136 100 10MB
German Pages 52 Year 1919
Table of contents :
1 . Aufgabe ............................. 3
2 . Die Anpassungsfähigkeit der Eingeborenen ......... 4
3 . Gefahren der Kultur der Weisen ................ 7
4 . Erziehung zur Kultur ...................... 18
5 . Behandlung der erwachsenen Eingeborenenbevölkerung . . 30
6 . Die Missionen .......................... 40
7 . Theorien der Eingeborenenpolitik ............... 46
Wr^I
nft ^ n
1
G .
WEBER
$
i
KULTURSCHULUNG I EIN PROGRAMM ZUR HEBUNG DER EINGEBORENEN
I i
ff - ' - TRICH S t7
982 -,
REIMER BERLIN
(
ERNST 1919
VOHSEN
)
KULTURSCHULUNG EIN PROGRAMM ZUR HEBUNG DER EINGEBORENEN VON G
.
19
WEBER
19
DIETRICH REIMER ( ERNST VOHSEN ) BERLIN
s aiImz
INHALT . Aufgabe ............................. 3 . Die Anpassungsfähigkeit der Eingeborenen ......... 4 3 . Gefahren der Kultur der Weisen ................ 7 4 . Erziehung zur Kultur ...................... 18 5 . Behandlung der erwachsenen Eingeborenenbevölkerung . . 30 6 . Die Missionen .......................... 40 7 . Theorien der Eingeborenenpolitik ............... 46 1
2
Wt
\
$
W
*
A Stadt -
u .
Univ
.-
Bibl
FRANKFURT a . M
.
I
ll!!i!!!lll!l!IIIi!ll!I!l!!!!ll!!!llllilllif!
1 .
AUFGABE
War es schon in der ruhigen Entwicklung vor dem Kriege eine der wichtigsten Aufgaben der Kolonialpolitik gewesen , die Erhaltung , Gesundung und Vermehrung der Eingeborenen , des wertvollsten Gutes der Kolonien , auf die bestmöglichste Weise zu fördern , so wird diese Aufgabe nach den Verwüstungen des Krieges in unseren Kolonien noch dringender . Auch die wirtschaftliche Lage in Deutschland selbst drängt zu einer schnellen und gründlichen Lösung dieser Aufgabe . Wir brauchen dringender als je Lebensmittel und Rohstoffe aus unseren eigenen Kolonien . In dem verbleibenden Kolonialbesife müssen daher alle Kräfte zur Erzeugung von Lebensmitteln und Rohstoffen entfaltet werden . Dazu gehören in erster Linie die Arbeitskräfte der Eingeborenen . Die Eingeborenen sind aber weder in genügender Zahl noch in geeigneter Beschaffen¬ heit vorhanden , und selbst ihr bisheriger Bestand war gefähr¬ det trofe aller unserer Eingeborenen - Schufebestimmungen . Diese Schufebestimmungen waren demnach nicht genügend . Sie waren deshalb nicht genügend , weil sie ihre Aufgabe mehr in der unmittelbaren Bekämpfung der den Eingeborenen drohenden Gefahren und Krankheiten sahen , das Problem aber — wie im folgenden dargelegt werden soll — viel tiefer liegt , nämlich in der bestmöglichsten Anpassung der Eingeborenen an die großen Veränderungen und Umwälzungen , welche die Berührung mit dem Europäer und mit dessen Kultur mit sich bringt . Diese Umwälzungen erschüttern die Eingeborenen physisch und psychisch derart , daj$ sie ihre Kräfte übersteigen , wenn wir die Anpassung der Eingeborenen an die Kultur nicht systematisch regeln . Da es für die Erschließung der Kolonien nicht genügt , da § eine zahlreiche Eingeborenenbevölkerung vorhanden ist , die Eingeborenen vielmehr auch arbeitswillig und arbeitsfähig sein müssen , so muß sich die Anpassung auch auf beides erstrecken .
Wie sich aus folgendem ergeben wird , lassen sich die beiden Aufgaben der Schaffung einer gesunden und zahlreichen sowie der Schaffung einer arbeitsfreudigen Bevölkerung überhaupt nicht trennen . 2
.
DIE ANPASSUNGSFÄHIGKEIT DER
EINGEBORENEN Bei der Lösung aller Eingeborenenprobleme darf nicht , wie es meist geschieht , damit begonnen werden , zu untersuchen , was mit dem Eingeborenen geschehen soll und wie es ge¬ schehen soll , sondern es muB mit der Untersuchung begonnen werden , was mit Rücksicht auf die physische und psychische Beschaffenheit der Eingeborenen überhaupt mit ihnen ge¬ schehen kann . Der Eingeborene unserer Kolonien ist in der Kultur um Jahr¬ lausende hinter uns zurückgeblieben , soweit , dag seine und unsere Kultur fast keine Berührungspunkte mehr haben , und es richtig ist , wenn Schwabe 1 sagt , dafj der „ allgemeine Rassencharakter des Negers einen der europäischen Kultur auf das heftigste widerstrebenden Faktor bildet " . Zur Beantwortung der Frage , ob dieser unserer Kultur widerstrebende Kulturzustand der Eingeborenen unserer Kultur angenähert werden kann und ob rasch oder durch eine Jahr¬ hunderte währende natürliche oder künstliche Zuchtwahl , müssen einige Ergebnisse der Entwicklungslehre zu Hilfe ge¬ nommen werden . Entscheidend ist die Beantwortung der Frage , ob die kultur¬ widrigen Eigenschaften der Eingeborenen vererbt oder nur im individuellen Leben durch Erfahrung und Gewöhnung erworben sind . Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es zuerst der Feststellung des Begriffs Instinkt . Unter Instinkt soll mit LI . Morgan 2 und H . E . Ziegler verstanden sein : die vererbte zu¬ sammengesetzte Handlungsweise im Gegensatz zum Reflex , der örtlich begrenzten Reaktion auf Reize . Um den Unter¬ schied zwischen Instinkten und verstandesmä & igen Handlungen !
)
2)
R . Schwabe : „ Die schwarze Gefahr . " Kol . Monatsbl . 1914 , S . 208 . Lloyd Morgan : „ Instinkt und Gewohnheit " , Übersekt von M . Semon 1909 ,
Seite 4
9
.
hervorzuheben , werden diese auch so definiert : Die instink¬ tiven Handlungen beruhen auf ererbten Bahnen des Nerven¬ systems , die verstandesmä § igen auf individuell erworbenen Bahnen .3 Von diesem Begriff des Instinkts ausgehend , ergab die Untersuchung bei den Tieren , da & bei niederen Tieren die Instinkte die Psyche fast ganz beherschen . Je höher das Tier steht , desto mehr treten die Instinkte zurück und an ihre Stelle tritt die nicht vererbte , im individuellen Leben erworbene Er¬ fahrung und Anpassung an die Umgebung . * Mit anderen Worten : Beim niederen Tiere sind im Zentralnervensystem im Wege der Vererbung schon die Bahnen fest eingeprägt , nach denen sich das instinktive Leben der Tiere abspielt , denn es ist nur wenig Raum für die Einprägung neuer individueller Bahnen auf Grund persönlicher Erfahrung . Bei den höheren Tieren dagegen treten die vererbten Bahnen hinter den bei der individuellen Lebenserfahrung durch Gewöhnung und Anpas¬ sung erworbenen zurück . Es ist klar , da | die Instinkte — so mißlich fie für die niederen Tiere sind — sich erübrigen , je höher das Tier in seiner Intelligenz steigt , d . h . je mehr sich die geistige Fähigkeit entwickelt , sich durch Nachahmung und Er¬ fahrung seiner Umgebung individuell anzupassen . Diese indi¬ viduelle Anpassung kann sich naturgemäß der individuellen Umgebung besser anschmiegen als die Insfinkte , die für die normalen allgemeinen Verhältnisse gelten und deshalb im ein¬ zelnen Fall dem Individuum zum Verderben werden können Die Instinkte erübrigen sich also nicht nur beim geistig höher stehenden Tier , sondern sie werden mit dem Wachsen der geistigen Fähigkeit als das unzweckmäßigere ausgemerzt . Tatsächlich finden wir bei dem geistig höchsfstehenden Ge¬ schöpf, dem Menschen , nur noch ganz wenige Insfinkte , und nur solche , welche sich auf das Säuglingsalter beziehen und mit diesem verschwinden . 5 Von dem Menschen , cler über das Säuglingsalter hinaus ist , kann gesagt werden , daß er durch keine Instinkte belastet ist . Damit ist auch die an sich bestrit¬ tene Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaffen H E . Ziegler : „ Der Begriff des Instinkts einst und jcfet " , 1910 , S . 46 . ) Ch . Darwin : „ Abstammung des Menschen " , Band I , 3 . Kap . , ferner Lloyd Morgan a . a . 0 .7 S . 368 , und Carl Gro & : „ Die Spiele der Tiere " , 1907 , und „ Die Spiele der Menschen " , 1899 . •>) Vergl . W . Preyer : „ Die Seele des Kindes . " LI . Morgan : a . a . O . , S . 369 ff . 3) *
5
jedenfalls in Bezug auf die geistigen Eigenschaften des Men¬ schen zu verneinen . Die Feststellung , daß der Mensch keinen Instinkt , keine vererbte Erfahrung hat , ist für alle Eia geborenenprobleme von größter Bedeutung . Instinkte , d . h . vererbte Nervenbahnen , lassen sich durch individuelle An¬ passung und Erfahrung nicht verdrängen sondern nur etwas modifizieren . 6 Wohl aber können durch Erfahrung und Gewöh¬ nung die im individuellen Leben erworbenen Bahnen geändert und durch andere erseht werden , und vor allem kann von An¬ fang an dem Individuum , das mit keinen Instinkten belastet ist , eine beliebige Erfahrung und Gewöhnung eingeprägt werden . Auf die Eingeborenen angewandt , bedeutet dies , daß ihre Anpassung an ihren tieferstehenden Kulturzustand — auch wenn die Eingeborenen schon Jahrtausende darin gelebt haben , nicht auf untilgbarem Instinkt beruht , sondern das Ergebnis der individuellen Anpassung jedes einzelnen Eingeborenen an sein Milieu ist . Gegenstand der Vererbung sind beim Eingeborenen wie beim Europäer nur die Geistes - und Gemütsanlagen wie das Temperament , die Auffassungsgabe , das Kombinations¬ vermögen und das Gedächfnisvermögen. Dagegen sind all seine unserer Kultur widerstrebenden Eigenschaften , wie seine Bequemlichkeit , seine Abneigung gegen regelmäßige ziel¬ bewußte Arbeit , sein Mangel an sozialem Empfinden , seine Gleichgültigkeit , seine Bedürfnislosigkeit und seine mangelnde Fürsorge für die Zukunft lediglich das Ergebnis der individuel¬ len Lebenserfahrung und der Gewöhnung jedes einzelnen Ein¬ geborenen an seine Umgebung . Damit ist aber nicht gesagt , daß es nun ein Leichtes sein müsse , den Eingeborenen an unsere Kultur anzugewöhnen . Gewiß ist sein Zentralnerven¬ system im ersten Lebensjahre ein unbeschriebenes Blatt , aber alsbald beginnen die Erfahrungen mit seiner Umgebung , der Eingeborenenkultur auf dem Zentral - Nervensystem ihre Bahnen einzugraben . Nachahmung und Gewöhnung vertiefen diese Bahnen , halb erwachsen ist er schon ganz Produkt seiner umgebenden Eingeborenenkultur , er denkt und handelt ganz nach seiner Gewöhnung und Anpassung . Er ist nicht weniger im Bann der Kultur seiner Volksgenossen , als ob seine Anpassung e ) LI . Morgan : „ Instinkt und Erfahrung " , ferner von demselben : „ Instinkt und Gewohnheit . "
6
auf Vererbung beruhen würde . Beispielsweise wird ein Kind europäischer Eltern , das vom ersten Lebensjahr an ausschlie߬ lich unter Chinesen oder unter Südsee - Eingeborenen aufge¬ wachsen ist , in seinem ganzen Empfinden , Denken und Handeln restlos Chinese oder Südsee - Eingeborener , und mag dies noch so sehr dem Denken , Empfinden und Handeln seiner europäi¬ schen Eltern widersprechen . Zwar kann , wie erwähnt , eine Anpassung des Menschen durch seine Anpassung an neue andere Lebensumstände allmählich erseist werden . Die ein¬ geprägten Bahnen der ersten Anpassung im Zentralnerven¬ system werden dabei nach und nach — weil nicht mehr in An¬ spruch genommen — verwischt und durch neue Bahnen über prägf , wie auch sonst ein unbenufctes Körperglied allmählich verkommt und gebrauchsunfähig wird , während ein anderes vielgebrauchtes besonders gut ausgebildet wird . So wird der unter Südsee - Eingeborenen aufgewachsene Europäer , wenn er aussen lieBlich und dauernd unter Europäer kommt , allmäh¬ lich im Empfinden , Denken und Handeln Europäer , aber nie so vollsfändig , als er vorher Südsee - Eingeborener geworden war . Es ist Erfahrungsache und ohne weiteres einleuchtend , da & die Anpassungen in der Jugend am tiefsten und festesten im Zentralnervensystem eingeprägt werden , weil das noch unbe¬ rührte Zentralnervensystem des Kindes die ersten Eindrücke und dann die Eindrücke im Entwiklungsalter am vollkommen¬ sten aufnehmen kann . Auch das ist von besonderer Bedeutung bei der Frage der Eingeborenenbehandlung . 3
. GEFAHREN DER KULTUR DER WEISSEN
Bevor aus der Anpassungsfähigkeit der Eingeborenen die Folgerungen für die systematische Anpassung der Eingebo¬ renen an die Kultur gezogen werden können , müssen die Wir¬ kungen , insbesondere die Schäden der systemlosen Anpassung klargelegt werden . Erst die klare Erkenntnis der Schäden er¬ möglicht die Vermeidung derselben durch die systematische Anpassung . Die Eingeborenen sind im Urzustände viel mehr von Seuchen und Krankheiten aller Art bedroht als die Europäer . Das warme Klima schafft den Krankheltsbaktefien und Parasiten 7
dauernd die besten Lebensbedingungen , und diese Krankheits¬ keime haben zu den in meist recht unhygienischen Verhältnissen lebenden Eingeborenen ungehindert Zutritt . Dazu kommt , daß auch die schädlichen klimatischen Einflüsse auf die nackten Eingeborenen stärker einwirken als es bei den Kulturmenschen der Fall ist , der durch Kleidung und Wohnung die verschiedenen klimatischen Einflüsse ausgleichen und sich diesen anpassen kann . Die Eingeborenen , die im Urzustände allen diesen ver¬ mehrten Gefahren zum Trotz bisher gediehen , müssen einen hohen Grad von Widerstandskraft gegen Krankheiten erworben haben . Und die Folgerung ist berechtigt , daß die Eingeborenen in ihrem Gedeihen und in ihrer Vermehrung einen gewaltigen Fortschritt machen müssen , wenn die Europäer sie nicht nur von den männermordenden Eingeborenenfehden befreien sondern sie auch durch prophylaktische Seuchenbekämpfung, zweckmäßige Krankheitsbehandlung , Reinlichkeit und bessere Nahrung von einer großen Menge Gefahren , die bisher ihr Leben bedrohten , befreien . Es besteht sogar die Möglichkeit , den vom Aussterben bedrohten , den übermächtigen Gefahren nicht mehr gewachsenen Eingeborenen wieder zu neuem Auf¬ leben zu verhelfen . In Wirklichkeit verhält es sich jedoch so , daß die genannten Unterstüßungen , welche die Weisen den Eingeborenen in ihrem Daseinskampf gewähren , nur einem kleinen Teil der Eingebo¬ renen zugute kommt , in der Hauptsache nur dem in erreichbarer Nahe der wenigen Ärzte und Heilgehilfen wohnenden und den im Dienst der Weißen stehenden Eingeborenen . Auch dieser geringe Bruchfeil 3er Eingeborenen genießt die Vorfeile der Krankheitsbehandlung und KrankheifsVerhütung in unvollkom¬ mener Weise , weil es einerseits an ärztlichen Kräften fehlt , andererseits die ärztlichen Maßnahmen meist auf Verständnis losigkeit und oft gar auf Widerstand stoßen . Immerhin kann diese ärztliche Hilfe in dem Daseinskampf der Eingeborenen als großes Plus in die Rechnung gesetzt werden , und man könnte der weiteren Entwicklung ihren Lauf lassen , wenn die Weißen den Eingeborenen nicht auch eine Reihe von Gefahren gebracht hätten , die bisher schwerer wogen als die genannten Vorteile . Diese neuen von Weißen ausgehenden Gefahren sind : 8
. Die Weifjen brachten einige neue Krankheilen in Gegen¬ , wo diese vor der Ankunft der Weisen nicht herrschten , z . B . Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten . 2 . Durch den regen Verkehr , den die Weißen in die Gebiete der Eingeborenen brachten , werden bisher lokalisierte Krank¬ heiten auf andere Bezirke verschleppt , z . B . Ruhr , Malaria , auch die verheerende Wirkung der Schlafkrankheit in Afrika , die früher auf vereinzelte kleine Stellen isoliert war , wird nur auf den regen Verkehr und die Verschiebungen der Eingeborenen in der neueren Zeit zurückgeführt . 3 . Die Weißen brachten den Eingeborenen neben den stär¬ kenden Mitteln ein schwächendes und entnervendes : den Alkohol . 4 . Selbst der Friede , den wir den sich selbst zerfleischenden Stämmen und Sippen gebracht haben , wirkt nicht , wie Dr . L . Külz 7 ausführt , nur zugunsten der Eingeborenen , sondern hat verhängnisvolle Nebenwirkungen : „ Wir haben mit dem Geschenk des Friedens ihm auch die Sorge für die Verteidigung von Leben , Haus und Familie abgenommen und damit einen großen Impuls zur körperlichen Regsamkeit , zur Energie . Wir haben Quellen körperlicher Kraft und Widerstandsfähigkeit zum Ver¬ siegen gebracht . Als Dauerfaulenzer sißen die Großen und ihre Untertanen in den Hütten bei Tabak und Palmwein , die Arbeit des Hauses und des Feldes versieht das Weib . " 5 . Die bisher genannten , den Eingeborenen von den Weißen gebrachten Gefahren dürften auch zusammengenommen die Vorteile nicht aufwiegen , die die Kultur der Weißen den Ein¬ geborenen bringt . Dagegen geben die in folgendem zu schil¬ dernden viel zu wenig beachteten Gefahren sicherlich zu Un¬ gunsten der Eingeborenen den Ausschlag . Es sind die Gefahren , die den Eingeborenen erwachsen durch die zahlreichen Ver¬ pflanzungen derselben aus ihrem Heimatsorf nach den Arbeits¬ stätten der Weißen , sei es zu vorübergehenden Arbeiten beim Wege - oder Bahnbau , sei es zu jahrelangem Dienst in den Be¬ trieben , insbesondere den Pflanzungen der Weißen . Diese Ge¬ fahren sind die größten , ihre Ursachen liegen jedoch nicht ohne weiteres zutage und sie wurden deshalb viel zu wenig beachtet . 1
den
) „ Grundzüge der kolonialen Eingeborenenhygiene
7
"
,
S
.
