte ; ſpäter jahen wir , wie ein zelne kleine Feuer um ein größeres brannten und man fonnte alſo ſchließen , daß es von lagernden Truppen herſtamme. Und ſo war es in der That. Es lagerte hier eine Kavallerie - Brigade , welche den Auftrag hatte , Lebensmittel zuſammen zu bringen und zugleich die Parteigänger , welche ſich hier bemerkbar gemacht , zu Paaren zu treiben . Ich ward im Lager freundlich aufgenommen und mit Tſchei bewirthet, der in einem ſilbernen Thee- Service ſervirt ward, wie ſich denn überhaupt ein gewiſſer lurus in Allem , was den guten General umgab herausſtellte,

eine wunderbare Erſcheinung bei einem

Rom

mandeur , deſſen ganzes Thun und Treiben doch auf eine gewiſſe Schnelligkeit baſirt ſein ſollte, welcher ein großes Heergeräth wenig entſpricht.

Zugleich wurden hier Pferde zur weiteren Reiſe beſorgt,

auch eine halbe Eskadron ſogenannter polniſcher Ulanen zur ferneren Begleitung gegeben . Deren Führer war ein Kurländer , ein eleganter gebildeter Mann. Er erzählte mir , daß er früher bei einem Regi mente in Litthauen geſtanden , daß man aber eine große Menge von Offizieren jener Regimenter verſetzt und daß er ſelbſt ſeit nicht gar langer Zeit bei dieſem Kegimente ſtände.

Es war ſonſt eine ruhige

kalte Nacht; der halb gefrorene Weg hielt nicht recht – überall ſtanden große Lachen im Wege , die ſich oft viele hundert Schritte Sie waren hinzogen und deren Waſſer oft in den Wagen trat. alle mit einer kleinen Eisfruſte belegt .

Gegen Morgen

erreichten

wir einen Ort , der komplett im Moraſte lag . Die Pferde gingen bis über den Bauch im Schmuß . Es kam darauf an , einen Weg weiſer zu erhalten .

Als ſolcher ward endlich ein armer Jude auf

gefangen , der in ſeinem langen Kaftan , ſeiner Fiſchotter -Müße und ſeinen Pantoffeln einen wunderſamen Eindruck machte.

64 Man ſetzte ſich alsbald wieder in Bewegung.

Dem Juden ward

ein längerer Strick um den Leib gebunden , den ein Ulan an dem andern Ende anfaßte, um das Entſpringen deſſelben in den Wald zu verhindern . Ab und zu aber ließ er den Strick abſichtlich fallen und führte dann das Pferd ſo, daß es auf den Strid trat und der arme Jude , der in haſtigem Ausſchreiten begriffen war ,

nicht ſelten der

Länge nach ins Waſſer fiel , was dann immer lauten Jubel erregte. Der Difizier glaubte den Leuten , die in jener Zeit gegen die Polen und Juden ſehr aufgeregt waren , dies unſchuldige Vergnügen nicht unterſagen zit fönnen . Als wir jedoch nach einer Stunde ein Etabliſſement erreichten, wo Schnaps zu bekommen war, ließ ich valt machen, den Soldaten einen Schnaps geben, bat mir aber aus, der erwähnten Behandlungsweiſe des armen Menſchen zu entſagen, wor : auf ſie dann auch wohlgemuth eingingen. Mein Jude ward ſpäter entlaſſen und ſchied danferfüllt von mir ---- Müße und Loden gebadet in Waſſer, durch und durch naß, ſeine Pantoffeln Abends ſpät erreichten

wir Brot

am Bug.

in den Bänden . Wir fanden hier

ein Pionier - Detachement, welches die Ueberfahrt beſorgen ſollte. Der heftige und ſtarke Eisgang aber machte das Ueberſeyen ſehr ſchwie rig ; von dem früheren Thauwetter war der Fluß ausgetreten und das linke Ufer bot den Anblick eines großen See's dar. Ich mußte gegen meinen Wunſch längere Zeit verziehen. Der ruſſiſche Offizier getrante ſich nicht mich überzuſetzen .

Aber einige polniſche Schiffer

verſtanden ſich gegen ein bedeutendes Fährgeld dazu. Sie nahmen meinen Wagen auseinander, ſetten die einzelnen Theile auf zwei kleine Rähne, während ich ſelbſt in einem dritten noch kleineren mit zwei Schiffern folgte .

Die Fahrt war zwar nicht ohne Gefahr und Zeit:

verluſt, aber ſie ging glidlich von Statten . Am andern Ufer befand ſid, auf einer Anhöhe ein Piquet Savallerie mit einem Pionier - De tachement, das in einem Schuppen untergebracht die Fähre und eine Menge Pferde für die Savallerie hütete. Mittelſt einiger Gulden zu Schnaps ward meine Britichfe alsbald wieder zur Weiterreije einges richtet und ich trat meine Reiſe von hier ohne Eskorte nach Begrow an . Wenngleich , ich aus einer Gegend heimiſch bin, die ihrer ſchlech ten Wege wegen berüchtigt iſt, ſo habe ich dennoch etwas Aehnliches von Straßen wie diesmal nie geſehen . inne des Wortes grundlos.

Sie waren im

eigentliden

Die ruſſiſche Armee, die guten Theils kurz vorher dieſe Gegend bei ſchlechtem Wetter durchzogen, hatte hierzu das Meiſte beigetragen.

65 Nebenbei waren alle Bäche und Flüſſe ausgetreten , überall ſtanden Lachen , - ich konnte nur Schritt vor Schritt fahren und dennoch vermochten meine vier tüchtigen Pferde faum den eben nicht ſchweren Wagen zu ſchleppen . Ich kam daher auch ziemlich ſpät in Węgrow an, wo ich einige Bataillone ruſſiſche Truppen fand, welche die Ma gazine und Lazarethe hier bewachten. Der General, der als Kom mandant fungirte, war ſehr freundlich und lud mich zum Diner ein , das ich aber ausſchlug , weil es mich zu lange aufgehalten haben würde. Ich benußte aber ſeine Erlaubniß, die obengenannten Anſtal ten , welche er hier etablirt , anzuſehen. Die Magazine ſchienen gut gefüllt, namentlich mit Mehl ; das Lazareth war reinlich und gut gehalten . Merkwürdiger Weiſe war kein Adminiſtrations- Beamter Seitens der Armee dabei angeſtellt und fungirten dort nur die Truppenärzte mit ihren Cyruttfs. *)

Es mochten dort vielleicht einige hundert Kranke

liegen , welche allein durch die Thätigkeit des Kommandanten ein be quemes, und ich kann wohl ſagen , für die Verhältniſſe gutes Uuter fommen gefunden hatten. Ich habe an einem anderen Orte hiervon weitläufiger

geſprochen

( Taktik der drei Waffen ) .

Die Erfahrung

hier iſt mir ſtets als ein Beweis dafür im Gedächtniß geblieben, wie viel verſtändige und umſichtige Menſchen, ſelbſt unter ſehr ſchwie rigen Verhältniſſen wirken können. Uebrigens herrſchte im

Orte

auch ſonſt Ordnung und Ruhe;

Lebensmittel waren reichlich vorhanden , die Gaſthäuſer hatten ſogar trok ihres ärmlichen Anſehens eine Menge Lurusartikel vorräthig . Der Weg bis Liw war über alle Beſchreibung ſchlecht. Ein ruſſiſcher Grenadier, welchen mit der Torgſame Kommandant zur Auf wartung mitgegeben, mußte öfters abſteigen, um

dem

ſtarken Boſtillon

zu helfen den Wagen aus Löchern herauszuheben. von einem Wege kaum die Rede .

Eigentlich war

Wir ſchwammen in einem Rothmeere und Pferde und Menſchen waren ſchon in Liw ſo erſchöpft, daß es einer mehrſtündigen Ruhe bedurfte, um die Reiſe fortſeßen zu können.

der

In dem Orte beſtieg ich den Kirchthurm , um mich etwas mit Gegend bekannt zu machen . Der Liwiec war ſtark ausge

treten und ich ſah nichts als Wald, Waſſer und hier und dort einige Dörfer , welche aus jenen hervortauchten . Es trieben ſich überall

*) Chirurgengehülſen, Krankenwärter . 5

66

einzelne Ruſſen herum , welche ſich wenig um das, was um ſie vor ging, bekümmerten . Ich glaube, daß ein halbes Dußend entichloſſe ner Peute hingereidit , ſich derſelben 311 bemächtigen und ſie gefangen fortzuführen.

Ich verließ Liw etwa gegen 4 Uhr und fam ſehr ſpät

nadı Mitternacht in Kaluszyn an . Es überraſchte mich, ſo wenig Truire pen auf meinem Wege zit finden -- ab und zu ein hojat ; ſelbſt der genannte Ort war nur ſchwach beſetzt, obwohl hier ein lazareth und ein Magazin war . Der Rourierdienſt war überall trefflich organijirt. Aber Niemand fragte nach Paß, nach Namer . Bezahlung der Pferde und ein gutes Trinkgeld machten die Hauptſache und ich bin feſt über zeugt, daß polniſche Offiziere eben ſo gut Pferde erhalten haben wür: den, wie die ruſſiſchen. Man verließ ſich in Bezug auf ſeine Sicher heit auf die Vorpoſten vor Praga . Aber es ſollte ſich ſehr bald herausſtellen, wie ſehr man ſich in Bezug hierauf geirrt. Meinen kurzen Aufenthalt benutzte ich, um einen Blick in das Lazareth , welches ganz in der Nähe war , zu werfen. Da war keine Schildwacht, kein Aujjeher. Ich trat ganz unbemerkt ein . Einige Cyrulits ruhten angezogen auf ihren lagern ; einer ſchlief auf einem Stuhle, Niemand befümmerte ſich um mich ; aber es herrſchte ſonſt Ording. Die Leute lagen auf Strohſäcken oder auf Strob , welches durch einige Pretter zuſammengehalten war; zwiſchen zwei Betten

befand

ſich

ein

Tiſch ,

allerdings

nur

aus

dem

Robeſten

gearbeitet ; auf je zweien ein Licht, welche in Thonflößen ſtedten . Einige Peute hatten Deden , andere waren mit ihren Mänteln bededt . Vor den Thiiren hingen große Vorhänge, um den Zug zu verhindern . A6 imo 31 ſtanden große Stiefel aus Filz, welche bis über die Anice reichten , wahrſcheinlich für Leute, welche die Catrinen beſuchen mußten . Jul Aulem offenbarte ſich ein Geiſt der Ordnung und Fürſorge . Nur die Temperatur im

Pokale wollte mir z11 hod) erſcheinen , aber mög

lich, daß ſie mir, ſo eben ganz durchfroren vom Wagen ſteigend, nur jo vorfam . Ich fuhr

den Reſt der Nacht durch , fam

in der Gegend bei

Ceglow , wo ich die große Straße von Przesc Citowstnad War ſchau durchſchnitt, bei cinem Fleinen Infanterie - Cager vorüber. ich erreichte erſt im Mitternacht Siennica , wo das Hauptquartier des Feldmarſchall Tiebitſch war. - Siennica , ein kleines, ubedeutendes dhmutziges ertchen , war gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts unter dem

Namen

Janowo zu einem

mund I beſtätigt worden .

Inde

Städtchen

erhoben

und von

Sieg

die Gewohnheit behauptete ihr Recht

67

und während der Name Janowo nur in den Urkunden prangte, blieb iin Bolfe der Name Siennica . Was mich auf der ganzen Reiſe in Erſtaunen geſetzt, war die große Sorgloſigkeit, welcher man ſich überal ergeben ; nirgends war eine Spur von einem zweckmäßigen Vorpoſtendienſt. Etwas dieſer Art war mir , der ich allerdings Mina und Villa Campa gegenüber den Vorpoſtendienſt gründlich kennen gelernt , und worin mir unſere damaligen Soldaten noch heute als unerreichbare Muſter vorſchweben, völlig unerklärbar.

Es

war mir zugleich ein

rechter Beweis , wie

wenig auf die Dauer, wenn ſtetes Antreiben fehlt, eine frühere gute Schule fruchtet; denn wenn die polniſchen Offiziere nur im mindeſten ihre Erfahrung benußt hätten, ſo würden ſie den Ruſſen, unter den Ver hältniſſen wie und wo der Krieg geführt wurde, den größten Schaden haben zufügen können.

Ich weiß nicht, ob wir über ein Dorf Namens

Pogorzell, das auf der Warſchauer - Siennicaer Straße lag , kommen mußten, oder ob ſich , was ich vermuthe, mein Boſtillon verirrt, aber wir fanden hier die erſten Vorpoſten und zwar Koſaden , welche die Sache für mich ſehr ernſtlich , für ſich aber inſofern ſehr leicht nah men , als ſie erklärten , ich müſſe bis zum Morgen bleiben , da ſie Befehl hätten, Niemand während der Nacht durchzulaſſen . Ich ſtieg ſelbſt aus dem Wagen, um mit den Vedetten zu unterhandeln , aber Alles, was ich erlangen fonnte , war , daß ſie den Offizier , der den Poſten kommandirte, herbeiriefen. Mit dieſem verſtändigte ich mich dann inſofern , daß er mich durch zwei Koſacken begleiten ließ , nach dem er vorher meinen Wagen noch unterſucht hatte , ob ſich nicht etwa noch Jemand darin befände . An einer kleinen Brücke, über die ich mußte, fand ich das ganze Rojacken -Piquet, das ſanft ſchlummerte. Meine beiden bärtigen Freunde geleiteten mich dann nach Siennica, wohin ich jedoch des abſcheulichen Weges wegen nur Schritt vor Schritt fahren konnte. Im Orte ſelbſt war der Schmutz noch größer, faſt.

man verſank

Auf einem kleinen Plaß unfern der Kirche angelangt, fand ich

einige dreißig Grenadiere auf Wache, die, um ein großes helles Feuer gelagert, fochten und brieten. Auf meine Frage, wo der Feldmarſchall wohne, zeigte man mir ein kleines, elendes Häuschen, vor dem zwei Grenadiere ſchilderten. Als ich nach dem Offizier der Wache fragte, hieß es , daß es feinen gebe und der Sergeant endlich, der ſich als Wachtkommandant gerirte, ſagte mir, daß der Feldmarſchall Nachts von Niemand zu ſprechen ſei und daß er nicht geweđt werden dürfe. 5*

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Von einem dienſthabenden Offizier wußte er nichts und als ich nad dem du jour habenden fragte, hieß es , daß er an anderen Ende des Städtchens wohne . Endlich fragte ich nach dem Preußiſchen Oberſten, der im Þaupt quartier ſei . Neue Verlegenheit! Niemand kannte ihn , wußte von ihm .

Endlich nach langem Herüber- und Hinübergerede beſann ſich

einer der Grenadiere, welche ſich um mich geſammelt, daß die frem den Offiziere eine große Strecke hinauf wohnten. Als ich ihn hier auf fragte , ob er mich gegen ein gutes Trinkgeld dahin begleiten wollte , war er hierzu ſehr erbötig . Es bedurfte jedoch zu unſerem Wege einer Viertelſtunde, indem wir uns bei der ſtodfinſteren Nacht durch ein entſetzliches Rothmeer durcharbeiten mußten. Nachdem wir mehrere Male angehalten und vergebens nach unſeren Offizieren ge fragt ,

famen wir endlich vor einem

kleineren Hauſe an , in dem es

ganz dunfel war. Auch hier ſchallten uns ruſſiſche Töne vom Flur entgegen , aber wir waren dennoch im Hafen angelangt. Die Ordon nanzen jagten uns, daß hier deutſche Offiziere mohnten, aber daß ſie ſdhliefen.

Ich darf wohl nicht hinzufügen , daß mich dies nicht ab:

hielt, in die Stube einzutreten, wo mich ein : „ Wer iſt da ? " empfing. Ich antwortete , indem ich meinen Namen nannte, und ward alsbald durch ein freundlides : ,, Ach , Sie ſind es , Brandt !" Seitens des Oberſten Canitz begrüßt. Es ward ſofort licht gemacht und ich konnte mich dann umſehen. Ich befand mich in einem ziemlich geräumigen Zimmer , an welches ein anderes kleineres ſtieß. Oberſt v . Canig in einer Art Vettſtelle; in

In dieſem

íbliej

der großen Stube mar

eine große Streu , auf der ein öſterreichiſder Oberſt vom Korps und ein Infanterie Rapitain ſchliefen .

Ingenieur

Aber mun ging es an ein Fragen , wie es in Europa , wie fid Oberſt v . Canitz ausdrüdte, ausjähe, denn man ſei ſeit längeren Zei ten – ſeit drei Wochen - ohne jegliche Nachricht. mir Platz auf der Streu gemacht und nachdem

Zugleich wurde

wir eine Stunde ges

1 plaudert, legte ich mich zu den Oeſterreichern und ſchlief bis zum hellen Tage . Emſige Bediente machten uns einen vortrefflichen Kaffee, zu dem Sahne und Runt und weißes Brod ſervirt wurden . Nur das Zimmer, die Stren und das Hausgeräth verriethen, daß man in einem ungewohnten Zuſtande lebe . Während ich auspacte, in midi Diebitſch vorſtellen zu fönnen und Oberſt v. Canit dem erſten Adju tanten des Feldmarſchalls , Tichiſtin ſchrieb , um ihin meine Anfunft anzuzeigen und im Beſtimmung der Zeit , wann ich mich vorſtellen

1

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könne, erſuchte, las der öſterreichiſche Kapitain die Zeitungen auf, die ich zum Einpacken benutzt hatte , ordnete ſie dem Datum nach und fing ſehr emſig an , ſie zu ſtudiren.

Die Herrn verſicherten einſtim

mig, daß dies die erſten Nachrichten ſeien, welche ſie ſeit drei Wochen hätten, und die ich natürlich durch allerhand mündliche Zuſätze ergän zen konnte. Der öſterreichiſche Kapitain, Jozefowitſch, der mich aus meinen Schriften fannte, war ein beleſener, geſcheidter , freundlicher Mann . Der Ingenieur- Oberſt hatte etwas Boutonirtes , ſoll aber ein ſehr unterrichteter Offizier geweſen ſein , der ſpäter Chef des Mineur-Korps geworden.

Oberſt v . Canit ,

unterrichtet, liebenswürdig , ſarkaſtiſch

und voll der beſten Laune, ehe ihn die Ereigniſſe der ſpäteren Jahre ſo hart trafen , würzte den Kaffee, den wir aus großen Biergläſern zu uns nahmen , mit dem trefflichſten Humor. Meine Mittheilungen

der Wigeleien

über

Diebitſch

aus den

deutſchen und polniſchen Zeitungen ergößten die Herrn gar ſehr. Das Diebitſch So bald kann's nit" amüſirte ſogar den ſteifen Ingenieur Oberſten und die Karrikatur, wie Diebitſch rüdwärts auf einem Ejel ſikend von einem Senſenmann mit einer Senſe raſirt wird, mit den dazu gehörigen Verſen, fand nicht minderen Beifall. Aus Allem ging hervor, daß Preußen und Deſterreicher, to getheilt ſie in ihren politiſchen Anſichten und Wünſchen über den Feldzug auch ſein moch ten , in ihrer Antipathie gegen die Ruſſen ziemlich einig waren . Merk würdig war die völlige Unkenntniß dieſer Herrn über die Stellung der ruſſiſchen Armee. Ich konnte mich rühmen, davon mehr zu wiſſen, wie ſie. Als ich Oberſt v . Canitz meine Anſicht hierüber mittheilte, geſtand er , in dieſer Beziehung in einer üblen Page zu ſein.

Der

Feldmarſchall duldete nie, daß ſie z . B. in ein Lager ritten,

auch

durften ſie ihn auf ſeinen

Ritten

dahin nicht begleiten.

Nur wenn

das geſammte Hauptquartier ſich in Bewegung ſette, wurden ſie da von benachrichtigt und auch dam behielt ſie der Feldmarſchall gern in ſeiner Nähe . Es ging ihnen gerade ſowie einſt dem Prins zen de Ligne im Hauptquartier Potemkins. Sie waren alſo weniger Beobachter wie Beobachtete. Der Feldmarſchall war ſtets in der Page zit wiſſen, was die Herrn berichten konnten , wenn ſie nicht ſonſt etwa Gelegenheit hatten, irgendwie von der Umgebung des Feldmar: jhalls Etwas zu erfahren.

Um

etwa 11 Uhr erhielt Oberſt v . Canitz

die Benachrichtigung, daß der Feldmarſchall mich beim Diner , zu dem er mich einladen ließ, ſprechen werde.

Um

1 Uhr begaben wir uns

70

durch das Rothmeer unter allerhand Quer- und Kreuzſprüngen zu dem hohen Herrn, wo wir bereits einige Offiziere, General Gortſchafcft, Oberſt Tſchiffin , Oberſt Schildern und andere fanden. Der Feld marſchall ließ Oberſt v . Canitz und mich ſogleich in ſein Zimmerchen treten , nahm meine Depeſche entgegen und fügte nur hinzu , daß er mich um 5 Uhr noch ſprechen wolle, womit ich denn entlaſſen war und in das Speiſezimmer zurückging. Dies war ein niedriges Ge mach, aber geräumig genug , um eine Tafel für etwa 16 bis 18 Per fonen aufſtellen zu können , für die auch ſervirt war. Unmittelbar nach mir trat auch der Feldmarſchall in das Zimmer und nun fingen zwei ſeiner Bedienten, die aber nicht ſehr ſauber ausſahen, an, einen Imbiß aus kleinen Butterbroden , die eigentlich nur große Biſſen reprä ſentirten , mit Schinken und einer Art in Eſſig gelegter Sardellen aus der Oſtſee belegt, mit Goldwaſſer und anderen Liqueuren herumzu reichen. Einer der Bedienten , welcher die Spirituoſen präſentirte, hielt ſich viel in der Nähe des Feldmarſchalls auf und ich bemerkte, daß dieſer ſich derſelben vielfach bediente.

Die Offiziere waren alle

in Ueberröcken ohne Deforation , mit Ausnahme derer, die Orden um den Hals trugen .

Nachdem der Feldmarſchall noch mit mir einige

Worte über das Befinden des Königs, der Königlichen Familie und des Feldmarſchalls Gneiſenau geſprochen , ſette man ſich zu Tiſche. Nur der Feldmarſchall und Fürſt Gortſchakoff hatten Stühle , wäh rend alle anderen auf Schemeln ſaßen . Das Diner : Suppe, ein Mittelgericht und Kalbsbraten , Alles wohl zubereitet, zu dem ein leichter Moſel ſpärlich ſervirt wurde , dauerte etwa ein Stündchen . Ich hatte meinen Platz neben Fürſt Gortſchakoff, der ſich eifrigſt nach dem Zuſtande der Befeſtigung von Poſen erkundigte. Als ich ihm das Snſtem, nach dem es gebaut, auseinander ſegte, meinte er, daß er davon nicht viel halte und dem Cormontaigne-Bauban'ſchen Syſteme den Vorzig gäbe, und nun fing er an , mir eine komplette Vorleſung über dies Syſtem zu halten, ſo daß ich eigentlich wenig von der all gemeinen Konverſation hören fonnte. In einem moment de relâche fragte mich der Feldmarſchall, was man von den Inſurgenten ſpräde. Erlaucht , entgegnete ich , man ſpricht, daß man in der Gegend ron Kielce ſtart an Berſchanzungen arbeite , daß man eventuell aus dem Gebirge von dorther den Voltsfrieg zu organiſiren gedächte. fragte der Feldmarſchall nachdenfend.

Kielce ?

Warum legen ſie gerade auf

dieſen Ort ſo große Wichtigfeit ? Jedenfalls , entgegnete id ), ſeiner Lage wegen im Gebirge und dann knüpfen ſich auch hiſtoriſche Er:

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innerungen hieran.

Von hier aus hat man zur Zeit des Mongolen

Einfalls die Wiederverjagung der Mongolen eingeleitet. Nun , erwiderte der Feldmarſchall, ſie werden uns doch nicht für Mongolen nehmen ? Das gewiß nicht, erwiderte ich, aber die Journaliſten bleiben immer Freunde hiſtoriſcher Analogien , beſonders wenn ihnen der Stoff an Das Geſpräch erſtreckte ſich hierauf über eine fängt auszugehen. Menge Gegenſtände meiſtens gleichgültiger Art. Namentlich ſprach Oberſt Dichiffin allerhand und erwähnte gleidjam nur beiläufig , cau sant chiffons “ er habe einen ganzen Sac voll Empfehlungen aus Berlin für Seine Erlaucht , darunter eine große Menge von Prin zen und Prinzeſſimen. Dieſe Aeußerung, beſonders der Ton derſel ben , verletzte Oberſt v . Canitz ſichtlich, doch enthielt er ſich, obgleich er ſonſt ſehr ſtark in beißenden Repliken war, jeder Antwort, um ſich ſpäter dafür zu revanchiren . Während wir dinirten , Atmoſphäre.

verfinſterte

didter Schnee

völlig die

Dies gab Jemandem Gelegenheit zu bemerken, daß dies

ein gutes Eieinent ſei, die Wege zu verbeſſern. Da aber nahm der Feldmarſchall das Wort und erwähnte aus den Feldzügen von 1807 und 1812 einzelner Momente, die wohl durchfühlen ließen, daß man ſei ner Meinung nach heut nur zu geneigt ſei, alles für unüberwindlich zu halten , woran man ſonſt gar nicht gedacht.

So lange die Ver

pflegung gut ſei, ſchloß er, müſſe der Soldat ſich gar nicht einfallen laſſen daran zu denken , daß die Wege oder das Wetter ſchlecht ſeien. Der Feldmarſchall ſelbſt langte bei Tiſche tüchtig zu und man ſah es ſeiner runden Figur wohl an, daß er ſich nichts abgehen ließ . Nachdem die Tafel aufgehoben war , ward der Kaffee ſervirt. Auf dem Brett , das der Bediente präſentirte, ſtand cine faum zur Hälfte mit Kaffee gefüllte Taſſe, dieſe nahm ſich der Feldmarſchall und füllte ſie mit Rum und tranf ſie in einigen Zügen aus, worauf er ſich dann , Alles verabſchiedend , in ſein Gemac) zurückzog. Die Geſellſchaft ſelbſt zerſtreute ſich dann ; die meiſten legten ſich ſchlafen , wenige ſtiegen zu Pferde.

Ich verplauderte mit den öſterreichiſchen

Offizieren und Canitz die Zeit. Zur beſtimmten Stunde war ich wieder beim Feldinarſchall und ward ſogleich in ſein Zimmer gerufen . Dieſes war ein kleines Ge mach mit nur einem Fenſter , in dem nur eine breite Mahagoni Bettſtelle ſtand .

Ein paar kleine hölzerne Tiſche, einer in der Mitte,

ein Stuhl und ein Schemel bildeten das ganze übrige Geräth . Auf dem Tiſche in der Mitte lag eine Karte ; auf dem andern in der Ecke be

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fanden ſich Federn, Tinte, eine Toilette und lagen Papiere und Briefe. Feldmarſchau Gneiſenau, ſagte hierauf Diebitſch, der mich durch eine Handbewegung zum Siten eingeladen , ſchreibt mir , Sie wären an gewieſen, mir die politiſche Lage Europas zu ſchildern und mir über haupt zu ſagen , wie es in Deſterreich, Frankreich und Deutſchland ſtände . Ich ſchilderte hierauf dem Feldmarſchall die Perſonen und Dinge, ſoweit ſie damals überhaupt bekannt waren. Ich hob hierbei beſonders die Geiſtesbewegungen ſeit den Vorgängen in Paris her: vor ,

wie dieſe in Frankreich ,

wie die Völfer ziemlich

Oeſterreich ,

Deutſchland gewirkt und

allgemein gegen Rußland Partei ergriffen,

wenngleich die Regierungen dem Kaiſerhauſe geneigt geblieben ; die geſchichtlich ſtationaire Zeit plöglich einem

wie

bis dahin völlig unbe

kannten Treiben gewichen , welches mittelbar und unmittelbar auf die Kabinette Einfluß gewinne. Ich hob die Geſtalt der Dinge, ſeitdem Caſimir Berrier die Leitung der Geſchäfte in Paris übernommen , hervor, wie es in Belgien ausſehe, daß man auf jeden Fall am Ein gang einer neuen Aera ſtände . Ich ſchilderte namentlich die Antipathien, welche überall gegen Rußland offenbar wurden , und bemerkte, daß dieje als Gegenſaß die Sympathie für Bolen in einer überraſchenden Art hervorriefen und wie ſich dies ziemlich durch alle Schichten der Bölfer verbreite und in Vüchern , Brochüren , in Karrikaturen und Verſen ſich Luft mache . Nachdem ich noch Einiges über den peinlichen Zu ſtand des Mißtrauens und der Gereiztheit gegen Rußland, der in der Folge linannehmlichkeiten für die reſp . Regierungen herbeiführen könnte, hinzugefügt, ſchloß ich meinen Vortrag. Diebitſch hörte ruhig zu. Ja , ſagte er , als ich geendet, die Dinge ſtehen ſchlimm , recht ſchlimm , aber ich denke , das wird ſich ändern , wenn die Völfer wieder zur Beſinnung kommen , und das wird nicht ausbleiben . Der Kaiſer hat die allerbeſten Abſichten, das wird ſich ſpäter ergeben umd dann wird ſich das Gleichgewicht wieder herſtellen . – Möchten nur die Fürſten nid ) t die Tramontane verlies ren , möchten ſie es nicht an ſich kommen laſſen , vernünftige Refors men aufzuſchieben . Zu dergleiden hinterher gezwungen zu werden , wie in Heſſen, Sachen und Braunſchweig, iſt immer einer Kapitula tion mit

dem

Volfe gleich zu achten und führt mehr oder weniger

Erniedrigung der Fürſtengewalt im (Befolge. Hinterher gerathen beide Theile auf Extravaganzen und lleberſchreitungen , wenn irgend ein Rüdjchlag erfolgt . - Nichts ſchlimmer aber , als wenn die Re gierungen es verſäumen, eine entſchiedene Farbe anzunehmen und mit

73 feſtem Gang die einmal beſchloſſene Bahn zu beſchreiten. ,, Nun, " fragte Diebitſch mich , ,, wie haben Sie Ihre Reiſe zurückgelegt ?" Ich ſchilderte ihm nun die Unmöglichkeit, die Grenze anderwärts als über Lyk überſchreiten zu können und wie es unerläßlich ſei, eine für zere Linie etwa über Kolno auf Lomza zu eröffnen und zu dieſem Behufe die Biſſek als Grenze des zu ſichernden Abſchnitts zu betrach ten, Nowogrod könne mit einem doppelten Brückenkopf verſehen wer den , wodurch man im ungeſtörten Beſig nicht allein dieſer Zufuhr linie fowohl als auch des nördlichen Diſtrikts bliebe , und wie dies namentlich auch in der Abſicht des Feldmarſchalls Gneiſenau liege. Auch erwähnte ich der Unſicherheit der Landſtraße und wie namentlich Seitens der Garniſon -Kommandanten nicht die gehörige Sorgfalt auf Freihaltung der Kommunikation verwendet werde. Ich gedachte hier: bei des Vorfalls in Szczuczyn . ,, Da haben Sie vollkommen Recht, entgegnete der Feldmarſchall; aber die guten Leute meinen immer, daß ſie das Shrige gethan , wenn ſie den Stationsort befekt halten. Was darüber hinaus ſich zuträgt, das fümmert ſie wenig . Aber ich werde dafür ſorgen , daß für dieſen Gegenſtand mehr geſchieht . " Hier auf gedachte der Feldmarſchall der Verpflegung und der Heranſchaf fung der Lebensmittel aus Preußen. Meiner Verſicherung , daß der Zufuhr aus Danzig, Elbing und Königsberg jede und alle Unter ſtüßung und Erleichterung gewährt werde , ſchien der Feldmarſchall keinen rechten Glauben beizumeſſen, aber als ich ihm verſicherte, daß längs der Grenze an verſchiedenen Orten zahlreiche Konvois aufge ſtapelt wären , die vergebens auf Erlaubniſ zur Paſſirung der Grenze warteten und daß er ſich hiervon durch abzuſendende Offiziere verge wiſſern fönne, ließ er jeden Verdacht fallen . „ Wem Erlaucht meinen oben geäußerten Vorſchlag wegen Sicherung der Kommunikation und Herſtellung einer kurzen Verbindung mit Preußen in Betracht zu zie hen geneigt ſein ſollten, fügte ich hinzu, ſo werden Sie in kurzer Zeit Vorräthe ankommen ſehen , die Herr v . Beucker in Preußen angekauft hat und die ſehr beträchtlich ſind." ,, Was ſagt man denn bei Ihnen ," fuhr Feldmarſchall Diebitſch fort, „ daß wir hier ſtehen und nicht von der Stelle kommen ? " „ Er laucht," entgegnete ich , ,, die Vernünftigen tragen den Zeitumſtänden Rechnung und auf der Thoren Geſchwät hört man nicht. " „ Das heißt mit andern Worten ," verſetzte Diebitſch , ,, man fritiſirt meine Operationen und macht mich in den Zeitungen tüchtig herunter." ,,Er laucht wiſſen ja , in weſſen Händen die Preſſe und was meiſtens auf

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deren Urtheil zu geben .“ „ Nun ," ſagte jetzt der Feldmarſchall, ,,die Zeit wird mich ja rechtfertigen und darthun, wie viel meiner militai riſchen Maßregeln ich der Humanität geopfert. “ Der Feldmarſchall fragte hierauf nach Verhältniſſen uyd Perio nen in Berlin und legte ein recht lebhaftes Intereſſe für ſeinen Auf: enthalt dort an den Tag . Ich benugte dieſen Moment der Unter haltung, um auf die Karte zu blicfen , welche der Feldmarſchall vor ſich hatte als ich herein trat und auf welcher er ,

einem

Zirfel nach

zu urtheilen , den er in der Hand hielt, Diſtanzen abgenommen hatte. Es war die mir ſehr wohlbekannte Engelhardiche Karte dieſer Gegen den und eine andere mit Ruſſiſchen Signaturen . Auf derſelben was ren Marſchlinien mit rother Dinte angegeben ,

welche ſich alle auf

Ryki konzentrirten. Da man ſeit geraumer Zeit von einem Weichſel iibergange der Ruſſen ſprach, deſſen Punkt ſehr geheim gehalten war, ſo ſchien ich mit ziemlicher Gewißheit vorausſetzen zu dürfen, daß dies ſer Uebergang in jener Gegend ſtattfinden dürfte, eine Vorausſegung, in der ich mich auch nicht getäuſcht , wie wir ſehen werden . Mir war dieſe Veobachtung doppelt lieb, weil mir Feldmarſchall Cncijenau aufgetragen , doch wo möglich zit erfahreit ,

wo der Uebergang ſtatt

finden werde. – „ Wie lange bedürfen Sie Zeit, um

ſich von Ihrer

Reiſe z11 erholen ?" fragte mich der Feldmarſchall. „ Ich fam jofort wieder abreiſen , " entgegnete ich . „ Nun , ſolche Eile hat es nicht. Ich werde Ihnen einige Briefe für die Generale in Wegrow und Pomza mitgeben , Shrem Feldmarſchall für ſeinen lieben Brief danken und damit fönnen Sie nad ) der Heimath zurück . " Hiermit war meine Unterredung, die mehrere Stunden gedauert, beendet. Wenn ich dieſelbe auch mr in allgemeinen Umriſſen gegeben , ſo wirit ſie doch Streiflichter auf die Verhältniſſe jener Zeit und auf Dicbitih ſelbſt. In ſeinem Secle , die feinem

unvortheilhaft geſtalteten Körper wohnte eine edle ſchönen Gefühle fremd geblieben , er war den

deutſchen Anſichten über Menſchenwürde und Pflichtgefühl nicht ent fremdet worden .

Was er in Bezug auf ſein Verfahren von ,, vuma:

nität " gegen mich äußerte , bezog ſich auf ſeine Unterhandlungen mit den Polen mittelſt Franz Mincielsti. Sie fand noch während meiner Amejenheit im Hauptquartier ſtatt, aber Niemand wußte ſo recht darum .

Der Feldmarſchall führte die Unterhandlungen allein ,

Hauptquartier feinen Antlang zu finden ſchienen. Wenn ich mir den Eindruck vergegenwärtige , den mein Aufent halt in Siennica auf mich machte, ſo tauchten allerhand Erinnerungen

da ſie im

75

in mir auf.

Ich hatte kürzlich Diebitſch in Berlin geſehen , er hatte

Dvationen und Huldigungen erlebt wie faſt kein General vor ihm . Seine Beſcheidenheit in Bezug auf ſeine Thaten in der Türkei hatten ihm vjel Sympathie erworben. Unſern Eiſenfreſſern war er freilich nicht offenſiv , nicht provozirend genug erſchienen , er ritt ihnen nicht gut , nicht ſchnell genug , hatte einen zu dicken Bauch , hatte kei nen militairiſchen Pli . General Rühle v . Lilienſtern war rückſichts vou in ſeinem Urtheile , ſelbſt General v . Valentini, dem er doch durch ſein völliges Ignoriren ſeines Buchs der Türkenkrieg “ wehe gethan, urtheilte über ihn als Soldat und Menſch mit Milde, wenn gleich er auch wohl manchmal zu ſagen pflegte: „ den Ruſſen hat er doch angezogen ." - Vor noch kurzer Zeit hatte ich ihn in den König lichen Prunkhallen, vom Glanze aller irdiſchen Würden , umgeben von allem

was wahre Hochachtung an den Tag

legen

und

eine

feine

Schmeichelei erſinnen konnte, ich möchte ſagen aus der Ferne bewun dern dürfen , heute ſah ich ihn mir gegenüber in einer kleinen Bauernſtube, deren Fenſter zerſchlagen geweſen und mit Papier ver klebt waren , meinem Berichte, was Europa über ihn urtheile ,

lau

ſchend; - die einzige Bequemlichfeit in ſeinem Zimmer bildete eine breite Mahagoni - Bettſtelle, wie es ſchien mit einem ſaubern Bette. Und dies Alles in dem zweifelhaften Lichte halb unerreichbarer Er folge einem Heere gegenüber, auf das man mit Hochmuth geſehen, an der Spiße einer Armee, die als die beſte und kriegstüchtigſte der Erde betrachtet ward . – Es iſt das Eigenthümliche alles Ruhmes, daß er meiſtens nur mit Mühe erworben , oft mit überraſchender Schnelle verloren und meiſtens nie wieder erlangt wird . Das Leben des Feldmarſchalls im Hauptquartier war, wenn es durch die Umſtände nicht eben bedingt ward , ganz eigner Art. Er ſchlief lange und gern , - dann folgten außerdienſtliche Meldungen, Entgegennahme von Rapporten und Berichten , Konferenzen mit den Intendanten , dem Chef des Generalſtabes , dem General - Quartier: meiſter oft ein Ritt ins Lager - dann Diner und dann eine lange Sieſte, zu der ſich der Feldmarſchall ganz entkleidet haben ſoll und die oft mehrere Stunden währte. Nach derſelben kleidete er ſich an und ging auf dem Kirchhofe, der einzig trocknen Stelle in der Nähe auf zwei Stunden und darüber, oft bis es ganz finſter geworden. ſpaziren . Seine Adjutanten nannten dieſe Zeit : les heures du martyre . Um dieſe Zeit liefen gewöhnlich die Meldungen von den Vor poſten der entfernt ſtehenden Truppentheile ein.

Die Adjutanten wur

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den dann, je nachdem dies die Verhältniſſe verlangten , herbeigerufen und nach allen Seiten verſandt und brachten ſo gewöhnlich die Nächte auf den Landſtraßen zu . Wenn die Geſchäfte beſorgt waren , kehrte der Feldmarſchal in ſeine Wohnung zurück, wo ihn dann die niedern und höhern Of fiziere ſeiner Umgebung erwarteten , ihre Meldungen machten oder Weiſungen erhielten . Gewöhnlich blieben ſie dann wohl zum Thee bei ihm , bei dem ab und zu ein Spiel ſtattfand , zu dem denn auch wohl andere höhere Offiziere eingeladen wurden . Was ſonſt zum Hauptquartier gehörte , verſammelte ſich in verſchiedenen Gruppen heut bei dieſem , morgen bei jenem

Offizier zum Spiel ,

wo oft bis

ſpät in die Nacht hinein Whiſt, Ecarté, Préference, auch wohl Lands knecht geſpielt wurde. Eines Abends waren wir bei General **, wo geſpielt, geraucht und tüchtig getrunken ward . etwas von Tſchiffin ,

Hier erzählte Jemand

dem man überhaupt nicht recht hold war und

der ſich ſtets ziemlich abgeſondert von den Andern hielt . Oberſt v. Canit that, als wenn er nicht recht zuhörte und fragte dann plötz lich: mais de qui parlez vous donc ? – de Tschifkin , war die Antwort. ,, Ach du grand pisseur ", ſagte er hierauf, „ , le grand garde du sac à compliments." Ein ſchallendes Gelächter war die Antwort und in dem kleinen Kreiſe ward Tſchiffin fortan mir ,,le grand pisseur " genannt. Um den Doppelſinn zu verſtehen, muß ich bemerken , daß ,,pisat " im Ruſſiſchen ,, ſchreiben “ heißt . Das Komiſche dieſer Scene aber lag in der Art und Weiſe der Ausſprache, welche eine allgemeine Heiterfeit hervorrief. Doch ward ich auch von anderer Seite her angeregt.

Eines Tages erhielt ich aus dem

Gefängniſ einen Zettel folgenden Inhalts:

„ Haſt Du noch ein Ge

fühl der Zuneigung für einen akademiſchen Freund, ſo errette mich . Szreder ." . Ich bejah mir den Zettel von allen Seiten, beſann mich hin und her, aber nirgends fand ich einen Bekannten dieſes Namens. Doch es iſt ein Unglücklicher, dachte ich, der deine Hülfe in Anſprud) nimmt. Ich begab mich alſo nach einer Rückſprache mit Oberſt v . Canit nach dem Gefängniß, und bat mir den Szreder vorzufüh ren . Aber der Mann fannte mich nicht umd ich ihn nicht . „ Verzeis hen Sie, redete er mich an , ich habe mit zwei Brandt's in Königs berg ſtudirt und war mit ihnen in intimnſten Perhältniſſen. Da glaubte ich nuit, Sie, Herr Major, wären einer derſelben, aber ich ſehe , daß ich mich geirrt." Das ſind meine Brüder geweſen ," jagte ich, „ die 1802-1805 dort ſtudirt , aber," fuhr ich fort, „,kann ich Ihnen

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in irgend etwas dienen, ſo ſoll es mir lieb ſein . "

Nun erzählte mir

der Mann, daß er Juſtiz - Kommiſſarius in Warſchau und Vater meh rerer Kinder ſei , daß er ſich aber durch einen Freund habe bereden laſſen , ſich am Volfsaufgebot zu betheiligen . Er habe in der Ge gend von Oſtrolenka eine Partida geführt, ſei gefangen worden und ſehe jegt ſeiner Verurtheilung entgegen .

Das war nun freilich eine

ſchlimme Geſchichte. Haben Sie während Ihres Kommandos , " fragte ich ihn , ,, nicht Gelegenheit gehabt , ſich durch einen Akt der Menſchlichkeit die Ruſſen zu verpflichten ? " , Allerdings ! " ſagte er, ,, als eines Tages ein General gefangen ward , wollte man ihn um bringen ; - aber ich habe ihm das Leben gerettet, ihn allen Miß handlungen entzogen und ihm auch Gelegenheit verſchafft, ſeiner Fas milie zu ſchreiben ." den Unglücklichen

Id begnügte mich mit dieſen Angaben, empfahl dem

Wachtoffizier,

ſeşte mich

dann ſofort hin,

brachte die ganze Erzählung zu Papier und übergab ſie dem Oberſt v. Canitz. Dieſer ſetzte es ſofort durch , daß der Szreder von der Maſſe ſeparirt ward .

Er iſt ſpäter zwar nach Rußland abgeführt ,

aber nach dem Kriege nach Warſchau entlaſſen und ſeiner Familie wieder gegeben worden . — Noch in einer andren Sache fonnte ich helfen . Ich erwähnte bereits der Gefangennahme des Kouriers in Szczuczyn , von der ich ſelbſt dem Feldmarſchall geſprochen . Der kommandirende Offizier , wahrſcheinlich um das Unrecht von ſich ab zuwälzen ,

hatte

den

guten

Poſtmeiſter arretiren

und ſofort nach

Siennica transportiren laſſen. Hier ſah er mich , eben als man ihn anbrachte. Auch er nahm meine Fürſprache in Anſpruch, die ich ihm natürlich nicht verjagen durfte. Oberſt v . Canit ſchritt für ihn fräf tig ein ,

und Herr Braun wurde ſpäter ohne alle Strafe entlaſſen .

,, Sehen Sie mein beſter Herr Poſtmeiſter ," ſagte der vortreffliche, ſtets heitere Oberſt v . Caniß zu ihm , „ dies thut der Oberſt v . Cas nig ; Sie fönnen denken , was erſt der v . Dalwitz für Sie gethan haben würde." *) Ruſſiſche Truppen bekam ich im Hauptquartier ſelbſt nicht in großen Abtheilungen zu ſehen. Das Lager war in nicht unbedeuten der Entfernung vom Orte, - aber Kommandos, iſolirte Leute, Wa chen und Ablöſungen famen und gingen , – im Leute ,

gut gekleidet und gut genährt.

Allgemeinen tüchtige

Nainentlich hatten alle vor

*) Der damalige Oberſt v . Canit heißt mit ſeinem vollſtändigen Namen Frei herr v . Caniß- und Dallwit. Zur Erklärung des Spaßes für außerpreußiſche Anm . d. Herausgebers. Lejer.

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treffliche Mäntel ,

lang und von derbem ,

folidem Material.

Einen

guten Eindruck machten beſonders die Grenadiere und die Kavallerie. Die Pferde waren im beſten Stande und man ſah ihnen die Folgen des Feldzuges nicht an.

die

Was mir im Ruſſiſchen Hauptquartier beſonders auffiel, große Menge Gold . Man jah faſt nichts als ſolches.

war Ich

hatte mir der Vorſicht wegen nur Gold und zwar Preußiſche Couis d'or mitgenommen , doch waren auch einige Hannoverſche 5 Thaler ſtücke darunter gekommen , die bekanntlich damals einen weit niedri gern Cours als unſere Goldſtücke hatten . Im Handel aber hier nahm man die Breußiſchen Louisd'or nur zu einem niedrigern Preiſe als die Hannoverſchen Stücke und zwar weil ſie mit einer Römiſchen V bezeichnet waren . Bei den Marketenderi ſah man faſt nichts als Imperials, halbe Imperials und Dukaten, die wie bei Wechslern in kleinen Mulden offen daſtanden. Wollte man etwas faufen , was nicht gerade mit Kopefen bezahlt werden konnte, ſo mußte man lange warten , ehe man es gewechſelt bekam . Man ſagte mir , daß man jedem Sibaltern - Offizier bei Beginn des Krieges 400 Rubel , dem Stabs - Offizier 700 Rubel und dem

General 1000 Rubel , den Ges meinen aber pro Kopf 15 Rubel , Alles in Gold gezahlt habe , mit der Verpflichtung, alle Bedürfniſſe baar bezahlen . Im þaupts quartier war daher auch alles

vollauf zu

haben ,

feine

und

gute

Weine, liqueure, Biere, Schinken, Wurſt, Sardellen, ſehr gute But ter, Thee, ſehr ſchönes frijches Brod und Fleiſch, vortreffliche Milch, mit einem hört .

Worte Alles, was nur zit einem ausfömmlichen Leben ge Gemüſe, Fiſche, Kartoffeln ſchafften die Juden herbei. Als ich den Kriegs - Miniſter v . Þafe über dieſe Angelegenheit

ſprach , mißtraute er einigermaßen meiner Angabe. Später aber ſchenfte er ihr vollen Glauben , meinte jedoch, daß er nicht wiſſe, wo her die Ruſſen all das Geld genommen . Bei einer Erfurſion , die ich nach dem obern Theile des Dorfes unternahın , redete mich ein Mann in Train -Uniform , ein Stabsoffi zier mit einer auf Cytherens Gebiet verſtümmelten Naſe – als ein alter Bekannter ani . Es war ein Graf Enfeſtroem aus dem Grob herzogthun Poſen, der Sohn des ehemaligen Schwediſchen Geſandten in Warſchau und einer Frau v . Chlapowsta , der früher bei unſern Garde - Ulanen geſtanden hatte , dann zur Linie verſeßt worden war und ſpäter ſeiner unſinnigen Verſchwendung wegen den Abſchied hatte nehmen müſſen.

Er war dann in Ruſſiſche Dienſte getreten ,

und

79

hatte ſich in Warſchau vollends ruinirt.

Er war Direktor des train

des équipages militaires. Der gute Mann war ſehr geſprächig, des Robes der Ruſſen voll , aber mehr, wie es ſchien , aus Berech nung als aus wahrer Ueberzeugung. Er gab mir eine Menge Em pfehlungen an ſeine Verwandten im Poſenſchen mit, die ich leider erſt nach längerer Zeit habe beſtellen fönnen . Er ſelbſt war zu ſeiner Zeit eine brillante Salon - Erſcheinung, ſprachgewandt , überall gern geſehen und iſt endlich als Kommandant von Bafu am Kaspiſchen Meere geſtorben, ein treuer Anhänger der Ruſſiſchen Regierung, wäh rend ſeine Verwandten alle einem entgegengeſetzten Prinzip huldigten . Eines Tages gegen Mittag ließ mich der Feldmarſchall rufen ; ,,mein beſter Herr Major," ſagte er zu mir, „ hier haben Sie einen Brief an den Grafen Gneiſenau. Sagen Sie ihm noch mündlid) meinen Freundſchaftlichen Dank für ſeine Mittheilung und theilen Sie ihm mit, was Sie hier geſehen und wie Sie uns gefunden.

Erſu

chen Sie ihn noch in meinem Namen , den Intendanten v . Peucker angelegentlichſt zu unterſtützen .“ Auf meine Verſicherung , daß man ihm die vollſte Latitude nach allen Seiten gegeben , machte er zwar ein zweifelhaftes Geſicht, ſagte jedoch nichts, dann fuhr er fort : ,, der General du jour wird Ihnen Briefe an die Generale in Węgrow und lomza mitgeben , deren Inhalt er Ihnen noch mittheiſen wird ; ich hoffe , es wird durch meinen Brief den Wünſchen des Feldmar ſchalls ganz entſprochen werden . Ich danke Ihnen fiir die offene ausführliche Art wie Sie ſich gegen mich ausgeſprochen und wünſche Shnen eine glüdliche Reiſe ; " – was alles mit einem freundlichen Händedruck begleitet war. Ich begab mich nun ſofort in die Kanzlei des General du jour, aber er war nicht anweſend. Ich fragte nach den Briefen, die ich mitnehmen ſollte, aber auch von dieſen war nichts zu ſehen und zu hören . Nun dachte ich, das fängt gut an , geht das ſo fort, ſo werde ich wohl erſt Abends abreiſen können . Aber wäh rend ich noch nachdachte, wie ich am ſchnellſten zu meinen Briefen fäme, erſchien ein Unteroffizier, der ebenfalls im Büreau beſchäftigt war. Der nun fragte inich, in welcher Sprache der Vrief geſchrieben ſein ſolle, und da ich hierauf antwortete, wahrſcheinlich in der Deutſchen oder Fran zöſiſchen , ſo holte er ein paar Bücher und forderte mich auf ſelbſt nachzuſehen , ob die Briefe darin verzeichnet wären , dann fügte er hinzu : wir dreiben zwar die Briefe und adreſſiren jie, ohne aber zu wiſſen was wir ſchreiben , da wir jene Sprachen gar nicht verſtehen. Ich fand hier in dieſem Journal natürlich zu meiner großen Freude

80

ſofort die beiden Briefe und ſah ſie durch. Nun, ſagte mir jetzt der genannte Menſch, in einer halben Stunde bringe ich Ihnen die Briefe, wenn Sie mir Ihr Quartier ſagen .

Ich verſtand den Wint und

entgegnete , ich würde mich dankbar erweiſen . Noch ehe dieſe Zeit verging, war ich im Beſig meiner Depeſchen, regelte vermöge meiner Anweiſung aus dem Hauptquartier meine Poſtangelegenheit, beurlaubte mich bei Gortſchakoff, Tſchiffin , ſagte meinen Quartiergenoſſen , die mir ſo freundlich entgegengekommen waren , Lebewohl, und reiſte dann ab .

In einer Entfernung ſah ich 6–8 Reiter ,

nachbarten Dorfe zu ritten.

Der kommandeur

die nach einem be meiner Begleitung

ſagte mir, daß es Feldmarſchau Diebitſch ſei, der wie ich in Siennica ſchon gehört , heute eine Unterredung mit dem Inſurgenten - Oberſt Mycieleci habe . Wir fuhren geraden Weges über Ceglow auf Kaluszyn zu . Ich bemerkte unterwegs einige Infanterie-Lager, welche ich bei meiner Herreiſe nicht geſehen. Es war ein kalter, recht falter Tag, man denfe fich alſo mein Erſtaunen , als ich hier eine Menge Ruſſiſcher Soldaten ſich nackt im Schnee herumwälzen und mit dieſem abreiben ſah . Sie hatten haustiefe Löcher oft von 30-40 Fuß Länge und 12-15 Fuß Breite gegraben, in deren Mitte ein großes Feuer brannte, um das ſie lagerten.

Nun entfleideten ſie ſich unten , röjte

ten die Mitbewohner aus den Hemden , Hoſen und Mänteln und er wärmten ſich von allen Seiten ; darauf liefen ſie im Schnee umber, rieben ſich damit und eilten dann zurück, um

ſich wieder anzufleiden .

Alles dies geſchah unter großem Jubel und Geſchrei. Ich erinnerte mich hierbei der alten Germanen und dejjen, was uns die Römiſchen Auto ren von dieſen erzählen, ehe es zum Kampfe bei Aquae Sertiae mit den Truppen des Marius fam . Ich war ſeit 1818 nicht mehr mit Ruſſiſchem Militair in Berührung gekommen . Manches Bild meiner frühern Zeit fam mir jetzt plötlich näher. – Die Ruſſijchert Sol daten gehören mit zu den intereſſanteſten Erſcheinungen. So ſtumpf, ſo edig ſie ſind, belebt ſie dennoch eine gewiſſe Boeſie ; einfach , voller Glauben, voller Liebe für den Kaiſer, hingebend, muthig , tapfer , ge horſam , gelenfig und gelehrig gehören ſie mit zu den erſten Soldaten der Erde . Shre große Einfachbeit und Natürlichkeit, ihre Liebe zu den Offizieren , welche es verſtanden , ſie an ſich zu feiſein , falt , uners ſchütterlich, ſchredlich im Kampfe und bald darauf weich und biegiam wie die Kinder, wenn ſie ſich um

ihren Märchen- Erzähler ſammen,

bieten ſie dem Pſychologen Stoff zu den ergiebigſten Betrachtungen.

81

Auf der großen Warſchauer Straße in Ceglow angekommen ließ ich meine Eskorte , die hier von einer andern abgelöſt ward , mit Schnaps regaliren , was dankend angenommen ward. Der Wechſel der Pferde dauerte kaum einige Minuten und ich erreichte noch bei guter Zeit haluszyn .

Ich fand hier vor dem Gaſthauſe einen höhern

Geiſtlichen in einem Sammtkleide mit einem goldenen Kreuz, der zum Beſuch der Kranken gekommen war. Als er hörte , daß ich aus dem Hauptquartier fäme , redete er mich an und fragte,

was es

Neues dort gäbe ? Auf meine Antwort, Nichts! fragte er weiter, was ich ſei, ,, ein Preußiſcher Offizier !" „ Hat Debetſch ſo ſprachen die Ruſſen dieſen Namen aus -- fuhr er in ſeinem Eramen fort , euch ſchon befohlen zu marſchiren ?" und unſer König !"

„ Uns befiehlt Niemand

als Gott

„ Nun , wenn der befiehlt, zu marſchiren, wieviel

könnt Ihr aufbringen ? " „,400,000 Mann gut bewaffneten und tüch tigen Bolfs !" ,, Ei, das iſt viel! " ſagte mein Pope – und bereitete ſich zu neuen Fragen vor ; ich aber der Unterhaltung müde fertigte den alten Führer meiner Eskorte ab , inſtruirte den neuen , der aber nur 4 Mann mitgebracht und machte mich wieder auf den Weg . Da die Finſterniß unterdeſſen angebrochen, die Straße hier auch ſchlechter ge worden , ſo ging die Reiſe langſamer von Statten. Wir fanden einige Dörfer mit ruſſiſchen Truppen belegt, welche früher keine Ein quartierung gehabt. Den Koſacken, welche die Nähe polniſcher Partei gänger fürchteten , war dies ſehr angenehm und ſie hätten es ſehr gern geſehen, wenn ich die Nacht in einem der Orte zugebracht.

Da

mir aber daran gelegen war , vorwärts zu kommen und ich in mei nem Wagen ruhiger zu ſchlafen hoffen durfte, als unter den ruſſiſchen Offizieren , wo man wahrſcheinlich ſehr viel hätte trinken müſſen , ſo überhörte ich alle Winke und trieb zur raſchen Fortſeßung der Reiſe. Ich kam ſehr ſpät mit ermüdeten Pferden in Liw an und fand auch hier den Markt und die Straßen voller Ruſſen. Der Rührigkeit aber meiner Koſacken hatte ich es zu danken , daß ich bald Pferde bekam . Ich verabſchiedete hier meine Eskorte und nahm mir nur einen Grenadier-Unteroffizier mit, um ihn eventuell als Schutz gegen herumſtreifende Marodeurs gebrauchen zu können . Es war ein ruhi ger, ſtiller, noch junger Mann, der ſeine Charge erſt in dieſem Kriege nach der Schlacht von Grochow erhalten . Er erzählte mir von der Schlacht, von Diebitſch , wie er lange bei ſeinem Regiment ſich auf gehalten, wie alle Offiziere ſeiner Kompagnie verwundet und geblies ben, von den Beſchwerden, welche ſie auf dem

Marſch erduldet , wie 6

82

er frank geworden und nun bei einem Rekonvaleszenten- Kommando in Liw ſtände.

Liw wird vielfach in der Polniſchen Spezial- Geſchichte genannt und bildete früher einen eigenen Gerichts- Bezirf. * ) Ich hatte bei Beginn des Strieges mich fleißig mit der Topographie des Kriegs theaters beſchäftigt und was darüber vorhanden war , gelejen ; das erleichterte mir meine Reiſe ungemein .

Ich darf wohl jagen , das

ich auf derſelben Niemand gefunden, der über Land und Leute bejjer orientirt geweſen als ich ſelbſt. Wenngleich ich hier gute Pferde befam

und mein Grenadier den

Poſtillon fortwährend zum Zufahren animirte, jo kam ich doch, tro : dem ich faum 3/4 Meilen zurüdzulegen hatte , erſt ſpät in Węgrow an . Ich kehrte in dem mir ſchon bekannten Wirthshauſe ein, wo ich aber viel Wirrwarr fand. Ruſſiſche Offiziere hatten hier die ganze Nacht getrunfen und geſpielt ; einige Herren , welche beſonders geleiſtet, lagen

noch auf Stühlen und

dem Sopha

im

viel

Schlaf,

aber was ſchlimmer war , die ſonſt rüſtige und tüchtige Wirthin und das geſammte Geſinde ſchliefen ebenfalls den Schlaf der Berauſchten . Ich mußte erſt meinen ruſſiſchen Begleiter detachiren , um eine nüch: terne Seele herbeizuſchaffen . Dieſer fam nach nicht langer Zeit mit einer Aufwärterin herbei , welche für Kaffee und Zubehör forgte. Dann reinigte ich mich , machte nothdürftig Toilette und begab mich zum Kommandanten. Aber der gute Mann ſchlief auch. Jch be nugte dieſe Friſt, mir die Fortijifationen anzuſehen , welche man an gelegt um den llebergang über den Liwiec zu vertheidigen. Obgleich ſie gut gebaut waren ſo ſchienen ſie mir doch dem Zwede nicht zu entſprechen. Doch um darüber ein volgültiges Urtheil zu haben , muß man über die Anzahl der Truppen, über die man zur Berthei digung zu disponiren, über die Angriffsmittel des Gegners 2. unter richtet ſein. Dies alles war bei mir nicht der Fall. Später haben die Werfe gute Dienſte geleiſtet.

Auch in die Magazine fonnte ich

einen Blic werfen . Sie waren gut gefüllt. Zwiebac, Mehl, vafer, waren in beträchtlicher Menge vorhanden ; das meiſte von den beiden letzten Artifeln war für baares Geld gekauft; der Zıries bad an Ort und Stelle fabrizirt. Einige Stücke, die ich fotete,

*) Der in der polniſchen Geſchichte ſo oft mit Verwiinichungen genannte Adam Poninski, der ſich auf dem Theilungs-Reichstage 1773 zun Marſchall fitr die Krone ernannte, war Landbote von lim .

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ſchienen gut geröſtet und waren wohlſchmeckend.

Merkwürdig bleibt

es, daß mich Niemand fragte, wer, woher oder wohin ? Nur einige Juden beobachteten mich ſorgfältig und ſehr wahrſcheinlich würden ſie mich beim Kommandanten denunzirt haben , wenn ſie nicht geſehen, daß ich ſelbſt zu ihm gegangen. Es war 9 Uhr vorüber , als der General endlich fich erhoben . Er empfing mich auch jet ſehr freund lich, nahm den Brief, deſſen Inhalt ich kannte, in Empfang und las ihn nur flüchtig durch. Seinen Wunſch , bei ihm zu diniren , mußte ich auch jetzt abſchlagen . Ich bat nur um eine kleine Eskorte , was mir auch gewährt ward, und machte mich alsbald auf, um die Reiſe fortzuſeßen . Ich bekam 4 tüchtige Pferde und einen guten Poſtillon ; aber der Weg war grundlos und meine 8 Koſacken, die mich be gleiteten , mußten oft Hand anlegen , um den Wagen aus einzelnen Löchern herauszuheben . Meiſtens konnte ich nur Schritt fahren. Ich fam daher auch ziemlich ſpät vor Brok am Fährfruge an . Kojacken bekamen ihre reichliche Doſis Schnaps .

Meine

Es bedurfte aber

einer geraumen Zeit und mancher Vorkehrungen um mich über den Bug zu ſchaffen ; aber einer der Fährleute erkannte mich und animirte ſeine Kameraden unter Hinweis auf ein gutes Trinkgeld . Der Fluß trieb nur noch wenig Eis , war auch ziemlich in ſein Bett zurückge treten , hatte aber dennoch Holz und Bäume hier und dort auf Sand abgeſeķt, ſo daß die Paſſage noch immer Schwierigkeiten verurſachte. Mein Wagen ward auf die Fähre gebracht, die ihren eigenen Weg nahm , ich ſelbſt beſtieg mit 3 tüchtigen Ruderern und meinem Es forten - Führer einen kleinen Rahn. Wir ruderten Anfangs eine ganze Strecke hinauf, geriethen aber in Gefahr, als wir dem Einfluß des Brok in den Bug gegenüber anlangten. Der Rahn nämlich kam hier in eine Art Strudel, dieſer drehte ihn mehrmals herum, und es be durfte atler Anſtrengung meiner Fährleute um wieder ins richtige Fahrwaſſer

zu

kommen .

Wir konnten

trotz aller Mühe erſt eine

ganze Strecke unterhalb des Brok landen ; der Wagen ſelbſt traf noch eine halbe Stunde ſpäter ein .

