Krypto-Assets in Krise und Insolvenz 9783814557984

Die Behandlung von Kryptowerten in der Insolvenz stellt die Praxis vor Herausforderungen. Der Kryptomarkt erwartet zum 1

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Krypto-Assets in Krise und Insolvenz
 9783814557984

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d’Avoine/Hamacher Krypto-Assets in Krise und Insolvenz

RWS-Skript 398

Krypto-Assets in Krise und Insolvenz von Rechtsanwalt Dr. Marc d’Avoine, Fachanwalt für Steuerrecht und Handels- und Gesellschaftsrecht, Ratingen Rechtsanwalt Phil Hamacher, Wuppertal

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG ˜ Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort Das Werk beschäftigt sich mit Krypotoassets und digitalen Währungen in Krise und Insolvenz. Nach der Einleitung in Kapitel A. folgt in Kapitel B. zunächst eine Darstellung der Begriffe und Besonderheiten rund um die Blockchain-Technologie. Objektiv betrachtet sind Kryptowährungen schlicht digitale Vermögenswerte. Das ist allerdings im Rahmen dieses Werkes zu präzisieren und zu verorten. Nachdem die Begriffe wie etwa Digital Ledger Technologie (DLT), „Peer-to-Peer“, „Nodes“, „Coins“ oder „Token“ in den unterschiedlichen Erscheinungsformen und Ausprägungen sowie „Wallet“ und „Public-/ Private-Key-Concept“ geklärt sind, werden relevante Fragen rund um Cyberdevisen i. S. d. § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG behandelt. Das Werk erläutert sodann die grundlegenden Techniken von Kryptowährungen. Die digitalen Einheiten werden durch einen Algorithmus unmittelbar im Netz geschaffen (Mining), was dargestellt und beleuchtet wird. Ab Kapitel C. geht es um die Frage der Zuständigkeit, welche eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. Die DLT-Technologie erlaubt es ja gerade, dass digitales Vermögen dezentral gehalten wird. Wo die Regelungen der InsO bei z. B. natürlichen Personen noch effizient weiterhelfen können, verlangt insbesondere die Insolvenz einer juristischen Person mit grenzüberschreitenden Sachverhalten eine Untersuchung der europäischen Gesetzgebung. Das ist notwendig, um einerseits den COMI (Center of Main Interest) zu bestimmen und die Anwendbarkeit deutschen materiellen Insolvenzrechts zu bejahen. Wenn die Frage der Zuständigkeit des Gerichts geklärt ist, bedürfen in Kapitel D. die Fälle der Insolvenz eines Token- bzw. Krypto-Users und das Schicksal der ihm zuordnungsfähigen Kryptowerte der Beleuchtung. Wenn ein Tokenbzw. Krypto-User in die Insolvenz gerät und ferner Krypto-Assets Teil der Insolvenzmasse sind, muss der Insolvenzverwalter sie aufspüren, sichern und verwerten, und zwar in geeigneter Form und zu einem geeigneten Zeitpunkt. Da der insolvente Krypto-User auch kurz vor und auch nach Antragstellung noch grundsätzlich über seine Kryptowerte faktisch verfügen kann, lohnt sich überdies in Kapitel E. ein Ausflug in das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht. Die öffentliche Einsehbarkeit von Transaktionen auf der Blockchain erschwert eine mögliche Verschleierung, was – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – eine mögliche Anfechtung einer Vermögensverschiebung durch den Insolvenzverwalter begünstigt. Bedingung ist allerdings, dass die Kryptowerte im Insolvenzverfahren sichtbar, erkennbar oder anderweitig bekannt geworden sind. In Kapitel F. widmet sich das Werk der Insolvenz eines Krypotverwahrers und untersucht die Rechte der beteiligten Gläubiger. Zwar können Kryptowerte selbst verwaltet und damit von etwaigen Drittanbietern unabhängig getradet

V

Vorwort

werden. Jedoch schließen die meisten User einen Vertrag mit einem professionellen Dienstleister und überlassen diesem u. a. die Verwahrung. Die Verwahrung von Kryptowährungen – auch „Kryptoverwahrgeschäft“ – ist eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung im Sinne des KWG (gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 6 KWG) und unterliegt der Kontrolle und Überwachung des Bundesamtes für Finanzen (BaFin). Gleichwohl stellen sich Herausforderungen im Fall der Insolvenz eines Kryptoverwahrers. Da Absonderungsansprüche ausscheiden und Aussonderungsansprüche zweifelhaft sind, schlagen die Verfasser eine bundesgesetzliche Regelung vor. Die Besteuerung von Kryptoassets ist Gegenstand von Kapitel G. Trading aber auch Verwaltung lösen diverse Konsequenzen und Behandlungen aus, was Gegenstand der Veranlagung durch das zuständige Finanzamt ist. Das gilt nicht nur für den wirtschaftlich erfolgreichen Tokenuser, sondern auch für Treuhänder in der Krise oder gar Insolvenzverwalter in der Insolvenz. §§ 55 Abs. 4, 80, 155 InsO etwa schaffen steuerliche Sonderregeln, die in Kapitel G. skizziert werden. Strafrechtliche Dimensionen sind im Kontext mit Kryptoassets nicht auszuschließen. Täglich finden sich Nachrichten über Betrug und Missbrauch digitaler Assets. Mit deren strafrechtlicher Relevanz beschäftigt sich Kapitel H.

Ratingen/Wuppertal, im Mai 2023

VI

Marc d’Avoine und Phil Hamacher

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Vorwort ............................................................................................................ V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................ XI Literaturverzeichnis ................................................................................... XIII A. Einleitung ..................................................................................... 1 ........ 1 B. Grundlagen der Technik: Kryptowährungen und Cyberdevisen .......................................................................................... 7 ........ 5 I.

Blockchain ................................................................................... 10 ........ 6

II. Token und Coins ........................................................................ 1. Currency-Token ................................................................. 2. Anlage-Token ...................................................................... 3. Utility-Token ...................................................................... 4. Zwischenfazit zur Kategorisierung von Token .................

13 17 19 20 21

........ ........ ........ ........ ........

7 8 9 9 9

III. Wallet .......................................................................................... 22 ...... 10 1. Anbieterunabhängigkeit ..................................................... 30 ...... 12 2. Anbieterabhängigkeit .......................................................... 33 ...... 13 C. Zuständiges Insolvenzgericht im Fall eines insolventen Token-Users oder Kryptoverwahrers ..................................... 40 ...... 15 I.

Nationale Zuständigkeit nach InsO .......................................... 1. Sachliche Zuständigkeit gemäß § 2 InsO .......................... 2. Örtliche Zuständigkeit gemäß § 3 InsO ............................ a) Selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO ................................................. b) Allgemeiner Gerichtsstand gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO ..................................................................

II. Internationale Zuständigkeit ...................................................... 1. Anwendbarkeit der EuInsVO auf Kryptoverwahrer ........ a) Keine Bereichsausnahme i. S. v. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a, b und d ........................................................ b) Keine Bereichsausnahme i. S. v. Art. 1 Abs. 2 Buchst. c ....................................................................... c) Kein anderes Ergebnis durch Änderungen der Verordnung (EU) 2022/858 .......................................

41 ...... 15 42 ...... 15 43 ...... 15 45 ...... 16 49 ...... 17 52 ...... 18 53 ...... 18 57 ...... 19 60 ...... 19 68 ...... 22

VII

Inhaltsverzeichnis Rn.

2.

3. 4. 5.

Anwendbarkeit des deutschen materiellen Insolvenzrechts nach der EuInsVO ................................................... a) Spezifikationen nach Art. 7 Abs. 2 EuInsVO ............ b) Anwendbarkeit von deutschen Sonderinsolvenzrechts ............................................................................ Internationale Zuständigkeit eines deutschen Insolvenzgerichts ................................................................................. Hilfsweise: Anwendbarkeit der Sanierungs-RL ................ Zwischenergebnis zur internationalen Zuständigkeit .......

Seite

70 ...... 23 71 ...... 23 74 ...... 24 75 ...... 24 78 ...... 25 79 ...... 25

D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users ....................... 80 ...... 27 I.

Kryptowerte als Teil der Insolvenzmasse ................................. 82 ...... 27

II. Kenntniserlangung ...................................................................... 85 ...... 29 III. Verwertung ................................................................................. 90 1. Verwertung von anbieterunabhängigen Kryptowerten .... 95 2. Verwertung von anbieterabhängigen Kryptowerten ....... 103 3. Verwertungshindernisse bei Sicherheitsabtretungen gemäß §§ 166, 173 InsO ................................................... 104 a) Verwertung unbeweglicher Gegenstände gemäß §§ 165, 173 Abs. 1 InsO ............................................ 108 b) Verwertung beweglicher Gegenstände gemäß § 166 Abs. 1 InsO ...................................................... 110 c) Verwertung von Forderungen gemäß § 166 Abs. 2 InsO ...................................................... 111 d) Verwertung sonstiger Rechte? .................................. 113 aa) Verwertung sonstiger Rechte gemäß § 166 Abs. 1 InsO analog ................................. 114 bb) Der BGH im Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21 .................................................... 117 cc) Fazit ................................................................... 121

...... 31 ...... 32 ...... 35 ...... 35 ...... 36 ...... 36 ...... 37 ...... 37 ...... 37 ...... 38 ...... 39

E.

Anfechtbarkeit von Kryptotransaktionen ............................ 124 ...... 41

I.

Transaktionen als Rechtshandlung i. S. v. § 129 InsO ........... 1. Mögliche Anfechtungstatbestände .................................. a) Inkongruenzanfechtung gemäß § 131 Abs. 1 InsO ...................................................... b) Kongruenzanfechtung gemäß 130 Abs. 1 InsO ...... c) Weitere Anfechtungsansprüche denkbar ................. 2. Rechtsfolge gemäß § 143 InsO ........................................

127 ...... 41 129 ...... 42 130 136 142 143

...... ...... ...... ......

42 44 46 46

II. Ermittlungstechnik ................................................................... 145 ...... 47

VIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

F.

Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger ............................................................................... 149 ...... 49

I.

Marktanalyse und Bestandsaufnahme ..................................... 151 ...... 49

II. Rechtslage in Deutschland ....................................................... 161 ...... 52 III. Keine Absonderung gemäß §§ 49 ff. InsO ............................. 163 ...... 53 IV. Keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO ....................... 165 ...... 54 V. Aussonderung gemäß § 47 InsO ............................................. 1. Aussonderungsberechtigung ............................................ 2. Aussonderungsfähigkeit von Kryptowerten ................... a) Bestimmtheit und Bestimmbarkeit des Gegenstands ........................................................ b) Fehlende Bestimmbarkeit aufgrund „Internal Settlements“ ............................................... aa) Sammelverwahrung bzw. „Omnibus Wallets“ ........................................... bb) Beweislast liegt beim Kunden .......................... cc) Keine andere Wertung bei Annahme eines Treuhandverhältnisses ............................. dd) Überwindung fehlender Bestimmbarkeit durch Poolbildung ............................................ 3. Vergleich zum Aktiendepot ............................................. 4. Vergleich zum Kryptowertpapierregister ........................ 5. Vergleich Aussonderungsrecht nach § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG ....................................................................... 6. Zwischenfazit ....................................................................

172 ...... 56 174 ...... 56 176 ...... 56 181 ...... 58 185 ...... 58 186 ...... 59 189 ...... 60 192 ...... 61 195 ...... 62 197 ...... 62 201 ...... 64 203 ...... 64 205 ...... 65

VI. Handlungsbedarf des Gesetzgebers ........................................ 1. Argumente „gegen“ eine Regulierung .............................. 2. Argumente „für“ eine Regulierung .................................. 3. Referentenentwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) ........................................................................... 4. Stellungnahme ...................................................................

206 ...... 65 207 ...... 65 210 ...... 66 211 ...... 66 218 ...... 68

VII. Bisherige internationale Lösungsansätze ................................ 1. Schweiz .............................................................................. 2. Liechtenstein ..................................................................... 3. MiCA .................................................................................

224 225 227 229

...... ...... ...... ......

70 70 70 71

G. Besteuerung von Geschäftsvorfällen von und mit Kryptowerten ....................................................................................... 232 ...... 73 I.

Grundsätzliches zur ertragsteuerlichen Behandlung von Geschäftsvorfällen rund um Kryptoassets in und außerhalb eines Insolvenzverfahrens ....................................... 234 ...... 73

IX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

II. Gerichtsentscheidungen zur steuerlichen Behandlung von Geschäftsvorfällen ............................................................. 238 ...... 74 III. BMF-Schreiben vom 10.5.2022 „Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“ ....................................................... 247 ...... 77 IV. Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von auf Kryptowährungen bezogenen Umsätzen ............................................ 263 ...... 81 V. IDW zu Kryptowährungen: IDW veröffentlicht Knowledge Paper .......................................................................................... 264 ...... 82 VI. Europäischer Ausblick: CARF ................................................ 266 ...... 82 H. Kryptowährungen als Gegenstand im Strafrecht ................ 267 ...... 83 I.

Betrugs- und Missbrauchsanfälligkeit ..................................... 1. Auswertung/Statistik ........................................................ 2. Bekämpfung der Cyberkriminalität durch das BKA ....... 3. Bekämpfung der Cyberkriminalität durch das ZIT ........

II. Kryptowährungen im Fokus der Vermögensabschöpfung und (vorläufigen) Sicherstellung ............................................. 1. Materielles Strafrecht – Einziehung und Vermögensabschöpfung ...................................................................... a) § 73 Abs. 1 StGB – Einziehung des Originals .......... b) § 73 Abs. 1 und Abs. 3 StGB – Surrogateinziehung .................................................................. c) § 73c StGB – Einziehung des Wertersatzes in Euro ........................................................................ d) § 73a StGB – Erweiterte Einziehung ........................ e) Zeitpunkt der Wertersatzeinziehung ....................... f) Rechtsfolge des § 75 StGB und Stellungnahme ....... 2. Prozessuales Strafrecht – Sicherstellung und Beschlagnahme von Beweismitteln gemäß § 94 StPO ................... 3. Vorläufige Sicherstellung gemäß §§ 111 ff. StPO ........... a) Beschlagnahme gemäß § 111b StPO ........................ b) Vermögensarrest gemäß § 111e StPO ......................

268 271 275 279

...... ...... ...... ......

83 84 84 85

283 ...... 86 285 ...... 87 288 ...... 87 295 ...... 89 299 307 311 312

...... ...... ...... ......

90 91 92 92

319 321 323 326

...... ...... ...... ......

94 95 95 96

Stichwortverzeichnis ..................................................................................... 97

X

Abkürzungsverzeichnis BaFin BFH BGB BGH BKA BMF BTC

Bundesamt für Finanzen Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bundeskriminalamt Bundesministerium für Finanzen Bitcoin

CARF CC CEO COMI

Crypto-Asset Reporting Framework Cybercrime Chief Executive Officer (zu Deutsch: Geschäftsführer) Center of Maininterest

d. h. DLT

das heißt Distributed-Ledger-Technologie

EuInsVO ESMA EStG ETH

VO (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren European Securities and Markets Authority Einkommensteuergesetz Ether

FG

Finanzgericht

ggf.

gegebenenfalls

h. M.

herrschende Meinung

i. d. R. i. H. v. InsG InsO i. S. d. ISK i. V. m.

in der Regel in Höhe von Insolvenzgericht Insolvenzordnung im Sinne des/der Insolvenzsonderkonto in Verbindung mit

kyc KWG

Know your Customer Kreditwesengesetz

MiCA-VO MiFID II

VO (EU) 2019/1937 („markets in crypto-assets“) RL 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente

XI

Abkürzungsverzeichnis

Mio. Mrd.

Millionen Milliarden

o. Ä.

oder Ähnliches

PKS PoS PoW

Polizeiliche Kriminalstatisitk Proof of Stake Proof of Work

Sanierungs-RL

sog. StGB StPO

RL 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten sogenannte(r/s) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung

TWh

Terrawattstunde

USD

US-Dollar

VID

Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands

z. B. ZIT ZVG

zum Beispiel Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität Zwangsversteigerungsgesetz

XII

Literaturverzeichnis Kommentare, Handbücher Andres/Leithaus Insolvenzordnung: InsO, Kommentar, 4. Aufl., 2018 (zit.: Andres/Leithaus-Bearbeiter, InsO) Beck’scher Online-Kommentar BGB 65. Edition [Stand: 1.2.2023], hrsg. v. Hau/Poseck (zit.: BeckOK-Bearbeiter, BGB) Beck’scher Online-Kommentar Insolvenzrecht InsO, EGInsO, COVInsAG, InsVV, EuInsVO, Spezialthemen und Länderberichte, 30. Edition [Stand: 15.1.2023], hrsg. v. Fridgen/Geiwitz/Göpfert (zit.: BeckOK-Bearbeiter, InsR) Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Hrsg.) KWG, CRR-VO, Kommentar zu Kreditwesengesetz, VO (EU) Nr. 575/2013 (CRR) und Ausführungsvorschriften Bd. 1, 5. Aufl., 2016 (zit.: Boos/Fischer/Schulte-Mattler-Bearbeiter, KWG) Braun (Hrsg.) Insolvenzordnung, Kommentar, 9. Aufl., 2022 (zit.: Braun-Bearbeiter, InsO) Bräutigam/Rücker E-Commerce Rechtshandbuch, 2017 (zit.: Bearbeiter in: Bräutigam/Rücker, E-Commerce) Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.) HGB, Kommentar, 4. Aufl., 2020 (zit.: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Bearbeiter, HGB) Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, 244. EL, 12/2022 (zit.: Erbs/Kohlhaas-Bearbeiter, Strafrechtliche Nebengesetze) Fischer (Hrsg.) Strafgesetzbuch, Kommentar, 70. Aufl., 2023 (zit.: Fischer, StGB) Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK hrsg. v. Barthe/Gericke, 9. Aufl., 2023 (zit.: KK-Bearbeiter, StPO)

XIII

Literaturverzeichnis

Kayser/Thole (Hrsg.) Insolvenzordnung, Heidelberger Kommentar, 11. Aufl., 2023 (zit.: HK-Bearbeiter, InsO) Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.) Strafgesetzbuch, Bd. 1, 5. Aufl., 2017 (zit.: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Bearbeiter, StGB) Kölner Kommentar zur Insolvenzordnung hrsg. v. Hess, Bd. 1: Vor § 1, §§ 1 – 55 InsO, 2016 (zit.: Bearbeiter in: KölnKomm-InsO) KPB Kommentar zur Insolvenzordnung hrsg. von Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, 95. Lfg., 3/2023 (zit.: KPB/Bearbeiter, InsO) Lackner/Kühl/Heger StGB, Kommentar, 30. Aufl., 2023 (zit.: Lackner/Kühl/Heger-Bearbeiter, StGB) Leipziger Kommentar StGB hrsg. v. Greger/Lohse/Valerius/Weingarten Bd. 6: §§ 69 – 79b, 13. Aufl., 2019 (zit.: Bearbeiter in: LK-StGB, ) Maume/Maute Rechtshandbuch Kryptowerte – Blockchain, Tokenisierung, Initial Coin Offerings, 2020 (zit.: Bearbeiter in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte) Münchener Kommentar StGB, 4. Aufl., 2020 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-StGB Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Aufl., 2019, hrsg. v. Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer Bd. 1: §§ 1 – 79, Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) Bd. 2: §§ 80 – 216 Bd. 3: §§ 217 – 359 (mit Art. 103a – 110 EGInsO), Insolvenzsteuerrecht Bd. 4: EuInsVO 2015, Art. 102a – 102c EGInsO, Länderberichte, 2021 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-InsO) Münchener Kommentar zur StPO hrsg. von Knauer/Kudlich/Schneider Bd. 1: §§ 1 – 150, 2. Aufl., 2023 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-StPO Nerlich/Römermann (Hrsg.) Insolvenzordnung (InsO)/Insolvenzrecht (InsR), Kommentar, Loseblattwerk, 46. EL, 11/2022 (zit.: Nerlich/Römermann-Bearbeiter, InsO) XIV

Literaturverzeichnis

Omlor/Link Kryptowährungen und Token, 2. Aufl., 2023 Schönke/Schröder StGB, Kommentar Schmidt, Karsten (Hrsg.) Insolvenzordnung (InsO), Kommentar, 20. Aufl., 2023 (zit.: K. Schmidt-Bearbeiter, InsO) Schönke/Schröder StGB, Kommentar, 30. Aufl., 2019 (zit.: Schönke/Schröder-Bearbeiter, StGB) Uhlenbruck Insolvenzordnung, Kommentar, Bd. 1, 15. Aufl., 2019 Bd. 2, EuInsVO, SanInsKG, StaRUG, 16. Aufl., 2023 (zit.: Uhlenbruck-Bearbeiter, InsO) Vallender (Hrsg.) EuInsVO, Kommentar zur Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren, 2. Aufl., 2020 (zit.: Vallender-Bearbeiter, EuInsVO) Aufsätze Ammann Bitcoin als Zahlungsmittel im Internet, CR 2018, 379 – 386 Bachert Die Kryptowährung Bitcoin im Klage- und Vollstreckungsverfahren, CR 2021, 356 – 355 Bachert Vollstreckung der Herausgabe von Kryptowährungseinheiten, CR 2022, 332 – 335 Berger Nutzung und Verwertung von Lizenzen durch den Insolvenzverwalter – Zustimmung des Lizenzgebers?, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2001, S. 373 – 379 Bitter/Alles Das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters gem. § 166 Abs. 1 InsO bei verpfändeten globalverbrieften Aktien, KTS 2013, 113 – 153 Börner Kryptowährungen und strafbarer Marktmissbrauch, NZWiSt 2018, 48 – 54 d’Avoine/Büchel Treuhandkonto – Insolvenz-Sonderkonto? Widerspruch oder Ergänzung, ZIP 2020, 1280 – 1286

XV

Literaturverzeichnis

d’Avoine/Hamacherl Die Insolvenz des Kryptoverwahrers, ZIP 2022, 2214 – 2222 d’Avoine/Hamacherl Kryptowährungen im Insolvenzverfahren, ZIP 2022, 6 – 12 Fromberger/Haffke/Zimmermann Kryptowerte und Geldwäsche, BKR 2019, 377 – 386 Gessner Besteuerung virtueller Werte im Lichte des § 39 AO am Beispiel von Bitcoin, StB, 2021, 379 – 388 Goger Bitcoins im Strafverfahren, MMR 2016, 431 – 434 Hageböke/Springer Zeitpunkt der Verwertung von unbelasteten börsengehandelten Vermögenswerten im Insolvenzverfahren, ZIP 2022, 1311 – 1320 Heckmann Programmierte Verträge als Zukunft der Blockchain, com! professional, 2/2017, 100 Heine Bitcoins und Botnetze – Strafbarkeit und Vermögensabschöpfung bei illegalem Bitcoin-Mining, NStZ 2016, 441 – 446 Hirte Die Verwertung „besitzloser“ Gegenstände in der Insolvenz des Sicherungsgebers: Zur Notwendigkeit einer telelogisch-funktionalen Sicht von § 166 InsO, in: Haftung und Insolvenz, Festschrift für Gero Fischer zum 65. Geburtstag, 2008, S. 239 – 255 Hirte/Knof Das Pfandrecht an globalverbrieften Aktien in der Insolvenz – Teil II, WM 2008, 49 – 57 Hirtschulz/Henning/Valovich/Resas/Ulrich Neue Blockchain-basierte Marktinfrastrukturen: Digital Asset Custody, REthinking Finance 6/2019, 35 – 43 Kaulartz Die Blockchain-Technologie, CR 2016, 474 – 480 Lohmar/Jeuckens „To the Moon“, aber abzüglich Steuern? Die ertragsteuerliche Behandlung von virtuellen Währungen (Teil I), DStR 2022, 1833 – 1840 Patz Überblick über die Regulierung von Kryptowerten und Kryptowertedienstleistern, BKR 2021, 725 – 739

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Literaturverzeichnis

Rettke Bitcoin und die strafrechtliche Einziehung – Vorläufige und endgültige Vermögensabschöpfung, NZWiSt 2020, 45 – 55 Rückert Vermögensabschöpfung und Sicherstellung bei Bitcoins – Neue juristische Herausforderungen durch die ungeklärte Rechtsnatur von virtuellen Währungseinheiten, MMR 2016, 295 – 300 Schlund/Pongratz Distributed-Ledger-Technologie und Kryptowährungen – eine rechtliche Betrachtung, DStR 2018, 598 – 604 Schmidtmann/Schmidt Elektronische Wertpapiere und Kryptowährungen in Zwangsvollstreckung und Insolvenz, DZWIR 2021, 648 – 653 Schrey/Thalhofer Rechtliche Aspekte der Blockchain, NJW 2017, 1431 – 1436 Schröder/Triantafyllakis Kryptowerte in der Insolvenz des Kryptoverwahrers, BKR 2023, 12 – 19 Selonke/Madsen Kritische Auseinandersetzung mit dem BMF Schreiben vom 10.5.2022 zu „Einzelfragen zu ertragssteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“, beck.digitax 2022, 290 Skauradszun Das Internationale Privatrecht der Kryptowerte, elektronischen Wertpapiere und Kryptowertpapiere, ZfPW 2022, 56 – 81 Skauradszun Durchbruch bei der Pfändung und Verwertung von Kryptowerten nach § 857 Abs. 1 und 5 ZPO, § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG n. F., WM 2020, 1229 – 1282 Skauradszun Kryptowerte im Bürgerlichen Recht, AcP 221 (2021), 353 – 398 Skauradszun Kryptowerte im Insolvenzverfahren des Anlegers oder Emittenten, ZIP 2021, 2610 – 2617 Skauradszun/Schweizer/Kümpel Das Kryptoverwahrgeschäft und der insolvenzrechtliche Rang der Kunden – Aussonderung oder Insolvenzquote?, ZIP 2022, 2101 – 2113 Smid Lieferantenpools im neuen Insolvenzrecht, NZI 2000, 505 – 514 Sorge/Krohn-Grimberghe Bitcoin: Eine erste Einordnung, DuD 2012, 479 – 484

XVII

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Spindler/Bille Rechtsprobleme von Bitcoins als virtuelle Währung, WM 2014, 1357 – 1369 Thien Das Nachlassinsolvenzverfahren in der Praxis, ErbR 2022, 771 – 780 Sonstige Publikationen Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech HORIZONTE – Blockchain, 2018, https://www.acatech.de/wp-content/uploads/2018/10/ acatech-HORIZONTE_Blockchain.pdf [17.5.2023]

XVIII

A. Einleitung Was sind Kryptowährungen, Blockchain, Krypto, Coins oder Token? Die Fra- 1 gen rund um Cyberdevisen werden vermehrt von Marktteilnehmern und interessierten Anlegern gestellt. Dabei werden Kryptowährungen von dem einen als „neumodische unsichere Erscheinung“ verteufelt und von dem anderen als zukunftsträchtiges Handels- und Spekulationsmodell gefeiert. Bei der Einordnung der Begriffe spielen Emotionen und Erfahrungen mit Fi- 2 nanzprodukten eine wesentliche Rolle. Objektiv betrachtet sind Kryptowährungen schlicht digitale Vermögenswerte. Diese können erworben und veräußert werden. Sie sind handelbar und können mitunter als Tauschmittel fungieren. Die Besonderheit liegt darin, dass Kryptowährungen nicht unmittelbar staatlich kontrolliert oder reguliert werden. Dies trägt zu dem noch immer weit verbreiteten Bild bei, dass das Invest in Kryptowährungen anonym sei und Transaktionen nicht nachvollziehbar wären. Das ist in dieser Einfachheit allerdings so nicht richtig. Inzwischen gibt es mehr als 10.000 verschiedene Kryptoprojekte. Das welt- 3 weite Handelsvolumen der Top 100 Kryptowährungen beträgt derzeit mehrere Milliarden Euro pro Tag.1) Die bekannteste Kryptowährung ist der Bitcoin (BTC). Hierbei handelt es sich um einen ersten erfolgreichen Versuch, eine rein digitale „Währung“ zu etablieren. Der im Jahr 2009 erfundene Bitcoin basiert dabei auf einer von allen Teilnehmern gemeinsam verwalteten dezentralen Datenbank, der Blockchain. Sie ist eine öffentlich einsehbare und von allen Nutzern geteilte Datenbank, in der Transaktionsdaten gespeichert werden. Staatliche Banknoten werden durch eine Zentralbank ausgegeben. Kryptowäh- 4 rungen, wie z. B. der Bitcoin, werden hingegen durch eine computerbasierte Lösung kryptographischer Aufgaben, das sog. „Mining“, erschaffen. Das Erschaffen neuer Blöcke der Blockchain erfordert – jedenfalls im PoW-Verfahren2) der Bitcoin-Blockchain – enorme Rechenleistungen und gleichsam enormen Energieeinsatz. So existieren mehrere unterschiedliche Schätzungen über den voraussichtlichen Energieeinsatz. Die Universität Cambridge (England) schätzt den annualisierten Energieverbrauch allein für das Jahr 2023 auf ca. 118.29 TWh.3) Die Aufwendungen in Technik und Energiebedarf steigen immer weiter. Daher 5 steht die Technik des Proof-of-Work erheblich in der Kritik. Eine Grenze ist ___________ 1) 2)

3)

Siehe https://coinmarketcap.com [17.5.2023]. Proof of Work (oder auch abgekürzt „PoW“), ist ein Verfahren des „Minings“. Es gibt noch andere Mining-Verfahren, wie z. B. Proof of Stake (PoS), die an dieser Stelle nicht relevant sind. Siehe https://ccaf.io/cbeci/index [17.5.2023].

1

A. Einleitung

– theoretisch – in Sicht, weil die maximale Menge von Bitcoin auf 21 Mio. beschränkt ist. Ende April 2023 waren bereits 19.260 Mio. Bitcoin im Umlauf.4) Insbesondere durch diese Volumen-Beschränkung ist der Bitcoin in den letzten Jahren erheblich im Wert gestiegen. Die Markkapitalisierung allein des Bitcoins beläuft sich derzeit auf rund 364.829 Mrd. USD.5) Entwicklung Bitcoin – Stand 15.3.2023

USD US 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0 2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

2021

2022

2023

Abb. 1: Kursverlauf Bitcoin

Entwicklung Ethereum – Stand 15.3.2023

USD 5.000 4.500 4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 2016

2017

2018

2019

2020

2021

2022

2023

Abb. 2: Kursverlauf Ethereum

6 Aber auch die Alternativen zum Bitcoin, sog. „Altcoins“, zeigen eine beeindruckende Entwicklung. Die bekanntesten Altcoins sind Tether (USDT), Ether (ETH), Chain Link (LINK), Ripple (XRP), Binance Coin (BNB) oder Bitcoin Cash (BCH). Allen Kryptowährungen gemein ist, dass inzwischen ___________ 4) 5)

2

Siehe https://de.statista.com/statistik/daten/studie/283301/umfrage/gesamtzahl-derbitcoins-in-umlauf/#professional [17.5.2023]. Siehe https://coinmarketcap.com/ [17.5.2023].

A. Einleitung

jede Privatperson ohne Hintergrundwissen per App oder online in digitale Währungen investieren, diese kaufen und verkaufen und diese sogar zum Teil im Zahlungsverkehr einsetzen kann. Auf dem Markt zeigen sich bereits erste Dienstleister, die bei der Implementierung von Zahlungen via Kryptowährungen für Unternehmen beraten und unterstützen. Es ist zu erwarten, dass dadurch die Bedeutung auch für den Einzelhandel zunehmen wird.

3

B. Grundlagen der Technik: Kryptowährungen und Cyberdevisen Die grundlegende Technik jeder Kryptowährung gleicht sich in einigen wesent- 7 lichen Punkten. Zunächst existieren die Einheiten lediglich in digitaler Form. Sie werden nicht von einem zentral-staatlichen Kreditinstitut emittiert. Banken sind weder bei der Ausgabe, noch bei Transaktionen direkt involviert. Hintergrund und Motivation für den Erfinder des Bitcoins im Jahre 2009 wird unter anderem die Wirtschafts- und Bankenkrise aus dem Jahr 2008 gewesen sein.6) Geldüberweisungen des A zum B verlaufen nämlich nicht direkt von A nach B, sondern technisch betrachtet transferiert die Bank des A zur Bank des B. Die Banken stellen nach der Transaktion lediglich den Saldo bzw. das Giroguthaben jeweils A und B zur Verfügung.7) Eine unmittelbare Transaktion zwischen den Beteiligten A/B findet insoweit allerdings nicht statt.

A

B

Abb. 3: Transaktionen via Banken als Zahlungsdienstleister zwischen A u. B

Transaktionen mit Kryptowährungen erfolgen unmittelbar. Die Beteiligung von 8 Dritten, z. B. Banken, ist nicht erforderlich. Die Werte von A und B sind verschlüsselt und können unmittelbar auf der Blockchain festgeschrieben werden. Die Veränderung des Vermögens von A oder B ist damit online und ohne großen Zeitversatz möglich, ohne dass eine Bank oder ein fremder Dritter beteiligt werden muss.

___________ 6)

7)

Im ersten Block der Bitcoin-Blockchain (Genesis-Block) wurde eine Nachricht hinterlassen: „The Times 03/Jan/2009 Chancellor on brink of second bailout for banks“. Dieser Verweis auf den zweiten Bailout für britische Banken kann als Kritik am bisherigen Finanzsystem gedeutet werden. B erlangt grundsätzlich einen Auszahlungsanspruch i. H. v. der Gutschrift gegen seine Bank, § 675t Abs. 1 Satz 1 BGB.

5

B. Grundlagen der Technik: Kryptowährungen und Cyberdevisen

A

B

Abb. 4: Transaktionen via Kryptowährungen von A zu B

9 Soweit das Prinzip. Möglich macht das die Blockchain-Technologie. I. Blockchain 10 Die meisten Kryptowährungen bauen auf der Blockchain-Technologie auf. Die Blockchain ähnelt einem digitalen Kontenbuch.8) Aus technischer Sicht bietet die Digital Ledger Technologie (DLT) ein digitales, chronologisch aufgebautes, dezentrales und nahezu fälschungssicheres Datenregister.9) Dieses Datenregister wird auf einer „Peer-to-Peer“10)-Basis geführt. Peers sind im Netzwerk gleichberechtigte Teilnehmer, die auch als „Nodes“ bezeichnet werden können.11) 11 Die Besonderheit ist, dass ein Peer-to-Peer-Netzwerk – anders als ein Cloudsystem – die relevanten Daten auf den Computern der Teilnehmer speichert. Peer-to-Peer ist dezentral. Im Unterschied dazu erfolgt in Cloud-Rechenzentren eine einzige zentrale oder lokale Speicherung der Daten. Peer-to-Peer schützt Daten vor lokalen Zugriffen oder Schäden, weil es eben keine zentrale Speicherung in einem einzigen System gibt. Auch lässt sich die Blockchain so stets aktuell halten. Weichen die gespeicherten Versionen voneinander ab, so gilt immer diejenige, die die längste Blockchain enthält.12)

Abb. 5: Schematische Blockchain, stark vereinfacht

___________ 8) Börner, NZWiSt 2018, 48 f.; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431; Schlund/Pongratz, DStR 2018, 598. 9) Auch als „Distributed Ledger“ bekannt; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 1; Acatech, HORIZONTE – Blockchain. S. 13; zur Funktionsweise siehe auch Spindler/Bille, WM 2014, 1357 ff. 10) Peer = Gleichberechtigter. 11) Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 7; Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 79. 12) Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 1; sog. „Priority Rule“.

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II. Token und Coins

In der Blockchain werden Information in Datenblöcken gespeichert und an- 12 einandergereiht.13) Die dann aneinandergereihten Blöcke werden kryptographisch verschlüsselt und so „verkettet“.14) Die Verschlüsselung erfolgt über sog. „Hashes“. Hashes sind am ehesten als kryptographisch digitale Signaturen oder Fingerabdrücke zu charakterisieren.15) II. Token und Coins Die Begriffe Token und Coins werden zum Teil synonym verwendet. Aller- 13 dings sind sie nicht das Gleiche. Die Bezeichnung „Token“ dient als Überbegriff für die mit Blockchain in Zusammenhang stehenden Werteinheiten.16) Token haben drei bzw. – je nach Ausgestaltung – vier prägende Merkmale. 14 Alle Merkmale sind technisch-funktionell begründet und daher rechtsordnungsunabhängig.17) 1. Ein Token ist ein unkörperlicher Datensatz, der der sowohl dezentral (z. B. auf einer Blockchain) als auch zentral gespeichert sein kann. Gegenstände i. S. d. § 90 BGB unterfallen jedenfalls nicht diesem TokenBegriff. § 2 Abs. 3 eWpG trifft eine Fiktion, was zeigt, dass Token per definitionem gerade nicht § 90 BGB unterfallen.18) 2. Token korrespondieren mit einem Rechtsträger. Diese Verknüpfung kann unmittelbar oder mittelbar erfolgen, sie muss lediglich hinreichend fest und klar erkennbar sein. Dabei kommt es auf die Sichtweise eines Dritten an. Die Feststellung muss objektiv und zweifelsfrei möglich sein, auch wenn das letztlich im Einzelfall durch einen Sachverständigen zu beurteilen wäre. Ergänzend sei erwähnt, dass auch die auf der Blockchain bestehende Pseudonymität dem nicht entgegensteht. Anders als bei Anonymität hindert Pseudonymität eine Zuordnung nicht.19) 3. Token sind Repräsentanten eines Werts, das mögen materielle wie immaterielle Werte sein. Auch insoweit kommt es auf die Sichtweise Dritter an. Zahlungstoken haben einen greifbaren, wirtschaftlich relevanten und damit auch materiellen Wert. Token, die mit einer Inhaberschuldverschrei-

___________ Heckmann, com! Professional, 2/2017, 100. Schlund/Pongratz, DStR 2018, 598; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431. Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431; Kaulartz, CR 2016, 474, 475. Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 17 ff.; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 68; Fromberger/Haffke/ Zimmermann, BKR 2019, 377. 17) Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 13 ff. 18) Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 13. 19) Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 14.