64
.
9
Aus beiden Gründen soll hier näher auf sie eingegangen
werden .
Es wurde oben angeführt , da & die Eingeborenen ganz Pro¬ dukt ihrer Anpassung sind . Diese Anpassung erstreckt sich nicht nur auf die Gewohnheiten und Sitten der Eingeborenen sondern auch auf die ganze umgebende Natur . So wenig im allgemeinen die Weisen , die sich in Nahrung , Kleidung und Wohnung von der sie umgebenden Natur unabhängig gemacht haben , an das Leben an einem bestimmten Ort angepa & t und damit auf das Leben an diesem bestimmten Ort angewiesen sind , so sehr sind es die Eingeborenen . Als Naturmenschen stehen sie mit der sie umgebenden Natur in unmittelbarer Be¬ rührung und sind in voller Abhängigkeit von ihren Einflüssen . Durch die Anpassung sind sie ganz mit der lokalen Umgebung verwachsen , ihre eigne Natur ist auf die Umgebung auf das feinste abgestimmt . Dr . L . Külz 8 schreibt darüber : „ Durch die gründliche natürliche Auslese der hohen Kindersterblichkeit wer¬ den zwar die Schwächlinge im ersten Lebensalter schon aus¬ gemerzt , und es wird durch das Walten der Natur erreicht , was Spartaner und andere Völker durch Äusserung erstrebten bzw . noch erstreben ; so sind alle , die diese gefährliche Klippe des Säuglingsalfers überwinden , an ihre Scholle in vollkommenster Weise angepaßt und oft von erstaunlicher Leistungsfähigkeit . Aber auch nur an diese , werden sie irgendeinem durchgreifen¬ den Wechsel unterworfen — sei es des Klimas , sei es der Er¬ nährung oder sonstigen Daseinsbedingungen, so sind sie un¬ gleich widerstandsloser gegenüber einem solchen als etwa die wei ^ e Rasse . Gerade diese Tatsache tritt uns immer wieder in der Kolonialpraxis entgegen . . . . Uberall zeigt sich , daß die Sterblichkeit gewaltig emporschnellt , sobald sie die heimatliche Scholle verlassen müssen . Die Eigenschaffen , die vollkommen genügen , sie dort unter altgewohnten Bedingungen zu er¬ halten , versagen gegenüber einem Wechsel der Umwelt und einem erschwerten Kampf ums Dasein . Eine neue stürmische Elimination der Untauglichen setzt ein . " Noch mehr als die von Külz angeführte natürliche Auslese ist es die individuelle Anpassung an die Umgebung , welche die gro | e Abhängigkeit der Eingeborenen von ihrer heimat •) 10
A
. a.
O .
,
S
. 66.
liehen Umgebung schafft . Es sind deshalb auch nicht nur die Untauglichen , die eliminiert werden , sondern auch taugliche , eben nur an andere Verhältnisse angepaßte Eingeborene . Man braucht die Veränderungen , welche die Eingeborenen bei ihrer Verpflanzung zu ihren Arbeitsstätten physisch und psychisch treffen , nur im einzelnen zu befrachten , um zu übersehen , daß sie so außerordentlich einschneidend sind , daß auch Gesunde ihnen unterliegen können . Die Verpflanzung hat zur Folge : 1 . die Versetzung in eine andere äußere Umgebung als die gewohnte , 2 . die Gewöhnung an eine andere Nahrung , 3 . meist Gewöhnung an eine andere Wohnung . 4 . Der Eingeborene ist im allgemeinen , auch wenn er äußer¬ lich wohlgenährt erscheint , wenn er „ frisch aus dem Busch zur Pflanzung kommt , zunächst schwächlich und wenig ausdauernd , erst wenn er beim Europäer längere Zeit hindurch regelmäßige reichliche Kost bekommt und etwas aufgefüttert worden ist , wird er körperlich und intellektuell leistungsfähiger . " 9 5 . Die Gewöhnung an neue regelmäßige Arbeit . Es sei auch hier angeführt , was Thurnwald 10 von den Süd¬ see - Eingeborenen sagt , jedoch allgemeine Bedeutung hat : „ Der Eingeborene ist daheim stets tätig und diese Tätigkeit unterbricht er gelegentlich durch Unterhaltung , wenn er er¬ müdet ist . Er kennt keinen Zwang und kaum eine Nötigung , er arbeitet „ nach Herzenslust " , seine Tätigkeif ergeht sich in Arabesken , in künstlerischen Exkursen , seien sie noch so pri¬ mitiv , in Schnißereien , in Gesängen , verflochten mit Spielen und Freuden , kurz : sie ist belebt durch Affekte . Ganz anders als diese „ Tätigkeit " ist die Arbeit , welche der Europäer ihm aufzwingt . Der Europäer kann diese Art Tätigkeit nicht brauchen , und er hat recht , wenn er von seinem Standpunkt aus den Eingeborenen faul nennt . Der Eingeborene aber B)
Thurnwald : „ Die Eingeborenen - Arbeitskräfte im Südseeschukgebiet . " . Rundschau , 1910 , S . 611 . 10 ) A . a . O . S . 610 ff . Vergl . auch D . A . Leue : „ Unsere Eingeborenen . " Kol . Monatsbl . 1913 , S . 370 : „ Auch die regelmäßige ständige Arbeit bekommt ihnen nicht , und wenn sie dazu gezwungen würden , so würden sie sterben wie die Fliegen . " Kol
11
empfindet das , was der Weiße von ihm fordert , als eine schwere , öde , lust - und freudelose Bürde . Aus dieser Ver¬ schiedenheit der Auffassung kommt unablässig neues Mi߬ verstehen zwischen beiden . Der Weiße hält den Eingeborenen für obstinat und will ihn zwingen , mehr zu leisten , der Ein¬ geborene empfindet es als grausame Verfolgung , daß ihm nicht Pausen gewährt werden , wie und wann er sie zu machen gewohnt ist , und unter diesem Druck leistet er auch nicht mehr , als er gezwungen tun muß . Ich will es nicht ausmalen , bis zu welchem Grade sich diese Mißverständnisse steigern können . . . auf der einen Seite beim Europäer bis zu den unverständ¬ lichsten Grausamkeiten , auf der anderen Seite beim Eingebo¬ renen zu unauslöschlichem glühenden Rachedurst oder zu ver¬ zweiflungsvollem Selbstmord . " Die Verpflanzungen in die Arbeitsstätten der Weißen be¬ deuten daher für die Eingeborenen schwere Erschütterungen ihres körperlichen und seelischen Gleichgewichts , sie machen sie hinfällig und empfänglich für Krankheiten . Insbesondere hat Dr . Külz festgestellt , daß die Immunität , die die Eingeborenen gegen die Malaria erworben haben , „ leicht erschüttert und aus¬ geschaltet werde durch jeden eingreifenden Wechsel in den kli¬ matischen und sonstigen Lebensbedingungen des Farbigen . " 11 Und an anderer Stelle sagt er : Die allmählich erworbene und sich steigernde Immunität der Eingeborenen ist „ weder fest noch lückenlos . Irgend eine schwere Beeinträchtigung seines ge¬ sundheitlichen Gleichgewichts oder ein schroffer Klimawechsel können sie durchbrechen und der Malaria in aller Schwere Ein¬ gang verschaffen . So erleben wir nicht selten , daß nach starken körperlichen Anstrengungen , nach einer schweren Verletzung oder bei einer Entfernung aus der Heimat der Eingeborene an heftiger Malaria erkrankt " . 12) Ferner : „ Ganz ähnlich wie gegen Malaria scheint der Eingeborene auch gegen Dysenterie eine gewisse Resistenz zu erlangen , da wir überall endemische Fälle vorfinden , ohne daß sie unter gewöhnlichen Verhältnissen schwer verliefen oder zu einer Epidemie anschwöllen . Leider ist dieser Schutz noch viel hinfälliger als bei Malaria , und so )
"
Dr
. L.
geborenen . "
J
12
12
Dr
. L.
Külz Kol
Külz
: „ Die seuchenhafien Krankheiten des Kindesalters der Ein¬ . Rundschau 1913 , S . 325 . : „ Grundzüge der kolonialen Eingeborenenhygiene . " S . 28 .
bald der Farbige aus seinen gewohnten Daseins - und nament¬ lich Ernäfirungsbedingungen herausgerissen und in fremdartige versetzt wird , tritt an die Stelle dieser Resistenz eine hoch¬ gradige Disposition zur Dysenterie " . 13 Und Seite 20 a . a . O . : „ Der Eingeborene ist ungemein empfindlich gegen jeden Wech¬ sel in der Ernährungsweise . Die Auswahl der Nahrungssioffe , an die sein Verdauungsapparaf angepaßt ist , trägt zwar anderen Charakter als der unsrige , aber sie ist auch weniger reichhaltig , ferner macht sich beim Neger viel stärker als beim Europäer geltend , daß eine ungewohnte und dadurch unzweckmäßige Er¬ nährung die anlibakteriellen Kräfte des Körpers schädigt . In¬ fektionspforten , vor allem der Darm , werden bei Ernährungs¬ störungen für das Eindringen der Dysenterie - Erreger geöffnet , während sie ihnen bei gewohnter Kost verschlossen bleiben . Die Kolonialpraxis lehrt uns diese Tatsache in tausenden von Einzel¬ fällen . " Wenn demnach schon die inneren Organe der Eingeborenen so fein dem Milieu angepaßt sind , obwohl sie mit der Umgebung nicht unmittelbar in Berührung kommen , so müssen auch die den Reizen der Umgebung unmittelbar zugänglichen Organe wie die Haut , die Schleimhaut und die Atmungsorgane gegen Verän¬ derungen der Umgebung sehr empfindlich sein . Ueber die Empfindlichkeit der Eingeborenen für die Tuberkulose führt Ziemann 1* aus : „ Die Disposition zur Tuberkulose zeigt sich bei den farbigen Rassen , deren frühere Geschlechter noch nicht von der Tuberkulose durchseucht waren , besonders stark , wenn sie bei der Berührung mit der europäischen Kultur in ein ihnen bis dahin ungewohntes fremdes Milieu verseßt , zum erstenmal den ihnen unbekannten Kampf ums Dasein zu bestehen haben und diesen Kampf unter verschlechterten Verhältnissen führen müssen . " Nach all dem kann nicht Wunder nehmen , daß auch die Psyche der Eingeborenen , der Gesaminiederschlag aller Reize der Umgebung , unter der Umwälzung der Verpflanzung schwer leidet . Die Eingeborenen erfaßt eine große Niedergeschlagen¬ heit , die sich in überwältigendem , dem Weißen meist unfaßlichem Heimweh nach den armseligen heimatlichen Verhältnissen äußert . Belege über die beängstigende Sterblichkeit der verpflanzten 1») A
.
