Kuratoren und Besucher: Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen [1. Aufl.] 9783839413920

Kuratoren sind in den letzten Jahren neben Museumspädagogen und Gestaltern verstärkt ins Blickfeld der museologischen Fo

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Kuratoren und Besucher: Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen [1. Aufl.]
 9783839413920

Table of contents :
INHALT
1. Einleitung
1.1 Gegenstand
1.2 Einordnung in aktuelle Forschungspositionen
1.3 Ansatz und Ziele
1.4 Aufbau
1.5 Quellen
2. Voraussetzungen
2.1 Verwendete Methoden
2.1.1 Einführung in die Methoden
2.1.2 Dichte Beschreibung
Anwendung der Methode
Kritik an dem Verfahren
2.1.3 Kuratoreninterviews
2.1.4 Ausstellungsfragebögen
2.2 Annahmen
2.2.1 Der Ausstellungsraum als politischer Raum
2.2.2 Kurator und Curating
Definition, Herausbildung und Diskurse
Gestaltungsmacht des Kurators
2.2.3 Vermittlungssprachen
2.3 Theoretische Grundlagen
2.3.1 Museum und Besucher
2.3.2 Partizipation
Partizipationsdiskurs
Definition Partizipation
2.3.3 Relationale Ästhetik
Der Ansatz von Nicolas Bourriaud
Positionierung zur Theorie
partizipatorischen Paradigma allgemein
2.4 Techniken zur Schaffung von sozialen Räumen
2.4.1 Selbsttätigkeit, Offenheit und „natürliche Begabung“
2.4.2 Angenehme Atmosphäre und Komfort
2.4.3 Vielstimmigkeit
2.4.4 Offenlegung von Bedingungen
2.4.5 Schule des Sehens
2.4.6 Ausstellungsräume als Orte der Begegnung
3. Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2
3.1 Choosing my Religion
3.1.1 Hintergrundinformationen
3.1.2 Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema
3.1.3 Die Kunstwerke
3.1.4 Der Rundgang
3.1.5 Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen
3.1.6 Das Konzept und seine Interpretation
3.1.7 Choosing my Religion und Relationalität
3.2 Die Zehn Gebote
3.2.1 Hintergrundinformationen
3.2.2 Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema
3.2.3 Die Kunstwerke
3.2.4 Der Rundgang
3.2.5 Das Konzept und seine Interpretation
3.2.6 Die Zehn Gebote und Relationalität
4. Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4
4.1 Happy Believers
4.1.1 Hintergrundinformationen
4.1.2 Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema
4.1.3 Der Rundgang
4.1.4 Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen
4.1.5 Happy Believers und Relationalität
4.2 I believe
4.2.1 Hintergrundinformationen
4.2.2 Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema
4.2.3 Die Kunstwerke
4.2.4 Der Rundgang
4.2.5 Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen
4.2.6 I believe und Relationalität
5. Fazit : Kuratorischer Besucherumgang
5.1 Zusammenfassung
5.2 Erklärung
5.3 Schlussgedanke
6. Anhang
6.1 Quellen
6.2 Literaturverzeichnis
6.3 Dank
6.4 Bildnachweis
6.5 Abbildungen

Citation preview

Maren Ziese Kuratoren und Besucher Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen

Für meinen Vater Heinz Ziese †

Maren Ziese (Dr. phil.) ist Kunsthistorikerin und arbeitet als wissenschaftliche Museumsassistentin bei den Staatlichen Museen zu Berlin, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart. Des Weiteren ist Sie Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin.

Maren Ziese

Kuratoren und Besucher Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen

Die vorliegende, für den Druck leicht überarbeitete Studie wurde unter dem Titel »Relational Curating. Beziehungsstiftendes Kuratieren am Beispiel von Themenausstellungen« im Sommersemester 2008 (Tag der Disputation: 1. Dezember 2008) vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Prof. Dr. Harold Hammer-Schenk und Prof. Dr. Gregor Stemmrich begutachteten die Promotionsschrift. Die Arbeit wurde durch die Friedrich-Ebert-Stiftung und den Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds gefördert. Letztere unterstützte auch die Drucklegung der Studie.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Maren Ziese, Besuchertreffpunkt 7. Werkleitz Biennale »Happy Believers«, 2006. Lektorat: Michael Ammann Satz: Maren Ziese Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1392-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

I N H A LT

9

1.

Einleitung

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Gegenstand Einordnung in aktuelle Forschungspositionen Ansatz und Ziele Aufbau Quellen

9 16 27 30 32

2.

Vorausset zungen

37

2.1 2.1.1 2.1.2

Verwendete Methoden Einführung in die Methoden Dichte Beschreibung Anwendung der Methode Kritik an dem Verfahren Kuratoreninterviews Ausstellungsfragebögen

37 37 39 42 44 46 50

Annahmen Der Ausstellungsraum als politischer Raum Kurator und Curating Definition, Herausbildung und Diskurse Gestaltungsmacht des Kurators Vermittlungssprachen

56 56 60 60 63 66

Theoretische Grundlagen Museum und Besucher Partizipation Partizipationsdiskurs Definition Partizipation

69 69 71 71 76

2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2

2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2

2.3.3

Relationale Ästhetik Der Ansatz von Nicolas Bourriaud Positionierung zur Theorie Kritik an Bourriauds Ansatz und am partizipatorischen Paradigma allgemein

78 78 82 84

2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6

Techniken zur Schaffung von sozialen Räumen Selbsttätigkeit, Offenheit und „natürliche Begabung“ Angenehme Atmosphäre und Komfort Vielstimmigkeit Offenlegung von Bedingungen Schule des Sehens Ausstellungsräume als Orte der Begegnung

85 87 90 91 92 95 96

3.

Kuratoren und Besucher : Modell 1 & 2

99

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7

Choosing my Religion Hintergrundinformationen Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema Die Kunstwerke Der Rundgang Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen Das Konzept und seine Interpretation Choosing my Religion und Relationalität

99 99 100 102 103 110 113 117

3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6

Die Zehn Gebote Hintergrundinformationen Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema Die Kunstwerke Der Rundgang Das Konzept und seine Interpretation Die Zehn Gebote und Relationalität

119 119 125 128 131 144 147

4.

Kuratoren und Besucher : Modell 3 & 4

153

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5

Happy Believers Hintergrundinformationen Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema Der Rundgang Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen Happy Believers und Relationalität

153 153 159 162 169 175

4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6

I believe Hintergrundinformationen Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema Die Kunstwerke Der Rundgang Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen I believe und Relationalität

181 181 188 191 192 198 201

5.

Fazit : Kuratorischer Besucherumgang

207

5.1 5.2 5.3

Zusammenfassung Erklärung Schlussgedanke

207 212 215

6.

A nhang

217

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Quellen Literaturverzeichnis Dank Bildnachweis Abbildungen

217 221 243 244 245

1.

EINLEITUNG

1.1

G E G E N S TA N D

„The exhibition and curator. Given that these processes of engagement and intervention need interlocutors, as Bourriaud notes, the role of the curator or commissioner as mediator becomes vital. In many cases […] the role of the art institution to initiate, mediate and sustain relationships with participants beyond the project is crucial.“1 Mit diesem Zitat deutet die Kuratorin und Kunstkritikern Claire Bishop ein Thema an, das den Kern des vorliegenden Buches bildet: Die Untersuchung von durch den Kurator initiierten Austauschprozessen in Ausstellungen. Den theoretischen Mantel der Studie bildet dabei die „relationale Ästhetik“ des französischen Kurators und Kritikers Nicolas Bourriaud. Bei der „relationalen Ästhetik“ geht es um die tatsächliche Bildung und Thematisierung von Austauschprozessen. Dieser von Bourriaud entwickelte Ansatz beurteilt Kunstwerke auf der Grundlage der zwischenmenschlichen Beziehungen, die sie repräsentieren, produzieren oder fördern. Bourriaud zufolge lässt sich dieses Paradigma nicht nur allein auf Kunstwerke, sondern auch auf ganze Ausstellungen anwenden, ihm zufolge erzeugen sie ein soziales Umfeld, in dem Menschen zusammenkommen können, was letztlich auch eine Abkehr von den eigentlichen Kunstgegenständen impliziert.2 In Anlehnung an die „relationale Ästhetik“ fragt die vorliegende Publikation, ob und inwiefern Ausstellungen ein soziales Umfeld3 kreieren, in dem Menschen einander begegnen können. Wie kann man als Kurator mittels verschiedener Ausstellungssprachen und konkreter Displays einen Austausch zwischen Subjekten im musealen Raum stimulieren und Dialog initiieren? Und schaffen Ausstellungen tatsächlich eine soziale Umgebung, in der Menschen zusammenkommen können? Welche Modelle der Austausch- und Beziehungssetzung werden gewählt, das heißt, welche Ausstellungsmodelle und -sprachen werden hierfür herangezogen? 1 Doherty, Claire, „The New Situationists“, in: dies. (Hg.) Contemporary Art from Studio to Situation, London 2004, S. 12. 2 Vgl. Bourriaud, Nicolas: Relational Aesthetics, Paris 2002. 3 Siehe zum sozialen Raum die Ausführungen von Nina Möntmann mit Rekurs auf Georg Simmel: „Der soziale Raum ist seinem Wesen nach durch soziale Strukturen bestimmt. Der Begriff speist sich aus der Erkenntnis, dass der Raum nicht als homogenes Gebilde, nicht als Kategorie, sondern als ein sich ständig im Prozeß befindendes Produkt sozialer Beziehungen zu denken ist“. Möntmann, Nina: Kunst als sozialer Raum, Köln 2002, S. 13.

10

Kuratoren und Besucher

In dieser Studie geht es darum, anhand von vier Themenausstellungen beispielhaft nach Potenzialen4 zu fragen, derartige Verbindungen herzustellen. Das Buch untersucht das „Ausstellungmachen“ am Beispiel der Beziehungsstiftung und führt dafür zwei Diskurse5 zusammen. Zum einen zählt dazu der derzeit virulente Diskurs um Curating, also die Arbeitsweisen des Kurators. In den letzten Jahren sind in großer Zahl Forschungsprojekte und Publikationen entstanden, die sich mit der Art und Weise der kuratorischen Präsentation und Vermittlung, der „Kunst des Ausstellungmachens“ auseinandersetzen. Darunter wird die ausstellungsimmanente Vermittlung der Ausstellungsmacher verstanden – das Untersuchungsobjekt ist hier also die Ausstellungsgestaltung.6 Zum anderen rekurriert der Begriff „relational“ und damit auch die vorliegende Untersuchung auf diskursive Strömungen, die den Ausstellungsraum als Ort für einen kommunikativen Austausch, als Hort der zwischenmenschlichen Begegnung sehen. Neben Nicolaus Bourriauds Theorie der „relationalen Ästhetik“ und anderen Vertretern partizipativer Praktiken und Denkansätze (wie etwa new genre public art von Suzanne Lacy oder connective aesthetics von Suzy Gablik) zählt dazu 4 Mit dem Rückgriff auf den Begriff und die Idee des Potenzials setzt die vorliegende Studie bei Richard Sandell an. Der Autor konstatiert, dass sich die Forschung in den letzten Jahren verstärkt auf das Potenzial fokussierte, welches Museen innehaben, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu wirken. Bezogen auf die vorliegende Untersuchung meint dies, dass es hier um die „Möglichkeit“ der Gruppe geht. In der vorliegenden Studie steht der Potenzial-Begriff auch dafür, dass es sich um eine subjektive Lesart handelt, worauf im Methodenkapitel ausführlich eingegangen wird. 5 Diskurs wird hier im Sinne von Michel Foucault verwendet – nicht als Rede oder Schrift im engeren Sinne, sondern als Summe von Praktiken, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. 6 Ausstellungsgestaltung meint die konkrete räumliche Übersetzung eines Ausstellungskonzeptes, also das Arrangement aller Präsentationsmedien von Ausstellungsobjekten bis zu architektonischen Konstruktionen, wie etwa Vitrinen, grafischen Materialien, Ton und Licht. Vgl. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004, S. 11. Die Begriffe „Präsentationsform“, „Ausstellungssprachen“, „Vermittlungstechnik“, „Display“ und „Zeigegestus“ werden synonym verwendet. In der kunsthistorischen und museologischen Literatur finden unterschiedliche Begriffe ihre Anwendung, auch mit unterschiedlicher Zielsetzung. Der Begriff des Displays - „To display“ geht auf das lat. displicare zurück und bezeichnet „entfalten, offenlegen, ausbreiten“. Der Begriff wurde von der Forschungsgruppe „Ausstellungs-Displays“ des ICS der HGK Zürich eingeführt. Vgl. Schade, Sigrid: „Ausstellungs-Displays. Fragen – Ziele – Vorgehen – Ergebnisse eines Forschungsprojektes 2005–2007“, in: dies. (Hg.): Ausstellungs-Displays, Dokumentation zum Forschungsprojekt 2005–2007, Zürich 2007, S. 159. Etwas in die Öffentlichkeit zu bringen involviert immer den Kontext des auszustellenden Objekts und den Ort der Präsentation. Die Bezeichnung „Display“ verweist hier aber auch auf technologische Entwicklungen, die für die vorliegende Untersuchung nicht relevant sind. Die Abgrenzung der jeweiligen Begriffe ist nicht Sinn und Zweck der vorliegenden Untersuchung. Eine Ausführung zum Begriff der Inszenierung findet sich speziell bei Scholze. Vgl. Scholze, a.a.O. passim.

Einleitung

auch die museologische Besucherforschung, welche ihren Blick auf relationale Praktiken richtet. Die Frage nach den kuratorischen Verfahrensweisen am Beispiel sozialer Beziehungsstiftung wird anhand vier exemplarischer und repräsentativer thematischer Gruppenausstellungen behandelt.7 Diesem Präsentationsformat wird in mehrfacher Hinsicht ein derartiges Potenzial zugesprochen. Einerseits wird Themenausstellungen eine besondere Eignung nachgesagt, kuratorische Techniken sichtbar zu machen. Sie bieten Kuratoren explizit eine Bühne, um Anerkennung und Renommee zu erwerben.8 Andererseits ist gerade ihnen das Potenzial inhärent, verschiedene Menschen zusammenzubringen: So gilt dieses Format als leichter zugänglich für die Besucher9 und als gemeinschaftsfördernd beziehungsweise integrativ. Irit Rogoff betont etwa, dass Themenausstellungen eine ideale Möglichkeit sind, Menschen zusammenzubringen: In einer Themenausstellung kommen Leute zusammen, um eine Geschichte zu hören; das Erzählen dieser Geschichte ist der wahre Grund des Zusammenkommens.10 7 Die Begriffe „Themenausstellung“ und „Gruppenausstellung“ werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Die Abgrenzung zwischen Museum und Ausstellung wird hier nicht gezogen. Siehe zur Genese des Ausstellungwesens: Bonnet, Anne-Marie: Kunst der Moderne, Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln 2004, S. 51ff. Unter Ausstellungen wird eine „populäre Form der Auseinandersetzung mit kulturellen Phänomen, ästhetischen Formen, sozialen Räumen und Gruppen in Vergangenheit und Gegenwart“ verstanden. Muttenthaler, Roswitha/Wonisch, Regina: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2006, S. 251. 8 Vgl. Žerovc, Beti: „Networking Kompetenz: Zur Rolle von KuratorInnen und KuratorInnenschulen für eine linke Politisierung der Gegenwartskunst“, in: springerin, Heft 3/07, Wien 2007, S. 34. Kuratoren bekommen verstärkt Anerkennung dafür, wie sie die Welt abbilden. 9 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 244. Die Autorinnen konstatieren, dass in thematischen Ausstellungen die Position der Kuratoren sichtbarer und damit einer kritischen Befragung geöffnet werde. Außerdem könne das Publikum narrative Ausstellungen eher in einen zeitlichen und gesellschaftspolitischen Entstehungsrahmen einordnen. 10 Vgl. Rogoff, Irit: „Wegschauen. Partizipation in der visuellen Kultur“, in: Texte zur Kunst, Heft 36, Berlin 1999, S. 104. Auch Okwui Enwezor bewertet in einem Interview mit Paul O’Neill thematische Gruppenausstellungen als Werkzeug und Möglichkeit, verschiedene Akteure zusammenzubringen: Paul O’Neill: „There are now multiple, divergent and the multifarious models of curatorial practice since the late 1980s, do you think there are dominant forms that have emerged?“ Okwui Enwezor: „The group/thematic exhibition is a dominant form. Though it may sometimes appear like a bazaar, it is a much more efficient way of taking the temperature of what is going on. […] [I]t seems to me that the group exhibition model is very interesting because in a sense it works contra to the canonical model of the monographic presentation. It shows the vital and productive messiness of the contemporary, the inherent disarray within its forms, the indiscipline of the contemporary artist to adhere to a single rule. To bring a greater mix of people into an exhibition is as much a way of looking at the ruptures as they exist within the field of artistic practice – to set the emergence of new positions, and to understand the shifts in the tectonic plates that is the ground of culture. It is interesting to ask ourselves why the

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Kuratoren und Besucher

Darüber hinaus wurden zur Beantwortung der oben genannten Leitfragen Ausstellungsprojekte ausgewählt, die bereits von ihrer Themensetzung her die Frage nach Geselligkeit und Begegnung im musealen Raum aufwerfen. So steht eine Auswahl zeitgenössischer Kunstausstellungen im Zentrum der Untersuchung11, die vor der Folie der gesellschaftlichen Debatte um die „Wiederkehr der Religion“ und „den Kampf der Kulturen“ entstanden sind.12 thematic group show has taken on such interesting possibilities, but within that we can begin to break it down. […] I think the group exhibition has been the model for defining these multifarious ways of engagment [i.e. feminism, multiculturalism, identity, queerness, otherness, exoticism etc.].“ Enwezor, Okwui: „Curating beyond the Canon, Okwui Enwezor interviewed by Paul O’Neill“, in O’Neill, Paul: Curating Subjects, London 2007, S. 111f. Deutlich wird hier, dass dieser Ausstellungstyp, aufgefasst als „am Puls der Zeit“, ein vielversprechendes, seit einigen Jahren oft verwendetes Ausstellungsformat im zeitgenössischen Kunstbetrieb ist. 11 Weitere Ausstellungen, die in diesem Zeitraum zum Thema Religion und Politik realisiert wurden: Iconoclash – Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst (2002); Warum! Bilder diesseits und jenseits des Menschen (2003); 100 Artists See God (2004–2005). Außerdem fanden zahlreiche Projekte zum Thema Glauben, Frömmigkeit und christlicher Ikonografie statt, diese Schwerpunktsetzung war jedoch für die vorliegende Studie nicht relevant. Jegliche Ausstellungsprojekte, die im kirchlichen Kontext veranstaltet wurden, wurden hier außen vor gelassen. Zu den Auslassungen zählt beispielsweise das 2007 neu eröffnete Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln, vormals Diözesanmuseum Köln. Ferner wurde in New York das Museum of Biblical Art (Mobia) gegründet. Oder auch: Corpus Christi, Jerusalem und Hamburg 2004; Seeing Salvation: The Image of Christ, London 2000; Beyond Belief: Modern Art and the Religious Imagination, Victoria 1998; Ansichten Christi, Köln 2005. Siehe die Auflistung einiger Ausstellungsprojekte zu diesem Themenfeld bei: Mennekes, P. Friedhelm: „Zwischen Zweifel und Entzücken: Kunst und Kirche heute. Zur Präsentation des Geistigen in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts“, in: Doppelstein, Jürgen (Hg.): Lost Paradise Lost. Kunst und sakraler Raum. Katalog zur Ausstellung in Hannover, Hamburg 2000, S. 294–309 sowie bei: Koval, Lindsay M.: „Recent Exhibitions. Exploring Religious Art“, in: Heller, Ena Giurescu (Hg.): Reluctant Partners. Art and Religion in Dialogue, New York 2004, S. 180f. 12 Siehe zum Religionsdiskurs und Kulturbetrieb bspw. die mehrtägige Konferenz: Rethinking Spirituality – Die Wiederkehr des Religiösen, Veranstaltung der Kulturzone 06, 5 Tage 5 Themen, Forum der Messe Frankfurt, Juli 2006 in Frankfurt am Main. Und die Publikation: Lydia Haustein u.a (Hg.): Feindbilder. Ideologien und Visuelle Strategien der Kulturen, Göttingen 2007. Die Publikation ordnet sich in den Kontext „verschärfter Konflikte zwischen westlicher Welt und dem islamischen Fundamentalismus“ (Hortensia Völkers, S. 9) ein. Oder auch: Opielka, Michael: Kultur versus Religion? Soziologische Analysen zu modernen Wertkonflikten, Bielefeld 2007. Als Reibungsfläche rekurrieren zahlreiche Schriften, Ausstellungen und Veranstaltungen auf Samuel Huntington und seine Theorie zum „Kampf der Kulturen“. Seit einiger Zeit auftretende Phänomene wie die gegenwärtigen „Cultural Wars“ in europäischen Ländern, die Ängste vor „Überfremdung“ (der Islam wird als Bedrohung für die säkulare Linie des Kontinents wahrgenommen (Enwezor)), Neo-Orientalismen sowie der Diskurs um die Herausbildung einer kulturellen europäischen Identität wurden direkt und indirekt durch Huntingtons Theorie unterstützt. Das spiegelt sich in unzähligen Aufsätzen wider. So wird Huntington etwa bei Lydia Hausteins besprochen: Vgl. Haustein, Lydia: „Kampf der kulturellen Ideologien statt Kampf der Kulturen – Überlegungen zu den Bilderkriegen“, in: dies. u.a. (Hg.):

Einleitung

Auf inhaltlicher Ebene haben die Kuratoren der Kunstausstellungen zum Themenkomplex „Religion“ folglich eine Fragestellung aufgegriffen, die sich im weitesten Sinne mit menschlicher Gruppenbildung und Interaktion auseinandersetzt.13 Da der Diskurs um Religion vor allem von Fragen der Separierung, Grenzziehung, des Konflikts zwischen verschiedenen religiösen Gruppen dominiert wird, so der Kurator und Theoretiker Okwui Enwezor,14 lassen Ausstellungsprojekte zu diesem Themenkomplex Aufschluss über die Frage nach relationalen kuratorischen Techniken erwarten. Die vier Fallbeispiele, die im Rahmen dieser Studie untersucht werden, sind: Choosing my Religion, Kunstmuseum Thun 2006 (Kuratorin: Madeleine Schuppli); Die Zehn Gebote, Deutsches Hygiene-Museum Dresden 2004 (Kuratoren: Klaus Biesenbach, Ellen Blumenstein, Anja Sommer); Happy Believers, 7. Werkleitz Biennale Halle 2006 (Kuratoren: Anke Hoffmann, Solvej Helweg Ovesen, Angelika Richter, Jan Schuijren); I believe, 2. Moskau Biennale 2007 (Kurator: Oleg Kulik).15 Feindbilder. Ideologien und visuelle Strategien der Kulturen, Göttingen 2007, S. 25–36, siehe insbesondere S. 31–33. 13 Laut Bräunlein haben Museen lange Zeit das Thema Religion nicht interessant gefunden, seit den 1990er Jahren setzte hier jedoch eine Veränderung ein. Vgl. Kirchner, Uta: Rezension zu Peter Bräunlein (Hg.): Religion und Museum. Zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum, Bielefeld 2004, rezensiert für H-Museum, H-NET Network für Museen und Museumsarbeit 2005. 14 Das wird in Enwezors Aufsatz deutlich: „Tebbit’s Ghost“, in: Vanderlinden, Barbara/Filipovic, Elena (Hg.): The Manifesta Decade: Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennals in the Post-Wall Europe, Cambridge, Mass. 2005, S. 175. 15 Für die Studie wurde Material zu insgesamt zehn Ausstellungen zusammengetragen. Beispielsweise zu der Ausstellungsreihe Evangelisch/Katholisch des von den Künstlerinnen Julia Pfeiffer und Roseline Rannoch betriebenen Projektraumes „Montgomery“ in Berlin. Ferner kam es zur Materialakquise hinsichtlich des Kunstvereins Tiergartens/ Galerie Nord. Dort fand die Ausstellung Bilderglauben vom 10.06.–16.07.05 statt. Siehe auch zu weiteren Projekte: Ziese, Maren: „Gott zwischen Kreuz und Konstruktion“, in: Kunstforum International, Denken 3000, Bd. 190, 2008, S. 197–217. Oder: Ziese, Maren: „Visuelle Glaubenssache? Zwei Kunstausstellungen inszenieren Religion“, in: vorgänge 173, Heft 1, Berlin 2006, S. 71–80. Diese hier ausgewählten Kunstausstellungen tragen alle plakativ den Themenstrang „Religion“ im Titel, d.h. die Projekte gerieten durch die Signalwirkung des Ausstellungstitels in das Blickfeld der Kuratorin. Diese signalartige Titelsetzung wird hier als selbstgewähltes, öffentlichkeitswirksames Statement gegenüber der Außenwelt verstanden. Dies unterstreicht auch die Annahme der Autorin, dass die Ausstellungen dem gesellschaftlichen Diskurs nahe stehen. Vgl. Vogt, Tobias: Untitled. Benennung von Kunst in New York 1940–1970, München 2006, S. 9. So schätzt Vogt mit Bezug auf Gehlen, dass Titel als Kommentar beim Reden und Schreiben über Ausstellungen Gewicht haben. Vgl. ebd. Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse wird durch die ausgeschlossenen Fälle nicht beeinträchtigt, da diese sich teilweise sehr ähneln. So wurden hier ebenfalls das White-Cube-Format und identische Display-Techniken angewandt. Im Zentrum der Arbeit stand jedoch der Fokus auf verschiedene Lösungen des Zeigens. Eine systematische Erhebung stand zum einen nicht im Zentrum des Anliegens,

13

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Kuratoren und Besucher

Diese Projekte weisen trotz ihrer Ähnlichkeit im Hinblick auf die politische Themensetzung, die Realisierung im Untersuchungszeitraum 2003 bis 2007, das Format der thematischen Gruppenschau und die Präsentation zeitgenössischer Kunst unterschiedliche inszenatorische Gestaltungsmittel und Display-Techniken auf.16 Jede Ausstellung bringt eine eigene Melange an Display-Techniken hervor, die in der vorliegenden Studie ausführlich dargestellt werden: Für die Ausstellung Choosing my Religion arbeitete die Kuratorin Madeleine Schuppli fast ausschließlich mit dem White-Cube-Format, teilweise auch mit einer kontextualisierenden Inszenierungssprache. Die Zehn Gebote-Ausstellung wies sowohl Elemente des White Cube als auch Referenzen an das kulturhistorische Zeigen sowie konstruktivistische Züge auf. Bei der 7. Werkleitz Biennale Happy Believers nutzten die Ausstellungsmacher den White Cube nur zu einem geringen Grad als Gestaltungsmittel, brachten dafür verstärkt kontextualisierte Displays und das Format der Biennale (Event als Geste) zum Einsatz. Das letzte hier untersuchte Projekt, eine Schau der 2. Moskau Biennale mit dem Titel I believe, nutzte keine White-CubeTechniken und präsentierte sich primär durch seinen kontextuellen Ansatz und seinen Eventcharakter (Biennale).17 zum anderen wäre diese auch schwierig zu realisieren gewesen. Hier muss als Limit angeführt werden, dass sich die Wirkung und Relevanz einer Ausstellung nicht unmittelbar ermessen lässt. So betont Anne-Marie Bonnet, dass es sowohl große, zu ihrer Zeit gut besuchte und viel rezipierte Ausstellungen gibt, die anschließend in Vergessenheit gerieten, als auch kleine, unscheinbare, die eine starke Spätwirkung erzielten. Die Bedeutung einer Ausstellung kann erst im Nachhinein festgestellt werden, und zwar anhand von Kritiken und späteren Rückbezügen bzw. Folgewirkungen, die deren Aspekte weiterführen und so Vorausnahmen erkennen lassen. Vgl. Bonnet, a.a.O., S. 86. Auch Jan Verwoert thematisiert, dass es kaum je eindeutig zu ermitteln ist, wann eine Ausstellung wahrgenommen wird. Manche Kunstereignisse, die später als Meilensteine der Kunstgeschichte wahrgenommen wurden, hatten vielleicht nur eine Handvoll Zeugen. Ein Katalog, der jemandem erst Jahre nach der Ausstellung bzw. Veröffentlichung in die Hände fällt, kann immer noch eine entscheidende Wirkung erzielen. Zudem, fragt Verwoert, wie messe man überhaupt die Wirkung eines Essays oder einer Ausstellung? Vgl. Verwoert, Jan: „Ist da draußen noch jemand? Wert, Macht und Ethik der Kritik angesichts der Anonymität der kulturellen Öffentlichkeit“, in: Boerma, Silke (Hg.): Mise en Scène. Innenansichten aus dem Kunstbetrieb, Hannover 2007, S. 66. 16 Zu den Auswahlkriterien ist außerdem zu sagen: Wie unter „Methode“ dargelegt wird, waren die räumliche Erreichbarkeit der Ausstellungsprojekte und der zeitliche Rahmen relevante Kriterien. Die gewählte Methode verlangte das konkrete Aufsuchen der Ausstellungsräume zur Erfassung und Analyse. Eine Vergleichbarkeit der Ausstellungen kann in erster Linie nur durch den Besuch der Ausstellungen durch ein und dieselbe Person garantiert werden, da ansonsten unterschiedlich generiertes Material eine Vergleichbarkeit erschwert. Vgl. Schade, Sigrid: „Neues Ausstellen, Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen“, in: dies. (Hg.): Ausstellungs-Displays, Dokumentation zum Forschungsprojekt 2005–2007, Zürich 2007, S. 53. 17 Christian Kravagna betont die Existenz alternativer Präsentationsmodelle mit partizipatorischen und didaktischen Ansätzen sowie spektakulärer Events mit Unterhaltungscharakter links und rechts des Modells vom White Cube. In der vorliegenden Arbeit wird bei der Besprechung der ersten Ausstellung auch vom White Cube ausgegangen,

Einleitung

Von Bedeutung ist hier auch der Blick auf die Institutionen der Kunst, denn bei den untersuchten zeitgenössischen Kunstausstellungen handelt es sich um „klassische“, im institutionellen Rahmen realisierte Projekte, wenngleich zu einem unterschiedlichen Grad. Der institutionelle Charakter der Projekte war für das Vorhaben relevant. Auf inhaltlicher Ebene bedeutet das, dass sich diese Projekte aufgrund ihrer Institutionalisierung in den New Institutionalism18 einordnen lassen. Auch die Frage nach dem Ausstellungsraum als Begegnungsraum legt nahe, auf etablierte Kunstinstitutionen19 zu schauen. Denn es ist zu vermuten, dass hier eine größere Besucherschar von der Ausstellung erfährt als bei exklusiven, alternativen Projekten. Auch mit Blick auf die praktische Materialbeschaffung stellte sich der Fokus auf Institutionen als realisierbarer heraus.20 Nur ein multiperspektivisches Annäherungsmodell kann den multifaktoriellen Phänomenen des Geschehens in der Gegenwartskunst gerecht werden.21 Dies

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und die Autorin greift dann die „links und rechts“ liegenden „alternativen“ Präsentationsmodelle auf, allerdings in einer Reihung. Vgl. Kravagna, Christian: „White Cube“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 305. Zwei Biennale-Ausstellungen (als „besondere“ Themenausstellungen) wurden in die vorliegende Untersuchung aufgenommen, da innerhalb des Kontextes einer zunehmend ubiquitären Biennale-Kultur durch vielreisende Kuratoren (und Künstler) neue experimentelle Modelle der Präsentation zirkulieren. Ferner werden die zwei BiennaleAusstellungen besprochen, da es sich bei dem Format um „das natürliche Zuhause für die dialogische Praxis und New Institutionalism“ handelt. Doherty, Claire: „New Institutionalism und die Ausstellung als Situation“, in: Readertext zur 9. Internationalen Sommerakademie Museologie, unter: http://museumsakademie-joanneum.at/projekte/ internationale-sommerakademie-museologie/texte/Claire%20Doherty.pdf. Zu den innovativen Elementen des Formats der Biennale äußert sich auch Elena Filipovic in ihrem Aufsatz „The Global White Cube“, in: Vanderlinden, Barbara/Filipovic, Elena (Hg.): The Manifesta Decade: Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in the PostWall Europe, Cambridge, Mass. 2005, S. 66f. Denkbar und möglich wäre auch noch eine andere Auffächerung, wie bspw. White Cube, kulturhistorisches Museum, staatliche Biennale und alternativer Veranstaltungsort/Kunstfestival. Siehe zur Definition Fußnote 29 im Abschnitt 1.2. Einordnung der Arbeit in aktuelle Forschungspositionen. „Etablierte Kunstinstitutionen“ bezeichnet in Anlehnung an Claudia Büttner Räume, die für bestimmte Funktionen institutionalisiert sind. Büttner arbeitet in ihrer Publikation mit der Kategorie „Institution“ in Gegenüberstellung zum nicht-institutionellen Raum. Vgl. Büttner, Claudia: Art goes public: von der Gruppenausstellung im Freien zum Projekt im nicht-institutionellen Raum, München 1997. Außerdem weist Claudia Büttner in ihrer Untersuchung darauf hin, wie schwierig bis unmöglich es ist, kleine Ausstellungsunternehmungen aufzuspüren. Kleinere Projekte haben oft keine Publikation oder nur schmale Broschüren, außerdem ist in Registern und Ausstellungslisten selten vermerkt, ob eine Veranstaltung im nicht-institutionellen Raum stattfand. Vgl. ebd., S. 7. Es wurden also keine Projekte in die Untersuchung aufgenommen, die von Künstlern oder Kuratoren in Eigenregie betrieben werden. Siehe bspw. zur Definition eines Off-Space: Wieder, Axel John: „Offspace“, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, o.O. 2007, S. 415. Vgl. Bonnet, a.a.O., S. 152.

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steht im Zusammenhang mit dem hier zugrunde gelegten Verständnis von Gegenwartskunst als multifaktorielles Phänomen. So werden die einzelnen Projekte mit einer Vielfalt von Analysemethode untersucht. Dazu zählt das Verfahren zur Ausstellungsbeschreibung und -interpretation der Dichten Beschreibung von Clifford Geertz sowie der Einsatz ergänzender Fragebögen zur Ausstellungsevaluation (etwa „Standards of Museum Exhibitions and Indicators of Excellence“). Auch zeichnet sich die Studie durch eine Vielfalt von Quellen aus, zu denen fotografische Installationsansichten der Ausstellungen, von der Verfasserin geführte Kuratoren-Interviews, Ausstellungskataloge, Rezensionen und Besucherbücher gehören. Die verschiedenen Quellen werden in der Untersuchung als „Stimmen“ verstanden, die alle zusammen eine Textur ergeben.22

1. 2

EINORDNUNG IN AKTUELLE FORSCHUNGS POS ITIONEN

Ausstellungen sind zunehmend ins kunsthistorische Blickfeld geraten. Einerseits auf einer inhaltlichen Ebene unter dem Blickwinkel, welche kunsthistorischen Forschungsbeiträge und -ergebnisse sie generieren.23 Andererseits erfuhr die „Kunst des Ausstellung-Machens“ selber verstärkt Aufmerksamkeit.24 Insbesondere das Thema der Kunstausstellung ist seit etwa zwei Jahrzehnten in den Fokus der Forschung gerückt und erlebt gegenwärtig eine Konjunktur.25 In jüngster Zeit sind mehr und mehr Arbeiten entstanden, die sich vornehmlich mit der Art und Weise der Präsentation und Vermittlung auseinandersetzen.26 Die Zunahme an 22 Mit der Idee von unterschiedlichen Elementen einer Ausstellung als „Stimmen“ rekurriert die Autorin der vorliegenden Studie auf Mieke Bal. Bal arbeitet für ihre Ausstellungsanalysen mit einer sprachähnlichen Struktur: indem verschiedene Elemente ineinandergreifen, wird Sinn erzeugt. Siehe beispielsweise hierzu: Bal, Mieke: „On Grouping: The Caravaggio Corner“, in dies.: Looking In: The Art of Viewing, Amsterdam 2001, S. S. 161–190. 23 Okwui Enwezor und Anne-Marie Bonnet haben die starke Bedeutung von Kunstausstellungen im Hinblick auf die Produktion von kunsthistorischem Wissen hervorgehoben. Vgl. Enwezor, Curating Beyond the Canon, a.a.O., S. 115. Vgl. Bonnet, a.a.O., S. 86. 24 Ebd., S. 154. So hatte das Ausstellungsdesign im 20. Jahrhundert unter anderem einen enormen Effekt auf die Art und Weise, wie Bedeutung in der Kunst produziert wurde. Vgl. Paul O’Neill im Interview mit Annie Fletcher, in: O’Neill (Hg.), Curating Subjects, a.a.O., S. 15. 25 Vgl. Locher, Hubert: „Die Kunst des Ausstellens – Anmerkungen zu einem unübersichtlichen Diskurs“, in: Huber, Hans Dieter u.a. (Hg.): Kunst des Ausstellens. Beiträge, Statements, Diskussionen, Ostfildern-Ruit 2002, S. 15. In seinem Aufsatz führt Locher eine umfangreiche Bibliografie zum Ausstellungswesen an. Eine zentrale Publikation ist: Klüser, Bernd/Hegewisch, Katharina: Die Kunst der Ausstellung. Eine Dokumentation dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts, Frankfurt am Main u.a. 1991. 26 Beispielsweise: Esche, Charles/Steiner, Barbara (Hg.): Mögliche Museen. Jahrbuch für

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Publikationen lässt sich mit der seit den 1980er Jahren veränderten gesellschaftlichen Rolle von Ausstellungen und mit fundamentalen Modifikationen in der Ausstellungspraxis erklären.27 Auch kann als weiterer Grund ein immer ästhetisierterer Alltag28 oder die gegenwärtige Präsenz eines „exhibitionary Zeitalter“29 genannt werden. In diesem Zusammenhang stehen zahlreiche Forschungsansätze, die sich unter anderem mit Ausstellungsdesign beschäftigen: Museumsstudien, „Cultures of Display“, Institutionskritik und Ausstellungsgeschichte sind hier zu nennen. Diese Herangehensweisen repräsentieren eine Kunstgeschichte, die sich auf die Art der Präsentation von Kunst statt auf Kunstbewegungen, ihre Objekte und Produzenten richtet.30 Für die vorliegende Studie ist insbesondere das Forschungsfeld „Curatorial Studies“ relevant. Curating als bislang primär selbstreflexiver Diskurs um Vorgehensweisen, Verantwortlichkeiten und Selbstverständnis der im Kunstbetrieb beteiligten Kuratoren äußert sich in zahlreichen – von Kuratoren oftmals selbst herausgegebenen – Publikationen und anderweitig zirkulierender Statements, die die beruflichen Bedingungen der Akteure reflektieren.31 Curating als Themenfeld, das sich mit den Arbeitsweisen des Ausstellungsmachers beschäftigt, lässt sich in das größere Interessensgebiet „Arbeit“ einordnen, das ebenfalls in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit erfuhr. So wurden hierzu zahlreiche Ausstellungsprojekte und Publikationen initiiert.32

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moderne Kunst. Jahresring 54, Köln 2007. Und: Marincola, Paul (Hg.): What makes a great exhibition?, Philadelphia 2006. Oder auch: Mandel, Birgit (Hg.): Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing, Bielefeld 2005. Sowie: Kittlausz, Viktor/Pauleit, Winfried (Hg.): Kunst, Museum, Kontexte. Perspektiven der Kunst- und Kulturvermittlung, Bielefeld 2006. Ausdruck des aktuelles Interesses für das Feld Kunstvermittlung ist auch die Gründung neuer Lehrstühle und Institute, wie etwa das Institute for Art Education unter Prof. Carmen Mörsch. Gleiches bestätigt Jana Scholze. Sie schreibt: „Meist widmen sich diese ausschließlich den ausgestellten Objekten und damit primär den thematisierten Inhalten.“ Scholze, a.a.O., S. 8. Vgl. Schärer, Martin R.: Die Ausstellung – Theorie und Exempel, München 2003, S. 117. Vgl. Enwezor, Curating Beyond the Canon, a.a.O., S. 121. Vgl. Blazwick, Iwona: „Temple/WhiteCube/Laboratory“, in: Marincola, Paul (Hg.): What makes a great exhibition?, Philadelphia 2006, S. 118–133, hier: S. 118 und S. 132. Vgl. Tanner, Christoph/Tischler, Ute (Hg.): Men in Black: Handbook of Curatorial Practice, Frankfurt am Main 2004. Oder: O’Neill, Paul (Hg.): Curating Subjects, London 2007. Sowie: Eigenheer, Marianne (Hg.): ICE Reader 1: Curating Critique, Frankfurt am Main 2007. Wichtige Literatur wird auch im Abschnitt 1.7.2 zu Curating genannt. So fand 2007 in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen die Ausstellung Bin beschäftigt statt. Oder auch das Ausstellungsprojekt der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) e.V: Office Hours. Strukturwandel der Arbeitswelten, Berlin 2005. Siehe auch: A Room of One’s Own. Mehr als ein Zimmer für sich allein – Arbeit/sräume und Geschlecht. Eine Ausstellung des Kunstraums Kreuzberg/Bethanien, Berlin 2007. Sowie: Offices (1–3). Eine Ausstellung des Kunstvereins Tiergarten und der Galerie Nord, Berlin 2006. Auch im Deutschen Hygiene Museum Dresden wurde in Zusammenarbeit mit der Praxis für Ausstellungen und Theorie eine Ausstellung zu diesem Themenkomplex vorbereitet.

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Auch kam in jüngster Zeit der New Institutionalism auf. Dieser Diskurs geht davon aus, dass sich Kunstinstitutionen von innen heraus selbst erneuern und „verbessern“ können.33 Er versammelt Positionen, die an die Wirkkraft von Kunst und Ausstellungen glauben. Dies stellt eine weitere Begründung für die Wahl der hier bearbeiteten Fragestellung nach Gemeinschaft im Ausstellungsraum dar, nämlich der seit dem letzten Jahrzehnt im Kunstbetrieb auszumachende Trend – auf institutioneller Ebene als auch im globalen Maßstab –, des Glaubens an die transformierende, in diesem Kontext politische Wirkkraft von Kunst und Ausstellungen.34 Gerade Themenausstellungen suchen die „Anbindung ans Leben“.35 Beide „Medien“ – Kunst und Ausstellungen – werden als wirkungsvolles Mittel geseKatalog hierzu: Lepp, Nicola/Tyradellis, Daniel: Arbeit: Sinn und Sorge, Berlin/Zürich 2009. Zahlreiche Veröffentlichungen beschäftigen sich mit dem Thema „Arbeit“, unter anderem: Peraica, Ana: „Ein Wandel in der Repräsentation des Arbeiters. Vom Sozialistischen Realismus zum ‚Soros-Realismus‘“, in: springerin, Heft 3/2006, S. 44–50. Oder auch: Bismarck, Beatrice v./Koch, Alexander: beyond education. Kunst, Ausbildung, Arbeit und Ökonomie, Frankfurt 2005. Sowie: Pohl, Frances K. (Hg.): Kunst und Arbeit – Art and Labor, Kunst und Politik, Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 7, Göttingen 2005. Und: Türk, Klaus: Bilder der Arbeit. Eine ikonografische Anthologie, Wiesbaden 2000. 33 Vgl. Doherty, Claire, New Institutionalism, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, o.O. 2007, S. 407. Siehe auch Doherty, New Institutionalism, Readertext, a.a.O. New Institutionalism ist das Schlagwort des aktuellen europäischen Kuratorendiskurses, der Begriff stammt aus den Sozialwissenschaften. Hiermit ist die Transformation von Kunstinstitutionen von innen gemeint. Der Begriff umschreibt jene Entwicklung an Museen und Galerien, kritische künstlerische Strategien im Management, der Programmplanung und ihrer kuratorischen Tätigkeit aufzugreifen und diese sich zu eigen zu machen, um eine Reform der Kunstinstitution als solche einzuleiten. Ferner steht ein spezifischer Kunstbegriff damit im Zusammenhang: Event- und prozessbasierte Arbeiten, Dialog und Teilnahme werden bevorzugt, Objekte zum passiven Konsum abgelehnt. Zum New Institutionalism zählt auch der Glaube an das Museum als notwendigen Ort und wichtige Plattform für Kunst. Der Diskurs wurde in Nina Möntmanns Arbeit Art and its institutions zusammengefasst. Die vorliegende Studie ordnet sich in den New Institutionalism sowie in die Relational Aesthetics ein, da diese theoretischen Strömungen an das Potenzial des Ausstellungsformats glauben. Und zwar im Allgemeinen und im besonderen an die Möglichkeiten einer Ausstellung Verbindungen herzustellen. In Verbindung mit dem New Institutionalism wird auch oft die Institutionskritik genannt. 34 Vgl. Žerovc, a.a.O., S. 34. 35 Im Vergleich zum White Cube, der alles vermeidet, was die Wahrnehmung von Kunst mit der Wahrnehmung der Realität in Verbindung bringen könnte, tritt bei der Themenausstellung die Fokussierung auf das „reine Objekt“ allein durch die an die Kunstwerke herangetragene Fragestellung zurück. Siehe zum White Cube: Kravagna, Christian, White Cube, a.a.O., S. 302–305. Die Befragung der Kunst unter verschiedenen Aspekten wird teilweise bis heute heftigst bemängelt, wie zahlreiche Kunstkritiken zeigen, etwa im Zusammenhang mit der Zehn Gebote-Schau. Klassische Kritikpunkte bei Themenausstellungen sind, dass Kunstwerke zu sehr auf ihre Inhalte reduziert, Kunstwerken überhaupt Themen „übergestülpt“ würden. Vgl. Rugoff, Ralph: „You talking to me? On Curating Group Shows that Give You a Chance to Join the Group“, in: Marincola, Paul (Hg.): What makes a great exhibition?, Philadelphia 2006, S. 48.

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hen, soziale Unterschiede und Ungleichheiten zu reduzieren, für Gerechtigkeit in der Welt zu sorgen sowie die Stimme für die Schwachen und Marginalisierten zu erheben. Kunst und Ausstellungen können – so die These – ein wirksames Mittel zur Schaffung eines sozialen Gewissens darstellen, indem sie bewusstseinsbildend wirken und Verständnis und Toleranz fördern.36 Hier kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass Ausstellungen über die Ausstellungsdauer hinaus Resultate und Prozesse in Gang bringen können. Damit verbunden stellen Ausstellungen und Kunstobjekte ein Werkzeug zur Verbesserung der gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer inneren Verhältnisse dar. Ausstellungen produzieren also etwas über ihren unmittelbaren Kontext hinaus. Dieser Ansicht nach gelten beide – Kunst und Ausstellungen – als realer, „besonderer“ Raum für Experimente und zur Adressierung der Gesellschaft. Folglich wählen Kuratoren immer öfter politische und soziale Themen und erhalten Anerkennung dafür, wie sie in Ausstellungen die Geografien und Zusammenhänge der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Welt beschreiben und präsentieren. Hier liegt die Idee zugrunde, dass positive Entwicklungen allein durch die Sichtbarmachung gesellschaftspolitischer Konflikte und Problemfelder vorangetrieben werden können und das „Zeigen“ zur Lösung der Probleme beitrage.37 Die an die Kunstinstitutionen herangetragenen Erwartungen sind oft zwiespältig und ambivalent. Andere Institutionen wie politische Parteien und Vereine haben ein direktes Mandat für politisches Handeln. Von einer Kunstinstitution hingegen wird erwartet, dass sie Eindrücke von dem, was „da draußen“ passiert, widerspiegelt und davon Bilder produziert. Es wird außerdem erwartet, dass soziale und subjektive Realitäten in ein Format transformiert werden, das der Betrachter gut handhaben kann – in Form von Ausstellungen also. Dabei sind Interventionen in die politische und soziale Realität jedoch in der Regel unerwünscht.38 Diese Fragen – nach dem Museum als Ort für einen kontinuierlichen Austausch und Dialog, als Raum für kommunikative Begegnungen sowie nach der Verschiebung des Ausstellungsraumes von einer Stätte bloßer Präsentation zu einem Ort der Auseinandersetzung, der womöglich von den eigentlichen Kunstgegenständen wegführt – werden im aktuellen Diskurs um Kunst und Partizipation an vielen Stellen aufgeworfen.39 Für die vorliegende Studie sind speziell Fragen zu 36 Vgl. Žerovc, a.a.O., S. 34 37 Vgl. ebd. 38 Vgl. Möntmann, Nina: „Art and its Institutions“, in: dies. (Hg.): Art and its institutions. Current Conflicts, Critique and Collaborations, London 2006, S. 8. Zu erwähnen ist außerdem in Anlehnung an Irit Rogoff, dass Ausstellungen nicht unbedingt ein politisches Thema haben müssen, um politisch zu sein. Vgl. Rogoff, Irit, Wegschauen, a.a.O., S. 105. 39 Welche Möglichkeiten eröffnet das Museum, die außerhalb seiner selbst liegen? Diese Fragen wurden von Akademie. Von der Kunst lernen, einer als Pilotprojekt für neue Möglichkeiten der Vermittlung und des Wissensaustausches angelegten Aus-

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Partizipation und Gruppe wichtig, wie auch jene theoretischen und künstlerischen Bestrebungen, die darauf abzielen, Teilhabe, Verbindungen und Gemeinschaft neu zu denken und aktiv zu gestalten. Im museologischen Diskurs werden für eine Untersuchung der Präsentationsformen zum einen üblicherweise unterschiedliche Museumstypen miteinander verglichen, zum anderen wird – falls ein Kunstmuseum vorkommt – vorzugsweise auf das klassische Kunstmuseum zurückgegriffen, vermutlich aus mangelndem Einblick in das differenzierte und komplexe Feld des gegenwärtigen Kunstbetriebs mit seinen unterschiedlichen Ausstellungsformaten.40 Ansichten zirkulieren, dass die Bandbreite der Inszenierungsmöglichkeiten im Kunstzusammenhang gering seien, weil formale Konventionen nicht genügend Spielraum ließen. Oftmals wird betont, dass bei Gemäldegalerien als auch beim White Cube andere Voraussetzungen gelten als bei den Ausstellungsdisplays im Völkerkunde- oder naturhistorischen Museum. „Denn hier werden die Objekte zumeist nach formal-ästhetischen Kriterien geordnet, so dass es im eigentlichen Sinn keine Ausstellungs-Narrative gibt.“41 Auf diese Behauptung reagiert die vorliegende Studie wie unter Abschnitt 1.3 deutlich wird. Ein weiteres Feld, das die Arbeit aufgreift, ist die Besucherforschung. Mit dem Ausstellungsraum als sozialem Raum setzt sich die museologische Besucherforschung auseinander und gibt Aufschluss über die Perspektive der Besucher selber. Die Besucherforschung basiert auf praxisnahen, pragmatischen Ansätzen, die mit Befragungen und Daten der museologischen Besucherforschung arbeiten. Studien der museologischen Besucherforschung zeigen, dass für die Besucher die Begegnung und Auseinandersetzung mit Kunst nur ein Anlass unter vielen ist, Ausstellungen zu besuchen. In Umfragen wird die Bedeutung des kommunikativen Charakters von Museumsbesuchen deutlich. Zwei der Hauptkriterien, die Erwachsene stellung am Van Abbe Museum in Eindoven aufgeworfen. Vgl. Nollert, Angelika u.a. (Hg.): A.C.A.D.E.M.Y, Frankfurt am Main 2006. Siehe die Projektbeschreibung unter: http://www.siemensartsprogram.de/presse/bildende_kunst/archiv/2006/akademie_ antwerpen_eindhoven/index.php 40 Beispielsweise arbeitet Susan Kamel in ihrer Publikation Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen mit dem klassischen Kunstmuseum als Gedankenmodell. Vgl. Kamel, Susan: Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen. Black Kaaba meets White Cube, Wiesbaden 2004. Hier insbesondere die Ausführungen zur formalästhetischen Präsentationsform, S. 74ff. Auch Muttenthaler/Wonisch arbeiten mit einer Gemäldegalerie – dem Kunsthistorischen Museum Wien. Vgl. Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 111ff. Tobias Wall greift auf ein sehr polar gedachtes Modell vom Kunstmuseum – Archiv und Labor – zurück, Ausgangspunkt ist bei ihm das Schaulager Basel. Vgl. Wall, Tobias: Das unmögliche Museum. Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart, Bielefeld 2006. 41 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 114. Narration sehen Muttenthaler/Wonisch bei formalästhetischen Präsentationen lediglich auf der Ebene der Hängung und dem Inhalt der Gemälde. Andere Erzählstrategien wie etwa durch Kontextualisierung ziehen sie nicht in Betracht.

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als Grund für einen Museumsbesuch nennen, betreffen „soziale Interaktion“ und „aktiv an etwas teilzunehmen“.42 So erfolgt die Freizeitgestaltung meist in Gruppen, und der Museumsbesuch bietet Anlass zur Kommunikation. Besucher gehen ins Museum, um Familien- und Freundschaftsbande zu pflegen, um sich an gemeinsamen Erfahrungen und Experimenten zu erfreuen – das „being with other people“ ist also zentral.43 Die Studie von Graham Black verdeutlicht, dass die Qualität der Kunstwerke nicht der einzige Einfluss ist; die Wärme des Willkommengeheißen-werdens, eine unterstützende Atmosphäre, die Möglichkeit, involviert zu sein, familienfreundliche Aktivitäten, etc. sind auch wichtig. Das bedeutet, dass es notwendig ist, die Bedürfnisse der Besucher aufzugreifen. Während die meisten Vermittlungen sich auf den persönlichen Kontext eines Individuums konzentrieren, ist die Entwicklung eines interpretativen Zugangs viel komplexer, denn die Museumsbesuche ereignen sich selten alleine.44 Viele Studien konzentrieren sich auf Familien, lassen andere Formen sozialer Gruppierungen außen vor. Doch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Ausstellungsgegenstände, die am effektivsten eine Auseinandersetzung stimulieren, solche sind, die eine soziale Interaktion, Diskussion und Verwicklung zustandebringen, und zwar innerhalb einer Gruppe und auch über eine Gruppe hinaus. Neuere Untersuchungen berücksichtigen mittlerweile die Art und Weise, wie Besucher ihre Handlungen mit anderen Menschen aus dem Publikum und deren Handlungen koordinieren: zum einen durch die Besucherforschung, die sich lange Zeit ausschließlich auf die Beziehung zwischen Mensch und Objekten konzentriert hatte45, zum anderen im Zusammenhang mit der relationalen Ästhetik und anderen Ansätzen wie der Dialogical Art, die Mitte der 1990er Jahre aufgekommen sind. Diese Positionen werden im Theoriekapitel des Buches besprochen. Soziale Interaktion und Kollektivität wurden in zahlreichen Studien unter dem Blickwinkel von Differenz betrachtet. Dieser Themenstrang hat seit Jahren in Theorie und Praxis des museologischen, kuratorischen und kunsthistorischen Feldes Konjunktur und zeugt von zahlreichen noch zu bearbeitenden Aufgabenfeldern.46 Dazu zählen Fragen zur Herstellung des Eigenen am Anderen (Okzi42 Vgl. Strösser, Katharina: Zur Medialität des Kunstmuseums. Ausstellungskonzepte, Museumspolitik und Kunstvermittlung zur Jahrtausendwende, unveröffentlichte Dipl.-Arbeit, Siegen 2004, S. 64. Strösser verweist auf Waidacher, Friedrich: Museologie – knapp gefasst, Wien u.a. 2005, S. 225. Allerdings steht dem entgegen, dass Kunstmuseen unter den Museumsgattungen die meisten Einzelbesucher aufweisen. Vgl. Strösser, a.a.O., S. 63. 43 Vgl. Schäfer, a.a.O., S. 89. 44 Vgl. Black, Graham: The Engaging Museum. Developing museums for visitor involvement, New York 2005, S. 93f und S. 144. 45 Vgl. Waidacher, a.a.O., S. 125. Er verweist auf Lehn, Dirk v.: Exhibiting Interaction: Conduct and Participation in Museums and Galleries, London 2002. 46 Vgl. Schmidt-Linsenhoff, „Kunst und kulturelle Differenz oder: Warum hat die kritische Kunstgeschichte in Deutschland den postcolonal turn ausgelassen?“, in: dies.: Postkolonialismus, Kunst und Politik, Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 4, Osnabrück

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dentalismus), die Repräsentation des „religiös Anderen“ in Ausstellungen oder die Ein- und Ausschlussmechanismen im musealen Raum generell.47 Eine Publikation, die sich entlang der Analysekategorien social class, race und gender mit differenzerzeugenden Ausstellungspräsentationen auseinandersetzt, ist die Untersuchung Gesten des Zeigens von Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch. Muttenthaler/Wonisch erachten diese Kategorien für ihre Ausstellungsanalysen als relevant, da die Erzeugung „von dichotomen und hierarchischen Beziehungen für die Art und Weise zentral ist, wie Museen ihr Selbstverständnis begründen“.48 Mit ihrer Studie stehen sie in der Tradition der Forschungsprojekte, welche Museumsräume als Werkzeuge für die Konstruktion, Reproduktion und Verstärkung sozialer Ungleichheit charakterisieren. Die hierarchische Anordnung von Objekten, die Präsentation voneinander abgetrennter und vorurteilsbeladender Geschichten, die Abwesenheit bestimmter Formen kultureller Differenz – all diese Punkte werden als Technologien verstanden, durch die das Museum zu dem sozialen Prozess des „Othering“, der Unterdrückung und der Entmachtung der Machtlosen beiträgt.49 Auch aufgrund dieser Technologien wurden Museen – als Repräsentationsorte gesellschaftlicher Eliten – für unterschiedliche marginalisierte Gruppen immer wieder zu Kristallisationspunkten in der Auseinandersetzung um kulturelles und soziales Kapital.50 Allerdings ist dieser Zugang – das Aufdecken und die Analyse der zahlreichen Subtexte musealer Darbietungen – durch diverse Schwierigkeiten gekennzeich-

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2002, S. 9f. Sie konstatiert, dass die kritische Kunstgeschichte in Deutschland zwar seit geraumer Zeit die Entwicklung der cultural, visual, gender und queer studies wahrnehme, jedoch die postcolonial studies nicht genügend Berücksichtigung fänden. Hierzu findet seit einigen Jahrzehnten eine umfangreiche Forschung statt, wie an unterschiedlichen Stellen betont wird. So etwa bei Below, Irene/Bismarck, Beatrice v.: „Globalisierung/Hierarchisierung – Dimensionen in Kunst und Kunstgeschichte. Einführung“, in dies. (Hg.): Globalisierung/Hierarchisierung – Kulturelle Dominanzen in Kunst und Kunstgeschichte, Marburg 2005, S. 7–18. Auch die Tagung „De/Konstruktionen von Okzidentalismus – Eine geschlechterkritische Intervention in die Herstellung des Eigenen am Anderen“ unter Leitung von Gabriele Dietze, die im Juni 2007 an der HumboldtUniversität zu Berlin stattfand, ist zu nennen. Zur Vermischung der Kategorien Religion und Ethnie forscht Antje Hornscheidt. Auf der genannten Tagung trug sie vor zu: „Muslimisches Curry? Wie religiöse und ethnische Identitätskategorisierungen miteinander vermischt oder ineinander verwoben sind“. Ein ausführlicher Forschungsüberblick findet sich bei Richard Sandell: Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, New York 2007. Siehe auch die jüngste Publikation hierzu: Kazeem, Belinda/Martinz-Turek, Charlotte/Sternfeld, Nora (Hg.): Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Schnittpunkt Ausstellungstheorie und Praxis, Wien 2009. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 25. Sandell mit Verweis auf Tony Bennett: The birth of the museum, London 1995. Vgl. Sandell, Richard: „Constructing and communicating equality. The social agency of museum space“, in: MacLeod, Suzanne (Hg.): Reshaping Museum Space: architecture, design, exhibitions, London 2005, S. 185 ff. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O. S. 13.

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net, wie die Erwartung, dass das Museum alle ansprechen soll, dass es also für jeden einen Zugang zur Kultur gibt.51 Weitere Problemfelder stellen die Hierarchisierung der Differenz-Gruppen52 sowie die Auflösung der von Muttenthaler/ Wonisch für ihre Analyse als feststehend vorausgesetzten Identitätskategorien der sozialen Klasse, des Geschlechts und der Ethnie, dar. So formulieren Akteure aus dem Kunstbetrieb, wie Carmen Mörsch, an unterschiedlichen Stellen die Frage, wie es denn möglich sei, ein Ausstellungsprojekt oder ein museumspädagogisches Programm für eine imaginierte Interessensgruppe zu entwerfen, ohne gleichzeitig identitäre Zuschreibungen zu zementieren – nachdem der Postkolonialismus den starren Antagonismus zwischen dem Eigenen und dem Fremden, dem Selbst und dem Anderen durch verschiedene Gedankenmodelle aufgelöst hatte.53 Unter anderem führen diese Punkte dazu, dass die Frage nach Inklusion/Exklusion und Identität als „Sackgasse“ erscheint, und es mehren sich die Stimmen, die aus unterschiedlichen Gründen eine andere Blickrichtung auf das Thema vorschlagen.54 51 Vgl. Rogoff, Irit: „Hit and Run – Museums and Cultural Difference“, in: Art Journal, Vol. 61, No. 3, 2002, S. 66 oder auch S. 72. Insbesondere kritisiert Rogoff die Verfahrensweise der kulturellen Partizipation, wo es lediglich darum gehe, „to add others without losing a bit of the self“, also den sexuell, ethnisch, kulturell etc. Anderen in die museale Repräsentation mit einzuschließen, ohne jedoch selbst an der eigenen Konzeption vom „Selbst“ zu arbeiten. Den Gedanken über die Inklusion von Marginalisierten und der damit verbundenen Annahme, „alle seien dann zufrieden“, äußerte Rogoff in ihrem Vortrag zu „Access“ auf der Tagung „Re-Visionen des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum“, welche vom 28. bis 30. Juni 2007 im Migros Museum für Gegenwartskunst Zürich stattfand und u.a. vom Graduierten-Programm Curating an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich ausgerichtet wurde. Hierzu erschien folgende Publikation: John, Jennifer/Richter, Dorothee/Schade, Sigrid (Hg.): Re-Visionen des Displays. Ausstellungsszenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum, Zürich 2009. 52 Vgl. Sandell, Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, a.a.O., S. 7ff. Unter anderem seien Besucher mit Behinderung unterrepräsentiert. Aktuelle Publikationen im deutschsprachigen Raum beschäftigen sich jedoch mit Fragen zu Museumszielgruppen wie Menschen mit Behinderung oder auch der immer größer werdenden Gruppe der Senioren. Vgl. Föhl, Patrick S. u.a. (Hg.): Das barrierefreie Museum. Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch, Bielefeld 2007. Und: Knopp, Reinhold/Nell, Karin (Hg.): Keywork. Neue Wege in der Kultur- und Bildungsarbeit mit Älteren, Bielefeld 2007. 53 Dazu zählen bspw. Queer Studies, die sich bemühen, alternative Identitätsmodelle zu entwerfen, welche vielfältigere Möglichkeiten ethnischer, religiöser, geschlechtlicher Existenzen zulassen. Vgl. Mörsch, Carmen: „Queering Kunstvermittlung: Über die mögliche Verschiebung dominanter Verhältnisse auf der documenta 12“, in: Ästhetik & Kommunikation: zeitgenössisch/museal, Heft 137, Berlin 2007, S. 33. Auch besteht die Gefahr, dass selbst „politisch gutgemeinte linke“ Forschung und Kritik, die von ihr eigentlich abgelehnten Deutungs- und Diskursmuster wiederholt beziehungsweise überzeichnet und damit das Kritisierte fortschreibt. Schmidt-Linsenhoff, Kunst und kulturelle Differenz, a.a.O., S. 8. 54 Als Beispiel für einen „Bedenkenträger“ kann dienen: „Ideologiekritische Kunst und Kritik nutzen seit den sechziger Jahren effektiv die Mittel der Soziologie zur Offenlegung der politischen und sozialen Kräfte, die den institutionellen Strukturen der Kunst innewohnen. Das ist gut. Weniger gut ist allein, dass die anhaltende Konzentration des

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So rücken zum Beispiel Projekte ins Blickfeld, die die typischen Dichotomien (genannt seien hier Kunst versus Sozialarbeit, Lokalität versus Internationalität) bewusst ignorieren und gezielt so agieren, als existierten diese „harten Logiken“ nicht. Dem geht die Abkehr von Vorhaben voraus, die sich im Sinne einer Institutionskritik nur darauf reduzieren, die Strukturen und die Reproduktionsweisen solcher oppositioneller Konstruktionen sichtbar zu machen.55 Als Lösungsvorschlag für diese Schwierigkeiten soll an dieser Stelle auf Nicolas Guagnini verwiesen werden, der ähnlich wie Irit Rogoff feststellt, dass der Diskurs der letzten Jahre durch die ungelöste Problematik von „Identitäten“ dominiert war. Er macht nun als neues Thema „Gemeinschaft“ aus, das über die ungelöste Problematik „Identität“ hinausgeht.56 Konkreter führt dies Jill Bennett aus, sie nennt vor allem die „relationale Ästhetik“ als Antwort auf das Dilemma um das „Additional-Modell“ – Fragen von

Blicks auf die Macht der Strukturen und Kontexte die Vorstellung hat entstehen lassen, dass Kunst ausschließlich durch derlei Strukturen und Kontexte bestimmt sei. Unter der Hand verkehrt sich so der analytische Blick auf das soziale Feld der Kunst in eine moralische wie strategische Einstellung in diesem Feld gegenüber“. Vgl. Verwoert, a.a. O., S. 76. 55 Vgl. Mörsch, Carmen: „Verfahren, die Routinen stören“, in: Baumann, Sabine/Baumann, Leonie (Hg.): Wo laufen S(s)ie denn hin?! Neue Formen der Kunstvermittlung fördern, Wolfenbüttel 2006, S. 24. In diesem Fall ist von museumspädagogischer Vermittlungsarbeit die Rede, nicht von kuratorischer. An einigen Stellen der Untersuchung wird dies mit Rekurs auf die Begriffsdefinition von Carmen Mörsch allerdings gleichgesetzt. Vgl. Mörsch, Carmen: „Extraeinladung. Kunstvermittlung auf der documenta 12 als kritische Praxis“, in: Schöllhammer, Georg: documenta 07 – Magazin 3 – Bildung: Was tun?: Education No. 3, 2007, S. 224. Irit Rogoff fragt in ihrem Aufsatz zur Partizipation: „Was kommt nach der kritischen Analyse der Kultur? Was führt uns weiter nach dem endlosen Katalogisieren der verborgenen Strukturen, der unsichtbaren Mächte und der zahllosen Repressionen, das uns so lange beschäftigt hat? Nach dem Markieren und Sichtbarmachen derer, die einbezogen und die ausgeschlossen sind? Nach dem Aufzeigen der herrschenden Diskurse und der dominanten Kartografien der althergebrachten kulturellen Ordnung? Nach dem Zelebrieren von neuen minoritären Gruppenidentitäten?“ Rogoff, Wegschauen, a.a.O., S. 98. Rogoff verdeutlicht an anderer Stelle, dass es vielleicht auch erst einmal ein „genug“ des Ringens um Zugänge und Teilhabe ist: „In den vergangenen Jahren haben wir oft darüber gesprochen, keine konfliktbehafteten und binären Engagements mehr eingehen zu wollen. Wir wollten zum Beispiel keinen Streit mit der Kunstakademie im Namen einer progressiven oder revolutionären Praxis. Wir wollten auch keinen Streit mit dem Museum über eine größere Zugänglichkeit und Öffnung anfangen (und auch deshalb nicht, weil wir dem Populismus nicht das Wort reden möchten). Und wir wollten keine Zeit und Energie mit Kämpfen verschwenden, in denen gegeneinander steht, was ‚innerhalb‘ einer Kunstinstitution sanktioniert ist und was ganz natürlich ‚außerhalb‘ von ihr im öffentlichen Raum stattfindet.“ Rogoff, Irit: „‚Schmuggeln‘ – eine verkörperte Kritikalität“, in: Boerma, Silke (Hg.): Mise en scène, Innenansichten aus dem Kunstbetrieb, Hannover 2007, S. 41. 56 Vgl. Guagnini, Nicolás: „Gemeinschaft“, in: Texte zur Kunst, Nr. 66, Juni 2007 „Kurzführer“, 2007, S. 71.

Einleitung

Inklusion, Zugang und Teilhabe.57 Eine hegemoniale Politik der Repräsentation wird durch Formen der Partizipation abgelöst. Darüber hinaus schließt die vorliegende Publikation an aktuelle Forschungsfelder an. Von Januar 2006 bis Februar 2007 wurde am Institute for Cultural Studies der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich ein Forschungsprojekt zu „Ausstellungs-Displays. Innovative Entwürfe für das Ausstellen von Kunst, Medien und Design in kulturellen und kommerziellen Anwendungen“ durchgeführt. In der Dokumentation der Forschungsgruppe schlussfolgert das Team um die Leiterin Sigrid Schade, dass sich bestimmte Resultate – ob und wie man eine Aussage auch hätte anders machen können – „dann fast nur noch im Vergleich mit ähnlichen Themen-Ausstellungen herausfinden [ließen].“58 Das Forschungsprojekt hatte in Kooperation mit verschiedenen Projektpartnern59 zum Ziel, Ausstellungstypologien zusammenzustellen und Modelle für „innovatives“, interdisziplinäres Ausstellen zu entwickeln. Die Absicht, eine Ausstellungstypologie zu erarbeiten – also im Sinne einer institutionell-typologischen Vergleichbarkeit zu fragen, ob Messebauer anders ausstellen als Kunstinstitutionen60 – wurde im Laufe des Forschungsprozesses aufgegeben und durch die Frage abgelöst, wie und wodurch die jeweiligen Projekte mithilfe „typologischer“ Zitate Bedeutung generieren. Konkret bedeutete dies, dass ihre Ausgangsfrage in die Frage nach der Vergleichbarkeit von Ausstellungen mit ähnlichem Thema umformuliert wurde – wie verhalten sich zwei Ausstellungen mit ähnlichem Thema zueinander? Das Team suchte zu den ausgewählten Ausstellungen ihrer Projektpartner jeweils vergleichbare Ausstellungen. Neben diesen zentralen Problematiken – wie etwa der Frage nach „innovativen Displays“ – wird an anderer Stelle der Fokus auf das Publikum gelegt, die Rede ist hier von „Publikumsadressierung“.61 Damit ist 57 Jill Bennett dazu: „[...] In this regard, the recent turn to the dynamics of interconnection (an issue that is fundamental to both politics and aesthetics) might be understood as a response to the limitations of identity politics in both institutional and aesthetics terms – an attempt to move beyond and around identity: to literally shift ‚identities‘ out of a static space into a dynamic set of relationships, whether through ‚relational aesthetics‘, ‚dialogical aesthetics‘ or other mobilisations of the concept of participation and democracy in art. […] My argument then, is this: that the shift from identity to relationaliy, and toward an exploration of communality as a process, is a key development in terms of political aesthetics.“ Bennett, Jill: Migratory Aesthetics: art and politics beyond identity, o.O. o.J., unter: home.medewerker.uva.nl/m.g.bal/bestanden/Bennett%20Jill%20paper%20 FINAL%20READER%20OPMAAK.pdf. 58 Vgl. Schade, Sigrid: Ausstellungs-Displays. Fragen – Ziele – Vorgehen, a.a.O., S. 6. Eine weitere Zusammenfassung des Forschungsprojektes ist im Kunstforum International, Bd. 186, Juni–Juli 2007, S. 55–63, erschienen. 59 Wie etwa die Messebau-Firma Bellprat Associates, das Institute of Curatorship and Education ICE (College of Art, Edinburgh) und einige Museen wie das Museum für Gestaltung, Zürich. 60 Vgl. Schade, Ausstellungs-Displays. Fragen – Ziele – Vorgehen, a.a.O., S. 5. 61 Die breit angelegte Herangehensweise wird auch in der Spannweite der generierten Ma-

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Kuratoren und Besucher

gemeint, dass die kulturelle Praktik des Zeigens ein Publikum anspricht, „dessen aktive, interpretatorische Teilnahme zu unterschiedlichem Grad gefordert wird“.62 Hier wurde auf Wolfgang Kemps Ansatz verwiesen. So wie Kemp den „Betrachter im Bild“ thematisierte, suchte das ICS „im übertragenen Sinn nach dem ‚Betrachter in der Ausstellung‘ in der Art und Weise, wie eine Ausstellung ein bestimmtes Publikum und dessen Bildung, Kenntnisse, Erinnerungen anspricht. In der poststrukturalistischen Verschiebung dieses Konzeptes muss man davon sprechen, dass Ausstellungen ihre Subjekte ‚miterzeugen‘, sie werden im Sinne Jacques Lacans und Louis Althussers aufgerufen (oder ausgeschlossen): Der Stil, so Lacan, ist der Betrachter.“63 Wolfgang Kemps Rezeptionstheorie ist von unterschiedlicher Seite kritisiert worden. So führt Ilka Becker aus, dass Einwände gegen Kemps Idee einer ästhetischen Erfahrung angeführt wurden, die einen autonomen Werkbegriff und die Voraussetzung eines genießenden Subjekts einschließe. Auch werde ein mit einem Wahrheitsgehalt ausgestattetes Werk als Totalität vorausgesetzt, impliziert sei hier ein intentionales literarisches Objekt, dessen geheime Bedeutung in Auslassung chiffriert sei und nur entziffert werden müsse.64 An dieser Stelle sei auch auf weitere Ansätze verwiesen, die argumentieren, dass der Betrachter erst die Ausstellung erzeugt, wie es etwa die Theorie einer performativen Herstellung von Bedeutung zu argumentieren versucht.65

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terialien deutlich, sowie in der wiederholten Eingrenzung der Fragestellung während des Forschungsprozesses. Schade, Sigrid/Richter, Dorothee: „Ausstellungs-Displays. Reflexionen zu einem Zürcher Forschungsprojekt“, in: Kunstforum International, Bd. 186, Juni 2007, S. 59. Nach Meinung der Verfasserin ist die Frage nach der Betrachteransprache im Forschungsprojekt „Ausstellungs-Displays“ sehr vage und unsystematisch geblieben. Es wurden keine Kategorien vorgestellt. Ebd. Die Autorinnen verweisen auf Lacan, der selbst eine Untersuchung „der narzisstischen Struktur des Aufgerufen-Werdens auf den Kunstbereich“ übertrug. Ebd. Für die Verfasserin der Studie geht der Verweis auf Kemp trotz der Modifikation des Konzeptes durch poststrukturalistische Ansätze nicht weit genug beziehungsweise geht die hier in der Untersuchung zugrunde gelegte Frage über den Ansatz des Forschungsprojekts hinaus. Vgl. Becker, Ilka: „Rezeptionstheorien“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 271. Siehe insbesondere Beckers knappe Zusammenfassung zur Leerstelle bei Kemp. Eine positive Wertschätzung des Kemp’schen Ansatzes findet sich bspw. bei: „Eros“, „Lügen“, „after six“ – Partizipatorische Kultur- und Kunstvermittlung in Museen, von T.E.A.m – Susanne Gruber, Anna Petschinka, Walter Stach, Gabriele Stöger, S. 61–65. Als Antwort auf Wolfgang Kemps Paradigma und auch als Verweis auf eine eigenständige Bedeutungsgenierung kann konstatiert werden, dass „Sinn nie durch Vereinzelung oder isolierende Prozesse gewonnen wird. Teilnehmer, seien sie nun ein Publikum, Studenten oder Forscher generieren Sinn nie einfach dadurch, dass sie ihre Subjektivität auf Werke projizieren, um sie so zu Ende zu denken. Sinn wird vielmehr durch ein komplexes Netz von Querverbindungen, durch Beziehungen zu anderen begründet, durch die Zeitlichkeit eines Ausstellungsereignisses oder einer Klasse, einer Demonstration, eines Displays. Und schließlich: bei einem reflektierten Wechsel von der analytischen hin zur

Einleitung

Indem das Forschungsprojekt zu Ausstellungsdisplays für einen Vergleich von Themenausstellungen plädiert, um eine Beurteilung zu ermöglichen, wie die Ausstellungsprojekte anders hätten umgesetzt werden können, greift es eine übliche Vorgehensweise auf.66 Die vorliegende interdisziplinär ausgerichtete Studie „Kuratoren und Besucher“ positioniert sich somit in der Schnittstelle verschiedener Forschungsansätze und Forschungsfelder: zwischen Museologie und Kunstgeschichte, New Institutionalism, Curating und Kunstvermittlung.

1. 3

A N S AT Z

UND

ZIELE

Das vorliegende Buch ordnet sich dem Teil der Kunstgeschichte zu, der sich mit Inszenierungsweisen von Kunstwerken auseinandersetzt statt mit Kunstströmungen. Da das Forschungsfeld Curating bislang eine umfangreiche kunsthistorische Reflexion entbehrt, greift die Studie auf deutschsprachige und angelsächsische Literatur aus Museologie und Positionen aus dem aktuellen Diskurs um Kunstvermittlung zurück.67 Von Relevanz für die Untersuchung ist die Publikation Gesten des Zeigens von Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch, da dort auf klassiperformativen Funktion von Beobachtung und Teilhabe wird Bedeutung nicht ‚ausgelegt‘, sondern findet statt. Kunstwerke, Themenausstellungen und andere Foren, die sich der Kulturarbeit widmen, haben keine unmittelbare Bedeutung, aber sie fungieren als Möglichkeitsfelder für ein unterschiedliches Publikum bei unterschiedlichen kulturellen Bedingungen (...) um zu Sinn und Bedeutung zu kommen“. Rogoff, Schmuggeln, Kritikalität, a.a.O., S. 35. 66 Vgl. Schade, Ausstellungs-Displays. Fragen – Ziele – Vorgehen, a.a.O., S. 6. In vielen Forschungsarbeiten, die oftmals aus der Praxis kommen, geht es um die Erarbeitung von Modellen und Ergebnissen für die Praxis. Siehe hierzu etwa: Kaiser, Brigitte: Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen. Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive, Bielefeld 2006. Das ist nicht die Absicht der vorliegenden Studie. Auch soll diese Untersuchung keine eigenen Ausstellungsideen präsentieren, wie es etwa Susan Kamel in ihrer Publikation tut. Vgl. Kamel, a.a.O., S. 205ff. 67 Zentrale Publikationen aus der englischsprachigen Museumsforschung, auf die sich vorliegende Arbeit stützt, sind: Black, Graham: The Engaging Museum. Developing museums for visitor involvement, New York 2005. Sowie: Sandell, Richard: Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, New York 2007. Als Schlüsselwerke der virulenten Diskussion um Kunstvermittlung dienen: Baumann, Sabine/Baumann, Leonie (Hg.): Wo laufen S(s) ie denn hin? ! Neue Formen der Kunstvermittlung fördern, Wolfenbüttel 2006. Sowie: Maset, Pierangelo u.a.: Corporate Difference. Formate der Kunstvermittlung, Lüneburg 2006. Und: Schöllhammer, Georg: documenta 07 – Magazin 3 – Bildung: Was tun?: Education No. 3, 2007. Ferner: Jaschke, Beatrice u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005. Außerdem: Rollig, Stella/dies. (Hg.) Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum. Museum zum Quadrat 13. Wien 2002. Sowie: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. (Hg.): KunstCoop. Kunstvermittlung als Dekonstruktion, Berlin 2003.

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Kuratoren und Besucher

sche Weise Museumstypen verglichen werden und in der vorliegenden Studie in Abgrenzung dazu versucht wird, eine Übertragung von Ausstellungsanalysen zum einen generell auf das zeitgenössische Kunstfeld vorzunehmen und zum anderen die Präsentationsformate im Kunstbetrieb stärker zu differenzieren. Auch besitzt die vorliegende Untersuchung mehrere Berührungspunkte zum Forschungsprojekt „Ausstellungs-Displays“. Selbst wenn eine Typologie in dieser Arbeit nicht im Zentrum steht, wird hier im Gegensatz zu dem in der Forschungsgruppe gewählten Ansatz dafür plädiert, dass Typologien sinnvoll sind, um einer Mystifizierung der kuratorischen Arbeitsweisen zu begegnen, die darauf beruht, dass Ausstellungsmacher auf die vermeintliche Nicht-Benennbarkeit ihrer Tätigkeit beharren.68 Das Buch kennzeichnet zum einen, was die Kuratoren an Ausstellungstechniken eingesetzt haben, zum anderen widerspricht die Autorin der Behauptung, die Kuratoren hätten kaum Gestaltungsspielraum. Ferner ist es Ziel der Arbeit, nach der Stimulation sozialer Interaktion in Ausstellungen zu fragen; dieses Thema ist erst seit kurzem in das Blickfeld der Forschung gerückt. So greift die Studie die Frage nach der Publikumsadressierung auf und führt diese fort. Die Fragestellung dieser Publikation geht über die Ansprache oder die individuelle Bildbegegnung hinaus und unternimmt einen Transfer auf die Gruppe. Im Fokus der Betrachtung steht das Zusammenfinden von Gruppen, das heißt, die soziale Seite von Partizipation. Jedoch wird in der vorliegenden Studie keine Beurteilung vorgenommen, wie man die jeweiligen Projekte hätte anders oder besser gestalten können. Die vom Forschungsteam vollzogene Neufokussierung auf Themenausstellungen war in der vorliegenden Untersuchung von vornherein angelegt. Somit schließt diese Arbeit mit aktuellen Forschungsfeldern gleich und versteht sich aufgrund der Aktualität dieser Wissenschaftsfragen als Diskursbuch.69 In Abgrenzung zur Publikation Gesten des Zeigens, welche mit Konzepten von Differenz und „Andersheit“, den Kategorien race und gender arbeitet, sowie in Abgrenzung zu dem im Religionsdiskurs eingeschriebenen Konfliktparadigma, soll in dieser Arbeit eine „positive“ Erwartungshaltung eingenommen werden. Das heißt, hier wird davon ausgegangen, dass eine Herstellung von Gemeinschaft unter 68 Typologien sind auch Problematiken eingeschrieben, wie gerade durch die postkoloniale Kritik an ethnologischen Displays, dem Klassifizieren und Ordnen deutlich wurde. Siehe hier exemplarisch die Studie von Hall, Stuart (Hg.): Representation. Cultural Representations and Signifying Practices, London 1997. Daneben finden sich zahlreiche Beispiele für Publikationen, die Typologien vorschlagen: Außer Jana Scholze, die vier Typologien – Klassifikation, Chronologie, Inszenierung und Komposition – vorschlägt (Vgl. Scholze, a.a.O., passim), listet Martin R. Schärer zahlreiche Modelle auf. Vgl. Schärer, a.a.O., S. 114–128. 69 Die Bezeichnung „Diskursbuch“ geht auf Ann Theobald, Inhaberin des Buchverlags Revolver. Archiv vür aktuelle Kunst zurück und bezieht sich auf Publikationen, welche auf zeitgenössische Phänome reagieren. Zur Definition und zum Themenfeld „Zeitgenossenschaft“ siehe Heft 137 zeitgenössisch/museal der Zeitschrift Ästhetik & Kommunikation, Berlin 2007.

Einleitung

den Ausstellungsbesuchern ein wünschenswertes Element ist, was mit den Grundannahmen der relationalen Ästhetik von Bourriaud einhergeht. Zur Entwicklung des Arguments wird außerdem der Standpunkt vertreten, dass es bei zwischenmenschlichen Kontakten eine „harmonische“ Grundlage gibt. Die Studie arbeitet also mit einer utopischen Vorstellung von „Gemeinschaft“.70 Mit einer „positiven“ Sichtweise ist jedoch nicht eine unkritische, unreflektierte und oberflächlichbeschönigende Lesart gemeint. Richard Sandell merkt an, dass in zahlreichen kulturellen und soziologischen Analysen des Museums die Rolle der Institution auf problematische Weise als ausschließlich positiv beschrieben wird, nämlich als demokratisierend, ermächtigend, gleichbehandelnd. Mit dem Konstrukt eines positiven Verständnisses von Kommunikation soll es hier also nicht um die Leugnung der hegemonialen Museumsgeschichte gehen, die von Tony Bennett, Carol Duncan und anderen in komplexen Forschungsbeiträgen betont wurde.71 Dies soll erneut in dem Abschnitt zu „Annahmen“ deutlich werden, in dem das hier zugrundegelegte Verständnis vom Ausstellungsraum als politischen Ort dargelegt wird.72 Ferner wird hier angenommen, dass es dem Museum überhaupt möglich ist, Verbindungen zu stiften.73 All dies geschieht in Kenntnis der damit verbundenen Fragen und Probleme. So ignoriert diese Untersuchung die Fragen von Differenz, Ein- und Ausschluss im Ausstellungsraum und vermeidet eine Einteilung der Betrachter in soziale Schichten oder Hautfarben.74 Dies geschieht jedoch nicht in Aberkennung der enormen Forschungsleistung, die hier noch zu tätigen ist. Die Verfasserin sieht eine Notwendigkeit, zu benennen, wie Kuratoren konkret arbeiten und welche Techniken ihren Einsatz finden. Ein Ziel der Arbeit ist deshalb die genaue Bezeichnung der eingesetzten Inszenierungsmittel. Die Studie stößt damit in die immer wieder auftauchende Behauptung,75 dass es schwierig zu benennen sei, WIE Kunst macht, was 70 Diese Position ist durchaus diskutierbar, so verweisen beispielsweise Sheikh und Laclau darauf, dass insbesondere Konflikte erst Öffentlichkeit schaffen und Gesellschaften formen. Vgl. Sheikh, Simon: „The Trouble with Institutions, or Art and its Publics“, in: Möntmann, Nina (Hg.): Art and its institutions. Current Conflicts, Critique and Collaborations, London 2006, S. 144ff. 71 Vgl. Bennett, Tony, a.a.O. Und: Duncan, Carol: Civilizing Rituals – Inside Public Art Museums, London 1995. 72 Vgl. Sandell: Constructing, a.a.O., S. 185ff. Bei Sandell wird deutlich: es gibt unterschiedliche Konnotationen von ‚positiv‘. 73 Vgl. Sandell, Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, a.a.O., S. 9. Es gibt museologische Positionen, die das Museum per se anzweifeln. 74 Hier wäre auch an andere Modelle zu denken, wie die „Kategorisierung“ nach Lebensstilmilieus, wie sie Volker Kirchberg in seiner Studie Gesellschaftliche Funktionen von Museen. Makro-, meso- und mikrosoziologische Perspektiven, Berlin 2005, durchgeführt hat. Oder das konstruktivistische Modell der verschiedenen Lebenswelten wie etwa von Niklas Luhmann vertreten. Vgl. Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 2004. 75 Siehe hierfür beispielsweise: Halliwell, Paul: „Exodus“, in: mute magazine, culture and politics after the net, Juli 2007: http://www.metamute.org/en/exodus.

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sie macht – das sei für alle künstlerischen Ausdrucksformen typisch. Auch Richard Sandell hebt hervor, dass wenig Kenntnis über den Prozessen herrsche, wie Museen Sichtweisen auf Differenz und Ausgrenzung verändern können, obwohl solche Vorhaben in der Theorie breite Unterstützung finden.76 Die Untersuchung setzt bei all den Forderungen an, sich eingehender mit diesen Prozessen auseinander zusetzen,77 und greift diese Forderungen auf, denn hier soll sich mit der Unkommunikabilität und Nicht-Benennbarkeit keineswegs abgefunden werden. Dazu gehört auch, dass im Zusammenhang mit der „relationalen Ästhetik“ die einzelnen kuratorischen Projekte genauer betrachtet werden sollen, das heißt die konkrete Differenzierung zwischen verschiedenen Arten des Austausches angestrebt wird. Kritiker des Modells von Bourriaud haben angeführt, dass die Produktion des Sozialen in der „relationalen Ästhetik“ kaum durchdacht und ausgeführt ist, deshalb blickt die Verfasserin hier auf das „Wie“.78 Zudem wird das Modell von Bourriaud auf die kuratorische Tätigkeit übertragen. In gewissem Sinne wird also eine Typologie von Themenausstellungen angedeutet, die auf bereits existierende Typologien und Bezeichnungen für Ausstellungssprachen zurückgreift.79

1. 4

AUFBAU

Der Einleitungsteil schließt mit der Vorstellung der Quellen. Der Einleitung folgt eine Methodenreflexion sowie die Klärung der zugrundegelegten Prämissen (der Ausstellungsraum als politischer Raum und das Verständnis der Verfasserin vom Kurator). Daran schließt sich ein theoretischer Teil an, in dem zum einen die diskursiven Strömungen zu relationalen Praktiken und insbesondere die Theorie der „relationalen Ästhetik“ von Nicolas Bourriaud vorgestellt, zum anderen Techniken zur Stiftung von sozialer Begegnung im Ausstellungsraum dargelegt werden. Diese Techniken werden aufgeführt, um Anhaltspunkte zu bieten, nach denen Ausstellungsräume als soziale Orte verstanden werden können, wie etwa die Offenlegung von Bedingungen, eine Enthierarchisierung der 76 Vgl. Sandell, Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, a.a.O., S. 10. 77 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 249. Muttenthaler/Wonisch kommentieren, dass in Ausstellungskritiken niemals das Aussehen der Räume erwähnt wird. Vgl. ebd. 78 Vgl. Halliwell, a.a.O. 79 Die Studie führt hier die Typologien von Schärer und Belcher zusammen. Vgl. Schärer, a.a.O., S. 123–128. Vgl. Belcher, Michael: Exhibitions in Museums, Leicester/London 1991, S. 58–66. Belcher unterteilt in: „emotive exhibitions“, „evocative exhibitions“, „didactic exhibitions“ und „exhibitions as entertainment“. Ferner erwähnt er auch noch eine Kategorie „miscellaneous“, in der interaktive oder objektorientierte Ausstellungen gelistet sind. Vgl. ebd.

Einleitung

Beziehungen oder das Angebot vielfältiger Zugangsmöglichkeiten. In den Kapiteln 3 und 4 werden je zwei Ausstellungen zusammengefasst, nicht in Form einer vergleichenden Gegenüberstellung (die an die Binarität des „AdditionalModells“ erinnern würde), sondern als Bild für das gemeinsame Zusammenkommen an einem Tisch. Im dritten Teil des Buches werden die Ausstellungen Choosing my Religion (Kunstmuseum Thun) und Die Zehn Gebote (Deutsches Hygiene-Museum Dresden) zusammengebracht. Im vierten Teil „begegnen“ sich Happy Believers (Werkleitz Biennale) und I believe (Winzavod/Moskau Biennale). Die Metapher des Tisches spielt hierbei eine wichtige Rolle; sie steht für die Form eines gleichberechtigten Dialoges, der ein wichtiges Element dieser Studie ist und die Hintereinanderreihung von Einzelstudien aufbrechen soll, wie sie in den meisten Forschungsarbeiten zu Ausstellungs- und Museumsanalysen zu finden ist. Diese Metapher ist dem Schwarzmarkt des Wissens entnommen.80 Im übertragenen Sinne werden in der Gliederung also jeweils zwei Ausstellungsprojekte an einen Tisch gesetzt und in einen imaginierten Dialograum geführt. Kriterium für die Zusammenführung zweier Projekte ist eine gewisse Ähnlichkeit, eine Verbindung durch gemeinsame Neugierde, Leidenschaft, Interessen.81 Im konkreten werden die jeweiligen Ausstellungsprojekte – Choosing my Religion, Die Zehn Gebote, Happy Believers und I believe in ihren mehrschichtigen Zeige-Gesten betrachtet. Für jedes Projekt werden die gleichen, als „Botschaft“ an den Besucher verstandenen Aspekte untersucht – so weit es sich aus den Quellen ergibt. So liegt nicht nur das konkrete Erscheinungsbild des Ausstellungsraumes, des umgebenden Baus und die jeweilige Inszenierung der Exponate im Fokus der Betrachtung. Auch die spezifische Themensetzung des individuellen Projektes sowie die kuratorischen Vorstellungen und Arbeitsweisen, zu denen Künstlerauswahl, Kunstverständnis und Selbstbild zählen, stehen im Blickpunkt. Von der Einzelbetrachtung, dem Spezifischen ausgehend, sollen aufscheinende Bezüge und Verbindungen sowie Unterschiede aufgezeichnet werden.82 In der Zusammenschau heterogener, aber exemplarischer Fallstudien sollen die Komplexität von Zusammenhängen sowie Ambivalenzen aufgezeigt werden. Dabei soll aber

80 Der Schwarzmarkt ist ein auf die Künstlerin Hanna Hurtzig zurückgehender, temporärer Schau- und Produktionsraum, in dem erzählerische und kollektive Formate der Wissensvermittlung ausprobiert und präsentiert werden. Er ist sowohl Wissensvermittlung als auch Kunst, eine mehrschichtige Performance, die auf die Verbindung unterschiedlicher Menschen zielt. Vgl. „Informationen zur Berliner Ausgabe des Schwarzmarktes für nützliches Wissens und Nicht-Wissen“, HAU 1, Berlin, im November 2006: http://www.mobileacademy-berlin.com/deutsch/2006/schw_no06.html. 81 Siehe auch den Begriff des Dialograumes, wie er von Paolo Bianchi eingeführt wurde. Vgl. Bianchi, Paolo: „Display als Dialograum“, in: Schade, Sigrid (Hg.): Ausstellungs-Displays, Dokumentation zum Forschungsprojekt 2005–2007, Zürich 2007, S. 16–17. 82 Vgl. Bonnet, a.a.O., S. 72.