Im Orte ſelbſt fand ich einen ruſſi

ſchen Pionier -Offizier mit einer Sektion Pioniere , der Anfangs keine Notiz von mir nehmen zu wollen ſchien , ſich weder um mein Fort kommen noch um meine Eskorte bekümmerte ; als ich ihm aber ſagte, daß ich ſofort durch die zurückfehrenden Roſacken an den General in Węgrow ſchreiben und meine Meldung

an

den General

in Lomza

machen würde, zog er andere Seiten auf , brachte mich auf ſo lange Zeit , als ich bedurfte, um meinen Wagen , der durch die ſchlechten 6*

84

Wege ſehr gelitten hatte, repariren zu laſſen, unter, und ſorgte audi für eine angemeſſene Begleitung zu der von mir beſtiminten Zeit. Brof ſelbſt iſt früher befeſtigt geweſen und hat den Biſchöfen von Plod gehört, die hier wohl ab und zu ihren Sommeraufenthalt genommen . Deswegen haben früher hier keine Juden wohnen dür: fen, denen erſt 1795 geſtattet worden, ſich hier niederzulaſſen . Ganz nahe der Stadt ſteht ein Obelist von circa 16' Höhe von grauem Marmor, ohne Zuſchrift, aber mit 2 Doppelfreuzen und dem Wap pen der Waja – ein Bund Aehren. – Die Kathedrale ſelbſt liegt in einer gewiſſen Entfernung von der Stadt auf einer Anhöhe. Gleich nach Mitternacht war der Wagen fertig.

Meine zwölf

Koſaden vertheilte ich der Art, daß 3 vorauf ritten und 9 bei mir blieben . Der Führer mußte vorher die Piſtolen und die Gewehre revidiren. Ich hielt dies für nöthig , weil der Wald , den wir zu paſſiren hatten und der ſich ziemlich bis Lomza zog, und einzelner Parteigänger

ſtecken

ſollte.

voller Geſindel

Es war eine böſe Nacht.

In Oſtrow wechſelte ich die Pferde und ließ meinen Koſaden eine tüchtige Bortion Schnaps geben . In Szniadow verſchnauften die Leute, fütterten ihre Pferde und bekamen wieder Schnaps, jeder einen Hering und ein Stück Brod , wofür ich eine unglaubliche Kleinigkeit bezahlte und dann ging es munter nach Poinza, das ich zwiſchen 10 und 11 Uhr Morgens erreichte ; gewiß eine ſchnelle Fahrt, wenn man erwägt, daß es Nacht und abſcheulicher Weg war. Als ich mich der Stadt auf 1 bis 1 '/ Meilen näherte, fand ich viel Militair auf der Straße; ich wollte daher meine Begleitung zurückſchicken, aber dieſe ließ es ſich nicht nehmen , mich bis an Ort und Stelle zu brin gen , denn ſie meinten , gehabt . Lomza, an dem

ſo einen guten Herrn hätten ſie ſobald nicht

ſchiffbaren Narew gelegen, war früher der Sit

vieler Behörden und gehörte einer fürſtlichen Familie ; mit dem Ers löſchen derſelben fiel es an die Krone . Siegmund Auguſt liebte den Ort und hielt ſich ab und zu hier auf. Zur Zeit der Liefländiſchen Kriege wurden hier öfters die Großen des Reichs verſammelt. Der Ort war damals wohlhabend und voller Lebent , Handel und Ents duſtrie.

Auch

ein großes Schloß

ſoll

hier gewejen ſein.

In den

ſchwediſchen Kriegen aber ſank der Wohlſtand immer tiefer und hat erſt angefangen unter ruſlider verrichaft ſich wieder zu heben. Sin Orte ſelbſt und noch mehr in deſſen nächſter Nachbarſchaft habe ich noch eine Menge Ruinen von großen und fleinen Gebänden geſehen.

85

Eine gute Piariſten -Schule, welche dieſer Orden als eine Erbſchaft nach Vertreibung der Jeſuiten hier übernahm , war lange Zeit hin durch die einzige Zierde der Stadt. Nachdem ich in dem Wirths hauſe, in welchem ich bei meiner Herreiſe gewohnt, gehörig dejeunirt, und mich umgekleidet hatte , ging ich zum General v . Ertel , der in der Umgegend befehligte . Ich übergab ihm den Brief des Feld marſchalls und fragte ihn, nachdem er ihn geleſen, ob er mir vielleicht eine Mittheilung über Herſtellung einer näheren Verbindung mit Preußen machen könne. ,, Daß ich nicht wüßte“, meinte er, worauf ich dann ſagte, daß Feldmarſchall Diebitſch doch einen großen Werth darauf zu legen ſchien. „ Was ich thun kann , iſt geſchehen. Ich habe längs der Pysz ( Biſſet) eine mobile Kolonne von 6 Grenadier -Roms pagnien, 2 Regimentern Mojacken und einer halben Batterie organiſirt und die wird hinreichen , das Land zu ſchüßen “ . „ Aber , fuhr ich fort, die Züge, die an der Preußiſchen Grenze ſtehen, ſind ſehr ſtark und zahlreich und inſofern die Pysz-Uebergänge nicht in ſteter Ges walt Ihrer Truppen ſind , dürfte es doch wohl kommen , daß einige Convois weggenommen werden könnten " . ,, Nun ich werde ſehen , was ſich thun läßt , entgegnete er hierauf; ich bekomme jetzt mehr Truppen und werde darauf Bedacht nehmen “. „ Ich werde mich beeilen, dem Feldmarſchali Grafen Gneiſenau hierüber Bericht zu erſtatten, um mit Bezug hierauf

ſeine Befehle ausführen zu können " . Der General , dem das Geſpräch peinlich zu ſein ſchien , brach es ab , in dem er mich zur Tafel lud. Ich aber ſchlug dies ab, weil ich meine Reiſe fortſeßen wollte, ging, nachdem ich mich beurlaubt, auf die Poſt, beſtellte meine Pferde und ſah mir vorher noch einige Garde- Truppen an , die eben eingerückt waren . Die Infanterie tonnte ich nur in einzelnen Abtheilungen ſehen, es waren ſchöne Leute ; auf einem Plate vor der Stadt war ein Artilleriepark und ein Pontontrain aufgefah ren lauter vortreffliches Material. Sie waren einige Monate auf dem Marſch und man ſah es weder den Pferden , dem Material, noch den Menſchen an. Es herrſchte überall die größte Ordnung. Aber was mir auffiel , war die große Sorgloſigkeit bei Bewachung deſſelben ; es war Alles wie im tiefſten Frieden , nur einige Poſten, mehr zum Schein als zur wahren Sicherheit. Ich weiß zwar nicht, wie die Truppen in der Umgegend dislozirt waren , aber das konnte

auch ein Blinder wahrnehmen, daß zwiſchen den Kantonnements durch fich ganze Diviſionen bewegen konnten, um Ueberfälle 311 machen. Mina gegenüber wären dieſe Parks

nicht

vierundzwanzig Stunden

86

lang

unangefochten

geblieben und dabei zählte die polniſche Armee

eine Menge tüchtiger Offiziere an der Spitze größerer und fleinerer Abtheilungen , welche den Krieg in Spanien mitgemacht ! – Piir wollte es ſcheinen , als wenn der Großfürſt Conſtantin allen Leuten den Verſtand wegererzirt hätte . Gegen 3 Uhr ſaß ich auf dem Wagen und fuhr rajch meines Weges

und

Szczuczyn Aufregung

zwar

auf derſelben Straße,

die

ich gekommen .

fand ich die Familie des Poſtmeiſters in der größten und Beſtürzitng, ich konnte ihr jedoch die Mittheilung

machen, daß ihr Haupt bereits auf freien Füßen und nächſtens wohl eintreffen dürfte. Die Freude über dieſe gute Nachricht iſt kaum zu ſchildern. Die Frau des Poſtmeiſters war Anfangs wie vom Schlage getroffen , dann brach ſie in

Thränen und Schluchzen aus,

warf ſich mir zu Füßen und überhäufte mich mit Dankſagungen aller Art, worin die Kinder ihr folgten . Ich war faſt beſchämt über dieſe warme Anerkennung einer Pflichterfüllung, die mir ſo wenig Mühe gefoſtet; aber die innige und reine Freude und tiefe Dankbarkeit jener Leute ſind mir ſtets eine angenehme Rückerinnerung geblieben. Ich habe die Tugend der Dankbarkeit überhaupt immer ſtärfer bei dem Mittelſtande und gemeinen Leuten als bei den höheren Ständen gefunden. Bei dieſen iſt davon kaum die Rede. Sie erfeninen meiſtens in dem , was man für ſie gethan, bald nur eine Würdigung ihrer Verdienſte und würzen nicht ſelten das Vergeſſen noch mit Un dant.

Ich habe gemeine Soldaten , für die ich nur pflichtmäßig ge

ſorgt , 311 denen ich vielleicht im Cazareth ein freundliches Wort ge ſprochen ? c . , oft Meilen weit kommen ſehen , um mich bei Revien oder Beſichtigungen zu ſehen ;

Offiziere dagegen , für die ich ge

wirft und gearbeitet und zu deren Beförderung ich das Weſentlichſte beigetragen, haben, jo wie ich nichts weiter fiir jie thun fonnte, nicht mehr Notiz von mir genommen . Ganz ähnlidhe Bemerkungen habent andere Kameraden gemacht umd ich höre oft in meiner Zurückgezogent heit, daß ſich dieſe umfameradſchaftliche und ſelbſtſichtige Handlungs weiſe bis 311 einer unheimlichen Höhe geſteigert. Es ließe ſich hier über Mancherlei jagen . Geradezu entchrend aber iſt es , das es in manchen

Regimentern

ſogenannte

Todten -Kommiſſionen

gab ,

d. b.

Offizier Verbindungen , die alles daran ſetten, ihnen mißliebige Dini ziere durch allerhand Injimationen aus den Regimentern heraus zu bringen , und daß dieſe verren nur zit oft bei ſchwachen Borgeieuten über das Wohl und Weh manches tüchtigen Offiziers entſchieden.

87

Etwa eine Meile von meiner Station begegnete ich einem ruſſi jchen Bataillon , das wie im tiefſten Frieden marſchirte; vorne eine kleine Avantgarde, dahinter das Bataillon in Sektionen , dann eine Tonne Branntwein von einigen Leuten eskortirt, ein ſtarker Equipage Train und 25 Schritt hinter dieſem eine Arrieregarde von 30 Mann ; - wie geſagt, das Ganze hatte die Phyſiognomie eines Friedens marſches , wie man ihn zu machen pflegt, wenn man vom Ererciren heimkehrt. In Grajewo, der legten Station vor Lyf , hatte ich noch ein eigentümliches Rencontre.

Als ich beim Wechſeln der Pferde war,

trat der Poſtmeiſter an den Wagen und ſagte mir, daß in einem be nachbarten Hauſe ein Offizier der kaiſerlichen Chevalier- Garde frank darnieder läge, der ſehnlichſt wünſchte mich zu ſprechen . Wenngleich die Sache mir nicht recht war , ſo glaubte ich doch einem Kranken dieſe Bitte nicht abſchlagen zu dürfen . An der Thür des niederen Gebäudes empfingen mich zwei rieſige Kerle in einer Art moldauiſchem Roſtüm , welche mich bis an die Thür geleiteten , die mit ſtarken ſchönen Teppichen behängt war. Dieſe ſchlug ein Mann zurück, der fein und ſauber in eine Art Kurtka gekleidet , große Stiefeln trug, deren Stulpen ſauber mit bunter Seide geſtickt waren . Der Fuß boden war mit dicken Decken

verſehen und der Thür gegenüber an der Wand war Stroh zu einer Art Bett aufgeſchichtet, das ebenfalls

mit Teppichen belegt war und auf denen ein blaſſer , ſchöner junger Mann lag . Die Fenſter waren verhangen, eine Lampe erhellte ſchwach das Zimmer. Nach den herkömmlichen Romplimenten und nachdem ich erſucht worden, mich niederzulaſſen , erzählte mir nun der junge Mann, daß er eine affaire d'honneur gehabt, welche ihm die Ungnade des Kaiſers zugezogen und daß ich die Güte haben möchte, mich für ihn beim Feldmarſchall Gneiſenau zu verwenden, dem es ja ein Leichtes ſein würde ihn dem Feldmarſchall Diebitſch durch einige Zeilen zu empfehlen. Er fühle eine tiefe Reue über das, was er gethan, und brenne vor Verlangen ſich an den Rämpfen , denen ſein Regiment entgegen gehe , zu betheiligen 2c . Der Patient machte darauf Anſtalt mich zu bewirthen , wobei eine glänzende Argenterie entfaltet wurde . Eine rieſige ſilberne Theeurne glänzte auf dem Tiſche, eine Kanne von demſelben Metall, 2 ſilberne Zuckerdoſen und darauf Kryſtallflaſchen mit Wein und Rum prangten auf demſelben und luden zum

Genuß.

Da ich mich jedoch nicht trattiren laſſen wollte, ſo brach

ich bald auf, indem ich ihm die Verſicherung gab ,

ich würde ſeinen

88

Wunſch zur Kenntniß des Herrn Feldmarſchalts bringen , müſſe aber dahin geſtellt ſein laſſen , ob er darauf eingehen werde dieſe Angeles genheit, welche einen ſo privativen Charakter trüge, in weitere Erwäs gung zu nehmen. Ich hörte hinterher von dem Poſtmeiſter, daß der Baron Ferſen eine junge Millionärin entführt und dafür degradirt worden war. Der Spruch des Kaiſers hatte ihn auf dem Marjde ereilt, worüber er dann frank zurückgeblieben. Mehrere Jahre nao dieſer Vegebenheit war ich einſt zur Königlichen Tafel befohlen und fand hier mon þomme en question als Major und Flügeladjutan ten des Raiſers mir gegenüber ſigend. wollen ſchien ,

ſo nahm

Herrn zu nähern.

Da er mich nicht fennen zu

ich auch weiter feine Veranlaſſung mich dem

Uebrigens hatte ich dem Feldmarſchall Gneiſenau

die Sache vorgetragen , aber von dieſem die Antwort erhalten , daß es wohl angemeſſen erſcheine, daß der Herr Baron für ſeine Liebess aventüre ſelbſt einträte . Nach einer raſchen und kurzen Fahrt erreichte ich unſere Grenze wieder. In Lyf hatte man mich längſt aufgegeben , denn nach dem Erſcheinen der Parteigänger bei Szczuczyn hielt man es für unmöglich, nach Siennica zu kommen . Man hatte ſogar debattirt , ich ſei in Szczuczyn gerade angekommen, als man das Poſthaus überfallen, und wäre verwundet

und

gefangen

worden .

Man war überhaupt reich

an allerhand Mordgeſchichten, von denen die meiſten wohl ebenſo wahr ſein mochten , als die von mir erzählten . Nach einem kurzen Aufenthalt und einiger Ruhe ſeşte ich meine Rücreiſe ziemlich auf demſelben Wege fort, den ich früher genommen . Ab

und

zu

mußte

ich

große

Umwege

machen,

um

unpaſſirbare

Strecken zu vermeiden ; – als ich in der Gegend von Johannisburg anfam , trat Froſtwetter ein - die Wege waren fürchterlich ; die Vorderachſe brach , ich mußte in einer Dorfſchenfe übernachten , wähs rend der Wagen hergeſtellt ward . Es war eine böfe, böſe Nacht : ſchlechte Lagerſtätte, Wanzen, Hundegeheul, betrunfene Gäſte, ein be trunkener Wirth, der ſeine angetrunkene Frau prügelte!

Am

anderen

Tage war jedoch der Wagen ſoweit wieder hergeſtellt, daß ich meine Heije fortſegen konnte. Willenberg, Neidenburg und Soldau, wenn : gleich auch keine ſchönen Gegenden , erſchienen mir Erholungsorte und die Bierſuppen und auſgeſchwisten Kälberbraten mit Bratfartof: felul, durch die ich mich überall durcheſſen Gedächtniß, Manches

von

ihnen

auch

mußte, ſind mir lange im

wohl

im

Magen

geblieben .

Hinter Soldau lag tiefer Schnee und in Lautenburg lag er jo tief,

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daß ich die Räder abziehen und den Wagen wieder auf einen Schlit ten ſeßen laſſen mußte, um nur fortkommen zu können.

Ich fuhr ſo

bis Gollub und hilt dann wieder ſchließlich mein entrée joyeuse in Thorn im Wagen , der aber hier einer gründlichen Reparatur unter worfen werden mußte , denn es war trotz ſeiner ſoliden Bauart fein Stüc an demſelben unverſehrt geblieben . Ich benugte die Friſt, mich zum Rommandanten zu begeben und ihn von dem Zuſtand der Dinge, ſo weit ſie ihn intereſſiren konnten , in Kenntniß zu ſeßen . General v. Hindenburg hatte den Ruf eines einſichtsvollen Offiziers , aber ſeine Vorliebe für die Ruſſen ließ ihn Alles aus einem ruſſiſchen Ge ſichtspunkte betrachten und daher kam es denn auch ,

daß er ſich ab

und zu etwas vergab , was ihn ſpäter in allerlei Unannehmlichkeiten verwickelte. Was ich ihm über die Verhältniſſe im Diebitſch'ſchen Hauptquartier und Lomza , wie überhaupt an der Grenze mittheilte, faßte er ſehr verſtändig auf und ich glaube, daß ihm meine Mitthei (ung ſpäter von Nußen geweſen.

Fünfter Abſchnitt. 1831 , Der Vortrag beim Feldmarſdall Gneiſenau . Meine Reiſe nad Berlin. Audien ; bain Könige. - Die Stimmung in den verſøiedenen Kreiſen . — Rüdtebr nach Poſen . – Aufregung daſelbſt, duro faljde Gerüchte bervorgerufen. – Des Feltmarſmalle Gneiſenau Hlarbeit und Nube denſelben gegenüber. - Dienſtliche und geſellige Berbältniſje im Hauptquartier. – Gins wirtung der Sælacht bei Oſtrolenta . – Soilderung einzelner polnijder & reiſe. – Das fuis treten der Cholera im rujrijden Heere. – Einzelne Fälle zeigen ſich in Poſen. – Eintreffen ber commission médicale de Paris, des Profeſſor Kildujdeffely von Moslau. – Die desfallfigen Unterhandlungen mit den polnijden Behörden. Rüdlehr nach Poſen und ſofortige Abreiſe nad Thorn , um dort und an der Grenze Ermittelungen anzuſtellen. Erkrankung an der Cholera. Rüdlehr nach Poſen. Eintreffen der Nagricht vom Tode des Feldmarſoal Tiebitíd, ſeine Beiſeßung, Urtheil über ihn.

Abends ſette ich meinen Weg fort und fam in der nächſtfolgen den Nacht um

etwa 3 Uhr in Bojen an . Ich ſtieg vor dem Luar: tier des Feldmarſchalls ( votel de Vienne) ab und da ich im Vors zimmer Licht ſah, trat ich ſofort ein . Ich fand hier den Jäger völlig angefleidet und damit beſchäftigt, Barbiermeſſer zu ſchärfen . Ta ich die mancherlei Sonderbarfeiten dieſes Menſchen fannte , er iſt ſpäter, nachdem er eine Weile bei Þoje angeſtellt geweſen war, geiſtes frant geworden und bald geſtorben , ſo fiel mir dies nicht auf. Auf meine Frage , ob er wohl den Feldmarſchall wecken könne, ging er ohne Weiteres in deiſen Schlafgemach und fam alsbald mit der Anzeige zurück: der Feldmarſchall wolle mich ſprechen . Ich fand den : ſelben aufrecht im Bette ligend und nachdem er mich willfommen geheißen , machte ich meinen Vortrag ſo kurz wie möglich und über gab meinen Brief, worauf mich derſelbe entlieb.

91

Ich hatte an dem Feldmarſchall etwas Gehaltenes, um nicht zu ſagen Stieres bemerkt ; ich fragte daher den Jäger beim Heraustreten, ob derſelbe nicht frank ſei ? „ O nein ," antwortete er , „wir haben geſtern noch ein großes Diner gehabt , bei dem Erzellenz ſehr heiter waren. llebrigens hat der Feldmarſchall auch gut geſchlafen und ſchläft gewiß auch jetzt wieder ganz

feſt."

Am

andern Tage früh

ließ mich der Herr rufen und wünſchte einen detaillirten Vortrag über meine Reiſe .

Hierbei fiel es mir auf, daß ihm das Meiſte, was ich

ihm in der Nacht mitgetheilt, ganz neu erſchien und daß er nach Manchem fragte, das ich glaubte übergehen zu müſſen , weil ich es bereits erwähnt.

Nachdem

ich den halben Vormittag

ihm

erzählt,

befahl der Feldmarſchall mir, ihm einen ſchriftlichen Bericht zu machen, worauf ich entgegnete, daß ich demſelben nichts von Belang würde hinzufügen können . Doch ſofort nach dem Diner ward ich wieder zum Feldmarſchall entboten , um nach Berlin zu gehen und dem Könige über alles, was ich gehört und geſehen, einen Bericht abzuſtatten . Ich benugte die freien Momente,

welche ich noch hatte ,

das

Journal durchzuſehen, um wenigſtens au courant der Geſchäfte zu bleiben . Hierbei ward ich durch den jungen Graf Gneiſenan unter brochen , der mir einige Bricfe nach Berlin mitgeben woüte. Dieſem theilte ich nun meine Bemerkung , die ich Vormittags gemacht , mit und fragte ihn zugleich , ob ſein Vater krank ſei ?

Nein , ſagte er ,

Papa iſt ganz wohl, aber es iſt eine ſeiner Eigenthümlichkeiten , daß er , wenn man ihn Nachts wedt, Alles hört, beſpricht, beantwortet , dann ſofort wieder einſchläft und hinterher von alledemt, was er ge than , nichts mehr weiß . Und nun erzählte er mir, wie er ihn in Laon Nachts geweckt, ihm gereicht und wie ihm dann keit erzählt. Was er ihm Wort. Mir erſchien die

den Bericht von dem Nachtgefecht ſein Vater dies Morgens als eine Nachts vorgetragen , davon wußte Sache um ſo merkwürdiger, als

York's Neuig er fein ſich in

der Armee das Gerücht erhalten, es habe der Feldmarſchall in ſeiner Eigenſchaft als Chef des Generalſtabes bei Blücher in der Nacht vor der Schlacht von Lüßen die Dispoſition zur Schlacht erhalten , dieſe geleſen und ſei dann ruhig wieder eingeſchlafen ; am Morgen habe er ſie dann vorgefunden , und dadurch ſeien allerdings cinige Verzögerun gen in den Anordnungen entſtanden . Danielewsfi erzählt , daß ſich dies mit einem Beamten des Hauptquartiers Blücher's zugetragen und ſchreibt dieſem

Umſtande beſonders 311, daß der fühne und wohl

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durchdachte Angriffsplan des General Wittgenſtein nicht mit vollem Erfolge ausgeführt worden ſei. *) Am andern Tage trat ich meine Reiſe nach Berlin an. Ich traf dort gerade am grünen Donnerſtage ein und meldete mich ſofort beim General v . Wißleben.

Ich erhielt von dieſem die Weijung,

mich ruhig zu verhalten , mich bei Niemand zu melden , mich aber bereit zu halten , Sonnabend zu Sr. Majeſtät befohlen zu werden . Er rieth mir zugleich, mich von dieſer langen und beſchwerlichen Reiſe zu erholen , zu ſammeln und zum Vortrage vorzubereiten. Aber mit dem , ſich erholen “ hatte es ſeine eigene Bewandniß. Wem gleich im Schoße meiner Familie, ſo fand ich doch keine Ruhe, ich brachte die Nacht in einer Art von Fieber und faſt ſchlaflos zu, erſt gegen Morgen ſchlief ich etwas ein. Nach dem Erwachen fand ich mich einigermaßen geſtärkt, und ging dann an ein Ueberdenken meiner Erlebniſſe und ſtudirte ſogleich ſorgfältig die Karte . Nachmit tags erhielt ich den Befehl, am lidhen Palais

zu ſein.

Es

andern Tage um 11 Uhr im Königs

war das erſte Mal,

Könige einen Vortrag machen ſollte. majestas regia

daß ich meinem

Das wollte damals , wo die

die Herrſcher noch mit

einem

weit ſtrahlenderen

Glanze umgab , wie heute, viel ſagen . Namentlich umgab Friedrich Wilhelm III . ein ganz beſonderer Nimbus – man achtete, verehrte , liebte den Herrn , aber es ging mir wie unendlich vielen anderen Offizieren, die ihn nur ſelten jahen , man blieb ihm gegenüber befan gen , verlor die Contenance und wich ihm deswegen gern aus .

Ich

entſinne mich noch, daß , als ich einſt bei einer Revue mit mehreren Offizieren den König in der Ferne ſah, ſich der größte Theil derſel ben eiligſt entfernte – wobei einer ſagte: „ , lieber will ich Banners ( Barners) **) verfolgenden Dragonern in die Hände fallen, als dem Könige in die Quere kommen !" Mit dem Glockenſchlage 11 trat der dienſthabende Flügel-Adju tant des Königs aus dem Gemache deſſelben und ſagte zu mir : ,, Sr. Majeſtät erwartet Sie , Herr Major !" Ich trat ſofort ein . Der König jaß auf einer Art Drehſeſſel an einem Schreibtiſch, der an der Wand ſtand, und nahm meine Meldung ſitend an . General v . Wits leben ſtand vor dem Namin , in dem ein Feuer brannte; etwas ents fernt von ihm ſtanden Fürſt Wittgenſtein und der Ober -Kammerherr * ) Denkwürdigkeiten aus dem Kriege von 1814 von Michaelowoty Danilewéin. II . Aufl. Seite 65 . ** ) Ein Oberſt v . Barnier kommandirte damals das Preußiſche Garde-Dra . goner- Regiment. (Zum Verſtändnis des Calembourg ).

93

v . Buch. „ Nun , " ſagte der König, nachdem er meine Meldung an gehört , „ nun erzählen Sie einmal, wie Sie die ruſſiſchen Truppen gefunden , wie die Sachen dort ſtehen — kommen ja gar nicht von der Stelle Feldmarſchall Diebitſch iſt doch wohl?" „ Was ich von den Truppen geſehen ,

Ew. Majeſtät , war in

gutem Zuſtande,

das Grenadier - Rorps und die Garden waren ſo friſch und munter, als hätten ſie eben die Garniſon verlaſſen .

Die Verpflegung ſcheint

überall ausreichend vorhanden und für Geld konnte man im Haupt quartier des Feldmarſchaus zu nicht eben hohen Preiſen Aces be kommen . “ Auf die Frage, wie es in dem Hauptquartier ſelbſt aus ſehe, erzählte ich Alles , wie ich es theilweiſe ſchon angeführt, wobei ich noch beſonders kleinere Spezialitäten hervorhob, die das Indivi duelle klarer erſcheinen laſſen . Der König ging nun auf Einzelnheiten ein , welche bewieſen, wie genau er die Ordre de bataille und alle Verhältniſſe fannte. Bei der Erwähnung deſſen, was die Sicherung der Grenze und der Zufuhrlinie längs derſelben betraf, erwähnte ich zweier Grenadier- Kompagnien

des

Regiments

des Königs .

Aber

mein Regiment, erwähnte der König, ſteht ja beim Gros , wie kom men denn die Rompagnien dorthin ? Als ich erwiederte, daß ein font binirtes Detachement vom Garde - Rorps unter einem General Ertel ſeit einiger Zeit in der Umgegend von Comza fantonnire, um dort gegen die zahlreichen Parteigänger zu ſtreifen, ſagte der König: ,,nun, ſind gut orientirt und haben gut beobachtet." Der König fragte nun, was man von des Feldmarſchalls weiteren Plänen ſpräche. Ich berichtete ihm nun , was ich mir aus und während meiner Unterhal tung mit dem Feldmarſchall abſtrahirt, fügte aber zugleich hinzu, daß es möglich ſei,

ich hätte

mich

in meinen Wahrnehmungen geirrt.

„ Nun ," fragte der König , „ hat man die Folgen der Schlacht von Grochow überwunden und was ſpricht man davon im Hauptquartier ?" Ich erwähnte Alles , was ich von Deſterreichern, Ruſſen und Po darüber gehört , was mir Oberſt v . Canitz mitgetheilt.

In meinem

Referat ſpielte Fürſt Schachofsfoi feine beſondere Rolle. Der König hörte ganz ruhig zu und machte dann über Einzelnes treffende Be merkungen, die andeuteten, daß er gründlich unterrichtet war. ,, Alle Welt,“

fügte er hinzu , ,,wirft den Stein auf Fürſt Schachofskoi

aber am grünen Tiſch hat man gut urtheilen , da macht ein Jeder den Feldherrn .“ Nun , dachte ich bei mir ſelbſt, da haſt du gewiß dich tüchtig kompromittirt ; doch als der König unmittelbar hinzufügte: „ ineine Tochter hat mir daſſelbe geſchrieben , ich ſehe , daß Sie die

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Lage der Dinge richtig aufgefaßt," ſchöpfte ich wieder Muth .

Der

Herr fragte nun noch Allerlei über das Kriegstheater, über die Weg barkeit deſſelben , über Verpflegung , Krankenſtand, über den Geift des Heeres , machte Bemerkungen über das litthauiſche Korps, fur ; über eine Menge Details , welche darauf hindeuteten, wie eingehend er ſich mit dem Gegenſtande beſchäftigt. Ich darf wohl verſichern, daß der König über alle dieſe Verhältniſſe genauer orientirt war, als die meiſten Generals und Offiziere , denen das ſpezielle Studium der: ſelben doch vorzugsweiſe eine Pflicht geweſen . ralſtabes der Armee hatte

von

dem

Der Chef des Gene

großen Ganzen ohne Zweifel

ſehr richtige Anſichten , aber in Bezug auf die einzelnen Züge des Gemäldes , welche ihm doch eigentlich die Phyſiognomie geben, über ragte ihn der König weit. Der hohe Herr entließ mich mit der Verſicherung, daß er aus meinem Vortrage die Beſtätigung deſſen , was er vorausgeſeşt, mit Vergnügen entnommen . — Im Vorzimmer kam mir General v . Witz leben nach und ſagte mir , daß der König mit meinem Berichte ſebr zufrieden geweſen ,

daß ich aber denſelben noch ſchriftlich einreichen

ſollte ; er rieth mir, das Allgemeine durch Hervorhebung des duellen mehr zu beleben , Hauptſache.

Indivi

das ſei in dergleichen Berichten mit die

Unter den vielen Prinzen und Generals, bei denen ich mich noch zu melden hatte, wie dies damals Brauch war , zeigte Niemand ein größeres Intereſſe für die ganze Sache als der Herzog Karl , er hielt mich weit über eine Stunde feſt und war in Fragen und Bes merkungen unerſchöpflich . Er war dem Gange des Krieges mit der größten Genauigkeit gefolgt , hatte auf der Karte alle Poſitionen init Nadeln beſteckt und war ſehr gründlich unterrichtet. Ich ſchied jedes . mal, daß ich den Herzog ſprach , mit größerer Hochachtung von dem tüchtigen Führer, dem pflichttreiten und fenntnißreichen Soldaten . Sonſt fragte mich alle Welt nach Neuigkeiten , beſonders aber ward ich ſtets angegangen , doch zu ſagen, ob Feldmarſchau Diebitich nicht Fräulein v . Bülow einen türfiſchen Shawl geſchickt, ob ich keinen Brief für ſie gehabt und was des Albernen mehr war. Ich hatte vom Feldmarſchall Gneiſenau den Befehl erhalten , zum ruſſiſchen Geſandten Graf Alopäns zu gehen und ihm die Sachen zit ſchildern , wie ich ſie im Hauptquartier und wie ich den Feldmar: Die bitich ſelbſt gefunden . Der Geſandte empfing mich in einer

ſchall

Art Aufregung. – ,, Die Herren Shrer

Farbe," ſagte er mir, ſind

95

ſonſt der ruſſiſchen Sache nicht ſehr freundlich zugethan , ſie ſcheinen entſchieden Partei für die Inſurrektion genommen zu haben ; um ſo dankbarer muß ich es erkennen , daß Sie eines im politiſch -militairi ſchen Banne ſich befindenden Mannes ſich erinnern wollen ." Nun erging er ſich heftig gegen die Auffäße, die Major v . Williſen in das Mili tair - Wochenblatt hatte einrücken laſſen. *) Ich kannte die Geſchichte derſelben, wußte, daß der König ſie vorher geleſen, ja ſogar Manches daran geändert hatte und glaubte am ſicherſten. zu gehen , wenn ich deren Kenntniß ganz ignorirte, wozu ich inſofern einen Vorwand hatte, als ich ja eben erſt angekommen war. Ich mußte mir natürlich nun gefallen laſſen , daß Graf Alopäus den Tenor derſelben wiederholte und daran dann ſeine Bemerkungen über die Polen, denen man rathe, wie ſie gegen die Ruſſen operiren ſollten , knüpfte . „ Ich habe ver ſucht," fuhr der Graf fort, ,,mich mit General Krauſeneck hierüber zu verſtändigen, aber vergebens; er iſt ſtolz, verſchloſſen und ſcheint nicht minder gegen die Ruſſen eingenommen, wie ſeine Offiziere . Es ſcheint überhaupt, als habe man ganz vergeſſen, was wir 1813 für Breußen gethan .". - Das war mir aber etwas zu ſtark und bewog mich, aus meiner Baſſivität herauszutreten . ,, Erzellenz ," erwiderte ich, „ich glaube nicht, daß Major 1. Williſen dies vergeſſen , aber er glaubt vielleicht, daß man in der Politik wie im Handel Zug um Zug thun Der Graf ließ hierauf von ſeinen Anklagen ab , er fragte nur noch nach dem Befinden der beiden Feldmarſchäle und empfahl ſich dringend und dankbar dem Feldmarſchall Gneiſenau, womit dann die

müſſe."

peinliche Entrevue ein Ende hatte . - Ich dachte damals nicht, daß ich den Grafen Alopäuß nicht wiederſehen würde, aber bald darnach ſtarb er. Freundlich und herzlich ward ich vom Fürſten Anton Radziwill empfangen. Auch er zeigte großes Verſtändniß der Sache, nament lich war er über die Verhältniſſe im Großherzogthum Poſen ſehr orientirt und bedauerte die Störungen , welche durch die Revolution über viele Familien hereingebrochen .

Des

Fürſten Michael Radzi

will, dem in dem Drama an der Weichſel eine ſo bedeutende Rolle zugetheilt worden, erwähnte er jedoch mit feinem Worte . Aus meinen Erinnerungen tritt mir noch ein Diner, -zu dem bei Prinz Albrecht eingeladen war, entgegen . kurz verheirathet.

ich

Er war damals erſt

Die Prinzeſſin that ſehr verſtändige Fragen, zeigte

*) S. Jahrg. 1831. Nr. 768 ff. den 12. März.

96

in ihrem Weſen eine Königliche Haltung und machte auf den unbes fangenen Beobachter den vortheilhafteſten Eindruc. ,, Der Feldmars ſchau ," ſagte ſie unter Anderm , ,,hat kein Glüc mehr ," und als ich darauf erwiederte,

daß ihm doch noch Ruhm erblühen könne ,

fügte

ſie ſchnell hinzu , ,, ach , in Revolutionen erntet man überdies mehr Thränen als Lorbeeren !" Vor allen Dingen lag mir daran, meinen Bericht bald zu Ende zu bringen. In einigen Tagen war ich damit fertig und rüſtete mich wieder zur ſofortigen Rüdfehr. Kurz vor meiner Abreiſe verbreitete ſich das Gerücht von einer Niederlage Roſens vor Warſchau ;

alle

Welt ſprach davon , ohne jedoch den Urſprung angeben zu können . Einigen jungen Polen, welche mich danach fragten, ſagte ich, daß bei Gott nichts unmöglich ſei, daß die Ruſſiſche Armee wohl einmal

ge

ſchlagen werden könne, daß das aber ohne ſonderlichen Einfluß auf die allgemeinen Verhältniſſe ſein würde . Dieſe an ſich gewiß ganz richtige Anſicht verdrehten aber die Herren dahin , daß ich geäußert Hieran haben ſollte, die Polen würden die Ruſſen gewiß ſchlagen. hatten ſie nun allerhand Abſurditäten geknüpft, die mir alle zugeſchrie ben wurden.

Das Gerücht hierüber fam

jogar nach Poſen und ich

ward nach meiner Rüdfehr vom General v. Clauſewiß amtlich ge fragt, ob und an wen ich dieſe Aeußerung gethan .

Da ſtellte ſich

denn ſofort heraus, daß dies eine jener Verdrehungen geweſen , deren ſich in aufgeregten Zeiten ſo Mancher gern bedient , um Verwirrung zu erzeugen und Lügen unter die Leute zu bringen.

Dieſes Syſtem

iſt von den Polen in neueſter Zeit bedeutend erweitert und iſt eins der vorzüglichſten Mittel der revolutionairen Partei geworden , überall Unruhe zu erzeugen und ins Endloſe fortzupflanzen.

um

Bei meiner Ankunft in Boſen war bereits die Nachricht von den Ereigniſſen , die ſich vor Warſchau und mit dem Roſenſchen Korps zugetragen , natürlich unglaublich verändert, eigelaufen . Gedruckte, lithographirte und geſchriebene Notizen gingen von Hand zu Þand und wurden durch briefliche Mittheilungen der Art vergrößert und entſtellt, daß man wirklich verſucht war , den Gerüchten von einer gänzlichen

Vernichtung

der Ruſſiſchen Armee Glauben zu

ſchenfen .

Der Feldmarſchall beauftragte mich , Alles anzuwenden , um hierüber Gewißheit zu erhalten , aber trot meiner Bekanntſchaft mit den Pola niſchen Kreiſen aller Schattirungen , trot eifriger Spionage der Zu: den, blieb es unmöglich, etwas Poſitives zu erfahren. Mir wurden von einem Bekannten ſogar eine Menge Original- Briefe ſowohl aus

97

Warſchau als von der Armee mitgetheilt , die ziemlich gleichlautend die Verluſte der Ruſſiſchen Armee angaben und die Sache der In ſurrektion im roſenfarbenſten Lichte erſcheinen ließen. in Boſen , ungeheuer.

Die Aufregung

wo damals das Bolniſche Element ſtark dominirte, Zugleich wurde der Augenblick benuşt,

war

andere wunder

bare Gerüchte in Umlauf zu bringen . Bald hatte ein Chriſtusbild in irgend einer Kirche gelächelt, bald ſollte die Mutter Gottes in der Karmeliter - Kirche, die Königin von Polen ,

Abends von einem

heiligen Schimmer umglänzt geweſen ſein , endlich wäre der weiße Adler am Rathhausthurm , den die Zeit ſchwarz gefärbt, urplöglich wieder weiß geworden ,

die alten Bolniſchen Könige im Atrium des

Rathhauſes hätten in der Nacht des Ausfalls und Sieges von Braga in hellſtem Lichte geglänzt, und was des Unſinns mehr war ; aber vom Morgen bis zum Abend waren Leute auf den Beinen, um dieſe Wun der anzuſtaunen und was merkwürdiger war , ſie zu bewahrheiten . Ob durch Zufall oder Abſicht,

es

blieben

zugleich die Zeitungen in

dieſer Zeit aus und nur kurze , natürlich ſehr übertriebene Sieges bütletins liefen regelmäßig ein , zugleich wurden zahlreiche Verſuche gemacht, die Treue der Polniſchen Soldaten des Armee- Rorps zu er: ſchüttern. Aber dieſe bewährte ſich muſterhaft; nicht ein Mann ent wich in dieſer Zeit und doch ſtand ein Theil des Reſerve- Bataillons, das größtentheils Bolen zählte, in Boſen ſelbſt. Auch die Bolniſchen Landwehr-Bataillons bewieſen dieſelbe Haltung, wenngleich ehemalige Polniſche Offiziere in denſelben dienten . Das Prinzip der Ehre war damals noch nicht ſo angefreſſen wie heute.

Nur

ein Offizier ,

ein

Katholik aus Schleſien, ein gewiſſer Conrad, entwich . Eine lithographirte Mittheilung aus Haliſd ), welche unfern Grenzpoſten zugekommen war und natürlich ſofort dem Hauptquartier zugeſandt wurde, brachte endlich die Nachricht, daß die Ruſſiſche Ar mee auf ihrem Marſche nach Ryfi von den Polen überraſcht, geſchla gen und zu einer Kapitulation gezwungen worden ſei , der gemäß ſie ſich auf beſtimmten Etappen über die Grenze zurückziehen müſſe. Der Feldmarſchall, der für gewiſſe Eventualitäten den Befehl erhal ten hatte, ſofort in Polen einzurücken , war durch die Gerüchte beun ruhigt und dies um ſo mehr, als auch von Wreſchen her ganz ähn liche Berichte eingingen. General v . Clauſewig drang auf eine Kon zentrirung der verſchiedenen Korps und hatte auch ſofort eigenhändig ſiebzehn hierauf bezügliche Befehle für dieſe Bewegung ausgefertigt . Der Feldmarſchau hatte mich eben rufen laſſen , um ſich die legten 7

98

Berichte von mir, von Oberſt v . Canig und was man ſonſt von den beiderſeitigen

Armecut noch erfahren ,

zuſammenſtellen zu laſſen und

auf der Karte zu verfolgen , als General v . Clauſewitz eintrat.id bringe Eurer Excellenz die Marſchordres und wollte Sie nun erſuchen , ſolche zu vollziehen . "

Das iſt recht gut, " antwortete der

Feldmar

ſchall, ,, aber ich denke, wir warten noch bis zum Abend; dann fommt die Poſt, und wenn die nichts bringt, werden wir noch Zeit vollauf haben, das Nöthige zu thun ." General v . Clauſewit ſchien hierdurch etwas desappointirt. ,, Herr Major," ſagte der Feldmarſchall, „,leſen Sie nochmals die les ten Berichte vor. " Nachdem dies geſchehen , wandte ſich der Feld marſchall zur Kritif aller von der Grenze her ſtammenden Nachric ten . - General v . Clauſewitz ſeinerſeits verſuchte ſeine Anſicht für eine beſchleunigte Abfertigung der Ordres aufrecht zu erhalten . durchging Diebitſch's Thun und Paſſen vor der Schlacht von Grochow mit großer Schärſe, that ais Allem , was er gethan und unterlaſien , die Möglichkeit der eingegangenen Berichte dar und trug alles hier : auf Bezügliche mit einer gewiſſen Animojität vor , welche ihm einige Blößen geben mochte.

Dieſen Moment ergriff Feldmarſchall Gneiſe

nau , der ſich bis dahin ruhig zııhörend verhalten hatte und that nun ſeinerſeits aus der Lage der Dinge beim Wiederbeginn der Opera : tionen die Unmöglichfeit dar , daß der Feldmarſchall Diebitſch durd die Polen zu einem Abkommen hätte gezwungen werden fönnen , der gemäß er zum Rückzuge über die Grenzen hätte bewogen werden können . Clauſewitz nahm noch einen Anlauf, ſeine Beweisführung zu behaupten, aber der Feldmarſchall ſchlug auch dieſen ſiegreid nies der .

„Ich gebe ſchon zu , “ ſagte er ,

,, daß die Polen die Rujlijde

Linie vor Warſchau durchbrochen, daß ſie vielleicht in die Parfs ihrer Armee gefallen , eine gewiſſe Anzahl von Geſchiißen erbeutet haben dürften , aber das wird auch Alles ſein.

Doch ſie ſiegreich hier vor

ausſcten und ihnen zugleich einzeille jo brillante Erfolge gegen Nyli zuzugeſtehen , dazu iſt durdaus fein (Grund vorhanden. Das ſum pfige, von kleinen Flüſjen und Brüchen durchidhnittene Terrain lust weder nach dem Ewider noch der Wilga hin raſche Bewegungen zut ; auf der Chauſſee bildet der Liwiec eine gute Ridhaltsſtelling.

Die

Ruſſen aber, in dem Zuſtande, in weldiem ſie noch vor kurzer Zeit der Dia : jor gejehen , fömmen unmöglich ſo alle militairijde Daltung verloren haben ,

um

ſich 311 entehrenden Bedingungen der Art,

uns ſchildert, hinreißen zu lajjen .

wie man ſie

Bug und Wieprz bilden in letter

99 Inſtanz zwei Linien, hinter denen man ſogar demoraliſirte Heere wie der ſammeln und ordnen kann. Und dieſe haben die Ruſjen ohne Zweifel gehalten , davon bin ich überzeugt, auch fönnen beide von den Polen nicht erreicht ſein. Bei großer überragender Jutelligenz des Polniſchen Feldherrn laſſen ſich bei einem Flankenmarſch , wie Die bitſch ihn gegen Ryki gemacht, allerdings allerhand Chancen voraus ſetzen , aber bei der Art und Weiſe , wie die Ruſſiſchen Korps auf dem Marſche gegen Ryfi echelonirt geweſen ſein müſſen, werden Ber: luſte immer nur einzelne Korps getroffen haben und dieſe wohl nie mals ein Reſultat gehabt haben, wie man es uns vorſpiegelt." Der Feldmarſchall, obwohl er eine durchaus ruhige Haltung nach Außen beibehalten , war dennoch in merkwürdig gehobener Stim mung. Sein Auge hatte einen ganz eigenthümlichen Glanz, – ſo dachte ich ihn mir im Getümmel einer Schlacht. Ruhig, beſonnen, klar bis auf den Grund und dabei von unwiderſtehlicher Kraft des Gedankens und Willens. Ich habe in meinem Leben viele Feld marſchälle und militairiſche Berühmtheiten geſehen , die lange Reihe faſt aller Feldherren des erſten Franzöſiſchen Kaiſerreichs, ſpäter Witt genſtein, Diebitſch, Pastewitſch , Sacen, Toll, aber mir hat keiner jo viel Ehrfurcht eingeflößt, als eben Gneiſenau. Alles in ſeiner Rede war tief durchdacht, kräftig, logiſch. Darauf wandte ſich der Feldmarſchall gegen mich : ,,Schen Sie zu, lieber Major, ob Sie nioch irgendwo etwas über dieſe Sache er fahren können , warten Sie die Poſt ab und bringen Sie mir dann ſo bald als irgend möglich die neueſten Warſchauer Nachrichten . " Aber als ich mich der Promenade, die nach der Poſt zu führte, nahte, fand ich ein wahres Menſchenmeer und obwohl man mich gut kannte und mir auch ſonſt im Publikum wohl wollte , ſo war es mir doch unmöglich, durch die dichtgedrängte Majje zu kommen ; ich kehrte da her um und gelangte erſt auf inancherlei Umwegen in die Poſt, die vorn von der Menge dicht umlagert war . Durd Ýülfe des Poſt Inſpektor Butendorf,

eines kleinen

gewandten Mames ,

der ſpäter

Ober - Poſt -Direktor in Poſen war, erreichte ich glüdlich den Poſthof und gelangte zum Ober- Poſt- Direktor Espagne, der auch ſofort An ſtalt traf, des Feldmarſchalls Willen zu genügen. Nach etwa einer ſtarken halben Stunde fam der Poſtwagen. Ein tauſendjaches Hur rah

empfing

ihn

und

zahlreide Kränze

flogen

den

vermeintlidien

Ueberbringern ſiegreicher Nachrichten in dem Wagen entgegen. Herr Espagne hatte ſeine Anſtalten ſo gut getroffen, daß ich die Polniſchen

100

Blätter ſofort erhielt und ſie auch mit einer gewiſſen Ruhe durd fliegen konnte .

Aber ich fand zu meinem Erſtaunen nur die detaillir

ten Nachrichten von den Bewegungen ,

die wir bereits famten und

durchaus nichts, was auf eine Bewegung der Ruſſen auf Ryfi ídlie Ben ließ. Ich eilte auf dem kürzeſten Wege, der räumlich genommen Dieſer war gehaltener zwar der längſte war, zum Feldmarſchall. denn je. ,, Nun , " ſagte er zu mir, , ſetzen Sie ſich ruhig nieder, ſtreichen Sie das Wichtigere an und überſeßen Sie es mir nachher ." ,, Excellenz," verſekte ich, das Wichtigſte iſt, daß die Zeitungen durch aus nichts bringen, was wir nicht längſt hier wüßten , daß die ganze Geſchichte von Ryki eine reine Erfindung der Preſſe geweſen zu ſein um irgend eine Kataſtrophe, einen Aufſtand herbeizuführen . “ .. Ich habe es mir wohl gedacht," entgegnete der Feldmarſchall, ,, aber leſen Sie nur ruhig Alles, ich werde warten." Ich durchging nun

ſcheint,

die Zeitung ſehr gründlich , aber konnte dem Feldmarſchau trogdem nur wiederholen , was ich bereits angedeutet. „ Sehen Sie wohl, “ rief er jegt dem eben mit ſeinen Papieren wieder eintretenden Gene ral v. Clauſewitz zu, daß die ganze Sache eine Polniſche Windbeu telei geweſen ?! Die legten Blätter aus Warſchau vom geſtrigen Tage bringen fein Wort von der ganzen Geſchichte mit Diebitſch's Korps." ,, Aber das ſchließt nicht aus , daß die Ruſſen einer Kriſis entgegen gehen ,“ verſeşte Clauſewitz, worauf denn der Feldmarſchau erwiederte , daß dieſe wahrſcheinlich mehr nördlich als jüdlich gedact werden dürfte, denn Diebitſch werde gewiß Alles daran ſepen , fich mit Roſen und den Garden in Verbindung zu ſeßen und ſeine Roms munifation mit Brzesc Litewski wieder zu gewinnen und darüber fönne es denn wohl leicht zu Ereigniſſen jeder Art fommen. Die Richtigkeit der Vorausſetung des Feldmarſchaus ſollte ſich auch bald erweiſen, denn kurze Zeit nachher gingen uns Berichte von allen Seiten zu , welche Diebitſch's Rüdfehr von dem Wieprz her ankündigten . Wie es mir ſchien , ſchenfte der Feldmarſchall den Berhält niſſen in Frankreich und Belgien überhaupt mehr Aufmerkſamkeit, als den Ereigniſſen in Polen .

Er beſchäftigte ſich mit dieſen nur , wenn

neue vorzugsweiſe wichtige Berichte einliefen. zu ſagen ,

Diebitſch ,

pflegte er

wird mit den Senſenmännern ſchon fertig werden , ſelbſt

wenn die Inſurrektion größere Dimenſionen gewönne; überdies wer: den die Polen wohl ſelbſt dafür ſorgen, ihm die Sache zu erleichterni, - es giebt tein Bolt auf der Erde , das ſich mit ſolchem Leichtſinn

101

ſelbſt zerfleiſchte und hinterher ſeinen traurigen Verirrungen ſo pomp hafte Beſchreibung widmete und ſeinem ſträflichen Leichtſinn ſo prahle riſche Benennungen ſubſtituirte. Hieran knüpfte er wohl Erinnes rungen aus dem Polniſchen Feldzuge 1793 und 1794 , während deſ ſen er an der Grenze geſtanden , und wie er ſchon damals über den ſträflichen Leichtſinn des Polniſchen Adels voller Indignation geweſen ſei .

Eigenſucht und Lüſternheit,

ihr politiſches Scheinleben zu

er

neuern , ein fanatiſches Verlangen nach den alten Zuſtänden, die Luſt, die alte Unordnung fortzuſeßen, trieben ſie zu all den Revolten, wozu es ihnen aber nie an edlen Vorwänden fehle : ſie hätten Rechts ſicherheit, Ruhe , Ordnung , Wohlſtand, gute Erziehung der Jugend gegen Gewaltthätigkeit , Unordnung , Armuth , Gefeßloſigkeit und Un wiſſenheit eingetauſcht und das könnte ein zügelloſer, wilder Adel und eine in Stumpfſinn verſunkene Kirche der Preußiſchen Regierung nicht verzeihen . Ich habe ſpäter, als ich den Ereigniſſen dort an höhe rer Stelle näher trat, oftmals über dieſe ſtrengen Aeußerungen des ſonſt ſo ruhigen und verſöhnlichen Mannes nachgedacht und gefunden, wie ſehr Recht er hatte. Nach dieſer kleinen etwas aufregenden Epiſode folgten die ge wöhnlichen loisirs d'un grand quartier ; Nachmittags Cavalcaden und Landpartieen, Abends Geſellſchaften bei der Generalität und den vornehmen und höheren Beamten, meiſtens aber bei General v. Rö der , wo faſt täglich Reunion war , denen die Schwiegertochter des General v . Röder, eine Frau v. Mutius , deren Mann Adjutant beim General war , präſidirte ; eine Dame , die ſechs oder ſieben Kinder hatte, doch aber Zeit fand, mit Grazie und Anmuth dem Hausweſen vorzuſtehen . Namentlich war General v . Clauſewiß jeden Abend dort In dieſer Zeit fam auch der ſpäter durch ein gern geſehener Gaſt. ſeine Schidjale und ſein Buch „ Wanderungen eines alten Soldaten " bekannt gewordene General v . Rahden über Krotoſzyn aus Peters burg hier an. Ich hatte mit demſelben früher bei einem Regimente geſtanden und wir waren fomit ältere Bekannte. Ich war ihm ſchon damals bei ſeinen Studien zu Hülfe gekommen, hatte ihn mit Büchern unterſtüşt: und wie ich glaube , auch manchen guten Rath gegeben. Da er ohne gründliche Kenntniſſe war , ſo hatte ich ihn dazu bewo gen, erſt dieſe angemeſſen zu erweitern und ſich dann für irgend ein Darüber war ich verfekt Köpfe es oftmals mittelmäßige wie worden und Rahden hatte ſich, thun, auf das Zeichnen geworfen und hierin unter Leitung eines wür

beſtimmtes

Fachſtudium

zu

entſcheiden .

102 digen Offiziers ,

der ſpäter Lehrer des militairiſchen Zeichnens und

Aufnehmens

dem

an

Kadetten - Korps

und an der Kriegsafademie

wurde, auch eine große Fertigkeit erlangt.

Shr verdankte er es, das

er zim topographiſchen Vüreau einberufen ward . Sein Plan der Schladit an der Satbach , den er im zweiten oder dritten Jahre Fei nes Kommandos unter Peitung des Oberſt Wagner entwarf und der wirklich vortrefflich gearbeitet war, verdrehte ihm den Kopf, und in einer ſchwachen Stunde verſicherte er à haute voix und auf fein Ehrenwort, nicht zum Regiment zurückzukehren , wenn er nicht Capis tain würde. Dies nun aber ward er nicht. Er verfiel ſomit den Folgen ſeiner unberlegten Neußerung, welche in Preußen ſeine Kar riere ſtörten . Was er im zweiten Theil ſeiner Wanderungen über dieſe ſeine Verhältniſſe ſagt, wobei er General v . Wigleben ſtart angreift, iſt Gegenſtand einer gründlichen Widerlegung geworden, die 1818 bei E. S. Mittler erſchien . Was nun ſein Verhältniß im Hauptquartier des Feldmarſchalls in Pojen betraf , das er in ſeinen Wanderungen auch etwas aufgeputt, ſo hatte es damit folgende ganz einjache Bewandniß: Rahden , der aus Krotoſzyn ſo nach Poſen ge ſchneit fam , war von den Offizieren des Hauptquartiers nicht freund lich aufgenommen worden .

Ich fand ihu Sort , als ich von Berlin

zuriicgekommen . Ilm ihm ſeine unbehagliche Stellung einigermaßen erträglich zit niachen , fragte ich den Feldmarſchall eines Tages , ob es ihm nicht angemeſſen erſcheinen möchte, wenn Rahden durch Zeichs nen in Bureau des Hauptquartiers beſchäftigt werde ? Der Feldmar ſchalí, dem die Stellung deſſelben nicht entgangen war , nahm dieſen Vorſchlag günſtig auf und veranlaßte General v . Clauſewitz, mir auf : zugeben , dies ins Wert zit jetzen. So gelang es mir , meinen alten Regiments - Kameraden wenigſtens einigermaßen aus ſeiner unbehag: lidhen Poſition herauszubringen. Mit Hilfe der Materialien, die ich aus den Canitſchen Briefen , den vielen Privatmittheitungen , die mir meine Verbindungen verſchafften , Berichten beider Theile entnahm

den Zeitungen und den offiziellen und einer gefunden Kritik unſerer:

feits, gelangte ich dahin , ziemlich genügende Relationen der einzelnen Gefechte

jener Zeit geben zu

können .

Aus ihnen war Kahden

im

Stande , die friegeriſchen Ereigniſſe graphiſch darzuſtellen , woruber Befannte aus der Provinz, denen ich ab und 311 die Pläne zeigte, nicht wenig erſtaunt waren ,

da dice im

Allgemeinen mit den ibaren

dariiber zugegangenen Privatmittheilungen ziemlich übereinſtimmten . Einige meinten wohl, wir miſten gute Spione bei der Armee haben,

103

was

ich

denn

auch ,

jedoch mit der Bemerkung glauben ließ ,

daß

wir von dorther zugleich alles erführen , was in der Provinz vorginge und was zu wiſſen uns einigermaßen intereſſiren könnte. Der Feldmarſchall ignorire dies jedoch abſichtlich. Nach einiger Zeit ward v . Kahden durch die unendliche Fürſorge des Feldmarſchaus bei einem Hirſchberger Landwehr- Bataillon als Kompagnieführer an geſtellt. Er behielt dies Kommando bis zur Auflöſung des Ober Kommandos überhaupt bei, doch nicht ohne auch hier in Verdrießlich feiten zu gerathen ,

die ihn ſpäter bewogen ,

den Preußiſchen Dienſt

ganz zu verlaſſen. Hätte man nach der Strenge der Gefeße gegen Rahden auch in dieſer Angelegenheit verfahren wollen , ſo würde es demſelben übel ergangen ſein ; aber der Humanität , die man gegen ihn übte, verdankt er es , daß er ſpäter in andere Verhältniſſe ein treten fonnte, in denen er nach Kräften wirkſam war und ſich in dem engern Kreiſe ſeiner Bekannten ſogar einen Namen erwarb. Zu

den

intereſſanteſten Momenten im

Hauptquartier gehörten

die gewöhnlichen Diners , d . h . wenn keine Gäſte eingeladen waren. Dann waltete dort ein ſehr ungezwungener Ton und es wurden alle Berhältniſſe, Tagesfragen 2c . zur Diskuſſion gezogen . Einſt ward einer Predigt gedacht, die ein fatholiſcher Geiſtlicher gehalten und worin er allerhand Albernheiten angebracht .

Einige waren der Mei

nung, daß man den Erzbiſchof für den Geiſtlichen verantwortlich machen könnte ; andere behaupteten das Gegentheil und zulegt ver breitete ſich die Unterhaltung über Theologie im Allgemeinen. Als ich dieſelbe nur als einen hiſtoriſchen Prozeß und als Moment in der allmählichen Entwickelung des Menſchengeſchlechts bezeichnete , fielen alle über mich her , am heftigſten aber Clauſewitz , obgleich er als ein Anhänger und Schüler Rieſewetters , der ihm die Rantſche Philo ſophie allerdings verdünnt und ich möchte ſagen homöopathiſch beige bracht, mir hätte beipflichten müſſen. Der Feldmarſchall aber ließ ſich meine Definition, die ich ja nicht erſonnen , ſondern nur theologi ſchen Berühmtheiten abgelauſcht, wiederholen und pflichtete meiner An ſicht bei, was viel hieß, da er urſprünglich Katholik war . Sein Ver hältniß zu dem

Erzbiſchof Dunin hatte ſich eigenthümlich geſtaltet.

Sie waren auf einem ſehr freundlichen Fuße mit einander, beſuchten ſich gegenſeitig und luden einander öfters zu Tiſche ein .

Auch wohnte

der Feldmarſchall bei ſolennen Gelegenheiten wohl dem fatholiſchen Gottesdienſte mit den meiſten Offizieren ſeines Stabes bei ; – der Erzbiſchof führte den Feldmarſchall ſelbſt in der Kirche umher,

als

104

er deren Merkwürdigkeiten beſah, doch von einem Meſſe- Hören, einem regelmäßigen Beiwohnen des Gottesdienſtes war weiter feine Rede . Als wir ſpäter das Herz des Feldmarſchals proviſoriſch dem Kirch hofe anvertrauten , wohnte der Erzbiſchof in bürgerlicher Kleidung der Feierlichkeit bei . - Wenn ab und zu die Unterhaltung ſtocte, pflegte der Feldmarſchać wohl animirend einzuwirken. Namentlich hörte er denn gern , wenn Geſchichtchen und Anekdoten aus dem Soldatenleben vorgetragen wurden, wovon der damalige Major D'Egel einen uner ſchöpflichen Vorrath hatte . Auch gab der Feldmarſchall wohl ſelbſt manchmal eine Hiſtorie zum Beſten, von welcher dann die Franzoſen meiſt geſagt haben würden , daß ſie nicht recht viable ſei. Bei einer derſelben , die nicht ganz fourfähig , verfiel General v. Clauſe : witz in einen ſo heftigen Lachframpf , woran er öfter laborirte, das ale Welt erſchreckt von Tiſche aufſprang. Man mußte den General in ſein Zimmer bringen , wo er ſich jedoch ſehr bald erholte. Andern Tages früh beim Ueberbringen neuer Berichte fragte mich der Feld marſchau , wie es dem General, den ich bereits geſprochen , ginge. Als ich ihm hierauf antwortete, daß er bald nach dem Diner bereits vollſtändig wieder zu ſich gekommen ſei , fügte ich noch hinzu, daß es ihm aber wie Pietro Aretino hätte ergehen können .