Kol
a . O . S . 34 . . Monaisbl . 1913 ,
S
.
533
.
Eingeborenen gibt die Kolonialgeschichte in überreichlichem | e . Es sei nur die „ Illustrationsprobe " von Dr . L . Külz 15 an¬ geführt : „ Von Kribi aus wird zur Zeit ( September 1905 ) durch den Urwald hindurch eine Telegraphenleitung nach Jaunde ge¬ legt . Wenige Tage von hier entfernt arbeiten unter Leitung eines Europäers rund hundert aus verschiedenen Gegenden angewor¬ bene Neger an diesem Werke . Anfangs dieses Monats brach Postmeister S . aus Dualla über Kribi auf , um die Trace zu revi¬ dieren . Die Nachricht , die von ihm zurückkam , war folgende : Von den hundert Leuten , die erst seit einigen Wochen dort arbei¬ ten , waren 7 gestorben , 15 ausgerissen und 20 ernstlich erkrankt . Die Kranken entließ er zur Küste in meine Behandlung , wo sie nach einigen Tagen ankamen . Leider war es für 3 von ihnen schon zu spät gewesen ...... Die 15 Durchbrenner wurden kurz darauf wieder eingefangen und mir ebenfalls vorgeführt , 5 von ihnen waren auch für den Laien sofort kenntlich an schweren Ulcerationen der Füße krank . Die anderen erklärten , völlig ge¬ sund zu sein und gaben als Grund ihrer Flucht Hunger an . In Wirklichkeit ergab sich , daß sie zwar reichliche Mengen Nah¬ rungsmittel bekommen hatten , die aber nicht die altgewohnten und deshalb für sie ungenießbar gewesen waren . " Die angeführten Gefahren der Verpflanzung treten schon auf , wenn der Ort , an den die Eingeborenen verpflanzt werden , klimafisch nicht oder nur unwesentlich verschieden ist . Tritt zu der Verpflanzung noch eine Aenderung der klimatischen Verhält¬ nisse , so werden die Gefahren wesentlich erhöht . Die Sterblich¬ keit der verpflanzten Eingeborenen war daher tafsächlich eine besonders hohe , wenn die Eingeborenen aus den Gebirgen in die Ebene , aus dem Innern an die Küste , von dem Festland auf eine InseLoder umgekehrt verbracht wurden . Im Inselgebiet der Südsee zeigte sich sogar , daß die Verpflanzung von flachen Inseln auf gebirgige Inseln , auf welchen die Spannung zwischen Tag - und Nachttemperatur um wenige Grade größer ist , schon verhängnisvoll wird . Auf die Verpflanzung in andere klimatische Verhältnisse ist z . B . die hohe Sterblichkeit der in Angola an¬ geworbenen und auf die Kakaopflanzungen von St . Thome ver¬ pflanzten Eingeborenen zurückzuführen , die allgemeines Auf Ma
15 J Dr . L . Külz : deutschen Afrika ."
14
Blätter und Briefe eines Arztes aus dem tropischen . 263 .
„ S
sehen erregte . Obwohl in den Kakaopflanzungen auf St . Thome die Einrichtungen für die Eingeborenen , insbesondere die Ver¬ pflegung , Kleidung und Wohnung gut und die Krankenpflege vortrefflich sind , sterben die Eingeborenen im besten Alier wie die Fliegen weg . Die 4000 jährlich nach St . Thome verpflanzten Angola - Eingeborenen füllen die durch den Tod gerissenen Lücken auf . Es kehrt fast keiner zurück . 10) Aus den obigen Betrachtungen über die Bedeutung der Ver¬ pflanzung für die Eingeborenen dürfte hervorgehen , da & die Ge¬ fahren der Verpflanzung die grö & ten sind , welche die Kultur der Weisen den Eingeborenen für ihren Fortbestand gebracht hat . Diese Gefahren sind es , die die Vorfeile , die unsere Kultur den Eingeborenen bringt , überwiegen . In der Tat zeigt die Statistik unserer bisherigen Kolonien , da & im allgemeinen die Bezirke eine Bevölkerungszunahme zeigen , in welchen die Eingeborenen für die Anwerbung als Arbeiter überhaupt wenig zugänglich waren , oder wenigstens bei der Beschäftigung nicht so verpflanzt wurden , da |j sie ihre ständige Berührung mit ihrer Heimat ver¬ loren , so z . B . die Samoaner , die Eingeborenen der Gazelle Halbinsel auf Neupommern , die Eingeborenen der Bezirke Tanga , Bagamojo , Dar es salam , Rufidje , Mohorro . 17) Umgekehrt zeigen die Bezirke eine Bevölkerungsabnahme, in welchem die Eingeborenen von der Verpflanzung zu ihren Arbeitsstätten heimgesucht waren , und das sind die meisten der Anwerbung zugänglichen Gebiete , in besonders auffälligem Ma & e z . B . Neu Mecklenburg , Buka , Unjamwesi und Ussumbwa . 18) 6 . Betrafen die bisher erwähnten Gefahren der Kultur den physischen Fortbestand der Eingeborenen , so betrifft eine wei¬ tere wohl in ihrer Tragweite , aber kaum in ihren Ursachen er¬ kannte Gefahr die Psyche der Eingeborenen . Diese Gefahr ergibt sich notwendig aus dem ungeregelten Zusammenprall der hochentwickelten Kultur und Zivilisation der Weisen mit der tiefstehenden der Eingeborenen . Es ist natür¬ lich , dalj der Eingeborene von dem Kulturleben und der Zivili 16) Th . Christ . Socin : „ Die Sklaverei in Angola und St . Tnome , eine Lebens¬ frage für Portugal . " Kol . Monatsbl . 1912 , S . 822 . • 17 ) Vergl . Hermann : „ Statistik der farbigen Bevölkerung von Deutsch Afrika . " Kol . Monatsbl . 1914 , S . 176 . i8 ] Vergl . van der Borgt : „ Zur Entvölkerungsfrage tlnjamwesis und Ussumbwas ." Kol . Rundschau 1913 , S . 705 .
15
sation der Weifjen das annimmt , was er am leichtesten annehmen kann und was ihm von seinem Standpunkt aus als das wesent¬ liche der Kultur erscheint , d . h . in erster Linie die rein äußer¬ liche Lebensführung des Kulturmenschen , also einen Teil seiner Zivilisation und daneben die rein geistige Ausbildung der Wei¬ ßen . Der Eingeborene wird jedoch nicht ohne weiteres all das übernehmen , was das wesentlichste an der Kultur ist : das soziale Empfinden des Kulturmenschen , den Arbeitstrieb , Treue und Glauben , und die weitblickende Fürsorge . Diese Kulturgüter haben äußerlich nichts Lockendes für die Eingeborenen . Um die Zweckmäßigkeit und Erstrebenswertigkeit dieser Güter zu er¬ kennen , dazu gehört schon eine höhere Kultur . Diese Kultur¬ güter können außerdem keineswegs so leicht wie das äußerliche Kulturleben und selbst die geistige Schulung angenommen werden , sie verlangen vielmehr eine Umwandlung des Seelen¬ lebens der Eingeborenen von Grund aus . Die ganze bisherige psychische Anpassung des Eingeborenen , sein primitiver Egoismus , sein in den Tag leben und sein Hang zum Nichtstun , die in den Nervenbahnen wie Lebensaxiome eingeprägt sind , muß mühsam durch eine neue Anpassung umgeprägt werden . Dies kann beim Erwachsenen überhaupt kaum und bei dem Jugendlichen so lange nicht geschehen , als er nicht seinem Ein¬ geborenen - Milieu entzogen wird . 19) Auch soweit die Regierung und die Mission in ihren Schulen sich der Jugend der Eingeborenen annimmt , wird diesem einsei¬ tigen Entwicklungsgang ganz unzureichend entgegengewirkt . Es ist leicht erklärlich , was die Regierungs - und Missionsschulen zu der einseitigen Geistes - und Fachausbildung unter Vernach¬ lässigung der moralischen Umarbeitung der Eingeborenen ver¬ führt . Zunächst „ besticht die Entwicklungsfähigkeitder formalen Intelligenz des Einigeborenen und seine Fähigkeit zur Aneignung äußerer Fertigkeiten " 20) die Schulen , gerade diese entwicklungs¬ fähigsten Seiten auszubilden . Zweitens sind die Erfolge einer 19) Vergl . Rohrbach : „ Kulturpolitische Grundsätze für die Rassen - und Missionsfrage , " S . 8 : „ Hierbei hat sich gezeigt , ...... was jedermann , der die
schwarze Rasse in Afrika aus eigener Erfahrung näher kennen gelernt hat , ohne weiteres bestätigen wird , ...... dak der Neger gut ausbildungsfähig nach der Seite der Intelligenz , der technischen und geschäftlichen Gewandtheil ist , sehr mangelhaft aber nach der Seite des moralischen Wesens ." 2° ) Rohrbach a . a . O . S . 5 .
16
Schule äußerlich nur in den erworbenen geistigen und tech¬ nischen Fähigkeiten , angefangen mit der Kunst des Lesens und Schreibens , erkennbar . Es gibt keine Schulprüfung , in welcher die Zöglinge auf die praktische Moral hin geprüft werden , also bleibt für den „ geschulten " Lehrer die geistige Ausbildung das wichtigste . Schließlich verführt das europäische Vorbild der Schulen , auch da ist die geistige und die Fachausbildung die Hauptsache . Es wird dabei übersehen , daß in Kulturländern das genze Leben , das Milieu vom ersten Lebensjahre an die An¬ passung an die sittlichen Grundlagen des Kulturstaates über¬ nimmt . Es bleibt daher in Kulturländern in der Tat der Schule als die Hauptaufgabe nur die Förderung der geistigen Aus¬ bildung . Für die Eingeborenen aber wäre gerade die Anpassung an die sittlichen Grundlagen der Kultur als das erste und aller wichtigste Ziel zu fördern . Da dies in den Schulen "der Kolonien nicht beachtet ist , so arbeiteten auch diese Schulen bisher kaum dem entgegen , daß der Eingeborene geistig zu einem Kultur¬ zwitter wird . Beim Eingeborenen im Urzustand ist sein primitiver Egoismus , sein in den Tag leben und sein Nichtstun verhältnis¬ mäßig unschädlich , beim Eingeborenen mit der Firnis unserer Kultur - und Geistesbildung ohne innere sittliche Umwand¬ lung offenbaren sich die genannten Eigenschaften als gewissenloser Egoismus , als Verlogenheit und Unzuver lässigkeit bei ihren Arbeitsleistungen und als dumme An¬ maßung . Er wird zu einem unzufriedenen Element und jedenfalls nicht zu einem Freund des Weißen . Während also der Eingeborene im Urzustände zwar ein schwer zu verwertenfer wenig produktiver aber immerhin ein Kultur¬ faktor ist , wird er nach der einseitigen geistigen Schulung zum ausgesprochenen Kulturschädling . Auch bei dem Europäer führt bekanntlich das Mißverhältnis einer hohen rein geistigen Bildung zu einer niedrigen ethischen Bildung leicht gerade zu dem ge¬ fährlichsten Verbrechertum . Das Urteil , das z . B . Leue 21) über die praktischen Ergebnisse der Schulung fällt , ist hart , aber im allgemeinen zutreffend und bei der geschilderten einseitigen Geistesbildung notwendig . Er sagt : „ Selbstverständlich gibt es ebenso wie ehrliche auch zuverlässige Leute unter den Schwar 21) a . a . O . S . 268 . Vergl . ferner Deutschen in Afrika . S . 24 .
Dr
. Oetker : Die Negerseele und die 17
zen , aber sie sind so selten wie Perlen und werden darum auch wie solche behandelt und bezahlt . Jedoch kann man nicht sagen , daß die Schulbildung dabei irgendwie mitspräche , im Gegenteil ,
je mehr ein Schwarzer gelernt hat , um so fragwürdiger wird . . . . , denn alle Schwarzen , die längere Zeit eine Schule be¬ sucht haben , sind für die Arbeit verdorben . " Auf die einseitige geistige und die mangelnde ethische Schulung der Neger ist es schließlich auch zurückzuführen , wenn die Neger , wo immer sie einen selbständigen Kulturstaat bilden wollten wie in Liberia , Haiti und St . Domingo , oder wo sie im Kuliurstaal ein politischer Machtfaktor wurden wie in Amerika , eine recht klägliche Rolle spielten . er
4
.
ERZIEHUNG ZUR KULTUR
Es ist schon wiederholt in Kulturländern die Forderung aufge¬ taucht , daß der Mensch , der durch die künstliche Zuchtwahl bei den Tieren so gewaltige Erfolge errang , die Prinzipien der
Zuchtwahl und Anpassung doch auch bei seinem eigenen Ge¬ schlecht anwenden sollte , zur gesunden Höher - und Weiterent¬ wicklung der Menschen . Allein die Prinzipien der Entwicklungs¬ lehre sind noch zu wenig geistiges Allgemeingut der Kultur¬ menschen , als daß man an ihre wichtigste praktische Anwendung auf den modernen Menschen gehen könnte . Mit gebieterischer Notwendigkeit drängt sich jedoch die Anwendung der Ergeb¬ nisse der Entwicklungslehre da auf , wo wie in unseren Kolonien Völker , die auf der untersten Stute der Kultur stehen , mit der hohen Kultur der Weißen unvermittelt zusammentreffen . Es ist offenbar , daß der Ausgleich solcher Extreme nicht der „ natürlichen " Entwicklung überlassen werden kann . Die „ natür¬ liche " , d . h . ungeregelte Entwicklung führt in erster Linie zur Vernichtung der Eingeborenen als der im Daseinskampf schwächeren ( vergl . Australien , Neuseeland und Nordamerika ) genau so , wie es beim Zusammentreffen zweier konkurrierender Tierrassen dem natürlichen Werdegang entspricht , daß die besser organisierten und stärkeren die anderen ausrotten , wie z . B . die Wanderratten , die im leßten Jahrhundert in Europa einbrachen , die Hausratten ausrotteten . Wo die Eingeborenen aber den Zu¬ sammenprall mit der hohen Kultur der Europäer überleben , führt 18
die „ natürliche " Entwicklung zu einer unglücklichen einseitigen Anpassung , die den Eingeborenen zu einem Kulturzwitter macht ,
der weder als Eingeborener noch als Kulturmensch zu ge¬ brauchen ist . Zwar wird gegen die beiden auch unseren Eingeborenen drohenden Gefahren , gegen die Vernichtung sowohl wie gegen die geistige Verbildung angekämpft , aber unzureichend . Eine Reihe von Einrichtungen und Verordnungen dient der Erhaltung der Eingeborenen , insbesondere der eingeborenen Arbeifer , doch wird die Hauptgefahr , die wir in der Erschütterung der Einge¬ borenen fanden , wenn sie aus ihrem gewohnten Eingeborenen¬ leben in die zielbewußte regelmäßige Arbeit der Weißen einge¬ führt werden , von diesen Schufebestimmungenkaum betroffen . Auch gegen die einseifige geistige Bildung wird angekämpft , weniger durch die bestehenden Schulen , die sie mehr befördern als bekämpfen , als durch die Erziehung zur Arbeit , die der Ein¬ geborene als Arbeiter im Betriebe der Weißen erfährt und durch die Förderung der Eingeborenenkultur durch die Regierung . Doch wie wenig bedeutet die wirksamste dieser Erziehungen zur Kultur , die zwei oder drei lahre Arbeil im Betriebe der Weißen . Diese Erziehung trifft einen Renschen , der seit frühester Jugend in einer anderen Welt erzogen und mit dieser verwachsen ist , einer Welt , in der man nicht an das morgen denkt , wenig An¬ sprüche hat , und das Weib das Wenige , was man braucht , arbei¬ ten läßt . Gegen diese 20 und mehr Jahre der Erziehung zur Indolenz können 2 oder 3 Jahre Erziehung als Arbeiter beim Weißen schon deshalb wenig ausrichten , weil diese Erziehung einen fertigen Menschen trifft , dessen Weltanschauung in den Bahnen seines Nervensystems bereits fest verankert ist . Es kommt dazu , daß die Eingeborenen bei ihrer Arbeit beim Weißen ihrem Negermilieu nicht ganz entzogen werden . Und nun zu den Abhilfemaßregeln . Die bisherigen auf natur¬ wissenschaftlicher Grundlage aufgebauten Ausführungen weisen eindeutig auf das Heilmittel gegen die Gefahren der system¬ losen Anpassung hin : Wenn wir die Eingeborenenjugend allge¬ mein von ihren ersten Jugendjahren an zur Erziehung erfassen und systematisch durch Erziehung an die Grundlagen unserer Kultur anpassen , an Reinlichkeit , an gesunde Nahrung , Kleidung . Wohnung , an regelmäßige zielbewußte Arbeit und immer wieder 19
an Arbeit
an soziales Denken und Fühlen , auch an Wahrheit und Ehrlichkeit , dann erhalten wir als erwachsene Eingeborene ge¬ sunde , brauchbare , arbeitsgewohnte und arbeitslustige ,
Menschen . Wie unten noch näher gezeigt werden soll , werden damit alle Gefahren , die unsere Kultur den Eingeborenen brachte , und alle Schwierigkeiten , die die Eingeborenen uns machten , mit einem Schlage am besten beseitigt .
