Kritische Gesamtausgabe: Band 10 Theologische-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften 9783110856897, 9783110115949

161 104 43MB

German Pages 732 [740] Year 1990

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Kritische Gesamtausgabe: Band 10 Theologische-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften
 9783110856897, 9783110115949

Table of contents :
Einleitung des Bandherausgebers
I. Historische Einführung
II. Editorischer Bericht
Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften
Oratio in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi die III. Novembris A. MDCCCXVII habita (1818)
An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Sätze (1818)
Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon (1818)
Über den eigentümlichen Wert und das bindende Ansehen symbolischer Bücher (1818)
Über die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen (1819)
Über den Gegensatz zwischen der Sabellianischen und der Athanasianischen Vorstellung von der Trinität (1822)
Über die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke (1829)
An die Herren D. D. D. von Cölln und D. Schulz (1831)
Anhang
Ammon: Bittere Arznei
Bretschneider: Aphorismen (Auszug)
Bretschneider: Grundansichten (Auszug)
Von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit
Delbrück: Christentum 3. Teil (Auszug)
Klaiber: Begriff des Supranaturalismus (Auszug)
Rust: De nonnullis (Auszug)
Schmid: Über das Verhältnis (Auszug)
Steudel: Frage (Auszug)
Tzschirner: Briefe eines Deutschen (Auszug)
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Namensregister
Register der Bibelstellen

Citation preview

Friedrich Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe I. Abt. Band 10

W DE G

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe Herausgegeben von Hans-Joachim Birkner und Gerhard Ebeling, Hermann Fischer, Heinz Kimmerle, Kurt-Victor Selge

Erste Abteilung Schriften und Entwürfe Band 10

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften

Herausgegeben von Hans-Friedrich Trauisen unter Mitwirkung von Martin Ohst

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1990

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei = pH 7, neutral)

CIP-Titelaufnahme der Deutschen

Bibliothek

Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe / Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Hrsg. von Hans-Joachim Birkner . . . - Berlin ; New York : de Gruyter. Abt. 1, Schriften und Entwürfe. NE: Birkner, Hans-Joachim [Hrsg.]; Schleiermacher, Friedrich: [Sammlung] Bd. 10. Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften / hrsg. von Hans-Friedrich Trauisen. Unter Mitwirkung von Martin Ohst. - 1990 ISBN 3-11-011594-8 NE: Trauisen, Hans-Friedrich [Hrsg.]

© Copyright 1990 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Hubert & Co., Göttingen Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin Gefördert mit Mitteln des Akademienprogramms der Bund-Länder-Kommission unter Aufsicht der Akademie der Wissenschaften in Göttingen

Inhaltsverzeichnis Einleitung des Bandherausgebers I. Historische Einführung 1. Oratio in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi die III. Novembris A. MDCCCXVII. habita . 2. An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Sätze 3. Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon . . . . 4. Uber den eigentümlichen Wert und das bindende Ansehen symbolischer Bücher 5. Uber die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen . . . 6. Uber den Gegensatz zwischen der Sabellianischen und der Athanasianischen Vorstellung von der Trinität . . 7. Uber die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke 8. An die Herren D. D. D. von Cölln und D. Schulz . . . II. Editorischer Bericht

VII VII

VII XV XXX XXXVI XLV LXI LXIX LXXXVIII CXIII

Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften Oratio in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi die III. Novembris A. MDCCCXVII habita (1818) An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Sätze (1818) Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon (1818) . . . . Über den eigentümlichen Wert und das bindende Ansehen symbolischer Bücher (1818) Uber die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen (1819) Über den Gegensatz zwischen der Sabellianischen und der Athanasianischen Vorstellung von der Trinität (1822) . . . Über die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke (1829) An die Herren D. D. D. von Cölln undD. Schulz (1831) . . .

1 17 93 117 145 223 307 395

VI

Inhaltsverzeichnis

Anhang Ammon: Bittere Arznei Bretschneider: Aphorismen (Auszug) : Grundansichten (Auszug) Von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit Delbrück: Christentum 3. Teil (Auszug) Klaiber: Begriff des Supranaturalismus (Auszug) Rust: De nonnullis (Auszug) Schmid: Über das Verhältnis (Auszug) Steudel: Frage (Auszug) Tzschirner: Briefe eines Deutschen (Auszug)

429 444 468 486 504 534 548 552 559 569

Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Namensregister Register der Bibelstellen

585 589 609 615

Einleitung

des

Bandherausgebers

Der vorliegende Band „ Theologisch-dogmatische Abhandlungen und Gelegenheitsschriften" enthält acht Druckschriften Friedrich Schleiermachers1. Hier sind mit den dogmatisch-theologischen Abhandlungen diejenigen theologischen Veröffentlichungen - zumeist Gelegenheitsschriften - der Berliner Zeit von 1807-1834 zusammengestellt, die sich durch ihre dogmatische Thematik und Absicht sowohl von den kirchenpolitischen Schriften (KGA 1/9), denen sie zum Teil nah benachbart sind, als auch von den exegetischen Schriften (KGA 1/8) abheben. Drei davon - in der nachfolgenden „Historischen Einführung" unter den Nummern 1, 4 und 8 - sind von Martin Ohst fur die Edition bearbeitet worden, der auch die entsprechenden Einfuhrungen verfaßt hat.

I. Historische

Einführung

1. Oratio in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi die III. Novembris A. MDCCCXVII habita Friedrich Schleiermachers lateinische Festrede, die er als Dekan der Theologischen Fakultät2 zum Reformationsjubiläum 1817 hielt, erschien im Druck ohne eigenen Titel in der Broschüre „ Orationes in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi d. III. Novembr. A. MDCCCXVII. habitae." im Verlag Unger in Berlin ohne Jahresangabe auf den Seiten 14-27. Dem Abdruck im 5. Band der „Sämmtlichen Werke"3 wurde vom Verleger bzw. Herausgeber der Titel „Oratio in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi d. III. Novembr. A. MDCCCXVII habita." vorangestellt, offensichtlich eine Adaptation des Titels der Broschüre, innerhalb derer der Originaldruck erschien. - Diese 32seitige Broschüre im Oktavformat (19 cm Breite und 21,9 cm Höhe, 30 Zeilen pro Seite) enthält neben einer anonymen Beschreibung der gesamten

1

2 3

Zitatnachweise und Belegverweise Schleiermacher. Vgl. unten 4,18.13,36f SWI/5, Berlin 1846, S. 311-325

ohne Angabe

des Autors

beziehen

sich auf

Friedrich

VIII

Einleitung des Bandherausgebers

Feier4 die Reden Schleiermachers und Marheinekes sowie die Texte aller Gesangsbeiträge. Die Einladungsschrift fur die Feier hatte in seiner Eigenschaft als amtierender Rektor Marheineke verfaßt5; sie war an die Studenten und den Lehrkörper der Universität sowie die „principes proceresque et magistratus cum ecclesiae evangelicae ministris "6 gerichtet. Während keine Mitglieder der königlichen Familie an der Feier teilnahmen, - der König und seine Söhne weilten anläßlich der Eröffnung des neuen Predigerseminars in Wittenberg7 -, hatte eine stattliche Reihe hochrangiger politischer Würdenträger der Einladung Folge geleistet: Der Bericht nennt den Innenminister von Schuckmann, den Finanzminister von Bülow, den Justizminister von Kircheisen, den königlichen Hausminister von Klewitz sowie den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg von Heydebreck8. Zudem hatte sich die Berliner Geistlichkeit, wie Schleiermacher brieflich berichtet9, annähernd vollzählig am frühen Nachmittag10 des 3. November, des Montags nach dem eigentlichen Gedenktag des Thesenanschlages, in der Universitätsaula versammelt. Nachdem ein Chorgesang die Feier eingeleitet hatte11, hielt Marheineke in pathetisch getragenem Stil eine kurze Ansprache, die, umrahmt von Gebeten, die Bedeutung der Reformation für die Emanzipation von Wissenschaft und Staat aus kirchlicher Bevormundung in Erinnerung rufen sollte11. Nach einem neuerlichen musikalischen Zwischenspiel - der Chor sang Luthers Lied „Ein'feste Burg ist unser Gott" in einer lateinischen Fassung von Philipp Buttmann13 - hielt Schleiermacher seine Rede, die in die Bekanntgabe der Ehrendoktoren1*, des Gewinners der Preisaufgabe und ein

4

5

6 7 8 9 10

11 12 13 14

Vgl. Orationes 3-6. Nach einer brieflichen Mitteilung Schleiermachers ist Böckh der Autor (vgl. Schleiermachers Briefwechsel mit August Boeckh und Immanuel Bekker 1806-1820, ed. H. Meisner, Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 11, Berlin 1916, S. 74. Vgl. auch Max Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd 1: Gründung und Ausbau, Halle 1910, S. 640, Anm. 1). Vgl. Orationes 3. Sie enthält eine Edition von Martin Luthers Schmalkaldischen Artikeln auf der Grundlage von dessen Manuskript: Articuli qui dicuntur Smalcaldici. Ε Palatino codice msc. accurate edidit et annotationibus criticis illustravit Philippus Marheineke, Berlin 1817. Vgl. Orationes 3 Vgl. unten Sachapparat zu 14,4-6 Vgl. Orationes 4 Vgl. unten XIV mit Anm. 53 Diese Zeitangabe ergibt sich eindeutig aus dem Beginn der studentischen Feier beim Herannahen des Abends, vgl. unten IX mit Anm. 16 Vgl. Orationes 4 Vgl. Orationes 7-13 Vgl. Orationes 4.28-30 Die Auswahl der Ehrenpromovenden hatte im Vorfeld der Feier zu Auseinandersetzungen in der theologischen Fakultät Anlaß gegeben, über die Max Lenz, dem die im 2. Weltkrieg zerstörten Akten vorlagen, berichtet (Geschichte 1,642 Anm. 1). - Zu Lenz' Vermutung, de

Historische

Einführung

IX

feierliches Schlußgebet mündete15. Der ambrosianische Lobgesang beschloß die Feier. Diese offizielle vom Senat veranstaltete Feier blieb nicht die einzige des Tages: Zwei Stunden nach deren Ende - „vespere appropinquante"16 versammelten sich Studenten und Angehörige des Lehrkörpers nochmals am selben Ort. Hier nun herrschte statt des zeremoniösen Lateins, das die offizielle Feierstunde geprägt hatte, ganz die deutsche Sprache vor. Nach dem Gesang von „Ein'feste Burg" hielt der Schleiermacher-Schüler Ludwig Jonas eine Rede, die neben der Tat Luthers die aus ihr sich ergebenden Verpflichtungen für die akademische Jugend zum Inhalt hatte; anschließend sang die Versammlung gemeinsam eine Festode, die der Theologiestudent Ferdinand August aus Prenzlau gedichtet hatte.17 Mit welchem Grad von Sympathie zumindest Teile des Lehrkörpers diese studentische Kundgebung verfolgten, zeigt nicht nur deren Teilnahme, sondern auch der abschließende Satz des Festberichts:„Hue accedant, qui bonam depatria et de futura aetate spem concipere cupiant: accedant isti studiosorum iuvenum castigatores morosi et acerbi reprehensores, qui illos imperitia rerum odio insectantur: tum profecto nullum reipublicae ab his iuvenibus honestissimis, nullum ab eruditione et nostra disciplina nec damnum nec periculum metuendum, sed salutem aliquando et commoda exspectanda, et qui res nostras rumoribus spargendis calumniantur, aut malignos aut stolidos aut certe ineptos esse probe intelligent. "18 - Dieses Zeugnis der Verbundenheit mit den Studenten ist auf dem Hintergrund der beginnenden Repressalien gegen die Teilnehmer des Wartburgfestes zu interpretieren.19 Ausweislich seines Briefwechsels hat Schleiermacher viel Zeit und Mühe an die Konzeption und Ausarbeitung seiner Rede gewandt. Im August 1817 unternahm er mit seinem Freund Ludwig Gottfried Blanc von Wette habe Geibel in Vorschlag gebracht, ist zu bemerken, daß Schleiermacher Geibel bei einem Aufenthalt in Lübeck im Sommer 1816 kennengelemt hat (vgl. Briefe ed. Meisner 2,240, wo, wie H. Mulert (Schleiermachers Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Christian Schwarz, in: Zeitschrift fur Kirchengeschichte 53, Stuttgart 1934, S.255-294, bes. 292) festgestellt hat, „ Geibel" statt „Heidel" zu lesen ist). Unter der Signatur SN 288 befinden sich zwei Briefe Geibels in Schleiermachers Nachlaß im Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR (Berlin). Der zweite vom 2. Dezember 1817 enthält neben dem Dank fiir die Übersendung des Doktordiploms innige Freundschafisbekundungen. Ein weiteres Treffen ist Briefe 4,321 dokumentiert. Die Lebenswege de Wettes und Geibels hingegen kreuzen sich an keiner Stelle. 1S 14 17 15 19

Vgl. unten 15,4-11 Orationes 5 Vgl. Orationes 5f Orationes 6 Vgl. Lenz: Geschichte 2,34-38 sowie Günter Steiger: Das „Phantom der Wartburgverschwörung" 1817 im Spiegel neuer Quellen aus den Akten der preußischen Polizei, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller- Universität Jena, Gesellschafis- und Sprachwissenschaftliche Reihe, Jahrgang 15 (Jena 1966), Heft 2, S.183-212

χ

Einleitung des Bandherausgebers

Halle aus eine Wanderung durch Thüringen20, die am 8. September spät abends mit seiner Rückkehr nach Berlin endete21. - Am 25. August meldet Schleiermacher seiner Frau aus Suhl die Absicht, „[. . .] meine Reformationsrede im Kopffertig zu machen, bis auf das Latein freilich, was mich zu Hause noch quälen wird. "21 Dieser Vorsatz ließ sich nicht in die Tat umsetzen, so erhält Blanc am 15. September die Mitteilung: „Die Reformationsrede ist noch nicht so reif daß ich anfangen könnte zu schreiben, und doch wage ich nicht mich dazwischen in eine ordentliche Arbeit einzulassen. "23 Die häuslichen Verhältnisse waren auch nicht geeignet, durch Ruhe den Fortgang der Arbeit zu beschleunigen: Am 15. September fand abends die Taufe der jüngsten Tochter Hildegard statt2*, und am 18. September heirateten Schleiermachers Halbschwester Nanny und Ernst Moritz Arndt25. So beklagt sich Schleiermacher am 22. September bei Immanuel Bekker: „Könnten Sie nur fürs erste meine Reformationsrede für mich schreiben, die mich zu Tode quält, weniger des Lateins wegen, als weil mir nichts einfällt, was in eine solche Rede hinein wollte. "26 Auch drei Wochen später hat die Arbeit noch keine entscheidenden Fortschritte gemacht, wie Schleiermacher an Blanc schreibt: „Meine Reformationsrede ist noch in weitem Felde, einmal habe ich zwei Seiten geschrieben, und seitdem bin ich nicht wieder dazu gekommen. "27 Von diesem Zeitpunkt an schweigt die Korrespondenz über die Arbeit an der Rede. In Schleiermachers Nachlaß28 befindet sich ein Blatt, auf dessen Vorder- und Rückseite er Notizen geschrieben hat, die einzelne Gedanken und Formulierungen seiner Rede skizzieren. Bis auf die erste Notiz sind alle Gedanken von Schleiermacher durchstrichen, wodurch ihre Einarbeitung in den Text eindeutig gekennzeichnet ist. Das gesamte Nachlaßstück wird in KGA Uli ediert werden; hier bieten wir im folgenden eine vorläufige Transkription. Abbreviaturen Schleiermachers sind stillschweigend aufgelöst. Statt durch waagerechte Striche wie im Manuskript sind die Aphorismen als einzelne Absätze voneinander getrennt. Die Anmerkungen weisen

20 21 22 23 24 25 26 17 28

Vgl. Briefe 2,328f. 4,219f Vgl. Briefe 4,221f Briefe ed. Meisner 2,262 Briefe 4,222 Vgl. Briefe 2,325f. Briefe ed. Meisner 2,257 Vgl. Briefe 4,222. Briefe ed. Meisner 2,266 Briefe ed. Meisner 2,266 Brief vom 13. Oktober 1817 (Briefe 4,225) SN 147, Bl. 8r-v; im Nachlaß findet sich ein weiteres lateinisches Textfragment, das ursprünglich mit der Rede in Zusammenhang gestanden haben könnte: SN 147 Bl. 2, die abgeschnittene Hälfte eines Doppelblattes, weist auf dem rechten Rand der Rückseite Reste der lateinischen Beschriftung der abgeschnittenen Blatthälfte auf. Pro Zeile sind etwa 3-4 Buchstaben erkennbar, aus denen sich jedoch kein zusammenhängender Text rekonstruieren läßt.

Historische Einführung

XI

nach, an welcher Stelle die einzelnen Formulierungen, Gedanken und Sätze in der fertigen Rede jeweils zu stehen kamen. „Ne magistri discipulos in verba faciant iurare. Neque enim hoc docendo agimus ut habeant quod sciant seu potius opinentur, sed rebus tamquam exemplis utimur ut discere discant ut genuinam indagandi methodum tueantur utque indies magis liberi evadant a quoque auctoritatis humanae vinculo.M Similes fiant per omne aevum beato Martino omnes theologiae in protestantium ecclesia doctores, verbi divini revera ministri non hominis ullius praecones et asseclae. "30 „At succederunt tempora longe diversa. Studium doctrinae christianae (e fontibus scripturarum) in argutias scholasticas mutatum, scripturae sana interpretatio diu neglecta, virtus post verba, religio post formulas habita, odium irae invidiae nec quidquam defuit malorum quae ex partium studio solent progerminare. "31 „Postea in contrarium homines ruerunt, nil lucis inesse putantes doctrinae christianae quam tantis tenebris doctores scholastici potuerant circumfundere12 - L £ c c e 1 Lvide\ nostra tandem emersit aetas. "33 „Neque enim quod his diebus gratiarum actione precibus fusis votis Deo Vdicatis\34 pie celebramus unius hominis seupaucorum opus fuit. Inerat potius multis omnium ordinum hominibus taedium perversitatis et turpitudinis sacerdotalis, operumque mortuorum, obversabantur imagines temporum pristinorum operabatur Spiritus sanctus desiderium reformationis ecclesiae suae. Quibus antesignanos sese obtulerunt Lutherus Zwinglius alii. "35 „Reform. Zwei Hauptpunkte - Disciplin und Lehre. Nachdem man vom Pabst abgefallen und die Bischöfe ihm treu blieben mußte man zu den Fürsten Zuflucht nehmen.36 Preis Friedrich dem Weisen37 nicht nur die Räthe zu Hülfe andre Theologen,38 Ungewißheit über die Ausdehnung der fürstlichen Gewalt39 Synodalverfassung40 Die Akademischen Lehrer sollen nicht die praktische Theologie gering achten. Ein wesentlicher Einfluß beruht darauf. Das Kirchenrecht muß neu belebt werden, und Theologen Juristen und Philosophen sich dazu vereinigen. Luther und Schurff."*1 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

unten unten unten unten unten unten unten unten unten unten unten unten unten

12,7-15 13,16-19 10,12-23 10,23-27 η,if 5,20f 4,2-11 6,10-16 6,23f 7,1 f . 6,26-29 6,33-7,1 8,9 9,10-23

XII

Einleitung des Bandherausgebers

Schon am 14. November, elf Tage nur nach der akademischen Feier, kann Schleiermacher Immanuel Bekker berichten, daß die Rede im Druck ist42, am 6. Dezember kann er bereits Blanc ein Exemplar zusenden43, und am 9. Dezember wird auch der Schwager Arndt mit einem solchen bedacht44. Über die sprachliche Gestaltung teilt Schleiermacher diesem dabei folgendes mit: „Zuerst nämlich erhältst Du lieber Bruder unsere Universitäts-Säkularfeier, worin mein saurer Schweiß, die lateinische Rede drin steckt; bis auf einigen Puz den mir Böckh erst dabei gemacht hat, ist sie doch glücklich zu Stande gekommen, zwar nicht in dem hoch pathetischen Styl wie Marheineke's Vorrede, aber der ist mir auch im Deutschen zu wenig natürlich, als daß ich mich hätte im Lateinischen hineinzwängen können. "45 Die Mithilfe August Böckhs ist in der Tat eine plausible Erklärung für den äußerst elaborierten Stil der Rede und die auf entlegene Vokabeln bzw. Formen zurückgreifende Wortwahl·''. Als Schleiermacher seine Rede konzipierte, nahm er auf seiner Suche nach Ideen und Themen auch reformationsgeschichtliche Literatur zur Kenntnis: „Ich size also und warte auf die fehlende Inspiration, und habe nun indeß Zwingiis Leben von Heß und Marheineke's Reformationsgeschichte gelesen. Die lezte gefällt mir beim ordentlichen Lesen weit weniger als beim ersten Blättern. Es ist doch gar zu wenig eigentliche Composition darin, und in den Auszügen wiederum zu viel fremdartiges mit aufgenommen. Das politische und literarische ist fast ganz vernachlässigt; und im Stil ist auch der gute Vorsaz sich dem volksthümlichen anzunähern auf der einen Seite ins abenteuerliche hineingetrieben, auf der andern nichts weniger als treu gehalten. Das erste Buch ist auch höchst oberflächlich und würde ohne den literarischen Anhang von Usteri fast gar keinen Werth haben."*7 Dieses harsche Urteil hat Schleiermacher jedoch augenscheinlich nicht daran gehindert, sich vor allem des Werkes von Marheineke als eines Magazins reformationsgeschichtlicher Fakten zu bedienen.48 Die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Ausführungen hat sich Schleiermacher nicht von der Reformationsgeschichte, am wenigsten von Luthers Thesenanschlag vorgeben lassen, sondern diese Funktion übernehmen ein-

42 43 44 45 46

47

48

Vgl. Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 11,74 Vgl. Briefe 4,228f Vgl. Briefe 2,333f Briefe 2,333 Vgl. z.B. unten 10,3lf, wo statt des gebräuchlichen „indigenum" die archaisierende Nebenform „indigenam" Verwendung findet; unten 10,36, wo „alius" als Genitiv Singular Neutrum fungiert. Briefe 4,222. Philipp Konrad Marheinecke: Geschichte der Teutschen Reformation, Bd 1-2, Berlin 1816. Johann Caspar Heß: Lebensbeschreibung Ulrich Zwingiis. Aus dem Französischen nebst einem literarisch historischen Anhang von Leonhard Usteri, Zürich 1811 Vgl. z.B. unten 5,3-13

Historische Einfiihrung

XIII

deutig Ereignisse und Probleme seiner Gegenwart: Der Einleitungsteil der Rede nimmt die Unionsfrage auf, indem Schleiermacher die Tatsache, daß er als Reformierter die Festrede an diesem „lutherischen" Gedenktag hält, als Zeichen für die höhere Einheit der protestantischen Schwesterkirchen wertet, die im Begriff steht, sich sichtbar zu verwirklichen*''. Sodann wird das Plädoyer für den Tag der Verbrennung der Bannandrohungsbulle durch Luther als würdiges Datum für das Gedächtnis der Reformation mitsamt der ablehnenden wörtlichen Zitation der offiziellen Kanzelabkündigung als Parteinahme für die Studenten zu verstehen sein, die während ihres Treffens auf der Wartburg am 18. und 19. Oktober 1817 ebenfalls symbolisch Bücher verbrannt hatten50. Der erste Hauptteil der Rede, der eine Reform der Praktischen Theologie und des Kirchenrechts als durch die Reformation gestellte Aufgaben einschärft, enthält Polemik gegen die autokratischen Züge der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms III. sowie gegen die herrschende Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments insgemein.st Der zweite Hauptteil, der die Freiheit des akademischen Lehrens und Lernens als Erbe der Reformation zum Gegenstand hat, ist eine einzige eindrückliche Verwahrung gegen deren Beschneidung durch den Staat. Schon diese Andeutungen machen es verständlich, daß das unmittelbare Echo der Rede ein geteiltes war, wie Schleiermacher selbst nicht ohne Genugtuung an Arndt schreibt: „Daß das ganze Kultusministerium dabei war und Alles hat mit anhören müssen, ist freilich viel, noch merkwürdiger aber ist, daß es grade das Letzte war, was Schuckmann in diesem Ministerium mit anhören mußte; denn den andern Morgen bekam er die Notiz von der Veränderung. Da er nun statt der geistlichen Sachen das Bergwerk bekommen hat, so hat man den Vers auf ihn angewandt: Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo. Nach meiner Rede, während der er kirschbraun war vor Zorn und keinen Blick auf mich wendete, kam er mit der äußersten Freundlichkeit an mich heran und hielt mir ein großes Gespräch über die Studentengeschichte wegen der Weihe der Kraft, die Ihr wol auch aus den öffentlichen Blättern kennt, und von der Euch Eichhorn noch manches nachträglich erzählen kann, so wie auch von den Untersuchungen über die Wartburggeschichte, die auch ein höchst lächerliches Stück sind.""

49

Vgl. unten

50

Vgl. unten 5,7-16. Vgl. auch Emanuel Hirsch: Fichtes, Schleiermachers und Hegels nis zur Reformation, Göttingen 1930, S. 11, Anm. 15

51

Vgl. unten 6,23f. 7,25-30 Briefe ed. Meisner 2,268. Am Abend des 31. Oktober 1817 störten Studenten im Opernhaus die Aufführung des Lutherschauspiels „Die Weihe der Kraft" des zum zismus konvertierten Zacharias Werner (vgl. Lenz: Geschichte 2,35).

52

3,1-4,20 Verhält-

Berliner Katholi-

XIV

Einleitung des Bandherausgebers

Der Bericht an Blanc setzt die Akzente anders: „Was Sie zu meiner Rede sagen werden, gegenüber Schuckmann, Nicolovius und Hanstein gehalten, bin ich neugierig. Buttmann (sagt), die Geistlichen - denn die ganze Geistlichkeit fast war zugegen - hätten sehr vergnügt dazu ausgesehen, wie die kleine Kaze ihnen eine Kastanie nach der andern aus dem Feuer geholt habe."" August Twesten machte sich erbötig, den Druck einer deutschen Übersetzung der Rede in den von ihm mitredigierten Kieler Blättern zu veranlassenu, Schleiermacher lehnte dieses Ansinnen jedoch ab55. In der Springflut von einschlägigen Publikationen, die das Reformationsjubiläum von 1817 veranlaßte, ist Schleiermachers kleiner Beitrag nahezu unbeachtet geblieben, wobei auch die lateinische Sprache eine hinderliche Rolle gespielt haben mag. Lediglich die „ Theologischen Nachrichten " brachten 1818 unter der Rubrik „Auswahl merkwürdiger Aeußerungen und Actenstücke bei dem Reformations-Jubiläum 1817" eine Anzeige von „Orationes ">6, deren Löwenanteil eine Wiedergabe von Schleiermachers Rede in Grundzügen ist, die zu ungefähr gleichen Teilen aus deutschen Paraphrasen und langen lateinischen Zitaten besteht". Die Anzeige ist, den in dieser Zeitschriß üblichen Gepflogenheiten entsprechend, anonym; bei der auffälligen Gewichtung der Beiträge steht jedoch zu vermuten, daß Joachim Christian Gaß, der viel in den „ Theologischen Nachrichten " rezensierte, Schleiermacher hier - wie auch sonst öfters58 - einen Freundschaftsdienst geleistet hat.

" Briefe 4,229. Blanc antwortete am 18. Januar 1818: „Mit großem Vergnügen habe ich Ihre lateinische Rede gelesen und stimme mutatis mutandis Buttmans Urtheil ganz bey. D. Knapp ist mit Ihrem Latein sehr wohl zufrieden, weniger mit Marheinickes und am wenigsten mit dem Eingange des Ganzen, wo auch in der That wunderliche Floskeln und Kratzfüße vorkommen." (SN253, Bl. 97v) 54 Vgl. Twesten an Schleiermacher, 6. April 1818: „ Wollten Sie auch wohl Marheineke gelegentlich danken fur seine Zusendung der Reformationsreden? Mir haben besonders Ihre hübschen und gewichtigen Worte gar sehr gefallen. Sie werden wohl nichts dagegen haben, daß wir eine Uebersetzung derselben in die Kieler Blätter aufnehmen?" (SN408, Bl. 28v; diese Passage fehlt im Abdruck des Briefes bei C.F. Georg Heinrici: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, Berlin 1889, S.313-317) 55 Vgl. Brief an Twesten, 11. Juli 1818: „Den Gedanken meine Reformationsrede zu übersezen werden Sie wol aufgeben; denn deutsch kann sich das wol gar nicht ausnehmen - und überhaupt nahm es sich nur aus dem Minister und der hohen Hof Geistlichkeit gegenüber." (Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, 13553; diese Passage fehlt im Abdruck des Briefes bei Heinrici: Twesten 318-323) 56 Vgl. Theologische Nachrichten 1818, ed. L. Wachler, Bd 1 (Breslau, Juni 1818), S.263-293, hier 264-269 " Vgl. Theologische Nachrichten 1818, 265-269 » Vgl. z.B. KGA 1/7.1, XL, vgl. auch unten XXIII.XXVIf.XXXII.XXXIV

Historische Einführung

XV

2. An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Sätze Friedrich Schleiermachers Schrift „An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Säze" erschien 1818 in der Berliner Realschulbuchhandlung des Verlegers Georg Reimer. Im Oktavformat von ca. 11 cm Breite und 18 cm Höhe umfaßt sie inklusive Titelblatt 92 Seiten mit normalerweise 38 Zeilen. Die (mit Ausnahme des letzten) jeweils 16 Seiten starken Druckbogen sind mit Großbuchstaben (A-F) gezählt; nach Seite 92 folgt ein lediglich zwei Korrekturen enthaltendes unpaginiertes Druckfehlerverzeichnis. Während sich der Beginn der Niederschrift nicht exakt bestimmen läßt, datiert Schleiermacher selbst die Vollendung seines als offener Brief stilisierten Werks auf den 7. Februar 1818s. Da er „beinahe eine Woche um und um alle müßigen Stunden an das Ding gesezt" hat60, ist die erste Februarwoche 1818 als Abfassungszeitraum anzusehen. Als fixes Datum der Fertigstellung kann der 16. Februar des Jahres gelten, denn an diesem Tag erhielt Schleiermacher vom Verlag zwölf Freiexemplare; bereits am 21. wurden ihm fünf weitere ausgeliefert.61 Zu Veranlassung und Vorgeschichte gibt Schleiermacher gleich am Anfang seiner Schrift den wichtigen Hinweis, daß sie die Antwort sei auf ein privates Schreiben, das der im Titel apostrophierte Oberhofprediger Ammon unter dem 12. Dezember 1817 an ihn gerichtet hatte.62 Christoph Friedrich (von) Ammon (1766-1850) war 1792-1794 Theologieprofessor in Erlangen, 1794-1804 in Göttingen und 1804-1813 wieder in Erlangen. 1813 wurde er als Nachfolger Franz Volkmar Reinhards in das Amt des Dresdener Oberhofpredigers berufen; den Familienadel nahm er erst 1825 wieder auf.63 Mit der Position des lutherischen Oberhofpredigers am katholischen sächsischen Königshof verband sich die kirchenleitende Funktion als Erster Konsistorialrat des mehrheitlich lutherischen Landes. Bereits in den Jahren 1805 und 1810/11 war es zu brieflichem Kontakt zwischen Ammon und Schleiermacher gekommen, aus dem sich jedoch keine kontinuierliche Korrespondenz entspann. 1805 suchte Ammon offenbar den wissenschaftlichen Austausch mit dem jungen Hallenser Extraordi"

Vgl. unten 92,4 Vgl. Brief an Ludwig Gottfried Blanc, 21. Februar 1818 (Briefe 4,230f); vgl. auch den Hinweis zum Entstehungsprozeß unten 89,10-13 61 So das Hauptbuch des Verlags Georg Reimer im Verlagsarchiv de Gruyter Bd 2, S. 804 « Vgl. unten 21,1-15 63 Zur Biographie vgl. z.B. Julius Pabst: Lebens- und Charakterumrisse Christoph Friedrichs von Ammon, Dresden 1850 sowie Johann Dietrich Schmidt: Christoph Friedrich von Ammon. Ein Abriß seines Lebens und theologischen Schaffens, in: Zeitschrift fur bayerische Kirchengeschichte 24 (Nürnberg 1955), S. 169-199

60

XVI

Einleitung des Bandherausgebers

nariusM, während Schleiermacher 1810 in seiner amtlichen Funktion als Mitglied der Einrichtungskommission der Berliner Universität die Bereitschaft Ammons zur Übernahme einer Professur erkundete65; bei dieser Gelegenheit bot Ammon Schleiermacher die Mitarbeit an einer theologischen Zeitschrift an und bemühte sich um nähere Auskünfte bezüglich der ihm angetragenen Generalsuperintendentur Greifswaldbb. Im Anschluß an diesen Briefwechsel, von dem nur die Schreiben Ammons erhalten sind, brach der Kontakt offenbar gänzlich ab. Erst unter dem 28. Oktober des Jahres 1817 wandte Ammon sich unvermittelt wieder an Schleiermacher mit der Bitte um eine Stellungnahme zur in Preußen beabsichtigten Vereinigung von lutherischer und reformierter Kirche, wie sie in der Kabinettsordre Friedrich Wilhelms III. vom 2 7. September 1817" avisiert worden war. Ihm seien nämlich für das von ihm seit 1816 herausgegebene „Magazin fur christliche Prediger" mehrere kritische Beiträge zu diesem Ereignis eingesandt worden, die er aber „aus guten Gründen bisher bei Seite gelegt" habe.™ Ein eigenhändiger Vermerk auf diesem Brief belegt, daß Schleiermacher Ammon am 3. Dezember 1817 darauf geantwortet hat, und zwar, wie er in seiner Schrift „An Ammon" angibt, unter Protestation gegen die Zurücklegung der kritischen Zuschriften und mit dem Wunsch, der Oberhofprediger möge seine Haltung zur Union klarstellen69. Ammon reagierte nun mit jenem Schreiben vom 12. Dezember 181770, als dessen Beantwortung Schleiermacher seine Schrift stilisiert. Parallel zur Korrespondenz beider Theologen war unterdessen der erste praktische Schritt zur Unionsbildung in Preußen, die gemeinsamen Abendmahlsfeiern von Lutheranern und Reformierten in Berlin und anderen Städten anläßlich des dritten Säkularfestes der Reformation, zum Gegenstand öffentlicher theologischer Auseinandersetzung geworden. Der damalige Archidiakon an der Kieler Nicolaikirche, Claus Harms (17781855), hatte zum Reformationsfest als Anhang zu einer deutschen Edition von Luthers Thesen 95 eigene, als Aktualisierung der Lutherschen verstandene Sätze herausgehen lassen, die sich in erster Linie gegen den in Schles64

65 66

67

68 69 70

Vgl. Ammons Brief vom 11. Oktober 1805 (SN 238, Bl. l f ) , abgedruckt Hans-Friedrich Trauisen: Schleiermacher und Claus Harms. Von den Reden ligion" zur Nachfolge an der Dreifaltigkeitskirche, Schleiermacher-Archiv York 1989, S. 281 Vgl. dazu Lenz: Geschichte 1,209-211.220-227 Vgl. Ammons Briefe vom 12. und 15. Januar 1811 (Trauisen: Schleiermacher Bl. 3f.5f)

im Anhang zu „ Über die Re7, Berlin/New

282f; SN 238,

Vgl. „Allerhöchste Königl. Cabinets-Ordre die Vereinigung der lutherischen und reformirten Kirche, vom 27sten September 1817.", in: Annalen der Preußischen innem Staats-Verwaltung 1 (Berlin 1817), Heft 3, S. 64-66 Vgl. Trauisen: Schleiermacher 283f, bes. 284 (SN238, Bl. 7f) Vgl. unten 54,3-6 Vgl. unten Anm. zu 21,2-8

Historische Einführung

XVII

wig-Holstein herrschenden theologischen Rationalismus richteten.71 Neben seinen überaus polemischen Attacken gegen „die Vernunft" bzw. die „ Vernunftreligion" hatte Harms in einigen seiner Sätze (These 75-89) auch der geplanten Unionsbildung eine scharfe Absage erteilt und ihr ein Bekenntnis zum Luthertum entgegengestellt (These 94f). Während die Herausgabe der „ Thesen" in Harms'Heimat eine rege Kontroverse mit dem und um den Rationalismus entfachte, fand seine Kritik der Union erst dadurch breitere Resonanz in der deutschen theologischen Öffentlichkeit, daß Ammon, der ja zumindest gegenüber Schleiermacher noch keine eindeutig ablehnende Position bezogen hatte, sich ihrer durch eine empfehlende „Prüfung" annahm. Unter dem Titel „Bittere Arznei fur die Glaubensschwäche der Zeit. Verordnet von Herrn Claus Harms, Archidiaconus an der Nicolaikirche in Kiel, und geprüft von dem Herausgeber des Magazins fur christliche Prediger" publizierte der Oberhofprediger als gesonderten Abdruck aus dem zweiten Stück des zweiten Bandes seiner Zeitschrift71 eine Stellungnahme, die in rascher Folge vier Auflagen erlebte. Geschrieben ist die erste Ausgabe nach Ammons Angabe am 17. November 1817, also bereits etwa drei Wochen nach den Reformationsfeierlichkeiten, als deren herausragendes Ereignis gleich eingangs die Harmsischen „ Thesen"gewertet werden. Die im Titel signalisierte Ubereinstimmung mit Harms'Antirationalismus besteht jedoch nur vordergründig; im Kern ging es Ammon darum, die Thesen gegen die Union für einen Angriff auf die gemeinsame Abendmahlsfeier in Berlin zu instrumentalisieren. 14 von 32 Seiten der „Bitteren Arznei" sind diesem Thema gewidmet, wobei insbesondere auch auf die von Schleiermacher verfaßte und mitunterzeichnete „Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30sten October von ihr zu haltende Abendmahlsfeier"7i Bezug genommen wird. Vor allem die an ihr geübte Kritik dürfte Schleiermacher zur Abfassung seiner Schrift „An Ammon" bewogen haben. Als Protagonist der Union verschränkt Schleiermacher nun die vorauslaufende private Korrespondenz mit Ammon in der Weise mit der „Bitteren Arznei", daß er es so darstellt, als habe er in ihr endlich des Oberhofpredigers „Ansicht über die Kirchenvereinigung" gefunden, der er seit dessen Brief vom 12. Dezember „so lange vergeblich nachgespürt".7* Da sein offenes Antwortschreiben an Ammon sich in direkter Bezugnahme wie versteckter Anspielung eingehend mit der Argumentation der „Bitteren Arznei" 71

72 75 74

Harms: Das sind die 95 theses oder Streitsätze Dr. Luthers, theuren Andenkens. Zum besondern Abdruck besorgt und mit andern 95 Sätzen als mit einer Uebersetzung aus Ao. 1517 in 1817 begleitet von Claus Harms, Archidiakonus an der St. Nicolaikirche in Kiel, Kiel 1817; vgl. Ausgewählte Schriften und Predigten, ed. P. Meinhold u.a. Bd 1, Flensburg 1955, S. 210-225 Hannover/Leipzig 1817 (vgl. Magazin 2/2, Hannover/Leipzig 1818, S.303-332) Berlin 1817 (SW 1/5,297-307) Vgl. unten 21,12-15

XVIII

Einleitung des Bandherausgebers

auseinandersetzt, ist diese zur Entlastung des Sachapparats und um bruchstückhafte Zitation zu vermeiden zur Gänze im Anhang abgedruckt.75 Während der Entstehungsprozeß der Schrift „An Ammon " sich offenbar nicht in Schleiermachers Korrespondenz niederschlug, hat er sich im Anschluß an ihre Abfassung in mehreren Briefen erläuternd und interpretierend über sie geäußert. An erster Stelle steht hier das Schreiben, das er unter dem 18. Februar 1818, also zwei Tage nach Empfang seiner Freiexemplare, an den Verfasser der im Titel apostrophierten „Harmsischen Säze" selbst richtete.7'' Er bedauert darin, Harms bei seinem Kielbesuch im Jahre 1816 nicht kennengelernt zu haben und fährt fort: „Jetzt thut es mir noch mehr leid, daß das erste unmittelbare und persönliche Verhältniß, in welches ich zu Ihnen trete, darin besteht, daß ich Ihnen anliegend eine kleine Schrift übersende, in welcher ich des Gegenstandes wegen, nicht umhinkonnte von Ihren Thesen, und zwar, wie es mir ums Herz ist, nicht lobend zu reden. Vielleicht hätte ich die herzliche Achtung, die ich für Sie hege, dabei noch wärmer ausdrücken, und die Uebereinstimmung, die sonst zwischen uns stattfindet, stärker ins Licht setzen können; allein das würde doch in dieser Verbindung zu geflissentlich ausgesehen, und also den rechten Eindruck verfehlt haben. Darum habe ich mich dessen enthalten, oder vielmehr darum ist es mir nicht eingefallen. "77 Harms solle „die Sache sehen und nehmen [. . .], wie sie ist", nämlich etwa so, daß er „an Ammons Gemeinschaft, und wenn sie sich auch als die submisseste Schülerschaft anstellt, keine Freude haben" könne. Dieser habe Harms schließlich „nur gemißbraucht, [. . .] um ganz andere Ziele zu erreichen " wovon der Kieler sich anhand Schleiermachers Schrift überzeugen könne und was auch die Schärfe der Argumentation rechtfertige. Schleiermacher weiht Harms in die von ihm vermuteten unlauteren Motive Ammons ein: „[.. .] nur daß ich Sie bitten muß, seine ganze Schrift auch noch aus dem besonderen Gesichtspunkte anzusehen einer Sächsischen Feindschaft gegen Preußen, die ihm jedoch ebenfalls nicht ernst ist, denn er ist ja noch viel zu jung in Sachsen, sondern womit er sich nur bei den Sachsen beliebt machen will. Auch will ich Ihnen nicht vorenthalten, daß er sich früher nicht nur mündlich gegen unseren Gesandten in Dresden, sondern auch schriftlich in Briefen hierher erboten hat, für das Unionswerk seinerseits mit zuwirken. Man hat das abgelehnt, theils aus Mangel an persönlichem Vertrauen, theils weil in der That die Sache auf diese Weise nur als eine Landessache behandelt werden kann." Von dieser Einschätzung hebt Schleiermacher die in seiner Schrift ausgesprochene Kritik am Thesensteller deutlich ab: „ Was aber den Tadel betrifft, den ich über " 76

17

Vgl. unten 429-443 Original in der Universitätsbibliothek Leipzig, Sammlung Taut; abgedruckt bei und (mit wenigen Ergänzungen aus dem fast ausschließlich in der Orthographie abweichenden Original) zitiert nach Heinrici: Twesten 310-312. Heinrici: Twesten 311

Historische Einführung

XIX

Sie ausgesprochen habe, so hoffe ich zunächst, daß es niemandem, und am wenigsten Ihnen, so vorkommen wird, als hätte ich Sie und Ammon in einen Topf geworfen. Und so fest ich entschlossen bin über alles, was mir diese Schrift zuziehen kann, sofern es meine Person betrifft, das ruhigste Stillschweigen zu beobachten, so gewiß werde ich es nicht fehlen lassen, mich genügend zu erklären, wenn ein Mißverständniß dieser Art zum Vorschein kommen sollte. Sonst kann ich freilich von meinem Tadel Ihrer Thesen nichts zurück nehmen, und ich kann nur wünschen, daß Sie selbst bei ruhiger Ueberlegung nicht das wesentliche von dem, was Ihnen dabei vorgeschwebt, aber die ganze Art zurück wünschen mögen. Kann meine Kritik etwas dazu beitragen, so werde ich mich freuen. Was die Form betrifft, so kann ich Sie nur brüderlich und herzlich bitten, den unangenehmen Eindruck, den manches auf Sie machen kann, nicht zu tief wurzeln zu lassen, und zu bedenken, wie vieles gerade hiervon nicht sowohl gegen Sie gerichtet ist, als gegen die Art, wie Ammon Ihre Thesen ergriffen hat." Auf dem Hintergrund dieser Erläuterung bittet Schleiermacher Harms um ein baldiges „beruhigendes Wörtchen", vermutet, er werde wohl kaum „nöthigfinden [. . .], sich öffentlich gegen mich zu vertheidigen" und schließt mit dem Wunsch, „daß Freunde und Feinde" Harms „Ruhe lassen mögen".79 Dem offenkundigen Bemühen, Harms durch Übersendung der Schrift und beigefügte Interpretation zu besänftigen79, war freilich kein Erfolg beschieden. Anfang Mai 1818 publizierte Harms „Briefe zu einer nähern Verständigung über verschiedene meine Thesen betreffende Puncte", denen er einen „namhaften Brief an den Herrn Dr. Schleiermacher" voranstellte.80 Darin kommt fast ausschließlich nur seine tiefe persönliche Verstimmung zum Ausdruck, wenn er beispielsweise seinem „Lehrer" und „Meister" Schleiermacher vorwirft, er habe ihn „öffentlich verhöhnt und privatim durch treuherzig gesprochenes Lob sich wieder, wie er's meint, mit" ihm „versöhnt"81 Dem sachlichen Gehalt nach wird die Schrift „An Ammon" lediglich hinsichtlich ihrer Kritik an Harms' theologischer Schriftstellerei und Schleiermachers Zugehörigkeitsbekenntnis zur „theologischen Schule der Reformirten" berücksichtigt.91 Insgesamt gehören die „Briefe zur Verständi78 79

80 81 82

Vgl. Heinrici: Twesten 31lf Vgl. dazu die vom 19. März 1818 datierte Nachfrage beim auch mit Harms befreundeten Twesten: „Doch will ich [. ..] Sie bitten, mich doch mit ein paar Zeilen ins klare darüber zu setzen, wie Harms meine Missive aufgenommen hat. Ich wünschte so herzlich, daß ihn diese freilich bittere Arznei nicht erbitterte und daß ihn sein böser Genius nicht etwa in ein Verhältniß mit Ammon hineinzöge, wovon er weder Freude noch Ehre noch Segen haben könnte. Indeß fange ich an zu furchten, denn wenn es gut auf ihn gewirkt hätte, so würde er wohl schon geantwortet haben. Ich versichere Sie aber, daß mein Brief an ihn ganz herzlich und wirklich dringend gewesen ist." (Heinrici: Twesten 313) Kiel 1818 (Schriften 1,229-300, bes. 230-234) Vgl. Harms: Schriften 1,230 Vgl. Harms: Schriften l,23lf.233 sowie unten 22,22-26. 32,28-30

XX

Einleitung des Bandherausgebers

gung" damit nur am Rande zur Rezeptionsgeschichte der SchleiermacherSchrift. Im weiteren Verlauf des „ Thesenstreits" setzte sich Harms fast ausschließlich mit den Argumenten seiner rationalistischen Gegner auseinander,83 Schleiermacher selbst verfaßte auf Harms' offenen Brief hin ein weiteres besänftigendes Schreiben an ihn, das er einem vom 11. Juli 1818 datierten Brief an Twesten beifügte, das dieser jedoch wegen der Schwere der Verstimmung nicht an den Archidiakon weitergab.84 Auch gegenüber anderen Korrespondenten betonte Schleiermacher sowohl sein Bedauern, mit Harms aneinandergeraten zu sein, als auch sein Bestreben, sich nicht in eine öffentliche Kontroverse mit ihm verwickeln zu lassen.™ Gänzlich anders verhält es sich mit Ammon, über den er die schärfsten Urteile fällte. So heißt es unter dem 21. Februar 1818 gegenüber Blanc%b: „ Viele Leute behaupten, Schmalz wäre milde behandelt gegen Ammon. Aber dieser erscheint mir auch offenbar heuchlerisch und boshaft. Denn eine solche Art einzulenken, und dabei zu versichern man wäre seinen Pricipien treu geblieben, ist nicht ehrlich. Und seine Ausfälle auf hier sind offenbar boshaft. Wobei Sie noch bedenken müssen, daß er vor gar nicht langer Zeit sich mündlich und schriftlich erboten hat zur Union mitzuwirken. Dies habe ich, weil es eine Privatmittheilung ist, nicht benuzen wollen, aber doch darauf angespielt, so daß er es selbst merken wird. Kurz ich habe das beste Gewissen. "87 Schleiermacher ist gespannt auf Ammons Reaktion, wünscht aber keine Fortsetzung der Kontroverse: „Neugierig bin ich aber doch was er machen wird, wenn er sich von diesem Schlage besinnt. Es wird Ihnen nicht entgehen, daß mein letzter Monolog darauf angelegt ist, ihn von einigen weitläuftigen Proceduren abzuhalten, die ihn zu nichts führen könnten, mir aber doch jezt ungele-

83

84 85

86 87

Vgl. aber Harms: Schriften l,263f sowie „Daß es mit der Vernunftreligion nichts ist", Kiel 1819 (Schriften 1,301-370, hier 305.365) Vgl. Heinrici: Twesten 323-326 Vgl. dazu: „Daß der Harms mit dran gemußt hat, thut mir leid; ich hätte ihm sonst seine Thesen gern geschenkt aber nun ging es nicht. Ich habe ihm einen freundlichen und möglichst beruhigenden Brief geschrieben, und bin gespannt auf den Effect." (Brief an Blanc, 21. Februar 1818, zitiert nach dem Original in der Biblioteka Jagiellonska, Krakow, Sammlung Autographen der ehemaligen preußischen Staatsbibliothek; vgl. Diltheys abweichende Lesung Briefe 4,230) - „Indeß hoffe ich, es soll ihm nicht gelingen, mich in einen weiteren Streit mit ihm zu verwickeln, der ohne allen Nutzen nur den Wahn der flachen Rationalisten mehren würde, als ob ich einer ihrer Genossen wäre." (Brief an Gaß, 11. Mai 1818, Briefe ed. Meisner 2,277). 7.u Harms'„Verständigungsbriefen"äußerte sich Schleiermacher in Briefen an Immanuel Bekker (16. Mai 1818, Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 11,84), Blanc (20. Juni 1818, Briefe 4,235) und Twesten (11. Juli 1818, Heinrici: Twesten 318f). Briefe 4,230 Briefe 4,230; gemeint

ist die Anspielung

unten

54,13-33.

Historische Einführung

XXI

gen kämen, weil ich andre Dinge zu thun habe. "8S In diesem Zusammenhang weist Schleiermacher Blanc auf die mit seiner Schrift gleichfalls verbundene Absicht hin, die seiner Ansicht nach übereilten und unüberlegten Schritte Friedrich Wilhelms III. und seiner geistlichen Räte zur Einfuhrung der Union zu kritisieren: „Auch habe ich mich nicht enthalten können denen Leuten die uns die Unionssache verderben durch ihre abgeschmakten Maaßregeln einen Wink zu geben, daß sie nicht etwa denken ich habe es um ihrer grauen Augen willen gethan und ich würde ihnen auch gelegentlich die Kastanien aus dem Feuer holen. Hanstein war sehr gespannt auf die Schrift er hat sie nun, hat aber noch kein Wörtchen hören lassen, wahrscheinlich weil er seinen Text auch drin gefunden hat. Und so hoffe ich wird sie mir auch keine königliche Gnade zuziehn. "89 Noch vor dem 23. Februar 1818 sandte Schleiermacher seine Schrift ihrem Adressaten persönlich zu. Ammon reagierte unter dem 7. März direkt darauf mit einem kurzen Privatschreiben, in dem er vorschlug, sich „künftig auf die geschriebenen Visitencarten zu beschränken" zugleich aber die „Hand zum Frieden" bot.90 Zuvor aber hatte er bereits eine „Antwort auf die Zuschrift des Herrn D. Fr. Schleiermacher, o.o. Lehrers d. Theol. a.d. Universität zu Berlin, über die Prüfung der Harmsischen Sätze"91 verfaßt und publiziert. Sie ist vom 23. Februar datiert und beginnt mit den Worten: „In dem Augenblicke, wo ich aus den Händen Euer Hochwürden mit einem Sendschreiben beehrt werde, von dem Sie zugleich eine beglaubte Abschrift in den Buchläden gefälligst niedergelegt haben, ergreife ich schon die Feder, Ihnen die Empfindungen auszudrücken, die Ihre wohlwollende Freimüthigkeit gleich bei dem ersten Durchlesen Ihres offenen Briefes bei mir geweckt hat. "92 Demgemäß setzte Ammon im folgenden die Kontroverse überwiegend auf der Ebene persönlich-emotionaler, weniger allgemein-sachlicher Argumentation fort. Schleiermacher reagierte auf diese „Antwort" des Oberhofpredigers mit der ebenfalls im vorliegenden Band abgedruckten „Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon'"**; soweit er darin Ammons Kritik rezipiert, ist diese zum besseren Verständnis im Sachapparat wiedergegeben und damit dort zugänglich. Ein Nachhall sowohl auf die Schrift „An Ammon" wie auf die „Zugabe" findet sich dann in der „Nachschrift an die Leser", die der Oberhofprediger unter dem Datum des 12. April einer zweiten, „verbesserten" Auflage seiner „Antwort" beifügte mit dem offenkundigen Ziel, die 88

Zitiert nach dem Original in der Biblioteka Jagiellonska, 89,13-91,26. »' Vgl. dazu unten 82,3-17. 91,15-25 90 Vgl. Traulsen: Schleiermacher 285 (SN238, Bl. llr) " Hannover/Leipzig 1818 ,2 Ammon: Antwort 3 " Berlin 1818 (unten 93-116)

Krakow;

vgl.

dazu

unten

XXII

Einleitung des Bandherausgebers

Auseinandersetzung zu beendend* Darüber hinaus nahm er durch die entgegen eigener Bekundung umfangreichen Umarbeitungen der vierten Auflage seiner „Bitteren Arznei" in vorwiegend defensiv-apologetischer Manier auf Schleiermachers Ausstellungen Rücksicht. Datiert ist diese Neuausgabe, die den bezeichnenden Untertitel „Ein besänftigendes Wort über die Harmsischen Sätze" trägt, vom 30. Juli 1818.95 Aufschlußreich sind Schleiermachers Erläuterungen zum von ihm gewählten Modus der Auseinandersetzung mit dem Oberhofprediger, wie er sie Twesten in einem Brief vom 11. Juli 1818 gab: „Noch eine Apologie möchte ich führen über den Ton in dem ich gegen Ammon geschrieben. Ich kann aber nichts anderes sagen, lieber Freund, als daß ich hierüber gar keine Überlegungen anstelle; ich konnte nur so schreiben oder gar nicht. Wie wenig ich auch Künstler bin in der Ausführung, so sehr bin ich es doch in der Conception. Der Impuls zum Werk entsteht mir nicht anders als mit den Grundzügen und dem Ton desselben zugleich, und ich kann nur entweder ganz folgen oder mir die Sache ganz aus dem Sinn schlagen. Daß ich nun das letztere hier nicht gethan, thut mir noch immer nicht leid, und ich bin in der vollkommensten Ruhe über alles, was noch daraus entstehen mag. "9b Schleiermacher maß seinem Schreiben „An Ammon" durchaus auch grundsätzliche Bedeutung über den aktuellen Anlaß hinaus bei. So schrieb er Graf Alexander zu Dohna auf dessen Frage nach „glaubensfesten Schriften", er denke, „daß [. . .] auch in der Ammonschen Streitschrift das Wesen des protestantischen Glaubens sehr klar ausgesprochen ist"97 Das Ergebnis der „Ammonschen Geschichte" beurteilte er freilich eher resignativ: „Denn am Ende ist auch der Schreck, den ich den theologischen Zweizünglern beibringen wollte, durch die Behandlung des Ammon, nur etwas sehr vorübergehendes und nur die Rachsucht bleibend, die ich übrigens, Gott sei Dank, gar nicht fürchte. "98 Es schien Schleiermacher überdies, daß in diesem Konflikt „die Schlechten ihn zu den Ihrigen"gezählt hättener also zu Unrecht als rationalistischer Harms-Gegner angesehen worden sei. 94

Vgl. Ammon: „Hatten diese nun einmal nöthig gewordenen Verhandlungen einige kräftige Regungen im Gefolge, so befestigten sie mich in der Ueberzeugung, daß wir nicht genug eilen können, uns aus dem kleinen Horizonte unseres Scheins freiwillig zurück zu ziehen in den noch viel kleinem unseres Seyns, und auf diesem Grund läßt sich, wie ich meine, ein Tempel der Eintracht und des Friedens bauen, den keine Zuschrift und keine Antwort mehr erschüttern wird." (Antwort [. . .] Zweite, verbesserte Auflage. Mit einer Nachschrift an die Leser, Hannover/Leipzig 1818, S. 56)

95

Vgl. Ammon: Bittere Arznei [. . .] Vierte, verbesserte Auflage, Hannover/Leipzig 1818, bes. S. 3f.39 Heinrici: Twesten 322f Vgl. Brief vom 31. Januar 1819 (vgl. Briefe ed. Meisner 2,293f) Brief an Bekker, 16. Mai 1818 (Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 11,85) Vgl. Brief an Gaß vom 10. Januar 1819 (Schleiermachers Briefwechsel mit Joachim Christian Gaß, ed. W. Gaß, Berlin 1852, S. 168)

96 97 9e

99

Historische Einführung

XXIII

Die Reaktion der theologischen Freunde und Schüler Blanc, Gaß und Twesten auf die Schrift war überwiegend zustimmend, besonders was die Behandlung Ammons, aber auch die Einschätzung Harms' betraf. Ludwig Gottfried Blanc warf allerdings angesichts der Kritik Schleiermachers an Harms' Konfessionscharakteristiken und ihrer Interpretation durch Ammon die Frage auf, ob „es nicht wirklich einen Sinn"gebe, „in welchem man sagen könnte die Reformirten halten sich mehr ans Wort als die Lutheraner". 100 Darüber hinaus informierte er Schleiermacher über ablehnende Resonanz in Halle, besonders seitens August Hermann Niemeyers101; letzterer wiederum gab Schleiermacher persönlich zu erkennen, er sei zwar mancher Bedenklichkeiten wegen außerstande, sein Urteil in die Kürze eines Briefes zu fassen, stimme grundsätzlich aber zu102. Joachim Christian Gaß äußerte sich begeistert: „Besonders, mein lieber theurer Freund, will ich doch nicht unterlassen Dir zu sagen, welche Freude Du Deinen Freunden und mir gemacht hast durch Deine Schrift gegen Ammon. Ich habe sie schon dreimal gelesen, gleich eine Anzeige davon für Wachlers Annalen gemacht, und lese sie gewiß noch öfter." Gaß sah mit der Abfertigung Ammons zugleich eine ganze theologische Richtung getroffen, die geprägt sei von der „Verworfenheit, [. . .] einen traditionellen Kirchenglauben zu lehren, den die Lehrenden selber nicht glauben, ein Unheil, das nachtheiliger auf die Kirche wirkt als alles Andere ".103

100

101

102

105

Vgl. Brief vom 28. Februar 1818 (Briefe von Ludwig Gottfried Blanc an Friedrich Schleiermacher, ed. H. Meisner/E. Schmidt, Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 2, Berlin 1909, S. 64) in bezug auf „An Ammon" 18 (unten 33,20-34,3) Vgl. Blanc an Schleiermacher, 28. März 1818: „Des Mannes theologische Weisheit ist nemlich innerlich über Ihre Schrift gegen Ammon empört, das ist vorgestern als wir uns bey Schütz auf dem lubelfeste trafen mehr herausgekommen als ihm vielleicht lieb ist. Die Gerechtigkeit muß ihm indeß werden daß er Ammons Verfahren tadelt, aber nur nicht von der rechten Seite; das empört ihn eben nicht, daß der Mann heuchelt und verleumdet, aber daß er zur Unzeit dogmatische Streitfragen aufrührt. Ueberhaupt zeigt sich hier wenigstens ein erbärmlich kleinlicher Partheygeist und Sie können nur immer annehmen, daß alle hiesige lutherische Prediger höchst unzufrieden sind daß man einen vornehmen sächsischen Oberhofprediger so herb angepackt hat. Die Unionssache ist ihnen allen ein Greuel, weil sie dabey zu verlieren furchten, weil es im Ganzen genommen das Ansehn für den Laien gewinnt, als müßten sie sich uns nähern, weil sie wohl fühlen wie die besten ihrer Gemeindeglieder von jeher dahinneigten. Und obwohl dies alles nicht von uns ausgeht so legen sie es doch uns zur Last, vielleicht weil der König es betreibt und die der Zahl nach ihnen so unbedeutend scheinende Parthey der Reformirten dadurch und durch solche Stimmen wie die Ihrige eine ihnen anstößige Bedeutung gewinnt. Beinahe möchte ich glauben Ammons Unwille käme aus einer ähnlichen Quelle [. . .]." (SN 253, Bl. lOlf) Vgl. Niemeyers Brief an Schleiermacher vom 17. Mai 1818, wo er festhält, „daß ich in der Hauptsache ganz und gar mit Ihnen einverstanden bin und vieles nicht möchte anders gesagt wissen, als Sie es gesagt haben; - endlich aber auch: daß der Ton des Ganzen nun einmal nicht der Ton ist, der mir zusagt, weil er meiner - friedlichen oder schwachen - Natur zu fremd ist [. . .]." (SN 342, Bl. 12v) Vgl. Gaß an Schleiermacher, 12. März 1818 (Briefwechsel mit Gaß 144f)

XXIV

Einleitung des Bandherausgebers

August Twesten versah Schleiermacher mit Informationen sowohl über Harms' Reaktion wie auch über die Rezeption der Schrift „An Ammon " im holsteinischen Thesenstreit, dabei deren ironischen Stil bemängelnd.104 Bedenken erhob Twesten gegen die seiner Ansicht nach zu starke Hervorhebung der „Zwinglischen Ansicht" durch Schleiermacher. Ihm erschien der Gegensatz zwischen Zwingli und Luther als zu bedeutend, um durch dogmatische Übereinkunft aufgelöst zu werden; deshalb müsse es „ in der vereinigten Kirche eine Maxime" sein, den „Zwinglianismus", soweit er nicht „durch den Calvinismus gemildert oder vielmehr erhoben" werde, „allmählich zurücktreten zu lassen".105 Schleiermacher bestritt dagegen, die„Zwinglische Ansicht mehr als billig hervorgezogen" zu haben und hielt fest, daß die Union sich stützen müsse „auf die Ansicht, daß alle drei Meinungen nur gradweise verschieden sind theils im Auftreten gegen den Katholicismus, theils in dem Werth, den sie für den Christen, der ohnedies in der geistigen Gemeinschaft mit Jesu lebt, auf die äußere Handlung legen ".106 Von dem Altphilologen August Immanuel Bekker (1785-1871), der im Auftrag der Berliner Akademie zu Studienzwecken in Italien weilte, erhielt Schleiermacher im Mai 1818 den Hinweis auf eine Zeitungsmeldung107, den er erst am 19. Januar 1819 aufnahm: „Wissen Sie wol, daß ich noch Neuigkeiten über die deutsche Litteratur von Ihnen erfahren habe? nämlich daß in der Allgemeinen Zeitung etwas über meine Ammonsche Fehde gestanden hat? Die Artikel über Preußen in dieser Zeitung scheinen übrigens immer von boshaften Menschen gemacht zu werden, und Sie werden sie wol gehörig zu würdigen wissen. "108 Es handelt sich hier um eine in einem Bericht aus Preußen versteckte kurze Notiz der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" vom 1. April 1818, die wenig theologische Sachkenntnis verrät und überhaupt nur die Schrift „An Ammon" und die „Antwort" des Oberhofpredigers berücksichtigt: „Berlin, 24. März. [...]- Eine, einer wahrhaft christlichen Geistlichkeit wohl unwürdige Fehde, hat hier zwischen Dr. Schleiermacher und Hrn. Ammon in zwei Schriften begonnen. Der Gegen104

Vgl. Twesten an Schleiermacher, 6. April 1818:„Die einen sehen Sie als Feind, die anderen als Freund, und das letzte ärgert mich noch mehr als das erste. Denn schwerlich haben Sie von der Gemeinheit einen Begriff, womit Harms von seichten Köpfen zerrissen und beschmutzt wird: solche Menschen sich auf Sie berufen zu hören, ist in der That nicht zu ertragen. [. . .] Gewünscht hätte ich um deren willen, die sich in den Ton der Ironie nicht zu finden wissen [. . .], daß Sie gegen Ammon lieber in der Sprache Ihrer Kritik der Liturgie der Gamisonkirche geredet haben möchten [. . .]." (Heinrici: Twesten 314f)

105

Vgl. Heinrici: Twesten 315 Vgl. Brief an Twesten, 11. Juli 1818 (Heinrici: Twesten 321); Twesten widersprach dieser Konzeption unter dem 19. Juli 1818 (331). Vgl. Bekker an Schleiermacher, 16. Mai 1818 (Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 11,81) Brief an Bekker vom 9.-19. Januar 1819 (Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge ll,102f)

106

107

108

Historische Einführung

XXV

stand ist die Kirchenvereinigung. Dr. Schleiermacher ist dafür, Ammon dagegen. Jener gesteht aber: Es sey nur eine Vereinigung der Altäre nicht der Lehre - also der Priesterschaft und nicht der Geistlichkeit, also der Korporation gegen die willkührliche Herrschaft. Der Streit wird mit unrühmlichen Waffen geführt, mit höflichen Redensarten, die Gift enthalten, oder mit Stachelrosen. "109 Die Hallesche „Allgemeine Literatur-Zeitung" besprach Schleiermachers Schrift ebenfalls im April 1818 im Rahmen einer größeren, mit Harms' „Thesen" beginnenden Sammelrezension von 17 Publikationen zum Thesenstreit.lia Der Rezensent kritisiert zunächst Harms und Ammon aufs schärfstem, um sich danach als „vorurtheilsfreyer Leser" weitgehend Schleiermachers Position anzuschließen. Dies geschieht durch detaillierte Nachzeichnung des Argumentationsgangs und ausführliche Zitation. Die Stellung des Rezensenten ist die „des wissenschaftlich gebildeten Rationalisten" der gegen „zelotische eingebildete Rechtgläubige"für Union und gegen Bekenntniszwang eintritt, hinsichtlich Prädestinations- und Abendmahlsdogma auf Christi Lehre und Praxis rückverweist und im Namen „Protestantismus " die „ Verwerfung alles Gewissens- und Glaubenszwanges in der evangelischen Kirche" bezeichnet sieht.112 Schleiermachers Schrift scheint dem Rezensenten damit inhaltlich völlig in Einklang zu stehen. Das allgemeine Interesse an der Kontroverse zwischen Schleiermacher und Ammon auch über die theologische Fachwelt hinaus dokumentiert der kurze Bericht des von August von Kotzebue herausgegebenen „Literarischen Wochenblatts". „Schon lange" habe im Publikum das Gerücht bestanden, „daß Herr Ammon seinen vormaligen Grundsätzen ungetreu geworden", doch nun erst sei dies von Schleiermacher klar demonstriert worden. Auf die Angriffe der „Bitteren Arznei" hin „[. ..] hielt Herr S. sich mit Recht verpflichtet, loszubrechen, und er hat solches mit einer so ergötzlichen Ironie gethan, daß man sein Sendschreiben an A. nicht aus der Hand legen kann, bis man es ganz gelesen". Ammons Sinneswandel sei so überzeugend nachgewiesen, daß ihm eine förmliche Revokation früherer Werke mit Recht anzuraten sei.113

109 110

111 112 113

Allgemeine Zeitung (Augsburg 1818), Nr. 91, S. 364 Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle/Leipzig 1818), Nr. 98-101, Sp. 777-806; Nr. 143-145 (Juni 1818), Sp. 305-323. Vgl. Blancs Hinweis auf die Autorschaft im Brief vom 28. März 1818: „Nächstens wird hier Ihr erstes gegen Ammon, und vermutlich wohl auch seine Antwort, wie ich höre von Wegscheider recensirt werden, das wird also nicht viel sagen: etwa so: Schleiermacher hat Recht, aber er ist zu bitter, denn so einem muß doch auch bange werden." (SN253, Bl. 102) Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung 1818, Nr. Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung 1818, Nr. Vgl. Literarisches Wochenblatt Bd 1, 3. Aufl. Oberhofprediger Ammon in Dresden und der

98, Sp. 777-784 99, Sp. 785-792 (Weimar 1818), Nr. 35, S. 273: „Der Herr Herr Professor Schleyermacher in Berlin." In

XXVI

Einleitung des Bandherausgebers

Johann Friedrich Röhr rezensierte Schleiermachers Schrift in seiner „Neuesten Predigerliteratur" zusammen mit der zweiten Auflage der Ammonschen „Antwort" und der „Zugabe"114 Röhr betont den Gewinn des Publikums durch die „Radicalkur" Schleiermachers, „[. . .] den Unglimpf abzuwehren, den Hr. Α., als Durchfechter der faulen Harmsischen Sache, demselben zudachte, denn niemand war wohl geschickter, die blendenden Tiraden, zugespitzten Witzeleien und hohltönigen Phrasen, mit denen von jener Seite Vernunft und Wahrheit angegriffen wurden, gehörig zu sichten und dialektischen Spitzfindigkeiten, die den Nichturtheilsfähigen verwirren konnten, eine weit überwiegende und nur im Dienste der guten Sache stehende Dialektik entgegenzustellen115 Röhrs ausführliche, nach den verhandelten Sachthemen gegliederte Inhaltswiedergabe ist durchsetzt von Lob sowohl des Duktus der Schleiermacher-Schrift wie der Scharfsinnigkeit ihres Autors; einzig die Charakterisierung der Zwinglischen Abendmahlslehre als „etwas dürftige und trokkene"116 findet vor den Augen des erklärten Rationalisten Kritik. Wie in seinem Brief an Schleiermacher vom 12. März 1818 angekündigt, rezensierte Gaß in den „ Neuen theologischen Annalen" die Schleiermacher-Schrift, und zwar gemeinsam mit Ammons „Bitterer Arznei", um so beider Verhältnis zueinander beleuchten zu können.117 Ammons Motivation liege zum einen mutmaßlich in der „ Opposition zwischen den sächsischen und preußischen Theologen, besonders den Berlinern" begründet, zum andern habe er es wohl „seiner Würde und seiner Stellung angemessen erachtet", zur Union „seine Meinung zu äußern". Bei der ihm eigenen „Haltungslosigkeit" sei es ihm jedoch „begegnet, daß er nur seiner eignen Glaubensschwäche die bittere Arzenei verordnet hat, die ihm in dem Sendschreiben so reichlich und kräftig bereitet wird [. . .]". Schleiermachers „Nachweisung" Ammonscher „Inconsequenz" empfindet Gaß „unterhaltend" und voll „ächter Ironie". Die Bemerkungen über „das Unterscheidende im Lehrbegriff der reformirten Kirche, über die Abendmahlslehre und Prädestination" seien „lichtvoll" und von ,,vollkommene[r] Unparteilichkeit". Daß die Union „mit der Reformation selbst übereinstimme", werde „aus der Art, wie die Reformation entstanden ist und wie sie sich verbreitet hat, mit recht tiefem geschichtlichen Blick und für jeden Kundigen verständ-

114

115 116 117

Nr. 38, S. 297f erfolgt unter dem Titel „Audiatur et altera pars." ein Referat der Amniotischen „Antwort". Vgl. Neueste Predigerliteratur Bd 1, 2. Quartalheft (Zeitz 1818), S. 137-145 (Rezension von „An Ammon"). 145-151 (Rezension von „Ammon: Antwort"). 151f (Rezension der „Zugabe") Röhr: Neueste Predigerliteratur 1/2,138 Vgl. unten 69,13-16 Vgl. Neue theologische Annalen 1818, ed. L. Wachler (Frankfurt/Main, Mai 1818), S. 431-433 (Rezension von „Ammon: Bittere Arznei"). 433-436 (Rezension von „An Ammon")

Historische Einführung

XXVII

lieh genug gezeigt". Demgegenüber bleibe Ammon nur das Eingeständnis des Mangels „einer Uebereinstimmung mit sich selbst", wie überhaupt Schleiermachers Schrift allen Theologen von ähnlicher Inkonsequenz einen „herrlichen Spiegel" vorhalte. Gaß beschließt sein uneingeschränktes Lob mit dem Wunsch, Schleiermachers „zahlreiche Schüler" möchten ihm auch „ in seiner frommen Gesinnung ähnlich werden ". Schleiermachers Kontrahent Ammon nutzte auch den Rezensionsteil seines „Magazins fur christliche Prediger" als Kampfbühne, indem er unter der eigens fur den Thesenstreit eingerichteten Rubrik „ Orthodoxie und Skoliodoxie" sowohl die Schrift „An Ammon" wie die eigene „Antwort" darauf besprach.118 Schleiermachers Werk sei „von den höheren und leitenden Ideen des Glaubens verlassen" und biete „nur ein Spiel flüchtiger Dialektik und iener hohlen Arroganz dar, die mit dem Ernste und der Würde des deutschen Charakters im geraden Widerspruche steht." In der Selbstrezension wirft Ammon Schleiermacher vor: „ Wer den Spinozism, in dem alle moralische Religion unwiderruflich untergeht, so unbedingt vertheidigt und unter dem Volk verbreitet, ia wer bald wider, bald für die Synoden sprechend, selbst mehr Sequenz, als Consequenz bewiesen hat, der hätte sich doch billig zuerst prüfen sollen, ehe er Andere mit dem Vorwurfe der Inconsequenz und Heuchelei zu belasten wagte, der iedes wahrheitliebende Gemüth empören muß." In der Jenenser „Oppositionsschrift", die in Rezensionen und Beiträgen zum Thesenstreit nachdrücklich gegen Harms Stellung bezog, erschien eine kurze Besprechung119 mit dem Tenor, es sei Schleiermachers Verdienst, Ammon „zur Freude aller besonnenen Theologen" nachgewiesen zu haben, „wie sehr er [. . .] mit seinen frühem dogmatischen Ansichten in Widerspruch gekommen sey". Darauf könne Ammon eigentlich nur antworten durch ein „offenes, aber ruhiges, nicht mit polemischen Ausfällen gegen den Rationalismus angefülltes Bekenntniß, daß er seine Ueberzeugung wirklich geändert habe." In der anschließenden Rezension der „Antwort" wird dann entsprechend die „Aufklärung" über „seine in Dresden Statt gefundene Sinnesänderung " vermißt.120 Schleiermachers Schrift fand naturgemäß auch in Schleswig-Holstein Resonanz, wo der Kampf für und wider Harms' „Thesen" am heftigsten tobte. Einen guten Überblick gewährt hier das von dem Archidiakon in Oldenburg/Holstein, Franz Adolph Schroedter, herausgegebene „Archiv der

118

119

120

Vgl. Magazin für christliche Prediger Bd3, 1. Stück (Hannover/Leipzig 1818), S. 252f (Rezension von „An Ammon"). 253-255 (Rezension von „Ammon: Antwort") Für Christenthum und Gottesgelahrtheit. Eine Oppositionsschrift, ed. W. Schröter/ F.A. Klein, Bd 1, Heft 3 (Jena 1818), S. 549 Vgl. Oppositionsschrift 1/3,550

Einleitung des Bandherausgebers

XXVIII

Harms'schen Thesen"121. Der Harms-Gegner verzeichnet Mitte 1818 bereits 56 Schriften, von denen 39 in Opposition zu den „Thesen"stehen. Schleiermachers Beitrag erscheint hier unter der Nummer 22 und wird mit der Bemerkung eingeßihrt, er unterscheide sich von „manchen ähnlichen durch eine gründliche und ruhige, dabei tief eingreifende Prüfung". Vor eine relativ ausfuhrliche Zitation der Harms betreffenden Passagen stellt Schwedter ein Lob des Stils: „Hr. Schleiermacher schreibt so plan und deutlich, daß er auch dem Layen und dem gebildeten Ungelehrten verständlich wird, indeß Hr. D. Ammon und Hr. P. Harms durch ihre Bildersprache den Leser, zumal wenn er nicht fachkundig ist, nur allzu leicht hinreissen und täuschen, auch dadurch nicht selten einen Doppelsinn veranlassen. Hr. D. Schleiermachers Worte hingegen lassen keine Zweideutigkeiten zu, sondern Jeder versteht sogleich, was er sagen will. "122 In der Regel wurde Schleiermachers Schrift „An Ammon" nicht allein für sich, sondern innerhalb von Sammelrezensionen zum Thesenstreit oder zur Unionsbildung verhandelt. Dabei ist auffällig, daß die „Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung" sie unter 16 Schriften zur Kontroverse um Harms nicht eigens aufführte, sondern nur kurz anläßlich der Besprechung der Ammonschen „Antwort" und der „Verständigungsbriefe" des Kielers erwähnte.123 Dagegen räumte Friedrich Heinrich Christian Schwarz ihr in seiner Rezension von zwölf „Schriften, welche die Vereinigung der ev. luther. und ev. reform. Kirchenpartey betreffen" in den „Heidelberger Jahrbüchern der Litteratur" einigen Raum ein.124 Schwarz läßt schon in einem einleitenden Rückblick auf frühere Unionsversuche seine positive Stellung zu den aktuellen Vorgängen in Preußen erkennen. Bewußt verzichtet er auf eine Wertung des polemischen Aspekts der besprochenen Schriften und hebt vielmehr die Leistung der einzelnen Autoren bei der „Festsetzung der eigentümlichen Lehrpuncte bey den verschiedenen Kirchenparteyen"hervor. Hier nun nimmt seiner Ansicht nach Schleiermachers Schrift, beispielsweise in der Bestimmung der Prädestinationslehre11'', einen besonderen Rang ein: „ Was Hr. S. hierbey zur Rechtfertigung der practischen Tendenz, die diese

121

Archiv der Harms'schen Thesen, oder Charakteristik der Schrifien, welche für und gegen dieselben erschienen sind; größtentheils in deren eigenen Worten, mit beigefügten kurzen Beurtheilungen, Altona 1818. Ebenfalls verzeichnet ist Schleiermachers Schrift unter der Rubrik „Harmsiana" bei Karl Friedrich Michahelles: Literatur der dritten ReformationsSäcularfeier oder möglichst vollständiges literarisches Verzeichniß aller der Schriften, welche in näherer oder entfernterer Beziehung auf das im Jahr 1817 gefeierte dritte Reformations-Jubelfest erschienen sind, Nürnberg 1820, S. 40.

122

Vgl. Schroedter: Archiv

123

Vgl. Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1818, Nr. 144-146 (August 1818), Sp. 233254, bes. 248.249 Vgl. Heidelberger Jahrbücher der Litteratur 11, Heft 12 (Dezember 1818), Nr. 72f S. 1137-1166, bes. 1148-1151 (Rezension von „An Ammon")

124

125

Vgl. dazu unten

97-100

67,29-68,23

Historische Einßihrung

XXIX

Lehre Calvins hat, anfahrt, gesteht Ref. bey dem Studium des so tiefsinnigen Buches Calv. Instit. nicht ohne Bewunderung ebenfalls gefunden zu haben, wobey ihm aber recht klar geworden, wie die Speculation zwar zunächst scholae, non vitae angehöre, doch aber tiefer geführt auch den Theologen zur geläuterten Einfalt des evangelischen Lebens verweise. "126 Die Übereinstimmung mit Schleiermachers Fassung des Streitpunktes in der Abendmahlslehre127 signalisiert Schwarz durch fast vollständige Zitation der entsprechenden Textpassagen. Im übrigen bewundert er „die dialektische Kraft des Hrn. Verf." bei der Widerlegung der Ammonschen Konfessionscharakteristikua und lobt, daß„wissenschaftlich und historisch vieles dem Leser zur Belehrung nachgewiesen" werde. Die von Schleiermacher nicht intendierte Bildung einer neuen, „dritten Kirche" hält Schwarz für unproblematisch: „ Und was wäre es denn, möchte Ref. hinzusetzen, wenn eine 3te Partey entstünde, die, nicht nach einer symbolisch bestehenden oder auch polemisch drehenden Dogmatik fragend, sich bloß an das Wort des Evangeliums hielte? Die Grundsätze der Brüdergemeinde in dieser Hinsicht sind doch eben so abschreckend nicht [. . .]. "129 Als Ausfluß der „Ammonschen Fehde" erschien 1818 ohne Ortsangabe ein unter dem Pseudonym „Christian Timotheus" verfaßter „Katechismus der wahren Religion für die Verächter der (positiven) Religion von Friedrich Schleiermacher, Doktorn und Professorn der christlichen Theologie an der Universität zu Berlin, aus dessen Reden über die Religion entworfen und mit kurzen Erläuterungen und Fingerzeigen versehen". Der unbekannte Schleiermacher-Gegner meint, „der Christenheit" dadurch einen „Dienst zu erweisen", daß er in 56 Paragraphen „die Hauptsätze der schändlichen Sophistik" Schleiermachers zusammenstellt. Unbestreitbar sei, „daß derselbe ohne Scheu das Daseyn des lebendigen Gottes, welchen die Christen anbeten, läugnet, durch die vernunftwidrigen Grundsätze des traurigen Panlogismus den Unterschied zwischen Sündenschuld und göttlichem Werth völlig aufhebt, die christliche Religion mit den ungereimten und sinnlosen Fabeln der rohesten Völker in Eine Klasse setzt, in den positiven Grundlehren des Christenthums nichts als leere Mythologie erblickt, den eigentlichen Begriff der Unsterblichkeit durch seine panlogistischen Träume und Ungereimtheiten völlig aufhebt [. . .]. "130 126

Schwarz: Jahrbücher 11/12,1150 Vgl. unten 72,23-73,24 "· Vgl. Schwarz: Jahrbücher 11/12,1148 und unten 29,4-39,18 129 Vgl. Schwarz: Jahrbücher 11/12,1 Π1 und unten 77,35-37 130 Vgl. Timotheus: Katechismus 4-6. Schleiermacher äußerte sich dazu (im Hinblick auf die Einschätzung seiner Person durch Freimaurer) unter dem 10. Januar 1819 gegenüber Gaß: „ Wegen meines Spinozismus können sie sich ja nun mit dem,Christianus Timotheus' alliiren; dieser Streich ist doch rein abgeglitten, daß auch gar nicht die Rede davon gewesen ist." (Briefwechsel mit Gaß 167) 127

XXX

Einleitung des Bandherausgebers

Eine diesem schroffen, durch den Thesenstreit hervorgerufenen Angriff gänzlich entgegengesetzte Wertung spricht aus den Worten, mit denen im „Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur"m die Schrift „An Ammon" angezeigt wurde. Dem Autor Deegen zufolge ist Schleiermacher „ein Polemiker, wie seit Lessing wohl keiner aufgestanden", und „muß man" unabhängig von der eigenen Stellung im Streit „den Werth des Buchs als Kunstwerk [. . .] anerkennen", da es „ein polemisches Meisterstück" sei. Das gleichfalls 1821 erschienene Werk des Jahnsdorfer Pfarrers Gottlob Benjamin Gerlach „Ammon und Schleiermacher oder Präliminarien zur Union zwischen Glauben und Wissen, Religion und Philosophie, Supematuralismus und Rationalismus "132 dagegen gehört nicht mehr zur eigentlichen Rezeptionsgeschichte der Schleiermacher-Schrift. Offenbar um Publikumsinteresse zu erwecken, knüpft der Autor lose an die Erwähnung Schleiermachers als Repräsentanten des von Ammon kritisierten „denkenden Glaubens" an, um danach sein im Untertitel angedeutetes Programm weitschweifig und ohne jede weitere Bezugnahme auf die Kontrahenten zu entfalten. Im Jahre 1846 wurde Schleiermachers Schrift „An Ammon" in den fünften Band der ersten Abteilung der „Sämmtlichen Werke" aufgenommen. 133 Sie ist seither nicht wieder gedruckt worden.

3. Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon Als eigenständige Schrift erschien 1818 in der Berliner Realschulbuchhandlung des Verlegers Georg Reimer Friedrich Schleiermachers „Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon". Sie umfaßt im Oktavformat von 11 cm Breite und 18,5 cm Höhe inklusive Titelblatt 18 Druckseiten mit normalerweise 38 Zeilen. Schleiermacher reagierte mit dieser kurzen Schrift auf die vom Dresdener Oberhofprediger Christoph Friedrich (von) Ammon verfaßte und mit dem Datum des 23. Februar 1818 versehene „Antwort auf die Zuschrift des Herrn D. Fr. Schleiermacher, o.o. Lehrers d. Theol. a.d. Universität zu Berlin, über die Prüfung der Harmsischen Sätze"iu. Wie der Titel besagt, replizierte Ammon darin auf die Kritik, die Schleiermacher in seinem Schreiben „An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Säze" an der „Bittere[n] Arznei für die Glaubensschwäche der Zeit" geübt hatte. In dieser Schrift wiederum hatte Ammon Zustimmung zu den anläßlich des Reformationsjubiläums erschienenen 131

152 133 134

Verfaßt und herausgegeben von Johann Matthias Daniel Ludwig Deegen, Drittes Bändchen, Essen 1821, S. 74 („Fortsetzung des großen Thesenstreits. ") Berlin 1821 SW in, Berlin 1846, S. 327-407 Hannover/Leipzig 1818. Die von Schleiermacher aufgegriffenen Passagen sind unten im Sachapparat wiedergegeben.

Historische Einführung

XXXI

„Thesen" des Kieler Archidiakons Claus Harms signalisiert und die gemeinsame Abendmahlsfeier von reformierten und lutherischen Geistlichen in Berlin kritisiert.135 Schleiermachers „Zugabe" stellt somit sein öffentliches Schlußwort in der Kontroverse mit Ammon um die Unionsbildung dar. Der erste Hinweis auf die Abfassung der „Zugabe"findet sich in einem Brief an den Schwager Ernst Moritz Arndt vom 14. März 1818: „Mich hat es getrieben, daß ich mich in eine theologische Fehde verwickeln mußte, indem ich die hohlen Anmaßungen des Dresdener Papstes nicht ertragen konnte; er hat eben so wieder geantwortet, und ich habe heute eine Duplik in die Druckerei geschickt. "136 Damit ist sowohl der Abschluß der Niederschrift wie auch die überaus kritische Einschätzung des Kontrahenten dokumentiert. Zwei Tage später, am 16. März, schrieb Schleiermacher an Friedrich Lücke: „ Wie geht es denn zu daß wir uns gar nicht mehr sehen? Können Sie sich nicht diese Woche einen Abend mit De Wette bereden; wenn nicht heute was wahrscheinlich doch zu spät ist dann zunächst den Donnerstag; dann ist auch die Ammonsche Sache fertig und wir können uns daran vergnügen. "137 Es ist allerdings fraglich, ob Schleiermacher schon am Donnerstag, den 19. März, mit den Freunden das Vergnügen der Lektüre seiner „Zugabe" hat teilen können, denn vom Verlag wurden ihm erst am 21. März insgesamt sechs Exemplare ausgehändigt.138 Unter dem 23. März sandte er zwei davon an Ludwig Gottfried Blanc nach Halle und bemerkte brieflich dazu: „Ammon wird wol seine flausenmacherische Antwort auch baldigst nach Halle besorgt haben, und so schicke ich Ihnen nun auch meine Gegenrede in duplo mit der Bitte, das andere Niemeyer zu besorgen. "139 Letzterer habe auf die Zusendung der Schrift „An Ammon" noch nicht reagiert, was Schleiermacher auf dem Hintergrund eines früheren Berichts Blancsu° als Ausdruck „vorsichtiger Weisheit" dieses „gute[n] Freund[es]" deutet1*1.

135 136 137

138 139 140

Vgl. dazu oben

XV-XVIII.XXI

Briefe ed. Meisner 2,27lf Sammlung Autographen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek giellonska Krakow, Bl. 10

in der Biblioteka

Ja-

So das Hauptbuch des Verlags Georg Reimer im Verlagsarchiv de Gruyter Bd 2, S. 804 Briefe 4,231 Vgl. Blanc an Schleiermacher, 28. Februar 1818: „Was ich zu der Abfertigung Ammons sage ? was anders als daß ein solcher heimtückischer mantelträgerischer heuchlerischer Bursche nicht hart genug kann gegeißelt werden, und daß es nur schade ist, daß Sie Sich haben damit bemühen müssen. Niemeyem furchte ich ist, aus mehreren Gründen die Dosis etwas zu stark, ich schickte ihm die Schrift und in seinem Rücksendungs Billet, steht viel von Bedauern über die erneuerten Streitigkeiten, über das Lachen derer die draußen sind, und trotz Ihrem Monolog, die kleine schadenfrohe Befürchtung, daß man auch Sie wenn man älteres und neueres zusammen stellen wollte in einige Verlegenheit bringen könnte. Dem Manne wird auch etwas bang glaube ich, obgleich er sich doch immer so ziemlich auf dem Indifferenz Punkt gehalten hat, von wo aus man ja ganz schicklich rechts und links die

XXXII

Einleitung des Bandherausgebers

Schleiermacher weist Blanc auf den inhaltlichen Bezug seiner kleinen Schrift zur Auseinandersetzung zwischen Rationalismus und Supranaturalismus hin und hofft, daß ihm in der „Zugabe manches gerade über dieses [. . .] gefallen soll".142 Darüber hinaus enthält sein Brief vom 23. März wichtige Angaben sowohl zur mit der „Zugabe" verbundenen Absicht als auch zu ihrem Stellenwert innerhalb seines literarischen Schaffens: „Absichtlich habe ich in dieses hoffentlich mein leztes Wort soviel Keime zu gründlichen Erörterungen hineingelegt, daß ich hoffe Ammon im Bewußtsein seiner Ungründlichkeit und Schwebbelei wird einen Schreck bekommen: auf jeden Fall hoffe ich ist diese Sache durch mein gänzliches Stillschweigen auf seine Ausfälle aus dem Gebiet der Persönlichkeit ganz herausgespielt. Böttiger hat während Ammon an seiner Antwort schrieb hieher gemeldet, er fasse sie in einem sehr gemäßigten Ton ab, und es werde wol von keiner Seite ein Triumphlied gesungen werden. Ist nun meine Zugabe keines: so begehre ich auch keines. Was aber die Recensenten vorbringen werden, das soll gewiß von mir ganz unbeantwortet bleiben. Es ist mir schon eine bedenkliche Betrachtung, daß wenn ich einmal meine vermischten Schriften herausgebe, die polemischen Recensionen einen so bedeutenden Theil ausmachen, und es wäre mir schon ganz recht, wenn ich, so wie ich mit dem Philosophen für die Welt angefangen habe, mit dem Theologen für die Welt endigen könnte. "143 Auch gegenüber Joachim Christian Gaß, der schon die Schrift „An Ammon" lebhaft begrüßt hatte, äußerte Schleiermacher sich eigens zur „Zugabe": „Daß Dir meine Ammonsbeize so wohl gefallen hat, und besonders daß Du sie von der höchst ernsthaften Seite ansiehst, wie ich sie gemeint, macht mir große Freude. Ammons Antwort wird nun doch endlich bei Dir sein mit meiner,Zugabe', und ich wollte, Du zeigtest auch noch beides an und machtest etwas aufmerksam darauf, wieviel ich dem Ammon geschenkt. Wenn es mir irgend darauf angekommen, einen Witztriumph zu erlangen, was für Stoff hätten nur allein seine verdrehten Bilder gegeben! ich habe es aber absichtlich verschmäht. Wie ich höre, soll Ammon auf meine Zugabe eine Erklärung in irgend einer Zeitung haben abdrukken lassen, die mir aber noch nicht zu Gesicht gekommen ist. "144 In beiden Briefzeugnissen zu seiner Broschüre betont Schleiermacher also die Absicht, von der Polemik hin zu einer ernsthaften Erörterung der

141

142 145 144

Arme ausbreiten und wie es die Natur des Hebels mit sich bringt die eine erheben die andre senken kann." (Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 2,6'if) Vgl. Briefe 4,231f. Niemeyer äußerte sich unter dem 17. Mai 1818 (SN 342, Bl. 12f, vgl. oben XXIII). Vgl. Briefe 4,233 Briefe 4,233f Brief vom 11. Mai 1818 (Briefwechsel mit Gaß 147f)

Historische Einführung

XXXIII

durch die Union neu aufgeworfenen innerprotestantischen Kontroverslehren zu lenken. Sein Kontrahent Ammon allerdings griff diese Absicht nicht auf, reagierte auch nicht direkt mit einer neuen Replik, sondern lediglich mit einer vom 12. April 1818 datierten „Nachschrift an die Leser", die er der „Zweite[n], verbesserte[n] Auflage" seiner „Antwort" anhängte.145 Hierin behauptete er, Schleiermachers „Zugabe zu dem Schreiben an Herrn Ammon [. ..] einzig aus der Berliner Zeitung und dem kurzen Berichte meiner Freunde"zu kennen und bekundete:„ich werde weder über sie, noch über irgend einen künftigen Anruf dieses Lautes, eine Sylbe weiter verlieren, und gedenke ihrer bei dem neuen Abdrucke dieser Antwort nur zum Beweise, daß ich mich auf die Sache zu beschränken entschlossen bin. "146 Ahnlich defensiv, mit der erkennbaren Absicht, die Auseinandersetzung zu beenden, reagierte Ammon auf Schleiermachers Ausstellungen in den umfangreichen Umarbeitungen, die er unter dem Datum des 30. Juli 1818 der „ Vierte[n], verbesserte[n] Auflage" der „Bitteren Arznei" mit dem Untertitel „Ein besänftigendes Wort über die Harmsischen Sätze" angedeihen ließ.1*7 Nur seine Rezension der Schrift „An Ammon" im eigenen „Magazin für christliche Prediger" wählt unter Anspielung auf Schleiermachers PlatoUbersetzung etwas deutlichere Worte: „Der Verf. hat diesem Sendschreiben in der Folge noch eine Zugabe beigefügt, in der viele Leser auch die lezte Spur attischer Urbanität vermißt haben. "148 Die Freunde und theologischen Weggefährten Schleiermachers nahmen in der Regel nicht eigens zur „Zugabe" Stellung, sondern kommentierten die Kontroverse mit Ammon insgesamt.149 Die Ausnahme bildet Blanc in seiner Reaktion auf Schleiermachers Zuschrift vom 23. März 1818: „In der That habe ich mich gewundert daß Sie Ammon noch mit Ihrer Zugabe beehrt haben, denn so schlechte Fechterkünste wie in seiner Antwort sind mir nicht leicht vorgekommen. "15° Arndt, dem Schleiermacher ja als erstem die Abfassung einer „Duplik" an Ammon gemeldet hatte, beklagte in seinem Antwortbrief vom 6. April 1818 ironisch den Mangel genauerer Informationen. 151 Ausfuhrlicher reagierte Gaß, der in einem Schreiben vom Sommer 1818li2 die Auffassung vertrat, Schleiermacher wirke mit seinen kleinen 145 146 147 148 149 150

151

152

Vgl. Ammon: Antwort 2. Aufl., Hannover/Leipzig 1818, S. 54-56 Vgl. Antwort 2. Aufl., 56 Hannover/Leipzig 1818 (vgl. oben XXII) Magazin fiir christliche Prediger Bd3, 1. Stück (Hannover/Leipzig 1818), S. 253 Vgl. dazu oben XXIIIf Blanc an Schleiermacher, 28. März 1818 (SN253, Bl. 102). Zu Niemeyers Reaktion heißt es hier, er werde „[. . .] in sofern damit zufrieden seyn, daß die Sache abgethan scheint". „Du hättest uns wohl mittheilen können, wie Du dem Jupiter Ammon die unprophetischen Bockshörner abgestoßen hast. Zu uns kömmt dergleichen alles sehr langsam. Etwas scharf wirst Du die Ammoniaca wohl bereitet haben." (Ernst Moritz Arndt. Ein Lebensbild in Briefen, ed. H. Meisner/R. Geerds, Berlin 1898, S. 180) Vgl. Briefwechsel mit Gaß 153

XXXIV

Einleitung des Bandherausgebers

Schriften ,Jast mehr" als mit den „größeren Arbeiten". Entsprechend werde auch „die Schrift gegen Ammon [.. .] gewiß manchen zum Nachdenken bringen". Gaß zieht hier offenbar beide Streitschriften Schleiermachers zusammen und gibt seine Einschätzung des Stands der Kontroverse zu erkennen: „Ammon scheint mir doch ganz verlassen zu sein, und selbst seine zahlreichen sächsischen Schmeichler stellen sich nicht zu seiner Vertheidigung, wie ich vermuthete." Im übrigen verweist Gaß auf seine Rezension und bedauert, daß es zu einer „ordentlichen und würdigen Polemik" nicht zu kommen scheine. Mit der Rezension der „Zugabe" war Gaß Schleiermachers im Brief vom 11. Mai 1818 geäußertem Wunsch nachgekommen. Gaß besprach die Broschüre gemeinsam mit Ammons „Antwort" und Harms' „Briefen" über seine „ Thesen "153 und publizierte seine Ausführungen im September-Heft der „Neuen theologischen Annalen" von 18181S*. Von der äußerst scharfen Kritik am Oberhofprediger, dem er unter anderem „geflissentliches Ablenken von der Sache selbst", „Haschen nach Witz" und „recht widerliche Leichtfertigkeit" vorwirft15i, hebt sich das Lob Schleiermachers um so deutlicher ab: „Die Zugabe des Hrn. Dr. Schleiermacher ist in einem höchst ruhigen und milden Ton abgefaßt [. . .]. Hätte er den falschen Witz seines Gegners mit der reichen Fülle seines echten erwiedern, hätte er ihm das zusammengeflickte, ewig abspringende und ordnungslose seiner Antwort nachweisen wollen; wie leicht wäre es ihm gewesen, den,schlüpfenden Aal' noch mehr umher zu treiben und ihn völlig matt zu machen. [. . .] wer an dem Gegenstande Theil nimmt, wird diese wenigen Seiten mit Vergnügen lesen, [. . .] aber auch in das Bedauern mit einstimmen, daß eine solche Gelegenheit zu wissenschaftlichen Erörterungen über einzelne wichtige Punkte der Glaubenslehre, ganz fruchtlos geblieben ist und weder den, welchem sie dargeboten wurde, gebessert, noch dem theilnehmenden theologischen Publicum anders genügt hat, als daß es noch gewisser erfährt, wie es eigentlich steht. Möchte es die Vorsehung dem würdigen Manne gelingen lassen, uns seine Dogmatik mitzutheilen; denn wahrlich es ist Zeit, daß die immer größer werdende Verwirrung sich löse, welches wir einem großen Theil nach von ihm erwarten. "156 In der „Allgemeinen Literatur-Zeitung" wurde die „Zugabe" bereits im April 1818 im Rahmen der großen Sammelrezension von Thesenstreitschrif-

153

154

155 156

Vgl- Harms: Briefe zu einer nahem Verständigung über verschiedene meine Thesen betreffende Puncte. Nebst Einem namhaften Briefe, an den Herrn Dr. Schleiermacher, Kiel 1818 (Schriften 1,229-300) Neue theologische Annalen 1818, ed. L. Wachler (Frankfurt/Main, September 1818), S. 744- 751 Vgl. Gaß: Annalen 1818, 745-748 Vgl. Gaß: Annalen 1818, 748f

Historische Einführung

XXXV

ten unmittelbar nach der Ammonschen „Antwort" besprochen.157 Wie schon bei der Schrift „An Ammon" gibt der Rezensent seine Zustimmung zur „Zugabe", die er mit Jede[m] unbefangene[n] Wahrheitsfreund" zu teilen meint, durch breite Paraphrase und ausfuhrliche Zitation deutlich zu erkennen. Einzig in die Klage Schleiermachers, Ammon habe die von ihm gewünschte fruchtbringende „wissenschaftliche Erörterung" der innerprotestantischen Kontroverslehren verweigert, mag der Rezensent nicht einstimmen, denn er „zweifelt, daß ein erneuter Streit über veraltete unfruchtbare Dogmen noch gegenwärtig Interesse erwecken werde".158 Die von Johann Friedrich Röhr herausgegebene „Neueste Predigerliteratur" besprach die „Zugabe" zusammen mit der Schrift „An Ammon" und der zweiten Auflage der Ammonschen „Antwort" in Form einer kurzen Inhaltsangabe, die auch einige Formulierungen Schleiermachers zitiert.159 Da Röhr sich in den voranstehenden Rezensionen der beiden anderen Schriften bereits eindeutig zugunsten Schleiermachers ausgesprochen hatte, konnte er auf eine Stellungnahme eigens zur „Zugabe" verzichten und sich auf bloßes Referat beschränken. Die Einzelrezension der im Thesenstreit gegen Harms engagierten Jenenser „Oppositionsschrift" lobte insbesondere, wie Schleiermacher „das Ungenügende und Oberflächliche" der Ammonschen „Antwort" aufgezeigt habe. Interessant sind die Bemerkungen des Rezensenten zur Unionskontroverse: „ Was Hrn. A. Einwendungen gegen die Kirchenvereinigung betrift, so hat Hr. Schi, das Schielende und Einseitige derselben nachzuweisen vorzüglich sich bemüht. Auch hier hatte Hr. A. leider vergessen, was er in frühern Schriften vom Wesen des freien Protestantismus sagte. Nur ein verblendeter Zelot kann das Bekenntniß einer gemeinschaftlichen Dogmatik als Bedingung der Union protestantischer Kirchen fordern. Es scheint fast, als spräche Hr. A. nur deswegen gegen diese Berliner Union, weil gerade ihm nicht die Ruhm bringende Rolle eines Vermittlers übertragen worden ist. Es läßt sich nicht läugnen, daß Hr. Dr. Schleiermacher in jeder Hinsicht den Sieg in diesem Kampfe davon getragen hat. "160 Eigene Würdigung fand die „Zugabe" auch in der von Friedrich Heinrich Christian Schwarz für die „Heidelberger Jahrbücher der Litteratur" verfaßten Rezension von zwölf „ Schriften, welche die Vereinigung der ev.

157

158 159

160

Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle/Leipzig 1818), Nr. lOOf, Sp. 798-802 (vgl. auch oben XXV) Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung 1818, Nr. 100, Sp. 799 und unten 100,28-101,21 Vgl. Neueste Predigerliteratur Bd 1, 2. Quartalheß (Zeitz 1818), S. 151f. 137-145 (Rezension von „An Ammon"). 145-151 (Rezension von „Ammon: Antwort 2. Aufl."); vgl. dazu oben XXVI Für Christenthum und Gottesgelahrtheit. Eine Oppositionsschrift, ed. W. Schröter/ F.A. Klein, Bd 1, Heft 4 (Jena 1818), S. 746f

XXXVI

Einleitung des Bandherausgebers

luther. und ev. reform. Kirchenparthey betreffen".ibl Getreu seiner Absicht, den polemischen Aspekt der besprochenen Werke zu ignorieren und stattdessen deren Leistung bei der „Festsetzung der eigenthümlichen Lehrpuncte bey den verschiedenen Kirchenpartheyen" herauszuarbeiten, greift Schwarz die Bemerkung Schleiermachers zur Abendmahlslehre auf, die lutherische Kirche habe „ immer ebenso wie Calvin behauptet [. . .], das Sacrament befördere den Glauben nur, wenn der Geist hinzukomme".162 Dagegen möchte Schwarz „die Vorstellung von der Taufe einwenden, die aber auch Calvin hat, daß sie den Glauben mittheyle, freylich also nicht stärke, daß aber doch eine Wirksamkeit auf das noch nicht-glaubige Kind leicht zu Consequenzen fuhrt, die sich in solchen Lehren aussprechen können, deren Polemik nicht ohne eine spitzfindige Scholastik bleiben konnte." Um solchen Aporien zu entgehen und die Wissenschaft „nicht in die alten Sandwüsten"geraten zu lassen, stimmt Schwarz dem von Schleiermacher vertretenen pragmatischen Prinzip der Unionsbildung ohne Lehrkonsens abschließend ausdrücklich zu. Das „Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur" verzeichnete die „Zugabe" unter der Rubrik „Fortsetzung des großen Thesenstreits" mit der Notiz: „Schleiermacher selbst macht in einer Zugabe zu seinem Schreiben [. ..] bemerklich, daß sich sein Gegner auf viele Hauptpuncte in der Zuschrift gar nicht, oder so gut als gar nicht, eingelassen habe. ",63 1846 wurde Schleiermachers „Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon" in den fünften Band der ersten Abteilung der „Sämmtlichen Werke " aufgenommen164, erscheint dort jedoch ohne eigenes Zwischentitelblatt als Anhang zur Schrift „An Herrn Oberhofprediger D. Ammon". Seither ist die „Zugabe" nicht wieder abgedruckt worden.

4. Über den eigentümlichen Wert und das bindende Ansehen symbolischer Bücher Friedrich Schleiermachers Abhandlung „Ueber den eigenthümlichen Werth und das bindende Ansehen symbolischer Bücher" erschien im „Refor161

162 163

164

Vgl. Heidelberger (vgl. auch oben Vgl. dazu unten

Jahrbücher der Litteratur XXVIIIf) 103,8-13

11, Heft 12 (Dezember

1818), Nr. 73, S. 1114

Vgl. Jahrbiichlein der deutschen theologischen Literatur, verfaßt und herausgegeben von Johann Matthias Daniel Ludwig Deegen, Drittes Bändchen, Essen 1821, S. 75. Aufgeführt ist Schleiermachers Schrift unter der Rubrik „Harmsiana" auch bei Karl Friedrich Michahelles: Literatur der dritten Reformations-Säcularfeier oder möglichst vollständiges literarisches Verzeichniß aller der Schriften, welche in näherer oder entfernterer Beziehung auf das im Jahr 1817 gefeierte dritte Reformations-Jubelfest erschienen sind, Nürnberg 1820, S. 40. SW1/5, Berlin 1846, S. 408-422

Historische Einfuhrung

XXXVII

mations Almanack auf das fahr 1819", herausgegeben von Friedrich Keyser, in Georg Adam Keysers Buchhandlung in Erfurt auf den Seiten 335-381. Das CX und 381 paginierte Seiten umfassende, mit Faksimiles und Porträtkupfern aufwendig ausgestaltete Bändchen im Oktavformat (Breite: 9,2 cm, Höhe: 14,7 cm) weist auf dem Titelblatt keine Angabe des Erscheinungsjahres auf, das Vorwort jedoch schließt mit der Angabe: „Erfurt, im September 1818. Der Herausgeber. "16S Auch eine Rezension erschien schon 18181M; sie bezeugt, daß die Herstellung des Bandes schon im Herbst 1818 abgeschlossen war und zumindest potentielle Rezensenten schon mit Exemplaren beliefert wurden. Ob der Almanach auch im Buchhandel schon vor dem Jahreswechsel erhältlich war, läßt sich nicht ausmachen. Die allererste Spur der Konzeption und Entstehung des Aufsatzes ist ein kurzes, flüchtig formuliertes Billett, das Schleiermacher an den Herausgeber des Almanacks mit dem Datum des 17. Januar 1817 sandte, damit offenbar auf die Aufforderung zur Mitarbeit am Reformationsalmanach reagierend: „Meine schon an sich noch mehr aber durch Kränklichkeit sehr beschränkte Zeit erlaubt mir nicht zu Ihrem lobenswerthen Entwurf etwas bedeutendes, ja überhaupt nicht einmal etwas bestimmtes zu versprechen. Erlaubt es die Zeit: so werde ich gern eine Kleinigkeit, welche unter die Nummer 6 oder 8 Ihres Plans gehören würde. Unter diesen Umständen wäre es wunderlich wenn ich über das Honorar irgend etwas sagen wollte, dessen Bestimmung ich ohnehin dem Verleger als dem Kundigem zu überlassen pflege. Von Herzen wünsche ich Ihrem Unternehmen lebhafte Theilnahme und den glüklichsten Fortgang. Schleiermacher. "167 Erst nach dem Reformationsjubiläum im Herbst des Jahres 1817 und der anschließenden Kontroverse mit Ammon zeichnet sich eine Präzisierung und Erfüllung dieser vagen und unsicheren Zusage ab. Am 14. März 1818 meldet Schleiermacher dem Schwager Arndt, die „Zugabe zu meinem

165 166 167

Reformationsalmanach XVI Vgl. unten XL mit Anm. 185 Der Brief befindet sich als Teil der Sammlung Adam im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin (West). - Zum „Plan", auf den Schleiermacher hier Bezug nimmt, vgl. den „ Vorbericht" zum „Reformations Almanach für Luthers Verehrer auf das evangelische Jubeljahr 1817", ed. Friedrich Keyser, Erfurt 1817, S. IXf: „Am Schlüsse des vorigen Jahres entwarf der Herausgeber den Plan zu diesem Reformations-Almanach, theilte denselben bekannten und geschätzten Gottesgelahrten und einigen Geschichtsforschern mit, und forderte diese zur Theilnahme und würdigen Ausführung der gefaßten Idee auf: damit ein Werk zu Stande gebracht werde, das Ehre mache seinen Verfassern, wie der Zeit, in welcher es hervor gehe. Der Herausgeber hatte sich bald von dieser Seite einer achtungswerthen Unterstützung zu erfreuen; und mit Freudigkeit widmete er nun diesem Unternehmen die Sorgfalt, welche dazu gehörte, um in dem beinahe zu kurzen Zeiträume - in welchem der Anfang und die Beendigung dieses Almanachs lag - diesem Denkmahle der dritten evangelischen Jubelfeyer einen erreichbaren Grad von Vollkommenheit zu geben."

XXXVIII

Einleitung des Bandherausgebers

Schreiben an Herrn Ammon" sei gerade in den Druck gegangen.1*·* Neun Tage später, am 23. März, gibt er Blanc Rechenschaft von seinen weitgreifenden wissenschaftlich-literarischen Plänen169, unter denen sich jedoch noch keine Spur eines Beitrages für den Reformationsalmanach findet. Erst ein Brief an Joachim Christian Gaß vom 11. Mai 1818 (Pfingstmontag) weist innerhalb eines ähnlichen Arbeitsprogramms auf das neue literarische Vorhaben hin: „Es ist nämlich im Werk, daß De Wette und Lücke zusammen ein theologisches Journal herausgeben wollen, und da haben sie mich fast gezwungen, etwas in das erste Stück zu geben, und das soll sein: Eine allgemeine Kritik der rationalistischen und supranaturalistischen Streitigkeiten. Vorher aber habe ich noch eine auch hierher gehörige Kleinigkeit unter der Feder für den Reformationsalmanach: Ueber den Werth der symbolischen Bücher. Ich mache dazu die ganze Pfingstwoche Ferien, sehr gegen meine Gewohnheit, und wünsche nur, daß mir nicht so viel Störungen dazwischen kommen um fertig zu werden. Wenn mir beides gelingt, so denke ich, habe ich in der Sache das Meinige gethan, bis einmal meine Dogmatik herauskommt. "l70 Von den schriftlichen Vorarbeiten hat ein kleines Stück in Schleiermachers Nachlaß überdauert. Auf einem Blatt mit Notizen zu verschiedenen Themen findet sich die folgende Eintragung, die einen in der Abhandlung selbst breiter ausgeführten Gedankengang knapp skizziert171: „Durch die symbolischen Bücher die Laien sichern wollen gegen schlechte Geistliche heißt einmal den Laien zu viel Ehre geben daß sie entscheiden könnten und dann auch den Geistlichen zuviel als ob so besonders viel darauf ankomme daß sie an den symbolischen Büchern halten. "172 Ob Schleiermacher die Abhandlung in der Pfingstwoche - wie geplant - beenden konnte, läßt sich nicht mit Sicherheit ausmachen. Am 20. Juni 1818 jedenfalls war die kleine Arbeit vollendet, denn Schleiermacher kann an Blanc in Halle melden, daß ein Aufsatz zur Bekenntnisfrage von ihm im Reformationsalmanach erscheinen wird und gibt auch schon recht detaillierte inhaltliche Hinweise.173 Die Nähe des Aufsatzes zu Schleiermachers Kontroverse mit Ammon und Harms ist keine allein zeitliche, sondern vor allem eine inhaltlich-sach-

168

Vgl. Briefe 2,336 »" Vgl. Briefe 4,232f 170 Briefe ed. Meisner 2,277 171 SN 147, Bl. 6r. Das gesamte Nachlaßstück wird in KGA 1/11 ediert werden, während hier nur eine vorläufige Transkription der einschlägigen Notiz unter stillschweigender Auflösung der Abbreviaturen erfolgt. Schleiermacher hat die Notiz zur Kennzeichnung ihrer Einarbeitung in den Textzusammenhang durchstrichen. 172 Vgl. unten 130,7-132,26 173 Vgl. Briefe 4,235; vgl. unten XL mit Anm. 183

Historische Einführung

XXXIX

liehe, hat Schleiermacher doch schon gegen Harms'174 und Ammons175 beiläufige Voten zur Bekenntnisfrage geltend gemacht: „Auch das ist freilich alt, eben so alt wie das, wobei ich noch immer herzhaft beharre, daß eine Kirche, welche dies behauptet, ihrem Princip nach nicht evangelisch ist, sondern traditionell wie die römische, mag sie noch so viel Dogmen und Gebräuche verändert haben. "176 Als Begründung und Ausführung dieser These kann der Aufsatz „Ueber den eigenthümlichen Werth und das bindende Ansehen symbolischer Bücher" über weite Strecken hin gelesen werden, wenn er auch in Gestaltung und Argumentationsweise ganz anders angelegt ist als die schneidend polemische, voller sarkastischer Invektiven steckende Schrift gegen Ammon. Alle persönliche Polemik fehlt. Der Ausdruck ist so gestaltet, daß die Schrift auch dem gebildeten Nichttheologen verständlich ist, denn esoterisch-theologische Terminologie und gelehrtes Rankenwerk sind weitgehend vermieden. Der ruhige, sachliche Stil zeugt davon, daß der Autor sich als „Stimmführer"177 seiner kirchlichen Gemeinschaft gefordert und berechtigt weiß, eine Analyse der Bekenntnisfrage auf dem Hintergrund einer eigenen Deutung der religiösen und theologischen Gegenwartslage vorzulegen, die der gebührenden Aufmerksamkeit sicher sein darf. Schleiermacher hat zwei briefliche Selbstinterpretationen seines Aufsatzes gegeben. Am 20. Juni 1818 schreibt er an Blanc: „Ueber die Verpflichtung auf die symbolischen Bücher kommt eine kleine Abhandlung von mir in den Reformationsalmanach. Ich fürchte sie wird den fneisten unbedeutender erscheinen als sie gemeint ist, weil die Hauptsachen gleichsam nur beiläufig ausgesprochen sind. Sollte sie über mein Erwarten Sensation erregen: so ist sie vielleicht nur der Vorläufer von etwas größerem. "178 Unter dem Datum des 11. Juli 1818 erhält August Twesten die folgenden Zeilen: „ Was die allgemeine Frage über die Gültigkeit der Symbole in unserer Kirche betrifft, so habe ich einen kleinen Aufsatz darüber für den Reformationsalmanach geschrieben, den ich auch Ihrer freundlichen Aufnahme empfehle. Ich fürchte nur, er wird die wenigsten befriedigen und von vielen fur überflüssig gehalten werden, was er meiner Ueberzeugung nach nicht ist. Wohl aber ist mir hintennach vorgekommen, als stände nicht alles an seiner besten Stelle und sei also auch nicht ins stärkste Licht gesetzt. Der Hauptgedanke ist aber, daß unsere symbolischen Bücher unser Vereinigungspunkt gegen den Katholicismus sind und als solcher eine unbeschränkte Verbindlichkeit für alle Protestanten haben müssen, daß es aber in unserer Kirche eine verkehrte Idee war, innere Streitigkeiten durch symbolische Bücher

174

Vgl. Harms: These 50.67.82.83.87 (Schriften 1,218.220.223.224) »" Vgl. Ammon: Bittere Arznei 11.19 (unten Anhang 433,30-34.437,35-37) 176 An Ammon 9 (unten 27,7-11) 177 Werth 337 (unten 120,19) 178 Briefe 4,235

XL

Einleitung des Bandherausgebers

ausgleichen zu wollen. Die Haltung des Aufsatzes ist aber rein praktisch, und das habe ich, wie es scheint, nicht recht zu handhaben gewußt. "179 Schleiermachers Skepsis hinsichtlich der Rezeption seines Aufsatzes sollte sich als berechtigt erweisen: Die „Hauptsachen"180 - sie dürften darin bestehen, daß Schleiermacher in der Behandlung der Bekenntnisthematik implizit eine hoch reflektierte Selbstdeutung des gegenwärtigen Protestantismus in seiner charakteristischen Unterschiedenheit von seiner eigenen Urgestalt vollzieht und anhand der Resultate dieser Analyse die theologischen und kirchenpolitischen Gegensätze der Gegenwart verstehend nachzeichnet und relativiert181 - sind von den mitlebenden Lesern und Kritikern in der Tat nicht gebührend gewürdigt worden. August Twesten äußert brieflich Kritik an der ihm mitgeteilten zusammenfassenden Selbstinterpretation: „ Wollen Sie nämlich die symbolischen Bücher als bloße Grenze gegen den Katholicismus betrachtet wissen, nach der anderen Seite aber keine Grenze ziehen, so kann ich Ihnen nicht beistimmen; denn ich könnte wahrlich viel eher mit den Katholiken in einer Kirche gemeinschaftlich leben, als mit solchen, bei denen die Ansichten mancher Neuprotestanten, z.B. Tieftrunks, herrschend würden."1*1 Blanc bekundet Vorfreude.183 Alexander zu Dohna, der älteste Bruder von Schleiermachers Zöglingen in dessen Schlobittener Hauslehrerzeit und nach dem Sturze des Freiherrn vom Stein von 1808-1810 Preußischer Innenminister, hat sich, wie aus einem Brief Schleiermachers an ihn hervorgeht, zustimmend geäußert.184 Schon im Dezember 1818 erschien in der „Leipziger Literatur-Zeitung"18S eine anonyme Anzeige des Reformationsalmanachs, in der auch mit wenigen Zeilen die Schwerpunkte von Schleiermachers Argumentation wiedergegeben werden186; wie in der ganzen Anzeige enthält sich der Rezensent auch hier jeder sachlichen Stellungnahme und beschränkt sich ganz auf ein Referat. Im 1. Heft des Jahrganges 1819 der Zeitschrift „Neue theologische An-

179

180 181

Heinrici: Twesten 319f. Twesten hatte Schleiermacher zuvor unter dem 6. April 1818 ein ähnliches Projekt angekündigt (316/}, das nicht zustande kam. Briefe 4,235 Zu den systematischen Zusammenhängen vgl. Martin Ohst: Schleiermacher und die Bekenntnisschriften. Eine Untersuchung zu seiner Reformations- und Protestantismusdeutung, Beiträge zur historischen Theologie 77, Tübingen 1989

182

Heinrici: Twesten 332. In einem späteren Brief erbittet Schleiermacher nochmals Twestens Meinung zu seinem Aufsatz, erwähnt jedoch dessen vorab geäußerte Kritik nicht (14. März 1819, Briefe ed. Meisner 2,295).

183

„AufIhren Aufsatz für den Reformations Almanack bin ich höchst begierig. " (13. Juli 1818, SN 253, Bl. 105r) Vgl. Briefe ed. Meisner 2,293

184 185 186

Jahrgang 1818, Nr. 314 (14. Dezember), Sp.2511j; Nr. 315 (15. Dezember), Vgl. Leipziger Literatur-Zeitung 1818, Nr. 315, Sp. 2520

Sp.2520

Historische Einführung

XLI

nalen und theologische Nachrichten"197 wurde auf den Seiten 26-34 eine anonyme Rezension des Reformationsalmanachs veröffentlicht, deren Autor Joachim Christian Gaß war1**. Knapp zwei Seiten sind Schleiermachers Aufsatz gewidmet.™ In einer Mischung von (ungenauen) Zitaten und Paraphrasen wird zunächst der Einleitungsteil wiedergegeben190, dann weist der Rezensent auf die Hauptthesen kurz hin, ohne sie jedoch näher zu analysieren und schließt mit dem Satz: „Wir hoffen und wünschen, daß eine solche Stimme in der Kirche die verdiente Beachtung finden möge. "191 Im 2. Stück des 3. Bandes des von Christoph Friedrich (von) Ammon herausgegebenen „Magazins für christliche Prediger"192 erschien auf den Seiten 235-240 eine anonyme Rezension des Reformationsalmanachs, die offenkundig von Ammon selbst stammt. Vier Seiten193 sind Schleiermachers Aufsatz gewidmet. Der Rezensent setzt ein, indem er zunächst thetischknapp seine eigene Auffassung von Wesen und Bedeutung der Bekenntnisschriften darlegt, sie sind „[...] feierliche Glaubensbekenntnisse aus dem Worte Gottes, durch welche zunächst der Lehrbegriff, dann auch der Cultus und die Verfassung unserer Kirche bedingt wird." Nach dem Rezensenten geschieht dies durch die altkirchlichen Symbole und die CA „direct und unmittelbar", durch die Apologie und die Konkordienformel „[...] als erklärende Symbole aber, mittelbar; die Catechismen Luthers und die Schmalkaldischen Artikel bilden, dem Inhalte nach, den Uebergang zu beiden. " Nach der „Wahrheit", die sie enthalten, sind die Bekenntnisschriften verbindlich und unveränderlich, nicht aber nach der in ihnen sich aussprechenden „Erkenntniß": Diese ist des Fortschritts und der Veränderung fähig.™ In einer Parenthese, die ein Konglomerat von nicht immer zutreffenden Zitaten und Paraphrasen ist, werden einige Hauptargumente von Schleiermachers Abhandlung wiedergegeben.195 Die Rezension schließt mit Einwänden des Rezensenten. Sie beziehen sich zunächst auf Schleiermachers Behauptung der faktischen Unveränderlichkeit der Bekenntnisschriften, und in diesem Zusammenhang wird die Forderung eines neuen Bekenntnisses als Grundlage der Union von Lutheranern und Reformierten geltend gemacht.196 Sodann wird getadelt, daß Schleiermacher den reformatorischen Bekenntnissen eine abgrenzende Funktion allein dem Katholizismus gegenüber zuschreibe:

187 188 189

1.2 1.3 m 1.5 1.6

Ed. L. Wachler, Frankjurt/Main 1819 Vgl. Gaß an Schleiermacher, 1. Januar 1819 (Briefwechsel mit Gaß 161-166, bes. 164) Vgl. Gaß: Annalen 1819, 32-34 Vgl. Gaß: Annalen 1819, 32f Gaß: Annalen 1819, 34 Hannover/Leipzig 1819 Vgl. Ammon: Magazin 3/2,237-240 Vgl. Ammon: Magazin 3/2,237 Vgl. Ammon: Magazin 3/2,238f Vgl. Ammon: Magazin 3/2,239f

XLII

Einleitung des Bandherausgebers

„ Wollten wir daher nur ein Symbol gegen die römische Kirche, nicht aber gegen Irrlehrer und Ungläubige in unserer Mitte gelten lassen, so würden wir uns vorwerfen müssen, nur an der einen Grenze des Reiches eine Mauer gebaut, die übrigen aber allen Einfällen der Barbaren nachlässig preisgegeben zu haben. "197 Ist diese Rezension eine glatte Absage, die auf Seiten des Rezensenten kaum Bemühen um Verständnis verrät, so ist die kurze Anzeige in der Oppositionsschrift198 - sie umfaßt knapp eine Seite - von Hochachtung für den Verfasser und Respekt für sein kleines Werk geprägt. Zutreffend wird Schleiermachers Stellung eingeordnet, die sich weder mit der der Befürworter einer strikten Bekenntnisbindung noch mit derjenigen derer, „[...] welche die symbol. Bücher ganz bei Seite schieben wollen" deckt. Als exemplarisch für die Resultate wird Schleiermachers Entwurf einer Verpflichtungsformel abgedruckt und kurz kommentiert.199 Die von Friedrich von Gentz, dem Berater Metternichs, gegründeten Wiener „Jahrbücher der Literatur" enthalten eine Rezension der beiden ersten Jahrgänge des Reformations almanacks™ aus der Feder von Wilhelm von Schütz201. Die 47seitige Rezension wird mit einer redaktionellen Anmerkung eingeleitet: Die Redaktion war bereit, den Aufsatz „eines sehr geschätzten protestantischen Mitarbeiters" abzudrucken, weil dieser weniger eine Rezension der beiden Bände, als eine „Entwicklung der Wesenheit der Reformation"202 sei, die sich durch unpolemischen Geist auszeichne. Diese Besprechung von Schleiermachers Aufsatz203 hebt sich denn auch deutlich von den anderen hier zu nennenden Rezensionen ab. Einleitend faßt Schütz die Art und Weise ins Auge, wie Schleiermacher den Gegenstand seiner Untersuchung traktiert hat, nämlich so, daß er aufs engste an dessen empirischem gegenwärtigem Zustand bleibt: „Gerade wie Moser zu thun pflegt, löst er die Aufgabe nur praktisch für die nächste Wirklichkeit, und enthüllt damit deren volle Natur ihrem tiefsten Wesen nach." - Ein Verfahren, das der Rezensent als vorbildlich anerkennt. Dieses Lob bleibt jedoch nicht eindeutig, denn: „Jene so bestimmt abgegränzte Beschaffenheit, welche der Verfasser seinem Gegenstand zu geben gewußt, [•••]- fehlt dem Begriff von symbolischen Büchern selbst, ganz und gar. "204 Es folgen spekulativ gewon-

197 1,8

200

201 202 205 204

Ammon: Magazin 3/2,240 Für Christenthum und Gottesgelahrtheit. Eine F.A. Klein, Bd2, Heft 3 (Jena 1819), S. 556-519 Vgl. Oppositionsschrift 2/3,558f Vgl. Jahrbücher der Literatur, ed. M. v. Collin, S. 219-267 Vgl. KGA 1/7.1, XLIIIAnm. 194 Vgl. Jahrbücher 1820, 219 Anm. Vgl. Schütz: Jahrbücher 1820, 261-267 Schütz: Jahrbücher 1820, 26lf

Oppositionsschrift,

Bd 11 (Wien,

ed.

W. Schröter/

Juli-September

1820),

Historische Einführung

XLIII

nene ontologische Bestimmungen der Begriffe Symbol, Kanon und Mysterium, die in der These gipfeln, die Bezeichnung „symbolische Bücher" sei eine contradictio in adiecto.205 Sodann kritisiert Schütz Schleiermachers Entwurf für ein Verpflichtungsformular. 206 Die Rezension schließt mit Erwägungen über das Verhältnis von Christus und Evangelium, die darauf abheben, neben der Vergegenwärtigung Christi durch das Wort ein unmittelbar-substantielles Wirken in traditional vermittelter, sakramental-symbolischer Weise zu erweisen207, einen Gegenstand also, der mit ihrem ursprünglichen Thema in keinem erkennbaren Zusammenhang steht. Im ganzen macht die Rezension bei allem Bemühen um Verständnis einerseits, geistreiche Originalität andererseits einen eher wirren Eindruck. Im Jahre 1821 erschien eine Rezension des Reformationsalmanachs in dem von Ernst Gottlieb Bengel208 herausgegebenen „Archiv für die Theologie und ihre neuste Literatur"203. Die Besprechung von Schleiermachers Aufsatz umfaßt etwas mehr als eine Seite.210 Schleiermachers einleitende Bemerkungen über den Stand der Kontroverse und seine eigene Stellung innerhalb ihrer werden zutreffend wiedergegeben. Schroff spricht sich der anonyme Rezensent gegen Schleiermachers Vorschlag einer Verpflichtungsformel aus: „Dieser Ausweg ist eine Halbheit, gegen welche die Anhänger der symbolischen Bücher sich eben so sehr als die Vorwürfe der Katholiken erheben werden, denn so bleiben die symbolischen Bücher nur polemische Schriften, und fallen als Glaubensbekenntniße weg. "2U Ganz im Geiste des biblizistischen Supranaturalismus der älteren Tübinger Schule teilt der Rezensent sein Votum zu den anstehenden Problemen mit: „Aus dieser Verlegenheit sind alle Kirchen herausgerissen, die von Anfang an ihre Lehrer darauf verpflichteten, das Evangelium oder Wort Gottes nach Inhalt des A. und N. Testaments treulich und in rechtem christlichem Verstand zu predigen. "212 Das „Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur"111 zeigte nicht nur unter der Rubrik „ Vermischte Schriften. Zeitschriften " den Band des Reformationsalmanachs durch eine Inhaltsangabe an21*, sondern widmete Schleiermachers Aufsatz in der Abteilung „Glaubenslehre. Abgeleitete 205

Vgl. Schütz: Jahrbücher 1820, 264 Vgl. Schütz: Jahrbücher 1820, 264-266 207 Vgl. Schütz: Jahrbücher 1820, 266f 208 1769-1826, seit 1810 ordentlicher Professor der Theologie in Tübingen 20 ' Bd4, 3. Stück (Tübingen 1821), S. 572-585 210 Vgl. Archiv 4/3,584f 211 Archiv 4/3,584f 212 Archiv 4/3,585 213 Verfaßt und herausgegeben von Johann Matthias Daniel Ludwig Deegen, chen, Essen 1822 214 Vgl. Deegen: Jahrbüchlein 4,16f 206

Viertes

Bänd-

XLIV

Einleitung des Bandherausgebers

Quellen. Symbole" die folgende besondere Charakteristik: „Ein vortrefflicher Aufsatz, welcher der Sache auf den Grund geht und manchem verwirrten Gerede ein Ende machen kann. Möchten besonders alle Die ihn lesen und beherzigen, welche die Bibel in dereinen und die symbolischen Bücher in der anderen Hand haltend, jene mit der linken und diese mit der rechten Hand gefaßt haben. Schade, daß eine Abhandlung, die so allgemein bekannt zu seyn verdient, nur in dem etwas theuren Reformationsalmanach zugänglich ist. "21i Von den hier genannten und charakterisierten Rezensionen hat keine in Schleiermachers Werk Spuren hinterlassen, so daß nicht auszumachen ist, welche von ihnen er - außer der von Gaß - zur Kenntnis genommen hat. Der Aufsatz „Ueber den eigentümlichen Werth und das bindende Ansehen symbolischer Bücher" wurde 1846 in den 5. Band der ersten Abteilung der „Sämmtlichen Werke" aufgenommen.216 Ein weiterer Abdruck mit modernisierter Orthographie erschien in der Sammlung „Kleinere theologische Schriften von Friedrich Schleiermacher"117. In der von Hayo Gerdes und Emanuel Hirsch veranstalteten Auswahlausgabe „Kleine Schriften und Predigten" findet sich im 2. Band eine von Hayo Gerdes besorgte und kommentierte kritische Ausgabe der Abhandlung.11* Die Orthographie des Originaldrucks weist beträchtliche Abweichungen gegenüber Schleiermachers sonstigen Gewohnheiten auf: so steht durchgängig „ck"statt „k" oder„kk", „tz"statt „z"219; im Wiederabdruck des Aufsatzes im 5. Band der „Sämmtlichen Werke" ist die Orthographie wieder zugunsten der üblichen Gewohnheiten Schleiermachers vereinheitlicht. Allem Anschein nach hat der Redaktor bzw. Verleger des Reformationsalmanachs zum Zweck der Vereinheitlichung in die ihm zur Veröffentlichung überstellten Texte eingegriffen. Das gibt zu einer weiteren Vermutung Anlaß. Drei größere in Anfuhrungszeichen gesetzte Textpassagen in Schleiermachers Aufsatz220 konnten als wörtliche Zitate nicht nachgewiesen werden. Auffällig ist an den Sätzen zudem, daß sie sich bruchlos in Schleiermachers Diktion einfügen. Nimmt man die Beobachtung hinzu, daß sich das Phänomen solcher „Zitate" ohne 215 216 217

21β 219

220

Deegen: Jahrbüchlein 4,53 SWI/5, Berlin 1846, S. 432-454 Bibliothek theologischer Klassiker. Ausgewählt und herausgegeben von evangelischen Theologen. Siebenundzwanzigster Band: Schleiermacher: Kleinere theologische Schriften, 1. Teil, Gotha 1893, S. 188-221 Schriften zur Kirchen- und Bekenntnisfrage, ed. Hayo Gerdes, Berlin 1969, S. 137-166 Vgl. zum Problem August Twesten: „Auch wo die Orthographie von der gewöhnlichen abweicht, bin ich der Handschrift gefolgt; z.B. in der Vermeidung des tz und ck, die Schleiermacher unnöthig fand, weil ζ schon an sich das ts vertrete, die Schärfung des dem ζ und k vorausgehenden Vocales aber eine Sache der Aussprache, nicht der Schreibung sey; [. . .]." (Schleiermacher: Grundriß der philosophischen Ethik, ed. A. Twesten, Berlin 1841, S. XIII) Vgl. unten 119,12f.14f.127,16-24

Historische Einführung

XLV

Angabe des Fundortes auch in den anderen Beiträgen des Bandes allenthalben findet, so drängt sich die Annahme auf, daß es sich hierbei um ein redaktionelles Mittel handelt, das dem Leser das Referat fremder Argumentationen innerhalb eines Textes leichter und deutlicher erkennbar machen soll.

5. Uber die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen Friedrich Schleiermachers Aufsatz „ Ueber die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen " eröffnete auf den Seiten 1-119 das 1819 in Berlin bei Georg Reimer verlegte erste Heft der von Schleiermacher, de Wette und Lücke herausgegebenen „Theologische[n] Zeitschrift". Im Oktavformat von ca. 11 cm Breite und 19,5 cm Höhe umfassen die in Antiqua gesetzten Seiten in der Regel 33 Zeilen; die jeweils 16 Seiten starken Druckbogen sind mit Großbuchstaben (A-H) gezählt. Vor Schleiermachers Abhandlung steht eine von Seite III bis XII paginierte programmatische Vorrede de Wettes, danach folgen je ein Aufsatz von Friedrich Bleek221 und von de Wette112. Die Entstehungsgeschichte der Erwählungsschrift geht auf das Frühjahr 1818 zurück. In einem Brief an Ludwig Gottfried Blanc vom 23. März 1818, in dem er von mehreren literarischen Vorhaben berichtete und Erläuterungen zu seiner Kontroverse mit dem Dresdener Oberhofprediger Christoph Friedrich (von) Ammon gab, die durch dessen öffentliche Billigung der zur Reformationssäkularfeier 1817 herausgegebenen „Thesen" des Kieler Archidiakons Claus Harms ausgelöst worden war11*, schrieb Schleiermacher: „Außerdem haben mich De Wette und Lücke fast gezwungen, einen Aufsatz zu versprechen fur ein theologisches Journal was sie herausgeben wollen. Da will ich, nur weiß ich noch nicht recht unter welcher Form, meine Meinung über den Rationalismus und Supranaturalismus eröffnen; die Form sei aber welche sie wolle: so muß ich dazu noch eine Menge Zeugs lesen. "1U Zwei Monate später, unter dem 11. Mai 1818, präzisierte Schleiermacher sein Vorhaben gegenüber Joachim Christian Gaß, indem er es in den Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit Harms, dem Thesensteiler von 1817, stellte. Durch dessen gerade erschienenen „Briefe zu einer nähern 221

222

223 224

Ueber die Entstehung und Zusammensetzung der uns in 8 Büchern erhaltenen Sammlung Sibyllinischer Orakel; eine kritische Untersuchung mit besonderer Rücksicht aufThorlacius (S. 120-246) Kritische Uebersicht der Ausbildung der theologischen Sittenlehre in der evangelisch Lutherischen Kirche seit Calixtus. Erster Abschnitt bis zur Kantischen Philosophie (S. 247-314) Vgl. dazu oben XV-XVIII Briefe 4,233

XLVI

Einleitung des Bandherausgebers

Verständigung über verschiedene meine Thesen betreffende Puncte. Nebst einem namhaften Briefe, an den Herrn Dr. Schleiermacher "225 wolle er sich nicht in „einen weiteren Streit mit ihm" verwickeln lassen, „der ohne allen Nutzen nur den Wahn der flachen Rationalisten mehren würde, als ob ich einer ihrer Genossen wäre. Dies ist mir ärgerlich genug, indeß ich denke, es soll sich bald von selbst aufklären. Es ist nämlich im Werk, daß De Wette und Lücke zusammen ein theologisches Journal herausgeben wollen, und da haben sie mich fast gezwungen, etwas in das erste Stück zu geben, und das soll sein: Eine allgemeine Kritik der rationalistischen und supranaturalistischen Streitigkeiten. "22i Ähnlich hob Schleiermacher gegenüber dem im Auftrag der Berliner Akademie in Italien weilenden Altphilologen Immanuel Bekker den Zusammenhang seines Vorhabens mit dem von Harms und Ammon hervorgerufenen Konflikt um die Unionsbildung in Preußen hervor. 227 Der Sommer 1818 verstrich allerdings, ohne daß Schleiermacher mit der Abfassung des geplanten Aufsatzes begonnen hätte. Unter dem Datum des 12. August wies er Twestens Wunsch nach einer öffentlichen Stellungnahme zugunsten Harms' ab: „Ueberhaupt muthen Sie mir nur nicht zu, noch mehr Kleines zu schreiben; ich muß jetzt machen, daß ich an etwas Großes komme. Der Sommer ist wieder so hingegangen mit nichts. [.. .] Eine solche Kleinigkeit habe ich nun doch auf dem Halse über den Rationalismus und Supranaturalismus, und ich weiß noch nicht, wann ich dazu kommen soll sie zu schreiben. "22S Ebenfalls Twesten war es, dem Schleiermacher dann am 14. März 1819 berichtete, wie er über der im November 1818 begonnenen Ausarbeitung des „Christlichen Glaubens" dazu gekommen war, von der ursprünglichen Planung abzuweichen und sich dem Thema der Prädestinationslehre zuzuwenden: „Der Rationalismus ist ausgesetzt, dagegen will ich mich künftige Woche an eine Abhandlung über die Gnadenwahl geben, die vorläufig die Stelle von jener einnehmen soll. Schelten Sie mich nicht, die kleinen Sachen müssen sich nach den großen strecken, und daraus ist dieser Wechsel entstanden. Kurz vor meinem Geburtstag nemlich fiel es mir recht schwer aufs Herz, daß, wenn ich ihn recht vergnügt und ohne geheime Pein begehen wolle, er mich in einem tüchtigen Werk finden müsse, und aufgeregt durch die vorigen Beschäftigungen und mancherlei Ereignisse gab ich mich daran, meine Dogmatik zu schreiben, 225

Kiel 1818 (Schriften 1,229-300) Briefe ed. Meisner 2,277 127 Vgl. Brief vom 16. Mai 1818: „ Was übrigens noch kommen mag, denke ich gelegentlich abzumachen in einer Abhandlung, die ich noch diesen Sommer schreiben will für ein neues theologisches Journal, was De Wette und Lücke (der Professor extraordinarius in partibus infidelium geworden ist, nemlich für Bonn ernannt und hier lesend) gemeinschaftlich herausgeben wollen." (Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 11,84) 22 ' Heinrici: Twesten 335 226

Historische Einführung

XLVII

die ich eben lese. Allein ich begann zugleich beim ersten Anfange und beim Anfange des ersten Theils und beim Anfange des zweiten, wo ich eben im Lesen stand, und dachte nun den Rationalismus einzuflicken, wenn ich in der Ausarbeitung der Einleitung an diese Stelle käme. Allein ich mußte das dreifache Arbeiten bald aufgeben und mich nur daran halten das Lesen mit dem Schreiben zu begleiten. Auch das habe ich nur fortsetzen können eben bis an die Lehre von der Gnadenwahl, und da nun durch Bretschneider und Schultheß die Sache wieder aufgeregt an sich und in Bezug auf mich und auf die Union, so will ich erst diesen Gegenstand an sich behandeln; und dann wünsche ich gar sehr im Sommer und Herbst meine Dogmatik fertig zu machen. , gestaltet, wobei die Besonderheiten der hier veröffentlichten Schriften einige zusätzliche Regelungen erforderlich machten, die im folgenden durch Sperrung von Stichworten auf die Grundsätze bezogen werden. Schriftarten. Die im Originaldruck häufig auftretenden Druckfehler und offenkundigen Versehen in griechischen Zitaten wurden nach der von Schleiermacher nachweislich oder mutmaßlich benutzten Quelle korrigiert. Fast ausnahmslos unkorrigiert geblieben sind dagegen die durchgängigen Abweichungen Schleiermachers von Regeln der Akzentsetzung (ζ. Β. kein Gravis am Satzende, vor Satzzeichen und bei Zitation von einzelnen Worten), die ihren Grund möglicherweise darin haben, daß er das Griechische in den deutschen Sprachfluß einfügen will. Entsprechend wurden auch Schwankungen bei der Akzentuierung desselben griechischen Wortes nicht vereinheitlicht. Hervorhebung. Die beiden in der „Theologischen Zeitschrift" erschienenen dogmenhistorischen Abhandlungen schwanken bei der Hervorhebung von Autorennamen und Werktiteln. Sie erfolgt teils durch Sperrung, teils durch Kursivierung, teils wird nur der Autor hervorgehoben, teils die Hervorhebung unterlassen. Da aber in den weitaus meisten Fällen - genau wie im Druckmanuskript der Trinitätsschrift - sowohl Autor wie Werktitel hervorgehoben sind, wurden die Schwankungen durch einheitliche Sperrung beider Komponenten stillschweigend beseitigt. 604 605

Vgl. unten Vgl. KGA

468-485.504-584 Ι/Ι,ΙΧ-ΧΙΙΙ

Editorischer Bericht

CXV

Zusätzlich zur Angabe der Seitenzahlen des Originaldrucks ist am Rand ohne Kennzeichnung des Seitenbruchs in der Zeile die Paginierung des Abdrucks in den „Sämmtlichen Werken" notiert. Abteilung und Band sind dabei nicht eigens angegeben; die Seitenzahlen beziehen sich entweder auf SW1/2 (Berlin 1836) oder SW1/5 (Berlin 1846). Der Sachapparat hat auch im vorliegenden Band nicht die Aufgabe einer wissenschaftlichen Kommentierung des Textes, sondern soll den Text nur erschließen. Nachweise erfolgen grundsätzlich in der heute üblichen Buch-, Kapitel-, Artikel- oder Absatzzählung; bei der Zitation von Kirchenvätern wird gegebenenfalls auch der von Schleiermacher benutzte abweichende Titel bzw. die abweichende Zählung angeführt. Bis auf die römisch gezählten Artikel kirchlicher Bekenntnisschriften sind im Sinne der Vereinheitlichung arabische Ziffern verwendet worden.

