Kunst um Augustus [2. Aufl. Reprint 2021]
 9783112407660, 9783112407653

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RODENWALDT

K U N S T UM

AUGUSTUS

KUNST UM AUGUSTUS VON

GERHART R O D E N W A L D T MIT FÜNFUNDFÜNFZIG ABBILDUNGEN ZWEITE AUFLAGE

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W A L T E R DE G R U Y T E R & C O • B E R L I N

Der Inhalt dieser Schrift ist die an einzelnen Stellen erweiterte und um Abbildungen bereicherte Fassung eines unter dem gleichen Titel in der Zeitschrift „Die Antike", Band XIII, Jahrgang 1937 erschienenen Aufsatzes. Klischees und Vorlagen stellten das Archäologische Institut des Deutschen Reiches, die Antikensammlungen in Berlin und Wien, das Archäologische Institut der Universität Halle und das Winckelmann-Institut der Universität Berlin freundlichst zur Verfügung. Der Kopf des jugendlichen Augustus Abb. 11 konnte mit gütiger Genehmigung des Besitzers, Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Philipp von Hessen nach einer neuen Aufnahme abgebildet werden. Die Aufnahme der Augustusmünze (Abb. 1) wird der Kunst Kurt Langes verdankt (vgl.Kurt Lange, Herrscherköpfe des Altertums im Münzbild ihrer Zeit 100f.). Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 • Archiv-Nr.

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Abb. i . Bronzemünze mit dem Bilde des Augustus

enn sich in Zeiten, die alle Kräfte der Gegenwart in den Dienst weltgeschichtlicher, die Zukunft bestimmender Entscheidungen stellen, Gedanke und Blick in die Vergangenheit richten, dann pflegen sie sich nicht in Seitenwege zu verlieren, sondern die größten Männer und die größten Taten aufzusuchen. Seit Rom im Jahre 1937 den zweitausendsten Geburtstag des Kaisers Augustus feierlich beging, hat das Weltgeschehen die Gestalt des Schöpfers des römischen Imperiums immer machtvoller hervortreten lassen. Nicht nur die Wissenschaft bemüht sich mit gesteigerter Eindringlichkeit, den Mann und sein Werk zu begreifen und den Wert seiner Leistung zu ermessen. Mit dem Volke des neuen römischen Imperiums haben auch die anderen Nationen allen Anlaß, sich des Mannes zu erinnern, dessen ungeheures Lebenswerk die Geschichte Europas und damit der Welt bis auf den heutigen Tag beeinflußt. Ihre Gefühle gegenüber seiner Persönlichkeit sind verschieden. Anders empfindet sie der Römer der Gegenwart, der Romane, der Germane und der Nichteuropäer. Während die einen von spontaner Verehrung erfüllt sind, müssen die anderen den Weg zum Verständnis suchen. In einer einzigartigen 5

Kumulation historischer Bedeutsamkeit hat nicht nur das fortgewirkt,, was Augustus geschaffen hat, sondern auch seine Resignation und das Schicksal, das, ihm unbewußt, sich in der Epoche, der er den Namen gab, vollzog. „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde" — die Worte des Lukasevangeliums verknüpfen die Geburtsgeschichte Jesu mit der Realität der geschichtlichen Welt. Diese Tatsache ist noch mächtiger geworden als das profane Geschehen. Sie hat die Folge gehabt, daß durch die christliche Chronologie die Geschichte der Antike und gerade die Lebenszeit (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.) und das Lebenswerk des Augustus in unorganischer Weise geteilt wurde. Die Niederlage des Varus im Jahre 9 n. Chr. ist eines der tragischen Erlebnisse des greisen Kaisers gewesen; er hat auf die Unterwerfung der Germanen verzichtet. Aber er konnte die geschichtliche Bedeutung dieses Aktes nicht ahnen. Die Tat des Arminius, des „iiberator haud dubie Germaniae'', dessen Gedächtnis uns die römische Geschichtsschreibung erhalten hat, hat die Romanisierung Germaniens verhindert und die Grundlage für die Entwicklung der germanischen Völker Europas geschaffen. Augustus ist von den Dichtern seiner Zeit besungen und schon zu Lebzeiten im griechischen Osten, nach seinem Tode in Rom als Gott verehrt worden. Er wurde zum Idealbild des römischen Kaisers. Aber kein Mythos, keine Mystik und keine Poesie hat die klare Realität seiner historischen Erscheinung gebrochen. Während die Individualitäten der großen Griechen in dem Abstände, aus dem wir sie betrachten, sich nur in allgemeinen Umrissen aus der Sphäre des T y pischen oder des Heroisch-Göttlichen abheben, steht Augustus als wirkliche, irdische, festumrissene Persönlichkeit vor unserem geistigen Auge. So wollte er nach seinem politischen Testament im Gedächtnis der Nachwelt leben. Der Wert römischer Geschichte als der Lehrmeisterin politisch-geschichtlichen Denkens ist unumstritten. Aber was ist uns römische Kunst ? Das geschichtliche Werk des Augustus ist lebendig. Was bedeutet die Epoche, der er das Gepräge seines Geistes gab, für die Geschichte der antiken oder mehr noch, der europäischen Kunst? Was kann die Kunst der Zeit des Augustus noch der Gegenwart und insbesondere der deutschen Gegenwart bedeuten ? Sind es auf dem Gebiet der bildenden Künste nicht allein die Griechen, auf die wir den Blick wenden sollen ? Hat nicht Vergil der römischen Kunst das Urteil gesprochen, wenn er die berühmten Worte formulierte: 6

„excudent alii spirantia mollius aera — credo equidem —, vivos ducent de marmore voltus; orabunt causas melius, caelique meatus describent radio, et surgentia sidera dicent: tu regere imperio populos Romane memento — haec tibi erunt artes — pacique inponere morem, parcere subiectis, et debellare superbos". Der ungefähre Inhalt der Verse, deren sachliche Prägnanz und künstlerische Form sich nicht übertragen läßt, ist: „Andere werden weicher — so glaube ich — atmende Erzgebilde formen, werden aus Marmor lebendige Züge gestalten, sie werden besser vor Gericht zu reden wissen, die Bahnen des Himmels mit dem Stabe zeichnen und den Aufgang der Gestirne künden: Du, Römer, gedenke mit dem Imperium die Völker zu beherrschen — das werden Deine Künste sein —, dem Frieden sein Gesetz zu geben, die Unterworfenen zu schonen und die frevelnden Feinde im Kriege zu vernichten." Für den Römer der Epoche Mussolinis ist das Verhältnis zur Kunst des Augustus wie zur römischen Kunst kein Problem. Die großen Werke seiner nationalen Vergangenheit sind aus dem Schlummer, den sie auf der Insel einer „zona archeologica" träumten, befreit und mitten in den starken Strom des modernen Lebens hineingestellt worden. Sie haben einen neuen Sinn und Zweck erhalten. In uns rufen die Römerbauten auf deutschem Boden die Erinnerung an Kampf und Fremdherrschaft wach. Der Begriff Rom ist für uns mit Erinnerungen belastet, deren politische Bedeutung uns nicht immer leicht den Zugang zu den ewigen Werten Roms finden läßt. Dagegen liegt das Griechentum für uns in einer Sphäre, die jenseits der Parteien Haß und Gunst ist. Wir nahen ihm furchtlos und unbeschwert und empfinden beglückt die Gegenwartsnähe seiner Kunst. Wir sind im Begriff, uns von der römischen und klassizistischen Interpretation der Plastik zu befreien und aus der unmittelbaren Anschauung der griechischen Originale Freude und Kraft zu eigenem Schaffen zu schöpfen. Es ist nicht zweifelhaft, die Wirkung der griechischen Antike hat eine große Zukunft. Homer wird uns stets mehr bedeuten als Vergil, die Akropolis mehr als das Forum Romanum, die Skulpturen von Olympia mehr als römische Historienbilder. Und doch sollte es uns nachdenklich stimmen, daß wir in unserer gegenwärtigen Kunst überraschende Parallelen zur römischen Antike finden. Das 7

Reichssportfeld erinnert in seinem Gesamtplane weniger an das Heiligtum von Olympia als an das Forum des Traian, ohne daß dem Architekten dieses Vorbild vorgeschwebt hätte. Das Olympiastadion zu Berlin hat die Gestalt eines römischen Amphitheaters; die Nürnberger Kongreßhalle stellt Motive des römischen Theaters in den Dienst einer neuen Aufgabe. Wenn wir erleben, daß architektonische Komplexe wie der Königliche Platz in München und das Forum Fridericianum in Berlin durch Befreiung und Betonung ihrer Achsen und Vollendung ihrer räumlichen Komposition zu neuer Wirkung erstehen, so gestalten und sehen wir in römischem Sinn und mit römischem Auge. Die Bedeutung der Porträts der führenden Männer der Vergangenheit und Gegenwart hat ihre nächste Analogie im antiken Rom. Diese Erscheinungen erinnern uns daran, daß auch die Römer uns stammverwandt und durch eine lange geschichtliche Tradition mit uns verbunden sind. Die Anthropologie ist noch nicht so weit, um die Verwandtschaftsgrade der indogermanischen Völker Europas mit Sicherheit erkennen zu können. Die Sprachwissenschaft scheint zu lehren, daß die Völker West- und Nordeuropas, Germanen, Kelten und Italiker sich untereinander näher stehen als den Griechen. Sie haben auch das gemeinsam, daß in ihnen ein zuerst unbewußtes und später bewußtes Streben liegt, ihr eigenes Wesen durch die Begegnung und die Erfüllung mit den Errungenschaften der Griechen zu ergänzen. Die künstlerische Begabung der Italiker, Kelten und Germanen ist später gereift als die der Griechen. Das antike Italien hat sich der griechischen Kunst teils willig hingegeben, teils sie in ihren Dienst gezwungen. Rom hat sich mächtig genug gefühlt, um die Überlegenheit der geistigen und künstlerischen Leistung des Griechentums anzuerkennen und sich durch dieses Bildungserlebnis tief beeinflussen zu lassen. In dieser Auseinandersetzung zwischen dem eigenen Volkstum und den „exemplaria Graeca" empfinden wir eine Schicksalskameradschaft, die ein weiteres Band zu dem antiken Rom knüpft. Die Problematik der römischen Kunst ist voller Rätsel und Schwierigkeiten. Was die augusteische Epoche für Rom und Europa bedeutet, kann im folgenden an einigen ausgewählten Monumenten nur angedeutet werden. Auch andere Perioden der Weltgeschichte sind nach den führenden Persönlichkeiten genannt worden. Aber es gibt wohl kein zweites Beispiel, wo sich das Wesen der Kunst so sehr mit dem Wesen des Herrschers deckt, wie bei der augusteischen Kunst. Es beruht das schwerlich auf einer unmittelbaren Einwirkung des Kaisers auf die Ausführung der 8

Kunstwerke. In dem großen Abriß seines ungeheuren Lebenswerkes, den Augustus in einem ergreifenden Altersstil von monumentaler Knappheit geschrieben hat, ist wohl von der Ära Pacis und von Ehrenstatuen die Rede, und es werden die Bauten aufgezählt, die er errichtet hat. Aber es geschieht das nicht im Hinblick auf eine besondere und bewußte Förderung der Kunst. Diese ist auch in jener verhältnismäßig späten Phase der Antike ein so natürliches Gewächs, daß sie nicht um ihrer selbst willen gepflegt zu werden brauchte. Die Tempel, die zu Ehren der Götter hergestellt und erneuert wurden, sind ein Ausdruck der Frömmigkeit, der Pietas des Kaisers, die profanen Bauten eine Kundgebung seines politischen Machtwillens. Architektur, Malerei und Plastik fanden in der durch die Pax Romana wieder aufblühenden Kultur Aufgaben, die zu einem neuen Höhepunkt führten. Dieser gesamten Kultur hat Augustus das Gepräge seines Charakters gegeben. Die geschichtliche Mission des Augustus hat sich nicht nur erfüllt, weil er der Mann war, den die Zeit ersehnte und brauchte. Er hat seine Umwelt geformt, nicht mit Leidenschaft und Gewalt, sondern mit Klugheit und Vorsicht. Von wesentlicher Bedeutung war die Dauer der Zeit, die er zu wirken vermochte. Es ist uns nichts darüber überliefert, daß Augustus mit Künstlern die Pläne seiner Bauten besprochen hätte, wie wir es von Perikles beim Bau des Parthenon wissen, oder in Malerei oder Architektur dilettiert hätte, wie es spätere Kaiser taten. Wenn er in seiner Jugend altgriechisches Kunstgewerbe sammelte, so folgte er einer allgemeinen Mode. Seine persönlichen künstlerischen Neigungen, die ihn zu unmittelbarem Eingreifen veranlaßten, lagen auf dem Gebiete der Literatur. Die bildende Kunst des augusteischen Stils, deren feste Ausprägung die drei letzten Jahrzehnte seines Lebens umfaßt, ist der unserer Anschauung bildhaft zugängliche Ausdruck seiner politischen und kulturellen Gesamtleistung. In anderen Blütezeiten der Kunst stehen im Mittelpunkt der Betrachtung die großen Meister. Die Kunst der augusteischen Epoche ist für uns mit wenigen Ausnahmen anonym. Hier erfordert die geschichtliche Situation eine andere Betrachtung. Die Persönlichkeit des Kaisers ist so überragend, daß wir von seinem Bildnis ausgehen und uns dann den Werken zuwenden müssen, die ihm zu Ehren oder in seinem Auftrage geschaffen worden sind. Wir treten vor sein Bildnis in dem brennenden Verlangen, dem Menschen dadurch noch näher zu kommen, als wir es durch die geschichtliche Überlieferung vermögen. Die Zahl der erhaltenen Bildnisse des Kaisers ist groß und nimmt von Jahr zu Jahr durch 9