Zunächst müssen die Aufgaben dieser Erziehung näher skizziert werden . Der Leitgedanke für alle Ma & nahmen ist , ku r : gesagt , die Erziehung der Eingeborenen zu gesunden , arbeits freudigen Menschen unter möglichst vollkommener Angewöh¬ nung an unsere Ethik . 22) Die Einrichtung , die diese Erziehungs malnahmen durchführen soll , sei deshalb als „ Kulturschule " be¬ zeichnet . Doch ist das erste Erfordernis bei der Klarlegung der Aufgaben der Kulturschule , da | wir uns von dem uns geläufigen Begriff der „ Schule " ganz losmachen müssen . In Kulturländern ist das Material der Schule ein vom ersten Lebensjahr inmitten von Zivilisation , Arbeit und sozialer Ethik aufgewachsenes Volk , bei dem die Schule in der Hauptsache nur die geistige Schulung und Ausbildung zu übernehmen hat . Was den Kulturmenschen zu einem sozial denkenden , arbeitsfreudigenMenschen machtest zum allergeringsten Teil die Frucht der europäischen Schulung , sondern fast ganz die Frücht der häuslichen Erziehung und der Erfahrungen des Lebens außerhalb der Schule . Das Ziel der Kulturschule der Eingeborenen ist aber gerade die Erziehung , die in Kulturländern das Leben außerhalb der Schule übernimmt , nämlich die Anpassung an die Prinzipien der Kultur . Die Auf¬ gaben der Kulturschule sind also ganz anderer Art , als die einer Europäerschule , denn das Leben außerhalb der Schule , das häusliche Milieu der Eingeborenen wirkt der Anpassung an die Schule gerade entgegen und mufs durch die Kulturschule über¬ wunden werden . Aus dieser Erschwerung ergibt sich , da | , wenn 33 ) Vergl . Dr . A . Lion : „ Die Kulturfähigkeit des Negers und die Er¬ ziehungsaufgaben der Kuliurnalionen " , S . 21 : „ Wir werden die Eingeborenen so erziehen müssen , dalj sie in gemeinsamer Arbeit und geistiger Ab¬ hängigkeit von uns freiwillig und gern das gemeinsame Ziel erstreben , die wirtschaftlichen Schäfee Afrikas dem Mutterlande dienstbar zu machen und darin die Quelle ihres Wohlstandes finden . So werden wir durch Er¬ ziehung zu freudiger , verständnisvoller Arbeit , durch Erziehung zu höheren sittlichen Ideen mit den Interessen des Negers zugleich auch unsere eigenen fördern . "
20
die Kulturschule Erfolg haben soll , sie alle ihre Anstrengungen ausschließlich ihrem Ziel , der Anpassung an die Kulturprinzipien , widmen muß , und jede Aufwendung von Mitteln und Kräften , die
zur Erreichung dieses Zieles nicht unbedingt nötig sind , ver¬ meiden muß , also insbesondere die rein geistige Weiterbildung nach dem Muster der europäschen Schulen , die eine so große Kräffeaufwendung bedingt , daß die Hauptaufgabe der Kultur schule von vornherein nicht erfüllt werden könnte . Damit die Anpassung der Kulturschule möglichst intensiv wirkt , muß mit der Schulung im frühesten Alter der Eingebore¬ nen begonnen werden , nicht erst mit dem sechsten Lebensjahr , wenn die geistige Schulung erst möglich wird , denn diese ist gar nicht unsere Aufgabe . Mit sechs Jahren ist der Eingeborene auch schon so an sein Eingeborenenmilieu angepaßt , daß die Aufgabe der Kulturschule dann schon erheblich erschwert ist . Das Eingeborenenkind kann umso eher in einem früheren Alter in die Schulung kommen , weil die Schulung keinerlei geistige Anstrengungen verlangt , sondern ein natürliches , gemütliches Hineinleben in unsere Kulturanschauungen sein soll . Aus dem gleichen Grunde soll und kann die Schulung sich nicht nur auf einige Schulstunden den Tag beschränken , sondern sie soll möglichst das ganze Tagewerk , insbesondere auch die Mahlzeiten und Spiele , umfassen . Für alle Maßnahmen der Kuliurschule muß das Prinzip gelten , daß alle Anschauungen und Gebräuche der Eingeborenen , so lange sie nicht dem Ziele der Kulturschule widersprechen , zu schonen und zu achten sind , mögen sie im übrigen noch so heid¬ nisch und widersinnig sein . Soweit die Eingeborenenge¬ bräuche den Zielen der Kuliurschule hinderlich sind , sind nur die hinderlichen , schädlichen Bestandteile der Gebräuche auszu¬ merzen , so daß die Gebräuche für die Eingeborenen im wesent¬ lichen unverändert erscheinen . Bei diesem Verfahren werden beiderseits , sowohl beim Lehrer wie beim Schüler , Kräfte , die der notwendige Widerstand der Eingeborenen sonst verbrau¬ chen würde , gespart und für die ruhige Verfolgung der Haupt¬ aufgabe gewonnen . Als Aufgabe der Kulturschule sei im einzelnen angedeutet : Erziehung zur Reinlichkeit und Körperpflege , Nahrungsberei¬ tung und Lebensmittelbewirtschaftung , Aufklärung über Krank 2t
heiien und die praktische Bekämpfung derselben , auf Grund von allgemeinen ärztlichen Anweisungen , für die Dr . Külz in seinen
Grundzügen der allgemeinen Eingeborenenhygiene" bereits die Grundlage geschaffen hat . Ferner Angewöhnung an die grundlegenden Siitengebote , vor allem an den fundamentalen Grundsafe : Was du nicht willst , das man dir tu ' , das füg auch keinem andern zu , sodann auch an Ordnung und Gehorsam . Dies soll nicht nur durch rein praktische Erziehung geschehen , sondern die Grundsäße der Kultur sollen ähnlich wie die zehn Gebote in einfache feste Formen geprägt werden , die den Zög¬ lingen dauernd gedächinismäßig einzuprägen sind . Haben die Gebote sich erst in die Gedanken fest eingegraben , so wird auch die Handlungsweise allmählich davon beherrscht . Im Mittelpunkt der Erziehung muß die Gewöhnung an regel¬ mäßige zielbewußte mißliche Arbeit stehen . Die Arbeit muß durch die Gewöhnung von frühester Jugend an dem Eingebo¬ renen zur zweiten „ Natur " , zum Lebensbedürfnis werden . Die Gewöhnung zur Arbeit muß nicht nur für unsere unmittelbaren Zwecke der Erziehung im Mittelpunkt stehen , sondern sie sieht auch in unserer Ethik im Mittelpunkt , von dem fast alle Kultur¬ tugenden ihren Ausgangspunkt haben . Die Arbeiten selbst soll¬ ten nur im unmittelbaren Interesse der Eingeborenen und ihrer Kuliurschule liegen : rationeller Garten - und Feldbau , Muster¬ pflanzungen , Wohnungsaufbau und - einrichtung , Brunnenanlagen und sonstige öffentliche sanitäre Anlagen , dazu die nötigen Handwerkskenntnisse . Damit die Arbeit besonders erzieherisch wirkt , sollen die Zöglinge mit kleinem Taschengeld und Prä¬ mien belohnt werden . Auch die Ersparung dieser Taschengelder und ihre mißliche Anwendung müßte von der Schule geleitet werden . Bei aller Arbeit ist naturgemäß darauf Bedacht zu nehmen , daß die Knaben und Mädchen ihren Anlagen gemäß beschäftigt und auf ihren künftigen Beruf vorbereitet werden . Als höherer Unterrichfsgegenstand soll nur Natur - , Kultur - , Gesundheits - und Heilkunde und etwas Rechnen getrieben werden . Keineswegs dagegen soll in der Kulturschule Lesen und Schreiben gelehrt werden . Dies würde , wie bereits erwähnt , viel zu viel Arbeitskräfte und Zeit verbrauchen . Für die Haupt¬ aufgaben der Kulturschule blieben nicht nur keine genügende Zeit und keine genügenden Kräfte seitens des Lehrers und des 22 „
Schülers , sondern es würde damit wieder die bereits geschilderte
Gefahr der einseifigen geistigen die sonstige Kultur des Ein¬ geborenen überragende Bildung , die ihn zur Arbeit untauglich macht , heraufbeschwören . Außerdem verleilet diese geistige Bildung die Eingeborenen leicht dazu , sich den Weisen gleich¬ wertig zu halten und schließlich politische Rechte zu verlangen , die vorläufig in den Händen der Weißen bleiben müssen . 23} Die allgemeine Unkenntnis von Lesen und Schreiben wird die Eingeborenen am deutlichsten und dauernd ihren Abstand vom Weißen erkennen lassen . Dieses Gefühl der kulturellen Minder¬ wertigkeit entspricht auch auf lange Zeit dem tatsächlichen Kul furzusfand . Der Eingeborene hat auf lange Zeit gerade genug damit zu tun , sich an die erste Grundlage der Kultur völlig an¬ zupassen . Der allgemeine Grundsafe , die höhere geistige Schulbildung zu versagen , soll jedoch nicht hindern , daß eine Auslese der begabtesten Zöglinge getroffen wird , der dann in den bis¬ herigen Regierungsschulen eine höhere Ausbildung im Lesen , Schreiben und Deutschen zuteil wird bis zur Befähigung zum Unterbeamten und besonders zum Hilfslehrer für die Kul¬ turschulen . Doch müßte aus den bereits angegebenen Gründen bei der Auslese außer der besonderen geistigen Begabung vor allen Dingen darauf gesehen werden , daß auch schon eine be¬ sonders fortgeschrittene moralische Anpassung vorliegt . Damit lefetere festgestellt werden kann , dürfte die Ueberführung des Zöglings in die Regierungsschule erst etwa vom 14 . Lebensjahr an erfolgen und auch in der Regierungsschule müßte auf die ethische Bildung wenigstens ebensoviel Wert gelegt werden wie auf die geistige Ausbildung . Die Frage der Unterrichtssprache in der Kulturschule ist eben¬ falls nach dem Grundsafee zu entscheiden , die Eingeborenen möglichst nicht mit etwas zu belasten , was nicht zur Erziehung zu einem arbeitsamen tüchtigen Menschen unbedingt nötig ist . Es ist deshalb in erster Linie die Eingeborenensprache zu be nufeen , insbesondere wenn es , wie in Ost - Afrika , eine einheit¬ liche Eingeborenensprache gibt . Wo lefeferes nicht der Fall und die Regelung . Siengel : Die Eingeborenenfrage Schufegebieten . deutschen den in Eingeborenen der der Rechtsverhältnisse Zeitschrift für Kol . Politik 1910 S . 183 . 23)
Vergl . Karl
v
23
ist , sowie für die älteren Zöglinge , kann für die Belehrung nur ein einfaches bestimmt formuliertes PidghvDeulsch in Frage kommen . Ist nun die geschilderte Erziehung praktisch durchführbar ? Was das Material , die Eingeborenen , betrifft , so ist in dem Kapitel über die Anpassungsfähigkeif der Eingeborenen dar getan , dag es nur Sache der Anpassung im individuellen Leben ist , ob der Mensch im Fühlen , Denken und Handeln zu einem kulturwidrigen oder kulfurgemägen Individuum wird . Daraus folgt , dag die Eingeborenen durch die geschilderte sie ganz in ein neues Milieu bringende Erziehung in der Kulfurschule so vollständig wie möglich an das gewollte kulturgemäge Fühlen , Denken und Handeln angepaßt werden , sofern die Eingeborenen überhaupt die nötige geistige Begabung haben . An legierem ist nicht zu zweifeln . Mag man auch zugeben , dag die Rasse der Eingeborenen gegenüber den Europäern inferior ist 24) , so haben die Eingeborenen , namentlich in Amerika , doch bewie¬ sen , dag ihre Bildungsfähigkeit derjenigen eines Durchschnitts¬ europäers wenigstens sehr nahe kommt 26) , und das ist mehr , als an geistiger Begabung nötig ist , um die Eingeborenen an die Grundlagen unserer Kultur anzupassen . Die Schulung und der Schulzwang findet in der Psyche der Eingeborenen keinen Widerstand . Seit Jahrlausenden in skla¬ vischem Gehorsam gegenüber ihren Machthabern sind die Ein¬ geborenen an Unterordnung und geistige Leitung so angepaßt und gewöhnt , dag man bei den Eingeborenen im allgemeinen mit K . Oetker 28) in der Tat von einem Bedürfnis nach Unterordnung und geistiger Leitung sprechen kann . Wenn man sich daher im ersten jähre der Durchführung der Kulfurerziehung darauf be¬ schränkt , die Kulturschulen nur bei größeren Eingeborenen Niederlasungen zu errichten und zunächst nur die freiwillig zu geführfen Schüler aufnimmt , so kann man vielleicht schon im nächsten Jahre zum Schulzwang übergehen , zumal , wenn die Eingeborenen gewahr geworden sind , dag die Behandlung in a*) Vergl . Dr . P . Rohrbach : Kulturpolitische Grundsafee für die Rassen und Missionsfrage . Vgl . : Dr . A . Lion a . a . O . Seite 903 ff . und K . Mirbt : Die Schule für Eingeborene in den deutschen Schufegebieten . Kol . Monatsbl . 1914 S . 230 . a« ) A . a . O . , S . 13 .