„ Was iſt das,

was hat das zu bedeuten ? " fragte hierauf der Feldmarſchall weiter. ,, Dieſer ſtarb bei Tiſche an einem Ladyframpf über ein Liebes- Aben : teuer einer ſeiner Schweſtern , die ſich in Venedig einem ſehr leicht: ſinnigen Lebenswandel ergeben ," entgegnete ich. Die Geſchichte von D'Eyel war zwar ganz nett, erwiederte hierauf der Feldinarſchall, Ab und zu aber zum Todtlachen war ſie dod) nicht angethan . benutte derſelbe auch wohl die Tiſdhzeit, um Jemandem , wie man zu ſagen pflegt , etwas auszuwijden . Ich weiß nicht, was der Lieute :

nant v . Pirch des Generalſtabes , ein ſtattlicher , gebildeter , aber ab und zu ſich etwas überſchätzender junger Mann, der eine Reiſe nach Stas lien gemacht und ein amiiſantes Buch darüber ,, die Karagoli “ ges ſchrieben , ſich hatte zu Schulden fonmen laſſen , aber der Feld marſchau zeigte ſeit einiger Zeit etwas Humeur gegen ihn. Einſt jagte er bei Tijche: „ Ich habe heute eine ſchlechte Nacht gehabt , zu gleich habe ich von Ihnen , lieber Birch , geträumt." Wir alle hordh ten hoch auf, am meiſten aber Birch jelbſt. Ich war mit Shnen in Berlin in Geſellſchaft , " fuhr der Feldmarſchall fort , „ und Sie ſpradjen mit der langen ** Das , träumte ich ſo weiter, müßte ein gutes Paar werden und ich bat Sie ,

mir im Falle einer Heirath

105 Birch, der von man ein Exemplar dieſer Race liegen zu laſſen ." , tüchtig verwöhnt Damen von aber beſonders Vorgeſegten, chen ſeiner hat ſeitdem nie und getroffen worden war , war wie vom Donner er um etwas daß denn, ſei es mehr ein Wort bei Tiſche geſprochen, befragt oder direkt in ein Geſpräch verwickelt ward. Ich vermuthe, daß der Feldmarſchall zu dieſem bittern Ausfall gegen Birch ſeit län gerer Zeit ſchon eine Gelegenheit erwartet und daß er hierzu durch ein Verhältniß , welches der genannte Offizier mit der Frau eines abweſenden Kameraden angeknüpft, und wovon ſein Chef wahrſchein-, lich unterrichtet, bewogen worden war. Sein ſtreng rechtlicher Sinn vertrug dergleichen nicht , und eine perſönliche Abneigung ſtellte ſich ein, die ſich nur ſchwer wieder verlor. Pirch hatte dies bitter aber vielleicht heilſam empfunden, weil ſeine Eitelfeit tief verlegt war. Nichts deſto weniger weinte er dem Feldmarſchall bei deffen Tode die heißeſten Thränen nach. Der junge begabte Mann, der gewiß eine ſchöne Zukunft gehabt hätte, wurde nach Auflöſung des Ober -Kommandos nach Breslau ver ſeßt, wo er bei einem Sturz mit dem wurde. Friede ſeiner Aſche, Ehre ſeinem

Pferde zu Tode Andenken .

geſchleift

Die Verhältniſſe, welche die Unglücksfälle des Roſenſchen Korps vor Warſchau veranlaßt hatten, beſchäftigten uns noch einige Zeit hin durch. Wir blieben nach all den Buffs, deren ſich die Bolen befliſſen hatten, um die Preußiſche Diplomatie zu falſchen Maßregeln zu ver leiten , denn auf weiter nichts war es abgeſehen , noch immer in Un gewißheit über die Bewegungen der beiden Armeen, und nach den Er fahrungen , die wir bereits über die ſtrategiſche Unkunde der Ruſſen gemacht, lag es nicht im Gebiete der Unmöglichkeit, daß irgend eine Kataſtrophe hätte ſtattfinden können . Die Sache ward im Haupt quartier vielfach erörtert, doch ohne daß ſich der Feldmarſchal ſelbſt daran betheiligt. Nur General v . Clauſewig war ſtets von einem gewiſſen Ingrimm gegen die Kriegführung der Ruſſen erfüllt. So oft er mit einem Bericht von Canitz im Bureau erſchien oder ſonſt eine Mittheilung von der Grenze her machte, diskutirte er wohl die Maßregeln des Feldmarſchall Diebitſch. Seiner Anſchauung nach ſtand Diebitſch tief unter dem Niveau der Mittelmäßigkeit, er hatte, ihr gemäß, nicht einmal die materielle Kraft der Ruſſen benugt, um eine Entſcheidung herbeizuführen , die nach Clauſewitz's Meinung nur hätte günſtig ausfallen fönnen , er jah eben darum auch ſchwarz in der ganzen Angelegenheit.

Nebenbei war er durch das

Parteige

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triebe im Großherzogthum Poſen ſtark afficirt. Um dies nur einiger maßen zu rectificiren , ließ er einige Artikel in die Deutſche Poſener Zeitung einrücken, die natürlich heftige Angriffe erfuhren. Deren Re : dakteur , urſprünglich ein Deutſcher, der aber ſeinen Namen in der Polniſchen Zeit poloniſirt hatte und ſich ſtatt Raabe -- Raabsfi nannte ,

wurde ſpäter ,

weil er einen apokryphen Brief ,

den unſer

König in Bezug auf die Polniſchen Angelegenheiten , ich glaube an die Regierung in Warſchau, geſchrieben haben ſollte, mit verſtändigen Anmerkungen begleitet in ſeinem Blatt publizirt hatte , in der unan genehmſten Weiſe, wie deſſen nur eine revolutionaire Preſſe fähig iſt, angegriffen . Im Polniſchen Courier vom 4. Auguſt 1831 erging fich ein Herr Deperadowicz gegen ihn in den ſchnödeſten Ausdrücken und meinte , Herr Raabsfi habe in dieſem Briefe alles aufbieten wollen , er um zu zeigen , in welchem Grade er an Rußland verkauft jei, nannte ihn einen Despotentnecht, einen Deutſch gewordenen Polen, der ſich um die Sache der Uebermacht und Gewalt verdient gemacht. Als man die Gewißheit erlangte, daß der neue Bolniſche Obers Feldherr Skrzyneci das Roſenſche Korps geſchlagen und ſich zwiſchen Diebitſch und die Garden geworfen , war der General Clauſewitz ors dentlich fieberhaft ergriffen. Da er den Krieg ſehr gründlich ſtudirt, ſtellten ſich von dieſein Standpunkte aus ihm

die Chancen , die ſich einem guten General unter den gegebenen Verhältniſſen darboten, auf einen Blick dar , und er ſagte gewiß nicht zu viel , wenn er behaup tete , daß der Kampf jett eine Wendung genommen , die den Kuſien im höchſten Grade verderblich werden könnte . Der General gab ſich erſt wieder zufrieden, als er erfuhr, daß die Garden ohne jeden Bers luſt Bialyſtok erreicht und daß Diebitſch den Bug wieder paſſirt und im Begriff ſtehe, ſich wieder mit ihnen zu vereinen . Uebrigens lei tete der General ſehr richtig den ganzen Echec der Ruſſen aus der Unachtſamkeit des Feldmarſchalls Diebitſch her , der ſich nicht nach der Schlacht von Grochow Praga's, dieſes ſtets offenen Ausfallthors be mächtigt hatte, wodurch der Gang des Feldzuges ſelbſtredend ein ganz anderer hätte werden müſſen. Der General behauptete gerib auch init vollem Rechte , daß der erſte allerdings mißliche Ausfall aus Braga unter ( eneral Tanfowski die Ruſſen auf die Wichtigkeit Praga's hätte aufmerkſam

machen und ſie

hätte

anſpornen müſſen,

jich coûte qui coûte dieſes ſo wichtigen Punktes zu bemädytigen . Die ſtrategiſchen Maßregeln der Ruſjen erfüllten den General mit Schreden.

Die drei großen Gruppen der Ruſſiſchen Armee in einer

107

Stärke von circa 110- bis 150,000 Mann mit circa 380 Geſchüßen hielten Ende März eine Ausdehnung von einigen 60 Meilen beſetzt; deren rechter Flügel , in der Stärke von circa 30,000 Mann, dehnte ſich von der Preußiſchen Grenze bis nahe an den Bug, beiläufig 20 Meilen, aus ; das Centrum der Hauptarmee, vielleicht einige 60,000 Mann , dehnte ſich vom Bug bis zum Wieprz , ebenfalls einige 20 Mei len , der linke Flügel der Armee hatte die Strecke vom Wieprz bis zur obern Weichſel, alſo etwa andere 20 Meilen , beſeßt. -- Die Klarheit , mit welcher der General dieſe Aufſtellung überſah und ſich die Konſequenzen derſelben entwickelte, hätte ſchon minder klugen Köpfen vollauf Stoff zum Nachdenken geben müſſen. General v . Clauſewig hatte bei der erſten Nachricht

von den

Erfolgen der Polen vor Warſchau deren Unternehmungen mit ziem licher Genauigkeit vorausgeſagt , nur hatte er den Bolen mehr ſtrate giſche Kenntniß und Energie des Willens zugetraut und daher denn auch ſeine Beſorgniß bei den erſten Nachrichten von den Unfällen der Ruſſen. Die ziemlich ausführlichen Berichte, die wir ſpäter durch pri vate und auch offizielle Mittheilungen vom Kriegstheater erhielten, ſeşten uns in den Stand , die Bewegungen beider Armeen zu beur theilen.

Da ich dieſen Theil der Generalſtabsgeſchäfte ausſchließlich

bearbeitete , ſo hatte ich täglich Gelegenheit , mit General v . Clauſe wiß hierüber zu ſprechen und ich darf wohl ſagen , daß die Art und Weiſe, wie er die Dinge beurtheilte, wie er aus einzelnen Bewegun gen und Märſchen Folgerungen zog , die Geſchwindigkeit und Dauer der Märſche calculirte und die Punkte voraus beſtimmte , wo es zu Entſcheidungen kommen ſollte, in vielen Beziehungen von dem höchſten Intereſſe für mich waren .

Was ſpäter von Hiſtorikern mühſam

her

ausgeklügelt, von Militair-Schriftſtellern nach langen Studien als die Quinteſſenz militairiſchen Wiſſens aufgetiſcht worden iſt, erſchloß ſich dem General , ich möchte ſagen im Augenblick. Das Schickſal hat es ihm leider verſagt, in einer höhern Wirkſamkeit ſeine Talente zu beweiſen , aber ich habe die feſte Ueberzeugung, er würde als Stra tege Außerordentliches geleiſtet haben . -- Auf einem Schlachtfelde würde er dagegen weniger an ſeinem

Plate geweſen ſein .

Es ging

ihm die Kunſt ab d'enlever les troupes . Es war dies nicht allein Blödigkeit und Befangenheit war das ein manque d'habitude Wenn man ihn bei den Truppen ſah , ſo du commandement.

108

merkte man ihm ordentlich eine gewiſſe Unbehaglichkeit an ,

die fich

verlor, wenn er ſich von ihnen entfernte. Als Inſpekteur der Schleſiſchen Artillerie, von der ein Theil in Poſen ſtand, ging er auf Parade wohl zu den Offizieren derſelben , um mit ihnen zu ſprechen , aber da fam es oft , daß er zu dieſem oder jenem trat , ihn betrachtete und ohne ein Wort zu ſagen , weiter ging . Die Offiziere ſagten , ſchweigen .

daß er zu ihnen käme , um ſich auszu

Seit dem Gefechte von Iganie kehrte dem General die ſonſtige Ruhe und Beſonnenheit zurück, -- von der Rückkehr zu einem pas rallelen Kampfe, der ſich nach den Reſultaten jenes Gefechts heraus. ſtellte, hoffte er Alles , indem er den friegeriſchen Muth der Ruſſi ſchen Armee weit über den der Polen ſtellte. Andererſeits beuns ruhigte

ihn

das Erſcheinen der Cholera in der Ruſſiſchen Armee.

Man kannte damals dieſe Krankheit noch nicht ſo wie heute und ſtellte ſich ſolche weit ſchrecklicher vor , als ſie wirklich war, wozu namentlich die Herren Aerzte , beſonders aus Berlin her , weſentlich beitrugen . .. Paſſen Sie nur auf, die Cholera wird urplößlich auch über uns hereinbrechen," ſagte er eines Tages, ,,und wer weiß, was für Opfer ſie von uns verlangen wird ! " Wer konnte denken, daß der Feldmar ſchall und er ſelbſt dieſer böſen Krankheit unterliegen ſollten ! Die Schlacht von Oſtroſenfa brachte eine Maſſe neuer Beſchäf tigungen , während wir von alledem , was auf dem ſüdlichen Kriegs theater ſich in Folge der Ereigniſſe von Warſchau zutrug, ſo gut wie nichts erfuhren. Oſtrolenka beſeitigte alle Beunruhigungen , erregte neue Hoffnungen und verſprach neue Erfolge . Die Gefechte vor dem Orte und der Kampf um

die Stadt ſelbſt, wie die ſpätere Forcirung

der Brüde hatten einer Menge Polen, die aus dem Großherzogthum Poſen waren, das Leben gekoſtet; andere waren in Gefangenſchaft gera then . -- Da ſtellten ſich nun Wittwen, Kinder, Waiſen , Vormünder bei den Militair - Behörden ein, um Päſſe nach Polen , die ihnen die Civil - Behörden verweigerten , von dem Feldmarſchall zu erhalten . Namentlich waren hierunter mehrere der erſten Familien , welche in dieſer Angelegenheit Audienz beim Feldmarſchall verlangten . Dieſer aber übergab mir alle dergleichen Geſuche, indem er ſagte : „ Die Leute ſpielen mit Feuer und wundern ſich nachher, wenn ſie ſich ver brennen . Þalten Sie mir all die Frauen fern , aber gehen Sie ſo weit auf ihre Bitten ein , als dies die Rückſichten der Menſchlichkeit verlangen ."

109

Ich begab mich mit dieſer kurzen Inſtruktion zum Polizei- Diref tor v. Tensbolde , um die polizeilichen Intereſſen mit den ſtaatlichen und menſchlichen nach Möglichkeit in Einklang zu bringen und die nöthigen Verabredungen zu treffen. Dies war glücklicher Weiſe ein verſtändiger Menſch , welcher ſich über all die hundert polizeilichen Bedenken der Poliziſten gewöhnlichen Schlages wegzuſeţen verſtand und mit dem ich auch bald einig ward . Dann ging ich zur alten Gräfin M. , bei der das Polniſche Hauptquartier war , wie General v. Clauſewitz deren Wohnung zu nennen pflegte, um ihr auf die vie len Briefe, die ſie befürwortend ihrem protecteur et ami invisible , wie ſie ſich ausdrückte, wenn ſie vom Feldmarſchall ſprach, überſchickt hatte, Antwort zu bringen. Da dieſe darauf hinauslief, ſich von der Polizei

die gewünſchten Päſſe für die Reiſen nach Warſchau ohne Weiteres holen zu laſſen, ſo war die zahlreiche dort verſaınmelte Ge ſellſchaft freudigſt ergriffen. Darauf hatten ſie nicht gerechnet, da ſie von untergeordneter Polizeiſtelle, bei der ſie gleichzeitig angefragt , wie ſie denn immer ſo viel Wege, beſonders krumme, wie möglich gingen , die Nachricht erhalten , daß daran gar nicht zu denken wäre . Die alte Gräfin M. gab mir wahrhaft gerührt die Hand und ſprach zu mir : „ Siehe , lieber Major , nun verzeihe ich es Dir , daß Du mit dem ſchönen Orden den Du trägſt - ſie meinte das Ritterkreuz des Polniſchen Militair - Verdienſtordens , den ich für Villel erhalten — hier haſt zurückbleiben können . “ „ Ich denke der guten Sache damit zu dienen ," entgegnete ich ſofort ,

,,damit die Leute doch ſehen , daß Treue und Ehre noch nicht in Aller Herzen erloſchen . “ Nun ging es an ein Erzählen und ſich Brüſten, wie man die Provinzialbehör den düpirt, um Bäſſe nach Polen zu erhalten und endlich theilte man mir ſogar mit, daß die Frau des Oberſt v . N. und die Tochter des Ge nerals v. U. unter falſchen Päſſen reiſten, weil man ſich nicht getraut, zwei ſo berüchtigte Perſönlichkeiten mit ins Spiel zu bringen. „ Wie aber nun ," fragte ich, „ wenn man an der Grenze dies merkt, ſie an hält und hierher zurückbringt ? " Neue Verlegenheit , neues Deliberiren ! Die alte Gräfin M. wußte ſich am beſten zu helfen , indem ſie ganz naiv ſagte: ,, ich denke, wir überlaſſen die Sorge dafür unſerm lieben der wird ja am beſten wiſſen , was hierbei zu thun ."

Major ,

Allerdings ein wohlfeiler Rath, der mir aber keineswegs zuſagte ; indeſjen ich machte gute Mienie zum böſen Spiel und entfernte mich nun unter dem Vorwande , die Ausfertigung der Bäſſe zu beſchleunis gen.

Ich begab mich aber zum Feldmarſchall und theilte ihm mit,

110

was mir geſagt worden und bat um fernere Verhaltungsbefehle . Ter vortreffliche Herr konnte ſich eines tüchtigen lachens über die Gräſir M. nicht enthalten und ſagte:

,, Sehen Sie ,

habe ich niot Recht?

Nieinals einen geraden Weg , immer zur Hinterthür hinein , auf Schleichwegen jort , mit Verleugnung jedes Gefühls für Recht ! Nun , jemchr wir von der Sorte los werden , um ſo beſſer ; agent Sie jedoch dem Polizei - Direttor nichts , denn der fönnte am Ende doch renitent werden . Schreiben Sie aber dem Kommandeur der Vorpoſten , den Damen durchaus feine Hinderniſſe in den Weg zu legen .“

Als ich nun wieder zur Gräfin M. kam

und ihr ſagte , id

hätte zur größern Sicherheit an den Kommandeur der Vorpoſten ein Paar Zeilen geſchrieben , verlange nun aber auch, daß ſich die beiden genannten Damen ſofort zur Reiſe anſchidten und keine weitere in discretion begingen, war des Dankes fein Ende. - So gab es hun dert kleine Agelegenheiten, welche der Feldmarſchal in ſeinen grandioſen Anſichten von den Verhältnijjen immer zum ſchnellen und ſidern Gjes deiben führte , worüber die Büreaukratie gewiß die Achjeln gezudt haben würde. Dabei pflegte er denn wohl zu ſagen : „ Was würde wohl General v . Röder jagen , wenn er wüßte, das wir ihm jo ins Handwerk

Pfuſchen ?

Der grout ſo noch immer ,

daß ich mal ſein

Hintermann geweſen und da könnte es wohl kommen ,

daß ich

mal

die Zügel ſchärfer anziehen mußte. " Dies hatte Bezug auf einige Anordnungen , die der Feldinarſchall unlängſt mit Hinſicht auf einige fortifikatoriſche Anlagen, die General v . Köder befohlen, erlaſſen ; jene Anlagen waren in der That höchſt widerſinnig und hatten den talent vollen Fortifitations - Direktor Hauptinan v . Prittwitz mit Umwillen erfüllt. General v . Röder hatte aber jenen Erlaß übel genommen und obwohl er darin nichts zu ändern vermochte,

ſich dennoch dar

über unangemeſjen geäußert. - Daraus entſtanden allerhand fleine väfeleien , von denen der Feldmarſdall jedoch meiſtens abſtrahirie, uin nur dann und wann durch ein Smpromptu ſich zu revandiren . Co war z . v . General v . Röder ſehr bequem , ritt wohl aus, aber im mer nur im Schritt. Als nun eines Tages eine Beſichtigung des Trains angeorditet war , ereilte der Feldmarſchall mit ſeiner Suite den General, der ganz langſam auf den Auſſtellungsplay ritt . „ cu ten Morgen, Ercellenz!" rief der Feldmarſchall dem General zu und beim Vorüberreiten blieb er in dem ſehr ſcharfen Tempo, in dem er anfam .

General v . Nöder blieb nun

folgen, was ihm

nichts anderes übrig als zu

aber ſehr unbequein war und ihn ſehr verdicflid

111

ſtimmte. Bei der Heimkehr ſonderte er ſich auch gänzlich ab und begab ſich auf einem anderen Wege nach der Stadt zurück. Der Feldmarſchall aber kehrte in einem munteren Tempo den alten Weg heim . Bei Tiſche kam an dieſem Tage die Rede auf ein Duell, das zwiſchen zwei Gutsbeſißern polniſcher Nationalität ſtattgefunden und worüber die Meinungen ſehr verſchieden waren . Die Unterhaltung ſprang zulegt auf die Zuläſſigkeit der Duelle überhaupt über , wobei ich den Sat : ,, Ob Sieger , ob beſiegt , immer bleibt ein Makel haften “, vertheidigte .

,, Ei“, ſagte der Feldmarſchall, „ da gerathen

Sie ja in Widerſpruch mit ſich ſelbſt, denn unlängſt erzählte mir ein Univerſitätsfreund von Ihnen, daß «Sie auf der hohen Schule Rauf bold geweſen " . „ Leider Ercellenz ", verſetzte ich, ,, iſt das wahr, aber ich ſchäme mich deſſen auch herzlich und ſo oft ich den armen Mann ſehe, der Ihnen dies erzählt und deſſen Arm ich ſo unglücklich ge weſen zu lähmen , überfällt mich tiefe Reue " . ,, Aber “ , fragte der Feldmarſchall weiter , ,, wie kann man denn das Unrecht , das man Jemand angethan, wieder gut inachen " ?

„ Durch Abbitte und auf

richtiges Bedauern über das begangene Unrecht“ , antwortete ich ſchnell, - ,, oder man räche ſich an ſeinem Feinde wie Henri IV . an dem Duc de Mayenne " ! Auf des Feldinarſchalls Frage , wie er dies gethan, erzählte ich nun die Geſchichte, wie Leşterer nach der Ueber gabe von Paris ſich ziemlich ſpät bei dem Könige eingefunden und wie dieſer den ſtark beleibten ſchlechten Fußgänger im Garten empfan gen und auf und abgehend ihn ſo ermüdet habe , daß es der arme Duc nicht länger

vermocht

auszuhalten ,

ganze Revanche hierauf beſchränkt.

und daß ſich des Königs

„ Ganz richtig“ , bemerkte hierzu

General v . Clauſewitz, „ich entſinne mich, dieſe Sache, wenn ich nicht irre, in einem Memoirenwerk geleſen zu haben ". Der Feldmarſchall aber, welcher der Einzige war, der mich nach unſerem früheren Geſpräch wegen der Verhältniſſe mit General v . Röder verſtehen konnte, fügte hinzu : „ für analoge Fälle fönnte ich Ihnen wohl Recht geben ", womit denn das Geſpräch auch ſchloß. Die Cholera, die in der ruſſiſchen Armee und auch in Warſchau ſo bedeutende Opfer gefordert , trat auch in einzelnen Fällen ſchon bei unſeren Truppen auf. Es wurden dagegen alle von den Behör den in Berlin vorgeſchriebenen Maßregeln getroffen oder wenigſtens angeordnet, denn die Angſt vor dieſer Krankheit war ſo arg , daß auch die beſoumenſten Leute den Kopf verloren und Dummheiten be gingen .

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Unter dieſen Verhältniſſen kam auch ein Theil der commission médicale

aus Paris ,

beſtehend

aus

den Herren Charles Conde,

Alibert, Boudord ac. in Poſen an ; der Chef der Miſſion war Herr Brandin , ein aufgeklärter , verſtändiger Mann , der längere Zeit die verſchiedenſten Epidemien in Amerika beobachtet und darüber auch einige Monographien geſchrieben , die er mir mittheilte. *)

Der Mann

war der unerſchrockenſte Cholerajäger und überall , wo ein FaŰ der Krankheit auffam , ſchnell auf ſeinem Poſten. Aber es wollte ihm nir gends gelingen , können .

ſie dort , wo ſie epidemiſch auftrat,

beobachten zu

Der Feldmarſchau ſchidte mich mehrmals nach einzelnen Gegen den, um meinerſeits die Lazarethe zu revidiren , hier und dort die Verpflegungs-Angelegenheiten zu ordnen , an anderen Orten die uns einigfeiten zwiſchen Civil und Militair , die faſt überall ausbradient, zu ſchlichten. Ich ward bei dieſer Gelegenheit ſo angeräuchert , daß Epauletts , Schärpe und Lizen auf den Montirungen ganz ſchwarz anliefen. In einzelne Städte, wie z . B. in Bromberg, wollte man mich gar nicht hinein laſſen , ich ward an der Grenze des Stadtge biets von einem Medizinal-Beamten empfangen , geräuchert und in einen Gaſthof unter der Bedingung, das mir angewieſene Zimmer nicht zu verlaſſen , einquartiert und anderen Tags in derſelben Art wieder

bis

zum Weichbilde

hinaus geleitet .

In

mehreren

kleinen

Städten und auf einzelnen Stationen fand ich eine babyloniſche Ver : wirrung, doch getreulich überall auf ihrem Poſten waren die Aerzte . Ich habe bei meinen vielfachen Reiſen bei dieſer Gelegenheit niemals einen Arzt gefunden , der nicht ſeine Schnldigkeit in allen Beziehungen im reichſten Maße gethan hätte . Im Juni kam ein ruſſiſcher Arzt mit Empfehlungen vom Fiir ſten Kriegsminiſter Czerniſcheif aus Petersburg nach Pojen. Der Mann hieß Kilduíchejisty, war Professeur ordinaire de medicine et de chirurgie à l'académie Impériale Medico - Chirurgicale de Moscou , und hatte in Moskau eine Art Berühmtheit in Be Er brachte folgendes merkwürdige handlung der Cholera erlangt. Empfehlungsſchreiben mit:

*) (De la influencia de los differentes climas del universo sobre el hombre etc. Lima 1826) à monsieur le major de Brandt de l'état major du maréchal de Gneisenau - hommage de gratitude de l'auteur Brandin .

113

Sa Majesté L'Empereur et Roi considérant que le cho léra morbus , qui vient de se manifester dans Sa ville de Varsovie , peut y causer d'autant plus de ravages , que les médecins de cette ville, quelques soient leurs talens et leurs connaissances théoriques, manquent pourtant de l'expérience si nécessaire pour le traitement de cette épidémie aussi dé sastreuse qu'elle est peu connue , a pensé qu'il serait utile d'y envoyer, pour servir de guide, un médecin habile et qui eut eu occasion d'étudier à fond la maladie et le véritable moyen

de

la

guérir ,



où elle a régné.

A cet effet Sa

Majesté a fait choix de Mr. Kilduscheffsky, Professeur ordi naire de médecine et de Chirurgie à l’Academie Impériale Médico - Chirurgicale de Moscou , qui a donné des preuves certaines de ses talens,

de ses connaissances et de son zèle

infatigable tant dans cette capitale que dans les autres en droits de l’Empire, où il a été constamment employé , lorsque le Choléra y exerçait ses ravages. En conséquence Mr. le Professeur Kilduscheffsky, se rendra par les Etats de Sa Majesté le Roi de Prusse dans la ville de Posen où se trouve

le

quartier -général

de

Mr.

le Maréchal Corte de

Gneisenau , Commandant en Chef de l'armée Royale Prus sienne, réunie sur les frontières du Royaume de Pologne, pour être de là expédié à Varsowie par son Excellence qui est avertie des hautes intentions de Sa Majesté L'Empereur à cet égard . Le

voyage de Mr. Kilduscheffsky

n'ayant

d'autre

but

que celui de soulager l'humanité souffrante, de porter contre le fléau qui dévaste la ville de Varsowie , le secours de son expérience, Sa Majesté compte qu'il y restera tant que l'épi démie n'aura pas cessé , et qu'il mettra à remplir le dévoir qui lui est imposé , la même ardeur , la même abnégation qu'il a déployée en pareille occasion à Moscou et d'autres villes , et qui lui ont acquis de si justes titres à la récon naissance publique et à la bienveillance de Notre Auguste Souverain . En se mettant entièrement, pour ce qui regarde le traite ment des malades dans Varsowie , à la disposition des auto rités

auxquelles

cette

ville

obéirait pendant le séjour que

Mr. Kilduscheffsky y sera , il s'abstiendra de tout rapport ou 8

114

correspondance , soit officielle soit particulière avec l'Empire et l'armée Impériale agissante dans le Royaume , afin de ne pas donner lieu à la malveillance de le suspecter. – Aussi tôt que le choléra aura cessé de règner à Varsovie, Mr. Kil duscheffsky pourra revenir a Petersbourg, et ce n'est qu'alors qu'il rendra compte à Sa Majesté L'Empereur du résultat de son envoi et de l'utilité dont il aura pu être. En transmettant ces Ordres suprêmes, l’Aide de Camp Général , Dirigeant l'Etat Major Impérial et le Ministre de la guerre, Comte Czernicheff, a l'honneur d'avertir Monsieur Kilduscheffsky, qu'il doit se mettre en route aussitôt qu'il aura reçu ses passeports dont l'expédition est déjà ordonnée. L'aide de camp Général Comte Czernicheff. St. Petersbourg , le 10./23. Mai 1831 . A Mr. Kilduscheffsky, Professeur ordinaire de Médecine et de Chirurgie à l'académie Impériale Médico- Chirurgicale de Moscou . General Czernicheff erſuchte den

Der Kriegsminiſter ſchall Gneiſenaut,

ſelbigen

nach Warſchau

gelangen zu

Feldmar

laſſen

und

wurde ich von letterem beauftragt , dem Herrn Profeſſor die von nieurs des Hauptquartiers zu machen , ihn ſpäter bis zu den polnis dhen Vorpoſten zu begleiten, vor allem ihn über die Berhältniſje in Waridhau, Kalich und an anderen Punkten gründlich zu orientiren, um ihn in den Stand zu werjen zit fömen .

ſetzen ſich danach ſeinen Operationsplan

Der Mann ſprach ein barbariſches Franzöſiſch. wenn er

etwas

bejahen

ent

Er ſagte z. B.

oder verneinen wollte ſtets parfaitement

ſein Latein glich dem der Molière'ichen Als ich voller National - Vorurtheile. Herr Aerzte ; dabei war der init ihm ins Theater ging, wollte der Zufall, daß mehrere langbär tige Inden , die ihre vaare fünſtlich in Locken gedreht , nicht weit von ims in einer Coge ſaßen . Er war eben beſcheiden genug , ſein oui,

parfaitement non ;

Erſtaunen hieruiber zu mäßigen, aber als wir ſpäter denſelben Juden auf unſerem Wege mit Ertrapoſipferden fahrend begegneten , founte er ſich nicht länger zurückhalten und meinte, daß wir entidhieden einer Revolution entgegen gingert, wenn wir ſo etwas duldeten . Gott ſei Danf, bei uns fomnt dergleichen noch nicht vor, auch würde ſich das Volt gegen ſolchen Unfug empören.

Ueberhaupt geſiel ihm

die Ber:

ſchmelzung der Stände, weldie damals doch noch ſehr anging, durc

115

aus nicht.

Als er ſpäter nach

einem

Aufenthalt von mehreren Mo

naten nach Rußland zurückkehrte, hatte er ſich einigermaßen mit unſe ren Zuſtänden ausgeföhnt,

war aber offenherzig genug

zu geſtehen,

daß er Manches darin nicht begriffe. Dabei war er aber ein pflicht treuer, tüchtiger Arzt, der ſich hinterher in Danzig und auch Berlin einen guten Ruf als Cholera -Arzt erworben . Nachdem ich meinen guten Doktor gründlich orientirt hatte, ging ich mit ihm nach Oſtrowo, um von dort, wo ſich unter der ver ſtändigen Leitung des hier befehligenden Generalv. Zaſtrow ein freundlicher Verkehr mit den polniſchen Grenzbehörden von ſelbſt ge macht hatte, auch eine Verbindung mit den ruſſiſchen Behörden anzu Ich ging über Krotoszyn , wo ich mich dem General knüpfen. v . Grolmann vorſtellte und ihin zugleich , wie es mir der Feldmar hal befohlen , über meine bevorſtehende Miſſion Meldung machte. Der General hatte extreme Anſichten in Bezug auf die Verhältniſſe zwiſchen den Ruſſen und Polen , war letzteren überhaupt nicht beſon ders günſtig und über des Kaiſers Nikolaus Maßregeln außer ſich. Er nannte ſie nur Buhlen um des Böbels Gunſt , ein feiges Nach geben gegen die Ausſchreitungen der Ariſtokratie, welche man aus rotten, der man aber keine Konzeſſionen machen müſſe. Ich hoffe, ſchloß er, die Bolen werden das Anerbieten des Raiſers entſchieden zurückweiſen und ihm , einem trogigen und rebelliſchen Pöbel gegenüber , die Bes ſchämung erſparen , denſelben für ſeine Nichtswürdigkeiten noch mit Wir werden ſehen, daß ſich Wohlthaten haben belohnen zu wollen . der General nicht geirrt. In Oſtrowo angekommen, wo General v . Zaſtrow , ein verſtän diger und beſonnener Mann befehligte , der leider bald darauf ſtarb, ſchrieb ich durch deſſen Vermittelung an den polniſchen General Bier nadi , der in Kaliſch fommandirte , theilte ihm den Wunſch mit, in einer Angelegenheit , welche rein die Humanität beträfe, einige Mit theilungen zu machen und zu dieſem Behufe einen ſeiner Adjutanten an die Grenze zu ſchicken und mir Ort und Zeit der Zuſammenkunft zu beſtimmen. Der General war artig genug , bald zu antworten und einen ſeiner Adjutanten ſofort an den Grenzſchlagbaum zu ſen den . Es war ein verſtändiger Mann , der ſeiner Verſicherung nach durchaus nicht angeſtanden haben würde , den Dr. Kilduſcheffsky mit nach Kaliſch zu nehmen ; aber , ſagte er im Vertrauen zu inir, Sie wiſſen wie die Bolen ſind , ich risfire , daß ſie dem guten Doktor allerhand Gewalt anthun und hinterher den Patriotismus als Deds 8*

116

mantel über ihre Infamien werfen .

Sollte ich ihn dagegen zu ſichern

verſuchen, ſo würde ich ſelbſt dem Verdachte, ein Vaterlandsfeind zu ſein , anheimfallen und alles Mögliche ristiren . Er erbot ſich aber, den Brief vom General Czernicheff an das Gouvernement nach Har : ſchau befördern zu wollen und mir ſo bald wie irgend möglich eine Antwort zugehen zu laſſen.

Unſere Zuſammenfunft

trug

überhaupt

einen durchaus verföhnlichen Charakter. Mehrere Perſonen, die aus Kaliſch mit herüber gekommen , näherten ſich uns freundlich – viele ſprachen deutſch - auch dieſe drücten den Wunſch aus, bald ein Ende der Unruhen herbeigeführt zu ſehen .

Nach einigen Tagen , am

13. Juni, ging dann auch wirklich ein Schreiben von der Regierung in Warſchau ein ,

in dem

ſie ſehr gemeſſen die Anerbietungen des

Kaiſers pour la bonne ville de Varsovie zurüdwies. darin :

que

tout

en

appréciant

les

sentimens

Es hieg

d'humanité,

qui ont motivé l'envoi de Mr. Kilduscheffsky et l'officieuse obligeance que les autorités militaires Prussiennes ont mani festé en cette occasion , il a été reconnu que , vu la desti nation spéciale de ce médecin, son voyage à Varsovie serait sans objet, attendu , que le choléra -morbus a tellement déjà perdu de son atrocité , que le nombre des individus, qui en sont atteints, est tout à fait insignifiant et que d'ailleurs les soins des médecins de la capitale ont suffi pour arrêter les progrès du mal. Veuillez en conséquence Monsieur le Major , témoigner à Mr. Kilduscheffsky nos regrets de ne pouvoir profiter de l'office de ses services etc.

Ich fehrte darauf mit meinem

Doktor nach Poſen zurück ,

von

wo er in einigen Tagen auf Veranlaſſung des General v . Witleben nach Danzig geſchickt wurde, wo er ſich in den Choleralazarethen ſehr nützlich madite. Kaum war ich in Poſen etwas heimiſch geworden, ſo ichidte mich der Feldmarſchall nach Thorn , wo ſich zwiſchen dem Kommandanten , General v . Vindenburg und dem Magiſtrat Strei tigkeiten erhoben hatten . Der Magiſtrat klagte nämlich den Som mandanten der Rufjenfreundlichfeit an und durch allerhand Nacido die Cholera eingeſchleppt zu haben .

Der Kommandant ſeinerſeits bes

ſdhwerte ſich über die Bürgerſchaft. Wie bei ſolchen Sachen ge: wöhnlich , ſo mochte die Wahrheit wohl in der Dritte liegen . id ward mit Briefen an den Magiſtrat und den Kommandanten gedicht und erhielt zugleich den Auftrag, mich über die Berhältnije in ange meſſener Art und Weiſe nach beifolgender Inſtruttion zu orientiren .

117

Inſtruktion für den Major v . Brandt vom Generalſtabe .

1 ) Der Major v . Brandt begiebt ſich nach Thorn um ſich von den Sanitäts- Anſtalten an der dortigen Grenze in Kenntniß zu ſeßen, nemlich : a) von der Stärke und Steuung des Cordons, b) von der Einrichtung der Contumaz, c) von der Einrichtung des Raſtells, *) d ) von der Lage der für die Ruſſen aufgeſtapelten Vor räthe, ihrer Bewachung, Verabfolgung u. 1. w . über alle dieſe Gegenſtände einen gewiſſenhaften, aus mir und führlichen und genauen Bericht zu machen . 2) Er meldet ſich beim General - Major v . Hindenburg und er bittet ſich von Gegenſtände.

demſelben

die

nöthige

Auskunft

über

dieſe

3 ) Er begiebt ſich ſelbſt auf den Grenz - Cordon , nach der Contu maz und dem Stapelplatz der Ruſſiſchen Vorräthe auf unſerm Gebiet.

4) Sein Bericht iſt hauptſächlich darauf gerichtet, a) welcher vermeidliche oder gar unnüte Verkehr aus fal ſcher Nachſicht der Behörden vorgekommen iſt, b) welche Schwierigkeiten in der Sache ſelbſt liegen und wie ſie nach ſeiner Anſicht zu beſeitigen ſind . 5) Der Auftrag des Major v . Brandt iſt ein diskretionärer. Er foli feine förmliche Unterſuchung, keine Vernehmung einzelner Berſonen anſtellen , Behörden

ſondern ſich nur aus dem, was ihm die und aus dem, was er ſonſt im

ſelbſt mittheilen,

Publikum hört, unterrichten, in wie weit die gemachten Anzeigen ſich als wahr finden dürften . 6) Ferner erbittet ſich der Major v . Brandt vom General- Major v . Hindenburg die Maßregeln ,

welche derſelbe

in Gemein,

* ) Ein Raſtel beſteht aus einem hölzernen Schuppen , deſſen innerer Raum durch doppelte Schranken in drei Abtheilungen getheilt iſt, deren eine nach dem geſunden Lande zu gelegene, für deſſen Bewohner, deren andere, an der Seite des abgeſperrten Orts befindliche, für die Einwohn dieſes letzteren beſtimmt iſt, wäh rend in der mittleren Abtheilung die bei dem zu gewiſſen Tageszeiten ſtattfinden den Verfchr die Auſſicht fiihrenden Contumaz -Beamten ſich befinden. Aus der Contumaz- Inſtruktion vom 1. Juni 1831. §. 31 .

118

ſchaft mit dem Civil -Commiſſarius zu nehmen beſgloffen hat, um die Dinge auf die geſegliche Vorſchrift zurückzuführen , und berichtet mir darüber umſtändlich.

7 ) Er wird ſich mit dem Oberſten v. Canit ſchriftlich in Verbin dung ſetzen , um durch ihn bei dem Raiſerlich Ruſſiſchen Armee Commando diejenige Mitwirkung durch Befehle an die Ruſſt ichen Truppen

zu

erhalten ,

welche ihm für einzelne Punkte

nothwendig ſcheinen. 311 dem Ende wird ihm ein Schreiben an den Oberſten v . Caniſ eingehändigt werden, welches dieſen Gegenſtand im Allgemeinen berührt. 8) Er wird ſich jeder Gemeinſchaft mit den Ruſſiſchen Truppen auf das gewiſſenhafteſte enthalten. - Iſt für die Stadt Thorn die 10tägige Sperre eines verdächtigen Ortes angeordnet , wird er ſich derſelben unterwerfen .

ſo

9) Aves, was er an Nachrichten von dem Kriegstheater ſammeln fann , wird er durch die täglich zweimal abgehenden Ordon nanzen hierher melden . Poſen , den 17. Juli 1831 .

Gr. Nr. Gneiſenau F.-M. Als ich durch Gniewkowo fam , hörte ich, daß die Cholera dort in der heftigſten Art ausgebrochen und eine Menge Menſchen wegges rafft hätte; die Commission médicale, die kurz vorher dort durch gegangen war , und noch in Thorn verweilte , ward hiervon durch Eſtafette von mir benachrichtigt, und war auch in verhältnißmäßig kurzer Zeit zur Stelle . Aber wie dies ſich häufig zutrug, ſo fam fortan fein Fall mehr vor und nach 48 Stunden war der Ort völlig frei von der Krankheit und die Commission médicale fonnte bald nach

Thorn

zurückkehren.

Alibert 26. zeigten Einſicht.

Die

Herren

bei ihren Recherchen

Charles Ronde, eben

ſo

Caſimir

viel Muth

als

Als ich mich bei meiner Anfunft meldete und dem Kommandan ten meinen Brief übergab, las er ihn mit großer Aufmerkjamfeit, trie es ſchien mehrere Male und ſagte dann etwas gereizt : ,, Wo befehlen der Herr Major den Richtblod aufzuſtellen ? " und in ergoß er ſich in einer langen Auslaſſung iiber das Betragen des Magiſtrats und wie er durchaus nichts gethan , was der alten Waffenbrüderſchaft mit den Nuſjen zuwider ſei .

Wenn die Cholera hier und dort zugleich

ausgebrochen , und ſo auch in Thorn , ſo ſei das gerade ein Beweis von der Grundloſigkeit der Behauptungen des Magiſtrats 2. Nach

119

dem er geendet, ſagte ich ruhig: „ Þerr General, ich habe hier weder ein Amt noch eine Meinung, -- ich ſoll nur Ihre Aeußerungen über die Lage der Dinge entgegen nehmen und dem Herrn Feldmarſchall darüber berichten . Der ſchriftliche Weg würde zu viel Weitläufig keiten im Gefolge haben, die dem Ober -Kommandeur nicht angemeſſen erſcheinen . Der Herr Feldmarſchall ſelbſt wird ſich vorbehalten zu entſcheiden , wo und auf welcher Seite Ueberſchreitungen ſtattgefun den . “

Meine

Inſtruktion

war allerdings

etwas

epineuſer Natur,

und dies um ſo mehr, als ich vor wenigen Jahren noch Kapitain in Thorn geweſen . Nach

einigen weiteren Erpektorationen,

die

aber

ſchon

einen

ruhigeren Charakter hatten , bat ich um die Erlaubniß , mich an die Grenze begeben und dort die Quarantaine-Anſtalten und das Raſtet in Augenſchein zu nehmen. Der General hatte die Güte, ſeinen Wa gen anſpannen zu laſſen und mich dahin zu begleiten .

Es befand ſich

dort Alles in gehöriger Ordnung , nur hatte man die Todten , ſtatt fie zu begraben , mir eingeſcharrt, auch waren im Verkehr an der Grenze nicht alle Maßregeln beobachtet worden , die das Cholera Reglement vorſchrieb , Uebelſtände , die ſofort durch den General be ſeitigt wurden . fehr ſtatt.

Uebrigens fand in Thorn ein ſehr lebhafter Ver

Man hatte große Vorräthe an der Grenze aufgehäuft,

wahre Berge von Mehlſäcken, Zwiebac, Grüße, die man nur ſchwach eingedeckt.

Ebenſo hielt man Material zu

Vrücken

in Bereitſchaft.

Einige 80 große Weichſelfähne lagen auf der Weichſel und harrten ihrer Beſtimmung, während ſie gut bezahlt wurden . Es war das durch viel Geld in Umlauf gekommen und Alles hatte einen heiteren Anſtrich.

Die Polen ſahen dieſem Treiben ganz ſorglos zu , ja es

hieß ſogar , daß ſie auf Schleichwegen ihre Produkte den Nuſſen ge gen gute Bezahlung zugeführt. Nachdem ich mich mit den Lokalbehörden verſtändigt und meiner Geſchäfte entledigt, erſuchte ich nun den General, dem Feldmarſchall zu berichten und mir den Brief zu übergeben , worauf ich dann ab reiſte. In Gniewkowo aber, wo ich Nachmittags anfam , iiberfiel mich die Cholera in einem heftigen Grade . Diarrhoe, Brechen , Waden krämpfe ich glaubte , es ſei mit mir zu Ende. -- Nach einer fürchterlich durchlebten Nacht verfiel ich gegen Morgen in einen ſtar fen Schweiß, das Uebelbefinden hörte einigermaßen auf, ich weiß nicht, ob mir die ſtarken Doſen Laudanum und die Einreibungen das Aufhören der ſchneidenden Schmerzen bewirkt , aber Ruhe und

120

Wärme und Enthaltung von jedem Getränk mußten beachtet werden und ich befand mich nach 72 ſtündiger Ruhe ſo , daß ich in einem

webla

verſchloſſenen Wagen , gut eingepackt, meine Reiſe fortſetzen fonnte. Lieutenant Graf Gneiſenau, der mich auf ſeinen Wunſch nach Thorn begleitet, hatte bei den erſten Spuren meines Unwohlſeins vorausge ſchickt, um dem Feldmarſchal die Urſache meines Nichterſcheinens zu melden . Aber als er in Boſen anfam , waren dort ſelbſt ſchon ein zelne

Cholerafälle

meiner Ankunft

vorgekommen.

noch

als

von

Nichtsdeſtoweniger der Cholera inficirt

ich

bei

behandelt;

ward

die

Aerzte verordneten mir allerhand und mit ihrer Vülſe ruinirte ich meine Geſundheit vollſtändig . Ich geſundete erſt, als ich alle ärzt liche Hülfe ablehnte ; aber ich habe lange Zeit noch ein geriſjes Un wohlfein gefühlt, das mir ſehr läſtig fiel, und ſeit jener Zeit einen ſchwachen Magen behalten und mich nur durch eine ſtrenge Diät und große Mäßigkeit, die ſonſt nicht mein Fehler war , auf den Beinen erhalten.

Ich mochte mich etwa 10 Tage in dieſem Zuſtande befun

den haben , als mich eines Tages plötzlich der Feldmarſchall beſuchte. Er bewies mir eine ſo rege , lebendige Theilnahme, daß ſie allein hinreichend geweſen wäre , mich ganz herzuſtellen.

„ Es iſt eine boje

förankheit, dieſe Cholera,“ ſagte er unter anderm , „ aber ich glaube doch, daß ſie mehr auf die Einbildungsfraft als auf den Körper ſelbſt wirft," — ind mun erzählte er eine Menge von Beiſpielen , die dies beſtätigen ſollten . In der That waren dieſe ſehr frappant und ſchie nen des Feldmarſchaus Anſicht zu beſtätigen .

„ Ich ſage mir zwar

oft ſelbſt , " fuhr er fort, „ daß eine gute Schlacht in einigen Stunden oft mehr Menſchen frißt , als dies Ungethim in mehreren Monden, und doch hat ſie etwas Unheimliches. Wer weiß, " ſchloß er , ,, wen man hier noch begräbt

und ob man nicht ſelbſt daran heimgeht."

,, Nun ," ſagte ich , an

einen General und vollends an einen Feide

marſchall hat ſich die Krankheit noch nicht gewagt und wir dürfen der Ueberzeugung ſein , daß ſie dies nicht wagen wird . “ wir wünſchen , “

erwiderte der Herr

und

ſchied

mit

„ Das wollen freundlichem

Händedruct. Einſtweilen waren nun auch Nachrichten über den Verlauf der Schlacht von Otrolenfa eingegangen.

Der Feldmarſchal nahm daran

fidytbaren Antheil und erwähnte wiederholt die Tapferkeit der Rujien . Dabei fam denn auch das Geſpräch auf die rujiche Militair Macht, wobei der Feldmarſchall ojt äußerte, daß ſie trotz der Größe des Reichs nicht im Stande wären , über 100,000 Mann über die Sirenze

121

zu bringen. „ Man muß ſich die Sache nur klar machen , " äußerte er . ,, Die Kriegsmacht der Staaten iſt abhängig von der Dichtigkeit der Bevölkerung.

Die Menge allein macht es nicht. – Sie darf

nicht nach dem Maßſtabe geographiſcher oder allgemeiner Machtver hältniſſe beurtheilt werden .

Dies erklärt auch zur Genüge, warum

Polen bei einer zwedmäßigen Verwendung ſeiner Kräfte den Ruſſen dieſen Widerſtand leiſten kann ." Hieran knüpfte er noch manche lehr reiche Betrachtung über die Verpflegung der Armee und ſprach dann viel über die Gefechte bei Oſtrolenka, über die Schlacht von Bultust, wie Kaminsfi, der ruſſiſche Generaliſſimus während derſelben toll geworden , wie er in einem Bauernpelz und darüber einen kleinen Degen mit einem

Stantſchu in der Hand auf einem

Baueruwagen in

Stroh verpact ," einhergefahren , ſich mit ſeinen Bedienten geprügelt und wie er auf ſeinen Gütern zuletzt von ſeinen eigenen Bauern er ſchlagen worden ſei . Als ich die Bemerkung machte, die ich von ruſſiſchen Offizieren gehört , daß auch General Oſtermann während der Schlacht von Culm an einer aliénation d'esprit gelitten , fügte der Feldmarſchall hinzu, daß auch er während des Feldzuges dhon von jenem Gerücht gehört.

Meine Mittheilung, die ich vom Oberſt

v . Gerlach hatte, daß der General in ſeinem Ballaſte in Petersburg zwei Bären gehabt haben folle, die zahm wie die Hunde geweſen und die Erlaubniß gehabt , überall frei herumzulaufen und daß er dieſen bei ſeiner Heimkehr je eine Pfote habe abhauen laſſen , weil ja auch ihm der Arm amputirt worden ſei, erregte des Feldmarſchalls große Heiterkeit, aber er bedauerte, die Sache nicht glauben zu können, weil ſie doch über das geduldete Maß der Narrheit hinausginge. In dieſer Zeit, im Juni, überraſchte uns die Nachricht von der Ankunft des Generals Orloff im ruſſiſchen Hauptquartier. Zugleich war die Benachrichtigung damit verbunden , wie der Zweck ſeiner Sendung darauf hinausliefe, zwei von einander unabhängige Armeen zu bilden , die allerdings nach einem beſtimmten Plane , aber ſonſt völlig unabhängig von einander operiren fouten . Ich theile die Sachen hier ſo mit, wie ſie damals erzählt wurden . Nicht lange darauf erfolgte denn auch die Nachricht von dem am 10. Juni erfolgten Heimgange des Feldmarſchals Diebitſch an der Cholera . Ein preußiſcher Stabsarzt, ein Dr. Koch, hat ihn während der furzen Krankheit behandelt und ihm verdanken wir die Berichte über dieſe Kataſtrophe. nach Kleszewo, einem

Der Feldmarſchall , der ſein Hauptquartier

Dorfe in der Nähe von Pultusk verlegt , war

122

dort am 9. Juni noch ſehr heiter geweſen und hatte zu Mittag mit großem Appetit gekochtes friſches Obſt, Klöße und Schweinefleiſch ge ſpeiſt. Gegen Abend , als ſich das Wetter nach einem regnigten Tage etwas aufgehellt, war er von einigen Adjutanten begleitet ſpas ziren gegangen , hatte ſich unterwegs von einem Baum noch einen A gebrochen und mit deſſen Hülfe einen kleinen Berg, von dem berab man die Umgegend überſehen konnte, beſtiegen und hier längere Zeit verweilt. Er hatte viel von der Schlacht von Pultust erzählt, wo er einſt den erſten Orden erhalten, und war dann eben ſo heiter wie der den Berg hinunter geſtiegen. Bald nach der Heimkehr jedoch hatte er ein Fröſteln gefühlt. Umſonſt , daß er dies durch warmen Thee zu beſeitigen geſucht , er mußte ſich legen und etwa um 2 Uhr Nachts brach denn auch ſchon die Cholera mit allen Symp tomen aus . Der Arzt hatte Anfangs geglaubt ſie beſeitigen zu können, — aber vergebens. Um 1 Uhr Mittags am 10. Juni 1831 hatte der Feldmarſchau bereits aufgehört zu leben. Möglich , daß er bei Tiſche etwas zu viel gegeſſen und daß er ſich auf dem Berge, deſſen Kuppe er bei ſeiner Korpulenz, wahrſcheinlich ſtark erhißt, erreicht, er fältet hatte ; vielleicht auch , daß hierzu Gemüthsbewegungen, künſtliche Nervenüberreizungen famen , – dies alles ſind vollkommen genügende Urſachen , ſich die Cholera zuzuziehen. Wir alle aber wiſſen , wie man bald den waderen Orloff mit dem Epitheton le grand empoi sonneur belegte umd wie bald Gerüchte böſeſter Art über diejen Todesfall die Welt erfüllten. Noch lange nachher hat die Preſſe hierüber ihre Fabeln in die Welt geſchickt und Pouis Blanc hat ſich nicht geſcheut, in ſeiner Histoire des dix ans durch infame Inſinuas tionen dieſen Tod mit dem Conſtantin's in die gehäſſigſte Verbindung zu bringen. Am

20. Juni um 10 Uhr ward die Leiche des Feldmarſchalls

auf preußiſchem

Grund und Boden in der Johannisburger Forſt in

der Nähe der preußiſchen Contumaz bei Dlotowo einſtweilen in einer Nothgruft beigeſetzt. Oberſt v . Trubezkoi, Rittmeiſter und Flügel Adjutant v . Prittwitz, Schweſterſohn des Verſtorbenen, Oberſt Bimo rinski, Kommandeur des Garde - Huſaren - Regiments, Oberſt Menen : dorf, Kommandeur des Regiments „ Prinz Albrecht" und ſehr viele Offiziere geleiteten die ſterbliche Hiille des Feldmarſchalls und zwei Kanonen, zwei Eskadrons Küraſſiere vom Regiment , Prinz Albrecht ," zwei compagnien vom

1. Grenadier-Regiment und das Militair aus

Wyncenty bildeten deren militairiſdie Begleitung; der preußiſche General

123

b . Wittich , der ſpäter auch an der Cholera ſtarb , und zwei Rom pagnien der 1. Jäger- Abtheilung mit ihrer Muſik empfingen die Leiche an der Grenze und nahmen ſofort die Spiße . Die bereits genann ten Offiziere marſchirten an der Tete des Rondufts , ihnen folgten zwei Soldaten mit Räuchergefäßen, hinter dieſen ein Pope entblößten Hauptes mit einem Marienbilde , dann der reich geſchmückte, von ſechs ſchwarz bekleideten Roſſen gezogene Leichenwagen, auf dem ein gelber Doppelſarg mit der irdiſchen Hülle des Feldmarſchalls ftand. An den Seiten des Wagens gingen der Fürſt und Adjutant Nariſchkin und der Adjutant Butturlin ; hinter dem Sarge , auf dem der Hut, der Degen , die ſchwarzen Handſchuhe des Verewigten lagen , ward das Leibroß des Feldmarſchalls geführt und dann kamen die ruſſiſchen Truppen und viele Offiziere.

Preußiſche Truppen geleiteten den Zug

in angemeſſener Entfernung, um das herbeiſtrömende Volt in gehöri ger Entfernung zu halten. Die Trauerſtätte , welche der Bau- Ints ſpektor Voigt eingerichtet hatte, war einfach und geſchmadvoll.

Sie

war mehr als 1000 Schritt vom Orte entfernt, ebenſo weit ſeitwärts des Weges nach Johannisburg, auf einem mit Tannenbäumen um ſchloſſenen Blaße und beſtand aus einem kleinen hölzernen Gebäude, das ſchwarz ausgeſchlagen war . Die Front des Hauſes war mit Fahnen in ruſſiſchen Nationalfarben und Trophäen aus der Schlacht von Oſtrolenka geſchmüct. Im Innern erhob ſich ein einfacher, mit Tuch beſchlagener und reich mit Wachskerzen und Blumen verſehener Katafalk. Als die Leiche die Grabſtätte erreicht, hoben ſie Offiziere vom Wagen und trugen ſie vermittelſt ihrer Schärpen in die Grab ſtätte.

Nachdem ſie wieder herausgetreten, ward die Thür vermauert. Am 2. September ward der Sarg nach Tilſit gebracht, wohin er unter Beobachtung der angeordneten Sanitäts -Sicherheits - Maßregeln vom Landrath Lesniewski und einem Herrn v . Pensli, Major a . D. , geleitet ward ; den 8. September hatte er Memel erreicht und ward auf einem angemeſſen dekorirten Brahm , den der Cootjen -Rommandeur führte, deponirt, um nach der Diga, die auf der Rhede ankerte, ges führt zu werden . Aber der Sturm war ſo ſtark, daß der Sarg erſt am andern Tage übergeführt werden konnte, wo er mit 21 Kanonen ſchüſſen empfangen ward . – Während des Marſches hatten immer 1 Offizier und 30 preußiſche Jäger die Wache; ruſſiſche, eigends dem Detachement überwieſene Unteroffiziere Nachts den Dienſt beim Sarge. So der Ausgang des Feldmarſchalls aus Preußen , wo

124

er geboren und wo er zur Zeit ſeiner letzten Anweſenheit ſeine ſchön ſten und reinſten Triumphe gefeiert ! Schmerzlich mußte es ihn berühren , ſo nahe dieſer Ruhmesſtätte gewiſſermaßen ſeinen

Ruhm

geſchmälert zu ſehen.

Wie auch

ſeine

zahlreichen Freunde über ihn urtheilen mögen, von dem Fehler, nicht unmittelbar nach der Schlacht von Grochow Braga genommen zu haben , darf die Geſchichte ihn nicht freiſprechen.

Der Krieg wäre

damit uno actu beendet geweſen und hätte des Leides weit weniger über Polen gebracht; der Feldmarſchall ſelbſt aber hätte den eigenen Ruhm bewahrt, hätte es vermieden , die Ehre , den Kampf ſiegreich zu beenden , init Jemandem theilen zu müſſen, - es hätte vielleicht ihm

1

nicht das Leben gekoſtet.

Von der ruſſiſchen Armee ſelbſt, glaube ich, iſt Diebitſch nicht ſonderlich bedauert worden . Ueber den Ruhm , den er im türki: ichen Feldzuge geerntet, waren die Stimmen in der ruſſiſchen Armee ſelbſt getheilt, – in Deutſchland wenigſtens war er durch das Werf des General v . Valentini in Frage geſtellt worden, ein Umſtand , den ſowohl der Kaiſer als auch Diebitſch dem Verfaſſer ſtark marfirten .

1 1

Sechster Abſchnitt.

18 31. He was a man, take him for all in all I shall not look upon his like again . Shakespeare. Ausbrud der Cholera in Poſen. – Umſidhgreifen derſelben, des Feldmarjớals gleið energiſde, wie verſtändige Handhabung der betreffenden Maßregeln . — Verkehr mit Fürſt Pastewitjà. – Uebergang der Ruſſen über die Weidjel. – Einfluß ihrer Fortſchritte auf die Verhältniſſe im Großherzogthum. Des Feldmarſdals Erkrankung und Tod. Erinnerungen aus ſeinen Geſpräden. — Beiträge zu ſeiner Charakteriſtik.

Irre ich nicht, ſo war es um dieſe Zeit , als ein Brief vom Ober - Präſidenten v. Schoen anfam , der lauter Jeremiaden enthielt und unglaublich ſchwarz malte.

Dergleichen waren ſchon öfter an gelangt, aber dieſer prophezeihte vorzugsweiſe allerhand Entſetzliches. ,, Darin erkenne ich recht den Herrn, wie er immer geweſen," ſagte der Feldmarſchall. „ Ich habe ihn einige Zeit im Hauptquartier gehabt, aber unter allen denen , welche man damals dort toleriren mußte, war feiner ſo muthíos wie er , - überall jah er Gefahr und Ge ſpenſter.

Ich war froh, als wir ihn los wurden . " Da ich hierzu äußerte, daß ich nicht gewußt, daß Þerr v. Schoen je im Hauptquar tier der Armee geweſen , fügte er hinzu : „ Ja, ja, er war bis zur Schlacht von Lügen in demſelben ! " Nach dem , was ich ſpäter vom General v . Schmidt und deſſen Adjutanten über denſelben , ſowie von vielen anderen gehört , hat er den Herren an der Grenze ihre Geſchäfte durch ſeine ſteten Befürch

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tungen, ſeine emigen „ Wenn “ und „ Aber , " die er hinterher mit Die manitäts - Rüdjichten beſchönigte , ſehr erſchwert und die Abwidelung der Verhältniſſe mit den Polen ſehr verzögert. - Ueberhaupt wug: ten viele Leute , die in Verhältniſſen mit ihm

geſtanden , von ſeiner

Halbheit und Unentſchloſſenheit viel zu erzählen , namentlich Beamte , die einer älteren Schule angehörten.

Am 14. Juli ſtarb der erſte Soldat

vom 33. Regiment an der Cholera, nachdem ſchon früher einzelne Leute aus dem Civil daran heimgegangen , was man aber abſichtlich verheimlicht und mit allerhand anderen Krankheiten benannt hatte . Man fing nun an , die Cholera - Erlaſſe vom 1. Juni in Kraft treten zu laſſen . Das Cholera Reglement ſchreibt vor , daß die Cholera - Hranken ſecirt und genau unterſucht und der Reichenbefund amtlich aufgenommen werden ſoll . Dies hatte man bei dem Soldaten unterlaſſen und als der Feldmar ſchall aus dem

Abend-Rapport erſah, daß man dies nicht gethan, ſo mußte der bereits begrabene Mann wieder ausgegraben und ſecirt werden . Dies geſchah noch während der Nacht durch den General . Arzt Dr. Schwifard und in Gegenwart des Chefs des Generalſtabes, des Oberſt v . Dieſt und des Hauptmanns v . Höpfner vom General ſtabe, ohne daß ſie oder Andere davon angeſteďt worden wären . Sonſt hielt man ſich in der Praxis von all den ängſtlichen Anord nungen , womit das Cholera - Reglement förmlich geſpict war , frei. Man hat daſſelbe hinterher viel verſpottet ; wenn man aber er: wägt , daß es auf die eigentliche aſiatiſche Cholera berechnet war , welche durch klimatiſche Einwirkungen bei uns an Intenſität viel ver loren hatte, ſo wird man milder urtheilen. Wie unangenehm ſie aber auch bei uns werden konnte , geht aus vielen Beiſpielen hervor. Schildwachen ſtarben auf ihren Poſten, ein Offizier ertranfte, wäh rend er ſeine Ronde ging und ſtarb auf der Wache. -- Unſere Aerzte gaben dieſen rapiden Fällen beſondere Namen . - Der tägliche Ver .: fehr mit der Krankheit wirkte allmählid beruhigend, und ſo tam es denn , daß man ſich endlich mit all der Unbefangenheit im Verkehr bewegte, als ſei die Cholera noch Tauſende von Meilen entfernt , ge : wiß das beſte Mittel, ſich diejen böſen Gaſt fern zu halten . 413 man vollends gewahrte , daß gar Manche von ſchweren , die meiſten von leichteren Anfällen geheilt wurden , erlaubte man ſich wohl ſogar mancherlei Scherze über Vorſichtige oder Aengſtliche. Ein Steuers beamter, ein launiger und munterer Gejelſe, der zu des Königs Ge burtstag ziim großen Galladiner beim Feldmarſd/all eingeladen war,

127 verſpeiſte bei demſelben eine genügende Quantität Gurfenſalat, weil man , wie er ſagte , im Hauſe eines ſo tapferen Generals und Feld marſchalls keine Furcht haben dürfe. Aber der gute Mann, der ſo ſchöne Einfälle hatte, ward ſeiner That nicht froh, denn er erkrankte ſchon als der Kaffee einigen Stunden.

herungereicht wurde,

und ſtarb bereits nach

Mit der Nachricht von der Uebernahme des Kommandos der ruſſiſchen Armee durch Feldmarſchall Baskewitſch -- dieſe erfolgte den 25. Juli - verbreitete ſich auch ein Gerüdt von deſſen Erfrankung . Nun, das wäre eine ſchöne Geſchichte, meinte der Feldmarſchau hier: bei , wenn der auch an der Cholera ſtürbe und ich ihm etwa folgte, dann würde man ſie wohl die Feldmarſchalls - Krankheit nennen . Bald aber famen Briefe von Basferitſch ſelbſt, die ſeiner Erkrankung wider ſprachen. Sie waren jedoch unſerm Feldmarſchall inſofern unan genehm , als der neue ruſſiſche Generaliſjimus allerhand Anforderun gen ſtellte, welche der Feldmarſchall nicht glaubte ohne Weiteres befriedigen zu können . Sie erſtreckten ſich nämlich auf direktere Hüljs leiſtungen , die ſchließlich den Ruſſen inſofern auch wurden , als der Feldmarſchall dort , wo wegen der Cholera weniger Befürchtungen exiſtirten, eine mildere Praxis in Bezug auf die Zufuhr von Lebens mitteln und anderer Kriegs-Bedürfniſſe eintreten ließ . Was unſeren Chef mehr als Cholera und dortige Kriegführung beſchäftigte, waren die Ereigniſſe in Belgien, die Wahl des Königs und was ſich daran reihte , der Sieg der Holländer bei Haſſelt und Tongern . Er ſtand hierüber mit ſeinem Schwiegerſohn, dem General v . Scharnhorſt, der ſich , wenn ich nicht irre, bei der holländiſchen Armee ſelbſt oder wechſel.

doch in Amſterdam befand ,

in täglichem

Brief

Es kam bei Tafel öfter die Rede auf den Prinzen von

Oranien , und mancher der Tiſchgäſte wußte etwas von ihm zu er zählen, was mitunter nicht in der mildeſten Form aufgetragen ward. Beſonders ward hierbei von einem Major v . Miglaff einſt der be kannten Geſchichte von dem Diebſtahl der Diamanten der Prinzeſſin von Oranien gedacht, die er in extenso aus einem der Sudelblätter der damaligen Zeit vortrug .