*

*

*

Erst im Zuge der Bearbeitung des vorliegenden Bandes wurden Martin Ohst und ich mit der Edition sämtlicher darin enthaltener Schriften Schleiermachers betraut. Ursprünglich waren für die beiden dogmengeschichtlichen Abhandlungen externe Mitarbeiter vorgesehen. Mit seinem Fortgang nach Göttingen wurde Martin Ohst selbst zum externen Editor und mir die Gesamtverantwortung fur den Band übertragen. Ihm möchte ich hier an erster Stelle für die über Jahre kontinuierlich gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit danken. Die Voraussetzung für meine editorische Arbeit schuf in jeder Hinsicht Professor Dr. Hans-Joachim Birkner, der Leiter der Kieler SchleiermacherForschungsstelle. Er war es, der mir nach dem ersten theologischen Examen die Gelegenheit zu wissenschaftlicher Beschäftigung mit Schleiermacher eröffnete. Mein besonderer Dank gilt ihm für die dabei gewährten vorzüglichen Arbeitsbedingungen sowie für seine nie versiegende Bereitschaft, im Gespräch die immer neu auftretenden editorischen Probleme zu klarer Entscheidung voranzutreiben. Dankbar bin ich für die freundliche und immer wieder hilfreiche Begleitung durch die Mitglieder der Herausgeberkommission. Der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche danke ich für ihre großzügige und wissenschaftsfreundliche Haltung mir gegenüber. Wesentliches verdanke ich dem fachkundigen Rat meines Kieler Kollegen Dr. Dr. Günter Meckenstock, der stets bereit war, mich an den Früchten seiner langjährigen Erfahrung in der Schleiermacher-Edition partizipieren zu lassen. Den Kollegen an der Berliner Schleiermacherforschungsstelle, Dres. Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, weiß ich besonders für die Bereitstellung von Briefmaterial, aber auch für manche andere Hilfe, herzli-

CXVI

Einleitung des Bandherausgebers

chen Dank. Zu danken habe ich auch dem Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften der DDR für die Erlaubnis zur Handschriften-Benutzung und für die Veröffentlichungsgenehmigung, die ebenso großzügig erteilt wurde wie die des Staatsarchivs Hamburg. Den Mitarbeitern der Kieler Universitätsbibliothek danke ich fur ihre Hilfe bei der Beschaffung der häufiger schwer zugänglichen auswärtigen Literatur. Frau Dolly Füllgraf und Frau Helma Talke besorgten dankenswerterweise mit großer Sorgfalt die Reinschrift der Typoskripte. Der häufig lästigen und unergiebigen Mühe des Korrekturlesens unterzogen sich Elisabeth Blumrich, Christoph Dinkel, Dolly Füllgraf, Birgit Golecki, Martin Rössler und Helma Talke, wofür ich ihnen dankbar bin. Ein besonderes Dankeschön gilt dem Team, das mit fröhlichem Engagement den komplizierten Klebeumbruch erstellte: Elisabeth Blumrich, Christoph Dinkel, Günter Meckenstock, Martin Ohst und Martin Rössler. Hans-Friedrich Trauisen

Oratio in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi die III Novembris A. MDCCCXVII habita (1817)

5

10

15

20

Spero vestrum fore neminem, viri excellentissimi, illustrissimi, om- 14; 311 nium ordinum ornatissimi, collegae amicissimi, iuvenes academici dilectissimi, qui miretur, quod in his tertiis restauratae veritatis evangelicae saecularibus coram vobis ego potissimum dicam, qui Zuinglii magis quam Lutheri, a quo tarnen hie dies nomen et honorem adeptus est, doctrinae sim addictus. Cuius enim rei memoriam his festissimis diebus pie celebramus, ea Luthero ac Zuinglio communis est, auctoritatem supremam dico in rebus ad christianam fidem vitamque pertinentibus libris sacris feliciter restitutam, superstitionem operum arbitrariorum et mere externorum profligatam, mediatores fiduciae in deum ponendae praeter Christum omnes excussos, sacerdotii ethnici et iudaici speciem ex cultu christiano penitus sublatam, certaminis ecclesiam inter et rem publicam occasionem et causam omnem ademtam. Neque umquam debebant commercium inter se ecclesiasticum dirimere viri illi generosi divino animo pleni, qui, pari verbi aeterni auxilio, pari animi fortitudine, per tantas tenebras sibi et aliis viam ad lucem secuerunt. Et profecto sollemnibus his recte obeundis male esset consultum, si iisdem in locis nunc quidem Lutherani theses Vitebergenses, aliquot autem annis post Reformati primas Zuinglii praedicationes Turicenses vel colloquium Tigurinum celebrantes, dissidium istud doctrinae, cuius omnes, qui in

9 arbitrariorum] arbitariorum

4 - 6 Schleiermacher legte das erste theologische Examen vor dem reformierten Kirchendirektorium in Berlin ab (Auszüge aus den verlorenen Akten bei Heinrich Meisner: Schleiermachers Lehrjahre S. 4 6 f f ) , das zweite daselbst vordem Hof- und Domministerium (Meisner: Lehrjahre 66j). Bei seiner Ordination, die nach dem zweiten Examen (31. März 1794) stattfand (KGA VI1,343f), übernahm er die Verpflichtung auf die Confessio Sigismundi mit dem gängigen Zusatz „so weit sie mit der heiligen Schrift übereinstimmt" (vgl. seinen eigenen Hinweis in der Vorrede zu den Predigten in Bezug auf die Feier der Übergabe der Augsburgischen Confession, S. IX Anm.; SW 1/1,708f Anm.; Kleine Schriften und Predigten 2, ed. H.Gerdes, S. 266 Anm.). 18 Luther: Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum, Sämtliche Schriften, ed. J.G. Walch Bdl8, Halle 1746, Sp. 254-266; WA 1,233-238 19 Zwingli hielt seine erste Predigt im Großmünster in Zürich am 1. Januar 1519; vom 2. Januar an legte er, abweichend von der gültigen Perikopenordnung, in Predigten das Matthäus-Evangelium aus (vgl. Johann Caspar Heß: Lebensbeschreibung Ulrich Zwingiis. Aus dem Französischen nebst einem literarisch historischen Anhang von Leonhard Usteri, Zürich 1811, S. 81-84). 19f In der ersten Zürcher Disputation, die der Rat der Stadt auf den 29. Januar 1523 anberaumt hatte, verteidigte Zwingli erfolgreich seine reformatorischen Anliegen (vgl. Heß: Lebensbeschreibung 137-149).

4

5

lo

15

20

Oratio

argutiis iam n o n haeremus, d u d u m piget, d e n u o in h o m i n u m conspectum producere voluissent. N e q u e vero Lutherus aut Zuinglius | hodie 15 celebrandus, sed D e j potius optimi maximi Spiritusque divini opus 312 aeterna memoria dignissimum. Etenim cum n o n hos solos sed permultos t u m per omnes terras o m n i u m o r d i n u m homines taedium perversitatis et turpitudinis sacerdotalis invasisset, cum imagines meliorum obversarentur temporum, Spiritus sanctus e m e n d a n d a e religionis desiderium in animis operatus est; q u o d nisi ante ipsos religionis restauratores fuisset, certe ne ipsi quidem perficere quidquam potuissent. Itaque phires viri insignes huic multitudini dispersae et velut timidae antesignanos tandem se obtulerunt, Lutherus Zuinglius, alii. Q u a e q u u m ita sint, in imperii borussici finibus, et ubicunque Germaniae R e f o r m a t i Lutheranis promiscue habitant, i 11 ί communia cum Lutheranis ecclesiae emendatae sollemnia n u m q u a m detrectarunt; n u m h o c tempore putatis detrectare fas fuisse, ubi utriusque ecclesiae c o m m u n i o n e m et societatem sacrorumque unitatem perfectam ita tentari passim videas, ut huic aetati affulserit spes, f o r e ut patrum dissidia beata tandem sepeliantur oblivione. Q u i igitur fieri poterat, ut ego, ordinis nostri decreto decanus constitutus, ob eam quidem rem, q u o d helveticae confessioni sum obstrictus, vererer, ne hoc die haud satis dignus o r a t o r essem?

Attamen praestabat fortasse, si maiores nostri, ut aequa utrique parti esset conditio, saecularibus agendis diem vel ex m e r o arbitrio constituissent, ne, dum singulare aliquod factum celebratur, q u o d ad alteram quidem partem pertineat, alteri autem alienum sit, rei ipsius indo25 les, ambitus, gravitas p a r u m apte declararetur. Immo, dicam enim quod sentio, licet h o c nemini placiturum intelligam, etiamsi, misso utriusque confessionis discrimine, solas res a Luthero et suis in Saxonia gestas consideres, certe h o c die festum saeculare me iudice institui non debebat, q u a n d o q u i d e m Lutherus thesibus suis affixis ecclesiae reformatio30 nem n o n d u m erat auspicatus. N e q u e enim illud satis accurate dici mihi videtur, quicquid exinde Lutherus cum amicis peregerit, ex | hoc cona- 16; 313

25 gravitas] grauitas

2-11 Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm. 35 15-18 Anspielung auf die Union der lutherischen und reformierten Kirchen in Preußen, deren Verwirklichung am 30. Oktober 1817 durch eine gemeinsame Abendmahlsfeier der reformierten und lutherischen Geistlichen Berlins eingeleitet wurde (vgl. [Schleiermacher:] Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 3Osten October von ihr zu haltende Abendmahlsfeier, Berlin 1817; SW 115,291-307). 30-1 Vgl. den Text der Kanzelabkündigung, mit der die Jubiläumsfeier am vorhergehenden Sonntag offiziell proklamiert wurde: „Der 31ste October 1517 war der Tag, an welchem der Reformator Luther die merkwürdigen Lehrsätze zu Wittenberg bekannt machte, durch welche

Oratio

5

mine progressum esse, post quod ipsum, modo curia Romana paullo se cautiorem gessisset, motus ecclesiastici omnes sedari facillime poterant. Quid si Lutherus ipse tum non solum cum Pontifice in gratiam redire non recusavit, sed etiam pronus ad auctoritatem papalem agnoscendam 5 fuit, quid si tunc etiam miracula apud imagines sanctorum perpetrata candide credidit: nonne Romanae ecclesiae sectator adhuc fuisse vel inter fidelissimos dicendus est? Potius ille mihi dies eligendus fuisse videtur, quo decretalia et bullam condemnatoriam crematurus una cum magistris iuvenibusque Vitebergensibus exiit; qua de re ipse, Nunc demum, 10 inquit, seria agere incipio, anteriora ludus fuere. Et recte ille; hoc enim facto neque Romani de pace amplius cogitare potuerunt, et ipse se in eadem qua Episcopus Romanus ecclesia versari nolle expressis verbis declaravit. Verum is est in talibus rebus hominum ardor, morae impatiens; proavi nostri quamprimum cupiebant saecularia reformationis 15 agere, cui ardori quum semel obtemperatum sit, nobis iam nefas est diem mutare. Quod autem, si rem ipsam spectamus, non satis videtur idoneum esse, id ipsum nos nostramque hodiernam orationem adiuvare potest. Postquam enim, quae ad pietatem evangelicam universam pertinent, 20 concionibus per hos dies habitis uberrime et facunde tractata sunt, preces pro ecclesiae nostrae perenni salute fusae, votaque deo dicata beneficiis in nos collatis digna, nobis iam hoc loco et hoc die convenit earn tractare huius argument! partem, quae universitates litterarias doctrina4 recusavit] recusauit er sich zuerst öffentlich gegen mehrere herrschend gewordene Irrthümer und Mißbräuche erklärte; eine Folge dieses Schrittes war alles, was nachher zur Reinigung der Lehre und zur Verbesserung der Kirchenverfassung von Luther und seinen Gehülfen im freudigen Vertrauen auf Gott unternommen, und durch Gottes Beistand und Segen so herrlich hinausgeführt wurde." (Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg, Ministerium des Innern, Rep. 76-111, Sekt. I-Abt.XIV, Bl.129; vgl. Rulemann Friedrich Eylert: Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III., j. Teil, I.Abteilung, Magdeburg 1846, S.64f) 3-5 Vgl. Philipp Konrad Marheinecke: Geschichte der Teutschen Reformation Bdl, Berlin 1816, S. 77-79 mit Bezug auf Luther: Vorrede zu Propositiones D.M.Lutheri ab initio negotii Evangelici, ed. Walch Bdl4, Halle 1744, 470-475; WA 39/1,6-8 5f Vgl. Marheinecke: Geschichte 1,115-118 mit Bezug auf Luther: Unterricht auf etlich Artikel, die ihm von seinen Abgönnem aufgelegt und zugemessen werden, ed. Walch BdlHalle 1745, 842-849; WA 2,69-73 7 - 9 Vgl. dazu Marheinecke: Geschichte 1,195, der Luthers Verbrennung der Bannandrohungsbulle am 10. Dezember 1520 als förmlichen, öffentlichen Vollzug seines Austritts aus der Papstkirche deutet. 9f Vgl. Marheinecke: Geschichte 1,196 mit Bezug auf Luther: Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von D.M.L. verbrannt sind, ed. Walch Bdl5, Halle 1745, 1939; WA 7,180,4f I I - 1 3 Vgl. Luther: Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von D.M.L. verbrannt sind, ed. Walch Bdl5, Halle 1745, 1927-1941; WA 7,152-182 20f Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm. 34

6

5

10

15

20

25

30

35

Oratio

rumque incrementa propius attingit. Cui proposito memoria earum rerum, quae pridie Calendas Novembres ante hos trecentos annos peracta sunt, facultatem haud spernendam praebet. Etenim si theses, quas beatus Lutherus disputandi gratia Vitebergae affixit, primordia fuerunt restauratae ecclesiae; fatendum est, Auditores, opus illud in perenne celebrandum ex valvis academicis prodiisse. Unde exorsi, ubi vobiscum re- 314 putaveritis, quantum semper in universitatibus litterariis situm fuerit, ut ec-|clesia augeretur et promoveretur, facile mihi assentiemini, si missis 17 ceteris omnibus de hoc uno loco sum disputaturus. Sunt autem duo potissimum capita, a quibus ecclesiae salus pendet, disciplina, doctrina. Quumprimum igitur auctoritati Romanae valedictum est, quod Episcopi, qui iidem Principes erant imperii, ad unum fere omnes a partibus Caesaris et Pontificis stabant, fieri non potuit, ut ecclesia evangelica in Germania exsurgens auctoritatem episcopalem tueretur, quamquam id in Suecia et Dania sine ullo ecclesiae damno postea factum est; sed ad Principes confugiendum fuit, ubi de vitiis ecclesiae tollendis, de cultu divino meliori instituendo deque universa disciplina sacra ageretur. Nec inde ecclesiae nascenti detrimenti quicquam provenit, quum inter primordia rerum evangelicarum magistratus liberarum civitatum et Principes moderato potentiae usui adsueti, Fridericus Sapiens, Joannes Constans, Joannes Fridericus Magnanimus rem gererent. Horum enim constantiae et generositati iuncta erat probitas et modestia, ille vero idcirco potissimum sapientis nomine venit, quod sibi ipse non nimium videbatur sapere. Ergo neque repente neque tumultuarie res ecclesiasticae novatae sunt, sed quantum sensim populus christianus vi veritatis percussus meliorem cultum sponte optabat. Et sicubi magistratus aut principes propter res novas lacessebantur, sese haec minus intelligere, theologos audiendos esse, theologos se audivisse respondebant. Postea vero res admodum mutatae sunt. Caesarum enim auctoritäte suprema deminuta, Principibusque imperii in regiam fere potestatem auctis, proceribus, municipiis in re publica administranda hie illic pars fere nulla relicta erat, nec quicquam valuit nisi Regum Principumque arbitrium, cui ipsa ecclesia ita tandem cessit, ut nemo facile dicat, quaenam ilia apud evangelicos sit, nec, quid in rebus sacris instituendis, 315 servandis, mutandis christianorum coetus, quid verbi praecones valeant, denique quid Princeps ecclesiae tutor et summus episcopus debeat, quid

6 valvis] valuis

10-16 Vgl. oben Einl. d. Bandhg. beiAnm.36 23 f Diese Ableitung des Beinamens ist anscheinend Eigenprägung Schleiermachers und zielt polemisch auf die autokratischen Züge der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms III. Vgl. oben Einl. beiAnm.37 26-29 Vgl. oben Einl. bei Anm. 38 33-1 Vgl. oben Einl. bei Anm. 39

Oratio

5

10

15

20

25

30

7

non audeat, definire accurate possit. Nec multum profuit, | quod theo- 18 logi in Principum de his rebus consilio esse solebant, quia et fortem quandoque animum aulica aura emollit et frangit. Lutherus Friderico Sapienti ne semel quidem confabulatus, nec ullo inter eius consiliarios munere functus est, quo fortior in vero dicendo, in dignitate sua et libertate tuenda fuit. Si vultus instat Principis, vel ubi Princeps ipse res sacras minus curat, amicus eius et minister rerum gerendarum, quis ita ferox fuerit, ut, quod illi ingratum sit non vitare, quod gratum non promovere cupiat; salva omnino conscientia, non salva iam puritate et fortitudine animi. Georgius Spalatinus vir fuit doctus, facundus, Luthero amicissimus neque timidus: tarnen exempla haud multa enumeres, in quibus ille amicum eiusque causam adiuverit. Lutherus potius acerbe in eum invectus est, quum Electori manum consiliumque praebuisset ad libellum quendam, quem vehementiorem ipse conscripserat, supprimendum: Quale quum his diebus non facile quisquam audeat, sed omnia omnino in Principibus eorumque ministris posita sint, res ita se habet. Princeps esto pius, strenuus, suum cuique tribuens: florebunt sub eo propria sua virtute ecclesiae; sed christianae fidei contemptor esto, vanae gloriae cupidus, poenis magis confidens quam hominum religioni, iam res ecclesiasticae in peius ruent, negligetur cultus divini patrocinium, proavorum piae institutiones in alium vertentur usum, spoliabuntur ecclesiae, ministrorum verbi divini recta eruditio nemini curae erit, hominesque indigni munera sacra invadent. Cuius rei flebile exemplum ante hanc fortissimam felicissimamque Germaniae liberationem vidimus. Immo fieri potest, si Princeps rerum theologicarum ultra modum 316 Principis studiosus certisque opinionibus deditus sit, isque vehemens et praepropero ac fervido ingenio praeditus, ut concionatoribus frenum iniiciatur, quo minus sanam doctrinam tradere possint candideque auditores admonere, et in ipsis ritibus peragendis iusta ecclesiarum libertas in discrimine versetur. Nonne tandem omnem evangelicam ecclesiam pudebit, in singulorum vel paucorum potestate, eorumque maxime, qui | in longe diversis rebus quam plurimum versantur, eas res esse positas, 19

15 quisquam] quisquam

18 contemptor] comtemptor

1 £ Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm. 38 3 f Vgl. Marheinecke: Geschichte der Teutschen Reformation Bd2, Berlin 1816, S. 134 mit Bezug auf Luther: Wider die himmlischen Propheten, ed. Walch Bd20, Halle 1747, 216; WA 18,85 1 2 - 1 5 Luther: Brief an Spalatin vom 11. November 1521, ed. Walch Bd 15, Halle 1745, Anhang, 171-174; vgl. WA. Β 2,402f (in Paraphrase bei Marheinecke: Geschichte l,297f) 2 5 - 3 0 Polemischer Hinweis auf Friedrich Wilhelms III. Wirken fur Vereinheitlichung der gottesdienstlichen Formen, die er seit 1816 auch mit eigenen agendarischen Entwürfen zu fördern suchte.

8

5

10

15

20

25

30

Oratio

quae non humanae auctoritatis sint, sed gratiae divinae adminicula et auxilia spectent per spiritum sanctum iudicanda et ordinanda, qui se pro mensura donationis Christi communem omnibus praestat, nusquam vero Principibus proceribusque terrae prae ceteris inhabitare velle pollicitus est. Cui quidem malo iam ea medebuntur, quae Rex noster augustissimus clementissimus per ecclesiam evangelicam regni sui nuperrime constituit, in hac etiam re gravissima dignum quod imitentur exemplum aequalibus posterisque proponens, presbyteriorum dico per omnes coetus evangelicos institutionem, synodorumque per diversos gradus convocationem, quarum postulata et decreta auctoritate sua firmare Principi cuivis probo et iusto, et qui in suspicionem arbitrarii in res sacras imperii nolit incidere, tutum tandem erit. Jam quomodo hic locus ad universitates litterarias pertineat, brevi exponam. Vt enim clericorum conventus legitime constituti disciplinam sacram restituant, salutem ecclesiae, quantum in rebus humanis fieri potest, extra omne discrimen ponant a singulorum vel paucorum hominum mente oriundum, utque omnia nostra desideria accipiant iisque consulant, duabus rebus opus est, primum rectis notionibus, deinde usu et experientia rerum. Et experientia quidem sensim subvenit, dum ecclesiastico funguntur munere; rectae autem notiones, quae usum rerum antecedant necesse est, ubi quaeso communicari, unde animis iuvenum infigi possunt, nisi per institutionem academicam? Quare ea nescio an dicam superbia, qua per- 317 multi huius aevi theologi practicam theologiam solent vilipendere, levissima mihi videtur et plane perniciosa, qua superbia fieri non potest, quin eadem, ex qua orta est, ecclesiae evangelicae conditio humilis et depressa non propagetur atque adeo in peius vertatur. Quodsi beatus ille Martinus cantum coetuum christianorum disponere, musicam sacram instruere, doctrinae christianae compendium usui iuventutis plebeiae aptum conscribere idque prae ceteris fere omnibus scriptis suis carum | habere, si cum Philippo suo, cum Pomerano aliisque summae 20 auctoritatis et doctrinae theologis ecclesias per municipia, pagos, vicos, visitare non dubitavit, qualem se etiam Zuinglius in Helvetia praestitit: quam rem tanti viri exercere non aspernati sunt, eius rei doctrinam et

2 Vgl. 1 Kor 2,14 5-12 Am 27.Mai 1816 erteilte Friedrich Wilhelm III. durch eine Kabinettsordre den Befehl zur Einberufung von Presbyterien, Kreis- und Provinzialsynoden. 9 Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm.40 27f Marheinecke: Geschichte 2,218-222 bietet Äußerungen Luthers, die dessen Wertschätzung der Kirchenmusik dokumentieren. 28-30 Enchiridion. Catechismus minor D. Martini Lutheri, pro Parochis et Concionatoribus, Concordia (Leipzig 1732) S. 359-389; BSLK 499-542. Zu Luthers Vorliebe fiir dieses Werk s. seinen Brief an W. Capito vom 9. Juli 1537, ed. Walch Bd21, Halle 1749, 1278f; vgl. WA. B8,99f 30-32 An der großen kursächsischen Kirchenvisitation 1527-29 nahmen neben Luther u.a. auch Philipp Melanchthon und der aus Wollin in Pommern stammende Johannes Bugenhagen teil (vgl. Marheinecke: Geschichte 2,315fj. 32 Vgl. Heß: Lebensbe-

Oratio

5

10

15

20

9

praecepta tradere nemine indignum esse potest. Et profecto, nisi Lutherus ea, qua inde ab initiis suis Vniversitas Vitebergensis excellebat, libertate et ingenuitate rectas auditoribus de muneris ecclesiastici dignitate, de arctioribus cuiusvis humanae auctoritatis in rebus spiritualibus et sacris finibus notiones proposuisset, non ille tanto numero eorum stipatus fuisset, qui audaciam suam adiuvarent opusque reformationis arduum et aleae plenum, cum sese a pontificiis seiungeret, secum aggrederentur: sed paucorum hominum inceptum non modo eventum non habuisset, sed in ipsis primordiis esset oppressum. Imitemur ergo illius aevi homines insignes, resurgat tandem absoluto hoc tertio saeculo ex oblivione et contemtu theologia practica, colatur et augeatur in universitatibus ea potissimum pars, quae tum in exponendis munerum ecclesiasticorum officiis iuribusque iis versatur, quibus ademtis officio fungi nemo nec velit nec possit, tum universae ecclesiae evangelicae recte constituendae et regendae praecepta tractat. Neque vero huic negotio soli theologi sufficiunt: neque ego hodie solos Theologos appello: opus est ad hanc rem iureconsultis, politicis, philosophis. Igitur ad exemplum 318 eius, quae inter Lutherum, Philippum et Hieronymum Schurfium fuit, amicitiae et societatis, accedant harum doctrinarum magistri ad opus theologorum, repetatur ius ecclesiasticum evangelicorum ex fontibus theoreticis et historicis, atque ad nostrorum temporum rationem reformetur. Has sibi ineunte quarto hoc saeculo universitates nostrae vices vindicent, dignum labore opus et fructuosissimum futurum.

Pergo ad alteram orationis meae partem, quae est de doctrina. 25 Quippe caput omnis in doctrina novationis id fuit, quod Zuinglius et Lutherus commune et consuetum genus demonstrationis et refutationis | theologicae ex locis patrum et doctorum omnino declinabant, et si quis 21 redarguere vellet, solam scripturam controversiarum iudicem deposcebant. Quod mirum quantum in omnibus, qui reformatorum causae fa30 vebant, sacrorum librorum desiderium et caritatem excitavit, doctioribus praeterea laborem et Studium in colligendo, interpretando, comparando positum, quo doctrina theologica ad perfectionem tantam adducta est, quanta olim nemini mortalium obversata erat. Ex hoc enim fonte manarunt, quibus evangelica ecclesia numquam non insignem se 35 praestitit, artes interpretatoria et critica; in quibus si quis componat quae ab evangelicis partim tentata partim absoluta sunt, quaeque a pontificiis neglecta et omissa, haud difficile erit diiudicare, utra ratio ad doctrinam augendam distinctasque notiones explicandas praestet: quum

Schreibung 184-202 10-23 Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm.41 18 Hieronymus Schurff (1481-1554), 1507-1547 o. Professor der Jurisprudenz in Wittenberg, begleitete Luther auf den Reichstag nach Worms (Marheinecke: Geschichte 1,252.259) und wirkte bei der kursächsischen Kirchenvisitation mit (Marheinecke: Geschichte 2,307).

10

5

10

15

20

25

30

35

40

Oratio

alteri traditionibus per temporum Seriem collectis, quibus dogma unumquodque ad litteram declaratum esse videatur, adhaererent; alteri ex primaevi temporis scriptis, plenis quidem spiritus sancti, sed quae semina tantum dogmatum continerent, ipsa dogmata christianaeque doctrinae compagem struere illiusque aetatis simul iustam imaginem restituere conarentur; praeterea utrum Studium theologicum ab aliis studiis, 319 et ab hoc ipso munus ecclesiasticum magis indies praestet segregari, an neminem nisi in bibliis interpretandis probe versatum ad munus sacrum admitti, et philologiam sacram antiquitatum profanarum studio ita prope coniungi, ut sibi opem multiplicem ferre invicem possint. Attamen apud nos quoque haec studia vicissitudines habuerunt, quum haud multo post beati Lutheri mortem tempora longe diversa ab illius sociorumque eius studio et cura libris sacris impensa succederent. Ubi enim officium doctrinae christianae ab omnibus partibus absolvendae et in formam artis redigendae in argutias scholasticas degeneravit, scripturarum, quae istiusmodi argutiis adiumenta nulla praebebant, sana interpretatio non negligi non potuit; nec, qui toti in eo essent, ut in aequalium scriptis et sermonibus verbum aliquod suspectum aucupa-| rentur, christianae antiquitatis investigationem habere in deliciis potue- 22 runt. Ista vero tempora sine dubio tum per se ipsa rerum evangelicarum decrementa fuerunt, quod virtute post verba, religione post formulas habita odia, irae, invidiae ecclesiam dilacerarunt: unde malorum quae progerminare ex partium studio solent, nullum defuit; tum, ut solent homines in opposita ruere, ex illo malo aliud longe diversum obortum est, despectum dico christianae doctrinae, cui, dum sibi scilicet lucis divinae splendorem arrogaret, tantas tarnen tenebras doctores scholastici potuerint circumfundere; libidinem dico dubitandi, redarguendi, divina omnia humanis aequandi; lasciviam denique, quaecumque ad revelationem divinam pertinerent, impie deridendi: quae mala non per Romanam ecclesiam sed apud nos quoque priore saeculi superioris parte late sunt grassata. Quem morbum ne quis credat in Germania indigenam fuisse ex studiis theologorum nostrorum perperam divulgatis et ex abusu artis criticae ortum; sed partim ex contagione Gallicae levitatis 320 nobis obrepsit, partim Anglicae superbiae progenies est. Quae enim apud nos viri docti iique theologi ex argumentis historicis et philosophicis dubitaverunt, ea longe alius sunt generis, quam quae aequiparari iocis Gallicis Anglorumque ori magna sonanti possint. Quorsum autem haec dico? Ut vobis non tarn demonstrem quam in memoriam revocem, horum malorum neutrum, etsi progressum doctrinarum religionem spectantium turbaverint aliquantum et retardaverint, haerere in ecclesia

12-23

Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm.31

23-27

Vgl. oben Einl. bei Anm.32

11

Oratio

5

10

15

20

25

30

35

evangelica potuisse. Nostra certe aetas emersit iam ex sceptica ista impietate et hebetudine superba, neque sibi gloriam ex eo quaerit, quod minus religiosa et rerum historiarumque christianarum incuriosa sit. Quae felix immutatio quomodo acciderit, id omnium quae hucusque tractavi proxime ad orationem meam pertinet. Etenim ne in eiusmodi errores inducamur praesidium, quod quidem absque litterarum detrimento excogitari possit, firmissimum, et si qui inducti sint remedium tutissimum in ea positum est docendi discendique libertate, | quae univer- 23 sitatum litterariarum per terras evangelicas florentium summum est decus peculiumque pretiosissimum. Peculium dico, quia universitates litterariae reformatione ecclesiae multo antiquiores ex eo tempore in duas species divisae sunt, alteram pontificiorum, quorum universitates magis magisque in similitudinem scholarum coactae sunt, ubi quid cuique docendum, quid discendum sit, legibus cautum regulisque ordinatum est, alteram evangelicorum ea quam dixi docendi discendique libertate nobilitatam. Quae libertas, quamquam favere iis, quae obiter commemoravi, malis videtur, siquidem, et ubi cuivis gradum academicum adepto docere quaevis liceat, multa male iudicata tradi, et ubi cuivis quidvis audire et discere concessum sit, abuti vani iactatores adolescentum imperitia possunt, iuvenesque ad ea, quibus animi vires nondum sufficiant, aspirando sibi ipsi nocere, unde errores nasci et propagari necesse fue- 321 rit; tamen haec omnia, praeclaris illis, quae inde nobis provenerunt, bonis comparata, vix ullius momenti habenda sunt. Quis enim vel doctissimus ita sit indefatigabilis, cui non crebra, quae iure docendi arctioribus finibus circumscripto vitari non potest, earundem rerum repetitio, taedium docendi pariat, quemque non idem taedium in latebras musei sequatur impediatque, quo minus novis doctrinam repertis augeat? Et si quae doctrinae in diversas partes scholasque oppositas sint distractae, atque altera pars eorum, qui rei publicae praesunt, suffragia tulerit: qui fieri potest, ut ubicunque libertas docendi restricta sit, altera pars umquam resurgat? Quae causa fuit, cur universitates Romanae auctoritati subiectae neque viros eruditione insignes provocaverint, neque ipsas doctrinas emendaverint et provexerint, sed potius ut traditae erant imperfectas reliquerint, quemadmodum Aristotelica philosophia, quas cathedras occupaverat, per saecula usque tenuit. Contra vero apud nos doctissimus quisque et sagacissimus, quo latius evagari in doctrinarum campos et quo plures auditoribus doctrinas tradere potest, eo magis, quid ea quam sequitur via et ratio, quid ipsius ingenium valeat, per-|spi- 24

26 taedium] teedium

35 saecula] faecula

1 f Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm. 33

38 f perspiciet] per-/piciet

12

5

10

15

20

25

30

35

Oratio

ciet, tum etiam ad eam, quam prae ceteris caram habet, disciplinam recens aliquando multisque modis auctus revertitur. Et si quando Principes eorumque ministri institutioni iuvenili praefecti alterutri parti accesserint, nolintque professores nisi secum consentientes constituere: pro altera parte sponte docentes exsurgent iuvenumque animos secum trahent. Cui docendi libertati necesse est libertas discendi accedat, qua nos quidem, qui docendi munere fungimur, ei rei adsuescimus, ut discipulos nolimus in verba nostra iurare, suoque quisque loco iuvenes ita doceat, quasi qui oppositae sententiae deditum de eadem audituri re sint; atque id docendo agamus, ut habeant quod sentiant, non quod opinentur, ne 322 si crastina oppositae sententiae auditio hodiernam expulerit, incassum laboraveris. Quapropter rebus utimur tamquam exemplis, quibus discere discant, genuinamque indagandi et perscrutandi rationem sibi comparent, sensimque sibi ipsis magis confisi postremo auctoritatis qualiscunque frena exuant. Ipsos autem iuvenes ea libertas ita adiuvat, ut dum in studiis ordinandis, in magistris, quorum disciplina maxime erigantur, deligendis genio indulgent, quasi in maiori vitalis aurae copia coelique serenitate lautius proficiant, et ex iuvenili illa admirandi imitandique consuetudine citius in virile animi robur maturescant. Ex qua magistrorum discipulorumque libertate nascitur ea, quae professoribus cum iuvenibus academicis intercedere solet, necessitudo et familiaritas, quae nec magistros senescere sinit, discipulosque paternis consiliis multo magis quam austera reverentia rigorosaque disciplina emendat et äuget. Atque huius necessitudinis luculentum in Luthero exemplum habemus, quem auditorum Vitebergensium gladiis stipatum Lipsiam ad colloquium profectum, quem auditorum maxime desiderio commotum diutius latere noluisse, sed ex recessu Isenacensi in lucem prodiisse, quis vestrum est qui nesciat? Igitur hanc certe docendi discendique libertatem ea, quam tarn enixe et recte quidem postulant, scribendi legendique libertate tanto maiorem, quanto oratio scripta littera efficacior est, me-| cum pretiosissimam iudicabitis, auditores, eamque gaudete universitati- 25 bus nostris ita insitam et infixam esse, has ut destruere possis, conservare demta docendi libertate non possis. Q u o d ipsis civitatum rectoribus adeo persuasum fuit, ut si quis eorum severitate animi ductus in mores iuveniles iustamque et suavem libertatem paullo acrius animadverteret, libros imprimendos censorum arbitrio castigandos daret, populi pios doctores regulis iniquioribus obstringeret: ne is quidem academicae docendi libertati quicquam sit detrahere ausus. Quam ut per om- 323

7 - 1 5 Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm.29 24-26 Vgl. Marheinecke: Geschichte 1,128 29f Die Pressefreiheit gehörte z.B. zu den Forderungen, die die vom 17.-19. Oktober 1817 auf der Wartburg versammelten Studenten stellten.

Oratio

13

nes temporum vicissitudines fortiter tueamini, quum non opus sit vos admonere, hoc tarnen monere meum est, ut et ipso huius libertatis nomine ecclesiae reformationem nobiscum celebretis, utque hoc die gravissimo sanctissimoque vos religiosissime obligetis, vos ea libertate uti ita velle, ut recta rerum divinarum humanarumque cognitio, bonorum cuiusvis aevi hominum assiduitate, fortitudine, veritate parta, quantum in vobis est, integra in perpetuum servetur et propagetur. Igitur ecclesia evangelica tantorum quae recensuimus bonorum mater, legibus et institutis sapientibus temperata et confirmata per quartum hoc saeculum longamque saeculorum Seriem floreat crescatque divinae patris aeterni providentiae, servatoris nostri imperio coelesti, sanctique spiritus faustae directioni a nobis quoque hodie commendata. Quam precor ut Reges Principesque et liberarum civitatum magistratus benigno animo tueantur et augeant, eiusque praecepta ipsi obedienti animo colant et observent; neve illi, si quod ex ulla parte periculum immineat, viri fortes et strenui umquam desint; sintque precor omnes per omne aevum evangelici theologiae doctores coetuumque pastores beati Lutheri similes, verbi divini ministri et distributores iusti, hominis autem praecones et asseclae nullius. Quod ut fieri possit, stent incolumes dignitate sua universitates litterariae, arces libertatis et eruditionis, christianae veritatis propugnacula, emetiantur grandiorem indies doctrinarum ambitum, quamque sui iuris fecerint bonarum artium, humana-|rum 26 historiarum, iustarumque notionum copiam, in usum ecclesiae nutricis convertere numquam desinant. Quod, quum in universum omnibus optem, huic imprimis nostrae novissimae contingat, quae auspicio augustissimorum huius imperii Regum, in eorum, praecipue vero in clementissimi conditoris sui honorem locum, quem occupare coepit, fortiter 324 teneat, alumnorumque numquam non copia abundet, qui viri docti piique evadant, ecclesiamque et patriam grato animo colant. Hoc autem die sollemni, quo memoriam et ecclesiae et doctrinae sacrae per theologiae doctorem restitutae piis animis celebramus, Ordini haud abs re visum est, more maiorum ius illud exercere, quod nobis a Rege clementissimo concessum est, summi in theologia honoris collationem dico, qua viri pii de litteris sacris et ecclesia bene meriti ornari solent. Itaque ex Ordinis decreto ego F. D . E. S c h l e i e r m a c h e r Theologiae Doctor et Professor publicus Ordinarius, Ordinis hoc anno

15 parte] parta

19 et] et,

22 sui] su

16-19 Vgl. oben Einl. d. Bandhg. bei Anm.30 32-34 Vgl. Statuten der Universität zu Berlin, Berlin o.J. (1816), Abschnitt II, §9, S. 10; Max Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd 4, Halle 1910, S. 229

14

5

10

15

20

Oratio

Decanus, promotor legitime constitutus, tres hos viros doctissimos, primum C a r o l u m I m m a n u e l e m N i t z s c h , philosophiae magistrum apud Vitebergenses quondam legentem, nunc seminarii ministrorum evangelicorum, quod ibidem his ipsis diebus Rex noster augustissimus inaugurari iussit, professorem et ad aedem Mariae diaconum tertium, qui eruditionis theologicae specimina egregia in lucem edidit; secundum J u s t u m G o d o f r e d u m H e r m e s , in urbe nostra ad aedem Gertrudis ministrum non coetui suo sed nobis omnibus propter evangelicum candorem, doctrinae puritatem et simplicitatem, disciplinae vitaeque sanctitatem maxime colendum; tertium J o a n n e m G e i b e l , apud Lubecenses Reformatorum pastorem meritissimum, fraterni inter Christianos vinculi suasorem facundissimum, Sacrosanctae Theologiae Doctores creo, creatos renuncio, eosque iunctis huic dignitati privilegiis et honoribus ornatos volo. Postremo, ut vestra quoque, iuvenes dilectissimi, in hoc die ornando aliqua pars sit, iussimus vos Philippi Melanchthonis, cuius viri | memoria hoc die in primis revocanda est, imaginem adumbrare; itaque 27 eius vestrum qui opusculum suum non solum pro temporis angustia diligenter, sed etiam pro iuvenilis aetatis viribus acute et ingeniöse ela- 325 boratum nobis probavit, nomen resignata iam schedula renunciabo. Est is H e r m a n n u s O l s h a u s e n H o l s a t u s , cui ex munificentia regia num-

1 promotor legitime] promotorl egitime

1 Nach den Statuten der Universität zu Berlin Abschnitt II, §15 (S.ll; Lenz: Geschichte 4,230) ist der Dekan einer Fakultät berechtigt, akademische Würden zu verleihen. 3 Karl Immanuel Nitzsch (1787-1868) habilitierte sich 1810 in Wittenberg und lehrte dort bis zur Schließung der Universität 1813, seit 1811 war er zugleich Hilfsprediger an der Schloßkirche, seit 1813 3. Diaconus an der Stadtkirche. 1817 wurde Nitzsch Professor am Predigerseminar in Wittenberg. 4-6 Anstelle der 1813 geschlossenen Universität erhielt das 1815 an Preußen gekommene Wittenberg ein Predigerseminar, das am 1. November 1817 im Beisein der königlichen Familie eröffnet wurde. 6f Nitzsch: Dissertatio de evangeliorum apocryphorum in explicandis canonicis usu et abusu, Wittenberg 1808. De testamentis duodecim patriarcharum, libro Veteris Testamenti pseudepigrapho, Wittenberg 1810. Theologische Studien, 1. [einziges] Stück, Leipzig 1816 8 Justus Gottfried Hermes (1740-1818) war von 1797 bis zu seinem Tode als Pastor an der St. Gertraud-Kirche eine Zentralfigur der pietistischen und erweckten Kreise Berlins. 12 Johannes Geibel (1776-1853) war von 1797 bis 1847 Pastor der Reformierten Gemeinde in Lübeck. Als erweckter Prediger und Befürworter der Union wirkte er über diesen engen Kreis hinaus. Über seine Beziehungen zu Schleiermacher s. oben Einl. d. Bandhg. 22 Hermann Olshausen (1796-1839) wurde 1818 Repetent in Berlin. Seine Bearbeitung der Preisaufgabe erschien unter dem Titel „Melanchthons Charakteristik aus seinen Briefen dargestellt" 1818 im Druck (vgl. Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd 14, Leipzig 1904, S.366; die Schrift ist im Bibliotheksverkehr nicht zugänglich).

Oratio

15

m u m aureum centum imperialium in huius festi m e m o r i a m e x c u s s u m d e c e m q u e insuper Fridericos aureos addico, e u m q u e ut e a d e m , q u a m nobis nunc probavit, diligentia studia sua prosequatur, a d m o n e o . In fine orationis preces f u n d o ad D e u m o p t i m u m m a x i m u m , u t ac5 tus uterque feliciter f a u s t e q u e et reipublicae litterariae et ecclesiae evangelicae eveniat, u t v i r o r u m illorum d o c t i s s i m o r u m mentes et ingenia ad bene m e r e n d u m de litteris et christiana institutione impellat, e o r u m q u e studia in verbi divini h o n o r e m dirigat, utque et iuvenem h u n c honestissimum et ceteros c o m m i l i t o n e s nosque, qui adsumus, o m n e s luce sua ita 10 collustret, ut disciplinae nostrae per patriam et o r b e m christianum f r u c tus uberrimi spargantur et p r o p a g e n t u r .

1 excussum] excusum

4f Schleiermacher bezieht den studentischen Festakt (s. oben Einl. d. Bandhg.) in die Fürbitte ein.

An Herrn Oberhofprediger D.Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Sätze (1818)

2l η ^ctrn öber^fptebtget D .

Simmoit

über

feine 5>rfifutt^ bet

φαηηίίίφεη ©dje»

Son

D . 5.

© φ ί e i t τ m α φ e c,

Ο. Ο. Settee bet Sfjeologie an bee ttniuerfit&t ju »ertin.

©erlitt in t i t

ι 8 ι 8/

Sttatfd>u(bt:4$anb(uitg.

Ew. Hochwürden werden sich vielleicht schon gewundert haben, 3; 329 daß ich Ihre lezte freundschaftliche Zuschrift vom 12ten Decemb. v. J. nicht auf der Stelle beantwortet; allein die bildlichen Ausdrükke, in denen Sie größtentheils sprachen, wollten mir so wenig deutlich werden, 5 daß ich lieber meine Antwort aussezte, bis ich würde gelesen haben, worauf Sie mich verwiesen, nämlich wie Sie sich über den Hauptgegenstand Ihres Briefes, über die Angelegenheit der Kirchenvereinigung öffentlich ausgesprochen. Auch das freilich sollte mich eigentlich so lange nicht aufgehalten haben. Indeß Sie hatten mir so wenig angegeben, w o 10 ich Ihre Aeußerungen suchen sollte, daß ich, der ich selten über die neueste Litteratur die neuesten Nachrichten habe, mich schon auf das Abwarten legen mußte; und erst kürzlich, als ich Ihre Prüfung der Harmsischen Thesen zur Hand bekam, merkte ich, daß diese zugleich Ihre Ansicht über die Kirchenvereinigung, der ich so lange vergeblich 15 nachgespürt, in sich schließe. Soll ich Ihnen nun alles erzählen mit der-

2-8 Vgl. Christoph Friedrich Ammon an Schleiermacher, 12.12.1817: „Hochwürdiger Herr Doctor, Verehrtester Herr und Freund. Euer Hochwürden auf der Stelle fur Ihre geneigte Zuschrift zu danken, halte ich mich durch unwiderstehliche Gründe verbunden. Einmal, weil mich die Bemerkung entschuldigt, daß ich mir einen scherzenden Ton über unsere politische Dichotomie gar nicht erlaubt haben würde, wenn ich nicht vollkommen sicher gewesen wäre, daß Euer Hochwürden über diese Ansicht weit erhaben sind. Dann aber auch darum, weil das politische Zermalmen, oder Verschmelzen alter, vielleicht wesentlicher und der Kirche zulezt zuträglicher Religionsformen die freimüthigste Erklärung gegenseitig zu fordern scheint. Wie die Sachen nun stehen, vergleiche ich beide Kirchen mit zwei Fürsten, welche die Güter der Krone gemeinschaftlich, die des Hauses aber besonders verwalten. Iene drücken die gemeinen Lasten der Zeit, diese sind persönlich verschuldet und zur Veräusserung reif. Nun wirft man sie eilig auf neuen Credit zusammen, ist aber weder einig über den Einsaz, noch über den Auszug. Wie man hier liquidiren kan ohne Inventar und Besizstand, vermag ich nicht abzusehn. Ich habe mich darüber ofen genug erklärt, und Euer Hochwürden werden mich wenigstens von dem Verdachte der Furchtsamkeit nun vollkommen freisprechen. Strafen Sie mich dafür, wo und wie Sie wollen; und erhalten Sie Ihr persönliches, mir in der That unschäzbares Wohlwollen Euer Hochwürden gehorsamstem Ammon." (Zentrales Archiv der AdW der DDR, SN 238, Bl. 9 f ) 12 f Ammon: Bittere Arznei für die Glaubensschwäche der Zeit. Verordnet von Herrn Claus Harms, Archidiaconus an der Nicolaikirche in Kiel, und geprüft von dem Herausgeber des Magazins fur christliche Prediger, Hannover/Leipzig 1817 (unten 429-443). Claus Harms: Das sind die 95 theses oder Streitsätze Dr. Luthers, theuren Andenkens. Zum besondern Abdruck besorgt und mit andern 95 Sätzen als mit einer Uebersetzung aus Ao. 1517 in 1817 begleitet, Kiel 1817, S. 19-35; Ausgewählte Schriften und Predigten, ed. P.Meinhold Bdl, Flensburg 1955, S. 210-225

22

5

10

15

20

25

An

Ammon

selben Offenheit und Unbefangenheit, die ich in dem wenigen Briefwechsel, den wir mit einander geführt, immer zu Tage gelegt habe: so gestehe ich ehrlich, daß Ihre Lobpreisung jener Thesen und Ihre Darstellung der Wirkungen, welche sie hervorgebracht, mich gar sehr überrascht hat. Von diesen Wirkungen ist mir überhaupt hier sehr wenig zu Gesicht gekommen, ohnerachtet wir hier zu Lande uns seit geraumer Zeit doch weder sehr | leichtsinnig noch sehr unbeweglich und träge er- 4 wiesen haben; aber von diesen Thesen hat man einige Tage nach beiden Seiten hin gesprochen, sehr ruhig und mäßig im Lob und Tadel, so daß es bei uns entweder keine Sadducäer und sichern Sünder und politi- 330 sehen Klüglinge giebt, oder daß die unsrigen durch andere Mittel wollen aufgeregt sein, als durch solche Thesen. Dieselbe Ruhe und Mäßigung finden Sie, Verehrtester, auch in dem, was, leider nur über einen Theil dieser Thesen, ein achtungswerther und hofnungsvoller junger Geistlicher bei uns gesagt; und in der That wüßte ich auch Herrn Harms nichts besseres zu wünschen, als daß diese Thesen, die so sehr viele Blößen geben, bald vergessen würden. Ich achte Herrn Harms als einen wohlgesinnten geistreichen und von einem edlen Eifer beseelten wahrhaft christlichen Mann, und freue mich seiner ausgebreiteten Wirksamkeit; er wird gewiß immer ein gesegneter Geistlicher sein, und ich wünsche nur, daß ihm Freunde und Feinde Ruhe lassen, sich in seiner rechten Stellung festzusezen. Wiewohl zu tadeln habe ich von jeher manches an ihm gehabt, denn Katechismen mit neuen zehn Geboten, und Predigten ohne Bibeltext wollen mir nicht gefallen; den ersteren würde ich nie gebrauchen, und die lezteren würde ich als geistlicher Obere gewiß nicht dulden. So auch, als diese Thesen mir angekündigt wurden, war mir gleich bange, wie sich der liebe Mann aus dieser Sache

lf Überlieferter und zu erschließender Bestand: 1. Ammon an Schleiermacher, 11.10.1805 (SN 238, Bl.lf), 2. Schleiermacher an Ammon, Ende August 1810 (vgl. Brief an Gaß, 1.9.1810, Briefe ed. Meisner 2,130), 3. Schleiermacher an Ammon, Mitte September 1810 (vgl. Brief an Nicolovius, 14.9.1810, ed. Meisner 2,131), 4. Ammon an Schleiermacher, 12.1.1811 (SN 238, Bl.3f), 5. Schleiermacher an Ammon, 22.1.1811 (vgl. eigenhändige Notiz auf Bl. 3 r von SN 238), 6. Ammon an Schleiermacher, 15.1.1811 (SN 238, Bl. l f ) , 7. Schleiermacher an Ammon, 9.2.1811 (vgl. eigenhändige Notiz auf Bl. 5 r von SN 238), 8. Ammon an Schleiermacher, 28.10.1817 (SN 238, Bl. 7f; vgl. dazu unten S3,17-22), 9. Schleiermacher an Ammon, 3.12.1817 (vgl. eigenhändige Notiz auf Bl. 7r von SN 238 und unten 54,3-6), lO.Ammon an Schleiermacher, 12.12.1817 (oben Anm. zu 21,2-8) 3f Vgl. Ammon: Arznei 4 (unten 429,19-33) lOf Vgl. Ammon: Arznei 4 (unten 429,23-29) 13-15 Gemeint ist Karl Heinrich Sack: Für die Vereinigung der lutherischen und der reformirten Kirche. Wider die 21 letzten der 95 Sätze von Claus Harms, Berlin 1817. 23£ Vgl. Harms: Das Christenthum. In einem Kleinen Katechismus aufs neue der Jugend vorgestellt und gepriesen, l.Aufl., Kiel 1810, S. 10-17; zu den bis 1817publizierten Predigten vgl. die Harms-Bibliographie von Gottfried Ernst Hoffmann (Schriften 2,402-404)

An Ammon

23

würde gezogen haben. Schon die Form, die ich von alten Zeiten her aus eigner Erfahrung kenne, ist nicht wenig schwer und gefährlich, und nun gar mit seinen eignen Thesen sich an Luther anschließen, ja sie als eine Uebersezung der seinigen, bei der ja doch der Geist ganz derselbe bleiben soll, in das Bedürfniß unseres Jahrhunderts aufstellen, dies schien mir ein sehr gewagtes und fast anmaßendes Unternehmen, und | ich war 5 neugierig, was doch Herr Harms uns bringen würde von gleicher Einheit in sich, vqn gleicher Wichtigkeit für die jezige Kirche, und wovon er gleichen Einfluß fordern und erwarten könnte. Natürlich, als ich sie bekam, suchte ich zuerst nach irgend einer durchgeführten Parallele mit Luthers Thesen; davon mußte ich aber gleich abstehn, indem schon die Inschrift sagte, daß diese Thesen nicht wie Luthers Einen Gegenstand ins Auge faßten, sondern gegen allerlei Irr- und Wirrwissen gerichtet seien, Ausdrükke, die mir schon wenig Aehnlichkeit mit Luthers 331 Kernsprache verriethen, da ja Wissen weder irren noch wirren kann; und Sie, Theuerster, vermehren noch des Mannes Sünden dieser Art, indem Sie ihn von einer Vernunft reden lassen, welche den Mond für die Sonne ansieht. Herr Harms fängt zwar bald damit an, daß er sich einen Pabst macht, gegen den seine Thesen sollen gerichtet sein, oder vielmehr zweie für einpn, die Vernunft und das Gewissen. Aber weder hält er diese mit ihren Ansprüchen so fest im Auge wie Luther, noch verfährt er so säuberlich mit ihnen, und scheidet so ihre Tetzeis und ihre Curialisten von ihnen selbst, wie Luther es that. Und doch gehn Herrn Harms Vernunft und Gewissen offenbar weit näher an, als Luthern der Pabst zu Rom, und er hat schwerlich solche Dinge von ihnen selbst mit Augen gesehen, wie Luther von seinem Leo. Kurz diese Thesen mit ihrem Hin- und Herfahren über gemeinsame Gebrechen und loGale, über nahes und fernes, über dem Verfasser bekanntes und unbekanntes, mit ihren halbwahren Orakelsprüchen und ihren die Mühe nicht lohnenden Räthseln, mit ihrem bunten aus verschiedenen Manieren gemischten Stil, mit ihrem Haschen nach Schimmer und Wiz haben auf mich gar wenig Eindrukk gemacht, als das Bedauern, zu sehen, daß der Verfasser, der sonst schon soviel schönes hervor-|gebracht, sich hier übereilt 6 und fehlgegriffen habe. Wie Blize sind sie mir gar nicht vorgekommen, die doch immer, wenn sie auch nicht wirklich zünden, die Kraft haben einzuschlagen und zu zünden, sondern wie Raketen, von denen die

3 - 5 Anspielung auf den Titel der Harmsschrift 12-14 Vgl. Harms: Thesen 19; Schriften 1,210 16-18 Vgl. Ammon: Arznei 9 (unten 432,22) mit Harms: These 33 (Schriften 1,215) 18-20 Vgl. These 9 (Schriften 1,211 f ) 22f Vgl. z.B. Luther: These 20-27 (im verdeutschten Abdruck bei Harms 8f; vgl. WA 1,234,15-30) 34 Vgl. Ammon: Arznei 4 (unten 429, 20)

24

5

10

15

20

25

An Ammon

meisten theils nicht steigen wollen, theils zu früh plazen, und nur wenige ihren Lauf schön und regelmäßig vollenden; aber auch die sind dann doch nur ein vergängliches Lustfeuer. Und hinter dem gründlichen Ernst, der einfachen Kraft und der frommen Milde der luthersehen Thesen mußten diese desto mehr verlieren. Daß nun aber Sie, Verehrtester, diese fünf und neunzig Säze sammt und sonders für alte Wahrheiten ansehen, das kam mir ganz unerwartet, theils weil manche gar zu auffallend falsch sind, theils weil mir so manches noch neuerlich aus Ihrer Dogmatik erinnerlich war, was mit diesen Säzen gar nicht 332 stimmen wollte. Ueber einiges erlauben Sie mir schon, daß ich Sie frage, und zwar, wie es mir eben einfällt, ohne einer bestimmten Ordnung zu folgen. Glauben Sie denn wirklich, Verehrtester, daß Calixtus, indem er die Tugendlehre von der Glaubenslehre trennte, die schwere Sünde begangen hat, dem Gewissen den Stuhl der Majestät zu sezen, und daß Kant es wirklich hinauf gesezt? In Ihrer christlich religiösen Moral meinten Sie doch noch, die Kantische Formel wäre eben nicht von den Aussprüchen Jesu selbst verschieden, und sonach hätte, wenn Kant das Gewissen auf den Majestätsstuhl gesezt, nach Ihrer damaligen Meinung Jesus selbst es hinauf gesezt? Und wenn es so sündlich ist, die Tugendlehre von der Glaubenslehre zu trennen: haben Sie nicht dasselbe gethan, indem Sie eine Moral geschrieben, die ein von Ihrer Dogmatik ganz getrenntes Buch ist? und haben Sie nicht dasselbe noch jezt als heilsam anerkannt, indem Sie uns Ihre Dogmatik aufs neue geschenkt, ohne ihr die Moral wieder einzuverleiben? Herr | Harms freilich scheint 7 in seinem wohlgemeinten Eifer zweierlei zu verwechseln, die Tugendlehre von der Glaubenslehre trennen, und das Gewissen vom Worte

25 seinem] seinen 5-7 Vgl. Arznei 4 (unten 429,20) 9 Ammon: Summa theologiae christianae, l.Aufl., Göttingen 1803; 3.Aufl., Leipzig 1816. Schleiermacher hat die 3. Aufl. am 30.9.1817 erworben (vgl. Hauptbuch des Verlags Georg Reimer im Verlagsarchiv de Gruyter Bd2, S. 804). 12-15 Vgl. Ammon: Arznei if (unten 430,28-31); Harms: These Ii (Schriften 1,212) 15-17 Vgl. Ammons „Kritik"des Kantischen Prinzips: „Die Verdienste der kritischen Philosophie um eine größere Festigkeit sittlicher Grundsätze öfnen der dankbaren Gesinnung des Wahrheitsforschers ein weites Feld. Aber gerade diese Unpartheilichkeit wird und muß ihn auch bestimmen, zu fragen: 1) ob, was die Neuheit des Systems betrift, die Sittenregel der Stoiker, die Aussprüche Jesu (Matth. 7,12. Luk. 17,10.), das moralische Grundgesez der lezten französischen Constitution (1795), in der That von der kantischen Formel verschieden seien?" (Vollständiges Lehrbuch der christlich-religiösen Moral, 4. Aufl., Göttingen 1806, S. 78f; §44) 21 In l.Aufl. unter dem Titel: Die christliche Sittenlehre nach einem wissenschaftlichen Grundrisse, zunächst für seine Vorlesungen entworfen, Göttingen/Erlangen 1795 24-1 Vgl. Harms: These 12f. 1} (Schriften 1,212)

An Ammon

5

10

15

20

25

30

25

Gottes trennen. Nur durch lezteres wird ihm der Stuhl der Majestät, um mit Herrn Harms zu reden, gesezt. Das hat aber Calixtus gar nicht gethan, denn seine theologische Moral ruht gar sehr auf dem Wort Gottes. Daß aber die Glaubenslehre nach dem Wort Gottes und die Tugendlehre nach dem Wort Gottes von einander getrennt werden, und weiter hat Calixtus nichts gethan, das billigen Sie ja gewiß noch. Warum lassen Sie also den braven Mann und alle seine Nachfolger, sich selbst eingeschlossen, von Herrn Harms verunglimpfen, und sagen ihm nicht vielmehr, daß dasselbe auch er selbst billigt in seiner neunten These? Denn wenn der Glaube einen andern Antichrist hat, als das Handeln: so wird es gewiß auch gut sein, jedem dieser Antichristen eine eigne Lehrfestung entgegenzustellen. - Ferner, ist Ihnen denn das eine alte Wahrheit, daß die christliche Religion ganz verworfen werden muß, wenn sie so weit verworfen werden soll, als sie nicht mit der Ver- 333 nunft übereinstimmt, das heißt also, daß sie gar nicht mit derselben übereinstimmt? Sie führen zwar von dieser Thesis nur den Schluß an, aber Sie widersprechen ihr doch nicht, und also gehört sie mit unter die alten Wahrheiten. Die Vernunft soll doch hier gewiß nach Th. 34. die Vernunft als eigene Geisteskraft sein, welche Religion weder lehrt noch sich lehren läßt. Nach §. 18. Ihrer Dogmatik aber ist der beste Beweis für die Wahrheiten der geoffenbarten Religion, die Uebereinstimmung der Lehre mit der geistigen oder vernünftigen Natur des Menschen. Das scheint nun freilich die andere Vernunft zu sein, der Inbegriff aller den Menschen auszeichnenden Geisteskräfte; allein es scheint auch nur so, denn Ihr §. redet doch von Beweisen, und | empfiehlt durch und 8 durch das Erforschen der Wahrheit. Auch jene Uebereinstimmung also muß als Beweis eine erkannte sein, und unter den sämmtlichen den Menschen auszeichnenden Geisteskräften ist die besondere Geisteskraft, welche wir Vernunft nennen, allein die, welche sich mit dem Erforschen und Beweisen abgiebt. Also ist wol Ihr ganzer Beweis eine Vernunftsache; oder wenigstens werden Sie mir zugeben müssen, daß die Vernunft als eigne Geisteskraft mit zu denen gehört, welche den Menschen auszeichnen, und daß also, wenn die Wahrheiten der geoffenbarten Religion mit der Gesammtheit dieser Kräfte, mit der vernünf-

3 Georg Calixt: Epitomes theologiae moralis pars prima, Helmstedt 1634; Werke in Auswahl Bd 3, ed. I.Mager, Göttingen 1970 9-11 Vgl. Thesen 20f; Schriften 1,21 lf 13-16 Vgl. Harms: These 30 (Schriften 1,214) 16 Vgl. Ammon: Arznei 15 (unten 435,36f) 18-20 Vgl. Harms: Thesen 24; Schriften 1,2Π 20-22 Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 37 23f Vgl. Harms: These 34 (Schriften 1,215) 25£ Vgl. Ammon: „Legimus enim, [...] Paulum et reliquos apostolos [...] ad diligentem veri explorationem excitare lectores [...]." (Summa, 3.Aufl., 37; §18)

26

5

10

15

20

25

30

An Ammon

tigen Natur übereinstimmen sollen, sie auch jener einzelnen Geisteskraft der Vernunft nicht widersprechen dürfen. Und fühlen Sie es denn nicht wenigstens jezt, indem ich so schwerfällig darüber habe reden müssen, wie unvollkommen gerade für solche Thesen Herr Harms seine Sprache gewählt und ausgebildet hat? Oder ist auch das eine alte Wahrheit mit diesem doppelten Sprachgebrauch des Wortes Vernunft, und heißt nicht vielmehr der Inbegriff der den Menschen auszeichnenden Geisteskräfte niemals Vernunft, sondern nur seine Natur deßhalb vernünftig, weil alle diese Kräfte durch das Hinzutreten jener Einen, welche eigentlich Vernunft heißt, und ihr dienend andere und höhere 334 geworden sind, so daß es wirklich gar keinen doppelten Sprachgebrauch hier giebt? Aber wenn Th. 38. nun gar die Vernunft herzlich und gemüthlich sich gebehrdet und spricht: so ist das freilich für Thesen, die neben den lutherischen angeschlagen werden sollen, und zur Vertheidigung bereit sind, ein unerhörter Sprachgebrauch, bei dem mir grün und gelb vor den Augen wird. Dasselbe begegnet mir, wenn in der 39ten Thesis die Vernunft ihren Verstand hat, und das Herz auch seinen aparten Verstand, und jedes von beiden mit dem seinigen einer andern | Welt zugekehrt ist. Solche Thesen wird nun freilich nicht leicht 9 jemand angreifen; aber sollten sie vertheidigt werden, so hätten auch alle ächten Lutheraner genug daran zu thun. Warum machen gerade Sie, Verehrter, allen denen, die sich in solchen Dingen gern klarer Gedanken erfreuen, den Schmerz, alles was nun mit solchen Worten gespielt wird, für alte Wahrheiten zu erklären? doch Sie sehen, wie es geht, wenn man sich keine feste Ordnung vorsezt! dies wäre ein herrlicher Epilog gewesen, und nun kommt es mir zur Unzeit in die Mitte; denn ich habe noch einige Fragen auf dem Herzen. - Ist nämlich dies auch eine alte Wahrheit, oft genug gesagt ist es freilich, in der 67sten Thesis, daß es ein sonderbares Verlangen sei, den neuen Glauben zu predigen, von einem Stuhl, den der alte gesezt hat? Soll man das etwa auf Luthers Grabe sagen, dessen Stuhl auch noch der alte Glaube gesezt hatte, und der nicht herunterstieg, als er sich von diesem lossagte? Wollen Sie diese Thesis anschlagen in Herzog Georgens Hauptstadt? -

1 sie] ste

12 38.] 38

12f Vgl. Harms: Thesen 25; Schriften 1,215 14f Anspielung auf Harms: Thesen 19; Schriften 1,210 16-19 Vgl. Harms: Thesen 25; Schriften 1,215 20f Anspielung auf Harms: Thesen 19; Schriften l,210f 28-30 Vgl. Harms: Thesen 30; Schriften 1,220 31 Vermutlich Anspielung auf Harms: These 75 (Schriften 1,222) 33 Anspielung auf den Dresdener Amtssitz des sächsischen Oberhofpredigers Ammon

An

5

10

15

20

25

30

Ammon

17

Unterschreiben Sie auch die 50ste Thesis und erwarten große Wirkung von ihr, daß durch die symbolischen Bücher dafür gesorgt sei, daß das feste Bibelwort niemand drehen könne? Kann dafür auf diese Art gesorgt werden, wenn nicht die symbolischen Bücher, wie auch die 83ste Thesis sagt, die feste Norm aller Auslegung und aller dogmatischen Speculationen sind, über welche Niemand hinaus darf ohne sich von der Kirche zu trennen? Auch das ist freilich alt, eben so alt wie das, wobei ich noch immer herzhaft beharre, daß eine Kirche, welche dies be- 335 hauptet, ihrem Princip nach nicht evangelisch ist, sondern traditionell wie die römische, mag sie noch so viel Dogmen und Gebräuche geändert haben. Aber ich glaubte immer in diesem Punkt Sie zum Glaubensgenossen zu haben, und wenn Sie jenes wirklich behaupten, was machen Sie in Ihrer Dogmatik mit allen kritischen Erläuterungen der kirchlichen Lehren? Denn wenn auch | das Resultat nicht immer gleich 10 klar vor das Auge tritt, so sieht doch wohl jeder, daß sie in vielen Fällen ganz anders gestellt sein würden, wenn Ihre Ueberzeugung völlig mit den symbolischen Büchern übereinstimmte. Ja ich irre mich gewiß nicht; denn §. 153. Ihrer Dogmatik von 1803 steht es mit dürren Worten, „daß es recht schön wäre, durch Verpflichtung auf die symbolisehen Bücher die Irrlehrer in den Grenzen ihrer Pflicht zu halten, wenn nur die verschiedenen hier und dort für symbolisch anerkannten Bücher mit dem wahrhaft göttlichen Wort und dem Bekenntniß derer, die zu unserer Zeit für weise und fromm gehalten werden, immer übereinstimmten." In der neuesten Ausgabe §.160. kommt freilich zu diesen Worten noch der Zusaz, „und wenn sie von offenbaren Fehlern gesäubert würden," und eine neue Anmerkung beschäftigt uns mit diesen offenbaren Fehlern sehr geflissentlich, es sind unhöfliche Ausdrükke, falsche Etymologien, kleine Irrungen mancher Art. Allein das sind doch nur Zusäze, die das Hauptbedenken von deif leider nicht selten fehlenden Uebereinstimmung mit dem Bekenntniß der heut zu Tage für fromm und weise geltenden, unter welche wir Sie ja auch zählen, nicht

1 - 3 Vgl. Harms: Thesen 27; Schriften 1,218; Ammon: Arznei 11 (unten 433,31-34) 4 - 6 Vgl. Harms: Thesen 33; Schriften 1,223 13 f Anspielung auf die inAmmons Summa der „doctrina ecclesiastica" des jeweiligen Locus häufig angefügten und mit „epicrisis" „censura" oder „observationes criticae" übertitelten Beurteilungen 19-24 Erst ab die Irrlehrer verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, l.Aufl., 228; vorher Paraphrase 25f Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 282 26-3 Vgl. Ammon: „§. 160. De religionis puritate in ecclesia seruanda. [...] [Anm.] d) Notamus in LL. ecclesiae nostrae, ne άσύμβολοι ab iis discedamus, nonnulla vitia inhumanitatis (apolog. p. 186 et 223. praef. ad art. Smalcald. p. 299. ed. Rechenb.), etymologiae (apolog. p. 271.[...]), historiae (conf. Aug. p. 11.15. apolog. 219) et inconstantiae (Lutherus duo admittit sacramenta p.401. Melanchthon quatuorp. 167.200), praesertim in variataA. C. editione anni 1540 (art. X). Quis autem paucis maculis offendatur in tanto horum scriptorum pretio!" (Summa, 3. Aufl., 283)

28

5

10

15

20

25

30

35

An

Ammon

aufheben können. Und auch der schöne Schluß jener Anmerkung: „wer wollte doch an so kleinen Flekken Anstoß nehmen bei dem so hohen Werth dieser Bücher," soll uns gewiß nicht glauben machen, diese Kleinigkeiten wären alles, was Sie und die andern, die zu unserer Zeit für weise und fromm gehalten werden, auszusezen haben an den symbolischen Büchern. Denn wenn Sie anderer Meinung geworden wären über diesen Punkt, und glaubten, entweder es käme auf die Zusammenstimmung der symbolischen Bücher mit dem Bekenntniß der heutigen Weisen und Frommen nichts an, oder diese stimmten schon von selbst mit 336 den symbolischen Büchern zusammen, so würden Sie | ja die Haupt- Ii stelle weggelassen haben. Auch von dieser Thesis also und der 83sten, der Sie ebenfalls Ihre Zustimmung zu geben scheinen, begreife ich nicht, wie sie Ihnen Wahrheit sein kann, wenigstens alte gar nicht, sondern funkelnagelneue! - Ist Ihnen das auch Wahrheit, alte Wahrheit, Verehrtester, daß wenn ein Prediger, die folgenden Worte nur irgend im üblichen Sinne genommen, „den Weg vom Verstände zum Herzen geht, deshalb gleich die Worte: unser Herr und Erlöser, von seinen Lippen lauten, wie in Briefen der Freund und Diener?" Wie? ist ein solcher etwa gleich von denen, welche ihre Gemeine in der Fremde des Irrglaubens Hunger und Kummer leiden lassen? Ist jeder, dessen Natur es mit sich bringt, den Weg zum Herzen am sichersten zu finden durch den Verstand, gleich einer von den verrufenen Rationalisten? und giebt es nicht auch redliche Rationalisten, denen man unrecht thun würde, wenn man sagte, es wäre nur ein leeres Compliment, wenn sie zu Christo Herr Herr sagen? Ich bin mir bewußt, hier nicht meine Sache zu führen, und wiewohl ich weiß, daß die Urtheile über meine theologische Denkungsart sehr getheilt sind, was auf mancherlei Mißverständnissen beruht, so bin ich selbst mir doch bewußt, zu denen nicht zu gehören, denen was Herr Harms den neuen Glauben nennt, vorzuwerfen ist; aber dieses eben so oberflächliche als harte Absprechen in Pausch und Bogen empört mich, und ich begreife nicht, wie Sie, Verehrungswürdiger, es so unbedingt loben und uns anpreisen können. Ich meine, wer Luthern gegenüber seine Thesen anschlagen wollte, mochte er noch so mit Recht ergrimmt sein über manche Mängel in der Kirche, der sollte doch von dem Gefühl durchdrungen gewesen sein, wie Luther, der heftige Luther, sich von aller Leidenschaft gereinigt hatte, ehe er seine Thesen schrieb, der sollte sich Gottes Gnade erbeten | haben 12 zum Streit gegen das Verkehrte, und Buße gethan von allem eiteln We-

11 f Vgl. Ammon: Arznei 19 (unten 437,35-37) 16-18 Für den Wortlaut vgl. Harms: These 46 (Schriften 1,217) 19f Anspielung auf Harms: These 73 (Schriften 1,221) 24 f Vgl. Mt 7,21 29 Vgl. These 27.67.85 (Schriften 1, 214.220.223)

An Ammon

5

10

ls

20

25

30

35

29

sen, dann würde er etwas besseres geschrieben haben, als Epigramme, denen die Stacheln ausfallen, wenn man sie etwas herzhaft anfaßt, und 337 man würde dann mehr als jezt gefühlt haben, daß alles nur zu Gottes Ehre gemeint, und von Luthers Andenken erfüllt sei! - Und endlich, gar manches übergehe ich, doch bitte ich, daß Sie mir erlauben, es vielleicht gelegentlich zu berühren, endlich also die lezten Thesen, welche Sie so besonders rühmen, als die kräftigste Bezeichnung von dem Leben der verschiedenen abendländischen Kirchen, und welche Sie recht mit Liebe erklären, auch bei diesen begreife ich Ihre Zusammenstimmung mit Herrn Harms nicht. Gleich zuerst weiß ich nicht, ob es Eigensinn ist von Herrn Harms, in seinem E i f e r gegen die Reformirten, daß er die katholische Kirche die evangelisch-katholische nennt, als wollte er sagen, so gut die Reformirten diesen Namen führten, könne man ihn den Römischen auch zugestehen, oder ob es eine kleine Vernachläßigung ist, und Herr Harms nicht bedacht hat, was der Ausdrukk evangelisch grade im Gegensaz gegen die römisch katholische Kirche sagen will. Aber Sie einer der ersten Theologen sollten nicht die doppelte Unbilligkeit begangen haben, einmal Herrn Harms dies ungerügt hingehen zu lassen, daß er die römische Kirche evangelisch nennt, und dann diesen Namen f ü r die lutherische Kirche allein in Anspruch zu nehmen, wodurch mancher Unkundige verleitet werden könnte, zu glauben, es sei etwas neues, daß die reformirte Kirche ihn auch in Anspruch nimmt. Doch das wollen wir lassen und zur Sache gehn. Daß man, wie Sie es erklären, durch vorherrschendes G e f ü h l und vorherrsehenden Verstand den Charakter der römischen und protestantischen Kirche unterschieden hat, das ist etwas altes, und wiewol ich es grade so nicht | zugeben möchte: so wollte ich es doch Herrn Harms gern hinge- 13 hen lassen, daß er sich an diese Vorstellungsart gehalten. Aber so wie er sie aufstellt, Wort und Sakrament als Gegensäze, und so nicht etwa katholisch und protestantisch, sondern katholisch, lutherisch und reformirt unterscheidet, wodurch denn die lutherische Kirche allein nach dem „medium tenuere beati" die Seligkeit und den Himmel in sich trägt, wenn gleich die andern auch herrlich sein dürfen, das lassen Sie uns 338 doch etwas näher beleuchten, ob es wol angeht. Die katholische Kirche also bildet sich vorzugsweise am Sakrament, und weniger am Wort; das heißt also, sie hat weniger Wort oder braucht weniger das Wort, oder wirkt weniger durch das Wort? Ich kann das nicht zugeben. Hat außer

3f Anspielung auf Harms: Thesen 19; Schriften 1,211 6-9 Vgl. Ammon: Arznei 23-25 (unten 43% 26-440,21); Harms: These 92-95 (Schriften 1,225) 12 Vgl. Harms: These 92 (Schriften 1,225) 20f Vgl. Ammon: Arznei 27 (unten 441,5-7) 23-26 Vgl. Amman: Arznei 24 (unten 439,37-440,4) 28-33 Vgl. Harms: These 92-94 (Schriften 1,225) 34f Vgl. Harms: These 92 (Schriften 1,225)

30

5

10

15

20

25

30

35

An

Ammon

der englischen irgend eine protestantische Kirche eine solche Sammlung vorgeschriebener Gebete, und hält so auf die häufige Wiederholung derselben, wodurch sie sie offenbar als das vorzüglichste religiöse Bildungsmittel darstellt, als die römische? Begnügt sie sich dagegen nicht ganz leicht damit, wenn jeder katholische Christ das einzige wiederholbare Sakrament jährlich einmal genießt? hält sie sich also nicht gar vorzüglich am Wort? Doch zugegeben, sie halte sich weniger am Wort als am Sakrament, so wird nun von der reformirten gesagt, sie hält sich vorzüglich am Wort, also weniger am Sakrament. Einstimmen kann ich auch nicht, aber sei das Verhältniß beider so gestellt, was wird nun aus der lutherischen? Sie hält sich gleichmäßig am Wort und am Sakrament. Was heißt das? hat und braucht sie eben so wenig Sakrament, als die reformirte, aber dafür auch eben so wenig Wort als die katholische Kirche, so steht sie offenbar hinter beiden zurück. Oder hat und braucht sie zwar eben so viel das Wort als die reformirte, aber auch eben so viel Sakrament als die katholische? Nun dann hat sie also das | ganze eigentliche Wesen der katholischen Kirche in sich, denn daß 14 diese weniger Wort hat und braucht, ist nur ihre Beschränkung. Können Sie das annehmen und loben? Oder endlich, wenn Herr Harms ganz streng den Mittelweg gehn will, und sagen, die lutherische Kirche halte zwar mehr am Wort als die katholische, aber doch weniger als die reformirte, und zwar mehr am Sakrament als die reformirte, aber doch weniger als die katholische, so mag er uns doch zeigen, worin das weniger am Wort halten bestehe. Hält sie weniger auf ausgebildete Dogmatik? hält sie weniger auf Predigt und Gesang? hält sie weniger auf den Unterricht der Jugend durch das Wort, und rühmt sich dessen, wenn dem so ist? oder hält sie weniger auf Bibellesen und Gebrauch? Und 339 eben so schwer als dieses möchte auch nachzuweisen sein, daß sie mehr am Sakrament halte, als die reformirte Kirche; denn was sie an äußeren Gebräuchen mehr hat, nennt das Herr Harms Sakrament? oder wenn wir es intensiv verstehen wollen, werden die Sakramente mit mehr Andacht und Feierlichkeit verwaltet in der lutherischen Kirche als in der reformirten? zeigen sie sich ergreifender und wirksamer in jener als in dieser? Doch Sie, Verehrungswürdiger, kommen diesen Harmsischen Thesen, welche Sie als vorzüglich trefflich auszeichnen, zu Hülfe durch eine kurze Erklärung. Ob aber diese nicht statt zu erklären umdreht? und ob sie an und für sich und abgesehen von Herrn Harms richtig ist, darüber erlauben Sie mir noch einige Worte. Das sich vorzugsweise halten und bilden am Wort erklären Sie durch das Vorherrschen des

8f Vgl. Harms: These 93 (Schriften 1,225) 11 f Vgl. Harms: These 94 (Schriften 1,225) 34-36 Vgl. Ammon: Arznei 24f (unten 439,34-440,17)

An

5

10

15

20

25

30

35

Ammon

31

Verstandes, und sagen daher, die reformirte Kirche lebe und wirke in dem Christenthum des Verstandes. Meint das aber Herr Harms? gewiß nicht: sonst könnte er sie gar nicht herrlich nennen, sondern müßte sie als unchristlich verdammen. Denn wenn man das Wort nur durch den Ver-|stand zum Herzen bringt - und ohne ans Herz zu kommen giebt 15 es doch wol kein Wirken? - so erkennt man den Erlöser nicht mehr an nach seiner 46sten Thesis. Und dem Sakrament gesellen Sie die äußere Handlung bei, und erklären so das vorzugsweise Halten am Sakrament durch das Christenthum der Anschauung, welches nicht den Verstand, sondern das Gefühl und die Einbildungskraft ergreift, um so den Geist zu erleichtern und das Herz zu bessern. Aber dadurch ist die Wirkung des Sakramentes in ihrem Unterschiede von der Wirkung des Wortes nach Herrn Harms Ansicht nicht erklärt. Denn auch das Wort muß, wenn es nun einmal gar nicht durch den Verstand soll, das Gefühl und die Einbildungskraft ergreifen, sonst sehe ich nicht wie es durch will; und also muß auch der reformirten Kirche dieses Ergreifen des Gefühls und der Einbildungskraft zu Gebote stehen, durch ihr vorzugsweise halten und bilden am Wort. Also Herr Harms kann mit Ihrer Erklä- 340 rung nicht zufrieden sein, denn sie trifft seine Distinction nicht, und ich möchte wohl wissen, wie er sich bei Ihnen dafür bedankt hat. Aber ist nun Ihre Erklärung an sich richtig? Zuerst, was schon Herr Sack der Harmsischen Ansicht vorgeworfen hat, als unprotestantisch, das findet sich auch in Ihrer Erklärung; daß nämlich die lutherische Kirche als gleich weit abstehend gesezt wird von der reformirten und von der katholischen, dieses ist in Ihrer Erklärung auch, indem Sie, ohne einen Unterschied zu machen, sagen, die Weiseren und Besseren aller drei Confessionen wären jezt schon innerlich und im Geiste gleichmäßig vereinigt. Ist das wirklich wahr? Giebt es für Sie keinen engeren Kreis des religiösen Denkens und Empfindens, in welchem Sie sich mit dem Reformirten vereinigen können, mit dem Katholiken aber nicht, sondern mit diesem nur in einem weiteren? Wenn Sie Ihr Verhältniß zum Erlöser, wie es in unserer Lehre von | der Gerechtigkeit durch den Glau- 16 ben ausgedrückt ist, auf das tiefste empfinden, können Sie da nicht dem Reformirten als dem Gleichgesinnten in einem Sinne die Hand reichen, in welchem Sie sie dem Katholiken nicht reichen können, auch nicht dem Weiseren und Besseren? - es müßten denn solche Weisere und

l f Vgl. Ammon: Arznei 24 (unten 440,3f) 4 - 7 Vgl. Harms: Thesen 26; Schriften 1,217 7 - 1 1 Vgl. Ammon: Arznei 24 (unten 439,37-440,2) 21 £ Vgl. K.H.Sack zu These 93: „Die reformirte Kirche wird also von einem lutherischen Pfarrer nur gleich gestellt der katholischen in ihrem Geist und Werth, und das Wort Gottes, was jene als ihre Grundlage anerkannt, nur dem Sakrament, das diese darbietet. Darüber, dagegen spricht die Geschichte." (Vereinigung 24) 25-28 Vgl. Ammon: Arznei 25 (unten 440,17-21)

32

5

10

15

20

25

30

35

An Ammon

Bessere Katholiken sein, die sich auch beklagen müssen, daß die gebietend ausgesprochenen Lehren ihrer Kirche mit ihrem eignen Bekenntniß nicht zusammenstimmen; aber das können Sie ja nicht meinen, hier, wo eben von den Kirchen die Rede ist. Also jenes wollen Sie mir wirklieh abläugnen, und behaupten, daß in Ihren weisesten und besten Augenblikken der Katholik Ihnen in religiöser Beziehung eben so nahe stehe als der Reformirte? Und auch auf die Vereinigung beziehen Sie das, und meinen, daß die Vereinigung der Lutheraner mit den Katholiken von derselben Bedingung abhänge, wie ihre Vereinigung mit den Reformirten? vollkommene Gemeinen und vollkommene Lehrer gebe man Ihnen, so ist die Sache gemacht, die eine wie die andere. Folgt aber daraus nicht, mein Theuerster, daß keine von den drei Kirchen eigenthümliche Vollkommenheiten vor den andern voraus hat, sondern jede 341 nur ihre besonderen Unvollkommenheiten, welche sie nur abzulegen brauchen, um dann gleich zur Vereinigung reif zu sein? So scheint es mir, allein Ihre Meinung scheint das nicht zu sein, denn die lutherische Kirche hat nach Ihrer Erklärung eigenthümliche Vollkommenheiten und die katholische auch, wenigstens schildern Sie uns keine Unvollkommenheiten an ihr, und nur die reformirte scheint sich mit eigenthümlichen Unvollkommenheiten begnügen zu müssen! Lassen Sie uns aber doch sehen, wie es um jene Vollkommenheiten steht! Alles will ich nicht durchgehen, sondern nur die Hauptpunkte. „Die lutherische Kirche [...] verbindet Glaube und Liebe durch die innige Gemein-|schaft 17 des Wortes und des Sakraments." Ich will ihr das gewiß nicht absprechen, aber ich frage nur, hat sie das vermöge dessen, wodurch sie sich von der reformirten Kirche unterscheidet? Ich nehme diese Frage sehr ernsthaft, Verehrungswürdiger; sie ist mir und gewiß sehr Vielen eine Gewissenssache. Denn wenn man gleich bei uns die Vereinigung beider Kirchen betreibt: so weiß ich doch meines Theils daß ich mich immer zu der theologischen Schule der Reformirten halten werde. Aber wenn Sie mir zeigen können, daß in dieser Schule als solcher ein solches Prineip ist, welches die innigste Gemeinschaft des Wortes und Sakramentes hindert oder abläugnet: so will ich mich wenigstens von dieser Schule sogleich zurükziehn, und mich alles dessen entwöhnen, was mir von ihr anklebt. Und dann auch wegen der Vereinigung, an der ich bis jezt aus der reinsten Absicht ganz unbefangen mitgearbeitet habe; aber besteht in der reformirten Kirche eine Trennung des Glaubens und der Liebe,

lOf Vgl. Ammon: Arznei 25 (unten 440,17f) 2 2 - 2 4 Ammon: Arznei 25 (unten 440,13f) 35 f Vgl. ζ. B. die von Schleiermacher verfaßte „Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30sten October von ihr zu haltende Abendmahlsfeier", Berlin 1817 (SW 1/5,295-307)

33

An Ammon

5

10

15

20

25

30

35

liegt diese in ihrem Geist, - mögen sich noch so viele Einzelne darüber erheben, weil sie den Geist ihrer Kirche nicht in sich tragen - so müßten wir ja die äußerste Vorsicht anwenden, um diese Trennung nicht unsern lutherischen Brüdern einzuimpfen; und könnte man den Grund des Uebels nicht entdekken, müßte aber das Uebel selbst zugestehen, so müßte ja wenigstens die Vereinigung unterbleiben, damit die reformirte Kirche allein in dieser unglüklichen Trennung bliebe. Doch damit hat 342 es keine Noth, die Punkte, worin „sich die reformirte Kirche von der lutherischen scheidet, sind so leicht zu übersehen, daß der Grund des Uebels sich unsern vereinten Bemühungen gewiß nicht entziehn wird. Also zeigen Sie uns nur das Uebel, weisen Sie uns nach in unsern Worten oder Werken, oder beiden, daß wirklich Glaube und Liebe bei uns, wo nicht ganz getrennt, doch minder innig verbunden sind, als in | Ihrer 18 Kirche, damit wir Reformirte das erst von uns thun vor unserer Vereinigung! Wissen müssen Sie es, und in meinem Namen und Vieler von Ihren und meinen Glaubensgenossen fordere ich von Ihnen den Beweis. Indessen bis Sie ihn geben, tröstet mich über den Vorzug, den Sie Ihrer Kirche zuschreiben, das andere Wort, „daß in der unvollkommenen streitenden Kirche auf Erden überall entweder das Gefühl oder der Verstand vorherrscht". Wenn also ich, der ich als Reformirter einmal zum vorherrschenden Verstände bestimmt bin, mich mit einem lutherischen Christen aufs innigste verbinde: so finde ich dann freilich nicht in ihm die absolute Einheit des Verstandes und des Gefühls, die der Harmsischen Gleichmäßigkeit des Wortes und Sakramentes entsprechen soll, denn die ist nirgends nach Ihren lezten Worten; sondern entweder in ihm herrscht auch der Verstand vor, und dann trösten wir uns mit einander, oder in ihm herrscht das Gefühl vor, und dann helfen wir uns einander aus. Aber wie? wenn in ihm das Gefühl vorherrscht, dann gehört er der katholischen Kirche; und wann der Verstand, dann der reformirten. Wie steht es also nach diesen lezten Worten mit der herrlichsten lutherischen Kirche? Sie ist eigentlich gar nichts, sondern einige sind katholisch und andere sind reformirt in ihr, und sie ist im Schwanken zwischen beiden; und eben in diesem Schwanken besteht ihr Vorzug. Sollte das Ihre Meinung sein, dann müssen Sie freilich die frühere Stelle um einiges mildern; aber dann können Sie auch wol nicht

11 unsern W o r t e n ] unsern W o r t e n ] herrscht"

14 t h u n ] thnn

20

vorherrscht".]

vor-

18-20 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 25 (unten 440,21-26) 23-25 Anspielung auf Ammon: Arznei 25 (unten 440,11-14) und Harms: These 94 (Schriften 1,225) 34f Oben 32,22-24 35-2 Vgl. These 95 (Schriften 1,225); Ammon: Arznei 24 (unten 439,32-34)

34

5

10

15

20

25

30

35

An Ammon

der lezten Harmsischen Thesis beipflichten, daß sich alles von selbst in die lutherische Kirche hineinbildet, sondern man müßte vielmehr glauben, daß sich allmählig alles aus ihr herausbilden wird, und daß diejeni- 343 gen in ihr, die wegen vorherrschenden Gefühls katholisch gesinnt sind, auch werden immer mehr wirklich katholisch werden, und Sie könnten dafür die Erfah-|rung anführen, daß wirklich die zur katholischen Kir- 19 che übergegangenen Protestanten fast alle aus der lutherischen gekommen sind, Stollberg, Schlegel, Müller, Schlosser, Werner, und Reformirte wollen mir nicht eben einfallen, und eben so wäre dann zu erwarten, daß die eigentlich wegen vorherrschenden Verstandes reformirt gesinnten Lutheraner würden reformirt werden. Allein daß das Ihre Meinung ist, kann ich doch auch wieder nicht glauben, wie denn ich für meine Person himmelweit von ihr entfernt bin, kann aber durchaus auch mir nicht das Räthsel lösen, worinn nach Ihrer Ansicht, wenn überall in der christlichen Kirche das Gefühl vorherrscht oder der Verstand, der Charakter der reformirten Kirche aber im Vorherrschen des Verstandes besteht, und der der katholischen im Vorherrschen des Gefühls, worinn dann nach Ihrer Ansicht der eigenthümliche Charakter und Vorzug der lutherischen Kirche bestehen soll, sondern ich erwarte die Auflösung allein von Ihnen. Ich wie gesagt denke mir die Sache gar nicht so; mir steht die katholische Kirche auf der einen Seite und die protestantische auf der andern, und der Unterschied der beiden Confessionen der protestantischen Kirche erscheint mir als eine Kleinigkeit im Vergleich mit jenem Unterschied. Auch finde ich es beiläufig gesagt gegen den herrschenden Gebrauch, und gegen das richtige Verhältniß, von der katholischen Confession zu reden neben den beiden protestantischen; denn die katholische Kirche hat keine Confession bei irgend jemand abgegeben, und wir können ihr keine andichten, sondern nur für die protestirenden Kirchen schikt sich dieser Ausdrukk. Wegen dieser Ungleichheit nun glaube ich auch, daß die beiden protestantischen Gemeinschaften ganz anders sich verhalten als Sie es darstellen, auch weit leichter unter sich zu vereinigen sind, als eine von ihnen mit der katholischen. Und darin glaube ich Luthern | auf meiner Seite zu haben. 20 Oder glauben Sie, wenn nach Luthers Wunsch auch katholische Theo- 344 logen nach Marburg gekommen wären, er sich mit diesen eben so leicht

32 zu] zn 6 - 8 Friedrich Leopold zu Stolberg konvertierte 1800, Friedrich Schlegel 1808, Adam Müller 180}, Johann Friedrich Heinrich Schlosser 1814, Zacharias Werner 1810 zum Katholizismus. 3 4 { Vgl. z.B. die Darstellung bei Johann Matthias Schroeckh: Christliche Kirchengeschichte seit der Reformation Bdl, Leipzig 1804, S. 430

An Ammon

5

10

15

20

25

30

35

35

über vierzehn solche Hauptpunkte würde vereinigt haben, und nur der fünfzehnte würde streitig geblieben sein? Ihnen hingegen erscheint dies ganz anders wegen der großen Unvollkommenheiten, welche Sie der reformirten Kirche nachsagen. Denn fast sagen Sie gar nichts gutes von ihr. Hält sie fest an geschlossenen Begriffen und an geometrischer Bündigkeit des Beweises, so ist das - bis auf das geometrische, was einmal für solche Gegenstände gar nicht paßt, und wovon ich auch nicht wüßte, daß es sich in der Zeit des mathematischen Philosophirens besonders in die reformirte Theologie eingeschlichen hätte - ein feiner Ruhm, den ich mir, wenn ich ihn gleich der reformirten Kirche ausschließend beizulegen gar nicht wage, doch von einem solchen Kenner gern gefallen lasse, wenn von dem Gebiet der wissenschaftlichen Theologie die Rede ist. Wiewol Sie es auch da schwerlich für einen Ruhm halten, indem Ihre Dogmatik sich mehr in einer skeptischen Auflösung der Begriffe, als in einer festen Schließung derselben gefällt. Allein hier, mein Theuerster, ist wol gar nicht von der wissenschaftlichen Theologie die Rede, sondern wie der ganze Zusammenhang zeigt, von der unmittelbaren Wirksamkeit zur Erleuchtung des Geistes und zur Besserung des Herzens; und da soll wol auch die Vorstellung von erstarrten Begriffen und geometrischen Beweisen mehr Schrekk und Abscheu erregen, als Lob und Bewunderung. Ich glaube aber nicht, daß Sie mehr demonstrative und gegen alles indemonstrable protestirende Predigten und populäre Lehrbücher finden werden in der reformirten Kirche als in der lutherischen. Dann „verschmäht die reformirte Kirche - verschmähn ist schon immer an sich ein tadelnder Ausdrukk - das | Be- 21 schauliche des Cultus." Das Beschauliche wol schwerlich, denn das kann etwas ganz innerliches sein, sondern nur das sinnlich wirksame; und auch das verschmäht sie nicht aus einem eigenthümlichen Widerwillen, sondern im ersten Eifer rottete sie es aus, vorzüglich weil sie sehr bescheiden sich selbst nicht traute, sondern alles, woran sich Aber- 345 glaube und falsche Frömmigkeit gehängt hatte, lieber der Sicherheit wegen gleich mit der Wurzel ausrotten wollte. Darum hat sie auch seitdem, zumal wo sie vom katholischen nicht nahe umgeben ist, und den Einfluß desselben nicht zu fürchten hat, manches davon wie Orgel und Kirchenmusik wieder angenommen. Ja sie könnte jezt nach Zwingiis eigner Lehre auch Bilder wieder aufnehmen, weil unter so veränderten

3 Sie] sie

10 reformirten] refor-/ten

3 - 6 Vgl. Ammon: Arznei 24 (unten 440,4f) 2 4 - 2 6 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 24 (unten 440,if) 3 5 - 2 Vgl. z.B. Zwingli: De vera et falsa religione, De statuis et imaginibus, Zürich 1525, S.428; CR 90,900,8f

36

An Ammon

Verhältnissen auch der Schein nicht mehr entstehen kann, als ob sie verehrt würden. Dann verschmäht sie „die lebendige Bewegung der Einbildungskraft und des Gefühls." Wie, Verehrtester, als Sie dies schrieben, ist Ihnen nicht Lavater eingefallen, der mehr als einer wegen seiner imaginativen Religion verschrieen wurde, und ist je auch nur der Gedanke aufgekommen, daß er gegen den Geist seiner Kirche gehandelt habe? Haben Sie nicht an Menken und Ewald und Krummacher gedacht? Sie werden sagen dies sind Einzelne; nun ja, es sind die ausgezeichnetsten und bekanntesten Einzelnen, an denen aber noch genug von gleicher Art hängen und gewiß für den geringen Umfang der reformirten Kirche nicht wenige. Haben Sie nicht an die ganze französisch reformirte Kirche gedacht, welche sich auszeichnet durch das Bestreben mittelst der Rede Fantasie und Gefühl zu ergreifen? Ja da Sie Calvins Institutionen rühmen, gestehe ich Ihnen, sie sind mir auch deswegen ein unschäzbares Buch, weil grade bei den verwickeltsten Materien Calvin nie unterläßt auf die damit zusammenhängenden religiösen Empfindungen Bezug zu | nehmen. Und was die „Starrheit und Strenge" be- 22 trifft, „welche der reformirten Kirche, wenn sie jemals herrschend werden könnte, wahre Duldung und Sanftmuth sehr erschweren würde," wie meinen Sie das? Da keine kirchliche Gewalt bei uns außerhalb der Grenzen eines Landes sich erstrekt, so ist ja das Herrschen der reformirten Kirche kein bloß möglicher Fall, der noch nicht statt gefunden hätte; sondern sie herrscht wirklich noch in den vier Kantonen, und sie hat lange geherrscht in Holland. Wenn Sie betrachten wie die Arminianischen Streitigkeiten geführt worden sind, und vergleichen sie, troz 346 des verschiedenen Ausganges, mit den kryptokalvinischen und anderen in der lutherischen Kirche, so werden Sie wol nicht sagen können, daß weniger Duldung und Sanftmuth bei jenen sei bewiesen worden. Denn daß man die Arminianer sich lieber zu einer besondern Sekte gestalten ließ, das können Sie nicht unduldsam und unsanft finden. Doch warum gehen wir nicht höher hinauf, und stellen gegen einander, wie gleich anfänglich beide Theile, was Sanftmuth und Duldung betrift, sich gegen einander verhalten haben. Sie haben ein Wort von Luther angeführt S. 20. was Sie lieber nicht sollten angeführt haben. Leidenschaftliche Worte großer Männer soll man eben so wenig aufregen als den schlafenden Löwen, sie können doch nur zerstörend wirken so oft sie erwachen. Und dieses konnten Sie um so ruhiger schlafen lassen, da doch Luther zwei Jahre später in Marburg milder war gegen die Refor-

2f Ammon: Arznei 24 (unten 440,6j) 13f Vgl. Ammon: Arznei 28, Anm.18 (unten 441,43) 17-19 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 24 (unten 440,8f) 23 Gemeint ist das Bündnis der Städte Zürich, Bern, Basel und Schaphausen. 33 f Vgl. unten 438,9-Ii

An

5

10

15

20

25

Ammon

37

mirten. Aber da Sie es einmal angeführt haben, so will ich Ihnen ein Wort von Z w i n g l i dagegen stellen, wo von derselben Sache gehandelt wird. „Nicht gern weichen wir ab von großen Männern, vorzüglich die jeziger Zeit so blühen und in solchem Segen schreiben, daß sie scheinen der Welt eine andere Gestalt gegeben zu haben. Das eine nur bitte ich, | daß was wir hier beibringen werden, sie nach der Regel betrachten mö- 23 gen, nach welcher wir allezeit ihre Schriften erwägen. Darauf allein nämlich sehen wir bei Lesung der Schriften Anderer, aus welcher Gesinnung der Verfasser scheine geschrieben zu haben; denn alle Absichten kommen in der Rede selbst an den Tag. Daher wo wir sehen etwas sei aus Liebe zu Gott und dem Nächsten geschrieben, da thun wir zu manchem die Augen zu 1 ." Dies sind wol die reinsten Grundsäze der wahren Duldung und Sanftmuth. Dieselben zeigen sich auch wol in der Art, wie die schweizerischen Theologen in Marburg Brüderschaft anboten und suchten, indem sie die lutherische Ansicht, nachdem man sich über die Hauptpunkte ausgesprochen hatte, nicht konnten für einen Irrthum ansehn, um dessentwillen die kirchliche Gemeinschaft konn- 347 te bedenklich sein, sondern nur, wie sie sich ausdrükken, für eine Schwachheit. Dieselbe Duldung und Sanftmuth finden Sie auch in der schweizerischen Confession, durch welche jene vergeblich hofften zu vollenden, was in Marburg unvollendet geblieben war. Wo bleiben also diese Einseitigkeiten und Unvollkommenheiten, welche Sie der reformirten Kirche zuschreiben? und wie wollen Sie das aufgestellte Verhältniß, daß die eine das Christenthum des Verstandes und die andere das Christenthum des Gemüthes sei, wol aufrecht erhalten? Herr Harms geht freilich noch viel weiter, denn wenn er gleich in der 87sten Thesis sagt, daß auch die reformirte Kirche auf der Bibel nach einer von ihr angenommenen Auslegung beruhe, so gut als die lutherische: so meint 1

Comment, de vera et falsa religione p. 195. tit. de sacramentis.

29 tit.] Abk. für titulus

29 sacramentis] sacramentia

13-15 Vgl. z.B. Johann Gottlieb Planck: Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs Bd2, Leipzig 1783, S. 511-516 1519 Quelle für Schleiermachers Darstellung nicht nachgewiesen 19-21 Vgl. ζ. B. die Angaben zur Confessio helvetica prior (1536) bei Schroeckh: Kirchengeschichte seit der Reformation Bd2, Leipzig 1804, 176-178 23-25 Vgl. Ammon: Arznei 24f (unten 440,311) 25-28 Vgl. Thesen 34; Schriften 1,224 29 Das verdeutschte Zitat aus Zwingli: De vera et falsa religione commentarius, Zürich 1525, 195 (CR 90,757,20-27) ist unwesentlich gekürzt.

38

An Ammon

er doch in der 82sten, die Vernunft habe die Reformirten gehindert ihre Kirche auszubauen, und die Vereinigung der reformirten Kir-|che mit 24 der lutherischen würde eine Aufnahme der Vernunft in die lutherische Kirche sein, ja nach Thes. 87. 88. 89. scheint es sogar, als wäre es die Aufnahme der Vernunftreligion, das heißt der von Vernunft oder Religion entblößten Religion. Freilich die schreklichste Sache! denn, wenn nun in die lutherische Kirche, die bis jezt die Vernunft noch nicht in sich aufgenommen hat, nun gar noch eine von Vernunft entblößte Religion aufgenommen wird: welche complicirte Unvernunft muß daraus entstehen! Oder wenn in die lutherische Kirche, die bis jezt die Vernunft noch nicht in sich aufgenommen hat, eine auch von Religion entblößte Religion aufgenommen wird, welche gänzliche Leerheit an Vernunft und Religion müßte daraus entstehn! Gestehen Sie mir, Herr Harms hat die rechte Thesensprache nicht in seiner Gewalt, und dem Wahren, was er meint, hat er nothwendig gar sehr geschadet durch die schielende Art, wie er es ausdrükt. Was die Ansicht von der reformirten Kirche betrifft, die hier ausgesprochen ist, so halte ich sie Herrn Harms gern zu gute. Er ist von seinem Eifer übereilt worden; er hat ohnedies schon einen schweren Stand gegen die Gleichgültigen und gegen die Unchristen, und so kann ich es ganz natürlich finden, daß er etwas 348 neues, wovon er nicht recht weiß ob es feindlich oder freundlich sein würde, sich gern vom Halse halten will. Und wie er einmal in Opposition steht mit der Altonaer Bibel, kann es ihm leicht begegnen, daß er in allem, was ihm unheimisch vorkommt, eine Aehnlichkeit mit dieser sieht. Er lebt in einem ganz lutherischen Lande, wo er in keine unmittelbaren Verhältnisse mit Reformirten kommt; und so kann ich ihm auch das gern zu gute halten, daß er die reformirte Kirche nur vom Hörensagen kennt, und auf diesem Wege zu einer unrichtigen Vorstellung von ihr gekommen ist. Aber Sie, einer der ersten unter den gelehrten | Theologen unseres Vaterlandes, Ihnen kann ich es so leicht nicht ge- 25 ben. Sie haben freilich dieses nicht nachgesagt; aber wenn Sie sich zu den Harmsischen Thesen in Pausch und Bogen als zu alten Wahrheiten bekennen: so hätten Sie doch der Wahrheit die Ehre geben sollen und Herrn Harms sagen, daß er sich hierin irre, daß der Protestantismus

10 lutherische] lutherische

1-4 Vgl. Thesen 33; Schriften 1,223 4f Vgl. Harms: Thesen 34; Schriften 1,224 5f Anspielung auf Harms: These 32 (Schriften 1,215) 22f Vgl. Harms: These 50-62 (Schriften 1,218-220) gegen „Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments nach der Uebersetzung D.Martin Luthers. Unter Zustimmung des Herrn Generalsuperintendenten Adler bearbeitet und herausgegeben von Nicolaus Funk" Altona 1815

39

An Ammon

der Reformirten eben so wenig Vernunftreligion sei als der Protestantismus der Lutheraner, und daß, wenn Luther nicht konnte zur Meinung der Schweizer übertreten in der Lehre vom Abendmahl, weil der Text ihm zu gewaltig war, aus eben dem Grunde Calvin sich nicht ent5 schließen konnte seine strengere Meinung in der Lehre von der Erwählung fahren zu lassen, weniger aus Consequenz und ihrer Schärfe wegen, sondern weil ihm der Text zu gewaltig war. Sie sollten ihm aus Ihrer besseren Kenntniß gesagt haben, die reformirte Kirche sei wol ziemlich eben so gut ausgebaut als die lutherische, und nach seinem 10 Sinne beinahe besser, weil verhältnißmäßig bei ihr in mehreren Gegenden die lezte Entscheidung in eigentlich geistlichen Dingen nicht bei Einem nichtgeistlichen steht, und auch in verhältnißmäßig mehrern Orten die reformirten Seelen sich wirklich ihren Pastoren wählen. Sie sollten ihm gesagt haben, daß er besser gethan hätte den Punkt mit der 15 Vernunftreligion lieber nicht aufzurühren, indem ein ohngefährer Ueberschlag das Resultat gebe, daß der sogenannte Rationalismus weit stärker und lauter in der lutherischen Kirche gespukt habe als in der re- 349 formirten. Oder werden Sie das nicht auch finden? Nachdem ich nun alle diese Ueberraschungen erfahren und sie mir 20 zusammengerechnet hatte, werden Sie es natürlich finden, daß ich nach einem Grunde fragte, daß ich mich und Andere fragte, wie es doch habe zugehn können, daß Sie so vieles hätten billigen können, was Sie nothwendig | anders und besser wissen müssen, und was auch mit Ihren 26 öffentlich dargelegten Ueberzeugungen streitet. Gewiß das Räthsel war 25 nicht leicht zu lösen. Soll ich nun mit der bisherigen Offenherzigkeit fortfahren, so darf ich Ihnen nicht bergen, Einige stellten die Vermuthung auf, es sei Ihnen über viele Dinge ein ganz neues Licht aufgegangen durch Herrn Harms, und in der dankbaren Freude darüber sei Ihnen nun dieses jugendliche begegnet, auch das zu loben was nicht füg30 lieh gelobt werden konnte. Das wollte ich mir natürlich nicht gefallen lassen, und entgegnete, daß Sie überhaupt nicht am wenigsten aber wol auf diesem Wege zu überraschen wären, daß Sie überhaupt das Christenthum und die christliche Kirche schon zu lange von allen Seiten betrachtet, zu übereinstimmend von der Kanzel, vom Katheder und vom 35 Schreibtisch auf sie gewirkt hätten, um zu entgegengesezten Ansichten so leicht überzuführen zu sein; sondern was überhaupt von den Thesen für Sie wahr sein könne, das stehe auch gewiß längst, wenn gleich in anderer Form, in Ihren Schriften, und könne also keinen so starken Eindrukk auf Sie gemacht haben, daß Sie durch jenes neue Licht verblen40 det nun auch das falsche in den Thesen eben so wahr fänden. Allein

9 - 1 3 Anspielung

auf Harms:

These 90.91 (Schriften

l,224f)

An Ammon

40

5

10

15

20

25

30

damit kam ich nicht auf: sondern jene entgegneten mir, es stehe so manches in Ihren Schriften in ziemlichem Widerspruch grade mit den Hauptsachen in unsern Thesen; und da Sie diese so sehr lobten, so müsse nothwendig eine Veränderung in Ihren Ueberzeugungen vorgegangen sein, und das ganz neulich. Und so könne es ja wohl sein, f u h ren sie in Ihren Bildern fort, daß auch Ihnen erst der Harmsische Spiegel gezeigt, wie Sie bisher gestaltet gewesen, und daß auch Ihnen aus 350 der stillen Wolke einiger derbe Hagel auf die nakten Stellen um Hals und Schultern gefallen sei. Denn sieh nur, sprachen sie zu mir, der Prüfer muß | doch auch mit einstimmen in den Unmuth der 24sten Thesis 27 darüber, daß man neuerlich den Teufel todt geschlagen hat und die Hölle zugedämmt. Aber noch in der neuen Dogmatik §. 72. ist der Teufel, wenn gleich nur in einer Anmerkung, aber die darf man in diesem Buche ja nicht vernachläßigen, eine poetische Sache, und §.73. ist es Herrn Ammon über allen Zweifel erhaben, daß das moralische Uebel aus natürlichen Ursachen muß hergeleitet werden, wogegen es nur die bekannte dritte Person Pluralis ist, welche §.71. die Lehre vom Teufel vorträgt. Also damals hat H e r r Ammon selbst den Teufel ein wenig todtgeschlagen und den Leichnam nur zu guten Absichten in Spiritus aufbewahrt. Aber nun ist es anders; denn niemand hatte es ihm noch so kräftig bewiesen als H e r r Harms, daß er sich eines Mordes mitschuldig gemacht. Eben so mit der Hölle, sie ist zwar §. 177. und 178. nicht gerade zugedämmt, aber sie hat doch eine bequeme Hinterthüre, zu der jeder wieder heraus kann, und das kommt gewiß Herrn Harms ziemlieh auf dasselbe heraus. Darum hat sich auch H e r r Ammon getroffen gefühlt, und ist in sich gegangen. Die 18te und 21ste Thesis, daß wenn der Begriff von göttlichen Strafen ganz verschwindet, Gott dann nicht einmal mehr Gerichtsdiener des Gewissens ist, und daß es weit schlechter ist sich mit der Vergebung der Sünden selbst bedienen, als sie sich Geld kosten zu lassen, können Herrn Ammon auch etwas hart getrof-

2 in] In

9 sie] Sie

22 177.] 177

6f Anspielung auf Ammon: Arznei 4 (unten 429,32f) 7 - 9 Vgl. Ammon: Arznei 3 f . J (unten 429,19.430,18f) 10-12 Vgl. Harms: Thesen 23; Schriften 1,213 12-14 Vgl. Ammon: „§.72. De origene, lapsu, domicilio et sorte diaboli. [,..)[Anm.] b) [...] Neque alienum erit, in re poetica excitare Miltonum, paradise lost, Book VI. tot." (Summa, 3. Aufl., 142) 14-16 Paraphrase aus Summa, 3.Aufl., 142 („Censura huius doctrinae.") 16-18 Anspielung auf Ammons Referat der „libri sacri" in §71 („De daemonibus doctrina biblica et ecclesiastica. Notio et existentia diaboli.") der Summa, 3. Aufl. (139f) 22-24 Anspielung auf Ammons Kritik der „doctrina ecclesiastica" von der Ewigkeit der Höllenstrafen und seine Empfehlung, sie als innere Folgen böser Handlungen neu zu interpretieren (vgl. Summa, 3. Aufl., 310-313). 26-30 Vgl. Harms: Thesen 22f; Schriften 1,213

An Ammon

5

10

15

20

25

30

41

fen haben. Denn wenn nach der neuen Summa §. 124. und 125. die Vorstellung von der Sündenvergebung nur ein Bild ist, wenn gleich kein Inhaltleeres, wenn die äußeren Folgen der Sünde nach verbessertem innern Gemüthszustand die Form der Strafe von selbst verlieren, wenn die Schuld durch Zunahme in der Tugend allmählig erlischt; wenn §.125. der thätige Gehorsam Christi nur als ein herrliches Beispiel wirkt, und die Schuld | nur durch den Glauben an des sterbenden Erlö- 28 sers Unschuld und Heiligkeit, welcher Glaube also ein herrliches Besse- 351 rungsmittel ist, allmählig hinweggenommen wird; wenn die Vertretung Christi nur auch den roheren die Zärtlichkeit des Erlösers vor Augen stellt: so kann man sich mit der Sündenvergebung ziemlich selbst bedienen, und kaum kann Harms etwas anders als eine solche Theorie gemeint haben. Aber so hat es Herrn Ammon noch niemand vorgestellt; und was früherhin alle orthodoxen Systematiker die Herr Ammon gründlich studirt hat, nicht bei ihm ausrichten konnten, das hat Harms mit seinen wenigen Stachelworten ausgerichtet; die alten Wahrheiten konnten ihm nur mit einem neuen Bliz ins Gemüth schlagen. Eben so die 45ste Thesis die es für muhamedanisch erklärt, Gott einen Sohn abzusprechen, weil er keine Frau habe, hat ihm gewiß zuerst Gewissens-· bisse darüber gemacht, daß er öfter in der Dogmatik den Mahomed ganz mit Ehren anführt. Aber dann vorzüglich muß es ihm doch als eine Analogie aufgefallen sein, daß er die Behandlung der Lehre von der Gottheit Christi damit angefangen, daß die Schriftsteller von Gottes Sohn u n d T o c h t e r redeten, und daß er sich nicht habe enthalten können die scherzhafte Anführung des Piaton, „und der Mann dünkte mich ein Gott zwar keinesweges, aber göttlich gewiß zu sein," mit welcher er in der ersten Ausgabe die ganze Trinitätslehre beschließend die scholastische Spizfündigkeit abwehren wollte, auch in die neue, wenn gleich nicht als seine Meinung doch aber recht geflissentlich, mit hinüber zu nehmen. Eben so die 74ste Thesis, viele tausende wären nicht

1 - 5 Paraphrase und verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 227 („§. 124. Remissio peccatorum vindicata.") 6 - 1 1 Paraphrase und verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 229 („§. 125. Respondetur addubitationes de satisfactione Christi. ") 16f Anspielung auf Ammon: Arznei 4 (unten 429,19-21) 18f Vgl. Harms: Thesen 26; Schriften 1,217 20i Vgl. z.B. Ammon: Summa, 3.Aufl., 45.49.208.305.313 22-24 Vgl. Ammon: „§. 54.2) Defilio dei: notio biblica. De filio, filiaue [...] numinis vbi verba faciunt scriptores, notionem etiam multiplicem vocabulo substemunt." (Summa, 3. Aufl., 104) 24-30 Das Zitat aus Piatons Sophista (216b) findet sich griechisch bei Ammon: Summa, l.Aufl., §55, Anm. b am Ende des Abschnitts „De trinitate Dei" als Einwand gegen „scholastica subtilitas" in der Lehre von der Vereinigung des Logos mit dem Leib Christi (86); in Summa, 3. Aufl. dagegen bereits §57 in der Lehre „De divinitate filii" als Beleg des Mißfallens antiker Philosophen am Gedanken der Apotheose (111). 30-2 Vgl. Harms: Thesen 31; Schriften 1,221 f ; Apg 19,2

42

5

10

15

20

25

30

An

Ammon

besser als jene Johannesjünger,'und könnten sagen, sie hätten noch nie gehört, daß es einen heiligen Geist gebe, kann H e r r n Ammon bange gemacht haben f ü r seine Schüler und Leser. Denn viel sicheres hatte er ihnen hierüber nicht gesagt. Die alte Dogmatik | weiß, wenn sie gleich 29 nicht leugnen will, daß der heilige Geist seiner N a t u r nach Gott ist, doch die Gründe f ü r seine eigene Existenz nicht zu finden, und den Geist der Heiligkeit von dem der Allmacht nicht zu scheiden, und wo es darauf ankommt den heiligen Geist zu zeigen in dem Werk der Heiligung, da lehren §.123. die „doctores ecclesiae" freilich, daß die wirk- 352 same Ursache der Heiligung allein der heilige Geist sei, aber die kritischen Bemerkungen §.126. 127. bezweifeln zwar, da alle menschliche Kräfte vom Wink der Gottheit abhängen, dieses nicht, daß auch Anfang und Wachsthum menschlicher Tugend auf den gnädigen Willen der Gottheit müsse zurükgeführt werden, allein das geschehe mittelbar und äußerlich, sagen sie, durch Unterricht und Beispiel und vielerlei Lebensfügungen, gar nicht weit ab von der Altonaer Bibel, gegen das unmittelbare aber werden allerlei Einwendungen gemacht und beantwortet, wonach es dabei bleibt, daß Vernunft und Gewissen selbst der Gottheit Kraft und Stimme seien, und also der Theologe auch das immer beibehalten könne, daß der geheiligte Zustand unseres Gemüthes ein Werk Gottes sei. Da verstekt sich also der heilige Geist wieder, es fehlt alle eigenthümliche Thätigkeit desselben, und so hat man freilich nicht recht sicher vernommen, ob es einen giebt oder nicht. Die neue Summa trägt zwar die kirchliche Lehre von der dritten Person ausführlicher vor, und enthält sich in dem ganzen O r t von der Dreieinigkeit der verfänglichen Ueberschriften „epicrisis" oder „observationes criticae", aber sie findet es doch auch noch wahrscheinlich, daß die heiligen Schriftsteller in Gott einen Unterschied von Leib und Seele angenommen §.58. und schließt damit, daß sie nicht gern möchte über die O f f e n b a r u n g hinaus weise sein, so daß sie uns von dem heiligen Geist ganz leise zu jener

1 Johannesjünger] Johannes jünger

2 Ammon] Amon

7 G e i s t ] Gaist

4 - 7 Paraphrase und verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, l.Aufl., 81 („§. 53. Doctrina ecclesiastica cum epicrisi.") 9 f Paraphrase aus Ammon: Summa, l.Aufl., lS9f („Doctrina ecclesiastica de sanctificatione.") 1 0 - 1 6 Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, l.Aufl., 192/(§ 126) 1 6 - 1 9 Paraphrase und verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, l.Aufl., 194 (§127) 1 9 - 2 1 Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, l.Aufl., 196 (§128) 2 3 f Vgl. Ammon: Summa, 3.Aufl., §39 (114f); l.Aufl., §53 (81 f ) 2 5 f Vgl. Ammon: Summa, 3. Aufl., §§51-61 (100-120), wo jedoch §53 eine „epicrisis" enthält (103) 2 6 - 2 8 Paraphrase aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 112 („De spiritv sancto: doctrina biblica.") 2 9 f Vgl. Ammon: „Parcendum itaque ingenio esse iudicamus, ne, dum vltra reuelationem sapere conamur, ipsis sacrae rationis vestigiis excidamus [...]. (Summa, 3.Aufl., 120; §61)

An Ammon

5

10

15

20

25

30

43

wahrscheinlich ursprünglichen Vorstellung von der Seele Gottes zu-| rükkführt. Von der Heiligung aber lehrt sie §. 132-134. ganz dasselbe, 30 daß der mit Vernunft begabte Mensch auch das Willensvermögen habe, die göttlichen Wohlthaten zu erwählen und zu begehren, und ist zufrieden dieses wenigstens herauszubringen, daß auch unser Verstand und H e r z von der Gottheit abhänge und ihr daher auch geheiligt sein müsse. Und, fuhren sie fort, wollen wir vielleicht die besondere Thätigkeit des heiligen Geistes in der Hervorbringung der heiligen Schriften aufsuchen: so nennt freilich auch die neue Summa in der Darstellung der kirchlichen Lehre vom göttlichen W o r t §. 137. die heiligen Schrift- 353 steller θεοπνεύστους und erklärt das äußere W o r t f ü r eine große Wohlthat Gottes, allein schon f r ü h e r war es ja in den „consectariis criticis" §.11. bei der Abfertigung der wenigen Anhänger der Theopneustie geblieben, daß der Begriff der Eingebung nicht ohne die größte moralisehe Gefährde auf die menschliche Seele könne angewendet werden, und §.12. war hinreichende Beruhigung darin gefunden, daß die heiligen Schriftsteller mit der reinsten Zuversicht ihre heiligen Meditationen auf der Gottheit Willen und Ansehn zurükgeführt, deren Zustimmung sie im Glauben gewiß waren, was denn ziemlich damit zusammenstimmt, was die deutsche Glaubenslehre §.12. Anm. vorträgt, die heiligen M ä n n e r selbst hätten das Wesen der O f f e n b a r u n g in der freien Reflexion gesucht, vernünftige und selbst gefundene Ideen und Lehren seien von Gott und seinem Willen gemäß. So verschwindet der heilige Geist auch hier wieder. Da mußte es also wol Herrn Ammon schlagen, daß er noch immer seine Zuhörer nicht weiter gebracht, als auf den Punkt, wo die dürftigen Johannesjünger auch standen, und er hat auf einmal gefühlt, daß es hohe Zeit sei sich inniger mit den symbolischen Büchern zu verbinden, und sich an ihre Sorge anzuschließen, damit das | feste biblische W o r t nicht könne gedreht werden. Ja, sprachen sie wei- 31 ter, auch die lOte Thesis gegen das Gewissen und die 34ste gegen die

10 137] 157

J f Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 239 („§. 132. Obseruationes criticae de hac doctrina.") 5 - 7 Paraphrase aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 241 („§. 134. Continuatio secunda") 9-11 Vgl. Ammon: Summa, 3.Aufl., 245 („Doctrina ecclesiastica de verbo Dei.") 11 f Paraphrase aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 248 („§. 139. De verbo externo et discrimine V. et N.T.") 12-15 Paraphrase und verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 22 („Consectaria critica de reuelatione et inspiratione.") 16-19 Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 25 („Continuatio.") 20-23 Fast wörtliches Zitat aus Ammon: Inbegriff der evangelischen Glaubenslehre, Göttingen 1805, S.25 26-29 Vgl. oben 27,1-3 30-1 Vgl. Harms: Thesen 21.24; Schriften 1,212.215

44

5

10

15

20

25

30

An Ammon

V e r n u n f t m u ß t e n ihn h a r t schlagen, der, wie s c h o n v o r h e r e r i n n e r t , V e r n u n f t u n d G e w i s s e n f ü r selbständige S t i m m e n G o t t e s e r k l ä r t hat, u n d §.138. allerdings sagt, d a ß V e r n u n f t u n d G e w i s s e n die g ö t t l i c h e R e g e l eigentlich in sich selbst lesen, u n d h e i ß t das n i c h t sie s c h r e i b e n sie? u n d d a ß die V e r n u n f t d a s ä u ß e r e W o r t n u r b r a u c h t , weil sie o h n e E r f a h r u n g n o c h n a k t ist, u n d also leicht verleitet w e r d e n k a n n . Je m e h r sie also sich selbst b e k l e i d e t mit E r f a h r u n g , u m d e s t o w e n i g e r w i r d sie d e s ä u ß e r e n W o r t e s b e d ü r f e n , s o n d e r n w i r d alles k ö n n e n in allem sein. U n d w a s f ü r S c h l e c h t i g k e i t u n d U n g l a u b e n d a r a u s e n t s t e h n m u ß , das h a t n o c h n i e m a n d H e r r n A m m o n so ans H e r z gelegt wie die H a r m s i s c h e n T h e s e n . D a r u m theilt er n u n stillschweigend das V e r d a m m u n g s - 354 u r t h e i l ü b e r alles A u f n e h m e n d e r V e r n u n f t in die R e l i g i o n ; d a r u m verw i r f t er n u n b e s o n d e r s die Parallelen aus d e m h e i d n i s c h e n , die d e n S e n t e n z e n d e r Bibel so ä h n l i c h s c h e i n e n wie ein Ei d e m a n d e r n , u n d die seiner D o g m a t i k so reichlich e i n g e s t r e u t sind; d a r u m v e r d a m m t er n u n die h i s t o r i s c h e A u s l e g u n g die d o c h so a u g e n s c h e i n l i c h in d e r D o g m a t i k d o m i n i r t , s o w o l in d e r A n l a g e d e r biblischen D o k t r i n als in d e n E p i k r i sen, er v e r d a m m t sie mit A u s d r ü k k e n die m a n , d a sie in d e n H a r m s i schen T h e s e n n i c h t stehn, a m liebsten bei J e a n P a u l s u c h e n m ö c h t e . U n d so w ü r d e es vielleicht n o c h lange f o r t g e g a n g e n sein in ä h n l i c h e n B e w e i s f ü h r u n g e n , d a ß Sie erst eben I h r e g a n z e A n s i c h t g e ä n d e r t h ä t t e n , u n d d a ß H e r r H a r m s das b e w i r k t h a b e ; allein d a m i r die g u t e n F r e u n d e v o n d e r 74sten T h e s e z u r z e h n t e n z u r ü k s p r a n g e n , u n d ich also bef ü r c h t e t e , es solle eine g a n z n e u e R e i h e a n g e h n , so u n t e r b r a c h ich sie, u n d versicherte, w e n n sie a u c h n o c h so viel solche Beweise h e r v o r b r ä c h t e n , w ü r d e n sie m i c h d o c h nie ü b e r z e u - | g e n , d a ß Sie n u r e b e n 32 durch H e r r n H a r m s ü b e r w u n d e n Ihre ganze theologische Ansicht geä n d e r t h ä t t e n . D e n n w e n n ich a u c h z u g ä b e , d a ß , i n d e m Sie die H a r m s i s c h e n T h e s e n m i t allem w a h r e n u n d h a l b w a h r e n u n b e d i n g t billigten, mit A u s n a h m e v o n ein P a a r Kleinigkeiten, die in dieser B e z i e h u n g n i c h t d e r R e d e w e r t h w ä r e n , Sie freilich vieles v e r d a m m e n m ü ß t e n in I h r e r lateinischen u n d d e u t s c h e n D o g m a t i k u n d M o r a l , u n d a u c h w o l in I h r e r biblischen T h e o l o g i e , w e n n wir die a u c h n o c h d u r c h g e h n wollten: so h ä t t e n Sie e n t w e d e r dieses nicht b e m e r k t , weil I h r H a u p t a u g e n m e r k

l f Vgl. oben 42,18f 3-6 Paraphrase aus Ammon: Summa, 3.Aufl., S.247 („De verbo Dei naturali et rationali.") 11 f Vgl. Ammon: Arznei 9 (unten 432,21-31); Harms: These 9.32f.41.45.47 (Schriften 1,211.215-217) 12-19 Vgl. Ammon: Arznei 11 (unten 433,18-30); zu den Anspielungen auf dessen dogmatisches Verfahren vgl. ζ. B. den Auszug aus Summa, 3.Aufl. in KGA 1/7.3,211-221 30f Vgl. Ammon: Arznei 12.14f.17 (unten 434,6-9.435,4-23.436,37-437,2) 31-33 Vgl. obenAnm. zu 24,9.15-17.21.43,20-23 sowie Ammon: Entwurf einer reinen biblischen Theologie, 2 Bde, l.Aufl., Erlangen 1792; Biblische Theologie, 3 Bde, 2. Aufl., Erlangen 1801-1802

45

An Ammon

5

10

15

20

auf etwas anderes wäre gerichtet gewesen, oder Ihre Sinnesänderung könne nicht so neu sein, sondern älter, und müsse auch schon irgendwo dem gelehrten oder dem größeren Publikum vorgelegt sein, und wir müßten nur mehr vielleicht auf Ihre deutschen Werke, auf Ihre neueren Predigten sehn, um die erste Aeußerung dieser großen Veränderung zu finden. Denn wenn Sie wirklich zu der theologischen Ansicht übergegangen wären, die bei H e r r n Harms zum Grunde liege: so sei das einzige eines solchen Mannes würdige, dies gradezu zu bekennen, seine 355 frühere Ansicht selbst zu widerlegen, und alle in dem früheren Sinn geschriebene Werke, außer sofern sie als geschichtliche Dokumente immer einen nur desto größeren Werth behalten, förmlich zu widerrufen. Ein Mann der nur ein klein Licht in der Kirche sei, könne sich wol in der Stille umwenden von diesem zu jenem System, ein Mann von einem solchen Ansehn wie Sie, dürfe das aber keinesweges. Wer also behauptete, es sei nicht nur aus Mangel genauer Sichtung des mehr dogmatischen von dem mehr kirchlichen, daß Sie schienen vieles anzunehmen, was mit Ihren früheren Aeußerungen im Widerspruch stehe, der solle mir wenigstens nicht zumuthen zu glauben, daß Sie in der P r ü f u n g zum erstenmal in diesem Sinne aufgetreten wären, sondern er müsse | mir ir- 33 gend anderswo in Ihren Werken den Uebergang mit dürren klaren Worten nachweisen.

Da nahmen mir aber Andere das Wort, weil sie sahen, d a ß ich schwankte, sie selbst aber ihrer Sache gewisser zu sein glaubten, und entgegneten, Das sehe ja freilich auch ein Kind, daß Sie nicht d a f ü r an25 gesehen sein wollten, in der P r ü f u n g der Thesen zum erstenmale als ein Supranaturalist und strenger Orthodoxer aufzutreten, sondern Sie nähmen es als eine bekannte Sache an. Der ganze T o n in dieser Schrift sei ja offenbar nicht der eines Mannes, der selbst vom Hagel getroffen worden, und den die getroffenen Stellen noch schmerzten, sondern ei30 nes solchen, der schon vorher zur rechten Zeit untergetreten ist, und nun kein Mitleiden hat mit dem unvorsichtigen leichtsinnigen Volke, das, ohne auf den Unterschied der Jahreszeiten zu sehen immer noch in windigen Kleidern geht, und zu seinem größten Schaden der Hagelwolke T r o z bieten wollte. Sie redeten ja von der Bekehrung der Ratio35 nalisten in der lutherischen Kirche, gegen die am Ende die armen Zwinglianer und Calvinisten noch wahre Glaubenshelden sind, als von einem Geschäft, woran Sie bekanntlich schon längst mit allen evangeli-

15 f d o g m a t i s c h e n ] d o m a g t i s c h e n

2 7 - 3 4 Anspielung aufAmmon: 18 (unten 437,10-13)

Arznei

26 Sie] sie

5 (unten 430,17-19)

34-1

Vgl. Ammon:

Arznei

46

5

10

15

20

25

30

35

An Amman

sehen Lehrern auf das emsigste gearbeitet hätten. Sie trügen es ja gar nicht als eine neue Ansicht vor, daß das θειος άνήρ wobei die alte 356 Summa fürchtete landen zu müssen, nicht genüge, daß man Jesum für einen göttlichen Menschen halten, und dabei ein Muhamedaner sein könne, und dabei also auch, wie Muhamed, aus Unglauben an den Sohn Gottes auf immer von der Theilnahme an den Wohlthaten des Evangelii, und zwar ganz mit Recht, abgeschnitten bleibe, sondern das träte so ganz beiläufig hervor, als ob es in allen Ihren Lehrbüchern selbst schon längst eben so scharf und streng gestanden hätte. Also darin hätten jene offenbar unrecht, daß Sie jezt erst durch Herrn Harms diesen Ansich-|ten zugewendet worden; nur sei ich auch mehr 34 als wunderlich, daß ich das so ernst und streng nehme, und einen offenkundigen Widerruf von Ihnen begehre. Ob man nicht eben so gut die entgegengesezte Maxime aufstellen könne, ein kleines Kirchenlicht sei freilich in der glüklichen Lage, wenn es seine theologischen Ansichten wechsele, mit der Wahrheit grade herausgehn zu können, und das sei ja weit bequemer; ja ohnstreitig viel leichter seine eigenen Lehrbücher abzusezen, und entweder ein neues auszuarbeiten, oder sich zu irgend einem fremden zu bekennen, als sie so künstlich umzuarbeiten, und in allen seinen Schriften so allmählig umzulenken, daß niemand recht merken könne, was geschehen sei, oder daß der Eine denken könne, es sei etwas geschehen, der Andere es sei nichts. Aber ein Mann in Ihrer Lage sei doch einmal zu einem solchen Verfahren genöthigt, auf einen Posten gestellt wie der Ihrige, zwischen diesen Streit der Rationalisten und Supernaturalisten, jezt wo alles eine große Neigung verrathe zu den strengern Offenbarungstheorien zurükzukehren, was sei da wünschenswerther und nothwendiger, als sich so zwischen beide Partheien zu stellen, daß man beiden scheinen könne anzugehören, der einen durch das alte was man nicht wegwischt, der andern durch das was man künstlich an andern Stellen einschiebt. Du, das wissen wir wol, so fuhren sie fort, gehst mit einer andern Art um, den Streit zwischen Rationalisten und Supernaturalisten, wo nicht auszugleichen, doch wenigstens zu zeigen, daß er für Dich nicht vorhanden ist; aber das ist nun Deine Art, von dem sie sagen, daß er immer etwas eigenes haben wolle, 357 und Du wirst am Ende doch nichts damit ausrichten, als daß Du Dich bei beiden Partheien in übles Geschrei bringst; die Ammonsche Art

2 άνήρ] άνήρ

2f Vgl. obenAnm. zu 41,24-30 3-7 Vgl. Ammon: Arznei 21 (unten 438,18-23) 23 f Anspielung auf Ammons Funktion als leitender Geistlicher (Erster Konsistorialrat) der lutherischen Kirche des Königreichs Sachsen

An

47

Ammon

aber ist ganz darauf angelegt es beiden Partheien recht zu machen, und zugleich ihren Streit so zu | verwirren, daß sie sich fragen müssen, ob sie auch selbst recht wissen, was sie wollen. Und diese Manier, wenn nicht irgend ein unbescheidener und ungeschliffener Mensch dazwischen kommt, was doch in diesen milden Tagen, und gegen einen solchen Mann, gar nicht erwartet werden kann, ist unfehlbar. Wenn wir Dir denn, fuhren sie fort, wie Du ja etwas einfältig bist in solchen Dingen, das ganze Kunststükk aufdekken sollen: so schlage nur auf die Vorrede zur neuen Summa. Hier findest Du auf der einen Seite eine Rükweisung von der Vernunft, als welche in allgemeinen Begriffen den Inhalt der göttlichen Wahrheit nicht erschöpfend darlegen könne, auf die Schrift, und Du meinst also eine Theorie zu haben, nach welcher die Offenbarung einen eigenthümlichen Inhalt hat; allein indem nun am Ende der Verfasser sagt, er sei ganz seinen alten Principien treu geblieben, und Dich so in die Vorrede zur ersten Ausgabe hinleitet, so liesest Du denn, „Das positive verhalte sich zu den allgemeinen Begriffen nur wie das Einzelne und Besondere, es enthalte nur theils Erläuterungen durch Beispiele und Thatsachen, theils Mittheilungen durch Dazwischenkunft weiser Menschen an solche, die dasselbe durch Anleitung der Vernunft und der Natur der Dinge noch nicht gefunden." Und nun wäre es ja wunderbar, wenn nicht beides zusammengenommen der Supernaturalist so, und der Rationalist wieder so auslegen könne, zumal jeder noch einige Redensarten findet, die besonders für ihn da sind. Freilich kann so auch jeder beides gegen sich auslegen, aber dafür werden der Ruhm und die Freunde des Verfassers schon sorgen, daß das nicht geschehe. Du liesest ferner in der neuen Vorrede, die Ausgabe sei

6 Dir] dir

7 D u ] du

9 D u ] du

12 D u ] du

15 Dich] dich

16 D u ] du

8 - 1 2 Vgl. Ammon:„Summopere tarnen cauendum est, ne ea, quae nostrae rationi adblandiuntur, propterea statim rationi summae adeoque diuinae vnice consentanea esse, et cogitationibus vniuersis, in ideas tenues atque nudas desinentibus, omne veritatis coelestis argumentum absolut putemus [...]. Positis itaque fundamentis logicis atque psychologicis, quibus nulla cognitio hominum idonea carere potest, theologus Christianus animum aduertet ad argumentum scripturae sacrae, qua Deum inueniet, non qualis ab otiosis cogitatur, fingitur, vel a parabolanis voce tribunicia esse iubetur, sed qualis vere est, qualis fuit, quomodo creatorem, ducem, parentem se generi humano exhibuit, qualem se in conscientiae agone, in fortuna ancipiti, in vltimo vitae discrimine futurum esse mortalibus promisit". (Summa, 3. Aufl., V i f ) 13-15 Vgl. Ammon: „Spero tarnen fore, vt lectores me mihi atque principiis disciplinae olim propositis constitisse videant, quare primae editionis praefationem hie repeti non facile improbabunt." (Summa, 3. Aufl., XII) 16-20 Paraphrase und verdeutschte Zitate aus Ammon: Summa, 3. Aufl., XVIIf 26-3 Vgl. Ammon: „Distractis fere editionis secundae exemplis libellum per otii academici opportunitatem olim conscriptum atque emendatum ad nouas curas reuocaui eumque tum singulis obseruationibus, ex historia maxime et theologia antiquiore depromtis,

48

5

10

15

20

25

An Ammon

nur bereichert durch, einige Anmerkungen aus der Geschichte und altern Theologie, und durch einige Paragraphen, welche die gehörige Reihefolge und O r d n u n g der Lehre noch | zu erfodern schien. Was nun 36; 358 die Anmerkungen betrifft, so hast Du selbst schon an der über die symbolischen Bücher ein Pröbchen davon angeführt, was f ü r Wirkungen sich versuchen lassen auf diesem Wege. Was aber die Paragraphen betrifft, so versuche nur gleich die ersten neu hinzugekommenen §.27. und 28. Da findest Du zwischen die Paragraphen von der Glaubensregel und von den Mysterien eingeschoben eine Auseinandersezung über den Supernaturalismus den nicht vernünftigen und den vernünftigen. N u n die natürliche Reihefolge und O r d n u n g der Lehre hätte wol erfodert, daß dies bei der Lehre von der O f f e n b a r u n g wäre eingeschaltet worden; aber dann hätte dort nicht alles so bleiben können, wie schon gesagt worden ist, daß alles beim alten geblieben sei, nämlich daß die Lehren der biblischen Schriftsteller auf eigenen Meditationen beruhen. Was steht nun aber in dieser Auseinandersezung? Der irrationale Supernaturalismus wird verworfen. Das ist etwas f ü r die Rationalisten. Aber worin besteht er? Darin, „daß nichts in der christlichen Theologie f ü r wahr angenommen wird, was nicht mit eben soviel Worten in der Schrift steht." Und so werden wir auf einmal auf einen der jezigen Zeit ganz fremden Streitpunkt gebracht, und auch unsre Supernaturalisten lassen sich gern gefallen, daß dieser Irrationalismus, an dem an und f ü r sich noch nichts supernaturalistisches ist, verworfen werde. Im folgenden Saz wird dann der Rationalismus, der darin besteht, daß der ganze Inhalt der Schrift auf die Uebereinstimmung mit der Natur der Dinge und mit dem höchsten Ausspruch der Vernunft zurükkgeführt werde, seinerseits auch verworfen, weil nämlich die Vernunft ihre Kenntniß Gottes nur von Gott selbst nehmen solle; und dagegen wird der ratio-

4 D u ] du

8 D u ] du

tum aphorismis nonnullis, quos doctrinae series atque ordo adhuc desiderare videbatur, locupletare studui [Anm.: Accessere paragraphs 27.28.56.57.85]." (Summa, 3.Aufl., III) 4 - 6 S. oben 27,26-28 7-10 Vgl. Ammon: Summa, 3. Aufl.: „§.26. De regula fldei." (50-52), „§. 27. De supranaturalismo non rationali."(53f), „§. 28. De supranaturalismo rationali." (5 5ß und „§. 29. De mysteriis. "(57f) 13-15 S. oben 43,16-24 16f Vgl. Ammon:„Neque tarnen defitere viri sapientes atque pii, qui contra monerent, veterem hunc esse Rabbinorum errorem e sanae philosophiae ignorantia, abusu et odio haustum; idoneam librorum sacrorum interpretationem sine regulis hermeneuticis, cogitari non posse; modestum Talionis vsum α Christo et apostolis multis modis commendari [...]; veritatem esse vnam, atque indiuisam, contrariamque sententiam σκέψιν et atheismum fouere [...]; quid quod ipsam reuelationem hac lege dubiam et inutilem reddi et contra aduersarios defendi non posse [...]. " (Summa, 3. Aufl., 53; §27) 18-20 Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 53 (§27) HS Paraphrase und verdeutschte Zitate aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 55 (§28)

An Ammon

5

10

15

20

25

30

49

nale Supranaturalismus förmlich und ausdrüklich angenommen, welcher nämlich behauptet, „daß die Offenbarung | Gottes durch Christum 37 zwar der gesunden Vernunft im mindesten nicht widerspreche, aber wegen des immensen Umfanges der göttlichen Wahrheit weit über sie hinausgehe." Das klingt freilich sehr entscheidend, und nun müssen die Supranaturalisten, nur Herr Harms freilich noch nicht, Herrn Ammon 359 vollkommen zu den ihrigen zählen; und da er seine Grundsäze nicht geändert hat, so hat er also auch gewiß schon lange mit ihnen an der Bekehrung der Rationalisten durch die lateinische und deutsche Dogmatik gearbeitet, sie haben es nur so recht nicht gemerkt, und er hat immer in seinem Herzen den Stolz des Rationalismus verworfen, nur hat er es nicht so laut gesagt. Es ist nur schön, daß die Reihefolge der Lehre erforderte, hier zu sagen, daß man durch die Licenz des Rationalismus die der göttlichen Offenbarung schuldige Achtung verleze, und daß der Stolz desselben schon längst von den symbolischen Büchern verdammt sei, um so mehr als sich in der Folge auch nicht die mindeste Spur davon findet! Und darum denke ich auch, die Rationalisten werden sich allmählig erholen von dem heftigen Schlage. Sie halten sich zunächst an das, was in der Vorrede über das Verhältniß des positiven zum allgemeinen gesagt ist; sie ahnden schon etwas gutes aus der Aeußerung, daß auch der wahre Deismus nicht der Philosophie sondern der christlichen Religion seinen Ursprung verdanke, und denken, ob nicht am Ende dieser allein es sei, was so weit über die menschliche Vernunft hinaus geht. Es sollen freilich auch Lehren von Christo und dem durch ihn zu erlangenden Heile sein, die weit über die Vernunft hinausgehn; aber wenn sie diese nun aufsuchen, so werden sie finden, daß Herr Ammon zwar den Stolz des Rationalismus verwirft, aber die Demuth desselben noch liebt. Wenn nur der Rationalismus nicht hervortritt in allgemeinen übermüthigen Säzen; | wenn nur durch solche 38 die Achtung gegen die göttliche Offenbarung nicht verlezt wird! zieht er sich aber in die einzelnen Lehren zurükk, so läßt Herr Ammon ihn sich schon gefallen. Denn was geht doch nun in der Lehre von Christo, wie Du sie auch in der neuen Summa findest, so weit über die Grenzen der Vernunft hinaus? Die Anmerkung aus der Geschichte doch nicht,

8 - 1 0 Vgl. oben Anm. zu 45,34-46,1 1 3 - 1 6 Verdeutschte Zitate aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 55 (§28) 21 f Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 55 (§28) 2 4 - 2 6 Paraphrase aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 55 (§28) 3 2 f Vgl. Ammon: Summa, 3.Aufl., 183-202 (§§97-108) 3 4 - 6 Vgl. Ammon:„§. 97. Iesum Nazarethanum fuisse hominem. [.. ,][Anm.] a) Deum esse, germana pietate colendum, ludaei docent, Muhamedani et Christiani; in hac fide autem excolenda et in imas medullas conuertenda ludaei Mosen, Muhamedani vatem suum [...], Christiani Iesum sequuntur. ,Ici (au tombeau de I. C.) les plus hautes

50

5

10

15

20

An

Ammon

die uns Jesus mit Moses und Mahomed zusammenstellt, und ihn nur durch die empfindsame Sentenz von Chateaubriand auszeichnet, welche Herr Ammon gern an die Spize aller Christologie sezen möchte, 360 „daß an dem Grabe Christi auch die höchsten Wahrheiten des Glaubens sich herabzulassen und auch den einfachsten Gemüthern fühlbar zu werden scheinen?" Doch nicht die unbestimmte Aeußerung, bei welcher die Kritik landet, „daß das Wort, welches in Jesu war, vom Himmel gekommen sei?" Doch nicht die großmüthige aber doch nur provisorische Schonung gegen die stachlige kirchliche Lehre von der Person Christi? Doch nicht das Resultat der Untersuchung über sein prophetisches Amt, in welchem zulezt die andern alle zusammen laufen, „daß Jesus, der so vieles durch Lehren ausgerichtet, mit bewundernswürdigen Einsichten und Kräften von Gott ausgerüstet gewesen sei?" Das kann ja jeder Rationalist noch zugeben! Und eben so wenig geht über die Vernunft hinaus, was die Andern schon erinnert über die Lehre von der Sündenvergebung und Rechtfertigung! Aber in der Lehre von der Dreieinigkeit da finden sich wichtige Veränderungen die zweite Person betreffend. Da fehlt §.55. das Bedenken, welches die alte Summa §.50. aufstellte, daß bei den heiligen Schriftstellern selbst die Keime verschiedener Lehren sich zu finden scheinen, und die Ueberzeugung tritt an die Stelle von vielen Bibelstellen unterstüzt, daß die heiligen Schriftsteller dem Sohne ausdrüklich göttliche Namen, Ei-|genschaften, Werke 39 und Ehre beilegen; die folgenden Paragraphen enthalten sich der bedenklichen Ueberschriften, kirchliche Lehre und kritische Bemerkun-

verites de la foi semblent s'abaisser et devenir sensibles aux coeurs les plus simples. 'Chateaubriand, les martyrs, a Pans 1809. III, 17. Digna omnino sententia, quae Christologiae in vniuersum praefigatur." (Summa, 3.Aufl., 184) 7f Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 186f („§. 99. Continuatio doctrinae critica.") 8 - 1 0 Vgl. Ammon: „§. 103. Obseruationes criticae. Hanc vero ecclesiasticam doctrinae subtilitatem adeo miramur, vt, formas receptas non graui quidem auctoritate retinendas [...], sacrae tarnen siluae, licet spinis et difficultatibus obsitae, etiamnum parcendum esse [...], facile opinemur. [...] Teneamus itaque sine omni cauillandi studio, hanc doctrinam adacuendum ingenium, ad antiquitatis Christianae reliquias seruandas, et pietatis, quae naturae Christi diuinae consideratione alitur, semina fouenda, ita tarnen, vt diligentiorem huius articuli expositionem, qua omnino propter grauissima, quae ex ea fluunt, consectaria carere non possumus, magis scholae discamus, quam vitae." (Summa, 3. Aufl., 193f) lOf Vgl. Ammon in Summa, 3. Aufl., §106 über das officium regium Christi, wonach „/...] concedatur, in prophetae nomine totum opus seruatoris inesse, et officium regium aprophetico non nisi sono differe[...]."(198) 1 1 - 1 3 Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 195 („§.104. De officio Christi, primum prophetico.") 15f S. oben 40,26-41,13 1 8 - 2 3 Paraphrase der abschließenden Frage Ammons in Summa, l.Aufl., 77 („§. 50. Doctrina biblica de Iesu Deifllio. ") und der sie ersetzenden Passage des sonst wesentlich gleichlautenden §55 der 3. Aufl. (107) 2 3 - 1 Anspielung auf die von Ammon in Summa, 3.Aufl., §§ 56f 59 (108.110.114) vorgenommene Neubetitelung der inhaltlich entsprechenden §§51.53 der l.Aufl. (78.81) über die Gottheit Christi und den heiligen Geist

An

5

10

15

20

25

30

Ammon

51

gen, welche freilich bei einem solchen Artikel zu leicht können heterodox gedeutet werden, und es wird ausdrüklich zugegeben, daß die Bibel diese ganze Lehre von Christo nicht allegorisch sondern höchst ernsthaft vortrage, und daß die wichtigsten Wohlthaten daran hängen. Hiedurch sind nun schon die Supranaturalisten gewonnen, und merken es nicht, daß hernach in der Lehre vom Erlöser und von der Heilsordnung so gar wenig auf die höhere Natur Christi gerechnet wird. So lavirt das Schiffchen! so schlüpft der Aal! Ist es nicht ein herrliches Kunststükk, die Supranaturalisten durch wohlangebrachte allgemeine Aeußerungen zu befriedigen, und die Rationalisten im einzelnen, wo es weniger be- 361 merkt wird, aber dafür desto reichlicher zu entschädigen für den scheinbaren Verlust? Und nur wer das nicht gemerkt hat, kann glauben, daß Herr Ammon in der Prüfung zum erstenmal als rechtgläubiger symbolischer Theologe auftreten wolle. Nur freilich, fuhren sie fort, eine Fortsezung dieses einlenkenden Verfahrens ist die Prüfung, und zwar eine etwas rasche; der Mantel gegen die Sturm- und Hagelwolke aus Nordwesten ist so dicht als möglich zugezogen, die festeste Anhänglichkeit an die Symbole tritt hier laut und im einzelnen hervor, das Augsburgische Bekenntniß wird der Bibel gleich gestellt, und Herr Ammon sieht diejenigen tief unter und hinter sich, welche Jesus und Mahomed nicht gar weit von einander stellen, ja er darf so strenge sein, daß er auf jeden Latitudinarier mit einer festen Verachtung herabsieht. Die Beschuldigungen des Rationalismus sind dreist und hart, aber sehr wohlbedächtig von solchen Punkten hergenommen, die man in den früheren Aeußerungen nicht unmittelbar nachweisen | kann. Daß der Zeit- 40 geist ein Geist des Lichtes und der Vollkommenheit sei, daß die moralische Religion die einzige versöhnende und veredelnde sei, daß man nicht so eigentlich wissen könne, ob Gott sei, daß der Eid gotteslästerlich sei, daß periodische Ehen das Familienglükk begründen würden, das kann man aus den rationalistischen Winkeln der Ammonschen Dogmatik nicht herausklopfen, das haben aber auch die rationalistischen Theologen nicht behauptet, und in dem Bilde renommistischer Novaturienten werden sie sich auch eben nicht wieder erkennen. So

22 Latitudinarier] Latidudinarier

2-4 Paraphrase und verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 111 („§. 57. Summa huius doctrinae grauitas.") 16 f Zur Anspielung vgl. oben Anm. zu 40,7-9 17 f Vgl. Ammon: Arznei 11.13.17.19.31 (unten 433,33f.434,36/.436,40f.437,35-37.443,8-13) 18f Vgl. Ammon: Arznei 23 (unten 439,16-18) 19-22 Vgl. Ammon: Arznei 21f (unten 438,23-35) 25f Vgl. Ammon: Arznei 4 (unten 430,1f) 26f Vgl. Ammon: Arznei 5 (unten 430,25f) 27-29 Vgl. Ammon: Arznei 7 (unten 431,14/21.25-27) 32f Vgl. Ammon: Arznei 13f (unten 434,35/435,4-12)

52

5

10

15

20

25

30

An

Amman

wie, wenn gesagt wird, die scharfe Vernunft des einen sei in der T h e o logie hektisch, die betrunkene des andern taumelnd, und die träumende des dritten mit süßem Wahnsinn behaftet, sie denken werden, dies gelte nur Einzelnen abgeirrten; aber die Nothwendigkeit, daß die Denkungsart in eine von diesen Verwirrungen führe, brauchen sie nicht zuzugeben. Also können sie sich auch diesmal noch trösten, ja sie finden gewisse allgemeine Aeußerungen, an denen sie sich sogar aufrichten können, wenn doch H e r r Ammon hier „unerörtert lassen will, wie sich das geschriebene W o r t zu dem erleuchteten Gewissen verhalte;" denn wie 362 er es sonst erörtert hat, wissen sie ja. Du siehst also, so endeten sie, wie sich dieses verhält. D a ß H e r r Ammon allerdings einer andern Maxime gefolgt ist, als die Du allgemein geltend machen möchtest, daß er uns allmählich mit seiner Sinnesänderung bekannt machen wollte, und sich durch frühere andeutende Aeußerungen das Recht erworben hat, jezt schon als ein alter Theilnehmer dieser Denkungsart aufzutreten. Und gestehe nur, wenn er es nothwendig hielt, jezt mit einem bestimmteren und schärfer ausgesprochenen Bekenntniß hervorzugehn, wenn ihm zwekkmäßig schien jezt frei und laut zu sagen, daß das Augsburger Bekenntniß sein Panier sei, von dem er eben so wenig als von der Bibel jemals | weichen wolte, sei es nun weil die Erfahrung fest steht, daß die 41 Kirchen der Vernunftprediger leer werden, oder weil das Volk nicht zufrieden sein kann mit Obercommissarien der Kirche, die dem neuen Glauben zugethan sind, oder aus welchem Grunde sonst: so konnte er dies auf keine glänzendere Weise thun, als durch ein solches Anschließen an die Harmsischen Säze. N u r ist zu besorgen, daß die Veranlassung zu diesem Entschluß nicht die angenehmste gewesen, indem unverkennbar die ganze Schrift eine verdrüßliche Reizbarkeit eine üble Laune verräth, welche des Mannes sonst ebenen und ruhigen Stil auf eine wunderliche Weise in die H ö h e geschraubt und in die Quere gezogen hat.