neue Funde zu. Das Porträt des Augustus war mehr als eine familiäre oder höfische Angelegenheit. In der langen Zeit seines Wirkens wurde die Aufstellung seines Bildnisses zu einem Ausdruck politischer Loyalität. Es ist uns kein gemaltes Bild des Kaisers erhalten. Das ist ein Verlust, weil die Skulptur nie so tief in das Innerste des Menschen zu dringen vermag wie die Malerei. Bildnisse von der Verinnerlichung von Velasquez' Innozenz X sind in der Plastik schon darum unmöglich, weil das wechselnde Licht die Züge verändert und der intimste, irrationale Ausdruck des Auges der plastischen Form unzugänglich ist. In den Statuen und Büsten erscheint uns Augustus gesehen und aufgefaßt durch die verschiedenen Individualitäten nicht nur der Künstler, sondern auch der Völker und Stämme des Imperiums. Bis zu dem Menschen selbst vermögen wir durch das Bildnis nie vorzudringen. Aber die politische Bedeutung des Kaiserporträts bewirkte, daß es stärker als es bei anderen Bildnissen der Fall ist, zum Ausdruck brachte, wie der Kaiser gesehen sein wollte. Die psychologische Interpretation von Porträts ist ein gefährliches Gebiet. Sie ist mehr als ein geistreiches Spiel nur dann, wenn wir sonst etwas von dem Dargestellten wissen. Aus der Kenntnis des historisch überlieferten Augustus heraus vermögen wir in den Zügen des Bildnisses zu lesen. Wenn die Aufgabe gestellt wäre, aus den zahlreichen Porträts des Augustus ein einziges als seine Wesenheit bezeichnend auszuwählen, so würde die Entscheidung auf die Statue im Braccio Nuovo des Vatican (Abb. 3) fallen. Augustus tritt uns hier als Feldherr entgegen. Er war kein militärisches Genie, und doch ist er nach altrömischer Tradition, seiner Natur und seinem kränklichen Körper zum Trotze, in das Feld gezogen und hat als siegreicher Imperator die Grundlage seiner Macht geschaffen. In dem Bericht, den er hinterließ, um auf ehernen Tafeln vor seinem Grabmal aufgezeichnet zu werden, hat er in Worten, deren Knappheit auf die Monumentalität der Inschrift berechnet ist, und deren scheinbar schlichte Sachlichkeit doch den ganzen Stolz auf seine ungeheure Leistung atmet, von seinen Kriegstaten berichtet: „Bis ovans triumphavi, tris egi curulis triumphos et appellatus sum viciens semel imperator. Cum tutem pluris triumphos mihi senatus decrevisset, iis supersedi. Laurum de fascibus deposui in Capitolio votis, quae quoque bello nuncupaveram, solutis. Ob res a me aut per legatos meos auspicis meis terra marique prospere gestas quinquagiens et quinquiens decrevit senatus supplicandum esse dis immortalibus. Dies autem, per

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quos ex senatus consulto supplicatum est, fuere DCCCLXXXX. In triumphis meis ducti sunt ante currum meum reges aut regum liberi novem." „Zweimal habe ich den kleinen Triumph begangen, dreimal den großen und bin einundzwanzigmal zum Imperator ausgerufen worden. Als aber der Senat weitere Triumphe für mich beschloß, habe ich sie ausgeschlagen. Den Lorbeer von den Fasces habe ich im Capitol geweiht nach Erfüllung der Gelübde, die ich in jedem Kriege gelobt hatte. Für die Taten, die von mir oder von meinen Legaten unter meinen Auspizien zu Lande und zu Wasser glücklich vollbracht wurden, hat der Senat fünfundfünfzigmal beschlossen, den unsterblichen Göttern Dankesfeiern zu veranstalten. Tage aber, an denen nach Senatsbeschluß Dankesfeiern stattfanden, sind es 890 gewesen. In meinen Triumphzügen sind vor meinem Wagen Könige und Kinder von Königen geführt worden, neun an der Zahl." Die Statue ist unweit Roms in der Villa der Kaiserin Livia bei Primaporta gefunden worden. Sie ist ein Originalwerk ersten Ranges, würdig der hohen Besitzerin und von fast vollkommener Erhaltung. Selbst von der farbigen Bemalung ist soviel bewahrt geblieben, daß noch heute ein Hauch lebendiger Wärme sie aus der Umgebung klassizistischer Marmorkälte heraushebt. Der Aufbau des plastischen Werkes rechnet mit dem koloristischen Gegensatz des rosafarbenen Mantels zu den Teilen, an denen nur kleinere Flächen oder Einzelheiten farbig sind. Wir stehen vor dem Imperator, der, bekleidet mit Tunica, Panzer und dem Feldherrnmantel, dem Paludamentum, mit erhobener Hand Schweigen gebietet, um zu seinen Legionen zu sprechen. Wir fühlen uns in den Bann, der von ihm ausgeht, einbezogen; wir empfinden, wie das Gemurmel der Massen vor seinem gebietenden Gestus verstummt und sind bereit, sein sicheres und klares Wort zu vernehmen. Es beginnt hier ein gefühlsmäßig anderes Verhältnis, als es der Grieche zu einer Ehrenstatue hatte, ein erster Ansatz zu dem spätantiken Empfinden der Verehrung. Damit hängt eine zweite, formale Eigenschaft zusammen. Die Statue war für die Aufstellung in einer Nische bestimmt und auf der Rückseite nicht fertig durchgeführt. Das ist mehr als eine äußerliche Rücksicht auf den Standort. Wie das Ethos des Bildnisses uns zur Vorderansicht zwingt, so ist die ganze Komposition des Werkes auf den Anblick von vorne berechnet. Der klassische Bau der schön proportionierten Gestalt wird durch den Wurf der Falten des Gewandes zu repräsentativer Würde gesteigert. Die 11

Abb. 2. Doryphoros des Polykleitos v o r Argos. Bronzeneuguß nach römischen Kopien. München

räumliche Tiefe der Figur ist zwar richtig durchgeführt, aber zugunsten der Vorderansicht an Wert verringert. Der Ponderation und Proportion der Gestalt hat der Doryphoros Polyklets als Vorbild gedient (Abb. 2). Aber mit welch anderem Geist hat der 12

Meister der Augustusstatue den Körper beseelt! Der griechische Held gibt sich ganz der körperlichen und geistigen Entspannung hin; schwer lasten seine Glieder. Der Oberkörper des Augustus ist aufgerichtet, der rechte Arm reckt sich empor, und der Hals trägt ein Haupt, dessen Antlitz sich mit festem Blick der Masse zuwendet, die das Wort des Imperators bezwingen soll. Die ganze Haltung atmet beherrschten Willen. Es ist ein Wille, dem jede Leidenschaft fehlt und der ganz unpathetisch ist. Der Ausdruck der Statue findet seine Krönung in dem Haupte (Abb. 4). Der Kaiser ist auf der Höhe des Lebens, in der Mitte der vierziger Jahre, dargestellt. Das Antlitz zeigt die klare, ruhige Heiterkeit, die von ihm gerühmt wird. Augustus hatte blaue Augen und blonde Haare, aber einen südlichen Teint. Der Blick ist fester und strahlender gewesen, als die Farbe noch in voller Kraft leuchtete. Die typischen Züge des Römers und ihre individuelle Formung sind in ihrer organischen und plastischen Gestalt klar, ohne Stilisierung, Übertreibung und unter Verzicht auf unwesentliche Details zur Darstellung gebracht. In der Zurückhaltung drückt sich die Distanz, die Augustus innegehalten haben wollte, aus. Vor uns steht kein Gott und kein Heros, kein von dämonischen Mächten erfüllter Genius, auch kein Fanatiker und kein Theoretiker, sondern ein Mann, der klug und willenskräftig die reale Wirklichkeit meistert. Zwei dem Gesamteindruck untergeordnete Motive deuten leise in eine ideale Sphäre. Der kleine, auf dem Delphin reitende Amor, der als Stütze dient, weist auf die mythische Herkunft der Julier von der Göttin Venus hin; daß der Kaiser, wie ein Heros, mit nackten Füßen steht, könnte zu der Vermutung führen, daß die Statue nach dem Tode des Kaisers ausgeführt ist. Der Weg zur Freude an der augusteischen Kunst ist mühevoll, weil es nicht leicht ist, sich für die Persönlichkeit des Augustus zu erwärmen. Auch der Lebende hat langsam und spät die Herzen der zeitgenössischen Welt erobert. Es fehlt seiner Gestalt alles Strahlende, Heldische, Mitreißende. Er war von ganz anderer Art als Alexander und Cäsar. Schon der neunzehnjährige Jüngling, der entscheidend in die Geschicke der Welt eingriff, handelte mit der Klarheit und Beherrschtheit des gereiften Mannes. Erst die Einsamkeit und Tragik seines späteren Lebens bringt uns den Menschen näher, dem weder Schuld noch Leid erspart geblieben ist. Aber er war der Mann, den die Welt brauchte. Er war der Ordner eines Chaos, der Friedebringer für eine vom Krieg erschöpfte und zerrissene Menschheit, der Gründer einer neuen Antike. Er vereinigte die 14

A b b . 4. Augustus. K o p f der Panzerstatue von P r i m a p o r t a .

R o m , Vatikan

höchste Intelligenz mit einem realpolitischen Taktgefühl ohnegleichen für materielle und geistige Mächte und einem auf lange Sicht handelnden unbeirrbaren Willen. Er war stark genug, um, wo es not tat, verzichten zu können. Er fühlte sich bewußt als Römer und hatte ein natürliches u n d sicheres Empfinden für Würde. Das ist der Mann, den der Meister der Statue von Primaporta in seinem Bilde gestaltet hat. War dieser Meister ein Grieche oder ein Römer? Ist die Statue ein Glied griechischer oder römischer Kunst? Die erste Frage ist leicht zu

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beantworten. Von der bodenständigen römischen Bildniskunst kleinbürgerlich-provinziellen Charakters der Wende der römischen Republik und der Frühzeit des Augustus führt keine Entwicklung zu der Höhe meisterlicher, plastischer Gestaltung der Augustusstatue. Sie kann nur von einem Griechen geschaffen sein. Griechisch ist es auch, daß nicht das Antlitz allein, sondern die ganze Gestalt Trägerin des Ausdrucks ist. Aber das Werk ist zugleich grundverschieden von den Porträts des Cicero, Pompeius und ihrer Zeitgenossen, die von einem griechischen Aug( gesehen und durch ein griechisches Temperament gestaltet sind. Das is nicht nur durch die Persönlichkeit des Porträtierten oder den Übergang von einem barocken Stil zu einer klassizistischen Reaktion zu erklären. Geist und Stimmung der Statue sind augusteisch-römisch. Es vollzieht sich hier ein Ereignis, das in Vorstufen von weniger großer Bedeutung bei der griechischen Kunst auf kleinasiatischem, russischem und italischem Boden schon in archaischer und klassischer Zeit zu beobachten ist. Die griechischen Meister passen sich dem Geist eines anderen Volkes und Landes an. Der Meister der Statue von Primaporta war ein in Rom heimisch gewordener Grieche, der den überwältigenden Einfluß des augusteischen Römertums erlebte. Die griechische Form tritt in den Dienst römischen Geistes. Ihr wird eine Aufgabe von solcher Größe gestellt, daß nach dem Chaos von späten und manieristischen Stilen eine neue starke Grundlage für eine vielhundertjährige Entwicklung geschaffen wird. Es ist eine organische Synthese, die sich auf römischem Boden vollzog. Die zeugende Kraft war das römische Ethos. Sie gibt uns das Recht, diese Kunst als römisch zu bezeichnen. Porträts des Augustus, die von griechischen Meistern auf griechischem Boden geschaffen wurden, sind, selbst wenn sie von stadtrömischen Werken abhängig sind, als rein griechische Arbeiten stets und klar von jenen zu unterscheiden. Für den römischen Betrachter der Augustusstatue war von einer sehr wesentlichen Bedeutung der Reliefschmuck des Panzers (Abb. 5). Wo der moderne Beschauer zunächst nur eine gefällige Dekoration sieht, verstand der Römer die gedankentiefe Sprache einer historisch-politischen Symbolik, für deren Bedeutung er ein ungleich stärkeres Empfinden hatte als die Griechen. Die Mittelszene hat eine der stolzesten Erinnerungen des Augustus zum Gegenstande, die im Jahre 20 v. Chr. ohne Krieg durch die Meisterschaft seiner Diplomatie geglückte Wiedergewinnung der durch frühere römische Niederlagen an die Parther verlorenen Feldzeichen. Mars selbst, der alte Kriegsgott der Italiker, begleitet von der 16

Abb. 5. Panzerrelief des Augustus von Primaporta

römischen Wölfin, übernimmt das Symbol dieses auf der römischen Kriegsmacht beruhenden friedlichen Sieges. Daß auch die Gefahren im Norden des Imperiums gebannt sind, lehren zur Rechten und zur Linken dieser Szene die trauernden Gestalten, in 2

Rodenwaldt,

K u n s t um A u g u s t u s .