Wir alle,

die wir die Anſichten des

Feldmarſchaus in Bezug auf Holland kannten , ſaßen wie auf Nadeln . Als der Erzähler ſeine Geſchidyte beendet, ſagte der Feldmarſchall. ,, Nun , ich höre da ganz etwas Neues !

Ich habe gar nicht geglaubt, daß

Sie ſich ſo gründlich mit Geſchichte beſchäftigen ." Der gute Mann wollte noch mehr zum Beſten geben, aber Major Chlebus ſchnitt ihm

128

geſchickt das Wort ab .

Doch

der Zufall führte

bald

darauf den

Feldmarſchall wieder mit Mizlaff zuſammen . Es ward nämlich natı einiger Zeit auf der Annaberger Höhe bei Owinst eine fête cham pêtre arrangirt, zu welcher der Feldmarſchall ebenfalls eingeladen war. Als der Herr vom Wagen ſtieg und das Comité im Begriff war, ihn zu empfangen, drängte ſich der gute Mizlaff ohne Weiteres vor, hielt eine Anrede an ihn und lud den Feldmarſchau ein, in den Kiosf , den er einen Tempel des Rubmes nannte, und worin die Prieſterinnen d . h . die patronesses der fête, ſeiner bereits harrten, einzutreten . Als ich ſpäter den Feldmarſchall zum Wagen begleitete , ſagte er : „ Iſt denn der Mitlajf noch nicht für toll erklärt , der iſt ja ganz des Nukuks !" Einige Jahre darauf ward der Arme mirt lich in ein Irrenhaus gebracht und iſt auch dort geſtorben. Wenn ich wiederholt darauf zurüdkomme, daß die belgiſchen GT eigniſſe den Feldmarſchall mehr feſſelten als die polniſchen , ſo iſt dies, denke ich, nur ein Hinweis auf die Ileberlegenheit deſſelben in der richtigen Auffaſſung der ganzen Sachlage. Die Proteſtation des for nigs Witheim gegen das Pondoner Protofolt vom 21. November war noch nicht gehobent, das

Treiben der revolutionairen Partei in Frant

reich lag offen 311 Tage ; O'Connel's Beſtrebungen zur Zurüdnahme der Union, ſowie der ganze Zuſtand Englands und Palmerſton's Po litik fonnten kein Vertrauen einflüßen, die heftigen Neden Lamarque's, Arago's in den Sammern und deren Sympathien für Polen , Odillon Barrot's, Mangnin's, Thiers und anderer Beſtrebungen, mußten ſie nicht Befürchtungen erregen ?

Die ſchönſten Jahre , die beſten Kräfte

ſeines Lebens hatte der Feldmarſchall daran geſetzt, den jetzigen Zu ſtand Europa's herbeiführen zu helfen , den Ruhm und die Ebre Deutſchlands geſichert zu ſehen und jetzt am Abend ſeines glorreiden Daſeins ſah er dieſen Zuſtand erſchüttert und ſein Gebäude im ve griff auseinander zit fallen. Er fühlte wohl, daß nur Preußen es fein fonnte, welches für die Ruhe Europa's werde cintreten müjien , und eben das machte ihn beſorglich . Die Nachricht vom Tode des Großfürſten Conſtantin in Biain . ſtof, welche wir ſchon in den erſten Tagen des Juli erhielten, erregte in feinem Kreiſe der Geſellidyait beſondere Theiluahme. Die Polen bezeichneten ihn mit den härteſten Ausdrücken ; die Nuijen , deren ab und

zu einige in Pojen cinfanden , waren in ihrem

fid

Urtheil zirar

milder , aber ohne viel Simpathie. Ich madyte bei dieſer Gelegen : heit einzelne intereſſante Befamntſchaften . llnter dieſen befand ſich ein

129

conseiller d'état actuel Dimitri, welcher zur Zeit des Ausbruchs der Revolution frank geweſen, gefangen und zurüdgehalten worden war, und den man endlich auf ſeinen Wunſch nach Poſen inſtradirt hatte, um fich heilen zu laſſen. Später kam der junge Fürſt Suworow ,, ein Adjutant des Feldmarſchalls Baskewitſch, mit Aufträgen nach Poſen und hielt ſich mehrere Tage dort auf. Der Feldmarſchau beauftragte mich mit den Honneurs des Hauptquartiers , wie er ſagte. Der Fürſt hielt es für ſeine Pflicht, auch jenen Staatsrath zu beſuchen und ich begleitete ihn dorthin . Baſſen Sie auf, ſagte er zu mir, wie ſich le camarade drehen wird, den erſten Blaß auf dem Sopha zu mein Rang behaupten. Seiner Stellung nach iſt er mehr wie ich; aber als Fürſt giebt mir den Vortritt. Der Staatsrath empfing den Fürſten auch wirklich mit der größten Zuvorkommenheit, aber als es darauf ankam, ſich zu ſetzen, wußte er durch eine geſchickte Wendung ſchnell den Ehrenplaß zu erlangen. Der Fürſt ſchüttete fich ſpäter vor Lachen aus und meinte, wenn es anginge , wolle er ſich dieſen Spaß noch einmal machen. Auf dergleichen Albernheiten , fügte er hinzu, ſind unſere Ruſſen, ſelbſt die beſten , wie verſeſſen, und ſie ſind einer bassesse fähig , um in dergleichen Kleinlichkeiten zu reuſſiren . Es war dies derſelbe Fürſt Suworow , der ſpäter Gouverneur in Curland war und der heute eine hohe Stellung in Petersburg ein nimmt. Er iſt auch zur Krönung hier in Berlin geweſen. Jener Staatsrath aber war das wahre Prototyp des alten, ächten Ruſſen . Moskau (das heilige) war ihm die Hauptſtadt der Welt, der Kaiſer der Repräſentant Gottes auf Erden , Rußland beſtimmt, Europa zu regeneriren , den Glauben der Erde zu reformiren. Bei Erzählung der Schmach , die Rußland in dieſem Kriege erlitten , brach er in Thränen aus und meinte, Gott fönne es dem Kaiſer nicht verzeihen, in Glaubenstreue Rußland nicht zu den Waffen gerufen zu haben. — Wir Ade, meinte er, würden aufgeſtanden ſein, um das treuloſe Po len zu zermalmen. Gott würde unſer heiliges Rußland nicht ver geſſen und ihm den ſchönſten Sieg über das eidbrüchige und ver rätheriſche Polen verliehen haben . In ähnlicher Art habe ich viele Ruſſen ſich äußern hören , na mentlich aber die älteren. In der jüngeren Generation offenbarte ſich ſchon etwas von Rosmopolitismus oder richtiger vom Panſlavismus. Sie traten eher für die Ehre der Waffen , als für das National gefühl ein und ihre Kraft beſtand hauptſächlich nur in der Bereit willigkeit und Ergebenheit, womit ſie dem Tode troßten . 9

130

Im þauptquartier zu Boſen beſchränkte ſich zu dieſer Zeit die ganze Thätigkeit darauf, den Cholera- Cordon den geſeßlichen

Beſtim

mungen gemäß aufrecht zu halten und die einzelnen Sicherheitslinien in die Karten einzutragen . Der Uebertritt des Korps von Gielgud, deſſen Ermordung durch einen Enragé, Namens Skulski, warfen Streif lichter auf die Ereigniſſe bei der polniſchen Armee, die eine baldige Auflöſung derſelben vorausſehen ließen . Der Abmarſch Gielgud's, Chlapowski's und Dembinsti's nach der Schlacht von Oſtrolenta bat ten vielfache Debatten darüber in unſerem Hauptquartier hervorge rufen . Da man jedoch über die Stärkeverhältniſſe der beiderſeitigen , gegen einander operirenden Korps feine genaueren Nachrichten hatte , ſo beſchränkten ſich unſere Raiſonnements hauptſächlich auf das poli tiſche Gebiet. Ich hatte für den Feldmarſchau eine kurze, hiſtoriſche Skizze der Landestheile, wohin ſich der Krieg zog , bearbeiten müſſen und hatte hierbei vorzüglich die Territorial - Verhältniſſe von Samo gitien hervorgehoben, dabei auch beſonders deſſen gedacht, daß die Bauern dort bis zur Beſitzergreifung der Ruſſen freie Eigenthümer geweſen , dann aber zuerſt auf den den Zubow's geſchenkten Gütern die Frei : heit verloren hätten und ſpäter ganz in ein þörigkeits -Verhältniß ges rathen wären . Der Feldmarſchau ſchloß hieraus ſehr richtig , daß durch die Invaſion alte Erinnerungen rege werden dürften und eben darum die Inſurrektion dort viel Nahrung finden werde;

das

brachte hierbei die Kultur- und Terrain - Verhältniſſe jener Gegend in Anſchlag und prophezeihte eine Ausbreitung des Aufſtandes. Und er hatte ſehr recht geſehen.

Wären die Polen nicht ſo miſerabel geführt

worden , und hätten die Ruſſen nicht ſehr energiſche Maßregeln ers griffen , ſo hätte ihnen von dieſer Seite her ein großer Nachtheil er : wachſen können . Der Aufſtand dehnte ſich ſchnell bis zur Düna aus und die heftigen Gefechte bei Klonowfa , Wilfomierz , Szawle , Mas laty .c . , ſowie die Phyſiognomie , die der Aufſtand annahm , deuten wohl zur Genüge an , wie ergiebig derſelbe hätte ausgebeutet werden fönnen. Erſt mit Dembinski's þeimkehr von dieſem Zuge nach Bar ſchau (3. Auguſt) fam für uns Licht in dieſe Erpedition, bei der man dem Führer alle Gerechtigkeit widerfahren ließ .

Der traurige A118.

gang der Sache war den deutſchen Intereſſen in der Provinz info fern günſtig , als einer der Führer ( Chlapowsfi) aus dem

Grofber

zogthum Poſen ſelbſt war und man große Hoffnungen auf denſelben geſett hatte . Reid ) , beſonnen , brav , als guter Offizier der alten napoleoniſchen Armee befannt, durch ſeine Heirath mit der Schweſter

1

131

des Großfürſten Conſtantin mit der kaiſerlich ruſſiſchen Regenten familie verſchwägert, hatte er Alles für ſich, um eine Rolle zu ſpie len. Hierbei fam ihm noch ein eigener Umſtand zu Hülfe . In Paris ſoll ihm nämlich die bekannte Le Normand prophezeiht haben, er werde ein ſehr vornehmer , großer Herr werden und dem größten Throne der Erde ganz nahe ſtehen . Raum alſo waren die erſten Nachrichten von den Erfolgen der Polen jenſeits des Niemen , natürlich vergrößert, eingelaufen , ſo ſegte man auch ſofort jene Prophezeihung wieder in Umlauf ; dabei fehlte es natürlich nicht an Konjunkturen mancher Art und ſehr bald war man damit ſo weit, in Chlapowski den fünf= tigen König von Polen zu ſehen.

Die ſtets glühende Phantaſie der

polniſchen Damen trieb die Sache bis ins Unendliche; aber die bald darauf eingehenden traurigen Nachrichten von dem Ausfall der Er pedition retteten ſie noch glücklich aus dem unendlichen Ridikul, das ſie durch ihre Extravaganzen auf ſich gezogen . Privatbriefe aber von den mit Gielgud übergetretenen Offizieren und Berichte aus dem Dem binski'ſchen Korps, deren man in der Mitte des Monats mehrere hatte, untergruben Chlapowski's bisherige Popularität vollends . Er ward unmittelbar darauf von denſelben Leuten, welche ihn ſoeben bis in den Himmel erhoben hatten , in die große Kategorie der Vater landsverräther geworfen, wozu freilich bei den Polen ſehr wenig ge hört. Chlapowski ſelbſt erlitt die Freiheits- und bedeutende Geld ſtrafe, zu der er ruſſiſcherſeits verurtheilt wurde , ohne Murren ; er machte es nicht wie viele ſeiner Landsleute , die wegen derſelben, und nicht ohne Erfolg, die faiſerliche Gnade in Anſpruch nahmen. Die Kapitulation Gielgud's hat ſich eines Umſtandes wegen mir beſonders im Gedächtniß erhalten.

Ich war nämlich auf einem Spa

ziergange begriffen und ſah von einer Höhe in das Warthethal herab, als der Feldmarſchall dieſen Weg ſeiner Gewohnheit gemäß, nur von ſeinem Reitfnecht begleitet, allein geritten kam .

,, Ei , " ſagte er ſcher

zend zu mir, „ Sie ſtehen hier müßig, Herr Chef des Auswärtigen, und wiſſen nicht, was ſich Wichtiges zugetragen ? Dafür aber werde ich es Ihnen auch nicht ſagen. Machen Sie nur, daß Sie bald ins Büreau kommen , Sie werden überraſcht ſein ."

Hierauf ritt der gute

Herr weiter.

Ehe ich jedoch dort anlangte, kam mir Major D’Egel, der du jour hatte , mit der Botſchaft ſchon an der Poſt entgegen. Ich habe ſpäter nie dieſen Weg machen können , ohne mich dieſes Zu ſammentreffens zu erinnern .

Wir hatten die Nachricht hier früher 9*

132

als die Ruſſen , denn Oberſt v . Canig ſchrieb noch am 16. Juli,

0 nach einer noch unverbürgten Nachricht folle Gielgud mit 12 Ra nonen und 2000 Mann auf preußiſches Gebiet übergetreten ſein. Aus

21 die Ermordung des Generals durch den Lieutenant Skulski erfuhren wir früher. - Um dieſe Zeit muß in den Warſchauer politiſchen Kreiſen ein wunderbarer Wechſel und Wirrwarr geherrſcht haben . Jo konnte damals dem Feldmarſchall einen Brief mittheilen, von dem man mich vielleicht nicht ohne Abſicht hatte Abſchrift nehmen laſſen . Si l'ennemi evacue le pays l'intervention est possible , j'ose même dire probable ; mais dans tous les cas il faut qu'on voie clair, que la malveillance ne donne pas de fausses tour nures à ce qui se passe. Il est indispensable que l'on puisse se convaincre de notre désir de l'ordre et d'un gouvernement fort.

Les 4/5 de la chambre se prononcent pour cela.

Per

sonne, outre tout- au-plus deux voix n'est pour la république . Les crieries des rues et les déclamations des journaux sont tout - à - fait deconsiderés et pourtant c'est sous ce point de vue que l'on cherche à nous noircir en faisant de nous un épou vantail à la France et à l'Autriche et que l'on nous gâte le coeur des Prussiens ; à mon avis il n'y a de salut pour nous que si nous sommes sous une bonne constitution au royaume de Prusse, nous sérions trop grands pour craindre que la Prusse nous asservisse , et c'est le seul moyen que nous avons de toucher à la mer. Le projet qui germe et que beaucoup de personnes approuvent déjà peut réussir ou non . Il importe que l'on nous connaisse sous le point de vue véritable pour nous estimer ce que nous valons. H. Lubienski . Der Feldmarſchall nahm den Brief, las ihn mit Aufmerhamkeit durch , legte ihn auf ſeinen Tiſch und ſagte :

Dieſe Idee iſt nichts

Neues. Schon 1796 hatte Dąbrowski es angeregt , ein fonſtitutio nelles Königreich Polen zu ſtiften , Süds, Neus, Oſt- und Weſtpreugen zu

dieſem

deſſelben

Bebuf zuſammen zu zu machen.

ſchlagen und Boſen zur Hauptſtadt

Neuerdings hat man ſie wieder aufgenommen

und meine Mitwirkung dafür in Anſpruch genommen. Aber die Leute wiſjen nicht was ſie wollen . Sie haben keinen geſunden politiſch en Gedanken und ſind viel zu unſtet.

Am Beſten iſt es, man überläßt

133

ſie ſich ſelbſt, denn dann freſſen ſie ſich unter einander auf, wie ein geſperrte Ratten.

Ich erinnerte mich hierbei noch in meiner Jugend

hiervon ſprechen gehört zu haben, und daß man Poſen, welches man zur Reſidenz beſtimmt, aus dieſem Grunde ſo großartig angelegt habe. Uebrigens erinnerte dieſer Brief an die Unterhaltung Napoleon's mit de Bradt in Warſchau 1812, worin er ihm auf die Frage, was denn die Polen wollten , antwortete : Preußiſch wollen ſie werden, wenn ſie nicht Polen ſein können . Die Nachricht von Dwernicki's Geſchick, von dem wir ſeiner Zeit die erſte Nachricht in der erſten Decade des Mai’s erhielten, hatte im Hauptquartier lange nicht den Eindruck ge macht, den jetzt Gielgud's Kapitulation bewirkte. Die Tüchtigkeit die ſes Führers hatte Sympathien erregt , und man hätte es lieber ge ſehen , er hätte nicht dieſe Kataſtrophe erlebt . Uebrigens war uns auch das Kriegstheater dieſer Ereigniſſe zu entfernt, die Mittheilun gen über den Gang der Dinge zu unbeſtimmt, als daß man ange meſſen darüber hätte urtheilen fönnen , wie das Ereigniß ſelbſt ein wirfen werde. Der Ausbruch der Cholera in Danzig und die hierdurch nöthig gewordenen Quarantaine-Maßregeln hatten ſchon an ſich allerhand Beſchränkungen veranlaßt und verwickelten dazu das Der Tod des Grafen Hauptquartier in vielfache Schreibereien. Alopäus hatte Verzögerungen in den Zahlungen der Ruſſen herbei geführt, die Häuſer in Danzig waren mit den Lieferungen ſchwierig geworden und der Staatsrath v . Peucker und der ruſſiſche General Konſul bekamen vollauf z11 thun, um nicht die Verpflegung ins Stocen gerathen zit laſſen. Die umſichtige Leitung der Verpflegungs -Maß regeln der Armee, die vom Feldmarſchall Baskewitſch in der Haupt ſache ſelbſt geführt wurde , verhinderte jedoch jede bedeutende Ver zögerung und alle Anordnungen wurden ſo gut getroffen , daß er ſeine Marſchbewegungen nach allen Richtungen hätte fortſetzen können, ohne längere Zeit hindurch nur einen Tag wegen der Verpflegung in Ver legenheit zu kommen .

Man war in Poſen von all dieſen Maßregeln

gut unterrichtet und des Feldmarſchals Gneiſenau Aufmerkſamkeit war auf den Beginn der Operation ſelbſt gerichtet. Man vermuthete, daß der große Flankenmarſch der ruſſiſchen Armee von Bultust bis in die Nähe von Thorn ( Oſiek) an dem Hauptdepot der polniſchen Armee, Modlin, vorüber den Bolen Gelegenheit geben werde , Alles was ſie an Kräften irgend disponibel hatten , daran zu ſetzen , um energiſch aufzutreten .

134

Der Feldmarſchalt glaubte nach den früheren Feldzügen des Feldmar ſchaus Paskiewitſch vorausſeßen zu fönnen , daß er ſeine Maſſen zu ſammen halten und nur durch große entſcheidende Schläge zu wirken ſuchen würde. General v . Clauſewitz hatte alles Vertrauen zu den Ruſſen verloren und meinte , ſie würden unbedingt das Schlechteſte thun und da fönne ſich viel und mancherlei zu ihrem Nachtheil ber ausſtellen. Sonſt meinte er, daß die Lage von Modlin, Wyszogrod, Plod den Bolen alle Gelegenheit biete, die Ruſſen auf ihrem langen Flankenmarſch zu überfallen, ſie zurückzuwerfen, in die Soldau und Wkra zu ſprengen , eventuell an die Preußiſche Grenze zu trängen oder Ereigniſſe à la Eßling herbeizuführen.

Einſtweilen , d. h . An

fangs Juli waren die Ruſſen aus Pultust abmarſchirt und hatten ſich unter mannigfachen Zögerungen dem Uebergangspunkte genähert. Eine Miſſion, die mich aufs Neue nach Thorn geführt, gab mir Gies legenheit, hier die Ruſſen , ihre Brücken , ihre ungeheuren Vorräthe und den Anfang des Uebergangs ſelbſt in der Nähe anzuſehen. 11. Juli

war die

erſte Diviſion

Den

des erſten Armee - Korps an der

Weichſel angelangt , den 12. fam die zweite und dritte Infanterie Diviſion, den 13. die erſte Huſaren -Diviſion und eine Küraſſier -Dris gade ,

den 14. die dritte Grenadier - Diviſion .

Das Þeranſchleppen

von Magazinen , Vorräthen und Brückengeräthſchaften dauerte unters deſjen fort . Gegen 70 Oderfähne lagen am rechten Ufer. Am 13. Abends gingen 50 Rojaken auf das linke Weichſelufer über; in der folgenden Nacht ſepten Pionier- und Infanterie- Detaches ments ( General Lüders ) über und verſchanzten ſich. Am 14, turs den die Oderfähne allmählich zur Brücke eingefahren . Um gegen alle Eventualitäten geſichert zu ſein, hatte man eine große Menge Voote zuſammen geſeyt , die Maſten waren abgenommen. Da die Sähne nicht alle gleiche Bordhöhe hatten , ſo mußte man auf techni ſchem Wege dem abhelfen , was auch gelang . Vom rechten Ufer ab anferten 20 Rähne , dann folgten der geringen Waſſertiefe wegen Böde ; das Verhältniß der Bodbrüde zur Schiffbrüde war wie 1 : 4 . Die Verſchanzungen waren mit Faſchinen befleidet. Von der erſten bis zır zweiten Abtheilung ſtanden 11 Rähne , von der dritten nad dem linken Ufer war eine Pontonbrüde geſchlagen . Die Kavallerie ging oberhalb der Brüde durch eine Furt. Das Pionier - Bataillon hatte inkl. der Reſerve - Pontons einen Train von 45 Fahrzeugen . Das Schlagen der Brücke ſelbſt ging mur lang jam vorwärts und dauerte vom 13. bis 17 .

1

135

Die Ruſſiſchen Regimenter, welche die Tete des Rorps bildeten, famen von Lipno nach einem ermüdenden Marſche an die Weichſel. Hier machten ſie Halt ,

ruhten etwa 2 Stunden ,

bekamen Zwiebaď

geliefert, gingen dann über und fingen ſofort ihre Arbeiten am Brüđen kopf an , ſo daß ſie innerhalb 24 Stunden vielleicht kaum 5 bis 6 Stunden geruht. Am 18. Juli ſtand die Avantgarde vollſtändig auf dem linken Weichſelufer,

1/2 Meile vom Uebergang bei Raciowek;

den 20. ſepten das Grenadier - Korps und die Garde über.

Vom

Feinde war während der ganzen Zeit weder auf dem rechten noch auf

dem linken Ufer etwas zu ſehen.

Es

iſt hier nicht der Ort,

über die Möglichkeit eines Angriffs zu diskutiren , jedenfalls aber bleibt es unzweifelhaft, daß die Polen Chancen vollauf gehabt hätten, während des Uebergangs ſelbſt einen glüdlichen Angriff zu machen. Fünf Tage währte derſelbe einſchließlich desjenigen der Artillerie und Rolonnen über die damals / Meilen breite und durch drei ſchmale Rem pen getheilte Weichſel.

Nachdem ſie einmal die Weichſel überſchritten ,

marſhirten die Ruſſen über Brzesckujawski, Kowal, Goſtynin, Gombin auf der großen Straße vorwärts auf Warſchau. Eines Tages war ich im Zimmer des Feldmarſchaus, um die neuen Stellungen der Ruſſen, inſofern ſie aus den ſeltenen Berichten des Oberſt Canig , den Zei tungen und Privatmittheilungen hervorgingen , zu bemerken. Die Ruſſen ſtanden damals bei Bolimow und hatten hier ein Gefecht ge habt. Uns waren die Nachrichten von den Gräueln in Warſchau , bei denen Jankowski, þartig , Fanshave , die Bashanow und viele andere umgekommen waren , durch Privatberichte zugegangen. Der Feldmarſchau war von dieſen Dingen tief ergriffen und verglich fie mit den Maſſacres fügte ich hinzu ,

von 1794,

wie

er ſich

ausdrückte.

Damals,

hing man einen Prieſter ( den Biſchof Maſſalski ),

diesmal hat ein Prieſter ( Bulawski) das Henkeramt übernommen. Der Infame hatte die Brutalität ſo weit getrieben , ſich die Hände im Blute des Generals Jankowski zu waſchen und hinzuzufügen : ,,Das ſei das wahre Blut der Freiheit, nur aus ſolchem Stoffe könne 11 ſie gedeihen . Während wir dieſe Verhältniſſe beſprachen , gingen Depeſchen aus dem Ruſſiſchen Hauptquartier ein . Nachdem der Feldmarſchau ſie aufmerkſam geleſen , ſagte er : Mein Kollege ſcheint ein großer Sicherheits - Kommiſſarius zu ſein , er denkt daran , ſich eventuell auf Breslau zu baſiren und ich ſoll ihm die Mittel gewähren , dort aus mit allem möglichen Kriegsmaterial als :

ſich von

Mehl , Schlacht

136

vieh, Tuch, Schuhzeug und weiß Gott womit ſonſt noch zu verſehen ; ich denke, das würde er leichter in Warſchau finden. Jedenfalls würde Feldmarſchall Diebitſch dergleichen nicht verlangt haben.

Zrrar

wird General v . Clauſewitz dies nicht wahr haben wollen , aber ich könnte ihm hierin nicht Recht geben . " Es war das erſte Mal, daß ſich der Feldmarſchal in dieſer Art und Weiſe äußerte. Uebris gens war er mit den Bewegungen der Ruſſen keineswegs zufrieden . Sie kriechen wie die Schnecken nach Warſchau heran , ſagte er. Vom 17. und 18. Juli ab hatten ſie bis nach Lowicz, was 18 "/> Meile vom Uebergangspunkt entfernt

iſt,

13

Tage

gebraucht.

General

v . Clauſewitz war in ſeinem Urtheile noch weit ſtrenger und zweifelte ſehr, daß die Ruſſen in dieſer Kampagne Herr der Ereigniſſe werden dürften. Man hätte ſich den Feldzug nicht ſchlechter vorſtellen kön nen, pflegte er zu ſagen . Der Feldmarſchall fuhr einſtweilen fort, ſich durch kleine Erar: jionen zu zerſtreuen. Einſt fehrte er von einem Ritte zurück und er : zählte, er habe ſich einen Offizier zu Tiſche geladen, der im Sanjarit ſehr bewandert ſei . Ich erkundigte mich unter der Hand, wer dies wohl ſein könnte und hörte dann, daß dies ein durchaus unpraktiſcher, ein ſeitiger Mann ſei , der beim Regimente als ein halber Narr gelte. Der Feldmarſchall mußte ſich auch wohl bald hiervon überzeugt ha ben , denn er lud den Brahmanen , wie ihn die Offiziere nannten , nicht mehr ein . Derſelbe nahm ſpäter den Abſchied, um der Wiſſen dhaft ruhig leben zu fönnen ;

aber wie ich gehört , hat es ihm auch

damit nicht glücken wollen und er iſt ſpäter in nicht ſonderlichen Um ſtänden geſtorben . Ein ander Mal fragte der Feldmarſchall: meine Herren, wer die Buchdruckerkunſt

„ Wiſſen Sie wobl ,

erfunden ?" — Wir alle

hen uns an und wußten nicht, was von der Frage zu halten . wiß glauben Sie Gutenberg tet .

ſa

,,Ge

aber da ſind Sie ſehr falſch berich

Das iſt ein Pole , und zwar ein þerr v . Twardowski. “

habe dies heute von einem katholiſchen Prieſter gelernt,

mit dem er

auf der Promenade zuſammen getroffen. „ Aber, " fragte ich nun den Feldmarſchall , ,, hat er Eurer Ercellenz auch den Ausgang dieſes verrn v . Twardowski mitgetheilt ? " Auf ſeine Verneinung erzählte ich die Legende, wie ſie im Munde des Volts lebt und wie ſie fra ter von den Polniſchen Dichtern aufgenommen und behandelt wordert. 418 ich auf den Schluß der Sache fam und nun erwähnte, daß man die Begebenheit nach dem Dorfe Rzym ( Rom) im Wongrowiter Kreiſe

137

verlege, das noch exiſtire und daß man in einem abwärts vom Dorfe liegenden Hauſe noch das Loch zeige , aus dem der Böſe mit ſeiner Beute abgefahren und dabei die Worte des Teufels anführte, als Herr V. Twardowski gegen das Anſinnen des Teufels Ein wendungen gemacht: , oh Pani Twardowski verbum nobile de bet esse stabile " , lachte der Feldmarſchall ſo herzlich, faſt nie geſehen.

wie ich es

Auch General v . Clauſewit ſtimmte mit ein und

zwar ſo energiſch , daß wir Atle eine Wiederholung ſeines Lachkram pfes befürchten mußten. Dabei erwähnte der Feldmarſchau auch noch, daß ihm derſelbe Geiſtliche noch erzählt, daß eigentlich ein Pole,

Jo

hann von Kolo, Amerika entdeckt hätte . „Ich habe, " fügte er hinzu, ganz gläubig zugehört und den Herrn hinterher nur gefragt, ob nicht vielleicht ein Pole auch das Pulver erfunden ,

was er jedoch

nicht mit Beſtimmtheit anzugeben gewußt." Als die Berichte der Kuſſen , nachdem ſie die Gegend von 20 wicz erreicht, wiederholt den Namen Arkadien nannten , fragte der Feldmarſchau, woher derſelbe wohl hierher gefommen und ob vielleicht der Name Bolimow, der gleichfalls oft vorkam und ſo hübſch klinge, hiermit in Beziehung ſtände ? Ich mußte deswegen ausdrücklich nach der Raczynskiſchen Bibliothek gehen und war glücklicher Weiſe bald im Stande, dem Feldmarſchall Auskunft verſchaffen zu können . brachte die Beſchreibung des alten Polens von Swięci mit , überſetzte ihm mündlich daraus das hierauf bezügliche. dies ſpäter ſchriftlich thun und ich erfuhr hinterher ,

Ich und

Ich mußte

daß er es dem

Fürſten Radziwill zugeſandt, weil einſt eine Fürſtin Helene Radziwill die Anlagen daſelbſt geſchaffen , den Griechiſchen Tempel , den Römi Ichen Circus und das Amphitheater gebaut und dem Orte den Na men gegeben. Von Bolemow oder Bolimow intereſſirte es beſonders den Feldmarſchall, daß hier zur Jagd der Auerochſen die Könige noch in ſpätern Zeiten ein eigenes Schloß in den ungeheuren Wäldern ge habt. Auch die Traditionen , daß der Ort von den Wörtern boli mow (dulde und rede) ſeinen Namen habe, weil in einiger Entfernung davon die ſogenannten Grabſtätten der Arianer belegen ,

ſowie daß

hier einſt auf einer Wieſe ein größerer Ort gelegen , der ſeiner fün digen Einwohner wegen von der Erde verſchlungen ſei , erregten die Aufmerkſamkeit des Feldmarſchalls in einem hohen Grade. Je mehr ſich die Ruſſen Warſchau näherten , wuchs das

Inter

effe des Feldmarſchalls an den Ereigniſſen. Die Wichtigkeit der Operationen , wahrſcheinlich verbunden mit Erinnerungen aus ſeinem

138 früheren Leben, trugen hierzu gewiß gleichmäßig bei. Leider aber lies fen die Nachrichten nur ſpärlich ein . Die Berichte über die Gefechte an der Bzura und mancherlei Privatnachrichten , welche wir ſonſt ers hielten, ließen den Feldmarſchall vorausſeßen, daß der Geiſt der Pol niſchen Truppen bereits gebrochen ſei, und daß innere Unordnungen bald eine Art Auflöſung herbeiführen dürften , die einen verlängerten Widerſtand unmöglich machen würden . Das Kavalleriegefecht am 17 . Auguſt nicht weit von Wola beſtätigte ihn in dieſer Anſicht. Mit jedem Tage wurden unſere direkten Nachrichten ſeltener – die Zei tungen blieben aus und enthielten meiſtens nur Interna über War Kamen ja Briefe aus dem Ruſſiſchen Hauptquartier, ſo ent hielten ſie Wünſche um Erleichterung der Kommunikation und Herbeis ſchaffung der Lebensmittel . Darüber war nun auch der Monat Aus guſt ziemlich vergangen und wir hatten bereits den 23. des Monats

ſchau.

erreicht. Der Feldmarſchall war friſch und munter und guter Laune. So erzählte er in dieſer Zeit manches aus ſeinem Londoner Aufent halt von 1814. Wie die Engländer den Fürſten Wittgenſtein für Blücher genommen, ihn aus dem Schiffe getragen , ihn aber ins Waſſer hätten fallen laſſen, als ſie erfahren, daß es nicht der alte Blücher ſei, - wie einſt vier Offiziere in ein Porter- Pokal getreten und um Por ter gebeten. Als man ihnen nun vier Engliſche Humpen gebracht, hätten die Offiziere kleine Gläſer gefordert, worauf denn der Kellner den Borter weggenommen und die Herren hätte ſtehen laſſen. – Auch des alten York gedachte er ,

wie er zum König von England

eingeladen worden und ſeinen Play nicht an der Königlichen Tafel erhalten . Nach der Tafel erkundigte er ſich nun , wer das Feſt ar rangirt, und als ihm geſagt ward, daß das Lord Stuart ſei, ſo ging er auf ihn los und jagte ihm : „ Mylord, wenn mich der König eins laden läßt , ſo gebührt mir auch ein Platz an deſſen Tafel , " worauf er ihn ſtehen ließ . - Dann erzählte er , wie das Volk den alten Vlücher ſo bejauchzt und beſchrieen habe, daß er zuletzt nicht mehr am Fenſter erſchienen ſei . Als nun deſſen Windſpiel auf das Fenſterbrett geſprungen, habe die verjammelte Menge daſſelbe gleichfalls mit pur rah empfangent. In der Nacht vom 23. zum 24. ward ich vom Jäger des Feld marſchalls gewecft.

„ Der Feldmarſchal hat die Cholera !"

mit die

ſem Rufe ſtürzte er ängſtlich herein ; kommen Sie raſch, ſonſt finden Sie ihn nicht mehr lebendig. – Ich ſelbſt von meinem Cholera - An = fall her noch immer recht leidend und beſonders des Nachts von

139

Magenſchmerzen und heftigem Schweiß heimgeſucht, ſprang ſofort aus dem Bett, – in einigen Augenblicken war ich angekleidet und unmit telbar darauf im Zimmer des Feldmarſchaus.

Er lag in einem an

ſcheinend tiefen Schlummer, aber man merkte bald , daß dies ein ſo poreuſer Zuſtand war , von Krämpfen und Schmerzen unterbrochen . Ich fand im Zimmer den Geheimen Medicinal - Rath Dr. Gumpert, den General v. Clauſewitz - dieſen in einem ſchmerzhaften Zuſtand der Aufregung - den Major Chlebus und den Sohn des Feldmar ichals, die alle drei im Hotel wohnten. auch der Generalarzt Schwicart.

Unmittelbar darauf erſchien

Herr Gumpert theilte dieſem mit,

daß wenig Hoffnung ſei, daß die Hülfe zu ſpät gekommen ſei. Man hatte den Feldmarſchall nadt an der Erde in der Nähe der Klingel gefunden ; wahrſcheinlich hatte er ſchellen wollen , war hierbei von einer Ohnmacht oder Krämpfen befallen worden und hatte ſo längere Zeit an der Erde gelegen . Sein Jäger , der in einem Nebenzimmer ſchlief,

wahrſcheinlich

durch

das Stöhnen oder durch

ſonſt einen Umſtand aufmerkſam gemacht, tritt leiſe in das Schlaf zimmer und findet den Feldmarſchall in dieſem Zuſtande. Erſt nach dem er ihn wieder ins Bett getragen , ward es ihm möglich, Hülfe herbeizuſchaffen und dies war,

wie immer in der Nacht,

mit Zeit

verluſten verbunden . Später kam auch der Regiments- Arzt des 33. Infanterie - Regiments , Dr. Krajewski, der eine gewiſſe Berühmtheit durch ſeine Heilmethode der Cholera, oder vielmehr ſeine Pulver da gegen erlangt hatte .

Aber alle drei Aerzte zeigten wenig Hoffnung..

Der Feldmarſchall lag die ganze Nacht in dem ſoporeuſen Zuſtande, ſeine ganze Umgebung ſaß in der Nebenſtube und harrte des Ganges der Krankheit, während die Aerzte abwechſelnd an das Bette traten und den Puls unterſuchten . So kam der Morgen heran , ohne daß irgend eine Verbeſſerung oder Verſchlechterung des Patienten einge treten war. Um 9 Uhr Morgens trat Dr. Gumpert wieder an das Bett , wohin General v . Clauſewitz und ich ihn begleiteten. rend der Doctor die Hand auf die Bruſt des Kranken legte ,

Wäh ſchlug

der Feldmarſchall die Augen auf, richtete ſich mit dem Oberleib auf, ſah

ſich ſtarr um ,

( chlimm mit mir ,

ſagte zu mir : wie

mit

„ Es

iſt noch

lange

nicht ſo

Ihnen " und ſank dann wieder zurück.

Bald darauf erklärte der Doctor , daß bereits die Lungenflügel er ſchlafften. Die Aerzte verlangten alten Ungarwein - aber' nirgend war derſelbe zu bekommen . Endlich bekam man von einem Rabbi ner einige Flaſchen.

Der Feldmarſchall hatte

ſich in

dieſer Zeit

140

mehrmals im Bette aufgerichtet, ohne jedoch zu ſprechen und war dann wieder zurückgeſunken . Sein Zuſtand ward von Stunde zu Stunde ſchlechter, bis er endlich in der Nacht vom 23. zum 24. Au guſt kurz vor 1 Uhr ſeine edle Seele aushauchte. Ueber die Entſtehung der Krankheit erzählte mir ſpäter ſein Jä ger , daß der Feldmarſchall vorher an Verſtopfung gelitten , gegen dieſe ſtarke Doſen Moriſonſche Pillen genommen und hiervon eine Diarrhoe befommen habe, die ſpäter in Cholera übergegangen ſei . Der Ruhm des Feldmarſchalls bedarf keiner Worte , zeugen für ihn . Ruhme gelegt. erzählt ,

ſeine Thaten

In Colberg hatte er den Grundſtein zu ſeinem Der Staatskanzler v . Beyme hat mir wiederholt

daß er ihn 311 dieſer Stelle empfohlen.

Es ſeien nämlich

Beſchwerden über General v . Lucadou eingegangen und man habe um einen neuen Kommandanten gebeten . In Königsberg ſei man über die Wahl verlegen geweſen und da habe er denn den Major v . Gneiſenau , den er ſelbſt erſt vor kurzer Zeit kennen gelernt , dem Oberſt v. Bronifowski vorgeſchlagen, deſſen Antrag der König denn auch beſtätigt habe. Der Feldmarſchau ſprach gern von Colberg, er wähnte wiederholt ,

daß er durch das Zerſpringen der eiſernen ( e

ſchütze mehr Artilleriſten verloren, als durch das feindliche Feuer und daß ihm der alte Nettelbec anfangs mehr Verdrießlichkeiten gemacht habe, als die Franzoſen. Der Herr Bürgermeiſter habe in fortwäh renden øändeln mit den Offizieren gelegen und ſich um viele Dinge be fümmert,

die ihn gar nichts angingen.

So habe er eines Tages

einen Offizier wegen Feigheit denuncirt und als man die Sache um terſucht , hätte ſich gefunden , daß der Offizier , der ſoeben von der Wache abgelöſt worden und nicht in ſein entferntes Quartier habe gehen wollen , ſich in der Nähe eines Piquets ruhig ſchlafen gelegt und als dieſes abmaridirt, dort ruhig verblieben und ſeinen Schlaf fortgeſetzt habe ,

da er durch keine Dienſtverrichtung wieder in An

ſpruch genommen worden .

Um Nettelbec nütlich zu verwenden und

ihn ſich auch zugleich vom Halſe zu ſchaffen , habe er ihm die ge ſammten Löſchanſtalten übertragen und hierbei habe er ebenſo viel Ausdauer und Umſicht als Muth entwickelt und ſei ihm höchſt nüß lich geweſen . Er fügte hinzu, die Belagerung hätte feinen Tag läns ger dauern dürfen ; der kleine Holleben, der die Waffenſtillſtandsfunde gebracht, wäre ſehr willfommen geweſen. 1809

war

der Feldmarſchall aus

Staats - Rath geworden .

der Armee geſchieden

und

In dieſe Zeit bis 1812 fällt ſeine große

141

politiſche Thätig keit , über die bis jeßt nur wenig bekannt iſt, *) und doch iſt er in dieſer Zeit der Mittelpunkt der intereſſanteſten politi ſchen Unterhandlungen geweſen , - er kann mit Recht als derjenige betrachtet werden , der zur Vorbereitung der Ereigniſſe ebenſo kräftig und wirkſam beigetragen, als er heroiſch und thatkräftig zu deren Ausführung mitgewirkt. Ein Mitglied des Tugendbundes iſt er nie geweſen , wie er dies wiederholt erklärt hat. Man ſagte, daß, als er 1816-18 das General-Gouvernement am Rhein geführt, er hier den liberalen Parteien zu viel Spielraum eingeräumt habe

man hätte

das Hauptquartier ſogar das Wallenſteinſche Lager genannt – man ſagte ferner , daß die retrograde Partei ihn deswegen mit Spähern umgeben . Der gute Rahden ſelbſt faſelt etwas dieſer Art von der Zeit in Boſen. Ich möchte wohl wiſſen , wozu dergleichen Albern heiten hätten dienen ſollen. Es waren dies Viſionen meines alten Kameraden , wozu ihn eine gewiſſe Unfähigkeit, die Verhältniſſe klar und richtig zu überſchauen, verleitete .

Der Mann, den Rahden

im Auge hat, erfreute ſich des ganzen Vertrauens des Feldmarſchalls und war als Adjutant mit der ganzen Führung des Haushalts be traut. Er, der Major Chlebus, hatte Rahden zur Zeit auf das Un angemeſſene feines Verbleibens in Poſen aufmerkſam gemacht und da erſterer früher Adjutant des Generals v. Thile geweſen war , und überdies mit einigen böſen Zungen im Hauptquartier ſchlecht ſtand, ſo mag wohl Grol und Empfänglichkeit für Klatſcherei Rahden zu jenen unbegründeten Leußerungen bewogen haben. Des Feldmar dalls edle Seele war gewiß jedem Argwohn hierin fremd. - Bon den Verhältniſſen von 1813–15 ſprach der Feldmarſchall nur ſelten und ſoweit ich mich deſſen erinnere, nie bei Tiſche. Nur einmal ſagte er bei einer Gelegenheit, wo Blüchers in einer etwas, ich möchte bei nah ſagen herabfeßenden Art gedacht wurde: ,, Den alten Blücher, den laſſen Sie ja unberührt, dem ſind wir Alle vielen Dank ſchuldig ohne dieſen wäre wahrlich vieles nicht gegangen ." Nur gegen York hatte er ſtets einen gewiſſen Groll. Das war ein alter grober Ge ſelle, ſagte er einmal , und ich habe ab und zu manchen Strauß mit ihm gehabt.

Er und Sacken waren ein Paar höchſt renitente Ge

nerale. Kurz vor der Schlacht an der Kaybach , als wir eben bei Tiſche ſaßen , öffnete ſich plößlich die Thür und Yorf trat ein. Da unſer Engliſcher General mit bei Tiſche war und ich an dem ganzen Weſen des Generals York ſchon fah, daß es eine Scene geben werde,

*) Dies hat ſich durch die neuerdings erfolgte Herausgabe der Biographic des Feldmarſchalls' v . Pert geändert, die freilich noch nicht vollendet iſt.

142

ſtand ich auf, ging ihm entgegen und führte ihn in ein kleines Sei tengemach, wohin Blücher unmittelbar folgte. Hier fing der General ſofort ſeine gewöhnlichen Vorwürfe über unerhörte unnüşe Fatiguen, über Mangel an Verpflegung 2c. an und ſchloß dann mit der Ber: ſicherung, daß die ganze Armee ſich auflöſe und er dergleichen nicht länger verantworten könne, daß er dem Könige ſeinen Bericht darüber machen werde. Nun aber nahm ich mir den Herrn ins Gebet , ob wohl ich nur General -Major und er General-Lieutenant war, recapi tulirte ihm kurz das was geſchehen, und warum es geſchehen und das man immer denſelben Widerſtand und die alte Renitenz im General die nicht ſelten an Ungehorſam geſtreift z . , dann machte ich die Thüre auf und fragte: Haben Euer Ercellenz noch etwas zu

gefunden ,

befehlen, worauf er mit einer kalten Verbeugung gegen den Feldmar ſchall abging . Als ſpäter die Schlacht gewonnen war und ich Abends das Schlachtfeld beritt , traf ich mit York zuſammen. Ich ritt an ihn heran, nahm den Hut ab und ſagte: „ Ercellenz, ich gratulire zur gewonnenen Bataille ! " ,, Ja ! die habe ich euch gewonnen ,“ war die Antwort, „ aber wo bleibt nun die Verpflegung, die armen Soldaten ſterben Hungers ."

,, Ercellenz , " entgegnete ich, „ Brod haben ſie noch

auf zwei Tage, Schlachtvieh auf vier , hier - auf das Kartoffelfeld ſind Kartoffeln in Ueberfluß ; wenn in dem wir hielten deutend Darauf alſo die Soldaten hier verhungern , iſt es ihre Sduld ." Seit dieſer Zeit fuhr er fort , haben wir nicht ſprengte ich fort. wieder mit einander geſprochen .

Williſen hat ſpäter das unerquidliche

Geſchäft übernommen uns verſöhnen zu wollen , aber vergebens. Als das Monument auf dem Schlachtfelde an der Kaybach errichtet wurde, fand ein großes Diner in Liegnig ſtatt. ander

gegenüber,

neben Blücher York .

Blücher und ich ſaßen eins Blücher

litt ſtark an der

Diarrhoe , entfernte ſich öfter und Williſen ſuchte York und mich in indeß vergebens. – keiner von uns er ein Geſpräch zu ziehen , griff die Initiative und ſo ſchieden wir , nachdem die Tafel aufgebo ben, wie wir gekommen , falt und unverſöhnt wieder von einander. Als Williſen darauf beharrte, daß ich mit York ſprechen ſolle, ſagte ich ihm : ,, Mit dem alten groben York fommt man am beſten weg, wenn man Ueber Vülow und Kleiſt habe ich den gar nicht mit ihm ſpricht ." Feldmarſchall nie ſprechen hören, auch über Scharnhorſt habe ich uie Dagegen erwähnte er wohl eine deußerung von ihm vornommen . der Krieger der Vergangenheit. wenig erbaut .

Er meinte,

Von Seydlit als Menſch war er

daß er ſehr dumm geweſen und größten

theils am Fenſter geſeſſen und Tabac geraucht habe .

Vor ſeinem

143

Quartier in Wohlau war ein Trog, woraus die Pferde getränkt wurden und jeder Soldat, der ſein Pferd zur Tränke ritt oder von der Um ſich von felben heimkehrte, mußte zuvor über denſelben ſetzen. der Untreue ſeiner Frau zu überzeugen, die mit dem Stabstrompeter in einem Verhältniß ſtand, war er einſt in einen Ofen gekrochen , in dem vorher eine Rachel gelodert war, und als er den Moment zu ſeiner Beobachtung gefommen glaubte , ſtieß der Held von Roßbach . So erzählte dieſelbe aus und ſteckte den Kopf durch die Deffnung. der Feldmarſchau . Von dem General b . K. ſagte er, daß er ſein Leben lang nichts getaugt.

Zur Zeit der famoſen Kapitulation von Erfurt ſollte

zum Herzog von Weimar ,

er

um ihm den Abzug der Truppen betref

fende Befehle zu überbringen. Der Feldmarſchau Möllendorf lag frank darnieder. Aber aus Beſorgniß , den Franzoſen in die Hände zu fallen oder um nicht auf einer ſchlechten Brücke über einen Fluß zu reiten, kam er nicht an Ort und Stelle an. Der Feldmarſchall hatte ein großes Intereſſe für alles Hiſtoriſche. Als im Juli ein Schreiben aus Goſtynin vom 17. ejd. eingegangen, bemerkte ich, daß der Ort allerhand hiſtoriſche Reminiscenzen in den Ruſſen auffriſchen dürfte , indem hier einſt ( 1611 ) der Czar Waſyl Szuisfi und deſſen Brüder Dymitr und Jwan in Gefangenſchaft ge reſſen und auch verſtorben ſeien.

Der Feldmarſchall,

der dies nicht

wußte, befahl mir, ſofort hierüber das Bezügliche zuſammen zu

ſtel

len und ſprach, nachdem er ſich mit dem Gegenſtand vertraut gemacht, oft von den wechſelvollen Schickſalen der Dynaſtien und fügte hinzu, daß er die ältere Geſchichte Rußlands und Polens ſpäter noch gründ lich durchnehmen wolle; - es wäre zu bedauern , daß unſere Hiſto rifer dieſe ſo wichtige Periode für die politiſche Herſtellung des nord öſtlichen Europas ſo gänzlich vernachläſſigt. Als ich hierzu bemerkte, daß die Kriegsgeſchichte hierbei eine ſehr reiche Ausbeute verſpreche, entgegnete er ſchnell: das überlaſſe ich Anderen , ich werde mich be gnügen, die politiſche Geſtaltung zu ſtudiren und mir die Heroen die ſer Zeit, die ſich Seitens der Schweden , Ruſſen , Polen und Lithauer hier getummelt, genauer anſehen. Der Feldmarſchall ſprach nur ſelten über Strategie, Taktik und auch nur ab und zu über Kriegsgeſchichte und was ſonſt den Appa rat unſerer gelehrten Militairs bildet , - ich glaube fogar, daß er darin auch nur wenig eingehende Studien gemacht . Theorie und Ideologie abhold.

Er war aller

Bei einer Gelegenheit ,

als er von

144

der Schlacht bei Brienne

ſprach ,

äußerte

er ſich

über den Plan

Schwarzenbergs, über Langres in Frankreich einzudringen ; aber, fügte er hinzu , es fişelte die Herren Strategen von dorther in die Nordſee

und

in das

Mittelländiſche Meer

pinkeln zu

fönnen . -

Auch mit Tol hatte er bei dieſer Gelegenheit einen Konflikt. Dieſer nämlich wollte bei Diskuſſion über Benutzung des Terrains für die Operationen der großen Armee auf die Geſtaltung deſſelben ein zu großes Gewicht legen und ſtellte entſchieden die Behauptung auf, dab, wer die Höhen hätte , auch die Thäler beherrſche. Gneiſenau dage gen war der Anſicht, daß die Herrſchaft der Thäler auch die der Höhen bedinge .

Hierüber geriethen die Herren in eine Differenz der

Meinung, die eine gewiſſe Gereiztheit bei beiden zurück ließ. Ich beſite das Eremplar des Jomini *) aus ſeiner Bibliothet; in dieſem ſind nur die Schlachten von Caſtiglione und Rivoli aufge Jedenfalls hat er dem Studium der Charaktere großer Män ner, der Geſchichte der Entwickelung des Menſchengeſchlechts und ein zelner Staaten ſehr ſorgfältig obgelegen , aber immer war er doch hierbei bei einzelnen beſonders wichtigen Erſcheinungen ſtehen ge blieben . ſchnitten .

Ich glaube , daß der Feldmarſchau , was Gewandtheit des Geis ftes betraf,

die Verhältniſſe zu erkennen ,

die Geſinnung des Tages

zu errathen, die Ereigniſſe von ihrer praktiſchen Seite her zu erfaſſen und ſie dann mit Energie zu behandeln , den hervorragendſten Gene : rals aller Zeiten verglichen werden kann . Mag mitunter , wie ſeine Gegner ſagen, etwas leichter Sinn in ſeinen Anſchauungen und Maß nahmen gelegen haben - er hat troudem die Aufgabe ſeines Lebens glüdlich gelöſt und es lebt ſein Name in Verbindung mit den Trium phen einer großen Zeit. - Mir iſt ſelten Jemand begegnet, der eine ſolche éloquence anecdotique , die vorzugsweiſe das Hiſtoriſche

wie es die Franzoſen nennen , und betraf , beſeſſen hätte. General

v . Clauſewitz , mit dem ich einſt nach des Feldmarſchalls Tode hier : über ſprach, meinte , daß er die verſchiedenen Epochen der Geſchichte, gewiſſermaßen in Pointen , wie er ſich ausdrückte , inne gehabt und ſich dann vermittelſt derſelben zurecht gefunden und orientirt habe. Es war natürlich, daß die Gegenwart und was ihr ſeit etwa 30 Jah ren vorangegangen , ich möchte ſagen wie aus einem Guſſe, vor dem Feldmarſchall ſtand, da war nichts, was er nicht flar gefast und

* ) iſt jetzt im Beſitz der Königlichen Bibliothek.

145

verſtanden und bis in die geringſten Details gekannt.

Daß er ſich

hierüber gewiß oft klar und deutlich ausgeſprochen, beſonders unmit telbar nach dem Kriege, iſt gewiß keinem Zweifel unterworfen und dies mag wohl Veranlaſſung geweſen ſein , daß er hier und dort ver fannt worden . Ich habe , als ich bald nachher mit General v . Clauſewitz in der Quarantaine zuſammen war, verſucht, auf die Urſache der Miß ſtimmung zwiſchen dem Feldmarſchall und ſeinen Gegnern in Berlin zu kommen, habe aber nie etwas erfahren können. Am Tage, als der Feldmarſchall geſtorben, begleitete ich General v . Clauſewit aus der Wohnung des Generals v . Röder in das Hotel de Vienne. ,, Was wird man in Berlin zu des Feldmarſchatts Tode meinen ?" ſagte ich eigentlich ganz abſichtslos. „ Nun ," ſagte der General , „ da wird man ſich bald getröſtet haben, die Rolle, weldje er in England geſpielt, iſt ihm niemals verziehen worden . " - Der Feldmarſchall ſelbſt gedachte wohl bisweilen ſeines Aufenthalts dort, aber erwähnte nur, daß ihm der Brinz - Regent einen ſchönen Pelz verehrt , der ihm bei ſeiner Ueber fahrt nach dem Kontinent herrliche Dienſte geleiſtet. Hinterher hörte ich in Berlin, ich glaube von General von Rühle, daß Gneiſenau mit dem genannten hohen Herrn viele und wichtige Unterhandlungen ge pflogen, welche jedoch zu keinem Reſultate geführt und ſchließlich mit einer nie ausgeglichenen bitteren Verſtimmung geendet hätten. Was Sein perſön daran Wahres , wird wohl niemals bekannt werden.

licher Adjutant während des Krieges,

der ſpätere Direktor des Jit

validen - Departements , General v. Stoſch, Wirkſamkeit des Feldmarſchals nichts.

wußte über die frühere

Wenn es wahr iſt, was Griechiſche Philoſophen behaupten, daß ſich die Seele den Körper baue, ſo hatte der Feldmarſchall eine edle Seele, denn er war ein ſtattlicher Herr, eine wahrhaft männliche Ge ſtalt von imponirendem Reußern und einem lebhaften ſchönen Auge. Unter den Marſchällen , die ich in meinem Leben geſehen , überragte er hinſichtlich der äußeren Erſcheinung alle : Soult, Maſſena, St. Cyr, Victor, Ney, Lefebre, Suchet, Baskewitſch, Diebitſch 2c. Es iſt wahr ſcheinlich , daß mancher von dieſen in einzelnen Disciplinen mehr zu leiſten im Stande geweſen wäre , als der Feldmarſchall, aber in ſei ner Totalität aufgefaßt , übertrifft er ſie Alle an Seelen - Adel und Größe des Geiſtes. Er hat unbedingt eins der ſchönſten Probleme gelöſt.

Bon zweiter Stelle aus eine aus mehreren Nationen zuſam

mengeſetzte Armee, an deren Spitzen ſehr renitente Generale ſtanden , 10

146

unter den ſchwierigſten Verhältniſſen zur Einheit verbunden und zum Siege vereint gehalten zu haben , jetzt eine hohe Begabung, eine große Umſicht und eben ſo viel Menſchenkenntniß als Taft in Be handlung der Menſchen voraus. Ohne Blücher irgend wie Unrecht thun zu wollen, darf man behaupten , daß der damalige Chef ſeines Sta : bes die cheville ouvrière des Heeres war. Alle Welt wußte dies, erkannte dies an , ohne daß Blüchers Autorität - hierdurch gelitten hätte . Die fühnſten Pläne Gneiſenaus fanden in Blücher ſtets ihren Wiederhall und was mehr iſt, ihren Vertreter. Der milde Eruſt aber und die Würde Gneiſenaus wirkte , wie eine Macht, auf alle, die in ſeine Nähe kamen , und trug ſchließlich über das oft mehr als ſdhwierige Benehmen York's , Langeron's und Sacen's den Sieg da von . Was ich hier von dem Dabingeſchiedenen mit vielleicht etwas zit großer Breite geſagt, dürfte dazu beitragen, ſeine letten Tage zu beleuchten und ihn, der eine große Zeit repräſentirte, in die Erinne rung aller Soldaten und Staatsmänner zurückzurufen. Mir iſt da bei Cicero's „ fac imagines quibus pulsentur animi “ gegenwärtig geweſen.

Die Leiche des Feldmarſchalls ward durch den Dr. Krajewski einbalſamirt und ſtand bis zur Beiſeķung in einem kleinen Pavillon im Garten . Am 26. , am Jahrestage der Schlacht an der Ratbach, Morgens um 5 Uhr geleiteten wir ſie auf den Kirchhof St. Martin ; es war Niemand 311gegen als der Erzbiſdhof, das Gefolge des Mar dalls und eine kleine Anzahl Freunde und Verehrer . An den Tho ren des Friedhofes waren die Berſe aus dem Buche Hiob , Kapitel 19, Vers 25 und 26 in Polniſcher Sprache verzeichnet.

Ich hatte

ſie furz vorher dem Feldmarſchall überſetzen müſſen . Es ſind diejel ben, ſagte er zu mir, die am Kirchhofe Père la chaise ſtehen . Die Poſener Zeitung vom 27. Auguſt Nr. 198 giebt die Be ſchreibung der Veijetzung der Leiche, bis ſie nach ſeinem führt werden konnte. *)

Gute abge:

Das Herz, welches eigens präparirt und in

*) Poien , den 26. Auguſt. Nur eine Stimmung beiecite heute alle edelge ſinnten Bewohner unſerer Stadt , die der tiefſten , lanterſten Trauer. Sie galt der prunflojen Beſtattung der irdiſden Hille Sr. Ercellenz des ģerrn General Feldmarſchalls (Grafen v. Cucijenau , zur ewigen Ruhe, Ihm dem traucien Diener ſeines Monarchen , dem Helden des Vaterlandes, deſſen Şerz der ſchönſte

147

eine metaline Rapſel gelegt worden war , Umgebung, in einem

trugen wir ,

ſeine nähere

hölzernen Raſten am 27. Abends, um

auf denſelben Kirchhof zur einſtweiligen Beiſetzung.

10 Uhr,

General v. Clau

Schmud, unübertreffliche Menſchenliebe , auszeichnete, die der Höchſte wie der Nies drigſte gleich erkannte und innig verehrte. Zur einſtweiligen Beiſeßung der balſamirten Leiche des Verklärten hatte Se. Ercellenz der kommandirende Herr General des fünften Armee - Korp8, General der Kavallerie, v. Röder , hinter der hieſigen Garniſonkirche , von den Friedhöfen der verſchiedenen Konfeſſionen umgeben , eine beſonders von geiſtlicher Hand geweihte Redoute der proviſoriſchen Befeſtigung von Poſen beſtimmt. In ihrer Mitte war zwiſchen zwei mit Geſchüßen beſetzten Appareillen die gemauerte Gruft über der Erde unter Leitung des Herrn Hauptmann und Bau - Direktor des gedachten Ge neral-Kommandos , Köppen, erbaut, und mit Feſtons und jungen Eichen umgeben worden . In Folge einer zwiſchen Sr. Ercellenz dem kommandirenden Herrn General , dem Herrn Ober - Präſidenten des Großherzogthums, Flottwell, Herrn General- Major v . Clauſewitz , als Chef des Generalſtabes vom Oberkommando der vier öſtlichen Armee - Korps , dem General - Arzt des fünften Armee - Korp8, Herrn Dr. Stwiđardt, und dem Herrn Regierungsrath Dr. b. Gumpert ſtattge habten Konferenz , wurde die Beiſetzung der Leiche Sr. Excellenz des Herrn Ges neral - Feldmarſchalls, unter Verildſichtigung der gegenwärtigen , fo traurigen Zeit verhältniffe, in folgender Art vollzogen : Das Unwohlſein Sr. Excellenz des kommandirenden Herrn Generals verhin derte ihn, den älteſten Waffengefährten des Verewigten, Demſelben die legte Ehre zu erweiſen. Auf ſeinen Befehl empfing ein Kommando von 1 Offizier und 60 Mann vom 33. Infanterie- Regiment unter den itblichen Honneurs die Leiche früh um 5 Uhr beim Trauerhauſe, am Gedächtniſtage der durch Mitwirkung des Ver ewigten ſo glorreich gewordenen Schlacht an der Satzbach. Den Sarg zierten die militairiſchen Ehrenzeichen, ſämmtliche Orden des Seligen, ſein Wappen, eine einfache Inſchrift und ein aus liebevoller Hochachtung geflochtener Lorbeerfranz. – Der mit ſechs Pferden beſpannte Leichenwagen , geführt von dem zweiten Herrn Kommandanten von Poſen, und begleitet von 16 Unteroffizieren der hieſigen Gar- . nijon , eröffnete den Zug ; zunächſt folgte die Bedienung des hohen Verewigten, oben gedachtes Kommando und die hier anweſenden Leidtragenden Sr. Excellenz des Herrn General- Feldmarſchalls: deſſen älteſter, ihm als Adjutant beigegebener Sohn, Premier- Lieutenant im Garde-Küraſſier -Regiment, Herr Graf v . Gneiſenau, der Oberſt und Kommandeur des 6. Infanterie- Regiments, Herr v . Sommerfeld, der Lieutenant in demſelben Regiment, Herr v . Skal ; außer dieſen der General Major und Inſpekteur der 2. Artillerie - Inſpektion , Herr v. Clauſewitz , als viels jähriger, vertrauter Freund des Seligen, wie deſſen nächſte Umgebungen vom Of fizierſtande und Feldjäger -Korps, ſämmtlich zu Wagen. Die freiwillige, zahlreiche Begleitung dieſes Trauerzuges von den hieſigen Bewohnern aus allen Ständen ſprach rithrend die tiefſte Verehrung und Liebe aus, womit ganz Preußen den hohen Verdienſten des Verewigten huldigt. Auf dem Kanoncnplay empfing dieſen , jedes edle Herz tief bewegenden Zug die ſämmts liche Garniſon von Poſen unter dem Kommando Sr. Excellenz des Herrn Genes 10 *

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ſewiß war, was wir Alle im höchſten Grade bedauerten, hierbei nicht zugegen , - er war in einer Soiree bei Frau v . Röder , welche die meiſten von uns ausgeſchlagen hatten . In Boſen iſt das Gerücht verbreitet, der Feldmarſchall ſei im Kernwert beigeſeßt. Ein großes in Moſait ausgeführtes eiſernes Kreuz in der Contreescarpe mag zu dieſer Sage Veranlaſſung gege ben haben. Der Feldmarſchau war Katholit , wohnte aber dem Gottesdienſte nur am

Geburtstage des Rönigs ,

Hochamt ſtattfand, bei. Als ich ſpäter nach langen

wenn ein feierlides

Jahren Kommandant von Poſen war

und den Kirchhof beſuchte, wo er beigeſegt worden war, fand ich hier den Domherrn ** , der in einem innigen Verhältniß mit dem Grz biſchof Dunin geſtanden und wahrſcheinlich viel mit dieſem über den Feldmarſchall geſprochen hatte. Ich erwähnte des Entſchlafenen und gedachte ſeiner aus ganzer Seele , mit unverminderter Ehrfurcht und Anhänglichkeit. Ja , jagte der Domherr zu mir , ich gebe Ihnen alles 311 , was Sie mir ſagen, aber in Bezug auf ſeinen Glauben muß ich doch Zwei fel hegen und was Sueton vom Tiber ſagt, auch auf ihn anwenden : Circa deos ac religiones negligentior, quippe addictus mathe maticae plenusque persuasionis, cuncta fato agi . * ) ral - Lieutenants und Diviſion8 - Kommandeurs v. Both mit ihren militairiſchen Ehrenbezeugungen. Am Eingange in den Friedhof erwartete der Herr Erzbiidoj von Pojen und Gnejen v . Dunin mit der katholiſchen Geiſtlichfeit, der øerr Ober Präſident Flottwell und die höheren Beamten aller Civilbehörden die ſterbliche Hiille dicjes großen Mannes. Inter Chorgeiang gelangte dieſelbe bis an ihre ger weihte Ruheſtätte. Nachdem Sc . Ercellenz der verewigte Herr General Feldmar ſchall in die Gruft niedergelaſſen worden war , wurde der erhebende Chorgciarg abermals angeſtimmt. Der Herr Erzbiſchof ſprach den Segen ilber den Veretig ten , während ſelbſt die Natur in tiefe Trauer gehüllt war. Die feierlichſte Stille der Andacht unterbrachen nur die Zeichen des underkennbar tiefſten Schmerze: aller Anweſenden ilber den unerjeplichen Verluſt des erhabenen Helden, dos edel. ſten Wohlthäters und Freundes der Menſchheit. Die firchliche Todesſcier zum Gedächtniß deſſelben wird am 27. d. M. hier im Dom durch den Herrn Erzbiſchof v . Dunin begangen werden. *) Sueton. Tiberius. Cap . 69.