Sehen Sie, Theuerster, dieses alles habe ich meiner einfältigen Rathlosigkeit wegen anhören müssen, und es ist vielleicht noch einfältiger, daß ich es Ihnen wieder sage. Aber das ist nun einmal, zumal in so allgemeinen Angelegenheiten, meine Weise, von der ich nicht lasse. 35 Strafen Sie mich nur nicht so, daß Sie mich fragen, wer denn die Leute

29 Quere] Queere 1-3 Vgl. Ammon: Arznei 8 (unten 432,8-11) 8f Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 7f (unten 431,32-35) 9f Vgl. oben 42,16-21 und 44,3f l l f Vgl. oben 45,6-11 20f Vgl. Ammon: Arznei 12f (unten 434,15-20) 21-23 Vgl. die Zitation der These 66 (Harms: Schriften 1,220) bei Ammon: Arznei 13 (unten 434,29-31)

An Ammon

5

10

15

20

25

30

53

gewesen sind, die dies alles gegen Sie ausgesagt. Lieber will ich alles auf mich nehmen, denn ich weiß warlich nicht genau anzugeben, was davon Andere gesagt, u n d was meine eigenen einander widerstreitenden G e danken gewesen sind. Sie w e r d e n ja schon wissen, wie einem zu M u t h e ist, wenn man so von einer Seite z u r andern gezogen wird, u n d wie b u n t 363 das durcheinander gehen k a n n ! N u r bin ich leider durch alles das d o c h nicht aufs reine gekommen, sondern es ist mir noch den G e g e n s t a n d unseres Briefwechsels betreffend, die H a u p t f r a g e übrig, die ich mir nicht zu beantworten weiß, u n d die ich Ihnen gradezu vorlegen, und n u n auch gar nicht m e h r anders als in meiner eigenen Person mit I h n e n reden will. D a s ist die Frage: Wie und w a n n Sie denn zu dieser bitteren Heftigkeit gegen die an mehreren O r t e n u n d auch bei | uns a n g e f a n - 42 gene Vereinigung protestantischer Gemeinen von beiden C o n f e s s i o n e n gekommen sind. Ich gestehe Ihnen, ich hätte mir eher des H i m m e l s Einfall versehen, als dieses; denn aus Ihrem Briefe an mich k o n n t e ich das nicht erwarten, und aus Ihren f r ü h e r e n Aeußerungen über die d o g matischen Punkte, die das Sakrament betreffen, noch weniger. Sie, Verehrtester, machten doch den A n f a n g dieses Gegenstandes zwischen uns zu erwähnen; was konnten Sie dabei beabsichtigen, wenn Sie mir nicht Ihre aufrichtige H e r z e n s m e i n u n g darüber sagen wollten? D o c h erzählten Sie mir nur, Sie hätten aus guten G r ü n d e n alle Protestationen gegen die Vereinigung, die Ihnen zugesandt worden, zurükgelegt. N u n freilich, wenn Sie es gethan haben, um mit dieser starken und glänzenden allein und desto nachdrüklicher aufzutreten, so kann das ein guter G r u n d gewesen sein. Allein Sie hätten, wenn Ihnen die Sache so sehr am H e r z e n liegt, nicht nur Sich bedenken sollen, sondern auch mich. W e n n das Seelenheil dabei auf dem Spiel steht, und Sie k ö n n e n nicht wissen, wie bald auch das Seelenheil vieler Christen, die sonst unter Ihrer obersten Leitung standen: so sollten Sie, wie Sie sich von selbst freundlich zu mir wendeten, mich auch freundlich gewarnt haben, d a ß ich nicht durch meine Theilnahme- diesen Frevel mit verschulden möchte. D a r ü b e r , da Sie mir erlaubt haben, Sie zu strafen w o u n d wie

7f Schleiermacher bezieht sich auf die Korrespondenz des Jahres 1817 (vgl. oben Anm. zu 22,lf). 1 1 - 1 3 Vgl. Ammon: Arznei 17-32 (unten 437,3-443,31) 15 Gemeint ist Ammons Schreiben vom 28.10.1817 (SN 238, Bl. 7 f ) . 16 f Vgl. dazu die von Schleiermacher unten 76,15-77,1 angeführten Beispiele 1 7 - 2 2 Vgl. Ammon: „Für mein Magazin kommen mir aus Ihren Staaten und aus der Schweiz lästige Synodalpredigten und Proclamations gegen die Vereinigung der beiden Kirchen zu. Ich habe sie aus guten Gründen bisher bei Seite gelegt." (Brief vom 28.10.1817; SN 238, Bl.8r) 27 Anspielung auf Ammon: Arznei 27 (unten 441,4f) 28 f Anspielung auf die 1815 erfolgten Gebietsabtretungen des Königreichs Sachsen an Preußen, die große Teile der sächsischen Bevölkerung der Kirchenleitung des Dresdener Oberhofpredigers entzogen hatten 3 2 - 1 Im Brief vom 12.12.1817 (vgl. oben Anm. zu 21,2-8)

54

5

10

15

20

25

30

35

An

Ammon

ich wollte - denn bisher habe ich Sie noch nicht gestraft, sondern nur zu erklären versucht - möchte ich Sie wol hier strafen. Ja auch in Ihrem zweiten Briefe, nachdem ich gegen Ihre Zurüklegung protestirt, weil mir nothwendig schiene, daß diese wichtige Sache von allen Seiten be- 364 sprochen würde, nachdem ich auf diese Weise nicht undeutlich Ihre ganze Meinung über den Gegenstand herausgefordert, kann ich wirklich in Ihrem etwas dunkel gehaltenen Gleichniß von | den beiden fürst- 43 liehen Brüdern nicht dieses harte Urtheil finden, welches Sie in der Prüfung aussprechen; ich konnte nicht glauben, daß Sie die Sache für so gefährlich und seelenverderblich halten, sondern nur für schwierig, nur daß Sie glaubten, sie würde nicht leicht zu allgemeiner Befriedigung vollkommen können durchgeführt werden. Ja ich möchte noch mehr von Ihnen verlangen. Da Sie so sehr gut unterrichtet sind von dem, was hier und anderwärts vorgeht, wie Ihre Schrift, die ganz voll Anekdoten stekt und voll Anspielungen auf Anekdoten, ich weiß nicht ob wahr oder falsch, uns ganz deutlich will zu verstehen geben, und da Sie also ganz gewiß auch sehr zeitig gewußt haben, was man anderwärts, und besonders auch hier, vorhatte; da es Ihnen an Verbindung aller Art nicht fehlt, und Sie gewiß in der Kunst, sie im rechten Augenblikk zum besten zu benuzen, ein Meister sind: wäre es nicht des Hauptes einer großen Kirche, „die noch dazu als altlutherisches Nachbild betrachtet wird," würdig gewesen, sich ernst und warnend an unsere einflußreichen Geistlichen, oder an unsere kirchlichen Oberen zu wenden, die Gefahr vorzustellen, dringend abzurathen, Ihr Gewissen zu verwahren, und auf das festeste zu erklären, daß von Ihrer Seite nicht die kleinste Mitwirkung, sondern nur der gemessenste Widerstand zu erwarten wäre? Meinen Sie nicht, daß dies, ohne daß man Sie hätte beschuldigen können, daß Sie sich in fremde Angelegenheiten mengten, bei Ihrer so festen unerschütterlichen Ueberzeugung, Ihres Ansehens und Ihrer Stellung würdig gewesen wäre? Oder haben Sie das auch gethan, gegen mich freilich nicht, sondern wo es der Mühe lohnte, und ich weiß es nur nicht? Ο dann weisen Sie mir nach, an wen Sie sich gewendet haben, und ich will meine Strafe gern zurüknehmen! Ja wenn dem so ist, und man Ihre gründlichen Gegenvor-|stellungen, Ihre wohlgemeinten War- 44 nungen schnöde zurükkgewiesen hat, dann könnte ich Ihnen vielleicht 365 auch zum Theil wenigstens den Ton verzeihen, in welchem Sie über diese Sache reden. Denn gewiß an und für sich ist er unverzeihlich, weder der Sache noch Ihrer Person würdig. Gleich von vorn herein glaubt

3 - 5 Wohl Inhaltsangabe des (nicht erhaltenen) Schleiermacher-Briefes vom 3.12.1817 7i Vgl. Ammons Brief vom 12.12.1817 (oben Anm. zu 21,2-8) 21 f Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 32 (unten 443,28f) 38-15 Vgl. Ammon: Arznei 3f (unten 429,9-33)

55

An Ammon

5

10

15

20

25

30

man fast einen Katholiken zu hören, dem unser Jubelfest ein Aerger war. Was haben Sie denn an den unschuldigen Päanen für Anstoß genommen, unter denen noch dazu einige sehr gut gerathen sind? Was an den Doctorhüten, die doch im Jahr 1717 und 1617 auch aufgesezt wurden, als von keiner Union die Rede war, und es keiner Gewitterwolke gegen die Vernunftreligion bedurfte? Warum sollen grade am Reformationsfest die Heeresabtheilungen keine Kirchenparade haben, wenn es sonst zu ihrer Ordnung gehört? Wo mit Lorbeerkränzen gespielt worden ist, weiß ich freilich nicht; aber wenn die Beamten an manchen Orten sonst eben nicht fleißig in die Kirche gehen, warum spotten Sie darüber, daß sie es an diesem Tage gethan? Ist es nicht besser, als wenn sie es an diesem auch unterlassen hätten? Und wenn Sie das so schlau ausgespürt haben, ich weiß nicht ob in Ihrer Nähe oder in der Ferne, daß berühmte Gelehrte zum ersten Mal seit ihrer ersten Communion wieder communicirt haben an diesem Tage: warum freuen Sie sich nicht lieber in der Stille, und hoffen gute Wirkung von dieser erweklichen Handlung, sondern wollen lieber, daß hier oder da auf einen mit Fingern gewiesen werde bei dieser Stelle Ihrer Schrift? ich glaube nicht, daß das Ihrer würdig ist. Das alles scheint nun zwar unmittelbar nicht die Kirchenvereinigung zu treffen, sondern nur das Reformationsfest; allein ich glaube, es würde schwerlich dastehn, wenn es nicht wäre, um nicht ganz allein über die raschen Bruderumarmungen zu spotten, die sich doch offenbar, Sie werden es nicht läugnen wollen, | auf die ge- 45 meinschaftliche Abendmahlsfeier der hiesigen Geistlichen beziehen. Ist dieser Spott Ihrer und der Sache würdig? hätte nicht die Ehrfurcht, die ein jeder Christ vor dem Tisch des Herrn haben soll, Sie davon zurükhalten sollen? Sie können nach Ihrer Ueberzeugung diese Handlung für eine Verirrung halten; dann verdient sie Ihre Zurechtweisung: Ihren 366 Spott sollte die Beziehung auf das heilige zurükkgehalten haben. Warum nennen Sie nun diese Bruderumarmungen rasch? Ein Judaskuß ist langsam oder affectirt; diese waren nicht so, aber ich habe noch nicht gehört, daß sie irgend jemanden leid gethan haben. Aber sie waren der natürliche Ausdrukk davon, daß die Handlung ihrer Idee entsprochen hatte; jeder erinnert sich mit Freuden daran; und, wie es sein

16 Stille] Sille

18 ich] Kj (auch SW) Ich

26 Sie] sie

21-24 Vgl. Ammon: Arznei 3 (unten 429,17f). Am 30. Oktober 1817 begingen 63 lutherische und reformierte Berliner Geistliche, alle Theologieprofessoren und zahlreiche Beamte in der Nikolaikirche eine gemeinsame Abendmahlsfeier nach neuem Ritus, die mit dem Austausch von Händedruck und Bruderkuß endete. 30 Vgl. Mk 14,44f par

56

5

10

15

20

25

30

An Ammon

soll, durch das Mahl der Liebe ist manches Band geknüpft, manches Hinderniß aus dem Wege geräumt worden, und manche Gemüther sind einander näher getreten. Haben wir uns hernach tüchtig gestritten auf unseren Synodalversammlungen, wie es sein soll und sich von selbst versteht, haben wir viele Schwierigkeiten gefunden und sie auf den entgegengeseztesten Enden angegriffen: so haben wir auch dabei den Segen jener Handlung gefühlt, welcher Mäßigung verbreitete, und jedem, der sich verirren wollte, die Rükkehr erleichterte. Und Sie, der Sie es uns so oft deutsch und lateinisch gesagt, daß doch am Ende alles bei dem Sakrament des Altars auf die geistige Wirkung ankomme, Sie vergessen sich so weit, uns, die wir uns einen solchen Segen holen wollten f ü r ein großes und wichtiges Geschäft, spöttisch zu sagen, wir hätten uns eben so gut zu einem gemeinen Mahle vereinigen können, und auch da allgemeine und brüderliche Liebe darreichen? Sie werden wol auch das wissen, ohnerachtet ich nicht die Ehre habe persönlich von Ihnen gekannt zu sein, daß ich zu den fröhlichen Menschen gehöre, und ich weiß des-|halb recht gut, wie viel auch bei einem gemeinen Mahle 46 wahre Erhebung des Geistes, wahre Erwärmung des Herzens stattfinden kann; aber ich schäme mich Ihrer Vergleichung so sehr, daß ich nichts weiter darüber sage, als wie innig leid es mir thut, daß Sie sich auch hier hinter Luther verstekken, und wie es scheint, dem großen Mann vorzüglich in dem nachfolgen wollen, was er, von leidenschaftlichem Eifer aufgeregt, nicht allzu besonnen geredet, und worüber Sie selbst ihn sonst getadelt haben. Mit welchem Recht sagen Sie in offenbarer Beziehung auf dieses gemischte Abendmahl, das Reformations- 367 fest sei als ein neues Schauspiel begangen worden? Gilt das uns am 30sten? oder unsern Gemeinen am 31sten? Im ersten Falle, wen möchten Sie gern als Komödianten und Heuchler vor den Augen von Deutschland brandmarken? Nennen Sie ihn! und wen es trift, der mag sich wehren; aber verunglimpfen Sie nicht ins blaue, und geben der tuschelnden Verläumdung freien Spielraum; das ziemt doch solchem Manne nicht! O d e r haben Sie nur Erfahrungsgründe, um anzunehmen

3-8 Die von den lutherischen und reformierten Geistlichen Berlins gebildete Kreissynode nahm am 11. November 1817 unter Vorsitz Schleiermachers Beratungen über den regierungsamtlichen Entwurf einer vorläufigen Synodalordnung auf. 8 - 1 0 Vgl. z.B. die unten 76,21-23 und 81,2-16 von Schleiermacher angeführten Beispiele 12-14 Vgl. Ammon: Arznei 21 (unten 438,26-28) 20f Vgl. Ammon: Arznei 21 (unten 438,25f) 23 f Vgl. z.B. Ammon: Summa, 3. Aufl., S3 („§27. De Supranaturalismo non rationali."), wonach Luther „[...] veram philosophiam cum arte dialectica (2 Cor. X, 5.) et sophistica (Col. II, 8. 1 Tim. VI, 20) confundens, duplicem veritatem, philosophicam et theologicam, commentus et multa satis infeliciter in rectam rationem debacchatus est [...]." 24-26 Ammon: Arznei 21 (unten 438,24) 26 { Einen Tag nach der gemeinsamen Abendmahlsfeier der Geistlichen (vgl. oben Anm. zu 55,21-24) fanden in Berlin entsprechende Feiem der Gemeinden statt.

An Ammon

5

10

15

20

25

30

57

daß unter einer gewissen Anzahl Geistlicher nothwendig einige H e u c h ler sein müssen? N u n so bezeuge ich Ihnen mein Beileid über diese Menschenkenntniß eben so sehr, als über die Art sie zu gebrauchen. Meinen Sie aber unsre Gemeinen: woher kennen Sie diese? was f ü r ein Urtheil maßen Sie sich über sie an? Was f ü r ein Geschikk hat es, daß ein Mann, wie Sie, sich zu dem veralteten Geschrei, das jezt so gern aus ganz andern Gründen wieder laut werden möchte, bekennt, welches Berlin als ein neues Babel anbellt? Aber nun gar, wie bringen Sie doch das Unternehmen des Vereinigungswerkes mit dem trivialen Saz, daß der Mensch ein geborner Schauspieler sei, in Verbindung? Welchen Grund haben Sie wol, vorauszusezen, daß es irgend jemanden, ich will gar nicht fragen, wen | Sie meinen, hierbei auf ein Schauspiel angekom- 47 men sei? Ich meines Theils habe dies immer unter die schlechtesten M a nieren gerechnet, deren man sich in der guten Gesellschaft gar nicht bediene, Insinuationen hinzuwerfen, die zu unbestimmt sind, als daß man von irgend jemand könnte zur Rechenschaft gezogen werden, die aber d a f ü r recht vielfältigen Verdacht erregen, von dem überall etwas haften bleiben soll; denn welche andere Absicht kann man sich bei einem solchen Verfahren denken? Aber die natürlichste Strafe f ü r ein solches ist die, daß es recht öffentlich als dasjenige bezeichnet werde, was es ist, und da Sie es mir erlaubt haben, so vollziehe ich diese. Wie gesagt, dieser Ton, den ich nicht weiter in allen seinen Spuren verfolgen will, ließe sich nicht einmal unter jener Voraussezung erklären. Da aber diese wol 368 gar nicht richtig sein möchte, daß Sie nämlich zuvorkommende Schritte gethan, um uns zu warnen, und daß man Sie mit Ihren Warnungen abgewiesen: so sollte eben dieser T o n mich fast der M ü h e überheben, mit Ihnen über diese Angelegenheit weiter zu reden; allein ich kann Sie nicht so ganz aufgeben, daß ich nicht den Versuch machen sollte, Ihnen zu zeigen, wie unhaltbar Ihre Gründe sind, und wie viel Mißverständnisse Sie hineingewirrt haben, und wie viel ganz grundlose Andeutungen sich hier finden, wodurch Ihre Leser, wenn sie nicht genau unterrichtet sind, nothwendig irre geführt werden müssen.

Ihr Hauptgrund gegen die Vereinigung der beiden protestantischen Bekenntnisse zu Einer ungetheilten Kirche steht S.22. und lautet 35 so: „Von der Entstehung des Christenthums bis auf unsere T a g e war die Gemeinschaft des Altars nicht gegründet auf die Gemeinschaft des Un- oder halben, sondern des ganzen und vollen Glaubens [...]." Wenn ich mir dies in einen ungehäßigen schlichten Saz übertrage, so soll es doch heißen, daß von An-|fang der Kirche an zur Gemeinschaft 48

5-8 Vgl. Ammon: Arznei 4 (unten 429,31) 9f Vgl. Ammon: Arznei 18 (unten 21 Vgl. oben Anm. zu 53,32-54,1 35-37 Unten 438,35-38

437,14)

58

5

10

15

20

25

30

An Ammon

des Altars auch eine völlige Gemeinschaft des Glaubens gehört habe. Können Sie das behaupten? hat es nicht zu allen Zeiten in der Kirche gar viele Streitigkeiten über Glaubenspunkte gegeben, welche keine eigentliche Spaltung erzeugt, keine gegenseitige Excommunication nach sich gezogen? Ist das nur für diejenigen geschrieben, die keine andern Abweichungen im Glauben kennen, als die in der Kirchengeschichte mit recht derben Kezernamen bezeichnet werden? Aber Sie wissen es doch gewiß besser, ja Sie gefallen sich noch in Ihrer neuen Dogmatik recht vorzüglich darin, von Leuten die niemals verkezert und excommunicirt worden sind, Aeußerungen anzuführen, die bedeutende Abweichungen in Glaubenspunkten enthalten! Und wie ist es auch heut zu Tage noch? giebt es nicht viele Glaubensabweichungen, welche die Gemeinschaft des Altars nicht brechen? Wenn Sie wirklich so bedeutend fortgeschritten sind seit einiger Zeit, wie jene wollten, und es kommt 369 Ihnen nun ein reiner Schüler des Ammon vom Jahre 1803 vor, wollen Sie mit dem nicht communiciren? und wie steht es mit den Rationalisten, an deren Bekehrung Sie zwar lange arbeiten, die aber doch immer noch nicht bekehrt sind? haben Sie die schon excommunicirt? oder stehen Sie mit ihnen in der Gemeinschaft des Altars, und nur mit den Zwinglianern und Kalvinisten lehnen Sie ab, ohnerachtet die gegen jene noch wahre Helden im Glauben sind? Doch ich verstehe, Sie meinen nur oder wenigstens vorzüglich die volle und ganze Gemeinschaft des Glaubens in Beziehung auf das, was das Sakrament des Altars selbst betrifft. Aber steht es damit besser? Hat nicht noch kürzlich mein jeziger und Ihr ehemaliger Amtsgenosse Marheinecke gezeigt, wie verschieden die Vorstellungen der Väter vom Sakrament waren? und haben diese Väter sich untereinander, oder einer des | andern Schüler von der Ge- 49 meinschaft des Altars ausgeschlossen? Und hat man bei dem Streit über die Brodtverwandlung gleich überall mit der Excommunication verfahren? Oder können damals alle, die miteinander das Sakrament nahmen, streng einerlei Meinung gewesen sein? Und wenn es nun wahr wäre, daß Calvin bis zum Jahre 1549 mehr Lutheraner war als Zwinglianer,

20 Sie] Kj (auch SW) Sie sie

8-11 Vgl. z.B. Ammon: Summa, 3. Aufl., 206-209 („§. 111. Doctrina biblica de praedestinatione.") 16-21 Zu den Anspielungen vgl. oben 45,34-46,1 24-26 Vgl. Philipp Marheinecke: Sanctorum patrum de praesentia Christi in coena domini sententia triplex s. sacrae eucharistiae historia tripartita, Heidelberg 1811 25 Ammon war 1789-1794 und 1804-1813, Marheineke 1805-1807 Professor in Erlangen. 28f Vgl. z.B. die Darstellung in Schleiermachers Vorlesungen zur Kirchengeschichte (SWI/11, 440-444) 31 f Anspielung auf Ammon: Arznei 28 (unten 441,8-10)

An Ammon

59

hat er nach 1549 etwa nicht mehr mit denselben communicirt wie vor 1549? Und wenn es unstreitig ist, daß er in den Institutionen seine und Zwingiis Meinung unterscheidet, haben er und seine Anhänger damals nicht mit den Zwinglianern communicirt? Ist es nicht notorisch, daß diese beiden Meinungen in der reformirten Kirche neben einander bestanden haben, ohne die Gemeinschaft des Altars zu stören? Und endlich haben Sie etwa widerlegen können, daß in der Brüdergemeine wirklich Christen von beiden protestantischen Meinungen ohne alle Störung und Reibung, ohne daß durch diese Liebe und Einigkeit die Christenheit gespottet und genärret werde, (S.20.) sondern mit der größten Innigkeit und zu beiderseitigem größten Segen miteinander communiciren? Das war freilich nicht abzuleugnen, und mit Stillschweigen konnten Sie es auch nicht gut übergehen; aber Sie sind ein 370 kunstreicher Mann, der sich immer zu helfen weiß. Ja, sagen Sie, „die Brüder [...] ermangeln doch, wie es von Christen zu erwarten steht, einer bestimmten innern Haltung, [...] der köstlichen Festigkeit des Herzens nicht [···]·" Nun mein Theuerster, wenn das von Christen zu erwarten steht, so steht es ja von uns, die wir uns üniren wollen, eben wie in diesem Punkt die Brüder unirt sind, auch zu erwarten; und ich hoffe auch von mir und vielen die mir gleich gesinnt sind, daß es uns an der innern Haltung und an der Festigkeit des Herzens niemals fehlen soll. Wenn aber Sie, wie man allerdings glauben möchte, das Gegentheil von uns schon vor-|aussagen, so ist ja das eine ganz vollständige und zwar 50 höchst liebevolle petitio principii! Sie mögen nun auch wol gemerkt haben, daß damit nicht viel gesagt ist, darum nehmen Sie nun noch eine andere Kunst zu Hülfe, und geben, um die Aufmerksamkeit der Leser von der schwachen Stelle abzulenken, der Sache ganz leise eine andere Wendung, machen der Brüdergemeine ein Kompliment über ihre rühmliche Gewandtheit und Vorsicht - nun ich möchte diese mir sehr ehrwürdige Gesellschaft lieber ganz aus dem Spiel lassen, und will ihr nicht besonders Glükk wünschen zu diesem „laudari a laudato viro" - und fügen dann hinzu, „Sie hätten noch nicht die geringste Ursache zu glauben, daß sich die Brüder mit den zu unirenden Gemeinen kirchlich vereinigen würden." Als ob davon die Rede gewesen! oder als ob Sie selbst glauben könnten, es sei die Rede davon gewesen! Wissen wir denn nicht alle, daß die kirchliche Vereinigung der Brüder unter sich auf einer eigenthümlichen Verfassung und Disciplin beruht? Was für

2f Vgl. das Calvin-Zitat bei Ammon: Arznei 28f (unten 441,12-442,12) 7-12 Vgl. dazu Ammon: Arznei 30 (unten 442,22-25) 9f Vgl. Ammon: Arznei 20 (unten 438,12-15) 14—17 Ammon: Arznei 31 f (unten 443,16-21) 28f Vgl. Ammon: Arznei 32 (unten 443,24f) 32-34 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 32 (unten 443,22-24)

60

5

10

15

20

25

30

35

40

An

Ammon

eine Vereinigung könnten wir also von ihnen wollen? Können wir wollen, daß sie ihre Verfassung und Disciplin aufgeben sollen? Sehen Sie, dies ist eine von jenen grundlosen Andeutungen, welche höchstens unkundige Leser irre leiten können, als ob wir einen Zwekk gehabt hätten, der nun ganz gewiß verfehlt wäre. Wenn Sie aber meinen, die Brüdergemeinen werden in allen Fällen, wo vermöge ihrer Einrichtungen Ge- 371 meinschaft und Annäherung statt finden kann, die unirten Gemeinen, wenn es deren geben wird, anders behandeln als die altlutherischen oder altreformirten: so habe ich zur Zeit nicht die geringste Ursach zu glauben, daß diese Ihre Vermuthung auf einem guten Grunde beruhe, und daß die Zeit sie bewähren werde. - Auf diesem falschen Saze also, daß die Gemeinschaft des Altars von jeher auf der vollen Gemeinschaft des Glaubens beruht habe, einem Saze der leicht] in seiner ganzen 51 Strenge befolgt die Gemeinschaft des Altars ganz aufheben könnte, gründet sich Ihr Tadel unseres Verfahrens. Sie sagen nämlich, „man hätte sonst immer die Vereinigungsversuche von tiefen und besonnenen Unterhandlungen über die bestehenden Abweichungen in der Lehre angefangen," und so sollten wir es also auch gemacht haben. Allein Sie gestehen ja auch, daß jene Vereinigungsversuche immer mißlungen sind. Wollen Sie uns nicht die Erlaubniß geben klüger zu sein als unsere Väter, klug geworden durch ihr eigenes Beispiel? Ist die Sache sonst nur gut, und ist von dem einen Ende immer nicht gegangen: warum soll man nicht auch einmal von dem andern anfangen? Jedes Verhältniß dieser Art hat seine ideale Seite und seine reale, und beide greifen so in einander, d a ß wol niemand behaupten kann, die eine müsse schlechthin und immer die erste sein. Denn wenn Sie das in seiner ganzen Strenge behaupten wollten, so dürften wir eigentlich noch immer keine christliche Kirche haben. Denn die Lehre müßte erst vollkommen abgeschlossen sein, ehe die Gemeinschaft anfinge; sie ist aber noch nie vollkommen abgeschlossen, und zu keiner Zeit ein allgemeiner Lehrfriede gewesen. Kann nicht ein Frieden eben so gut mit einem Waffenstillstand anfangen, der eine T h a t ist, als mit Unterhandlungen, während deren die Feindseligkeiten noch fortgehen? es giebt ohnstreitig Umstände, unter denen das eine das bessere ist, und Umstände unter denen das andere. Kann nicht der Friede vollkommen geschlossen sein, und doch gewisse Punkte noch auf besondere Unterhandlungen und Verträge ausgesezt bleiben? In unserem Falle hat sich die eine Methode niemals 372 bewähren wollen: warum sollen wir nicht einmal zur anderen schreiten, und mit einer T h a t anfangen? Doch ich brauche gar nicht damit mich zu begnügen, sondern es läßt sich ja gradezu zeigen, daß der andere

1 5 - 1 9 Für den Wortlaut

vgl. Ammon:

Arznei

22 (unten

438,38-439,3)

An

Ammon

61

Weg un-|möglich ist. Wenn auf dem Marburger Gespräch den Gottes- 52 gelehrten beider Theile, die da zusammengekommen waren, gelungen wäre, zu einer gemeinschaftlichen Ueberzeugung zu gelangen, und sie sich also vereinigt hätten, so und nicht anders in ihren Gemeinen zu 5 · lehren: so wäre freilich die Vereinigung gemacht gewesen, weil es noch gar nichts abgeschlossenes noch gar keinen festen Typus der Lehre gab, •sondern die Gemeinden alle noch im Empfangen verbessernder Ansichten begriffen waren, und was die übrigen Lehrer betrifft, einzelne abweichende Stimmen bei der großen Autorität von diesen leicht würden 10 verklungen sein. Aber schon zehn Jahre später wäre, weil die Kirche sich schon bestimmter gestaltet und ausgesondert hatte, auf diesem Wege nichts mehr zu machen gewesen. Deshalb ist er auch immer vergeblich versucht worden. Und wie könnte er denn jezt eingeschlagen werden? Sollen wir Deputirte ernennen, denen wir Vollmacht geben, 15 über unsere Ueberzeugungen abzuschließen? Kann die Ueberzeugung der Einzelnen wirklich diesen Beschlüssen folgen? Ja wenn wir einen Pabst hätten, oder ad hunc actum einen ernennen könnten! Aber, wie wol Sie bedenklich sind, ob man das nicht wünschen könnte, so geht das doch einmal nicht, Theuerster, und wir müssen alle H o f n u n g e n die20 ser Art aufgeben, und wenn man auch noch so sehr einen aufstellen könnte, der es allen Partheien recht zu machen wüßte! U n d auch der Pabst hat ja noch nie zaubern können, d a ß alle wirklich dasselbe geglaubt haben. So würde also nicht nur auf diesem Wege derselbe Zustand auch entstehen, den Sie so sehr verabscheuen, eine Gemeinschaft 25 des Altars ohne volle Gemeinschaft des Glaubens; sondern es würde auch ohnstreitig bei den Verhandlungen ans Tageslicht kommen, d a ß dieser Zustand schon immer bestanden hat, und daß über die dunkeln zu dieser Sache unmittelbar gehö-|rigen Formeln sowol, als über die da- 53; 373 mit verwachsenen Lehren, welche Sie selbst als Abweichungen von den 30 einfachen Aeußerungen der Schrift f ü r gefährlich noch im Jahre 1816 hielten, die Vorstellungen auch der Lehrer desselben Bekenntnisses keinesweges übereingestimmt haben. Und wenn nun die Deputirten wirklich einig würden, daß heißt, nicht darüber, gewisse Abweichungen f ü r unwesentlich zu halten, denn das wollen Sie ja nicht, sondern darüber 35 eine bestimmte Vorstellungsweise fest zu sezen, würden das nicht doch eine Menge Bestimmungen sein, die wir „mehr der Schule lernten als dem Leben?" Würden Sie verlangen, daß alle evangelisch-lutherischen oder reformirten Christen, die bisher den Vorstellungen ihrer Kirche mit einigem Bewußtsein angehangen haben, die neuen annehmen soll-

27-31 Anspielung auf Ammons 3.Aufl., 188-194 (§§100-103) 194 (s. oben Anm. zu 50,8-10)

kritische Behandlung der Zweinaturenlehre in 36f Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa,

Summa, 3.Aufl.,

62

5

10

15

20

25

30

35

An Ammon

ten, weil es dort so beschlossen worden? Und wenn sie das auch thäten, entweder aus einer Art des Gehorsams, die es bei uns nicht giebt, oder durch freie Zustimmung oder gar Abstimmung; würden Sie für die Zukunft verlangen, daß diese neuen Bestimmungen allen evangelischen Christen immer sollten überliefert werden, und würden das allen Pfarrern Ihres großen Kirchsprengeis zumuthen und auch wirklich von ihnen erlangen? oder würden Sie nicht doch hernach, wenn diese immer wieder kämen, klagend, die Katechumenen wollten dieses nicht festhalten und nicht begreifen, als Oberhirte selbst wieder diese durch so lange Unterhandlungen erstrittenen Bestimmungen für unwesentlich in Absicht auf den wirklichen und würdigen Genuß des Sakramentes erklären müssen? Warum wollen Sie uns also verargen, daß wir mit demselben anfangen, womit Sie doch nothwendig schließen müßten? So ist ja die rasche That gar nicht so schlimm, wenn sie doch genau dasselbe Ziel trift, wobei die tiefen und besonnenen Unterhandlungen, sollen sie anders überhaupt etwas ausrichten, zu-|lezt auch ankommen müssen! 54 Aber mit der raschen That ist es doch wirklich nicht wie mit den raschen Bruderumarmungen, die allerdings nur das Werk des Augenblikkes sein konnten und mußten. Auch sind Sie selbst so unbekannt nicht mit diesen Angelegenheiten, daß Sie nicht wissen sollten, daß seit langer Zeit mancherlei Anregungen, Ueberlegungen, Untersuchungen, ein- 374 zelne Handlungen, nur grade keine Unterhandlungen, dieser That vorangegangen waren; und auf der andern Seite sind Sie so allwissend nicht, daß Sie mit solcher Sicherheit behaupten können, sie sei dennoch rasch; sondern dies muß Sie wie uns erst die Erfahrung lehren, was daran übereilt war oder nicht, und es ist wenigstens rasch von Ihnen, so darüber abzusprechen. Aber wie bezeichnen Sie nun gar diese sogenannte rasche That? „Wir schieden aus den Manifesten Gottes etwas aus, wie aus einem Landrecht, und formten ein Landesevangelium, wie einen Landsturm." Denn das geben Sie uns doch Schuld! Oder hätte es irgend einen Sinn und Zwekk, daß Sie sagen, bei ehemaligen Vereinigungsversuchen habe man noch zu viel Ehrfurcht für die Religion gehegt, um dieses zu thun, wenn Sie nicht wollen zu verstehen geben, jezt habe man es gethan? Sie werden schwerlich sagen können, dies wären unberechtigte Folgerungen aus Ihren Worten! Doch ich will Ihnen gern die Nachweisung schenken, wo und wie wir denn dies gethan haben, wenn Sie mir nur, der Zukunft wegen, damit es uns nicht etwa unversehens begegne, sagen wollen, was für Verbrechen Sie denn eigentlich durch diese wunderlich zusammengedrechselten Redensarten bezeich-

14f Vgl. Ammon: Arznei 22 (unten 439,lf) nei 22 (unten 439,3-6)

28-33 Für den Wortlaut vgl. Ammon:

Arz-

An

Ammon

63

nen wollen. Ob aus unserm Landrecht etwas ist ausgeschieden worden, weiß ich wahrhaftig nicht, und bewundere Sie, daß Sie sich um so vielerlei fremdartige Dinge klein und groß, Paraden, Lorbeerkränze, unkirchliche Beamte, selten communicirende Gelehrte und | verstümmelte 55 Landrechte bekümmern können, bei so vielen und großen Geschäften! Aber was verstehen Sie unter Manifesten Gottes, und wie scheidet man etwas davon aus? Meinen Sie, es werde durch die Vereinigung, wie wir sie im Sinne haben, dahin kommen, etwas aus der Bibel auszuscheiden? ich wüßte doch gar nicht wie! Oder nennen Sie die augsburgische Confession ein Manifest Gottes - nahe genug scheinen Sie freilich hier anzustreifen, nur sehe ich nicht, wie dann Reformirte und Katholiken von den Lutheranern gleich weit abstehen können! - und meinen, wir kä- 375 men durch die That dahin, aus dem zehnten Artikel das „et improbant secus docentes" auszuscheiden, oder statt „vescentibus" zu schreiben „fidelibus"? Doch davon hernach! Aber Ihre Worte hier klingen mir doch zu wunderbar, als daß ich glauben sollte, Sie hätten das gemeint; auch hätte ja dann dieselbe Ehrfurcht vor der Religion schon dem großen Melanchthon gefehlt. Also wie gesagt, ich bin hier ganz rathlos, und muß um nähere Erklärung bitten. Wiewol mir sehr bange ist, ich prostituire mich; und wenn Sie nun sagen werden, was Sie gemeint haben, werde ich mich müssen vor die Stirn schlagen, daß ich einfältiger Mensch die feine Rede nicht gleich verstanden habe. Eben so geht es mir mit dem andern. Wie man einen Landsturm formt, davon habe ich eine kleine Erfahrung gemacht, und selbst ein wenig mit dazu geholfen; aber je mehr ich das zu wissen glaube, um desto weniger kann ich entdekken, was für eine Aehnlichkeit es geben kann zwischen Landesevangelium und Landsturm, und der Art wie beide zu Stande kommen, und ich möchte fast über diese Beredtsamkeit in ähnliche Ausrufungen ausbrechen, wie Festus über die des Paulus. Vielleicht aus demselben Grunde, weil die Gesinnung, von welcher die Ihrige ausgeht, mir eben so fremd ist, wie dem Festus die Gesinnung unseres Paulus. Aber was ist | denn ein Landesevangelium? und haben wir je gesagt, daß wir eins 56 machen wollen? oder haben Sie Ursache zu glauben, daß wir eins machen müßten? Wenn Sie noch gesagt hätten, ein Landesbekenntniß;

27 und Landsturm] uud Landsturm

11 £ Vgl. oben 31,23-28 17 f Anspielung auf die 1540 von Melanchthon in vermittelnder Absicht vorgenommene Veränderung von CA X (vgl. BSLK 6 5,4 5 f j 23 £ Z« Schleiermachers Mitwirkung am Berliner Ausschuß fiir den preußischen Landsturm vgl. ζ. B. dessen Briefe an seine Frau vom 13.5. und 22.5.1813 (Briefe ed. Meisner 2,158fl65) 28f Vgl. Apg 26,24

64

5

10

15

20

25

An

Ammon

aber ein Landesevangelium! Ich hoffe, daß wir hier alle gar stark darüber halten, daß es nur das eine Evangelium giebt, daß der Mensch gerecht werden kann durch den Glauben an Jesum; und daß wir nicht nur den gar übel anlassen würden, der uns ein anderes aufheften wollte, sondern daß auch schon der uns gar viel zu wünschen übrig läßt, wiewol wir auch deshalb ihn nicht ausschließen wollen von der Gemeinschaft des Altars, der uns den Glauben (Neue Summa §.116. und 117.) so kritisch zuspizt und weg observirt, daß der Glaube an Christum erst gar nicht zum Vorschein kommen will, sondern nur ein äußerer 376 Glaube, der sich auf das göttliche Ansehn Christi stüzt, und sich allmählig in einen innern, der sich Gott zur Nachahmung vorsezt, auflösen soll, und daß, als hernach vom Glauben an Gott und seinen Sohn die Rede ist, aus allerlei gar nicht die rechtfertigende Kraft des Glaubens erschöpfenden kaum berührenden Gründen ziemlich mühsam und nicht sehr bündig gefolgert wird, man könne also, alles wohl erwogen, doch sagen, daß vom wahren Glauben alle Weisheit, Tugend und Glükseligkeit ausgehe. Wir, wie gesagt, wollen uns jenes Eine und alte Evangelium nicht nehmen lassen, und denken an kein anderes. Also auch diese Redensart würden Sie uns erst erklären müssen, da wir ja, wie Ihnen sehr wohl bekannt ist, gar nicht auf dem Wege sind, auch nur ein neues Landesbekenntniß zu machen. Doch der bestimmte Tadel, den Sie aussprechen, ist der, daß wir „das Volk zum Indifferentism der Lehre verführten." Ja dies ist endlich das große Verbrechen, daß, nachdem durch den gänzlichen Verfall aller Kirchenzucht unsere Christen genöthigt | sind mit den erklärtesten Ungläubigen, ja mit den entschie- 57 densten Verächtern aller göttlichen Gebote zu communiciren, so o f t es diesen einfällt, nachdem durch den wenigen Succeß, welchen bisher noch die treuen Bemühungen der evangelischen Lehrer gehabt haben, die Sache immer noch so steht, daß Supranaturalisten und Rationali-

2f Vgl. ζ. B. Rom 3,28 9-12 Paraphrase aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 215 („§. 116. Obseruationes criticae.") 12-17 Vgl. Ammon: „§.117. Nexus fidei cum salute hominum. Restat adhuc, vt de vinculo exponamus, quo fides cum salute hominum coniuncta est (Rom. I, 16). Patet autem, fide in Deum et filium eius (loh. XVII, 5) causarum naturalium indaginem limitibus debitis circumscribi ad veritatem inueniendam et figendam; voluntati virtutis perfectissimae exemplum repraesentari per omnem vitae cursum pietate ardentissima imitandum (Luc. VI,36. Matth. V,48); doctrinae moralis praecepta, de quibus ii, qui inter homines dicuntur sapientes, aegerrime consentiunt [Anm. ...], legati coelestis auctoritate confirmari (loh. VI, 29.XII,45); animum ad ordinis rerum moralis, cui impliciti sumus (§.94.), contemplationem et admirationem, ad spem et fiduciam mediis in calamitatibus excitari atque erigi (Rom. VIII, 31 sq.); certamque vitae melioris et aetemae iustaeque retributionis persuasionem mentibus instillari (Matth. XXII, 32.Ioh. XI, 25.Rom. II, 6). Quae omnia si iusta lance ponderantur, vim addunt sententiae, a vera fide omnem sapientiam, virtutem et felicitatem hominum intemam pendere (Rom. 1,17. XV, 13. 1 loh. V,4)." (Summa, 3. Aufl., 216f) Iii Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 22 (unten 439,7f)

An

5

10

15

20

25

30

35

Amtnon

65

sten mit einander communiciren müssen, und auch wol jeder es bedenklich finden müßte, wenn wir es selbst darauf anlegen wollten, die lezteren in eine besondere Kirchengemeinschaft zu sammeln: so wollen wir nun die supranaturalistischen Lutheraner und Reformirten fragen, ob sie sich nicht eben so leicht entschließen können mit einander zu communiciren, als doch jeder mit den Rationalisten seiner Confession communicirt, und eben so umgekehrt die Rationalistischen, sofern es deren unter uns giebt. Um nun die Größe dieses Verbrechens recht zu bestimmen, so lassen Sie uns doch untersuchen, wie weit und worin denn Reformirte und Lutheraner von einander abweichen, also gegen was für Lehre sie denn indifferent werden sollen. Hätten Euer Hochwürden 377 mit Ihrer bekannten Gelehrsamkeit und Ihrem bekannten Geschikk zur Fassungskraft einer großen Menge herabzusteigen diese Punkte in Ihrer Schrift gehörig auseinandergesezt: so hätten Sie sich ein unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht geringes Verdienst erworben. Das hat Ihnen aber nicht beliebt, vielmehr finden sich in dem, was Sie hierüber gesagt haben, wie mir scheint, Mißverständnisse, zu deren Aufklärung ich auch suchen muß das meinige nach Vermögen beizutragen. Zuerst was die Lehre von der Gnadenwahl betrifft, die gewissermaßen streitig ist zwischen beiden Bekenntnissen, so verwandeln Sie uns diese, ich weiß nicht warum, in die Vorsehungslehre, mit welcher sie freilich zusammenhängt, aber doch nicht ganz einerlei ist, außer wenn man alle unmittelbaren | göttlichen Einwirkungen abläugnet, und alles auf Un- 58 terweisung und Beispiel zurükkführt, welches Sie ja doch nicht mehr zu thun scheinen. In der Vorsehungslehre an und für sich aber hat eine Bekenntnißverschiedenheit meines Wissens niemals statt gefunden, und ich muß erwarten, auf welche Weise Sie mich hierüber der Unwissenheit bezüchtigen können. Wollen Sie aber die Sache auf die bloße Vorsehungslehre zurükführen: so weiß ich wieder nicht, wo Sie jenes furchtbare Princip Calvins her haben, „daß das Gute nicht in der höchsten Vollkommenheit Gottes, sondern in seiner unbedingten Willkühr wurzele [...]." Schade, daß Sie nicht angeführt haben, wo es steht; denn ich bin wieder sowol unwissend, indem ich es nicht aufzufinden weiß in meinem Calvin, als auch anmaßend, indem ich demohnerachtet behaupten möchte, er könne es so gar nicht aufgestellt haben, wie Sie es uns wiedergeben. Ja ich möchte noch mehr behaupten, daß dieses Princip, wenn wir in seine tiefste Tiefen hinabsteigen, seine Furchtbarkeit ganz verliert, und auf einem Gebiet liegt, auf welchem es nie Streit zwischen Lutheranern und Reformirten gegeben hat, noch geben kann,

19-21 Vgl. Ammon: Arznei 26 (unten 440,39) 440,40-441,1)

30-32 Vgl. Ammon: Arznei 26 (unten

66

5

10

15

20

25

30

35

An Ammon

denn es ist gar nicht das Gebiet des geoffenbarten, sondern des verborgenen Gottes. Aber nun weiter, was hat denn mit diesem Princip die in der Anmerkung beigebrachte Anekdote von der Prinzessin Wilhelmine zu thun? Ist denn die Frage über einen englischen oder deutschen Bräutigam, die Frage über das Gute und die Wurzel desselben? Oder sind, was die Prinzessin hier aufstellt, etwa reformirte Principien, welche die Tochter schlauer Weise an den Vater sich lehnend gegen die lutherische Mutter geltend machen will? O f f e n b a r gar nicht, sondern sie redet zwar in Ausdrükken, die etwas unschiklicher Weise, was man ja wohl einer Prinzessin verzeihen kann, allerdings aus der Lehre von der | Gnadenwahl hergenommen sind; was sie aber sagen will, das hätte sie eben so gut mit den ächtest lutherischen Ausdrükken sagen können. O d e r glauben Sie nicht, daß eine lutherische Prinzessin sich nach der lutherischen Vorsehungslehre die Zumuthung eines Eides abwehren könnte über künftige Handlungen, über welche in diesem Augenblikk das Gewissen noch keine Entscheidungsgründe hat? In der That, zu welchem Ende Sie uns diese anmuthige Erzählung beigebracht haben, die mit den Harmsischen Säzen, mit der Kirchenvereinigung, ja sogar mit der verworrenen Sprache Babels, die zuerst Ihren Unwillen auf sich gezogen hat, auch nicht das mindeste gemein zu haben scheint, das begreife ich nicht. Ja wenn die Prinzessin noch ihrer königlichen Mutter geantwortet hätte, es sei ja vergeblich, einen Eid auf ihre ewige Seligkeit zu leisten, da diese schon durch den absoluten Rathschluß Gottes bestimmt wäre, und sie selbst also gar nicht darüber disponiren könne; dann freilich hätte sie zwar mit der Calvinischen Lehre von der Gnadenwahl auf eine Weise gefrevelt, welche Calvin und seine Anhänger immer auf das bestimmteste von sich abgewendet haben; aber dann hätten Sie doch eine Veranlassung gehabt! Jezt ist das einzige, was ich aus dieser Erzählung und der Anwendung, welche Sie davon machen, lerne, und wovon ich freilich nicht beurtheilen kann, in wiefern es subjectiv zur Sache gehören mag, dies, daß es etwas f ü r Sie giebt, was Sie Glaubenstaktik nennen, und worüber ich auch gar gern näher belehrt sein möchte, was es doch ist, damit, wenn es etwas rühmliches und förderliches ist, ich es mir noch verschaffen könne. Denn bis jezt hat es mir ganz gefehlt, und ich habe mich so behelfen müssen. Noch lieber aber wüßte ich, was f ü r eine verborgene Absicht Sie bei jener Geschichte gehabt haben. Haben Sie uns etwa nur von dem eigentlichen Streit-|punkt ablenken wollen, damit wir nicht sehen möchten, wie geringfügig er ist? N u n dann will ich wenigstens mich nicht verführen lassen, sondern Sie

2 - 4 Vgl. Ammon: Arznei 26f (unten 441,26-41) 18-20 Anspielung auf Ammon: 4 (unten 429,31) 31 f Vgl. Ammon: Arznei 27 (unten 441,41)

Arznei

378

59

379

60

An

5

10

15

20

25

30

Ammon

67

f r a g e n , o b Sie ü b e r f o l g e n d e P u n k t e m i t m i r einig sind, o d e r m i c h eines besseren b e l e h r e n w o l l e n . Erstlich, d a ß in d e r r e f o r m i r t e n K i r c h e , a u c h n a c h d e m w i r die R e m o n s t r a n t e n a b g e r e c h n e t , die M e i n u n g e n ü b e r die L e h r e v o n d e r G n a d e n w a h l k e i n e s w e g e s ü b e r a l l dieselben sind, s o n d e r n n i c h t n u r die v e r s c h i e d e n e n B e k e n n t n i ß s c h r i f t e n v e r s c h i e d e n e r K i r c h e n sich v e r s c h i e d e n d a r ü b e r a u s d r ü k k e n , s o n d e r n a u c h a n e r k a n n t u n d o h n e alle S p a l t u n g u n t e r d e n T h e o l o g e n sich v e r s c h i e d e n e M e i n u n g e n gebildet h a b e n ; also in d e r r e f o r m i r t e n K i r c h e i m m e r d e r Fall g e w e s e n ist, d a ß die G e m e i n s c h a f t des Altars statt g e f u n d e n h a t bei v e r s c h i e d e n e n M e i n u n g e n ü b e r diesen G e g e n s t a n d , o h n e r a c h t e t m a n c h e d i e s e r B e k e n n n t n i ß s c h r i f t e n u n d n a m e n t l i c h die S i e g i s m u n d i s c h e , die A u s d r ü k k e so gestellt h a b e n , d a ß j e d e r U n t e r s c h i e d v o n d e r k i r c h l i c h e n M e i n u n g d e r l u t h e r i s c h e n K i r c h e f a s t g a n z v e r s c h w i n d e t , so d a ß die R e f o r m i r t e n v o n dieser Seite in d e r P r a x i s i h r e r K i r c h e kein H i n d e r n i ß f i n d e n k ö n n e n , die G e m e i n s c h a f t des A l t a r s m i t d e n L u t h e r a n e r n e i n z u g e h e n . Z w e i t e n s , d a ß w e n i g s t e n s mit d e m s e l b e n R e c h t , mit w e l c h e m Sie sagen, Calvin sei l a n g e Z e i t in d e r L e h r e v o m A b e n d m a h l m e h r lut h e r i s c h g e w e s e n als zwinglisch, a u c h ich s a g e n k a n n , L u t h e r u n d M e l a n c h t h o n seien in d e r L e h r e v o n d e r G n a d e n w a h l eine Z e i t l a n g calvinisch gewesen, u n d ich k a n n m i c h h i e r ü b e r auf I h r e e i g n e n W o r t e b e r u f e n . N u n h a t z w a r M e l a n c h t h o n sich n i c h t g e s c h e u t , die A e n d e r u n g seiner M e i n u n g s e h r ö f f e n t l i c h zu m a c h e n , a b e r h a t er, h a t L u t h e r alle diejenigen, die v o r h e r mit i h n e n gleicher M e i n u n g w a r e n , a u f g e f o r d e r t , ebenfalls i h r e M e i n u n g z u ä n d e r n , o d e r sie w ü r d e n i h n e n die G e m e i n Schaft des Altars v e r s a g e n ? D e r g l e i c h e n ist m i r w e n i g s t e n s n i c h t b e k a n n t ; u n d so | schließe ich also, d a ß a u c h die A n h ä n g e r des A u g s b u r g i - 61; 380 s e h e n B e k e n n t n i s s e s , welches in diesem P u n k t , weil es d e n S t r e i t p u n k t g a n z u m g e h t , s o g a r j e d e r Calvinist u n t e r s c h r e i b e n k a n n , k e i n e n G r u n d h a b e n , d e n R e f o r m i r t e n die G e m e i n s c h a f t des A l t a r s zu v e r s a g e n . D r i t tens, d a ß Calvin s o w o l in d e n I n s t i t u t i o n e n als in d e r E r k l ä r u n g d e r G e n f e r Kirche, u n d so a u c h i m m e r alle in d e r r e f o r m i r t e n K i r c h e , die

11-13 Vgl. Con/essio fidei loannis Sigismunde, Electoris Brandenburgici, in: Der Chur Brandeburg Reformation Werck, Berlin 1615, S. 12-14; BSRK 841, 20-842,29 17f Vgl. Ammon: Arznei 28 (unten 441,8-10) 20 Vgl. Ammon: „§. 111. Doctrina biblica de praedestinatione. [...][Anm.]d)[...] Propugnatae de decreto absoluto per Petrum Lombardum et Thomam Aquinatem sententiae ipse fere accessit Lutherus in libro de arbitrio seruo (Vitembergae 1525. in 8), et post ilium Caluinus, qui non ideo Deum elegisse quosdam docet, quia praeuidit, illos futuros esse sanetos, sed sanetos factos esse, quia elegit illos (instit. rel. Christ, lib. III. c. 21) [...]." (Summa, 3.Aufl., 208f) 21 f Anspielung auf die seit der „secunda aetas" (1535) der „Loci theologici" zutage tretenden Modifikationen der Prädestinationslehre 30-5 Vgl. z.B. Calvin: Institutio 3,23,12 sowie: De aetema dei praedestinatione (Consensus Genevensis 1552), in: Opera omnia Bd 8, Amsterdam 1671, S. 615; CR 36,324f

68

5

10

15

20

25

30

35

An Ammon

ihm streng g e f o l g t sind, sich g e h ö r i g und hinreichend verwahrt haben gegen alle praktische C o n s e q u e n z e n ihrer L e h r e , welche irgend der verwandt sind, d a ß der M e n s c h sich überheben k ö n n e seine Seligkeit zu schaffen, da er nicht wisse, o b er dazu b e s t i m m t sei, und d a ß also P f l i c h t und Seelenheil dabei nicht auf dem Spiel stehn; vielmehr d a ß die b e s o n d e r e Fassung dieser L e h r e in einigen reformirten B e k e n n t n i ß schriften und L e h r b ü c h e r n keine andere T e n d e n z habe, als eine F o r m e l aufzustellen, durch welche auf der einen Seite die göttliche A l l m a c h t so gerettet werden k ö n n e , d a ß man nicht nöthig habe, von irgend etwas, das geschieht, den göttlichen W i l l e n als G r u n d auszuschließen, und auf der andern Seite die göttliche G e r e c h t i g k e i t so zu retten, d a ß man nicht sagen k ö n n e , es zeige sich in irgend etwas, das geschieht, sofern es o h n e den Willen G o t t e s nicht g e s c h e h e n konnte, eine göttliche U n g e r e c h t i g keit. O b diese A u f g a b e m e h r durch die eine o d e r m e h r durch die andere A b f a s s u n g gelöst sei, will ich gar nicht entscheiden, sondern es mag hier i m m e r u n e r ö r t e r t bleiben; was ich I h n e n vorlege, ist nur dieses, daß also diese Lehre gewiß m e h r der S c h u l e a n g e h ö r t als dem L e ben, und nur aus unzeitigem E i f e r der in Streit b e g r i f f e n e n ins Leben ist hineingezogen w o r d e n , und d a ß eben deshalb auf dem G e b i e t des p r a k tischen C h r i s t e n t h u m s kein Streit hierüber ist zwischen R e f o r m i r t e n und Lutheranern, und also auch bei rein kirchlichen Verhältnissen und A n o r d n u n g e n a u f diesen | Streit keine R ü c k s i c h t d a r f g e n o m m e n wer- 62 den. N ä c h s t diesen P u n k t e n nun, und für den Fall, d a ß Sie einen o d e r den andern davon in Abrede stellen k ö n n t e n , gebe ich Ihnen nur zu bedenken, d a ß in dieser H i n s i c h t in unsern G e g e n d e n , auf welche wir es j a ursprünglich allein anlegen mit der V e r e i n i g u n g , gar keine neue G e - 381 f a h r durch die V e r e i n i g u n g entsteht. D e n n es ist d o c h einmal eingerissen, d a ß r e f o r m i r t e Christen lutherische Predigten, und lutherische Christen r e f o r m i r t e Predigten b e s u c h e n ; dieses k ö n n t e n wir auch bei dem besten W i l l e n nicht hindern, und ich glaube auch nicht, d a ß ein Bannstrahl aus D r e s d e n , wie kräftig er auch sei, es hindern k ö n n t e . W e r d e n also in den reformirten K i r c h e n g e f ä h r l i c h e S ä z e aus dem G e biet der V o r s e h u n g s l e h r e und der E r w ä h l u n g s l e h r e vorgetragen: so geschieht den lutherischen Christen eben so viel und eben so wenig S c h a den dadurch o h n e die U n i o n als mit der Ü n i o n . Zweitens nun ist streitig zwischen R e f o r m i r t e n und L u t h e r a n e r n die L e h r e vom A b e n d m a h l selbst. A b e r auch in Bezug auf diesen P u n k t h a b e n Sie Ihren Saz, d a ß

37 Punkt] Punkte 4f Zur Anspielung vgl. oben Anm. zu 53,27 50,8-10 37-2 Vgl. oben 60,15-19

17f Zur Anspielung vgl. oben Anm. zu

An Ammon

5

10

15

20

25

30

69

wir die Vereinigung hätten mit Unterhandlungen über das Dogma anfangen müssen, nicht bewährt, und auch über diesen Punkt mehr Dunkel als Licht verbreitet. Was Sie darüber sagen, steht, wie es ganz natürlich ist, wenn man begeistert schreibt, und auch ganz heilsam sein kann, wenn man sehr absichtlich schreibt, nicht an Einem Ort beisammen; es würde also auch schwer sein, Ihnen Schritt vor Schritt nachzugehen, und es scheint mir auch hier rathsamer, einfach und schlicht Ihnen einige Punkte vorzulegen zur Vertheidigung unseres Verfahrens, auf die es nun ankommt, ob Sie ihnen beistimmen werden oder nicht. Zuerst ist es bekannt, daß in der reformirten Kirche auf eine gänzliche Gleichförmigkeit der Vorstellungen vom Abendmahl nicht ist gedrungen worden, ohne daß | doch die Verschiedenheit hätte die Gemeinschaft des Altars 63 gestört. Denn die etwas dürftige und trokkne Zwinglische Lehre, daß die Sakramente nur Zeichen sein, und mehr der Kirche den Glauben ihrer Glieder bekundeten, als diesen Glauben selbst hervorbrächten oder stärkten, ist nie allgemein geworden, und schon vor Calvin hat Bucer dem Sakrament auch eine innere Wirkung zugeschrieben; sondern nur in dem negativen ist man einig, die leibliche Gegenwart Christi in Verbindung mit dem Brodt und Wein zu läugnen. Da nun von Anfang an Reformirte, welche eine eigenthümliche innere Wirkung des Sakramen- 382 tes läugneten mit solchen, welche sie behaupten, communicirt haben: warum sollen nicht auch sie sämmtlich, welche die leibliche Gegenwart läugnen, mit denen communiciren, welche sie behaupten, wenn nur die Handlung selbst so eingerichtet ist, daß sie nicht scheinen zu behaupten, was sie läugnen, als wodurch eine Unwahrheit mit ins Spiel kommen würde? Von Seiten der Reformirten kann also unter dieser einzigen Bedingung schon wegen der alten Praxis ihrer Kirche kein Hinderniß sein, die Gemeinschaft des Altars mit den Lutheranern einzugehen. Zweitens, wenn Sie uns aber durch Anführung mehrerer abgerissenen Stellen aus Calvins Institutionen Lib. IV. Cap.XVII. 3. 4. 8. 10. 24. überreden wollen, die Vereinigung könne, was diesen Punkt betrifft, auch durch Unterhandlungen über das Dogma bewirkt werden, und zwar so, daß man Calvin mit der unveränderten Augsburgischen Confession vereinbarte: so begreife ich nicht, wie Sie und Ihr beistimmen-

13-16 Paraphrase aus Zwingli: De vera et falsa religione, De sacramentis, Zürich 1525,201; CR 90,761,22-25 16f Vgl. z.B. Confessio Tetrapolitana, Art. XVIII (Martin Bucers deutsche Schriften, ed. R. Stupperich, Bd 3, Gütersloh 1969, S. 123-127) 29-34 Vgl. Amnion: Arznei 28f (unten 441,12-442,12) und Calvin: Institutionum christianae religionis libri quatuor, Leiden 1654, S. 488.490f.497; Opera selecta, ed. P. Barth/W. Niesei Bd5,344,7-12. 345,20-23.350,11-17.351,25-29.352,9.11.21f. 375,37-376,1 34-1 Vgl. LeipzigerLiteratur-Zeitung 1818, Nr. 14, Sp. 105-110; hier 109f: „/.../ allerdings sind die angeführten Worte Calvins [...] so gestellt, dass wenigstens so viel behauptet werden kann, Calvin habe

70

5

10

15

20

25

30

An Ammon

der Leipziger Recensent dieses behaupten können. Sie müßten denn alles überschlagen haben, was in demselben Kapitel vom 16 ten Abschnitt an, gegen diejenigen gesagt wird, „welche behaupten, das Brodt im Abendmahl enthalte den Leib Christi in und unter sich eingeschlossen, und welche | deshalb dem Leibe Christi eine seiner Natur widerspre- 64 chende Allenthalbigkeit andichten, weil sie nämlich glauben, nicht anders Gemeinschaft mit ihm haben zu können, als wenn er in das Brodt heruntersteige, diejenige Art des Heruntersteigens aber wodurch er uns zu sich hinaufhöbe nicht begreifen." Sie müßten überschlagen haben, wie er sich im 19ten Abschnitt ausdrüklich ausbedingt, „die Gegenwart Christi im Abendmahl müßte so gestellt werden, daß weder seiner himmlischen Herrlichkeit etwas entzogen werde - welches geschehen müsse, wenn man ihn an das Brodt anheften oder in das Brodt einschließen wollte - noch auch ein Widerstreit entstehe mit dem Wesen der menschlichen Natur - welches allemal geschehe, wenn man den Leib Christi zugleich an mehrere Orte zertheile, oder ihm eine unendliche Größe andichte, und ihn durch Himmel und Erde verbreite" - und wie er grade „mit Ausnahme dieser beiden Punkte gern alles annehmen 383 will, was die wahre Theilnahme der Gläubigen an des Herrn Leib und Blut ins Licht sezen kann." Sie sehen, bei dieser förmlichen Protestation ist keine Vereinigung Calvins mit der unveränderten Augsburgischen Confession denkbar. Und alles in den folgenden Abschnitten ist voll hievon, so daß ich nicht begreife, wie Sie zu der lezten Stelle, die Sie aus dem 24sten Abschnitt anführen, gekommen sind, ohne dies alles wenigstens durchlaufen zu haben; es ist doch alles von derselben guten Latinität. U n d warum hat diese Sie nicht über den 24sten Abschnitt hinausgelokkt bis zum 31sten, wo Sie deutlich gelesen hätten, „Weit aber verfehlen es diejenigen, welche keine Gegenwart des Fleisches Christi im Abendmahl annehmen, wenn es sich nicht im Brodte befindet. Denn so lassen sie der verborgenen Wirksamkeit des Geistes, welche uns Christum selbst verbindet, nichts übrig. Christus scheint ihnen | nicht 65 gegenwärtig, wenn er nicht zu uns herabsteigt. Als ob wenn er uns zu sich erhebt, wir nicht eben so gut seiner Gegenwart genössen. Die Frage

32f uns ... sich] sich ... uns sich in der That vorgestellt, dass Brod und Wein dem Glauben mehr seyn müssten, als blosse Zeichen des abwesenden Leibes und Blutes Christi". 3 - 9 Verdeutschte Zitate aus Calvin: Institutio 4,17,16, ed. Leiden (1654) 493f; ed. Barth 5,362,18-22.24-26.31-34 10-20 Verdeutschte Zitate aus Calvin: Institutio 4,17,19, ed. Leiden (1654) 494; ed. Barth 5,365,6-13.18-22 23f Vgl. Ammon: Arznei 29 (unten 442,9f) 25f Anspielung auf Ammon: Arznei 28 (unten 441,43) 27-3 Verdeutschtes Zitat aus Calvin: Institutio 4,17,31, ed. Leiden (1654) 502; ed. Barth 5,389,21-28

An

5

10

15

20

25

30

35

Ammon

71

ist also lediglich von der Art und Weise, weil sie Christum in das Brodt stellen, wir aber nicht erlaubt halten ihn vom Himmel herunter zu ziehen." Doch wenn Sie auch nicht so weit gelesen haben, so hätten Sie doch die Stelle aus dem lOten Abschnitt, welche Sie anführen, nicht so verstehen können, als wolle Calvin annehmen, es könne durch die geheime Kraft des heiligen Geistes der Leib Christi vom Himmel heruntergebracht und unter dem Brodt eingeschlossen werden. D e n n das würde zu sehr mit dem Verhältniß des Sohnes zum Geiste streiten; und es liegt auch schon in dieser Stelle, daß die verborgene K r a f t des Geistes uns zu Christo in den Himmel erheben soll. Also hierauf konnten wir uns nicht einlassen, wenn auch alle Reformirte vollkommene Calvinisten wären, Calvin mit der unveränderten Augsburgischen Confession in Einstimmung zu bringen. Und so ist denn auch bei diesem Punkt das Verfahren wol gerechtfertigt, die Vereinigung nicht mit Unterhandlungen über das Dogma anzufangen. Ich meines Theils, und so denken 384 Viele gewiß mit mir, wollte gar nicht, daß sie zu Stande käme, wenn jemand etwas von seinen religiösen Vorstellungen besonders bei einem so heiligen Gegenstande aufgeben müßte. Darum haben die Reformirten unter uns den lutherischen Brüdern nicht zugemuthet, von dem eigentliehen Inhalt des Augsburgischen Bekenntnisses auch nur im mindesten zu weichen, und wenn Sie S. 30. mit den Worten, „aber es leuchtet auch von selbst ein, daß uns zu diesem Zwekk nicht einmal eine Veränderung unsers ersten Hauptbekenntnisses angesonnen werden kann!" zu verstehen geben wollen, ein solches Ansinnen sei gemacht worden, oder werde gemacht werden: so ist dies, wenn von uns | hier zu Lande die 66 Rede ist, - und der Nassauischen Vereinigung erwähnen Sie ja nirgends, - eine grundlose Andeutung. Ich glaube nicht, daß Sie dies haben sagen wollen; aber jeder unkundige Leser wird Ihre Worte so verstehen. Und die Lutheraner unter uns haben den reformirten Brüdern nicht zugemuthet, ihre Vorstellung, sei sie nun mehr kalvinisch oder mehr zwinglisch, aufzugeben, und sich dem unveränderten Augsburgischen Bekenntniß anzuschließen; sondern das einzige, was sich hierin von selbst versteht, ist dieses, daß wer an der Union Theil nimmt, das „et improbamus secus sentientes" nicht mit an den Tisch des H e r r n nehme, wenn er es gleich in seiner Dogmatik festhalten, und, wie Lu-

10 soll.] soll

4 Vgl. Ammon: Arznei 29 (unten 442,2-6) 2 1 - 2 3 Vgl. unten 442,18-20 26 Im Herzogtum Nassau erfolgte der erste Unionsschluß in Deutschland (}./II.August 1817). 34 Anspielung auf die Verwerfungsformel von CA X 3 5 - 3 Vgl. die (fast wortgleiche) Ubersetzung der Briefe Luthers an Nicolaus Gerbel (4.10.1529) und an Wenzeslaus Linck

72

5

10

15

20

25

30

An Ammon

ther in mehreren Briefen nach dem M a r b u r g e r Gespräch, von H e r z e n wünschen kann, G o t t möge auch die übrigen Skrupel heben, und die Irrenden ganz zur W a h r h e i t z u r ü k f ü h r e n . D u r c h U n t e r h a n d l u n g e n wäre das aber auch jezt gewiß eben so wenig geschehen, als damals. D e n n wenn wir zum Beispiel auch angeboten hätten, was Calvin selbst anbietet in desselben Kapitels 16tem Abschnitt, „wenn sie ihre M e i n u n g dahin erklären wollten, daß, indem das Brodt im Sakrament dargereicht wird, damit verbunden sei die Darreichung des Leibes, weil nämlich das Wesentliche auch unzertrennlich ist von seinem Zeichen; so würde ich nicht sehr dagegen streiten;" so w ü r d e doch das bei der gerechten Anhänglichkeit vieler Lutheraner an den genauen Buchstaben der Vorstel- 385 lung, welche in der Augsburgischen Confession niedergelegt ist, auch nichts geholfen haben; vielmehr w ü r d e n die D i f f e r e n z e n noch stärker herausgetreten sein. D e n n da wir so sehr recht gehabt haben in der Voraussezung, daß, auch wenn wir die Vereinigung o h n e Ausgleichung des D o g m a versuchten, doch jezt die verschiedenen Meinungen über die streitigen P u n k t e lebhafter würden erwogen u n d ge-|gen einander 67 gehalten werden, als seit langer Zeit der Fall gewesen: wie würde es erst bei den U n t e r h a n d l u n g e n selbst gegangen sein! Gewiß nicht besser, als auf dem M a r b u r g e r Gespräch selbst; und es war wol eine sehr richtige A h n d u n g der H a u p t t h e i l n e h m e r an jener Verhandlung, d a ß man sich nicht leicht jemals vergleichen werde - auf diesem W e g e nämlich, denn ein anderer fiel ihnen nicht ein. Drittens, der eigentliche Streitpunkt zwischen beiden Kirchen, wenn man auch diejenige reformirte Vorstellungsart annimmt, welche der lutherischen am nächsten kommt, liegt n u n darin, d a ß der eine Theil glaubt, der geheimnißvolle G e n u ß des Leibes und Blutes Christi erfolge, indem beides auf eine unbegreifliche Weise im Brodt und Wein gegenwärtig sei, der andere Theil aber, dieser geheimnißvolle G e n u ß erfolge zwar auch bei dem G e n u ß des Brodtes u n d Weines, aber vermittelst einer durch die K r a f t des heiligen Geistes in den Gläubigen bewirkten E r h e b u n g der Seele zu dem erhöhten Erlöser. So sollten Sie billig den S t a n d p u n k t a u f g e f a ß t haben, und nicht bei den gewöhnlichen compendiarischen Phrasen stehn geblieben sein, „ob

6 16tem] 16ten

31 bewirkten Erhebung] bewirkte Erhebuug

(28.10.li29) in der ausjuhrlichen Dokumentation „ Von dem Colloquio zu Marpurg." bei Johann Georg Walch: D.Martin Luthers sämtliche Schriften Bd 17, Halle 1745, Sp. 2373.2377 (WA.B 5, 155,13f. 170,18-20) 6-10 Verdeutschtes Zitat aus Calvin: Institutio 4,17,16, Leiden (1654) 493; ed. Barth 5, 362,22-24 14-18 Zur Anspielung vgl. [Schleiermacher:] Amtliche Erklärung 10; SW 1/5,302 20-22 Vgl. ζ. B. die Darstellung hei Schroeckh: Kirchengeschichte seit der Reformation Bd 1, Leipzig 1804, 429-431 33-2 Für den Wortlaut

An Ammon

5

10

15

20

25

30

35

73

Christus n u r seinen Leib giebt, o d e r Brodt; o b das B r o d t d e n Leib C h r i sti n u r b e d e u t e , " d e n n d a d u r c h w i r d d a s W e s e n d e r r e f o r m i r t e n V o r stellung selbst d e r Zwinglischen keinesweges vollständig bezeichnet; u n d „ o b e r k r a f t d e r E i n s e z u n g s w o r t e w i r k l i c h g e g e n w ä r t i g sei," d e n n dadurch wird das eigenthümliche der lutherischen Vorstellung keinesweges b e s t i m m t a u s g e d r ü k t ; s o n d e r n dies k ö n n t e auch b e h a u p t e n , w e r nur den von Melanchthon abgekürzten Artikel der Augsburgischen C o n f e s s i o n s i c h g e f a l l e n l i e ß e , u n d w e r s e i n B e k e n n t n i ß in d i e v o n m i r a n g e z o g e n e S t e l l e C a l v i n s k l e i d e t e . A u s d e r r i c h t i g e n F a s s u n g d e s 386 Streitpunktes geht nun unmittelbar dieses hervor, d a ß nach der einen M e i n u n g a n d e m s a k r a - | m e n t l i c h e n G e n u ß d e s L e i b e s u n d d e s B l u t e s 68 C h r i s t i d i e U n g l ä u b i g e n , w e n n sie a u c h d a s s e l b e B r o d t u n d d e n s e l b e n W e i n genießen, keinen Antheil n e h m e n , weil d e r heilige Geist ihre Seel e n n i c h t e r h e b t ; n a c h d e r a n d e r n a b e r t h e i l e n sie j e n e n G e n u ß , w e i l e r mit d e m G e n u ß des Brodtes u n d Weins d e r leiblichen G e g e n w a r t weg e n u n z e r t r e n n l i c h v e r b u n d e n ist. S i n d n u n d i e s e s d i e e i n z i g e n b e i d e n S t r e i t p u n k t e : s o m ö c h t e i c h Sie f r a g e n , ist es r e c h t u n d billig, d a ß d i e G e m e i n s c h a f t des Altars zwischen denen, die sonst einig sind, d u r c h d i e s e D i f f e r e n z g e h e m m t w e r d e ? G l a u b e n Sie, d a ß i r g e n d e i n a n d ä c h t i ger C h r i s t bei dieser heiligen H a n d l u n g g e s t ö r t w e r d e n k ö n n e d u r c h d e n G l a u b e n , d a ß , w ä h r e n d e r s e l b s t ü b e r z e u g t sei d e n L e i b u n d d a s Blut Christi mit d e m B r o d t u n d W e i n zu g e n i e ß e n , sein N a c h b a r g l a u b e n u r d u r c h die himmlische E r h e b u n g seiner Seele jenes G e n u s s e s theilh a f t i g z u w e r d e n ? o d e r m u ß n i c h t e r s e l b s t billig s o e r h o b e n s e i n in d i e sem heiligen Augenblikk, d a ß er mit d e m B r o d t u n d W e i n im H i m m e l z u sein glaubt, u n d d e r g a n z e G e d a n k e h i e r a n i h m n u r eine S t ö r u n g d e r A n d a c h t w ä r e ? S o soll j a w o h l s e l b s t d e r g e l e h r t e T h e o l o g e in d i e s e m A u g e n b l i k k e r g r i f f e n sein, u n d a l s o a u c h f ü r i h n d i e F r a g e n u r e i n I n teresse h a b e n , i n d e m er ü b e r d e n G e g e n s t a n d speculirt, das h e i ß t i n d e m er f ü r die Schule arbeitet, nicht aber i n d e m er d e r Kirche dient; f ü r d e n L a i e n a b e r h a t sie a u s d e m s e l b e n G r u n d e g a r k e i n e s . O d e r soll u n d k a n n i r g e n d e i n g l ä u b i g e r C h r i s t ein s o l c h e s I n t e r e s s e d a r a n n e h m e n , ob auch die U n g l ä u b i g e n d e n Leib u n d das Blut Christi genießen, d a ß er deshalb seinem gläubigen B r u d e r die G e m e i n s c h a f t des Altars verw e i g e r n sollte? Sind keine U n g l ä u b i g e n a m A l t a r selbst; so h a t ja diese F r a g e d u r c h a u s k e i n a n d e r e s als e i n s c h o l a s t i s c h e s I n t e r e s s e , u n d ei-

7 Augsburgischen] Augsburgschen vgl. Ammon: Arznei 21.31 (unten 438,18.443,6) 4 Ammon: Arznei 31 (unten 443,7f) 7i Vgl. obenAnm. zu 63,17f 8f Oben 72,6-10

74

5

10

15

20

25

30

An Ammon

gentlich sollen doch keine da sein. Denn das ist doch nur ein flüchtiger Gedanke von Ihnen und kein richtiger, |daß das eine besondere Ueber- 69 einstimmung Calvins und der Brüdergemeine sei, daß Christus das Abendmahl nur den Gläubigen verordnet habe. Dies ist vielmehr eine 387 Lehre der lutherischen Kirche, und Ihre eigene auch, und ich bin in Verlegenheit, Ihnen dieses beweisen zu müssen. Es geht aber auf die kürzeste Art aus derjenigen Praxis Ihrer Kirche hervor, vermöge deren die Beichte, und vorzüglich die Privatbeichte, die Sie ja so sehr vorziehen, und die Absolution dem Genuß des Abendmahls vorangehn soll. Denn sezt man nicht voraus, wer beichtet, giebt sich zu erkennen wie er ist? und sollen Ihre Geistlichen den Ungläubigen etwa absolviren, wenn sie nicht überzeugt sind, er wende sich reuig zum Glauben hin? Durch diese Praxis schließen Sie also die Ungläubigen eigentlich aus; und das dürfen Sie doch nicht thun, wenn Christus auch diesen das Abendmahl verordnet hätte. Dasselbe folgt ferner daraus, daß Sie behaupten, die Ungläubigen genießen den Leib und Blut des Herrn auch, wenn sie das Brodt und den Wein genießen; offenbar dann doch sich zum Gericht, wie wenigstens Ihr zweites Hauptbekenntniß (S.272. A.v.Lücke) anerkennt. Zum Gericht kann es ihnen aber doch Christus nicht verordnet haben; Sie müßten denn auf die wunderlichste und härteste Weise mit der lutherischen Abendmahlslehre die kalvinische Prädestinationslehre verbinden. Bei dieser Lage des Streitpunktes finde nun ich meines Theils es sehr natürlich, daß auch viele Glieder der lutherischen Kirche, und unsere Geistlichen an ihrer Spize, kein Bedenken getragen haben, mit ihren reformirten Brüdern die Gemeinschaft des Altars einzugehen. Und wenn Sie sagen, dies sei „vor der Hand mehr eine Gemeinschaft andächtiger Gefühle, als eines deutlichen und bestimmten Glaubens," so würde ich daraus, wenn ich leidenschaftlich für die Sache eingenommen wäre, und sie also um jeden Preis | wünschte, einen guten Erfolg 70 ahnden, indem ich einer alten Klage von Ihnen gedächte, daß der Dämmerungsbegriff gewöhnlich den Sieg davon trage; denn unsere Vereini-

18 Α.] Abk. fiir Ausgabe

2-4 Vgl. Ammon: Arznei 30 (unten 442,38-42) 8f Vgl. Ammon: Arznei 13f (unten 434,37-43}, 1) 15-17 Anspielung auf Ammon: Arznei 31 (unten 442,33443,8) 17-19 Vgl. Apologia Augustanae Con/essionis Latine et Germanice, ed. F.Lücke, Berlin 1817, S.272 (Art. XI. De Con/essione); BSLK 250,43f 26f Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 30f (unten 442,28-32) 30 f Vermutlich Anspielung auf Erörterungen zum Religionsbegriff bei Ammon: Ausführlicher Unterricht in der christlichen Glaubenslehre für Freunde der evangelischen Wahrheit nach Grundsätzen, Bdl/1, Nürnberg!Altdorf 1807, S. 11-36. Zwar wende sich das gegenwärtige „Zeitalter [...] wieder zu mystischen Begriffen" von Religion (18), doch sei dieser Tendenz entgegenzuhalten:„/.../ warum beruft ihr

An Ammon

5

10

15

20

25

30

75

gung wäre dann eine Dämmerungssache. Aber es ist wol nicht so, sondern jeder hat dabei seinen deutlichen und auch sehr bestimmten Glauben, nur daß er glaubt, nicht in allen Punkten brauche dieser Glaube bei 388 allen völlig gleich bestimmt zu sein. Und meinen Sie denn im Ernst, daß zu einer solchen völlig gleichen Bestimmtheit in Allen die Augsburgische Confesssion, auch die unveränderte, hinreiche und Gewähr d a f ü r leiste? Ist etwa nicht nur in der Confession, sondern auch in der Apologie, ja ich darf sagen in irgend einem Ihrer Symbole die Scheidung der lutherischen Vorstellungsart von der katholischen so rein und bestimmt herausgetreten, in positiven, nicht nur negativen Formeln, daß nicht mancherlei Modificationen derselben möglich wären, ohne gegen die symbolischen Formeln zu verstoßen? H a t man nicht in Ihrer Kirche selbst den großen Melanchthon öfters so vertheidigt, daß er die bekannte Aenderung vorgenommen, weniger um sich den Schweizern zu nähern, als um sich bestimmter von der römischen Theorie zu entfernen? und hat also dieser nicht wenigstens geglaubt, daß in diesem Punkt der Glaube doch noch nicht deutlich und bestimmt genug sei? Eben so nun ist auch unsere Gemeinschaft vor der H a n d nicht ohne ein bestimmtes Symbol. Dies ist der vierzehnte unter den Marburger Artikein; und unsere ganze Sache besteht nur darin, daß wir dem fünfzehnten eine andere Wendung geben, sagend, Und weil wir einsehn, daß dasjenige, worüber wir uns nicht vergleichen können, zu der Hauptsache, nämlich der geistlichen Wirkung des Leibes und Blutes Christi, nichts austrägt, wollen wir als Brüder das Abendmahl des Herrn miteinander feiern, und uns dabei enthalten den streitigen Punkt auf | die 71 Bahn zu bringen, Gott übrigens bittend, daß er uns in dem rechten Verstand immer mehr bestätigen wolle. Und wenn mir jemand damals gesagt hätte, daß Sie dieses nicht billigen würden: So hätte ich es nicht geglaubt. Ich hätte gesagt, wer „eine öffentliche Befreiung von der ohnehin schon gesunkenen Symbololatrie" (Ausführl. Unterr. S.490.)

euch zur Unzeit auf das Universum, welches niemand anzuschauen vermag, als der Herr allein; warum beugt ihr das berüchtigte Eins und Alles wieder in den alten pantheistischen Cirkel, dessen Mittelpunkt man seit Jahrtausenden vergebens sucht; warum laßt ihr Gott und Welt in der Zerflossenheit eures Denkens gerade auf dem Punkte wieder in eins zusammenschmelzen, wo sich die Dämmerung eurer Speculationen in ein täuschendes Zwielicht, oder in dunkle Schatten auflöst?" (29f) 12-16 Vgl. z.B. die Darstellung bei Planck: Geschichte unsers protestantischen Lehrbegriffs Bd4, Leipzig 1796, 14f 19f Gemeint sind die Konsensfeststellungen des 15. Marburger Artikels. Schleiermacher folgt hier möglicherweise der abweichenden Zählung älterer Lutherausgaben (vgl. z.B. D.Martin Luthers sämtliche Schriften, ed. J. G. Walch, Bdl7, Halle 1745, Sp.2360f; zum Problem WA 30/3,169,5-170,1). 21-27 Anspielende Neuformulierung der Dissensfeststellung des 15. Marburger Artikels (vgl. WA 30/ 3,170,6-15; BSLK 65,22-26) 29-1 Vgl. Ammon: „Schon freut sich ein beträchtlicher Theil Europa's der weisen christlichen Toleranz, welche die Ireniker eine conservative

76

5

10

15

20

An Ammon

wünscht, der könne uns wol nicht tadeln, wenn wir in diesem einen Punkte vom Jahre 1530 auf das Jahr 1529 zurükgehn; ich hätte gesagt, wer Bibl. T h e o l . I I I S. 135. so, „gar keinen Beruf fühlt den unglüklichen 389 und die Religion der Liebe so sehr verläugnenden Streit über die Symbole oder das körperliche dieser Handlung fortzusezen, da wir über den geistigen Zwekk derselben [...] vollkommen einverstanden sind," der müsse sich freuen, diesen Streit auf eine solche Weise beseitiget zu sehen, und um so mehr müsse er sich freuen, da wer (Ausführl. Unterr. S.490. 491.) eine temperative Union, welche die getrennten Brüder in Eine Gottesfamilie vereinigt, ohne ihnen ihre Individualität zu rauben, sogar zwischen den Katholiken und Protestanten zwar f ü r schwer, aber doch f ü r möglich und wünschenswerth hält - eine Meinung, die ich übrigens nicht theile - doch eine eben solche Union der Protestanten unter sich voranschikken muß. Doch das ist alles noch aus Erlangen her; aber ich hätte auch gedacht, wer noch in der neuen Summa ohnerachtet der Anmerkung, welche auch den Ungläubigen zuspricht, daß ihnen der Leib Christi im Genuß gegenwärtig sei, doch bekennt, daß die lutherische Kirchenlehre sich so gestaltet habe, um f r o m m e Empfindungen zu erregen, wenn diese auch nicht immer in klare Begriffe ausgehn, der würde uns unirende nicht grade von der Seite tadeln, daß es uns am deutlichen und bestimmten Glauben fehle. W e r so bestimmt sagt, daß alle Absichten des heiligen Mahls in der geistigen Ver-|einigung der Ge- 72 müther mit Christo ausgehn, der müsse doch wol den Reformirten auch zugestehen, daß diese Absichten in ihrer Communion erreicht werden

12 f übrigens] überigens

Union genant haben; warum sollte eine Verbesserung des römischen Priesterwesens von der einen, und die öffentliche Befreiung von der ohnehin schon gesunkenen Symbololatrie von der anderen Seite nicht iene temperative Union herbeiführen können, welche Brüder wieder aussöhnte und in eine Gottesfamilie vereinigte, ohne ihnen darum die Individualität zu rauben, die Jahrhunderte erzeugt haben, und welche eben daher auch nur Jahrhunderte verwischen können? " (Ausführlicher Unterricht in der christlichen Glaubenslehre, Bd H2, Nürnberg/Altdorf 1808, 490f) l f Von CA X zum letzten Marburger Artikel 3 - 6 Erst ab den unglücklichen Zitat aus Ammon: Biblische Theologie, 2. Aufl., Bd3, Erlangen 1802, S.135f („§.25. Erste Feier des Abendmahles.") 8-12 S. oben Anm. zu 75,29-76,1 16f Vgl. Ammon: „§. 152. Continuatio [.. ,][Anm.] α) , Wir lehren, daß Brod und Wein der Leib und Blut Christi seien, nicht auf des Dieners Einsegnung, sondern wegen der Einsetzung Christi, der es so will. Und daß man es essen und trinken, nicht aber in der Speiseschachtel aufheben, oder im Umgange umhertragen müsse; ob wir uns gleich nicht darum bekümmern, ob in dem umgetragenen und eingeschlossenen Sacrament der Leib Christi sei?' Luther opp. XVII,2524. Patet itaque, praesentiam corporis I. C. ab vsu vescentium, siue credant, siue non credant, seiungi nunquam deberi." (Summa, 3.Aufl., 268f) 17-19 Paraphrase und verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 268 21-23 Verdeutschtes Zitat aus Ammon: Summa, 3.Aufl., 270 („§. 153. Conclusio cum epicrisi.")

An

5

10

15

20

25

30

35

Ammon

77

können; und wenn jeder f ü r sich, warum sollten sie dann nicht auch beide zusammen erreichen können, sofern nur ein Ritual gefunden wird, welches weder den einen noch den andern stört? Wer ohnerachtet nun einmal „unser Abendmahl mehr kirchlich als biblisch ist," doch den kirchlichen Obern so ernstlich anräth „alles zu thun, um dieses Sakrament der Bestätigung den Zeitgenossen aufs neue zu empfehlen," der, dächte ich, würde den unsrigen gern zugestehen, auch dieses zu versuchen, wenn man ihm deutlich machte, daß, wo viele Familien und eng verbundene Menschen durch den Unterschied der Bekenntnisse im Sakrament getrennt werden, eine solche Vereinigung in der T h a t das Sakrament viel unmittelbarer im Leben wirksam macht, und also von der 390 besten Seite empfiehlt. Aber diese Betrachtungen verschwinden Ihnen jezt alle gegen die absolute Verpflichtung auf die Augsburgische C o n fession; und Sie mögen die Rathlosigkeit nicht mit uns theilen, in welche wir gerathen müssen, wenn man uns nun doch f r ü h e r oder später fragt, zu welcher Kirche wir gehören; denn da würden doch entweder auch die Lutheraner unter uns von der Augsburgischen Confession abfallen oder auch die Reformirten unter uns sich dazu bekennen müssen, und dann könnten sie ja freilich dies lieber gleich jezt ungefragt thun. Aber dies, mein Lieber, wollen sie eben nicht, weil sie nicht können, und wollen es vielleicht um so weniger, als sie noch nicht vergessen haben, was sonst o f t genug gesagt worden ist, daß eben so gewiß viele Lehrer der lutherischen Kirche sich zur reformirten Vorstellung vom Abendmahl neigten, als viele Lehrer der reformirten zu der lutherischen Meinung von der Erwählung. Und so müssen wir es freilich darauf ankommen lassen, wie es gehen wird, | wenn wir so gefragt werden. V o r der 73 H a n d werden wir uns drehen müssen und wenden und sagen der eine, ich gehöre der helvetischen Confession an, aber ich halte mich zu den Gemeinen, wo Christen beider Bekenntnisse mit einander communiciren, der andere, ich gehöre dem augsburgischen Bekenntniß, aber ich thue eben so. Und dies wird unter allen provisoriis, die seit langer Zeit bestanden haben, das allerunschädlichste und freieste sein; ja ich hoffe, wir werden uns so wohl dabei befinden, wenn wir nur erst wirklich dazu gekommen sind - wovon bis jezt wol zu merken nur der erste Keim vorhanden ist - daß wenn man uns fragt, aber wollt ihr denn nicht lieber eine neue dritte Kirche bilden, damit ihr endlich einmal rein f ü r euch dasteht, wir immer beharrlich antworten werden, Nein. Allein

2 e i n ] eine

3 - 6 Verdeutschte Zitate und Paraphrase aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 270 (§153) 18 Anspielung auf Ammon: Arznei 30f (unten 442,27-443,13)

12-

78

5

10

15

20

25

30

An

Ammon

wer kann und soll uns denn eigentlich diese verfänglichen Fragen vorlegen? Irgend eine andere protestantische Kirche? Wie hat denn eine mit der andern Verkehr? Und welcher wären wir denn und zu welchem Behuf Rede und Antwort schuldig? Oder welche hätte denn ein Recht, 391 sich auf irgend eine Art in unsere, der protestantischen Kirche des preußischen Staates, Angelegenheiten zu mischen? Doch Sie werden sagen, diese Fragen verrathen mehr das Gefühl der Kraft, als das Gefühl des Rechts; sie bewiesen vielmehr, daß wir uns wirklich losgerissen hätten, jeder Theil von der großen Völkergemeinde, mit welcher er bisher religiös verbrüdert war; und so kommt mir Ihr Tadel entgegen, „daß wir, ohne uns mit den durch Gottes W o r t gemeinschaftlich gebundenen Gewissen zu berathen, Namen, Sitten und Grundsäze nach eigner Willkühr geändert hätten." Und dieses, meinen Sie doch, lohne um so weniger der Mühe, als es doch nur eine äußerliche Verbindung sei unter beiderseitigem Vorbehalt des innern, gegen welche wol eines einzigen Reformirten oder Lu-|theraners Protestation genüge. Denn auch diese 74 Harmsische Thesis haben Sie ja nachgesprochen. Wohl! Lassen Sie mich beim lezten anfangen. Das gestehen wir ja gern und unaufgefordert, daß auch eines einzigen Lutheraners oder Reformirten Protestation gegen unsere Verbindung genüge, nämlich f ü r ihn selbst. Denn wir wollen, wie wir ja deutlich genug erklärt, keinen überreden oder gar zwingen; und wenn ein solcher auch keinen zweiten mehr fände, um ganz mit ihm nach der alten Weise das Abendmahl zu feiern, so würde sein Beichtvater selbst, damit es eine Communion sei, der zweite sein. Aber soll etwa einer f ü r alle protestiren können, weil nämlich er allein beim Glauben der Kirche geblieben sei, die andern aber alle abgefallen, denn auch die 77ste Thesis haben Sie Herrn Harms nachgesprochen: so begreife ich nicht, wie Sie das haben sagen können, da Ihnen doch unsere Erklärung vor Augen lag, die H e r r H a r m s noch nicht haben konnte, und die es so deutlich besagt, daß Niemand dieser Verbindung wegen von seinem Glauben abzufallen braucht? Wie können Sie es redlicher Weise S.30. zweifelhaft stellen, daß wir vielleicht hätten den Erörterungen über das Dogma ausweichen wollen, da wir ausdrükklich 27 77ste] 80ste

8-10 Anspielung auf Ammon: Arznei 22f (unten 439,9-16) 10-13 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 23 (unten 439,13-16) 14-16 Vgl. Harms: These 80 (Schriften 1,223) 16f Vgl. Ammon: Arznei 19 (unten 437,27-30) 20-22 Vgl. [Schleiermacher:] Amtliche Erklärung 7f; SW I/5,300f 25-27 Vgl. Ammon: Arznei 19 (unten 437,24f) und Harms: Thesen 32; Schriften 1,222 28-30 Vgl. Ammons Bezugnahme auf die unter dem 29.10.1817 datierte Amtliche Erklärung (Arznei 30; unten 442,36f) 30f Vgl. [Schleiermacher:] Amtliche Erklärung 8; SW Hi,301 31-33 Vgl. unten 442,21f 33-1 Vgl. [Schleiermacher:] Amtliche Erklärung 9f; SW 1/5,302

An Ammon

79

die Verschiedenheit des Dogma anerkennen? O d e r wollen Sie behaupten, das „improbamus secus sentientes" und was darauf gefolgt ist, gehöre eben so wesentlich zur Lehre als alles übrige, und es müße sich eben so wesentlich auch in der Trennung der Kirchengemeinschaft äußern? N u n ja in diesem Falle, und in diesem allein, hätten Sie recht! Aber welchen unmäßigen Schrekk muß Ihnen der Ausdrukk „vom Glauben der Kirche abfallen," erregt haben, wenn Sie bis zu dieser Behauptung den Zusammenhang mit Ihren ehemaligen Aeußerungen und Ansichten verloren haben! O d e r wollen Sie etwa in noch tiefere Tiefen hinabsteigen - denn man muß | dreist sein und drauf los gehn, um Sie nur irgendwo fest zu halten - und sagen, wenn auch nicht alle Genießenden unter sich ganz genau dieselbe Vorstellung zu haben brauchen: so müsse doch jeder Genießende sie mit seinem Austheilenden haben? Doch nein in dieser Tiefe stekkt nichts. Denn wenn auch der austheilende Geistliche nach der Meinung eines Genießenden eine geringere Meinung vom Sakramente hat, so wäre er deshalb höchstens ein unwürdiger; und da die Kraft des Sakramentes nicht auf dem beruht, was der Geistliche thut und ist, sondern auf der Kraft der Einsezung, so geht auch hieraus keine Nothwendigkeit hervor, daß die Kirchengemeinschaft müsse getrennt bleiben. Dies ist der einzige Grundsaz, den wir aufgestellt haben, und nur in sofern Sie sagen können, dieser stehe im Widerspruch mit allen bisherigen Grundsäzen, dürfen Sie sagen, d a ß wir Grundsäze geändert haben. Aber lassen Sie uns doch fragen, warum denn Luther und Melanchthon in Marburg die Kirchengemeinschaft so hartnäkkig verweigerten? Weil sie begriffen, daß dann die Schweizer erlauben müßten, daß die Wittenbergische Lehre auch in der Schweiz dürfe gelehrt werden; und weil sie selbst hätten zugeben müssen, daß die Schweizerische und Strasburgische Lehre auch in Sachsen gelehrt würde. Jenes glaubten sie nicht h o f f e n zu dürfen, nach dem was ihnen von Zwingiis harten Aeußerungen war berichtet worden, und dieses scheinen sie selbst nicht gern gewollt zu haben, weil sie sonst geschienen hätten, allzuheftig und ungerecht gegen Carlstadt verfahren zu haben, wenigstens was diesen Punkt betrifft. Wie mir denn überhaupt immer geschienen hat, daß das Marburger Gespräch eine andere Wendung würde genommen haben, wenn nicht die Sachsen von der Vorstellung ausgegangen wären, die Schweizer wollten grade Carlstadten zu Hülfe kommen. Doch dem sei wie ihm wolle; wir, | die wir uns uniren wollen, wir haben dieses Bedenken nicht. Wir gestatten einan-

2 Vgl. oben Anm. zu 71,34 6f Vgl. Harms: These 77 (Schriften 1,222) 20f Vgl. [Schleiermacher:]Amtliche Erklärung 10; SW 1/5,302 33-4 Vgl. [Schleiermacher:]Amtliche Erklärung 10f; SW1/5,302f

392

75

393

76

80

5

10

15

20

25

30

An

Ammon

der, daß die reformirte und lutherische Lehre vorgetragen werde nach jedes Ueberzeugung, wo es Noth thut diese Sache zu behandeln, nur daß der Grundsaz, der sich in der Praxis zeigt, mit ausgesprochen werde. Wenn wir nun auf diese Weise versöhnen auf eine wohl überlegte und besonnene Weise, nicht wie Sie vorspiegeln durch rasche That, was ein unglüklicher Augenblikk eine nachtheilige Verbindung der Umstände gesündigt hat, verlieren wir deswegen Stamm und Glauben? Wer aber läugnen will, daß die Zeit auch diese Scheidewand zwischen beiden Confessionen aufgehoben habe, daß man verschiedener Meinung sein könne über diese Punkte, ohne daß die Innigkeit der kirchlichen Gemeinschaft darunter leide, der warte wenigstens, bis er sich auf den Erfolg berufen kann. Nur das Eine vergönnen Sie mir noch zu fragen, Wie Sie denn sagen können, unsere frommen Oberen hätten sich über jeden Lehrtypus weggesezt, da doch am Lehrtypus nichts geändert worden, sondern nur am Ritual, das Ihnen doch auch in der neuen Summa noch etwas anderes ist, als der Lehrtypus, und hinter demselben steht? Und das zweite noch, Wie können Sie in Einem Athemzug fast sagen, wir hätten Grundsäze geändert, und unsere Verbindung wäre nur eine äußerliche? Eines von beiden kann doch nur wahr sein. Wer über einen Gegenstand einmal seinen Grundsaz ändert um sich mit einem andern zu verbinden, und die Verbindung doch so einrichtet, daß sie nur eine äußerliche bleibt, und er sich doch noch ein anderes innerliches vorbehalten muß, der müßte es freilich sehr ungeschikkt angefangen haben, und hätte dann freilich im Gefühl dieses Ungeschikks besser gethan, noch eine fremde Hülfe herbei zu rufen! Und noch das dritte lassen Sie mich fragen, ob es Ihnen denn wirklich wahr ist, | daß die Verbindung gleichgesinnter und zusammengehöriger 77; 394 Menschen zum gleichen geistigen Genuß nur eine äußere, die Verbrüderung aber entfernter und nicht in demselben Grade in religiöser und geselliger Hinsicht zusammengehöriger zu der gleichen Vorstellung von der Art und Weise des Zusammenhangs zwischen dem äußeren und dem sakramentlichen Genuß, und von dem sakramentlichen Genuß der Ungläubigen eine innerliche sei? Ich glaube es nicht! und Sie

32 von d e m s a k r a m e n t l i c h e n ] v o n d e m s a k r a m e u t l i c h e n

5f Vgl. Ammon: Arznei 22 (unten 439,1f) 7f Anspielung auf Ammon: Arznei 23 (unten 439.21-23) 8 f Vgl. Harms: These 77 (Schriften 1,222) und Ammon: Arznei 18 (unten 437.22-24) 13f Vgl. Ammon: Arznei 2lf (unten 438,34f) 1 5 - 1 7 Anspielung auf „§. 154. De ritualibus sacrae coenae.", mit dem Ammon in der Summa, 3.Aufl., 27lf seine Darstellung der Abendmahlslehre beschließt 1 7 - 1 9 Vgl. Ammon: Arznei 23 (unten 439,13-16) mit 19 (unten 437,27f)

An Ammon

5

10

15

20

25

30

81

können es auch nicht glauben, wenn Sie nicht auf das bestimmteste zurükknehmen das sonst gesagte, „daß alle Zwekke dieser heiligen Handlung in der Verbindung der Gemüther mit Christo zusammenlaufen, daß wenn eine genauere Bestimmung über die Gegenwart Jesu im Abendmahl zum Wesen der Handlung nöthig wäre" - also unwesentlich ist Ihnen selbst hiernach der Unterschied der Reformirten und Lutheraner, und Sie haben deshalb, wenn Sie dies nicht zurükknehmen, keine Frage an uns zu richten - „Jesus sie seinen Jüngern nicht würde vorenthalten haben, und daß eine herzliche und unbefangene Darstellung der religiösen Endzwekke dieses ehrwürdigen Mahles stärker und wirksamer sei, als eine geheimnißvolle Entwiklung leerer Dogmen; d a ß durch die symbolische Bestimmung Ihrer Kirche das heilige Dunkel dieser feierlichen Religionshandlung solle geehrt werden, welches vielleicht nicht einmal gänzlich hinweggenommen werden dürfe, wenn sie auf die Herzen des Volkes wirken und f r o m m e Gefühle in demselben rege machen solle." Wie dies alles mit Ihrer jezigen Behauptung von unserer Union nicht stimme, das ist theils klar genug, theils will ich mir lieber die Nachweisung versparen, bis Sie sie verlangen; und gehe nun lieber zu dem andern Punkte, daß wir „Namen und Sitten geändert haben ohne Berathung aus eigner Willkühr." Sitten? sind Ihnen Sitten und Gebräuche | einerlei, so sollten Sie es auch nicht so hoch nehmen 78 mit dem Unterschied zwischen innerer und äußerer Verbindung; denn Sitten sind doch, mir wenigstens etwas innerliches, und Gebräuche etwas äußerliches. Sitten in diesem Sinne haben wir nicht geändert, sondern nur Gebräuche. Aber auch die Gebräuche sind in der reformirten 395 Kirche niemals überall dieselben gewesen, und wiewol in geringerem Grade, verschieden sind sie in der lutherischen auch. Diese Verschiedenheit hat sich gemacht ohne bestimmte Berathung, und so ist bei uns eine neue Verschiedenheit geworden ohne bestimmte und allgemeine Berathung. Aber daß diese Aenderungen hervorgegangen sind aus eigner Willkühr, das kann ich nur in einem sehr beschränkten Sinne zugeben. Die Versuche eine Form zu finden, unter welcher Reformirte und Lutheraner sich vereinigen könnten zum Genuß des Abendmahls, sind in so kurzer Zeit an so vielen Orten von selbst entstanden, daß man

10 und] uud

2 - 4 Paraphrase aus Ammon: Summa, 3. Aufl., 270 4 - 9 Für den Wortlaut des Zitats vgl. Ammon: Biblische Theologie 3,146 9-11 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Biblische Theologie 3,147 („§.27. Allgemeine Bemerkungen über die Bibellehre vom Abendmahl.") 11-16 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Inbegriff der evangelischen Glaubenslehre 277 19 f Vgl. Ammon: Arznei 23 (unten 439,1 i ß

82

5

10

15

20

25

30

An

Ammon

schwerlich mehr sagen kann, das sei Willkühr; sondern man muß glauben, es habe in dem Fortschritt der religiösen Entwiklung einen innern und natürlichen Grund. D a ß die Aufgabe hier und dort etwas anders gelöset worden, das, wenn Sie wollen, ist Willkühr, aber es ist doch nicht Willkühr ohne Berathung, denn es ist ja wol nirgends auf eines Einzelnen Wink und Befehl so geworden wie es ist; wie ja der ohne freiwillige Zustimmung in solchen Dingen doch nichts ausrichten würde. Was unser König - denn warum sollte ich mich scheuen, davon zu reden? - gethan hat durch seine Erklärung, ist nichts anders, als daß er nur das Bedürfniß, wo es sich findet, frei walten lassen will. Was er sonst mitgewirkt hat, das hat er theils gethan als angesehenes Mitglied einzelner Gemeinen, theils hat er es berathen, und es würde nur die Schuld derer sein, die er zu Rathe gezogen, wenn sie nicht ihre volle Ueberzeugung hätten reden lassen, und ihn | vor jeder Willkühr ge- 79 warnt, die jenen innern und natürlichen Grund nicht frei gewähren ließe. N u r eine solche wäre positive und tadelnswerthe Willkühr, würde sich aber auch schwerlich behaupten können. Was also in dieser Sache wirklich geschehen ist und bleibt, davon kann man nicht sagen, daß es rein aus eigner Willkühr hervorgegangen, sondern es ist durch die zusammentreffende Ansicht derer, welche am meisten dabei interessirt waren, so geworden, wie es jeden Ortes nun ist. Da ist freilich schwer zureichenden Grund zu geben, warum grade hier so und dort anders, 396 aber auch durchaus nicht nothwendig, weil eben Alle darin übereinstimmen, die äußere Form f ü r minder wesentlich zu erklären. Dies ist also nur eine sehr geringfügige Zweideutigkeit in unserm neuen Urbesiz; und er wird schon fest und heilig werden, und jeder Schein der Willkühr verschwinden, wenn wir nur in dem rechten Sinn und auf die rechte Weise fortfahren. - Namen haben wir geändert. So unbedeutend diese Sache mir scheint, lassen Sie uns ein Paar Worte nicht scheuen, um sie gründlich auseinander zu sezen. Beiläufig glaube ich nicht, daß Sie den Namen protestantisch meinen. H e r r Harms zwar hat eine mitleidige Anspielung darauf gemacht, als ob er uns hier verboten wäre. N u r Schade, daß er in dieser Stelle selbst dem ungeschichtlichen Vorurtheil huldigt, als ob jener N a m e vom protestiren überhaupt herkäme.

8-10 Vgl. die „Allerhöchste Königl. Cabinets-Ordre die Vereinigung der lutherischen und reformirten Kirche, vom 27sten September 1817.", in: Annalen der Preußischen innern StaatsVerwaltung 1 (Berlin 1817), Heft 3, S. 64-66; Kirchenunionen im 19. Jahrhundert, ed. G. Ruhbach, Gütersloh 1967, S.34f 10-12 Friedrich Wilhelm III. nahm am 31. Oktober 1817 in der Potsdamer Garnisonkirche an einer gemeinsamen Abendmahlsfeier von Lutheranern und Reformierten teil. 12-16 Anspielung auf die Tätigkeit der Mitunterzeichner der „Amtlichen Erklärung", der geistlichen Räte im preußischen Kultusministerium und Berliner Pröpste Gottfried August Ludwig Hanstein und Konrad Gottlieb Ribbeck 31 f Vgl. These 79 (Schriften 1.222J)

An Ammon

5

10

15

20

25

30

35

40

83

Sie sehen indeß, daß dieser Name uns nicht verboten ist. W i r leben gegen unsere Obern, Gott sei Dank, in einem sehr liberalen Verhältniß; und wenn sie uns einen Rath geben, so benuzen wir ihn nach unserer Ueberzeugung, und damit sind sie zufrieden. Aber ich glaube nicht, daß Sie dieses meinen. Die eine Kirche also heißt die evangelisch-lutherische, die andere heißt die evangelisch-reformirte. Das evangelisch ist bei beiden gleich alt, oder getrauen Sie | sich die Ahnen zu zählen und 80 beruht etwas darauf? aber ist es auch bei beiden gleich sehr die Hauptsache des Namens? Es könnte wol sein, daß es Ihnen weniger die Hauptsache schiene, weil Sie eben glauben, Ihre Kirche stehe von der reformirten gleich weit ab als von der katholischen: denn so muß Ihnen wol das lutherisch, wodurch sie sich von der reformirten Kirche unterscheidet, eben so wichtig sein, als das evangelisch, wodurch sich beide von der katholischen unterscheiden. Freilich glaube ich nicht daß dies die allgemeine Ansicht ist, sondern ich vermuthe eher das umgekehrte. Aber werth und wichtig ist gewiß jedem von beiden Theilen auch der andere Name. Den Lutheranern, weil er ihr Verhältniß zu einem großen Manne anzeigt, den auch wir Reformirte für ein seltenes und auserwähltes Rüstzeug Gottes anerkennen - und nicht leicht gelegentlich 397 nur mit einem „vir egregius" abfertigen - auch uns nie gescheut haben sein Andenken mit zu verherrlichen, sollten auch unsere Zwingli und Calvine mehr ins Dunkel kommen als sie verdienen. Den Reformirten hingegen ist ihr Name um deswillen werth, weil er zeigt, daß sie auch in der zweiten Stelle die Kirche noch nicht nach einem einzelnen M e n sehen benennen wollen, wiewol sie recht gut wissen, daß auch das nicht absichtlich gemacht worden, sondern aus der Entstehungsart ihrer Kirche von selbst hervorgegangen ist. Diese Beinamen nun - was wollen wir anders machen? - müssen freilich darauf zurükgeführt werden, nur dasjenige, worin wir vor der Hand noch nicht ganz eins sind, zu bezeichnen. Denn wenn Sie nun den einen von uns fragen, welcher Meinung bist du denn vom Abendmahl? so wird er immer noch sagen, der lutherischen, und ein anderer wird antworten, der reformirten. Sofern wir aber eins geworden sind, und wenn wir diese Einheit bezeichnen wollen, müssen freilich jene Beinamen verschwinden. | Nun die R e f o r - 81 mirten werden sich damit trösten, daß es nun nicht mehr scheint, als ehrten sie, ohnerachtet kleiner Verschiedenheiten, den großen Mann, nach dem sich bisher nur ihre Brüder nannten, weniger. Die Lutheraner werden sich damit trösten, daß es nun nicht mehr scheint, als legten sie weniger Werth darauf, sich keines Menschen zu rühmen. U n d so bleibt denn für diesen Gebrauch das evangelisch allein übrig. Aber was mei-

lOf S. oben

31,22-28

84

5

10

15

20

25

30

35

An

Atnmon

nen Sie denn damit, daß „die lutherische Kirche keines neu evangelischen Titels bedarf, weil sie altevangelisch ist, war, und bleiben wird?" Ist die reformirte Kirche minder alt evangelisch? Nein. Ist das evangelisch was übrig bleibt, wenn das lutherisch und reformirt verschwindet, ein anderes als das alte? Nein. Kann überhaupt hier die Rede sein von Titeln, welche angeboten und ausgeschlagen werden? Nein. Auch hier verstehe ich nicht, ist es die ganz grundlose Vorstellung, welche der Feind zwischen den Weizen gesäet hat, von einem neuen Landesevangelium, was Sie irre leitet, oder ist es die allgemeine Verstimmung, welche 398 jene Freunde in Ihrer Schrift fanden, und deren Ursache ich vor der H a n d nicht ergründen will. Sollte indeß diese Ursache mir vielleicht ganz ungesucht in die H ä n d e kommen, und keine andere sein, als daß wir Namen, Sitten und Grundsäze nicht sowol überhaupt geändert als „ohne Berathung mit der großen Völkergemeine geändert haben?" Allein darüber muß ich mich auf das oben gesagte beziehn. Denn wenn ich auch glauben will, daß eine Berathung über Namen und Gebräuche eher ein erfreuliches Resultat geben kann, als eine über Dogmen: so war jene doch eben so wenig möglich als diese. Freilich, mit Ew. H o c h würden hätten wir wol zu Rathe gehn können, denn Dresden ist nahe genug; und vielleicht würden Sie dann manches anders angesehn haben, wenn wir uns b e s p r o c h e n hätten, als nun: und Sie konnten dann 82 freilich auch im Namen der sächsischen Kirche sich mit uns einlassen. Aber hätten wir nicht auch mit Coppenhagen und Stokholm, mit H a m burg und Tübingen und Heidelberg, mit Bremen, Straßburg, Zürch und Bern, und wie viele ich noch ausgelassen habe, die es mir alle nicht übel deuten mögen, verhandeln müssen? Und wie weit würden wir dann wohl gekommen sein? Die Hauptsache aber ist die, daß die Berathung doch auch in diesen Dingen keine rechte Sicherheit gewährt; denn kann die Geistlichkeit die Gewissen der Gemeinen in ihrer Gewalt haben? sind in der wenn auch noch so herrlich ausgebauten lutherischen Kirche, denn von dieser reden Sie doch vorzüglich, die Gemeinen so organisirt, daß man diese befragen könnte, oder strebt man nicht vielmehr in den meisten Gegenden erst nach einer solchen Organisation? Darum eben haben wir nicht berathen, sondern angefangen, und erwarten ganz ruhig, in welchem Maaße anderwärts das aufgeregte Bedürfniß sich Luft machen und nachfolgen wird. Eben darum aber haben wir uns auch so gestellt, daß wir unsererseits uns nicht losreißen. Aber Sie sind nur, sei es nun über diesen Mangel an Berathung oder sonst weshalb, so

l f Vgl. Ammon: Arznei 25 (unten 440,16f) 7 - 9 Anspielung auf Ammon: Arznei 22 (unten 439,6); vgl. Mt 13,25.39 9f S. oben 52,26-30 14 Vgl. Ammon: Arznei 22f (unten 439,11-16) 15 77,14-78,6 30f Anspielung auf Harms: These 94 (Schriften 1,225)

An Ammon

85

böse, daß Sie nicht nur auf diese unsere Erklärung gar keine Rüksicht nehmen, und uns die UnStatthaftigkeit derselben nicht nachweisen, was 399 weder freundlich ist noch genau, sondern d a ß Sie uns mit etwas rauhem T o n e bitten Sie mit unserer Glaubenseintracht ohne Grund und Bündniß und mit unserer Brüderschaft ohne Stamm zu verschonen, und daß Sie uns weissagen, wir würden nicht anerkannt, wir würden mit Mißtrauen beobachtet werden, ja wir würden bald „uns selbst untereinander Muttermörder und Glaubensverfälscher nennen." Was nun die abgeschlagene Brüderschaft betrifft, so möchte ich Sie zwar fragen, ob Sie zu | dieser Erklärung die eigentlich in dem Zusammenhange, worin sie 83 steht, auf den Namen der ganzen lutherischen Kirche gestellt ist, autorisirt, oder ob Sie auch sicher sind, daß man Ihnen außerhalb zustehen wird? wir haben doch vielleicht auch einige Freunde! Doch das ist Ihre Sache. So geschwind als Sie geschrieben, mögen Sie freilich wol diese Sicherheit nicht gehabt haben; aber Sie werden gewiß nicht säumen, sie sich sobald als möglich zu verschaffen. Wir wollen es erwarten, und können das ganz ruhig. Denn hat erst bei uns im preussischen Reich die Union so weit es nöthig ist, Plaz gegriffen: so kann uns freilich leid thun, wenn eine protestantische Kirche außerhalb uns die Brüderschaft versagt, weil etwas feindliches und störendes darin liegt; aber wir haben es ja nicht verschuldet, und was für üble Folgen es dann f ü r uns haben könnte, sehe ich nicht ein. Denn im Ganzen bleiben wir im Lande, und da helfen wir uns schon; denn da werden wir immer anerkannt werden, auch von denen, die sich noch nicht unmittelbar unirt haben, das hat keine Noth. Was aber das Ausland betrifft - hätten wir Lust, einen tüchtigen Geistlichen von anderwärts her zu berufen; nun so kömmt es doch nur darauf an, ob der sich schrekken läßt, wenn man ihm sagt, Du ziehst zu einer Gemeine mit der wir keine Brüderschaft haben. Wer nicht rechte Lust zu uns hat und rechten M u t h , der ist uns doch nicht sonderlich willkommen. Wem beides nicht fehlt, der antwortet dann doch vielleicht, Lebt wohl, ihr seid mir zu ängstlich, ich ziehe ins Land der größeren Freiheit, unbeschadet der Ueberzeugung die ich gehabt 400 habe und behalte. U n d so könnte vielleicht Ihr Schade größer sein als der unsrige. Was aber diejenigen unter uns betrifft, die etwa veranlaßt sein sollten ins Ausland zu reisen und zu ziehen: so möchte ich wol wissen, wo denn, auch bei dem besten bösen Willen, die genaue Kirchenpo-

8 Muttermörder] Muttermöder

15 sie] Sie

1 Vgl. [Schleiermacher:] Amtliche Erklärung 15; SW 1/5,306 3 - 5 Vgl. Ammon: Arznei 23 (unten 439,21-23) 6 - 8 Für den Wortlaut vgl. Ammon: Arznei 26 (unten 440,30-33)

86

5

10

15

20

An

Ammon

lizei I herkommen sollte, die sie ausspürte und ihnen Gottesdienst und 84 Sakrament verweigerte! und wie ein so entschiedener böser Wille gegen die Sache anders als bei Einzelnen sich halten könnte, begreife ich auch nicht. Demnach sind wir hiezu ganz ruhig, wie wir es auch im Voraus erklärt haben, und auch ich, wie Sie sehen, sollten Sie mich vorher scharf und hart gefunden haben, als ich von dem Schillern Ihrer Meinungen redete und von dem unzuverläßigen in Ihrer Darstellung, bin ganz sanft und gelassen geworden nun wir auf diesen Punkt gekommen sind. Unser Bündniß haben wir dargelegt, unseren Stamm kann uns niemand nehmen, und wir können ganz getrost und ruhig antworten, Wir sind ächte Söhne der Reformation, und keine Bastarde. Was aber Ihre Weissagung betrifft, so habe ich alle Ehrfurcht vor dieser Gabe, die mir nicht verliehen ist; aber der Prophet bewährt sich durch die Erfüllung. Ihr Beispiel zwar von der florentinischen Kirchenversammlung ist etwas alt, und die Zeiten haben sich seitdem sehr geändert: auch scheinen mir die Weissagungen, die sich auf einzelne Parallelen stüzen, nicht die ächten, sondern die unächten zu sein. Gern möchte ich eine bessere dagegen stellen zum Trost f ü r Viele, welche Ihr W o r t schrekken könnte; aber wie gesagt, ich kann eben nicht weissagen, und so bleibt mir nichts übrig, als eine geschichtliche Betrachtung der Sache, ob etwa der rükwärts gekehrte Prophet dem vorwärts gekehrten aus einem üblen T r a u m e helfen kann.

Die Reformation hat an sehr verschiedenen Punkten, und unter sehr verschiedenen Umständen zugleich angefangen; es hätte also mit 25 einem W u n d e r zugehn müssen, wenn, ohnerachtet sie überall von demselben Geist ausging, und auf denselben Einen Grund gebaut ward, im einzelnen Lehre und Sitte sich überall gleich gestaltet hätten. Je mehr es 401 solcher wirksamen Punkte gab, um desto leichter | hätte es geschehen 85 können, daß die Verbesserung die ganze Kirche durchdrungen hätte. 30 Da das nicht geschah, sondern eine Scheidung erfolgte, wäre es natürlich gewesen, daß die neue Bildung in Ein Ganzes zusammentrat. Allein dasselbe Princip brachte hie und da, indem es in ein wildes regelloses Gemüth fiel, eine schnell vorübergehende sich selbst und manches um sich her zerstörende Erscheinung hervor, indem es durch einseitige un35 geläuterte Gemüther ging, erzeugte es statt der Wahrheit Karrikaturen und Irrthümer. Aber indem auch die verschiedenen Gestalten des W a h ren und Guten selbst nach einer von diesen Seiten hin neigten, wurden

4 Demnach] so DV; OD: Dennoch 4f Vgl. Amtliche Erklärung 16; SW 1/5,307 440,29f)

14 Vgl. Ammon: Arznei 26 (unten

An

5

10

15

20

25

30

35

40

Ammon

87

sie d u r c h d i e A e h n l i c h k e i t , w e l c h e sie m i t d e n M i ß g e b u r t e n u n d Z e r r bildern hatten, gehindert, sich u n t e r e i n a n d e r selbst vollständig z u erk e n n e n . D a s e i n i g e n d e B e s t r e b e n h a t n i e a u f g e h ö r t ; a b e r es ist d u r c h jenes auseinanderhaltende an seiner vollen W i r k u n g gehindert w o r d e n . G a b es k e i n e S c h w a r m g e i s t e r , k e i n e w i l d e n W i e d e r t ä u f e r , k e i n e O r d nungsfeinde: so hätte L u t h e r mit den Seinen die Schweizer nicht f ü r Sak r a m e n t i r e r g e s c h o l t e n . G a b es k e i n e f a l s c h e n B r ü d e r , k e i n e h a l b e n Seelen, so w ü r d e n die S c h w e i z e r nicht ängstlich g e w e s e n sein g e g e n die Sachsen, die ihnen noch z u römisch aussahen. So w u r d e n die lutheris e h e K i r c h e u n d d i e r e f o r m i r t e in d e r T r e n n u n g e r h a l t e n . D a ß a u c h diese T r e n n u n g heilsam gewirkt, u n d die allgemeine V e r b r e i t u n g m a n c h e r Einseitigkeiten, die sich bald d e r einen, bald d e r a n d e r n K i r c h e b e mächtigten, verhindert hat, wird niemand verkennen. Aber die Gewalt schroff h e r v o r t r e t e n d e r Einseitigkeiten n i m m t allmählig ab, u n d w i r d ü r f e n h o f f e n , d a ß d i e Z e i t j e z t v o r ü b e r g e h e n will, w o e i n e s o l c h e allg e m e i n w e r d e n k ö n n t e ; w e n i g s t e n s ist d i e T r e n n u n g z w i s c h e n b e i d e n K i r c h e n s c h o n viel z u l o s e , u m h i e z u w i r k s a m s e i n z u k ö n n e n , u n d j e m e h r b e i d e K i r c h e n in r u h i g e B e r ü h r u n g g e k o m m e n s i n d , je m e h r d i e U r s a c h e n d e s M i ß k e n - | n e n s v e r s c h w u n d e n s i n d , j e a l l g e m e i n e r m a n d a s 86 V e r h ä l t n i ß a n e r k a n n t h a t , in w e l c h e m i m P r o t e s t a n t i s m u s d i e F r e i h e i t d e s E i n z e l n e n u n d d i e b i n d e n d e K r a f t d e s G a n z e n g e g e n e i n a n d e r s t e - 402 h e n m ü s s e n ; je m e h r aus h ö h e r e n G r ü n d e n z u g e s t a n d e n w e r d e n m u ß , wie n a h e die K u n s t a u c h d e r K i r c h e a n g e h ö r t : u m d e s t o m e h r m u ß sich das Verhältniß des auseinanderhaltenden u n d des einigenden Bestrebens g e ä n d e r t h a b e n . D a j e d o c h das leztere nicht völlig gesiegt hat, w ä h r e n d die g a n z e M a s s e n o c h fließend u n d im Bilden b e g r i f f e n war: s o h a t s i c h f r e i l i c h j e n e s in d e n f e s t g e w o r d e n e n B i l d u n g e n f i x i r t ; u n d dieses h a t n u r stoßweise sich v o n Zeit z u Zeit e r n e u e r n k ö n n e n . A b e r ist es d e s w e g e n j e z t ein g e f ä h r l i c h e s g e w o r d e n , w e i l es e h e d e m z u schwach w a r ? M ü s s e n wir die Geschichte f ü r abgeschlossen halten? u n d h a t j e m a n d e i n R e c h t z u s a g e n , S o soll es b l e i b e n w i e es n u n ist? V i e l m e h r e r s c h e i n t m i r d i e s e s B e s t r e b e n als e i n e s w a s m i t R e c h t f o r t wirkt. U n d wenn man sagen kann, daß das Verhältniß der beiden entg e g e n g e s e z t e n K r ä f t e s i c h s e h r g e ä n d e r t h a t : s o k a n n es s i c h a u c h u m kehren; das einigende Bestreben kann zur Herrschaft k o m m e n , der ganze Protestantismus Eins werden, und das auseinanderhaltende n u r dienen, kleinere D i f f e r e n z e n z u fixiren, welche die Einheit des G a n z e n nicht weiter stören dürfen. W e n n man zur klaren Einsicht bringen k a n n , d a ß in j e d e r K i r c h e s c h o n u n b e s c h a d e t i h r e r E i n h e i t g r ö ß e r e D i f f e r e n z e n b e s t e h e n , als d i e , w e l c h e b e i d e K i r c h e n t r e n n t : s o f o l g t a u c h , d a ß d i e T r e n n u n g k e i n e i n n e r e K r a f t m e h r h a t , d a ß sie n u r n o c h z u f o l g e d e r G e w ö h n u n g auf eine mechanische Weise besteht, u n d d a ß die einigende K r a f t d e n Sieg d a v o n tragen w i r d . Allein dieser Sieg k a n n

88

An

Ammon

nicht aus der bloßen Einsicht entstehn; und die einigende Kraft kann sich also auch nur da äußern, wo wie bei uns ein besonderes Bedürfniß der Einigung wirkt und treibt, wo dies | nicht empfunden wird, kann sie 87 immer noch zurükkgestoßen werden. Wir, in denen das Bedürfniß wirkt, müssen uns auch im Handeln nur einfach und kindlich dieses Bedürfnisses bewußt sein. Darum dürfen wir auch gar nicht mehr wollen, als dieses erheischt, und durften daher auch nicht so handeln, wie Sie es verlangen; über alles, was darüber hinausliegt, können wir nur unsere Einsicht aussprechen. In wiefern nun unser Handeln ein Mittel werden 403 wird, etwas größeres und allgemeineres zu bewirken, oder in wiefern die abstoßende Thätigkeit in andern Punkten, die wir auch f ü r eine ganz natürliche und, in wiefern sie in den rechten Grenzen bleibt, auch tadellose Erscheinung erkennen müssen, noch die Oberhand behalten wird, das vermag ich nicht zu berechnen, und kann also auch nicht weissagen. N u r daß f ü r uns auch schon diesmal etwas ersprießliches herauskommen wird, das hoffe ich, weil etwas geschehen ist, was nicht ganz mehr zurükgehen kann. Und über das übrige habe ich geglaubt, auf Veranlassung Ihrer Erklärung auch meine Einsicht aussprechen zu müssen. Erlauben mir Ew. Hochwürden nun noch einmal auf Ihr Schreiben an mich zurükkzukommen, und natürlich am Ende des meinigen auf das Ende des Ihrigen, wo Sie, möchte ich Sie auch strafen wo und wie ich wollte, doch die Fortdauer meines persönlichen Wohlwollens wünschten. Ich freue mich dieses Wunsches, und die Gewährung desselben, gesezt auch, Sie wollten ihn jezt zurüknehmen, ist Ihnen nach dieser Herzensergießung sicher genug. Denn es liegt in meiner Natur, immer eine besondere Schwäche f ü r die zu haben, denen ich der Wahrheit zu Liebe geglaubt habe weh thun zu müssen, und die ich nicht Ursache habe f ü r unheilbar zu halten. Niemand kann eifriger wünschen als ich, daß es Ihnen gelingen möge sich gegen alle Vorwürfe, die ich Ihnen gemacht, vollkommen zu rechtfertigen; | und können Sie das, so 88 müssen Sie es mir auch danken, daß ich Ihnen die Gelegenheit dazu gegeben habe, und das Band des Wohlwollens ist dann von beiden Seiten geknüpft. Ich meiner Seits werde dann auch keiner weitern Entschuldigung oder Rechtfertigung bedürfen, und leiste im voraus auf jede andere Verzicht, als die schon in diesem Schreiben selbst liegt. Gelingt es Ihnen, uns deutlich zu machen, daß Ihre theologischen Aeußerungen unter sich zusammenhängen, daß Sie weder bewußt noch unbewußt im Widerspruch mit Sich selbst sind: so werden Sie mir doch wohl gestehen müssen, daß der Schein gar sehr gegen Sie gewesen ist. Ich meines 404

20-24 Gemeint ist Ammons Brief vom 12.12.1817 (oben Anm. zu 21,2-8).

An

5

10

15

20

25

30

35

Ammon

89

Theils habe mir aus diesem Schein kein bestimmtes Urtheil gebildet, wie das überhaupt nicht meine Art ist über Menschen als solche, und hier gälte es doch nicht bloß den Theologen, sondern auch den Menschen mit, abzusprechen ohne die genaueste Kenntniß. Aber es wäre nicht ehrlich gewesen, wenn ich nicht auch das schlimmste Urtheil zu dem ich mich in manchen Augenblikken hinneigen konnte, und wozu also auch wol Andere versucht sein werden, mit ausgesprochen hätte, damit Sie sich von allem reinigen könnten. U n d damit ich Ihnen noch einen Vortheil in die H a n d gebe, und Sie vollständig sehen können, wie Sie mit mir dran sind, so bin ich so frei, Ihnen noch ganz offen zu erzählen, was ich mit mir selbst verhandelt habe, nachdem ich noch einmal durchgelesen, was ich geschrieben, und was zum Theil schon gedrukt vor mir lag. Ich sprach nämlich zu mir selbst, aber bedenke doch was du thust! Hast du denn eine Pflicht in dieser Sache zu reden? hast du die Union angefangen oder eingeleitet? Bist du angegriffen in Amnions Schrift? Kannst du nicht ruhig sein und fertig machen was du schon so lange schuldig bist? Wirst du dich nicht in den Ruf eines streitsüchtigen Menschen bringen? Und ich antwortete, Ja das ist richtig, eine Pflicht | habe ich unmittelbar nicht die Union zu vertheidigen; 89 sondern so wie sie hier angegriffen ist, als ob das Seelenheil der lutherischen Kirche dabei auf dem Spiel stände, wären in mancher Hinsicht Andere, und namentlich die Männer, welchen der König besonders aufgetragen hat, sich diese Sache angelegen sein zu lassen, und die welche anderwärts dieses Unternehmen eingeleitet haben, näher dazu gewesen als ich. Aber wäre es denn gut in irgend einer Gesammtheit, wenn kein Anderer redete und handelte, als wer einen amtlichen Grund und Fug dazu hat? Haben doch schon zwei meiner jüngeren Freunde gut und kräftig d a f ü r geredet, warum nicht auch ich? H a b e ich keine Pflicht, so habe ich doch ein Recht; und wenn zu diesem Recht ein innerer Antrieb hinzukommt, so wird eine T h a t daraus, man mag nun machen was man will. Wenn aber ich persönlich angegriffen wäre, dann hätte ich 405 doch hoffentlich nicht geschrieben. Denn noch habe ich keine persönliche Fehde geführt, und denke es auch nicht zu thun. Und so lange ich diesem Grundsaz treu bleibe, kann ich doch gerechter Weise nicht in den Ruf eines Streitsüchtigen kommen. N o c h habe ich ja nichts anderes dieser Art gethan, als eine meiner Ueberzeugung nach gute Sache, die angegriffen war, vertheidigt, und was Andere hernach über mich persönlich gesagt, das habe ich auf sich beruhen lassen. - Aber, sprach ich

22f Vgl. oben Anm. zu 82,12-16 27f Gemeint sind Κ. H. Sack: Vereinigung und Ludwig Gottfried Blanc: An meine Mitbürger über die Vereinigung der beyden, bis jetzt getrennten, protestantischen Kirchen-Partheyen, Halle 1818.

90

An

Ammon

weiter, kann diese Schrift nicht jeder als einen ganz persönlichen Angriff ansehn? Hast du nur die Union vertheidigen wollen: was gehn dich die Aenderungen oder Inconsequenzen in Herrn Ammons System an? Du hast ihm Insinuationen vorgeworfen, kann er nicht sagen, daß du auch welche gegen ihn vorgebracht hast? Hast du dir nicht muthwillig einen schlimmen Handel aufgeregt? Denn wenn nun dein Gegner gleiches mit gleichem vergilt, und fängt etwa bei deinen Reden über die Religion und deinen | Monologen an, und sieht dann deine Predigten 90 durch, und macht auf Widersprüche Jagd? besinnst du dich nicht auf deine alten Reden von Gott und Unsterblichkeit, von Reue und Gewissen? Und wäre nun gar erst deine Dogmatik da, wie sie eigentlich längst da sein sollte, und deine Sittenlehre, was würdest du da f ü r ein Stükk Arbeit bekommen? - Ei was, entgegnete ich, mache mir auch nicht unnüze Quälereien! Solche Arbeit wünschte ich schon zu bekommen. Denn ich weiß doch, wie alles dies in mir zusammenstimmt, und wie ich kein anderer geworden bin ohne es mir merken zu lassen, und mich nie als ein anderer anstelle, als ich bin. Zwänge mich nun wirklich einer; so wäre es ja gut zu zeigen, wie die theologische und die philosophische Gewissenhaftigkeit gegen einander stehen, wie die dialektische Strenge und die f r o m m e Zuversicht sich mit einander vertragen. Indessen ich glaube schwerlich, daß die Aufforderung so dringend werden würde, daß ich nicht sollte abwarten können, bis sich auf ordentlichem Wege alles von selbst auflöset. Aber Insinuationen habe ich gegen Herrn Ammon nicht vorgebracht, sondern alles worüber ich wünsche, daß er uns 406 aufklären möge, deutlich genug gesagt. Vor solchen unbestimmten Anschuldigungen, die ihn zweifelhaft lassen könnten, ob er sich vertheidigen solle oder nicht, weil ich ja hernach sagen könnte, das sei gar nicht gemeint gewesen, vor solchen habe ich mich weislich gehütet. Was ich aber gesagt, ich mag die Sache überlegen, wie ich will, das konnte ich nicht umgehen. Warum hat H e r r Ammon seine Schrift so künstlich ineinander gearbeitet, daß man nicht weiß, ist es seine Hauptabsicht die Union in üblen Ruf zu bringen, und glaubte er dazu sich auf einmal auf dem strengsten symbolischen Gebiet festsezen zu müssen; oder war es seine Hauptabsicht zu erklären, daß er allmählig durch seine Untersuchungen hierhin gekommen, und folgt] daraus nun auch sein Wider- 91 wille gegen die Union. Allein im lezteren Falle ist es so nicht abgethan, sondern er ist uns noch seine eigentliche umfassende Erklärung schuldig. Nimmt er auf einmal die strengsten positiven Begriffe an, so muß

4 Oben 57,13-21 lOf Vgl. ζ. B. [Schleiermacher:] Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin 1799, S. 123-133 (KGA 1/2,242,36-247,11) und: Monologen. Eine Neujahrsgabe, Berlin 1800, S. 35-38 (KGA 1/3,16,31-17,38)

An

5

10

15

20

25

91

Ammon

er uns auch zeigen, wozu er sie in seinem Lehrgebäude gebraucht, und nicht bloß zum Großthun und zum Streiten. Ich habe ihm nur Veranlassung geben wollen, uns den Ungeschmakk des zuvorgehörten mit einer trinkbaren Rede hinunter zu spülen, und je besser die dann uns allen schmekkt, desto mehr Dank werde ich mir verdient haben, und je einfältiger sie sein wird, desto besser wird sie schmekken. - Gut, sprach ich, so will ich dir nur noch eins zu bedenken geben. Du sprichst ziemlich dreist von der Union, als wäre Verlaß darauf, als würde sie bei uns unfehlbar Wurzel fassen und zu Stande kommen; was ladest du dir da auf? Weißt du nicht, daß die Sache noch auf ziemlich schwachen Füßen steht? Fangen nicht allerlei Stimmen an sich dagegen zu erheben? Hat nicht der Leipziger Recensent von Harms Thesen sie schon mit solcher Sicherheit ein Unwesen genannt, als ob das die allgemeine Meinung wäre? stimmt nicht in derselben Zeitung der Recensent von Ammons bitterer Arzenei in denselben Ton ein? Bist du sicher, daß nicht auch die Freunde der Sache durch Ungründlichkeit, durch Uebereilung, durch Kleinlichkeit, die gar leicht lächerlich gemacht werden kann, ihr 407 noch schlimmer schaden werden? und sieht es nicht fast aus, als verpflichtetest du dich dann auch vor den Riß zu treten und zu vertheidigen? Was sprichst du da, antwortete ich, zu guter lezt für ungeschikkte Worte! Kann schon jemand sagen, ich hätte je etwas vertheidiget was mir nicht gefiel? Mit nichten! die Sache ist mir lieb und werth, und ich glaube auch, sie kann manchen Angriff und manche eigene Fehler überwinden. Aber wer falsche Schritte thut, mag auch seine Haut selbst zu Markte) tragen. Und was redest du doch von Zeitungen! Diese sind 92 doch endlich nichtig genug, um ganz von ihnen zu schweigen. - So habe ich alles noch einmal bei mir überlegt, und nachdem ich es so durchgesprochen, trage ich auch kein Bedenken mehr Ihnen meinen

3 Ungeschmakk] so DV; OD: Vorgeschmakk

5 Dank] Dankk

11-13 Vgl. Leipziger Literatur-Zeitung 1818, Nr. 4, Sp. 25-32. Nr. 5, Sp. 33-35; hier 35: „Es wäre zu verwundem gewesen, wenn unter jenen Sätzen nicht auch des Unionswesens Erwähnung geschehen wäre. Hr. H. hat es auf eine Art gethan, wodurch er deutlich gezeigt hat, es sey nicht unchristlicher Sectengeist, was ihn jenem Unwesen abgeneigt macht, dass er viel mehr sehr wohl wisse, was man dahey vorspiegele, was man eigentlich damit wolle, und was dabey heraus kommen werde." 14f Vgl. Leipziger Literatur-Zeitung 1818, Nr. 14, Sp. 105-110; hier 109: „Mit besonderem Interesse wird man das lesen, was der Hr. Verf. über die von Hrn. Harms [...] angefochtenen Versuche und Vorspiegelungen sagt, um die lutherische und zwinglische Kirche zu vereinigen. [...] Und man kann dem Hm. V. nicht genug danken, dass er durch seine offene Erklärungen dazu beygetragen hat, dass man einsehe, die jetzigen Vereinigungsversuche fuhren noch zu weniger, und seyen noch verwerflicher, als die frühem, welche gerade vor 100 Jahren, eben auch am Jubilaeum gemacht wurden."

92

An Ammon

Brief zu senden, wie er ist. Möchten Sie ihn nur nehmen, wie er gemeint ist, und möchte Ihnen eben so deutlich sein als mir, daß unter vier Augen in dieser Sache f ü r uns beide nichts mehr zu thun war. Berlin den 7ten Februar 1818. Schleiermacher.

Zugabe zu meinem Schreiben an Herrn Ammon (1818)

3

«

δ

b t

λ



m e i n e m

a n

@

£ > e r r n

©erlitt, 3η

δ «t

φ

r

c

ί

b

e

S i m m o n ,

1818.