2.

Aull.

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denen man eine Germania und eine Dacia erkannt hat. Oben taucht unter der Wölbung des Himmelsmantels der Sonnengott auf seinem Viergespann empor; vor ihm schwebt, vom Morgentau getragen, die Göttin der Morgenröte mit der Fackel des Phosphoros. Soweit die Sonne leuchtet, reicht die Größe des Herrschers. Im tieferen Teile des Panzers schweben die Schutzgottheiten seines Hauses, Apollon auf dem Greifen und Diana auf dem Hirsch. Zu unterst lagert Mutter Erde, mit Ähren bekränzt, ein Füllhorn mit Früchten haltend; zwei nackte Kinder spielen neben ihr. Vielleicht hat ein Gedicht die Stiftung der Statue begleitet. Aber auch ohne deutende Worte war der Sinn dem Beschauer klar, der Segen des auf der römischen Macht begründeten Friedens. Die Relieffiguren sind auf einen Panzer aufgesetzt, der selbst die Formen des nackten Körpers nachbildet. Für ein griechisches Auge wäre diese unorganische Verbindung kaum erträglich gewesen. Das sichere und traditionsgebundene künstlerische Taktgefühl des Griechen mußte sich hier dem Willen des Römers nach beziehungsvollem Inhalt fügen, der das ästhetische Bedenken überwand. Es zeigt sich hier ein Mangel an Gefühl für das Organische, der in der monumentalen Plastik eine Schwäche bedeutete, aber in der dekorativen Kunst der Phantasie eine Beweglichkeit gab, die eine Vorstufe zu manchen Erscheinungen der späteren Kunst des Abendlandes ist. Den reifen Augustus zeigen uns eine Reihe von Bildnissen des neuen in Rom entstandenen monumentalen Stils. Die Persönlichkeit spiegelt sich verschieden in den Individualitäten der verschiedenen Meister. In dem herrlichen Bronzekopf der vatikanischen Bibliothek (Abb. 6) erscheint Augustus wohl etwas jünger, aber herber und düsterer. Während die Form sich hier der Strenge der Erztechnik feinfühlig anpaßt, ist der Augustus von Ancona (Abb. 7) für die strahlende Schönheit des Marmors gedacht. Der Kaiser war hier opfernd dargestellt, die Toga über den Hinterkopf gezogen. Die die Stirn gliedernden und die sich von den Nasenflügeln herabziehenden Falten lassen ihn etwas älter erscheinen. Die Formen sind weicher, der Ausdruck ist ernst, aber gelöst. Die Feinfühligkeit der Meister unterschied die Stimmung des Opfernden von der des Imperators. Bei allen Nuancierungen, die uns an weiteren Köpfen erhalten sind, überrascht die Geschlossenheit des Stils. Sie wurde sicherlich durch die politische Bedeutung des Porträts unterstützt, die seine Schöpfung mehr als einen rein künstlerischen Akt sein ließ. Dazu kommt, daß ein großer Mann selbst in gewisser Weise durch das Bild gebunden 18

wird, das die Welt von ihm gewonnen hat, und es in Haltung und Haartracht bewahren muß. Wie weit können wir das Reifen und das Altern des Augustus an seinem Bildnis verfolgen? Ein bedeutender Kopf im Capitolinischen Museum (Abb. 8 und 9) zeigt uns den späteren Kaiser etwa in der Zeit seiner entscheidenden Kämpfe gegen Antonius (31—30). In der raschen Wendung des Kopfes und dem höheren Gelock des Haares über der Stirne hat sich an diesem in Rom entstandenen Porträt ein Rest des pathetisch-erregten Stils der Zeit des ersten Triumvirats erhalten. Die Schärfe der Züge und die Schmalheit der Wangen lassen die Zartheit der physischen Konstitution ahnen, gegen die Augustus sein ganzes Leben zu kämpfen hatte. Nervös sind die Augenbrauen zusammengezogen. Unruhig spähen die Augen. Noch hatte das Antlitz nicht gelernt, die Bewegung des Inneren unter einer gleichmäßigen, heiteren Klarheit zu verbergen. Welche Größe innerer Zucht bedeutet die Entwicklung von diesem Bildnis zu der Statue von Primaporta! Wir würden dem Rätsel der Leistung des Neunzehnjährigen nahekommen, wenn das berühmte Jugendbild im Vatikan (Abb. 10) wirklich zeitgenössisch wäre. Es ist ein Antlitz, von dem ein seltsamer Zauber, dem einen unheimlich, den anderen faszinierend, ausgeht. In seinen zarten, blassen Formen scheinen der Charakter und das Schicksal des Mannes einbeschlossen zu sein. Aber der Stil des Kopfes weist in den Ausgang der augusteischen oder den Anfang der tiberischen Epoche. Am Beginn seines Tatenberichtes hatte Augustus die in ihrer lapidaren Kürze unbeschreiblich monumentalen Worte geschrieben, mit denen er sein Auftreten in der Geschichte formulierte: „Annos undeviginti natus exercitum privato consilio et privata impensa comparavi, per quem rem publicam dominatione factionis oppressam in libertatem vindicavi." — „Neunzehn Jahre alt habe ich ein Heer aus eigenem Entschluß und eigenen Mitteln aufgestellt, mit dem ich dem von der Herrschaft einer Partei geknechteten Staat die Freiheit verliehen habe." Die Veröffentlichung nach dem Tode des Kaisers muß einen ungeheuren Eindruck gemacht haben. Wir möchten glauben, daß aus diesem Erlebnis heraus das Antlitz des Knaben, wie es vor seinem Eintritt in die Weltgeschichte ausgesehen haben mag, gestaltet worden ist. Es könnte durch denselben Meister geschehen sein, dem wir ein Bildnis des alternden Augustus verdanken (Abb. 12). Wie der Jüngling wirklich aussah, als er entscheidend in das Rad der Weltgeschichte eingriff, lehrt uns vielleicht ein seit kurzem bekannter Kopf (Abb. 11), dessen Züge noch nicht 20

Abb. 8. Augustus. Rom, Capitolinisches Museum

durchgeformt sind, und dessen ernste Entschlossenheit noch etwas von knabenhaftem Trotz hat. Der Augustus von der Via Labicana (Abb. 12) stellt den Kaiser opfernd dar in der altrömischen Tracht der Toga, die erst in seiner Zeit die uns 22

Abb. 9. Augustus.

Rom, Capitolinisches Museum

aus zahlreichen Werken vertraute Würde der schweren, faltenreichen Form erhielt. Der Körper ist eine handwerklich geringe Arbeit, der Kopf dagegen von einer Meisterhand geschaffen. Mit dem handwerklichen Charakter ist eine besondere Ausprägung des bodenständig 23

Abb. 10.

K o p f des jugendlichen Augustus.

R o m , Vatikan

Römischen verbunden. Die Statue ist ganz auf die Wirkung der frontalen Fläche hin gearbeitet und weist dadurch auf die Entwicklung der Spätantike hin. Sie empfängt ihren Ausdruck weniger durch die plastische Form als durch die beredte Sprache der Linien. Aus dem gleichen E m p finden heraus haben augusteische und überhaupt römische Kopien griechischer Gewandstatuen die lineare Komposition der vorderen Fläche gegenüber der rundplastischen Form der Vorbilder betont. Ein Blick etwa auf die Skulpturen der Kathedrale von Chartres zeigt, daß die römische Umformung der griechischen Originale ihre Einwirkung auf die west- und nordeuropäische Kunst des Mittelalters erleichtert hat. Es ist das eine nicht gering zu schätzende Mission der römischen Kunst für die europäische Vergangenheit, die erst jetzt und in Zukunft durch die Wirkung der griechischen Originale abgelöst werden wird. Das Haupt der Statue (Abb. 13) ist leicht geneigt. Drückt sich darin die Stimmung der religiösen Handlung aus, oder dürfen wir aus der Haltung etwas von der Resignation des von schweren persönlichen Schicksalen getroffenen, alternden Princeps herauslesen, von der wir aus der geschichtlichen Überlieferung wissen ? Sie zur Darstellung zu bringen, war sicher weder die Aufgabe noch der Wille des Meisters bei einem offiziellen 24

A b b . Ii. Kopf des jugendlichen Augustus.

Kassel

Bildnis, das dem Andenken des Kaisers galt. Aber das vom Schicksal geprägte Antlitz konnte mit zwingender Gewalt die Gestaltung durch den Künstler beeinflussen. Ganz leise deuten dünne Linien die Furchung der Stirne an. Vergebens suchen wir nach weiteren äußerlichen Alterszeichen, 25

Abb. 13.

Augustus.

K o p f der Statue von der Via Labicana

Runzeln und Fältchen um Auge und Nase. Aber doch spüren wir an der plastischen Formung, daß das Antlitz gealtert ist; die Wangen sind schmal geworden, die Backenknochen treten hervor, und die Umgebung des zahnlosen Mundes ist eingefallen. Indessen selbst diese Zeichen sind mit solcher Diskretion und Zurückhaltung angegeben, daß sie erst dem sich langsam und eindringlich in die Züge des Augustus vertiefenden Blick deutlich werden. Es wäre verfehlt, das objektive Lebensalter des Kaisers nach der Charakterisierung des Porträts schätzen zu wollen. Die Zurückhaltung gehört zum Stil des höfischen Bildnisses der augusteischen Kunst. Den äußersten Schritt, den es in der Wiedergabe der Alterszüge getan hat, repräsentiert ein Porträtmedaillon der Berliner Antikensammlung (Abb. 14). Hier deuten kleine Fältchen am Auge das Altern an. Stärker noch wirkt das Einfallen der Züge unter den Augen und die Schlaffheit der unteren Wangenpartie. Und doch ist durch die Straffheit der Haltung, die Festigkeit des Blickes und die Lockung des vollen 27

Abb. 14.

Augustus.

Medaillon. Berlin, Altes M u s e u m

Haares der Eindruck des Greisenhaften vermieden. Das dem Römer eingewurzelte Streben nach scharfer, realistischer Charakterisierung mußte sich dem augusteischen Stilwillen nach Würde der Form und Wahrung eines Abstandes beugen. Die gleichen Eigenschaften zeichnen das Altersbild der Kaiserin Livia (Abb. 15 und 16) aus, mit der Augustus in einer zweiundfünfzigjährigen glücklichen Ehe verbunden war. Sie war an Intelligenz und Charakter ihrem Gatten ebenbürtig, nach dessen Tode sie den Beinamen Augusta empfing. Ein Bildniskopf in Kopenhagen hat uns am besten ihre vornehmen, klugen und kühlen Züge überliefert. Eine unter Tiberius geprägte Kupfermünze (Abb. 1) zeigt uns den Kopf des vergöttlichten Augustus mit der Strahlenkrone. Sie ist vielleicht unter dem Eindruck einer Statue entstanden, die im Jahre 22 n. Chr. von der Kaiserin, die durch das Testament des Augustus in der Form der Adop28

tion in die Familie der Julier aufgenommen worden war, und ihrem Sohne Tiberius 3 seinem Adoptivsohn und Nachfolger, nahe dem Theater des Marcellus dem Divus Augustus Pater geweiht worden war. Die gleiche Bezeichnung lesen wir in der Umschrift der Münze. Das kleine Meisterwerk lehrt uns, wie sich das Bild des Vollendeten der Welt darstellte. Das Antlitz ist erfüllt von der Erhabenheit eines seiner geschichtlichen Mission und seiner hohen Verantwortung bewußten Ernstes. Das ergreifende Pathos ist stärker als bei den Bildnissen des Lebenden und zeugt von dem sich wandelnden Temperament der auf den Tod des Augustus folgenden Generation. Wenn schon in den Werken der Meister des so erstaunlich einheitlichen römisch-griechischen Stils des augusteischen Rom sich das Antlitz des Kaisers verschieden spiegelt, so geschah dies erst recht in den Werken, die in den Provinzen und innerhalb eines anderen Volkstums entstanden. Ein Bronzeköpfchen, das in der Nähe von Lyon gefunden wurde (Abb. 17), beruht in der starken Betonung der Alterszüge wohl auf keltischem Realismus, während eine Statue aus Herkulaneum das Nachleben eines schon antiquierten hellenistisch-unteritalischen Barockstils zeigt. Arbeiten des griechischen Festlandes, die uns in Korinth und Aquileia erhalten sind, sind Erzeugnisse eines langweiligen und nicht sehr feinen provinziellen Klassizismus. Bedeutender äußern sich die lebendigen und noch eine Zukunft in sich bergenden Kräfte des griechischen Ostens in einem Marmorkopf in Boston (Abb. 18) und einem Bronzekopf des British Museum, der im Königspalast der äthiopischen Hauptstadt Meroe am oberen Nil gefunden wurde, wohin er vermutlich als ein Geschenk des römischen Statthalters von Ägypten gelangt ist (Abb. 19). Der Bostoner Kopf versetzt die Züge des Kaisers in eine Sphäre des Poetisch-Göttlichen und gehörte wohl einst zu einer Statue, die den Kaiser in Gestalt eines Gottes zeigte. Die tief liegenden Augen und die schwellenden Lippen geben dem Bronzekopf das feurige und sinnliche Pathos eines hellenistischen Königs. Er wird von einem in Ägypten heimischen Griechen, der Bostoner Kopf von einem Kleinasiaten gearbeitet sein. Beide Meister aber folgen trotz der Besonderheiten ihrer Auffassung in der Zurückhaltung ihrer Formensprache dem Ideal der augusteischen Kunst. Jedes auf italischem Boden geschaffene Bildwerk, ob es von einem griechischen oder von einem römischen Meister geschaffen ist, ob es ein griechisches Vorbild nachahmen oder etwas Neues und Eigenes geben will, enthält eine Mischung von griechischer Formentradition und von römischem 29

Abb. 15.