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Kuratoren und Besucher

die Aufstellung fiktiver Entwicklungslinien zum Untermauern der Argumentation vermieden werden.83

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QUELLEN

Der Studie liegen unterschiedliche Quellen zugrunde. Dazu zählen die Ergebnisse der Ausstellungsanalysen sowie fotografische Installationsansichten, Kuratoreninterviews und zusätzliche Materialien wie die Pressespiegel der Museen. Im Konkreten heißt das: Zum einen wurden die Ausstellungen aufgesucht, dokumentiert und mithilfe der Methode der Dichten Beschreibung und einem von der Verfasserin zusammengestellten Fragebogen analysiert, zum anderen wurden Gespräche mit den Kuratoren geführt. Ferner wurden während der Aufenthalte vor Ort in den Presseabteilungen oder Archiven der Museen (falls vorhanden und falls möglich) weitere Materialien zusammengestellt, dazu zählen Zeitungsartikel (Pressespiegel) und eine Kopie der Besucherbücher. Im Folgenden soll auf die einzelnen Quellen eingegangen werden. Die fotografischen Installationsansichten bilden zur Nachvollziehbarkeit der Argumentation die Ausstellungssituationen ab.84 Bei den für diese Publikation angefertigten Abbildungen handelt es sich in der Regel um von der Autorin für Forschungszwecke gefertigte Aufnahmen. Teilweise wird auch auf das von der jeweiligen Institution zur Verfügung gestellte Bildmaterial zurückgegriffen. Das Bildmaterial wird hier gleichwertig behandelt, ohne in den einzelnen Fällen die Bildqualität und die Funktion der Fotografien zu thematisieren. Bei der Analyse der Ausstellungen anhand der Frage nach Vermittlungstechniken für die Gruppenansprache bezieht die Forschungsarbeit sich primär darauf, was in den Ausstellungen präsentiert wurde. Die Interviews mit den Kuratoren 83 Hallward konstatiert, dass für eine Theorie stets eine Festlegung, eine Aussage von Nöten ist: „A theory which does not offer some general degree of clarity and distinction is no theory at all“. Hallward, Peter: Absolutely Postcolonial. Writing between the Singular and the Specific, Manchester 2001, S. xi–xii. Die Autorin muss ebenfalls verallgemeinern, da dies die Aufgabe einer Qualifizierungsarbeit ist, wenngleich viel Kritik an Verallgemeinerung geäußert wird. Siehe dazu Schmidt-Linsenhoff: „Vorwort“, in: Graduiertenkolleg Identität und Differenz (Hg.): Ethnizität und Geschlecht. (Post-)Koloniale Verhandlungen in Geschichte, Kunst und Medien, S. 3–20, hier S. 1f. 84 Fotografien von Ausstellungsräumen und -atmosphären können unterschiedliche Funktionen und Wirkungen haben, je nachdem ob sie von professionellen Fotografen, im Auftrag der jeweiligen Institution als „idealtypische“ Ansicht (meist in menschenleeren Räumen) gemacht wurden oder als hausinterne Dokumentation angelegt wurden. Vgl. Schade, Neues Ausstellen, a.a.O., S. 53. Oder auch Staniszewski, Mary Anne: The Power of Display: A History of Exhibition Installations at the Museum of Modern Art, Cambridge 1998. Im Abschnitt XIX problematisiert Staniszewski Fotografien von Ausstellungsräumen als Quelle.

Einleitung

und anderen am Produktionsprozess der Ausstellungen beteiligten Personen wurden genutzt, um weiterführende Informationen über das Erscheinungsbild der Ausstellungen, Intentionen und Konzeption zu erhalten. Folgende Interviews wurden geführt: % Interview  mit Anja Sommer, Kuratorin am Deutschen Hygiene-Museum Dresden, am 27. April 2006.85 % Interview mit Angelika Richter, Kuratorin und bis März 2006 künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Werkleitz Gesellschaft e.V., am 7. September 2006. % Interview  mit Madeleine Schuppli, bis November 2007 Direktorin und Kuratorin am Kunstmuseum Thun, am 15. September 2006. % Interview  mit Anke Hoffmann, freie Kuratorin, Kuratorin der 7. Werkleitz Biennale, am 8. Dezember 2006. % Interview  mit Oleg Kulik, Künstler und Kurator, Kurator der Ausstellung I believe, am 23. März 2007. An folgenden Fragen (exemplarisch) orientierten sich die Interviews: Erscheinungsbild der Ausstellungen: % Wie  sind einzelne Räume in ihrer Hängung zustande gekommen? Wie kam es zum Erscheinungsbild der Ausstellung? % Womit  haben Sie gearbeitet (White Cube, Sichtachsen)? % Gab  es Schlüsselwerke der Ausstellung? Welche Arbeiten waren Publikumslieblinge, welche schienen nicht so gut in die Ausstellung zu passen? % Wie  sah die thematische Gliederung aus (White Cube, Labels)? % Gab  es weitere Gründe für das Erscheinungsbild der Ausstellung (Ortsvorgaben, konservatorische Fragen)? % Welche  Zugänge zum Ausstellungsthema gibt es? % Welcher  Ausstellungstypus wurde genutzt? Welche gestalterischen Elemente wurden verwendet? % Sollte  eine Narration mit dem Display dargestellt werden oder diese eher verweigert werden? % Was  sind Inszenierungsmerkmale? % Welche  Vorgaben mussten Sie berücksichtigen: Wünsche der Auftraggeber, Konventionen der Institution, Ausstellungsort, Architektur etc.? % Waren  die Kosten für Displays ausschlaggebend? % Wurden  Veränderungen am/im Bau vorgenommen? 85 Mit Anja Sommer fanden auch informelle Gespräche im Rahmen der Tagung „Vom Geist der Dinge. Das Museum als Forum für Ethik und Religion“ am Deutschen HygieneMuseum Dresden, 28. bis 30. Oktober 2004, statt.

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Kuratorisches Konzept: % Welche  sind ihre kuratorischen Leitsätze? % Wird  das Kuratieren im Team als spezifische Haltung verstanden? % Wie  wurden die Künstler ausgewählt? Welche Relevanz spielte das Interreligiöse? Welche Kriterien wurden angelegt? Nach welchem Prinzip haben die Kuratoren ihre Kommunikation mit den Künstlern gepflegt? % War  aus ihrer Sicht das Thema „Religion“ schwieriger zu kuratieren als andere Ausstellungen? % Warum  und wie wurde das Begleitprogramm gestaltet? In welchem Verhältnis standen bestimmte Formate (bspw. round tables) zur Ausstellungen? % Wie  wurde die Idee entwickelt? % Wie  lange wurde konzipiert? Wie kam die Ausstellung zustande? % Was  sollte mit der Ausstellung erreicht werden? Ausstellung allgemein: % Was  war die Hauptthese der Ausstellung? % Was  war das inhaltliche Ergebnis der Ausstellung? % Gab  es eine bestimmte Zielgruppe? Wie wurde diese Zielgruppe angesprochen? % Gab  es aus Sicht des Kurators Limits? % Welche  Abweichungen vom Konzept gab es und warum? % Welche  Stärken und Schwächen hat die Ausstellung? % Welche  Erfahrungen haben die Kuratoren mit der Ausstellung gemacht? % Wie  war die Resonanz, Rezeption? % Hat  der Kurator selbst ausgewertet und evaluiert? Einige der Kuratoren, wie Klaus Biesenbach, Co-Kurator der Ausstellung Die Zehn Gebote, publizierten darüber hinaus im Untersuchungszeitraum kunsttheoretische Texte, die als Teil ihrer Arbeit anzusehen sind und hier als Bezugspunkte für die Analyse dienten.86 Daneben wurden Besucherbücher, Pressespiegel und die zur Ausstellung gehörigen Kataloge zusammengetragen. Zu der Ausstellung I believe in Moskau und zur 7. Werkleitz Biennale wurden keine Besucherbücher ausgelegt. Das Besucherbuch zur Schau Choosing my Religion floss in die Interpretation des Ausstellungsprojektes nicht mit ein. Auf die Besucherbücher des Deutschen Hygiene-Museums Dresden greift die Studie zurück, da es sich um insgesamt vier Bände handelt, in denen die Besucher sich intensiv zur Ausstellung geäußert haben. Aufgrund des emotionalisierenden Ansatzes der Schau fungierten die Bände als Korrektiv, um den Ansatz zu überprüfen. Pressespiegel lagen für alle Ausstellungen vor, wobei die 86 Vgl. Biesenbach, Klaus: In Bildern denken. Kunst, Medien und Ethik, Regensburg 2007.

Einleitung

russischsprachige Rezeption bei der 2. Moskau Biennale von der Autorin nicht berücksichtigt werden konnte. Hier wurden einzelne Besprechungen der Fach- und Tagespresse für die Analyse verwendet. Zudem wurden die Kataloge aller Ausstellungsprojekte intensiv genutzt. % Schuppli,  Madeleine (Hg.): Choosing my Religion, Broschüre zur Ausstellung Choosing my Religion, Thun 2006. % Biesenbach,  Klaus (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004. % Stösser,  Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006. % Tsuranova,  Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007. Für die vorliegende Untersuchung waren Ausstellungskataloge relevant, weil es sich um ein aktuelles Forschungsfeld handelt, welches das Medium Buch sowohl hinsichtlich seiner Medialität als auch seiner kommunikativen Funktion im Prozess kultureller Bedeutungskonstruktion in den Mittelpunkt stellt. Dies geschieht explizit in Form von Texten und implizit durch deren Gestaltung. Der Ausstellungskatalog stellt nicht nur, wie es Iris Cramer formuliert, ein „[...] zentrales Medium der Kunstvermittlung dar, beeinflusst die Kunsterfahrung der Leser sowohl durch Interpretation als auch durch spezifische visuelle Präsentationen der Exponate [...].“87 Hinzu kommt, dass gleichzeitig in den ‚Ausstellungsdokumentationen‘ Vorstellungen von Künstlern erzeugt werden. Dementsprechend lässt sich zeigen, wie Kataloge auch das jeweilige künstlerische Selbstverständnis transportieren.88 Letzteren Punkt überträgt die vorliegende Studie auf Kuratoren. Demnach transportieren die Kataloge das Selbstverständnis der Kuratoren. Auch die Publikation von Iris Cramer nimmt Ausstellungskataloge als Vermittlungsmedium des Museums in den Blick und stellt eine Typologie vor.89 KrauseWahl stützt sich in ihrer Studie auf Ausstellungskataloge, die sie im Grenzbereich zwischen Katalog und Künstlerbuch angesiedelt sieht, sie stellen also selber künstlerische Arbeiten dar. Die saubere Trennung zwischen Künstlerbuch und Katalog erscheint allerdings zunehmend schwieriger, da auch Ausstellungska-

87 Cramer, Iris: Kunstvermittlung in Ausstellungskatalogen: eine typologische Rekonstruktion, Frankfurt am Main 1998, S. 11. 88 Vgl. Krause-Wahl, Antje: Konstruktionen von Identität, Renée Green, Tracey Emin, Rirkrit Tiravanija, München 2006, S. 22f. Krause-Wahl verweist beim Thema Visualisierungsstrategien in Ausstellungskatalogen auf Bosse, Dagmar (Hg.): Der Ausstellungskatalog: Beiträge zur Geschichte und Theorie, Köln 2004. 89 Vgl. Cramer, Kunstvermittlung in Ausstellungskatalogen, a.a.O. Siehe auch die Publikation Jahre, Lutz: Das gedruckte Museum von Pontus Hulten. Kunstausstellungen und ihre Bücher, Osterfildern-Ruit, 1996.

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Kuratoren und Besucher

taloge von Künstlern gestaltet werden.90 Dies trifft nicht auf die oben genannten Kataloge zu, welche hier eher die Funktion von Dokumentationen oder von Ausstellungsführern hatten, in denen über das Projekt und die künstlerischen Arbeiten in der Schau informiert wurde. Der Rückgriff auf Ausstellungskataloge als Quelle bot sich für die vorliegende Studie an, weil dem Forschungsprojekt keine historische Perspektive zugrunde gelegt wurde. Informationen über Ausstellungen der Vergangenheit sind of nur schwer zugänglich. Für die Forschung sind meist nur Kataloge überliefert, die nichts zur Inszenierung der Ausstellung, zum In-Beziehung-setzen, zu Gewichtungen sagen, beziehungsweise wer über Kuratoren, Themen, Finanzierungen entschieden hat.91 Außerdem weichen Kataloge häufig vom letztendlich realisierten Erscheinungsbild einer Ausstellung ab, wie Interviews mit Kuratoren belegen.92

90 Vgl. zur Problematik der Begriffsbestimmung: Thurmann-Jajes, Anne: „Die Bücher der Künstler. Zur Problematik einer Begriffsbestimmung“, in: Malerbücher – Künstlerbücher. Die Vielseitigkeit eines Mediums in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Katalog Neues Museum Weserburg Bremen, Köln 2001, S. 10–15. 91 Vgl. Bonnet, a.a.O., S. 75. Zu verweisen ist hier auch auf Staniszewski, a.a.O. 92 Vgl. Interview von Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006.

2.

VORAUSSETZUNGEN

2 .1

VE RW E N D E TE M E TH O D E N

2.1.1

Einführung in die Methoden

Der Analyse aller hier behandelten Ausstellungen lagen verschiedene Quellen zugrunde: Kuratoreninterviews, Ausstellungskataloge, die Ausstellungen selber sowie – in Auszügen – Pressespiegel und Besucherbücher. Es handelt sich bei diesem Ansatz um einen Methodenmix, der auf Interviews, die Ausstellungsanalyse nach Clifford Geertz und den Einsatz von standardisierten Fragebögen zurückgreift. Damit folgt die Autorin dem Plädoyer von Muttenthaler/Wonisch, die eine Verbindung von unterschiedlichen Methoden favorisieren.93 In Anlehnung an die beiden Wissenschaftlerinnen werden Methoden nicht als strikte Regelwerke verstanden, sondern als Kriterien und Verfahrensweisen, die spezifischen Kontexten anzupassen sind.94 Für die Analyse von Ausstellungen liegen bereits erprobte Methoden vor: Bildsemiotik, Semiotik, Literaturwissenschaft (Textanalyse) und Psychoanalyse.95 Ferner zirkulieren verschiedene Formen der Ausstellungsauswertung wie etwa die museumsinterne Evaluation, Front-End-Verfahren sowie die Besucherforschung96 (zum Beispiel quantitative oder qualitative Besucherbefragungen), Ausstellungskritiken und -rezensionen, sowie die externe Auswertung durch Konsultanten (Berater).97 Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch bringen in ihrer Publikation Gesten des Zeigens drei Ansätze zum Einsatz: den ethnografischen, semiotischen und semantischen.98 Wie schon Muttenthaler/Wonisch auf eine hierarchische Ordnung 93 94 95 96

Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 62. Vgl. ebd., S. 49. Vgl. ebd., S. 38. Waidacher nennt mit Verweis auf Screven, 1985, unterschiedliche Methoden, wie Informationen über das Museumspublikum erhoben werden können: standardisierte und offene Interviews, Vortests mit Stichproben hinsichtlich der Ausstellungsinhalte, Gespräche mit Besuchenden über ihre Erwartungen (vor und nach dem Besuch), Beobachtungen des Verhaltens in den Ausstellungsräumen, Erfassen von Einstellungen. Vgl. Waidacher, a.a.O., S. 127. 97 Vgl. Serrell, Beverly: Judging Exhibitions – A Framework for Assessing Excellence, Walnut Creek 2006, S. 92–93. Serrell bietet hier einen tabellarischen Überblick. 98 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 37. Die jeweiligen Methoden – semiotische und semantische Verfahren – sind auf den S. 53 bis 61 beschrieben. Für Muttenthaler/Wonisch handelt es sich bei allen drei Methoden um „offene“, d.h. niemals

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Kuratoren und Besucher

der Methoden verzichten, so soll auch hier eine derartige Hierarchisierung (beispielsweise nach „der anerkanntesten“ oder „am häufigsten angewandten“ Verfahrensweise) vermieden werden.99 Die hier gefällte Entscheidung für die Methode der Dichten Beschreibung von Clifford Geertz begründet sich mit der Notwendigkeit einer interpretativen Annäherung an soziale und kulturelle Phänomene. Relevant ist insbesondere ein Merkmal des Verfahrens, nämlich die Beschränkung auf einen Ausschnitt (Teilbereich) des Untersuchungsgegenstandes, von Geertz als mikroskopisch bezeichnet.100 Muttenthaler/Wonisch geben der „Dichten Beschreibung“ den Vorzug, da ihnen zufolge eine spezielle Herangehensweise notwendig ist, um die Komplexität von Ausstellungen und deren „dichtes Geflecht“ zu erfassen. Dazu zählt, „welche Themen angesprochen und in welcher Weise Objekte, Bilder, Texte, audiovisuelle Medien, Ausstellungsarchitektur und Inszenierungsmittel in einem Raum gesetzt wurden, um eine bestimmte Lesart nahe zu legen.“101 Um die Bedeutungsproduktion, die durch den Prozess des Ausstellens erfolgt, erfassen und beschreiben zu können, muss vorab eine genaue Analyse erfolgen, nämlich die Beschreibung der Objektauswahl, Anordnungen im Raum und Mittel der Inszenierung.102 Die Punkte, an denen sich die vorliegende Studie orientiert, werden am Ende dieses Abschnittes aufgelistet. Zu erwähnen ist an dieser Stelle außerdem, dass Erlebnisse und Eindrücke in Museen – also jeder Museumsbesuch – situations- und subjektabhängig sowie von aktuellen Diskursen, die auf das Individuum wirken, geprägt sind. Deshalb sind Ausstellungsaufenthalte kaum systematisierbar.103 Auch sind methodische Herangehensweisen in der Ausstellungsanalyse teilweise schwierig nachzuempfinden, da auch bei einem festgelegten Parcours durch die Ausstellung nicht zwingend vorgegeben ist, wann etwas zu betrachten ist.104

abgeschlossene Verfahren (S. 238). Siehe auch die Publikation von Jana Scholze, die in erster Linie auf den auf Roland Barthes zurückgehenden Ansatz der Semotik basiert. Vgl. Scholze, a.a.O., passim. Wie die Autorinnen betonen, war es Sabine Offe, die das Verfahren der semantischen Schule von Roman Jacobsen bekannt machte. Vgl. Muttenthaler/ Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 58. 99 Muttenthaler/Wonisch ging es in ihrer Studie auch um die Erprobung verschiedener Methoden, die für vorliegende Studie keine Rolle spielen. Vgl. ebd., S. 10. 100 Vgl. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung, Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1983, S. 30. 101 Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 46. 102 Vgl. ebd., S. 48. 103 Vgl. ebd., S. 52. Die Autorinnen verweisen auf: Offe, Sabine: Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Jüdische Museen in Deutschland und Österreich, Berlin/Wien 2000. 104 Eine Schwierigkeit ist beispielsweise, wie man im Text den Analyseprozess für die Leser nachvollziehbar machen kann. Muttenthaler/Wonisch sagen auch, dass in ihrer Publikation hauptsächlich die Ergebnisse der Publikation zu lesen sind und nicht der Prozess der Analyse. Vgl. ebd. Die Autorin der Untersuchung stimmt nur bedingt zu, dass es

Voraussetzungen 2.1.2

Dichte Beschreibung 105

Das Verfahren der Dichten Beschreibung ist eine ethnografische Methode.106 Sie geht auf Clifford Geertz zurück, der sie für die ethnologische Feldforschung entwickelte.107 Laut Muttenthaler/Wonisch ist die Dichte Beschreibung „zur Metapher für einen interpretativen Zugang zu sozialen und kulturellen Phänomen geworden.“108 Diese Methode zielt auf die Erfassung eines (fremden) kulturellen Systems ab, welches sich sowohl in sozialen Verhaltensweisen und Institutionen der Gesellschaft findet, als auch in den fragilen Ausformungen symbolischer und ikonischer Zeichen ausdrückt. Hier drängt sich eine Definition von Ausstellungen als Text auf, den es zu lesen gilt – wenn man diese Gedanken auf den Ausstellungsbereich transferiert.109 Clifford Geertz’ Ansatz weist zwei zentrale Merkmale auf – das Mikrosko-

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zunächst der Isolierung einzelner Sequenzen bedarf, einzelner Objekte und Ausstellungselemente, um den Blick zu schärfen. Für die vorliegende Studie war nicht ausschlaggebend, dass Geertz die Dichte Beschreibung auch zu Religion als kulturellem Phänomen publizierte. Auch zu Clifford Geertz’ kulturwissenschaftlicher Definition von Kultur(en) als kulturelles Sinn- bzw. Deutungssystem von Wirklichkeit ließe sich, gerade in Bezug zu Samuel Huntington, einiges anmerken; das wird hier jedoch nicht berücksichtigt. Siehe speziell zu Ausstellungskonzeptionen und den ihnen zugrundeliegenden Religionsbegriff: Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 91–112. Oder auch: Dies.: „Museen als Agenten Gottes oder ‚0:0 Unentschieden‘?“, in: Bräunlein, Peter J. (Hg.): Religion und Museum. Zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum, Bielefeld 2004, S. 97–118. Die ethnologische Methode findet in zahlreichen Museumsanalysen Anwendung. So verbrachten Forscher lange Zeiträume an Orten, um zu beobachten, ob sich etwas „Skurriles“ ereignen würde. Vgl. Handler, Richard/Gable, Eric: The New History in an Old Museum, Durham 1997.Oder auch Irit Rogoff, die unter dem Schlagwort „praxis driven theory“ von persönlich erlebten Anekdoten bei ihren Ausstellungsbesuchen ausgeht. Ausgangspunkt der Betrachtungen ist im Aufsatz Looking Away ein Ausstellungsbesuch im Courtauld Institute London. Vgl. Rogoff, Looking Away, a.a.O., S. 119ff. Die Methode ist sehr populär, wie Kumoll in seiner Bewertung der Geertz’schen interpretativen Ethnologie verdeutlicht. Er zeigt auf, welche Auswirkungen der Ansatz auf andere Disziplinen und bspw. den cultural turn hatte. Vgl. Kumoll, Karsten: „Clifford Geertz: Die Ambivalenz kultureller Formen“, in: Moebius, Stephan/Quadflieg, Dirk: Kultur. Theorien der Gegenwart, Wiesbaden 2006, S. 86. Vgl. Geertz, a.a.O., S. 15. Die Interpretation symbolisch bedeutsamer Handlungen nennt Geertz im Anschluss an Gilbert Ryle Dichte Beschreibung, im Unterschied zur „dünnen Beschreibung“, die den symbolischen Gehalt sozialer Handlungen nicht erfasst. Vgl. Geertz, a.a.O., S. 10f. Hierzu auch Kumoll, a.a.O., S. 85. Für Geertz’ These, dass symbolische Formen Eigenschaften aufweisen, die sie in die Nähe von schriftlichen Texten rücken, siehe Roseberry, William: „Balinese Cockfights and the Seduction of Anthropology“, in: Social Research 49 (4), 1982, S. 1013–1028. Deep Play ist ein paradigmatisches Beispiel für Dichte Beschreibung. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 50. Muttenthaler/Wonisch argumentieren, dass das „Zeichensystem Ausstellung“ überwiegend „fremde“ Elemente aufweise. So sehen sie auch in der Präsentation der „eigenen“ Kultur „fremde“ Dinge, beispielsweise können ihren Ausführungen nach historische

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pische und das Deutende.110 „Mikroskopisch“ meint, dass eine Reduzierung auf einen Ausschnitt des Untersuchungsfeldes vorgenommen wird, welcher dann allerdings genauestens unter Berücksichtigung mannigfaltiger Perspektiven analysiert wird, um somit weiterreichende Rückschlüsse auf und Aussagen über größere Zusammenhänge treffen zu können. „Deutend“ bezeichnet das Bewusstsein der Forscher dafür, dass allein schon die Beschreibungen kultureller Phänomene eine Auslegung bedeuten und eine Positionierung der Forschenden darstellen. Die der Beschreibung folgende Interpretation ist demnach sogar eine Interpretation der Interpretation.111 Auch die hier vorgenommene Ausstellungsanalyse kann als mikroskopisch verstanden werden, denn anhand eines Auszuges aus der kuratorischen Praxis einer Ausstellung wird exemplarisch gedeutet, wie kuratorische Umgangsformen und Verfahrensweisen mit dem Publikum aussehen.112 Zunächst wird zwar Exponate aufgrund des zeitlichen Abstandes genauso „fremd“ wie die Objekte „anderer“ Kulturen erscheinen. Vgl. ebd. 110 Vgl Geertz, a.a.O., S. 30ff. 111 Vgl. ebd., S. 22f. Weitere Ausführungen zur Methode finden sich bei Muttenthaler/Wonisch. Jegliches Vorgehen, jegliche Auswahl ist subjektiv und auch zeitgebunden. Da es sich bei der vorliegenden Studie um ein „Diskursbuch“ handelt, stellen die hier präsentierten Themen und Fragen die Momentaufnahme eines Diskurses dar. Wie schon in der Fragestellung durch die Verwendung der Worte „Möglichkeiten“ und „Potenzial“ deutlich wurde, handelt es sich bei der hier im Rahmen der Arbeit vorgestellten Interpretation um einen subjektiven Vorschlag, d.h. die untersuchten Ausstellungen können, aber müssen nicht so gelesen werden. Die Aussagen einer Ausstellung ermöglichen stets vielfältige Lesarten, sie sind niemals eindeutig. Vgl. ebd., S. 48. Trotzdem sind Displays auch nicht beliebig, sie basieren auf gesellschaftlichen Codes sowie kulturellen Konventionen. Vgl. ebd., S. 237. Wie im Zusammenhang mit der Vorstellung der Methode der Dichten Beschreibung deutlich wurde, sind bereits Beschreibung und Betrachtung der Displays mit Interpretationen durchzogen, und auch jede Person, die eine Analyse vornimmt, weist blinde Flecken bei der Untersuchung ihres Gegenstandes auf. Vgl. ebd., S. 43. Die Selbstreflexion der Forschenden gehört, zumindest im Kontext der Gender und Postcolonial Studies, zu den Selbstverständlichkeiten, jedoch bleibt die Erfüllung dieses Anspruchs angesichts der eigener Involviertheit in das vielschichtige Machtfeld problematisch. Vgl. Daum, Denise: „Einleitung“, in: Graduiertenkolleg Identität und Differenz (Hg.): Ethnizität und Geschlecht. (Post-)Koloniale Verhandlungen in Geschichte, Kunst und Medien, Graduiertenkolleg Identität und Differenz. Köln u.a. 2005, S. 11f. Die Involviertheit gilt insbesondere auch für die von Geertz vorgeschlagene Methode. Beim Betreten der Institution Museum ist jeder Besucher in ein spezifisches WissenMacht-Dispositiv eingespannt, denn hier findet eine Vermittlung von Wissen statt, welche von den komplexen Macht- und damit Unterordnungsverhältnissen nicht zu trennen ist, die von den institutionalisierten Diskursen produziert und reproduziert werden. Vgl. Marchart, Oliver: „Die Institution spricht. Kunstvermittlung als Herrschafts- und Emanzipationstechnologie“, in Jaschke, Beatrice u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 34ff. Daher ist es auch für die Autorin kaum möglich, außerhalb der Machtdiskurse zu sprechen. Vgl. Daum, a.a.O., S. 8. Auch Carmen Mörsch verweist auf Machtverhältnisse im Forschungsprozess (allerdings im Team), jene ließen sich allerdings nur über Darstellungsweisen rekonstruieren. Vgl. Mörsch, Queering, a.a.O., S. 35. 112 Auch Muttenthaler und Wonisch definieren ihre Analysen als mikroskopisch, denn sie

Voraussetzungen

die gesamte Ausstellung beschrieben, für die Interpretation fokussiert sich die Publikation jedoch auf ausgewählte Abschnitte der Ausstellungen. Trotz dieser Auswahl lassen sich dadurch weiterreichende und verallgemeinernde Aussagen über die aktuellen kuratorischen Techniken und diese Ausstellungen ziehen. Die Methode der Dichten Beschreibung impliziert, dass der Beschreibungsvorgang (und Deutungsvorgang) mehrmals wiederholt wird, um zu einer entsprechenden Dichte der Analyse zu gelangen. Somit ist der Prozess bei diesem Verfahren eigentlich nie abgeschlossen.113 Wie an anderer Stelle dieses Kapitels noch einmal deutlich wird, wurden etwa die „inneren Bilder“ der Verfasserin, das heißt die von ihr dokumentierten visuellen Ausstellungseindrücke gedanklich mehrmals aufgerufen und mit anderen Ansatzpunkten – den Aussagen der Kuratoren in Interview und Katalog,114 Meinungen anderer Besucher (etwa geäußert im Besucherbuch oder durch die Kunstkritik (das heißt den Rezensionen der Fach- und Tagespresse))115 und dem Fragebogen zur Ausstellungsevaluation – in Verbindung gebracht, so dass erneut unterschiedliche Bedeutungen generiert wurden. Der hier verwandte Evaluationsbogen sollte als Orientierung und Korrektiv fungieren, auch um die Begrenztheit der Selbstreflexion abzufedern.116 Die Fragebögen kamen darüber hinaus zum Einsatz, um eine systematische und vergleichbare Vorgehensweise herzustellen. Hier interessierte das Zusammenspiel visueller Elemente im Raum als Voraussetzung für die in der Ausstellung transportierten Narrative.117 Was sagt die

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versuchen von einem Teilbereich der Ausstellungsebene aus zu erkunden, wie sich eine Institution in der Museumslandschaft, in den kulturellen und gesellschaftlichen Ordnungen positioniert, welche Denkansätze und Repräsentationsformen Eingang finden. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 50. Vgl. Geertz, a.a.O., 41. Aus diesem Grund wird die Vorgehensweise von Muttenthaler/Wonisch in vorliegender Arbeit sehr positiv bewertet. Fragebögen besitzen ganz eigene „blinde Flecken“, also Punkte, die von der Methode nicht erfasst werden können, und die man nur im Interview herausfinden kann. Bei der Auswertung im Sinne von Geertz sollte in vorliegender Studie jedoch systematischer vorgegangen werden, basierend auf der Annahme, dass man nur sieht, was man weiß. Anzuführen ist auch, dass natürlich mit jeder besuchten Ausstellung das Vorwissen größer war. Muttenthaler/Wonisch wollten sich selbst als Subjekte der Rezeption ernst nehmen, statt andere Besucher (oder auch die Ausstellungsmacher) zu befragen. Es lag nicht in ihrem Interesse, zu erfahren, ob ihre Lesart auch von anderen geteilt wurde. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 238. Für die Autorin stellten die Besucherbücher oder auch Ausstellungsrezensionen der Fach- und Tagespresse eine Erweiterung des Blickwinkels dar, wenngleich die Einschätzungen der anderen Besucher nicht explizit in die vorliegende Studie einflossen und auch nicht Gegenstand der Arbeit sind. Muttenthaler/Wonisch schildern ihr Vorgehen: Sie haben auch andere Analyse-Methoden angewandt, welche die Ergebnisse der Dichten Beschreibung hinterfragen, ausdifferenzieren und auch zuspitzen sollten. Vgl. ebd., S. 238. Der Einsatz anderer Methoden lag nicht im Zentrum des Interesses der vorliegenden Arbeit. Auch Jennifer John verweist in ihrer Rezension von Muttenthaler/Wonisch beim Begriff Narration auf Mieke Bal. Vgl. John, Jennifer: „Rezension“ zu Roswitha Muttenthaler/

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Kuratoren und Besucher

Ausstellungsinszenierung über die kuratorischen Publikumsbilder aus? Wie kann man als Kurator einen Austausch zwischen Subjekten in Ausstellungen stimulieren, wozu laden welche Displays ein? Haben die Ausstellungen mithilfe verschiedener Gestaltungstechniken ein soziales Umfeld hergestellt, in dem Menschen zusammenkommen konnten? Bei der Untersuchung kultureller Phänomene kommt es Clifford Geertz zufolge zu einer steten Überlagerung und Nebeneinandersetzung mannigfaltiger Bedeutungsschichten, wenn man die unterschiedlichen Ebenen beschreibt. Bedeutungen, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, öffnen sich, wenn die vielfältigen Ebenen eines Ausstellungsprojektes benannt und in einen Zusammenhang eingeordnet werden.118 Nur wenn es zu einer ständigen Wiederholung der Interpretationen und Offenlegung verdeckter Bedeutungen als weitere Lesarten kommt, kann man von einer Beschreibung mit einer spezifischen konstruktiven Dichte statt lediglich einer rekonstruktiv-dünnen Darstellung sprechen.119 Eine Schilderung ist dann eine „dichte“ Darstellung, wenn sie nicht nur das dokumentiert, was äußerlich sichtbar erscheint, sondern ebenfalls den kulturellen Kontext der Ausstellung zum Ausdruck bringt.120 Hierfür ist die Exaktheit der Einzelbeschreibung wichtig. Das Prinzip der Dichten Beschreibung erfordert also Genauigkeit in der Erfassung der Ausstellung, das Herausarbeiten von tieferen Bedeutungsebenen und eine Nachvollziehbarkeit der Interpretationen.121

Anwendung der Methode

Für die Analyse wurden mehrere Schritte vollzogen. Zunächst einmal hat die Autorin die Ausstellungsräume aufgesucht und die ersten Eindrücke auf sich wirken lassen. Dabei wurden verschiedene Ebenen und Aspekte so genau und ausführlich (und so „neutral“) wie möglich angesehen – unter anderem die Exponate, ihre Anordnung und Hängung, die Raumatmosphäre und das Besucherverhalten, die Texte in ihrem Inhalt und ihrer Gestaltung, und Dinge, die eigentlich verborgen werden sollten (wie etwa Abschnitte zum Verbergen von

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Regina Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., rezensiert für H-Museum, H-NET Network für Museen und Museumsarbeit 2008: http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse. pl?trx=vx&list=H-Museum&month=0802&week=b&msg=4kFVKy5Yi2C%2FYhYK O80ZrA&user=&pw=. Vgl. ebd., S.41f. Sie setzen sich zu immer neuen Bildern und Narrativen zusammen. Vgl. ebd., S. 15. Muttenthaler/Wonisch verweisen auf Meinrad Ziegler, der allgemein von einer Handlung spricht, die erst dann ihren Sinn erhält, wenn auch der kulturelle Interpretationsrahmen dargestellt wird. Sie ersetzen „Handlung“ durch „Ausstellung“, was in der vorliegenden Studie ebenfalls so gehandhabt wird. Vgl. ebd., S. 52.

Voraussetzungen

Elektrokabeln, Musikanlagen etc.). Ein wichtiger Aspekt dabei war die Selbstbeobachtung, um Klarheit darüber zu gewinnen, was einen anzog, störte oder irritierte.122 Diese Eindrücke wurden nach Verlassen der Ausstellung oder währenddessen aufgezeichnet. Dann wurden die Ausstellungsräume erneut betreten und es wurden nochmals Eindrücke und Beobachtungen eingefangen und notiert, dieses Mal jedoch anhand der (standardisierten) Fragebögen. Im Anschluss an den zweiten Ausstellungsbesuch wurden die Beobachtungen dann dokumentiert. Im Falle von Unklarheiten oder Fragen, wurden die Ausstellungsräume ein drittes Mal aufgesucht. Ferner hat die Verfasserin im unmittelbaren Anschluss an den ersten Teil des Prozesses die Ausstellung fotografisch dokumentiert.123 Für die Datenerhebung wurde die gesamte Ausstellung erfasst.124 Für das vorliegende Buch wurde jedoch nicht auf das gesamte generierte Material zurückgegriffen, sondern es wurden teils nur einzelne Ausstellungsabschnitte und Raumsequenzen für die Argumentation verwendet. Im Anschluss an den Ausstellungsbesuch, das heißt nachdem die eigenen Eindrücke festgehalten worden waren, wurden in den meisten Fällen Interviews mit den an dem Ausstellungsprozess beteiligten Personen geführt. Gesprächspartner waren unter anderem hauptverantwortliche Kuratoren (Oleg Kulik und Madeleine Schuppli), eine Co-Kuratorin (Anja Sommer) und zwei Ausstellungsmacher aus einem Team von vier verantwortlichen Kuratoren (Anke Hoffmann und Angelika Richter).125 Die Gespräche fanden in unterschiedlichem Zeitabstand zu den Ausstellungen statt. So wurden mit einigen Beteiligten zwei Interviews geführt, wenn es die Umstände erlaub122 In ihrer Beschreibung des Analyseablaufes bilanzieren Muttenthaler/Wonisch, dass sie die spezifischen Formen ihrer Annäherung ausgeblendet hätten. Sie hätten zwar als Kartografinnen eine ausreichend dichte Beschreibung geliefert, aber das eigene Involviertsein nicht genügend im Akt der Betrachtung berücksichtigt. Sie hätten ihren eigenen Blick nicht mehr thematisiert. So bedauern die Autorinnen, dass diese Irritationen und Empfindungen folglich nicht in dem Maße in ihrem Buch aufscheinen, als es eigentlich für solch eine Analyse notwendig wäre (vgl. ebd., S. 53), und dass sie während des Prozesses keine Phasen der Selbstreflexion eingeführt hätten. Vgl. ebd., S. 238. Sie betonen, dass es wichtig ist, die eigenen, unmittelbaren Imaginationen im Prozess der Auseinandersetzung mit Ausstellungen (die Assoziationen, Irritationen oder Anziehungspunkte) ernst zu nehmen. Dies unternahm die Autorin gleich zu Beginn. Die beiden Wissenschaftlerinnen werten spontane Vermutungen positiv, da diese zu Erkenntnis werden können, zu blitzhaftem Erkennen. Auch reflektierten sie über ihre eigenen Limits und aus welchem Grund sie im Folgenden mit weiteren Methoden gearbeitet hätten. Vgl. ebd., S. 51. 123 Bei der Ausstellung Die Zehn Gebote greift vorliegende Arbeit auf offizielles Bildmaterial zurück. 124 Dieses Vorgehen erfolgte im Gegensatz zu Muttenthaler/Wonisch. 125 Sowie der Nachfolger der verantwortlichen Kuratorin, die jedoch an diesem Museum nicht mehr anzutreffen war: Jochen Wierich löste Susan W. Knowles am Cheekwood Museum of Art, Nashville, USA, ab. Hier fand die 100 Artists see God-Ausstellung von John Baldessari und Meg Cranston statt, die von der Autorin ebenfalls im Rahmen der Recherche aufgesucht worden war.

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Kuratoren und Besucher

ten, mit manchen auch an einem anderen Ort als im Ausstellungsgebäude.126 Wie hier bereits deutlich wird, hat die Autorin mindestens mehrere Stunden, in einigen Fällen mehrere Tage in den Ausstellungen verbracht und ist zu unterschiedlichen Zeiten an den Veranstaltungsort zurückkehrt. Bei der Dokumentation ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen spezifischen Ausstellungszustand handelte, der während des Besuches vorgefunden und festgehalten wurde. Es mögen danach Veränderungen vorgenommen worden sein, denn Ausstellungen werden auch während ihrer Laufzeit oft noch verändert (Exponate fallen aus, Labels werden korrigiert oder ausgetauscht etc.). Wenngleich die Generierung des Materials auf diese Weise – in Anlehnung an Clifford Geertz – vollzogen wurde, ist diese Recherche nicht als Handlung einer Kunsthistorikerin zu verstehen, die in die Rolle einer „Ethnografin“ schlüpft und zugleich „Pilgerin“ und Kartografin ist.127

Kritik an dem Verfahren

Das Verfahren von Clifford Geertz ist an einigen Punkten kritisiert worden. Zu den Kritikpunkten zählen die konzeptionellen Beschränkungen der Dichten Beschreibung. Aber auch Perspektiven, die mit einem ideologiekritischen und globalen Blick auf den Ansatz schauen, bemängeln, dass hier historische Kontexte, Auseinandersetzungen um Macht sowie soziale Ungleichheiten keine Berücksichtigung fänden und Geertz Gesellschaften allein auf einer ästhetischen Ebene festschreibe.128 Ferner wurde kritisiert, dass das Konzept von Geertz deterministisch sei.129 Verbunden sind hiermit auch sozialtheoretische Vorwürfe, so zum Beispiel, dass eine (inhärente) Widersprüchlichkeit zwischen einer praxis- und handlungstheoretischen Dimension sowie einer textualistischen Ebene 126 Mit der Co-Kuratorin der Werkleitz Biennale (Anke Hoffmann) fand ein Treffen in Berlin statt, mit Anja Sommer vom Deutschen Hygiene-Museum kam es zweimal zu einem Gespräch. 127 Trotz Anwendung dieser Methode wird die Quellenakquise hier nicht als ethnografisches Vorgehen verstanden. So scheint bei Muttenthaler/Wonisch durch, sie hätten sich so gesehen und diese Rolle „gespielt“. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 52. Rogoff schildert, dass jemandem, der über etwas berichtet, Komplize der Vorgänge wird. Vgl. Rogoff, Irit: Field Work in Visual Culture, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin 2004. 128 Siehe Kritik von Asad, Talal: „Anthropological Conceptions of Religion. Reflections on Geertz“, in: Man (N.S.) 18, 1982, S. 237–259. Oder auch: Keesing, Roger: „Anthropology as Interpretive Quest“, in: Current Anthropology 28 (2), 1987, S. 161–176. Vgl. Kuper, Adam: Culture. The Anthropologists’ Account, Cambridge, Mass./London 1999. Sowie: Roseberry, a.a.O., S. 1013–1028. 129 Vgl. Alexander, Jeffrey C.: Twenty Lectures. Sociological Theory Since World War II, New York 1987. Und: Schneider, M.A.: „Culture-as-Text in the Work of Clifford Geertz“, in: Theory and Society 16, 1987, S. 809–839.

Voraussetzungen

aufscheine.130 Kumoll führt als weiteren Kritikpunkt an, dass Geertz die handelnden Subjekte (insbesondere in Kultur als Text) nicht ausreichend mitdenke.131 Auch im Rahmen der Writing-Culture-Debatte wurden die Grenzen der symbolischen Ethnologie, wie sie Clifford Geertz entwickelte, deutlich.132 Hier sei speziell auf Diskurse der Visual Studies und der Kunsttheorie verwiesen, die sich mit der Verbindung zur Methode der Feldforschung und Ethnografie befassen. Im Kunstfeld wurde Hal Fosters Untersuchung des „Künstlers als Ethnographen“ diskutiert.133 In seiner Studie kritisiert Foster die pseudo-anthropologische Absicht, sich mit dem „ethnographischen Teilnehmer-Beobachter“ einzulassen, einer Konstellation, in der „der Künstler typischerweise ein Außenseiter ist, der die von Institutionen sanktionierte Autorität besitzt, den Schauplatz in die Produktion seiner eigenen (Selbst-)Repräsentation mit einzubeziehen“, und er warnt: „Solch eine Darstellung wird daher die Autorität des Darstellenden über den Schauplatz eher bestätigen und dabei den erwünschten Austausch dialogischer Feldarbeit reduzieren.“134 Hinsichtlich der field work gibt Irit Rogoff zu bedenken, dass beim Forschenden eine Verlagerung von einer berichtenden Position zur Komplizenschaft mit dem Untersuchungsgegenstand stattfinden könne. Der abschließende Bericht (rapport) steht für eine Illusion des Verstehens und die Fähigkeit, vermeintlich unproblematisch zwischen Wissensfeldern zu übersetzen.135 Darüber hinaus wurden auf einer allgemeineren Ebene Bedenken angeführt, ob man Ausstellungen überhaupt „lesen“ kann.136 Die Fragwürdigkeit dieses Ansatzes, etwas zu entschlüsseln und zu durchdringen, thematisiert Irit Rogoff.137 130 Vgl. Kumoll, a.a.O., S. 87. 131 In vorliegender Studie wären die handelnden Subjekte die Kuratoren, die auch in ähnlichen Forschungsprojekten wie bei Susan Kamel und Muttenthaler/Wonisch eher stiefmütterlich behandelt werden. Deshalb wurden die Interviews geführt. 132 Bei Writing Culture geht es um die Krise der ethnografischen Repräsentation fremder Kulturen, die fragt, ob solch eine Darstellung im Kontext ethnografischer Texte generell möglich ist und welche Schwierigkeiten damit zusammenhängen. Siehe auch Kumolls Bewertung von Geertz’ interpretativer Ethnologie, welche Auswirkungen der Ansatz auf andere Disziplinen und den cultural turn etc. hatte. Vgl. Kumoll, a.a.O., S. 86. 133 Vgl. beispielsweise den Abschnitt von Claire Doherty über Hal Fosters: „The Artist as Ethnographer“ in ihrem Aufsatz „The New Situationists“. Vgl. Doherty, New Situationists, a.a.O., S. 10–11. 134 Foster, Hal: Return of the Real, Cambridge 1996. Zu überlegen wäre, ob das Vorgehen der Autorin auch gerade wegen der Interviews als dialogische Feldarbeit angesehen werden kann. 135 Vgl. Rogoff, Irit: Field Work, a.a.O. 136 Vgl. ebd. Rogoff spricht von einem „relationalen Feld“, das bedeutet, in vielen Feldern zu Hause zu sein. 137 Irit Rogoff deutet die eigene Involviertheit positiv. Sie schildert eine Verschiebung im Umgang mit Kunst, Ausstellungsraum, Theorie und Kritik, was sie als Entwicklungslinie von Kritizismus über Kritik zu Kritikalität bezeichnet. Bei dem, was Irit Rogoff als „Kritikalität“ definiert, ist es unmöglich, außerhalb des untersuchten Gegenstands zu

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Kuratoren und Besucher 2.1.3

Kuratoreninterviews

Die Ausstellungsanalyse wurde mit anderen Verfahren der Materialgenerierung kombiniert. So wurden für die vorliegende Studie qualitative mündliche Interviews durchgeführt, welche sich auf einen (standardisierten) Fragenkatalog stützten, der flexibel und situationsbedingt eingesetzt wurde.138 Die Interviews sind systematisch durchgeführt worden, jeder Kurator der Ausstellungsprojekte wurde zu einem Gespräch gebeten. Jedes Interview basiert auf dem gleichen von der Autorin zusammengestellten Fragenkatalog. Während des Interviews wurden handschriftliche Notizen angefertigt. Die Interviews, die durchschnittlich zirka eine Stunde dauerten, finden auszugsweise Niederschlag in der Arbeit. In Künstler- wie auch in Kuratoreninterviews gibt es im Allgemeinen wie auch in den von der Autorin geführten Interviews häufig wiederkehrende Themen (so die Entstehungsbedingungen der Ausstellung, die „Jagd nach bestimmten Kunstwerken“ etc.), klassische Gesprächsverläufe und Strategien, was die spezifischen Motive der Kuratoren betrifft.139 In den konkreten Gesprächen wurden Auslöser und Motivation für das jeweilige Ausstellungsprojekt (Bildgedächtnis, Auseinandersetzung mit anderen Ausstellungen, Einfluss gesellschaftlicher Themen auf das Ausstellungsprogramm etc.), die Entwicklung des inhaltlichen Konzepts (Künstlerauswahl, Fragestellung), Selbstverständnis und Arbeitsweise des Kurators sowie Ziele der Ausstellung (die Generierung größerer Besucherkreise, das Angebot von Reflexionsräumen, die Initiation von Kooperationen, die Realisierung und Verstehen und es als bloßes Problem, das es zu studieren gilt, zu objektivieren. Denn „[...] gleichwohl durchleben wir die Bedingungen auch, die wir analysieren, und müssen mit ihnen fertig werden.“ (Ebd., S. 36). Weiter schreibt sie: „Deshalb beschreibt die Kritikalität ein Stadium der Dualität. Wir nehmen an beiden Polen teil: wir sind machtvoll und machtlos, wissend und unwissend zugleich.“ (Vgl. ebd.) Der Londoner Theoretikerin zufolge ist der Sinn jeder Form von kritischer und theoretischer Betätigung niemals die Lösung des Problems an sich, sondern zielt auf ein geschärftes Bewusstsein der betrachteten Situation. (So liegt der Sinn von Kritikalität nicht primär im Finden einer Antwort, sondern eher einer anderen Form der Durchdringung („inhabitation“).) Vgl. ebd., S. 37. 138 Vgl. Wuggenig, Ulf: „Eine Gesellschaft des Interviews. Über Interviewtechniken in Soziologie, Kunst und Marktforschung“, in: Texte zur Kunst, Nr. 67, September 2007, S. 65. Das qualitative Interview verlangt die Flexibilität der Interviewer, die situationsabhängig reagieren sollen, weil Undeterminiertheit und Flexibilität der Befragten vorausgesetzt werden. Das Spektrum qualitativer Interview-Methoden ist so breit wie das Spektrum anti-positivistischer Paradigmen. Anti-theoretische Varianten (z.B. narratives, rezeptives Interview) konkurrieren mit theoriegeleiteten Formen (z.B. episodisches, problemzentriertes oder fokussiertes Interview). Vgl. ebd. 139 Vgl. Lichtin, Christoph: Das Künstlerinterview. Analyse eines Kunstprodukts, Bern 2004, passim. Das wird auch deutlich in zahlreichen Kunstzeitschriften und Publikationen, zum Beispiel waren im Heft 77 der Zeitschrift Contemporary 21 (London 2005) zahlreiche Kuratoren-Interviews abgedruckt. Auch finden sich 100 Statements von Ausstellungsmachern in: Tanner/Tischler, Men in Black, a.a.O.

Voraussetzungen

mittlung von Inhalten) thematisiert. Eine strukturierte Auflistung der Interviewfragen findet sich im Quellenteil. Die vorliegende Studie nimmt darüber hinaus eine Auswertung der Ausstellungen auf externe und interne Weise vor.140 So werden die Interviews einerseits genutzt, um zu analysieren, welche Erwartungen und Vorstellungen die Kuratoren selbst an ihre Projekt gerichtet haben (Binnenperspektive), andererseits findet eine Ausstellungsevaluation nach externen Kriterien der Autorin statt. Zum Stellenwert der Interviews Wenngleich für die vorliegende Studie Kuratoreninterviews geführt wurden, wird deren Stellenwert innerhalb dieser Studie kritisch hinterfragt. Zwar ist für die Interpretation ausschlaggebend, was die Akteure selber denken, was sie machen, ob sie bestimmte Techniken oder Präsentationsmodi eingesetzt haben. Für die vorliegende Untersuchung ist aber gerade auch der Bruch zwischen geplantem Projekt und dessen konkreter Umsetzung von Interesse. Da die Interviews jedoch nur als eine Ebene der kuratorischen Ausdrucksformen verstanden werden, hier also mit anderen Quellen konkurrieren, soll das Kuratoren-Interview nicht so hoch bewertet werden, wie im Kunstbetrieb inzwischen üblich.141 Damit geht einher, dass der Umgang mit dem Gegenüber in den Interviews changiert. Einerseits ist die Person in ihrer Subjektivität für eine interne Auswertung relevant, andererseits wird auf Mieke Bals Definition der „ersten Person“ zurückgegriffen – in Anlehnung an dieses Konzept wird im Folgenden auch mit einer „ersten Person“ gearbeitet, die hier als eine Stimme des Museums gilt, und einer zweiten Person (Besucher), die etwas über ein Drittes (das Objekt) sagt. Dabei wird konstatiert, dass die erste Person ihre Botschaft über verschiedene Kanäle kommuniziert, die unterschiedlich gewichtet sind: Ausstellungen, Katalog, sonstiges Begleitmaterial wie Flyer oder Faltblätter.142 Laut Ulf Wuggenig kommen Interviews insbesondere dort zum Einsatz, wo sich Akteure einen „fragenden Zugang zu einem Gegenstand ‚ins Innere‘ eines spezifischen Kontextes verschaffen wollen“.143 Dies trifft auch auf die Motivation des vorliegenden Projektes zu. Dabei ist anzumerken, dass im Kunstbetrieb eine 140 Diese Unterscheidung geht auf das Forschungsprojekt „Ausstellungs-Displays“ des Institute of Cultural Studies zurück, das Forschungsteam bezeichnet beispielsweise Mieke Bals Vorgehen als auch die Verfahrensweisen von Muttenthaler/Wonisch als extern. Vgl. Schade, Ausstellungs-Displays. Fragen – Ziele – Vorgehen, a.a.O., S. 6–7. 141 Es fehlt bislang eine wissenschaftliche Studie, die auf einer Meta-Ebene die KuratorenInterviews einordnet und auswertet, wie es Christoph Lichtin für das Künstlerinterview tut. Bislang scheint die Produktion von „O-Tönen“ kuratorischer Stimmen nicht abzureißen. Siehe beispielsweise die Veranstaltung „Curate or Die“ im Herbst 2007 in den Kunst-Werken Berlin. 142 Vgl. Bal, On Grouping, a.a.O., S. 105. 143 Wuggenig, a.a.O., S. 61. Aber auch generell zählt es in nahezu jedem gesellschaftlichen Bereich zu einem üblichen Verfahren „qua Gespräch zu ‚ermitteln‘“, so Wuggenig.

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Kuratoren und Besucher

Vielzahl von Interviews produziert und in unterschiedlichen Medien verbreitet wird.144 Von mehreren Seiten ist ein gestiegenes Interesse an Künstlergesprächen und Kuratoreninterviews festgestellt worden. Die Verbreitung des individuellen Interviews im Feld der Medien entspricht der für die Kulturindustrie charakteristischen Tendenz zur Personalisierung und zum Personenkult.145 Im Interview erscheint der Kurator als unmittelbarer Interpret seines Werkes, die Interviews wirken authentisch und lassen vergessen, dass sie in bestimmten Kontexten entstanden sind und für die Veröffentlichung stark bearbeitet wurden: „Bei diesen Interviews wird der Künstler nicht nur als unmittelbarer und damit bester Interpret seines Werks verstanden, sondern seine verschriftlichten Aussagen und Texte werden so selbstverständlich als Quelle aufgefasst, dass die Frage, ob nicht auch diese selbst zu deuten seien, und im Kontext anderer sprachlicher Äußerungen betrachtet werden müssten, selten gestellt wird.“146

Dies bestätigt erneut, dass es sinnvoll ist, neben den Interviews auch andere Elemente als „Stimmen“ des Kurators in die Analyse mit einzubeziehen. Wie Christoph Lichtin am Beispiel des Künstlerinterviews ausführt, handelt es sich um ein Kunstprodukt.147 So konzentriert sich Lichtin in seiner Studie auf die zeit144 Die Attraktivität des Interviews liegt in der direkten Beteiligung des Lesers an einem Gespräch, das Vergegenwärtigung und unmittelbare Veranschaulichung eines Diskurses verschafft. Aber auch professionelle Gründe mögen vorliegen: so scheint es für Kuratoren Standard zu sein, Interviews zu geben, ebenso wie für Kritiker und Kunsthistoriker, Interviews herausgegeben zu haben. Das Interview wird oftmals durch ein gemeinsames Interesse an der Werkinterpretation bestimmt. Lichtin ordnet das Interview an der Schnittstelle verschiedener Fachgebiete ein, wie etwa Oral History, Psychotherapie und Journalistik. Hier manifestieren sich, laut Lichtin, Schnittstellen zwischen Kunstgeschichte, Kunstproduktion, Kunstvermittlung und Kunstmarkt. Vgl. Lichtin, a.a.O., S. 11. Siehe auch: Texte zur Kunst-Heft (Nr. 67, September 2007) unter dem Titel „Gespräche“: So sieht Wuggenig im Kunstfeld momentan eine Obsession, Kuratoren und Kunstschaffende im Interviewformat vorzuführen. Im gleichen Heft macht John Miller dieses Verlangen an „Informationen aus erster Hand“ an einer Verschiebung des Künstlerverständnisses vom Kunsthandwerker hin zum für alles zuständigen Kulturkommentator fest. Das Interesse an O-Tönen geht damit einher, dass „konventionell geübte Kritik vorgibt, eine objektive Analyse von Kunstwerken zu bieten“. Miller, John: „Reden kostet nichts? Über Künstlerinterviews zwischen Legitimation und Reflektion“, in: Texte zur Kunst, Nr. 67, September 2007, S. 71. 145 In Feldern der kulturellen Produktion spielt diese Variante des Interviews zudem eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der seit der Romantik gängigen Lenkung der Aufmerksamkeit auf den individuellen Produzenten. Seit den 1970er Jahren werden im Kunstfeld nicht nur Produzenten, sondern auch Vermittler (Kuratoren, Galeristen) und Theorieproduzenten stärker in diesen Prozess der Herausstellung von Subjekten einbezogen, ein Reflex des Bedeutungszuwachses dieser Gruppen. Vgl. Wuggenig, a.a.O., S. 64. 146 Lichtin, a.a.O., S. 18. 147 Lichtin untersucht Einzelaspekte und zeigt auch, was für eine umfassendere Analyse

Voraussetzungen

gebundenen, genrespezifischen, inhaltlichen und personenabhängigen Aspekte, die das Interview zu einem komplexen Konstrukt machen.148 Wie Wuggenig verdeutlicht, dominiert in der projektorientierten Kunstwelt das journalistische Interview (sowie das analytische qualitative Interview).149 Beim idealtypischen journalistischen Interview gilt das Interesse dem befragten Individuum. Im journalistischen Feld kommt dem Interview einerseits die Aufgabe der Informationsbeschaffung zu, andererseits die Funktion, die „Interviewten als Subjekte herauszustellen“.150 So operiert dieser Interviewtypus mit Eigennamen, während bei wissenschaftlichen Vorhaben die Vorgabe besteht, die Anonymität der Äußerungen von Interviewten zu garantieren.151 Das analytisch-wissenschaftliche Interview ist auch durch das Prinzip der Vergleichbarkeit charakterisiert, welches verlangt, dass die Variation von Interview zu Interview zu minimieren ist, indem an alle Gesprächspartner gleiche Fragen gestellt werden152 – dies wurde hier durch die Orientierung am Fragenkatalog gesichert. Für die vorliegende Studie wurde eine Mischform zwischen journalistischem und wissenschaftlichem Interview eingesetzt, was in erster Linie am Verlauf des

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von Interviews mit Künstlern nötig ist. Sein Buch ist unter anderem in folgende thematische Sektionen gegliedert: Interviewkünstler, darunter zählt etwa „Das Interview in der künstlerischen Tätigkeit“, sowie Kunsthistoriker als Interviewer, indem das Interview als kunsthistorisches Genre unter den Schlagworten „Personenkult“, „Öffentliche Parteinahme“, „Produktion von Quellenmaterial“ und „Kuratorenprojekt“ zur Sprache kommt. Vgl. ebd., S. 5–6. Zu verweisen ist auch auf den Einführungstext zu Obrists Interviews. Vgl. Obrist, Hans Ulrich: Interviews: 1, Charta 2003. So wird hier darauf hingewiesen, dass das Aufkommen des Formates Künstlerinterview als eine Entwicklung innerhalb der späten Moderne gesehen werden kann. Ein Versagen der Kritik ließ Künstler dazu übergehen, selber die Lücken zu füllen durch Selbst-Präsentationen in Interviews und Konzeptualisierungen der zeitgenössischen Tendenzen. Künstler wie Carl Andre, Donald Judd und Robert Morris nahmen eigenständig die Erklärungen ihrer Arbeiten in die Hand und nutzten die publizierte Konversation als Genre, um dieses Ziel zu erreichen. Das steht in Zusammenhang mit einer Reaktion auf die Distanz und dem Mangel an Verstehen, den die Kunstkritik gegenüber der aktuellen Kunst zeigte. Michael Diers sieht Warhols inter/View magazine als den zentralen Ausgangspunkt, wie sich dieses Genre herausbildete. Außerdem gäbe es eine andere Genealogie des diskursiven Moments im Transfer des Massenmedien-Formats, und zwar das Interview mit Celebrities. Christoph Lichtins Ausführungen zum Künstler-Interview werden aufgrund der Curating-Definition als „Kunst“ auf den Kurator übertragen. Siehe hierzu auch die Definition in der Einleitung und im Abschnitt zu Curating/Kurator. Vgl. Wilson, Mick: „Curatorial Moments and Discursive Turns“, in O’Neill, Paul: Curating Subjects, London 2007, S. 211f. Vgl. Lichtin, a.a.O. passim. Vgl. Wuggenig, a.a.O., S. 65. Ebd., S. 63f. Das Zitat stammt aus einem Online-Ratgeber der New York Times. Vgl. ebd., S. 64. Obwohl das journalistische Interview in diesem Punkt das Gegenteil vom analytisch-wissenschaftlichen Interview darstellt, gibt es einen fließenden Übergang zwischen Forschungsinterview und qualitativem journalistischem Interview. Vgl. ebd., S. 62. Vgl. ebd., S. 65.

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Kuratoren und Besucher

Gesprächs zu erkennen ist. So musste die Verfasserin einerseits flexibel agieren – der Informant stand im Vordergrund153 – andererseits stellte das Gespräch eine Technik zum Sammeln von Daten dar. Generell dienten die Interviews der Informationsbeschaffung und nicht der Profilierung der Person.154 Es geht hier also nicht um ein Kunstprodukt (Lichtin), vielmehr steht die Datenanalyse und die theoretische Verarbeitung im Zentrum. Dabei war der Autorin sehr wohl die Konstruiertheit der Gesprächssituation und der jeweilige momenthafte Kontext bewusst.155

2.1.4

Ausstellungsfragebögen

Auch der Einsatz von Fragebögen beim Evaluieren der Ausstellung wird hier als Baustein der Dichten Beschreibung gesehen. Bei der Entwicklung der Exhibition-Checklist flossen Elemente aus verschiedenen vorhandenen Fragebögen ein und wurden um relevante Punkte ergänzt. Nicht alle Punkte der jeweiligen Fragebögen ließen sich auf die untersuchten Ausstellungsprojekte anwenden, so dass einige Aspekte modifiziert wurden. Auch bei Evaluationsbögen existieren 153 Das journalistische, eher „weiche, verstehende, subtile“ Interview basiert auch auf der Ausbildung der Autorin in der Durchführung von Leitfaden-Interviews und narrativen Interviews. 154 Das Interview stellt sich für die Beteiligten als Möglichkeit heraus, über den Aktualitätsbezug hinaus zu wirken. Viele Kunsthistoriker denken laut Lichtin, dass es interessant ist, Künstler als Interpreten zu haben, und das Interview als dialogischen Prozess sichtbar zu machen. Und: Als gemeinschaftliche Werkinterpretation wird das Interview zum kunstgeschichtlichen Genre, in welchem modellhaft der Argumentationsprozess zur Darstellung gebracht wird. Vgl. Lichtin, a.a.O., S. 9ff. 155 Zum Kuratoreninterview liegt noch keine kritische Studie vor, beziehungsweise ist es von wissenschaftlicher Seite noch nicht entdeckt worden. Viele Merkmale, die für das Künstlerinterview herausgearbeitet wurden, lassen sich auch sehr treffend auf das Kuratoreninterview übertragen. Dazu zählt, wie Wuggenig richtig einschätzt, dass im Kunstbetrieb bislang meistens darauf verzichtet wird, das Interviewmaterial umfangreich zu interpretieren, wenn doch, erfolgt die Analyse lediglich auf indirekte Art. Die Interviews verharren eher an der Oberfläche von subjektiven Repräsentationen und geben sich damit zufrieden, wie die Welt subjektiv konstruiert wird, als einen versteckten Sinn zu enthüllen, wie es strukturalistische, psychoanalytische oder hermeneutische Ansätze machen würden. Mit der Realisierung der Interviews, dem Extrahieren von Auszügen und der Aufbereitung für die Präsentation im Audio- oder Videoformat beziehungsweise in Katalogen scheint die Hauptarbeit meist getan. Es wird vorausgesetzt, dass das präsentierte Material mehr oder weniger für sich selbst spricht beziehungsweise dass die Betrachter über die Kompetenz verfügen, es in angemessener Weise zu deuten. Die Praxis, Ergebnisse in teils oder gänzlich unanalysierter Form zu präsentieren und nicht zu kommentieren, die man als eine generelle Tendenz des künstlerischen Gebrauchs von Interviewmaterial ansehen kann, verdankt sich wohl ebenso der Neigung, die Differenz zur wissenschaftlichen Studie aufrechtzuerhalten, wie feldspezifischen, anti-didaktischen Konventionen.Vgl. Wuggenig, a.a.O., S. 66f.

Voraussetzungen

Mischformen, wie allein in der Publikation Judging Exhibitions von Serrell deutlich wird.156 Einzelne Elemente der Checklist gehen auf den Fragebogen der Standards for Museum Exhibitions der American Association of Museums157, den Kriterienkatalog Reformalizing at Bishop Museum von David Kemble158 sowie das Seminarmaterial der Universitätsveranstaltungen im Rahmen des Studiums Museum Studies an der New York University159 zurück. Auch erhielt die Autorin Anregungen aus dem (unveröffentlichten) Evaluationsbogen des Forschungsprojektes „Ausstellungs-Displays“160 des Institute for Cultural Studies der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich.161 Da die untersuchten Ausstellungsprojekte institutionell angebunden waren, sind die für professionelle Museen entwickelten Fragebögen zur Verwendung für die vorliegende Studie geeignet. Exemplarisch sollen im Folgenden die „Standards for Museum Exhibitions and Indicators of Excellence“ der American Association of Museums besprochen werden, um aufzuzeigen, wie Fragebögen aufgebaut sein können und mit welchen Einschränkungen bei derlei Untersuchungsmethoden zu rechnen ist.162 Diese Standards wurden 1997 von drei professionellen Komitees der American Association of Museums (CARE, NAME und CurCom) entwickelt, um sie als Richtlinien für die jährlich stattfindenden Ausstellungswettbewerbe zu nutzen.163 156 Vgl. Serrell, a.a.O. Bei den einzelnen Kategorien des Analysebogens handelt es sich um Kriterien, die im Dienst der hier relevanten Fragestellung stehen. Dies bedeutet nicht, dass die analysierten Ausstellungsprojekte – setzt man andere Kriterien an – nicht durchaus alle Erwartungen erfüllt haben. Beatrice von Bismarck verdankt die Autorin die Anmerkung, dass die Kategorie „erfolgreich“ im Hinblick auf Ausstellungen zu hinterfragen wäre. 157 „Standards for Museum Exhibitions and Indicators of Excellence, developed by the Standing Professional Committees Council of the American Association of Museums, National Association for Museum Exhibition, 2003“: http://www.care-aam.org/ documents/whats_new/exhibit_standards.pdf. 158 Kemble, David: „Reformalizing at Bishop Museum“, in: Exhibitionist, Heft 21/1, 2002, S. 25–29. 159 Hierzu zählen: „The Exhibition as Form“ bei Robert Storr am Institute of Fine Arts, New York University, und „Exhibition Planning and Design“ von Eileen Gallagher am Department of Museum Studies, New York University. Die Punkte wurden teilweise individuell von den Lehrenden entwickelt. 160 „Empirischer Fragebogen KTI-Forschungsprojekt ‚Ausstellungs-Displays‘“ in der 9. Fassung vom 25. Oktober 2005. 161 Hinsichtlich anderer, bereits vorhandener Fragebögen ist auf „Framework“, „Curator“, „NAME Exhibitionist“, „Visitor Studies“ zu verweisen, die ausführlich in der Publikation Judging Exhibitions – A Framework for Assessing Excellence von Beverly Serell, a.a.O., hier insbesondere im IV. Kapitel „Theoretical Underpinnings“ miteinander verglichen werden. 162 Hierbei stützt sich die Autorin auf die Ausführungen von Serrell, ebd., S. 98. 163 Serrell merkt kritisch an, dass diese Standards mehrere Punkte auflisten, die während eines normalen ungeführten öffentlichen Museumsbesuchs nicht ersichtlich sind. Die Informationen, die ohne weitreichende Hintergrundkenntnisse nicht verfügbar sind,

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Kuratoren und Besucher

Die Kriterien drehen sich primär um Fragen der Präsentation und Zielsetzung der Ausstellungsprojekte und sind in sechs Kategorien unterteilt. Dazu zählen „Audience Awareness“ (Besucheraufmerksamkeit), „Content“ (Inhalt), „Collections“ (Sammlung(en)), „Interpretation“ (Interpretation) und „Communication“ (Kommunikation), „Design“ (Gestaltung), „Production“ (Fertigung) und „Ergonomics“ (Ergonomie). Unter jeder der Kategorien sind Fragen aufgelistet, gefolgt von Stichpunkten hinsichtlich der Effizienz der jeweiligen Kategorie. So wird unter anderem unter dem Schlagwort „Audience Awareness“ (Aufmerksamkeit dem Besucher gegenüber) gefragt, ob das Publikum positiv auf die Ausstellung reagiert hat und ob die Antwort in Übereinstimmung mit den Zielen der Ausstellung in Einklang stand. Serrell weist kritisch darauf hin, dass es schwierig sei, das Fachwissen mitzubringen, welches zur Beantwortung einiger der Fragen notwendig wäre.164 Sein Forschungsteam konnte nicht beantworten, ob die Ausstellung die Sicherheitsstandards, die Vorgaben für die Klimatisierung oder Ausstellungsinstallation einhielt, oder ob der Inhalt akkurat, signifikant oder aktuell war. Außerdem konnte die Evaluationsgruppe um Serrell keine Angaben dazu machen, wie die Entscheidungen über den Inhalt und die Zielgruppe zustande gekommen waren oder Entscheidungen über Marketing-Strategien, „Mission Statements“ oder Ähnliches gefällt wurden. All dies würde einen großen Umfang an vom Museum zur Verfügung gestelltem Insiderwissen voraussetzen. Laut Serrell sind das interessante Punkte, um eine Ausstellung zu beurteilen, jedoch behandeln diese Aspekte nicht so sehr die elementare Erfahrung der Besucher in den Ausstellungen.165 Das Team der „Framework experts“ um Serrell entwickelte daraufhin einen eigenen Fragebogen, in dem es alle Kategorien, Anforderungen und Spezifikationen, die nicht aus einer normalen Besucherperspektive direkt ersichtlich waren, eliminierte. Unterschiede in der Ausstellungsevaluation zwischen AAM und Framework finden sich auch darin, dass die Mitglieder von Framework direkt in die Ausstellungen betreffen das Ausstellungsbudget, konservatorische Aspekte, Fragen der Hängung und des Aufbaus (im Sinne der Installation der Ausstellung vor der Eröffnung), Sicherheitsstandards, spezielle Vermittlungsprogramme sowie den Prozess der Ausstellungsentwicklung und –realisierung. Auch aus diesen Gründen wurden die Kuratoreninterviews durchgeführt. 164 Vgl. ebd. 165 Serrell verweist ferner auf eine andere Sektion des Fragebogens „The AAM Standards“, die sich „Indikatoren für Exzellenz in Museumsausstellungen“ nennt. Vgl. ebd., S. 100. Diese Indikatoren drehen sich um den Inhalt und sind laut Serrell auch äußerst schwierig zu definieren, beispielsweise: „Ein Aspekt der Ausstellung ist innovativ, die Ausstellung präsentiert neue Information.“ „Die Ausstellung fasst und präsentiert bereits existierendes Wissen und/oder Sammlungsmaterial auf eine provokative Art.“ Auch kommentiert Serrell die Trennung in Gestaltung und Vermittlung auf dem Auswertungsbogen, hier könne man auch argumentieren, dass das Ausstellungsdesign die Vermittlung unterstützt, um die Aussage effektiv zu kommunizieren, beide Kategorien also ineinander übergehen und nicht zu trennen sind. Vgl. ebd., S. 101.

Voraussetzungen

gehen, um die Ausstellung persönlich zu erfahren, die Gutachter der AAM jedoch nur die Fotos und Kopien der Labels betrachten.166 Ansonsten gleichen sich die Evaluationsbögen nach wie vor in zentralen Punkten. Da viele Publikationen keine Auskunft darüber geben, mit Hilfe welcher Verfahren Ausstellungsinhalte oder mediale Umsetzungen evaluiert wurden, hat vorliegende Studie sich kritisch mit den genutzten Methoden auseinandergesetzt.167 Folgender Fragenkatalog (Auszug) wurde für den Ausstellungsrundgang angewandt:168 Aussehen der Räume: % In  welchen Räumlichkeiten ist die Ausstellung arrangiert und wie wirken sich diese auf die Rezeption aus? % In  welcher Art von Bau (Schloss, Fabrik etc.) ist die Ausstellung untergebracht? % Findet  die Ausstellung an verschiedenen Orten statt? % Wie  bestimmt die Ästhetik der Gebäudearchitektur die Wahrnehmung der Ausstellung? % Haben  die Räume historische Bezüge (Architektur und Art des Gebäudes, „zweckentfremdeter Bau“)? % Korrespondiert  die Ausstellungsarchitektur mit dem jeweiligen Gebäude? % Nimmt  sie durch gestalterische Eingriffe Bezug auf den architektonischen Rahmen oder negiert sie ihn, etwa im Hinblick auf die Farbgebung und Struktur? % Welche  Materialien, Grafiken, Wandfarben, Beleuchtung (Deckenlichter, punktuelle Bestrahlung etc.) werden verwendet? % Werden  Podeste, Vitrinen, Rahmen genutzt? % Welches  Material und welche Form des Ausstellungsmobiliars wird verwendet? Ist es ein zurückgenommener Träger für Exponate und Texte oder lenkt es den Blick in bestimmter Weise und stellt Zusammenhänge her? % Falls  die gestalterische Rahmung in den Vordergrund rückt, geschieht dies in Konkurrenz zu oder in Abstimmung mit den Kunstwerken? Erfolgt dies zur Visualisierung von mit Exponaten verknüpften Themen oder zur Schaffung von Erlebnisräumen?

166 Vgl. ebd., S. 102. 167 So nennt selbst das Standardwerk von Mary Ann Staniszweski, The Power of Display, a.a.O. oder auch Tobias Walls Studie Das unmögliche Museum, a.a.O., keine Analysemethoden. 168 Die hier aufgelisteten Fragen geben exemplarisch einige der Untersuchungsaspekte wider, welche in der vorliegenden Studie Berücksichtigung fanden.

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Strukturierung der Ausstellung (architektonische und gestalterische Inszenierungsmittel): % Gibt  es eine bestimmte Laufrichtung, eine räumliche Lenkung der Besucher? % Wie  wird der Parcours durch die Ausstellung gelegt? Sind die Einheiten so angeordnet, dass eine klare Abfolge nahegelegt wird oder werden die Besucher zum Flanieren eingeladen? Ist es notwendig, dem Parcours zu folgen, um den Aufbau der Ausstellung zu verstehen? % Gibt  es einen Orientierungsbereich? Wie sieht er aus? % Wie  erfolgt der Zutritt zur Ausstellung? % Wie  sehen die Kapitelgliederungen, Raumabfolgen aus? Gibt es unterschiedliche Ideen für verschiedene Sektionen? Existiert eine Auffächerung in verschiedene Inszenierungszonen, unterschiedliche Ausstellungssequenzen? % Wie  sieht die Positionierung der Werke aus? Gibt es Schlüsselwerke? % Wie  viel Raum steht welchen Werken zur Verfügung? Wo sind sie in der Ausstellung platziert? Sind Sequenzen, „Kabinette“ oder „Nischen“ für einzelne Arbeiten zu finden? % Auf  welche Weise erfolgt die Zusammenstellung der Werke? % Wie  wird die Zugänglichkeit im Raum gehandhabt? % Wie  stellen sich die Sichtachsen, überräumlichen Bezüge, Durchblicke, Außenblicke, Blickfänge dar? % Wie  wurden die Einführungstexte, Labels und Überschriften gestaltet? Wie informativ sind sie? % Existieren  künstliche Wände? Wie sind sie positioniert? Gibt es sonstige Ein- und Zubauten? % Finden  sich Sitzgelegenheiten für Besucher? Wie sehen diese aus? % Gibt  es konservatorische Gründe für die Platzierung einzelner Arbeiten? % Wie  ist das Verhältnis von Inszenierung und Exponaten? % Welche  Art der Hängung (Höhe, einreihige Hängung, Abstand zwischen den Objekten) wurde verwendet? Auswahl der Kunstwerke: % Von  welcher Art sind die Werke (Medienvielfalt, zeitgenössische/historische Arbeiten, Größe der Exponate)? % Stammen  die Kunstwerke von unterschiedlichen Generationen? Gibt es internationale/lokale Bezüge? % Haben  die Werke verschiedene ethnische, religiöse, kulturelle, sexuelle Hintergründe? % Sind  die Kunstwerke Auftragsarbeiten? % Welche  Qualitätskriterien werden angelegt? Gibt es inhaltliche Gründe oder formale Gründe für die Auswahl?

Voraussetzungen

Sprachliche Ebene: % Wie  ist der Inhalt der Labels? Bestimmen, erklären sie? % Wird  der Name der Institution, des Kurators, der Künstler besonders herausgestellt? % Wird  eine klare Botschaft transportiert? % Wird  die eigene Position als eine hinterfragbare vermittelt oder auf die Autorität des Museums und der Wissenschaft rekurriert? % Welche  Rolle spielt der Katalog? Wer sind die Herausgeber und Autoren? Wie wird mit der Thematik umgegangen (beschreibend, analysierend, informativ, literarisch, wissenschaftlich, dokumentarisch)? In welchem Verhältnis steht der Katalog zur realen Ausstellung? Wie sind die Sachverhalte jeweils gewichtet? Sind die abgebildeten Werke auch in der Ausstellung zu sehen? % Gibt  es Faltblätter? Wie sehen sie aus? % In  welcher Form/Sprache sind die Ausstellungstexte verfasst? % Wie  ist das Verhältnis zwischen der visuellen und textlichen Ebene? Wird auf die „Macht“ der Worte oder des Visuellen gesetzt? % Kommt  der Besucher in Kontakt mit Aufsichtspersonal oder anderen Museumsmitarbeitern (Kasse, Kunstvermittlern etc.)? Organisation: % Werden  die Kunstwerke vor Ort produziert? % Wird  im Team (interdisziplinär, interkulturell) kuratiert/produziert? % Arbeitet  der Kurator frei oder ist er angestellt? % Wie  stellt sich das Verhältnis zu anderen Ausstellungen dar (Anlehnung/ Absetzung)? % Wird  mit anderen Einrichtungen kooperiert (Einbeziehung von anderen Stimmen wie Kirchenvertretern, lokalen Vereinen etc.) gibt es eine interdisziplinäre Zusammenarbeit? Umgang mit Besuchern: % Wird  vorstrukturiert und gelenkt oder zu Eigenaktivität angeregt und Offenheit demonstriert? % Ist  das Bild vom Besucher das eines „Bedürftigen“, der zu seinem eigenen Nutzen mit Kunst zusammentreffen soll, oder als „natürlich Begabter“ imaginiert? Welche Rolle ist dem Betrachter zugewiesen? % Wie  und wo erhält er welche Informationen? Welche Informationen erhält er überhaupt? Gesamtvermittlung: % Profil  der Institution

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Kuratoren und Besucher

Sekundäre Vermittlung: % Podiumsdiskussionen % Vorträge % Tagungen % Symposien % Führungen % Künstlergespräche % Sonstiges

2.2

ANNAHMEN

In diesem Abschnitt sollen in Auszügen die Denkansätze kulturwissenschaftlicher, kunstwissenschaftlicher, museologischer Diskurse genannt werden, die der vorliegenden Studie zugrunde liegen und wichtig für das Verständnis vom „Ausstellungsraum“, vom „Kurator“ und von der Tätigkeit des „Kuratierens“ sind.

2.2.1

Der Ausstellungsraum als politischer Raum

Zahlreiche museologische (und kunsthistorische) Studien haben gezeigt, dass die Museen nicht nur kunsthistorische Bewahrungs-, Forschungs- und Vermittlungsanstalten sind, sondern in und mit ihnen vielfach ideologische, politische und wirtschaftliche Interessen verhandelt werden.169 In der Art und Weise, wie eine bestimmte Kunst ausgestellt wird, werden zugleich kulturelle Vorurteile, wissenschaftliche Interessen und weltanschauliche Programme durchgesetzt.170 169 In den 1960er Jahren war das Museum noch die entscheidende Institution der Kunst, in der sich die wichtigsten und stärksten derjenigen gesellschaftlichen Kräfte bündelten, die definierten und festlegten, was Kunst ist. Erst mit dem Schwächerwerden der Definitions- und Deutungsmacht der Museen in den 1970er und 1980er Jahren trat die Vielzahl unterschiedlicher Agenten und Instanzen in das Blickfeld, die ein geschlossenes, ausdifferenziertes System Kunst regelten und definierten; dazu zählen Museen, Galerien, Auktionshäuser, Privatsammlungen, Ausstellungsinstitutionen, Großausstellungen, Ateliers, Künstlerhäuser, Transportunternehmen, Wirtschaftsunternehmen, Banken und Versicherungen, Kritikerschaft, Kunstzeitschriften, Informationsdienste bis hin zur akademischen Kunstgeschichte, die sich immer weniger dem Druck dieses Systems Kunst entziehen konnte und kann. Heute wird der Ausstellungsraum eher als ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem verstanden und Kunst als Mittel der gesellschaftlichen Intervention eingesetzt. Vgl. Meinhardt, Johannes: „Institutionskritik“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 127–129. Mit diesem Statement soll in der vorliegenden Studie in keinster Weise eine moralische Wertung des Museums vorgenommen werden. 170 Vgl. Bonnet, a.a.O., S. 62, oder auch: Blazwick, Temple/WhiteCube/Laboratory, a.a.O., S. 118, oder auch Sternfeld, Nora: „Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbst-

Voraussetzungen

Ausstellungen gehören zu den klassischen Instanzen zur Tradierung von Werten beziehungsweise von dem, was offiziell als „wertvoll“ gilt, zur Kanonisierung von Geschichte und zur Weitergabe von gesellschaftlichen Normen.171 Die Entstehung zahlreicher kritischer Studien172 über das System des Displays und des Galerie-Umfeldes (gallery environment) hat einen radika len Wandel herbeigeführt und die Vorstellung vom Ausstellungsraum dekonstruiert. Das zeigt sich beispielhaft in der kritischen Theorie und in kritischen, kontextuellen Kunstpraktiken. Auch zahlreiche Künstler haben die Konventionen des Ausstellungmachens und die Umwandlung des Galerie-Umfeldes von der Akademie zum Salon, vom White Cube zur Site, vom Raum zur Situation hinterfragt.173 Seither kann der Ausstellungsraum (gleich, ob es sich um ein Museum oder ein Labor handelt) nicht mehr länger als neutraler, natürlicher oder universeller Raum definiert werden, sondern wird durch die psychodynamischen Kräfte von Politik, Wirtschaft, Geografie und Subjektivität bestimmt.174 Wenngleich diese Prämissen bereits seit geraumer Zeit im Kunstbetrieb Anwendung finden, sind die Ergebnisse doch nicht selbstverständlich. So schreibt Iwona Blazwick, dass die Herausforderung für das 21. Jahrhundert darin bestehe, den Ausstellungsraum als etwas anzuerkennen, das weder natürlich noch neutral ist.175 Aber nicht nur das Eingeständnis, dass das Kunstfeld kein autonomes Feld ist, sondern von Politiken und Ökonomien reguliert ist und ständig in Verbindung mit anderen Feldern und Bereichen steht, wird noch zu wenig anerkannt.

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regulierung und Selbstermächtigung“, in: Jaschke, Beatrice u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 31. Funktionen, die das Museum ausübt: Sozialisationsfunktion, soziale Orientierung, Integrationsfunktion (Identifikation mit der Gesellschaft) als soziale Funktionen sowie Information, Herstellen von Öffentlichkeit, politische Bildungsfunktion sowie Kritik- und Kontrollfunktion. Vgl. ebd. Das wurde und wird in vielerlei Hinsicht deutlich, zum einen in frühen Publikationen wie von Mary Ann Staniszewski, die nachgewiesen hat, dass den MoMA-Ausstellungen politische Implikationen zugrunde liegen. Vgl. Staniszewski, a.a.O., passim. Siehe auch Bennett, Tony, a.a.O. Oder: Duncan, a.a.O., und Hooper-Greenhill, Eilean: Museums and the shaping of knowledge, London 1992. Siehe auch Knutson, Karen: „Creating a space for Learning: Curators, Educators, and the Implied Audience“, in: Leinhardt, Gaea u.a. (Hg.): Learning Conversations in Museums, Mahwah 2002, S. 5: Einer der Haupteinblicke, die den Museumsstudien der letzten Dekade entsprungen ist, betrifft die Vorstellung, dass Museen und Ausstellungen keine neutralen Orte sind, und Ausstellungen ideologisch fundierte und rhetorisch komplexe Argumente darstellen. Diese Einschätzung beginnt Einfluss auf Museumsstudien zu nehmen. Einige Studien haben erforscht, in welcher Hinsicht die Mission der Institution oder die Architektur die Rezeption der daraus resultierenden Ausstellungen beeinflussen kann. Als „klassische“ Publikation zu diesem Themenfeld wird oft genannt: Kravagna, Christian. (Hg.): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen, Köln 2001. Vgl. Iwona Blazwick: Temple/White Cube/Laboratory, a.a.O., S. 118 und S. 132. Vgl. ebd.

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Kuratoren und Besucher

Die Arbeitsweisen und Präsentationsarten werden häufig nicht offengelegt. Normalerweise werden die mit unterschiedlichen Medien arbeitenden Inszenierungsweisen selbst nicht mitthematisiert, sodass ihre Wirkungen implizit und unbewusst erfolgen. Inszenierungsarten werden meist nur intern, in museologischen Diskursen erörtert. Erst wenn ein weitreichender Paradigmenwechsel stattfindet, beschäftigt sich die breitere Öffentlichkeit damit, so Jutta Held. Nur in bestimmten Museumstypen seien didaktische Diskussionen geführt worden. Held zufolge sind insbesondere die kunsthistorischen Museen von dieser Debatte unberührt geblieben; in diesen Museen bestünden noch stabile Vorstellungen von der Ordnung der Künste und ihrer Rangfolge. Zwar befänden sich jetzt museumspädagogische Räume in den Kellern, doch die Schauräume blieben nach wie vor unverändert.176 Helds Schilderungen mögen Einwände hervorrufen, dass es natürlich viele Beispiele für eine selbstreflexive Debatte um Präsentationsarten sowohl in kunsthistorischen als auch in zeitgenössischen Museen gibt.177 Doch bestätigt auch die Forschungsgruppe zu „Ausstellungs-Displays“ um Sigrid Schade Ähnliches in ihrem Abschlussbericht, in dem von den Ergebnissen der Tagung „Neues Ausstellen“ berichtet wird. Die Autorinnen schreiben, dass nach wie vor stark zwischen Form und Inhalt unterschieden und die Inszenierung dabei zu wenig beachtet werde. Von den anwesenden Kuratoren wurde der Forschungsansatz als zu fokussiert auf das Display betrachtet. Interessanterweise wurde die Trennung von Form und Inhalt von Kuratoren vertreten, die ausschließlich im Bereich der aktuellen Kunst arbeiten.178 Der museale Umgang mit Kunstwerken ist zurückhaltender als der mit anderen Objekten und beschränkt sich – zumindest im Bewusstsein vieler Kunstkuratoren – darauf, die Werke zu „hängen“ und sie mit den notwendigsten Grundinformationen zu versehen, erklärt Fayet. Ihm zufolge beteiligen sich wenige Kunsthistoriker an museologischen Diskursen und betreiben die Reflexion der eigenen Tätigkeit vor allem im Hinblick auf kulturpolitische Fragestellungen. Dies liegt laut Fayet an deren besonderem Umgang mit Objekten.179 Allerdings 176 Vgl. Held, Jutta: Jüdische Kunst im 20. Jahrhundert und die Konzeptionen der Museen. Zur Einführung, in: ders. (Hg.): Jüdische Kunst im 20. Jahrhundert und die Konzeption der Museen, Kunst und Politik, Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 6, Göttingen 2004, S. 11ff. 177 Ausdruck findet dies etwa in der Publikation: Huber, Hans Dieter u.a. (Hg.): Kunst des Ausstellens. Beiträge, Statements, Diskussionen, Ostfildern-Ruit 2002. 178 Vgl. Schade, Sigrid, Neues Ausstellen, a.a.O., S. 53. 179 Vgl. Fayet, Roger (Hg.): Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen. Band 1 der Interdisziplinären Schriftenreihe des Museums zu Allerheiligen Schaffhausen, Baden 2005, S. 17. Bezogen auf den Unterschied zwischen den kunst- und natur- (oder Alltags-) Gegenständen konstatiert der Autor: Vor dem Hintergrund der tatsächlich vorhandenen Differenz hinsichtlich des Anteils an intrinsischer Semiophorik von Kunstwerken und Natur- oder Gebrauchsobjekten erstaunt es wenig, dass es vor allem die Vertreter der natur- oder kulturhistorischen Museen sind, welche sich prägend in den museologischen Diskurs einbringen. Fayet rekurriert auf Schneede, Uwe M. (Hg.): Museum 2000.