13) 14) 15) 16)

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B. Grundlagen der Technik: Kryptowährungen und Cyberdevisen

bung verknüpft sind, haben einen wirtschaftlichen Wert. Ebenso ist es bei Token, die mit einem Gesellschaftsanteil verbunden sind.20) 4. Als viertes Merkmal mag noch die Tauglichkeit zur Tokenisierung von Gegenständen und Wirtschaftsgütern genannt werden, wenn diese außerhalb einer Blockchain bestehen. Beispielsweise könnten Token als Speicher oder Container und beladen bzw. aufgeladen werden.21) 15 Solche Token, die z. B. an die Bitcoin-Blockchain angebunden sind, werden als Bitcoin bezeichnet. Inzwischen existieren auch zahlreiche Kryptowährungen, deren Token an eine eigene oder eine bestehende Blockchain-Technologie angebunden sind. Da der Bitcoin als „Ur-Coin“ behandelt wird, werden solche Token anderer Kryptowährungen umgangssprachlich als „Altcoins“ (alternative Coins) oder einfach nur als Coins bezeichnet.22) 16 Der Begriff „Kryptowährung“ kann bei näherer Betrachtung des jeweiligen Tokens irreführen. Denn nicht jeder Token ist tatsächlich als Währung gedacht. Token lassen sich mitunter verschieden klassifizieren. Zum Teil haben unjuristische Begriffe Eingang in die Umgangssprache gefunden. Von allen Kategorien lassen sich drei am deutlichsten abgrenzen:23) 1. Currency-Token 17 Ein Currency-Token24) wird vorrangig als Zahlungsmittel eingesetzt. Diese Tokenart hat keinen inhärenten Wert.25) Der Wert eines Currency-Token bestimmt sich allein nach der Marktnachfrage, also der Nachfrage von potenziellen Erwerbern. Anreize, die den Wert nach oben treiben, bestehen insbesondere in einer im Code der Blockchain niedergeschriebenen Endlichkeit der Anzahl der Token sowie einer Fälschungssicherheit des Systems.26) In das Netzwerkprotokoll des Bitcoins ist z. B. eine Limitierung auf insgesamt 21 Mio.27) Bitcoin festgelegt. 18 Die Grenze ist noch nicht erreicht. Das Erschaffen neuer Token durch Mining erfordert jedenfalls immer mehr Rechenleistung. Es ist zu erwarten, dass im Jahr 2026 ca. 20 Mio. und im Jahr 2035 ca. 99 % der gesamten BitcoinToken erschaffen sein werden. Der Anstieg der erforderlichen Rechenleistung steigt nämlich exponentiell. Experten spekulieren, dass etwa im Jahr 2140 ___________ Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 15. Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 16. Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 68. So auch Skauradszun, ZIP 2021, 2610. Currency = Währung. Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 21; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 70. 26) Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 21; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 70. 27) Exakt 20.999.999,97690000 Einheiten.

20) 21) 22) 23) 24) 25)

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II. Token und Coins

voraussichtlich der letzte Bitcoin auf der Bitcoin-Blockchain geschaffen sein wird. Diese lange Laufzeit wird durch das Bitcoin-Halving verursacht. Hiernach halbiert sich ca. alle vier Jahre jeweils die Zahl der Bitcoin, die Miner als Belohnung (Block Rewards) für das Freischalten eines neuen Blocks in der Blockchain erhalten. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass sich die Zahl neuer Bitcoin, die in den Umlauf kommen, stetig verringert. Dadurch nimmt das Tempo stetig ab. Durch diese Verknappung dürfte wohl bei anhaltender Marktakzeptanz die Nachfrage steigen, was wiederum die Kursphantasien befeuern dürfte. 2. Anlage-Token Anlage-Token oder auch Investment oder Security-Token genannt sind wert- 19 papierähnlich und dienen vorrangig der Kapitalanlage. Sie können zu Zahlungsansprüchen oder Mitverwaltungsrechten führen.28) Investment-Token können tatsächlich an die Anteile eines Unternehmens anknüpfen und sind vertraglich meist so ausgestaltet, dass aus der Inhaberschaft ein Anspruch gegen den Verwahrer auf Herausgabe des Anteils und Abtretung der hieraus fließenden Rechte vermittelt wird.29) 3. Utility-Token Utility-Token30) ähneln einem digitalen Gutschein für gewisse Leistungen des 20 Emittenten.31) eine Leistung kann z. B. die Zurverfügungstellung von Speicherplatz32) oder von Promotionsservices33) sein. 4. Zwischenfazit zur Kategorisierung von Token Es ließen sich noch weitere Kategorisierungen durchführen. Zumeist ist eine 21 trennscharfe und eindeutige Abgrenzung zwischen den jeweiligen Tokenarten nicht möglich. Es zeigen sich bereits erste hybride Formen am Markt, die mehrere Funktionen in sich vereinen.34) Aufgrund der hohen praktischen Relevanz wird dem Currency-Token weiterhin die größte Bedeutung zukommen. ___________ 28) Skauradszun, ZIP 2021, 2610; Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 18; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 71. 29) Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 18; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 72. 30) Utility = Nutzen. 31) Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 20; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 73. 32) Siehe https://filecoin.io/ [17.5.2023]. 33) Siehe https://friendz.io/ [17.5.2023]. 34) Skauradszun, ZIP 2021, 2610; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 74; Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 23.

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B. Grundlagen der Technik: Kryptowährungen und Cyberdevisen

III. Wallet 22 Um eine Transaktion von einem Netzwerkteilnehmer zu einem anderen vorzunehmen, verwendet die Blockchain das „Public-/Private-Key-Concept“.35) Jeder Teilnehmer verfügt über zwei Schlüssel, einen Public-Key und einen Private Key. 23 Der „Public Key“ ist eine Adresse innerhalb der Blockchain, welcher Token zugeordnet werden können. Er ist vergleichbar mit einer Kontonummer eines Bankkontos. Nun ist dieses Konto – inkl. des diesem zugeordneten Guthaben – öffentlich einsehbar. So ist für jedermann nachvollziehbar, welche Transaktionen von hier aus- und eingingen. Das überrascht, da mit der öffentlichen Einsehbarkeit zunächst das weit verbreitete Bild völliger Anonymität kippt. Tatsächlich dient der Public Key nämlich als Pseudonym. Denn klar ist, dass hinter diesem ein bestimmter Netzwerkteilnehmer steht, welcher diesen als Zuordnungsadresse verwendet; es handelt sich mithin um kein anonymes, sondern ein pseudonymes System.36) 24 Der Public Key besteht aus einer komplexen Buchstaben- und Zahlenfolge. Diese kann z. B. so aussehen: 1A1zP1eP5QGefi2DMPTfTL5SLmv7DivfNa 25 Bestimmte Internetseiten bieten inzwischen recht benutzerfreundliche Recherche-Modelle oder auch „Blockchain-Explorer“ an.37) Mit Hilfe dieser Programme lässt sich in Erfahrung bringen, welcher Wert dem obigen Public Key auf der Blockchain aktuell zugeordnet ist. Auf diese Weise zeigt sich jedenfalls, dass zum 7.2.2023 insgesamt 72.57532563 BTC dieser Adresse zugeordnet waren.38) Ersichtlich ist weiterhin sogar, welche Transaktionen zu einer Mehrung und welche zu einer Minderung geführt haben. Korrespondierende Public Keys anderer Netzwerkteilnehmer gehen aus der öffentlich abrufbaren Transaktionshistorie ebenfalls deutlich hervor. Die Adresse entspricht also einer Saldenansicht39). 26 Neben dem Public Key existiert ein sog. „Private Key“, welcher mit der PIN eines Girokontos vergleichbar ist. Dieser verbleibt beim Netzwerkteilnehmer ___________ 35) Auch bekannt als asymmetrische Verschlüsselung; Fromberger/Zimmermann in: Maume/ Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 15. 36) Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 14; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 16. 37) Zum Beispiel die Internetseite https://blockchair.com/de oder https://www.blockchain.com/explorer oder https://etherscan.io/ [17.5.2023]. 38) Dieser Public Key ist nicht fingiert. Da auf dieser Adresse am 1.3.2009 die ersten geminten Bitcoin i. H. v. 50 BTC verbucht wurden, ist davon auszugehen, dass dieser Public Key dem Erfinder(-Synonym) Satoshi Nakamoto zugeschrieben werden kann. Abgänge oder Ausgaben sind seit Bestehen der Adresse nicht zu verbuchen [17.5.2023]. 39) Vgl. Kaulartz, CR 2016, 474, 475; Sorge/Krohn-Grimberghe, DuD 2012, 479, 480.

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III. Wallet

und dient der Signatur von Transaktionen.40) Die Zahl der verwendeten Schlüsselpaare ist nicht begrenzt. Ein Nutzer kann auch mehrere Public Keys und dementsprechend auch mehrere Private Keys unterhalten. Der Private Key ist der Schlüssel, um Token zu transferieren. Mit ihm steht und fällt die Berechtigung über die dem Public Key zugeordneten Token zu verfügen. Dieser kann z. B. so aussehen: P9 T4 3D 79 C6 D8 7D C0 FB 6A 57 78 63 33 89 F4 45 32 13 30 3D A6 1F 20 BD 67 FC 23 3A A3 32 99 Die obige Buchstaben- und Zahlenfolge ist fingiert und um einiges komplexer, 27 als ein Public Key. Er umfasst regelmäßig 51 alphanumerische Zeichen, welche sich zufällig zusammensetzen.41) Eine wesentliche Besonderheit dabei ist, dass von dem Private Key mathematisch auf den Public Key zurückgeschlossen werden kann; umgekehrt ist dies jedoch nicht möglich.42) In diesem Fall könnte der Public Key dann lauten: 9CO3X2gu76d6wXUWMffpuzN9JAfTUWu4Ru43) Die Begriffe Public und Private Key stehen im Kontext mit dem Begriff 28 „Wallet“. Gemeinhin wird als „Wallet“ (zu Deutsch: Brieftasche) der Ort verstanden, an dem die Coins gehalten bzw. verortet werden. Diese metaphorische Vorstellung ist jedoch in der Einfachheit nicht richtig. Eine tatsächliche Übertragung von Token in eine „Wallet“ findet technisch nicht statt. Vielmehr ist die Wallet der Aufbewahrungsort, also dort, wo die Teilnehmer ihre Private Keys aufbewahren. Eine Wallet hat allein den Zweck, Dritte von der Verfügung über die dem 29 Public Key zugeordneten Kryptowerte, auszuschließen. Unter Wallets gibt es inzwischen verschiedene Ausprägungen mit wiederum verschiedenen Sicherheitsvorkehrungen.44) Neben der Software-, Mobile- und Onlinewallet, sollte die Hardware- und die Paperwallet nicht unerwähnt bleiben, denn hier wird der Private Key physisch manifestiert. Dies geschieht bei der Hardwarewallet z. B. auf einem externen USB-Stick. Bei der Paperwallet erfolgt eine Verschriftlichung des Private Keys traditionell auf einem Blatt Papier. Die Verschriftlichung erfolgt händisch oder mittels Computerdruck. Eine der grundlegendsten Unterscheidung, insbesondere hinsichtlich der Behandlung ___________ 40) Weitere Erklärungen zur Funktionsweise von Kryptowährungen anhand des Beispiels Bitcoin siehe Bachert, CR 2021, 356 f.; Amann, CR 2018, 379. 41) Mathematisch gesehen ist der Privte Key eine zufällige Zeichenabfolge zwischen 1 und 2. 42) Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 17; Kaulartz, CR 2016, 474, 475. 43) Dieses Beispiel soll der bloßen Anschaulichkeit dienen und ist fiktiv. 44) Näher hierzu Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 24.

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B. Grundlagen der Technik: Kryptowährungen und Cyberdevisen

in der Insolvenz, besteht in der Anbieterabhängigkeit oder -unabhängigkeit. 1. Anbieterunabhängigkeit 30 Ein Schlüsselpaar kann inzwischen von jedermann mittels kurzer Eigenrecherche auf bestimmten Internetseiten unmittelbar im Netz erschaffen werden, etwa auf der Internetseite http://www.bitadress.org oder https://bitcoincore.org. Eine solche Wallet ist dann grundsätzlich nicht an einen bestimmten Anbieter gebunden und wird gemeinhin auch als Self Custody bezeichnet. Es erfolgt gerade keine Registrierung und Identifizierung des Teilnehmers und auch keine Hinterlegung persönlicher Daten. Mit der Erstellung erlangt der Gründer den Public Key und auch den Private Key. Er kann von nun an Kryptowerte empfangen und auch weitertransferieren. Dabei bleibt es ihm überlassen, wie er den Private Key am besten sichert, also welche Art Wallet er verwenden möchte.45) 31 Bei Verlust kann der Private Key nicht wiederhergestellt werden. Sollte der Private Key also verloren gehen, wären die dem Public Key zugeordneten Werte unrettbar wertlos. Das passiert in der Praxis regelmäßig. Aus dem Markt sind Fälle von Programmierern bekannt, die sich nicht mehr an das – selbst vergebene – Passwort der Hardwarewallet erinnern können.46) Im Fall eines deutschen Programmierers hat dieser einen Private Key gespeichert, der den Zugriff auf insgesamt 7.002 Bitcoin ermöglichte. Umgerechnet entsprach dieses Kryptovermögen im März 2023 einem Wert i. H. v. ca. 172 Mio. US-Dollar47). Es sind weitere ähnliche Fälle medienwirksam bekannt geworden. Die Dunkelziffer derartig verloren gegangener Werte dürfte beträchtlich sein. Das Volumen wird sicherlich in Zukunft weiter steigen. 32 Zwar können Kryptowerte von dieser anbieterunabhängigen Wallet empfangen und weitergeleitet werden. Der unmittelbare Ankauf ist hingegen so nicht vorgesehen. Dieser kann nur über eine dritte Stelle oder Person erfolgen. Und das ist nicht nur fehler- sondern auch missbrauchsanfällig. Neben dem erforderlichen technischen Know-how, mit welchem sich freilich nicht jeder auseinandersetzen kann und will, besteht also auch ein Verlustrisiko. Auf dem Markt positionierten sich daher schon früh Anbieter, die ihren Kunden eine originäre Teilnahme als Krypto-User im Krypto-Space ermöglichen wollen und dabei sowohl das Know-how stellen als auch das Verlustrisiko für den Kunden übernehmen. ___________ 45) Zum Beispiel Softwarewallet, Mobilewallet, Onlinewallet, Hardwarewallet oder Paperwallet. Weitere sind denkbar. 46) Siehe https://www.spiegel.de/netzwelt/web/bitcoin-passwort-vergessen-stefan-thomashat-noch-zwei-versuche-um-an-200-millionen-euro-zu-kommen-a-69e7dd73-c700-4a54b529-b53bbbd3e46e [17.5.2023]. 47) Siehe https://coinmarketcap.com/ [17.5.2023].

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III. Wallet

2. Anbieterabhängigkeit Ein potenzieller Teilnehmer oder Krypto-User kann sich an einen Anbieter 33 wenden, welcher ihm die gewünschten Kryptowerte verschafft. Mittlerweile hat sich hier ein breiter Markt gebildet. Früher unterscheidbar waren zwei Gruppen: verwahrende und nicht verwahrende Anbieter.48) Inzwischen hat ein ganz überwiegender Teil der Anbieter auch das Verwahrgeschäft implementiert. Das heißt, sie verwahren sowohl die Kryptowerte als auch ggf. die Private Keys für ihre Kunden. Diese Leistungen sind fester Bestandteil ihres Portfolios und des vertraglich kodifizierten Angebots.49) Daher trifft gemeinhin auf sie der Begriff des Kryptoverwahrers zu. Zugleich bieten die allermeisten Kryptoverwahrer auch zusätzlich den Han- 34 del mit Kryptowährungen an. Deshalb wäre wohl auch der Begriff der „Kryptobörse“ passend.50) Üblich ist, dass der Kryptoverwahrer für den Nutzer zunächst einen Account und auch ein Schlüsselpaar erstellt. Der Account wird dann mit dem Schlüsselpaar verknüpft, d. h., der Kryptoverwahrer kann für sich nachhalten, welcher Kunde mit den von ihm gehaltenen Schlüsselpaar korrespondiert. Loggt sich der Kunde also über seinen Account mittels der ihm bereitgestellten Zugangsdaten zu einer Benutzeroberfläche oder App bei dem Kryptoverwahrer ein und gibt z. B. einen Transferauftrag ein, so kann der Kryptoverwahrer diesen für ihn unproblematisch ausführen, da er ja den Private Key – also die Legitimation für Transaktionen – verwahrt. Der Kunde hat in der Regel gar keine Kenntnis von dem Private Key. Für alle Anbieter gilt, dass sie staatlicher Aufsicht unterliegen. Denn das Kryp- 35 toverwahrgeschäft ist eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung i. S. d. KWG (gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 6 KWG) und unterliegt der Kontrolle und Überwachung der BaFin. Über die Änderung des Kreditwesengesetzes im Jahr 201951) wurden Kryptowerte als Finanzinstrumente gemäß § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG eingeführt und definiert. Die im Markt zugelassenen Verwahrer verfügen somit über eine entsprechende Banklizenz. Der Verwahrer bietet regelmäßig eine Reihe von Dienstleistungen rund um den 36 Kauf, die Verwaltung, Kontrolle, Verkauf und Dokumentation der Transak-

___________ 48) Englisch: custodian and non-custodian wallet providers; mit weiteren Anmerkungen Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 26. 49) Anbieter sind u. a. Bison, Iconic Funds Physical Bitcoin ETP, Coinbase, Coinbase Germany GmbH. 50) Einfachheitshalber wird von nun an nur noch der Begriff des „Kryptoverwahrers“ verwendet. 51) Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie vom 12. Dezember 2019, BGBl. I 2019 S. 2602. Die Änderung trat mit Wirkung zum 1.1.2020 in Kraft.

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B. Grundlagen der Technik: Kryptowährungen und Cyberdevisen

tionen. Möglich ist auch, gleichzeitig ein mit dem Public Key korrespondierendes Bankkonto bei einem Kreditinstitut einzurichten.52) Dieses Bankkonto kann dann als „digitaler Umschlagplatz von Fiatgeld in Kryptowährungen“ dienen; Abhebungen von Bankautomaten sind mit diesem gerade nicht möglich. Kryptoverwahrer müssen den jeweiligen Nutzer einer umfassenden Identitätskontrolle unterziehen. Dies geschieht im Rahmen eines Kyc-Prozesses53), was nach dem Geldwäschegesetz (GWG) zwingend gefordert ist.54) 37 Den Private Key hält allein der Kryptoverwahrer. Der Nutzer bekommt den Private Key gar nicht erst genannt. Damit ist dieser auch sicher vor Verlust beim Kunden geschützt. Einzelne Transaktionen des Nutzers zertifiziert der Kryptoverwahrer dann ohne seine Mitwirkung. Jeder Anbieter hat eine Software oder App entwickelt, um unmittelbar mit Kryptowerten zu handeln und diese erwerben oder verkaufen zu können. Der Nutzer legitimiert durch die Eingabe der Zugangsdaten zur App des Anbieters dessen Verfügungsgewalt. 38 Sollte der Nutzer seine Zugangsdaten verlieren oder vergessen, sind diese durch Nachweis seiner Identität über den Kryptoverwahrer erneut zu beziehen. Ein Totalverlust ist damit nahezu ausgeräumt. Allerdings ist der Kunde oftmals dann ungeschützt, wenn der Kryptoverwahrer selbst insolvent geht oder gar durch Cyberkriminelle gehackt wird.55) Somit ist auch ein solches Wallet nicht ganz risikofrei. 39 Letztlich ist es eine Frage der Eigenverantwortlichkeit, ob sich der Nutzer für eine anbieterabhängige oder anbieterunabhängige Wallet entscheidet.

___________ 52) Bei Bison und Coinbase wird beispielsweise ein gesondertes Bankkonto bei der Solarisbank AG eröffnet. 53) Kyc = Know your Customer. 54) Die Identität des Vertragspartners ist vom Finanzdienstleister festzustellen, §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 11, 12 GWG. 55) Hacker erbeuten immer wieder Bitcoin in Millionenhöhe. So z. B. 2018 als Diebe auf der Kryptobörse Coincheck digitale Währungen im Wert von fast 550 Mio. US-Dollar plünderten.

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C. Zuständiges Insolvenzgericht im Fall eines insolventen Token-Users oder Kryptoverwahrers Kryptowährungen erlangen wachsende Bedeutung in der Finanzbranche. Mit 40 zunehmender Marktdurchdringung mehren sich die Fälle insolventer TokenUser oder insolventer Kryptoverwahrer. Die Eingangsfrage ist, welches Insolvenzgericht im Falle der Insolvenz zuständig ist und welche Besonderheiten dabei zu beachten sind, insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Diese Annahme eines ausländischen Gerichtsstands ist auch nicht abwegig, da die Blockchain-Technologie dezentral funktioniert und es insoweit auch keinen singulären örtlichen Bezugspunkt gibt. Für die Beurteilung der Zuständigkeit eines Insolvenzgerichts ist zu unterscheiden zwischen einem (insolventen) Krypto-User, der Kryptowährungen hält und als Finanzmittel verwendet und einem (insolventen) Unternehmen, welches ggf. Kryptowährungen handelt, verwahrt oder als Zahlungsmittel akzeptiert. I. Nationale Zuständigkeit nach InsO Die nationale Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichtsbarkeit regelt 41 die Insolvenzordnung (InsO). Sie gliedert sich einerseits in die sachliche und andererseits in die örtliche Zuständigkeit. Beide Voraussetzungen müssen gegeben sein, um eine nationale Zuständigkeit zu begründen, und damit auch das deutsche Insolvenzrecht anwendbar ist. 1. Sachliche Zuständigkeit gemäß § 2 InsO Gemäß § 2 Abs. 1 InsO sind die Amtsgerichte, in dessen Bezirk ein Landge- 42 richt seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht für den Bezirk des Landgerichts ausschließlich sachlich zuständig. Durch Rechtsverordnung kann die jeweilige Landesregierung von dieser Vorgabe eingeschränkt abweichen, § 2 Abs. 2 und Abs. 3 InsO. Die einzelnen Bundesländer haben von dieser Ermächtigung unterschiedlichen Gebrauch gemacht.56) Zum Teil unterhalten die Bundesländer innerhalb der Bezirke ihrer Landgerichte mehrere Insolvenzgerichte (= Amtsgerichte), zum Teil haben einzelne Bundesländer ihre Insolvenzgerichte konzentriert, sodass das jeweilige Insolvenzgericht nur und ausschließlich am Ort des Landgerichts ansässig ist. Für die sachliche Zuständigkeit ist unerheblich, ob es sich bei dem Schuldner um eine juristische oder eine natürliche Person handelt. 2. Örtliche Zuständigkeit gemäß § 3 InsO Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 InsO. Demnach ist örtlich ausschließ- 43 lich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen all___________ 56) Vgl. das Verzeichnis der ab 1.1.1999 zuständigen Insolvenzgerichte, ZInsO 1998, 270 ff.; zusammenfassend auch Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 2 Rn. 17, 18.

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C. Zuständiges Insolvenzgericht im Fall eines insolventen Token-Users

gemeinen Gerichtsstand hat. Liegt der Mittelpunkt einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt. Sind mehrere Gerichte zuständig, so schließt das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, die übrigen aus, § 3 Abs. 3 InsO. 44 Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO ist vorrangig zu prüfen, ob und wo der Schuldner eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt57), denn der Abs. 1 Satz 2 würde als lex specialis den Abs. 1 Satz 1 verdrängen. a) Selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO 45 Das Merkmal einer „selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit“ kann schlechterdings nur bei natürlichen Personen zu einer wirklichen Abgrenzung führen. Bei Personengesellschaften, juristischen Personen und nicht rechtsfähigen Vereinen versagt es, denn bei ihnen ist keine unselbstständige Beschäftigung als Gegenteil denkbar.58) 46 An die Voraussetzung der Wirtschaftlichkeit ist kein allzu enger Maßstab anzulegen. Die Tätigkeit braucht kein Gewerbe zu sein. Eine Eintragung in das Handelsregister ist nicht zwingend erforderlich oder maßgeblich. Es genügt eine nachhaltig auf Erwerb gerichtete Unternehmung.59) Eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit setzt weisungsunabhängiges Handeln des Schuldners in eigenem Namen voraus. Selbst wenn die selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit in nur geringfügigem Umfang erfolgen würde, begründet sie den Gerichtsstand des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO. 47 Soweit eine natürliche Person Kryptowährungen hält oder mit diesen Handel betreibt, muss dieses nicht zwangsläufig eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit darstellen. Obwohl die ggf. so erzielten Einkünfte als sonstige Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen können, mag es sich insoweit aber auch um reine „Spekulationsgeschäfte“ handeln. Solche Spekulationsgeschäfte sind – ähnlich wie bei der Liebhaberei60) – noch nicht als selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit einzustufen.61) Das gilt selbst dann, wenn das finanzielle Engagement des Schuldners dessen Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung

___________ 57) OLG München, ZInsO 2009, 838; AG Köln, NZI 2008, 254, 255; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rn. 4; Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 3 Rn. 22. 58) Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 3 Rn. 30; zustimmend Hess in: KölnKomm-InsO, § 3 Rn. 54; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rn. 9a. 59) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rn. 7. 60) Als Liebhaberei ist die Tätigkeit eines Steuerpflichtigen zu verstehen, die ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. 61) Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 3 Rn. 33.

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I. Nationale Zuständigkeit nach InsO

weit übertrifft. Selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit liegt insoweit nur vor, wie es zur Deckung des Lebensunterhalts beiträgt.62) Soweit eine natürliche oder auch eine juristische Person Kryptowährungen hält 48 oder mit diesen Handel betreibt, also das Merkmal einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO grundsätzlich erfüllt wäre, so ist in einem nächsten Schritt der Mittelpunkt der selbstständigen und wirtschaftlichen Tätigkeit (sog. COMI =Center of Main Interests) zu bestimmen. Die hierfür erforderliche Untersuchung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalles; Indizien bieten die Existenz eines Geschäftslokals, die Zuständigkeit des Finanzamts, öffentlich-rechtliche Gewerbeerlaubnisvorgänge und dergleichen mehr.63) Die Eintragung im Handelsregister bietet hingegen lediglich eine widerlegliche Vermutung.64) Der Mittelpunkt der Tätigkeit liegt an dem Ort, an dem unmittelbar die Geschäfte nach außen abgeschlossen werden. Entscheidend ist daher, wo die tatsächliche Willensbildung stattfindet, die Unternehmensleitung Entscheidungen trifft und umsetzt.65) b) Allgemeiner Gerichtsstand gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO Ist der Schuldner hingegen nicht selbstständig wirtschaftlich tätig, greift die 49 Grundregel des § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO. Hiernach ist dann ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO örtlich zuständig. Der allgemeine Gerichtsstand wird durch die §§ 13 bis 19 ZPO bestimmt, welche über § 4 InsO entsprechende Anwendung finden. Nach § 13 ZPO ist grundsätzlich der inländische Wohnsitz des Schuldners als natürliche Person maßgebend; nach § 17 ZPO auch der Unternehmenssitz der juristischen Person. Bei natürlichen Personen, die lediglich „privat“ mit Kryptowährungen handeln 50 oder diese als digitales Vermögen halten, ist hinsichtlich des Wohnsitzes auf den Lebensmittelpunkt abzustellen. Befindet sich der Lebensmittelpunkt des Schuldners nämlich nicht in Deutschland, genügt ein lediglich vorübergehender Aufenthalt des Schuldners in einer deutschen Stadt nicht, um diesen Ort als Wohnsitz des Schuldners anzusehen und so die örtliche Zuständigkeit zu begründen.66) Ist der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners im Ausland, ist das deutsche Insolvenzgericht nicht zuständig.67) Solange aber keine grenzüberschreitenden Sachverhalte vorliegen, lässt sich die 51 örtliche Zuständigkeit eines Insolvenzgerichts nach den vorstehenden Grundsätzen festlegen. ___________ 62) 63) 64) 65) 66) 67)

Nerlich/Römermann-Becker, InsO, § 3 Rn. 33. Braun-Baumert, InsO, § 3 Rn. 8. Braun-Baumert, InsO, § 3 Rn. 8. Braun-Baumert, InsO, § 3 Rn. 8. AG Düsseldorf, Beschl. v. 9.6.2016 – 513 IK 175/15, NZI 2017, 63. Uhlenbruck-Pape, InsO, § 3 Rn. 3.

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C. Zuständiges Insolvenzgericht im Fall eines insolventen Token-Users

II. Internationale Zuständigkeit 52 Die Anzahl von Kryptoverwahrern steigt stetig und weltweit. Der (Finanz-) Standort Deutschland ist bei Start-ups und FinTechs durchaus beliebt. Die Anzahl von Kryptoverwahranbietern hat sich in Deutschland in den letzten Jahren vervielfacht. Insolvenzen füllen bereits die Presse. Nachfolgend wird aufgrund der steigenden Relevanz näher auf die Frage eingegangen, welches Recht bei einem Kryptoverwahrer greift, welcher vielleicht einen Sitz in Deutschland hat, dessen Kunden allerdings in Europa oder sogar weltweit verstreut sind. 1. Anwendbarkeit der EuInsVO auf Kryptoverwahrer 53 Die internationale Zuständigkeit inländischer Insolvenzgerichte ist in der InsO nicht geregelt. Für den Bereich der EU68) gilt die am 26.6.2017 in Kraft getretene Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO).69) Soweit nicht der EU angehörende Staaten70) in einem Insolvenzverfahren beteiligt sind, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nach § 3 InsO analog dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners.71) 54 Die EuInsVO richtet sich gemäß Art. 1 Abs. 1 an den Schuldner.72) Das internationale Insolvenzrecht regelt Insolvenzen, bei denen das Vermögen dieses Schuldners auf mehrere Länder verteilt ist. Anwendungsanlass kann bereits die Existenz von Gläubigern sein, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befinden, und welche gemäß Art. 53 EuInsVO berechtigt wären, ihre Forderungen in einem Insolvenzverfahren schriftlich anzumelden.73) Angenommen, dies ist der Fall, stellen sich die nachfolgenden Fragen. 55 Art. 1 Abs. 2 EuInsVO enthält zunächst eine Bereichsausnahme. Diese gilt insbesondere für bestimmte Unternehmen des Finanzdienstleistungssektors. Von der Ausnahme erfasst sind z. B.: x

Versicherungsunternehmen (Buchst. a),

x

Kreditinstitute (Buchst. b),

x

Wertpapierfirmen und andere Firmen,

___________ 68) Mit Ausnahme Dänemark. 69) VO (EU) Nr. 2015/848 des europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, AblEU Nr. L141/19 v. 5.6.2015 S. 1., in Kraft getreten am 26.6.2017; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rn. 22. 70) Und auch für Dänemark. 71) K. Schmidt Stephan, InsO, § 3 Rn. 18. 72) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO Rn. 6b. 73) AG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2009 – 67c IE 1/09, NZI 2009, 343; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 3 Rn. 23.

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II. Internationale Zuständigkeit

x

Einrichtungen und Unternehmen, soweit sie unter die Richtlinie 2001/ 24/EG fallen (Buchst. c), oder

x

Organismen für gemeinsame Anlagen (Buchst. d).

Für eine natürliche Person, die lediglich im privaten oder geschäftlichen Be- 56 reich mit Kryptowährungen handelt, dürfte keine der genannten Bereichsausnahmen greifen.74) Der deutsche Gesetzgeber qualifiziert das Kryptoverwahrgeschäft zwar als Finanzdienstleistung und begreift den Kryptoverwahrer als Institut, vgl. § 1 Abs. 1a Satz 1 und Satz 2 Nr. 6 KWG. Allerdings sind die europäisch gefassten Bereichsausnahmen nicht nach nationalem Recht auszulegen.75) Die Vorschrift muss europarechtskonform ausgelegt werden. Da keine Bereichsausnahme greift, bleibt es bei § 3 InsO analog und dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, was hier dargestellt wird. a) Keine Bereichsausnahme i. S. v. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a, b und d Da Kryptoverwahrer keine Versicherer sind, die etwaige Risiken absichern, 57 lassen sie sich jedenfalls nicht als Versicherungsunternehmen nach Buchst. a einstufen. Auch sind sie grundsätzlich keine Kreditinstitute nach Buchst. b, da sie in der 58 Regel kein Einlagengeschäft betreiben und auch keine Kredite gewähren.76) Zudem stellten Kryptowährungen kein Geld im Sinne eines Einlagegeschäfts dar. Ein Organismus für gemeinsame Anlagen i. S. v. Buchst. d setzt hingegen nach 59 der Legaldefinition in Art. 2 Nr. 2 EuInsVO gemeinsame Anlagen in Wertpapieren nach der Richtlinie 2009/65/EG oder alternative Investmentfonds i. S. d. RL 2011/61/EU voraus. Kryptowährungen sind diesen Systemen aus verschiedenen Gründen fremd.77) b) Keine Bereichsausnahme i. S. v. Art. 1 Abs. 2 Buchst. c Näher in Betracht rückt daher allenfalls die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 60 Buchst. c EuInsVO für „Wertpapierfirmen und andere Firmen, Einrichtungen und Unternehmen, soweit sie unter die Richtlinie 2001/24/EG fallen“. Wie bereits oben festgestellt, ist eine europarechtskonforme Auslegung geboten. Fraglich bleibt, ob auch ein Kryptoverwahrer unter den europäischen ___________ 74) In dem Fall wäre bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die EUInsVO anwendbar. 75) Vgl. Vallender-Vallender, EuInsVO, Art. 1 EuInsVO Rn. 60; Skauradszun/Schweizer/ Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2102. 76) Der Begriff des Kreditinstituts in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b EuInsVO ist nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 VO (EU) Nr. 575/2013 (CRR) auszulegen; siehe hierzu detaillierter Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2102. 77) Kryptowährungen oder Währungstoken sind zudem keine Finanzanlagen i. S. d. Art. 50 RL 2009/65/EG.

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C. Zuständiges Insolvenzgericht im Fall eines insolventen Token-Users

Begriff der Wertpapierfirma subsumiert werden kann und sollte. Sinn und Zweck dieser Bereichsausnahme ist, dass die unter die Richtlinie 2001/24/EG (auch „Sanierungs-Richtlinie“ oder „Sanierungs-RL“) fallenden Unternehmen, den dort beschriebenen besonderen Regelungen unterworfen sind. EUInsVO und Sanierungs-RL schließen sich damit aus. 61 Was eine Wertpapierfirma i. S. d. Sanierungs-RL ist, erklärt Art. 1 Abs. 3 Sanierungs-RL unter Verweis auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013. Diese Verordnung wird auch als Kapitaladäquanzverordnung bezeichnet und weitverbreitet auch mit CRR78) abgekürzt. Art. 4 der CCR dient der allgemeinen Begriffsbestimmung. Der Ausdruck „Wertpapierfirma“ wird gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 der CCR, als „eine Wertpapierfirma i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2014/65/EU, die gemäß der genannten Richtlinie zugelassen wurde, mit Ausnahme von Kreditinstituten“ bezeichnet. Es erfolgt also ein weiterer Verweis diesmal auf die Richtlinie 2014/65/EU, welche auch als MiFID II79) bekannt ist. Dort wird als „Wertpapierfirma“ in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 MiFID II definiert: „Jede juristische Person, die im Rahmen ihrer üblichen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gewerbsmäßig eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen für Dritte erbringt und/oder eine oder mehrere Anlagetätigkeiten ausübt.“

62 Weiter zu untersuchen ist also, was der europäische Gesetzgeber genau unter den Begriffen „Wertpapierdienstleistung“ und „Anlagetätigkeiten“ versteht. Diese Begriffe werden in Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 der MiFID II näher beschrieben mit: „Jede in Anhang I Abschnitt A genannte Dienstleistung und Tätigkeit, die sich auf eines der Instrumente in Anhang I Abschnitt C bezieht.“

EUInsVO, Art. 1 Abs. 2 lit. c) Sanierungs-RL, Art. 1 Abs. 3 CRR, Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 MiFID II, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 MiFID II, Art. 4 Abs. 1 Nr. 2

Abb. 6: Herleitung der nicht vorliegenden Bereichsausnahme der EuInsVO

___________ 78) CRR = Capital Requirements Regulation. 79) MiFID = Markets in Financial Instruments Directive.

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II. Internationale Zuständigkeit

In Anhang I Abschnitt A der MiFID II sind folgende Dienstleistungen und 63 Tätigkeiten beschrieben: (1) Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben. (2) Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden. (3) Handel für eigene Rechnung. (4) Portfolio-Verwaltung. (5) Anlageberatung. (6) Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung. (7) Platzierung von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung. (8) Betrieb eines MTF. (9) Betrieb eines OTF. Diese genannten Dienstleistungen und Tätigkeiten müssen sich weiterhin auf 64 ein Finanzinstrument des Anhang I Abschnitt C beziehen. Kryptowährungen sind dort nicht ausdrücklich genannt. Zu diskutieren wäre allenfalls, ob Sie aktuell unter „(1) Übertragbare Wertpapiere“ subsumierbar sein könnten. Übertragbare Wertpapiere sind in Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 der MiFID II näher beschrieben. Ein Blick auf diese Vorschrift verdeutlicht jedoch relativ schnell, dass Kryptowährungen hiernach nicht vom Wertpapierbegriff erfasst sein sollen. Bei Wertpapieren i. S. d. MiFID II handelt sich vielmehr um die auf dem Kapitalmarkt gehandelten Aktien80), Schuldverschreibungen81) oder alle sonstigen Wertpapiere82). Ein Bezug auf Kryptowährungen, die ihrem Wesen nach schon völlig verschieden zu klassischen Wertpapieren sind, besteht hingegen nicht. Gegenwärtig schließt also die Begriffsbestimmung von „Finanzinstrument“ der MiFID II Kryptowährungen nicht ausdrücklich ein. Der Begriff „Wertpapierfirma“ dürfte vorliegend eng auszulegen sein. Dafür 65 spricht einerseits die wachsende Bekanntheit von Kryptowährungen, aber auch die von Kryptoverwahrern und deren Marktpräsenz. Andererseits hat sich der europäische Verordnungsgeber trotz mehrfacher Änderungen der MiFID in den letzten Jahren83) nicht weiter mit Kryptoverwahrern beschäftigt. Dies wäre ihm jederzeit leicht möglich gewesen. ___________ 80) 81) 82) 83)

Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 Buchst. a MiFID II mit weiteren Beispielen. Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 Buchst. b MiFID II mit weiteren Beispielen. Art. 4 Abs. 1 Nr. 44 Buchst. c MiFID II mit weiteren Beispielen. Allein seit 2019: Richtlinie (EU) 2019/2034 vom 27.11.2019; Verordnung (EU) 2019/2115 vom 27.11.2019; Richtlinie (EU) 2019/2177 vom 18.12.2019; Richtlinie (EU) 2020/1504 vom 7.10.2020; Richtlinie (EU) 2021/338 vom 16.2.2021.