Livia.

Kopenhagen, Glyptothek N y Carlsberg

Ausdruckswillen. Der Anteil beider Elemente ist in jedem Werk verschieden. Im allgemeinen kann man sagen, daß seit der augusteischen Epoche das Kunstwerk desto griechischer ist, je höfischer, offizieller, und monumentaler es ist. Stärker hält sich italisches Empfinden in der niedrigeren Sphäre der Volkskunst und in der Kunst des Bürgertums. Aber auch die künstlerischen Epochen unterscheiden sich. Klassizistische Zeiten stehen dem Griechentum näher, während in barocken Perioden das italische Element sich stärker durchsetzt. In die Sphäre eines wohlhabenden Kleinbürgertums führt uns das marmorne Grabrelief eines Freigelassenen-Ehepaares im Berliner Museum, das noch die in erste Hälfte der augusteischen Zeit gehören mag. Der rücksichtslose Realismus in dem Altersbildnis des Mannes (Abb. 20) zeigt uns die römische Freude an individueller Charakteristik des Antlitzes, während die andeutungsweise 30

Abb. 16.

Livia.

Kopenhagen, Glyptothek N y Carlsberg

Behandlung der Büsten von einer Gleichgültigkeit gegenüber der Plastik der Gestalt zeugt. Schon die Tatsache einer bürgerlichen Porträtkunst ist ein typisch römischer Zug. Selbst im hellenistischen Griechentum war das Porträt als eine Ehre der überragenden Persönlichkeit vorbehalten geblieben. Eine Zwischenstufe zwischen diesem realistischen Bildnis des Kleinbürgertums und dem höfischen Porträt nimmt die berühmte Bildnisgruppe eines römischen Ehepaares im Vatikan (Abb. 21) ein. Römisch ist der Typus mit dem Ausdruck der unpathetischen und unsentimentalen, aber vertrauensvollen und kameradschaftlichen Zusammengehörigkeit von Mann und Frau. Aber die Büsten sind in griechischem Sinne durchgeformt, und die realistischen Bildniszüge sind gemildert, wenn auch nicht bis zu jener Zurückhaltung, die das höfischePorträtauszeichnet. Wir steigen wieder zu der höchsten Sphäre der Monumentalität empor, 31

A b b . 17.

Augustus.

Bronzeköpfchen von L y o n

wenn wir uns dem Denkmal nahen, in dem für uns der Geist der augusteischen Kunst seinen reichsten bildhaften Ausdruck gefunden hat. In dem Tatenbericht des Augustus heißt es: „ C u m ex Hispania Galliaque, rebus in his provincis prospere gestis, Romam redi Ti. Nerone P. Quintilio consulibus, aram Pacis Augustae senatus pro reditu meo consacrari censuit ad campum Martium, in qua magistratus et sacerdotes et virgines Vestales anniversarium sacrificium facere iussit."

32

Abb. 18.

Idealporträt des Augustus.

Boston, F i n e Arts M u s e u m

„Als ich aus Gallien und Spanien, nachdem in diesen Provinzen alles mit glücklichem Erfolge ausgeführt war, nach Rom zurückkehrte unter dem Consulat des Ti. Nero und des P. Quintilius, beschloß der Senat einen Altar der Pax Augusta zum Dank für meine Heimkehr im Marsfeld zu weihen und befahl, daß auf ihm Oberbeamte, Priester und die vestalischen Jungfrauen alljährlich ein Opfer darbrächten." Augustus hatte die Befriedung der Welt vollendet; jetzt erhielt die Göttin des Friedens seinen eigenen Ehrennamen. Der Beschluß zur Errichtung des Altars wurde am 4. Juli des Jahres 13 v. Chr. gefaßt, die Einweihung erfolgte am 30. Januar des Jahres 9 v. Chr. Das Marsfeld trug seinen Namen von dem uralten Altar des Kriegsgottes, an dem alle fünf Jahre bei der Feier des Lustrums das Staatsopfer dargebracht wurde. Dem rächenden Mars hatte Augustus einen Tempel gelobt zum Dank für die Bestrafung der Mörder Cäsars. Jetzt wurde auf dem Marsfelde an der Via Flaminia, die jeden von Norden Kommenden in die Stadt führte, ein Heiligtum der Friedensgöttin errichtet und zwar in der gleichen urtümlichen Gestalt eines tempellosen, einen Altar umgebenden Bezirkes, die auch die Ära Martis hatte. An seiner alten Stelle, neben dem heutigen Corso, unter den gewaltigen Mauern des Palazzo Ottoboni-Fiano sind 3

Rodenwaldt,

Kunst

um

Augustus,

2.

Autl.

33

seit der Renaissance zu verschiedenen Zeiten die Reste dieses Baues zutage gekommen. Deutsche Forscher haben ihre Herkunft erkannt und die Rekonstruktion bis zu dem Punkte gefördert, an dem die italienische Wissenschaft die Aufdeckung der geheiligten Stätte übernahm. Im Anschluß an das Augustusjubiläum vom Jahre 1937 wurde die Grabung mit den Mitteln modernster Technik vollendet und endlich das Monument selbst aus dem größten Teile seines originalen Bestandes nahe dem Tiberufer unweit von seinem ursprünglichen Platze und dem Grabmal des Augustus wieder aufgerichtet (Abb. 22). Die Ära Pacis bedeutet nach dem Verlust mancher Denkmäler für uns als Repräsentation der augusteischen Kunst fast so viel wie der Parthenon für das Athen des Perikles. Freilich kann sie sich an absoluter und an künstlerischer Größe nicht mit jenem einzigartigen Werke vergleichen, und es wäre unbillig, ihren Wert danach messen zu wollen. In dem Bau des Parthenon vereinigte sich alles künstlerische Wollen und Können des perikleischen Athen; in ihm erreichte eine beispiellose Entwicklung ihre letzte Vollendung. Die Ära Pacis ist eines aus einer Reihe von vielen Denkmälern der augusteischen Epoche. Ihr Umfang ist bescheiden. Aber sie ist mit den höchsten künstlerischen Mitteln ihrer Zeit geschaffen und bedeutet ein Anfangsglied einer Jahrhunderte umfassenden Entwicklung des politisch-historischen Reliefs der Römer. Man hat mitunter gemeint, daß der Meister der Ära Pacis ein zeitgenössisches Gegenstück zum Parthenon und seinen Bildwerken habe schaffen wollen. Aber nicht das geringste Detail verrät uns, daß ihm bewußt oder unbewußt jenes Beispiel vorgeschwebt habe. Das Denkmal hat eine typisch altrömische Form (Abb. 23). Ein regelmäßiger, rechteckiger Bezirk von etwa elf mal zehn Meter Größe, ein templum, ist von einer Mauer umgeben und enthält in seiner Mitte kein Tempelchen und kein Kultbild, sondern einen Altar. Der Haupteingang lag im Westen und war durch eine Treppe zugänglich. Die Ostwand der Umfassungsmauer ist der parallel zu ihr verlaufenden Via Flaminia zugewandt. Daß man auch ihre Mitte durch eine dem Eingang entsprechende Öffnung durchbrochen hat, ist vermutlich aus einem doppelten Grunde geschehen, um die Opfertiere ohne Benutzung der Treppe an den Altar führen zu können und zugleich, um dem auf der Straße Vorüberschreitenden den Blick auf den Friedensaltar zu ermöglichen. Die steinerne Umfassung läßt durch die Freiheit ihrer Tektonik und die Nachahmung von Holzformen erkennen, daß eine bei älteren Heiligtümern hölzerne 34

A b b . 19.

Augustus.

Bronzekopf aus Meroé.

London, British M u s e u m

Umzäunung hier in monumentale Steinform übersetzt worden ist. A u f solchen Vorbildern wird die Anordnung von gemalten Figurenfriesen über rankengeschmückten Flächen an der Außenseite und im Innern von an Stierschädeln hängenden Girlanden über einem Plankensockel schon 3*

35

A b b . 20.

K o p f des Aiedius.

Grabrelief in Berlin, Altes M u s e u m

eine künstlerische Tradition gehabt haben. Ob die Umsetzung in Stein zum erstenmal an der Ära Pacis oder schon früher erfolgt ist, wissen wir nicht. Ein ähnlicher Vorgang hat sich noch einmal in einem weitabgelegenen Gebiet der antiken Kunstgeschichte abgespielt, als in Indien unter griechischem Einfluß die hölzernen Umzäunungen der Stupen in Stein übersetzt wurden. Der Innenraum des heiligen Bezirkes (Abb. 24) wird zum größten Teil von dem Opferaltar ausgefüllt, der sich auf mehreren Stufen erhebt. Die Altarwangen sind zwischen geflügelten Löwen mit kleinfigurigen 36

A b b . 21.

G r a b b ü s t e n eines E h e p a a r e s .

Rom, Vatikan

Reliefs geschmückt. A u f der einen, wohlerhaltenen Außenseite werden die Opfertiere, ein Schaf, ein Stier und eine K u h herangeführt, während man an der Innenseite die Vestalinnen schreiten sieht. Gekrönt werden die W a n gOe n von Jje zwei sich in strenger Symmetrie zueinander erhebeno den Pflanzenvoluten. Römisch wie Idee und Gestalt der heiligen Stätte ist auch das P r o g r a m m der Bildfriese, die die A u ß e n w a n d der Umfassungsmauer schmücken, und zwar römisch in einer bezeichnend augusteischen P r ä g u n g . A u s der K o n struktion der U m z ä u n u n g ergab sich die besondere F o r m der mit R e liefs zu schmückenden T e i l e . N i c h t ein einziger oder durch die T ü r ö f f n u n g e n zweigeteilter Fries umschließt den Bau, sondern durch die E c k pfeiler und die T ü r g e w ä n d e werden an den Langseiten im N o r d e n und Süden j e ein breites Bildfeld und an den Schmalseiten j e ein Paar einander entsprechende kurze Felder abgeteilt. A u f diese drei Paare von Bildern werden die T h e m a t a verteilt. Eine Dreiheit bietet uns auch der große 37

Abb. 24.

Ära Pacis.

Blick in das Innere

Gedankenaufbau in dem Programm der Parthenonskulpturen. Er steigt von der Repräsentation des attischen Volkes im Festzuge der Panathenäen über die Heroenkämpfe der Metopen zu den Göttermythen der Giebel und läßt an der Ostfront die Götter dreimal erscheinen, am Fries, an den Metopen und im Giebel. Eine andersartige aber nicht weniger durchdachte thematische Gliederung begegnet uns in der augusteischen Kunst. Ein einfaches Beispiel dafür besitzen wir an einem bei Karthago gefundenen Altare, der wohl bald nach dem Tode des Kaisers in einem der 40

Abb. 25.

Relief der R o m a vom A l t a r der Gens Augusta in Karthago

Gens Augusta geweihten Heiligtume errichtet wurde. Dort sehen wir an der Front die nach dem Siege auf einem Waffenhaufen ruhende Göttin Roma (Abb. 25). Ihr gegenüber trägt eine Basis einen Globus, ein Füllhorn und den Stab des Merkur als Symbole der unter den Segnungen des Friedens blühenden Welt. Wer der Bringer des Friedens war, sagte dem römischen Beschauer das Attribut in der vorgestreckten Rechten der Roma. Eine Victoria trägt einen Schild vom Himmel herab und stützt ihn auf einen Pfeiler. Es ist der goldene Schild, der, wie der Kaiser in seinem Tatenbericht erzählt, im Jahre 27 v. Chr. ihm zu Ehren von Senat und Volk in der Curia Julia angebracht wurde und durch seine Inschrift als die Mannestugenden des Augustus die Virtus, die männliche Tüchtigkeit, die dementia, die Milde, die Justitia, die Gerechtigkeit und die Pietas, die Frömmigkeit, feiert. Dem Bilde der ruhenden Roma entspricht auf der Gegenseite ein thronender Apoll, der Schutzgott des julischen Hauses. Auf der einen Nebenseite rettet der fromme Äneas seinen greisen Vater und den Sohn aus dem Untergange Troias, auf der 41

A b b . 26.

T e l l u s - R e l i e f von der Ä r a Pacis

anderen bringt der Kaiser ein Stieropfer in altem römischen Ritus dar. Symbolisches göttliches Dasein, ein Akt der Pietas aus der römischen Heldensage, religiöse Feierlichkeit der Gegenwart — das ist die augusteische Dreiheit der Thematik am kultischen Monument. Dem ersten Gegenstande war das Reliefpaar an der der Straße zugewandten Ostfront der Umfassungsmauer geweiht. Dem Beschauer zur Linken sitzt Tellus, die Mutter Erde (Abb. 26 und 27); zwei Kinder spielen in ihren Armen, Blumen und Ähren sprießen neben ihr empor. Unter ihr am Boden lagert ein Rind, und zu ihren Füßen weidet ein Schaf. Ihr zu Seiten erscheinen die Lüfte des Zeus, und unten sprudeln die heilsamen Wasser. Oft zitiert sind die Verse aus dem Carmen saeculare des Horaz, die diesem Bilde entsprechen. „Fertilis frugum pecorisque Tellus spicea donet Cererem Corona; nutriant fetus et aquae salubres et Jovis aurae." 42

Abb. 27.