Voraussetzungen

geschehe dies in Verkennung der Tatsache, dass es eine Illusion sei, zu glauben, die Kuratorentätigkeit sei allein dem Künstler und dem „unverfälschten Redenlassen“ seiner Schöpfung verpflichtet. Auch eine Ausstellung, deren erklärtes Ziel es ist, dass die Botschaften der Werke möglichst „unverstellt“ wahrgenommen werden sollen, hat demnach ein bestimmtes Vermittlungsziel, das ebenso spezifische Vermittlungsverfahren bedingt, die in ihrer Wirkung überprüfbar sind.180 Auch Puffert betont, dass in Ausstellungen deutlich gemacht werden solle, wer/was/warum wichtig ist und wer/was nicht. Dass die ästhetischen Urteile und Auswahlkriterien von Entscheidungsträgern oft diffus und wenig einsichtig bleiben, mag damit zusammenhängen, dass der Kreis an Eingeweihten bewusst oder unbewusst klein gehalten werden soll. In vielen Fällen spielen auch persönliche Vorlieben und Geschmacksvorstellungen der Verantwortlichen mit hinein, die dann noch schwerer zu kommunizieren sind.181 Viele Autoren stellen an das Ende ihrer Texte die Forderung, dass Ausstellungen ihrer Art ernst genommen werden und eine Schule des Sehens sein sollten.182

Erlebnispark oder Bildungsstätte, Köln 2000. Die Museologie scheint den Curating-Diskurs mit seinen zahlreichen selbstreflexiven Publikationen und Veranstaltungen nicht im Blick zu haben, es ist also zu bezweifeln, ob das zutrifft. 180 Vgl. Fayet, Roger: „‚Ob ich nun spreche oder schweige.‘ Wie das Museum seine Dinge mit Bedeutung versieht“, in: ders. (Hg.): Im Land der Dinge, a.a.O., S. 16. 181 Vgl. Puffert, Rahel: „Vorgeschrieben und ausgesprochen? Oder: Was beim Vermitteln zur Sprache kommt“, in: Jaschke, Beatrice u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 59 und S. 62. Bei der documenta 12 (2007) ist dies intensiv von der Fachwelt kritisiert worden, so auf der Veranstaltung „Die ästhetische Ordnung der Documenta“, die im November 2007 von dem FU-Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ in Berlin ausgerichtet wurde. 182 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 253. Dies gilt auch im Hinblick auf die Besucher, denn die durch die Objektanordnung und Ausstellungsgestaltung vermittelten Inhalte werden vielfach unbewusst wahrgenommen, so wäre eine kritische Auseinandersetzung mit Inszenierung von besonderer Bedeutung. Vgl. ebd., S. 250.

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Kuratoren und Besucher 2.2.2

Kurator und Curating

Definition, Herausbildung und Diskurse

Bei dem Wort Kurator handelt es sich einerseits um eine Berufsbezeichnung.183 Diese wies ursprünglich eine inhaltliche und hierarchische Komponente auf und formierte sich aufgrund eines rasant expandierenden Kunstfeldes, einer Professionalisierung und Ausdifferenzierung in den letzten 50 Jahren.184 Als Prototyp für diese Profession stand Harald Szeemann, der ein neues Verständnis für die kuratorische Praxis aufbrachte. Mit ihm wurde die Ausstellung zum Werk, der Ausstellungsmacher zum „inszenierenden Impresario“ (Beatrice von Bismarck), der in vielen Fällen nicht mehr an ein konkretes Museum gebunden war.185 Damit löste sich die Tätigkeitsbeschreibung des Kuratierens von der Berufsbezeichnung. War diese Berufsgruppe in ihrer institutionellen Anbindung noch mit einer Vielzahl von Aufgabenfeldern betraut, wie etwa dem Sammeln, Ordnen, Bewahren und Vermitteln von Exponaten, fokussiert sich das Curating nun ausschließlich auf die Tätigkeit des Vermittelns. Es gilt fortan, für Kunstwerke und künstlerische Verfahren eine Öffentlichkeit herzustellen, um diese künstlerischen Positionen zu zeigen. Damit wird die Ausstellung zum zentralen 183 Vgl. Loers, Veit: „Ich kuratiere, du kuratierst, er kuratiert – wir sind kuriert“, in: Tannert, Christoph/Tischler, Ute (Hg.), a.a.O., S. 25. Früher sprach man vom Kustos oder Ausstellungsleiter. Seine vorherige berufliche Bezeichnung war Konservator, das entsprach der Gehaltsklasse am Museum. Seitdem es Kuratoren, Freelance-Curators und kuratierte Ausstellungen gibt, seien diese nicht besser geworden, so Loers. Die Fähigkeit dieser Dienstleistung besteht nach wie vor im Organisieren von geeigneten Räumlichkeiten, Transporten, Budgets und dem Produzieren von Katalogen und Einladungen. Das Wichtigste daran sei der Umgang mit der Kunst, die Selektion und das Mitdenken in der künstlerischen Intention. Deshalb gelten Künstler auch als gute Kuratoren, laut Loers. Für einen nichtkommerziellen Kurator gäbe es zudem die Verantwortung vor der Öffentlichkeit, mit deren Geld umgegangen wird. Neben den Museumskuratoren, die Ausstellen mit Sammeln in Verbindung bringen mussten, existierte ferner auch der Typ des engagierten Coachs einer neuen Künstlertruppe, meist Kritiker wie Herwarth Walden oder Germano Celant, schreibt Loers. Und: Diese seien die Väter neuer Künstlergruppierungen, bestrebt, irgendwann auch Profit aus der Patenrolle zu erwirtschaften. Bonnet setzt die Herausbildung des Kurators mit der Documenta 5 (1972) an. Vgl. Bonnet, a.a.O., S. 69. 184 Vgl. auch Waidacher, a.a.O., S. 320. Im Glossar führt Waidacher auf: „Kurator, Kuratorin: quellenfachlich ausgebildete Person, die für Obhut und Erforschung einer Museumssammlung oder von Teilen dieser Sammlung verantwortlich ist. Auch für Ausstellungen verantwortliche Person bzw. Mitglied eines Kuratoriums.“ Ebd. 185 Jüngste Publikationen zu Szeemann sind: Grammel, Sören: Ausstellungsautorschaft: die Konstruktion der auktorialen Position des Kurators bei Harald Szeemann. Eine Mikroanalyse. Frankfurt am Main 2005. Und: Müller, Hans-Joachim: Harald Szeemann: Ausstellungsmacher, Ostfildern-Ruit 2006. Oder auch: Bezzola, Tobia: Harald Szeemann: with, by, through, because, towards, despite. Catalogue of all exhibitions 1957–2005, Zürich/ Wien 2007.

Voraussetzungen

Vermittlungsmedium. Im Kontrast zu den anderen Aufgabenfeldern, die hinter den Kulissen eines Museums stattfinden, verleiht das Kuratieren den Kuratoren nun eine gewisse Sichtbarkeit. Sie erhalten einen im Kontext des Museums eher ungewöhnlichen Freiraum sowie ein künstlergleiches Prestige.186 Im Zuge dieser Entwicklung tritt die Tätigkeitsbeschreibung – das Kuratieren (Curating) – verstärkt hervor. Zentral für diese Tendenz der letzten Dekade ist genau der Umstand, dass vermehrt die Tätigkeit des Curating öffentlich diskutiert wird.187 Zu den nun gefragten Fähigkeiten zählt eine Bandbreite an organisatorischen Aufgaben, wie etwa die Ausleihe, der Transport, die Versicherung der Exponate, die Bereitstellung eines Ausstellungsortes und der Materialien, sowie die Beschaffung von Fachkräften für Produktion und Präsentation, die Sicherung der finanziellen Mittel und die Maßnahmen zur öffentlichen Verbreitung. Auch wenn es sich hier um elementare Techniken von Kuratoren handelt – hierzu zählen auch soziale Kompetenz und der Umgang mit unterschiedlichen Interessensgruppen an verschiedenen Schnittstellen – basiert ihr Renommee in erster Linie auf ihren symbolisierenden Fertigkeiten. So betont Beatrice von Bismarck, dass die bedeutungsstiftenden Verfahren des konzeptionellen Auswählens, Zusammenstellens und Ordnens über die jeweilige Position im aktuellen Diskurs bestimmen.188 Wie im Abschnitt zu Vermittlung dargelegt wird, können diese Verfahrensweisen auch konkret benannt werden. So arbeiten Kuratoren in Ausstellungsräumen mit der gezielten Anordnung von Objekten, mit Sichtachsen, Kontextualisierungen, räumlichen Bezügen, konkreten Konzepten wie der assoziativen oder didaktischen 186 Dazu Schneeman: „Betrachtet man die Entwicklung der Ausstellung als eigenständige Institution, kann nicht strikt zwischen der Entwicklung neuer künstlerischer Strategien in der konzeptuellen und installativen Kunst und den kuratorischen Ideen unterschieden werden.“ Schneeman, Peter J.: „Wenn Kunst stattfindet! Über die Ausstellung als Ort und Ereignis der Kunst“, in: Kunstforum International, Bd. 186, 2007, S. 78. Schneemann fragt auch, ob der Kurator seine Potenz nicht eben in der deutlichen Abgrenzung von der Position des Künstlers entwickeln müsste. Allerdings wird die Rollenüberschneidung und -zuteilung umso komplexer, als sich der Begriff des Kunstwerks entgrenzt hat. 187 Die einsetzende Deprofessionalisierung, die Personen mit unterschiedlichsten Ausbildungen und Hintergründen den Zugang zum Beruf des Kurators ermöglichte, wurde in den 1990er Jahren mit der Einrichtung von Kuratorenlehrgängen an verschiedenen westeuropäischen und nordamerikanischen Standorten beantwortet. Es herrscht jedoch Uneinigkeit über die Fähigkeit, die Kuratoren auszeichnen sollen. Kuratorenlehrgänge gibt es unter anderem am Institute for Cultural Studies der Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich (Postgraduate Pogram in Curating). „Creative Curating“ wird am Goldsmith College London angeboten. Ein „Curatorial Training Programme (CTP)“ kann am De Appel, Centre for Contemporary Art, in Amsterdam absolviert werden und das Bard College in Annandale-on-Hudson (USA) Programm besitzt ein Center for Curatorial Studies (CCS). Siehe hierzu auch: Bellini, Andrea: „Curatorial schools. Between hope and illusion“, in: Flash Art, Okt. 06, Vol. 39, No. 250, USA, S. 88–92. 188 Vgl. Bismarck, Beatrice v.: „Curating“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 56ff.

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Kuratoren und Besucher

Ausstellungssprache etc. Für das Zeigen zeitgenössischer Kunst ist neben dem Umgang mit Materialien und Orten auch der achtsame Dialog mit den in den Entstehungsprozess einer Ausstellung Involvierten bedeutsam. Beispielsweise wird es als Akt der Machtausübung verstanden, wenn Einzelne über die Interpretation und Vermittlung künstlerischer Positionen bestimmen wollen. So könnten interne und externe Abhängigkeitsverhältnisse (geschlechtlicher, sozialer, religiöser Art etc.), die sich hinsichtlich kuratorischer Verpflichtungen unter anderem gegenüber Auftraggebern, Publikumsgruppen, Künstlern ergeben, sichtbar gemacht werden und einzelne Aufgabenstränge, die sich unter dem Begriff des Curating subsumieren, unter den Beteiligten aufgeteilt werden.189 Für die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ist relevant, dass seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre nicht mehr eine Einzelmarkierung beim Kuratieren favorisiert wird, sondern kuratorische Vorgehensweisen bevorzugt werden, die durch Partizipation, Prozesshaftigkeit und Vielstimmigkeit gekennzeichnet sind. Kritisch diskutiert wurde der künstlergleiche Status der Ausstellungsmacher, der ihnen seit dem Wirken von Harald Szeemann zugesprochen wird. Insbesondere das Geniekonzept der Kuratoren, ihr Produkt die Ausstellung, als die eigentliche künstlerische Leistung zu definieren und damit das Geniekonzept der traditionellen Kunstgeschichte (Sigrid Schade) erneut zum Einsatz zu bringen, wurde hinterfragt.190 Indem man sich weniger auf die Berufsbezeichnung und die Person fixiert, stellt sich Curating als eine Praxisform dar, derer sich nicht nur ausgewiesene Kuratoren bedienen können, sondern auch alle anderen im Kunstfeld tätigen Akteure. So können auch Künstler auf die Techniken des Kuratierens zurückgreifen und die bedeutungsstiftenden Verfahren steuern. Heute wird das Curating in erster Linie eher inhaltlich denn personell betrachtet.191 Aktuelle Tendenzen der letzten Jahre zeigen eine starke Diskursivierung des Feldes. Seit den 1990er Jahren gibt es eine öffentlich ausgetragene Selbstreflexion der Ausstellungsmacher. Zahlreiche Veranstaltungen zeugen von einer Evaluierung der angewandten Verfahrensweisen im Umgang mit Kunstwerken, Künstlern und Orten.192 189 Vgl. ebd. Beatrice von Bismarck forscht unter anderem zu Rollenüberschneidungen von Künstler und Kurator. Vgl. Bismarck, Beatrice v.: „Kuratorisches Handeln: Immaterielle Arbeit zwischen Kunst und Managementmodellen“, in: v. Osten, Marion (Hg.): Norm der Abweichung, Zürich 2003, S. 81–98. Und Bismarck, Beatrice v.: „Kuratorische Relationalität“, in: Müller, Vanessa Joan/Schafhausen, Nicolaus: Under Construction. Perspektiven institutionellen Handelns, Köln 2006, S. 152–158. 190 Vgl. Bismarck, Curating, a.a.O., S. 56ff. 191 Vgl. ebd. 192 Vgl. ebd. Siehe auch die Webseiten des Goethe-Instituts, auf denen die Kuratoren Deutschlands vorgestellt werden: http://www.goethe.de/kue/bku/kur/kur/deindex. htm. Zur Grundlagenliteratur des Feldes zählt: Kuoni, Carin, (Hg.): Words of Wisdom: A Curator’s Vade Mecum of Contemporary Art, New York 2001. Und: Richter, Dorothee/ Schmidt, Eva (Hg.): Curating Degree Zero, ein internationales Kuratorensymposium, Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen/Nürnberg 1999. Und: Lind, Maria (Hg.): Curating

Voraussetzungen Gestaltungsmacht des Kurators

In der vorliegenden Publikation geht es nicht um die konkrete Person des Kurators oder um eine Skizze seines Persönlichkeitsbildes,193 sondern um sein Tätigkeitsfeld und die damit verbundenen Handlungen. Auch steht das Produkt der Verfahrensweisen, die Ausstellung, im Zentrum. Es handelt sich stets um Momentaufnahmen einer Tätigkeit, nicht um die gesamte bisherige Karriere eines Akteurs oder um die Einordnung seiner Tätigkeit in das bisherige Œuvre. Von Interesse war hier die jeweilige kuratorische Lösung zu einer spezifischen Aufgabe, nämlich der Konzeption und Realisierung einer Gruppenausstellung zum Thema Religion. Wenngleich die hier ausgewählten Akteure und ihre Ausstellungen als repräsentative Beispiele des aktuellen Geschehens im Feld Curating verstanden werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die ausgewählten Personen immer so arbeiten, also stets dieselbe Ausstellungsrhetorik wählen oder ähnliche Techniken anwenden. Auch zielt die vorliegende Studie nicht darauf ab, eine Genese des Kuratierens von thematischen Gruppenausstellungen zu erstellen, da davon ausgegangen wird, dass es vielfältige Variationen und Ausformungen des Curating geben kann. Um die Ausstellungsmacher nicht zu „denunzieren“ und nicht dem „Geniekult“, das heißt einer deutlichen Fixierung auf Personen im Curating-Diskurs das Wort zu reden, konzipiert die vorliegende Studie den Kurator als „erste Person“ in Anlehnung an Mieke Bals Theorie. Die vorliegende Studie blickt klassisch auf den Kurator und nimmt ihn mit seinen Verantwortlichkeiten, Handlungsspielräumen und seiner Machtposition in den Blick.194 Gegen diese Fokussierung auf den Kurator könnte man einige Einwände vorbringen. Zum einen schreibt sie dem Kurator einen hohen Status zu, den er aufgrund zahlreicher Entdifferenzierungstendenwith Light Luggage, München 2004. Sowie: Wade, Gavin (Hg.): Curating in the 21st Century, Walsall 2000. Oder: Doherty, Claire: „Performative Curating“, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, o.O. 2007, S. 419–420. Siehe auch: Eigenheer, Marianne (Hg.): ICE Reader 1: Curating Critique, Frankfurt am Main 2007. Siehe auch: Obrist, Hans Ulrich: A Brief History of Curating, Zürich 2009. 193 Den Ausstellungsprojekten wohnt, trotz der gleichzeitigen Präsentation wissenschaftlicher Kenntnisse, immer auch ein fiktionales, subjektives Potenzial inne. In den Repräsentationen einer Ausstellung ist einerseits das Subjekt der Kuratoren eingeschrieben, selbst wenn dies mit einem „objektiven“, wissenschaftlichen Anspruch verdeckt ist. Ausstellungen können als persönliches Statement der Kuratoren verstanden werden, mit dem es sich auseinander zu setzen gilt. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 250. 194 Die Konzeption von Macht, die hier gemeint ist, versteht diese in Anlehnung an Foucault eher als fragmentiert, dynamisch und situiert. Allerdings ist es dann schwierig, Museen als manipulativ anzusehen, wie Richard Sandel betont. Die Frage danach, ob Museen versuchen, zu einem sozialen Wandel beizutragen, steht dann trotzdem im Raum. Vgl. Sandell, a.a.O., S. 9 und S. 11.

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Kuratoren und Besucher

zen und Rollenüberschneidungen im kuratorischen Feld (Kuratoren und Künstler wechseln die Rollen) sowie aufgrund wissenschaftlicher und künstlerischer Bemühungen, die Machtposition des Ausstellungsmachers zu hinterfragen, teilweise oder ganz verloren hat.195 Auf die Idee, dass es überhaupt eine Person gibt, die für andere Sinn stiftet,196 wird im Theoriekapitel eingegangen. Zum anderen gibt es auch im Arbeitsalltag eines Kurators zahlreiche Beschränkungen und Hindernisse, die nicht immer in seinem Einfluss- oder Verantwortungsbereich liegen.197 Den Fokus auf den Ausstellungsmacher zu legen, steht teilweise im Kontrast zu den Studien, die verstärkt den Besucher und die Dimension seiner Mitbestimmung in den Blick nehmen. Um zu begründen, weshalb bestimmte Ausstellungsinhalte oder -inszenierungen ihre Umsetzung gefunden haben, thematisieren einige Stimmen die Mitverantwortung der Besucher und verweisen auf ihre Erwartungshaltung und eingeübten (oft als passiv beklagten) Rezeptionsweisen.198 195 Vgl. Bismarck, Kuratorische Relationalität, a.a.O., S. 152. 196 Weitere Bedenken, die bei partizipatorischen Modellen ins Feld geführt werden, betreffen die Frage, ob man überhaupt von Kollaboration und Teilhabe sprechen könne, wenn die Hauptverantwortung ganz eindeutig nur bei einer Person liegt. Die involvierten Personen tragen keine weitere Verantwortung in der Hinsicht, dass sie das Projekt verbessern, ausbauen oder weiterverfolgen könnten. Ausstellungsbesucher können ohne schlechtes Gewissen die Situation verlassen, sie bekommen keine Namensnennung und Anerkennung als Mitarbeiter. Vgl. Lind, Maria: „The collaborative turn“, in: Billing, Johanna u.a. (Hg.): Taking the matter into common hands, London 2007, S. 25. 197 Gerade der Curating-Diskurs bringt die Arbeitsbedingungen dieser Berufsgruppe stark hervor. Dazu zählen einerseits institutionelle Beschränkungen (finanzieller, räumlicher, zeitlicher Art), der Status des Ausstellungsmachers (Gastkurator, freier Kurator oder in prekärem Beschäftigungsverhältnis), sowie die von verschiedenen Seiten (Besucher, öffentliche Auftraggeber, politische Entscheidungsträger, Kollegen und Künstler), sich oft widersprechenden Erwartungen, denen der Kurator ausgesetzt ist. Auch die oftmals als positiv konnotierte Entdifferenzierung des Feldes im Hinblick auf Hierarchien und Rollenzuschreibungen kann Widersprüchlichkeit mit sich bringen und sich auf den Umfang des Gestaltungsspielraumes negativ auswirken. Auch subjektive Gründe für das Resultat eines kuratorischen Arbeitsprozesses mögen vorliegen, wie etwa Tabus, Scham oder Trauer. Oftmals findet sich in Interviews mit den Kuratoren auch der Verweis auf die Kluft zwischen Anspruch und Umsetzung: Künstler sind vom Ausstellungsprojekt abgesprungen, Werke konnten nicht zur Eröffnung geliefert werden, bestimmte Ausstellungsformate sind professionelle Konventionen und Vorgaben, auf die aufgrund des Legitimierungsdrucks gegenüber Geldgebern und der Fachwelt etc. zurückgegriffen wird. Neue Präsentationsformate oder Experimente mit Modifikationen bergen auch Mängel, aus verschiedenen Gründen kann auch ein (Ideen-)Mangel an alternativen Formaten bei dem Kurator oder der Kuratorin vorliegen. Okwui Enwezor sieht auch die Gefahr eines Missbrauchs der Kuratoren als „propaganda tools“ für den ideologischen Zweck des Kunstmuseums. Vgl. Enwezor, Curating Beyond the Canon, a.a.O., S. 122. 198 Bräunlein schildert Vermittlungsdilemmata, die sich für Kuratoren seiner Meinung nach stellen. So würden bestimmte Inszenierungen bestimmte Erwartungen des Besuchers nach sich ziehen. Er spricht sogar davon, dass die Besucher einer religionskundlichen Sammlung von ihrem Gegenüber – der Ausstellungsführung – die Erfüllung der Rolle eines „Predigers“ erwarten würden. Vgl. Bräunlein, Peter J.: „Shiva und der Teufel

Voraussetzungen

Darüber hinaus wäre an dieser Stelle die Aufwertung der Besucherrolle zu nennen. Den Rezipienten wird mehr Spielraum im Hinblick auf die Bedeutungskonstruktion im Ausstellungsraum zugeschrieben.199 Zu nennen sind auch Einwände, dass die Ausstellungen immer erst im Kopf des Betrachters entstehen und die Rezeption sowieso nicht in der Gerichtetheit des Modells Sender – Empfänger erfolgt.200 Darin wird betont, dass sich Ausstellungen durch das Vernetzen der Handlungen multipler Autoren ereignen und diverse Akteure gleichermaßen Raumproduzenten einer Ausstellung sind.201 In der Besucherforschung (audience studies) wird das dominante Text-Modell, dem zufolge Besucher passiv und unkritisch die Botschaften aufsaugen, die ihnen geboten werden, nicht mehr länger von allen vertreten. In der Fokussierung auf die starke Macht des Besuchers liegen laut Sandell allerdings Gefahren, wenngleich immer mehr Untersuchungen diese konstruktivistische Sichtweise auf Besucher und Ausstellungen bestätigen. Denn der Einfluss der „ersten Person“ ist nicht zu unterschätzen; auch wenn die „Repräsentationen“ vieldeutig sind, formt die Rede des ausstellenden Subjekts die Wahrnehmung des Publikums. 202 Jede Repräsentation impliziert, dass es sich hierbei um ein subjektives – also ein in einem konkreten Kontext getroffenes – Statement handelt – im Falle der vorliegenden Arbeit im Kontext des Religionsdiskurses – und ihm damit ein fiktionales Potenzial innewohnt. Jeder Ausstellungsmacher zeigt eine je eigene Sichtweise und Perspektive.203 Museale Repräsentationen sind diskursive Praxis, in denen ein agierendes Subjekt seine Handschrift hinterlässt, sie sind ein Statement der jeweiligen Ausstellungs-

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– Museale Vermittlung von Religion als religionswissenschaftliche Herausforderung“, in: Bräunlein, Peter J. (Hg.): Religion und Museum. Zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum, Bielefeld 2004, S. 67. Ein Vorteil des Museums ist die Ortsgebundenheit, Besucher sind gezwungen sich zu bewegen. Durch Bewegung findet eine selbstgesteuerte Betrachtung statt: Parcours, Blickrichtung und Verweildauer werden von Besuchern selber gewählt, so erfolgt eine individuelle Zusammenstellung der Displays. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 40ff. Vgl. Mende, Doreen: „Vorwort“, in: Kühn, Wilfried (Hg.): Displayer 01, Karlsruhe 2007, S. 1. Genauso argumentiert auch Richard Sandell: Zum einen sollte die Hervorhebung des emanzipatorischen/selbstbestimmten Potentials des Besuchers im Hinblick auf seine Medien-Tätigkeit nicht angewandt werden, um den potenziellen Einfluss (und die soziale Verantwortung) der Kuratoren, die diesen kulturellen Raum direkt formen und prägen, abzuschwächen. Ausstellungen, so argumentiert Sandell, enthalten räumliche Hinweise, wenden räumliche Strategien an (auch wenn sie keine vorgegebenen, vorgeprägten Antworten bei allen Besuchern garantieren können). So können die kuratorischen Techniken trotzdem bestimmte Lesarten privilegieren und Denkweisen vorschlagen, welche Auswirkungen sie (in Sandells Fall in der Bekämpfung von Vorurteilen) haben können. Sandell verweist auch auf den Einfluss von Architekten, Designern, Pädagogen. Vgl. Sandell, Constructing and communicating equality, a.a.O., S. 185ff. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 40.

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macher.204 Dennoch geht es bei der Frage „wer spricht“ (in Anlehnung an Mieke Bals Theorie) nicht darum, einen Namen herauszufiltern oder ein moralisches Urteil zu fällen. Ziel ist vielmehr die Einsicht in kulturelle Prozesse.205 In ihrem Aufsatz schreibt Mieke Bal, dass es zuerst darum gehe, das unsichtbare „Ich“, das „Subjekt“ des (Ausstellungs-) Textes zutage zu fördern. Sie betont ganz eindeutig, dass der expositorische Akteur nicht mit den Kuratoren und dem übrigen Museumspersonal identisch ist. Die Mitarbeiter, die aktuell im Museum arbeiten, sind bloß ein winziges Bindeglied in einer langen Kette von Subjekten. Es geht also nicht um eine konkrete Person. Da das Konzept der „ersten Person“ es ermöglicht, ein sozusagen unpersönliches, diskursives Subjekt des Ausstellungstextes zu denken, arbeitet die vorliegende Studie mit diesem Ansatz. Des weiteren wird der Kurator mit seinem Handlungsspielraum in den Blick genommen, die vorliegende Publikation lässt sich also dem diskursiven Feld „Curating“ zuordnen. In vielen museologischen Studien ist die Rede vom Museum im Singular (so bei Kamel).206 Nach Meinung der Autorin bringt diese Formulierung eine homogenisierte Sichtweise auf den Arbeitsplatz Museum zum Ausdruck, die sich so nicht aufrechterhalten lässt. Der Curating-Diskurs mit seinen mannigfaltigen Selbstbezeichnungen und teils zelebratorischen Selbstbespiegelungen, wie er in zahlreichen Zeitschriften und auf Symposien deutlich wird, zeugt jedoch von einer Bandbreite an Handlungsmöglichkeiten, die den Kuratoren trotz allem zur Verfügung stehen. Darauf verweisen auch die schlagwortartigen Tätigkeitsbeschreibungen wie etwa „Minimal Curating“ (Madeleine Schuppli) oder „Deltacurating“ (Hans Ulrich Obrist). Daraus wird auch ersichtlich, dass es sich beim Curating um eine adaptive Disziplin handelt, „using and adopting inherited codes and rules of behavior“.207

2.2.3

Vermittlungssprachen

Wie sehen Ausstellungssprachen als Zeigegesten des Kurators konkret aus? Wie können diese Inszenierungsmittel klassifiziert werden? Die Botschaft einer Ausstellung kann mit unterschiedlichen Ausstellungssprachen vermittelt werden.208 Sie kommen stets als Mischformen vor. Bei Ausstellungen handelt es sich grundsätzlich um hybride Medien, so sind Aussehen, Inhalt 204 Vgl. Bal, Mieke: Double Exposures. The Subject of Cultural Analysis, London/New York, 1996 S. 2 und 49. 205 Vgl. Bal, Mieke: Kulturanalyse, Frankfurt am Main 2002, S. 81. 206 Vgl. Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., passim. 207 O’Neill, a.a.O., S. 13. 208 Vgl. Schärer, a.a.O., S. 114 und 117. Die Präsentationsform ist abhängig von der gewählten Kommunikationsabsicht des Museums. Vgl. Scholze, a.a.O., S.11.

Voraussetzungen

und konzeptionelle Umsetzung nicht voneinander zu separieren. Die Art der Inszenierung kann den Blick auf bestimmte Zusammenhänge lenken, Aussagen verstärken oder in den Hintergrund treten lassen, zu Identifikation einladen und/oder kritische Distanz fördern.209 Schärer benennt vier Ausstellungssprachen: die ästhetische, die didaktische, die theatralische und die assoziative Ausstellungssprache.210 Die ästhetische Ausstellungssprache konzentriert sich auf die formale Erscheinung der Exponate und will „Kunstgenuss“ bieten. Die Betrachter sollen sich auf das Werk einlassen und innerlich „mitschwingen“. Um eine Einmaligkeit der Objekte zu unterstreichen, erfolgt seine Vereinzelung sowie eine Reduzierung der Menge der ausgestellten Objekte. Die Objekte werden als Kunstwerke ausgewiesen, in ihrer „Schönheit“ sollen die Exponate die Betrachter direkt ansprechen und ihnen ein sinnstiftendes Erleben ermöglichen. Erklärungen zu den Gegenständen werden demnach als störend angesehen und sind daher stark zurückgenommen, d.h. von den Exponaten getrennt und optisch unauffällig. Gestaltungsmittel, die bei der ästhetischen Ausstellungssprache verwendet werden, betreffen eine geschickte Lichtregie, eine „kunstvolle“ Hängung und „vornehme Materialien“. Diese Ausstellungssprache kommt primär in Kunstmuseen zum Einsatz, wenngleich sie auch in anderen Museumsgattungen verwendet werden kann. Theoretisch ist die Inszenierung mit jedem Objekttypus möglich, allerdings liegt der Schwerpunkt hier auf der Präsentation von Originalen.211 Eine weitere Inszenierungsart stellt die didaktische Ausstellungssprache dar. Sie verweist auf die Bedeutung der Exponate und vermittelt in erster Linie Wissen. 212 Diese Ausstellungssprache trägt in gewissem Sinne imperative Elemente in sich, da sich hier beispielsweise die explizite Aufforderung zum Lernen findet. 213 Die objektivierende Lernausstellung kann normative Züge aufweisen und Verhaltensanweisungen implizieren. Indem die Gegenstände auf narrative Weise angeordnet werden, wird die Wissensvermittlung unterstützt.214 Das Lernziel kann wissenschaftlicher Art sein, es kann sich aber auch um eine subjektive Überzeugung handeln, die vermittelt werden soll.215 Zentral ist hier der ursprüngliche Kontext 209 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 250. 210 Vgl. Schärer, a.a.O., S. 123. Die assoziative Ausstellungssprache wird hier nicht thematisiert, da sie zum Verständnis der im Rahmen der Studie besprochenen Ausstellungen nicht relevant ist. 211 Vgl. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 124. 212 Schärer betont, dass die didaktische Ausstellungssprache nicht mit didaktischen Absichten zu verwechseln ist, die wohl bei fast allen Ausstellungen in irgendeiner Form vorhanden sei. Vgl. Schärer, a.a.O., S. 124f. 213 Vgl. ebd., S. 123. Imperative Aspekte finden sich hier aufgrund einer Typisierung nach Sprache bzw. der Übertragung linguistischer Kategorien. 214 Es kann außer der narrativen auch eine taxonomische, funktionelle und deskriptive Anordnung geben. 215 Vgl. Klein, Alexander: Expositum: Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit, Bielefeld 2004, S. 121.

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Kuratoren und Besucher

der Objekte, d.h. ein nicht-auratischer Realitätsbezug. Es wird angenommen, dass eine diskursive Annäherung Kenntnisse über eine auf Fakten basierende zeitgenössische Wirklichkeit ermöglicht. Die didaktische Ausstellungssprache verlangt vom Betrachter aktives Mittun und Mitdenken.216 Aus diesem Grund weisen solche Ausstellungsprojekte elektronische und audiovisuelle Inszenierungsmittel, ausführliche und klar strukturierte Texte, Grafiken und Bilder auf. Im Gegensatz zur ästhetischen Ausstellungssprache ist die Aura eines Originals hier nicht von Bedeutung, auch Kopien können eine didaktische Aufgabe erfüllen.217 Die erläuternden Medien haben hier mindestens die gleiche Gewichtung wie die zeigenden Medien. 218 Das Exponat erhält hier eine Rolle als Vermittler, wird zum Visualisierungsmittel. Im Kunstmuseum hingegen ist das Objekt die Botschaft selbst.219 Indem der Besucher didaktisch gelenkt – zum Beispiel durch eine klar strukturierte Ausstellungsnarration in Form von Erklärungstafeln – die Gegenstände betrachtet, soll der inhaltliche Aspekt der Objekte herausgestrichen werden, bspw. aktuelle (gesellschafts-)politische Zusammenhänge. Diese Ausstellungssprache bringt mit sich, dass Exponate teilweise als reine Illustration eines Textes auftreten. Diese Inszenierungsart findet sich in kulturwissenschaftlichen, historischen, ethnologischen und naturhistorischen Museen sowie in Kinderabteilungen jeden Museumstyps.220 Eine weitere Klassifizierung ist die theatralische Ausstellungssprache, worunter etwa die „Erlebnisausstellung“ zu verstehen ist. Die Schau wird als eine spielerisch zu entdeckende Welt inszeniert, welche die Objekte zu funktionellen Bestandteilen der Kulisse macht. Das Einzelobjekt verschwindet in einem Arrangement, damit ein Gesamtbild entsteht.221 Das ganze räumliche Ensemble wird somit zum Display. Diese Kulisse bietet den Entfaltungsraum für das Handeln des Rezipienten. Für die Dauer des Ausstellungsaufenthaltes kann der Betrachter eine andere Identität entfalten, beispielsweise wird er zu einem Abenteuer-Ich.222 Diese Ausstellungssprache zielt auf Erlebnisse, Stimmung und emotionale Anteilnahme 216 Diese Vorstellung drückt sich auch in Anja Sommers Aussage aus, dass das Museum eine „passiv nur schwer konsumierbare Ausstellung“ entwickeln wollte. Vgl. Sommer, Anja: „Zeitgenössische Kunst und Ethik. Beispiele aus der Ausstellung ‚Die Zehn Gebote‘“, in: Liebelt, Udo/Metzger, Folker (Hg.): Vom Geiste der Dinge. Das Museum als Forum für Ethik und Religion, Bielefeld 2005, S. 171. Allerdings ist der Aktivitätsbegriff ein anderer als in der performativen Herstellung von Bedeutung; auch im Hinblick auf die Kriterien der vorliegenden Arbeit, nämlich der tatsächlichen Partizipation. 217 Das trifft nur bedingt auf die Zehn Gebote-Ausstellung zu, hier wurde neben dem didaktischem Moment auch stark mit der Idee von „Kunst“, also dem authentischen Originalobjekt gearbeitet, wie zu zeigen sein wird. 218 Vgl. Klein, a.a.O., S. 121. 219 Vgl. Schärer, a.a.O., S. 101. 220 Vgl. ebd., S. 124. 221 Vgl. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 125. 222 Vgl. Klein, a.a.O., S. 123f.

Voraussetzungen

des Besuchers. Für ihn kann die Entdeckungstour durch Räume, die theatralischdramatisch gestaltet wurden, zu Ergebnissen von außergewöhnlicher Ergriffenheit führen und einen neuen Austausch zwischen Geschichten, Bildern und Betrachtern mit sich bringen.223

2.3

TH E O R E T I S C H E G R U N D L A G E N

2.3.1

Museum und Besucher

Wie in der Einleitung deutlich wurde, hat in den letzten Jahrzehnten eine radikale Neubewertung und Neueinschätzung der Rolle des Museums, seines Zweckes und seiner Verantwortlichkeiten stattgefunden. Zunehmend wird die Erwartung geäußert, dass diese Institution ihre Aufmerksamkeit auf die Besucherbedürfnisse (und communities) richten solle, und zwar durch die Bereitstellung einer Bandbreite unterschiedlicher Vermittlungstechniken.224 Aussagen des Kurators Charles Esche bringen den optimistischen Grundzug der Annahmen und Hoffnungen zum Ausdruck: „Im besten Fall ist das Museum immer noch ein Ort, an dem sich Menschen versammeln.“225 Damit geht auch eine Debatte um die Verfahrensweisen sowie um den prinzipiellen Diskussionspunkt einher, ob Museen sich gerade auch im Hinblick auf soziale Dimensionen neu erfinden und wiedererfinden müssten.226 Hans Belting fragt, wie das Museum zu einem Ort der Begegnung werden kann, „statt nur ein Ausstellungsort zu sein“, ein Ort einer privilegierten Raumerfahrung.227

223 Vgl. ebd. 224 Vgl. Sandell, Constructing and communicating equality, a.a.O., S. 5. Sandell weist auf seine Forschung und auf die Forschung von Janes und Conarty (2005) hin, die für ein gewachsenes Interesse an dem Potential der Museen gelten, beispielsweise als Agenten des sozialen Wandels zu wirken, Museen sollten ihre Sammlungen und andere Ressourcen darauf ausrichten, mehr in die Richtung einer gleichberechtigen Gesellschaft tätig zu werden. 225 Esche, Charles: „Europa/Euregio“. Diskussion mit Bart De Baere und Charles Esche, moderiert von Vanessa Joan Müller, in: Müller, Vanessa Joan/Schafhausen, Nicolaus (Hg.), a.a.O., S. 111. 226 Sandell verweist auf die Debatte, die in der Museologie darum geführt wurde. Vgl. Sandell, Constructing and communicating equality, a.a.O., S. 9. So nennt er Janet Marstine. Sie hebt jene Kuratoren als Beispiel eines Wandels hervor, welche die Macht teilen, indem sie einen offenen Dialog initiieren und neue Partnerschaften mit Gruppen eingehen, die zuvor nicht anerkannt waren. Sandell spricht von einem „Turn to the audience“. Vgl. ebd., S. 10. 227 Kamel zufolge stellte O’Neill schon 1993 die Forderung auf, Museen sollten als Interventionen in die Gesellschaft gesehen werden, die in aktuelle politische Diskurse ein-

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Kuratoren und Besucher „Es genügt nicht, dass da Dinge zu sehen sind. [...] Es kommt vielmehr darauf an, was wir dort machen, denn da sind, neben den Dingen und den Orten, schließlich auch wir selbst (will ich zu ‚wir selbst‘ zählen?). Was tun denn die Menschen im Museum? Und was könnten sie tun? Können sie mehr sein als Besucher? [...]. Die Orte der Begegnung und der Diskussion kommen uns abhanden.“228

Das Museum ist das einzig wirklich „interaktive Medium“, in dem der Besucher direkt mit anderen Besuchern in Verbindung kommen und über unterschiedliche Weisen, eine Ausstellung wahrzunehmen, kommunizieren kann. Museen können Diskussionen anstoßen.229 Wie in diesem Kapitel dargelegt werden soll, sieht auch Nicolas Bourriaud den Ausstellungsraum als Raum menschlicher Verbindungen.230 Museen verwenden zunehmend Techniken, die das Publikum einladen, am Prozess der kulturellen Produktion teilzuhaben. Und zwar auf eine Art, die dem Publikum nicht nur erlaubt, die eigene Bedeutung zu konstruieren, sondern diese Betrachtungen auch innerhalb des Museumssettings zu (re-)präsentieren.231 Der reine, galerietypische Ausstellungsraum weicht demnach also verstärkt Räumen für soziale Interaktion. Die Besucher werden zu aktiver Beteiligung statt zu passivem Konsum angeregt.232 Das Kunstfeld kann dabei als Überschneidungsfeld und Vermittler zwischen verschiedenen Positionen und Subjektivitäten agieren. Kunstmuseen sind unter anderem Mediatoren, Gesprächspartner, Übersetzer und Orte des Aufeinandertreffens zwischen Kunstproduktion und Bildung der „Öffentlichkeit“. Die Hauptaufgabe der sogenannten „progressiven“ Institutionen sollte die Definition und Konstitution dieser „Öffentlichkeit“ als Publikum, Community, Wählerschaft oder Potenzialität sein.233 Da es heute in Ausstellungen um partizipa-

228

229 230

231 232

233

treten, statt auf Bildung zu setzen, die durch die „Schönheit von Kunstwerken“ eine moralische Läuterung anvisiert. Vgl. Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 105. Belting, Hans: „Das Museum als Medium“, in: Mai, Ekkehard (Hg.): Die Zukunft der alten Meister. Perspektiven und Konzepte für das Kunstmuseum von heute, Köln u.a. 2001, S. 41. Selbst die Künstler haben begonnen, die frontale Situation zwischen Kunst und Betrachter aufzulösen und die Betrachter in ihre Arbeiten einzubeziehen. Vgl. ebd., S. 42. Vgl. Lepenies, Annette: Wissen vermitteln im Museum, Köln, Weimar, Wien 2003, S. 81. Vgl. hierzu Bourriaud, Relational Aesthetics, a.a.O., S. 17. Auch Waidacher sagt deutlich „nicht das Objekt, sondern das Erlebnis ist das Ziel der musealen Arbeit“. Waidacher, a.a.O., S. 129. Vgl. Sandell, Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, a.a.O., S. 103. Vgl. Doherty, Claire: New Institutionalism, in: skulptur projekte münster 07, a.a.O., S. 407. Gerade im Umfeld des New Institutionalism lässt sich eine positive Rhetorik finden: Nina Möntmann statuiert, dass Kunstmuseen in demokratische Prozesse und Diskussionen verwickelt seien. Vgl. Möntmann, Art and its institutions, a.a.O., S. 11. Vgl. Sheikh, Simon: „Öffentlichkeit und die Aufgaben der ‚progressiven‘ Kunstinstitution, in: Müller, Vanessa Joan/Schafhausen, Nicolaus (Hg.), a.a.O., S. 194ff. Siehe

Voraussetzungen

torische Ansätze und Kontextualisierungen geht, sollen im Folgenden die Diskurse um Partizipation vorgestellt werden, in denen die Hinwendung zum Besucher (turn to the audience) zum Ausdruck kommt.234 Damit sollen aber nicht nur die partizipatorische Kunst im speziellen thematisiert werden, sondern partizipatorische Projekte im Allgemeinen, das heißt auch ganze Ausstellungen.

2.3.2

Partizipation

Partizipationsdiskurs

Unter dem Schlagwort „Partizipation“ wird eine ganze Reihe an Phänomenen subsumiert – von der Rezeptionsästhetik (alle Rezipienten legen auch einen Teil von sich in die Kunstwerke beziehungsweise Texte hinein) bis zum basisdemokratischen Gedankengut, dass alle Bürger an der Kulturproduktion teilhaben sollen. So wurde der Begriff im Kunstfeld bereits auf mannigfaltige Weisen beansprucht.235 Seit den 1950er Jahren hat die Art und Weise, das Publikum einzubeziehen, unterschiedliche Züge angenommen: „[...] von der ‚psycho-organischen‘ Aktivierung innerhalb skulpturaler Arrangements bis hin zur Bloßstellung von Gender-Stereotypen in der Performance-Kunst; von der Fluxus-beeinflussten Instruierung, bestimmte Aktionen zu vollziehen, bis hin zur statistischen Erhebung von Besucherprofilen; schließlich von der Delegation des künstlerischen Akts an Amateure bis hin zur therapeutischen oder selbstermächtigenden Arbeit mit gesellschaftlichen Randgruppen“236

auch ders.: „Constitutive Effects: Techniques of the Curator“, in: O’Neill, Paul (Hg.): Curating Subjects, London 2007, S. 176. Demnach ist Curating das Organisieren von Öffentlichkeiten und „ist auch immer Umgang mit dem Publikum.“ Für Doreen Mende ist Curating etwas in die Öffentlichkeit bringen, eine Öffentlichkeit erzeugen. Vgl. Mende, a.a.O., S. 1. Siehe auch Möntmann dazu; sie behauptet: Ausstellungen wollen neue Öffentlichkeiten generieren, statt einen outreach zu machen. Vgl. Möntmann, Art and its institutions, a.a.O., S. 10f. Zu verweisen ist auch auf den Diskurs um Öffentlichkeit. Folgende Publikationen sind hierzu interessant: Babias, Marius/Könneke, Achim: Die Kunst des Öffentlichen, Dresden 1998. Siehe auch: Babias, Marius: „Öffentlichkeit/ en“, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, o.O. 2007, S. 412f. 234 Vgl. Jaschke, Beatrice u.a.: „Vorwort“, in: dies. u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 10. Partizipation wird hier als ein Verfahren zwischen Zielgruppenakquise und Self-empowerment verstanden. 235 Höller denkt den Partizipationsbegriff von der Adressaten-Seite aus, so konstatiert er, dass es bei diesem um die vielfältigen Möglichkeiten geht, „die ein Adressant gegenüber einem Objekt, Projekt oder Ausstellungsambiente an den Tag legen kann“. Höller, Christian: „Partizipation“, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, o.O. 2007, S. 418f. 236 Höller, ebd., S. 418.

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Kuratoren und Besucher

reicht die Spannweite.237 Für die 1990er Jahre wurde ein „partizipatorischer Wechsel“ (participatory turn) ausgemacht.238 So zeigen unterschiedliche Kunstströmungen wie etwa die kollaborative Richtung 239 oder dialogische Kunst, 240 dass diese Positionen den Mainstream betreten haben.241 Relationale und/oder sozial engagierte Praktiken haben sich zu dominanten Strängen der zeitgenössischen visuellen Kunst entwickelt. Ebenso haben sie den theoretischen Diskurs geprägt und eigene soziale Netzwerke ausgebildet.242 Zur gleichen Zeit wie die relationale Ästhetik, auf die im anschließenden Abschnitt ausführlicher eingegan237 In der vorliegenden Studie soll die Vorgeschichte partizpatorischer Projekte und Ansätze nicht nachgezeichnet werden. Zu denken wäre hier etwa an die Konstruktivisten und Produktivisten als prä-partizipatorische Kunst, auch El Lissitzky und die Dadaisten werden oft in diesem Zusammenhang genannt. Auf Cage verweist Kravagna. Vgl. Kravagna, Christian: „Arbeit an der Gemeinschaft. Modelle partizipatorischer Praxis“, in: Babias, Marius/Könneke, Achim (Hg.): Die Kunst des Öffentlichen, Dresden 1998, S. 31. Laut Suzanna Milevska würden diese schon vor den 1990er Jahren realisierten Phänomene und Ausformungen oft übersehen. Vgl. Milevska, Suzanna: „Partizipatorische Kunst – Überlegungen zum Paradigmenwechsel vom Objekt zum Subjekt“, in: springerin, Band XII, Heft 2, Wien 2006, S. 20. Auch die Veranstaltungen von Fluxus und Happening zielten auf Teilnahme des Publikums, verblieben allerdings in den von Künstlern vorkonzipierten Bahnen. Eine Analyse der sechziger, siebziger Jahre stellt Bluncks Studie dar: Blunck, Lars: Between Object & Event. Partizipationskunst zwischen Mythos und Teilhabe, Weimar 2003. Stella Rollig sieht ein größeres Forschungsdesiderat hinsichtlich der Historie von Aktivismus und Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts vor. Sie spricht von einer anderen Kunstgeschichte mit dem Fokus auf partizipatorische Unternehmungen mit kritisch-emanzipatorischer Intention. Vgl. Rollig, Stella/Sturm, Eva: „Einführung“, in: dies. (Hg.), a.a.O., S. 20. 238 Vgl. Milevska, a.a.O., S. 20. In den 1990er Jahren hat der kommunikative Aspekt von Kunst eine große Rolle gespielt. Siehe auch Osten, Marion von: „A Question of Attitude. Changing Methods, Shifting Discourses, Producing Publics, Organizing Exhibitions“, in Sheikh, Simon (Hg.): In the Place of the Public Sphere?, Berlin 2005, S. 142ff. Von Osten schreibt, dass dem Besucher normalerweise eine stille und passive Rolle zugeteilt wird, Ausstellungspraktiken der 1980er und frühen 1990er Jahren jedoch kreierten Kunsträume als neue Gegenkulturräume und soziale Räume. 239 Unter Kollaborationen fasst Maria Lind jegliche Art von Zusammenarbeit, bei der bewusste Partnerschaften, also jegliche Arten intendierten Austauschs und Prozesse des Zusammenarbeitens, von Interaktion bis Partizipation, entstehen. Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 15. Und: Bismarck, Beatrice v.: „Team work und Selbstorganisation“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 279–282. 240 Kester beschreibt, was dialogische oder Konversationskunst macht: Sie erlaubt dem Betrachter, dem Künstler in gewisser Weise zu antworten und mit dieser Antwort tatsächlich ein Teil des Werkes selbst zu sein. Vgl. Kester, Grant: Conversation Pieces: Community and Communication in Modern Art, Berkeley 2004. S. 88. Muttenthaler/ Wonisch definieren Partizipation folgendermaßen: Betrachter antworten durch Lesen, Beschweren und Diskutieren auf die Ausstellung. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 41. 241 Vgl. auch Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 17f. 242 Vgl. Doherty, New Institutionalism, Readertext, a.a.O. Außerdem erschienen in Budak, Adam (Hg.): Protectonia. Das ist keine Ausstellung, Ausstell. Kat. (Reader), Graz 2006.

Voraussetzungen

gen werden soll, entstanden auch andere Konzepte zu relationalen Praktiken, wie etwa new genre public art von Suzanne Lacy oder connective aesthetics von Suzy Gablik. Die meisten dieser Interpretationen von kollaborativer Kunstpraxis sowie die Kunstwerke, auf die sich diese Theorien beziehen, zirkulieren seit einigen Jahren.243 Diese Entwicklung wird von Vertretern des New Institutionalism244 mit ihren eigenen Ansätzen zusammengebracht. Claire Doherty schildert, dass sich der New Institutionalism in den späten 1990ern von der historischen Institutionskritik unterscheide und verweist dabei auf partizipatorische Ansätze.245 So heißt es im Zusammenhang mit dem New Institutionalism, dass er sich durch folgende Merkmale definiere: „[...] der reine, galerietypische Ausstellungsraum weicht Räumen für soziale Interaktion, die Besucher werden zu aktiver Beteiligung statt zu passivem Konsum angeregt.“246 Als Erklärung für die Virulenz der Partizipationsdiskurse werden in der Literatur unterschiedliche Gründe angeführt. Christian Höller zufolge scheint dieser Themenkomplex „[...] historisch immer dann virulent zu werden, wenn die Distanz eines in neutralem Rahmen präsentierten und damit per se entrückten Objektes zu seinem Publikum zu groß zu werden droht.“247 Kravagna hingegen führt an, dass „‚Partizipation‘ als Praxis oder Postulat in der Kunst des 20. Jahrhunderts immer dort eine Rolle [spielt], wo es um die Selbstkritik der Kunst geht, um die Infragestellung des Autors, um die Distanz der Kunst zum ‚Leben‘ und der Gesellschaft.“248 Die partizipativen Strömungen – hier die relationale Ästhetik, new genre public art und connective aesthetics – ordnet Maria Lind zur new media critique und kommentiert, dass diese community stark von einer Sehnsucht nach einer anderen Art von Gesellschaft bestimmt sei, die auf Teilhabe und Kooperation basiere.249 Speziell im Hinblick auf die relationale Ästhetik konstatiert sie, dass diese im Zusammenhang mit der Spektakularisierung der 1980er gesehen werden müsse, das heißt im Kontext von commodification und sales boom.250 Mit der Idee von Partizipation werden abhängig von den jeweiligen ideologischen Hintergründen unterschiedliche Erwartungen im Hinblick auf eine Veränderung verbunden. Zu denken wäre da etwa an die Vorstellung einer „Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis“ (revolutionärer Ansatz), der Demokratisierung der Kunst (reformatorischer Anspruch) sowie Vorstellungen, die eher spielerisch und/oder didaktisch ausgerichtet sind und auf eine Wahrnehmungs- und Bewusstseinsver243 Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 23. 244 Vgl. zum Begriff Claire Doherty, New Institutionalism, in: skulptur projekte münster 07, a.a.O., S. 407. 245 Vgl. Doherty, New Institutionalism, Readertext, a.a.O. 246 Doherty, New Institutionalism, in: skulptur projekte münster 07, a.a.O., S. 407. 247 Höller, a.a.O., S. 418–419. 248 Kravagna, Arbeit an der Gemeinschaft, a.a.O., S. 30f. 249 Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 19. 250 Vgl. ebd., S. 24.

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Kuratoren und Besucher

änderung abzielen (Konzept von eher weniger politischem Gehalt).251 Wenngleich alle Ansätze der Teilhabe sehr unterschiedlich sind, teilen sie die Vorstellung einer Aufhebung von etwas. Das kann entweder die „Aufhebung der Distanz zwischen Produzent und Rezipient, die Trennung von künstlerischen und nicht-künstlerischen Verhaltensweisen, schließlich der Grenzen zwischen Kunst und alltäglicher, beziehungsweise sozialer Umwelt“ 252 meinen. Partizipation zielt in ihrer aktuellen Form „auf die Herstellung neuer Kollektivitäten, auf die Schaffung ephemerer Interessens- und Aktionsgemeinschaften ohne anhaltende identifikatorische Basis“.253 Ob dadurch tatsächlich neuen Adressatengruppen die Teilhabe an kulturellen Prozessen eröffnet wird, bleibt ebenso abzuwarten wie die konkrete Gestalt, die diese partizipativen Projekte in der Realität annehmen könnten.254 Auch Lind konstatiert, dass die gegenwärtigen, ganz aktuellen Strömungen sich mit anderen Arten des Zusammenkommens auseinandersetzen, und zwar mittels geteilter Interessen255 oder auch gemeinschaftlicher Erforschung von Bedeutung. Generell ist festzuhalten, dass diese Kunstrichtungen – von new genre public art bis connective aesthetics und dialogische Kunst – sich auf die Beziehungen zwischen dem Werk und der Öffentlichkeit sowie Formen der Teilhabe und das Soziale konzentrieren. Hier geht es ferner darum, zusätzliche Bedeutungs- und Reflexionsebenen gegenüber Kunst aufzumachen, die Kontemplation und Objektfixierung hinter sich lassen.256 Im Konkreten lässt sich der Ruf nach Teilhabe in der Kunst mit verschiedenen Agenden verbinden. Die erste betrifft das Verlangen, ein aktives Subjekt zu kreieren, eines, das durch die physische oder symbolische Teilnahme empowered wird. Die Hoffnung ist hier, dass das frisch emanzipierte Subjekt der Teilnahme sich nun selbst in der Lage befindet, seine eigene soziale und politische Realität zu bestimmen. Bishop leitet für eine Ästhetik der Partizipation deshalb Legitimität von einer (herbeigesehnten) kausalen Beziehungen zwischen der Kunsterfahrung und indi251 Vgl. Kravagna, Arbeit an der Gemeinschaft, a.a.O., S. 32. Der Untersuchung geht es um didaktische und bewusstseinsverändernde Ansprüche. 252 Höller, a.a.O., S. 418. Aufhebung betrifft bei der vorliegenden Studie die soziale Spaltung. 253 Ebd., S. 419. 254 Vgl. ebd. Der Autor bemerkt, dass dabei auf eine Vorstellung von Öffentlichkeit oder auch community rekurriert wird, die weniger als konkreter Begriff fungiert, sondern eher als Situation erst hergestellt werden muss. „Doch erst wenn hinter diesen Nullpunkt partizipatorischer Kunst zurückgegangen wird, dieser selbst hinterfragt wird, kann ein längerfristiger und nicht auf festgelegte Rollen vertrauender Austauschprozess in Gang kommen“, so Höller, ebd. 255 Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 16. Ferner sieht sie aktuelle Partizipationsaktivitäten als Bemühungen, auf alternative Art Wissen zu produzieren. Siehe auch Mörsch, Queering, a.a.O., S. 33. Mörsch verweist unter dem Schlagwort „Queering“ auf die Strategie, nicht über Identitäten, sondern über Praktiken und Handlungen zu sprechen am Beispiel von progressiven AIDS-Aufklärungsprogrammen. 256 Vgl. Doherty, New Institutionalism, in: skulptur projekte münster 07, a.a.O, S. 407.

Voraussetzungen

vidueller/kollektiver Tätigkeit ab.257 Auch Maria Lind streicht hervor, dass eine Zusammenarbeit zu Emanzipation verhelfen soll.258 Die Einladung zur Teilnahme ist auf Partizipation, jedoch nicht auf Emanzipation angelegt.259 Erstrebenswert wäre, „den Benachteiligten Mittel an die Hand [...] [zu geben], und zwar zum Verständnis der machtbasierten Konstruiertheit der jeweils eigenen Identitätszuschreibungen wie nationale Identität, Klassenidentität etc. Es geht um die Bereitstellung von Mitteln zur Selbstermächtigung mit dem langfristigen Zweck sozialer und politischer Veränderung.“260

Das zweite Argument betrifft die Autorschaft, denn die Geste, „Kontrolle abzugeben“ wird normalerweise als „gleichberechtigter“ und „demokratischer“ angesehen, als die Fertigung eines Werkes durch einen einzelnen Künstler.261 Der dritte Punkt behandelt eine wahrgenommene Krise von Gemeinschaft und kollektiver Verantwortlichkeit, wie sie auch etwa von Nicolas Bourriaud als Grund für das Aufkommen der relationalen Ästhetik aufgeführt wird. Diese drei Beweggründe – Aktivierung, Autorschaft und Gemeinschaft – sind die drei am meisten zitierten Motivationen für nahezu alle künstlerischen Versuche, Partizipation in der Kunst seit den 1960ern zu ermuntern.262 Wie oben bereits im Zusammenhang mit der Idee der Aufhebung erwähnt, gehen partizipatorische Ansätze davon aus, dass es einen hierarchischen Unterschied zwischen dem Hersteller der Arbeit und dem Rezipienten gibt – auch wenn sich Bemühungen abzeichnen, dem Betrachter einen wichtigen Teil der Entwicklung des Kunstwerkes zu übertragen, womit der Fokus stärker vom Produzenten auf den Rezipienten verschoben wird.263 Ganz deutlich streicht dies Christian Kravagna hervor, der bemerkt, dass die „Aktivierung und Beteiligung des Publikums [...] die Transformation des Verhältnisses zwischen Produzenten und Rezipienten in dessen traditioneller Variante der Werk-Betrachter-Beziehung [bezweckt]. Deren eindimensionale, hierarchische ‚Kommunikationsstruktur‘ produziert einen konsumistischen, distanzierten Betrachter. Die Intention der Auflösung dieser Situation in eine

257 Vgl. Bishop, Claire: „Introduction, Viewers as Producers“, in: dies. (Hg.): Participation, London 2006, S. 12. Im Anschluss an diese Umschreibungen verweist Bishop auf Debord und seine Ausführungen zum Spektakel und zum Bretchschen Theater, wofür sie stark kritisiert wurde. 258 Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 17. 259 Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 20ff. 260 Ebd., S. 29. 261 Siehe zu Kollaborationen Maria Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 387f. 262 Vgl. Bishop, Participation, a.a.O., S. 12. 263 Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 23.

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Kuratoren und Besucher Dynamik der Wechselseitigkeit entwickelt sich entlang einer Kritik der rein visuellen Erfahrung und zielt häufig auf die Aktivierung des Körpers als Voraussetzung von Beteiligung.“264

Bezogen auf Institutionen umschreibt Nina Möntmann, wie hier partizipatorische Grundzüge aussehen könnten: „Die Rolle einer relationalen Institution kann darin liegen, institutionelle Netzwerke zu entwerfen oder sich selbst als Netzwerk zu begreifen, in dem unterschiedliche Öffentlichkeiten und künstlerische Realitäten aufeinandertreffen.“265 Begegnungen können hergestellt und unterstützt werden, indem Teilnehmer rekrutiert, Zuseher, Gesprächspartner und Mitarbeiter so weit gebunden werden, dass sie die Projekte und Arbeiten als autonome Sinneinheiten innerhalb der Logik einer Ausstellung erfahren; indem Möglichkeiten produziert werden, die ein neues Verständnis und Reaktionen auf den Kontext erlauben und mögliche Resultate über die Event-Ausstellung hinaus in Gang gebracht werden. Dies erfordert jedoch Technik: gefragt ist ein grundlegendes Verständnis der Ästhetik des gegenseitigen Austauschs.266 Falls eine Institution Einladungen ausspricht, hängt es also dann von der konkreten Gestaltung der Kooperation ab, „ob Paternalismus oder Emanzipation oder vielleicht auch nur Indifferenz die Situation dominieren.“267 Von Nachhaltigkeit und Resultaten, die über eine Ausstellung hinaus in Gang gebracht werden, spricht auch Irit Rogoff. Die Art der Partizipation, die sie hier meint, geht über die ästhetische Identifikation innerhalb der Grenzen eines für künstlerische Praktiken reservierten Raums hinaus und bildet ein Modell, in dem dieser Raum unvorhergesehene Praktiken der politischen Kultur mobilisiert. 268

Definition Partizipation

Der Partizipationsbegriff, mit dem die vorliegende Studie arbeitet, ist eine Synthese mehrerer Definitionen.269 In einem allgemeinen Sinne ist unter Partizipation die Teilhabe einer Gruppe oder eines Individuums an Entscheidungs-

264 Kravagna, Arbeit an der Gemeinschaft, a.a.O., S. 31. Kravagna zitiert hier Benjamins „Schule asozialen Verhaltens“. 265 Möntmann, Nina: „Relationale Ästhetik“, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, o.O. 2007, S. 436. 266 Vgl. Kwon, Miwon: One Place After Another: Site-Specific Art and Locational Identity, Cambridge/London 2004. Dafür ist die Ausstellung als Situation nötig. 267 Mörsch, Queering, a.a.O., S. 33. 268 Vgl. Rogoff, Wegschauen, a.a.O., S. 105. 269 Christian Kravagna betont, dass in dem Partizipationsdiskurs generell Kombinationen zwischen Begrifflichkeiten existieren, Übergänge fließend und strikte Kategorisierungen wenig hilfreich sind. Vgl. Kravagna, Arbeit an der Gemeinschaft, a.a.O., S. 30.

Voraussetzungen

prozessen oder Handlungsabläufen in übergeordneten Strukturen gemeint.270 Noch konkreter auf das Kunstfeld bezogen würde Partizipation bedeuten, dass es sich hierbei um das Experiment der Aktivierung bestimmter Beziehungen handelt, welche entweder von Künstlern oder Kunstinstitutionen angestoßen und gesteuert werden. Teilweise sind diese Beziehungen das primäre Ziel bestimmter Kunstprojekte.271 Kravagna zufolge kann man partizipatorische Praktiken tendenziell in zwei Richtungen – nämlich hinsichtlich Interaktivität und kollektivem Handeln – abgrenzen. Interaktivität meint mehr als nur ein reines Angebot zur Wahrnehmung eines Werkes, da Interaktivität eine Spannweite an Reaktionen gegenüber diesem erlaubt. Allerdings ermöglicht Interaktivität keine elementare Beeinflussung der Struktur der künstlerischen Arbeit. 272 Der Partizipationsbegriff basiert auf einer Unterscheidung zwischen Rezipient und Produzent und zielt auf die Einbeziehung der Rezipierenden. Diese erhalten die Möglichkeit, gestaltend an der Konzeption oder am weiteren Verlauf der Arbeit mitzuwirken. Partizipatorische Projekte zielen in vielen Fällen auf Gruppensituationen, interaktive Vorhaben richten sich an Individuen.273 Bei der Idee von Partizipation soll es also nicht um ein naives Mitbestimmungsparadigma gehen im Sinne eines simplen Knöpfedrückens im Ausstellungsraum, sondern um eine Teilhabe, die Intervention ermöglicht, statt die dominanten Erzählweisen zu reproduzieren und Beteiligung zu simulieren.274 Auch der Begriff von Partizipation, der in der vorliegenden Publikation verwendet wird, geht von einer Distanz und Barriere aus, die aufgehoben werden soll. Einerseits zwischen Kunst(raum), sozialer Umwelt und Außenraum (also den Bezügen zur Außenwelt, dem realen Leben), andererseits zwischen Besucher und Produzent beziehungsweise zwischen Besuchern untereinander. Ferner finden sich auch die Gegensatzpaare „aktiv-passiv“, „wissend-unwissend“. Allgemeiner gesprochen, geht es in der Studie um das intendierte Herstellen von Bezügen und Verbindungen. Im Blickpunkt steht also die Frage nach einem „Mehr“ im Ausstel270 Vgl. Wege, Astrid: „Partizipation“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 236. 271 Vgl. Milevska, a.a.O., S. 21. 272 Unter kollektiver Praxis wird die konzeptionelle Arbeit, Produktion und Ausführung von Aktivitäten oder Kunstwerken gefasst, welche von mehreren Akteuren vorgenommen wird, allerdings findet hier keine Unterscheidung statt, welchen Status die Beteiligten erhalten. Vgl. Kravagna, Arbeit an der Gemeinschaft, a.a.O., S. 30. Die Frage nach kollektiver Praxis ist für die vorliegende Arbeit nicht relevant. 273 Vgl. ebd. Lind teilt die Einschätzung von Kravagna nicht. Für sie bedeutet Interaktion, dass mehrere Leute miteinander interagieren oder auch dass ein Individuum einen Knopf drückt. Allerdings assoziiert sie Partizipation ebenfalls mehr mit der Erschaffung eines Kontextes, in dem Teilnehmer an etwas partizipieren, was jemand anderes geschaffen hat, aber wo es trotzdem Möglichkeiten gibt, auch Auswirkungen beizusteuern. Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 17. 274 Vgl. Mörsch, Queering, a.a.O., S. 32.

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lungsraum. Hier betrifft es die tatsächlichen zwischenmenschlichen Austauschprozesse, die in den Ausstellungen stattfinden, wobei sich die Beziehungen in einem realen statt symbolischen (oder privaten) Raum abspielen sollen.275 Es wird davon ausgegangen, dass eine Person einen Austausch stiftet, also eine Aktivierung anstößt und den Rahmen dafür organisiert und anbietet. Allerdings macht sie es auf eine Weise, die dann eine Emanzipation davon ermöglicht. Die Beteiligten können sich also aus der hierarchischen Situation lösen. Das Verständnis, von dem hier ausgegangen wird, rekurriert zunächst einmal auf Aktivierung überhaupt, auf die Zielvorstellung eines aktiven Subjekts, auf die Herauslösung aus einem hierarchischen Kontext, nämlich, sich als Betrachter als gleichwertiger Dialogpartner im Verhältnis zur Ausstellung und zum Kurator zu erleben. Der hier verwendete Partizipationsbegriff basiert dennoch nicht auf der Idee, dass Betrachter ein Projekt – in diesem Fall die Ausstellung – verbessern, ausbauen oder weiterverfolgen können. Es geht nicht um die gemeinsame Fertigung der Ausstellung. Dem Verständnis der Autorin nach sollen sich Ausstellungsbesucher im Schauraum begegnen können, gemeinsam etwas erleben. Die Anwesenden sollen sich aktiviert, motiviert und befähigt (empowered) fühlen. Dabei ist eine kollektive Adressierung wünschenswert, wobei bereits die Aktivierung des Einzelnen als Erfolg gewertet wird (Offenlegung ist einfach, Aktivierung schwieriger). Hier geht es also um unterschiedliche Gesten, die auf einer bewussten Partnerschaft basieren: Interaktion, Partizipation, Gruppenaktivitäten oder eine andere Art von intendiertem Austausch und Prozesse des Zusammenarbeitens.

2.3.3

Relationale Ästhetik

Der Ansatz von Nicolas Bourriaud

Die relationale Ästhetik ist eine Theorie, die auf den französischen Kurator und Kunstkritiker Nicolas Bourriaud zurückgeht.276 Erstmalig brachte die Ausstellung Surfaces de réparation den Begriff relational aesthetics als Bezeichnung für die hier präsentierten Kunstwerke hervor.277 Nicolas Bourriaud entwickelte den Begriff weiter und stellte diesen in seiner Ausstellung Traffic (1996) in den Mittelpunkt. Der Kurator argumentierte im Einführungstext des Ausstellungska275 Zu fragen wäre, ob auch eine symbolische oder psychische Teilhabe und Verbundenheit ausreichend ist. 276 Siehe Bourriaud, Nicolas: Esthétique Relationnelle, Dijon 1998. In Englisch erschienen 2002. 277 Vgl. Troncy, Éric: „Discourse on Method“, in ders. (Hg.): Surface de Réparations, Ausstell. Kat. Dijon 1994, S. 56. Bereits in dieser Ausstellung hatte Èric Troncy die gezeigte Kunst mit dem Begriff bezeichnet.

Voraussetzungen

taloges für den Begriff als programmatische Bezeichnung für die Kunstproduktion der 1990er Jahre.278 Bourriaud sieht relationale Kunstwerke in Verbindung mit der „kapitalistischen Kontrollgesellschaft“. Ein zentraler Punkt, auf den sich Nicolas Bourriaud hierzu in seiner relationalen Ästhetik bezieht, stammt von Guy Debords Hauptwerk Die Gesellschaft des Spektakels.279 Insbesondere geht es um dessen Behauptung, eine kapitalistische Gesellschaft sei eine Gesellschaft, in der menschliche Beziehungen nicht mehr direkt erfahren würden. Die Kommunikations- und Informationssysteme, so Debord, würden Macht ausüben und die Lebensbereiche der Menschen in überwachte Zonen trennen. Jene Systeme würden zum Zwecke der Gewinnmaximierung auch die sozialen Systeme organisieren, was einen Zustand zwischenmensch licher Entfremdung zur Folge habe.280 So schreibt Bourriaud: „These days, communications are plunging human contacts into monitored areas that divide the social bond up into (quite) different products.“281 Künstlerische Projekte zielen darauf ab, getrennte Sphären wieder zu verbinden: „Artistic activity, for its part, strives to achieve modest connections, open up (One or two) obstructed passages, and connect levels of reality kept apart from one another.“282 Der Kernpunkt der These Bourriauds ist daher die Bezeichnung des Kunstwerks als relational, nämlich Beziehungen schaffend: „Art [is] taking as its theoretical horizon the realm of human interactions and its social context, rather than the assertion of an independent and private symbolic space.“283 Es geht also nicht um den privatisierten Raum der Moderne, um Kunst, die einen unabhängigen, privaten, symbolischen Raum einnimmt. Relationale Kunst bezieht sich vielmehr auf die Möglichkeiten der Umgebung und das Publikum. Die Kunstwerke kreieren somit ein soziales Umfeld, in dem Menschen zusammenkommen können, um an einer geteilten Aktivität teilzunehmen. In Übereinstimmung mit Debords Kritik an der Repräsentation der Welt und ihrer Vermittlung fragt Bourriaud, ob es noch möglich sei, Beziehungen zur Welt herzustellen, und zwar in einem praktischen Bereich der Kunstgeschichte, der traditionell für deren Repräsentation reserviert ist. Für ihn liegt die Antwort auf diese Frage in den Beziehungen, die Künstler durch 278 Siehe Bourriaud, Nicolas (Hg.): Traffic, Ausstellungskatalog, Bourdeaux 1996. „relational aesthetics“ („esthétique relationelle“) wurde auch in den Documents sur l`art 7, Frühjahr 1995, verwendet. Im Folgenden rekurriert die Autorin vor allem auf: Bourriauds Essaysammlung „Relational Aesthetics“, Dijon 2002. Den Begriff „Relational Art“ verwendet Bourriaud in der Ausstellung Touch. Relational Art from the 90s im Museum of Modern Art, San Francisco 2002. Antje Krause-Wahl geht zum Verständnis der Herausbildung des Begriffs auf den Kunstkontext in Frankreich Anfang der 1990er Jahre ein: Vgl. Krause-Wahl, Konstruktionen, a.a.O., S. 149. 279 Vgl. Debord, Guy: Die Gesellschaft des Spektakels, Hamburg 1978. 280 Vgl. Bourriaud, Relational Aesthetics, a.a.O., S. 9. 281 Ebd., S. 8. 282 Ebd. 283 Ebd., S. 14.

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ihre künstlerischen Aktivitäten als soziale Zwischenräume etablieren können.284 Unter Relationen definiert Bourriaud die durch das Kunstwerk zustandekommenden Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen, zwischen Künstlern und der Welt sowie zwischen Betrachtern und der Welt. Deshalb stünden in der Kunstproduktion nun die Produktionsprozesse, in die Künstler und Rezipienten involviert seien, im Vordergrund, und nicht mehr die Objekte an sich. Besonders markant sei für die aktuelle Kunst, dass diese die Kommunikationsstrukturen übernehme, das heißt Netzwerke produziere. Dadurch werde die durch die Kommunikationstechnologien ausgeübte Macht subversiv gewendet. Das heißt, dort stehe der direkte zwischenmenschliche Kontakt im Vordergrund statt eines Austauschs zwecks Gewinnmaximierung: „Over and above its mercantile nature and its semantic value, the work of art represents a social instice.“285 In logischer Konsequenz versteht er den Ausstellungsraum als „[...] space in human relations which fits more or less harmoniously and openly into the overall system, but suggests other trading possibilities than those in effect within this system. This is the precise nature of the contemporary art exhibition in the arena of representational commerce: it creates free areas, and time spans whose rhythm contrasts with those structuring everyday life, and it encourages an inter-human commerce that differs from the ‚communication zones‘ that are imposed upon us.“286

An anderer Stelle schreibt er, dass gerade die Ausstellung der besondere Raum sei, wo solch unmittelbare Gruppierungen auftreten können, er sieht eine Ausstellung als „a specific arena of exchange“.287 Bourriaud stellt des weiteren eine Typologie vor, in der er unterschiedliche Relationen benennt, die jeweils mit Beispielen untermauert werden:288 Als „Verbindungen und Zusammentref fen“ (connections and meetings) definiert Bourriaud all jene Aktivitäten, die eine konkrete Vereinbarung in zeitlicher Hinsicht mit dem Besucher voraussetzen. Hier wird das Publikum durch den Künstler zusammengebracht. Das Kunstwerk ist somit nicht mehr jederzeit konsumierbar und offen für eine allgemeine Öffentlichkeit. Unter der Rubrik „Geselligkeit und Begegnungen“ (conviviality and encounters) benennt er zum Beispiel Kunstwerke, die einen Rahmen für Begegnungen schaffen: „A work may operate like a relational device containing a certain degree of randomness, or a machine provoking and managing individual and group encounters.“289„Kollaborationen und Verträge“ (collaborations and contracts) 284 285 286 287 288 289

Vgl. ebd., S. 15. Dies ist seiner Ansicht nach eine Auswirkung der Urbanisierung. Ebd., S. 16. Ebd. Ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 29–40. Ebd., S. 30.

Voraussetzungen

bezeichnen Arbeiten, die thematisch Soziabilität behandeln oder Werke sind, die Soziabilität erzeugen. Unter dem Schlagwort „professionelle Beziehungen: Kunden“ (professional relations: clienteles) werden Projekte gefasst, bei denen Künstler Dienstleistungen anbieten, um sich im Bereich der Warenproduktion zu engagieren. „Wie eine Galerie besetzen“ (how to occupy a gallery) drückt aus, wie künstlerische Arbeiten innerhalb einer Institution versammelt werden, die jedoch nicht von der Institution vorgegeben werden. Zur Betonung dieser neuen künstlerischen Aktivitäten zieht Bourriaud eine Trennlinie zu repräsentationskritischen Projekten. Repräsentationskritische Projekte, so Bourriaud, stellen Bilder und Informationen zusammen, um auf gesellschaftliche Zustände aufmerksam zu machen. Bei relationalen Kunstwerken geht es dagegen in erster Linie um die Initiierung und Thematisierung von Austauschprozessen und nicht lediglich um deren Abbildung. Im Extremfall würden Werke den Rezipienten nur noch den Handlungsrahmen oder Anleitungen für ihre Vorgehensweise vorgeben. Das Kunstwerk soll nicht mehr eine imaginäre utopische Realität formen, sondern Lebenswege und Modelle für eine Aktivität in der realen Welt aufzeigen.290 Die künstlerische Produktion „[...] high-light(s) social methods of exchange, interactivity with the onlooker within the aesthetic experience proposed to him/her, and communication processes, in their tangible dimension as tool for linking human beings and groups to one another.“291 Für seine theoretischen Ausführungen stützt sich Bourriaud vor allem auf Felix Guattari. Mit Verweis auf Guattari geht Bourriaud im letzten Kapitel seines Buches auf die Rolle der Subjektivität in der Informationsgesellschaft ein. So schreibt er, dass es notwendig sei, andere Subjektivitätsformen innerhalb des kollektiven Arrangements zu erzeugen, wenn Subjektivität und Subjekt in einem durch ökonomische Strukturen bestimmten System kollektiv konstruiert werden.292 Bourriaud zufolge kann hier die Kunstproduktion eine tragende Rolle spielen, denn die durch relationale Kunst entwickelten Beziehungen können als Mikro-Politik gesehen werden: „Social utopias and revolutionary hopes have given way to everyday micro-utopias and imitative strategies, any stance that is ‚directly‘ critical of society is futile, if based on the illusion of a marginality that is nowadays impossible, not to say regressive.“293 Relationale Kunst ist demzufolge ein utopischer Gegenentwurf des Informationszeitalters, ein Ort für die Herausbildung neuer Soziabilität und neuer Subjektivitäten.

290 291 292 293

Vgl. ebd., S. 13. Vgl. Bourriaud, Traffic, a.a.O., o.S. Vgl. Bourriaud, Relational Aesthetics, a.a.O., S. 18. Ebd., S. 31.

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Kuratoren und Besucher Positionierung zur Theorie

Die Verwendung der Theorie der relationalen Ästhetik für die vorliegende Studie basiert auf mehreren Gründen. An erster Stelle ist zu nennen, dass es sich um eine einflussreiche, viel rezipierte ästhetische Theorie handelt, die in zahlreichen kunsthistorischen Zusammenhängen in den letzten Jahren diskutiert wurde.294 So handelt es sich hierbei um ein aktuelles und kritisches Paradigma, welches eine vielfältige Debatte um den Status der zeitgenössischen Partizipation angetrieben hat.295 Zentral ist hier demnach, dass sie eine Theorie aus der eigenen Disziplin, also der Kunsttheorie, darstellt. Diese ästhetische Theorie beurteilt Kunstwerke im Hinblick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, die sie repräsentieren, produzieren oder stiften, vor allem liegt ihr Fokus auf der tatsächlichen Bildung und Thematisierung von zwischenmenschlichen Austauschprozessen und nicht nur auf deren Abbildung. Darüber hinaus fiel die Wahl auf die relationale Ästhetik insbesondere in Abgrenzung zum rezeptionsästhetischen Ansatz von Wolfgang Kemp, gerade auch im Hinblick auf die Ausrichtung des Forschungsprojektes zu „Ausstellungs-Displays“ an der Hochschule für Kunst und Gestaltung Zürich, wie bereits in der Einleitung dargelegt. Der dieser Studie zugrundeliegende Ansatz von politischer Kunst sowie weitere ideologische Prämissen, wie die Verschiebung vom Objekt (und dem damit oft zusammenhängenden Kult um den Gegenstand) zur Beschäftigung mit Subjekten und ihrer Teilnahme an Kunstaktivitäten, stehen in Einklang mit den Annahmen, auf denen die relationale Ästhetik basiert. Die Verfasserin folgt Bourriauds politischem Kunstbegriff und nimmt wie dieser für ihre Argumentation die Position ein, dass die Funktion einer künstlerischen Arbeit wichtiger ist als die Kontemplation derselben. Daneben fiel die Wahl auf diesen Ansatz, da er von einigen Autoren, wie in der Einleitung erwähnt, als Antwort auf die Sackgasse des additional models genannt wird.296 Nicolas Bourriauds Theorie ermöglicht es darüber hinaus, sich stärker mit der sozialen Seite von Partizipation auseinander zusetzen. Die von ihm behandelten Merkmale der relationalen Kunst stehen in Einklang mit 294 Bourriauds Theorie wird eingestuft als überaus einflussreiches aktuelles und kritisches Konzept, das neue Bereiche der Kunst wertschätzen will und auf eine neue Verbindung von Politik, Kunst und Gemeinschaft (community) abzielt. Vgl. Doherty, New Institutionalism, Readertext, a.a.O. Im Speziellen handelt es sich hier um einen Ansatz, der den virulenten Diskursen der partizipatorischen Praxis zugerechnet wird. Vgl. Möntmann, Relationale Ästhetik, a.a.O., S. 436. Vgl. auch Lind, The Collaborative Turn, a.a.O., S. 20. 295 Vgl. Bishop, Claire: „Introduction, Viewers as Producers“, in dies. (Hg.): Participation, London/Cambridge, Mass., 2006, S. 13. 296 Diese Behauptung ist zu überprüfen, führt jedoch an der Fragestellung der Arbeit vorbei und würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Voraussetzungen

der sich stellenden Frage nach Verbindungen im Ausstellungsraum. So bietet sich dieses Konzept für die Erklärung des hier ausgemachten Phänomens an. Ferner lässt sich dieses Paradigma auch auf Ausstellungen übertragen. Zum einen, weil Bourriaud selbst auf den Ausstellungsraum verweist. Zum anderen, weil das Kuratieren im Rahmen dieser Forschungsarbeit als Kunstform verstanden wird und damit anwendbar auf die Ästhetik des Ausstellungsmachens ist. Was von einigen Rezensenten als zu breite Auslegung der künstlerischen Praktiken Bourriauds kritisiert wurde, wird hier als gültig erachtet und wird von der Autorin generell positiv gewertet (wie bereits in dem Abschnitt zur Definition des Kurators und des Curating deutlich wurde). So ermöglicht die Bandbreite der kulturellen Praktiken, die Bourriaud anführt, eine Übertragung auf kuratorische Vorgehensweisen. Ferner setzt sich das Paradigma von Bourriaud mit ästhetischen Lösungen für gesellschaftliche Entfremdung auseinander, was auch Thema des Religionsdiskurses ist, wie die vorliegende Studie behauptet. Der französische Kurator und Kunstkritiker versteht relationale Kunstwerke als Mittel gegen gesellschaftliche Entfremdung und als Überbrückung existierender kommunikativer Gräben. Gerade das bei Bourriaud angeführte Argumentationsmuster von Überwindung und Trennung sowie die generelle Annahme einer existierenden Separierung stehen in Einklang mit den Annahmen der vorliegenden Untersuchung zum Thema Religion. Kriterien, die sich als Untersuchungslinien durch die vorliegende Studie ziehen, sind ebenfalls kongruent zu Bourriauds Paradigma und werden im folgenden Abschnitt ausführlicher dargestellt. Dazu zählt die Idee, dass jemand (bei Bourriaud ist es der Künstler, in diesem Fall der Kurator) Gemeinschaft und Austausch stiftet. Darüber hinaus bemüht sich die relationale Kunst um die Erzeugung neuer Situationen und neuer Gemeinschaften, wie Bourriaud behauptet. Ein weiteres Kriterium der Untersuchung von Religionsausstellungen ist die Frage nach der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit über den Ausstellungsraum hinaus sowie nach der tatsächlichen Erschaffung von etwas, in diesem Fall Gemeinschaft, statt lediglich ihrer Bebilderung. Unterschiede bestehen in der Herleitung der Diagnose einer Entfremdung und Distanz zwischen Individuen. Hier wird keine Herleitung vom kapitalistischen System her unternommen, sondern ausgehend vom Religionsdiskurs mit seinem „Kampf der Kulturen“-Paradigma gedacht.297 Abschließend ist hervorzuheben, dass Bourriaud mit seiner Theorie die Wertschätzung partizipatorischer Praktiken zum Ausdruck bringt und diese durch seine theoretischen Abhandlungen und Ausstellungsprojekte hervorgehoben hat. Ziel der vorliegenden Studie ist es ebenso, die Aufmerksamkeit auf kuratorische Gesten 297 Selbst in der Rezeption des Bourriaud‘schen Ansatzes gibt es verschiedene Herleitungen, siehe beispielsweise Milevska, a.a.O. S. 23.

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zu lenken, die bestimmte besucherfreundliche Ausstellungstechniken integrieren, das heißt auf allgemeiner Ebene das Soziale neben der Kunst berücksichtigen.

Kritik an Bourriauds Ansatz und am partizipatorischen Paradigma allgemein

Bourriauds Ausführungen wurden nach ihrer Veröffentlichung Mitte der 1990er Jahre zunächst intensiv in den skandinavischen Ländern, Frankreich und in den Niederlanden diskutiert. Die angelsächsische Rezeption dieses Ansatzes erfolgte etwas verspätet, jedoch intensiv.298 Da es eine sehr umfangreiche Rezeption der Schriften von Nicolas Bourriaud gab, kann hier nur auszugsweise und lediglich auf die Punkte verwiesen werden, die für die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung relevant sind. Ein Kritikpunkt betrifft die ihm zugrundeliegende positivistische Bewertung von Gemeinschaft und Teilhabe. So schreibt Maria Lind, dass ein bemerkenswerter Anteil der Kritik, die gegen Bourriauds Konzept ins Felde geführt wurde, die Frage nach dem Grad der „guten“ Kollaboration, nach „positiver“ Interaktion und „optimistischer“ Partizipation berührt.299 Hier geht es also darum, welcher Art die Qualität des Austausches ist, der stimuliert wird. Wie Antje Krause-Wahl kommentiert, trägt Bourriaud in seiner Typologie eine große Materialfülle zusammen. Mit Verweis auf die Kritiken von Larsen und Freedman hebt sie hervor, dass seine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen von Relationen wenig präzise sei, da er auf der einen Seite den Stellenwert der Schaffung von Relationen betone, auf der anderen Seite eine Vielzahl der vorgestellten Werke bloß Abbildungen von Relationen seien.300 Wenngleich Bourriaud die zu überwindenden Kommunikationsgräben als Anlass für den Anstoß von Austauschprozessen und die Initiation von Beziehungen 298 Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 21. 299 Ebd. Siehe hierzu auch: Foster, Hal: „Chat Rooms, 2004“, in Bishop, Claire (Hg.): Participation, London/Cambridge, Mass. 2006, S. 195. Auch publiziert unter dem Titel „Arty Party“, in: London Review of Books, London 2004 (4. Dez. 2004), S. 21–22. Im Folgenden rekurriert die Autorin auf „Chat Rooms“. Oder Möntmann mit Verweis auf Chantal Mouffe. Vgl. Möntmann, Nina: Art and its Institutions, a.a.O., S. 10f. Und: Bishop, Claire: „Antagonism and Relational Aesthetics“, in: October, Nr. 110, Herbst 2004, S. 53. 300 Kritisiert wurde die Heterogenität der Positionen in der Ausstellung unter anderem 1996 von: Larsen, Lars Bang: „Traffic“, in: Flash Art, Jg. 29, Nr. 189, Sommer 1996, S. 126–127. Und: Freedman, Carl: „Traffic“, in: frieze, Nr. 28, Mai 1996, S. 75–76. Siehe auch KrauseWahls Kritik an der „relationalen Ästhetik“ im Kontext einer neoliberalen Gesellschaft: Krause-Wahl, Antje: „Nachbarschaften. Reflexionen zum „künstlerischen Schaffen“ in der Informationsgesellschaft. Der Film Vicinato II, relationale Ästhetik und immaterielle Arbeit“, in Weltzien, Friedrich/Volkmann, Amrei (Hg.): Modelle künstlerischer Produktion. Architektur, Kunst, Literatur, Philosophie, Tanz, Berlin 2003, S. 99–109.

Voraussetzungen

nennt, sieht der Kunstkritiker Foster diesen kompensatorischen Ansatz im Kunstfeld als einen eher schwachen Teilersatz für die mangelnde Partizipation in anderen Sphären.301 Während Bourriaud Kunstwerke im Sinne der Marx’schen Idee eines gesellschaftlichen Zwischenraums als Raum innerhalb von menschlichen Beziehungen definiert, der alternative Austauschmöglichkeiten zu den innerhalb des Systems wirksamen bietet, offeriert der französische Kritiker und Kurator dennoch keine Erklärungen dafür, welche Rolle die relationalen Projekte im gesamtgesellschaftlichen Funktionsprozess haben sollen.302 Es wurde angemerkt, dass Bourriaud in seinen Schriften niemals darlegen würde, WIE Kunst nun genau ein politisches Projekt realisiere. Indem relationale Kunst Geselligkeit und Bezüglichkeit thematisiere, scheine dies auf magische Weise implizit zu erfolgen. Claire Bishop schlussfolgert hierzu, dass eben die Bezeichnung dieser Praktiken als Kunst die Möglichkeit mit sich bringe, Kommunikation und Beziehungen zu stiften, und darin die Unterscheidung zu anderen relationalen Aktivitäten liege.303 Darüber hinaus wird in Bezug zur relationalen Ästhetik das „Wer“ nicht hinreichend problematisiert.304 Wie Carmen Mörsch ausführt, implizieren partizipatorische Projekte vielmehr eine Anpassungsleistung, da zum Gelingen eines Vorhabens eine Kooperationsbereitschaft abverlangt wird. Auch kann die Verlagerung der Kontrolle weg von den beauftragten Experten auf alle Beteiligten als gouvernementalistische Form der Disziplinierung gelesen werden. Ferner gilt: Wenn man sich selbst artikuliert, rückt man in den Bereich des Sichtbaren und wird damit kontrollierbar.305

2.4

TE C H N I K E N Z U R S C H A F F U N G SOZIALEN R ÄUMEN

VON

In diesem Kapitel soll es um die Vorstellung und Interpretation einzelner und relevanter Gestaltungsaspekte gehen, die Kuratoren theoretisch und praktisch 301 Vgl. Foster, Chat Rooms, a.a.O., S. 194. Foster mutmaßt, dass Diskursivität und Soziabilität im Kunstbetrieb so virulent sind, weil sie in anderen Bereichen momentan selten anzutreffen sind. 302 Vgl. Milevska, a.a.O., S. 23. 303 Bishop sieht eine eigenartige Umkehrung, denn es finden sich unter den aktuellen sozial engagierten oder relationalen Kunstprojekten einige Beispiele, die zeigen, dass eine Aktivität aufgrund der Berufung auf die Bezeichnung „Kunst“ automatisch für radikal und/oder politisch angesehen wird. Dazu zählen bspw. die Artist‘s Marching Band oder das Fußballteam eines Künstlers oder Kaffee servierende Kunstschaffende. Vgl. Bishop, Participation, a.a.O., S. 13. 304 Vgl. Pederson, Amy: „Relational Aesthetics and Institutional Critique“, in Welchman, John C.: Institutional Critique and After, Zürich 2006, S. 274. Siehe auch Lind allgemein zur Partizipation. Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 19. Vgl. Pederson, a.a.O., S. 274. Vgl. Guagnini, a.a.O., S. 73. 305 Vgl. Mörsch, Queering, a.a.O., S. 32.