24
den Schulen nur auf Besserung ihrer Lebensverhältnisse aus¬ geht . Ein allgemeiner Widerstand gegen die Schulpflicht ist unter diesen Umständen nicht zu erwarten . Die Kulfurschulen müssen sehr bald auch bei kleineren Niederlassungen der Eingeborenen eingerichtet werden , und schließlich müssen auch die vereinzelt wohnenden Eingeborenenkinder in die nächste Kulturschule überführt werden , entweder allein oder durch Umsiedlung der ganzen Familien in die Nähe der Schule . Ohne eine allgemeine Erfassung der Eingeborenen¬ jugend würde der Erfolg in Frage gestellt werden , da die Er¬ ziehungsergebnisse der geschulten Eingeborenen beim Verkehr mit ungeschulten Eingeborenen wieder abgeschliffen werden . Diese allgemeine Erziehung macht allerdings eine erheb¬ liche Zahl weißer Erzieher notwendig . Darin liegt die größte praktische Schwierigkeil . Nicht , als ob nicht genügende Kräfte aufgebracht werden könnten . Nach dem Kriege wird fich eine genügende Anzahl aufopferungsbereiter Männer und Frauen zu diesem Erziehungswerk finden . Die Schwierigkeif liegt in der Kostenfrage . Zunächst ist darauf hinzuweisen , daß die Kulturschule durch die praktische Arbeit , die sie leistet , einen erheblichen und immer größer werdenden Teil ihrer Kosten selbst aufbringt . Dennoch wird anfänglich noch eine bedeuten¬ dere Summe aufzubringen sein als man bisher für die Einge¬ borenenfürsorge aufzuwenden pflegte . Alle Bedenken , auch bei schlechtester Finanzlage des Reiches , müßten aber fallen , wenn man sich die Vorteile dieser allgemeinen Erziehung im einzelnen klar macht . Durch die allgemeine Erziehung in den Kulturschulen wird , wie bereits angedeutet , erreicht , daß alle Gefahren , welche die Kul¬ tur des Weißen für die Eingeborenen zurzeit mit sich bringt , in der Hauptsache beseitigt werden und andererseits die Vorteile , welche die Kultur für den Eingeborenen bringt , vermehrt werden . Als Gefahren der Kultur wurden genannt die neuen von Weißen gebrachten Krankheiten und die ausgedehntere Verschleppung der einheimischen . Durch die Gesundheitspflege und die Auf¬ klärung in der Kulturschule wird beiden Gefahren aufs beste entgegengewirkt . Auch der Alkohol wird durch Gewöhnung und Aufklärung bekämpft . Gegen die Gefahr der Verweichlichung der Eingeborenen durch den erleichterten Daseinskampf ist das 25
beste Mittel die Erziehung zur Arbeit . An Stelle des wegfallen¬ den bisherigen brutalen Daseinskampfes wird der Eingeborene zum wirtschaftlichen Kampf gerüstet , der ein neues ihn voll in Anspruch nehmendes Betätigungsfeld für alle seine Kräfte ist . Besonders wertvoll ist , daß die Erziehung in der Kulturschule die Gefahren der Verpflanzung der Eingeborenen in die Betriebe der Weißen im wesentlichen beseitigt . Wir haben erkannt , daß diese Gefahr die größte dem Eingeborenen vom Weisen drohende ist und daß sie namentlich darin liegt , daß die Eingeborenen , phy¬ sisch und psychisch zu jeder regelmäßigen zielbewußten Arbeit unfähig , plößlich einer solchen unterworfen werden . Ist der Ein¬ geborene durch die Kulturschule gegangen , dann ist er gemäß der Hauptaufgabe der Schule an regelmäßige zielbewußte Ar¬ beit bereits angepaßt . Auch sonst wird die Verpflanzung ihm nicht viel antun können , da er durch die Schule in Körperpflege , Nahrung und Kleidung an eine gesunde Lebensführung gewohnt ist und ihm in seiner neuen Arbeitsstätte leicht dieselben äußeren Lebensbedingungen geschaffen werden können . Es ist eine ganz allgemeine Erscheinung , daß die Anpassung an die höhere Kul¬ tur an sich schon die Menschen von der Scholle unabhängiger macht , wie z . B . die Malayen und Chinesen beweisen . Schließlich bekämpft die Kulturschule auch nachdrücklichst die Gefahren der einseifigen geistigen Erziehung . Und nicht nur dies , die Kul¬ turschule macht aus dem Eingeborenen gerade einen tüchtigen arbeitsgewohnten und arbeitslustigen Menschen , der an Arbeit das mehrfache von dem leistet als jeßt ein ungelernter Arbeifer leisten kann . Außerdem spart der Weiße an dem gesünderen arbeitsgewohnten Arbeiter Krankenkosfen , Arbeitsausfall und Mühe und Aerger beim Anlernen . Auch die Anwerbung zur Ar¬ beit beim Weißen wird bei den zur Arbeit erzogenen Eingebo¬ renen leichter sein als jeßi . Die Eingeborenen werden sich im allgemeinen auch nicht mehr mit einem einmaligen Kontrakt be¬ gnügen , um dann in ihr allgemeines Nichtstun zu verfallen . So¬ weit die in der Kulturschule erwachsenen Eingeborenen sich nicht oder nicht wieder für die Betriebe der Weißen anwerben lassen , werden sie in ihren eigenen Eingeborenenkulfuren weif mehr wirtschaftliche Werte schaffen als bisher . Einmal gewohnt , zu arbeiten , steht der Eingeborene unter dem Zwange seiner eigenen Psyche , sein eigener „ freier " Wille ist es , der ihn zur 26
Arbeit zwingt . Das Ergebnis dieses inneren Arbeiiszwanges ist besser als aller äußerer Zwang es je fertig brächte . Bei allen diesen Vorzügen des gelernten Arbeiters kann es ruhig in Kauf genommen werden , daß er in Löhnung und Unterhalt etwas anspruchsvoller werden wird , besonders da letzteres nebenbei auch den Vorteil hat , daß die Eingeborenen in größerem Um¬ fange als bisher zu Abnehmern der deutschen Ferligfabrikeie werden . Die Kulturschule bringt noch weiteren Gewinn mit sich . Wenn zur Bekämpfung großer Seuchen , Epidemien oder zur Erhaltung und Vermehrung eines besonders gefährdeten Eingeborenen¬ stammes eine Reihe von Maßregeln durchgeführt werden sollte , bei welchen es darauf ankam , daß sie überall lückenlos durch¬ geführt wurden , wenn sie überhaupt wirksam sein sollten , so scheiterten diese Maßregeln bisher in der Regel daran , daß aus Indolenz und Verständnislosigkeit der Eingeborenen die allge¬ meine Durchführung unmöglich war . Mit der Kulfurschule ist eine Instanz geschaffen , die nicht nur sofort in jede Hütte Aufklärung und Verständnis für die Abwehrmaßregeln tragen kann , sondern die Kulturschule kann selbst die Maßnahmen restlos praküsch durchführen , indem sie nötigenfalls ihre ganzen Kräfte auf diese wichtigste Aufgabe werfen kann . Die Kulturschule ist ferner durch die Hebung der Gesundheit und die Erziehung zur Arbeit das einzig durchschlagende Mittel zur Steigerung der Geburten und Verminderung der Kindersterblichkeit . Gewiß können ärztliche Hilfe und andere unmittelbar angewendete Mittel zur Steigerung der Geburten und zur Verminderung der Kindersterblichkeit beitra¬ gen . Sie treffen aber das Uebel nicht an der Wurzel und können deshalb das Beginnende Aussterben eines Volkes nicht aufhalten . Was mißt die beste Geburts - und Kindeshygiene , wenn Vater und Mutter dahinsiechen , was nüßen sie , wenn die Eingeborenen , die Kinder zeugen und gebären sollen , lebensmüde und krank unter ihrer Arbeits - und Lebenslasf dahinvegetieren , so daß die Ge¬ schlechter sich nicht mehr finden , oder wenn sie sich finden , kein Leben mehr erzeugen oder erhalfen können ? Man denke nur daran , wie schwer es ist , wild eingefangene Tiere zur Fort¬ pflanzung zu bringen . Sollen Menschen , die unter den Erschütterungen einer Verpflanzung oder unter den Folgen 27
einer Krankheit ihre Lebenslust und Lebenskraft verloren haben , sich etwa leichter fortpflanzen können als Tiere unter ähn¬ lichen Umständen ? Die Verminderung der Geburten und die Steigerung der Kindersterblichkeit bedeuten einfach , da £ das Volk dem Daseinskampf nicht mehr gewachsen ist . Das Uebel kann daher nur behoben werden , wenn wir die Eingeborenen im allgemeinen Daseinskampf stärken . Dies tut die Kulturschule , indem sie die den Eingeborenen drohenden Gefahren bekämpft , ihre Gesundheit auch unmittelbar fördert und sie zur Arbeit und damit zur Lebenskraft und Lebenslust erzieht . Insbesondere sei auch auf folgende unmittelbare Förderung der Geburten und Ver¬ minderung der Kindersterblichkeit durch die Kulturschulerziehung hingewiesen : Nach den Eingeborenensitten ist das Weib meist nur Arbeitstier für den Mann und findet selbst in den schonungs¬ bedürftigsten Umständen keine Schonung , so da & es weder vor noch nach der Geburt seinen Mutterpflichten nachkommen kann . Hiergegen richteten bisher alle Belehrungen und Bekehrungen wenig aus . Ist aber der Mann durch die Kulturschule von Jugend auf selbst zur Arbeit und das Weib mehr für ihre häuslichen und Mutterpflichten erzogen , so ist das Übel behoben . Auch die Abtreibung , der sonst unmittelbar kaum beizukommen ist , wird so auf die natürlichste und wirksamste Weise bekämpft . Von nicht zu unterschäfeendem Wert ist die Kulturschule weiter¬ hin deshalb , weil sie durch ihre Erziehung unter Vermeidung ein¬ seifiger geistiger Bildung die Eingeborenen ganz mit unseren Kulturarbeifen , unseren Interessen und unserem Denken verwach¬ sen und sie dann ohne Härten ganz in wirtschaftliche und geistige Abhängigkeit von uns geraten läBt , dafj das Aufkommen des In¬ teressengegensatzes zwischen Schwarz und Weifj auf die natür¬ lichste Weise verhindert und damit auch die „ schwarze Gefahr " in ihren ersten Grundlagen beschworen wird . Dag mit der Förderung der Gesundheit der Eingeborenen auch die meisten der den Weisen drohenden gesundheitlichen Ge¬ fahren bekämpft werden , brauch? nicht näher ausgeführt zu werden . Neben den sanitären Aufgaben kann die Kulturschule bezw . deren Leitung auch andere Verwaltungsaufgaben übernehmen , wie z . B . "die sehr im argen liegende Eingeborenensfatistik. je¬ doch um das Vertrauensverhältnis mit den Eingeborenen nicht 28
zu gefährden , dürften keine dem Eingeborenen unwillkommenen Verwaltungsgeschäfte , wie Steuererhebung und Anwerbung der Kulturschule übertragen werden . Zusammenfassend kann von der Kulturschule gesagt werden , daß sie alle Bedingungen für ein rasches Aufblühen der Einge¬ borenen und für die größtmögliche wirtschaftliche Ausnußung der Kolonien schafft . 20 Jahre in der Erziehung durch die Kultur schule würden aus den Eingeborenen ein arbeifsameres , gesün¬ deres und für die Kulturarbeit tüchtigeres Volk machen als es Es dürfte nicht schwer sein , nachzu¬ z . B . die Javaner jeßt sind . rechnen , daß die Kosten , die Deutschland in 20 Jahren ohne die Durchführung der vorgeschlagenen Kulturschule zur Sanierung , Seuchenbekämpfung , wirtschaftlichen Hebung und Befriedigung braucht , ebenso groß und größer sind als die Kulturschule bean¬ spruchen würde , die alle diese Zwecke zugleich erreichen würde . Wir hätten ohne die Kulturschule dann nach 20 Jahren ein Volk , das mit der Erziehung zur Kultur nicht viel weifer als heute wäre , das weniger zahlreich wäre und sehr viel weniger wirtschaftliche Werte geschaffen hätte . Unter diesen Umständen kann es nicht fraglich sein , daß die Mittel für die Einrichtung der Kulturschule , wenn überhaupt mög¬ werden müssen . Der Schulmeister , der lich , aufgebracht Deutschland kulturell und wirtschaftlich groß machte , soll auch den deutschen Kolonien in einem groß angelegten Plan zu raschem ungeahnten kulturellen wirtschalffichen Aufschwung ver¬ helfen . Der berufene Lehrer für die Kulturschule ist allerdings der für europäische Volksschulen ausgebildete Lehrer nicht ohne weiteres , weil die Ziele der Kulturschule ganz andere sind . Er soll vor allem pädagogisch gebildet und besonders mit der Ein geborenenpsyche vertraut sein . Im Nebenamte sollte er Heil¬ gehilfe , Gärtner und Handwerker sein , daher können Heilgehilfen , Gärtner und Handwerker , die pädagogisch gebildet und über die unterrichtet worden sind , ebenso gute Eingeborenenpsyche Lehrer abgeben . Für die Oberaufsicht der Kulturschulen dürfte der ärztliche Beruf die geeignetste Vorbildung haben , denn man muß sich immer vergegenwärtigen , daß es bei dem Zusammen¬ prall der Eingeborenen mit der hohen Kultur der Weißen sich um eine Erkrankung des Eingeborenen - Volkskörpers handelt , die durch systematische Anpassung geheilt werden soll , und die bei 29
der ersten Berührung mit der Kultur besonders kritisch verläuft . Man muß sich deshalb Professor H . Schilling 27) anschließen , der den Arzt als den berufensten Verwalfungsbeamten für neu zu erschließende Gebiete bezeichnet . Für alle für die Kulturschule tätigen Kräfte gilt , daß die besten gerade gut genug sind . 5
.