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C. Zuständiges Insolvenzgericht im Fall eines insolventen Token-Users

66 Geboten ist eine einzelfallbezogene aber vor allem auch zeitgemäße Auslegung.84) Nach den bisherigen Untersuchungen stellen Kryptoverwahrer keine Wertpapierfirma nach MiFID II dar, folglich dann auch nicht nach der CRR und schlussendlich auch nicht nach der Sanierungs-RL. Das heißt, die Sanierungs-RL ist nicht anwendbar. 67 Durch die fehlende Anwendbarkeit der Sanierungs-RL liegt insoweit also auch keine Bereichsausnahme von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c EUInsVO vor.85) Betont werden soll an der Stelle, dass sich dieses Ergebnis für Kryptoverwahrung zwar anbietet. Es zeigen sich jedoch auf dem Markt bereits erste Mischformen von Unternehmen, die neben der „bloßen“ Kryptoverwahrung, tatsächlich auch Kreditgeschäfte (oder ähnliche von der Bereichsausnahme offensichtlichere Finanzdienstleistungen) anbieten. In diesen Fällen wäre die Bereichsausnahme einschlägig. Es gilt wie stets eine genaue Überprüfung des jeweiligen Einzelfalls. c) Kein anderes Ergebnis durch Änderungen der Verordnung (EU) 2022/858 68 Anzumerken ist, dass mit Wirkung ab dem 23.3.2023 eine europäische Pilotregelung in Kraft getreten ist, die Verordnung (EU) 2022/85886). Diese Verordnung gilt vorerst drei Jahre87) für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und ändert einzelne europäische Verordnungen ab,88) mitunter auch die MiFID II. Kryptowährungen basieren wie oben dargestellt auf der DLT-Technologie (siehe Rn. 10 ff.) In Art. 18 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2022/858 heißt es zwar: „Die Richtlinie 2014/65/EU wird wie folgt geändert: 1. Artikel 4 Absatz 1 Nummer 15 erhält folgende Fassung: „15. ‚Finanzinstrument‘ die in Anhang I Abschnitt C genannten Instrumente, einschließlich mittels Distributed-Ledger-Technologie emittierter Instrumente;“

69 Andere Änderungen oder Erweiterungen – z. B. im Anhang I Abschnitt C – der MiFID II wurden gezielt nicht veranlasst. Dies wäre möglich gewesen. Aus den Erwägungsgründen unter Punkt 59 geht hervor, dass diese Änderung nur darauf abzielt, den Handel mit auf der DLT-Technologie basierenden Werten zu ermöglichen. Hierfür wurde der Katalog in Anhang I Abschnitt C offenbar bewusst nicht erweitert. Das Pilotprojekt und die rechtlichen Aus___________ Skauradszun, ZfPW 2022, 56, 69. So auch Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2102 f. Verordnung (EU) 2022/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2022. Verlängerbar für einen Zeitraum bis zu drei Jahren nach Art. 14 Abs. 2 a) der VO (EU) 2022/858. 88) VO (EU) Nr. 600/2014 und VO (EU) Nr. 909/2014 sowie die Richtlinie 2014/65/EU (MiFID II). 84) 85) 86) 87)

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II. Internationale Zuständigkeit

wirkungen der Verordnung (EU) 2022/858, samt der festgelegten Änderungen für mitunter auch die MiFID II sind daher für die Ausgangsfrage, ob Kryptoverwahrer im europäischen Kontext als „Wertpapierfirma“ zu verstehen sind, nicht von Bedeutung. Ob der europäische Verordnungsgeber langoder mittelfristig diesen Umstand ändern wird, bleibt abzuwarten. Bis zum 24. März 2026 wird die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA89)) der europäischen Kommission einen umfassenden Analyse- und Marktbericht vorlegen (geregelt in Art. 14 Abs. 1 der VO (EU) 2022/858). Auf der Grundlage werden weitere Regelungen zu erwarten sein. 2. Anwendbarkeit des deutschen materiellen Insolvenzrechts nach der EuInsVO Gesetzt, dass die EuInsVO anwendbar ist und bleibt, ist nach der grundlegen- 70 den Kollisionsnorm des Art. 7 Abs. 1 der EuInsVO der Grundsatz des lex fori concursus90) vorrangig zu beachten.91) Das heißt soweit keine anderen Regelungen durch die EuInsVO getroffen werden, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Anknüpfungsgegenstand ist „das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“; Anknüpfungspunkt ist der „Staat der Verfahrenseröffnung“.92) Abweichende Vorschriften können sich aus den Art. 8 bis 18 der EuInsVO ergeben. a) Spezifikationen nach Art. 7 Abs. 2 EuInsVO Im Kern soll also nach der Vorstellung des europäischen Verordnungsgebers 71 das deutsche materielle Insolvenzrecht grundsätzlich dann gelten, wenn das Insolvenzverfahren über einen Schuldner in Deutschland eröffnet worden ist. Der Geltungsbereich dieses in Art. 7 Abs. 1 der EuInsVO festgeschriebenen Grundsatzes wird durch den Abs. 2 weiter spezifiziert. Hiernach ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b EuInsVO das Insolvenzrecht des Staates auch auf die Frage anwendbar, welche Vermögenswerte zur Insolvenzmasse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind. Funktional geht es hiernach um die Feststellung der Massezugehörigkeit und die Reichweite des Insolvenzbeschlags.93) Für ein deutsches Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Kryptoverwahrers oder Kryptoanlegers sind demnach die Vorschriften des §§ 35 f. InsO zu

___________ 89) 90) 91) 92) 93)

ESMA = European Securities and Markets Authority. Zu Deutsch: „Recht am Ort des Konkursgerichts“. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 7 EuInsVO Rn. 1. Uhlenbruck-Knof, InsO, Art. 7 EuInsVO Rn. 3. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 7 EuInsVO Rn. 21.

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C. Zuständiges Insolvenzgericht im Fall eines insolventen Token-Users

prüfen.94) Kryptowährungen können grundsätzlich Bestandteil der Insolvenzmasse sein (siehe Rn. 82 ff.). 72 Auch Art. 7 Abs. 2 Satz 2 Buchst. g der EuInsVO stellt klar, dass für die Einteilung von Insolvenzforderungen, die als Forderungen nach Insolvenzeröffnung anzumelden sind, ausschließlich das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung greifen soll. Art. 7 Abs. 2 Satz 2 Buchst. i EuInsVO nennt sogar ausdrücklich den Rang der Forderungen. Auch die Einteilung der Gläubiger richtet sich folglich nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Soweit deutsche Insolvenzgerichte also international zuständig sind, sind für die Einteilung der Gläubiger nach Rängen auch die §§ 38 ff. InsO anzuwenden.95) 73 Im Ergebnis dürfte damit das deutsche materielle Insolvenzrecht selbst dann anwendbar sein, wenn grenzüberschreitende Sachverhalte innerhalb der EU vorliegen. Bei Kryptowährungen wird dies wahrscheinlich sein. Einzelfragen können und werden sich in der Praxis stellen. Gleichwohl bleibt der Grundsatz der Art. 7 Abs. 1 der EuInsVO wegweisend und der Grundsatz „lex fori concursus“ zu beachten. b) Anwendbarkeit von deutschen Sonderinsolvenzrechts 74 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in Deutschland ggf. insolvenzrechtliche Sondervorschriften zu beachten wären. Solche Sondervorschriften kennt das deutsche Recht z. B. in § 46b ff. KWG, welche sich speziell auf Institute gemäß § 1 Abs. 1a, 1b KWG beziehen96). Diese Insolvenzverfahren sind ausweislich der Verweisungstechnik des § 46b KWG ebenfalls als Insolvenzverfahren i. S. d. InsO und folglich auch als Insolvenzverfahren der EuInsVO zu verstehen.97) Die EuInsVO unterscheidet insoweit nicht. 3. Internationale Zuständigkeit eines deutschen Insolvenzgerichts 75 Art. 3 der EuInsVO regelt die Zuständigkeiten von deutschen Insolvenzgerichten bei grenzüberschreitenden Insolvenzen innerhalb der EU. Nach Art. 3 Abs. 1 der EuInsVO ist das Gericht eines Mitgliedstaates für das Hauptinsolvenzverfahren zuständig, in welchem der Schuldner seinen (COMI98)), also den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen, hat. Insoweit ist auf einen Unterschied zur InsO hinzuweisen. In § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO wird näm___________ 94) Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2104. 95) Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2104. 96) Kryptoverwahrer sind „Finanzdienstleistungsinstitute“ gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 6 KWG. 97) Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2104; KPB/Madaus, InsO, Art. 1 EuInsVO 2015 Rn. 9. 98) Englisch: center of main interest.

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II. Internationale Zuständigkeit

lich auf den Mittelpunkt der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit abgestellt. Was genau vor dem in Art. 7 Abs. 1 EuInsVO verankerten Grundsatz des lex fori concursus nun anwendbar sein soll, löst Art. 102c § 1 Abs. 1 EGInsO. Dort ist geregelt, dass die EuInsVO und insbesondere der COMI in Zweifelsfragen Vorrang haben sollen.99) Soweit der Schuldner eine Niederlassung im Hoheitsgebiet eines anderen 76 Mitgliedstaates hat, käme nach Art. 3 Abs. 2 der EuInsVO auch ein Sekundärverfahren in Betracht. Art. 3 Abs. 4 der EuInsVO regelt hingegen unter den dort gefassten Voraus- 77 setzungen die Eröffnung eines Partikularverfahrens. 4. Hilfsweise: Anwendbarkeit der Sanierungs-RL Sollte die EuInsVO in der Insolvenz des Kryptoverwahrers nicht zur An- 78 wendung kommen und die Regelungen der Sanierungs-RL greifen, richtet sich die Entscheidung über die Eröffnung eines Liquidationsverfahrens nach Art. 9 Abs. 1 der Sanierungs-RL. Zur Entscheidung befugt wären demnach die zuständigen Behörden oder Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats. Welches Recht anwendbar ist, bestimmt hingegen Art. 10 der Sanierungs-RL, welcher der gleichen Systematik von Art. 7 der EuInsVO folgt. Demnach ist das jeweilige Kreditinstitut oder Wertpapierfirma grundsätzlich nach den Vorschriften des Herkunftsmitgliedstaates zu behandeln und ggf. auch zu liquidieren, außer es bestehen Ausnahmetatbestände. 5. Zwischenergebnis zur internationalen Zuständigkeit Mangels Bereichsausnahme und anderer Spezialnormen bleibt es bei § 3 InsO 79 analog und dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners.

___________ 99) Uhlenbruck-Knof, InsO, Art. 3 EuInsVO Rn. 3.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Krypto-Users 80 geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Um von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters betroffen zu sein, müssen Kryptowerte Teil der Insolvenzmasse sein.100) Dass Kryptowerte zunächst Vermögen darstellen, dürfte aufgrund der regen Marktpräsenz und der anwachsenden Nachfrage auf der Hand liegen. Auch zeigen die Beobachtungen des Marktes und der Praxisfälle eine Zunahme der Bereitschaft, in Kryptowährungen zu investieren. Zur Einschätzung, ob Kryptowährungen als Teil der Insolvenzmasse anzusehen wären oder nicht, ist zunächst die Rechtsqualität entscheidend. Bis vor ein paar Jahren war diese Frage in der Literatur umstritten. Doch spätestens mit der Einführung einer Legaldefinition in § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG zum 1.1.2020,101) erscheint der Streit zumindest hinsichtlich der rechtlichen Einschätzung entschieden. § 1 Abs. 11 Satz 1 KWG zählt sog. Finanzinstrumente auf. Dort unter der Nr. 10 sind „Kryptowerte“ namentlich genannt. Doch was versteht das KWG unter dem Begriff der Kryptowerte? Die gesetzliche Definition gemäß § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG lautet102): „Kryptowerte im Sinne dieses Gesetzes sind digitale Darstellungen eines Wertes, der von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristischen Personen aufgrund einer Vereinbarung oder tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungsmittel akzeptiert wird oder Anlagezwecken dient und der auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden kann.“

Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, welche Besonderheiten bei der 81 Klassifizierung, Erfassung und Verwertung von Kryptowerten als Teil der Insolvenzmasse zu berücksichtigen sind. I. Kryptowerte als Teil der Insolvenzmasse Gemäß § 35 InsO wird das gesamte schuldnerische Vermögen als Insolvenz- 82 masse erfasst. Jedoch ist dieses Vermögen über § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO insoweit eingeschränkt, als dass es der Zwangsvollstreckung der ZPO unterliegen muss. Fraglich ist also, ob das 8. Buch der ZPO Möglichkeiten bietet, in Kryptowerte des Schuldners zu vollstrecken. Eine Vollstreckung nach §§ 808 ff. ZPO in das bewegliche Vermögen scheitert an einer fehlenden Körperlichkeit. Für eine Forderungspfändung gemäß §§ 828 ff. ZPO ist ebenso wenig Raum, da Kryptowährungen keine Geldforderung darstellen und ___________ 100) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 6, 9. 101) Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur 4. EU-Geldwäscherichtlinie (EU 2018/843; 5. EU-Geldwäscherichtlinie), BGBl. I 2019 S. 2602. 102) Hervorhebung erfolgen durch die Autoren und sollen der Leserlichkeit dienen.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users

sich auch keine relativen oder absoluten Rechte von dem reinen Besitz ableiten lassen. Aufgrund der dezentralen Organisationsstruktur der Blockchain fehlt es zudem an einem Auszahlungsanspruch gegen den Emittenten.103) 83 Bis hierhin ist das Ergebnis frustrierend, soll doch über § 35 InsO grundsätzlich das gesamte Vermögen erfasst werden. Die ZPO bietet aber mit dem Auffangtatbestand des § 857 ZPO eine ausreichende Möglichkeit, die Vollstreckung in Kryptowerte zu betreiben.104) Hiernach ist die Zwangsvollstreckung auch in „andere Vermögensrechte“ grundsätzlich möglich. Durch den Verweis in § 857 Abs. 1 ZPO auf die Vorschriften der Forderungsvollstreckung muss die Voraussetzung der Übertragbarkeit gemäß § 851 ZPO vorliegen. 84 Bereits die gesetzliche Definition des § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG geht davon aus, dass Kryptowerte übertragbar sein müssen. Ansonsten wären es eben keine Kryptowerte i. S. d. KWG. Auch entspricht die Übertragbarkeit der tatsächlichen Umstände. Der Reiz insbesondere bei Currency-Token besteht ja gerade in dem Erhalten oder Weitergeben u. a. als Zahlungsmittel. Nicht unumstritten bleiben zwar noch die Art und Weise, wie die zivilrechtliche Übertragbarkeit von Kryptowerten erfolgt. Die Übertragung dürfte jedoch – in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Regelung105) – über § 453 Abs. 1, § 433 Abs. 1 BGB (Verpflichtungsgeschäft) und über §§ 413, 398, 399 2. Fall BGB (Verfügungsgeschäft) auch schon heute rechtssicher möglich sein.106) Eine Unterscheidung zwischen Currency-, Investment- oder Utiliy-Token muss bei der Vollstreckbarkeit nicht getroffen werden; Besonderheiten ergeben sich insoweit nicht.107) Jedenfalls fallen Kryptowerte als übertragbare andere Vermögensrechte, die einen Geld- und Vermögenswert besitzen, in die Insolvenzmasse.108)

___________ 103) Nähere Ausführungen: Skauradszun, WM 2020, 1229, 1231; Handke in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 10 Rn. 7 f., 23. 104) Skauradszun, WM 2020, 1229. 105) Skauradszun, ZIP 2021, 2610; Skauradszun schlägt die Einführung eines § 413a BGB vor, mit dem Ziel die Einigung und Übertragung und den gutgläubigen Erwerb zu regulieren. 106) So auch Skauradszun, WM 2020, 1229, 1234. 107) Handke in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 10 Rn. 23. 108) So auch: BeckOK-Kirchner, InsR, § 35 InsO Rn. 37a; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rn. 407.

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II. Kenntniserlangung

§ 35 InsO § 36 InsO ZPO, 8. Buch § 1 Abs.11 Satz 4 KWG

Abb. 7: Schematische Herleitung über InsO, ZPO und KWG

II. Kenntniserlangung Das wohl größte Problem des Insolvenzverwalters bleibt die Erlangung der 85 Kenntnis über vorhandene Kryptowerte beim Schuldner oder Ansprüche gegen Dritte, die auf Übertragung von Kryptowerten gerichtet sind. Zwar ist der Schuldner zur Auskunft verpflichtet und hat aus eigenem Antrieb heraus diese Werte zu offenbaren. In der Praxis zeigen sich jedoch immer wieder Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Werten. Ohne die Mitwirkung des Schuldners bleiben Vermögenswerte meist diffus oder gar unsichtbar. Da Kryptowerte ausschließlich digital existieren und da Kryptowährungen nach wie vor eine gewisse Anonymität nachgesagt wird, sind Schuldner oftmals dazu verleitet, dem Insolvenzverwalter falsche oder auch gar keine Angaben zu machen. Wenn der Schuldner die Existenz der Werte verschweigt oder schlicht „ver- 86 gesslich“ ist, muss der Insolvenzverwalter als Detektiv tätig werden. Er kann und sollte recherchieren und kreativ nach Werten und Belegen suchen. Mitunter bleibt die Existenz von Kryptowerten in der Vermögenssphäre des Schuldners ausschließlich über Informationen Dritter ermittelbar. Hierzu können Kontoauszüge des Schuldners zählen, aus denen Transaktionen von einem oder zu einem bekannten Kryptoverwahrer hervorgehen. Denn die ursprüngliche Liquidität zum Invest in Kryptowährungen stammt i. d. R. von einem laufenden Girokonto bei einer Bank oder Sparkasse. Oftmals wird dem Kunden eines Kryptoverwahrers ein Konto bei einem Kreditinstitut genannt oder sogar eigens für ihn erstellt109), wohin er dann Beträge in Fiatgeld überweisen kann. Das dort eingezahlte Fiatgeld kann anschließend in Kryptowährungen zum jeweiligen aktuellen Kurs und gegen eine Gebühr umgewandelt werden. Dieses Konto korrespondiert dann auch weiterhin unmittelbar mit dem beim Kryptoverwahrer geführten Public Key. So ist bei Kenntnis dieses Bankkontos bereits ein Zusammenhang zu vorhandenen Kryptowerten herzustellen. Noch offensichtlicher sind in der Regel die Betreffzeilen, der jeweiligen Überwei___________ 109) Bei Bison und Coinbase wird beispielsweise ein gesondertes Bankkonto bei der Solarisbank AG eröffnet.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users

sung. Nicht selten wird dort entweder der Name des Kryptoverwahrers oder die jeweilige Kryptowährung explizit genannt. 87 Schwieriger, aber nicht unmöglich, ist die Aufdeckung von Kryptovermögen bei „Schweigen“, die anbieterunabhängig – also in eigener Verantwortung des Schuldners – gehalten werden. Auch dann, wenn die Kryptowerte bereits seit langer Zeit gehalten werden, ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass diese seitens des Schuldners zum Handel mit Dritten bestimmt sind. Regelmäßig erfahren Geschäftskunden und Gläubiger aus Medien oder anderen Kontakten von der Insolvenz ihres Geschäftspartners. In der Folge sollten dann Anmeldungen zur Insolvenztabelle zu erwarten sein, aus denen Krypto-Transfers abgeleitet werden können. Insbesondere aus dem Kreis der Gläubiger ließe sich so Kryptovermögen des Schuldners in Erfahrung bringen. Bei Verdachtsmomenten kann zudem auch gezielt im Gläubigerkreis nachgefragt und geforscht werden. Eventuell haben Transaktionen der Vergangenheit sogar Anfechtungsansprüche realisiert (siehe Rn. 124 ff.). 88 Sofern der Schuldner jedoch seine Wallet bereits vor geraumer Zeit angelegt hatte und nicht deren Existenz mit Dritten geteilt hat, ist das Aufdecken allein durch Recherchen des Insolvenzverwalters schwierig. Nicht anders verhält es sich bei Bargeld, welches der Schuldner vor einiger Zeit an einem nur ihm bekannten Ort sicher deponiert oder versteckt hat. Aber anders als Bargeldbestände sind Kryptowährungen eine noch recht junge Erscheinung. Das Anlegen und Verheimlichen „alter“ Kryptowerte ist faktisch auf den Zeitraum ab Entstehung von Kryptowährungen, also ab dem Jahr 2009,110) begrenzt. Die Realisierung derartiger Werte, dürfte aufgrund stark gestiegener Kurse bereits begonnen haben, wenngleich die Entwicklungen in den Jahren ab 2022 recht volatil waren. 89 Die Wertschwankungen von Kryptowährungen waren in der Vergangenheit immens und plötzlich. Kaum ein Wert ist so volatil wie der Bitcoin. So brach beispielsweise der Kurs des Bitcoins ein, als Tesla-Chef Elon Musk Mitte Mai 2021 verlautbarte, dass sein Unternehmen keine Bitcoin (BTC) mehr akzeptieren würde.111) Der Kurswert eines BTC betrug am 11.3.2021 noch 56.533 USD, am 28.3.2021 hingegen nur noch 35.002 USD.112) Der Wertverlust lag damit bei ca. 40 %. Schon Mitte Juli 2021 erklärte der CEO dann, dass Tesla Bitcoin wohl doch unter gewissen Voraussetzungen akzeptieren würde.113) Das beeinflusste den Kryptowährungsmarkt sofort. Der BTC-Kurs kletterte von ___________ 110) Erste Kryptowährung ist der Bitcoin, welcher am 3.1.2009 implementiert wurde; siehe https://www.blockchain.com/btc/block/0 [17.5.2023]. 111) Siehe https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/bitcoin-kryptowaehrung-muskkurse-bewegen-tesla-101.html [17.5.2023]. 112) Siehe https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boersenkurse/25133686/ [17.5.2023]. 113) Siehe https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/tesla-stoppt-autoverkauf-fuerbitcoins-laut-elon-musk-der-umwelt-zuliebe-a-4826c6a1-f67c-4498-9e4e-d67d130e2918 [17.5.2023].

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III. Verwertung

29.701 USD innerhalb weniger Tage bis zum 30.7.2021 auf 41.183 USD,114) mithin ein Wertzuwachs i. H. v. fast 30 %. Mitte November 2021 war ein Kurswert von über 60.000 USD erreicht. Der Kurs unterschiedlicher Kryptowährungen unterliegt stets auch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage; hinzukommen Spekulationen der Marktteilnehmer rund um neue Technologien, politische Entwicklungen und Kryptowährungen als Alternative zu staatlichem Geld. Ein Invest schuldnerischen Vermögens in Kryptowerte setzt daher eine beachtliche Risikobereitschaft voraus. III. Verwertung Ist bekannt, dass der Schuldner Inhaber von Kryptowährungseinheiten ist, hat 90 der Insolvenzverwalter gemäß § 148 Abs. 1 InsO diese in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Es stellt sich dabei die die Frage, auf welchen Wegen eine Sicherung und anschließende Verwertung durch den Insolvenzverwalter am effektivsten erfolgen kann. Der Insolvenzverwalter hat qua Amt Vermögenswerte zu sichern, darüber zu verfügen und im Interesse der Gläubigergesamtheit zu verwerten, § 159 InsO.115) Im Fokus steht ein Wertverschaffungsinteresse.116) Der Wert, der in der Kryptoeinheit enthalten ist, muss realisiert und zur Insolvenzmasse gezogen werden. Dem Insolvenzverwalter drohen bei Missachtung sogar haftungsrechtliche Folgen, § 60 InsO. Die Sicherung von Kryptowerten ist in hohem Maße eilbedürftig.117) Insbe- 91 sondere dann, wenn keine dritten Kryptoverwahrer involviert sind und der Schuldner seine Kryptowerte selbst verwahrt, vielleicht eine Hardware- oder sogar Paperwallet für die Aufbewahrung seines Private Keys nutzt, stellt sich für den Insolvenzverwalter folgendes Problem: Selbst wenn der Schuldner bereitwillig den Private Key bekannt gibt, darf nicht darauf vertraut werden, dass dieser Private Key nicht eventuell dupliziert wurde. In diesem Fall bleibt nämlich der Krypto-User dann faktisch in der Lage, die Werte dennoch weiter zu transferieren. Möglich ist auch, dass ein bislang vollkommen unbeteiligter Dritter Kenntnis des Private Keys erlangt, vielleicht auch über illegale Kanäle und ohne böswillige Absicht des Schuldners, z. B. durch Hacking. Sollten Kryptowerte auf einen anderen Public Key transferiert werden, ist der Totalverlust zu befürchten. Bekanntlich lässt nämlich selbst die Kenntnis des empfangenden Public Keys 92 gerade keinen Rückschluss auf die Identität des Inhabers zu. Ein neuer Erwerber wäre ohne Mitwirkung des Schuldners nicht ohne Weiteres ermittelbar. Daher ist bereits in Ansehung des drohenden Totalausfalls Eile bei der Verwertung – zumindest von Self Custodian Wallets – geboten. ___________ 114) 115) 116) 117)

Siehe https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boersenkurse/25133686/ [17.5.2023]. Janssen in: MünchKomm-InsO, § 159 Rn. 4. Braun-Bünning/Beyer, InsO, § 159 Rn. 2. A. A. Hageböke/Springer, ZIP 2022, 1313, 1319, nach denen es vertretbar wäre, zumindest nach einem Kursabfall und einem sich ankündigen Kursanstieg zunächst abzuwarten.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users

93 Sollte der Kurs der jeweils zu verwertenden Kryptowährung vor Kurzem abgestürzt sein und ist gleichzeitig zu erwarten, dass dieser in Kürze wieder ansteigt, ließe sich zwar die Ansicht vertreten, dass ein Abwarten über den Grundsatz der bestmöglichen Verwertung gemäß § 1 Satz 1 InsO bis zum Kursanstieg angezeigt wäre.118) Dem steht jedoch der ausdrückliche Wortlaut von § 159 InsO entgegen, der eine unverzügliche Verwertung fordert. Ein Abwarten dürfte zudem aufgrund der dargestellten hohen Volatilität und eines nie gänzlich auszuräumenden weiteren Kursabfalls, zu hohen Haftungsrisiken und im Übrigen zur nur schwer beantwortbaren Frage führen, wann denn der wirtschaftlich sinnvollste Verkaufszeitpunkt eintritt. Hieran muss sich der Insolvenzverwalter nicht messen lassen, wenn er schnellstmöglich, jedenfalls ohne schuldhaftes Zögern verwertet. 94 Grundsätzlich kann die Verwertung auch über einen Kryptomarktplatz, eine Kryptobörse oder auch freihändig erfolgen.119) Hierfür ist die Inbesitznahme durch den Insolvenzverwalter notwendig. Dafür ist wiederum die oben dargestellte Unterscheidung der Anbieter(un)abhängigkeit von zentraler Bedeutung. 1. Verwertung von anbieterunabhängigen Kryptowerten 95 Es gibt eine Vielfalt von Handlungsoptionen zur Verwertung von Token, die über eine anbieterunabhängigen Wallet gesichert sind. In jedem Fall sollte der Insolvenzverwalter sowohl Public Key als auch Private Key vom Schuldner erfahren und beide sichern. Der Schuldner ist verpflichtet, dem Insolvenzverwalter diese Informationen im Rahmen seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gemäß § 97 Abs. 1 und 2 InsO mitzuteilen.120) Sollte er sich weigern, bliebe der Weg über die Durchsetzung nach § 98 InsO, insbesondere nach § 98 Abs. 2 Nr. 1 InsO die zwangsweise Vorführung oder sogar Haft.121) Die Haftdauer wäre dabei gemäß § 802j Abs. 1 Satz 1 ZPO auf einen Zeitraum von sechs Monaten beschränkt. Gemäß § 300 Abs. 3 InsO wäre auch auf Antrag eines Gläubigers über die Versagung der Restschuldbefreiung durch das Insolvenzgericht zu entscheiden. Ein tauglicher Grund für eine Versagung könnte jedenfalls in der Verletzung eben jener Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO liegen. Weitergehende Maßnahmen, um den Insolvenzschuldner zur Bekanntgabe der Zugangsdaten zu zwingen, stellt die InsO nicht zur Verfügung. 96 Ist der Insolvenzverwalter bereits im Besitz des Public Keys und ist bekannt, dass der Schuldner den Private Key auf einer Hardware gespeichert oder auf ein Blatt Papier geschrieben hat, könnte auch im Wege der Zwangsvollstre___________ 118) 119) 120) 121)

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Schmittmann/Schmidt, DZWIR 2021, 652. Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rn. 407. Anwendbar auf juristische Personen über § 101 Abs. 1, 2 InsO. Janssen in: MünchKomm-InsO, § 159 Rn. 13.; Schmittmann/Schmidt, DZWIR 2021, 652.

III. Verwertung

ckung über § 148 Abs. 2 InsO eine Herausgabe über einen Gerichtsvollzieher gemäß § 883 ZPO erzwungen werden.122) Ferner ließe sich noch der Druck auf den Schuldner über den Straftatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Bankrott) erhöhen, soweit er Vermögenswerte wissentlich beiseiteschafft oder verheimlicht.123) Soweit der Insolvenzschuldner erfolgreich überzeugt wurde, sowohl den Public 97 Key als auch den Private Key zu offenbaren, ist der Insolvenzverwalter in der Lage, beide Keys freihändig an einen interessierten Dritten zu veräußern. Der Gegenwert des hierdurch erlangbaren Kryptowertes wäre sinnvollerweise vom Erwerber unmittelbar in Euro auf das jeweilige Insolvenzsonderkonto zu zahlen. Ein Identitätsbezug besteht – wie ausgeführt – nicht. Daher gibt es auch keine rechtlichen Hindernisse für den neuen Erwerber, nach Abwicklung des Kaufvertrags124) über die Kryptowerte zu verfügen. Der Käufer sollte in dem Fall darauf hingewiesen werden, dass die Kryptowerte idealerweise auf einen ihm gehörenden Public Key transferiert werden. Nicht auszuschließen ist nämlich, dass der Private Key dem Schuldner oder Dritten bekannt ist oder wird. Eine eventuelle Transaktion von Kryptowerten läge jedenfalls außerhalb der Sphäre des Insolvenzverwalters. Wie der Erwerber mit den Werten in der Folge umgeht, ist für das Insolvenzverfahren nicht weiter von Belang. Die Verwertung von Token, die über eine anbieterunabhängige Wallet gesichert sind, kann auf diesem Wege erfolgen. Fraglich bleibt jedoch, wann und wie sich für solche Verkäufe ein Markt bildet oder wie auf anderen Wegen Interessierte ermittelbar sind. Auch hier spielt aufgrund der hohen Volatilität der Zeitpunkt der Verwertung eine wichtige Rolle. Durch die Verwendung von Public und Private Key wäre der Insolvenzver- 98 walter auch in der Lage, die vorhandenen Kryptowerte unmittelbar auf die Wallet eines Dritten Käufers zu transferieren, also ohne Aushändigung der Keys. Dieses Vorgehen wird sich allerdings in der Praxis nicht durchsetzen, da dies den Aufwand und das Fehlerrisiko beim Insolvenzverwalter deutlich erhöht. Zum anderen besteht aber auch an den Keys selbst kein wirtschaftliches Interesse, weshalb diese unproblematisch weitergegeben werden können. In Betracht kommt auch die Variante, dass sich der Insolvenzverwalter einen 99 eigenen Account bei einem Kryptoverwahrer einrichtet, welcher den Handel mit Kryptowährungen ermöglicht. Bei Kenntnis des Schlüsselpaares können vorhandene Kryptowerte des Schuldners dann auf die Einzahladresse (Public Key) des Accounts bei dem Kryptoverwahrer transferiert werden. Der Insolvenzverwalter kann auf diesem Wege nicht nur eine effektive Sicherung der ___________ 122) So im Ergebnis auch Handke in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 10 Rn. 26, 41. 123) Ausführlich zu Auskunfts- u. Mitwirkungspflichten und deren Missachtung: Schmittmann/ Schmidt, DZWIR 2021, 648. 124) Kaufvertragliche Regelungen sind anwendbar, soweit sie für den betreffenden Gegenstand passen; BeckOK-Faust, BGB, § 453 BGB Rn. 26.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users

Werte erreichen, sondern ist gleichzeitig auch selbst in der Lage die Werte schnell und unproblematisch mittels Daytrading zu verwerten. Der so erlangte Umwandlungserlös ließe sich in der Folge auf das insolvenzeigene Sonderkonto (ISK) einziehen. Nach BGH-Urteil vom 24.1.2019125) ist nämlich u. a. zur Sicherung von Aus- und Absonderungsansprüchen ein Konto als offenes Treuhandkonto zulässig, bei dem der Insolvenzverwalter alleiniger Vollrechtsinhaber und Treuhänder ist und welches nicht unmittelbar Teil der Masse ist.126) 100 Sollten die Kryptowerte frei von Rechten Dritter sein, ist – nach dem BGHUrteil vom 7.2.2019127) – ferner ein ISK einzurichten, bei dem der Schuldner Rechtsträger und unmittelbarer Teil der Masse ist.128) Dieses Konto kann der Verwalter kraft Verfügungsbefugnis einrichten (ab Bestellung als „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter oder mit Eröffnung als Insolvenzverwalter oder als „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter mit entsprechender Ermächtigung des Insolvenzgerichts). Danach hat der Verwalter alleinigen Zugriff.129) 101 Um technischen Herausforderungen gerecht zu werden und um Haftungsrisiken zu mindern, kann ggf. sogar ein Dritter als Treuhänder eingeschaltet werden, der eine Wallet auf den Namen des Schuldners erstellt und dann die für das Verfahren notwendigen technischen Schritte vornimmt. Sodann könnte der Insolvenzverwalter die Kryptowerte relativ gefahrfrei aus dem schuldnerischen Vermögen auf eine solche „treuhänderische Wallet“ transferieren. Als treuhänderischer Dritter würde sich insbesondere eine Stelle eignen, die auch unmittelbar Kryptowerte in Euro umwandeln (lassen) kann. Das Ziel kann nämlich nur sein, den Wert der Kryptoeinheiten zeitgerecht und mit wenigen Zwischenschritten in Euro auf dem ISK zu vereinnahmen. Die Wallet allein hat keinen Vermögenswert. 102 Die rechtlichen und technischen Fragen bei der Sicherung, Behandlung und Verwertung von Kryptowährungen entwickeln sich rasant und bedürfen sicher noch der weiteren Untersuchung, Analyse und Entwicklung.

___________ 125) BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274. 126) BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274; ZIP 2019, 472 (m. Bespr. Thole, ZIP 2019, 552 und m. Bespr. Mielke/Lägler, ZIP 2019, 947), dazu Prütting, EWiR 2019, 211; d’Avoine/Büchel, ZIP 2020, 1280. 127) BGH, Urt. v. 7.2.2019 – IX ZR 47/18, BKR 2019, 457. 128) BGH, Urt. v. 7.2.2019 – IX ZR 47/18, ZIP 2019, 718 (m. Bespr. Heerma/Rinck, ZIP 2019, 2000, dazu Schulte-Kaubrügger, EWiR 2019, 277; Saager/d’Avoine/Berg, ZIP 2019, 2048. 129) BGH, Urt. v. 7.2.2019 – IX ZR 47/18, ZIP 2019, 718 (m. Bespr. Heerma/Rinck, ZIP 2019, 2000); Saager/d’Avoine/Berg, ZIP 2019, 2048.