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zur Verfügung stehen, um den Ausstellungsraum als sozialen Raum zu gestalten. Welche Techniken gelten in der Literatur als ideale und erfolgreiche Techniken, um Menschen zu aktivieren, zu stimulieren und sie für einen Austausch zu ermuntern?306 Nachdem im vorangehenden Kapitel Diskurse um Partizipation (auf allgemeinerer Ebene) vorgestellt wurden, soll es im Folgenden konkret um partizipatorische Aspekte im Ausstellungsraum gehen. Für den Schauraum bedeutet Partizipation, dass eine Ausstellung nicht „abgeschlossen“ gegenüber den Besuchern sein sollte. Ein Ausstellungsprojekt sollte unterschiedliche Standpunkte widerspiegeln und den Besuchern Möglichkeiten zur Verfügung stellen, den präsentierten Inhalt zu hinterfragen.307 Wichtig ist auch, dass die Besucher von den Ausstellungsmachern als Partner gesehen werden (partnership approach), das heißt als gleichberechtigte und aktive Teilnehmer statt passive Empfänger von Informationen.308 Interaktion und Partizipation ermöglichen genau dies, nämlich, sich aus einer hierarchischen Situation herauszulösen und sich somit als gleichwertige Dialogpartner zu erleben.309 So hat eine Befreiung aus untergeordneten Verhältnissen nicht nur mit Wissen zu tun, sondern auch damit, sich befähigt zu fühlen und Zugangsmöglichkeiten zu haben.310 Gemeint ist hier nicht jene partizipatorische Variante, welche dominante Erzählweisen reproduziert und Beteiligung lediglich simuliert, ohne wirkliche Einmischung zuzulassen. Dazu zählen zum Beispiel „Hands-on-Aktionen“, bei denen der einzige interaktive Aspekt die Berührung von Computerscreens und das Knöpfedrücken ist, sowie „Lange Museumsnächte“.311 Auch Graham Black weist darauf hin, dass aktive Besucher-Partizipation nicht notwendigerweise bedeuten muss, eine Vielzahl von Knöpfen zu drücken. Die physische Verwicklung mit der Ausstellung ist nur ein Zugang unter vielen. Generell betrachtet er es als wichtig, den Kopf und Verstand des Betrachters anzusprechen und ein Gefühl von Entdeckung wachzurufen, hier als mind-on statt hands-on bezeichnet. Besucher lernen am besten, wenn es eine Mischung gibt aus: handeln, denken, beobachten, lesen, zuhören, fantasieren, mit anderen interagieren (Personal und Besucher), diskutieren, Eindrücke gedanklich verarbeiten.312 Hieran wird die Vielfalt der Inszenierungsebenen deutlich. 306 Der vorliegenden Studie geht es in erster Linie um „positiv“ konnotierte Techniken, nicht um Differenz erzeugende oder universalisierende Verfahrensweisen. 307 Vgl. Black, a.a.O., S. 150. 308 Vgl. ebd., S. 185. 309 Vgl. ebd., S. 185f. 310 Vgl. Draxler, Helmut u.a.: „Am Wesen der Kunst genesen?“, Roundtablegespräch über die „Substanz“ und Popularität zeitgenössischer Kunst, in: Texte zur Kunst, Gespräche, Nr. 67, September 2007, S. 42–59. 311 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 28f. Allerdings kommt der von Mörsch aufgestellte Partizipationsbegriff in vorliegender Studie nicht zum Tragen. Ihr Verständnis einer „zeitgemäßen Kunstvermittlung“ wäre die Partizipation im Sinne der Beteiligung an der Repräsentation, und zwar von denen, die repräsentiert werden sollen. Vgl. ebd., S. 31. 312 Vgl. Black, a.a.O., S. 198.

Voraussetzungen 2.4.1

Selbsttätigkeit, Offenheit und „natürliche Begabung“

Es gibt einige Befürworter, die für Selbsttätigkeit der Besucher argumentieren. So heißt es, dass Wissen nicht durch Instruktion erworben wird, sondern von den Lernenden selbst aufgebaut werden muss.313 Eine wichtige Begründung für das Lernen im Museum ist die Möglichkeit, die Vermittlung von Wissensinhalten anhand von Objekten zu gestalten und diese mit Selbsttätigkeit zu verbinden. 314 Mit der Prämisse einer selbsttätigen Teilnahme geht auch die Vorstellung einer freien Entfaltung und „natürlichen Begabung“ einher.315 So steht im Zusammenhang mit selbstständiger Erkundung beim Ausstellungsbesuch oftmals die Vorstellung, dass es weniger elitär sei, wenn Besucher ihren eigenen Zugang zur Ausstellung suchen. Laut Sternfeld ist dies jedoch keinesfalls sicher.316 Auch die Aussage von Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch, dass nicht alles vorstrukturiert und reglementiert werden sollte, zeigt, dass hier „Offenheit“ eher positiv konnotiert wird.317 Mary Jane Jacob bemängelt ebenfalls, dass es nur selten Möglichkeiten für offene Erfahrungssituationen im Ausstellungskontext gibt. Sie empfindet Ausstellungsräume bereits als stark reguliert.318 Für diese Äußerungen ist die Idee zentral, dass jeder Rezipient Gegenstände im Ausstellungsraum verstehen und in einen Zusammenhang einbinden könnte, wenn ihm dafür eine angemessene Zahl individueller Anknüpfungspunkte geboten würde. So gehen viele zeitgenössische Vermittlungskonzepte davon aus, dass jeder Mensch einen eigenen, ganz individuellen Zugang zu Ausstellungen haben kann.319 Dahinter steckt die Auffassung von der Existenz eines natürlich begabten Individuums, welche sowohl von Walter Benjamin als auch von Pierre Bourdieu kritisiert wird. Benjamin konstatiert, dass die Vorstellung eines natürlich begabten Individuums dessen gesellschaftlichen

313 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 26. Carmen Mörsch schreibt dies in Zusammenhang mit dem seit den 1960er Jahren zunehmendem Auftrieb der museumspädagogischen Dienste. Dieser geht auf die gestiegene Dominanz konstruktivistischer Lerntheorien zurück. Lepenies erwähnt, wie Aktivität und Lernen konkret zusammenhängen. Menschen lernen nicht passiv, sondern primär aktiv. So werden Museumsbesucher von einem Kurator angeleitet, setzen das Gelernte jedoch selbst für sich um. Lernen erfolgt nur, wenn ein hohes Maß an Reflexivität und Kontextensitivität vorhanden ist. Vgl. Lepenies, a.a.O., S. 175. 314 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 27. 315 Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 17. 316 Vgl. ebd., S. 21. 317 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 48. Sie fragen: „Lässt die Erzählung [der Ausstellung, Anmerk. MZ] bewusst Mehrdeutigkeiten, Brüche und Leerstellen zu oder wird versucht, eine klare Botschaft zu transportieren?“ 318 Vgl. Jacob, Mary Jane: „Making Space for Art“, in: Marincola, Paul (Hg.): What makes a great exhibition?, Philadelphia 2006, S. 140. 319 Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 21f. Das wird hier als Taxifahrer-Methode bezeichnet: die Leute dort abholen, wo sie stehen.

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Kuratoren und Besucher

Aspekt ausblende.320 Bourdieu entlarvt die vermeintlich „natürliche Begabung“ als ideologische Konstruktion.321 Vielmehr kann man annehmen, dass diese auf den Bildungsvorteilen bestimmter sozialer Schichten beruht: „Und gerade das trägt dazu bei, die Angehörigen der gebildeten Klasse in ihrer Überzeugung zu bestärken, dass sie die Kenntnisse, diese Fähigkeiten und diese Einstellungen, die ihnen nie als das Resultat von Lernprozessen erscheinen, nur ihrer Begabung zu verdanken haben.“322 Ferner wird hier mit der Vorstellung eines allgemein gültigen Wissenskanons gearbeitet, der an alle gleichermaßen vermittelbar sei.323 Allerdings kann die in obengenannten Statements favorisierte „Offenheit“ zweierlei Dinge bedeuten: Problematisch ist nämlich, dass die Besucher sich oftmals mit einer rein anschauenden Rezeption der Objekte zufriedengeben und eine Reflexion des Gesehenen nicht vornehmen, wenn keine Verständnis- und Orientierungshilfen zur Verfügung gestellt werden. Damit die Rezipienten die von den Ausstellungsmachern beabsichtigte Lesart von Objekten auch verstehen können, ist es deshalb notwendig, neben dem Arrangement von Exponaten zusätzliche Sinngenerierungsverfahren zum Einsatz zu bringen.324 Hier ist an Sprache als museale Technik zur Erzeugung von Bedeutung zu denken, diese relativiert die Vorherrschaft der Objektanordnung und stimuliert den Übergang vom Anschauen der Objekte zum Nachdenken über sie.325 Gerade Kunstmuseen greifen dafür gerne auf Labels mit knappen Angaben zu Werk und Künstler zurück.326 Insbesondere Kunstmuseen sind es auch, die von einem Wissensstand der Besucher ausgehen, der nicht den tatsächlichen Voraussetzungen entsprechen muss. Welche Assoziationen beim Lesen von Labels aufkommen, hängt von den mit320 Vgl. ebd. So interpretiert Sternfeld Benjamin. Sie rekurriert auf folgenden Text von Benjamin, Walter: „Eine kommunistische Pädagogik“, in: ders. Über Kinder, Jugend und Erziehung, Frankfurt am Main 1979. 321 Vgl. Bourdieu, Pierre: Die konservative Schule. Die soziale Chancenungleichheit gegenüber Schule und Kultur, in: ders.: Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Schule und Politik, Hamburg 2001, S. 40. Bei einer Auseinandersetzung mit den „schönen Künsten“ kann eine freiwillige Selbstregulierung der Beteiligten stattfinden. So sollen anhand der Kunstbegegnung Habitus und Geschmack erlernt und ausgeprägt werden. Demnach steht eher die Einprägung und Akzeptanz herrschender Normen im Zentrum statt die Demokratisierung des Ausstellungsraumes. Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 20–22. 322 Vgl. ebd., S. 31. 323 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 27. 324 Vgl. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 21. 325 Vgl. ebd., S. 23. Hier ist aber auch zu betonen, dass Sprache generell als eines der zentralen Werkzeuge bei der Vermittlungsarbeit in Ausstellungen gilt. Gerade die Museumspädagogik greift für die Vorbereitung von Führungen oder anderen Veranstaltungen auf von Künstlern verfasste Texte, Katalogbeiträge, Interviews mit Kuratoren oder Kunstschaffenden oder Zeitschriftenartikel zurück. Vgl. Puffert, a.a.O., S. 65. 326 Vgl. ebd.

Voraussetzungen

gebrachten Vorkenntnissen ab.327 Sprache kann also nicht per se als progressive oder gar kritische Praxis verstanden werden.328 Als progressive Art des Redens in Ausstellungen gilt es, im Sprechen eine Position zu beziehen, den eigenen Standpunkt offen zu legen und eine vermeintlich „neutrale Position“ zu vermeiden, auf die weiter unten im Kapitel eingegangen wird.329 Auch kann eine vermeintliche „Offenheit“ einschüchternd wirken. So spüren viele Besucher Hemmungen und fühlen sich nicht der Situation gewachsen.330 Selbst für „Kunstprofis“ ist Selbstbewusstsein als Grundgefühl im klassischen White-Cube-Ausstellungsraum nötig. Judith Hopf schildert, dass sie als „Profi-Kunstkonsumentin“ (Hopf) sich zeitweise überwinden muss, Ausstellungsräume im White-Cube-Format zu betreten: „Ist mir das soziale Umfeld nicht bekannt, werde ich zur ‚Anfängerin‘, der bewusst wird, dass die physische Anwesenheit ihrer Person das Gesamtbild des Ortes – als komplett durchgestylten Raum – stört. Nicht die ausgestellten Sujets sind es, die mich beunruhigen; es ist die Raumkonzeption. Ich komme mir deplatziert vor. Wenn ich nicht drinnen sein soll, wer eigentlich?“331

Ausstellungsbesucher wünschen sich Raum für Fragen und Diskussionen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass Besucher von Museen sich am meisten an die Interaktion mit dem Ausstellungspersonal sowie mit anderen Betrachtern erinnern – wie Untersuchungen gezeigt haben.332 Auch Carmen Mörsch betont, dass es notwendig sei, Umgebungen zu schaffen, die den Prozess des Wissenserwerbs unterstützen und die damit zusammenhängenden Interaktionen fördern. 333 Wichtig ist zudem, dass eigene Fragen formuliert werden können statt nur jene, die im Namen eines offenen und partizipatorischen Demokratieprozesses gestellt werden. Denn: Wer die Frage stellt, der stellt auch das Feld her, in dem sich alles abspielt.334

327 Vgl. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 22. Siehe weitere Ausführungen zur Vermittlung über Sprache bei Fayet. Der Autor schildert auch, welche Assoziationen Betrachtern beim Lesen von Labels in kunstwissenschaftlichen Ausstellungen aufkommen. Vgl. ebd., S. 23. 328 Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 17. 329 Vgl. ebd., S. 31. 330 Vgl. Black, a.a.O., S. 93. 331 Hopf, Judith: „Revisiting the White Cube“, in: Texte zur Kunst, November 1996, 6. Jg., Nr. 24, S. 139. 332 Vgl. Black, a.a.O., S. 149. 333 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 26 334 Vgl. Rogoff, Irit: Nichtassoziierte Initiativen. Betrachtungen zum „Summit“ alternativer Bildungskultur, in: springerin, Heft 3/07, Wien 2007, S. 28.

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Kuratoren und Besucher 2.4.2

Angenehme Atmosphäre und Komfort

Bei der Erzeugung von besucherfreundlichen Umgebungen kann es darum gehen, die Räume so zu gestalten, dass sie auf den Besucher zugänglich wirken und ein Wohlgefühl vermitteln. Damit werden Lernen, Austausch und Dialog überhaupt erst möglich.335 Nach US-amerikanischer Auffassung gehört Komfort zur Grundausstattung einer musealen Einrichtung, intellektueller Komfort im Schauraum meint, dass Unbekanntes für Betrachter vertrauter arrangiert werden sollte.336 Neben der „willkommen-heißenden“ Atmosphäre (und der Wahrnehmung von Besucherbedürfnissen) ist auch ein Orientierungsangebot ein wichtiger Teil des Prozesses. Um zu vermeiden, dass der Besucher sich nicht willkommen geheißen und beschämt fühlt, weil er nicht weiß, wohin er gehen soll und was er zu erwarten hat, können Ausstellungsmacher verschiedene Techniken einsetzen: einen einführenden Begrüßungstext, Übersichtspläne, Pfeile an den Wänden, Raumnummerierungen. 337 Black begrüßt, dass in vielen Museen etwa der Museumsshop den ersten Kontakt mit der Einrichtung darstellt, weil dabei eine interpersonale Begegnung stattfindet.338 Zentral für die Ausstellungserfahrung ist also der Komfort, der jedoch unterschiedlich definiert werden kann. Lepenies verweist auf den Helligkeitsgrad und die Farbigkeit der Räume, den Geräuschpegel, die Enge der Räume (Vermeidung von Status), das Vorhandensein ausreichender Sitzmöglichkeiten, eine besuchergerechte Hängung.339 Zum Komfort gehört auch eine informelle Atmosphäre ohne Druck, in denen sich Besucher wohlfühlen können, wie auch die Authentizität des Ortes (the context of a real site).340

335 Es besteht ein Zusammenhang zwischen einem bestärkten/ermutigten Besucher und seiner Aktivierung/Öffnung. 336 Vgl. Lepenies, a.a.O., S. 66 u. 79. 337 Vgl. Black, a.a.O., S. 93. Eine Bandbreite an Inszenierungstechniken findet sich beispielsweise bei Pöhlmann, Wolfger: Handbuch zur Ausstellungspraxis von A–Z, Berlin 2007. 338 Vgl. Black, a.a.O., S. 99. 339 Vgl. Lepenies, a.a.O., S. 79. Lepenies bezieht sich auf Durant, John (Hg.): Museums and the public understanding of science, London 1992. Zu denken wäre hier beispielsweise an die Frage des Sättigungseffektes bei einem Ausstellungsbesuch. In den Experimenten von Melton wurden die Umweltbedingungen der Objekte verändert, indem unter anderem der Abstand zwischen Exponaten verringert wurde und mehr Gegenstände hinzugefügt wurden. Vgl. Lepenies, a.a.O., S. 15. Gemeint sind aber auch unterschiedliche Hängungshöhen für Kinder oder Menschen in Rollstühlen etc. 340 Vgl. Black, a.a.O., S. 199.

Voraussetzungen 2.4.3

Vielstimmigkeit

Verschiedene Rezipienten bringen verschiedene Interessensgebiete, mannigfaltige Motivationen und Fertigkeiten mit. Der Lerninhalt der Ausstellungen sollte diese verschieden gelagerten Dispositionen reflektieren. 341 Wie Nina Möntmann schildert, zeichnet progressive Kunstinstitutionen aus, dass sie keine Projekte auf Basis des kleinsten Harmonie-Nenners realisieren, sondern eine Bandbreite an Themen und Subjekte adressieren (und damit diverse Öffentlichkeiten erzeugen). Um einen demokratischen, vielstimmigen Ort zu schaffen, böte es sich an, unterschiedliche Veranstaltungen parallel nebeneinander ablaufen zu lassen, zum Beispiel Podiumsdiskussionen und Forschungsprojekte.342 Da es keinen allgemein gültigen Wissenskanon gäbe, sei es der Vermittlung von Kunst ein Anliegen, unterschiedliche Zugangs- und Nutzungsweisen anzubieten.343 Vielstimmigkeit kann eine Vielzahl an Phänomenen umfassen. Zum einen ist damit gemeint, einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven Raum zu bieten, zum anderen, den Besuchern multiple Zugänge zur Ausstellung wie etwa unterschiedliche Hängungshöhen der Bilder (Graham), diverse Interpretationsangebote,344 oder eine Variation der Verweildauer anzubieten. Das Thema Vielstimmigkeit wird zudem im Zusammenhang mit der Art der Projektrealisation genannt, wie bereits im Abschnitt zum Partizipationsdiskurs deutlich geworden ist. So gilt es für den Zugang zu einem Ausstellungsprojekt förderlich, wenn die Schau von einem Kuratorenteam oder generell von unterschiedlichen Akteuren realisiert wurde.345 Die Forderung nach Vielstimmigkeit wird von unterschiedlichen Seiten gestellt. So plädiert das Forschungsprojekt „Ausstellungs-Displays“ für eine „Diversifikation, die Bildpolitiken und Repräsentationsfunktionen für unterschiedliche Öffentlichkeiten ermöglicht.“346 Auch Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch verweisen auf die Vorzüge, unterschiedliche Perspektiven in einer Ausstellung zu präsentieren. Insbesondere wenn diese von Beteiligten dargeboten werden, da hier Erkenntnisse und Sensibilitäten vermittelt werden, auf die Außenstehende nicht 341 Vgl. ebd., S. 149. 342 Vgl. Möntmann, Nina: Art and its institutions, a.a.O., S. 8f und S. 12. In ihrer eigenen kuratorischen Arbeit will Möntmann neue Modell einer institutionellen Kooperation anwenden, sowohl konkret als auch utopisch in verschiedenen Formaten und auf verschiedenen Ebenen, wozu die oben genannte Aufzählung gehört. Ihr Ziel ist es auch, Konflikte bestehen zu lassen. 343 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 27. 344 Zum konstruktivistischen Museum vgl. Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 84ff. Auf den Labels werden Meinungen und Interpretationen unterschiedlicher Personen (Kurator, Künstler und Besucher) abgedruckt. 345 Vgl. Wulffen, Thomas: „Radikales Kuratieren in hegemonialen Systemen“, in: Kunstreport, Ausgabe 2003/2004, Berlin 2004, S. 35–38. Siehe hierzu auch: Hoffmann, Justin: „God Is a Curator“, in: Tannert, Christoph/Tischler, Ute (Hg.), a.a.O., S. 115f. 346 Schade, „Ausstellungs-Displays. Fragen – Ziele – Vorgehen“, a.a.O., S. 7.

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Kuratoren und Besucher

zurückgreifen können.347 Die beiden Wiener Wissenschaftlerinnen thematisieren zudem die gerade auch im postkolonialen Kontext formulierte Forderung nach selbstständiger Repräsentation im Gegensatz zum Repräsentiertwerden durch andere.348

2.4.4

Offenlegung von Bedingungen

Wie bereits im Abschnitt zu Sprache und Sprechen deutlich wurde, kommt dem Einsatz von Sprache im Ausstellungsraum als Technik zur Stiftung von sozialem Austausch und Erzeugung sozialer Räume eine wichtige Rolle zu. So wird „das Sprechen“ des Ausstellungsmachers an sich bereits positiv gewertet. Sprache bietet die Möglichkeit, Dinge zu verbinden und Standpunkte auszudrücken, die kommunizierbar sind und kritisiert werden können.349 Die Idee einer „unmittelbaren Erfahrung“ ist für die Vermittlung eher hinderlich und fördert eine von sozialen Distinktionsmechanismen geprägte Kunstrezeption.350 Die Forderung, über Ein- und Ausschlüsse zu sprechen und das Einnehmen einer neutralen Position zu vermeiden, bedeutet, dass eine emanzipatorische Kunstvermittlung über die zugrundeliegenden Machtverhältnisse informieren und Kontexte sichtbar machen sollte. Die Offenlegung der Ausstellungskonzipierung und -realisierung 347 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 18. 348 Muttenthaler/Wonisch definieren vielstimmige Präsentation als gemeinsame Arbeit an der Repräsentation. Weitere Ausführungen dazu ebd., S. 15 349 Vgl. Puffert, a.a.O., S. 63. Als Gegenmeinung zum Plädoyer für das Schweigen soll auf Fayets Rekurs auf die Kommunikationstheorie verwiesen werden: In Anlehnung an Watzlawick konstatiert Fayet „Man kann nicht nicht kommunizieren“ – „das gilt auch für das Museum. Alles, was das Museum tut, oder nicht tut, kann als Botschaft verstanden werden. Alles, was der Besucher im Museum vorfindet oder allenfalls vermisst, kann von ihm als Aussage gelesen werden – als Aussage über eine bestimmte Sache, über das Museum oder über das Verhältnis, das zwischen ihm und dem Museum besteht. Entsprechend gibt es nicht das Museum, das mehr spricht, und dasjenige, das weniger spricht. Unterschiede bestehen lediglich hinsichtlich der (...) Differenziertheit und Bewusstheit der Aussagen sowie der Kohärenz zwischen den vom Museum intendierten und den vom Besucher verstandenen Botschaften“. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 15. Interessant ist zudem, dass in jeder Mitteilung neben dem Sachinhalt auch die Selbstoffenbarung des Absenders, die Beziehung zwischen Absender und Empfänger und der Appell an den Empfänger beinhalten ist, wie Friedemann Schulz von Thun ausgeführt hat. „Überträgt man diesen Ansatz auf den Kommunikationsprozess im Museum, wird deutlich, dass auch hier mit jedem Versuch, einen Sach-Zusammenhang zu vermitteln, zugleich Aussagen über die Selbstdefinition des Museums, über sein Verhältnis zu den Besuchern und über seine Erwartungen ihnen gegenüber gemacht werden.“ Fayet, ebd., S. 30. Siehe hierzu auch Sternfeld, a.a.O., S. 26. 350 Vgl. Puffert, a.a.O., S. 63 und Machart, a.a.O., S. 40. Diese Form des Umgangs geht von Respekt und Achtung gegenüber dem Publikum aus und wird von diesem begrüßt, da es sich verstärkt eine größere Menge an zugänglichen Informationen wünscht. Vgl. Black, a.a.O., S. 93.

Voraussetzungen

zielt in zwei Richtungen. Zum einen soll dem Betrachter Medienkompetenz zugestanden werden, zum anderen dient sie dazu, Hierarchisierungen, Einschüchterungen etc. entgegenzuwirken.351 Im Kunstfeld ist es noch immer nicht üblich, „dass sich die Verantwortlichen einer Ausstellung in einem Impressum vorstellen, sie verhalten sich wie der anonyme Autor eines Buches, der sich der Verantwortung für seinen Text jederzeit entziehen kann.“352 Im Zusammenhang mit konstruktivistischen Methoden wird von den Kuratoren erwartet, dass sie sich einerseits der Begrenztheit und Vorläufigkeit des von ihnen vermittelten Wissenskorpus bewusst sind, dieses Bewusstsein aber andererseits in einer Ausstellung klar zum Ausdruck bringen.353 Auch die Schweizer Forschungsgruppe zu „Ausstellungs-Displays“ fordert, zu markieren, aufgrund welcher Voraussetzungen bestimmte Publikumskreise nicht adressiert werden und sich als Ausstellungsmacher und Institution zu den eigenen Grenzen der Betrachter-Ansprache zu äußern. Nicht nur die Grenzen des eigenen Anspruchs sollen thematisiert werden, es ist generell notwendig, Freiräume für Diskussionen und Verhandlungen zu erzeugen.354 Allerdings gilt es, hier genauer hinzuschauen, wie Nora Sternfeld betont: „Welche Informationen werden weitergegeben, welche Kontexte werden offen gelegt, und welche Fragen werden aufgeworfen, um Ein- und Ausschlussmechanismen und Unterdrückungs- und Machtverhältnisse in den Blick zu bekommen.“355 Museen tendieren also dazu, ihre Definitionsmacht zu leugnen, und geben vor, ein neutraler Vermittler zu sein. Dabei wird die Vermittlung künstlerischer Werke auch durch subjektive Geschmacksvorstellungen und individuelle Vorlieben der Kuratoren beeinflusst. Das ist dann problematisch, wenn sich Institutionen bzw. die Kuratoren einer Diskussion entziehen. Auf Kunstinstitutionen wirken daneben „Naturalisierungseffekte“ (Marchart) ein, so arrangieren diese das „allgemeine Vergessen ihrer eigenen Rolle als Institution“.356 Vier Arten der Naturalisierung lassen sich finden. So spricht Marchart von Kanonisierungs-, Entkontextualisierungs- und Homogenisierungseffekten gegenüber den Exponaten sowie der Definitions- und Exklusionsmacht der Institution selbst.357 Viel zu sehr würden wünschenswerte oder angestrebte Inhalte – relevante Themen und Ausstellungs351 Siehe hier das Kapitel 1.7.1 zu Annahmen: der Museumsraum als politischer Raum. 352 Buergel, Roger M./Noack, Ruth: Worte einer Ausstellung, in: Bismarck, Beatrice v.: Grenzbespielungen. Visuelle Politik in der Übergangszone, Köln 2005. S. 157. 353 Vgl. ebd. 354 Vgl. Schade, Ausstellungs-Displays. Fragen – Ziele – Vorgehen, a.a.O., S. 7. Wobei im Text unklar bleibt, wie solche Freiräume aussehen könnten. Hans Belting merkt an, dass Begleitveranstaltungen in Museen oft zu Passivität führen würden. Vgl. Belting, a.a.O., S. 41. 355 Sternfeld, a.a.O., S. 31. 356 Vgl. ebd., S. 39. 357 Vgl. ebd., S. 47.

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Kuratoren und Besucher

gegenstände – im Zentrum der kuratorischen Diskussion stehen, während die eigenen Bedingungen und die eigene Definitionsmacht dahinter verborgen bleiben.358 Im Kunstbetrieb zirkulieren mehrere Einstellungen, die einer Vermittelbarkeit von Kunst entgegenwirken und diese teilweise verhindern. Puffert konstatiert, dass auch Künstler nicht bereit seien, ihre Aussagen nachvollziehbar zu gestalten. Sie rekurriert auf Thomas Lehnerer, der vier Aspekte zusammenstellt, die dazu beitragen, dass keine weiteren Gedanken oder Kriterien präsentiert werden. 1. Naivität, 2. Solipsismus, 3. Erfolg, 4. Arbeitsteilung.359 So scheinen gesellschaftlicher und ökonomischer Erfolg zu belegen, dass Kunst als Kunst Anerkennung findet und damit keiner weiteren Information, Erklärung oder Rechtfertigung bedarf. Was die Arbeitsteilung angeht: Indem Künstler bis heute als „kreative Genies“ stilisiert und zelebriert werden, gilt die Vermittlung der vom Kunstschaffenden produzierten „Unmittelbarkeit“ als Aufgabe anderer „denkender“ Fürsprecher.360 Eine Möglichkeit für Kunstinstitutionen, die eigenen Mechanismen der Exklusion zu hinterfragen und „deren Störung selbst zu betreiben“, liegt in der Etablierung pädagogischer Dienste.361 Neben den museumspädagogischen Diensten sind generell verschiedene Akteure notwendig, um eine Ausstellung durchlässig zu machen. Hier sind insbesondere Personen gefordert, welche sich selbst eine Transparenz und Offenlegung abfordern.362 358 Vgl. ebd., S. 39. Es klingt sehr radikal, welches Verständnis von emanzipatorischer Vermittlung Marchart zum Ausdruck bringt, wie bereits in dem Titel des Aufsatzes („Kunstvermittlung als Herrschafts- und Emanzipationstechnologie“) deutlich wird. An dieser Stelle geht es nun nicht mehr nur um kuratorische, sondern um museumspädagogische Vermittlung. So schreibt er, dass es sich bei dieser Art von Kunstvermittlung darum drehen sollte, diese Logik einer Selbst-Naturalisierung der institutionellen Bedingungen zu unterbrechen und zu brechen, falls ein Ausstellungsprojekt genau diese Logik aufweist. Unternimmt dies die Institution nicht selber, „und welche Ausstellung tut das schon“, so Marchart, sollte die Vermittlung so gegen die Ausstellung arbeiten, um die Kontingenz und Bedingtheit der Einrichtung offen aufzeigen. Ebd., S. 46. Dem Autor zufolge, ist eine Funktion der Institutionen genau diese Verhinderung von Öffentlichkeit. Eine Offenlegung der ihr zugrundeliegenden Logik erfolgt nur über Konflikte. Vgl. ebd., S. 46f. Interessant ist, dass selbst so progressiv klingende Diskussionspunkte wie eine wünschenswerte Kanonverschiebung etc. nicht wirklich fortschrittlich sind, solange die größeren Strukturfragen nicht mitgeklärt werden. Vgl. ebd. 359 Vgl. Lehnerer, Thomas: Methode der Kunst, Würzburg 1994, S. 9–11. 360 Vgl. Puffert, a.a.O., S. 64. Zu betonen ist hier, dass Vermittlung sowohl die kuratorische Vermittlungsarbeit als auch die museumspädagogische meint. 361 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 24. Interessant, dass der museumspädagogische Dienst hier als Technik verstanden wird. 362 Nur durch diese Durchlässigkeit kann eine Ausstellung die Welt verändern, wie Roger M. Buergel und Ruth Noack betonen. „Sonst kann nicht in sie eingehen, was verändert wieder aus ihr herausgeht, sei es ein Publikum, eine Erkenntnis oder eine Aktion.“ (...) Buergel/Noack, a.a.O., S. 157. Hier wird schon deutlich, dass die Anstrengung und Leistung, etwas offen zu legen, von den Kuratoren etwas abverlangt und nicht die Besucher dazu da sind, hier andere Bedingungen einzuklagen.

Voraussetzungen 2.4.5

Schule des Sehens 363

Bei der Offenlegung der Konzipierung und Realisierung von Ausstellungsprojekten geht es jedoch nicht nur um eine Enthierarchisierung zwischen allen Beteiligten und eine anti-hegemoniale Handlung, sondern auch um eine „Schule des Sehens“, das heißt darum, dem Besucher einer Ausstellung eine Medienkompetenz im Umgang mit Inszenierungstechniken zu vermitteln.364 Wenn nämlich Besucher die Präsentationsarten auf einer Meta-Ebene reflektieren, beeinflusst das deren Wahrnehmung der Repräsentationen des Museums.365 In der Regel geben Kuratoren die Mittel der Wissensaneignung selbst nicht weiter. Dies betrifft nicht nur den Transfer der Kenntnisse, die zum Verständnis des Ausstellungsprojektes oder von Kunstwerken notwendig wären, sondern auch generell die Techniken, wie solche Kenntnisse zu erwerben wären.366 Wenn Ausstellungsmacher auf die Art der eingesetzten Ausstellungssprache oder -rhetorik verweisen, kann eine solche Verständigung über das Projekt auf einer Meta-Ebene einerseits dazu dienen, die getroffenen Aussagen zu relativieren. Andererseits wird dem mit einer Aura aufgeladenen Originalobjekt, welches eine reale Wirklichkeit vortäuscht, gerade dieser auratische Aspekt entzogen, und den Besucher wird der zeichenhafte Charakter der ausgestellten Werke deutlicher bewusst. Kuratoren könnten so vermitteln, dass Ausstellungen nicht nur eine direkte, sondern auch eine andere, eine transponierte Wirklichkeit zeigen.367 Diese Aspekte könnten durch Absichtserklärungen in Einführungstexten im Ausstellungsraum oder mit Hilfe verfremdender, eine kritische Distanz zwischen Ausstellung und Rezipierenden herstellende Darstellung kommuniziert werden.368 363 Der Begriff „Schule des Sehens“ wurde für vorliegende Studie von Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 237ff, übernommen. Die Wissenschaftlerinnen haben ihr Schlusskapitel mit dem darin enthaltenen Plädoyer für die Anleitung der Besucher zur Ausstellungslektüre mit diesem Schlagwort betitelt. 364 Für die vorliegende Studie sind Fragen nach Medienkompetenz zur Erzeugung von sozialen Ausstellungsräumen zwar wichtig, allerdings gäbe es noch andere Gründe für die Schule des Sehens. So nennt Schärer als Grund, das Medium Ausstellung zum Thema zu machen, den zeitlichen Kontext: „gerade in Zeiten, wo der Alltag immer mehr ästhetisiert und inszeniert wird, [ist] es noch wichtiger, das Medium Ausstellung zu thematisieren“. Schärer, a.a.O., S. 117. Auch Mirzoeff konstatiert, dass trotz des visuellen Reichtums, Menschen wenige Kenntnisse in der Analyse der visuellen Kultur haben. Vgl. Mirzoeff, Nicholas: An Introduction to Visual Culture, London/New York 1999, S. 4f. 365 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 252f. Muttenthaler/Wonisch verweisen auf Rogoffs „verantwortlichen Blick“. 366 Vgl. Sternfeld, a.a.O., S. 22f. Unklar ist: was wären diese? Wie liest man ein Bild? Wie interpretiert man Ausstellungsarchitektur? 367 Vgl. Schärer, a.a.O., S. 117. 368 Vgl. ebd. Eine Befremdung auszulösen ist laut Schärer bei der assoziativen Ausstellungssprache am leichtesten, da diese schon derartige Elemente enthält. Schärer erwähnt hier auch Führungen oder edukative Programme als Möglichkeit, um eine Kompetenz im Umgang mit Inszenierungsarten zu erreichen. Siehe auch zur Rezeptionsirritation:

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Kuratoren und Besucher

Die Forderung, den Rezipienten ein neues, kritisches Sehen zu vermitteln und ihnen eine kompetenzfördernde Auseinandersetzung mit visueller Kultur zu ermöglichen,369 zielt auf die Emanzipation des Betrachters. So gibt der Umgang mit dem Publikum Aufschluss über das Besucher-Bild, das der Ausstellungskonzeption zugrunde liegt. Werden Betrachter als gleichwertige Dialogpartner gesehen oder in einer bestimmten (untergeordneten) Hierarchieposition festgeschrieben?

2.4.6

Ausstellungsräume als Orte der Begegnung

Besucher-Partizipation bedeutet, soziale Interaktion zu fördern.370 Das heißt im Konkreten, Displays zu entwickeln oder auszuwählen, die von einer Gruppe gemeinsam betrachtet und wahrgenommen werden können. Darüber hinaus geht es darum, Ausstellungsabschnitte zu gestalten, die für Konversationen geeignet sind.371 Partizipation meint auch, den Rezipienten Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, die Ausstellung zu kommentieren. Indem man als Kurator Gelegenheiten für Besucher-Feedback einbaut, erkennt man Ausstellungen als einen Dialog in zwei Richtungen an (two way conversation). Dieser Aspekt erhält noch weitere Relevanz, wenn die Kommentare der Betrachter für alle ausgestellt werden und im Gegenzug auch diskutiert werden können. Es gibt einige Punkte, die Ausstellungsmacher berücksichtigen können, um einen Austausch unter Besuchern positiv zu stimulieren. Zu erwähnen wäre hier die Entwicklung und Nutzung von Gegenständen und Displays, die von einer Gruppe gemeinsam erkundet werden können. Dazu zählt auch die Einrichtung von Raumabschnitten im Ausstellungsraum, in denen Besucher untereinander und mit dem Ausstellungspersonal (wie etwa Vermittler, Künstler, Kurator oder Wachpersonal etc.) Zschocke, Nina: „Ästhetik der Störung. Künstlerische Strategien indirekter Thematisierung und Vermittlung“, in: Buschmann, Renate u.a. (Hg.): Dazwischen. Die Vermittlung von Kunst. Eine Festschrift für Antje von Graevenitz, Bonn 2005. Und: Zschocke, Nina: Der irritierte Blick. Kunstrezeption und Aufmerksamkeit, München 2006. Bezogen auf das Themenfeld Religion und Museum ist der Aufsatz von Bräunlein interessant: Die Museen sollten eine „Schule des Befremdens“ werden, dies geht auf Peter Sloterdijk: Theorie des Befremdens (1989) zurück. Bräunlein greift insbesondere für Religionsausstellungen die von Korff weiterentwickelte Idee des Museums als Ort des Befremdens (2001) auf und diskutiert, das Gewohnte zu dekonstruieren. Vgl. Bräunlein, a.a.O., S. 70. Zu betonen ist hier erneut, dass es der vorliegenden Studie nicht um die externe Vermittlung geht. 369 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 253. Oder auch: Stach, Walter/Sturm, Martin: „Vorwort“, in: Stella Rollig, Eva Sturm (Hg.), a.a.O., S. 7ff. Siehe auch Belting zum Betrachter-Verständnis des Museums, das „vor allem [schützt], was seine Autorität untergraben könnte“. Belting, a.a.O., S. 41. Zum Betrachterbild auch bei: Imorde, Joseph: „Betrachter“, in: kritische berichte, Heft 3, 2007, S. 76–80. 370 Vgl. Black, a.a.O., S. 202. 371 Vgl. ebd., S. 198f.

Voraussetzungen

interagieren können. Unterschiedliche Hängungshöhen etwa erlauben es allen Besuchern, egal ob Kinder, Senioren oder behinderte Menschen, die Kunstwerke gleichermaßen zu betrachten.372 Die Ausstellungssprache könnte auch gezielt zu Diskussion und Austausch ermuntern, so Black. Ferner ist es von Vorteil, andere Betrachter bei der Erkundung des Ausstel lungsraumes und der Rezeption der Gegenstände zu beobachten, so dass man voneinander lernen kann und sich sicherer fühlt. Ausstellungsgegenstände stimulieren im Allgemeinen am effektivsten eine Auseinandersetzung, wenn sie eine soziale Interaktion, Debatte oder emotionale Verwicklung zustandebringen, nämlich innerhalb einer Gruppe oder über ein Kollektiv hinaus.373 Absolut zentral ist hier das auf Paris zurückgehende Konzept „Konversationen gestalten“.374 Dieser Ansatz, designing for conversation, führt zwei Ebenen zusammen: zum einen die Notwendigkeit, Konversationsräume zu schaffen, zum anderen die gezielte Überlegung, welche Themen von den Besuchern in den Ausstellungen besprochen werden sollen. Die Vorschläge von Paris sehen unter anderem vor, Räumlichkeiten für Gruppen zu schaffen, in denen sich mehrere Menschen aufhalten können und genug Raum um die Kunstwerke herum bleibt, und die eine geringe Geräuschkulisse aufweisen. Darüber hinaus sehen diese Vorschläge vor: Labels, die laut vorgelesen werden, Werkinterpretationen, die mehrere Stimmen und Meinungen einbeziehen und die Reaktionen von Besuchern wiedergeben statt lediglich die Aussagen des Kurators,375 und Situationen initiieren, die eine Vertiefung in Dialoge und Erkundungen erlauben.

372 Interessant ist hier, dass nicht unterschiedliche Werke gemeint sind, sondern tatsächlich die Hängung, aber die Werke bieten oft von selbst unterschiedliche Höhen und Draufblicke. Zu fragen ist auch, ob Kuratoren die Realisierung unterschiedlich aufgefächerter Inszenierungszonen leisten. 373 Vgl. ebd., S. 203. Zu verweisen ist an dieser Stelle auf die Affekt-Forschung. Siehe der Aufsatz von Bal, Mieke: „Affekt als kulturelle Kraft“, in: Krause-Wahl, Antje u.a. (Hg.): Affekte. Analysen ästhetisch-medialer Prozesse, Bielefeld 2006, S. 7–19. Siehe auch die von Marie-Luise Angerer und Sabeth Buchmann konzipierte Tagung „Theorie und Affekt“ an der Akademie der Bildenden Künste Wien, die im Januar 2008 stattfand. 374 Vgl. Paris, Scott G. (Hg.): Perspectives on Object-Centered Learning in Museums, Mahwah 2002. 375 Vgl. ebd., S. 297. Paris erwähnt außerdem die Einbeziehung/Auswahl von Objekten, die bekannt und/oder mit der Alltagserfahrung vieler Menschen verbunden sind. Gerade Menschen einer Generation könnten dann ihre Erfahrungen und Erinnerungen teilen.

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3.

K U R AT O R E N

UND

BESUCHER:

MODELL 1 & 2 RELIGION

3 .1

CHOOSING

3.1.1

Hintergrundinformationen

MY

Steckbrief: Titel: Choosing my Religion Ort: Kunstmuseum Thun, Kanton Bern, Schweiz Dauer: 15. September bis 19. November 2006 Beteiligte Künstler: Adel Abdessemed, geb. 1971, Algerien; Thomas Bayrle, geb. 1937, Deutschland; James Hopkins, geb. 1976, Großbritannien; Olaf Metzel, geb. 1952, Deutschland; Valérie Mréjen, geb. 1969, Frankreich; Paul Pfeiffer, geb. 1966, USA; Shirana Shahbazi, geb. 1974, Iran; Wael Shawky, geb. 1971, Ägypten; Dominik Stauch, geb. 1962, Schweiz; Lidwien van de Ven, geb. 1963, Niederlande; Mark Wallinger, geb. 1959, Großbritannien; Sislej Xhafa, geb. 1970, Kosovo. Kuratorin: Madeleine Schuppli, Kuratorin und Direktorin des Museums von 2000 bis November 2007 Broschüre: Madeleine Schuppli (Hg.): Choosing my Religion, Kunstmuseum Thun mit Texten von: Madeleine Schuppli, Eveline Suter, Dominik Imhof, Thun 2006. Faltblatt: mit einer Einführung zur Ausstellung sowie farbigen Bildern und Kurztexten zu den präsentierten Werken. Institution: Kunstmuseum Thun, Thun, Kanton Bern, Schweiz

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Kuratoren und Besucher

Das Museum Das Kunstmuseum Thun im ehemaligen Grandhotel Thunerhof liegt im Stadtzentrum von Thun, direkt am Fluss Aare (Abb.1).376 Das Gebäude wurde als erstes Luxushotel der Stadt in den 1870er Jahren erbaut, seit 1949 beherbergt es im Erdgeschoss das Museum (Abb.2). In jährlich fünf bis sechs großen Wechselausstellungen präsentiert das Museum dem Publikum vorwiegend nationale und internationale zeitgenössische Kunst.377 Eigenen Angaben zufolge richtet sich das Kunstmuseum Thun an ein breites Publikum: „Als Ort der Auseinandersetzung mit Kunst steht nicht das Ereignis eines Museumsbesuches im Zentrum, sondern der Prozess, das positive Erlebnis.“378 Die Institution bietet eine umfangreiche und „maßgeschneiderte“ Besucherbetreuung und Kunstvermittlung an, dazu zählen beispielsweise Atelierbesuche, Führungen, Werkgespräche und „Apéros“.379 Ferner begreift sich das Kunstmuseum Thun als „offenes Haus“, das den interdisziplinären Dialog pflegt. So finden neben den Ausstellungsprojekten Musik-, Film-, Literatur- und Vortragsveranstaltungen (so zum Beispiel die Veranstaltungsreihe „Paarläufe“ als Forum für den Austausch zwischen Literatur und Kunst) sowie Werkgespräche mit den ausstellenden Künstlern statt. Im Museum – angrenzend an die zentrale Ausstellungsfläche – findet sich auch ein Projektraum für junge zeitgenössische Kunst, der als Experimentierraum für „noch nicht abgesicherte Positionen“ fungieren soll, betitelt als „enter: Plattform für junge innovative Kunst“. Darüber hinaus beherbergt das Museum ein Café. Die Kuratorin und Direktorin des Museums, Madeleine Schuppli, wurde 2001 mit dem Eidgenössischen Bundes-Stipendium für Kunstvermittlung ausgezeichnet.

3.1.2

Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema

Im Katalog unternimmt die Kuratorin die Einordnung der Ausstellung mit einer Bezugnahme zur gesellschaftspolitischen Lage der westlichen Welt. So schreibt Schuppli, dass die Ausstellung Choosing my Religion religiöse Ausformungen der 376 Hier wallfahren die Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Auch sonst ist Religion ein präsentes Phänomen in Thun, denn 17 Freikirchen sind hier vertreten. 377 Vgl. Schuppli, Madeleine (Hg.): Faltblatt zur Ausstellung, Thun 2006. Zum Museum gehört eine Sammlung, die bedeutende Kleinmeister, Schweizer Kunst der Klassischen Moderne, eine größere Werkgruppe der Schweizer Pop-Art, sowie Arbeiten bekannter Künstlerinnen und Künstler der Region umfasst und durch zeitgenössische Kunst aus der Schweiz ergänzt wird. In der hier besprochenen Ausstellung wurden jedoch keine Arbeiten aus der Sammlung gezeigt. 378 Vgl. ebd. Führungen und Kunstvermittlung sind auf dem Flyer extra aufgelistet. Interessant ist, dass hier das positive Erlebnis betont wird. 379 Das professionelle Kunstführungsprogramm des Museums steht in der vorliegenden Studie nicht im Zentrum, da es um die in der Ausstellung selbst an/eingebrachte Vermittlung und Ansprache geht.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

Alltagsrealität und die Schnittstellen zwischen Religion und Gesellschaft zum Thema habe. Im Zentrum habe die Frage gestanden, wie es um die Relevanz von Glauben bestellt sei, welche Auswirkungen Glaubensfragen heute haben. Die Ausstellung wollte nicht die persönliche Einstellung der Kunstschaffenden zu ihrem Glauben untersuchen, sondern den Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Glauben, seinen Kontext und seine Wirkungen richten; auch das Nebeneinander verschiedener Glaubensrichtungen war von Interesse. Es ging bei diesem Ausstellungsprojekt um eine gesellschaftliche Reflexion. 380 In Anspielung auf den Song „Losing my Religion“ der Pop-Gruppe R.E.M. wollte die Kuratorin anhand des Ausstellungstitels vermitteln, dass auch in einer säkularen Gesellschaft Religion aufgrund einer Veränderung und Diversifikation von religiösen Ausdrucksformen Präsenz habe. Die These (und das Fazit) von Schuppli lautete, dass Religion in der „modernen Gesellschaft noch vorhanden“ sei.381 Lediglich die religiösen Ausdrucksformen und institutionellen Orte hätten sich gewandelt. Die Ausstellung wollte außerdem nicht nach dem Verhältnis von Kunst und Religion seit der Aufklärung fragen oder sich mit Spiritualität und Glauben befassen. Es sollte also keine im engeren Sinne religiöse Gegenwartskunst ausgestellt werden; Fragen der Darstellbarkeit Gottes oder christliche Ikonographien blieben außen vor. In ihrem Einführungstext sind zahlreiche Aussagen zum Religionsverständnis der Kuratorin enthalten. So schreibt sie, in „den verschiedenen Kulturkreisen“ unterscheide sich die Beziehung zwischen Gesellschaft und Religion fundamental. „In der westlichen Welt scheint die religiöse Gesinnung austauschbar geworden; sie ist Privatsache. [...] So nimmt das Religiöse verschiedenste Formen und Facetten an. In anderen Kulturkreisen hingegen werden alle Lebensbereiche, von der Politik bis zur privaten Sphäre, von religiösen Vorschriften bestimmt. Die Differenz und Unvereinbarkeit dieser beiden Pole führen zu Un- und Missverständnissen zwischen den verschiedenen Kulturen und werden heute als Ursprung von globalen Konflikten interpretiert.“382

Die Geschichten, die im Thuner Museum über Religionen und über religiöse Gruppen erzählt werden, behandeln auf vielfältige Weise „[d]ie multireligiöse Gesellschaft und die Probleme von Abgrenzung und Toleranz“.383 380 Vgl. Schuppli, Madeleine (Hg.): Choosing my Religion, Broschüre zur Ausstellung „Choosing my Religion“, Thun 2006, S. 8. 381 Vgl. ebd., S. 6. Die Kuratorin verweist auf: Luckmann, Thomas: Die unsichtbare Religion, 5. Aufl., Frankfurt am Main 2005. 382 Schuppli, Ausstellungsbroschüre, a.a.O., S. 6. Schuppli spielt hier auf das Schlagwort „Jihad versus McWorld“ des Politologen Benjamin Barber an. 383 Ebd., S. 7. Auffällig ist bei dieser Aussage, dass im Hinblick einer Relevanz von Religion von einer Unterscheidung nach Kulturkreisen, damit von einer Polarisierung „the west and the rest“ die Rede ist, was an Samuel Huntingtons Modell erinnert, – womit sie der

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Kuratoren und Besucher 3.1.3

Die Kunstwerke

Zur Kunstauswahl erklärt die Kuratorin: „Den Gegebenheiten einer multireligiösen Gesellschaft Rechnung tragend, sind Kunstschaffende mit unterschiedlichem Glaubenshintergrund einbezogen. Die ausstellenden Künstlerinnen und Künstler stammen aus verschiedenen Kulturkreisen, namentlich aus Nordafrika, dem Nahen Osten, dem Balkan, den USA und aus Europa. Gerade diese Heterogenität der Positionen erlaubt es, verschiedene Perspektiven auf die komplexe Fragestellung aufzuzeigen.“384

Sie schreibt außerdem, dass sich einige der Künstler schon länger mit dem Thema beschäftigen, was hier offenbar als Zeichen von Qualität zu fungieren scheint. Als einendes Merkmal der heterogenen Werke wird auf die Auslassung subjektiver Bezüge zum Thema verwiesen: Die ausgewählten Arbeiten sind sich trotz der Bandbreite darin ähnlich, dass „weder die Religionsinhalte an sich noch der eigene Glaube (oder Unglaube) thematisiert werden.“385 Ferner war für die Auswahl entscheidend, dass es sich um keine religiöse Kunst im engeren Sinne handelte. Weitere Merkmale waren regionale, nationale und internationale Herkunft, unterschiedliche Generationen, Medienvielfalt, Gegenwartskunst, Geschlecht, unterschiedliche Religionshintergründe und das Auswahlkriterium „Qualität“ sowie die Eigenschaft, „emotional zu bewegen“. 386

Fragestellung der Arbeit, in Verbindungen zu denken, nicht folgt, sondern – überspitzt gesagt – auf einer Linie mit Samuel Huntington liegt. Die Pole, die gezeichnet werden, betreffen „das“ Religiöse versus „das“ Säkulare, der Westen steht für Säkularisierung und der „Rest“ für Religiosität. Es geht um religiöse Gemeinschaften und die Probleme von Abgrenzung und Toleranz, was die passive und vage Formulierung impliziert, dass die „weißen Christen“ Unsicherheit gegenüber dem Islam empfinden (das „Wir“ Format). Die inhaltliche Ausrichtung auf Konflikte mit Religion und Religiosität lässt auch schlussfolgern, dass die Ausstellungsmacherin eine Zielgruppe anvisiert, die säkular orientiert ist. Die Verfasserin der Ausstellungsbroschüre konstatiert eine vorsichtige Zurückhaltung im Umgang mit Themen des Islams, eine Verunsicherung, die auf die Auseinandersetzungen mit den dänischen Mohammed-Karrikaturen zurückgeht – auch hier wird deutlich, dass das Thema der Ausstellung aus nicht-islamischer/ muslimischer Perspektive gedacht ist. Vgl. ebd. Die Ausstellungsbroschüre rekurriert auf Differenz und Unvereinbarkeit dieser beiden (vermeintlichen) Pole und verweist auf Un- und Missverständnisse, welche zu globalen Konflikten führen. Neben der Thematisierung von angeblichen kulturellen Gegensätzen und religiöser Differenz ist aber auch von interkulturellen Verbindungen die Rede (Schnittstellen zwischen Religion und Gesellschaft), wie bereits erwähnt sollte auch die Koexistenz verschiedener Glaubensrichtungen angesprochen werden. 384 Ebd. 385 Vgl. ebd., S. 8. 386 Wie im Interview Madeleine Schuppli mit Maren Ziese am 15.09.2006 deutlich wurde.

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Ingesamt wurden zwölf internationale Künstlerinnen und Künstler mit unterschiedlichen Religionssozialisationen präsentiert. Die Kuratorin verstand die ausgewählten Arbeiten als Mosaiksteine eines Gesamtbildes beziehungsweise als Facetten aus einem komplexen Themenkreis, den sie in einer gewissen Vielstimmigkeit und Heterogenität behandelt haben wollte.387

3.1.4

Der Rundgang

Die Ausstellung im Kunstmuseum war folgendermaßen aufgebaut: Das Gebäude konnte von zwei Seiten betreten werden, von der Straßenseite oder von der Flussseite über die Veranda (Abb.3). Der Orientierungsbereich für Besucher fächerte sich in unterschiedliche Abschnitte auf. Der Zutritt zur Ausstellung erfolgte über den Buchladen, wo auch die Kasse zum Erwerb von Eintrittskarten untergebracht war. Hier kam man in Kontakt mit dem Personal des Museums. Vor dem Buchladen stand eine Tafel, auf der ein Hinweis zur Ausstellung (das Ausstellungsplakat mit dem Logo der Schau Passport Control von Mark Wallinger) angebracht war. Ferner waren Poster zum Verkauf bereitgestellt und zwei Ständer mit allgemeinen Museumsinformationen aufgestellt, welche die Eingangssituation rahmten (Abb.4). Hatte man den Buchladen durchquert, betrat man linkerhand den Flur zu den Ausstellungsräumen. Vor der Tür standen links und rechts erneut Ständer, die Informationsmaterial bereithielten (Abb.5) – in diesem Fall ein Din-A4-Blatt in englischer und deutscher Sprache mit einem kurzen Einführungsparagrafen zur Ausstellung (Fragestellung/Thema), einigen Zeilen zu Künstler und Kunstwerk pro Saal sowie Angaben zu öffentlichen Führungen, Veranstaltungen und Publikationen. Die hier genannten Leitfragen lauteten: „Welche Bedeutung hat Religion in unserer gegenwärtigen Welt? Wie manifestiert sich der individuelle Glaube im öffentlichen Leben und inwiefern werden religiöse Inhalte instrumentalisiert? Wie gehen wir mit den Herausforderungen der multireligiösen Gesellschaft um, und wie halten wir es mit Abgrenzung und Toleranz?“388

Ein Satz gab Aufschluss über den kuratorischen Ansatz: „Um möglichst vielfältige Blickwinkel auf das komplexe Themenfeld zu ermöglichen, sind Kunstschaffende mit unterschiedlichem religiösen und kulturellen Hintergrund einbezogen.“389 Die Kuratorin schrieb allerdings nichts über kuratorische Fragen und ihr Präsentationskonzept. Auffällig war, dass kein allgemeiner Orientie387 Vgl. ebd. 388 Schuppli, Faltblatt, a.a.O. 389 Ebd.

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rungsbereich mit einem großformatigen, an der Wand angebrachten begrüßenden Einführungstext eingerichtet worden war. Beim Betreten des Flures boten sich zunächst mehrere architektonische Eindrücke (so blickte man direkt in den Saal 4), doch stand keine konkrete Arbeit am Anfang (Abb.6). Ging man den Gang zu den Räumen hinunter, befanden sich in den Türdurchgängen kleine Schildchen mit Zahlen und Pfeilen, die über die Saalnummerierung (und Richtung) Auskunft gaben. Da sie jedoch eher unscheinbar aussahen, (weiß mit schwarzer Schrift auf weißem Grund, mit geringen Abmessungen), waren sie leicht zu übersehen, so dass man sich nicht gleich in den ersten Raum nach rechts wandte. Es bestand vielmehr die Möglichkeit, den Gang weiter hinunterzugehen, den nächsten Raum links oder am Ende des Flures den großen Saal mit Kamin (Saal 4) zu betreten. Aufgrund der geringen Auffälligkeit der Hinweisschildchen und weil sonstige räumliche Orientierungen (Absperrungen, verschlossene Türen) fehlten, schien es, als ob man dem angedeuteten Rundgang nicht zwingend folgen müsse. Der Parcours durch die Ausstellung wurde aber nicht nur mittels der oben genannten kleinen Pfeilschildchen gebildet, sondern auch mithilfe des Informationsblattes zur Ausstellung, auf dem die Saalnummerierung abgebildet war. Wenngleich es also eine Raumabfolge gab, boten die Räume doch eher Gelegenheit zum Flanieren, da die einzelnen Abschnitte von verschiedenen Seiten betreten werden konnten und ineinander übergingen: Die Ausstellungsfläche war von den zur Veranda hin herausgenommenen Fensterscheiben – man konnte sich in die Fensterrahmungen setzen – sowie von den offenen beziehungsweise herausgenommenen Türen (und auch Fenstern) zwischen den Räumen geprägt, die zahlreiche Durchblicke gewährten (Abb.17–19). Da die Menge der ausgestellten Objekte im Verhältnis zur Ausstellungsfläche eher gering war (in jedem Raum befand sich eine Arbeit), konnte man beim Durchschreiten der Ausstellungsräume nicht immer sofort Kunstwerke entdecken. Das heißt, einige Durchblicke waren nicht zugleich „Draufblicke“. Die Kuratorin hatte ganze Räume an einzelne Künstler vergeben (Abb.7), oder den Arbeiten zumindest großflächige Nischen eingeräumt (Abb.19). Den einzelnen Werken wurde viel Raum gegeben, jede Arbeit schien für sich zu stehen. Aufgrund der gefühlten „großen“ Abstände zwischen den Kunstgegenständen erklärten sich die Arbeiten nicht unmittelbar durch die Zusammenstellung mit anderen Objekten oder Verweise auf diese. Obwohl eine Laufrichtung angedeutet war, schien es zum Verständnis der Ausstellung dennoch nicht notwendig, den Parcours abzuschreiten. An den Werken waren Labels angebracht, die in erster Linie Angaben zum Künstlernamen, Geburtsjahr, Namen des Objektes, Entstehungsjahr sowie Kurzinformationen zum Kunstwerk und den Namen des Leihgebers bereithielten. Die Schildchen an den Kunstgegenständen waren aufgrund ihrer Farbe und Größe optisch zurückgenommen und von den Objekten getrennt. Im Verhältnis von visuellen und textlichen Eindrücken hatten erstere

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deutlich den Vorrang erhalten. Im Bezug auf zwei Arbeiten waren weiterführende Informationen bereitgestellt: Zum einen lag die Übersetzung der von Wael Shawky in The Cave vorgetragenen Koranverse aus. Zum anderen konnten Besucher die Übersetzung der Dialoge in der Videoarbeit Ritratti von Valérie Mréjen erhalten. Im Buchladen konnte man anstelle eines Katalogs eine Broschüre mit weiteren Informationen zu den Kunstwerken erwerben. Der Parcours durch die Ausstellung war nicht als Rundgang angelegt und schien dem Informationsfaltblatt zufolge mit der Arbeit My Personal Colour Field von Dominik Stauch zu enden (Abb.19). Um zum Ausgang zu gelangen – man verließ die Räume wieder durch den Buchladen – durchschritt man erneut den Saal Nummer 4, in dem die Arbeit Passport Control hing (Abb.11). Der hier sichtbare Ausgang – eine Glastür zum Treppenhaus – war durch eine Ablage für Ausstellungsprospekte und sonstige Kulturinformationen versperrt. Wie bereits eingangs erwähnt, befindet sich das Kunstmuseum Thun in einem ehemaligen Luxus-Hotel aus dem 19. Jahrhundert, das von innen und außen (Abb.1+3) noch eindeutig als solches zu erkennen ist: Bauliche Versatzstücke sind im und am Gebäude noch vorhanden. Dazu zählen elegante Wandverkleidungen und Türen, Balkons, Terrassen, verzierte Böden (Fischgrätenparkett, Holzböden mit Intarsien, kunstvolle Bodenfliesen), Stuck und bemalte Decken, Kamine mit Marmorverkleidung, gusseiserne Geländer im Treppenhaus, hohe Wände, Zimmerfluchten und Wandspiegel. Der Rundgang (Abb.2), bestehend aus dreizehn Abschnitten, war von der Außenwelt größtenteils abgeschnitten und erlaubte keine Blicke nach draußen. So wurden die Fenster bis auf zwei Ausnahmen – im ersten Raum mit den Arbeiten von Mark Wallinger und Sislej Xhafa (Abb.9) sowie im Projektraum „enter“ – verschlossen, die Veranda zugebaut (Abb.8). Das Interieur des Hotels blieb an einigen Stellen sichtbar, wenngleich die Hotelstruktur durch eingezogene weiße Wände in nahezu jedem Raum an einigen Stellen überblendet wurde. Trotz des historischen Interieurs dominierte grundsätzlich der Eindruck des White Cube und nobilitierte die Räume noch zusätzlich, die stilvolle Architektur wirkte also auf die Rezeption ein. Auch wenn der White Cube über die Hotelstruktur gelegt war, negierte er nicht unbedingt den darunterliegenden Nutzbau, drängte diesen aber zurück, um eine stärkere Fokussierung auf die Ausstellungsobjekte zu gewährleisten. Dort, wo das Museum das Gebäude für eine zusätzliche Nobilitierung nutzen konnte, wurde es getan, doch meist wurde der Grundriss in seinem Originalzustand belassen. Das Weiß der Wände kontrastierte mit den bunten Detailarbeiten des Interieurs (Abb.11). Die Räume waren also nicht einheitlich im White-Cube-Format gestaltet, bei den Sälen 2 und 3, im großen Saal (Abb.16) und auf der Veranda überwog der Eindruck des White Cube, in den vorderen Ausstellungsabschnitten waren dagegen die hölzernen Schmuckböden und Kamine sehr präsent. Die weißen Wände waren unterschiedlich hoch gezogen, so waren auf der Veranda die abgedunkelten

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Bogenfenster noch sichtbar (Abb.18). Ansonsten zeigten sich die anderen Elemente der Innenarchitektur in Weiß gestrichen, dazu zählten Heizungen, Türen, Fensterrahmen (Abb.18). Auch die Beleuchtung variierte in den Räumen, von einer einheitlichen, uniformen White-Cube-Beleuchtung konnte nicht die Rede sein. In den Räumen ließen sich unterschiedliche Beleuchtungsquellen finden. Unter den verzierten Decken liefen Schienen für Strahler, Neon-Deckenlichter gaben in den Sälen uniformes Licht ab. Im ersten Saal erhellte durch die Fenster eindringendes Tageslicht die Kunstwerke. Eine punktuelle Beleuchtung kam bei den künstlerischen Arbeiten auf der Veranda im verdunkelten Abschnitt zum Einsatz: Madonna Mercedes von Thomas Bayrle (Abb.14) und Turkish Delight von Olaf Metzel. Im Flur waren historische Kugelleuchten angebracht, und der Ausstellungsrundgang hielt unter anderem auch eine Blackbox für die Videoarbeit Via Dolorosa von Mark Wallinger bereit (Abb.2+10). Die je nach Raum variierende Lichtregie nahm der Besucher vermutlich eher indirekt als unterschiedliche Beleuchtungszonen wahr. Auch das Ausstellungsmobiliar wirkte eher unauffällig, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Vor einigen Arbeiten standen helle Holzbänke oder Holzwürfel, Vitrinen und Podeste waren in weiß gehalten (so bei der Arbeit Salvation Lies Within von James Hopkins (Abb.7)). Im Flur befanden sich einfache Metallstühle. Wenngleich es Sitzgelegenheiten vor manchen Arbeiten sowie Stühle in den Fluren gab, waren die Besucher dieser Ausstellung nicht direkt zu einer längeren Verweildauer eingeladen (Abb.5). Die Ausstellung war zum Durchlaufen konzipiert, im Zentrum standen die Kunstwerke. Es erfolgte keine direkte Einladung, die Stimme zu erheben, das Gästebuch ließ sich nur für Interessierte finden, die im Buchladen danach fragten. Die Besucher dieser Ausstellung mussten generell selbst aktiv werden, das heißt, sich den Rundgang selber zusammenstellen, nach Informationen suchen, weil diese sich nicht didaktisch aufdrängten. Die Kunstwerke390 Der erste Raum des Rundgangs (Saal 1 siehe Grundriss (Abb.2)) als Einstieg ins Thema bot einen Blick nach draußen und besaß ein wohnliches Ambiente (Abb.9). Die Kuratorin arbeitete hier mit der Hotelstruktur. Zwar war eine weiße Wand eingezogen, doch korrespondierte das wohnliche Ambiente, das durch Kamin, Parkett, geöffnete Fenster, Heizungskörper hervorgerufen wurde, mit den hier präsentierten Arbeiten. Gezeigt wurden Sisley Xhafas Fresh Breeze (2006) sowie Mark Wallingers A ist für Alles (2005). Fresh Breeze, ein hauchzarter 390 Die folgenden Informationen sowie Interpretationen entstammen der Ausstellungsbroschüre und folgen der Argumentation der Kuratorin. Im Impressum heißt es zwar, dass auch zwei andere Mitarbeiter des Museums an den Erklärungen zu den Kunstwerken mitgearbeitet haben – Eveline Suter und Dominik Imhof – dies wird jedoch im Booklet nicht kenntlich gemacht.

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Vorhang aus den Schleiern muslimischer Frauen und katholischer Nonnen, stellt den Versuch einer Versöhnung der Religionen dar.391 Die Audioinstallation A ist für Alles zeigte einerseits einen Mies van der Rohe-Diwan, der auf Freud und die Psychoanalyse verwies. Andererseits war Daniel Barenboims „West-Eastern Divan Orchestra“ beim Stimmen der Instrumente zu hören. Das Orchester besteht aus Jugendlichen aus Israel, Palästina und weiteren Ländern. Der Name dieses inzwischen weltberühmten Orchesters ist einer Gedichtsammlung von J.W. Goethe entliehen, in welcher der Dichter seinen Enthusiasmus für den Islam ausdrückt.392 Von der Decke des Saal 2 hingen goldene Halsketten (Abb.10), die auf die Profanisierung der Religion anspielten. Für ihre Installation Second Scare (2004) verwendeten Adel Abdessemed und Sisley Xhafa Schmuck aus der Hip-Hop-Szene. Uralte Glaubenszeichen verschiedener Religionen „werden zum Lifestyleaccessoire ohne tiefere Bedeutung“.393 Von diesem Saal ging eine Räumlichkeit ab, in der eine weitere Arbeit von Mark Wallinger zu entdecken war. In Via Dolorosa (2002) versteckt Wallinger Franco Zeffirellis Film Jesus von Nazareth (1977) fast vollkommen hinter einer schwarzen Fläche. „Wallinger macht einen zentralen Faktor der Religionen deutlich: Fakten und Bilder bestehen nur in Bruchstücken. Deswegen heißt es glauben oder nicht glauben.“ Der gewählte Filmausschnitt zeigte die Passionsgeschichte Christi von seiner Präsentation vor dem Volk bis zur Kreuzigung. Die fragmentarischen Informationen genügten, um die Kreuzigung mit eigenen Bildern zu komplettieren und das Schwarz auszufüllen.394 Im dritten Raum (Saal 3) erzählte James Hopkins von der Gewaltbereitschaft des Christentums (Abb.7). Er hatte die Seiten einer illustrierten Bibel so bearbeitet, dass die ausgeschnittenen Papierschichten einen dreidimensionalen Revolver ergaben. Die Waffe schien in der Bibel verborgen gewesen zu sein. Hopkins verknüpft in Salvation Lies Within (2003) Religion und Gewalt und verweist auf zahlreiche Konflikte aufgrund religiöser Motive: Religiöser Fanatismus, Terrorismus, Unterdrückung anderer Religionen. Im nun folgenden Abschnitt des Ausstellungsrundgangs befand sich das Schlüsselwerk der Ausstellung – Mark Wallingers fotografische Arbeit Passport Control (1988) (Abb.11). Wallinger übermalte seine vergrößerten Passbilder mit schwarzem Filzstift und „verkleidete“ sich so als Afrikaner, Inder, Chinese und orthodoxer Jude. Im Zentrum der Schau sollte das Werk wie ein Spiel mit religiösen Identitäten gelesen werden und die Konstruiertheit und Bedingtheit von Iden391 Die Arbeit war extra für diesen Raum entstanden, und wurde als Gardine vor dem Fenster präsentiert. 392 Vgl. ebd. Dort heißt es „Diese Arbeit von Wallinger sowie die Installation von Xhafa verweisen auf das Potenzial des versöhnlichen Nebeneinanders der Religionen“. 393 Ebd. 394 Vgl. Schuppli, Ausstellungsbroschüre, a.a.O., S. 19, und Faltblatt a.a.O.

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titäten deutlich machen.395 Von hier aus ließ sich in einer Sichtachse bereits der Ausstellungsraum (Saal 6) mit dem Wandgemälde von Shirana Shahbazi (Abb.13) erkennen. Zuvor war in einem verspiegelten Saal (Saal 5) Valérie Mréjen vertreten (Abb.12). Auf Augenhöhe mit den dokumentierten Personen lauschte man über Kopfhörer den Berichten ehemaliger ultra-orthodoxer Juden darüber, wie sie das erste Mal mit den religiösen Gesetzen brechen (Dieu, 2004). In dem Video Ritratti (2003) von Valérie Mréjen erzählen Italiener und Italienerinnen von alltäglichen Begebenheiten, die sie Gottes Wirken zuschreiben. „Wenn es jemanden da oben gibt, dann lass mein Kind gesund zur Welt kommen, auch wenn es große Ohren haben sollte“, lautete das Stoßgebet einer Schwangeren, „und siehe da: Ihr Kind ward geboren, gesund und mit großen Ohren.“ Von diesem Raum gelangte man in den, der von der in der Schweiz lebenden iranischen Fotografin Shirana Shahbazi gestaltet wurde (Saal 6) (Abb.2): das Wandgemälde Staying Alive #2 (2006) – eine Auftragsarbeit. Damit wollte Schuppli auf die Ausgestaltung sakraler Räume verweisen. Der umfassenden Bebilderung des Raumes waren ikonografische Bezüge zur christlichen Bildtradition mit ihrer zentralen Marienfigur eingeschrieben. Auch hier fand sich eine interreligiöse Dimension. In Shahbazis Herkunftsland sind auf Wandbildern oft zeitgenössische Märtyrer festgehalten. Da die ästhetische Ausführung auch auf das Erscheinungsbild iranischer Werbeplakate zurückgeht, wird hier politische wie auch religiöse Propaganda thematisiert. Von Saal 5, dem Präsentationsort des Videos von Valérie Mréjen, ergab sich eine Blickperspektive auf die Arbeit Madonna Mercedes von Thomas Bayrle am Ende eines Ausstellungsganges (der zugebauten Veranda) (Abb.12). Hier wurde die individuelle Beleuchtung und die Setzung von Blickachsen sichtbar. Wie ein Lichtkegel leuchtete die Figur am Ende des Ganges und zog den Betrachter förmlich an. Madonna Mercedes (1989) ist eine Collage aus der Abbildung eines Mercedes, die der Künstler so fotokopiert, verzogen und gespiegelt hat, dass sie das Madonnenbild präzise formt (Abb.14). Als Vorlage diente ihm eine Ikone von Théophane le Grec (14. Jh.). Damit verbindet er die christliche Bildtradition mit Symbolen der zeitgenössischen Konsumwelt. Das heilige Bild wird profanisiert und aktualisiert.396 Im Gang zum Projektraum (Abb.2) – ein wenig abgesondert, damit es nicht als Teil der Kunstausstellung missverstanden wird – zeigte die Kuratorin das Musikvideo von R.E.M., das den Ausstellungstitel inspiriert hatte. Wie Schuppli her-

395 Vgl. Schuppli, Ausstellungsbroschüre, a.a.O., S. 7. Dort heißt es: „Wie oberflächlich und zugleich fundamental sich religiöse Differenz manifestieren kann, zeigt Mark Wallinger mit seinem Rollenspiel.“ 396 Vgl. Ausstellungsbrochüre, a.a.O., S. 10 und Faltblatt, a.a.O.

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vorhebt, wurde das Video mehrfach ausgezeichnet; es beinhaltet mannigfaltige Bezüge zu Kunst und Kunstgeschichte.397 Im großen Saal rezitierte Wael Shawky in seinem Video The Cave (2004) die 18. Sure des Korans, während er durch einen Supermarkt geht (Abb.15). Deutlich verknüpft er hier die heilige Schrift mit der alltäglichen Konsumwelt und hinterfragt das Verhältnis zwischen Glaubensüberlieferung und den Bedürfnissen und Anforderungen der heutigen Lebenswelten.398 Lidwien van de Ven beschäftigt sich mit dem gemeinschaftsstiftenden Moment von Religionen. Gezeigt wurde ein Schwarzweiß-Foto, das bei einem Amsterdamer Auftritt des amerikanischen Predigers Billy Graham entstand (Billy Graham Evangelistic Association, 2000). Die weltweit durchgeführten „Evangelisationskampagnen“ leben vom Wir-Gefühl im Publikum. Eine zweite Arbeit zeigte Musliminnen, die an einer Demonstration teilnehmen (London, 4 September 2004, 2005) (Abb.16). Zu den Werken im großen Saal zählte auch die Arbeit von Paul Pfeiffer (Abb.17). Eine eingezogene Wand trennte die Bereiche voneinander. Morning after the Deluge (2003) ist das Video des Morgens nach der Sintflut. „Raum und Zeit sind aufgehoben: Weil Paul Pfeiffer zwei Filmsequenzen übereinander gelegt hat, ist der Sonnenaufgang gleichzeitig Sonnenuntergang. Das Bild des kitschig geröteten Himmels scheint auf den ersten Blick vertraut, doch statt der Sonne wandert der Himmel.“399 Durch eine Fensteröffnung auf die Veranda war die Bronzeskulptur Turkish Delight von Olaf Metzel (2006) gerahmt (Abb.18). Der in Berlin-Kreuzberg der 1960er Jahre sozialisierte Olaf Metzel war mit einer Arbeit vertreten, die eine nackte klassizistische Frauengestalt mit Schleier zeigt. Sie thematisiert einerseits das Bild der islamischen Frau in ihrer eigenen, aber auch der westlichen Kultur – hier verschleiert, da erotisiert.400 Die Rede ist von „schwieriger Integration von Türken und Türkinnen in Deutschland“.401 Die Kuratorin interpretierte Metzels Arbeit so: „Das Kopftuch von Musliminnen, die in der westlichen Gesellschaft leben, ist seit einiger Zeit ein viel diskutiertes Thema. Olaf Metzel, der in der Vergangenheit Provokationen und heiklen Themen nie aus dem Weg ging, zeigt mit seiner Skulptur Turkish Delight (türkischer Honig) eine beinahe klassische Porträtfigur. Als einziges Kleidungsstück trägt die Aktfigur ein Kopftuch. Nicht nur die Rolle der Frau im Islam wird mit Hilfe der scheinbar poetisch-ruhigen 397 398 399 400

Vgl. ebd. Vgl. ebd. Schuppli, Ausstellungsbroschüre, a.a.O., S. 14. Vgl. Rüttimann, Sylvia: „Verabredung mit Gott“, in: artnet Magazin, November 2006: http://www.artnet.de/magazine_de/reviews/ruettimann/ruettimann11-08-06.asp. 401 Vgl. Schuppli, Ausstellungsbrochüre, S. 7.

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Kuratoren und Besucher Skulptur thematisiert, sondern ebenso der Versuch einer Integration in die westliche Gesellschaft. Auf pointierte Art wird dieses Spannungsfeld aufgegriffen.“402

Am Ende des Rundgangs stand die Videoarbeit My Personal Colour Field (2002) von Dominik Stauch (Abb.19). Stauch ließ über einen längeren Zeitraum Aurafotografien von sich machen und fügte die einzelnen Aufnahmen zu einem Video zusammen. Bei der Aurafotografie soll die Stimmungslage der abgebildeten Person in Form von bunten Farbfeldern eingefangen werden. Unterlegt mit psychedelischer Musik greift Stauch hier das Thema der Esoterik auf.403

3.1.5

Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen

Schuppli versteht Kunst als Spiegel der Gesellschaft. So schreibt sie in der Broschüre zur Ausstellung, dass Religion in der Gesellschaft ein Thema sei, das sich deshalb auch in der Kunst wiederfinde. Ferner bildeten Künstlerinnen und Künstler Realität ab – die in der Ausstellung zum Einsatz kommende Kunstauffassung war demnach eine dokumentarische. Die Kunstwerke in der Ausstellung in Thun stünden exemplarisch für den Umgang mit Religion in der Gesellschaft, auch wenn die Kuratorin statuiert, dass die Kunst heute nicht mehr im Dienst einer Sache stehe. Darüber hinaus werden „wir“, also die Nicht-Künstler, mit Künstlern gleichgesetzt. So schreibt sie, dass diese „ihr/unser Verhältnis“ zur Religion befragen. Kunstwerke sind hier nicht nur Spiegel, sondern auch Medium für einen Blick auf das Thema. Trotz der gesellschaftlichen Sprachrohroder Stellvertreterposition, die die Ausstellungsmacherin den Kunstschaffenden zuschreibt, erscheint die Kunst zugleich als autonomes Objekt, das sich nicht einbinden lässt, denn „die Kunst stellt [lediglich] Fragen“. Autonom und ungreifbar bleiben die künstlerischen Positionen: Sie betont, dass im Rahmen der Ausstellung keinesfalls der eigene Unglaube oder Glaube der jeweiligen Künstler zur Sprache kommen.404 Madeleine Schuppli sind bei der Gestaltung von Ausstellungen mehrere Dinge wichtig. Dazu zählt in erster Linie die Ästhetik des Raumes; es sollte keine „kramige Ausstellung“ sein. Der erste und letzte Raum eines Rundganges sei wichtig: Sie bemühe sich darum, Räume und Durchblicke mitzudenken und das Ineinanderfließen von Räumen zu arrangieren. Insbesondere sei ihr eine räumliche Dramaturgie wichtig, die Kunstwerke bedürften einer je eigenen Behandlung. Bislang habe sie ausschließlich mit dem White-Cube-Format gearbeitet.405 Eine 402 403 404 405

Schuppli, Faltblatt, a.a.O. Vgl. ebd. Vgl. Schuppli, Ausstellungsbroschüre, a.a.O., S. 8. Die Kuratorin äußerte, da sie nun mal eben an diesem Haus tätig sei, diesen Ort und

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Ausstellung solle „leicht daherkommen“, wobei die Umsetzung einer Ausstellung, deren Inszenierung „leicht daherkommt“, nicht weniger Arbeit sei als bei anderen Formaten. Generell sieht sie Kunstmuseen als Orte für Kunst, nicht als Räume für Erklärungen. In der Tat bevorzugt sie es, die Räumlichkeiten zu betreten, ohne über Informationen zu der Ausstellung zu verfügen.406 „Eine forcierte Inszenierung der Exponate macht keinen Sinn, sie ist unnötig. Die Dramaturgie und Gestaltung einer Ausstellung von zeitgenössischer Kunst muss so selbstverständlich daher kommen, dass sie nicht wirklich wahrgenommen wird. Im Zentrum stehen die Kunstwerke. Die ganze Aufmerksamkeit soll ihnen zukommen. Sie sollen sich bestmöglich entfalten können. Weder das Ausstellen noch das Kuratieren an sich sind Kunst. Im Gegenteil: Diese Tätigkeiten – auch wenn es dazu Können und Erfahrung braucht – stehen im Dienst der Kunst. Das Neue Ausstellen sehe ich in der Präzision, wie kuratorische Praxis gepaart wird mit einem Minimalismus im Dispositiv.“407

Für sie ist die Kunst an sich schon die Ausstellung: „Das Werk ist die Ausstel lung, das ist deckungsgleich.“408 Und weiter: „Die Grundvoraussetzung ist ein absolutes Vertrauen in das ausgestellte Werk. Als Kuratorin habe ich dieses aus einer Fülle von möglichen Werken ausgesucht und es damit als wichtig und relevant betrachtet. Nun gilt es, zu diesem Werk zu stehen, es ‚anzupreisen‘ und wenn nötig bis aufs Letzte zu verteidigen. [...] Die Praxis des Ausstellens unterscheidet sich je nach Gebiet – Architektur, Kulturgeschichte, Design etc. – grundlegend. In meinem Arbeitsfeld, der zeitgenössischen Kunst, müssen sich das kuratorische Konzept und das Ausstellungs-Dispositiv aus den Exponaten heraus entwickeln. Nur so ist eine vertiefte Begegnung mit der Kunst möglich.“409

Ihrer Einschätzung nach haben Kuratoren wenig Macht und Relevanz beziehungsweise Möglichkeiten der Einflussnahme. So ist sie nicht der Ansicht, dass man den Charakter einer starken und relevanten Arbeit durch kuratorisches Ar-

406 407 408

409

diese Situation nutzen würde. Vgl. Interview Madeleine Schuppli mit Maren Ziese am 15.09.2006. Dies klang so, als würde diese Institutionen ausschließlich den White Cube als Gestaltungsmöglichkeit bereit halten. Vgl. ebd. Schuppli, Madeleine: „Neues Ausstellen“, in: Kunstforum International, Dialog und Tagung mit Kuratoren, Interview, Bd. 186, Juli 2007, S. 107. Schuppli, Madeleine u.a.: „Dialog über das ‚Neue Ausstellen‘“, in: Kunstforum International, Kuratoren-Dialog, round table mit ders., Martin Beck, Moritz Küng, Harm Lux und Dorothea Strauss, Bd. 186, Juli 2007, S. 114. Schuppli, Neues Ausstellen, a.a.O., S. 107. Die Kuratorin bringt direkt ihre individuellen, subjektiven Geschmacksvorstellungen zum Ausdruck: So äußert sie, dass es darum gehe, zu ihrer Subjektivität zu stehen, sie wolle zeigen, was Qualität habe – nach bestem Wissen und Gewissen. Indem somit ihre Handschrift deutlich hervortritt, steht dies im Widerspruch zu dem von ihr aufgebrachten Schlagwort des Minimal Curating.

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beiten komplett verändern kann („aus einer Orange einen Apfel machen“).410 In Bezug auf ihre Rolle als Kuratorin spricht sie von einer Art Komplizenschaft mit den Kunstschaffenden sowie den Werken, „weil ich mich ja für sie entschieden habe. Somit ist es selbstverständlich, dass ich voll dahinter stehe.“411 Sie hat aber auch eine zusätzliche, andere Aufgabe, nämlich die der Vermittelnden zwischen Betrachter und Kunstwerk. Diese Rolle impliziert, dass sie das Werk in eine Ausstellung überträgt, welche für ein Publikum verständlich ist. In der Rezipierbarkeit liegt der Sinn und Zweck einer Ausstellung. So möchte sie Ausstellungen realisieren, um eine Wirkung zu evozieren. „Es ist mir nicht egal, wenn das keinen Menschen interessiert, was ich gemacht habe. Ich meine, da fließt soviel rein, dann will ich auch, dass es eine Wirkung hat. Schon den Künstlern gegenüber würde ich mich schrecklich fühlen, wenn kein Mensch kommt.“412 Hier kommt auch ihr Sendungsbewusstsein ins Spiel. Die Ausstellungsmacherin schildert, dass sie die Zusammenarbeit mit Künstlern sehr schätzt und auch das „Medium Ausstellung, da es sich hierbei um eine ästhetische und intellektuelle Auseinandersetzung dreht und eine räumliche Übersetzung stattfindet. Es geht zugegebenermaßen auch um die Befriedigung eines gewissen missionarischen Eifers, um die Hoffnung, dass der Funke auch auf andere überspringt und die Vermittlung gelingt.“413

Ihre subjektive Involviertheit wird in diesem Interview jedoch nicht nur bei ihrem „missionarischen Eifer“ deutlich: So ist eine Ausstellungseröffnung für sie etwas sehr Persönliches, „weil damit so viele Geschichten verbunden sind.“ Sie schildert, wie die Erinnerungen an die erste Idee oder die erste Begegnung mit dem Künstler zurückkommen; Ausstellungen können eine sehr persönliche und emotionale Bedeutung haben. Sie hat nicht nur Kunstwerke als sehr prägend erlebt, sondern auch Ausstellungen, sowohl jene, die sie selber kuratiert hat als auch andere.414 Sie sieht ihre Tätigkeit in stetem Wandel: „Ich bin immer am Sammeln. Das eine prägt das nächste, und ich bin immer am Lernen.“ Dazu zählt auch, dass die Ausstellungsmacherin manche Projekte im Rückblick besser oder auch einfach anders realisiert hätte, „das sind ja nicht nur alles geniale Entwürfe. Es hängt auch stark davon ab, wie stark ich selber involviert bin.“415 Trotz 410 411 412 413 414 415

Vgl. Schuppli, Dialog, a.a.O., S. 126. Ebd. Ebd., S. 127. Ebd., S. 130. Vgl. ebd., S. 122 und S. 124. Ebd., S. 124. Hier bezieht sich die Ausstellungsmacherin auf ein Projekt mit dem Künstler Florian Slotawa: „Florian Slotawa hat 2003 bei mir in Thun eine Ausstellung gemacht. Er brachte kein Material in die Ausstellung mit, sondern arbeitete vor Ort. Er wollte meinen ganzen Hausrat, um damit eine Installation zu machen. So hatte ich für

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der Subjektivität, die in ihrer Arbeit mitschwingt, will sie diese scheinbar nicht im Ausstellungsraum vermitteln. So erwähnt sie im Zusammenhang mit dem Präsentieren im kommerziellen Bereich (wo es laut Schuppli klare Botschaften gibt): „In einer Kunstausstellung will ich gar nicht mit klaren Botschaften arbeiten, weil die Dinge eben kompliziert und vielschichtig sind, weil ich nicht belehren will, sondern eher die Gegensätzlichkeiten aufzeigen möchte. Ich will ja gar nicht mit dieser Direktheit und Effizienz an die Leute heran gehen, und möchte das auch gar nicht, weil ich ja sonst die Inhalte kanalisieren, banalisieren und popularisieren würde. [...] Am Autosalon werden über das Erklären Autos verkauft. Es geht nur um den Verkauf. Das ist ein völlig anderer Zweck als in einer Kunstausstellung, wo ich ja nichts verkaufen will, sondern wo ich die Leute einladen möchte, sich damit auseinanderzusetzen, das zu teilen oder vielleicht einen Mehrwert aus der Auseinandersetzung mit Kunst mitzunehmen.“416

Schuppli macht hier deutlich, dass sie mit ihrer zurückgenommen, auf die Kunstwerke konzentrierten Art des Kuratierens, eine typische Vertreterin der Präsentationsform White Cube ist.

3.1.6

Das Konzept und seine Interpretation

Wenngleich das Ende des Präsentationsformats „White Cube“417 vielfach diskutiert und viel Kritik an dieser Ausstellungssituation geäußert wurde, nutzen Museen und Galerien den „weißen Würfel“ nach wie vor.418 Der White Cube gilt als die etablierte Konvention in der Gestaltung und Realisierung von Ausstellungen drei Monate dann nur noch eine Matratze zu Hause. Das Ganze war sehr intensiv, denn ich musste mich ja auch outen mit meinen persönlichen Dingen, die plötzlich Teil der Öffentlichkeit wurden“. 416 Ebd., S. 131. 417 Die Bezeichnungen „White Cube“, Formalästhetik sowie „ästhetische Ausstellungssprache“ werden hier synonym verwendet. 418 Beispielsweise wurde in der Zeitschrift ArtReview das Ende des White Cube diskutiert und ein Trend ausgemacht, der sich von der Sterilität und Uniformität dieses Formats wegbewegt. Vgl. Ackermann, Marion: Farbige Wände: Zur Gestaltung des Ausstellungsraumes von 1880 bis 1930, Wolfratshausen 2003, S. 8. Zur nicht enden wollenden Verwendung des White Cube: Vgl. Richter, Dorothee: „Zur Geschichte des AusstellungsDisplays“, in: Schade, Sigrid (Hg.): Ausstellungs-Displays, ICS-Dokumentation zum Forschungsprojekt 2005–2007, Zürich 2007, S. 15. Siehe auch hierzu Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 102: Die Präsentationsform einer Formalästhetik ist noch immer die häufigste Vermittlungsform. Von Richter wird die Kritik genannt: Diskurs um die Produktion, Rezeption und Zirkulation, geregelte Verfahren, Disziplinierung von Subjekten, ferner Kritik an der Eindämmung von Diskursen, Entkontextualisierung und Uniformität der Räume.

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Kuratoren und Besucher

und als internationaler Standard. Hierauf beruft sich die Kuratorin der Ausstellung Choosing my Religion. Mit ihren Aussagen gibt sich Schuppli als Befürworterin einer bestimmten Richtung zu erkennen, deren Vertreter für eine Rückbesinnung auf die Individualanforderungen des Objekts in der Ausstellung plädieren und argumentieren, dass Ausstellungsräume eher „einfach“, unspektakulär und praktikabel (im Hinblick auf gute Proportionen) sein sollten. Meist geht hiermit das Statement gegen jegliche Art von großer Inszenierung einher.419 Wie bereits in oben zitierten Aussagen der Kuratorin Schuppli deutlich wurde, ist der museale Umgang mit Kunstwerken gewöhnlich durch Zurückhaltung gekennzeichnet, und im Bewusstsein vieler Kuratoren reduziert sich der Umgang mit den Objekten lediglich auf die „Hängung“ der Werke und die Ergänzung der notwendigsten Grundinformationen. Dies zieht die illusionäre Vorstellung nach sich, die Kuratorentätigkeit sei primär dem Künstler und dem „‚unverfälschten Redenlassen‘ seiner Schöpfung verpflichtet“.420 Doch sei darauf hingewiesen, dass auch ein Ausstellungsprojekt, dessen Absicht lautet, dem Besucher eine möglichst „unverstellte“ Wahrnehmung der Botschaft der Kunstgegenstände zu ermöglichen, damit ein spezifisches Ziel der Vermittlung verfolgt. Dieses Ziel zieht ebenfalls bestimmte Verfahren der Vermittlung nach sich und ist in seiner Wirkung überprüfbar.421 Somit birgt auch eine „minimale“ Inszenierung eine Aussage. Wie von Brian O’Doherty ausgeführt, geht die Entscheidung für weiße Ausstellungswände mit der Annahme einher, dass es möglich sei, einen neutralen Raum zu schaffen, in dem die Kunst in idealer Weise hervortrete. Hier geht es um die Verwirklichung des Prinzips „Kunst um der Kunst willen“ (L’art pour l’art). Das autonome Werk

419 Ackermann schildert eine Diskussion zwischen dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, Uwe M. Schneede, und dem Direktor der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Helmut Friedel, über die Gestaltung farbiger Wände, hier am Beispiel der passenden Inszenierung für die Blauen-Reiter-Räume im Lenbachhaus. Schneede listete die aus seiner Sicht geeignete Gestaltung folgendermaßen auf: angemessene Abstände zwischen den Bildern, weiße Wände, helle Räume, eingeschossige Hängung. Vgl. Ackermann, a.a.O., S. 8ff. Zu nennen ist hier auch beispielsweise Lynne Cooke: Sie bemängelt, dass die Ausstellungen nur noch als Katalysatoren für größere Events und Fragen genutzt würden und plädiert für eine Abkehr von diesem Ansatz. Außerdem stellt sie fest, dass Kuratoren nur noch als social agents tätig werden und die Kunst dabei zurücktrete. Vgl. Cooke, Lynne/Wollen, Peter (Hg.): Visual Display: Culture beyond Appearances, Seattle 1995, S. 33. 420 Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 16. Fayet vergleicht den kuratorischen Umgang mit Kunstwerken mit dem von Natur- oder Gebrauchsgegenständen. Letztere müssen erst zum „Sprechen“ gebracht werden, während laut Fayet Kunstwerke bereits daraufhin angelegt sind, komplexe Botschaften zu übermitteln. 421 Vgl. ebd.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

steht im Zentrum.422 Nichts soll von der Wirkung der Kunst ablenken.423 Im Mittelpunkt des Ausstellungsbesuches steht die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Kunst und nichts weiter. Der Glaube an die Autonomie des Kunstwerks ist zudem Vorbedingung für die einreihige Hängung und die Isolierung des Einzelbildes. Diesem Konzept zufolge brauchen Bilder immer mehr Raum, um ihre Wirkung entfalten zu können, einhergehend mit der Auffassung, dass die Qualität eines Kunstwerkes erst dann vollkommen zur Geltung kommen könne, wenn dem Bild der zur Entfaltung seines „Eigencharakters“ notwendige Freiraum gegeben werde. Beim White Cube werden also im Vergleich zum Typus der Salonhängung die Bilder mit genügend Raum „zum Atmen“ autonomisiert, das heißt eine enge Neben- und Übereinanderhängung von Kunstobjekten wird vermieden.424 Die Vereinzelung von Objekten wird also als Gestaltungsmittel eingesetzt, um Exponaten eine besondere Bedeutung zu verleihen.425 Die Galeriewand wird zum differenzschaffenden Medium, indem die Präsentation absolut gesetzt und auf der Entfaltung der Kunstwerke zur bestmöglichen Wirkung bestanden wird. Auch Muttenthaler/Wonisch bemerken, dass der Galerieraum in seiner Abgeschlossenheit das Wertesystem derjenigen sozialen Gruppen bestätigt, die zu ihm Zugang haben und dort ihre Abgrenzungsrituale pflegen. Indem Kuratoren vorgeben, neutrale Vermittler zu sein, leugnen sie ihre Definitionsmacht im Hinblick auf den Kunstkanon sowie die Distinktionsmechanismen, die bestimmte soziale Gruppen privilegieren.426 Zu bemerken ist, dass dieses Präsentationsformat, bei dem es um den „reinen Kunstgenuss geht“, die Kunstbegegnung in den Bereich der Inkommunikabilität rücken kann. So werde nach Kamel vermittelt, dass ein Auf-sichwirken-lassen sowie kontemplative und schweigende Haltungen die angebrachten Verhaltensformen gegenüber den Exponaten seien.427 Der (direkten) Vermittelbarkeit von Kunst stehen meist mehrere Punkte entgegen. Nicht nur Vorlieben und 422 Der White Cube wurde von Brian O’Doherty theoretisch untermauert. Vgl. O’Doherty, Brian: Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space, Berkeley 1999. Oder auch: O’Doherty, Brian: „Die weiße Zelle und ihre Vorgänger“, in: Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Betrachter ist im Bild, Berlin 1992, S. 333–347. Vgl. Ackermann, a.a.O., S. 6. Zu den Merkmalen des White Cube ließen sich mehrere Aspekte nennen: Kabinette, Blickachsen, die Widmung ganzer Räume an einzelne Künstler, auratische Aufladung des Einzelwerks sowie eine einreihige Hängung mittlerer Sichthöhe. Siehe auch zur Herausbildung des Präsentationsformats: Grasskamp, Walter: „Die weiße Ausstellungswand. Zur Vorgeschichte des white cube“, in: Ullrich, Wolfgang/Vogel Juliane (Hg.): Weiß, Frankfurt am Main 2003, S. 29–63. Oder auch: Wigley, Mark: White Walls, Designer Dresses. The Fashioning of Modern Architecture, Cambridge 1995. 423 Vgl. Steyerl, Hito: „White Cube and Black Box. Die Farbmetaphysik des Kunstbegriffs“, in: Eggers, Maureen Maisha u.a. (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005, S. 135. 424 Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 126. 425 Vgl. ebd. 426 Vgl. ebd. 427 Vgl. Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 102ff.