BEHANDLUNG DER ° ERWACHSENEN
EINGEBORENENBEVOLKERUNG Die Tätigkeit der Kulturschule kann sich naturgemäß nur auf die Eingeborenenjugend erstrecken . Die Ausdehnung der Schule auf die erwachsenen Eingeborenen ist praktisch kaum durchführbar . Die erwachsenen Eingeborenen sind überdies an das kulfurwidrige Eingeborenenmilieu bereits so fertig angepaßt , so daß die Schulung bei ihnen von vornherein erheblich weniger ausrichten könnte als bei der Jugend . Jedoch ist es im Interesse der Erhaltung der Eingeborenen und der Erziehung zur Kultur¬ arbeit doch dringend nötig , auch bei der gesamten Behandlung der erwachsenen Eingeborenen die gewonnenen Prinzipien der Erziehung zur Kultur soweit als möglich anzuwenden . Zunächst müssen die erwachsenen Eingeborenen überhaupt einmal darüber belehrt werden , was die höhere Kultur von dem Eingeborenen verlangt und welches die Grundgeseße der Kultur sind . Dazu müssen den Eingeborenen unsere Sittengebote , an die wir sie anpassen wollen , in einfacher und klarer Form dar¬ geboten werden , z . B . etwa in folgender Form : 1 . Niemand darf einem anderen Schaden zufügen , ihn ver¬ leben , ihm etwas wegnehmen , etwas beschädigen oder ihn sonst erzürnen . Wer es doch tut , dem wird wieder Leid zu¬ gefügt werden . 2 . Jeder soll dem anderen helfen und ihm Gutes tun , dann macht er sich und anderen Freude und es wird ihm von anderen wieder Gutes getan werden . 3 . Jeder soll sich selbst , seine Umgebung , seinen Körper rein¬ lich halten , seinen Körper und die Kleider oft waschen , Nahrung und Trank sauber halfen , in sauberen Hütten und 27 ) Lieber den ärztlichen Dienst in den Schiffs - und Tropenhygiene , öeiheft 6 ,
30
deutschen Schufegebieien . Archiv für 1909 .
auf sauberen Pläben wohnen und allen Unrat sofort ver¬ graben . Nur so bleibt er gesund und stark , dagegen macht Unreinlichkeit krank und schwach . 4 . Jeder soll fleißig arbeiten , es bringt Wohlstand , Ansehen und Freude . Es ist verächtlich , nur das Weib für sich arbeiten zu lassen . 5 . Nach der Arbeit soll sich jeder erfreuen , er soll aber nicht zu viel essen , nicht zu viel trinken , nicht zu viel Tanzen , weil alle Unmä | igkeit schwach und krank macht und die Freude zerstört . und 6 . Wer eine Wunde hat , soll sie rein halten , verbinden schonen , damit sie bald heilt und er nicht krank wird . pflegen und rein halten , 7 . Jeder soll die Kranken sorgfältig , damit die Kranken bringen Arzt zum , kann und , wenn er werden . Wer geschüfet geheilt und andere vor Krankheit andere Kranke pflegt , der wird auch selbst gepflegt werden , wenn er krank wird . 8 . Jeder soll immer die Wahrheit sagen , wer lügt verliert das Vertrauen und die Achtung der anderen Menschen . Wer vor Gericht lügt , wird schwer bestraft . 9 . Jeder soll seine Kinder anhalten , dafj sie diese Gebote be¬ folgen . 10 . Niemand , auger dem Arzt , darf die Leibesfrucht abtreiben , weil damit die Mutter geschädigt und das ganze Volk zum Aussterben gebracht wird . Wer viele gesunde Kinder hat , trägt zum Aufblühen des Volkes bei . Diese oder ähnliche Gebote müssen bei jeder passenden Ge¬ legenheit den Eingeborenen immer wieder feierlich verlesen werden , sie müssen in jedem Dorfe und an jeder Hütte feierlich angeschlagen werden , auch wenn sie von den meisten Einge¬ borenen nicht gelesen werden können . Es wird damit zunächst erreicht , da & die Eingebornen endlich darüber klar werden , was eigentlich unsere Kultur von ihnen verlangt . Durch das ständige Wiederholen der Gebote und die ständige Erinnerung an die¬ selben werden sie zuerst gedächfnismäfjig eingeprägt . Diese Einprägung ist besonders stark und bleibend , wenn sie , wie empfohlen , in feierlicher eindrucksvoller Weise geschieht . Sind so erst mal die Gebote im Denken eingenistet , so gehen sie all¬ mählich auch in Handeln über , denn jeder Gedanke regt zu dem 31
entsprechenden Handeln an . Wird den vorschwebenden Ge dankenreizen entsprechend gehandelt , so tritt Befriedigung ein , wird ihnen zuwider gehandelt , so tritt Unlust und „ Reue " ein , durch die blofje Einprägung der Gedanken kann mithin ein ent¬ sprechendes „ Gewissen " der Eingeborenen erzeugt werden . Man darf daher die Wirkung der systematischen Einprägung der Sittengebote nicht unterschäben . Der Weltkrieg gab z . B . zahl¬ reiche Belege dafür , wie das ständige Vorsagen und Eintrichtern selbst der einseitigsten unnatürlichsten Ansichten das Denken und Handeln ganzer Volker völlig beherrschen kann . Schon die wenigen beiläufigen , mit abergläubischem Beiwerk vermischten Gesundheitsvorschriften des Korans bewirken nach Dr . L . Külz 28 ) bei den islamitischen Eingeborenen im Gegensafe zu den anderen ein unverkennbares hygienisches Aufwärtsstreben . Um so wirk¬ samer müssen klar ausgesprochene dem Verständnis der Ein¬ geborenen nahegebrachten Gesundheiis - und Sittengebote sein . Das Verständnis für die Sittengebote wird durch das feine Rechtsgefühl erleichtert , das die Naturvölker zu haben pflegen und das auch besonders unseren Eingeborenen nachgesagt wird . 29 ) Selbst wenn man sich von der mechanischen Einprägung der Sittengebote nur geringe oder doch nur langsam in Er¬ scheinung tretende Wirkungen verspricht , so empfiehlt sich dieses Mittel allein schon deshalb , weil es so gut wie keine Un¬ kosten verursacht . Für die allgemeine Behandlung der erwachsenen Eingebore¬ nen mu & noch mehr als für die Jugend der Grundsafe gelten , da & alle ihre einheimischen Sitten und Gebräuche unbeanstandet bleiben müssen , soweit sie mit unseren Kulturprinzipien irgend¬ wie vereinbar sind . Die Ausführungen über die Anpassungs¬ fähigkeit der Menschen machen es begreiflich , da | die Einge¬ borenen an ihren althergebrachten Sitten und Gebräuchen be¬ sonders zähe hängen , weil sich diese meist in eindrucksvoller feierlicher Weise und oft unter großer Erregung der Sinne ab¬ spielen . Die Eingeborenen hängen daher mit Leib und Seele an ihren Gebräuchen und die Befolgung derselben ist ihnen Lebens ) 2» )
. L . Külz : Grundsäfee der kolonialen Eingeborenenhygiene . F . ' 5 . C . Vandres : „ Lieber Rechtsbewufjtseinund Rechte unserer Einge¬ borenen , besonders der Hottentotten . " Zeitschrift für Kol . - Politik 1910 , S . 269, und G . Byern : „ Deutsch - Ostafrika und seine weisen und schwarzen Bewohner ." 32 28
Dr
bediirfnis . Das viele Neue , das die Kultur den Eingeborenen
, und auf das im Interesse der Kultur nicht verzichtet werden kann , ist für seinen Körper und Geist schon eine so schwere Belastungsprobe , da £ unter allen Umständen jede nicht unumgängliche Erschütterung seiner Psyche vermieden werden mujj . Es dürfen infolgedessen nur die unbedingt schädlichen Elemente der Sitten und Gebräuche unterdrückt werden . Schäd¬ lich sind sie aber , wie bereits betont , nicht schon deshalb , weil sie heidnisch oder sinnlos sind . Wo es streitig ist , ob ein Ge¬ brauch überhaupt schädlich ist oder nicht , wie z . B . bei der Viel¬ weiberei , 30) kann es nicht zweifelhaft sein , dafj man ihn unbe¬ rührt lägt und gegebenenfalls nur seine Auswüchse bekämpft . Nach dem gleichen Prinzip sind alle Zivil - und Straf rechtsge bräuche der Eingeborenen zu beachten . *1) Zur Erziehung der Eingeborenen zur Kulturarbeit wird von mancher Seite der Arbeifszwang empfohlen . Es braucht wohl kaum näher ausgeführt zu werden , da ($ der Zwang der Erwachsenen zur Arbeit das ungeeignetste Erzie¬ hungsmittel ist . Abgesehen von den unmittelbaren Wider¬ ständen , vielleicht Aufständen , die der Arbeitszwang aus¬ löst , werden die oben geschilderten Schäden der Verpflanzung nicht nur verallgemeinert , sondern auch gesteigert , da die zur Arbeit gezwungenen Eingeborenen unter den Veränderungen ihrer Lebensweise ungleich schwerer leiden als die freiwilligen Arbeiter . Der gezwungene Arbeiter wird sich noch mehr als ein anderer von der Arbeit zu drücken suchen und die Arbeit selbst wird eine ganz minderwertige .32 ) Auch fällt für den Pflanzer , dem die Arbeiter zwangsweise zugeführt werden , der heilsame Trieb weg , durch gute Behandlung der Arbeiter sich für künftige Anwerbungen einen guten Ruf zu sichern . Der Arbeifszwang ist ein grofjer Raubbau für den Eingeborenen . Der Zwang zur bringt
30 )
Vergl . Conrad Loens : „ Vielweiberei oder Einzelehe für die Schwarzen . "
Kol - Zeitschrift 1913 , S . 591 . M ) Vergl . Dr . K . J . Friedrich Gie
der Ein¬ &ei : „ Die Straf rech tsgewohnheiten geborenen in den deutschen Schufegebieten . " Kol . Monatsbl . 1911 , S . 300 . im Hinblick auf die wirtschaftliche :i2 ) E . Vohsen : „ Die Eingeborenenfrage und politische Entwicklung unserer tropischen Kolonien " ( Zeitschrift für Kol . Politik 1908 , S . 522 ) gibt eine anschauliche Schilderung davon , wie Zwang und körperliche Strafe die Arbeitsleistungen der Eingeborenen auf ein Minimum herabdrücken und wie die Leistungen heraufschnellen , sowie Zwang und Körperstrafe wegfallen .
33
Arbeit muß von innen kommen als Arbeiisdrang und dieser Arbeitsdrang 11111(3 ihm erst anerzogen werden . Dagegen wirkt eine mäßige Kopf - oder Hütiensteuer kulturell erzieherisch . Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Behandlung der für Europäerbelriebe angeworbenen Arbeiter . Der ideale Zustand , daß alle für die Anwerbung in Betracht kommenden Eingebore¬ nen bereits in ihrer Jugend zur Kulturarbeit erzogen wurden , kann erst nach einer Reihe von jähren erreicht werden . Vorher muß es dabei bleiben , daß auch kulfurfremde Eingeborene ange¬ worben werden müssen , für welche die Verpflanzung und die Arbeit selbst große Gefahren mit sich bringt , wie sie oben näher geschildert wurden . Aus der Erkenntnis der Ursachen dieser Gefahren ergibt sich aber auch für diese Arbeiter eine Reihe von Vorbeugungsmaßregeln, deren Durchführung die Gefahren so erheblich vermindert , daß auch die Anwerbung und Verpflanzung kulturfremder Eingeborener wenigstens nicht mehr den Bestand der Eingeborenen bedroht . Der Grundgedanke für alle diese Vorbeugungsmaßregeln ist , die Eingeborenen möglichst von allen nicht unbedingt notwen¬ digen Veränderungen ihrer Lebensverhältnisse zu verschonen . Je weniger Neues in ihr Leben tritt , desto weniger körperlichen und seelischen Erschütterungen werden sie ausgeseßf . Und so¬ weit , wie bei der Gewöhnung an regelmäßige Arbeit , die Neuerung unumgänglich ist , soll die Anpassung eine schonende sein unter Gewährung verschiedener Erleichterungen und Auf¬ munterungen für die Angewöhnungszeit . Demgemäß ist in erster Reihe darauf zu achten , daß für einen Beirieb möglichst nur Eingeborene aus der näheren Umgebung , jedenfalls aus klimatisch nicht anders gearteten Gegenden an¬ geworben werden dürfen . Am besten ist es , wenn die Heimat der Eingeborenen so nahe ist , daß sie nur als Lohnarbeiter ein¬ gestellt werden und mit ihrer Heimat ständig Fühlung behalten . Ist diese ständige Berührung mit der Heimat wegen der Entfernung nicht möglich , dann sollen die Eingeborenen möglichst viel von ihrem heimischen gewohnten Leben mit¬ bringen . Die Arbeiter einer Arbeitsgruppe sollen aus der¬ selben Gegend stammen , sich bekannt sein . Es ist erwünscht , daß die Eingeborenen ihre Familien mitbringen und in der Nähe des Betriebs der Weißen dauernd ansiedeln . Leßteres hat auch 34
den Vorteil , daß die Eingeborenen dauernd unter den erzieheri¬ schen Einfluß der Kulturarbeit kommen . In dem Betriebe der Weißen sollen die Eingeborenen soweit als möglich ihre gewohnten Nahrungsmittel finden unter Er¬ gänzung der etwa fehlenden für ihren Körperaufbau und ihre Kräftigung notwendigen , insbesondere eiweißhaltigen Nahrungs¬ mittel . Die Frage der Unterbringung der Arbeiter löst sich nach unseren Richtlinien dahin , daß man die Arbeiter nicht in Kasernen unterbringt , sondern sie Hüllten bauen läßt , wie sie es gewohnt sind , wobei man ihnen zwanglos die nötigen hygienischen Verbesserungen im Bau beibringen kann , ohne damit zu stören . Wie sehr die Eingeborenen solche Hütten den Kasernen vorziehen , geht auch daraus hervor , daß sie oft vor¬ ziehen , sich in der freien Zeit eigene Hüffen zu bauen als bereit¬ stehende Kasernen zu bewohnen . 33} Nebenbei gesagt , gilt dies auch für die Lazarette für die freien Eingeborenen , auch diese sollten mehr als Aussehen von Kran¬ kendörfern haben und auch hier sollten den Eingeborenen die heimischen Früchte und Leckerbissen gereicht werden . Bei der Gewöhnung an die Arbeit gebe man den Anfängern kürzere Arbeitszeiten , ermuntere besonders fleißige und aus¬ dauernde Arbeit durch kleine Prämien . Beachtenswert ist auch , was Dr . A . Merensky 34) beim Einstellen des afrikanischen Ein¬ geborenen als Arbeifer empfiehlt : „ Man schone beim Ueber tragen von Arbeiten Sympathien und Antipathien der Leute nach Möglichkeit . Diese spielen im Charakter der Afrikaner eine große . Rolle . Leuten , die von Vieh besißenden Stämmen her¬ kommen , übertrage man die Besorgung des Viehs , solchen , die früher Ackerbau betrieben , gebe man Feldarbeit , die Eingebore¬ nen eines kriegerischen Stammes betraue man mit Autoritäts¬ stellungen . Die Männer greifen meist nur ungern eine Arbeit an , welche nach der Volkssitte nur Weiber verrichten . . . . , man schone solche Vorurteile nach Möglichkeit , wenigstens zeitweilig , sie schwinden bei längerem Verkehr mit den Weißen meist von selbst . " 3S) Vergleiche Condrad Loens : „ Wohnungen für schwarze Arbeiter " , Zeitschrift 1913 , S . 782 . 34 ) „ Wie erzieht man am besten die Neger zur Plantagenarbeit ? " S .