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III. Verwertung

2. Verwertung von anbieterabhängigen Kryptowerten Die Verwertung von Token, die durch eine anbieterabhängige Wallet gesichert 103 sind, ist unter Umständen etwas simpler. Durch die inzwischen strengen Auflagen durch BaFin bzw. KWG für jeden Kryptoverwahrer besteht für den Markt ein rechtlicher Rahmen und für die Nutzer eine gewisse Transparenz. Der Schuldner kann mitunter angehalten werden, die Zugangsdaten zum jeweiligen Anbieter freiwillig preiszugeben oder eine Umwandlung in Euro selbst vorzunehmen und auf das ISK zu überweisen. Überdies dürfte sich der Kryptoverwahrer der Bereitstellung neuer Zugangsdaten zur jeweiligen Benutzeranwendung auf Anfrage durch den Insolvenzverwalter nicht entziehen. Die Verfügungsgewalt über vorhandene Kryptowerte könnte dann durch den „normalen“ Login ausgeübt werden. Schließlich kann auch der Kryptoverwahrer unmittelbar selbst mit der Umwandlung und Auszahlung beauftragt werden, da dies eine schlichte Ausübung der Kundenrechte des Schuldners darstellen würde. Da auch diese mit Insolvenzeröffnung auf den Insolvenzverwalter übergegangen sind, dürften Kryptowerte so relativ unproblematisch transferier- und realisierbar sein.130) Der Regelfall dürfte insbesondere bei den meisten Privatinsolvenzen sein, dass der Schuldner seine Kryptowerte bereits vor Antragstellung in Euro umgewandelt und zur Verlustfinanzierung oder den privaten Unterhalt verwandt hat. 3. Verwertungshindernisse bei Sicherheitsabtretungen gemäß §§ 166, 173 InsO Kryptowerte können als sonstige Vermögensrechte klassifiziert werden (siehe 104 Rn. 82 ff.). Damit sind sie grundsätzlich auch tauglicher Gegenstand für Sicherungsrechte. Hierzu können grundsätzlich Vermögensgegenstände aller Art zählen, bis hin zu immateriellem Vermögen. Mitunter dienen Kryptowerte Kreditgebern als Sicherheiten für Darlehen. Doch gelten im Rahmen der Verwertung in einem Insolvenzverfahren besondere Regelungen, die zu beachten sind. Wenn Kryptowerte etwa einem Dritten zur Sicherheit übereignet oder ver- 105 pfändet wurden, kommt eine Verwertung durch den Insolvenzverwalter nicht (mehr) in Betracht. Nach dem BGH-Urteil vom 27.10.2022131) ist die Vorgehensweise in der Praxis klar, wenngleich das Urteil einiger Kritik ausgesetzt ist. Nach o. g. Urteil steht das Verwertungsrecht allein dem Sicherheitennehmer zu. Dieses Urteil gilt auch für Kryptowerte, was im Folgenden näher beleuchtet wird. Sämtliche Verwaltungs- und Verfügungsrechte über das zur Insolvenzmasse 106 gehörende Vermögen gehen nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über. ___________ 130) So im Ergebnis auch Schmittmann/Schmidt, DZWIR 2021, 652. 131) BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553; mit Anm. Ganter, NZI 2023, 74.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users

Dieser ist nach § 148 InsO verpflichtet, das Vermögen sofort in seinen unmittelbaren Besitz und Verwaltung zu nehmen. Unter Vermögen ist die Insolvenzmasse nach § 35 Abs. 1 InsO zu verstehen. Die Insolvenzmasse ist das gesamte Vermögen des Schuldners zum Eröffnungszeitpunkt. Hierzu können mitunter unbewegliche und bewegliche Sachen sowie Forderungen und sonstige Rechte und Vermögenspositionen fallen 107 Soweit eine Eigentumsübertragung nur zur Sicherheit erfolgt ist, zählt dieser Gegenstand grundsätzlich ebenfalls zur Insolvenzmasse. Dem Gläubiger steht in dem Fall jedoch ein Absonderungsrecht gemäß § 51 Nr. 1 InsO zu. Das heißt, der jeweilige Gläubiger wäre zu einer bevorzugten Befriedigung aus eben jenem Sicherungsgut berechtigt. Sollte der Gläubiger nach Verwertung noch eine Restforderung gegen den Schuldner behalten, kann er diese nur noch zur Insolvenztabelle anmelden. Allerdings führt die Verwertung nicht selten zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers. Mitunter können sogar freie Spitzen erzielt werden, die dann der Insolvenzmasse zugutekämen. Um das Vorgehen in der Verwertungspraxis und das jüngste Urteil des BGH besser zu durchleuchten, muss zunächst das System der Verwertungsvorschriften in Kürze dargestellt werden. a) Verwertung unbeweglicher Gegenstände gemäß §§ 165, 173 Abs. 1 InsO 108 Im Rahmen der Verwertung von unbeweglichen Sachen, also Grundstücken, greift allein die Regelung des § 165 InsO. Hiernach kann auch beim zuständigen Gericht die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung eines unbeweglichen Gegenstands der Insolvenzmasse betrieben werden, auch wenn an dem Gegenstand ein Absonderungsrecht besteht. 109 Mit anderen Worten: Der Insolvenzverwalter ist bei belasteten Grundstücken i. d. R. an einem freihändigen Verkauf gehindert. Er kann und sollte sich mit dem/den Berechtigten abstimmen und ggf. eine (schriftliche) Vereinbarung über Art und Weise sowie Erlösverteilung treffen. Gelingt keine Einigung, besteht nach § 173 Abs. 2 InsO noch die Möglichkeit einen sog. Verwertungsantrag beim Insolvenzgericht zu stellen, durch den der Verwalter nach Ablauf der vom Insolvenzgericht gesetzten Frist doch zur Verwertung berechtigt wird. So wird der Insolvenzverwalter auch frei bei der Verwertung von Immobilien. b) Verwertung beweglicher Gegenstände gemäß § 166 Abs. 1 InsO 110 Anders kann bei der Verwertung von beweglichen Gegenständen verfahren werden, an denen der Insolvenzverwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO ein sog. freihändiges Verwertungsrecht hat. Die Verwertung durch den Insolvenzverwalter erfolgt in der Regel durch den freihändigen Verkauf des Gegen-

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III. Verwertung

stands.132) Zu den „Sachen“ i. S. d. Vorschrift zählen grundsätzlich alle beweglichen, körperlichen Gegenstände i. S. v. § 90 BGB.133) Demgemäß scheiden Grundstücke und auch ihre Bestandteile aus; sog. Scheinbestandteile sind hingegen nach § 95 BGB bewegliche Sachen. c) Verwertung von Forderungen gemäß § 166 Abs. 2 InsO § 166 Abs. 2 InsO erstreckt das Verwertungsrecht des Verwalters auch auf For- 111 derungen, die der Schuldner zur Sicherheit abgetreten hatte, und zwar unabhängig davon, ob die Sicherungsabtretung dem Drittschuldner angezeigt worden ist oder nicht.134) Auf verpfändete Forderungen ist die Vorschrift jedoch nicht anwendbar.135) Liegen die Voraussetzungen des § 166 InsO vor, führt die Verfahrenseröffnung 112 zu einem Verwertungsstopp für die absonderungsberechtigten Gläubiger und nur der Insolvenzverwalter ist zur Verwertung der Insolvenzmasse berechtigt. d) Verwertung sonstiger Rechte? Die oben dargestellten Vorschriften befassen sich also mit unbeweglichen 113 und beweglichen Gegenständen, wie auch Forderungen. Nicht von den Vorschriften erfasst sind hingegen immaterielle Vermögensgegenstände oder auch sonstige Rechte. Hierunter können mannigfaltige Positionen fallen, wie z. B. Geschäfts- und Erbanteile, Firmenwerte, Mitgliedschaften, Marken-, Patent- oder gewerbliche Schutzrechte, aber eben auch Kryptowerte. Die InsO gibt also kein ausdrückliches Verwertungsrecht für diese Gegenstände vor. Freilich sind diese Vermögenswerte dennoch i. S. d. § 35 InsO als Insolvenzmasse anzusehen und es besteht auch grundsätzlich die Pflicht zur Verwertung. aa) Verwertung sonstiger Rechte gemäß § 166 Abs. 1 InsO analog In der Literatur gibt es eine Vielzahl von Stimmen, die sich für eine analoge 114 Anwendung des § 166 InsO auch auf andere Rechte aussprechen.136) Zur Begründung werden unterschiedliche Argumente vorgetragen.137) So erlaube § 166 Abs. 1 InsO einen Rückschuss auf die gewollte Einbindung des Sicherungsgegenstands in das Vermögen des Schuldners zum Schutz der Insol___________ 132) 133) 134) 135) 136)

Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rn. 15. Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rn. 5. BGH, Urt. v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, NZI 2002, 599. BGH, Urt. v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, NZI 2013, 596. Marotzke ZZP 109 (1996), 429, 449 f.; Häcker ZIP 2001, 995 ff.; Berger in: Festschrift Wellensiek, S. 373. 137) Siehe insbesondere Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 166 Rn. 36; KPB/Flöther, InsO, § 166 Rn. 20; Häcker ZIP 2001, 995, 996 ff.; Bitter/Alles KTS 2013, 113, 114, 142; NZI 2023, 74 Rn. 16.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users

venzmasse. Daher sei diese Berechtigung wie für bewegliche Sachen auch für sonstige Rechte heranzuziehen.138) So würde z. B. beispielsweise die Fortführung eines Unternehmens ohne die entsprechenden Immaterialgüterrechte kaum durchführbar sein. 115 Zudem folge aus dem Telos der Norm, dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht an mit Sicherungsrechten belasteten Gegenständen der Insolvenzmasse gerade deshalb zuzuweisen, um ein Auseinanderreißen des schuldnerischen Vermögens zu verhindern, sodass die gemeinsame wirtschaftliche Verwertung zusammengehöriger Gegenstände ermöglicht werden kann.139) Die Übertragung der Verwertungsbefugnis für sonstige Rechte schütze auch das Gesamtvollstreckungsverfahren vor Störungen, vor allem aber bewahre es davor, dass die gesicherten Gläubiger den Verbund des schuldnerischen Unternehmens (Anlage- und Umlaufvermögen) oder nicht unternehmerischen Schuldnervermögens zerschlagen.140) Einem Patent-, Marken- oder Urheberrecht komme zudem eine unvergleichbare ausschließliche Stellung zu. Diese Rechte zeichneten sich dadurch aus, dass sie ihrem Inhaber einen Absolutheitsanspruch gewährten, der vom Gesetzgeber begründet worden sei und nicht durch Parteivereinbarung geschaffen werden könne. Sie könnten dem Schuldner eindeutig zugeordnet werden und sind zudem auch nicht an seine Persönlichkeit gebunden. 116 Der Verwalter müsse jedenfalls immer den Fortgang der Verwertung verfolgen. Denn auch dann, wenn dem Verwalter das Verwertungsrecht nicht nach § 166 InsO zustehe, sei er trotzdem verpflichtet, die Verwertung des Sicherungsguts durch den absonderungsberechtigten Gläubiger zu überwachen. bb) Der BGH im Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21 117 Diese Stimmen der Literatur konnten den BGH allerdings nicht beeindrucken. Das Verwertungsrecht ist nunmehr zugunsten des Sicherungsgläubigers fixiert. Der BGH entschied mit Urteil vom 27.10.2022141), dass ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters von zur Sicherung abgetretener sonstiger Rechte nicht gemäß § 166 Abs. 1 InsO analog zulässig sei.142) Hierunter sind eben auch zur Sicherheit abgetretene Kryptowährungen zu subsumieren. Zur Begründung führt der BGH unterschiedliche Argumente an:

___________ 138) Bitter/Alles, KTS 2013, 113, 114, 142; Hirte in: Festschrift Fischer, S. 239; Hirte/Knof, WM 2008, 49, 54. 139) Häcker ZIP 2001, 995 ff. 140) HK-Landfermann, InsO, § 166 Rn. 5; Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rn. 3. 141) BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553; mit Anm. Ganter, NZI 2023, 74. 142) BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553; mit Anm. Ganter, NZI 2023, 74.

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III. Verwertung

Zunächst sprächen Wortlaut und Systematik der Insolvenzordnung gegen 118 eine Planwidrigkeit der Regelungslücke. So unterscheide das Gesetz an anderen Stellen ausdrücklich zwischen körperlichen Gegenständen, Forderungen und sonstigen Rechten (vgl. §§ 90, 413 BGB, §§ 829, 857 ZPO), im § 166 InsO seien die sonstigen Rechte aber bewusst nicht geregelt werden.143) Gegen ein Verwertungsrecht des Verwalters spreche zudem die Gesetzessys- 119 tematik, da die InsO die Rechte der Sicherungsgläubiger in den §§ 165 ff. InsO abschließend einschränke und das Verwertungsrecht der Sicherungsgläubiger unberührt lasse, soweit der Insolvenzverwalter nicht zur Verwertung der Sache berechtigt ist (so ausdrücklich § 173 InsO).144) Das Gesetz kenne folglich Konstellationen, in denen das Verwertungsrecht den Sicherungsgläubigern zufalle.145) Es fehle außerdem an der für eine Analogie erforderlichen hinreichend ver- 120 gleichbaren Interessenlage, weil die dem Verwertungsrecht bei beweglichen Sachen im Besitz des Insolvenzverwalters zugrunde liegende Wertung des Gesetzgebers nicht vollständig auf sonstige Rechte übertragen werden könne.146) Auch aus der Gesetzgebungsgeschichte lasse sich nicht auf eine Planwidrigkeit einer Regelungslücke schließen.147) Der Erhalt des technisch-organisatorischen Verbundes des schuldnerischen Unternehmens erfordere nicht zwingend die analoge Anwendung des § 166 InsO.148) So stehe dem Insolvenzverwalter beispielsweise auch bei mit Aussonderungsrechten belasteten Gegenständen (ein in der Praxis nicht unerheblicher Anteil des Unternehmens) kein Verwertungsrecht zu. Bei sonstigen Rechten sei die Interessenlage nicht vergleichbar mit der bei mit Absonderungsrechten belasteten Gegenständen und Forderungen, denn die Unternehmenszugehörigkeit könne dort (z. B. bei nicht verbrieften Geschäftsanteilen) anders zu beurteilen sein und müsse daher immer im Einzelfall geprüft und festgestellt werden.149) cc) Fazit Die Insolvenzverwalterpraxis hat sich nach dem BGH-Urteil vom 27.10.2022 121 zu richten.150) § 166 InsO ist folglich nicht – auch nicht analog – auf KryptoAssets anzuwenden. Die Verwertung von Krypto-Assets erfolgt somit durch den Sicherheitennehmer selbst und ist damit den Grundsätzen der Immobiliarverwertung gleichgesetzt (siehe Rn. 108 f.). ___________ 143) 144) 145) 146) 147) 148) 149) 150)

BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, Rn. 14 f., ZIP 2022, 2553. BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, Rn. 16, ZIP 2022, 2553. BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, Rn. 32, ZIP 2022, 2553. BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, Rn. 25, ZIP 2022, 2553. BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, Rn. 17, ZIP 2022, 2553. BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, Rn. 23, ZIP 2022, 2553. BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, Rn. 25, ZIP 2022, 2553. BGH, Urt. v. 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553; mit Anm. Ganter, NZI 2023, 74.

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D. Die Insolvenz des Token- bzw. Krypto-Users

122 Das Urteil findet in breiten Teilen der Literatur zwar keine Zustimmung. In den Verfahren kommt es oft auf rasches Handeln durch Profis an, um für die Gläubiger gute Ergebnisse zu erreichen. Praktisch war daher die Herleitung eines Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters nach § 166 InsO analog, denn die einheitliche Verwertung von allen belasteten Gegenständen und Forderungen der Insolvenzmasse ist zur Wahrung der Chancen einer Betriebsfortführung, einer Planlösung oder übertragenden Sanierung zusammenzuhalten.151) 123 Das fehlende Verwertungsrecht muss nun durch den Abschluss entsprechender Nutzungs- und Verwertungsvereinbarungen zwischen Verwalter und Sicherungsnehmer gelöst werden. Das ist meist zeitintensiv und konfliktbehaftet. Nicht wenige Verwertungen dürften am Disput zwischen den Protagonisten scheitern oder – manchmal recht spät – nur mäßige Ergebnisse bringen. Es kann daher nur ratsam sein, so rasch wie möglich Wertgegenstände zu identifizieren und auch zu klären, wer ggf. welche Rechte an diesen Gegenständen haben könnte. Sodann sind Gespräche mit dem Sicherungsnehmer aufzunehmen mit dem Ziel eines konzertierten Vorgehens und einer optimalen Verwertung bei angemessener Aufteilung der Erlöse.

___________ 151) Braun-Dithmar, InsO, § 166 Rn. 30.

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E. Anfechtbarkeit von Kryptotransaktionen Die Verfolgung von Anfechtungsansprüchen ist eine der Kernaufgaben eines 124 Insolvenzverwalters. Die vorgelagerte Prüfung insolvenzspezifischer Ansprüche ist meist aufwendig und zeitintensiv, da eine Vielzahl von Unterlagen gesichtet und ausgewertet werden müssen. Liegt eine Krise oder Insolvenzreife des späteren Insolvenzschuldners bereits vor Antragstellung vor und erlangen einzelne Gläubiger des Schuldners in dieser Zeit durch Sicherung oder Befriedigung eine Besserstellung bzw. eine Teil- oder Vollbefriedigung ihrer in diesem Zeitpunkt bestehenden Ansprüche, so sind diese aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin weggegebenen Vermögenswerte wieder zur Masse zu ziehen. Ziel dabei ist es nicht, die damals durch den Insolvenzschuldner befriedigten 125 Ansprüche per se in Abrede zu stellen oder dem Anfechtungsgegner einen Unredlichkeitsvorwurf zur machen, sondern im Rahmen der dann erfolgenden Neuverteilung diese Vermögensmasse an alle Gläubiger entsprechend der Maxime des Insolvenzverfahrens in quotal gleicher Weise zu verteilen. Insoweit kann der Anfechtungsgegner, der seine Rückzahlungsverpflichtung erfüllt, mit seiner wiederauflebenden Forderung gegen die Insolvenzschuldnerin als Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren teilnehmen und die sich ergebende Quote verlangen. Anfechtungstatbestände, welche ggf. durch Kryptotransaktionen verwirklicht 126 wurden, stellen eine besondere Herausforderung dar, weil die Abläufe mitunter technisch anspruchsvoll waren und in der Rückschau nicht ohne Weiteres erkannt und gewertet werden können. Historisches und aktuelles Kryptovermögen des Insolvenzschuldners muss zunächst ermittelt werden. Soweit der Schuldner noch vor Anordnung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen Kryptowerte transferiert hat, sind diese in der Regel nicht mehr rückführbar. Meist ist schon der Empfänger unbekannt. I. Transaktionen als Rechtshandlung i. S. v. § 129 InsO Transaktionen mit Kryptowährungen können grundsätzlich Rechtshandlun- 127 gen gemäß § 129 InsO darstellen. Der Begriff der Rechtshandlung wird von der ständigen Rechtsprechung und Literatur weit ausgelegt. Rechtshandlung ist danach jedes von einem Willen getragene Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann.152) Dabei ist der Begriff der Rechtshandlung nicht mit dem bereicherungsrechtlichen Leistungsbegriff gleichzusetzen, sondern so zu verstehen, dass jedes Verhalten, das eine rechtliche Wirkung auslöst, erfasst sein soll.153) ___________ 152) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 86. 153) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 129 Rn. 87.

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E. Anfechtbarkeit von Kryptotransaktionen

128 Transaktionen von Kryptowährungen sind solche Rechtshandlungen. Der Schuldner kann über Kryptowährungen, welche einem Public Key zugeordnet sind, mittels einem ihm bekannten Private Key Verfügungen durchführen. Kryptowährungen stellen einen handelbaren Wert dar und stellen einen Teil der Insolvenzmasse dar (siehe Rn. 84) Durch die technische Durchführung der Transaktion werden die Werte einem anderen Public Key zugeschrieben, zu welchem der Schuldner dann nicht zwangsläufig auch den Private Key kennt. Das heißt aber auch, dass der Schuldner und auch der Insolvenzverwalter über die Werte nicht länger verfügen können, sie also der Insolvenzmasse entzogen sind. Dieser Entzug dürfte ich den meisten Fällen ein Nachteil für die Insolvenzgläubiger sein. Ob also Transaktionen mittels Kryptowährungen ggf. insolvenzspezifische Anfechtungsansprüche verwirklicht haben und diese Anfechtungen von dem Insolvenzverwalter durchzusetzen wären, ist damit Gegenstand insolvenzrechtlicher Überprüfungen. 1. Mögliche Anfechtungstatbestände 129 Anfechtungstatbestände reichen nie unbegrenzt in die Historie zurück. Das heißt, auch wenn eine Rechtshandlung dazu geeignet wäre, die Insolvenzmasse in illegitimer Weise zu schädigen, so kommt doch immer auch eine zeitliche Komponente hinzu, also ein anfechtungsrelevanter Zeitraum. Bei den Anfechtungstatbeständen nach §§ 130 und 131 InsO sind z. B. die ersten drei Monate vor Antragstellung oder danach entscheidend. Bei § 134 InsO sind es mithin vier Jahre vor Antragstellung oder danach. Nach § 133 InsO sind unter gewissen Voraussetzungen auch Rechtshandlungen, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen hat, anfechtbar. Nachfolgend soll auf einzelne Anfechtungstatbestände, welche vermutlich eine relevante Bedeutung im Rahmen von Kryptotransaktionen einnehmen könnten, näher eingegangen werden. a) Inkongruenzanfechtung gemäß § 131 Abs. 1 InsO 130 Die Prüfung der Insolvenzanfechtung beginnt i. d. R. mit der Anfechtung „inkongruenter“ Rechtshandlungen. Gemäß § 131 Abs. 1 InsO sind Befriedigungsleistungen anfechtbar, die im Zeitraum bis zu drei Monaten vor Antragstellung oder danach erfolgen und nicht, nicht zu der Zeit oder nicht in der Art vom Leistungsempfänger zu beanspruchen sind. Nicht in der Art hat ein Gläubiger Befriedigung zu beanspruchen, wenn ihm anstelle dessen, was er zu fordern hat, etwas anderes gewährt wird. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn eine Sache an Erfüllung statt oder erfüllungshalber gegeben wird.154)

___________ 154) BGH, Urt. v. 19.12.2013 – IX ZR 127/11, Rn. 18, NJW 2014, 1239, 1240; UhlenbruckBorries/Hirte, InsO, § 131 Rn. 6.

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I. Transaktionen als Rechtshandlung i. S. v. § 129 InsO

In dem Zeitraum von einem Monat vor Antragstellung oder danach sind keine 131 weiteren Voraussetzungen erforderlich (Nr. 1). Erfolgen die Leistungen im zweiten bis dritten Monat vor Antragstellung ist hingegen erforderlich, dass der Schuldner bereits zahlungsunfähig ist (Nr. 2) oder der Empfänger um die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Leistung weiß (Nr. 3). Die zwangsweise Durchsetzung von Ansprüchen in der Krise stellt kein zu- 132 lässiges Mittel dar. Die so erhaltenen Zahlungen sind vom Gläubiger nicht zu beanspruchen.155) § 131 InsO ersetzt also während der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag und der Zeit nach dem Antrag den Grundsatz des Vorrangs des schnelleren Gläubigers (Prioritätsprinzip), der in der Einzelzwangsvollstreckung nach § 804 Abs. 2 ZPO gilt, durch den Grundsatz der Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger.156) Dieser Grundsatz ist auch dann anzuwenden, wenn ein Gläubiger Krypto- 133 währungen durch inkongruente Leistungserbringung erhalten hat. Kryptowährungen wären ansonsten Teil der Insolvenzmasse des Schuldners geworden (siehe Rn. 82 ff.). Im Rahmen von § 131 Abs. 1 InsO ist die Inkongruenz vor allem in Fällen denkbar, in denen ein Gläubiger die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betrieben hat. In der Literatur und in der Rechtsprechung sind bereits Fälle bekannt, in denen wirksam Vollstreckungstitel auf Herausgabe von Kryptowährungen erlassen wurden.157) Wie die Zwangsvollstreckung erfolgt, also ob sie nach § 887 ZPO als vertretbare Handlung oder nach § 888 ZPO als unvertretbare Handlung erfolgt, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.158) Entscheidend bleibt jedoch, dass die Zwangsvollstreckung möglich ist und damit ist auch die Möglichkeit inkongruenter Vermögensverschiebungen von Kryptowährungen grundsätzlich eröffnet. Inkongruent sind auch solche Leistungen, die der Schuldner nur deshalb vor- 134 nimmt, da der Gläubiger einen nicht unerheblichen Vollstreckungsdruck aufbaut.159) Beispiel: Gläubiger X hat einen Vollstreckungstitel gegen den Schuldner Y erwirkt. Dieser Vollstreckungstitel ist nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist bestandskräftig geworden. Der vollstreckbare Inhalt lautet auf die vertraglich geschuldete Herausgabe von 10 BTC. Gläubiger X fordert nunmehr Schuldner Y letztmalig zur Heraus___________ 155) 156) 157) 158)

BGH, Urt. v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, Rn. 6, NJW 2010, 444. Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 131 Rn. 26. Bachert, CR 2021, 356; Bachert, CR 2022, 332. Pro vertretbare Handlung i. S. v. § 887 ZPO: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.1.2021 – 7 W 44/20, BKR 2021, 514; LG Heilbronn, Beschl. v. 3.3.2021 – Sa 8 O 368/20, BeckRS 2021, 39668; Pro unvertretbare Handlung i. S. v. § 887 ZPO: LG Berlin, Urt. v. 7.4.2021 – 66 O 20/21, BeckRS 2021, 44121. 159) BGH, Urt. v. 28.2.2008 – IX ZR 213/06, NJW-RR 2008, 919; Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 131 Rn. 63.

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E. Anfechtbarkeit von Kryptotransaktionen

gabe der 10 BTC auf, ansonsten werde er unverzüglich Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einleiten. Schuldner Y transferiert daraufhin 10 BTC, um gerade diese Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings schon zahlungsunfähig i. S. v. § 17 InsO. Drei Wochen nach der Transaktion stellt der Schuldner Y einen Insolvenzeröffnungsantrag bei dem zuständigen Insolvenzgericht. Lösung: Die Transaktion ist anfechtbar nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO. Der Gläubiger X hat die 10 BTC nach erfolgter Anfechtung durch den Insolvenzverwalters an ihn zur Masse zurückzugewähren, § 143 Abs. 1 InsO. Im Zeitpunkt der Transaktion war Schuldner Y zahlungsunfähig. Die Transaktion stellt eine Rechtshandlung i. S. v. § 129 InsO dar und erfolgte auch innerhalb eines Monats vor Antragstellung, mithin innerhalb des Zeitraums von § 131 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO. Gläubiger X hatte die Transaktion auch nicht in dieser Art zu beanspruchen (Inkongruenz). Zwar hatte Schuldner Y ursprünglich die Herausgabeverpflichtung gegenüber Gläubiger X zu erfüllen, er schuldete die Transaktion. Allerdings leistet Schuldner Y lediglich um die Zwangsvollstreckung zu verhindern. Es handelt sich also aus Sicht des Schuldners Y um eine sog. Druckzahlung. Bei derartigen Druckzahlungen gilt nach ständiger Rechtsprechung nichts anderes, als wenn die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird. 135 Erhält also ein Gläubiger inkongruente Leistungen durch den Schuldner kurz vor Antragstellung, also innerhalb des drei-Monats-Zeitraums von § 131 InsO, so wäre die Transaktion grundsätzlich anfechtbar. b) Kongruenzanfechtung gemäß 130 Abs. 1 InsO 136 Nach der Prüfung von § 131 InsO schließt sich die Prüfung „kongruenter“ Rechtshandlungen i. S. d. § 130 Abs. 1 InsO an, welche ebenfalls Rechtshandlungen des Schuldners voraussetzen. Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO sind Befriedigungsleistungen anfechtbar, die im Zeitraum bis zu drei Monaten vor Antragstellung oder danach erfolgen und wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte. Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO sind Befriedigungsleistungen anfechtbar, die nach Antragstellung erfolgen und wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. 137 Kongruenz i. S. d § 130 InsO liegt vor, wenn ein Insolvenzgläubiger genau das erhalten hat, was er auch zu beanspruchen hatte.160) Ein Gläubiger, der eine vertraglich geschuldete Leistung so erhalten hat, wie es ursprünglich vereinbart war, darf auch in der Insolvenz seines Vertragspartners darauf vertrauen, ___________ 160) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 130 Rn. 5.

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I. Transaktionen als Rechtshandlung i. S. v. § 129 InsO

dass er die ihm zustehenden Leistungen behalten darf.161) Dieses Vertrauen verdient nur dann keinen Schutz, wenn er Kenntnis von der Krise hatte.162) Kongruente Deckungen sind daher nur anfechtbar, wenn ein Insolvenzgläubiger solche Deckungen nach Zahlungsunfähigkeit oder nach Stellung des Insolvenzantrags erhalten hat und wenn ihm zu der Zeit, als die Handlung erfolgte, Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnungsantrag bekannt waren.163) Auch hier sind Fallkonstellationen ohne Weiteres denkbar.

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Beispiel: Schuldner Y schuldet Gläubiger X insgesamt 10 BTC aus einem schuldrechtlichen Vertrag, etwa Kauf. Schuldner Y hat jedoch seit geraumer Zeit erhebliche Zahlungsschwierigkeiten. Er befindet sich in wirtschaftlicher Schieflage und kann bereits seine anderen fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr kurzfristig (jedenfalls nicht innerhalb von drei Wochen) begleichen. Dies teilt er dem Gläubiger X in einem gemeinsamen Besprechungstermin auch genauso mit. In Kenntnis der Krise des Schuldners Y besteht Gläubiger X indes auf der Transaktion der 10 BTC, welche Schuldner Y kurz nach dem Gespräch auch durchführt. Sechs Wochen später beantragt Schuldner Y das Insolvenzeröffnungsverfahren. Lösung: Die Transaktion ist anfechtbar nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Der Gläubiger X hat die 10 BTC nach erfolgter Anfechtung durch den Insolvenzverwalter zur Masse zurückzugewähren, § 143 Abs. 1 InsO. Im Zeitpunkt der Transaktion war Schuldner Y zahlungsunfähig. Die Transaktion stellt eine Rechtshandlung i. S. v. § 129 InsO dar und erfolgte auch innerhalb der drei Monate vor Antragstellung, mithin innerhalb des Zeitraums von § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Gläubiger X hatte die Transaktion zwar in dieser Art zu beanspruchen (Kongruenz). Allerdings hatte er bereits Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Y, welche ihm mitgeteilt wurde. Er durfte daher nicht darauf vertrauen, dass er die so erhaltene Leistung behalten durfte. Die praktische Beweisbarkeit der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit ist an- 139 spruchsvoll und gelingt mitunter nicht. Sollten keine objektiven Anhaltspunkte für das Vorliegen der Kenntnis bestehen, wird es an der Durchsetzbarkeit der Kongruenzanfechtung mangeln. Oftmals sind Schuldner geradezu versucht, die eigene Zahlungsunfähigkeit nicht publik zu machen; zum Teil aus Scham, zum Teil auch, da dieser Umstand schlicht verdrängt wird. Sollten jedoch Anhaltspunkte vorliegen oder der Schuldner seine Gläubiger 140 aktiv auf die bestehende Zahlungsunfähigkeit hingewiesen haben, so ist die Anfechtung nach § 130 InsO zumindest näher in Betracht zu ziehen. Nicht ___________ 161) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 130 Rn. 5. 162) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 130 Rn. 5. 163) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 130 Rn. 5.

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E. Anfechtbarkeit von Kryptotransaktionen

auszuschließen ist, dass der unkundige Gläubiger seine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit sogar bei Antwort auf ein Anfechtungsschreiben des Insolvenzverwalters oder im Gespräch selbst preisgibt. 141 In jedem Fall sei auf die Beweiserleichterung des § 130 Abs. 3 hingewiesen, welche eine (widerlegbare) Kenntnisfiktion bei Personen normiert, die dem Schuldner zum Zeitpunkt der Rechtshandlung i. S. v. § 138 InsO nahestand.164) c) Weitere Anfechtungsansprüche denkbar 142 Es sind weitere Anfechtungsansprüche denkbar. Insbesondere bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung i. S. v. § 133 InsO oder bei unentgeltlichen Leistungen i. S. v. § 134 InsO könnten sich Konstellationen zeigen, in welchen Transaktionen mit Kryptowährungen anfechtbare Rechtshandlungen darstellen. Nach § 133 InsO ist jedenfalls eine Rechtshandlung in einem Zeitraum von zehn Jahren anfechtbar, „die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte“. Die Vorschrift ist Gegenstand umfangreicher Rechtsprechung und zahlreicher Kommentierungen. Die für die Anfechtung notwendige Kenntnis wird jedenfalls vermutet, „wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte“. Innerhalb einer Frist von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners gemäß § 134 InsO anfechtbar. Die Praxis wird Konstellationen zeigen; eine tiefergehende Auseinandersetzung folgt. 2. Rechtsfolge gemäß § 143 InsO 143 Bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen sind die Kryptowährungen u. U. vom Anfechtungsgegner zurückzugewähren, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO. Wenn der Insolvenzverwalter wieder über die Werte verfügen kann, kann er die Verwertung der Kryptowährungen einleiten (siehe Rn. 90 ff.). Alternativ kann auch aufgrund des Rechtsfolgenverweises in § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO auf das „Bereicherungsrecht“ Wertersatz verlangt werden, also eine Erstattung in $ oder €, was zumindest aus Sicht der Masse vorteilhaft ist.165) Der Zeitpunkt für die Bestimmung des zu ersetzenden Wertes bestimmt sich nach dem Wert, den der Gegenstand zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz gehabt hätte, wenn er im Besitz des Schuldners verblieben wäre. Genau das wäre der tatsächliche Wert, den er bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter gehabt hätte.166) ___________ 164) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 130 Rn. 112. 165) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 143 Rn. 26. 166) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 143 Rn. 40.

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II. Ermittlungstechnik

Der Einwand „ich habe doch nichts mehr“ greift nicht. Denn ein Berufen auf 144 Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB ist durch die Gleichstellung mit einem bösgläubigen Bereicherungsschuldner ausgeschlossen.167) II. Ermittlungstechnik In der Praxis ist es durchaus schwierig, zeitintensiv und aufwendig, Anfech- 145 tungsansprüche aufzuspüren und herauszuarbeiten. Das ist indes die Aufgabe des sorgsamen Insolvenzverwalters. Besagte anfechtungsrelevante Sachverhalte können unterschiedlich ermittelt werden. Erster Ansprechpartner und Informant ist naturgemäß der Schuldner, welcher über die normierten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gehalten ist, den Insolvenzverwalter umfassend zu informieren und auch bei der Aufdeckung insolvenzspezifischer Ansprüche zu unterstützen. Vorausgesetzt wird im Folgenden, dass der Schuldner mindestens die Existenz eines Public Keys preisgegeben und diesen auch genannt hat. Der Schuldner erklärt dann entweder, dass er Transaktionen an Dritte getätigt hat und zusätzlich, welche Hintergründe zu den Transaktionen vorlagen (Kongruenz vs. Inkongruenz). Die Sachverhalte müssen in jedem Fall nachvollziehbar sein. Mittels sog. „Blockchain-Explorer“ lassen sich Aussagen des Schuldners über- 146 prüfen (siehe Rn. 25). Transaktionseingänge- und -ausgänge werden bekanntlich auf der öffentlich einsehbaren Blockchain verzeichnet. Die Blockchain ist (siehe hierzu Rn. 10 f.) wie ein öffentlich einsehbares digitales Kontenbuch. Dort wird die Transaktionshistorie sichtbar. Das heißt, für jedermann ist nicht nur sichtbar, welche Werte einem bestimmten Public Key aktuell zugeordnet sind und auch, welche diesem zugeordnet ehemals waren. Sichtbar ist auch, wann die Werte an welche anderen Public Keys transferiert wurden. Was im Vergleich zu einem Bankkonto hingegen nicht einsehbar ist, ist ein Verwendungszweck. Insoweit bleibt ohne die Mitwirkung des Schuldners unklar, welche Hintergründe zu der Zahlung bestanden. Ein weiteres Schwerpunktproblem dürfte regelmäßig die Identität des An- 147 fechtungsgegners sein. Aufgrund der DLT-Technik und der Pseudonymität des Blockchain-Systems bleibt der Empfänger i. d. R. unerkannt. Die Nutzung der Blockchain-Explorer offenbaren noch nicht die Identität der jeweiligen Empfänger. Ohne die Mitwirkung des Schuldners ist die Aufdeckung der Identität des Transaktionsempfängers daher erheblich erschwert, aber nicht ganz unmöglich. Es zeigen sich bereits erste kommerzielle Anbieter, die die Daten und Informationen über Teilnehmer im DLT-System sammeln, um die Transparenz zu fördern. Es werden Tools angeboten, mit welchen eine Nachver-

___________ 167) Uhlenbruck-Borries/Hirte, InsO, § 143 Rn. 27.

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E. Anfechtbarkeit von Kryptotransaktionen

folgung der Werte möglich ist.168) So lassen sich mittels dieser Tools die Kryptowerte nachverfolgen. 148 Möglich ist es auch, dass ein externer Dritter vom Insolvenzverwalter beauftragt wird, für die Masse aktiv zu werden und zu recherchieren. Die Tätigkeiten sind technisch versiert und erfordern detektivisches Geschick. Der Einsatz technisch versierter und kryptokundiger Experten hat bereits manche Vermögensgegenstände zutage gebracht, die sodann vom Insolvenzverwalter erfolgreich via Anfechtung zur Masse gezogen werden konnten. Es ist zu erwarten, dass sich hier langfristig ein Markt bilden wird, da nicht selten auch Opfer von Betrugsstraftaten, ihre ggf. erbeuteten Kryptowährungen nachverfolgen lassen (siehe ausführlich Rn. 268 ff.).

___________ 168) Exemplarisch z. B. das Tool „Reactor“ vom Anbieter Chainalysis Inc.; siehe https:// www.chainalysis.com/chainalysis-reactor/ [17.5.2023].