9tealf«&ul&uanblunj.

n

5

10

15

20

25

Herrn Ammons Antwort auf meine Zuschrift ist so schnell eingelaufen, 3; 408 daß ich mich nicht berufen fühlen kann, mich ausführlich darauf einzulassen; und ich glaube auch, hätte er gewünscht, daß ich etwas erwiedern sollte, so würde er langsamer geantwortet haben. Denn mit dieser Schnelligkeit hängt zweierlei zusammen. Erstlich daß es in seiner Antwort von Verwirrungen und Verwechselungen wimmelt, welche alle auseinander zu wikkeln zu mühsam und zu zeitspielig für mich wäre, so daß ich dies Geschäft den Lesern selbst überlassen muß. Nur zu ihrer Anleitung und Warnung will ich ein Paar Pröbchen herausheben. In meinem Schreiben S.43 sage ich, es wäre Herrn Ammons würdig gewesen uns vor der Kirchenvereinigung zu warnen, wenn er sie wirklich für so gefährlich und seelenverderblich hielt. Dies war wol eine ganz natürliche Anmuthung. Denn wenn die Vereinigung bei uns allgemein wird, so werden auch die lutherischen Christen unserer ehemals sächsischen Provinzen früher oder später mit hineingeflochten, und zu diesen traute ich ihm, mit je mehrerem Schmerz er sich muß von ihnen getrennt haben, um desto mehr so viel Anhänglichkeit zu, daß um sie vor einem solchen Seelenverderben zu bewahren er wohl ein Wort der Warnung hätte wagen mögen. Daß aber Herr Am-|mon von der im 4 Werk seienden Kirchenvereinigung auch ehe irgend ein entscheidender Schritt geschah, unterrichtet sein mußte, konnte ich, da öffentlich genug davon die Rede gewesen ist, mit Recht voraussezen, und brauchte 409 mich nicht darauf zu berufen, daß ich von Briefen hätte reden gehört, die Hr. Ammon in dieser Sache sollte hergeschrieben haben, und worin er sie gar nicht so verwerflich behandelt hätte als hernach in der Prü-

1 Christoph Friedrich Ammon: Antwort auf die Zuschrift des Herrn D. Fr. Schleiermacher, o. o. Lehrers d. Theol. a. d. Universität zu Berlin, über die Prüfung der Harmsischen Sätze, von dem Herausgeber des Magazins für christliche Prediger, l.Aufl., Hannover/Leipzig 1818 (datiert vom 23. Februar) 9-12 Schleiermacher: An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Säze, Berlin 1818 (oben 17-92) 13-19 Auf die 1815 erfolgten Gebietsabtretungen des Königreichs Sachsen an Preußen, durch die eine große Anzahl lutherischer Gemeindeglieder der Kirchenleitung des Dresdner Oberhofpredigers Ammon entzogen worden waren, spielt Schleiermacher bereits „An Ammon" 42 (oben 53,28f) an. 19-22 Vgl. Schleiermacher: An Ammon 43 (oben 54,13-18) 23-1 Vgl. Schleiermacher an Ludwig Gottfried Blanc, 21.2.1818: „Wobei Sie noch bedenken müssen, daß er [seil. Ammon] vor nicht gar langer Zeit sich mündlich und schriftlich erboten hat zur Union mitzuwirken. Dies habe ich, weil es eine Privatmitteilung ist, nicht benuzen wollen, aber doch darauf angespielt, so daß er selbst es merken wird." (Briefe 4, 230) 25f Ammon: Bittere Arznei für die Glaubensschwäche der Zeit. Verordnet von Herrn Claus Harms, Archidiaconus an der

98

Zugabe

fung. Es ist mir auch doppelt lieb, daß ich dies ohne solche Berufung voraussezen konnte; denn in Absicht dieser Briefe muß ich wol unrecht berichtet gewesen sein, da Herr Ammon jezt sagt, er hätte keinen andern Correspondenten in Berlin gehabt als mich. - Also dies hatte ich 5 von der Kirchenvereinigung gesagt. Herr Ammon aber in seiner Antwort S. 8-10 stellt die Sache so dar, als sei in jener Stelle meiner Schrift nicht von der Kirchenvereinigung sondern von der Abendmahlsfeier

Nicolaikirche in Kiel, und geprüft von dem Herausgeber des Magazins für christliche Prediger, Hannover/Leipzig 1817 (unten 429-443) 3f Vgl. Ammon: „Ich versichere Sie als ein ehrlicher Mann, [...] daß ich, die zufälligsten Höflichkeitsbriefe abgerechnet, in ganz Berlin fast keinen anderen Correspondenten hatte, als Sie selbst." (Antwort 9) und: „Muß ich mich doch selbst der Nachlässigkeit anklagen, einem ausgezeichneten und ehrwürdigen Mitgliede Ihrer Synode, auf dessen Freundschaft ich einen sehr hohen Werth lege, in einer die Reformationsfeier betreffenden Angelegenheit gar nicht geantwortet zu haben, weil ich mich gerade damals auf dem Lande befand und auch sonst ausser Stande war, seinen Wünschen zu entsprechen; [...]•" (Antwort 10) 5 - 3 Vgl. Ammon: „Doch ist das nur eine Kleinigkeit gegen das, was Sie mit der Sicherheit der geschlossensten Hermeneutik an einem anderen Orte Ihres Sendschreibens aus meiner Prüfung der Harmsischen Thesen, und zwar derer, die von der Vereinigung beider protestantischen Kirchen handeln, als ,eine offenbare Beziehung auf das gemischte Abendmahl der Berliner Synode' herausheben. Sie wissen, ,ich sei sehr gut und zeitig von dem unterrichtet gewesen, was man bei Ihnen vorhatte und was bei Ihnen vorgieng; es fehle mir nicht an Verbindungen aller Art und auch nicht an der Kunst, sie im rechten Augenblicke zum Besten zu benutzen; es wäre daher meine Pflicht gewesen, Ihren Geistlichen und Oberen die Gefahr dieser Feier vorzustellen, sie dringend abzurathen und mein Gewissen zu verwahren. Desto unwürdiger sei es, fromme Männer als Comödianten und Heuchler vor den Augen von ganz Deutschland zu brandmarken, der tuschelnden Verläumdung freien Spielraum zu geben, mir ein Urtheil über Ih re Gemeinde anzumaßen und Insinuationen hinzuwerfen, die Sie fast der Mühe überheben sollten, mit mir weiter über diese Angelegenheit zu reden.' Wären Sie auch nicht Präsident der Berliner Synode, sondern das letzte Glied der ehrwürdigen Versammlung, die Sie, wie ich aus den öffentlichen Blättern sah, durch eigene, freie Wahl zu ihrem Haupte erhoben hat; so würde ich doch das, was Sie von dem Culminationspuncte Ih res Eifers mit der abstoßenden Beredtsamkeit des bittersten Unwillens zu mir herabsprechen, noch fur eine sehr gemäßigte Abwehrung des Unrechtes erklären, wenn das, was Sie als entschiedene Thatsache voraussetzen, auch nur dem kleinsten Theile nach factisch begründet wäre. Sie behaupten, Theuerster, ,ich sei von dem, was man bei Ihnen in Rücksicht auf die Abendmahlsfeier am Reformationsfeste vorhatte, gut und zeitig unterrichtet gewesen.' Ich versichere Sie als ehrlicher Mann, daß ich iezt von ihr noch nicht mehr weiß, als das, was die Zeitungen berichteten, [...]. Sie wissen, ,es fehle mir nicht an Verbindungen aller Art, und erheben mich sogar zum Meister in der Kunst, sie im rechten Augenblicke zu benutzen.' Erlauben Sie mir, eben so ehrlich zu erklären, daß ich überall in Verbindungen keiner Art stehe, wie Sie sie voraussetzen; daß ich sie nicht gesucht habe und nie suchen werde und eben daher auch auf die Kunst keinen Anspruch mache, deren Meisterschaft Sie mir so zuvorkommend mittheilen. Sie glauben, ,ich hätte mich an Ihre Oberen wenden und sie vor Gefahren warnen sollen.' Bester Herr Doctor, welche Schlingen stellen Sie einem unverbundenen Manne, den Sie kurz vorher einen Meister nannten! Ich hätte ganz unberufen aus meinem abgemessenen Wirkungskreise heraustreten, mich der verdientesten, schnödesten Zurückweisung aussetzen, ich hätte vor Gefahren warnen sollen, die ich nicht kannte, oder die doch, wenn sie vorhanden waren, meine Amtsverantwortlichkeit nicht im Mindesten berührten?" (Antwort 7-10)

Zugabe

5

10

15

20

25

99

am Reformationsfest die Rede, und als hätte ich ihm zugemuthet, er sollte uns vor dieser gewarnt haben. Und zwar indem er mit Anführungszeichen Worte anführt, die so nirgends in meiner Schrift stehn. Denn wo von gut unterrichtet sein bei mir die Rede ist S. 43, da ist noch nicht von der Abendmahlsfeier die Rede, so daß ich die ganze Rede, die mir Herr Ammon aus dieser Veranlassung hält, als nicht empfangen zurükgebe, und das falsche Citat gebe ich als Zugabe obenein. Doch das ist eine Verwechselung, ein kleiner Unfall; aber wie öfters kleine Unfälle dem Menschen zum Heil gereichen, so auch hier. Nach dieser glüklichen Verwechselung nämlich konnte Herr Ammon um so leichter in der Schnelligkeit die Stelle S.45 und 46 überschlagen, wo ich ihm wirklich seine Art von unserer Abendmahlsfeier zu reden vorwerfe, von unsern Bruderumarmungen und von unserm heiligen Mahl, das eben so gut ein gemeines hätte sein können. Hat er dieser Stelle deswegen nicht | besonders erwähnt, weil er seine höchst unschiklichen A u s - 5 drükke bereut, nun so sei es gut; sollen aber auch diese mit Löscher und Cyprian entschuldigt werden, nun so möge denn Herr Ammon in Löschers Fußtapfen fortlustwandeln, und ich will ihn gewiß nicht wieder stören ihm einen Granit in den Weg werfend, den er für einen Sandkloß hält und zertreten will. - Das zweite Pröbchen sei dieses. Herr Ammon schreibt in der bittern Arzenei S.25 dem Calvin den 410 Grundsaz zu, daß das Gute nicht in der höchsten Vollkommenheit Gottes, sondern in seiner unbedingten Willkühr wurzele. Ich kann diesen Grundsaz in meinem Kalvin nirgends finden; vielmehr, wie ich mir die Sache näher überlege, finde ich Gründe genug in meiner geringen Kenntniß Kalvins, um zu behaupten, er könne das nicht geschrieben haben. Herr Ammon in seiner Antwort S.42. 43 will mir nun beweisen,

10 Verwechselung] Verwechselnng

4 f Oben 54,13-18 11-14 Vgl. An Ammon 44-46 (oben 55,19-57,)) \(,i Zur Anspielung vgl. Ammon: „Lesen Sie doch den ganzen Abschnitt, in dem Ihr Eifer nur Insinuationen und Persönlichkeiten findet, noch einmal mit der Ruhe und Unbefangenheit, die Ihnen sonst natürlich ist, und fragen Sie sich, ob mehr, nein, ob nicht unendlich weniger darinnen steht, als Löscher und Cyprian vor hundert Jahren schrieben [...]?" (Antwort l l f ) 17-20 Zur Anspielung vgl. Ammon: „Unverbindlich hoffe ich zwar in den wenigen Sätzen, die ich mit Ihnen zu verhandeln habe, keinesweges zu werden; aber eine gewisse verdrüßliche Reizbarkeit und üble Laune, von der Sie in meiner Schrift über die harmsischen Sätze wollen Spuren gefunden haben, müssen Sie mir im äussersten Falle schon mit der Ihnen eigenen Sanftmuth verzeihen, da ich, als ein fleißiger Lustwandler im Freien immer gerade aus zu schreiten pflege, und ein recht vorsätzlich in den Weg gerollter, häßlichgrauer Sandstein wenigstens zertreten seyn will, ehe man sicheren Fußes darüber zu gehen vermag." (Antwort 4 f ) 21-23 Vgl. Arznei 26 (unten 440,39-441,1) 23-27 Vgl. Schleiermacher: An Ammon 58 (oben 65,33-36) 27-4 Vgl. Ammon:„Nun so hören Sie denn, was Calvin den ,gifti-

100

5

10

15

20

25

Zugabe

Kalvin habe das geschrieben was ich geläugnet. Aber was hat nun Kalvin geschrieben? „Daß Gottes Wille die höchste Regel seiner Gerechtigkeit sei, daß man alles, was er will, schon darum f ü r gerecht halten muß, weil er es will". Ja das hatte ich längst gewußt! Aber konnte ich glauben, daß H e r r Ammon diese Stelle gemeint? Ist hier von unbedingter Willkühr die Rede? ist hier vom Wurzeln des Guten die Rede? Wer der nur irgend Dogmatik gelallt hat, konnte sich solche Verwechselung träumen lassen! Wer mußte nicht H r n . Ammon so verstehn, als habe Kalvin gesagt, daß das Gute gut sei und nicht etwa das Schlechte, dies sei in einer unbedingten Willkühr Gottes gegründet, und als habe Kalvin diese unbedingte Willkühr der höchsten Vollkommenheit in Gott entgegengesezt. So etwas erwartete ich a l s o , w ü r d e er nachweisen. Durch diese Notiz nun (aus dem dritten Buch der Institutionen - ich glaubte aus wer weiß welchem seltener gelesenen Commentar Kalvins die Rechtfertigung kommen würde!) glaubt H e r r Ammon den | Reich- 6 thum meiner Kenntnisse wenigstens nicht vermindert zu haben. Nein warlich! vermehrt hat er ihn sogar, nämlich um meine Kenntniß von H e r r n Ammons Genauigkeit im Ausdrukk und von der Bestimmtheit seiner Begriffe. Entweder er muß doch schon seit er nicht mehr akademischer Lehrer ist seine N a t u r bedeutend geändert haben; oder - Dieses nun sind die beiden Stellen, in denen H e r r Ammon mit dem sichtbarsten Triumf gegen mich auftritt; man sieht auf was f ü r Verwechselungen sie beruhen, und mag dann hierdurch gewarnt der Leser auch an andern Stellen genau nachsehn, es wird ihm nicht fehlen Verwechselungen von ähnlicher Art überall zu finden, die ich aber alle mit der 411 Schnelligkeit entschuldige, und eben deshalb mit Stillschweigen übergehe. Aus derselben Schnelligkeit ist nun zweitens auch dieses entstanden, daß H e r r Ammon sich auf die eigentlichen Hauptpunkte in meiner gen Hunden' antwortet, die es wagen, sich darüber in Demuth zu beschweren, daß sie Gott ,aus bloßer Willkühr und ohne ihr Verschulden' zur ewigen Verdammniß bestimmt. ,Es ist gottlos, nach den Gründen des göttlichen Willen zu forschen; denn da müßte man ia annehmen, es gehe ihm etwas vorher, was ihn binde, und das läßt sich ohne Frevel nicht denken. So sehr ist Gottes Wille die höchste Regel seiner Gerechtigkeit, daß man Alles, was er will, schon darum für gerecht halten muß, weil er es will'[Anm. ...]. Daß Calvin das nicht geschrieben haben könne, haben Sie mir zwar bewiesen; ich habe Ihnen aber dafür auch meines Orts bewiesen, daß er es wirklich geschrieben hat." (Antwort 42f) 13 Vgl. Calvin: Institutionum christianae religionis libri quatuor 3,23,2, ed. Leiden 1654, S.342; Opera selecta, ed. P.Barth/W. Niesei Bd4, 396,3f 1 3 - 1 6 Vgl. Ammon: „Fast schmeichle ich mir, den Reichthum Ihrer Kenntnisse durch diese kleine Notiz nicht vermindert zu haben, [...]•" (Antwort 43) 19f Zur Anspielung vgl. Ammon: „Noch ist es nicht sehr lange, daß ich aufhörte, ein akademischer Lehrer zu seyn, und wer das mit Liebe in den schönsten fahren seines Lebens war, der verläugnet nie mehr seine Natur; [...]." (Antwort 17). Ammon war 1792-1794 und 1804-1813 in Erlangen, 1794-1804 in Göttingen als Pro-

Zugabe

5

10

15

20

25

101

Schrift gar nicht, oder so gut als gar nicht, wenigstens gar nicht gründlich eingelassen hat. Ich dachte, wenn er antwortete, so müßte ich entweder belehrt werden wo ich irrte; - aber diese Freude ist mir überall eben so verdorben worden wie bei jener Stelle Kalvins - oder ich müßte wenigstens Gelegenheit bekommen zu mancherlei wissenschaftlichen Erörterungen, welche dem Streit ein Interesse gegeben und die Sache auf die es ankam gefördert hätten. Meines Theils habe ich dazu gethan, was ich konnte. Von den theils unrichtigen theils unbestimmten Aeußerungen des Herrn Harms und dem in diesen Realpunkten ziemlich dürftigen Commentar, den Herr Ammon darüber gegossen, nahm ich Gelegenheit die streitigen Punkte zwischen den beiden protestantischen Confessionen schärfer nicht nur als ich es bei beiden fand, sondern auch als man es gewöhnlich findet, zu bestimmen, und besonders die eigentliche Aufgabe, welche in der Lehre von der Erwählung zu lösen ist, | auf eine einfache Formel zu bringen, welche besser leiten kann als die 7 gewöhnlichen Phrasen, welche die Sache nur immer mehr verworren haben. Hätte Herr Ammon diesen Weg verfolgt: so hätte unter uns eine neue Behandlung dieses Gegenstandes sich entspinnen können, und man würde dann gesehen haben, ob der Sieg in diesen Fehden so unzweifelhaft ist, wie Herr Ammon meint, oder ob diese Fehden nur niemals gehörig sind durchgefochten worden. Statt dessen will Herr Ammon S.41 lieber verschwiegen haben als ins Licht gestellt, rühmt sich seines unpolemischen Sinnes - aber ohne Polemik kann doch keine Dogmatik fertig und kein einzelner Punkt derselben aufs reine gebracht werden - und in demselben Augenblikk, wo er sich seines unpolemischen Sinnes rühmt, begeht er wieder eine V e r w e c h s e l u n g , und läßt mich sagen, die Lehre von der Erwählung habe mit der von der Vorsehung nichts gemein, da ich doch S.57 ausdrüklich gesagt, beide 412 Lehren hangen zwar zusammen, seien aber doch nicht ganz einerlei.

fessor der Theologie tätig. 8-13 Vgl. An Ammon 57-68 (oben 65,16-73,19). Claus Harms: Das sind die 95 theses oder Streitsätze Dr. Luthers, theuren Andenkens. Zum besonderen Abdruck besorgt und mit andern 95 Sätzen als mit einer Uebersetzung aus Ao. 1517 in 1817 begleitet, Kiel 1817, S. 19-35; Ausgewählte Schriften und Predigten, ed. P. Meinhold Bdl, Flensburg 1955, S. 210-225 13-15 Vgl. An Ammon 61 (oben 68,7-14) 19f Zur Anspielung vgl. Ammon: „Der Verfasser [...] hatte selbst in der Summe die Stelle aus Calvin citirt, die unsere Kirchen so lange getrennt und Fehden herbeigefiihrt hat, in welchen nun der Sieg nicht mehr zweifelhaft ist." (Antwort 41) 21-28 Vgl. Ammons Bezugnahme auf die eigene kritische Sicht der Prädestinationslehre Luthers und Calvins: „Das sollte billig verschwiegen, oder doch nur so leise, als möglich, berührt werden, da man ia wohl ziemlich allgemein weiß, wie die Lehrer Ihrer Kirche hierüber denken. Aber wie belohnen Sie mich für meinen unpolemischen Sinn ? Einmal stellen Sie sich, als ob die Lehre von der Erwählung mit der Vorsehung, und diese wieder mit der Allwissenheit und Gerechtigkeit Gottes gar nichts gemein habe und erwarten trotzig, ,auf welche Weise ich Sie hierüber der Unwissenheit bezüchtigen könne.'" (Antwort 41 f ) 28f Vgl. An Ammon 57 (oben 65,21f)

102

5

10

15

20

25

30

Zugabe

Die A u f f o r d e r u n g S.58 aber, mich der Unwissenheit zu bezüchtigen, die H e r r A m m o n hierauf bezieht, steht in einem ganz andern Zusammenhang. Es schien mir nämlich ganz wunderlich, d a ß H e r r A m m o n die gewöhnliche Benennung dieses Streitpunktes ganz verließ, und ihn auf ein allgemeineres D o g m a z u r ü k f ü h r t e . U n k u n d i g e n Lesern k o n n t e daraus leicht der G e d a n k e entstehen, als hätten die Reformirten ganz andere Vorstellungen von der Vorsehung im Allgemeinen als die lutherische Kirche; ich hatte gute G r ü n d e bestimmt zu erklären, d a ß in der Vorsehungslehre an und f ü r sich keine Bekenntnißverschiedenheit zwisehen beiden Kirchen stattfinde, und damit mir das, ohnerachtet H e r r A m m o n das Gegentheil zu verstehen zu geben schien, die Leute glauben möchten, so wußte ich kein kürzeres Mittel als H e r r n A m m o n aufz u f o r d e r n , mich dieser Behauptung wegen, wenn sie falsch | wäre, der 8 Unwissenheit zu zeihen. U n d hier hat n u n H e r r A m m o n wieder so hübsch verwechselt und durcheinander geworfen, daß, wer meine Schrift nicht z u r H a n d nimmt, glauben muß, ich habe Unsinn vorgebracht. D a d u r c h nun beraubt er mich freilich des Vergnügens mit ihm zu dogmatisiren; denn gegen solche Künste kann ich nicht bestehen, ja ich kann mich nicht einmal dazu verstehen sie sämmtlich a u f z u d e k k e n . Eben so ist es mit dem zweiten P u n k t von der Abendmahlslehre gegangen. Ich dachte, auch hier sollte ein wissenschaftlicher Gewinn herauskommen, denn einen Streit über solche Gegenstände ohne diesen Z w e k k möchte ich gar nicht f ü h r e n . D a r u m suchte ich nun die eigentlichen Streitpunkte, die zwischen beiden Kirchen, wenn man das wirklich symbolische zusammen nimmt und von den Aeußerungen Einzelner absieht, in der Lehre vom Sakrament noch übrig bleiben, ebenfalls auf das bestimmteste zusammen zu stellen, und legte H r n . A m m o n S.68 die Frage vor, wenn die von mir aufgestellten beiden P u n k t e die einzigen D i f f e r e n z e n in der Lehre vom Sakrament wären, ob es billig sei, d a ß durch diese die Gemeinschaft des Altars g e h e m m t werde zwischen de- 413 nen die sonst einig wären? Auf diese Frage finde ich gar keine Antwort, u n d so sehe ich auch nicht wie wir weiter k o m m e n könnten. Statt dessen f ü h r t mir H e r r A m m o n an einem Ort, um mir zu beweisen in der

1 - 3 Vgl. An Ammon 58 (oben 65,26f) 3 - 5 Vgl. Ammon: Arznei 26 (unten 440,33-441,1) 8-10 Vgl. An Ammon JS (oben 65,25f) 23-27 Vgl. An Ammon 67 (oben 72,23-32) 27-31 Vgl. oben 73,16-19 33-7 Vgl. Ammon: „Weit ernstlicher nehmen Sie dafür die Harmsische Thesis, ,daß die reformirte Kirche sich vorzugsweise am Worte Gottes, die unsrige hingegen sich am Worte und Sacramente bilde', und ob Sie gleich erklären, daß, Sie sich immer zu der theologischen Schule der Reformirten halten werden,' so versprechen Sie doch, ,sich sogleich von ihr zurückzuziehn, wenn ich Ihnen zeigen könne, daß in dieser Schule ein Princip sei, welches die innigste Gemeinschaft des Wortes und Sacramentes hindere, oder abläugne.'Ist es Ihnen, mein Theuerster, mit diesem Versprechen Emst, so sind Sie unwiderruflich der Unsrige [...]. [...] Was lehrt nun Zwingli in seinem zu Augs-

Zugabe

103

reformirten Kirche sei wirklich die innigste Gemeinschaft des Wortes und des Sakramentes gehindert oder geläugnet und ich müsse also lutherisch werden, eine Stelle, von der er auch hoffen durfte, daß ich sie kannte, aus Zwingli an, da er doch eben so gut weiß als ich, daß Zwingli 5 nicht die reformirte Kirche ist, und eine Stelle aus Calvin, w o ihm wieder (S.29.) das Unglück begegnet, Worte als recht entgegengesezt der lutherischen Sakramentslehre zu unterstreichen, die vielmehr völlig mit ihr übereinstimmen. Denn daß das | Sakrament den Glauben nur beför- 9 dert, wenn der Geist hinzukommt, hat die lutherische Kirche immer 10 eben so behauptet wie Kalvin; und daß die Sakramente an sich, das heißt hier offenbar ohne daß der Geist dazu kommt, also auch in den Ungläubigen, eine geheime Kraft haben den Glauben zu stärken, das hat sie nie behauptet; und ich muß nur Herrn Ammon noch einmal auffordern, mich auch hierüber der Unwissenheit zu zeihen. Eine genauere 15 Erklärung aber über den Ausdrukk Gemeinschaft des Wortes und des Sakramentes, wodurch erst die ganze Argumentation Haltung bekäme,

bürg an den Kaiser gerichteten Glaubensbekenntnisse?, Ich glaube, ia, ich weiß, daß alle Sacramente die Gnade so wenig gewähren (con/erant), daß sie dieselbe nicht einmal bringen (adferant), oder mittheilen. Der Geist bedarf eines solchen Vehikels gar nicht, weil er selbst die Kraft, und der Träger (latio) ist, der Alles trägt. Daher wird auch der Glaube nicht durch die Taufe gegeben, auch nicht die Gnade, sondern sie bezeugt es nur, als ein die Kirche äusserlich verbindendes Zeichen, daß der Täufling vorher schon durch die Gnade aufgenommen sei. Eben so läugnen wir, daß im Abendmahle der Leib Christi wesentlich und wirklich gegenwärtig sei, wie das die Papisten lehren und Einige, die auf die Fleischtöpfe Aegyptens zurücksehen. Das will ich so klar machen, als die Sonne ist.'[...] Vergleichen Sie damit Ihren Calvin, von dem Sie wohl wissen, daß ich ihn sonst einen treflichen Mann nenne. ,Das Sacrament ist ein durch ein äusseres Symbol bestätigtes Zeugniß der göttlichen Gnade; das Wort im Sacramente ist die Verheisung, welche, deutlich von dem Prediger ausgesprochen, das Volk dahin fuhrt, wohin das Zeichen deutet; iene ist das Diplom, dieses das Siegel; eine geheime Kraft, den Glauben zu stärken, haben die Sacramente an sich nicht, sondern sie befördern den Glauben nur, wenn der Geist hinzukommt und die Herzen durchdringt; sie sind Pfänder der Verheisung, an welcher aber, wie an den übrigen Creaturen, unser Vertrauen nicht hängen, in welche Gottes Herrlichkeit (gloria) von uns nicht übertragen werden darf, weil Glaube und Bekenntniß sich zu Gott, der Sacramente und aller Dinge Urheber, erheben soll. Wir dürfen also nicht meinen, daß sie an sich eine verborgene Kraft haben, oder uns die Gnadengaben des heiligen Geistes gewähren; dadurch wird auch die Erdichtung aufgehoben, als ob die Kraft desselben an die Elemente, wie an Gefäße, zu unserer Rechtfertigung gebunden sei.'Können Sie nun noch läugnen, daß sich unsere Kirche, im vollen Sinne der Thesis, an dem Worte und Sacramente bildet; sind dafür nicht beide in der Ihrigen, was die Sache betrifi - denn von der Vereinigung des Glaubens und der Liebe sprechen wir ia nicht - auf das Schärfste durch organische Grundbegriffe getrennt; müssen wir nach unseren und nach den Ansichten der ganzen christlichen Kirche, die Ihrige ausgenommen, nicht zweifeln, ob das, was Sie Sacramente nennen, auch eigentliche Gnadenmittel seien; und ist durch das Alles nicht der strenge Beweiß gefuhrt, ,es sei in Ihrer Schule wirklich ein Princip vorhanden, welches die innigste Gemeinschaft des Wortes und Sacramentes hindert und abläugnetf" (Antwort 27.28-30) 15f Vgl. Ammon: Arznei 25 (unten 440,13f)

104

Zugabe

habe ich wieder schmerzlich vermißt, und kann mich deshalb auch hierauf nicht einlassen. Und an einem andern Orte S.45. 46. führt er eine Stelle Luthers an, die ich eben, wie ja sehr leicht zu sehen war, im Sinne hatte bei dem was in meiner Schrift S. 68 und S. 70 steht. Herr Ammon 5 mußte also hier anstatt mir Luther nur anzuführen, meine Widerlegung Luthers widerlegen. Eben so wenig hat sich Hr. Ammon eingelassen auf meinen an mehreren Stellen meiner Schrift und von mehreren Punkten aus geführten Beweis, daß bei der gegenwärtigen Lage der protestantischen Kirche eine Union beider Confessionen durch Verän10 derung des Symbols gar nicht könne bewirkt werden, daß aber die Einheit beider ohnerachtet dieser Differenzen eben so gut eine reale sein werde als die Einheit jeder einzelnen Partei für sich eine reale sei. Herr 414 Ammon ohne irgend hierauf Rüksicht zu nehmen, wiederholt nur seine Versicherung, die jezt angestrebte Vereinigung sei eine bloß formelle 15 und könne von keinem Nuzen sein. Auf diese Weise wird es freilich unmöglich, einen Streit mit Hrn. Ammon zum Vehikel zu machen, um differente Ansichten zu berichtigen. In diesem Erfolg also getäuscht breche ich den Streit ab, weil ich hoffen darf, daß diese Proben genug sein 2f Vgl. Ammon:,, Wenigstens findet Alles, was die Prüfimg und nun auch die Danksagung erinnert, seine volle Gewährschaft hei unserem großen Luther, dessen Weissagungen von den Schicksalen unserer Kirche schon mehr, als einmal, eingetroffen sind. ,Eins fehlt ihnen noch, daß sie nicht wissen, wie schwer es ist, vor Gott zu stehn ohne Gottes Wort. - Wenn wir Eintracht stifteten, daß einige der Euren bei uns und einige der Unsem bei euch communiciren würden, und solches gleichwol in verschiedenem Glauben und Gewissen und folglich von beiden Seiten ein Anderes empfingen, als sie glaubten; also müßte nothwendig durch unser Amt und Gewissen ihr Glaube durch heimliche und weltliche List, wenn sie es nicht wüßten, verspottet, oder wenn sie es wüßten, durch einen offenbaren Kirchenraub aufgehoben werden. Wie gottselig und christlich aber das sei, werdet ihr leicht einsehen. - Es ist mir erschrecklich, zu hören, daß in einerlei Kirchen, oder bei einerlei Altar sollten beider Theil einerlei Sacrament haben - wer hiezu stillschweigt, der muß ein Herz haben, das da härter ist, denn kein Stein, Stahl, noch Demant, der muß freilich ein Apostel des Zorns seyn. - Lieber keine Concordie, als eine erdichtete und gefärbte - ich wolle denn zu einer weit größeren Zerrüttung unserer Kirchen Anlaßgeben und euch unter euch selbst mehr veruneinigen, wenn wir uns auf diese Weise der Eintracht rühmten'. [Anm.: Luthers Werke, Th. XVII. S. 23}}.9}.2446 etc. der Walch. Ausg.]" (Antwort 45f) 4 Vgl. oben 73,16-74,1.75,1-27 7-12 Vgl. z.B. An Ammon 17f. 51-53.65f.69-75.86f (oben 32,28-33,15.60,15-61,32.71,10-72,4.74,22-79,21. 87,38-88,9) 13-15 Vgl. Ammon: „Und damit ich nichts von dem verschweige, was ich an einem anderen Orte freimüthig genug geäußert habe, glauben Sie, daßfür das gegenwärtige Geschlecht eine nurformelle Vereinigung unserer Kirchen von Nutzen seyn kann, die nicht auf die Einheit gemeinschaftlicher Grundsätze, und auf die brüderliche Vergessenheit und Ausgleichung alter Zwiste, sondern auf gemeinschaftlichen Indifferentism, auf Bucerische Schlauheit, auf geheime Mentalreservationen gegründet ist, oder die es doch als den schönsten Beweis der wahren Seelenharmonie betrachtet, daß Jeder denken, glauben und lehren dürfe, was er wolle? Beantworten Sie sich alle diese Fragen, mein theurer Herr Doctor, und entscheiden Sie dann selbst, ob mich bei meiner Antwort, zu der Sie mich eben nicht auf die freundlichste Weise eingeladen haben, der Geist der Wahrheit und Dankbarkeit verlassen hat." (Antwort 45)

Zugabe

5

10

15

20

105

werden um zu zeigen, auf welcher Seite der Wahrheits-|sinn ist, und w o 10 diese Mißgriffe und die falschen Quinten und Akkorde gehört werden. Aber so wenig ich mich in dem dogmatischen Punkt des Streites für die Bereicherung meiner Kenntnisse durch eine Stelle aus Kalvins Institutionen bedanken kann, eben so wenig auch in dem praktischen Punkt für den Unterricht, den mir Herr Ammon in der Klugheit giebt. Er meint nämlich, um die Union zu befördern hätte ich die Stellen, in denen Kalvin am bestimmtesten den Unterschied zwischen seiner und der lutherischen Meinung ausspricht, nicht anführen sollen 1 , und hätte auch als Präses unserer Synode nicht sagen sollen, daß ich mich immer zur reformirten Schule in der Theologie bekennen würde, denn das leztere könne auch auf den gegenwärtigen Unionsversuch den Verdacht werfen, als zwekke er auf die Unterdrükkung der lutherischen Kirche ab. Dieses ist nun freilich gar zu nichtig, denn die lutherische Kirche im preußischen Staat ist zu stark als daß sie könnte unterdrükkt werden, und die reformirte hat wol nie die Miene gemacht unterdrükken zu wollen, und könnte es am wenigsten jezt, da sie seit 10 Jahren schon unter demselben lutherischen Chef mit der lutherischen steht. Fast lächerlich auch klingt uns diese Stelle der Unkunde wegen, die darin liegt, indem dem Präses der Berlinischen Kreissynode darin eine 1

Unter dieser Voraussezung konnte freilich Herr Ammon uns überreden wollen, Kalvin sei mit der ungeänderten Augsburgischen Confession zu vereinigen.

1 f Zur Anspielung vgl. Ammon: „Nach so vielen Mißgriffen, falschen Quinten und Accorden auf Ihrem dogmatischen Bogenclaviere, mein sehr würdiger Herr Doctor, kommt es fast unerwartet, daß Sie sich noch entschließen konnten, mein eigenes kleines Monochord ohne Züge, wie mit prüfender Kennerhand zu durchlaufen, iede seiner Tasten mit Ihrem berühmten Tonmesser anzustauchen, um den Saiten in allen Octaven durch einen recht derben Anschlag eine falsche Bebung abzudehnen." (Antwort 31 f ) 4f S. oben 100,13-16 6 - 1 4 Vgl. Ammon: „[...] war das von Ihnen wohlgethan, daß Sie uns gerade die härtesten Stellen Calvins, wie wir,Christum in das Brodt stellen und ihn vom Himmel herunter ziehen' recht absichtlich zu Gemüthe fuhren, da Sie doch recht wohl wissen, ein Herabziehen sei bei unserer Theorie von der Person Christi gar nicht denkbar? Glauben Sie femer, den alten Argwohn des redlichen Cyprian, es sei bei dem damaligen Unionsgeschäfte nur auf unsere Unteriochung abgesehen gewesen, dadurch aus ängstlichen Gemüthern der Unsrigen zu reißen, daß Sie ganz unaufgefordert erklären, ,Sie, der Präsident der Berliner Unionssynode, würden sich Ihres Theils immer zur theologischen Schule der Reformirten halten?'" (Antwort 44) und Schleiermacher: An Ammon 63-65.17 (oben 70,2-71,3.32,29f) 18 Gemeint ist der seit 1808 als Direktor der Sektion fur Kultus und öffentlichen Unterricht zunächst im preußischen Ministerium des Innern, dann seit 1817 im Ministerium für Geistliche, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten amtierende Georg Heinrich Ludwig Nicolovius (1767-1839). 20 u. 1 4 Aufgabe der 1817 in Preußen gebildeten Kreissynoden war es, zunächst den regierungsamtlichen Entwurf einer vorläufigen Synodalordnung zu beraten. Schleiermacher wurde auf einer am 1. Oktober 1817 stattfindenden vorbereitenden Zusammenkunft von 46 Berliner Predigern zum Vorsitzenden der Berliner Kreissynode gewählt. 21-23 Vgl. Ammon: Arz-

106

Zugabe

Wichtigkeit beigelegt wird, als ob er etwa der erste Geistliche im Lande 415 wäre, da er doch nur der gewählte Vorsizer einer einzelnen lediglich berathenden Versammlung ist, die in unserm Staate hunderte ihres Gleichen hat. Allein hiervon abgesehen kann vielleicht nichts besser den Unterschied zwischen Herrn Ammon und mir ins Licht sezen, als daß er mir diese Klugheit anbietet, und ich sie | ablehne. Er will immer ver- 11 schweigen, und ich will immer grade heraus reden und ans Licht ziehen. Und das kommt nicht nur daher, weil wir hier eine andere Art von Union im Sinne haben als er. Wir wollen wissen, daß verschiedene Meinungen da sind, aber wir vereinigen uns, weil wir den Unterschied für unbedeutend halten; wir wollen zugestehen, daß die beiden Schulen in Einer Kirche neben einander bestehen, daß jeder seine Meinung vortrage, wo es Noth thut; und da ich auch dieses S. 76 deutlich gesagt, so begreife ich freilich nicht, wie Herr Ammon mir diese Klugheitsregel zum Geschenk anbieten kann, denn ich weiß warlich nicht, was ich mit dem lieben Geschenk machen soll. Aber gewiß, auch wenn ich seiner Meinung wäre, daß die dogmatischen Differenzen vor der Union müßten ausgeglichen werden: so wüßte ich doch bei meiner Art und Weise nicht, wie ich sie ausgleichen sollte, wenn ich sie nicht vorher recht scharf ins Licht sezte, damit jeder nun wüßte, was das ärgste wäre was die andere Parthei ihm je nachgesagt hat. Man sieht aber ohngefähr, wie Herr Ammon würde zu Werke gegangen sein, wenn er eine Ausgleichung des Dogma zum Behuf der Union zu leiten hätte. - Noch auf einem Punkt hatte ich Herrn Ammon erwartet bei seiner Protestation gegen die Union, und diesen absichtlich nicht berührt, damit nicht alles schon zum zweitenmal vorkäme, das ist nemlich Luthers Brief an Probst, und ich hoffte, das sollte Veranlassung geben die anfängliche charakteristische Verschiedenheit beider Anfangspunkte der Reformation und ihre seit geraumer Zeit immer wachsende Verschmelzung zu erörtern. Nun führt freilich Herr Ammon diesen Brief an, allein da er auch hier nur ganz roh nachspricht, der Charakter der reformirten Kirche sei das Erheben der Vernunft über das Wort Gottes, und zwar 416

nei 28-30 (unten 441,8-442,20) 13 Vgl. An Ammon 76 (oben 79,38-80,2) 1618 Vgl. Ammon: Arznei 22 (unten 438,38-439,3) 26 f. 30-32 Vgl. Ammon im direkten Anschluß an die oben in Anm. zu 104,2 f zitierte Passage: „Es ist durchaus Unrecht, zu behaupten, Luther habe diese Grundsätze ie geändert; er sprach sie ia zu Marburg mit demselben Muthe aus, wie, unter anderen Gefahren, zu Worms, und wiederholte sie in einem Schreiben an seinen Freund Probst zu Bremen noch wenige Tage vor seinem Tode; er sah sehr klar und deutlich, daß hier nicht allein von einer Thesis, sondern daß von einem,anderen Geiste', daß von einer Erhebung der menschlichen Vernunft über Gottes Wort die Rede sei, die unser ganzes Glaubensbekenntniß in seinen Grundfesten erschüttern würde." (Antwort 46). Schleiermacher meint Luthers Brief an Jakob Propst vom 1.6.1530 (ed. Johann Georg Walch: D.Martin Luthers Sämtliche Schriften Bd 16, Halle 1745, Sp. 2822-2826; vgl. WA.B 5,339-341).

Zugabe

107

wahrscheinlich auch der menschlichen individuellen von jeher wandelbaren, so ist | auch an diese unkundige und ungründliche Aeußerung 12 nicht anzuknüpfen; und auch die Aussicht auf einige geschichtliche Erörterungen, welche das Publikum hätten interessiren können, ist mir 5 verdorben. Herrn Ammon scheinen nun einmal die Anekdoten lieber zu sein als die Geschichte. Wie gründlich Herr Ammon denjenigen Theil meiner Schrift behandelt hat, der sich mit seiner Dogmatik beschäftigt, das überlasse ich dem Leser selbst zu beurtheilen. Nur muß ich mich beklagen, daß er

lf Zur Anspielung vgl. Ammon: „Glauben Sie zu einer Zeit, wo wir als Christen uns zuerst Alle unter dem Paniere des eingebomen Sohnes Gottes vereinigen sollten, eine dauerhafte und von Gott gesegnete Gemeinschaft unserer Kirche befördern zu können, wenn Sie den Rationalism, unter dem ich nicht das System der göttlichen, sondern der menschlichen, individuellen und eben deßwegen von ieher wandelbaren Vernunft verstehe, ungemessen vertheidigen und ieden Lehrer, der mit Gott und seinen Gesandten vernünftig seyn und werden will, als einen Thoren, oder Blödsinnigen verhöhnen?" (Antwort 44f) 7f Vgl. Schleiermacher: An Ammon 7-10.27-40 (oben 25,20-28,6.40,12-52,10) und Ammon: „[...] ich will Ihnen lieber bekennen, daß, wenn ich schon fest genug im Glauben zu seyn hoffe, doch auf dem Felde meiner Lehrmeinungen noch manches rationalistische Unkraut wurzeln kann, zu dessen Ausiähtung mir der Beistand Ihrer Glaubenshand gewiß von Nutzen seyn wird. So erscheint Ihnen (§. 72.) der Summa, in der Lehre vom Teufel, die Verweisung auf Miltons verlomes Paradies anstößig und die Erklärung des physischen und moralischen Uebels aus natürlichen Ursachen unkirchlich. Nun ist zwar diese durch eine Schrifistelle (Jak. 1,14) belegt, und der dämonischen Dichtungen haben wir leider aus allen Zeiten mehr, als zu viel. Aber ich will es noch überdies gestehen, daß ich mit den concreten Ansichten dieses Dogma's, selbst wie ich sie mir erst vor Kurzem zu bilden suchte, noch keinesweges zufrieden bin, und Ihnen die Fähigkeit positiver Aufklärungen hierüber recht aufrichtig zutrauen. Eine, bequeme Hinterthüre, zu der Jeder wieder aus der Hölle heraus könne', haben Sie aber erst in die Summa (§. 178.) hereingebrochen; nur die Frage von der Besserungsfähigkeit der Verworfenen fordert eine genauere Bestimmung, mit der ich mich zu übereilen Bedenken trage. Als ganz biblisch und in strenger Antithese mit den herrschenden Zweifeln wird das Dogma von der Versöhnung (§. 124f.) vor Ihrem Gerichte bestehn; die Sündenvergebung stammt ia eben so wenig aus dem Munde des Predigers, als aus der eignen Absolution; sie stammt einzig aus dem Glauben, der, wie Luther so schön sagt, in den Worten, dir sind deine Sünden vergeben, auch aus dem Munde eines Knaben, Gottes Stimme hören wird. Wie konnten Sie es über sich gewinnen, Theuerster, sich in einer so heiligen Sache zuerst zu täuschen, und dann noch über Ihren eigenen Tausch zu spotten! Auch in der Dreieinigkeitslehre ist das Moderne von Ihnen mehr gesucht, als gefunden; Sie wissen es ia mit allen Lesern meines Magazins, daß ich den Logos in Jesu fur den Mittelpunct des Christenthums halte und die ,alte Kirchenlehre von ihm mit hoher Einfalt' in das System zurückführe; und über den heiligen Geist werden Sie in einem kurzen Abschnitte kaum mehr sagen können, als die Summa (§. 58). Ein berühmter Theologe erinnerte sonst mit ziemlichem Scheine, meine Ansicht der Heiligung (§. 130f.) streife an den Mysticism; Sie geben sich dafür alle Mühe, sie zum Naturalism herabzuziehen, und haben sie dadurch, ohne mein Bemühen, für ein gesundes Auge in den rechten Standpunct gesezt. Ich kann mich daher auch weder in dem Dogma von dem Worte Gottes (§. 137f.), noch von der Offenbarung (§. 12.),geschlagen'fühlen, da ich hier mit Luthern lehre, Gott habe sich den heiligen Autoren ,im Gewissen geoffenbart', dort aber nach der Bibel mit Melanchthon das Wort Gottes in der Natur, Vernunft und dem Geiste heiliger Männer besonders, absichtlich unterscheide. Oder haben Sie auch nur

108

Zugabe

mir in dieser Hinsicht zu viel zumuthet. Alles soll ich gelesen haben, alle Vorreden, alle Gelegenheitsschriften, ja sogar wo ein philosophisches Journal ihn angeschnaubt und wo öffentliche Blätter über ihn gespottet haben. Nein um diesen Preis möchte ich die kleine Prüfung sei5 nes Systems, die mir nothwendig schien, nicht unternommen haben. Herr Ammon versichert mich verbindlichst, daß er alle meine Schriften gelesen, aber auch alle bald vergessen habe; und das ist freilich kein Wunder, wenn er sie alle so flüchtig gelesen hat wie offenbar diese an ihn besonders gerichtete. Nun gut, mir bleibt dabei nichts übrig als zu 10 bedauern, daß er sich soviel schwere und vergebliche Mühe gegeben. Ich habe, das gestehe ich gern, gar nicht alle seine Schriften gelesen; aber was ich gelesen, habe ich gut behalten, wie hoffentlich meine Kri-

die geringste Ursache, zu glauben, Herr Harms verwerfe die von Gott erleuchtete Vernunft, das von Gott erleuchtete Gewissen, von dem die Summa (§. 138.) in biblischen und scharfbegrenzten Bestimmungen spricht, und ist bei ihm nicht offenbar von einer Vernunft die Rede, die sich, ,wie ein Absenker', von Gott losreißt, von einem autonomischen Gewissen, ,das sich selbst den Stuhl der Maiestät sezt'? Glauben Sie, daß ein Ausleger, der sein Ν. T. zum erstenmale ließt und nur aus den Parabeln weiß, was Herablassung und ökonomische Lehrart ist, ieden Gebrauch der historischen Erklärung verwerfen kann, und sagte Ihnen das Bild der Prüfung von dem eisernen Raben, sagte Ihnen eine andere Vergleichung der Schrift mit dem zerfleischten Orpheus in der dritten Vorrede zur Summa (S. VIII) nicht, daß ich nur den Mißbrauch dieser Interpretation tadele, der, von organischen Principien des Glaubens ungeleitet, zulezt alle Lehren der Offenbarung in eitle Zeitideen auflößtf (Antwort 34-37) 1-4 Vgl. Ammon: „Aber lesen Sie denn nicht in der, schon vor zwei und zwanzig Jahren geschriebenen, Vorrede zur wissenschaftlich-praktischen Theologie, in der ich frei und consequent genug die kantischen Grundsätze auf das Christenthum übertrug, daß ich mich offen und bestimmt zum rationalistischen Supranaturalism bekannte; erinnern Sie sich nicht mehr, wie mich kurz darauf ein philosophisches Journal und Ihre eigene Offenbarung und Mythologie anschnaubte, als ich in einer Göttingischen Gelegenheitschrift die Grundlehre einer unmittelbaren Offenbarung Gottes vertheidigte; hat die erste Ausgabe meiner Summa nicht die höhere Würde Jesu, nicht die Lehre von Gott, dem Geber des höchsten Gutes durch Christum, überall hervor und zum leitenden Princip unseres Glaubens erhoben; spotteten öffentliche Blätter vor fast zehn Jahren nicht bitter meiner unzeitigen Orthodoxie, als ein Erlangisches Osterprogramm sich bestimmt und nachdrücklich fur eine wirkliche Auferstehung Jesu von den Todten erklärte; ist in der zweiten Ausgabe der Summa, in einer langen Reihe von Predigten, in der Vorrede zur neuen Ausgabe meiner Homiletik nicht buchstäblich der Wunsch ausgesprochen, das Zeitalter möge von transcendirenden und mystischen Speculationen zurückkehren zu dem Eingebomen, der unter uns wohnte voll Gnade und Wahrheit; und, um meiner hiesigen Arbeiten nur mit einem Worte zu gedenken, faßt die Vorrede zur dritten Ausgabe der Summa nicht das Alles in der Bemerkung zusammen, der Beruf des wahren christlichen Lehrers unserer Tage bestehe darinnen, sich von der, alle Fundamente der Religion zerstörenden Skepsis, zu der bisher die historisch-kritische Analyse unserer heiligen Bücher führte, endlich wieder zur Synthesis und zum festeren Baue des Glaubens in dem Reiche Gottes zu wenden?" (Antwort 33f) 6f Vgl. Ammon: „Ich [...] muß dennoch die Musterung Ihrer Schriften verbitten, einmal, weil ich wirklich nach dem Ruhme nicht strebe, Ihr Epiphanius zu werden, und dann, weil ich fast Alles, was Sie schrieben, zwar gelesen, aber auch leider wieder bald vergessen habe." (Antwort 39f)

Zugabe

109

tik beweiset. Leider muß ich bekennen, daß ich kein Leser des Magazins bin und auch die neueren Predigten nicht kenne. Aber für die Sache, auf die es hier ankam, finde ich auch das nicht nöthig. Statt aller Anführungen einzelner Aeußerungen hier und dort, statt aller Berufungen auf gute Freunde und auf alte und neue der Orthodoxie wegen erlittene Schmähungen sollte Herr Ammon sich lieber auf eine gründliche Widerlegung der in meiner Schrift aufgezeigten Widersprüche nicht nur zwischen der | alten und neuen Summa sondern in der neuen 13 Summa selbst und zwischen dieser und der bittern Arzenei eingelassen haben. Das hätte zu dogmatischen Erörterungen über die Trinitätslehre 417 und über die wesentlichsten Punkte der Heilsordnung führen können, die vielleicht dem ganzen theologischen Publicum interessant geworden wären. Dazu aber hatte Hr. Ammon keine Zeit, weil er eben so schnell antworten mußte, und ich bin auch um diese Hoffnung betrogen. Denn die Art wie jezt Herr Ammon mir einiges präsentirt aus seiner Summa, was mir doch gefallen müßte, wie er an einzelnen Punkten meiner Ausstellungen, auch nicht ohne elegante Verwechselungen, die den Leser können glauben machen, ich hätte Dinge gesagt, die mir nie eingefallen sind, herumtippt und anschlägt, dies kann mich nicht auffordern in seine Vertheidigungen hinein zu gehn; und ich hoffe das ganze theologische Publicum wird mich darüber absolviren. Ja bei diesem unzusammenhängenden ungründlichen Hin und Herfahren kann ich auch an dem Zugeständniß des rationalistischen Unkrauts und der noch nicht

lf Zur Anspielung vgl. Ammon: „In dem neuesten Stücke des Predigermagazins finden Sie sogar eine, mehrere Monate vorher gehaltene Predigt über den Hauptsatz, wie gefährlich es sei, das wirkliche Leben in ein Schauspiel zu verwandeln." (Antwort 11); gemeint ist das 1816-1822 von Ammon herausgegebene „Magazin fiir christliche Prediger". 4 f Vgl. Ammon: „ Sie haben, wie Sie erinnern, bei der kritischen Revision meines Systems gute Freunde zu Hülfe genommen, was mich befremdet, da, wenn von Irrthümem die Rede ist, Sie selbst schon scharf genug sehen, die bekannten zu finden und die unbekannten; aber unter diesen Freunden ist doch gewiß einer, der Sie, so bald es der eigentlichen und auf orientalische Sprachkenntnißgegründeten Exegese gilt, mit seinen Fittigen bedecken und überschatten wird. Der kann Ihnen sagen, daß, wenn Sie, zum Beispiele, die Bibel mit einer mythologischen Brille lesen, Sie in ihr nichts Wahres und Göttliches, sondern eitel Mythen und Fabeln finden; er wird Ihnen femer sagen, daß die alten Theologen darum so gute und fromme Bibelausleger waren, weil sie die Schrift aus der Schrift, nach ihren und den leitenden Ideen erklärten, die das Christenthum als heilige und lebendige Gotteswahrheit in sich trägt; er wird vielleicht die Bemerkung nicht ganz verwerfen, die mir eine lange Erfahrung bewährt und die von ieher die theologischen und naturhistorischen Bibelleser unterschieden hat, daß man, auch im Besitze von zwei gesunden Augen, doch zuweilen weise handelt, wenn man das natürliche, das linke Schalksauge zudrückt, um mit dem rechten und geistigen Glaubensauge desto schärfer auf zu den Sternen zu blicken." (Antwort 34) 8 Ammon: Summa theologiae christianae, l.Aufl., Göttingen 1803; 3. Aufl., Leipzig 1816 15-19 Vgl. Ammon: Antwort 35-37 (oben Anm. zu 107,7f) 23 Anspielung auf Ammon: Antwort 34f (oben Anm. zu 107,7f) 23 f Vgl. Ammon: Antwort

31 f (oben Anm. zu 105,lf)

und: „[...] ich hätte Sie auch mit ei-

110

5

10

15

20

25

Zugabe

ganz reinen Stimmung des Monochords und Harmonikons kein Wohlgefallen haben, weil auch der Gehalt dieses Zugeständnisses nicht zu beurtheilen ist; und ich muß mich nur dagegen verwahren, daß ich keinesweges gehalten sein will alles für rationalistisches Unkraut oder für supranaturalistischen Weizen zu erklären, was Herr Ammon dafür erklärt. Sogar die Verweisung auf die zwei und zwanzig Jahr alte Vorrede in welcher sich Herr Ammon bereits offen und bestimmt zum rationalistischen Supranaturalism bekannt hat, hilft mir wenig; denn ich weiß so gut als nichts, wenn sich jemand noch so offen für etwas erklärt, wobei sich, wie ich glaube, auch heute noch eben so wenig als vor zwei und zwanzig Jahren irgend jemand etwas gehörig bestimmtes zu den-|ken weiß. Mir meines armen Theils wird schon ganz unheimlich, 14 wenn ich das Ra und Irra und Supra daherrauschen höre, weil mir nehmlich vorkömmt als ob sich diese Terminologie immer krauser verwirre; und mir wäre es eben so lieb mich von dieser in eine einfache und klare Darstellung zu retten, als Herr Ammon sich sehnt nach landgütlicher Ruhe vor den Wirbeln der hohlen Zeitphilosophie. Damit aber das Concert vollstimmig werde, und die hohle Zeittheologie sehe, 418 in was für Kreisen sie sich noch nach Herzenslust herumdrehen kann: so bringe ich unmaßgeblich nicht nur zu dem irrationalen und rationalistischen Supranaturalism auch einen supranaturalistischen Rationalism und Irrationalism, sondern noch einen naturalistischen und innaturalistischen Suprarationalism in Vorschlag, und wenn diese geharnischten Erdensöhne, denn höheren Ursprungs möchten sie wol alle nicht sein, sammt und sonders da stehn werden - zum Trost und zur Freude aller derer, welche meinen daß viel Wissen wirrt, und sich deswegen in wenig Wissen und viel Meinen und Scheinen und Aber und Dennoch ihre Hütten bauen - so hoffe ich wird die alte Lust sie anwandeln sich unter einander todtzuschlagen. Was aber Herrn Ammons rationalisti-

3 ist] isi

13 daherrauschen] darherrauschen

ner gewissen Zufriedenheit aufmerksam daraufgemacht, daß das kleine Harmonikon sich nicht in der ietzigen schlaffen Witterung herab-, sondern stufenweise immer mehr zum reinen Kirchentone hinaufstimmt, und zwar nicht etwa seit heute und gestern, sondern in abgemessenen Perioden, da es noch an der Leine und Redniz stand, wo ich bei dem fleißigen Ausbilden des Resonanzes die Temperatur so ziemlich in meiner Gewalt hatte." (Antwort 32) 6 - 8 Vgl. Ammon: Antwort 33 (oben Anm. zu 108,1-4) 1 6 f Zur Anspielung vgl. Ammon: „[...] aber bei dem gewaltigen Tosen und Brausen, das sich nun von manchen Seiten her erhebt, habe ich mich öfter, als einmal, mit dem Gedanken beschäftigt, ob es nicht besser seyn mögte, auf einem kleinen Landgute allen Wirbeln der hohlen Zeitphilosophie auszuweichen, um den Mantel, nicht nach dem Winde zu hängen, sondern ihn unter und hinter dem Winde in theologischer Muße auszubreiten." (Antwort 17) 26 Zur Anspielung vgl. An Ammon 5 (oben 23,11-15)

Zugabe

5

10

15

20

25

111

sehen Supranaturalism betrift, so ist es freilich etwas ganz eignes um ein System, welches sich wie er selbst S. 32 sagt durch ein stufenweise in abgemessenen Perioden erfolgendes Hinaufstimmen zum reinen Kirchenton bewährt. Indessen wenn H e r r Ammon nur zugesteht, daß dies Hinaufstimmen kein gleichmäßiges ist, und daß - denn anders als musikalisch will nun wol einmal H e r r Ammon nicht gesprochen haben auch in seiner neuesten Summa nur die Baßoctaven hinaufgestimmt sind, während die Discantoctaven noch die alte Temperatur halten, und also für jezt noch nichts rein | darauf vorgetragen werden kann: so will 15 ich mich beruhigen, wartend bis in abgemessener Periode, sei es nun in Dresden oder auf dem Landgut, die Reinstimmung vollendet wird, und will nicht länger als deutscher Kloz mich an die Beine des muntern Spaziergängers hängen. Sollte jedoch H e r r Ammon auch f r ü h e r schon statt aller Musik von Monochorden und Harmonikons Bogenklavier und Käfergesumme, die er in seiner Antwort hören läßt, und statt aller geschraubten Redensarten und mir zum Theil ganz unverständlichen Anspielungen mich einer gründlichen Vertheidigung der streitigen Punkte, vor welcher er doch auch mit aller Menschenkenntniß und Einsicht nicht die Rolle eines verfolgten Rechtgläubigen - denn ohne Schauspiel 419 und Rolle kann er auch nicht fertig werden - übernehmen könnte, würdigen wollen: so würde ich den so hingeworfenen H a n d s c h u h gern aufnehmen, jezt aber nehme ich lieber aus den bisher auseinandergesezten Gründen die dargebotene H a n d zum Frieden an, ohne zu fragen ob fränkische Biederkeit besser ist als sächsische, indem ich mich nicht bemühe die provinzialen Biederkeiten so genau zu unterscheiden, sondern mich lieber schlechthin an die deutsche halte. U n d hiemit will ich mich für entschuldigt achten, daß ich Herrn Ammons Antwort nicht

2 - 5 Vgl. oben Anm. zu 109,23f 7 Vgl. oben Anm. zu 109,8 12.15 Zu den Anspielungen vgl. Ammon: „Dem deutschen Plato öfnet sich zuverlässig der Tempel des Ruhmes leichter, als dem deutschen Klotz, und attischer Honigseim fleußt lieblicher von den sanften Lippen des Redners, als attischer Essig von der Zunge des immer scheltenden Sykophanten; denn wenn man sich auch seine Säure als bittere Gegenarznei willig verordnen mögte, so zeigt sich doch bald, daß sie, bei dem kecken und käferartigen Anschwirren der Rede an gesunde und feste Theile, die durchdringende Schärfe schon verloren hat, und die Glieder nur erstarren läßt, die sie erwärmen soll. " (Antwort 47f) 12f Anspielung auf Ammon: Antwort 5 (vgl. oben Anm. zu 99,17-20) 14 Anspielung auf Ammon: Antwort 31 f (vgl. oben Anm. zu 105,lf. 109,23f) 1 8 - 2 0 Anspielung auf Ammons Zurückweisung des Vorwurfs theologischer Versatilität: „[...] trauen Sie mir nicht so viel Menschenkenntniß und Einsicht zu, daß ich dann die Rolle des gebeugten Dulders und von einem Ungläubigen schwer bedrängten Wahrheitsvertheidigers übernehmen müßte [.. •]?" (Antwort 17) 22-24 Anspielung auf die Schlußformel des von Ammon als Reaktion auf die Zusendung der Schrift „An Ammon " unter dem 7.3.1818 verfaßten Briefes an Schleiermacher: „Mit fränkischer Biederheit bietet Ihnen daher die Hand zum Frieden Euer Hochwürden gehorsamster Ammon. " (Archiv der AdW der DDR, SN 238, Bl. 11 r)

112

5

10

15

20

25

Zugabe

Punkt für Punkt wieder beantworte. Mein Hauptzwekk, daß nämlich, was Herr Ammon gegen die bei uns und in andern deutschen Landen vorseiende Union vorzutragen für gut befunden, nach seinem gehörigen Werth nicht drüber und nicht drunter geschäzt werden möge, wird hoffentlich doch erreicht sein. Nur ein Paar Mißverständnissen muß ich noch vorbeugen die sich einschleichen könnten und einen Irrthum berichtigen, wiewol diese Dinge mit dem Streit unmittelbar nicht zusammenhängen. | Herr Ammon will mir S. 13 seiner Antwort fast zürnen, daß ich ihn 16 mit der hiesigen Synode durch das Uebergewicht meiner Präsidialstimme in ofnen Krieg verwickeln wolle. Das klingt beinahe als ob Hr. Ammon die Hälfte der hiesigen Geistlichkeit für sich zu haben glaubte, wenn die Frage discutirt würde, ob seine unziemlichen Redensarten über unsre Abendmahlsfeier gelobt werden sollen oder nicht. Denn ich glaube noch, und er hat es auch nicht abgewehrt, daß die Bruderumarmungen und das Abendmahl, statt wessen lieber eine gemeine Brodt und Weinspende wäre zu bereiten gewesen, auf diese fromme Feier anspielen, und er muß erst noch ausfinden auf welche alte Geschichte sich dieses beziehen läßt. Ich glaube nicht, daß Herr Ammon diese Stimmenhälfte davon tragen würde, sondern auch nicht den fünfzigsten Theil. Allein was ich eigentlich sagen wollte ist, daß hieraus gar leicht der Gedanke entstehen könnte, ich habe gleichsam als Vorfechter der Synode gegen ihn auftreten wollen, oder wenn es mir nun schief ginge 420 möchte ich etwa die Synode zu Hülfe rufen um mit mir die Kraft des Mannes zu bändigen, allein dies ist alles Mißverständniß. Wie jene Abendmahlsfeier beschlossen und gehalten wurde, ehe meine Function

7 Irrthum] Irthum 9 - 1 1 „ / . . . / ich mögte Ihnen fast ein wenig zürnen, daß Sie mich, der ich nur Meinungen und Maximen bekämpfe, mit einem Kreise ehrwürdiger Männer durch das Uebergewicht Ihrer Präsidialstimme in offenen Krieg verwickeln wollen [••.]•" (Ammon: Antwort 13) 13 f Gemeint sind die Anspielungen auf die gemeinsame Abendmahlsfeier der Berliner Geistlichen beider Konfessionen am 30. Oktober 1817 bei Ammon: Arznei 3. 21 (unten 429,17f.438, 23-28). 18 f Vgl. Ammons Zurückweisung der Schleiermacherschen Behauptung, die „Bittere Arznei"polemisiere direkt gegen die Berliner Abendmahlsfeier: „[...] fragen Sie sich [...] ob nicht zwanzig Orte in und ausser Deutschland zu finden sind, auf welche diese, Ihnen so widrigen Schilderungen eben so gut, und noch weit treffender passen, als auf Berlin; ob namentlich die Ihnen so anstößige Stelle von den Latitudinariem im Abendmahle nicht in der offenbarsten Beziehung auf die Policeiunionen unserer beiden Kirchen am Altare in der Napoleonischen Periode steht, die ich öfter, als einmal zu beobachten Veranlassung fand, und deren Erinnerung mich noch iezt mit dem lebhaftesten Unwillen erfülltf (Antwort 12) 25-2 Die gemeinsame Abendmahlsfeier wurde auf der vorbereitenden Zusammenkunft der Berliner Geistlichen vom 1. Oktober 1817, die auch Schleiermacher zum Vorsitzenden der

Zugabe

113

in der Synode anfing, so war auch meine Function in der Synode für diesmal zu Ende, ehe mein Streit mit Hrn. Ammon anfing, und er hängt mit der Synode und diese mit ihm auch nicht im mindesten zusammen. Das zweite Mißverständniß ist dieses. Herr Ammon sagt S.5 meine 5 Schrift fange an mit Auszügen aus einem ziemlich alten Briefwechsel, den ich selbst begonnen, und da Herr Ammon ungewiß zu sein scheint, ob die Worte richtig angeführt sind, so könnten bei seinem mit Aus^ nähme meiner Schriften treflichen Gedächtniß manche Leser irre werden an dem ganzen Zu-|sammenhang der Sache. Sie ist aber diese. V o r 17 10 acht Jahren sind einige Briefe zwischen uns gewechselt worden, und damals begann ich den Briefwechsel. Seitdem hat er ganz geruht und den jezigen neuen Briefwechsel hat Herr Ammon eröfnet, und die Worte lauten wirklich gerade so, und beziehen sich auf das, was in seiner Prüfung über die Union steht. Das Unrecht was darin liegen soll, daß ich 15 diese Worte angeführt, begreife ich um so weniger als Herr Ammon sie selbst für eine bloße Höflichkeitsformel erklärt: haben sie aber eine Versuchung meiner Bescheidenheit sein sollen, so bedaure ich daß ich ihr nicht untergelegen. Auch daß ich Hrn. Ammon an eine andre Stelle

10 uns] uus

Kreissynode wählte, beschlossen, während die Synode selbst erst am 11. November 1817 zusammentrat und ihre Beratungen im Dezember beendete. Die Schrift „An Ammon" entstand Anfang Februar 1818. 4 - 7 „Ihre Zuschrift, mein verehrter Herr Doctor, fängt mit Auszügen aus einem, wenn schon nicht unterhaltenen, doch ziemlich alten Briefwechsel an, den Sie selbst begonnen haben, und in dem Ihnen, wie Sie versichern, eine besondere Strafgewalt über meine Prüfung der Harmsischen Sätze von mir übertragen worden ist. Daß die Worte ohngefähr so lauten mogten, will ich Ihnen einräumen; ich will mich sogar zu ihrem strengen, buchstäblichen Sinne noch iezt bekennen, ob ich mich schon wundere, daß Sie, bei Ihrem Reichthume an attischer Urbanität, Andere sogar in den Schlußformeln freundschaftlicher Briefe, dem Worte und Sinne nach, zur vollen aeolischen Breite verurtheilen." (Ammon: Antwort 5) 9-11 Ende August/Anfang September 1810 nahm Schleiermacher in seiner Eigenschaft als Mitglied der dem preußischen Innenministerium zugehörenden Kommission zur Einrichtung der Berliner Universität brieflich Verhandlungen mit Ammon wegen der Übernahme einer Professur auf. Nach deren ergebnislosem Ausgang wandte sich dieser daran anknüpfend unter dem 12. und Ii.1.1811 (AdWder DDR, SN 238, Bl.3-6) mit andere Gegenstände betreffenden Anfragen an Schleiermacher. 11-14 Ammon begann die Korrespondenz mit einem vom 28.10.1817 datierten Schreiben (SN 238, Bl. 7f), in dem er Schleiermacher unter Voranstellung politischer Anspielungen auf die 18 IS eingetretenen sächsischen Gebietsverluste an Preußen um eine Stellungnahme zur Union bat. Auf Schleiermachers Antwort vom 3.12.1818, die vermutlich nicht erhalten ist, reagierte Ammon unter dem 12.12.1817 (SN 238, Bl. 9f). In seiner Schrift „An Ammon"greift Schleiermacher mehrfach einzelne Formulierungen beider Briefe auf; die von Ammon erwähnte Ausübung einer „ Strafgewalt" erfolgt hier erstmals S.42 (oben 53,32f). 15-17 Vgl. Ammon: „Ein Dritter hätte diese Wendungfür gewöhnlichen Euphemism, vielleicht sogar für eine Versuchung seiner Bescheidenheit erklärt." (Antwort 5 f ) 18-2 Gemeint ist die in „An Ammon" 42f (oben 54,2-12) erfolgende An-

114

Zugabe

seines Briefes erinnerte, die mir mit seinen damals wol eben zum Drukk gegebenen Aeußerungen in der bittern Arznei nicht zu stimmen schien, kann ich nicht unrecht finden. Denn es ist auf eine solche Weise geschehen, daß kein Leser daraus sich die Stelle selbst herstellen konnte. 5 Unrecht konnte dabei Herrn Ammon nur dann geschehen, wenn meine Andeutung, beides stimme nicht, ungegründet war; und dann stand es bei ihm mich zu meiner Beschämung zur Bekanntmachung der Stelle aufzufordern, damit man sähe, daß beide Aeußerungen stimmten. Noch eines habe ich mitgetheilt aus diesem Briefwechsel, daß nämlich Herr 10 Ammon allerlei Zusendungen für das Magazin bei Seite gelegt hätte. 421 Allein dies schien mir so durchaus unverfänglich, daß mein Gewissen mich nicht gemahnt hat als es mir bei der brieflichen Form die ich wählte in die Feder kam. Wenn Herr Ammon aber fast thut als hätte ich die Heiligkeit eines eigentlich vertrauten Briefwechsels entweiht, so 15 könnten daraus die Leser leicht einen ganz falschen Schluß machen auf die Beschaffenheit dieses von Herrn Ammon erneuerten aus zwei Briefen hin und her bestehen-|den Briefwechsels. - Und nun ist nur noch 18 der Irrthum übrig. Herr Ammon schreibt mir eine Schrift zu „Ueber

4 sich die] sichdie

5 Herrn] Herr

spielung auf das Fürstengleichnis des Ammon-Briefes vom 12.12.1817. 8-10 Vgl. die Bezugnahme auf Ammons Brief vom 28.10.1817 (SN 238, Bl.Sr) in „An Ammon" 42 (oben 53,20-22) 13f Vgl. Ammon: „Aber wie in aller Welt konnten Sie es über Ihr zartes Gewissen bringen, diese und noch einige, im vertraulichen Wechsel der brieflichen Unterhaltung gebrauchten Worte öffentlich auszustellen und sie zum Texte Ihrer gedruckten Anrede zu wählen!Fanden Sie denn nicht in der Prüfung der Thesen selbst schon genug, was Ihren Unwillen reitzen, was Ihren Widerspruch sättigen, was Ihr immer so willig übernommenes Richterwort zur Warnung, zur Strafe und Züchtigung aufregen konnte, und mußte es Ihnen nicht ein wahrhaft peinliches Gefühl verursachen, zu einer Zeit, wo die literarische Geschwätzigkeit unter den Gelehrten so groß ist, auch unseren Stand mit dem Vorwurfe einer alles Vertrauen von Grund aus zerstörenden Zartlosigkeit zu belasten? Mehr, als ein ehrwürdiger Gottesgelehrter Ihrer Kirche hat sich über das Unionsgeschäft, welches Sie zu vertheidigen scheinen, mündlich und schriftlich gegen mich mit einer Mißbilligung ausgesprochen, die Ihren Ansichten noch viel bestimmter und unbedingter widerstreitet, als mein überall nur bedingtes Urtheil; aber ob ich schon Ursache habe, zu glauben, daß Sie sich keinesweges scheuen würden, Ihre Behauptungen vor aller Welt zu vertreten, so würde ich mich doch um keinen Preis dazu verstehen, Ihre freundschaftlichen Mittheilungen ohne Ihre Einstimmung zu verrathen, oder sie vollends durch den Druck Jedermann preißzugeben." (Antwort 6 f ) 16 f Außer den oben in Anm. zu 113,11-14 genannten Briefen umfaßt die Korrespondenz noch ein vermutlich nicht erhaltenes Begleitschreiben Schleiermachers zur Übersendung seiner Schrift „An Ammon" an den Oberhofprediger von Anfang März 1818, auf das dieser mit einem abschließenden Schreiben vom 7.3.1818 reagierte (vgl. oben Anm. zu 111,22-24). 18f Schleiermachers Verfasserschaft der 1799 anonym in Berlin erschienenen Schrift Johann Christian August Grohmanns „ Ueber Offenbarung und Mythologie " unterstellt Ammon in Antwort 17 und 33 (s. oben Anm. zu 108,1-4).

Zugabe

115

Offenbarung und Mythologie" die ich nicht nur nicht geschrieben, sondern bis jezt auch noch nicht gesehen habe; und ich werde fast müssen die Verlagshandlung jenes Buchs zu Hülfe rufen, um dies falsche Gerücht zu widerlegen. Denn ich habe schon einmal öffentlich sehr kräf5 tig dagegen protestirt, als sie mir in der Leipziger Litteraturzeitung beigelegt wurde; dem ohnerachtet, ist die falsche Angabe von da in Ersch 422

4-6 „Erklärung gegen die Redaction der N. Leipz. Lit. Zeit. Ein Intell. Blatt der N. Leipz. Lit. Zeit, vom März dieses Jahres, No. 12 oder 13, ich weiß nicht mehr genau, hat mich mit großer Sicherheit als Vf. einer Schrift ausgerufen, die ich nie gesehen, von der ich kaum den Titel vollständig kenne ,Ueber Offenbarung und Mythologie etc. Berlin 1799.' Sobald ich dieß, in den letzten Tagen des April, gelesen, versicherte ich die Redaction von dem Ungrund dieser Nachricht, bittend um baldigen Widerruf. Hoffentlich war damals eine zweyte Anzeige desselben Inhalts in No. 21 vom 3 May schon abgedruckt, und man will mit dieser Wiederholung nicht meiner eigenen Aussage trotzen, dießmal wird zugleich angeführt, was ich freylich selbst gesagt habe, und also Jeder, den es interessirt, schon weiß, ich sey auch V f . der Reden über die Religion. Berlin 1 799. Wird aber wohl jene falsche Nachricht dadurch glaublicher, daß ich in demselben Jahre wirklich eine, wahrscheinlich doch sehr verschiedene, Schrift über einen so nahe verwandten Gegenstand bekannt gemacht habe? und sollte nicht dieser Umstand dem Einsender selbst Zweifel erregt haben ? Doch zur Sache. Jetzt habe ich jene Blätter bis Ende May vor mir, und die Unwahrheit ist nicht widerrufen. Länger wird mir das Warten und Nachsehen langweilig, und ich erkläre also hier, ,daß ich von jener Schrift: Ueber Offenbarung und Mythologie, nichts weiß, und ihr V f . nicht bin.' Die Redaction der Leipz. Lit. Zeit, aber sehe zu, wie sie es rechtfertigen will, daß sie falsche Nachrichten zwar sorglos genug verbreitet, den authentischen Widerruf aber zurückhält. Durch solche Nachlässigkeit verwirkt sie auf jeden Fall das Vertrauen des Publicums; hätten nun aber gar die Einsender irgend eine Absicht, so machte sie sich mitschuldig an einer niedrigen literarischen Klätscherey. Oder wäre etwa mein Brief nicht eingegangen ? Das würde eine sehr unwahrscheinliche Behauptung seyn. Oder sollte ich Insertionsgebühren beygelegt haben ? Denn freylich unter den achten, denen unentgeltliche Aufnahme verheißen wird, steht kein Artikel von Berichtigung solcher Unwahrheiten, welche das Int. Bl. selbst in Umlauf gesetzt hat. Aber ich meinte allerdings, dieser verstände sich von selbst. Oder glaubt die Redaction den Einsendern mehr als mir? Und freylich, der letzte ist sehr genau; er ist sogar meinem ganzen Vornamen, den ich meines Wissens noch nie öffentlich zum Besten gegeben habe, Friedrich, Daniel, Ernst, glücklich auf die Spur gekommen - welch ein Literator! - wogegen ich Armer nicht einmal No. 12 oder 13 genau anzugeben weiß, und mir offenbar die Mühe nicht geben will, noch einmal nachzusehen. Gut, er citire also seine Quellen - ich käme gem hinter den Ursprung der Unwahrheit - er führe seinen Beweis gegen mich! und da er das doch unmöglich vermag, so lasse er sich wohlmeinend sagen, daß er doch noch etwas behutsamer seyn muß in Bekanntmachung der Nachträge, die er etwa zusammenspürt zum Meusel, weil solche geringfügige Beschäftigungen nur durch Genauigkeit einen Werth erhalten, oder wenigstens unschuldig werden, und weil man dem Schriftsteller auf jeden Fall einen schlechten Dienst erweist, dem man ein Werk zuschreiben will, welches irgend einem Anderen zugehört. Halle, den 16 Junius. F. Schleiermacher. " (Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 1806, Nr. 54, 28.6.1806, Sp. 454-456) - Die falschen Zuweisungen der Verfasserschaft finden sich in: Neues Allgemeines Intelligenzblatt fur Literatur und Kunst zur N. Leipz. Lit. Zeitung gehörend, 13. Stück (15.3.1806), Sp. 202 sowie 21. Stück (3.5.), Sp.331 unter der Rubrik „Literarische Nachrichten " und beziehen sich beide auf eine Rezension in der Neuen Leipziger Literaturzeitung 1806, 3. Stück, Sp. 41. 6-1 Sowohl das von Johann Samuel Ersch herausgegebene

116

Zugabe

Litteratur übergegangen, woher sie wahrscheinlich Herr Ammon hat. Wenn ich ihn also in dieser Schrift angeschnaubt haben soll, und wenn er sonst etwas aus ihr anführt: so muß ich mir dies alles verbitten. Mir fällt nur lächerlicher Weise ein, daß da Herr Ammon das specifische 5 Talent hat, alle meine Schriften ausschließend zu vergessen, und er doch aus dieser manches behalten hat, ihm wol ein Verdacht hätte aufgehn sollen, ob sie auch wol von mir wäre. Ja ein Freund hat mich schon getröstet, ich hätte es ja nun bequem, mir falsche Autorschaften abzuwehren, indem ich die Leute an Herrn Ammon verwiese; hat der 10 das Buch vergessen, nun so muß ich es schon auf mich nehmen, hat er es aber behalten, so kann ich es getrost ablehnen. Schleiermacher.

„Handbuch der deutschen Literatur seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit", Bd 1, Amsterdam/Leipzig 1812 (S. 255, Nr. 819) als auch dessen „Allgemeines Repertorium der Literatur fiir die Jahre 1796-1800", Bd 1, Weimar 1807 (VI Nr. 273) verzeichnet die Schrift „ Ueber Offenbarung und Mythologie " ohne Verfasserangabe, während bei Johann Georg Meusel: Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, 5. Aufl., Bd 10, Lemgo 1803 (Nachdruck Hildesheim 1966), S. 582 Schleiermacher als Verfasser gilt. 2 Anspielung auf Ammon: Antwort 33 (vgl. oben Anm. zu 108,1-4) 4f Vgl. oben Anm. zu 108,6f

Über den eigentümlichen Wert und das bindende Ansehen symbolischer Bücher (Reformationsalmanach auf das Jahr Zweiter Jahrgang, Erfitrt)

1819.

Ueber

335

den eigentümlichen Werth und das bindende Ansehen symbolischer Bücher

5

Von Dr. Fr. Schleiermacher.

Niemand suche hinter dieser Uberschrift die Anmaßung, etwas 425 Neues über einen Gegenstand zu sagen, der seit langer Zeit so oft und vielfältig besprochen worden ist, daß man wohl nicht glauben kann, es sey irgend ein bedeutender Punkt unerörtert geblieben. Auch jetzt, als 10 das Jubelfest unserer Kirchen-Verbesserung den so oft geführten und immerdar beschwichtigten Streitpunkt aufs Neue in Anregung brachte, und die Frage „ob die Kirche selbst sich in sicherm Bestände und Fortschritte befinde?" von Vielen mit jener andern in Verbindung | gesetzt 336 ward „ob sie sich mit Ernst und Treue an ihre Bekenntnißschriften 15 halte, und diese in dem ihnen gebührenden Einflüsse gehörig schütze" ist mir nicht vorgekommen, als ob eine neue Ansicht des Gegenstandes wäre aufgestellt worden. Aber etwas anderes hat mich und gewiß viele Andere überrascht: daß nämlich Einige sich anstellen, als könnten sie einen ganzen uns wohlbekannten und nicht unbedeutenden Zeitraum 20 wie ungelebt machen, die Charaktere, die er unserer Geschichtstafel eingegraben, wie mit einem Schwämme wegwischen, und so auf eine

7 - 9 Vgl. z. B. Johann Georg Walch: Historische und theologische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Teil 2, 2. Aufl., Jena 1733, S. 134-169. Heinrich Philipp Konrad Henke: Beurtheilung aller Schriften welche durch das Königlich Preußische Religionsedikt und durch andre damit zusammenhängende Religionsverfugungen veranlaßt sind, Kiel 1793 12-15 Als Zitate nicht nachgewiesen, vgl. aber z.B. Friedrich von Bülow: Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse des christlich evangelischen Kirchenwesens in Deutschland, besonders in Beziehung auf den Preußischen Staat, Magdeburg 1818, S. III f . 105-109. Schleiermacher berichtet zwar am 31. August 1818 an Gaß, er habe das Buch (auch) nicht gelesen (Briefwechsel mit Gaß 155f), läßt aber im selben Zusammenhang Kenntnis der Grundthesen des Buches durchblicken.

120

Wert und Ansehen symbolischer

Bücher

viel leichtere Art, als sonst mit den alten Zügen eines codex rescriptus geschehen kann, die Schrift des siebenzehnten Jahrhunderts hervor zaubern, und sie uns für unsere eigene anrechnen. Dies muß offenbar befremden, wenn man sich des großen Einflusses erinnert, den bis vor nicht gar langer Zeit so viele ehrenwerthe und unvergeßliche Männer ausgeübt haben, welche sich allem Zwange der symbolischen Bücher widersetzten und in ihren eigenen Ansichten ganz offenkundig von ihnen abwichen. Scheint nun dergleichen auf eine sehr schnelle Umkehrung der herrschenden Ansichten zu deuten: so ist wohl gar sehr zu be- 426 sorgen, daß diese voreilig seyn könnte; setzt es hingegen voraus, daß noch vor Kurzem gar Viele nicht laut zu werden wagten, mit ihrer höheren Schätzung der symbolischen Bücher, oder jetzt gar Viele nicht mehr laut zu werden | wagen mit ihrer Abweichung von denselben: so 337 ist auch dies nicht minder bedenklich. Denn eben weil wir jetzt einem regeren öffentlichen Leben auf dem Gebiete der Religion und Theologie entgegen sehen: so thut auch mehr als jemals Noth, sowohl daß diejenigen, welche in diesem öffentlichen Leben auftreten, wissen, wie sie einer mit dem andern daran sind, als auch, daß die große kirchliche Gemeinschaft wisse, wie sie mit ihren Stimmführern daran ist. Und wenn Meynungen vorgetragen werden, welche, wenn sie Beifall finden, Gesetze und Einrichtungen zur Folge haben müssen, die in jenes öffentliche Leben auf das entscheidendste eingreifen: so wäre es dann zwiefach unverantwortlich, wenn diejenigen furchtsam schweigen wollten, die eine entgegengesetzte Uberzeugung hegen. Darum nun wollte auch ich nicht schweigen, zumal schon von mehreren Seiten zum Reden aufgefordert, und wollte auch der Veranlassung wegen am liebsten in diesem vielgelesenen Werke einigen Raum in Anspruch nehmen: um, was ich vermag, beizutragen, damit in dieser hochwichtigen Sache nichts zum gemeinen Nachtheil geschehe. Was ich sagen werde, soll nur meine motivirte Abstimmung seyn, bei der ich mich aller geschichtlichen Deductionen, die so vielfältig von beiden Seiten geführt worden sind, enthalten; und nur klar und ruhig vorlegen will, was meiner Überzeugung nach theils aus allgemeinen G r u n d s ä t z e n sich rechtfertigen läßt oder 338 nicht, theils in der gegenwärtigen Lage der Dinge rathsam ist oder nicht.

15 £ Theologie] Theolagie

30 f Anspielung auf die theologischen und kirchenrechtlichen Dehatten um die lehrgesetzliche Geltung der reformatorischen Bekenntnisschriften im Anschluß an das preußische Religionsedikt (s.ohen 119,7-9, s. unten 121,27-30)

Wert und Ansehen symbolischer Bücher

5

10

15

20

25

121

Hierbei scheint mir zuerst der Gegensatz der Meynungen in der größten Schärfe aufgefaßt werden zu müssen, in der er schon sonst hervorgetreten ist, und jetzt aufs neue hervortritt. Auf den Unterschied der beiden protestantischen Konfessionen aber scheint mir hierbei wenig anzukommen, und ich sehe vorläufig wenigstens ganz davon ab. Der Gegensatz nun scheint mir dieser zu seyn: daß Einige unter uns den 427 kirchlichen Bekenntnißschriften ein bindendes Ansehn, wo es ist, erhalten, und wo es nicht ist, beilegen wollen, kraft dessen ihr Inhalt die Norm der öffentlichen Lehre wenigstens in allen gottesdienstlichen Handlungen seyn würde. Andere legen hiegegen den eifrigsten Widerspruch ein, der in seiner strengsten Form nicht anders gefaßt werden kann, als daß jene Bekenntnißschriften, wie nur für ihre Zeit bestimmt, so auch nur als Denkmähler derselben anzusehen, und ihnen auf unsere Bemühungen gar kein weiterer Einfluß zuzugestehen sey, als den alle Arbeiten der Vorfahren auf die Bestrebungen der Nachkommen haben müssen. Die von der einen Parthei besorgen, daß ohne die vorgeschlagene Maaßregel unsere Kirche immer weiter verfallen müsse, und glauben, dem bedenklichen Zustande derselben nicht an-|ders, als auf die- 3 3 9 sem Wege abhelfen zu können. Die von der andern hingegen besorgen durch eben diese Maaßregel Benachtheiligung und Bedrückung der Einzelnen, und glauben nur, wenn jede Spur eines bindenden menschlichen Ansehens verschwunden sey, könne die zur Erhaltung des lebendigen Glaubens nöthige Freiheit des Geistes gedeihen. In dieser Einseitigkeit nun scheinen mir beide Theile Unrecht zu haben, in dem, was sie behaupten - und nur Recht in dem, was sie verneinen.

Für die Nothwendigkeit eines bindenden Ansehns der kirchlichen Bekenntnißschriften wird vorzüglich zweierlei angeführt. Ein Mal: sie wären der Grund aller öffentlichen rechtlichen Verhältnisse unserer Kirche, und wenn wir von ihnen abwichen, begründeten wir dadurch 30 ein Recht, uns in unserm kirchlichen Besitzstand zu beunruhigen. Aber dieses, glaube ich, sollten wir Niemanden zugestehen, der es behaupten wollte. Allerdings ist der Religionsfriede geschlossen, und in diesem ein kirchlicher Besitzstand öffentlich begründet worden, zunächst mit denen deutschen Fürsten und Ständen, welche die Augsburgische Konfes35 sion übergeben hatten, und sich ihr zugethan bekannten; und erst späterhin sind die Reformirten, als ebenfalls einem bestimmten Bekenntniß

6 - 1 0 Vgl. Bülow: Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse 109/.115 10-16 Vgl. z.B. Friedrich August Klein: Vertraute Briefe über Christenthum und Protestantismus, bei der dritten Jubelfeier der Lutherischen Reformation geschrieben, Jena 1817, S. 149-170 27-30 Diese These verficht exemplarisch Jacob Friederich Roennberg: Über symbolische Bücher in Bezug aufs Staatsrecht, o. O. (Rostock) 1789.

122

Wert und Ansehen symbolischer

Bücher

zugethan, in denselben aufgenommen worden. Allein | wer darin eine 340 Nothwendigkeit finden wollte, daß alle protestantischen Gemeinden 428 sich nun an alle einzelnen Sätze der vormals vorhandenen Bekenntnißschriften binden müßten, der müßte, indem er es recht buchstäblich genau nehmen wollte, gerade den Buchstaben des Religionsfriedens vergessen haben. Denn indem dieser von der Augsburgischen Konfession redet, spricht er ausdrücklich von deren Lehre, Religion und Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Cerimonien, so sie aufgerichtet oder nachmals aufrichten möchten. D a ß nun, und wie die später aufgerichtete Lehre und O r d n u n g mit der früheren übereinstimme, ist lediglich unsere Sorge und unser Interesse; und wir können Niemanden ein Recht einräumen, es zu beurtheilen, als uns selbst. Nicht der katholischen Kirche, welche Anspruch machen könnte an unser Kirchengut und Recht; nicht den katholischen Mächten, durch welche sie diese Ansprüche könnte ausführen wollen. Der Kirche nicht: weil wir - die wir seit jener Zeit mit dem größten Fleiß und Eifer die Lehre bearbeitet, und uns auf das Verständniß der Schrift und Quelle der Lehre verlegt haben - diejenigen nicht zu unsern Richtern bestellen können, welche durch fast gänzliche Unthätigkeit ihren Mangel an Theilnahme f ü r diesen Gegenstand hinlänglich beurkundet haben, und also auch ihre Beurtheilungsfähigkeit nicht dargestellt. Dem Staate nicht; denn wenn ein | katholischer Staat auch nur seine protestantischen Unterthanen 341 unter diesem Vorwande der schon zugestandenen Rechte berauben wollte, der schiene mir ähnlich zu handeln, als wenn eine Regierung, die den Freimaurerorden ein Mal geduldet, ihn deßwegen wieder austreiben wollte, weil in den Zusammenkünften allerlei vorgefallen sey, was den Mysterien des Ordens widerstreite; da sie doch zugeben muß, daß sie als Regierung auf jeden Fall profan ist in dieser Hinsicht, und nichts von der Sache versteht. Wenn man aber sagen wollte, es scheine unter dieser Voraussetzung ganz zwecklos, daß im Religionsfrieden der Augsburgischen Konfession auch nur erwähnt worden: so möchte ich entgegnen, es habe damit folgende Bewandtniß. Die reformirenden Lehrer wollten in diesem Bekenntniß auf der einen Seite darlegen, auf 429 was für kirchlichen Abänderungen sie aus Drang ihres Gewissens unabänderlich bestehen müßten, und aus welchem Grunde der Lehre; auf der andern Seite aber wollten sie sich auch von den zu gleicher Zeit

5 - 9 Artikel des Religionsfriedens im Abschied des Reichstags von Augsburg, 25. September 1555, Art. 3; Christopherus Lehenmann: De Pace Religionis Acta Publica et Originalia, Frankfurt 1631, S.138a; Der Augsburger Religionsfriede vom 25. September 1555, ed. K. Brandt, 2. Aufl., Göttingen 1927, S. 36f 6 Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession und die repetitio confessionis Augustanae, ed. A. Twesten, Kiel 1816, S . l l f f ; BSLK 44ff

Wert und Ansehen symbolischer Bücher

5

10

15

20

25

30

35

123

a u f g e k o m m e n e n Schwärmern unterscheiden, welche mit den kirchlichen M i ß b r ä u c h e n zugleich auch alle bürgerlichen Bande auflösen, u n d das Ansehn der Obrigkeit untergraben wollten; mit welchen Schwärmern sie bange seyn mußten, durch die V e r u n g l i m p f u n g e n ihrer Gegner verwechselt zu werden. Indem man n u n mit den Protestirenden einen Rechtszu-|stand aufrichten wollte, wollte man jene Schwärmer 342 nicht zugleich begünstigen, u n d die protestirenden Fürsten u n d Stände konnten dies selbst nicht wünschen. D a h e r kam es Theils darauf an, diejenigen zu bezeichnen, mit welchen man den Religionsfrieden a u f richten wollte; Theils darauf freie H a n d zu behalten gegen jedes u n r u hige, die gesellschaftliche O r d n u n g zerstörende Princip. In beider H i n sicht war man besonders gewiesen an die Augsburgische Konfession; sie war der erste öffentliche Akt des neuen Religionskörpers; sie w a r n u r von öffentlichen Personen gezeichnet, welche auch ihrerseits die obrigkeitliche Gewalt a u f r e c h t halten mußten; und sie enthielt diejenigen Artikel, die auch den Gegentheil wegen der Folgen, welche die Freiheit dieser Lehre f ü r das gemeine Wesen haben konnte, beruhigen mußten. Die Augsburgische Konfession ward also als Bezeichnung hingestellt; Theils dieser Artikel wegen, Theils wegen ihrer Unterschriften, Theils, weil sie von der neuen Parthie selbst als etwas Äußerliches hingestellt war, und man sich auf diese Art weiter gar nicht in ihre innern Angelegenheiten zu mischen brauchte. Aber die Freiheit, sich in reinen Lehrpunkten auch von der Augsburgischen Konfession zu entfernen, sollte den Protestirenden durch jene E r w ä h n u n g keinesweges g e n o m men werden; vielmehr ist jener Zusatz nicht anders zu verstehen, als d a ß dieses ganz in die H ä n d e der Fürsten | u n d Obrigkeiten gelegt 343 werde, welche die Konfession gezeichnet o d e r sich hiernach zu ihr bekannt hatten. Diesen wurde, o h n e daß es den Frieden stören sollte, zu- 430 gestanden, neue Lehre, O r d n u n g e n und Gebräuche aufzurichten. Was also diese durch ihr Kirchenregiment, wie sie es in ihren Landen u n d Orten, aus Sachverständigen bestehend, aufrichten w ü r d e n , f ü r ihre Lehre, oder wenigstens f ü r verträglich mit dem Geiste ihres U n t e r n e h mens erklärten: das solle mit in den Frieden eingeschlossen seyn; und n u r was von der Gesammtheit selbst nicht anerkannt, sondern ausgestoßen wurde, k o n n t e sein Anrecht an dem gemeinen Frieden verlieren. N u r so kann es verstanden werden, d a ß Alles, was keiner von beiden Religionen verwandt wäre, weder der alten noch der der Augsburgi-

12 die] dre

27 werde] werden

33 solle] Kj sollte

13 f Vgl. ed. Twesten 121; BSLK 136f 3 4 - 1 Vgl. Artikel des Religionsfriedens im Abschied des Reichstags von Augsburg, 25. September 1555, Art. 5, ed. Lehenmann 138 b; ed. Brandi 38f

124

5

10

15

20

25

30

Wert und Ansehen symbolischer Bücher

sehen Konfession, aus diesem Frieden sollte ausgeschlossen werden. U n d gewiß sollten wir uns auf diesem P u n k t e halten, und es auf das bereitwilligste in unserm N u t z e n annehmen, d a ß schon damals die p r o testantische Kirche rechtskräftiger Weise f ü r beweglicher ist erklärt worden, als die katholische: denn w o deren Lehre, O r d n u n g e n , G e b r ä u che und Cerimonien erwähnt werden, fehlt jener charakteristische Z u satz „so sie aufgerichtet haben und nachmals aufrichten werden" gänzlich; so d a ß wir uns in dieser Hinsicht im o f f e n b a r e n Vortheile befinden. W e n n es also ganz frei in unsere H a n d gestellt ist, wen wir an | unserm Besitzstande wollen Theil nehmen lassen, und wen nicht: was 344 f ü r ein Interesse k ö n n t e n wir wohl haben, uns selbst in der Freiheit des Urtheiles zu. beschränken, indem wir den strengen Buchstaben eines Symbols als M a a ß s t a b aufstellten? Wenigstens würden wir dadurch in einem ganz andern Geiste handeln, als die ersten Theilnehmer der Augsburgischen Konfession uns ein Beispiel gegeben haben in den pfälzischen H ä n d e l n . Denn, als man kaiserlicher Seits dem C h u r f ü r s t e n von der P f a l z gern etwas anhaben wollte, und nicht undeutlich die Absicht merken ließ, ihn vom Religionsfrieden auszuschließen, doch aber die evangelischen Fürsten befragte „ob er denn der Augsburgischen Konfession verwandt sey, da er ja dem Kalvinismus zugethan scheine?" entgegneten diese: der C h u r f ü r s t weiche allerdings in der einen Lehre vom Abendmahle von der Augsburgischen Konfession ab; allein sie müßten gegen alle Ausschließung aus dem Religionsfrieden protestiren, 431 indem einzelne Abweichungen in der Lehre immer müßten statt finden können, wie denn dergleichen selbst in der römischen Kirche vorkämen; und indem sie immer noch gedächten, durch wiederholte Besprechungen den C h u r f ü r s t e n von seinem I r r t h u m e abzubringen, und eines Bessern zu überzeugen. So wenig wollte man schon damals den kirchlichen Rechts- und Friedensstand von der genauen Ubereinstimmung mit dem Buchstaben | des Symbols abhängig machen; so sehr siegte noch 345 der w a h r h a f t protestantische Geist über das Sektenwesen! Aber die Verhältnisse derjenigen Dissentirenden in der protestantischen Kirche, um derentwillen man jetzt einen Versuch, unsern Besitzstand zu beein-

7 nachmals] nochmals

5f Artikel des Religionsfriedens im Abschied des Reichstags von Augsburg, 25. September Art. 4, ed. Lehenmann 138b; ed. Brandi 37f 1 4 - 2 8 Gottlieb Jakob Planck: Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unseres protestantischen Lehrbegriffs, Bd 5/2, Leipzig 1799, S. 491-493, Anm.209 bietet eine Paraphrase der Verhandlungen auf dem Augsburger Reichstag 1566, in denen der Ausschluß der Kurpfalz aus dem Religionsfrieden abgewehrt wurde.

Wert und Ansehen

5

10

15

20

symbolischer

Bücher

125

trächtigen, fürchten möchte, sind augenscheinlich noch weit günstiger. Denn Theils haben die Altgläubigen und die Neuerer sich bisher noch nie von der Kirchen-Gemeinschaft ausgeschlossen; Theils bedürfen wir - um zu beweisen, wie sehr wir uns bestreben, die Irrenden zurück zu führen - keiner besondern Zusammenkünfte und Kolloquien mehr, die leicht als gescheitert dargestellt werden können, wenn sie nicht unmittelbar ein befriedigendes Resultat gewährt haben: sondern auf dem Wege der schriftlichen Diskussion aller streitigen Punkte geht das Uberzeugenwollen ununterbrochen fort. Je lebendiger wir nun selbst von den Hauptlehren unserer Kirche überzeugt sind, um desto zuversichtlicher müssen wir ja der H o f f n u n g leben, daß unsere M ü h e an den Abgeirrten nicht vergeblich seyn wird. Und da nun auch die E r f a h r u n g dies nicht selten an den unzweideutigsten Beispielen bewährt: was f ü r eine Aufforderung sollten wir noch haben, durch strenge Abschließung so Manche voreilig aus unserer Gemeinschaft heraus zu bannen, und eben dadurch Belehrung und Rückkehr zu erschweren? Wenn wir also nur sonst den ältesten Beispielen | folgen, und in dem ursprünglichen 346 milden Sinne unserer kirchlichen Vorfahren bleiben wollen - in der Rücksicht auf unsern Rechts- und Besitzstand können wir durchaus keinen Grund finden, einen symbolischen Buchstaben so hart hinzustellen, daß wer mit demselben nicht übereinstimmen kann, auch in unsrer 432 Gemeinschaft nicht bleiben könne; sondern eine solche Einrichtung müßte durch ganz andere Gründe erst gerechtfertigt werden.

Der zweite nun, den man anzuführen pflegt, ist der: die Verpflich25 tung auf das Symbol sey nothwendig, um die evangelischen Christen in ihrem Glaubens-Besitzstande sicher zu stellen gegen die Geschäftigkeit, vorzüglich solcher Geistlichen, welche sich von allen Grundlehren der Kirche los gesagt haben, und unter dem Schutze einer unbegränzten Lehrfreiheit einen leeren Unglauben verbreiten. Allein wie der Wunsch, 30 das symbolische Band fester zu schürzen, auf jene Weise begründet, nur aus einer etwas unkundigen Ängstlichkeit entstehen zu können scheint: so erscheint er mir, wenn dieses sein Grund seyn soll, nur als der Ausbruch eines wohlgemeynten, aber nicht ganz überlegten Eifers. Denn das Mittel scheint auf der einen Seite nicht hinzureichen, und auf 35 der andern gar Manches hervor zu bringen, was nicht mit beabsichtet

12 £ Wohl ironische Anspielung auf den theologischen Positionswechsel, den Ammon mit seinem Eintreten für Harms vollzogen hatte (vgl. Christoph Friedrich Ammon: Bittere Arznei für die Glaubensschwäche der Zeit, Hannover/Leipzig 1817, unten 429-443) 24-29 Vgl. Claus Harms: Das sind die 95 theses oder Streitsätze Dr. Luthers, theuren Andenkens. Zum besondem Abdruck besorgt und mit andern 95 Sätzen als mit einer Uebersetzung aus Ao. 1517 in 1817 begleitet, Kiel 181 7, These 64-67; Ausgewählte Schriften und Predigten, ed. P. Meinhold Bd 1, Flensburg 1955, S. 220; vgl. auch Biilow: Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse 105f

126

Wert und Ansehen

symbolischer

Bücher

ist. Gibt es nämlich nur wenige einzelne Geistliche, über welche mit | Recht geklagt werden kann, daß sie im Unglauben liegen: so würde es 347 sogleich besser seyn, auf ein anderes Mittel zu sinnen, welches nicht, indem es die Wenigen im Zaume hielt, so viele Andere hart bedrängte. Denn das wird man schwerlich leugnen können, daß eine genaue symbolische Verpflichtung gar viele Geistliche, und gerade von den wackersten, in der freimüthigen Unbefangenheit ihrer Forschungen und Mittheilungen stören, und ihnen ihre ganze Lage ängstlich, ja vielleicht unerträglich machen würde. Ist aber die Gefahr dringend, und rührt von einer großen Menge ungläubiger Geistlichen her: so kann sie auf diesem Wege wohl schwerlich abgewendet werden. Denn eine große Menge ungläubiger Geistlichen läßt sich nicht denken ohne eine noch größere Menge ungläubiger Laien, und am meisten in den höheren Ständen; da ja mit diesen die künftigen Geistlichen gerade in der Zeit, wo sich die Empfänglichkeit f ü r solche Gegenstände aufschließet, ganz dieselbe Bildungsquelle und Bildungsweise theilen. Führt man nun eine strenge symbolische Verpflichtung ein: so werden gar Viele von den un- 433 gläubigen Geistlichen sich doch mit ihrem Gewissen durch allerlei Deutungen und Vorinhälte abfinden. Und wer soll denn diese bei ihren Mental-Reservationen bewachen? Sollen etwa die wohlgesinnten Geistlichen - statt besser ihre Zeit der Vertheidigung bestrittener Wahrheiten zu widmen, um | richtigere Ansichten verbreiten zu helfen - die 348 Kundschafter ihrer abweichenden Amtsgenossen machen? Und wenn sie sich auch zu diesem traurigen Geschäfte opfern wollen: woher sollen dann, wenn doch der Unglaube auch unter den Laien so eingerissen ist, gerade die rechten Laien an die rechte Stelle kommen, um die Anklage der Geistlichen gegen ihre Amtsbrüder wirksam zu machen? O d e r werden nicht offenbar da, wo die Aufsicht über die Geistlichen geführt wird, Männer stehen, die vorzüglich von dem Geiste der Zeit ergriffen seyn? Das Gesetz wird also zwar bestehen: aber Niemand wird seyn, der darauf halte; ein todter Buchstabe mehr zu noch vielen Andern. Doch zugegeben, es werde darauf gehalten: so werden wir doch nicht wollen, daß die Beschuldigten ohne Vertheidigung verdammt werden; und wie wird es dann um die Entscheidung stehen? Wenn, wie schon Andere bemerkt haben, das biblische Wort durch Deutungen gedreht wird, werden nicht auch die symbolischen Worte nach denselben Regeln und Künsten können gedreht werden? Kann man diese Regeln als falsch, und diese Künste als nichtig darthun: so

4 hielt] Kj hielte

30 seyn] Kj (auch SW) sind

35f Vgl. Harms: These 50 (Schriften 1,218)

Wert und Ansehen

5

10

15

20

25

30

35

symbolischer

Bücher

127

bedarf man wohl keiner Verpflichtung auf symbolische Bücher, sondern man kann die ungläubigen Lehrer von der Seite fassen, daß sie im offenbaren Widerspruche mit der Schrift stehen, welche die protestantischen Christen von jeher als Norm des Glaubens | angenommen haben, 349 und welche auch diejenigen nicht verschmähen, die eine Verpflichtung auf die symbolischen Bücher gern von der H a n d wiesen. Kann man aber dieses nicht, muß man jenen Regeln eine relative Gültigkeit, und jenen Künsten einen relativen Werth zugestehen, und klagt nur über den Mißbrauch und die falsche Anwendung derselben bei der Schrift: wie will man doch denselben Mißbrauch, dieselbe Übertreibung in der 434 Anwendung jener Regeln auf das Verständniß der symbolischen Bücher hindern? Und wenn man sie bei der Schrifterklärung nicht unmittelbar durch Entsetzung und Bann ahnden kann: woher will man das Recht nehmen, es bei Erklärung der symbolischen Bücher zu thun? Man wendet vielleicht ein, die Erfahrung widerlege schon diese Besorgniß: „denn es Seyen nie dieselben Künsteleien bei der Auslegung der symbolischen Bücher angewendet worden, wie bei der Schrift, und das sey auch bei der verschiedenen Beschaffenheit beider ganz natürlich. Denn die symbolischen Bücher seyen rein didaktische Aufsätze, nicht gemischt mit Parabeln und Bildern; sie seyen schon mit einer gewissen Kunst abgefaßt; die Ausdrücke wiesen auf ein ausgebildetes wissenschaftliches Sprachgebiet hin, wo Alles gehörig erklärt sey, und worauf alle künstlichen Auslegungs-Theorien keine Anwendung weiter fänden." Allein die bisherige Erfahrung kann hiemit sehr wenig | beweisen, 350 indem wir den Fall noch eigentlich gar nicht gehabt haben, welcher eintreten würde, wenn jetzt eine strenge Verpflichtung auf die symbolischen Bücher eingeführt werden sollte. Denn zu der Zeit, als die symbolischen Bücher ein Gegenstand von großer Bedeutung waren, lag unsere Auslegungskunst noch in der Wiege, und jene höheren und zusammen gesetzten Ansichten und Einsichten, deren Mißbrauch so viel Verkehrtes hervor gebracht hat, waren noch unentdeckt; daher mußte auch die Erklärung der symbolischen Bücher sich mehr an den vorliegenden Buchstaben halten. Seitdem aber jene neueren Bestrebungen in der Kritik und Auslegungskunst überhand genommen, hatte schon die genaue Ubereinstimmung der religiösen Vorstellungen mit den symbolischen Büchern keinen so hohen Werth mehr. Man wendete also auch keine sonderliche Mühe darauf, sie nachzuweisen, sondern gestand

3f protestantischen] prote-/standischen

16 „denn] denn

16-24 Als Zitat nicht nachgewiesen, vgl. aber Harms: These 50.83 (Schriften 36—4 Dieses dogmatische Verfahren ist exemplarisch angewandt bei Karl Gottlieb

1,218.223) Bretschnei-

128

5

10

15

20

25

30

35

Wert und Ansehen

symbolischer

Bücher

ohne Umschweife zu, die Reformatoren hätten wirklich jene Vorstellungen gehabt, die der unbefangene Leser aus ihren Ausdrücken auffaßt, man gestand auch die Unvollkommenheit dieser Vorstellungen zu, und stellte vermeyntlich bessere daneben. Wenn aber jetzt ein solcher Werth auf die symbolischen Bücher 435 gelegt wird, daß Jeder seine Übereinstimmung mit denselben genau vertreten muß: so wer-|den allerdings ganz andere Erscheinungen zu er- 351 warten seyn. Und wie sich für die höhere Auslegung, welche erstlich einen Schriftsteller so gut zu verstehen sucht, als er sich selbst verstanden hat, dann aber noch besser, auch an den symbolischen Büchern ein weites Feld eröffnet, das werden einige kurze Andeutungen zur Genüge zeigen. Zuerst wird es eine natürliche und allgemein angenommene Maxime seyn, daß, in wie fern die Sätze der symbolischen Bücher Beschränkungen unseres Forschens und Meynens seyn sollen, wir sie in dem mindest lästigen Sinne auffassen müssen. Ferner, daß, in wie fern sie Äußerungen Einzelner sind, sie nur aus dem Zusammenhange mit der ganzen Denkungsart und den andern Äußerungen derselben Männer authentisch können erklärt werden. Ferner, daß alle die Stücke der Glaubens- und Sittenlehre - welche in denjenigen symbolischen Büehern, die hier vorzüglich zu berücksichtigen sind, nicht eigens ausgeführt worden, sondern nur aus ältern Bekenntnißschriften herüber genommen sind - nur als solche anzusehen wären, welche die Reformatoren selbst damals nicht durchgearbeitet hatten, und auch in dem ganzen Gange ihrer Bildung und ihres Berufes keine Aufforderung fanden, Untersuchungen über sie anzustellen; und daß also die Ausdrücke der ältern Bekenntnißschriften über diese Punkte nur in so fern von symbolischer Verbindlichkeit für uns sind, als | aus richtiger Anwendung der 352 Grundsätze, welche die Reformatoren übrigens befolgten, sich nichts anders ergibt; daß aber, bis dieses zu allseitiger Befriedigung ausgemittelt worden, abweichende Vorstellungen über jene Punkte nur aus der Schrift dürften widerlegt werden. Ferner müsse dasselbe gelten von allen zur Ergänzung der symbolischen Bücher nöthigen Aussagen über solche Punkte, welche erst seit der Abfassung jener Bücher die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen haben, und in verschiedenen Gestalten sind vorgetragen worden, damals aber weder eigens bear-

10 besser,] besser;

25 über] qber

31 müsse] Kj müßte

34 in] η

der: Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, oder Versuch einer beurteilenden Darstellung der Grundsätze, welche diese Kirche in ihren symbolischen Schriften über die christliche Glaubenslehre ausgesprochen hat, l.Aufl., Leipzig 1814. 19-22 Vgl. z.B. CA I, ed. Twesten 20f; BSLK 50. CA III, ed. Twesten 22f; BSLK 64

Wert

5

10

15

20

25

30

und Ansehen

symbolischer

Bücher

129

beitet, noch aus früheren Schriften herüber genommen sind. Endlich, es 436 müßten uns bei Auslegung der symbolischen Schriften alle diejenigen Regeln zu statten kommen, nach welchen in den symbolischen Büchern selbst, und in den Quellen, welchen sie folgen, manche Sätze und Behauptungen aus der Schrift abgeleitet worden sind; indem die symbolischen Bücher ihr Ansehen ja vorzüglich als authentische Auslegungen und Entwickelungen der Schrift genießen. Wenn gegen diese G r u n d sätze der Auslegung der symbolischen Bücher - sobald eine strenge Verpflichtung auf dieselben eintreten, und jenen Bedürfnissen der Kirche genügen soll - wenig möchte einzuwenden seyn: so sieht man leicht - zumal jenes Ansehen gewiß nicht bis auf die Epitome und deren Erklärung, die dasselbe auch bisher schon nicht allgemein | genossen, 353 würde ausgedehnt werden - wie wenig f ü r den Zweck der Gleichheit und der Beharrlichkeit theologischer Meynungen durch eine solche Einrichtung könnte gewonnen werden, wie leicht sich an den gesunden nothwendigen Gebrauch dieser Regeln alle die Verdrehungen anschließen würden, welche das biblische Wort sich hat müssen gefallen lassen; ja wie auch dem Ungläubigsten wenig mehr würde zu wünschen übrig bleiben, wenn er mit Geschick und Umsicht zu Werke ginge. Vorausgesetzt also, daß Neigung und Vorliebe f ü r unchristliche Meynungen weit verbreitet bliebe, und sich auch in den geistlichen Stand häufig einschliche: so würde ein verstärktes bindendes Ansehen der symbolischen Bücher f ü r sich allein, und wenn nicht gewaltsame und willkührliche Maaßregeln damit verbunden würden - die immer verabscheuungswürdig bleiben, die man übrigens aber auch ohne jene Zwischenstufe anwenden könnte - dem Übel, so gut als gar nicht, abhelfen können. Aber wäre nicht zu besorgen, wie es oft zu gehen pflegt, daß, wenn man viel gethan und seinen Zweck doch nicht erreicht hätte, man dann mit Überschreitung aller Gränzen auch das Äußerste noch hinzufügen würde? und daß wir uns also mit dieser Maaßregel auf dem geraden Wege zu den gewaltsamsten befinden würden, die gewöhnlich nach 437 kurzer Herrschaft Alles auf den alten Fleck umschlagen lassen? |

Doch man wird sagen, dies Alles möge ganz richtig, und es möge 354 thöricht seyn, unter dieser Voraussetzung eine solche Maaßregel zu er35 greifen; aber eben, weil die Voraussetzung nicht mehr gelte, weil in Verbindung mit so manchen andern Umwälzungen auch die Herrschaft des Unglaubens wenigstens zum Wanken gebracht sey, halte man es jetzt f ü r Zeit, durch ein neues und kräftigeres Zurückgehen auf den U r sprung der protestantischen Kirche zu verhüten, daß eine solche Zeit

11 Vgl. Concordia, ed. Leipzig zig 1732) 628 ff; BSLK 829ff

1732, S. 570ff; BSLK

735ff

11 f Vgl. Concordia

(Leip-

130

5

10

15

20

25

30

35

40

Wert

und Ansehen

symbolischer

Bücher

zerstreuender und auflösender Willkühr nicht wiederkehre. Und nur deßwegen, weil ohnehin eine Neigung da sey, sich mit den Ahnherren unsers Glaubens wieder zu verbinden, könne und müsse eine solche Maaßregel, wie sie natürlich erzeugt werde durch das Andenken an die nächste Vergangenheit, so auch gewiß heilsam seyn f ü r die Zukunft. Wohl laßt uns sehen, wenn man diese Neigung auf solche Weise benutzt, was dann natürlich erfolgen werde. Wenn das bindende Ansehen der symbolischen Bücher verhüten soll, daß nicht einzelne Geistliche, in welchen noch ein unevangelischer Sinn waltet, diesen durch ihre Amtsf ü h r u n g verbreiten: so kommt doch, wenn sie sich ins Amt ein Mal eingeschlichen haben, Alles darauf an, daß die Zuhörer aufmerken, wo etwas mit den Lehren der symbolischen Bücher Streitendes vorkomme, und es dann anzeigen. T h u n sie das nicht: so ist die Einrichtung wieder vergeblich in Bezug auf alle diejenigen, | die sich mit ihrem Gewissen 355 wegen des zu leistenden Eides abzufinden wissen, und ohnerachtet abweichender Meynungen das geistliche Amt doch angenommen haben. Wenn wir aber unsere Gemeinen zu einem solchen Aufmerken gleichsam berufen, was durch eine solche Verpflichtung alle Mal geschieht; wenn wir sie zum Achthaben auf den Buchstaben der Lehre auffordern, die in den gottesdienstlichen Handlungen doch größten Theils nur das Mittel ist, um lebendige Regungen der Frömmigkeit darzustellen und mitzutheilen: so trüben wir die ganze Stimmung, in welcher sie sich befinden sollen, und leiten sie von dem eigentlichen Zwecke der gottes- 438 dienstlichen Zusammenkünfte ab; denn wer kritisirt, oder Acht gibt, ob sich nichts zu kritisiren findet, der erbaut sich nicht. Ja nicht nur dies, sondern das ganze Verhältniß zwischen den Geistlichen und ihren Gemeinen wird auf den Kopf gestellt. Es ist schlimm genug, daß seit langer Zeit durch die Art, wie in volksmäßigem T o n e und offenbar absichtlich vor einem recht großen Publikum über theologische Gegenstände ist geschrieben worden, unsere Gemeinen in ein theologisches Räsonniren herein gekommen sind; was in der T h a t auch den Gebildeten unter ihnen, wenn sie nicht recht wissenschaftlich sind, nicht f r o m men kann. Durch eine solche Einrichtung aber wird dieser räsonnirende Geist gesetzlich gemacht. W o die Verpflichtung auf die symboli-| sehen Bücher geschärft, oder gar zuerst eingeführt würde, da werden 356 unsere Gemeinen - deren vielen, ja wohl den meisten, sie bisher ziemlich fremd gewesen sind - nicht säumen, sich mit denselben bekannt zu machen. Ja es wäre eigentlich widersinnig, die Geistlichen auf die symbolischen Bücher zu verpflichten, und den symbolischen Büchern nicht selbst die größte Öffentlichkeit in den Gemeinen zu verschaffen. So

7-22

Vgl Harms: bei Anm. 172

These 63-66

(Schriften

1,220)

7-132,26

Vgl. oben Einl. d.

Bandhg.

Wert und Ansehen symbolischer

Bücher

131

wird es dann überall einige Sprecher geben, die sie sich aneignen, und Jagd darauf machen - wie sie, was der Geistliche vorträgt, damit vergleichend - glänzen können. Wie wenig nun dahinter seyn könne, das wissen wir recht gut. Wir weisen, unserer Pflicht gemäß, unsere Z u h ö rer selbst an die Bibel, nicht nur, um sich aus ihr zu erbauen, sondern auch, um dadurch ihren Blick f ü r das Löbliche, wie f ü r das Mangelhafte in der Kirche zu schärfen: allein zu einer Beurtheilung des Buchstabens der Lehre gehört ein Verständniß, welches durch einen solchen Schriftgebrauch nicht kann erreicht werden. Was dem Bedürfnisse und der innern Gewißheit eines christlichen Gemüthes zuwider gesagt wird, das kann und soll Jeder fühlen; ob aber etwas den symbolischen Büchern zuwider läuft, das können nur Wenige beurtheilen. Also wird nur dem Vorwitze und dem leeren Dünkel derer, die weder sich selbst erbauen wollen, noch die Gemeine zu fördern taugen, Spielraum eröff- 439 net; und ihnen Mittel | an die H a n d gegeben, um Mißverhältnisse her- 357 vor zu rufen, und die schlichten Gemüther irre zu führen, die sich gerne erbauen und fördern möchten, aber nicht stark genug sind im Vertrauen. Dem Geistlichen aber, der ohnedies schon genug zu bekämpfen hat, zumal wenn ein Verhältniß neu angeknüpft werden soll, legt man nur noch mehr Hindernisse muthwillig in den Weg. Denn wenn wir uns auch aller priesterlichen Anmaßungen entschlagen haben, und uns gern bescheiden, daß wir nur Diener der Gemeinen sind: so wollen wir doch eben mit unserer Einsicht dienen, und ziemet uns also nicht, uns von denen richten zu lassen, die von uns lernen sollen. Dies Alles aber leidet dann derjenige, um deswillen die Maaßregel nicht nöthig wäre, eben so gut, als Andere. Wohl wird man sagen: diese Übel werden anfänglich nicht zu vermeiden seyn; aber sie werden sich verlieren, wenn allmählich die Verpflichtung, welche eingegangen werden muß, alle, die in ihren Vorstellungen nicht mit den symbolischen Büchern überein stimmen, vom geistlichen Stande wirklich abhält. Ich frage nur: wird denn das geschehen? Wir dürfen uns über den Zustand des geistlichen Standes nicht täuschen. Allerdings unter denen, die sich ihm gern widmen möchten, und denen der reine innere Beruf dazu nicht fehlt, wird es immer - gewiß wenigstens so lange, was seit | den letzten fünfzig Jahren unter uns 358 geschrieben ist, im geschichtlichen Zusammenhange fortwirkt - Einige geben, die wohl fürchten, daß, wie fest auch christliche Frömmigkeit in ihnen gewurzelt seyn möge, ein Mal in unser wissenschaftliches Forschen und Treiben fortgerissen, es ihnen nicht möglich sey, alle ihre Vorstellungen in die Formen zu gießen, die vor drei H u n d e r t Jahren

13 Dünkel] Dünkel,

132

Wert und Ansehen

symbolischer

Bücher

den Besten nichts zu wünschen übrig ließen; und von diesen Männern werden wir dann die edelsten und gewissenhaftesten - wenn das heilige W o r t nicht schon befleckt ist - vom geistlichen Stande zurück halten; sicherlich nicht zum großen Nutzen der Kirche! Aber wie Wenige werden deren seyn; und wie Viele wird es immer geben, die keinesweges wahrhaft überein stimmend mit den symbolischen Büchern sich den- 440 noch auf sie verpflichten, ohne mit sich selbst sehr uneins zu seyn, oder sich quälende Vorwürfe zu machen. Sie trösten sich, nach dem Beispiele bedeutender Männer, mit der Wandelbarkeit menschlicher Ansichten und Meynungen; die es ja erträglich, wohl gar wünschenswerth mache, daß man nicht gehalten, ja daß es nicht verstattet sey, zumal in heiligen Dingen, seine eigenen Gedanken vorzutragen; sie reden sich ein, daß man ja leicht vermeiden könne, den symbolischen Büchern zu widersprechen, ohne daß man gerade nöthig habe, etwas der eigenen Überzeugung schnurstracks Widerstreitendes zu sagen; ja sie | hoffen, 359 wie die Liebe in der Ehe, so könne auch die Uberzeugung kommen im Amte durch freundliche Gewöhnung. Und sie können sich jenes einreden und dieses hoffen, weil es ihnen an dem rechten lebendigen Gefühle davon fehlt, was Überzeugung und innere Wahrheit ist; Leichtsinnige, Schwache, deren H e r z nie fest wird. Diese behalten wir, trotz der strengsten Verpflichtung, im geistlichen Stande, gewiß auch nicht zum großen Vortheile der Kirche; denn sie werden wahrscheinlich nach wie vor nicht unterlassen, von jedem Winde der Lehre bewegt zu werden, und mit ihrer Schattenüberzeugung bald der Laune, bald der Gunst, bald dem Schimmer menschlicher Weisheit und Überredungskunst nachzugehen. Aber freilich endlich kommt vielleicht die glückliche Zeit, wo Niemand - der irgend darauf verfallen kann, sich dem geistlichen Stande zu widmen - eine andere Vorstellung in religiösen Dingen hat oder sucht oder aufzunehmen fähig ist, als die in den symbolischen Büchern enthaltene. Wenn aber? wann lange Zeit, von Wenigen aus Überzeugung, von den Meisten aus Gewohnheit oder aus Furcht, aber kurz von Allen, im Volksunterrichte der Erwachsenen und der Jugend nichts anders, als der dann gewiß tödte Buchstabe der symbolischen Lehre ist vorgetragen worden; so daß auf dem religiösen Gebiete nichts anders mehr gehört wird. Aber eine solche Zeit kann doch nicht | eher kommen, als bis durch diese Maaßregel das Beste in unserer 360 Theologie unter gegangen ist, und kein Zusammenhang mehr zwischen 441 ihr und der allgemeinen wissenschaftlichen Bildung Statt findet; und darum kann ich auch nur sagen, daß sie v i e l l e i c h t kommt, weil ich

8-17 Vgl. ζ. B. [Johann Friedrich Röhr:] Briefe über den Rationalismus, Aachen (d. i. Zeitz) 1813, S. 443-449.461/, Anm. 9-12 20 Vgl. Hebr 13,9 21 Vgl. Eph 4,14

Wert und Ansehen

5

10

15

20

25

30

35

symbolischer

Bücher

133

doch zweifle, ob man es mit der protestantischen Kirche bis dahin wird bringen können. Das Beste und Eigenthümlichste unserer Theologie aber ist die edlere Gestalt, welche die Dogmatik durch die Reformation gewonnen hat, und der rege Trieb des Forschens in der Schrift, und über die Schrift. Unsere Güter sind dies unstreitig; denn wenn auch die römische Kirche einigen Theil daran genommen hat, so ist das größten Theils nur geschehen durch die Rückwirkung des Protestantismus auf sie; und wenn sie bei uns bisweilen verdunkelt worden sind: so ist das nur in dem Maaße geschehen, als wir den Gegensatz gegen die römische Kirche nicht stark genug gehalten, sondern uns wieder in das T r a ditionelle verloren haben. Aber was wird aus diesen Gütern werden, wenn eine strenge und mächtig durchgeführte Verpflichtung auf die symbolischen Bücher allgemein werden sollte? Zuerst unstreitig werden der spekulative und der historische Geist sich sträuben und kämpfen, und auf alle Weise darzuthun suchen, wie eben selbst der Geist der symbolischen Bücher nothwendig über ihren | Buchstaben hinaus f ü h r e . 361 Aber am Ende, je mehr die Masse sich den Fesseln fügt, je weniger Nachfrage also entsteht nach freier Forschung und Gestaltung, um desto mehr werden beide von unsern Lehrstühlen und aus unserer Bücherwelt verschwinden. Dies gilt nicht nur von der Dogmatik, sondern auch von der Schriftauslegung; denn f ü r diese muß das Interesse bald aufhören, wenn sie nicht mehr auf jene wirken darf. Ist Alles, was in den symbolischen Büchern vorkommt, auf gleiche Weise geheiliget; ist also die bildliche Vorstellung vom jüngsten Gerichte in eben dem Sinne ein Dogma, wie die Lehre vom Sohne Gottes, und die magische Wirksamkeit des Teufels auf die Seele eben so, wie die Wirkung des göttlichen Geistes durch das Wort: so ist für den Auslegungskünstler bei der übrigen Beschaffenheit dieser Bücher nichts mehr der M ü h e Werthes vorhanden. D e r wissenschaftlichen Form, wenn sie noch fortwalten 442 will, wird nichts übrig bleiben als scholastische Genauigkeit in der D o g matik, grammatische und lexikographische Vollendung in der Exegese. Zuletzt bleibt dann nichts übrig, als daß die Theologie sich als ein rein traditionelles Gebiet von der übrigen Bildung sondert, und so erstirbt. Sollten aber das spekulative Interesse, so wie das geschichtliche und kritische nicht können ausgetrieben werden: dann bleibt nichts übrig,

8 geschehen] geschehen,

25 Vgl. ζ. B. CA XVII, ed. Twesten 34; BSLK 72 26 Vgl. ζ. B. CA III, ed. Twesten 22f; BSLK S4 26f Vgl. z.B. CA XIX, ed. Twesten 37; BSLK 71 27f Vgl. z.B. CA XVIII, ed. Twesten 31-37; BSLK 73

134

5

10

15

20

25

30

Wert und Ansehen

symbolischer

Bücher

als daß sich neben der öffentlichen Lehre, oder hinter | ihr eine geheime 362 bilde; und das wäre das Schlimmste, was uns begegnen könnte, bis jene wieder von dieser besiegt würde. Alle diese Folgerungen beruhen freilich auf der Voraussetzung, daß unsere Symbole selbst unveränderlich sind, und keine neuen an die Stelle der alten können gesetzt werden; allein dies halte ich auch f ü r die einzige Voraussetzung, von welcher wir Protestanten ausgehen können. Denn freilich, wenn das anginge, was Einige wohl im Gedanken gehabt haben - daß auf der einen Seite eine Verpflichtung auf symbolische Büeher existirte; auf der andern aber die symbolischen Bücher selbst von Zeit zu Zeit durchgesehen, und dem Bedürfnisse gemäß geändert würden - dann wär es ganz anders. Dann würde der Reiz, auf die bevorstehende Veränderung der Symbole nach seiner Uberzeugung zu wirken, beides, die dogmatische Darstellung und die exegetische und kritische Forschung, schon lebendig erhalten. Allein dieses geht nun gar nicht; und ich begreife nicht, wie man es hat denken können. Denn wie kann eben dieselbe Klasse der Lehrer auf die symbolischen Bücher verpflichtet seyn, und zugleich auch die Verbesserung derselben vorbereiten und bewirken: da jene Verpflichtung gar keine andere T h a t hat, worauf sie gehen kann, als die Mittheilung der Überzeugung. Im Staate | freilich 363 kann der Bürger verpflichtet seyn auf die bestehenden Gesetze, und doch zugleich ihre Verbesserung vorbereiten und bewirken, denn er kann sie bis dahin befolgen ohne Uberzeugung von ihrer Heilsamkeit; der Lehrer in der Kirche aber nicht: weil er gerade nur verpflichtet werden kann, die Wahrheit der Lehre zu verkündigen. Und so theilen, daß 443 etwa die Diener des Wortes sollten verpflichtet seyn, die akademischen Lehrer aber nicht verpflichtet seyn, sondern vorbereiten: das können wir auch nicht. Denn die Diener des Wortes werden von den akademischen Lehrern unterrichtet, und müßten also doch gegen ihre Uberzeugung reden, wenn sie, von der Zweckmäßigkeit der vorseyenden Veränderung überzeugt, sich doch an ihre Verpflichtung hielten. Und wie wollten sie, nachdem die Veränderung sanktionirt ist, plötzlich von einer Norm zur andern übergehen, ohne einen offenbaren Mangel an Uberzeugung überhaupt zu verrathen? So daß ich Beides, Verpflich-

15 nun] nur

24 Lehrer] Leh-/ren

29 Lehrern] Lehren

8-12 Vgl. z.B. [Philipp Konrad Marheineke:] Aphorismen zur Erneuerung des kirchlichen Lebens im protestantischen Deutschland, Berlin 1814, S. 23-29.71-81 20-25 Die hier von Schleiermacher bestrittene Analogie postuliert Bülow: Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse 113f. 25-27 Diese Differenzierung fordert Bülow: Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse 107f.

Wert und Ansehen symbolischer Bücher

5

10

15

20

25

30

35

40

135

tung auf die symbolischen Bücher und Veränderlichkeit derselben, nicht zusammen zu denken weiß. Außerdem aber scheint mir auch der ganze G e d a n k e von periodischer V e r ä n d e r u n g der Symbole völlig u n protestantisch zu seyn. D e n n es gibt in unserer Kirche weder einen einzelnen Menschen, dem wir dieses Recht zuschreiben könnten, noch eine gültige Form, unter der M e h r e r e zusammen treten k ö n n e n , um ein solches Resultat zu | bewirken; indem wir keine M a j o r i t ä t anerkennen 364 k ö n n e n in Sachen des Glaubens, nach deren Beschlüsse sich die M i n o r i tät f ü g e n müßte: so d a ß wir - besteht eine solche dogmatische N o r m weit übler daran sind, als die römische Kirche, welche I r r t h ü m e r u n d Mißverständnisse, die sich eingeschlichen hätten, durch die M e h r h e i t der Stimmen in einem allgemeinen Koncilio, wenn nicht verbessern, doch deklariren kann. W e n n n u n dieses nicht angeht, so w ü r d e n in d e r T h a t alle jene Folgerungen richtig seyn; aber hieraus folgt d a n n weiter auch eben so unwidersprechlich - weil die Kirche selbst nicht gewollt haben kann, was sie verderben m u ß - daß der eigenthümliche W e r t h der symbolischen Bücher nicht in demjenigen bindenden Ansehen bestehe, welches Einige f ü r sie aufrichten wollen; u n d welches unserer ganzen Kirche so gefährlich werden kann, daß, ehe wir eine solche N o r m neben der Schrift aufstellten, wir es lieber darauf wagen müßten, die Kirche den Kampf mit dem Unglauben immer wieder aufs N e u e bestehen zu lassen. Aber sollte es kein anderes Mittel geben, um diesem, wenn sich ein 444 Mal der Sieg auf unsere Seite geneigt hat, f ü r die Z u k u n f t v o r z u b e u gen, oder ihn wenigstens zu erleichtern, und den Ausgang sicher zu stellen, als das bindende Ansehen der symbolischen Bücher? | D u r c h - 365 dringen wir uns recht mit dem G e f ü h l e unserer Lage, und ich glaube, wir werden finden, d a ß jenes gar nicht ein Mal der erste und natürlichste G e d a n k e ist, der uns einfallen kann. D e r Unglauben, o d e r wenigstens eine dürftige unerfreuliche und unwirksame Ansicht von den Sachen des Glaubens hatte ü b e r h a n d genommen in der Kirche; wir sehen sie weichen. Etwa dadurch, d a ß hie und da noch jenes bindende Ansehen besteht? Ist das die Festung gewesen, in die sich der evangelische Geist zurück gezogen hatte, aus der er siegreiche Ausfälle auf den Feind gethan hatte, und nun, nachdem dieser abgezogen ist, wieder hervorstürzt, um ihn zu verfolgen? W o h l gewiß nicht! O d e r dadurch, d a ß sich anderwärts etwas Ahnliches mit jenem bindenden Ansehen gebildet hat? W o h l eben so wenig; sondern nur dadurch, d a ß die Wirksamkeit derjenigen, welche den Glauben fest bewahrt hatten, auch o h n e an solche N o r m gebunden zu seyn, im ganzen Leben freier geworden, u n d

38 hat?] h a t !

136

5

10

15

20

25

30

35

Wert und Ansehen symbolischer Bücher

die Empfänglichkeit derer, die noch unbefangen waren, mehr aufgeregt worden ist. Was kann also ein natürlicherer Gedanke seyn, um eine ähnliche Gewalt des Unglaubens f ü r die Z u k u n f t zu verhüten: als durch nähere Vereinigung jene Wirksamkeit zu erhöhen und zu sichern, und ihr diese Empfänglichkeit zugewendet zu erhalten. Das ist auch die Richtung des allgemeinen Verlangens, welches sich tausendfältig | aus- 366 spricht. Laßt uns unsern kirchlichen Verband enger schließen, gebt unsern Gemeinen eine öffentliche Stimme, nicht daß Einzelne vorwitzig urtheilen, was rechtgläubig sey, was nicht, sondern daß die Gesammtheit sich frei äußern möge, wo ihr frommer Sinn befriediget, und wo er verletzt wird in W o r t und That: damit innere Schaam diejenigen warne, die auf dem Scheidewege stehen. Denn was wirklich streitet mit dem wesentlichen Grunde unsers Glaubens, das muß auch, nicht nur in leicht mißverständlichen Worten und Lehrformen, sondern irgendwie im Leben verletzend heraus treten. Laßt Alle, die es selbst bekennen, 445 daß diese Gemeinschaft sie nicht anziehe, so ehrenwerth außer derselben stehen, als ihr Charakter ihnen Ansprüche gibt, geehrt zu werden: dann wird, ohne das Joch eines Buchstabens, anschaulich genug da stehen, was evangelischer Sinn und Geist sey, und unsere empfängliche Jugend wird in ihm leben und aufblühen. Laßt uns durch eine christliche und tüchtige Erziehung d a f ü r sorgen, daß überhaupt der frevelhaften Menschen weniger werden, damit sich um so weniger Frevler können in das Lehramt einschleichen. Denn diese müssen immer Schaden stiften, und wenn sie sich auch aller Abweichung von der Kirchenlehre auf das Gewissenhafteste enthielten. Der ernste und fromme Mann aber wird immer Segen stiften, wenn er sich auch noch in manchen Punkten von | unserer gemeinsamen Lehre entfernt; und seine Wirksamkeit wird nie 367 hindern, daß nicht in der empfänglichen Jugend, unter dem Schutze einer bessern Zeit, ein noch mehr befestigter evangelischer Geist sich entwickele, als er selbst aus Schuld seiner Bildungszeit sich erwerben konnte. Und so wollen wir uns überall nicht auf einen Eid verlassen, dessen Niemand H e r r ist: sondern auf die Kraft öffentlicher Einrichtungen und eines gemeinsamen Lebens, wie auch jede andere gesunde Gesellschaft thut auf ihrem Gebiete. Dann wird unsere Kirche durch freie Übereinstimmung der Gemüther im Glauben dieselbe bleiben, sich der Einheit ihres Daseyns lebendig bewußt seyn, und es fühlen, wie jede lebendige Regung in ihr aus dem ursprünglichen Princip hervor geht.