-

Siebenter Abſchnitt. 1831-1832 . Die Quarantaine in Robylepole bei Poſen. – Eintreffen der Nagrict der Einnahme von Warſau und Rüdleýr nach Poſen. — commandirung zum General von Zepelin. -- Meine Der Uebertritt der Polen Thätigleit an der Grenze. - Ankunft des Generals v. Aneſebed . auf das preußiſche Gebiet. Beſuch beim Fürften Pastewitd . - Ankunft des General Meine Sendung ins ruſſide v. kraft aus Königsberg und ſeine Uebernahme der Geſơäfte. Hauptquartier. Verhandlungen mit General v. Pahlen. . Rüdteộr nad Thorn , nadi Poſen . Auflöſung des Ober-Hommando's. Verabſchiebung des Generals v. Nöder und Ernennung des Generals v. Grollmann zum lommandirenden General des V. Armee-korps. — Rüdlebr nad Berlin . Kommandirung nad Danzig, Elbing und Gegenb. Verhandlungen mit den Polen. Abmarſch • derſelben nad Polen, Rußland, - nad Frankreich. – Einige Details zur Charakteriſirung der damaligen Verhältniſſe.

Am m 28. ging Rittmeiſter Graf Gneiſenau nach Berlin ab, um

die Dekorationen ſeines heimgegangenen Vaters dem Könige zu über bringen . Das Hauptquartier erhielt den 20. die Weiſung nach ab gehaltener Quarantaine nach Glogau zu überſiedeln . Dieſe ſelbſt ward in Kobylepole bei Poſen ſchnell eingerichtet und wir gingen auch alsbald dahin ab.

Wir waren dort recht ſchlecht untergebracht, was

mir um ſo unangenehmer war, als ich noch immer ſehr an der Her ſtellung von der Cholera laborirte. Die ſtarken Mittel gegen das Uebel ſelbſt hatten mich gewaltig angegriffen und noch mehr geſchwächt. Mein ganzes Nervenſyſtem war im höchſten Grade erſchüttert. Na mentlich litt ich an Schlafloſigkeit. Mir war zur Lagerſtätte ein Platz in einem Gelaſſe unter dem Dache angewieſen , der wenig be : haglich war. nicht anders.

Aber die Beſchränktheit der Lokale ſelbſt erlaubte es Der General Clauſewiß hatte verlangt, daß unſer

150

Quartier des Beiſpiels wegen ganz von dem Verkehr abgeſchloſſen ſei ohne Rückſicht auf perſönliche Bequemlichkeit. Das Gebäude war daher mit einem Graben und Palliſaden umgeben . Der Herr des Orts , ein Graf M ....... , war vor ganz kurzer Zeit erſt von der Armee zurückgekommen. Ich ließ ihn erſuchen , mir unter Beobach tung der herkömmlichen Vorſichtsmaßregeln einige Minuten zu

iden

ken und hierbei trafen wir die Verabredung , uns täglich wieder zu ſehen und ein Stündchen zu unterhalten.

Da erfuhr ich denn Man

ches über die inneren Verhältniſſe der polniſchen Armee , über das Treiben der Generäle und über die militairiſchen Operationen der beiderſeitigen Heere.

So ſchwierig nun auch unſere Unterhaltung ſein

mochte, ſo war ſie mir doch eine angenehme Zerſtreuung, zumal ich leider nicht von der guten Bibliothek des Grafen Nußen ziehen fonnte.

Von der ruſſiſchen Arinee blieben wir faſt ohne Nachrichten.

Unſer Leben führten wir jeder nach gewohnter Art und Weiſe . wir jedoch die Diener bei den Pferden gelaſſen hatten , und dieſe anderweitig untergebracht waren , ſo mußten wir uns mancher ſchränkung

unterwerfen .

Bei Tiſche ſaben

wir uns aber nach

wohnter Weiſe und hier ward meiſtens lebhaft diskutirt .

Be ge

Sehr häufig

wurden Gegenſtände aus der jüngſten Vergangenheit , öfters allgemein wiſſenſchaftliche behandelt. Ich entſinne mich, daß General v. Clau ſewiß und Lieutenant v . Birch über Harmonie und Melodie in einen lebhaften Disput geriethen , wobei General v . Clauſewitz ſchließlich auf mein Urtheil recurrirte. Da ich Lieutenant v. Birch beipflichtete, ſo mußte ich es mit übernehmen , den Streit auszufechten , worüber wir lange debattirten , ohne, wie ſich von ſelbſt verſteht, einig zu werden . Aber ich bemerkte wohl, daß dem General meine Argumen tation nicht recht geweſen , er war am anderen Tage ſtill und reſervirt, was ſich natürlich den anderen Mitgliedern der Geſellſchaft mittheilte. Glücklicher Weiſe ſtellte ſich ſchon am folgenden Tage die frühere Stimmung wieder ein, doch ſehnten wir uns alle nach Erlö ſung aus unſerm Gewahrſam .

Die Nachricht, daß das Hauptquar

tier nach Glogau verlegt werden ſolle , fam uns ſehr erwünſcht uns alten war Poſen unangenehm geworden. So ſchleppten wir img bis zum 8. September unter Hoffen und barren . An dieſem Tage hatten wir lange mit einander geplaudert, indem wir zugleich in dem engen uns angewieſenen Raume auf und abgingen. Wir waren durch einige beunruhigende Gerüchte über die rujliſche Armee, welche die Polen verbreitet hatten, alarmirt worden und madyten und

151

allerhand Sorge über das, was ſich noch Aves ereignen fönnte. Ich entfernte mich zuerſt, um die Ruhe auf meinem Lager zu ſuchen , da ich mich noch immer angegriffen fühlte. Ich ſchlief ſchnell ein , er wachte aber um etwa 1 Uhr von einem Geräuſch, das ich von der Treppe her hörte, zugleich gewahrte ich auch General v . Clauſe witz mit einem Lichte in der Hand , der ſchnell vor mein Lager trat und freudig bewegt rief: „ Stehen Sie auf, Brandt , Warſchau iſt über – wir gehen morgen früh nach Poſen zurück ! " Aufſtehen und in meine Kleider eilen war ein Moment; bald darauf waren wir alle im Büreau verſammelt , treffenden Befehle ging .

wo es ſofort an ein Erpediren der be

Vormittags

ſchon

waren Alle

wieder

Poſen, wo wir unſere früheren Wohnungen wieder einnahmen. ſchrieb von dort ſofort an den Fürſten Sulkowski,

einen

in Ich

geneigten

vieljährigen Freund und Gönner, der trotz aller Aufforderungen und Bemühungen, ihn zur Theilnahme an der Revolution zu verleiten, in ſeiner Treue nicht gewankt, um ihm den Fall Warſchau's mitzutheilen. Geld mag ihm die Sache freilich genug gekoſtet haben , denn wie hätte er ſich den tauſend Forderungen zum Geben entziehen mögen, aber er hatte ſchon 1813 ſo traurige Erfahrungen gemacht! Vor zugsweiſe mochten ihn auch wohl einige der Leiter der Warſchauer Bewegungen , wie frufowiedi und Andere, die ihm einſt ſo wehe gethan und ſeine edelſten Abſichten faſt zum

Verrathe geſtempelt hat

ten, vermocht haben, ſeine weiſe Mäßigung zu bewahren. Ich theilte ihm Alles mit, was wir über den Fall Warſchau's erfuhren . Die Cholera hatte einſtweilen in Poſen nicht nachgelaſſen und forderte noch manches Opfer. Sie hatte ſich auch in der Umgegend verbreitet und war namentlich den Waſſerzügen , Sümpfen und Nie derungen gefolgt , hier und dort war ſie ſporadiſch , an anderen Orten

epidemiſch

aufgetreten

und

hatte

überall reichliche

Erndte

gehalten. Wenngleich die Nachrichten von Warſchau her nur ſpärlich ein liefen , ſo ließ ſich doch aus dem , was ſich zunächſt nach der Rapitu lation

zutrug ,

mit

einiger Sicherheit ſchließen ,

daß

die preußiſche

Grenze, wenn die Polen ſich auf das rechte Weichſelufer würfen, in fultirt, vielleicht ſogar der Schauplatz kriegeriſcher Ereigniſſe werden dürfte.

Es kam daher Alles darauf an , ſich in eine Verfaſſung zu

jeßen, die Grenze gegen einzelne Parteien zu ſchüßen und dabei 311 gleich in der Art vorbereitet zu ſein , um ſchnell eine Anzahl

Trup

pen bei der Hand zu haben und größeren Ereigniſſen entgegen treten

152

zu können .

Zugleich mußte man Truppen disponibel behalten ,

einzelne Diſtrikte gegen die Cholera zu ſchützen.

um

Das plößliche Auj

treten derſelben hier und dort , die vielen Todesfälle, welche man in einzelnen Gegenden zu beklagen hatte , dabei das Geſpenſtiſche dieſer unheimlichen Krankheit, deren Weſen man noch lange nicht erkannt, erfüllte

alle

Welt

mit

Entſetzen und

brachte

ſelbſt

brave

Leute,

die hundertmal iin Kartätſchenhagel dem Tode getroịt , um Beſin nung und Muth . Ganze Garniſonen wurden von paniſchem Schreden ergriffen und es bedurfte aller Anſtrengungen der Offiziere, um Rube, Ordning und Disciplin aufrecht zu erhalten. Hin und wieder wur den

die mancherlei Trauerſcenen ,

welche man faſt ſtündlich erlebte,

durch lächerliche Scenen unterbrochen. So hatte eine Batrouille einer Cholera- Roinmiſſion einſt einen Betrunkenen auf der Straße gefunden, dieſen mal gré bon gré in ein Hospital gebracht und dort ſo lange frottirt und mit Krajewsfiſchen Eispillen traktirt, bis er ſich endlich ermannt und gegen die barmherzigen Brüder eine kräftige Offenſive ergriffen hatte. – Ein anderes Mal waren Gauner bei einem Geiz hals eingedrungen , hatten dieſen sub rubro, daß er von der Cholera befallen, angefangen zu frottiren und zu bürſten, ihn dann trot alles Disputirens in ein Bett gebracht und ihm nebenbei nicht allein Geld und Uhr, ſtohlen .

ſondern

auch

ſeine

Kleider bis

auf

das Hemde

ge

Um wie geſagt nicht durch die Ereigniſſe überraſcht zu werden , verſtärkte man die Truppen an der Grenze und die Garniſon von Thorn.

Die

Truppen des 3. Armee - Korps , die bis jetzt Brom

berg und Umgegend bejegt hielten, wurden gegen Thorn vorgeſchoben. Leider ward in dieſer Zeit der Generalſtabs -Offizier der Diviſion, Hauptmann v . Willijen abgerufen und es fam darauf an, dieſe Stelle wieder 311 beſetzen . Unglücklicher Weiſe fiel hierbei die Wahl auf mich und ſo mußte ich mich denn aufs Neue in das unheimliche Ge triebe der Unruhen ,

der Cholera und der Wirren begeben ,

welche

Kataſtrophen , wie wir einer ſolchen entgegen gingen , immer mit ſich bringen . Ich begab mich alſo am 13. September nach Thorn , wo ich den General v . Zepelin fand, der mit dem Ober - Rommando der Truppen an der Grenze betraut war. Er ſollte ſich lints mit den Truppen des 1. Armee - Rorps unter General v . Wittich und redits mit denen des 5. Armee - Norps, deren Vorhut General Wrangel be : fehligte , in Verbindung zen

ſicher

ſtellen.

Ich

jetzen hatte

und vor

allen Dingen

mich hier kaum

etwas

unſere (siren eingerichtet,

153

mich nothdürftig orientirt, als bereits Nachrichten einliefen, daß fich an den Grenzen allerhand Geſindel zeige, bewaffnet und unbewaffnet, daß Flüchtlinge überall die Grenze paſſirten, und daß man vom An zuge der beiderſeitigen Armeen ſpräche. So viel Wahrſcheinliches nun auch die erſten Mittheilungen haben mochten , ſo höchſt unwahr ſcheinlich ſchien deren zweiter Theil. faßt ſein.

Aber man mußte auf Alles ge

Wir erfuhren auch ſehr bald durch Mittheilungen flüchti

ger Leute , daß die Unterhandlungen zwiſchen Ruſſen und Polen ſich zerſchlagen, und daß die Ruſſen am 24. September ihre Operationen begonnen hätten.

Ich brach daher, nur von einem Diviſions- Schrei

ber begleitet, ſofort nach Straßburg (Brodnica) an der Drewenz auf. Aber ich hatte kaum einige Meilen zurückgelegt, als ich bereits auf Flüchtlinge, die weiß Gott wo über die Drewenz gekommen waren, ſtieß. nete.

Alles erſchien bunt durcheinander, Bewaffnete und Unbewaff Letztere klagten über Ungemach und Gewaltthätigkeiten, die ſie

von Bewaffneten jenſeits der Grenze, alſo von ihren eigenen Lands leuten erlitten .

Einige hatten beim Baſſiren der Drewenz Hab und

Gut eingebiißt, nichts als das Leben gerettet, man erzählte auch von vielen , die ertrunken waren .

Bei Elgiczewo traf ich acht Sojacken,

welche, durch ein polniſches Detachement verfolgt, durch die Drewenz geſchwommen waren und auf preußiſchem Gebiet Schuß ſuchten , eine Sache, die ich unglaublich finden würde, wenn ich ſie nicht ſelbſt erlebt,

ſie waren hier mit polniſchen Flüchtlingen in Zwiſt ge

rathen, dem ich durch meine Dazwiſchenkunft ein Ende machte. Je mehr ich mich Gollub näherte , deſto mehr wuchs dieſer Trubel ; der Ort ſelbſt war mit Flüchtlingen überfüllt .

Ich fand mit Mühe ein

Unterkommen bei einem Bürger, wo ich erträglich aufgehoben war. Mein Schreiber, ein Musketier March , heute . Rechnungsrath im Handels - Miniſterio und Geheimer Regiſtrator, ſchlief in demſelben Hauſe mit den Wirthsleuten in einem Nebenſtübchen , das von mei nem Zimmer nur durch den Ofen getrennt war, doch oben und unten mit demſelben Verbindung hatte . Nachdem ich dem Garniſon -Rommandanten meine Wahrifehmun gen und Rathſchläge mitgetheilt und noch einige Drdres expedirt hatte, begab ich mich gegen 11 Uhr zur Ruhe . Id mochte kaum einige Stunden geſchlafen haben , ſo vernahm ich ein heftiges Lamento aus dem Nebenzimmer. Er ſtirbt! er ſtirbt! rief man . einmal über das andere und zugleich vernahm ich ein ängſtliches Stöhnen und Wimmern . Der Sohn des Wirths, ein Seminariſt, der zu

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ſeinen Eltern gekommen ,

war nämlich in der Nacht an der Cholera

erkrankt und rang unter den bekannten Symptomen mit dem Tode. So waren wir denn wieder mit dem Feinde in Berührung, den wir mit ſo vieler Sorgfalt vermieden . So ſehr ich der Ruhe auch be durft hätte, ſo bewog mich doch das Klagen und Aechzen des jungen Menſchen , aufzuſtehen und einzupacken . jungen Mann nach Kräften beigeſtanden ,

Der brave Wirth , der dem half mir und beim

Strahl des Tages ſiedelten wir nach der Poſt über ,

erſten

um von dort

nach Straßburg abzureiſen. Die drei Meilen bis dahin boten ziem lich daſſelbe Bild dar, wie die vier von Thorn bis Gollub. Ueberall Flüchtlinge und, was ich mir nie habe erklären fönnen , auch Sofafen trupps, fünf bis acht Pferde ſtark, die behaupteten , zitr Ruſſiſchen Avantgarde zu gehören und mitunter über die Polen herfielen. verlor viel Zeit , um

einigermaßen die Ruhe herzuſtellen ,

was

mir

endlich nur mit Hülfe eines Trupps Preußiſcher Landwehr - Ulanen gelang, welche des Weges von Straßburg famen . In dieſem Ort fand ich anſcheinend mehr Ruhe, doch gab es auch hier ſchon Sce nen, welche andeuteten , daſ größere Ereigniſſe bald folgen würden . Der Landrath war ein Herr v. Wibidi , ein ſonſt einſichtsvoller Mann , der den Verhältniſſen aber nicht die Tragweite beizumejien ſchien, die ſie in furzer Zeit erreichen mußten . Ich gab indeſſen die Befehle, welde die Umſtände erheiſchten, ließ für die Truppen, deren Concentrirung ich dem General v . Zepelin vorgeſchlagen ,

Quartiere

in Bereitſchaft ſetzen, machte für denſelben ſelbſt Quartier, ließ Cofa litäten für Fourage und Mehl, für Cazarethe und Wachen vorberei : ten , that mithin Aucs , was für Sie baldige Anſammlung größerer Truppenmaſſen nöthig war.

Vor allen Dingen aber ſuchte ich mir

eine genaue Kenntniß von dem Gange der beiderſeitigen Operationen der Armee zu verſchaffen . Dies gelang mir auch der Art, daß ich ein genügendes Bild davon entwerfen und nach Poſen abſen den konnte. Die täglichen Nachrichten aber , die von den Armeen eingingen, machten es möglich, uns in Bereitſchaft zu jepen , um allen Eventualitäten

entgegen

treten

zu

können .

General

Zepelin ,

der

einſtweilen gleichfalls angekommen, billigte alle meine Maßregeln und nahm ſein Vauptquartier in Straßburg. Turch Neijende und Flüchtlinge gingen uns intereſſante Mittei (ungen aus Warſchau fowohl, als über die Polniſche Armee, die ſich über Jablonna nach Modlin zurückgezogen, zu . Namientlich erzählten uns in Warſchau anſäſſige Polen die Gräuelſcenen vom 15. Auguſt

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ganz in Ertenſo,

wonach ſich die Sachen weit grauſiger geſtalteten ,

als ſie die Zeitungen gegeben. Die Generale Hurtig und Jankowski, beides ein Baar Ehrenmänner, die ich perſönlich gekannt, ſowie eine Frau d. Baſhanow waren gehängt worden , die Herren Bukowski, Bentkowski hatte man aus den Fenſtern geſtürzt und maſſakrirt, ein gewiſſer Lubo ward in ſeinen Feſſeln gehängt ; Balon und die Polen Pietrykowski,

die Ruſſen Fentſch,

Vankiewicz und noch einige 20

andere wurden ermordet. Auch der Major Baron v . Kettler , ein ehemaliger Würtembergiſcher Offizier, der in Preußiſche Dienſte ge treten und dann nach Rußland gegangen und, irre ich nicht, gefangen worden , und den man in dieſer Nacht henkte, beiläufig erwähnt ein bildſchöner Mann, gehörte zu meinen Bekannten . Alles was die Re gierung that, um dieſe Gräuel zu beſtrafen, war , daß man vier von denen, die ſich bei dieſen Blutſcenen beſonders betheiligt, hängen ließ . Dieſe mochten freilich , als bei der That beſonders betheiligt , ihr Loos verdient haben, aber die intellectuellen Urheber derſelben, die in den Alubs

und

geheimen Geſellſchaften

die Sache eingefädelt und

dazu animirt hatten , blieben ungeſtraft. Hätte man alles, was man hier hörte, zuſammenſtellen wollen, man hätte ein vollkommenes aber feineswegs erfreuliches Bild von dem Getriebe der Parteien in War ſchau erhalten.

Die Armee und die Sendboten bei derſelben ,

die

jetzt in Modlin und in Zakroczyn ihr Lager aufgeſchlagen hatten, trie ben ihr altes Spiel fort . Hader , Eiferſüchteleien, wechſelſeitige Be ſchuldigungen und Auflagen waren an der Tagesordnung. Nichts deſto weniger ſchmeichelten ſich dieſe unruhigen Röpfe noch immer mit einer Wiederherſtellung Polens und die National-Zeitung, die in legt genanntem Orte erſchien, prangte mit dem bekannten „ Noch iſt Polen nicht verloren “, während alle Welt daran arbeitete, es zu verderben . Den 17. September war Generallieutenant v. Sneſebeck in Þo ſen angekommen, um das Ober - Kommando über die vier Armee Rorps zu übernehmen , ein umſichtiger, verſtändiger Herr,

ſchon aus

den Feldzügen 1806–7, 1813 und 1814 vortheilhaft bekannt.

Er

ließ Alles in der Art beſtehen , wie er die Sachen vorfand und die Offiziere kamen ihm mit Vertrauen entgegen ; nur einige der kom mandirenden Generäle, die lieber nach eigenem Gutdünken gehandelt hätten, empfingen ihn nur mit der ihrem Ehrfurcht.

General v. Röder ſagte mir,

Kommandirenden ſchuldigen als ich ihn rebus bene

peractis wiederſah und mich bei ihm meldete : „ Nun , das iſt ja Alles gut gegangen, wäre auch ohne General Kneſebeck gut abgelaufen , aber

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wir haben dazu dienen müſſen, ihm den ſchwarzen Adler auszubrüten !" Die Kommandirenden nämlich des erſten, dritten, fünften und ſechsten Korps hatten bereits alle den ſchwarzen Adlerorden. Nach den Nachrichten , die uns zugingen , fingen die Polen an, ſich in Modlin einzurichten , um den Widerſtand zu verlängern und es fehlte nicht an energiſchen, einſichtsvollen und entſchloſſenen Leuten, welche das Nöthige hierzu vorbereiteten, und wohl im Stande getre: ſen wären , den Krieg noch eine Zeit lang hinzuziehen . Die Send boten , die wie bereits geſagt, in Zakroczyn tagten, erließen von hier ihre Befehle, als ſei nichts vorgefallen , und ihr offizielles Blatt ge langte ſogar bis Straßburg . Der Abgang Skrzynedi's hatte die größte Desorganiſation herbeigeführt, die Generale die ihm gefolgt, Dembinski, Krukowieci und Malachowski, waren nicht im Stande ge weſen , Einklang herzuſtellen , - die ſpäter einander folgenden aber noch weit weniger. Die Uebergabe Warſchaus endlich hatte die größte Entinuthigung herbeigeführt. Die Verfolgung des Romarino'idhen Korps durd) Kaijarow und Rüdiger, ſowie der Uebertritt jenes Korps (am

15. und 16. September) nach Gallizien hatte das rechte Weich:

felufer von den Inſurgenten völlig befreit .

Es

fam

nur darauf an,

die Hauptarmee zu vernichten . Die Ruſſen zogen es jedoch vor, ebe ſie zu einer energiſchen Offenſive ſchritten , den Weg der Unterhand lungen nochmals zu verjud ) en . Auftrag. Polniſche Offiziere , Generalſtabes der Armee ,

General v . Berg erhielt hierzu den der General v . Lewinski, Chef des

die ſpäter übertrat und Oberſt Klemen

fowsti theilten mir hierüber Folgendes mit:

Nach mannigfachen Bes

ſchickungen und Konferenzen hatte General v. Berg eine neue Zujam menkunft mit General Morawsfi in Nowydwor verabredet . Alles ſchien eine günſtige Wendung nehmen zu wollen ; da gewahrt General v. Berg von ſeinem Sitze einen Kulichen Parlamentair von einigen Polniſchen Offizieren , die ſichtlich beſtürzt ſind, begleitet . Zuſtande der Dinge auf das allergenaueſte unterrichtet,

Von dem

kombinirt er

ſofort ſehr richtig , daß etwas von Bedeutung, und zwar Günſtiges für die Ruſjen , vorgefallen ſein müjje. Die Polen halten zwar den Offizier zurück , General v . Berg thut als merke er nichts, wird aber in ſeinen Zugeſtändniſjen zäher und erflärt ſich endlich für incompe: tent, auf die Vorſchläge der Polen weiter eingeben zu fönnen .

Nach

aufgehobener Sirung wird ihm der Difizier zugeführt, der ihm die Nachricht von dem Lebertritt des Romarino'ichen Rorps bringt, wo rauf er denn die Unterhandlungen abbricht.

Später wurden dieſelben

157

wieder aufgenommen , aber nur unter der Bedingung einer unbeding ten Unterwerfung der Polniſchen Armee, der Abſendung einer Depu tation , um den Kaiſer um Verzeihung zu bitten , Modlins 2c.

der Uebergabe

Durch die ſtündlich ankommenden Flüchtlinge von der Armee, Senatoren , Sendboten , Offiziere, Beamte , Gutsbeſiger zc. , die wie aus der Erde wuchjen und mit Umgehung aller Quarantaine urplöß lich erſchienen , erfuhren wir alles , was im Polniſchen Lager in 3a kroczyn, Modlin und Warſchau vorging.

Wir waren ſogar ſchon im

Beſit der bekannten Anklage des Generals Krukowieci Seitens des Generals Prondzynski vom 9. September, noch ehe ſie einmal im Fol niſchen Lager ſelbſt recht bekannt geworden .

Die Abjegung Mnbins

kis , die Ernennung Uminstis zum Obergeneral, der Marich nach Block, die Berathungen in Sluipno, die Flucht Uminskis, die Wieder wahl Rybinskis, die Flucht des Regierungs- Präſidenten Niemojemáfi, der ſich eine Zeit lang bei Oſiek aufhielt, und endlich alle Borboten der beginnenden völligen Auflöjung, blieben uns nichts unbekannt. So ftanden die Verhältniſſe in der letten Decade des Septem bers. Wenngleich wir gewohnt waren, die Ruſjen nur langſam vor rücken zu ſehen , jo ließ ſich doch annehmen , daß ſie endlid Ernſt machen

und verſuchen würden ,

den Krieg zu beendigen.

Da den

Bolen die Möglichkeit blieb, den Krieg auf das (inke Weichielufer zu verjeten und wir befürchten mußten , ſie entweder nach Weſtpreußen oder nach Boſen gedrängt zu ſehen , ſo mußte man bier und dort dar auf gefaßt ſein.

Die Entfernung von Pautenburg bis etwa Wilczyn

beträgt 25 , mit ihren Krümmungen 28 Meilen , von denen ziemlich 17-18 auf unſer Gebiet bis zur Weichiel, die es quer durdichnitt, fommen dürften. Die Trurren wurden denngemäß dertheilt, doch jo, um ídnell nach den enticheidenden Punkten hin vereinigt werden zu för Es wurden lebensmittel angefauit, Magazine angelegt, Caza

rethe eingerichtet,

Bivouafepläße bezeidnet , Holz und Sitob ange fahren , Vorſichtsmaßregeln gegen die Cholera getroffen , mit einem Worte nichts unterlaſſen, was die Verhältnine verlangen fennten . Straßburg füllte ſich unterdeñen täglich mehr mit Flüchtlingen aller Art. Wenn auch das Möglide geishah, die meiſten derselben ſofort zur Weiterreiſe zu beranlajien , jo verftedten fich doch jebe Dicle ſowohl in der nächſten Umgebung als in Straßburg iclfit und nur die Begüterten und mit Mitteln Berichenen ickten ihre Reise fort. – Die Lebensmittel wurden theurer , bier und dort enijiandaa Mribun

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gen , welche durch die Unverſchämtheit der Verkäufer herbeigeführt wurden ; es mußten bald die Wachen verſtärkt werden und Batrouillen durchzogen die Stadt, kurz es war eine Art Kriegszuſtand ohne Krieg. Von einer Imehaltung der Quarantaine - Beſtimmungen

war keine

Rede mehr , da die Krankheit an allen Orten ausgebrochen war, in Poſen, Thorn und Danzig herrſchte und nebenbei die Mittel fehlten , die Vorſchriften aufrecht zu erhalten.

Man hätte die Leute maſſen

haft erſchießen müſſen , wenn man den Gefeßen hätte Geltung der ſchaffen wollen , und auch das hätte bei dem gewaltigen wechſelnden Treiben nichts geholfent . Die Stellung des Generals hier war der wunderbarſten Art ſie war eine rein discretionaire, denn wie hätte man ihn für derglei chen Verhältniſſe mit Inſtruktionen und Mitteln ,

jolche auszuführen,

verſehen wollen ? Ohne geordnete Verpflegung und Magazine, mur auf den Bedarf deſſen beſchränkt, was durch Sandfuhren herbeigeichafft werden konnte, ohne umfaſſende Krankenanſtalten, die Armee nicht me bil , die Soldaten ohne Feldverpflegung, die Offiziere ohne Feldzu lage, dabei genöthigt, um jeden Thaler mit der Intendantur zu feil ſchen, die Civilverwaltung in Händen von Leuten , die Polniſcher Sym pathien mehr als verdächtig waren , und endlich noch außer Stande, die dringendſten Bedürfniſſe für Geld aufzutreiben. – Es wäre bun dertmal leichter geweſen im wirklichen Kriegszuſtande zu ſein , als jo zwiſchen Cholera und Unbequemlichkeiten jeder Art den Vellektäten dreier

Regierungen zu

genügen

und

verwilderter Menſchen vorbeizulaviren, Klippen und Sandbänke zu gerathen .

bei

der

turbulenten

Menge

ohne jeden Augenblick auf Unter täglich wechſelnden

Erwartungen, Gerüchten und Verhältniſſen aller Art waren die Polen endlich bis an die Grenze zurückgedrängt worden und lagerten bei Budy und Golfowo. Von hier ſchickten ſie Parlamentaire, um fid nach Preußen zurüdziehen zu dürfen . Zugleich gingen den Grenzbes hörden zwei Dokumente zu , die der Polniſche Generaliſſimus in Form eines Tagesbefehls und einer Deklaration vom

4. Oktober aus ſeinert

Hauptquartier Swiedzebno erlaſſen , die nachher in allen Zeitungen erſchienen . Ich habe ſpäter in einem kleinen Aufíaß das hierauf so zügliche zuſammengeſtellt und bemerke nur noch , daß die Ruſſen, nach: dem die Verhandlungen wegen

des Uebertritts bereits

abgeſdilcſieu

waren , durd ) ein plögliches Nachdrängen noch ein unnütes Gefedit herbeiführten, das in der Gegend bei Szczutowo einen gewiſſen Grad von Veſtigkeit gewann.

Ich ward abgeſandt, daſſelbe zu hemmen und

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mußte zu dieſem Behuf einen großen Theil der beiderſeitigen Schlacht linien durchfreuzen , ehe ich meinen Zwed erreichte.

Ich gerieth hier

bei in mannigfache ernſthafte Verlegenheiten und war als Friedens ſtifter vielfach der Gefahr ausgeſegt, verwundet oder erſchoſſen zu werden . Endlich fand ich einen Ruſſiſchen General, der mir in mei nen Bemühungen , dem Gefecht Einhalt zu thun , behülflich war und ſo brachten wir es denn endlich dahin , daß die Ruſjen nicht weiter vorrückten und die Polen gleichfalls ihr Feuer einſteliten . Ich muß hierbei noch ausdrüclich bemerken, daß, als ich mich bald hier bald dorthin Vegab ,

um Mißverſtändniſſe zu beſeitigen ,

ich einzelne Pol

niſche Regimenter traf , welche den Ruſſen entgegen rückten , um ſich ihnen zu ergeben, daß dies aber von den Kuſſen zurückgewieſen ward, worauf ſie ſich denn gleichfalls der Preußiſchen Grenze zuwandten . 9 Generals , 64 Stabsoffiziere, 368 Subaltern - Offiziere, 19,357 Mann mit 95 Geſchüßen ſtrecten die Waffen, ferner eine Offizier Rompagnie von 73 Offizieren , worunter 25 Stabsoffiziere . 5280 Kavallerie- und 2556 Artillerie - Pferde wurden in Beſchlag genommen. Mit Einſchluß der Truppen und Offiziere , die bei Gurzno , Gollub und Thorn übertraten , kommt deren Zahl gewiß auf einige 20,000 Mann mit über 2000 Offizieren oder ſolchen , welche den Offizier Rang hatten. So war denn endlich der Ruſſiſch - Polniſche Krieg beendet ; die Schwierigkeiten für die Ruſſiſche Armee waren beſeitigt, für uns aber ſollten ſie erſt beginnen und uns eine Menge Koſten, Verdrießlichkei ten und Verleumdungen aller Art verurſachen , die ſich noch Jahre lang hindurchſchleppten.

Die Sachen ſind jeħt vergeſſen ,

aber das

wird ewig wahr bleiben , daß ſich die Polen für die Gaſtfreundſchaft und Rückſicht, mit der die Preußiſche Regierung ſie aufgenommen, höchſt undankbar bewieſen haben .

Ich bin weit entfernt, dies Allen

vorwerfen zu wollen , aber man behauptet nicht zu viel , wenn man fagt, daß eine große Anzahl von Offizieren hierzu die Veranlaſſung geweſen und daß ſie es ſich zur Aufgabe geſtellt zu haben ſcheinen, die Soldaten, welche anfangs wohl wünſchten , nach der Heimat zurück zukehren, durch allerhand Machinationen hiervon abwendig zu machen. Jeder derſelben brachte ein Stückchen vom Polniſchen Szlachcic mit und das Cabaliren , Intriguiren begann hier ebenſo, wie früher auf den Reichstagen und neuerdings in Warſchau in den demokratiſchen Klubs, den Tummelpläßen der blindeſten Leidenſchaftlichkeit.

160

Beim Ueberſchreiten der Grenze legten die Soldaten die Mais fen nieder , den Offizieren ließ man die Degen 2. Durch einzelne Offiziere, die hierzu eigends beſtimmt waren , ſollten die verſchiedenen Abtheilungen in ihre Bivouafs geführt werden. Hierbei fam das Verſehen vor , daß ſich ein Offizier mit ſeiner Truppe verirrte und ſie nach der Stadt führte.

Dies

war

leider gerade

die Rolonne,

welche als ſtark inficirt von der Cholera bezeichnet war. Glüdlichers weiſe ward die Sache ſofort entdect, redreſſirt und hatte weiter feine Folgen . Der General v . Zepelin hielt es für angemeſſen, dem Fürſten Paskewitſch ſeinen Beſuch zu machen , um eventuell noch dies und jenes mit ihm zu beſprechen. Ich mußte ihn begleiten. Wir fanden den Fürſten in einem gewöhnlichen einſtöcfigen Gebäude ziemlich dürf: tig logirt. Er empfing uns ſehr freundlich, - den Arm trug er der Rontuſion wegen, welche er beim Sturm auf Warſchau erhalten hatte, noch in der Binde .

Er ſprach viel von der eben beendeten Kampagne,

fragte nach dieſem und jenem , nach dem Material, das die Polen abgeliefert , nach einigen bekannten Perſönlichkeiten 2 . Der Fürt hatte etwas Unruhiges in ſeinen Bewegungen , wackelte beim Sißen hin und her und hatte ſonſt nichts Bemerkenswerthes , weder in ſeinem Anzuge noch in ſeiner äußern Erſcheinung, Haare ſorgfältig geordnet hatte . wenn ich es ſo nennen

darf ,

als daß er ſeine

Sein Auge hatte etwas elegiſhes,

und die ganze Erſcheinung hatte eber

etwas von einem Doctor als von einem Kriegsmann. war er langſam und ſchien überhaupt ſehr präoccupirt.

Im Spredjen Er hatte die

Güite, uns zur Tafel einzuladen , an der etwa 13-14 Perſonen Theil nahmen.

Das Geſpräch drehte ſich vorzugsweiſe um die Europäiſchen

Angelegenheiten, ab imd zu fam es auf die eben beendete Kampagne, auf die Zuſtände in Warſchau. Der Feldmarſchall miſchte ſid tur ſelten in das Geſpräch und größtentheils nur frageweiſe, wenn ibu etwas intereſſirte oder ihm auffiel. Dann trat General v . Berg im mer als Interpret dafür auf und dieſes mit einer überraſchenden (bie wandtheit und Umſicht. Monsieur dit ça et ça, Monsieur assure und ſo machte er den Dolmetſcher und Erklärer in den verſchiedenen Sprachen .

Da General v . Zepelin nur wenig Franzöſiſch ſprac, fe

widmete er vorzugsweiſe dieſem ſeine Aufmerkſamkeit, wenn er mit dem Fürſten reden wollte . Bei Tiſche ward nur Champagner und zwar aus ſehr großen Gläſern getrunken.

General v . Zepelit, eint

Freimaurer und Meiſter vom Stuhl, brachte bei dieſer Gelegenheit

161

dem Fürſten einen Toaſt aus, den man klaſſiſch hätte nennen können , ſo geſchickt hatte er darin Wichtiges , Zeitgemäßes und Anſprechendes verflochten. General v. Berg übertrug denſelben ſofort ins Franzö ſiſche und überſeşte ebenſowohl auch die Antwort des Fürſten , aber nichts Bedeutendes enthielt. Während der Tafel ritt Aly , Offizier der Tſcherkeſſen , welche die Eskorte des Hauptquartiers deten, wiederholt am Fenſter vorüber. General v . Berg machte

die ein bil den

Fürſten darauf aufmerkſam und bei dieſer Gelegenheit erzählte mir mein Nachbar bei Tiſche folgende Geſchichte: Als die Ruſſen durch Lipno gingen , ſieht der Feldmarſchall den Ain , ſagt ſcherzweiſe zu ihm : nun diesmal Aly haſt Du mir keine Röpfe präſentiren können" und reitet ſeines Weges .

Aly aber hatte ſich dies nicht umſonſt ſa gen laſſen und ſtellt ſich bald darauf dem Fürſten mit drei Köpfen am Sattelknopf vor, die er , wie man ſagt, einigen Bewohnern der Umgegend hätte abſchneiden laſſen. Der Fürſt, hierüber im höchſten Grade indignirt, verbannte ihn fortan von ſeiner Tafel und ſoll ihn erſt lange nachher wieder zu Gnaden angenommen haben. - Wir kehrten erſt ſpät des Abends heim und hatten es wohl nur unſerem guten Glück zu danken , daß wir unterwegs nicht von Ruſſiſchen und Bolniſchen Marodeurs ausgeplündert wurden , was vielen Beamten und Offizieren begegnet war. Unmittelbar nachdem der Uebergang vollendet war, kam der fom mandirende General des erſten Armee - Korps , General - Lieutenant v. Kraft, aus Königsberg mit einigen Offizieren ſeines Stabes an, womit ſelbſtredend alle Geſchäfte an ihn übergingen. Nach den ihm zugegangenen Inſtruktionen ſollten die Bolen im Weichſeldelta und in der Gegend von Elbing untergebracht werden .

Major v . Dankbahr

vom Generalſtabe des General-Lieutenants v. Kraft entwarf die An ordnungen und leitete dies Geſchäft mit der größten Umſicht. Die Kolonnen wurden dem Marſchtableau gemäß in Bewegung geſeßt, während die politiſchen Unterhandlungen wegen der Amneſtie mit den Ruſſen begannen . General v . Kraft , einer der Helden von Denne witz, ein ruhiger, beſonnener Mann , ohne große Kenntniſſe, aber flar und richtig die Verhältniſſe würdigend, hatte ſehr wohl begriffen, daß es hier zur Beſeitigung der dringendſten Schwierigkeiten auf ein ra ſches und entſchiedenes Handeln ankomme. Als

der General v . Zepelin bald darauf nach Thorn abreiſte

und ich in Straßburg zurüdblieb , um die laufenden Geſchäfte abzu wickeln, ließ mich der General v . Kraft rufen und trug mir auf, zum 11

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Feldmarſchau Baskewitſch zu reiſen und mit ihm wegen einer Am neſtie zu ſprechen. Der General v . Kraft, der, wenn ich nicht irre, den Feldzug 1795 mitgemacht und Zeuge der Verwidelungen gewe ſen war , welche die Kapitulation von Radoszyce herbeigeführt hatte, wie ſpäter aus derſelben die Formation der Polniſchen Legionen in Italien hervorgegangen war , ſah ſehr wohl ein , daß es hier darauf ankam , einerſeits Preußen ſobald wie möglich von der Maſſe dieſer Leute zu befreien , als auch eine ſo große Menge alt gedienter Sol daten der Dispoſition der Franzoſen zu entziehen. Er ſetzte mir dies in einer kurzen Anſprache auseinander , forderte mich auf, mir die Sache ſelbſt klar zu machen und alsbald abzugehen, um dem Fürſten Paskewitſch die Geſichtspunkte, aus denen die ſeits die Sache betra tet wurde, auseinander zu ſetzen und ſo die Amneſtie als im Inter eſſe der Ruſſen zu motiviren . Ich reiſte auch alsbald ab, fand aber leider den Feldmarſchall nicht mehr in ſeinem Hauptquartier. Man ſagte mir, er ſei nach Petersburg unterwegs. Der General Bablen I. war zu deffen Stellvertreter ernannt worden . zu dieſem

und ward auch ſofort vorgelaſſen .

Ich begab mich alſo Ich hatte faum meines

Antrages erwähnt, ihn als eine amnestie pleine et entière bezeit net, als General Pahlen mir ziemlich aufgeregt erwiederte: „ Daraus kann nichts werden ! Was der General Kraft von Emigration dächte, wären Geſpenſter, vor denen man ſich nicht zu fürchten brauche. Man würde verſtehen, ſich gegen alle Konſequenzen ſolcher Vorausſegungen zu ſichern ." A18 ich ihm hierauf erwiederte, daß der Preußide ( ie neral ſeinen Schritt nicht allein als politiſch wichtig, ſondern auch als menſchlich betrachte, indem er ſo viel tauſend Peute nicht dem Gril und dem damit verknüpften Elend Preis gegeben ſehen möchte, das dem Ruſſiſchen Reiche jerner dadurch eine Menge Arbeiter entzogent würden , meinte der General Pahlen , daß die Polen alle Sympatbien für ſie im Ruſijchen Blute erſäuft hätten ( noyé ) und daß man dem Reiche nicht Elemente zurücfzugeben wünſchen könnte, die ſo entſchieden feindſelig gegen Rußland aufgetreten wären . Sie glauben nicht, fuhr der General fort, was es für Menſden, Geld und Aufopferungen jeder Art gefoftet, - Rußland hat zu viele, zu große Opfer gebracht, um durd einen romantiſchen Akt zu machen , daß das Blut ſeiner Kinder, der Ruhm ſeiner Armee (avoir jeté aux gémonies) unniit verſprigt und geopfert jei . Ercellenz, fügte ich hinzu, ich werde mich bemüibert, Ihre Worte ſo genau wie möglich meinem General wieder zu geben, aber ich habe noch den Befehl, ausdrüdlich zu erklären, daß ſich die

163

Preußiſche Regierung von allen und jeden Folgen dieſes Akts losjagt. Þiermit hatte meine Miſſion ein Ende. Der Ruſſiſche General war ſo rückſichtslos,

mich nicht mal zum Diner einzuladen ,

obwohl

ihm nicht unbekannt ſein konnte , daß weit und breit kein Biffen auf zutreiben war. Die Zukunft hat erwieſen ,

wie richtig der Breußiſche General

die Verhältniſſe gewürdigt und wie unpolitiſch das Benehmen des Generals v . Pahlen war. General v . Kraft gehörte keineswegs zu den auffallend begabten Generals der Preußiſchen Armee , Natur hatte

ihn mit einem

lungskraft begabt,

aber die

geſimden Verſtande und einer Beurthei

welche immer das Rechte zu finden wußte .

Er

war gewiſſermaßen ein Repräſentant der Schule , die man die ächt Preußiſche nennen kann , aus der die Führer in den Kämpfen von 1813–15 hervorgegangen – immer ruhig, beſonnen, klar im Rathe und Löwen im Kampfe. Nachdem ich heimgekehrt und dem ſtattet hatte ,

General meinen Bericht er

trat er auf den Balkon ſeines Hauſes,

zu erfriſchen und wäre hier beinahe erſchoſſen worden .

um ſich etwas Vor des Ge

nerals Hauſe nämlich war ein Schuppen, unter dem ein Marketender ſeine Bude aufgeſchlagen hatte.

Ein Bauer aus der Umgegend , der

weiß Gott auf welchem Wege ein Piſtol erlangt hatte , unterſuchte dieſes, ſowie er aus dem Schuppen heraustrat, und der General er zählte nachher, wie er ſich über die Aufmerkſamkeit, mit welcher der Bauer ſeine Acquiſition betrachtet, amüſirt habe.

Aber plötzlich geht

das Piſtol los und die Kugel fährt dicht an dem General vorüber in die Wand, einige Zoll näher und der tapfere Herr, welcher in ſo vielen Schlachten glücklich dem Tode entronnen, wäre hier ein Opfer deſſelben geworden . Nachdem die Waffen , Pferde und Armatur - Gegenſtände den Kuſſen übergeben worden waren , die Truppen ihre Quarantaine ab gehalten hatten und die Maßregeln für ihre Aufnahme

vorbereitet

waren , was Aves der Major v . Dantbahr mit einer muſterhaften Umſicht leitete, wurden die Truppen nach ihren Quartieren inſtradirt. Joh ſelbſt begab mich zum General v . Zepelin nach Thorn . Hier hatten ziemlich dieſelben

Scenen

ſtattgefunden ,

wie

in

Straßburg, nur im Kleinen. Es waren größtentheils Civil-Beamte, Senatoren, Sendboten und endlich der Treſor des Reichs, die Archive, die Staatsdruckerei 2c. hier übergetreten. Natürlich waren hiermit weniger Unordnungen verknüpft geweſen , als bei der Armee. Doch 11 *

164

waren weſentliche Formalitäten verabſäumt worden. So z. B. ma ren die Lokalitäten, in denen der Schaß aufbewahrt, nicht verſiegelt und die Beamten deſſelben gingen und kamen ad libitum . ſowohl dieſe Räumlichkeiten als die Archive verſiegeln,

Id ließ

darüber ein

Dokument aufnehmen und den Preußiſchen und Polniſchen Beamten übergeben, bis weitere Inſtruktionen aus Berlin eingehen würden. An andern Punkten hatte man andere Unterlaſſungs -Sünden be gangen .

An der Grenze Oſtpreußens waren die Original- Aufnahmen

des Königreichs deponirt worden, dieſe hatten hier 9 Monate lang ge ſtanden, ohne daß man daran gedacht hätte, ſie copiren zu laſſen . Die Truppen unter dem Befehl des Generals v . Zepelin wurs den allmählich anderweit verwandt. - Einige kehrten in ihre Garni ſonen zurück, andere wurden zu Cholera- Cordons benußt, noch andere blieben in Thorn. Der General ſelbſt verlegte ſein Hauptquartier nach Bromberg, ich aber fehrte nach Poſen zurück, wo ich von mei nem Chef , dem General v . Kneſebeck , ſehr gütig empfangen wurde und viel Freundliches über meine Leiſtungen hörte , was mir um ſo angenehmer war , als er ein kompetenter Richter in dergleichen Din gen war. Vald darauf ward das Ober -Hommando aufgelöſt und die Mits glieder deſſelben kehrten , je nachdem ſie die ihnen obliegenden Ange legenheiten abgewickelt hatten , in ihre Verhältniſſe zurüd. Ich mufte natürlich länger verweilen und war noch dort, als General v. Girol mann zum kommandirenden General ernannt ward und General v. Rö: der mithin in das Inactivitats - Verhältniß trat. Dies war für ibu ein Donnerſchlag. Ich darf wohl ohne Härte ſagen , daß er denſel ben mit wenig Würde ertrug. Ich entſinne inich einer Scene , die mich noch heute mit Wehmuth erfüllt. Den Polen , welche als Offi ziere der Preußiſchen Landwehr angehört hatten und ausgetreten waren , um den Feldzug gegen die Ruſſen mitzumachen umd auch ſpas ter nicht zurückgekehrt waren , wurde der Deſertions - Prozeß gemacht und deren Namen wurden , wie dies damals Gebrauch war , an dem Galgen geheftet. Da ich von dieſer Sache gehört und das regſte Intereſſe daran nahm ,

ſo wollte ich die Namen ſelbſt leſen und be :

gab mich eines Morgens früh perſönlich dahin .

Ich fand dort meb

rere Polen und auch den General v. Röder und zwar im Geſpräd) mit dieſen . „ Wäre ich noch Kommandeur," ſagte er zu dieſen , denen er einige näher fannte , „ ſo würde ich dieſe Infamie nie zuges geben haben , es iſt eine Entehrung für ſie und für uns.

Was ha

.

165

ben die Leute mehr gethan als wir 1813 und 1814 ? Wir mißbrau chen das Recht des Stärkeren in einer unwürdigen Art." - Ich kann wohl ſagen ,

daß mich die Aeußerung um ſo mehr empörte ,

als ich

dienſtlich wußte , daß er die ganze Maßregel eingeleitet und daß ſein Nachfolger ſie nur ausgeführt. Den armen Mann hat ſpäter das Schickſal ſtarf heimgeſucht und Fataliſten könnten glauben , daß es ihn , den es ſtets mit Liebe und Auszeichnung vor vielen Andern be handelt, für jene Aeußerung habe beſtrafen und demüthigen wollen . Die übergetretenen Polen fingen bald an , das Recht der Gaſt freundſchaft zu mißbrauchen. Wenngleich ſie verſprochen hatten , ſich ohne Genehmigung der Behörden nicht aus den ihnen angewieſenen Kantonnements zu entfernen , ſo hielten ſie doch nicht Wort, entzogen ſich der Aufſicht und trieben ſich in hellen Haufen und oft bewaffnet in Weßpreußen und im Poſenſchen umher , verübten viel Unfug und geriethen mit den Behörden in Konflikt. Dieſe ſahen ſich daher ge nöthigt, ernſtlich einzuſchreiten und ſo wurden denn von der Regie rung in Bromberg unterm 11. und 12. Oktober 1831 Beſtimmun gen erlaſſen, wodurch das Waffentragen begrenzt reſp. unterſagt, das Tragen der Montirungen beſchränkt, überhaupt die Verhältniſſe derer, welche mit Urlaub dorthin kommen durften, geregelt wurde . Dies war eine verſtändige Maßregel, denn es lagen von mehreren Seiten her Berichte vor, die eine baldige und ſtrenge Remedur der hierdurch herbeigeführten Uebelſtände dringend zur Pflicht machten . ſchen namentlich wünſchten

ſich

Die Deut

gegen die zahlreichen unerträglichen

Ueberhebungen der Polen geſchützt.

Nach Berlin heimgekehrt trat ich in meine frühere Stellung zu rück. Der König ſagte mir bei meiner Meldung, daß er mit meiner Wirkſamkeit ſehr zufrieden ſei. General v . Kneſebeck theilte mir mit, daß er mich dem Könige beſonders empfohlen

und daß dieſer ihm

verſprochen , mich nicht vergeſſen zu wollen. General v . Wißleben verſicherte mich ſehr warm , daß ich ganz ſeinen Erwartungen ent ſprochen und daß ich der Königlichen Gnade verſichert ſein könne. Das Kommando,

von dem ich zurückgekehrt ,

die ſtete Unruhe,

der Cholera - Anfall und die geiſtigen und körperlichen Anſtrengungen hatten meine Geſundheit ſtark angegriffen und ich mußte ärztliche Hülfe in Anſpruch nehmen , um mich einigermaßen wieder herzuſtellen .

166

Mein Arzt, Dr. Buſſe , brachte mich in wenigen Monaten ſo weit, daß ich wieder mit Appetit eſſen und trinken konnte und hoffen durfte, die üblen Folgen der Cholera überwunden zu haben. Das ſtrenge Regime, dem ich mich lange habe unterwerfen müſſen , hat für mich die gute Folge gehabt , daß mir die Mäßigkeit zur andern Nas tur geworden iſt und gewiß viel zur Erhaltung der körperlichen Küſtig keit beigetragen hat. Am 10. Dezember ließ mich General v. Wißleben zu ſich rufen . Die übergetretenen Polen , ſagte er zu mir bei meinem Eintreten , lobs nen uns unſere Gaſtfreundſchaft ſchlecht und treiben Unfug aller Art. Der König hat befohlen , daß Sie ſofort nach Danzig abgehen ſollen, um ſich dort mit Oberſt v. Canig zu beſprechen und bei der Wegſchaffung dieſer unbequemen Gäſte nach Kräften mitzuwirken . Die Generäle in Preußen haben bereits ihre Inſtruktionen ad hoc empfangen. Sie werden an Ort und Stelle das Weitere jehen . Ihrer Umſicht aber bleibt es überlaſſen, hierin den Umſtänden gemäß zu verfahren. Berichten Sie mir ſo oft wie Sie können . Reiſen Sie aber ſofort ab . Uebrigens brauchen Sie ſich nur bei Ihrem Chef zu melden . Ich rechne auf Ihre mir bekannte Thätigkeit und Umſicht. Þiermit war ich entlaſſen . — Am andern Tage ſaß ich in der Courier-Kaleſche. Oberſt v . Caniß empfing mich mit der ihm eigenen Freundlich feit , die gewöhnlich aber mit etwas Sarkasmus verſetzt war . Nun, ſagte er , wir haben die Brühe helfen einbrocken, es iſt billig, daß wir uns nun bei deren Ausſchöpfen auch betheiligen. Es wird uns hier gehen wie dem Hunde, der in ein Regelſpiel gerathen, wenn die Au gel eben einſchlägt. Nachdem

wir uns die Verhältniſſe, ſoweit wir ſie beide kannten , glaubten wir annehmen zu müſſen , daß es vor

auseinander gelegt ,

allen Dingen nöthig ſei, die Soldaten ſchleunigſt den ſchädlichen Ein flüſſen ihrer Offiziere zu entziehen , ſie ſelbſt in Kategorien , je nach: dem ſie kompromittirt oder nur verführt waren , zu theilen und ſie dann nach ertheilter Amneſtie nach Polen zurückzuſchiden , oder aber ins Ausland zit befördern . llin alles dies ins Werf zu ſetzen, bedurfte es einer angeſtreng ten Thätigteit und einer Uebereinkunft mit den Generals , welche die Kantonnements der Polen kommandirten , General v . Schmidt in Ma rienwerder und General v . Rommel in Elbing , beide wieder unter General- Lieutenant v . Hraft in Königsberg.

Ich begab mich zu den

167

beiden erſteren, welche ich beide im höchſten Grade erbittert gegen die Polen fand. Sie meinten , daß ſich dieſelben in einem Zuſtande kompletter Rebellion befänden, keinen Befehlen genügten und ganz in den Händen einiger Intriguanten ſeien, die Atles thäten , um die Rück kehr der Soldaten nach Polen zu hintertreiben und offen Ade terro riſirten , welche ſich für Annahme einer Amneſtie erklärt hätten .

In

Elbing hatte ich Gelegenheit, die Verzweigungen der geſponnenen In triguen genau kennen zu lernen . Aue liefen darauf hinaus, wo mög lich en corps formé nach Frankreich geſchickt zu werden und dort ſofort

wieder

in militairiſche Stellen

Kaum war ich angekommen ,

gleichen Ranges einzutreten .

ſo ward ich von allen Orten beſtürmt.

Alle wollten gehört und berücſichtigt ſein , der Eine wollte dies , der Andere jenes ; – Alle hatten Beſchwerden, Klagen , Wünſche, hegten Hoffnungen und Befürchtungen. Nur ſechs Ehrenmänner fand ich, die offen und beſtimmt ihre Erklärungen abgaben , den Oberſtlieute nant Schulß, den Rapitain erſter Klaſſe Starowolski, die Unter - Lieute nants Piotrowski, Netrebski, Jankowski und Beher , alle vom Inges nieur- ſtorps.

„ Wir wollen nicht nach Polen zurück, wir wollen auch

nicht nach Frankreich. Wir wollen in fremde Dienſte treten , womög lich nach Egypten und uns hier für fünftige Eventualitäten in unſerm Fache ausbilden . " Sie gehörten mit zu den Erften, denen ich Bäſſe zur Abreiſe ausfertigen ließ. Schultz verlor ſpäter bei dem Bom bardement von St. Jean d'Acre ein Bein und ſoll in Folge ſeiner Verwundung in Egypten geſtorben ſein . General Bem

( Böhm ) , den man als Repräſentanten des böſen

Prinzips in dieſer ganzen Sache betrachten kann , mehr wie entſchie den , frech und gemiſfenlos in Allem , was die Revolution betraf, Er gab mir mußte man vor allen Dingen zu entfernen trachten. ſelbſt hierzu bald eine gute Gelegenheit. Ich hatte ihn einiger Erceſje ſeiner Leute wegen zu mir bitten laſſen . Im Laufe des Geſprächs ſagte er zu mir , daß es ihm ſehr erwünſcht ſein würde , recht bald abreiſen zu dürfen . Als ich ihm hierauf erwiederte, daß dies wohl nicht ſein Ernſt ſei, verſicherte er auf ſein Ehrenwort, daß er lieber Nun , heute noch wie morgen ſich auf den Weg machen möchte. entgegnete ich ,

ich halte Sie beim Wort ,

Ihre Päſſe haben ,

um

ſofort abzureiſen.

Sie

ſollen morgen ſchon

Dies frappirte ihn ſtart,

aber ſich ſchnell faſſend , ſeşte er hinzu, jedoch unter der Bedingung, daß ich in Cüſtrin nicht feſtgehalten werde. Daß dies nicht geſchehen Dem General Bem wird, darauf gebe ich Shnen mein Ehrenwort.

168

(Böhm) blieb nun natürlich nichts weiter übrig ,

als ſich zu fügen.

Um ihn einigermaßen zu beruhigen, ſagte ich ihm noch, daß er ſeinen ganzen Stab mit ſich nehmen könne und daß ich die Mitglieder deſ ſelben hiervon ſofort benachrichtigen würde. Am andern Tage Nachmittags reiſte er denn auch mit ſeinen 4 Offizieren ab . Er wählte einen Moment, wo ich nicht zu Hauſe war, um mir „ Lebewohl " zu ſagen und ließ ein Blatt Papier zurüd , mit den Worten : Bem était chez vous pour dire ses adieux . Man war ſo der perſönlichen Einwirkungen dieſes ſchlauen und gewiſſenloſen Revolutionairs los, aber er hatte ſeine Nebe jo künſtlich gewoben und ausgeſonnen , ſeine Stellvertreter und ſeine Helfershelfer jo vorſichtig gewählt und vertheilt, daß trop ſeiner Abweſenheit die ungünſtigſten Einwirkungen noch lange Zeit faſt dieſelben blieben und überau Unruhen verurſachten und unterhielten. Durch diplomatiſche Unterhandlungen war man einſtweilen dahin überein gekommen , daß Rußland den Militairs aller Grade , die fich frei von der Schuld geheimer Umtriebe und

Felonie

fühlten ,

die

nur dem Impuls der Verhältniſſe gefolgt waren und in Waffen ge gen den Kaiſer geſtanden hatten , die Rüdehr nach Polen geſtatten wollte.

Eine Menge Generalsund Stabsoffiziere ,

unter ihnen die

Generale Malachowski, Lewinski, Warczinski, Suchoczewski, die Ober: ſten Chorzewski , Klemenzowski, Wilſon 2c. fanden ſich hierzu bereit. Ebenſo fanden ſich viele Soldaten, die ſich beeilten , dieſem Anerbieten zu folgen . Bei Straßburg gingen Mitte Dezember zwei Abtheilungen Sol daten , von 736 und 849 Mann , über die Grenze und wurden hier von dem

Ruſſiſchen Oberſten v . Seddeler übernommen .

Dieſer ließ

die Leute einen Kreis formiren, erklärte ihnen nochmals das Amineſtie: Dekret und ſtellte Jedem , der ſich vielleicht nach dieſer Erklärung noch gravirt fühlen fönnte anheim , zurüczukehren. Doch fand ſich Nie mand hierzu veranlaßt . Die meiſten von ihnen wurden von derſelben Stelle mit Verpflegung in die Heimath entlaſſen , Verwundete aber und alte Soldaten wurden Veteranen -Kompagnien attachirt. Dies war das , Mijjion

was der General v . Kraft bei meiner erſten

wohl beabſichtigt hatte und wohin man vielleicht bei einem

nähern Eingehen auf ſeinen Vorſchlag ſofort hätte gelangen förnen. Später hat man für die Soldaten und Unteroffiziere ziemlich die bai maligen Bedingungen des Generals angenommen und von der ºm neſtie nur die Schüler der Fähnrichs - Schule und die anerkannten Re

169

beúen und Rädelsführer, von denen die ganze Welt wußte, wie ſehr ſie kompromittirt waren, ausgenommen. In Berlin war man mit den von mir getroffenen Maßregeln ganz einverſtanden und der König ließ mir unterm 26. Dezember 1831 durch General v . Wißleben ſeine ganze Zufriedenheit bezeugen. Da Frankreich ſich erboten , die Offiziere aus der ehemaligen polniſchen Armee aufzunehmen , ſo traf ich auf höheren Befehl ſofort Veranſtaltungen, ſie ſo raſch wie möglich zu entfernen . Ich ernannte zu dieſem Zweck in den verſchiedenen Bezirken einige gewandte Offi ziere, welche ſich mit den Bezirks -Aufſehern, die General v . Kraft in den polniſchen Kantonnements eingeſegt hatte , in Verbindung ſetzen mußten, zu Kommiſſarien, ſette mich mit den Civilbehörden auf Grund eines Schreibens des General v. Wißleben vom 21. Dezember 1831 des Transports wegen in Verbindung und theilte den betreffenden Miniſterien hierüber das ſie Angehende mit. Aber das war den Herrn etwas ſo Neues, ja Unerwartetes, daß ich lange warten mußte, ehe mir von denſelben die gewünſchten Erlaſſe, ſoweit ſie die Unter ſtüßungen an Geld und die Transportmittel betrafen , zugingen. Als ich dieſe erhalten, ging ich rüſtig an's Werk und am 28. Dezem ber konnte ich ſchon melden , daß ich bereits wieder mehrere hundert Offiziere nach Frankreich inſtradirt habe. *) Sonderbarer Weiſe hatte man gerade um die Zeit , als ich die Elite der Demokratie in Dirſchau verſammelt hatte , auch die Groß fürſtin Helene dahin dirigirt und ſie dort übernachten mir darüber auch nur ein Wort zu ſagen.

laſſen , ohne

Ich erfuhr die Sache erſt

durch den Poſtmeiſter. Es blieben mir faum einige Stunden, um Maßregeln zu treffen , ſie oder beſonders ihr Gefolge gegen etwaige Inſulten zu ſchüßen.