Kol . 22
.
35
Besonders anregend und erzieherisch wirkt es , wenn den Ar¬ beitern ein Stückchen Land oder etwas Kleinvieh zur eigenen be¬ liebigen Bewirtschaftung in der Freizeit überlassen wird . Auch einige Worte zur Prügelstrafe . Wir haben gesehen , daß der unerzogene Eingeborene , wenn er nicht arbeiten „ will " , meist nicht arbeiten „ kann " , weil die regelmäßige Arbeit gegen seine Natur und über seine Kräfte geht . Seine Psyche macht bei der Gewöhnung zur Arbeit eine schwere Krisis durch . Sein Zustand ist mit dem eines Kranken zu ver¬ gleichen . Damit ist auch das Urteil über die Prügelstrafe gesprochen . Zwar kann auch ein Kranker mit Prügel zur An¬ spannung seiner lebten Kräfte getrieben werden , doch ist dies keine Krankenbehandlung. Ebensowenig ist es eine Erziehung zur Kultur . Unsere eigene Kulturgeschichte lehrt deutlich genug , daß alle Körperstrafen entsittlichend und verrohend wirken . Sie können daher auch beim Eingeborenen nicht als Mittel zur Kulturerziehung in Frage kommen . Die Prügelstrafe auch als Disziplinarstrafe ist unter allen Umständen als kulturwidrig zu verwerfen . An ihrer Stelle müßten andere zweckentsprechende Disziplinarstrafen gefunden werden . Und es gibt solche , einmal die Entziehung der Vergünstigungen und Vorteile , welche die Arbeitgeber über ihre gesetzlichen Verpflichtungen hinaus ihren Arbeitern gewähren , sodann die Ueber - und Sonntagsarbeit , jedoch mit der Einschränkung , daß das Ergebnis oder Er¬ trägnis dieser Uber - und Sonntagsarbeit nicht dem Arbeit¬ geber sondern unmittelbar als Sondervorteil allen Ar¬ beifern oder den umwohnenden freien Eingeborenen zugute kommt . Bei allen Disziplinarstrafen darf das etwaige wirtschaft¬ liche Erträgnis derselben grundsäßlich nicht dem Arbeitgeber , dem Richter , zugute kommen , weil dies einerseits den Arbeit¬ geber zur ungerechten und übermäßigen Verhängung von Dis¬ ziplinarstrafen verleiten könnte und andererseits dem Eingebo¬ renen die Unparteilichkeit bei der Strafverhängung zum min¬ desten von vornherein verdächtig ist und die Strafe selbst des¬ halb nicht erzieherisch wirken kann . Deshalb muß bei etwaigen Lohnabzügen der abgezogene Beirag unmittelbar dem fleißigen ordentlichen Teil der Arbeiter als Sondervergütung zukommen . Bei schweren und andauernden Disziplinarvergehen eines Arbei¬ fers müßte dieser der Verwaltungsbehörde für öffentliche Ar 36
beiten überwiesen werden . Die dafür verbrachte Zeit wäre gegebenenfalls nachzudienen . Bei allen Strafverhängungen seitens der Arbeitgeber ist es nötig , daß die Strafen nicht auf der Stelle und im Affekt , sondern nach einem etwa nach Schluß der Arbeitszeit eingeseiften kur¬ zen Verfahren verhängt werden . Dabei werden sich manche Mißverständnisse 38) aufklären und der Arbeilgeber würde zu einer ruhigen Beurteilung der Schwierigkeiten kommen , mit welchen der Eingeborene bei der ungewohnten Arbeit kämpft . Daß neben der Volkshygiene eine eingehende Personalhygiene hergehen muß , daß insbesondere bei der Einstellung und Ent¬ lassung der Arbeiter eine eingehende ärztliche Untersuchung und gegebenenfalls Heilung stattfinden muß und daß schließlich überall der Kampf mit dem Alkohol geführt werden muß , bedarf keiner weiteren Ausführung . Zum Schuße der von den Anwerbungen ganz besonders heim¬ gesuchten Eingeborenenstämme muß die Anwerbung nach ent¬ fernteren Betrieben , von welchen der tägliche Verkehr mit dem Heimatsdorfe nicht möglich ist , auf einen bestimmten Prozent¬ safe der männlichen erwachsenen Bevölkerung , auf etwa 10 Pro¬ zent , eingeschränkt werden . Von dieser Beschränkung kann die Anwerbung dann ausgenommen sein , wenn der Eingeborene mit seiner ganzen Familie bei dem Betriebe der Weißen dauernd angesiedelt wird . Durch die angeregten Beschränkungen und Bedingungen für die Anwerbung und Behandlung der Arbeiter in den Betrieben der Weißen treten für diese Betriebe einige Erschwerungen und vielleicht auch Verteuerungen ein , doch dürften auch hier diese Nachteile dadurch wieder reichlich ausgeglichen werden , daß die Betriebe gesündere arbeitstüchfigere Arbeiter erhalten . Ferner kann bei den genannten Einschränkungen und Bedin¬ gungen der Anwerbung diese behördlich unterslüßt oder geleitet werden , jedoch darf die Behörde nicht selbst als Anwerber für einzelne bestimmte Privatbetriebe auftreten , da leßtere sich ihren Ruf durch gute Behandlung der Arbeiter selbst erwerben müssen und dieser Antrieb zur guten Behandlung nicht vermindert werden darf . S8J Vergl . Dempwolff : „ Mißverständnisse zwischen Europäern und Einge¬ borenen . " Missionspädagogische Blätter , Jahrgang 1913 , S . 3 .
37
Die Frage , ob Eingeborenenkuliur oder Planiagenbelrieb , be¬
antwortet sich aus dem bisher Vorgetragenen ebenfalls ohne ist notwendig , um die wirtschaftliche Ausdehnung der Kolonien rasch und ausgiebig in Gang zu bringen und um den Eingeborenen selbst Anregung und Anleitung zur Bewirtschaftung der Kolonien zu geben . Der Plantagenbetrieb findet aber seine Grenze in dem Mangel an geeigneten Arbeitern und in den notwendigen Schub bestimmungen für die Eingeborenen . Er findet ferner eine Grenze darin , daß die Erzeugung gewisser Produkte nur im Kleinbetrieb lohnend ist und daß an zahlreichen Orten die Beschaffenheit des Bodens den Großbetrieb des Plan¬ tagenbaues nicht zuläßt . In diese Lücken müssen die Klein¬ betriebe der Eingeborenenkuliuren einspringen . Die Eingebo¬ renenkuliur hat ferner gegenüber den Plantagenbetrieben den Vorteil einer intensiveren Ausnutzung des Bodens und der ge¬ sünderen Entwicklung der Eingeborenen selbst . Das Ergebnis ist , daß vorlaufig nach den lokalen Verhältnissen zu beurtei¬ len ist , ob die Plantage oder die Eingeborenenkultur mehr be¬ tont werden soll . Für die Zukunft gilt aber , daß die Eingebo¬ renenkultur die beste Ausnutzung der Kolonien gewährleistet , und dieser Umstand muß schon jefet berücksichtigt werden . Von allergrößter Bedeutung für einen ruhigen und raschen Verlauf der Erziehung der Eingeborenen zur Kultur sind die Eigenschaften der Weißen , die die Kolonien betreten . Wie wir sehen , spielt sich für die eingeborenen Völker beim Zusammentreffen ihrer tiefstehenden Kultur mit der hochstehen¬ den der Weißen ein Krankheitsprozeß mit schwerer Kri sis ab , der beim ungeregelten Verlauf für die Eingeborenen physisch und psychisch tötlich verläuft , während die systema¬ tische Erziehung zur Kultur das Heilmittel bildet . An der Er¬ ziehung der Eingeborenen nimmt nun jeder Weiße teil , der die Kolonien betriff, ob er will oder nicht . Bei der überragenden Stellung des Weißen in den Kolonien übt sein Lebenswandel den größten Einfluß auf die Eingeborenen aus . Ständig sind viele Eingeborenenaugen auf ihn gerichtet , denen sein Tun und Lassen Geseß ist . Somit tritt jeder Weiße in dem Krankheits¬ prozeß der Eingeborenenvölker als Arzt auf . Wie für den Arzt gilt für jeden Weißen in den Kolonien , daß ein schlechter 38 Schwierigkeiten . Der Plantagenbetrieb
mehr verderben kann , als drei andere wieder gutmachen können . Für eine Heilanstalt ist es selbstverständlich , daß nicht jeder Zutritt hat , dasselbe gilt für die Kolonien . Auch für diese ist nötig , daß eine sorgfältige Auslese derjenigen stattfindet , die Zutrift haben dürfen . Es werden hohe Anforderungen an den Weißen gestellt . Er muß Menschenkenntnis , Gerechtigkeitssinn , mit Würde gepaarte Güte und vor allem Ruhe und Geduld be¬ sitzen . Hat er - dfese Eigenschaften nicht , so wird er keinen Er folg haben , welches auch seine Tätigkeif sein möge . Es ist besser , ihn alsbald auszuschließen , bevor er sich und viele an¬ dere zu Grunde gerichtet hat . Es kann nur untersiüßt werden , was Dr . Lion sagt 36) : „ Mit der Erziehung des Weisen muß die Erziehung des Negers beginnen " und Dr . Oetger : „ Man solle die Kolonien schließen mit allen gesefelichen Mitteln gegen die¬ jenigen Elemente , die das wertvolle Material der Neger nicht zu behandeln verstehen , sondern sie verderben und gegen die Kultur richten . " Das Freizügigkeitsgesefe gilt nichf für die Ko¬ lonien , es besteht also die rechtliche Möglichkeit , jeden Weißen aus den Kolonien auszuschließen . Es liegt im Lebensinteresse der Kolonien , von diesem Recht im angegebenen Sinne ausgiebigen Gebrauch zu machen . Da die Ausschließung für die Betroffenen sehr einschneidend ist , muß anderer¬ seits den Betroffenen alle Garantie gegeben werden , daß das Recht der Ausschließung nicht mißbraucht werden kann . Als leßte Instanz müßte ein Kollegium von Verwaltungsbeamfen , Aerzfen und Pflanzern über die Ausschließung entscheiden . Aus den gleichen Gründen , aus welchen nicht jeder Weiße Zutritt zu den Kolonien haben soll , sollen umgekehrt die Ein¬ geborenen unter keinen Umständen nach Deutschland oder an¬ deren Kulturländern gelassen werden , wenn sie wieder in die Kolonien zurückkehren sollen . Die Eingeborenen werden in den Kulturländern unter allen Umständen verdorben . 37) 6
.
DIE MISSIONEN
Als die berufenste Erzieherin der Eingeborenen gilt allgemein die Mission . So wird auch bei den bisherigen Ausführungen 3« ) A
.
a
37) Vergl S . 381 .
.
O ., S
.
F
. 130 . . Follmer : „ Koionialneger in Deutschland . "
Kol . - Zeitschrift 1914
,
39
über die Erziehung zur Kultur der Gedanke aufgetaucht sein , ob nicht die Missionen mit den Erziehungsaufgaben zu betrauen wären . Bei näherem Vergleich der Tätigkeit der Missionen mit den gefundenen Prinzipien über Kulturerziehung muß man je¬ doch zu einer entschieden ablehnenden Haltung kommen . Was wir zur Erfüllung unserer Erziehungsaufgabe von den Missio¬ nen bedingungslos brauchen könnten , das ist die selbstlose auf¬ opferungsvolle Hingabe ihrer Organe an ihre Aufgabe . Aber nicht mehr . Schon was die Mission an Erziehung zur Sittlichkeit und Arbeit erreicht , kann weit besser und ausgiebiger auf an¬ dere Weise als sie es tut , erreicht werden und was die Mission darüber hinaus tut , arbeitet einer Erziehung zur Kultur entgegen : Einen großen Verstoß gegen eine gesunde Erziehung eines kulturlosen Volkes begehen die Missionen dadurch , daß sie die einseitige geistige Erziehung in ganz besonderem Maße pfle¬ gen und mit dieser besonderen Pflege die oben beschriebenen Gefahren jeder einseitigen geistigen Erziehung entsprechend vergrößern . Es wird den Eingeborenen nicht nur möglichst all¬ gemein lesen und schreiben gelehrt , was neben anderen Nach¬ teilen an sich schon keine genügenden Kräfte zur Anpassung an unsere Sitfengebote übrig läßt , sondern es wird den Einge¬ borenen auch die christliche und sogar konfessionelle Dogma tik so gut wie möglich eingeprägt . Das sind aber Probleme , über die sich die Geister der Kulturländer streiten , wie sollen die Eingeborenen diese Probleme geistig verdauen können ? Bei der Unbeholfenheit der Eingeborenensprache , insbeson¬ dere ihrer Armut an abstrakten Ausdrücken , ist der Missionar bei der Nachprüfung , ob der Eingeborene das Christentum innerlich aufgenommen hat , fast ganz auf dessen äußerliches Gebahren , insbesondere auf dessen äußerliche Kulthandlungen , den Besuch der Kirche , das Beten , Hände¬ falten , Knien usw . angewiesen . Gerade diese Äußerlich¬ keiten sind es aber , die den Eingeborenen im Gegensafe zur inneren moralischen Umwandlung sehr leicht eingehen . Fromm zu tun ist für ihn fromm sein . Durch Frommtun erfreut er sich des Ansehens , vor allem des Wohlwollens der Missionare , das sich in verschiedenen Vorteilen für ihn äußert . Die von den Missionaren geübte Erziehung zum Christentum muß also nach den Anlagen der Eingeborenen im allgemeinen notwendig zur 40
Scheinheiligkeit und Lügenhaftigkeit führen . Als Bestäti¬ gung seien nur zwei Aussprüche von Kennern der Ein¬ geborenen , die durchaus keine Missionsfeinde sind , ange¬ führt , G . Byren 38) : „ Denn keiner ist verlogener als ein früherer Missionszögling , das ist in Ostafrika sattsam bekannt " , und Eylmann 39) über die Eingeborenen Süd - Australiens : „ . . . und schließlich werden auch sie das , was die meisten Heiden - Christer. aus den Missionsstationen sind : Heuchler der schlimmsten Art . " Daß die christliche Lehre von der Gleichheit der Menschen vor Gott bei den primitiv denkenden Eingeborenen zur schäd¬ lichen Selbstüberhebung führt, ist ebenfalls kein Geheimnis . K . von Stengel sagt : „ Die äthiopische Bewegung beweist auch , daß sich die zum Christentum bekehrten Farbigen keineswegs bloß als Christen und Menschen fühlen und ihre Rasse vergessen , im Gegenteil kommen dieselben dadurch erst zum Rassenbe wustsein , nachdem sie in der christlichen Lehre kennen gelernt haben , daß alle Menschen einander gleich sind . Sie ziehen daraus den Schluß , daß die Weißen kein Recht haben , sie zu be¬ herrschen und betrachten andererseits die christliche Religion als ein Bindemittel unter den verschiedenen ihrer Rasse ange hörigen Stämmen in ihrer Gegnerschaft zu den Weißen . " Es sei auch nur kurz auf die in allen Kolonien bekannte Tat¬ sache hingewiesen , daß die Gegensäße der verschiedenen Kon¬ fessionen der Missionen ein unversiegbarer Quell dauernder Streitigkeiten und dauernden Nervenverbrauchs bei Schwarz und Weiß sind . Das Bestreben , die Eingeborenen zum dogmatischen Christentum zu bekehren , verleitete die Missionen zu eingrei¬ fendem Vorgehen gegen alle heidnischen und gegen die Ge¬ bräuche , die für heidnische gehalfen werden , wozu gelegentlich das Tragen von Blumenschmuck gehört . Es wurde oben darge¬ legt , wie schädlich und unzweckmäßig ein solches Vor¬ gehen ist und wie unnötig zur Kulturerziehung . Mehr als ein Aufstand ist diesem Vorgehen zu verdanken , ganz ab¬ gesehen von den weniger offensichtlichen aber nicht weniger schädlichen sonstigen Folgen . »)
. a . O . , S . 638 . Die Eingeborenen der Kolonie Südaustralien , ) A . a . O . , S . 199 .