Tellus.

Teiiansicht des Reliefs Abb. 26

„Tellus, reich an Früchten und Vieh, möge mit dem Ährenkranz Ceres beschenken, und dem keimenden Leben mögen heilbringende Wasser und Jovis Lüfte Gedeihen bringen." Eine Glücksstimmung wie aus Haydns Schöpfung, wenn auch gedämpfter und feierlicher, strömt aus dem Reliefbilde: „Nun steht in vollem 43

Glänze die Erde". Eine meisterhafte Kunst der Komposition vereinigte die Geschlossenheit des Einzelbildes mit der Rücksicht auf das Gegenstück, von dem uns nur geringe Teile erhalten sind; auf ihm war, zur Rechten des Beschauers, die, wie auf dem Altare von Karthago, auf Waffen ruhende Roma dargestellt, deren Kriegstaten den Frieden begründeten und deren wachsame Kraft ihn gewährleistete. Auf der Westfront, durch die man den Altarbezirk betrat, erschien zur Rechten das Opfer des frommen Vaters Äneas an die römischen Penaten (Abb. 28), während auf dem Gegenstück der Kriegsgott Mars dem Wunder zuschaut, wie die Wölfin die Zwillinge Romulus und Remus säugt. Das Opferrelief mit der würdevollen, Ehrfurcht gebietenden Gestalt des Äneas ist zum größten Teil erhalten, das andere fast ganz zerstört. Die beiden Langfriese zeigen zwei Ausschnitte aus dem historischen Akt der Opferprozession, die bei der Einweihung des Altares am 30. Januar des Jahres 9 v. Chr. erfolgte. Ein ungeheures weltgeschichtliches Geschehen und der Unterschied des Griechentums und des Römertums trennen diesen Fries von dem durch den Gegenstand der Prozession, das Ethos der Auffassung und die Höhe der Form verwandten panathenäischen Festzuge am Parthenon. Beide Werke sind nicht nur religiösen, sondern auch politischen Charakters. Aber welch Gegensatz! Der attische Fries ist eine von allem Zeitlichen und Persönlichen losgelöste Darstellung der Idee der Demokratie, der Gemeinschaft freier und gleicher Menschen. Im Kunstwerk ist verwirklicht, was in der Realität eine politische Utopie war. Vergebens suchen wir das Bildnis des ersten Mannes, um dessen Herrschaft es sich nach dem bekannten Worte des Thukydides in Wirklichkeit handelte, oder auch nur nach einem Symbol seines Daseins. Der Fries ist politisch, aber unhistorisch. Die Reliefs der Ära Pacis haben dagegen nicht die Theorie (kbyog), sondern die geschichtliche Wirklichkeit (kgyov) zum Gegenstande. Es ist das, selbstverständlich stilisierte Bild der Prozession, die an einem bestimmten Tage stattgefunden hat oder, als der Fries ausgeführt wurde, erst stattfinden sollte. An der Spitze des Zuges (Abb. 29), erwartet von Liktoren, schreitet der Princeps, als erster von seinesgleichen, nicht als Herr von Sklaven, sondern als Führer von Freien, wie es Augustus und nach ihm die Theorie des Principates wollte. Mit einer bewunderungswürdigen Einfachheit der Mittel, die auf die letzte Überarbeitung der Oberfläche verzichtet, hat der Meister in dem Antlitz des Princeps (Abb. 30) die ernste Konzentration in die heilige Handlung und das Bewußtsein der Würde des historischen Augen44

A b b . 28.

A r a Pacis.

Opfer des Aneas

blicks zu ergreifender Anschauung gebracht. Ihm folgt die Priesterschaft bis zu der hochragenden Gestalt mit gesenktem Haupte und über den Hinterkopf gezogener Toga, um deren Deutung die Wissenschaft bisher vergeblich ringt (Abb. 31). Daran schließt sich die Familie des Augustus mit den Frauen und Kindern an. Hier wagt es der Meister, die Feierlichkeit der Prozession durch kleine episodische Züge zu mildern. Auch in anderen Epochen der Kunst haben höfische Repräsentationsbilder der Darstellung des Herrschers eine strengere Würde gegeben als der seiner Gattin. Der zweite Fries enthält die Prozession der feierlich einher schreitenden hohen Beamten (Abb. 32), denen Gruppen von Frauen und Kindern folgen. Wenn uns das Zeremoniell des Hofes und das sicherlich bis zur letzten Figur festgelegte Programm bekannt wären, würden wir jede einzelne Gestalt mit Namen benennen können. Im Gegensatz zu dem ewigen Menschentum des Parthenonfrieses sind die Opferzüge der Ära Pacis räum- und zeitgebunden. Ihre Gegen war ts nähe beruht weniger auf der 45

Form als auf der Bedeutung des geschichtlichen Gehalts, den sie zum Ausdruck bringen. Mit dem monumentalen Historienbilde, das in Rom schon auf eine lange Tradition volkstümlicher Malerei zurückblicken konnte, hat die augusteische Kunst ein Thema gestaltet, das weit über das Römische hinaus die Kunst Westeuropas bis zur Gegenwart beschäftigt hat. Für den Römer war es mehr als Ausdruck und Erinnerung; es war ein Mittel politischer Wirkung. In Rom hatte seit Jahrhunderten in weiten Gebieten des öffentlichen Lebens neben dem gesprochenen Wort das gemalte Bild eine Rolle gespielt. Die Ostfriese der Ära Pacis predigten die Segnungen des Friedens durch die Pax Augusta. Ihr Gesamtschmuck war ein hohes Lied auf die durch die Religionspolitik des Augustus neu erweckte altrömische Tugend der Frömmigkeit, der Pietas, die zugleich die Pietät in unserem Sinn des Wortes gegenüber den Altvorderen einbegriff. Wir sehen hier die höchste Form einer Kunst der politischen Propaganda vor uns. Wieder fragen wir uns: Waren die Meister dieses Werkes Römer oder Griechen ? Wer die der Ära Pacis vorausgehenden römischen Reliefs des ersten vorchristlichen Jahrhunderts überschaut, kann nicht zweifeln, daß es Griechen waren, die in Rom eine neue Heimat gefunden hatten. Alles Frühere hat einen provinziellen Charakter, der nicht die Kräfte zu einem solchen Aufschwung in sich trägt. Die Blüte der augusteischen Kultur leitet den Hauptstrom griechischen Schaffens nach Rom. Wir sehen mit Staunen, wie stark noch die Produktivität der durchaus nicht erschöpften griechischen Kunst ist. Mangel an Aufgaben hatte sie im griechischen Osten seit einem Jahrhundert in Manierismus und Archaismus erstarren lassen. Jetzt entzündete sie sich aufs Neue an dem großen Gegenstande, den sie auf römischem Boden zu gestalten hatte. Erhalten hatte sie sich auch die Elastizität der Anpassung, die sie an den Randgebieten der griechischen Kultur und gerade auf italischem Boden stets erwiesen hatte. Noch nie aber war sie in den Dienst einer Kultur von so absoluter historischer Größe und innerer Geschlossenheit getreten wie im Rom des Augustus. Was das Ziel der monumentalen Kunst dieser Epoche war, Würde, das hat erst die dienstbare Kunst griechischer Meister zu erfüllen vermocht. Wie beim augusteischen Porträt so hat sich in dem Prozessionsfries der Ära Pacis eine spannungsreiche Auseinandersetzung zwischen Römischem und Griechischem vollzogen. Es ist nicht nur eine Prozession mit römischem Zeremoniell, von Menschen mit römischen Typen und in römischer Tracht das Thema eines griechischen Reliefs geworden, 50

Abb. 33.

G e m m a Augustea.

Wien, Antikensammlung

sondern der Gegenstand hat auch die künstlerische Form beeinflußt. Der strengere römische Ritus hat zu einer festeren Reihung der Figuren geführt, als sie ein frei gestaltender griechischer Künstler gewählt hätte. Der Parthenonfries ist festlicher, der Fries der Ära Pacis feierlicher. Doch bewahrte ihn die lebendige griechische Form vor hieratischer Starrheit. Bei den Gruppen der Frauen und Kinder war diese Bindung lockerer und der Komposition größere Freiheit gelassen. In der Zurückhaltung der realistischen Züge des Porträts spüren wir über die Norm des augusteischen Stils hinaus griechisches Empfinden. Andrerseits gibt der griechische Meister in einer gewissen Einbeziehung der räumlichen Tiefe der Beeinflussung durch ein römisches Kunstempfinden nach. Die Synthese ist indessen so vollkommen, daß sich das Werk nicht in griechische und römische Elemente zerlegen läßt. In dem griechischen Meister ist auf römischem Boden eine Wandlung eingetreten, die sein Werk von 4*

51

vorausgehenden und gleichzeitigen Arbeiten im Osten deutlich unterscheidet. Man tut seiner Leistung Unrecht, wenn man ihn als Klassizisten, die augusteischen lateinischen Dichter dagegen als Klassiker bezeichnet. Beide Benennungen sind durch die Geschichte der Wissenschaft begründet. Mit Recht rücken wir die zahllosen Kopien griechischer Originale, die im augusteischen und späteren Rom entstanden, durch das Wort „klassizistisch" von dem Klassischen ab. Wenn wir das Wort „klassisch" als Wertbegriff fassen, so gehört dazu die Originalität der künstlerischen Leistung. Das historische Relief hat eine neue und große Aufgabe mit so schöpferischer Kraft bewältigt, daß dieser Teil der bildenden Kunst nicht hinter den Meisterwerken der Literatur zurückgestellt werden sollte. Aber auch der Klassizismus der Kopien, die in Rom und für Rom hergestellt wurden, hat eine Mission von weltgeschichtlicher Bedeutung erfüllt, indem er die griechische Plastik der westeuropäischen Kunst des Mittelalters und der Neuzeit in einer Form überlieferte, die ihre Wirkung erleichterte. Die Wiedereroberung griechischer Originale hat diese Mission in den Hintergrund treten lassen, aber nicht überflüssig gemacht. In den Friesen der Ära Pacis sind historische Realität und symbolische Göttlichkeit voneinander getrennt. In anderen Werken liebte es die römische Kunst, beide Sphären beziehungsreich zu vereinen. Ein kleines Meisterwerk ist uns in der sogenannten „Gemma Augustea", einem aus arabischem Sardonyx geschnittenen Prachtkameo (Abb. 33), erhalten. Solche Kostbarkeiten wurden für den kaiserlichen Hof in seinem unmittelbaren Auftrage geschaffen und in seinem Schatze durch die ganze Antike hindurch sorgfältig aufbewahrt. Diese und viele verwandte Kameen sind nie unter die Erde gekommen, um erst von späteren Zeiten neu entdeckt zu werden, sondern aus nachantikem kaiserlichen Besitz in die Kirchenschätze des Mittelalters übergegangen, um schließlich wieder zur Zierde kaiserlicher oder königlicher Kunstkammern zu werden. Die „Gemma Augustea" ist ein offizielles Kunstwerk, das in allen Einzelheiten seines Inhalts vom Hofe bestimmt oder gebilligt sein muß. In dem oberen Hauptstreifen thront Augustus neben der sitzenden Roma, die den Blick auf ihn heftet. Er ist ins Göttliche erhoben; ein Mantel bedeckt nur den Unterkörper, der Adler des Jupiter sitzt zu seinen Füßen, neben seinem Antlitz leuchtet sein Nativitätsgestirn, und Oikumene, diePersonifikation der bewohnten Welt, hält über sein Haupt den Eichenkranz, der ihm „für die Errettung von Bürgern" verliehen worden war (Abb. 55), 52