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger Finanzmärkte stehen unter Druck und auch Kryptoverwahrer sind bereits in 149 finanzielle Schieflage geraten. Kunden verlangen mitunter bei Insolvenz ihres Kryptoverwahrers die Ab- oder Aussonderung ihrer Werte. Jedoch dürften aufgrund fehlender Bestimmtheit und Bestimmbarkeit des oder der Kryptowerte(s) in der Regel keine Ab- oder Aussonderungsrechte greifen, jedenfalls, wenn nicht eine fremdnützige Treuhand besteht.169) Dieser Teil behandelt die möglichen Vorrechte des Kunden in der Insolvenz 150 des Kryptoverwahrers und beleuchtet die Rechtslage. Die aktuell in Deutschland bestehenden rechtlichen Unsicherheiten in der Insolvenz des Kryptoverwahrers und vor allem die Frage, ob verwahrte Token aussonderungsfähige Rechtsgüter sind, sollten i. S. d. MiCA-VO-E vom deutschen Gesetzgeber gesetzlich geregelt werden.170) I. Marktanalyse und Bestandsaufnahme Kryptowerte sind inzwischen regelmäßig Thema in der Geschäftswelt und 151 unbestritten eine „neue Anlage- und Tradingklasse“. Gleichsam sind sie fester Bestandteil des Finanzmarktes. Im Insolvenzverfahren des Krypto-Users, u. a. des Anlegers oder Investors, sind in der Literatur bereits Problemschwerpunkte fixiert und Lösungsansätze entwickelt worden.171) In der Praxis mehren sich zudem Fälle, in denen Kryptowerte bzw. Kryptowährungen als Vermögensgegenstände bestätigt, als Insolvenzmasse erkannt, gesichert und letztlich auch verwertet werden können. Auf internationaler Ebene existieren zwar Bestrebungen, umfassende Melde- 152 pflichten für Unternehmer zwecks Informationsaustausches der Finanzverwaltung (genannt CARF – Crypto-Asset Reporting Framework) zu installieren. Die europäische Kommission legte mit einem Verordnungsentwurf zur Regulierung der Märkte für Kryptowerte (MiCA-VO-E172)) ebenfalls einen wichtigen gesetzgeberischen Grundstein für eine länderübergreifende Regulierung des Kryptomarktes. Aufgrund von Übersetzungs- und Abstimmungsschwierigkeiten wurde die erste Lesung im europäischen Parlament auf April 2023 verschoben. Das Europäische Parlament hat die MiCA-VO am 20.4.2023 ___________ 169) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 2214, 2222. 170) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 2214, 2222. 171) Siehe u. a. Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101; d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 6; Thien, ErbR 2022, 771, 775; Schröder/Triantafyllakis, BKR 2023, 12; Hageböke/ Springer, 2022, 1311. 172) Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0593 [17.5.2023]; Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates „on Markets in Crypto-assets, and amending Directive“ (EU) 2019/1937.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

verabschiedet. Die Verordnung soll in Kürze in Kraft treten173). Der aktuelle Stand des europäischen Gesetzgebungsverfahrens, lässt sich im Internet nachverfolgen.174) Der vorerst finale Entwurf ist ebenfalls online gestellt.175) 153 Der deutsche Gesetzgeber hat bislang jedoch nur zögerlich reagiert. Die bisher größten Errungenschaften sind die Legaldefinitionen von Kryptowerten (§ 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 10 KWG i. V. m. Satz 4 KWG.) sowie die Regulierung des Kryptoverwahrgeschäfts in § 1 Abs. 1a Nr. 6 KWG (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 6 KWG). Darüber hinaus bestehen keine neuen Gesetzesgrundlagen, die den Kryptowährungsmarkt in Deutschland regulieren. 154 In der Praxis verwahrt der Inhaber seine Kryptowerte meistens nicht selbst, sei es, weil er die Zeit für Verwaltung und Sicherung nicht aufwenden will oder kann, sei es, weil er (noch) nicht das entsprechende technische Knowhow hat. Daher werden Token und Schlüsselpaar überwiegend von einem Dritten verwahrt. Dieser Dritte wird auch „Walletanbieter“ oder „Kryptoverwahrer“ genannt. Die Kryptoverwahrung ist eine nach dem KWG erlaubnispflichtige Dienstleistung.176) Das Zulassungsverfahren begrenzt die Anzahl der Unternehmen, allerdings zeigen sich Finanzmitteldienstleister mit anhaltend steigender Tendenz auf dem Kryptomarkt. Allein auf der Vergleichsseite https://www.coinmarketcap.com sind aktuell 270 internationale Kryptobörsen gelistet.177) Mit Sitz in Deutschland existieren aktuell über 16 namhafte Kryptoanbieter, die den Erwerb, die Verwahrung und den Handel von und mit Kryptowährungen ermöglichen.178) Der Konkurrenzdruck ist hoch und wird voraussichtlich weiter anwachsen. Die jüngsten Krisen (Ukraine, Energie usw.) werden alternative Assetklassen und „Ersatzwährungen“ weiter befeuern. 155 Die Werte sind volatil und die Märkte stehen unter Druck. Der Wettbewerb ist intensiv und es ist daher nicht verwunderlich, dass bereits Kryptoverwahrer in finanzielle Schieflage geraten sind. So ist z. B. am 17.12.2021 die im australischen Melbourne ansässige Kryptobörse „My Crypto Wallet“ zusammengebrochen. Der Handel mit Kryptowährungen über die eigene Internet___________ 173) Die MiCA-VO wird am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten, vgl. Art. 126 Abs. 1 MiCA-VO. Geltung erlangt die VO erst nach weiteren 18 Monaten, vgl. Art. 126 Abs. 2 MiCA-VO, mit Ausnahme der Bestimmungen über E-Geld-Token und wertreferenzierte Token, die bereits ab dem Tag des Inkrafttretens der Verordnung gelten sollen. 174) Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/HIS/?uri=CELEX:52020PC0593 [17.5.2023]. 175) Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0593 [17.5.2023]. 176) Es wird eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG benötigt. 177) Siehe https://coinmarketcap.com/de/rankings/exchanges/ [17.5.2023]. 178) U. a. bitcoin.de, BISON, BSDEX, Coinbase, Nuri, NAGA, Tangany, Coindex, Upvest, Finoa, Blocksize Capital, Scalable Capital, Trade Republic, JustTrade, finanzen.net zero und Bitbond.

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I. Marktanalyse und Bestandsaufnahme

plattform musste seinerzeit eingestellt werden.179) Auch der Anbieter Coinbase hatte mit einer Erklärung im Quartalsbericht 2022 Aufsehen erregt: „Die Kryptoassets, die wir für unsere Kunden verwahren, könnten Teil eines Konkursverfahrens werden“, so CEO Brian Armstrong.180) Der Coinbase-Konzern verwaltete noch im Frühjahr 2023 insgesamt rund 156 256 Mrd. US-Dollar Kundenvermögen in Fiat- und Kryptowährungen und hatte ebenfalls einen Geschäftssitz in Deutschland, Berlin.181) Im Juli 2022 hatte der US-Anbieter Celsius die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft beantragt. Da das deutsche FinTech-Unternehmen und Kryptoverwahrer Nuri (vormals Bitwala) eng mit Celsius kooperierte, geriet auch die Nuri GmbH in finanzielle Schwierigkeiten. Auf den Insolvenzeröffnungsantrag der Geschäftsführung vom 9.8.2022 beschloss das zuständige Amtsgericht zunächst Sicherungsmaßnahmen und bestellte einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Da im Vorverfahren kein Käufer für den insolventen Kryptoverwahrer Nuri gefunden werden konnte, der eine Rücknahme des Insolvenzantrags hätte veranlassen können, wurde mit Beschluss vom 1.11.2022 das Insolvenzverfahren eröffnet, Insolvenzgericht ist das Amtsgericht Berlin Charlottenburg (Az.: 36n IN 4212/22). Die Masse war im Verfahren schwach, die Masseverbindlichkeiten waren hoch; jedenfalls musste der Insolvenzverwalter bereits kurz nach Eröffnung am 2.11.2022 Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht anzeigen, § 208 Abs. 1 InsO. International medienwirksam ist vor allem der Fall um die Kryptobörse FTX 157 geworden. Das Verhalten des Geschäftsführers Sam Bankman-Fried tat ein Übriges. Am 11.11.2022 beantragte dieser die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der FTX. Noch kurz vor Antragstellung hatten einige Kunden aufgrund von Gerüchten von einer wirtschaftlichen Schieflage Kryptowerte bei FTX abgezogen. Tatsächlich lassen die bekannt gewordenen Ermittlungen amerikanischer Ermittlungsbehörden vermuten, dass erhebliche Gelder veruntreut worden sein könnten. Die Sachverhalte werden weiter von den Behörden aufzuklären sein. Der Geschäftsführer Sam Bankman-Fried sieht sich dem Vorwurf des Betrugs und der Veruntreuung ausgesetzt und wurde am 13.12.2022 auf den Bahamas verhaftet. Nach einer Kautionsleistung i. H. v. 250 Mio. Dollar kam er zwar wieder frei, allerdings unter strengen Aufsichtsregeln. Der Strafprozess gegen Sam Bankman-Fried soll am

___________ 179) Siehe https://www.blocktrainer.de/kryptoborse-insolvent-totalverlust/ [17.5.2023]. 180) Siehe https://fortune.com/crypto/2022/05/11/coinbase-bankruptcy-crypto-assets-safeprivate-key-earnings-stock/ [17.5.2023] und https://www.finanzen.ch/nachrichten/ devisen/warnung-vor-totalverlust-bei-coinbase-insolvenz-koennten-nutzer-gesamteskrypto-vermoegen-verlieren-1031474794 [17.5.2023]. 181) Siehe https://cryptomonday.de/news/2022/05/11/coinbase-256-mrd-usd-an-kundenvermogen-in-wallets-konnen-im-konkursverfahren-verwendet-werden/ [17.5.2023].

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

2.10.2023 im US-Bundesstaat New York beginnen.182) Derweil sind Anwälte und Restrukturierungsspezialisten dabei, die Strukturen zu durchleuchten. Sie suchen u. a. nach Vermögenswerten, um die geschätzt eine Million Gläubiger zum Teil zu entschädigen. Das Ausmaß des wirtschaftlichen Schadens kann zwar noch nicht gänzlich überblickt werden, aber nach Angaben von FTX werden allein den 50 größten Gläubigern rund 3,1 Mrd. Dollar geschuldet.183) Der Ausgang des Insolvenzverfahrens bleibt abzuwarten. 158 Immer wieder „predigen“ erfahrene Kryptoanleger: „Lass deine Coins nicht auf einer Börse liegen.“ „Not your Keys, not your Coins“ ist in der Kryptoszene ein bekannter Slogan. Dennoch haben viele Krypto-User keine Ambitionen oder auch keine Kompetenz, ihre Kryptowerte anbieterunabhängig zu halten und ihre Coins im Wege einer „Self-Custodian-Wallet“ zu sichern (siehe Rn. 30). Dies mag u. a. daran liegen, dass die Leistungen des Kryptoverwahrers für die meisten User vollkommen ausreichend und auch vertrauenswürdig erscheinen. Die Konsequenzen unterlassenen eigenen Engagements können hingegen weitreichend und unüberschaubar sein. 159 Tokeninhaber können sich bei einer eintretenden Insolvenz eines Kryptoverwahrers mit erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Unsicherheiten ausgesetzt sehen. Es stellt sich nämlich gemeinhin die Frage, wie mit Kryptowerten in der Insolvenz des Kryptoverwahrers zu verfahren ist, vor allem, ob verwahrte Token für den Kunden aussonderungsfähig sind. Dabei wird vorausgesetzt, dass das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet und damit auch das deutsche materielle Insolvenzrecht einschlägig ist (siehe Rn. 70 ff.). 160 Zunächst lohnt ein Blick auf die aktuelle Rechtslage in Deutschland. Fraglich ist ob die Rechtslage ausreichend ist oder ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Ebenfalls lohnenswert ist auch eine Untersuchung, welche internationalen Lösungsansätze bereits bestehen oder in Planung sind. II. Rechtslage in Deutschland 161 In der Literatur besteht insoweit Klarheit, dass in der Insolvenz des Users Kryptowerte und -währungen Teil der Insolvenzmasse gemäß § 35 InsO darstellen.184) Sollte also eine juristische oder natürliche Person, Kryptowerte gekauft haben und halten, stellen diese, insbesondere Currency-Token, wie z. B. Bitcoin oder Ether u. a., verwertbares Vermögen dieser Person dar (siehe Rn. 82 ff.). Dieses schuldnerische Vermögen ist vom Insolvenzverwalter zu sichern und zu verwerten (siehe Rn. 90 ff.). Ob die Token in einer anbieter___________ 182) Siehe https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/sam-bankman-fried-pleitekryptoboerse-ftx-gruender-plaediert-auf-nicht-schuldig-a-ba04632f-74fb-456f-b851232103fd4672 [17.5.2023]. 183) Siehe https://www.handelsblatt.com/technik/cybersecurity/kryptoboerse-insolvent-wasvom-ftx-imperium-uebrig-bleibt/28825764.html [17.5.2023]. 184) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 6; BeckOK-Kirchner, InsR, § 35 InsO Rn. 37a; Peters in: MünchKomm-InsO, § 35 Rn. 407.

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III. Keine Absonderung gemäß §§ 49 ff. InsO

unabhängigen Wallet gehalten oder von einem Dritten verwahrt werden, ändert diese Betrachtungsweise nicht. Die Kryptoverwahrung ist eine nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG erlaubnispflichtige 162 Finanzdienstleistung gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 6 KWG. Hierunter versteht der deutsche Gesetzgeber die Verwahrung, die Verwaltung und die Sicherung von Kryptowerten. Erfasst ist auch die Verwahrung der privaten kryptografischen Schlüssel, die dazu dienen, über Kryptowerte zu verfügen. Fraglich ist und bleibt jedoch, ob die Kunden eines Kryptoverwahrers, aus den verwahrten Token Sicherungsrechte ableiten können oder die Ansprüche im Fall der Insolvenz im Rang einer „einfachen“ Insolvenzforderung liegen. In aller Regel wird der Kunde eines insolventen Kryptoverwahrers die Herausgabe seiner Kryptowerte wünschen, d. h. die Transferierung auf eine andere Blockchainadresse.185) Dort will er weiter über sie verfügen. Die potenziellen Rechte des Kunden sind wie folgt zu strukturieren: III. Keine Absonderung gemäß §§ 49 ff. InsO Sollte das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Kryptoverwahrers er- 163 öffnet werden, kämen zunächst Absonderungsrechte des Kunden in Betracht gemäß §§ 49 ff. InsO. Eine abgesonderte Befriedigung kann allerdings nur dann gefordert werden, wenn Rechte aus einem Gegenstand gefordert werden, welcher grundsätzlich als massezugehörig angesehen werden kann.186) Massezugehörig sind Gegenstände, welche dem schuldnerischen Betrieb oder dem Schuldner haftungsrechtlich zuzuordnen sind, § 35 InsO. Entscheidend ist also, für wessen Verbindlichkeiten der betreffende Gegenstand haftet. Haftet der Gegenstand nicht für die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, ist er massefremd. Soweit ein Gegenstand massefremd ist, kann dieser nicht abgesondert, sondern ausgesondert werden.187) Beide Instrumente schließen sich also gegenseitig aus. Bei Kryptowerten, die von einem Kryptoverwahrer „verwahrt“ werden, haf- 164 ten diese praktisch nie für Verbindlichkeiten des Kryptoverwahrers, also einen Dritten. Dass die von dem User erworbenen Kryptowerte für Verbindlichkeiten des Kryptoverwahrers haften, ist weder vereinbart noch gewollt. Im Gegenteil, die Kryptowerte sollen gerade als Investitions- und/oder Tauschmittel des Kunden fungieren. Absonderungsrechte nach §§ 49 ff. InsO kommen daher nicht in Betracht.

___________ 185) Diese andere Blockchainadresse kann sowohl bei einem anderen Kryptoverwahrer erstellt werden, als auch anbieterunabhängig sein. 186) K. Schmidt-Thole, InsO, § 47 InsO Rn. 1; Ganter in: MünchKomm-InsO, Vor § 49 Rn. 3. 187) Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 9.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

IV. Keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO 165 Da Absonderungsrechte nicht greifen, mag noch überlegt werden, ob ggf. ein Herausgabeanspruch von Kryptowerten als sog. Masseverbindlichkeit gewertet werden könnte. Neben den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 53, 54 InsO) bestimmt sich die Entstehung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO entstehen Masseverbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Regelmäßig betrifft dies derartige Vertragsverpflichtungen, bei denen der Insolvenzverwalter sein Erfüllungswahlrecht gemäß § 103 InsO positiv ausgeübt hat.188) 166 Fraglich ist jedoch bereits, ob der Insolvenzverwalter für den Vertrag zwischen Kunden und Kryptoverwahrer überhaupt ein Wahlrecht gemäß § 103 InsO ausüben kann oder ob das Wahlrecht nicht über §§ 115, 116 InsO als lex specialis verdrängt wird.189) In diesem Fall stünde dem Insolvenzverwalter dann kein Wahlrecht zu. Die Entstehung eines Herausgabeanspruchs als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO käme von vornherein nicht in Betracht. 167 Um dies beantworten zu können, muss zunächst der Vertragstyp des Kryptoverwahrvertrags verortet werden. Naheliegend ist zunächst die Annahme eines Geschäftsbesorgungsvertrags nach § 675 BGB. Nach h. M. kann ein solcher Vertrag bei einer selbstständigen Tätigkeit wirtschaftlicher Art im fremden Interesse gegeben sein.190) Ein Handeln im fremden Interesse liegt insbesondere dann vor, wenn die Tätigkeit an sich dem Geschäftsherrn obliegt und diesem durch den Geschäftsführer abgenommen wird. Geschäftsbesorgungsverträge im dargelegten und hier maßgeblichen Sinn sind alle Verträge, die sich ihrem Gegenstand nach auf die Wahrnehmung von Vermögensinteressen des Schuldners beziehen.191) 168 Der Grundgedanke des DLT-Systems192) fußt bekanntlich darauf, dass sich jeder Peer eine eigene Wallet erstellt und Transaktionen über die Blockchain eigenständig ausführt. Kryptoverwahrer erledigen für ihre Kunden die – durchaus technisch anspruchsvolle Einrichtung – und bieten in der Regel ein nutzerfreundliches Interface, über welches Kunden Transaktionen o. Ä. bei dem Kryptoverwahrer in Auftrag geben können. Die Tätigkeit ist auch selbstständi___________ 188) BeckOK-Erdmann, InsR, § 55 InsO Rn. 40; Andres/Leithaus-Leithaus, InsO, § 55 InsO Rn. 8. 189) K. Schmidt-Ringstmeier, InsO, § 116 Rn. 4. 190) DLT = Distributed-Ledger-Technologie: „Technik verteilter Kassenbücher“, Technik zur Dokumentation bestimmter Transaktionen; Hauptbuch wird dezentral durch beliebig viele – prinzipiell gleichgestellte – Kopien des Ledgers von unterschiedlichen Parteien unterhalten. 191) Vuia in: MünchKomm-InsO, § 116 Rn. 9; K. Schmidt-Ringstmeier-, InsO, § 116 Rn. 6. 192) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 6.

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IV. Keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO

ger und wirtschaftlicher Art. Ein Abhängigkeitsverhältnis besteht in aller Regel nicht. Die Honorierung erfolgt z. B. über Transaktionsgebühren oder Spreads.193) Dass der Kryptoverwahrer in fremdem Interesse – nämlich im Interesse seiner Kunden – handelt, dürfte offenkundig sein. Unter § 116 InsO fallen nur entgeltliche Geschäftsbesorgungsverträge,194) was somit der Fall ist. In jedem Fall nimmt der Kryptoverwahrer Tätigkeiten für den Kunden wahr. 169 So ist bereits die Einrichtung des Blockchainzugangs eine Leistung des Kryptoverwahrers, ferner das Erwerben, Veräußern und auch das Transferieren von Kryptowährungen im Auftrag des Kunden. Die Kerntätigkeit der ihm über das KWG zugeordneten Aufgabe besteht jedoch in der Verwahrung der Kryptowerte seiner Kunden. Hiervon umfasst ist sowohl die Verwahrung des Private Keys als auch der Kryptowerte, für die er eine Wallet zur Verfügung stellt. Da die Verwahrung auf Dauer angelegt ist, handelt es sich um eine Geschäftsbesorgung in Form eines Dienstleistungsvertrags gemäß § 611 BGB.195) Als Unterkategorie wird in manchen Fällen via AGB ein (uneigennütziger) 170 Treuhandvertrag zwischen dem Kunden als Treugeber und dem Kryptoverwahrer als Treuhänder vereinbart.196) Umstritten ist, ob auch ein solcher Treuhandvertrag nach §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO mit Eröffnung des Verfahrens erlischt.197) Wenn der Treuhandvertrag weiter besteht, also nicht erlischt, stellt sich weiter die Frage, ob der Verwalter das Erfüllungswahlrecht nach § 103 InsO ausüben kann. Das muss hier nicht entschieden werden. Denn selbst wenn der Ansicht des „Nicht-Erlöschens“ gefolgt würde und §§ 115, 116 InsO als lex specialis im Fall des Treuhandvertrags nicht griffen, ist keineswegs sicher oder im Verfahren vorgezeichnet, dass der Insolvenzverwalter tatsächlich jemals die Erfüllung nach § 103 InsO wählen würde. In jedem Fall bleibt der Kunde erheblichen Rechtsunsicherheiten ausgeliefert. Es ist davon auszugehen, dass der Kryptoverwahrvertrag gemäß §§ 115 Abs. 1, 171 116 Satz 1 InsO unmittelbar mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt. Denn der Charakter des Geschäftsbesorgungsvertrags nach § 675 BGB überstrahlt.198) Durch das unmittelbare Erlöschen kraft Gesetzes, steht dem Insolvenzverwalter kein Wahlrecht (mehr) nach § 103 InsO zu. Ohne Wahlrecht ___________ 193) Der Spread ist die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis. Hiervon können Prozentsätze berechnet werden, die dann von den Kunden zu tragen sind. 194) Vuia in: MünchKomm-InsO, § 116 Rn. 6; K. Schmidt-Ringstmeier, InsO, § 116 Rn. 8. 195) Die Annahme des Geschäftsbesorgungsvertrags gemäß § 675 Abs. 1 i. V. m. § 611 Abs. 1 BGB stellt die Ansicht der Autoren dar. 196) So z. B. in den AGB bei BISON oder Coinbase gefasst (Stand: März 2023), https:// bisonapp.com/dokumente/agb/ [17.5.2023] und https://www.coinbase.com/de/legal/ user_agreement/ireland_germany [17.5.2023]. 197) Gegen ein solches Erlöschen Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2107; BeckOK-Haneke, InsR, § 47 InsO Rn. 111; für ein solches Erlöschen Nerlich/ Römermann-Andres, InsO, § 47 Rn. 37; HK-Lohmann, InsO, § 47 InsO Rn. 22. 198) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 2214, 2217.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

besteht auch keine Erfüllungsmöglichkeit und Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO entstehen nicht. V. Aussonderung gemäß § 47 InsO 172 Damit bleiben noch Ansprüche nach § 47 InsO zu prüfen, somit Aussonderungsrechte. Die Aussonderung kann gemäß § 47 InsO auf dingliche oder auf persönliche, also schuldrechtliche Berechtigungen eines Dritten gestützt werden. Entscheidend ist, dass der Gegenstand, dessen Aussonderung begehrt wird, als massefremd anzusehen ist. Daher schließen sich Aus- und Absonderung gegenseitig aus.199) Gegenstände, die der Ausnahmeregelung des § 36 InsO unterfallen, sind nicht Teil der Insolvenzmasse und nach § 47 InsO auszusondern. 173 Gemäß § 47 InsO erfolgt die Aussonderung nur, soweit aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend gemacht werden kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört.200) Aussonderungsfähig sind demnach alle Vermögensbestandteile – Sachen wie Rechte –, die Gegenstand besonderer Rechte sein können. Die Aussonderung muss zudem auf einen konkreten, individuell bestimmten Gegenstand gerichtet sein.201) Diese Gedanken können auf Kryptowerte übertragen werden. 1. Aussonderungsberechtigung 174 Der aussonderungsberechtigte Gläubiger ist kein Insolvenzgläubiger, § 47 Satz 1 InsO. Zur Aussonderung berechtigt können Dritte sein, die ihre materielle Berechtigung an einem Gegenstand geltend machen.202) 175 Es kommt entscheidend darauf an, was die Parteien untereinander vereinbart haben. In der Regel wird jedoch gewollt sein, dass der Krypto-User die materielle Berechtigung innehat und der Kryptoverwahrer als Dienstleister agiert und auch so auftritt. Der Kryptoverwahrer soll nicht über die Werte disponieren und auch nicht entscheiden können, wie mit den Werten verfahren werden soll. Die Entscheidungsbefugnis obliegt einzig dem Krypto-User. Daher wird der Krypto-User auch grundsätzlich als einziger aussonderungsberechtigt sein. 2. Aussonderungsfähigkeit von Kryptowerten 176 Da Kryptowerte und -währungen zunächst – mangels Körperlichkeit – nicht als bewegliche Sachen betrachtet werden können, können auch keine dinglichen Rechte, wie Eigentum oder Besitz, an ihnen geltend gemacht werden. Zivil___________ 199) 200) 201) 202)

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K. Schmidt-Thole, InsO, § 47 InsO Rn. 11; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 9. Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 2; BeckOK-Haneke, InsR, § 47 InsO Rn. 1. Ganter in: MünchKomm-InsO, § 47 Rn. 15. BeckOK-Haneke, InsR, § 47 InsO Rn. 18 – 20.

V. Aussonderung gemäß § 47 InsO

rechtliche Regelungen, die den Umgang mit Kryptowährungen ermöglichen, sind bisweilen nicht in das BGB aufgenommen worden. Für eine analoge Anwendung des § 90 BGB ist kein Raum.203) Zwar sind Geldsummen als solche nicht aussonderungsfähig,204) wohl aber 177 der Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme.205) Da Kryptowährungen jedoch gerade kein (Fiat-)Geld206) darstellen, scheidet eine solche Betrachtung aus. Kryptowährungen sind zudem auch nicht als Forderung zu klassifizieren, da 178 sich von ihnen keine relativen oder absoluten Rechte ableiten lassen.207) Insbesondere stellen sie keine Forderungen i. S. v. § 241 BGB dar, da Ihnen keine Leistung eines anderen innewohnt. Da nicht auf dingliche Rechte gemäß § 47 InsO abgestellt werden kann, blei- 179 ben nur noch persönliche Rechte im Sinne dieser Vorschrift. Kryptowerte sind – jedenfalls seit der Einführung des § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG 180 – digitale Darstellungen eines Wertes, der aufgrund einer Vereinbarung oder tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungsmittel akzeptiert wird und der auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden kann.208) In Ermangelung einer spezialgesetzlichen Regelung sind sie als Immaterialgut209) und damit als „andere Vermögensrechte“ i. S. v. § 857 Abs. 1 ZPO zu behandeln.210) Kryptowerte werden – solange es keine speziellere gesetzliche Regelung gibt – gemäß §§ 398, 399 Alt. 2 BGB i. V. m. § 413 BGB übertragen.211) Die Übertragung erfolgt, neben den zugrunde liegenden korrespondierenden Willenserklärungen des vormaligen und zukünftigen Inhabers des Kryptowertes, mittels Realaktes in Form einer Eintragung des Inhaberwechsels im verteilten Hauptbuch, dem sog. „Distributed Led-

___________ 203) Skauradszun, AcP 221 (2021), 353/398, 363, Spindler/Bille, WM 2014, 1357, 1359. 204) BGH, Urt. v. 8.3.1972 – VIII ZR 40/71, NJW 1972, 872; BGH, Urt. v. 15.11.1988 – IX ZR 11/88, ZIP 1989, 118 = EWiR 1989, 285 (Gerhardt); BGH, Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, NJW-RR 2003, 1375, 1376; BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – IX ZB 10/03, ZIP 2003, 1612 = NZI 2003, 549, 550; BGH, Beschl. v. 8.2.2007 – IX ZR 218/04, FD-InsR 2007, 216846. 205) BGH, Urt. v. 15.11.1988 – IX ZR 11/88, ZIP 1989, 118, 119; Ganter in: MünchKommInsO, § 47 Rn. 19. 206) Fiatgeld = nationale Währung, die nicht an den Preis eines Rohstoffs wie Gold, Silber, Stahl, Reis etc. gebunden ist. 207) Nähere Ausführungen siehe Skauradszun, WM 2020, 1229 – 1282, 1231; Handke in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 10 Rn. 7 f., 23; Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 33. 208) Stark vereinfachte Definition von Kryptowerten i. S. v. § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG. 209) Handke/Strauch in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 10 Rn. 47 f. 210) Skauradszun, WM 2020, 1229. 211) Skauradszun, AcP 221 (2021), 353, 376 ff., d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 6, 9.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

ger“.212) Als solche sind Kryptowährungen grundsätzlich als sonstige Rechte aussonderungsfähige Gegenstände.213) a) Bestimmtheit und Bestimmbarkeit des Gegenstands 181 Die Aussonderung wäre jedoch nur dann möglich, wenn das Aussonderungsgut bestimmt oder zumindest bestimmbar ist.214) 182 Maßgeblich für eine Individualisierbarkeit von Kryptowerten ist zunächst der Vertragsinhalt zwischen User und Kryptoverwahrer. Token müssen als Einheit auf der jeweiligen Blockchain einem bestimmten Public Key zugeordnet sein. Entscheidend für die Inhaberschaft des jeweiligen Kryptowertes ist, wer den Private Key kennt, hält und verwenden kann. Denn der Private Key ist nicht nur der Schlüssel um Transaktionen auf der Blockchain auszuführen. Er gibt die tatsächliche Verfügungsgewalt und ist zugleich auch das Instrument, um andere User von Verfügungen über den Kryptowert auszuschließen. Der Private Key vermittelt den faktischen Zugriff auf das Recht, nicht jedoch das Recht selbst. 183 Tatsächlich stellen einige Kryptoverwahrer dem User gar keinen Private Key zur Verfügung. Hintergrund ist freilich nicht allein, dass der Kryptoverwahrer auch die Verwahrung des Private Keys als Dienstleistung anbietet. Kryptoverwahrer stellen ihren Kunden meist (nur) eine anwenderfreundliche Benutzeroberfläche oder Plattform – in der Regel Applikation oder Webseite – zur Verfügung. Hierüber erfolgt sodann die Verwaltung der Kryptowerte. Die Plattform ist nur mittels Eingabe von Login-Daten (Username und Passwort) zugänglich. 184 Die fehlende Kenntnis des Private Keys ist für die Beurteilung der Bestimmbarkeit noch insoweit unschädlich. Falls nämlich der Kryptoverwahrer ganz bestimmte Werte seines Kunden, die er z. B. auf einem eigens für ihn angelegten Public Key hält, sind diese Werte ohne weitere Schwierigkeiten bestimmbar. Jeder Teilnehmer und auch der Kunde selbst kann so seine Kryptowerte auch öffentlich mittels der bekannten Blockchain-Explorer einsehen.215) b) Fehlende Bestimmbarkeit aufgrund „Internal Settlements“ 185 Das Geschäftsmodell der Kryptoverwahrer hat sich allerdings fortlaufend entwickelt. Ursprünglich mag die Idee gewesen sein, dem Kunden einen ganz ___________ 212) DLT = Distributed-Ledger-Technologie: „Technik verteilter Kassenbücher“, näher hierzu: Skauradszun, ZIP 2021, 2610, 2614. 213) Handke/Strauch in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 10 Rn. 47 f.; a. A. Boehm/Bruns in: Bräutigam/Rücker, E-Commerce, 13. Teil, Kap. E; Gessner, StB 2021, 379. 214) Braun-Bäuerle, InsO, § 47 Rn. 10. 215) Zum Beispiel über die Internetseite https://blockchair.com/de [17.5.2023].

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V. Aussonderung gemäß § 47 InsO

bestimmten Kryptowert auf der Blockchain (DLT216)) zuzuordnen. Dies ist auch grundsätzlich technisch möglich. Jedoch zeigt sich das Geschäft der Kryptoverwahrung auf diesem Wege kaum massentauglich. Derartige Leistungen sind schlicht unwirtschaftlich und inzwischen sogar weitestgehend praxisfremd. Es würden unzählige einzelne Buchungsvorgänge anfallen. Die Kosten hierfür wären hoch, weshalb verschiedene Kryptoverwahrer auf sog. „Internal Settlements“217) setzen. Soweit der Verwahrer für jeden seiner Kunden eine eigene Walletadresse eingerichtet haben sollte, bestehen hingegen keine Probleme bei der Zuordnung, Bestimmbarkeit und letztlich auch nicht bei der Aussonderung. Dies ist jedoch nicht der Regelfall. Der Regelfall ist vielmehr die Verwahrung im Wege eines Sammelbestandes, einer sog. „Omnibus Wallet“. aa) Sammelverwahrung bzw. „Omnibus Wallets“ Der Kryptoverwahrer richtet sich aus praktischen Gründen eine oder mehrere 186 Blockchainadressen auf der jeweiligen Blockchain ein. Über diese Adresse poolt er sodann Werte in einem Sammelbestand, einer sog. „Omnibus Wallet“, ein.218) In diesem Sammelbestand werden die Token des Users mit den Token anderer User und ggf. auch denen des Verwahrers vermischt. Eine klare Abgrenzung zumindest aus Sicht eines Dritten fehlt. Eine Individualisierbarkeit der Werte ist in diesem Fall nicht möglich. Der User bzw. Kunde des Kryptoverwahrers mag prima vista über die Platt- 187 form den Eindruck gewinnen, nur für ihn individuell würden Kryptowerte verwahrt. Schon auf den zweiten Blick ist diese Sicht falsch; es kann gerade keine Individualisierbarkeit der Werte festgestellt werden. Denn tatsächlich befinden sich „seine“, also die originär ihm gehörenden Token in eben jener Sammelverwahrung. Durch interne Buchungen und Aufzeichnungen stellt der Kryptoverwahrer zwar jederzeit sicher, dass tatsächlich der Wert des Kunden vorhanden ist, also existiert. Auf der Blockchain selbst tritt der Kunde – mit ihm eigens zugeordneten Kryptowährungen – jedoch nicht in Erscheinung. Über diese Omnibus Wallet sind die Kryptowerte tatsächlich ausschließlich dem Verwahrer zugeordnet. Nur er allein hat die Verfügungsgewalt. Auf schuldrechtlicher Ebene vermittelt er zwar diese Verfügungsgewalt an seine Kunden. Diese sind jedoch nie selbst in der Lage, über ihre Werte frei zu verfügen. Dass der User gar nicht unmittelbaren Zugriff hat, sondern nur über die Dienste 188 des Kryptoverwahrers, ist im Fall der Omnibus Wallet technisch angelegt. Das mag u. U. so nicht gewollt sein. Aus Vermögenssicht mag der Kunde auch davon ausgehen, dass er die alleinige Verfügungsgewalt über die Krypto___________ 216) Distributed Ledger Technologie. 217) Zu Deutsch: Interne Verrechnungen oder Buchungssysteme. 218) Hirtschulz/Henning/Valovich/Resas/Ulrich, Rthinking Finance 6/2019, 35, 39.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

werte innehätte und das eventuell auch im Falle der Insolvenz des Anbieters vertreten. Ein Aussonderungsrecht wird ihm jedoch in den Fällen, in denen der Kryptoverwahrer sich geschlossener Buchführungssysteme bedient, mangels Bestimmbarkeit seiner Kryptowerte nicht zustehen. bb) Beweislast liegt beim Kunden 189 Derjenige, der die Aussonderung geltend macht, muss die Voraussetzungen des Rechts, auf das er die Aussonderung stützt, darlegen und beweisen.219) 190 Zwar ließe sich über § 80 InsO, § 242 BGB noch herleiten, dass der Insolvenzverwalter auskunfts- und nachforschungspflichtig ist.220) Im Rahmen seines Amtes hat der Insolvenzverwalter über Verbleib und Zustand des Aussonderungsguts grundsätzlich tätig zu werden und Auskunft zu erteilen.221) Der Umfang der Auskunfts- und der damit ggf. verbundenen Nachforschungspflicht ist jedoch nicht unbeschränkt, da Arbeits- und Zeitaufwand des Insolvenzverwalters und das schutzwürdige Interesse des Aussonderungsberechtigten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssen.222) Der Insolvenzverwalter muss im Rahmen seines Amtes vorhandene Daten auswerten; andererseits ist er im Interesse der Gläubigergesamtheit nicht gehalten, zugunsten einzelner Gläubiger in einer Detektiv-Rolle aufzugehen. Sollte zudem die interne Buchführung etwa fehlerhaft oder nicht im Zugriff sein, etwa wegen Datenfehler oder Hacking, ist dem Kunden als Gläubiger nicht weitergeholfen. Das Fehler- und Verlustrisiko trägt damit der Kunde. Nicht zuletzt zeigt die Insolvenz des Kryptoverwahrers FTX genau diese Probleme auf (siehe Rn. 157). Werte wurden missbräuchlich eingesetzt, kamen via Hacking abhanden und die Umstände sind bis heute diffus. Interne Buchungssysteme sind verschollen. Ob es den Anlegern gelingen wird, die Herausgabe ihrer originären Kryptowerte jemals zu erreichen, erscheint fraglich. 191 Dass das Hoffen und Streiten nicht gänzlich vergebens sein muss, zeigt indes der japanische Insolvenzfall um den ehemaligen Kryptoverwahrer Mt. Gox, welcher im Jahr 2022 den Gläubigern im insolvenzverfahren tatsächlich die Auszahlung ihrer damals erworbenen Bitcoin in Aussicht stellte.223) Mt. Gox hatte bereits am 28.2.2014 einen Antrag auf Insolvenzeröffnung in Japan gestellt. Unklar ist, ob die Auszahlung in Yen oder $ erfolgen oder gar Bitcoin ___________ 219) Ganter in: MünchKomm-InsO, § 47 Rn. 487; Smid, ZInsO 2010, 1829. 220) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, NJW 1978, 538; Ganter in: MünchKommInsO, § 47 Rn. 460 f.; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 130. 221) BeckOK-Haneke, InsR, § 47 InsO Rn. 139. 222) BGH, Urt. v. 7.12.1977 – VIII ZR 164/76, NJW 1978, 538; BGH, Urt. v. 11.5.2000 – IX ZR 262/98, ZIP 2000, 1061 = EWiR 2001, 177 (Johlke/Schröder); BeckOK-Haneke, InsR, 47 InsO § 47 Rn. 140. 223) Siehe https://www.btc-echo.de/schlagzeilen/mt-gox-verschiebt-bitcoin-auszahlungen157429/ [17.5.2023.].