Ich

formirte gegen das Reglement eine Art

Ehrenwache und quartierte dieſe der großen Kälte wegen in der näch ſten Umgebung ein, aber der Art, daß immer 25 Mann und 1 Offi zier unter den Waffen waren ; alle Zugänge zur Wohnung wurden bei anbrechender Dunkelheit mit Doppelpoſten beſetzt, der Offizier du jour blieb bei der Ehrenwache und die Ronde - Offiziere blieben die ganze Nacht auf den Beinen .

Starfe Trupps durchzogen fortwährend

bis Tages- Anbruch die Stadt, die landgensdarmen machten Patrouil len in der nächſten Umgebung . Um 9 Uhr etwa kam der Kammer herr der Großfürſtin zu mir und fragte, ob die Frau Großfürſtin ſich

* ) Vom 22. bis 31. Dezember 850 Offiziere.

170

wohl ungeſtört der Ruhe werde überlaſſen können ? Derſelbe war ſehr beruhigt als ich ihm ſagte, daß ich für jedes Ereigniß alle Verant: wortlichkeit übernähme und daß Ihre Königliche Hoheit ſo ruhig wie in Betersburg ſchlafen fönnten. — Ich ſelbſt blieb übrigens die Nacht über auf den Beinen.

Die Abfahrt des polniſchen Transports war

für den andern Tag um zwei Stunden ſpäter angeſegt und ſo waren denn auch nur einige polniſche Offiziere gegenwärtig, als am Morgen die Großfürſtin abfuhr und über die Weichſel ſegte. Auf dem Wege nach Marienburg waren von Diſtanz zu Diſtanz kleine Truppentheile echelonirt, Gensdarmen folgten dem Wagen und ein gewandter, ent ſchloſſener, gut berittener Offizier ritt demſelben bis Marienburg vor. Der Kommandant dort war durch mich von der Ankunft der Groß fürſtin benachrichtigt.

Die Großfürſtin ließ mir durch den zurüds

kehrenden Offizier ihren Dank für die große Sorgfalt, die ich für ihre Ruhe und Sicherheit bewieſen und den ſie mir ſchon perſönlich ausgeſprochen, wiederholen ; dieſem ſelbſt hatte ſie einen Diamantring verehrt. - Ich war froh, daß die Sache ſo ruhig abgelaufen .

Bei

ſo extravaganten Charakteren, wie ſie zu Dußenden unter den Flücht lingen waren , fonnte und mußte man auf Alles gefaßt ſein. Anſtatt mit

der Fortſchaffung Bem's

die Sache hätte beſſer

werden ſollen, geſtaltete ſie ſich nur ſchlechter. Bem hatte ſich in Dresden niedergelaſſen und ſtachelte von dort aus die Leute zum Widerſtande an. Er ſchickte an den Wirth ..zum bunten Bod ," den ſpäter ſo bekannt gewordenen Kaufmann Rieſe, größere Summen Gel des , um

dieſe zur Unterſtügung der Hilfsbedürftigen zu verwenden ,

d . h . an ſolche zu vertheilen , die ſich zu Werkzeugen , um Unge horſam und Widerſetlichkeit zu predigen und anzurathen willig fin den ließen.

Zugleich wurden Emiſſaire überal hingeſchidt,

um in

dieſe Verleitungs- Verſuche eine Art Syſtem zu bringen . Die Leute, ſogar Offiziere, die ſich für die Amneſtie erklärten, wurden inſultirt, gemißhandelt. Einzelne Transporte , die man gegen die Grenze in Marſch geſetzt hatte , wurden durch Emiſſaire, welche ſich unter jie gemiſcht hatten , ſo beeinflußt, daß ſie auseinanderliefen und die Bez deckungs- Mannſchaften meiſtens mit nur einzelnen Leuten die Weber gangsſtellen erreichten . Derſelbe Geiſt zeigte ſich in den reſp. Nan tonnements. Zugleich) ſteigerten ſich die Anſprüche unſerer lieben Gäſte bis zu dem Grade , daß die Gegenden , in welchen ſie tantonnirten , laute slagen erhoben und dringend forderten , von der drückenden Paſt Der Einquartirung befreit zu werden .

Aber was geſchah, als man

171

hierzu die Einleitungen getroffen und die Leute in neue Kantonnirun gen wollte rücken laſſen ? Bem's Artillerie , das 4. Regiment und einige Ravallerie-Regimenter, verweigerten förmlich den Gehorſam und erklärten die Kantonnements - Veränderungen nur für eine Machination , ſie in die Hände der Ruſſen zu bringen . Sie würden ſich Kantonne ments - Veränderungen nur unterwerfen , wenn man ihnen die Quar tiere auf dem linken Weichſelufer anwieſe .

Das 4. Regiment und

Meuterer anderer Truppentheile waren ſogar jo frech , ſich von den ihnen angewieſenen Apelplägen in die neuen Quartiere zu begeben · und hier den größten Unfug zu begehen, wie z . B. in Neuteich, wo ſie einen polniſchen Oberſten , der dort die Amneſtie abwartete , ſo maltraitirten , daß er viele Monate bettlägrig blieb. Man inſultirte die einzelnen Soldaten und die Ruhe ward nicht eher hergeſtellt, als bis man laden ließ. In Dirſchau rückten plößlich 800 Mann ein und erklärten , nicht eher weichen zu wollen, als bis man ihnen Quartiere auf dem linken Weichſelufer angewieſen hätte.

Aber der Kommandant ließ ſie um

zingeln und in eine große Brennerei einſchließen , Tage ausharrten, bis ſie ſich den Befehlen fügten. ſchienen um dieſelbe Zeit an 1000 Meuterer.

woſelbſt ſie fünf In Elbing er

Sie konnten nur durch

eine Kavallerie- Charge zur Raiſon gebracht werden .

Ich begab mich

ſpäter zu den Gefangenen , die in der Reitbahn eingeſperrt waren , und ſeşte es durch , daß ſie verſprachen , ſich den gegebenen Beſtim mungen zu fügen. Glücklicher Weiſe waren bis jeßt alle dieſe Scenen ohne Blut vergießen , wenngleich nicht ohne einige Säbelhiebe abgegangen . Neben dieſen groben Erzeſſen ſpielten Diebſfähle eine große Rolle und ſo wurden beiſpielsweiſe an einem Tage 11 leute in Elbing einge bracht, die erlaubt.

ſich

Eingriffe

in das

Eigenthum ihrer Quartiergeber

Ende Januar kam von Berlin der Erlaß an, der ſich in Ueber einſtimmung mit der ruſſiſchen Regierung über die verſchiedenen Klaf jen der Rompromittirten ausſprach, und es ſollten jegt demgemäß die Leute geſchieden werden. Es wurden Kommiſſionen aus Civil- und Militairperſonen beſtehend, ernannt , welche gewiſſenhaft die Verhält niſſe in Erwägung ziehen ſollten . Dieſe Prüfung konnte vorzugsweiſe nur die ehemalige Garniſon von Warſchau treffen , denn dieſe allein hatte die größte Schuld der Revolution zu tragen und von dieſer wieder nur ein kleiner Theil.

Man hatte ſich zu dieſem

Behuf mit

172

den polniſchen Offizieren , welche die Sache aus einem richtigen Ge ſichtspunkte betrachteten , in Verbindung geſett, und wären nicht die überall verbreiteten Intriguanten und Emiſſaire dazwiſchen getreten , ſo wäre die Sache leicht abgemacht geweſen, da die Bedeutendſten der Akademiker, Klubbiſten und ſonſtigen Schreier längſt nach Frantreid ſpedirt waren. Nachdem man die ſchriftlichen Vorarbeiten beendet, befahl man die Leute in Trupps von 150-200 Mann zu verſam , meln und ſie hier zu hören . An einigen Stellen ging dies ganz ruhig ab. In Altmark hatten ſich zwar an 800 Mann gegen die Inſtruktion verſammelt, aber ſie gaben doch vernünftigen Vorſtellun gen nach und fügten ſich den ihnen zugehenden Weiſungen. Ich ſelbſt, der ich den Befehl erhalten hatte, mich auch bei dieſer Sache zu bes theiligen , hatte mir für meine Perſon das 4. Regiment und einen Theil der Artillerie erbeten . Der ſpätere Miniſter des Innern, v . Auerswald , der damals Landrath war , begleitete mich bei dieſer unheimlichen Kommiſſion.

Wir traten beide allein unter die Leute,

von denen manche betrunken, alle aber mit ſtarken Knitteln bewaffnet waren . Durch einige freundliche Worte ſchaffte ich mir ein williges Gehör und ſetzte ihnen dann den Zweck meiner Gegenwart ausein Da ich vorweg die älteren Soldaten des Regiments , von denen nur noch wenige unter der Menge waren , als kompromittirt erklärte und hinzufügte, daß es keineswegs den Intentionen des Königs entſpräche , dieſe der ruſſiſchen Regierung zu überliefern , gewann ich das willige Gehör der Leute. Als ich nun hinzufügte, daß die ſpäter Eingetretenen nur auf Befehl einer neuen, ihnen vorgeſeşten Behörde gehandelt, welche ja Gewalt über ſie gehabt, ſo hätte der König von Polen ihnen verziehen und alle dieſe amneſtirt. Jevt faßten die Leute Zutrauen zu mir und ſo entſpann ſich ein Wechſelgeſgräch , an dem ſich viele, aber in einer anſtändigen Art betheiligten . Aber , fragten Einige, werden die Ruſſen auch Wort halten ? Was mich betrifft, antwortete ich , ſo glaube ich dies beſtimmt. Was ſollte der Kaiſer auch mit Euch machen ? Soldaten hat er genug , aber es fehlt dem Lande an Arbeitern, euren Vätern an Händen. — Wollte ener König euch einſperren , woher wollte er die Gefängniſſe nehmen 2c. ? Aber, ſagte einer der Emiſſaire, man wird uns nach dem Kaukajus ſchiden. Das glaube ich nicht, ſagte ich, denn dazu hat der König ſeine Tiderte : ſen und Roſaken, und ein Raufaſus, fügte ich hinzu, iſt noch lange nicht ſo ſchlimm , als ein Algier, wohin die Franzoſen die Einigranten und Ausländer immer ſchicken und wohin euch eure Offiziere führen

173 werden . - Das wirkte ,

und

ſo

kamen

wir

allmählich zu einer

Art Verſtändniß, und die Leute der neueren Aushebungen verſprachen, ſich den Verfügungen unterwerfen und nach Polen zurückkehren zu wollen . Allen aber , die am 29. November in Reih' und Glied ge ſtanden, ſicherte ich bis auf Weiteres die Ueberſiedelung auf das linke Weichſelufer zu. So löſte ſich denn dieſe Berſammlung, die unter ſo drohenden Auſpizien begonnen hatte , über Erwarten günſtig.

Aber

dies gute Reſultat ſollte bald durch ein unerwartetes Ereigniſ ge ſtört werden . In Fiſchau ſollte an demſelben Tage eine Verſammlung ähnlicher Art abgehalten werden . Auch dort hatten ſich weit mehr Soldaten , als befohlen war, eingefunden . Wie es heißt, ſo hatte man die Leute zu früh beſtellt, oder ſie hatten hierin auf Antrieb der Emiſſaire gehandelt.

Dieſe Zeit nun

ward in den Wirthshäuſern zugebracht, wo den Leuten reichliches Ge tränk von unbekannten Händen geſpendet wurde . Ueberdies begingen die Kommiſſarien den Fehler, in einem Ge bäude ihre Sigung abzuhalten , um hier zu protokolliren und zu tagen . Auf die Nachricht, daß ſich die auf Mewe und Neuenburg inſtradir ten Trupps auf Fiſchau dirigirten , zog man eine Kompagnie terie heran . wurden

Jufan

Durch Streitigkeiten betrunkener Polen mit den Wirthen

zuerſt Unruhen

herbeigeführt,

die

durch Einbläſereien

Emiſſaire ſehr bald einen andern Charakter annehmen ſollten.

der Was

machen wir denn überhaupt hier ? hieß es bald , was ſoll dies For miren der Klaſſen ? wir ſind Alle kompromittirt, wir wollen es Alle ſein ! Man inſultirte die einzelnen preußiſchen Soldaten, die Lebens mittel einkaufen wolten .

Ein Theil der Meuterer wollte ſich nach

Marienburg begeben ; ein anderer dirigirte ſich gegen das Haus der Kommiſſaire. Anfangs kam es zu Thätlichkeiten zwiſchen einzelnen Soldaten, dann wuchs der Spektakel, die Bauern nahmen Partei für unſere Soldaten - der Tumult ſchwoll von Minute zu Minute; da ſpielte ein Gracz (Spielmann) auf der Geige den Chlopici- Mazurek und ſofort ſtürzte ſich die Maſſe mit aufgehobenen Snitteln auf die Kompagnie.

Der Kommandeur, Hauptmann Richter, ein ruhiger, be

ſonnener Mann , von großer Herzensgüte , dabei auch militairiſcher Tüchtigkeit, der ſich im Jahre 1813-14 beide eiſerne Kreuze erwor ben , und ſich bis dahin alle Mühe gegeben hatte, die Polen zu be ruhigen , den Tumult zu beſchwichtigen, ließ jett Feuer geben. 9 Mann ſtürzten todt nieder ; eine Menge waren verwundet, die ganze Schaar

174

aber warf ſich, wie auf Kommando, zu Boden . Mein Gott, ſchrie ein Bauer auf polniſch , die Leute ſind alle todt ! – Möglich , daß dieſe Aeußerung dem tragiſchen Ereigniſ etwas Romiſches gab und die Leute zur Beſinnung brachte. Sie erhoben ſich ſofort wieder, aber um nach allen Seiten auseinander zu ſtieben. Doch die Be wohner der Umgegend, die den Gang der Ereigniſſe ſchon lange beobachtet, hatten ſich bereits mit Knitteln , Forfen und Getpehren bewaffnet.

Sie verfolgten die Flüchtlinge , fingen ſie ein und brach

ten ſie nach Marienburg, wo ſie den Gerichten übergeben wurden . — Mit dieſer wenig erfreulichen Scene ſchloß ſich einſtweilen der erſte Aft dieſes Drama's. Die Abtheilung, zu der ich geſprochen, erfuhr dies Ereigniß auf dem Marſche in ihr Nantonnement. Es machte einen böjen Eindrud und gab den Meuterern unter ihnen Gelegenheit, aufs Neue ihre Stimme zu erheben.

Da habt ihr die Herrn Preußen , hieß es —

ſie verſprechen goldene Berge

und hinterher

ſchießen ſie uns todt !

Wehe Allen, die ihnen trauen . Die Folgen dieſer Einwirkungen blies ben nicht aus und eine Menge der Leute, die ſich Anfangs ganz willig gefügt , fingen jetzt an, wieder renitent zu werden . - Im Al gemeinen aber wurde die Maſſe beſonnener, gehorſamer ; die Autori : tät war wieder hergeſtellt und die Unruheſtifter überzeugten ſich , daß man eventuell auch Ernſt mit ihnen machen werde . - Der General v . Rubinsfi, der wohl zur Milderung aller dieſer Verhältniſſe hätte beitragen können , ſaß während dieſer Zeit ruhig in Elbing. Er ſchien im Umgange mit einem gewöhnlichen Frauenzimmer, einer Gärtners

.

tochter , ſeine eigentliche Miſſion , - ſeinen eingegangenen Berpflid : tungen nachzukommen , ganz vergeſſen zu haben . Von einigen ſeiner Freunde umgeben , vegetirte er eigentlich nur. Er vertrieb ſich die Zeit mit dieſen und verließ ſein Quartier nur, um in der Abendſtunde ſpaziren zu gehen. Was man ihm ſehr übel nahm , war, daß er die Zahl der Offiziere auf preußiſchem Gebiet vermehrte und eine Menge Offizier - Promotionen ,

wozu den ſchwachen

Mann ſeine

Umgebung

veranlaßte, vornahm . Auch wollte man ihm nachweiſen , daß die Zabi der Leute in den Tages- Rapporten höher angegeben wurde , als ſie in der That war . Die Summen, die dadurch erſpart wurden , floſjen in die Staſje , um daraus die linfoſten, welche die Reifen der Emiljaire und ihre Anzettelungen verurſachten , 311 beſtreiten .

Hätte Rybinefi

das , was man estime sentie nennt, bei den Truppen gehabt, wäre es Chlopidi und Skrzyneci geweſen, es würde nie zu dergleichen

!

175

Machinationen gekommen ſein.

Aber der Mann, der auf dem Schlacht

felde ſo viel Beweiſe von perſönlichem Muthe gegeben hatte, war in den Intriguen, welche ihn umgaben , ſcheu , und benahm ſich den Ein ſchüchterungen der Meuterer gegenüber wie ein altes Weib.

Ich bin

mit ihm ſtets auf einem freundlichen Fuße geweſen und er war ſogar ſo gütig , mir ſein Pferd , das er in mehreren Schlachten geritten hatte , als ein Anerkenntniß meiner unendlichen Sorgen und Mühen , wie er mir ſagen ließ, anzubieten , was ich aber unter dem Vorwande, daß Offiziere unter ſolchen Verhältniſſen, wie ich mich befände, keine Geſchenke annehmen dürften , ablehnte . Um ſich einen Begriff von all den Intriguen und Jufamien, die hierbei in Bewegung geſeßt wurden , machen zu können , mögen fol gende Züge hier angeführt werden. Einer der vielen Botoci's, reich, und in ſeiner Gegend von Einfluß, hatte bei ſeiner Flucht eine junge Frau mit zwei Kindern zurückgelaſſen, mit der er von Straßburg aus einen lebhaften Briefwechſel unterhielt. Allmählich blieben die Briefe aus und bald verbreitete ſich das Gerücht, die Frau ſtände mit einem ruſſiſchen Offizier in zärtlichen Verhältniſſen , mit einem Worte, es ward Alles ſo eingeleitet, daß der Mann in die Nege der Demo Kaum war er fort, fratie gerieth und mit nach Frankreich ging. ſo ging vom Ober -Präſidio, an welches ſich die unglückliche Frau ge wendet , da ihr ſeit einiger Zeit gar keine Briefe von ihrem Manne zugingen , mehrere mit der Bitte ein , ſie dem Grafen zuzuſtellen . Sie ſoll ihm darin herzzerreißende Vorſtellungen gemacht und ihn ge beten haben , Alles einzuleiten , um bald zurüczukommen. Jndeſſen, der Mann war bereits in Frankreich. Ein anderer Fall, der ein ähnliches Reſultat gab, trug ſich mit einem Rittmeiſter Radfiewicz zu. Dieſem hatte man durch untergeſchobene Briefe ſeiner Frau vorge logen , daß er auf gar keine Amneſtie zu rechnen hätte, und daß er am beſten thäte, wenn er ſich auf ewig expatriire, was er denn auch that. Er war noch nicht zehn Tage fort, als ſeine Frau anfam ; die Unglüdliche, die bei ihrer Ankunft die ganze Intrigue erfahren haben mochte, verfiel vor Schmerz in eine langwierige Krankheit, nach deren þeilung ſie nach Polen zurückkehrte. Ein anderer Vorfall war folgender : Ein Warſchauer Bürger, Mikulski , war mit Päſſen von der ruſſiſchen Regierung verſehen in Elbing angekommen, um ſeinen Sohn , einen jungen Mediziner, zu beſuchen und dieſen auf die Uni verſität nach Berlin zu bringen . Kaum war er angelangt, ſo bemäd ): tigten ſich die Demokraten dieſes Umſtandes und verbreiteten unter

176

deſſen Namen die

abſcheulichſten Lügen.

Da war keine

Infamie,

welche die Ruſſen nicht begangen hätten , es wurden ſogar überal Briefe mit dieſen Angaben, die er mitgebracht haben ſollte, in Circu lation geſett. Die Sache fam jedoch dem Mifulsti ſelbſt zu Ohren und er erſchien vor den Behörden, um ſich gegen dieſe Beſchuldigun gen feierlichſt zu verwahren . – Wer die damaligen Verhältniſſe mur einigermaßen fennt , wird dieſe Fakta keinen

Augenblick bezweifeln .

Man hatte überall ſchlaue und abgefeimte Leute für dergleichen Uim triebe, welche den ganzen Apparat für falſche Korreſpondenzen , Fäl ſchungen u . 1. w . aus dem revolutionairen lager mit herübergebracht hatten und dann die Beförderungsmittel derſelben völlig organiſirt auch bei uns unterhielten . Bis zum 27. Februar 1832 waren 737 Offiziere nas dem Vaterlande zurückgekehrt, bis zum 16. Februar 1039 nach Frankreió befördert . Einige 90 waren , weil ſie entweder frank waren oder die Entſcheidung ihrer Verhältniſſe als geborene Ruſſen oder Oeſterreicher noch abwarten wollten, noch zurückgeblieben. Von Gemeinen und Un teroffizieren waren bis zum Anfang des Jahres 1832 8658 freirpit: lig nach Polen zurückgefehrt;

368

waren

als Ausländer entlaſſen

worden . Aus Preußen gebürtige wurden 210 mit Zwangspäſſen in die Heimath geſchickt, 4195 verblieben um dieſe Zeit noch in preußis ſcher Verpflegung und waren auf beiden Ufern der Weichſel unter gebracht. 624 ruſſiſche Unterthanen befanden ſich in Frauenburg und Tilſit . Von den Behörden waren nach der gründlichſten Erwägung 165 als kompromittirt anerkannt worden . 2646 wollten aber als ſolche gelten , weil ſie durchaus feine Luſt hatten, nach Polen zurüds zukehren. Gegen drittehalb tauſend Mann hatten ſich im Laufe der Zeit

abſentirt, oder waren doch beim Feſtſtellen der namentlichen Liſten nicht zu ermitteln geweſen , wenngleich für ſie monatelang Sold und Brod empfangen war. Es hieß , daß man die für ſie empfan : genen Emolumente zur Durchführung der Umtriebe und Meutereien

verwendet hätte, was id), da ich mit der Rechnungsführung durchaus nichts zu thun hatte, dahingeſtellt ſein laſje. Es find ſpäter eine Menge der ſchändlichſten Verläundungen über die Art und Weiſe, wie man mit den Peuten verfahren , in die Welt geſchickt worden . Es hieß , man habe ſie verhungern lajien , während ſie bei den Wirthen verpflegt wurden und außerdem noch einige Silbergroſchen Söhnung erhielten , mehr als ſie in der Armce empfingen.

Während man

ſie

in

den Zeitungen

nacft

gehen

lief,

177

waren ihnen Mäntel, Hemden , Schuhe zugetheilt worden . Während die Journaliſten ſie in der brutalften Art und Weiſe von uns behan deln ließen , wurde von höchſter Stelle herab über die ſtrengſte Inne haltung der geſetzlichen Zuſtände gewacht. An hundert Litthauer und Ruſſen, die in Frauenburg und Ums gegend ſtanden , des langen Wartens in ihren Kantonnements über drüſſig, verlangten, nachdem ich mit ihnen geſprochen , auch ohne Am neſtie nach Rußland zurückzukehren. Ich glaubte dem nicht entgegen ſein zu dürfen, ſetzte die Leute in Bewegung, meldete die Sache aber nach Berlin . – Unmittelbar darauf erhielt ich folgendes Schreiben, das ich in extenso hier wiedergebe , weil es für die Charakteriſtik des hochſeligen edlen Königs ſowohl , als des Geiſtes, in dem die Sachen betrieben wurden , ſehr bedeutend iſt: ,, Der Major v . Brandt hat dem General - Lieutenant v . Witzleben über die Reſultate ſeiner bisherigen Reiſen zu den noch in Preußen befindlichen Reſten der ehe maligen polniſchen Armee unter dem 31. v. M. und 1. d. M. Be richte erſtattet, welche ich bei der gegenwärtigen Krankheit des Gene rals v . ' Wigleben Sr. Majeſtät dem Könige vorgetragen habe . Nach dem Inhalte dieſer Berichte hat der Major v . Brandt in Frauen burg 72 Ruſſen und 36 Litthauer, nachdem er ihnen ihre Lage vou ſtändig vorgeſteứt hat, und ebenſo in Bettendorf 15 National-Ruſſen zur Rückkehr in ihre Heimath disponibel gefunden und zeigt an, daß ſie demnächſt ihren Rückmarſch angetreten haben . Dieſe Anzeige iſt Sr. Majeſtät um ſo auffallender , als von einer Begnadigung der Ruſſen und Litthauer wenigſtens bis jetzt noch nichts bekannt iſt, und der Major v . Brandt ſelbſt im Eingange ſeines Berichts vom 31. v. M. ſein Bedauern ausdrückt, daß er ihnen eine Amneſtie nicht habe bekannt machen können. Da es nun nicht in der Abſicht liegen kann, dieſe Schutz ſuchend ins preußiſche Gebiet herüber gekommenen Mann ſchaften gewiſſermaßen durch Ueberredung, einem ungewiſſen Schickſal entgegenſenden zu laſſen , ſo ſoll ich Eure Erzellenz im Allerhöchſten Auftrage erſuchen , den Rückmarſch dieſer Leute nach ihrer Heimath noch ſchleunigſt aufzuhalten, bis über ihre Zukunft der kaiſerliche Be ſcheid erfolgt und ihnen bekannt gemacht ſein wird . Sogleich bitte ich gehorſamſt um baldgeneigteſte Benachrichtigung, ob auch der Rück marſch noch zu redreſſiren geweſen und bemerke nur noch, daß ich dem Major v . Brandt hiervon Mittheilung gemacht. Berlin , den 6. Februar 1832. 11 An General-Lieutenant v. Krafft, Erzellenz.

v . Lindheim .

12

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Der Königliche Befehl konnte vollführt werden, aber die Häſite der Leute verließ nach und nach heimlich ihre Quartiere und ftahl ſich über die Grenze nach der Heimath.

Einige derſelben , die von

den Gensdarmen aufgefangen und zurückgebracht wurden , vollführten nichtsdeſtoweniger ſpäter ihren urſprünglichen Vorſat. *) So irrelevant dieſe Sache nun auch erſcheinen könnte, ſo hat ſie doch inſofern einen hohen Werth , als ſie unſeres föniglichen , under geßlichen Herrn menſchenfreundliche Anſicht deutlich bekundet. Hätte man dieſen Brief damals durch die öffentlichen Blätter gehen lajien, es wäre dadurch vielem Zeitungsgeſchwät vorgebeugt worden , die Ur: fache aber, warum dies nicht geſchah, iſt leicht einzuſehen .

*) Nähere Details über jene traurige Zeit enthält die Brochüre „ Die Boler: in und bei Elbing." Ein Beitrag zur Tagesgeſchichte von cinem Augenzeugen. Halle bei Mummel 1832. Eine lieberſetung ins Franzöſiſche erſchien faſt zu gleicher Zeit bei Firmia Didot Frères in Paris.

1

Achter Abſchnitt. 1832-33 . Rüdlehr nach Berlin . Alerlei Details über die Polniſchen Verhältniſſe. - Meine littera riſme Thätigteit in Betreff derſelben und endliớe Erlöſung von dem unerquidlichen Geſchäft. Jo erhalte den Auftrag, nad Frankreid abzugehn und die Lager der Franzöſiſchen Armee zu beſuchen. – Abreiſe nac Coblenz und von dort mit meinen Reiſegefährten Hauptmann Ende und lieutenant Hoffmann nach Met , St. Omer. – Empfang daſelbſt. Shilderung der Truppen, Charatteriſtiť der höheren Offiziere. - Einige hiſtoriſøe Notizen über die frühe ren Lager bei St. Omer.

Im m Februar ,, als ziemlich Ruhe und Ordnung,, ſoweit dies nämlich möglich , hergeſtellt waren , wurde ich nach Berlin zurückge rufen und endlich aus dieſen traurigen aufreibenden Verhältniſſen er löſt. Der König hatte mir beim Ordensfeſte den rothen Adlerorden dritter Klaſſe verliehen und bezeugte mir jeßt noch mündlich ſeine Zufriedenheit. Mein früherer Chef , General v . Kineſebeck, hatte mir durch nachſtehenden Brief dies zur Zeit mitgetheilt: „ Es gereicht mir zu einer großen Freude, daß Seine Königliche Majeſtät geruht haben, Euer Hochwohlgeboren

ſo

vielfältig

angeſtrengte Bemühungen

und

unermüdliche Thätigkeit durch ein öffentliches Zeichen Allerhöchſter Zufriedenheit anzuerkennen , daß ich nicht ſogleich eilen ſollte, mein lieber Major v . Brandt , Ihnen meinen Glückwunſch und meine auf richtige Theilnahme deshalb zu bezeichnen. Erlauben Sie , daß ich zugleich Ihnen nochmals meinen Dank wiederhole , was Sie dabei mit ſo vieler Umſicht geleiſtet haben, indem ich den Ausdruck meiner aufrichtigen Hochachtung beifüge. Berlin , den 22. Januar 1832. v. d . Kneſebec.

Herrn Major v . Brandt im Generalſtabe." 12 *

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Als ich dieſen Brief erhielt, war das Ober-Rommando der vier öftlichen Armee -Rorps längſt aufgelöſt, ich ſtand in durchaus keiner Ber: bindung mehr mit dem General, aber daß er meiner jeßt am Tage des Ordensfeſtes und auch ſpäter ſtets in theilnehmender Weiſe ge dachte, iſt ein Beweis ſeines wohlwollenden Herzens . Schon vor meiner Rückkehr nach Berlin war in den Zeitungen eine heftige Polemit über die Behandlung der Polen in und um GT bing geführt worden . Der Durchzug der polniſchen Offiziere durch Deutſchland nach Frankreich hatte dieſelbe noch mehr angefacht. Die gute deutſche Leichtgläubigkeit hatte ſich allerhand von den polniſden Gaſtfreunden aufbinden laſſen , was ſtandalſüchtigen Journaliſten und anderen Regulatoren der öffentlichen Meinung ein willkommenes Thema zu Verunglimpfungen der Regierung in allen Tonarten gab. Xud gegen mich ließen ſich dieſe Herren in einer ganz unangemeſſenen Art und Weiſe los. Selbſt namhafte Gelchrte waren ſo leichtgläubig, die abgeſchmacten Erzählungen der Polen ohne Weiteres zu glauben. Zu dieſen gehörte auch Menzel, der in einem ſeiner hiſtoriſchen Werke, in blinder Parteinahme des Augenblicks mich mit Anſchuldi gungen überhäufte, welche,

ſchon damals von keinem Wiſſenden ge

glaubt, jegt gewiß von ihm ſelbſt als grundlos anerkannt ſind. Die Polen gingen in ihren Machinationen ſo zu Werke, wie ſie dies vor Ausbruch der Revolution in Warſchau gegen die ruſſiſche Regierung gethan .

Es waren ordentliche Büreaus organiſirt, welche falſche Nach

richten erfanden.

Reiſende verbreiteten dieſelben und eine Menge feiler

Journaliſten blieſen aus vollen Baden in deren porn. Wie oft iſt mir hierbei Jules Janin's wiţiges Wort eingefallen : ,, Die Geſchichte iſt wahr, obgleich ich ſie von einem Augenzeugen gehört habe ." Bem , der Haupt - Faiſeur, hielt ſich geraume Zeit in Dresden auf und beabſichtigte ſogar, ſich in Sachſen bei Taucha, und zwar in Segewig anzufaufen.

Seine Kameraden ſagten, daß ſeine Vorfahren

Böhm geheißen, als Landsknechte nach Frankreich gekommen und dort unter dem Namen Besme in franzöſiſche Dienſte getreten ſeien. Einige behaupteten ſogar , daß der Ahne zu denen gehört , welche Admiral Coligny ermordet, und daß er dann mit dem Herzog von Anjou nady Polen gegangen ſei . Die Familie war ſpäter ins Galiziſche überge . ſiedelt , wo ſein Vater Advokat (Mecenas, wie man in Polen ſagt ) und ein Bruder Vikarius in Krakau war. Aus der alten polnijden Armee war unſer Bem trotz ſeiner Brauchbarkeit wegen ſeiner Unvers träglichkeit und Händelmadherei verabſchiedet worden .

Es verſteht ſide

181

von ſelbſt, daß er bei der Revolution ſofort bei der Hand war. Sein bedeutendes organiſatoriſches Talent, ſeine militairiſche Tüchtigkeit, be ſonders aber ſeine demokratiſchen Tendenzen verſchafften ihm bald höhere Grade, und bei Dſtrolenka, wo er ſich ſehr auszeichnete, kom mandirte er bereits die ganze Artillerie.

Seiner Umtriebe in Deutſch

land gedachte ich bereits. Später, als er eine Legion für die Spa nier werben wollte , wäre er beinahe bei einem Mordanfalle umge kommen .

Seine ſpäteren Erlebniſſe im ungariſchen Feldzuge, ſowie

ſein Tod in der Türkei, ſind bekannt. Er bildete 1831-1832 den Mittelpunkt aller Umtriebe und ſeine eifrigſten und tüchtigſten Helfershelfer an dieſem Werke waren Graf þaufe, ein gewiſſer Major Fergues und endlich ein Amerikaner Dr. Howe , der ſich für den Präſidenten des amerikaniſch - polniſchen Komité's ausgab, ein wüthender Demokrat und mit großen Geldmit teln ausgerüſtet. Þauke war der Sohn des von den Fähnrichs am 29. November 1830 ermordeten Kriegsminiſters Graf þauke. Man ſagte allgemein , daß er die erſte Sanone in Warſchau perſönlich ab gebrannt, um ſeinen Soldaten Muth zu machen ; die Ermordung ſeis nes Vaters, welcher den ſiebzehn Wunden, die ihm die Meuterer bei gebracht, erlag , der Tod ſeiner Mutter , die in der Schreckensnacht am 14. Auguſt ſtarb, hinderten ihn nicht, in den Reihen der Rebellen zu verharren. ſein.

Sonſt ſoll er gebildet und ein guter Offizier geweſen

Von Berſon war er liebenswürdig und angenehm im Umgange.

Wo er geendet, iſt mir unbekannt.

Jrre ich nicht, ſo iſt er auf Für

bitte ſeiner Familie begnadigt worden . Vom Major Fergues zirkulirten die tollſten Geſchichten bei dem Rybinski'ſchen Korps. Ich erzähle ſie nach, wie ich ſie gehört. Er befand ſich beim Ausbruch der Revolution in Petersburg, wo ihn der Raiſer öfters geſehen und ihm manche Wohlthat erwieſen haben ſoll. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß er ſich ſofort der Erhebung zuwandte, plößlich verſchwand und in Litthauen wieder auftauchte. Þier mun beſchuldigte man ihn zur Zeit, als das Gielgud’ſche Korps dort ope rirte, einer grauſen Geſchichte. Sein Vater nämlich ſoll einem Deut ſchen , einem gewiſſen Bandelin , 50,000 Fl. geſchuldet haben und von dieſem angegangen worden ſein , dieſe Summe zu bezahlen. Statt deſſen nun aber ſollen Vater und Sohn - par nobile fratrum mit einer Bande den armen Bandelin überfallen und ihren Leuten befohlen haben , ihn in den Niemen zu werfen . Als er ſich aber durch Schwimmen zu retten verſucht, ſoll man ihn in den Fluß zu

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rückgetrieben haben, in dem er dann ertrunken ſei. Hierauf nun hatte Fergues den Zug mit Gielgud mitgemacht und war ſchließlich mit ihm nach Preußen übergetreten . Dort manifeſtirte er ſich bald als deſien entſchiedenſter Feind und Kritiker und beredete endlich einen gewiſſen Stulski , einen Enrage , wie Bolen deren ſo viele hat, den General Gielgud zu ermorden . Darauf entfloh er zum Rybinsti’ſchen Korps, mit dem er dann wiederum übertrat. Von ſehr gewandtem , einneb mendem Weſen, dabei unterrichtet und ſprachgewandt, machte er mit vielen

preußiſchen Offizieren Bekanntſchaft, die ihm , da man ſeine

Laufbahn erſt ſpäter kennen lernte , entgegen famen , ihm als einern unglüdlichen Kameraden manche Freundlichkeit bewieſen und ihm bei ſeiner Abreiſe noch Empfehlungsbriefe an Offiziere der Garniſonen , welche er auf ſeiner Reiſe berührte, mitgaben . Leider hatte man ibn zu ſpät kennen gelernt . — Nach alledem was in Polen damals und auch neuerdings vorgefallen, hat man keine Urſache, die Angaben jei ner eigenen Kameraden zu bezweifeln. Dieſe Leute nun

im

Bimde mit verſchiedenen damals übel be

rüchtigten Leipziger Litteraten und Parteigenoſſen bearbeiteten in Bü chern, Brochüren und einzelnen Artikeln das Publikum und fütterten es mit Lügen aller Art. Die Sache ward ordentlich fabrikmäßig betrieben , die Artikel mit J. B. waren von Bem ſelbſt. Biele jener Artifel waren gegen den Staat, andere gegen mich gerichtet. Man verſicherte, daß ich mit Rußland einen feierlichen Baft geſchloſſen und für den Kopf ſo und ſo viel Rubel erhielt ; ich hätte unlängſt 17,000 Kubel in Empfang genommen und nebenbei hätte ich alle möglichen ruſſiſchen Orden erhalten. Ju Rußland dagegen behauptete man, ich hätte durch meine Reden und Maßnahmen die Polen aufſeſſig gemacht. In Thorn hatte Oberſt Sedler erzählt , daß ihm dies von Bolen ſelbſt mitgetheilt worden ſei und habe einer derſelben an der table d'hôte in einem Votel einen hierauf bezüglichen Brief vorgeleſen, den er eben

aus Elbing erhalten .

So alſo hatte man nach allen Nich

tungen hin dafür geſorgt, Verläumdungen in die Welt zu ſchleudern, und daß ich vorzugsweiſe dieſelben trafen , dürfte wohl den Beweis liefern , daß ich mein Amt mit Mühe und Sorgfalt verwaltet .

Da

man jedoch meine Chre und Integrität angriff , jo wandte ich mich an die Generale v. Rubinski und Bem und verlangte von ihnen, das ſie eine Erflärung über die Art und Weiſe, wie ich ihre Angelegen heit behandelt, abgäben und die Inſerate, die angeblich von Offizie ren hertämen , desavouirten .

Beide antworteten zwar, aber in halben

183 Ausdrücken und geſuchten Wendungen , worauf ich denn erklärte, daß ich die erwähnten Artifel als Machwerke ehrloſer Intriguanten be zeichnen müßte , mir aber vorbehielte , diejenigen von jeßt an perſön lich zur Rechenſchaft zu ziehen, welche dergleichen Artikel unterzeichnen würden . Die Korreſpondenz mit dieſen Herren Rybinski und Bem iſt in die Autographen -Sammlung eines Freundes gewandert und die Kopien der Briefe ſind mir leider verloren gegangen. Die Angriffe auf meine Perſon hörten ſeit jener Zeit ziemlich auf , wurden nun aber gegen den Staat in einer ganz unglaublichen Weiſe fortgeſett. Da ließ mich eines Tages der General v . Wiß. leben rufen und beſprach dieſe Angelegenheit ausführlich mit mir. Wir famen überein, daß ich Leitartikel für einige Zeitungen ſchreiben und zugleich auch die Beantwortung der heftigen Artikel übernehmen und ſie ihm zuſchicken ſolle . Dies geſchah ; zugleich ſchickte er mich zum Miniſter v . Brenn , um mit ihm Rückſprache über die Mittel und Wege zu nehmen, dieſe Angelegenheit in den preußiſchen Blättern zu beſprechen . Wir hatten darauf eine Konferenz, welcher der Mini ſter v . Brenn , Oberſt v . Rochow , der damals eine Branche, ich glaube im auswärtigen Miniſterio , bekleidete und der bekannte Dichoppe beiwohnten. Nach langem Debattiren kamen wir überein , jeder eine kleine Brochüre über dieſen Gegenſtand zu

ſchreiben

halb fünf Tagen wieder verſammeln zu wollen.

und uns inner

Wer aber gar nicht

kam , war Miniſter v. Brenn ; der Oberſt v . Rochow , Tſchoppe er ſchienen mit leeren Händen , ich allein brachte eine kleine Brochüre : ,, Die Bolen in und bei Elbing " und gab ſie dem Geheimen Kath, um ſie dem Miniſter v . Brenn und auch dem Fürſten v. Wittgen ſtein vorzulegen und deren Meinung zu hören. Aber wer denkt ſich mein Erſtaunen , als ich nach einigen Tagen dieſelbe in den Zeitungen annoncirt finde und zwar mit einigen giftigen Bemerkungen gegen einige Beamte und andere Perſönlichkeiten der Elbinger Gegend , die im Büreau des Miniſters , wahrſcheinlich aber wohl vom Geheimen Rath Tſchoppe hinzugefügt worden waren . Zugleich hatte man mich als Verfaſſer der Brochüre bekannt gemacht und ward ich natürlich auch bald von den in derſelben benannten Beamten 2c. heftig ange griffen. Alſo neuer Zerger und Skandal ! Der einzige Troſt in dieſer böſen Zeit war der , daß mir der König durch General v. Wigleben wiederholentlich ſeine Zufriedenheit über meine Artikel ausdrücken ließ . Anfangs März erhielt ich von einem Offizier aus Elbing, dem ich mein ganzes Vertrauen ſchenken konnte , Briefe aus Elbing und

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Marienburg, die mir die betrübendſten Nachrichten über die dortigen Berhältniſſe mittheilten. General v. Schmidt, Kommandeur der pol niſchen Kantonnements , war anderer Anſicht als General v . Krafft. Der Ober-Präſident v . Schön aber wich in ſeinen Anſchauungen über dieſe Sache erſt recht ab. Daraus hatten ſich nun Verhältniſſe der ſchlimmſten Art herausgebildet. Widerſeßlichkeiten der gröbſten Art * waren bereits vorgefallen und an inehreren Orten hatten ſelbſt die ſtrengſten Maßregeln gegen die Polen nicht mehr geholfen. Man mußte täglich Scenen wie in Fiſchau befürchten. Durch Einflüſte rungen der Emiſſaire und Geldvertheilungen war Alles zur offenen Widerſetlichkeit vorbereitet . Nach reiflicher Ueberlegung ging ich zum Kriegs- Miniſter v . Þafe , theilte ihm meine Briefe mit und bat ibn bei etwaigen Intervenirungen vor Allem die Namen der Offiziere nicht zu nennen . Der Miniſter hielt die Sache für ſo wichtig , das er glaubte, dem Könige darüber Vortrag halten zu müſſen und ſchon nach circa 10 Tagen erhielt ich folgendes Schreiben vom Miniſter: ,, Euer u . danke ich nochmals ergebenſt für die mir gefälligit mitge theilte Korreſpondenz. Der Gegenſtand war in der That zu wichtig, als daß ich mich nicht hätte veranlaßt finden ſollen , Sr. Majeſtät dem Könige davon Anzeige zu machen und ihn weiter zu verfolgen . Es ſind zu dem Ende auch auszugsweiſe Mittheilungen daraus dem Obers Präſidenten v . Schön zugefertigt worden, ohne jedoch die Quelle zu nennen . Euer 2c. mögen es mir nicht übel nehmen , daß ich die jen Gebrauch davon gemacht habe ; ich hielt es aber für meine Pflicht, ſo der guten Sache wegen zu verfahren.

Von den Allerhöchſten da:

binets- Ordres, welche jegt an den verrn Ober- Präſidenten v. Schön , ſowie an den Herrn General -Major v . Schmidt ergangen ſind, über ſende ich Euer zc. hierbei Abſchrift zu Ihrer Kenntniß, jedoch ver traulich. Berlin, den 15. März 1832. Der Kriegsminiſter Hafe. Dieſe Rabinets - Ordres erneuerten im Algemeinen nur die von mir bereits getroffenen Anordnungen, empfahlen eine weiſe , anges meſſene Energie und erlaubten nur noch , daß, weil viele der Emigran ten zu Schiffe nach Frankreich zu gelangen wünſchten , man dies, je doch nur in kleinen Abtheilungen geſchehen laſſen fönne, ein lim ſtand, der ſpäter die Unannehmlichkeiten vermehren ſollte. Ober- Präjident v . Schön war einer der wunderbarſten Staats

Beamten , mit denen ich je verfehrt ; einer der Geiſter, die ſtets vers und immer voller Widerſpruch gegen ſeine Vorgeſepten. neinen Als er in der polniſchen Angelegenheit zum erſten Mal nach Marien

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burg fam , hielt ich es angemeſſen, ihn mit den dort anweſenden Stabs Offizieren zu beſuchen. Er ſaß in Hemdsärmeln an einem kleinen Tiſche , Landrath Hellmann, der Bürgermeiſter, im Ganzen vielleicht vier Perſonen vor ihm ſtehend. Nach den gewöhnlichen Komplimen ten nöthigte er uns zum Sipen und erging ſich bald darauf in den unangemeſſenſten Ausdrücken gegen das Miniſterium , in specie ge gen Brenn, den er nie anders als mit ſonſt in der Unterhaltung ge bildeter Leute wenig gebräuchlichen Ehrentiteln belegte, und von dem er behauptete, Gott habe ihn in ſeinem Zorn zum Miniſter gemacht. Mir fielen dabei die Aeußerungen des Feldmarſchall Gneiſenau über dieſen Heros der Oſtpreußen ein. Als ich Anfangs April einſt einen Artikel zum General v . Wi Leben brachte, zu dem er den Tenor angegeben , ſagte er mir : der Temps hat einen infamen Artikel über die Fiſchauer Angelegenheit gebracht. Der König hat befohlen , daß Sie für das Journal eine nach den Gerichts -Akten bearbeitete Darſtellung dieſes Auftritts liefern und mir recht bald mit ihrer Unterſchrift übergeben. die Inſertion beſorgen. geſchickt werden .

Ich werde dann

Die Akten und der Temps ſollen Ihnen zu

Der König rechnet auf Ihre gewohnte Schnellig

keit. — Mir war die Sache eigentlich unangenehm , denn damals war man an Zeitungskämpfe noch nicht ſo gewöhnt wie einige Jahre ſpä ter ; jeder Angriff wurde perſönlich genommen und man glaubte ihn immer mit dem Degen oder der Piſtole in der Hand abmachen zu müſſen.

Am 5. April erhielt ich mit ein paar Zeilen den Temps

mit der Bemerkung , daß am Sonntag Nachmittag um 2 Uhr eine ſichere Gelegenheit nach Paris abgehe, welche zu benugen ſein würde. Einige Tage darauf übergab ich dem General den Aufſaß.

Am 9 .

ſchickte mir ihn der General mit folgendem Briefe wieder zu : „ Mein lieber Major , ich finde Ihren Brief an den Redakteur des Temps vortrefflich , aber ſo lang, daß ich fürchten muß, er wird nicht in ex tenso aufgenommen, und ihn durch das Pariſer Blatt verſtümmelt zu ſehen, würde die Wirkung nothwendig ſchwächen, welche die Sprache Ich habe es nicht gewagt, der Wahrheit unfehlbar machen wird. an dem Aufſatz etwas zu ſtreichen ,

aber ich glaube ,

daß Sie den

Eingang , die Sentenzen gegen die Fiſchauer Schuldigen und einige andere Stellen abkürzen können, zu welchem Ende ich die Arbeit zu= rüctjende. Der Ihrige . Wißleben, den 9. April 1832." Ich änderte die beregten Stellen ſofort, der General genehmigte die Umarbeitung und ſo konnte der Artikel bereits am 9. von hier abgehen, um im Temps zu

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erſcheinen. Hiermit ward die Sache, wenngleich nicht ganz todt ge macht, jedoch dahin gebracht, daß die Schreier allmählich verſtummten Ich darf wohl ſagen , daß mir dieſer Zeitungsfrieg wenig Ber : gnügen machte; nebenbei verſchaffte mir das Wohlwollen , welches mir höchſten und höheren Orts bewieſen wurde, Neider vollauf, und ent fremdete mich meinen Berufsarbeiten . Aber ich mußte mich dem Uin vermeidlichen fügen. Als ich eines Tages über die Straße ging, traf ich General v. Wißleben , da er eben in des Königs Balais fuhr. Als er mich gewahrte , ließ er den Wagen halten , rief mich heran und ſagte zu mir , indem er eine Zeitung hervorzog: Run , der Temps hat die Sache aufgenommen moyennant 452 Francs, ich danke Shnen nochmals für die Arbeit!" und gab mir freundlió die vand . Die Angelegenheit der Einſchiffung der Bolen in Danzig, zu der der König , wie oben erwähnt , ſeine Einwilligung gegeben, rief mich bald wieder auf die politiſche Arena. Es iſt bekannt , daß in Folge eines heftigen Orfans und der Havarie , die das Schiff erlitt , in England angelaufen werden mußte , worauf denn die engliſchen und franzöſiſchen Journale ſofort wieder ihr altes Geſchrei über brutale Gewalt, Völkerrechtsverleßung , Tyrannenwirthſchaft zc. erhoben.

Na

mentlich war der König im höchſten Grade darüber entrüſtet, daß der ſeichte Schwätzer La Fayette in einer Rede ihn le support de l'Empereur de Russie genannt.

Der General v . Wißleben beauf

tragte mich , einige Artikel über den betreffenden Gegenſtand für die Staats - Zeitung zu ſchreiben und ihm zu übergeben. Unmittelbar dar auf erſchienen ſie in derſelben und wie mir hinterher der General ſelbſt und auch der Fürſt Wittgenſtein ſagte, war der König damit ſehr zufrieden.

Namentlich hatte es ihn amüſirt, daß ich den alten

General La Fayette den Ober - Ceremonienmeiſter der Revolutionen genannt und eine Art Blumenleſe aus ſeinen Reden und Mittheiluns gen zuſammengeſtellt hatte, die ihn als Hampelmann der Demokraten pantin de la democratie - darſtellten . Mit dieſem

Artifel hatte ich endlich in der unglüdlichen Polui

ichen Angelegenheit meine Thätigkeit beendet ; wenn nicht ein wunder: barer Zufall mir zu Hülfe gekommen wäre , jo hätte ich leicht noch dabei ad infinitum beſchäftigt werden können . Einſt nämlid tei einem

ſolennen poifeſte, bei dem

der General v. Witleben nicht jeb

len durfte, wie er es ſonſt wohl gern that , nahm er mich bei Seite und jagte :

,, Der König hat gewünſcht,

daß über die ganze odieuſe

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Bolniſche Geſchichte eine getreue, auf Dokumente geſtügte, Darſtellung bald erſcheine und hatte dem Miniſter des Aeußern aufgetragen, eine ſolche zu entwerfen und ihm dieſelbe vor dem Drucke zugehen zu Laſſen. Da hat ihm dieſer in dieſen Tagen ein großes voluminöſes Aktenſtück geſchickt,

welches der König gar nicht hat anſehen wollen .

,, Glauben denn die Herren ," ſagte er , ,, daß alle Leute ſo viel Zeit zum Leſen haben, wie ſie ? Wer wird ſolch ein dickes Buch anſehen ? Sorgen Sie dafür, daß eine gut geſchriebene nicht zu ſtarke Bro chüre über dieſen Gegenſtand erſcheine. Ich denke , daß Sie Major Brandt damit beauftragen ." .Ich werde dafür ſorgen , daß Ihnen die betreffenden Aktenſticke dazu bald zugehen ,“ ſchloß der General. „ Machen Sie ſich denn raſch ans Werk 2c." Ich geſtehe, daß mir die Sache keineswegs genehm war; ich war des ewigen Schreibens, das mich meinem Berufe ganz entzog und mich in Verdrießlichkeiten aller Art verwickelte, von Herzen über drüfſig.

Einſtweilen aber blieb

mir

doch nichts übrig als bonne

mine au mauvais jeu zu machen . Aber es vergingen acht, vier zehn Tage und es famen feine Aften . Da ließ mich eines Tages General v . Wißleben rufen und deſſen erſte Frage war : „ Wie weit ſind Sie mit Ihrer Arbeit !" Als ich ihm antwortete, daß ich noch immer auf die Dokumente warte, ſagte er : „ Das iſt ja unerhört, ich werde ſofort an Eichhorn - damals Direktor im auswärtigen De partement -- ſchreiben und die Sachen urgiren ." Aber wer keine Akten ſchickte war Eichhorn. Bald darauf traf ich den General wieder auf einem Hoffeſte, eben im Begriff, fortzu =• gehen. Nun wie ſtehts , wie weit ſind Sie ? " waren ſeine erſten Worte, als er mich ſah . Und als ich ihm ſagte, daß ich noch immer feine Akten erhalten , erging er ſich in einer derben Redensart und gelobte die betreffenden Herren zur Eile anzutreiben. Wer aber keine Akten ſchickte , war der Herr Miniſter.

Ich machte mich dem

nach eines Tages auf und ging zu dem Geheimen Legationsrath Bhi lippsborn , den ich ſchon lange Zeit kannte und der eine bedeutende Rolle im auswärtigen Amte ſpielte.

Nachdem ich ihm

den ganzen

Hergang erzählt, ſagte er mir ganz offen : der General-Adjutant des Rönigs denkt uns ſo befehlen zu können , wie er in der Armee befiehlt, aber da irrt er ſich gewaltig .

Wenn der König dem

Miniſter, von

Angeſicht zu Angeſicht , den Befehl giebt zu der in Rede ſtehenden Arbeit Ihnen die Akten einzuſenden, dann wird dieſer Weiſung natür lich ſofort genügt werden ; auf ſolch einen Adjutanten - Ukas hin wird

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,, Wenn nun man ſich aber auf nichts einlaſſen. Wenn nun ,, " entgegnete ich , ,, der König nach dem Verlauf der Sache fragen ſollte ?" ,,Dann wet den wir ihm ſagen , " war die Erwiederung, ,, daß wir die Bearbei tung bereits einem Mann von großem litterariſchen Rufe übertragen hätten ,“ antwortete mein Freund. Zugleich fügte er hinzu, daß man Sachen, welche einmal verfahren, am Beſten todtſchwiege. Ich börte dieſen · Ausdruc , der einige zwanzig Jahre ſpäter ſo geläufig und in praxi ſo oft angewendet wurde , damals zum erſten Male und ver muthe alſo, daß er eine Erfindung der Diplomatie iſt. Ferner jagte mir der Herr Legationsrath , daß man es höchſt überdrüſſig ſei, die Þerren Militairs ſo in die Diplomatie pfuſchen zu ſehen. Bald fei es General b. Müffling , dann General v . Thilemann , endlich die Herren v. Canit, Rochow , Radowig, Gerlach, Brandt, die darin fich verſuchten ; es werde Alles verfahren und Niemand wiſje mehr redit, wer Koch , wer Kellermeiſter ſei. Er möchte faſt glauben , daß das Kaleidoſkopiſche, welches in unſere Politik gekommen , mit eine Frucht dieſes militairiſchen Envahiſſements ſei. Philippsborn war , ni fallor , ſeit 1815 im auswärtigen Mini ſterio, - er war zugleich ein redlicher, braver Mann ; ich hatte teine Urſache, ſeinen Worten zu mißtrauen. Ich mußte ihm die Verſiche: rung geben , daß ich von unſerer Unterhaltung Nichts den Betreffen den mittheilen wolle,

und darauf ſchieden wir von einander. Wie oft habe ich in ſpäteren Jahren, in höheren Stellungen , wenn irgend

eine Sache nicht vom Flede wollte, an meine damaligen Erfahrungen gedacht. Bald darauf erkrankte der General v . Wiplebeu bedeutend; ſpa ter ward er Kriegs - Miniſter und ſo fam die Sache almählich in Vergeſſenheit. Das Miniſterium des Auswärtigen hatte die Sache durch den bekannten Hiſtoriker Fr. v. Raumer bearbeiten laſſen und ihm für ſein Büchlein ein gutes Honorar gegeben . Der König aber, ſowie Alle die es geleſen, meinten , daß es mehr zum Vortheil der Polen als der Preußen geſchrieben ſei. Dieſe kleine Epiſode wird darthun, wie zäh eine ſich ſelbſt bewußte Büreaukratie ſein kann . Während wir im Nordoſten beſchäftigt waren, die unreinen Gle. mente , welche uns die Revolution von Außen her , man kann ſagent zugeſpült hatte, zu beſeitigen, zeigten ſich auch im Innern ſchon Spu . ren jener Zerſetzungen, die ſpäter den Staat heimſuchen und beſonders das Preußiſche Nationalgefühl erſchüttern ſollten. Die Unterthanen fingen an , ſich von der Regierung zu trennen ; an der Stelle ruhiger

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Erörterungen über Regierungsfragen in den reſp. Rollegien , machten ſich überall Parteiſtandpunkte geltend , ein Fehler, von dem ſelbſt die höchſten Regierungsbeamten nicht frei waren. Es war im Staats organismus nichts mehr gut genug , alles ward angezweifelt, bemän gelt.

Mochten hier und dort auch manche Veränderungen wünſchens

werth erſcheinen , ſo war man doch viel zu ungeduldig , dieſelben zu erwarten . Die Unzufriedenen hätten es am liebſten wie die Wilden gemacht, d. h . den Baum gefällt, um ſich der Früchte deſſelben zu bemächtigen. Der Bürgerkönig ,

der ſich in Frankreich mehr und mehr auf

dem Throne befeſtigte und ſich mit angeblich republikaniſchen Inſtitu tionen umgab, hatte den meiſten Leuten den Kopf verdreht. Alles ſchaute nach Frankreich, wo ſich die Sachen mehr und mehr conſoli dirten . Ade Welt ſprach von Gefahren, die Deutſchland von dorther tommen würden und wies auf die Armee Frankreichs hin , Reiſenden geweſen

die von

ſei es von Literaten, Touriſten oder Offizieren die dort in den verſchiedenſten Farben dargeſtellt ward.

Während man in Schwedt Alles zum Empfange des Kaiſers von Rußland vorbereitete, der im Auguſt erwartet wurde, wollte man wenigſtens poſitive und verläſſige Nachrichten über die Franzöſiſche Armee haben - man wollte wiſſen, wie ſie ſich unter den Waffen in ihren Lagern , die ſie Ende Sommers zu beziehen pflegte , beneh men würde , man woute über deren Armirung, Ausrüſtung und Kriegsbereitſchaft unterrichtet ſein. In der erſten Decade des Au guſt 1833 bekam ich den Befehl , begeben .

mich zu General v. Wigleben zu

,, Dem Könige ," redete er mich an , ,,ſind in neuerer Zeit

ſo viele widerſprechende Nachrichten über die Franzöſiſche Armee zu gegangen , daß darüber jede klare Anſicht verloren gehen muß. Sie haben in jüngſter Zeit ein Baar gute Armeen, allerdings in verſchie denen Phaſen ihrer Laufbahn geſehen , Feldzüge mitgemacht,

Sie haben ja ſelbſt mehrere

ſich zugleich viel mit friegsgeſchichtlichen Stu

dien beſchäftigt und haben ſomit einen Maßſtab, um über die Ariegs tüchtigkeit von Truppen zu urtheilen .

Der König hat daher befohlen,

daß Sie nach Frankreich gehen, dort die verſchiedenen Lager bereiſen und über den Zuſtand der dort verſammelten Truppen berichten. Sie ſollen noch einen Artillerie- und Kavallerie -Offizier mitbekommen, um ſo ſpeziellere Nachrichten über die Ihnen fremderen Waffen ſammeln zu können .

Richten Sie ſich ſo ein , daß Sie bald nach Anfang der

zweiten Hälfte des Monats von Coblenz aus Ihre Reiſe antreten

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können. Melden Sie ſich dort bei General v. Borſtel. An dem werde ich zugleich die miniſteriellen Ausweiſe ſchicken , die für Ihre Reiſe nöthig ſind. Einer ſpezielleren Inſtruktion wird es für Ste nicht bedürfen ; was Sie ſonſt an Hülfsmitteln bedürfen, finden Sie ja Aues im Generalſtabe. Ich denke nicht, daß Sie ſich noch einmal bei mir zu melden haben - reiſen Sie mit Gott und laſſen Sie bald von ſich hören ." Raum war meine Miſſion bekannt, ſo meldeten ſich eine Menge Offiziere , die mich alle begleiten wollten . Glücklicher Weiſe war die Ausivaht mir nicht geſtattet, indem ſich der General v . Wigleben die ſelbe vorbehalten hatte. Ich richtete mich ſo ein, zur beſtimmten Zeit in Coblenz ſein zu können . Doch hier war man noch von nichts unterrichtet, fein Menich wußte von meiner Miſſion ein Wort, weder General v. Borſtell, nec die Regierungs- Behörde. Der genannte fommandirende General em : pfing mich jedoch ſehr freundlich und als ihm nach etwa 4 bis 5 Ta gen die Benachrichtigung hierüber zuging, beſtimmte er ſofort die bei den Offiziere, die mich begleiten ſollten, zu deren Auswahl er ermäch tigt war und erleichterte uns unſere Abreiſe auch ſonſt nach Möglich keit. Wir konnten bereits am 20. Auguſt abreiſen . Die beiden Of fiziere, die mich begleiteten, waren der Hauptmann Enfe der 7. Ars tillerie - Brigade und der Lieutenant Hoffmann des 7. Ulanen - Regi ments , unterrichtete und in ihrem Fache bewanderte Leute . Cieute nant Hoffmann ſtarb, wenn ich nicht irre als Rittmeiſter , Enfe aber ward ſpäter General- Lieutenant und hat den Ruhm , viel zur Einfüh rung des neuen Artillerie-Syſtems in Preußen beigetragen zu haben . Er war der Bruder des berühmten Aſtronomen gleichen Namene, damals Direktors der Sternwarte in Berlin .

Beide ſind bereits im

Jenſeits und haben den ungetheilten Ruf beſonderer Geſchidlichfeit in ihren Fächern und wahrer Biederfeit mit hinüber genommen . Da wir ohne jegliche Renntniß der Oerter waren, bei denen die Lager aufgeſchlagen waren und wann die Truppen dort verſammelt ſein ſollten , ſo begaben wir uns zuvörderſt nach Met. Wir waren der lleberzeugung, daß wir dort die ſicherſte Nachricht darüber erhal : ten würden . Als wir gegen Abend dort anlangten, war gerade eine meute in Ausſicht . Der Maire hatte irgend etwas gethan , was mit der Freiheit des ſouverainen Volfes im

Widerſpruch war, - ET

hatte die Aufführung eines Theaterſtücks Incendiaire als den Sitten zuwider verboten - man wollte

ihm

daher eine

Lection geben und

191 ihm eine Katzenmuſik bringen

donner un charivari.