Aller Augen sind auf ihn gerichtet. Jede Gestalt, jedes Attribut, jeder Gestus ist voller Bedeutung. Zur Linken hält der Wagen des Triumphators, von dem der siegreiche Tiberius herabzusteigen im Begriff ist, um sich vor der Fahrt auf das Kapitol dem Vater und Kaiser zu Füßen zu werfen. Andere römische Epochen hätten wohl den dramatischen Augenblick jenes Kniefalls zum Gegenstande gewählt. Der augusteische Künstler gibt mit Tiberius dem Kaiser die Ehre, indem er das historische Geschehen gegenüber der Schilderung des majestätischen Daseins an die Seite rückt. Diese Bevorzugung des Statischen gegenüber dem Aktiven ist augusteisch, das Herabdrücken der Handlung zur Nebensache ein Vorbote spätantiker, sonst wesentlich verschiedener Kaiserszenen. In dem kleineren, unteren Friese werden gefangene Barbaren, Männer und Frauen, von römischen Soldaten erbarmungslos zum Tropaion, dem Siegesmal, geschleppt. Die Freude an der edlen Kunst des Steinschneidens und ihre Pflege war ein Brauch, den Rom von den hellenistischen Königshöfen übernommen hatte. Aber auf einem griechischen Vorbilde wäre ein Siegesbild wie das des unteren Frieses unvorstellbar; das griechische Ethos hätte sich dagegen gesträubt. Der Römer kennt im Augenblick des Triumphes keine Milde. Der Fries hat das „debellare superbos" oder die strafende Justitia des Princeps zum Gegenstande. Wohl hat auch der Grieche den Kampf mit Opfer und Gebet eingeleitet und den Göttern Dankesgaben für den Sieg dargebracht, aber in Rom war nach uraltem Brauch der Krieg viel fester an die Religion gebunden. Der Triumph nach einem gerechten Kriege traf einen Schuldigen. Darin lag eine sittliche Rechtfertigung für ein Verhalten, das der griechischen Humanität widerstrebte. Im weiteren Verlaufe der römischen Kaiserzeit hat sich in der darstellenden Kunst dieses durch die griechische Tradition zunächst in Schranken gehaltene Empfinden noch stärker durchgesetzt und sich der Auffassung und Form des Orients genähert. Das ethische Verhältnis zwischen Sieger und Besiegtem bestimmt auch die künstlerische Form. Der griechische Typus zeigt ein Gleichgewicht der beiden Parteien, von denen die siegreiche, einem europäischen Grundempfinden gemäß, von links nach rechts entscheidend vordringt. Die römische Auffassung drängt nach einer Komposition wie der des jüngsten Gerichtes, in der oben der Richter und unten die Verdammten erscheinen. Während spätere römische Denkmäler diese Idee in einem einheitlichen Kampfbilde furchtbarer Vernichtung zum Ausdruck bringen, enthalten die getrennten Friese der Gemma Augustea eine maßvollere Gestaltung. Der Meister 53

des Kameo war sicherlich ein Grieche, wie wir es von fast allen Steinschneidern, Toreuten und Kunsttöpfern der Zeit wissen. Er ist aber von dem römischen Geist der Zeit so erfüllt und bestimmt wie der Schöpfer der Ära Pacis. Der Verherrlichung des Augustus ist ein silberner Becher gewidmet, der mit einem Gegenstück, das zwei Szenen aus dem Leben des Tiberius enthält, in Boscoreale gefunden wurde (Abb. 34 und 35). Es mögen Kopien zweier toreutischer Werke sein, deren Originale für den Hof geschaffen wurden. Der Augustusbecher hat auf der einen Seite eine göttlich-repräsentative Szene, auf der anderen ein Bild symbolhafter Wirklichkeit. Dem auf der „sella curulis" thronenden Kaiser, der in der Rechten die Weltkugel, in der anderen Hand eine Rolle hält, naht von links Venus, die Stammutter des julischen Hauses, von deren Händen ihm eine Victoria entgegenschwebt, die einen Kranz in der Hand und eine Palme an ihre linke Schulter gelehnt trägt. Hinter ihr stehen die römischen Personifikationen von Honos und Virtus, der Ehre und der männlichen Tüchtigkeit. Von rechts führt Mars eine Gruppe von Gestalten besiegter Provinzen heran. Mit einer für das antike Relief dieser Zeit bemerkenswerten Kühnheit ist die Gestalt des Kaisers fast in die Vorderansicht gestellt, obwohl die Handlung sich zwischen ihm und der Figur zur Linken vollzieht. Die Höhe des Reliefs erlaubte die beinahe frontale Haltung des Sitzenden. Die Komposition ist ein Vorbote spätantiker und vom Mittelalter übernommener kaiserlicher Repräsentationsszenen. Beide Gruppen rahmen annähernd symmetrisch die zentrale Figur des Herrschers ein. Das zweite Bild zeigt uns das Ethos des römischen Siegers von einer anderen Seite als die harte Triumphszene der „Gemma Augustea". Der im Feldlager auf einer „sella castrensis" sitzende Herrscher empfängt mit gnädiger Gebärde eine Gruppe von Barbaren. Ihr Führer ist zu Boden gekniet und hält vor sich ein Knäblein, das dem Kaiser vertrauensvoll bittend die Ärmchen entgegenstreckt. Dahinter führt ein demütig den Rücken beugender Barbar einen zweiten Knaben heran, dem ein römischer Offizier ermutigend die Hand drückt. Der Alte und ein ihn begleitender Jüngerer strecken dem Kaiser den Arm entgegen. Weiter hinten stehen zwei andere bärtige Barbaren, von denen einer ein kleines Kind auf der Schulter trägt. Die Barbaren werden in Gnaden empfangen. Haben wir hier als Gegenstück zu dem unteren Friese der „Gemma Augustea" eine Szene des „parcere subiectis" vor uns? Übt der Princeps gegenüber Besiegten die altrömische, durch Cäsars Vorbild zur römischen 56

A b b . 36.

Rankenornament an der Ä r a Pacis

Herrschertugend gewordene Clementia, jene Großartigkeit des Verzeihens, die noch im achtzehnten Jahrhundert als Huldigung von Kaisern in Metastasios oft komponierter Oper „ L a Clemenza di T i t o " gefeiert wurde? Bei der deutlichen und symbolhaften Sprache der römischen Kunst dürfen wir der Szene wohl noch eine andere Wendung geben. Wären die Barbaren im Kriege besiegt, so würde ein Gefangener in Ketten nicht fehlen, wie es auf späteren römischen Reliefs, die die Clementia des Kaisers zum Gegenstande haben, der Fall ist. Wir werden vielmehr 57

in der Sprache des Tatenberichtes des Augustus die Handlung so deuten müssen, daß Abgesandte eines barbarischen Volkes, ohne im Krieg besiegt zu sein, aber durch die Macht Roms gezwungen, kniefällig (supplices) und, indem sie ihre Kinder als Geiseln darbringen (per liberorum suorum pignora), im Begriff sind, die Freundschaft Roms zu erbitten (amicitiam petere). Nicht Gnade, sondern Freundschaft wird hier gewährt, aber sie verlangt die Demütigung des Flehenden. Die Behandlung des Reliefs ist an diesem Becher und seinem Gegenstück von einer ungewöhnlichen Freiheit. Die Strenge der Steinarbeit pflegt bei den Griechen auch andere Techniken zu beherrschen. Hier dagegen erscheinen einzelne Figuren in ganz hohem Relief; fast rundplastisch ist der sitzende Augustus in der Götterszene gebildet. Andere Gestalten sind ganz flach gehalten. Die Gruppe des Mars und der Provinzen ist von einer Kühnheit in der Variation der Reliefhöhe, die wenige Analogien in der Antike hat. Hat hier ein griechischer Meister sich ganz den Möglichkeiten der Technik des Treibens hingegeben? Dieses Becherpaar gehört zu den seltenen Stücken augusteischer Reliefkunst, bei denen allerhand Eigentümlichkeiten an einen römischen Schüler eines Griechen denken lassen könnten. Die Toreutik in Edelmetallen hatte schon eine lange griechische Tradition hinter sich; einen griechischen Meisternamen augusteischer Zeit hat uns ein in Dänemark gefundenes Becherpaar erhalten. Aber die Römer scheinen eine ganz besondere Vorliebe für Silber gehabt zu haben. Silberne Statuen von Herrschern des Königreichs Pontus, seines Begründers Pharnakes und des großen Feindes der Römer, des Mithridates, wurden im Triumphzuge des Pompeius gezeigt. Die Wahl dieses Materials steht dort vielleicht unter persischem Einfluß und war durch das Vorkommen im Lande begünstigt. Im augusteischen Rom wurde das Silber, dessen kühle Vornehmheit dem Geschmack der Zeit entgegenkam, für Kaiserstatuen üblich. Augustus erwähnt in seinem Tatenbericht, daß er nicht weniger als achtzig silberne Statuen, die ihn teils zu Fuß, teils zu Pferde, teils zu Wagen darstellten, fortnehmen ließ, um aus ihrem Erlös goldene Weihgeschenke in den Tempel des Apoll zu stiften. Eine lebensgroße Kaiserbüste des zweiten Jahrhunderts aus getriebenem Silber blech hat uns vor kurzem eine Vorstellung solcher Werke gegeben. Wenn wir uns im Geiste das Bild des augusteischen Rom vergegenwärtigen, so ist ein für uns fremdartiger, aber eindrucksvoller Bestandteil die Monumentalplastik in getriebenem oder gegossenem Silber. 58

Die Handlung des augusteischen Historienbildes hat wie die Formen, in denen sie sich ausspricht, die Eigenschaften des Maßvollen und Beherrschten, der Würde und der Feierlichkeit. Ihr Tempo bewegt sich im Maestoso, im Andante, im Allegro ma non troppo und im Grazioso. Es fehlt ein Appassionato, ein Allegro con brio, ein Presto und ein Scherzo. Vergebens würden wir die Leidenschaft eines Triumphzuges oder die Dramatik eines Reiterkampfes suchen. Die historische Mission des Augustus war es, aus einer chaotischen Bewegung die Ruhe dauernden Friedens zu schaffen. Der natürliche Ausdruck seiner Person und seines Werkes war die klassische Haltung der Kunst. Wie die griechische Kunstform sich der augusteischen Idee beugen mußte, so mußte seinerseits das von Natur zu barocker Leidenschaftlichkeit drängende italische T e m perament sich zu beherrschter Ruhe bändigen lassen. In dieser Spannung lag zugleich die Kraft zu der Entwicklung der neronisch-flavischen Kunst, in der die römische Leidenschaft wieder zum Durchbruch kam, ohne die durch den augusteischen Stil geschaffene Monumentalität zu verlieren. Der Würde der Reliefs der Ära Pacis entspricht die Anmut ihres ornamentalen Schmucks. Sie erhebt die provinzielle Form des in Stein übersetzten hölzernen Geheges zu klassischer Höhe. Wohltuende Proportionen gliedern Innen- und Außenwand der Umfassungsmauer. Sowohl die architektonischen Einzelglieder wie die ornamentalen Motive verraten die griechisch geschulte Hand der ausführenden Meister. Die Idee, die Orthostatenplatten der Außenwand mit einem Ornament (Abb. 36) zu überdecken, entstammt römischer Tradition des Holzbaues und widersprach dem tektonischen Empfinden der Griechen. Aber der griechische Meister hat sich mit unvergleichlichem Taktgefühl dieser Aufgabe unterzogen. Akanthusranken wachsen aus einem saftigen Blattwerk, winden J c ö sich seitlich entlang und an den Ecken aufwärts oder breiten sich, emporstrebend, auf der Fläche aus, um aus ihren sich einrollenden Spitzen Blumen entsprießen zu lassen, die sich teils in weicher Biegung seitlich öffnen, teils uns rosettenartig entgegenblicken. Schwäne sitzen auf sockelartig tragenden Pflanzengebilden und breiten die Flügel zwischen den zartesten oberen Ranken aus. In ungebrochenen, runden Kurven erfüllt die harmonisch schwingende Bewegung gleichmäßig die ganze Fläche. Nirgends entsteht eine Dissonanz. Wohlausgewogen ist der Wechsel zwischen der bewegten, einst durch die Farbe noch reicher gegliederten Form des Ornaments und der ruhenden Fläche des Grundes. Wir spüren 59

A b b . 37.

Krater aus dem Hildesheimer Silberschatz.

Berlin, Antiquarium

das Wurzeln der Akanthuspflanze im Boden, das Aufstreben der Ranken, die tragende Funktion der Fittiche der Schwäne. U n d doch sind die Bewegungen und Formen so ausgeglichen, daß nicht etwa unten Fülle und Schwere, oben Leere und Leichtigkeit sind. Blicken wir auf das Ganze, so wirkt das Ornament wie ein Teppich, der die Fläche bedeckt und sich dienend dem A u f b a u der Wand unterordnet. Das System des PalmettenAkanthusgeschlinges hat eine lange Geschichte in der griechischen Ornamentik, und die besondere Form der Ära Pacis entstammt wahrscheinlich pergamenisch-kleinasiatischer Tradition. Aber hier spüren wir nichts 60

A b b . 38.

Rankenornament vom Hildesheimer Krater

Ängstliches und Kleinliches wie bei anderer klassizistischer Ornamentik, auch nicht die Leblosigkeit einer Imitation, sondern mit dem dekorativen Feingefühl verbinden sich Fülle, Frische und Gesundheit der A r beit, die sich insbesondere auch in den Variationen durch die verschiedenen ausführenden Hände äußern.

Abb. 41.

Silberbecher von Boscoreale.

Paris

Von dem Taktgefühl und der Beweglichkeit der augusteischen Ornamentik legt die Übertragung des Rankensystems der Ära Pacis auf ein erlesenes Werk der Silberschmiedekunst Zeugnis ab. Bei dem Altarbau handelt es sich um monumentale Abmessungen im Rahmen einer festen architektonischen Gliederung und um Ausführung in Marmor. Der herrliche Mischkrug des Hildesheimer Silberschatzes (Abb. 37 und 38) ist ein Werk der Kleinkunst, seine schön und weich bewegte dünne Wandung ist aus Silber gegossen. Er war zur Aufnahme edlen Trankes bestimmt. Jederseits entwickelt sich ein symmetrisches Rankenornament, das rund bewegt die ganze Fläche belebt. Doch was für ein Gegensatz zur Fülle der monumentalen Steinarbeit an der Ära Pacis! Mit welch einfühlender Zärtlichkeit und welch poetischer Anmut hat sich der Toreut hier seiner Aufgabe angepaßt! Das Dekor ist in seiner Masse zierlicher und leichter, die zart bewegte Fläche des Grundes tritt mehr hervor. Aus den festen Ranken sind fadendünne Gebilde geworden. Akanthusblätter und Blumen sind durch tangartige Gewächse ersetzt,3 die im leicht be0 0 wegten Wasser zu schwanken scheinen. Muscheln und Wassertiere wachsen aus blütenartigen Gebilden hervor. Diese wölben sich stärker

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Abb. 42.