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Geschmacksvorstellungen der Kuratoren entziehen sich oftmals einer Offenlegung und Benennung, sondern auch der ökonomische Erfolg eines Künstlers lässt die ausgestellten Gegenstände unhinterfragbar erscheinen.428 Susan Kamel betont in ihrer Studie, dass Formen des Erlebens, Wahrnehmens und Erkennens vorgeprägt sind. So handelt es sich bei der Erfahrung von Kunst um keine mystische Begabung, sie ist vielmehr beispielsweise durch Kultur, Geschlecht, Alter und Sprache geprägt und das Resultat von Lernprozessen.429 Die Annahme von einem natürlich begabten Individuum unter kompletter Ausblendung seiner gesellschaftlichen Position ist somit (wie auch schon vorher thematisiert) nicht haltbar. Es wird eine Unmittelbarkeit vorgetäuscht und die Bedingung des Sehens nicht berücksichtigt. Das Präsentationsformat des White Cube geht von einer universellen Wahrnehmung sowie dem idealen Betrachter aus, von O’Doherty als „white and middle class“ identifiziert, körperlos und in der Lage, sich konzentriert und in steter Anerkennung der Museumsautoritäten auf das einzelne Kunstwerk zu fokussieren.430 Das Konzept, dass Besucher beim Durchschreiten der Ausstellung selber eine Bedeutung generieren und die Werke für sich sinnstiftend interpretieren, rechnet zum einen mit der Bereitschaft, aus einer Auswahl und Zusammenstellung von Objekten eine Bedeutung abzuleiten, zum anderen mit der Fähigkeit, dies zu tun. Wie Fayet betont, muss der Betrachtende unabhängig von der Eingängigkeit der Objektanordnung stets eine beträchtliche Denkleistung erbringen, um Kunstwerke zu entschlüsseln.431 Aufgrund der im White Cube typischen Hängung – weite Abstände zwischen den Bildern – soll dem Betrachter ermöglicht werden, mit jedem einzelnen Objekt ein direktes Verhältnis einzugehen.432 Die Ansprache des Besuchers erfolgt hier in erster Linie über Bilder und folgt der Idee, dass Besucher sich in der Kunst wiederentdecken und sich repräsentiert fühlen. Die Annahme, dass es für alle einen Zugang in der Kultur gibt, führt dazu, dass Kuratoren bei ihrer Objektauswahl und -inszenierung darauf achten, dass für jeden etwas zur Verbindung zu finden ist, dass Werke unterschiedlich inszeniert werden und eine Bandbreite an künstlerischen Ausdrucksformen und Bildthemen vorhanden ist. Wenngleich Schuppli in ihren Aussagen zum Ausdruck bringt, dass es trotz der dienenden Funktion der 428 Vgl. Puffert, a.a.O., S. 63. 429 Vgl. Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 101ff. Kamel verweist auf Bazon Brock, indem sie sagt, auch die ästhetische Erfahrung wird in einem bestimmten Wahrnehmungsraum als solche gedeutet. 430 Vgl. Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 102. Als idealen Besucher nehmen Kuratoren sich gerne selber an. Vgl. Sheikh, Constitutive Effects, a.a.O., S. 178. 431 Vgl. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 18ff. Fayet äußert sich zur Diachronie der Wahrnehmung. Beim assoziativ-narrativen Ansatz werden die Bezüge von den Besuchern hergestellt. 432 Vgl. Ault, Julie: „Widely Spaced at Eye Level“, in: springerin, Band VI, Heft 1, S. 39.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

Kunst durchaus wichtig sei, dass Besucher in die Ausstellung kommen, steht die Bequemlichkeit und Zugänglichkeit für die Betrachter scheinbar nicht im Zentrum. Es werden keine Extra-Einladungen ausgesprochen, um neue Besucherkreise zu erschließen. Der Ausstellungsraum dient nicht als sozialer Versammlungsraum, sondern als Ort des ästhetischen Erlebens.

3.1.7

Choosing my Religion und Relationalität

Im Hinblick auf die in dem Kapitel „Techniken zur Schaffung von sozialen Räumen“ aufgeworfenen Kriterien kann festgehalten werden, dass in der Ausstellung Choosing my Religion keine Positionierung der Ausstellungsmacherin stattfand und das Museum die Kontexte und Bedingungen nicht offen legte. Auch wurde keine Anleitung zum Sehenlernen geboten oder die eingesetzte Ausstellungssprache für die Besucher verständlich gemacht. Diese Tatsache kam in der Aussage zum Ausdruck, dass die Ausstellung „leicht daherkommen“, also das „Gemachtsein“ nicht deutlich werden sollte. Die Kuratorin schwächte die Bedeutung ihrer Zeigegesten ab, wenn sie sagte, es gebe keine Inszenierung, die Kunst sei schon die Ausstellung an sich und lediglich Schönheit und Ästhetik seien Mittel der Adressierung. Die Ansprache erfolgte ihrer Meinung nach ausschließlich über die Bilder, und zwar mit jedem Exponat. Im Interview positionierte sie sich zwar mit ihrer Subjektivität, im Ausstellungsraum war diese aber nicht zu erkennen. Besucherkomfort und angenehme Atmosphäre für das Publikum traten im Vergleich zum „Dienst an der Kunst“ zurück. So erachtete die Kuratorin Didaktik für nicht zentral: Der Ausstellungsraum sei kein Ort für Erklärungen, sondern für Kunst. Als Besucherkomfort wurde angesehen, nicht gegängelt zu werden und die Wahl zu haben, ob man mehr Informationen wünsche oder nicht. Die Besucher dieser Ausstellung mussten selbst aktiv werden, das heißt sich den Rundgang selber zusammenstellen, nach Informationen suchen, weil sie sich ihnen nicht didaktisch aufdrängten. Sie sind auch nicht direkt zu einer längeren Verweildauer eingeladen worden, wenngleich es einige Sitzgelegenheit vor manchen Arbeiten sowie Stühle in den Fluren gab. Die Ausstellung war zum Durchlaufen konzipiert. Es handelte sich hierbei nicht um ausladende Gesten, der Besucher musste selber die Initiative ergreifen. Das Gästebuch fiel nur auf, wenn man danach suchte, da es im Buchladen zwischen den Büchern auslag. Im Vorteil waren eindeutig die Kenner der Räume, die Kenner dieses Ausstellungsformats und die Kunstexperten. So fand sich keine einladende Begrüßungsgeste, keine implizite Aufforderung, die Stimme zu erheben. Imaginiert war also der ideale Besucher, als jemand, der sich ausschließlich auf die Kunst konzentriert und die Räume zügig durchläuft. Das Kriterium „Vielstimmigkeit“ wurde nicht in unterschiedlichen Inszenierungszonen oder mannigfaltigen Angeboten für die Besucher deutlich, wenn-

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gleich die Kuratorin im Interview betonte, dass die Kunstwerke unterschiedlich behandelt werden sollten. Bis auf unterschiedliche Beleuchtungsarten und die unterschiedlichen Interieur-Überreste des ehemaligen Hotels war der Rundgang eher einheitlich inszeniert. Um Heterogenität hatte sich die Ausstellungsmacherin bei der Auswahl unterschiedlicher künstlerischer Medien und der Bandbreite der Themenvielfalt bemüht, auch eine Diversifikation in der kulturellen, religiösen und nationalen Herkunft der Kunstschaffenden war ihr wichtig. So wurden nicht nur internationale Beiträge ausgestellt, sondern über Dominik Stauch auch Bezüge zum Thuner Umfeld eröffnet. Bei einigen Werken handelte es sich um Auftragsarbeiten. So sollte eine Publikumsadressierung nicht nur über die Ästhetik der Ausstellung erfolgen, sondern auch über die Heterogenität des Gezeigten. Da ansonsten keine unterschiedlichen Vermittlungszugänge angeboten wurden, ließe sich konstatieren, dass die Ausstellung einen universellen Besucher voraussetzte. Der Kuratorin war es auch nicht wichtig, neue Zielgruppen zu akquirieren. Dies kam in der Aussage zum Ausdruck, dass Besucher eine Ausstellung nicht in erster Linie aufgrund eines bestimmten Themas aufsuchen. Ein partnerschaftliches Besucherbild ließ sich nicht unbedingt finden, allein die Formulierung, es käme zu einer Banalisierung und Popularisierung, wenn man direkter auf die Besucher eingehen würde, macht das deutlich. Die Zielsetzung der Ausstellung lag in der Anerkennung der Kunstpräsentation („da fließt soviel rein, schade, wenn niemand kommt“) sowie in der Wertschätzung des Gegenstandes als Kunst („das Werk bis aufs Letzte verteidigen“). Die Ausstellung diente somit einer ästhetischen und intellektuellen, keiner sozialen Auseinandersetzung. Die Rezipienten sollten einen nachhaltigen Mehrwert aus der Begegnung mit Kunst ziehen. Was das eigentlich inhaltlich bedeutet, blieb unklar. Die thematische Gruppenausstellung Choosing my Religion im Kunstmuseum Thun behandelte zwar ein politisches Thema, entledigte sich aber des politischen und sozialen Potenzials durch das Präsentationskonzept. Die Ansprache über Ästhetik und „Schönheit“ der Ausstellungsinszenierung und Kunstwerke überwog einer Adressierung durch das Thema. Über die Exponate und die Definition eines Schlüsselwerkes und dessen Platzierung vermittelte die Kuratorin die Ausstellungssprache des White Cube (unterstrichen durch die nobilitierende Struktur des ehemaligen Hotelgebäudes). Darüber hinaus arbeitete sie in ihrer Vermittlung mit Sichtachsen, mit der inhaltlichen Zusammenstellung sowie Kontextualisierung einzelner Werke (wie etwa der erste Raum des Rundganges mit den Arbeiten von Wallinger und Sisley) und (auch im Zusammenhang mit dem White Cube) dem Einsatz von Licht, Farbe und Sockeln. Das Museum präsentierte keine Ausstellung, die von den Kunstgegenständen wegführte. Im Zentrum des Ausstellungsbesuches sollte die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Kunst stehen. Dies überraschte, da die Schau inhaltlich die Frage von Gemeinschaft aufwarf, zumal es im Faltblatt und Katalog hieß, dass insbesondere gesellschaftliche Fragen be-

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

handelt werden sollten. Wie zu zeigen sein wird, wurde im Vergleich zu den noch folgenden Ausstellungen bei Choosing my Religion explizit der Themenstrang von Gemeinschaft und Gesellschaft aufgebracht. Die ausgewählten Werke behandelten auf der Abbildungsebene das Gemeinsame oder Trennende von Religionsgruppen. Im Gegensatz dazu stand dann die Separierung im Ausstellungsraum, sowohl die der räumlich deutlich getrennten Exponate, als auch durch die indirekte Ansprache und Priorisierung einer Gruppe, die im Katalogtext mit „wir“ benannt worden war – Politisierung, Emanzipation oder soziale Begegnungen sowie Nachhaltigkeit im weitesten Sinne standen nicht im Zentrum. Es wurde in erster Linie ein ästhetisches Erlebnis (sowie ein Bildungserlebnis) angeboten. Kunst sollte den Betrachter als Kunst und als nichts anderes ansprechen. Mit der Aufforderung, sich mit dem Thema auseinander zusetzen, war also in erster Linie Reflexion und Kontemplation gemeint. Es erfolgte keine Aktivierung und Stimulierung des Besuchers durch die Selbst-Positionierung der Institution. Bei der Ausstellungssprache, mit der die Kuratorin für das Ausstellungsprojekt Choosing my Religion arbeitete, – das dürfte deutlich geworden sein – , handelte es sich um die ästhetische Ausstellungssprache. Wenngleich kontextualisierende Elemente in der Inszenierung zu finden waren, überwog das Format des White Cube.

3.2

DIE ZEHN GEBOTE

3.2.1

Hintergrundinformationen

Steckbrief: Titel: Die Zehn Gebote. Eine Kunstausstellung433 Ort: Deutsches Hygiene-Museum Dresden, Deutschland Dauer: 19. Juni 2004 bis 2. Januar 2005 (verlängert) Beteiligte Künstler: Adel Abdessemed, geb. 1971, Algerien; Laylah Ali, geb. 1968, USA; Francis Alÿs, geb. 1959, Niederlande; Yael Bartana, geb. 1970, Israel; Marc Bijl, geb. 1971, Niederlande; Janet Cardiff, geb. 1957, Kanada; Maurizio Cattelan, geb. 1960, Italien; Minerva Cuevas, geb. 1975, Mexico; Chris Cunningham, geb. 433 Unterschiedliche Titel zirkulierten bezüglich der Ausstellung. Auf dem Pressespiegel stand als Untertitel: „Politik. Moral. Gesellschaft. Internationale Kunstausstellung“.

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Kuratoren und Besucher

1970, Großbritannien; Henry Darger, geb. 1890, gest. 1973, USA; JiRˇí David, geb. 1956, Tschechien; Thomas Demand, geb. 1964, Deutschland; Michael Elmgreen, geb. 1961, Dänemark; Ingar Dragset, geb. 1969, Norwegen; Cerith Wyn Evans, geb. 1958, Schottland; Adam McEwen, geb. 1965, Großbritannien; Harun Farocki, geb. 1944, Tschechien; Hans-Peter Feldmann, geb. 1941, Deutschland; Sylvie Fleury, geb. 1961, Schweiz; Parastou Forouhar, geb. 1962, Iran; Kendell Geers, geb. 1968, Südafrika; Felix Gonzalez-Torres, geb. 1957, Kuba, gest. 1996, USA; Shilpa Gupta, geb. 1976, Indien; Andreas Gursky, geb. 1955, Deutschland; Mathilde ter Heijne, geb. 1969, Belgien; Carsten Höller, geb. 1961, Belgien; Martin Honert, geb. 1953, Deutschland; Jonathan Horowitz, geb. 1966, USA; Mustafa Hulusi, geb. 1971, Großbritannien; Alfredo Jaar, geb. 1956, Chile; Emily Jacir, geb. 1970, Palästina; Christian Jankowski, geb. 1968, Deutschland; Kimsooja, geb. 1957, Korea; Sigalit Landau, geb. 1969, Israel; Armin Linke, geb. 1966, Italien; Mark Lombardi, geb. 1951, gest. 2000, USA; Ján Man uška, geb. 1972, Slowakische Republik; Teresa Margolles, geb. 1963, Mexiko; Tony Matelli, geb. 1971, USA; Aernout Mik, geb. 1962, Niederlande; Boris Mikhailov, geb. 1938, Ukraine; James Morrison, geb. 1959, Papua-Neuguinea; Gianni Motti, geb. 1958, Italien; Olaf Nicolai, geb. 1962, Deutschland; Tim Noble, geb. 1966, Großbritannien; Sue Webster, geb. 1967, Großbritannien; Orlan, geb. 1947, Frankreich; Tony Oursler, geb. 1958, USA; OVNI (Observatori de Video No Identificat), gegründet 1994, Spanien; Pier Paolo Pasolini, geb. 1922, gest. 1975, Italien; Paul Pfeiffer, geb. 1966, Hawaii; Daniel Pflumm, geb. 1968, Schweiz; Daniela Rossell, geb. 1973, Mexico; Thomas Ruff, geb. 1958, Deutschland; Anri Sala, geb. 1974, Albanien; Nebojsa Šeric-Shoba, geb. 1968, Bosnien-Herzegowina; Efrat Shvily, geb. 1955, Israel; Shahzia Sikander, geb. 1969, Pakistan; Santiago Sierra, geb. 1966, Spanien; Taryn Simon, geb. 1975, USA; Dayanita Singh, geb. 1961, Indien; Alexander Sokurov, geb. 1951, Russland; Erik Steinbrecher, geb. 1963, Schweiz; STIH & SCHNOCK, gegründet 1992, Deutschland; Ricky Swallow, geb. 1974, Australien; Usine de Boutons, gegründet 2002, Italien; Fatimah Tuggar, geb. 1967, Nigeria; Anne Wallace, geb. 1970, Australien; Marijke van Warmerdam, geb. 1959, Niederlande; Yeondoo Jung, geb. 1969, Südkorea; Jasmila Zbanich, geb. 1974, Bosnien-Herzegowina; Andrea Zittel, geb. 1965, USA. Kuratoren: Klaus Biesenbach, Ellen Blumenstein, Anja Sommer Katalog: Klaus Biesenbach (Hg.) für das Deutsche Hygiene-Museum: Die Zehn Gebote, mit Texten von Dennis Altman, Kevin Bales, Navid Kermani, Alexander Meschnig, Dietmar Mieth, Desmond Morris, Ulf Poschardt, Susan Sontag u.a. Ostfildern-Ruit 2004. Institution: Stiftung Deutsches Hygiene-Museum

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

Das Museum Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden ist ein Wissenschaftsmuseum mit einer Spezialsammlung.434 Bei dem Gebäude handelt es sich um einen Bau von Wilhelm Kreis am Rande des Großen Gartens (Abb.21), welcher zwischen 1927 und 1930 als Ort der Gesundheitsaufklärung geschaffen wurde.435 Als „Museum vom Menschen“ hatte die Institution bislang eher medizin- und kulturhistorische Ausstellungen von Hirnforschung bis Gentechnologie realisiert, die an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Alltagswelt verortet waren.436 Seit der Gründung des Museums steht die Vermittlung von Themen zu „MenschKörper-Gesundheit“ mit wissenschaftstheoretischen, philosophischen und ethischen Fragestellungen im Zentrum der Arbeit. Jedoch handelt es sich trotz dieser inhaltlichen Ausrichtung um kein klassisches Museum, wie die stellvertretende Direktorin Gisela Staupe hinsichtlich des Profils ihrer Einrichtung konstatiert.437 Laut Staupe wird das Medium Ausstellung am DHMD gezielt für den Dialog zwischen Öffentlichkeit und Wissenschaft genutzt.438 Wenngleich Ausstellungen Annette Lepenies zufolge an sich bereits durch eine „hohe Diskurswirkung“ gekennzeichnet sind, verlangt gerade die museale Präsentation von komplexen und abstrakten wissenschaftlichen Fragestellungen nach Inszenierungsweisen, die traditionelle Arten des „bloßen Zeigens und Präsentierens“ 434 Es handelt sich um kein Science Center im amerikanischen Sinn. „Die Aufgabe des Deutschen Hygiene-Museums besteht heute darin, den Menschen in interdisziplinär angelegten Ausstellungen als ein biologisch, psychisch, sozial und kulturell vernetztes Wesen anschaulich und sinnlich begreifbar zu machen. Die in der Ausstellungstätigkeit praktizierte Verschränkung von Natur- und Kulturwissenschaften, die sich heute in der gesamten Wissenschaftslandschaft beobachten lässt, zeigt den Menschen und das Menschliche in neuen, ungewohnten Perspektiven und vielfältigen Zusammenhängen“ (Stiftung Deutsches Hygiene-Museum 2001). Lepenies, a.a.O., S. 125. 435 Zur wechselvollen Geschichte des Museums, zu den Umbau-Maßnahmen (und dem Erhalt der historischen Substanz) seit 1989 siehe beispielsweise Tilmann von Stockhausen: „Die Zukunft des Deutschen Hygiene-Museum“, kritische berichte, 3/02, S. 51–54. Seit dem Umbau existiert eine vergrößerte Ausstellungsfläche, der Bau wurde weitgehend entkernt und im Inneren neu strukturiert, von der historischen Substanz ist nur wenig geblieben. Und: Nach der Wende von 1989 entfaltete das Dresdner Hygiene-Museum eine rege Aktivität. Zahlreiche Sonderausstellungen wie der „Neue Mensch“ führten Besucher in das sanierungsbedürftige Museumsgebäude. Vgl. ebd., S. 51. 436 „Den derzeitigen Arbeitsschwerpunkt des Museums bilden wechselnde Themenausstellungen (...). Die Ausstellungen entstehen in enger Kooperation von Kuratoren und wissenschaftlichen Projektgruppen mit Gestaltern, Künstlern, Technikern, Bühnenbildnern oder Ausstellungsarchitekten. Sie behandeln neueste Forschungsergebnisse aus den Wissenschaften vom Menschen ebenso wie Fragen der Alltagskultur und setzen sich mit gesellschaftspolitischen Problemen oder geistes- und kulturgeschichtlichen Themen auseinander“ (Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden 2001). Lepenies, a.a.O., S. 125. 437 Vgl. Staupe, Gisela: „Szenografie in Ausstellungen!“, in: DASA: Szenographie in Ausstellungen und Museen. Beiträge zum Kolloquium vom November 2000 in der DASA, S. 125. 438 Vgl. ebd.

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Kuratoren und Besucher

übersteigen.439 Auch Gisela Staupe schildert, dass das Deutsche Hygiene-Museum Dresden mit einigen Ausstellungsprojekten hinsichtlich der Frage, wie sich komplexe wissenschaftlichen Themen in unkonventionelle Ausstellungsgestaltungen übertragen ließen, experimentierte. Gerade auch, um der Komplexität wissenschaftlicher Sachzusammenhänge gerecht zu werden, habe das Museum des öfteren auf Kunstwerke als „Belege, Ergänzungen oder ästhetische Kommentare“ zurückgegriffen, und diese in unterschiedliche Projekte eingebettet. Dass die Kooperation von Kunst und Wissenschaft eine Umsetzungsmöglichkeit ist, die am Hygiene-Museum genutzt wird, zeigt sich in der Mitwirkung von Künstlern wie Durs Grünbein, Via Lewandowsky und Rosemarie Trockel, die kuratorisch beteiligt waren.440 Bei der Ausstellung Die Zehn Gebote handelte es sich um die erste Sonderausstellung nach Wiederöffnung des renovierten Museumsgebäudes. Das, wofür die Ausstellung steht – ein Spannungsbogen zwischen Ethik und Ästhetik –, sieht der Direktor des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Klaus Vogel, im Einklang mit dem Grundanliegen seiner Institution: „In allen unseren Ausstellungen stellen wir auch immer die Frage nach den Regeln für verantwortliche Entscheidungen, etwa in Fragen der Genetik oder Hirnforschung. Das Museum hat sich bewusst für zeitgenössische Kunst entschieden, um die Zehn Gebote nicht wieder in die historische Schublade zu stecken und für überholt zu erklären.“441

439 Lepenies meint mit traditioneller Ausstellungssprache vermutlich den White Cube, denn sie verweist auf die „Strenge der ‚White-Space-Raum-Atmosphäre‘“. Vgl. Lepenies, a.a.O., S. 124f. 440 Vgl. Staupe, Szenografie, a.a.O., S. 124ff. Staupe spricht von einer Art „Verlegenheitslösung“. Dieses Ausstellungsprinzip des DHMD kann als szenografischer Ansatz bezeichnet werden, denn das Grundelement der Szenografie ist die Interpretation der Inhalte mit künstlerischen Mitteln. Vgl. ebd., S. 125f. Auch Gehrhards schildert in seinem Aufsatz, wie normalerweise am DHMD inszeniert wird: Gehrhards, Carsten: „Konstruktion von Atmosphären“, in: Kilger, Gerhard/Müller-Kuhlmann, Wolfgang (Hg.): Szenographie in Ausstellungen und Museen II, Essen 2006, S. 204–211. Ein weiteres Beispiel, wie das Museum außer in der „Zehn Gebote“-Ausstellung inszenierte, ist auch: Lepp, Nicola: „Der Neue Mensch. Obsessionen des 20. Jahrhunderts“, in: Schwarz, Ulrich/ Teufel,Philipp: Handbuch Museografie und Ausstellungsgestaltung, Ludwigsburg 2001, S. 208–213. Die Gestalter stellen die Forderung nach einer Atmosphäre, die das Wohlbefinden des Besuchers steigert und ihn zum Verweilen einlädt. Diese Forderung wird von den Autoren in Verbindung mit dem Gründer und geistigen Vater des DHMD, August Lingner, in Zusammenhang gebracht. Laut Schwarz und Teufel erhöht sich so die Bereitschaft des Besuchers, sich auf die Ausstellungsinhalte zu konzentrieren: das Angebot an Arbeitstischen, Bibliothekseinheiten und interaktiven Modulen. Vgl. ebd., S. 207. Lepenies verweist auf das Ziel des Museums, zu einem Erlebnisort zu werden. Hier soll es nicht nur um eine empirisch exakte Inszenierung wissenschaftlicher Themen gehen, sondern auch darum, Besucher auf einer anderen Ebene (einer innerlichen Anteilnahme) anzusprechen. Vgl. Lepenies, a.a.O., S. 123. 441 Staupe, Gisela/Vogel, Klaus: „Vorwort“, in: Biesenbach, Klaus (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 7.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

In Anlehnung an die bisherige Erfahrung des Museums, zusammen mit Künstlern interdisziplinäre Ausstellungsprojekte kreativ zu gestalten und einzelne künstlerische Positionen auszustellen (sowie Wissenschaft und Kunst einander befruchten zu lassen), erscheint diese Ausstellung als ein Experiment.442 Die CoKuratorin der Zehn Gebote-Ausstellung, Anja Sommer, betont explizit, dass es sich bei diesem Haus um kein Kunstmuseum handelt443 – reine Kunstausstellungen hatte es hier zuvor nicht gegeben. Dieser Hinweis ist relevant für einen Blick auf das Publikum dieser Institution: „Die Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum bietet auf Grund des Themas und des Ortes die Chance, Besucher/innen zu erreichen und ihnen eine Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen, die sonst nicht in ein Kunstmuseum gehen würden. Mehrere Faktoren sind dabei befremdlich, unter anderem, dass es um zeitgenössische Kunst geht – zumal in einem Museum mit natur- und kulturwissenschaftlichem Profil – sowie die starke emotionale Wirkung, die die künstlerischen Positionen entfalten.“444

Hier war also weniger mit einem dezidiert kunstinteressiertem Publikum zu rechnen. „Viele Besucher bringen wenig Erfahrung im Umgang mit zeitgenössischer Kunst mit, oft existieren starke Hemmschwellen oder strikte, einseitige Vorstellungen von ihr.“445 Die Anwesenheit zeitgenössischer künstlerischer Positionen am Hygiene-Museum, sowohl in Form von Ausstellungsobjekten als auch als Mitwirkende an Ausstellungskonzeptionen, sieht von Stockhausen als Indiz für positive Veränderungen im Dresdner Ausstellungsbetrieb.446 So habe in dieser Stadt die Gegenwartskunst bisher wenig Präsenz, so von Stockhausen. Nun aber wird das umgebaute Haus eine stärkere Strahlkraft in der Ausstellungsszene vor Ort haben und damit die Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens vermehrt unter Zugzwang setzen. Im 442 Vgl. Behrmann, Carolin: „Review zur Ausstellung ‚Die Zehn Gebote‘“, in: ArtHist – Kunstgeschichte im Internet, 2004: http://h-net.msu.edu/cgi-bin/ logbrowse.pl?trx=vx&list=H-ArtHist&month= 0409&week=b&msg=KukgFgj/ aAuuuCCe7cS2hg&user=&pw=. Unklar bleibt im Text von Behrmann, weshalb sie findet, es handle sich um eine Provokation. Wenngleich das Museum selbst mehrfach betont, das Thema Ethik ordne sich bestens in das inhaltliche Profil des Museums ein, findet Behrmann (und auch Anja Sommer, die Co-Kuratorin), dass das Thema von der gewohnten Ausrichtung der Institution abweiche. Das gelte auch für das Ausstellungsformat des White Cube. Vgl. ebd. sowie Sommer, Zeitgenössische Kunst, a.a.O., S. 170f. Ungewohnt ist vielleicht die Polarisierung zwischen Kunst- und Kulturhistorischem Museum, mit dem das DHMD arbeitet. 443 Vgl. ebd., S. 170. 444 Ebd., S. 170ff. Vgl. auch Waidacher, a.a.O., 123ff. Siehe auch hierzu Kohl, Manuela: Kunstmuseen und ihre Besucher, Wiesbaden 2006. 445 Sommer, Zeitgenössische Kunst, a.a.O., S. 172. 446 Vgl. Stockhausen, a.a.O., S. 54.

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DHMD wird es nach dem Umbau möglich sein, dank vollklimatisierter Räume sensible Kunstwerke auszustellen. Die technischen Verbesserungen des Hauses werden sich auch auf den Bereich Fotografie auswirken, der ebenfalls in Dresden mehr Geltung erhalten wird, so von Stockhausen.447 Zunächst war für das Thema „Die Zehn Gebote“ auch eine kulturhistorische Herangehensweise geplant. Doch stellte sich relativ schnell heraus, dass so ein Vorhaben als „moralischer Fingerzeig“ (Sommer) wirken würde. So entschied man sich, auf zeitgenössische Kunst zurückzugreifen, um besser über diese Thematik mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen.448 Die Gegenwartskunst sollte außerdem dafür sorgen, dass das Projekt nicht aufgrund der gewohnten Methodik im Religions- und Kulturgeschichtlichen stecken bleibe. Eine kulturhistorische Präsentationsart wurde von den Beteiligten als autoritär und dominant wahrgenommen, und man glaubte, dem Thema Zehn Gebote das Potenzial zu rauben.449 Dem vom Deutschen Hygiene-Museum zugrundegelegten Kunstbegriff zufolge „sprechen“ künstlerische Exponate auf indirektere Weise und wirken weniger dominant.450 Mit Verweis auf den polyphonen Charakter von Kunstwerken451 betont Anja Sommer die besonderen Möglichkeiten der Gegenwartskunst: „Sie kann Fragen stellen und Aspekte verhandeln, die traditionelle bzw. historische (Kunst-) Äußerungen weniger berühren, weil sie sich zu den Fragen der Gegenwart verhält. [...] Kunst gibt keine einfachen Antworten auf komplizierte (oder einfache) Fragen, vielmehr versucht sie, selber Fragen zu stellen. Auf diese Weise kann sie bei der Suche nach Antworten helfen. Sie reagiert auf gesellschaftliche Diskurse oft, bevor die wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen wurden. Sie formuliert offener, auch komplexer als die oft vereinfachenden und einseitigen Debatten um Werteverfall und Werteverlust, selbst wenn (noch) keine Antworten vorliegen bzw., unter veränderten politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen, traditionelle Werte nicht ohne Weiteres praktizierbar sind.“452

447 Vgl. ebd. 448 Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006. 449 Vgl. Sommer, Zeitgenössische Kunst, a.a.O., S. 170 und Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006. Laut Sommer sei kulturhistorischen Ausstellungen eine gewisse Autorität zu eigen. 450 Die Idee, dass Kunstwerke „sprechen“, wurde bereits im Zusammenhang mit der Ausstellung Choosing my Religion sowie im Abschnitt zu den Techniken zur Gruppenstiftung behandelt. 451 Hinsichtlich der Auswahlkriterien für die Kunstwerke erwähnt Anja Sommer, dass bewusst solche Werke ausgewählt wurden, die in einem anderen Ausstellungszusammenhang andere Bedeutungen generiert hätten. Im Kontext dieses Ausstellungsthemas sollten sie jedoch auf die Besucher emotional einwirken und sie weitere Bedeutungsebenen entdecken lassen. Vgl. Sommer, Zeitgenössische Kunst, a.a.O., S. 171. Das, was Anja Sommer hervorhebt, ist allerdings generell bei Themenausstellungen der Fall. 452 Ebd., S. 170f. Die Auffassung, dass Kunst Fragen stelle, statt Antworten zu geben, wurde auch von Madeleine Schuppli vertreten. Hier wird erneut der besondere Objektbegriff

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Gleichzeitig seien künstlerische Positionen in der Lage, dem Sinn und der Relevanz ethisch-moralischer Forderungen nachzugehen, ohne sie neu zu formulieren oder alte, mit Ausgrenzungsmechanismen verbundene Postulate zu wiederholen.453 Als die Projektentwicklung stockte, entschloss man sich, einen externen Kurator zu beauftragen und fragte bei Klaus Biesenbach an.454 Klaus Biesenbach engagierte Ellen Blumenstein, und vom Hygiene-Museum wurde Anja Sommer als Co-Kuratorin gestellt, so dass sich das kuratorische Team aus zwei externen und einer internen Person zusammensetzte.455 Die Idee eines Gastkurators gehörte somit zum Konzept des Projektes.

3.2.2

Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema

Kunstschaffende aller Sparten haben sich seit Jahrhunderten mit dem Thema der Zehn Gebote auseinandergesetzt. So wäre es möglich, aufgrund der Materialfülle zu jedem einzelnen Gebot eine eigene Ausstellung zu realisieren. Die Fragestellung, die das Hygiene-Museum an die Zehn Gebote und ihre Wirkungsgeschichte richtete, warf nicht etwa theologische Aspekte auf, sondern zielte auf die Relevanz und Aktualität des Dekalogs in Zeiten der Globalisierung ab und verstand diesen als Regelwerk für Christentum, Judentum und Islam: „Wie viele Regeln braucht der Mensch in dieser multikulturellen, multireligiösen, aber auch multiethischen Welt? Wie viel Freiheit lässt die eigene Gesellschaft zu, ohne damit Konflikte innerhalb der eigenen Sozietät und zu anderen Gemeinschaften von vornherein anzulegen und zu provozieren?“456 Welchen Leitlinien soll der

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deutlich: Kunst habe mehr Bedeutungsebenen als andere Gegenstände, wie auch von Fayet ausgeführt wird. Vgl. Fayet, Im Land der Dinge, a.a.O., S. 16. Vgl. Sommer, Zeitgenössische Kunst, a.a.O., S. 170. Hier scheint die Kuratorin auf dichotome Grenzziehungen zu rekurrieren, die an Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“-Paradigma erinnern. Zur Person von Klaus Biesenbach vgl. Vollmer, Antje: „Genau im Zwischenraum. Der Initiator Klaus Biesenbach“, Interview mit Klaus Biesenbach, in: Modernica, Kunst im Augenblick, No. 1, 16. September 2006, Berlin 2006, o. S. Sowie zu seiner Arbeit: Tannert, Christoph: „Klaus Biesenbach“, in: ders./Tischler, Ute (Hg.), a.a.O., S. 170. Auf den besonderen Status von Gastkuratoren gehen Tannert und Tischler in ihrem Vorwort zu Men in Black ein. Vgl. ebd., S. 10. Gastkuratoren werden im Curating-Diskurs unterschiedlich bewertet, wie zahlreiche Statements in dieser Publikation Men in Black belegen. Siehe auch zur Arbeit im Team: Bismarck, Teamwork, a.a.O., S. 279–282. Oder auch: Lind, Maria: „Kollaboration“, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, Köln 2007, S. 387f. Biesenbach, Klaus: „Von Werten und Welten“, in: ders. (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 12. Dieser Verhaltenskodex wird hier als ethisches Minimum bezüglich virulenter politischer, sozialer und kultureller Fragen verstanden.

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einzelne Weltbürger folgen, „damit eine Welt auch dann funktionieren würde, wenn sein Verhalten zur allgemein gültigen Ethik erhoben würde?“457 Die Situation heute sieht Biesenbach vergleichbar mit der Zeit, in der die Zehn Gebote entstanden. So formierte sich das Regelwerk zu einem historischen Zeitpunkt, an dem angesichts einer Entwicklung von Sesshaftig keit, urbaner Ansiedlungen und Bevölkerungswachstum der Bedarf bestand, das Miteinander zu regeln.458 Heute geht es, laut Biesenbach, um einen globalen, ökonomischen, medialen Wandel, der ebenfalls so etwas wie einen Übergangszustand markiert und in dessen Zuge die Frage nach einem ethischen Minimum, nach Regeln und Freiheiten virulent wird.459 In dem Ausstel lungsprojekt wurden die Zehn Gebote also mit einer veränderten globalen Situation konfrontiert. So lautete eine Aussage der Schau, dass „der Nächste“ nicht mehr nur in unmittelbarer Nähe zu finden sei, sondern aufgrund der verkürzten Distanzen auch Menschen anderer Kontinente die Nächsten seien. Diese Aussage zeigte sich zum Beispiel im Zusammenhang mit der Neuauslegung des Gebotes „Du sollst nicht ehebrechen“, die in einer globalen Perspektive den westliche Sextourismus ansprach.460 Die Erweiterung der Fragestellung der Zehn Gebote auf moralische Grundfragen sowie auf die künstlerische Auseinandersetzung mit medialen, politischen und wirtschaftlichen Vernetzungen – also weg von dem, was kultur- und zeithistorisch mit den Zehn Geboten verbunden worden ist – wird nicht nur durch die Globalisierungsepoche aufgeworfen. Die Ausstellung ordnet sich auch in den Kontext der Anschläge auf das World Trade Center 2001 ein und führt verschiedene Konfliktherde der Welt auf, rekurriert also auf eine „Aktualität religiöser Markierungen, territorialer Konflikte und Diskrepanzen in der Auffassung von menschlichem Zusammenleben“ und konstatiert, dass in den letzten Jahren „Berührungsschwierigkeiten der drei Religionsgemeinschaften untereinander besonders sichtbar geworden“ seien. „Sie [...] manifestieren sich in Konflikten zwischen Staaten, Gesellschaften und Systemen ebenso wie auf der Ebene des internationalen Terrors.“461 Klaus Vogel und Gisela Staupe erklären im Vorwort zum Katalog: „Wir eröffnen diese Ausstellung in einer Zeit, in der innerhalb der westlich geprägten Gesellschaften Tendenzen einer Sinnsuche und Rückbesinnung auf religiöse Werte zu beobachten sind. Weltweit steht der Verbreitung rigider materialistischer Wirtschafts- und Lebensformen

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Ebd. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 12. Vgl. Biesenbach, Klaus: „7. Gebot. Du sollst nicht ehebrechen“, in: ders. (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 174ff. 461 Biesenbach, Von Werten und Welten, a.a.O., S. 10.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2 ein sich religiös gebender Fundamentalismus gegenüber, der die These von einer durchgreifenden Säkularisierung der globalisierten Welt unhaltbar macht.“462

Diese Einschätzung, Religion sei heute noch vorhanden, lässt an die Ausstel lung Choosing my Religion denken. Darauf verweist auch Klaus Biesenbach, indem er in seinem Katalogtext das Graffito „Religion is back. Big time!“, das er nahe des Ground Zero in Downtown Manhattan gesehen hatte, anführt. Dieselbe Thematik wird von der Thuner Ausstellung aufgegriffen, wenn sie ausführt, dass Religion ihre ethischen Standards und ihre Rolle als Sinnstifter bis in die Gegenwart nicht aufgegeben habe.463 Wenngleich im Zusammenhang mit der Ausstellung immer wieder betont wurde, dass hier grundsätzlich – auch aufgrund des Profils des Museums – über Ethik und Regeln des Zusammenseins im Kontext der globalisierten, multimedial vernetzten Welt im 21. Jahrhundert nachgedacht werden sollte, stand darüber hinaus allgemein die Bedeutung der Moral und die Orientierung des Individuums im Zentrum. So ist die Rede von „der persönlichen Betroffenheit, Verantwortung und Entscheidungsfreiheit des Einzelnen“, von der die Ausstellung ausgeht.464 Auch sollten die „Motivationen und Ideale, Regeln und Pflichten, Rechte und Freiheiten des Einzelnen, des Individuums, das sich als Bürger einer globalisierten Welt versteht und sich mit der politischen und gesamtgesellschaftlichen Dimension seines Handelns auseinander setzen muss“, im Zentrum stehen. „Was kann der Einzelne tun, wenn er sein Verhalten am Maßstab globaler Auswirkungen und Verantwortung messen können soll?“465 Ein weiterer Themenstrang war die Abbildung des menschlichen Körpers. Aufgrund des Veranstaltungsortes – das Deutsche Hygiene-Museum – sollte der Körper auf besondere Weise Berücksichtigung finden: „Die Abwesenheit oder direkte Präsenz des Körpers als Objekt innerhalb der künstlerischen Arbeit, aber auch die Identifikation des Betrachters der Kunst, sich selbst als Körper zu sehen, sind hier ein Verbindungspunkt.“466 Die Kuratoren machten sich darüber hinaus zur Aufgabe, die Betrachtung des Schnittfeldes von Theorie, Dokumentation, Fiktion, Imagination und Behauptung 462 Staupe/Vogel, a.a.O., S. 7. 463 In der Religionsausstellung in Thun wirkte die Ausstellungsbotschaft allerdings nicht so dramatisch wie im DHMD. In der Zehn Gebote-Schau klang es wie eine Mahnung, wie wichtig doch der Gegenstand sei, und dass er nicht mehr vorhanden sei. 464 Biesenbach, Von Werten und Welten, a.a.O., S. 10 465 Ebd. In der Ausstellung wird der Besucher deutlich zu Aktivität animiert. Unklar bleibt dann aber, was aus dem „Aufrütteln“ des Rezipienten folgen soll. 466 Ebd., S. 11 Dieser Ausspruch wirkt ein wenig aufgesetzt. Unklar blieb in der Ausstellung, in welchen Sektionen dies erfolgen sollte. Im Zusammenhang mit dem ersten Gebot oder in der Anspielung zahlreicher Arbeiten auf die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, wie etwa Ricky Swallows Growing Pains (Contingency for Beginners) oder die Werke zum 6. Gebot „Du sollst nicht töten“?

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ins Zentrum zu stellen. So betont Klaus Biesenbach, dass die Kunst die Funktion von Religion übernommen habe und ihr nun „das Erhabene, Sublime, Wahre und Schöne, das Erhellende und Transzendente zugewiesen“ werde. Im Zusammenhang mit der Ausstellung werde die hier stattfindende transhistorische Betrachtungsebene von „Bilderverbot, Abbildungsmöglichkeit, Glauben und Anschauung im Spannungsfeld der Religionen und der Kunst und Repräsentation“ ein noch komplexeres Bedeutungskonglomerat darstellen. Da künstlerische Positionen verstärkt mit dem Element der Dokumentation arbeiten, entstehe ein Feld von Fiktion und Dokumentation, Theorie und Behauptung.467 Die genannten Fragestellungen machten eine weitere Zielsetzung deutlich, die Biesenbach anführte: Mit dieser Ausstellung sollten politische und moralische Fragen formuliert und dabei ein politisches Statement abgegeben werden.468 Der politische Ansatz war also von vornherein in das Projekt eingeschrieben.

3.2.3

Die Kunstwerke

In der Zehn Gebote-Schau wurden insgesamt über hundert Kunstwerke präsentiert, die zwar nicht in direkter Auseinandersetzung mit dem Dekalog, jedoch in der Beschäftigung mit ethischen Prinzipien entstanden waren. Es handelte sich somit ausdrücklich nicht um religiöse Werke. Die meisten wurden bereits vorher in einem anderen Kontext vorgestellt und waren in seltenen Fällen Auftragsarbeiten. Die angewandte Verfahrensweise fußte also darauf, dass der Kurator auf seinen vorhandenen Bildfundus zurückgriff und Künstler aussuchte, mit denen er bereits zusammengearbeitet hatte.469 Bei den präsentierten künstlerischen Positionen handelte es sich um Werke der Gegenwartskunst, die sowohl den aktuellen Kunstdiskurs als auch den Kunstmarkt mitbestimmten und als qualitativ gute Arbeiten wahrgenommen wurden. So erinnerte aufgrund der Auswahl der beteiligten Künstler die Ausstellung auch an eine typische Biennale.470 Für das Dresdner Umfeld schien dies außergewöhnlich.471 Zum einen lag es an der Art der ausgewählten Kunstgegenstände, die als „Diskurs-Kunst“, als „en467 468 469 470

Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006. Die Ausstellung sah laut einiger Rezensenten aus wie eine angesagte Biennale, was interessanterweise darauf schließen lässt, dass es scheinbar ein typisches Biennale-Format gibt. Eventuell rief die Zehn Gebote-Ausstellung auch deshalb Assoziationen an eine Biennale wach, weil Biesenbach in der Kunstszene als Initiator der Berlin-Biennale bekannt ist, also seine „Handschrift“ hier deutlich hervortritt. Vgl. Deutsches Hygiene-Museum (Hg.): Ausgewählte Pressestimmen „Die Zehn Gebote. Politik Moral Gesellschaft“, 19.06.2004–02.01.2005. 471 Siehe auch im ersten Abschnitt der Kommentar von Stockhausen, dass im Dresdner Kunstbetrieb die zeitgenössische Kunst angeblich nicht so eine starke Rolle spiele.

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gagiert, schwierig, kopflastig“ daherkamen – allein aus dem Grund, weil es um Gegenwartskunst ging, wie Anja Sommer bemerkt: „Zeitgenössische Kunst wird gewöhnlich eher als spröde, abweisend, gar unverständlich oder kühl, als intellektuell empfunden.“472 Zum anderen wurden gezielt Arbeiten ausgewählt, die durch eine starke Emotionalität und durch einen „Extremismus“ gekennzeichnet waren: „Sie reflektieren Grausamkeiten wie Völkermord, Massaker und schwer erträgliches Leid.“473 Die Wirkungsabsicht von „politischer und harter Kunst“ geht damit einher, dass in der Ausstellung auf den Künstler als Ethnografen und politischen Beobachter rekurriert wird.474 Die ausgewählten Kunstwerke zeichneten sich einerseits durch ihre Medienvielfalt aus – fotografische Arbeiten, Videos, Installationen, Skulpturen – andererseits verband die meisten der ausgestellten Stücke eine bestimmte Art des dokumentarischen Realismus.475 In der Ausstellung sollte auf diese Werke als Realitätsabbilder (statt als künstlerische Wirklichkeit) zurückgegriffen werden.476 Die 69 an der Ausstellung beteiligten Künstler stammten (ihrer territorialen und ethnischen Herkunft nach) aus Weltregionen, die von Biesenbach im Katalog teilweise als „Krisenherde“ bezeichnet wurden. Biesenbach bezog in seine Schau zur Thematisierung bestimmter Stränge, wie der wachsenden ökonomische Ungleichheit weltweit, viele künstlerische Positionen aus der sogenannten Dritten Welt und aus unterschiedlichen Kulturkreisen ein. Die Kunstschaffenden waren größtenteils in den 1960er und 1970er Jahren geboren.477 Für das Projekt wurde auch auf einen dialogischen Aufbau geachtet. Um Spannung zu erzeugen, sollte im Ausstellungsraum pro Gebot eine positive Umsetzung und eine „Übertretung“ präsentiert werden.478 Die dialektische Zuteilung der Werke lässt sich zum Beispiel anhand der Sektion „Du sollst deine Eltern ehren“ 472 Sommer, Zeitgenössische Kunst, a.a.O, S. 172. 473 Ebd. Zu fragen ist auch, ob die Arbeiten aufgrund der Werkzusammenstellung drastisch wirkten, oder ob dies außerdem der Art und Weise geschuldet war, wie sie befragt wurden: im Hinblick auf Sexualität und Tod. 474 Vgl. Behrmann, a.a.O. Behrmann sieht hier eine Anknüpfung an die Ausstel-

lungen von Catherine David und Okwui Enwezor, die sich der politischen und kulturellen Situation des globalen Kapitalismus gewidmet hatten. 475 Biesenbach erwähnt im Katalogtext, dass Künstler zunehmend auf die Dokumentationsstrategien aus Film, Fernsehen und Journalismus zurückgreifen würden. Vgl. Biesenbach, Von Werten und Welten, a.a.O., S. 11. 476 Siehe auch die Gründe, die dem Rückgriff auf den dokumentarischen Bereich

zugrunde liegen. Hierzu gibt folgende Publikation Auskunft: Gludovatz, Karin (Hg.): Auf den Spuren des Realen. Kunst und Dokumentarismus, Museum Modernerer Kunst Stiftung Ludwig Wien, Wien 2004. Siehe insbesondere der Aufsatz von Krümmel, Clemens: „Displayisierung und Animation historischer Dokumente“, S.117–126, in diesem Band. 477 Vgl. Biesenbach, Von Werten und Welten, a.a.O., S. 12. Dies ist auch ein Zeichen für „Aktualität“. 478 Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese 27.04.2006.

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verdeutlichen. So zeigten die Fotografien von Boris Mikhailov einen ukrainischen Straßenjungen, der seine alkoholkranke, obdachlose Mutter mit Fäusten traktiert. Die positive Einhaltung eines Gebotes wurde von Alexander Sokurov aufgegriffen, der in seinem Film Mutter und Sohn (1997) zeigt, wie ein Sohn seiner Mutter liebevolle Sterbebegleitung leistet. Wie an anderer Stelle deutlich wurde, klaffte zwischen Anspruch und tatsächlicher Wirkung des Konzeptes eine Lücke. So wurde im Besucherbuch und in Rezensionen eher wahrgenommen, dass die Mehrzahl der gezeigten Kunstwerke die Übertretung eines Gebots thematisierte.479 Die Ausstellung warb damit, die Sichtweise von aktueller Kunst auf „unsere“ Welt zu zeigen und befragte die Zehn Gebote deshalb aus einer konsequenten Gegenwartsperspektive.480 Die Kunst steht hier also für einen Aktualitäts- und Gegenwartsmoment, ganz ausdrücklich sollte der Dekalog nicht in eine „historische Schublade“ gesteckt werden.481 Eine weitere Funktion, die der Kunst hier übertragen wurde, ist die Rolle eines Spiegels und Illustrators. Indem die Zehn Gebote im Spiegel der Kunst reflektiert werden sollten, wirkten die Werke eher auf einer Abbildungs- und Illustrationsebene denn als Initiator und Impulsgeber für Denkanstöße. Katalog Der Katalog zur Ausstellung kommt als „ethisches Lesebuch“ daher, in dem die Auseinandersetzung mit den Kunstwerken nicht im Zentrum steht.482 In diesem werden Aufsätze von Soziologen, Kulturwissenschaftlern, Historikern, Politologen und Theologen versammelt, um die Frage nach der Aktualität der Zehn Gebote zu vertiefen.483 Wie schon die Ausstellung, so ist auch der Katalog in Anlehnung an die kategoriale und numerische Aufteilung der Zehn Gebote aufgebaut.484 Zu Beginn jedes Gebots steht ein kurzer Text, der die aktuelle Relevanz des jeweiligen Gebots dar479 Auszüge aus dem Besucherbuch lauten: „Eine Künstlerin entlarvt unmoralisches Handeln durch unmoralisches Handeln?! Tut mir leid, aber das verstehe ich nicht und finde die gepiercte Zunge eines toten Jungen in solch einer Ausstellung einfach nur falsch und traurig. Ansonsten eine Ausstellung die mich seit langem wieder berührt hat.“ Oder: „Mutter und Sohn der Film zeigt, was Sterbebegleitung heißt. Er ist voller Liebe und Zärtlichkeit – beeindruckend! Und was dagegen geschieht in unseren Krankenhäusern und Altenheimen?!“ 480 Vgl. Staupe/Vogel, a.a.O., S. 7. Siehe auch Biesenbach, Von Werten und Welten, a.a.O., S. 12. 481 Vgl. Staupe/Vogel, a.a.O., S. 7. Der Direktor und die stellvertretende Direktorin wollten sicherstellen, dass der Fokus radikal auf die Gegenwart gerichtet wird. 482 Das wird auch daran deutlich, dass es Brüche zwischen Katalog und der tatsächlich realisierten Ausstellung gibt. Kunstwerke fehlten oder wurden in der realisierten Ausstellung dann doch woanders zugeordnet. Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese 27.04.2006. 483 Vgl. Biesenbach, Von Werten und Welten, a.a.O., S. 12. 484 Behrmann kommentiert, dass die Struktur der Ausstellung der wenig üblichen refor-

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legt, Kunst und Gebot verbindet und Hintergrundinformationen zu den Werken bereitstellt. Ferner findet sich aus didaktischen Gründen eine Aufgliederung von zwei Aufsätzen pro Gebot, um der Vielschichtigkeit der Bedeutungszusammenhänge gerecht zu werden (laut Biesenbach). So legen die Essays den Dekalog entweder vom Allgemeinen ins Spezifische aus oder bieten zwei unterschiedlichen Blickwinkel dazu an.485 Der Katalog richtete sich – so scheint es – eher an Experten denn an ein breites Publikum und hatte hinsichtlich seiner Nützlichkeit auch die beteiligten Künstler im Blick: „Insbesondere für die internationalen mitwirkenden Künstler sind diese Texte auch auf Englisch verfasst.“486 Aufgrund der mangelnden Übereinstimmung zwischen Katalog und Ausstellung sowie dem Umfang der textlichen Beiträge im Verhältnis zur Kunst schien der umfangreiche Band nicht als begleitender Guide für den Ausstellungsbesuch gedacht.487

3.2.4

Der Rundgang 488

Raumansichten Die Ausstellung erstreckte sich im 1. Stock des Gebäudes auf zirka 1.800qm Fläche, aufgeteilt in vier große Räume (Abb.20).489 Vorgegeben durch den Grundriss des Baus war die L-Form des Ausstellungsareals. Laut Anja Sommer trug die Ausstellung einen demokratischen Zug, da diese vier Abschnitte in jeweils etwa gleich große Einheiten unterteilt wurden und jedes Gebot einen vergleichbar großen Raum zugewiesen bekam. Insgesamt bestand die Ausstellung aus 14 thematischen Sektionen. Dazu zählten neben den 10 Räumen für die Zehn Gebote ein Einführungsbereich, ein kulturhistorischer Prolog, ein Aktionsraum am Ende und ein Saal im darüberliegenden Stockwerk, in dem die Klanginstallation von Janet Cardiff ausgestellt war (Abb.22). Die Ausstellungsräume, die die Gegenwartskunst präsentierten, waren im White-Cube-Format gestaltet (Abb.31), der kulturhistorische Raum war in rot gehalten (Abb.25). Bei dem Bauabschnitt, in dem die Klanginstallation von Janet

485 486 487 488

489

mierten Zählung des Dekalogs folgt. Dieser Aspekt ist für vorliegende Arbeit aber nicht relevant. Vgl. Behrmann, a.a.O. Vgl. Biesenbach, Von Werten und Welten, a.a.O., S. 12. Ebd. Zu den „Brüchen“ zählte beispielsweise die nicht-vorhandene Bildstrecke mit Fotografien Armin Linkes. Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese 27.04.2006. In vielen Rezensionen wurden die Zusammenhänge der Arbeiten untereinander thematisiert, und der Frage nachgegangen, welche thematischen Aspekte die künstlerischen Positionen aufwarfen. Der von den Kunstwerken implizierte Diskurs wird in der Studie nicht berücksichtigt. Die Grundfläche des Saales im Obergeschoss, in dem die Klanginstallation von Janet Cardiff präsentiert wurde, ist nicht mit eingerechnet.

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Cardiff zu sehen war, handelte es sich um einen zu diesem Zeitpunkt unsanierten Saal. Das White-Cube-Format wurde im Deutschen Hygiene-Museum anhand weißer Wände und dunkler Böden sowie der zur Außenwelt abgeschotteten Raumsituation zitiert.490 Hier spiegelte sich die Vorstellung vom Kunstwerk als eines aus sich selbst heraus erklärenden Gegenstandes, doch wurde dieser Aspekt durch die Vermittlungshilfen, wie thematische Kapitelgliederungen und Einführungstexte zu den Sektionen, relativiert. Zentral ist hier die Begegnung mit dem Bildinhalt statt einer Lenkung des Blicks auf formale Qualitäten des Exponats – es gab keinen geräumigen Platz rund um die Bilder, und das Einzelwerk stand keineswegs im Zentrum. Zwar sollten die Gegenstände für sich sprechen, doch stellten die Ausstellungsmacher einen Überbau in Form thematischer Kapitelgliederungen, einer klaren Laufrichtung, erklärender Texte und leichter zugänglicher Werke her, um mögliche Hemmschwellen niedrig zu halten. Bei der Zehn Gebote-Schau wurde nicht auf die Idee rekurriert, dass die Leute sich eigenhändig Bildinhalte erarbeiten. Das heißt, dass der klassische Kunstkenner nicht bevorteilt wurde. Wenngleich es auch um Fragen von Kanon und Wertschätzung der Werke als „Kunst“ ging, stand dies nicht im Zentrum. Der White Cube diente hier dazu, zu markieren, dass es sich um eine Kunstausstellung handelte. Das Thema stand im Zentrum und sollte existentiell berühren, dafür wurden die Kunstwerke als Medien eingesetzt. Durch die thematische Vermittlungsebene wurde das Einzelwerk nicht als autonome Entität ohne Bezüge zur Außenwelt definiert. Die Ausstellung war linear angelegt und gab damit eine Laufrichtung vor. Der Aufbau der Schau folgte der numerischen und kategorialen Aufteilung der Gebote, die Ausstellung war somit in mehrere thematische Sektionen unterteilt. Am Ende des Ausstellungsparcours befand sich ein „Aktionsraum“, der sich mit einer Glasfront zum Lichthof öffnete (Abb.37). Trotz der Aufteilung in hintereinander aufgereihte Kapitel herrschte ein eher offenes Konzept vor, da einige Räume ineinander übergingen. Die eingebauten Wände zur Abtrennung der einzelnen Gebote standen in der Mitte des Raumes, so dass man an beiden Seite in den nächsten Abschnitt gelangen konnte (Abb.27). Auch waren einige Arbeiten zwischen die Sektionen gehängt, da sie sich inhaltlich in beiden Geboten verorten ließen (Abb.29). Wenngleich es Überlappungen einzelner Abschnitte gab, wurde in der Ausstellung nicht mit überräumlichen Bezügen oder anderen abstrakten Vermittlungsgesten gearbeitet. Sichtachsen waren in den Räumlichkeiten zwar vorhanden, sie wurden aber nicht genutzt, um den Werken zusätzliche Bedeutungsebenen zu verleihen oder Exponate vom Status her aufzuwerten. Da die Ausstellung straff am Thema entlang organisiert war, Anstöße zur Bildlektüre nicht nur durch die übergeordnete Kapitelsetzung, sondern auch durch 490 Deshalb erfolgte die Beleuchtung durch Oberlichter und eine punktuelle SpotlightBeleuchtung.

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die direkten Bezüge der Bilder untereinander gegeben waren, präsentierte sich die Schau mit einem klaren Verständnis- und Vermittlungsangebot. Hierzu zählte die bereits genannte Nebeneinanderstellung von Gebot und Kunstwerk, sowie die dialektische Aufteilung von Einhaltung und Übertretung eines Gebots, für die jeweils eine Arbeit pro Raum stehen sollte. Zur eindeutigen Aufbereitung für die Besucher zählte auch, dass die gezeigten Kunstwerke einen hohen Narrationsgrad aufwiesen. Sie sollten also durch die anekdotischen Geschichten, die sie erzählten, leichter zugänglich sein. Neben dem Schwerpunkt auf Arbeiten, die tendenziell hinter dem kuratorischen Gesamtkonzept zurücktraten, das sie zu illustrieren schienen, hielten Labels und Texte im Ausstellungsraum Deutungsangebote für die Besucher bereit. Außerdem existierte ein umfangreiches Vermittlungsprogramm.491 Im Fortgang der Ausstellung wurde die Zuteilung der jeweiligen Kunstwerke zu den Geboten immer weniger unterscheidbar, gerade im letzten großen Raum, der das 8., 9. und 10. Gebot präsentierte, schienen die Sektionen ineinander überzugehen.492 Dazu trug sicherlich generell die dichte Hängung und Fülle des Materials beziehungsweise die Anzahl der Bilder bei (Abb.32).493 Die Bilder waren unter Zuhilfenahme von Spotlights angestrahlt (Abb.35), trotzdem standen bei 491 Die ausstellungsbegleitende Vermittlung steht in der Arbeit jedoch nicht im Zentrum. Für das Ausstellungsprojekt konsultierte das Deutsche Hygiene-Museum im Vorfeld die EKD und die sächsischen Landeskirchen (evangelisch/katholisch). Außerdem verweist Klaus Biesenbach auf Susan Sontag, mit der er während der Konzeptionsphase in intensivem Austausch stand. Vgl. Vollmer, a.a.O., o.S. Ein Begleitprogramm in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und dem Diakonischen Werk Sachsen behandelte die ethischen Fragen, die Die Zehn Gebote aufwarf. Auch fanden Begleittagungen statt. Ferner erarbeitete der museumspädagogische Dienst verschiedene Führungen. Zum Begleitprogramm zählte eine Radio- sowie Kunstgesprächsreihe. Das DHMD war auch an Vermittlungsformen interessiert, die Raum für das Äußern von Gefühlen, Nachfragen und Diskussionen bieten sollten. Hier nennt Sommer exemplarisch „Schüler führen Schüler“-Projekte, sog. Überblicksführungen und Audioguides. Dialogische Führungen hätten sich bei Die Zehn Gebote allerdings nicht bewährt, da „die emotionale Berührung des Publikums zu groß [war], um die persönlichen Eindrücke und Empfindungen mit anderen zu teilen“, mutmaßt Sommer. Vgl. Sommer, Zeitgenössische Kunst und Ethik, a.a.O., S. 172. Interessant ist auch, dass das Museum „keine Angst vor religiöser Praxis“ hatte, es fanden zwei Gottesdienste im Museum statt: der ZDF Fernsehgottesdienst sowie ein von der evangelischen Studentengemeinde der TU Dresden organisierter Gottesdienst. Bei allen Ausstellungen war das Museum die Plattform für verschiedene Interessensverbände. Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese 27.04.2006. 492 Vgl. Kipphoff, Petra: „Und tschüs“, in: DIE ZEIT, 08.07.2004. Hier konstatiert Petra Kipphoff, dass die mangelnde Unterscheidbarkeit am Dekalog selbst läge. 493 Eine wohlwollende Auslegung dieses Umstandes würde behaupten, dass sich die inhaltliche Erweiterung der Zehn Gebote, also die Fragestellung an den Dekalog als ethisches Regelwerk für eine globale Welt und den einzelnen Bürger auf symbolischer Ebene fortzusetzen schien. Zu Beginn der Schau waren die Zehn Gebote noch die inhaltliche Klammer, die sich jedoch mehr und mehr in der Ausstellung verlor. Das spezifisch Religiöse, wie es eingangs durch den Verweis auf das Judentum, den Islam und das Christentum noch vorherrschte, verschwand. Eine eher kritische Betrachtung würde

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dieser Präsentation nicht die auratisch wirkenden Einzelbilder im Vordergrund. Die Bilder konnten nicht einzeln für sich wirken. Das Präsentationsformat des White Cube wurde hier auch durch den didaktisierenden Zug der Ausstellung abgeschwächt. Die übergeordnete Strukturierung der Schau war sehr bestimmend, so unterlief keine Arbeit den ihr zugewiesenen Platz im Arrangement. In der Ausstellung entfaltete sich die These der Kuratoren aufgrund der Zusammenstellung der Arbeiten. Hier wurde verstärkt mit plakativen, intensiven Aussagen gearbeitet. So kamen Betrachter während des Durchlaufens der Schau nicht umhin, die Diskrepanz zwischen dem jeweiligen Gebot und dem Zustand der Welt zu bedauern. Da viele internationale Arbeiten ausgestellt waren, drängte sich fast die Vorstellung auf, eine schlechte Welt voller Katastrophen und Krisen in erster Linie in einem „anderen“ Teil der Erde zu sehen. Der Moment des Bedauern wurde durch die moralisierenden Ausstellungstexte noch unterstrichen. Der Rundgang Die Ausstellung wurde durch die Performance In Search of the Suspicious von Marc Bijl eröffnet. Für die Vernissage des Dresdner Hygiene-Museum hatte der Holländer eine Arbeit von 2003 weiterentwickelt. Für seine Performance von 2003 hatte er eine Sicherheitsschleuse in einem U-Bahn-Eingang installiert, die jeder Fahrgast passieren musste. Im Hygiene-Museum mussten sich die Besucher Kontrollen von gespieltem Wachpersonal unterziehen, die fiktiv sicherstellen sollten, dass niemand gefährliche Objekte wie Waffen oder Sprengstoff mit in den Ausstellungsraum bringe. Eine Maßnahme, die implizit jeden zum potenziellen Täter werden ließ.494 Orientierungsbereich: Im Eingangsbereich zur Ausstellung zeigte sich der Titel der Schau in englischer und deutscher Sprache in schwarzen und grünen Lettern (Abb.23). Unter der Schlagzeile waren elf bunte, großformatige Weltkarten angebracht, die über globale Zustände im Hinblick auf Drogenhandel, Religionskriege, Arbeit und Freizeit, Sexualität u.a. informierten. Diese von Myriad Editions London entwickelten statistischen Weltkarten – also keine Kunstwerke im klassischen Sinne – stellten direkte Verbindungen zu den globalen politischen Problemen der Gegenwart her. Die Weltkarten-Datensammlung stimmte auf den politischen Rahmen der Ausstellung ein und demonstrierte den globalen Blickwinkel, der von den Kuratoren beansprucht wurde.495 Die Weltkarten verwiesen auf die Komplexität eine unschöne Entgrenzung und Überladung durch Inszenierung und Materialfülle konstatieren. 494 Im Katalog befindet sich eine Abbildung der U-Bahn-Performance. Der Stand der vorliegenden Ausstellungsbesprechung berücksichtigt dieses Werk also nicht. 495 Ein Rezensent fand, dass diese Weltkarten eher auf eine kontroverse, streitbare Kunst

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der globalen Zusammenhänge, auf eine Unfassbarkeit der Welt als Ganzes. Dass es sich um eine politische und kulturhistorische Rahmung der Exponate handelte, wurde auch durch den Einführungstext über dem Durchgang zum Ausstellungsparcours deutlich. Auf englisch- und deutschsprachigen Texttafeln wurde die heutige Situation mit der Entstehungszeit der Zehn Gebote verglichen. Auch die filigran gezeichnete Weltkarte von Mark Lombardi begrüßte den Betrachter als Weltbürger (Abb.24). Dieser vorangeschaltete Einführungsbereich signalisierte dem Besucher anhand der politischen Dimension, dass es sich hier um eine „reale Ebene“ handelte und machte die Komplexität der Zusammenhänge deutlich. In dem Raum war klar ersichtlich, dass es sich um eine Wissensausstellung handelte. Während im Einführungsbereich der politische Kontext sachlich betont wurde, überlagerten dort musikalische Klänge die Wahrnehmung. Aus dem Obergeschoss drangen die Töne in den Vorraum der Ausstellung und stellten damit die Konzeption des Raumes in Frage. Die Motettengesänge der Klanginstallation von Janet Cardiff, die sich im Obergeschoss befand (Abb.22), begleiteten die Besucher beim Lesen der Texte und Betrachten der statistischen Weltkarten und waren somit Teil der Einführung. Verschiedene Medien (Kunst, statistische Weltkarten, Sound, Performance) wurden hier gemischt. Prolog Von diesem Vorraum ausgehend gelangte man über das Treppenhaus in den hohen Querbau des Museums, in dem die Musikinstallation The Forty Part Motet der kanadischen Künstlerin Janet Cardiff untergebracht war (Abb.22). Bei dem Saal handelte es sich zum Zeitpunkt der Ausstellung um einen schmucklosen, hohen Raum, dessen nackte Wände im unteren Teil mit dunklen Tüchern abgehängt waren. Die Künstlerin präsentierte ihr Werk im September 2001 in New York, das nach den Anschlägen auf das World Trade Center zu einem Ort des Trostes wurde. Die Rezeptionsgeschichte der Arbeit verweist also wiederum auf den thematischen Kontext, in den dieses Ausstellungsprojekt gestellt worden war. Zwischen den 40 in Form einer Ellipse aufgestellten Lautsprechern mussten sich die Besucher zur Nachvollziehbarkeit räumlich bewegen, das heißt zwischen schwarzen Lautsprechern auf mannhohen Stativen flanieren. Es war aber auch möglich, auf Hockern oder zwei Bänken in der Mitte (andächtig) zu sitzen. Jeder Lautsprecher repräsentierte die menschliche Stimme einer Chorsängerin oder eines Chorsängers. In direkter Nähe einer der auf Kopfhöhe angebrachten Lautsprecher entstand ein unmittelbarer Kontakt zu den einzelnen Stimmen, von Sopran bis Tenor. Die Musik aus dem 16. Jahrhundert – Spem in Alium

einstellen würden. Andere fanden diesen Zugang jedoch zu politisch korrekt und überinterpretiert. Vgl. Deutsches Hygiene-Museum (Hg.): Ausgewählte Pressestimmen „Die Zehn Gebote. Politik Moral Gesellschaft“, 19.6. 2004–2.1. 2005.

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Numquam Habui 496 – vermittelte ein Gefühl von Erhabenheit und feierlichem Ergriffensein. Hier wird die „sublime Herrlichkeit, die das Göttliche für Jahrhunderte in der Vorstellung der Gläubigen innehatte, greifbar“, so Biesenbach im Katalog.497 Nicht nur aufgrund dieser religiösen Klänge, sondern auch aufgrund der erheblichen Raumhöhe verwandelte diese Arbeit den Museumsraum in eine mittelalterliche Kathedrale. Eine andere, technischere Lesart der Arbeit, wie etwa die Komplexität subjektiver Positionen in einer hoch technologisierten Welt, ging bei der Inszenierung allerdings unter.498 Im Zentrum stand hier die Adressierung des Gefühls. Der Bildungsmoment, der bereits im Eingangsbereich stark gemacht wurde, fand in diesem Raum keine Anwendung. Deutlich wurde dies zum Beispiel daran, dass kein Hinweisschild zur Arbeit vorhanden war und auch der Text zur Musik im Katalog nicht bereitgestellt wurde. Historischer Prolog Dem Eingangsraum folgte ein in rot gehaltener kulturhistorischer Prolog (Abb.25), der als Reminiszenz an die ursprüngliche Ausstellungsidee einer kulturhistorischen Ausstellung zum Dekalog auftrat. Mit dem Trio Tora-Rolle, Bibel und Koran war dieser Abschnitt dem Ausstellungsrundgang vorgeschaltet.499 Hier waren unter anderem Martin Luthers Handexemplar der hebräischen Bibel von 1494 (mit seinen Anmerkungen) sowie eine Torarolle aus Mitteldeutschland von 1800 ausgestellt. Ferner zehn Exemplare des Kleinen Katechismus, Wittenberg 1547, aufgeschlagen war jeweils ein Gebot. In diesem kulturhistorischen Ausstellungsabschnitt wurde ein Blick auf die Vergangenheit geworfen – praktizierende Gläubige fühlten sich eventuell zu Objekten des Wissens degradiert.500 An der Wand, deren Tür sich zum White Cube der nachfolgenden Räume öffnete, waren die Zehn Gebote angebracht. Die Tafeln des Dresdner Künstlers „Hans der Maler“ (1528) verwiesen einerseits auf die Tradition der reinen Illustration der Zehn Gebote,501 andererseits auf klare Lehren und Praktiken, die sich allerdings im Laufe der Geschichte und im Zuge der Ortswechsel der Bilder zu496 „Ich habe meine Hoffnung nie auf einen anderen gesetzt als auf dich, Gott Israels“. Hierbei handelt es sich um die Bearbeitung einer Motette des britischen Komponisten Thomas Tallis (1505–1585). 497 Biesenbach, Klaus: „1. Gebot: Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, in: ders. (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 26. 498 Vgl. Behrmann, a.a.O. 499 Eventuell könnte man dies als symbolischen Verbindungsraum der Religionen deuten. 500 Im Pressespiegel heißt es charmanter, dass sich praktizierende Gläubige „historisiert gefühlt haben mögen“. Vgl. Deutsches Hygiene-Museum (Hg.): Ausgewählte Pressestimmen „Die Zehn Gebote. Politik Moral Gesellschaft“, 19.6. 2004–2.1. 2005. 501 Hier teilt sich die Umsetzung der Gebote in Bilder in zwei Gruppen auf: Es gibt die Gebote, deren Einhaltung man problemlos darstellen kann, wie zum Beispiel das erste und das zweite. Aber wenn es um Ehebruch, Diebstahl oder Mord und Totschlag geht, also

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nehmend verflüchtigten – von ihrer konkreten Funktion im kirchlichen Gottesdienst der Dresdner Kreuzkirche, über eine politisch-moralische Ermahnung im städtischen Rathaus (wohin sie während der Reformationszeit gebracht wurden), bis zu einer ästhetisch-kulturgeschicht lichen Lesart im Stadtmuseum Dresden, dem die Werke heute gehören.502 Trotz Bibel, Koran, Torarolle und historischer Gemälde wollte das Ausstellungsprojekt eindeutig eine zeitgenössische Kunstausstellung sein.503 Was an den drei bislang geschilderten Abschnitten des Ausstellungsparcours deutlich wurde, ist, dass es sich um ein dreifaches Intro handelte. Auf dreifache Weise (politischer Ansatz, kulturhistorischer Zugang und künstlerische Klanginstallation) wurde der Besucher angesprochen und auf die folgenden Räume vorbereitet. Im Folgenden sollen nur die Räume und Kunstwerke vorgestellt werden, die für die Fragestellung der Arbeit relevant sind. Im ersten Raum (Abb.26), „1. Gebot: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, befand sich in der Mitte Olaf Nicolais Selbstporträt als selbstverliebter Künstler: A Portrait of the Artist as a Weeping Narcissus (2000). Die Künstlerin Sylvie Fleury war vom Deutschen Hygiene-Museum beauftragt worden, eine Arbeit zu realisieren. Sie präsentierte vergrößerte Magazincover von Fitness-Zeitschriften für Männer. Von Ricky Swallow waren zwei Holzarbeiten ausgestellt. Everything Is Nothing (2003) zeigt einen skelettierten Schädel, dem eine Adidas-Kapuzenjacke übergezogen ist. Auch hier wurde der Aspekt des trainierten Körpers und einer (jugend-)kultartigen Selbstliebe aufgeworfen, verbunden mit dem Vanitas-Thema. Die zweite Arbeit des australischen Künstlers hieß Growing Pains (Contingency for Beginners) (2002). Die Hände erinnerten zum einen an klassische religiöse Motive, zum anderen an die bettelnden Hände von Menschen, die größere Anzahl der nicht abstrakten, sondern sehr praktischen Verbote, dann muss die drastisch illustrierte Überschreitung der Gebote für deren Einhaltung plädieren. 502 Zur Entstehungszeit der Tafeln sei die Welt noch in Ordnung gewesen, die Zehn Gebote gehören zu diesem Zeitpunkt, dem frühen 16. Jahrhundert, noch einem eindeutig umgrenzten religiösen und politischen Kontext an. Der christliche Universalismus glaubte es noch nicht nötig zu haben, sich in Kontexten außerhalb seines traditionellen Milieus verständlich zu machen. Beim ersten Gebot – Du sollst keine anderen Götter neben mir haben – knien die Gläubigen auf den Tafeln vor Christus, dem Schmerzensmann – und unter denen, die eine von Menschenhand gefertigte Goldstatue anbeten, befindet sich bezeichnenderweise ein Turbanträger. Die Geschichte der Gemälde verdeutlich den gesellschaftlichen und semantischen Ortswechsel, der vor sich geht. Vgl. Siemons, Mark: „Fluch der Verflüchtigung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.06.2004. 503 Die Rezensionen kritisieren den Raum in seiner Exponatzusammenstellung als willkürlich und vollgestopft, die kulturgeschichtlichen Aspekte des Themas seien demonstrativ im Vorraum abgestellt worden. Dies stimmt nicht so ganz, was die Reihenfolge anbelangt, man kann außerdem anmerken, dass der erste Raum sehr wohl wichtig ist. Der „Tigersprung“ in die Ausstellungsrealität eines White Cube wirkte auf Behrmann wie eine befreiende Erlösung vom kompliziert verwickelten kulturhistorischen Ballast. Vgl. Behrmann, a.a.O.

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die Lebensnotwendiges benötigen. In den zu einer Schale geformten Händen befanden sich Bohnen und Pillen, also „medikamentöse, physische und psychische Überlebenshelfer“.504 Das Video der Französin Orlan dokumentierte ihre Performance 7. Opération chirurgiale – performance dit Omniprésence à New York (1993), in der es ihr um die Modulierbarkeit des eigenen Körpers ging. In extremer Übertreibung lässt sie zahlreiche Schönheitsideale (Venus, Mona Lisa) auf ihren Körper übertragen, der ihr als Collage dient. An einer anderen Wand lehnte das leuchtende Dollarzeichen von Tim Noble und Sue Webster. Maurizio Cattelan war im ersten Ausstellungsraum gleich mehrfach präsent. Seine zahlreichen Ebenbilder stellte er in Spermini (1997) dar: seine im Wettstreit um eine Eizelle freigesetzten einzelnen Spermien.505 Unter dem 3. Gebot „Du sollst den Namen des Herrn, Deines Gottes, nicht missbrauchen“ war Francis Alÿs’ Arbeit When Faith Moves Mountains, Lima, Peru, April 11th (2002), ausgestellt, die auch als Logo der Ausstellung diente (Abb.27). Der Film dokumentiert, wie der Künstler zusammen mit 500 Menschen, die er in den Slums von Lima für sein Vorhaben angeworben hatte, an einem Tag eine gigantische Sanddüne um 10 Zentimeter lediglich mit Sandschippen und bloßer Muskelkraft versetzt.506 Ferner wurden in dieser Sektion zum 3. Gebot die Arbeiten von Nebojsa Seric-Shobas ausgestellt. Die Fotografien zeigen Kinder, die für Paraden oder sonstige ideologische Anlässe politischer Propaganda eingespannt wurden, sei es ein Luftballon der Partei der Grünen oder eine Fahne mit dem Davidstern (Abb.28). Neben den fotografischen Aufnahmen wurde vom Deutschen Hygiene-Museum folgender Text angebracht: „Wie können wir von der Welt erwarten, dass sie besser wird, wenn Eltern ihren Kindern aggressives Verhalten, religiösen Fanatismus und Gewalt beibringen?“ Von den Ausstellungsmachern wurde das dritte Gebot folgendermaßen umrissen: „Du sollst den Namen des Herrn, Deines Gottes, nicht missbrauchen. Das Gebot verbietet das ‚In-den-Mund-nehmen‘ des Namen Gottes zu bösen, schädlichen, lügnerischen oder trügerischen Zwecken. Unter Berufung auf den Namen Gottes und in seinem Namen soll keinerlei Unrecht geschehen. Heute kommt es weltweit zu Gewaltanwendungen und Terror unter Be-

504 Biesenbach, 1. Gebot, a.a.O., S. 27. 505 Weiterhin hingen im ersten Raum zwei Arbeiten von Thomas Ruff, 17h38m-30°AP und 07h48m-70°AP (beide von 1990). Im zweiten Raum (2. Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen) befanden sich die Arbeiten von Jan Mancuska: Untitled, 2004, Paul Pfeiffer: John 3:16, 2000, Armin Linke: Cargo Lifter. Hangar for Air Ship Construction Brand, 2001, Martin Honert, Laterne, 2000 und Cerith Wyn Evans Inverse Reverse Perverse, 1996. 506 Zum 3. Gebot zählten auch Jiri Davids No Compassion, 2002, Tony Ourslers dokumentarischer Beitrag 9/11, 2001 und die Fotografien der Künstlerin Parastou Forouhar, Blind Spot, 2001.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2 rufung auf unterschiedliche religiöse Überzeugungen. Die Anschläge vom 11. September 2001 markieren einen schockierenden Höhepunkt dieser Entwicklung.“507

Der 5. Abschnitt „Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren“508 enthielt (Abb.29+30), so die Co-Kuratorin Anja Sommer, eines der Schlüsselwerke der Ausstellung: Alexander Sokurovs Film Mutter und Sohn (1997). Sokurov schildert die Beziehung und tiefe Zuneigung eines Sohnes zu seiner schwerkranken Mutter. Der Sohn pflegt seine Mutter und begleitet sie bis zum Tod. Hierbei handelt es sich demnach um die Einhaltung eines Gebotes. In dieser Sektion wurde auch die 16-mm-Filmprojektion Rijst (Reis, 1995) von Marijke van Warmerdam ausgestellt und von den Ausstellungsmachern mit folgendem Erklärungstext unterlegt: „Ein kleines Mädchen schüttet eine Reisschale aus. Der Kreislauf, viele Kinder zu bekommen, die sich später um die alten Eltern kümmern und Nahrung für sie bereitstellen können, perpetuiert sich gerade in wirtschaftlich schwächeren und sozial weniger abgesicherten Gesellschaf ten.“509 Tony Matellis hyperrealistisches Couple (1995) stellt ein abgemagertes schwarzes Pärchen dar, welches sich an den Händen hält. Das Figurenpaar zählte ebenfalls zu den zentraleren Arbeiten der Schau (Abb.30).510 Im anschließenden Raum „Du sollst nicht töten“ wurden mehrere Arbeiten gezeigt, die die Besucher aufwühlten (Abb.31+32). An erster Stelle, als weiteres Schlüsselwerk, ist die Arbeit von Alfredo Jaar zum Genozid in Ruanda zu nennen, The Eyes of Gutete Emerita (1996). 511 Taryn Simons Diptychon Terrell Yarbrough, Death Row Inmate, Age 22, Outdoor Recreational Facility, Mansfield Correctional Institution, Ohio, Where Prisoners Spend One Hour a Day outside of Their Cells (2003) und Heidi Weber, Suicide Survivor, at Home, Cape Cod, Massachusetts, Heidi Lost Her Leg in an Suicide Attempt von 2004, zeigt Menschen, die selbst Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen der Todesnähe (als Selbstmörderin und als Insasse einer Todeszelle) gesammelt haben. Auf Selbstmord ging auch der künstlerische Beitrag Suicide Bomb (2000) von Mathilde ter Heijne ein. In ihrer Film-Text-Collage untersucht sie das Phänomen eines selbst induzierten Todes, lesbar als politischer Akt.512 Von Carsten 507 Begleittext in der Ausstellung. Unter dem vierten Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen“ wurden Andrea Zittels A–Z Time Tunnel: Time to Do Nothing Productive at All, 2000, und Erik Steinbrechers Gras, 1993–2002, gezeigt. Auch Yael Bartanas filmische Arbeit Trembling Time, 2001, wurde projiziert. Zwischen dem vierten und fünften Gebot hing Anri Salas Uomo Duomo, 2000, was offenbar markieren sollte, dass dieses Werk beiden Sektionen zugeteilt werden könnte. 508 Gezeigt wurde auch das Gemälde The Exchange (2000) von James Morrison. 509 Begleittext in der Ausstellung. 510 Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006. 511 Vgl. ebd. Zu den ausdrucksstarken Arbeiten zählte der Kuratorin zufolge insbesondere die Arbeit von Alfredo Jaar. 512 Auch die Arbeit Eternity (2002) von Anne Wallace thematisiert den Selbstmord: ein junges Paar springt aus dem Fenster.

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Höller war aus der Serie Killing Children die Kinderfahrrad-Bombe (1992) ausgestellt. Der Künstler installierte hier eine Todesfalle für Kinder und verdrehte damit die oftmals Kinderspielzeugen inhärente Dimension von Spiel- und Tötungstrieb. Henry Dargers Aquarelle Seized Glandelian Officer; The Glandelinnians Were About to Hang: They Attempt to Hide in Fiddle Cases (1922–1963) zeigten ebenfalls Kinder und Gewalt in einer Zusammenschau. Auf dem Foto von Adam McEwen, Untitled (A-Line) (2000), sind der italienische Diktator Benito Mussolini und seine Geliebte Clara Petacci zu sehen, die 1946 erschossen wurden. Nach ihrer Erschießung wurden sie von italienischen Partisanen mit dem Kopf nach unten aufgehängt. McEwen dreht das Motiv um: Das Paar scheint mit erhobenen Händen in den Himmel zu entschweben. Nebojsa Seric-Shobas fortlaufendes Projekt Battlefields (2002), für das er historische Orte von Massakern und Kriegsschauplätze wie Auschwitz, Verdun oder Waterloo fotografiert, war ebenfalls in dieser Sektion mit einer Aufnahme von Auschwitz und Mostar präsent. Auch Jasmila Zbanics Film Red Rubber Boots (2000), in dem eine Mutter auf der Suche nach den Körpern ihres Mannes und ihrer beiden Kinder ist, wurde gezeigt. In dem 7. Raum: „Du sollst nicht ehebrechen“ (Abb.33) legten die Kuratoren das Gebot neu aus: „Du sollst nicht ehebrechen. In der ursprünglichen Bedeutung verbietet dieses Gebot, dass Männer eine Geschlechtsbeziehung mit einer verheirateten Frau eingehen und dadurch eine Ehe zerstören. Es ging um die Lebenssicherung der Familien und den besitzrechtlichen Status der Frau. Heute werden sexuelle Beziehungen auch außerhalb der Ehe gesellschaftlich akzeptiert. Neben der Ehe gibt es in den westlich geprägten Gesellschaften inzwischen zahlreiche andere Formen des Zusammenlebens. Die Welle der sexuellen Liberalisierung seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhundert scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Ehebruch und freie Sexualität werden – auch im Zeichen von AIDS – neu bewertet. Die international organisierte Prostitution sowie der massenhaft praktizierte Sextourismus sind moderne Erscheinungsformen des ‚Ehebruchs‘. Die globale Dimension dieses Gebots erscheint in neuem Licht.“513

In ihrer Installation Powerless Structures, Fig. 19 (1998) deuten Elmgreen & Dragset dem Betrachter die Spuren von Leidenschaft und „Casual Sex“ an: zwei auf dem Boden liegengelassene Jeans. Zur Neuinterpretation des Gebots zum Ehebruch scheint die Mustafa Hulusi Performance (2000) sehr passend. Hulusi dokumentiert auf den Fotos seinen Aufenthalt in Marokko, wo er, als privilegierter EU-Bürger, jede Nacht mit einer anderen Prostituierten zu einem Preis von 40 Euro verbringt. Die andere Seite der Prostitution thematisiert die Künst513 Begleittext in der Ausstellung.

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lerin Dayanita Singh. In ihren Fotos aus der Kamathipura Series, Bombay 1990 (1999) zeigt Singh die Lebensumstände der Frauen und Mädchen in Indien, die am Rande der Gesellschaft stehen. Zum Beispiel fotografierte sie Kinder, die in Bombay als Prostituierte arbeiten. Singh stellt damit das Elend der häufig an Aids erkrankten Mädchen und ihre würdelose Arbeit auf den Straßen Indiens dar. Adel Abdessemed ist unter „Du sollst nicht ehebrechen“ mit Real Time (2003) vertreten. In diesem Film zeigt Abdessemed neun Paare, die in einer Galerie in Mailand vor Publikum Sex haben. Die per Annonce gefundenen Sexpartner werden bei ihrem Akt von applaudierenden Zuschauern umringt.514 Im 8. Raum „Du sollst nicht stehlen“ stellte die Arbeit Lengua (Zunge, 2000) von Teresa Margolles für viele Besucher ein schockierendes und extremes Moment dar (Abb.34). In einer winzigen Plexiglasvitrine war eine echte Zunge ausgestellt. Die Künstlerin präsentierte eine dunkle, gepiercte, geschrumpfte Zunge eines Teenagers, der bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung auf der Straße in Mexiko ums Leben gekommen war. Die Künstlerin hatte dieses Körperteil bei den verarmten Eltern des Jungen gegen die Übernahme der Kosten für seine Beisetzung und Grabstelle eingetauscht. Dieses Objekt wurde unter dem Gebot „Du sollst nicht stehlen“ eingeordnet, da die Künstlerin ihr Handeln selbst moralisch als Diebstahl bezeichnete. Ein sehr makabrer Zeigegestus der Kuratoren bestand darin, dass sich vor diesem Körperteil das glitzernde Bonbon-Feld von Felix Gonzalez-Torres entfaltete (Abb.35). Im Anschluss an dieses lag jedoch erneut ein Kontrapunkt auf dem Ausstellungsfussboden: die aus Sicherheitsschlössern gefertigte Installation Security Blanket (2003) des südafrikanischen Künstlers Kendell Geers.515 Die Kuratoren verbanden die ausgestellten Werke mit folgender Kapiteleinführung: „Du sollst nicht stehlen. In der ursprünglichen Bedeutung dieses Gebotes wurden Raub und Versklavung untersagt. Das Recht auf Eigentum und damit die Sicherung der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen stehen in seinem Zentrum. Heute ist das Recht auf Eigentum ein Grundpfeiler der westlichen Demokratien und Wirtschaftssysteme. In globalem Maßstab betrachtet, neh-

514 Unter dem 7. Gebot wurden auch Pier Paolo Pasolinis Teorema – Geometrie der Liebe, 1998, und Orlando Mesquites Aufklärungsfilm für ein südafrikanisches Hilfsprogramm, The Ball, 2001, gezeigt. 515 Zu sehen war zum 8. Gebot auch die 20-minütige Performance der koreanischen Künstlerin Kimsooja A Beggar Woman, Lagos, 2001, und Santiago Sierras Obstruction of a Freeway with a Truck‘s Trailer (…), Mexico City, 1998. Außerdem war Emily Jacirs Change/Exchange, 1998, ausgestellt, die Arbeit dokumentierte mit Fotos und Belegen, wie man durch mehrmaliges Wechseln von 100 US-Dollars in französische Francs und zurück den gesamten Betrag verliert. Stih & Schnock befanden sich in der Ausstellung, wurden aber nicht im Katalog erwähnt, zudem war unklar, welcher Sektion sich ihre Arbeit einordnen ließ, dem 8. oder 9. Abschnitt.