Da uns

dergleichen etwas ganz Neues war, ſo wollten wir uns die Sache in der Nähe anſehen , aber Polizei, Gensdarmen und Militair hatten ihre Anordnungen ſo gut getroffen, daß wir uns dem þeerde der Poſſe, denn weiter war es eigentlich nichts , der rue des clercs, in welcher der Maire wohnte, gar nicht nähern konnten . „ On ne passe pas !“ war der Zuruf, der Jedem Seitens der Wachen entgegentönte, wenn man ſich nur der Straße näherte , wo das Stück ſpielte. Wir hörten nur einen großen Lärm , Spektakel, Pfeifen, Keſſelſchlagen, ein à bas le maire, und nachdem der Lärm zwei Stunden gedauert hatte, wobei die Leute ganz gemüthlich aus den Fenſtern ſahen , ver lief ſich die Menge ohne Weiteres . Um 11 °/2 Uhr war Alles vor bei und mit Ausnahme einiger Nationalgarden , rückte Alles in die Duartiere. Am andern Tage früh meldeten wir uns bei dem Rommandan ten . Der Oberſt Dupleſis empfing uns ſehr artig und wir ver plauderten eine ganze Stunde recht angenehm . Aber von den Lagern wußte er feine Silbe ; ihm war wohl bekannt, daß dieſe meiſtens im Auguſt und September bezogen würden , aber er hatte weder in den Zeitungen etwas darüber geleſen , noch war ihm ſonſt eine offi zielle Mittheilung über deren Emplacement zugegangen. Er glaubte aber von Militairs gehört zu haben , daß in St. Omer bereits die Truppen verſammelt wären und daß man den Herzog von Orleans und den General Gerard dort erwarte . Uebrigens ſtellte er uns an heim, alle militairiſchen Etabliſſements in Augenſchein zu nehmen, was wir aber, da wir doch in einer Grenzfeſtung mit großer Discretion verfahren mußten , nicht ausgiebig benutten . Bei unſerer Ercurſion trafen wir vielfach mit Unteroffizieren und Soldaten zuſammen , mit denen wir ſprachen. Die Leute waren meiſtens ruhig und beſonnen, ohne jede Eraltation. Sie waren aber gegen die canaille , die den Straßenunfug alle Augenblicke erneuerte , ſo daß die Truppen Stun Wir den lang unter den Waffen ſtehen mußten , höchſt erbittert. überzeugten uns auf unſern Gängen, daß wir ausreichend über Metz inſtruirt waren , verloren daher weiter nicht viel Zeit , ſondern ſchichten uns an, zunächſt unſerer Miſſion zu genügen . Nun aber kam

es darauf an, wohin wir uns zu begeben hätten.

erfuhren wir von unſerem Wirthe,

Durch Zufall

daß bei ihm ein Handelsmann

wohne , der mit den Militair - Behörden wegen Lieferungen ſtets in Berührung ſtände und der uns vielleicht Auskunft darüber ertheilen

192

fönne.

Wir ſepten uns alſo mit dieſem in Rapport.

Der Mann

war Holländiſcher Abſtammung, verſtand weder Deutſch noch Frans zöſiſch und machte ſich uns nur in einem ganz eigenen Kauderwelio verſtändlich. Wir erfuhren aber ſo viel , daß er in den Lagern von Wattignies und St. Omer geweſen und daß in beiden ſchon ſeit län gerer Zeit Truppen verſammelt ſeien. Es beſtätigte ſich alſo einiger: maßen die Angabe des Kommandanten, und wir machten daher auch ſofort Anſtalten, nach St. Omer zu gehen. Nach allerhand Zwiſchen fällen , die eine auf gut Glück unternommene Reiſe immer mit ſich bringt, nachdem ich mir einen Wagen hatte kaufen müſſen , um des ewigen Umpadens und Wechſelns des Wagens überhoben zu ſein, langten wir endlich glüdlich in St. Omer an. Ich begab mich als: bald zum Kommandanten, zeigte ihm den Zweck unſerer Reiſe an und bat um die Erlaubniß , uns einige Zeit dort aufhalten zu dürfen. Aber man denke ſich unſer Erſtaunen, als er mich bald darauf benad richtigen ließ, daß unſere Ankunft durchaus nicht annoncirt ſei, und daß der General Sebaſtiani, Rommandant des Lagers, uns bis daß dieje Nachricht einginge, auch nicht empfangen könne. Ich ſchrieb ſofort nach Berlin, urgirte die Erpedition der nöthigen Vollmachten und dann vers wandten wir unſere Zeit, um die Umgegend zu durchſtreifen , beſuchten das auch ſo genannt von dem Dorfe, bei dem das Lager von Helfaut Lager von St. Omer liegt, und informirten uns von allem , was auf den Gegenſtand unſerer Miſſion Bezug hatte. Die Gefälligkeit der Franzoſen kam uns hierin ſehr zu ſtatten . Zugleich entwarf ich den Plan für unſere Beſchäftigung und unſere Berichte. Ich vertheilte die Arbeit ſo , daß jeder von uns ſich zunächſt um ſeine Waffe be kümmern folle und in Bezug hierauf ſich mit der größten Gründlichkeit über Alles orientiren . Alle Abende tamen wir denn zuſammen und theilten uns das Bezügliche mit. Zugleich tauſchten wir allgemeinere Bemerkungen aus , ſo daß wir für jeden Tag das Material für den Bericht vollſtändig geordnet hatten. Um ein vernünftiges Syſtem in die Sache zu bringen, ſeşte ich für denſelben folgenden Gang feſt: 1 ) phyſiſcher Zuſtand der Leute : 2) Bekleidung, Bewaffnung, Ausrüſtung, Disciplin; 3 ) Detail- Ausbildung, — Kompagnies, Bataillons-, Regiments .,

Brigade- und Diviſions- Ererciren ; 4) Manövriren, Felddienſt, Scheibenſchießen ; 5) Lagerung, nach allen Richtungen hin für Offiziere und Sols

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daten in den verſchiedenen Lagern, Verpflegung, Küche in der Garni ſon und im Lager ; 6) das Menage - Machen in Kaſernen und im Lager , der Offi zier- Tiſch ;

7) das Leben im Lager und in den Garniſonen; 8) Lazareth- Anſtalten im Lager und in den Garniſonen, Maga zine, die Lager an ſich, Arſenale , Militair -Anſtalten , Waffenfabriken, Werkſtätten, Kriegstüchtigkeit der Armee, Geiſt der Offiziere und Sol daten, Biographiſches über die höhern Offiziere, politiſche Umſchau. Leider mußten wir einen weſentlichen Theil, die Marſch - Disci plin , ganz unberührt laſſen , da Marſchübungen aus dem Lager gar nicht ſtattfanden. Ich glaubte ſo den Forderungen, die an einen Bericht gemacht werden könnten zu entſprechen , und ich habe mich nicht getäuſcht.

ris ,

Als endlich nach mehreren Tagen die Benachrichtigung von Ba uns zu empfangen und uns Alles zu gewähren , was zu einer

Orientirung über die Franzöſiſche Armee beitragen könne , eingegan gen war, empfing uns General Sebaſtiani.

Er war ſehr freundlich,

aber dabei doch gemeſſen . Der Umſtand, daß er längere Zeit in Deutſchland geweſen und daß er den Feldzug in Rußland mitgemacht hatte , gab mir viele Berührungspunkte mit ihm .

Ihm war es na

türlich unbekannt, daß ich über ihn ganz gründlich unterrichtet war, daß ſein militairiſches und politiſches Leben offen vor mir lag. Durch Umgang mit den Offizieren, die ſich ohne jede Gène über alles was ſie wußten , äußerten, erfuhren wir mehr als wir brauchten und über Manches gaben uns die Bibliotheken und Leih - Anſtalten , die recht gut

mit

richte zc.

militairiſchen

Werken

genügende Auskunft.

verſehen Die

waren ,

ſowie

Tagesbe

Truppen ſelbſt betreffend,

fonnte man deren Zuſtand als durchaus genügend bezeichnen. waren geſund ,

kräftig ,

wenngleich klein ;

gut

und zweckmäßig

ſo Sie be

kleidet und beſchuht; dabei reichlich ernährt, in Ertragung von Fati guen geübt und hinreichend für kleinere und größere Uebungen vorge bildet.

Die größern Manövers wurden dem alten Reglement nach

ausgeführt und wichen inſofern von den unſern ab . Von den Ro lonnen ward nur ein geringer Gebrauch gemacht, dagegen ſahen wir wiederholt Quarre's von der ganzen Diviſion bilden und in dieſer Formation exerziren. Die Kavallerie bewegte ſich, wenngleich zweckmäßig, ſo doch in Sie ſchien mehr den Accent auf einem viel zu langſamen Tempo. 13

194

das Geſchloſſenſein, als auf ſchnelle Bewegungen zu legen.

Die

Ar

tillerie war mit kleinen , aber ſtarken Pferden beſpannt, bewegte ſich raſch und wurde bei den Manövers , die wir zu ſehen Gelegenheit hatten, zweckmäßig verwandt. Wenn die rein taktiſchen Bewegungen aller Armeen ſich auf den Erezzirplätzen einander immer ziemlich gleich bleiben, jo zog doch eine unſere Aufinerkſamkeit beſonders auf ſich. Die ganze Diviſion for mirte nämlich ein großes, hobles Quarré, die Infanterie en ligne, die Kavallerie in der Mitte , die Artillerie auf den Eden . Nad dem einzelne Flanken der Infanterie gefeuert, doublirten einige Züge und die Kavallerie fiel aus, um den ſupponirten Gegner zu verfolgen. Die Artillerie auf den Angriffsfronten feuerte tapfer drein .

Nach

einer Weile deployirte die Maſſe und ſtellte ſich in zwei Treffen auf : die Hälfte der Artillerie vor den Intervallen des Centrums, die Ga vallerie brigadeweiſe auf den Flügeln , zwei Bataillone mit einer Batterie bildeten die Reſerve. Wenn man annimmt, daß die Bewegungen zur Formation des Quarré'8 über eine halbe Stunde dauerten , ſo darf man wohl be : haupten , daß eine gute Kavallerie der Formation deſſelben viel Hin derniſſe in den Weg gelegt haben würde. -- Jedenfalls genügten die Truppen ihrer Ausbildung nach vollkommen , um in einer Schlacht: linie allen taktiſchen Anforderungen zit entſprechen. General Vicomte Sebaſtiani, Rommandeur der erſten Diviſion der Nord - Armee und zur Zeit des Lagers von St. Omer, 1812-13 noch Eskadron - Chef, erhielt während der Reſtauration den Befehl über die forſiſchen Jäger, wodurch er zur Infanterie fam . Bei der Erpedition in Morea kommandirte er bereits ein Regi Seiner Verwandtſchaft mit dem Miniſter Sebaſtiani hatte er es zu danken , daß er bald General wurde. Später finden wir ibn als einen der General - Inſpekteure der Infanterie wieder. - Sein Neußeres, worauf er viel zu halten ſchien, das zahlreiche Gefolge be rittener Offiziere, womit er ſich umgab, ſein Veſtreben, in geſellſchaft lichen Kreijen zit gefallen, hatten ihn den Beinamen eines damoiseau bei ſeinen Untergebenen erlangen laſſen . Von den preußiſchen Militairverhältniſſen hatte er durchaus tei nen Begriff. Den Feldmarſchall Gneiſenau hielt er für einen ruſſi ſchen Feldmarſchall. Von den ruſſiſchen Truppen ſprach er mit sie ringſchätung und maß ihre Siege über die Türfen nur derent nech geringerer militairiſcher Tüchtigkeit bei .

Meine Bemerkung, daß die

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Ruſſen auf einem Schlachtfelde an Ausdauer und Zähigkeit per sévérance et ténacité ihres Gleichen ſuchten, ſchien er zu über hören. Als aber ein ruſſiſcher Fürſt und General Gallizyn zu den Manövers erſchien, erſchöpfte er ſich gegen dieſen in Artigkeiten. Er trieb die Galanterie ſo weit, daß er deſſen Gemahlin, einer geborenen Gräfin Potoda, wenn ich nicht irre, einen Adjutanten beigab, um ſie bei den Manövers zu führen . Der General unterhielt ſich gern über taktiſche Gegenſtände und ließ dabei nicht unbemerkt, daß er Präſident einer Kommiſſion ſei, die beauftragt wäre , eine Ordonnanz über Infanterie - Manöver zu ent werfen . Dabei hatte er jedoch keinen Begriff von den reglementari ſchen Beſtimmungen fremder Armeen .

Wie man uns ſagte, hatte

einer der ehemaligen Adjutanten des Marſchalls Soult, ein General Rocheret, der eine Infanterie - Brigade im Lager fomniandirte, den Hauptantheil an dieſer Arbeit. Der genannte Herr war überhaupt vielfach vom Miniſterium mit Redaktion militairiſch - reglementariſcher Beſtimmungen beauftragt. Die Offiziere waren der Meinung, daß der General Sebaſtiani ſeinen Weg zu raſch gemacht und nicht Zeit gehabt habe, den Dienſt in allen ſeinen Beziehungen gründlich kennen zu lernen . In ſeinen politiſchen Beziehungen hielt man ihn der neuen Dya naſtie ſehr ergeben. Sonſt war er in ſeinen politiſchen Anſchauungen etwas furzſichtig, erfundigte ſich in indisfreter Weiſe nach den Gje ſinnungen der Bewohner unſerer Rheinprovinz , und ſprach von den Sympathien, die man dans la Bavière - Rhenane pour la France hätte. Doch dies iſt eine Anſicht, die er mit vielen Franzoſen theilt. Sehr wahrſcheinlich

hatte er dieſelbe Meinung über Rheinpreußen,

nur hütete er ſich, dieſelbe auszuſprechen. In ſeinem Betragen gegen uns war er ſich ungleich , -- er verſicherte uns ſtets ſeiner Gunſt, verſprach uns Pferde für die Manöver, aber dachte nicht daran, ſein Wort zu halten. Dafür aber gewährte er uns alle nur zu wün chende Mittel, die Militair -Etabliſſements aller Art kennen zu lernen . Kommandeur der 1. Infanterie- Brigade war General Hariet , ein Mann von gewaltigem Körperbau, von vielleicht zehn Zoll . Sein feuriges, ſchönes Auge kontraſtirte wunderbar mit ſeinen ſchneeweißen Haaren. General ſeit 1813, diente er heut unter General Sebaſtiani, der damals Oberſt -Lieutenant war . Ein Mann von angenehmen Formen und Feinem Gefühl, kam er uns mit kameradſchaftlicher Offenheit entgegen und zeigte ſich als ziemlich vertraut mit unſerer Organiſation. „ Sie ſehen hier 13 *

196

en miniature , was Sie bei ſich im Großen haben - unſere Zujanmen ziehungen haben nicht viel zu bedeuten, ſind nur camps d'instructions, während Sie camps de manoeuvre haben . Wir wollen unſere Truppen und jungen Offiziere nur manövrirfähig erhalten.“ Seinen taftiſchen Einſichten dürfte feine große Bedeutung beizumeſſen ſein , wenigſtens nicht nach ſeinen Aeußerungen ; merkwürdiger Weiſe war er über das, was das Detail der Bewaffnung, Päckerei 2c . betrifft, faſt des orientirt. Er ſtegte mit ſeinen Gefühlen , Erinnerungen und militai riſchen Renntniſſen noch vollſtändig im Kaiſerreich . Er hatte übrigens den Ruf eines guten Soldaten und angenehmen Vorgeſekten . ſeinen Verhältniſſen hatte er etwas Gedrücktes, was den ſonſt heiteren Mann oft in ſich gekehrt erſcheinen ließ . Ueber den Zuſtand Frant: reichs ſprach er mit Indignation.

Uuſere halbtollen Franzoſen, jagte

er, reißen uns von Ereigniſ zu Ereigniß. Gott weiß, was noch dar aus werden ſoll . An eine Stabilität der Verhältniſſe ſchien er nicht zu glauben. Daß der General zu einem größeren Rommando ges ſchickt war, möchte ich bezweifeln. Jedenfalls hätte er in einem com bat rangé ſeine Truppen mit Geſdrick und kräftig geführt. General Rocheret, deſjen ich bereits gedacht, hatte den Ruf beſonderer Brauchbarkeit und Tüchtigkeit und war in vielen taftijden Fragen ein Orakel für das Miniſterium . Er führte ſeine Brigade die zweite ſehr gut und imponirte durch eine ſtramme militai: riſche Haltung. Zur Zeit der Juli- Revolution ſtand er an der Spite eines Infanterie-Regiments und ſoll ſeiner Schuldigkeit feines wegs nachgekommen ſein. Man ſagte uns, daß ſowohl die verzöge von Angoulême, als auch der Herzog von Orleans ſeine Pathen ge : weſen.

Karl X. hätte ihm beſondere Gunſt erwieſen und dennoch ſei

er einer der Erſten geweſen , die ihn verlaſſen. Die legitimiſten namn ten ihn darim un perfide, un traître und viele Offiziere , die der neuen Ordnung der Dinge angehörten , urtheilten nicht gelinder über ihn . Jedenfalls hätte er bei ſeinen militairiſchen Kenntniſſen , ſeiner Jugend und Riſtigkeit eine Rolle in einem zukünftigen Kriege geſpielt . Déjean , Sohn des unter Napoleon I. Regierung befannten ministre directeur, ein ſchon ältlicher Herr, der ſchon bei Gilau an der Spitze eines Ravallerie - Regiments ſtark verwundet worden war und der alle ſeine ( rade auf dem Schlachtfelde erhalten , war cilt Mann von guter Erziehung und feinen Formen . Er war lange in Deutſchland geweſen, doch ſtammten ſeine Erinnerungen alle aus der Zeit vor 1807. Er ſprach ſtets mit vieler Liebe von Deutſchland,

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von der großen Ruhe und dem Frieden , der in dem ſchönen Lande herrſche und der Liebenswürdigkeit der Einwohner. - Von unſeren militairiſchen Einrichtungen war er ziemlich unterrichtet, und von un ſerer Kavallerie ſprach er mit großer Hochachtung. Er lobte unſere Leute als gute Pferdepfleger, als Freunde ihrer Thiere, als gute und tüchtige Reiter . Unſere reglementariſchen Beſtimmungen und ihre logiſche,

ſyſte

matiſche Entwicklung wurden von ihm ſehr herausgeſtrichen. Auch gab er unſern Pferden den Vorzug vor den franzöſiſchen, obwohl für dieſelben ganz enorme Summen ausgegeben würden .

Ich

glaube,

daß der General ſchwerlich noch zu einem aktiven Kommando im Felde verwandt werden dürfte. In neuen politiſchen Verwirrungen dürfte er nach den vielen Erfahrungen, die er gemacht, ſich wohl zu denen ſchlagen, die ſich auf das Abwarten legen. General Rigny* ) kommandirte die erſte Navallerie -Brigade ein Mann von etwa 45 Jahren. Er iſt ein Bruder des Admirals dieſes Namens und verdankt dieſem wohl mit, daß er beſonders berück ſichtigt wurde. Er war in ſeinen jüngern Jahren Adjutant beim Mar ſchall Suchet, und als ſolchen habe ich ihn gekannt. Ich habe ſelbſt einige Gefechte wie z . B. bei N. S. del Aquilar mit ihm mitgemacht, wobei er eine Kolonne führte. Er galt als der weniger Befähigte in der Umgebung des Marſchalls . Wie man uns jetzt ſagte, war er mehr als diplomatiſcher Offizier, denn als Feld - Soldat brauchbar. Seine Brigade haben wir ihn nicht führen ſehen, da er plöglich eine Beſtimmung erhielt, die ihn aus dem Lager entfernte. — Den gegen wärtigen Zuſtänden war er ergeben , ob er die Probe erneuerter Unruhen und Thronerſchütterungen

wie ein Mann von Muth und

Entſchluß beſtehen werde, darüber waren die Meinungen ſeiner Sta meraden getheilt. – Er wird jedenfalls , meinte man , ſich für die Partei entſcheiden, der ſein Bruder angehören dürfte. Die 2. Kavallerie- Brigade der Diviſion Déjean führte der Vi comte Latour Maubourg, Erbe des ſchönen Namens ſeines Va ters, ein Mann von etwa 40 Jahren . Da er ſich von aller Welt entfernt hielt, habe ich ihn nicht näher kennen gelernt. Sein gelbes, quittenfarbiges Geſicht läßt auf einen ſtarken Hypochondriſten ſchließen. Von Figur lang und ſchmächtig , hatte ſeine ganze Haltung etwas, das an den Ritter von la Mancha erinnert. Als Führer hatte er

*) Lebt noch jekt (1869) als Brigade- General im Reſervecadre.

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feinen ſonderlichen Ruf, doch ſchienen ihm die Offiziere ſeiner Pris gade nicht abgeneigt. – Durch einen Streit mit dem Redakteur des Propagateur in ſeiner Garniſon Arras, den er hatte bedrohen laſſen , er werde ihn wegen eines ihn betreffenden Artikels, ſowie er ihn ſebe, mit der Reitpeitſche aushauen, und wobei die Offiziere ſich für ihren General erklärt hatten , war ganz Arras in Aufregung gerathen und wahrſcheinlich wird die Regierung ſich genöthigt ſehen , die Truppen aus dieſem Grunde zu dislociren. – Uebrigens war der General den Anhängern der neuen Ordnung der Dinge verdächtig und galt für einen Karliſten . Ich übergehe, was ich an andern Orten über die früheren Lager hier und über die Manövers im

Speziellen geſagt habe und bemerke

nur noch, daß über alle Gegenſtände, deren ich in dem oben angeführten Programm erwähnt , weitläufig und mit Sorgfalt berichtet wurde . * ) St. Omer iſt von langen Zeiten her ſtets ein Centralpunkt für Truppenverſammlungen geweſen. Schon 1754 fommandirte hier ein General Cremelies ein Lager von 8000 Mann.

Im Jahre 1788

befehligte hier Prinz Condé 28 Infanterie- und Ravallerie -Regimen : ter , bei denen der ſpäter durch ſein trauriges Schidſal bekannt ge wordene Duc d'Enghien als 16 jähriger Prinz eine Brigade führte. 1804 hielt hier Napoleon, der in dem nahen Salpervice ſein Haupt quartier hatte, auf den Bruyères de St. Omer über eine Abtheilung der Armee

des Lagers

von Boulogne Veerſchau.

Thn begleiteten

damals viele Militair - Reputationen des Kaiſerreichs: Soult , Nev, Marmont, Oudinot, s'Hautpoul, Junot, St. Hilaire, Legrand, Clau zel , von denen 1833 nur noch Soult und Marmont lebten . 1816 und 1818 lagerte im lager von Helfaut der engliſche Gene ral Thomas Bratfort mit einer Diviſion , welche der Feldmarſchall Wellington auf den Bruyères de St. Omer beſichtigte ;

1825

faßte die Regierung den Beſchluß, hier ein ſtehendes Lager zu etabli : ren ; – 1826 lagerten hier 10 Regimenter unter Zelten , und ſeit dieſer Zeit haben hier mit Ausnahme der Jahre 1831 und 1832 ſtets Truppen gelagert.

Wir ſahen hier das 8. , 22. , 25. und 39 .

Pinien -Regiment und das 1. Chaſſeur-, 2. Huſaren-, 5. und 10. Tra goner- Regiment. Die verſchiedenen franzöſiſchen Lager 1826 , 1827 , 1828 haben die Generale Curial, 1829 Paſſerot, 1830 Dalton und 1832 Tiburce Sebaſtiani befehligt. *) Die erwähnten Beridte befinden ſid, im Wrchiv des großen Generalſtaber

1

Neunter Abſchnitt. 1 8 3 3. Abreiſe ins Lager von Wattignies. — Hiſtoriſche Notizen über daſſelbe. — Charakteriſtit einiger höheren Offiziere. — Abreiſe ins Lager von Rocroi. — Hiſtoriſche Notizen. Kurze Beſchrei bung des Lagers. - Der Karliſtiſche Geiſt in demſelben.

Nachdem wir uns beim General Sebaſtiani beurlaubt hatten, traten wir unſere Reiſe nach Wattignies, bei Maubeuge, an , wo die 2. Diviſion der Nord - Armee unter dem General - Lieutenant Achard verſammelt war. Das Uebungs- Lager bei Wattignies , auch wohl das Lager von Maubeuge, von Dimechaur genannt, liegt auf dem Theile des Schlacht feldes von Wattignies, auf dem der Hauptangriff unter General Du quesnay ſtattfand. Bekanntlich fand er zu einer Zeit ſtatt, als bereits der Prinz von Roburg den Rückzug befohlen hatte, ohne daß er des wegen beſſer ausgefallen wäre , als die Angriffe der Generäle For mentin , Cordelier und Balland auf dem linken Flügel und im Cen= trum. Das ruſſiſche Occupations - Rorps hatte zwei Jahre hinterein ander ſeine Uebungen hier abgehalten und zu dieſem Behuf auch einige Redouten aufgeworfen , die noch heute redoutes russes vom Volfe genannt werden.

Das Lager hier ward 1832 zur Zeit der belgiſchen

Unruhen für eine Reſerve - Diviſion von 12 Bataillons eingerichtet. Ein Ingenieur - Offizier und Arbeiter der Garniſon von Maubeuge hatten es in drei Wochen hergeſtelt. Das Terrain hatte verhindert, es in regelmäßiger Form und nach dem Reglement anzulegen. Es hatte eine Länge von 1150 Schritt und eine Tiefe von 1630 Schritt.

200

Die Barafen waren aus Strauch erbaut, von außen mit Lehm be worfen und hatten durch Anſtreichen mit Ralt ein freundliches Anjeben gewonnen. Es lagerten in demſelben das 8. leichte, das 65. Linien Regiment, das 7. und 61. Linien-Regiment, die aber nur 8 Batail lone betrugen . Es läßt ſich auch von dieſem Lager daſſelbe, wie von dein von St. Omer ,

ſagen .

Es herrſchte überal Ordnung und Disziplin .

Die Offiziere erklärten ſich mit der Mannszucht zufrieden. Wo fleine Erzeſſe vorgekommen , da waren dieſe durch den Trunk herbeigeführt worden .

Bei Beginn des Lagers hatten die Leute ſich Lebensbedürfs

niſſe von jenſeit der Grenze herüber eingeſchmuggelt; ſpäter aber hatte man auch Tuch und Taback eingeführt und hatten ſich hierzu oft eine Menge Leute vereinigt. Als ſich aber die Lokalbehörde hierüber be ſchwert, konſignirte der General auf einige Zeit das ganze Lager, worauf denn der Unfug alsbald aufhörte. In den Cantinen, welche wohl als die Barometer der Sittlichkeit der Leute zu betrachten ſind, ging es äußerſt ruhig zu . Nach den Mittheilungen des Sensdarmen Offiziers hatten die 7000 Mann des Lagers vom 1. Juli bis zum 1. September etwa 15,000 Litres Schnaps getrunken , was auf den Mann etwa 2 Litres machen würde . Der General - Lieutenant Achard gehörte zu den ausgezeichneteren Offizieren der alten Naiſer - Armee und hatte 1812 als Oberſt eines Infanterie - Regiments ſich in dem heftigen Gefecht Bagration's gegen Davouſt bei Sultanowka , unweit Mohilew, beſonders ausgezeichnet. Er war unzählig oft verwundet worden. 1815 hatte ihn Napoleon zum General ernannt. Als aber die Bourbons heimfehrten , ward ſeine Beförderung nicht anerkannt und er mußte die Generals - Epauletten wieder ablegen , die ihm erſt wieder im ſpaniſchen Feldzuge 1823, wo er den Rang eines maréchal de camp erhielt, zu Theil wur : Von den . In Algier ward er ſpäter zum Diviſions -General erna Jugend auf Soldat , vertraut mit allen Details des Dienſtes und nicht unbefannt mit dem höheren Theile des Kriegsweſens überbaurt, erfreute er ſich eines guten Rufes als General und man bezeidinete ihn als einen ausgezeichneten General der Infanterie. Er war da mals 58 Jahre alt , mmd trotz ſeiner vielen Wunden überaus thätig, rüſtig und ſtets auf dem

Plate.

Er war ein großer Verehrer des

Kaiſers, maß ihn aber mit demſelben Maße, mit dem der Kaiſer ſich ſelbſt in ſeinen Memoiren mißt. Thın iſt er der friedfertigſte Monarch , der je auf einem Thron geſcſſen , aber die perfidie Englands , la

1

201

haineuse politique de l'Autriche et la perversité de la Russie haben ihn unaufhörlich zu den Waffen gerufen . – Von dem gegen wärtigen Zuſtande Frankreichs ſchien er wenig erbaut. Er meinte, daß Alles auf die Republik hinarbeite und äußerte einſt bei Tiſche, daß es in 30 bis 40 Jahren nur Republiken in Europa geben werde . Als ihm Hauptmann Encke hierauf entgegnete, daß dies für die Staa ten germaniſcher Race wohl nicht zutreffend ſein dürfte, antwortete er : „ Nun , ich werde es freilich nicht erleben, ſo mancherlei ich auch ſchon durchlebt habe - aber Sie ſind noch jung und dürften wohl noch mit in den Strudel der Ereigniſſe, die jener Kampf herbeiführen wird, hineingezogen werden .“

Der General hatte ziemlich richtig prophe

zeiht, denn was ſich faſt zwei Dezennien ſpäter ereignete, ſchien ſeine Behauptungen wahr zu machen . Die Breſſe, äußerte ein ander Mal der General, zerſetzt heut Attes. Den Scribenten iſt nichts heilig ; -- nur das iſt dieſer Race Den Verhält heilig , was die Zahl ihrer Abonnenten vermehrt.

niſſen in Frankreich, wie ſie gegenwärtig waren , maß er keine lange Dauer bei - es ſchien , als traue er der Dynaſtie nicht Kraft genug zu , ſich zu behaupten , wenn ſie durch die Ereigniſſe in eine bedenk liche Stellung verſegt würde . Er befürchtete von der republikaniſchen Seite her den Stoß, der am gefährlichſten ſein dürfte . Bei aller anſcheinenden Gutmüthigkeit des Generals und der Freundlichkeit, die er uns erwies , fehlte es ihm doch nicht an einer gewiſſen feinen Malice. Eines Tages , als wir bei ihm zu Tiſche waren , ſprach er einem Manöver , welches er nächſtens auszuführen gedächte. Tenez, ſagte er , je ferai attaquer cette redoute russe , que vous avez vue sur le terrain de manoeuvre . Je l'emporterai , mais

von

après un court délai l'ennemi retournera

à la

charge.

Je

commencerai alors un mouvement retrograde , le combat restera quelques moments indécis . Alors Général Loewestine passera à l'ennemi, ce qui dérangera notre affaire et finira par nous mettre en déroute . Da ich von Anfang an merkte , worauf die Sache hinauslaufen follte, ſo ſette ich meine Unterhaltung mit der Frau Generalin , neben der ich ſaß, lebhaft fort ; dieſelbe erzählte mir gerade, daß Mademoi ſelle Sontag, unſere einſt gefeierte Henriette, de l'escalier gefallen ſei, was ganz Paris beſchäftigte.

Deren Verbindung mit Graf Roſſi

war damals noch nicht bekannt. Aber der General rief mir wieder holt zu , daß ich nicht zuhöre, ſo daß ich ihm endlich wohl mehr meine

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Aufmerkſamkeit ſchenken mußte.

Da ich nicht gleich eine paſſende Ant

wort bei der Hand hatte , ſo begnügte ich mich nur zu ſagen , dag ſeine Manövers gewiß ſehr intereſſant ſein würden und fuhr in mei ner Unterhaltung mit Madame fort. Uebrigens ſchien die Anſpielung des Generals , der ſich etwas durch Champagner animirt hatte, für die anderen Tiſchgäfte unbemerkt zu bleiben, während ſie mir, da ich die beſtehenden Verhältniſſe kannte, ſofort klar wurde . Ueber die politiſchen Geſinnungen des Generals waren die Mei

nungen getheilt . Die Karliſten meinten, daß er feiner Partei Farbe halten werde, weil ſein finanzielles Derangement ihn aus einer Ver legenheit in die andere ſtiirze. Andere meinten, daß ſeine Frau, die Tochter des bekannten Generals Dagobert, der in den Pyrenäen kom mandirte und dort blieb , den entſchiedenſten Einfluß auf ihn habe und daß dieſe eine prononcirte Karliſtin ſei. Ohne hierüber entſcheiden zu wollen , bemerke ich nur , das die Generalin mit Entzücken vom Hofe ſprach, die Liebenswürdigkeit des Königs Karl X. und der Prinzen nicht genug loben konnte und in Ertaje gerieth , wenn ſie der früheren Şoffeſte gedachte, nebenbei hatte ſie das Nivellement der Stände en horreur und war über die gazetiers und die feuilles abominables außer ſich; daß ihr Ein fluß auf den General nicht unbedeutend war , ging aus der ganzen Unterhaltung deutlich hervor. Auf einem Schlachtfelde wird General Achard ohne Zweifel, be ſonders wenn es darauf ankommen ſollte, ſeine materielle Entſchloſſen heit geltend zu machen , ein ſehr reſpektabler Gegner ſein und auch ſonſt ſich Achtung zu verdienen wijſen. Die 1. Infanterie-Brigade, das 8. leichte und 65. Linien - Regia ment, wurde durch den General Kulhière befehligt . In dieſer Bri gade herrſchte vorzugsweiſe viel Ordnung und hatte man bei ſeinen Truppen allerhand gethan , um ein lebhaftes Attachement für den för nig in Wort und Bild darzuthun. Der Sommandeur des 8. leichten Regiments Mr. Fleury de

Bourtholt, der in ſehr freundſchaftlichen Beziehungen mit dem Prin zen von Orleans ſtehen ſollte , hatte hierin das Möglichſte geleiſtet. Mehrere der jogenannten décorations et embellissements du camp ſtreiften nahe an

die Linie des linſchönen und verletzten den linbe: fangenen durch die Fülle grober Schmeichelei . Der General Rul. hière iſt ein

ausgezeichneter Offizier.

Er hat drei Jahre in der

Raijergarde als Gemeiner gedient , iſt dann ſchnell zum Vieutenant and

203

Kapitain avancirt, ward in Rußland ſtart verwundet und die Reſtau ration fand ihn 1814 als Stabsoffizier im 35. Infanterie- Regiment. Als Oberſt dieſes Regiments machte er den Feldzug in Spanien mit, blieb fünf Jahre in Cadir, ward dann nach Morea, wo er ein Jahr blieb und ſpäter nach Algerien perfekt.

Für das brillante Gefecht

bei Maida , welches er geleitet , wurde er nachträglich zum General ernannt. Unterrichtet und viel herumgeworfen pflegte er in kleinen Kreiſen wohl Intereſſantes aus ſeinem Leben mitzutheilen . Als mich General Maiſon, erzählte er einſt, bei meiner Ankunft Ibrahim Baſcha vorſtellte und dieſer hörte, daß ich aus Cadir gekommen , ſah er mich groß an. ,, Ihr ſeid drollige Leute, Ihr Franzoſen ! in Spanien ſtellt Ihr das abſolute Königthum her und hier kommt Ihr her, um eine Republik zu begründen.

Euch kann wahrlich Niemand begreifen !" –

Ein ander Mal befand ſich Ibrahim in einer Geſellſchaft, in welcher dem Champagner ſtark zugeſprochen ward. Da wandte ſich Admiral Heiden an ihn und fragte ihn , wie es denn komme , daß er , da er doch ein guter Muſelmann ſei , den Wein ſo liebe ? ,, Der Prophet wird dies ignoriren , da ich mich in ſo liebenswürdiger Geſellſchaft befinde , " erwiderte er und wandte ſich von dem taktloſen ruſſiſchen Admiral fort zu den franzöſiſchen Gäſten. Der General war ein entſchiedener Gegner der politiſchen Schrift ſteller, denen er alles Uebel, das über Frankreich gekommen, zuſchrieb. Er hatte ſeit den Unruhen in Grenoble , wo damals ſein Regiment ſtand, einen tiefen Widerwillen gegen dieſelben gefaßt. Glüdlicher Weiſe, fagte er, haben wir jeţt, allerdings etwas ſpät, ein Mittel entdeckt, das Unheil zu verhüten , welches dieſe Canaillen anrichten könnten. Wir werden immer einige Nationalgardiſten de bonne volonté fin den , die auf ſie feuernt werden et c'est alors à nous d'achever. Der General beſchäftigte ſich viel mit deutſcher Literatur, kannte einige unſerer Klaſſiker ziemlich genau, war auch ſonſt ein Freund der Deut chen. Mit unſern Militair- Inſtitutionen zeigte er ſich recht vertraut und ſprach mit Achtung von unſern großen Uebungen. General Jamin ſagte mir im Lager bei Rocroi von ihm , Rul hière ſei ein Mann , der weit gehen werde , (irait loin ) wenn ihn ſonſt die Umſtände begünſtigten . Er war damals 47 Jahre alt. Die Karliſten im Lager von Rocroi meinten von ihm , daß er ein geheimer Anhänger der geſtürzten Dynaſtie ſei. Zwar ſchienen die Embleme im Lager - Bezirk ſeiner Brigade dieſem zu widerſprechen, ein fidélité au roi folgte dem andern , aber der General , hieß es,

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ſchreibe ja nicht vor , er gewähre nur – er föme ſeinen Oberſten, welche enragirte Orleaniſten ſeien , ohne aufzufallen nicht hinderlid) in ihren Manifeſtationen ſein. - Die Schlacht von Wattignies fannte der General ſehr genau und beurtheilte das Betragen des Herzogs von Coburg mit vielem Scharfſinn. Der General d'Hincourt, der Kommandeur der 2. Brigade, des 7. und 61. Linien - Regiments , der früher mit General Caraman in Berlin geweſen war und die dortigen Verhältniſſe ziemlich gut kannte, ſchien in etwas gedrüdten Verhältniſſen zu ſtehen und war ſtark frondeur.

Vom General Achard vernachläſſigt, rächte er ſich

durch Nichtachtung gewiſſer Verhältniſſe.

Er ſprach von den Manö

vers mit Geringſchätzung , lobte dagegen Alles , was er en Prusse geſehen . Als er einſt ein kleines Detachement zur Bededung der Artillerie foruniren jah, ſagte er : Nous vous singeons, mais vous avouerez, que nous le faisons bien mal . Ein anderes Mal äußerte er beim Scheibenſchießen, daß man dies nur mit wahrem Eifer und Geſchick in Preußen betriebe. Dieje Anſichten, oft und unverholen ausgeſprochen, hatten es dahin gebracht, daß man ihn der Boruſſomanie anklagte. Wenngleich der General es vermied , ſich in politiſcher Ýinſidit auszuſprechen , jo bezweifelte man doch ſtark ſeine Hingebung für die Juli - Dynaſtie . Die Einrichtungen im Lager ſeiner Brigade ſelbſt ſchienen dies zu beſtätigen. Während im Lager der Brigade Rul hière die Embleme in honorem der Dynaſtie in Ueberfluß vorhan den waren, waren ſie hier mur ſelten anzutreffen und ein Obelist vor der Front derſelben, den die

Truppen des vorjährigen Lagers errich

tet hatten , war ziemlich in Verfall . Doch konnten hieran auch die Oberſten in entgegengeſetzter Weiſe Sdyuld ſein , wie ich es oben in Bezug auf General Rulhière angedeutet. Die politiſchen Veränderungen in Frankreich hielt Mr. Svin court für ſehr nachtheilig dem Geiſt und der Disziplin der Armec . Nichts verlangt mehr Ausdauer und Rontinuität, als die Ausbildung eines Deeres und wie will man dieſe herbeifiihren und pflegen, wenn heute der und morgen ein anderer befiehlt ? Mit unſeren militairiſchen Juſtitutionen war er ſehr bekannt. Der General mochte damals ein Alter

von 48

Jahren haben .

Sein

Außeres war wenig milia

tairiſch und ließ eher einen ( Gelehrten oder ſonſtigen Civiliſten, der es mit ſeiner Toilette nicht genau nimmt, als einen Militair vermuthen . Er führte ſeine Brigade nicht immer zur Zufriedenheit des General

205

Achard und hatte auch ſonſt keinen ſonderlichen Ruf aus kurzem beendeten Feldzuge' mitgebracht. Die mauvaises

dem vor langues

des Lagers meinten , daß er nur eine etatsmäßige Bravour befäße und daß man ihn nie in der Tranchée geſehen , wenn ihn nicht der Dienſt dahin berufen hätte . Die Kavallerie des Lagers , das 7. und 8. Chaſſeur : Regiment,

befehligte der General Loeweſtine, ein ſtattlicher Mann von geſundem , riiſtigem Ausſehen, im Alter von 43 Jahren. Er iſt der Sohn des ehemaligen Gouverneurs der belgiſchen Provinzen und ein naher Ver wandter Cobenzls und war für den öſterreichiſchen Dienſt beſtimmt. Der Ruhm Napoleons aber blendete ihn ſo, daß er ſeinen Verwand ten den Gehorſam verſagte und in franzöſiſche Dienſte trat, was der • Kaiſer ihm nicht vergaß und ihn raſch von Stufe zu Stufe ſteigen ließ . Er ſoll ichon im 27. Jahre 1814 Oberſt und erſter

Adjutant Sebaſtiani's geweſen ſein , was aber die kleine Schrift l'ar mée française 1833 beſtreitet. Als die Loire-Armee aufgelöſt wurde, ging er nach Brüſſel, dort lebte er mit dem Prinzen von Oranien in ſehr intimen Verhältniſſen. Zur Zeit der Juli - Revolution war er einer der erſten Parteigänger der neuen Dynaſtie. Ein Enkel von Madame Genlis, ein naher Verwandter des Marſchaus Gérard, ein ehemaliger Adjutant Sebaſtiani's , dabei très bien avec la famille royale et intimement lié avec Mademoiselle Adelaide, wie er ſich auszudrücken pflegte, begrüßte er den Wechſel der Dynaſtie mit Freuden und konnte es ihm nicht fehlen, ſehr bald angeſtellt zu wer den. Zuvörderſt benugte man ihn nur bei der bevorſtehenden Königs wahl in Brüſſel, die Wahl auf einen dem Miniſteriun wünſchens werthen Kandidaten zu lenken , er reiſte aber von dort ab, als ſich die Wahl zu Gunſten des Königs Peopold entſchieden . Das franzö fiſche Miniſterium wollte nicht den Duc de Nemours, noch den Duc de Leuchtenberg, am wenigſten aber den Prinzen Leopold. Am 16. und 19. September, den größeren Manövertagen, hatte er wenig Gelegenheit, ſich zu zeigen , er ſelbſt ritt fühn und entſchloſ fen. Bei einer Attaque , die eines ſeiner Regimenter machte, kam es an einen kleinen , naſſen Graben , wobei einige dreißig Leute ſtürzten. Während einer Pauſe im Ererziren hatte man die Kavallerie abſitzen laſſen, ein Moment, den die Leute benugten um zit frühſtückent, wobei ſie ihre Pferde verließen .

Als nun der Allarmſchuß zum

Wie:

derbeginn erſchoû, liefen mehr wie funfzig Pferde auf und davon, von

206

denen die meiſten erſt wieder eingebracht wurden, als das Manöver endete .

Die Verpflegung im

Lager war gut - die Haltung und Dis

ziplin der Soldaten zu loben ; man zählte nur 4 Prozent Kranfe. Im Ganzen wohl befriedigt mit Allem, was wir geſehen, traten wir unſere Weiterreiſe an . Das Uebungslager von Rocroi , in dem die 3. Diviſion der Nord- Armee lagerte , ſtößt mit einem Theil an die Umwallungslinie, welche Francisco de Melos y Fuentes im Jahre 1643 zur Bela gerung von Rocroi hatte aufwerfen laſſen . Hierbei fam es zur Schlacht am

19. Mai, in welcher der jugendliche Condé die bis dahin für un

beſiegbar gehaltenen Spanier von ihrer ſtolzen Höhe herabſtürzte. Man gräbt noch jeßt ab und zu Schwerter und Rüſtungen auf den bruyères aus , auf denen das berühmte Viereck, welches die Elite der ſpaniſchen Armee bildete , dem Degen des jugendlichen Helden erlag. Der General-Lieutenant Jamin , Befehlshaber des Lagers, hatte alle Materialien zuſammentragen laſſen , die Schlacht ſelbſt genau ſtudirt und wollte ſie mit ſeinen Truppen darſtellen.

Er hatte hierzu

den Herzog von Orleans eingeladen , aber ſeinen Plan aufgegeben, als dieſer ſich wegen Mangels an Zeit entſchuldigt hatte. Das Lager der 3. Diviſion war unmittelbar und ſo nahe an der belgiſchen Grenze aufgeſchlagen, daß die flanfirten Winkel einiger der Schanzen , die man vor dem

Lager hatte aufwerfen laſſen, auf

belgiſchem Grund und Boden lagen. kurz

vor

dem

Einrücken

Die Zelte zu den Lagern waren

der Truppen

erſt eingetroffen und hatten

unter Leitung eines Ingenieur- Offiziers und einiger Soldaten dieſer Waffe aufgeſchlagen werden

müſſen.

Die

Zelte waren dreifacher

Art : 1 ) alten Modells, ſogenannte Canonnière für 8 Mann Injans terie ; 2 ) Zelte neuen Modells für 15 Infanteriſten oder 8 Ravalles riſten und 3) ſogenannte Martijen, für die Generale und Büreaus beſtimmt.

Zeichnungen, Beſchreibungen, Raum

und Maßverhältniſſe,

kurz alle nur für den Soldaten Intereſſe habenden Details ſind dem Berichte für des Königs Majeſtät ſeiner Zeit beigefügt worden. Ebenſo iſt eine Berechnung des dazut nöthigen Materials und der Koſten zur Beſchaffung derſelben , ſowie ferner die ganze Manipulirung beim Aufſchlagen jeder Art hinzugefügt. * )

Ein idymaler (Graben bezeichnete

die Grenze beider Staaten , ohne daß der Verkehr von herüber und

* ) Befinden ſich im Archiv des großen Generalſtabes.

207

hinüber dadurch gehemmt worden wäre.

Die Soldaten holten ſich

viele ihrer Bedürfniſſe aus Belgien , ohne daß ihnen die Douaniers hierbei hindernd entgegengetreten wären .

Dieſelben verweilten wohl

in der Nähe der Schanzen , an denen noch immer gearbeitet wurde und ſahen dem Treiben dabei zu. Die Verbrüderung der beiden Vöffer ging ſogar ſo weit , daß die

Franzoſen ab und zu auf belgi

ſchem Grund und Boden ihre Uebungen abhielten, ohne daß die Bel gier hieran Anſtoß genommen . Das Lager bot einen echt militairiſchen Anblid , mit Schanzen und Werken umgeben, welche der Generalſtab projektirt und die Trup pen aufgeworfen hatten.

In dem Berichte an den König ſind die

Schanzen eingezeichnet. Sie hatten alle ſtarke Profile und waren nicht ſchlecht gebaut. Die Kommunikationen im Lager waren gut er halten , der Weg nach der Stadt eingeebnet, die Schießſtände mit Sorgfalt gepflegt und die Ciſternen, wenn ich die Waſſergruben, die die Soldaten ausgehoben und mit Schöpfbanken verſehen hatten , ſo nennen darf , in gutem Stande. Wie man mir ſagte, ſo hatten 1800 Mann 67 Tage daran gearbeitet , was 120,600 Arbeitstage geben würde. Die Soldaten ſchliefen auf Stroh, das eine Unterlage von Hürden haben ſollte. Legtere waren jedoch nicht geliefert. Dagegen behielten die Soldaten das alte Stroh, wenn der Erſaß dafür geliefert ward. Der Lagerſack , sac de campement, ward bei einigen Kompagnien als eine Art Decke benuşt ; bei andern lag er zuſammengerollt unter dem Torniſter.

Die Ordnung in den Zelten war muſterhaft;

der

Torniſter lag am Kopfende des Soldaten , Czakots und Patrontaſchen waren am Zeltbaum – Maſt – aufgehängt. Bei Tage erhielt der Czakot ſeinen Blaß auf dem Torniſter. Die Waffen befanden ſich unter den Gewehrmänteln , die der Form und dem Material nach ſeiner Zeit im Originalbericht weitläufig beſchrieben ſind. Die Offizier- Zelte waren mit doppelter Leinwand verſehen und gut eingerichtet, viele waren

gedielt und enthielten allerlei Romfort.

Die Verpflegung der Leute war wie in St. Omer und Wattignies, doch zahlten ſie hier täglich 4 Centimes weniger, weil die Lebensmittel viel wohlfeiler waren . Die Eſſenszeit war für 5 Uhr beſtimmt und wurden die Manövers und lebungen derart eingerichtet , daß Alles um dieſe Zeit beendet ſein konnte.

Die Offiziere hatten

Tiſch nach ihrer Bequemlichkeit eingerichtet , bataillonsweiſe.

ſich ihren

aßen kompagnie - oder

208

Wir fanden hier die Infanterie-Regimenter 18, 37, 38 und 58 und das 2. und 9. Chaſſeur - Regiment zu Pferde. Die Truppen waren gut ausgebildet, vollkommen friegstüchtig ausgerüſtet und madı ten einen guten Eindruc .

Die Disziplin war gut und wurde ſtreng

gehandhabt und die Difiziere ſprachen ſich allſeitig vollkommen an erkennend über dieſelbe aus. Während unſeres Aufenthalts im Lager Der Geſundheitszuſtand der waren nur fünf Soldaten im Arreſt. Truppen war vortrefflich, denn im Lazareth befanden ſich am 18. Auguſt, als ich es ſah , nur einige Leute, was um ſo mehr zu verwundern war, als das Cager den Luftſtrömungen von allen Richtungen ber ausgelegt war. Wenngleich die Manövers ſehr von den bei uns üblichen Uebun gen abſtachen , ſo darf man doch dem

mancherlei Guten, was ſie ent.

hielten , die Augen nicht verſchließen. – Das Pager ſtand in reich etwas im Geruche des Karlismus .

Frant

In Paris ſoll man dies

ſehr wohl gewußt haben und dies ſoll auch die Urſache geweſen ſein, daß der Herzog von Orleans das Lager nicht beſucht hat. General Jamin , ein General aus der Kaiſerzeit, ein Sechziger, förperlich etwas ſchwerfällig , galt für einen der beſten Tattifer der Armee , der aber etwas in der Doktrin zu ſtecken ſchien . Er ſollte in der Adminiſtration ſehr erfahren ſein und viel organijatoriſches Talent für dieſelbe beſißen .

Man glaubte nicht, daß er für den Fall

eines Krieges im Felde noch werde benutzt werden, hielt ihn aber für den Dienſt im

Innern ſehr brauchbar.

Ueber die inneren Verbält

niſje in Frankreich war er vollkommen klar. Wir werden durd, die Journaliſten beherrſcht, jagte er, welche die Maſſe des leichtgläubigen Voltes ganz für ſich haben und was das zu bedeuten , weiß man ja, Er war nicht der Anſicht, daß man in Frankreich die Republik wünſche ; das laisser aller unter dem régime der Deputirtenkammer, die aus den classes moyennes zuſammengeſegt wäre, ſei wohl der allgemeine Wunſch des Candes. General benrion, Kommandeur der 1. Brigade, 52. und 18. Regiment, eine große , ſtattliche Figur, ein ehemaliger Offizier des (Generalſtabs der Kaiſergarde, war dem Anſchein nach ein gehorſamer und ergebener Offizier. Die ältere Bourbon'ide Linie war ihm ein ( Gränel, weil ſie die tricolore, an welche ſich ſo viele glorreiche Gr innerungen fnüpften , abgeſchafft, die Statue des Kaiſers von der Säule hatte nehmen laſſen und ſelbſtredend weil ſie den General felbſt beſeitigt hatte .

Weil die neue Linie alle jene horreurs abolirt

209

und ihn wieder reaktivirt hatte , hielt er ſie in Ehren und ſchien ihr faute de mieux d . h . in Ermangelung eines Napoleoniden ergeben. Die Jugend rechnete ihn zu den vieilles croûtes de l'empire, zu den vieilles culottes de peau de veau , wie man die Leute da mals nannte , die noch immer im Imperialismus lebten und webten und welche erſt eine ſpätere Zeit Chauviniſten getauft hat . ein ſelbſtändiges Kommando hielt man ihn nicht

--

Für

befähigt , aber in

einer Schlachtlinie hätte er die Rolle eines Brigade -Kommandeurs gewiß gut ausgefüllt. - Er gehörte zu jener Art napoleoniſcher Ge nerale ,

welche ſich auf den

ihnen angewieſenen Feind blind ſtürzt.

Höher wie er ſteht der General Zoepfel , der die 2. Brigade führte, das 37. und 38. Linien -Regiment, ehemals einer der Officiers d'ordonnance des Kaiſers .

Er hatte ſehr gute und richtige Anſich

ten über militairiſche Dinge, wollte von der Linear- Taktik nichts wiſ ſen, meinte aber, daß die éducation individuelle du soldat , das Tirailliren und Scheibenſchießen beſſer gepflegt werden müßten ; das Uebrige gehe in das Gebiet der inspirations. - Die Preußen, meinte er ,

ſeien auf dem rechten Wege , und wenn ſie ſich de leur

penchant pour les folies des parades losmachen könnten , ſo wür den ſie bald die beſt ausgebildete Armee haben . Auf meine Frage, was er unter der folie des parades verſtände ? meinte er, daß wir das ſo gut wüßten, wie er ſelbſt. Im vergangenen Jahre, ſagte der General, ſtand ich mit einer Brigade , die ziemlich ſo ſtark wie die Diviſion hier, an der Grenze. Ich ererzirte dieſelbe ganz nach mei ner Idee, ließ Reglement Reglement ſein , und es thut inir leid, fie nicht haben gegen den Feind führen zu können , um darzuthun , was man mit einer nach vernünftigen Prinzipien geſchulten Diviſion ſeiſten fann . Als ich ihm bei einigen ſeiner Aeußerungen bemerkte, daß ſein Syſtem ſich ſehr den Gedanken des Marſchalls von Sachſen nähere, meinte er , daß man dies gerade ausbilden , unſern Waffen anpaſſen müſſe und daß man dann zur Vollkommenheit gelangen würde. Den General St. Genié , der die Savallerie , das 2. und 9 . Chaſſeur-Regiment, befehligte, habe ich nicht Gelegenheit gehabt, näher kennen zu lernen . Er hat das Unglück gehabt , im Jahre 1812 im Gefecht bei Oszmiano vom Pferde zu fallen und gefangen zu werden und ſeit der Zeit keine Gelegenheit gehabt , ſeine Reputation durch quelques coups vigoureux de sabre, wie ſeine Offiziere ſich aus drückten , wieder herzuſtellen. Da die Kavallerie bei den Mianövers 14

210

immer nur regimenterweiſe verwendet wurde, ſo fonnte von einer Airf ſamkeit derſelben auch keine Rede ſein . mentern ,

Die Ordnung in den Regi

ſowie die ganze Ausbildung der Truppen iſt Sadie

des

Oberſten und nur für den Fall grober Vernachläſſigungen würde der General eingreifen fönnen . - Ich glaube nicht, daß General St. (Senié im Falle eines Krieges angeſtellt werden würde. Die Aufnahme ſelbſt, die wir im Lager fanden , war echt famerad ſchaftlich. Der General Jamin hatte uns einen Lieutenant- Colonel Baron Mauroy des 18. Regiments beigegeben, der 1812 Aide de camp bei Macdonald geweſen war und alle höheren Offiziere des Yorf'ſchen Rorps fannte, und dieſer unterzog ſich dieſem Geſchäfte mit großer Freundlichfeit . Der Chef des Generalſtabes der Diviſion, Oberſt Graf Carmayel, der gleichfalls Adjutant Macdonald's getre: ſen , hatte diejelbe Freundlichfeit für uns.

Beide äußerten ſich mit

einer gewiſſen Bitterfeit, daß der König von Preußen feinem Offizier des Macdonald'ichen Hauptquartiers eine Dekoration gegeben hätte, Mait würde die preußiſche Deforation mit vielem Stolz getragen haben, äußerten beide und gaben nicht undeutlich zu verſtehen, daß es noch Zeit wäre, dieſe Unterlaſſungsſünde gut zu machen . Ich erwähnte bereits , daß die Diviſion im Rufe des Scarlismus ſtand , und dies nicht mit Unrecht.

Man fonnte dies ſogar an den Damen wahrneh

men , welche dem

Manöver beiwohnten , oder das Lager beſuchten.

Deren Hüte waren immer mit Karliſtenfarben , wenn ich mich redit erinnere, grün und gelb , garnirt. Der einflußreiche Intendant des Korps , Mr. Dubois , trug die ou Starlismus ganz unverhohlen zur chau ; ebenſo wie General Martin, der penſionirt war, bei der Rai ſer (Garde geſtanden hatte und als Gaſt beim

General war.

Beide

Þerren bewieſen uns viele Freundlichfeiten und erkundigteu ſich ein gchend nach dem Geiſte, der in unſerer Armee herrſche, ob wir viele Republikaner hätten 2c.

Als wir ihnen

ſagten , daß von dergleidien

bei uns gar feine Nede jei , daß die Armee felfenfeſt und treu dem Könige ſei , prieſen ſie uns glücklich.

Bei uns , ſagte Mr. Tubois ,

ſind alle lInteroffiziere Republikaner, die Soldaten ſind proletaires. Wie es ims ſchien, jo bildete Herr Dubois den Mittelpunkt der Karliſten - Ilmtriebe.

Ehemaliger Kapitain der Barde,

ſtand er mit

allen früheren (Garde Offizieren in Verbindung, die viel Zutrauen zu ihm hatten . Edwiegerſohn des Präfeften , naher Berwandter des im Tepartement fommandirenden Generals, den Generals im befreundet,

genirte

er

ſich

in

ſeinen Menßerungen

Lager ſehr

durchaus nicht.

211

Glauben Sie mir, ſagte er, alle dieſe Leute détestent les Orléans ; ſie erwarten init Sehnſucht den Moment, das Joch abzuſchütteln und ſchämen ſich einem — hier bediente er ſich eines Ausdrucks, den ich nicht wiedergeben mag zu dienen . Auf dieſe Art äußerten ſich auch mehrere Offiziere. An der Tafel des Generals , zu der wir eingeladen waren, ging

es zwar ſehr gemeſſen zu, aber man fonnte den Karlismus doch auch hier und dort herausfühlert. Mr. Dubois ( ud uns zu einem Dejeu ner ein, bei dem wir die Crême der Sarliſten der Umgegend finden würden , man hoffe von Preußen die Herſtellung des monarchiſchen Prinzips 2c .

Ich zog es in meiner Stellung jedoch vor, dieſes

jeuner nicht abzuwarten , ſondern unter dem

De

Vorwande , nach Com

piègne eilen zu müſſen , das Lager zu verlaſſen . -- Uebrigens ſollen die Umtriebe in Paris gut bekannt geweſen ſein , aber man ſoll es des Eflats wegen vermieden haben , energiſch einzugreifen. Man hatte jedoch die Fäden in der Hand , um ſie nach Gutdünfen ab311 ſchneiden .

14 *

Zehnter Abſchnitt. 18 33. Abreiſe nad Compiègne. Borſtellung beim Herzog von Orleans, Herzog von Memorë , Maridal Soult. - Diner beim Prinzen. Gbarafteriju ter Beſichtigung des Lagers. Sbilderung der Bringen und höheren Difiziere. Abreiſe nach Paris uud Luneville. dortigen Berhältniſſe und Perſönlisleiten. Rüdlebr nad Berlin.

Die öffentlichen Blätter hatten die große Revue in Compiègne für

den

2.

September

angefündigt.

Wir kürzten

daher

unſeren

Aufenthalt in Rocroi ab, um zeitig genug dort anfommen zu können . Da ſich jedoch die Ankunft des Marſchalls Soult um einige Tage verzögert hatte , jo war auch die angeordnete Beſichtigung ſo lange verſchoben worden . Wir benugten einen Tag davon , um unſere Klei der und Hüte etwas austrocknen und in Stand jetzen zu laſſen . Aber bald darauf erſdien ein commissaire de police, um uns unſere Bäjie wieder zuzuſtellen und uns die Vorſtellung beim Due d'Orléans zugleich dringlichſt zu empfehlen . Sobald

wir

uns

wieder hinſichtlich

unſerer Toilette in einem

präſentablen Zuſtande befanden , begab ich mich zum Chef des Generalſtabes Oberſt Aupic, um ihn unſere Ankunft anzuzeigen und um ſonſtige Mittheilung in Bezug auf umjere Vorſtellung beim Due d'Orléans, dem Befehlshaber des Lagers, zu erſuchen. Er emping mich mit vieler Artigkeit und verſicherte zugleich , daß man uns te reits erwartet und daß ich mich recht bald beim General Baudrand, dem

erſten Adjutanten

des Prinzen , melden

darauf, da ich den General

nicht

möchte.

zu Hauſe fand,

Ich

jchrieb

einige Zeilen an

213

denſelben

und

hat ihn

um

die

gewünſchte Auskunft.

Unmittelbar

darauf erhielt ich die Antwort , daß der Prinz uns um 12 Uhr auf dem Erercierplat empfangen würde . Während wir noch darüber be rathſchlagten,

wie wir es anzufangen,

dahin zu begeben ,

um uns in angemeſſener Art

erſchien ein Stallmeiſter des Prinzen und führte

uns 3 Pferde vor , die uns für die Dauer unſeres Aufenthalts im Lager zur Dispoſition geſtellt wurden . Da wir keine Zeit zu ver lieren hatten, ſtiegen wir ſofort zu Pferde. Naum zur Oiſe - Brüde gelangt , gewahrten wir auch ſchon den Prinzen , der mit dem Mar ſchal Soult, den Miniſtern Thiers und Rigny und vielen anderen Generalen auf den Erercierplatz ritt . Dhue uns gerade zu beeilen, die Suite des Prinzen zu erreichen, hielten wir uns in einer gewiſſen Entfernung . Als wir aber noch etwa 100 Schritt von derſelben entfernt waren , kam der zweite Adjutant des Prinzen , General Marbot, zu uns und erſuchte uns ,

uns der Suite des Prinzen anzuſchließen,

weil derſelbe wahrſcheinlich ſehr bald wünſchen würde, uns zu ſehen . Raum dort angekommen forderte uns General Baudrand auf , mit ihm vorzureiten, um uns vorzuſtellen. Marſchau Soult und Admiral Rigny waren allein einige 20 Sdiritt vorauf; Miniſter Thiers hielt ſich

etwa 10 Schritt ſeitwärts

vom Prinzen ;

die Generale Pajol,

Ercelmans, Schneider und andere ritten in mehreren Gruppen hinter dem Prinzen . So wie wir uns dem Hohen Herrn nahten und der General

unſere Namen

genannt,

zog

der Prinz den Hut

ſagte: „ Seien Sie uns ſehr willkommen ;

ab

und

Sie werden zwar nicht ſo

ſchöne Sachen ſehen, wie man von Ihren Truppen erzählt und das tient au miraculeux, aber wir machen es ſo gut wie wir es fön nen . " ,, Gnädiger Herr" , erwiderte ich, ,, Alles was wir bis jetzt von der franzöſiſchen Armee geſehen , hat uns mit Hochachtung für ſie erfült, es würde ſtarker Anſtrengung bedürfen, um ihr den Vor rang in vielen Dingen abzugewinnen ".