Wenn mir aber diejenigen so sehr Unrecht zu haben scheinen, welche in einer solchen bindenden Kraft den eigenthümlichen Vorzug der 40 symbolischen Bücher suchen: so muß ich denen doch nicht minder Unrecht geben, welche deßhalb den symbolischen Büchern alles eigenthümliche Ansehen absprechen, und sie in eine Reihe stellen wollen, theils mit den Verhandlungen anderer untergeordneten Religionsge-

Wert und Ansehen symbolischer

5

10

15

20

25

30

35

40

Bücher

137

spräche, theils mit den d o g m a t i s c h e n E r z e u g n i s s e n a n d e r e r w o h l g e s i n n ter u n d a u s g e z e i c h n e t e r E i n z e l n e n . M i r w e n i g s t e n s scheint ein solches U r t h e i l e i n e n g ä n z l i c h e n M a n g e l a n g e s c h i c h t l i - | c h e m S i n n e z u v e r r a - 368; 446 then, und das gesunde G e m e i n g e f ü h l eben so gut zu beleidigen, wie jedes andere, w o d u r c h etwas Geheiligtes u n d H o c h g e e h r t e s z u m G e w ö h n l i c h e n soll h e r u n t e r g e z o g e n w e r d e n . D e n n d e m g e s c h i c h t l i c h e n Sinne k a n n unmöglich der gewaltige Unterschied entgehen, zwischen ersten entscheidenden Augenblicken u n d zwischen d e m nachherigen Verlaufe; u n d eben so wenig dem gesunden G e f ü h l e der Unterschied z w i s c h e n d e m , w a s a u c h d e r Beste - u n d s o m i t gilt dies a u c h v o n d e n V e r f a s s e r n d e r s y m b o l i s c h e n B ü c h e r s e l b s t - als E i n z e l n e r r e d e t u n d t h u t , u n d d e m , w a s E i n e r o d e r M e h r e r e , u n d Seyen sie a u c h m i n d e r a u s g e z e i c h n e t , a u s d r ü c k l i c h als V e r t r e t e r e i n e r w e i t v e r b r e i t e t e n G e s i n n u n g vortragen. W i r f ü h l e n wohl, d a ß jene N i e m a n d , diese aber J e d e r w i e d e r vertreten, u n d i h n e n G e w ä h r leisten m u ß , d e r zu d e m G a n z e n , w e l c h e s d u r c h d i e s e G e s i n n u n g b e s e e l t ist, g e h ö r e n will. D i e s ist a u c h unstreitig das W a h r e , was der vorhin getadelten Ansicht z u m G r u n d e liegt, u n d d e r T a d e l w a r a u c h n u r g e g e n d a s W i e u n d W i e s e h r g e meynt. Damit wir aber nicht unbestimmt zwischen zwei Äußersten hin u n d her schwanken: so müssen wir Schritt vor Schritt zurück gehen, u n d f r a g e n , w o d u r c h d e n n j e n e in d e r V e r e h r u n g d e r s y m b o l i s c h e n B ü c h e r u n r e c h t u n d z u viel t h u n ? W e n n es z u w e n i g ist, d i e s y m b o l i s c h e n S c h r i f t e n m i t a l l e n a n d e r n ä h n l i c h e n I n h a l t s in E i n e K l a s s e z u w e r - | f e n : 369 s o ist es z u viel, sie m i t d e n h e i l i g e n S c h r i f t e n in E i n e n R a n g z u s t e l l e n ; wie m a n w o h l von denjenigen sagen k a n n , die u n s e r n B e k e n n t n i ß s c h r i f ten ein solch b i n d e n d e s A n s e h e n verleihen w o l l e n . O d e r w a s p i e y n e n sie a n d e r s , als m i n d e s t e n s : d a ß d i e s y m b o l i s c h e n B ü c h e r s i c h s o l l e n z u r protestantischen Kirche verhalten, wie die heiligen Schriften z u r ges a m m t e n Christenheit? D e n n wie wir b e k e n n e n , d a ß die heilige Schrift m u ß f ü r einen jeden C h r i s t e n des G l a u b e n s N o r m seyn, so d a ß nichts i h r widerstreite, s o n d e r n Alles mit ihr ü b e r e i n s t i m m e , u n d sich aus i h r e n t w i c k e l n l a s s e : s o b e g e h r e n sie a u c h , d a ß a l l e r P r o t e s t a n t e n G l a u b e n i c h t s a n d e r s s e y n solle, als U b e r e i n s t i m m u n g m i t d e n s y m b o l i s c h e n B ü c h e r n u n d E n t w i c k l u n g a u s i h n e n . U n d w i e w i r d e n j e n i g e n , d e r s i c h 447 nicht nur nach unserer M e y n u n g , sondern nach seinem eigenen Einges t ä n d n i s s e u n d m i t s e i n e m W i s s e n u n d W i l l e n , in i r g e n d e t w a s z u r Gottseligkeit G e h ö r i g e m mit d e r Schrift im W i d e r s p r u c h e befindet, f ü r k e i n e n C h r i s t e n h a l t e n m ö g e n : s o w o l l e n a u c h sie k e i n e n f ü r e i n e n P r o t e s t a n t e n g e h a l t e n wissen, d e r sich auf e b e n die W e i s e im W i d e r s p r u c h e b e f i n d e t m i t i r g e n d E t w a s in d e n s y m b o l i s c h e n B ü c h e r n . U n d d i e s e s

3 an] am

138

5

10

15

20

25

30

35

40

Wert und Ansehen symbolischer

Bücher

e b e n ist z u viel, a u s d e m e i n f a c h e n G r u n d e : w e i l w i r d a n n a u c h d e n P r o t e s t a n t i s m u s im C h r i s t e n t h u m e e b e n so f ü r eine n e u e O f f e n b a r u n g h a l t e n m ü ß t e n , w i e d a s C h r i s t e n t h u m e i n e n e u e u n d u r s p r ü n g l i c h e ist, i m G e - | s a m m t g e b i e t e d e r M e n s c h h e i t . D a s h a b e n w i r a b e r n i e g e t h a n , 370 u n d w e r d e n es a u c h nie t h u n . D a s C h r i s t e n t h u m ist u n g e a c h t e t s e i n e s geschichtlichen Z u s a m m e n h a n g e s mit d e m J u d e n t h u m e etwas ganz Eig e n e s u n d N e u e s ; nicht so d e r P r o t e s t a n t i s m u s , s o n d e r n sein H e r v o r g e h e n a u s d e r f r ü h e r e n K i r c h e ist e i n g a n z a n d e r e s , als d a s H e r v o r g e h e n d e s C h r i s t e n t h u m e s a u s d e m J u d e n t h u m e . D a r u m s u c h e n w i r alle christliche Lehre aus der Schrift zu entwickeln d u r c h Auslegung u n d F o l g e r u n g , o h n e auf irgend etwas a n d e r e s F r ü h e r e s u n d G r ö ß e r e s , das auch O f f e n b a r u n g wäre, z u r ü c k zu gehen. N i c h t eben so k ö n n e n wir Alles, w a s p r o t e s t a n t i s c h s e y n soll, a u s d e n s y m b o l i s c h e n B ü c h e r n e n t wickeln: s o n d e r n nur, i n d e m wir dabei auf die Schrift z u r ü c k gehen, u n d m i t A n w e n d u n g d e r in d e n s y m b o l i s c h e n B ü c h e r n n i e d e r g e l e g t e n protestantischen Principien aus ihr ergänzen, was den symbolischen Büc h e r n selbst n o c h am vollen Inhalte d e r G l a u b e n s - u n d Sittenlehre fehlt. Allein w e n n auch u n s e r e symbolischen B ü c h e r kein so ursprünglic h e r K e i m s i n d , w i e d i e S c h r i f t ( i n d e m es k e i n n e u e r G e i s t ist, d e r a u s i h n e n w e h e t u n d sie h e r v o r g e b r a c h t h a t , s o n d e r n n u r f r e i e r g e w o r d e n , u n d in e i n e b e s t i m m t e Z e i t u n d e i n e n b e s t i m m t e n m e n s c h l i c h e n C h a r a k t e r sich h i n e i n b i l d e n d d e r c h r i s t l i c h e G e i s t ) ; u n d d i e s e r d e n e n , d i e in d e n s y m b o l i s c h e n B ü c h e r n r e d e n , n i c h t a u f e i n e s o s p e c i f i s c h e W e i s e z u g e s c h r i e b e n w i r d u n d z u w e r d e n | b r a u c h t , als d e n V e r f a s s e r n d e r h e i - 371 l i g e n S c h r i f t ( e b e n w e i l j e n e M ä n n e r a u f d a s f r ü h e r e W o r t d e s G e i s t e s 448 in d i e s e n z u r ü c k g e h e n k ö n n e n ) ; u n d w e n n a u c h u n s e r e s y m b o l i s c h e n Bücher aus demselben G r u n d e kein so vollständiger Keim zu seyn b r a u c h t e n , als d i e S c h r i f t s e y n m u ß t e , w e n n g l e i c h in d i e s y m b o l i s c h e n Bücher M a n c h e s mit a u f g e n o m m e n seyn kann, was n o c h nicht v o m p r o t e s t a n t i s c h e n G e i s t e e r g r i f f e n u n d d u r c h g e b i l d e t ist (weil A n d e r e v o n d e m s e l b e n G e i s t e in d e m s e l b e n M a a ß e b e s e e l t , es u m b i l d e n k ö n n e n u n d s o l l e n ; w ä r e a b e r in d i e S c h r i f t e t w a s U n c h r i s t l i c h e s a u f g e n o m m e n , N i e m a n d d a w ä r e , d e m m a n d i e B e f u g n i ß z u s c h r e i b e n k ö n n t e , es u m bildend zu verbessern); u n d w e n n schon aus diesen Unterschieden deutlich g e n u g hervor geht, d a ß die symbolischen Bücher nicht dasselbe A n s e h e n h a b e n k ö n n e n in d e r p r o t e s t a n t i s c h e n K i r c h e , w e l c h e s d i e S c h r i f t ' n o t h w e n d i g h a b e n m u ß in d e r c h r i s t l i c h e n K i r c h e ü b e r h a u p t : s o bleibt d o c h diese g r o ß e u n d h ö c h s t b e d e u t e n d e Ähnlichkeit i m m e r stehen, d a ß die s y m b o l i s c h e n B ü c h e r das Erste sind, w o r i n sich auf eine öffentliche und bleibende Weise der protestantische Geist ausgespro-

22 Geist)] Geist

Wert und Ansehen

5

10

15

20

25

30

35

symbolischer

Bücher

139

chen hat, eben wie in der Schrift zuerst öffentlich und bleibend der christliche Geist; und Alles, was hieraus folgt, muß ihnen zu Gute kommen. Ein anderer sehr wichtiger Unterschied aber zwischen ihnen und der Schrift ist der: daß die heilige Schrift ganz nach innen gerichtet ist, Alles | ist unter verschiedenen Umständen f ü r die Christen, zunächst 372 zwar das Meiste nur f ü r Einige: aber gerade, sofern es Bestandtheil der heiligen Schrift geworden ist, auch f ü r Alle geschrieben. Mit unsern symbolischen Büchern hat es ganz die entgegen gesetzte Bewandtniß; sie sind gänzlich nach außen gerichtet: denn sie sind nur in so fern symbolische Bücher geworden, als die Trennung der Kirche zu Stande gekommen ist; und von dieser aus angesehen, sind sie an die Glieder der römischen gerichtet. Wenn ein freies Koncilium zu Stande gekommen wäre, welches beide Partheien ausgeglichen hätte und keine Spaltung übrig gelassen: so wären weder die Augsburgische Konfession noch die Schmalkaldischen Artikel symbolische Bücher geworden. N u r durch die Spaltung wurden sie es Beide; und jene ist nun an die katholischen Kaiser und Mitstände, diese an die katholische Kirchen-Versammlung 449 gerichtet. In der Schrift ist überall· die Entfaltung des christlichen Geistes die Hauptsache; daß dies geschiehet im Gegensatze gegen jüdische Gesinnung und gegen heidnische, das ist nur die Art und Weise, und völlig untergeordnet. In unsern symbolischen Büchern ist überall die Aufstellung eines bestimmten Gegensatzes gegen die katholische Kirche die Hauptsache; und nur in diesem Gegensatze, und an ihm, konnte sich allmählich der eigentlich protestantische Sinn entwickeln. Es ist freilich etwas ganz anderes | mit den früheren kirchlichen Bekenntniß- 373 Schriften und den bei Gelegenheit einzelner Streitigkeiten genommenen allgemeinen kirchlichen Beschlüssen; welche im Gegentheile völlig nach innen gerichtet sind, und ihren Werth gerade dadurch bekommen, daß aus ihnen keine bleibende Spaltung in der Kirche entstanden ist, sondern sie vielmehr jedes Mal - wenn auch nicht augenblicklich, doch in ihren Folgen - eine Spaltung aufgehoben haben. Eben deßhalb aber führen sie auch den an sich unbestimmten und vieldeutigen Namen „symbolischer Schriften" in einem ganz andern Sinne, als die unserer Kirche. Genau genommen kann man freilich nur von der Augsburgisehen Konfession mit ihrer Vertheidigung, und von den verschiedenen reformirten Konfessionen sagen, daß sie ganz nach außen gerichtet sind; nicht eben so von den lutherischen Katechismen und dem Heidel-

31 Folgen - eine] Folgen eine

15 Vgl. Concordia (1732) 298ff; BSLK 405ff 35 Vgl. Concordia (1732) 47ff; BSLK 139ff 37 Concordia (1732) 359ff; BSLK 499ff }7i Catechismus, Oder Unterricht,

140

Wert und Ansehen

symbolischer

Bücher

berger, und am wenigsten von der Dortrechter Synode und der Eintrachtsformel. Aber Niemand wird auch den Unterschied zwischen diesen und jenen ableugnen. Die Katechismen unterscheidet noch besonders ihr volksmäßiger Charakter, der nicht eine gleich genaue Bestimmtheit der Begriffe erfordert, wie die f ü r die Sachkenner vorgelegten Bekenntnißschriften, weßhalb sie zum dogmatischen Gebrauche nicht in demselben Maaße geeignet sind; gemeinschaftlich aber ist ihnen mit der Eintrachtsformel, daß sie nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet sind; so wie | diese sich noch von ihnen dadurch unter- 374 scheidet, daß sie nicht zum Unterrichte von vorn herein, sondern zur Beilegung innerer Streitigkeiten bestimmt ist. Aber eben deßhalb, glaube ich, kann ihr in demselben Sinne, wie jenen eigentlichen Be- 450 kenntnißschriften, der Name eines symbolischen Buches nicht zukommen; und ich halte es f ü r einen vollkommen richtigen Instinkt, daß ein so großer Theil der lutherischen Kirche sie nicht in denselben Rang hat stellen wollen; und eben so denke ich von der reformirten Kirche, in Bezug auf die Dortrechter Synode. Denn es ist nach echt protestantischen Grundsätzen nicht möglich, daß Streitigkeiten innerhalb dieser Kirche selbst - denen man nicht nachweisen kann, daß sie den Gegensatz gegen den Katholicismus aufheben - anders als auf eine vorüber gehende Weise können entschieden werden; oder vielmehr, um es ganz heraus zu sagen, sie können nie kirchlich entschieden werden, sondern müssen sich in sich selbst verbluten. Denn nicht nur haben wir keine repräsentative Form, welche dauernd und verbindend entscheiden könnte; sondern wenn wir auch eine solche hätten, die wir doch nicht haben dürfen: so gäbe es wieder kein Mittel zu entscheiden, welche Streitigkeiten denn zu einer solchen Entscheidung gebracht werden sollen, und welche nicht. Denn daß nicht Alle es dürfen, wenn irgend noch eine Spur evangelischer Freiheit übrig bleiben soll, das sieht und fühlt wohl Jeder. | U n d wie ich es f ü r einen richtigen Instinkt halte - eben 375 deßwegen, weil die damals Zusammentretenden kein Recht hatten, zu entscheiden, daß über die streitigen Fragen kirchlich Etwas müsse festgesetzt werden - daß ein so großer Theil der lutherischen Kirche der Eintrachtsformel nie die Vorzüge eines symbolischen Buches zugestanden hat: so halte ich es ebenfalls f ü r einen richtigen Instinkt derer, welche sie d a f ü r angenommen haben, daß sie wenigstens kein Schisma ge-

24 entscheiden] entscheidend

Von der Christlichen Lehr, Welche in denen Reformirten Kirchen und Schulen der ChurFiirstl. P/altz, und anderer Orten gelehret wird\ Heidelberg 1724; ed. A.Lang, Leipzig 1907 (Nachdruck Darmstadt 1967) 1 Acta synodi nationalis Dordrechti hahitae anno MDCXVIII et MDCXIX, Leiden 1620; BSRK 843-861

Wert und Ansehen symbolischer Bücher

5

10

15

20

25

30

141

bildet, und die Andern nicht von ihrer Kirchen-Gemeinschaft ausgeschlossen haben. Mit der Dortrechter Synode hat es wieder eine andere Bewandtniß, jedoch nur scheinbar. Durch sie entstand ein Schisma; allein strenge genommen muß man doch sagen, daß es nicht von der ganzen reformirten Kirche als ein solches anerkannt, und daß die, welche es nicht anerkennen, eben so recht gethan haben, die Kirchen-Gemeinschaft nicht aufzuheben mit denen, die es anerkennen. So daß man 451 deutlich sieht: in beiden Fällen ist wirklich nicht von der ganzen Kirche entschieden worden; und alle andern ähnlichen Versuche, wie in kleinerm Maaßstabe angelegt, sind auch von noch geringerem Erfolge gewesen. Nimmt man nun diese beiden Punkte zusammen, daß unsere symbolischen Bücher im engeren und am allgemeinsten anerkannten Sinne allerdings die erste öffent-|liche Darlegung protestantischer Denkart 376 und Lehre sind, dann aber auch, daß sie in so fern ganz nach außen gerichtet sind, um unsern Gegensatz gegen die Katholischen festzustellen: so scheint mir daraus Folgendes hervor zu gehen. Erstlich: diese symbolischen Bücher enthalten die Punkte, von denen alle Protestanten ausgehen müssen, und um die wir uns daher auch alle immer sammeln müssen; und wer sich von diesen mit Wissen und Willen entfernet, den können wir nicht für einen wahren Protestanten erkennen. Daher scheint mir auch, daß mit Recht jeder Geistliche sollte angehalten werden, seine Zustimmung zu den symbolischen Büchern in diesem Umfange zu erkennen zu geben. Die rechte Formel dazu würde meines Erachtens diese seyn „Ich erkläre, daß ich Alles, was in unsern symbolischen Büchern gegen die Irrthümer und Mißbräuche der römischen Kirche - besonders in den Artikeln von der Rechtfertigung und den guten Werken, von der Kirche und der kirchlichen Gewalt, von der Messe, vom Dienste der Heiligen und von den Gelübden - gelehrt ist, mit der heiligen Schrift und der ursprünglichen Lehre der Kirche völlig übereinstimmend finde; und daß ich, so lange mir das Lehramt anvertraut ist, nicht aufhören werde, diese Lehren vorzutragen, und über den ihnen angemessenen Ordnungen in der Kirche zu halten". Diese Verpflichtung nämlich bedarf keinesweges jener, die ganze Verpflichtung

9 - 1 1 Im Luthertum konnte sich der Consensus repetitus fidei Lutheranae (1655) nicht durchsetzen; im reformierten Bereich hatte die Formula consensus Helvetica (1675) nur regional und zeitlich begrenzte Wirkung. 27f Vgl. z.B. CA IV, ed. Twesten 23f; BSLK 56. CA XX, ed. Twesten 37-49; BSLK 75-81 28 Vgl. z.B. CA VIIf, ed. Twesten 26f; BSLK 61 f . CA XXVIII, ed. Twesten 95-118; BSLK 120-133 28f Vgl. z.B. CA XXIV, ed. Twesten 60-66; BSLK 91-95 29 Vgl. z.B. CA XXI, ed. Twesten 49f; BSLK 83h-c 29 Vgl. z.B. CA XXVII, ed. Twesten 78-95; BSLK 110-119

142

Wert

und Ansehen

symbolischer

Bücher

in ein | leeres Spiel verwandelnden Beschränkung auf das „wie fern" 377 sondern wer hierin nicht mit den symbolischen Büchern überein stimmt, wer ζ. E. nicht auf der Rechtfertigung durch den Glauben, und auf dem freien Gebrauch des göttlichen Wortes hält, der kann unmöglich ein protestantischer Lehrer seyn wollen; denn entweder er neigt 452 sich zur katholischen Kirche, oder er hält den ganzen Streit, und also auch alles dasjenige, um deßwillen der Protestantismus entstanden ist, f ü r geringfügig. In einer solchen Verpflichtung ist aber gar nicht enthalten, daß die positiven Bestimmungen jener Lehren nicht sollten der Verbesserung fähig seyn, sondern immer in demselben Buchstaben vorgetragen werden müßten; vielmehr geht sie nur auf den bestimmten Gegensatz gegen die römische Theorie und Praxis. Wenn nun Jemand sagt, es läge also in dieser Verpflichtung gar keine Sicherheit gegen das Uberschlagen auf der andern Seite, gegen die naturalistischen und freidenkerischen Abschweifungen: so gestehe ich, daß sie unmittelbar nicht darin liegt. U n d indem ich mich auf das vorher darüber Gesagte, wie eine solche Sicherheit auf diesem Wege meiner Uberzeugung nach niemals zu beschaffen ist, beziehe, gebe ich zu bedenken: daß doch unsere symbolischen Bücher auch ursprünglich hievon gar nichts wissen, und wir ihnen also, wenn wir sie dazu gebrauchen, etwas ganz Fremdes andichten; behaupte jedoch, daß ein so bestimmtes Festhalten un-|seres 378 Standpunktes gegen die Katholischen, eine solche beständige Vergegenwärtigung unserer Unterscheidungslehren gar sehr mit zu denjenigen Ordnungen unserer Kirche gehört, welche allein auch jene Sicherheit gegen das Freidenkerische und Unchristliche allmählich herbei führen können; und durch welche diejenigen, die nur das Negative in der Kirche suchen und wünschen, immer mehr zu dem Gefühle kommen müssen, daß sie mit uns und wir mit ihnen Nichts gemein haben. Ja aus diesem Grunde sowohl, als weil es an sich sehr nothwendig scheint, den Bemühungen, die von der entgegengesetzten Seite vielleicht aus der besten Meynung immer erneuert werden, eine klare Einsicht in dies Verhältniß beider Kirchen entgegen zu setzen - die gar vielen der Unserigen aus dem Volke, wo sie nicht von Katholischen umgeben sind, schon zu fehlen anfängt - , möchte ich die zweite Folgerung hinzufügen: daß nämlich unsere symbolischen Bücher - anstatt als Etwas, das seine Bestimmung bereits überlebt hat, bei Seite geschoben zu werden, und blos f ü r diejenigen aufbewahrt, welche sich die Geschichte der Kir- 453

1 „wie fern"] „„wie fern""

34 anfängt -,] anfängt,

1 Vgl. z.B. Walch: Historische und theologische Einleitung in die Religionsstreitigkeiten Evangelisch-Lutherischen Kirche, Teil 2, 154 16 S. oben 125-133

der

Wert und Ansehen

5

10

15

20

25

30

35

40

symbolischer

Bücher

143

che aneignen müssen - vielmehr in die H ä n d e des Volkes sollten zurück geführt und auf eine schickliche Art zum Gegenstande der öffentlichen Belehrung gemacht werden. U n d ich würde es f ü r ein schönes und würdiges Ziel halten, wenn wir es dahin bringen | könnten: daß je- 379 der evangelische Christ, ohne Unterschied des Standes und Geschlechtes, bei seiner Aufnahme in die Kirche - in demselben Sinne und U m fange, wie ich es jetzt von den Geistlichen wünsche, und mit dem erforderlichen Bewußtseyn - seine Zustimmung zu dem, was unsere symbolischen Bücher der römischen Kirche entgegen stellen, könnte zu erkennen geben. U n d auch das würde gewiß, indem es die Unserigen auf der einen Seite gegen die Nachstellungen der Katholischen schützte, zugleich auf der andern Seite unsere Kirche ernst und kräftig zusammen halten, und sie durch ein fortgesetztes Leben in der Geschichte vor jener losen Willkühr bewahren, welche am meisten aus dem Verluste des geschichtlichen Sinnes auf dem Gebiete der Religion, wie auf dem des bürgerlichen Lebens entsteht. So daß - was man zu erreichen sucht, indem man die symbolischen Bücher über ihre eigentliche Bestimmung hinaus zu etwas Anderem machen will; und was man eben deßhalb auf diesem Wege nicht, sondern nur viel Anderes, Unbequemes und Verwirrendes erreicht: weil jedes unbegründete Unternehmen sich selbst vernichtet, und zugleich seine Strafe bei sich f ü h r t - dies weit sicherer und ohne diese begleitenden Folgen erreicht wird, wenn man nur die wahre und ursprüngliche Würde der symbolischen Bücher anerkennt, und sie ihrer ursprünglichen Be-|stimmung gemäß in der Kirche leben- 380 dig und wirksam erhält. Wie nun Jenes immer Verwirrungen hervor gebracht und Widerspruch erfahren hat: so wird Alles, was in diesem Sinne geschieht, gewiß gesegnet seyn, und sich der Zustimmung aller derer immer mehr erfreuen, welchen das wahre Wohl der Kirche redlich am Herzen liegt; und welche nur deßhalb bald hier- bald dorthin abgeschweift haben, weil es nicht leicht ist, die unserer Kirche unentbehrliche freie Beweglichkeit im Schriftforschen und Schriftanwenden 454 mit dem Interesse an ihrer Einheit und Festigkeit zu vereinigen. Es blieb auch in der T h a t - so lange an eine festere Schürzung des Kirchenbandes durch fortbestehende Einrichtungen, und durch eine, die gemeinsame Gesinnung aussprechende und an den T a g bringende Verfassung der Kirche nicht zu denken war - nichts übrig, als der vergebliche Versuch mit einem solchen Ansehen der symbolischen Bücher, welches sich nicht erhalten konnte; oder das unthätige und entsagende Hingeben in die Gewalt der Umstände. Jetzt erst wird es möglich seyn, in Bezug auf diese ehrwürdigen Schriften, und die Art, wie sie fortwäh-

8 Bewußtseyn] Bewustseyn

144

Wert und Ansehen symbolischer Bücher

rend in unser Leben eingreifen sollen, allmählich den rechten P u n k t zu finden. M ö g e das Interesse, welches, wie billig, auch an ihnen die Jubelfeyer unserer Kirchenverbesserung aufs | neue erregt hat, sich in dieser 381 5 Richtung vereinigen: so wird das neue J a h r h u n d e r t durch den sichern und muthigen Geist dieser Bücher auch aufs N e u e zu echt evangelischer Glaubensfestigkeit u n d Freiheit gestärkt werden.

Über die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen (Theologische Zeitschrift, Erstes Heft, Berlin

1819)

Ueber die Lehre von der Erwählung; besonders in Beziehung auf H e r r n D r . Bretschneiders Aphorismen.

Es ist bekannt, daß die strenge Fassung dieser Lehre, welche man 395 seit langer Zeit durch die Formel des „unbedingten göttlichen Rathschlusses" zu bezeichnen pflegt, zuerst von Augustin, zulezt von Kalvin vorgetragen, von beiden so, daß sie sich einestheils durch die 10 deutlichsten Aussprüche der Schrift gedrungen fühlten, sie so und nicht anders zu stellen, anderntheils aber auch zeigten, wie nothwendig Widersprüche gegen die reinsten Vernunftvorstellungen von dem göttlichen Wesen entständen, wenn man von dieser strengen Fassung abwiche, doch verhältnißmäßig nur bei einem kleinen Theil der christlichen 15 Kirche eine dauerhafte Ueberzeugung bewirkt hat, von dem grösseren Theil aber nach mancherlei Kämpfen, und zwar jedesmal grade deshalb zurückgewiesen worden ist, weil diese Fassung sowol den deutlichen | Aussprüchen der Schrift widerstreite, als auch eben so offenbar der ge- 2 sunden Vernunft. Mich hat, seitdem ich im Stande war mich mit sol20 chen Gegenständen zu beschäftigen, dieser Erfolg verwundert; indem ich auf der entgegengesetzten Seite Niemanden fand, der eine unbegrenztere Ehrfurcht gegen die Schrift bewiesen hätte als jene beiden. Denn selbst dem großen Luther möchte ich hierin keinen Vorzug vor Kalvin einräumen, da auch wo sie in der Schriftauslegung von einander

4f Karl Gottlieb Bretschneider: Aphorismen über die Union der beiden evangelischen Kirchen in Deutschland, ihre gemeinschaftliche Abendmahlsfeier, und den Unterschied ihrer Lehre, Gotha 1819 (Auszüge im Anhang unten 444-468) 6-8 Vgl. z.B. Franz Volkmar Reinhard: Vorlesungen über die Dogmatik, 1. Aufl., Arnberg!Sulzbach 1801, S. 445 (§120)

148

5

10

15

20

25

abweichen der eine eben so fest an der Schrift hängt als der andere; und es handelt sich nur um eine verschiedene Art scheinbar widerstreitende'Aussprüche zu versöhnen. Eben so wenig möchte ich behaupten, daß irgend einer von den entschiedenen Gegnern jener Ansicht den heiligen Augustin und den frommen Kalvin an Strenge in der Verknüp- 396 fung der Gedanken übertroffen habe, und es war mir deshalb unwahrscheinlich, daß ihre Behauptungen mit andern allgemein und auch von ihnen anerkannten Wahrheiten in offenbaren Widersprüchen stehen sollten, welche jene Männer selbst nicht sollten gemerkt haben, sondern welche ihnen erst von ihren Gegnern hätten gezeigt werden müssen. Auch die oft wiederholte Entschuldigung wollte mir immer nicht einleuchten, als habe zuerst ein übertriebener Eifer im Streit gegen den Pelagius den heiligen Augustinus in diese Vernunft- und schriftwidrige Ansicht hinein verlockt, und an dieser Kette hänge dann als einer der lezten auch Kalvin, wogegen Luther und die Seinigen sich glücklich hätten aus der Schlinge gezogen. Denn es wollte mir niemals so erschei-|nen, als sei dem Augustinus diese Lehre erst in und aus dem Streit 3 entstanden, sondern als gehöre sie ganz wesentlich in die ursprünglichen Ueberzeugungen, welche ihn zu dem Streit aufforderten und während desselben beseelten; und es sollte mich wundern, wenn die neuen geschichtlichen und kritischen Darstellungen dieses Streits und des ganzen Zeitraumes, während dessen er geführt ward, welche wir von zwei trefflichen Männern zu erwarten haben 1 , nicht eben dieses recht deutlich ins Licht sezen sollten. Was aber Kalvin betrifft: so ist er freilieh so unläugbar ein Schüler des Augustinus, wie nur irgend Ein ausgezeichneter Mann der Schüler eines andern kann genannt werden; allein seine Uebereinstimmung über diesen Gegenstand mit seinem Lehrer ist wol gewiß nicht auf einem polemischen Wege entstanden, denn weit 1

30

Lehre von der Erwählung

Von Herrn C . R . Dr. Wiggers in Rostock, und von Hrn. Prof. Twesten in Kiel.

22 g a n z e n ] ganzes

29 C . R . ] Abk. fiir Consistorial Rath

1 1 - 1 6 Vgl. z.B. Reinhard: Dogmatik 442-445 (§§119f) 29 Der Rostocker Theologieprofessor Gustav Friedrich Wiggers bat Schleiermacher unter dem 30.12.1818 brieflich um Vermittlung eines Verlegers fur sein Werk (Archiv der AdW der DDR, SN 420, Bl.2f), das 1821 unter dem Titel „Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus nach ihrer geschichtlichen Entwickelung" (Teil 1) in Berlin erschienen ist. Dagegen blieb die von August Twesten geplante „Darstellung des Augustinismus und seiner Zeit" (Brief an Schleiermacher, 25.9.1818, in: C.F. Georg Heinrici: D.August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, Berlin 1889, S.338f) ungeschrieben.

Lehre von der Erwählung

149

weniger herrscht in seinen als in der andern Reformatoren Schriften der Gesichtspunkt die bestrittenen Behauptungen der römischen Kirche auf den Pelagianismus zurükzuführen; sondern seine Ueberzeugung hierüber war so ursprünglich als nur irgend eine in ihm gewesen ist. Beiden Männern also scheint jene Entschuldigung gar nicht zu statten 397 zu kommen, und es hat mir immer leid gethan, daß man sie ihnen so bereitwillig angedeihen ließ, gewiß sehr gegen ihren eigenen Wunsch und Willen. Denn wäre man so lebendig als ich es bin überzeugt gewesen, daß diese Lehre weder dem einen an-|gestritten war noch von dem an- 4 dern bloß erlernt und nachgesprochen, sondern in beiden ihre ursprüngliche Wahrheit und ein wesentlicher Bestandtheil ihres christlichen Glaubens: so würde man wol bedenklicher gewesen sein das Urtheil des vernunftwidrigen und schriftwidrigen mit solcher Schnelligkeit immer wieder auszusprechen. Ja wenn ich mir überlegte, wie doch anfänglich das Verwebtsein dieser Lehre in den großen Streit des Augustinus gegen den Pelagius gar nicht hinderte, daß des ersteren Lehre das System der immer auf strengeren Zusammenhang und festere Verbindung des Lehrgebäudes dringenden abendländischen Kirche ward, und wie erst späterhin in einer neuen Entwiklung dieser einzelne Punkt verworfen worden ist: so will mich immer bedünken, wenn nur Augustinus damals noch seiner Rede hätte selbst helfen können, oder wenn der späte Schüler sie ganz in seinem Geist und in dem rechten Zusammenhang vorgetragen, sie sich auch noch länger würde bei Ehren und Würden erhalten haben. Und eben so wenig als Gottschalk Augustinus war, waren auch die späteren Vertheidiger des Kalvin gegen die remonstrantischen Angriffe ganz nur von ihm begeistert. Weshalb mir denn immer der Muth fehlte mit dem größten Theile der Zeitgenossen in die Aburtheilung der Lehre jener Männer als einer vernunftwidrigen und schriftwidrigen einzustimmen. Diejenige Fassung aber, welche an die Stelle von jener gesezt ward, wollte mir deshalb nicht genügen, weil sie auf der einen Seite schien mich im Kreise herumführen zu wollen, auf der andern | aber statt einer bestimmten und, sofern man sich nur ge- 5 traute die Augen unverwandt darauf zu heften, auch anschaulichen Vorstellung nur Verneinungen und Beschränkungen darbot, weshalb denn vielmehr sie mir schien nicht ursprünglich gefaßt, sondern mehr ein Erzeugniß des Streites zu sein und an der Unsicherheit und Unvoll- 398 ständigkeit zu leiden, welche so entstandenen Meinungen eigen zu sein pflegt. Deshalb nun that es mir leid, daß der Streit über diesen Gegenstand wie eingeschlafen schien, und ich wünschte sehnlich, er möchte sich irgendwie aufs neue entwickeln, ob etwa die Sache zum vierten

7 Wunsch] Wuusch

150

5

10

15

20

25

30

Lehre von der Erwählung

Mal rein und vollkommen könne geschlichtet werden, und in der Stelle des bisherigen Vergessens und Dahingestelltseinlassens, welches mir im theologischen Publicum bei weitem vorzuherrschen schien, nach nochmaliger Gährung endlich beim vierten Gang eine völlig abgeklärte Ueberzeugung zu Stande kommen wolle. Endlich seit den neuesten Unionsversuchen, welche natürlich die zwischen beiden Theilen streitig gewesenen Punkte ins Gedächtniß zurükrufen mußten, fängt dieser Wunsch an in Erfüllung zu gehen, und ich habe selbst unabsichtlich genug durch meine Behauptung, daß dieser Streit mehr der Schule angehöre als dem Leben, und daß bei der Anordnung kirchlicher Verhältnisse auf diesen Gegensaz der Meinungen keine Rüksicht zu nehmen sei, einen Stoß geben helfen, der wenigstens nicht ganz ohne Erfolg geblieben ist, wenn doch des Herrn Dr. Bretschneiders Aphorismen sich unläugbar auch auf das beziehen, was ich theils als meine Meinung über | den Streit selbst, theils zur Rechtfertigung unseres Verfahrens bei 6 der eingeleiteten Kirchenvereinigung gesagt habe. Allein sollen meine Wünsche noch weiter erfüllt werden, so muß die Sache noch vielseitiger beleuchtet werden, als bis jezt geschehen ist; und da meine Erwartung, es werde doch auch ein Vertheidiger der ursprünglichen kalvinischen oder vielmehr augustinischen Lehre aufstehen, beinahe getäuscht werden will: so wehre ich mir nicht länger, sondern nehme die Veranlassung auf, welche in der Darstellung des eben genannten berühmten Theologen liegt, nicht etwa um einen Streit anzuknüpfen mit einem Manne, dessen Gelehrsamkeit und ausgezeichnetes Verdienst ich wie nur irgend Einer anerkenne, und der überdies die Vereinigung der beiden getrennten Kirchenpartheien eben so lebhaft zu wünschen bekennt als ich, auch nicht um den Beinamen eines kühnen und entschlossenen 399 Schülers des Kalvin, den man mir ich weiß nicht mit welchem Rechte zu geben beliebt, zu verdienen oder zu rechtfertigen, sondern nur um auf diejenigen Punkte aufmerksam zu machen, welche mir scheinen auch bei der gegenwärtigen Führung des Streites gegen Kalvin theils übersehen theils nicht mit der gehörigen Aufmerksamkeit beachtet zu werden.

25 Vereinigung] Vereiniguug

9-12 Vgl. Schleiermacher: An Herrn Oberhofprediger D.Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Säze, Berlin 1818, S.61f (oben 68,16-23) 13-16 Vgl. Aphorismen V.Xf 100-102 (unten 444,28-445,1.447,11-36.439,25-460,11) in Beziehung auf Schleiermacher: An Ammon sowie dessen „Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30sten October von ihr zu haltende Abendmahlsfeier", Berlin 1817, bes. S.10 (SW 1/5, 295307.302) 25-27 Vgl. Bretschneider: Aphorismen V-IX.XIIIf (unten 445,9446,43.448,29-38) 27-29 Anspielung auf den von Johann August Heinrich Tittmann in seiner „An den Herrn Präsidenten der berlinischen Synode" [seil. Schleiermacher] gerichteten

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

151

Zu den lezten gehört vornehmlich gleich das, womit Hr. Dr. Bretschneider beginnt, indem er das Verhältniß der beiden Erwählungstheorien zu den übrigen Theilen des theologischen Systems in Betrachtung zieht. Dies ist das Eingeständniß, es gebe Einen Lehrsaz in dem System der luthe-|rischen Kirche selbst, mit welchem die lutherische Er- 7 wählungstheorie im Widerspruch stehe, nämlich den von der gänzlichen Unfähigkeit des Menschen sich selbst zu bessern, und von seinem natürlichen Widerstande gegen die göttliche Gnade, welche dies allein vermögen soll: die kalvinische Theorie aber, gesteht er, sei mit dieser Lehre im genauesten Einklang. Damit nun bin auch ich vollkommen einverstanden, daß sich die beiden Erwählungstheorien auf diese entgegengesezte Weise zu jener Lehre von der Unentbehrlichkeit der göttlichen Gnade bei der Bekehrung des Menschen verhalten, und ich habe es immer gefühlt, daß dies eigentlich der Angel sei, um welchen sich der ganze Streit dreht. Aber dies ist nicht immer gehörig herausgehoben, sondern vielmehr in Schatten gestellt und von Manchen so dargestellt worden, als ob sich jene Lehre von der Gnade mit beiden Theorien über die Erwählung gleich gut vertrüge, daher die Unbefangenheit nicht genug gerühmt werden kann, mit welcher die Aphorismen dies anerkennen. So erscheint es demnach als eine Sache der Wahl, ob einer die Unentbehrlichkeit der göttlichen Gnade zur Heiligung anerkennen, aber sich dann auch die strenge kalvinische Erwählungsformel will gefallen lassen, oder ob er dieser mit ihren Folgen durch die lutherische Formel aus dem Wege gehn, aber dabei auch sich von der Unentbehrlichkeit der göttlichen Gnade lossagen und auf seinen eigenen Füßen 400 stehen will. Herr Dr. Bretschneider nun entscheidet sich über diese vorgelegte Wahl sehr entschlossen und schnell, und behauptet, der | lutheri- 8 sehe Theologe müsse jenen Vordersaz, wie er ihn auch nicht in der Schrift finde, eben deshalb unbedenklich aufgeben, weil die kalvinische Theorie daraus streng und nothwendig folge. Er hält sich an diejenigen Schriftstellen, aus welchen man schließen kann, der Mensch vermöge auch ohne die göttliche Gnade das Gute wenn auch nicht immer zu vollbringen, denn das gelingt ihm ja mit der göttlichen Gnade auch nicht, doch wenigstens (rein und gründlich?) zu wollen, er vermöge auch ohne Verbindung mit Christo Gott zu fürchten und recht zu thun; und indem er so jenen Vordersaz abweiset, entgeht er auch der

35 ohne] obne Schrift „ Lieber die Vereinigung der evangelischen Kirchen", Leipzig 1818, S.4, erhobenen Vorwurf 1-10 Vgl. Aphorismen 94f (unten 456,10-41) 26-36 Vgl. Aphorismen 95 (unten 456,27-39)

152

Lehre von der Erwählung

kalvinischen Vorherbestimmungslehre mit allen ihren seiner Ansicht nach so sehr schlimmen Folgen. Allein es ist wol nicht zu glauben, daß alle Theologen der lutherischen Kirche eben so entscheiden werden. Denn Viele wol werden sagen: wo Paulus das ursprüngliche Wollen des Guten schildere, da schildere er es als ein leeres, unkräftiges, ein bloßes Wünschen, ein ungestilltes Verlangen, denn er schildere es ja mit der Unmöglichkeit des Vollbringens und den Menschen in diesem Zustande als einen solchen, welcher begehre aus dem Leibe dieses Todes erlöst zu werden. Und wo Petrus verwundert ausruft, daß auch unter den Heiden wer Gott fürchte und recht thue Gott angenehm sei, da meine er nicht, ein solcher sei Gott an und für sich angenehm, sondern dazu angenehm, daß ihm das Evangelium solle verkündigt werden. Eben diese aber werden sich an jene anderen Stellen halten, welche besagen, daß was wir sind wir durch Gnade sind, daß der | Mensch aus dem 9 Geiste muß geboren werden, daß nur Christus ihn aus jenem Leibe des Todes erlösen kann, daß weder in dem Gesez noch in der menschlichen Natur an und für sich, sondern nur in Christo Heil zu finden ist. Eben diese also werden bezeugen, daß sie etwas anderes bedürfen als jenes Naturvermögen, jene in der Schrift auch den Heiden zugeschriebene Erkenntniß des Sittengesezes und Fähigkeit wegen des Ungehorsams 401 gegen dasselbe strafbar erfunden zu werden, und ihr Glaube sei, eben der Gott biete den Menschen durch Christum dieses mehrere dar, was sie auf dem bloßen Naturwege immer nicht erlangen konnten. Ist nun Herrn Dr. Bretschneiders Eingeständniß richtig: so müssen alle diese sich mit der kalvinischen Theorie befreunden, weil die lutherische, wenn sie nicht folgewidrig dastehen soll, zu theure Opfer von ihrem Glauben fordert. Kurz alle diejenigen, welche einen ausschließenden Werth auf die Erlösung durch Christum und auf die von seinem Geiste ausgehenden Gnadenwirkungen legen, alle, welche an diesen eigenthümlichen inneren Erfahrungen des Christen hängen, werden mit der kalvinischen Erwählungstheorie sich lieber gefallen lassen anzunehmen, Christus sei von Gott gesandt, um von allen, welche eine Erlösung bedürfen, einen Theil wenigstens wirklich zu erlösen, als um der Behauptung willen, daß er für alle gesandt und seine Erlösung eine allgemeine sei, wenn sich diese mit jener Theorie wirklich nicht vertrüge, eine an-

i l angenehm] angenebm

l f Vgl. Aphorismen 95-103 (unten 456,39-461,20) 4 - 9 Rom 7,18-24 9f Apg 10,34f 14 Vgl. 1 Kor 15,10 14f Vgl./oh 3,5f 15f Vgl. Rom 7,25 16f Vgl. z.B. Röm3,2lf 19-21 Anspielung auf Bretschneider: Aphorismen 95 (unten 456,31-33)

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

dere Theorie annehmen, aus welcher zulezt folge, daß Christus zwar f ü r alle, aber zum Ueberfluß ge-|sandt sei, wenn doch der Mensch sich 10 selbst helfen und bessern und sich gleichsam an seinem eigenen Schöpf aus dem Sumpfe herausheben kann. Dieser Zusammenhang nun ist gar oft nicht gehörig beachtet worden, und Herr Dr. Bretschneider hat sich schon dadurch ein großes Verdienst um eine neue gründliche Behandlung der Sache erworben, daß er ihn unbefangen und ohne Gefährde aufgedeckt hat. Das hat man immer wiederholt ins Licht gestellt, daß die kalvinische Theorie der A l l g e m e i n h e i t der Erlösung Abbruch thue und die lutherische sie feststelle; daß aber die kalvinische Theorie dafür die N o t h w e n d i g k e i t der Erlösung feststelle und die lutherische dieser Abbruch thue, das ist selten klar heraus von den Vertheidigern der lutherischen Theorie eingestanden worden. Allein Viele werden es auch Herrn Dr. BretSchneider nicht zugeben; denn Luther und Melanchthon müßten sich dann, als sie von der strengeren Darstellungsweise über den göttlichen 402 Rathschluß abwichen, geirrt haben und nicht folgerecht verfahren sein, indem es ihnen gewiß nicht einfiel in ihrem System diesen Einen Saz von dem natürlichen Unvermögen des Menschen zur Heiligung deshalb aufzugeben 2 , | und die lutherische Kirche müßte ganz Unrecht ge- 11 habt haben, daß sie die Declaration, in welcher gewissermaßen gegen 2

25

30

35

153

Citiren läßt sich wol hier nicht, man müßte den ganzen L u t h e r ausschreiben. Indeß dienen statt alles anderen die folgenden W o r t e aus der V o r r e d e zur Erklärung der Epistel an die Galater: „Denn in meinem H e r z e n herrsehet allein und soll auch herrschen dieser einige Artikel, nemlich der Glaube an meinen lieben H e r r n Christum, welcher aller meiner geistlichen und göttlichen Gedanken, so ich immerdar T a g und N a c h t haben mag, der einige Anfang, Mittel und E n d e ist." U n d | diesen beschreibt er hernach als 11 den „einigen festen Fels und ewige beständige Grundveste alles unseres Heils und Seligkeit" so: „Nämlich daß wir nicht durch uns selbst, viel weniger durch unsere eigenen W e r k e und Thun, welche freilich viel geringer und weniger sind denn wir selbst, sondern daß wir durch fremde Hülfe, nemlich daß wir durch den eingebornen Sohn Gottes Jesum Christum von Sünden, T o d und Teufel erlöset und zum ewigen Leben gebracht sein." W . A . V I I I . S. 1524. 1525.

8-11 Vgl z.B. Bretschneider: Aphorismen 83-86 (unten 450,17-451,24) 20f u. l f Anspielung auf die Zusammenstellung der genannten lutherischen Bekenntnisschriften im Konkordienbuch von 1580 21 u. 1 Vgl. FC XI, in: Concordia. Pia et unanimi consensu repetita confessio fidei [...], ed. Leipzig 1732, S. 797-823; BSLK 1063-1091 24-28 D. Martin Luthers Sämtliche Schriften, ed. J.G.Walch Bd8, Halle 1742, Sp. 1524; vgl. WA 40/ 1,30,7-9 29-35 Luthers Werke ed. Walch Bd8, Halle 1742, Sp.1525; vgl. WA 40/ 1,30,16-20

154

Lehre von der

Erwählung

die kalvinische Theorie der Gnadenwahl polemisirt wird, neben die augsburgische Confession und deren Vertheidigung hinstellen wollte, in welcher so laut und bestimmt gegen die pelagianische und semipelagianische Ansicht von der Selbstgenügsamkeit des Menschen polemisirt '5 wird. Sondern die Concordia wäre wirklich discors gewesen, und es wäre nicht übertriebener antipelagianischer Eifer des Augustinus, welcher ihn auf diese Theorie gebracht, vielmehr in ihr allein läge der ganze Grund des Streites und alle großen Lehrer hätten Unrecht, welche die antipelagianische augsburgische Confession als das Palladium 10 der lutherischen Kirche ansehn, die strenge Gnadenwahl des Kalvin aber als eine gefährliche Lehre, welche sie niemals annehmen könnten, weit von der H a n d weisen. Ich glaube aber, daß der ^Zusammenhang dieser beiden Lehrstücke noch weit leichter ins Auge fällt, wenn wir uns etwas genauer an die Ausdrücke der Schule halten, als H r . Dr. Bret- 403 15 Schneider in seiner f ü r einen weiteren Kreis berechneten Schrift f ü r zweckmäßig hielt. Die Sache ist nämlich ganz | genau die, daß die Er- 12 wählungstheorie der lutherischen Kirche behauptet, Gott habe diejenigen zur Seligkeit verordnet, von denen er vorausgesehen, daß sie glauben würden 3 ; dabei aber wird in der A u g s b . C o n f . V. gelehrt: „[...] 20

25

30

3

G e r h . l o c . th. Τ. IV. p. 162 „ [ . . . ] quos ab aeterno in infallibili sua notitia praescivit per evangelii auditum spiritus sancti gratia in Christum perseveranter credituros, illos elegit sive praedestinavit ad vitam aeternam." In den Bekenntnißschriften selbst steht indeß dies nicht mit gleicher Bestimmtheit, sondern am meisten nur nähert sich die Stelle Sol. d e c l . XI, p.808. „Ut enim Deus . . . ordinavit, ut spiritus sanctus e l e c t o s per verbum v o c e t . . . atque omnes illos qui Christum vera fide amplectuntur iustificet . . . ita in eodem suo consilio decrevit, quod eos qui per verbum vocati illud repudiant et spiritui sancto [ . . . ] resistunt . . . indurare, repudiare et aeternae damnationi devovere velit." Dieses läßt sich noch recht leicht mit der strengen Augustinischen Theorie reimen, zumal es auch Ebend. S.806 heißt: „ [ . . . ] qui

1-5 Vgl. CA II, in: Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession und die repetitio con/essionis Augustanae, ed. A. Twesten, Kiel 1816, S. 22; BSLK 53,14-20. Apol. CA XVIII, in: Apologia Augustanae Con/essionis, ed. F. Lücke, Berlin 1817, S.408; BSLK 311,9-19 5 Anspielung auf die „Concordia discors, seu de origine et progressu formulae concordiae Bergensis" (Zürich 1607) des reformierten Theologen Rudolf Hospinian 812 Vermutlich Anspielung auf Christoph Friedrich Ammon: Bittere Arznei für die Glaubensschwäche der Zeit, Hannoverl Leipzig 1817, S. 26-31 (unten Anhang 440,33-443,16) 19 u. 1 £ Ed. Twesten 24f; BSLK 58, 4-8 20-22 Johann Gerhard: Loci theologici, ed. J. F. Cotta Bd4, Tübingen 1765, S. 162 (Locus 8: De electione et reprobatione, §50); ed. E.Preuss Bd2, Berlin 1864, S. 56 24-29 Vgl. Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1075,27-40 28 Statt repudiare Q: reprobare 30 u. 32 f FC XI, Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1072,37-40

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

155

per verbum . . . donatur spiritus sanctus, q u i f i d e m e f f i c i t ubi et quando visum est Deo in iis qui audiunt evangelium [...]." Das heißt also, Gott verordnet von Ewigkeit diejenigen zur Seligkeit, von denen er vorausgesehn, daß er selbst ihnen den gläubigmachenden heiligen Geist schenken werde. U n d so kommt, sobald man dabei bleibt, d a ß der heilige Geist den Glauben wirken muß, aus der lutherischen Formel die kalvinische wieder heraus, indem uns die Confession f ü r diese. Bewirkung des Glaubens keine andere Regel anzugeben weiß, als dasselbe göttliche Gutdünken „ubi et | quando visum est Deo". Denn wie wenig 13 der Zusaz vom H ö r e n des Evangelii hieran ändert, ist leicht zu sehen. Sofern nämlich dieses H ö r e n eine Selbstthätigkeit der Menschen ist, kommt es doch auf dieselbe nicht an; der Glaube wird ja nur gewirkt „ubi et quando visum est Deo". Allein auch jene Selbstthätigkeit ver- 404 trägt sich schon nicht damit, daß dem Menschen im Stande der Sünde auch eine Geringschäzung Gottes, „contemtus Dei" ( A p o l . C o n f . II.) beigelegt und alle Kraft das Geistige anzufangen ihm abgesprochen wird, denn das H ö r e n allein ist schon eine Aufhebung dieser Geringschäzung und als Selbstthätigkeit ein Anfang des Geistigen. Sofern aber das H ö r e n von der Verkündigung abhängt und Gott nicht allen Mensehen das Evangelium verkündigen läßt, so findet hierin auch die lutherische Kirche ( s o l . d e c l . XI, p.813.) nur die gerechte göttliche Strafe f ü r die Sünden, welche indeß jene andern, denen es verkündiget wird, doch auch begangen haben. U n d wenn man nach einem Grunde des Unterschiedes in der Behandlung dennoch fragte: so könnte kein anderer als wieder jener von vorausgesehener Schenkung des Glaubens gefunden werden. Und hieraus folgt denn freilich, wie H r . Dr. Bretschneider sagt, daß, wer bei dem gänzlichen Unvermögen des Menschen zum Geistigen und beim Bewirktwerden des Glaubens durch den heil. Geist auch mittelst des Wortes stehen bleibt, sich der kalvinischen Theorie nicht entziehen kann, wenn er einen geschlossenen Lehrbegriff wünscht. Aber darin scheint mir Hr. Dr. Bretschneider zuviel zu besecundum propositum ordinati sunt ad capessendam haereditatem: audiunt Evangelium, credunt in Christum, cet. ..." aber es kann eben so leicht die obige Lehre daraus gefolgert werden, welche den rechtgläubigen Dogmatikern der lutherischen Kirche gemein ist.

1 per] Per

15 Vgl ed. Lücke 16; BSLK 148,31 19-22 Vgl. Concordia (Leipzig 1080,24-3 5 32 Statt capessendam Q : capiendam

1732);

BSLK

156

Lehre von der Erwählung

haupten, daß er meint, die lutherischen Theo-|logen würden jene Lehre 14 so leicht aufgeben. Vielmehr finde ich sie noch immer in allen Lehrbüchern, welche das ausgebreitetste Ansehn geniessen, älteren und neueren. G e r h . l o c . t h e o l . T . V I I . p. 162: „Causa efficiens principalis fidei 5 [ . . . } est Deus, vel quod idem est spiritus sanctus [ . . . ] . " R e i n h a r d D o g m . § . 1 2 5 : „ Q u i [ . . . ] s p i r i t u s vi coeperunt in Christum credere [ . . . ] . " M a r h e i n e c k e § . 5 2 8 : „Wer willkührlich annimmt, [ . . . ] in dieser seiner gegenwärtigen Lage und Natur sei der Mensch im Stande, seine Bekehrung anzufangen oder auch nur danach zu verlangen, thut es 10 ohne alle richtige Vorstellungen von Gott und dem Menschen [.·•]·" Auch de W e t t e S. 172 sagt, der Vorzug des orthodoxen Systems in diesem Punkte sei klar. D o c h was soll ich noch über das eingestandenste und bekannteste einzelne Beispiele häufen. Vielmehr kommt alles dar- 405 auf an, wie denn so viele fromme und gelehrte Männer beide Meinun15 gen geglaubt haben vereinigen zu können. Es giebt aber für alle diese keine andere Aushülfe als die bekannte, der Glaube könne zwar nicht anders als durch die Einwirkung des göttlichen Geistes entstehen, der Mensch aber könne seinerseits diesen Einwirkungen widerstehen oder auch nicht 4 . M ö g e sie hier stehen in den 20 Worten eines sehr hoch geachteten und an der Lehre seiner Kirche fest haltenden Theologen, welche mit großer Vorsicht gewählt und sehr gut dar-|auf berechnet sind, der kalvinischen Theorie möglichst wenig Oeff- 15 nungen zu lassen, durch welche sie eindringen könne 5 . Also das göttli4

25 5

Sol. decl. p. 809. „Huius contemtus verbi non est in causa vel praescientia vel praedestinatio Dei, sed perversa hominis voluntas, quae . . . spiritui sancto . . . repugnat [...]." Eben so Gerh. locc. th. Τ. IV. p. 167. S t o r r doctr. christ. §.116. „[.. .Jneque pii sensus, quorum ortus atque vivacitas contra repugnantis cupiditatis tyrannidem [...] divina ope [...] iuvatur

6 Qui] qui I f Vgl. Aphorismen 95 (unten 456,36-39) 4 f Gerhard: Loci theologici, ed. Cotta Bd7, Tübingen 1768, 162 (Locus 17: De justificatione per fidem, §126); ed. Preuss Bd3, Berlin 1865, 410 5 f Vgl. Reinhard: Dogmatik 464 („§.125. Rechtfertigung.") 7-10 Philipp Marheinecke: Die Grundlehren der christlichen Dogmatik, Berlin 1819, S. 416 11 f Vgl. Wilhelm Martin Leberecht de Wette: Lehrbuch der christlichen Dogmatik, in ihrer historischen Entwickelung dargestellt, Zweyter Theil. Die Dogmatik der lutherischen Kirche enthaltend, l.Aufl., Berlin 1816, S. 172 („Dritter oder besonderer Theil. Erster Abschnitt. Soteriologie. III. Von der Erlangung des Heils. G. Göttliche Veranstaltung und Wirksamkeit (gratia applicatrix). b. Gnadenwirkung (Operationes Spiritus s.) §. 77. [Anm.] b") 24-26 FC XI, Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1076,7-14 26 Vgl. Gerhard: Loci theologici, ed. Cotta Bd4, Tübingen 1765, 167; ed. Preuss Bd2,59 27f u. 35-39 Gottlob Christian Storr: Doctrinae christianae pars theoretica e sacris Uteris repetita, Stuttgart 1793, S.323

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

157

c h e W o r t , n a t ü r l i c h s o f e r n es die K r a f t d e s g ö t t l i c h e n G e i s t e s in sich schließt u n d mit ihr wirkt, e r r e g t die f r o m m e n E m p f i n d u n g e n , u n d d e r M e n s c h k a n n diese h e g e n , n ä h r e n u n d i h n e n f o l g e n ; dies ist d i e Beschreibung der Bekehrung, denn vom Anfang der heilsamen Veränder u n g ist in d i e s e m §. d i e R e d e : o d e r d e r M e n s c h k a n n a u c h d i e s e f r o m m e n E r r e g u n g e n u n t e r d r ü c k e n u n d v e r n a c h l ä s s i g e n ; u n d dies ist n u n d i e leise B e s c h r e i b u n g d e s W i d e r s t a n d e s . D i e s e s w e n i g e , s o l l t e m a n denken, müsse m a n der menschlichen Freiheit geben, u n d d u r c h dies wenige w e r d e d a n n der M e n s c h der U r h e b e r seines üblen Geschickes, w e n n er j e n e R e g u n g e n u n t e r d r ü c k t , w o g e g e n G o t t allein, v o n d e m die ersten E r r e g u n g e n k o m m e n , d e r U r h e b e r seines günstigen Geschickes bleibt, w e n n er i h n e n nicht widersteht. H e r r D r . B r e t s c h n e i d e r h a t gew i ß d i e s e g e l i n d e s t e A u s k u n f t a u c h m i t i m A u g e g e h a b t , h a t sie a b e r 406 doch unzulässig gefunden, wenn anders jene f r o m m e n E m p f i n d u n g e n d e m durch das göttliche W o r t w i r k e n d e n göttlichen Geist sollen z u g e schrieben w e r d e n . Ich bin d a r i n g a n z seiner M e i n u n g ; allein d a m a n d o c h g e w ö h n l i c h | d i e s e A u s k u n f t g e l t e n l ä ß t , s o s c h e i n t m i r d i e S a c h e 16 n o c h einiger E r ö r t e r u n g z u b e d ü r f e n . Einige also widerstehen, o d e r v i e l m e h r sie v e r n a c h l ä s s i g e n d i e f r o m m e n E m p f i n d u n g e n . A b e r w i e geht solches z u ? U n s e r A u t o r weiset uns selbst auf die Z w i n g h e r r s c h a f t d e r w i d e r s t r e b e n d e n B e g i e r d e , u n d sagt selbst in d e r a n g e z o g e n e n Stelle: „ E n t s t e h u n g u n d L e b h a f t i g k e i t j e n e r f r o m m e n E r r r e g u n g e n w ü r d e n d u r c h die göttliche H ü l f e gegen diese G e w a l t u n t e r s t ü t z t u n d v e r t h e i d i g t " ; u n d a u s d i e s e n W o r t e n ist es g a r n i c h t s c h w e r , d i e g a n z e kalvinische T h e o r i e z u e n t w i c k e l n . D e n n w e n n es die g ö t t l i c h e H ü l f e ist, w e l c h e v e r h i n d e r t , d a ß d i e B e g i e r d e n i c h t d e n A n f a n g d e s G u t e n umrennt: so wird eben die U n t e r d r ü c k u n g o d e r Vernachlässigung erfolgen, w e n n die göttliche H ü l f e ausbleibt; u n d das Ausbleiben o d e r N i c h t a u s b l e i b e n d e r g ö t t l i c h e n H ü l f e , d a s ist e b e n d i e g ö t t l i c h e V o r h e r b e s t i m m u n g . A u c h darf sich j e d e r n u r die v e r s c h i e d e n e n Fälle, die sich h i e r d e n k e n l a s s e n , v o r h a l t e n , u n d es w i r d d a r ü b e r k e i n Z w e i f e l b l e i b e n . D e n n ich f r a g e , w e n n ein M e n s c h h e u t e d e n R e g u n g e n des Geistes widersteht, w ü r d e derselbe M e n s c h denselben R e g u n g e n zu aller Zeit gleichermaßen w i d e r s t a n d e n haben? J e d e r m a n n wird die Frage vernei-

atque d e f e n d i t u r , a d o c t r i n a e perceptae a r g u m e n t o a u t a morali n a t u r a h o minis a b h o r r e n t , sed intellectae doctrinae c o n s e n t a n e i [ . . . ] et h a c t e n u s in h o m n i n i s p o t e s t a t e [ . . . ] sunt, u t vel tueri alere sequi eos possit, a t q u e ita d o c t r i n a e cognitae [ . . . ] et sensibus adiunctis c o n v e n i e n t e r agat, vel b o n o s sensus negligere atque o p p r i m e r e possit [ . . . ] . "

22-24 Vgl. oben Anm. 5

158

5

10

is

20

25

30

35

Lehre von der

Erwählung

nen, weil wir wissen, daß die Begierde nicht immer gleich stark aufgeregt ist. Aber hängt es von dem Menschen ab, ob die Regungen des Geistes ihn heute treffen oder ein andermal? und ist nicht vielmehr dies glückliche Zusammentreffen einer kräftigen Regung mit einem schwachen Widerstande, so daß jene Wurzel fassen kann, und dann schon soviel Kraft hat, | wenn ein stärkerer Widerstand kommt, daß sie nicht 17 mehr ganz unterdrückt werden kann, ist nicht eben dieses die göttliche Hülfe, welche kommen kann oder ausbleiben? Ja wenn der Mensch in sich selbst etwas besäße um jenen Regungen zu H ü l f e zu kommen, etwas was auf keine Weise selbst in das Wesen der Begierde verflochten 407 wäre! aber das müßte mehr sein als das natürliche sittliche Gefühl, welches immer angeführt wird - denn dieses ist immer in die Persönlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft der wir angehören und des Zeitalters in dem wir leben verflochten, es gehört dem Ehrgefühl und dem Gemeinsinn derselben an, und die Begierde hat also auch ihr Spiel damit 6 - es müßte eben schon jene Liebe zu Gott sein, welche der Vordersaz von dem wir ausgehen dem natürlichen Menschen abspricht, und welche eben jene Erregungen des Geistes schon aus sich selbst hervorbringen könnte. H a t aber der Mensch dergleichen nicht, so hängt es zulezt immer nur von dem Zustand der Begierde ab, in welchem die Erregungen des Geistes ihn treffen, ob er sie vernachlässigen wird; und sagt man dennoch, er habe dies in seiner Gewalt, so begeht man immer die Täuschung, daß man ihm vor dem Glauben und der Bekehrung etwas | zumuthet, was er erst mit dem Glauben und durch die Bekehrung, wenn 18 nämlich jener Vordersaz gilt, bekommt, sich selbst aber nicht geben kann. Vergleichen wir nun einen Menschen mit dem andern, und wollen wir noch etwas anderes suchen, als daß den einen die Erregungen des Geistes mit der göttlichen Hülfe glücklich getroffen haben, den andern nicht: so werden wir doch nur sagen können, soll doch in dem

6

Welcher irgend von unserm Vordersaz ausgehende Theologe sollte nicht mit voller Ueberzeugung unterschreiben, was K a l v i n Instit. II, cap.II, 24, hierüber sagt, so wie II, cap. III, 1. in den Worten: „Ergo quicquid non est spirituale in homine, secundum earn rationem dicitur carneum. Nihil autem habemus spiritus nisi per regenerationem. Est igitur caro quicquid habemus a natura."

32 Ergo] ergo 31 f Vgl. Johann Calvin: Institutionum christianae religionis libri quatuor, Leiden 1634, S. 90; Opera selecta, ed. P. Barth/W. Niesei Bd 3,266/ 32-35 Ed. Leiden (1634) 92; ed. Barth 3,272,11-14

159

Lehre von der Erwählung

Menschen noch ein Grund liegen, so muß in dem einen die Begierde überhaupt stärker sein als in dem andern. Aber worin ist dieser Unterschied gegründet? Doch wieder nur in den von außen wirkenden Reizen, oder in der natürlichen Anlage, oder in beiden zusammen, und die eine wie die andern kommen nicht aus dem Innern des einzelnen Menschen, sondern ihm kommen sie von Gott; und die Anlagen, weil sie 408 sein persönliches Wesen ausmachen, und die äußeren Einwirkungen, weil er sie ohne den göttlichen Geist nur seinen Anlagen gemäß benuzen kann, bilden eben zusammen die göttliche Vorherbestimmung darüber, ob er die frommen Empfindungen welche der Geist durch das Wort wirkt vernachlässigen und unterdrüken werde oder nicht. So daß ganz klar ist, von welchem Punkte aus man auf etwas von Gott vorausgesehenes zurückgehn will, es wird immer etwas sein, was Gott, wenn man nur noch weiter zurückgeht, selbst geordnet hat durch seinen ursprünglichen schaffenden Willen. Und betrachten wir nun noch einmal den Menschen, der die frommen Empfindungen gehegt hat und genährt und sich also bekehrt, und fragen, sind es gleich die | ersten vom 19 Geist durch das Wort ausgehenden Erregungen gewesen, die er so gehegt hat? so wird wol diese Frage nicht können im allgemeinen bejaht, und behauptet werden, jeder Mensch bekehre sich entweder auf den ersten Schlag oder gar nicht, sondern vielmehr alle Geständnisse aller Menschen, mögen sie Gnadenwirkungen annehmen oder sie verwerfen, sind voll davon, daß sie auch in den Jahren des Verstandes und der Zurechnungsfähigkeit die Anforderungen zum Guten oft zurückgewiesen haben. Wenn nun der jezt die dargebotene Gnade angenommen hat, früher als er sie noch verwarf durch einen von jenen von Gott gesendeten Zufällen gestorben wäre? und wenn nun von zweien der eine sie zurückgewiesen hat und stirbt - denn wir müssen dieses endlich erwähnen, da doch beide Partheien behaupten, in ihrer öffentlichen Lehre wenigstens, der Zustand des Menschen in der Ewigkeit hänge ab von seinem Zustande im Augenblick seines Todes - der andere aber hat sie auch zurückgewiesen, lebt aber fort, und sie wiederholen sich bei ihm und er vernachlässigt und unterdrückt sie endlich einmal nicht: ist es dann nicht die göttliche Vorherbestimmung, die dem Einen die Seligkeit zuweiset und dem andern die Verdammniß? 7 eben dasselbe, was 409 7

Aug. de corrept. et grat. 19. „Sicut ergo coguntur fateri donum Dei esse 409 ut finiat homo vitam istam, antequam ex bono mutetur in malum, cur autem aliis donetur aliis non donetur ignorant: ita donum Dei esse in bono perse-

36-38 u. 26 Augustinus: De correptione et gratia 19, Benediktiner-Ausgabe 1700, S. 502D; MPL 44,927

BdlO,

Antwerpen

160

Lehre von der

Erwählung

Kalvin selbst, einen | solchen Fall vorzüglich im Sinne habend, ein 20 „horribile decretum" nennt, eben jenes „[...] aeternum Dei decretum, quo apud se constitutum habuit, quid de unoquoque homine fieri vellet"? (Instit. III, XXI, 5.) Und wenn nach ein- oder mehrmaliger Zurückweisung bei dem einen sich die Anforderungen noch immer wiederholen, der andere aber in eine Lage kommt wo sie nicht mehr an ihn kommen; muß man dann nicht gestehn, daß Gott in dem gehörigen Maaß nur „[...] erga eos omnes, quos unquam erudiri cum fructu voluit, subsidium verbi adhibuisse [...]"? ( I n s t i t . I, VI, 3.) Denn nun scheint mir nur Eine Ausflucht übrig zu sein, die sich immer wenig schicken will, daß man nämlich sage, die Verwerfung des Menschen entstehe daraus, daß seine Vernachlässigung und sein Widerstand grösser sei und beharrlicher als die göttliche Gnade. Oder wie sollte wol dieses so zugehen, daß es des Menschen Schuld sei und nicht Gottes? Ist nicht jene tyrannische Begierde doch immer eine endliche Kraft, die Kraft des göttlichen Geistes durch das Wort aber eine unendliche? Und müssen nicht diejenigen am meisten die Unendlichkeit derselben zugeben, welche um jeden Preis die Allgemeinheit der Erlösung Christi behaupten wollen? Und muß man also nicht sagen, Gott habe um alle Menschen wirklich selig zu machen nur gebraucht aus dieser unendlichen Fülle die Anforderungen auf jeden Einzelnen so lange zu häufen, bis sein Widerstand aufhört, in welchem er genugsam sich und der Welt seine Freiheit bewiesen, wenn doch eine absolute Freiheit, wie noch neuerlich ein berühmter Theologe der lutherischen | Kirche zugesteht 8 , 21 mit der Natur eines Geschöpfes gar nicht vereinbar ist? Und wenn er

8

verantiam, cet." Denn dasselbe muß ja offenbar gelten beim Uebergang aus dem Bösen ins Gute. A m m o n G l ü c k w ü n s c h u n g s s c h r e i b e n S.62.

l f Vgl. Institutio 3,23,7, ed. Leiden (1654) 338; ed. Barth 4,401,28 2-4 Ed. Leiden (1654) 327; ed. Barth 4,374,12f 8f Ed. Leiden (1654) 13; ed. Barth 3,63,21f 28 „In der Erwählungslehre scheinen die besseren Theologen unserer Kirchen darüber einverstanden zu seyn, daß der antipelagianische Eifer Augustin's zuerst Luthern, dann auch Calvinen verleitet hat, an eine Willkühr Gottes und einen absoluten, von der Idee des höchsten Gutes und der allgemeinen Liebe unabhängigen Willen, dann sogar an einen verborgenen und geoffenbarten Rathschluß von der Beseligung der Menschen zu glauben und nach dieser unrichtigen Ansicht einzelne Schriftstellen zu erklären. Die Härte dieser, eben so unphilosophischen, als unevangelischen Sätze hat die Christenheit zu lange geärgert, als daß man nicht von allen Seiten eilen sollte, sie einer gänzlichen Vergessenheit zu übergeben. Jezt kann die Erinnerung an sie nur noch heilsam seyn, von der einen Seite die Anmaßungen der Moralphilosophie, wenn sie fiir den Menschen eine absolute Freiheit postulirt, die mit der Natur eines Geschöpfes gar nicht vereinbar ist, zu beschränken, von der anderen der Vorsehungslehre eine geschlossene

Lehre von der

Erwählung

161

die Anforderungen bei Allen nicht so häuft, muß man dann nicht zufolge jener Lehre von der entscheidenden Kraft des lezten Augenblicks 410 sagen, er wolle nicht Alle wirklich selig machen? Jene unendliche Kraft der göttlichen Gnade verbunden mit der schaffenden Allmacht, welche 5 - alles Zusammentreffen und alle Ereignisse in der Welt geordnet hat, hatte eben A u g u s t i n u s im Sinne, so oft er Aussprüche wiederholt wie dieser: „Non est itaque dubitandum voluntati Dei, qui in coelo et in terra omnia quaecunque voluit fecit, [...] humanas voluntates non posse resistere, quo minus faciat ipse quod vult: quandoquidem etiam 10 de ipsis hominum voluntatibus quod vult cum vult facit." (de C o r r . et g r a t i a 45.)9. Und eben dieses hat auch Kalvin im Sinne gehabt, als er sagte: „Ideo enim censetur omnipotens ... quia ... sic omnia moderatur, ut nihil nisi eius consilio accidat... a cuius nutu pendet, quicquid saluti nostrae adversatur [··.]•" ( I n s t i t . I. cap.XVI, 3.) 15 Wenn es nun mit diesem Widerstande so steht, daß er selbst durch das von Gott geordnete bedingt ist, und man nie auf etwas zurükkommen kann, was von Gott nur vorhergesehen und nicht vorher v e r s e hen wäre10: so hat Hr. Dr. | Bretschneider ganz recht, daß es keine an- 22 dere Wahl giebt, als entweder mit der Lehre von der göttlichen Gnade 20 auch die strenge Augustinische Lehre von der Gnadenwahl anzunehmen, oder mit Pelagius auch die Lehre von der Gnade aufzugeben. Herr Dr. Bretschneider nun ermuntert seine Confessionsgenossen zu ' Vergl. E n c h i r i d . 25. „ Q u i s p o r r o tarn impie desipiat, u t dicat D e u m m a l a s h o m i n u m v o l u n t a t e s quas voluerit, q u a n d o voluerit, ubi voluerit in b o n u m 25 n o n p o t u i s s e convertere." 10 C a l v . I n s t i t . I, X V I , 2. „ Q u i s q u i s [ . . . ] e d o c t u s est Christi ore . . . s t a t u e t q u o s l i b e t e v e n t u s o c c u l t o D e i consi-|lio gubernari." - 4. „ U n d e s e q u i t u r p r o - 22 videntiam in actu locari; nimis e n i m inscite n u g a n t u r multi d e m e r a praescientia."

12 Ideo] ideo

Festigkeit zu geben, welche iedes Spiel des Zufalls gänzlich ausschließt." (Christoph Friedrich Ammon: Ueber die Hofnung einer freien Vereinigung beider protestantischen Kirchen. Ein Gliickwünschungsschreiben an den Herrn Antistes Dr. Heß in Zürich bei der bevorstehenden dritten Jubelfeier der schweitzerischen Refomation, Hannover/Leipzig 1818, S. 62f) 711 De correptione et gratia 45, Benediktiner-Ausgabe BdlO, Antwerpen 1700, ill F; MPL 44,913 11-14 Ed. Leiden (1654) 60; ed. Barth 3,190,20-24.191,22f 22 u. l f Vgl. oben Anm. zu 152,1 f 23-25 Augustinus: Enchiridion ad Laurentium de fide et spe et charitate 25,98, Benediktiner-Ausgabe Bd6, Antwerpen 1701,170D; CChr 46,100 25 Statt potuisse convertere. Q ; posse convertere? 26-29 Ed. Leiden (1654) 59.60; ed. Barth 3,189,8-11.192,20-22 28 Statt mera Q : nuda

162

5

10

15

20

25

30

35

40

Lehre von der Erwählung

dem lezten, wegen der unerträglichen und verderblichen Folgen, welche aus jener strengen Erwählungslehre weiter hervorgehn; und indem er allerdings dem Kalvin und den Seinigen die Gerechtigkeit widerfahren läßt, daß sie selbst diese schrecklichen Folgerungen nie gezogen hätten, 411 sondern sie immer von sich abgewendet, so beschuldigt er sie doch eben deshalb ihrerseits der Folgewidrigkeit, weil sie den Zusammenhang derselben mit ihren Säzen nicht eingesehn, und es soll ihnen auch keine andere Wahl bleiben als entweder auch diese Folgerungen einzuräumen, oder ihre Erwählungssäze, und mit denselben dann auch die Lehre von der göttlichen Gnade, aufzugeben. Dieses zeigt uns deutlich auf welchem Punkt der Streit nun schon lange gestanden hat, und wie nothwendig es ist, wenn man nach einer Gleichheit der Meinungen über diesen Punkt streben soll, ihn noch einmal durchzufechten. Denn so hat es· schon immer gestanden, daß Kalvin und die Seinigen auf die entgegengesetzte Parthei den Vorwurf des Pelagianismus zuwarfen, und daß diese wiederum den Kalvin jener Folgerungen angeklagt haben, die auch | H e r r Dr. Bretschneider seiner Meinung vorwirft. Die lu- 23 therischen Theologen haben gesucht jenen Stoß zu pariren und durch künstliche Formeln den Pelagianismus, Synergismus und Semipelagianismus von sich zu weisen, und auf die bloße Widerstandsfähigkeit die Verwerfung der kalvinischen Theorie zu begründen. Dürfen wir nun Herrn Dr. Bretschneider als den Repräsentanten dieser Meinung ansehn: so wäre die Sache schon ohne uns von dieser Seite erledigt. Und sollten einige ihn auch nicht d a f ü r erkennen, dasjenige aber, was hier noch zur Erläuterung seines Sazes gesagt worden ist, nicht recht zu widerlegen wissen: so würden sie doch zugeben müssen, daß die bloße Widerstandsfähigkeit uns unvermeidlich, wenn man sich nicht hinter dunkeln Formeln versteckt, sondern an das Licht der Anschauung hervortritt, entweder zur kalvinischen Theorie zurück oder zum vollen Pelagianismus hinüberführt. Eben so aber hat es auch auf der andern Seite gestanden; die Anhänger des Kalvin haben immer jene Folgerungen geläugnet, die man ihrer Lehre aufbürden wollte, ihre Gegner aber haben diese Abwendungen niemals gelten lassen, sondern muthen ihnen fortwährend zu, entweder auch jene Folgerungen einzuräumen, oder wo nicht, ihre Erwählungslehre selbst irgendwie abzuändern. Aber dies 412 ist keine Lage der Sache, bei der wahrheitliebende und wissenschaftliche Männer den Streit, wenn sie anders einen Werth auf ihre Ueberzeugung legen, aufgeben können. Sondern entweder ist auf einer von beiden Seiten, sei es eine Täuschung oder ein Schein, und | dann müssen, 24 da jede Täuschung bei gutem Willen von beiden Seiten sich auflösen

3-7

Vgl. Aphorismen

98f (unten

458,15-22)

Lehre von der Erwählung

163

muß, und auch den künstlich gewobenen Schein derjenige, der die W a h r h e i t auf seiner Seite hat, wenn es ihm an d e m nöthigen Geschick nicht fehlt, aufdecken wird, beide Theile, in der U e b e r z e u g u n g die W a h r h e i t auf ihrer Seite zu haben, den Streit immer wieder aufs neue 5 f ü h r e n , in der H o f n u n g ihn mit mehr Geschick zu einem gedeihlicheren Ende zu bringen; o d e r die Wurzel des Streits geht bis in diejenige T i e f e der Gesinnung hinunter, w o die ursprünglichen V o r a u s s e z u n g e n ruhen, welche der Streit nicht erreicht, und d a n n m u ß dies wenigstens klar eingesehn werden, so d a ß man weiß man k ö n n e sich nicht vereini10 gen, sondern so gesinnte Menschen w ü r d e n immer die eine, und so wiederum gesinnte die andere M e i n u n g hegen. Deshalb wollen wir n u n sehen, ob wir über das, was aus der kalvinischen T h e o r i e folgen soll, eben so weit ins klare k o m m e n können, als wir über das Verhältniß d e r lutherischen T h e o r i e zu der Lehre von dem menschlichen U n v e r m ö g e n 15 gekommen sind. Ich fange aber am liebsten mit demjenigen an, was aus der strengen Erwählungslehre f ü r das praktische Christenthum folgen soll; denn gelingt es uns die G e m ü t h e r hierüber zu beruhigen, so werden beide Theile das übrige desto u n b e f a n g e n e r berathen k ö n n e n . H e r r D r . B r e t s c h n e i d e r nun f a ß t (S.99) diese alten Klagen so 20 zusammen, d a ß er unterscheidet den Menschen, der sich schon so weit gebessert fühlt, d a ß er sich unter die Erwählten rechnet, und den, in welchem T u g e n d und Laster noch im | Streit liegen, und endlich den, 25 der sich u n f ä h i g f ü h l t sich aus den Banden der Sünde loszureißen; u n d d a ß er d a n n behauptet, der erste müsse durch die kalvinische T h e o r i e 25 z u m Leichtsinn oder zum Stolz gebracht werden, der zweite z u m 413 Leichtsinn o d e r z u r Muthlosigkeit, der dritte aber z u r Trostlosigkeit. Kalvin aber und welche der Seinigen in diese Uebel nicht hineingerathen, die haben n u r eine zu starke moralische N a t u r gehabt, als d a ß der theoretische I r r t h u m seine sonst natürliche A n w e n d u n g auf das Leben 30 hätte finden können. Ich meines Theils habe n u r immer im V o r a u s nicht glauben können, d a ß Kalvin diese Folgerungen seiner Lehre sollte übersehen haben, da er anderwärts auf den T r o z u n d die Verzagtheit des menschlichen H e r z e n s so bestimmte Rüksicht nimmt, u n d ausdrücklich sagt, wie sehr man eben deshalb b e h u t s a m und genau sein 35 müsse im V o r t r a g der Lehre. D e n n so sagt er, w o er a n f ä n g t über den Verlust des freien Willens zu reden: „ H a e c autem optima cavendi erroris erit ratio, si pericula considerentur quae utrinque imminent. N a m ubi omni rectitudine abdicatur homo, statim ex eo desidiae occassionem arripit, et quia nihil ad iustitiae Studium per se valere dicitur, illud to-

19-26 Vgl. unten 458,22-28 36-3 Ed. Leiden (1654) 80; ed. Barth

27-30 Vgl. Aphorismen 3,241,10-17

98f

(unten

458,15-22)

164

Lehre von der

Erwählung

tum quasi iam nihil ad se pertineat susque deque habet. Rursum vel minutulum illi quippiam arrogari non potest, quin . . . et ipse temeraria confidentia labefactetur." ( I n s t i t . II, II, 1.) Also bei dem Vordersaz zwar, bei der Lehre von dem menschlichen Unvermögen, die eben hier anhebt, sollte er Rüksicht genommen haben auf den leichtsinnigen Stolz und die verzagte Trostlosig-|keit, und gewußt, wie unfehlbar man 26 einem von beiden Vorschub thun müsse, sobald man von dem rechten Strich auch nur um ein weniges abweiche, und sollte eben dieses gleichsam als Probe der rechten und reinen Lehre angegeben haben, daß sie keines von beiden thun dürfe; bei dem Folgesaz aber, der Erwählungslehre selbst nämlich, sollte er dieses ganz vergessen haben, und gethan als ob von jener Doppelneigung des menschlichen Herzens nichts mehr zu besorgen wäre? Das wird mir schwer von einem so besonnenen Lehrer zu glauben! Und da er der entgegengesetzten Meinung, die dem Menschen nicht ein bloßes Unvermögen zuschreibt, alle furchtbaren Folgen des leichtsinnigen Stolzes unverholen beilegt 11 , so ist wol um so 414 unwahrscheinlicher, daß er nicht sollte gefragt haben, was wohl seiner eigenen Lehre die Gegner vorwerfen könnten in Hinsicht der verzagten Trostlosigkeit wenigstens. Darum scheint mir müsse doch der Versuch gemacht werden zu sehen, ob nicht Kalvin noch etwas anderes als das freilich wenig beweisende Beispiel seiner eigenen strengen Tugend, nämlich etwas in der Lehre selbst, anführen könnte um jene Folgerungen zu widerlegen. Mir ist es freilich wunderlich, daß ich nicht gradezu auf Kalvin selbst verweisen kann, indem er da, wo | er die Erwählungs- 27 lehre vorträgt, nichts mehr davon sagt, wie man sich hüten müsse dem immer nur Vorwände suchenden menschlichen Herzen Vorschub zu thun. Aber soll man nicht daraus schließen, da doch beide Lehren so genau zusammenhängen, er habe es entweder dort ein f ü r allemal gesagt, und also auch hier bedacht, wenn auch nicht wieder gesagt, oder er habe hier nicht mehr nöthig gehabt es zu bedenken, weil er dort nämlich den Anfang der Lehre glaubte an alle richten zu müssen, welche, noch in ihrem natürlichen Zustande sich befindend, erst sollten geneigt gemacht werden die Lehre von der göttlichen Gnade anzunehmen; hier aber, nachdem er diese schon hingestellt, seze er nun auch 11

Quorsum enim pertinet vana omni fiducia fretos deliberare, instituere, tentare, moliri quae putamus ad rem pertinere, et defici quidem ac destitui tum sana intelligentia tum vera virtute inter primos conatus, pergere tarnen secure donee in exitium corruamus? Atqui non aliter succedere iis potest, qui se a l i q u i d p o s s e p r o p r i a v i r t u t e c o n f i d u n t . " ( I n s t i t . II, I, 2.)

35-39

Ed. Leiden (1654)

76; ed. Barth

3,230,8-13

Lehre von der Erwählung

165

Leser voraus, welche sich von der Erkenntniß des menschlichen Unvermögens zur Annahme der göttlichen Gnade hätten führen lassen, und in denen also schon gewirkt sei was die göttliche Gnade wirke. Wenn ihm nun Herr Dr. Bretschneider seinen „so weit gebesserten daß er sich unter die Erwählten rechne" als einen solchen bringt, und dieser dem Kalvin sagt: „Höre, du kannst doch nichts dagegen haben, wenn ich nun auch wieder einige Sünden unterlaufen lasse. Denn Gott hat mich erwählt und gebessert, die Seligkeit ist mir bestimmt, und wenn ich 415 auch wieder falle, so ändert dies ja seinen unveränderlichen Rathschluß nicht?" was wird ihm Kalvin antworten? Wol schwerlich etwas anderes als dieses: „Ob dich Gott erwählt hat, das kann ich nicht wissen, daß es ihm aber noch nicht gefallen hat dich zu bessern, das weiß ich gewiß. | Denn wärest du gebessert; so würdest du dich freilich, wenn dir wider 28 Willen einige Sünden mit unterliefen damit trösten, daß dieses den göttlichen Rathschluß nicht ändern könne; wie kannst du aber, ein Gebesserter, die Sünden mit unterlaufen lassen w o l l e n , da der erste Anfang der Besserung doch, wie du aus deinem Paulus schon hast lernen müssen, darin besteht, daß man nicht einwillige in die Sünde, sondern den Willen rein halte, - wenn du doch lieber die Sprache deines Schuzherrn führen willst als die meinige, und lieber von Tugend und Laster reden und von gut und böse als mein Paulus und Augustinus und Luther und ich von Glauben und Unglauben und Fleisch und Geist. Wenn du dich also für einen Gebesserten hältst, und doch willst Sünden unterlaufen lassen: so täuschest du dich in einem von beiden und die Folgewidrigkeit ist in dir selbst, und du mußt sie nicht meiner Lehre zuschreiben, sondern an dieser kannst du vielmehr den Maaßstab finden, der dir zu fehlen scheint um dich selbst daran zu prüfen. Denn dem wahrhaft in der Heiligung begriffenen kann nie, weil ihm eben in der Heiligung der Geist Gottes das Zeugniß giebt, daß er ein Kind Gottes sei, im gläubigen Vertrauen auf seine Erwählung die Lust ankommen zu sündigen, sondern nur im unbewachten Zustande, das heißt außerhalb des gläubigen Vertrauens kann sie ihm ankommen, sobald er aber seiner Erwählung und Heiligung, kurz seines Gnadenstandes, gedenkt, muß sie verstummen, sonst müßte dieser Stand selbst verloren gehn und | jenes Zeugniß verstummen. Auf die bewußtlosen und verworrenen 29 Zustände des Menschen aber kann die Lehre nicht anders eingerichtet werden, als nur so daß sie aufmerksam betrachtet den Menschen zum richtigen Bewußtsein zurükführt, und das wird meine Lehre dir auch 416

4-10 Für den Wortlaut vgl. Aphorismen 99 (unten 458,23f.459,l-5) 16-19 Vgl. z.B. Rom 6,12f.8,12f 19-21 Anspielung auf Bretschneiders Diktion (Aphorismen 99; unten 458,25.459,7)

166

Lehre von der

Erwählung

thun. Um dich aber auf deine verworrene Rede aufmerksam zu machen und der bösen Lust die dich treibt eine heilsame Furcht entgegenzustellen, welche das Gleichgewicht wieder hervorbringe in welchem du für die Wahrheit empfänglich sein kannst, will ich dir die Worte des Augu5 stinus, den ihr nur zu sehr über mir vergeßt, zurükrufen, daß diejenigen welche hernach fallen auch damals als sie uns fromm zu leben schienen doch nicht wirklich lebten, und zwar von uns für erwählt gehalten wurden, es aber vor Gott nicht waren, und nicht aus der gemeinen Masse des Verderbens ausgeschieden 12 . Ueberhaupt aber giebt es keinen bes10 seren Spiegel für dich als jene ganze Abhandlung des großen Kirchenlehrers. Denn wie der gläubige Knecht Gottes vom Geiste Gottes getrieben nicht anders | kann als die Strauchelnden und die Unbußfertigen 30 ermahnen und züchtigen, ohne daß er weiß, ob es ihnen zum Heil ausschlagen wird oder zum Gericht13, wer aber wegen Ungewißheit des Er15 folgs aufhören wollte zu ermahnen und zu züchtigen, der wäre nur ein Miethling: eben so kannst du rechnen, daß hast du etwas vom Geiste Gottes in dir dieses auch gegen dich eben so handeln wird, und nicht 417 aufhören dich zu ermahnen und zu züchtigen wenn du könntest wollen die Sünde mit unterlaufen lassen; findest du aber diese Züchtigung in 20

12

25

13

30

A u g . d e c o r r e p t . e t g r a t . 12. „ [ . . . ] et qui a u d i t o evangelio in melius commutati perseverantiam n o n acceperunt . . . n o n sunt ab illa conspersione discreti q u a m constat esse d a m n a t a m [ . . . ] . " 16. „ Q u i vero perseveraturi non sunt ac sic a fide christiana et conversatione lapsuri sunt, ut tales eos vitae huius finis inveniat, proeul d u b i o nec illo tempore, q u o bene pieque vivunt, in istorum n u m e r o computandi sunt." 20. „Et sunt rursus quidam qui filii Dei p r o p t e r suseeptam vel temporaliter gratiam dicuntur a nobis, nec sunt tarnen D e o [ . . . ] (1 Joh. 2, 19.)." 22. „Quia ergo n o n h a b u e r u n t perseverantiam, [ . . . ] ita nec vere filii Dei f u e r u n t [ . . . ] . " E b e n d a s . 25. „ U t r u m autem ita sit vocatus q u o n i a m qui corripit nescit, f a ciat ipse cum caritate q u o d seit [ . . . ] faciendum, seit enim talem corripiend u m f a c t u r o D e o aut misericordiam aut iudicium [ . . . ] . " 46. „Nescientes enim quis pertineat ad praedestinatorum n u m e r u m , quis non pertineat, sie affici debemus caritatis affectu, ut omnes velimus salvos fieri."

27 Joh.] Joh, 16 Anspielung auf Joh 10,12f 2 0 - 2 2 Augustinus: De correptione et gratia 12, Benediktiner-Ausgabe BdlO, Antwerpen 1700, 499F; MPL 44,923 20 Statt a u d i t o e v a n g e l i o Q ; eo audito 2 2 - 2 5 Benediktiner-Ausgabe Bd 10,501 B; MPL 44,925 2 5 - 2 7 Benediktiner-Ausgabe Bd 10,502F; MPL 44,928 2 7 f Benediktiner-Ausgabe Bd 10,503E; MPL 44,929 2 9 - 3 3 Augustinus: De correptione et gratia 25.46, Benediktiner-Ausgabe BdlO, Antwerpen 1700, 504F.512D; MPL 44,931.944

Lehre von der

5

10

15

20

25

Erwählung

167

dir nicht, so hast du auch keine Ursache nach meiner Lehre zu glauben daß du gebessert bist, sondern du mußt meine Unterweisung von vorn anfangen, und von deinem Unvermögen überführt erst lernen nach der rechten Wahrheitsliebe, die nicht sich selbst belügt, und nach der rechten Freiheit, die nicht nach den Fleischtöpfen Aegyptens sich zurüksehnt, aufrichtig verlangen 14 ; und wenn dann dein Verlangen durch die göttliche Gnade gestillt, und du wirklich ein Gebesserter bist, dann wollen wir von der Erwählungslehre, wenn sie dir irgend noch gefährlich scheint, weiter | reden." Und so wird demnach wer ein Gebesserter ist in 31 Kalvins Sinn niemals durch die Erwählungslehre zum Leichtsinn verführt werden, weil er weiß, er würde sich dann der Zeichen der Erwählung entäußern, weil eine solche Verführung nur daher entstehen konnte, daß ihm die Erwählung noch fehlt 15 , weshalb denn Kalvin diejenigen, die solchen Vorwand nehmen, mit einem etwas unsaubern zwar aber nicht unverdienten Namen schilt. Eben so wenig aber ist an eine unsichere Verzagtheit zu denken; sondern der in Kalvins Sinn durch den vom göttlichen Geist gewirkten Glauben gebesserte hält sich an das Wort des Erlösers: „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben", und in diesem Besitz hat er die Sicherheit seiner Erwählung so sehr, daß wenn seine noch übrigen Schwachheiten ihm wollten zum Anstoß gereichen, er in dem sich immer erneuernden Bewußtsein der Thätigkeit seines Glaubens in der Liebe die Sicherheit seiner Erwählung immer wieder findet. Und niemand wird wol sagen können, daß dies ein künstlicher Wall sei ( A p h o r . S. 103), sondern es ist der einfache Zu- 418 sammenhang der Lehre; und eben das findet sich auch Sol. Deel. p. 805.806. Kommt aber ein Gebesserter, nicht durch die göttliche Gnade in Kalvins Sinn, sondern der es zu sein glaubt durch seine eignen Kräfte, mit dem wird sich der streng folgerechte Kalvin gar nicht ein14

30 15

„ [ . . . ] h o m o nihil boni penes se reliquum [ . . . ] esse edoctus . . . doceatur tamen ad bonum quo vacuus est, ad libertatem qua privatus est aspirare [ . . . ] . " ( I n s t i t . II, II, 1.) „Si electionis scopus est vitae sanetimonia, magis ad earn alacriter meditandam expergefacere et stimulare nos debet quam ad desidiae praetextum valere." ( I n s t i t . III, XXIII, 12.)

29 homo] Homo

5 Vgl. Ex 16,3 13-15 Vgl. Institutio 3,23,10, ed. Leiden (1654) 340; ed. Barth 4,406,7 18 Vgl. Joh 6,47 Iii Anspielung auf Gal 5,6 23f Vgl. unten 461,18-20 25f Vgl. FC XI, Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1072,15-1073,31 29-31 Ed. Leiden (1654) 80; ed. Barth 3,241,20-23 32-34 Ed. Leiden (1654) 340; ed. Barth 4,406,26-28

168

5

10

15

20

25

30

lassen über | die Erwählungslehre. Wie sollte er auch? Sie ist ihm ja laut 32 der durch das ganze dritte Buch laufenden Ueberschrift nichts anderes als die Lehre von der Art und Weise die göttliche Gnade in Christo aufzunehmen; jener aber will von der göttlichen Gnade überhaupt nichts wissen, und es giebt also für diese Beiden noch gar keinen Gegenstand des Streites. Dem zweiten Manne aber, in dem sich nach Herrn Dr. Bretschneider Tugend und Laster noch streiten, und welcher denken muß, er könne im günstigen Falle bis die Gnade komme den Lüsten dienen, im ungünstigen aber wäre es ganz vergebens, wenn er etwas anfangen wollte, was doch nicht könne zu Stande kommen, diesem, wenn er das bisherige schon mit angehört, hat Kalvin wol nur wenig zu sagen. Zuerst wol dieses, daß er ganz recht habe und zwar nicht nur im ungünstigen sondern auch im günstigen Falle, wenn er meine, es sei vergebens für ihn etwas anzufangen zu seiner Besserung, denn er könne auch nichts anfangen, sondern nur Gott; zweitens aber, wenn er doch wollte den Lüsten dienen, so hätte er Unrecht zu sagen, Tugend und Laster stritten sich um ihn. Denn die Heiligkeit des Lebens sei ja nur im Wollen, wer aber wolle den Lüsten dienen und sich dazu eine Rechtfertigung mache, an den sei von der Lust zur Heiligung noch gar nichts gekommen. Werde er aber jemals ein Bestreben haben nach einem frommen Leben: so dürfe er auch gar nicht glauben, daß er seine Mühe verliere. Denn dieses Bestreben könne nirgend anders herkommen als von der Erwählung | selbst16, eben weil er es nicht angefangen habe, 33 sondern der göttliche Geist. - Den dritten endlich, der sich unfähig 419 fühlt sich selbst zu bessern, würde Kalvin trösten und ihm sagen, wenn mit diesem lebendigen Gefühl seiner Unfähigkeit nur in ihm der Wunsch nach Besserung von dem er rede wirklich verbunden sei, und er diesen nicht nur im Munde führe, sondern auch im Herzen, so solle er sich hüten vor der Gotteslästerung zu glauben, Gott verhärte ihn. Denn dieser Wunsch sei ja keine Verhärtung, sondern eine Erweichung, und er solle ihn als ein vorläufiges Zeichen annehmen, daß er mit dem 16

35

Lehre von der Erwählung

Quod autem suas blasphemias longius extendunt, dura eum qui sit a Deo reprobatus perditurum operam dicunt, si innocentia et probitate vitae se illi approbare studeat: in eo vero impudentissimi mendacii convincuntur. Unde enim tale Studium oriri possit nisi ex electione?" ( I n s t i t . III, XXIII, 12.)

2-4 Vgl. ed. Leiden (1654) 183; ed. Barth 4,1,3 7-11 Vgl. Aphorismen 99f (unten 459,6-16) 25 f Vgl. Bretschneider: Aphorismen 99 (unten 458,26-28) 30 Vgl. Bretschneider: Aphorismen 100 (unten 459,18-21) 33-36 Ed. Leiden (1654) 340; ed. Barth 4,406,32-37

Lehre von der Erwählung

169

göttlichen Geist, der allein seine Erneuerung bewirken könne, schon in Berührung stehe. Und so wird auch diesem die Erwählungslehre nicht zum Nachtheil und zur Trostlosigkeit gereichen, und es scheint aus allen diesen Fällen gar nicht hervorzugehen, daß wie Hr. B. S.98. behauptet die kalvinische Erwählungslehre consequent aufs Leben angewendet der Moral schädlich und sehr schädlich werden könne und müsse; sondern nur wenn man fremdartige Ansichten mit hinein mischte, könnte sie vielleicht schädlich werden, welches aber doch ihr selbst nicht darf zum Vorwurf gereichen. Worin aber das eingemischte fremdartige in den hier gemachten Anwendungen bestehe, das | kann nach dem gesagten nicht schwer sein 34 zu finden. Zuerst nämlich scheint Herr Dr. Bretschneider vorauszusezen, es könne jemand nach der Tugend, oder um diesen, daß ich nicht sage heidnischen wenigstens mehr bürgerlichen und philosophischen, Sprachgebrauch mit einem theologischen zu vertauschen, nach dem frommen Leben verlangen nicht an und für sich, sondern nur um der Seligkeit willen, als ob diese der Zweck und jenes das Mittel dazu wäre, beides aber von einander verschieden, und als könne einer von einem solchen Verlangen aus es schon bis auf einen gewissen Punkt gebracht haben im heiligen Leben, sei er aber durch Gebrauch dieses Mittels ein- 420 mal seines Zweckes, der Seligkeit sicher, dann wolle er natürlich wieder zu den Lüsten und Begierden zurück. Aber dies ist gar nicht Kalvins Voraussezung, welcher von Anfang an seinem Schüler sagt, das selige Leben bestehe in der Erkenntniß Gottes, und die Erkenntniß Gottes sei in der Erkenntniß seiner Werke, und also am meisten seiner Geseze, und welcher sich an Paulus hält behauptend, def inwendige Mensch durch den Geist Gottes geweckt und geboren habe eine Lust am Gesez Gottes, und mit dieser Lust könne er nicht zu den Lüsten zurük wollen, sondern immer nur sich ihnen mehr und mehr entziehen. Von Kalvins Voraussezung also findet ein solcher Gedankengang wie oben durchgeführt worden gar nicht statt; weil das fromme Leben und die Seligkeit eines und dasselbe ist; und wenn Kalvin begehrt, dem Volk solle seine Erwählungslehre fleißig vorgetragen werden, so hat er doch ge-|wiß nur 35 verlangt, sie solle im Zusammenhange mit seinen Voraussezungen vorgetragen werden. In jener entgegengesezten Voraussezung aber von einem Bestreben nach einem heiligen Leben nur als Mittel zu ich weiß nicht was für einer davon ganz verschiedenen Seligkeit scheint mir überhaupt auch noch keine Moralität zu liegen, der etwas schädlich

4 - 7 Vgl. unten 458,12-15 22-28 Vgl. Institutio 1,1-5.2,2,27; Rom 7,22 32 f spielung auf Bretschneider: Aphorismen 101 (unten 459,40-42); vgl. Institutio 3,23,13

An-

170

Lehre von der Erwählung

werden könne. Wollte aber Herr Dr. B. zugeben, dieses sei noch keine Moralität, aber jene Lehre hindere eben das Entstehen der Moralität: so kann ich auch das nicht zugeben, weil sie eben aussagt, der in uns wohnende und wirkende göttliche Geist höre nie auf zu belehren, zu ermahnen, aufzuregen und zu erweichen, und weil nur auf diese Weise nach der Behauptung jenes Systems die Moralität in dem Einzelnen entstehn kann. - Nicht minder fremdartig aber ist dieses, daß Herr Dr. B. ohnerachtet er so vollkommen eingestanden hat, Kalvins Erwählungslehre hange auf das innigste zusammen mit der Lehre vom Unvermögen des Menschen, nun doch, indem er die richtige Anwendung jener Lehre auf das Leben zeigen will, einen Menschen herbeibringt, welcher den göttlichen Rathschluß selbst ohne den göttlichen Geist 421 durch eigene Kraft ausführen will, wenn doch die Ausführung desselben nach Kalvin auf dem Glauben der durch die Liebe thätig ist beruht. Daß nun dieses nicht angeht, und daß ein solcher immer in sein Verderben rennt, steht im Kalvin auf allen Blättern; und wir haben es ihn oben schon sagen lassen ( I n s t i t . II, II, 1.) so daß er sich gar nicht wundern wird, wenn unsers Verfassers Schützlinge sich | schon bei den ersten 36 Schritten vom wahren Verstände sowol als von wahrer Tugend entblößt zeigen, und er wird nur wiederholen, daß im Verständniß der göttlichen Geheimnisse jeder nur soviel vermöge als er von der göttlichen Gnade sei erleuchtet worden. 17 Ja er würde vielleicht behaupten, daß solche Menschen sich auch in jeder andern Meinung verirren müßten in Leichtsinn oder Trostlosigkeit. Denn bei der ächt lutherischen Theorie kann die Lehre von der Verlierbarkeit der Gnade 1 8 eben so den 17

18

„Si quod petimus a D e o deesse nobis confitemur . . . nemo iam fateri dubitet, se tantum ad intelligenda Dei mysteria valere, quantum eius gratia fuerit illuminatus." ( I n s t i t . II, II, 21.) Diese nämlich wird von vielen lutherischen Theologen ausdrüklich behauptet, und noch neuerlich von H r n . A m m o n , G l ü k w ü n s c h u n g s s c h r e i b e n S.40. Wiewol aus den Worten E p i t . IV, p.591: „Praeterea reprobamus atque damnamus dogma illud, quod fides in Christum non amittatur et spiritus sanctus nihilominus in homine habitet etiamsi sciens volensque peccet cet." nicht grade dieses folgt zumal wenn man damit vergleicht Sol. d e c l .

12-14 Vgl. z.B. Institutio 3,24,1-6; Gal 5,6 16f Anm. 14 26-28 Ed. Leiden (1654) 89; ed. Barth 3,264,15-19 30 f „ Von der Beharrlichkeit im Glauben heißt es in unserer Kirche [...]: der heilige Geist wird durch das Wort Gottes und die Sacramente mitgetheilt und wirket den Glauben; wir verwerfen daher die Meinung, als könne der Glaube und die Hofnung der Seligkeit nicht wieder durch freiwilligen Irrthum und ein lasterhaftes Leben verloren werden /.../·" (Ammon: Ueber die Hofnung 40) 31-34 Concordia (Leipzig 1732); BSLK 789,39-790,1 34 u. 31-33 Concordia (Leipzig 1732) 802f; BSLK 1069,31-37

171

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

einen leichtsinnig machen, den andern in Trostlosigkeit hineinschrekken, je nachdem einer meint, wegen jener Verlierbarkeit sei es am sichersten den Gnadenstand überall aufzuschieben, bis die Neigungen und Leidenschaften durch die er am leichtesten verloren gehe schon abgestumpft seien, oder der andere bedenkt, wie leicht es sei zu fallen, und wie leicht auch in diesem Zustande zu sterben, und wie dann alle frühere M ü h e und Arbeit ver-|loren sei. Ja auch wer seine Seligkeit ohne 37; 422 Gnade ganz allein schaffen will, wenn er sich nicht so hoch versteigt sich eine absolute und unendliche Kraft beizulegen, kann eben so durch die Ueberlegung, wie sehr seine eigenen Bemühungen könnten durch die Umstände unterstüzt werden oder gehemmt und Versuchungen abgelenkt oder herbeigeführt, je nach Beschaffenheit seiner Gemüthsart der leichtsinnigen Verzweiflung anheimfallen, welche alles will aufs Glück ankommen lassen, oder der trostlosen, welche zwar einsieht alles stehe in der H a n d Gottes, aber doch nicht das H e r z hat Gott zu vertrauen, weil dies dem Menschen nur durch die Gnade kann gegeben werden. Seine eigene Lehre aber ist Kalvin weit entfernt, wiewol die A p h o r i s m e n S. 101. dies sagen, f ü r gefährlich zu halten. Vielmehr verlangt er nichts, als daß sie in ihrem rechten Zusammenhange gefaßt und in ihrem eigenthümlichen Gebiet angewendet werde. Sie ist ihm eine Lehre der Schrift, und so sehe ich sie auch an, und wenn H e r r D r . B. ( A p h o r i s m . S. 102) mir scheint den Vorwurf zu machen, ich habe sie zu einer Aufgabe für die speculative Philosophie sublimiren wollen, so ist das ein Mißverständniß, zu welchem ich nicht wüßte die Veranlassung gegeben zu haben; f ü r mich wenigstens sind die Lehren von der göttlichen Gerechtigkeit und von der göttlichen Allmacht 19 auch Lehren der christlichen Kirche. Aber als Schriftlehre will nun Kalvin sie auch nur in der christlichen Kirche, wo | der Schrift geglaubt wird, vor- 38 getragen haben, und nur in Christo soll der Christ seine Erwählung betrachten 20 ; unter dieser Bedingung aber verspricht er eine nicht n u r si-

19

35

20

XI, p. 802. „Idem in aeterno suo consilio proposuit, se iustificatos etiam in multiplici et varia ipsorum infirmitate adversus diabolum mundum et carnem defensurum, ... et si lapsi fuerint manum suppositurum [...]." S. An H r n . D r . A m m o n S.61. „Quod si in eo (Christo) sumus electi, non in nobis ipsis reperiemus electionis nostrae certitudinem, ac ne in D e o quidem patre si nudum ilium absque filio imaginamur. Christus ergo speculum est in quo electionem nostram contemplari convenit et sine fraude licet." (Instit. III, XXIV, 5.)

17 Vgl. unten 459,40-42 21-23 Vgl. unten 460,15-17 35-38 Ed. Leiden (1654) 344; ed. Barth 4,415, 39-416,4

34 Vgl. oben

68,5-14

172

Lehre

von der

Erwählung

chere, sondern auch angenehme Fahrt 21 . Und dieses in derselben Stelle, die Herr Dr. B. (S. 101.) anführt, die er aber theils nicht weit genug ver- 423 folgt, theils auch darin übersehen zu haben scheint, daß die gefährliche Nachsuchung nicht sowol in den Zweifeln an der Erwählung besteht 5 als vielmehr darin, wenn der Mensch zugleich von einer verkehrten Begierde außerhalb des rechten Weges danach zu forschen heimgesucht wird, und dies ist eben das oben angeführte sich muthwillig in Gefahr begeben. Die Zweifel selbst aber sollen dem der noch nicht gläubig ist zur Selbstprüfung und Erweckung dienen, dem Gläubigen aber werden 10 sie von selbst verschwinden, wenn er sich von Kalvin steuern läßt, und in dem Forschen nach der Gewißheit seiner Erwählung sich an die späteren Zeichen hält, welche sichere Zeugnisse derselben sind22. „Denn das könne jeder wissen ob | er mit Christo in Gemeinschaft stehe, und 39 daran habe er ein hinlänglich deutliches Zeugniß, daß er im Buche des 15 Lebens geschrieben sei23. Diese wirksame Berufung 24 sei das erste Zeugniß der Erwählung, und die Rechtfertigung das zweite 25 . Und wer einmal so in den Schuz Christi gekommen, der sei auch sicher daß Christus für ihn dasselbe wie für Petrus erbitten und erlangen werde, daß nämlich sein Glaube nicht aufhöre 26 ." Wenn aber Kalvin zugiebt, daß 20

21

22

25 23

24 25

30 26

„ E t v e r o licet p e r i c u l o s i m a r i s i n s t a r h a b e a t u r p r a e d e s t i n a t i o n i s d i s p u t a t i o , p a t e t tarnen in e a l u s t r a n d a t u t a e t p a c a t a a d d o et i u c u n d a n a v i g a t i o , nisi q u i s periclitari u l t r o a f f e c t e t . " ( E b e n d a s . 4.) „ [ . . . ] ita o p t i m u m t e n e b i m u s o r d i n e m , si in q u a e r e n d a e l e c t i o n i s n o s t r a e c e r t i t u d i n e in iis s i g n i s p o s t e r i o r i b u s q u a e s u n t c e r t a e e i u s t e s t i f i c a t i o n e s h a e r e a m u s . " ( E b e n d . 4.) „ [ . . . ] satis p e r s p i c u u m f i r m u m q u e t e s t i m o n i u m h a b e m u s n o s in l i b r o vitae s c r i p t o s e s s e si c u m C h r i s t o c o m m u n i c a m u s . " ( E b e n d . 5.) I n s t i t . I, V I , 1. „ I a m v e r o in e l e c t i s v o c a t i o n e m . s t a t u i m u s e l e c t i o n i s t e s t i m o n i u m ; i u s t i f i c a t i o n e m d e i n d e a l t e r u m e i u s m a n i f e s t a n d a e s y m b o l u m d o n e c a d g l o r i a m in q u a eius c o m p l e m e n t u m e x t a t p e r v e n i t u r . " (L. III, X X I , 7.) „ I a m v e r o n e q u e h o c d u b i u m est, q u u m o r a t C h r i s t u s p r o o m n i b u s electis, q u i n i d e m illis p r e c e t u r q u o d P e t r o , ut n u n q u a m d e f i c i a t f i d e s e o r u m . E x

23 ita] Ita

26 satis] Satis

I f Vgl. unten 460,18-36; zitiert ist Institutio 3,24,4 17-19 Vgl. Lk 22,32 20-22 Ed. Leiden (1654) 343; ed. Barth 4,414,34-36 2 3 - 2 5 Ed. Leiden (1654) 342; ed. Barth 4,414,7-10 26 f Ed. Leiden (1654) 344; ed. Barth 4,416,7-9 28 Nicht in Institutio 1,6,1; vgl. zur Sache Institutio 3,24, bes. 3,24,12 (ed. Leiden (1654) 347; ed. Barth 4,423,19) 2 9 - 3 1 Ed. Leiden (1654) 329; ed. Barth 4,379,3-6 32f u. 3 1 - 3 4 Ed. Leiden (1654) 344; ed. Barth 4,418,8-15 19 u. 1 - 4 Vgl. Bretschneider: Aphorismen 101 (unten 459,43-460,5)

423

Lehre von der Erwählung

173

auch dem Gläubigen Zweifel an seiner Erwählung entstehen können 424 die eine solche Belehrung nöthig machen: so sucht er den G r u n d derselben nicht darin, daß die Erwählung allein von Gottes Willen abhängig und der Mensch unvermögend sei selbst seine Seligkeit zu schaffen, sondern aus der Frage, woher er die O f f e n b a r u n g seiner Erwählung habe, weil nämlich jeder sie gern handgreiflicher in einem höheren Grade christlicher V o l l k o m m e n h e i t oder augenscheinlicher in einem mittheilbaren Buchsta-|ben haben möchte. Darum besteht nun seine 40 Heilung dieser Zweifel nur darin, daß er auf das fortschreitende W e r k des heiligen Geistes in den Seelen der Gläubigen aufmerksam macht. W e r also dem Kalvin nur zugiebt, daß der göttliche Geist allein es ist, der den göttlichen Rathschluß in den Erwählten ausführt, und wer mit ihm kein anderes praktisches Christenthum anerkennt als das freie Walten dieses Geistes, der kann keinen Nachtheil für das praktische Christenthum von einer Lehre sehen, welche nichts anderes ist als der einfache Ausdruck von dem natürlichen Gefühl über das W i r k e n dieses Geistes, der da wohnt wo er will. Will man aber auf der einen Seite zwar anerkennen, wie genau Kalvins Lehre mit der von dem menschlichen Unvermögen und der göttlichen G n a d e zusammenhängt, auf der andern Seite aber doch diese Lehre anwenden auf eine Praxis, welche unabhängig ist von der göttlichen Gnade und aus der Selbstgenügsamkeit des Menschen hervorgehen soll, eine Praxis welche aber Kalvin vielleicht gar nicht einmal recht eine christliche genannt haben würde: dann freilich müssen Nachtheile entstehn für ein solches praktisches Christenthum; aber Kalvin und die Seinigen bleiben davon ungefährdet, und es folgt nichts daraus als daß man nicht zweierlei entgegengesezte Lehren untereinander mischen darf, oder sie zersezen sich. Dieses nun haben wir hoffentlich abgewischt von der kalvinischen 425 Lehre, daß sie richtig verfolgt das Streben nach der Heiligung zerstöre. | Die pelagianischen Gegner derselben 2 7 werden sich überzeugt haben, 41

27

q u o elicimus e x t r a periculum defectionis esse, quia e o r u m pietati c o n s t a n tiam postulans filius Dei repulsam passus n o n est. Quid hinc nos discere voluit Christus, nisi ut c o n f i d a m u s perpetuo nos f o r e salvos, quia illius semel facti sumus." (L. III, X X I V , 6 . ) Ich will dieser B e n e n n u n g keinesweges eine v e r k e z e r n d e K r a f t beilegen, verstehe auch nicht allein den strengen Pelagianismus darunter, sondern alle die verschiedenen Abstufungen in denen man von d e r L e h r e des Augustinus abgewichen ist.

17 Vgl Joh 3,8

34 Statt sumus. Q : sumus?

174

5

10

15

20

25

30

35

Lehre von der

Erwählung

daß die augustinischen Christen auch ein praktisches Christenthum haben, und daß sie in diesem auch durch ihre Prädestinationslehre nicht im mindesten gestört werden. Die selbst in dem Grundsaz augustinischen Gegner derselben werden, ohne daß ich ihnen hier schon eine Entscheidung abfordern wollte, wer folgerechter sei sie oder die Kalvinisten, doch gestehen müssen, daß auch in ihnen der Geist Gottes eben so zu eigner und fremder Heiligung wirksam sei ohne daß sie dies an ihre Meinung von der Erwählungslehre gebunden fühlten. Und nachdem wir nun hievon losgekommen sind, wird sich alles übrige wie ich hoffe mit beiden Theilen gelassener überlegen lassen. Denn es ist freilich schwer mit einem Menschen in der gehörigen Ruhe und mit einem glüklichen Erfolge zu streiten, wenn man die Meinung hegt, er gehe auf einem Wege, auf dem er nicht fortwandeln könne ohne sich der Tugend und der Glükseligkeit zugleich abzusagen und sich der Trostlosigkeit und dem Laster zu ergeben. Die beunruhigte Liebe hindert dann nur gar zu leicht die Genauigkeit im Streit; weil man eben so sehr bewegen will als überzeugen, so häuft man auch die minder triftigen Gründe, und der Gegner der nicht von gleichem Interesse bewegt wird zieht sich um so leich-|ter aus der Schlinge. So scheint es mir in dem 42 Streit gegen die Lehre des Augustinus und Kalvin schon immer und auch noch neuerlich ergangen zu sein, und wir wollen ein wenig sichten, welche Einwendungen denn nach dem zugestandenen Vordersaz noch gelten oder nicht. So wird z.B. in den A p h o r i s m e n (S. 102) gesagt: an jene Klippe, an welcher es so schwer sei, wenn man die Präde- 426 stinationslehre annimmt, nicht zu scheitern, werde man unvermeidlich herangetrieben durch das aus der Vernunft nothwendig hervorgehende Bestreben die höchsten Regeln der göttlichen Weisheit aufzusuchen. Allein wenn einmal zugegeben ist, die augustinische Erwählungslehre folge streng aus der Lehre von dem menschlichen Unvermögen: so folgt ja aus eben dieser Lehre, daß die menschliche Vernunft müsse abgehalten werden in die Tiefen der göttlichen Weisheit eindringen zu wollen, weil sie sich aus Unvermögen nothwendig verwirren müsse; die von ihrem Unvermögen überzeugte und von dem göttlichen Geist erleuchtete Vernunft aber begehrt auch die göttliche Weisheit nur aus der Schrift und der eigenen Erfahrung kennen zu lernen, und will über diese nicht hinausgehn, und jenes ist alles was Kalvin predigt, dieses alles wovor er warnt. Daher hierüber die symbolischen Schriften der lutherischen Kirche, welche von der gleichen Voraussezung des menschli-

23-27 Vgl. unten

460,36-44

Lehre von der Erwählung

175

chen Unvermögens ausgehn, auch ganz das gleiche enthalten 28 . Eben so rech-|net unter die andern erweislichen Lehren des Systems und der 43 Schrift denen Kalvins Theorie widerstreite Herr Dr. B. auch (S.96) den Glauben an die sittliche Freiheit des Menschen, indem sie behaupte, daß alle Menschen das Vermögen das Sittengesez zu erfüllen verloren 427 hätten. Allein das System der lutherischen Kirche behauptet ja diesen Verlust eben so bestimmt und unumwunden als die kalvinische Theorie, wie denn dieser Saz nur ein anderer Ausdruck ist von jener Lehre vom menschlichen Unvermögen, und schon an sich klar ist, daß wenn Ein Saz eines Systems das menschliche Unvermögen zum Guten behauptet, unmöglich ein anderer Saz desselben Systems eine solche moralische Freiheit des Menschen behaupten könne, welche das Vermögen enthalte den Willen Gottes zu erfüllen. Vielmehr hebt nach dem System auch der lutherischen Kirche diese Freiheit erst an in dem Zustande der Begnadigung und der Wiedergeburt, die eben eine Geburt in diese Freiheit ist; dem natürlichen Menschen aber gestattet das System nur in weltlichen Dingen die | Freiheit, daß er die Begierde überwinden könne 44 durch die Einsicht, und den selbstsüchtigen Trieb durch den geselligen, aber weder jene Einsicht noch dieser Trieb vermögen an sich das göttliche Gesez zu erfüllen. Doch diesen Vorwurf nimmt Herr Dr. B. hernach (S. 103) gewissermaßen zurück, indem er zugiebt die Erwählungslehre betreffe nicht eigentlich die Frage vom Verhältniß der moralischen Freiheit zu Gottes Regierung, wiewol er vorher behauptet sie löse die moralische Natur auf um die Willkühr Gottes zu erheben. Darum 28

E p i t o m e , p.619. „Vera igitur sententia de praedestinatione ex Evangelio Christi discenda est. ... Hue usque homo pius in meditatione articuli de aeterna Dei electione | tuto progredi potest, quatenus videlicet ea in verbo 43 Dei est revelata ... reliquae cogitationes ex animis piorum penitus excutiendae sunt [...]". - Sol. decl. p.809. „Hue usque sacra scriptura in revelando divinae praedestinationis mysterio progreditur. Quod si intra has m e t a s nos continuerimus [...], profecto doctrina illa amplissimam consolationis [ . . . ] materiam nobis suppeditabit ... Hac etiam doctrina omnes falsae opiniones et errores de viribus naturalis nostri arbitrii evertuntur, quia manifestum est, quod Deus in suo consilio ante mundi secula decreverit atque ordinarit, quod omnia, quae ad conversionem nostram pertinent, ipse virtute spiritus sui saneti per verbum in nobis efficere et operari velit."

1-6 Vgl. unten 4)7,10-15 20-23 Vgl. unten 461,2f 23f Vgl. Aphorismen 97 (unten 457,21-25) 25-29 FC XI, Concordia (Leipzig 1732) 619f; BSLK 818,34-36. 819,23-26.36-38 29-36 FC XI, Concordia (Leipzig 1732) 809f; BSLK 1076,33-39. 1077,8-16

176

5

10

15

20

25

30

Lehre von der Erwählung

wollen auch wir hiebei f ü r jezt nicht länger verweilen, und auch das nicht weiter aufnehmen, wiewol auch dieses öfter vorkommt (S. 42 und S.98), daß diese Lehre mit den öfteren ernstlichen Ermahnungen streite, daß der Sünder sich bessern und seine Seligkeit suchen solle, denn hierauf ist schon oben beiläufig aus dem Büchlein des A u g u s t i n u s de c o r r . et gr. geantwortet. Oder müssen wir nicht auf dieselbe Art wie wir uns erklären, daß wir selbst Andere ermahnen und züchtigen, uns auch erklären, daß die heiligen Männer Gottes in und außer der Schrift eben dazu durch denselben Geist getrieben wurden? Und ist nicht offenbar, daß nur durch solche Aufforderungen der Sünder selbst zum unmittelbaren Bewußtsein sei es nun seines Unvermögens oder seiner Verstocktheit kommen kann? Denn wenn er nun seinem Können 428 unthätig zusieht bei vorgegebenem Wollen, so muß er doch fühlen, daß der Mensch nichts sich selbst weniger geben kann als dasjenige was den schlummernden Willen wekt und reizt. Dieses also lassen wir, und eilen zu | dem Haupteinwurf, welcher wol vorzüglich Luthers und Melan- 45 chthons Abweichung von der strengen Lehre des Augustinus veranlaßt hat, und also auch noch f ü r alle diejenigen gilt, welche wie Kalvin von der Voraussezung des menschlichen Unvermögens ausgehn, nämlich jene strenge Vorherbestimmungslehre streite mit der Schriftlehre von der Allgemeinheit der Erlösung durch Christum. Dieser Einwurf kommt in den A p h o r i s m e n unter drei verschiedenen Gestalten vor; einmal S.96, die kalvinische Theorie behaupte, daß die Anstalten Gottes zur Wiederherstellung der sittlichen Freiheit nur auf Einige nicht auf Alle berechnet seien; dann S. 98, sie streite mit der feierlichen Versicherung des Apostels (Rom. 5,12-19) daß die Erlösung durch Christum eben so allgemein sei, und sich eben so auf alle Menschen erstrecke, wie allgemein die Sünde und ihre Strafen seien; endlich S. 103, die ganze Lehre betreffe den Saz: ob Gott w o l l e , daß das ganze durch die Erbsünde der Verdammniß schuldige menschliche Geschlecht durch Christum gerettet werde, und ob er die dazu erforderlichen Mittel keinem

2—4 Vgl. Bretschneiders Bedenken gegen einen Unionsschluß bei Fortgeltung der reformierten Prädestinationslehre: „ Oder glaubt man wohl, daß es nicht zu Verdruß führen werde, wenn vielleicht ein Reformirter, der sich mit einer lutherischen Gemeinde verbrüdert hat, dem lutherischen Pfarrer, der ihn von seinem wüsten Leben abmahnt, entgegensetzt:, Gott müsse doch nicht wollen, daß er seelig werden solle, weil er ihn nicht bessere. Wenn er ihn aber zur Seeligkeit erwählt habe, so werde er ihn auch zu seiner Zeit bessern, und der Herr Pfarrer möge sich bis dahin gedulden?'" (Aphorismen 42) und unten 458,7-11 5f Oben Anm.13 16f Die Lehrabweichung Luthers behauptet z.B. Johann Matthias Schroeckh („Christliche Kirchengeschichte seit der Reformation" Bdl, Leipzig 1804, S. 314); Melanchthon vollzog sie öffentlich seit der „secunda aetas" (1535) seiner „Loci theologici". 23-25 Vgl. unten 457,10-15 25-28 Vgl. unten 458,3-7 28-2 Vgl. unten 461,4-8

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

35

40

Erwählung

177

versage, o d e r ob er dieses n i c h t w o l l e , u n d d a h e r e i n e m T h e i l die M i t t e l d a z u v o r e n t h a l t e ? G e w i ß es ist n i c h t u m s o n s t , d a ß d e r g e l e h r t e V f . diesen Einwurf an drei verschiedenen Stellen auf verschiedene W e i s e v o r g e t r a g e n h a t , u n d es ist u n s e r e S c h u l d i g k e i t , d a ß w i r v e r s u chen jedem dieser A u s d r ü c k e auch eine eigene Ansicht a b z u g e w i n n e n , u n d dieser eine eigene B e h a n d l u n g a n g e d e i h e n z u lassen. Z u e r s t also, die kalvinische T h e o r i e b e h a u p t e , die A n s t a l t e n G o t t e s z u r W i e - | d e r h e r S t e l l u n g d e r s i t t l i c h e n F r e i h e i t seien n u r a u f E i n i g e n i c h t a u f A l l e b e r e c h n e t . D i e s e n Pluralis a b e r wollen w i r u n s z u r V e r m e i d u n g aller I r r t h ü m e r g l e i c h in d e n S i n g u l a r i s v e r w a n d e l n ; d e n n d i e K i r c h e k e n n t n u r die eine Anstalt G o t t e s z u r W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r M e n s c h e n , d u r c h C h r i s t u m n ä m l i c h . D a ß n u n n i c h t alle M e n s c h e n d u r c h C h r i s t u m w i r k lieh w i e d e r h e r g e s t e l l t w e r d e n , s o n d e r n E i n i g e b e g n a d i g t w e r d e n , A n d e r e verloren gehen, dieses n i m m t die lutherische K i r c h e e b e n so g u t an als K a l v i n . E s k o m m t a l s o n u r d a r a u f a n , w i e G o t t b e r e c h n e t h a t . D i e lutherische K i r c h e n u n sagt, G o t t h a b e die E r l ö s u n g auf Alle b e r e c h n e t , a b e r d i e j e n i g e n w e l c h e sie n i c h t a n n ä h m e n g i n g e n w e g e n i h r e s W i d e r standes v e r l o r e n . Also g e g e n die göttliche B e r e c h n u n g ? a b e r das hält gewiß schon schwer zu sagen: denn wird einmal a n g e n o m m e n G o t t berechne, so m u ß er auch richtig b e r e c h n e n . M a n m u ß also sagen, G o t t h a b e die E r l ö s u n g so b e r e c h n e t , d a ß Alle erlöst w e r d e n k ö n n t e n , a b e r d a ß a u c h d i e j e n i g e n , w e l c h e sie n i c h t a n n e h m e n w o l l t e n , v e r l o r e n g i n gen. D a ß dies auch Kalvin z u g e b e n kann, w e r d e n wir h e r n a c h sehen; n u r ist d i e s e i n P u n k t , a u f w e l c h e m e r n i c h t s t e h e n b l e i b e n k a n n , s o n d e r n e r m e i n t , G o t t m ü s s e es s o v e r o r d n e t h a b e n , d a ß E i n i g e w i d e r s t e hen müssen. W e n n wir nun einmal von der immer verwirrenden V o r s t e l l u n g e i n e s b e s o n d e r n g ö t t l i c h e n R a t h s c h l u s s e s in B e z u g a u f d i e e i n zelnen M e n s c h e n absehen, u n d uns n u r an die ohnstreitig von G o t t v e r o r d n e t e A r t halten, wie das E v a n g e l i u m verbreitet w e r d e n sollte, u n d an die ebenfalls v o n ihm v e r o r d n e t e Art, wie | v o r h e r die m e n s c h l i c h e n Dinge sich g e s t a l t e t h a t t e n : s o m ü s s e n w i r w o l sagen, a u s b e i d e m z u s a m m e n g e n o m m e n , also aus d e m göttlichen R a t h s c h l u ß , f o l g e n o t w e n d i g , d a ß n i c h t Alle, a n w e l c h e d a s E v a n g e l i u m e r g i n g , es a n n e h m e n k o n n t e n . E b e n w e i l es e i n g e s c h i c h t l i c h e n t s t e h e n d e s , d u r c h m e n s c h l i c h e R e d e u n d E i n w i r k u n g s i c h v e r b r e i t e n d e s w a r : s o k o n n t e es a u c h n i c h t a n d e r s als d e n a l l g e m e i n e n g e s c h i c h t l i c h e n G a n g g e h e n , d a ß a u s einer g r o ß e n E r r e g u n g sich n u r einiges w e n i g e wirklich gestaltet u n d z u m neuen Leben sammelt, u n d n u r indem u n a u f h ö r l i c h diese A u s d e h n u n g u n d Z u s a m m e n z i e h u n g sich w i e d e r h o l t , w ä c h s t a l l m ä h l i g d a s neue lebendige Ganze. D a s J u d e n t h u m hätte nicht bestehen k ö n n e n o h n e E i f e r e r , w e l c h e d i e ü b r i g e Masse z u s a m m e n h i e l t e n , u n d u n t e r d e n E i f e r e r n f ü r e i n e u n v o l l k o m m n e S a c h e m u ß es a u c h f a l s c h e g e b e n , w e l c h e u m d a s A l t e f e s t z u h a l t e n a u c h d a s b e s s e r e Neue v e r s c h m ä h e n . W ä -

46

429

47

430

178

5

10

15

20

25

Lehre von der

Erwählung

ren solche nicht gewesen, so wäre schon lange das Judenthum zerfallen, und die Möglichkeit wäre nicht gewesen, daß das Christenthum hätte durch dasselbe in seinen zarten Anfängen können genährt und geschüzt werden. Waren aber solche: so mußte es auch Verwerfer des Christenthums geben. Aber eben so mußte unter den Heiden die gewaltige Masse des Verderbens sein, wenn Einige sich an ein sonst so verachtetes Volk wie die Juden anschließen sollten, und so das Christenthum an die Heiden übergehn; aber unter jener Masse mußten dann auch die Verächter des Christenthums sein. Also scheint hier der gute Erfolg nicht anders als mit dem Mißerfolg | auf der andern Seite zu- 48 gleich berechnet gewesen zu sein; wie denn ein allmählig sich verbreitendes ohne Widerstand nicht kann gedacht werden, und Widerstand nicht ohne daß Einige bis an ihren Tod darin befangen bleiben. Ich will dieses nur als einen vorläufigen Wink hinstellen, nicht als eine strenge Argumentation; aber der Ausdruck b e r e c h n e n ladet auch nur zu einer solchen ein; und ich will aus dem Gesagten kein anderes Resultat ziehen, als daß, wenn wir die Sache von Seiten des Berechnens ansehn, diese Betrachtung sich mehr der kalvinischen Formel anschließt, welche Gott als gleich thätig in der Vorherversehung ansieht in Bezug auf diejenigen, welche begnadigt werden, und auf die, welche verloren gehn, indem aus der göttlichen Kraft des Evangelii das eine und aus der menschlichen Gestalt desselben das andere folgt, nicht aber an diejenige Formel, welche nur für die Einen eine Vorherversehung Gottes annimmt, für die Andern aber nicht29, weil nämlich die Gelangung der Einen zum Heil sich nicht berechnen läßt ohne daß der Andern Entfer- 431 nung davon auch berechnet werde. Und ganz auf dieselbe Weise ist auch die Berechnung Pauli 30 angelegt; denn das konnte er sich doch nicht bergen, als er eine Zeit nach | der andern hingehen sah, ohne daß 49 das Volk Israel in Masse das Evangelium annahm, daß die πρόσληψις

30

29

35

30

„Praescientia enim vel praevisio Dei . . . ad omnes creaturas tarn malas quam bonas extenditur. . . . Aeterna vero electio seu praedestinatio Dei ad salutem non simul ad bonos et ad malos pertinet, sed tantum ad filios Dei, qui ad aeternam vitam consequendam electi et ordinati sunt priusquam mundi fundamenta iacerentur [...]." ( S o l i d , declar. XI, p.798.) Rom. 11, 11-24.

29 πρόσληψις] πρόςληψις

35 Rom. 11] Röm.V

29 Die vom Novum Testamentum Graece ed. Nestle/Aland, 26. Aufl., Stuttgart 1979 abweichende Lesart πρόσληψις ζ. Β. in ed. G. C. Knapp, 2. Aufl., Halle/Berlin 1813, S. 479 3034 Concordia (Leipzig 1732) 798f; BSLK 1065,2-6.23-28

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

35

Erwählung

179

v. 15. nicht auf dieselben Individuen gehe wie die αποβολή; sondern wenn er den Gegenstand beider als denselben bezeichnet, so meint er das Volk in der Aufeinanderfolge seiner Geschlechter, und die Verlornen bleiben immer verloren, und nur aus ihrem παράπτωμα konnte die σωτηρία den Heiden kommen. - Doch dem wird nun eben zweitens eine andere feierliche Versicherung desselben Apostels entgegengestellt31, daß nämlich die Erlösung durch Christum eben so allgemein sei und sich eben so auf alle Menschen erstrecke, wie allgemein die Sünde und ihre Strafen seien, und gegen diese Versicherung streite die kalvinisehe Theorie. Ehe ich mich aber hierauf einlasse, kann ich eine allgemeine Bemerkung darüber nicht zurükhalten, wie in diesen und andern dogmatischen Streitigkeiten gewöhnlich die Schriftstellen gebraucht werden; denn auch bei Herrn Dr. B. finde ich dasselbe. Er sezt S. 87-94 auseinander, die lutherische Theorie beruhe auf ausdrüklichen und deutlichen Schriftstellen, die kalvinische hingegen werde nur gefolgert und abgeleitet, mit den ausdrüklichen und deutlichen Stellen aber stehe sie im Widerspruch. Ich nun glaube, daß dies ein Unterschied ist der zwar für den volksmäßigen Schriftgebrauch wichtig ist, weil nämlich auf der einen Seite den Folgerungen und Ableitungen nicht Alle folgen können, auf der andern aber das ausdrükliche und deutli-|che 50 sich ihnen besser einprägt; auf dem wissenschaftlichen Gebiet aber, meine ich, sollte er gar nicht vorgebracht werden. Denn deutlich ist jede Stelle nur durch den Zusammenhang, und ausdrüklich ist auch das buchstäbliche nur, sofern der Zusammenhang bestimmt hat, wie buch- 432 stäblich es genommen werden muß oder auch nicht darf. Alles Folgern aber und Ableiten ist auch nichts anderes als eine Bestimmung durch den Zusammenhang, und also zwischen beiden an sich gar kein Unterschied. Das schlimmste aber ist dieses, daß wenn man den Unterschied einmal angenommen hat, es auch dem unbefangensten und unpartheiischsten kaum möglich ist ihn rein und gleich anzuwenden, sondern seine dogmatische Ansicht wirkt ein auf seine hermeneutischen Operationen. Herr Dr. B. zum Beispiel sieht als eine ausdrükliche und deutliche Stelle für die lutherische Theorie an 1 Tim. 2,4, wo freilich steht, Gott wolle daß alle Menschen selig werden und zur Erkenntniß der 31

Rom. 5, 12-19.

27 zwischen] zwichen

4f Vgl. Rom 11,11 5-10 Vgl. Bretschneider: Aphorismen 98 (unten 13-17 Vgl. unten 452,8-456,7 32f Vgl. Aphorismen 87 (unten 452,8-12)

458,3-7)

180

5

10

15

20

25

30

35

Lehre von der

Erwählung

Wahrheit kommen. Allein da es nur da steht um zu beweisen daß die Fürbitte Gott wohlgefällig sei, und v. 1. πάντων άνθρώπων auch nur auf eine sehr lose Weise steht, indem nur die βασιλείς und die έν ύπεροχή δντες herausgenommen werden ohne die Gesammtheit irgend weiter zu theilen: so muß man sehr zweifelhaft werden, ob man es mit dem Ausdruck πάντας ανθρώπους genauer nehmen dürfe; und ich würde dies eher verneinen und die Stelle schwerlich f ü r eine a u s d r ü c k l i c h e und d e u t l i c h e Beweisstelle halten, schon weil sie nur beiläufig ist und auf einen unbestimmt gehaltenen Ausdruck zurükgeht. | U n d wie steht es erst mit Tit. 2,11, wo zwar von allen Menschen die 51 Rede ist, aber gar nicht von Bestimmung derselben, sondern von erschienen sein f ü r dieselben; und buchstäblich konnte doch Paulus gar nicht sagen, daß die Gnade in Christo damals schon allen Menschen erschienen sei, so daß man daraus nur desto deutlicher sieht, wie wenig man es überall mit einem Ausdruck wie „alle Menschen" genau nehmen dürfe, wenn nicht noch ein besonderer Nachdruck darauf gelegt wird. D o r t aber wird nun gar nur gesagt, die heilsame Gnade sei allen Menschen erschienen als eine solche, die u n s , die Christen, unterweise zu einem frommen und züchtigen Leben in der Welt, und also beweiset die Stelle gar nichts, nämlich gegen die kalvinische Lehre. Denn f ü r dieselbe kann man diesen Unterschied zwischen den a l l e n , denen sie er- 433 schienen ist, und den u n s , die sie wirklich unterweiset, gar leicht geltend machen. U n d die andern Stellen sind, daß ich es grade heraus sage, noch schwächer, wie denn auch Jesu Gebot auszugehen in alle Welt nichts weiter beweisen kann, als daß theils an allen sollte versucht werden, auf daß sie keine Entschuldigung hätten, welches ja auch Augustin und Kalvin so o f t anführen als die Absicht der allgemeinen Verkündigung, theils auch daß aus allen Völkern Einige sollten selig werden durch das Christenthum; denn damit dies geschehen könnte mußte es unter allen Völkern allgemein verkündiget werden, und dies ist freilich beweisend gegen den jüdischen Partikularismus, aber nicht gegen den kalvinischen. W o hingegen H r . | B. die kalvinischen Beweisstellen ab- 52 weisen will, da folgert er selbst Unterscheidungen heraus, die nicht nur nicht im Text stehen, sondern auch der ganzen neutestamentischen Denkart schnurstraks zuwider sind, wie ζ. E. daß es nur ein irdischer Vorzug sei, daß Einige unter so Vielen zuerst Christen und Lehrer des Christenthums wurden, und daß dies mit der Seligkeit in der zukünftigen Welt nichts zu schaffen habe. Ja wenn diese die göttliche Auswahl

3 f Vgl. 1 Tim 2,2 10 Vgl. Bretschneider: Aphorismen 87 (unten 452,12) Bretschneider: Aphorismen 87.88f (unten 452,13-17.453,10-15) 24 32-38 Vgl. Aphorismen 91 (unten 454,21-38)

2 3 - 2 5 Vgl. Vgl. Mt 28,18

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

181

wären nur als solche die f r ü h e r Christen wurden, die andern erst s p ä t e r ; aber man muß ja nothwendig ihnen auch die entgegenstellen, welche, auch in den Umfang der Verkündigung eingeschlossen, gar n i c h t Christen wurden. Und daß Hr. B. meint, es wäre doch nirgends gesagt, daß Gott die, welche nicht Christen würden, nicht auch selig machen wolle, dies ist so entschieden gegen die neutestamentische Denkart, daß es nicht lohnt einzelne Stellen darüber anzuführen, daß die der angebotenen Gnade nicht achten verloren gehen, daß das Heil von dem Glauben an Christum abhängt, und daß nur die, welche an Christum glauben, da sein werden wo er ist. Eben so ist es mit dem Unterschiede, es sei in allen jenen Stellen von einer Auswahl unter Juden und Heiden die Rede und nicht von einer Auswahl unter Christen. Freilich ist die Rede nur von der göttlichen Ordnung nach welcher die Menschen Christen werden oder nicht werden. Aber werden die jezigen Menschen nicht 434 auch erst Christen mit der Zeit? und werden sie es alle, oder auch Einige nur, Andere nicht? Ist also nicht der Fall ganz derselbe, und auch die | in den symbolischen Büchern beider Kirchen anerkannte Klage, 53 daß unter vielen Berufenen nur wenige auserwählt sind, ganz dieselbe, und auch hier eine Ordnung und Auswahl nach welcher die Menschen Christen werden? Denn ob ein in der Christenheit geborner nur die Wirkungen der vorbereitenden oder auch die der wirksamen Gnade erfährt, daran muß die göttliche Anordnung eben soviel Antheil haben als daran, ob ein Jude oder Heide wirklich gläubig wurde und getauft, oder nur berufen. Und nicht besser ist es mit denen Stellen welche Herr B. als ausdrüklich gegen die kalvinische Theorie anführt, wo nämlich vom nicht kommen wollen und nicht annehmen wollen als dem Grunde der Verwerfung die Rede ist. Denn wann hätten wol Augustin und Kalvin dies geläugnet? Sondern alle diese Stellen sind noch beiden Parteien gemein, und es entsteht nun erst die Frage, in welchem Verhältniß zu diesem Nichtwollen die göttliche Anordnung und Vorherversehung stehe, und nun erst antwortet A u g u s t i n und mit ihm Kalvin: „Qui tarnen hoc non fecit nisi per ipsorum hominum voluntates, sine dubio habens humanorum cordium quo placeret inclinandorum omnipotentissimam potestatem." (de corr. et gr. 45.) Eben so ist es nun auch mit dieser feierliehen Versicherung des Apostels in Rom. 5,12-19, gegen welche die kalvinische Theorie streiten soll. Sehr ausdrüklich und deutlich kann man ohnehin diese durch fallen gelassene Structur vielfältig verwickelte Stelle nicht nennen, und es läßt sich überhaupt wol nicht so leichthin

4 - 6 Vgl. Aphorismen 92 (unten 455,7f) 10-12 Vgl. Bretschneider: Aphorismen 91 (unten 454,21-29) 17 £ Vgl. Mt 22,14 24-27 Vgl. Aphorismen 93 (unten 455,32-38) 31-34 Augustinus: De correptione et gratia 45, Benediktiner-Ausgabe BdlO, Antwerpen 1700, 511F; MPL 44,913

182

Lehre

von der

Erwählung

aus ihr argumentiren. Aber diese feierliche Versicherung, | „daß die Er- 54 lösung Christi eben so allgemein sei und sich eben so auf alle Menschen erstrecke, wie allgemein die Sünde und ihre Strafen seien," ist es nur möglich, daß Paulus diese gegeben habe? Denn da er behauptet, daß alle Menschen wirklich sündigen und wirklich sterben: so müßte er dann auch behaupten, daß alle Menschen wirklich erlöst würden und wirklich selig. Aber wie er das sonst nirgend behauptet, so giebt er auch 435 hier diese Versicherung nicht, sondern ausdrüklich sagt er: [...] oi την περισσείαν της χάριτος ... λαμβάνοντες, έν ζωη βασιλεύσουσι [...], und danach muß man doch offenbar auch das εις πάντας ανθρώπους v. 18 erklären, und höchstens also sagen, Paulus habe durch diese verstärkende Wiederholung sagen wollen, daß wenn nicht alle eben so durch Christum selig würden, wie sie durch Adam stürben, der Grund davon nicht in der in Christo liegenden erlösenden Kraft an und für sich betrachtet liege. Aber eben dieses kann auch gesagt werden ohne Kalvins Theorie aufzuheben. Denn wie er von dem ersten Menschen sagt Instit. I. cap.XV, 8: „In hac integritate libero arbitrio pollebat homo, quo si vellet adipisci posset aeternam vitam. Hic enim intempestive quaestio ingeritur de occulta praedestinatione Dei, quia non agitur quid accidere potuerit nec ne, sed qualis fuerit hominis natura", so konnte er auch von dem andern Adam sagen: wenn die Frage nicht davon ist, was geschehen wird oder kann und was nicht, sondern welche Kraft in ihm gelegen, so wird hier ganz unzeitig die Frage von der Vorherbestimmung eingemischt, sondern wir müssen einfach zugestehen, | der innern 55 Kraft nach war die Erlösung allgemein, das heißt, wenn auch die Anzahl der Gläubigen noch so sehr zunähme, so würde doch die Kraft der Erlösung alle gerecht und selig zu machen niemals erschöpft sein; und sobald an einen Menschen das Wort ergangen ist und der heilige Geist den Anfang des Glaubens in ihm gewirkt hat, kann niemals seine Begnadigung deshalb ausbleiben, weil etwa doch die Erlösung für ihn nicht bestimmt wäre, sondern zu wenig Raum hätte ihn aufzunehmen. Und so kommen wir denn, nachdem uns die zweite Art wie die Aphorismen denselben Einwurf stellen Gelegenheit gegeben zu zeigen, wie leicht man sich in der Schäzung der Schriftbeweise verrechne und täusche, endlich zu der dritten. Herr Dr. B. sagt nämlich S. 103: die ganze Lehre betreffe eigentlich den Saz, ob Gott w o l l e , daß das ganze durch die Erbsünde der Verdammniß schuldige menschliche Geschlecht durch Christum gerettet werde, und ob er die dazu erforderlichen Mit- 436

1 - 3 Vgl. Bretschneider: Aphorismen 98 (unten 458,4-7) 4f Vgl. Rom 5,12 8-10 Vgl. Rom 5,17f 16-20 Ed. Leiden (1654) 58; ed. Barth 3,186,1-5 35-2 Vgl. unten 461,2-8

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

Erwählung

183

tel keinem versage, oder ob er dieses n i c h t w o l l e und daher einem Theil die Mittel dazu vorenthalte. Gegen diese Stellung der Streitfrage möchte ich jedoch zweierlei einwenden. Einmal behauptet doch die lutherische Kirche nicht auf jede Weise und in jedem Sinne, Gott wolle, daß alle Menschen durch Christum gerettet werden. Denn es giebt ja doch einen allmächtigen Willen Gottes, und wenn Gott mit diesem allmächtigen Willen wollte daß alle Menschen gerettet würden, so müßten auch alle wirklich gerettet werden, und unrettbar müßte er erst gar nicht geschaffen haben. Nun aber | giebt ja derjenige Theil der lutheri- 56 sehen Kirche, welcher ebenfalls von der Voraussezung des menschlichen Unvermögens ausgeht und von der Nothwendigkeit des Glaubens, den der göttliche Geist durch das Wort wirken muß, dieser Theil giebt zu, daß sogar nur wenige Menschen das Wort Gottes ernsthaft annehmen und ihm aufrichtig gehorchen 32 , und daß Viele unter denen, die es anfangs freudig angenommen, hernach wieder davon abfallen. Entweder also muß zugegeben werden, daß Gott mit jenem allmächtigen Willen die Seligkeit solcher abfallenden und nicht annehmenden nicht wolle, sondern nur mit irgend einem andern Willen, oder es muß der allmächtige Wille Gottes ganz oder wenigstens innerhalb des Gebietes der menschlichen Freiheit geläugnet werden, gegen die Warnung eines angesehenen lutherischen Theologen, der wiewol seine Worte nicht immer leicht zu enträthseln sind doch hierüber wenigstens dieses sagt, daß „die Erinnerung an die Erwählungslehre noch heilsam sein könne, die Anmaßungen der Moralphilosophie, wenn sie für den Menschen eine absolute Freiheit postulirt, die mit der Natur eines Geschöpfes unvereinbar ist, zu beschränken." Oder wäre dies nicht auch die Forderung einer absoluten Freiheit, wenn die Freiheit nicht in der Thätigkeit der 437 göttlichen Allmacht mit einbegriffen wäre, so daß durch jene nichts geschehen könne, was diese nicht verord-|net habe? Allein wenn man auch 57 die göttliche Allmacht durch die menschliche Freiheit beschränken wollte und sagen, daß die Abfallenden oder nicht Annehmenden nicht „Pauci enim verbum D e i serio reeipiunt eique sincere obtemperant [ . . . ] . " „Multi quidem verbum D e i initio m a g n o g a u d i o reeipiunt, sed postea rursus deficiunt." ( S o l . d e c l a r . X I , p . 8 0 8 . 809.)

8 unrettbar] Kj (auch 5W7) unrettbare

20-26 Anspielung auf Ammon und leicht abgewandeltes Zitat aus dessen Schrift „ Ueber die Hofnung [...]" (s. oben Anm. zu 160,28) 32-34 Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1076,4f. 18-20

184

5

10

15

20

25

selig würden, davon sei ihr eigner Wille der l e z t e G r u n d bei dem man stehen bleiben müsse: was soll man in Bezug auf diejenigen sagen, an welche das W o r t gar nicht gelangt? V o n diesen drücken sich die Bekenntnißschriften der lutherischen Kirche selbst so aus: „Gott schenke manchen Völkern und Reichen sein W o r t nicht, o d e r nehme es ihnen wieder", u n d suchen die Sache nicht von seinem Willen abzuwälzen, sondern ganz wie Kalvin nur d a d u r c h zu erklären, d a ß G o t t uns nichts schuldig sei 33 , und es als einen Akt seiner Gerechtigkeit darzustellen, welches leztere ich f ü r jezt noch dahingestellt sein lasse und hernach untersuchen will. Von diesen also gesteht jener Theil der lutherischen Kirche selbst, es sei der Wille Gottes sie nicht selig zu machen durch das W o r t - denn nicht schenken u n d w e g n e h m e n ist doch wol eine Sache des Willens - und daß er ihnen die Mittel dazu versage. Sollte man aber von einem Theil der lutherischen Kirche sagen können, er habe die Lehre von dem menschlichen U n v e r m ö g e n aufgegeben und meine, „es sei nirgend gesagt, daß G o t t diejenigen die nicht Christen sind nicht doch auch selig machen wolle" ( A p h o r . S.92): so wür-|de dieser sich 58 freilich helfen k ö n n e n und sagen, G o t t wolle zwar nicht, daß diese selig w ü r d e n durch das Wort, aber er wolle d a ß sie selig würden o h n e W o r t , indem sie ihre Seligkeit selbst schaffen. Allein was hilft auch das groß, wenn einer der ( A p h . S.102 Anm.) sich nicht will wehren lassen die T i e f e n der göttlichen Weisheit zu erforschen, weil die V e r n u n f t unver- 438 meidlich dahin f ü h r e und es ihre Function sei die höchsten Regeln der Weisheit aufzusuchen, u n d das nicht bloß kalvinische sondern auch lutherische veto 34 gar nicht natürlich und billig finden will, wenn ein solcher weiter fragt: „werden dann auch alle wirklich selig durch sich

33

30 34

35

Lehre von der Erwählung

„[...] videmus, quod Deus verbum suum ... alii genti non largitur; item quod id ipsum ab uno populo aufert [...]. - „[••·] Deus nobis prorsus nihil debet [...]." - „Iustum igitur suum judicium, quod hominum impietas meretur, conspiciendum in quibusdam regnis, populis, personis proponit [...]." (Sol. declar. XI, p. 813.) „Quaecunque autem cogitationes et quicunque sermones extra hos limites in hac disputatione evagari volent, eos statim cohibeamus, et cum D. Paulo labellum digito compescamus, memores dicti: Ο homo tu quis es, qui responses Deo." (Sol. decl. XI, p. 814.)

19 würden o h n e ] würdan ohne

27 videmus] Videmus

33 D.] D (Abk. für Divo)

15-17 Vgl. unten 455,7f 21-25 Vgl. unten 460,40-43 27-31 Concordia (Leipzig 1732) 813f; BSLK 1080,14-18.1081,5/12-15 32-35 Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1081,36-42 33 Statt Deo. Q : Deo?

Lehre von der Erwählung

185

selbst?" und nachdem dieses verneint worden noch weiter fragt: „warum dann nicht? hätte etwa nicht ihre V e r n u n f t durch äußere U m stände kräftiger unterstüzt auch wirksamer werden können? oder haben sie einen schwachen Willen von Gott schon empfangen? und was hat denn der Mensch außer seinem Willen von Gott empfangen, wodurch er sich den schwachen Willen stärken könne?" was wird doch gegen diesen zu machen sein, als daß man entweder auf den allmächtigen Willen Gottes zurükgehe, der den einen Menschen gemacht hat, daß er am Ende seines Lebens so geworden ist und den andern daß so, oder daß man in dem Menschen auf ein völlig grundloses Wollen zurükgehe, | welches dann die göttliche Allmacht in menschlichen Dingen 59 ganz aufhebt, so daß ihr nichts übrig bleibt als nur dies grundlose Wollen gewollt und gemacht zu haben. Doch dieses nur beiläufig; denn die Voraussezung von der Selbstgenügsamkeit des Menschen um seine Seligkeit zu schaffen ist nicht der Boden auf welchem der Streit zwischen beiden Kirchen geführt wird, und bei ihr kann auch nach einem Willen Gottes alle Menschen durch Christum selig zu machen nicht gefragt werden, und ich habe dieses mitgenommen nicht um meinerseits den Streit zu einer Aufgabe f ü r die spekulative Philosophie zu sublimiren, sondern nur um auf dem rein theologischen Gebiet die Fälle wie sie vor 439 uns liegen so zu erschöpfen, daß wir bis an die Grenze desselben kämen. Und hier nun scheint mir die Sache so zu liegen. Es giebt Eine Allgemeinheit der Erlösung, welche die kalvinische Lehre eben so gut vorträgt als die lutherische, nämlich daß, was die dem Akt der Erlösung durch Christum einwohnende Kraft betrifft, man sehe nun auf das O p fer Jesu oder auf die Lehre Jesu oder auf die von ihm gestifteten Gnadenmittel, darin kein Hinderniß liegt, daß nicht jeder Mensch, wenn nur Gott es so leitet daß das Wort an ihn gelangt, so daß der heilige Geist ihn durch den Glauben mit Christo verbindet, durch Christum könne heilig und selig werden 3 5 . Kai vi η selbst drükt dieses deutlich genug aus I n s t i t . III, I, 1, wo ich nur auf die Worte: „[...] quicquid in

35

ύπέρ απάντων [...] γαρ άπέθανεν εις τό σώσαι πάντας τό αύτοΟ μέρος [...] ού πάντων δε τάς άμαρτίας άνήνεγκε, δια τό μή πάντας πιστεϋσαι. Chrys. ad Ebr. IX, 28. Τ. XII, p. 166.