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Kuratoren und Besucher men die extremen Ungleichheiten zwischen den Wirtschaftszonen und das damit verbundene Wohlstandsgefälle fast den Charakter von Raub und Diebstahl an.“516

Von all den Exponaten im 10. Raum („Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Haus, Weib, Knecht, Magd, Vieh, noch alles, was Dein Nächster hat“) stach Sigalit Landaus Barbed Hula (2000) hervor. Die israelische Künstlerin lässt in ihrer Videoarbeit am Mittelmeerstrand einen Hula-Hoop-Reifen aus Stacheldraht um ihre nackten Hüften kreisen, der einem Stück Grenzzaun zwischen Israel und Palästina entstammt.517 Für einige Besucher waren die großformatigen Fotografien von Andreas Gursky die abschließenden Werke, da hier nicht eindeutlich ersichtlich war, ob die unten genannte Arbeit von Thomas Demand noch unter das 10. Gebot eingeordnet war (Abb.36). Die Fotos 99 Cent II, Diptychon (2001) sind dem Bild einer Müllhalde mit Slums am Horizont im Süden von Mexico City gegenübergestellt (Untitled XIII (Mexiko) (2002)). Am Ende der Ausstellung fand sich offiziell wieder eine Weltkarte. Thomas Demands Fotografie Wand/Mural verwies auf die verschiedenen Vorstellungen der Medien von der Idee „der Welt“ (Abb.36). Bei der Abbildung handelte es sich um eine abfotografierte Nachbildung einer Weltkarte. Im Anschluss an die einzelnen Kapitel zu den Zehn Geboten befand sich ein als „Aktionsraum“ oder „Lounge“ bezeichneter Raum mit Blick auf den Innenhof (Abb.37). Hatte man als Besucher nicht gleich am Anfang den Saal im Obergeschoss aufgesucht, der die Klanginstallation von Janet Cardiff beherbergte, war der Aktionsraum nicht der letzte Raum, sondern stattdessen die Räumlichkeit mit The Forty Part Motet. Dieser Aktionsraum hatte die Funktion, der museumspädagogischen Arbeit mit Gruppen ein Umfeld zu geben, war also nicht als „richtiger Ausstellungsraum“ gedacht. Zeitweilig auch einfach geschlossen, war er aufgrund seiner Helligkeit und Raumtemperatur für die Präsentation von Kunstobjekten oder kulturhistorischen Gegenständen nicht geeignet. Trotzdem wurden hier im Rahmen der Zehn Gebote-Ausstellung Arbeiten präsentiert. Bei diesen Werken handelte es sich laut Anja Sommer um Exponate, die für das Ausstellungsthema wichtig waren, ästhetisch gesehen jedoch nicht zu den Räumen passten.518 Wenngleich es dort einige Bücher zu den ausgestellten Kunstwerken und Themensträngen der Ausstellung gab, einige wenige Sitzgelegenheiten vorhanden waren, und 516 Im 9. Raum („Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“) befanden sich: Daniel Pflumm, CNN Questions and Anwers, 1997, Gianni Motti, Collateral Damage, 2001, und Harun Farocki, Bilderkrieg, 1987. 517 In der 10. Sektion waren außerdem zu sehen: Fatimah Tuggar, Inna’s Recipe, 1999, und Shaking Buildings, 1996, Daniela Rossell, Ricas y famosas, 1998–2002, Aernout Mik, Pulverous, 2003, Efrat Shvily, New Homes in Israel and the Occupied Territories, 1992–1998, Yeondoo Jung, Evergreen Tower, 2001, und Shilpa Gupta, Your Kidney Supermarket, 2002. 518 Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

er als Sektion jenseits der Zehn Gebote auftrat, diente der Raum – trotz des Titels – nicht unbedingt als sozialer Treffpunkt. Da der Abschnitt 10. (und auch 9.) sehr eng gedrängt war, besaß die Ausstellung keinen eindeutigen Endpunkt – man hätte, angesichts der linearen Anordnung der Ausstellung, ein zentrales, abschließendes Werk oder eine architektonische Markierung als Schlusspunkt erwartet. Wenn die Lounge geöffnet war, konnten die Besucher folgende Arbeiten sehen: Im Aktionsraum war Usine de Boutons’ Plug ’n’ Pray Software Kit (2003) ausgestellt, das einen schnellen Religionswechsel ermöglichen sollte. In einer für kommerzielle Software typischen Verpackung wurde Religion hier als Konsumgut dargestellt, einfach zu installieren und auf dem neuesten technologischen Stand. Ferner war hier das Spiel Archivos Babilonia (1999–2003) des Künstlerkollektivs Observatorio de Video No Identificat (OVNI) anzusehen. Hier kämpfen amerikanische Soldaten in einer Moschee. Die Bilder basieren auf realem Kartenmaterial momentan in kriegerische Konflikte verwickelter arabischer Städte, was vom Hersteller als eines der Hauptfeatures der Software angepriesen wurde. OVNI thematisierte die Anpassung des Phänomens Spiel an aktuelle Feindbilder.519

519 Das Künstlerkollektiv OVNI recherchiert und verarbeitet Werbematerial von Militär und Pharmaindustrie. Dem Kollektiv geht es in seiner künstlerischen Arbeit darum, die manipulativen Elemente dieser Waren- und Glamourindustrie offen zu legen. Hierbei handelt es sich um unveröffentlichtes Material. Zu ihren Arbeiten zählt auch das Projekt Archivos Babilonia, 1999–2003.

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Kuratoren und Besucher 3.2.5

Das Konzept und seine Interpretation 520

Die kuratorischen Erwartungen waren vielfältiger Art und schienen teilweise im Widerspruch zueinander zu stehen.521 Das Konzept bestand aus mehreren formalen und inhaltlichen Ebenen. So bevorzugte Kurator Klaus Biesenbach beispielsweise den White Cube als Präsentationsformat.522 Damit ging der Wunsch einher, die Besucher mögen Assoziationen beim Betrachten der Exponate entwickelt haben523 und die Kunstwerke sich selbst erklären. Widersprüchlich schien, dass einerseits ein inhaltlich dokumentarischer Zug der Arbeiten betont wurde, der allerdings auf formaler Ebene dadurch kontrastiert wurde, dass die Filme und Videos wie Bilder inszeniert (und damit auratisiert) wurden.524 Im Speziellen schlug Biesenbach vor, dass die Rezipienten sich selbst in der Kunst sehen und finden würden, und zwar über die Abbildung und Thematisierung des Körpers. In Anlehnung an den Veranstaltungsort – das Deutsche HygieneMuseum – sollte die „Abwesenheit oder direkte Präsenz des Körpers als Objekt innerhalb der künstlerischen Arbeit, aber auch die Identifikation des Betrachters 520 Die Fragestellung der Arbeit zielte nicht darauf, zu beurteilen, ob die Ausstellung erfolgreich war und ihr Ziel erreicht hat. Auch die Bewertung der präsentierten Inhalte lag nicht im Fokus. Auch wenn die Frage nach der Rezeption nicht im Zentrum der vorliegenden Studie steht, soll trotzdem kurz auf die umfangreiche Besprechung der Schau eingegangen werden. Die Rezensionen aus Tages- und Fachpresse zeigen, dass die Ausstellung in erster Linie als Wissensausstellung wahrgenommen wurde. Viel Kritik wurde an der inhaltlichen Auslegung der Schau geübt. Vgl. zum Beispiel Schulze, Karin: „Du sollst nicht kaufen zu niedrigen Preisen“, in: Financial Times Deutschland, 23.06.2004. Zur inhaltlichen Beurteilung der Schau zählte beispielsweise, dass die Kunstwerke eher Äußerungen einer Kapitalismuskritik darstellten, wie der Rezensent an Andreas Gurskys Fotografien von Slum und Supermarkt festmachte. Vgl. Hodonyi, Robert: „Antikapitalismus als Religion“, in: die tageszeitung, 14.07.2004. Oder auch, dass eine säkuläre Ethik der Menschenrechte der passendere Rahmen gewesen wäre. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung las die Ausstellung als Kommentar zum Kunstbetrieb. Vgl. Siemons, a.a.O. Viele Kritiken zielten auch auf die Befragung von Kunst hinsichtlich spezifischer Themensetzungen ab, was die Frage von Legitimität, Verfahrensweisen, Charakteristika von Themenausstellungen impliziert. Es erstaunt, dass die Ausstellungskritik sich noch immer am Hinterfragen der Rechtmäßigkeit von Themenausstellungen abarbeitet, so wurde beispielsweise angeführt, dass der Versuch der Formulierung elementarer politischer und moralischer Fragen durch das Medium zeitgenössischer Kunstwerke bliebe. Weitere Ausführungen im Pressespiegel: Deutsches Hygiene-Museum (Hg.): Ausgewählte Pressestimmen „Die Zehn Gebote. Politik Moral Gesellschaft“, 19.6.2004–2.1.2005. 521 Dies mag dem Team bzw. der Situation geschuldet sein, da es eine kuratorische Besetzung bestehend aus internen und externen Beteiligten mit jeweils unterschiedlichen Interessen gab. 522 Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006. 523 „Wenn Kunst als Kunst anerkannt ist, braucht es keiner weiteren Erläuterungen“. Vgl. Puffert, a.a.O., S. 64. Im Hinterkopf wäre auch zu behalten, dass es ja das Renommee des Kurators ausmacht. 524 Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

der Kunst, sich selbst als Körper zu sehen“525 ein besonderer Verbindungspunkt sein. Eine weitere Idee des Verbindens zielte auf die Reflexion der Bildinhalte vor den Arbeiten. So sollten Besucher mit Hilfe der Arbeiten über die Bedeutung der Zehn Gebote nachdenken, das heißt nicht primär über die Kunstwerke selbst. Aber auch gedankliche Verbindungen mit „einer als Ganzes gedachten Welt“526 waren erwünscht. Der Ort des Museums spielte eine zentrale Rolle für die Auffassung des Ausstellungsmachers, auf welche Weise Zugänge zur Ausstellung gefunden werden sollten. Das Museum habe für viele Menschen die Funktion eines religiösen Ortes übernommen, hierher würden sie sich begeben, um „Offenbarungen, Reflexionen, Inspirationen und Einsichten jenseits ihres täglichen, indirekten Erfahrungsraumes zu erhalten“. Und weiter: „Kunst hat parallel zu dem Bedeutungsverlust von Religion in vielen Bevölkerungsgruppen eine Rolle übernommen, der das Erhabene, Sublime, Wahre und Schöne, das Erhellende und Transzendente zugeschrieben wird.“ Indem der Kurator den musealen Raum als einen transhistorischen Raum definiert, wird der Eindruck erweckt, all dies ließe sich in seiner Ausstellung finden. Wenngleich die gezielte Begegnung mit Einzelwerken nicht favorisiert wurde, sondern eher der Gesamteindruck im Zentrum stand, basierte die Schau trotzdem in gewissem Sinne auf der Idee vom Künstlergenie, mit den Kunstschaffenden als Seismographen der Gesellschaft, die eine besondere Fähigkeit und Sensibilität für das Aufspüren von gesellschaftlichen Problemfeldern und Befindlichkeiten haben. Weitere kunstreligiöse Elemente ließen sich auch in der respekteinflößenden Aussage finden, dass Besucher lernen sollten, Kunst sei schwierig. 527 Klaus Biesenbachs Kunstverständnis arbeitet mit Verstörung: „Kunst ist etwas, das meine Wahrnehmung verändert. Wenn neue Kunst entsteht, muss es etwas sein, das mit Erwartungen bricht.“528 Hinsichtlich der Ausstellungsbesucher möchte er, dass sie erkennen, „dass alles sehr viel komplexer ist, als sie denken“. Für Biesenbach ist eine Ausstellung gelungen, wenn Besucher verunsichert sind und vermeintliches Wissen zerstört ist.529 Die hier angesprochenen Lernkonzepte der Verstörung einerseits, verbunden mit der Forderung nach erhabener Kunstbetrachtung andererseits, wirken widersprüchlich.530 525 Biesenbach, Von Werte und Welten, a.a.O., S. 11. 526 Ebd., S. 10. 527 Trotz seiner sehr weitläufigen Verbreitung ist der Begriff „Kunstreligion“ gegenwärtig weder endgültig definiert noch in seiner Wirkungsgeschichte umfassend beschrieben worden. Ansätze liefert Bernd Auerochs: Die Entstehung der Kunstreligion, Göttingen 2006. Eine Tagung des Zentrums für komparatistische Studien in Göttingen zum Thema fand im Januar 2007 statt. Der Tagungsband erscheint 2008. 528 Vollmer, a.a.O., o.S. 529 Hier scheint ein extremer Transformationsgedanke durch. 530 Dazu zählte auch, dass das Formalästhetische zwar nicht im Vordergrund stand, man aber trotzdem stark auf Kunst als Kunst rekurrierte. Siehe auch Lepenies’ Ausführungen zu den unterschiedlichen Lernkonzepten: Lepenies, a.a.O., S. 63ff.

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Kuratoren und Besucher

Die Ausstellung wollte mit Emotionen und Provokation arbeiten. Dies wurde deutlich durch schockierende und extreme Elemente, die sich in den Gebotsübertretungen äußerten. Durch die Bildinhalte und die Themenstellung der Ausstellung, durch die Begleittexte an den Wandtafeln und auf den Labels sollten Reaktionen und Affekte stimuliert werden. Dabei ging es um zwei widerstreitende Gefühlsebenen: einerseits Erhabenheit der Kunst und dem Museum gegenüber, andererseits Berührt- und Geschocktheit angesichts einer geschrumpften Zunge eines mexikanischen Teenagers. Auch wenn für diese Ausstellung eine neue Herangehensweise – keine Publikumsadressierung und Vermittlung über authentische Objekte, Abkehr von didaktisch raffinierten Inszenierungen – propagiert wurde,531 wurden „Dokumente“ statt Artefakte ausgestellt, um die Wissensproduktion in der Schau zu unterstreichen. Eine zweite widersprüchlich scheinende kuratorische Vorstellung war der Anspruch einer Wissensproduktion im Format der Ausstellung. Wenngleich Vorgänger-Ausstellungen zu ethischen Fragen völlig ungenannt blieben und sich die Ausstellungsmacher damit nicht in eine Genealogie der Projekte zu diesem Themenfeld stellten,532 verfolgte die Schau den Anspruch, aufgrund der hier generierten Diskussionspunkte und inhaltlichen Aspekte wahrgenommen zu werden. Ein Indiz dafür war der Umstand, dass der Kurator Biesenbach in seinem Katalogtext ausschließlich über die Inhalte und nicht über das Präsentationsformat der Zehn Gebote-Schau schrieb.533 Hier nahm Biesenbach die Kunst in den Dienst der Wissensproduktion.534 Ein weiterer Strang neben der reinen Wissensproduktion war die Absicht, eine Diskurs-Ausstellung zu präsentieren. Biesenbach wollte zeigen, dass sich politisch relevante Ausstellungen auch mit Kunst realisieren lassen. Zu fragen ist hier jedoch, wer der Adressat einer möglichen Debatte sein sollte, wer als Teilnehmer vorgesehen war. Die Formulierung „politisch relevant“ impliziert, dass es um eine Strahlkraft der Ausstellung über den musealen Rahmen hinaus gehen sollte, dass 531 Wie eingangs anhand der Schilderungen zur Szenografie deutlich wurde, arbeitete das DHMD bislang mit anderen Zeige-Gesten. 532 Zu Ausstellungen als Wissensproduktion äußert sich auch Okwui Enwezor: Vgl. Enwezor, Curating Beyond the Canon, a.a.O., S. 115. Für die Virulenz der Frage nach dem von Kuratoren aufgebauten Wissenskorpus steht außerdem der 2006 gegründete Promotionsstudiengang Curatorial Knowledge am Goldsmith College, London. Weitere Informationen unter: http://ck.kein.org/ 533 Über die Gründe hierfür kann nur gemutmaßt werden. Entweder hängt dies mit der zuvor erwähnten kunstreligiösen Aura-Idee zusammen. Oder wie bereits im Kapitel 2.2.1 zu Techniken genannt wurde, legen Institutionen generell ungern ihre Arbeitsweisen offen. 534 Kunst im Dienst der Wissensproduktion ist ein Ausstellungsansatz, der gerade im Zeitalter der Globalisierung sehr naheliegend scheint, denn dieser lässt sich angewenden, um Künstler von einem Kontext, einer Kultur in eine andere zu vermitteln. Vgl. Rogoff, Smuggling, a.a.O., S. 38.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

es vielleicht sogar galt, das Kunstfeld selbst zu verlassen. Zum einen initiierte das Museum eine Debatte um Moral, insofern als etwa die Arbeit Lengua der Künstlerin Teresa Margolles viele Besucher berührte und dafür sorgte, dass die Seiten des Besucherbuchs unter dem Schlagwort „Was darf die Kunst, was darf das Museum?“ gut gefüllt waren. Die Frage nach ethisch korrektem Verhalten der ausstellenden Institution, nach Moral und Ethik im Museum generell, fand sich auch im Begleitprogramm wieder.535 Bei diesen Debatten handelte es sich jedoch um „gewollte“ Diskurse – Reaktionen, die vom Museum eher gelenkt wurden, als dass sie selbstermächtigt und losgelöst vom Museum stattfanden. Auf einer anderen Ebene könnte man ferner über Auseinandersetzungen nachdenken, die über Affekte stimuliert werden, in denen Emotionen zum Auslöser für gemeinschaftliche Verbundenheit werden.536

3.2.6

Die Zehn Gebote und Relationalität

Die Ausstellung begrüßte den Besucher mit einem dreifachen Intro, das unterschiedliche Zugänge zum Thema bereithielt – einen politischen Einführungsbereich, eine künstlerische Klanginstallation, einen kulturhistorischen Prolog (Abb.22–25). Gerade durch den mehrfachen Orientierungsbereich stellte die Ausstellung ein aufgefächertes Angebot und somit verschiedene Vermittlungsebenen zur Verfügung. Die Vermittlung erfolgte hier sehr explizit über das Thema sowie über die thematische Ausrichtung dieses Museums – eine Einrichtung, die sich als prädestiniert für die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen versteht. Zahlreiche Ausstellungselemente dienten den Besuchern als Orientierungshilfe in den musealen Räumen. Die Ausstellung war in thematische Sektionen gegliedert – der kategorialen und numerischen Aufteilung der Zehn Gebote folgend. Die Räume waren hintereinander geschaltet und gaben eine klare Laufrichtung vor (Abb.20). Während der Ausstellungsrundgang in Thun aufgrund der zahlreichen Durchblicke und der offenen Raumformen eher wie eine Einladung zum Flanieren 535 So fanden im Rahmen des Begleitprogramms verschiedene Veranstaltungen zu diesem Thema statt, wie zum Beispiel „Vom Geist der Dinge, Das Museum als Forum für Ethik und Religion“, Fachtagung in Dresden vom 28.–30.10.04, oder „Die Zehn Gebote – Orientierungsmaßstab oder widersprüchliches Erbe?“, Interdisziplinäre Tagung des DHM vom 5.–6.11.04. 536 Dies bezieht sich auf Mieke Bal und ihren Aufsatz zum „Affekt als kulturelle Kraft“, in: Krause-Wahl, Antje u.a. (Hg.): Affekte. Analysen ästhetisch-medialer Prozesse, Bielefeld 2006, S. 7–19. Bal schreibt: „In manchen Fällen versetzen uns die Bilder in Unruhe. Wir möchten sie beeinflussen, etwas am Zustand der Welt verändern, dessen Augenzeugen wir sind.“ (S. 9) Irit Rogoff plädiert dafür, dass sich Menschen aufgrund ihrer Befindlichkeiten verbinden. Vgl. Rogoff, Nichtassoziierte Initiativen, a.a.O., S. 26f.

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Kuratoren und Besucher

aussah, präsentierte sich die Ausstellung in Dresden als eine linear strukturierte Bildungsreise mit einer stärkeren Lenkung. Sowohl die Medienvielfalt, die Auswahl der Künstler als auch die Zusammensetzung des kuratorischen Teams zeugen von Vielfalt und Heterogenität in der Ausstellungskonzeption. Erklärungstexte in den jeweiligen Sektionen boten Interpretationsangebote. Der didaktisierende Grundzug der Ausstellung ging also nicht von Besuchern aus, die aufgrund vermeintlich „natürlicher Begabung“ oder umfangreichen Vorwissens eigenhändig die Ausstellung entschlüsseln mussten oder mittels einer performativen Herstellung von Bedeutung selber Bedeutung und Sinn generieren sollten. Die Co-Kuratorin Anja Sommer betonte ausdrücklich, dass Didaktik und museumspädagogische Angebote eingesetzt wurden, um mögliche Zugangsdefizite zu kompensieren.537 Die Ausstellung war einerseits offen in dem Sinne, dass die Stimme der Kuratoren unverschleiert blieb. Durch die subjektiven, moralischen Erklärungstexte (wenngleich namentlich nicht gekennzeichnet) trat der Kurator auf gewisse Weise hervor.538 Sichtbar war auch der „Starkurator“, der als Gast an das Haus geholt worden war und mit dessen Namen das Museum in Ausstellungsankündigungen warb. Allerdings erfüllte die Schau – abgesehen von der künstlerischen Dimension, die nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist – nicht das Kriterium, unterschiedliche Standpunkte widerzuspiegeln.539 Auch wurden keine Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, den präsentierten Inhalt gegenüber den Kuratoren zu befragen.540 Sowohl das Konzept von „Kunst“ als auch die Auslegung der Exponate als dokumentarische Aussagen spielten mit Fragen von „Wahrheit“ und Autorität. Beide, Kunst wie auch „Dokumente der Wirklichkeit“, entzogen sich einer Hinterfragung. Das Ausstellungsprojekt trat als Medium zur Erzeugung von Wissen auf. In seinem Katalogtext legte Biesenbach seine Arbeitsweisen nicht offen, die Kunst wurde in erster Linie auf die inhaltlichen Beiträge, die sie zum Thema anzubieten hat, befragt. Mit dem geht einher, dass es nicht die Zielsetzung des Projektes war, offenzulegen und zur Diskussion zu stellen, wenngleich der Kurator explizit zum Ausdruck brachte, einen politisch relevanten Diskurs-Beitrag liefern zu wollen, der jedoch nicht auf die konkreten Besucher vor Ort zugeschnitten war, sondern scheinbar größere Strahlkraft entfalten sollte. Es fand kein „Sehenlernen“ statt, 537 Vgl. Sommer, Zeitgenössische Kunst, a.a.O., S. 172. 538 Die Stimmen der Ausstellungsmacher und des Museums wurden auch durch das Bedauern um den Zustand der Welt hörbar. 539 Dies ist im Sinne eines konstruktivistischen Museums gemeint. Was die Kunstwerke anbelangt, so wurden unterschiedliche Positionen berücksichtigt. 540 Wenn gegenüber Museumspädagogen Kritikpunkte geäußert werden, macht dies die Institution und die erste Stimme (den Kurator) nicht sichtbarer, da die Kunstvermittler eine andere Position einnehmen und „zwischen den Stühlen sitzen“, d.h. in einem Positionierungsdilemma gefangen sind. Vgl. Sturm, Eva: „Woher kommen die KunstvermittlerInnen? Versuch einer Positionsbestimmung“, in: Rollig, Stella/dies. (Hg.), a.a.O., 198ff. Auch die Besucherbücher stellen nur ein indirektes Kommunikationsmittel dar im Vergleich zur physischen Anwesenheit der Kuratoren.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

da sich gar keine Zusammenarbeit zwischen Kuratoren und Besuchern ergab, die etwa zur Emanzipation des Besuchers hätte beitragen können. Wenngleich nicht, wie bei einer klassischen White-Cube-Präsentation, das auratische Einzelwerk im Zentrum stand, war dem Ausstellungsprojekt eine autoritäre Geste inhärent. Darüber hinaus gab es Widersprüche in der Konzeption und Aussage. So sollte durch die formalästhetische Ausstellungssprache der weißen Zelle zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich hier um Kunst und nicht um kulturhistorische Exponate handelte. Der White Cube wurde hier also nicht als „neutrale Hülle“ verwendet, sondern nur als Signum für Kunstprojekte. Die weißen Wände sollten den Ausstellungsraum als Ausstellungsraum für Kunst markieren. Auch rekurrierte der verantwortliche Kurator Klaus Biesenbach mit dem Zitat dieses Formats auf die Idee einer sich selbst erklärenden Kunst, die keiner weiteren Erläuterungen bedürfe. Einen autoritären Zug wies außerdem das Kunst- und damit zusammenhängende Besucher-Verständnis der Ausstellungsmacher auf. Zu fordern, die Betrachter sollten Komplexität erkennen, verunsichert werden und vermeintliches Wissen hinter sich lassen, erinnert zwar einerseits an Sloterdijks Schule des Befremdens, zeichnet aber andererseits Rezipienten, die zur besseren Belehrung mit Kunst zusammentreffen sollten.541 Die Ausstellungsmacher verließen sich auf einen idealen Besucher, der das Gezeigte nicht hinterfragt, und beriefen sich auf die Idee eines passiven Besuchers, der mit Emotionalität beeinflusst und gesteuert werden sollte.542 Ein partnerschaftliches Besucherbild ließ sich nicht festmachen, Besucher wurden durch die Ausstellung hindurchgeführt und passiv informiert.543 Auch das Signal an die Öffentlichkeit, dass das Museum mit seiner ersten Konzeption einer

541 T.E.A.m schildert, wie alternative Vermittlungsmöglichkeiten aussehen könnten: Die Methode, die das T.E.A.m mit Museumsbesuchen praktiziert, ist etwas anderes als die traditionelle Vermittlung von Kunst – im Sinne von Erklärung und Interpretation. In beiden Fällen – Erklärung und Interpretation – existiert eine klare Unterscheidung der Wissenden von den Empfängern des Wissens. Die Struktur der Kommunikation wird überwiegend davon beeinflusst und bestimmt selbst wesentlich mit, wer die Person ist (in der Hierarchie, Anerkennung, Zuschreibung), die spricht, ob sie sich per definitionem oder kraft ihres Verhaltens als Experte positioniert (positioniert wird) oder nicht. Gleich, ob ihre Haltung die der Bewertung, Belehrung, Erzählung, Aufforderung oder Ermunterung ist, und ob die Position der anderen Beteiligten die des Zuhörens, des Widersprechens, des konstruktiven Streitens, des Stellungbeziehens, des Fragens, des Antwortgebens oder des Austausches von Positionen ist. Vgl. Büro für Kulturvermittlung (Hg.): „Eros“. „Lügen“. „after six“: Partizipatorische Kultur- und Kunstvermittlung in Museen, Wien 2003, S. 17. 542 In der Ausstellung zeigte sich ein „Bedauern“ statt einer Aktivierung. Dies führte jedoch zu Passivität. 543 Es liegt nahe, dass die teilweise schockierenden Exponate die Passivität des Besuchers förderten, ebenso wie die zum Teil kathedralenhafte Inszenierung (Janet Cardiff) der Ausstellung.

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Kuratoren und Besucher

Ausstellung zum Thema der Zehn Gebote zunächst stockte und von außen Hilfe holte, unterstreicht die „Aura“ und Wichtigkeit des nun Präsentierten. Das White-Cube-Format wurde hier allerdings durch die dichte Hängung der Kunstwerke und die Erklärungstafeln gebrochen. Dazu zählt auch, dass die Kunstwerke als Zeugnisse eines dokumentarischen Realismus und nicht als ästhetische Fiktionen dargeboten wurden. Der politische Eingangsbereich mit statistischen Weltkarten, die Einordnung der Zehn Gebote als gültiges Regelwerk für einen ethischen Minimalkonsens im 21. Jahrhundert sowie der kulturhistorische Prolog mit historischen Gegenständen signalisierten, dass es sich hier nicht ausschließlich um eine Kunstausstellung handelte. Die Fragestellung des Konzeptes hob mehrfach auf die Betrachtung der Grundlagen des kollektiven Zusammenlebens, das menschliche Miteinander und andere Schlagworte der Gemeinschaft ab. An mehreren Stellen wurde signalisiert, dass es erstrebenswert sei, sich auf symbolischer Ebene als Teil einer globalen Gesellschaft zu fühlen. Exponate aus allen Teilen der Welt, das Symbol der Weltkarte am Anfang und Ende des Parcours, die Abbildung von Relationen mittels statistischer Weltkarten, englischsprachige Erläuterungen zu Beginn der Ausstellung, ein interkulturelles Intro bestehend aus Torarolle, Bibel und Koran als symbolischer Verbindungsraum vermittelten die Internationalität des Projektes und ein „Wir“Zusammengehörigkeitsgefühl. Dennoch war das Soziale nicht die Zielsetzung des Projektes. Ein sozialer Begegnungsraum war innerhalb der Schau nicht vorhanden, lediglich die Klangarbeit von Janet Cardiff bot Raum für Gruppen, gemeinsam etwas zu erkunden, sei es, sich auf die Suche nach der Räumlichkeit zu begeben, sei es, sich durch die Installation zu bewegen. Stattdessen wurde das Individuum ins Zentrum gerückt, in der Fragestellung der Ausstellung hervorgehoben und in der Inszenierung adressiert – das lag vielleicht auch an dem „Du sollst“ Appell der Zehn Gebote. Das kuratorische Konzept eines Reflexionsangebots zielte auf den Einzelbesucher, der in direkte Auseinandersetzung mit den Objekten treten sollte. Das Hygiene-Museum wollte, dass die Bedeutung der einzelnen Gebote anhand der Kunstwerke neu überdacht werde. Beim Betrachten der künstlerischen Exponate sollte der Besucher sich fragen, welche ethischen Überzeugungen für das eigene Denken und Handeln leitend sind. Dabei wurde die Idee vom Betrachter als sozialem Subjekt zurückgenommen, und den Rezipienten eine Position als autonome Individuen zugestanden. Das drückt sich auch darin aus, dass zu dieser Ausstellung so viele Einzelbesucher kamen wie in keinem anderen Projekt des DHMD.544 Die Ausstellung versuchte, Möglichkeiten zu eröffnen, die außerhalb ihrer selbst lagen. Auch wenn es nicht soziale Begegnung war, sondern Wissensproduktion und der Anspruch, eine Diskurs-Ausstellung zu sein. Nachhaltigkeit 544 Vgl. Interview Anja Sommer mit Maren Ziese am 27.04.2006.

Kuratoren und Besucher: Modell 1 & 2

meinte hier den Appell an den Einzelnen, seine Konditionierung und Verstörung. Nachhaltigkeit bedeutete hier, emotionalisiert und somit aufgerüttelt zu werden. Dem lag eine Idee von Transformation zugrunde: Durch den Ausstellungsbesuch sollten die Besucher über ihre eigene ethische Orientierung nachdenken. Demnach ging es nicht um die alleinige und ausschließliche Begegnung mit Kunst, sondern um eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Kunst diente hier nur als Mittel zum Zweck, somit gab es ein „Mehr“ jenseits der konkreten Exponate – die Ausstellung führte also von den Kunstgegenständen weg. In gewissem Sinne war durch den politischen Ansatz ein Anspruch an Nachhaltigkeit vorhanden, auch weil Kunst nicht absolut gesetzt wurde. Nachhaltigkeit meint hier aber nicht, dass die Besucher auch über Inszenierungsweisen lernen konnten oder ihnen auf einer Meta-Ebene Informationen über das „Gemachtsein“ der Ausstellung zur Verfügung gestellt wurden. Die Nachhaltigkeit bestand somit in der Idee des AufgeklärtWerdens, des Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Seins. Allerdings wollte der Kurator mit seinem Ausstellungsprojekt auch einen Diskursbeitrag liefern und eine politisch relevante Ausstellung machen.545 Hier stand dann der White Cube und sein architektonisches Abgeschottet-Sein von der Außenwelt im Weg, deutliche Kontextbezüge traten nicht hervor. Im Sinne des Partizipationsgedankens wurde die Autorschaft nicht aus der Hand gegeben. Gemeinschaft, Aktivierung und Autorschaft standen bei der Inszenierung nicht zur Debatte. Auch stand das von Bourriaud aufgestellte Merkmal eines konkreten Anstoßes für Lebenswege in der realen Welt nicht im Raum.546 Die Zehn Gebote-Schau aktivierte nicht. Eine Aktivierung in Richtung soziale Gruppe oder Verbindung fand nicht statt. Es wurden keine Modelle von Verbindung oder Gemeinschaft im Sinne von Bourriauds relationaler Ästhetik und den Partizipationsdiskursen angewandt. Der Moment des Affektes wirkte eher reglementierend und dominierend. Dies war vor allem dem Element des zur Schau gestellten Elends und Bedauerns geschuldet, mit dem die Ausstellung arbeitete. Die Botschaft lautete: Die Welt ist schlimm. In der Ausstellung Die Zehn Gebote kamen einerseits die ästhetische, andererseits die didaktische Ausstellungssprache zum Einsatz.

545 Dies ist bei Biesenbach aber nicht auf das Individuum oder auf eine Gruppe bezogen. 546 Wenngleich dies schwierig zu messen ist.

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4.

K U R AT O R E N

UND

BESUCHER:

MODELL 3 & 4 4 .1

HAPPY BELIEVERS

4.1.1

Hintergrundinformationen

Steckbrief: Titel: 7. Werkleitz Biennale Happy Believers Ort: Volkspark Halle, Saale, Deutschland Dauer: 6. bis 10. September 2006 Beteiligte Künstler: Maja Bajevic, geb. 1967, Bosnien-Herzegowina; Yael Bartana, geb. 1970, Israel; François Bucher, geb. 1972, Kolumbien; Erik Bünger, geb. 1976, Deutschland; Andrea Büttner, geb. 1972, Deutschland; Martin Conrads/Ingo Gerken, geb. 1969/geb. 1971, Deutschland; Papo Colo, geb. 1947, Puerto Rico; Oliver Croy, geb. 1970, Deutschland; Annika Eriksson, geb. 1956, Schweden; Richard Grayson, geb. 1958, Großbritannien; Hans Hemmert, geb. 1960, Deutschland; Daniel Herrmann, geb. 1972, Deutschland; Tom Hillewaere, geb. 1980, Belgien; Ute Hörner/Mathias Antlfinger, geb. 1964/geb. 1960, Deutschland; Goh Ideta, geb. 1978, Japan; Gunilla Klingberg, geb. 1966, Schweden; Andree Korpys/Markus Löffler, geb. 1966/geb.1963, Deutschland; John Kørner, geb. 1967, Dänemark; Mike Marshall, geb. 1967, Großbritannien; Melvin Moti, geb. 1977, Niederlande; Valérie Mréjen, geb. 1967, Frankreich; Deimantas Narkevicius, geb. 1964, Litauen; Monika Oechsler, geb. 1957, Deutschland; Dan Perjovschi, geb. 1961, Rumänien; Kirstine Roepstorff, geb. 1972, Dänemark; Denise Rönsch, geb. 1976, Deutschland; Miguel Rothschild, geb. 1963, Argentinien; Kuang-Yu Tsui, geb. 1974, Taiwan; Carey Young, geb. 1970, Großbritannien. Kuratoren: Die vier externen Kuratoren Anke Hoffmann, Solvej Helweg Ovesen, Angelika Richter und Jan Schuijren konzipierten und realisierten die Aus-

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Kuratoren und Besucher

stellung zusammen mit der Werkleitz Gesellschaft (Biennale-Leitung: Marcel Schwierin, Monika Stösser, Peter Zorn). Katalog: Werkleitz Gesellschaft e.V. Zentrum für künstlerische Bildmedien Sachsen-Anhalt (Hg.): Katalog zur 7. Werkleitz Biennale Happy Believers 2006, Halle 2006. Institution: Werkleitz Gesellschaft e.V. – Zentrum für künstlerische Bildmedien Sachsen-Anhalt Die Werkleitz Gesellschaft Seit 1993 existiert die Werkleitz Gesellschaft e.V. als Zentrum für künstlerische Bildmedien im Land Sachsen-Anhalt. Das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt fördert seit 1996 den Verein institutionell. Werkleitz ist der Name eines Dorfes in der Nähe von Halle und Magdeburg. Braunschweiger Filmstudenten schufen die Gesellschaft 1991. Der gemeinnützige Verein gründete sich zur Förderung und Realisierung von Film-, Kunst- und Medienprojekten und versteht seine Arbeit als die eines Medienbüros und einer Medienwerkstatt. Das bedeutet, dass (Medien-)Künstler aus den Sparten Bildende Kunst, Video, Film, Mutimedia und Internet bei der Umsetzung von Projekten betreut und gefördert werden. Die Unterstützung des Zentrums drückt sich in einer Bandbreite an Stipendienprogrammen, einem Kunst-Preis (dem Werkleitz Award) sowie regelmäßig stattfindenden Workshops zu medien- und filmtheoretischen Fragen, Postproduktion und Aufnahme aus.547 In der Medienwerkstatt werden auch Seminare für nicht-kommerzielle Filmemacher angeboten. Aufgabe des Vereins ist außerdem die Ausrichtung der Werkleitz Biennale. 2004 zog die Werkleitz Gesellschaft nach Halle um und hat seither ihren Sitz in dieser Stadt, die sich in den letzten Jahren immer stärker zu einem Medienstandort entwickelte.548

547 Beispielsweise entsteht hier seit 1996 die erste umfangreiche Internet-Datenbank für Videokunst und Experimentalfilm weltweit, genannt „cinovid“. 548 Vgl. Infoheft der Werkleitz Gesellschaft, Tornitz 2006, S. 4. Aus dem ehemaligen, improvisierten Studentenprojekt mit dem skurrilen Namen „Werkleitz“ sei nun eine etablierte und professionelle Institution geworden. Das drücke sich insbesondere in der Verlegung des Sitzes nach Halle aus, so ein Rezensent mit dem Namenskürzel „bai“: „Glaubensphänomene auf der 7. Werkleitz-Biennale“, unter: http://www.welt.de/ print-welt/article150930/Glaubensphaenomene_auf_der_7_Werkleitz_Biennale.html. Nicht alle im Pressespiegel zusammengefassten Beiträge lassen sich einem konkreten Autor zuordnen. Ferner fehlt auch eine Seitennummeriung. Daher wird im Folgenden bedauerlicherweise uneinheitlich aus dem Pressespiegel zitiert.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

Die Biennale Die Werkleitz Biennale wurde 1996 zum ersten Mal ausgerichtet.549 In den letzten Jahren nahm das fünftägige, internationale Festival stets gesellschafts- und kulturpolitische Fragestellungen in den Blick.550 Der internationale Anspruch wurde unter anderem in der internationalen Zusammensetzung des kuratorischen Teams deutlich. Das Format versteht sich als disziplinüberschreitendes Forum für Kunst und Medien, das aus einer internationalen Kunstbiennale einerseits und einem (kuratierten) Filmfestival andererseits besteht und eine Bandbreite an Elementen versammelt: Filmprogramm, Podiumsdiskussionen, Performances und Musikveranstaltungen, sowie eine Ausstellung mit Künstlergesprächen, Ausstellungsführungen und round tables im Vorfeld. Die round tables waren ein Format, das einige Wochen vor und nach der Biennale genutzt wurde, um eine Diskussion zwischen den 4 Kuratoren der 7. Werkleitz Biennale mit Gästen und der Öffentlichkeit über das komplexe Themenfeld der „Transformation der Religion in das Religiöse“ in Gang zu bringen. Deutlich wurde hier, dass die Werkleitz Biennale mit vielerlei Stimmen sprach, neben dem Kuratorenteam äußerte sich auch die Biennale-Leitung (Peter Zorn, Marcel Schwierin, Monika Stösser) die damalige Pressesprecherin Hanna Keller sowie weitere Personen vom Organisationsteam (Ruth Sahner). Peter Zorn aus dem Team der Biennale-Leitung definierte die round tables als Vorbereitung auf die Biennale.551 Neben der Möglichkeit, die Öffentlich keit auf diese Weise am Entstehungsprozess teilhaben zu lassen, begriffen die Kuratoren diese Diskussionsveranstaltungen in gewissem Sinne auch als reisende oder erweiterte Ausstellung. 552 Da der Vorbereitungsauf549 Weshalb das Medienkunstfestival so viel (internationale) Resonanz fand, erklärt Peter Zorn: „[...] Zu diesem Zeitpunkt war die Vermischung von Filmprogramm und Ausstellung noch neu. Dank engagierter Kuratoren wurde das Niveau der Filmangebote hoch angesetzt, so dass das Festival von Anfang an Qualität bot“. Zorn, Peter: „Die wahre Geschichte der Werkleitz Gesellschaft oder: Wie man den pragmatischen Utopismus lernt“, in: Werkleitz Gesellschaft e.V. (Hg.): Das tätowierte Schwein, Tornitz 2003, S.16ff. Der Durchbruch kam endgültig 1998, als der belgische Künstler Wim Delvoye sein tätowiertes Schwein ausstellte. Die Medienresonanz war groß. Aus dieser Zeit stammt die Bezeichnung „documenta des Ostens“. Vgl. Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. 550 Die vorherigen Biennalen hatten die Titel: real(work) (2000), Zugewinngemeinschaft (2002) und Common Property/Allgemeingut (2004). 2000 diskutierte man das Thema von Zukunft und Wandel der Arbeit (real work), 2002 den auch hierzu passenden Gegensatz von Stigmatisierung und Solidarität (Zugewinngemeinschaft), 2004 ging es um die Konsequenzen aus der Verschärfung von Eigentumsverhältnissen und -rechten (common property). Die Schwerpunktsetzungen belegen die politische Ausrichtung. 551 Vgl. Infoheft, a.a.O., S. 2 und 4. Im Zusammenhang mit den Biennale-Vorbereitungen waren aber nicht nur diese round tables zu sehen, sondern auch Künstlergespräche und die Ausstellung Moving Spirits. Vgl. Schwierin, Marcel (u.a.): „Willkommen zur 7. Werkleitz Biennale“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006, S. 4. 552 Vgl. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006.

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wand hoch war, die Dauer der Ausstellung aber nur fünf Tage betrug, stellte das Kuratorium einige Monate nach der Biennale im Januar 2007 die Ausstellung und das Programm vor.553 Bei den künstlerischen Positionen, die während der fünf Tage im September präsentiert wurden, handelte es sich ausschließlich um zeitgenössische Werke. Für die Werkleitz Biennale ist das Neben- und Miteinander von Performances, Filmprogramm, Kunstausstellung und Diskussionen charakteristisch.554 Die Werkleitz Biennale ist nach eigenen Angaben das größte Medienkunstfestival Ostdeutschlands, so erwarteten die Veranstalter im Vorfeld der Biennale 2006 bis zu 10.000 Besucher. Dabei handelt es sich nicht nur um das größte Festival in den neuen Bundesländern; es erhält auch bundes- und europaweit Aufmerksamkeit. Das Festival stellte 2006 einen Programmpunkt im Rahmen der 1.200-JahrFeier der Stadt Halle dar. Im Rahmen des Festivals wurde besonders betont, dass es sich bei SachsenAnhalt um das Bundesland mit der höchsten Konfessionslosigkeit handelt. Etwa 20 bis 25 Prozent der Menschen, die im „Kernland der Reformation“ leben, gehören überhaupt noch der evangelischen, der katholischen oder einer der Freikirchen an. Die Mehrheit lebt seit Jahrzehnten zumindest ohne die verfasste Kirche – als Atheist oder nach individuellen Glaubensvorstellungen – hier wäre der Begriff „Patchwork-Religionen“ zutreffend.555 Bezogen auf Halle ist festzuhalten, dass nur 11,5 Prozent der Einwohner der Stadt einer Kirchengemeinde angehören. Mit dem Hervorheben dieses Umstandes ging die Besorgnis einher, ob das Thema der 7. Biennale öffentliche Anerkennung in seinem Umfeld finden würde.556 Dieses Gefühl, ein mit Tabus belegtes Thema anzuschneiden und damit eventuell Aufsehen zu 553 Dieser roundtable fand im Januar 2007 in den Fränkischen Stiftungen in Magdeburg statt. 554 Vgl. Kowa, Günter: „Die Suche nach dem Glück des Glaubens“, in: Mitteldeutsche Zeitung, 07.09.06, S. 8. Aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. 555 Vgl. Stoye, Angela: „Wenn Vögel dem Franziskus predigen“, in: Publik-Forum, 22.09.06. S. 38–39, aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. 556 „Ob die ‚Happy Believers‘ in Halle ankommen, wird sich zeigen. Das Motto ist schon ein kleines Wagnis: Wie kommt das Thema Glaube wohl im Bundesland mit der höchsten Konfessionslosigkeit an? Wie kann die 7. Werkleitz Biennale damit ihren guten Ruf verteidigen?“, fragt eine Rezensentin. Vgl. Kaufhold, Marcella: „Dran glauben (...)“, aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. Dass sich der Ausstellungsort in einem ostdeutschen Bundesland befand, galt auch für die Ausstellung im Dresdner Hygiene-Museum, dort wurde jedoch nicht auf eine „spezifisch ostdeutsche Situation“ verwiesen. Günter Kowa mutmaßt hingegen, dass aufgrund des griffigen Gegenstandes wohl eher ein breites Publikum kommen würde, doch kommentiert er auch, dass es „schräge“ Programmpunkte gegeben habe. Vgl. Kowa, Günter: „Gottsucher, wohin man auch schaut“, aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“.

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erregen, kommt auch in den Aussagen der Kuratoren zum Ausdruck, wie weiter unten dargelegt wird.557 Austragungsort Zum zweiten Mal fand die Werkleitz Biennale im Volkspark in Halle statt. Die 6. Werkleitz Biennale 2004 war hier bereits ausgerichtet worden. Bei dem Veranstaltungsort handelt es sich nicht um eine klassische Ausstellungslokalität. Der Hallenser Volkspark wurde von der Sozialdemokratischen Partei Deutsch lands (SPD) erbaut und 1907 eröffnet. Die sozialdemokratische Arbeiterschaft benötigte einen Veranstaltungsort für kulturelle und politische Zwecke. 558 Während der DDR-Zeit gehörte das Areal der SED, die es ebenfalls für politische Veranstaltungen und als Begegnungsstätte der FDJ nutzte. Der Volkspark wurde 1993 geschlossen und fünf Jahre später zurück an die SPD übertragen. Seither wird das Areal von unterschiedlichen Mietern in Anspruch genommen, unter anderem nutzt die Hochschule für Kunst und Design in Halle die Räumlichkeiten regelmäßig für Kunstpräsentationen.559 Das Ensemble besteht aus einem leicht verfallenen Jugendstilhaus mit großräumigen Sälen, mehreren Nebengebäuden und einer Gartenanlage. Insgesamt befinden sich auf dem Areal neben dem Hauptgebäude also noch eine Turnhalle, eine Konzertmuschel, ein Laubengang und ein Biergarten. Für Großveranstaltungen weist das Hauptgebäude zwei große Säle mit Bühnen auf, den prächtigen Ernst-Thälmann-Saal im ersten Stock, wo nur Ausstellungsexponate gezeigt wurden, und den zweiten großen Raum für das Begleitprogramm. Es gab also eine Hierarchie der Räume untereinander. Gemeinschaft als Merkmal Für die Werkleitz Gesellschaft stellt das Volkspark-Areal eine gute Möglichkeit dar, an einem einzigen Ort die Vielzahl der einzelnen Biennale-Elemente zu bündeln und damit über die Dauer der Veranstaltung einen intensiven Dialog zwischen Künstlern, Besuchern sowie Kuratoren zu schaffen, wie im Katalog betont wurde.560 Auch wurde damit geworben, dass die Künstler wie jedes Jahr für den Zeitraum des Festivals mehrheitlich vor Ort sein würden. „Die Biennale versteht sich als öffentlicher und experimenteller Raum, in dem Bedeutungszu-

557 Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. 558 Außerdem ist der Volkspark aufgrund anderer Begebenheiten politisch konnotiert. 1925 kam es dort bei einer Veranstaltung der KPD zu einer Schießerei, bei der unter anderem der Hallenser Trompeter Fritz Weineck erschossen wurde. Ihm wurde zu DDRZeiten das Lied „Der kleine Trompeter“ gewidmet. 559 Vgl. Gespräch Ruth Sahner (Organisation) mit Maren Ziese am 08.12.2006. 560 Vgl. Schwierin, Willkommen, a.a.O., S. 4. Die intensive Atmosphäre sei bereits Merkmal der Biennalen in dem Dorf Werkleitz gewesen, so die Pressesprecherin Hanna Keller. Vgl. Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“.

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sammenhänge von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Prozessen sichtbar gemacht und durch neue künstlerische Impulse erweitert werden.“ Aufgrund der urbanen Anbindung der Biennale erhoffte sich die Werkleitz Gesellschaft mit ihrem Umzug nach Halle, auch die internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. So hoffte man, dass die Veranstaltung damit mehr Menschen zugänglich gemacht werden könnte,561 insbesondere auch der Hallenser Bevölkerung. „Das Bewusstsein der Bedeutung dieses Festivals ist noch nicht vorhanden. Dabei wünschen wir uns eine Vermischung der Künstler mit den Besuchern, so dass die 7. Werkleitz Biennale zu einem Publikumsfestival wird.“562 Die direkte Ansprache an das Publikum wird auch im Vorwort des Katalogs deutlich: „An dieser Stelle laden wir Sie ein, für die fünf Tage des Festivals diesen Fragen mit uns nachzugehen, und wir sind gespannt auf Ihre Reaktionen.“563 Das Gesamtprogramm der Biennale In ihrer fünftägigen Präsentationszeit umfasste das Festival rund 100 internationale Beiträge zeitgenössischer Kunst und Kultur. Neben der Ausstellung im Außen- und Innenraum, die das Hauptaugenmerk der Biennale darstellte, wurden ein umfangreiches internationales Film- und Videoprogramm in 13 Blöcken, Vorträge, Performances, 564 Künstlergespräche und DJ-Auftritte angeboten. Außerdem fanden Gesprächsrunden zu Schlagworten wie „Kunst und Spiritualität“ oder „Subjektive Wahrheiten“ statt. Abends wurde der „Happy Believers Club“ veranstaltet, der ein musikalisches Rahmenprogramm von Soft Hop bis Sacropop offerierte.565 Ein besonderer Schwerpunkt lag ferner bei der Beauftragung von neuen Produktionen sowie der langfristigen Kooperation mit einzelnen Künstlern.566 Auf dem Programm stand auch die Begegnung mit der Stadt Halle. Eine Exkursion steuerte zwei evangelische Kirchen an, in Radewell und dem Plattenbau-Stadtteil Silberhöhe-Beesen.567 Außerdem fanden Performances 561 Schwierin, Marcel, zitiert nach: Stoye, a.a.O., S. 38f. Aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. Eine Auskunft darüber, wie stark der tatsächliche Andrang war, ist nicht von Interesse für die hier sich stellenden Fragen, es geht hier in erster Linie um das Potenzial der Ausstellung. Die Kuratorin Richter äußerte: „Tatsächlich kamen viele junge Besucher, viele Menschen aus der Stadt, sowie ein Fachpublikum“. Vgl. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006. 562 Vgl. Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. 563 Schwierin, Willkommen, a.a.O., S. 4. 564 Die Performance von Julia Kissina stellte eine Pressekonferenz mit Marcel Duchamp dar. Am Sonntag hielt Pastor Leumund (d.h. Jan Theiler, der Gründer der Berliner „Bergpartei“) in der Konzertmuschel eine Mittagsmesse „der besonderen Art“. 565 Mit Soft Hop ist eine leichtere, langsamere Spielart des Hip Hop gemeint. Sacropop ist eine Komposition im Stil der Popmusik mit christlichem bzw. religiösem Text. 566 Vgl. Richter, Angelika: „Von Ikonen, Idolen, Avataren und anderen Stellvertretern“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.), a.a.O., S. 76. 567 Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. Die Exkursion führte zu zwei ehemaligen, an der südlichen Peripherie der Stadt liegenden evangelischen

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im öffentlichen Raum statt. Für die Kontaktaufnahme mit der Hallenser Bevölkerung dienten kostenlose Führungen, wodurch allen Interessierten signalisiert werden sollte: „Wir wollen nicht abgehoben wirken, sondern klar machen, dass wir einen Austausch wünschen“.568 Die round tables dienten auch dazu, die inhaltliche Ausrichtung der Biennale im Vorfeld in die Öffentlichkeit zu tragen.569

4.1.2

Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema

Die Biennale widmete sich unter dem Titel Happy Believers570 aktuellen Fragestellungen zu Glaubenssystemen, ihren individuellen Ausdifferenzierungen und ihrer Bedeutung in der heutigen Gesellschaft. Der Begriff „Glaubenssysteme“ stand dabei für eine Spanne von Phänomenen von institutionellen Religionen Dorfkirchen, die inzwischen zur Stadt Halle gehören. Die aus romanischer Zeit um 1184 stammende St. Wenzelkirche im Ortsteil Radewell und deren ehemalige Filialkapelle St. Elisabethkirche in Silberhöhe-Beesen zählen zu den ältesten Kirchen der Stadt. Hans-Dieter Schubert, Pfarrer der Gemeinden seit 1992, stellte beide Bauten vor, sprach über heutige Nutzungen und Sanierungen sowie über die Instandsetzung der St. Elisabethkirche während der Errichtung der zweiten großen Plattenbausiedlung „Silberhöhe“ in Halle (Saale) 1979–1989. Weitere Inhalte des Gesprächs waren die Rolle und Praxis kirchlicher Arbeit in der DDR sowie die veränderte Situation der Gemeindearbeit, die von der demografischen Situation, Arbeitslosigkeit und Fokussierung auf finanzielle Probleme geprägt ist. 568 Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. 569 In lokalen und bundesweiten Kooperationen wurde die Auseinandersetzung begleitet und fortgeführt. Vgl. Infoheft, a.a.O., S. 30. 570 Ein Gespräch mit der Kuratorin Anke Hoffmann gibt Aufschluss über den Titel „Happy Believers“. So fragt Hoffmann die beiden Interviewpartner, Jörg Hermann und Jörg Metelmann, wer die Happy Believers sein könnten. Metelmann rekurriert auf einen in tiefer Not stehenden Gläubigen, der durch Glauben Rettung erfährt. Diese Beobachtung des leidenden Gläubigen sei nicht vergleichbar mit dem durch den Anglizismus der Ausstellung konnotierten fröhlichen Gläubigen, doch führe sie zu dem, was mit dem Ernst des Lebens zusammenhänge. „Happy Believers“ sei eine fröhliche Umschrift, das große JA! müsse heute hinter allem stehen und deswegen solle man auch glücklich glauben können. Als Assoziation bleibt der Titel für ihn der Oberfläche verhaftet, er dringe nicht „zur Tiefenstruktur unseres Zweifelns und Glaubens durch, wo die Leidenschaft auch Leiden aufweist“, so Metelmann. Die Antwort von Hermann lautete, dass ihn der Titel an „Don’t worry be happy“ erinnere und ebenfalls in Widerspruch zur existenziellen Ernsthaftigkeit von Religion stünde, der suggeriert, man könne die wirklichen Lebensprobleme mit dem Schlagwort „be just happy“ vom Tisch wischen. Dennoch löse der Titel viele Assoziationen aus, und womöglich könnten die Happy Believers heute „happy“ sein, weil ihnen deutlich werde, dass die Gesellschaft erkannt habe, dass ihr Glaube und das Thema Religion noch eine Zukunft besitze, dass Menschen eine kulturelle Bearbeitung ihrer Sinnfragen bräuchten, auch in Zeiten von Audiovision und Digitalität, so Hermann. Vgl. Hoffmann, Anke: „Religion, Religiosität, Glaube. Ein Gespräch zwischen Jörg Hermann, Jörg Metelmann und Anke Hoffmann“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.), a.a.O., S. 29. Interessant ist hier auch der Rückbezug auf den 11. September 2001, der im Interview zur Sprache kommt.

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bis hin zu individuellen Weltsichten, die man als „Patchwork“-Glauben oder quasi-religiöse Formen bezeichnen könnte. Im Zentrum stand hier also nicht allein der religiös motivierte Glauben. Künstler aus dem In- und Ausland präsentierten ihre Assoziationen zur Rolle des Glaubens im 21. Jahrhundert und ließen sich damit vor dem Hintergrund des aktuellen Diskurses zur gesellschaftlichen Relevanz von Glauben und Religiosität verorten. Aus einer Spannweite unterschiedlicher geografischer Perspektiven und verschiedener medialer Zugänge entsprangen die hier ausgestellten künstlerischen Beiträge. Hieran wird schon deutlich, dass die Kunst als Illustration zeittypischer Phänomene verstanden wurde. „Thematisiert werden Folgen der gegenwärtigen Individualisierungstendenzen, die in verschiedene Identitätsformen und Glaubenskonstruktionen münden und von der Politik, den Medien und dem Markt entsprechend manipuliert werden.“571 Im Mittelpunkt der Schau stand also der Glaube des Einzelnen. Die Palette reichte von Arbeiten, die die Faszination und Glücksmomente des Glaubens aufzeigten, bis zu Ansätzen, die sich kritisch mit der Instrumentalisierung von Religion beschäftigten: vom Glauben an Gott, Buddha, oder Zen bis hin zu Fußballfanatismus, Markenfetischismus und Hobbyastrologie.572 Das Thema splittete sich in folgende vier Schwerpunkte auf: „Der private Glauben – Transformation der Religion“; „Die mediale Vergötterung – Auratisierung und Sakralisierung“; „Kapitalismus als Religion – Ritualisierung und Ökonomisierung“; „Glaube als Strategie – Politik und Religion“. Das Phänomen der Sinn- und Glaubenssuche (im Mittelpunkt stand dabei der wieder erstarkende Glaube) sollte aus unterschiedlichen künstlerischen Perspektiven in diesen vier Themensetzungen untersucht werden. Wenngleich es um die Fragestellungen „Woran glauben wir heute?“ und „Warum glauben wir?“ gehen sollte, machten die Veranstalter deutlich, dass sie eine Antwort auf diese grundlegenden Fragen nicht geben könnten, „aber die Frage ‚Woran glaube ich selbst eigentlich?‘ war für uns ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Biennale-Vorbereitungen.“573 Bei diesem Themenkomplex wollte sich das Kuratorenteam jedoch bewusst gegen die Erwartungshaltung abgrenzen, die Aspekte Fundamentalismus und Islamismus, religiöse Ideologie und Gewalt müssten auch zur Sprache kommen. Auch die Debatten um abendländisch-christlichen Weltbilder und Werte sollten nicht gestreift werden. Diese Fragen sollten gezielt außen vor gelassen werden.574 So fän571 Infoheft, a.a.O., S. 28. 572 Auch wenn von den Beteiligten immer wieder auf diese Individualisierungstendenzen verwiesen wurde, standen diese nicht so sehr im Zentrum der Schau. Vgl. Schwierin, Willkommen, a.a.O., S 4. 573 Ebd. 574 Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006.

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den sich keine künstlerische Arbeiten, welche aktuelle ideologische Kämpfe um die Vormachtstellung der monotheistischen Religionen visualisierten.575 Mit der inhaltlichen Planung der Biennale begann man im Herbst 2004,576 zu diesem Zeitpunkt war das „zumindest in den Medien deutlich gesteigerte Interesse an religiösen Fragen“ bereits augenscheinlich, das als „Wiederkehr der Religion“ gelabelt wurde.577 Damit griffen die Veranstalter die aktuelle Debatte auf. Auch rekurrierte Anke Hoffmann auf die „vielen Kunst- und Kulturveranstaltungen der letzten Jahre in Deutschland zum Thema Religiosität, darunter Die Zehn Gebote, Hygiene-Museum Dresden 2004, Gott sehen, Kunsthalle Wilhelmshaven 2006, Rethinking Spirituality, Kulturzone06, Schirn Kunsthalle, um nur ganz wenige zu nennen, dazu Wissenschaftskonferenzen zu Glaubensfragen und Säkularisierung“ und schlussfolgerte, dass „Religion wieder eine sehr große Rolle spielt im gesellschaftlichen Leben unserer Gegenwart.“578 Hier zeigt sich, dass sich die 7. Werkleitz Biennale im Verhältnis zu anderen Beiträgen dieses Diskurses positionierte. Die Einordnung in diskursive Zusammenhänge erfolgte aber auf eine andere Weise als es beispielsweise der Kurator Klaus Biesenbach im Rahmen der Zehn Gebote-Schau vollzog. Biesenbach stellte ausschließlich politische Bezüge in globaler Dimension her. Katalog Der Katalog bestand aus drei Sektionen, der erste Teil stellte laut Angelika Richter den theoretischen Überbau der Biennale dar und umfasste in Auftrag gegebene Texte, wie eine philosophische Abhandlung über Transzendenz unter dem Titel „Gott Design: Ein kurzer Leitfaden zur Transzendenz“ von Zoran Terzic und Gedanken zur Formulierung „Happy Believers“.579 Ferner kam ein Leipziger Forschungsprojekt zum Generationenwechsel Ostdeutschland zur Sprache und ein Interview mit einem Religionswissenschaftler war abgedruckt. Der zweite Teil enthielt die konkreten Werkbeschreibungen beziehungsweise ihre kuratorischen Einordnungen, wobei die Kunstwerke im Vergleich zum Textanteil weniger Raum einnahmen. In der letzten Sektion war der Programmteil des Festivals abgedruckt. Im Katalog trat das Kuratorium und seine Aufgabenteilung deutlicher als in der Ausstellung hervor. Ferner wurde hier eine thematische Schwer575 Vgl. Hoffmann (Kuratorium), Happy Believers, a.a.O., S. 6. 576 Die Biennale-Leitung plante das Thema und schrieb es aus, um damit externe internationale Kuratoren zu beauftragen. Angelika Richter gab im Interview an, dass sie das Thema initiiert hatte. Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. Anzumerken ist auch, dass Richter bei der Werkleitz Gesellschaft angestellt war, die Ausstellungsvorbereitung inhaltlicher Art also nur bedingt an Externe vergeben wurde. 577 Vgl. Schwierin, a.a.O., S. 4. 578 Hoffmann, Religion, a.a.O., S. 26. 579 Vgl. Terzic, Zoran: „Gott Design: Ein kurzer Leitfaden zur Transzendenz“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.), a.a.O., S. 9–13.

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punktsetzung sichtbar, die sich nicht in der Ausstellung in Form von Kapitelgliederungen oder anderweitigen Zuordnungen niederschlug. Wenngleich es sich bei den Werkbesprechungen nicht um Texte handelte, die man vor den jeweiligen Arbeiten lesen konnte und eine Auflistung der in der Schau vertretenen Arbeiten fehlte,580 so war der Katalog doch als Ausstellungsführer und Begleitband während der fünf Tage geeignet, da man ihm praktische Informationen zum Programm entnehmen konnte und er eher handlich, leicht und kostengünstig war.

4.1.3

Der Rundgang

Wie erwähnt gab es thematische Schwerpunkte, die sich allerdings nicht direkt erfahrbar im Ausstellungsrundgang niederschlugen. 581 Auch war unklar, ob diese als Themenstränge dem Betrachter im Gedächtnis bleiben sollten, anhand derer die Werke befragt oder eingeordnet werden konnten. Die Ausstellung bestand aus einem Innenraum, der sich über drei Etagen erstreckte, sowie einem Außenraum (Abb.39). Wenngleich ein Übersichtsplan erhältlich war, war die Abenteuerlust und der Spürsinn der Besucher gefragt, was zum großen Teil dem komplexen Areal des Volksparks geschuldet war. Es galt unterschiedliche Räumlichkeiten zu entdecken und sich seinen Weg zu bahnen. Am Eingang zum Grundstück zeigte sich das Logo der 7. Werkleitz Biennale: Leere, weiße Plastikbecher waren in einen Zaun gesteckt und formten als Schriftzug Titel und Datum der Veranstaltung (Abb.38).582 Nach dem Betreten des ansteigenden Geländes konnte man beim Durchlaufen der Gartenanlage rechter Hand die Turnhalle, Konzertmuschel sowie den Laubengang (Abb.43) sehen, während man geradeaus auf das zweigeschossige Hauptgebäude zulief (Abb.45). Ferner luden Sitzmöbel und Bierbänke auf einer Wiese und auf der Terrasse vor dem Prunkbau zum Verweilen ein (Abb.44). Es gab einen Getränkeausschank. Das erste Gebäude des Ausstellungsrundganges war die Turnhalle (Abb.40). Eine studentische Aufsichtsperson, die sich vor dem Gebäude befand, vermittelte den Eindruck, dass hier etwas zu sehen gab (Abb.41). Allerdings deutete kein Hinweisschild darauf hin. Um die Sporthalle zu betreten, war keine Eintrittskarte nötig, da man nicht von den Besuchern erwarten könne, für den Kauf wieder zu einem anderen Ausstellungsabschnitt zurückzulaufen, wie die Aufsichtsperson 580 Stattdessen gab es eine Aufzählung der Beteiligten des Festivals, von Künstlern über DJs bis zu den Referenten, was ein anderes Verständnis ausdrückt, nämlich die Priorität der Teilnehmer im Verhältnis zu den Gegenständen. 581 Es blieb unklar, ob die vier Schwerpunkte der Biennale mit den inhaltlichen Themensetzungen im Katalog einhergingen. Auch blieb undurchsichtig, ob je ein Kurator einen Themenblock bearbeitet hatte. 582 Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006.

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erklärte. Diese Arbeit war somit in gewissem Sinne von den anderen Ausstellungsabschnitten abgekoppelt und musste entdeckt werden. Schon hier wurde die offene Laufrichtung und der Verzicht auf eine klare inhaltliche Abfolge deutlich. Die Führung durch die Ausstellung versammelte die Besucher hingegen am Infostand und suchte dann zunächst die Arbeit in der Sporthalle auf. Nachdem man einen schwarzen Filzvorhang zurückgeschoben hatte, stand man in einem dunklen Saal, dessen einzige Lichtquelle von dem hölzernen, begehbaren Raumsystem – einer aus Stäben konstruierten Kugel – herrührte. Die Arbeit hieß insideout und stammte von dem in den Niederlanden wohnenden Japaner Goh Ideta (Abb.42). Die in der Mitte des Saales platzierte Plastik präsentierte sich als meditative Raum- und Lichtinszenierung, die ihr Äußeres nach innen und umgekehrt in einer prinzipiell unaufhörlichen Folge immer kleinerer Strukturen präsentierte. Die hölzerne Plastik von Goh Ideta wurde von den Kuratoren in der Turnhalle platziert, um sie damit komplett abgeschlossen, in nahezu kathedralischer Ruhe präsentieren zu können und ihre Licht- und Tonwirkung zur Entfaltung kommen zu lassen. Ferner sollte das Exponat alleine stehen, um den Besuchern Raum zu geben und ein sakrales Ambiente zu erzeugen. Zunächst habe allerdings auch die Überlegung im Raum gestanden, sie im Thälmann-Saal zu zeigen.583 Zurück im Hellen passierte man nach der Konzertmuschel den mit Biertischen und -bänken bestückten Laubengang, in dem der rumänische Künstler Dan Perjovschi an drei Wänden Bezüge zur Stadt Halle und ihre religiösen Traditionen verarbeitet hatte (Abb.43). Ein Label, angebracht am Geländer davor, markierte die Arbeit als Kunst. Um in das Hauptgebäude zu gelangen, traten die Besucher durch das Mandala-Tor (Abb.46).584 Der Eingang zum Haupthaus, zur Ausstellung an sich, war von Gunilla Klingberg gestaltet worden. Mithilfe der Zeichen, Logos und Firmennamen von Supermarktketten setzte sie ein orangefarbenes Mandala (asiatisches Glaubenszeichen) auf die äußeren Glastüren. Das Sujet des Konsums als Religionsersatz trat in der Folge mehrfach in der Schau auf: als Kirchenfenster (den Kapitalismus als Religion inszeniert Miguel Rothschild in drei Leuchtkästen als Kirchenfenster mit Waren, die das Paradies verheißen) und auch als Kirche selbst (ein Modell des Doms zu Speyer geformt aus Magazinen des Designers Louis Vuitton von Hans Hemmert). Anstelle eines Einführungstextes hingen hinter den Glastüren rechts an einer Pinnwand die Poster der 7. Werkleitz Biennale (Abb. 48). Eine Aufsichtsperson war anwesend. Rechter Hand lud ein Treppenaufgang in das obere Geschoss und linker 583 Vgl. ebd. 584 Vgl. Ovesen, Solveig Helweg: „Der Thron bleibt leer“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.), a.a.O., S. 66ff. Wie hier im Aufsatz der Kuratorin deutlich wird, gab es unterschiedliche räumliche Setzungen des Anfangs. Aus Ovesens Text ließe sich schlussfolgern, der Beginn der Schau habe sich im Hauptgebäude befunden, also am Mandala-Tor. Hier klingt bereits eine Hierarchisierung der Räume durch.

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Hand lockten zwei offene Türen mit Blick in die Ausstellungsräume. Auch hier befand sich Ausstellungspersonal. Kunstwerke im Flurbereich – unter anderem die Problemfabrik des dänischen Künstlers John Kørner585 (Abb. 47) sowie mehrere bunte, an die Wand montierte Kästen – wirkten als Blickfang, und ein Areal mit Tischen und Stühlen deutete sich an, so dass man dort den Infotisch und Ticketverkauf vermutete. Zum Infotisch zählte auch eine Leihbibliothek, ein Kaffeeverkauf, der Treffpunkt für die Führungen. Hier waren Eintrittskarten, Kataloge, Flyer, Plakate und ein Übersichtsplan erhältlich (Abb.49). Die farbigen Schreine (und Poesiealben in einem kleinen Bücherregal) im Foyer gegenüber dem Infotisch waren Arbeiten von Hallenser Schülern, die sich mit der Frage „Was glaubt ihr?“ auseinandergesetzt hatten. Das Projekt war von dem Hallenser Künstler Daniel Herrmann initiiert worden, hierbei handelte es sich laut Angelika Richter um die einzige Arbeit im Parcours, die Antwort gab, statt ein Diskursfeld zu eröffnen.586 Im Erdgeschoss, nahe der Schülerarbeiten, lief eine Videoarbeit der Schwedin Annika Eriksson (Abb.53). In Folkets Park zeigt sie die idealistische Errichtung des Malmöer Erholungsgebietes durch schwedische Arbeiter im 19. Jahrhundert, eine Reminiszenz an den Veranstaltungsort. Die ebenfalls im Erdgeschoss befindlichen Räume „Galerie 1“ und „Galerie 2“ waren im White-Cube-Format gestaltet: weiße Wände, gleichförmiges Deckenlicht sowie durch verhangene Fenster verschlossene Bezüge zur Außenwelt (Abb. 50+51). Auch eine spärliche Bestückung der Wände mit Exponaten war zu beobachten. In der Galerie 1 waren die Fenster zur Terrasse mit einer Ausnahme verhängt. Die alten Parkettböden, Deckenverzierungen und Türrahmungen waren noch erkennbar. Hier wurden drei künstlerische Positionen gezeigt. Die weißen Pfeiler des Raumes hatten die Kuratoren genutzt, um zwischen und an ihnen die Videos von Kuang-Yu Tsui (The Perceptive, The Penetrative, The Spontaneous, alle 2001) zu präsentieren. Oliver Groy war mit einer großformatigen Fotografie Salvation Mountain als weitere Position im Raum vertreten, welche einen gläubigen Amerikaner zeigte, der mit gespendeter Farbe einen Berg in Kalifornien anmalt. In der Videoarbeit Exploring a Small Canyon (2003) von Mike Marshall verhallten die Rufe des Künstlers in der Leere eines Canyons im Echo. Zwischen den beiden Galerieräumen befand sich ein Durchgang, der niedriger war als diese (Abb.51). Rohre, altes Linoleum und Waschbecken-Anschlüsse zeugten von einer offensichtlich anderen früheren Funktion. Die hier ausgestell585 Die Kuratorin Solvej Helweg Ovesen schreibt zur Problemfabrik von John Korner: „Im Rahmen von Happy Believers und seiner Auseinandersetzung mit Glaubenssystemen lässt sich ‚Problem Factory‘ insofern als ein lokales Kosmogramm verstehen, als die Biennale einen Schnittpunkt verschiedener Glaubenssysteme bildet, deren Nebeneinander – was nicht überrascht – auch zur konstanten Verhandlung und Erzeugung neuer Probleme führt“. Ovesen, a.a.O., S. 67. 586 Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

te Arbeit verwies auf die Ereignisse des 11. Septembers 2001: Der Kolumbianer François Bucher projizierte 30 Dias an die Wand (Spiritual Still, 2001), auf denen von Passanten beschmierte oder zerkratzte Konzertplakate der Sängerin Britney Spears zu sehen waren (Abb.52). Der Künstler hatte die Dias in der New Yorker U-Bahn kurz nach dem Anschlag auf das World Trade Center aufgenommen. Über Kopfhörer waren die Gespräche zu hören, die in den Tagen nach dem Anschlag am Union Square geführt wurden. In der Galerie 2 waren ebenfalls die Werke von drei Künstlern ausgestellt (Abb. 50). Eine Sitzgelegenheit war vorhanden. Nach Durchschreiten des Durchganges wurde linker Hand auf einem Flachbildschirm das Praying Project der New Yorker Galerie Exit Art gezeigt. In der Galerie, das heißt im Schaufenster von Exit Art, sieht man zirka 20 Menschen in aller Öffentlichkeit ihre ansonsten privaten und individuellen Vorstellungen religiöser Rituale demonstrieren. Außerdem war ein Triptychon der dänischen Künstlerin Kristine Roepstorff zu sehen (The Inner Sound That Kills the Outer, 2006). Im zweiten White-Cube-Raum hingen in weißen Rahmen die von Richard Graysen angefertigten Horoskope (Intelligence, 2004), die unter anderem George W. Bush, Tony Blair und Osama Bin Laden durch ihre kosmischen Weissagungen verbanden. Beim Verlassen der Galerie 2 traf man erneut auf Folkets Park von Annika Eriksson sowie auf die in Schreinen symbolisierten Glaubensvorstellungen Hallenser Schüler (Abb.53). Schwarze Papierpfeile halfen bei der Orientierung und schlugen eine Laufrichtung vor. Zu entdecken war mithilfe des Übersichtsplans (teilweise waren die Türen verschlossen) im Durchgang zum Weinecksaal/Kino die in Reminiszenz an die Bleiglastechnik wie bunte Kirchenfenster anmutende Arbeit des Argentiniers Miguel Rothchild (Paradies I, II, III, 2004) (Abb.54). Wie beim Mandala-Tor aus Firmenlogos von Gunilla Klingberg wurden hier die Heilsversprechen der Warenwelt thematisiert. Namenszüge von Lebensmitteln, Büchern oder Restaurants, die das Wort „Paradies“ trugen, wurden hier zu drei leuchtenden Andachtsbildern zusammengesetzt. Vor dem Treppenaufgang fand sich ein weiterer Pfeil, der ins erste Stockwerk wies. Im Zwischengeschoss war der ehemalige Hausmeisterraum, den die Hallenser Künstlerin Denise Rönsch nutzte, um hier das Themenfeld Starkult als modernes Glaubensbekenntnis abzuhandeln (My Private Idoland, 2005) (Abb. 55). In einer Art „Andachtsraum“ huldigte sie dem ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily wie einem Pop-Idol: mit Zeitungs- und Videoausschnitten, selbstgemalten Zeichnungen und Schily-Puppen. Schreibtisch, Matratze, Fernseher und die niedrige Zimmerdecke verliehen dem Raum eine fast „gemütliche“ Atmosphäre. Im ersten Stock öffneten sich einladend die Eingangstüren zum Thälmannsaal (Abb.56). Die Türen links und rechts waren verschlossen. Die Klänge von Tschaikowskys Valse Sentimentale zogen in diese Räumlichkeit hinein. Der Festsaal mit Bühne, Balustrade, Parkett und natürlichem Lichteinfall enthielt als einzige Arbeit

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die Installation (Valse Sentimentale, 2006) des belgischen Künstlers Tom Hillewaere. Zu Tschaikowsky schwebte ein von silbernen Ventilatoren bewegter weißer Luftballon über einem Podest, der mit Filzstift Linien auf ein weißes Blatt Papier zeichnete. Der Festsaal im ersten Stock stellte den interpretatorischen Dreh- und Angelpunkt der Schau dar. Es war die ursprüngliche Idee der Kuratoren, alle Arbeiten um ein leeres Zentrum herum zu positionieren, um anhand der politischen Konnotation des Ortes hier das Visuelle zu unterlaufen. Aufgrund seiner vielfältigen Bezüge zum politischen Geschehen der Vergangenheit, wurde es von den Kuratoren als problematisch erachtet, den Raum zu bespielen. Zudem fand man es überlegenswert, den Besuchern einen leeren Ort anzubieten, der eine Ruhepause ermöglichen würde. Schließlich entschied das Kuratorium, das Herzstück des Areals zu nutzen und stellte dort die sentimentale Züge tragende Installation von Tom Hillewaere auf.587 Der große Saal strahlte bei der 7. Werkleitz Biennale interpretatorisch auch noch auf weitere Kunstwerke aus. So nutzten die Kuratoren die Konnotation des Festraumes auch für das Video von Carey Young (I am a Revolutionary, 2001) hinter der Bühne und den Film von Deimantas Narkevicius (Once in the XX Century, 2004) im Treppenaufgang (Abb.57). An der hinteren Bühnenwand war ein Pfeil mit einem Lichtkegel angestrahlt, der dem Besucher signalisierte, welche Richtung einzuschlagen sei. Dies wurde durch eine auf der Bühne sitzende Aufsichtsperson unterstrichen. Betrat man die Bühne über eine der beiden seitlichen Treppen, war in einem kleinen Nebenraum ein Flachbildschirm installiert, der das Video von Carey Young präsentierte. Die im Anzug gekleidete Künstlerin lässt sich von einem Rhetorik-Coach in einem Business-Ambiente trainieren, um den Satz „I am a revolutionary“ möglichst authentisch vermitteln zu können. In erster Linie wegen des Wortes „revolutionary“ und der hier gezeigten Überzeugungsarbeit (die Vorbereitung auf einen Auftritt), hatten die Kuratoren die Arbeit ausgeliehen. Laut Richter passte sie sehr gut in den Raum, der ja für Agitationszwecke zur „Erneuerung der Gesellschaft“ genutzt wurde. Thema der Arbeit und Geschichte des Ortes fielen so zusammen. Der Satz war zum Slogan geworden, hier ging es um Vermarktungsstrategien. Dabei hatten die Kuratoren die Arbeit deutlich sichtbar nicht zentral positioniert (Nebenraum der Bühne) und bewusst das theatralische Setting (Bühnenraum) gewählt.588 Verließ man den Thälmannsaal durch den anderen Ausgang, kam man erneut an einer studentischen Aufsichtsperson vorbei, die als räumliche Orientierungshilfe fungierte. Vor dem Saal war bereits der Film Once in the XX Century von Deimantas Narkevicius zu sehen, der an die Wand des Aufganges zwischen Erdge587 Vgl. ebd. 588 Vgl. ebd.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

schoss und erstem Stock projiziert wurde (Abb.57). An dieser Stelle wandte man sich jedoch links in den verdunkelten Ausstellungsabschnitt, der sich hinter dem Festsaal durch die zugezogenen Falttüren ergab. Hier waren zwei Werke zu sehen: Valérie Mréjens Video-Aufzeichnungen von ehemaligen orthodoxen Juden, die sich über ihre erste Verletzung einer religiösen Vorschrift unterhalten, sowie Yael Bartanas auf zwei nebeneinanderliegende Wände projizierte Filmarbeit Wild Seeds (2005) über israelische Jugendliche, die in den Bergen ihres Landes ein auf Grundlage der echten Auseinandersetzung zwischen israelischen Soldaten und jüdischen Siedlern selbsterfundenes Spiel spielen: zwei Teenager müssen die Menschenkette durchbrechen. Vor der Arbeit war ein Teppich ausgelegt, auf dem große Kissen für die Besucher bereitlagen. Der Sound dieser Arbeit dominierte, die Rufe und Schreie der Jugendlichen schallten im Raum. Die Arbeit Dieu (2004) der französischen Künstlerin Valérie Mréjen lief auf einem Fernseher, über Kopfhörer auf einem Stuhl sitzend konnte man sich die Arbeit ansehen.589 Wie Angelika Richter erklärt, ging es den Kuratoren bei der Zusammenstellung des Raumes nicht um einen „Themenstrang Judentum“, sondern um die Frage nach dem Konfliktpotenzial von Religion, der Übertretung von Geboten. Gerade die Arbeit von Bartana lese sie weiter gefasst, als Reflexion der Konflikte im ganzen Nahen Osten und im Irak.590 Von dieser Sektion ging der Medienraum ab, in dem mehrere Computer aufgestellt waren und Besucher Internetzugang hatten. Ferner war es möglich, die Filme der Biennale anzusehen. Begab man sich zurück auf den Treppenabsatz vor den großen Festsaal, konnte man sich auf die Stufen setzen, um den im Treppenaufgang gezeigten Film von Deimantas Narkevicius zu betrachten (Abb.57). Once in the XX Century gibt den Abriss eines Lenin-Denkmals in Vilnius wieder. Der Künstler nutzt das Mittel der Montage, um den Eindruck zu vermitteln, dass das Monument unter starkem Publikumsbeifall errichtet würde. Die Kuratoren hatten das Werk in den Aufgang zum Thälmann-Saal gehängt, um auf die ideologisch und politisch geprägte Vergangenheit des Ortes zu verweisen.591 Hier kam also erneut ein kontextualisierter Zeigegestus zum Einsatz. An dieser Stelle des Ausstellungsbesuches gab es einige Möglichkeiten, sich für die weitere Erkundung des Gebäudes zu entscheiden. Naheliegend war der unmittelbare weitere Aufstieg in den 2. Stock. Zum anderen gab es die Möglichkeit noch einmal durch den Thälmann-Saal hindurch zu gehen, um im anderen Aufgang die restlichen Arbeiten anzusehen. An diesem Abschnitt des Parcours zeigte sich einerseits, dass der zentrale Saal der Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung war – so gab es an beiden Seiten der Bühne Pfeile, um den Zugang von jeder Seite zu markieren. 589 Die Arbeit Dieu von Valérie Mréjen war auch im Rahmen der Ausstellung Choosing my Religion im Thuner Kunstmuseum zu sehen. 590 Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. 591 Vgl. ebd.

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Andererseits wäre es für die Interpretation des Werkes Once in the XX Century naheliegender gewesen, diesen Aufgang vom Erdgeschoss zu betreten, um nach dem Blick auf dieses Werk in den Thälmann-Saal zu gelangen. Allerdings deuteten vom Erdgeschoss und Foyer ausgehend Pfeile nach oben in Richtung des Otto-SchilyAndachtsraumes „My Private Idoland“ von Denise Rönsch. So bot die Ausstellung einerseits eine Laufrichtung, Pfeile waren angebracht und Personal lenkte durch das Gebäude. Andererseits schien es nur bedingt notwendig, eine bestimmte Abfolge von Exponaten einzuhalten, um einen interpretatorischen Vermittlungszugang zu erhalten. Nach der Arbeit von Rönsch folgten im Treppenhaus drei weitere kabinettartige Sektionen, die alle Videoarbeiten beherbergten. Zuerst konnte man die Videoarbeit The Black Room (2006) von Melvin Moti auf halber Treppe ansehen. Dann folgte das Video Gospels (2006) des Berliner Künstlers Erik Bünger. Das dritte Kabinett zeigte das Werk Doubble Bubble (2001) von Maja Bajevic. In drei nun folgenden, hintereinander geschalteten Räumlichkeiten wurden Exponate gezeigt, die Bezüge zum Katholizismus aufwiesen. Im ersten Raum, in dem die gezeigten Arbeiten mit Strahlern punktuell ausgeleuchtet wurden, war eine eher intimere Kunstbegegnung möglich (Abb.59). Neben der Beleuchtung trugen die Art und das Format der Werke sowie die Raumgröße zu diesem Eindruck bei. Ferner präsentierte sich der Abschnitt im White-Cube-Format und war durch eine weiße Falttür vom darauffolgenden Raum abgetrennt. Die Künstlerin Andrea Büttner stellte in ihren Zeichnungen den Versuch von Tieren dar, zum heiligen Franziskus zu predigen. Auf einem weißen Podest war das Miniaturmodell des Domes zu Speyer von Hans Hemmert aufgestellt. Der aus Louis-VuittonAnzeigen gebaute Dom griff erneut den Themenstrang der Konsumwelt als Religionsersatz auf. In einem kleinen verspiegelten Ballettsaal konnte das Publikum das Video Für das Leben nach dem Tod (2006) von Andree Korpys und Markus Löffler über den zeremoniellen Apparat des Vatikans ansehen (Abb.60). Die Arbeit dokumentiert die perfekte Medieninszenierung sowie das Geschehen hinter den Kulissen bei öffentlichen Auftritten im letzten Lebensjahr von Papst Johannes Paul II. Der nun folgende Ausstellungsabschnitt, der obere Treppenabsatz, gab Raum für die Frage, ob der Segen des Papstes bei medialer Vermittlung wirkt (Abb.58). Die Installation The Writings on the Wall (2005) von Martin Conrads und Ingo Gerken thematisierte diese stetig größer werdende Medienkompetenz der Segenssprechung. Die beiden Künstler sandten Briefe nach Rom, um herauszufinden, ob der Segen auch über eine Folie für Overhead-Projektoren übertragen werden könne. Ausgestellt war unter anderem der Briefwechsel mit den Medienexperten von Radio Vatikan. In der ehemaligen Projektorkammer des Theatersaals standen Computerbildschirme, auf denen Mantras heruntermeditiert wurden (Non-Chat Chat – Meditation for Avatars, 2006). Der Raum besaß ein Lounge-artiges Ambiente. Besucher wurden angehalten, sich die Schuhe auszuziehen, bevor sie den Teppich betraten.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

Hier in den Licht- und Regieräumen des Saales stellte sich das online network community project von Ute Hörner und Mathias Antlfinger vor, deren Ziel es ist, über PCs und mediale Vermittlung gemeinsam Meditation zu praktizieren. In einem weiteren kabinettartigen Seitenraum, dieses Mal im vorderen Aufgang, war das Video von Monika Oechsler (There is Only One Life, 2006) zu sehen. Wenn man die Treppe hinunterging, befand man sich als Schlusspunkt auf der Rückseite des Mandala-Tores von Gunilla Klingberg. Der Parcours durch das Hauptgebäude auf dem Volkspark-Areal präsentierte sich wie eine Entdeckungstour durch ein unrenoviertes, historisches Gebäude mit mannigfaltigen politischen Bezügen. Die alltägliche Geschichte des Ortes war spurenweise in nahezu jedem Raum zu erkennen. Abgenutzte Linoleum-Böden und Teppiche, 1970er-JahreLampen, Waschbecken und verkachelte Wände in den Kabinetten, unverputzte Wände, bröckelnder Putz, Parkett und Deckenmalereien der unterschiedlichen Epochen des Baus wirkten auf die Rezeption ein und fügten den Kunstwerken zusätzliche Bedeutungsebenen hinzu. Das Gebäude in seiner Struktur und Geschichte wurde von den Kuratoren nicht negiert, sondern teilweise gezielt genutzt, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

4.1.4

Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen

Wie bereits ausgeführt, haben die Kuratoren ihre Zeige-Gesten stark mit dem Ort und seinen Konnotationen verknüpft. Die Kuratorin Angelika Richter äußerte, dass die Räume Einfluss auf die inhaltliche Thematik und Ausrichtung der Ausstellung gehabt hätten. So sei das Areal unter anderem mit den Schlagworten politische Ideologie, totalitäres System und Zukunftsverheißung verbunden. Konkret zeigte sich der kuratorische Einsatz von Vermittlungsgesten, die über spezifische Raumnutzungen funktionierten, in folgenden Sequenzen: Zum einen hinsichtlich des Videos von Carey Young (I am a Revolutionary, 2001) hinter der Bühne, zum anderen in Bezug auf den Film von Deimantas Narkevicius (Once in the XX Century, 2004) im Treppenaufgang. Auch sollte die Plastik von Goh Ideta in der Turnhalle stehen, um sie damit komplett abgeschlossen, in nahezu kathedralischer Ruhe präsentieren zu können. Das Thema der Ausstellung war jedoch unabhängig vom Volkspark-Areal gefunden worden. Die Aura einzelner Bauabschnitte bestimmte, welche Arbeiten wo ausgestellt wurden.592 Für die Gestaltung der Ausstellung waren inhaltliche Verbindungslinien wichtig: „Wir haben uns um inhaltliche Affinitäten bemüht.“593 Trotz dieser inhaltlichen Affinitäten thematischer Erzähllinien, lässt sich das Er592 Vgl. ebd. 593 Ebd.

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scheinungsbild der Ausstellung dem Verständnis der Kuratoren nach als „offen“ charakterisieren. Diese Offenheit im Sinne von nicht-didaktisch (keine festgelegte Laufrichtung, keine ausführlichen Texterklärungen an den Arbeiten, Kapitelgliederungen etc.) sei einerseits dem Thema der Biennale geschuldet, welches diesen Vermittlungszugang nahelege. Andererseits lag ein offenes Konzept auch zugrunde, weil „das Kunstsystem so operiert“.594 Die Offenheit drücke sich, so Anke Hoffmann, auch in der Idee der Leerfläche aus, die sich als Metapher in der Ausstellung und im Logo der leeren weißen Becher wiederfand. Hierauf sollten die Besucher ihre Ideen und Assoziationen projizieren.595 Dafür stünden auch ihre Gedanken über die Nutzung des ThälmannSaales, dem ein gewisses Charisma eingeschrieben sei: „Lange haben wir überlegt, ob wir diese Räumlichkeit bespielen oder sie leer stehen lassen sollten, um so eine Art Suchbewegung zum Ausdruck zu bringen. Wir wollten keine Vorschriften machen, was gut oder schlecht ist. Letztendlich haben wir die Arbeit von Tom Hillewaere nicht zentral positioniert, sie sollte spirituell und so offen wie möglich sein.“596

In diesem Zusammenhang war auch die Vorstellung zu sehen, Kunstwerke seien generell nicht-affirmativ und offen in ihren Bedeutungen: „Die Arbeiten haben ein assoziatives Element, das Material kann sprachlich nicht gefasst werden. Bei der Ausstellung geht es um Visualität und diese impliziert, dass Sprache hier aufhört. Dabei haben wir schon versucht, präzise zu sein.“597 Daneben standen bei der Realisierung der Ausstellung aber auch die „Bedürf nisse der Kunstwerke“ im Zentrum und waren handlungsleitend, wie Anke Hoffmann betont. So sei für die Hängung auch ausschlaggebend gewesen, welche Arbeiten in welchen Abschnitten am besten zur Geltung kommen.598 Hieraus entstand auch die Frage, welche Arbeiten Kabinette bräuchten. Aber auch praktische Gründe hätten der Inszenierung zugrunde gelegen. So waren künstlerische Vorgaben bei der Frage, in welchen Größen die Arbeiten projiziert werden sollten, ausschlaggebend für die Raumzuteilung. So hätte die Arbeit Doubble Bubble von Maja Bajevic – die Künstlerin reflektiert gewalttätige Konnotationen der Glaubensdogmen der Weltreligionen – inhaltlich besser in die erste Etage zu Yael Bartana und Valérie Mréjen gepasst, wo es auch um gewalttätige Bedeutungsebenen ging.599 594 Ebd. 595 Vgl. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006. Die Idee der Leerstelle findet sich auch in der Arbeit von James Young zum Abbau des Monuments wieder. 596 Ebd. 597 Ebd. 598 Vgl. ebd. 599 Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. In Bezug auf Räume, bei denen man denken würde, die Kuratoren hätten sie bewusst thematisch zusammengestellt, stellte sich heraus, dass sie doch ungeplant zustandegekommen waren. So

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Die Ausrichtung an praktischen Gesichtspunkten wird auch in den Äußerungen zu den Herausforderungen des Kuratierens im Rahmen der 7. Werkleitz Biennale deutlich. So schildert Angelika Richter, dass die Räume sehr schwierig zu bespielen gewesen seien600 und es generell an Räumlichkeiten gefehlt habe. Die Ausstellungsmacherin macht das Fehlen der Räume etwa an der Arbeit Writing on the wall fest. Inhaltlich habe die Arbeit gut an die Stelle gepasst, an der sie am Ende platziert war, in einer thematischen Linie mit Papst und christlicher Ikonografie, räumlich hätte sie den Künstlern jedoch gerne etwas anderes, besseres angeboten.601 Im Hinblick auf das Vermittlungsangebot an die Besucher sah Angelika Richter das Soll der Biennale erfüllt: So waren Infoblatt, Führungen und Katalog nach Meinung der Kuratoren ausreichend. Wenn man den Katalog nicht kaufe, gebe es ja noch die Führungen, so die Ausstellungsmacherin. Ferner hätten sie an den Arbeiten „Synopsen“ angebracht. Die Labels würden, laut der Kuratorin, die Besucher ansprechen, die einfache „Fakten“ erfahren wollten.602 Bei der Auswahl der Kunstwerke hätte sich das Kuratorium daran orientiert, ob die Arbeiten relevant seien (für das, was die Kuratoren sagen wollten), ob die formalen Qualitäten stimmten und ob die Ausstellung mit bestimmten Exponaten in der Gesamtschau aufginge, schlüssig sei und inhaltlich funktioniere. Als Wertigkeit stand somit die Ausgewogenheit und Balance zwischen den Arbeiten im Raum, dazu zählte auch die Bandbreite der präsentierten Medien, Genres und Sujets. Bedeutsam sei aber auch, dass die künstlerischen Positionen ihre Eigenständigkeit behalten.603 Fragen nach den mannigfaltigen religiösen und kulturellen Sozialisationshintergründen der ausgewählten Künstler, wie sie für die Zehn Gebote-Schau relevant waren, waren hier nicht von Bedeutung. Ferner war es wichtig, dass die Arbeiten nicht didaktisch seien (wie bei Die Zehn Gebote). „Wir wollten eine Art Bestandsaufnahme machen, es sollte nicht affirmativ sein.“604 Dies wurde bereits in Bezug auf den Thälmann-Saal und die Idee, keine Vorschriften machen zu wollen, deutlich. Im Interview grenzte sich Anke Hoffmann bewusst gegenüber den Zehn Geboten ab. Diese Ausstellung sei streng didaktisch und primär illustrativ gewesen, das Regelwerk einfach nur bebildert worden. Für die Ausstellung Happy Believers hingegen sei es wichtig gewesen, ver-

600 601 602 603 604

erklärt Anke Hoffmann: „der jüdische Raum entstand eher zufällig“. Vgl. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006. Richter konstatierte, dass nur die zwei White Cubes unten geeignete Räume, im engeren Sinne Galerieräume gewesen seien. Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. Vgl. ebd. Vgl. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006. Ebd.