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V. Aussonderung gemäß § 47 InsO

transferiert werden sollen. Die Auszahlung soll jedenfalls zum 30.9.2023 erfolgen, also mithin erst nach über neun Jahren. Ob die jeweiligen Gläubiger mit der in Aussicht gestellten Auszahlung auch vollständig befriedigt werden, ist unwahrscheinlich. cc) Keine andere Wertung bei Annahme eines Treuhandverhältnisses Etwas anderes (Aussonderung) ergibt sich auch nicht, wenn man ein Treu- 192 handverhältnis zwischen den Parteien annähme. In dem Fall ist neben der Bestimmtheit224) erforderlich, dass das Treugut (hier Kryptowerte) vom eigenen Vermögen des Treuhänders strikt getrennt gehalten werden (Vermögenstrennungsprinzip).225) Das (vermeintliche) Treugut muss nachweisbar treuhänderisch gehalten werden und darf nicht mit eigenen Mitteln des Treuhänders vermischt sein.226) Sobald das Treugut mit anderem Vermögen vermischt wird, fehlt es an der Isolierung und es lässt sich nicht mehr eindeutig sagen, was Treugut ist.227) Eine Offenlegung des Treuhandverhältnisses ist nicht zwingend notwendig.228) Mindestens rechtliche Zweifel ergeben sich am Trennungsprinzip, wenn 193 Blockchainwerte, die auf einer einzigen Wallet gehalten werden, in einem internen bzw. geschlossenen System verbucht sind. Das ist die Praxis. Dann aber dürfte eine Aussonderung an den oben genannten Problemen scheitern. Nicht vertieft wird hier das Missbrauchsrisiko. Nur so viel: Missachtet der 194 Treuhänder seine treuhänderische Bindung vertragswidrig und bringt so zum Ausdruck, sich an die Treuhandabrede nicht (mehr) gebunden zu fühlen, so kommt auch ein Aussonderungsanspruch des Treugebers nicht mehr in Betracht.229) Dafür ist bereits ausreichend, dass der Treuhänder das Treugut mit eigenen Vermögenswerten untrennbar vermischt.230) Auf eine etwaige Un___________ 224) BGH, Urt. v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, BeckRS 2003, 6186; BeckOK-Haneke, InsR, § 47 InsO Rn. 15; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 81. 225) BGH, Urt. v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, Rn. 13, NJW-RR 2011, 777, 780; BGH, Urt. v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, NZI 2005, 625; Uhlenbruck-Brinkmann, InsO, § 47 Rn. 81. 226) Schröder/Triantafyllakis, BKR 2023, 12, 16 nehmen eine zulässige Übertragung von Merkmalen der Auslandsverwahrung von Wertpapieren auf die Verwahrung von Kryptowerten an und bejahen so das Treuhandeigentum der Kunden, zumindest solange Vermögenstrennung und Bestimmtheitsgebot eingehalten werden. 227) BGH, Urt. v. 27.4.2017 – IX ZR 198/16, Rn. 15, NZI 2017, 713; Ganter in: MünchKommInsO, § 47 Rn. 358a; ähnlich: Bitter, WuB VI E. § 829 ZPO 2.04; BeckOK-Haneke, InsR, § 47 InsO Rn. 108. 228) BGH, Urt. v. 1.7.1993 – IX ZR 251/92, NJW 1993, 2622; BGH, Urt. v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, Rn. 13, NJW-RR 2011, 780. 229) BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – IX ZB 10/03, NJW-RR 2003, 1417; BGH, Urt. v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, Rn. 16, NJW-RR 2011, 781. 230) BGH, Beschl. v. 17.7.2003 – IX ZB 10/03, NJW-RR 2003, 1417; BGH, Urt. v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, NZI 2005, 625; BGH, Urt. v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, Rn. 6, NJW 2008, 1152; BGH, Urt. v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, Rn. 21, NJW-RR 2011, 781; OLG Köln, Urt. v. 5.11.2008 – 2 U 16/08, BeckRS 2008, 25333.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

terscheidbarkeit von Treugut und eigenem Vermögen käme es dann nicht mehr an.231) Der unredliche Treuhänder hätte es grundsätzlich in der Hand, einen Aussonderungsanspruch des Treugebers zu vereiteln, wobei es der BGH bisher offenließ, ob wirklich jegliches Fehlverhalten des Treuhänders den Aussonderungsanspruch zerstören kann.232) Beweisbelastet ist derjenige, der das Aussonderungsrecht geltend macht. Rein praktisch dürfte ihm das bereits deshalb nicht gelingen, da die internen Buchungssysteme eben auch nur intern geführt sind. Einen Einblick erhält er regelmäßig nicht. dd) Überwindung fehlender Bestimmbarkeit durch Poolbildung 195 Um eine fehlende Bestimmbarkeit zu überwinden und um die Position von Gläubigern zu stärken, kommt die Poolbildung von Gläubigern in Betracht. Allerdings ist die Zulässigkeit einer solchen Poolbildung umstritten.233) In der Praxis werden Gläubigerpools gebildet, um etwa absonderungsberechtigte Lieferanten einer Insolvenzschuldnerin zu bündeln. Falls einzelnen Gläubigern infolge mangelnder Bestimmbarkeit des Aussonderungsgutes eine Identifizierung ihrer Rechte nicht gelingt und daran eine individuelle Aussonderung scheitert, kann die gebündelte Gruppe in Form des Pools u. U. den betreffenden Gegenstand aussondern. 196 Die analoge Übertragbarkeit auch auf die Aussonderungsrechte für Kryptowerte, die sich in einer Sammelverwahrung befinden, dürfte zwar grundsätzlich möglich sein. Jedoch repräsentieren solche Pools praktisch nie 100 % der aussonderungsberechtigten Gläubiger.234) Der Rechtskreis derjenigen, die sich nicht einem solchen Pool anschließen wollen oder können, ist nicht fixiert oder gar geschützt. Im konkreten Fall ist offen, ob sich ein Aussonderungspool bildet. Eine Bestimmbarkeit dürfte sich letztlich erst dann rechtfertigen lassen, wenn die Quote der beteiligten Poolgläubiger 100 % ist. Das ist bei Absonderungsansprüchen anders, bei denen etwa Lieferantenpools qualifiziertes Miteigentum beanspruchen können, welches sich an der Quote der gepoolten Gläubiger im Vergleich zu den nicht gepoolten Gläubigern misst. Dann wird anteilige abgesonderte Befriedigung erreichbar sein. 3. Vergleich zum Aktiendepot 197 Angesichts der Aussonderungsproblematik in der Insolvenz des Kryptoverwahrers soll die Parallele zur Insolvenz eines Wertpapierdepotanbieters gezogen werden. Dort besteht jedenfalls rechtliche Sicherheit für die Wertpapierinhaber. Es lassen sich verschiedene Verwahrformen unterscheiden. Zum ___________ 231) BGH, Urt. v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, Rn. 23, NJW-RR 2011, 782. 232) BGH, Urt. v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, Rn. 17, NJW-RR 2011, 781; BeckOK-Haneke, InsR, § 47 InsO Rn. 109. 233) Pro: Braun-Bäuerle, InsO, § 47 Rn. 14; Contra: Smid, NZI 2000, 505, 507 ff., 510 ff. 234) Braun-Bäuerle, InsO, § 47 Rn. 19.

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V. Aussonderung gemäß § 47 InsO

Beispiel wird durch die Sonderverwahrung gemäß § 2 DepotG das Eigentum an den hinterlegten Wertpapieren nicht berührt. Der Eigentümer eines Wertpapiers hat einen dinglichen Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) gegen den Verwahrer.235) Auch bei einer Sammelverwahrung gemäß § 5 DepotG besteht rechtliche Si- 198 cherheit. Da bei der Sammelverwahrung die verwahrten Wertpapiere nicht von Drittbeständen separiert sind, verliert der Hinterleger zwar das Eigentum an den konkreten Wertpapieren. Er erwirbt jedoch anteilmäßig Miteigentum am Gesamtbestand. Die Aussonderung erfolgt in entsprechender Anwendung des § 7 DepotG durch Herausgabe von dem Miteigentumsanteil des Verwahrers entsprechenden Wertpapieren.236) Im Falle der Insolvenz der verwahrenden Depotbank steht dem Wertpapier- 199 anleger damit ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO zu.237) Die gesetzlichen Regelungen für Wertpapiere lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres auf Kryptowerte übertragen. Denn sie sind weder Sachen noch Rechte, sondern – wie ausgeführt – „andere Vermögensrechte“ i. S. v. § 857 Abs. 1 ZPO.238) Der Krypto-User entscheidet sich oft ganz bewusst gegen klassische Anlagen wie z. B. Aktien oder Wertpapiere. Ein Invest in Kryptowerte, hat seine wirtschaftlichen oder strategischen Gründe, ggf. wird auch schlicht spekuliert. Für eine analoge Anwendung des DepotG besteht insoweit kein Raum. Zwar 200 dürfte eine Regelungslücke vorliegen. Jedoch ist eine Planwidrigkeit schon fraglich. Spätestens bei der Interessenlage zeigen sich fundamentale Differenzen zwischen Krypto- und Depotwerten (i. S. d. DepotG). Dem Grundverständnis nach sind nämlich Kryptowerte, insbesondere Kryptowährungen, gerade nicht als Finanzanlage anzusehen, sondern vielmehr Zahlungs- oder Tauschmittel, wenngleich es auch Investmenttoken gibt. Eine Investmentstrategie darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass die Blockchaintechnologie weitaus mehr Möglichkeiten bietet, aber auch deutlich risikoreicher ist. Und technisch unterscheiden sich Kryptowerte ganz wesentlich von (reinen) Aktieninvestments. Eine vergleichbare Interessenlage besteht mithin nicht.

___________ 235) Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn-Scherer, HGB, § 2 DepotG Rn. 2. 236) Braun-Bäuerle, InsO, § 47 Rn. 28; KPB/Prütting, InsO, § 47 Rn. 63. 237) Anders läge der Fall nur bei einer unregelmäßigen Verwahrung, § 700 BGB. In dem Fall verliert der Hinterleger sein Eigentum und folglich auch sein Aussonderungsrecht. Da Kryptoverwahrer jedoch kein Eigentum an den verwahrten Kryptowährungen erlangen können und sollen, sind Überlegungen hinsichtlich einer unregelmäßigen Verwahrung gemäß § 700 BGB nicht anzustellen. 238) Skauradszun, ZIP 2021, 2610.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

4. Vergleich zum Kryptowertpapierregister 201 Während die Aussonderung von Kryptowerten strukturellen Schwierigkeiten begegnet, besteht bei Kryptowertpapieren kein Problem i. S. d. Aussonderung. Denn der Gesetzgeber hat im Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) eine sachenrechtliche Fiktion eingepflegt, § 2 Abs. 3 eWpG. Sie werden damit verbrieften Wertpapieren gleichgestellt.239) Diese Fiktion stärkt nicht nur den Gutglaubensschutz, sondern mündet auch in den § 9 eWpG. Dort wird eine Sammeleintragung mehrerer elektronischer Wertpapiere als sog. Wertpapiersammelbestand gefasst. Die Berechtigten der eingetragenen inhaltsgleichen Rechte gelten als Miteigentümer nach Bruchteilen an dem eingetragenen elektronischen Wertpapier, § 9 Abs. 1 Satz 2 eWpG. Der jeweilige Anteil bestimmt sich nach dem Nennbetrag der für den Berechtigten in Sammeleintragung genommenen Rechte. Den Berechtigten steht demnach ein Aussonderungsrecht an den Kryptowertpapieren zu.240) 202 Für eine Analogie ist hier jedoch ebenfalls kein Raum, da es an einer Planwidrigkeit fehlt. Der Gesetzgeber hat sich bewusst entschieden, zunächst nur Kryptowertpapiere zu erfassen. Eine Ausweitung der sachenrechtlichen Fiktion des § 2 Abs. 3 eWpG auch auf andere Kryptowerte nahm er gezielt nicht vor. Dazu bestand auch kein Anlass. Denn es fehlt an einer vergleichbaren Interessenlage. Das Marktsystem und die Struktur von Kryptowertpapieren sind auf Anleger gerichtet. Die Parallele zum klassischen Aktienmarkt ist gewollt und beabsichtigt. Eine Parallele zur Währungsfunktion anderer Kryptowerte besteht jedoch gerade nicht. 5. Vergleich Aussonderungsrecht nach § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG 203 § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG liefert ein weiteres Beispiel für die Kodifizierung von Vorrechten. Hiernach ist bei Refinanzierungsunternehmen i. S. v. § 1 Abs. 24 Satz 1 KWG dem Übertragungsberechtigten (Treugeber) eine insolvenzfeste Position eingeräumt. Denn Gegenstände des Refinanzierungsunternehmens, die ordnungsgemäß im Refinanzierungsregister eingetragen sind, können im Fall der Insolvenz des Refinanzierungsunternehmens vom Übertragungsberechtigten nach § 47 InsO ausgesondert werden.241) Hintergrund ist, dass durch die Registereintragung ein schuldrechtlicher Übertragungsanspruch ausnahmsweise in der Insolvenz des Refinanzierungsunternehmens durchsetzbar sein soll und eine Aussonderung begründe.242) ___________ 239) Schröder/Triantafyllakis, BKR 2023, 12, 15. 240) Überlegenswert ist es, auch Private Keys der Kryptowertpapiere eine Sacheigenschaft zuzubillgen oder diese zumindest als wesentliche Bestandteile des Wertpapiers zu qualifizieren, denn diese sind für die faktische Verfügungsgewalt über das elektronische Wertpapier notwendig. 241) Boos/Fischer/Schulte-Mattler-Tollmann, KWG, § 22j KWG Rn. 10. 242) Boos/Fischer/Schulte-Mattler-Tollmann, KWG, § 22j KWG Rn. 16.

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VI. Handlungsbedarf des Gesetzgebers

Durch diese Regelung werden zwar keine Aussonderungsrechte neu geschaf- 204 fen, aber die Anwendung des § 47 InsO wird eröffnet.243) Diese Regelung gibt Sinn bei Gegenständen des Refinanzierungsunternehmens, die ordnungsgemäß im Refinanzierungsregister eingetragen sind. Die Registerpublizität fehlt aber bei Kryptowerten. Dieses Manko begründet dann auch die unterschiedliche Behandlung.244) 6. Zwischenfazit Im Falle der Insolvenz eines Kryptoverwahrers stehen dem Kunden (oftmals 205 Verbraucher) aufgrund fehlender Bestimmbarkeit des Kryptowertes keine Aboder Aussonderungsrechte zu, jedenfalls, wenn nicht eine fremdnützige Treuhand besteht.245) Das gilt, auch wenn zwischen den Parteien wohl insoweit Einigkeit darüber bestehen dürfte, dass der Krypto-User, eine eigentümerähnliche Stellung einnehmen soll. Gleichwohl ist der Kunde in der Insolvenz des Kryptoverwahrers Gläubiger mit Ansprüchen im Rang des § 38 InsO; deren Werthaltigkeit ist allerdings zunächst offen und stellt sich erst im Lauf des konkreten Verfahrens ein. VI. Handlungsbedarf des Gesetzgebers Im Ergebnis bleiben Aussonderungsrechte an Kryptowerten aktuell schwer- 206 lich begründbar. Nun lässt sich die Frage aufwerfen, ob dieses Ergebnis nicht gerecht, eventuell sogar gewollt ist. 1. Argumente „gegen“ eine Regulierung Einer Kryptoeinheit wohnt zunächst kein inhärenter Wert inne.246) Das 207 heißt, anders als bei Rohstoffen, etwa Gold, Silber, Stahl besteht keine Wertschöpfungskette, die belegbar und nachverfolgbar wäre. Auch bestehen keinerlei Veredelungsmöglichkeiten, etwa weitere Wertschöpfungsketten in Gang zu setzen. Der Wert, der einer Kryptowährung, bzw. einer Währungseinheit beigemessen wird, bemisst sich nur an der Nachfrage des Marktes. Daher erscheint bereits das hier vertretene Ergebnis insoweit systemkonform und interessengerecht, mithin marktgerecht. Der Kunde des Kryptoverwahrers handelt aus individueller Motivation mit Werten, die hoch volatil sind. Die Risikohaftigkeit wirtschaftlichen Handelns rechtfertigt eine Unterscheidung zwischen konservativen Investoren in regulierte Standardwerte und offensiven/spekulativen Investoren. ___________ 243) 244) 245) 246)

Erbs/Kohlhaas-Häberle, Strafrechtliche Nebengesetze, § 22j KWG Rn. 2. A. A. Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101, 2112. d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 2214, 2222. d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 6, 7; Fromberger/Zimmermann in: Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rn. 70; Omlor/Link, Kryptowährungen und Token, Kap. 6 Rn. 15.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

208 Wohl ließe sich argumentieren, dass die Zuordnung des Kryptowertes bei Internal Settlements zum Kunden über die internen geschlossenen Buchführungssysteme des Kryptoverwahrers theoretisch möglich wären. Die Bestimmbarkeit könnte sich ebenfalls auf dem Weg herstellen lassen. Gleichwohl kann ein solcher Investor nicht erwarten, dass die Rechtsordnung ihm den gleichen Rahmen und Rechtspositionen gewährt, wie es der Fall wäre, wenn er in klassische Werte investiert hätte. 209 Schließlich sei der Hinweis erlaubt, dass in der Insolvenz des Kryptoverwahrers der Kunde bzw. Investor keinesfalls rechtelos gestellt wird. Sein Anspruch als Gläubiger im Rang des § 38 InsO kann durchaus mit einer relevanten Quote bedient werden; das hängt vom Einzelfall ab. Im Fall einiger Bankeninsolvenzen der Vergangenheit waren die Quoten statthaft und nicht selten bei 100 %. Insofern hatten tausende von Anlegern dort „nur“ einen Verzögerungsschaden. 2. Argumente „für“ eine Regulierung 210 Wenngleich Kryptoanleger meist spekulativ agieren, sollten diese ebenfalls auf Schutzmechanismen des Marktes vertrauen dürfen. In der wirtschaftlichen Bedeutung mögen Kryptoverwahrer am Ende Finanzierungsbanken oder Aktienbrokern ähnlich sein. Auch sie haben eine im System der Banken, Finanzierer, Verwahrer und Verbraucher relevante Verantwortung. Allerdings dürfte die Annahme von fremdnützigen Treuhandverhältnissen eher nicht in Betracht kommen.247) Ein wirksames Instrument, um Vermögenswerte von Krypto-Usern zu sichern, besteht – wie oben dargelegt – nicht. Dabei ist und bleibt die Verwahrung von Kryptowerten eine nach dem KWG erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung. Um diesem Standard gerecht zu werden, erscheint auch ein hoher Schutz des Rechtskreises der Krypto-User angemessen. 3. Referentenentwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG)248) 211 Dass Aussonderungsrechte an Kryptowerten – jedenfalls auf der Gesetzesgrundlage bis 2022 einschließlich – schwerlich begründbar sind, hat zu intensiven Überlegungen im BMF und im BMJ geführt. Wie von Fachkreisen bereits vermutet, wurde am 12.4.2023 ein Referentenentwurf des BMF und des BMJ veröffentlicht.249) Mit einem Gesetz zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (auch Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG) sollen zahlreiche Anreize für Investitionen in die deutsche Wirtschaft geschaffen ___________ 247) Jedenfalls nicht bei Omnibus Wallets, aufgrund fehlender Bestimmbarkeit. 248) Siehe https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_ Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_VII/20_Legislaturperiode/2023-04-12ZuFinG/0-Gesetz.html [17.5.2023]. 249) Siehe https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_ Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_VII/20_Legislaturperiode/2023-04-12ZuFinG/0-Gesetz.html [17.5.2023]

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VI. Handlungsbedarf des Gesetzgebers

werden, um langfristig die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapital- und Finanzmarkts zu stärken.250) Das Artikelgesetz regelt 29 verschiedene Gesetze bzw. Verordnungen. Arti- 212 kel 19 des ZuFinG betrifft das KWG. Der Ref-E sieht dort die Einführung von besonderen Pflichten bei der Verwahrung von Kryptowerten vor.251) Durch einen § 26b Abs. 1 KWG-E soll der Kryptoverwahrer zur Vermögenstrennung von Kryptowerten seiner Kunden und seinen eigenen, sowie deren Bestimmbarkeit verpflichtet werden. „§ 26b – Vermögenstrennung (1) Ein Institut, das das Kryptoverwahrgeschäft betreibt, hat sicherzustellen, dass die Kryptowerte und privaten kryptographischen Schlüssel getrennt von den Kryptowerten und privaten kryptographischen Schlüsseln des Instituts verwahrt werden. Werden Kryptowerte mehrerer Kunden gebündelt verwahrt (gemeinschaftliche Verwahrung), ist sicherzustellen, dass sich die den einzelnen Kunden zustehenden Anteile am gemeinschaftlich verwahrten Gesamtbestand jederzeit bestimmen lassen. (2) Das Institut hat sicherzustellen, dass über die verwahrten Kryptowerte und privaten kryptographischen Schlüssel ohne ausdrückliche Einwilligung des Kunden nicht für eigene Rechnung des Instituts oder für Rechnung einer anderen Person verfügt werden kann.“

Damit wird offensichtlich das Ziel verfolgt, die Grundsätze der fremdnützigen 213 Treuhand für in Deutschland ansässige Institute, die das Kryptoverwahrgeschäft betreiben, zu etablieren. Zugleich definiert der § 26b Abs. 1 Satz 2 KWG-E die gebündelte Verwahrung von Kryptowerten mehrerer Kunden als „gemeinschaftliche Verwahrung“. Gemeint ist die Verwahrung von Kryptowerten auf einer Omnibus Wallet, welche weiterhin zulässig ist, soweit dort die Trennung mit Werten des Kryptoverwahrers stattfindet, § 26b Abs. 1 Satz 1 KWG-E.252) Weiterhin wird durch das ZuFinG die Einführung eines § 46i Abs. 1 KWG 214 vorgeschlagen.253) Der Entwurf bemüht das „Vermögenstrennungsgebot“ für Kryptoverwahrinstitute, welches rechtfertige, die verwahrten Werte und Schlüssel dem Vermögen des Kunden auch haftungsrechtlich zuzuordnen. Hiernach gelten im Rahmen eines Kryptoverwahrgeschäfts für einen Kunden verwahrte Kryptowerte als dem Kunden „gehörig“. „§ 46i – Zuordnung verwahrter Kryptowerte; Kosten d. Aussonderung (1) Der im Rahmen eines Kryptoverwahrgeschäfts für einen Kunden verwahrte Kryptowert gilt als dem Kunden gehörig. Das gilt nicht, wenn der Kunde

___________ 250) Vgl. S. 1, A. „Problem und Ziel“ des Referentenentwurfs zum ZuFinG vom 12.4.2023. 251) Art. 19 Nr. 6, S. 33 des Referentenentwurfs zum ZuFinG vom 12.4.2023. 252) Siehe Begründung zu Art. 19 Nr. 6, S. 118 des Referentenentwurfs zum ZuFinG vom 12.4.2023. 253) Art. 19 Nr. 10, S. 34 des Referentenentwurfs zum ZuFinG vom 12.4.2023.

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger die Einwilligung zu Verfügungen über den Wert für Rechnung des Instituts oder Dritter erteilt hat. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für den dem Kunden zustehenden Anteil an Kryptowerten in gemeinschaftlicher Verwahrung sowie für isoliert verwahrte private kryptographische Schlüssel. (3) Verlangt der Kunde im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Instituts die Aussonderung und soll die Aussonderung nicht durch Übertragung auf ein anderes Institut erfolgen, das das Kryptoverwahrgeschäft betreibt, trägt der Kunde die Kosten der Aussonderung.“

215 Der Referentenentwurf beabsichtigt damit die Einführung einer gesetzlichen Fiktion und vermeidet zugleich mit der bewusst allgemein gehaltenen Formulierung eine nähere Auseinandersetzung mit der Rechtsnatur und dem genauen Anspruchscharakter. Die gleiche Fiktion soll nach dem § 46i Abs. 2 Alt. 1 KWG-E auch für solche Anteile von Kryptowerten gelten, die sich in gemeinschaftlicher Verwahrung befinden. Insoweit wird die Fiktion unmittelbar mit § 26b Abs. 1 Satz 2 KWG-E und den dort geregelten Pflichten verknüpft. 216 Durch die Zugehörigkeits-Fiktion des § 46i KWG-E wäre bei einem vollstreckungsrechtlichen Zugriff auf die verwahrten Kryptowerte eine Drittwiderspruchsklage der Kunden gemäß § 771 ZPO möglich. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Verwahrers soll den Kunden insoweit ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO zustehen.254) 217 Zudem regelt § 46i Abs. 3 KWG-E die Kosten der Aussonderung. Diese soll der Kunde tragen, sofern die Aussonderung nicht im Wege der Übertragung des Werts oder des Schlüssels auf ein anderes Institut erfolgen soll, das das Kryptoverwahrgeschäft betreibt. 4. Stellungnahme 218 Die technische Kompetenz und die Expertise eines Kryptoverwahrers sind in aller Regel größer als die der Krypto-User. Das Verwenden von „Internal Settlements“ dient vorrangig der Bündelung von Strömen und der Kostenreduktion. Allerdings findet keine bestimmte Zuordnung eines Wertes zum User mehr statt, die dieser nachvollziehen könnte.255) 219 Der Kunde des Kryptoverwahrers in der Insolvenz trägt die Beweislast und hat sein Aussonderungsrecht nachzuweisen. Da der Krypto-User jedoch in aller Regel keinen Einblick in diese interne geschlossene Buchführung hat, wird ihm dies im Zweifel nicht gelingen. Ihm fehlen Zugriff und technische Möglichkeiten. Er vertraut darauf, dass seine Kryptowerte „verwahrt“ werden und dass diese Werte ihm „gehören“. Im Falle der Insolvenz eines Krypto___________ 254) Siehe Begründung zu Art. 19 Nr. 10, S. 119 des Referentenentwurfs zum ZuFinG vom 12.4.2023. 255) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 2214, 2221.

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VI. Handlungsbedarf des Gesetzgebers

verwahrers werden Krypto-User ihre Werte einfordern. Um eine europäische und sogar weltweite Harmonisierung zu erreichen, sollte der Gesetzgeber die Belange der Krypto-User angehen, schon mit Blick auf den Verbraucherschutz. Digitale Werte und Kryptowährungen werden zunehmen. Eine Kodifizierung der offenen Frage rund um Krypto-User wird die Rechtsordnung und den technologischen Wirtschaftsstandort Deutschland gleichermaßen stärken.256) Die Ergebnisse und Auswirkungen der europäischen Gesetzesanstrengungen 220 (z. B. MiCA-VO, CARF) sind aktuell nicht vorhersehbar. Ein vorläufiger bzw. anpassbarer Vorschlag besteht durch den Entwurf über das ZuFinG vom 12.4.2023, welcher die Zugehörigkeit der Kryptowerte zum Vermögen des Kunden normiert und eine gesetzliche Grundlage für Aussonderungsrechte der Kunden bei Insolvenz des Kryptoverwahrers schaffen soll. Damit wäre eine notwendige Brücke zum § 47 InsO geschlagen. Der Referentenentwurf zum ZuFinG ist ein wichtiger Beitrag, um einerseits 221 die Kundenrechte – vor allem in der Insolvenz des Verwahrers – zu schützen. Andererseits greift der Entwurf den Regelungen der MiCA-VO-E (siehe Rn. 229, insbesondere Art. 67 Abs. 7 MiCA-VO-E)vor und würde bei Umsetzung in den ReG-E und nachfolgend in das KWG die dort gefassten Regeln zur Vermögenstrennung und zur Bestimmbarkeit, welche auf europäischer Ebene ohnehin zu beachten wären, schon in das deutsche Recht integrieren. Ob der Kunde das Aussonderungsrecht auch dann wird durchsetzen können, 222 wenn der Kryptoverwahrer gegen seine Pflichten zur Vermögenstrennung und der Bestimmbarkeit verstößt, erscheint noch fraglich. In diesem Fall erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Kunde trotz der Bestimmungen des § 46i KWG-E – aufgrund faktischer Unmöglichkeit – keine Aussonderung seiner Kryptowerte erreicht. Es wird Aufgabe der Finanzaufsicht sein, die Einhaltung der besonderen Pflichten des § 26b KWG-E zu gewährleisten. In der Finanz-Branche stößt der Referentenentwurf bislang auf breiten An- 223 klang. So sehen z. B. der deutsche Fondsverband BVI, der Deutsche Derivate Verband (DDV), das Deutsche Aktieninstitut (DAI) und auch der Bundesverband der Banken (BdB) positive Auswirkungen auf den Kapitalmarkt und Standort Deutschland.257) Der Verband der Privaten Bausparkassen steht dem ___________ 256) d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 2214, 2222. 257) Siehe Fondsverband BVI, https://www.bvi.de/aktuelles/detail/fortschritt-fuer-denbnsp-standort-deutschland/ [17.5.2023]; Deutscher Derivate Verband (DDV), https:// www.derivateverband.de/DE/MediaLibrary/Document/PM%202023/23%2004%2012_ PM%20Zukunftsfinanzierungsgesetz.pdf [17.5.2023]; Deutsches Aktieninstitut (DAI), https://www.dai.de/#/veroeffentlichungen/dokumenttitel/zukunftsfinanzierungsgesetzsoll-leistungsfaehigkeit-des-kapitalmarktes-staerken [17.5.2023]; Bundesverband der Banken (BdB), https://bankenverband.de/kapitalmarkt/kohlhase-zukunftsfinanzierungsgesetz-ist-richtiger-ansatz-fuer-modernes/ [17.5.2023].

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

ZuFinG hingegen kritisch gegenüber. In einer ersten Stellungnahme des Verbands258) heißt es, der Entwurf begünstige einseitig die Kapitalbeteiligung bei der Vermögensbildung und benachteilige die Wohneigentumsbildung, was jedoch nicht als Kritik an den Erweiterungen im KWG zu verstehen sein dürfte. Wann und ob der Gesetzesentwurf zum ZuFinG in seiner aktuellen Fassung zur Abstimmung durch den Bundestag kommen wird, bleibt indes abzuwarten. VII. Bisherige internationale Lösungsansätze 224 Einige Länder haben die Problematik ebenfalls erkannt und bereits gesetzliche Grundlagen geschaffen oder angepasst. 1. Schweiz 225 In der Schweiz wurde das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) für die Insolvenz des Verwahrers von Token entsprechend ergänzt. Das Aussonderungsrecht soll ausdrücklich auch auf kryptobasierte Vermögenswerte Anwendung finden. So heißt es in Art. 242a SchKG:259) „Die Konkursverwaltung trifft eine Verfügung über die Herausgabe kryptobasierter Vermögenswerte, über die der Gemeinschuldner zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung die Verfügungsmacht innehat und die von einem Dritten beansprucht werden. Der Anspruch ist begründet, wenn der Gemeinschuldner sich verpflichtet hat, die kryptobasierten Vermögenswerte für den Dritten jederzeit bereitzuhalten und diese: a.) dem Dritten individuell zugeordnet sind; oder b.) einer Gemeinschaft zugeordnet sind und ersichtlich ist, welcher Anteil am Gemeinschaftsvermögen dem Dritten zusteht. […] Die Kosten für die Herausgabe sind von demjenigen zu übernehmen, der diese verlangt. […]“

226 Damit sind Kryptowerte der Anleger im Falle der Insolvenz des Kryptoverwahrers nach schweizerischem Konkursrecht jedenfalls nach dem Willen des Gesetzgebers aussonderungsfähig. 2. Liechtenstein 227 In Liechtenstein wurde ein anderer Weg beschritten. Dort ist ein eigenständiges Gesetz, das Token- und VT-Dienstleister-Gesetz (TVTG), zum 1.1.2020 in Kraft getreten.260) In diesem neuen Gesetz werden die wesentlichen Grund___________ 258) Siehe https://www.bausparkassen.de/blog/2023/04/12/entwurf-des-zukunftsfinanzierungsgesetzes-muss-nachgebessert-werden/ [17.5.2023]. 259) Zum aktuellen Gesetzestext siehe https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/11/529_488_529/ de [17.5.2023]. 260) Aktueller Gesetzestext siehe https://www.gesetze.li/konso/2019301000 [17.5.2023].

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VII. Bisherige internationale Lösungsansätze

lagen von Token, einschließlich einer Registrierungspflicht für Dienstleister im Bereich der VT-Dienstleister geregelt. Die Abkürzung „VT“ steht indes für „Vertrauenswürdige Technologien“. Zu den VT-Dienstleistern zählen u. a. auch VT-Schlüsselverwahrer und VT-Tokenverwahrer. Private Keys und Token, die im Namen des Kunden gehalten werden, sind bei Insolvenz des Kryptoanbieters als „Fremdvermögen“ zu betrachten und werden unter Vorbehalt sämtlicher Ansprüche des VT-Dienstleisters gegenüber dem Kunden zu dessen Gunsten ausgesondert. In Art. 25 Abs. 1 Satz 1 TVTG261) heißt es wörtlich: „Token, die treuhänderisch oder im Namen des Kunden gehalten werden, sind […] im Insolvenzverfahren des VT-Dienstleisters als Fremdvermögen zu betrachten und werden […] gegenüber dem Kunden zu dessen Gunsten ausgesondert.“

Auch mit dieser Regelung dürften die Kryptowerte der Anleger im Falle der 228 Insolvenz des Kryptoverwahrers nach liechtensteinischem Insolvenzrecht jedenfalls nach dem Willen des Gesetzgebers ohne Weiteres aussonderungsfähig sein. 3. MiCA Die MiCA-VO-E (2019/1937) soll den Kryptomarkt auf europäischer Ebene 229 regulieren und harmonisieren262). Dort werden mehrere Pflichten für Kryptoverwahrer gefasst. Mit Art. 67 Abs. 7 MiCA-VO-E wird dem Kryptoverwahrer die Pflicht zur Vermögenstrennung auferlegt. Diese ist ihm nicht unmöglich. Hier sind bislang zwei Optionen bekannt. Entweder der Kryptoverwahrer richtet für jeden Kunden eine eigene Separated Wallet ein; dieses Vorgehen ist in der Tat mit höheren Kosten verbunden. Oder aber der Kryptoverwahrer nutzt Omnibus Wallets und ordnet den so verwahrten Gesamtwert über interne Buchungen allen Kunden in der jeweiligen Höhe zu. Möglich ist auch die Nutzung mehrerer Omnibus Wallets. Das ist die Regel. Durch beide Optionen kann die Vermögenstrennungspflicht erfüllt werden. Mehr verlangt die Vorschrift des Art. 67 Abs. 7 MiCA-VO-E zunächst nicht. Freilich soll durch diese Vermögenstrennung der Kundenschutz „faktisch“ 230 gestärkt werden. Ob dies dann auch rechtlich der Fall ist, muss anhand der nationalen Gesetze untersucht werden. Bei Separated Wallets dürfte die Aussonderung nach deutschem Insolvenzrecht kein Problem darstellen, da die Werte eindeutig einem Kunden zuzuordnen sind. Bei Omnibus Wallets fehlt es – wie bereits oben festgestellt – grundsätzlich an der Bestimmtheit der Zuordnung. Die Folgen sind weitreichend und zeigen sich insbesondere bei der Insolvenz von FTX. Aufgrund der Intransparenz der „internen“ Buchungssysteme und der fehlenden Beweislage, offenbaren sich für die Kunden große ___________ 261) Aktueller Gesetzestext siehe https://www.gesetze.li/konso/2019301000 [17.5.2023]. 262) Siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0593 [17.5.2023].

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F. Die Insolvenz des Kryptoverwahrers und Rechte der Anleger

Schwierigkeiten, die Aussonderung ihrer Werte durchzusetzen. Zum großen Teil besteht überhaupt keine Kenntnis, auf welchen Blockchainadressen die Werte gehalten wurden oder gar wie ihre Coins verwahrt wurden und ob sie z. B. von den erfolgten Hackingangriffen betroffen waren. Das heißt, die Pflicht allein, die Vermögenstrennung i. S. d. MiCA durchzuführen, greift bei Weitem zu kurz. Ein Verbot von Omnibus Wallets ist hingegen nicht anzunehmen. 231 Insolvenzrecht ist immer auch Konfliktrecht. Aufgrund des hohen Streitpotenzials, dem Missbrauchsrisiko, der eventuell hohen Anzahl von Betroffenen und der wirtschaftlichen Bedeutung für den Wirtschafts- und Finanzsektor Deutschlands, sollten hier klare Anspruchsgrundlagen bestehen. Das dient nicht zuletzt dem Rechtsfrieden und dem Vertrauen der Kunden. Die erforderlichen Anspruchsgrundlagen, um Kunden auch in der Insolvenz des Verwahrers eine rechtssichere Position einräumen, gehen aus der MiCA nicht unmittelbar hervor. Die MiCA-VO-E ist der richtige Schritt in die richtige Richtung und zeigt gerade, dass auf europäischer Ebene ein umfassender Schutz von Kryptoverwahrkunden angestrebt wird. Nach dem deutschen Insolvenzrecht bestünde ein solcher Schutz nur mit dem eindeutigen Bestehen von Aussonderungsrechten. Die Untersuchungen bestärken jedoch die Annahme, dass der deutsche Gesetzgeber tätig werden sollte.

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G. Besteuerung von Geschäftsvorfällen von und mit Kryptowerten Die wirtschaftliche Bedeutung der Assetklasse „Kryptowährung“ hat sich seit 232 etwa 2010 verstärkt. Einzelne Staaten haben bereits Bitcoin als staatliche Zahlungsmittel anerkannt, etwa El Salvador, die zentralafrikanische Republik und Panama. Zu vermuten ist, dass weitere Staaten folgen werden. Der Handel mit Bitcoin durch multinationale Unternehmen wie Microstrategy oder Tesla aber auch mittelständische Unternehmen weltweit beflügeln zudem die Märkte. Die Möglichkeiten der Erzielung von Umsätzen und Einkünften mit Krypto- 233 währungen führt zu Fragen der umsatz- und/oder ertragsteuerlichen Behandlung. Dabei geht es nicht nur um den gewerblichen Handel mit virtuellen Währungen. Erste finanzgerichtliche Urteile zur Besteuerung des Handels mit Kryptowährung liegen vor. Steuerliche Aspekte und die Auffassung der Finanzverwaltung sowie offene Fragen werden im folgenden Abschnitt beleuchtet. I. Grundsätzliches zur ertragsteuerlichen Behandlung von Geschäftsvorfällen rund um Kryptoassets in und außerhalb eines Insolvenzverfahrens Aktivitäten im Zusammenhang mit Einheiten einer virtuellen Währung und 234 mit sonstigen Token können zu Einkünften aus fast allen Einkunftsarten gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG führen. Daran setzt die Pflicht des Steuerpflichtigen an, entsprechende Einkünfte zu erklären. Im Insolvenzfall trifft die Erklärungspflicht den Insolvenzverwalter, §§ 80, 155 InsO. Der Einzelfall entscheidet über die Verortung der Einkünfte. Folgende Ein- 235 künfte kommen in Betracht: x

Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG)

x

Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit (§ 19 EStG)

x

Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG)

x

Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 22 Nr. 2 EStG i. V. m. § 23 EStG) oder

x

sonstige Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG).

Steuervorschriften gelten grundsätzlich auch im Fall einer Insolvenz. Durch 236 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über, § 80 InsO. Nach § 155 InsO bleiben handels- und steuerrechtliche Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt. „In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter diese Pflichten zu erfüllen.“ Dieses führt in vielen Fällen zu

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G. Besteuerung von Geschäftsvorfällen von und mit Kryptowerten

Differenzen zwischen Finanzverwaltung (FV) und Schuldner bzw. Insolvenzverwalter. Der AEAO zu § 251, 4.2 ist partiell auslegungsfähig. „4.2. Stellung und steuerliche Pflichten des Insolvenzverwalters 1

Der Insolvenzverwalter hat als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.

2

Er ist daher u. a. gemäß § 149 Abs. 1 AO i. V. m. den Einzelsteuergesetzen verpflichtet, Steuererklärungen für den Schuldner abzugeben.