32 αύτοϋ] άυτοϋ

34 166] 168

18 f Anspielung auf Bretschneider: Aphorismen 102f (unten 460,15-17) 32-34 Joannes Chrysostomus: In Epistolam ad Hebraeos homilia 17,2 (Hebr 9,28), ed. B. de Montfaucon Bd 12, Paris 1735, 166C; MPG 63,129 33 Statt πάντας πιστεϋσαι Q : θελησαι αυτούς 31 u. I f Ed. Leiden (1654) 183.184; ed. Barth 4,1,1 lf.26f

186

5

10

15

20

sa-|lutem humani generis passus est ac fecit [...]", und: „[...] ne salus 60 per hunc parta nobis effluat", hinweise. U n d A u g u s t i n u s : „Et quis magis dilexit infirmos, quam ille qui p r o o m n i b u s est factus infirmus et p r o o m n i b u s ex ipsa infirmitate crucifixus." ( d e c o r r . et gr. 49.) Es giebt aber eine andere Allgemeinheit der Erlösung, welche die lutherische Kirche, sofern sie noch zugiebt, daß der Glaube durch den heiligen Geist muß gewirkt werden, eben so wenig verträgt als die kalvinische, nämlich die Allgemeinheit des Erfolgs, daß wirklich alle Menschen durch Christum gerecht und selig würden 3 6 , und beide unterscheiden sich eigentlich nur in der Art das Gegentheil dieser Allgemeinheit auszudrücken, indem die Einen sagen, Einige würden nicht selig, weil Gott ihnen den Glauben nicht geben wolle, die Andern aber, sie würden es deshalb nicht, weil Gott vorausgesehen, daß sie den Glauben nicht annehmen würden, welches offenbar in Beziehung auf die Allgemeinheit der Erlösung gar keinen Unterschied macht 37 ; und wenn die Nachfolger des Kalvin sich hier haben zu verneinenden Ausdrücken 440 treiben lassen, zu | denen sie durch das Wesen ihrer Lehre nicht ge- 61 drängt wurden: so muß man dieses nicht der Lehre zurechnen, sondern der ungeschikten Vertheidigung. Diejenigen aber, welche der Meinung sind, der Mensch müsse den Glauben in sich selbst bewirken, nähern sich freilich einigermaßen denen, welche behaupten, der Mensch könne 36

25 37

30

Lehre von der Erwählung

Was daher Herr Dr. B. (S. 112) aus Art.XI. der Expos, simpl. anführt, kann und muß jeder rechtgläubige Lutheraner auch annehmen, wenn er nur hinter den Ausdrücken nichts anders sucht, als was sie wirklich enthalten. Denn hier ist beides nebeneinandergestellt, die allgemeine Zulänglichkeit der Kraft und die Beschränktheit des Erfolges. Daraus daß Herr Dr. B. (S. 110) von der Confessio helvet. ausdrüklich erweiset, sie sage nicht daß Gott alle Menschen in Christo zur Seligkeit erwählt habe, möchte ein Unkundiger leicht schließen, die lutherische Kirche sage dieses; sie sagt aber auch nur: „Illius aeter-|num propositum est, quod 61 omnes qui poenitentiam vere agunt et Christum vera fide amplectuntur iustificare ... velit." und: „Ille item in aeterno consilio suo decrevit, quod e o s q u o s e l e g i t ... salvos facere et aeterna gloria ornare velit." (Sol. decl. p. 802. 803.)

30 Illius] illius

32 Ille] ille

2-4 Augustinus: De correptione et gratia 49, Benediktiner-Ausgabe BdlO, Antwerpen 1700, 514C; MPL 44,916 4 Statt crucifixus. Q : crucifixus? 22 Vgl. unten 465,26-32 27-29 Vgl. unten 464,29-31 30-34 FC XI, Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1069,23-27.1070,1-5

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

35

187

Erwählung

überhaupt, auch anders als nur durch den Glauben, sich selbst helfen; aber auch die lezteren mögen nur an die Stelle der Allgemeinheit der Erlösung die Allgemeinheit der Seligkeit sezen, und werden dann eben so gut eine solche zwiefache Allgemeinheit erhalten und die eine annehmen müssen, die andere aber läugnen, indem sie nämlich sagen, in der Vernunft des menschlichen Geschlechtes an sich betrachtet sei Kraft genug alle zur Vollkommenheit und durch sie zur Seligkeit zu führen, das Leben aber entwikle nicht in allen Einzelnen die Vernunft in diesem Grade; so daß hierin gar kein Unterschied statt findet, außer wenn man eine völlige Gleichmachung aller Menschen annimmt. Bleiben wir aber bei der alten kirchlichen Voraussezung, so werden wir sagen müssen, beide Kirchen stimmen darin überein, daß recht verstanden das Wort Christi ein allgemeines sei, das Geschäft des heiligen Geistes aber ein besonderes. Indem wir nun von der kalvinischen Theorie weder für das praktische Christenthum noch für | die allgemeine Theorie des Christenthums 62 die nachtheiligen Folgen scheinen befürchten zu dürfen, welche ihre Gegner ihr beigelegt haben: so können wir uns gar nicht geneigt finden, weder die Voraussezung aufzugeben um der Folgen willen, die aus der Folgerung hervorgehn sollen, noch statt der strengen Folgerung uns 441 auf eine minder strenge zurükzuziehen, durch welche die Voraussezung selbst wieder theilweise aufgehoben wird. Hier aber müssen wir uns nothwendig fragen, was hat denn die lutherische Kirche, die doch auch von des Augustinus Lehren ausging, bewogen sie in diesem einzelnen Punkt zu verlassen, und wie hat sie sich selbst verborgen, daß sie durch ihren Ausdruck der Erwählungslehre allerdings die gemeinschaftliche Voraussezung von der Unentbehrlichkeit der göttlichen Gnade einigermaßen verdunkle? Schwerlich nun kann man sich jene Frage anders beantworten als so: sie hat die Härte und Strenge des Ausdrucks gescheut, Gott solle bestimmt nicht wollen, daß einige Menschen selig würden, und seine Vorherbestimmung solle der lezte Grund sein, daß einige verdammt würden. Und um dem auszuweichen hat sie auf der einen Seite einen zwiefachen Willen Gottes angenommen, den freilich die patristische und scholastische Behandlung auch schon darbot, einen Willen Gottes der - um es in der neuesten Sprache der Aphorismen auszudrücken - in d e r Idee aller gefallenen Menschen Beseligung b e a b s i c h t i g t , und einen andern vermöge dessen in der E r f a h r u n g doch nicht alle Menschen w i r k l i c h selig w e r d e n , oder - nach der äl-|teren Sprache - einen vorhergehenden und einen nachfolgenden 63

32-1 Vgl. ζ. B. unten Anm. 38 451,1-15)

35-38 Vgl. Bretschneider: Aphorismen

85f

(unten

188

5

10

15

20

25

30

35

Lehre von der

Erwählung

Willen Gottes. Auf der andern Seite aber hat sie, daß ich so sage, einen halben Willen Gottes angenommen, indem sie sagt, daß die Vorherbestimmung nur auf die Erwählten sich erstrekt, auf die Verworfenen aber gar nicht, sondern diese werden verdammt ohne einen s o l c h e n göttlichen Willen, als durch welchen die Erwählten selig werden. Was nun den ersten Unterschied betrifft, so ist es derselbe, den die Dogmatiker durch die Ausdrücke eines vorhergehenden Willens und eines nachfolgenden zu bezeichnen pflegten, und es ist auch allgemein angenommen, daß diejenigen, welche die kalvinische Formel anerkennen, einen solchen Unterschied nicht annehmen. Es ist daher auch nicht ganz richtig, wenn H e r r D r . B. (S.85) sagt, daß nach der kalvinischen Lehre der Wille Gottes auch in der Idee nur einer gewissen Anzahl von Menschen 442 die Beseligung zugedacht habe. Denn wer einen solchen Gegensaz von Willen in der Idee und der Ausführung, von vorhergehendem und nachfolgendem gar nicht annimmt, von dem kann auch nicht gesagt werden, daß nach seiner Meinung etwas sowol nach dem einen als nach dem andern geschähe: sondern dadurch wird die Meinung schon entstellt, welche nicht etwa eine besondere Anwendung dieses Gegensazes von der H a n d weiset, sondern den ganzen Gegensaz nicht will. Man muß vielmehr sagen: Kalvins Lehre beruht darauf, daß er solche Unterscheidungen des Willens in Gott gar nicht zu denken vermag. Und das gilt streng genommen nicht nur von dieser son-|dern von jeder ähnli- 64 chen Unterscheidung, und seine Vertheidiger, wenn sie sich einiger solcher auch zu bedienen scheinen, verlassen ihn entweder, oder lassen sich herab mit ihren Gegnern in deren eigner Sprache zu reden, ohne doch ihre Meinung zu theilen, was immer bedenklich ist und neue Mißverständnisse veranlaßt. Eben dieses nun ist vorzüglich die Ursache, weshalb ich nie anders konnte als mich auch zu der kalvinischen Formel bekennen, weil ich mich auf solche Unterschiede nicht verstehen kann. Der Ausdruck v o r h e r g e h e n d und n a c h f o l g e n d führt auf einen Unterschied in der Zeit, und so ist auch oft genug darüber geredet worden. N u n sagen zwar die Verfechter jenes Unterschiedes, sie meinten keinesweges eine Abänderung in dem göttlichen Willen, ein anderes Vorher und ein anderes Nachher, aber schon aus den verschiedenen Erklärungen, welche sie geben, sieht man, daß die Eintheilung nur gemacht ist um des einzelnen Falles willen, von welchem hier die Rede ist. Denn einige 38 führen den Unterschied auf den der göttlichen Eigen38

S. G e r h . l o c i e d . C o t t . T . III. p . 2 0 1 .

11-13 Vgl. unten 451,7-9 38 Gerhard: Loci theologici, ed. Cotta Bd3, Tübingen 1764, 201f (Locus 2: De natura dei et attributis divinis, §271); ed. Preuss Bdl, Berlin 1863, 359

Lehre von der Erwählung

189

Schäften z u r ü c k ; d e r v o r h e r g e h e n d e Wille, d a ß n ä m l i c h alle M e n s c h e n selig w e r d e n sollen, ist, s a g e n sie, d e r Wille d e r g ö t t l i c h e n B a r m h e r z i g keit, d e r n a c h f o l g e n d e Wille aber, d a ß die U n g l ä u b i g e n v e r d a m m t w e r d e n , ist d e r W i l l e d e r g ö t t l i c h e n G e r e c h t i g k e i t . N u n will ich n i c h t einmal d a v o n r e d e n , d a ß G o t t n i c h t v e r m ö g e E i n e r E i g e n s c h a f t e i n e n a n d e r n Willen h a b e n k a n n als v e r m ö g e e i n e r a n d e r n , i n d e m s o n s t die E i n h e i t | seines W e s e n s z e r s t ö r t wird, s o n d e r n n u r dieses e r i n n e r n , d a ß d o c h d e r Wille, d u r c h w e l c h e n die G l ä u b i g e n n u n d e f i n i t i v w i r k l i c h selig w e r d e n , d e r s e l b e sein m u ß , als der, d u r c h d e n die U n g l ä u b i g e n w i r k lich v e r d a m m t w e r d e n , wie a u c h die n e u e r e E r l ä u t e r u n g mit sich b r i n g t , w e l c h e besagt, d a ß G o t t in d e r I d e e die Seligkeit aller M e n s c h e n b e a b sichtigt, in d e r A u s f ü h r u n g a b e r sie n u r E i n i g e n ertheilt. D e n n h i e r ist es g a n z e i n f a c h z u sagen, d a ß a u c h die E r w ä h l t e n n i c h t d u r c h d e n b e a b s i c h t i g e n d e n W i l l e n w i r k l i c h selig w e r d e n , s o n d e r n d u r c h d e n e r t h e i l e n d e n , u n d d a ß in d e m b e a b s i c h t i g e n d e n e n t w e d e r g a r k e i n e V o r h e r b e s t i m m u n g d e r E i n z e l n e n liegen k ö n n e , u n d d a n n ist e r g a n z u n w i r k sam u n d leer, o d e r es m u ß eine zweiseitige d a r i n liegen. N a c h d e r älteren E r k l ä r u n g s w e i s e w i r d die Sache n i c h t so e i n f a c h , d e n n es w i r d n i c h t d e r g ö t t l i c h e n G e r e c h t i g k e i t z u g e s c h r i e b e n , d a ß die G l ä u b i g e n selig w e r d e n , s o n d e r n e b e n d e r B a r m h e r z i g k e i t ; a b e r d a r a u s f o l g t n u r , daß man unterscheiden müßte u n d der göttlichen Barmherzigkeit einen doppelten Willen zuschreiben, den allgemeinen aber unwirksamen, d a ß a l l e M e n s c h e n selig w e r d e n s o l l e n , u n d d e n b e s o n d e r e n , v e r m ö g e dessen die G l ä u b i g e n w i r k l i c h selig w e r d e n . O d e r es k ö n n t e a u c h j e m a n d d e r a u c h d e n A u g u s t i n u s n i c h t g r a d e in allem l o b e n w o l l t e d a g e g e n streiten wollen, d a ß die G l ä u b i g e n n i c h t d u r c h die g ö t t l i c h e G e r e c h t i g k e i t selig w ü r d e n , i n d e m sie ja ein R e c h t e r w o r b e n h ä t t e n d u r c h die g ö t t l i c h e V e r h e i ß u n g , u n d weil d a s W o r t h a l t e n z u r G e r e c h t i g k e i t g e h ö r e ; u n d w e n n m a n a u c h dies nicht | z u g e b e n w o l l e , so w e r d e m a n doch zugeben müssen, d a ß überhaupt das Unterscheiden der Gläubigen v o n d e n U n g l ä u b i g e n d e r g ö t t l i c h e n G e r e c h t i g k e i t g e b ü h r e , weil alle G e r e c h t i g k e i t v o m U n t e r s c h e i d e n a u s g e h e , die B a r m h e r z i g k e i t a b e r u n t e r s c h e i d e nicht, u n d so sei a b e r m a l s d e r v o r h e r g e h e n d e Wille d e r n i c h t u n t e r s c h e i d e n d e a b e r a u c h völlig u n w i r k s a m e , d e r w i r k s a m e Wille G o t tes aber sei d e r n a c h f o l g e n d e , u n t e r s c h e i d e n d e , u n d w e n n n u n das v o r h e r g e h e n d u n d n a c h f o l g e n d doch keine A b ä n d e r u n g u n d keinen U n t e r s c h i e d in d e r Zeit b e d e u t e n solle, so w ä r e d a n n d e r w i r k s a m e u n t e r s c h e i d e n d e göttliche Wille n a c h b e i d e n Seiten hin gleich u n d a u c h gleich ewig m i t d e m u n w i r k s a m e n . W i e n u n a b e r G o t t ü b e r d e n s e l b e n G e g e n s t a n d e i n e n w i r k s a m e n Willen h a b e n k ö n n e u n d einen u n w i r k s a m e n , das ist e b e n w a s ich m i t Kalvin n i c h t b e g r e i f e . Z w a r d i e s e n U n t e r schied, w i r d m a n e n t g e g n e n , z w i s c h e n e i n e m w i r k s a m e n u n d e i n e m u n w i r k s a m e n W i l l e n G o t t e s m ü s s e m a n d o c h auf j e d e n Fall z u g e b e n in

443

65

66

444

190

5

10

15

20

25

Erwählung

Beziehung auf die göttlichen Geseze, weil diese nicht erfüllt werden; allein ich lobe den Kalvin, welcher diese beiden Begriffe g ö t t l i c h e s G e b o t und g ö t t l i c h e r W i l l e nicht mit einander vermischen will 39 , zunächst weil die Bösen, indem sie eine böse H a n d l u n g thun, doch dasjenige vollbringen, wovon Gott wollte es solle ge-|schehen, dabei aber 67 handeln sie doch gegen Gottes Gebot; dann aber auch deswegen, weil selbst die Guten immer nur annäherungsweise die göttlichen Gebote erfüllen können, wenn wir aber sagen wollten, Gottes Wille geschehe nur unvollkommen, wir dann die göttliche Allmacht aufheben müßten. Sondert man nun so das göttliche Gebot: so zeigt sich auch jener Unterschied in seiner ganzen Leere, und der vorhergehende Wille Gottes ist nach dieser Erklärung eben deshalb kein Wille Gottes, weil er ein unwirksamer wäre. Hätte aber irgend jemand es so verstanden, jenes, daß alle Menschen sollen selig werden, sei ein Gebot Gottes, das heißt alle Menschen sollten so handeln, daß soviel an ihnen ist alle selig würden, so stritte dieses so wenig gegen die kalvinische Lehre, daß vielmehr Augustin und Kalvin dieses selbst oft genug gesagt haben 40 . Andere wie- 445 derum erklären den vorhergehenden und nachfolgenden Willen Gottes so, daß der erste zu seinem Gegenstand habe den Menschen als Mensehen, der andere aber den Verworfenen als Verworfenen. Hier nun ziehe ich dieselben Züge, daß auch der Gläubige selig wird nicht als Mensch sondern als Gläubiger, daß also der wirksame Wille Gottes auf beiden Seiten derselbe ist, nämlich der nachfolgende, der vorhergehende aber ein unwirksamer, weil nichts einem Men-|schen geschieht 68 bloß als Menschen. Der Unterschied ist nur der, daß diese Erklärung vermeidet den zwiefachen Willen auf die göttlichen Eigenschaften zurükzuführen, weil sie eben fühlt wie schwierig das ist, und sie knüpft 39

I n s t i t . I, X V I I I , 4. „Perperam enim miscetur cum praeeepto voluntas, quam longissime ab illo differre innumeris exemplis constat." Ist diese Unterscheid u n g klar, s o ist man auch bald damit einverstanden, d a ß überall und o h n e alle A u s n a h m e die göttliche Absicht und der wirkliche Erfolg nicht zweierlei sei, sondern immer eines und dasselbe.

40

Statt aller andern stehe nur die eine Stelle des Augustinus hier: „[...] pot- 445 est etiam sic intelligi, quod omnes homines Deus vult salvos fieri quoniam

30

35

Lehre von der

n o s facit velle [ · · · ] • " ( d e c o r r . e t gr. 47.) D e n n das läuft auf dasselbe hinaus.

33 f potest] Potest

35 47] 48

17-20 Vgl. z.B. Gerhard: Loci theologici, ed. Cotta Bd 3,202; ed. Preuss Bd 1,359 28f Ed. Leiden (1654) 73; ed. Barth 3,225,27-29 33-35 Augustinus: De correptione et gratia 47, Benediktiner-Ausgabe Bd 10, Antwerpen 1700, 513 A; MPL 44,915

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

35

40

191

Erwählung

ihn lieber an den Gegensaz zwischen dem Allgemeinen und Besondern. Aber ob das wol richtiger ist, und man von Gott sagen kann, das Allgemeine und das Besondere seien für ihn verschiedene Gegenstände, man meine nun des Erkennens oder des Wollens? Denn es ist ja nur die UnVollkommenheit unserer Erkenntniß, daß die Einheit des Allgemeinen etwas anderes für uns ist als die Allheit des Besondern, und unsere Erkenntniß ist nur desto wahrer und lebendiger je mehr beides in einander aufgeht. Erst wenn wir uns die Verbreitung, die Menge und die Verschiedenheiten der unter eine Gattung gehörigen einzelnen Dinge aus dem Begriff der in ihrem Zusammenhang mit dem Ganzen erkannten Gattung entwickeln können, erst dann ist der allgemeine Begriff aus einem abgezogenen todten Rechnungsergebniß eine lebendige Anschauung geworden. Wieviel mehr also müssen wir sagen, daß in der göttlichen Erkenntniß das Allgemeine und das Besondere völlig in einander aufgehn muß, und daß, wenn wir uns eines von dem andern auch in Gott abgesondert denken, uns eine Vermenschlichung beschleicht und zwar eine nicht unvermeidliche. Eben so nun verhält es sich auch mit dem Wollen. Denn gewiß ist auch das eine Unvollkommenheit, daß 446 wir uns etwas im Allgemeinen, welches nur heißt seiner Möglichkeit nach, vorsagen, hernach aber, wenn die einzelnen Fälle | in ihrer Be- 69 stimmtheit eintreten, der Wille sich theilt; in Gott aber kann ein solcher allgemeiner und unbestimmter Wille nicht gedacht werden, weil in ihm nur die bestimmteste Erkenntniß der Gegenstände seines Willens und keine unbestimmte gedacht werden muß. Verwirft er den Verworfenen nur als Verworfenen, so begnadigt er den Gläubigen auch nur als Gläubigen; außer diesen beiden Beschlüssen aber weiß ich dann auch keinen göttlichen Willen über die Seligkeit der Menschen als Menschen auszusprechen, sondern immer nur eben diesen, daß unter den Menschen die Gläubigen um Christi willen begnadigt werden, die Ungläubigen aber, weil außer Christo, verworfen. Gern also möchte auch ich die Ausdrücke mildern, aber ich kann dies nicht um einen solchen Preis wünschen, daß ich Gott über denselben Gegenstand einen zwiefachen Willen zuschreibe und mir dadurch die Einheit seines Wesens zerstöre. Und eben so geht es mit jenem halben Willen, daß es eine VorherbeStimmung Gottes nur über die Erwählten gebe, über die Verworfenen aber habe Gott nichts vorherversehen und verordnet, sondern nur was ihnen begegnen werde vorhergewußt. Denn wenn Gottes Vorherwissen weiter geht als sein Vorherverordnen: so geht auch überhaupt sein Wissen über sein Hervorbringen hinaus, also bleibt sein Hervorbringen hinter seinem Wissen zurück, und er ist eben dadurch geworden wie

34-37 Vgl. ζ. B. FC XI (s. oben Anm. 29)

40 f Anspielung

auf Gen 3,22

192

Lehre von der

Erwählung

unser Einer 41 . Ja er ist weit mehr so | geworden, als man auf den ersten 70 Anblick denkt; denn wenn wir uns nun vorstellen sollen, woher doch er das wisse, was er nicht hervorgebracht: so kommen wir unvermeidlich in die vollständigste Vermenschlichung hinein. U n d wiederum, wenn einiges erfolgt, nämlich die Verdammung der Ungläubigen, was Gott nicht gewollt: so ist Gottes Wille auf eine bestimmte Weise beschränkt, 447 und er muß durch Etwas beschränkt sein, was als ihn beschränkend ihm gegenüber steht, und wir kommen unvermeidlich in den vollkommenen Manichäismus hinein, gleichviel ob jenes entgegenstehende Princip in dem Menschen ist oder außer ihm. Auch diese mildernde Maßregel also kann ich nicht theilen; und wenn einige Reformirte auch nur auf eine beschränkte Weise durch eine Unterscheidung zwischen eigentlicher und nicht eigentlicher göttlicher Vorherbestimmung daran Theil genommen, so will ich dieses nicht rechtfertigen noch sie von aller Inconsequenz freisprechen; denn hier muß alles gleich eigentlich sein, weil diese Lehre sich nur behaupten kann in ihrer größten Strenge. Darum kann ich auch den Kalvin nicht anders als loben, daß er den in der Sprache des gemeinen Lebens und der Erbauung so allgemein gehörten Unterschied zwischen göttlicher Vorherbestimmung und göttlicher Zulassung im Gebiet der wissenschaftlicheren Lehre gar nicht will gelten lassen 42 . Denn was Gott nur zulies-|se, das müßte seinen lezten 71 positiven Bestimmungsgrund anderwärts haben. H a t es ihn nun in einem andern von Gott vorherbestimmten, so ist es mit diesem zugleich ja wirklich vorherbestimmt; hat es ihn aber nicht in einem solchen, so ist es auch wirklich außerhalb des göttlichen Willens gestellt, und die Zulassung ist entweder nur eine schlecht verkleidete Abläugnung der göttlichen Allmacht, oder sie geht von einer andern Seite wieder in die Vorherbestimmung zurück, wenn sie erklärt wird als ein Nichtverhin41

42

„[.. ,]quum n o n alia ratione, quae futura sunt praevideat, nisi quia ita ut fierent decrevit [ . . . ] " , sagt d a g e g e n Kalvin (Instit. III, X X I I I , 6.). I n s t i t . I, c a p . X V I I I , 1. „ [ . . . ] satis superque liquet nugari e o s et ineptire, qui in locum providentiae D e i n u d a m permissionem substituunt, acsi in specula sedens expec-|taret fortuitos eventus, atque ita eius iudicia penderent ab h o - 71 minum arbitrio."

29 quum] Quum

30 satis] Satis

11-14 Vgl. Bretschneider: Aphorismen 126 (unten 467,37-468,12) 29f Ed. Leiden (1654) 338; ed. Barth 4,401,3f 31-34 Ed. Leiden (1654) 71; ed. Barth 3,221,19-23

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

193

dernwollen, und die Kraft, welche nicht verhindert wird, doch selbst von der göttlichen Anordnung abhängig gemacht ist. Darum wollen wir diesen Unterschied getrost fahren lassen, der in der That nur verbirgt und nicht ans Licht bringt, und wollen dreist heraus sagen, wenn ein 448 Mensch, der das Wort gehört, dennoch, ehe der Glaube in ihm gewirkt worden ist, stirbt: so ist das nicht nur Gottes Zulassung, sondern es ist seine Vorherversehung, welche dadurch allen zuruft: „Heute so ihr meine Stimme höret verstocket eure Herzen nicht." Eben so wenn das Böse, welches in einem einzelnen Menschen doch schon ist, nachdem es lange im Innern verborgen gewesen ist, plötzlich einmal herausbricht in was immer für schreklichen Thaten: so ist auch das nicht nur Gottes Zulassung, sondern auch Gottes Vorherbestimmung, damit das Böse ans Licht komme um von dem Guten geprüft zu werden, denn sonst kann es | nicht überwunden werden 43 . Ja auch daß das Böse, welches we- 72 gen des Falles in der menschlichen Natur ist, in einigen Menschen stärker sich ansammelt, daß sie vor andern böse sind, in andern aber weniger, so daß sie besser erscheinen: auch dieses ist nicht nur Gottes Zulassung, sondern auch Gottes Vorherbestimmung, weil nur in diesen Unterschieden der ganze Umfang des Bösen angeschaut werden kann und also die rechte Erkenntniß der Sünden entstehen. Und alles dieses, weil es die beständige Vorbereitung zur Erlösung ist, halte ich nicht nur für Zulassung sondern für Vorherbestimmung, damit nicht einer komme und mich das alte frage: wenn alles das nur göttliche Zulassung sei, wodurch Gott das Werk der Erlösung fördere, ob nicht dann auch die Erlösung selbst nur Zulassung sei44, da sie ja auch nicht geworden sei ohne daß einer darüber verloren gegangen? und ob ich im Ernst das so sezen wolle, daß die Erlösung zwei einander beigeordnete Ursachen gehabt, zuerst Gott, der Christum gesendet nach seinem Rathschluß, und dann Judas, ohne den der göttliche Rathschluß nicht wäre zu seinem Ziel gekommen, hätte er nämlich nicht Christum verrathen, nicht nach 449 Gottes Rathschluß und Vorherbestimmung, sondern nach seiner Zulas43

35

Erwählung

44

Und dies ist das von Hrn. Dr. B. S. 112. aus C o n f . g a l l . §.VIII. getadelte: „ [ . . . ] ut quicquid illi male agunt, id ipse sicut iuste ordinavit [...], sie etiam in bonum convertat." Und schon deshalb sehe ich nicht, wie man (S. A p h o r . S. 113.) das „ordinavit" von dem Sündenfall läugnen sollte, weil sonst das größte Werk Gottes, die Erlösung, nur auf einer Zulassung beruhen müßte.

7i Vgl. Ps 95,7f Hebr3,7/15.4,7 ten 465,37-40

32-34 Vgl. unten 465,21-466,10

35f Vgl. un-

194

5

10

15

20

25

30

35

40

Lehre von der

Erwählung

s u n g . D e n n h i e r f ü r c h t e i c h m i c h i n | d a s M a n i c h ä i s c h e z u f a l l e n , w e n n 73 d e r F r a g e n d e n o c h weiter g e h t u n d m i r z u r u f t , ich w ü r d e m i c h d o c h w e n i g s t e n s s c h ä m e n bei d e m J u d a s s t e h e n z u bleiben, s o n d e r n w i e d e r a u f d e n T e u f e l z u r ü k g e h e n m ü s s e n , u n d d a n n sei n a t ü r l i c h , w a s in G o t t n u r Z u l a s s u n g sei, d e s T e u f e l s V o r h e r b e s t i m m u n g ; u n d es w i r d g a r nichts m e h r f e h l e n , d a ß ich n i c h t z u l e z t n o c h z u g e s t e h e n m u ß , w a s G o t t e s V o r h e r b e s t i m m u n g g e w e s e n , sei e b e n s o i m T e u f e l Z u l a s s u n g . U n d d i e s e s e b e n ist d e r g r o ß e P u n k t d e r s o o f t ü b e r s e h e n w i r d in d i e s e m Streit, d a ß die strenge a u g u s t i n i s c h e u n d kalvinische L e h r e aus zwei gleich wesentlichen E l e m e n t e n der christlichen F r ö m m i g k e i t z u s a m m e n g e s e z t ist. D i e v i e l b e s p r o c h e n e a n t i p e l a g i a n i s c h e S e i t e n ä m l i c h b e r u h t d a r a u f , d a ß d e r C h r i s t k e i n reines u n d f r e u d i g e s B e w u ß t s e i n irg e n d e i n e s G u t e n h a b e n k a n n , w e n n e r e s n i c h t als e i n e G a b e G o t t e s u m C h r i s t i w i l l e n e r w i e s e n a n s i e h t , u n d s o w i e e r es s i c h s e l b s t z u schreibt, gleich die volle G e m e i n s c h a f t seines D a s e i n s mit G o t t gestört f ü h l t ; a b e r e b e n s o w e s e n t l i c h ist d i e e b e n a n g e d e u t e t e a n t i m a n i c h ä ische Seite, w e l c h e n i c h t s o b e s t i m m t u n d a l l g e m e i n a n e r k a n n t w i r d , d a r a u f b e r u h e n d , d a ß es k e i n r e i n e s u n d f r e u d i g e s G e f ü h l d e r g ö t t l i c h e n A l l m a c h t g i e b t , w e n n n i c h t a l l e s a u f g l e i c h e W e i s e in d e m E i n e n u n d untheilbaren, ewigen u n d tadellosen Willen u n d Rathschluß Gottes g e g r ü n d e t ist, u n d d a ß , s o w i e d e r M e n s c h i r g e n d e t w a s a u f i r g e n d e i n e W e i s e h i e v o n a u s n i m m t , er sich t r o s t l o s e r W e i s e u n t e r die M a c h t u n d in die G e m e i n s c h a f t n o c h eines a n d e r n u n d z w a r G o t t w i d e r s t r e b e n d e n W i l l e n s v e r s e z t f ü h l t . | W a s n u n a u s d i e s e n b e i d e n c h r i s t l i c h e n G r u n d - 74 gefühlen gleichmäßig hervorgeht, das m u ß auch, da jede christliche W a h r h e i t auf d e r einen Seite die S e l b s t g e n ü g s a m k e i t des M e n s c h e n , auf d e r a n d e r n die Unzulänglichkeit Gottes läugnet u n d ausschließt, n o t h w e n d i g mit aller christlichen W a h r h e i t ü b e r e i n s t i m m e n , u n d recht v e r s t a n d e n k a n n d e n n a u c h nichts d a r a u s folgen, was f ü r ein christlic h e s G e m ü t h i r g e n d e i n e r M i l d e r u n g b e d ü r f t e . D a r u m w i l l i c h , e h e i c h 450 irgend eine M i l d e r u n g a n n e h m e , welche die Z u s a m m e n s t i m m u n g dieser b e i d e n G r u n d p f e i l e r a u c h n u r e i n i g e r m a ß e n verdeckte, lieber a u c h dieses z u g e b e n , d a ß w e n n w i r k l i c h einige M e n s c h e n gleichviel o b viele o d e r w e n i g e v e r d a m m t w e r d e n , auch dieses nicht eine b l o ß e Zulassung, s o n d e r n , e b e n s o g u t als d a ß a n d e r e b e g n a d i g t w e r d e n , e i n e V o r h e r v e r s e h u n g u n d B e s t i m m u n g G o t t e s ist, u n d w i l l n u r f r a g e n , w e n n d o c h d i e l u t h e r i s c h e K i r c h e a u c h a n n i m m t , d a ß E i n i g e v e r l o r e n g e h e n , u n d es m i t d e r V a t e r l i e b e G o t t e s v e r t r ä g l i c h f i n d e t , d a ß u m a l l e M e n s c h e n als freie W e s e n b e s t e h e n zu lassen er die M ö g l i c h k e i t ordnete, d a ß einige k o n n t e n d u r c h ihre Freiheit ins V e r d e r b e n g e f ü h r t w e r d e n , u n d mit d e r A l l m a c h t G o t t e s verträglich, d a ß er die W i r k l i c h k e i t d a v o n zugelassen, w e n n sie d o c h d i e s e s a n n i m m t , u m w e l c h e r n o c h n i c h t i m v o r i g e n a b g e w e n d e t e r F o l g e r u n g e n w i l l e n sie d e n n d e n r e i n e n u n d s t r e n g e n A u s -

Lehre von der

5

10

15

20

25

195

druck verwirft, daß die Seligkeit der Einen und die Verdammniß der Andern in gleichem M a ß und auf gleiche Weise göttliche Vorherbestimmung sei. Denn den Grund wollen wir doch nicht viel gelten lassen, daß die | Schrift selbst vermeide den Ausdruck Vorherbestimmung auf 75 die nachtheilige Seite hinüberzuziehen; denn um das W o r t handelt es sich doch nicht, sondern um das gleichmäßige Hervorgehen aus dem allmächtigen also auch unwiderstehlichen Willen Gottes 4 5 . Das nächste nun, was zu beseitigen wäre, möchte dieses sein, daß wenn die Verdammniß Einiger in der göttlichen Vorherbestimmung gegründet ist, und das Böse welches sie zur Verdammniß f ü h r t in dem Sündenfall, alsdann auch der Sündenfall müsse in der göttlichen Vorherbestimmung gegründet, und also Adam zum Sündenfall bestimmt gewesen sein. 451 Diese Folgerung läugnet Kalvin nicht, und verbittet sich auch hier auf das bestimmteste die Aushülfe durch den Begriff der Zulassung 4 6 . U n d in der T h a t nicht nur kann man auf Adams erste Sünde das oben gesagte anwenden, daß das Nichtverhindernwollen eines Erfolgs in Gott nothwendig ein bestimmtes Wollen dieses Erfolges ist; sondern je mehr man, wie Kalvin auch thut, | den ganzen erlösungsbedürftigen Zustand 76 des menschlichen Geschlechtes, auf den ja alle Führungen der göttlichen Vorsehung berechnet sind, von Adam ableitet, um desto weniger kann man sich überreden, daß sein Fall nicht sollte göttliche Vorherbestimmung gewesen sein, indem sonst alle wirkliche und anerkannte göttliche Bestimmung und Anordnung innerhalb der menschlichen Welt von diesem Ereigniß abhinge welches selbst nur Zulassung wäre, also die göttliche Allmacht in allen ihren Aeußerungen ursprünglich bestimmt wäre sei es nun durch die Freiheit des Menschen oder durch die 45

30 46

35

Erwählung

„Praedestinationem v o c a m u s aeternum D e i decretum, q u o apud se constitutum habuit, quid de u n o q u o q u e homine fieri vellet." ( C a l v . I n s t i t . III, X X I , 5.) „ Q u o d e r g o scriptura clare ostendit dicimus, aeterno et immutabili c o n s i lio D e u m semel constituisse, quos olim semel assumere vellet in salutem, quos rursum exitio devovere." ( E b e n d . 7.) „ N e c absurdum videri debet q u o d dico, D e u m n o n m o d o primi h o m i n i s casum et in e o posterorum ruinam praevidisse, sed arbitrio q u o q u e s u o dispensasse." ( I n s t i t . III, X X I I I , 7.) „ Q u a m q u a m nec ipsum quidem per se probabile est, sola D e i permissione, nulla ordinatione, h o m i n e m sibi accersisse interitum. Q u a s i vero n o n c o n s t i t u e n t D e u s , qua c o n d i t i o n e praecipuam ex creaturis suis esse vellet." ( I b i d . 8.)

27-29 Ed. Leiden (1654) 327; ed. Barth 4,374,11-13 29-31 Ed. Leiden (1654) 329; ed. Barth 4,378,31-34 32-34 Ed. Leiden (1654) 338; ed. Barth 4,401,35-38 34-37 Ed. Leiden (1654) 338; ed. Barth 4,402,15-18

196

5

10

15

20

25

Lehre von der

Erwählung

Dazwischenkunft des Teufels. Also kann ich unmöglich anders als auch hierin dem Kalvin beistimmen, nur daß ich nicht so gern sagen würde, A d a m sei als A d a m zum Sündenfall bestimmt gewesen; sondern wegen der Bestimmung des menschlichen Geschlechts zur Sündhaftigkeit und Erlösung sei A d a m der fallende A d a m geworden. U n d außerdem noch würde ich in der Erklärungsweise um ein weniges von ihm abweichen. Denn Kalvin meint, A d a m habe das Nichtsündigenkönnen in seiner N a t u r gehabt, und sei nur so leicht gefallen weil bei der Biegsamkeit seines Willens nach beiden Seiten hin ihm die Gabe der Beharrlichkeit 452 versagt gewesen 4 7 . M i r aber will es vorkommen, als sei es einerlei zu sagen, die Beständigkeit sei ihm versagt gewesen, und zu sagen, er habe ein bestimmtes Nichtsündigenkönnen nicht gehabt, und man kom-|me 77 leichter ab, wenn man sage, die menschliche N a t u r habe überhaupt vor Christo die Beständigkeit oder das Nichtsündigenkönnen nicht gehabt. U n d dies thut hier so viel, daß es leichter ist sich Rechenschaft zu geben, wie G o t t eine solche N a t u r geschaffen, die erst gleichsam durch eine zweite Schöpfung zu ihrer Vollendung k o m m e n konnte, als wie er sie in ihren ersten Exemplaren zwar besser erschaffen, hernach aber ihre Verschlimmerung gewollt. Denn den Vortheil die Vollkommenheit der menschlichen N a t u r in einem langen befestigten Zustande Adams anzuschauen, können wir leicht entbehren, da sie uns doch nie so rein in dem uns immer dunkeln A d a m zur Anschauung kommt, als in dem uns immer hellen Christus. D a g e g e n versteht sich viel besser wenn man es allgemein nimmt, was Kalvin sagt: „Eine Natur, welcher das Nichtsündigenkönnen verliehen gewesen wäre, würde zwar vortrefflicher gewesen sein, aber der Mensch habe kein R e c h t von G o t t zu fordern, daß er ihn so solle gemacht haben 4 8 "; und was Augustin sagt 4 9 : „ D e r | 47

30 48

35 49

„[...] sed quia in utramque partem flexibilis erat eius voluntas, nec data erat ad perseverandum constantia, ideo tarn facile prolapsus est." ( I n s t i t . I, X V , 8.) „ [ . . . ] neque enim aequum fuit hac lege Deum constringi, ut hominem faceret, vel qui non posset, vel nollet omnino peccare. Praestantior quidem fuisset talis natura; sed praecise expostulare cum Deo, quasi hoc debuerit conferre homini, plus quam iniquum est, quando in eius arbitrio fuit quantulumcunque vellet dare." ( E b e n d . ) „Quapropter . . . credimus Deum . . . quia . . . scivit magis ad suam omnipoten-

1 kann] hann

28 sed] Sed

31 neque] Neque

28-30 Ed. Leiden (1654) 58; ed. Barth 3,186,6-8 31-35 Institutio 1,15,8, ed. Leiden (1654) 58; ed. Barth 3,186,31-36 36 u. 26-29 Augustinus: De correptione et gratia 27, Benediktiner-Ausgabe BdlO, Antwerpen 1700, 505 CD; MPL 44,932 3 6 Statt quia Q: qui

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

Erwählung

197

Mensch stehe auf einer solchen Stufe des Daseins, auf welcher sich of- 78; 453 fenbaren solle, was, nachdem zuerst sein freier Wille die Sünde erzeugt, hernach noch die göttliche Gnade erzeugen könne." Dieses aber glaube ich reicht auch vollkommen hin; und wenn wir uns nur überzeugt, eine solche Natur gehöre mit in die Vollständigkeit der endlichen Welt: so können wir dann auch getrost sagen sie sei, so wie sie sich wirklich entwickelt hat, von Gott vorher bestimmt und verordnet gewesen, und brauchen nicht zu einem unklaren in Gott nicht denkbaren Unterschiede von Anordnung und Zulassung unsere Zuflucht zu nehmen. Das zweite nun, weshalb die Meisten einen solchen mildernden Unterschied wünschen, und nicht annehmen möchten, daß die Verdammung der Unbußfertigen und die Begnadigung der Gläubigen auf gleiche Weise von Gott verordnet sei, ist weil sie meinen, es sei nur eine grundlose Willkühr in Gott, daß er nun grade diesen zur Seligkeit verordne und jenen zur Verdammniß und nicht umgekehrt. Hier nun bemerke ich zuerst, daß gegen eine solche Willkühr niemand sich stärker erklären kann als Kalvin selbst50, indem auch der freilich sehr mißverständliche aber doch auch einer sehr richtigen Deutung fähige Ausdruck, daß der göttliche Rathschluß der Erwählung ein absolutum decretum | sei, in 79 den Institutionen nicht vorkommt, sondern erst im Streit zugewachsen ist; daher auch des Sigismund Bekenntniß (Brandenb. Reform. Werk S. 13) diesen Ausdruck verwirft. Sondern Kalvin sagt nur, Gott erwähle und verwerfe nach einem Gutdünken dessen Gründe uns unbekannt sind; es sei dies eine Sache der göttlichen Entscheidung (arbitrii), und geschehe die Erwählung ohne alle Rüksicht auf menschliche Würdig-

50

tissimam bonitatem pertinere, etiam de malis bene facere, quam mala esse n o n sinere, sie ordinasse . . . h o m i n u m vitam, ut in ea prius ostenderet, quid posset e o r u m liberum arbitrium, deinde quid p o s s e t suae gratiae b e n e f i c i u m [ . . . ] . " ( D e c o r r e p t . e t g r a t . 27.) » [ . . . ] haec sit sobrietatis . . . lex . . . ut eius voluntas nobis sit . . . iustissima causa rerum omnium; n o n illa quidem a b s o l u t a voluntas, de qua garriunt sophistae, i m p i o p r o f a n o q u e dissidio separantes eius iustitiam a potentia, sed illa moderatrix rerum o m n i u m Providentia, a qua nihil nisi rectum m a n a t [ . . , ] . " ( I n s t i t . I, X V I I , 2.)

30 haec] Haec

21 f Con/essio fidei Ioannis Sigismunde Electoris Brandeburgici, in: Der Chur Brandeburg Reformation Werck, Berlin 1615, S. 13/; BSRK 842,11-19 30-34 Ed. Leiden (1654) 65; ed. Barth 3,205,13-19

198

5

10

15

20

25

35

Erwählung

keit. Dies leztere nun gestehen die lutherischen Kirchenlehrer auch ein, ja daß, wenn auch Gott nur diejenigen erwähle, deren Glauben er voraussehe, er doch nicht durch den vorausgesehenen Glauben hiezu be- 454 wogen werde 51 . Wenn nun doch Gott den Glauben selbst schenken muß, und die Predigt, aus der er allein entstehn kann, nicht allen und nicht unter gleich günstigen Umständen angedeihen läßt: was anders als ein solches Gutdünken bleibt übrig? Dieses Gutdünken aber, wie es Kalvin annimmt, wenn wir es nur nicht in der Mitte sondern zeitig genug von vorne herein anfangen lassen, und es nur nicht weiter hinabführen als bis dahin, wo es noch wirklich etwas zu fragen und festzusezen giebt, kann niemandem ungereimt | und empörend vorkommen und 80 auch nicht grundlos. Nämlich sind wir einmal einig darüber, daß, damit die Welt vollständig sei, auch das menschliche Geschlecht da sein mußte: so können wir unmöglich mehr sagen, es sei eine grundlose Willkühr, daß Gott das menschliche Geschlecht, wenn gleich er vorausgesehen, daß es sündigen und fallen werde, erschaffen, da es ja nothwendig mit eingeschlossen ist in die eine alles umfassende göttliche T h a t der Weltschöpfung. Fragen wir aber, warum Gott grade uns zu Menschen gemacht und nicht zu Engeln, und wollen nun über grundlose Willkühr klagen: so vergessen wir nicht nur, daß wir eben so gut fragen könnten, warum er uns zu Menschen gemacht und nicht zu Thieren, und daß wir uns dann über die grundlose Willkühr freuen müßten, über welche wir klagen wollen; sondern wir spielen in der T h a t die Frage dahin, wo nichts mehr zu fragen ist, und fragen also eigentlieh gesagt auch gar nicht. Denn unsere Selbstheit hängt ja an nichts an- 455 derem als an der menschlichen Natur und der besonderen Art wie sie in unserer Person bestimmt ist; und wenn wir nicht zu M e n s c h e n er51

30

Lehre von der

G e r h . l o c r . th. L o c . VIII, §.52. „ [ . . . ] nulla humani generis dignitate, quin nec praevisione bonorum operum vel fidei motus est Deus, ut quosdam ad vitam aeternam eligeret [...]." - S o l . d e c l . p. 821. „ . . . quod videlicet mera et gratuita misericordia in Christo . . . salvos nos faciat, secundum voluntatis suae propositum . . . Falsum igitur e s t . . . cum docetur, quod . . . etiam a l i q u i d in n o b i s causa sit electionis divinae, propter quod nos D e u s ad vitam aeternam praedestinaverit." Was Hr. D r . B. A p h o r . S. 123. an dem Leipziger Bekenntniß tadelt, ist buchstäblich nichts anderes als das hier behauptete.

1 lutherischen] lntherischen

28 nulla] Nulla

30 q u o d ] Q u o d

2 8 - 3 0 Gerhard: Loci theologici, ed. Cotta Bd4, Tubingen 1765, 162; ed. Preuss Bd2,56 3 0 - 3 4 FC XI, Concordia (Leipzig 1732); BSLK 1088,38-42.47-1089,5 3 4 f Vgl. unten 466,11-467,2

Lehre von der

Erwählung

199

schaffen wären, so wären W i r ja gar nicht erschaffen. Eben so aber müssen wir auch sagen, soll das menschliche Geschlecht vollständig sein: so müssen auch f ü r das Gute empfänglichere und unempfänglichere Menschen von allen Abstufungen neben einander sein; denn erst aus dem Zusammensein aller möglichen Complicationen höherer und niederer Vermögen und Anlagen und aus dem Vorhandensein aller möglichen Entwik-|lungsstufen und Sättigungspunkte entsteht jene 81 Vollständigkeit, in der allein die Gattung besteht. Sonach können wir, die Nothwendigkeit des menschlichen Geschlechts vorausgesezt, gar nicht mehr sagen, es sei grundlose Willkühr, daß Gott alle diese verschiedenen Menschen neben einander geschaffen. Fragen wir aber, warum er grade diesen zu einem geringeren und jenen zu einem begabteren erschaffen und nicht umgekehrt: so fragen wir wiederum eigentlich gar nicht; denn wenn es umgekehrt wäre, so wäre dann dieser jener und jener dieser, und es hätte sich nichts geändert. Darum ist nun eigentlich nichts wunderlicher, als wenn man um diesen Schein von Willkühr in Gott aufzuheben und zugleich die menschliche Freiheit, welche durch diese von Gott geordnete Verschiedenheit bedroht scheint, zu retten, lieber annehmen will, Gott habe ursprünglich alle gleich erschaffen, und jeder Mensch vermöge troz aller Hindernisse und ohne alle äußere Hülfe alles Gute und Schöne in sich zu entwickeln wie irgend ein anderer, nur der eine thue es, der andere aber nicht. Denn nun sezt man die grundlose Willkühr auf die unbegreiflichste und die ganze Idee der Welt zerstörende Weise in das Geschöpf hinein; und wenn irgend etwas, so wäre dies wol jene „unumschränkte Freiheit, welche sich mit der N a t u r eines Geschöpfes nicht verträgt." Also wenn jeder nur der sein kann der er ist, und nicht jeder andere, so wäre e r gar nicht, wenn er nicht der wäre der er ist; und wie es keinen Sinn hat zu fragen, warum Gott ihn zu dem gemacht hat und nicht zu jenem: so kann man auch | nicht sagen, es sei grundlose Willkühr in Gott, daß jeder der ist, 82; der er ist. Allein man wird einwenden, diese Darstellung rechtfertige mehr die ursprüngliche geistige und leibliche Verschiedenheit der Menschen als die religiöse, welche der angenommenen Voraussezung nach bei allen andern Menschen, die ersten ausgenommen, indem sie ja alle durch den Fall gleich geworden sind, keine ursprüngliche ist, sondern nun erst entsteht durch die göttliche Bestimmung, welche dem einen den Glauben giebt, dem andern aber nicht; und eben diese Bestimmung meint man erscheine eigentlich als eine grundlose Willkühr. Wenn nun gleich zufolge alles bisherigen diese Einwendung nicht gemacht werden kann von der rechtgläubigen lutherischen Kirche, welche dieselbe

25f Anspielung auf Ammon: Ueber die Hofiiung 63 (s. oben Anm. zu 160,28)

200

5

10

15

20

25

30

35

Lehre von der

Erwählung

Gleichheit nach dem Falle, dieselbe Nothwendigkeit des göttlichen Beistandes und dieselbe Ungleichheit in der Darreichung desselben annimmt wie die reformirte, und es hier mehr auf die Vertheidigung der gemeinschaftlichen Lehre als der kalvinischen ausschließend ankommt: so ist es doch allerdings grade dieser lezte Einwurf, dessen Stärke oder Schwäche darüber entscheiden muß, ob die strenge augustinische Lehre bestehen kann, oder ob man Auskunftsmittel suchen muß, aber dann lieber zureichendere als das göttliche Bestimmtsein durch den vorausgesehenen Glauben. Gehen wir nun von der gemeinschaftlichen Lehre aus, daß in dem Zustande der Sündhaftigkeit nach dem Falle der Mensch nicht vermöge aus eigener Kraft Gott zu erkennen, zu lieben und ihm zu vertrauen, oder wie es auch ausgedrückt wird, daß, unbeschadet er übrigens einen freien Wil-|len habe, hiezu ihm der freie Wille 83 fehle 52 : so liegt ja darin offenbar dieses, daß da es der freie Wille ist, durch den jemand eine Person ist, der sündige Mensch zwar in jeder andern Hinsicht eine Person sei, in religiöser aber nicht. D a ß jene beiden Ausdrücke wirklich gleichbedeutend sind, ist klar. Denn wir würden vergeblich nach einem andern M a ß f ü r den freien Willen, oder lieber sagte ich nur f ü r den Willen des Menschen, da ein unfreier gar 457 nicht denkbar ist, suchen. Sondern so weit geht des Menschen Wille, nicht als geistige Veränderungen an ihm vorgehn, denn dies kann auch wider seinen Willen geschehen, sondern als sie aus ihm hervorgehen, als er in geistiger Selbstentwiklung begriffen ist. Denn wie das Leben irgend eines Dinges darauf beruht, daß es in einer wenigstens leiblichen Selbstentwiklung begriffen ist, und das Gestein zwar in das allgemeine Leben, das heißt in die Selbstentwiklung der Erde aufgenommen ist, f ü r sich allein betrachtet aber eben deshalb weil es von seiner Krystallisation an bis zu seiner gänzlichen Zerstörung zwar auch in Veränderungen begriffen ist, die aber nur an ihm vorgehen und nicht aus ihm sondern aus einem andern, nicht als lebend gedacht wird, sondern als todt: so beruht nun die Persönlichkeit oder das geistige einzelne Leben, erhaben über das sowol unbewußte niedere Leben der Pflanzen als über das höhere schon bewußte der Thiere, nicht darauf, daß an einem Einzelwesen geistige Veränderungen vorgehn, son-|dern darauf, daß sie aus 84 ihm hervorgehn und daß es in einer solchen Selbstentwiklung begriffen sei, und der alte Ausdruck, daß der sündige Mensch geistlich todt sei, 52

A u g . C o n f . II und X V I I I .

36 Vgl. z.B. FC II, Concordia (Leipzig 1732) 658; BSLK 875,43-876,3 Twesten 21 und 35f; BSLK 53 und 73f

37 Vgl. ed.

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

40

201

heißt nichts anders, als daß er in keiner Selbstentwiklung eines bewußten Verhältnisses zu Gott begriffen sei, und kann deshalb auch von solchen, in denen fromme Rührungen vorgehen, gebraucht werden, jedoch nur in der Voraussezung , daß diese von außen in ihnen bewirkt werden und nicht selbstthätig aus ihnen hervorgehn. Und dies ist nichts anders als die in dem augsburgischen Bekenntniß vorgetragene Lehre, daß der Mensch ohne den göttlichen Geist keine Freiheit habe in geistigen Dingen; denn wo er Freiheit hat, da ist er auch eine Person und umgekehrt. Wollte aber jemand sagen, dies sei eine wunderliche, dunkle, verworrene oder gar mystische Rede, daß ein Mensch in einer Hinsicht eine Person sein könne und in einer andern nicht, sondern wer eben eine sei, sei es auch ganz und überall: so will ich diesen nicht erst zu den Rechtslehrern hinweisen, sondern nur zu dem Gebrauch des gemeinen Lebens. 458 Oder was ist denn das, was wir eine moralische oder zusammengesezte Person nennen, als ein wollendes Wesen, welches in der theilweisen Aufgebung der Freiheit und Selbstbestimmung also auch der eigenen Persönlichkeit Einzelner gegründet ist? Denn in demjenigen Gebiet, in welchem einer mit mehreren eine solche gemeinsame Person bildet, ist er nun für sich allein keine, und weiset jeden, der ihn doch als Person behandeln will, an die gemeinsame Person. Und wie man nun theilweise um | sich einem solchen Ganzen einzuverleiben seine Persönlichkeit 85 aufgeben kann, sie aber doch übrigens behalten, eben so muß es auch möglich sein sie schon ursprünglich nur theilweise zu haben, wie denn auch Kinder und Leibeigene als solche noch keine ganze sondern nur theilweise Persönlichkeit haben, und die lezteren namentlich in religiösem Sinne schon können Personen sein, während sie es in bürgerlichem noch nicht sind, sondern in diesem erst dazu geboren werden müssen durch die Freilassung. Der sündige Mensch also ist nach dieser Lehre zwar in das allgemeine geistliche Leben des menschlichen Geschlechtes aufgenommen, sofern ein solches besteht, das heißt sofern der göttliche Geist immer ein solches Einzelleben in irgend einigen Einzelnen bewirkt, die dann auch auf die Uebrigen wirken, so daß in ihnen Vorstellungen von Gott und Empfindungen von Gott vorübergehend hervorgebracht werden, die aber nicht ihre eigene That sind, so daß sie in einer religiösen Selbstentwiklung nicht begriffen sind, sondern nur was aus dem allgemeinen religiösen Leben sie berührt und durchdringt, brechen und zurückstrahlen; Personen aber im religiösen Sinne sind solche noch nicht, sondern dies werden sie erst durch die Wiedergeburt, wenn der heilige Geist den Glauben in ihnen gewirkt hat, weshalb eben diese Veränderung die Wiedergeburt heißt, weil sie auf diesem Gebiet

6-8 Vgl CA XVIII, ed. Twesten 35; BSLK 73,5-11

202

Lehre von der

Erwählung

d e r A n f a n g d e s e i g e n e n e i n z e l n e n f r e i e n L e b e n s ist 5 3 . D i e s e r aber w i r d g e m a c h t d u r c h d i e | B e w i r k u n g d e s G l a u b e n s , v e r m ö g e d e s s e n der 86; 459 M e n s c h C h r i s t o einverleibt w i r d u n d v o n i h m j e n e s h ö h e r e L e b e n e m p f ä n g t u n d in sich a u f n i m m t , d e s s e n e i n i g e Q u e l l e C h r i s t u s ist 54 , u n d in 5 w e l c h e m e i g e n t l i c h der M e n s c h , d e r v o r i g e , n i c h t s e l b s t lebt, s o n d e r n C h r i s t u m l e b e n d in sich trägt 5 5 . V o r der W i e d e r g e b u r t aber sind sie insg e s a m m t d e n W i e d e r g e b o r n e n g e g e n ü b e r das T o d t e , die M a s s e , w e l c h e r A u s d r u c k d a h e r bei A u g u s t i n u n d K a l v i n in d i e s e r S a c h e s o h ä u f i g v o r k o m m t 5 6 , | w e l c h e der B e l e b u n g f ä h i g ist, u n d v o n d e r a u c h e i n z e l n e 87; 460

10

53

"Οντως κτίσις έτερα έ σ τ ί ν έκ τοϋ'μή δ ν τ ο ς εις τ ό είναι παρήχθημεν. ( C h r y s o s t . E d . M o n t f . Τ . X I . p.28.)

54

»[•··] q u a n d o ipse unus et vitae f o n s est et salutis a n c h o r a [ . . . ] . . . . Q u u m [ . . . ] is sit, cuius corpori inserere destinavit pater, quos ab aeterno voluit esse suos, ut p r o filiis habeat, q u o t q u o t inter eius m e m b r a recognoscit [...]. . . . IIlum induere dicimur, in illum coalescere, ut vivamus quia ipse vivit." ( I n s t i t . III, X X I V , 5.) „ H u c redit summa, Christum ubi nos in fidem illuminat Spiritus sui virtute, simul inserere in corpus suum, ut fiamus b o n o r u m o m n i u m participes." ( E b e n d . III, II, 35.) „Sit hie itaque primus gradus, h o m i n e m a se ipso discedere . . . q u o mens eius proprio carnis sensu vacua se ad spiritus Dei n u t u m t o t a convertit . . . ut h o m o iam non ipse vivat, sed Christum in se f e r a t viventem [ . . . ] . " ( E b e n d . III, VII, 1.) „ [ . . . ] ubi p r o p t e r Christum nobis d a t u m est in cum credere, t u n c incipimus d e m u m transire a m o r t e in vitam." ( E b e n d . III, XIV, 6.) „Sola [ . . . ] gratia redemptos discernit a perditis, quos in unam perditionis concreverat m a s s a m ab origine ducta causa communis." ( A u g . E n c h i r . 9.) „ f . . . ] n o n sunt ab illa c o n s p e r s i o n e discreti, q u a m constat esse d a m n a t a m ; . . . ab illa perditionis m a s s a , quae facta est per p r i m u m Adam, debemus intelligere, neminem posse discerni, nisi qui h o c b o n u m habet [ . . . ] . " ( D e r s . d e c o r r . e t g r a t . 12.) „ Q u i d q u o d nobis inde (ex electionis doctrina) emergit ecclesia, quae alioqui . . . non posset inveniri nec inter creaturas agnosci, quia

15

55

20

56

25

30

12 quando] Quando

20 convertit] convertat

22 ubi] Ubi

26 non] Non

lOf Joannes Chrysostomus: In epistolam ad Ephesios 2,10 homilia 4,3, ed. Mont/aucon Bdll, Paris 1734, 28 D; ed. Field Bd4, Oxford 1852, 141; MPG 62,34 12-16 Ed. Leiden (1654) 343/; ed. Barth 4,415,31/416,5-7.12f 15 Statt in illum Q ; in ipsum 16-18 Ed. Leiden (1654) 200; ed. Barth 4,46,30-32 19-22 Ed. Leiden (1654) 239; ed. Barth 4,151,32-152,4 19 Statt eius Q : hominis 22 f Ed. Leiden (1654) 270; ed. Barth 4,226,3-5 24 £ Augustinus: Enchiridion ad Laurentium de fide et spe et charitate 25 [!] (99), Benediktiner-Ausgabe Bd6, Antwerpen 1701, 171C; CChr 46,102,53-56 26-29 De correptione et gratia 12 (vgl. oben Anm. zu 166,20-22), Benediktiner-Ausgabe Bd 10.499F (zu bonum hier 500F, Anm./); MPL 44,923 29f u. 28f Ed. Leiden (1654) 326; ed. Barth 4,370,6-10 30 Statt agnosci, Q : agnosci?

203

Lehre von der Erwählung

Punkte belebt werden durch den in und aus den schon belebten wirkenden Geist. Diese also welche belebt werden, das heißt in denen die religiöse Selbstentwiklung auf die jeden Lebensanfang bezeichnende unbegreifliche Weise entsteht, diese sind die Erwählten; und wie wir glauben, daß der Mensch überhaupt, ist er einmal eine Person geworden, nicht a u f h ö r t es zu sein, und diesen Vorzug den geistigen Einzelwesen gläubig einräumen, so glauben wir auch von diesen, daß, sind sie einmal religiöse Personen geworden und hat uns nicht ein bloßer Schein des Lebens getäuscht, sie auch niemals aufhören werden es zu sein. Der übrige Theil der Masse aber, der nicht zum eigenen Leben erwärmt wird, ist, wiewol er nie aufhört in das gemeinsame religiöse Leben aufgenommen zu sein und daher auch an und f ü r sich betrachtet die Möglichkeit nicht verliert belebt zu werden, doch sofern er nicht belebt wird das V e r w o r f e n e , die V e r w o r f e n e n aber kann man sie eigentlich nur nennen, wenn man auf die Persönlichkeit Rücksicht nimmt, die ihnen auf dem gemein menschlichen Gebiete zukommt. Wollen wir nun davon, daß Gott aus dieser Gesammtmasse einige Punkte belebt wer-|den 88 läßt und andere nicht, Grund fordern: so können wir das nur mit demselben Recht, mit welchem wir auch Grund f o r d e r n könnten davon, d a ß Gott von der Gesammtheit aller menschlichen Keime einige belebt und Personen werden läßt, andere nicht, sondern sie in der Unpersönlichkeit und dem T o d e beläßt, und einige wirklich ans Licht führt, Andere hingegen schon im Mutterleibe oder gleich bei der Geburt wieder dem T o d e zurückgiebt. Bei einer solchen gründlichen Betrachtung also erscheint die göttliche Willkühr in der Erwählung und Nichterwählung gar nicht als eine andere oder größere als die bei der Schöpfung. A u c h erhellt zugleich, in welchem Sinne es freilich ganz richtig ist, d a ß m a n miro utroque modo latet intra gremium beatae praedestinationis, et intra m a s s a m miserae damnationis." (Calv. Instit. III, XXI, 1.) „Enimvero | electi nec statim ab utero, nec eodem omnes tempore, sed prout visum est 87 Deo suam illis gratiam dispensare, in ovile Christi per vocationem aggregantur ... In ipsos ergo si respicias videbis Adae progeniem, quae communem m a s s a e corruptionem redoleat." (Eben d. XXIV, 10.) Hieher gehört auch: „ V u l g u s nomino praecipuos etiam quosque, donec in ecclesiae corpus insiti fuerint." (I, VII, 5.)

29 Instit.] Insit.

29-33 Ed. Leiden (1654) 346; ed. Barth 4,421,17-19.23-25 ed. Barth 3.71,28f

34f Ed. Leiden (1654)

16;

204

Lehre von der Erwählung

die Verwerfung nicht als einen positiven göttlichen Rathschluß ansehn kann, so nämlich wie noch nie jemand es als einen positiven göttlichen Rathschluß angesehen, daß dieses oder jenes nicht sei geschaffen worden; aber dann auch wieder unrichtig, daß man die Erwählung einzel- 461 ner menschlicher Personen f ü r einen eigenen Rathschluß halten will, die Verwerfung anderer einzelner aber nicht, sondern in demselben Sinne, in welchem das eine, muß auch das andere gelten. Das wahre aber ist, daß man nur Einen göttlichen Rathschluß annehmen kann, welcher alles umfaßt, nämlich den Rathschluß über die Ordnung, in welcher die des geistigen Einzellebens fähige Masse allmählig belebt wird; und deutlich muß, sobald man diesen Gesichtspunkt gefaßt hat, einem jeden sein, daß in dem Gebiet dieser geistigen Schöpfung eben so wenig die Bestimmungsgründe des göttlichen Wil-|lens in der künftigen 89 Beschaffenheit dessen gesucht werden können, was erst durch diese Schöpfung selbst, so wie es wird, werden soll, als wir dieses auf dem Gebiet der allgemeinen Schppfung thun oder thun wollen, sondern vielmehr die Beschaffenheit und die Schicksale der einzelnen Dinge nur aus dem Einen allgemeinen Schöpfungsact der göttlichen Allmacht ableiten. Und in sofern kann ich auch nicht anders als dem Kalvin Recht geben, daß er über den göttlichen Willen, der die göttliche Gerechtigkeit selbst ist, nicht hinausgehen will, wenn man doch nur an dem und jenem einzelnen die Bestimmungsgründe suchen wollte; ja es scheint fast wunderlich, wenn man deshalb den alles bestimmenden göttlichen Willen als blinde und grundlose Willkühr verrufen will, weil er selbst nicht durch einzelnes bestimmt ist. Am meisten aber ist dieser Schein von blinder Willkühr, gegen welchen Kalvin so dringend und ernstlich protestirt, durch jene scholastische Methode entstanden, welche einzelne Fragen aus der Mitte herausgerissen aufwirft, bei denen o f t nicht wahrgenommen wird, wie die ganze Voraussezung dabei zerstört ist, und die dann freilich nicht gelöset werden können, eine Methode, welche fast in alle wichtigen Punkte des christlichen Lehrbegriffs fast unauflösliche Verwirrung hineingebracht hat, und welche man mit allen ihren Erzeugnissen nicht streng genug verbannen kann, um endlich jenes Zeitalter mit der oberflächlichen Opposition gegen dasselbe zugleich zu schließen und eine neue Bearbeitung der Glaubenslehre aus- 462 zubilden, welche f ü r solche Fragen keinen Raum | läßt, sondern sie 90 gänzlich abweiset. Wenn zum Beispiel gefragt wird, ob also nach der kalvinischen Lehre, wenn einer zur Seligkeit von Gott vorherverordnet ist, er selig werden muß, und wenn er auch sich allen Lastern ergäbe und im frevelhaftesten Unglauben lebe: so ist bei dieser Frage die Voraussezung gewiß größtentheils vergessen worden, daß die göttliche Vorherbestimmung an die Bewirkung des Glaubens gebunden ist. D a ß aber der Glaube durch die göttliche Gnade auch in dem ausgezeichnet

205

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

Ungläubigen und Lasterhaften bewirkt werden kann, hat die lutherische Kirche nie geläugnet, und wenn also Kalvin die Frage so beantwortet, daß wenn in einem Ungläubigen und Lasterhaften auch noch der Glaube beharrlich und gründlich bewirkt werden, ein solcher gewiß zur Seligkeit vorherverordnet sei zum außerordentlichen Preise der göttlichen Barmherzigkeit, so wird die lutherische Kirche hier nichts einwenden als nur ihren Zusaz, er sei verordnet mit Rüksicht auf den von Gott vorhergesehenen Glauben, wogegen Kalvin dabei bleiben wird, er sei gläubig geworden, weil Gott ihm ein hinreichendes Maß von Gnadenwirkungen zugedacht; daß er aber könne lasterhaft und ungläubig gewesen sein im höchsten Grade und doch vorherverordnet, wird ja müssen zugegeben werden um desto mehr, je mehr man auf die Allgemeinheit der göttlichen Gnade in Christo dringt. Und wenn umgekehrt gefragt wird, wer zur Verdammniß verordnet ist, ob der verdämmt werden müßte auch bei dem tugendhaftesten Leben: so werde ich mit dem rechtgläubigen Theile beider | Kirchen antworten, daß die 91 Werke ja den Menschen doch nicht selig machen 57 , sondern der Glaube, und daß wir von keiner Vorherbestimmung wissen, nach wel- 463 eher ein Gläubiger könne verloren gehen 58 ; aber daß einer, der ohnerachtet eines äußerlich tadellosen Lebens doch nicht zum Glauben gelangt sei, auch von Gott nicht zur Seligkeit des Glaubens sei verordnet gewesen, zum Beweise daß durch die Werke auch nicht einmal der Glaube könne erworben werden, und daß wir Manchen eines äußeren Scheines wegen für gläubig halten können, ohne daß er es wirklich ist, 57

30

58

35

Dies nämlich behauptet ja auch die rechtgläubige lutherische Kirche o h n erachtet Luk. 13,27. und ähnlicher Stellen (vgl. A p h o r i s m . S.90.) mit der reformirten. U n d die Frage: ob ein Mensch deshalb nicht hätte zur Seligkeit gelangen können, weil Gott ihn nicht dazu prädestinirt habe? löset sich in die auf: ob ein Mensch zur Seligkeit gelangen könne, ohnerachtet Gott ihm nicht solche Gnadenwirkungen zuschickt, durch welche der lebendige 463 Glaube in ihm geweckt wird? und diese wird auch die rechtgläubige lutherische Kirche nicht bejahen können. Daher ich auch gar keine Inconsequenz darin finden kann ( A p h o r i s m . S. 125.), daß die Thornsche Confession ohne die kalvinische Lehre zu verlassen behauptet, Gott habe den Erwählten den Glauben als Mittel vorherbestimmt. Denn der göttliche Rathschluß ist ohne die Art und Weise seiner Ausführung gar nicht zu denken; der Rathschluß der Erwählung aber wird nur ausgeführt mittelst des Glaubens.

16f Vgl. Rom 3,28 Aphorismen 125/(unten

2 5 f Vgl. Aphorismen 467,15-37)

89f

(unten

453,32-414,7)

33-35

Vgl.

206

5

10

15

20

25

30

35

Lehre von der Erwählung

das wird auch der rechtgläubige Theil der lutherischen Kirche zugeben; und in welchem Sinne von einem solchen zu sagen ist, er sei nur nicht erwählt, und in welchem er sei verworfen und zur Verwerfung vorherbestimmt, das ist oben schon erörtert. Diese Fragen also, und von solchem Schlage sind sie | meist alle, so daß wir uns mit andern nicht noch 92 aufhalten wollen, wenn man sie nur recht ins Gesicht nimmt und gehörig faßt, sind gar nicht fürchterlich, sondern ihretwegen kann es immer beim Alten bleiben. Nicht besser steht es mit dem Vorwurf, den auch Reinhard wieder vorgebracht hat 59 , „es sei schon f ü r einen Menschen ein beschimpfender Vorwurf, wenn man von seinen Entschließungen sagen müsse: ,stat pro ratione voluntas', und hiernach sei der unbesonnene T h o r der Gottheit am ähnlichsten, der bedachtsame Weise aber am unähnlichsten." Denn f ü r den Menschen, weil er durch sein H a n deln das Dasein immer nur fortsezt und ihm immer etwas gegeben ist, bleibt es freilich ein Vorwurf, wenn er sich an das gegebene nicht anschließt. Aber Gott kann eben kein solcher Weiser nach menschlicher 464 Art sein, weil ihm nie etwas gegeben ist und er alles immer erst anfängt. Denn freilich kann man keinen göttlichen Rathschluß denken als auf etwas folgend, sondern nur als allem vorhergehend; und wie kann man also sagen, Gott solle bei der Erwählung auf die Beschaffenheit der Menschen Rüksicht nehmen, da sie diese Beschaffenheiten ja nicht ohne ihn haben, sondern sie erst durch denselben untheilbaren göttlichen Rathschluß empfangen, in welchem die Erwählung auch enthalten ist, und der in sofern freilich unbedingt genannt werden muß, da er selbst alles erst bedingt? Und so ist auch der vorhergesehene Glaube bedingt; denn er ist nichts anders als das | Ergebniß aus einer gegebe- 93 nen, auch zufolge des göttlichen Rathschlusses so und nicht anders bestimmten, aber noch geistlich todten Persönlichkeit in eine gewisse aber von der göttlichen Vorherbestimmung abhängige Stärke der Gnadenwirkung. Der schaffende Wille also kann nicht so durch Gründe bestimmt sein wie der bloß einwirkende bestimmt sein muß, und der Schein der Blasphemie zerrinnt in nichts, daß nämlich dasselbe von Gott behauptet werde was am Menschen getadelt wird; denn es wird nicht dasselbe behauptet sondern ganz ein anderes. Soviel also scheint wol klar zu werden, wenn man auf die beiden Seiten dieser Lehre die antipelagianische und die antimanichäische 59

Dogmat. §.120 S.445.

2-4 165,3-167,15

37 Für den Wortlaut vgl. Reinhard: Dogmatik

445f

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

gleichmässig sieht, und wenn man den so ganz schriftmässigen aber selten genugsam ins Licht gesezten Begriff einer neuen geistigen Schöpfung durch Christum und seinen Geist mit dazu nimmt, daß nicht nur die strenge augustinisch-kalvinische Lehre allein der Voraussezung von dem menschlichen Unvermögen ohne Christum und seinen Geist vollkommen angemessen ist, sondern auch die meisten dagegen gemachten Einwürfe bei genauerer Betrachtung verschwinden. Zwei nur scheinen unter denen, welche auch Herr Dr. B. besonders aufnimmt, noch übrig zu sein, wegen deren ich nicht auf das obige verweisen, sondern sie noch einer besondern Betrachtung unterwerfen möchte. Der eine ist der, daß nicht zu begreifen sei, wie nach Kalvins Lehre Gott nicht Ur- 465 heber der Sünde sei, wenn doch nicht einmal die Vorherbestimmung des menschlichen Geschlechts zum Sünden-|falle könne geläugnet wer- 94 den. Der andere ist der, daß diese Lehre jeden Versuch in das Innere der göttlichen Rathschlüsse einzudringen gänzlich abschneide und eben dadurch die immer weiter und tiefer strebende Vernunft in einer unerträglichen Gefangenschaft halte. Was nun das erste betrifft, so läugne ich es keinesweges; denn so gut als dem Kalvin nach meiner Ueberzeugung gelungen ist in seiner Darstellung alles Manichäische zu vermeiden und die Allmacht Gottes überall im gleichen ungetrübten Lichte zu zeigen, so gut ist ihm nicht gelungen klar zu entwickeln, daß ohnerachtet der Vorherbestimmung Gott nicht Urheber des Bösen sei; sondern er muß sich immer auch in dieser Hinsicht auf das andere zurückziehen. Nur möchte ich doch gleich fragen, wo es denn im Zusammenhang mit der lutherischen Theorie eine klare Entwickelung davon gebe, wie Gott, ohnerachtet er die Freiheit des Willens gewollt und erschaffen und den Ursprung der Sünde aus derselben vorhergewußt, nicht Urheber des Bösen sei. Denn die Behauptung ist eben so bestimmt aufgestellt und oft wiederholt im Augustin und Kalvin, daß auch der Satan alles verdammliche sich selbst zugezogen habe, und daß auch der Mensch sich selbst ins Unheil gestürzt 60 , und geläugnet wird oft und bestimmt genug, daß Gott keinesweges Urheber weder der Sünde im allgemeinen noch der einzelnen Ver-|brechen sei; aber an- 95 60

35

20 7

„Quicquid enim damnabile habet Satanas defectione et lapsu sibi accersivit." (Instit. I, XIV, 16.) „Libera tarnen fuit electio boni et mali . . . donec se ipsum perdendo bona sua corrupit." (Instit. I, XV, 8.)

10-14 Vgl. Aphorismen 97f (unten 457,24-458,3) 14-17 Vgl. Aphorismen 102 (unten 460,36-43) 34f Ed. Leiden (1654) 50; ed. Barth 3,166,17f 34 Statt habet Satanas Q : habet 35f Ed.Leiden (1654) 58; ed. Barth 3,186,8f.ll

208

5

10

15

20

25

30

35

40

Lehre von der

Erwählung

s c h a u l i c h z u m a c h e n , w i e d e n n d i e s n i c h t sei, d a d o c h alles w a s w i r k l i c h ist a u f d i e g ö t t l i c h e A l l m a c h t z u r ü c k g e f ü h r t w i r d , d i e s will i c h n i c h t b e h a u p t e n sei i h m v o l l k o m m e n g e l u n g e n . N u r v o n d e r a n d e r n S e i t e h e r k e n n e i c h a u c h e b e n n i c h t s als d i e g l e i c h e B e h a u p t u n g , d e r l e z t e G r u n d 466 d e s B ö s e n sei in d e r F r e i h e i t d e s e n d l i c h e n W i l l e n s , a b e r a n s c h a u l i c h h a t mir a u c h nie w e r d e n wollen, wie G o t t d u r c h diese B e h a u p t u n g der U r h e b e r s c h a f t des Bösen entledigt werde, da er d o c h U r h e b e r der Freih e i t ist. D e n n h ä t t e e r b e s t i m m t u n d u n b e d i n g t g e w o l l t , es s o l l e k e i n B ö s e s g e b e n : s o h ä t t e sich n a c h d i e s e m W i l l e n d i e g a n z e B e s c h a f f e n h e i t d e r W e l t u n d d e r geistigen W e s e n darin richten müssen, u n d die W e l t w ü r d e e i n e a n d e r e g e w o r d e n s e i n . I s t sie n u n d o c h e i n e s o l c h e , u n d h a t G o t t den G e b r a u c h der Freiheit, aus welchem das Böse entstand, auch n u r v o r h e r g e w u ß t u n d z u g e l a s s e n , u n d die g a n z e W e l t im V o r a u s auf das W i r k l i c h w e r d e n des Bösen u n d u n t e r V o r a u s s e z u n g desselben einger i c h t e t , s o h a t e r o f f e n b a r n i c h t n i c h t g e w o l l t , d a ß d a s B ö s e sei, u n d es ist z w i s c h e n b e i d e n A n s i c h t e n k e i n a n d e r e r U n t e r s c h i e d als w i e d e r u m d e r zwischen reiner V o r h e r b e s t i m m u n g und einer mit Zulassung vermischten V o r h e r b e s t i m m u n g , ein U n t e r s c h i e d , d e r z w a r auf d e m endlichen u n d m e n s c h l i c h e n G e b i e t e i n e s b l o ß w ä h l e n d e n W i l l e n s e t w a s ist, a u f d e m göttlichen eines s c h a f f e n d e n Willens aber nichts. D e n n die bek a n n t e A u s k u n f t , es sei d o c h b e s s e r g e w e s e n d i e F r e i h e i t m i t d e m M i ß b r a u c h , als ü b e r h a u p t k e i n e F r e i h e i t , k a n n d o c h n i c h t g e n ü g e n , w e i l d e r M a n g e l d e r | A l l m a c h t n i c h t d e u t l i c h e r a u s g e s p r o c h e n w e r d e n k a n n als 96 d u r c h die N o t h w e n d i g k e i t v o n zwei U e b e l n das kleinste z u w ä h l e n . B e i d e T h e o r i e n s i n d a l s o h i e r g l e i c h u n v o l l s t ä n d i g ; u n d w e n n sich e t w a s t h u n ließe, u m die F r a g e reiner u n d k l a r e r a u f z u l ö s e n , wie d a n n , w e n n doch nichts von d e m schaffenden Willen Gottes ausgeschlossen ist, G o t t d e n n o c h n i c h t U r h e b e r d e s B ö s e n sei? s o m u ß d i e s b e i d e n z u m Vortheil gereichen. U n d n u r d a n n , w e n n d e r eine Theil einen Fortschritt hierin m a c h e n könnte, den der andere seiner abweichenden Formel w e g e n n i c h t a n e r k e n n e n d ü r f t e , n u r d a n n w ä r e d e m e i n e n ein V o r z u g in d i e s e r H i n s i c h t v o r d e m a n d e r n b e i z u l e g e n . M i r a b e r will d e u t lich g e n u g h e r v o r l e u c h t e n , d a ß es k e i n e a n d e r e u n d g e n a u e r e L ö s u n g d i e s e r A u f g a b e g e b e n k a n n , als d i e b e i d e n T h e i l e n g e m e i n ist. D e n n 467 w e n n e i n m a l g e s a g t ist, alles w i r k l i c h e m ü s s e d u r c h d e n s c h a f f e n d e n W i l l e n G o t t e s g e s e z t sein, u n d d a n n w i e d e r u m , G o t t d ü r f e n i c h t U r h e b e r d e s B ö s e n s e i n : s o ist j a b e i d e s n u r a u f d i e E i n e W e i s e z u v e r e i n i g e n , w e n n m a n s a g e n k a n n , d a ß in B e z u g a u f G o t t d a s B ö s e g a r n i c h t ist. D i e s e u n v e r m e i d l i c h e F o r m e l a b e r , m a n m a g sie n u n a u f l ö s e n w i e m a n will u n d a u f w e l c h e A r t i m m e r z u e r k l ä r e n v e r s u c h e n , w i e d a s B ö s e f ü r u n s s o s e i n k ö n n e , d a ß es w e d e r d u r c h G o t t n o c h f ü r G o t t ist, i n d e m n ä m l i c h d a s j e n i g e d a r a n w a s w i r k l i c h ist, d i e f r e i w i r k e n d e s i n n l i c h e K r a f t , n i c h t d a s j e n i g e ist, w o v o n G o t t n i c h t U r h e b e r s e i n k a n n , d a s -

209

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

jenige aber wovon Gott nicht Urheber sein konnte, nämlich das Gegentheil des Guten, nicht wirklich ist, doch aber die Nothwendigkeit der | Erlösung auf demjenigen, was davon wirklich ist, beruht, und diese zu- 97 gleich dasjenige, wovon Gott, nicht Urheber sein könnte, in dasjenige auflöset, wovon er allein Urheber sein kann, nämlich in das Gute; diese Formel, sage ich, kann auf keine Weise irgend in jene Differenz verflochten sein, und also müssen die Auflösung derselben, wenn sie nur erst gefunden wird, auch beide Lehrmeinungen sich aneignen können. Wol aber werden wir sagen müssen, wenn erst wirklich nachgewiesen ist, Gott sei nicht Urheber des Bösen, und zwar auf eine solche Art die auch übereinstimme mit der Lehre der Schrift, daß ohne Gesez keine Sünde sei: so falle auch die wichtigste Ursache einen Unterschied anzunehmen zwischen seiner Zulassung und seiner Vorherbestimmung von selbst weg, und jeder wird dann selbst dem Kalvin darin beistimmen, so wie auf der andern Seite auch dann erst es einen Sinn bekommt zu sagen, das Böse sei nicht von Gott vorherbestimmt, weil es nämlich nicht ist. Ließe sich also diese Aufgabe lösen, so würde der Unterschied der Meinungen beider Kirchen über diesen Gegenstand überhaupt von selbst verschwinden. - Was aber den zweiten Vorwurf betrifft, daß nämlich die kalvinische Lehre der Vernunft gänzlich das Eindringen in das Geheimniß des göttlichen Rathschlusses wehrt, indem sie gradezu 468 ein unergründliches Gutdünken aufstellt: so verweise ich zunächst auf das schon angeführte, daß nämlich die Lehre der lutherischen Kirche wie sie in der Concordienformel aufgestellt ist, ganz dasselbige thut, wenngleich sie nicht gradezu die Formel eines solchen Gutdünkens | aufstellt, und nicht so schlechthin wie Kalvin gesteht, daß wir über den 98 göttlichen Willen nicht könnten hinausgehn. U n d daß nicht jemand sage, hier beriefe ich mich auf die Concordienformel, anderwärts aber wo sie am meisten von der kalvinischen Lehre abwiche beriefe ich mich wieder darauf, daß die Concordienformel nicht von der ganzen lutherischen Kirche als ein symbolisches Buch anerkannt sei! Sondern ich finde, daß diese schon oben angeführten Aeußerungen mit den in der augsburgischen Confession vorgetragenen Lehren von dem menschlichen Unvermögen und von der Art wie der Glaube gewirkt wird so genau zusammenhängen, wie H e r r Dr. B. meint, daß die ganze kalvinische Lehre eine Kette strenger Folgerungen aus jener Voraussezung sei. Aber demnächst möchte ich fragen, wenn die Klage der Vernunft, daß man ihr hier auf dem Gebiet der göttlichen Vorherbestimmung zur Se-

i l f Vgl. Rom 7,14/ 23f S. oben Anm. 28 und 34 35 f Vgl. Aphorismen 95 (unten 456,36-41)

32-34

Vgl. oben Anm.

52

210

Lehre von der Erwählung

l i g k e i t d u r c h d e n G l a u b e n w e h r e , w a s i h r d o c h g e b ü h r e u n d w o z u sie sich u n w i d e r s t e h l i c h g e t r i e b e n f ü h l e , g e g r ü n d e t sein soll u n d a n g e h ö r t w e r d e n , o b sie u n s d a n n n i c h t e r s t n a c h w e i s e n m u ß , d a ß es i h r a n d e r w ä r t s b e s s e r g e l i n g e in d i e g ö t t l i c h e n R a t h s c h l ü s s e e i n z u d r i n g e n ? D e n n g e l i n g t es i h r a n d e r w ä r t s a u c h n i c h t u n d m u ß sie s i c h ü b e r a l l z u r R u h e g e b e n , w a r u m w i l l sie d e n n h i e r e i n e b e s o n d e r e K l a g e a n s t e l l e n ? I c h g l a u b e a b e r n i c h t , d a ß sie a n d e r w ä r t s m e h r G r u n d g e w o n n e n h a t w e d e r auf dem geschichtlichen noch dem natürlichen Gebiet. D e n n wenn wir hier eben so nach dem Einzelnen fragen, weshalb doch Gott dem und j e n e m d i e s e u n d j e n e G a b e v e r l i e h e n o d e r v e r s a g t , | w e l c h e s e b e n so viel h e i ß t , als w a r u m G o t t a n d i e s e S t e l l e z u d i e s e r Z e i t g r a d e e i n e n s o l c h e n M e n s c h e n g e s t e l l t u n d n i c h t e i n e n a n d e r n : s o g l a u b e i c h n i c h t , d a ß sie e s j e m a l s w i s s e n w i r d . U n d w e n n sie B e s c h e i d g e b e n s o l l , w a r u m a u f dieser Stelle d e r E r d e S a n d w ü s t e n seien u n d auf j e n e r h o h e G e b i r g e u n d n i c h t u m g e k e h r t : s o g l a u b e i c h n i c h t , d a ß sie e s w i s s e n w i r d . D e n n es h i l f t i h r n i c h t , w e n n sie s i c h h i e r h i n t e r d i e w i r k e n d e n U r s a c h e n v e r s t e c k e n w i l l ; d e n n w i r k e n d e U r s a c h e n g i e b t es d o r t a u c h ; a b e r ü b e r a l l s i n d d i e w i r k e n d e n U r s a c h e n a u c h v o n G o t t g e o r d n e t , u n d es f r a g t s i c h e b e n , w a r u m e r sie s o g e o r d n e t , d a ß sie g r a d e d i e s e W i r k u n g e n h e r v o r b r i n g e n u n d n i c h t a n d e r e . W e i ß sie a l s o n i r g e n d m e h r v o n d e n B e s t i m m u n g s g r ü n d e n d e r g ö t t l i c h e n R a t h s c h l ü s s e , w a r u m w i l l sie d o c h g r a d e dieses wissen, weshalb G o t t d e m einen M e n s c h e n den G l a u b e n giebt u n d d e m a n d e r n nicht? U n d w e n n ihr auf d e m g e s a m m t e n geschichtlichen Gebiete diese Einsicht nicht gelingt, was h a b e n wir f ü r G r u n d , d a m i t sie i h r a u f d e m r e l i g i ö s e n g e l i n g e , d i e V o r a u s s e z u n g v o n d e m menschlichen Unvermögen sammt den anerkannten Folgen daraus aufzugeben? D e n n d u r c h dieses A u f g e b e n k ö n n t e d o c h nichts anderes err e i c h t w e r d e n , als d a ß d a s religiöse G e b i e t d e m ü b r i g e n g e s c h i c h t l i c h e n v o l l k o m m e n g l e i c h g e s t e l l t w ü r d e . D a r u m g l a u b e i c h , sie t h ä t e a m k l ü g s t e n , w e n n sie e s h i e r m a c h t e w i e d o r t , d i e E n d u r s a c h e n n ä m l i c h , d a sie d o c h e i n m a l i h r e r S c h w ä c h e w e g e n beides t r e n n e n m u ß , g e h n ließe u n d s i c h m e h r a u f d i e K u n d e d e r w i r k e n d e n U r s a c h e n l e g t e , in w e l c h e n sie g e w i ß ist | d i e V e r h e r r l i c h u n g d e r g ö t t l i c h e n W e i s h e i t z u f i n d e n , w e n n sie e r f o r s c h t w i e m a n n i g f a l t i g a u f d e r e i n e n S e i t e d e r g ö t t l i c h e G e i s t a u c h a u f d i e v e r s t o k t e s t e n G e m ü t h e r w i r k t u n d sie a l l m ä h l i g u m w a n delt, u n d w i e auf d e r a n d e r n Seite a u c h g u t g e a r t e t e Seelen d o c h z u r ü k bleiben u n d nicht z u m rechten innern F r i e d e n gelangen, w e n n ihnen die gehörige Ansprache des göttlichen W o r t e s fehlt. U n d nicht nur beim A l l g e m e i n e n b r a u c h t sie s t e h e n z u b l e i b e n b e i d i e s e n F o r s c h u n g e n , s o n d e r n sie m a g i m m e r d a m i t i n s E i n z e l n e g e h e n , u n d a l l e s m u ß l e h r r e i c h s e i n f ü r d e n j e n i g e n , d e r s e l b s t e i n W e r k z e u g d e s g ö t t l i c h e n G e i s t e s ist u n d sein will u m d e n G l a u b e n f o r t z u p f l a n z e n , d a m i t e r l e r n e n k a n n , w i e j e d e S e e l e a m b e s t e n a n z u f a s s e n ist u n d z u b e a r b e i t e n , u n d u n t e r -

99

469

100

470

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

40

211

scheiden den merklichen Wechsel gnädiger u n d gesegneter Zeiten, u n d solcher die an sich u n f r u c h t b a r scheinen u n d vielleicht n u r v o n w e i t e m v o r b e r e i t e n . W i l l sie s i c h a b e r d a m i t n i c h t b e g n ü g e n a u f d i e s e W e i s e i m E i n z e l n e n i m m e r g e n a u e r z u e r f a h r e n w i e d a s R e i c h G o t t e s ist u n d w i r d , u n d k a n n sie s i c h n i c h t e n t h a l t e n , n a c h d e m W a r u m u n d W e s h a l b z u f r a g e n , s o g e s t e h e sie n u r s i c h s e l b s t w i e w e i t s i e e s d a m i t a n d e r w ä r t s b r i n g t , u n d w i e sie d o c h i m m e r w i e d e r v o n d e n E n d u r s a c h e n a u f d i e w i r k e n d e n z u r ü k g e t r i e b e n w i r d . D e n n g e h t sie a u f d a s A l l g e m e i n e , s o h ä l t sie s i c h a n d e n O p t i m i s m u s o d e r d i e R e g e l d e s B e s t e n , d a ß n ä m l i c h a l l e s in d e r W e l t s o sei u n d g e s c h e h e , w i e es d a s b e s t e ist; a b e r s c h o n w a s d e n n n u n d a s b e s t e sei, d a s ist g a r s c h w e r z u s a g e n , u n d e i n e u n z u r e i c h e n d e F o r m e l p f l e g t i m m e r d i e a n d e r e z u v e r d r ä n g e n , | w e n n es b e - 101 s t i m m t soll b e z e i c h n e t w e r d e n ; n o c h s c h w e r e r a b e r ist d a r z u s t e l l e n , w i e d e n n das Einzelne zu diesem Besten mitwirkt u n d beiträgt, so d a ß dieses n i c h t h ä t t e e r r e i c h t w e r d e n k ö n n e n , w e n n j e n e s a n d e r s g e w e s e n w ä r e als es ist. S o v i e l a b e r b l e i b t i m m e r g e w i ß , d a s B e s t e ist n u r d a s j e nige was nichts enthält a u ß e r d e m Besten, so d a ß m a n also bei k e i n e m Einzelnen auf die Frage nach d e m Z w e c k u n d d e r Absicht getrieben w i r d , s o n d e r n j e d e s s e l b s t d e n Z w e c k in s i c h t r ä g t ; u n d d a n n b l e i b t n u r die F r a g e ü b r i g n a c h d e m Z u s a m m e n h a n g alles E i n z e l n e n u n t e r sich u n d mit der Einheit des G a n z e n , das heißt die Frage n a c h d e m W i e u n d n i c h t d e m W e s h a l b . G e h n w i r a b e r bei dieser U n t e r s u c h u n g v o n d e m E i n z e l n e n a u s u n d f r a g e n , w e s h a l b d o c h d i e s e s o d e r j e n e s , sei e s n u n g u t o d e r s c h l i m m , g r a d e s o h a b e sein m ü s s e n u n d n i c h t a n d e r s , w i e selten werden wir uns auch n u r eine solche R e c h e n s c h a f t geben k ö n n e n , es h a b e g r a d e s o s e i n m ü s s e n , d a m i t d i e s e s o d e r j e n e s h a b e d a r a u s f o l gen können. Glauben wir aber auch so etwas noch so deutlich zu sehen, s o k e h r t j a d o c h , d a a u c h d i e s e s n u r e t w a s E i n z e l n e s ist, d i e F r a g e w i e d e r , w a r u m a u c h d i e s g r a d e s o u n d n i c h t a n d e r s u n d w e d e r f r ü h e r n o c h 471 später h a b e sein d ü r f e n , u n d w i r k o m m e n d o c h n i c h t e h e r z u r R u h e , bis w i r bei d e r I d e e eines a l l g e m e i n e n Z u s a m m e n h a n g e s a n g e k o m m e n sind, in w e l c h e m j e d e s E i n z e l n e z u g l e i c h w i r k e n d u n d w e r d e n d ist, u n d a l s o auch nur nach seiner Stellung u n d B e d e u t u n g im G a n z e n gefragt w e r d e n k a n n . S o i s t es ü b e r a l l u n d a n d e r s k a n n es a u c h h i e r n i c h t s e i n ; u n d w e d e r d i e e i n e n o c h | d i e a n d e r e T h e o r i e , j a a u c h d i e n e u e r e d r i t t e 102 m a c h t k e i n e n U n t e r s c h i e d . F r a g t j e m a n d , w a r u m d e r e i n e M e n s c h in d a s R e i c h G o t t e s a u f g e n o m m e n ist u n d d e r a n d e r e n i c h t , s o w e i ß i c h f r e i l i c h m i t K a l v i n n i c h t s a n d e r s z u s a g e n , als w e i l G o t t s o g e w o l l t h a t , u n d m i t d i e s e r A n t w o r t m e i n e n w i r n i c h t s a n d e r s , als d a ß a u c h d i e s e s Einzelne nicht etwa willkührlich durcheinander geworfen, sondern mit dem allgemeinen Z u s a m m e n h a n g e den u n d wie ihn G o t t geordnet hat b e s t i m m t ist, n i c h t a b e r a n u n d f ü r s i c h o d e r i n B e z i e h u n g a u f i r g e n d etwas Einzelnes. D a ß die lutherische K i r c h e a u c h nicht m e h r w e i ß , g e h t

212

5

10

15

20

25

30

35

Lehre von der

Erwählung

aus den oben angeführten Aeußerungen der Concordienformel hervor. U n d auch irgend eine pelagianische Theorie, wenn sie nicht jene absolute Freiheit postulirt, die denn so weit nur immer ihr Wirkungskreis ginge die Allmacht Gottes ganz zerstörte, wird eben so wenig weiter kommen. Aber das heilsame Umkehren von der leeren Frage nach den B e s t i m m u n g s g r ü n d e n des göttlichen Willens zu der lehrreichen nach dessen näherer B e s t i m m t h e i t erleichtert grade am meisten die strenge kalvinische Theorie. Schon deshalb zuerst weil sie über den göttlichen Willen nicht hinausgehen will, und wir immer das am genauesten zu betrachten im Stande sind, wobei wir zulezt verweilen; noch mehr aber deshalb, weil sie am bestimmtesten darauf hält, daß der erwählende Rathschluß Gottes, weil er das geistige Leben hervorbringt aus dem nichtgeistigen, ein schaffender göttlicher Wille ist, der, indem er eine Welt hervorbringt, die in M a ß und O r d n u n g besteht, selbst | als 103 eine nach M a ß und O r d n u n g wirkende Kraft zu betrachten ist; und diese in ihrer Wirkungsart und ihren Gesezen immer genauer zu verste- 472 hen, das ist die Aufgabe, von deren Lösung wir die vom Geiste Gottes erleuchtete Vernunft des Menschen nicht abhalten dürfen und welche die augustinische Theorie weit entfernt ist zu hemmen. Haben wir einmal das Einzelne fahren lassen, worin uns die unendliche Mannigfaltigkeit des f ü r uns unendlich kleinen am meisten verwirrt, und statt dessen die Betrachtung im Großen eingeschlagen; sind wir überzeugt, wie schon oben bemerkt worden und mit der kalvinischen Theorie am vollkommensten übereinstimmt, daß man nicht von einem göttlichen Rathschluß über jeden einzelnen Menschen besonders reden könne, sondern daß es nur Einen Rathschluß gebe, durch welchen Gott bestimmt was aus allen und jeden Menschen werde, und daß dieser also nichts anderes sei als die Ordnung, nach welcher die erstorbene Masse durch den göttlichen Geist belebt werde: so liegt darin schon dieses, daß so wie das W o r t in Christo Fleisch, ein menschliches Einzelwesen geworden ist, so der Geist Gottes über seine Jünger ausgegossen und in seinem Wirken an das Wort gebunden eine geistige Naturkraft geworden ist, welche geistige Einzelwesen bildet, aber in ihrem Wirken wiewol an und f ü r sich gleichmäßig nach allen Seiten thätig bestimmt wird durch den verschiedenen Grad des Bedürfnisses und der Empfänglichkeit des ihm auf verschiedenen Seiten gegebenen Stoffes. Von dieser Betrachtung ausgehend und auf diese Weise die Wirkungsart des göttlichen | Geistes untersuchend gelangen wir zu einem solchen Verfahren, 104

37 Weise] Weiss 1 Anm. 33.34

22-29

201,28-204,7

30 f Vgl. Joh. 1,14

Lehre von der Erwählung

213

welches w o von göttlichem H a n d e l n und W i r k e n die Rede ist das einzig angemessene scheint, zu demjenigen nämlich in welchem die E n d u r sachen und die wirkenden Ursachen zusammenfallen. So erklärte C h r i stus selbst die wahre Bestimmtheit seines Wirkens; denn wenn er sagt: „ich bin g e k o m m e n die Sünder zur Buße zu r u f e n und nicht die G e rechten", so wollen wir das freilich nicht particularistisch verstehen von seiner Absicht, sondern es rein f ü r dasselbe halten mit dem vorigen „die Gesunden b e d ü r f e n des Arztes nicht, sondern die Kranken", und es ist demnach eine nähere Beschreibung seines Erfolges, d a ß nämlich sein 473 nach allen Seiten ergehender Ruf auf diejenigen am kräftigsten wirkte, in welchen sich mit dem Uebel auch das G e f ü h l desselben am stärksten ausgebildet hatte. So untersuchte auch Paulus, wie es doch zugehe, d a ß der Geist Gottes durch das W o r t kräftiger auf die H e i d e n wirke als auf die Juden; u n d was er dem Scheine nach teleologisch so ausdrückt, „die Fülle der H e i d e n müsse zuvor eingehen in das Reich Gottes, damit hernach das ganze Israel selig werde", das besagt doch nichts anderes, als d a ß eben die H e i d e n im Vergleich mit den J u d e n die Kranken waren, die Juden aber die Gesunden, und d a ß im G a n z e n diese erst wenn sie von der h ö h e r e n Gesundheit, welche die H e i d e n durch das Evangelium erlangt hatten, ganz umgeben wären, zum G e f ü h l ihrer Krankheit k o m men w ü r d e n . So erklärt Origenes 6 1 , „es sei das liebere W e r k des W o r tes | die Verständigeren zu retten, weil ihm diese verwandter seien als 105 die Stumpfsinnigen", und spricht damit ebenfalls ein N a t u r g e s e z aus, nach welchem der ausgegossene Geist durch das W o r t wirke, und danach müssen wir wol seine folgenden W o r t e so erklären: „weil aber der Mehrtheil des H a u s e s Israel nicht die w a h r h a f t verständigen gewesen wären, so hätte sich der Geist aus dem was thöricht war vor der Welt das w a h r h a f t verständige und verwandte hervorgesucht." W a r u m also sollten wir, denen der göttliche Rathschluß soviel weiter entwickelt vor

"[...] 'ίσμεν toö λόγου προηγούμενον είναι έργον σώζειν τούς συν-|ετωτέρους· 105 οϊκειότεροι γαρ ούτοι παρά τούς άμβλυτέρους αύτφ τυγχάνουσιν. άλλ' έπεί τά άπολωλότα πρόβατα οϊκου 'Ισραήλ, παρά τό κατ' έκλογήν χάριτος λεϊμμα, ήπείθησαν τφ λόγω, διά τοϋτο έξελεξατο τά μωρά του κόσμου, κ. τ. λ. (Ed. Paris. III, p.505.).'

21 Origenes,] Origenes"

30 είναι] είναι

33 κόσμου,] κόσμου.

5f Vgl. Lk 5,32 71 Vgl. LK 5,31 12-14 Vgl. Rom 9-11 14-16 Vgl. Rom ll,25f 30-34 Origenes: Commentaria in Matthaeum 11,17 (zu Mt 15,21 ff), ed. C. Dehme Bd3, Paris 1740, BC; GCS 10,63,12-16

214

5

10

15

20

25

Lehre von der Erwählung

Augen liegt, nicht eben so forschen? Wir werden also das Besondere an das Allgemeine anknüpfend sagen: Wenn einmal, weil es sich so zeigt, nicht geläugnet werden kann, das menschliche Geschlecht als ein erst durch die Erscheinung des göttlichen Sohnes aus der Gewalt der Sünde zu erlösendes sei zur Idee der Welt gehörig und eine unentbehrliche 474 Stelle darin ausfüllend von Gott vorherversehen und verordnet gewesen: so folgt auch, daß es in seiner ganzen Vollständigkeit sei verordnet gewesen, und daß sich also alle verschiedenen Verflechtungen menschlicher Vermögen, aber zugleich in den verschiedensten Abstufungen des Verderbens und der Ohnmacht was göttliche Dinge betrifft, vor Christo haben entwickeln müssen, nach dem göttlichen Rathschluß jedes an seiner Stelle und zü seiner | Zeit. In diese mannigfaltige Fülle des ver- 106 derbten Seins sei nun durch Christum der göttliche Geist getreten, an die Verkündigung des Wortes gebunden und dadurch eben wie in Christo der Sohn vermenschlicht; und so entstehe nun das geistige Leben dem göttlichen Rathschluß zufolge eben so wie das natürliche, je nachdem die christliche Kirche, der gemeinsame Träger des göttlichen Wortes, in ihrem Wirken auf die der Belebung fähige Masse bald hier bald dort einen von Gott zur Entstehung des einzelnen Lebens vorherbestimmten und eben deshalb auch durch alle vorherigen Zustände und alles Zusammentreffen bis zum scheinbar zufälligsten herab bedingten Augenblick erreichte, das heißt einen solchen, wo das Verlangen nach Erlösung, welches das nie aus der menschlichen Natur völlig verschwindende Gute ist62, sich mit seiner ganzen Empfänglichkeit den Einflüs- 475 sen des Geistes öfnet; wo aber und | so lange dieses Wirken einen sol- 107 chen Augenblick nicht trifft, entstehe auch kein neues Leben, aber bedingt wieder dadurch und gereift, wie durch alles, die von Gott der

"Ein solches anzunehmen trage ich mit A u g u s t i n kein Bedenken, und finde seine Demonstration sehr schlagend: „Quamdiu itaque natura corrumpitur, 30 inest ei bonum quo privetur: ac per hoc, si naturae aliquid remanebit, quod iam corrumpi nequeat, profecto natura incorruptibilis erit, et ad hoc tarn magnum bonum corruptione perveniet. At si corrumpi non desinet, nec bonum habere utique desinet,.quo eam possit privare corruptio. [ . . . ] Quocirca bonum consumere corruptio non potest nisi consumendo naturam." ( E n c h i r i d . 4.) 35 Das erste freilich bedarf einer leisen Verbesserung, aber es ist auch das lezte vorzüglich, woran wir uns zu halten und damit den bekannten andern Aus-

32 At] Ac

33 eam] iam

29-34 Enchiridion ad Laurentium de fide et spe et charitate 4, (12), Bd6, Antwerpen 1701, 146E; CChr 46,54,14-22

Benediktiner-Ausgabe

Lehre von der

5

10

15

20

25

Erwählung

215

Zukunft vorherbestimmten Momente der neuen Schöpfung, welche so sich immer weiter verbreitend und aus der Masse der Nichtigkeit und des Verderbens die reichste Mannigfaltigkeit des geistigen Lebens, je nachdem die natürlichen Gaben welche der Geist sich aneignet verschieden sind, entwiklend, das Reich Gottes darstellt, welches immer mehr verstärkt, weil es an jedem neu belebten wieder ein kräftiges Werkzeug des belebenden Geistes gewinnt, auch immer leichter den Widerstand überwindet, ja schon durch seine entfernteren Einflüsse das Widerstrebende bindet und erweicht, und uns hinter den unbekannten und unberechneten Gliedern der Fortschreitung das lezte erblicken läßt, wenn alles Todte wird belebt und alles Widerstrebende in die Einheit des Ganzen wird aufgenommen sein. Dieses nun ist die Weise des ungetheilten Rathschlusses der Erwählung sowol als Verwerfung: denn diejenigen, welche so, von der Gewalt des Wortes ergriffen, jeder wie ihm Gott Art und Stunde bestimmt hat, belebt und wiedergeboren werden, die sind die Erwählten; welche aber nicht ergriffen werden, sei es nun, daß sie in einen schon erleuchteten Kreis von Gott als jene unempfänglichsten, die auch nicht fehlen dürfen, hingestellt waren, oder daß ihnen bestimmt war zu sterben, ehe das belebende Wort in den Umkreis ihres Daseins eintrat, diese wollen wir, je nachdem jeder will, die Uebersehenen nennen, sofern | sie ja doch nur zeigen, was der Geist nach 108 dem Maß, in welchem er an einem Orte wirksam war, nicht vermocht hat, oder auch die Verworfenen, sofern doch in Gott Vorherwissen und Vorherverordnen nur eines sein kann und dasselbe. Und gegen diesen Versuch die Bestimmtheit des göttlichen Rathschlusses darzustellen wird auch Kalvin meine ich nichts einzuwenden haben, weil auf diese Weise keine Bestimmungsgründe des göttlichen Willens außerhalb und 476 gleichsam jenseit desselben gesucht werden, sondern es dabei bleibt, daß der schaffende und ordnende göttliche Wille das lezte ist63 und die-

30

Spruch zu verbinden haben: „desiderare gratiam initium est gratiae"; und den kalvinischen: „Videmus [ . . . ] insitum esse humano ingenio desiderium [ . . . ] indagandae veritatis, ad quam minime aspiraret nisi aliquo eius odore ante percepto." ( I n s t i t . II, II, 12.) "„Causas [ . . . ] voluntatis Dei scire quaerunt, quum voluntas Dei omnium quae 35 sunt ipsa sit causa." A u g . de G e n e s i c. M a n .

31 V i d e m u s ] videmus

32 aspiraret] aspirant

30 Vgl. Augustinus: De correptione et gratia 2, Benediktiner-Ausgabe BdlO, Antwerpen 1701, 495 C; MPL 44,917 Statt gratiam Q ; auxilium gratiae 3 1 - 3 3 Ed, Leiden (1654) 86; ed. Barth 3,255,30-32 3 4 f Augustinus: De Genesi contra Manichaeos 1,2,4, Benediktiner-Ausgabe Bd 1, Antwerpen 1700, 480D; MPL 34,175

216

5

10

15

20

25

30

35

40

Lehre von der Erwählung

ser durch keine Rüksicht auf den Menschen bestimmt wird, denn das Fleisch kann Gott nicht gefallen und der Geist wird erst durch diesen Rathschluß und zufolge desselben mitgetheilt. Sondern es soll nur auf diese Art deutlich werden, wie des Einzelnen Erwählung und Verwerf u n g nur die entgegengesezten aber in jedem Augenblick zusammengehörigen Theile desselben Rathschlusses sind, das menschliche Geschlecht durch göttliche Kraft aber auf natürliche Weise in den geistigen Leib Christi umzubilden. Und wie dieser Rathschluß in seiner Einheit betrachtet nichts anderes ist als die Erweisung der göttlichen Liebe, von welcher auch Kalvin den göttlichen Willen niemals hat trennen wollen, eben so zeigt sich, wenn man ihn in seine entgegengesezten Elemente auflöset, das heißt in seiner zeitlichen Erscheinung betrachtet, eben an dieser | naturgemäßen Entwiklung der göttliche Wille als jene 109 gerechteste Ursache aller Dinge, welche Kalvin überall aufsuchte und voraussezte, so daß in diesem Gedanken, daß der göttliche Geist durch das W o r t als N a t u r k r a f t wirkt, nichts anderes enthalten ist, als nur die genauere Darlegung des kalvinischen „ p r o u t v i s u m est D e o " ( I n s t i t . III, XXIY, 10.). Denn das war ja von Anfang an sein Gutdünken, nicht einzelnes Sein und Leben zu erschaffen, sondern eine Welt, und so wirkt auch der Geist Gottes als eine weltbildende Kraft und es wird durch ihn nicht einzelnes ordnungslos entstehendes geistiges Leben, sondern die geistige Welt. Demzufolge nun wenn die ganze Lehre auf diese Formel zurükgef ü h r t ist, in welcher allein, wovon auch die Rede sei, die Bestimmtheit des göttlichen Willens kann angeschaut werden: so dünkt mich kann nur noch Ein Stachel zurükbleiben, eben jenes „ h o r r i b i l e " des kalvini- 477 sehen Dekrets, daß die Uebersehenen oder Verworfenen dann auf ewig verdammt sind und aller Seligkeit beraubt, ohnerachtet sie an sich sowol ihrer N a t u r nach als nach der allgemeinen Kraft der Erlösung dieselben Ansprüche haben als die übrigen, welches freilich keine anderen sind, denn andere giebt die lutherische Kirche auch nicht zu, als Ansprüche an die göttliche Gnade. U n d dieses eben ist es, was sich mit der ewigen Vaterliebe Gottes nicht reimen will; wir aber haben es bisher fast zu verbergen gesucht und es gleichsam umgangen, indem wir mehr nur vom Reich Gottes geredet, ohne die Seligkeit besonders herauszuheben; noch | weniger aber haben wir der ewigen Verdammniß ge- 110 dacht. Was nun diese betrifft, so ist es freilich überhaupt schwer sie ordentlich zu denken; aber ich möchte mich nicht scheuen auch dem Verdammten zu sagen, er möge bedenken, daß Gott ihn auch gar nicht hätte schaffen können, und nun sei er sich doch seines Daseins bewußt,

17f Ed. Leiden (1654) 346; ed. Barth 4,421,18

26f Vgl oben Anm. zu

160,lf

Lehre von der Erwählung

5

10

15

20

25

30

35

40

217

o d e r d a ß e r i h n h ä t t e k ö n n e n z u m T h i e r e s c h a f f e n , u n d n u n sei e r sich d o c h seiner V e r n u n f t b e w u ß t . D e n n seiner V e r n u n f t m u ß er sich d o c h b e w u ß t sein, soll e r n a c h w i e v o r h e r derselbe, also ein M e n s c h sein; u n d i n d e m e r sich in d i e s e m B e w u ß t s e i n m i t u n t e r g e o r d n e t e n G e s c h ö p f e n u n d d e m N i c h t s e i n vergleicht, m u ß er f ü h l e n , d a ß er kein R e c h t h a t etw a s a n G o t t z u f o r d e r n . O b a b e r in d i e s e m B e w u ß t s e i n n i c h t s c h o n e i n e A r t v o n Z u f r i e d e n h e i t liegt, w e l c h e k e i n e v o l l k o m m n e U n s e l i g k e i t z u l ä ß t , u n d o b V e r n u n f t als B e w u ß t s e i n in d e m M e n s c h e n sein k ö n n e o h n e a u c h t h ä t i g u n d d e s W a c h s t h u m s in d e r T h ä t i g k e i t f ä h i g z u sein, d i e s e s f r e i l i c h will ich d a h i n g e s t e l l t sein l a s s e n . A l l e i n d e m sei w i e i h m wolle, so f i n d e ich, d a ß a u c h h i e r ü b e r m i t U n r e c h t d e r k a l v i n i s c h e n T h e o r i e ein a u s s c h l i e ß e n d e r V o r w u r f g e m a c h t w i r d . O d e r ist w o l d e r Unterschied zwischen der göttlichen Vorherversehung und dem zulassenden göttlichen Vorherwissen so groß, d a ß n u r mit d e m einen, w e n n m a n auf die e w i g e V e r d a m m n i ß sieht, die a l l g e m e i n e V a t e r l i e b e G o t t e s n i c h t b e s t e h e n k ö n n e , w e n n m a n a b e r d a s a n d e r e a n n i m m t i n i h r e m 478 vollen Licht erscheine? U n d sollte m a n nicht vielmehr sagen, diejenigen deren ewige V e r d a m m n i ß der barmherzige Vater auch | nur v o r h e r g e - ill s e h e n , sollte e r w o l n i c h t e r s c h a f f e n h a b e n ? o d e r ist d e r U n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e r S c h u l d , d e n n U n s c h u l d o d e r V e r d i e n s t ist ja n i r g e n d s , d e s gläubig g e w o r d e n e n u n d d e r Schuld des ungläubig gebliebenen so groß, d a ß sich d e r u n e n d l i c h e U n t e r s c h i e d z w i s c h e n Seligkeit u n d V e r d a m m n i ß f ü r alle u n e n d l i c h e Z e i t d a r a u s r e c h t f e r t i g e n ließe? D o c h ich will s o oft und großentheils auch so flach gesagtes nicht wiederholen, sondern n u r einestheils auf d a s j e n i g e z u r ü k w e i s e n , w a s ich o b e n ü b e r das V e r hältniß des menschlichen Widerstandes zur göttlichen V o r h e r v e r o r d n u n g beigebracht, u n d was mir noch immer nicht flach gesagt scheint, anderntheils n u r andeuten, d a ß mir d e m z u f o l g e die göttliche Rechtfertigung w e g e n d e r V e r d a m m n i ß eines T h e i l e s des m e n s c h l i c h e n G e schlechtes gar nicht davon a b z u h ä n g e n scheint, ob m a n Vorherversehung annimmt oder Vorhersehung, sondern vielmehr davon, ob man d e n Z u s t a n d d e r V e r d a m m t e n als e i n e n i m g a n z e n U m f a n g d e r menschlichen N a t u r nothwendigen, mit der Idee derselben gegebenen und daher von irgend welchen Einzelwesen der Gattung auszufüllend e n ansieht o d e r nicht. D e n n im lezten Falle w e i ß ich keine V e r e i n b a r u n g mit der allgemeinen Liebe Gottes zu treffen, eben so w e n i g bei der l u t h e r i s c h e n T h e o r i e als bei d e r k a l v i n i s c h e n , u n d ich f i n d e , d a ß d e r e r s t e r e n a u c h n i c h t s a n d e r e s ü b r i g bleibt als sich auf die U n b e g r e i f l i c h keit u n d Undurchdringlichkeit des göttlichen Rathschlusses z u r ü k z u ziehn. Ist d a g e g e n d e r Z u s t a n d d e r V e r d a m m t e n eine n o t h w e n d i g e

25-27

158,26-161,21

218

5

10

15

20

25

30

35

40

Lehre von der

Erwählung

S t u f e , j a s o i s t e s d i e o r d n e n d e g ö t t l i c h e G e r e c h t i g k e i t , w e l - | c h e sie a u s füllt, u n d dieser m ö g e n wir i m m e r g ö n n e n auch v o r h e r b e s t i m m e n d zu sein u n d m ö g e n ihr nichts a b k ü r z e n ; a b e r d a n n f o l g t auch, theils d a ß die V e r d a m m n i ß weil eine n o t h w e n d i g e S t u f e a u c h eine E n t w i k l u n g s s t u f e sein m u ß , d e n n b e i d e s l ä ß t sich im G e b i e t e l e b e n d i g e r geistiger N a t u r nicht t r e n n e n , theils d a ß auch die V e r d a m m t e n nicht k ö n n e n d a v o n a u s g e s c h l o s s e n sein G e g e n s t ä n d e d e r g ö t t l i c h e n L i e b e z u sein, weil alles w a s z u d e r g e o r d n e t e n W e l t des L e b e n s g e h ö r t , ein G e g e n s t a n d aller g ö t t l i c h e n E i g e n s c h a f t e n sein m u ß . Will n u n j e m a n d sagen, hierd u r c h w e r d e w i e d e r die t h e o l o g i s c h e F r a g e in d a s s p e k u l a t i v e G e b i e t h i n ü b e r g e s p i e l t , d e r b e d e n k e nur, d a ß ich dieses g a r n i c h t v e r a n l a ß t habe, sondern diejenigen welche der kalvinischen Lehre eine Unvereinbarkeit mit d e r göttlichen B a r m h e r z i g k e i t zuschreiben, welche die lut h e r i s c h e n i c h t t h e i l e . I n d e ß w i r w o l l e n u n s a u c h g a r n i c h t in d a s S p e kulative weiter vertiefen, s o n d e r n gleich z u m T h e o l o g i s c h e n z u r ü k k e h rend nur bemerken, d a ß sobald jener Vorwurf aufgeregt wird, der weit m e h r auf d e r T h a t s a c h e d e r V e r d a m m n i ß h a f t e t als auf d e r A r t w i e m a n d i e U r s ä c h l i c h k e i t in B e z u g a u f sie z w i s c h e n G o t t u n d d e m M e n s c h e n theilt, b e i d e T h e i l e sich auf d e m S c h e i d e w e g e b e f i n d e n , e n t w e d e r mit d e r E w i g k e i t u n d U n e n d l i c h k e i t d e r H ö l l e n s t r a f e n a u c h die U n b e g r e i f l i c h k e i t d e r g ö t t l i c h e n A n o r d n u n g e n a n z u n e h m e n , o d e r i n d e m sie zu der Vorstellung von einer endlichen allgemeinen V e r s ö h n u n g u n d W i e d e r b r i n g u n g alles V e r l o r n e n sich h i n w e n d e n , sich z u g l e i c h ü b e r allen s c h e i n b a r e n Streit z w i s c h e n ] d e r g ö t t l i c h e n G e r e c h t i g k e i t u n d d e r g ö t t l i c h e n L i e b e z u e r h e b e n . D e n n a l s d a n n ist d e r U n t e r s c h i e d z w i schen den gläubig und den ungläubig Sterbenden nur der Unterschied z w i s c h e n d e r f r ü h e r e n u n d d e r s p ä t e r e n A u f n a h m e in d a s R e i c h Christi, e i n U n t e r s c h i e d w e l c h e r m i t d e r I d e e e i n e r z e i t l i c h e n W e l t in j e d e m nach ihrem U m f a n g e d e n k b a r e n M a ß n o t h w e n d i g gegeben ist.Was m i c h n u n b e t r i f f t , s o m ö c h t e ich g e r n d a s lezte, i n d e m s o m e i n e m G e f ü h l nicht n u r die ungläubig sterbenden leichter sind zu ertragen, sondern auch die hier schon begnadigten u n d die Seligen überhaupt, d e n e n d o c h die Seligkeit m ü ß t e getrübt w e r d e n d u r c h d e n G e d a n k e n an die e w i g a u s g e s c h l o s s e n e n ; o d e r k ö n n t e n sie e t w a s e l i g s e i n , w e n n sie d a s M i t g e f ü h l f ü r alles w a s i h r e r G a t t u n g a n g e h ö r t , v e r l i e r e n m ü ß t e n ? D a n n a b e r s c h e i n t m i r a u c h diese V o r s t e l l u n g n i c h t n u r e b e n so g u t in d e r S c h r i f t b e g r ü n d e t als j e n e , w a s j e d o c h h i e r , s o f e r n e t w a s n e u e s z u sagen w ä r e , n i c h t k a n n a u s g e f ü h r t w e r d e n , s o n d e r n a u c h allein zu einer g e w i s s e n K l a r h e i t g e b r a c h t w e r d e n z u k ö n n e n , w o g e g e n s i c h in d e r a n d e r n n u r j e g e n a u e r m a n sie b e t r a c h t e t d e s t o g r ö ß e r e S c h w i e r i g k e i t e n z u h ä u f e n s c h e i n e n , u n d n u r bei dieser f i n d e t d e r V e r s t a n d R u h e , w e n n er die ursprüngliche u n d entwickelte Verschiedenheit d e r M e n s c h e n mit der Abhängigkeit Aller von der göttlichen G n a d e , die göttliche

112

479

113

480

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

35

40

Erwählung

219

Kraft der Erlösung mit dem was aus dem Widerstand der Menschen entstehen kann, endlich die Unseligkeit der Ungläubigen mit dem in ihrer Erinnerung haftenden Wort der Gnade zusammendenken soll. Und indem ich mich zu dieser Ansicht be-|kenne, stelle ich es als ein Zeichen 114 meiner Unpartheilichkeit auf, daß ich nicht behaupte, die kalvinische Theorie dränge uns zu derselben stärker hin als die lutherische. Wenn aber nun diese Auskunft doch der kalvinischen Theorie wenigstens eben so gut offen steht als Viele von der lutherischen Kirche sie von jeher ergriffen haben, und wenn derjenige der sie nicht ergreifen will bei der lutherischen Meinung nicht geringere Schwierigkeiten findet das ewige Verdammtsein mit der göttlichen Liebe zu reimen als bei der kalvinischen: so will es scheinen als leiste auch in dieser Beziehung die lutherische Nachlassung von der ursprünglichen alten Strenge keinen wesentlichen Dienst. Und wenn diese strenge Theorie in der That, wie ich denn vollkommen überzeugt bin, eine so unvermeidliche und strenge Folge der antipelagianischen Lehre vom menschlichen Unvermögen ist, wie Herr Dr. B. dies ausgeführt hat: so wünsche ich nur, es möge mir gelungen sein durch die Art, wie ich gesucht habe die der strengen Lehre gemachten Vorwürfe zu beseitigen, wenn nicht Hrn. Dr. B. selbst doch vielleicht manchen andern zu überzeugen, daß es nicht nöthig sei, jene evangelische Grundlehre vom Unvermögen des sündigen Menschen aufzugeben um der nachtheiligen Folgen willen, die aus der strengen Erwählungslehre entstehen. Und mit diesem Wunsch würde ich meinen Aufsaz schließen, wenn 481 ich nicht glaubte noch ein paar Worte über die Sache in Beziehung auf die Vereinigung der beiden protestantischen Kirchen sagen zu müssen. Zuerst nämlich wird mir| fürchte ich, der Vorwurf gemacht werden, 115 daß es von mir, der ich seit lange so sehr diese Vereinigung gewünscht habe, ganz wunderlich sei, diesen Lehrpunkt auf solche Weise zur Sprache zu bringen und so hartnäckig zu vertheidigen. Denn es sei ja die herrschende Ansicht, daß so wie viele Lutheraner sich schon der kalvinischen Abendmahlslehre genähert hatten, so die meisten Reformirten die kalvinische Prädestinationslehre schon aufgegeben hätten. Dies lezte will ich gar nicht läugnen; denn es giebt auch viele reformirte Lehrer, welche theils die harten Ausdrücke scheuen, theils nicht allzufest an der Grundlehre von dem menschlichen Unvermögen halten. Aber wenn ich die lezten ihres Weges gehen lasse, so weit sie kommen, und die ersten auch gesucht habe zu beruhigen: so liegen mir nun aus demselben Grunde aus welchem ich der Union anhange auch diejenigen Glieder der lutherischen Kirche eben so sehr am Herzen, welche an der gemein-

30-33

Vgl. z.B. Bretschneider: Aphorismen VI-IX (unten

445,14-446,36)

220

5

10

15

20

25

30

Lehre von der Erwählung

samen Grundlehre von der Unentbehrlichkeit des göttlichen Beistandes haltend, wenn ihnen nun schon durch Herrn Dr. B. Aphorismen klar geworden ist, daß sich mit dieser Lehre ganz konsequent nur die kalvinische Prädestinationslehre verträgt, die lutherische aber damit eine Inkonsequenz bildet, diese Inkonsequenz geneigt sein möchten abzuschütteln und zur kalvinischen Lehre überzugehen, und diesen habe ich den Uebergang und also die Einigkeit mit sich selbst zu erleichtern gewünscht, indem ich jene Lehre in ihrer Reinheit dargestellt von den Vorwürfen die man ihr | macht zu befreien und die harten Ausdrücke in 116 ihr rechtes Licht zu stellen gesucht habe. Deshalb habe ich mich auch absichtlich aller Anführungen und Rechtfertigungen der Dordrechtschen Synode enthalten. Denn in dieser sind wirklich harte Ausdrücke, welche die Sache an sich nicht klarer machen sondern nur verdunkeln, 482 und nur daraus entstanden sind, daß man sich auf solche nicht aus der reinen Anschauung der Sache hergenommene Fragen mit leerer Disputirkunst einließ. Die ursprüngliche Darstellung in den Institutionen des Kalvin hat sich davon ganz frei gehalten, und nur diese ist es, welche ich vertheidigen will, und von welcher ich wünsche, sie möge der Punkt werden um den sich die evangelische Kirche sammle. Denn das ist gar nicht meine Meinung, wie man mir Schuld gegeben, ich wolle daß ohnerachtet der Union die Verschiedenheit der Meinungen fortbestehen s o l l e , gleichsam als wolle ich einer möglichen Einigung der Meinungen wehren; sondern ich will nur daß die Verschiedenheit fortbestehen darf, wenn eine Einigung nicht zu erzielen wäre. U n d darum habe ich besonders aufmerksam gemacht auf die Art wie die Concordienformel sich über diesen Gegenstand ausdrückt. H e r r Dr. B. hat ganz vermieden auf diese Darstellung zurükzugehn, welches auch ganz natürlich ist, da er die Lehre von dem natürlichen Unvermögen des sündigen Menschen in geistlichen Dingen f ü r einen Nebenpunkt hält, den der lutherische Theologe leicht könne fahren lassen. Auch H e r r D r . A m nion in | seinem G l ü k w ü n s c h u n g s s c h r e i b e n f ü h r t sie S. 37. zwar an, 117

10 habe] h abe

20-22 Vgl. Bretschneider: Aphorismen X (unten 447,10-21) 26-30 Vgl. Aphorismen 94/(unten 456,10-39) 30-4 „4. In der streitigen Lehre von der Vorherbestimmung und allgemeinen Gnade stellt unsere Kirche folgende Sätze auf[Anm. ...]: Die ewige Erwählung Gottes hängt nicht von seinem unbedingten, oder geheimen Entschlüsse, sondern von seiner Liebe zu den Menschen durch Jesum und dem würdigen Gebrauche ab, den sie von dieser Wohlthat machen. Wir erkennen daher keinen Unterschied eines geheimen und verborgenen Willens Gottes von dem geoffenbarten an, sondern schöpfen diese Lehre einzig aus den klaren Aussprüchen der heiligen Schrift. Diese lehrt aber, es seien Alle wahrhaftig und wirklich berufen, durch

Lehre von der

5

10

15

20

25

30

Erwählung

221

allein die gedrängte Uebersicht, welche er von dem Inhalt giebt, ist so wenig vollständig, daß man sie schon deswegen nicht als recht getreu rühmen kann, und niemand wird sich das dabei denken, was in der Sol. decl. wirklich steht. Vergleicht man diese aber mit den kalvinischen Institutionen: so muß man den Unterschied zwischen der eigentlichen Vorherbestimmung und der vorherwissenden Zulassung in der T h a t f ü r einen solchen ansehn, der außerhalb des Gebietes der allgemeinen Kenntniß liegt und einen Einfluß auf das Leben nicht ausüben kann, und muß der Meinung des sei. T ö I I n e r s beitreten, eines Theologen, der zu zeitig scheint vergessen zu werden, und den auch H r . Ammon in dieser Angelegenheit mit Unrecht nicht anführt, welcher ( V e r m i s c h t e A u f s ä z e , 2 t e Samml. S.172.) sagt: „es komme bei der Union beider 483 Kirchen alles darauf an, die streitigen Punkte f ü r akroamatisch zu erklären", und also diese Differenz eben so gut als die in der Lehre vom Abendmahl f ü r eine solche ansieht, welche nur der Schule angehört und nicht dem Leben. Damit halte ich es nun auch noch immer, und halte es f ü r ganz thunlich, daß die beiden Meinungen in Einer Kirche sind, und glaube, daß wer durch Betrachtungen dieser Art nachtheilig auf das Volk zu wirken unbesonnen und unüberlegt genug ist, der wird es bei der einen Meinung eben so gut als bei der andern können. Deshalb aber habe ich nichts dagegen, wenn man sich einigen könnte; nur hilft es nichts sich zu | einigen, wenn die Meinungsverschiedenheit immer 118 wieder entsteht, und ich meines Theils glaube, daß dies am leichtesten verhindert würde, wenn man sich um die alte augustinische Meinung sammelte. Denn etwas mittleres zwischen der kirchlichen lutherischen Theorie wie sie in der Concordienformel vorgetragen ist und der kalvinischen ist nicht zu finden. Man müßte also eine von beiden wählen, und da scheint mir die Sache so zu stehn, daß wenn man die lutherische Formel wählt, der Streit sich immer wieder erneuern muß, weil sie theils in der unvollkommenen Uebereinstimmung mit der Lehre von dem menschlichen Unvermögen, theils darin daß sie die göttliche und

den Glauben an Jesum gerecht, der Gnade Gottes würdig und der ewigen Seligkeit theilhaftig zu werden. Gott sieht zwar vorher, welche Menschen glauben, oder nicht glauben, also auch selig, oder verdammt werden sollen; aber diese Vorhersehung hindert die Freiheit ihres Willens nicht und darf sie also auch in der Bemühung nicht irre machen, des ewigen Lebens durch einen weisen Gebrauch der Gnadenmittel würdig zu werden. " (Ammon: Ueberdie Hofiiung 37f) 914 „Alles körnt darauf an, daß beide Theile die streitigen Lehrpunkte für blos in die akroamatische oder gelehrte Ausführung des geoffenbarten Lehrbegrifs gehörige Lehrpunkte erkennen, von welchen daher nichts in den gemeinen Unterricht und die gemeine Erbauung gebracht werden muß." (Johann Gottlieb Töllner: Die kirchliche Vereinigung der Protestanten, in: Kurze vermischte Aufsätze, Zweite Sammlung, Frankfurt/Oder 1766) 1 4 - 1 6 Zur Anspielung vgl. oben 1W, 9-12

222

Lehre von der Erwählung

menschliche Causalität einander gegenüber stellt, so daß sie sich in das gemeinschaftliche Gebiet, man weiß aber nicht recht wie, theilen sollen, den Keim des Zwiespalts in sich trägt, daß immer wieder demjenigen der auf die strenge Consequenz und die Klarheit der Anschauung 5 dringt ein Mangel an Befriedigung entstehen muß. Die kalvinische Formel hingegen läßt die menschliche und göttliche Causalität ganz in einander aufgehn, indem sie der lezten die erste so unterordnet, daß kein Streit zwischen ihnen entstehen kann, und sie stimmt mit der Grundlehre vom menschlichen Unvermögen vollkommen zusammen. Dem10 nach scheint grade sie mir den Keim des Streites nicht in sich zu tragen, 484 sondern braucht nur in ihrer Reinheit vorgetragen und vor Mißdeutungen behütet zu werden, wozu ich die zerstreuten Grundzüge glaube entworfen zu haben, | so kann jeder seine Beruhigung ja finden, es 119 müßte denn einer durchaus jene unstatthafte Freiheit f ü r sich begehren, 15 die aber nicht nur mit der Lehre von der Erwählung, sondern auch mit jeder Idee einer höheren Weltordnung streitet und uns dem bloßen O h n g e f ä h r preis giebt. Denn um es zulezt mit Einem Worte zu sagen, hat Gott nicht alles vorherversehen: so kann er nichts vorherversehen haben.

Über den Gegensatz zwischen der Sabellianischen und der Athanasianischen Vorstellung von der Trinität (Theologische

Zeitschrift,

Drittes Heft, Berlin

1822)

Manuskript (Druckvorlage) der Trinitätsschriß (Fragment) Faksimile der Blattvorderseite (Originalgröße)

Ueber den Gegensatz zwischen der Sabellianischen und der Athanasianischen Vorstellung von der Trinität.

5

10

15

20

25

295

Diese Blätter, die ich gern noch unbestimmter überschrieben hätte, 487 weil sie auch das angekündigte nicht erschöpfen, sondern nur die Beziehungen einiger Elemente auf einander zusammenstellen sollen, stehen in Verbindung mit demjenigen, was am Schluß meiner eben erschienenen Glaubenslehre über diesen Gegenstand gesagt ist1. Denn wenn das ungenügende und unklare in den symbolisch gewordenen Formeln daher rührt, daß man im Widerspruch gegen den Sabellianismus zuviel gethan, sei es nun daß man in demselben für falsch und gefährlich gehalten, was keines von beiden war, oder daß man, um einen nothwendigen Widerspruch auszudrücken, zu Formeln gegriffen, welche über den Zweck hinausgehen: so | müßte sich in beiden Fällen die 296 kritische Verbesserung unserer Formeln auf eine richtigere Auffassung dieses Gegensazes gründen. Meine Absicht ist für jetzt nur einige Punkte auszuzeichnen worauf es hiebei ankommt, um wo möglich der Untersuchung einen neuen Anstoß zu geben. Daß es wünschenswerth ist die Geschichtsforschung und die dogmatische Dialektik nach dieser Seite zu lenken, davon zeugt die ganze Litteratur dieses Gebietes. Denn wenn doch die Arianische Vorstellungsart in ihren verschiedenen Verzweigungen den andern Gegensaz zu unserer kirchlichen Lehre bildet: so ist am Tage wie vielseitig und fleißig die Verhältnisse dieser beiden Ansichten und aller ihrer Elemente sind bearbeitet worden; jenen Ge- 488 gensaz aber hat man fast immer nur beiläufig und gleichsam aus dem groben behandelt, ohne in die feineren Einzelheiten hineinzugehen. 1

§.190. Zusatz.

28 Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche hange dargestellt, Bd2, Berlin 1822, S. 705-708; KGA 1/7.2,370,11-371,36

im

Zusammen-

226

Vorstellung von der

Trinität

Geschichtlich n u n läßt sich dieses z w a r rechtfertigen, weil die Arianis c h e S e i t e s o v i e l l ä n g e r e u n d h e f t i g e r e B e w e g u n g e n in d e r K i r c h e v e r a n l a ß t h a t als d i e S a b e l l i a n i s c h e ; f ü r d a s d o g m a t i s c h e I n t e r e s s e a b e r bleibt dies n u r eine Zufälligkeit, u n d die G l a u b e n s l e h r e selbst k a n n n u r 5 gefördert werden, w e n n der einen A b w e i c h u n g das gleiche Recht widerfährt wie der andern.

10

15

20

25

30

35

40

Sobald der eigenthümliche C h a r a k t e r der christlichen Frömmigk e i t , v e r m ö g e d e s s e n sie d a s a u s g e z e i c h n e t e u n d ü b e r m e n s c h l i c h e in d e m Erlöser auf das göttliche W e s e n selbst z u r ü c k f ü h r t u n d dieses d a r i n v e r e h r t , n i c h t m e h r n u r p o e t i s c h in c h r i s t l i c h e n G e s ä n g e n u n d r h e t o r i s c h in k i r c h l i c h e n R e d e n s o w o h l als in a p o l o g e t i s c h e n S c h r i f t e n , | s o n d e r n n u n a u c h in s t r e n g e r e r L e h r f o r m w o l l t e a u s g e s p r o c h e n w e r - 297 d e n , m u ß t e sich die B e m e r k u n g a u f d r ä n g e n , d a ß d u r c h diese A n e r k e n n u n g das C h r i s t e n t h u m eine Stellung e i n n e h m e zwischen dem J u d e n t h u m u n d d e m H e i d e n t h u m , indem das göttliche W e s e n wirklich zu v e r v i e l f ä l t i g e n h e i d n i s c h sei, alle V e r s c h i e d e n h e i t a b e r in d e m s e l b e n , u n d n a m e n t l i c h d i e s e v e r m i t t e l s t d e r e n es a u f e i n e b e s o n d e r e W e i s e in C h r i s t o ist, z u l ä u g n e n j ü d i s c h sei u n d d i e j ü d i s c h e V e r w e r f u n g d e s S o h n e s . D i e s e A n s i c h t k o m m t n a m e n t l i c h seit d e r N i c ä n i s c h e n V e r S a m m l u n g in d e n S c h r i f t e n d e r K i r c h e n l e h r e r ü b e r d i e s e n G e g e n s t a n d s o h ä u f i g v o r , d a ß es g a n z ü b e r f l ü s s i g s c h e i n t sie d u r c h e i n z e l n e S t e l l e n z u b e l e g e n ; u n d sie ist a u c h b e i d e r g a n z e n L a g e d e r K i r c h e , s o l a n g e sie d e n J u d e n a u f d e r e i n e n , d e n H e i d e n a u f d e r a n d e r n S e i t e k ä m p f e n d g e g e n ü b e r s t a n d , s o n a t ü r l i c h , d a ß sie a u c h g e w i ß w e i t ä l t e r w a r , als d i e Zeit welche schon jener V e r s a m m l u n g a n g e h ö r t e . I n d e m n u n aber diese A n e r k e n n u n g d e n J u d e n selbst schon vielgötterisch v o r k o m m e n mußte, w ä h r e n d sie d o c h n i c h t h i n d e r t e , d a ß n i c h t d i e C h r i s t e n , w e i l sie d i e vielgespaltene göttliche N a t u r nicht a n n a h m e n , von den H e i d e n G o t t l o s e g e n a n n t w u r d e n : s o w a r e n h i e m i t z u g l e i c h a u f d e r s c h w i e r i g e n 489 Fahrt der weiteren Ausbildung dieser Lehre zwei T o n n e n ausgesteckt, zwischen w e l c h e n die F a h r t m u ß t e d u r c h g e s t e u e r t w e r d e n . D e n n m a n m u ß t e d a s e i g e n t h ü m l i c h c h r i s t l i c h e s o l e n k e n , d a ß es g e w i ß n i c h t a n d i e V i e l g ö t t e r e i w i r k l i c h a n s t i e ß , u n d z u d e m E n d e m u ß t e es d e n S t r i c h d e r μ ο ν α ρ χ ί α h a l t e n ; a b e r es d u r f t e sich a u c h n i c h t a n d a s j ü d i - | s c h e a n - 298 lehnen u m nicht mit demselben vermischt zu werden; u n d was nun diese E n t f e r n u n g von d e m jüdischen bezeichnete, w a r die christliche οικονομία. Allein da f ü r die D u r c h f a h r t zwischen diesen beiden T o n nen d o c h eine ziemliche Breite gelassen war: so b r a c h t e n jene Zeichen auch den Nachtheil, daß, wie jeder nach Berechnung oder vom W i n d e getrieben seinen Kurs zwischen beiden n a h m , er einen a n d e r n zu n a h e a n d e m einen Z e i c h e n erblickte, w ä h r e n d er selbst z w a r glaubte die M i t t e z u h a l t e n , in d e r T h a t a b e r in g l e i c h e r N ä h e d e s a n d e r n e n t g e gengesetzten Zeichens segelte. D a s J u d e n t h u m e r k a n n t e die Einheit des

Vorstellung von der

Trinität

227

höchsten Wesens; aber Gott blieb in seiner Einheit immer außer dem Menschen. Er erschien, er ließ die Stimme vernehmen; so wurden Gesetzgebung und Prophetie: aber seine Gedanken und sein Wille k o n n ten dem Menschen nur von außen her gegeben werden als Spruch und Gesetz. Auch die Begeisterung des Sehers war nur ein solches Aufmerken auf äußere Gesichte und Stimmen; und sollte sie rein von innen ausgehn, so hätte sie nur können als eine vorübergehende magische Wirkung begriffen werden. Diese Unvollkommenheit war verschwunden, das höchste Wesen war in den Menschen hineinversetzt; dies war der Zweck der göttlichen οικονομία in Christo, und der christliche Glaube war sich bewußt, er sei erreicht. - Die Hellenen hatten immer dieses gerühmt, daß das göttliche Wesen sich einzelne Menschen zum Tempel bereite und in ihnen wohne; aber wegen Verschiedenheit dieser Einwohnungen hatten sie sich nun das göttliche Wesen selbst gespalten und | es zur Wandelbarkeit des menschlichen herabgezogen und so war 299 jener Ruhm der Innigkeit befleckt durch alle Gräuel der Abgötterei. Diese Einwohnungen waren dämonische gewesen und ihre Zeit war 490 vorüber, jezt wohnte das Eine ungetheilte höchste Wesen in der menschlichen Natur, und die μοναρχία in solcher Vereinigung mit dem Menschen sollte alle Abgötterei zerstören. Wenn nun aber von dieser Vereinigung des jüdischen und Vereinfachung des hellenischen sollte Rechenschaft abgelegt werden, so konnte dies auf gar verschiedene Weise geschehen, je nachdem sich einer mehr scheute vor der Starrheit des jüdischen Buchstaben oder vor dem wilden und zerstörenden der Vielgötterei, und je nachdem um ihn her mehr Acht gegeben wurde auf die hellenische Klippe, ob nicht einer daran scheitern würde, oder auf die jüdische. So lassen sich alle die verschiedenen Ansichten begreifen, die unserm Gegensaze verwandt sind, und aus denen er sich allmählig entwickelt hat. I. Bald nachdem zuerst in strengerer didaktischer Form die Gottheit Christi vorgetragen wurde, stellte sich diesem Verfahren, aus Furcht es sei eine Annäherung an den Hellenismus, A r t e m o n als einer Neuerung entgegen. Denn anders als vom Anfang einer bestimmteren doctrinellen Darstellung kann man seine Behauptung, wie sie uns Eusebius aus einem unbekannten Schriftsteller aufbehalten hat 2 , nicht ver2

36

In der bekannten Stelle Η . E. V,28. D a ß aber der dort ausgezogene Schriftsteller der römische Gaius sei, möchte | ich nicht geradezu behaupten, wie 300 mir auch noch gar nicht entschieden zu sein scheint, daß Artemon vornehmlich in Italien zu suchen sei.