Silberbecher aus dem Hildesheimer Silberschatz.

Berlin, Antiquarium

heraus als die zarten Stengel und wollen, vom Licht getroffen, in hellem Silberglanz aufstrahlen. Das Spiel zwischen flacheren und volleren Formen ist, obwohl der uns erhaltene Krater gegossen ist, sicherlich aus der Technik des Treibens entwickelt. Die leichter bewegliche Phantasie der dekorativen Kleinkunst läßt am Fuß der schwankenden Gebilde zwei Greifen symmetrisch Wache halten und ungeflügelte Eroten nach den sich im Wasser tummelnden Tieren jagen. Mit bezaubernder Grazie sind die runden, im Licht aufglänzenden Kinderkörperchen in die zarten Pflanzen gefügt. Der eine balanziert auf einem Rankenbogen, während er ein Fischlein an der Angel emporzuziehen sich bemüht; ein anderer stützt,7 um kräftig; zustechen zu o mit einem Dreizack auf eine Languste o können, das Knie auf den sanft geschwungenen Stengel und hält sich mit der linken Hand an einer dünnen Ranke fest, in deren Endgeschlinge er das andere Füßchen stemmt. Zu feierlicheren Formen kehren wir noch einmal zurück, indem wir eine der üppigen Girlanden betrachten (Abb. 39), die den oberen Teil der dem Altar zugewandten Innenwand der Umfassung schmückten. Auf der festen Mauer, die den Altarbezirk umgrenzt, sind die Schädel geopferter Stiere angeheftet. An ihnen hängen schwere Gewinde, die aus 5

Rodenwaldt, K u n s t um Augustus.

2. A u H .

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fruchttragenden Ästen und Ähren, bereichert durch Zweige von Pinien, Efeu, Lorbeer und Eiche, gebildet sind. Die Gewächse, aus denen die Girlande sich zusammensetzt, symbolisieren die Segnungen des Friedens. Sie ist so gewunden, daß die schwereren Früchte die Mitte bilden, während die leichteren Zweige sich in sanftem Übergange mit ihren Spitzen auf die Wand auflegen. Die Enden der Bänder, von denen die Girlanden gehalten werden, flattern im Winde. Über den Mitten sind Opferschalen an der Wand angebracht. Sie werden wie die Hörner der Stierschädel in Gold geglänzt haben, während die Bänder rot gefärbt waren und aus dem Grün der Blätter die Früchte in verschiedenen Farben herausleuchteten. Auch an den Girlanden vermögen wir die Hände verschiedener ausführender Meister zu erkennen. Woher sie kamen, lehrt die Vergleichung mit dem Fragment einer Girlande auf einem Altar Eumenes II. aus Pergamon (Abb. 40). Während die älteren Beispiele römischer Monumente eine provinzielle Schwerfälligkeit zeigen, haben wir hier eine angesichts der trennenden Zeitspanne doppelt überraschende Ähnlichkeit nicht nur in der Komposition, sondern auch in der handwerklichen Arbeit. Während die Ära Pacis keine Beziehung zu neuattischen Arbeiten aufweist, erinnern uns einzelne Züge an den Telephosfries, an die Ranken pergamenischer Mosaiken und an pergamenische Ornamentik in Stein. Noch fehlen uns die Zwischenglieder. Aber wir wissen, daß auch in der Zukunft die stärksten Kräfte griechischer Kunst in Kleinasien lebendig waren. So mögen die Meister der Ära Pacis aus Künstlerfamilien stammen, die, wie die Familie des berühmten Gemmenschneiders Dioskurides, aus Kleinasien nach Rom eingewandert waren. Ziemte die schwellend schwere Girlande dem feierlichen Schmuck des Heiligtums, so legte der augusteische Silberschmied um Meisterwerke silbernen Tafelgeschirrs leichte Zweige o o des Lorbeers,3 des Ölbaums oder der Platane. Hier ist das gleiche Taktgefühl am Werke, das dem Rankengeschlinge der Ära Pacis und dem des Hildesheimer Mischgefäßes eine so verschiedene Gestalt gab. Auf dem Platanenbecher des Schatzes von Boscoreale (Abb. 41) und dem Lorbeerbecher von Hildesheim (Abb. 42), bei dem der verlorene Fuß und die Henkel zu ergänzen sind, legen sich die Zweige zart, die Fläche füllend, ohne sie zu beschweren oder die Form zu belasten, um die Wandungen der Gefäße. Es sind die unserem Empfinden am unmittelbarsten zugänglichen Schöpfungen der antiken Silberschmiedekunst. Die verschiedene Bewegung der Zweige und die natürliche Struktur der Blätter von Platane und Lorbeer sind auf das Feinste

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beobachtet und wiedergegeben. Wie sanft bewegt sich das Platanenblatt, und wie fest ist das des Lorbeers. Die Einfühlung in den Zauber eines einzelnen Zweiges steht den besten Leistungen des ostasiatischen Kunstgewerbes nicht nach. Und doch unterscheidet die Gefäße als ganze von Werken des fernen Ostens ein so unvereinbarer Gegensatz, wie er die Künste Europas überhaupt von jener Kunst trennt. Auch im Altertum ist das Pflanzenmotiv mehr als eine Dekoration; seine Symbolik ist wohl stets bewußt geblieben. Niemals aber würde der antike Mensch das scheinbar zufällige Dasein eines einzelnen Zweiges in der Dekoration als schön empfunden haben. Bei ihm vollendet sich seine künstlerische Funktion erst in dem Gleichgewicht zweier in freier Symmetrie einander entgegenstrebender Kräfte. Daher wollen diese Werke in der strengen Vorderansicht genossen sein, in der sich dieser Ausgleich vollzieht. So zeigt den Lorbeerbecher zum ersten Male nach einer neuen Aufnahme die hier gegebene Abbildung. Der Römer hat von jeher ein näheres Verhältnis zur Natur und Wirklichkeit gehabt als der Grieche. Daher hat der römische Auftraggeber sicherlich diesen Gefäßschmuck besonders geliebt. Erst die Tradition höchststehender griechischer Toreutik konnte ihm erfüllen, worum die italische Provinzialkunst des Hellenismus vergeblich gerungen hatte. Der griechische Künstler aber wurde veranlaßt, auf römischem Boden ein Gebiet zu pflegen, das in Griechenland nicht die gleiche Anerkennung gefunden hätte. So verbindet sich auch hier wieder griechisches Können mit römischem Wollen. Eine gemalte Fruchtgirlande, die dem Reliefwerk der Ära Pacis außerordentlich nahesteht, begegnet uns auf dem Wandschmuck eines Raumes (Abb. 43) in dem sogenannten Hause der Livia auf dem Palatin, in dem wir mit großer Wahrscheinlichkeit den Bau erkennen dürfen, in dem Augustus über vierzig Jahre gewohnt hat. Derselbe Mann, der Rom und die Provinzen mit einer ungeheuren Zahl stattlicher und kostbarer Bauten geschmückt hat, war für seine Person von größter Bescheidenheit der Lebensführung. Das weder weiträumige noch elegante Haus samt seinem schlichten Hausrat wurde ehrfurchtsvoll von der Nachwelt erhalten. Seinen einzigen Schmuck bildet die dekorative Malerei der Wände, die nicht prunkvoller ist als in anderen vornehmen Privathäusern Roms und der Provinzen. Die Malereien gehören der Spätentwicklung des sogenannten zweiten Stils der Wandmalerei an, in dem die strenge Tektonik der älteren Dekorationen in ein graziöses Spiel überzugehen beginnt. Die architek69

tonischen Formen verlieren die Schwere, die Dekorationen öffnen sich in mythologische Landschaften oder realistische Prospekte, aus Säulen werden Pflanzenstengel, aus Giebeln Rankengebilde, an die Stelle logischer Konstruktion tritt die Herrschaft der Phantasie (Abb. 44). Diese bleibt in den Schranken des augusteischen Temperamentes und ist noch weit von der kühlen ornamentalen Ruhe des dritten pompeianischen Stils und der nervösen Erregtheit des vierten Stils entfernt. Es vollzog sich in dieser Zeit auf römischem Boden ein epochaler Wandel in der Auffassung der Innendekoration. Aus dem eingeborenen italischen Raumgefühl heraus, das schon den ältesten griechischen Tempelbau auf dem Boden Italiens beeinflußte und sich an der Entwicklung des römischen Hauses schulte, wird die künstlerische Intimität des Innenraumes entdeckt und in dem Unterschiede zwischen Außen- und Innenarchitektur zum Ausdruck gebracht. Die Dekoration des in Griechenland entstandenen ersten und des frühen zweiten Stils schmückte die Wände des Innenraumes durch streng konstruierte Fassaden, denen nur die Farbe einen wärmeren Klang gegenüber einer Außenarchitektur verlieh. Die Zeit, die das Rankenwerk auf der Ära Pacis und dem Hildesheimer Mischkrug so sinnvoll verschieden zu gestalten wußte, pflegt den hohen Stil der strengen Tektonik an der Außenwand der Monumente und überläßt die Dekoration des Inneren dem leichteren, unbeschwerten, erfindungsreichen Walten der Phantasie. Dieser intime Schmuck des Innenraumes hat in der westeuropäischen Kunst eine Nachfolge von unübersehbarer Bedeutung gefunden, die bis zu den Tapetenmustern der Gegenwart reicht. Höhepunkte verwandten Empfindens sind die „Grottesken" der Renaissance und die Dekorationen des Rokoko. Bei dieser neuen Wendung der griechischen Wandmalerei auf italischem Boden mögen neben griechischen Meistern auch römische Maler mitgewirkt haben. Denn die Malerei war nächst der Architektur die dem römischen Genius gemäßeste Kunst. Die Ausschmückung der Wände im Haus des Augustus wird älter sein als die Ära Pacis und in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre erfolgt sein. Eine gewisse Festigkeit ihres Dekorationssystems lockerte sich in den folgenden Jahrzehnten in der letzten Stufe des zweiten Stils, von der uns schöne Reste auf den Wänden eines im Garten der Villa Farnesina gefundenen Hauses und in einem Räume unter der Basilica des Flavierpalasts auf dem Palatin erhalten sind. Erst um die Wende unserer Zeitrechnung erfolgte die Umsetzung in die kühl zurückhaltende, glatt-elegante Flächenornamentik des spätaugusteisch-tiberischen dritten Stils, 72

A b b . 48. Amphitheater in Nîmes

dem ähnliche Erscheinungen im Porträt und in der Reliefkunst entsprechen. Die römischste aller Künste war die Architektur. Im Gegensatz zur Plastik waren ihre Meister in überwiegender Zahl Römer. Augustus ist einer der größten Bauherren aller Zeiten gewesen. Unzählige Bauten sind von ihm selbst,j seinen Familienangehörigen oder ihm und ihnen zu Ehren 0 0 in allen Provinzen des Imperiums errichtet worden. Die Stadt Rom erhielt durch monumentale Anlagen eine der Hauptstadt der Welt würdige Gestalt. Augustus hat in seinem Tatenbericht seine Bauten in Rom aufgezählt. Er beginnt mit den Gebäuden, die er neu auf öffentlichem oder sakralem Boden errichtet hat, ein zweiter Abschnitt enthält die Werke, die er wiederhergestellt oder vollendet hat, gekrönt wird die Leistung durch die gewaltigen Anlagen des Forums mit dem Tempel des rächenden Mars und des Marcellustheaters, die er auf privatem Boden errichtet hat, indem er aus seinem Vermögen die dort vorhandenen Stadt quartiere aufkaufte. Aus welchem Geiste heraus diese Bautätigkeit gefördert wurde, hat der Baumeister Vitruv in der Vorrede seines dem Augustus gewidmeten Werkes über die Architektur in römisch monumentalen, schwer in

74

Abb. 49. Maison Carrée in Nîmes

ihrem ganzen Inhaltsreichtum übersetzbaren Worten zum Ausdruck gebracht. Der Kaiser hat sich der Errichtung öffentlicher Bauten angenommen, damit der Staat durch ihn nicht nur durch Provinzen vergrößert werde, sondern damit die „maiestas imperii", die Majestät des Imperiums, auch die ausgezeichneten „auctoritates", die Autorität, der öffentlichen Bauten habe. In diesem Worte „auctoritas" und seiner Verwendung im Plural ist der Sinn enthalten, daß Architektur noch mehr ist als Ausdruck der politischen Macht, daß vielmehr von ihr eine Kraft der Wirkung ausgeht. Die Architektur ist deshalb eine so römische Kunst, weil sie unmittelbar dem politischen Willen des Römers entspricht. Die Majestät der römischen Herrschaft erfährt durch die den öffentlichen Gebäuden innewohnende und von ihnen ausstrahlende Macht eine Steigerung. Zwei Augustusbauten, das Forum und das Theater des Marcellus, können in diesem altrömischen Sinne wieder ihre „auctoritates" ausüben, seit das Rom Mussolinis in der Via del Impero und der Via del Mare den Strom des gegenwärtigen Lebens unmittelbar an ihnen vorüberleitet. Die erste Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, insbesondere 75