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schiedene Perspektiven – von konsumkritisch bis politisch – aufzuwerfen.605 Außerdem seien alle ausgewählten Positionen politisch.606 Angelika Richter konstatiert im Hinblick auf die Anzahl der Werke: „Bei den ausgestellten Arbeiten handelt es sich um ein Extrakt.“607 Insgesamt hätten sie 150 Künstler auf der Liste stehen gehabt, für das Team wäre jedoch klar gewesen, dass die Arbeiten ausgestellt werden sollten, die am überzeugendsten seien. Auch nach formalästhetischen Kriterien haben sie ausgewählt. Das Budget war in diesem Fall nur nebensächlich.608 Neben Informationen über Auswahlkriterien und die Gründe der Entscheidung für bestimmte Exponate lässt die Co-Kuratorin auch Eindrücke über die Kooperation in einem Team durchscheinen: „Die Arbeiten sind ein Grundkonsens, ein Minimalismus, worauf wir uns noch verständigen konnten.“609 Auf die Frage, wer von den vieren für welche Aufgaben bei der Vorbereitung des Festivals verantwortlich war, berichtet Richter, dass sie und Anke Hoffmann unter anderem die Künstlergespräche übernommen hätten.610 Vielstimmigkeit drückt sich in mehreren Aussagen der beiden Kuratorinnen aus, zum einen sei die Biennale eben keine reine Ausstellung, dieses Format vielmehr hybrid.611 Das wird auch im Verständnis der ausgestellten Exponate als gleichberechtigte Positionen deutlich. Wenngleich problematisch ist, dass große Werke automatisch präsenter sind und sich beim Publikum besser einprägen, waren für die Konzeption alle Arbeiten gleich wichtig. Der Kuratorin zufolge standen alle Arbeiten demnach auch gut für sich alleine.612 Die Mitglieder des Kuratoriums positionierten sich als Akteure, die sich dem Themenkomplex Glauben und Religion durch eine von christlichen Werten geprägte Kultur in Europa und aus der Perspektive von Kunst- und Kulturproduzenten näherten.613 Zur Frage, aus welchem Blickwinkel sie spreche, konstatierte Richter, dass sie sich als Kulturproduzentin nur vor dem europäischen, christlichen Hintergrund artikulieren könne: „Alle Kurator/innen hier stehen in der Tradition des christlichen Kontinents. Alle 605 606 607 608 609 610 611 612

Vgl. ebd. Vgl. Interview Angelika Richter mit am 07.09.2006. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006. Vgl. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. Ebd. Vgl. ebd. Dafür stünden das experimentelle Filmprogramm und die Installationen. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Dies ist allerdings widersprüchlich, weil eine Kuratorin Tom Hillewaeres Arbeit als Schlüsselwerk bezeichnete. Hier zeigt sich, das es unterschiedliche Ansichten im Team gab. 613 Siehe zur Idee der „Kulturproduzenten“ schreibt Justin Hoffmann, dass dieser Begriff insbesondere in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum kursierte. Die Bezeichnung stünde im Zusammenhang mit der Lebenssituation der Akteure. So seien diese in unterschiedliche Tätigkeitsbereiche involviert. Der Begriff „Kulturproduzent“ würde dies zum Ausdruck bringen. Vgl. Hoffmann, God is a Curator, a.a.O., S. 116.

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Kuratoren sind hier aufgewachsen, in dem durch die CDU regierten Land. Deshalb können wir nur aus dieser Perspektive sprechen.“614 Eine Reflexion der eigenen Tätigkeit wurde nicht nur in der Aussage deutlich, dass sie lange an Konzept und Schwerpunkten gearbeitet hätten, sondern auch darin, dass sie intensiv überlegt hätten, wie man sich selbst verhalte.615 Nicht nur im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung wurde aus den Reden ersichtlich, dass es sich bei der kuratorischen Besetzung um keine Religionswissenschaftler handelte, hier also keine Religionswissenschaftler über Religiosität, sondern Kuratoren über die kuratorische Praxis redeten. Die bewusste Berufspositionierung wurde auch im Katalogtext deutlich. „Als Kurator/innen möchten und können wir mit den eingeladenen Beiträgen der Werkleitz Biennale keine wissenschaftlich korrekte oder politisch sachliche Argumentation für oder gegen politische, ökonomische und religiöse Verflechtungen im Weltgeschehen liefern. Unsere Möglichkeiten sehen wir in einem spezifischen, aus der Kunstpraxis kommenden Blick auf Phänomene unserer gegenwärtigen Kultur, Phänomene, die uns beschäftigen und berühren.“616

Daneben reflektierte die Kuratorin Angelika Richter über das Tabu des Themas. Ihre Themenwahl fand Ablehnung bei Positionen im Kunstbetrieb, für den Religion kein Thema mehr sei. Das gelte insbesondere für linke Kulturproduzenten, so Richter. Ihr selbst ermögliche jedoch gerade diese Frage nach Glaubenssystemen und der aktuellen Bedeutung von Glauben eine größere Offenheit: „Hier gibt es nicht von vorneherein ein didaktisch-aufklärerisches Anliegen.“617 Als Vergleich erinnere sie an die letzte Werkleitz Biennale zu individuellem und kollektivem Eigentum. Common Property habe eine dokumentarische Ästhetik, „Info-Ästhetik“, gezeigt, die nicht so überzeugend und weniger offen für andere gewesen sei. Das Thema der 7. Werkleitz Biennale sei im Vergleich dazu überraschend anders visualisiert. Auch betrachte sie die Auseinandersetzungen mit Glaubensphänomenen als ein größeres Wagnis.618 Die beiden Co-Kuratorinnen positionierten ihr Projekt im Vergleich und in Abgrenzung zu anderen Ausstellungsvorhaben mit einer ähnlichen Thematik und reihten sich damit ein in eine Genealogie von Ausstellungen. Anke Hoffmann benennt im Katalog konkret den kulturellen Kontext und Diskurs, in dem sie die Happy Believers-Schau verortet sieht. Während Happy Believers einen Bezug auf aktuelle Phänomene aufweise, sei es in der Warum! Bilder diesseits und jenseits des Menschen- Schau um ein Eins-zu-Eins-Abbild gegangen. Ferner kommentierte sie 614 615 616 617 618

Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. Vgl. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006. Hoffmann, Anke u.a. (Kuratorium): Happy Believers, a.a.O., S.6. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. Trotz dieses Tabu-Themas hege sie aber nicht die Sorge, von der Kunstwelt nicht rezipiert zu werden. Vgl. ebd.

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das Ausstellungsprojekt Die 7 Hügel und die 100 Artists see God. Letztere Schau betrachte sie als beliebig, insbesondere in der Auswahl der Künstler, und konzeptionell sehr mager.619 Zur Frage von Gemeinschaft wurde deutlich, dass bei der Werkleitz Biennale neben der Kunstbegegnung deutlich das Zusammenkommen im Zentrum stand. So schreibt nicht nur die Co-Kuratorin Solvej Helweg Ovesen im Katalog ironisch über den quasi-kunstreligiösen Charakter des Festivals: „Für jedes Mitglied einer Gruppe stellen alljährlich stattfindende Feste feste Bezugspunkte dar. [...] Happy Believers ist eine Art eigenständiges ‚Glaubenssystem‘, das in der Gestalt eines zweijährlich stattfindenden internationalen Kunstereignisses auftritt – Ergebnis einer im Laufe von zwei Jahren getroffenen Auswahl verwirklichter Ideen und Kunstwerke.“620

Auch Angelika Richter betont, dass aufgrund des ihrer Ansicht nach von vornherein politisch unkorrekten Themas mehr Menschen adressiert werden: „Indem es nicht political correct ist, ist es möglich einen breiteren Kreis anzusprechen.“621 Wie bereits in Anspielung auf die vorherige Biennale deutlich wurde, sieht sie im Happy Believers-Projekt eine größere Offenheit. „Das Thema geht generell mit einer emotionalen Aufladung einher und ist diffuser als Thema.“622 Der gemeinschaftliche Aspekt drückte sich auch in der Entscheidung für ein geradliniges Programm aus. „Wir haben uns für ein lineares Programm entschieden, damit alle eine gemeinschaftliche Erfahrung haben.“623 Während des letzten Festivals hätten die Verantwortlichen nebeneinander Veranstaltungen angeboten und sich damit nicht nur Konkurrenz gemacht, sondern sich selber der Möglichkeit der Teilhabe beraubt.624 Auch das kuratorische Verständnis, ein Gesprächsangebot zu machen, bringt ein partnerschaftliches Denken zum Ausdruck.625 Das Kuratorium sah sich auf gleicher Ebene mit den Besuchern und die eigene Arbeit als etwas Prozesshaftes und Offenes, was in folgender Äußerung deutlich wird: „Wie die Besucher/innen der Biennale wollen wir uns überraschen lassen von dem Zusammenspiel der Arbeiten, von dem Erlebnis der Biennale als experimentellen Denkraum, der allen offen steht.“626 Wie auch bei Choosing my Religion und bei den Zehn Geboten wollten die Kuratoren der 7. Werkleitz Biennale lieber Fragen aufwerfen als Antworten geben; sie fassten die Hinterfragung von Phänomenen deshalb als weniger autoritär auf: 619 620 621 622 623 624 625 626

Vgl. ebd. Ovesen, a.a.O., S. 66ff. Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Stösser, Happy Believers, a.a.O. Hoffmann, (Kuratorium), Happy Believers, a.a.O., S. 6.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4 „Wir sind uns natürlich bewusst, dass wir mit der Ausstellung, dem Filmprogramm und den Live-Veranstaltungen der 7. Werkleitz Biennale dazu beitragen, den Diskurs über die Relevanz des Glaubens fortzusetzen. Letztendlich aber sehen wir unsere Kompetenz in der Formulierung von Fragen.“627

Dass sich die verantwortlichen Ausstellungsmacher mit den Publikumsbedürfnissen auseinander setzten, zeigt ein Statement von Anke Hoffmann. Auf die Frage nach ihren kuratorischen Zielsetzungen und Ansprüchen äußerte die CoKuratorin, dass es ihnen bei der Werkleitz Biennale darum gegangen sei, eine Balance zwischen den Arbeiten herzustellen, um schon gleich Lust auf das nächste Werk zu wecken. Der Spaß im Ausstellungsraum habe durchaus seinen Stellenwert gehabt, es ging ihnen darum, dass man sich gerne an dem Ort aufhalte und die Ausstellung nicht zu textlastig,628 didaktisch oder affirmativ daherkomme. Auch formalästhetische Qualitäten und Aspekte von Schönheit seien bedeutsam gewesen, um zu bewirken, dass die Leute gerne hingehen.629

4.1.5

Happy Believers und Relationalität

Bezogen auf die Fragestellung der vorliegenden Studie kann im Hinblick auf die vorab aufgestellten Kriterien festgehalten werden: Es fanden sich bei der 7. Werkleitz Biennale Elemente, die von einer „natürlichen Begabung“ der Besucher ausgingen und in traditionelle Konventionen des Zeigens von Kunst eingeordnet werden können. Das „offene Präsentationsformat“ war bei den Kuratoren positiv konnotiert, sie empfanden Ausstellungen ohne klare Narration, Kapitelgliederungen oder erklärende Texte im Schauraum als weniger gängelnd und selbstbestimmter für den Besucher. Diese Auffassung lässt sich einerseits mit ihrem Kunstbegriff erklären: Kunstwerke haben diesem Gedankengebäude nach generell einen Bedeutungsüberschuss. Andererseits ist damit auch ein bestimmtes Besucherbild verbunden. So fügte sich zur Ablehnung einer „affirmativen“ oder didaktischen Ausstellung die Vorstellung der kuratorischen Idee der Leerfläche. Wie in den Aussagen deutlich wurde, stellte das Kuratorium sich vor, dass Besucher ihre Gedanken und Assoziationen auf eine Leerfläche projizieren 627 Ebd. 628 Hier kommt ein nicht auf Kennerschaft basierendes Besucherbild zum Vorschein. Interessant ist, dass die Mitarbeiter der Werkleitz Biennale davon ausgingen, dass Besucher nur wenige Eindrücke aufnehmen könnten. Das wurde bei der Führung deutlich, deren Vermittlerin sich nach einer Stunde für die „lange“ Tour entschuldigte. Oder auch bei Angelika Richter selbst, die ein Künstlergespräch mit Verweis auf das sonnige Wetter an dem Tag und mit der Begründung, es sei „so langweilig hier drin und nicht intim genug“, abbrechen wollte. 629 Vgl. Interview Anke Hoffmann mit Maren Ziese am 08.12.2006.

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sollten, wenn ihnen diese zur Verfügung gestellt werde. Hiermit rekurrierten sie auf die Idee vom natürlich begabten Besucher, dem es gelingt, sich selbst einen Zugang zu den Exponaten aufzubauen, beziehungsweise der viel Vorwissen mitbringt. Die Idee von Kennerschaft und Expertentum wurde auch in der unterschiedlichen Handhabung von Katalog und Ausstellung deutlich. Bot der Katalog thematische Schwerpunktsetzungen und ordnete die Kunstwerke Themensträngen zu, blieb eine Einordnung im Ausstellungsraum aus. Die Definition des Katalogs als theoretischer Überbau markierte ebenfalls den Bezug zum Kenner und Experten. Die Ausrichtung am Kunstexperten drückte sich darin aus, dass sich die Ausstellungsmacher selbst als Ausgangsmaßstab für Besucher nahmen. Interessanterweise verband beide Ausstellungsprojekte (Die Zehn Gebote und Happy Believers) genau diese Sorge um einen zeigefingerartigen Zugang. Wenn Hoffmann und Richter ihre Ablehnung von affirmativen Inszenierungen zum Ausdruck bringen, steht dem Anja Sommers Schilderung gegenüber, dass sich das Deutsche HygieneMuseum bemühte, dem moralisch-autoritären Zeigegestus zu entkommen. Die Kuratoren orientierten sich an der Mainstream-Kunstwelt. So verwies Angelika Richter als Antwort auf die Frage nach dem „offenen Konzept“ auf die Konventionen des Ausstellungsmachens im Kunstbetrieb, wo wie selbstverständlich bestimmte Formate Anwendung fänden. Damit geht ein Kunstverständnis einher, das „Kunst“ als etwas definiert, das Inkommunikabilität erzeugt und Macht besitzt. Denn bei „Happy Believers“ gehe es um visuelle Assoziationen, die sprachlich nicht gefasst werden könnten, so das Team. Hervorzuheben, dass die Offenheit der Ausstellung auch dem Thema Religion geschuldet sei, unterstreiche eine gewisse kunstreligiöse Konstante, liegt hier doch auch eine Unerklärbarkeit von Religion zugrunde.630 Die „Kraft der Bilder“ und die Sorge um die angemessene Behandlung der Objekte drückte sich auch in dem Bedauern aus, einen Mangel an Räumen vorzufinden und nicht allen Arbeiten den passenden Platz im Ausstellungsrundgang angeboten zu haben. Das Eigenleben der Objekte sollte gewahrt werden. Sie erhielten – bei Bedarf – Kabinette für die intimere Bildbegegnung. Insgesamt sollte viel Raum für einzelne Werke zur idealen Entfaltung zur Verfügung gestellt werden. All das drückt eine Prioritätensetzung aus, die den Exponaten Vorrang vor den Besuchern einräumt. Ein wichtiges Kriterium für die Zusammenstellung des Ausstellungsinhaltes war die Relevanz der Gegenstände und die Qualität des Werkes. Hier lagen formalästhetische Auswahlkriterien zugrunde.631 630 Siehe Susan Kamel zum Religionsbegriff des „Unsagbaren“. Die auf Friedrich Schleiermacher rekurrierende Religionsphänomenologie Rudolf Ottos geht von einem numinosen Gefühl aus, das nicht vermittelbar oder lehrbar ist. Vgl. Kamel, Wege zur Vermittlung, a.a.O., S. 103. 631 Klaus Biesenbach ging es beispielsweise stärker um eine andere Funktion der Arbeiten, die von Angelika Richter als „Info-Ästhetik“ bezeichnet wurde.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

Trotz aller Abneigung der Kuratorinnen gegen didaktisierende Züge in Ausstellungen lässt sich in der Schau Happy Believers auch ein narrativer, didaktischer Vermittlungszugang finden. Indem das Kuratorium die Kunstwerke im Kontext „Volkspark“ zeigte, einzelne Gebäudeabschnitte mit ihren Konnotationen als Display-Beihilfen nutzte und inhaltliche Raumfolgen zusammenstellte, entwickelte es eine narrative Linie und legte klare Vermittlungszugänge. Auch stellten die Kuratoren thematische Sektionen zusammen, wie zum Beispiel die Aufreihung von Kunstwerken, die sich mit Aspekten des Katholizismus befasste, zwei Werke, in denen die jüdische Religion und Kultur zur Sprache kamen, sowie eine inhaltliche Verbindungslinie rund um den Thälmann-Saal mit Treppenaufgang, zentralem Saal und Bühne. Auch der Themenstrang Konsum als Heilsversprechen zog sich nahezu didaktisierend repetitiv durch die Schau. Zwar zeigte das Team Kunstwerke nicht über eine thematische Kapitelgliederung etc., doch verstärkten die Kuratoren im Werk angelegte Themenstränge durch eine spezifische Hängung. Die Rezeption war also durch die Hervorhebung (nicht die Negation) des Gebäudes, die Zu- und Einbauten bestimmt. Im Sinne der Wertigkeiten und Kriterien der vorliegenden Arbeit bediente das Werkleitz-Kuratorium damit einen gewissen Besucherkomfort und schuf eine bestärkende und angenehme Atmosphäre für das Publikum, wenngleich bewusst eigentlich keine „affirmative“ Ausstellung realisiert werden sollte. Zum besucherfreundlichen Umgang zählte die Bereitstellung von Labels („Synopsen“ an den Werken) und Übersichtsplänen, ein kostenloses Führungsangebot, Informationstische und zahlreiches Personal im Ausstellungsraum, das Fragen beantwortete und Orientierungshilfen gab. Ferner boten Richtungspfeile Hilfestellung beim Erkunden des Baus. Aufgrund des renovierungsbedürftigen Areals, der historischen Bezüge des Ortes und der „Suche“ nach Exponaten mittels Übersichtsplan und Pfeilen kann das Erlebnis- und Abenteuermoment des Ausstellungsbesuches ebenfalls als didaktische Hilfe für die Besucher genannt werden. Die Größe des Geländes und die relativ geringe Anzahl der Objekte im Verhältnis zur Fläche steuerten ein Element des Flanierens bei. Zum Besucherkomfort zählten auch die zahlreichen Abschnitte im Volkspark, an denen sich das Publikum treffen und ausruhen konnte. Dies wurde unterstützt durch die kuratorische Zielsetzung, eine nicht zu textlastige Ausstellung realisieren und „Spaß“ beim Besuch der Schau vermitteln zu wollen. Selbst das Herzstück des Hauptgebäudes, der große Saal im ersten und zweiten Stock, war ursprünglich als Entspannungsraum gedacht. Die Absicht, die Besucher der Biennale einzubeziehen, wurde auch in den Aussagen des Kuratoriums deutlich, mit der Ausstellung ein Gesprächsangebot machen zu wollen. Auch die Formulierung, in einen Denkraum einzuladen, der allen offen steht, kommt einer Atmosphäre des Willkommen-geheißen-Werdens zugute. Die während der Dauer des Festivals anwesenden Kuratoren und Mitglie-

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der der Biennale-Leitung standen für Besuchergespräche und Feedback während und nach diversen Programmpunkten zur Verfügung. Auch am Infotisch konnte der Besucher mit den Mitarbeitern der Werkleitz Gesellschaft, etwa der Pressesprecherin, interagieren und in einen Dialog treten. Für die Hallenser Bevölkerung bot die Anknüpfung an Bekanntes die Möglichkeit, sich eingeladen und bestärkt zu fühlen. Mehrere Arbeiten boten inhaltliche Bezüge zum urbanen Umfeld und reflektierten den Kontext der Stadt Halle. Die 7. Werkleitz Biennale verstand sich als Beitrag zum Stadtjubiläum. Auch sollte durch Exkursionen und ein kostenloses Führungsprogramm gezielt der Kontakt mit der ansässigen Bevölkerung gesucht werden. Die Ausstellung bezog sich folglich auf die historischen und zeitgenössischen Besonderheiten der Stadt, des Bundeslandes, bestimmter Gebäude(-teile). Das Kriterium der Vielstimmigkeit wurde in folgenden Punkten erfüllt. Erstens stand das internationale Kuratorenteam für eine mehrstimmige Behandlung des Themas. Die Autorschaft war hiermit nicht nur einer einzelnen Person zugeschrieben oder hierarchisch strukturiert. Wie aus den Schilderungen von Angelika Richter ersichtlich wurde, entschied das Kuratorium auf der Grundlage eines Minimal-Konsenses und teilte sich die Aufgabenfelder auf. Dazu zählt auch, dass die Biennale und die Werkleitz Gesellschaft mit verschiedenen Stimmen sprachen, so äußerten sich zahlreiche Personen zu allen Aspekten des Projekts (Peter Zorn, Marcel Schwierin, Hanna Keller, etc.). Vielstimmigkeit zeigte sich auch in der Vielfalt der Programmpunkte, die von Performance bis Exkursion reichten, in der Heterogenität des interdisziplinären Formats der Veranstaltung als Kunstbiennale und Medienfestival und der Überlappung der gezeigten Positionen, die einen entgrenzten Kunstbegriff impliziert (Mediengrenzen überschreitende Handhabung). Durch die Spannweite der ausgestellten Exponate und die Uneinheitlichkeit der Ausstellungsräume wurde eine ganze Bandbreite an Zugangsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Zu letzterem zählten zum Beispiel die Turnhalle mit quasisakralem Ambiente, das Kunstwerk im Außenraum (Perjovschis Arbeit im Laubengang), zahlreiche Kabinette mit baulichen Überresten wie Waschbecken, alten Böden etc. und Sektionen des Rundgangs in White-Cube-Ästhetik. Insgesamt fächerte sich die Ausstellung in unterschiedliche Inszenierungszonen auf. Auch bestand die Möglichkeit, dass Besucher sich je nach Interessenslage intensiver oder oberflächlicher mit dem Thema der Schau auseinandersetzen konnten. Katalog, Künstlergespräche, Führungen boten Vertiefung, minimale Angaben auf den Labels und die Möglichkeit eines schnellen Durchlaufs dagegen bedienten ein Publikum mit einem knapperen Zeitbudget. Auf mehreren Ebenen legten die Kuratoren die Bedingungen ihrer Arbeit offen und reflektierten das „Gemachtsein“ ihres Projektes. Wenngleich bei den Diskussionsveranstaltungen die Fokussierung auf das inhaltliche Konzept überwog und nicht explizit Aussagen zur Ausstellungssprache und zur Inszenierung gemacht

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

wurden (also keine „Schule des Sehens“), stellten sich die verantwortlichen Akteure bei öffentlichen Terminen der Auseinandersetzung, und zwar im Format der round tables. Wie im Katalog-Statement deutlich wurde, ging es den Kuratoren bereits im Rahmen des Konzeptes um eine Hinterfragung bestimmter Phänomene und einen Diskursbeitrag. Dafür positionierte sich das Kuratorium zu anderen, thematisch ähnlich gelagerten Kulturprojekten und setzte sich somit einem Vergleich aus. Auch wurde auf den gesellschaftspolitischen Diskurs um die Wiederkehr der Religion Bezug genommen. Die Ausstellung Happy Believers entstand also nicht genie-artig aus dem luftleeren Raum heraus. Selbstreflexivität fand sich auch in Anke Hoffmanns Kommentar, das Team habe sehr lange an dem Konzept gearbeitet und sich explizit überlegt, wie man sich selbst verhalte. Auch das berufliche Selbstverständnis als von einer christlichen Sozialisation geprägte Kuratoren wurde benannt. Andere Kontextbezüge wie Ostdeutschland und die Stadt Halle kamen zur Sprache. Die Beteiligten sinnierten über die Wirkkraft der eigenen Projekte, indem sie ihr Thema als Tabu verorteten, über die Rezeption in unterschiedlichen Kreisen nachdachten und es als Diskursbeitrag definierten.632 Die Ausstellungsräume boten sich aufgrund mehrerer Aspekte als Ort der Begegnung und des Austausches an. Dies stand allerdings im Widerspruch zu der wiederkehrenden Behauptung, dass bei der Fragestellung das Individuum im Zentrum stünde: individuelle Betrachtungsansätze versus „unsere Fragestellungen“. Auf der Abbildungsebene der Kunstwerke standen Gemeinschaft und Gruppe nicht im Zentrum, die Werke setzten sich tatsächlich mit der privaten Glaubenspraxis auseinander (Ausnahme: Annika Eriksson, Folkets Park). Zu fragen wäre, ob dies mit dem Kunstverständnis zusammenhing, jede Arbeit solle eigenen Raum entfalten und in ihrer „Eigenständigkeit“ nicht beschnitten werden. (Zu erklären wäre dies auch mit der Bemühung, die ideologische Konnotation des Ortes als Versammlungsplatz nicht automatisch den Besuchern überzustülpen.) Die Happy Believers- Schau wirkte trotz der Fokussierung auf das individuelle Subjekt als sozialer Raum, da allein durch den Ort und seine gemeinschaftlichen Konnotationen eine Ebene des Austausches wachgerufen wurde. Begegnungsräume ließen sich im gesamten sozialen Umfeld des Areals finden: Laubengang mit Bierbänken, Café im Foyer, Sitzgelegenheiten auf der Terrasse und auf der Wiese, Kissen vor der Arbeit von Yael Bartana im ersten Stock etc. Das Potenzial für ein gemeinschaftliches Verbundenheitsgefühl war auch dem Format der Veranstaltung inhärent. Das lag daran, dass alle Beteiligten wie Biennale-Leitung, Künstler, Kuratoren, Mitarbeiter der 632 Einerseits thematisierten die Kuratoren also die Bedingungen, denen sie sich selbst unterworfen sahen, und legten unterschiedliche Kontexte und Annahmen offen. Andererseits müsste noch genauer betrachtet und kommentiert werden, welche Kontexte sie offen legten, was sie nicht betonten, welche Einschlussmechanismen wirkten. Das kann in dieser Arbeit jedoch nur ansatzweise geleistet werden.

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Werkleitz Gesellschaft gleichzeitig mit den Besuchern anwesend waren, aufgrund des nur auf 5 Tage angelegten, linearen Programms. Auch das Angebot von Ausstellungsführungen und Diskussionen lässt sich zu diesem Kriterium des sozialen Begegnungsraumes rechnen. Das gesamte Areal war also als Display arrangiert, das gemeinsam durch Gruppen erkundet werden konnte. Exkursion und round tables fungierten als Outreach-Instrumente, um mit Außenstehenden ins Gespräch zu kommen. Dazu zählte auch das Mischformat Kunstbiennale und Medienfestival, das eine Begegnung unterschiedlicher Kreise initiierte. Im Konkreten brachten die Kuratoren ihr partnerschaftliches Besucherbild zum Ausdruck. Die Aussage, sich selber wie die Besucher vom Ergebnis überraschen lassen zu wollen, signalisiert eine Gleichstellung und Positionierung auf gleicher Ebene. Auch zielte die Schau nicht auf kontemplative Reflexionsräume, sondern auf einen Diskursraum. Die Ausstellungsmacher reflektierten über ihr Publikum – das zeigt der Hinweis von Angelika Richter, dass insbesondere dieses Thema geeignet sei, mehr Leute anzusprechen, weil „es nicht politisch korrekt“ sei.633 Im Sinne von Nachhaltigkeit lässt sich festhalten, dass zwar politische Kunst ausgestellt war,634 die Ausstellung hier aber auf eine andere Weise „politisch“ eingeordnet wurde als dies etwa bei Die Zehn Gebote der Fall war. Die Zehn Gebote knüpfte Verbindungen zur globalen Situation und griff Fragestellungen wie Völkermord und Kapitalismus auf. Wie im anschließenden Kapitel deutlich wird, rekurrierte die Moskauer Schau I believe auf die spezifisch russische Situation und verfolgte einen dezidiert politischen Anspruch. Happy Believers verortete sich eher in kulturpolitischen Zusammenhängen, wie der Verweis auf andere Kulturprojekte zum Thema Religion verdeutlichte. Der Anspruch des Werkleitz-Kuratoriums, den Diskurs über die Relevanz des Glaubens fortzusetzen, war demnach auf das kulturelle Feld gerichtet. Nachhaltigkeit im „Sinne der Heilung sozialer Strukturen“ war nicht im Projekt angelegt, Gemeinschaft also nicht die explizite Zielrichtung. Die 7. Werkleitz Biennale Happy Believers wies eine Vielzahl von Elementen auf, die zu einem sozialen Begegnungsraum beisteuern konnten. Das lag zum einen an dem Format der Veranstaltung, einem fünftägigen Event mit linearem Programm an einem einzigen Veranstaltungsort. Zum anderen war dafür die Konnotation des Gebäudes als Versammlungsort verantwortlich. Hier wurde das ganze Ensemble zum Träger von Bedeutungen und zum inszenierten Erlebnisraum. Explizit waren es jedoch die von den Kuratoren gewählten Zeigegesten (über den Bau kontextualisiert), die zu diesem Potenzial der Begegnung beitrugen. Eine raum- und kontextbezogene Hängung führt zu einer anderen Art von Relationalität, sie bietet mehr 633 Interview Angelika Richter mit Maren Ziese am 07.09.2006. 634 Auf der Inszenierungsebene äußerte sich das in dem zur Außenwelt hin geöffneten Areal und den Verbindungen zur Stadt.

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Potenzial zur Ansprache des Publikums als Gruppe. Die Ausstellungssprache, die in der 7. Werkleitz Biennale zum Einsatz kam, setzte sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen. Eine methodologische Melange ergab sich unter anderem durch das Format der Biennale als Erlebnisausstellung und Züge der theatralischen Ausstellungssprache, die durch das umgewidmete Ausstellungsgebäude eingebracht wurden. Auch fanden sich Elemente des White Cube Formats.

4.2 4.2.1

I

BELIEVE

Hintergrundinformationen

Steckbrief: Titel: I believe. Untertitel: Project of Artistic Optimism635 Ort: Art Center Winzavod, Moskau, Russland Dauer: 28. Januar bis 31. März 2007636 Beteiligte Künstler637: 59 Künstler und Künstlergruppen638 : AES+F Group: Tatiana Arzamasova, geb. 1955, Russland und Lev Evzovich, geb. 1958, Russland, und Evgeniy, geb. 1957, Russland, sowie Vladimir Fridkes, geb. 1956, Russland; Rasikh Akhmetvaliev, geb. 1956, Russland; Viktor Alimpiev, geb. 1973, Russland; Sergej Anufriev, geb. 1964, Russland; Nail Baiburin, geb. 1955, Russland; Blue Noses Group: Alexander Shaburov, geb. 1965, Russland, und Viacheslav Mizin, geb. 1962, Russland; Kirill Bogolyubov, geb. 1970, Russland; Sergey Bratkov, geb. 1960, Russland; Anna Broshet, geb. 1967, Russland; Dmitry Bulnygin, geb. 1965, Russland; Aristarkh Chernyshev, geb. 1968, Russland; Olga Chemysheva, geb. 1962, Russland; Alexandra Dementieva, geb. 1960, Russland; Filipp 635 Nur teilweise wurde der Untertitel genannt. Anstelle von „I believe“ wurde auch das russische Wort „Veriu“ oder „Veryu“ eingesetzt. 636 Hinsichtlich der Laufzeit der Ausstellung differierten die Angaben. Auf dem offiziellen Flyer, in Zeitschriften oder auf der Webseite wurden als letzter Tag der Ausstellung der 1. April oder auch der 30. März genannt. Die 2. Moskau Biennale fand vom 1. März bis 1. April 2007 statt. 637 Hier finden sich ebenfalls unterschiedliche Angaben: In den Ankündigungen war von 61 Künstlern und Künstlergruppen die Rede, auf dem Faltblatt, welches in der Ausstellung verteilt wurde, wurden 59 Künstler und Kollektive genannt. 638 Die Rechtschreibung der Namen variierte stark. Beispielsweise Alexandre Gormatiuk (auf dem Faltblatt) oder auch Alexander Garmatyuk in: DI, Decorative arts, Moskovskij Muzej Sovremennogo Iskusstva, Nr. 2, 15.02.2007.

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Dontsov, geb. 1972, Russland; Dmitry Dulfan, geb. 1971, Ukraine; Alya Esipovich, geb. 1963, Russland; Semen Faibisovich, geb. 1949, Russland; Viktor Freidenberg, geb. 1966, Russland; Gaza Group: Denis Kryuchkov, geb. 1973, Russland, und Sergey Anufriev, geb. 1964, Russland, und Hermes Zygott, geb. 1965, Russland, sowie Alexander Svet, geb. 1966, Russland; Alexander Gormatyuk, geb. 1965, Russland; Dmitry Gutov, geb. 1960, Russland; Tatiana Hengstler, geb. 1962, Russland; Konstatin Khudyakov, geb. 1945, Russland; Yulia Kisina, geb. 1966, Ukraine; Ivan Kolesnikov, geb. 1960, Russland, und Sergey Denisov, geb. 1983, Ukraine, und Andrei Kotov, geb. 1954, Russland; Andrey Kolosov, geb. 1955, Russland; Irina Korina, geb. 1977, Russland; Psoi Korolenko, geb. 1967, Russland; Aleksei Krendel, geb. 1969, Russland; Georgy Litichevsky, geb. 1956, Russland; Boris Mikhailov, geb. 1938, Russland; MishMash Group: Misha Leikin, geb. 1968, Russland, und Masha Sumnina, geb. 1977, Russland; Andrey Monastyrsky, geb. 1949, Russland; Irina Nakhova, geb. 1955, Russland; Arkady Nasonov, geb. 1969, Russland; Nestor, geb. 1975, Irkutsk; Vikenty Nilin, geb. 1977, Russland; Anatoly Osmolovsky, geb. 1969, Russland; Alexander Petlyura, geb. 1955, Ukraine; Alexander Petrelli, geb. 1968, Ukraine; Alexander Ponomarev, geb. 1957, Russland; Dmitry Prigov, geb. 1940, Russland; Aidan Salakhova, geb. 1964, Russland; Arsen Savadov, geb. 1962, Russland; Zhenya Shef, geb. 1954, Russland; Sergey Shekhovtsev, geb. 1969, Russland; Aleksei Shulgin, geb. 1963, Russland; Alexander Shumov, geb. 1960, Russland; Sergey Shutov, geb. 1967, Deutschland; Vitas Stasiunas, geb. 1958, Russland; Vasily Tsereteli, geb. 1978, Russland; Lesya Verba, geb. 1979, Russland; Alexander Vinogradov, geb. 1963, Russland, und Vladimir Dubosarsky, geb. 1964, Russland; Vadim Zakharov, geb. 1959, Russland; Sergey Zarva, geb. 1973, Russland. Kurator: Oleg Kulik Katalog: Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007. Und Kulick, Oleg (Hg.): XENIA, Moskau 2007. Institution/Veranstalter: Moscow Museum of Modern Art, Marka:ff (Kunststiftung Moskau) sowie Moscow Biennale

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Die Biennale vor dem Hintergrund der russischen Kunstszene Die erste Moskau Biennale wurde 2005 ausgerichtet, um in der angespannten gesellschaftlichen und politischen Situation des Landes der zeitgenössischen Kunst einen Platz einzurichten.639 Dem Format einer Biennale wird in mehrerlei Hinsicht viel Autorität und Wirkkraft zugesprochen640 : „Biennalen sind Hoffnungsträger und Reibungsflächen, sind Zugpferd und Krone zugleich, müssen einen befriedigenden Spagat zwischen einer nationalen und der internationalen Kunstszene schaffen, legen oft den Grundstein für eine neue Infrastruktur aus Galerien und Projekträumen, sind hochoffiziell und staatliches Aushängeschild und sollen irgendwie auch rebellisch sein.“641 639 Zahlreiche Artikel in Kunstzeitschriften berichten immer wieder von Zensur und der problematischen Lage für die Kunst in Russland. Etwa Höller, Herwig G.: „Doppelt unter die Räder? Ein Update zur aktuellen russischen Kunst im Spannungsfeld von Staatsmacht und Markt“, in: springerin, Band XIV, Heft 1, Winter 2008, S. 54–57. Die Kunstkritikerin Sabine B. Vogel umreißt die Situation in Russland – bezogen auf die Kunst – folgendermaßen: „Russland ist das Land des Geheimdienstes, der Medienzensur und Willkür, des extremen Reichtums und der enormen Armut“. Vogel, Susanne B.: „Fußnoten einer Ausstellung“, in: artnet, 3. April 2007: http://www.artnet.de/magazine/ news/vogel/vogel04-03-07.asp. Hervorgehoben wurde auch die Verbindung von Markt, Kommerz und Kunst, die darin zum Ausdruck kam, dass die zentralen Veranstaltungsorte der Federation Tower und das Kaufhaus Tsum waren und der erfolgreiche Galerist Marat Guelman eine zentrale Rolle spielte. Heartney führt zur Situation in der Stadt aus: „The enormous changes in Moscow since the end of the Soviet regime in 1991 reinforce this notion that money has replaced culture as the currency of the privileged class. Russia today is a strangely hybrid place where Soviet-style bureaucracies mingle with what is sometimes referred to in Russia as ‘savage capitalism‘, which has created a small elite class of very wealthy entrepreneurs. Supermarkets and department stores where Muscovites once waited in endless lines for paltry supplies of basic necessities now overflow with luxury goods. Construction cranes are everywhere, rebuilding the city, as the influx of speculators makes Moscow one of the most expensive cities in the world. However, the results of this economic boom are not trickling down to the rest of society, and in the biennal’s opening week, reports filtered in about rioting pensioners in St. Petersburg led by anti-Putin political reformer und former chess champion Gary Kasparov“. Heartney, Eleanor: „Report from Moscow. After ‚Unoffical‘. At the second Moscow Biennal, a far-flung assortment of supplementary shows stirred the greatest viewer interest“, in: Art in America, October 2007, S. 97. 640 Augenscheinlich wie selten zuvor wurde mit der Moskau Biennale 2007 die geballte Autorität dieses zweijährlichen Ausstellungsformates deutlich. Vgl. Vogel, Fußnoten einer Ausstellung, a.a.O. 641 Ebd. Dieses Bild von Kunstbiennalen wird auch von anderen Autoren thematisiert: Enwezor, Okwui: Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen globalen Form, Berliner Thyssen-Vorlesungen zur Ikonologie der Gegenwart, Bd. 1, München 2002, S. 21f. Oder: Hanru, Hou: „Towards a new locality: Biennials and ‚global art‘“, in: Vanderlinden, Barbara/Filipovic, Elena (Hg.): The Manifesta Decade: Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennials in the Post-Wall Europe, Cambridge, Mass. , 2005, S. 57ff. Sowie: Filipovic, a.a.O., S. 63ff. Zu Biennalen allgemein: Wagner, Thomas: Licht im Schacht von Babel, Berlin 2007.

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Fand die erste Biennale noch in einem einzigen Gebäude statt – dem ehemaligen Lenin-Museum am Roten Platz – verteilte sich die zweite Biennale wie ein Puzzle auf unterschiedliche Einzelspielflächen der Stadt. Die unterschiedlichen Ausstellungen – fünf offizielle Einzelprojekte (mit zwei Hauptausstellungen) sowie zahlreiche special projects und Einzelschauen642 – wurden jeweils von einem Kurator oder einem Kuratorenteam verantwortet,643 nahmen jedoch Bezug auf den gemeinsamen Themenkomplex: Footnotes on Geopolitics, Markets and Amnesia. Im Vergleich zu der Lokalisierung der ersten Biennale an einem geschichtsträchtigen Ort, drückte die zweite Edition etwas ganz anderes aus: nämlich Russland (insbesondere die 12-Millionen-Metropole Moskau) im Roh- und Umbau, so fanden die Hauptausstellungen im 19. bis 21. Stock des Federation Towers, einem im Bau befindlichen Büroturm, der als höchstes Gebäude Europas geplant ist, und im noch nicht fertiggestellten Luxuskaufhaus „Tsum“ statt. Laut Joseph Backstein, Kommissar der Biennale, ist der Titel „Footnotes“ ein Verweis darauf, dass die Kultur in Russland nicht mehr als eine Fußnote sei.644 Das Ziel des Biennale-Chefs Backstein war die Erzeugung einer kritischen Masse, die die Stellung der zeitgenössischen Kunst in der Gesellschaft verändern würde.645 Die Biennale adressierte einen ausgewählten Kreis international Reisender, die in Scharen zur Eröffnung strömten, sowie eine kleine exklusive Gruppe kunstinteressierter Russen. Joseph Backstein zufolge zielte die 2. Moskauer Kunstbiennale auf Sammler und Politiker. Eine Art Parallelbiennale „für das Volk“ fand in der ehemaligen, vom Stadtzentrum ein wenig außerhalb gelegenen ehemaligen Weinfabrik Winzavod statt, die auch wie die Hauptschauplätze im Umbau befindlich war.646 Die Hauptorte mit Businesstower und Luxuswarenhaus präsentierten sich so exklusiv – so waren für den Federation Tower Sicherheitsschranken zu passieren und es standen für die Besuchermassen nur 2 bis 3 Aufzüge für die Fahrt in den 19. Stock zur Verfügung647 – dass diese Ausstellungen von einer breiten Be642 Die Spannbreite der Ausstellungsorte war sehr groß: von der Tretjakov Galerie bis zum Fast-Food-Center. Insgesamt nahmen über 100 Künster aus 35 Ländern teil, unter den 100 Künstlern der Hauptausstellungen waren nur neun Russen. Siehe dazu den Ausstellungskatalog der Biennale: „Moscow Biennale of Contemporary Art. Footnotes on geopolitics, market, and amnesia“, Kat. Moskau Biennale 2007. 643 Unter dem Kommissariat von Joseph Backstein befanden sich die Hauptkuratoren Daniel Birnbaum, Iara Boubnova, Nicolas Bourriaud, Fulya Erdemci, Gunnar B. Kvaran, Rosa Martinez und Hans Ulrich Obrist. 644 Eleanor Heartney führt an, Backstein habe auf der Pressekonferenz zur Biennale erklärt, dass mit dem Einzug des Kapitalismus in Russland ironischerweise die Rolle der Intellektuellen untergraben worden sei, sie seien zu Fußnoten degradiert worden. Vgl. Heartney, Eleanor: „Review Moscow Biennale“, in: Art in America, October 2007, S. 97. 645 Vgl. ebd. 646 Vgl. Vogel, Fußnoten einer Ausstellung a.a.O. Das Publikum dort bestand hauptsächlich aus Fachpublikum, internationalen Besuchern und einem eher jungem Publikum. 647 Dazu zählte auch, dass die Eröffnung der Schau im Kaufhaus Tsum in der glitzernden Kosmetik-Abteilung bei Häppchen, Musik und Wodka stattfand.

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völkerung gar nicht rezipiert werden konnten. Die Exklusivität bezogen auf das Publikum, die Marginalität der zeitgenössischen Kunst in der Gesellschaft, die Unübersichtlichkeit und Aufsplittung der Austragungsorte sowie die nur geringen Hinweise in der Öffentlichkeit auf das Programm prägten das Gesamtbild der zweiten Biennale. Winzavod Hauptprojekte und Parallelprogramm kontrastierten stark zueinander, sowohl in der Auswahl als auch in der Darbietung. So wirkte die Präsentation einiger Ausstellungen auf dem Nebenschauplatz Winzavod eher wie eine Biennale als die tatsächlichen Hauptbespielungsorte.648 Genannt wurden hier jene Beispiele unter den „Special Projects“, die im Winzavod, momentan dem größten Gelände für zeitgenössische Kunst der Stadt, stattfanden. Bei „Winzavod“ handelt es sich um ein neues Zentrum für Gegenwartskunst, in einer ehemaligen Weinfabrik, das östlich des Stadtzentrums, nahe des Kursker Bahnhofs, entsteht (Abb.61). Wenngleich nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, schien es für viele nach Moskauer Maßstäben schwer erreichbar.649 Bei dem Gebäudekomplex handelt es sich um ein weiträumiges (20.000 Quadratmeter großes) Areal aus dem 19. Jahrhundert. Um einen zentralen Hof gruppieren sich viele einzelne Gebäude wie Werkstätten und Lagerhäuser. Die ehemalige Alkoholfabrik soll in den nächsten Jahren in eine veritable Kunstzone mit Galerien, Ausstellungsräumen, Ateliers, Cafés und Geschäften verwandelt werden. So hat bereits der Umzug bedeutender Galerien in das Areal begonnen. Der neu und schnell eroberte postindustrielle Ort zeugt von einer immer aktiveren Kunstszene dieser russischen Metropole, die nach bekanntem Muster für sich Aktionsräume erschließt.650 Unter den WinzavodProjekten wurde erneut differenziert und insbesondere auf die Gruppenschau I believe verwiesen. Bei der Schau handelte es sich um das erste Ausstellungsprojekt, das auf dem neuen Gelände für zeitgenössische Kunst realisiert wurde (Stand März 2007). Es fand im zentralen Hauptraum, dem größten Abschnitt statt: hintereinander geschaltete Kellerhallen, die aufgrund ihrer architektonischen Struktur sehr gut zum Wesensmerkmal zeitgenössischer Kunst passen: „Veryu is sited in the main space of the VinZavod (Wine Factory) gallery complex, in great arched halls which remind many of the Venice Arsenale but which in their branching upstairsdownstairs configuration are probably better suited to the meandering, non-linear, recursive narratives of contemporary art.“651 648 Vgl. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 98. 649 Vgl. Boika, Alena: „Wir sind eure Zukunft“, in: ume˘lec, 2/2007, S. 51. 650 Siehe hierzu: Springer, Bettina: Artful Transformation. Kunst als Medium urbaner Aufwertung, Berlin, 2007. 651 Brown, Matthew: Veryu opening, IZO Russian Art&C, Blog von Matthew Brown,

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Winzavod zog ein anderes („normales“) Publikum an, als es im Vergleich die Hauptveranstaltungsorte der Biennale taten. Die Ausstellung I believe ordnete sich also nicht nur als ein special project in die zweite Moskau Biennale ein, sondern verband sich auch mit einem neu entstehenden „Kraftzentrum für zeitgenössische Kunst in Moskau“ (Alena Boika), indem es das erste Projekt war, das hier ausgerichtet wurde. Darüber hinaus ist diese Ausstellung auch im Zusammenhang mit dem Moscow Museum of Modern Art zu sehen, hierbei handelte es sich laut Museumsangaben um die erste offizielle Kooperation zwischen einer amtlichen Institution und einem privaten Raum.652 So changierte der Ausstellungsort zwischen einem Off-Space und einer institutionalisierten Einrichtung. Moscow Museum of Modern Art Die Ausstellung I believe wurde in Zusammenarbeit mit dem Museum ausgerichtet. Die Verbindung hatte der Kurator Oleg Kulik hergestellt. So schildert der Geschäftsführer des Museums, Vasily Tsereteli, der ebenfalls als beteiligter Künstler an der Ausstellung teilnahm, dass Oleg Kulik ihn ein Jahr vor der Biennale anrief und verkündete, er habe ein Konzept für eine neue Ausstellung zum Thema Glauben. So entstand diese Ausstellung innerhalb weniger Monate. Das Museum war an einer Kooperation interessiert, da es bereits bei der ersten Moskau Biennale involviert gewesen war und bei der zweiten Edition gerne mit einem eigenen Vorhaben auftreten wollte: „I’d like to show a brand project of our own. It was to be a project in which we’d involved directly by authoring and financing, and not the one which we hosted as a finished product. I looked forward to a project which would have a message and make an effect, so that people would start looking at contemporary art in a new light. […] Not a piece of entertainment or a bombshell, but something serious, deep and spiritual enough. As it happened, a year ago or so Kulik on me and said he had the concept of a new project. He said it would an exhibition related to faith. I liked the idea. And so here goes.“653 25.01.07: http://www.izo.com/2007/01/veryu_opening.html. Siehe dazu auch Heartney: Diese Baustelle wirkte der Kritikerin zufolge positiv auf die Kunstaura ein, sie schien wie ein dramatischer, vergammelter Hintergrund. Die Kunst wirkte dadurch wie ein hauch undomestizierter Dringlichkeit: „At Winzavod, the unfinished renovation worked to the art’s advantage, offering a scruffy and often dramatic backdrop against which installations, performances, art objects and videos assumed an air of undomesticated urgency.“ Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 98. 652 Vgl. ebd., S. 99. Außer dem Moskauer Museum of Art zählten auch zu den Organisatoren: Government of Moscow, City of Moscow Committee for Culture sowie Marka:ff. 653 Adashevskaya, Lia: „Interview. I BELIEVE as a study-of culture project – The artist Vasily Tsereteli, executive director of the Moscow Museum of Modern Art, one of the participants of the project, answers questions from DI“, in: DI, Decorative arts, Moskovskij Muzej Sovremennogo Iskusstva, Nr. 2, 15.02.2007, S. 55. Die Rechtschreibfehler existieren im Originalzitat.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

Für das Museum stellte das I believe-Projekt ferner eine Gelegenheit dar, zu signalisieren, dass es als Institution ein „Zuhause“ für Künstler sowie ein signifikantes Kunstzentrum geworden war. Für Zurab Tsereteli, Direktor des Moscow Museum of Modern Art und Präsident der Russischen Akademie der Künste, handelt es sich bei der von Oleg Kulik kuratierten Schau um einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des Moscow Museum of Modern Art: „To me, the ‚I believe‘ project is a milestone in the history of the Moscow Museum of Modern Art. It has shown that the museum is already a very significant art centre. Indeed, the museum is now more than a large collection of art-works or an exhibition platform to let people know processes now at work in the arts both in this country and abroad. The project has shown that the museum has really become a home for artists, where they can co-operate and co-create, where they can exchange ideas, thoughts, plans and share common interests.“654

Auch für die beteiligten Künstler war das Projekt mit Erwartungen hinsichtlich seines Effekts verbunden. Potenzial wurde nicht nur mit dem Ausstellungsraum, sondern auch generell mit der Kunst assoziiert. Angesichts seiner Generation von Künstlern – alle durchschnittlich 35 bis 45 Jahre alt – und vor dem Hintergrund eines politischen Systemwechsels sollte die Schau eine letzte Chance darstellen, so Vladimir Dubossarsky:

654 Tsereteli, Zurab: „I BELIEVE, a project of art-infusing optimism“, in: DI, Decorative arts, Moskovskij Muzej Sovremennogo Iskusstva, Nr. 2, 15.02.2007, S. 51. Dem Autor zufolge ist die Kunst in diesem Land immer besonders spirituell gewesen. Und heute sei es die Mission der Künstler, Glauben bei den Menschen wachzurufen – es existiere ein Glaube in viele Dinge. Da der Untertitel des „I believe“-Projektes „a project of art-infusing optimism“ lautet, zeige dies, dass sich die Situation (scene) in der Gegenwartskunst geändert habe. Nun sei die Zeit gekommen, „wahre Werte“ zu kreieren. Das Projekt sei realisiert worden, um die Kunst des aufrichtigen und authentischen (actual) Künstlers zu zeigen, und zwar im Hinblick auf seine inspirierenden, transzendenten Erfahrungen. Und weiter führt Tsereteli aus, dass die wahren Künstler nicht länger schockierend und skandalös seien, sondern den Dialog mit dem Publikum suchten und sich um einen optimistischen Blick auf das Leben und die Kreativität bemühen würden. Darüber hinaus würden Künstler jetzt vermitteln, dass zeitgenössische Kunst ein wirklich ernsthaftes Unterfangen ist. Hier ginge es um weiterreichende, wertvolle Botschaften, die nun endlich transportiert werden könnten. Für den Autor stellt sich positiv dar, dass das Projekt I believe viele Kunsthistoriker und Philosophen ansprechen würde. Damit sei klar, dass das Museum stärkere Bedeutung gewonnen habe und aufgrund der interdisziplinären Zusammenarbeit ein „ humanitarian centre“ geworden sei. Tsereteli schreibt all dies einer neuerdings gestiegenen Kraft des Museums zu. Durch diese Kraft der Institution würden Künstler nun so beeinflusst werden, dass sie Menschen vereinen können und Leute konsolideren. Der Autor ist davon überzeugt, dass die Ausstellung die Besucher verändern werde. Kunst solle positiv wirken, Kunst solle in unseren Seelen ein Gefühl des Wunderns wachrufen. Vgl. ebd., S. 51.

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Kuratoren und Besucher „The I BELIEVE show may be our last chance to create somethin jointstock, so to speak. Our generation is all out for a new identity because the old one is already nothing to write home about. We’re badly in need of something new. We’re still strong and keen enough, and we’re well aware we’re able to do something and change something. The exhibition, or rather the wash it is spreading out, is creating a field in which an artist can be sincere and independent.“655

Die Gruppenschau ordnete sich einerseits in das Biennale-Programm, andererseits stach sie auch aus diesem hervor. Bei den teilnehmenden Künstlern handelte es sich ausschließlich um russische Kunstschaffende. I believe eröffnete bereits drei Wochen vor der Biennale.656

4.2.2

Inhalt der Ausstellung: Fragestellung und Thema

Trotz seines scheinbar altmodischen Titels657 handelte es sich, dem Kurators Oleg Kulik zufolge, bei I believe um ein innovatives Projekt: „In any event, it is a very fresh project.“658 Die Ausstellung sollte (auf einer allgemeineren Ebene) danach streben, neue Referenzpunkte in der zeitgenössischen Kunst zu etablieren, das heißt, einen unerwarteten Blick auf das Feld der Gegenwartskunst eröffnen. Wie bereits der Untertitel suggerierte, ging es um künstlerischen Optimismus.659 Die Fragen, die an die teilnehmenden Kunstschaffenden gerichtet waren, klangen unerwartet, so Kulik: „What is the secret of existence? What has the power to plunge you into a state of holy ecstasy? What combination of the Unknowable and Inexpressible makes you lose the ability to speak when you encounter them? What is the foundation on which your spirit and your soul are based on?“ Das Ausstellungsprojekt verfolgte mehrere Ziele. Zum einen war es die Absicht,

655 Adashevskaya, Lia: „Interview. I BELIEVE, or How to Find a New Self. Vladimir Dubossarsky, artist who is in on the project, makes his point in an interview with ID, a.a.O., S. 62f. Dubossarsky äußert außerdem über das Ausstellungsprojekt,: „It is about some worldview, or a new position artists are to take towards the world. Not that it’s entirely new; actually it’s the same, only there’s a new system they’ve found themselves within“. Alena Boika erachtet „I believe“, sowohl von den Ausmaßen als auch von den Ambitionen her, als das gigantischste Projekt, das in Winzavod stattgefunden hat. Vgl. Boika, a.a.O., S. 51. 656 Vgl. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 99. 657 Zur Bedeutung des Titels äußert Kulik, dass „Veryu“ (I believe) etwas über die soziale Situation in Russland aussage. Vgl. Interview Oleg Kulik mit Maren Ziese am 23.03.2007. 658 Kulik, Oleg: Ohne Titel, in: Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007. o.S. 659 Vgl. Markaff, russische Kunststiftung (Hg.): http://www.markaff.ru/?id=abs&ln=en &sub=arh&num=28.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

emotionale Verbindungen zu schaffen und die Stellung der Kunst in der Gesellschaft, das heißt, den Status der Kunst im sozialen Raum zu verändern: „The exhibition should be a step toward changing the status of contemporary art in the social sphere, an attempt to move from elitism and sectarianism to direct emotional contact with each person, be they artists or viewers. And the basis for this contact should be not abstract ideas but a presence of something strange and unfamiliar that connects all those of us living.“660

In einem Interview konkretisierte Kulik, was er unter der emotionalen Verbindung versteht, die im Zuge der Ausstellung hergestellt werden sollte: „The present exhibition is all about how to understand others. It is most likely to put on half a hundred transcendent messages. Most of them will be incomprehensible. But I accept their incomprehensibility as absolute truth, even without making the heard or tail of it.“661 Es gehe darum, auf die Welt mit einer, so Kulik, vollkommen neuen Weltsicht zu blicken: durch die Brille einer Person, die an das Leben mit all seinen Ausprägungen glaube. In Kuliks Ausführungen klingt eine Art Zeitenwende an: „Contemporary art has earned a reputation for a relevant and radical search for meanings, but this position has exhausted itself. The time has come to look at humanity and the surrounding world not through the prism of the latest philosophical fad, but by a wholly new viewpoint of a person who believes in life in all its manifestations.“662

Kulik zufolge sollte der Ausgangspunkt aller künstlerischen Äußerungen der persönliche Glaube sein. Das kuratorische Anliegen war es, die Kunstschaffenden zur Reflexion darüber anzustoßen, aufgrund welcher Aspekte sie befähigt sind, Kunst herzustellen, welche treibende Kraft hinter dem künstlerischen Schaffensprozess stecke: „One of the tasks that the organizers of I BELIEVE have given themselves is to convince the artist to take a step back from the chores of everyday life and look inside himself. Perhaps there, inside, he or she will discover a mysterious something that makes him or her want to live and be an artist. It is something different for everyone. […] Thus, this project will present the contemporary artist primarily as a person who has strong emotions and deep transcendental feelings,

660 Kulik, ohne Titel, a.a.O. Wie die Verbindung durch etwas Unbekanntes und Eigenartiges erfolgen soll, lässt er offen. 661 Adashevskaya, Lia: „Interview. I BELIEVE, or As Others See Us. The curator of the I BELIEVE project, Oleg Kulik, answers questions from DI“, in: DI, Decorative arts, Moskovskij Muzej Sovremennogo Iskusstva, Nr. 2, 15.02.2007, S. 61. 662 Kulik, ohne Titel, a.a.O. Wobei hier nicht genau zu bestimmen ist, worin dieser Standpunkt jeweils bestehen kann und weshalb solch eine Fragestellung interessant ist.

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Kuratoren und Besucher and wants to speak about them, speak in the world’s most flexible language, the language of contemporary art.“ (Kulik)

Im Katalogessay betont Kulik, dass die Ausstellung nicht darauf abzielte, ein bestimmtes religiöses Dogma zu unterstützen. Kulik geht es darum, ein Gefühl von Glauben (belief or faith) nach dem Ende des dogmatischen Kontextes von Kommunismus und Religion wiederzubeleben.663 Kuliks Religionsbegriff wird von den Schlagworten „mystery of life“, Zweifel oder auch Revelation getragen. Auch betont der Ausstellungsmacher, dass es in diesem Projekt nicht um Religion, sondern um Frömmigkeit gehe. Laut Heartney stand die Schau im Zusammenhang mit der post-sowjetischen Faszination von Spiritualität und Mystizismus.664 Im Fokus befand sich der Fragende und Zweifelnde: „I BELIEVE is not about religious dogma. At its center is not a believer, someone who already knows the truth, but a doubter, someone seeking for the truth. It is about that feeling of shuddering upon encountering the mystery of life, a feeling akin to religious revelation.“665 Jede der ausgestellten Arbeiten versuchte ein neues Glaubenssystem zu konzeptionalisieren, welches darauf basierte, Fragen zu stellen. Kulik hoffte, dass ihn das Projekt spirituell beflügelte: „I hope that the exhibition will leave me richer spiritually. And so do my fellow artists, I believe.“666 Auch erhielt das Ausstellungsprojekt dadurch eine Art reinigende Funktion und Reflexion auf der Meta-Ebene: „Art is essentially artful, that is deceitful. We have to measure how far it is artful. Now, the project has been meant as an act of purging, an attempt to look at ourselves as other see us. And this calls for superconsciousness, our higher perception that emits the ferment of religiosity.“667 Die Idee für das Ausstellungsprojekt ging auf Gespräche mit Künstlern zurück. Kulik unterhielt sich mit einigen über die verschwommenen Grundlagen der zeitgenössischen Kunst überall auf der Welt und über die jeweiligen Eindrücke beim Reisen in den Nahen Osten, nach Asien und Lateinamerika.668

663 Ebd. 664 Vgl. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 99. 665 Heartney kommentiert, dass sich die Ausstellung angesichts der Brisanz einiger Ausstellungsprojekte im Vorfeld clever positionierte. So verweist die amerikanische Kunstkritikerin auf den wachsenden Einfluss der orthodoxen Kirche in Russland und nennt zwei Ausstellungsbeispiele, in deren Kontext Zensur offenkundig wurde und gerichtliche Konsequenzen folgten. In diesem Zusammenhang positionierte sich I believe dazwischen, so Heartney. Einige Arbeiten hätten sich mit etablierten Religionen beschäftigt, größtenteils hätten die Arbeiten jedoch einen persönlichen statt ideologischen („doctrinaire“) Zugang zu Spiritualität gezeigt. Vgl. ebd., S. 99. 666 Adashevskaya, Interiew Kulik, a.a.O., S. 61. 667 Ebd. 668 Vgl. Markaff, a.a.O.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4 4.2.3

Die Kunstwerke

Für die Auswahl der 59 gezeigten künstlerischen Positionen war in erster Linie die Person entscheidend, so Oleg Kulik. „Nothing but the author.“669 Ferner sollte es sich um etwas handeln, was unverfälscht erlebt worden sei: „Each one should tell something genuine, something he or she has experienced. Not what he or she has thought up or read somewhere. It won’t work when someone puts across a speculative or literature-derived idea. It works only when it is the truth.“670 Formale Qualität stand demnach nicht an erster Stelle der Selektionskriterien. Wie Eleanor Heartney kommentiert, variierten die Exponate stark in „depth and quality“.671 Im Interview gibt Kulik an, er habe 61 Freunde und – dann in ironischem Ton – „Feinde“ ausgewählt.672 Darüber hinaus zählte zu den Merkmalen der Ausstellung, dass die Besetzung nicht international ausgerichtet war, sondern in erster Linie russische Künstler ausgewählt wurden.673 Die gezeigten Arbeiten waren allesamt zeitgenössische Positionen und spiegelten einerseits unterschiedliche Künstlergenerationen, andererseits eine Medienvielfalt wider. Allerdings dominierte das Format der Installation, ebenso waren zahlreiche Videoarbeiten zu sehen. Fotografie und Malerei waren eher in geringer Anzahl vertreten.674 Kulik versammelte für dieses Projekt sowohl etablierte als auch eher unbekannte Positionen, wie zum Beispiel die Gaza Group. In gewissem Sinne handelte es sich um Auftragsarbeiten, da Kulik die teilnehmenden Künstler motivierte, etwas ganz Neues und anderes als sonst zu produzieren.675 Die meisten Arbeiten wurden vor Ort produziert, also konkret für den Raum geschaffen. Katalog Begleitend zur Ausstellung erschienen zwei Publikationen. Zum einen entstand (in russischer Sprache) ein Band mit dem Namen Xenia, der die gesamte Ge669 670 671 672 673

Vgl. Adashevskaya, Interview Kulik, a.a.O., S. 61. Ebd. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 99. Vgl. Interview Oleg Kulik mit Maren Ziese am 23.03.2007. Doch gab es Kritik, dass die künstlerischen Positionen wie „westliche“ Kunst gewirkt hätten. Vgl. Eller, Carmen: „Willkommen auf der Baustelle“, in: Die Zeit, 25.07.2007; unter: http://www.zeit.de/online/2007/14/moskau-biennale. 674 Die hohe Hängung insbesondere der malerischen Arbeiten interpretiert der Rezensent als kuratorische Geste, um die Bedeutung der Gemälde zu unterstreichen. Vgl. Brown, a.a.O. Doch kann es auch genau gegenteilig gedeutet werden, nämlich als Verweigerung einer kontemplativen Bildbegegnung. Dem Betrachter wird nicht ermöglicht, sich im Angesicht des Bildes zu versenken. 675 Die Künstler präsentierten in der Ausstellung andere Werke als jene, für die sie bisher bekannt waren. Brown mutmaßt, dass dies an dem Druck lag, den der Kurator Oleg Kulik auf die Beteiligten ausgeübt haben soll. Vgl. ebd.

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schichte des Projektes dokumentierendes Material und kunsttheoretische Ausführungen enthält. In Xenia sind die ersten Treffen, Interviews mit teilnehmenden Künstlern sowie das Konzept der Ausstellung enthalten.676 Zum anderen gehörte zur Ausstellung ein Katalog, der ebenfalls die Geschichte des Projektes dokumentiert: die ersten Treffen zur Vorbereitung der Eröffnung, die Konstruktion des Ausstellungsraumes, den Aufbau der Ausstellung (die Umwandlung des Ortes und die Entstehung der Arbeiten), Fotografien der Eröffnungsveranstaltung, Vorstellungen der Organisatoren und der Künstler, Interviews mit teilnehmenden Künstlern und auch Kommentare vom Internet-Blog der Besucher. Allerdings enthält der Katalog im Verhältnis zur Publikation Xenia mehr als 500 Farbfotografien, die Dokumentation erfolgt also primär auf visuelle Weise. Auch unterscheidet sich der Katalog von den anderen im Rahmen der vorliegenden Studie besprochenen Kataloge: die 500 Abbildungen schwere Publikationen zu I believe ist ein Künstlerbuch (Abb.79), alle beteiligten Künstler kommen mit ihren „Glaubensvorstellungen“ und Motivationen zu Wort, es gibt keine Liste mit Werkangaben oder Biografien im Anhang oder Kurzbeschreibungen der Werke, die für den konkreten Ausstellungsbesuch hilfreich wären. Auch wurden keine externen Autoren eingeladen, um sich etwa auf wissenschaftliche, theologische oder politische Weise mit der Frage nach Kunstproduktion und Spiritualität auseinander zusetzen. Stattdessen finden sich Aufnahmen der Beteiligten bei ihren vorbereitenden Zusammenkünften, Abbildungen zum Entstehungsprozess der Werke, mehrere Fotografien pro Künstler, Bildmaterial zu den Pressekonferenzen im Ausstellungsraum und am Ende des Katalogs eine Aufnahme der Bauarbeiter, die am Ausbau des Weinkellers mitgearbeitet haben.677

4.2.4

Der Rundgang

Nachdem man die Anfahrt zu dem für Moskauer Verhältnisse weit empfundenen Kursker Bahnhof absolviert hatte, erreichte man nach einem zirka 10-minütigen Fußmarsch das abgezäunte Fabrikgelände (Abb.61). Nach Passieren des Wärterhäuschens befand man sich auf einem weiträumigen Vorhof. Der Umwandlungsprozess dieser ehemaligen Weinfabrik in ein Areal für Galerien, Cafés und Geschäfte wurde auch daran deutlich, dass dem Besucher beim Betreten und Durchqueren des Geländes überall Bauarbeiter begegneten. Auf der Suche nach 676 Hierbei handelt es sich, einem Künstlerfreund aus dem Umkreis von Alexander Shumov zufolge, um „die Bibel der zeitgenössischen russischen Kunst“. Vgl. Gespräch Victor Ribas mit Maren Ziese am 23.03.2007. 677 Dass es sich hierbei um eine Dokumentation der direkt Beteiligten handelt, wird auch daran deutlich, dass kein rahmendes Geleitwort des Museums aufgeführt ist. Siehe hierzu als Beispiel für eine künstlerische Seitengestaltung Abb.79.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

der Ausstellung I believe wurde der Eindruck verstärkt, dass überall in Winzavod die Kunstwerke in halbfertigen oder noch komplett unfertigen Ausstellungsräumen verstreut waren. In einer überdachten Halle stand ein kleines Kartenhäuschen, wo Eintrittskarten und Kataloge für die I believe-Schau zu erwerben waren. Man schritt eine Treppe hinab und folgte einem hölzernen Bauzaun zum farbig gestrichenen, vorgebauten Eingang des versteckten Keller-Gebäudes (Abb.62). Fackelreste säumten den Weg und zeugten von einer dramatischen Beleuchtung im Vorfeld. Hinter den bunten Türen traf der Besucher auf eine schwarze Scheidewand, die es links oder rechts zu passieren galt, um dann dem Aufsichtspersonal die Eintrittskarte zu zeigen, bevor man einen Vorhang zurückschieben konnte und auf der Schwelle zum Ausstellungsraum stand. Eine Rampe führte weiter in das Kellerareal hinein. Von hier oben hatte man bereits einen Blick in die Vorhalle, rechter Hand erhob sich eine hölzerne Tribüne, die als Aussichtsplattform zu fungieren schien und die Konnotation des Raumes als Bühne unterstrich.678 Am Eingang am unteren Ende der Rampe angekommen, galt es eine Sicherheitsschranke zu passieren, an der weiteres Aufsichtspersonal stand. Dahinter befand sich ein Infoständer, der ein Faltblatt zum Mitnehmen bereithielt, auf dem der Übersichtsplan zur Orientierung verzeichnet war. Linker Hand an der Wand informierte der Kurator Oleg Kulik auf blauen Kunststoffplanen in einem Einführungstext über die Fragestellung der Ausstellung und mithilfe eines Übersichtsplanes über den genauen Ort einzelner Werke (Abb.65). Ferner waren auf einer dritten Plane die Sponsoren genannt. Anhand des Übersichtsplanes und des ersten Blicks in den mit rot-weißen Kacheln verzierten Keller wurde bereits deutlich, dass es sich um ein Labyrinth von Räumen handelte (Abb.66). Von der zentralen hohen Halle gingen acht gewölbte und ebenfalls geflieste Gewölbekeller ab, „eine Aura der verfallenen Eleganz durchzog den ganzen Raum“ (Abb. 70).679 Hinter den acht Schächten verlief ein schmalerer Korridor, der zu einem verwinkelten Backsteinanbau führte, wie der Übersichtsplan zu erkennen gab. Ferner befand sich im schmaleren Flur ein Treppenaufgang, der nach oben zu führen schien. Diese acht gewölbten Kellerräume waren von beiden Seiten zu betreten und fungierten an allen Stellen des Parcours als Verbindungsstück zwischen großer Halle und schmalerem Korridor. Eine Laufrichtung war nicht klar ersichtlich, auf dem Übersichtsplan waren die beteiligten Künstler alphabetisch aufgelistet, weshalb sich aus den aufgeführten Nummern des Planes keine konkrete Orientierung ergab. Zahlreiche Einbauten und Umbaumaßnahmen hatten das Kellergewölbe in einen Ausstellungsraum transformiert (Abb.63+64). So war ein Holzboden und 678 Der ganze Raum wirkte wie ein Bühne, dieses theatralische Setting wurde durch das Umfeld selbst gesetzt, so Heartney. Vgl. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 99. 679 Ebd.

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an einigen Stellen Treppenstufen (Abstiegen) eingezogen worden, um tieferliegende Präsentationsflächen auf sandigem Boden zugänglich zu machen. Zu den Einbauten zählten auch hölzerne Stege, die zu Installationen im Wasser führten. Lichtstrahler sorgten für punktuelle Beleuchtung in dem ansonsten dunklen Gebäude ohne Tageslicht oder Fenster. Die Beleuchtung war generell eher spärlich, entweder weil es einige Arbeiten nötig machten, damit sie zur Geltung kommen konnten, oder weil es zum kuratorischen Statement zählte. Das Gebäude wurde in seiner Gesamtstruktur nicht negiert, sondern für die Präsentation von Kunst optimiert. Im vorderen Abschnitt der großen Halle plätscherte die hellblau geflieste Brunnenfontäne der Künstlerin Irina Korina (Fountain, Installation, 2007). Ferner war die Videoarbeit First Horseman (2007) von AES+F Group mit begleitendem Sound zu hören, und Nebelschwaden verhüllten das ohnehin nur minimal beleuchtete Areal. Alexander Ponomariovs Nimbus Generator stellte eine Installation aus hölzernen, mit Plastikschläuchen verbundenen Boxen dar, die durch Spotlights von oben beleuchtet wurden (Abb.69). Aus den Holzkästen stießen in regelmäßigen Abständen Staubwolken auf, zugleich tönte dazu das Klappern der Apparate, welche die Rauch-Ringe produzierten und den Eingangsbereich in neblige Atmosphäre tauchten. Kathrin Rhomberg schildert, dass ihr der Besuch wie der Eintritt in eine Vorhölle erschien, allerdings standen die Feuchtigkeit680 und die Kälte (in den Räumen herrschte teilweise eine Temperatur von Minus 7 Grad) dem Eindruck einer schmorenden Hölle entgegen. Zum atmosphärischen Ersteindruck zählte auch der in schwarze Stoffbahnen gehüllte Bagger von gigantischen Ausmaßen, der dem Eintretenden die Schaufel entgegenstreckte (Abb.68). Der Künstler Dmitri Prigov stellte auf seine Installation Subterranean Beasts Nestle Close to Man (2006) einen Kelch mit blutfarbener Flüssigkeit, die allerdings von unten nicht zu sehen war. Unter der Tribüne befand sich die Videoinstallation von Illyukhin Max Department of Visual Supervision Systems (2006/2007), die das Thema des Überblicks auf anderer Ebene als der des sie umgebenden Podests aufgriff. Diese Überwachungsarbeit ermöglichte in unterschiedliche Abschnitte der Ausstellungsräume zu blicken. Im ersten Gewölbekeller hatte Georgi Puzenkow hinter einem Hochsprung aus dem sandigen Boden ein Grab ausgehoben (Abb.70). Von hier ließ sich auch über eine extra dafür angefertigte Holzstiege eine kleine Kammer erkunden, die sich in der Deckenwölbung befand. Sergei Pogosians Installation Perelman’s Cell erinnerte an den Raum des exzentrischen Mathematikers Grigori Perelman, der sich für 13 Jahre in eine winzige Wohnung zurückzog, um ein in der Mathematik berühmtes Problem, die „Poincaré-Vermutung“, zu lösen (Abb.71). Nachdem 680 Die Feuchtigkeit in den Räumen war gravierend. Bei dem Besuch der Ausstellung Ende März 2007 waren die Fotografien von Boris Mikhailov in ihren Rahmen bereits wellig geworden.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

ihm das 2002 gelungen war, lehnte er alle finanziellen Ehrungen und Auszeichnungen ab. Der Wissenschaftler wird von Pogosian in einem kleinen versteckten Raum geehrt, den man nur mittels einer Leiter erreichen kann. Dieses Kabuff ist mit Büchern, einem Koffer und einer Kochplatte spärlich ausgestattet. Oleg Kulik interpretiert Perelmans Hingabe an das Wissen unter Verzicht auf jegliche sozialen Kontakte und menschlichen Komfort als spirituelle Suche.681 Im schmaleren Flur hatte Valeriy Koshlyakov einen von innen beleuchteten Omnibus mit sternverziertem Zwiebelturm aus Pappe auf dem Dach (Abb.72) aufgebaut. Die Lichtquelle im Inneren des Busses ließ durch die milchigen Scheiben Umrisse der Reisenden erkennen. Der Trolleybus konnte jedoch nicht betreten werden, spielte aber laut Droitcour als einzige Arbeit der Ausstellung direkt auf die Idee der Glaubensfindung durch Zusammenkunft an.682 In dem selben Flur stellte die MishMash Group weiße Säulen aus, in die sich Besucher hineinstellen oder -setzen konnten (Abb.76+77). Aufgrund des flauschigen Kunstfells wirkten die Röhren wie wärmende Kokons. In diesen Ausstellungsabschnitt gruppierte sich auch das Kabinett Supremus: Study of Surplus-Element Alexander Shumovs. Ein schmales geheiztes Häuschen bot Raum für nur wenige Leute und versprach damit ein intimeres Zusammenkommen. Supremus präsentierte sich vollgestopft mit Bücherreihen, kitschigen Skulpturen, einem Computer, Wandteppichen sowie Arbeiten von zahlreichen Künstlern an den Wänden.683 Julia Kissinas interaktive Installation Absolution bot ein reales Telefon, das Besucher (der russischen Sprache mächtig), bedienen konnten, um ein Geständnis abzulegen und von Band eine Absolution erteilt zu bekommen (Abb.76). Wollte man den hinteren Teil des Ausstellungsrundganges wieder verlassen, war dies durch einen der acht Gewölbekeller möglich. Im zweiten Gewölbekeller, der der Halle mit dem Grab von Georgi Puzenkow folgte, war das Video First Horseman (2007) von AES+F Group zu sehen, sowie eine Jurte, vom Kurator aufgestellt. Dieser angesichts der Temperaturen wärmende Zufluchtsort fungierte einerseits als kleines Ausstellungskabinett, so waren zwischen orientalischen Teppichen, Kissen und Fahnen auch einzelne künstlerische Arbeiten zu sehen (Fotografien und Gemälde, die sich ohne Labels aber nicht konkret zuordnen ließen). Wie auch bei Supremus und Trolleybus stellte diese Jurte einen gemeinschaftlichen Ort dar, 681 Vgl. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 101. Siehe hierzu auch der mehrseitige, vom Künstler Sergey Pogosian verfasste Text im Katalog: Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007. o.S. 682 Vgl. Droitcour, Brian: „The Beauty of Belief. Contemporary artists explore the theme of faith in an unusual project at Winzavod“, in: The Moscow Times, 26. Januar 2007. 683 Wie der Künstler erklärte, sollte hier ein Schnappschuss der Zivilisation in ihrem gegenwärtigen Moment gezeigt werden. Vgl. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 99. Siehe auch die Schilderung von Alexander Shumov zu seiner Arbeit im Katalog: Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007. o.S.

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in diesem Fall allerdings weniger als Kunstwerk, da Kulik nicht als ausstellender Künstler an dem Projekt beteiligt sein wollte. Die Jurte von Kulik stand physisch und sozial im Zentrum der Ausstellung.684 Der Installation mit dem Nimbus Generator von Ponomariov folgte im danebenliegenden Gewölbekeller ein hell ausgeleuchteter, trockener Raum mit sandigem Grund, den der Betrachter über kleine Holztreppchen betreten konnte (Abb.73). Hier präsentierte sich auf der Stirnseite zur großen Vorhalle eine Serie von an der Wand wie eine Ikonostase angebrachten Holz-Schnitzereien in Form vergrößerter Scheiben dunklen Brots. Anatoly Osmolovskys Eye Catcher thematisieren Unglauben, jede seiner Schnitzereien weißt elaborierte Muster auf, die auf Luftblasen in einem Brotteig anspielen. In diesen Texturen, so der Künstler, habe er erkennbar religiöse Zeichen entdeckt. In dem selben Raum war außerdem das gemeinschaftliche Werk von Alexander Gormatiuk, Alexander Vinogradov und Vladimir Dubossarsky installiert, das eher zu den ernsteren der ausgestellten Exponate gehörte (Abb.74). Hierbei handelte es sich um eine konservatorische Wohltätigkeitsarbeit, die die drei ehemaligen Studienkollegen als humanitäre Geste und soziale Arbeit verstanden wissen wollen. Es solle eine Geste der Bescheidenheit sein, mit einem Verzicht auf die eigene Autorschaft: „It would be an act of humility or renouncing one’s authorship.“685 Ihr Ziel war es, in Erinnerung an eigene frühere Restaurierungstätigkeiten, einen Teil eines religiösen Freskos (Der Untergang von Babylon) von 1789 zu restaurieren – das während der Sowjetischen Ära in einem Lager gestanden hatte – um es nach der Fertigstellung dem Museum zu schenken.686 Im nächsten Gewölbekeller war ein aus Bauabfällen gebautes Labyrinth des Künstlerkollektivs Gaz Group zu erkunden. Für das Abschreiten der raumfüllenden Installation Enlightenment (2006) musste der Betrachter zunächst einen blauen Perlenvorhang zur Seite streichen, um sich dann zwischen Holzplanken, Aluminium-Schienen, Maschendrahtzaun, gestapelten Kisten und Baupaletten in Abschnitten, in denen sich Müll häufte und bunte Lichter angebracht waren, vorwärts zu bewegen. In einer Sektion befand sich eine alte Toilette mit einem Bett sowie einem Tischarrangement mit Wodka-Flasche und Gläsern. Die Erkundungstour endete 684 Vgl. Brown, a.a.O. 685 Adashevskaya, Interview Dubossarsky, a.a.O., S. 64. Ferner erklärten die Künstler, sie wollten eine Kultur weiterführen und herausstreichen, dass Künstler manchmal darauf verzichten, etwas Neues zu produzieren. Statt der Fertigung von etwas Neuartigem ging es um etwas, das Sinn und Verbundenheit stiftet: „We wanted to say is that there’s culture continuity and that an artist may sometimes give up producing new things and instead start producing some sense and some relationship“. 686 Die drei Künstler hatten ihr Projekt Apocalypses (2006) überschrieben. Zum Fresko machten sie folgenden Angaben: Der Untergang Babylons (1789) wurde von mehreren Personen gemalt: Alexei Zhenikhov, den Gebrüdern Dmitry und Piotr Ikonnikovs, Plato Ikonnikov, Semion Zaviazkin, Stephan Zaviazotchnikov, Vassily Stephanov.

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vor einem Monitorarrangement, das auf jedem Bildschirm religiöse Ikonen zeigte, um damit das Thema des rituellen Hightech-Objektes aufzugreifen, wie es sich auch in anderen Arbeiten der Schau fand – etwa in dem Andachtstisch mit elektrischen Kerzen, die Betrachter zum Leuchten bringen konnten, wenn sie eine Münze einwarfen (Sensible Action (2007) von Vassily Tsereteli und Sergei Anufriev). Auf den Gewölbekeller, der der Arbeit einer einzelnen Künstlergruppe gewidmet war, folgte ein Abschnitt, in dem sich mehrere Arbeiten versammelten und der auch nicht wie die vorherigen Sektionen in beide Richtungen abgeschlossen, lediglich durch schmale Eingangstüren zu betreten war. Zu sehen war nahe der großen Halle die mystische Second Heaven Station (2007) von Andrej Kotow und Kolesnikov Denissov (Abb.75+64). Hierbei handelte es sich um eine lebensgroße, an die Wand projizierte Videoarbeit einer Moskauer U-Bahnstation, die an- und abfahrende Züge sowie ein- und aussteigende Passagiere zeigte. Vor der mit einem roten Fliesenbogen gerahmten Videoarbeit stand eine reale Frau, sie trug die offizielle Uniform der Metrobediensteten. Second Heaven Station zeigte, wie aus der U-Bahn die gleiche Frau ausstieg, allerdings im Gegensatz zu der realen Person mit kleinen weißen Flügeln bekleidet. Die Videofigur bewegte sich vorwärts, bis sie mit der realen Frau verschmolz, die sich dann wiederum wegbewegte. Zu sehen war in dieser Sektion auch die Videoinstallation I Do Not Believe (2006) von Konstantin Khudyakov, die ähnlich der Ikonostase aus hölzernen Brotscheiben von Anatoly Osmolovsky auf das Unvermögen, zu glauben, und Atheismus anspielte. In einer rechteckigen, sargähnlichen Glasbox, auf die die Besucher draufblicken konnten, erschien mittels digitaler Projektion ein männliches Gesicht, das die Augen öffnete und auf russisch verkündete, nicht zu glauben, um sich daraufhin in Stein zu verwandeln. An der Stirnseite der großen Halle hatte Dmitri Gutov die durch Nägel durchbohrten Füße Christi als stark vergrößertes Detail angebracht (Abb.78). Dieses hatte er Andrea Mantegnas Totem Christus (um 1490) entnommen. Der Themenstrang Memento Mori, der sich durch einige Arbeiten der I believe-Ausstellung zog, fand sich hier wieder. Die Zehen Christi regten aufgrund der Höhe, auf der sie aufgemalt waren, einige Besucher an, sich unter die Füße Jesu zu stellen. Diskussionsveranstaltungen fanden auch in diesem Abschnitt der Ausstellung, unten den Füßen des toten Christi, statt. Im verwinkelten, höher gelegenen Anbau des Weinkellers fand sich ein weiterer wärmender Versammlungsort für die Besucher, der von diesen scheinbar gerne angenommen wurde. Im Katalog ist das Zelt noch ohne die zahlreichen Graffiti der Betrachter abgebildet, einige Wochen später waren Tisch und Wände mit Unterschriften von Besuchern versehen. Zhenya Shef zeigte in ihrem Private Temple (2006) neben Tisch und Sitzgelegenheiten für Besucher eine Reihe gerahmter, rundum im Zelt verlaufender Fotografien, die auf minimalistische Weise Alltagsgegenstände abbildeten.

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Im Eingangsbereich des Annex stellte die Blue Noses Group ein endloses Tröpfeln roten „Weines“ aus. Der tröpfelnde „Weinstrahl“ – rotes Licht rief auch Assoziationen mit Blut hervor – wurde in einem Fass aufgefangen, um potenziell noch konsumierbar zu sein. Zu sehen war in diesem Ausstellungsabschnitt auch Alia Yessipovitchs Video- und Fotoinstallation Star of the Scene (2005/2006) – in Form eines Wohnzimmers – eine Reminiszenz an die Breschnew-Ära (Abb.79). Wie in der kurzen Vorstellung exemplarischer Kunstwerke bereits deutlich wurde, war dem Ausstellungsrundgang weder eine feste Abfolge von Räumen noch eine thematische Kapitelgliederung zugrundegelegt. Die Ausstellung lud zum Flanieren ein, Besucher mit einem größeren Zeitbudget konnten sich intensiver mit der Schau und einzelnen Exponaten auseinandersetzen, es bestand aber auch die Möglichkeit, das Kellergebäude schnell zu durchlaufen. Die Lektüre des stark bebilderten Katalogs offenbarte jedoch, dass der Kurator dem Ausstellungsparcours sehr wohl eine Struktur zugedacht hatte (Abb.67). Zwei Abbildungen zeugen von einer Laufrichtung, von der Kulik hoffte, die Besucher würden sie einschlagen. Dies war im Ausstellungsraum selber jedoch nicht ersichtlich, Orientierungspfeile oder Nummern an den Labels fehlten. Unterschiedliche Inszenierungszonen ergaben sich aufgrund der verschiedenen Räumlichkeiten und Kunstwerke. So war ein Gewölbekeller trocken und hell ausgeleuchtet, durch zwei Holztüren von der vorderen Halle und dem hinteren Flur abgeschieden (der Abschnitt, wo Eye Catcher und das Fresko Apocalypses ausgestellt waren (Abb.73+74)), in einem anderem stand das Wasser und zwei Installationen waren in dem Bassin aufgebaut. Kleinere Exponate suchten sich ihre Nischen, wie Perelman Cell (Abb.71) oder computergestützte Werke im Treppenaufgang des schmaleren Flures. Wenngleich das Gebäude deutlich die Rezeption bestimmte und der Bau als Bühne oder Rahmen für die Vermittlung der Arbeiten genutzt wurde, verschmolz er jedoch nicht komplett mit den Werken. Im Vergleich zur Ausstellung Happy Believers der 7. Werkleitz Biennale hätte die Schau I believe auch an einem anderen Ort gezeigt werden können.687

4.2.5

Kuratorische Vorstellungen und Arbeitsweisen

Die Erfahrung beim Durchlaufen der Ausstellung, nämlich eine nicht vorhandene Laufrichtung und Strukturierung – findet sich auch in den Aussagen des 687 Im Unterschied dazu wird durch eine unmittelbare Kontextualisierung nicht das einzelne Objekt, sondern das ganze Ensemble zum Träger von Bedeutungen. Vgl. Muttenthaler/Wonisch, Gesten des Zeigens, a.a.O., S. 47. Konnotiert war in diesem Sinne der Ausstellungsort als Transformationsraum (Baustelle) und als trendiger, neu erschlossener Off-Space.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

Kurators zu seinem Konzept bestätigt. So äußerte Oleg Kulik, dass I believe wie eine Matroschka funktioniere. Wie diese hölzerne Puppe zum Ineinanderstecken würde sich in seiner Ausstellung alles überlagern, und unterschiedliche Zusammensetzungen seien möglich. Hierin sehe er das typisch russische Element seines Ausstellungsprojektes. Das westliche Modell sei linear, das östliche sei transparenter und verschachtelt. Deshalb gebe es in der Ausstellung auch keine Schlüsselwerke, alle Arbeiten seien gleich wichtig.688 Bezogen auf das Anliegen der Ausstellung, ein Gefühl von Glauben und Religion (belief or faith) nach dem Ende des dogmatischen Kontextes des Kommunismus wiederzubeleben, betonte der Ausstellungsmacher auch, dass es sich erstmalig um eine wahre russische Ausstellung handle, er mit diesem Projekt den russischen Geist zum Ausdruck bringe.689 Wichtig sei ihm auch, dass es ihm nicht um Religion gehe, sondern um Frömmigkeit: „The project is not about religion but religiousness.“ 690 Kuliks Interesse an „Wahrhaftigkeit“ und „Gefühl“ wird auch daran deutlich, dass er Künstler bevorzugt, „deren Arbeiten auf Gefühl beruhen und nicht auf Intellekt.“ 691 Er kritisiert die aktuelle Situation der russischen Kunst in der Hinsicht, „dass das bloße Skizzieren einer Projektidee, die in eine schöne Formulierung gebracht wird, schon als Kunstwerk durchgeht. Das ist sehr schlecht, denn es führt zur Verkümmerung der Begrifflichkeit dessen, was ein Kunstwerk ist. So kommt es dazu, dass ein Werk der zeitgenössischen Kunst als Illustration irgendeiner Äußerung gilt. [...] Eine neue Generation von Künstlern [...] beweist mit ihrer Arbeit, dass die Zeit der Konzeptkunst vergangen ist und eine neue Phase beginnt, die man als ‚neue Aufrichtigkeit‘, ‚neue Ernsthaftigkeit‘ oder ‚neue Religiosität‘ bezeichnen kann.“692

Auch an anderer Stelle erinnern Kuliks Äußerungen über sein Kunstverständnis an kunstreligiöses Gedankengut. Nicht nur in seinem Gebaren als Kurator im Gewand eines Gurus oder eines Mediums bei Diskussionsveranstaltungen oder bei Führungen durch die Ausstellung, sondern auch in seinen Aussagen zum kuratorischen Verständnis wurde dies deutlich. So äußerte er, dass sich seine 688 Vgl. Interview Oleg Kulik mit Maren Ziese am 23.03.2007. Die Metapher der Matroschka-Puppe schien der Autorin aber nicht plausibel, da die verschiedenen Hüllen eine Matroschka nicht beliebig kombinierbar sind, sondern eine klare Abfolge im Aufbau der hölzernen Figur nach sich ziehen. 689 Vgl. ebd. 690 Briefwechsel des Kurators mit Maren Ziese am 06.03.2007. 691 Kulik, Oleg: „Artists’s Favourites“, in: Spike 12/2007, S. 6. Vier seiner fünf Lieblingskünstler, die er in der Zeitschrift Spike vorstellte, waren auch in der Schau I believe vertreten. Bei Kulik richtet sich die Frage nach „Qualität“ am Subjektiven aus, nicht am Dokumentarischen wie etwa bei Klaus Biesenbach. 692 Ebd.