*• } «
A
S
.
465
.
41
Es wird nicht verkannt , daß die Missionen die Eingeborenen auch an die christlichen Siitengesehe anzugewöhnen suchen und sie ferner zur Arbeit anhalten , doch bleibt neben dem An¬ lernen von Lesen und Schreiben und vor allem neben der Lehre des dogmatischen Christentums schlechterdings keine Zeit und keine Kraft , um die schwerere Aufgabe der sittlichen Umwand¬ lung der Eingeborenen noch erfüllen zu können . Die sittlichen Erfolge bei den Eingeborenen müssen daher von vornherein klein sein , und werden überdies durch die oben erwähnten schädlichen Folgen der dogmalischen Erziehung zum Teil wie¬ der aufgehoben . Aehnlich steht es mit den hygienischen Lehren , auf die die Missionen an sich viel zu wenig Gewicht legen , und die ebenfalls durch das dogmatische Christentum gestört werden . Es liegt der fatalistischen indolenten Natur der . Eingeborenen sehr nahe , statt gegen Krankheiten mit Vorbeugungs - und Heilungs ma & regeln vorzugehen , sich lieber auf das Gebet und die All¬ macht Gottes zu verlassen . Dem Missionar ist auch z . B . eine schmubige , d . h . Bazillen und Schmarofeer tragende Kleidung eines Eingeborenen lieber als der reinliche aber nackte Körper desselben . Verhältnismäßig am besten steht es noch mit der von den Missionaren durchgeführten Gewöhnung der Eingeborenen an Arbeit . Die Ergebnisse der Arbeifsgewöhnung werden aber durch die einseitige geistige Verbildung ebenfalls zum Teil wieder illusorisch gemacht . Es ist außerdem bekannt , daß die von den Missionen erzogenen wirklich tüchtigen Eingeborenen¬ arbeitskräfte von der Mission selbst in ihren Betrieben festge¬ halten werden und damit der Allgemeinheit nur sehr bedingt zu Gute kommen . 41) Die obige kurze Zusammenstellung der unerfreulichen aber un¬ vermeidlichen Nebenerscheinungen der Missionierung zeigt , da £ diese , so wie sie zur Zeit gehandhabt wird , schlechthin unver¬ einbar ist mit der Erziehung zur Kultur . Es ist daher nicht ver¬ wunderlich , wenn v . Byern " ) sich über das Ergebnis der Kultur¬ arbeit der Missionierung folgendermaßen ausdrückt : „ Ich weiß es , daß jeder , der es wagt , an der Tätigkeit der Mission etwas auszusehen , als unchristlich , als Heide und verruchter Keßer ge «
) Vergl . Kol . Rundschau . a . O . , S . 668 .
*2) A
42
1912
,
S
.
619
.
brandmarkt wird , möchte aber gleich an dieser Stelle anführen , dag ich viele Missionare kenne und auch schabe , und dafj ich ein guter Christ zu sein glaube , auch wenn ich ihnen an dieser Stelle sage , da £ in Ostafrika wenigstens die Missionen sehr viele nega¬ tive Erfolge in der reinen Missionstätigkeit erzielt haben . Sie haben in vielen Fällen den Neger zu dem gemacht , was er nicht sein soll . Alle schlechten Eigenschaften , die im Neger schlummern und die ich vorhin aufzählte , treten bei dem Missions¬ zögling zu Tage , und deshalb nehmen wir in Ostafrika ihn grund säfelich nicht in unsere Betriebe herein , weil er nicht nur selbst schlecht und frech ist , sondern auch die anderen schlecht macht " Dieses negative Ergebnis der Missionierung für die Kultur ist lediglich auf die einseitige geistige Erziehung der Eingeborenen zum dogmatischen Christentum zurückzuführen , und diese ein¬ seitige , geistige Erziehung ist die Folge davon , dafj auch die Mission die Verhältnisse der Kulturländer ohne weiteres auf die kulturlosen Eingeborenen überträgt , und zwar auf Grund der durchaus einleuchtend erscheinenden Folgerung , wie ihr z . B . Merenfeky " ) Ausdruck gibt : „ Die veredelnde Macht , welche das Christentum auf alle Völker ausübt , ist durch die Geschichte ver¬ flossener Jahrhunderte so klar bewiesen , die Erhabenheit der christlichen Sittenlehre so allgemein anerkannt , da & es unver¬ ständlich ist , wie man überhaupt die Frage aufwerfen kann , ob der Afrikaner nicht besser ein Heide bleibt , und ob für ihn die Annahme des Evangeliums ein Segen sei . " Bei dieser an sich richtigen Folgerung ist au & er acht gelassen , dag das Christen¬ tum aus zwei Teilen besteht , aus der christlichen Ethik und aus der christlichen Dogmatik einschIieBlich aller Kulthandlungen . Was die christlichen Völker kulturell hob , war offenbar nicht ihre christliche Dogmatik , sondern ihre christliche Ethik . Also wenn wir die Eingeborenen durch das Christentum kulturell heben wollen , müssen wir ihnen die christliche Ethik bringen als die kulturelle Grundlage des Christentums . Die Erziehung zur christlichen Ethik übernimmt nun in Kulturländern nur zu einem kleinen Teil der wenige Stunden in der Woche in Anspruch nehmende Religionsunterricht . In der Hauptsache übernimmt die häusliche und bürgerliche Erziehung diese Aufgabe . Dem «
)
A
.
a
.
I ., S
.
26
.
43
Religionsunterricht verbleibt als Hauptaufgabe die Dogmatik . Bei den Eingeborenen fehlt aber diese ganze häusliche und bürgerliche Erziehung zur christlichen Ethik . Von der Kultur des Christentums wird daher dem Eingeborenen nichts übertragen , wenn der Religionsunterricht der Mission ebenso wie in Kultur¬ ländern hauptsächlich die christliche Dogmatik überträgt , wie es tatsächlich der Fall ist . Für die Kultur ist damit nichts gewonnen . Die christliche kulturelle Ethik kann , wie wir sehen , überhaupt nur in jahrzehntelanger mühseliger systematischer Arbeit den Eingeborenen beigebracht werden . Der Irrtum , daß man dem Eingeborenen mit der christlichen Dogmatik und ihrem Hilfsmittel , Lesen und Schreiben , Christen¬ tum und Kultur bringt , schleppt sich durch die ganze Missionsgeschichte . Die großen Erfolge in den Kolonien , die die Missionen verkünden , sind nur dogmatische , d . h . sie sind kulturell indifferente , wenn nicht negative Erfolge . Bezeichnend für die Verkennung des Wesens der Kultur ist z . B . , wenn C . Mirbt 44} ausruft : „ Was für ein kulturgeschichtlich bedeut¬ sames Entwicklungsstadium ist in Samoa erreicht , wenn von der dorfigen Londoner Mission geschrieben werden kann : „ Die breite Masse des Volkes hat jedenfalls kaum — ausgenommen höchstens einige alte Leute — Analphabeten in ihrer Milte , und es dürfte deshalb die Durchschnitlsvolksbildung auf einem höheren Niveau stehen als z . B . in Italien oder Spanien mit einem höheren Prozenfsab von Analphabeten . " Man sehe sich darauf¬ hin die Kultur der Eingeborenen Samoas näher an . Ist sie über¬ haupt merkbar weiter als vor ihrer Schulung ? Die Samoaner gehören zu den trägsten Eingeborenen .45 ) Die Pflanzungen der Weißen in Samoa sind genötigt , von weither Chinesen und Neu Guineaeingeborene als Arbeiter nach Samoa zu bringen , weil die Samoaner selbst sich dazu nicht herbeilassen . Wie hätte dagegen der bienenfleißige , sparsame , wenn auch analphabe iische Norditaliener an Stelle der Samoaner in den lefeten 20 Jahren Samoas Kultur in die Höhe gebracht ! Vereinzelt wurden auch schon in der Mision selbst Stimmen ) Die Schulen für Eingeborene in den deutschen Schubgebieten . 1914 , S . 232 . *5J Vergl . Rieh . Decken : „ Die Arbeiterfrage in Samoa . " Kol . Monatsbl . S . 938 . **
Monaisbl .
44
Kol
.
1911
,
laut, denen zum Bewußtsein gekommen war , wie ungesund die derzeitige Missionierung ist , und die sich deshalb gegen die überhastete Bekehrung und Christianisierung der Eingebore¬ nen wenden und die Aufgabe der Mission für ein Menschenalter darin sehen , die Eingeborenen durch Angewöh¬ nung an die christlichen Sitten für das Christentum erst vorzu¬ bereiten , und von jeder Bekehrung und Taufe abzusehen . In der Tat ist dies der einzige Weg , bei dem die Schäden der Missio¬ nierung in Wegfall kommen , es wäre auch eine Aufgabe , die alle Kräfte der Mission in Anspruch nehmen würde , und es gäbe dabei keine Konfessionen und keine konfessionellen Streitig¬ keiten mehr . Nur unter dieser Bedingung könnte die Regierung die Mission zur Kulturerziehung heranziehen . In der Kulturschule muß jede dogmatische Missionstätigkeit auch deshalb ausgeschlossen sein , weil ein Schulzwang gegen¬ über den Eingeborenen nur möglich und zu verantworten ist , wenn die Schulen religiös vollkommen neutral sind . 7 .
THEORIEN DER EINGEÖORENENPOLITIK
Bei der Untersuchung über die Aufgaben der Eingeborenen¬ politik blieben bisher die bekannten Theorien der Eingeborenen¬ politik mit Absicht unbeachtet . Es wurde auf naturwissenschaftlicher Basis von der rein prak¬
tischen Frage ausgegangen , was mit den Eingeborenen ge¬ schehen kann und soll , um sie und damit die Kolonien einer raschen kulturellen Entwicklung zuzuführen . Wenn wir nun die Ergebnisse dieser Untersuchung mit den Theorien der Einge¬ borenenpolitik vergleichen , so zeigt sich , daß weder eine Politik der Assimilierung noch eine Politik der Associierung zu dem gewünschten Ziele führt , sondern eine Politik , die diesen beiden Theorien etwas entnimmt . Die Politik der Assimilierung geht von der an sich richtigen Annahme aus , daß die Menschen in ihren Anlagen im wesent¬ lichen gleich sind , gleich fähig für alle Aufgaben und Arbeiten . Es ist aber ein Trugschluß in dieser Theorie , aus dieser Gleich¬ heit der Anlagen zu folgern , daß die Eingeborenen nun mit 45
unserer Kultur und gar mit unseren politischen Rechten über¬ schüttet werden dürften . Das Trügerische dieses Schlusses liegt darin , daß zwar die Menschen — Eingeborene und Kultur¬ menschen — , in ihren Anlagen , d . h . im ersten Lebensjahr , alle gleich fähig zu erachten sind , die Eingeborenen aber , die sich der Kultur ohne weiteres assimilieren sollen , nicht die Säug¬ linge sind , sondern erwachsene Eingeborene . Diese er¬ wachsenen Eingeborenen sind in ihren Anlagen eben nicht mehr gleich den Kulturmenschen — sie waren es einmal als Säuglinge — , vielmehr sind sie im Denken , Fühlen und Handeln weltenweit von den Kultur¬ menschen verschieden und könnten in diesem Stadium nicht mehr assimiliert werden . Wenn diese Menschen dennoch un¬ mittelbar mit den Errungenschaften der Kultur und Zivilisation überschüttet werden , so gehen sie daran zu Grunde , oder ver¬ derben wenigstens moralisch . Es ist nur logisch , wenn die Assi milierungstheorie sagt : So lange die Menschen in ihren Anlagen und Fähigkeiten gleichartig sind , also im frühesten Kindesalter , kann und muB mit der Assmilierung begonnen werden . Dieser Grundsafe ist auch hier im Kapitel über die Erziehnug zur Kultur vertreten . Da wir aber in den Eingeborenen nicht nur Kinder in dem ersten Lebensalter , sondern meist erwachsene Menschen haben , bei denen die Assimilierung oder Anpassung nur in sehr beschränktem Umfange möglich ist , so ergibt sich ferner , da | die Assimilierung nur ganz systematisch langsam und mit großer Vorsicht erfolgen kann . Die Theorie der Associierung , die die eigene Zivilisation der Eingeborenen in ihren Bahnen weiterleiten will bis sie der unsri gen nahekommt , übersieht , da § die Kultur der Eingeborenen Jahrtausende von unserer entfernt ist , und auch eine beschleu¬ nigte Weiterleitung einer jahrhundertelanger Entwicklung be¬ dürfte . So lange aber wollen und können wir auf die volle Aus¬ beutung der Kolonien nicht warten , überdies besteht dabei die Gefahr , da | die Eingeborenen vorher zu gründe gehen . Man mag sich im übrigen zu der Eingeborenenfrage stellen wie man will , das eine steht fest , dafj unser Ziel , die Eingebore¬ nen zu gesunden , lebensfrohen und arbeiisfreudigen Menschen zu erziehen , das uns die realen Bedürfnisse der wirtschaftlichen 46
Entwicklung der Kolonien vorschreiben , sicherlich mit keinem Bestreben im Widerspruch steht , das sich , unabhängig von unseren realen wirtschaftlichen Bedürfnissen , die Hebung und Kultivierung der Eingeborenen als ideales Erziehungsziel sefet . Entgegengesetzte Bestrebungen bedürfen keines näheren Ein¬ gehens .