Vgl.

bei Eusebius

Caesariensis:

Historia

ecclesiastica

5,28,1-6,

ed. H. Valesius,

Mainz

228

5

10

15

20

25

30

35

Vorstellung

von der

Trinität

stehen. Es würde eine | Unwissenheit verrathen oder eine Eingenom- 300 menheit, wie man sie diesem Manne nach dem Zeugniß seiner Gegner selbst nicht zuschreiben darf, wenn er hätte läugnen wollen, daß in Hymnen sowohl als im paränetischen Styl dergleichen längst gesagt worden; nur zur strengeren Lehrform finden sich die Keime erst in den dem Artemon fast gleichzeitigen apologetischen Schriften. Und wie er überhaupt überwiegend auf der Seite der ruhigen ja kälteren Betrachtung stand, so läßt sich sehr wohl denken, daß er dieselben Ansichten und Redensarten als unschädliche Verstärkungen gelten ließ auf jenem Gebiet, wo es nur darauf abgesehen ist die innere Empfindung darzule- 491 gen und zu verbreiten, gegen dieselbigen aber und gegen ähnliche protestirte auf dem strengeren Lehrgebiet wo es darauf ankam den Begriff festzustellen. Fingen nun dergleichen Ausdrücke erst an auf dieses strengere Gebiet übertragen zu werden: so konnte er ohnerachtet jener älteren Thatsachen dennoch sagen, daß man erst seiner Zeit 3 angefangen habe Christum f ü r Gott zu erklären, zumal schon der Ausdruck θεολογησαι seinem Ursprung nach vornemlich auf jenes strengere Gebiet hinweiset, und auch von Artemon bezeugt wird, daß er auf dialektische Bestimmung religiöser Ausdrücke großen Werth gelegt und f ü r den dogmatischen Gebrauch auch den | Gehalt der Schriftstellen erst dialek- 301 tisch geprüft habe. Wie er nun in seiner Schule zugleich auf der einen Seite die weltlichen Wissenschaften nicht vernachläßigte, auf der andern den Text der heiligen Schriften kritisch behandelte, und zwar so daß gar nicht darauf gehalten wurde, es müsse alles nur Eine dogmatisehe Ansicht begünstigen, so daß er ganz als φιλόλογος erscheint: so sehen wir hier zuerst die in der Theologie so "nentbehrliche historischkritische Gesinnung sich auf dieselbe dogmatische Seite neigen wie sie auch späterhin überwiegend gethan. N u r was späterhin als Scheu vor der Superstition überhaupt, das erscheint hier, zu einer Zeit wo noch Rükkehr in das Heidenthum möglich war, bestimmter als Scheu vor der Verwechselung des Christenthumes mit dem Hellenismus. So gebaut nun und ausgerüstet steuert das Fahrzeug des Artemon freilich nahe genug an der jüdischen Küste, wie ihm denn auch Theodoret das gute Zeugniß giebt, daß er an der reinen und unverfälschten μοναρχία gehalten, nur die οικονομία scheint dabei zu leiden. Dennoch möchte ich 3

Theodor, haer. fab. 11,4. läßt ihn nur sagen, dies sei erst nach dem apostolischen Zeitalter geschehen.

1672, 195C-196C; ed. E. Schwanz 215/. Der Hinweis auf Gaius ist z.B. belegt in Valesius' „Annotationes"dazu (a.a.O. HOB). 21-23 Vgl. Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 5,28,13f 33-35 Vgl. Anm.3 36£ Vgl. Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 2,4, ed. J.L. Schulze Bd4, Halle 1772, 330; MPG 83,392A

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

nicht behaupten, daß er an jenem Theil des christlichen Glaubens Schiffbruch gelitten, sondern nur die eigentlich Nazaräische Ansicht ist das in das Judenthum zurükkehrende Christenthum. Artemon aber hat 492 sich nur sein Gefühl von der Göttlichkeit des Erlösers so erklärt, wie es seinen Widerwillen gegen alles, was nur von fern als Vielgötterei angesehen werden konnte, gemäß war. Dies läßt sich theils schon daraus vermuthen, daß Paul von Samosata auf den Artemon zurückge-|führt 302 wird 4 , theils geht es auch schon daraus hervor, daß er bestimmt auf die Geburt Christi von der Jungfrau gehalten und daß er ihn nicht mit den Profeten in eine Reihe gestellt, sondern über sie. Hier haben wir also an der Unsündlichkeit der menschlichen Natur und an einem höher abgestuften Einfluß des göttlichen Wortes oder Geistes Bezeichnungen 5 , an welchen sich auch der wahre Glaube an die absolute Zulänglichkeit der Erlösung wenigstens fest halten konnte, wenn sie ihn auch nicht befriedigend ausdrücken. Wenn aber als gleichdenkend mit Artemon auch der Byzantiner Theodotus genannt wird, von Einigen als Lehrer des Artemon, von Andern aber so, daß kein Schul- oder Partheizusammenhang unter ihnen gesezt wird 6 : so will ich hier, da eine genaue Untersuchung des ganzen Verhältnisses nicht dieses Ortes ist, nur zur Rechtfertigung des bisher gesagten erklären, daß ich es mit den lezteren halte, und daß ich zugleich nicht verwerflich finde, was berichtet wird, daß 4 5

25

6

30

229

T h e o d o r e t haer. fab. 11,8. A u g u s t i n , de haer. XLIV. Auch die Melchisedekianer waren wol nichts anderes als ein Zweig der Schule des Artemon, und was sie vom Verhältniß Christi zu Melchisedek gelehrt, eine ihrer Grundidee angemessene Auslegung dessen, was hierüber im Brief an die Hebräer vorkommt, wobei gewiß ihre Absicht war zu zeigen, daß ihr Standpunkt acht christlich sei, und weit über das Judenthum hinausgehe. T h e o d o r e t bezeichnet ihn bestimmt als das Oberhaupt einer andern φρατρία.

29 f φρατρία] φρατρια

2f Vgl. ζ. Β. Theodoret: Haereticarumfabularum compendium 2,2 8 - 1 0 Vgl. Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 2,4 15-17 Vgl. ζ. B. Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 5,28,6 21 u. 1 - 4 Schleiermacher bezieht sich auf die Angaben bei Epiphanius: Panarion haer. 54,1,3-7 (ed. D.Petavius 2.Aufl., Bdl, Köln 1682, 463BC; GCS 2,317-323). 22 Vgl. Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 2,8, ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 333; MPG 83,393 C; Augustinus: De haeresibus 44, Benediktiner-Ausgabe Bd8, Antwerpen 1700, 10D; CChr 46,311 23 Vgl. ζ. B. Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 2,6 25£ Vgl. Hebr 5-7 29f Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 2,5, ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 331; MPG 83.392A

230

Vorstellung von der Trinität

Theodotus durch gnostisirenden Leichtsinn in Bezug auf die Verläugnung auf seine Ansicht gekommen oder | wenigstens zur öffentlichen 303 Behauptung und Verbreitung derselben dadurch gedrängt worden sei, daß der üble Ruf seines leichtsinnigen Schrittes ihm nachfolgte. Und 493 damit stimmt auch ganz wol jene Geschichte zusammen, die wenn auch die von den Engeln erfahrene Züchtigung Betrug gewesen oder Einbildung, doch nicht ganz grundlos sein kann, daß nämlich Theodotus, um sich wieder in einiges Ansehen zu sezen, einen einfältigen Bekenner vermocht sich seiner Gesellschaft als scheinbares Oberhaupt anzuschließen. J a ich gehe noch etwas weiter und glaube daß sich in die Mangelhaftigkeit unserer Nachrichten, wie das zu geschehen pflegt, auch einige Verwirrung eingeschlichen hat, daß manche von den Argumenten, welche Epiphanius dem Theodotus zuschreibt, vielmehr dem Artemon und seiner Schule gehören, wie ich denn auch diesem allein die dialektischen und kritischen Tendenzen zugeschrieben habe, und auch lieber ihm die gelehrten Schüler aneignen möchte, deren Namen verdient haben aufbewahrt zu werden, als dem frivolen σκυτεύς von Byzanz. Sondern wir uns auf diese Art die ungleichen und von unsern nächsten Berichterstattern sehr ungleich behandelten Elemente: so finden wir schon in diesen frühen Zeiten eine Erscheinung, die sich sehr oft in der Kirche wiederholt hat. Artemon ist der Vorgänger derjenigen, in welchen ein gründlicher und tiefer Ernst das Bestreben erzeugt, daß sie schroffe und leichten Mißdeutungen unterworfene Ausdrücke des wunderbaren in unserem Glauben von dem Gebiet der wissenschaftlichen Theologie abzuhalten suchen, und am lieb-|sten die gemä- 304 ßigteren suchen geltend zu machen. Diesen Würdigen aber schließt sich gar zu gern der leichtfertige Unglaube derer an, denen nur auf dem beschränkten Gebiet der gemeinsten Wirklichkeit wol ist, und die überall nach dem Wunderbaren kein Verlangen haben und keinen Sinn dafür. Diesen ist es der liebste Fund, wenn sie sich auf jene stüzen können und sich anstellen als seien sie ihnen verwandt. Diese nun haben nach meiner Vermuthung den Theodotus zum Anführer, und gewöhnlich gelingt es ihnen eben so gut wie diesem, der es wirklich dahin gebracht hat mit dem Artemon so vermischt zu werden daß dieser den Tadel theilen muß, der nur auf ihn selbst fallen sollte, und er hingegen von 494 dem wohlverdienten Rufe jenes etwas auf sich abgelenkt hat. II. Wenn wir nun die Schule des Artemon nicht aus den Grenzen des Christenthums hinausweisen wollen: so bleibt dennoch gewiß, daß 5 - 1 0 Vgl. Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 5,28,8-12 12 £ Vgl. Epiphanius: Panarion haer. H, ed. Petavius 2.Aufl., Bd 1, Köln 1682, 462-468; GCS 2,317-323 14f Oben 228,18-21 1 6 - 1 8 Anspielung auf die Angaben bei Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 5,28,16f

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

25

30

35

231

wenngleich der wahre christliche Glaube sich auch in diesen Formeln wiederfinden konnte, sie doch nicht als vollkommene Träger und Leiter desselben anzuerkennen waren. Daher war es natürlich daß Christen, die zwar eben so sehr wie Artemon jeden Schein der Vielgötterei vermeiden wollten, auf der andern Seite aber auch für die strengere Lehrform stärkere als jene nur negativen Ausdrükke für das höhere in dem Erlöser und eine fester begründete Rechtfertigung für die gläubige Verehrung gegen denselben aufzustellen suchten, einen ganz entgegengesezten Weg einschlugen. Dies nun thaten Praxeas und Noetus, welche, unabhängiger vielleicht von einander als Artemon und | Theodotus, der 305 Gesinnung und Absicht nach aber mehr übereinstimmend, indem sie um dem Schein des vielgötterischen auszuweichen, der bei dem θεός έκ θεοΰ schwer zu vermeiden ist, lieber gar keinen Unterschied zwischen dem göttlichen Wesen in dem Erlöser und dem in seinem Vater anerkennen wollten. Geschichtlicher Zusammenhang mit jenen ist zwar beim Noetus gar nicht und beim Praxeas auch fast nur durch combinatorische Conjectur nachzuweisen; allein wenn auch ein geschichtlicher Faden gar nicht sichtbar wäre, so wäre es nicht minder gewiß, daß sie zu jenen den Gegensaz bildeten, und daß beide entgegengesezte Formen sich, aus demselben Bedürfniß entstanden, gegenseitig hervorgerufen haben, wenn wir auch keine Spur von Artemonitisch gesinnten in den Gegenden des Praxeas und Noetus nachweisen könnten. Mit dem Praxeas aber hängt es so zusammen, daß er ohne allen Geruch der Kezerei, vielmehr mit dem reinen Ruf eines Bekenners nach Rom kam zu den Zeiten des Bischofs Victor, welcher den Theodotus der Kirchengemeinschaft beraubt hatte. Da nun die Säze, welche Tertullian dem Praxeas vorwirft, gradezu jene Tendenz haben, allen vielgötterischen 495 Schein zu vermeiden ohne deshalb die Gottheit des Erlösers zu verkürzen: so ist wol überwiegend wahrscheinlich, daß sie auch im Gegensaz gegen den Theodotus vorgetragen wurden. Denn hätten sie nicht diese Stüze gehabt, gründliche Widerlegungen einer schon verurtheilten Abweichung zu sein, sondern wären für sich allein aufgetreten, so würden sie wegen ihrer großen Verschiedenheit von den herrschen-|den Aus- 306 drücken auch in Rom wol schwerlich einer Ungunst entgangen sein. Daß Praxeas aber eine solche Schonung wirklich erfahren habe, sind wir wol hinreichend berechtiget anzunehmen, weil, sowol wenn er in Rom wäre verurtheilt worden, als wenn man in Afrika Synoden gegen ihn gehalten hätte, die Spuren davon nicht würden verloren gegangen

22-26 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean 1,4 26f Vgl. die von Schleiermacher unten in Anm. 8-13.18 angefahrten Stellen aus Tertullian: Adversus Praxean, ed. J.S. Semler Bd2, Halle 1770, S. 189ff; CChr 15/2,1159ff

232

5

10

15

20

25

sein 7 . U n d daß diese Schonung auch nach Tertullians Invective fortgesezt wurde, kann man keinesweges nur dem Montanismus desselben zuschreiben. Denn der w a r ja in R o m noch so wenig verhaßt, daß nur Praxeas, wie wenigstens Tertullian glaubt, die förmliche Anerkennung desselben verhindert hat. So weit nun können wir einen geschichtlichen Zusammenhang ahnden; was aber die Lehre des Praxeas betrifft, so kennen wir sie freilich nur aus Tertullians Gegenschrift, und es ist nicht zu läugnen, daß dieser sich in seinen kirchlichen Streitschriften alles gestattet, was der Anwald gegen seinen Widerpart f ü r erlaubt hielt. D e n noch wird niemand glauben daß alles nur Verdrehungen wären, die Tertullian vorbringe, um den G e g n e r des Montanismus zu Schanden zu machen; sondern das wesentliche werden wir doch als w a h r annehmen müssen. Dies wesentliche nun besteht o f f e n b a r darin, daß Praxeas behauptete, wenn man das | göttliche in dem Erlöser nicht abläugnen oder 307 verkürzen wolle, so könne man die Einheit Gottes nur festhalten, wenn man das Göttliche in dem Erlöser auf keine Weise absondere oder un- 496 terordne, sondern es f ü r Eines und dasselbe erkläre mit dem in dem V a ter selbst. So kann man die Formel: „duos unum volunt esse" 8 f ü r den eigentlichsten Ausdruck des Praxeas und der Seinigen erkennen. Sonst aber muß man sich sehr hüten, nicht die Ausdrücke, deren sich Tertullian bedient, um die Meinung seines Gegners zu bezeichnen, f ü r dessen Ausdrücke selbst zu halten. Dies gilt schon gleich von der ersten Hauptstelle 9 : denn anderwärts geht hervor daß Praxeas, ohnstreitig mit der Schrift des neuen Testamentes, des Ausdruks S o h n sich nicht bedient f ü r die Gottheit in dem Erlöser, sondern f ü r die mit der Gottheit

7

30

Vorstellung von der Trinität

8 9

Denn wenn Philastr. von seinen und mit Unrecht auch des Hermogenes Anhängern sagt, „[...] qui et ita (nämlich wie die Sabellianer) sentientes abjecti sunt ab ecclesia catholica": so ist das nur von der später über sie herrschend gewordenen Meinung zu verstehen. Tert. adv. Prax. 5. „[...] perversitas ... quae se existimat meram veritatem possidere, dum unicum deum non alius putat credendum, quam si ipsum eundemque et patrem et filium et spiritum sanctum dicat." 1. c. cap. 2.

31 perversitas] Perversitas

31 dum] deum

33 I.e.] 1.1.

3-5 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean 1,5 26-28 Filastrius: Diversarum hereseon über 54, ed. J. A. Fabricius, Hamburg 1721, S.109; CChr 9,240,4f 30 Tertullian: Adversus Praxean 5,1, ed. Semler Bd2, Halle 1770, 196; CChr 15/2,1163,27 31-33 Tertullian: Adversus Praxean 2,3, ed. Semler Bd2,192; CChr 15/2,1161,25-29

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

vereinigte Menschheit 1 0 , und in Uebereinstimmung hiermit hat er nicht sagen können, der Vater und der Sohn sei einer und derselbe. | Auch ob 308 er es grade so gesagt, daß in dem zusammengesezten Namen Jesus Christus Jesus den Menschen bezeichne, Christus aber die Gottheit, so daß Tertullian mit Recht sagen konnte, er mache Christum zum Vater 11 , möchte ich nicht behaupten; sondern wenn er Jesum und Christum so getrennt 12 , ist wol wahrscheinlicher, daß er den Erlöser als von Menschen abstammenden Menschen Jesus genannt, als mit der Gottheit vereinigten Menschen aber Christus. Denn jenes ist deshalb unwahr- 497 scheinlich, weil zu deutlich in der Schrift gesagt worden, daß Christus gekreuziget worden ist. D a nun die ganze Argumentation über den Gebrauch des Ausdruks Sohn Gottes darauf beruht, daß nur das menschliche konnte geboren werden: so konnte unmöglich Praxeas sagen, Christus bedeute die Gottheit in dem Sohn, da grade von Christo gesagt wird, er sei gekreuziget. Noch gewisser ist aus demselben Grunde und der Art überhaupt wie er Vater und Sohn unterscheidet, daß keinesweges das sein eigner Ausdruk gewesen, der Vater sei geboren worden und habe gelitten und sei gekreuziget worden; sondern das konnte er vielleicht wol sagen, der Vater sei in die Jungfrau hinabgestiegen 13 , niemals aber weiter gehend, auch der Vater sei aus ihr geboren worden und habe gelitten. Dieses leztere vielmehr, wie es fast eintritt mit einem

10

25

11

30

233

12 13

» [ . . . ] ut aeque in una persona utrumque distinguant patrem et filium, dicentes filium carnem esse id est hominem id est Jesum, patrem autem spiritum id est deum, id est Christum." c a p . 2 7 . u. ebendas. „ [ . . . ] qui filium Dei carnem interpretaris [ . . . ] " aus der früheren Stelle. „Ecce, inquiunt, ab angelo praedicatum est propterea quod nascetur sanctum vocabitur filius Dei. C a r o utique nata est, caro itaque erit filius Dei." Denn offenbar muß man das erste Mal „utique" lesen, nicht das andere Mal. „Itaque Christum facis patrem [ . . . ] . " c a p . 2 8 . „Si enim alius est Jesus, alius Christus [ . . . ] . " cap. 27. „Ipsum dicit patrem descendisse in virginem [ . . . ] . " cap. 1.

22 ut] Ut

25 inquiunt] inquiant

22-24 Tertullian: Adversus Praxean 27,1, ed. Semler Bd2,256; CChr 15/2,1198,7-10 24f Tertullian: Adversus Praxean 27,15, ed. Semler Bd2,260; CChr 15/2,1200,85 25-28 Tertullian: Adversus Praxean 27,4, ed. Semler Bd2,257 (hier die textkritische Anm. 321, auf die Schleiermacher sich bezieht); CChr 15/2,1198,19-21 29 Tertullian: Adversus Praxean 28,1, ed. Semler Bd2,260; CChr 15/2,1200,1 30 Tertullian: Adversus Praxean 27,2, ed. Semler Bd2,256; CChr 15/2,1198,12 31 Tertullian: Adversus Praxean 1,1, ed. Semler Bd2,189; CChr 15/2,1159,5

234

5

10

15

20

witzigen Ein-jfall 1 4 , so ist es auch überhaupt eine Verdrehung des T e r - 309 tullian. Denn da der Vater bei Praxeas zum wenigsten auch der nicht auf eine eigenthümliche Weise mit dem Menschen vereinigte Gott war: so konnte er auch, wenn gleich seine Einwohnung den Jesus zum Christus machte, doch niemals mit oder in Jesu leiden. Eben so bezweifle ich, obgleich auch dieses Tertullian ihm in den Mund legt, daß Praxeas in die Identität des göttlichen in Vater und Sohn auch den Geist mit hineingezogen. Denn in dem ganzen Buche des Tertullian kommt zu wenig Polemik vor gegen bestimmte Aeußerungen des Praxeas über den Geist 1 5 ; und doch würde Tertullian, der als Montanist ein besonde- 498 res Interesse hiebei hatte, sie nicht übergangen haben, zumal es ihm bei seiner rhetorischen Dialektik und seiner Behandlungsweise der Schriftstellen nicht hätte fehlen können, auch mit diesen Behauptungen nach seiner Art fertig zu werden. J a ich möchte sagen auch das wizige | Ein- 310 gangswort würde anders gestaltet und ausgeführt worden sein, wenn Praxeas auch über den Geist etwas besonderes vorgetragen hätte. Ist nun diese Vermuthung gegründet: so ist dies ein Beweis mehr, daß die Lehre des Praxeas sich nicht unabhängig, sondern im Gegensaz gegen jene an das Ebionitische anstreifende Ansicht gebildet habe. Denn wollte man auch lieber folgern, es sei nur in den Gegenden des Praxeas über den Geist damals noch nicht so viel Frage entstanden, und die Behandlung desselben als Person habe der μοναρχία noch nicht Gefahr gedroht: so kommt auch dies ziemlich auf dasselbe hinaus. J a es läßt

14

25 15

30

Vorstellung von der Trinität

„Ita duo negotia diaboli Praxeas Romae procuravit... paracletum fugavit et patrem crucifixit." cap. 1. Denn die Stelle cap. 27. am Ende: „sed spiritum patrem ipsum vis haberi quia Deus spiritus [ . . . ] " kann nur durch einen Mißverstand auf den h. Geist bezogen worden sein, und Praxeas hat da wol nur an die Duplicität in dem Erlöser selbst gedacht und die beiden Seiten desselben durch κατά σάρκα und κατά πνεύμα bezeichnet. Daß aber in andern Stellen T e r t u l l i a n das πνεύμα mehr hinzufügt als daß er es beim Praxeas gefunden hätte, scheint mir aus der Art hervorzugehen wie er, nachdem er zu zeigen gesucht daß die Art wie 498 er selbst den Sohn annehme nicht gegen die μοναρχία streite, nur hinzugefügt: „Hoc mihi et in tertium gradum dictum sit [ . . . ] . "

34 Hoc] hoc 14f Vgl. Anm. 14 24f Tertullian: Adversus Praxean 1,5, ed. Semler Bd2,190; CChr 15/ 2,1159,32-34 26f Tertullian: Adversus Praxean 27,15, ed. Semler Bd 2,260; CChr 15/ 2,1200,86f 32-34 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean 4,1, ed. Semler Bd2,195; CChr 15/ 2,1162,1-5

Vorstellung von der Trinität

235

sich sehr gut die Möglichkeit denken, so lange die Vorstellung der Trinität noch nicht ganz fest geworden war, daß einer um dem Gefühl der Verehrung gegen den Erlöser sein volles Recht widerfahren zu lassen mit dem Praxeas lehrte, zugleich aber, wenn der Geist als die Quelle aller Gaben personificirt wurde, sich eine subordinatianische Theorie über diesen eher gefallen ließ als eine über den Erlöser. - Hatte nun Praxeas noch keine Aufforderung sich über den Geist ebenfalls in strengerer Form bestimmt zu erklären, so hatte er auch keine Veranlassung über die Duplicität von Vater und Sohn hinauszugehen, und es war um so natürlicher daß ihm Vater und Gott-an-sich völlig dasselbige blieb. Daher er auch in sofern abwechselnd gesagt haben kann, das göttliche in Christo sei αύτόθεος 16 , und der Vater sei aus sich selbst herausgegangen,! wie Tertullian ihn die Stelle Joh. 13,1. parodiren 311; läßt17, wiewol er sich des Ausdruks: „aus sich selbst herausgegangen" schwerlich bedient haben wird, da er so besonders sich darauf berief, daß der Vater im Erlöser sei18, sondern lieber wird er gesagt haben, der Vater sei in das Fleisch hineingegangen, als aus sich heraus. Dadurch also daß Praxeas keine Veranlassung hatte Gott-an-sich, αύτόθεος, die Einheit des göttlichen Wesens schlechthin, und den Vater, das eine Glied der Trias, von einander zu sondern, wurde auch für diese Seite der Entwiklung des Trinitätsbegriffs der Grund gelegt zu dem einen von den Fehlern, welche wir an dem kirchlichen Lehrbegriff getadelt haben 19 , nur daß man mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sagen kann, 16 17

18

19

„[...] Ipse-deus, deus omnipotens Jesus Christus praedicatus." cap. 1. „[...] Praxeas vult ipsum patrem de semet ipso exiisse et ad semet ipsum abiisse [...]." cap.23. „Nam sicut in veteribus nihil aliud tenent quam ,Ego deus et alius praeter me non est', ita in Evangelio responsionem domini ad Philippum tuentur, ,Ego et pater unum sumus et qui me videt videt et patrem', et ,Ego in patre et pater in me.' His tribus capitulis totum instrumentum utriusque testamenti volunt cedere [...]." cap.20. S. G l a u b e n s l e h r e II. S.704.

12 αύτόθεος] αύτοθεος

18 αύτόθεος] αύτοθεός

24 Tertullian: Adversus Praxean 2,1, ed. Semler Bd2,91; CChr li/2,1160,2 Statt Ipse-deus . . . praedicatus. Q ; ipse deus, dominus omnipotens, Iesus Christus praedicatur. 25f Tertullian: Adversus Praxean 23,11, ed. Semler Bd2,248; CChr 15/2,1193,52f 27-31 Tertullian: Adversus Praxean 20,1-2, ed. Semler Bd2,236 (hier in Anm. 229 die von Schleiermacher bevorzugte Lesart); CChr 15/2,1186,4-10 27i Jes 45,5 28f Joh 10,30 29 Statt me videt Q : me viderit 29f Vgl. Joh 14,9-11 32 KGA 1/7.2,369,6-370,4

236

Vorstellung von der Trinität

wenn die Einsicht in das Wesen des Geistes sich in der Schule des Praxeas weiter entwikkelt hätte, und die Nothwendigkeit klar geworden wäre ihn in die gleiche Reihe mit dem Erlöser zu stellen, so müßte sich eine doppelte Straße eröffnet haben. Nämlich man konnte entweder den Vater und das göttliche Wesen an sich fortwährend als gleichgeltend behandeln, und dann hätte man Ein göttliches Wesen | mit zwei 312 Phasen erhalten, aber keine wahre Dreieinigkeit; oder man konnte auch in andern Verhältnissen des Menschen zu Gott manche Aehnlichkeit finden mit denen zum Erlöser und Geist, aber freilich nur wenn man, was als eine Annäherung an das gnostische erscheinen konnte, das alttestamentliche von dem neutestamentlichen schärfer als gewöhnlich geschah, trennte, daß es rathsam wurde diese auf eine dritte Phase zu beziehen, und so den Vater dem Sohn und Geist coordinirend ihn von 500 dem αΰτόθεος oder der absoluten Einheit des göttlichen Wesens mehr und bestimmter als Praxeas selbst gethan hatte, zu trennen. - Genaueres ist aus dem Tertullian, was den Hauptpunkt betrifft, von der Lehre des Praxeas nicht zu entnehmen; aber es ist auch kein Grund vorhanden, hieraus dem Schriftsteller einen Vorwurf zu machen. Vielmehr hat Praxeas wahrscheinlich seine Lehre nicht weiter entwickelt, sondern sich begnügt die Hauptpunkte aufzustellen, so weit sie dem von ihm aufgefaßten Bedürfniß genügten. Dieses aber war kein anderes als ohne Verkürzung des Erlösers die Einheit des göttlichen Wesens aufrecht zu halten. Daß er das lezte erreicht, bezeugt ihm selbst Tertullian, nur daß er meint, es sei eben so gut auf seinem Wege zu erreichen gewesen 20 ; von dem ersten aber will er desto weniger wissen, sondern beschuldigt den Praxeas, daß er die göttliche Offenbarungshaushaltung hintanseze der gött-|lichen Einheit zu Liebe 21 . J a gänzlich übersehend daß Praxeas 313 nur darauf ausgeht, die göttliche Verehrung des Erlösers zu rechtferti-

20

21

„ Q u a s i non sic quoque unus sit omnia, dum ex uno omnia, per substantiae scilicet unitatem, et nihilominus custodiatur οικονομίας sacramentum [ . . . ] . " cap. 2. „ [ . . . ] eundem patrem et filium et spiritum contendunt adversus οίκονομίαν monarchiae adulantes [ . . . ] . "

14 αύτόθεος] αύτοθεος

32 eundem] Eundem

29-31 Tertullian: Adversus Praxean 2,4, ed. Semler Bd2, Halle 1770, 192; CChr Π/2,1161, 29-31 32 f Tertullian: Adversus Praxean 9,1, ed. Semler Bd2,205; CChr 15/2,1168,7-9

Vorstellung von der

5

10

15

20

25

30

237

gen, sagt er von ihm, er judaisire 22 , und schlimmeres als dieses konnte man doch von Artemon und Theodotus auch nicht sagen. So wird daher derjenige, welcher den stärksten Ausdruck f ü r das göttliche im Erlöser fordert, dem gleich gesezt, welcher nur den schwächsten zulassen will; und dieser höchst bedeutende Unterschied wird so sehr als nur möglich verkürzt, um nur den geringeren recht zu heben unter denen welche beide das göttliche stärker hervorheben als jene ersten, von denen die einen aber deshalb eine Zwiefältigkeit in dem göttlichen Wesen 501 sezen, die andern keine 23 . So wie nun Praxeas eine Annäherung ist an den Sabellius, so ist Tertullian in der Annäherung an den kirchlich gewordenen Lehrbegriff. Wenn man aber in diesen ersten Andeutungen wie sie in Tertullians eigenem Buche vor Augen liegen, beide Begriffe vergleicht, so ist nicht zu läugnen, daß die Lehre des Praxeas eine einfache bestimmt abgefaßte Aussage enthält, | des göttlichen Wesens Verei- 314 nigung mit dem Menschen Jesus, ohne eine Aufgabe wegen dieser Vereinigung die Vorstellung des göttlichen Wesens selbst irgend zu ändern, und es anders zu denken sofern es mit Jesu vereiniget ist und anders sofern nicht, sondern an und für sich betrachtet; vielmehr wurde diese Aufgabe abgewiesen. Die Vereinigung und also das Sein Gottes in Jesu behaupten dies war der Ebionitischen Abweichung und allem was ihr näher lag, entgegengesezt; das Abweisen einer Unterscheidung im göttlichen Wesen war denen entgegengestellt, welche sich eben so sehr der Ebionitischen Abweichung widersezten, sich aber dagegen leichter zum Hellenismus neigen konnten. Das nächste was Praxeas zur weiteren Fortbildung seines Lehrbegriffs hätte thun können und müssen, lag dem gemeinsamen Bedürfniß der Christen nahe genug, nämlich genauer zu bestimmen wie denn eine besondere Vereinigung Gottes mit einem Einzelwesen zu denken und von der allgemeinen wirksamen Allgegenwart Gottes zu unterscheiden sei. Hiezu würde er ohnstreitig aufgefordert worden sein, wenn die Anhänger des Artemon oder T h e o d o tus den Streit gegen ihn aufgenommen und f o r t g e f ü h r t hätten; denn

22

23

35

Trinität

„Ceterum iudaicae fidei ista res est, sic unum Deum credere, ut filium adnumerare ei nolis, et post filium spiritum." cap. 31. Weiter kann man dies nicht treiben als T e r t u l l i a n am Schlüsse seines Buches „Viderint igitur antichristi, qui negant patrem et filium. Negant enim . . . dando illis quae non sunt, auferendo quae sunt . . . Qui filium non habet nec vitam habet. N o n habet autem filium qui cum alium quam filium credit."

32 f Tertullian: Adversus Praxean 31,1, ed. Semler Bd 2,267; CChr 15/2,1204,1-3 32 Statt res est Q: res 34-37 Tertullian: Adversus Praxean 31,3, ed. Semler Bd2,268; CChr 15/2,1204,11-18

238

5

10

15

20

Trinität

diesen war es natürlich zu entgegnen, daß sie dergleichen nicht zu denken wüßten. Allein diese Anreizung scheint gefehlt zu haben, und darum scheint vom Praxeas selbst und seinen unmittelbaren Schülern, 502 wenn er dergleichen gehabt, keine weitere Fortbildung ausgegangen zu sein. Die Lehre des Tertullian war in sofern schon weiter gebildet, als er, was von Praxeas zweifelhaft bleiben muß, | überall auch den Geist 315 schon mit in die Untersuchung zieht. Dagegen kann man nicht rühmen, daß auch er sich in einer eben so bestimmten und einfachen Formel auszusprechen vermocht habe; sondern auf der einen Seite war er leicht veranlaßt zu negativen Ausdrücken, um sich nämlich zu reinigen, daß indem er allerdings im göttlichen Wesen glaubte unterscheiden zu müssen, er doch keinesweges zum Hellenismus neige. Diese Vertheidigung lag ihm um so näher, als er selbst immer heftig gegen die Gnostiker gestritten, welche in dem oben aufgestellten Sinn allerdings auch in den Hellenismus zurücksanken. W o er aber nicht bloß abwehren, sondern selbst darstellen will, da ist es natürlich, daß um die in dem göttlichen Wesen zu sezende Verschiedenheit bestimmter zu bezeichnen, entweder mit der größten Vorsicht der Ausdruck muß abgewogen werden, und dadurch wird er schwankend und unbestimmt 24 , oder man muß das H e r z haben zu bildlichen Ausdrücken zu greifen 25 , die dann natürlich am | meisten wieder, um nicht gegen die Absicht mißdeutet zu werden, 316 der mannigfaltigsten Cautelen bedürfen 2 6 . Dabei aber ist denn kein

24

25

30

Vorstellung von der

25

26

Dergleichen sind: „ [ . . . ] οικονομία [ . . . ] quae unitatem in trinitatem disponit, tres dirigens [ . . . ] . " cap.2. - „ [ . . . ] unitas ex semet ipsa derivans trinitatem [...]." cap. 3. - „ [ . . . ] ut invisibilem patrem intelligamus pro plenitudine maiestatis, visibilem vero filium agnoscamus pro modulo derivationis [...]." cap. 14. - „ [ . . . ] qua pater et filius duo, et hoc non ex separatione substantiae, sed ex dispositione, cum Individuum et inseparatum filium a patre pronunciamus [...]." cap. 19. ζ. Β. „Protulit enim D e u s sermonem [ . . . ] sicut radix fruticem et fons fluvium et sol radium. N a m et istae species probolae sunt earum substantiarum ex quibus prodeunt." cap. 8. ζ. Β. „Omne quod prodit ex aliquo secundum sit eius necesse est de quo prodit, non ideo tarnen est separatum." cap. 8.

24 cap.] ep.

24 unitas] Unitas

30 Protulit] protulit

33 O m n e ] omne

1 4 f Vgl. 227,11-16 2 3 - 2 9 Tertullian: Adversus Praxean 2,4.3,1.14,3.19,8, Bd2,192.193.219.235; CChr Π/2,1161,31f.1161,7.1176,19-21.1185,·47-49 tullian: Adversus Praxean 8,5, ed. Semler Bd2,204; CChr 15/2,1167,26-29 lian: Adversus Praxean 8,7, ed. Semler Bd2,204f; CChr 15/2,1168,39-41

ed. Semler 3 0 - 3 2 Ter33 Tertul-

Vorstellung von der Trinität

239

Wunder, wenn nicht selten die festsezenden und die beschränkenden Ausdrücke aus verschiedenen Stellen zusammengenommen einander 503 aufheben 27 . Daher läßt sich denn weder das Verhältniß der Dreiheit zur Einheit festhalten, wenn einmal alle drei Personen von dem Einen Gott 5 abgeleitet werden, dann wieder die beiden andern vom Vater 28 ; noch auch läßt sich das Verhältniß des Sohnes zum Vater festhalten, wenn einmal die Gleichheit angestrebt wird, und dann wieder ganz offenbar die Ungleichheit zugestanden oder vorausgesetzt 29 . | Diese leztere liegt 317 aber überhaupt so tief in der ganzen Ansicht und Darstellung, daß sie 10 sich fast überall merklich genug und gleichsam unwillkührlich ausspricht. Denn wenn der Vater ursprünglich allein war, auch seinen λόγος nur in sich tragend 30 , und eben dieser λόγος erst vollständig ward als er aus Gott hervorging 31 , wie sollte er denn dem, aus welchem er hervorging, gleich sein, oder der Sohn sagen können, daß alles was der 15

27

28

20 29

25

30

30 31

z.B. „[...] numerum sine divisione patiuntur [ . . . ] " cap.2. und „Pater enim tota substantia est, filius vero derivatio totius et portio [...]." cap.9. „[...] unus deus, ex quo et gradus isti et formae et species in nomine patris et filii et spiritus sancti deputantur." cap. 2. verglichen mit: „Ita trinitas per consertos et connexos gradus a patre decurrens et monarchiae nihil obstrepit et οικονομίας statum protegit." cap. 8., in welcher Stelle nämlich dem Vater die Sonne entspricht, dem Sohn und Geist aber der Strahl und die Hitze. „Unius [...] substantiae [...] unius status et unius potestatis [...]" cap.2. vgl. „Sic et pater alius a filio dum filio maior [ . . . ] " cap.9. und eben so cap.2. „Unius autem substantiae et unius status et unius potestatis [...]" vgl. mit cap. 12. „[...] tarnen alium dicam oportet ex necessitate sensus eum qui iubet et cum qui facit"; und cap. 22. „[...] unum dicit [...] quod ... pertinet [...] ad unitatem, ad similitudinem, ad coniunctionem, ad dilectionem patris [...] et | ad obsequium filii ... et ita per opera intelligimus unum esse patrem et fi- 317 lium." cap. 5. „Haec est nativitas perfecta sermonis, dum ex Deo procedit [...]." cap.7.

17 u n u s ] U n u s

18 I t a ] ita

23 Sic] sie

24 U n i u s ] u n i u s

26 c a p . ] ep.

14 u. 1 Vgl. Joh 16,13 15f Tertullian: Adversus Praxean 2,4.9,2, ed. Semler Bd 2,192f.205; CChr 1 S/2,1161,37f.l 168,12f 1 7 - 2 0 Tertullian: Adversus Praxean 2,4.8,7, ed. Semler Bd2,192.205; CChr 15/2,1161,35-37.1168,45-47 2 0 f Vgl. Tertullian: Adversus Praxean 8,5-7 22-29 Tertullian: Adversus Praxean 2,4.9,2.2,4.12,7.22,11-13, ed. Semler Bd2,192.206.192.214.244f (hier in Anm. 266 die von Schleiermacher bevorzugte Lesart et f i l i u m ) ; CChr 15/2,1161,34/.1168,15/.1161,34/.1173,40/1191,69-87 30 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean 5,2, ed. Semler Bd2,197; CChr 15/2,1163,8-12 31 Tertullian: Adversus Praxean 7,1, ed. Semler Bd2,200; CChr 15/2,1165,3

240

5

10

15

20

Vorstellung von der Trinität

V a t e r hat, sein ist, da j a entweder die Ewigkeit nicht sein ist, wenn man sagen will, so lange das W o r t in G o t t war w a r es eigentlich n o c h nicht, o d e r die U n v e r ä n d e r l i c h k e i t nicht sein, wenn es übergegangen ist aus dem Z u s t a n d e des in G o t t R u h e n s in den Zustand des Fürsichhervor- 504 tretens. O d e r wenn es so zart steht um die G o t t h e i t des S o h n s , d a ß für sich allein z w a r Christus k a n n G o t t g e n a n n t werden, k o m m t er aber mit dem V a t e r z u s a m m e n vor, dann nicht G o t t , sondern H e r r 3 2 : wie sollte denn wol eine G l e i c h h e i t zwischen beiden stattfinden? N u n ist es freilich leicht zu sagen, T e r t u l l i a n sei eben kein reiner P u n k t in der E n t wicklung des kirchlichen Begriffs, sondern o h n e r a c h t e t seiner P o l e m i k gegen die G n o s t i k e r gnostisiren d o c h seine „ p r o b o l a e " , und sein vor allen D i n g e n a b e r doch zum B e h u f der S c h ö p f u n g aller | D i n g e substan- 318 tiell aus G o t t hervorgehendes W o r t arianisire, so wie sein „ante o m n i a enim D e u s erat solus [ . . · ] " 3 3 genau z u s a m m e n t r e f f e mit dem ήν π ο τ ε δ τ ε ούκ ήν. Allein d a ß dieses weder persönliche U e b e r e i l u n g e n im Streite sind, n o c h diese Abweichungen mit den anderweitigen I r r t h ü mern des T e r t u l l i a n z u s a m m e n h ä n g e n , sondern d a ß sie der A u f g a b e , eine solche S c h e i d u n g im göttlichen W e s e n im G e g e n s a z gegen die einf a c h e F o r m e l des Praxeas n ä h e r zu bestimmen, fast nothwendig a n h ä n gen, das wird sich wol zeigen wenn wir den verwandten G e g e n s a z zwischen N o e t u s und Hippolytus betrachten.

Einen geschichtlichen Z u s a m m e n h a n g zwischen P r a x e a s und N o e tus vermögen wir nicht nachzuweisen, höchstens d a ß beide Asiaten gewesen sind; denn von P r a x e a s sagt dies T e r t u l l i a n uns deutlich 3 4 und 25 über den N o e t u s differiren die N a c h r i c h t e n nur darin, o b er aus E p h e sus gewesen o d e r aus Smyrna 3 5 . N a c h dem Epiphanius hat überdies

32 33 34

30

35

cap. 13. cap. 5. „Nam iste primus ex Asia hoc genus perversitatis intulit Romae [ . . . ] . " cap. 1. [ . . . ] Νοητός [ . . . ] Άσιανός, της Εφέσου πόλεως ύπαρχων. Epiph. p. 479. - Ό

26 Epiphanius] Epiphanias

29 iste] ita

11 Kritische Anspielung auf Tertullian: Adversus Praxean 8,1-5 14f Christologische Formel des Arius (überliefert z.B. bei Athanasius: Oratio contra Arianes 1,5) 26 u. l f Vgl. Epiphanius: Panarion haer. 57,1,5, ed. Petavius 2.Aufl., Bdl, Köln 1682, 480A; GCS 2,344,6-8 27 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean 13,9, ed. Semler Bd2,218; CChr 15/2,1175,66-71 28 Tertullian: Adversus Praxean 5,2, ed. Semler Bd2,197; CChr 15/ 2,1163,8f 29 Tertullian: Adversus Praxean 1,4, ed. Semler Bd2,190 (die Lesart Romae hier in Anm.6); CChr 15/2,1159,20f 30f Epiphanius: Panarion haer. 57,1,1, ed. Petavius 2. Aufl., Bdl, Köln 1682, 479D; GCS 2,343,12-14 30 u. 19 Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 3,3; ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 342; MPG 83,404 Β

Vorstellung von der

Trinität

241

Noetus seine schreckliche und verderbliche Bitterkeit zuerst ausgespien. Theodoret sieht ihn nur als Erneuerer an und nennt Vorgänger Epigones und Kleomenes, die aber unbekannt wie sie sind uns keinen 505 Aufschluß über eine Verbindung mit dem Praxeas geben. Wir werden 5 daher | gut thun lieber vorauszusezen, daß aus den gleichen Gründen 319 wie bei Praxeas dieselbe Ansicht sich auch anderwärts gebildet habe. Denn daß im Ganzen beide sehr zusammenstimmen, ist außer Zweifel. Daß Noetus Hauptabsicht auch war in der Darstellung des göttlichen im Erlöser jeden entfernten Schein von Vielgötterei zu vermeiden, sieht 10 man aus den ersten Argumenten, welche Hippolytus und Epiphanius von ihm anführen, welcher leztere wol noch etwas anderes vor sich gehabt hat als den ersteren 36 , wie denn gleich die Erzählung von Noetus Ausschließung aus einer gemeinschaftlichen Quelle zu sein scheint. Auch hat er um die Identität der Gottheit in Christo und der in dem 15 Vater zu beweisen, sich derselben Stellen vornemlich bedient wie Praxeas, nur wie es scheint einen vorzüglichen Werth auf diejenigen gelegt, wo dasselbige Werk einmal dem Vater beigelegt wird und dann dem Sohne 37 . Ja ich | möchte glauben, daß auch Noetus eben so wenig als 320

20 36 37

25

δέ Νοητός Σμυρναίος μεν ήν τό γένος [...]. T h e o d o r , h. f. III, 3. wie Hippolytus. Anders meint M a r t i n i p r a g m . G e s c h . S. 142. H i p p o l . adv. N o e t . sowol als aus ihm Epiphan. gehen zwar sehr unbefangen darüber weg und erwähnen es als stände es gar nicht auf N o e t s Seite, daß auf der einen Seite Christus sagt, er selbst wolle den Tempel wieder aufbauen, und daß denn doch seine Auferweckung dem Vater zugeschrieben wird. Dennoch aber zeigt eine genauere Vergleichung anderer Stellen ζ. B. O r i g e n e s IV. p. 199. C . D . , was auch in der Natur der Sache liegt, daß grade

22 adv.] Abk. fiir adversus

27 C.] c.

19 f Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 1, ed. J.A. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, S. 5; MPG 10,804A 21 Vgl. Christoph David Anton Martini: Versuch einer pragmatischen Geschichte des Dogma von der Gottheit Christi in den ersten vier Jahrhunderten nach Christi Geburt, Bdl, Rostock/Leipzig 1800, S. 142, Anm. 120: „Eigentlich ist nur eine Quelle, aus der man die Vorstellungsart des Noet schöpfen kann, nämlich die dem Hippolytus beygelegte Schrift:, contra haeresin Noeti' in der Ausgabe s. Werke von Fabricius T.II. p. 5-20. Epiphanius ,haer.' LVII. Τ. I. p. 479fund ^Anacephal.' §.XI.T.II. p. 145. hat offenbar den Hippolytus vor Augen gehabt, und die Nachricht desselben nur nach seiner Art etwas anders geordnet und ausgeschmückt." 22-26 Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 4, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718,8; MPG 10, 808D-809A und Epiphanius: Panarion haer. 57,7,6-9, ed. Petavius 2. Aufl., Bdl, Köln 1682, 486BC; GCS 2,353,1-16; vgl. Joh 2,19.1 Kor 15,15 (Rom 8,11) 27 Vgl. Origenes: Commentaria in Joannem 10,37 (Joh 2,19), ed. C.Delarue Bd4, Paris 1759, 199CD; GCS 4,212,12-16

242

5

10

15

20

Vorstellung von der

Trinität

Praxeas den Geist schon mit in seine Formel hineingezogen habe, wie denn auch ihm schon Hippolytus noch mehr aber Theodoret vieles aufbürden was nur gegnerisch gefolgert, niemals aber von ihm selbst gesagt worden ist. Denn ich glaube wol, daß Noetus gesagt haben kann, es sei kein Unterschied zwischen dem unsichtbaren Gott und demjeni- 506 gen welcher erschienen sei38; wollte doch Tertullian die Differenz in dem göttlichen Wesen eben daraus erweisen, daß ein Unterschied sein müsse zwischen dem in dem unzugänglichen Lichte wohnenden Gott und dem der sich sichtbar mache39, und eben so gut konnte Noetus umgekehrt damit anfangen, diesen Unterschied zu läugnen, weil doch nie Gott selbst sichtbar geworden, sondern nur seine außerordentlichen Wirkungen in einer endlichen Natur, wie denn überhaupt der Begriff der Theophanie durch den verwandten der Bath-Kol in den von σημεΐον und τέρας überhaupt übergeht. Und Noetus hatte Veranlassung genug, jenen Unterschied zwischen dem unsichtbaren und dem sichtbarwerdenden Gott ganz im Allgemeinen aufzusuchen, weil auch alle alttestamentischen Theophanien anfingen auf Christum gedeutet zu werden. Wenn er aber auch ganz allgemein gesagt haben kann: der unsichtbare und der gesehene Gott sei derselbe: so kann er demohngeachtet wol schwerlich gesagt haben, auch der Ungezeugte und | Ge- 321 zeugte seien derselbe40, sondern dies ist eine Folgerung derer, welche

25 38

39 40

dieses Noetus nicht kann unberührt gelassen haben, und jene mußten sich vorzüglich dahinter zurückziehen, daß die Auferweckung eine Sache der Macht sei, und daß diese am meisten die Einheit repräsentire: [ . . . ] μία δύναμις τούτου, και ο σ ο ν μεν κατά την δύναμιν εις έστι θεός [ . . . ] . H i p p o l . VIII. [ . . . ] άφανη μεν δταν έθέλη, φαινόμενον δέ ή νίκα α ν βούληται [ . . . J . T h e o d . 1. c. T e r t u l l . adv. Prax. cap. T h e o d o r . 1. c.

6 erschienen] erchienen άφανη ςμεν

25 την δύναμιν] την δόναμεν'

26 άφανη μεν]

13 „Bath-kol, das ist eine Tochter der Stimme, die Juden pflegen die Göttlichen Offenbahrungen, welche am denen Wolcken durch eine Stimme kommen, also zu nennen. Sie erzählen dahero viele Historien davon, und glauben, daß, nachdem die Prophezeyungen aufgehöret, habe sich bey vielen Gelegenheiten dergleichen Stimme hören lassen." (Großes vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschaften und Künste, ed. J.H. Zedier, Bd3, Halle/Leipzig 1733, Sp. 681) 24 f Hippolyt: Contra Noetum 8, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, 12; MPG 10,816Β 26f Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 3,3, ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 342; MPG 83,404 C 28 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean Π, ed. Semler Bd2, Halle 1770, 222-226; CChr 15/2,1178-1180 29 Vgl. Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 3,3, ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 342f; MPG 83,404 C

Vorstellung

5

10

15

20

25

30

35

40

von der

Trinität

243

schon das Göttliche in Christo als das vor aller Zeit gezeugte W o r t ansahen. Sie hätten also nur sagen sollen: Noetus mache keinen Unterschied zwischen dem ungezeugten Gott und dem welchen sie den Gezeugten nennen. Er selbst aber konnte nur sagen: das göttliche in dem gezeugten Menschen sei der ungezeugte Gott selbst, und so auch der unleidensfähige sei in dem leidensfähigen Menschen gewesen; und nie würde er gesagt haben, wie Theodoret ihn sagen läßt, derselbe sei unleidensfähig und unsterblich und auch zu anderer Zeit leidensfähig und sterblich. Denn diese Behauptung hätte nicht mehr ausgehen können von der Absicht alles vielgötterische zu vermeiden, weil das leidensfähige kaum anders als vielfältig gedacht werden kann, von dem sterbli- 507 chen ganz zu schweigen. Wogegen die Ausdrükke δταν έθέλη, δτε έβούλετο oder ähnliche in Bezug auf die Thatsachen der alt- und neutestamentlichen Offenbarung ganz das Ansehn haben, dem Noetus eigen zu sein; nur Schade daß sich gar keine genaueren Aufschlüsse darüber finden, wie er sie eigentlich gemeiijt hat. Es kann sein, daß er sich Gott gedacht hat in einer beständigen Agilität, nach Art unserer Selbstbestimmung im Wechsel entgegengesezter Momente, bald sich in sich selbst zurükziehend und verbergend, bald sich kundgebend in einer Verbindung mit dem Endlichen. Hatte er nun diesen Wechsel so unbestimmt ausgesprochen wie in der ersten Formel des Theodo-|ret: so 322 könnte darin liegen, daß auch in Z u k u n f t und unabhängig von der Erscheinung Christi noch andere göttliche Offenbarungen könnten erwartet werden; und dies wäre freilich nicht christlich. Allein eben weil Noetus vorzüglich nur das göttliche in Christo feststellen wollte: so ist nicht anzunehmen, daß dies seine Meinung gewesen, wenn man gleich sagen muß, daß seine Vorstellungsart an und f ü r sich die Möglichkeit neuer Offenbarungen nicht ausschließt. Dasselbige ist aber auch der Fall mit dem kirchlichen Lehrbegriff. Denn wenn einmal außer der ewigen Zeugung noch eine andere völlig unbeschreibliche Differenz in dem göttlichen Wesen, nämlich das Ausgehn des Geistes, gesezt ist, so ist auch in dieser Vorstellung selbst kein Grund, warum es nicht noch mehrere solcher Prozesse geben könne; und wenn der göttliche Verstand sich heraustretend substantiirt, warum nicht auch jede andere göttliche Eigenschaft oder Thätigkeit? Auch ist von keiner rein dogmatischen Darstellung des Trinitätsbegriffs zu verlangen, daß die Ausschließung jeder größern Zahl rein solle mitgesezt sein, vielmehr muß der Grund hiezu anderwärts gesucht werden, nämlich in der Zulänglichkeit der Offenbarung durch Christum und den Geist zur Wiederbringung des menschlichen Geschlechtes; und nur eine spekulative Tri-

21 Vgl. oben Anm. 38

244

Vorstellung von der Trinität

nitätslehre k a n n eine solche ausschließende Construction versuchen, wird aber auch eben deswegen, weil sie jenen G r u n d entbehren kann, nicht f ü r w a h r h a f t theologisch gehalten werden können. H a t N o e t u s n u n aber auch n u r die auf die Erscheinung des Erlösers sich beziehenden Offenbarun-Igen unter dem Schema einer solchen göttlichen Agilität vorgestellt, so bleibt immer eine starke u n d k a u m zuläßige Vermenschlichung des höchsten Wesens darin, wenn man das δτε und ήνίκα gleichmäßig auf den göttlichen Rathschluß u n d auf dessen Realisirung bezieht, weil man sich d a n n ein vollkommen zeitliches göttliches H a n d e l n vorstellen muß. Dies nun freilich w ä r e ein Nachtheil der Theorie, weil in der andern die Z e u g u n g des Sohnes und das Ausgehen des Geistes wenigstens ganz zeitlos kann gedacht werden; wiewol d a f ü r jene wiederum das eigenthümliche hätte, was von Vielen, die dem kirchlichen Lehrbegriff folgen, zwar angestrebt wird, aber durch denselben schwer zu erreichen ist, d a ß nämlich die göttliche Thätigkeit in der O f f e n b a r u n g der in der gewöhnlichen Weltregierung bestimmt entgegentritt. D e n n w ä h r e n d uns nichts hindert diese im Einzelnen uns so geschlossen und in den Banden der Nothwendigkeit zusammengehalten vorzustellen, d a ß ein jedes einzelne durch alles f r ü h e r e bestimmt ist: so erscheinen die M o m e n t e der O f f e n b a r u n g als durch göttliche Willk ü h r zwischen jene hineintretend, und jeder dieser M o m e n t e f ü r sich durch ein freies und unabhängiges δτε ήθέλησεν einzeln bestimmt. Indessen ist es nicht nöthig auf diesen zweideutigen Vortheil zu bestehen, sondern man k a n n denken, d a ß bei fortschreitender Entwiklung auch Noetus w ü r d e den göttlichen Rathschluß, als die ewige Seite, von dem Hineintreten in die Erscheinung, als der zeitlichen, unterschieden haben, und d a n n stand er völlig gleich mit denen, welche die ewige Zeugung des Sohnes von der zeitlichen Mensch-|werdung trennten. N u r hatte er den Vortheil voraus, d a ß seine Darstellung höchst einfach war, jene aber auf eine schwierige Weise zusammengesezt. D e n n schwierig ist schon, wenn man eine M e h r h e i t der Personen annimmt, zu entscheiden, ob das H e r v o r g e h e n des Sohnes aus dem Vater als eine Sache der Freiheit o d e r als in dem göttlichen Wesen nothwendig gegründet soll angesehen werden. Bei der lezteren Erklärung erscheinen die einzelnen Personen als einem höheren Gesez unterworfen, wie die mythologischen Gottheiten dem ewigen Geschick. Bei der ersten erscheint der Sohn eben so bestimmt abhängig seiner Existenz nach von dem Willen des Vaters, wenn er ihn auch hätte nicht erzeugen können, und also darin den übrigen Wesen, die doch Geschöpfe sind, völlig gleich. Aber nicht nur dieser Schwierigkeit entging Noetus, sondern auch eben so der noch größeren, wenn man nun nach der M e n s c h w e r d u n g fragte, ob diese in ihrer räumlichen und zeitlichen Bestimmtheit allein in dem Willen des Vaters gegründet sei, o d e r auch in dem des Sohnes. In dem

508 323

324

509

Vorstellung von der

5

10

15

20

245

ersten Falle wäre dann in der Gottheit selbst Befehl und Gehorsam, also eine Ungleichheit welche völlige Trennung in sich schließt 41 , in dem andern wäre dann kaum möglich Vater und Sohn auseinander zu halten, wenn dies doch nicht in irgend einem Sinne räumlich geschehen soll, wogegen aber die eifrigsten Vertheidiger des kirch-|lichen Lehrbe- 325 griffs 42 auch am eifrigsten protestiren. Diesem Allen entgeht Noetus, indem er nur von Einem göttlichen Willen weiß, dessen ewiger Rathschluß sich auf die bestimmte Weise und also auch zur bestimmten Zeit realisirt. Daß aber nun nach Noetus diese Eine und ungeschiedene Gottheit sollte in Christo ganz die Stelle der Seele vertreten haben, und ohne psychische Vermittelung dem menschlichen Leibe eingewohnt, so daß insofern Noetus ein Vorgänger des Apollinaris gewesen, wie Martini43 meinte: dies scheint mir theils aus der dort angeführten Stelle des Hippolytus nicht zu folgen; theils finde ich es an sich unwahrscheinlieh, denn es näherte sich zu sehr den Metamorphosen der heidnischen Gottheiten, als daß es hätte von einem so strengen Gegner des Polytheismus ausgehen können. Auch hätte es bei seiner Ansicht ganz vor- 510 züglich doketische Folgerungen nach sich ziehen müssen, welche ihm seine Gegner gewiß nicht würden geschenkt haben, so daß der Streit ohnfehlbar eine weit andere Wendung würde genommen haben. Wie denn überhaupt die Apollinarische Ansicht fast nur aufgestellt werden 41

42

25

Trinität

43

So daß man nicht füglich sagen könnte [ . . . ] μη δύο έξ ενός μερισθέντα νόει. Basil. Horn. X X I V . z.B. A t h a n a s . c. S a b e l l . G r e g . 10. 11. 15. A . a . O . S. 143. 144.

22 δύο] δυό

23 XXIV.] XXIV,

22 f Basilius Caesariensis: Homilia 24 (Contra Sabellianos, et Arium, et Anomoeos), 4, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1722, 191E; MPG 31,605 B; vgl. unten Anm.89 24 Vgl. (Pseudo-)Athanasius: Contra Sabellii gregales 10/. 15, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 44-46.48; MPG 28,112-116.120f. Ausweislich der unten Anm. 86.102.104.115.123 genannten Seitenzahlen benutzt Schleiermacher nicht die von ihm selbst besessene vierbändige Athanasius-Ausgabe (Padua 1777; Rauch 1,17-20). 25 „Aus dem Umstände, daß Hippolytus in seiner Schrift gegen den Noet nöthig findet zu erinnern, daß Christus auch als Mensch eine vernünftige Seele gehabt habe [Anm.: l.c.§. 17. p. 18: Πιστεύσωμεν - κατά την παράδοσιν των αποστόλων, δτι Θεός Λόγος άπ' ουρανών κατηλθεν εις την άγίαν Παρθένον Μαρίαμ, ϊνα σαρκωθείς έξ αύτής, λαβών δε και ψυχή ν τήν άνθρωπίνην, λογικήν δε λέγω, γεγονώς πάντα δσα έστίν άνθρωπος, έκτος αμαρτίας, σώ&π τον πεπτωκότα e.t.c.J wird es wahrscheinlich, daß Noet dieß leugnete, und daß er die in Jesu wohnende Gottheit die Stelle der vernünftigen Seele vertreten ließ. Er wußte also nichts von zwey Naturen in Christo." (Martini: Versuch 143f)

246

5

10

15

20

25

30

konnte von denen, welche zum Behuf der ένσάρκωσις schon eine Scheidung im göttlichen Wesen gemacht, und eine besondere Person dazu bestimmt hatten. Und diese Bewandniß scheint es mir auch zu haben mit jener Stelle des Hippolytus 44 , daß er darin nicht gegen den | Noetus 326 sich erklärt, welches nicht so kurz würde abgemacht sein, sondern nur sich selbst schüzen will gegen Folgerungen, welche man aus dem Ausdruk σαρκωθεις, dessen er sich bedient hatte, leicht ziehen könnte, als ob der λόγος in der Jungfrau nur Leib bekommen hätte nicht auch Seele. Daher kann man auch wol schwerlich behaupten, Noetus hätte nichts von zwei Naturen in Christo gewußt. Vielmehr wenn, was allerdings auch Hippolytus zu folgern scheint 45 , schon er gesagt, Christus heiße Gottes Sohn als Mensch, den λόγος aber nenne Johannes nicht Sohn, sondern er sei Gott selbst: so hat er ja das göttliche und das menschliche in ihm beides anerkannt, und konnte also mit demselben Recht wie seine Gegner von zwei Naturen in Christo reden, wenn man nicht etwa sagen will, erst die Sonderung der Personen mache, daß man von dem höchsten Wesen den Ausdruk Natur gebrauchen könne; denn in diesem Sinne würde freilich Noetus die göttliche Natur geläugnet haben. Indeß wenn sich auch manche falsche Anschuldigung oder Vermuthung beseitigen läßt, und manches etwas genauer bestimmt werden kann: so scheint doch Noetus eben so wenig als Praxeas sich genauer darüber erklärt zu haben, wie sich Gott mit dem Menschen Jesus vereinigt, und worin das Unterscheidende seines Seins in Christo bestanden 511 habe. Theodoret zwar oder seine nächsten Gewährsmänner haben noch Kunde gehabt von weiteren Entwikkelungen, welche die | Lehre des 327 Noetus durch Kallistus erfahren habe, allein bis auf uns hat sich nichts davon erhalten. - Sehen wir nun aber, wie Hippolytus gegen Noetus die Mehrheit der Personen vertheidigt, so finden wir dieselbe starke Annäherung zur Arianischen Abweichung, ja dieselben Annäherungen zum Tritheismus wie bei Tertullian, und dieselbe Schwierigkeit, den Vater als Person von dem αύτόθεος als der Einheit zur Dreiheit zu unterscheiden, welche Unterscheidung doch die Lehre von einer persönlichen Dreiheit in der Einheit des göttlichen Wesens durchaus erfordert.

44

35

Vorstellung von der Trinität

45

c. Noet. XVII. c. XV, wo aber der griechische Text nicht ganz in Ordnung ist, und aus der Uebersezung ergänzt werden muß.

24-26 Vgl. Theodoret: Haereticarum fabularutn compendium 3,3, ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 343; MPG 83,495A 34 Vgl. oben Anm. zu 245,25 (Hippolyt: Contra Noetum 17, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, 18; MPG 10,825D) 35f Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 15, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, 16; MPG 10,821 C-824A

Vorstellung von der Trinität

247

Denn auch er sagt, daß der Sohn eben so wenig als etwas anderes dem Vater könne gleichgestellt werden 46 , und läßt ihn erst mit der ersten Stimme Gottes aus diesem hervorgehn 47 . U n d bald redet er von Einem Gott und zwei Personen, bald von Einem Vater und zwei Personen 48 , 5 an beiden Stellen den Geist | nicht mit in diese einreihend, an der einen 328; 512 jedoch ihn erwähnend, aber fast absichtlich vermeidend ihn auch πρόσωπον zu nennen. Ja die Einheit wird ihm, indem er die Mehrheit festhalten will, so lose, daß er sie auf bloße Uebereinstimmung und Zusammenwirkung zurükführt, und streng genommen läugnet, daß Vater 10 und Sohn dem Wesen nach Eins wären 49 . Merkwürdig aber ist beson46 47

15 48

20

25

49

30

35

προς γαρ τον πατέρα τίς λογισθήσεται; c. N o et. V. [...] δν (λόγον) έχων έν έαυτφ άόρατον [...], όρατόν ποιεί προτέραν φωνην φθεγγόμενος [...]. ibid. Χ. Denn wer in dieser Stelle das όρατόν ποιεί und προήκε nicht von der ewigen Zeugung verstehen wollte, sondern etwa von der Menschwerdung, der müßte sie sabellianisch erklären oder in dem Sinne des Beryllus, also immer für die von Hippolytus bestrittene Seite. δύο μεν ούκ έρώ θεούς, άλλ' ή ένα, πρόσωπα δέ δύο, οίκονομίαν δε τρίτην, την χάριν τοϋ άγιου πνεύματος. Hier ist offenbar das πνεϋμα nicht unter den beiden προσώποις begriffen, und der Vater ist nicht der εις θεός, sondern das eine πρόσωπον. Unmittelbar darauf fährt er fort: πατήρ μεν γαρ εις, πρόσωπα δέ δύο, οτι και ό υιός- τό δέ τρίτον τό αγιον πνεϋμα. Auch dieses nun kann ich nur so erklären, daß zwei πρόσωπα sind, weil außer dem Vater auch noch | der Sohn da ist, und der h. Geist wird wieder als τρίτον hinten- 328 nach gestellt; das δέ läßt keine andere Erklärung zu. Und fast absichtlich scheint Hippolyt beide Ausdrükke hinter einander zu stellen, um zu zeigen daß auch er den Vater nicht, sondern nur den Sohn und Geist als aus der Quelle des Vaters fließend von dem εις θεός, dem Gott schlechthin, αύτόθεος, ipse-Deus, scheiden will. cap. VII. Μή πάντες εν σωμά έσμεν (denn so muß man lesen, nicht έστιν) κατά την ούσίαν; ή τη δυνάμει και τη διαθέσει της όμοφρονίας εν γινόμεθα; τον αύτόν δη τρόπον ό παις ό πεμφθείς [...] ώμολόγησεν είναι έν τφ πατρι (wenn nicht εν) δυνάμει, διαθέσει. Doch will ich nichts weiter folgern, als daß das zusammengesezte und verwikkelte der Vorstellungsart so verwirrend auf den Sprachgebrauch wirkt, daß hier sogar ουσία auf dieselbe Weise gebraucht ist wie sonst ΰπαρξις oder ύπόστασις. - Nicht minder merkwürdig ist

11 λογισθήσεται;] λογισθήσεται. 21 υιός] υιός 29 Εν] gv 30 εν]

12 φωνην] φώνην

21 δέ δύο] δε δυο 'έν

11 Hippolyt: Contra Noetum 5, ed. Fabricius Bd2,11; MPG 10,809C 12-14 Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 10, ed. Fabricius Bd2,13; MPG 10,817Β 17-21 Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 14, ed. Fabricius Bd2,15; MPG 10,821 A 29-32 Hippolyt: Contra Noetum 7, ed. Fabricius Bd2,U; MPG 10,813 Β

248

Vorstellung von der Trinität

ders, wenn man vergleicht die Art wie Hippolytus dem Noetus sein Argument aus der Stelle Joh. 10,30. widerlegt, mit der wie Tertullian dasselbe dem Praxeas zerstört, wie man zugleich den einen mit dem andern widerlegen kann. Denn Tertullian | widerlegt den Praxeas aus dem εν, 329 weil nämlich nicht εις da stände, findet aber den Pluralis έσμέν gar nicht dem Praxeas entgegen. Hippolytus hingegen läßt das εν unberührt, als ob sich Noetus dahinter wol bergen könne, aber das έσμέν nimmt er in Anspruch. Dieser also muß es billig seinem Kampfgenossen Tertullian glauben, daß der Pluralis den Noetus nicht hindert; und jener ihm wiederum dieses, daß das TNeutrum sich ganz gut mit Noetus Ansicht verträgt. Doch die Schrifterklärung ist überhaupt nicht die glänzendste Seite dieser Entwiklungsstreitigkeiten, am wenigsten bei denen, welche auf der Seite des kirchlichen Lehrbegriffs stehn, wie es denn natürlich ist, daß die Auslegung zuerst schwankend wird durch den Einfluß der Polemik, weil sie aus dem Zustand der Unbefangenheit 513 und gleichsam der Unschuld heraustritt; und so muß Willkühr und Künstelei steigen, bis man genöthiget wird, feste Principien für sie zu suchen. III. Wenn nun Noetus zwar auf der einen Seite allen den Schwierigkeiten und Gefahren entging, welche mit der Annahme einer Mehrheit im göttlichen Wesen verbunden sind, nenne man diese nun ύπόστασις oder ϋπαρξις oder πρόσωπον, auf der andern aber über den Wechsel zwischen dem verbergenden Insichsein und dem offenbarenden Heraustreten Gottes - wenn er auch dabei alles räumliche und zeitliche eben so streng ausschloß wie seine Gegner - sich nur auf eine so unbestimmte Weise ausdrückte, wie Theodoret vermuthen läßt: so konnte sich doch mit seiner Darstellung sehr leicht die Voraussezung vereinigen, | daß auch Christus nur eine vorübergehende Offenbarung sei, wie 330 entstanden als Gott wollte, so auch wieder vergangen; und dieses wäre allerdings kein befriedigender Ausdruk des ganzen an die Person des Erlösers gebundenen Glaubens. Denn seine königliche Würde und reder Ausdruck: οικονομίας (d. h. der drei Personen) συμφωνία συνάγεται εις ενα θεόν [...]. cap.XIV, welcher die Einheit als gleichsam aus der Dreiheit erst entstehend darstellt; ziemlich gleich derjenigen persönlichen Einheit Christi, welche nur darin besteht, daß seine zwei Willen immer dasselbe wollen.

4 - 6 Vgl. Tertullian: Adversus Praxean 22,10-11, ed. Semler Bd2, Halle 1770, 244; CChr Π/2,1190,60-74 4 - 6 Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 7, ed. Fabncius Bd 2,11; MPG 10,813A 32f Hippolyt: Contra Noetum 14, ed. Fabricius Bd2,l4> (hier in der Anm. des Herausgebers die von Schleiermacher bevorzugte Lesart οικονομίας συμφωνία); MPG 10, 821A

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

25

249

gierende Gewalt als Sohn, dauernd wenigstens bis in jene Unendlichkeit hinaus, wo alle Feinde werden zu seinen Füßen gelegt sein, können und wollen wir nicht missen. Dieses nun bestimmter in die Ansicht des Noetus aufgenommen, und so den vielleicht früher statt gehabten Mangel ergänzt zu haben, dies scheint vorzüglich die Leistung des Beryllus von Bostra gewesen zu sein. Daß er, wie es scheint, seine Meinung, von dem Ansehn und dem persönlichen Uebergewicht eines großen Mannes überwogen, selbst wieder aufgegeben hat, kann kein Bewegungsgrund sein, ihr ihre Stelle in der Entwiklung dieser Vorstellungen zu nehmen oder auch nur zu schmälern. Ist nun gleich ein geschichtlicher Zusammenhang zwischen Beryll und Noetus nicht nachzuweisen, da auch unsere Nachrichten von dem Zeitalter des letztern und der Ausbreitung seiner Schule so schwankend und dürftig sind: so steht doch der Zusammenhang in der Sache fest, so daß wenn Beryllus auch nicht aus 514 Noetus geschöpft, ja vielleicht gar nichts von ihm gewußt hat, doch seine Meinung dieselbige Vorstellung voraussetzt. Ich möchte auch nicht mit M a r t i n i 5 0 sagen, Beryllus sei mit einer zwar ähnlichen, aber etwas doch verschiedenen Vorstellung aufgetreten | wie Noetus; son- 331 dern sie ist in der That ganz dieselbe, nur in Bezug auf die Dauer der göttlichen Einwohnung in der Person Christi näher bestimmt. Freilich haben wir auch nichts von dem Beryll selbst, aber unsere wenigen Nachrichten stimmen hierin ganz überein. Huetius zwar 51 ist der Meinung, daß Eusebius und Hieronymus in ihren Nachrichten nicht genau zusammenstimmen; dies aber kommt nur daher, daß er selbst den Eusebius52 nicht richtig verstanden und übersezt hat. Denn ιδία ούσίας πε50 51 52

A.a.O. S. 149. Origenian. I, 3, 8. Η. Ε. VI,33. [...] τον σωτήρα και κύριον ήμων λέγειν τολμών μή προ-

28 33.] 33, 2 Vgl. 1 Kor 15,25 6-8 Vgl. Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 6,33,2 26 „Nicht lange nach Noet, ungefähr ums Jahr 230, trat Beryllus, Bischof von Bostra in Arabien, ein Mann, der seiner Gelehrsamkeit wegen gerühmt wird [Anm.: Euseb. Η. Ε. VI,20.], mit einer ähnlichen, wenn gleich noch etwas verschiedenen Meynung auf." (Martini: Versuch 149) 27 Vgl. die Anmerkung zum Abdruck der „ Origeniana " Pierre Daniel Huets („ Origenianorum liber primus. Origenis vita", Kapitel 3,8, aus: Origenis in sacras scripturas commentaria Bd 1, Rouen 1668, S. 18) im Appendix zum 1759 in Paris erschienenen Bd4 der Origenes-Ausgabe von Delarue (S. 79-338; hier 97, Anm. b); vgl. MPG 17,681 f , Anm. 99 28 u. 1 8 - 2 0 Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 6,33,1, ed. Valesius, Mainz 1672, 231 C; ed. Schwartz 250. Schleiermacher bezieht sich auf die Interpretation dieser Stelle in der Anmerkung zu Huets „Origeniana" 1,3,8 (s. oben Anm. zu Z. 27); vgl. MPG 17,681 D-682 C

250

Vorstellung von der Trinität

ριγραφή ist nicht „propria substantiae differentia", welches jedem bekannten Gebrauch von περιγράφειν und περιγραφή zuwider wäre, sondern es heißt „propria substantiae circumscriptio", und nicht müßte man um den Eusebius zu rechtfertigen annehmen, daß Beryllus ούσία 5 habe für ύπόστασις gebraucht, wie oben von Hippolytus bemerkt worden, sondern der ganze Ausdruk ist eine richtige Umschreibung von ύπόστασις oder υπαρξις, auch in dem Sinne des kirchlichen Lehrbegriffs. Denn wenn in dem göttlichen Wesen eine Mehrheit angenommen werden soll, so daß das Wesen aller drei Personen dasselbige sei, 10 und doch in ihnen, abgesehen von dem, was die zweite und dritte nur sind durch ihre Vereinigung mit der Person des Erlösers und mit der christlichen Kirche, nichts anders gesezt sein soll als die Gott-|heit: wie 332 soll man denn die sogenannte Persönlichkeit dieser Dreiheit anders erklären, als daß in jeder das göttliche Wesen auf eine andere Weise um15 schrieben, d.h. gegen die anderen abgegrenzt und in sich näher be- 515 stimmt sei, welches durch περιγραφή sehr füglich kann ausgedrückt werden 53 . Daß aber Eusebius hier nicht mit seinen eigenen Worten re-

20 53

ϋφεστάναι κατ' Ιδίαν ούσίας περιγραφήν προ της εις ανθρώπους έπιδημίας· μηδέ μην θεότητα ιδίαν εχειν, άλλ' έμπολιτευομενην αύτφ μόνην την πατρικήν. Man vergleiche nur die in S t e p h . T h e s . s. ν. περιγράφειν und περιγραφή angeführten Stellen. - Vornemlich aber gehört hieher die auf Noetus oder Beryllus, wahrscheinlich also auf diesen lezten sich beziehende Stelle bei

19 εχειν] έχειν

19 μόνην] μονην

21 f „Περιγράφω, Circunscribo, [...] ωσπερ κύκλον κεντρω περιέγραψε τήν πάλιν. Plutar. Romulo, έσ το σύμμετρον περιγεγραμμένοι. Et περιγραφόμενον σχήμα geometr. de quo Bud. p. 587. Περιγράφω, Circunscribo, id est Definio seu praefinio, quasi circunscribendo, Praestituo. quod vulgo dicitur ,limiter'. Aristot. Metaphys. 10, τούτων δε των έπιστημών εκάστη περιγραψαμένη τι γένος αύτη. Λ'.en. τάς των άφροδισίων ήδονάς τοις άλλοις δοΰναι περιγράφοντας τον έτους χρόνο ν. Hinc et pro Coerceo, Cohibeo, Coarcto. vt Thucyd. έκ βραχέος και περιγράπτου, Ex praescripto et non libere laxeque. At Greg, περιγράφειν et pro Finire seu claudere dixit, εκπλήξει περιγράφει τόνλόγον. Ex Aristot. autem affertur περιγράφειν et pro Delineare, vel Deformare rudius, Non exacte describere: vbi dicit, περιγεγράφθω μεν ουν τάγα&όν ταύτη. Sic ex Plat. De rep. 2, σκιαγραφίαν αρετής περιγραπτέον. Vide Bud. p. 752. Περιγράφω, Deleo, Oblitero, Aufero e numero. Aesch. περιγράψετε με έκ τής πολιτείας. Quomodo autem Cie. imitatus sit, verbo Circunscribere vtens, vide apud Bud. p. 591. [...] Περιγραφή, Circunscriptio. Apud Polyb. pro ambitu. nam περίμετρον et περιγραφήν pro eodem posuit, de ambitu maris Pontici loquens, vt scribit Bud. Ex eodem affertur et pro καταστροφή. Περιγραφή, Delineatio, Deformatio quaedam rudior, Descriptio minus exaeta. Aristot. τά καλώς έχοντα τη περιγραφή, Quae recte delineata sunt. Bud. interpr. p. 752. Περιγραφή, Poll. 1.4, est vitium quoddam in corpore, si locus mendo caret." (Henri Estienne:

Vorstellung von der

5

10

15

20

25

30

Trinität

251

det, sondern wirklich mit denen des Beryllus oder wenigstens mit Ausdrükken der in Bostra gepflogenen Verhandlungen, ist sowol daraus wahrscheinlich, daß in den zu seiner Zeit geführten Streitigkeiten über diese Gegenstände der Ausdruk nicht vorkommt, als auch daraus, daß, wie man aus der Stelle selbst sieht, Eusebius die bostrenischen Verhandlungen vor sich gehabt hat. Diese Wahrscheinlichkeit wird noch dadurch vermehrt, daß desselbigen Ausdruks auch Beryllus sich sehr füglich zur Darlegung seiner eigenen Vorstellungsart bedienen konnte. Denn da er mit Noetus annahm, daß in dem Erlöser die Gottheit wohne und handle (έμπολιτευομένη): so mußte doch dieses ein anderes Handeln und Einwohnen sein, als das allgemeine Sein Gottes in allen Dingen und Einwirken auf sie, und so war denn jenes Sein und Handeln Gottes im Erlöser eine ιδία της θείας ουσίας περιγραφή. Denn in Beziehung auf | den Erlöser konnte nun von Gott etwas ausgesagt wer- 333 den was in Bezug auf nichts anders galt; und die Allheit dieser Beziehungen, so wie wir sie jezt die göttliche Natur in Christo nennen, war nun allerdings eine eigene Umschreibung des göttlichen Wesens. So daß Beryll mit Recht sagen konnte, das göttliche Wesen bestehe nun nicht nur an und für sich, sondern außerdem auch noch in dieser eigenen Umschreibung. Nur konnte er diese nicht eine Person nennen wollen, weil, einig darin mit seinen Gegnern, daß an kein räumliches oder zeitliches Auseinandersein dieser drei gedacht werden dürfe, er sich eine Person, ύπόστασις oder πρόσωπον, nicht anders denken konnte, als daß sie zugleich eine räumliche und zeitliche Einheit sei. Diese war 516 für Beryll nur in dem Menschen Jesus, aber dennoch war das έμπολιτευεσθαι der Gottheit in ihm etwas in derselben Einem und u n g e t e i l tem Wesen eigenthümlich geseztes. Und so hat auch Huetius unrecht, wenn er dem Eusebius Vorwürfe macht, weil dieser den Beryll deswegen zu tadeln scheine, daß er behauptet, Christus habe keine ιδία θεότης, weil es nemlich nur Eine θεότης gebe, indem sonst auch drei Götter sein müßten. Denn dies ist ebenfalls ein Ausdruk nicht des Eusebius, sondern des Beryllus, den Eusebius zwar in dessen Sinn anführen

Origenes Com. in Joh. Vol. IV. p.47., wo der Ausdruck κατά περιγραφήν mehrere Male vorkommt.

29 keine] kein

33 47.,] 47,

Thesaurus Graecae linguae Bdl, Genf 1572, S. 875 E-H) 27-31 Vgl. oben Anm. zu 249,27 (MPG 17,682C) 33f Vgl. Origenes: Commentaria in Joannem 1,39 (Joh 1,1), ed. Delame Bd4, Paris 1759, 47D; GCS 4,51,22-24

252

Vorstellung von der

Trinität

konnte, aber nicht billigen, indem Beryll meinte, wenn mehrere Personen sein sollten ohne Bezug auf diese oder eine andere Einwohnung: so könnten sie nicht bloß verschiedene Umschreibungen des göttlichen Wesens in dem Sinne sein, wie er annahm, daß die Verbindung der Gottheit mit der Menschheit eine solche | sei - denn nur innerhalb die- 334 ser Grenze konnte er den Ausdruk als einen gemeinschaftlichen f ü r sich und seine Gegner gebrauchen - sondern es müßte dann das göttliche Wesen selbst in Bezug auf irgend einen Gegensaz getheilt sein und gespalten, und dann wäre die eine Gottheit eine andere als die andere. Wie denn Beryllus gewiß immer würde gesagt haben, die ungezeugte Gottheit sei eine andere als die gezeugte. In diesem Sinne nun war ihm dieses beides gleichbedeutend, daß der Sohn Gottes vor seiner Menschwerdung schon als eine Umschreibung des göttlichen Wesens bestanden habe, und daß während des menschlichen Bestehens des Erlösers ihm eine eigene Gottheit einwohne; seinen Gegnern aber war beides nicht gleichbedeutend, sondern indem sie das erste annahmen, läugneten sie das andere. Eben so war ihm gleichbedeutend zu sagen, in dem Erlöser wäre die Gottheit schlechthin von der des Vaters nicht zu unterscheiden, oder so zu sagen, die dem Erlöser einwohnende Gottheit habe nicht auch schon vor seiner Menschwerdung als eine eigene Umschreibung des göttlichen Wesens bestanden, sondern sei vorher gewesen von Ewigkeit her die Gottheit schlechthin; seine Gegner aber, indem sie jenes mit ihm behaupten, läugnen sie dieses als mit jenem nicht 517 gleichbedeutend. Auf das bestimmteste läßt sich also aus dieser einen Phrasis bei Eusebius, als wäre sie ein Auszug aus den Akten der bostrenischen Synode, der Streitpunkt zwischen Beryllus und seinen Gegnern feststellen. Wenn nun aber Beryllus nur das Vorherbestehen in eigner Umschreibung läugnet, aber keinesweges | zu verstehen giebt, auch von 335 seinen Gegnern nicht beschuldiget wird, gesagt zu haben, daß dieses Bestehen in eigner Umschreibung auch würde ein Ende haben: so können wir getrost annehmen, er habe die Fortdauer dieser Verbindung auch nach Christi Erhöhung von der Erde angenommen, so wie sie wenigstens als bis zum jüngsten Gericht während in dem römischen Glaubensbekenntniß ausgesprochen, in dem wirklichen Glauben der Christen aber als ewig a parte post angenommen ist, indem wir ohne Zweifel Alle die Seligkeit der Gläubigen auch in dem ewigen Leben auf die

19 d e m ] den

27 nun] uun

3 3 f Vgl. „Das römische Symbolum", in: Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession, und die repetitio confessionis Augustanae, ed. A. Twesten, Kiel 1816, S. 2-4; BSLK 21,2-9

Vorstellung von der Trinität

253

Fortdauer jener Vereinigung in der Person Christi beziehen. Auch was Hieronymus von Beryll sagt54, stimmt nicht nur im Allgemeinen mit der hier über die Stelle des Eusebius gegebenen Erklärung, sondern legt auch in Beziehung auf diesen Punkt ein eigenes Zeugniß für den Beryllus ab. Denn an die Frage über die Präexistenz der menschlichen Seele Christi ist hier nicht zu denken, indem es keine Spur giebt, daß diese wäre damals erörtert worden; wie denn überhaupt hierin zwischen der Seele Christi und jeder anderen kein Unterschied sein kann, wenn eine wahre menschliche Natur Christi soll behauptet werden. Was also hier von Christo geläugnet werden soll, das kann nicht seine Menschheit gewesen sein, sondern nur seine Gottheit, und auch diese nicht schlechthin, denn das geht gar zu deutlich hervor aus dem ausdrüklichen Zeugniß des Eusebius, sondern nur daß | seine Gottheit auch vor der Geburt 336 schon für sich als eine besondere Person bestanden habe. Daß Hieronymus eben dieses so ausgedrükt habe, ist leicht zu erklären. Denn im strengsten Sinne glaubte er selbst auch nicht, daß Christus vor seiner 518 Geburt schon bestanden habe, und man kann mit vollem Recht, wenn er es so gemeint, von ihm sagen, was Huetius von Eusebius sagt, daß wenn Beryllus dieses behauptet, und Hieronymus ihn deshalb getadelt, er selbst müsse ein Kezer gewesen sein. Er hat aber unter Christus eben als ob er λόγος geschrieben hätte, die zweite Person der Gottheit verstanden, und schreibt dem Beryll nur die Meinung zu, daß deren Persönlichkeit - ιδία ούσίας περιγραφή - erst mit der Incarnation angefangen habe. Dasselbe drükt Gennadius 55 noch | anders aus, auch verwor- 337

„[...] ad extremum lapsus in haeresin quae Christum ante incarnationem negat [...]". Catal. scr. eccl. „Neque sie est natus ex virgine, ut et divinitatis initium homo nascendo acceperit, quasi antequam nasceretur ex virgine, deus non fuerit, sicut Artemon et Beryllus et Marcellus docuerunt [...]." de d o g m . Eccl. cap.3. Den Marcellus lassen wir hier, da schon er der Annäherung an den Sabellius beschuldigt werden kann, auch im Wesentlichen mit Beryllus muß gestimmt haben. Arte-

25 ad] Ad

29 3] 4

25f Hieronymus: De viris illustribus (Catalogus scriptorum ecclesiasticorum) 60, Benediktiner-Ausgabe Bd4, Paris 1706, S. 117; MPL 23,706. Auf diese Stelle wird in der Anmerkung zu Huets „Origeniana" 1,3,8 (vgl. oben Anm. zu 249,27) verwiesen (MPG 17,682D). 27-29 Gennadius Massiliensis: De ecclesiasticis dogmatibus 3, ed. G. Elmenhorst, Hamburg 1614, S.4; MPL 58,982A. Diese Stelle ist in der Anmerkung zu Huets „Origeniana" 1,3,8 (vgl. oben Anm. zu 249,27) zitiert (MPG 17,682D).

254

5

10

15

20

25

30

35

Vorstellung von der Trinität

ren genug, jedoch so, daß der Sinn nicht zu verfehlen ist, wenn man die andern Zeugnisse dazunimmt. Wenn nun irgend etwas bekannt davon geworden wäre, daß Beryllus geglaubt, die Gottheit zöge sich aus dieser besondern Verbindung mit der menschlichen Person des Erlösers irgend wann wieder zurück: so würde auch Hieronymus nicht nur gesagt haben, er läugne Christum vor seiner Geburt, sondern mit noch größerm Recht, er läugne ihn auch nach der Himmelfahrt oder nach dem jüngsten Gericht, wie es eben Beryllus bestimmt hatte. Mit größerem Recht sage ich deshalb, weil, ob die menschlichen Seelen als Einzelwesen vor der Geburt vorhanden sind oder nicht, den christlichen Glau- H9 ben nie wesentlich interessirt hat, immer aber und sehr die endlose Fortdauer derselben ist verfochten worden. Die menschliche Seele des Erlösers würde also alsdann immer noch vorhanden sein, und doch Christus als solcher geläugnet werden. Hat nun Beryllus durch seine nähere Bestimmung allen Verdacht dieser Art von der Lehre des Noetus entfernt: so scheint auch jedes denkbare Interesse des christlichen Glaubens bei dieser Vorstellungsart ungefährdet zu bleiben, und sie scheint den Vortheil, daß dadurch die Einheit des höchsten Wesens auch nicht scheinbar verlezt wird, ganz rein und ohne Nachtheil zu gewähren. Denn die Idee der Erlösung, wie sie göttliches und menschliches beides unverstümmelt und unverringert in dem Erlöser fodert, kann nicht reiner gehalten werden als hier, wo weder besondere Veranlassung sein kann etwas doketisches einzuführen, noch | auch die Rede 338 davon sein kann, daß Gott schlechthin oder der Vater als der höchste Gott besser und größer sei als dasjenige was die Gottheit des Erlösers

mon aber kann nur durch die ärgste Consequenzmacherei mit Beryllus zusammengestellt werden, wenn man nämlich sagt, die Gottheit des Vaters sei vermöge seiner Allgegenwart in Allen, wenn also nur diese dem Erlöser einwohne, so sei er nicht mehr als jeder andere Mensch, eine Verkezerung, von welcher sich Origenes immer frei gehalten, der auf das bestimmteste die Meinung des Beryllus von der Meinung derer unterscheidet, die Christum f ü r einen bloßen Menschen gehalten. Hievon abgesehen ist nun klar, daß auch Gennadius nur dieses als die Meinung des Beryllus ansieht, daß das gesonderte Bestehen der Gottheit Christi erst mit seiner Menschwerdung angefangen habe.

30-32 Vgl. Origenes: Fragmentum ex libro in Epistolam ad Titum; ed. Delarue Bd4, Paris 1759, 695A; MPG 14,1304B-D. In der Anmerkung zu Huets „Origeniana" 1,3,8 (vgl. oben Anm. zu 249,27) wird die hier erfolgende Kennzeichnung der Ansicht Berylls zitiert und auf deren Überlieferung in der „Apologia Pamphili Martyris pro Origene" (Appendix zu ed. Delarue Bd4,22BC; MPG 17J54C-5HA) verwiesen (vgl. MPG 17.682D). Weitere von Schleiermacher auf Beryll gezogene Origenes-Stellen unten Anm. 58.80

Vorstellung von der Trinität

255

bildet und dieses geringer und dürftiger als jener, wie Tertullian, Hippolytus und Origenes, die Gegner jener Vorstellung, fast auf jeder Seite sich ausdrükken. Es ist aber gewiß, daß nur je vollkommener und ohne verringernde Umschreibungen und Zusäze die Gottheit in dem Erlöser gesezt wird, um so vollständiger nur kann auch die Menschheit gesezt werden; sezt man aber statt der wahren Gottheit eine Gott nähere oder gewissermaßen zur Gottheit erhobene höhere Natur 5 6 , so muß sich das menschliche des Erlösers mehr oder weniger in Schein verwandeln. Und auch das Reich des Erlösers, in welchem er durch die ihm angestammte M a c h t die Gläubigen immer als Selige sammelt und zusammenhält, auch dieses bleibt fest bestehen, wenn dem Erlöser seine G o t t heit immer bleibt. Was aber kann irgend jemand für das Interesse des christlichen Glaubens weiter verlangen als dieses, da eben diese beiden Punkte von jeher die Angel aller christlichen Verkündigung waren 57 , 520 und was kann für diesen Glauben daran gelegen sein, lieber eine ewige Mehrheit in der Gottheit ohne alle Beziehung nach außen zu verlangen, als sich an einer solchen Ver-|schiedenheit zu begnügen, welche nur 339 in Beziehung auf die Offenbarung gesezt ist. Denn dies ist der einzige Unterschied, welcher zwischen der Vorstellung des Beryllus und der seiner Gegner übrig bleibt. Nur eins könnte man noch sagen, sofern nämlich die Analogie mit dem Sprachgebrauch der Schrift, weil dadurch eine Menge von unnüzen Wortstreitigkeiten am besten vermieden wird, allerdings ein gemeinsames Interesse ist, ich meine, daß man nach der Vorstellung des Beryllus nicht einsehen kann, warum die Gottheit in der besonderen Verbindung mit der Person Jesu gedacht gerade der Sohn heißen soll, an und für sich aber der Vater. Durch diese Betrachtung scheint auch in der T h a t Origenes jene ganze V o r stellungsart zurükweisen zu wollen 58 . Allein auch dieses Argument trifft

56

57 58

'Αληθινός ούν θεός ό θεός. οί δέ κατ' εκείνον μορφούμενοι θεοί ώς εικόνες πρωτοτύπου· άλλα πάλιν των πλειόνων εικόνων ή αρχέτυπος είκών ό προς τον θεόν έστι λόγος [...]. Orig. in Joh. Tom. IV. p.51. Ap. Gesch. 27. [...] λεκτέον προς αυτούς πρώτον μεν τά προηγουμένως κατασκευαστικά

30 πάλιν] πάλιν 30 εικόνων] εικόνων 30 άρχέτυπος] αρχέτυπος 32 Αρ. Gesch.] Abk. fiir Apostel ^Geschichte 32 27] Kj 2 33 κατασκευαστικά] κατασκευαστικά 29-31 Origenes: Commentaria in Joannem 2,2 (Joh 1,1), ed. Delarue Bd4, Paris 17)9, 51A; GCS 4,55,3-5 33 u. 32f Origenes: Commentaria in Joannem 10,37 (Joh 2,19), ed. Delarue Bd4, Paris 1759, 199D; GCS 4,212,16-19

256

5

10

15

20

25

30

Vorstellung

von der

Trinität

nicht, nachdem bereits auf Veranlassung des Noetus die Anhänger der persönlichen Differenz in diesem Punkt mildernd waren entgegengekommen. Denn schon Hippolytus hatte zugegeben, daß vor der Menschwerdung der λόγος zwar als λόγος schon vollständig da gewesen sei, als Sohn aber noch nicht vollständig, sondern dieses erst seit der Menschwerdung 59 , welches auch dem Sprachgebrauch der Schrift, da wo λόγος und θεός zusammenstehen, ganz angemessen | ist. Wenn also 340 nun der Ausdruk Sohn nicht die Gottheit in Christo allein bezeichnet, sondern den ganzen Christus, wie sollte nicht dieser Sprachgebrauch auch der Theorie des Beryllus ganz angemessen sein? Denn wenn doch 521 Gott an sich Urheber dieser Verbindung ist, und der ganze Christus als solcher und vermöge der Einwohnung Gottes das urbildliche Ebenbild Gottes ist; wie sollte nicht eben dieses durch die Ausdrükke Vater und Sohn ganz richtig bezeichnet sein? Aber nicht nur für das Interesse des Glaubens ist die Theorie des Beryllus eben so annehmlich als die entgegenstehende, indem die οικονομία nicht dabei leidet, die μοναρχία aber wohlbehaltener bleibt; sondern auch für diejenige tiefere Entwiklung, welche das Geschäft des Dogmatikers ist, scheint sie weder schwieriger noch unfruchtbarer zu sein. Schwieriger nicht, weil sie erspart Rechenschaft geben zu müssen von den Verhältnissen der göttlichen Personen unter sich, abgesehen von der Offenbarung; und bei dieser Ersparung ist keine Frucht verloren, weil wenn wir diese Verhältnisse auch ergründen könnten, dieses doch keinen Einfluß haben würde auf alles, was die göttlichen Gnadenwirkungen betrifft, die doch allein der eigentliche Gegenstand aller dogmatischen Entwiklung sind. Eben so fruchtbar aber hätte sie sich gewiß beweisen müssen; denn es lag ihr eben so ob zu versuchen, wie weit sich das Verhältniß des göttlichen zu dem menschlichen in Christo weiter entwikeln ließe, in welche Entwikelung aber auch die kirchliche Vorstellungsweise erst später übergegangen ist. Und schwieriger würden von der | Theorie des Beryllus aus diese Erör- 341

59

ρητά τοΟ Ετερον είναι τον υίόν παρά τον πατέρα, και 0τι ανάγκη τον υίόν πατρός είναι, υίόν, και τον πατέρα υίοΟ πατέρα, ibid. p. 199. D. οΰτε γάρ αόρατος και καθ' εαυτόν ό λόγος τέλειος ήν υιός. καίτοι τέλειος ών λόγος μονογενής, c. Noet. XV.

34 αόρατος] αορατος

6f Vgl. Joh 1,1-14 33f Hippolyt: Contra Noetum 15, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, 17; MPG 10.824C 33 Statt αόρατος Q .ασαρκος

Vorstellung

5

10

15

20

25

von der

Trinität

257

terungen auch nicht gewesen sein. Denn leichter zu begreifen wird das was Christum durch die Vereinigung des göttlichen mit dem menschlichen von allen andern Menschen unterscheidet nicht dadurch, wenn man annimmt, das göttliche Wesen habe, sofern zu dieser Vereinigung bestimmt, schon von Ewigkeit her in einer gewissen besonderen Umschreibung bestanden. Vielmehr kann diese Annahme nur verleiten, sich das göttliche Wesen in dieser Vereinigung anders, und dann auch gewiß verringert und auf gewisse Weise untergeordnet zu denken, als es an und für sich gedacht werden soll. Nicht nur diese Klippe weniger hat die Theorie des Beryllus zu vermeiden, sondern sie hat auch außer 522 der beiden Ansichten gemeinschaftlichen Formel für diese dogmatische Aufgabe, nämlich „zu erklären, welches in allen Verrichtungen und Lebensäußerungen Christi der Antheil des göttlichen und menschlichen sei, und wie sich beide Naturen oder Wesenheiten als die Einheit der Person constituirend verhalten", noch eine andere, die, wenn sie nicht ihr ganz eigenthümlich ist, sich wenigstens aus ihr weit leichter ergiebt und reiner sowol gefaßt als gelöset werden kann, nämlich die „zu bestimmen, wie sich das Sein Gottes in Christo verhalte zu demjenigen Sein Gottes in allen Menschen, welches in den Begriffen der göttlichen Allgegenwart und Mitwirkung schon enthalten ist." Dies ist eine Formel, deren Anwendung die bestimmtesten und schärfsten Resultate hätte hervorbringen müssen, und die nicht leicht angewendet werden 342 konnte, wenn man einmal im göttlichen | Wesen ewige Personen anerkannt hat, weil man alsdann, wie der Erfolg zeigt, bei dogmatischen Ausführungen eigenthümlich christlicher Lehren immer mehr an den Unterschied und relativen Gegensaz der Personen als an die Einheit des Wesens denkt, und dann Allgegenwart und Mitwirkung unmittelbar nur auf den Vater bezieht.

Bedenkt man nun dieses: so hätte man eher vermuthen sollen, Be30 ryllus würde auf der Zusammenkunft zu Bostra den Origenes gewonnen haben als umgekehrt Origenes ihn; zumal wenn man erwägt, wie der große Alexandrinische Lehrer sich unmöglich bewußt sein konnte, die Gefahren, welche mit der Annahme von drei ewigen oder wenigstens vorweltlichen Personen in dem göttlichen Wesen verbunden sind, 35 glücklich vermieden zu haben. Denn nicht ohne Grund ist ihm Schuld gegeben, daß er um den Sohn bestimmt vom Vater zu sondern, die Einheit des Wesens leider nicht immer genug festgehalten, sondern von dem Worte des Klemens ausgehend, welcher das eine Mal sagt, daß die

12-14. 17-20 rungszeichen

Wohl keine Zitate, sondern Hervorhebung fort)

Schleiermachers (SWlassen

Anfüh-

258

Vorstellung

von der

Trinität

Natur des Sohnes der des Einen Allmächtigen die nächste sei60, dann aber auch mit demselben Ausdruk, daß der Erkennende auf eine vor- 523 zügliche Weise Gott nahe sei61, eben so nimmt auch Origenes eine Menge von göttlichen durch Mittheilung so gewordenen Naturen an, 5 und sezt dann die hernach in Christo vermenschte Gottheit an die Spize von allen diesen, als dem | αύτόθεος die nächste 62 , behauptend, 343 daß diese, als in Bezug auf das bei-Gott-sein die erste, auch vorzüglich die Gottheit in sich selbst hineinzöge 63 , und daß der λόγος auf diese Weise Gott sei und bleibe lediglich durch sein bei-Gott-sein und durch 10 seine ununterbrochene und unaufhörliche Anschauung der Tiefe des Vaters 64 . Diese Darstellungen neigen offenbar so sehr dahin, zu verstehen zu geben daß die Gottheit des Sohnes eine werdende, theils gewesene theils gewordene, aber nicht eine seiende sei, daß man wol sieht, das Bestreben, den Sohn ja nicht mit dem Vater zu vermischen 65 , hat den Ori15

60 61 62

20 63

25

64

65

τελειότατη δή ... ή υίοϋ φύσις ή τφ μόνφ παντοκράτορι προσεχεστάτη. Strom. VII. p. 831. Pott. προσεχέστερον δή ό γνωστικός φκειωται θεω [...]. ibid. p.852. S. die v. a. Stelle Comm. in Joh. p.51. Eben so vorher p.47. ... πολλαχοϋ κείται λογικών τινών θείων ζώων δυνάμεων όνομαζομένων, ών ή άνωτέρω και κρείττων χριστός ήν, ού μόνον σοφία θεοϋ άλλα καϊ δύναμις προσαγορευόμενος· ώσπερ ούν δυνάμεις θεοϋ πλείονες είσιν, ών εκάστη κατά περιγραφήν, ών διαφέρει ό σωτήρ, οϋτως κ. τ. λ. [...] φ πάντως ό πρωτότοκος πάσης κτίσεως, ατε πρώτος τφ προς τον θεόν είναι, σπάσας της θεότητος εις εαυτόν, τιμιώτερός έστι τοις λοιποΐς παρ' αυτόν θεοϊς κ. τ. λ. ibid. p. 50. [...] τφ είναι προς τον θεόν άεί μένων θεός, ούκ αν δ' αύτό έσχηκώς, εί μη προς τον θεόν ήν, και ούκ αν μείνας θεός, εί μή παρέμενε τη άδιαλείπτψ θέςι τοϋ πατρικού βάθους, p. 51. [...] άλλ' δμως των τοσούτων και τηλικούτων ύπερέχων ούσίςι και πρεσβείςι

10 ununterbrochene] unterbrochene 17 852] 652 18 ν. a.] Abk. wohlfiir vorher angeführte 19 όνομαζομένων] όναμαζομενων 21 ώσπερ] ώσπερ 24 έαυΐ ό ν ] έαντόν 24 αυτόν] αύτού 26 έσχηκώς] έχηκώς 29 ούσίςι και] ούσίςι και 14 u. 1 Origenes] Origines

15f Clemens Alexandrinus: Stromata 7,2 (2,5,3); ed. J. Potter Bd2, Venedig 1757, 831,16-19; GCS 3,5,20-22 17 Clemens Alexandrinus: Stromata 7,7 (7,35,7); ed. Potter Bd2, Venedig 1757, 852,lf; GCS 3,28,1f Statt φκειωται Q: οίκειοΟται 18 Anm. 56 18-22 Origenes: Commentaria in Joannem 1,39 (Joh 1,1), ed. Delarue Bd4, Paris 1759, 47CD; GCS 4,51,19-23 23-25 Vgl. Origenes: Commentaria in Joannem 2,2 (Joh 1,1); ed. Delarue Bd4,50D; GCS 4,54,34-36 26-28 Origenes: Commentaria in Joannem 2,2 (Joh 1,1), ed. Delarue Bd4,51A; GCS 4,55,5-8 29 u. 20f Origenes: Commentaria in Joannem 13,25 (Joh 4,24), ed. Delarue Bd4,235D; GCS 4,249,26-29

Vorstellung

von der

Trinität

259

genes fast dahin gebracht, das Wesen des Sohnes von dem des Vaters gänzlich zu trennen. Dadurch nähert er sich auf der einen Seite so sehr den gnostischen Ausflüssen, daß er diese Terminologie nur deshalb zu verwerfen scheint, weil er meint, sie schließe nothwendig etwas körper5 liches | in sich66, auf der andern Seite eröffnet er uns die Aussicht durch 344; 124 ein künftiges bei-Gott-sein auch Gottheit in uns zu ziehen und dem λόγος gleich zu werden 67 , so daß er diese Hoffnung nur mäßigen und beschneiden kann, indem er fest darauf besteht, nur durch die unaufhörliche Schau von Ewigkeit her in die göttlichen Tiefen sei und bleibe der 10 λόγος Gott, und sei deshalb über alles Gewordene ohne allen Vergleich erhaben 68 , ohne daß jedoch dadurch die Erhabenheit des Vaters über ihn verringert werden soll. Allein merkwürdig ist, daß wie auf der einen Seite Origenes den Sohn so bestimmt vom Vater entfernt, es auf der andern Seite nicht an Stellen fehlt, worin er sich auf eine sehr verwandte 15 Weise mit denen ausspricht, welche eine Geschiedenheit der Personen in der Gottheit nicht wollen. Denn wenn er eben da, wo er sich von den gnostischen προβολαις unterscheiden will, sagt, der Vater werde ungetheilt und ungetrennt des Sohnes Vater 69 ; so kann das | freilich schei- 345 nen, auf ein Hervorbringen des Sohnes nicht aus der Substanz des Va20 66

25

67 68

30 69

και δυνάμει και θειότητι... και σοφίς*, κατ' ουδέν συγκρίνεται τώ πατρί. κ. τ. λ. ibid. p. 235. εΐ γαρ προβολή έστιν ό υιός τοΰ πατρός και γεννφ μεν έξ αύτοΰ όποια τά των 124 ζώων γεννήματα, ανάγκη σώμα είναι τον προβάλλοντα και τον προβεβλημένον. π. άρχ. IV. Vol. I. p. 190. Vergl. 1 Joh. 3,2. Darum nennt er ihn τον άγένητον και πάσης γενητής φύσεως πρωτότοκον, wiewol er gleich darauf den Vater τον γεννήσαντα αυτόν nennt. C. Cels. VI. Vol. I. p. 643. Eben so [...] πάντων μεν των γενητων ύπερέχειν ού συγκρίσει άλλ' ύπερβαλλούση ύπεροχη φαμεν τον σωτήρα [...]. Comm. in Joh. Vol. IV p. 235. wo der Beisaz και τό πνεύμα το άγιον zeigt, daß bei dem Ausdruk σωτήρ an die Gottheit des Erlösers zu denken sei. [...] περί πατρός, ώς αδιαίρετος και αμέριστος ων υίοϋ γίνεται πατήρ [...] π. α. IV. Vol.1, p. 190.

6 bei-Gott-sein] bei Gott-sein 23 τον] τον 28 VI] IV

20 τφ] τω

21 235] 255

23 τον] τον

22-24 Origenes: De principiis 4,4,1 (28), ed. Delarue Bdl, Paris 1733, 190BC; GCS 348,8-10 26 f Für den Wortlaut vgl. Origenes: Contra Celsum 6,17, ed. Delarue Bdl, 643 C; GCS 2,88,21-23 28-31 Vgl. Origenes: Commentaria in Joannem 13,21 (Joh 4,24), ed. Delarue Bd4,231B; GCS 4,249,18-20 32f Origenes: De principiis 4,4,1 (28), ed. Delarue Bdl,190A; GCS 5,348,6f

260

5

10

15

20

25

Trinität

ters zu deuten; wenn man aber dazu nimmt, daß er den Sohn in der ganzen sein ewiges Leben begleitenden Zeit erzeugt 70 , und also ihn niemals aus der Erzeugung entläßt, wodurch er dann erst herausgeworfen 525 würde (προβάλλεται) aus dem Vater, sondern ihn immerfort erzeugt 71 , wie sollte nicht Beryllus dies ganz haben für seine Meinung auslegen können, oder vielmehr darthun, daß Origenes noch weiter von der persönlichen Dreiheit entfernt sei als er selbst, indem nach dieser Ansicht der Sohn auch nicht einmal seit der Menschwerdung κατ' ιδίαν της ούσίας περιγραφήν da sei. Denn wenn das Gezeugtsein die Art andeuten soll, wie das zweite Glied der Dreiheit in seinem relativen Gegensaz gegen das erste als Sohn des Vaters da ist: so ist nothwendig weder der Vater Vater, indem er zeugt, sondern erst nachdem er gezeugt hat, noch auch der Sohn Sohn, so lange er noch gezeugt wird, sondern erst nachdem er gezeugt worden ist; so lange aber das Zeugen und Gezeugtwerden noch währt, wird nur der Vater Vater, | ohne es zu sein - wie auch 346 Origenes in einer der angezogenen Stellen selbst sagt, daß ungetrennt und ungetheilt der Vater des Sohnes Vater wird - und auch der Sohn wird nur Sohn ohne es zu sein. Ist also die Zeugung nie vollendet, sondern wird immer nur von Ewigkeit her: so sind auch Vater und Sohn nicht auseinander getreten, sondern immer ist die Gottheit nur im Begriff in Vater und Sohn gleichsam zu zerfallen und eine Mehrheit von Personen darzustellen, bleibt aber immer nur Eines und dasselbige höchste Wesen. So daß man nach dem Origenes, über den Beryllus zurükgehend zum Noetus, sagen könnte, auch seit der Vermenschung bestehe die Gottheit des Erlösers noch nicht eigentlich κατ' ιδίαν ούσίας περιγραφήν; sondern höchstens nur in Bezug auf die menschliche Person, welcher sie einwohnt, und um welcher willen sie allein Sohn heiße,

70

30

71

35

Vorstellung von der

[ . . . ] άλλ' ό συμπαρεκτείνων τη άγενήτφ και άϊδίφ αύτοΟ ζωη, ϊ ν ούτως εΐπω χρόνος, ήμερα έστιν αύτφ σήμερον, έν η γεγέννηται ό υιός [...]. C o m m . in J o h . Vol. IV. p. 33, worin schon liegt, daß dieser Tag eben so wenig einen Abend hat als einen Morgen, und eben so wenig ein morgen als ein gestern, d. h. daß die Zeugung nie vollendet ist. εάν ουν έπιστήσω σε έπί τοϋ σωτήρος, δτι ούχί έγέννησεν ό πατήρ τον υίόν, και άπέλυσεν αυτόν ό πατήρ άπό της γενέσεως αύτοϋ, άλλ' άεί γεννφ α υ τ ό ν κ. τ. λ. In J e r e m . h o m . IX. Vol.III. p. 181.

28 τη] τη

28 αϋτοΟ] αύτού

30 33] 23

33 σε] σοι

34 άλλ'] αλλ'

15-17 Oben Anm.69 28-30 Origenes: Commentaria in Joannem 1,29 (Joh 1,1), ed. Delarue Bd4,33C; GCS4,37,9-11 33-35 Origenes: In Jeremiam homilia 9,4 (Jer 11,1-10), ed. Delarue Bd3, Paris 1740, 181E; GCS 3,70,14-16

Vorstellung von der Trinität

261

k ö n n e sie so genannt werden, an und f ü r sich aber sei nur Einheit in G o t t ohne irgend eine Verschiedenheit o d e r M e h r h e i t . U n d nicht etwa schweben die hier a n g e f ü h r t e n Stellen des Origenes in der L u f t o h n e 526 weitere H a l t u n g , sondern sie hängen mit andern Formeln desselben genau zusammen. D e n n wenn Origenes nicht begriff, wie G o t t habe sein können, o h n e geschaffen zu haben, indem er sich ja d a n n bis zu einem gewissen P u n k t hin der Herrlichkeit und W ü r d e des Herrschens selbst müßte beraubt haben, und auch müßte übergegangen sein vom Nichtschaffen z u m Schaffen, welches ja eine V e r ä n d e r u n g wäre 7 2 : eben so auch konnte | der Vater auch nicht sich freiwillig der Herrlichkeit einen 347 Sohn zu haben begeben, u n d vom Nichtzeugen erst irgend wann übergehen zum Zeugen, welches nicht minder eine V e r ä n d e r u n g wäre 7 3 . Ist aber dieses, so ist auch aus demselben G r u n d e nothwendig, d a ß G o t t nicht übergehen kann weder vom Schaffen z u m NichtSchaffen, d . h . z u m Zerstören - denn Erhaltung ist n u r fortgeseztes Schaffen - noch auch vom Zeugen zum Nichtzeugen. Dieses aber k o n n t e er sich nicht anders vorstellen, weil einer Erhaltung der Sohn, wenn er einmal als eigne göttliche Hypostase völlig f ü r sich bestände, nicht m e h r b e d ü r f e n könnte, als d a ß er f o r t w ä h r e n d und ewig gezeugt w ü r d e . W e n n n u n aber Origenes auf diese Weise von seinem einen S t a n d p u n k t aus den Sohn als selbständig sezend dem Arianismus so n a h e kam, als er n u r

72

73

„Quemadmodum pater non potest esse quis si filius non sit, neque dominus quis esse potest sine possessione [...]: | ita ne omnipotens quidem deus dici 347 potest, si non sint in quos exerceat potentatum; et ideo, ut omnipotens ostendatur Deus, omnia subsistere necesse est. Nam si quis est qui velit [...] saecula aliqua [...] transisse, [...] cum nondum [...] essent, quae facta sunt: [...] per hoc videbitur Deus profectum quendam accepisse et ex inferioribus ad potiora venisse, si quidem melius esse non dubitatur esse eum omnipotentem quam non esse." de princ. I. 2,10. Ού γαρ ό θεός πατήρ είναι ήρξατο, κωλυόμενος, ώς οί γινόμενοι πατέρες άνθρωποι ύπό τοΟ δύνασθαι μήπω πατέρες είναι, εί γαρ άει τέλειος ό θεός, και πάρεστιν αύτφ δύναμις του πατέρα αυτόν είναι, και καλόν αυτόν πατέρα είναι του τοιούτου υίοϋ, άναβάλλεται και αύτόν τοΟ καλοΟ στηρίσκει [...]. Orig. ap. Euseb. c. Marc. 1,4.

33 άναβάλλεται] ανάβαλλεται nes apud

33 αύτόν] α ύ τ ο ν

34 Orig. ap.] Abk. fiir Orige-

22-29 Origenes: De pricipiis 1,2,10, ed. Delarue Bd 1,57B-D; GCS 5,41,11-42,10 27 Statt videbitur Deus Q : videbitur 28 Statt potiora Q : meliora 30-34 Vgl. Eusebius Caesariensis: Contra Marceilum 1,4,22, ed. R.Montagu, Paris 1628, 22 C; GCS 4,2,11-16

262

5

10

15

20

25

30

Vorstellung von der Trinität

konnte, ohne die Ewigkeit des λόγος aufzugeben, von dem andern 527 Standpunkt aus aber die sich immer gleiche Vollkommenheit Gottes sezend, das Wort so sehr | mit Gott selbst auch der Zahl nach identificirt 348 als nur geschehen kann, wenn in dem Verhältniß vom Vater und Sohn noch einige Wahrheit bleiben soll: wie ist es zu erklären, daß nicht die viel einfachere Formel des Beryllus sich seinen Beifall erwarb, die ihn aus diesem Schwanken völlig befreit hätte? Hierauf läßt sich schwerlich anders antworten, als daß Origenes sowol als alle diejenigen früheren Kirchenlehrer, welche am meisten zur Bildung des hernach symbolisch gewordenen Trinitätsbegriffs beigetragen haben, vorzüglich geleitet worden durch die Darstellung des λόγος, welche Johannes im Eingang seines Evangeliums gegeben hat. Man könnte dieses, was vom Hippolytus zum Beispiel und Andern ganz klar ist, grade vom Origenes bezweifeln, wenn man sich vornemlich an das Werk περί άρχων hält. Denn in der dort 74 vorgetragenen Christologie scheint dem seine Gottheit hypostasirenden Verfahren weit mehr die Stelle zum Grunde zu liegen, in welcher Christus die Kraft und die Weisheit Gottes 75 genannt wird. Allein gewiß würde diese Stelle nie sein hypostasirend ausgelegt worden, zumal bei ihrer unverkennbaren Verwandtschaft mit Rom. 1,16, wenn man nicht früher gewohnt gewesen wäre, den Ort vom λόγος so zu erklären, da denn bei der Verwandtschaft der Begriffe λόγος und σοφία, und weil man nun noch, nicht ganz schriftmäßig, wie auch Hippolytus einräumen mußte, λόγος und υιός gleich sezte, jene Stelle den besten | neutestamentlichen Grund abgab, die bekannten alttestamentlichen und 349 alexandrinisch apokryphischen Stellen vom Sohn und von der Weisheit eben dahin zu ziehen. Wenn man nun bedenkt, wie die hypostasirende Erklärung der Stelle vom λόγος, wie ohnstreitig Origenes in seinem Commentar sie am glänzendsten vorgetragen hat, vorzüglich auf den beiden Momenten beruht, daß θεός ohne Artikel eine andere Bedeu- 528 tung habe als ό θεός, und daß προς τον θεόν absichtlich etwas anderes ausdrükken solle, als was auch durch έν τφ θεφ hätte ausgedrükt werden können: so kann man freilich nicht glauben, daß diese Erklärung

74 75

L. I. cap. 2. 1 Kor. 1,24.

11 f Joh 1,1-14 22-26 Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 15, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, 16f; MPG 10,821 C-825 A 24 f Vgl. z.B. Ps2,7. Spr 8,22-31. Jesll,2. Sir 24,1-9. Weish 7,21-28.9,1-4 (eine umfängliche Auflistung dogmatischer Beweisstellen aus AT und Apokryphen z.B. bei Siegmund Jacob Baumgarten: Evangelische Glaubenslehre, ed. }. S. Semler, Bdl, Halle 1759, S. 506-532) 26-32 Vgl. Origenes: Commentaria in Joannem 2,2, ed. Delarue Bd4, Paris 1759, 50f; GCS 4,54,15-55,8 33 Vgl Origenes: De principiis 1,2, ed. Delarue Bd 1,53-60; GCS 5,27-48

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

25

30

35

263

sich bei einer unbefangenen Betrachtung der Stelle aufgedrungen habe; sondern es muß, um so zu erklären, schon eine starke vorgängige Neigung zu solcher Hypostasirung vorhanden gewesen sein. Denn zu nahe lag es zu sehen, daß das Fehlen des Artikels in dem Saz και θεός ήν ό λόγος nur daher rühre und nichts weiter bedeute, als daß θεός είναι in dem Saze das Prädikat ist ohnerachtet der Umstellung, und daß eine künstliche Distinction auf so kleinen grammatischen Momenten beruhend nicht im Geist des Johannes ist. Eben so braucht man nur zu sehn, wie das θεός ήν ό λόγος zwischen dem ήν προς τον θεόν eingeschlossen ist, und dabei zu bedenken, wie προς für das Hebräische 2 und Vk gebraucht wird, um ihm keine andere trennende Kraft beizulegen, als die daß ό λόγος ήν προς τον θεόν den Gegensaz bilden soll zu ό λόγος σαρξ έγένετο. Daher auch diejenigen, welche auf der Seite des Noetus und Beryllus stehen, weder irgend Zweifel gegen die Aechtheit die-|ser 350 Stelle vorzuwenden sich bewogen fühlten, noch zu dergleichen künstlichen Hülfsmitteln ihre Zuflucht nahmen, wie spätere eigentliche Gegner der Gottheit Christi angewendet haben; sondern ganz einfach schien ihnen die Stelle auch mit ihrer Ansicht gar wol verträglich, und sie warnten nur, wie der Zusammenhang ihrer Ausdrükke zeigt, und wie man auch aus Hippolytus schließen kann, dagegen, daß man nicht λόγος und υιός verwechseln solle, indem lezteres nicht der λόγος schlecht weg, sondern der λόγος σαρξ γενόμενος sei. Und mehr brauchten sie auch nicht, um alles, was in der Schrift Verschiedenheit des Sohnes vom Vater und Unterordnung unter ihn ausspricht, mit der Ansicht zu vereinigen, daß die Gottheit in dem Sohne die des Vaters selbst sei. Woher also sollen wir uns bei so bewandten Umständen, die nicht aus der Auslegung entstandene, sondern ihr schon zum Grunde liegende 529 Neigung die Gottheit des Sohnes zu hypostasiren, welche in dem kirchlichen Lehrbegriff die Oberhand behalten hat, erklären? Das unläugbare Schwanken der so entstandenen Theorie zwischen der Gleichsezung der sogenannten Personen in der Gottheit und der Subordination derselben verräth schon, daß hiebei neben dem religiösen auch ein ursprünglich nicht religiöses Interesse mit im Spiel gewesen. Denn jenes allein hätte kein Schwanken hervorgebracht und keinen Streit zwischen dieser Parthei und derjenigen welche eine personartige Verschiedenheit in der Gottheit selbst nicht annahm. Gelehrt waren Noetus und Beryllus auch, es ist der allgemeine Ruf, der uns von ihnen aufbehalten wor-

13 έγένετο] έγίνετο

4-10 Vgl. Johl,1 12 f Vgl. Johl,14 19-22 Vgl. Hippolyt: Contra Noetum 15, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, 17; MPG10,824 C

264

Vorstellung von der

Trinität

den, ohne daß in ihnen ein solches | Schwanken entstanden wäre; denn 351 was Beryllus hinzugefügt, ist rein weitere Ausbildung ohne daß auch nur eine scheinbare Abweichung von dem Princip des Noetus darin läge. Es drängt sich also gar bald die Vermuthung auf, daß jenes Andere ein kosmologisches also philosophisches Interesse gewesen, nämlich das Interesse einen Anknüpfungspunkt zu finden für die Reihe der geistigen Wesen, und die Kluft zwischen dem schlechthin Unendlichen, dem αύτόθεος und dem Endlichen auszufüllen. Indem dieses Interesse sich über das religiöse, dieses unterordnend, erhob, entstand der Arianismus, den Sohn geradezu an die Spize stellend der endlichen Wesen und ihm einen Anfang gebend vor dem Anfang der Dinge. Dieses bestimmt auszusprechen ward Origenes abgehalten dadurch, daß in ihm das religiöse und das philosophische Interesse einen gemeinsamen Punkt gefunden hatten in der Formel von der absoluten Unveränderlichkeit des höchsten Wesens, um derentwillen er allerdings den Anfang des Sohnes läugnen mußte mit dem Anfang aller Dinge. Von diesem Punkte aus ward er dann auf der einen Seite, wie wir gezeigt, zur Annäherung an den Noetus hingezogen; der Sohn in Christo durfte nicht losgelassen sein von der erzeugenden Thätigkeit des Vaters, sonst hätte er jene überschwengliche Hervorragung 76 , die seine eigenthümliche Er- 530 löserwürde ausmacht, verloren: auf der andern Seite aber ward durch sein philosophirendes Interesse Origenes zur Subordination hingezogen; denn nur so konnte ihm | die Entfernung des Sohnes vom Vater 352 ein Maaßstab werden, um danach die Entfernung der übrigen geistigen und lebendigen Kräfte zu messen77. Wenn wir nun alle Ursache haben

7b 77

ύπερβάλλουσα ύπεροχή. S. oben. [ . . . ] ώστε κατά τοϋιο μείζων ή δύναμις τοΟ πατρός παρά τον υίόν και τό πνεύμα τό άγιον, πλείων δέ ή τοΰ υίοΟ παρά τό πνεϋμα τό άγιον, και πάλιν διαφέρουσα μάλλον τοϋ άγιου πνεύματος ή δύναμις παρά τά άλλα άγια. de princ. I, 3, 5. Diese Stelle, welche nur in dem bekannten Briefe des Justinian griechisch vorhanden ist, lautet zwar in der Uebersezung des Rufinus ganz anders, allein für die Aechtheit des griechischen bürgen die schon angeführten ähnlichen Stellen aus dem C o m m e n t , in Joh. p.47. p.50. p.235. Und daß dabei die angegebene Tendenz zum Grunde liegt, und das philosophirende Interesse dominirt, davon zeugt die Anordnung des Buches, wie fast

2 Ausbildung] Ansbildung

26 Anm.68 27-32 Vgl. Origenes: De principiis 1,3,3, ed. Delarue Bdl, Paris 1733, 62AB; GCS5,56,5-18 32f Oben Anm. 62.63.65 35 u. 34f Vgl. Origenes: De principiis 1,4,3-5,5

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

25

30

265

zu glauben, Beryllus habe ein solches Interesse nicht gehabt, weil er sich wie so viele andere frühere und spätere eben so gelehrte und geistreiche Kirchenlehrer bei der herrschenden Vorstellung von einer zeitlichen Schöpfung beruhigte, bei welcher eine solche Vermittelung weniger nothwendig schien: so folgt daß er auch nicht kann durch die Betrachtung, daß bei seiner Ansicht dies Bedürfniß unbefriedigt bleibe, bewogen worden sein sie aufzugeben; und es fragt sich also wodurch denn dieses bewirkt worden? Hiebei wäre freilich noch vorher die Frage zu erledigen, in wie fern überhaupt Beryllus nachgegeben habe, und wie weit wir uns auf den Bericht des Eusebius verlassen dürfen. | Dieser 353 hatte zwar die Verhandlungen der Synode zu Bostra vor sich und referirt aus ihnen; allein wer steht uns dafür, daß nicht Berylls Erklärungen auf die eine oder die andere Art beschränkt waren, was aber von der gegnerischen auf der Synode vorherrschenden Parthei entweder über- 531 sehen oder auch absichtlich, ihm beides nicht unerwünscht, übergangen wurde. Die Gespräche zwischen beiden und das Danksagungsschreiben des Beryllus an den Origenes, welche Schriften Hieronymus 78 anführt, können wol nicht als neue Zeugen angesehen werden, da sie schwerlich etwas anderes waren als erdichtete Formen, unter Welchen man den Inhalt jener Verhandlungen, aber eben in dem Lichte dargestellt worin sie der herrschenden Partei erschienen, allgemeiner bekannt zu machen suchte. Das Bedenken aber, ob Beryllus sich wirklich ganz auf die Seite des Origenes gewendet, ist desto natürlicher, da wir nicht annehmen dürfen, daß Origenes in einer Versammlung, wo alles offen und gemäßigt herging, wo er nicht Ursache hatte Auflauerer zu vermuthen, und wo er nur seiner überwiegenden Gelehrsamkeit und Einsicht wegen zu Rathe gezogen wurde, die ganze eine Hälfte seiner Theorie, nämlich das subordinatianische darin habe zu verschweigen oder künstlich zu umhüllen gesucht, und eben so wenig dürfen wir annehmen, daß Beryllus sich sollte mit der ewigen Persönlichkeit der Gottheit Christi, die ihm für die οικονομία des Christenthums überflüssig schien, zugleich auch eine Verringerung dieser Gottheit haben gefallen | lassen, wodurch 354 sein Glaube geradezu wäre verlezt worden. Origenes hätte ihm denn

35 78

unmittelbar nach der Trinität von den vernünftigen und besonders den höheren Naturen gehandelt wird; so wie auch eben dafür die anderwärts vorkommende Zusammenstellung Christi mit den andern gewordenen Göttern zeuget. Am angeführten Orte.

35 f Vgl. z.B. Origenes: Commentaria in Joannem 2,3 (32) 253,25f

38 Vgl. oben Anm. zu

266

5

10

15

20

25

beweisen müssen, es sei der Erlösung wegen nicht nöthig die ganze und volle Gottheit in Christo anzunehmen; allein dieses Weges ist Origenes niemals gegangen, wenigstens findet sich keine Spur davon in allen seinen Schriften. Auch die Schriftstellen, welche vorzüglich erweisen sollen, daß der Sohn ein anderer sei als der Vater 79 , werden dem Beryllus nicht viel angethan haben. Denn da er den Ausdruk Sohn nur brauchte von dem Gottmenschen, in welchem nun das göttliche Wesen κατ' ιδίαν 532 της ούσίας περιγραφήν bestehe, so war ihm allerdings der Sohn ein anderer als der Vater. Der einzige Vereinigungspunkt, den man sich zwisehen beiden denken kann, ist die Auslegung alttestamentischer Stellen, welche von der ewigen Zeugung verstanden werden konnten. Hiebei läßt sich ahnden, daß Beryllus durch die herrschende Auslegungsweise in Verlegenheit gesezt worden sein kann; aber schwerlich kann er genöthiget worden sein mehr zuzugeben, als daß man solcher Stellen wegen sich auch so ausdrükken könne, es bestehe wegen des göttlichen Rathschlusses der Menschwerdung, der ja doch überall das wesentliche sei und der wahre Grund aller zeitlichen Erscheinung, schon von Ewigkeit her in dem göttlichen Wesen eine besondere Beziehung hierauf, | und die Gottheit als hiezu bestimmend sei der Vater, als bestimmt aber 355 der Sohn. Und mit diesem oder ähnlichem mögen hernach die Freunde der Personenlehre sich als mit einer vollkommenen Zustimmung begnügt haben. Daß Origenes selbst sich keines vollkommenen Sieges bewußt gewesen, scheint auch daraus hervorzugehn, daß er nicht nur in dem Commentar zu dem Brief an den Titus, sondern auch in den Büehern gegen den Celsus, welche allgemein für später gehalten werden 80 , 79

80

30

Vorstellung von der Trinität

S. die v. a. Stelle C o m m . in J o h . p. 199. - Man vergleiche nur was Epiphanius in dieser Hinsicht gegen den Noetus anführt, um sich zu überzeugen, wie leicht Beryllus solche Argumentationen zurükschlagen konnte. VTII, 12. ει δέ τις έκ τούτων περισπασθήσεται, μή πη αΰτομολοϋμεν προς τους άναιροΟντας δύο είναι ύποστάσεις πατέρα και υίόν [...]. Man könnte zwar glauben, das könne mehr auf den Noetus gehn als auf den Beryllus, allein das lezte wird wahrscheinlicher wegen der folgenden Worte: [...] ώς οϊεσθαι δτι ή της άληθείας ούσία προ των χρόνων της τοϋ χριστού έπιφανείας ούκ ην, welches recht aussieht wie eines von den Argumenten, deren

26 v. a.] Abk. wohlftir

vorher angeführte

33 οϊεσθαι δτι] οϊεσθαι ότι

10 f Vgl. Ps 2,7. Mi 5,2. Spr 8,22-31 23 f Vgl. Origenes: Fragmentum ex libro in epistolam ad Tttum, ed. Delarue Bd4, Paris 1759, 695A; MPG 14,1304 CD 26 Anm. 58 26-28 Vgl. oben Anm. zu 241,22-26 29-34 Origenes: Contra Celsum 8,12, ed. Delarue Bdl, Paris 1733, 750E.751A; GCS 2,229,21f.30f

Vorstellung von der

5

10

15

20

25

30

Trinität

267

der Meinung des Beryllus erwähnt gar nicht als einer abgethanen Sache, sondern als einer noch fortbestehenden Ansicht. - U n d so hat sich wol auch nicht ursprünglich und als etwas ganz neues, sondern im Zusam- 533 menhang mit den Formeln des Noetus und des Beryllus die Theorie des Sabellius als deren Vollendung entwikkelt. IV. So weit nämlich war nun Beryllus gekommen, indem er die Gottheit in Christo anerkannte, zuzugeben daß durch dieses eigenthümli-|che Sein derselben in einem Menschen die Gottheit auf eine be- 356 sondre Weise umschrieben, das heißt etwas in ihr gesezt sei, was an und f ü r sic.h und ohne diese Vereinigung nicht gesezt war, und daß man also in diesem Sinne die Gottheit in Christo unterscheiden könne von der Gottheit an und für sich. Indem er nun also auch um die οικονομία des Christenthums rein darzustellen eine Zwiefaltigkeit des Daseins in der Gottheit annahm, welche jedoch der μοναρχία oder der Einheit Gottes nicht schaden sollte: so war er auf dem Wege zu einer Trinitätslehre in einem engern Sinne, als man dieses vom Noetus sagen konnte, sofern nämlich dessen Formeln mehr die Vorstellung von vorübergehenden sowol Versenkungen der Gottheit in ein Endliches, als auch Zurükziehungen aus demselben begünstigten, also von oscillirenden Actionen, unter welcher Bedingung dann freilich auch die göttliche Oekonomie in Christo nur als eine solche einzelne in ihren Wirkungen zeitlich und räumlich beschränkte Action erscheint, welche hernach durch eine andre kann ersezt werden. Beryllus aber war bis zu seiner bestimmteren Ansicht gekommen ohne alles philosophische und kosmologische Interesse, oder wie man sich, ohnstreitig nicht sehr angemessen, auszudrükken pflegt, ohne alles Piatonisiren, welches sich nur unter den gegenüberstehenden personbildenden Theologen findet. Es ist daher zu viel gesagt, wenn man hat behaupten wollen, ohne dieses

sich Origenes gegen den Beryllus bedient hatte. Eben so glaube ich daß auch die Stelle: [...] ήτοι άρνουμένους ιδιότητα uioö έτέραν παρά την τοϋ πατρός, όμολογοϋντας θεόν είναι [...]; Comm. in Joh. IV. p. 50. wegen des folgenden [...] και την ούσίαν κατά περιγραφήν τυγχάνουσαν έτέραν τοϋ πατρός [...] mehr auf den Beryllus geht als auf den Noetus. 30 άρνουμένους] άρνουμενους σαν

30 έτέραν] έτεραν

32 τυγχάνουσαν] τυγχάνου-

25 f Vgl. ζ. Β. Martini: Versuch 128.141.146.149.200 28 u. 1 f Vgl. dazu ζ. B. [Mathieu Souverain:] Versuch über den Piatonismus der Kirchenväter, aus dem Französischen übersetzt und mit einer Vorrede und Anmerkungen begleitet von Josias Friedrich Christian Löffler, 2.Aufl., Züllichau/FreyStadt 1792 30-32 Origenes: Commentaria in Joannem 2,2 (Joh 1,1), ed. Delarue Bd4, Paris 1759, 50 C; GCS 4,54,25/28/

268

Vorstellung von der Trinität

Piatonisiren der Kirchenlehrer würde niemals eine Trinitätslehre aufgekommen sein. Sondern höchstens nur kann man sagen, wir würden nicht die Atha-|nasianische bekommen haben, die wenn gleich als Recti- 357 fication der oben dargelegten Ansichten des Origenes und anderer frü5 heren Lehrer, so weit diese Ansichten zum Arianischen hinneigen, aber doch immer auf den Grund derselben erbaut ist, sofern eben sie streben 534 die Offenbarung Gottes im Christenthum aus einer göttlichen Vielheit zu erklären, hinter welcher die Einheit des göttlichen Wesens zurüktritt. Sondern wir würden dann eher die sabellianische erhalten haben, 10 die sich von den Ansichten des Noetus und Beryllus her ausgebildet hat, ohne daß ein der christlichen Frömmigkeit an und für sich fremdes Interesse auf die Seite der Vielheit ein Zusazgewicht legte, welches entweder der μοναρχία gefährlich werden, oder um sich mit ihr zu verschmelzen, zu wenn nicht gehaltlosen, doch unverständlichen Formeln 15 seine Zuflucht nehmen mußte. Hätte die sabellianische Lehrart eine ruhige, kirchliche Geltung erlangt: so würden in der Folge auch an sie alle Aufforderungen ergangen sein zu genaueren Bestimmungen; allein sie ist von dem stärkeren Strom verschlungen worden, eben als sie sich entwikkelt hatte. 20

Beryllus nämlich war auf dem Wege zu einer Trinitätslehre, sei es nun stehen geblieben oder umgewendet; denn allen unsern Nachrichten zufolge bezog sich seine Behauptung, daß es vor der erscheinenden Offenbarung keine persönliche Verschiedenheit in der Gottheit gebe, nur auf die zweite Person und nicht auch auf die dritte. Dasselbe ist oben 25 auch vom Noetus und Praxeas wahrscheinlich gemacht worden, wogegen auf der andern Seite sowol bei Origenes und Hippolytus als auch bei | Tertullian die drei Personen schon völlig heraustreten. Da nun jene 358 Seite doch auch, wenn gleich erst später zu einem vollkommnen Trinitätsbegriff durch Sabellius gekommen ist, wie wir sogleich entwikkeln 30 werden: so kann man schwerlich diese merkwürdige Ungleichheit unbeachtet lassen. Aus der zeitigen Einführung der Taufformel, aus welcher ein Theologe, der überall wo es auf historische Kritik ankommt nur mit

23 gebe,] Ms.: gebe 25 worden,] Ms.: w o r d e n 28 auch . . . z u ] Ms.: auch z u ; nach auch folgt Einßigungszeichen; Einfügung nicht erhalten 2 9 f ist, . . . s o ] Ms.: ist: s o ; nach ist folgt Einßigungszeichen; Einfügung nicht erhalten

24f

Vgl. 241,18-242,4

und

234,5-235,11

Vorstellung

von der

Trinität

269

der größten Achtung muß genannt werden 81 , den Sieg der drei Hypostasen über die frühere Vorstellung, welche λόγος und Geist identificirte, erklärt, kann wol diese Ungleichheit nicht erklärt werden. Denn 535 es ist nicht nur nicht erwiesen, daß Noetus und Beryllus hätten Sohn und Geist für einerlei gehalten, und erst Sabellius hierin von ihnen abgewichen wäre; sondern es läßt sich vielmehr das Gegentheil wahrscheinlich machen, daß auch diese Seite von Anfang an wenn gleich nicht auf dieselbe Weise einen Unterschied zwischen Sohn und Geist angenommen habe. Die Sache scheint aber vielmehr so zusammenzuhängen. Auch unterscheidend das πνεϋμα αγιον von dem λόγος konnte ein zwiefacher Weg eingeschlagen werden, je nachdem man gewisse Aeusserungen der Schrift vorzüglich hervorhob oder andere. Denn auf der einen Seite wird der Geist dargestellt als ein anderer vom Vater kommender Tröster, Christo gleich, und so daß beide sich gleichsam in das Werk der Erlösung und Wiederbringung der Menschen theilen. So wurde das Verhältnis vorzüglich aufgefaßt von | den Montanisten, wie 359 es sich denn auch in Tertullians Schrift gegen den Praxeas noch deutlicher zeigen würde, wenn nicht hier vom Geist immer nur beiläufig könnte die Rede sein82. Aber auch andere Kirchenlehrer, die gar nicht dieser Partei angehören, erfreuen sich an der Darstellung, als ob die

81 82

S . J . E . C . S c h m i d t Bibl. f. Kr. u. Ex. II. Β. II. St. S . 2 0 7 . D o c h ist die Stelle am S c h l u ß „ H i c (filius) interim a c c e p t u m a patre m u n u s e f f u d i t , spiritum sanctum tertium n o m e n divinitatis, [ . . . ] u n i u s p r a e d i c a t o rem m o n a r c h i a e , sed et ο ι κ ο ν ο μ ί α ς interpretatorem [ . . . ] et d e d u c t o r e m o m nis veritatis [ . . . ] . " c a p . 3 0 . stark g e n u g .

1-3 werden, . . . Vorstellung, . . . identificirte,] Ms.: werden . . . Vorstellung . . . identificirte 4 - 6 erwiesen, . . . wäre;] Ms.: erwiesen . . . wäre, 11 f werden, . . . Aeusserungen] Ms.: werden . . . Aeußerungen 14 gleich,] Ms.: gleich 19f Kirchenlehrer . . . als] Ms.: Kirchenlehrer als; nach Kirchenlehrer folgt Einfiigungszeichen; Einfügung nicht erhalten 21 Anm. im Ms. nicht erhalten 22 Hic] hic 22-25 Anm. im Ms. nicht erhalten

12-15 Vgl. z.B. Johl4,16f. 16,7-15 21 Johann Emst Christian Schmidt: Einige Bemerkungen zur ältesten Geschichte des Dogma von der Trinität, in: Bibliothek ftir Kritik und Exegese des Neuen Testaments und älteste Christengeschichte, Zweyten Bandes zweytes Stück (Herborn/Hadamar 1798), S. 207-217 22-25 Tertullian: Adversus Praxean 30,5, ed. Semler Bd2, Halle 1770, 267 (hier in Anm. 380.381 die von Schleiermacher bevorzugten Lesarten); CChr 15/2,1204,24-29

270

5

10

15

20

25

30

Vorstellung

von der

Trinität

Sendung Christi unzulänglich gewesen sein würde, wenn nicht der Geist hinzugekommen wäre, und als ob die Apostel selbst noch so lange im Stande gewesen wären Christum zu verläugnen, als sie den Geist nicht gehabt hätten. Ja es ist natürlich, daß sich hiezu alle diejenigen neigten, welche indem sie das W o r t und die Weisheit Gottes hypostasirten, und hierin, wie schon oben erwähnt, eine Aufforderung hatten noch weit mehrere göttliche Hypostasen zu bilden, es gern annahmen, daß die Schrift ihnen außer dem Sohn wenigstens noch Eine solche selbst darbot. Dann aber wird der Geist auf der andern Seite auch dargestellt als abhängig von Christo und alles von dem seinen nehmend, ja 536 nur an die Reden Christi erinnernd, also ohne eigene Productivität nur der Wiederschein und Nachklang von den ursprünglichen Wirkungen der in Christo inwohnenden Gottheit. Wer nun dieses vorzüglich hervorhob, der konnte, ohne den λόγος mit dem Geist zu identificiren, sich doch dagegen erklären, daß der Geist eine eigene Um-|schreibung des 360 göttlichen Wesens sei. Denn sofern er von oben herab ausgegossen wird, so ist er ein von Christo ausgehender Lebenshauch, der aber selbst nothwendig belebend ist, und sofern der Geist den Jüngern einwohnt, ist er ihr eignes durch jenen Lebenshauch erregtes geistiges Leben, also in beider Hinsicht weder die Gottheit Christi selbst noch auch nothwendig eine andere Einsenkung des göttlichen Wesens in das menschliche. U n d so erscheint es natürlich, daß jene Seite sehr zeitig den Geist personificirte in ihrer Art, diese aber sich lange behalf, ohne ihn zu personificiren nach ihrer Art. Denken wir uns nun Noetus und Beryllus alles, was vom heiligen Geist gesagt wird, solchergestalt zurükführend auf Wirkungen Christi, dabei aber nun die Gegner sie fragend, was denn der h. Geist gewesen sei zu den Zeiten des alten Bundes: so wird Noetus und der Seinigen natürlichste Antwort immer gewesen sein, dies wären eben die am meisten vorübergehenden Einsenkungen Gottes in menschliche Seelen gewesen. Solcher Antwort wegen konnten nun die Gegner immer ihnen den Vorwurf machen, daß ihnen der hei-

1 würde,] Ms.: würde 2 als ob] fehlt Ms. 4-7 natürlich, ... erwähnt, ... bilden,] Ms.: natürlich ... erwähnt ... bilden 8 ihnen außer . . . wenigstens] Ms.: außer . . . ihnen wenigstens 8 Eine ] Ms.: eine 9 der Geist auf . . . auch] Ms.: auf ... der Geistauch 14 identificiren,] Ms.: identificiren 17-19 wird, . . . einwohnt,] Ms.: wird ... einwohnt 22f natürlich, . . . behalf,] Ms.: natürlich . . . behalf 25-27 alles, ... heiligen Geist ... zurükführend . . . fragend ... Bundes:] Ms.: alles . . . h. Geist . . . zurükführen ... fragen ... Bundes, 28 und der Seinigen] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand

9-11 Vgl. z.B. Joh 14,26.15,26

Vorstellung

5

10

15

20

Trinität

271

lige Geist im alten Bunde und der im neuen nicht dasselbige wären: welchen Vorwurf sie eben so leicht auf eine geschikte Art zurükgeben konnten, als auch sich davon reinigen. Dies nun hier auszuführen wäre zu weitläuftig; indeß ist merkwürdig, daß Origenes wirklich einer solchen Abweichung als kezerisch erwähnt, deren Ort man immer nicht hat zu finden gewußt 83 . Wenn wir| nun erwägen, daß es Nachfolger 361; 537 und Schüler des Noetus gegeben hat und also gewiß auch eine fortlaufende aber untergegangene Polemik gegen sie, und daß bei Origenes diese Stelle unmittelbar auf diejenigen folgt, die sich auf den Noetus und Beryllus beziehen: so werden wir kaum zweifeln können, daß dieses der wahre Ort sei. Und auch dem Beryllus, welcher sich wol äußern mußte, der h. Geist im alten Bunde verhalte sich eben so zu dem göttlichen Wesen schlechthin wie der h. Geist im neuen zu der besondern Umschreibung des göttlichen Wesens in Christo, konnte derselbe Vorwurf gemacht werden. So lange nun der h. Geist auf dieser Seite so erklärt ward, konnte für sie keine eigentliche Trinitätslehre zu Stande kommen; sondern man blieb nur bei der Zweiheit, welche durch die üblichen und schriftmäßigen Ausdrükke Vater und Sohn bezeichnet wurde, ohne doch, wie die andre Seite es that, den dazu gehörigen Terminus „Zeugen" von dem Verhältniß der Gottheit des Vaters zu der Gottheit im Sohne zu gebrauchen. Es scheint übrigens als ob auch Sa83

25

von der

„Sed et si qui sunt, qui spiritum sanctum alium quidem dicant esse qui f u i t in prophetis, alium autem qui f u i t in | Apostolis D o m i n i nostri Jesu Christi, cet." 361 O p p . Τ . IV. p.695. D a ß wie H u e t i u s meint, Origenes dies n u r als eine mögli- 537 che Kezerei a n f ü h r e , o h n e d a ß er irgend eine N o t i z von einer solchen gehabt, ist zu unwahrscheinlich. E h e r noch k ö n n t e man sagen, sie sei d e n e n zugeschrieben, welche ü b e r h a u p t den G o t t des alten Bundes u n d den des neuen von einander trennen; allein ich ziehe d e n n o c h die obige E r k l ä r u n g bei weitem vor.