Abb. 51. Tempel der Dioskuren auf dem Forum Romanum

die Zeit von Sulla bis Cäsar, war eine Blütezeit der römischen Architektur gewesen, in der Bauten von gigantischer Größe und genialer Planung entstanden. Was bedeutete für diese Kunst die augusteische Epoche mit der Fülle ihrer sich durch ein halbes Jahrhundert erstreckenden Aufgaben? Sie wurde zu einer Lehrmeisterin,3 die die unbändige Kraft zähmte. Die o spätrepublikanische Architektur war gedankenreich und temperamentvoll, aber auch maßlos und unausgeglichen. Die augusteische Zeit gab ihr die Wohltat harmonischer Proportionen, die Noblesse des Dekors und 77

die Würde edlen Materials. Eine provinzielle Architektur, in der sich die Kräfte einer großen Zukunft in Sturm und Drang regten, wurde zu vollendeter klassischer Form veredelt. In dieser erzieherischen Leistung liegt die Größe, aber auch die Begrenztheit der augusteischen Architektur. Das der römischen Baukunst innewohnende Temperament, das sich nach kühnen und neuen Planungen von architektonischen Komplexen und Innenräumen sehnte, wurde durch die maßvolle Zurückhaltung des augusteischen Stils gehemmt und konnte erst um die Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts sich wieder Bahn brechen. Von dem Reichtum erhaltener Bauten können hier nur einige Beispiele erwähnt werden. Ein Stolz Roms und auch des Augustus waren seine großen Nutzanlagen, Wasserleitung en, Straßen, Brücken. In wundervoller Erhaltung überspannt noch heute der wahrscheinlich von Agrippa, dem Feldherrn und Schwiegersohn des Augustus, angelegte Pont du Gard bei Nimes das Tal des Gardon (Abb. 45). Er führte eine Wasserleitung über den tiefen Durchbruch des Tals. Zwei übereinander stehende Reihen hochgewölbter Bögen tragen die kleinen Bogenreihen, über denen die Wasserrinne liegt. In einer feinfühligen Anpassung an die Situation sind die Bögen über dem eigentlichen Flußbett breiter und setzen dementsprechend tiefer an den Pfeilern an. Im Gegensatz zu dieser Akzentuierung in den großen Arkaden scheint die regelmäßige Bewegung in der obersten kleinen Bogenreihe dem gleichmäßigen Fließen des Wassers zu entsprechen. Kein Ornament ist an dem Bau angebracht. Seine Schönheit empfängt er durch die Klarheit der tektonischen Gliederung und den Ausgleich zwischen sicherer Schwere der Konstruktion und lichter Leichtigkeit der Öffnungen. Das „necessarium", das technisch Notwendige, das der römische Ingenieur Frontinus als das Wertvolle römischer Nutzbauten rühmt, hat hier eine wahrhaft klassische Vollendung erreicht. Es ist ein Bau von erstaunlicher Gegenwartsnähe. Griechen und Römer haben naiv eine Forderung erfüllt, die erst in neuerer Zeit zu einem Problem geworden ist. Ein Nutzbau konnte sich auf das Notwendige beschränken. Wohnte einem Bau jedoch eine höhere Bedeutung bei, so wurde ihm ein Schmuck hinzugefügt, der über das Notwendige herausging und die „auctoritas" zum Ausdruck brachte. Das war der tiefe Sinn der Peristasis des griechischen Tempels sowie seines figürlichen und ornamentalen Schmuckes. Nach einer Übertreibung des zweck- und materialgerechten Bauens, das keine Rücksicht auf die ideale Bedeutung des Baues nahm, kehrt die Gegenwart wieder zu einer sinn78

Abb. 5 2

Tempel der Roma und des Augustus auf der Akropolis.

Rekonstruktion

fälligen „auctoritas" des religiösen und staatlichen Baues zurück. In der Fassade des Marcellustheaters zu Rom (Abb. 46 und 47) ist uns ein eindrucksvolles Beispiel einer Fassade von römischer Würde in augusteischer Prägung erhalten. Der Aufbau der drei Stockwerke — das oberste, korinthische ist nicht erhalten — ist wahrscheinlich dem Theater des Pompeius nachgebildet, aber in klassischer Haltung proportioniert und 79

durchgeformt. Den schon von Cäsar begonnenen Bau hatte Augustus im Jahre 11 v. Chr. vollendet und ihn mit dem Namen seines früh verstorbenen, geliebten Neffen und Schwiegersohnes, Marcellus, verbunden. Es war der erste monumentale Bau, der ganz aus dem schönen, sich durch Adel der Farbe und charaktervolle Struktur auszeichnenden Material des Kalksteins von Tivoli, dem Travertin, errichtet wurde. Heute ist der Ton des Gesteins hier wie am Colosseum nachgedunkelt; für die Jahrhunderte der Kaiserzeit müssen wir uns die Färbung wie bei St. Peter und den Säulenhallen Berninis vorstellen. In Nimes (Abb. 48) und Arles sind zwei Amphitheater erhalten, die wahrscheinlich in der Zeit des Augustus entstanden sind. Ihre Fassade ist zweistöckig und enthält im unteren Teile nicht Halbsäulen, sondern Pilaster. Bedeutsamer aber ist eine andere Abweichung. Die Gebälke — in Arles ist nur das untere erhalten — enthalten über den Pfeilern und Halbsäulen Verkröpfungen, die das ruhige Übereinander der Geschosse durch ein System aufsteigender, die Horizontalen durchschneidender Streben durchkreuzen lassen. Diese Betonung der Vertikale fand eine Nachfolge in späteren Bauten Italiens und der westlichen Provinzen und ist wohl als ein Vorspiel mittelalterlichen Empfindens anzusehen, das in der stärker griechischer Tradition folgenden Hauptstadt sich nicht durchsetzen konnte und vielleicht auch mehr keltisch als italisch ist. In der Architektur dringt der Einfluß der griechischen Form nicht so tief wie in der Plastik, im Kunstgewerbe und selbst in der Malerei. Er beschränkt sich auf Tektonik, Proportionierung und Bauornament. Dagegen bleiben die Raumgestaltung und Gesamtplanung des Baukörpers und das Verhältnis von Bau und Umgebung; römisch. Augustus hätte O

D

O

schwerlich wie später Hadrian einen Tempel gebaut, dessen Außengestaltung einem griechischen Peripteros glich. Die augusteischen Tempel Roms und der Provinzen des römischen Westens behalten den Richtungsgehalt der etruskisch-italischen Kultbauten und überliefern ihn den folgenden Jahrhunderten, bis die ebenfalls römisch-westeuropäische christliche Basilica ihn aufnimmt, um ihn bis zur Gegenwart zu führen. Das Forum des Augustus ist in seiner PlanungO eine in den Maßen geO Ö waltig gesteigerte variierte und bereicherte Fortführung der Idee des Cäsarforums. Während wir aber an Tempeln der späten Republik noch eine Unsicherheit der Maße und eine provinzielle Schwerfälligkeit des Ornaments finden, ist jetzt an den Bauten des Augustus die Höhe der besten griechischen Formensprache erreicht. Das ist selbst an einem 80

Abb. 53. Tempel der Roma und des Augustus in Ankara

gallischen Tempel der Fall, wie bei der fast vollkommen erhaltenen „Maison Carrée" in Nîmes (Abb. 49), deren Errichtung von Agrippa begonnen wurde. Für die heiligen Bauten der Tempel bestimmte Augustus nach griechischer Tradition das vornehmste Material, den Marmor. Uns ist ein wohl authentischer Ausspruch des Kaisers überliefert, daß er die Stadt Rom, die nicht entsprechend der Majestät des Imperiums geschmückt und Bränden und Überschwemmungen preisgegeben war, als eine Marmorstadt hinterließe, während er sie als eine Stadt aus Lehmziegeln übernommen habe. Von den Hallen des Tempels des Mars Ultor (Abb. 50), des rächenden Mars, denAugustus in der Schlacht vonPhilippi(42 v. Chr.) gelobt hatte, aber erst spät vollenden konnte, und des neugebauten, im Jahre 6 n. Chr. von Tiberius geweihten Tempels der Dioskuren auf dem Forum Romanum (Abb. 51) sind nur je einige Säulen erhalten. Die Schönheit ihrer Ornamentik entspricht dem, was die Ara Pacis gelehrt 6

Rodenualdt, Kunst um Augustus.

2

Aufl.

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A b b . 54.

Tempel des Augustus auf der Insel Philae

hat. Ihre Kapitelle dokumentieren den Sieg des korinthischen Stils in der römischen Architektur. Das korinthische Kapitell war nicht natürlich und allmählich gewachsen wie das dorische im Peloponnes und das ionische in Kleinasien und auf den Inseln, sondern es war die künstliche Schöpfung eines geistreichen Architekten für den Innenraum. Nachdem es sich im vierten Jahrhundert langsam einen Platz in der Außenarchitektur erobert hatte, fand es einen günstigen Boden in den griechischen Kolonialgebieten des Hellenismus, in Syrien, Ägypten und in provinzieller Prägung in Italien. In Syrien erfolgte die klassische Gestaltung, die von der augusteischen Kunst gewählt wurde. Das reiche BlattkapiteU entsprach der künstlerischen Neigung der Italiker. Seine Vielfältigkeit und seine Beweglichkeit trugen die Keime zu den späteren römischen Phantasieschöpfungen des kompositen und des mit Figuren geschmückten Kapitells in sich. Wiederum deckt sich hier römisches Empfinden mit dem des späteren Westeuropa. Sowohl die Phantasiebildungen romanischer Kunst wie die gotischen Blattkapitelle sind aus verwandtem Geiste entstanden. Mit der Renaissance setzt dann ein neuer Siegeszug des korinthischen Kapitells augusteischer Prägung ein, dem erst der Klassizismus Einhalt gebot. Wenn die drei Hauptbauten des Forum Fridericianum in Berlin, Opernhaus, Bibliothek und Universität korinthische 82

Ordnungen haben, so wirkt darin letzten Endes die Entscheidung der augusteischen Kunst nach. Dann beginnt im Klassizismus der Einfluß dorischer und ionischer Bauten der Griechen. Schließlich führte das korinthische Kapitell durch die Neurenaissance des neunzehnten Jahrhunderts ein Nachleben bis in die Anfänge der Eisenkonstruktionen. Erst die neueste Architektur mit ihrer Kargheit im Ornament hat das korinthische wie das ionische Kapitell abgelehnt und es bleibt abzuwarten, ob eine ornamentfreudigere Epoche die alten Formen nochmals zum Leben erweckt. Die Architektur im griechischen Osten des römischen Imperiums setzte ihr eigenes Leben fort. Einzelne römische Anregungen formaler und technischer Art wurden übernommen, aber selbständig verarbeitet. Auch die Griechen haben dem Kaiser, der ihnen nach schweren Schicksalen wieder den Frieden gab, in monumentaler Form gedankt. Es war griechische Tradition seit der Zeit Alexanders des Großen, dem Herrscher als einer das menschliche Maß überragenden Persönlichkeit göttliche Ehren zuteil werden zu lassen. Augustus gewährte ihnen, was er in Rom ablehnte. Als die Athener der Roma und dem Augustus einen Kult widmeten, errichteten sie mit großem Takt in der Achse des Parthenon vor seiner Front einen zierlichen Monopteros ionischen Stils (Abb. 52), der die Formen des Erechtheions als Vorbild benutzte. Von den Tempeln Kleinasiens, die der Roma und dem Augustus geweiht waren, ist uns die Cella des Tempels von Ancyra, dem heutigen Ankara, erhalten (Abb. 53). Es war ein Bau rein hellenistischer Raumgestaltung und Formengebung. Seinen Ruhm verdankt er weniger seiner hohen künstlerischen Bedeutung als der Tatsache, daß auf seinen Wänden in lateinischer und in griechischer Sprache der Tatenbericht des Augustus erhalten geblieben ist. Auf der Insel Philae in Oberägypten wurde dem Kaiser im Jahre 13 bis 12 v. Chr. ein Tempel errichtet, der in einem provinziellen hellenistisch-ägyptischen Stil, der korinthische und dorische Formen miteinander verbindet, gehalten war (Abb. 54). Die Weihinschrift gibt dem Augustus die Beinamen Soter (Retter) und Euergetes (Wohltäter) der hellenistischen Könige, deren Nachfolger er in Ägypten war. Griechisches und Römisches, künstlerisches Wollen und Können verschiedener Art wurden durch die Macht des augusteischen Geistes zur Einheit eines neuen Stils geformt. Vorher vollzog sich das entscheidende Geschehen der monumentalen Kunst auf griechischem Boden; Italien 83

war in künstlerischer Beziehung eine Provinz. Jetzt wird der Strom des großen Schaffens auf italischen Boden geleitet. Das augusteische Rom zwingt die griechische Form in seinen Dienst und bändigt die ungefügen Kräfte der italischen Begabung. Würde der monumentalen Form und Anmut im Dekorativen und im Kunstgewerbe kennzeichnen die Kunst, deren Größe und Einheit der neuen, ihr durch das Rom des Augustus gestellten Aufgabe zu verdanken sind. Zum ersten Male findet italischer Geist einen monumentalen Ausdruck. Die nichtgriechischen Elemente dieser Kunst sind nicht nur italisch, sondern westeuropäisch. Sie bedeuten einen epochemachenden Schritt in der Kunstgeschichte des Abendlandes und haben fortgewirkt und sich vollendet im Mittelater und in der Neuzeit des Okzidentes. Die Kunst Westeuropas ist unter Augustus mündig geworden.

Abb. 55. K a m e o . Adler mit Eichenkranz und Palmzweig. Wien, Antikensammlung

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