3

Die Steuererklärungspflicht besteht sowohl für Besteuerungszeiträume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch für Besteuerungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, soweit der Schuldner noch keine Steuererklärungen abgegeben hat.

[…] 1

Für die Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters ist es i. d. R. unerheblich, ob die Insolvenzmasse über ausreichende Mittel verfügt, um diese Erklärungen durch einen Dritten erstellen zu lassen (BFH-Urteil vom 23.8.1994, BFH Aktenzeichen VII R 143/92, BSTBL Jahr 1995 II, Seite 194).

2

Soweit der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, Steuererklärungen einschließlich Steueranmeldungen abzugeben, und er dieser Verpflichtung nicht nachkommt, sind Zwangsmaßnahmen (§§ 328, 329 AO) gegen ihn zulässig.

3

Dies gilt auch, wenn aus den angeforderten Erklärungen voraussichtlich nicht mit steuerlichen Auswirkungen zu rechnen ist (sogenannte „Null-Erklärungen“263)).

4

In massearmen Verfahren kann jedoch regelmäßig von der Anwendung von Zwangsmitteln abgesehen werden; die Besteuerungsgrundlagen sind dann zu schätzen.“

237 Die Interpretation der letzten Ziffer ist Gegenstand einer Diskussion zwischen der Finanzverwaltung und der Praxis, namentlich Insolvenzverwaltern. Wenngleich der Verwalter grundsätzlich kaufmännische und steuerliche Pflichten erfüllen muss, § 155 InsO, sollte das Ermessen für die Finanzverwaltung gemäß § 251 AEAO, 4.2 (Anhang), bei massearmen Verfahren auch im praktischen Umgang rasch zugunsten der Verwalter ausgeübt werden. Das sehen weite Teile der Verwalter so, nicht aber das BMF. Es mag Einzelfälle geben, in denen die Finanzverwaltung Zwangsmittel festsetzt und/oder auch Strafverfahren gegen Verwalter einleitet. Eine enge Kommunikation ist zu empfehlen, um eventuelle Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. II. Gerichtsentscheidungen zur steuerlichen Behandlung von Geschäftsvorfällen 238 Transaktionen mit Kryptowerten beschäftigen inzwischen auch die Gerichte. Mit Urteil des FG Baden-Württemberg vom 1.12.2021264) stellte das FG klar, ___________ 263) Vgl. BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BStBl. II 2013 S. 141. 264) FG Baden-Württemberg, Urt. v. 1.12.2021 – 5 K 1996/19, DStR 2022, 143.

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II. Gerichtsentscheidungen zur steuerlichen Behandlung von Geschäftsvorfällen

dass Gewinne aus Kryptoverkäufen nach § 22 Nr. 2 EstG i. V. m. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EstG steuerbar sind, wenn sich die Gewinne innerhalb der sog. Spekulationsfrist ereignen.265) Die Revision zum BFH wurde dort zwar zugelassen, aber nicht mehr durchgeführt. Das Rechtsmittel beim BFH wurde zurückgezogen.266) Ähnlich urteilte das FG Köln mit Urteil vom 25.2.2022.267) Gewinne aus Kryp- 239 toverkäufen sind nach § 22 Nr. 2 EstG i. V. m. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbar, wenn sie innerhalb der Spekulationsfrist anfallen.268) Das FG führte aus, dass die dortigen Gewinne aus der Veräußerung von Kryptowährungen einkommensteuerpflichtig „privates Veräußerungsgeschäft“ sind. In dem Fall ging es um ein zeitnahes Kaufen und Verkaufen.269) Der Kläger verfügte zu Beginn des Jahres 2017 über zuvor erworbene Bitcoin. 240 Diese tauschte er im Januar 2017 zunächst in Ethereum-Einheiten und die Ethereum-Einheiten im Juni 2017 in Monero-Einheiten. Ende des Jahres 2017 tauschte er seine Monero-Einheiten teilweise wieder in Bitcoin und veräußerte diese noch im gleichen Jahr. Für die Abwicklung der Geschäfte hatte der Kläger über digitale Handelsplattformen entweder Kaufverträge mit Anbietern bestimmter Kryptowerte zu aktuellen Kursen oder Tauschverträge, bei denen er eigene Kryptowerte als Gegenleistung eingesetzt hat, geschlossen.270) Der Kläger erklärte den aus der Veräußerung erzielten Gewinn von über 241 3 Mio. € in seiner Einkommensteuererklärung 2017 als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. v. § 22 Nr. 2 EstG i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß fest. Der Kläger legte daraufhin Einspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass bei der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Kryptowährungen ein strukturelles Vollzugsdefizit bestehe und ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vorliege. Daher dürften diese Gewinne nicht besteuert werden. Im Übrigen fehle es bei Kryptowährungen an der erforderlichen Veräußerung eines „Wirtschaftsguts“.271) Dem folgte das FG Köln nicht und wies die Klage ab. ___________ 265) 266) 267) 268)

FG Baden-Württemberg, Urt. v. 1.12.2021 – 5 K 1996/19, DStR 2022, 143. In dem Verfahren vor dem BFH – IX R 27/21 wurde die Revision zurückgezogen. FG Köln, Urt. v. 25.11.2021 – 14 K 1178/20, DStRE 2022, 667. FG Köln, Urt. v. 25.11.2021 – 14 K 1178/20, DStRE 2022, 667; siehe Pressemitteilung des FG Köln vom 25.2.2022, https://www.fg-koeln.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/archiv_2022/25_02_2022/index.php [17.5.2023]. 269) FG Köln, Urt. v. 25.11.2021 – 14 K 1178/20, DStRE 2022, 667; siehe Pressemitteilung des FG Köln vom 25.2.2022, a. a. O. 270) FG Köln, Urt. v. 25.11.2021 – 14 K 1178/20, DStRE 2022, 667; siehe Pressemitteilung des FG Köln vom 25.2.2022, a. a. O. 271) FG Köln, Urt. v. 25.11.2021 – 14 K 1178/20, DStRE 2022, 667; siehe Pressemitteilung des FG Köln vom 25.2.2022, a. a. O.

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G. Besteuerung von Geschäftsvorfällen von und mit Kryptowerten

242 Ein strukturelles Vollzugsdefizit liege nicht vor. Dieses werde insbesondere nicht durch die anonyme Veräußerung begründet. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts vor. Bei den Kryptowährungen handele es sich um „andere Wirtschaftsgüter“ i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Die Qualifikation als Wirtschaftsgut verstoße nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, da über den Gegenstand des Wirtschaftsguts keine Unklarheiten bestünden. Die vom Kläger gehandelten Kryptowerte (Bitcoin, Ethereum und Monero) seien verkehrsfähig und selbstständig bewertbar. Zudem bestehe eine strukturelle Vergleichbarkeit mit Fremdwährungen.272) 243 Der BFH bestätigte mit Urteil vom 14.2.2023 das FG Köln und wies die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln als unbegründet zurück. Die Leitsätze des BFH lauten: 1. Zu den (anderen) Wirtschaftsgütern, die Gegenstand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i. S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sein können, gehören auch virtuelle Währungen in der Gestalt von Currency-Token. Diese werden i. S. v. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG angeschafft, wenn sie im Tausch gegen Euro, gegen eine Fremdwährung oder gegen andere virtuelle Währungen erworben werden; sie werden veräußert i. S. d. Vorschrift, wenn sie in Euro oder gegen eine Fremdwährung zurückgetauscht oder in andere Currency-Token umgetauscht werden. 2. Bei der Erfassung und Besteuerung von Veräußerungsgeschäften mit Currency-Token lag im Jahr 2017 kein normatives Vollzugsdefizit vor. 244 Zur Begründung führt der BFH aus, dass die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG alle Wirtschaftsgüter beträfe, d. h. Sachen und Rechte i. S. d. Bürgerlichen Gesetzesbuchs (BGB), tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und auch vermögenswerte Vorteile jedweder Art.273) Ausgenommen seien insoweit lediglich Veräußerungen von Gegenständen des täglichen Gebrauchs, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EstG.274) Hierzu zählten die veräußerten Kryptowährungen des Klägers hingegen nicht. Auch seien Tauschvorgänge, also Kryptowährungen gegen Kryptowährungen, Anschaffungs- und Veräußerungsvorgängen gleichgestellt.275) 245 Kryptowährungen sind nach Auffassung des BFH aber auch des FG als (andere) Wirtschaftsgüter einzustufen. Ausschlaggebend sei der handelsrechtliche

___________ 272) FG Köln, Urt. v. 25.11.2021 – 14 K 1178/20, DStRE 2022, 667; siehe Pressemitteilung des FG Köln vom 25.2.2022, a. a. O. 273) BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 21, https://www.bundesfinanzhof.de/de/ entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202310057/ [17.5.2023]. 274) BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 21, a. a. O. 275) BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 22, a. a. O.

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III. BMF-Schreiben vom 10.5.2022

Begriff des Vermögensgegenstands; dieser sei bekanntlich weit zu fassen.276) Der Begriff des Wirtschaftsguts umfasse nicht nur Gegenstände i. S. d. Bürgerlichen Rechts, wie z. B. Sachen und Rechte, sondern auch tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und Vorteile.277) Die Currency-Token BTC, ETH und XMR seien nach diesen Grundsätzen digitale Vermögenswerte.278) Zu den (anderen) Wirtschaftsgütern, die Gegenstand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sein können, gehören (jedenfalls) auch virtuelle Währungen in der Gestalt von Currency-Token.279) Ein „normatives Vollzugsdefizit“, das der Kläger vorgetragen hatte, erkennt 246 der BFH zudem nicht. Eine gesetzliche Besteuerungsgrundlage – hier § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EstG – wäre nur dann verfassungswidrig, wenn die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens in prinzipieller Weise verfehlt werde.280) Vor diesem Hintergrund genüge jedoch nicht schon jeder feststellbare Vollzugsmangel.281) Im zu beurteilenden Streitfall lägen insoweit keine Anhaltspunkte für ein strukturelles Vollzugsdefizit vor, das der Erhebung der Steuer entgegenstünde. Im Ergebnis sind Gewinne aus Kryptoverkäufen nach § 22 Nr. 2 EstG i. V. m. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbar, wenn sie innerhalb der Spekulationsfrist anfallen. Im Übrigen sind die anderen Einkunftsarten zu beachten. III. BMF-Schreiben vom 10.5.2022 „Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“ Die Finanzverwaltung hatte sich bereits seit 2020 mit digitalen Techniken und 247 neuen Erscheinungsformen virtueller Assets befasst und an einer Verwaltungsanweisung in dieser sicher nicht einfachen Materie gearbeitet. Mit BMF-Schreiben vom 10.5.2022,282) nimmt das BMF zu „Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“ Stellung. Die Finanzverwaltung erkennt, dass Kryptowährungen digitale Vermögens- 248 werte sind, die nicht unmittelbar staatlich kontrolliert oder reguliert sind, inzwischen aber eine enorme Bedeutung in den internationalen Märkten erreicht haben.

___________ 276) 277) 278) 279) 280) 281) 282)

BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 23, a. a. O. BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 23, a. a. O. BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 27, a. a. O. BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 44, a. a. O. BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 49, a. a. O. BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 3/22, Rn. 50, a. a. O. BMF-Schreiben v. 10.5.2022, BStBl. I 2022 S. 668.

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G. Besteuerung von Geschäftsvorfällen von und mit Kryptowerten

249 Mit dem BMF-Schreiben 10.5.2022283) gibt das Bundesministerium der Finanzen zunächst einen Überblick über die Techniken und sodann Erläuterungen zur steuerlichen Behandlung von Kryptowerten. Das BMF versteht das Schreiben als „Leitfaden“, den „es den Praktikern in Finanzverwaltung und Wirtschaft, aber auch den einzelnen Steuerpflichtigen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung nicht nur von Bitcoin“ gibt. Behandelt werden neben dem Anund Verkauf virtueller Währungen und sonstiger Token insbesondere die Blockerstellung (bei Bitcoin Mining genannt). Daneben beschäftigt sich das BMFSchreiben mit Staking, Lending, Hard Forks, Airdrops, den ertragsteuerrechtlichen Besonderheiten von Utility- und Security-Token sowie Token als Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit.284) 250 Das BMF erläutert Blockchain als wohl verbreitetste Form der DistributedLedger-Technologien (DLT). Die Finanzverwaltung definiert die „virtuellen Währungen“ in Anlehnung an eine Richtlinie der Europäischen Union als digital dargestellte Werteinheiten, die von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert oder garantiert werden und damit nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzen, jedoch von natürlichen und juristischen Personen als Tauschmittel akzeptiert werden und auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden können. Die Ausführungen der Finanzverwaltung beschränken sich gerade nicht auf Kryptowährungen. Somit können durchaus auch virtuelle Währungen aus digitalen Spielen oder sonstigen virtuellen Anwendungen dem Anwendungsbereich des BMFSchreibens unterfallen. 251 Auch zu sog. „Token“ äußert sich das BMF, die ebenfalls digitale Einheiten darstellen, denen jedoch bestimmte Ansprüche oder Rechte mit variierender Funktion zugeordnet sind. Das BMF benennt Currency- bzw. Payment-Token als „virtuelle Währung“ und unterscheidet diese von Utility-Token und Security-Token. Während erstere gewisse Nutzungsrechte oder Ansprüche auf Dienstleistungen oder Waren („Utilities“) vermitteln, sind Security-Token mit herkömmlichen Wertpapieren vergleichbar und lassen sich insoweit – je nach Ausgestaltung der vermittelten Rechte – in Equity- (Eigenkapital-) und Debt-(Verbindlichkeits-)Token unterteilen. 252 Die einzelnen Einheiten virtueller Währungen sind Wirtschaftsgüter, so das BMF. Die Frage nach der Wirtschaftsgutqualität hat für die Besteuerung von virtuellen Währungen – insbesondere steuerlichen Privatvermögen – enorme Bedeutung. Das zeigen die Ausführungen des BMF zur Wirtschaftsgutqualität und Zurechnungen, wenngleich mit einem zu erwartenden Folgeschreiben an dieser Stelle vermutlich noch umfangreichere Ausführungen folgen werden. ___________ 283) Siehe https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_ Schreiben/Steuerarten/Einkommensteuer/2022-05-09-einzelfragen-zur-ertragsteuerrechtlichen-behandlung-von-virtuellen-waehrungen-und-von-sonstigen-token.pdf?__blob= publicationFile&v=1 [17.5.2023]. 284) BMF-Schreiben v. 10.5.2022, BStBl. 2022 I S. 668.

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III. BMF-Schreiben vom 10.5.2022

Ab Seite 11 des BMF-Schreibens finden sich Anweisungen zur ertragsteuer- 253 rechtlichen Einordnung: Rn. 30: „Tätigkeiten im Zusammenhang mit Einheiten einer virtuellen Währung und mit sonstigen Token können, je nach den Umständen des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der nachfolgenden Ausführungen, zu Einkünften aus allen Einkunftsarten (§ 2 Absatz 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz – EStG) führen. In Betracht kommen insbesondere Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG), Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG), Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 22 Nummer 2 in Verbindung mit § 23 EStG) oder sonstige Einkünfte (§ 22 Nummer 3 EStG).“

Auf Seite 16 ab Rn. 52 ff. stellt das BMF klar, dass Einkünfte aus der Veräu- 254 ßerung von Einheiten einer virtuellen Währung und sonstigen Token ertragsteuerrechtlich im Betriebsvermögen angesiedelt sein können und dann Veräußerungserlöse Betriebseinnahmen sind. Rn. 52: „Werden Einheiten einer virtuellen Währung oder sonstige Token wiederholt angekauft und verkauft (einschließlich des Tausches in Einheiten anderer virtueller Währungen oder sonstige Token), kann ein solcher Handel eine gewerbliche Tätigkeit darstellen. Für die Abgrenzung zur privaten Vermögensverwaltung können die Kriterien zum gewerblichen Wertpapier- und Devisenhandel herangezogen werden (vgl. H 15.7 (9) (An- und Verkauf von Wertpapieren) EStH 2021).“

Auf Seite 16 ab Rn. 53 führt das BMF zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung 255 im Privatvermögen aus. „Einheiten einer virtuellen Währung und sonstige Token sind ein „anderes Wirtschaftsgut“ im Sinne des § 23 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 EStG (vgl. Randnummer 31). Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Einheiten einer virtuellen Währung und sonstigen Token können daher Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 22 Nummer 2 in Verbindung mit § 23 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 EStG darstellen, wenn der Zeitraum zwischen der Anschaffung und der Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt (für die ertragsteuerrechtlichen Besonderheiten von Utility und Security Token vgl. Randnummern 77 ff.). Die Einkünfteerzielungsabsicht ist dabei nicht zu prüfen, da sie bereits aufgrund der Veräußerung innerhalb der Frist objektiviert vorliegt. Die Gewinne bleiben jedoch nach § 23 Absatz 3 Satz 5 EStG steuerfrei, wenn die Summe der aus sämtlichen privaten Veräußerungsgeschäften im Kalenderjahr erzielten Gewinne (Gesamtgewinn) weniger als 600 € beträgt.“

Ferner stellt das BMF-Schreiben auf Seite 16 unter Rn. 57 klar:

256

„Der Gewinn oder Verlust aus der Veräußerung von Einheiten einer virtuellen Währung und sonstigen Token ermittelt sich aus dem Veräußerungserlös abzüglich der Anschaffungs- und der Werbungskosten.“

Im Übrigen sei auf das BMF-Schreiben verwiesen.285)

257

___________ 285) BMF-Schreiben v. 10.5.2022, BStBl. I 2022 S. 668.

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G. Besteuerung von Geschäftsvorfällen von und mit Kryptowerten

258 Bezüglich des Handels von virtuellen Währungen ist insbesondere von Relevanz, wann der Handel dieser Währungen über das Maß privater Vermögensverwaltung hinausgeht und einen Gewerbebetrieb i. S. d. § 15 EstG begründen kann. Das BMF zieht dazu die Kriterien zum gewerblichen Wertpapier- und Devisenhandel heran. Aus Sicht der „einfachen“ Token-User ist es durchaus erfreulich, dass allein der fortgesetzte An- und Verkauf von Kryptowährungen – auch im größeren Umfang – hiernach keine Gewerblichkeit begründen dürfte.286) 259 Teile der Literatur und der Rechtsanwender haben sich kritisch mit dem BMF-Schreiben zu „Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“ auseinandergesetzt.287) Zum Teil werden alternative steuerliche Bewertungen empfohlen.288) 260 Das BMF nehme etwa ohne nähere Begründung und Differenzierung die Wirtschaftsguteigenschaft von virtuellen Währungen und sonstigen Token an.289) Während das BMF unter virtuellen Währungen sog. „Currency- oder PaymentToken“ verstehe,290) bleibe offen, was das BMF unter „sonstige Token“ subsumieren möchte.291) 261 Einigkeit besteht jedenfalls über die Besteuerung und die Einkunftsart. Werden Currency- bzw. Payment-, Utility- und Security-Token, die im Privatvermögen gehalten werden, veräußert, können die Einkünfte aufgrund der durch das BMF angenommenen Wirtschaftsgutqualität der Token nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i. V. m. § 22 Nr. 2 EStG steuerbar sein, wenn die Token (entgeltlich) angeschafft wurden (z. B. durch Kauf oder Tausch) und der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.292) Problematisch kann werden, dass das BMF für die Haltefristund Wertermittlung je nach Fallgestaltung verschiedene Betrachtungsweisen zulassen möchte,293) die ihrerseits im Einzelfall jeweils Vor- und Nachteile und damit i. E. ebenfalls Haftungsrisiken für Berater mit sich bringen.294) Infolge des BMF-Schreibens könnten nach Ablauf der Jahresfrist auch keine Veräußerungsverluste mehr steuerlich geltend gemacht werden.295) Aufgrund des Wortlauts der Regelung und den zwangsläufig mit der Rechtsfortbildung be___________ Lohmar/Jeuckens, DStR 2022, 1833. Lohmar/Jeuckens, DStR 2022, 1833. Selonke/Madsen, beck.digitax 2022, 290. BMF-Schreiben v. 10.5.2022, Rn. 31 f., BStBl. I 2022 S. 668. BMF-Schreiben v. 10.5.2022, Rn. 3, BStBl. I 2022 S. 668. Selonke/Madsen, beck.digitax 2022, 290. BMF-Schreiben v. 10.5.2022, Rn. 53, 79 f., 86, BStBl. I 2022 S. 668; Selonke/Madsen beck.digitax 2022, 290. 293) BMF-Schreiben v. 10.5.2022, Rn. 61 f., BStBl. I 2022 S. 668; Lohmar/Jeuckens, DStR 2022, 1833. 294) Selonke/Madsen, beck.digitax 2022, 290. 295) Lohmar/Jeuckens, DStR 2022, 1833. 286) 287) 288) 289) 290) 291) 292)

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IV. Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von auf Kryptowährungen bezogenen Umsätzen

hafteten Unsicherheiten, bleibt abzuwarten, ob und wie sich Gerichte diesbezüglich positionieren. Berater sollten diese Unsicherheiten für ihre praktische Arbeit im Hinterkopf behalten. Offen bleibt zudem, inwieweit sich Steuerpflichtige in Bezug auf bereits realisierte Verluste auf einen ggf. bestehenden Vertrauensschutz berufen können.296) Nach dem besagten BMF-Schreiben vom 10.5.2022 soll es sich bei „virtuellen 262 Währungen“ (also sog. „Currency- oder Payment-Token“) um „nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter materieller Art“ handeln.297) Bei Zuordnung zum Anlagevermögen seien sie unter Finanzanlagen i. S. d. § 266 Abs. 2 A. III. HGB und bei Zuordnung zum Umlaufvermögen unter sonstige Vermögensgegenstände i. S. d. § 266 Abs. 2 B. II. 4. HGB auszuweisen.298) Auch das wird durchaus kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht dann aber wieder darüber, dass es sich bei virtuellen Währungen um nicht körperliche bzw. nicht materielle Wirtschaftsgüter handelt. Token werden deshalb richtigerweise als immaterielle, nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter angesehen.299) Ob das Ziel des BMF, „einen rechtssicheren und einfach anwendbaren Leitfaden zur ertragsteuerlichen Behandlung von virtuellen Währungen und sonstigen Token zu entwerfen“, erreicht wurde, beurteilen die Beteiligten durchaus unterschiedlich. Die Diskussionen dauern an und neuere Entwicklungen im Kryptobereich sind absehbar. Weitere BMF-Schreiben werden deshalb folgen. IV. Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von auf Kryptowährungen bezogenen Umsätzen Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von auf Kryptowährungen bezoge- 263 nen Umsätzen sei auf das sog. Hedqvist-Urteil vom 22.10.2015300) verwiesen. Dort hatte der EuGH entschieden, dass der Umtausch von Bitcoin in konventionelle Währungen nicht umsatzsteuerpflichtig sei. Den Urteilsgründen lassen sich auch allgemeine Ausführungen zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen entnehmen, für den Fall, dass diese als vertragliches unmittelbares Zahlungsmittel zwischen Wirtschaftsteilnehmern akzeptiert werden und keinem anderen Zweck als der Verwendung als Zahlungsmittel dienen. Hieran anknüpfend hat das BMF mit Schreiben vom 27.2.2018301) konkrete Fälle (Mining, Wallets, Handelsplattformen) aufgeführt und deren umsatzsteuerrechtliche Behandlung klargestellt. Die Hingabe von virtuellen Währungen zur bloßen Entgeltentrichtung, wenn sie also zu keinem anderen Zweck als der Verwendung als Zahlungsmittel dienen, ist danach ___________ 296) 297) 298) 299) 300) 301)

Selonke/Madsen, beck.digitax 2022, 290. BMF-Schreiben v. 10.5.2022, Rn. 41, BStBl. I 2022 S. 668. BMF-Schreiben v. 10.5.2022, Rn. 41, BStBl. I 2022 S. 668. Selonke/Madsen, beck.digitax 2022, 290. EuGH, Urt. v. 22.10.2015 – C-264/14, BStBl. 2018 II S. 211 und MwStR 2015, 930. BMF-Schreiben v. 27.2.2018 – III C 3 - S 7160-b/13/10001, DOK 2018/0163969, DStR 2018, 528.

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G. Besteuerung von Geschäftsvorfällen von und mit Kryptowerten

nicht steuerbar. Hingegen sind beispielsweise Gebühren, die ein Wallet-Anbieter verlangt, umsatzsteuerpflichtig, soweit der Leistungsort im Inland liegt.302) V. IDW zu Kryptowährungen: IDW veröffentlicht Knowledge Paper 264 Auch das Institut der Wirtschaftsprüfer beschäftigt sich seit Jahren mit digitalen Werten und Krypto. Dazu hat das IDW ein „Knowledge Paper“ aufgelegt.303) Damit will das IDW Geschäftsleitungen, Aufsichtsräten, Wirtschaftsprüfern und weiteren Interessierten die Grundlagen von Kryptowährungen vermitteln und über Chancen und Risiken aufklären. 265 Das IDW Knowledge Paper stellt Grundlagen und Techniken von Kryptowährungen, die Produzenten, die Handelsplattformen, die Nutzer und die unterschiedlichen Währungen dar. Außerdem widmet es sich den möglichen Auswirkungen auf die Abschlussprüfung und stellt Assurance- und Beratungsdienstleistungen von Wirtschaftsprüfern dar. „Denn Wirtschaftsprüfer als unabhängige Partei können in dem noch jungen Markt für mehr Vertrauen und Sicherheit sorgen.“ VI. Europäischer Ausblick: CARF 266 Die OECD verhandelt im Auftrag der G20-Finanzminister einen rechtlichen Rahmen für den internationalen Austausch steuerlich relevanter Daten zu Kryptovermögen (Crypto-Asset Reporting Framework). Das Ziel der OECD ist die Vereinbarung eines Standards, der die zwischen den teilnehmenden Staaten und Gebieten auszutauschenden Informationen und die dazu zu beachtenden Sorgfaltspflichten festlegt. Die internationale Steuerpolitik wird mit CARF aber auch anderen Regulierungen Handlungsoptionen ausloten und wahrnehmen. Das wird auch die Bundesrepublik Deutschland (ebenso wie andere Staaten) tangieren. Die Staaten werden sich zwischen Steuerwettbewerb und Steuerkoordinierung positionieren, auch wenn die Staaten immer wieder ihre fiskalpolitische Autonomie unterstreichen. CARF und der Steuerwettbewerbs werden zu einer Disziplinierung nationaler Fiskalpolitik führen. Eine globale oder jedenfalls europaweite Steuerkoordinierung dürfte diesen Wettbewerb abschwächen. Zudem dürften dadurch die fiskalischen Zugriffsrechte der Staaten gestärkt und nationale Umverteilungsziele abgesichert werden.

___________ 302) Patz, BKR 2021, 725. 303) Siehe https://www.idw.de/idw/medien/idw-knowledge-paper [17.5.2023].

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H. Kryptowährungen als Gegenstand im Strafrecht Die Sicherstellung und Verwertung von Kryptoassets stellt nicht nur im In- 267 solvenzverfahren eine besondere Herausforderung dar. Inzwischen gehören Verschiebungen von Kryptowährungen, Schwarzgeldwäsche und Zahlungen via Kryptoassets als „Gegenleistung“ für kriminelle Handlungen, leider zum Alltag der Ermittlungsbehörden und auch der Strafvollstreckung. I. Betrugs- und Missbrauchsanfälligkeit Kryptowährungen können in direktem Zusammenhang mit kriminellen Ma- 268 chenschaften stehen. Die Presse setzt Aktivitäten rund um Kryptowährungen nicht selten unmittelbar in Bezug zur Kriminalität. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass Kryptowährungen „anonyme“ Zahlungsmittel seien, mit welchen Straftaten nicht aufklärbar wären. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein pseudonymes System, d. h., Transaktionen werden auf der Blockchain gespeichert und können sehr wohl nachverfolgt werden (siehe Rn. 22 ff.). In der Vergangenheit sind einige populäre Fälle bekannt geworden. Einer der 269 bekanntesten dürfte der Betrug um die vermeintliche Kryptowährung „Onecoin“ sein. Die Onecoin-Gründerin, Ruja Ignatova, sammelte von interessierten Anlegern insgesamt über vier Milliarden Dollar ein. Der Onecoin wurde von ihr als sog. „Bitcoin-Killer“304) beworben. Tatsächlich betrieb sie jedoch im Hintergrund lediglich ein ausgeklügeltes Schneeballsystem. Die Anleger erhielten – entgegen ihrer Versprechungen – keine Kryptowährung. Der Onecoin stellte sich im Nachhinein als nicht existent, zumindest aber als wertlos dar.305) Frau Ruja Ignatova ist seit dem 25.10.2017 untergetaucht. Nach ihr wird bis heute international gefahndet; der festgestellte Schaden allein deutscher Anleger soll nach Angaben des BKA im oberen zweistelligen Millionenbereich liegen.306) Die Anleger werden ihr Invest vermutlich nicht wiedersehen. Neben derart öffentlich wirksamen Fällen haben sich Fälle von Nachahmern 270 gezeigt, aber auch gewöhnliche Kriminalität ist inzwischen häufig mit der Zahlung via Kryptotoken verbunden.307) Behörden haben in den letzten Jahren das hierfür erforderliches Know-how aufgebaut und konnten mitunter erste Erfolge erzielen. ___________ 304) Siehe https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/onecoin-milliarden-betrug-mit-falscherkryptowaehrung-16489799.html [17.5.2023]. 305) Tatsächlich soll eine Auswertung von sichergestellten Servern aus Ungarn durch ITSpezialisten aus Münster ergeben haben, dass eine Onecoin-Blockchain entworfen wurde. Diese basiere auf der Bitcoin-Blockchain und leide unter erheblichen Mängeln, die gegen eine Markttauglichkeit sprächen. 306) Siehe https://www.bka.de/DE/IhreSicherheit/Fahndungen/Personen/BekanntePersonen/ RI/Sachverhalt.html [17.5.2023]. 307) Besonders erwähnenswert sind u. a. Betrug, Erpressung, Drogenhandel.

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H. Kryptowährungen als Gegenstand im Strafrecht

1. Auswertung/Statistik 271 Um ein grobes Bild davon zu bekommen, wie Straftaten im Cyber- und Crypto-Space erfolgen und sich national und international verteilen, lohnt ein Blick in den jährlich erscheinende Crypto Crime Report von Chainalysis.308) Der Report aus dem Jahre 2023309) zeigt, dass kriminelle Energie gepaart mit technischem Verstand ein breites Spektrum strafbarer Aktivitäten eröffnen kann. Das „Darknet“ erweist sich auch dort als Forum für illegale Aktivitäten. 272 Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigte in einer Pressemitteilung vom 9.5.2022 zum Bundeslagebild Cybercrime 2021310), dass die im Jahr 2021 erfassten Cyber-Straftaten einen neuen Höchstwert erreicht haben. 273 Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) habe im Phänomenbereich Cybercrime 146.363 Delikte verzeichnet, was einem Anstieg um mehr als zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr entspreche. Der bereits in den vergangenen Jahren festgestellte Bedeutungszuwachs der Cyberkriminalität setze sich damit fort. Die Entwicklung sei Ausdruck der fortschreitenden Verlagerung von Kriminalität in den digitalen Raum. Insbesondere die zunehmende Verzahnung internationaler Lieferketten sowie die weiter beschleunigte Digitalisierung, u. a. auch durch die Coronapandemie, schaffe eine Vielzahl neuer Tatgelegenheiten für Cyberkriminelle. 274 Die Aufklärungsquote habe hingegen mit 29,3 Prozent auf einem niedrigen Niveau gelegen. Gründe hierfür seien unter anderem die verstärkte Anonymisierung im Netz sowie die komplexe Ermittlung von vielfach im Ausland befindlichen Tätern. Der Phänomenbereich Cybercrime sei zudem weiterhin von einem überdurchschnittlich großen Dunkelfeld geprägt, da Straftaten sehr häufig gar nicht erst angezeigt werden. 2. Bekämpfung der Cyberkriminalität durch das BKA 275 Das BKA besteht aus elf Fachabteilungen, die zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung innerhalb Deutschlands unterschiedlichste Aufgaben wahrnehmen. Mit der Abteilung „Cybercrime“ (CC) ist eine eigene Abteilung geschaffen worden, die sich im Verbund mit der Polizei des Bundes und der Länder sowie den weiteren nationalen und internationalen Partnern der Bekämpfung der Cybercrime auf nationaler und internationaler Ebene widmet. Das verdeutlicht bereits die Schwerpunktsetzung. Als Zentralstelle der deutschen Polizei i. S. v. § 2 BKAG übernimmt das BKA koordinierende Aufgaben, stellt Informationen und Tools zur Verfügung und ist Knotenpunkt der internationalen Zusammenarbeit. Ferner führt das BKA Ermittlungen im Bereich „Cybercrime“ ___________ 308) Siehe https://www.chainalysis.com/ [17.5.2023]. 309) Siehe https://go.chainalysis.com/2023-crypto-crime-report.html [17.5.2023]. 310) Die komplette Pressemitteilung ist abrufbar unter: https://www.bka.de/DE/Presse/ Listenseite_Pressemitteilungen/2022/Presse2022/220509_PM_CybercrimeBLB.html [17.5.2023].

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I. Betrugs- und Missbrauchsanfälligkeit

(Cyberkriminalität) im Rahmen seiner originären Zuständigkeiten durch, wenn etwa Behörden oder Einrichtungen des Bundes oder sicherheitsempfindliche Stellen von lebenswichtigen Einrichtungen betroffen sind oder das Bundeskriminalamt mit den Ermittlungen gemäß § 4 BKAG beauftragt wird.311) Der Begriff „Cyberkriminalität“ ist dabei polizeilich zu unterscheiden. Cyber- 276 kriminalität im „engeren“ Sinne erfasst Straftaten, die sich gegen das Internet, Datennetze, informationstechnische Systeme oder deren Daten richten. Diese Taten erfordern in der Regel eine hohe Technisierung, die ebensolche hochtechnische Ermittlungsarbeit auf Seiten der Polizei erfordert. Unter Cyberkriminalität im „weiteren“ Sinne können sodann Straftaten 277 subsumiert werden, die mittels Informationstechnik begangen werden. Hierunter fallen – vereinfacht gesagt – Taten, die auch in der analogen Welt begangen werden können, wie etwa der Drogenhandel. Die Informationstechnik kann sich sowohl im Vertrieb via Internet (z. B. Darknet) darstellen oder auch im Speziellen bestimmte Bezahlmechaniken erfordern, wie z. B. mittels Kryptowährungen. Letztere werden dann in Bezug zur Cyberkriminalität im weiteren Sinne gesetzt. Es ist davon auszugehen, dass die Ermittlungspraxis weiter ausgebaut werden 278 wird, um der Cyberkriminalität entgegenzuwirken. Schon heute ist es so, dass sich eine Vielzahl von Personen bei Polizei und Staatsanwaltschaft regelmäßig auch mit Kryptowährungen befassen muss. 3. Bekämpfung der Cyberkriminalität durch das ZIT Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) wurde bereits 279 am 1.1.2010 als Außenstelle der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main errichtet. Sie hat heute ihren Sitz in Frankfurt am Main und besteht derzeit aus einem Leitenden Oberstaatsanwalt als Leiter, einer Oberstaatsanwältin und einem Oberstaatsanwalt sowie elf Staatsanwältinnen und Staatsanwälten.312) Die ZIT arbeitet eng mit dem Bundeskriminalamt bei Massenverfahren gegen 280 eine Vielzahl von Tatverdächtigen zusammen oder um die örtliche Zuständigkeit deutscher Ermittlungsbehörden zu klären. Unter anderem ist die ZIT verantwortlich für die folgenden Schwerpunktbereiche:313) x

Kinderpornographie und sexueller Missbrauch von Kindern mit Bezug zum Internet.

___________ 311) Siehe https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Cybercrime/cybercrime_node.html [17.5.2023]. 312) Siehe https://staatsanwaltschaften.hessen.de/staatsanwaltschaften/generalstaatsanwaltschaft-frankfurt-am-main/aufgabengebiete/zentralstelle-zur-bekaempfung-der-internetund-computerkriminalitaet-zit [17.5.2023]. 313) Siehe https://staatsanwaltschaften.hessen.de/staatsanwaltschaften/generalstaatsanwaltschaft-frankfurt-am-main/aufgabengebiete/zentralstelle-zur-bekaempfung-der-internetund-computerkriminalitaet-zit [17.5.2023].

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H. Kryptowährungen als Gegenstand im Strafrecht

x

Darknetkriminalität (Bekämpfung krimineller Darknetplattformen sowie des Handels mit Waffen, Drogen und Fälschungsgütern im Darknet).

x

Cyberkriminalität im engeren Sinne (Hackerangriffe, Datendiebstahl und Computerbetrug).

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Hasskriminalität im Internet (Hate Speech).

281 Daneben ist die ZIT zuständig für Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Polizeibeamten. Zudem ist sie Gründungsmitglied in dem Judicial Cybercrime Network314), einem seit 2016 bestehenden europäischen Netzwerk der Justizbehörden zur Bekämpfung der Internetkriminalität. 282 Mediales Aufsehen erregte die ZIT zuletzt im Jahr 2020 in der Anklageerhebung gegen drei Männer, welche als Betreiber des weltweit zweitgrößten illegalen Marktplatzes im Internet (Darknet) – dem sog. „Wallstreet Market“ – identifiziert werden konnten315) und in der Folge vom Landgericht Frankfurt zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden316). Im Rahmen des umfangreichen Ermittlungsverfahrens konnten die Ermittler der ZIT unterschiedliche Kryptowährungen in einem großen Umfang sicherstellen und beschlagnahmen, hierunter allein ca. 2.200 Bitcoin. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt hatten die Täter auf die Herausgabe der verschiedenen Währungen verzichtet, wodurch diese in das Eigentum des Landes Hessen übergegangen sind. Den Ermittlern der ZIT ist es dann gelungen, diese Kryptowährungen zu verwerten und so im Dezember 2021 einen Gesamterlös von ca. 100 Mio. € für das Land Hessen zu erzielen.317) II. Kryptowährungen im Fokus der Vermögensabschöpfung und (vorläufigen) Sicherstellung 283 Kryptoassets erscheinen verstärkt im Kontext mit Straftaten. Vom Ermittlungs- bis zum Hauptverfahren und auch in der späteren Strafvollstreckung zeigen sich Herausforderungen und mitunter Schwierigkeiten bei der Kenntniserlangung, aber auch der Sicherstellung und Verwertung. Es zeigen sich Parallelen zu der Sicherstellung und Verwertung in der Insolvenzverwalterpraxis.318) ___________ 314) Siehe https://www.eurojust.europa.eu/judicial-cooperation/practitioner-networks/ european-judicial-cybercrime-network [17.5.2023]. 315) Siehe Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Hessen vom 22.6.2020, https:// cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2020/11/2020-06-22_PM_GStA_FFM_Anklageerhebung_ Wallstreet_Market.pdf [17.5.2023]. 316) Siehe https://rp-online.de/nrw/staedte/kleve/wallstreet-market-prozess-hohe-haftstrafenfuer-darknet-bande_aid-60555525 [17.5.2023]. 317) Siehe https://justizministerium.hessen.de/Presse/ZIT-verwertet-Kryptowaehrungen-imWert-von-ca-100-Mio-Euro [17.5.2023]. 318) Skauradszun/Schweizer/Kümpel, ZIP 2022, 2101; d’Avoine/Hamacher, ZIP 2022, 6; Thien, ErbR 2022, 771, 775; Hageböke/Springer, 2022, 1311.