„ Ihnen ", entgegnete der

Prinz, „ kommt Ihre Organiſation zu Hülfe, vous faites tout mar cher militairement, rondement et voilà ce qu'il faut pour réussir dans notre état " . ,, Der Vorzug unſerer Organiſation, entgega nete ich, iſt, daß ſie mit dem Weſen des Volkes gleichſam verwachſen, von dieſem unzertrennbar iſt. Jeder weiß, wohin er gehört, Bolt und Heer bilden einen Körper ". ,, Die Armee iſt nur die Avant garde des Volfes, c'est précisement ce qu'il faut, entgegnete der Prinz, et j'espère que nous y parviendrons ". Das Geſpräch nahm nun

eine

allgemeine Wendung,

der Prinz fragte, wo wir in

214

Garniſon ſtänden und erkundigte ſich nach einigen Details -in unſerer Bewaffnung und Bekleidung . In dieſer Zeit hatte ſich General Schneider dem Prinzen genähert , dem er einige Worte widmete. Dieſen Moment benutzte Oberſt Boyer, Adjutant des Duc de Ne mours, um uns auch dieſem Hohen Herrn vorzuſtellen . Der Prinz war etwas verlegen, richtete nur wenig Fragen an uns : wo wir in Garniſon ſtänden, ob wir lange hier verweilen würden ? Mit Lieute nant Hoffmann ſprach er über deſſen Czapka und Batrontaſche, ſowie über die Ulanen überhaupt. So wie wir uns den Truppen näherten , verließen uns die Prin zen und begaben ſich ohne ihre Suite und nur von ihren Ordonnanz Offizieren begleitet zu ihrer Truppe ; die Infanterie, Kavallerie und Artillerie waren in einer Linie aufgeſtellt, um den Marſchall zu empfan gen . Uns ſelbſt empfahl der Prinz dem General Gallebois, Roma mandanten von Soiſſons , um uns über Alles zu orientiren und uns zu begleiten. Als ſich der Marſchall den Truppen näherte, ſalutirten ſie; der Prinz und der Marſchall ritten dann langſam die Front herunter und als ſie den linken Flügel erreicht hatten,

bog der Marſchall ab

und begab ſich vor die Front. Der Prinz aber blieb bei den Trup pen und ordnete ſie zum Manöver . Ich benutzte dieſen Moment, um mich dem Marſchall vorſtellen zu laſſen. Aud ) er empfing uns ſehr freundlich und ſagte: Soyez les bien venus, Messieurs . On vous voit avec plaisir, avec beau coup de plaisir au camp . Darauf fragte er nach umſeren Lagern, wie ſtark jie wären, wer ſie kommandire, wie lange die Truppen bei ſammen blieben ,

ob Sandwehr dabei betheiligt ſei ;

wie es mit dem

Scheibenſchießen gehalten werde, wie viel Patronen die Truppen ver ſchöſſen und ob auch hieran die Landwehr partizipire ? Der Beginn des Manövers machte unſerer Unterhaltung

ein

Ende . Der General Gallebois nahm ſich jeßt unſerer an und machte den liebenswürdigſten Cicerone. Da uns jedoch die Manövers veu : ſtändig flar waren , ſo begnügte er ſich , uns auf die ſchönen Mo mente derſelben aufmerkſam zu machen. Auf die Frage der Generale Ercelmans und Pajol, ob er uns auch alles erfläre, verſicherte er , daß wir vollfommen, ſtänden . Die Manöver,

auch ohne jede Erflärung les évolutions rer : welche ich ſeiner Zeit

in dem

Berichte an den

konig genau angegeben, trugen im Allgemeinen den Charafter jener,

215

die wir bereits in den Lagern der Nord -Armee geſehen . Die beiden Infanterie-Regimenter, das 42. und 36., die aber in der Stärke von 3 Bataillons waren und die der Oberſt Blancard führte , bewegten ſich ganz gut und es herrſchte überall Ruhe und militairiſche Haltung . Während der Uebung redeten uns die Generale Baudrand und Marbot wiederholt

an und machten uns auf die Ruhe aufmerkſam ,

mit welcher der Prinz die Truppen führe, ſowie auf deſſen ſchöne Hal tung zu Pferde. As die Artillerie, eine Batterie , einen Graben paſſiren und die Kavallerie, das 2. Küraſſier- und 1. und 2. Lanzier Regiment unter dem

Duc de Nemours, einen Angriff machen ſollte,

machte uns alle Welt

auf ce beau mouvement aufmerkſam .

Sache ging auch wirklich recht gut, von dem

Stürmiſchen ,

Die

doch hatte die Bewegung nichts

Entſchloſſenen ,

welches einen ſolchen Angriff

charakteriſiren muß. Nachdem die Manöver etwa 2 Stunden ge dauert, wurden die Gewehre zuſammengeſetzt und General Sallebois avertirte uns ,

daß jetzt der Prinz Cour annehme und daß auch wir

uns zu ihm begeben möchten. Die Prinzen hatten ſich zu dieſem Behuf zwiſchen die Infanterie und Kavallerie placirt ; der Marſchall und Admiral Rigny waren bereits da . Wenngleich der letztere beim erſten Ranonenſchuß vom Pferde gefallen war, jo harrte er doch beim Manöver aus ,

aber Miniſter Thiers hatte

ſich entfernt ,

weil ſein

Pferd beim Schießen unruhig war und -- weil es zu regnen begann. Wir ſahen auch bald darauf die Offizier - Rorps der Regimenter ſich zu den Brinzen begeben . Als ſie ſich denſelben näherten , wieſen die Gensdarmen das Vorf, das dieſelben umſtand, zieren Platz zu machen.

zurück um den Offi

Der Prinz nahm nun aus ſeiner Cigarren

büchſe eine Cigarre heraus , zündete ſie an und bot uns gleichzeitig dergleichen an . Aber da wir alle drei nicht rauchten , äußerte er frappirt: mon dieu ! voilà trois officiers prussiens dont aucun ne fume ! Da die Cigarren, die er aus ſeiner Büchſe einigen höhe ren Offizieren reichte, nicht weit langten, ſo ließ er ſich durch ſeinen Jäger einige Bacete bringen und vertheilte davon an die Offiziere . Da ſich aber der Hände

zuviel danach ausſtrecten, ſagte er,

etwas

desappointirt, wie es ſchien : Eh bien Messieurs, prenez tout, und legte die Bacfete an die Erde , von wo ſie auch bald verſchwanden . Während

dieſer Scene

fragte

mich General Marbot,

wie mir der

Prinz gefiele und was ich von der Zuneigung des Volkes zu ihm halte . ,Mais le prince est charmant, il est même plus !"

216

was aber das attachement du peuple betrifft, ſo fönnten wir darüber nicht erſtaunt ſein ; wir ſeien an dergleichen gewöhnt , denn bei unſern militairiſchen Beſichtigungen ſei immer die ganze Bevölke : rung der Umgegend in Bewegung.

„ Das glaube ich wohl,

entgeg

nete Marbot, denn bei den Deutſchen iſt Fürſtentreue ein Theil ibrer Religion “. - Während dieſer Zeit machte der Prinz die Ronde bei den Offizier - Korps, ſprach über das Manöver und ſagte dieſem oder jenem

ein freundliches Wort .

Der Marſchall war weniger engageant,

wie es ſchien, und ſprach nur mit einigen Stabs - Offizieren . Unter: deſſen waren wir der Gegenſtand der allgemeinſten Neugier und man disfutirte lebhaft, was wir für Menſchenfinder ſeien und blieb endlich dabei ſtehen , wir müßten Rujjen oder Preußen ſein . Nachdem man etwa eine Stunde geruht, wurden die Manörer fortgeſetzt. Nach der Entfernung der Offiziere umid }loß das Bolt den Duc d'Orléans ſo eng, daß er nicht zum Pferde fominert konnte. Da das Gedränge aber nicht nadhließ , jo ſagte er inwillig: ,,Mais que me voulez vous ? Regardez -moi bien je suis un homme comme vous , mais rangez vous et laissez - moi passer " . Als dies nicht half , winfte er den Gensdarmen , die die Maſje zurüddrängten und es dem Prinzen ermöglichten , zu Pferde

zu ſteigen . Der Prinz

übergab

jetzt

das Kommando

dem

General Blan

card und hielt ſich während der Fortſetung des Manövers bald hier bald dort auf , ohne ſich irgend wie einzumiſchen. Nur bei einem nicht gelungenen Kavalerie -Angriff meinte er : ,, c'était une attaque manquée ". General Baudrand , welder ſich uns ſehr freundlich erwies, jagte uns, daß der Prinz ſehr gern deutſch ſprädie und dab ihm eine Gelegenheit ſehr erwünſcht ſein würde, ſich deutſch zu unter halten. Als ſich der Prinz bald darauf an mich wandte und ſide äußerte, daß wir recht nag werden würden, ſo erwiederte id ), daß wir im Deutichen ein Sprichwort hätten : ,, keine gute Revne obne Negen !" Letzteres jagte ich deutich . Der Prinz antwortete hierauf gleichfalls deutídy: Da maden Sie mir ein Compliment, das ide nicht verdiene, aber Sie müſſen nur nicht Ihren Maßſtab anlegen ; mit

Ihnen fönnen wir uns nicht mejjen !" Der Prinz drüdte ſide recht gut aus und faſt ohne jenen Auflug von jüddeutſcher Dialett, den man ſonſt in Franfreich wohl hat . Er ſprach ſeitdem meiſtens deutich mit uns, bejonders wenn er wünſchte, daß die linterhaltung nicht allgemein werde. ,, Ich werde“, ſagte er eines Tages, Inein Deutjá

217

bald vergeſſen ; die Deutſchen , die nach Frankreich kommen , wollen franzöſiſch lernen und darum müſſen wir denn mal gré bon gré mit ihnen franzöſiſch ſprechen. Als ich ihm aber ſagte, daß er bei ſeiner Kenntniß des Deutſchen nicht fürchten dürfe, es zu vergeſſen , ſagte er zu einigen ihn umſtehenden Offizieren : „ Le major m'assure, que eine allerdings je parle l'Allemand comme un Allemand " etwas freie Ueberſegung meiner Aeußerung, die ich aber zu beſtätigen mir erlaubte . Der Regen , der immer ſtärker wurde, ließ das Manöver etwas abfürzen . Während des Parademarſches nahm der Marſchall einen Mantel iim , die beiden Prinzen blieben ohne Mantel. Der Herzog von Orleans

hielt rechts etwas

rückwärts vom Marſchalt;

der Herzog von Nemours links ebenfalls etwas zurüd . Wenn Rich tung und Haltung auch lange nicht die Accurateſſe verrieth wie bei uns, ſo ging doch Ades nach franzöſiſchen Begriffen recht gut.

Die

Truppen ſelbſt marſchirten , ſowie der Vorbeimarſch beendigt war, direkt in das Sager. Der Prinz und die ihn umgebenden Generale ritten langſam nach der Stadt zurück. Der Rücfritt bot umjeren preußiſchen Augen, die an militairiſche Eleganz gewöhnt ſind, aller hand Curioſa und hors d'oeuvres dar . So erinnere ich mich eines foloſſalen tambour major de la garde nationale mit einer großen Bärenmüte, der en grande tenue Madame

auf dem

Sattel ,

auf einem großen Eſel ritt und

aber nicht en cacolet

ſondern à cali

fourchon vor ſich hatte . Dabei waren dem braven Mann ſeine leinenen Pantalons jo hoch in die Höhe gerutſcht, daß man die ganze Wade au naturel ſah . Bei uns würde ein ſolcher Aufzug die größte Heiterkeit beim Publikum erregt , die Straßenjugend wahr ſcheinlich zu allerhand Manifeſtationen und Scherzen angeregt haben , aber hier fand Niemand Anſtoß daran und der Mann ritt ſo ruhig einher und

rauchte ſeine Cigarre

ſo unbefangen ,

als wenn er die

Zierde des Zuges geweſen wäre . Viele Nationalgardiſten in Uni form befanden ſich in der Menge, kritiſirten die Manöver ; die meiſten

in

einer gehobenen Stimmung,

gelinde ausgedrückt en go

guette oder avinés. Samen ſie an dem Marſchall oder dem Prin zen vorüber, ſo legten einige wohl die Hand an die Kopfbedeckung bien bon jour, mon und ſagten : ,, bon jour Mr. le maréchal , prince !" So wie wir an die Stadt famen ,

entfernte ſich ein Theil der

Umgebung und ritt direkt nach den Quartieren ; nur einige, zu denen

218

auch wir gehörten, durften die Prinzen durch den Garten zum Solok begleiten und dies galt als eine Art Auszeichnung. Vor dem Diner, einem Saale

zu dem wir eingeladen waren ,

des Schloſſes

ſtatt.

Wir ſtanden

fand Cour in

zu dem Bebut in

einem Halbkreiſe der Eingangsthür zu den prinzlichen Gemächern gegenüber aufgeſtellt. Der Herzog von Orleans trat zuerſt ein in derſelben Weiſe, wie bei der Parade, mur den Hut unter dem Arm ; bald darauf erſchien der Marſchall in weißen Beinfleidern, einer weißen Weſte id Stravatte und einem zierlichen Jabot , die Monti rung aufgeknöpft, den Vutt unter dein Arm . Der Prinz fing ſeinen Umgang rechts,

der Marſchall lines an .

Wir Preußen ſtanden zuſammen . Die verſchiedenen Fragen an uns drehten ſich anfangs um gewöhnliche Dinge , ob die Manöver und fatiguirt, wie wir uns in unſerem Hotel befänden 2 . Nur den Hauptmann Ende fragte der Marſchall nach einigen Artillerie- Details : wie wir die Bedienungsmannſchaften der Fußbatterien bei ſchnellen Bewegungen fortbrächten ? und als ihm derſelbe jagte, daß wir einige auf der Prote fortſchafften , die anderen aber die Pferde beſteigen ließen, zu welchem Behuf die Zugpferde kleine leichte Sättel hätten , ſah der Marſchall den Prinzen an , als wenn er deſſen Meinung bören wollte. Der Prinz meinte, daß das vorausſetzen fiche, daß die Deute alle reiten könnten , und daß dies die Pferde ſehr ermüden müşte. Marſchall Soult ſchien dieſer Anſicht nicht zu ſein , und als der Prinz hinzufüigte, daß wir uns ja die Feſtungs - Artillerie Pläßen anſehen ſollten , die manche Vorzüge vor dem

in den feſten Feldartillerie

Syſtem hätte, ließ der Marſchall die Unterhaltung über dies Thema falten , indem er ſagte : „ tout le système est bon " . Der Maridali ſprach noch viel über die Vorzüge einer guten Organiſation ; dabei erfundigte er ſich noch ſorgfältiger wie am Morgen nach dem Sdei benſchießen und als ich ihm auseinander ſetzte, mit welcher großen Sorgfalt dies betrieben würde, meinte er, daß dies die Offiziere ge : waltig in Anſpruch

nehmen müſſe.

„ Enfin "

fügte er hinzu :

„ Ce

ne sont pas quelques balles de plus ou de moins , qui déci dent la guerre . C'est le génie de la guerre !" Während der ganzen ſogenannten Cour blieb der Herzog von Nemours an eine Thirwand gelehnt ſtehen, ohne mit jemand anders als ſeinen Adju tanten zu ſprechen und dies auch nur in furzen Auslaſſungen , Später ging es zur Tafel und ich ward rechts vom Maridall placirt , der rechts neben dem Prinzen jag . Während das Geſprady

219

bald allgemein wurde und Mr. Thiers ſehr viel und laut perorirte, kam der Marſchall Soult auf unſer früheres Geſpräch zurück. Er erfundigte ſich nach der Organijation des Generalſtabes . Nachdem ich ihin dieſelbe Frieden

gut

auseinandergeſett,

und

meinte

ausreichend ſei ,

Armee bringen müſſe,

er , daß dieſelbe für den

beaucoup de lumière

in die

daß ſie aber für den Krieg nicht ausreichend

ſei . Dann fragte er, wen man wohl 1830, für den Fall eines Krieges die Führung des Heeres anvertraut hätte ? Als ich ihm nun den Feldmarſchau Gneiſenau nannte, fragte er, was er und wo er fommandirt hätte ? Ich orientirte ihn hierauf über deſſen Stellung beim Feldmarſchall Blücher . Später als ich auf den Prinzen Karl von Mecklenburg, den Prinzen Auguſt, die Generale v . Borſtell, v . Ziethen , v . Grolmann, v . Ja gow , v . Müffling 2c . fam , fragte er bei jedemn, ob imd was er kom mandirt habe . Antwortete ich , daß dieſer oder jener eine Diviſion kommandirt habe, ſagte er : ,, Ah, très bien ! " jagte ich aber, daß er chef d'état major d'un corps d’armée oder d'une armée ge weſen , ſo erwiederte er : „ Ce n'est rien, il faut avoir commandé " . Dann fragte er nach dem Kriegsminiſter Mr. de Haacfe und warum er ſich zurückziehen wolle ? Als ich ihn hierauf antwortete , daß er ſich à force de travailler ruinirt habe, und daß er die leßten Jahre ſeines Lebens wahrſcheinlich in Ruhe verleben wolle, entgegnete er : ,, Et vous n'avez pas encore des chambres, des deputés , qui s'amusent de tuer les ministres à coups d'épingles. Mais vous

les

aurez

plus

tard

et

on s'apercevra

ce

qui c'est,

quand tout le monde s'ingénie de diriger les affaires, dont on n'entend rien " . Wie oft iſt mir in ſpäteren Jahren das Wort des Marſchaus eingefallen.

Plötzlich

ab und ſagte : „ Aber Sie haben mir allen den Artillerie - Generalen . .

ſprang er von dieſem Thema nicht den berühmteſten unter genannt. Wo iſt er

Ich nannte den Oberſten Bardeleben und alle artilleriſtiſchen

jett? "

Reputationen der Zeit - aber immer hieß es, non , non , c'est un autre . Endlich ſagte er mir, daß er deſſen Werke in's Franzöſiſche habe überſetzen laſſen. Als ich nun , etwas zögernd und bedenklich den Namen Scharnhorſt, deſſen Werke in's Franzöſiſche überſegt wor den waren , nannte , ſagte er : ,, oui, oui, c'est lui". Auf meine Bemerkung , Lützen cela

daß er längſt todt

und an ſeinen Wunden ,

die er bei

empfangen , geſtorben ſei , erwiederte er : ,, Je n'ai pas su aber ſeine Werke haben viel Anerkennung in Frankreich ge

funden ."

Zuletzt fragte der Marſchall, wann wir von Verlin abge

220

reiſt und ob wir den Kaiſer von Rußland dort geſehen.

Auf meine

Antwort, daß wir vor deſſen Ankunft von Berlin abgereiſt und dicie erſt im Lager von Wattignies aus den Zeitungen erſehen , äußerte er : ,, oh ! c'est bien , très bien " . Während wir ſo

mit

einander ſprachen ,

war man

mit dem

Diner bis zum Eis gekommen, das in einer koloſſalen ſilbernen Baie auf dem Tafel-Aufſatz ſervirt ward und ich weiß nicht was für einen mythologiſchen Heros , von allerhand Attributen umgeben, darſtellte. General Bandrand hatte , ich weiß nicht, ob dies zu ſeinem Tienit gehörte, die Mühe des Vertheilens dieſes Heroen übernommen . A er mit dem Geſchäft fertig war , forderte er in etwas lauter Weije auf, ſich für einen etwaigen ferneren Bedarf zu melden . Dem Prinzen war dies ungenirte Wejen aber ſichtlich unangenehm und er onnte ſich nicht enthalten ihm zu ſagen , daß un tapage pareil gnère séant à la table d'un prince ſei , ganz rubig hinnahm . Nach der Tafel war Cercle beim

was

Prinzen ,

der gute General

311

dem

ſehr viele

Offiziere aus dem Lager fanen . Dieſelben waren alle en grande tenue und die Rüraſſier Offiziere behielten ineiſtens ihre Helme auf. Das Geſpräch drehte ſich im Jagd , Politik und Frauen. Man ſprach von neuen Gewehren , Geſchoſſen , zeigte dergleichen berum . Bei dieſer Gelegenheit

fielen einige

Kugeln

und

Schrotförner aus

ihren Behältern , worauf der Prinz wieder ganz laut rief : ,,Baudrand, ramassez donc les balles et les chevrotines" , was wiederum ge duldig geſchah. In einem Nebenzimmer waren eine Menge Journale ausgelegt, von

denen

aber

faſt Niemand Notiz

nahm .

Nur

ein

ingenieur

Offizier war an den Journal- Tiſch wie angenagelt. „ C'est un offi cier du génie , ſagte man , der nichts thuit als leſen und ſich um Niemand befümmert. Aber es iſt ein ge deuter Mann, der in 1 gerien lange Chef des arabiſchen Vüreaus geweſen ". Einen

beſonderen Gegenſtand

der

Patrontaſche des Lieutenant Hoffmann. une bonbonnière qu'à une giberne,

Aufmerkſamkeit

bildete

sie

Ça ressemble plutôt i jagte ein alter Mürailer

Offizier, dem Hoffmann erwiederte, daß man wenig bei uns auf das Schießen gebe und toute confiance dans le sabre hätte . Wir blieben bis gegen 9 ilhr verſammelt, worauf wir uns mit den ande ren Herren zuriidzogen .

· 221

Während

der Ruhe des anderen Tages

befahen wir uns das

Lager ,

das Lazareth und alles, was es ſonſt Merkwürdiges im Schloſſe und in der Stadt gab . Im Schloſſe führte uns General Marbot herum . - Wir bejahen uns die Wohnzimmer der Prinzen , die ſehr hübſch und mit großer Sorgfalt eingerichtet waren . Auf meine Frage, ob der Prinz zu den Soireen und Couren auch Damen empfange, meinte der General, daß er dies abſichtlich unterlaſſe, denn Sie wiſſen , wie das geht . Das Hauptquartier würde bald ein Foyer von Intriguen ſein, wo alle Welt ſich würde geltend machen wol len und das will der Prinz vermeiden . Doch fügte er hinzu ,, cela n'empèche peut- être pas, qu'il en reçoit en particulier ", wo durch er wohl auf das Verhältniſ anſpielen wollte, in dem er zur ſchönen Leontine F . . ſtand, von dem er wohl vorausſetzen konnte ,, daß auch wir davon gehört , weil man allgemein davon ſprach. Im Schlafgemach fiel mir die ſchmale cijerne Bettſtelle des Brinzen auf , ſowie auch das Bett , das höchſt einfach war. Auf meine Bemer kung, daß es ziemlich dem des Kaiſers von Rußland gliche, ſagte der General , daß die Prinzen von Jugend auf an Einfachheit in Allein gewöhnt ſeien . Wenngleich es mein Vorſatz geweſen, mur einem Manöver in Compiegne beizuwohnen, weil wir gehört, daß die Manöver bei Lüne ville bald enden ſollten, ſo lud uns doch der Prinz ſo freundlich ein, noch einem zweiten Manöver beizuwohnen , daß es taktlos geweſen ſein würde, der Einladung nicht zu genügen. Wir erwarteten daber den Prinzen am andern Tage am Ausgangs- Portal und begleiteten ihn auf den Erercirplatz.

Das Manöver fand diesmal in einem andern Sinn ſtatt. Die Bewegung ſollte einen Flußübergang darſtellen und die Anſtalten waren demgemäß gut eingeleitet. Die Vrücke über die Diſe war gut und der Bau wurde raſch beendet. Die Voltigeurs, die den Auftrag hatten , den Feind vom andern Ufer zu delogiren , thaten dies mit Umſicht und Geſchick, indem ſie das Terrain ſehr gut benutzten . Das Eingreifen der verſchiedenen Waffen ward vom Prinzen gelobt, eine Anſicht, der man ſich, ſelbſt wenn man etwas Rigoriſt war, anſchließen fonnte . Die

Truppen

waren

auch in dieſem

Lager

vollfommen friegs :

tüchtig und für den Krieg gut eingeſchult. Da ſie nicht zur Nord Armee gehörten , ſondern aus verſchiedenen Garniſonen herangezogen waren , ſo konnte man wohl daraus ſchließen, daß die anderen Regi

222

menter ebenſo ſein dürften .

Auch verſicherten uns Offiziere, daß dem

wirklich ſo ſei, daß viele Regimenter ſogar die hier verſammelten über treffen dürften , daß Ausrüſtung und Bekleidung aber in der ganzen Armee dieſelben ſeien. Mir wollte es ſcheinen, als wenn die Diezi plin in dieſem Lager etwas larer als in denen der Nord -Armee wäre, wenigſtens habe ich hier mehr betrunkene Soldaten geſehen , als in jenen Lagern ; auch fehlte es nicht an Streitigkeiten zwiſden Bürgern und Soldaten. La Salle de discipline war aber leer und die Offi ziere meinten, daß die Disziplin perfecte ſei , was vielleicht hinſicht lich der discipline militaire auch wahr ſein mochte. Die Berpfle gung, Lagerdienſt, die Lazareth Anſtalten waren ganz dein Reglement gemäß und gut. Die Form der Küchen war hier auch von der ist den andern Lagern verſchieden und ward uns als volfommen geldil dert.

Namentlich ward die Holzerſparniſ hervorgehoben, die erlaube,

aus dem Verkauf derſelben einigen Zuſchuß für die Menage zu er zielen. Im Tragen des Gepäcks fanden hier einige Abweidungen gegen das in den anderen Lagern ſtatt, ebenſo auch in der l !nterbrints gung deſſelben in den Zelten. Die Oberſten meinten, daß ſie bierin den

Soldaten freien Willen ließen und daß es ein Prinzip jei , ſie

nicht zu ſehr zu bevormunden . Dem Scheibenſchießen ward viel Zeit gewidmet, ob auch Sorgfalt, laſſe ich dahingeſtellt. Am Manövertage fand auch wieder Diner und dann große Tour, wie man es nannte, ſtatt. Es wiederholte ſich da ziemlich das, was ich bereits erzählt. Der Marſchall war ſchon ſehr früh abgereiſt und ihm waren die Miniſter Thiers und Riguin gefolgt . Deren Pläße waren an der Tafel durd) andere Gäſte beſept. drehte ſich um die Bewegungen beim

Das Geſpräch

Manöver, um die Verhältniſſe

in Spanien und einige pikante Zeitungs - Artifel, war aber nicht ſo belebt und allgemein , wie am erſten Tage . Für uns wurde eine kleine Verlegenheit dadurch herbeigeführt, daß General Marbot auf eine Reparatur in der Decke des Speiſeſaales aufmerfjam

madyte , weldie

eine preußiſche Granate, die dort eingeſchlagen , nöthig gemacht hatte . Auch die Cour, zu der auch wir gewünſcht worden waren , war dies mal weniger animirt. den

Gegen 9 lihr bat ich den Heneral Pandrand,

Fürſten um die Erlaubniß zu bitten ,

und empfehlen zu dürfen .

Der Herzog war höchſt gnädig , verſicherte

ums nochmals , wie lich

es ihin gewejen, uns in ſeinem Lager zit ſehen imd fügte noch hinzu , daß er hoffe, ims bald einmal wieder zu ſehen . Auch der Tuc de Nemours entäußerte ſich beim Abſchiede ciner weigiamfcitud

223

ſagte uns einige verbindliche Worte.

Die geſammten Offiziere be

wieſen uns dieſelbe Freundlichkeit und wir ſchieden mit der Verſiche rung, daß wir durch die uns bewieſene Huld und Güte beglückt wären und daß wir innigſt bedauerten , den ſchönen und lehrreichen Manövers nicht länger beiwohnen zu können . Hat man einige dreißig Bataillone Infanterie und ein Dutzend Kavallerie - Regimenter, die Artillerie: Parks eines Armee - Korps und den Train deſjelben , mehrere feſte Pläße , Arſenale und Zeughäuſer geſehen , ſo wird man ein ziemlich ſicheres Bild von der Armee, der ſie angehören , haben können . Aber es kommt viel darauf an , auch Ueber die Brinzen ſelbſt die kennen zu lernen , die ſie befehligen . ſind vielfache Urtheile gefällt worden.

Ich habe es unterlaſſen, mich

früher über dieſelben auszuſprechen, denn ſo fern ſie auch damals un ſern Prinzen ſtehen inochten, ſo waren ſie doch Prinzen, und da bleibt es immer eine epineuſe Sache, dieſe Seite zu berühren .

Auch wäre

es von mir undankbar geweſen , wenn ich mich bald darauf, nachdem ſie mich ſo freundlich empfangen , in Neußerungen gehen wollen, die einen Tadel in ſich geſchloſſen jezt mehr als ein Vierteljahrhundert hinter uns , Orleans iſt von der Bühne des Lebens, der Duc

über ſie hätte er hätten. Es liegt der Herzog von de Nemours von

der einer politiſchen Wirkſamkeit abgetreten und ſomit glaube ich nicht in den Verdacht der Indiskretion zu kommen , wenn ich einen Beitrag zu deren Charakteriſtik gebe . Der Herzog von Orleans, von einer ſchönen Geſtalt und einem feinen Geſicht, dem

aber ſeine etwas ſchief geſtellten Augen etwas

Heimtückiſches, Lauerndes gaben , war ohne Zweifel ein Herr von guten Geiſtesgaben . Er beurtheilte ſeine Lage ſehr richtig und wen dete daher alle Sorgfalt darauf , die Armee , von der er erwarten durfte, gehalten und unterſtüßt zu werden, zu gewinnen. Gegen die Soldaten war er daher ſehr leutſelig und herablaſſend, ſprach gern mit ihnen , beſuchte die Kaſernen , die Zelte, hörte Beſchwerden und half, wo er es vermochte, überraſchte auch nicht ſelten verdiente Un teroffiziere und Soldaten durch Geſchenke und Unterſtüßungen. Die Natürlichkeit ſeines Benehmens und eine gewiſſe ſoldatiſche Offenheit gewannen ihm deren Zutrauen. Durch Ungezwungenheit in ſeinem Benehmen , durch Einſtimmung in die Anſichten der Offiziere , durch Anhören ihrer Wünſche und Beſchwerden , und durch eine famerad ſchaftliche Herablaſſung , die etwas Graziöſes ,

nichts Protegirendes

hatte, erwarb er ſich deren Zutranen in hohem Grade .

Die höheren

224

Offiziere zog er durch Geſpräche über militairiſche Gegenſtände, in welchen er deren Anſichten und Thaten huldigte, an ſid , verwendete ſich wohl für dieſen und jenen , zugleich ließ er wohl auch von der Zukunft Manches hoffen. Ueberall gab er ſich den Anjchein , ats ſuche er nach Belehrung und wußte dabei die Eitelfeit und Bonhomic dieſer alten Krieger - ich kann wohl ſagen

zu düpiren.

Der Zuſtand Frankreichs mit ſeinen überreizten Parteigebällig feiten, Koterien , Komplotten, Slubs, Verſchwörungen 2. war ihm ge: wiß ein Greuel, aber um ſo mehr lag ihm der militairiſche Ruhm deſſelben am Herzen. Die Verachtung, mit welcher Europa die Juli Dynaſtie empfangen und behandelt hatte , mußte ihn mit

Ingrimm

erfüllen ; aber er wußte dieſen zu verbergen , nicht ohne von Zeit zu Zeit ein bedeutungsvolles Wort darüber zu äußern. Aber ſein Taft, ſeine äußere Haltung verbargen tief ſein Gefühl. Der Duc de Nemours , ſtill, verſchloſſen und in ſich zurüdge zogen , ſchien ſich in einer negativen Rolle , ob aus Apathie , ob aus Prinzip, zu gefallen . Ich habe ihn Stunden lang an eine Thür ge lehnt ſtehen ſehen , ohne ein Wort zu reden . Dabei fehlte es ibin jedoch nicht an Geiſt und es zirkulirten manche bonmots von itm. Ob es begründet , daß Mitgefühl für die verjagte Dynaſtie ihn ſo apathiſch geſtimmt, kann ich natürlich nicht behaupten, doch waren ſehr viele Offiziere dieſer Meinung. Die hervorragendſte Perſönlichkeit war unbedingt der alte Mar ſchall Soult . Seit 1813 , als ich ihn das letzte Mal geſehen , war er ſehr zujammengefallen, fein Siß zu Pferde war unſicher geworden , doch war er geiſtig vollfommen friſch. Man ſagte mir, daß er oft ſchon um 5 Ilhr früh Vorträge annehme und viele Stunden hinter einander fortarbeite, ohne aufzuſtehen.

Sein Aujeben in der Armee

war ausgezeichnet. Les journaux nous disent, jagte ein Soldat zu mir , que c'est un fameux voleur , mais c'est le premier homme de guerre de l'Europe et voilà ce qu'il nous faut, eine Außerung, die recht den Einfluß des Journalismus auf die Menge andeutet, der aber doch nicht vermodite, das Vertrauen der Armee zu einem im

alten General zu

erſchüttern .

Ob der Maridal

Kriege cin Armee- Nommando übernommen hätte oder Kriegs Mi

niſter geblieben wäre , dürfte wohl von den

Ilmſtänden abgehangent

haben . In beiden Fällen wiirde er ſeine Stellung mit Ehre ausge : füllt und als Veerführer gewiß jene Zähigteit an den Tag gelegt haben , von der er jo oſt Proben gegeben .

Daß Napoleon ihn nach

225

Berthiers Abgang

zum

Major - General

der Armee

ernannte und

ihm ſpäter das wichtige Kommando an den Pyrenäen anvertraute, iſt wohl ein ſichtbarer Beweis, was er ihm zutraute. Als bedeutend im Lager trat General Blancard hervor. Zur Zeit des Raiſerreichs Oberſt eines Rarabinier - Regiments und ſpäter Brigade- Rommandeur, war er der Juli- Revolution gefolgt, die ihn in ſein jeviges Verhältniß gebracht. Er und Oberſt Aupic, Chef des Generalſtabes, leiteten alle Details der Uebungen , der Verpflegung, und waren die Heber und Träger der Anſichten des Prinzen ,

die

ſie vielleicht ab und zu auch geläutert haben mögen . Der General galt für einen der beſten Inſtruktoren der Armee und für einen aus gezeichneten Offizier. Er führte die Truppen ſehr ruhig und be ſonnen und bewies dabei eine gewiſſe militairiſche Haltung, die andern Generalen abging. Die Bewegungen , die er ausführte , hatten alle eine praktiſche Tendenz . Der General erinnerte in Führung der Trup pen und in Haltung an General v. Röder.

Aus der Kaiſerzeit her

erfreute er ſich noch eines beſonderen Renommé's ; ſeine Brigade hatte in Bezug auf Inſtruktion und Haltung einen vorzüglichen Ruf.

Mit

unſern militairiſchen Inſtitutionen war er ſehr vertraut und ſprach davon mit vieler Anerkennung. „ Votre organisation est parfaite ,“ ſagte er , „ aber wir können niemals zu einer ſolchen gelangen , denn dazu gehörte eine förmliche Umänderung in unſern Sitten , Gebräu chen und Geſetzen, et puis les ambitieux , les malveillants et les nous chambres !" Unſerer Ravallerie ſpendete er reichliches Lob sommes montés plus haut que vous , unſer Pferdeſchlag, notre race chevaline ne vaut pas grande chose ; auch unſern Soldaten geht die Liebe zu ihren Thieren ab und daher ſind denn ſchon im Frieden unſere Verluſte enorm . Wir haben Regimenter, ſagte er, die 7 Prozent und darüber jährlich Verluſte erleiden, einige Regimen ter ſind durch den Rog – morve – decimirt. Wir bedürfen faſt in ganz Frankreich neuer Ställe, denn die alten ſind meiſtens mit Stoffen inficirenden morbifiques imbibé . - Womit er nicht zufrieden, war unſere kurze Dienſtzeit, doch fügte er hinzu, wir ſind im Begriff, dieſelbe bévue zu begehen und dann gliche fich der Fehler ,

den Sie begangen ,

aus . -- Der General

Funfziger, aber ſehr kräftig und rüſtig .

war

ein guter

Für den Fall eines Krieges

hätte er gewiß eine Diviſion kommandirt und würde ſich dann zwei fellos als ein gewandter, unternehmender und tüchtiger Offizier be wieſen haben. 15

226 Die militairiſche Umgebung des Prinzen bildete der General Baudrand, der General Marcelin Marbot und der Duc d'Eldingen, der Sohn des Marſchalls Ney. Der Chef d'Etat- Major , Oberſt Aupic, ſchien zwar auch zur maison militaire des Prinzen zu ge hören, aber wahrſcheinlich nur für die Dauer des Manövers. (viene ral Baudrand's frühere militairiſche Verhältniſſe waren in der Um gebung des Prinzen wenig bekannt. Während des ſpaniſchen Krieges 1823 war er als Ingenieur-Offizier bei der Armee des Herzogs von Angoulême angeſtellt und wurde von dieſem ſpäter benußt, den 3u ſtand der ſpaniſchen Feſtungen ſowohl, als auch derer , welche die Aus Spanier damals noch in den Kolonien hatten , zu unterſuchen. dieſem Verhältniß war er ſpäter von Pouis Philippe zum Adjutanten ſeines Sohnes ernannt. Wie es ſchien, ſo war er eine Art von factotum des Prinzen , deſſen Hofmarſchall, General - Intendant und erſter Adjutant – ein wohlwollender, freundlicher Mann , der dem Prinzen mit Leib und Seele ergeben war. Er begleitete ihn wohi zum Manöver, entfernte ſich dann aber und ritt nach Hauſe , um die nothwendigen Geſchäfte abzumachen und empfing ihn dann immer in Gala an der Treppe, wenn er abſtieg. Er beſaß 8as ganze Vertrauen des Prinzen, dieſer hat ihn aber wahrſcheinlich in militairiſchen Dingen für wenig kompetent gehalten. Seinem Aeußern nach war der General ein guter Sed ziger.

Ihm ſchien der Zuſtand Frankreichs ( 1813 ) der vollkommenſte

zu ſein . Wir haben die Republikaner zu Paaren getrieben, ſagte er, und die Monarchen Europa's ſind uns Dank ſchuldig. Ohne uns ſtände es vielleicht in Flammen , denn jene Leute haben überall ihre Verbindungen und Mithelfer.

Gegen die Preſſe war er höchſt bitter

geſtimmt, meinte jedoch, daß es mit deren Macht bald vorbei ſein werde , brach aber , zur Motivirung dieſer wunderbaren Anſicht auf gefordert , das Geſpräch ab. Kurz vor unſerer Beurlaubung ſpracy der General viel von des Prinzen Reiſe nach England und der ausge: zeichneten Aufnahme, die er in jenem Lande gefunden .

Im nächſten

Jahre, fügte er hinzu , denkt er nach Deutſchland zu gehen, um ſich den dortigen Beherrſchern vorzuſtellen.

Da ich darauf nichts erwies

derte , ſagte er : vor allen Dingen kommt es ihm darauf an , nad) Preußen zu gehen und dort die Armee zu ſehen , von der man fo viel hört.

Ich antwortete hierauf nur, daß nichts ſo bilde, als eine zwed

mäßig geleitete Reiſe und wünſchte dem Prinzen Glück, ſie in ſo in ſtruktiver Geſellſchaft unternehmen zu können .

Der General war von

227

ſeiner Reiſe, von der er vorausſegte, daß Sr. Majeſtät ſie wohl er lauben werde, ſo voll , daß er von mir mit einem , à revoir donc à Berlin " ſchied. – Wie ich bereits erwähnte, ſo hätte der General in einem Kriege wohl kaum eine Rolle geſpielt. Was ſeine An ſichten über Fortifikation betraf, ſo war er ein ganzer Vaubaniſt, in politiſcher Hinſicht war er jedenfalls ein Doctrinair. General Marbot, ein Ravallerie-Offizier des Kaiſerreichs, hatte die ganze Allure eines alten Degens . Er hatte die meiſten Feldzüge des Raiſerreichs mitgemacht, und in der ruſſiſchen Campagne ein Re giment und bei Waterloo eine Brigade geführt.

Das Regiment, das

ihm verliehen worden, als er als Adjutant Maſſena's bei der portu gieſiſchen Armee ſtand, hatte er kurz vor dem Feldzuge in Medlen burg übernommen.

Der neuen Dynaſtie ſchien er ergeben, wenigſtens

hatte er eine entſchiedene Hochachtung und Zuneigung zum Herzog von Orleans . Er wußte nicht genug von deſſen Herzensgüte, Lie benswürdigkeit und Tüchtigkeit als Soldat zu erzählen . Der General war als Militair -Schriftſteller dadurch bekannt, daß er zu den ſeiner Zeit viel beſprochenen considérations sur l'art de la guerre des Generals Rogniat einen ſanglanten Kommentar oder vielmehr eine biſſige Kritik geſchrieben hatte , welche ich in meinen ,,Anſichten über die Kriegs kunſt im Geiſte der Zeit" vielfach angezogen und benußt habe . Dies gab nun mehrfach Veranlaſſung zu Erörterungen und Diskuſſionen, die ſehr bald zu einer ſehr kameradſchaftlichen Annäherung führten. Der gerade , offene Charakter des Generals bewog ihn , aus vielen Dingen gar kein Hehl zu machen, er ſprach ſich rückhaltslos über die Verhältniſſe aus und meinte, daß die Orleaniden ſehr ſicher auf dem Throne fäßen . Er hatte von ſeinem Standpunkte damals gewiß Recht; daß der Vater ſeines ſo hochverehrten Prinzen wie ein banque rotter Krämer aus den Tuilerien entfliehen werde, wäre ihm gewiß im Traum nicht eingefallen . Uebrigens theilte er gewiß mit Millio nen Franzoſen , die wie er die Revolution mit erlebt , dieſelben An ſichten . Wunderbarer Weiſe glaubte auch er, wie die Karliſten, daß der Sturz Karl X. nur durch ſeine Unentſchloſſenheit herbeigeführt, qu'il avait jeté trop tôt le manche après la cognée . Es ſei gar keine Urſache geweſen, das Land zu verlaſſen. Ah f - i, ſagte er in ſeiner energiſchen Sprache. Si jamais ces badauds de Paris, ces hableurs et blagueurs s'avisaient de vouloir chasser le roi, ils s'en repentiraient l - ent und hierbei machte er eine Pan tomime als ſchöſſe er drein – und doch hat der brave Mann wahr

15 *

228

ſcheinlich erlebt , daß der Vater ſeines Prinzen das Haſenpanier in derſelben Art ergriff. Von dem eigentlichen Hofleben hielt ſich der General gern ents fernt.

Wenn irgend möglich, ſo entfernte er ſich

s'éclipsait,

um mit dem Stallmeiſter des Prinzen à la dérobée quelques bouf fées de tabac zu rauchen . Der Duc d'Elchingen, eine ſtattliche Perſönlichkeit, ſchien in ſei nem Aeußern wenig mit ſeinem Vater, den ich allerdings ſeit 1812, wo er bei meinem Vater auf dem Marſche nach Rußland in Luar tier gelegen und ſeit dem Berezyna - Uebergang nicht geſehen hatte, ge mein zu haben. Er war ſchweigjam , oft in fich gekehrt und verhielt ſich ſelbſt ſeinen Freunden gegenüber ſo .

Gegen

uns war er ſehr

aufmerkſam , wahrſcheinlich, weil alle Welt es war, aber hierauf be ſchränkte er ſich auch . Jedenfalls hatte der Ruhm und das beklagens : werthe Geſchic ſeines Vaters Einfluß auf das Betragen der ver ſchiedenen Offiziere geübt, denn man begegnete ihm von allen Seiten init Zuvorkommenheit. Das Lager von Compiègne war durch und durch orleaniſtiſch und ich habe auch nicht einen Anklang von farliſtiſchen Sympathien gefunden. Was in St. Omer ſich hier und dort davon offenbarte, in Rocroi etwas ſtärker hervortrat, im

Lager von Wattignies mit einer

Art Dſtentation zur Schau getragen wurde , war hier verſtummt. Es war eine förmliche Gradation politiſchen Meinens und Dafürhal tens, die wir durchlebt hatten . Nachdem wir uns noch hier und dort empfohlen , reiſten wir nach Paris . Wir widmeten unſere Zeit dort der Beſichtigung einiger mi litairiſcher Anſtalten und dem Beſuche von Muſeen und Bibliotheken. Da wir für Paris jedoch keine ſpeziellen Aufträge hatten, die auszu führen ſelbſtredend eine weit längere Zeit erfordert hätte , ſo begnüg ten wir uns auch nur mit einem fürzeren Aufenthalt. Unſer Ge. ſandte dort, Baron v . Werthern, empfing uns ſehr freundlich , ebemio auch verr Major v . Cler, der dort als unſer Militair Bevollmächtig ter fungirte.

Merkwürdiger Weije brachte der Temps, den man als

das Blatt des Herrn Thiers betrachtete , am Tage , als wir bei Herrn v . Werthern dinirten , einen perfiden Artifel gegen Preußen, und während wir bei Tiſch ſaßen , crhielt verr v . Werthern ein anii fales Schreiben von Mr. Thiers , worin ihin dieſer Sie Kataſtrorbe , die um

dieſe Zeit in Spanien ſtattfand , freundſchaftlichſt mittheilte.

Während ich und meine preußiſchen Reiſegefährten über dies Benehmen

229

außer uns geriethen, fanden die Herren der Diplomatie , welche an dergleichen freilich gewöhnt waren , hierin nichts Außergewöhnliches und Verr v . Werthern gedachte noch lobend der Freundlichkeit des Mr. Thiers. Da wir keine Zeit zu verlieren hatten, ſo reiſten wir bald nach Lüneville ab , wo wir am 8. Oktober ſpät eintrafen. Wir fanden hier 6 Müraſſier -Regimenter vereint , die jedoch nicht im Lager ſtan den , ſondern von denen 4 hier garniſonirten , 2 aber aus der Uma gegend herangezogen waren , das 1. 4. 5. 8. 9. 10. Sie wurden durch General Jacquinot befehligt und waren zu 3 Regimentern in 2 Brigaden getheilt , die unter den Generalen Villatte und Gusler ſtanden. General Jacquinot hatte ſchon im Jahre 1812 eine Diviſion in Rußland und ſpäter bei Waterloo

geführt.

Unter den Bourbons

war er ab und zu Einer der Inspecteurs Généraux. Er hatte während ſeines ganzen Lebens bei der leichten Cavallerie gedient und befand ſich , wie er ſelbſt ſagte, durch das Kommando einer ſchweren Diviſion

genirt.

Doch ſollen ihm die Schulmanöver ſehr geläufig

geweſen ſein, ebenſo die ſogenannte petite guerre ; ſo wenigſtens urtheilten die Offiziere im Lager. Die Ordnung und Disziplin in den Regimentern war vor trefflich. Namentlich zeichnete ſich das 5. Regiment aus , das ſich zur Zeit der Juli- Revolution mit Zurücklaſſung ſeiner Offiziere nach Paris auf den Weg gemacht hatte, um ſich dort zur Dispoſition der Regierung zu ſtellen. Im Kaſernement und in den Ställen herrſchte Ordnung und die Manövers wurden mit großer Ruhe ausgeführt . Namentlich gelang eine Linien - Attacke, alle ſechs Regimenter in einer Linie , ſehr gut ; ſie ward auch nicht wie gewöhnlich im Trabe , ſon dern in allen Gangarten bis zur Karrière ausgeführt. Der General ſelbſt ritt recht wacker mit, obgleich es uns ſcheinen wollte, als wenn er nicht mehr ganz ſicher zu Pferde ſei. Er hatte für die ganze Manöver-Zeit nur ein Pferd „ son cheval Limousin “, wie er ſich ausdrüdte, das er durchaus nicht ſchonte. ,, Der Soldat," ſagte er, ,,der viel ſchwerer iſt als unſereins, der dabei noch tüchtig bepackt iſt, reitet immer daſſelbe Pferd , und ich ſehe gar nicht ab , warum uns Offizieren nicht eins genügen ſollte."

Als ich ihm ſagte, daß

unſere Generals an ſolch einem Manöver - Tage mehrere Pferde reiten würden , meinte er, daß das ſeine Kräfte nicht öfonomiſiren heiße und daß , wenn er ſonſt ſein Pferd nicht lahm ritte , oder wenn es nicht

230

krank würde, er grundfäßlich nur immer daſſelbe Pferd reiten werde. Es hat Blut, iſt beſſer genährt als des Soldaten Bjerd , hat einen beſſern Stal, ein leichteres Harniſſement, und daher genüge für den Frieden ein Pferd vollkommen . Der General ſchien ein guter Sechziger, war aber voller Leben und Feuer und ſehr thätig . Ob aber dieſe guten Eigenſchaften in einem Kriege vorhalten würden , konnte in Frage kommen . Der General galt übrigens Offiziere der Armee .

für

einen der

ausgezeichnetſten Kavallerie

Mit einer großen liebenswürdigkeit vereinigte

er viel Bonhomie . Mit einer Gräfin Auersperg ſeit 1808 verbei rathet, war er ein großer Freund der Deutſchen, und dieſem Ulm ſtande

mit verdankten

wir wohl unſere gute Aufnahme.

Ob der

General ein Freund der jegigen Ordnung der Dinge , ließ ſich nicht mit Beſtimmtheit angeben. Er ſprach mit vieler Hochachtung von der älteren Linie der Bourbons und auch er ſagte, daß ſie das Spiel zu

zeitig

gehabt ,

aufgegeben keinen

von

den Mitteln , die ſie noch

Gebrauch gemacht hätte .

Ueber den jevigen König

ſprach er gar nicht ;

und

daß

ſie

gegen den Herzog von Orleans aber war er

etwas aigrirt , weil er nicht zur Beſichtigung gekommen. ,, Da jehen Sie “, ſagte er, „ wie die jungen Prinzen ſind. Hier könnte er jeben, beobachten , vielleicht auch lernen , aber er vermeidet hierzu die (sie. legenheit." Gegen die Journaliſten , Republifaner und Lafayettiſten war er ordentlich aufgebracht . Er konnte ganz außer ſich fominen, wenn er von ihnen ſpracy. „ Sacre dieu ," ſagte er, wenn wir je gegen dieſe Kanaillen gebraucht werden, wie würden wir ihnen mar cher sur le ventre.“ Ueber die ſozialen Verhältniſſe in Franfreich felbſt äußerte er ſich mit Berachtung. Wir ſind die Narren von Europa ; heute wollen wir dies und morgen das , -- wir ſind wahre Kinder, die alle 14 Tage eine nette Puppe haben möchten . Novateurs

ſind

brave Leute ,

attendant

einträgliche

Sdlöjjer verlangen.

die umſer Glüd wünſchen ,

Stellen ,

hohe

Aemter ,

ſchöne

Unſere aber

Güter

en und

Den Franzoſen gehört ein Napoleon, der die

Armee ziim Siege führt und das Volt in Ordnung hält.“ Dei Tiſche pflegte ſich der General wohl in ſeiner Bonhomie über poli tiſche Verhältnijje zu äußern. So jagte er einſt bei einem Diner, das uns General Villatte gab : ,, Ihr König iſt der bravſte und honneteſte Mam -- aber er hat unrecht und nicht politiſch gehandelt , daß

er

Saarlouis

genommen .

Franfreichs gelaſjen , ſo

Hätte er uns dieſe alte Belitung

würden wir die beſten Freunde ſein .

Tas

231

follte er uns herausgeben." „ Erzellenz," entgegnete ich ihm, ,, Frank reich dankt dem Könige weit mehr. Sie wiſſen , daß Straßburg, Met, Nancy), Lüneville ſelbſt einſt zu Deutſchland gehört und Franf reich verdankt es der großen Mäßigung des Königs mit , daß man ſeine Reklamationen nicht bis dahin ausgedehnt.“

„ Sacre dieu ,"

ſagte hierauf der . General lachend, „ der that guten Appetit, da muß ich ſchweigen , er wäre im Stande , auch noch Anſprüche an meine Diviſion zu machen . Dieſer ſein Witz hatte ihm ſo gefallen , daß er ihn laut wiederholte und wieder herzlich darüber lachte. Als wir uns beim Abſchiede vom General beurlaubten, ſagte er nur : ,, Sagen Sie ihrem Gouvernement, daß Sie hier eine Division d'ordre gefun den haben, berichten Sie ihm , was Sie hier Gutes und Schlechtes geſehen ; - aber Sr. Majeſtät wollen Sie in meinem Namen dan ken, daß er Offiziere in das Lager von Lüneville, und beſonders Sie, meine Herren , geſchickt hat“, ſetzte er in ſeiner Liebenswürdigkeit hinzu . Ich habe noch ſpäter vielfache Grüße vom General erhalten, den letzten durch General v . Hahn, der nun auch heimgegangen, wie vielleicht der wackere Herr Jacquinot ſelbſt.

Der General Villatte , führte ,

war in

der

die

erſte Brigade

der Diviſion

ſeiner Jugend Adjutant

des jetzigen Königs von Schweden , iſt Bruder des Generals Villatte, eines Lieblings Karls X. , der zur Zeit der Juli - Revolution Gouverneur von Lothringen war. Der General, der ältere Bruder , war ein ſehr ſchöner Mann und ſtand, wie ich glaube, anfänglich in Metz bei der National- Garde. Er beſaß eine vorzügliche Stimme; als er einſt bei einem Nationalfeſt die Marſeillaiſe ſehr ſchön vortrug , ward er von einem représentant du peuple wegen ſeines Patriotismus zum Kapitain befördert. Von Bernadotte in's Hauptquartier des Mar quis Romana geſchickt, um ſich dort über die Verhältniſſe zu orien tiren , hatte er von dort heimkehrend die beruhigendſten Berichte ge macht. Aber kaum hatte er den Rücken gewandt , ſo fand jene be rühmte Kataſtrophe ſtatt, die Marquis Romana mit ſo vieler Schlau heit und Verſchwiegenheit durchgeführt. Marquis, reich und von an genehmen ſchönen Formen ,

war es dem General Villatte gelungen, der verſchiedenen Wandelungen ſtets eine angenehme Stellung am Hofe Karls X. zu verſchaffen . Die Erinnerungen daran waren in ihm wach geblieben und er erging ſich gern in den :

ſich während

ſelben.

In politiſcher Hinſicht theilte er ganz die Anſichten des Generals Jacquinot und war ein entſchiedener Feind der Republikaner

232

und der wilden Preſſe, sauvageries de la presse, wie er ſich aus drüdte . In einer Ordre de bataille ſchwerer Reiterei mochte der General ohne Zweifel eine Brigade recht gut führen , ob er aber als ſelbſtſtändiger Führer Beſonderes zu

leiſten

im Stande

war,

möchte ich bezweifeln. Wenngleich erſt einige 40 Jahre , ſchien er doch etwas zu apathiſch um einem rührigen Gegner gegenüber eine Rolle zu ſpielen. Sonſt hatte der General aus dem Kriege ber den Ruf eines guten und brauchbaren Offiziers. Der General Gusler, der die 2. Vrigade kommandirte, erfreut ſich des Rufes eines ausgezeichneten Savallerie - Offiziers und wird mit den Generalen Ercelmans, Jacquinot, Colbert , Löweſtine, St. Alphonſe, Blancard und Oudinot als einer der Matadore dieſer Waffe bezeichnet.

Elaſſer ron Geburt, hat er ſich vom Trompeter

bis zum General hinauſgeſchwungen. als Oberſt des

Die Juli -Revolution fand ihn

1. Karabinier - Regiments ,

das

noch jeßt als ein

Muſter - Regiment bezeichnet wird. Obgleich der neueren Ordnung der Dinge nicht abhold , hegte er dennoch dankbare Erinnerungen für die frühere Dynaſtie . Er iſt der Anſicht ſo vieler Offiziere, daß wenn der König nur mehr Muth gezeigt, er ſich unbedingt auf dem Throne erhalten haben würde. Der General war 53 Jahre alt, ſehr rüſtig , thätig und immer mit dem Dienſte beſchäftigt. Bei Esa ling hatte er ſich als Estadrons-Chef ſehr ausgezeichnet und galt von der Zeit an als ein höchſt brauchbarer Offizier. Man bezeichnete ihn ſchon jett als Diviſions Rommandeur und die Journale verſicherten, daß er bei dem befehligen werde.

Objervations Rorps an den Pyrenäen eine Diviſion Ihn charakteriſirt eine große Beſonnenheit, die ihn

nie verlaſſen ſoll , die aber wohl

eine gewiſſe Langſamkeit im Be :

ſchluß involvirt. Vor der Front imponirte er durch ſeine Haltung, Umſicht und Ruhe. Der General bewohnte einen Theil des Schloſjes von Cuneville, wo einſt der unglückliche Stanislaus Leszczynsfi gehauſt . tant des Generals führte uns im in welchem halten.

Schloſſe herum .

Ein Adjus

Das Zimmer,

der Polenfönig ſeinen Tod gefunden , war noch wohl er :

im ſogenannten Thronjaale , der aber nicht groß iſt , batte

der jetzige Duc d'Orléans, damals Duc de Chartres , als Colo nel eines Vujaren Regiments bei der Reviie im Jahre 1829 , ſeine Couren abgehalten. Wie bekannt, ſagte unſer freundlicher Führer, gehörte er damals zur Oppojition, und ſo kleint auch dieſer Salon iſt, ſo war er doch immer faum bis zur Välfte gefüllt , öfters ſah es

233

ſogar ziemlich leer in demſelben aus . Der jebige Duc d'Orléans foli damals feine beſondere Rolle geſpielt haben , ſehr befangen und unentſchloſſen und bei den Offizieren im Allgemeinen wenig beliebt geweſen ſein . Von den Generalen fout er im Allgemeinen in der

Art

behandelt

worden

Regiments - Rommandeuren

ſein, und

als nicht

gehöre zur

er

nur

Königlichen

zu

den

Familie.

Ich habe ihn oft geſehen , ſagte ein Offizier , se perdre dans la foule dans les cercles des Généraux . - General Gusler hatte ſich früher dahin geäußert, daß der Prinz nicht nach Luneville käme, weil Nancy und Umgegend voller Republikaner ſeien und man fürch ten müſſe, erlebe.

daß er irgend wie eine Havarie oder Unannehmlichkeit

General Ercelmans habe ich Gelegenheit gehabt in Compiegne zu beobachten . Er war tout à fait sur le retour, usé und wie es mir ſchien keineswegs mehr kriegstüchtig . Wir hatten einige Tage vor Mitte Oktober

unſeren

Turnus

beendet und durften wohl überzeugt ſein , alte Materialien zu einem genügenden Bilde der franzöſiſchen Armee zu beſißen .

Wir durften

ſie als durchaus kriegstüchtig betrachten , wohl armirt , equipirt und im Stande, einige 60 bis 80,000 Mann in fürzerer Zeit als wir ſelbſt an irgend einem Punkte der Grenze zu verſammeln , während aus den anderen Theilen der Monarchie die Unterſtügungen herbei eilten. - Der Geiſt der Armee war allerdings getheilt , aber man durfte annehmen , daß ſich beim erſten Kanonenſchuß Alles um die Fahne des Ruhmes und der Ehre ſchaaren werde . Es war nicht vorauszuſetzen , daß ſie Frankreich untreu werden würde. Am wenigſten war zu fürchten , daß ſie republikaniſchen Vorſpiegelungen Gehör geben werde . Ich habe z. B. eine ganze Menge Juli- Ritter geſprochen , welche die

Juli-Deforation entweder gar nicht oder doch

mit einer gewiſſen Befangenheit trugen .

Ma foi, ſagte ein Unter

offizier zu mir, je l'ai gagné n'étant point encore soldat ; dans ma situation actuelle elle me gène. Mit der Disciplin waren die Offiziere im Allgemeinen zufrie den , ſelbſt in den Regimentern, die bei Ausbruch der Revolution ſich böswillig und renitent gezeigt . – Die Arſenale waren gut gefüllt .. Die Feſtungen, die wir geſehen, Metz, Douay, Rocroi, Valenciennes, Mezières, im guten Stande. Die Offizier - Korps zählten eine Menge

tüchtiger Mitglieder ,

die

ſich

in den afrifaniſchen Kriegen

234

ausgezeichnet und die ihre Tüchtigkeit noch unlängſt bei Antwerpen bewieſen . Was niederdritdend, ja deprimirend auf die Moralität der Armee wirken mußte, war die Art, wie die Stellvertretung – remplacement betrieben wurde. Es giebt im ganzen Lande bureaux de rem placement, assurances contre toutes les chances de la conscrip tion , welche die Stellvertreter in einer gewiſſenloſen Art und Weije zuſammenbringen , die jeden Taugenichts aufgabeln und ihn der Armee zuführen.

Die meiſten

dieſer

Leute

zeichneten ſich durch

Grzeſſe

und ſchlechte Führung aus und unterlagen meiſtens den härteſten Strafen . Hoffentlich wird eine gute Geſepgebung in ſpäteren Zeiten dieſem Uebel wehren . Die Nationalgarde, die als eine Reſerve betrachtet wurde, wenn gleich wenig geeignet, einem Feinde gegenüber en masse benutt zu werden, bot dennoch genügende Elemente, um daraus den Erjar für die Armee zu entnehmen . In den größeren Städten, die wir aben, Met, Sedan, Arras, St. Omer, Lille, Valenciennes , Rheims, Nanc , waren ihre Bataillone gut ajuſtirt und bewaffnet, die Voltigeur-Kom pagnien derſelben meiſtens ſehr gut; in den kleineren Städten dagegen wie Rocroi, Maubeuge, Bethune, waren ſie, wie auch die Rural-Ba taillone, ſchlecht. In den großen Städten war auch die berittene Nationalgarde in ſehr guter Verfaſſung ;

daß die Leute ſich in

einer gewiſſen Ingebundenheit bewegten, z . B. mit Pfeifen im Munde antraten , von einer ſtrengen militairiſchen Valtung ganz abjaben , iſt allerdings nicht zu leugnen , aber unter die Regimenter vertheilt, würde ſich dies verlieren . ten

Jn Maſjen aber gebraucht und verwendet, fönn :

ſich wohl Scenen , wie in der erſten Revolutionszeit, ereignen .

Uebrigens flößen dieſe bewaffneten Nationalgarden doch ihnen ſelbſt ein großes Vertrauen zu ihrer Allgewalt und Macht ein , das die Bourgeoiſie wohl auf den Gedanken bringen konnte, wieder eine Rolle wie zu Zeiten der Fronde, während der franzöſiſchen Revolution , oder noch in neueſter Zeit zu ſpielen.

Es iſt bekannt, wie einſt Couis XI .

vor der bewaffneten Pariſer Bürgerſchaft in Beſorgniſ gerieth , gleich er ſie ſelbſt gegen den Adel in Waffen gerufen .

ob .

Ueber Saarlouis , Mainz und Franffurt fehrten wir nach der Heimath zurück.

235

Der König war mit der Art und Weiſe , wie wir die Sachen behandelt und darüber berichtet, ſehr zufrieden und drückte mir in einer Kabinets - Ordre ſeine beſondere Anerkennung aus. Nun weiß man doch endlich, hatte er ſich zu General v . Wigleben geäußert, wie es in der Armee dort ausſieht, nachdem man ſo viel albernes Zeug darüber gehört. Die Berichte ſelbſt wurden ſpäter mit Begier geleſen und ich habe ſie auf ausdrücklichen Wunſch allen kommandirenden Generals mittheilen müſſen. Wie ſonderbar die Geſchide der Menſchen ſich geſtalten, das mag ſchließlich noch ein Beiſpiel bezeugen : Unter den Ordonnanz - Offizie ren der Generale befand ſich im Lager von Wattignies ein Lieutenant de Mac Mahon des 20. Linien - Regiments, welcher bei dem General Jamin Dienſte that. Er ritt das Unglüd , an einem Tage un officier très zélé , ſagte se détacher bien souvent

ein ſchönes, engliſches Pferd, hatte aber zwei Mal vom Pferde zu fallen. C'est man uns , mais il a le malheur de de son cheval. Das Annuaire de

1834 nennt ihn als à la suite des 1. Küraſſier- Regiments. iſt heute der Marſchall Mac Mahon , Duc de Magenta .

Dies Sein

Name zählt zu den erſten Reputationen Frankreichs, während von all den Generals und Offizieren , die mit ihm dienten , von denen viele ihr Vlut auf allen Schlachtfeldern Europa's und Afrika's verſpritzt, es wenige kaum dahin gebracht haben, ihre Namen in einzelnen Fällen mit ſo viel Auszeichnung genannt zu hören. Sic variant fata hominum .

Berlin, Druď von E. S. Mittler u. Sohn, Wilhelmſtraße 122