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Handschrift in dem Projekt I believe ganz klar abzeichne. Er habe alles alleine und absolut eigenverantwortlich realisiert. Zwar räumte er ein, dass jeder Kurator sein könne, aber nicht jeder Künstler auch ein guter Kurator sei.693 Für die „Wirkkraft“ und Konnotation der Ausstellung war relevant, dass Oleg Kulik der verantwortliche Kurator war (Abb.73+77). Der in Moskau lebende Performance-Künstler und Bildhauer fand in den 1990er Jahren vor allem durch seine Performances als Hund (Mad Dog, Reservoir Dog und I Bite America and America Bites Me) internationale Aufmerksamkeit.694 Er arbeitete als Kurator für die Galerie Regina in Moskau und trug dazu bei, dass diese Galerie als eine der radikalsten und kontroversesten Orte Moskaus angesehen wird.695 Kulik war jedoch nicht nur in den 1990ern die treibende Kraft der russischen Kunst, sondern ist momentan das künstlerische Gesicht Russlands.696 Auf die Frage, weshalb er sich nicht auch als Künstler an dem Ausstellungsprojekt beteiligte, antwortete Kulik, dass es sich hier um künstlerisches Unvermögen handle: „I think it’s artist impotence. There was once an article called ‚New Dances of Impotent Artists‘; the reference was to Dada artists. What I mean to say is that I’ve gained astounding flexibility but lost everything else. I’m like glue. I can stick many things together but things themselves are still beyond my control. Now, keeping things together under control is that’s what we need, given this spoiled environment, where everyone has a certain property but doesn’t see where to apply it because it doesn’t fit in with the properties of other people.“697

Er fährt fort, dass es sich hier wie bei zerbrochenen Glasscherben um Material handeln würde, das man noch immer für die Fertigung eines Buntglasfensters verwenden könne. Hier wird auch sein Verständnis vom Kuratieren deutlich: er als derjenige, der alles zusammenfügen kann, eine solche Person werde gebraucht. Kuliks Entscheidung für die Rolle, die er im Rahmen von I believe übernommen hatte, also die Kuratorentätigkeit, ist eine naheliegende, die sich bereits in anderen Zusammenhängen abgezeichnet hatte: „Die Koketterie des Künstlers mit dem Glauben, dem Messianismus und der Rolle des Guru hat sich schon seit lan693 Vgl. Interview Oleg Kulik mit Maren Ziese am 23.03.2007. 694 Beispielsweise verkörperte er 1997 in der Galerie Deitch Projects einen Hund. In seinen Performances entwarf er ein von der Tierwelt ausgehendes, auf Instinkten basierendes („zoophrenisches“) Modell für menschliche Beziehungen. Weitere Informationen zu den Ausstellungsprojekten, an denen er beteiligt war und zu seinem Werk: Kulik, Oleg: Nothing inhuman is alien to me, Bielefeld 2007. 695 Zum Status der Galerie Regina siehe: www.moskau.ru/moskau/kultur_freizeit/galerien. 696 Vgl. Boika, a.a.O., S. 51. Alena Boika verweist mit dieser Charakterisierung von Kulik auf Elena Selina. Wie auch seine bisherigen Projekte sei auch I believe kontrovers aufgenommen worden. Siehe auch: Droitcour, ebd. 697 Adashevskaya, Interview Kulik, a.a.O., S. 61.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

gem deutlich gezeigt“.698 Kulik probiert derart unterschiedliche Rollen aus, vom Hund bis zum „Übermenschen“ und Guru. Seine Rolle als Medium wurde auch im Vorfeld in seinem kuratorischen Vorgehen der Ausgestaltung der Diskussionsrunden deutlich. Als Teil des Projektes startete der Ausstellungsmacher eine Diskussionsreihe zur Vorbereitung der Ausstellung. Der Inhalt der Seminare kreiste um Spiritualität und deren mögliche Ausdrucksweisen. Während der Veranstaltungen agierte er, so Droitcour, als spiritueller Guru für die teilnehmenden Künstler der Ausstellung (Abb.80). Fragen wie „What are your most vivid childhood memories?“ oder „What causes you to experience strong emotions like awe and hatred?“ sollten die Künstler ermutigen, andere Arbeiten zu produzieren als solche, die Besucher oder die jeweiligen Galeristen der Künstler gerne sehen würden. Kulik strebte an, dass sich die Beteiligten auf Themen des inneren Selbst fokussieren sollten.699 So stellte beispielsweise der Fotokünstler Sergei Bratkov eine Skulptur namens Princess aus, bestehend aus einer weiblichen Figur und zwei Delfinen. Das Konzept der Ausstellung erforderte einen speziellen Raum, der Weinkeller auf dem Winzavod-Gelände stellte genau diesen einzigartigen Ort dar. Seine Architektur bestimmte die Entwicklung des Projektes zu großen Teilen.700

4.2.6

I believe und Relationalität

Der Kurator Oleg Kulik war in mehrfacher Hinsicht sehr sichtbar im Rahmen seines Ausstellungsprojektes I believe. Er positionierte sich mit seinem Namen auf dem Einführungstext, druckte im Katalog sein im Vorfeld gebautes Ausstel lungsmodell ab und informierte anhand zahlreicher Bilder über die Vorgänge hinter den Kulissen und die Realisierung des Projektes anhand eines Vorher-Nachher-Vergleichs. So konnte sich der Leser mittels Abbildungen über den Ausbau des Ausstellungsraumes, die involvierten Bauarbeiter, die Entstehungsprozesse einzelner Kunstwerke und Veranstaltungen im Vorfeld informieren. Darüber hinaus legte Kulik sein Gedankengebäude in Form der kunsttheoretischen Abhandlung Xenia dar. Die Sichtbarkeit des Kurators ging so weit, dass er sich in den Arbeiten anderer Künstler fotografieren ließ (und sich als Erklärer der Arbeiten in den Vordergrund drängte, wenngleich die Künstler selber anwesend waren). Auch die unterschiedlichen Bezeichnungen seiner Rollen durch Außenstehende brachten die Sichtbarkeit und Überpräsenz der ersten Per-

698 Boika, a.a.O., S. 53. 699 Vgl. Droitcour, a.a.O. 700 Vgl. Markaff, a.a.O.

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son zum Ausdruck: „Exhibitions’s Ideologist“, „Supervisor“, „Guru“, „Guide“, „Medium“.701 Positionierung und Offenlegung erfolgte in diesem Ausstellungsprojekt also nicht im Sinne der Aufhebung von Autorschaft oder Beteiligung möglichst vieler Akteure mit dem Zweck der Selbstermächtigung. Statt einer emanzipierenden und aktivierenden Offenlegung trat I believe als durchkomponiertes Gesamtkunstwerk einer einzelnen Person auf. Die „Offenlegung“ diente einer weiteren Kultivierung von „Genialität“. (Auch stand die reine Erlebniswelt einem aufklärerischen Gestus dem Publikum gegenüber entgegen.) Die Inszenierung als Gesamtkunstwerk wurde nicht nur in den vielfältigen Rollen deutlich, die sich der Kurator aneignete, sondern auch in den Displaytechniken zur emotionalen Verwicklung des Betrachters: ein theatralischer Zugang zur Ausstellung über vorgeschaltete Sektionen, die es zu passieren galt (Vorbau, schwarze Scheidewand, Sicherheitsschranke, Nebelschwaden und Klangkulisse im kalten, feuchten, dunklen Ausstellungsbau). „Aura“ und Gefühl waren dem Sehenlernen vorgezogen. Auch Kuliks Kunstauffassung – man könne ganz viele transzendente Botschaften versammeln, die meisten seien jedoch nicht verständlich, Kulik akzeptiere ihre Unverständlichkeit (incomprehensibility) jedoch als absolute Wahrheit – steht für Verschleierung und Inkommunikabilität statt Austausch und Diskussion. Das Ausstellungsprojekt zielte auf die Vermittlung einer bestimmten Kunstauffassung, die sich durch Mystifizierung der Rolle von Kurator und Künstler auszeichnete. Als „Fußnote“ trat Kunst bei Kulik nicht auf. Die Autoritäts- und Statusfrage wurde auch in der bewussten Kooperation mit dem Moscow Museum of Modern Art deutlich. So gab sich das Projekt als alternativer Off-Space aus, war jedoch institutionell eingebunden. Darüber hinaus ordnete sich die Ausstellung nicht in andere Ausstellungsprojekte dieser Art und erachtete die Frage nach den Glaubensvorstellungen der Künstler als einzigartig.702 Eine Einordnung und Positionierung erfolgte im Hin701 Hervorzustreichen ist der performative Charakter des Auftritts. Kulik „spielte“ Kurator, agierte in einer Rolle, dies wurde im Interview Oleg Kulik mit Maren Ziese am 23.03.2007 deutlich. Hier ging es um den Gedanken eines Gesamtkunstwerks. Siehe auch Abb.73 und Abb.77. Weitere Informationen zur spirituellen Rolle von Kunstschaffenden: Storr, Robert u.a. (Hg.): art:21. Art in the twenty-first century, New York 2001. Oder auch: Art Papers Magazine: Art and Spirituality, Jan/Feb 2002. Sowie: Artweek: Spiritual Art, Vol. 28, No. 1, Januar 1997. 702 Wenngleich Kulik diese Frage per se bzw. das Ergebnis für sensationell hält, gab es international in den letzten Jahren zahlreiche Projekte, die sich mit den Glaubensvorstellungen der Künstler beschäftigten. Dazu zählen beispielsweise die US-amerikanische Wanderausstellung 100 Artists see God (2004–2006) kuratiert von John Baldessari und Meg Cranston, oder auch die Schweizer Schau Gott sehen. Das Überirdische als Thema der zeitgenössischen Kunst (2006) kuratiert von Dorothee Messmer. Interessant ist, dass Kulik nicht die Darstellbarkeit von Glaubensvorstellungen problematisiert und anzweifelt, wie etwa einige Kuratoren mit Blick auf ihre Präsentationen reflektierten. Vgl.

Kuratoren und Besucher: Modell 3 & 4

blick auf den gesellschaftspolitischen Kontext Russlands und auch auf vergangene künstlerische Strömungen des Landes.703 Auch stellte die Ausstellung keine Möglichkeit dar, den präsentierten Inhalt oder das Konzept zu hinterfragen (zum Beispiel durch ein Besucherbuch). Die Ausstellung begrüßte den Besucher durch einen Einführungsbereich, der Orientierung in Form von Wandtexten und eines Faltblatts (Übersichtsplan) bot; der Betrachter konnte sich auch einen Überblick über die zentrale Halle verschaffen, indem er die Tribüne erklomm.704 (Überblick verschaffte auch die Überwachungsarbeit Department of Visual Supervision Systems von Max Illyukhin unter der Tribüne). Der Kurator gab mit seinem Namen in Katalog und Ausstellung Informationen über Fragestellung und Konzept. Auch war Aufsichtspersonal anwesend, das die Anonymität ein wenig aufhob, wenngleich dieses mehr als Wachdenn als pädagogisch geschultes Personal auftrat. Informationen waren zudem im Tickethäuschen beim Katalogverkauf erhältlich. In der Ausstellung waren mehrere Versammlungsorte – in Form von Kunstwerken und als Beitrag des Kurators – für die Besucher vorhanden. Doch stand die Begegnung mit Kunst im Zentrum,705 es fand sich keine explizite Äußerung, dass neue Publikumsgruppen angesprochen oder Besuchern Reflexionsräume zur Verfügung gestellt werden sollten, um über gesellschaftliche Phänomene oder eigene Frömmigkeit nachzudenken. Die Ausstellung diente den Künstlern als Anlass und Forum, über ihre Weltbilder zu reflektieren, und zielte auf eine Untersuchung der Art und Weise, wie Kunst entsteht. So wirkten die Aussagen zu emotionaler Verbundenheit wie bloße Rhetorik. Gegen eine angenehme Atmosphäre für den Besucher und die Idee von (künstlerischem) Optimismus sprach auch der Raumeindruck. So wirkten die Ausstellungsräume nicht nur wie eine „Vorhölle“ (Kathrin Rhomberg), sondern unheimlich und unbegehbar. Einige Besucher trauten sich nicht in die labyrinthartige Baumüll-Installation der Gaza Group. In der Ausstellung wurde davon ausgegangen, dass weiterführende Erklärungen nicht notwendig seien. Zum einen wurde mit Kunst als universeller Sprache argumentiert, die jeder verstehen müsse, ebenso wie das, worum es bei „Kunst“ Heller, Ena Giurescu: „Religion on a Pedestal: Exhibiting Sacred Art“, in: ders. (Hg.): Reluctant Partners. Art and Religion in Dialogue, New York 2004, S. 180f. Siehe auch zur Frage von musealen Repräsentation von Glauben und Religion: Bräunlein, Religion und Museum, a.a.O.. Oder: Paine, Crispin: Godly Things: Museums, Objects, and Religion, London 2000. 703 Als Impuls für das Projekt nannte der Kurator aber auch internationale Reisen befreundeter Künstler, mit denen er sich über Religion unterhielt. Vgl. Markaff, a.a.O. 704 Auch für das gesamte Gelände Winzavod war auf dem Fabrikvorplatz ein Orientierungsplan angebracht. 705 In den Rezensionen zur Gesamtbiennale wurde beklagt, dass die Kunst zu wenig im Zentrum stünde, es um andere Fragen gehe.

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gehe. Indem die beteiligten Künstler als kreative Genies zelebriert wurden, kam die Notwendigkeit auf, die künstlerischen Objekte in ihrer Unmittelbarkeit von anderen „denkenden“ Fürsprechern erläutert zu bekommen. Da jedoch kein museumspädagogischer Dienst oder andere externe Vermittler tätig waren, stand allein Oleg Kulik zur Verfügung, um die Exponate zu erklären.706 Was auf den ersten Blick sehr informell und alternativ wirkte, war im Grunde stark reglementiert. Abgesehen vom Format der Gruppenausstellung, das eine Bandbreite an thematischen Aspekten und künstlerischen Medien nach sich zog, sind nicht viele Punkte der Ausstellung zu nennen, die dem Kriterium der Vielstimmigkeit gerecht werden könnten. Aufgrund unterschiedlicher Inszenierungszonen und der Aufsplittung der Kataloge in eine theoretische Abhandlung und eine bildlastige Publikation wurden womöglich unterschiedliche Publikumsinteressen bedient. Allerdings gab es keine unterschiedlichen didaktischen Angebote. Auch die Behauptung, es gebe keine Schlüsselwerke, alle Werke seien gleichberechtigt, stünde für einen demokratischen Anspruch, ist so jedoch nicht haltbar. Wenngleich Kulik mit seiner Auswahl von „Freunden und Feinden“ und den Diskussionsveranstaltungen im Vorfeld eine Art Gemeinschaft zusammengestellt hatte, kuratierte er nicht im Team, das heißt, die Auswahl der Beteiligten ging ausschließlich auf ihn zurück. Interdisziplinäre Zusammenarbeit oder neue Kooperationen standen nicht auf der Agenda des Projektes. Auffällig war auch, dass im Kontext einer internationalen Biennale mit Kunstschaffenden aus aller Welt bei der I believe-Ausstellung primär russische Künstler gezeigt wurden. Die Erwartungen an die Besucher zielten auf deren Bereitschaft, sich auf die Ausstellung vollständig einzulassen: „The visitors, on their part, were expected to immerse themselves in and share these visions, and in this manner to touch eternity.“707 So blieb in der Projektausschreibung unklar, ob mit der Formulierung, dass es um unterschiedliche Sichtweisen und Glaubensvorstellungen gehe, wie „wir“ unser Leben gestalten, auch die Betrachter gemeint waren. Sollten auch die Besucher eine Pause vom Alltag einlegen, um in Kontakt mit sich selbst zu kommen? Da I believe mit der Begegnung mit Glaubensvorstellungen von Künstlern warb, ist zu vermuten, dass nicht die Betrachter gemeint waren. In der Ausstellung sollte das Publikum demnach lediglich die jeweils persönliche Weltwahrnehmung mitgeteilt bekommen, wenn jemand sagt, „ich glaube“.708 Dass der Betrachter als reiner Empfänger von Informationen gesehen wurde und als Publikum vor der Bühne, das zur Erfüllung des Zwecks der Ausstellung nötig ist, wird auch daran deutlich, dass die Ausstellung nicht zum Ausdruck brachte,

706 In der Ausstellung existierten zu viele Themenstränge, es gab keine klare Hierarchie der Ausstellungsbotschaften. 707 Markaff, a.a.O. 708 Vgl. ebd.

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eine Diskussionsplattform für die Besucher zu sein oder etwa gezielt einen Austausch unter den Besuchern zu initiieren. Die Aussagen Kuliks, dass es in der Schau um die Frage gehen sollte, wie man andere versteht, erwiesen sich als reine Rhetorik. Insbesondere auch deshalb, weil unklar blieb, wer mit wem in Verbindung kommen sollte. Der Ausstellung war bereits durch den Untertitel viel Hoffnung auf Nachhaltigkeit eingeschrieben: „Project of Artistic Optimism“. Dies zielte einerseits auf eine individuelle Selbsterkenntnis der beteiligten Künstler. So sollte in der Schau die künstlerische Vermittlung zwischen dem Verhältnis von Kunst und der „intimen, heiligen Erfahrung“ behandelt werden, also, wodurch „man“ Lebenskraft erhält und befähigt wird, Kunst herzustellen. Andererseits waren mit dem Projekt Hoffnungen verknüpft, durch die Themensetzung die Rolle der Kunst in der Gesellschaft zu verändern.709 Damit war die Legitimierung der zeitgenössischen russischen Kunst angesprochen: Nationale Fragen des Systemwechsels und der Rolle der Künstler und Kunst in diesem neuen System sollten geklärt werden, es bestehe dringender Bedarf nach etwas Neuem.710 Es ist erstaunlich, welches Potenzial der Kunst und welche Wirkkraft dem Ausstellungsraum hier zugesprochen wurden.711 Das Thema der Relationalität war in der Ausstellung I believe anders präsent als in den zuvor besprochenen Ausstellungsprojekten. So kam zwar die Inspiration für das Projekt aus einem globalen Kontext, doch ging es dem Kurator und den beteiligten Künstlern um eine Anbindung der Kunst an die eigene Gesellschaft. Die Rede von einer Situation des Umbruchs bezog sich hier auf nationale Zusammenhänge und nicht auf globale Phänomene wie den vermeintlichen „Kampf der Kulturen“. Wenngleich die Fragestellung der I believe-Ausstellung nicht so klar vor diesem globalen Themenkomplex zu verorten ist, wurden hier ebenfalls Fragen der Virulenz kollektiver und individueller Glaubensvorstellungen und Weltbilder aufgeworfen und behandelt. Relationalität zielte hier auf die Verbindung der 709 Für auswärtige Besucher sei es schwierig zu beurteilen, ob von hier enorme Impulse ausgehen werden. Vgl. Vogel, Fußnoten einer Ausstellung, a.a.O. Wird das Interesse für russische Kunst wachsen? Werden sich neue Besucherströme formieren? Kommt es zur Entwicklung einer aktiveren Kunstszene? Zu überlegen wäre auch, ob die Beurteilung ausländischer Besucher für das selbst gesetzte Ziel der I believe-Schau überhaupt relevant war. 710 Vgl. Adashevskaya, Dubossarsky, a.a.O., S. 63. Damit ist auch die Reintegration in die internationale Szene gemeint. 711 Zur kuratorischen Geste zählte das Mystische und Spirituelle, nicht das Politsche wie bei Klaus Biesenbach. Die Ausstellung hatte die soziale, politische und gesellschaftliche Situation in Russland zum Thema, wobei es hier allerdings um eine andere Art des Sozialen ging. Wenngleich Kulik von Verbundenheit redete, stand das Soziale nicht wirklich im Zentrum. Er ordnete sich auch nicht in die Geschichte der Kunst oder derartige Vorläuferprojekte ein. Das Provokante war für Kulik also nicht das Kollektive, sondern dass die Künstler etwas Inneres mitteilen. Dies muss sicherlich vor dem Hintergrund der spezifischen Situation in Russland gesehen werden. Vgl. Heartney, Review Moscow Biennale, a.a.O., S. 103.

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Kunstschaffenden untereinander und die Anerkennung in der Öffentlichkeit. Der Wunsch nach Nachhaltigkeit lag also in dem Bestreben, mehr als nur eine „Fußnote“ zu sein.712 Für die Übermittlung seiner Ausstellungsbotschaft griff der Kurator auf die theatralische Ausstellungssprache zurück.

712 So haben die jeweiligen Kuratoren der Moskau-Biennale auf die Frage nach dem Status der Kunst mit „erfrischender Frechheit“ geantwortet und zum Ausdruck gebracht, dass Kunst von immanenter Selbst-Behauptung lebe. Vgl. Vogel, Fußnoten einer Ausstellung, a.a.O.

5.

FAZIT: K U R AT O R I S C H E R B E S U C H E R U M G A N G

5 .1

Z U S A M M E N FA S S U N G

Die Publikation fragte in Anlehnung an Nicholas Bourriauds relationale Ästhetik und weitere Partizipationsdiskurse, ob Ausstellungsräume als soziale Verbindungsräume gestaltet wurden. Diese Fragestellung griff die Autorin mit Rekurs auf diskursive Strömungen auf, die das Museum als Ort für kommunikativen Austausch und als Raum für zwischenmenschliche Begegnung sehen. Somit zielte die vorliegende Studie auf die Überprüfung einer Theorie in der Praxis. Anhand ausgewählter internationaler Fallbeispiele – vier thematische Gruppenausstellungen zeitgenössischer Kunst zum Thema Religion (Choosing my Religion, Die Zehn Gebote, Happy Believers und I believe) – wurden die kuratorischen Arbeitsweisen im Hinblick auf ihr Vermögen, Gemeinschaft zu stiften, untersucht. Die Analyse fand auf Grundlage vielfältigen Quellenmaterials und einer erheblichen methodischen Breite statt. Sie wurde einerseits vorgenommen, um zu zeigen, wie Kuratoren zeitgenössischer Kunst inszenatorisch arbeiten und welcher Gestaltungsspielraum ihnen zur Verfügung steht, zum anderen, um herauszufinden, ob in diesen Ausstellungsprojekten Fragen von Relationalität und sozialer Begegnung virulent waren. Innerhalb eines Formats – der thematischen Gruppenausstellung – sollten also unterschiedliche Ausstellungssprachen, die auf dem Feld der Kunst zu finden sind, untersucht werden. Ziel war es demnach, den Ist-Zustand sozialer Aspekte des zeitgenössischen Kuratierens zu betrachten und das Potenzial für Vermischung, Brückenbildung oder Kontaktaufnahme in Ausstellungen zu untersuchen. Dafür wurden nach einer Einführung in den theoretischen Rahmen, in dem sich die Studie verortete (der Diskurs um Partizipation allgemein und die Theorie der relationalen Ästhetik im konkreten), sowie der Klärung der zugrundegelegten Prämissen (der Ausstellungsraum als politischer Raum und das Verständnis der Verfasserin vom Kurator) mögliche Techniken zur Stiftung von sozialen Räumen vorgestellt. Diese Techniken wurden aufgeführt, um Anhaltspunkte zu bieten, nach denen Ausstellungsräume als soziale Orte verstanden werden können, wie etwa die Offenlegung von Bedingungen, eine Enthierarchisierung der Beziehungen, das Angebot vielfältiger Zugangsmöglichkeiten u.v.m. Hierfür wurde auf Kriterien aus der US-amerikanischen museologischen Besucherforschung rekurriert.

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Die jeweiligen Ausstellungsprojekte wurden in ihren mehrschichtigen ZeigeGesten betrachtet und in einem gedanklichen Bild an einen Tisch gesetzt statt eine Hintereinanderreihung vorzunehmen. Für jedes Projekt wurden die gleichen als „Botschaft“ an den Besucher verstandenen Aspekte untersucht – so weit es die Quellenlage erlaubte. So lagen nicht nur das konkrete Erscheinungsbild des Ausstellungsraumes, des umgebenden Baus und die jeweilige Inszenierung der Exponate im Fokus der Betrachtung, sondern auch die spezifische Themensetzung des individuellen Projektes sowie die kuratorischen Vorstellungen und Arbeitsweisen, zu denen Künstlerauswahl, Kunstverständnis und Selbstbild zählen. Die Studie betrachtete folglich auch die kuratorischen Intentionen, Strategien und Überzeugungen, die auf die Ausstellungen einwirkten. Welche Ausstellungssprachen kamen zum Einsatz? Welches kuratorische Selbstverständnis drückte sich in den Ausstellungsprojekten aus? Die Studie präsentierte vier unterschiedliche Arten, mit Besuchern umzugehen. Zu einem sehr unterschiedlichen Grad und auf mannigfaltige Weise wurden die Ausstellungsräume als Orte zwischenmenschlicher Verbindung gestaltet. Beeinflussend war dafür das Selbstverständnis der jeweiligen Kuratoren und die gewählte Ausstellungssprache. Im Hinblick auf die gewählte Rolle als Ausstellungsmacher zeigten die Kuratoren unterschiedliche Muster: Choosing my Religion stand für eine negierende, distanzierte Haltung, die Kuratorin sah ihre Rolle als unsichtbare Kunstdienende im Hintergrund. Die Zehn Gebote gab einerseits einen pädagogischen Ansatz wider, andererseits trat die erste Stimme als Verstörer der Besucherwahrnehmung und politischer Botschaften-Überbringer auf. Die Kuratoren der Schau Happy Believers positionierten sich als Team von Kulturproduzenten. Und der Kurator der I believe-Ausstellung „mimte“ den Guru und Künstler. Jede der Ausstellungen zeigte eine eigene Mischung an Display-Techniken. Für das Projekt Choosing my Religion verwendete die Kuratorin Madeleine Schuppli das White-Cube-Format, zu einem geringen Teil fanden sich auch kontextualisierende Inszenierungselemente. Die Zehn Gebote-Ausstellung war sowohl durch den White Cube als auch durch Referenzen an das kulturhistorische Zeigen gekennzeichnet und wies ferner konstruktivistische Züge auf. Die Ausstellungsmacher der 7. Werkleitz Biennale Happy Believers griffen nur zu einem geringen Grad auf den White Cube als Inszenierungsmittel zurück, arbeiteten aber verstärkt mit kontextualisierten Displays und dem Format der Biennale (Event als Geste). Die Ausstellung I believe, bot keine White-Cube-Techniken und vermittelte sich in erster Linie durch einen kontextuellen Ansatz sowie den Eventcharakter als Biennale. Im folgenden sollen die einzelnen Ausstellungsprojekte in ihren Ergebnissen zusammengefasst werden. Die Ausstellung Choosing my Religion ließ sich einer ästhetischen Ausstellungssprache zuordnen, welche die Form der Objekte in den Vordergrund stellt und

Fazit: Kuratorischer Besucherumgang

Kunstgenuss ermöglicht: Das Schöne und in seiner Einmaligkeit vereinzelte Objekt sowie ein wie auch immer umschriebener Kunstgenuss waren hier wichtig. Von den Besuchern wurde inneres „Mitschwingen“ erwartet. Die als Kunstwerke positionierten Gegenstände sollten den Besucher durch ihre Schönheit direkt ansprechen und ihn zu einem sinnstiftenden Erleben führen. Die Objektmenge war eher klein gehalten. Erläuterungen wurden bei dieser Ausstellungssprache als störend empfunden und waren deshalb nur spärlich vorhanden, von den Objekten getrennt und optisch zurückgenommen. Als Inszenierungsmittel kamen „vornehme“ Materialen zum Einsatz, eine „kunstvolle“ Hängung und eine geschickte Lichtregie; der Fokus lag auf der Präsentation von Originalen. Außer über die Ästhetik der Räume adressierte die Ausstellungsmacherin ihr Publikum über die Heterogenität des Gezeigten. So versuchte die Kuratorin mehrere Zugänge zur Ausstellung anzubieten. Dazu zählten unterschiedliche Methoden der Objekt- und Raumbeleuchtung und die Auswahl der Kunstwerke. Bei letzterem bemühte sie sich um die Einbeziehung unterschiedlicher künstlerischer Medien, eine thematische Bandbreite des Ausstellungsinhaltes und achtete auf eine Diversifikation in der kulturellen, religiösen und nationalen Herkunft der Kunstschaffenden. Madeleine Schuppli griff außerdem auf die Definition eines Schlüsselwerkes, die Platzierung der Exponate (bspw. erfolgte eine Vereinzelung der Objekte), die Setzung von Sichtachsen, sowie die inhaltliche Zusammenstellung und Kontextualisierung einzelner Werke zurück. Die Inszenierungsart, die im Rahmen der Zehn Gebote-Ausstellung zum Tragen kam, kann dem didaktischen Ausstellungstypus zugeordnet werden. Gewisse Aspekte der didaktischen Ausstellungssprache können auch durch imperative Züge definiert sein, dazu zählt etwa die Aufforderung zum Lernen, was sich in der Ausstellung zeigte. Die didaktische Ausstellungssprache verwies hier auf die Bedeutung der Objekte und vermittelte Wissen. Die Wissensvermittlung erfolgte zum Beispiel durch eine narrative Anordnung der Objekte. Bei der didaktischen Ausstellungssprache wird, wie ausgeführt, davon ausgegangen, dass mit einer diskursiven Annäherung möglichst nahe an eine auf Fakten basierende zeitgenössische Realität angeschlossen werden kann. Dem Objekt wird hier eine Vermittlerrolle zugeschrieben: Durch ein didaktisch gelenktes Betrachten von Gebrauchsgegenständen, deren funktioneller Aspekt hervorgehoben wird, sollen Geschichten verständlich gemacht werden. Es kann auch vorkommen, dass Objekte als reine Illustration des Textes in den Hintergrund gedrängt werden. Für Die Zehn Gebote bedeutete dies, dass durch derat didaktisch gelenktes Betrachten in Form einer klar strukturierten Ausstellungsnarration, etwa mittels Erklärungstafeln etc., der inhaltliche Aspekt der Exponate hervorgehoben werden sollte, um damit aktuelle (gesellschafts-)politische Zusammenhänge deutlich zu machen. Wichtig ist auch, dass die erläuternden Medien hier mindestens die gleiche Gewichtung wie die zeigenden Medien haben – dies traf im Deutschen Hygiene-Museum etwa auf den gleichwertigen

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Kuratoren und Besucher

Status der Weltkarten und der Kunstobjekte zu. Bei der Zehn Gebote-Ausstellung trat zusätzlich zu dem kulturhistorischen Museumskontext und der didaktischen Ausstellungssprache der White Cube als Präsentationsformat hinzu. Im Konkreten konzipierten die verantwortlichen Akteure zum Beispiel einen dreifachen Einführungsbereich, der die Besucher auf mannigfaltige Weise in das Thema einstimmen sollte. Ferner bot die Schau eine klare Struktur und lineare Wegführung der Besucher. Es wurde Vielfalt in den gezeigten Exponaten angestrebt. Heterogenität drückte sich auch in der Einsetzung eines kuratorischen Teams und unterschiedlichen Zugangsweisen aus, wie etwa durch Interpretationsangebote mit Wandtexten im Ausstellungsraum. Letzter Punkt führte zu einer gewissen Sichtbarkeit der „ersten Stimme“. Auch die Berufung eines externen Kurators an das Deutsche Hygiene-Museum Dresden machte die Person des Ausstellungmachers teils sichtbar. Trotzdem wurde die Kunst an sich als unhinterfragbar präsentiert, die kuratorischen Arbeitsweisen wurden im Katalog nicht thematisiert, wozu auch die Definition der Exponate als „Kunst“ in Kombination mit der Idee dokumentarischer Abbilder der Wirklichkeit beitrug. Zwar stand nicht wie im Kunstmuseum Thun das auratische Einzelwerk im Zentrum, jedoch fand sich in Die Zehn Gebote ebenfalls eine autoritäre Geste: Klaus Biesenbachs Verständnis vom Besucher war vom Anspruch, „verstören zu wollen“ genährt. Autorschaft wurde nicht aus der Hand gegeben, Gemeinschaft und Aktivierung standen bei der Inszenierung nicht zur Debatte. Von der Themensetzung her nahm das Projekt jedoch stark die Frage von Gemeinschaft und globaler Gesellschaft auf. Da nicht primär die Begegnung mit Kunst im Zentrum stand, sondern die Auseinandersetzung mit einem Thema, führte die Ausstellung von den Kunstgegenständen weg. Die Ausstellungssprache, die in der 7. Werkleitz Biennale Happy Believers zur Anwendung kam, setzte sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen. Zum einen handelte es sich hier um das Format der Biennale (also ein Event mit Festivalcharakter). Zum anderen stellte der Ausstellungsort, ein umgewidmetes Gebäude, eine zusätzliche Bedeutungsebene dar. Happy Believers stand bewusst für die Nutzbarmachung von Räumen, die eine starke Konnotation aufweisen, sie grenzte sich damit deutlich von Räumlichkeiten ab, die durch vemeintliche Neutralität geprägt waren, was auch im Zusammenhang mit der Bemühung um neue Besuchergruppen stand.713 Diese Form von Ausstellungsarealen forderte eine gewisse Art von Betrachtertypus, der sich engagiert auf die Reise zum Veranstaltungsort begibt – im Gegensatz zum klassischen Museum, das sich häufig an zentralen, gut erreichbaren Orten befindet. Bei der Schau handelte es sich in gewissem Sinne um eine „Erlebnisausstellung“, womit eine dramatische Ausstellung gemeint ist. Die Differenz von Besucher und Exponat war hier von einer anderen Qualität als in 713 Vgl. Ferguson, a.a.O., S. 54. Die Bezeichnung „vom Tempel zur Grotte“ bringt das gut zum Ausdruck. Diese Entwicklung zeigt die gegenwärtigen Widersprüchlichkeiten in der Suche nach neuen Audiences.

Fazit: Kuratorischer Besucherumgang

Ausstellungen normalerweise üblich. Die Ausstellung wurde als eine spielerisch zu erkundende Welt erlebt. Das Exponat wurde zum funktionellen Bestandteil der Kulisse. Die Kulisse aber war der Entfaltungsraum für das Handeln des Besuchers, der sich für die Dauer seines Besuchs eine andere Identität ausleihen konnte. Er wurde zu einem Abenteuer-Ich. Selbstorganisierte Modelle im Kunstbetrieb haben einen mehr forschenden Charakter und hinterfragen gegebene Vorbedingungen. Außerdem weisen diese selbstorganisierten Parallel-Institutionen verstärkt kollaborative Praktiken auf – wie bei der Werkleitz Biennale deutlich wurde. Das Präsentationskonzept der Schau Happy Believers stand für einen alternativen Ort, für einen Off-Space, wenngleich sie auch institutionelle Züge trug, unter anderem durch ihren Status als Verein, den inzwischen institutionellen Charakter des alle zwei Jahre stattfindenden Festivals. Aufgrund einzelner White-Cube-Abschnitte in der Ausstellung und teils klassischer Denkweisen der Kuratoren im Hinblick auf Kunstbegriff, Ausstellungssprache und Publikum, fanden sich hier auch Versatzstücke der ästhetischen Ausstellungssprache. Zum Merkmal der Biennale zählte zudem das Mischformat zwischen Kunstbiennale und kuratiertem Filmfestival. Ferner fanden sich Aspekte dialogisch orientierter Zeigegesten, die eher einen Diskussionsraum als einen Reflexionsraum produzieren. Wenngleich die I believe-Ausstellung im Rahmen der 2. Moskau Biennale stattfand, war hier das Format der Biennale, sowohl aufgrund der nationalen Ausrichtung in Form der Fragestellung als auch der Beteiligung ausschließlich russischer Künstler an der Schau, nicht primär prägend im Vergleich zur 7. Werkleitz Biennale. Trotz des Themenstranges der Kunstreligion, der sich in der Selbstinszenierung des Kurators und in dessen Kunstverständnis äußerte, stand eine formalästhetische Betrachtung und Präsentation der Exponate nicht im Vordergrund. Dafür waren die ausgewählten Werke zu narrativ, auch aufgrund der von ihnen vermittelten subjektiven Glaubensvorstellungen. Aufgrund der Dominanz der KünstlerKurator-Rolle lässt sich diesem Projekt eine theatralische Ausstellungssprache zuordnen. Diese schafft durch Objektensembles Erlebnisräume, sie zielt auf Erlebnisse, Stimmung und emotionale Anteilnahme des Besuchers. Das Einzelobjekt verschwindet in einem Arrangement, damit ein Gesamtbild entsteht. Der Kurator der Ausstellung I believe, Oleg Kulik, war im Rahmen des Ausstellungsprojektes sehr präsent. Er positionierte sich mit seinem Namen auf dem Einführungstext zur Ausstellung, ließ sich im Katalog vor den Kunstwerken der beteiligten Künstler abbilden und fungierte im Vorfeld der Ausstellung als spiritueller Anführer, der die Diskussionsveranstaltungen moderierte. Die von Kulik vorgenommene Positionierung und Offenlegung erfolgte hier also nicht im Sinne der Aufhebung von Autorschaft oder der Beteiligung möglichst vieler Akteure mit dem Zweck der Selbstermächtigung. Statt einer emanzipierenden, aktivierenden Offenlegung ging es hier um ein durchkomponiertes Gesamtkunstwerk. Seine Offenlegung diente einer weiteren Kultivierung von „Genialität“. Die Schau I believe zeichnete

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Kuratoren und Besucher

sich durch ein theatralisches Setting aus. Dies wurde nicht nur anhand der unterschiedlichen Rollen deutlich, die der Kurator ausfüllte, sondern auch aufgrund der Verwicklung des Betrachters. Der erste Eindruck war von einem fackelgesäumten Weg, dem Passieren einer Sicherheitsschranke, dem Abstieg in dunkle Gemäuer und der Einnebelung des Ausstellungsraumes bestimmt. Aura und Gefühl waren hier dem Sehenlernen vorgezogen. Alle vier untersuchten Ausstellungsprojekte wiesen eine Besucherorientierung insofern auf, als dass die Kuratoren wünschten, die Betrachter mögen mit qualitativ hochwertigen, relevanten Arbeiten in Kontakt kommen und etwas über Kunst lernen. In der Ausstellung Happy Believers zeigte sich jedoch der höchste Anteil an besucherfreundlichen Elementen, das größte Potenzial für kollektives Erleben, wenngleich die „Kulturproduzenten“ auch hier bemüht waren, den Konventionen des Kunstbetriebs zu folgen. Die untersuchten Ausstellungen entfalteten sich vor dem gesellschaftspolitischen Religionsdiskurs über Abgrenzungen und Konflikte und folgten in ihren Inszenierungsarten – ob bewusst oder unbewusst – der Mainstream-Auslegung des Konflikt-Paradigmas (Separierung), statt gezielt Verbindungen oder Kontakte zu initiieren. Das Potenzial des Ausstellungsraumes, gemeinschaftsstiftend zu wirken und Ort der sozialen Verbindungen zu sein, wurde nur ansatzweise und abhängig von der gewählten Ausstellungssprache und dem Selbstverständnis der Kuratoren ausgeschöpft. Die Debatte um die relationale und transformierende Wirkkraft von Ausstellungen ließ sich somit in der Praxis des Kuratierens nicht finden, auch wenn sich vereinzelt partizipatorische Elemente zeigten.

5.2

ERKLÄRUNG

Wie in der Analyse der vier Ausstellungsprojekte deutlich wurde, stand der verstärkten Anwendung relationaler Praktiken teilweise das Selbstverständnis der Ausstellungsmacher im Weg. Auch der Kunstbegriff lief dem zuwider und war hinderlich. Als Erklärung für die geringe Gruppenbildung und die Individualisierung in den untersuchten Ausstellungen kann außerdem angeführt werden, dass das Format der Gruppenausstellung nicht schon per se ein vielversprechendes Format ist, wie von Irit Rogoff und Okwui Enwezor behauptet. Die Untersuchung hat gezeigt, dass das Potenzial dieses Formats davon abhängt, wie man es nutzt. Eine thematische Gruppenausstellung an sich garantiert nicht automatisch, dass viele Akteure tatsächlich zusammen kommen. Dazu sind weitere Mittel notwendig, wie im Techniken-Kapitel anhand der Schlagworte: Sehenlernen, Positionierung, Offenlegung, partnerschaftliches Besucherbild, Besucherkomfort etc. gezeigt wurde. Darüber hinaus lassen sich weitere Punkte zur Erklärung

Fazit: Kuratorischer Besucherumgang

anführen. So mögen für die geringe Relationalität einfache Ursachen vorliegen, wie etwa, dass die Kuratoren auf das Format der Themenausstellung zurückgriffen, weil das Format an sich momentan populär ist, und nicht, weil es ihnen um die Gruppenbildung ging oder sie an die Veränderungskraft von Ausstellungen glaubten. Womöglich lagen ganz pragmatische Gründe für den Mangel an Gemeinschaftsstiftung vor, so etwa die zielgerichtete Positionierung der Institution, der „Marktwert“ oder das „Überleben“ als öffentlich anerkannte Institution. Systemimmanente, institutionell bedingte Ursachen können auch die Vorgaben der Institutionen sowie der Bildungsauftrag sein, der auf Reflexion und nicht auf Agitation zielt. Als weiterer Grund wäre auch daran zu denken, dass bislang nicht hinreichend kuratorische Techniken existieren, um Kollektivformen zu erzeugen. So sind eventuell neue kuratorische Modelle der Ansprache, Aktivierung und Kollektivität noch nicht zu Ende gedacht, oder die bestehenden Mittel sind dafür vielleicht noch nicht ausreichend. Außer den strukturellen Erklärungen können auch persönliche Ursachen, wie die Gewohnheit im Umgang mit einem bestimmten Format oder der Druck, sich zu legitimieren, für die gewählten Präsentationsformate ausschlaggebend gewesen sein. Gerade bei partizipatorischen Ansätzen in der Kunstpraxis geht es ja um die Infragestellung des Autors, ein Umstand, der mit der Fokussierung auf Autorschaft im Themenkomplex Curating kollidiert.714 Im Zusammenhang mit Curating ist auch anzuführen, dass Kuratoren ihr Renommee über Künstlerkontakte und bedeutungsgenerierende Verfahren beziehen, selten über Besucher und Vorhaben, die von den Exponaten wegführen. Ein weiterer Grund für die mangelnde Bemühung um soziale Begegnungen und Besucherkomfort im Ausstellungsraum könnte die Sorge um tatsächliche Selbstermächtigung der Beteiligten sein: Die Vermeidung von Gruppenbildungen (und damit die Stärkung von Individualisierung) erklärt Marchart mit der „bedrohlichen Kraft der Gruppe“. So schreibt er in Bezug auf Gramsci oder Althusser: „Es wird sich dabei immer um ‚Freiheit‘ im Sinne eines abstrakten Ideals individueller Freiheit handeln und nie um konkrete kollektive Befreiung. Denn das hieße ja, man müsste den Schein der Neutralität aufgeben und politische Gegenposition beziehen.“715 Auch sind bestimmte Strategien in der Praxis schwer durchzusetzen.716 Die Forderungen, Museen und öffentlich geförderte Kunsträume als Orte breit verfügbarer Bildungschancen, selbstgesteuerten Lernens, kritischer Lektüre und Teilhabe an der Repräsentation zu entwickeln, evozieren institutionelle Konflikte. So argumentiert die englische Ethnologin Mary Douglas, dass Institutionen auf 714 Als Grund für das Scheitern von Partizipation sieht Kravagna, dass der Autor in Frage gestellt wird. Vgl. Kravagna, Arbeit an der Gemeinschaft, a.a.O., S. 30f. 715 Vgl. Marchart, a.a.O., S. 45. 716 Vgl. ebd, S. 41.

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Kuratoren und Besucher

statische Selbsterhaltung aus sind und sich gegenüber Dynamisierungen dementsprechend konservativ verhalten. Daher ist die selbstinitiierte Störung der eigenen Ausschlussmechanismen und Repräsentationen für eine Institution ein paradoxes Unterfangen.717 Das Museum „für alle“ sieht ebenso wie das Museum der „Partizipation“ und jenes der „Repräsentation marginalisierter Positionen“ keinen Raum für eine Veränderung der Verteilung von Definitionsmacht vor.718 „Das Museum schützt nicht nur seine Schätze, sondern sich selbst vor allem, was seine Autorität untergraben könnte.“719 Dass kein Paradigmenwechsel auszumachen ist, erklärt sich auch dadurch, dass sich all diese historischen Entwicklungsstufen des Ausstellungswesens – wie etwa der White Cube – zumindest in Relikten bis heute erhalten haben.720 Zu guter Letzt ist auch der Ansatz von Bourriaud zu problematisieren. Auf allgemeinerer Ebene wird bei partizipatorischen, kollaborativen Projekten nämlich generell gefragt, ob es überhaupt einen Unterschied mache, welche mannigfaltigen Formen künstlerischer Kooperationen der Entstehung eines Werkes zugrunde liegen, oder ob das Kunstwerk irgendeine andere Form kultureller Produktion sei. Sind Kollaborationen „bessere“ Methoden, die „bessere“ Ergebnisse bringen?721 Wenngleich Bourriaud als Anlass für den Anstoß von Austauschprozessen und die Initiation von Beziehungen die zu überwindenden Kommunikationsgräben nennt, sieht der Kunstkritiker Foster diesen kompensatorischen Ansatz im Kunstfeld als einen eher schwachen Teil-Ersatz für die mangelnde Partizipation in anderen Sphären. Er bezweifelt damit die Fähigkeit der Künstler, die sozialen Lücken zu füllen.722 Ferner führt die Londoner Kunstkritikerin Bishop an, dass sich Bourriauds überaus einflussreiches, aktuelles und kritisches Konzept, das vermeintlich neue Bereiche der Kunst wertschätzen will und auf eine neue Verbindung von Politik, Kunst und Gemeinschaft (community) abzielt, selbst eingrenze und ein717 Vgl. Mörsch, Verfahren, a.a.O., S. 28. 718 Nora Sternfeld verweist auf eine Unterscheidung, die zahlreiche feministische Positionen seit den 1970er Jahren vorgenommen haben: Nämlich die Differenz zwischen Repräsentation im Sinn von Sichtbarkeit und jener im Sinn von Definitionsmacht. Vgl. Sternfeld, Nora: „Raus aus dem Mainstream! Rein in den Mainstream! Hegemonie erringen oder vermeiden“, unter: http://www.linksnet.de/artikel.php?id=2929. 719 Belting, a.a.O., S. 41. 720 Pöhlmann, a.a.O., S. 36ff. 721 Vgl. Lind, The collaborative turn, a.a.O., S. 29. Lind verweist auf das kuratorische Kollektiv „What, How & for Whom“. Die Gruppe findet, dass Kollaborationen möglich machen, was sonst unmöglich ist. Auch Miwon Kwon stellt Fragen zu den und über die motivierenden Faktoren für partizipatorische Projekte. Vgl. Kwon, Miwon, a.a.O., S. 168. Kwon weist unter anderem auf die Gefahr hin potenzielle Gemeinschaften zu essenzialisieren und Kunst auf eine festgelegte Agenda zu beschränken, wie bereits in der Einleitung genannt. Siehe auch: Kwon, Miwon: One Place After Another, a.a.O. 722 Vgl. Foster, Chat Rooms, a.a.O., S. 194. Foster mutmaßt, dass Diskursivität und Soziabilität im Kunstbetrieb so virulent sind, weil sie in anderen Bereichen momentan selten anzutreffen sind.

Fazit: Kuratorischer Besucherumgang

schränke, indem es eine ganze Reihe von Projekten in ein bereits bekanntes Kunstverständnis „einfriede“. Das heißt, dass im Diskurs über die relationale Ästhetik nicht nur divergierende künstlerische Praktiken „verkunstet“ werden, sondern hier auch eine Reduzierung der möglichen politischen Effekte auf einige romantische Ideen über das Veränderungspotenzial von Kunst erfolgt.723

5.3

S CHLUS SGEDANKE

Auch wenn der Anspruch, Kuratoren mögen als social agents wirken, in gewisser Hinsicht zu kritisieren ist, plädiert die Autorin im Allgemeinen für das Format der Ausstellung als Instrument, für den Ausstellungsraum als zwischenmenschlichen Begeg nungsraum sowie für die Imagination und Erschaffung neuer Praktiken. So gibt es nennenswerte Vorzüge von Ausstellungen: Es existiert keine Konkurrenz (wenn man den Ausstellungsraum nicht als hegemonialen Raum sieht), Besucher können kommen und gehen, sie können sich auf das konzentrieren, was sie am meisten interessiert, und die Atmosphäre ist im Vergleich zur Schule bspw. unstrukturiert und entspannt.724 Jedoch wäre es hilfreich, verschiedene andere Modelle zu denken. Okwui Enwezor etwa thematisiert die Modifikation der bereits vorhandenen Präsentationsformate: „I think we really have to find different forms and ways of playing with making exhibitions.“725 An anderer Stelle plädiert der Kurator und Theoretiker dafür, generell neue Präsentationsmodelle außer Ausstellungen zu erfinden.726 Möglich wäre auch, an den Rändern der bestehenden Institutionen zu arbeiten, solange neue Institutionen 723 Bishop beobachtete auch, dass einige kuratorische Vorgehensweisen – oftmals mit der bereitwilligen Unterstützung der Beteiligten – dazu beisteuern, dass solche Aktivitäten, wie etwa eine kleine Geste, eine Serie von Tätigkeiten inklusive ihrer Nebenprodukte, zu Kunst transformiert, als „Arbeit“ zu bezeichnen wären. Vgl. Bishop, Participation, a.a.O., S. 13. 724 Vgl. Waidacher, a.a.O., S. 129. 725 Enwezor, Curating Beyond the Canon, a.a.O., S. 120. Enwezor äußerte in der Publikation Curating Subjects, dass er das „agency“-Modell vielversprechend fand. Gerade mit Blick auf das westliche Modell von Otherness seien neue Modelle erforderlich. Es müssten neue Formate gefunden werden und Wege, um mit den Möglichkeiten des Ausstellungmachens zu spielen. Als bestes Beispiel nennt er das „agency“-Modell vom Institute of International Visual Arts (inIVA) in London. Statt auf die Situation einer Unterdrückung zu blicken, richtet das agency-Modell sein Hauptaugenmerk auf die Optionen, die Marginalisierten in unterschiedlichen Regionen, sozialen Klassen oder Lebensphasen zu verschiedenen Zeiten offen gestanden haben, ohne die Einschränkungen der Handlungsmöglichkeiten aus dem Blick zu verlieren. 726 Zu erwähnen ist, dass sein Plädoyer im Zusammenhang mit der Einbeziehung europäischer Migranten steht. Er fordert, dass die europäische Kunstbiennale Manifesta Präsentationsformate erfinden solle, welche auch die europäischen Migranten stärker berücksichtigen und adressieren. Vgl. Enwezor, Tebbit’s Ghost, a.a.O., S. 184f.

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nicht erfunden sind, die „als Teil eines breiteren gegenhegemonialen Projekts“ 727 gerechnet werden können. Somit tut sich eine Wahlmöglichkeit zwischen der Erfindung neuer Formate und der Überarbeitung und Verbesserung der existierenden Präsentationsmodelle auf. Generell wird jedoch deutlich, dass es die Möglichkeit gibt, sich Arbeitsweisen und Institutionen anders vorzustellen. Und bereits die Vorstellungskraft birgt Veränderungspotenzial: „Thought is action“.728 Da die Diskursivierung des Feldes Curating noch nicht abgeschlossen ist und auch Ausstellungen Nachwirkungen haben und über ihren Rahmen hinausgehen, befinden sich kuratorische ZeigeGesten und Ausstellungsprojekte im steten Wandel. Hier bedarf es weiterer Forschungsarbeiten, die sich ebenfalls im neuen Forschungsgebiet „Curating“ verorten und die Bandbreite an Inszenierungsmöglichkeiten im Speziellen von zeitgenössischer Kunst aufzeigen. Da hier ein erster Beitrag zur Erforschung des Innovationspotenzials der Themenausstellung geleistet wurde, wären weitere Studien wünschenswert, welche entweder anhand anderer thematischer Ausstellungen den kuratorischen Gestaltungsspielraum verfolgen oder die virulente Frage nach Partizipation und Relationalität auf andere Präsentationsformate übertragen.

727 Marchart, a.a.O., S. 49. Irit Rogoff macht sich stark für eine Abkehr vom Museum. Vgl. Rogoff, Schmuggeln, Mise en scène, a.a.O., S. 41. 728 Siehe hier das Plädoyer von Charles Esche, sich etwas Anderes vorzustellen: Vgl. Esche, Europa, a.a.O., S. 114. Das Schlagwort „Thought is action“ geht auf Irit Rogoff zurück.

6.

ANHANG

6 .1

QUELLEN

Unveröffentlichte Quellen:

Interview mit Anja Sommer, Kuratorin am Deutschen Hygiene-Museum Dresden am 27. April 2006. Interview mit Angelika Richter, Kuratorin und bis März 2006 künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Werkleitz Gesellschaft e.V., am 7. September 2006. Interview mit Madeleine Schuppli, bis November 2007 Direktorin und Kuratorin am Kunstmuseum Thun (jetzt Direktorin am Aargauer Kunsthaus), am 15. September 2006. Interview mit Anke Hoffmann, freie Kuratorin, Kuratorin der 7. Werkleitz Biennale, am 8. Dezember 2006. Briefwechsel Oleg Kulik, Künstler und Kurator, mit Maren Ziese am 6. März 2007. Interview mit Oleg Kulik, Kurator der Ausstellung I believe, am 23. März 2007. Gespräch Victor Ribas, Künstler, am 23. März 2007. Gespräch Ruth Sahner, Organisationsteam Werkleitz, am 8. Dezember 2006.

Veröffentlichte Quellen: Texte der Kuratoren/Direktoren und Ausstellungskataloge/Materialien

Biesenbach, Klaus (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004. Biesenbach, Klaus: „Von Werten und Welten“, in: ders. (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 10–15. Biesenbach, Klaus: In Bildern denken. Kunst, Medien und Ethik, Regensburg 2007. Hoffmann, Anke u.a. (Kuratorium): „Happy Believers“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006, S. 6. Hoffmann, Anke u.a.: „Religion, Religiösität, Glaube. Eine Gespräch zwischen Anke Hoffmann, Jörg Hermann und Jörg Metelmann“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006, S. 26–29.

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Kulik, Oleg: „Artists‘s Favourites“, in: Spike, 12/2007, S. 6–7. Kulik, Oleg: Nothing inhuman is alien to me, Bielefeld 2007. Ovesen, Solveig Helweg: „Der Thron bleibt leer“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006, S. 66–69. Richter, Angelika: „Von Ikonen, Idolen, Avataren und anderen Stellvertretern“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006, S.76–81. Schuppli, Madeleine (Hg.): Choosing my Religion, Broschüre zur Ausstellung „Choosing my Religion“, Thun 2006. Schuppli, Madeleine (Hg.): Choosing my Religion, Faltblatt zur Ausstellung „Choosing my Religion“, Thun 2006. Schuppli, Madeleine u.a.: „Dialog über das ‚Neue Ausstellen‘“, in: Kunstforum International, Kuratoren-Dialog, round table mit ders., Martin Beck, Moritz Küng, Harm Lux und Dorothea Strauss, Bd. 186, Juli 2007, S. 109–131. Schuppli, Madeleine: „Neues Ausstellen“, in: Kunstforum International, Dialog und Tagung mit Kuratoren, Interview, Bd. 186, Juli 2007, S. 107. Schwierin, Marcel u.a.: „Willkommen zur 7. Biennale“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006, S.4. Sommer, Anja: „Zeitgenössische Kunst und Ethik. Beispiele aus der Ausstellung ‚Die Zehn Gebote‘“, in: Liebelt, Udo/Metzger, Folker (Hg.): Vom Geiste der Dinge. Das Museum als Forum für Ethik und Religion, Bielefeld 2005, S. 170–172. Staupe, Gisela/Vogel, Klaus: „Vorwort“, in: Biesenbach, Klaus (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 7. Staupe, Gisela: „Szenografie in Ausstellungen!“, in: DASA: Szenographie in Ausstellungen und Museen. Beiträge zum Kolloquium vom November 2000 in der DASA, S. 124–131. Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006. Terzic, Zoran: „Gott Design: Ein kurzer Leitfaden zur Transzendenz“, in: Stösser, Monika u.a. (Hg.): Happy Believers, Katalog zur 7. Werkleitz Biennale, Halle 2006, S. 9–13. Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007. Vogel, Klaus: „Die inszenierte Ausstellung – einziger Weg in die Zukunft?“, in: Deutscher Museumsbund (Hg.): Museumskunde. Museen gestalten Zukunft – Perspektiven im 21. Jahrhundert, Bd. 71, Berlin 2006. Werkleitz Gesellschaft e.V. (Hg.): Infoheft der Werkleitz Gesellschaft, Tornitz 2006. Zorn, Peter: „Die wahre Geschichte der Werkleitz Gesellschaft oder: Wie man den pragmatischen Utopismus lieben lernt“, in: Werkleitz Gesellschaft (Hg.): Das tätowierte Schwein. 10 Jahre Werkleitz Gesellschaft, Tornitz 2003, S. 7–27.

Anhang Pressespiegel und einzelne Rezensionen

Choosing my Religion, Thun Kunstmuseum Thun (Hg.): Pressespiegel „Choosing my Religion“, 15.09.– 19.11.2006. Rüttimann, Sylvia: „Verabredung mit Gott“, in: artnet Magazin, November 2006: http://www.artnet.de/magazine_de/reviews/ruettimann/ruettimann11-08-06. asp. Die Zehn Gebote, Dresden Behrmann, Carolin: „Review zur Ausstellung ‚Die Zehn Gebote‘“, in: ArtHist – Kunstgeschichte im Internet, 2004: www.arthist.net/DocExpoE.html. Deutsches Hygiene-Museum (Hg.): Ausgewählte Pressestimmen „Die Zehn Gebote. Politik Moral Gesellschaft“, 19.06.2004–02.01.2005. Gerhards, Carsten: „Konstruktion von Atmosphären“, in: Kilger, Gerhard/MüllerKulmann, Wolfgang: Szenographie in Ausstellungen und Museen II, Essen 2006, S. 204–211. Hodonyi, Robert: „Antikapitalismus als Religion“, in: die tageszeitung, 14.07.2004. Kilger, Gerhard (Hg.): Szenografie in Ausstellungen und Museen, Kolloquium vom 23.–24.11.2000, Essen 2004. Kipphoff, Petra: „Und tschüs“, in: DIE ZEIT, 08.07.2004. Schulze, Karin: „Du sollst nicht kaufen zu niedrigen Preisen“, in: Financial Times Deutschland, 23.06.2004. Siemons, Mark: „Fluch der Verflüchtigung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.06.2004. Stockhausen, Tilmann v.: „Die Zukunft des Deutschen Hygiene-Museum“, in: kritische berichte, 3/2002, S. 51–54. Vollmer, Antje: „Genau im Zwischenraum. Der Initiator Klaus Biesenbach“, Interview mit Klaus Biesenbach, in: Modernica, Kunst im Augenblick, No. 1, 16.09.2006, Berlin 2006, o.S Happy Believers, Halle Kaufhold, Marcella: „Dran glauben (...)“, aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. Kowa, Günter: „Die Suche nach dem Glück des Glaubens“, in: Mitteldeutsche Zeitung, 07.09.06, S. 8, aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. Kowa, Günter: „Gottsucher, wohin man auch schaut“, aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“. Sladeck, Eleonore: „Happy Believers“, in: epd film, S. 15, aus: Werkleitz Gesellschaft e.V.: Pressespiegel 7. Werkleitz Biennale „Happy Believers“.

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Kuratoren und Besucher

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Anhang

rezensiert für H-Museum, H-NET Network für Museen und Museumsarbeit 2005: http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=h-museum& month=0506&week=b&msg=J%2Bxf0FCS2gC1VpsUcIO8Kw&user=&pw=. Kittlausz, Viktor/Pauleit, Winfried: „Einleitung“, in: Kittlausz, Viktor/Pauleit, Winfried (Hg.): Kunst, Museum, Kontexte. Perspektiven der Kunst- und Kulturvermittlung, Bielefeld 2006, S. 11–24. Klein, Alexander: Expositum: Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit, Bielefeld 2004. Klüser, Bernd/Hegewisch, Katharina: Die Kunst der Ausstellung. Eine Dokumentation dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts, Frankfurt am Main u.a. 1991. Knopp, Reinhold/Nell, Karin (Hg.): Keywork. Neue Wege in der Kultur- und Bildungsarbeit mit Älteren, Bielefeld 2007. Knutson, Karen: „Creating a space for Learning: Curators, Educators and the Implied Audience“, in: Leinhardt, Gaea u.a. (Hg.): Learning Conversations in Museum, Mahwah 2002, S. 5–44. Kohl, Manuela: Kunstmuseen und ihre Besucher, Wiesbaden 2006. Korff, Gottfried: „Das ethnographische Museum: Schule des Befremdens?“, in: Times, Places, Passages. Ethnological Approaches in the Millenium, 7th SIEFConference, Budapest 2001, S. 133–149. Koval, Lindsay M.: „Recent Exhibitions. Exploring Religious Art“, in: Heller, Ena Giurescu (Hg.): Reluctant Partners. Art and Religion in Dialogue, New York 2004, S. 180–181. Krämer, H./John, H. (Hg.): Zum Bedeutungswandel der Kunstmuseen, Positionen und Visionen zu Inszenierung, Dokumentation und Vermittlung, Nürnberg 1998. Krause-Wahl, Antje: „Nachbarschaften. Reflexionen zum „künstlerischen Schaffen“ in der Informationsgesellschaft. Der Film Vicinato II, relationale Ästhetik und immaterielle Arbeit“, in Weltzien, Friedrich/Volkmann, Amrei (Hg.): Modelle künstlerischer Produktion. Architektur, Kunst, Literatur, Philosophie, Tanz, Berlin 2003, S. 99–109. Krause-Wahl, Antje: Konstruktionen von Identität, Renée Green, Tracey Emin, Rirkrit Tiravanija, München 2006. Kravagna, Christian (Hg.): Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen, Köln 2001. Kravagna, Christian: „Arbeit an der Gemeinschaft. Modelle partizipatorischer Praxis“, in: Babias, Marius/Könneke, Achim (Hg.): Die Kunst des Öffentlichen, Dresden 1998, S. 28–47. Kravagna, Christian: „White Cube“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 302–305.

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eines Forschungsprojektes 2005–2007“, in: dies. (Hg.): Ausstellungs-Displays, ICS Dokumentation zum Forschungsprojekt 2005–2007, Zürich 2007, S. 4–7. Schade, Sigrid: „Neues Ausstellen, Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen“, in: dies. (Hg.): Ausstellungs-Displays, ICS Dokumentation zum Forschungsprojekt 2005–2007, Zürich 2007, S. 53. Schaffer, Johanna/Wischer, Miriam: „Zu Perspektiven kritischer Praxis – in einem identifikatorischen Sinn: ‚Pragmatopie‘ oder das gewisse Etwas der Kollektivität“, in: Kravagna, Christian (Hg.): Agenda. Perspektiven kritischer Kunst, Wien 2000, S. 42–58. Schafhausen, Nicolaus: „Kunstvermittlung ist nicht demokratisch“, in: Kunstmuseum Wolfsburg (Hg.): The Educational Complex. Vermittlungsstrategien von Gegenwartskunst, Wolfsburg 2003, S. 95–101. Schärer, Martin R.: „Museologie ausstellen“, in: Fayet, Roger (Hg.): Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen, Band 1 der Interdisziplinären Schriftenreihe des Museums zu Allerheiligen Schaffhausen, Baden 2005, S. 33–43. Schärer, Martin R.: Die Ausstellung – Theorie und Exempel, München 2003. Schmidt, Martin: „Das magische Dreieck. Zur Einführung“, in: Kirchhoff, Heike/Schmidt, Martin (Hg.): Das magische Dreieck. Die Museumsaustellung als Zusammenspiel von Kuratoren, Museumspädagpogen und Gestaltern, Bielefeld 2007, S. 11–26. Schmidt-Linsenhoff, Viktoria: „Das koloniale Unbewusste in der Kunstgeschichte“, in: Below, Irene/Bismarck, Beatrice v. (Hg.): Globalisierung/Hierarchisierung – Kulturelle Dominanzen in Kunst und Kunstgeschichte, Marburg 2005, S. 19–38. Schmidt-Linsenhoff, Viktoria: „Kunst und kulturelle Differenz oder: Warum hat die kritische Kunstgeschichte in Deutschland den postcolonoal turn ausgelassen?“, in: dies. (Hg.): Postkolonialismus, Kunst und Politik, Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Bd. 4, Osnabrück 2002, S. 7–16. Schmidt-Linsenhoff, Viktoria: „Vorwort“, in: Graduiertenkolleg Identität und Differenz (Hg.): Ethnizität und Geschlecht. (Post-)Koloniale Verhandlungen in Geschichte, Kunst und Medien, S. 1–2. Schneede, Uwe M. (Hg.): Museum 2000. Erlebnispark oder Bildungsstätte, Köln 2000. Schneeman, Peter J.: „Wenn Kunst stattfindet! Über die Ausstellung als Ort und Ereignis der Kunst“, in: Kunstforum International, Bd. 186, 2007, S. 64–81. Schneider, M.A.: „Culture-as-Text in the Work of Clifford Geertz“, in: Theory and Society 16, 1987, S. 809–839. Schöllhammer, Georg: documenta 07 – Magazin 3 – Bildung: Was tun?: Education No. 3, 2007. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004.

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Kuratoren und Besucher

und Kulturgeschichte, Münster (Hg.): public space – public art, Köln 2005, S. 65–78. Stemmrich, Gregor: „Dispositiv“, in: Texte zur Kunst, Nr. 66, Juni 2007, S. 47–51. Sternfeld, Nora: „Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung“, in: Jaschke, Beatrice u.a. (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 15–33. Sternfeld, Nora: „Raus aus dem Mainstream! Rein in den Mainstream!“, in: linksnet.de, Oktober 2006: http://www.linksnet.de/artikel.php?id=2929. Sternfeld, Nora: Das pädagogische Unverhältnis. Lehren und Lernen bei Rancière, Gramsci und Foucault, Wien 2009. Steyerl, Hito: „White Cube and Black Box. Die Farbmetaphysik des Kunstbegriffs“, in: Eggers, Maureen Maisha u.a. (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005, S. 135–143. Stoelting, Christina: Inszenierung von Kunst: die Emanzipation der Ausstellung zum Kunstwerk, Weimar 2000. Storr, Robert u.a. (Hg.): art:21. Art in the twenty-first century, New York 2001. Storr, Robert: „Show an Tell“, in: Marincola, Paul (Hg.): What makes a great exhibition?, Philadelphia 2006, S. 14–31. Storr, Robert: „God only knows. Religion and the art world“, in: frieze, Januar/ Februar 2008: http://www.frieze.com/issue/article/god_only_knows. Storr, Robert: „The Exhibitionist“, in: frieze, No. 94, Oktober 2005, S. 25. Strösser, Katharina: Zur Medialität des Kunstmuseums. Ausstellungskonzepte, Museumspolitik und Kunstvermittlung zur Jahrtausendwende, unveröffentlichte Dipl.-Arbeit, Siegen 2004. Sturm, Eva: „Kunstvermittlung und Widerstand“, in: Schöppinger Forum der Kunstvermittlung, Nr. 2, Schöppingen 2003. Sturm, Eva: „Woher kommen die KunstvermittlerInnen? Versuch einer Positionsbestimmung“, in: Rollig, Stella/dies. (Hg.): Dürfen die das ? Kunst als sozialer Raum. Museum zum Quadrat 13, Wien 2002, S. 198–212. Tannert, Christoph/Tischler, Ute: „Vorwort“, in: dies. (Hg.): Men in Black: Handbuch der kuratorischen Praxis, Frankfurt am Main 2004, S. 9–14. Tannert, Christoph: „Klaus Biesenbach“, in: ders./Tischler, Ute (Hg.): Men in Black: Handbuch der kuratorischen Praxis, Frankfurt am Main 2004, S. 170. Thea, Carolee: Foci: Interviews with 10 Curators, New York 2001. Thomas, Catherine (Hg.): The Edge of Everything: Reflections on Curatorial Practice, Banff 2002. Thurmann-Jajes, Anne: „Die Bücher der Künstler. Zur Problematik einer Begriffsbestimmung“, in: Malerbücher – Künstlerbücher. Die Vielseitigkeit eines Mediums in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Katalog Neues Museum Weserburg Bremen, Köln 2001, S. 10–15.

Anhang

Townsend, Melanie (Hg.): Diverging Curatorial Practices: Beyond the Box, Banff 2003. Troncy, Éric, Discourse on Method, in: ders. (Hg.): Surface de Réparations, Ausstellungskatalog, Dijon 1994, S. 51–57. Türk, Klaus: Bilder der Arbeit. Eine ikonografische Anthologie, Wiesbaden 2000. Ullrich, Wolfgang/Vogel, Juliane (Hg.): Weiß, Frankfurt am Main 2003. Ullrich, Wolfgang: Bilder auf Weltreise. Eine Globalisierungskritik, Berlin 2006. Vanderlinden, Barbara/Filipovic, Elena (Hg.): The Manifesta Decade: Debates on Contemporary Art Exhibitions and Biennals in the Post-Wall Europe, Cambridge, Mass., 2005. Verwoert, Jan: „Ist da draussen noch jemand? Wert, Macht und Ethik der Kritik angesichts der Anonymität der kulturellen Öffentlichkeit“, in: Boerma, Silke (Hg.): Mise en scène, Innenansichten aus dem Kunstbetrieb, Hannover 2007, S. 62–79. Verwoert, Jan: „Mehr als nur MÖGLICH. Über die Umwidmung von Ausstellungsräumen in unbestimmte Möglichkeitsräume mittels bestimmter reduzierter Gesten“, in: Lammert, Angela u.a. (Hg.): Topos RAUM. Die Aktualität des Raumes in den Künsten der Gegenwart, Nürnberg 2005, S. 90–98. Vogel, Sabine B.: „Künstler Kritiker Kurator“, in: Kunstreport, Ausgabe 2003/2004, Berlin 2004, S. 5–7. Vogel, Susan: „Always True to the Object, in Our Fashion“, in: Karp, Ivan/Lavine, Steven D.: Exhibiting Cultures – The Poetics and Politics of Museum Display, Washington/London 1991, S. 191–204. Vogt, Tobias: Untitled. Benennung von Kunst in New York 1940–1970, München 2006. Wade, Gavin (Hg.): Curating in the 21st Century, Walsall 2000. Wagner, Thomas: Licht im Schacht von Babel, Berlin 2007. Waidacher, Friedrich: Museologie – knapp gefasst, Wien u.a. 2005. Wall, Tobias: Das unmögliche Museum. Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart, Bielefeld 2006. Weddigen, Tristan: „Context as content. Zur Kontextualisierung moderner Kunst“, in: Kritische Berichte, Heft 2/2005: situ – in context, Themenheft, Marburg 2005, S. 5–15. Wege, Astrid: „Partizipation“, in: Butin, H. (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 236–241. Weibel, Peter (Hg.): Inklusion. Exklusion. Versuch einer neuen Kartografie der Kunst im Zeitalter von Postkolonialismus und globaler Migration, Köln 1997. Weibel, Peter/Buddensieg, Andrea (Hg.): Contemporary Art and the Museum. A Global Perspective, Ostfildern 2007. Werner, G.: „Christliche Ikonografie – Kulturtradition oder Glaubenszeichen?“, in:

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Kuratoren und Besucher

Flügge, Matthias/Meschede, Friedrich (Hg.): Warum! Bilder diesseits und jenseits des Menschen, Ostfildern-Ruit 2003, S. 38–45. White, Peter (Hg.): Naming a practice. Curatorial Strategies for the Future, Banff 1996. Wieder, Axel John: „Off-Space“, in: Franzen, Brigitte u.a. (Hg.): skulptur projekte münster 07, Katalog, Köln 2007, S. 415. Wigley, Mark: White Walls, Designer Dresses. The Fashioning of Modern Architecture, Cambridge 1995. Wilson, Mick: „Curatorial Moments and Discursive Turns“, in: O’Neill, Paul (Hg.): Curating Subjects, London 2007. Wonisch, Regina: „Die Macht der Anordnung. Museen und Ausstellungen im Geschlechterdiskurs“, in Bundesministerium für Wissenschaft, Verkehr und Kunst (Hg.): Grenzenloses Österreich. Workshops 1995, Wien 1995, S. 29–65. Wuggenig, Ulf: „Eine Gesellschaft des Interviews. Über Interviewtechniken in Soziologie, Kunst und Marktforschung“, in: Texte zur Kunst, Nr. 67, September 2007, S. 60–69. Wulffen, Thomas: „Radikales Kuratieren in hegemonialen Systemen“, in: Kunstreport, Ausgabe 2003/2004, Berlin 2004, S. 35–38. Zabel, Igor: „The return of the White Cube“, in: MJ-Manifesta Journal, No.1, Spring/Summer 2003, S. 12–21. Zentrum für Kunst und Medientechnologie (Hg.): Iconoclash – Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst, Karlsruhe 2002. Žerovc, Beti: „Networking Kompetenz: Zur Rolle von KuratorInnen und KuratorInnenschulen für eine linke Politisierung der Gegenwartskunst‘“, in: springerin, Hefte für Gegenwartskunst, Heft 3/07, Wien 2007, S. 34–39. Ziese, Maren: „Gott zwischen Kreuz und Konstruktion“, in: Kunstforum International, Denken 3000, Bd. 190, 2008, S. 197–217. Ziese, Maren: „Visuelle Glaubenssache? Zwei Kunstausstellungen inszenieren Religion“, in: vorgänge 173, Heft 1, Berlin 2006, S. 71–80. Zschocke, Nina: „Ästhetik der Störung. Künstlerische Strategien indirekter Thematisierung und Vermittlung“, in: Buschmann, Renate u.a. (Hg.): Dazwischen. Die Vermittlung von Kunst. Eine Festschrift für Antje von Graevenitz, Bonn 2005. Zschocke, Nina: Der irritierte Blick. Kunstrezeption und Aufmerksamkeit, München 2006.

Anhang

6.3

DANK

Die Grundzüge dieser Studie sind 2003/2004 am Department of Museum Studies der New York University bei Assistant Professor Dr. Jeffrey Feldman entstanden, dem an dieser Stelle für die Initiation und ersten Grundlagen gedankt sei. Beeinflusst wurde meine Arbeit auch durch Prof. Dr. Barbara Lange und ihr Forschungskolloquium am Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig, 2004, sowie den Teilnehmern meines Proseminars zum Thema „Religion und zeitgenössische Kunst“ im Sommersemester 2005. Inspirierende und weiterführende Gespräche mit meinem Doktorvater Prof. Dr. Harold Hammer-Schenk, Prof. Dr. Gregor Stemmrich, dem Zweitgutachter, und Prof. Dr. Beatrice von Bismarck haben entscheidend zur inhaltlichen Ausrichtung und Fertigstellung der Studie beigetragen. Insbesondere meinem Doktorvater gilt für seine kontinuierliche Unterstützung mein größter Dank. Von 2006 bis 2007 war ich Gastdoktorandin in dem von Prof. Dr. Irit Rogoff und Dr. Jean-Paul Martinon geleiteten Promotionsstudiengang „The Curatorial/Knowledge“ des Goldsmiths College, University of London. Hier hat meine Forschungsarbeit zentrale Weichenstellungen erfahren. Ferner möchte ich mich bei Prof. Dr. Sigrid Schade und dem Institute for Cultural Studies, Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich, bedanken, wo ich meine Ergebnisse im Dezember 2006 zur Diskussion stellen konnte. Prof. Dr. Bernhard Graf, Leiter des Instituts für Museumskunde, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, stand freundlicherweise in der letzten Phase der Arbeit für einen Austausch über die Besucherforschung zur Verfügung. Die Arbeit wäre nur schwerlich möglich gewesen ohne die Unterstützung der jeweiligen Kuratoren, deren Ausstellungsprojekte als Grundlage für meine Auseinandersetzung mit diesem Thema dienten. Für die Bereitstellung von Materialien und für die Gespräche möchte ich mich bedanken bei: Matthias Flügge (Warum! Bilder diesseits und jenseits des Menschen), Dr. Ralf Hartmann (Bilderglauben), Anke Hoffmann (Happy Believers), Oleg Kulik (I believe), Dr. Friedrich Meschede (Warum! Bilder diesseits und jenseits des Menschen), Dorothee Messmer (Gott sehen. Das Überirdische als Thema der zeitgenössischen Kunst), Julia Pfeiffer (Evangelisch/Katholisch), Roseline Rannoch (Evangelisch/Katholisch), Angelika Richter (Happy Believers), Madeleine Schuppli (Choosing my Religion), Anja Sommer (Die Zehn Gebote), Dr. Daniel Spanke (Gott sehen. Risiken und Chancen religiöser Bilder) und Jochen Wierich (100 Artists see God). Für inhaltliches Feedback, Korrektorat sowie technische Hilfestellungen danke ich meinem Mann Dr. Hans-Gerd Conrad, Dr. Anja Laukötter und Daniel Tharau, Michael Schmidt, Tino Fleischer, Heike Rose, Michael Ammann und Monika Stern.

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Kuratoren und Besucher

Die Studie wurde anfänglich durch den Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds gefördert, im Anschluss daran durch ein dreijähriges Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bei all diesen Personen und Institutionen möchte ich mich sehr herzlich bedanken.

6.4

BILDNACHWEIS

Abb. 1–2: Courtesy Kunstmuseum Thun. Abb. 3–10: Fotos: Maren Ziese. Abb. 11: Foto: Christian Helmle. Courtesy Kunstmuseum Thun. Abb. 12: Foto: Maren Ziese. Abb. 13: Christian Helmle. Courtesy Kunstmuseum Thun. Abb. 14–19: Fotos: Maren Ziese. Abb. 20: David Brandt. Courtesy Deutsches Hygiene-Museum. Abb. 21: Foto: Norbert Wilhelmi. Abb. 22–27: Fotos: Ben Rinkens. Courtesy Deutsches Hygiene-Museum. Abb. 28 aus: Biesenbach, Klaus (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 169. Abb. 29: Foto: Ben Rinkens. Courtesy Deutsches Hygiene-Museum. Abb. 30: Courtesy Deutsches Hygiene-Museum. Abb. 31–33: Fotos: Ben Rinkens. Courtesy Deutsches Hygiene-Museum. Abb. 34 aus: Biesenbach, Klaus (Hg.): Die Zehn Gebote, Katalog zur Ausstellung Die Zehn Gebote, Ostfildern-Ruit 2004, S. 208. Abb. 35–37: Fotos: Ben Rinkens. Courtesy Deutsches Hygiene-Museum. Abb. 38: Foto: Maren Ziese. Abb. 39: Courtesy Werkleitz Gesellschaft e.V. Abb. 40–50: Fotos: Maren Ziese. Abb. 51: Foto: Wieland Krause. Courtesy Werkleitz Gesellschaft e.V. Abb. 52–62: Fotos: Maren Ziese. Abb. 63 aus: Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007, o.S. Abb. 64 aus: Decorative arts / Moskovskij Muzej Sovremennogo Iskusstva, No. 2/2007, S. 58. Abb. 65: Foto: Maren Ziese. Abb. 66–74 aus: Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007, o.S. Abb. 75 aus: Decorative arts / Moskovskij Muzej Sovremennogo Iskusstva, No. 2/2007, S. 83. Abb. 76–80 aus: Tsuranova, Tatyana (Hg.): I believe, Katalog zur 2. Biennale of Contemporary Art, Vinzavod, Moskau 2007, o.S.

Anhang

6.5

ABBILDUNGEN

Abb. 1: Kunstmuseum Thun.

Abb. 2: Grundriss der Ausstellungsräume des Kunstmuseums Thun (Erdgeschoss).

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Kuratoren und Besucher

Abb. 3: Zugang zur Terrasse und zum Eingang des Kunstmuseums Thun (Flussseite). Rechts im Bild das Ausstellungsplakat Choosing my Religion.

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Abb. 4: Zugang zum Buchladen und gleichzeitig zu den Ausstellungsräumen des Kunstmuseums Thun.

Abb. 5: Eingang zur Ausstellung Choosing my Religion.

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Abb. 6: Der erste Eindruck der Schauräume: Blick in den Flur. Am hinteren Ende des Ganges der Saal 4 und ein Fenster zur zugebauten Veranda.

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Abb. 7: Einzelner Ausstellungsraum mit der Arbeit Salvation Lies Within, 2003, von James Hopkins.

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Kuratoren und Besucher

Abb. 8: Die zugebaute Veranda von außen.

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Abb. 9: Saal 1 mit Blick nach draußen. Im Vordergrund: Mark Wallinger, A ist für Alles, 2005, Audio-CD, 60 min, Loop, Mies van der Rohe-Lederdiwan. Im Hintergrund: Sislej Xhafa, Fresh Breeze, 2006, Kopftücher, 360 x 160 cm.

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Abb. 10: Saal 2. Sislej Xhafa, Adel Abdessemed, Second Scare, 2004, Goldener Schmuck, Maße variabel. Hinter dem verhangenen Durchgang befand sich die Blackbox für das Video von Mark Wallinger, Via Dolorosa, 2002. Bei dem Raumabschnitt handelt es sich um einen abgetrennten Teil der Veranda.

Anhang

Abb. 11: Saal 4. Hier waren die Reste des Hotel-Interieurs sehr deutlich zu sehen. Das Schlüsselwerk der Ausstellung war hier platziert: Mark Wallinger, Passport Control, 1988, Fotografien auf Aluminium, 132 x 102 cm.

Abb. 12: Der verspiegelte Saal 5 eröffnete einige Sichtachsen. Im Bildvordergrund die Video-Arbeiten von Valérie Mréjen, Ritratti, sowie Dieu. In der zugebauten Veranda (rechts) wurde das Werk von Thomas Bayrle, Madonna Mercedes, 1989, punktuell angestrahlt. Linkerhand: Blick in den Großen Saal auf das Video von Wael Shawky, The Cave, 2004.

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Abb. 13: Shirana Shahbazi, Staying Alive #2, 2006, Acryl auf Leinwand, 393 x 1920 cm.

Abb. 14: Thomas Bayrle, Madonna Mercedes, 1989, Fotokopie-Collage auf Holz, 198 x 146 cm. Links ein weiterer Durchgang zum Großen Saal, und zwar in den Abschnitt, wo Paul Pfeiffers Video Morning after the Deluge gezeigt wurde.

Anhang

Abb. 15: Blick in den Großen Saal im White-Cube-Format. Wael Shawky, The Cave, 2004. Eine eingezogene Wand trennte den Raum, hinter der Paul Pfeiffers Morning after the Deluge zu sehen war. Rechts deuten sich die Durchgänge zur Veranda an.

Abb. 16: Großer Saal mit den Fotografien von Lidwien van de Ven. Links: Billy Graham Evangelistic Association, Amsterdam, 2000. Mittleres Bild: London, 4 September 2004. International Hijab Solidarity Day, 2005. Rechts: Brussels, 10 November 2002, 2005.

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Abb. 17: Blick auf das Video von Pfeiffer gerahmt durch Fenster von der Veranda aus. Paul Pfeiffer, Morning after the Deluge, 2003, Video auf DVD, 21 min, Loop.

Anhang

Abb. 18: Blick vom großen Saal auf die in der zugebauten Veranda platzierte Skulptur von Olaf Metzel, Turkish Delight, 2006, Bronze, 170 x 34 x 30 cm.

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Abb. 19: Blick von der Veranda in den Saal 4. Zugleich Ende des Rundganges. Dominik Stauch, My Personal Colour Field, 2002, Video auf DVD mit Ton, 2:54 min, Loop.

Anhang

Abb. 20: Grundriss der Ausstellungsräume.

Abb. 21: Deutsches Hygiene-Museum Dresden.

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Abb. 22: Blick in den unsanierten Saal im oberen Stockwerk mit der Klanginstallation von Janet Cardiff, The Forty Part Motet, 2001.

Abb. 23: Eingangsbereich mit Schriftzug und statistischen Weltkarten von Myriad Editions London. Einführungstext zur Globalisierung und den Zehn Geboten über dem Durchgang zum dahinterfolgenden kulturhistorischen Raum.

Anhang

Abb. 24: Eingangshalle mit Aufgang zum oberen Saal (Klanginstallation von Janet Cardiff). An der Treppenhauswand Mark Lombardi, Nugan Hand Ltd, Sydney, Australia, 1972–80 (6th Version), 1996.

Abb. 25: In rot gehaltener kulturhistorischer Raum mit Blick in den White Cube. An der Wand: Die Zehn Gebote von Johann (Hans) Maler, Dresden 1528/29. Im Bildvordergrund weitere historische Exponate: Torarolle, um 1800.

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Abb. 26: Der Abschnitt zum 1. Gebot mit Blick zurück in kulturhistorischen Raum. In der Raummitte: Olaf Nicolai, A Portrait of the Artist as a Weeping Narcissus, 2000. An der Wand zum kulturhistorischen Prolog: Sylvie Fleury, Muscle Secrets/A New Body in 15 Minutes, 2004, No Weights Required, 2004, Tons of Usefull Stuff, 2004, Un Corps Parfait, 2004. Ganz links Orlan, OPERATION REUSSIE NO.2, 1992. Rechts zwei Fotografien von Thomas Ruff, 07h 48m / -70°, 1990, 17h 38m / -30°, 1990.

Anhang

Abb. 27: Die Trennwände zwischen den Sektionen standen in der Mitte des Raumes, so dass man an beiden Seiten den nächsten Abschnitt betreten konnte. Dadurch ergaben sich Sichtachsen. Im Bildvordergrund der Raum zum 3. Gebot. Francis Alÿs, When Faith Moves Mountains, Lima, Peru, April 11th, 2002, Videoinstallation. Diese Arbeit stellte das Logo der Schau dar und wurde auf Flyer und Katalog abgebildet.

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Abb. 28: Nebosja Seric-Shoba, Serious Kids, 2002, digitale Fotografie.

Anhang

Abb. 29: Die Arbeit von Anri Sala Uomo Duomo, 2000, ist zwischen das 4. und 5. Gebot gehängt. Links: Aleksandr Sokurov, Mutter und Sohn, 1997. Rechts: Boris Mikhailov, Case History, 1997/98.

Abb. 30: Installationsansicht der Sektion zum 5. Gebot. Blick in den nächsten Raum zum 6. Gebot. Rechts: Tony Matelli, Couple, 1995. Links: Aleksandr Sokurov. Blick auf die zum 6. Gebot gehörende Arbeit von Adam McEwen, Untitled (A-Line), 2002.

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Abb. 31: Installationsansicht 6. Gebot: In der Mitte Alfredo Jaar, The Eyes of Gutete Emerita, 1996. Links: Taryn Simons Diptychon Terrell Yarbrough, Death Row Inmate, Age 22, Outdoor Recreational Facility, Mansfield Correctional Institution, Ohio, Where Prisoners Spend One Hour a Day outside of Their Cells. Rechts: Nebosja Seric-Shoba, Battlefields, hier Auschwitz, 1996.

Anhang

Abb. 32: Installationsansicht 6. Gebot: Hier wird die dichte Hängung deutlich. Mitte: Henry Darger, Seized Glandelian Officer; The Glandelinnians Were About to Hang; They Attempt to Hide in Fiddle Cases, 1922–1963. Links vorne: Adam McEwen, Untitled (A-Line), 2002; links hinten: Anne Wallace, Eternity, 2002. Rechts vorne: Jasmila Zbanics, Red Rubber Boots, 2000. Rechts Mitte: Mathilde ter Heijne, Suicide Bomb, 2000. Ecke rechts hinten: Carsten Höller, Kinderfahrrad-Bombe, 1992.

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Abb. 33: Installationsansicht 7. Gebot, auf dem Boden: Elgreen & Dragset, Powerless Structures, Fig. 19, 1998. Rechts vorne: Orlando Mesquite, The Ball, 2001. Rechts dahinter: Dayanita Singh, Kamathipura Series, Bombay, 1990, und Bhandup Rescue Mission, Bombay 1991, beide Serien 1999. An der Stirnwand links: Adel Abdessemed, Real time, 2003, daneben eine weitere Arbeit von Abdessemed, Chrysalide, 1999. Links: Pier Paolo Pasolini, Teorema – Geometrie der Liebe, 1968.

Anhang

Abb. 34: Teresa Margolles, Lengua, 2000, präparierte gepiercte Zunge.

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Abb. 35: Installationsansicht 8. Gebot. Auf dem Boden vorne: Kendell Geers, Garden of Earthly Delights, 2004. Hinten: Felix Gonzalez–Torres, Untitled (Placebo II – Landscape – for Roni), 1993, 544 kg Bonbons in Goldfolie. Punktuell angestrahlt: Lengua, 2000, von Teresa Margolles. An die Wand projiziert (links): Kimsooja, A Beggar Woman (Lagos), 2001. Links in der Ecke neben dem Durchgang zum 7. Gebot zwei Arbeiten von Santiago Sierra, Cubo de Pan, 2003, und Obstruction of the Freeway, 1998. In der Mitte des Raumes in der Achse zum Eingang: Emily Jacir, Change/Exchange (3 Days), 1998.

Anhang

Abb. 36: Installationsansicht einige der Arbeit zum 10. Gebot sowie der Schlusspunkt der Ausstellung: Thomas Demand, Wand/Mural, 1999. Links dahinter und rechts: Andreas Gursky, 99 Cent II, Diptychon, 2001, und Untitled XIII (Mexico), 2002. Hinten Mitte: Aernout Mik, Pulverous, 2003, Videoinstallation.

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Abb. 37: Aktionsraum, Blick in den Lichthof.

Anhang

Abb. 38: Schriftzug aus Plastikbechern der 7. Werkleitz Biennale Happy Believers.

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