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II. Kryptowährungen im Fokus der Vermögensabschöpfung und Sicherstellung

Zunächst ist zu untersuchen, welche Anspruchsgrundlagen und Instrumente 284 überhaupt bestehen, um Kryptowährungen im Rahmen des Strafverfahrens effektiv zu sichern und abzuschöpfen. 1. Materielles Strafrecht – Einziehung und Vermögensabschöpfung Das Strafprozessrecht kennt eine Fülle von Sicherungsmitteln. Das vorange- 285 stellt, sei hier jedoch lediglich auf das jeweilige Sicherungsmittel und dessen effektive Anwendbarkeit auf Kryptowerte eingegangen. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung sind im Kern akzessorisch zum materiellen Abschöpfungsrecht gestaltet.319) Das heißt, die Mittel der StPO zur Vermögensabschöpfung sind materiell-rechtlich zu differenzieren. Es kommt darauf an, ob eine Einziehung des Original Tatertrags oder eine Einziehung eines ersatzweisen Tatertrags in der Hauptverhandlung wahrscheinlich ist. Daran lassen sich sodann die verfahrensrechtlichen (vorläufigen) Sicherungs- 286 mittel bestimmen. Zunächst ist die Durchsetzbarkeit der materiell-rechtlichen Vermögensabschöpfung zu untersuchen. Die strafrechtlichen Einziehungsmöglichkeiten und Voraussetzungen sind 287 weitreichend. Es bleibt bei dem rechtsstaatlichen Dogma, dass sich Straftaten nicht lohnen sollen. Ein eigener Einziehungstatbestand für Kryptowährungen existiert jedoch nicht. Folgende Einziehungstatbestände kommen näher in Betracht.320) a) § 73 Abs. 1 StGB – Einziehung des Originals Hat ein Angeklagter aus einer Straftat unmittelbar Kryptowährungen erhalten, 288 so können diese zunächst als Original-Tatertrag oder -Tatbeute nach § 73 Abs. 1 StGB der Einziehung unterliegen. Das Gericht ordnet die Einziehung zwingend an, d. h., es besteht insoweit kein Ermessen. Voraussetzung ist, dass „etwas erlangt“ wurde. Gegenstand der Einziehung 289 kann grundsätzlich alles sein, was auch Gegenstand einer Bereicherung i. S. d. §§ 812 ff. BGB ist.321) Unter das Merkmal „etwas erlangt“ wird daher jeder in Geld messbare wirtschaftliche Vorteil verstanden.322) Dem unterfällt die Gesamtheit aller Vorteile, die dem Täter oder Teilnehmer durch die Tat zuge___________ 319) Bittmann in: Münch-Komm-StPO, Vor § 111b Rn. 46. 320) Die nachfolgende Aufzählung ist nicht als abschließend zu verstehen. Gut möglich ist, dass unter gewissen Voraussetzungen auch weitere Einziehungstatbestände in Betracht kommen, die eine Einziehung von Kryptowährungen erlaubt. Da dies stets Einzelfallentscheidungen sind, wird im Folgenden nur auf die Relevantesten und bereits in der Rechtsprechung behandelten Tatbestände näher eingegangen. 321) Rückert, MMR 2016, 295, 296; Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 73 Rn. 3. 322) Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 73 Rn. 3; Schönke/Schröder-Eser/Schuster, StGB, § 73 Rn. 5.

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flossen sind.323) Dass Kryptowährungen als Vermögenswerte grundsätzlich einziehungsfähig sind, ist bereits vom BGH entschieden worden.324) 290 Im Jahr 2017 bestätigte der BGH die Verfallsanordnung325) von 1.816 Bitcoin als rechtsfehlerfrei.326) Mit der Rechtsnatur von Kryptowährungen wurde sich nicht befasst. Bitcoin seien jedoch als Vermögenswert angesichts der Speicherung in der Blockchain und der Kombination aus öffentlichem Schlüssel (Public Key) und – zumindest dem Angeklagten bekannten – privaten Schlüssel (Private Key) hinreichend abgrenzbar.327) Für die Verfalls- bzw. Einziehungsanordnung habe es zudem keine Auswirkungen, ob der private Schlüssel dem Angeklagten bekannt ist oder nicht.328) 291 Die für § 73 Abs. 1 StPO erforderliche Abgrenzbarkeit ist jedoch nicht so unproblematisch, wie es der BGH in seinem Urteil darstellt. Die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB erstreckt sich nämlich auf die Einziehung des Originals, d. h., es muss genau das eingezogen werden, was erlangt wurde.329) Etwa auf Bargeld bezogen heißt das, dass eine Einziehung des Originals nach § 73 Abs. 1 StGB nur dann möglich ist, wenn exakt die Geldscheine eingezogen werden können, die durch oder für die Tat erlangt wurden. Das ist jedoch schon dann nicht mehr möglich, wenn eine Vermischung mit anderen Geldscheinen stattgefunden hat. Dann ist nur eine Wertersatzeinziehung nach § 73c StGB möglich.330) 292 Bei Überweisungen auf ein Bankkonto kommt nur eine Wertersatzeinziehung in Betracht, da die Überweisung allenfalls dazu führte, dass der Auszahlungsanspruch gegenüber der kontoführenden Bank anwächst. Außerdem ist Girogeld als solches nicht mehr hinreichend abgrenzbar im Vermögen des Betroffenen vorhanden.331) 293 Die vorigen Gedanken lassen sich auch auf Kryptowährungen übertragen, denn welche Kryptowährungen übertragen werden sollen, erscheint aufgrund der technischen Voraussetzungen schwierig. Letztlich wird die Kryptowährung in ihrer Höhe nach nur dem Public Key zugeordnet. Das heißt, auf der Blockchain wird die Transaktion dokumentiert, anhand derer die Wertzuweisung erfolgt (siehe Rn. 22 ff.). Die Abgrenzbarkeit des Originals ist hingegen davon abhängig, dass exakt diese Transaktion seit Erhalt unverändert geblieben ___________ 323) Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Saliger, StGB, § 73 Rn.3. 324) BGH, Beschl. v. 2.6.2022 – 2 StR 12/22, Rn. 22, BeckRS 2022, 35259; BGH, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 401. 325) „Verfall“ wurde in „Einziehung“ umbenannt, vgl. Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung v. 13.4.2017, BGBl. I 2017 S. 872. 326) BGH, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 401, NStZ 2018, 401. 327) BGH, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 401, NStZ 2018, 401. 328) BGH, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 401, NStZ 2018, 401. 329) Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73 Rn. 1. 330) Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 73c Rn. 2. 331) Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 73c Rn. 4.

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ist, also der Wert nicht weiter transferiert wurde. Unproblematisch ist das nur dann, solange dem Public Key nur eine einzige Transaktion zugeordnet ist. Problematisch dürfte bereits sein, wenn zur vorläufigen Sicherstellung gemäß § 111b StPO eine Transaktion auf einen staatlich unterhaltenen Public Key erfolgt (siehe Rn. 323 ff.). Kann keine ausreichende Abgrenzung erfolgen, dürfte sich daher in der Re- 294 gel keine Einziehung nach § 73 Abs. 1 StPO anbieten. Dann kommen andere Einziehungstatbestände eher in Betracht (siehe Rn. 299 ff.). Das bleibt stets im Einzelfall zu untersuchen. b) § 73 Abs. 1 und Abs. 3 StGB – Surrogateinziehung Soweit der Angeklagte Original-Taterträge für den Erwerb von Kryptowäh- 295 rungen aufgewandt hat, können diese theoretisch auch als Surrogat-Einziehung abgeschöpft werden. Das Gericht hat insoweit Ermessen.332) Mit Beschluss vom 11.1.2022333) bestätigte der BGH die Einziehung von Kryp- 296 towährungen als Surrogat durch die Vorinstanz334). Hintergrund dieser Entscheidung war, dass mittels Original-Taterträgen (hier: Barmittel im Wert von 8.500,00 €) Kryptowährungen erworben worden waren. Diese Kryptowährungen sind unter Anrechnung des dafür aufgewandten Gel- 297 des als Surrogat-Einziehung nach § 73 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 Var. 1 StGB rechtmäßig abschöpfbar. Eine gleichzeitige Wertersatzeinziehung nach § 73c Satz 1 StGB kommt hingegen nicht in Betracht; diese sei sodann ausgeschlossen.335) Auf den aktuellen Wert der Kryptowährungen kommt es dabei zusätzlich 298 nicht an und eine Wertsteigerung sei mit den restlichen Taterträgen nicht zu verrechnen. § 73c StGB bezöge sich, wie sich aus Satz 2 ergibt, nur auf den durch die Tat erlangten vermögenswerten Vorteil und nicht auf den Wert der Kryptowährungen zum Zeitpunkt der Einziehung.336) Maßgeblich sei der Verkehrswert des ursprünglich erlangten Vermögenswertes. Unterlag der Einziehungsgegenstand Wertschwankungen, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Wertersatzanspruch entstanden ist, folglich der Zeitpunkt der Erlangung.337) Spätere Schwankungen sind somit irrelevant.

___________ Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 8. BGH, Beschl. v. 11.1.2022 – 3 StR 415/21, BeckRS 2022, 1617. BGH, Beschl. v. 11.1.2022 – 3 StR 415/21 Rn. 10 f., BeckRS 2022, 1617. Die Wertersatzeinziehung gemäß § 73c Satz 1 StGB ist gegenüber der Einziehung von Surrogaten gemäß § 73 Abs. 1, Abs. 3 StGB formell subsidiär. 336) BGH, Beschl. v. 3.7.2018 – 2 StR 117/18, NstZ 2018, 654. 337) Schönke/Schröder-Eser/Schuster, StGB § 73c Rn. 10. 332) 333) 334) 335)

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c) § 73c StGB – Einziehung des Wertersatzes in Euro 299 Wie oben bereits dargestellt, kann die Einziehung des Original-Tatertrages nach § 73 Abs. 1 StGB unter Umständen schwierig sein. Soweit keine Surrogatseinziehung nach § 73 Abs. 1, Abs. 3 StGB vorliegt, kann den tatsächlichen und rechtlichen Zweifeln an einer Abgrenzung mit einer Wertersatzeinziehung nach § 73c Satz 1 StGB entgegnet werden. 300 Die Einziehung des Wertersatzes setzt zunächst voraus, dass die Voraussetzungen der (erweiterten) Einziehung von Taterträgen gemäß § 73 bzw. § 73a StGB erfüllt sind.338) Dessen Anordnung muss für das Gericht allerdings undurchführbar sein.339) § 73c Abs. 1 StGB hat insgesamt drei Alternativen: 1. Alternative: 301 Die Einziehung des Wertersatzes ist zwingend anzuordnen, wenn die Einziehung eines bestimmten Gegenstands wegen der Beschaffenheit des Erlangten undurchführbar ist (Alt. 1). Undurchführbar ist die Einziehung, wenn z. B. das erlangte Etwas nicht in der Übertragung einer Sache oder eines Rechts besteht, sondern in geldwerten Vorteilen anderer Art.340) Gleiches gilt, wenn das Erlangte mit einer anderen Sache verbunden oder verarbeitet worden ist, sodass danach eine neue Sache existiert.341) Hiernach dürfte keine Undurchführbarkeit der Einziehung von Kryptowährungen vorliegen. Zunächst handelt es sich hierbei um ein sonstiges Vermögensrecht, welches einem Public Key zugeordnet werden und mittels des Private Keys transferiert werden kann. Zum anderen stellt die Verfügung zwar einen geldwerten Vorteil dar, dieser geht jedoch zu keinem Zeitpunkt durch Verbindung oder Verarbeitung unter. Insoweit liegt keine Vergleichbarkeit vor. Im Gegenteil bleibt die Währungseinheit stets erhalten. 2. Alternative: 302 Undurchführbar aus anderem Grunde (Alt. 2), liegt mithin vor, wenn der erlangte Gegenstand sich im Zeitpunkt der Entscheidung über die Einziehung nicht mehr im Vermögen des Empfängers befindet.342) Der Fall ist dies, wenn der Tatbeteiligte die erlangte Sache verarbeitet, verbraucht343), verloren, zer___________ 338) BGH, Beschl. v. 17.4.2019 – 5 StR 603/18; NStZ 2020, 661, BGH, Beschl. v. 7.5.2019 – 5 StR 149/19, Rn. 8, BeckRS 2019, 9070. 339) Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 4. 340) Schmidt in: LK-StGB, § 73a a. F. Rn. 5; Schönke/Schröder-Eser/Schuster, StGB, § 73 Rn. 8, Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 5. 341) Fischer, StGB, § 73c Rn. 6; Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 6. 342) Schmidt in: LK-StGB, § 73a a. F. Rn. 6; Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 7. 343) BGH, Urt. v. 12.9.1984 – 3 StR 333/84; NJW 1985, 752, 753; Wallschläger S. 113; Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 11.

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stört oder unauffindbar beiseitegeschafft hat.344) Dies kann schon eher auf Kryptowährungen anwendbar sein. Nicht selten besteht eine hohe Bereitschaft von Straftätern, Taterträge in Form 303 von Kryptowährungen zu verschleiern. Es reicht dabei aus, dass Transaktionen auf eine den Ermittlern unbekannte Wallet transferiert werden, um die Token dem staatlichen Zugriff vollständig zu entziehen. Zwar bleibt die Empfängerwallet den Ermittlern bekannt, allerdings ist ohne die Person, die den Private Key hält bzw. kennt und zudem überlässt, keine weitere Verfügung möglich. Ohne Verfügungsmacht, ist eine Realisierung ausgeschlossen. In diesem Fall bleibt fast nur noch die Wertersatzeinziehung. Hierbei wird es auch auf den Vortrag und den Behauptungen des Angeklagten ankommen. Sollte der Dritte bekannt sein, ist zu beachten, dass ggf. die Varianten des 304 § 73b StGB Vorrang haben; die Wertersatzeinziehung hat gegenüber der Inanspruchnahme des Dritten nur subsidiären Charakter.345) 3. Alternative: Hat das Gericht im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens von der Surro- 305 gateinziehung abgesehen (Alt. 3), so ist jedenfalls zwingend die Einziehung eines Geldbetrages anzuordnen, der dem Wert des Erlangten entspricht. Insoweit hat das Gericht dann keinen Ermessensspielraum. Falls der Täter mit aus der Tat erlangten Geldern Kryptowährungen erwirbt 306 und der Wert der jeweiligen Kryptowährung seit Erwerb durch Kursschwankungen gemindert wurde, so ist ebenfalls neben der Surrogat-Einziehung nach § 73 Abs. 3 StGB auch eine Einziehung des Wertes nach § 73 Satz 2 StGB zwingend anzuordnen. Das Gericht hat insoweit ebenfalls kein Ermessen. d) § 73a StGB – Erweiterte Einziehung Denkbar ist auch die erweiterte Einziehung von Kryptowährungen nach 307 § 73a StGB. Mit weiterem Beschluss vom 22.9.2022346) hatte der BGH erneut über die Einziehung von Kryptowährungen als Taterträge zu entscheiden. Hintergrund war diesmal, dass die Vorinstanz347) u. a. die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von insgesamt 867.500,00 € nach §§ 73 Abs. 1, 73c StGB sowie im Wege der erweiterten Einziehung i. S. v. § 73a StGB auch Kryptowährungen angeordnet hat, die der Täter mit den obenstehenden Geldern erworben hatte. ___________ 344) NK-StGB/Saliger § 73a a. F. Rn. 4; Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 11. 345) Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 73c Rn. 7. 346) BGH, Beschl. v. 22.9.2022 – 3 StR 175/22, NStZ-RR 2023, 8. 347) BGH, Beschl. v. 22.9.2022 – 3 StR 175/22, NStZ-RR 2023, 8, 9.

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308 Die erweiterte Einziehung richtet sich nach § 73a StGB. Als Objekte der erweiterten Einziehung zählen alle Vermögensgegenstände, die durch eine andere – also nicht von der Anklage umfasste – rechtswidrige Tat erlangt worden sind. Die Herkunftstat darf also nicht mit der im Strafverfahren abzuurteilenden Anknüpfungstat identisch sein. 309 Die Vorschrift des § 73a StGB ist zudem gegenüber § 73 StGB subsidiär. Eine erweiterte Einziehung von Taterträgen kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn eine sichere Zuordnung zu konkreten oder zumindest konkretisierbaren einzelnen Taten ausgeschlossen ist. 310 Im vorliegenden Fall war für den BGH bereits nicht feststellbar, ob diese Kryptowährungen tatsächlich aus anderen als den abgeurteilten Geschäften herrührten, vgl. § 73a StGB. Soweit nämlich der Angeklagte die Kryptowährungen mit den als Wertersatz eingezogenen Geldern erworben hätte, sei im Rahmen der dann einschlägigen Surrogateinziehung gemäß § 73 Abs. 3 StGB, der dafür aufgewandte Geldbetrag in Abzug zu bringen. Anderenfalls läge eine unzulässige doppelte Abschöpfung beim Angeklagten vor. Wegen der ungeklärten möglichen Wechselwirkung zwischen der Einziehung des Wertes der Taterträge in Euro gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB einerseits und der erweiterten Einziehung der Kryptowährungen gemäß § 73a StGB andererseits, hat der BGH die Einziehungsanordnung insgesamt aufgehoben. e) Zeitpunkt der Wertersatzeinziehung 311 Nach der Rechtsprechung des BGH wird der Anspruch auf Einziehung von Wertersatz mit der Erlangung des Gegenstands begründet.348) Dieser Zeitpunkt wirkt sich insbesondere auch insolvenzrechtlich aus. Zwangsvollstreckungen in schuldnerisches Vermögen nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind unzulässig, § 90, 91 InsO. Ein aus der Zeit davor stammender Anspruch des Staates rangiert insoweit zunächst im Rang einer Tabellenforderung nach § 38 InsO. Diese sei zusätzlich nachrangig, da es sich um eine Nebenfolge einer Straftat i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO handele.349) Es kommt mithin nicht darauf an, wann die rechtskräftige Verurteilung erfolge, in dem der Wertersatz angeordnet wird. Entscheidend ist allein, wann die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs eintreten.350) f) Rechtsfolge des § 75 StGB und Stellungnahme 312 Die Rechtsfolge einer Einziehungsanordnung bestimmt sich nach § 75 StGB. Nach § 75 Abs. 1 StGB geht das Eigentum an der Sache oder das Recht selbst ___________ 348) BGH, Beschl. v. 18.2.2021 – IX ZB 6/20, NZI 2021, 455. 349) BGH, Beschl. v. 18.2.2021 – IX ZB 6/20, Rn. 8, NZI 2021, 455. 350) BGH, Beschl. v. 18.2.2021 – IX ZB 6/20, Rn. 9, NZI 2021, 455.

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auf den Staat über.351) Der Übergang des Eigentums erfolgt mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung. Der Eigentumserwerb des Staates ist originär und gilt auch dann, wenn der Übergang sonst die Einhaltung von Formvorschriften verlangt. Es handelt sich um einen gesetzlich angeordneten Rechtsübergang, der keines gesonderten rechtsgeschäftlichen Übertragungsaktes mehr bedarf und grundsätzlich gegen jedermann gilt.352) Dieser Übergang erfolgt nach § 75 Abs. 4 StGB auch in den Fällen, in denen 313 der Gegenstand vor der Einziehungsentscheidung bereits gemäß § 111b StPO beschlagnahmt und die Wirkung der Beschlagnahme von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt wurde.353) Auch dann soll der Staat mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung Eigentümer nach § 75 Abs. 1 StPO werden, ohne dass z. B. § 91 InsO dem entgegenstünde, welcher grundsätzlich den Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs an Gegenständen der Insolvenzmasse regelt.354) Das heißt, auch im Rahmen von § 73 Abs. 1 StGB eingezogenen Kryptowäh- 314 rungen – welche zwar mangels Körperlichkeit keine Sachen, aber immerhin sonstige Vermögensrechte und damit Rechte i. S. d. Norm sind – werden von der Rechtsfolge des § 75 Abs. 1 StGB erfasst. Bis zur Rechtskraft der Einziehungsanordnung ist gemäß § 75 Abs. 3 StGB i. V. m. § 136 BGB ein Veräußerungsverbot zu beachten. Der BGH355) geht zwar davon aus, dass eine Abgrenzbarkeit mittels Public und 315 Private Key möglich wäre, das allein kann im Einzelfall allerdings zu kurz greifen. Wenn nämlich Kryptowährungen gemäß § 73 Abs. 1 StGB im Original oder gemäß § 73 Abs. 1, Abs. 3 StGB als Surrogat eingezogen werden sollen, so kann sich das Problem der faktischen Umsetzbarkeit stellen, z. B. in den Fällen, in denen der Angeklagte die Herausgabe des Private Key verweigert.356) Auf diesem Weg ließe sich die Vollstreckung durch den Angeklagten einseitig und auf Dauer effektiv blockieren, ggf. kann er die Kryptowerte noch für eigene Zwecke nutzen. Selbst wenn der Angeklagte die Herausgabe nicht verweigern sollte, besteht die Gefahr, dass der Private Key vervielfältigt wurde und der Täter oder ihm nahestehende Dritte über die Werte während der laufenden Strafvollstreckung verfügen.357) Einer Wertersatzeinziehung nach § 73c StGB stellt sich hingegen regelmäßig 316 das praktische Problem, dass das illegal erworbene Kryptovermögen und die damit einhergehende Einziehungssumme nicht selten einen enorm hohen ___________ 351) 352) 353) 354) 355) 356) 357)

BGH, Beschl. v. 24.1.2019 – 1 StR 591/18, NStZ-RR 2019, 206. Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 75 Rn. 2. Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 75 Rn. 19. Joecks/Meißner in: MünchKomm-StGB, § 75 Rn. 19. BGH, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 405. Rettke, NZWiSt 2020, 50 f. Rettke, NZWiSt 2020, 45, 51.

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Wert haben, sei es durch die kriminelle Handlung oder durch zwischenzeitliche Kurssteigerungen. Demgegenüber kann das sonst vollstreckbare Vermögen des Täters um einiges geringer ausfallen. Sollten also die Kryptowerte des Täters vom Staat unangetastet bleiben, so besteht die Gefahr, dass der Täter auch in diesem Szenario profitiert und die Kryptowährungen als Profit behält. Außerdem können Unklarheiten bestehen, wie in diesen Fällen der Wert der Kryptowährungen zu bestimmen ist.358) 317 Die Einziehbarkeit von Kryptowährungen stellt die Rechtsprechungspraxis vor Herausforderungen. Das zeigen nicht zuletzt die Urteile des BGH, welche sich mit Einziehungsanordnungen von Kryptowährungen auseinandergesetzt haben.359) Dabei wird mit jeder höchstrichterlichen Entscheidung die praktische Anwendung der Einziehungstatbestände auch auf Kryptowährungen weiter ausgebaut. Es ist ein Trugschluss, dass Kryptowährungen ein effizientes Mittel wären, um Tatbeuten zu verschleiern und dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Die Reaktion des Staates durch Verfolgung von Delikten aus dem Umfeld strafbarer Kryptoaktionen wird langfristig die Seriosität von Kryptowährungen verstärken. Ob auch der Gesetzgeber langfristig die Einziehung im Strafprozess mit Gesetzesänderungen flankiert, um Erleichterung in der Rechtsprechungs- und Ermittlungspraxis zu schaffen, bleibt abzuwarten. 318 Bis dahin wird der Ansicht zu folgen sein, dass Kryptowährungen – in Ansehung der zuvor dargestellten Probleme – grundsätzlich der Wertersatzeinziehung unterliegen.360) Hierfür sprechen nicht zuletzt auch die technischen Umstände. Die Einziehung des Originals kann vor der faktisch unlösbaren Aufgabe stehen, die alleinige Verfügungsgewalt über die Kryptowerte zu erlangen. Die Verfügungsgewalt wird über die Kenntnis des Private Keys ausgeübt. Diese Kenntnis kann zwar auch von der Ermittlungsbehörde erlangt werden. Allerdings wird dabei nie vollkommen auszuschließen sein, dass der Betroffene nicht doch noch weitere Kopien des Private Key abgelegt oder verbreitet hat oder – theoretisch ist auch das denkbar – ihn auswendig gelernt hat. 2. Prozessuales Strafrecht – Sicherstellung und Beschlagnahme von Beweismitteln gemäß § 94 StPO 319 Gemäß § 94 Abs. 1 StPO sind Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen. Befinden sich diese Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme, § 94 Abs. 2 StPO. ___________ 358) Nach Rettke sei der jeweilige Wert bei Ausführung der Transaktion auf die BitcoinAdresse des Einziehungsbetroffenen maßgeblich, NZWiSt 2020, 45, 51. 359) BGH, Beschl. v. 2.6.2022 – 2 StR 12/22, Rn. 22, BeckRS 2022, 35259; BGH, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 401. 360) So auch i. E. Rettke, NZWiSt 2020, 45, 51; Rückert, MMR 2016, 295, 299 f.; a. A. Heine, NStZ 2016, 441, 444 und Goger, MMR 2016, 431, 432, welche sich auch für eine Einziehung des Originals aussprechen.

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II. Kryptowährungen im Fokus der Vermögensabschöpfung und Sicherstellung

Zu den beschlagnahmefähigen Gegenständen zählen unbewegliche und beweg- 320 liche Sachen. Dazu gehören – dem Wortlaut nach – strenggenommen nur körperliche Gegenstände.361) Der Wortsinn des § 94 StPO gestattet es hingegen auch, darüber hinaus nicht körperliche Gegenstände in den Anwendungsbereich der Norm einzubeziehen362), also auch sonstige Vermögensrechte, wie z. B. Kryptowährungen. Im Kern bleibt § 94 StPO jedoch auf die Sicherstellung oder Beschlagnahme von Beweismitteln für das Strafverfahren gerichtet, um einen Beweisverlust zu verhindern.363) Ob Kryptowährungen ein eigenständiger Beweiswert zukommt, mag im Einzelfall zu beurteilen sein. Beweisverwertungsverbote sind zu beachten. 3. Vorläufige Sicherstellung gemäß §§ 111 ff. StPO Straftaten dürfen sich nicht lohnen („Crime must not pay“). Meist kann auf- 321 grund eines drohenden Verlusts oder Untergang des Vermögens nicht bis zur Einziehungsentscheidung im Strafurteil abgewartet werden. Zu groß ist das Risiko, dass der Beschuldigte vor allem Kryptowährungen „wegtransferiert“ und sich dieser „entledigt“. Damit wären sie auch dem Einfluss des Staates zwischenzeitlich entzogen. Vorläufige Sicherungsmittel müssen daher bereits im Vorverfahren zur Ver- 322 fügung stehen. Die StPO kennt insbesondere zwei wirksame Instrumente der vorläufigen Sicherstellung, die auch auf Kryptoassets anwendbar sind.364) Diese sind zu unterscheiden und richten sich akzessorisch365) je nach den späteren Einziehungsmöglichkeiten. a) Beschlagnahme gemäß § 111b StPO Im Rahmen der Beschlagnahme nach § 111b Abs. 1 StPO „kann“ bei begrün- 323 deter Annahme, dass die Voraussetzungen der (Original-)Einziehung vorliegen, dieser Gegenstand zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden. Nach § 111b Abs. 2 StPO „soll“ die Beschlagnahme angeordnet werden, wenn dringende Gründe diese Annahme stützen. Dabei soll die Beschlagnahme den Tatertrag im Original sicherstellen. Die Vollziehung der Beschlagnahme ist in § 111c StPO geregelt. Im Rahmen 324 der Ermittlungen ist eine Prognoseentscheidung hinsichtlich des Vorliegens etwaiger Einziehungstatbestände zu treffen (§§ 73, 73a, 73b, 74, 74a, 74b StGB).366) Das schließt auch ggf. zu treffende Ermessensentscheidungen des ___________ 361) 362) 363) 364) 365) 366)

Hauschild in: MünchKomm-StPO, § 94 Rn. 12. Hauschild in: MünchKomm-StPO, § 94 Rn. 13. Hauschild in: MünchKomm-StPO, § 94 Rn. 1. KK-Spillecke, StPO, § 111b Rn. 3. Bittmann in: MünchKomm-StPO, Vor § 111b Rn. 46. Vgl. KK-Spillecke, StPO § 111b Rn. 7.

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H. Kryptowährungen als Gegenstand im Strafrecht

Spruchkörpers mit ein.367) Auch Kryptowährungen können beschlagnahmt werden, soweit die Auffassung des BGH hinsichtlich der Einziehung gemäß § 73 StGB als Original gefolgt wird.368) Zum Teil wird auch eine analoge Anwendung von § 111c StPO diskutiert.369) Die Ingewahrsamnahme von Kryptowährungen könne mitunter erfolgen, indem der Private Key auf einen behördeneigenen Datenträger kopiert und auf dem Datenträger des Betroffenen gelöscht wird.370) Dem kann nicht gefolgt werden, da nie vollkommen auszuschließen ist, dass der Betroffene nicht doch noch weitere Kopien angefertigt hat (siehe auch Rn. 91). 325 Über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Beschlagnahme mag diskutiert werden. Da jedoch wie oben beschrieben die Voraussetzungen der Wertersatzeinziehung nach § 73c StGB in der Regel gegeben sind, dürfte sich auch regelmäßig der Vermögensarrest nach § 111e StPO im Wege der vorläufigen Sicherstellung anbieten. b) Vermögensarrest gemäß § 111e StPO 326 Das Pendant zu der Beschlagnahme nach § 111b StPO ist der Vermögensarrest nach § 111e StPO. Vermögen des Täters „soll“ nach Absatz 2 arrestiert werden, soweit die Annahme begründet ist, dass die Voraussetzungen der Wertersatzeinziehung vorliegen. Die Vollziehung des Arrestes ist in § 111f StPO geregelt. 327 Die Vollziehung des Vermögensarrestes ist bei Kryptowährungen nicht explizit geregelt. § 111f Abs. 1 Satz 2 StPO verweist jedoch auf die Vorschrift des § 928 ZPO. Im Wege der Zwangsvollstreckung sind Kryptowährungen als „andere Vermögensrechte“ i. S. v. § 857 ZPO einzustufen. Auch die Vollziehung bei Dritten, z. B. Kryptoverwahrern, ist möglich. In dem Fall liegt eine vertragliche Vertragsbeziehung zugrunde. Ein Anspruch auf Übertragung der Bitcoin wäre pfändbar; der Pfändungsbeschluss ist an den Kryptoverwahrer als Drittschuldner gemäß § 857 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 829 Abs. 2 ZPO zuzustellen.371)

___________ Bittmann in: MünchKomm-StPO, Vor § 111b Rn. 46. A. A. Rettke, NZWiSt 2020, 45, 51. So z. B. Rückert, MMR 2016, 295, 298; a. A. Goger, MMR 2016, 431, 432. Rückert, MMR 2016, 295, 298, Rückert erkennt jedoch auch das Problem, dass der Betroffene selbst dann theoretisch noch die Kryptowerte „wegüberweisen“ könne, und spricht sich für einen behördeneigenen Blockchainadresse aus; siehe auch Rn. 312 ff. 371) Rettke, NZWiSt 2020, 45, 53.

367) 368) 369) 370)

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Stichwortverzeichnis

Absonderung

149, 163 f. Aktiendepot 197 Allgemeiner Gerichtsstand 49 ff.; siehe auch Zuständigkeit Anfechtbarkeit 124 ff. – Ermittlung 145 ff. – Inkongruenz 130 ff. – Kongruenz 136 ff. – mögliche Tatbestände 129, 142 – Rechtsfolge 143 ff. – Rechtshandlung 127 ff. Anlage-Token 19; siehe auch Token Anwendbarkeit – deutsches materielles Insolvenzrecht 70 ff. – EUInsVO 53 ff. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten 95, 145 Aussonderung 149 f., 159, 172 ff., 188, 192 ff. – Berechtigung 174 f. – Beweislast 189 ff. – Fähigkeit 176 ff. – nach § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG 203 f. – nach ZuFinG-E 211 ff.

BaFin

35, 103 Beschlagnahme 282, 313, 319 ff.; siehe auch vorläufige Sicherstellung Bestimmbarkeit 181 Bitcoin 3 f., 5, 7, 15, 17 f., 89, 191 Bitcoin-Cash 6 Bitwala 156; siehe auch Nuri Blockchain 10 f., 250, 268; siehe auch Distributed-LedgerTechnologie – Blockchain-Explorer 25, 145 ff., 184 – schematische Darstellung 11

CARF

266 ff.; siehe auch Steuerrecht Center of Maininterest siehe COMI Chain Link 6 Chainalysis 271 Coinbase 155 f. Coins 13 ff.; siehe auch Token COMI (Center of Maininterest) 48, 75 Currency-Token 17; siehe auch Token Cyberkriminalität 271 ff. – Aufklärungsquote 274 – Bekämpfung durch das BKA 275 ff. – Bekämpfung durch das ZIT 279 ff. – im „engeren“ Sinne 276 – im „weiteren“ Sinne 277 – Kriminalstatistik 272 f.; siehe auch Chainalysis

Distributed-Ledger-Technologie siehe Blockchain DLT-Pilotregime 68 f.

Einziehung

285 ff. erweitert, § 73a StGB 307 Original, § 73 Abs. 1 StGB 288 Rechtsfolge, § 75 StGB 312 Surrogat, § 73 Abs. 1 und Abs. 3 StGB 295 – Wertersatz, § 73c StGB 299 – Zeitpunkt der Wertersatzeinziehung 311 Ethereum, Ether 5 f., 161, 240 – – – –

Finanzdienstleistung

56, 162, 210 – Erlaubnispflicht 35 Finanzinstrument 64 FTX 157

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Stichwortverzeichnis

Haftung

90, 93, 101, 261

Insolvenzmasse 82 ff. Internal Settlements 185, 208, 218 Internationale Zuständigkeit 75 ff.; siehe auch Zuständigkeit Internetkriminalität siehe Cyberkrimininalität Kenntniserlangung 85 ff. Kryptobörse 34, 94, 154 f., 157 Kryptoverwahrung 33 ff., 52, 86, 91, 99, 149 – Anwendbarkeit EUInsVO 53 ff.; siehe auch Anwendbarkeit – Insolvenz 149 ff. – Internal Settlements 185; siehe auch Internal Settlements – Masseverbindlichkeit 165 ff. – Rechte der Anleger 163 ff.; siehe auch Aussonderung – Sammelverwahrung 186; siehe auch Omnibus Wallet – Verwertung 91, 99 – Vollziehung Vermögensarrest 327 – ZuFinG 211 ff.; siehe auch Zukunftsfinanzierungsgesetz – zuständiges Insolnvenzgericht 40 ff.; siehe auch Zuständigkeit Kryptowährung – Altcoins 6, 15 – Bitcoin siehe Bitcoin – Currency-Token 17; siehe auch Token – Einziehung 285 ff.; siehe auch Einziehung – Ether siehe Ethereum, Ether – gewerblicher Handel 258 – Grundlagen 7 ff. – Steuerbarkeit 232 ff.; siehe auch Steuerrecht Kryptowertpapierregister 201

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Liechtenstein

227 f.

Marktanalyse 151 ff. Masseverbindlichkeit 165 ff. MiCA-VO 150, 152, 220 f., 229 ff. MiFID II 61 ff. Nodes 9 Nuri 156 Omnibus Wallet

186 ff., 229 f.;

siehe auch Wallet

Peer-to-Peer 10 f. Private Key 22, 26 ff., 91 f., 95 f. Public Key 23 f., 95 Ripple

6

Sammelverwahrung 186 ff. Sanierungs-RL 78 f. Schweiz 225 ff. Sicherheitsabtretung 104 ff. Steuerrecht 232 ff. – BMF-Schreiben vom 10.5.2022 247 ff. – CARF 266 f. – Ertragssteuer 249 – Gerichtsentscheidungen 238 ff. – IDW 264 f. – Umsatzsteuer 263 Strafrecht 267 ff. Tether 6 Token 13 ff., 250 – Anlage-Token 19 – Currency-Token 17 f. – Kategorisierung 21 – Utility-Token 20 Transaktion 8, 127, 293 Umsatzsteuer

263; siehe auch Steuerrecht Utility-Token 20; siehe auch Token

Stichwortverzeichnis

Verfall

siehe Einziehung Vermögensabschöpfung siehe Einziehung Verwertung 90 ff. – anbieterabhängige Kryptowerte 103 – anbieterunabhängige Kryptowerte 95 ff. – freihändig 94 – Hindernisse bei Sicherungsabtretung 104 ff. – Kryptowerte als sonstige Rechte 113 ff. vorläufige Sicherstellung 321 ff. – Beschlagnahme, § 111b StPO 323 ff.; siehe auch Beschlagnahme

– Vermögensarrest, § 111c StPO 326 ff.

Wallet

22 ff. Anbieter 154 anbieterabhängig 33 anbieterunabhängig 30 ff. Omnibus Wallet 186 ff.; siehe auch Sammelverwahrung – Self Custody 30, 92, 158 – – – –

Zukunftsfinanzierungsgesetz 211 ff. Zuständigkeit – internationale 52 ff, 75 ff. – nationale 41 ff. – örtliche 43 ff. – sachliche 42

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