3 konnten,] Ms.: konnten 4 merkwürdig,] Ms.: merkwürdig 8 bei Origenes] fehlt Ms. 9 folgt,] Ms.: folgt 12 mußte,] Ms.: mußte 16 für sie] fehlt Ms. 17-19 kommen; ... Ausdrükke ... wurde,] Ms.: kommen ... Ausdrücke ... wurde 19 doch ... den] Ms.: doch den; nach doch folgt Einßigungszeichen; Einfügung nicht erhalten 20 „Zeugen"] Ms.: zeugen 22-29 Anm. im Ms. nicht erhalten

22-24 Origenes: Fragmentum ex libro in epistolam ad Titum, ed. Delarue Bd4, Paris 1759, 69SB; MPG 14,1304D-1305A 24-26 Vgl. die (in Huets „Origeniana" nicht vorhandene) Anmerkung „m" zur Stelle im Appendix zu ed. Delarue Bd4,22D (Überlieferung des „Fragmentum" innerhalb der „Apologia Pamphili Martyris pro Origene"; vgl. oben Anm. zu 254,30-32 und MPG 17,555, Anm. 74)

272

5

10

15

20

25

Vorstellung von der Trinität

bellius, durch welchen zuerst der Trinitätsbegriff von dieser Seite aus vollendet ward, sich eine Zeitlang, ohne den Geist in diese Behandlung mithineinzuziehen, wie | Noetus und Beryllus mit der Zweiheit Vater 362 und Sohn beholfen habe, man müßte denn annehmen, daß manches was ihm beigelegt wird, und zwar von solchen die in der Nähe seines unmittelbaren Wirkungskreises lebten, dennoch nicht ihm, sondern schon seinen Vorgängern zukomme, welches eine sehr unwahrscheinliche V o r aussezung ist. Es kommt hiebei vorzüglich an auf eine Stelle in dem von Athanasius angeführten Schreiben des Alexandrinischen Klerus an den Bischof Alexander, worin dem Sabellius der Ausdruk υΐοπάτωρ zu- 538 geschrieben wird 84 . Mag dieser nun aber dem Sabellius angehören oder schon einem früheren: so viel ist gewiß, daß er einerseits älter sein muß als der Sabellianische Trinitätsbegriff, andrerseits aber eine genauere Entwiklung dieser Vorstellungsweise bezeichnet, als diejenige welche ihr Beryllus gegeben. Man muß nämlich nicht übersehen, daß dieser Ausdruk „Sohnvater" unserer Stelle zufolge Beschreibung der göttlichen Einheit sein soll, welche μονάς zu nennen, auch dieser Seite der dogmatischen Entwiklung vorzüglich eigen gewesen zu sein scheint, da sich die personbildenden Theologen mehr der Formeln μία θεότης oder μία ουσία zu bedienen pflegten. Sollte nun das Verhältniß der οικονομία zur μοναρχία, um zu zeigen, daß die Gottheit in den verschiedenen Offenbarungseinheiten nur eine und dieselbe in sich selbst gar nicht verschiedene sei, durch einen solchen Ausdruk bezeichnet werden: so konnte dieser nur entstehen | zu einer Zeit, w o der Geist noch nicht als 363 eigene Offenbarungseinheit anerkannt war; denn sonst hätte müssen Geistsohnvater gesagt werden. Auf der andern Seite aber würde auch Beryllus, sofern seine Lehrweise oben richtig dargestellt ist, sich

84

Athanas. de Synodis 16. [...] ούδ' ώς Σαβέλλιος την μονάδα διαιρών υίοπάτορα είπεν [...].

6 ihm,] Ms.: ihm 8 Stelle in dem] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 9 angeführten] Ms.: korr. aus angeführte; folgt (Stelle aus dem) 10 Ausdruk] Ms.: Ausdruck 11 dieser] Ms.: er 12f früheren: . . . Trinitätsbegriff,] Ms.: früheren, ...Trinitätsbegriff 13 eine] Ms.: folgt {Landerei) 13 genauere] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 14 bezeichnet,] Ms.: bezeichnet 15-17 übersehen, . . . Ausdruk „Sohnvater" ... soll, ... nennen,] Ms.: übersehen ... Ausdruck Sohnvater ... soll; . . . nennen 21-24 μ ο ν α ρ χ ί α , . . . z e i g e n , . . . s e i , . . . Ausdruk ... Zeit,] Ms.: μοναρχ ί α . . . zeigen . . . sei . . . Ausdruck ... Zeit 27-1 Beryllus,... ist, ... Ausdruks] Ms.: Beryllus . . . ist ... Ausdrucks 28f Anm. im Ms. nicht erhalten

28 f Athanasius: De synodis 16,3, Benediktiner-Ausgabe Bdl/2, Paris 1698, 729 E; Athanasius Werke, ed. H.-G. Opitz Bd2/1, Berlin/Leipzig 1935, S. 243,36-244,1; MPG 26,709A

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

schwerlich dieses Ausdruks bedient haben. D e n n wenn ihm wie seinem Gegner Origenes der Vater der αύτόθεος war, der Sohn aber eine besondere π ε ρ ι γ ρ α φ ή des göttlichen Wesens, so k o n n t e υ ί ο π ά τ ω ρ f ü r ihn weder die Beschreibung des göttlichen Wesens in seiner Einheit sein, denn dieses war vom Vater gar nicht unterschieden, noch auch w ä r e es ihm angemessen gewesen, Vater und Sohn ü b e r h a u p t auf solche Weise in ein W o r t zu verbinden, o h n e ihr so sehr verschiedenes Verhalten mit zu bezeichnen, indem ihm Vater die G o t t h e i t an sich war, Sohn aber n u r die auf die V e r b i n d u n g mit dem M e n s c h e n Jesus sich beziehende besondere Umschreibung derselben. N i m m t man dieses beides z u s a m men, so ist wol deutlich, d a ß der A u s d r u k υίοπάτωρ eine Unterschei- 53 9 d u n g zwischen der Gottheit an sich, μονάς, und dem Vater, so wie eine Gleichstellung zwischen Vater u n d Sohn in ihrem Verhältniß z u r G o t t heit an sich, zu der μονάς, in sich schließt. D e r Vater also m u ß in dem Sinne, in welchem auch Sabellius das W o r t gebrauchen kann, als πρόσωπον, oder, um bei d e r wahrscheinlich eigneren Sprache dieser Schule zu bleiben, π ε ρ ι γ ρ α φ ή o d e r σχηματισμός 8 5 des göttli-|chen W e - 364 sens von der μονάς unterschieden gedacht werden, so d a ß die G o t t h e i t des Sohnes und die Gottheit des Vaters sich auf gleiche Weise verhalten zu dem göttlichen Wesen an sich o d e r der μονάς. W e n n n u n die kirchlich gewordene Form unserer Lehre in ihrer Entwiklung eher z u r Dreiheit gekommen ist als die Sabellianische: so ist d a f ü r diese eher z u r 85

25

30

ITS

[...]δς και αύτός πολλαχοΟ συγχέων την εννοιαν επιχειρεί διαιρεΐν τα πρόσωπα, τήν αυτήν ύπόστασιν λέγων προς τήν έκάστοτε παρεμπίπτουσαν χρείαν μετασχηματίζεσθαι. Basil. Ep.| 236, 6. In welchem Sinne er aber die 364 πρόσωπα unterscheiden könne, sagt uns derselbe gegnerische Referent Ep. 214, 3. [...]Ενα μεν είναι τη ύποστάσει τον θεόν, προσωποποιεϊσθαι δέ ΰπό της γραφής διαφόρως κατά τό ιδίωμα της ύποκειμένης έκάστοτε χρείας [...], auf welche Stelle wir noch einmal werden zurükkommen müssen, damit man sich nicht weniger darunter denke als wirklich gemeint ist.

3-7 Wesens, ... dieses ... gewesen, ... verbinden,] Ms.: Wesens ... diese ... gewesen . . . verbinden 10-12 zusammen, ... Ausdruk ... sich, μονάς, ... Vater,] Ms.: zusammen ... Ausdruck ... sich μονάς ... Vater 14 sich, zu der μονάς,] Ms.: sich oder μονάς 15 Sinne,] Ms.: Sinne 15-17 kann, als πρόσωπον, o d e r , . . . περιγραφή] Ms.: kann als πρόσωπον oder als περιγραφή; nach oder folgt Einßigungszeichen; Einfiigung nicht erhalten 23-30 Anm. im Ms. nicht erhalten 25 6.] 7. 26 könne] können 28 της ύποκειμένης έκάστοτε] της ύποκειμενης έκάστοτε 23-25 Basilius Caesariensis: Epistola 236 (Amphilochio, Iconii episcopo), 6, BenediktinerAusgabe Bd3, Paris 1730, 364 C; MPG 32,884 C 26-28 Basilius Caesariensis: Epistola 214 (Terentio comiti),3, Benediktiner-Ausgabe Bd3, Paris 1730, 322 C; MPG 32,788 C

274

Vorstellung von der Trinität

Unterscheidung der Einheit v o n der Person des Vaters g e k o m m e n . D e n n daß dies in der Athanasianischen Formation eigentlich nie vollständig geschehen sei, leuchtet wol s c h o n v o n selbst ein, und es soll auch bald einiges darüber gesagt werden. Auf eben diesen Ausdruk υίο5 πάτωρ bezieht sich auch eine von dem Benedictinischen Herausgeber w o l nicht richtig verstandene Stelle des Hilarius 8 6 ; denn wie könnte | man in solchem Latein solche Ausdrükke besser bezeichnen als durch 365; 540 „geminata nomina unionis"? W i e nun u m dieser Benennung willen Arius in jenem Briefe v o n Sabellius sagt μ ο ν ά δ α διαιρών 8 7 , da doch

10

86

15

20 87

25

,,[.··] neque unum eos esse ex geminatis nominibus unionis [...]." de f i d . t r i n i t . X, 6. p. 1040. - Eben so hat wol auch diesen Ausdruk im Sinne A t h a nas. Ep. ad S e r a p . Δια τοϋτο Σαβέλλιος άλλότριος τη έκκλησίςι εκρίθη τολμήσας ειπείν έπί τοϋ πατρός τό υίοϋ και έπί τοΟ υίοϋ τό του πατρός όνομα. Τ. I. p.700. Sonderbar ist, daß die Stelle des Hilarius auf die Vermuthung von mehreren solchen Doppelnamen führt, deren noch υίοπνεϋμα und πνευματοπάτωρ möglich sind, und daß diese Vermuthung noch bestätigt 540 würde, wenn man bei Athanasius statt τό τοΰ πατρός ονομα mit einigen Handschriften lesen wollte τό | τοΟ πνεύματος δνομα. Allein diese Lesart 365 hat sonst zu wenig empfehlendes, und der Pluralis wird zu häufig in solchen Fällen gebraucht, auch wo dennoch nur ein Beispiel vorliegt. Wenn H i l a r i u s de T r i n . VI, 11. über diese Arianische Verwerfung des Sabellius so commentirt: „Volentes enim nihil inter patrem et filium esse unum divisae a Sabellio unionis crimen exprobrant, cuius unionis divisio non nativitatem intulit sed eundem divisit in virgine": so ist aus diesen dunkeln Worten doch soviel zu entnehmen, daß Hilarius Meinung dahin geht, nach Sabellius werde Vater und Sohn erst unterschieden wegen der Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit, und also auch erst seit ihr; welches ganz die Meinung des Beryllus wäre. Allein hierin ist dem Hilarius nicht beizustim-

1 - 3 gekommen. Denn . . . sei,] Ms.: gekommen, denn . . . sei 4 Ausdruk] Ms.: Ausdruck 5 f von . . . verstandene] Ms.: am rechten Rand 6 f Hilarius; . . . Ausdrükke] Ms.: Hilarius, . . . Ausdrücke 10 neque] N e q u e 11 t r i n i t . ] Ms.: t r i nit 11 Ausdruk . . . Sinne] Ms.: Ausdruck . . . Sinn 12 έκκλησίςι] so Ms.; OD:

έκκλησία

13 τολμήσας] so Ms.; OD: τολημήσας

16 sind,] Ms.: sind

20 ge-

braucht,] Ms.: gebraucht 21 T r i n . VI, 11.] Ms.: Trin VI, 11 25 daß,] folgt im Ms.: ( L auclT) 25-27 geht, . . . Menschheit,] Ms.: geht . . . Menschheit

lOf Hilarius: De trinitate 10,6, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 1040A (vgl. hier Anm.f zur Stelle); MPL 10,347Β (Anm.e); CChr 62/1,463,·4f 11-18 Athanasius: Epistola ad Serapionem 4,5, Benediktiner-Ausgabe Bdl/2, Paris 1698, 700A (vgl. hier Anm.C); MPG 26,644 C (Anm. 58) 12 StattTf] εκκλησία (auch Ms.) Q: της εκκλησίας 13 Statt τό υίοϋ (auch Ms.) Q: τό υιός 21-24 Hilarius: De trinitate 6,11, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 885B; CChr 62,207,5-8

Vorstellung von der Trinität

275

sonst die Abweichung des Sabellius immer die Kezerei der Einheit 88 heißt, als Aufhebung der persönlichen Verschiedenheit, und wie auch die | Athanasianischen Theologen, welche eben so sehr Gegner des 366 Arius als des Sabellius waren, in diese Ansicht einstimmen konnten, das 5 sieht man am besten in einer Stelle des Basilius, in welcher auch zunächst nur von Vater und Sohn die Rede ist, und der Unterschied, den Sabellius zwischen der μονάς und dem Vater macht, zwar nicht überse- 541 hen, aber doch nicht richtig gefaßt ist89. Denn dieses ist wahr, daß dem Sabellius Vater und Sohn aus der μονάς hervorgingen; aber weder 10 würde er gesagt haben, daß sie eine υπερκείμενη ούσία sei 90 , noch daß sie im Vater- und Sohnwerden sich theile, welche Theilung der Einheit

15

20

88

89

25 90

men, der sich nur in die Unterscheidung der μονάς als Quelle aller περιγραφή in der Gottheit vom Vater nicht finden konnte, welches wie wir unten sehen werden, Mehreren begegnet ist. - Diese Meinung des H i l a r i u s geht übrigens aus mehreren Stellen hervor, z.B. „[...] ut unius Dei ut putant inviolabilem fidem series ex solido in carnem deducta conservet, dum usque ad virginem pater protensus, ipse sibi natus sit in filium." de Trin. I, 16. wo man auch deutlich genug sieht, wie aus Unkunde dieser Unterscheidung Hilarius vom Vater sagt, was er nur von der μονάς hätte sagen sollen. Σαβέλλιος δέ ... δεδοικώς [...] την έξ'Αρείου διαίρεσιν τη αναιρετική καταπέπτωκε πλάνη. Äthan, c. Apollin. - „Idcirco ne per hanc occasionem temporis abnegati haeresis unionis irreperet ..." Hilar, de Synod. 26. όταν δέ εϊπω μίαν ούσίαν, μή δύο έξ ενός μερισθέντα νόει- άλλ' έκ της άρχης του πατρός τον υίόν ύποστάντα, ού πατέρα και υίόν έκ μιας ούσίας ύπερκειμένης. H o m i l . 24. Anderwärts Ep. IX. erklärt er selbst die Formel, die hinreichend dem Sabellianismus entgegenstehe, sei: δτι ού ταύτόν τφ ύποκειμένφ πατήρ και υιός und hätte also auch hier nur sagen sollen: έκ μιας ούσίας ύποκειμένης.

1 Einheit] Ms.: Einung 12 μονάς] so Ais.; O D : μονάς 13 vom Vater] fehlt Ms. 14 werden,] Ms.: werden 14-19 geht ... sollen.] Ms.: mit Einßigungszeichen unter Anm.88 15 hervor, z.B.] Ms.: hervor zb. 17-19 T r i n . . . . sieht, . . . sagt,] Ms.: T r i n ... sieht . . . sagt 17 I,] so Ms.; OD: I. 23 δέ] δε 23 μίαν ούσίαν] μίανούσίαν 23 δύο] δυό 24 υίόν] ύιόν

15-17 Hilarius: De trinitate 1,16, Benediktiner-Ausgabe 775 C; CChr 62,16,9-12 20f (Pseudo-)Athanasius: De incamatione contra Apollinarem 2,3, Benediktiner-Ausgabe Bd 1/2, 942 D; MPG 26,1137A 21 f Hilarius: De synodis seu de fide Orientalium 26, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 1166E; MPL 10, WO A 23-25 Basilius Caesariensis: Homilia 24 (contra Sabellianos, et Arium, et Anomoeos), 4, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1722, 191E-192A; MPG 31,605Β (vgl. oben Anm.41) 26f Basilius Caesariensis: Epistola 9 (Maximo philosopho), 2, Benediktiner-Ausgabe Bd3, Paris 1730, 90D; MPG 32,269A

276

5

10

15

20

25

Vorstellung von der

Trinität

man ihm nur vorwarf. Nämlich auf den Beryllus zurükgehend, konnte man die Behauptung dieser Seite allerdings so ausdrükken, daß vor der ένανθρώπησις der Gottheit keine ιδία περιγραφή derselben gewesen sei. Nur konnte man das Entstehen derselben nicht als eine Theilung derselben darstellen, weil kein anderer Theil da war, welcher gleichsam übrig blieb, wenn man den Sohn hinwegnahm. Denn unmöglich konnte man den Beryllus so mißverstehen, als ob nach der Menschwerdung nun die Gottheit an und für sich nicht mehr vorhanden, und von ihr nichts mehr übrig sei als der Sohn und die Gottheit minus Sohn. Nachdem aber | nun Sabellius anfing, auch den Vater von der μονάς zu un- 367 terscheiden und als eine eigene περιγραφή des göttlichen Wesens darzustellen, so meinten sie nun jenen fehlenden anderen Theil gefunden zu haben, und mißverstanden nun den Sabellius, als sei die Gottheit seitdem halb im Vater und halb im Sohne also getheilt, oder wie sie auch hätten sagen können, wenn sie bedachten, daß Sabellius doch die μονάς nicht aufhören lasse, als sei sie nun, da sie vorher wahrhaft Eins gewesen, seit der Menschwerdung, wie ja auch der Ausdruk υίοπάτωρ sich verstehen ließ, ein zusammengeseztes aus Vater und Sohn 91 . Dieser Irrthum aber entstand vorzüglich daraus, daß man annahm, Sabellius 542 lehre, der Vater sei sich selbst Sohn geworden 92 . Doch hätte schon der höchst wahrscheinlich von Sabellius selbst gebrauchte Ausdruk πλατύνεσθαι 93 und der vielleicht auch von ihm gebrauchte έκτείνεσθαι 94 jeden Gedanken an eine Theilung abweisen können. Daß nun Sabellius die Gottheit des Sohnes nicht aus der des Vaters ableitete, das hat auch Basilius richtig erkannt, indem er ihm vorwirft, sein Vater und Sohn wären eigentlich verschwistertes 95 , welches jedoch auch nicht richtig ist, wenn man es strenge nimmt. - Sondern nur die in dem | Sohn gesezte 368 91 92

30 93 94 95

[...] ούχ εν έκ τριών πράγμα συντιθείς. Äthan, c. Sa. Greg. 12. „[...] dum usque ad virginem pater protensus ipse sibi natus sit in filium." Hilar. Trin. I, 16. S. Athanas. c. Arian. Orat. IV. Ebendas. ού γαρ άδελφά λέγομεν, άλλα πατέρα και υίόν όμολογοΟμεν. Η ο mil. 24. im Zusammenhang mit der oben angeführten Stelle.

30 H i l a r . ] H i l a r

33 24] 34

28 (Pseudo-)Athanasius: Contra Sabellii gregales 12, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 46D; MPG 28,116D 29f Vgl. oben 275,16/ 31 f (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,13, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 626; MPG 26,484f 33 f Anm.89

Vorstellung von der Trinität

177

ιδία της θείας ούσίας (oder της μονάδος) περιγραφή war der im Vater verschwistert; unter dem Sohn aber verstand auch Sabellius genau genommen nur den θεάνθρωπος, wie man ganz deutlich daraus sieht, daß nach ihm der λόγος erst Sohn geworden als er Fleisch geworden 96 , und 5 nur dem herrschenden Sprachgebrauch hierin sich fügend, konnte Sa- 543 bellius den Ausdruk υίοπάτωρ bilden, wenn nicht derselbe sich noch auf eine andere Art rechtfertigen läßt, wovon unten. Ohnerachtet aber die Gottheit in beiden wegen gleichen Verhaltens zur μονάς verschwistert ist, und nicht, wie die andre Seite allgemein sich ausdrükte, die des 10 Sohnes abgeleitet von der des Vaters: so hatte doch Sabellius, auch nachdem er den Vater von der Gottheit an sich unterschied, ein hinreichendes Recht, die Ausdrükke Vater und | Sohn auch in Bezug auf ein- 369 ander beizubehalten. Dies kann aber freilich erst recht eingesehen werden, wenn die in der That höchst schwierige Frage beantwortet ist, auf 15 welche Weise und in welcher Beziehung Sabellius auch den Vater wie den Sohn als eine eigene περιγραφή der Gottheit dargestellt hat. Daß dieses überhaupt seine Meinung gewesen, allein aus der Formel υίοπάτωρ schließen zu wollen, wäre allerdings zu viel. Die Sache selbst aber ist nicht nur aus den bereits angeführten Stellen aus Basilius 20 Homil. 24. klar, sondern auch zum Theil aus denen in Ep.214. und 236. Wiewol aus diesen nur in so weit, als Vater und Sohn hier gleichgestellt 96

25

τον λόγον έν άρχη μεν είναι λόγον άπλως· δτε δέ ένηνθρώπησε τότε ώνομάσθαι υίόν, προ γαρ της επιφανείας μή είναι υίόν, άλλα λόγον μόνον [...]. Ä t h a n , c. A r i a n . O r . IV. 22. Womit auf das genaueste zusammenhängt die Behauptung, daß in dem alten Testamente der Sohn gar nicht vorkomme,

πόθεν δέ άρα την τοιαύτην ύπόνοιαν έσχήκασιν έρέσθαι καλόν, φασί δη δια τό μή είρησθαι έν τη παλαιξι περί υίοϋ άλλα περί λόγου, και διά τοϋτο νεώτερον ύπονοεΐν τοΟ λόγου τον υίόν διαβεβαιοΟνται, δτι μή έν τη παλαιή άλλ' έν τη καινή μόνον περί αύτοϋ έλέχθη. Woraus nun folgt, daß Sabellius die Stelle 30

35

Ps. 2,7. und andere ähnliche nicht von Christo verstanden habe. Es ist aber noch zu bemerken, daß in des Sabellius eigner Theorie der Ausdruk λόγος sehr zurüktrat, und daß jene Aeußerungen nur im Streit mit der andern Parthei vorkommen. Daher auch ungewiß ist, ob sie dem Sabellius selbst oder seinen Nachfolgern angehören, ja es möchte das lezte wahrscheinlicher sein; aber in seinem Geiste sind sie gewiß.

26 αρα] αρα

27 τό] το

28 τη παλαιή] τη παλαια

29 αϋτοΟ] αύτού

19f Anm. 89.95 20 Anm. 85 22-24 (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,22, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 634 D; MPG 26,501 Β 26-29 (Pseudo-) Athanasius: Oratio contra Arianes 4,23, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, 635B; MPG 26,504A 29 Statt μόνον Q : μονη

278

Vorstellung von der

Trinität

werden; zweifelhaft aber bliebe, wenn wir n u r diese allein hätten, ob nicht beides n u r bildliche Ausdrükke wären, deren sich die Schrift in verschiedenen Beziehungen bediene. Wiewol man auch hier schon sagen könnte, gewiß sei doch, daß, wenn einer von beiden eine ιδία περιγ ρ α φ ή bezeichne, dann auch der andre; nun aber k ö n n e unmöglich Sohn auf dieselbe Weise als bildlicher A u s d r u k von der Gottheit gebraucht werden wie Vater, also müsse auch Vater hier etwas anderes als ein bildlicher Ausdruk sein. W e n n aber n u n auch A u s d r ü k k e wie π ρ ο σ ω π ο π ο ι ε ΐ σ θ α ι ύπό της γραφής διαφόρως 9 7 und ähnliche 9 8 auf | eine 370 bloße Darstellungsweise der Schrift sich deuten lassen, der vielleicht 544 nichts sonderndes und bestimmtes in der Gottheit zum G r u n d e läge: so ist dies nicht anwendbar auf die Stellen, w o uns in gar nicht schriftmäßigen Ausdrükken, die aber Sabellius gewiß selbst gebraucht hat, beschrieben w e r d e n soll, wie aus der Einheit die Dreiheit wird 9 9 . Athanasius zwar argumentirt auch von dieser Stelle aus der Voraussezung, die μονάς sei der Vater, und sezt anderwärts auch bestimmt das eine an die Stelle des andern 1 0 0 . D a ß dies aber nicht der Ausdruk des Sabellius selbst ist, erhellt schon daraus, daß wenn Sabellius μονάς und πατήρ so verwechselt hätte, d a n n auch gar nicht zu erklären wäre, wie Athanasius hätte auf den Verdacht k o m m e n können, den er doch ziemlich bestimmt äußert, es möchte am Ende wol die μονάς des Sabellius etwas 97

Basil. Ep. 214. [...] τον αύτόν θεόν ενα τφ ύποκειμενφ οντα προς τάς εκάστοτε παραπιπτούσας χρείας μεταμορφούμενον νϋν μεν ώς πατέρα, νΟν δε ώς υίόν, νΟν δε ώς πνεϋμα αγιον διαλέγεσθαι. Basil. Ep. 210, 5. 99 [...] ή μονάς πλατυνθεϊσα γέγονε τριάς [...]· Athanas. c. Arian. Or. IV, 13. oder auch [...] έπλατύνθη ή μονάς εις τριάδα [...]. ibid. 100 [...] οϋτω και ό πατήρ ό αύτός μεν έστι, πλατύνεται δέ εις υίόν και πνεϋμα. ibid. 25., was er auch gleich darauf noch weiter fortsezt, [...] εσται ό πατήρ λόγος και πνεϋμα άγιον, φ μεν γινόμενος πατήρ, ω δέ λόγος, ω δέ πνεϋμα προς τήν χρείαν έκάστου άρμοζόμενος, και ονόματι μέν υίός και πνεϋμα, τφ δέ δντι πατήρ μόνον [...].

98

27 13] 12

27 i b i d . ] ibid. 14.

32 δ ν τ ι ] δ ν τ ι

22f Vgl. oben 273,27f 23-25 Basilius Caesariensis: Epistola 210 (Ad primores Neocaesareae), 5, Benediktiner-Ausgabe Bd3, Paris 1730, 317A; MPG 32,776 C 26f Vgl. (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,13, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 626B; MPG 26,484 C.485 A 28-32 (Pseudo-jAthanasius: Oratio contra Arianes Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 636F.637A; MPG 26,505 C

1698, 4,25,

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

25

279

anderes sein als der Vater 101 . Denn um diese ihm und allen ihm verwandten eben so wie den Arianischen Theologen ganz fremde Ansicht aufzufassen, mußten ihm sehr | starke und zwingende Ausdrükke vor- 371 liegen; wogegen sich sehr gut erklären läßt, wie, wenn sich auch Sabellius hierüber sehr bestimmt geäußert, Athanasius dieses doch als zu ungewohnt nicht habe festhalten können, sondern immer wieder auf seine gewohnte Vorstellungsweise zurükgetrieben worden sei, und aus derselben den Sabellius erklärt und widerlegt habe. Stellen wir aber auch dieses fest, so ist doch auch mit Berüksichtigung des eben über υίοπάτωρ gesagten noch zweierlei möglich; Sabellius kann entweder den Sohn mit Beryllus f ü r eine eigne περιγραφή haltend den Vater ihm 545 gleichgestellt haben, und dies ist unsere Meinung; oder er kann auf den Noetus zurükgehend auch das Sein Gottes in dem Erlöser f ü r etwas vorübergehendes gehalten und auf diese Weise auch den Vater gestellt haben, und dies scheint beinahe die Meinung aller derer zu sein, welche den Beryllus dabei ganz aus dem Spiele lassend von Sabellius nur schlechthin sagen, er habe die Kezerei des Noetus erneuert. Die Annahme aber, daß sich Sabellius auch auf die Verbesserung des Beryllus gestützt habe und von dieser ausgegangen sei, erscheint durch folgendes hinreichend begründet. In der jezt gewöhnlich dem Vigilius zugeschriebenen Disputation des Athanasius, in welcher gute Kenntnisse von den Bestimmungen sowol als den Vertheidigungsmitteln der verschiedenen Partheien nicht zu verkennen sind, und welche gewiß den Sabellius nicht begünstigt, wird dem Sabellius nur dasselbe vorgeworfen, was Eusebius dem Beryllus vorwirft, daß er nämlich | das Vorherbe- 372 stehen des Sohnes läugne 102 . D a ß aber auch die Menschwerdung ein Sichversenken in das Endliche gewesen, worauf ein Zurükgehen gefolgt sei, wie man solchen Wechsel nach dem Bericht des Theodoretus dem

101

30 102

[ . . . ] έκτος ει μή ή λεγομένη παρ' αύτφ μονάς αλλο τί έστι παρά τον πατέρα. c. Arian. Orat. IV, 13. „Sabellius unam confitendo personam, filium ante cunctorum originem saeculorum subsistere denegavit [...]." Opp. Ä t h a n . Τ. II. p.645.

29 εί μή] ειμή

29 παρ'] παπ'

30 c. A r i a n . ] A r i a n

15-17 Vgl. z.B. Epiphanius: Panarion haer. 62,1,2. Filastrius: Diversarum hereseon Uber 25.26 28 u. 1 Vgl. oben 243,12-28 29f (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,13, Benediktiner-Ausgabe Bd 1/1, Paris 1698, 626 C; MPG 26,48}A 31 f Vigilius Tapsensis: Contra Arianes, Sabellianos, etc. Dialogus 1,12 (Disputatio Athanasia cum Arrio), in: Athanasius Alexandrinus: Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 64}F; MPL 62,188 C

280

5

10

15

20

104

105

30

Trinität

Noetus konnte beilegen wollen, so daß auch die einzelnen Glieder der Dreiheit nur vorübergehende Theophanien wären, dergleichen wird dort dem Sabellius nicht zugeschrieben. Zwar Athanasius giebt dem Sabellius Schuld von den Stoikern gelernt zu haben, daß Gott sich abwechselnd ausdehne und zusammenziehe 1 0 3 . Diesem aber stelle ich zunächst wieder den Vigilius entgegen, bei welchem Sabellius grade seinen Gegnern den personbildenden Theologen ein solches Sicherweitern und Ausleeren der Gottheit zuschreibt, und dieses als der Einfachheit Gottes zuwiderlaufend vorwirft 104 , daher denn er selbst dergleichen 546 nicht kann angenommen haben. Betrachtet man aber ferner jene Stelle des Athanasius genauer, so bezieht sie sich auf eine Aeußerung des Sabellius über den Sohn, als ob er in die Einheit zurükkehren und als eigene περιγραφή | nicht mehr sein werde 105 . Allein dieser Saz ist offenbar 373 nur eine von jenen hypothetischen Formeln, die man aufstellt, um dadurch das stärkste zu sagen. Dem Sabellius nämlich und allen ihm hierin verwandten war es wesentlich zu behaupten, die Dreiheit sei nichts der Gottheit an und f ü r sich betrachtet wesentliches; sondern sie sei nur um der Geschöpfe willen und in Beziehung auf sie. Dieses nun bekannten freilich auch die Gegner, sofern sie die ganze Lehre von der Dreiheit das Geheimniß der οικονομία nannten; aber sie hielten es nicht fest, sofern sie dann wieder behaupteten, wenn der λόγος nicht ούσιώδης wäre und ύφεστώς, so müßte Gott aus Wesen und Eigen-

103

25

Vorstellung von der

τοϋτο δέ 'ίσως άπό των Στωικών ύπελαβε διαβεβαιουμενων συστέλλεσθαι και πάλιν έκτείνεσθαι τον θεόν [ . . . ] . c. Arian. Or. IV, 13. „Necesse est enim ut se ipsa aut minuendo contrahat, [ . . . ] aut dilatando dif- 546 fundat . . . . Quae quoniam [ . . . ] simplici ί 11 ί et ineffabili naturae congruere minime possunt ..." cet. Ä t h a n . II. p.644. Gewiß den eigenen Worten des Sabellius am nächsten giebt sie uns Athanasius in der Formel: [ . . . ] δι' ήμας γεγέννηται, και μεθ' ήμας ανατρέχει, ίνα η ώσπερ ήν. c. A r i a n . Or. IV. 12.

14 aufstellt,] Ms.: Laufl-stellt 16 behaupten,] Ms.: behaupten 19-22 Gegner, ... fest, ... behaupteten, . . . ύφεστώς,] Ms.: Gegner . . . fest . . . behaupteten ... ΰφεστώς 23 Στοϊκών] Στοικών 27 644] 624 28-30 u. 28 Anmerkungen im Ms. nicht erhalten

23 f (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,13, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 626A; MPG 26,484 C 25-27 Vigilius Tapsensis: Contra Arianes, Sabellianos, etc. Dialogus 1, 7 (Disputatio Athanasia cum Arrio), in: Athanasius Alexandrinus: Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 644B; MPL 62,184D 29f (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,12, Benediktiner-Ausgabe Bd 1 /1, Pans 1698, 625 Β; MPG 26,481 C

Vorstellung von der Trinität

281

Schaft zusammengesetzt sein 106 . Sonach aber wäre diese Hypostasirung etwas im göttlichen Wesen selbst nothwendiges von aller οικονομία unabhängiges; und einer solchen Demonstration glaubte sich Sabellius nicht stark genug widersezen zu können, um das Gleichgewicht zu erhalten zwischen der μοναρχία, der Lehre von der wesentlichen Einheit Gottes, und der οικονομία als der Lehre von den auf die Welt und Heilsordnung sich beziehenden Differenzen in der Gottheit. Diese Opposition aber konnte Sabellius nicht stärker ausdrükken, als wenn er sagte, diese durch die ένανθρώπησις gesezte besondere περιγραφή des göttlichen Wesens | bestehe so sehr nur in Bezug auf uns, daß wenn wir 374 aufhörten, auch sie aufhören werde. Eigenen Gehalt an und für sich konnte diese Vorstellung von einem Zurükgehen des Sohnes in die Ein- 547 heit für den Sabellius nur haben, falls er etwa auch ein Zurükgehen aller Geschöpfe in die Gottheit annähme, worauf auch die Widerlegung des Athanasius hinausläuft. Und hieraus ist gewiß auch entstanden, was Epiphanius berichtet, Sabellius habe den Sohn einem Strahl verglichen, der von der Sonne ausgehe und in dieselbe auch wieder zurükkehre 107 ; denn eigentlich konnte er das Aufgenommenwerden Christi in den Himmel nur als eine Veränderung für das menschliche in Christo ansehen, nicht aber als ob das Verhältniß des göttlichen in ihm zu der Gottheit an sich dadurch verändert würde. Und der Unterschied zwischen Sohn und Geist kann für ihn in dieser Hinsicht nur darin bestehen, daß der Sohn auf Erden nur eine kurze Zeit war, nun aber seine Wirksamkeit im Himmel hat, der Geist aber fortwährend die Kirche auf der Erde regiert. Dieses mit jenem vermischend hat Epiphanius sagen können, was Sabellius wenigstens in strengerer dogmatischer Sprache gewiß nicht so gesagt hat. Daß aber Sabellius die Dreiheit nicht für vor-

106 107

Id. ibid. 2. Haer. LXII, 1.

2 - 6 unabhängiges; . . . können, . . . Gottes,] Ms.: unabhängiges, . . . können . . . Gottes 8-11 ausdrükken,... aufhörten,] Ms.: ausdrücken . . . aufhörten 13 haben,] Ms.: haben 14 Gottheit annähme] Ms.: Gott-(heit L 1); am rechten Rand mit Einfiigungszeichen: heit annähme 15-27 Und . . . hat.] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 15-20 entstanden, . . . berichtet, . . . ansehen,] Ms.: entstanden . . . berichtet ...ansehen 23-25 war,... regiert.] Ms.: war . . . regiere. 29 H a e r . ] Ms.: Haer

28 Vgl. (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianos 4,2, Benediktiner-Ausgabe BdlJl,618D; MPG 26,469Β 29 Epiphanius: Panarion haer. 62,1,8, ed. Petavius 2.Aufl., Bdl, Köln 1682, 513 BC; GCS 2,390,5-9

282

Vorstellung von der Trinität

übergehende Oscillationen gehalten, das geht auch aus den Bildern hervor, deren er sich bedient. Denn von demjenigen abgesehen, was derselbe Epiphanius eben da mittheilt, daß der Vater sei der Leib, der Sohn die Seele und der Geist der Geist, - welches ich ohnerachtet | es auch an 375 einem bessern Orte 1 0 8 vorkommt, doch so nicht f ü r acht halten kann, weil, wenn Sabellius das dritte Glied der Dreiheit so weit über das erste gestellt hätte, wie der Geist des Menschen über dem Leibe steht, hievon unter den Rechtgläubigen weit mehr Aufhebens würde gemacht und ihm dieses mehr würde verdacht worden sein als alles andere, - stimmt hiezu auch das andere von der Sonne 109 , welches er sehr absichtlich scheint dem gewöhnlichen, daß nämlich der Vater die Sonne selbst sei, 548 der Sohn dem Strahl gleiche und der Geist dessen Spize, gegenübergestellt zu haben. Denn sowol die runde Gestalt, als mit der Bewegung der Sonne zusammenhängend, als die erleuchtende und erwärmende Kraft sind nicht vorübergehende Erscheinungen, sondern beharrliche Thätigkeiten, welche so lange fortwähren als es lebendige Wesen giebt, auf welche die Sonne sich bezieht und von welchen sie wahrgenommen werden kann. Daher dieses Bild die Meinung des Sabellius von dem Verhältniß der Dreiheit zur Einheit im göttlichen Wesen sehr genügend darstellt, nur muß man nicht wollen die Functionen der einzelnen Glieder der Dreiheit aus jenen drei | Kräften der Sonne verstehen; wie denn 376 108 109

Athanas. c. Sabell. gr. 13. ή ώς έάν η έν ήλίφ, δντι μεν έν μιςί ύποστάσει, τρεις δέ εχοντι τάς ένεργείας· φημί δέ τό φωτιστικόν, και τό θάλπον και αυτό [...] της περιφερείας σχήμα. Epiph. ibid., wo indeß das αύτό auch ganz gegen den Sinn des Sabellius, der 548 dieses σχήμα auch nur als eine ένέργεια wollte angesehen wissen, von dem Berichterstatter eingeschwärzt ist, welcher meint dieses σχήμα sei eben so sehr αύτοήλιος, wie nach seiner Meinung der Vater αύτόθεος ist.

l f gehalten, . . . hervor,] Ms.: gehalten . . . hervor 2f abgesehen, . . . mittheilt,] Ms.: abgesehen . . . mittheilt; nach mittheilt folgt gestrichenes Anmerkungszeichen 4 - 9 Gedankenstriche fehlen im Ms. 5 - 7 vorkommt, . . . hätte,] Ms.: vorkommt ... hätte 11 die Sonne] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 11 sei,] Ms.: sei 13 runde] Ms.: (Lkreisl) runde 13-16 Gestalt, . . . zusammenhängend, . . . giebt,] Ms.: Gestalt . . . zusammenhängend . . . giebt 23 ή] so Ms.; OD: ή 23 δντι] so Ms; OD: δντι 23-27 ήλίφ, . . . ibid., . . . ist,] Ms.: ήλίφ . . . ibid. . . . ist 26f von dem Berichterstatter] im Ms. nach ist; einverwiesen vor eingeschwärzt

2 - 4 Vgl. Epiphanius: Panarion haer. 62,1,5, ed. Petavius 2.Aufl., Bdl, Köln 1682, 513B; GCS 2,389,13-16 22 Vgl. (Pseudo-)Athanasius: Contra Sabellii gregales 13, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 46E; MPG 28,117B 23-25 Epiphanius: Panarion haer. 62,1,6, ed. Petavius 2. Aufl., Bdl, Köln 1682, 513BC; GCS 2,389,16-390,2

Vorstellung von der Trinität

283

auch das vielleicht nicht mit Gewißheit behauptet w e r d e n kann, d a ß Sabellius die Dreiheit als ένέργειαι der Einheit angesehen hat, und n u n dieser Ausdruk an der Stelle der περιγραφή des Beryllus getreten sei. Wiewol diese M e i n u n g auch noch beschüzt wird d u r c h ein anderes Bild 5 - welches aber auch eben so sehr die M e i n u n g bestätigt, d a ß er gewiß die Glieder der Dreiheit nicht als etwas vorübergehendes angesehen habe - , wenn er nämlich sagt, die Dreie verhalten sich zu der Einheit wie zu dem Geist in der Kirche die Gaben desselben sich verhalten 1 1 0 ; denn die Gaben sind überall wann und w o der Geist ist, jede aber ist 549 10 eine eigene π ε ρ ι γ ρ α φ ή desselben, weil seine K r a f t in allen dieselbige, doch in jeder auf eine eigene Weise gebunden ist u n d bestimmt. Treten wir also, dieses festgestellt, der Frage näher, in welchem Sinne denn n u n auch der Vater, unterschieden von der göttlichen Einheit an sich, von Sabellius f ü r eine solche eigene π ε ρ ι ρ γ α φ ή des göttli15 chen Wesens sei gehalten worden: so | tritt uns hier zuerst die Stelle des 377 T h e o d o r e t u s entgegen, welche dem Vater als sein eigenthümliches G e schäft die Gesezgebung anweiset 111 . Allein o f f e n b a r kann man es mit 110

μαίνεται δέ και παραδείγματι χρώμενος τη τοϋ πνεύματας χάριτι - φησι γαρ ώσπερ διαιρέσεις χαρισμάτων είσι, τό δέ αύτό πνεϋμα, οϋτω και ό πατήρ ό 20 αυτός μεν έστι, πλατύνεται δέ εις υίόν και πνεΟμα. Ä t h a n , c. Arian. Or. IV, 25. wo man nur zuerst wieder θεός oder μονάς sagen muß anstatt πατήρ und dagegen πατήρ dem υιός und πνεϋμα beigesellen, und dann sich nicht muß irren lassen durch den Commentar des Athanasius, welcher, sei es nun Unverstand oder Arglist, das Bild nun so behandelt, als sollten die göttlichen 25 Personen auf eben die Weise für die einzelnen Menschen sein, wie die Geistesgaben in den einzelnen Menschen sind. 111 [...] τον αυτόν [...] ώς πατέρα νομοτεθησαι, [...] ώς υίόν ένανθρωπησαι, έπιφοιτήσαι δέ ώς πνεϋμα [...]. fab. haeret. II, 9.

2 hat,] Ms.: hat 4-10 Bild . . . sagt, ... desselben,] Ms.: Bild, ... sagt . . . desselben 5 - 7 Gedankenstriche fehlen im Ms. 11 bestimmt.] Ms.: folgt Einfugungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: N b Absaz 16 Theodoretus] Ms.: Theodoretos 18 t o ö ] so Ms.; OD: του 18 φησι] OD: φησί; Ms.: φησι 19 είσι,] Ms.: εϊσι 19 οϋτω] Ms.: οϋτω (L 1} 20 μεν έστι] Ms.: μεν έστι 20 πνεϋμα. Ä t h a n . ] Ms.: πνεϋμα Ä t h a n 21 μονάς] so Ms.; OD: μονάς 22-25 beigesellen, . . . welcher, ... Arglist, ... behandelt, . . . sein,] Ms.: beigesellen ... welcher ... Arglist . . . behandelt . . . sein 28 h a e r e t . 11,9.] OD: h a e r e t . III.; Ms.: h a e r e t III

18-21 (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,25, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 636F; MPG 26,505 C 23-26 Vgl. oben Anm. 100 27f Theodoret: Haereticarum fabularum compendium 2,9, ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 33 5f; MPG 83,396 C 28 Statt έπιφοιτήσαι δέ ώς πνεΟμα Q : ώς πνεϋμα δέ αγιον τοις άποστόλοις έπιφοιτήσαι

284

5

10

15

20

Vorstellung von der Trinität

dieser Stelle schon deshalb nicht genau nehmen, weil ένανθρωπησαι und έπιφοιτήσαι nicht eben so das Geschäft der beiden andern ausdrükken, wie doch die Gesezgebung das Werk und Geschäft des Vaters wäre. Allein wenn wir uns auch der beiden andern Glieder Geschäft aus dem Epiphanius ergänzen wollten 112 , so könnte doch auch dann die Gesezgebung nicht das ganze Geschäft des Vaters sein, selbst dann nicht, wenn man sagen wollte, was doch eine dreiste und fast aus der Luft gegriffene Behauptung wäre, daß bei Sabellius die τριάς überhaupt es nur mit den geistigen Wirkungen auf den Menschen zu thun habe. Denn Sabellius wird es gewiß nicht verschmäht haben mit anderen älteren Kirchenlehrern auch die heidnische Weisheit als eine Vorbereitung auf das Christenthum anzusehen, welche also eben so gut als die jüdische Gesezgebung muß dem Vater zugeschrieben werden. Eine andere Stelle bei Hilarius 113 giebt auch nur | einen dunkeln Schimmer, weil man nicht 378; 550 weiß, ob „natura" f ü r φύσις oder ούσια genommen und auf Gott bezogen ist, daß es hieße, in seiner eigenen N a t u r betrachtet heißt er aber der Vater, oder ob das „in natura" gegenüberstehen soll dem „in assumto homine" und also f ü r κτίσις stehen, so daß es hieße, in der Schöpfung betrachtet aber heiße er Gott der Vater. Das erste ist, da auch Hilarius sich in die Sabellische Unterscheidung des Vaters von der Gottheit an sich nicht finden konnte, ohnstreitig wahrscheinlicher; daß aber das leztere demohnerachtet des Sabellius Meinung ausspricht, davon können uns zwei Betrachtungen überzeugen. Erstlich, entweder 112

πεμφθέντα δέ τον υίόν [...] και έργασάμενον τά πάντα έν τφ κόσμφ τά της οικονομίας της ευαγγελικής και σωτηρίας των ανθρώπων ... τό δέ αγιον πνεύμα πέμπεσθαι εις τον κόσμον και καθεξής και καθ' έκαστα εις εκαστον των καταξιουμενων, άναζωογονεϊν δέ τον τοιοϋτον και άναζέειν κ. τ. λ. 113 „... ut in assumto homine se filium Dei nuncupet, in natura vero Deum patrem, et unus ac solus personali demutatione se nunc in alio mentiatur." de 30 Trin. VII, 39. 25

1-3 nehmen, . . . ausdrükken] Ms.: nehmen . . . ausdrücken 5f wollten, ... nicht,] Ms.: wollten . . . nicht 13 m u ß ] Ms.: korr. aus Lmiissel 15 weiß,] Ms.: weiß 15 ούσία] ουσία 17 das] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 21 wahrscheinlicher;] Ms.: wahrscheinlicher, 23 u. l f Erstlich, . . . beides . . . zusammenfällt,] Ms.: Erstlich . . . bey-L Ί . . . zusammenfällt 24 τά πάντα] so Ms.; OD: τάντα 25 ανθρώπων] so Ms.; OD: άνθρωπων 27 χ,.τ.λ.] folgt Ms.: I.e. 29 demutatione] folgt Ms.: ([in]) 30 T r i n . ] Ms.: T r i n

24-27 Epiphanius: Panarion haer. 62,1,8-9, ed. Petavius 2. Aufl., Bdl, Köln 1682, 513 C; GCS2,390,5-11 28-30 Hilarius: De trinitate 7,39, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 942 D; CChr 62,306,8-10

Vorstellung von der

5

10

15

20

25

30

Trinität

285

mußte Sabellius die Schöpfung und Erhaltung der Welt, soweit beides nicht mit dem Reich der Gnade zusammenfällt, der Gottheit an sich zuschreiben und keinem von der Dreiheit, oder er konnte sie nur dem Vater beilegen. Denn der Sohn als solcher bestand nicht für sich vor seiner Menschwerdung, und so auch der Geist bestand, wenn auch Sabellius den alttestamentischen und neutestamentischen für denselben hielt, doch gewiß nicht vor der Schöpfung des Menschen. Hätte er aber wirklich der Dreiheit nur die mit der geistigen Führung des Menschen zusammenhängenden Geschäfte zugetheilt, alles übrige aber der Gottheit an sich oder der Einheit: so wäre das von ihm gebrauchte Bild .von dem Geist und seinen Gaben hergenommen, gar nicht passend gewesen. Denn der Geist wirkt nichts als nur durch die Gaben, und also müßte auch die Gottheit alles nur wirken durch die Dreiheit, und sonach bleibt nichts übrig als daß Sa-|bellius die Schöpfung und Erhaltung dem 379 Vater beigelegt habe. Die andere eben dahin führende Betrachtung ist diese. Wenn Sabellius Schöpfung und Weltregierung der Gottheit an sich zugeschrieben hätte, und dem Vater als besonderer περιγραφή nur die Gesezgebung und was damit zunächst zusammenhängt: so hätte dadurch seine Lehre eine so sehr abweichende Physiognomie bekommen, daß es dann fast nicht möglich gewesen wäre, seinen Unterschied zwischen μονάς und πατήρ so ganz zu verfehlen, wie es häufig geschehen ist. Dies konnte nur dann statt finden, wenn er wenigstens in den Wir- 55/ kungen nach außen dem Vater alles dasjenige zuschrieb, was auch die Anderen, die eben dadurch am leichtesten verleitet werden konnten zu glauben, daß er unter dem Ausdruk Vater ganz dasselbige verstehe wie sie. Sezen wir nun dieses voraus, so sehen wir auch ein, wie Sabellius für seinen Trinitätsbegriff die Ausdrükke Vater und Sohn so beibehalten konnte, daß das erste Glied der Dreiheit Vater hieß, nicht nur als Schöpfer aller Dinge, sondern auch in Bezug auf das zweite, ohnerachtet er die Gottheit des Sohnes nicht ableitete von der des Vaters. Denn wenn das zweite Glied eine besondere περιγραφή, - oder um mich so auszudrükken - Phasis der Gottheit nur war in Bezug auf die Menschwerdung: so hing dieses ab von derjenigen Welteinrichtung, in welcher sich die erste περιγραφή manifestirte; und dieses Abhängigkeitsverhält-

5 bestand] fehlt Ms. 6 hielt,] Ms.: hielt 11 hergenommen,] Ms.: hergenommen 15 habe] fehlt Ms. 17-20 hätte, ... zusammenhängt: ... bekommen, ... wäre,] Ms.: hätte ... zusammenhängt,... bekommen ... wäre 22 f finden,... zuschrieb,] Ms.: finden ... zuschrieb 24f zu glauben] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 25 Ausdruk] Ms.: Ausdruck 26-29 voraus, ... Ausdrükke ... hieß, ... Dinge, ... zweite,] Ms.: voraus ... Ausdrücke ... hieß ... Dinge ... zweite 28 das ... hieß] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 30 Sohnes ... des] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 31 f Gedankenstriche fehlen im Ms. 33-1 Welteinrichtung, ... manifestirte; ... Ausdrükke] Ms.: Welteinrichtung ... manifestirte, ... Ausdrücke

286

5

10

15

20

25

30

35

Vorstellung

von der

Trinität

niß konnte allerdings durch die Ausdrükke Vater und Sohn sehr füglich bezeichnet werden. Ja wenn nur erst im Allgemeinen feststand, daß Sohn Got-|tes eigentlich der Gottmensch sei: so konnte uneigentlich 380 und der Accommodation wegen Sabellius auch von der Gottheit in dem Erlöser den Ausdruk Sohn gebrauchen, wenn sie gleich dieselbige war wie die im Vater, weil ihr irgend ein besonderes ονομα, wollen wir es vor der H a n d auch nur so nennen, doch nur zukam, sofern sie in der von der Welteinrichtung abhängigen einzelnen Person ihren besonderen Siz hatte. Wie lange nun Sabellius sich mit einer solchen Lehre von Vater und Sohn als zwei einander gleichen besondern Nennbarkeiten όνομασίαι in der Gottheit begnügte, ohne ihnen den Geist hinzuzufügen, davon können wir nichts wissen. N u r daraus, daß, wo Athanasius und Basilius am ausführlichsten gegen Sabellius und seine Anhänger sprechen, fast immer nur vom Vater und Sohn die Rede ist, der Geist aber nur selten und fast nur beiläufig vorkommt, dürfen wir nicht schließen, daß Sabellius auch die längste Zeit über und in den meisten seiner Reden und Schriften nur jene beiden behandelt habe. Vielmehr wie wir nicht 552 nach einer besonderen Ursache fragen dürfen, welche den Sabellius bewogen habe, auch den Geist dem Vater und Sohn zu gleichen Rechten beizugesellen, sondern uns genügt, daß dieses in dem allgemeinen Entwiklungsgange des Christenthums gelegen: eben so müssen wir es natürlich finden, daß man sich von beiden Seiten weit mehr mit Vater und Sohn lange Zeit hindurch beschäftiget hat, da sich hier eine größere Menge höchst bedeutender Punkte zur Discussion darboten. Da nun späterhin gegen Sabellius am meisten im Zusammen-|hang mit den Aria- 381 nischen Streitigkeiten polemisirt wurde: so war auch weit mehr Veranlassung, seine Ansichten über Vater und Sohn anzuführen und zu widerlegen, wobei denn des Geistes wenig erwähnt wurde. In Bezug auf diesen sind wir daher auch fast nur an die bereits angeführten zwei Stellen gewiesen, die bei Epiphanius, wo der Geist mit der erwärmenden Kraft der Sonne verglichen wird, und die bei Athanasius, wo der Geist selbst mit seinen Gaben als Bild der ganzen göttlichen Einheit und Dreiheit gebraucht wird. In der ersten wird der Geist als in unmittelbarer Beziehung auf die einzelnen Menschen dargestellt, welches

2-7 feststand, ... sei: . . . Ausdruk ... zukam,] Ms.: feststand . . . sei, ... Ausdruck ... zukam 9 hatte.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: N.Absaz 12 Gottheit begnügte, ohne] Ms.: Gottheit sich begnügte (und); nach begnügte folgt Einfiigungszeichen; Einfügung am rechten Rand: ohne

30f Oben Anm. 109 und 110

Vorstellung von der

Trinität

287

aber durch die lezte bei g e n a u e r B e t r a c h t u n g berichtiget wird. D e n n wenn der G e i s t an sich in dem einzelnen M e n s c h e n als solchem ist: wie soll man ihn a u f der einen Seite von den G a b e n unterscheiden, w e l c h e alles sind, was in dem einzelnen M e n s c h e n a u f seine R e c h n u n g k ö n n t e geschrieben werden, und wie soll er auf der andern Seite, wenn selbst so nenne man es nun zertheilt o d e r vervielfältigt, ein Bild der absoluten göttlichen μονάς sein? D a h e r können wir uns des Sabellius M e i n u n g nicht anders darstellen als f o l g e n d e r m a ß e n . D a ß der h. G e i s t nur in den Gläubigen wirksam sei, gab die andere Seite der T h e o l o g e n auch zu; a b e r Sabellius k o n n t e sich den G e i s t nicht in den E i n z e l n e n als s o l c h e n denken, sonst hätte er sich ihn vielfältig denken müssen, und da die G o t t h e i t dieselbe war in allen Gliedern der D r e i h e i t , s o wäre dann j e d e r E i n z e l n e ein Christus gewesen. E r k o n n t e sich ihn also nur d e n k e n in der G e s a m m t h e i t der G l ä u b i g e n in der K i r c h e , den | E i n e n in der E i n e n . 382; A b e r jedes geistige V e r m ö g e n der Gläubigen, mit welchem sich der G e i s t des G a n z e n verbinden konnte, wurde ein eigenes χ ά ρ ι σ μ α , eine eigene W i r k s a m k e i t des Geistes, dessen W e s e n darin auf eine eigene W e i s e umschrieben war. U n d dieses richtig a n g e w e n d e t kann nun die g a n z e Vorstellungsweise des Sabellius n o t h d ü r f t i g erläutern. D e r G e i s t wird nur dadurch χ ά ρ ι σ μ α , d a ß er sich mit einer menschlichen S e e l e n kraft oder F u n c t i o n einiget und sich durch dieselbe kund giebt; eben so demnach k a n n auch die schlechthin e i n f a c h e E i n h e i t des göttlichen W e s e n s nur ein σ χ ή μ α o d e r ein π ρ ό σ ω π ο ν in dem Sinne des Sabellius 1 1 4 werden, indem sie sich mit einem andern einigt, a b e r o h n e d a d u r c h in sich selbst etwas anderes zu werden, wie auch der G e i s t einer und derselbige ist in allen G a b e n . D i e E i n e selbige G o t t h e i t also, indem sie sich mit der P e r s o n des Erlösers einiget und sich durch denselben kund giebt, wird und ist sie das zweite π ρ ό σ ω π ο ν , a b e r o h n e in sich selbst etwas anderes zu sein o d e r geworden zu sein; welches auch s o ausgedrükt wird, d a ß vor der P e r s o n des Erlösers dies zweite π ρ ό σ ω π ο ν als ein solches κ α τ ' ιδίαν της θ ε ί α ς ούσίας π ε ρ ι γ ρ α φ ή ν nicht bestanden habe. N u n a b e r besteht es fort, und die E i n e selbige G o t t h e i t thut sich

114

έπεί τόν γε άνυπόστατον των προσώπων άναπλασμόν ουδέ ό Σαβέλλιος παρητήσατο, ειπών τόν αυτόν θεόν ενα τφ ύποκειμενφ οντά κ. τ. λ. Basil. E p . 210.

33 τόν γε] τόνγε

33-35 Basilius Caesariensis: Epistola 210 (Adprimores Neocaesareae), gabe Bd3, Paris 1730, 317A; MPG 32,776 C (vgl. oben Anm. 98)

5,

Benediktiner-Aus-

288

5

10

15

20

25

30

35

40

Vorstellung von der

Trinität

d a r i n als e i n b e s o n d e r e s k u n d , s o l a n g e als d i e P e r s o n d e s E r l ö s e r s f o r t besteht, o d e r a u c h , wie w i r o b e n gesehen, so l a n g e sein G e s c h ä f t f o r t g e h t ; | u n d alle T u g e n d e n u n d T h ä t i g k e i t e n d e s E r l ö s e r s , i n d e m s i c h 383 d i e s e s z w e i t e π ρ ό σ ω π ο ν in d e m s e l b e n k u n d g i e b t , v e r h a l t e n s i c h z u d e m s e l b e n w i e s i c h d i e χ α ρ ί σ μ α τ α z u d e m G e i s t e v e r h a l t e n . E b e n so, i n d e m d i e E i n e u n d s e l b i g e G o t t h e i t sich m i t d e r K i r c h e e i n i g e t , w i r d sie d a s d r i t t e π ρ ό σ ω π ο ν , d e r G e i s t , w e l c h e r s i c h k u n d t h u t d u r c h d i e F ü l l e d e r o r g a n i s c h in e i n a n d e r g r e i f e n d e n G a b e n ; a n u n d f ü r s i c h a b e r a u c h u n v e r ä n d e r t u n d u n g e t r e n n t d i e s e l b e E i n e G o t t h e i t , w e l c h e s e b e n - 554 f a l l s s o k o n n t e u n d m u ß t e a u s g e d r ü k t w e r d e n , d a ß d e r G e i s t n i c h t als ein eigenes π ρ ό σ ω π ο ν b e s t a n d e n habe, ehe das G a n z e war, w o r i n die G o t t h e i t a u f b e s o n d e r e W e i s e s e i e n d u n d w i r k e n d d e r G e i s t ist, n ä m l i c h die Kirche. W o r a u s m a n n o c h sieht, d a ß o b Sabellius d e n G e i s t im alten T e s t a m e n t f ü r d a s π ν ε ϋ μ α α γ ι ο ν in d i e s e m S i n n e h i e l t o d e r n i c h t , n u r d a v o n k a n n a b g e h a n g e n h a b e n , o b er die K i r c h e f ü r dieselbige hielt o d e r n i c h t . U n d n u n ist u n s n u r n o c h a u f d e n V a t e r z u r ü k g e h e n d d i e F r a g e ü b r i g , w e n n d i e s e r s i c h a u c h n a c h S a b e l l i u s als e i n s o l c h e s π ρ ό σ ω π ο ν z u d e r μ ο ν ά ς verhielt wie die a n d e r n beiden, w o m i t d e n n m u ß t e d i e G o t t h e i t e i n e s w e r d e n u n d sein u m V a t e r z u h e i ß e n ? O h n e alle b e s t i m m t e S p u r e n s i n d w i r bei B e a n t w o r t u n g d i e s e r F r a g e u n s selbst überlassen, u n d k ö n n e n also n u r d e r A n a l o g i e f o l g e n . W e n n also d a s z w e i t e π ρ ό σ ω π ο ν s e i n g a n z e s G e s c h ä f t v o l l b r i n g t in d e r P e r s o n d e s Erlösers seiend, u n d d e r G e i s t d a s seinige, n ä m l i c h die e i n z e l n e n M e n s c h e n z u b e l e b e n u n d z u h e i l i g e n , v o l l b r i n g t , i n d e m e r in d e r K i r c h e ist; das Geschäft des Vaters aber wie wir gesehen die S c h ö p f u n g u n d Erhalt u n g ist u n d d i e G e s e z - | g e b u n g , w e l c h e h i e r s y m b o l i s c h alles v e r t r i t t , 384 w a s auch geistig o h n e die E r l ö s u n g u n d diese n u r v o r b e r e i t e n d g e w i r k t w e r d e n k a n n : s o w i r d w o l n i c h t s ü b r i g sein als z u s a g e n , i n d e m d i e e i n e u n d s e l b i g e G o t t h e i t sich m i t d e r W e l t e i n i g t , w i r d sie V a t e r , d a s e r s t e π ρ ό σ ω π ο ν e r k e n n b a r aus allen d u r c h dasselbe beseelten, d e n organis c h e n W e l t z u s a m m e n h a n g b i l d e n d e n K r ä f t e n , w e l c h e sich z u d e m V a ter verhalten wie die χ α ρ ί σ μ α τ α zu d e m Geiste. E h e aber, w e n n m a n s i c h d a s d e n k e n k a n n , d i e G o t t h e i t m i t d e r W e l t v e r e i n i g e t w a r , w ä r e sie a u c h n i c h t V a t e r g e w e s e n , s o n d e r n d i e r e i n e , in s i c h s e l b s t b l e i b e n d e , aber auch durchaus nicht k u n d gegebene göttliche Einheit. Dieses m ö g e a b e r n i e m a n d s o v e r s t e h e n , als w e r d e a n g e n o m m e n , d i e W e l t sei v o r h e r gleichsam neben der Gottheit, w e n n gleich n u r nach Art des A n a x a g o r a s v o r d e m ν ο ΰ ς als e l e m e n t a r i s c h e s C h a o s g e w e s e n , u n d h e r n a c h e r s t h a b e d i e G o t t h e i t sich o r d n e n d m i t i h r g e e i n i g e t . D e n n d i e s w ä r e g a n z g e g e n d i e A n a l o g i e , d a ja a u c h n a c h S a b e l l i u s n i c h t d i e P e r s o n des E r l ö s e r s v o r h e r d a w a r , u n d h e r n a c h die G o t t h e i t sich mit ihr e i n i g t e , s o n d e r n d i e P e r s o n w u r d e als d i e E i n i g u n g w u r d e ; u n d e b e n s o w a r a u c h die K i r c h e nicht u n d h e r n a c h einigte sich die G o t t h e i t mit ihr,

Vorstellung von der Trinität

289

sondern das Entstehen der Kirche und das Geistwerden der Gottheit war Eins. Und so ist jedes Personwerden der Gottheit auch das zweite und dritte schöpferisch: wievielmehr noch wird es mit dem ersten sich so verhalten, und das Entstehen der Welt mit dem Vaterwerden der Gottheit zusammenfallen. Hat nun Sabellius, worüber wir nichts wissen, auch nicht einmal ob überhaupt | die Frage bei ihm zur Sprache ge- 385 kommen, eine Schöpfung der Welt in der Zeit angenommen: so ist alsdann das erste Glied der Dreiheit auch darin den andern beiden gleich, daß es vor diesem Anfangspunkt gar nicht als eine besondere Umschreibung bestanden hat. Hat er aber die Welt ewig gesezt, so wäre das einzige, worin sich der Vater von Sohn und Geist unterschiede, dieses, daß leztere beide einen zeitlichen Anfangspunkt hatten, ersterer aber nicht. Aber auch in diesem Falle, der jedoch nicht wahrscheinlich ist, würde doch diese Ungleichheit verschlungen durch das ganz gleiche Verhalten aller drei Glieder gegen die Einheit. Dieses Verhältniß selbst nun ließe sich wol in dem Sinne des Sabellius nicht besser darstellen, als indem wir sagen, daß das höchste Wesen an und für sich und abgesehen von dieser Dreiheit, die μονάς, auch ganz in sich selbst sein würde und allen andern gänzlich unbekannt, daß es aber so auch nur sein könne, sofern nichts außer ihm wäre. Die Dreiheit aber ist der offenbare Gott und jedes Glied derselben eine eigene Weise der Offenbarung; die Gottheit aber in einer jeden von ihnen nicht eine andere, sondern nur dieselbige Eine, die uns aber nie an und für sich, sondern nur als das in diesen dreien selbige kund wird. Daher auch wenn Sabellius eine Schriftstelle so erklärt, als ob sich darin der Unterschied der einzelnen Glieder der Dreiheit aufhöbe, schreibt er dieses, wenn es auch Worte Christi sind, der in sich bleibenden Gottheit zu 115 ; so daß man sa-|gen 386; 556 kann, der Gegensaz zwischen dem verborgenen Gott und dem offenbaren sei in Verbindung mit einer Trinitätsvorstellung nicht vollständiger und schärfer durchzuführen als mit der des Sabellius, nach welcher

115

„[...] id sine dubio restat intelligi, ut unus idemque in se ipso manens de se ipso singulariter dicere videatur, Ego | in patre et pater in me, et qui me vidit, 386 vidit et patrem." D i s p u t . O p p . Ä t h a n . II. p.644.

31 id] Id

31-33 Vigilius Tapsensis: Contra Arianos, Sabellianos, etc. Dialogus 1,7 (Disputatio Athanasii cum Arrio), in: Athanasius Alexandrinus: Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 644B; MPL 62,184D 31 Statt vidit, vidit Q: videt, videt; vgl. ]oh 10,38 und 14,9

290

5

10

15

20

25

Vorstellung von der

Trinität

nämlich beides so zusammenfällt, daß die ganze Dreiheit der offenbare Gott ist, das göttliche Wesen aber an und f ü r sich in seiner Einheit ist der verborgene Gott. Wie aber dieses bei weiterer Ausbildung auf die Lehre von den göttlichen Eigenschaften von entschiedenem Einfluß gewesen wäre, wenn fest gestanden hätte, daß die Gottheit an sich eine unaussprechliche einfache N a t u r sei, von der also auch nie gesagt werden könne daß sie aus Wesen und Eigenschaften zusammengesezt sei, und alle Eigenschaften nur einem der drei προσώπων zukommen könnten, oder auch allen dreien als solchen gemeinschaftlich, das darf wol nur erwähnt werden um sogleich jedem einzuleuchten, so wie auch daß alles dieses immer in einem nie zu beruhigenden Schwanken bleiben mußte, wenn die Gottheit an sich, αύτόθεος, und der Vater, eine von den drei Personen, identificirt wurden. Eben so scheint es als ob, wenn man die Analogie festhält, daß alle lebendigen Kräfte in der Welt sich zu dem Vater verhalten müssen wie die Gnadengaben in der Kirche zu dem Geist, alsdann die Lehre von der Sünde und der Gnade in ihrem Gegensaz gegen einander einen bestimmteren und einfacheren Ausdruk würde erhalten haben, als unter dem | Einfluß der Athanasianischen 387 Vorstellung möglich war; ja man könnte vielleicht auch sagen, daß dann eine genauere und unbeweglichere Mitte wäre gefunden worden zwischen der manichäisirenden γνώσις, welche den δημιουργός und den Vater Jesu Christi f ü r verschieden hielt, und der e b i o n i t i s c h e n αφέλεια, welche das Christenthum nur als eine Reinigung des Judenthums ansah. Doch dies bedürfte beides einer weitern Ausführung, wel- 557 che hier nicht kann gegeben werden.

D a ß aber Sabellius auf das eifrigste darauf dringen mußte, daß sein verborgener Gott oder die μονάς und sein offenbarer Gott oder die τριάς nicht verschieden waren sondern derselbige, das versteht sich von selbst; denn je reiner seine Theologie sich von fremder Weisheit 30 hielt, da ja sie auf die stoische oder herakleitische Schule z u r ü k z u f ü h ren nur gegnerische Fantasie war, desto mehr mußte er dem Interesse des Glaubens vollkommen zu genügen suchen, welches ohne diese Festsezung in eine fast unheilbare Spaltung gerathen oder vielmehr in derselben geblieben sein würde. D a h e r auch konnte er mit dem vollsten 35 Rechte sich des Ausdruks bedienen, die Glieder der Dreiheit seien ομοούσιοι, wie es denn auch scheint als ob er zuerst sich dieses Wortes in einem genauen schulmäßig bestimmten Sinne bedient habe 116 : denn | 116

Aus H i l a r , de S y n o d . 86. („Male homousion Samosatenus confessus e s t . . . octoginta Episcopi olim respuerunt [...].") könnte man zwar schließen daß

21-24 Vgl. z.B. die Darstellung bei Martini: Versuch 10-22 30f Vgl. oben Anm. 103 38 f Hilarius: De synodis seu de fide Orientalium 86, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693,

Vorstellung von der Trinität

291

daß seine Formel solle μονοουσία gewesen sein, haben Einige nur aus 388; 558 Mißverstand angenommen 117 . Wenn aber Basilius 118 ihm das Recht be-

5

10

15

20

25

30

Paul von Samosata sich dieses Ausdruks selbst bedient habe und also eine Homousie des Vaters und Sohnes angenommen; ja mehrere | Stellen des H i - 388 larius über ihn (ebend. 81. und 82.) scheinen dies zu bestätigen. Allein man muß wol der Meinung den Vorzug geben, daß Hilarius eine falsche Vorstellung von Paulus Meinung gehabt hat, und daß dieser vielmehr auf der Seite des Artemon und Theodotus im wesentlichen gestanden. Daher man sich nur an dasjenige halten muß, womit auch A t h a n a s i u s de Synod. 43. [...] oi τον Σαμοσατέα κατακρίναντες επίσκοποι γράφοντες είρήκασι μή είναι όμοούσιον τον υϊόν τφ πατρί [...] übereinstimmt, und dieses (mit A t h a n a s . ibid. 45. und 47. [...] του Παύλου σοφίζεσθαί τε θέλοντος και λέγοντος, εί μή έξ ανθρώπου γέγονεν ό Χριστός θεός, ούκοϋν ομοούσιος έστι τφ πατρί κ. τ. λ.) so verstehen, daß Paulus seinen Gegnern gesagt, wenn sie seine Meinung bestreiten wollten, müßten sie annehmen daß der Sohn gleiches Wesens sei mit dem Vater, welches aber jene auch nicht gewollt. Daß aber Paulus diesen Ausdruk nicht etwa selbst erfunden, berichtet der zuerst angezogene Schriftsteller, welcher lehrt, daß auch Dionysius von Alexandrien schon diesen Ausdruk verworfen, und zwar [...] εμπροσθεν πολύ των έβδομήκοντα 558 των καθελόντων τον Σαμοσατέα [...] ibid. Wer also hat ihn gebraucht, gegen den Dionysius ihn verworfen? offenbar Sabellius, an welchen man auch allein denken kann bei der Stelle des Basilius [...] νυν μεν άναιρων τό όμοούσιον δια τον έπ' άθετήσει των ύποστάσεων κακώς αύτω κεχρημένον [.. .].Ep. IX, 2. Weiter aber geht wenigstens ein dogmatischer Gebrauch des Wortes nicht zurük. 117 ουτε γαρ υίοπάτορα φρονοΰμεν ώς οι Σαβέλλιοι λέγοντες μονοούσιον και ούχ όμοούσιον και έν τούτφ άναιροϋντες τό είναι υίόν. Ä t h a n Exp. fid. 2. wo aber λέγοντες nicht mit Σαβέλλιοι, sondern mit φρονοΰμεν zu verbinden ist, wie der ganze Zusammenhang deutlich genug zu erkennen giebt. 118 δταν γαρ εΐπω μίαν ούσίαν, μή δύο έξ ένός μερισθέντα νόει ... ού γαρ άδελφά λίγομεν κ. τ. λ. Homil. 4. Doch | scheint dies vorzüglich gegen die 389 13 γέγονεν] γένονεν

28 Σαβέλλιοι] Σαβέλλιος

1200Β; MPL 10,538Β 4f Vgl. Hilarius: De synodis 81.82, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 1196f; MPL 10,534f 9-11 Athanasius: De synodis 43,1, Benediktiner-Ausgabe Bd 1/2, Paris 1698, 757 C; ed. Opitz Bd 2/1, 268,17f; MPG 26,768 C 11-14 Zitat aus Athanasius: De synodis 45,4, Benediktiner-Ausgabe Bd 112,759B; ed. Opitz Bd 2/ 1,269,38-270,1; MPG 26,772 C; vgl. die Bezugnahme darauf in „De Synodis" 47,2, Benediktiner-Ausgabe Bd 112,761 D; ed. Opitz Bd2/1,272,8-12; MPG 26,777AB 16-20 Vgl. Athanasius: De synodis 43,4, Benediktiner-Ausgabe Bdl/2,757E; ed. Opitz Bd2/1,268,28; MPG 26,769A 22-24 Basilius Caesariensis: Epistola 9 (Maximo philosopho),2, Benediktiner-Ausgabe Bd3, Paris 1730, 91A; MPG 32,269Β 26f (Pseudo-)Athanasius: Expositio fidei 2, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 100B; MPG 25,204A 30f u. 15-18 Vgl. oben Anm. 89 und 95 30 Statt otav γαρ Q:'όταν δε

292

Yorstellung von der Trinität

streitet | sich dieses Ausdruks zu bedienen und denselben seiner Partei 389 vindiciren will: so beruht dieses auf einer Erklärung des Wortes, die weder grammatisch begründet ist, noch den Sprachgebrauch anderer Kirchenlehrer für sich hat. Denn nach dieser Erklärung wäre zwar der 5 Sohn dem Vater ομοούσιος nach der Nicäischen Vorstellung, weil er 559 von dem Vater seinen Ursprung hat, aber der heilige Geist wäre nicht dem Sohn ομοούσιος, weil er nicht von ihm, sondern auch von dem Vater seinen Ursprung hat, Sohn und Geist vielmehr wären einander gewissermaßen αδελφοί und also gewiß nicht ομοούσιοι; dann aber auch 10 ομοούσιος nic,hts gleichmäßig auf alle Glieder der Dreiheit anwend-|ba- 390 res, wie doch behauptet werden will. Mit dieser einen Erklärung stimmt aber wol kein Ort irgend einer Schrift zusammen, der für unabhängig von dieser sonderbaren Aeußerung des Basilius gehalten werden kann 119 . D a ß aber dieser Kirchenlehrer sagt, der Ausdruk ομοούσιος

15

Einwendung zu gehen, welche Paul von Samosata seinen Gegnern machte, daß wenn der Sohn ομοούσιος sei dem Vater, alsdann eine über beiden liegende (υπερκείμενη) ουσία angenommen werden müsse, in die sich beide getheilt hätten. Man vergleiche Athanas. de Synod. 45. [...] ούκοϋν ομοούσιος έστι τφ πατρί, και ανάγκη τρεις ούσίας είναι, μίαν [...] προηγουμένην, 20 τάς δε δύο έξ εκείνης [...]. Recht als wenn er ihnen den Sabellianismus vorgeworfen hätte, so wie Basilius ihn darstellt, die μονάς als ουσία υπερκείμενη und Vater und Sohn aus derselben abgetheilt. Allein bestimmter sagt Basilius dasselbe in Bezug auf Sabellius Ep. 52. Denn nachdem er ausdrüklich die Bedeutung des Wortes so beschränkt ού γαρ τά άδελφά άλλήλοις όμοού25 σια λέγεται, δπερ τινές ΰπειλήφασιν άλλ' δταν και τό αίτιον και τό έκ τοΟ αιτίου την ΰπαρξιν εχον της αύτης ύπάρχη φύσεως, ομοούσια λέγεται, welches auch noch zunächst gegen die Darstellung des Paulus geht, fährt er fort: αδτη δε ή φωνή - also doch offenbar in demselben Sinne - και τό του Σαβελλίου κακόν έπανορθοΟται. αναιρεί γαρ την ταυτότητα της υποστάσεως και 30 εισάγει τελείαν των προσώπων την έννοιαν. ού γαρ αΰτό τι εστίν έαυτφ όμοούσιον, άλλ' ετερον έτέρφ [...]. 119 Greg. T h a u m . de fide 2. όμοούσιον [...] λέγεται τό ταυτόν τη φύσει και τη άϊδιότητι άπαραλλάκτως. P s e u d o - A t h a n . Dial. 1. de Trin. 11. όμοού-

18 ούκοϋν] οϋκουν

33 11] II

18-20 Athanasius: De synodis 45,4, Benediktiner-Ausgabe Bdl/2, Paris 1698, 759B; ed. Opitz Bd2/1,270, I f ; MPG 26,772 C (vgl. oben 291,13) 22-31 Vgl. Basilius Caesariensis: Epistola 52 (Ad canonicas), 2 f , Benediktiner-Ausgabe Bdi, Paris 1730, 145E-146A; MPG 32,393 C 32 f Gregorius Thaumaturgos: De fide 2, ed. G. Vossius, Mainz 1604, S. 31; MPG 10,1128 Β 32 u. 15-17 (Pseudo-)Athanasius: De sancta trinitate dialogus 1,11, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 479B; MPG 28,1133B

Vorstellung von der Trinität

293

führe auf eine bestimmte Begrenzung der προσώπων, das allerdings läßt sich Sabellius wol gefallen. Denn wie hätte er selbst diejenigen verwerfen können, welche Vater Sohn und Geist läugnen 120 , wenn er selbst sie nicht unterschieden hätte, da jedes Nichtunterscheiden allemal das 5 Läugnen des einen oder des andern gewesen wäre. Auch geht aus dem Bisherigen hoffentlich zur Genüge hervor, wie bestimmt Sabellius die Glieder seiner Dreiheit unterschied, und wie genau man noch im Stande ist bei richtiger Verfolgung der wenigen Spuren einer jeden ihr eigenthümliches Gebiet in seinem Sinne anzuweisen. Wenn demohnge10 achtet nicht zu läugnen ist, daß seine Gegner bald ihm zugestehen daß er drei πρόσωπα angenommen, und ihn nur tadeln, daß er ihnen keine eigene ύπόστασις zugestehe, bald wieder ihn beschuldigen daß er nur Ein πρόσωπον annehme, dem er nur | in verschiedenen Hinsichten ver- 391 schiedene Namen beilege 121 : so scheint es damit so zusammenzuhän- 560 15

σιόν έστιν δ τον αυτόν επιδέχεται λόγον της ουσίας· οιον άνθρωπος ανθρώπου ούδέν διαφέρει, καθό άνθρωπος έστιν ... οϋτω και θεός θεοΟ ουδέν διαφέρει, η θεός έστιν. Und überall kann man nur dieses finden. 120 „[...] Ego tibi Sabellium lego anathema dicentem his qui patrem et filium et spiritum sanctum ausi sunt denegare [...]." Bibl. max. patr. Lugd. VIII. p. 20 204. 121 Für das erste ist außer den bereits angeführten Stellen vorzüglich noch zu merken 'Ιουδαϊσμός έστιν ό Σαβελλισμός έν προσχήματι χριστιανισμού τφ εύαγγελικφ κηρύγματι έπεισαγόμενος· ό γαρ εν πράγμα πολυπρόσωπον λέγων πατέρα και υίόν και αγιον πνεϋμα κ. τ. λ. Basil. Ε p. 210, 3. Stellen 25 von der andern Art sind ζ. Β. και τους λέγοντας δέ τον αυτόν είναι πατέρα και υίόν και αγιον πνεϋμα καθ' ένός και τοΟ αύτοΟ πράγματος τε και προσώπου τά τρία ονόματα ασεβώς εκλαμβάνοντας ... τοιούτοι γάρ είσιν οί πατροπασσιανοί μεν παρά 'Ρωμαίοις, Σαβελλιανοί δέ καλούμενοι παρ' ήμΐν. Äthan, de Synod. 26. in der πίστις δια πολλών VII. - μία ύπόστασις [...] 30 και εν τριώνυμον πρόσωπον [...]. T h e o d . fab. haer. - [...] και [...] τους μεν (τοΟ Σαβελλίου) 'Ιουδαίων ούδέν άμεινον διακειμένους εύρήσει, πλην όσον ύπέρ ονομάτων διαφέρονται μόνον [...]. C h r y s o s t . de S a c e r d o t . IV. T.I. p.409. - Σαβέλλιος γοΟν ό Λίβυς ... την άπό τών φημάτων τούτων έγ33 Λίβυς] λιβύς

33 άπό] από

18-20 Arnobii Junioris et Serapionis conflictus 1,3, in: Maxima bibliotheca veterum patmm, ed. M. de la Bigne, Bd8, Leiden 1677, 204 G; MPL 53,243A 22-24 Basilius Caesariensis: Epistola 210 (Ad primores Neocaesareae), 3, Benediktiner-Ausgabe Bd3, Paris 1730, 315 A; MPG32,772B 25-29 Athanasius: De Synodis 26, Benediktiner-Ausgabe Bdl/2, Paris 1698, 740DE; ed. Opitz Bd2/1,253,14-18; MPG 26,732 C 29f Vgl. Theodoret: Haereticarum fabulamm compendium 2, 9, ed. Schulze Bd4, Halle 1772, 335; MPG 83,396 C 30-33 Vgl. Joannes Chrysostomus: De sacerdotio 4,4, ed. B. de Montfaucon Bdl, Paris 1718, 409E; SC 272,258, 63-66 33 u. 32-34 Joannes Chrysostomus: De consubstantiali contra

294

5

10

15

20

25

30

35

Vorstellung

von der

Trinität

gen. Sowol insofern als die Dreiheit sich zur Einheit verhält wie der offenbare Gott zu dem verborgenen, als auch sofern jedes Glied der Dreiheit nur aus der Einigung der Gottheit mit einem andern entsteht, wie die χαρίσματα aus der Einigung des πνεϋμα mit dem intellectuellen Vermögen des Menschen, in beider Hinsicht verhält sich jedes Glied der Dreiheit zur μονάς wie ein Aeußeres zu seinem Inneren. Dieses Verhältniß wird ausgedrükt auch durch das πλατύνεσθαι. Denn f ü r die Gottheit als s i m p l e x n a t u r a giebt es kein anderes räumliches Bild als den Punkt. Soll aber dieser kund werden, so kann das nur geschehen indem Inhalt oder Oberfläche entsteht, welche auf | den Punkt bezogen 392 wird, der nun in dieser Beziehung, nicht aber an sich, ins Bewußtsein kommt. Es sind also zusammenhängende bildliche Ausdrükke, daß das gleichsam Entstehen eines Gliedes der τριάς als ein πλατύνεσθαι beschrieben wird, das entstandene aber als ein πρόσωπον: denn jedes ist ein besonderes dem Bewußtsein zugewendetes Antliz gleichsam, in welchem das innere oder der Mittelpunkt zum Bewußtsein kommt durch nothwendige Voraussezung. Jedes χάρισμα ist gleichsam ein πρόσωπον 56/ des πνεϋμα, aber das aus ihnen allen auch nur als nothwendige Voraussezung zusammengeschaute πνεϋμα ist eben so ein πρόσωπον der Gottheit. Insofern nun nahm Sabellius drei πρόσωπα an, weil er als Christ nur diese drei Kundgebungen der Gottheit anerkannte, diese aber auch bestimmt von einander unterschied. Diese bestimmte Unterscheidung nun war ihm die τελεία των προσώπων έννοια; denn der Sohn war ihm nicht der Vater, weil mit anderem geeiniget und in anderer bestimmter Wirksamkeit beschlossen, und nur Mißverstand aus Nichtunterscheidung der μονάς und des Vaters hervorgegangen konnte ihm das Gegentheil Schuld geben, aber die Gottheit des Sohnes und des Vaters war ihm dieselbige. Wenn nun aber die Kirchenlehrer von der andern Seite mit jenen Demonstrationen auftreten, daß λόγος und σοφία müßten ούσιωδώς hervortreten, weil Gott σύνθετος sein würde, wenn dies nicht wäre 122 , so sah hierin Sabellius auch mit Recht den Untergang der

122

γύτητα προς τον γεγεννηκότα έμφαινομένην εις ασεβείας ΰπόθεσιν καί ένός προσώπου καί μιας υποστάσεως ύπόνοιαν ήρπασεν. Id. Horn. c. Anom. VII, 4. T.I. p.507. S. Äthan, c. Arian. Or. IV, 1. 2.

30 σύνθετος] σύνθετος

33 προσώπου] προσώπου

Anomoeos homilia 7,4, ed. Montfaucon Bdl,506E-507A; MPG 48,761f 35 (Pseudo-) Athanasius: Oratio contra Arianes 4,1f, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Pans 1698, 618A-E; MPG 26,468 C-469B

Vorstellung von der

5

10

15

20

295

christlichen τριάς, weil man soviel sol-|cher γεννήματα aufstellen müsse, 393 als sich göttliche Vollkommenheiten annehmen ließen; und wenn jene dann noch wollten, die Gottheit des λόγος solle eine andere abgeleitete sein, so müßte er dann sagen, daß er auf solche Weise und in diesem Sinne nicht könne mehrere πρόσωπα annehmen 1 2 3 . D a ß er selbst aber jemals sollte gesagt haben, es gebe nur Ein göttliches πρόσωπον, glaube ich nicht, ausgenommen von der Zeit vor der Menschwerdung des Sohnes. Es wäre auch selbst gegen die Bedeutung, welche seine Gegner nicht ohne Gehässigkeit ihm f ü r den Ausdruk πρόσωπον unterlegen, es bedeute nämlich bei ihm nur eine Rolle welche die Gottheit gegen uns 562 spiele 124 ; denn wer nur Eine Rolle spielt, der spielt eigentlich keine. M e h r hat allerdings Sabellius gemeint, wenn auch er die drei πρόσωπα nennt; denn die Einigung mit anderem bringt auch ein anderes bestimmtes Geschäft, daß ich so sage, mit sich, welches Wahrheit ist und nicht Spiel; wie dieses auch durch die W o r t e des Basilius hindurchschimmert; wahrscheinlich aber ist doch der Ausdruk πρόσωπον ihm nicht eigen, sondern er borgt ihn nur | von den Gegnern, wie im Gegen- 394 theil diesen wahrscheinlich das πλατύνειν nicht eignet 125 , sondern nur von Sabellius geborgt ist. Dem Bestreben, den Gegensaz zwischen Sabellius und der kirchlichen Lehrweise in der Sprache der lezteren festzustellen, steht über123

25

Trinität

124

30 125

„Ne . . . duos nihilominus deos separatim distinctos adserere convincaris, aut . . . nescio quam personarum biformitatem portento alicui similem [...]." D i s p u t . O p p . Ä t h a n . II. p.644. [ . . . ] και νϋν μεν τάς πατρικάς έαυτφ περιτιθέναι φωνάς, δταν τούτου καιρός fj τοΰ προσώπου, νϋν δέ τάς υίφ πρέπουσας, δταν προς την ήμετέραν έπιμέλειαν ή προς αλλας τινάς οΐκονομικάς ένεργείας ύποβαίνη· νϋν δέ τό τοΰ πνεύματος ύποδύεσθαι προσωπεϊον κ. τ. λ. B a s i l . Ep. 214. - „ N o n enim hie per demutationem nominum atque specierum filius, qui via est et Veritas et vita, mimis theatralibus ludit, cet." H i l a r , de trinit. VII, 39. δυτως μεν ήμεϊς ε'ίς τε την τριάδα την μονάδα πλατύνομεν άδιαίρετον, και τήν τριάδα πάλιν άμείωτον εις την μονάδα συγκεφαλαιούμεθα. So sagt D i o nysius bei Ä t h a n , de sent. D i o n .

31 τε τήν] τε την

22-24 Vigilius Tapsensis: Contra Arianes, Sabellianos, etc. Dialogus 1, 7 (Disputatio Athanasia cum Arrio), in: Athanasius Alexandrinus: Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Paris 1698, 644C (vgl. oben Anm. Iii) 25-28 Basilius Caesariensis: Epistola 214 (Terentio comiti), 3, Benediktiner-Ausgabe Bd3, Paris 1730, 322 C; MPG 32,788 C (vgl. oben Anm. 85) 28-30 Hilarius: De trinitate 7,39, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 942 D; CChr 62,306,6-8 (vgl. oben Anm. 113) 31-33 Athanasius: De sententia Dionysii 17,2, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 255B; ed. Opitz Bd2/l,58,24f; MPG 25,505A

296

Vorstellung von der Trinität

haupt das schwankende in dieser Sprache sehr im Wege. Vorzüglich müssen wir uns an die Ausdrükke halten ούσία, ύπόστασις und πρόσωπον. Beide Theile sind darin einig, durch ούσία dasjenige zu bezeichnen, was in den Dreien die Einheit repräsentirt; nur will Sabellius sich nicht mit einer gleichsam schlaffen und losen Einheit des Wesens begnügen. Denn dem Sabellius genügt nicht an einer Gemeinsamkeit des Wesens in den Dreien 126 , sondern er erkennt nur Eines in ihnen, und dieses Eine Wesen soll nach ihm auch nicht in den Dreien sein wie 563 in gleichartigen Dingen die Art ist 127 . Daher wie er sich für die Bezeichnung der einzelnen Glieder der τριάς auch das πρόσωπον nach der oben gegebenen Erklärung gefallen ließ, so war der Hauptstreit fixirt in dem mittlem Ausdruk ύφεστάναι und ύπόστασις. Denn Sabellius behauptete, wie die Gottheit nur Ein Wesen habe, so sei sie auch nur Eine Substanz, worin allerdings liegt, daß in ihr der Gegensaz zwischen | dem Allgemeinen und Einzelnen aufgehoben sei, da wie man ούσία und 395 ύπόστασις unterscheidet, das leztere Wort immer die Selbständigkeit des Einzelnen anzeigt. Seine Gegner nun erklärten, wer nicht das eigenthümliche verschiedener Hypostasen annähme in der Gottheit, der könne die Gottheit des Sohnes nicht anerkennen und judaisire also 128 . Er hingegen, wer die Gottheit in dem Sohn für eine andere halte als die im Vater, und das wäre sie wenn sie als solche ein ιδιάζον hätte 129 , der seze eben dadurch mehrere Götter, wenn auch mit demselben göttlichen Wesen. Darum konnte er auch die drei πρόσωπα nur als ανυπόστατα zugeben, weshalb die Gegner, in denen sich einmal die Vorstellung von hypostasirten προσώποις festgesezt hatte, seine Ansicht zum Theil auch so darstellten, als nähme er nur Ein πρόσωπον an, dem er

126

127

12β

129

[ . . . ] ώσπερ ό τό κοινόν της ουσίας μή όμολογών εις πολυθεί'αν έκπίπτει[...]. Basil. Ep. 210. [ . . . ] τριών γε κατά άλήθειαν ύφεστώτων εν τό είδος έννοώμεν [ . . . ] . Ä t h a n , c. Sab. G r e g . 12. [ . . . ] ό τό ιδιάζον των υποστάσεων μή διδούς εις τον Ίουδαϊσμόν ύποφέρεται. Basil. Ep. 210, 5. „ [ . . . ] indiscretae et indissimilis in patre et filio naturae impie arripuit unionem [ . . . ] . " H i l a r , de T r i n .

27f Basilius Caesariensis: Epistola 210 (Adprimores Neocaesareae), 5, Benediktiner-Ausgabe Bdi, Paris 1730, 316E; MPG 32,776 Β 29£ (Pseudo-)Athanasius: Contra Sabellii gregales 12, Benediktiner-Ausgabe Bd2, Pans 1698, 46B; MPG 28,116C 31 f Vgl. oben Anm. 126 33 f Hilarius: De trinitate 7, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 918B; CChr 62,264,5/

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

25

nur mehrere Namen gäbe 130 . Auch darin kann etwas wahres sein; denn es läßt sich wol denken daß Sabellius gesagt habe, was für uns ein πρόσωπον sei, das sei für die μονάς selbst, die gar keine reale Mannig- 564 faltigkeit zulasse, nur ein δνομα, wodurch er scheinen konnte auf das kräftigste jene ursprüngliche und ewige Objectivität der Glieder der Dreiheit zu läugnen, welche der Widerpart durch den Ausdruk, daß jedes dersel-|ben eine eigene ύπόστασις sei, behauptete. Nur kann niemals 396 Sabellius δνομα und πρόσωπον in Verbindung mit einander jenes als Vielheit und dieses als Einheit gebraucht haben. Betrachtet man nun den Streit von diesem Mittelpunkte aus, auf welchen alles von allen Enden hinweiset: so scheint er ganz darauf hinauszulaufen, daß Sabellius behauptet, die Dreiheit sei nur etwas in Bezug auf verschiedene Wirkungsarten und Wirkungskreise der Gottheit, indem sie als weltregierend in ihrer allgemeinen Wirkung auf alles endliehe Sein Vater sei, als erlösend aber in ihrer besonderen Wirkung in der Person Christi und durch sie sei sie Sohn, als heiligend aber in ihrer gleichfalls besonderen Wirkung in der Gesammtheit der Gläubigen und als Einheit derselben sei sie Geist. Wogegen nun die kirchlich gewordene Lehrweise behauptet, die Dreiheit sei etwas in der Gottheit rein innerlich und ursprünglich gesondertes, auch abgesehen von diesen verschiedenen Wirkungen, und die Gottheit würde Vater Sohn und Geist gewesen sein an sich selbst auf ewige Weise, wenn sie auch nie geschaffen, nie sich mit einem einzelnen Menschen geeiniget und nie in der Gemeinschaft der Gläubigen gewohnt hätte. Fragt man nun, wenn dieses die ganze Verschiedenheit ist, wie steht es denn um die Beschuldigung der Irreligiosität, welche der Lehre des Sabellius ist gemacht worden131? Was für eine | Lästerung liegt darin gegen den Vater, wenn nicht 397; 565 130

30

297

131

εί δέ τό εν διώνυμον, Σαβελλίου τό επιτήδευμα [...]. Äthan, c. Ar. Or. IV, 9. - [...] εν τριώνυμον πρόσωπον [...]. T h e o d o r e t . 1. c. περί γαρ τοδ νϋν κινηθέντος έν τη Πτολεμαι'δι της πενταπόλεως δόγματος δντος άσεβους και βλασφημίαν πολλήν έχοντος περί τοΟ παντοκράτορος θεοΰ και πατρός τοϋ κυρίου ήμων | Ίησοϋ Χρίστου, άπιστίαν τε πολλήν έχοντος 397 περί τοΟ μονογενοϋς παιδός αΰτοΟ και πρωτοτόκου πάσης κτίσεως, τοϋ ένανθρωπήσαντος λόγου, άναισθησίαν δέ τοϋ άγιου πνεύματος. Dionys. 565

14 w e l t r e g i e r e n d ] W e l t r e g i e r e n d andrinus

34 u. 23 D i o n y s . Alex.] Abk. für

D i o n y s i u s Alex-

28 (Pseudo-)Athanasius: Oratio contra Arianes 4,9, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 623 D; MPG 26,480A 29 Oben 293,30 3 0 - 3 4 u. 23 Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 7,6, ed. Valesius, Mainz 1672, 252D; ed. Schwartz 273f

Vorstellung von der

298

5

10

is

20

Trinität

die, daß er bei Sabellius nicht wie bei den Andern als einer von den Dreien die Quelle der Gottheit f ü r die andern beiden ist 132 ? Allein hier könnte wol Sabellius das W o r t gegen seine Widersacher wendend sagen, dieses behaupten sei eine Lästerung gegen den Sohn und den Geist, ja gegen die Idee der τριάς selbst, wenn zwei Glieder derselben nicht unmittelbar, sondern nur durch das dritte Theil hätten an der Einheit des göttlichen Wesens. Und wie kann man sagen daß derjenige nicht an den παις μονογενής glaube, welcher doch bekennt daß, was an ihm Sohn ist, auch einzig gezeugt sei, indem die Gottheit in keinem Andern Einzelnen auf eine eigenthümliche Weise ist als nur in diesem, und der nur die Gottheit des Sohnes nicht will auf irgend eine Weise geringer als die des Vaters sein oder erscheinen lassen. | O d e r wie kann der 398 einer Unempfindlichkeit f ü r den Geist beschuldiget werden, welcher in den Gaben desselben die reinsten Bilder des höchsten göttlichen Geheimnisses selbst erblickt, und der also noch mit einer besondern Freude in diese Bilder hineinschaut? Doch vielleicht sollen wir den rechten Schlüssel zu dieser Beschuldigung und zü der, wiewol nie auf einer gleichzeitigen Synode nach ausdrüklichen Verhandlungen erfolgten, Verkezerung des Sabellius in einer Stelle des Basilius finden, weleher f ü r unmöglich erklärt, daß eine Seele, welche nicht die Vorstellungen von den Eigenthümlichkeiten der Glieder der Dreiheit unvermischt 566 in sich fest halte, in die Doxologie einstimmen könne 133 . Es ist zwar

Alex, bei E u s e b i u s Η. Ε. VII, 6. - „Idcirco ne . . . haeresis unionis irreperet, haec impietas damnatur cet." H i l a r i u s d e S y n o d . 26. aus den Ancyrani25 sehen Erklärungen. - „Hinc et Sabellius dum quod ego et pater unum sumus non intelligit, sine D e o patre et sine D e o filio est." Id. ad C o n s t . II, 9. was ganz an die Art, wie schon Tertullian den Praxeas behandelte, erinnert: und gewiß würde Hilarius ihm auch den heiligen Geist nicht gelassen haben, wenn an dieser Stelle davon hätte die Rede sein können. 30 132 ζ. Β. άλλ' εστι μεν ό πατήρ, τέλειον έχων τό είναι και ανελλιπές, ρίζα και πηγή τοϋ υϊοΰ και τοΟ πνεύματος [...]. A t h a n a s . c. Sab. G r e g . 11. 133 άμήχανον γαρ μή έν τοις έκαστου ΐδιώμασι την διάνοιαν γενομένην άσύγχυτον, δυνηθηναι πατρί και υίφ και άγίφ πνεύματι τήν δοξολογίαν άποπληρωσαι. Ερ. 210, 4.

23 ne] rev.

31 11] II

23 Vgl. oben 275,21f 25£ Hilarius: Liber ad Constantium imperatorem 9 (Ad Constantium Augustum liber 2), Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693, 1230C; CSEL 65,204,4-6; vgl. Joh 10,30 30f (Pseudo-)Athanasius: Contra Sabellii gregales 11, Benediktiner-Ausgabe Bd 2, Paris 1698, 45 F; MPG 28,116 Β 32-34 Basilius Caesariensis: Epistola 210 (Adprimores Neocaesareae), 4, Benediktiner-Ausgabe Bd 3, Paris 1730, 316 A; MPG 32,773 C

Vorstellung von der Trinität

299

schwer dergleichen ernsthaft zu behandeln, indeß lohnt es doch. D a ß nun die zahlreichen Sabellianischen Gemeinen keinesweges selbst so dachten, und etwa die Doxologie als ihrer Lehre widersprechend ausließen, ist wol gewiß; denn dies könnte nicht verschwiegen geblieben sein. Aber eben diese danksagende Verherrlichung hat es doch immer nur mit den Wohlthaten und heilsamen Wirkungen der einzelnen Glieder der Dreiheit zu thun, und als eigenthümliche Quelle von diesen unterschied Sabellius sie bestimmt, denn es war eine besondere Einigung der Gottheit, leicht und einfach zu unterscheiden, welche das Gebiet eines jeden Gliedes bestimmte, und so konnte demnach bei ihnen die | μονάς 399 verherrlicht werden als Va'ar Sohn und Geist, und in dieser Verherrlichung sich die ganze chr.stliche Frömmigkeit zusammendrängen auf der μοναρχία und der οικονομία ruhend. Soll aber hier von den transcendenten Bestimmungen die Rede sein: so könnte billig Sabellius fragen, wie wol der Betende in dem Sohne die gezeugte Gottheit und in dem Geiste die auf unaussprechliche Weise von dem Vater ausgehende anbeten, beides aber von einander unterscheiden soll, da er ja bei der Zeugung des Sohnes auch an keine menschliche denken darf und also diese eben so sehr etwas unaussprechliches ist. Auch diesen Vorwurf also konnte Sabellius, je nachdem er gemeint war, abweisen oder wiedergeben, und niemand wird behaupten können daß der christlichen Frömmigkeit aus seiner Lehrweise irgend ein Nachtheil erwachse. Noch weniger aber haftet auf dem Sabellius die Beschuldigung des Judaisirens, welche nur denen mit Recht gemacht werden kann, welche die Gottheit in Christo nicht anerkennen von Artemon bis auf Paul von 567 Samosata und die ähnlichen späteren, von welchen sich aber Sabellius eben so weit, ja noch weiter entfernt als seine Gegner, wiewol diese aus U n k u n d e bisweilen den Paulus mit ihm zusammenwerfen 1 3 4 . | Sabellius 400 aber erkannte nicht nur die Gottheit in Christo, sondern er that dieses auf eine solche Weise, daß im Vergleich mit ihm noch die Athanasianer

134

Σαβέλλιος δέ τοϋ Σαμοσατέως Παύλου και των κατ' αύτόν έπιδέδεικται τήν γνώμην [...]. Äthan, c. A p o l l i n . II, 3. Allein des Athanasius Ansicht von Paulus stimmt nicht mit dem, was wir am meisten authentisch über ihn wissen: und die einzige Uebereinstimmung zwischen ihm und Sabellius könnte nur darin bestehen, daß beide einen hypostatisch aus der Gottheit heraustretenden λόγος läugneten.

32 3] 4

31 f (Pseudo-)Athanasius: De incarnatione contra Apollinarem 112,942D; MPG 26,1137Α (vgl. oben 2T>,20f)

2,3, Benediktiner-Ausgabe

Bd

300

5

10

15

20

25

30

Vorstellung von der Trinität

judaisiren. Denn indem diese behaupten daß auch im alten Bunde der Sohn schon sei anerkannt worden, so heben sie den wesentlichen Unterschied zwischen Judenthum und Christenthum zum größten Theile auf. Sabellius aber, welcher läugnet daß der Sohn schon im alten Bunde vorkomme, und diese göttliche Offenbarung für eine neue erst mit der Erscheinung Christi beginnende erklärt, mußte sich weit kräftiger gedrungen fühlen das Judenthum für unzureichend zu achten. Jene Stelle des Dionysius aber giebt natürliche Veranlassung mit einigen Bemerkungen über die Art, wie dieser angesehene Lehrer dem Sabellius entgegentrat, auch die Darstellung der geschichtlichen Verhältnisse dieser Ansicht zu beschließen, indem wir auf den Anfang derselben zurükgehen. Diese ganze Lehrweise, wie wir sie von ihren ersten Anfängen an verfolgt haben, konnte sich rein für sich, ohne durch Polemik gereizt zu werden, so ausbilden wie geschehen ist, indem man lediglich ausging von dem, was in den allen Christen gemeinsamen Vorstellungen von Offenbarung durch Christum und Glauben an Christum, so wie von dem was Schrift und Geschichte von den Gaben und Kräften des Geistes melden, ausging. Daß sie von Anfang an einen bestimmten Gegensaz bildet gegen jene nazoräisirende Ansicht, die man, den Buchstaben 568 an sich betrachtet, nicht mehr, sondern nur dann noch gern für christlich halten kann, | wenn ein ernster Geist christlichen Lebens ihren An- 401 hängern das Zeugniß giebt, besser zu sein als ihre Lehre, das ist hoffentlich klar. Auch daß dieser Gegensaz beabsichtigt gewesen, kann man schließen daraus, daß Noetus, sobald er angegriffen wurde, sich dieses zum Verdienst anrechnete 135 , ja es scheint auch als ob er die Wendung, die Erscheinung der Gottheit in Christo auf die Analogie mit allen andern Theophanien zurükzuführen, vorzüglich deshalb gewählt, um jenen dadurch den Glauben daran leichter zu machen, als er ihnen werden konnte, wenn die eine Thatsache ganz allein da stand. Aber von einem Einfluß gegnerischer Polemik auf die Wahl der Ausdrükke und Formeln ist weder bei Noetus, noch Praxeas und Beryllus etwas zu mer135

τί ουν κακόν ποιώ δοξάζων τον Χριστόν; Hippolyt, c. Noet. 1.

17 Glauben an Christum] zu ergänzen wohl: liegt (so SW) (auch SW): melden.

8 Oben Anm. 131 MPG 10,804 Β

19 melden, ausging.] Kj

33 Hippolyt: Contra Noetum 1, ed. Fabricius Bd2, Hamburg 1718, 6,

Vorstellung

5

10

15

20

25

30

35

von der

Trinität

301

ken; sondern die weitere Entwiklung ging bis auf den Sabellius um so mehr ruhig von statten, als sie ziemlich entfernt vor sich ging von dem Schauplaz früherer theologischer Streitigkeiten. Und auch bei Sabellius, so weit man aus den spärlichen Nachrichten vermuthend zusammenschauen kann, ist es leicht, von den ursprünglichen Formeln diejenigen zu sondern, welche durch die Einwendungen der Gegner und in Beziehung auf sie entstanden sind, welches unstreitig f ü r die innere Freiheit und Consequenz der Ansicht ein vortheilhaftes Zeugniß giebt. Aber woher nun gegen diese ganze Bildung eine Polemik, die keinesweges von denjenigen ausging, de-|nen sie am meisten entgegengesezt war? 402 Wir können sie schwerlich anders als die Polemik der Alexandrinischen Schule benennen; denn aus dieser und gleichsam in ihrem Namen trat Origenes auf gegen Beryllus, und Dionysius gegen Sabellius. Von Hippolytus, dem Gegner Noetus, wissen wir nicht, von wannen er gekommen ist, und Tertullian hing mit dieser Schule wenigstens nur sehr mit- 569 telbar zusammen. Beide aber sind doch erfüllt von denjenigen Alexandrinischen Vorstellungen, auf welche es hiebei vorzüglich ankommt, nämlich dem substantiellen Hervortreten des λόγος aus der Gottheit, welches eben die abgeleitete und ebenbildliche Gottheit des Sohnes ausmacht. Damit vertrug sich nicht die Lehre des Beryllus vom zeitlichen Anfang eines gleichsam eigenen Seins der Sohnsgottheit, darum trat Origenes dagegen, sobald er Kenntniß davon bekam und noch weniger stimmte dazu die noch vollständiger ausgebildete und mit weiter Verbreitung drohende Lehre des Sabellius. Gegen diese nun wollte Dionysius die schon seit Clemens in der Alexandrinischen Schule überlieferte Lehre vertheidigen mit großer kirchlicher Mäßigung auf der einen Seite, indem er es nicht darauf anlegte, die Pentapolitanischen Christen oder ihre Häupter in den Bann zu thun, aber doch mit großer Heftigkeit auf der andern Seite, wie schon die angeführte höchst leidenschaftliche Stelle zeigt. Durch eben diese Leidenschaftlichkeit hat nun wol die Alexandrinische Lehre manches schwierige erhalten, was sie vorher nicht hatte, wiewol doch alles was Dionysius behauptet, völlig im Geist der Schule seines Ortes war. Aber eben die von | ihm stär- 403 ker hervorgehobene Theorie ist dieselbige, welche hernach Arius vertheidigte gegen Formeln, welche ihm Sabellianisch erschienen. Denn um nur eines herauszuheben, wenn die Ungezeugtheit oder Unzeug-

10 entgegengesezt] entgegensezt

29 f Anm. 131

302

Vorstellung von der Trinität

barkeit das Wesen Gottes selbst ist136, so ist die gezeugte Gottheit des Sohnes dieses Wesens nicht theilhaftig, also auch nicht aus demselben, sondern entweder aus anderem oder aus Nichtseiendem, und, sofern durch das Gegentheil nämlich die Gezeugtheit oder Zeugbarkeit cha5 rakterisirt, würde auch das Wesen der Gottheit des Sohnes jenem unähnlich sein. Dies geben auch die Vertheidiger des Dionysius selbst zu, 570 und wenden nur ein, daß man das in der Hitze des Streites gesagte nicht zu genau nehmen müsse 137 . | Allein es stimmt alles mit der Grund- 404 136

Ei μεν γαρ αυτό άγέννητόν έστιν ό θεός, καί ούσία έστίν αύτοϋ ώς άν εϊποι τις ή άγεννησία κ. τ. λ. Dionysius bei Eusebius Praep. evang. VII. 19. 137 φασί τοίνυν έν επιστολή τον μακαρίτην Διονύσιον είρηκέναι ποίημα καί γενητόν είναι τον υίόν τοϋ θεοϋ, μήτε δέ φύσει ϊδιον άλλα ξένον κατ' ούσίαν αυτόν είναι τοϋ πατρός ... ναι εγραψεν όμολογοϋμεν καί ήμεΐς είναι τοιαύτην έπιστολήν αύτοϋ [...]. Äthan, de sent. Dion. 4. Das von Andern 15 sehr urgirte Bild, daß Vater und Sohn sich verhalten wie Weingärtner und Weinstock, will ich ihm weniger zurechnen, weil er dadurch wahrscheinlich nur im allgemeinen, zwei verschiedene Gleichnisse Christi zusammenfassend, die Ungleichheit als von Christo selbst bezeugt hat darstellen wollen. [...] επειδή γαρ είρπεν ή Σαβελλίου αϊρεσις, ήναγκάσθη ... τά ανθρωπίνως 20 καί εύτελώς περί τοϋ Σωτήρος είρημενα ρίψαι κατ' αύτών [...]. ibid. 9. und vorher [...] ού δει δέ τά κατ' οίκονομίαν γραφόμενα καί γινόμενα, ταύτα κακοτρόπως δέχεσθαι, καί εις τήν ιδίαν έκαστο ν ελκειν βούλησιν. ibid. 6. Und eben so Basilius von ihm: σχεδόν γάρ ταυτησί της νϋν περιθρυλλουμένης άσεβείας της κατά τό άνόμοιον λέγω, ούτος έστιν, | όσα γε ήμεΐς ΐσμεν ό 404 25 πρώτος [...] τά σπέρματα παρασχών. αίτιον δέ [ . . . ] τό σφόδρα βούλεσθαι άντιτείνειν τφ Σαβελλίω ... φ γε τοσούτον έξαρκούν δεΐξαι, δτι ού ταυτόν τφ ύποκειμένφ πατήρ καί υίός, καί ταϋτα έχειν κατά τοϋ βλασφημοϋντος τά νικητήρια, was ziemlich oberflächlich gesagt ist: denn in dem Sinne, daß ύπο10

9 αύτοΟ] αύτοϋ 9 άν] αν 10 19] 18 11 τοίνυν] τοΟτον 19 είρπεν] είρπεν 20 αύτών] αύτων 22 βούλησιν.] βούλησιν 24 λέγω, ούτός έστιν,] λεγω, ούτός έ σ τ ι ν 24 δσα γε] δσαγε 26 άντιτείνειν] άνατείνειν 27 ύποκειμένφ] ύποκειμένφ 28 νικητήρια] νικήτηρια 28 u. 24 ύποκείμενον] ύποκέιμενον

9f Eusebius Caesariensis: Praeparatio evangelica 7,19,3, ed. F. Vigerus, Paris 1628, 333D; GCS 8/1,401,12f 11-14 Athanasius: De sententia Dionysii 4,2f, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, Paris 1698, 246A; ed. Opitz Bd2/1,48,19-24; MPG 25,48)A 14-16 Anspielung auf Martinis Interpretation der von Schleiermacher im vorigen Athanasius-Zitat ausgelassenen Stelle (Versuch 199f) 17 Vgl. Mk 12,1-12 par. und Joh 15,1 19f Athanasius: De sententia Dionysii 9,1, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1, 249A; ed. Opitz Bd2/1,51,27-52,1; MPG 25,492 Β 21 f Vgl. Athanasius: De sententia Dionysii 6,3, Benediktiner-Ausgabe Bdl/1,247C; ed. Opitz Bd 2/l,50,7f; MPG 25,488Β 23-28 u. 24-28 Vgl. Basilius Caesariensis: Epistola 9 (Maximo philosopho), 2, Benediktiner-Ausgabe Bd3, Paris 1730, 90CD; MPG 32,268D-269Β

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

303

voraussezung zu gut zusammen, als d a ß diese Vertheidigung viel gelten könnte, zumal auch Arius selbst deutlich genug sagt, d a ß er n u r die in dem Alexandrinischen Klerus längst einheimische Lehre a u f r e c h t halten wollte, u n d späterhin die Arianer sich ausdrüklich auf den Dionysius berufen. M a n kann demnach wol mit Recht sagen, d a ß die Alexandrinische Ueberlieferung, indem sie der Sabellianischen Trinitätslehre entgegentrat, Arianismus wurde, o f f e n b a r aus Mißverstand des Sabellius 571 um keine Theilbarkeit des Gleichartigen, die sich Arius n u r körperlich denken konnte, die aber Sabellius auch gar nicht behauptete, in G o t t annehmen zu müssen 1 3 8 , u n d daß, um die S u b o r d i n a t i o n recht fest zu 405 halten, von der Arianischen Seite des Klerus die T h e o r i e von der H y p o stasirung des λόγος aufgegeben wurde, damit aller Schein eines μέρος όμοοόσιον vermieden w ü r d e . Je mehr nun aber diese Ansicht, unbew u ß t verwandt mit der äonisirenden Gnosis, w e n n gleich sie bestreitend, sich so entwikkelte, d a ß die Dreiheit ihre w a h r e B e g r ü n d u n g verlor, und der V e r d a c h t sich verstärkte, daß dies zum Hellenismus z u r ü k f ü h r e n würde: um desto stärker traten nun A n d e r e ursprünglich derselben Schule angehörig dem Arianismus entgegen, u n d d u r c h diese nun hat sich die kirchlich g e w o r d e n e Formel der Trinität entwikkelt. Will man nun nicht ein recht bedeutendes M o m e n t übergehen: so wird man wol die geschichtliche Entwiklung so vorstellen müssen. In d e r Alexandrinischen Christologie waren zwei Elemente mit einander verbunden, o h n e daß sie je vollkommen in einander gebildet w o r d e n wären, Subor-

κείμενον das Subjekt im Saz ist, konnte Sabellius dieses sehr gut annehmen, indem auch nach ihm vom Sohne ausgesagt werden kann was vom Vater nicht - ό δε ίνα πάνυ έναργώς και έκ τοϋ περίοντος κατακρατή, ούχ ετερότητα μόνον των ύποστάσεων τίθεται άλλα και ουσίας διαφοράν και δυνάμεως ΰφεσιν, και δόξης παραλλαγήν. Ερ. 9,2. Allein alles dieses, selbst ούσίας διαφορά nicht ausgeschlossen, liegt schon in dem oben angeführten 30 und vielen andern Stellen des Clemens und Origenes. 138 ει δέ τό έξ αΰτοϋ [...] και τό έκ τοϋ πατρός έξήλθον και ήκω ώς μέρος αύτοϋ όμοούσιον, και ώς προβολή ύπό τίνων νοείται - σύνθετος εσται ό πατήρ και διαιρετός και τρεπτός και σωμα κατ' αυτούς [...]. Arius in dem Briefe an Alexander bei Äthan, de Synod. 16. 25

28 9,2] 92

2—4 Vgl. z.B. bei Athanasius: De synodis 16,2-4 4f Vgl. Athanasius: De sententia Dionysii (vgl. ed. Opitz Bd2/l,46,l-4) 31-34 Athanasius: De synodis 16,5, Benediktiner-Ausgabe Bdl/2, Paris 1698, 730C; ed. Opitz Bd 2/1,244,17-19; MPG 26,709C 32 Statt όμοούσιον Q; ομοουσίου

304

5

10

15

20

25

30

35

Vorstellung von der Trinität

dination des S o h n e s unter dem V a t e r , und G o t t h e i t des S o h n e s als hypostasirten λόγος. Als nun die O f f e n b a r u n g s t h e o r i e des N o e t u s sich z u r vollständigen T r i n i t ä t s l e h r e durch Sabellius entwikkelt hatte, ehe n o c h , denn s o scheint es doch, die Alexandrinische A n s i c h t eine eben so genau bestimmte T r i n i t ä t s l e h r e aus sich h e r v o r g e b r a c h t hatte: so versezte dieses die Alexandrinische Schule in eine G ä h r u n g , durch welche j e n e beiden E l e m e n t e sich trennten. D i e Arianische Seite, um die s u b o r d i n a t e V e r s c h i e d e n h e i t des S o h n e s v o m V a t e r recht fest zu halten, ließ die V o r s t e l l u n g vom hypostasirten λόγος f a h r e n , damit sie sich n o c h weiter von der Sabellianischen | G l e i c h h e i t o d e r Identität beider e n t f e r - 406; 572 nen k ö n n t e . D i e Athanasianische Seite aber, f ü r c h t e n d daß, wenn der S o h n göttlich solle verehrt werden, und d o c h anderes W e s e n s sein als der V a t e r , die V i e l g ö t t e r e i zum V o r s c h e i n k o m m e , h o b den hypostasirten λόγος, als die G o t t h e i t im S o h n e , wieder recht hervor, wie das in allen S c h r i f t e n dieser T h e o l o g e n zu lesen ist, um dadurch eine W e s e n s gleichheit in der D r e i h e i t zu erlangen, und ließ soviel als möglich die U n t e r o r d n u n g fahren, j e d o c h mit B e i b e h a l t u n g der persönlichen V e r schiedenheit, indem sie mit der Arianischen Seite den G e g e n s a z gegen den Sabellius theilte. W i e nun Sabellius den G e g e n s a z bilden wollte zu allem N a z o r ä i s c h e n : so standen beide A r i a n e r und Athanasianer, indem sie sich gegen ihn stellten, auch fast o h n e es zu wissen, zwischen ihm und der N a z o r ä i s c h e n Seite, o h n e r a c h t e t beide P a r t h e i e n jede auf ihre eigene W e i s e behaupteten, d a ß Sabellius, um den E r l ö s e r über die N a zoräische A n s i c h t hinauszustellen, auf der einen Seite zwar zu viel thue, auf der andern aber zu wenig. A b e r beide, Arianer und Athanasianer, suchten angeblich zwischen diesen beiden einen festen P u n k t . D i e A r i a ner, bis dahin beständig unter sich getheilt, k o n n t e n nur z u r R u h e k o m men bei einer A n n a h m e , welche, von der G o t t h e i t Christi eigentlich nichts übrig lassend, um d o c h nicht n a z o r ä i s c h zu sein, an das D o k e t i sehe schweifte. A b e r auch die Athanasianer, sofern sie das subordinatianische der alten Alexandrinischen Schule nicht g a n z aufgeben wollten, m u ß t e n sich auf mancherlei W e i s e den Arianern n ä h e r n ; außerdem aber, indem sie das, was sie die Sabellianische | V e r m i s c h u n g der P e r s o - 407 n e n 1 3 9 nannten, zu vermeiden suchten, und deshalb den U n t e r s c h i e d

139

σύγχυσις, spottweise auch besonders bei E p i p h a n i u s συναλοιφή.

8 vom] von 35 Vgl. oben Anm. 85 und Epiphanius: Panarion haer. 62,3,5.4,4.6,1.7,1, ed. Petavius 2. Aufl., Bdl, Köln 1682, 514D.515D.517B.518B; GCS 2,392,3.393,7.394,25. 395,27

Vorstellung von der Trinität

5

10

15

20

25

30

35

305

zwischen ούσία und ύπόστασις auf das höchste Wesen übertragen wollten, da dieser Unterschied niemals fest genug bestimmt werden konnte, mußten sie immer schwanken zwischen der Annäherung an den Tritheismus und der an den Sabellianismus, wie auch Basilius selbst es be- 573 kennt 140 . Denn je mehr das Verhältniß von κοινόν und ίδιον geltend gemacht wird, um desto tritheitischer, am meisten wenn das κοινόν nominalistisch behandelt wird, wo zulezt nur eine doch durch das Zeugungsverhältniß schon wieder aufgehobene Einheit des Willens und der Macht übrig bleibt; je mehr aber das Ineinandersein der Hypostasen sich entwikkelt, um desto mehr sabellianisch. Ja man kann sagen daß diejenigen, welche das Verhältniß der Einheit zur Dreiheit in den Athanasianischen Formeln auf jene Weise auslegen, weiter von denen entfernt sind, welche es auf diese Weise verstehen, als diese von den Sabellianern. Und nicht nur ist auf der Sabellianischen Seite ein solches Schwanken nicht, so weit uns die Geschichte vorliegt; sondern es wäre auch schwer zu begreifen, wie, wenn diese Lehrweise länger geblühet hätte, ein solches Schwanken aus ihren einfachen Elementen hätte entstehen können. Wogegen es schon in der Entstehungsweise der kirchlichen Vorstellung liegt, daß diese zu einer reinen und gleichmäßigen Trini-|tätslehre nicht gedeihen konnte. Denn um von der ersten Person, 408 die dies gar nicht in demselben Sinne ist wie die andern beiden, nichts zu sagen, so konnten auch die zweite Person und die dritte einander nicht gleich sein. Denn der zweiten Person lag die Theorie von Hypostasirung des λόγος als einer göttlichen Vollkommenheit zum Grunde, der dritten Person aber nicht. Daher auch jene auf eine bestimmte Weise aus der erstem hervorgeht durch Zeugung, was nur wieder unbestimmt wird durch die Beschränkung, daß es keine der menschlichen ähnliche sein soll; die dritte aber geht auf eine unbestimmte Weise άρρήτως hervor, welche nur näher bestimmt zu werden versucht durch bildliche Ausdrükke, welche aber bei genauerer Betrachtung wieder durch Beschränkungen müßten unbestimmt gemacht werden. Daher nun auch überall die dritte Person, ohnerachtet aller Protestationen gegen irgend eine Ungleichheit, unverkennbar hinter den andern zurük- 574 tritt; eben daher endlich stammen im Ganzen die große Menge von

140

Ep. 189, 2.

1 ύπόστασις] ύποστασις

35 189] 185

35 Vgl. Basilius Caesariensis: Epistola 189 (Eustathio archiatro), 2, Bd3, Paris 1730, 277CO; MPG 32,685 CD

Benediktiner-Ausgabe

306

Vorstellung von der Trinität

Formeln, die nur den negativen Charakter von Cautelen haben, welches alles deutlich genug beweiset, daß die ganze Lehrweise weniger von einer bestimmten Grundlage aus gebildet ist, als nur aus dem Bestreben, andere Behauptungen zu vermeiden, und sich zwischen ihnen hindurch 5 zu winden, während man der Sabellianischen das Zeugniß der Ursprünglichkeit und Selbständigkeit schwerlich versagen kann.

Über die Glaubenslehre. Zwei Sendschreiben an Lücke (Theologische Studien und Kritiken, Zweiten Bandes zweites und drittes Heft, Hamburg 1829)

Dr. S c h l e i e r m a c h e r über seine Glaubenslehre, an Dr. L ü c k e .

255

Erstes Sendschreiben.

577

Endlich, mein theurer Freund, habe ich mir so weit Raum gemacht, 5 daß ich sagen kann, fast waren die Federn schon geschnitten und das Papier zurecht gelegt, um an die zweite Ausgabe meiner Glaubenslehre zu gehn. Aber je näher daran, um desto mehr fühlte ich mich von den Schwierigkeiten der Sache beengt. Sie wissen, wie ich mich schon öfter geäußert über die zweifelhafte Stellung eines Schriftstellers in solchem 10 Falle, und wie schwer es sey zu entscheiden, wie viel er selbst noch dürfe bei einem Werke, welches einmal, so wie es ist, Eingang gefunden hat und ein öffentlicher Besitz geworden ist. Indeß dieses gilt wohl mehr von Werken, die dem Gebiete der Kunst angehören oder daran streifen; und es ist ein anderes mit eigentlich lehrhaften Schriften. 15 Hätte ich meine Ansicht ganz und gar geändert, und in einem neuen Buche das alte stillschweigend widerlegt oder wenigstens im Einzelnen wesentliche Abänderungen für nöthig erachtet: nun, so stand es einem Andern frei, das alte gegen mich selbst zu vertheidigen, ja es auch auf's Neue in seiner ursprünglichen Gestalt in die Welt zu bringen; dieß be20 traf mich gar nicht, sobald ich nur erklärt hatte, meine Lehre und Ansicht sey es nicht mehr. | Und eben deßhalb fühlte ich mich von dieser 256 Seite frei, jede Veränderung vorzunehmen, die mir gut dünken würde. Aber der Schuh drückte mich anderwärts, und ich sah mich in einer ganz andern Lage, als in ähnlichen Fällen bisher. Je vielfältiger und viel- 578 25 seitiger eine Schrift, die eine Lehre aufstellt, besprochen worden ist, je verschiedenartigere Einwendungen dagegen vorgebracht worden sind,

1 Der christliche Glaube nach den Gmndsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2Bde, Berlin 1821-1822 (KGA 1/7,1.2) 8-12 Vgl. z.B. Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 2. Aufl., Berlin 1806, S. IV-VII (ed. B.Pünjer, Braunschweig 1879, S.IX-XI); Monologen. Eine Neujahrsgabe, 2. Aufl., Berlin 1810, Vorrede (ed. F. Schiele/H.Mulert, 3. Aufl., Hamburg 1978, S.3)

310

An Lücke

um desto schwerer ist es, das fühlte ich sehr bald, bei einer neuen Durchsicht und Bearbeitung die gänzliche Unbefangenheit zu behalten, ohne welche doch kein Gedeihen möglich ist. Anstatt nur auf die einzelnen Theile selbst und ihr Verhältniß zu einander zu sehen, kurz mit ganzer Seele an dem Werke zu seyn, wird der Blick immer nach außen abgelenkt. Der und jener schwebt einem vor, bald bei der einen Stelle, bald bei der andern; ob nicht hier eine Vertheidigung anzubringen wäre, und dort eine zurechtweisende Berichtigung, wobei doch immer die Einheit und Einfachheit des Werkes leiden müßte. Hätte ich mir dieses vorher so arg gedacht, als ich es nun fand, ich würde vorlängst, statt das Versprechen einer Ueberarbeitung von mir zu geben, den Verleger ermächtigt haben, soviel Exemplare, als er nützlich und nöthig hielt, unverändert in die Welt zu schicken. Ja, noch jetzt würde ich ihn bitten, es so zu halten und mich jenes Versprechens zu entbinden, wenigstens auf einige Jahre hinaus, bis die sich wunderbar kreuzenden Stimmen verhallt wären, und das Buch hinter späteren Erzeugnissen zurückgetreten; aber mir war bange, ich könnte mittlerweile abgerufen werden, und hätte dann nichts mehr für mein Buch gethan. Nun also ich doch an die Arbeit gehen muß, weiß ich mir die nöthige Unbefangenheit und Ruhe dazu nicht anders zu erringen, als dadurch, daß ich über gar mancherlei mein Herz vorher ausschütte, und dazu habe ich mir Sie ausersehen. Sie sehen, es ist ein reiner Freundschaftsdienst, den ich von Ihnen verlange; und indem ich Ihnen zumuthe, mich anzuhören, will ich gar nicht etwa | voraus setzen, daß Sie Selbst mit meiner 257 Glaubenslehre vollkommen einverstanden wären, oder verlangen, daß Sie für sie vor den Riß treten sollen. Ich will Ihnen nur Rechenschaft ablegen, was ich bei dieser zweiten Ausgabe zu thun denke, und was nicht, und warum, damit, was ich nicht kann, für mich abgemacht sey, 579 und ich es mir bei der Arbeit selbst ganz aus dem Sinn schlagen könne. Zunächst also muß ich Ihnen gestehen, daß mir schon lange und immer störender die Frage eines Freundes in den Ohren geklungen hat, wie ich es denn bei der zweiten Ausgabe mit meinen Gegnern zu halten gedächte. Ich wußte sie nicht abzuweisen, und sie ist doch gar nicht in meinem Sinn. Gegner kenne ich im Allgemeinen nur, wo es Absichten gilt und Thaten; der Denker hat nur Mitarbeiter, der Schriftsteller hat nur Leser, und ein anderes Verhältniß kenne ich bei beiden nicht. Hätte

31-33 Vgl. August Twesten im Brief an Schleiermacher vom 10.4.1828: „ Wie denken Sie sich in Ansehung des Widerspruchs und der Einwendungen zu verhalten, die gegen Ihre und meine Dogmatik (ich verbinde beide, weil die Einwürfe gegen die Ihrige auch mich treffen, und wohl nicht selten Sie gemeint sind, wo ich genannt werde) nun von recht vielen Seiten erhoben worden sind?" (C. F. Georg Heinrici: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, Berlin 1889, S.411)

Erstes

5

10

15

20

25

Sendschreiben

311

ich nun die Absicht gehabt, durch mein Buch eine Secte zu stiften oder eine Schule: so könnte ich Gegner haben. Davon weiß ich mich aber völlig frei; und wenn mir hier oder dort einer diese Absicht untergelegt hat, so ist er für mich doch immer nur ein Leser, auf den ich aber freilieh einen Eindruck gemacht habe, der mir nicht erwünscht seyn kann, weil er nicht wahr ist. Dem Leser aber ist der Schriftsteller zwar schuldig, sein Buch so gut zu machen, als er irgend kann, aber hernach nichts weiter. Schreibt aber ein Leser etwas über mein Buch: nun wohl, so kehrt sich das Verhältniß um. Er hat kein größeres Recht zu verlangen, daß ich ihn lese, wie jeder andere Schriftsteller; und werde ich sein Leser: so bin ich ihm wieder nichts schuldig, als nur das seinige so gut zu nützen, als ich kann. Von irgend einer Art von Pflicht also, Einwürfe zu beantworten, und für die schreibenden Leser wieder ein Schreibender zu werden, sehe ich gar nichts ein. Hätte mich also von meinen sogenannten Gegnern einer gründlich überzeugt, etwa, daß mein Werk sich selbst auf-|höbe, oder daß der Glaube an Gott mit der von mir dargeleg- 258 ten Ansicht nicht consequenter Weise bestehen könne, oder daß ich den christlichen Glauben von der Fantasie abhängig mache, oder - was vielleicht im Wesentlichen dasselbe sagen soll - daß ich das Heidenthum wieder in das Christenthum einführen will, oder auch nur, daß meine Glaubenslehre sich vollkommen wohl mit dem Papalsystem der römi- 580 sehen Kirche vertrage - : nur eines von diesen, und es würde nie von einer zweiten Ausgabe meiner Glaubenslehre die Rede gewesen seyn, und ich würde eine bequeme Gelegenheit gesucht haben, mich von ihr loszusagen. Eben so; wenn ich über einzelne Punkte durch meine Kritiker eines Besseren belehrt worden, soll man die Früchte davon in der neuen Ausarbeitung gewiß nicht vermissen, aber je mehr dessen wäre, um desto unangemessener würde ich es finden, mich auf diejenigen, die mich

3f Vgl. ζ. B. Heinrich Gottlieb Tzschimer: Briefe eines Deutschen an die Herren Chateaubriand, de la Mennais und Montlosier über Gegenstände der Religion und Politik, ed. W. T. Krug, Leipzig 1828, S. 29.39.46.49 (unten 572,10.577,27.581,29.583,20) sowie Twestens an Schleiermacher gerichteten Wunsch, er solle dazu beitragen, seine „Schüler und Freunde zu einer Schule zu vereinigen" (Brief vom 10.4.1828; Heinrici: Twesten 411) 15f Vgl. Christlieb Julius Braniß: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre; ein kritischer Versuch, Berlin 1824, S. 197 (s. Anhang KGA 1/7.3,365) Iii Anspielung vermutlich auf Ferdinand Delbrück: Christenthum. Betrachtungen und Untersuchungen. Dritter Theil. Enthaltend Erörterungen einiger Hauptstücke in Dr. Friedrich Schleiermacher's christlicher Glaubenslehre, Bonn 1827, S. 48-51 (unten 510,13-511,31) 17f Vgl. Tzschimer: Briefe 28f (unten 571,23-34) 19 f Vgl. Isaak Rust: De nonnullis quae in theologia nostrae aetatis dogmatica desiderantur, Erlangen 1828, S. 65 (unten 551,9-12) 20-22 Vgl. Karl Gottlieb Bretschneider: Ueber die Grundansichten der theologischen Systeme in den dogmatischen Lehrbüchern der Herren Professoren Schleiermacher und Marheinecke, so wie über die des Herrn Dr.Hase, in: Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 3.Aufl., Bdl, Leipzig 1828, S.68f (unten 484,8-28)

312

5

10

15

20

25

30

An

Lücke

belehrt, besonders zu beziehen. Noch weniger aber kann ich eine Verpflichtung anerkennen, Einwendungen zu widerlegen, die nach meiner Ueberzeugung die Sache gar nicht treffen oder auf Mißverständnissen beruhen. Der Schriftsteller kann dem Kritiker dieß nicht schuldig seyn, der ja ohnedieß sich mit der Sache selbst fortwährend beschäftiget und sich also selbst helfen kann; er kann es eben so wenig dem Publikum schuldig seyn, denn dieß hat die Acten vor sich, und Jeder hat Freiheit, für sich selbst zu entscheiden. Auch wüßte ich nicht, wie die Gesammtheit der Leserschaft zu mehreren Rechten kommen sollte, als jeder Einzelne hat. Ein Anderes freilich wäre es, wenn wir beiderseits, meine Kritiker und ich, in einer großen Panegyris zusammen wären mit dem Publikum. Dann kann ich mir freilich denken, daß, nachdem die ersteren geredet, aus dem letzteren sich viele Stimmen erheben würden, daß ich doch auch reden solle. Denen wäre dann schwer nicht Folge zu leisten, aber sie würden mich in große Verlegenheit setzen, weil ich nicht gleich wüßte, auf was für einen geselligen Fuß ich mich eigentlich mit | meinen Kritikern setzen sollte. Sagen sie mir nicht in der That großen- 259 theils unter den größten Achtungsbezeugungen Dinge, wie die obigen und andere, mit denen eigentlich gar keine Achtung bestehen kann? Oder kann ich auch nur die geringste Achtung verdienen, wenn ich so predige, wie sie doch Alle wissen, oder überhaupt auch nur, wenn ich ein Predigtamt verwalte, und dabei so denke, wie sie mich in meiner Glaubenslehre denken lassen? Unser Bonnischer Freund ist hierin besonders stark; aber er ist doch bei Weitem nicht der Einzige, sondern 581 viele nicht minder achtungswerthe Männer haben sich eben so gezeigt. Ich wüßte wirklich schwerlich, auch in solcher Versammlung ihnen etwas Anderes zu sagen, als daß ich sie bäte, um ihrer selbst willen sich doch treu zu seyn, und wenn sie mich für einen solchen halten, mich auch gar nicht zu schonen, sondern mit solchen Namen zu begrüßen, wie sie mir dann gebührten, aller Lobpreisungen sich aber zu enthalten, und das S. V. nur ganz kahl und ohne alle Ausschmückung allein auf das D. Th. zu beziehen. Das Beste für mich sey nur, daß ich nicht der bin, für den sie mich halten. Weiteres würde ich wohl nicht sagen; au-

31 S.V.] Abk. fiir Summe Venerandus

32 D . T h . ] Abk. jur Doctor Theologiae

23f Vgl. Delbrück: Christenthum 3, z.B. V-XII. 190 (unten 504,5-508,6.533,14-40) 30f Vgl. z.B. Christian Friedrich Schmids Tübinger Pfingstprogramme von 1826 und 1827 („Observationum pertinentium ad naturam peccati e doctrina Christiana rite definiendam ", Teil 1 und 2), in denen die beigezogenen theologischen Autoren überwiegend mit „S. V." tituliert werden, Schleiermacher hingegen mit „celeberr." oder „cel."

Erstes

5

10

15

20

25

Sendschreiben

313

ßer etwa noch denen, welche Entgegengesetztes vorgetragen haben, wie wenn der Eine mich einen Gnostiker nennt, der Andere aber einen Alexandriner, die er den Gnostikern gerade entgegenstellt, wenn der Eine mich auf Schelling zurückführt, der Andere auf Jacobi, der Eine mir die Principien der Mönchsmoral zuschreibt, der Andere meint, ich sey, nur so eben nicht völlig ausgesprochen, ein Kyrenaiker - diesen könnte ich noch sagen, sie möchten nur zuerst dieses unter sich ausmachen; eine in solchen Fällen bequeme Formel, die kürzlich ein Freund zwischen ähnlichen Gegnern mit gutem Erfolge gebraucht hat. Und mehr dürfen auch wohl alle die Männer nicht erwarten, deren Ansicht von meinem Werk eigentlich voraussetzt, entweder, daß ich so stumpfsinnig bin, die Widersprüche, in denen mein ganzes Leben verwickelt wäre, nicht zu mer-|ken, oder so frivol, mir darin wohl zu gefallen, weil 260 mir eben gar nichts Ernst wäre, oder so armselig, daß ich keine Existenz hätte finden können, außer in einem Beruf, der mir eigentlich im höchsten Grade zuwider seyn müßte. Doch, wenn ich auch von dergleichen Voraussetzungen ganz absehen wollte, giebt es immer noch andere Gründe verschiedener Art, warum ich mich nicht entschließen kann, mich auf Antworten mit diesen und anderen Männern einzulassen. Gar viele Einwendungen nämlich beruhen lediglich darauf, daß Sätze als die meinigen aufgestellt werden, die ich nirgend ausgesprochen habe, und zu denen ich mich 582 niemals bekennen könnte, ja auch wohl solche, von denen ich das gerade Gegentheil gesagt. Wie kommt z.B. unser Delbrück wohl dazu, vorauszusetzen, meine Lehre würde ja wohl auch Wiedergebohrne außer der christlichen Kirche annehmen? Ist es wohl möglich, daß er die einschlägigen Lehrstücke auch nur flüchtig angesehen haben kann?

2 Vgl. [Ferdinand Christian Baur:] Primae rationalismi et supranaturalismi historiae capita potiora pars II, in qua comparatur Gnosticismus cum Schleiermacherianae theologiae indole (Osterprogramm), Tübingen 1827, S. 21-29 (s. Anhang KGA 1/7.3,252-256) und die Selbstanzeige dieser Schrift in: Tübinger Zeitschrift fur Theologie 1828, 1. Stück, S. 239.254260 (s. Anhang KGA 1/7.3,265.274-276) 2f Vgl. Johann Heinrich Theodor Schmid: Ueber das Verhältniß der Theologie zur Philosophie, in: Für Theologie und Philosophie. Eine Oppositionsschrift, Neue Folge Bd 1/1 (Jena 1828), S. 57f (unten 556,31-557,1). Eine Gegenüberstellung von „Gnosticismus" und „Piatonismus der Kirchenväter (namentlich der [...] Alexandriner [...]) " vollzieht Schmid auf S. 20-2 7. 3 £ Vgl. Bretschneider: Grundansichten 12-14 (unten 468,22-469,8); Tzschimer: Briefe 29 (unten 571,34-36) 4 Vgl. Rust: De nonnullis 43-48 (unten 548,8-549,9) 4f Vgl. Bretschneider: Grundansichten 29f (unten 476,39-4 77,9); ähnlich bereits in „Ueber den Begriff der Erlösung und die damit zusammenhängenden Vorstellungen von Sünde und Erbsünde in der christlichen Glaubenslehre des Hrn. Prof. Dr. Schleiermacher", in: Journal für Prediger 67 (Halle 1825), S. 1-33; hier 13 5f Vgl. Rust: De nonnullis 61 f Anm. 5 (unten 550,33-43) 7 - 9 Anspielung nicht nachgewiesen 24-26 Vgl. Christenthum 3,120f (unten 526,39-527,26) 26f Vgl. CG' §§95f 128-131

314

5

10

15

20

25

An Lücke

Wie kommt Hr. Rust dazu, aus einer Stelle, worin ich sage, der Gott der Kinderjahre sey mir verschwunden, zu folgern, ich habe die kindische Form der Frömmigkeit festgehalten? Und am Ende will er gar hieraus mein ganzes System erklären! Ein anderer würdiger Mann aber aus der Tübinger Schule will ein vermeintliches Zurücktreten des historischen Christus in meiner Lehre aus etwas folgern, was ich von Christus als λόγος Gottes, noch abgesehen von seiner Erscheinung in einer besonderen Person, soll gelehrt haben. Aber diese ganze Vorstellung kommt bei mir nirgend vor, und unser Freund Nitzsch hat ganz Recht, daß sie zu denen kirchlichen Begriffen gehört, die sich meinem Standpunkt eher entziehen. Vielleicht aber ist dieser Theologe desselben Weges gegangen mit Herrn Prof. Baur, der deßhalb, weil ich von einem Urbildlichen und einem Geschichtlichen in Christo rede, mir einen zwiefachen Christus unterschiebt, einen urbildlichen und einen historisehen, | und gar den letzten, von dem allein ich doch immer rede, dem 261 ersten tief unterordnet. Ich glaube dieß um so mehr, als jener selbige mir auch den Satz unterlegt, der innere Christus habe auch - ich muß dieß schon ganz gegen meine Gewohnheit unterstreichen, denn der ganze Accent liegt auf diesem „auch" - in einer historischen Person erscheinen müssen; als ob auch nur eine Spur von einem inneren Christus vor dem historischen bei mir vorkäme! Doch diese Schule, wo sie auf meine Glaubenslehre zu sprechen kommt, ist außerordentlich reich an solchen Einlegungen und Unterschiebungen. Was ich ausdrücklich gegen dergleichen idealistisches Zeug gesagt habe - vergleichen Sie nur Tübing. Zeitschr. I. S.251 - , das wird dafür gewendet; und wenn es nicht anders geht, so muß es so gehen, daß, weil durch das, was ich 583 sage, eine Voraussetzung, die Hr. Baur macht, nicht beseitiget ist, eben diese Voraussetzung die meinige seyn muß. Ja, ich habe in zwei verschiedenen Aufsätzen dieser Schule lesen müssen, nach mir erfolge die

1-4 Vgl. Rust: De nonnullis 48-50 (unten 549,10-550,11) 4 - 8 Vgl. Christoph Benjamin Klaiber: Ueber Begriff und Wesen des Supranaturalismus, und die Versuche, ihn mit dem Rationalismus zu vereinigen, in: Studien der evangelischen Geistlichkeit Wirtembergs, Bdl, Heft 1 (Stuttgart 1827), S. 112f (unten 541,20-38) 9-11 Vgl. Karl Immanuel Nitzsch: „Wäre nun Schleiermacher's Methode die dialektische vorzugsweise zu nennen, so würde daraus sich schon voraus vermuthen lassen, daß ihm die historisch treuere Auffassung des Christenthums in unsrer Zeit habe gelingen können, während sich ihm diejenigen Bestandtheile des biblischen und kirchlichen Glaubens, welche schon dogmatisch und speculativ in ihrer ersten Erscheinung sind, ζ. B. Dreieinigkeit, vorweltlicher Christus und Logos, mehr versagen mußten." (Rezension von F.Delbrück: Christenthum 3, in: Theologische Studien und Kritiken 1, Hamburg 1828, S.656) 12-16 Vgl. Osterprogramm 15-21. Selbstanzeige 250-253 (s. Anhang KGA 1/7.3,249-252.271-273) 16-20 Vgl. Klaiber: Begriff 113f (unten 542,10-16) 24f Baur: Selbstanzeige 251 f (s. Anhang KGA 1/7.3,272) 28-2

Vgl. [Anonym:]

Bemerkungen

über die Lehre von der Gnadenwahl,

in Beziehung

auf

Erstes

Sendschreiben

315

Mittheilung der Unsündlichkeit und Vollkommenheit Christi durch Lehre und Beispiel, da ich doch B.II. S.253. das gerade Gegentheil sage. Wenn mir nun gar solche Sätze als die meinigen aufgestellt werden, als „es könne nichts in dem historischen Theile, der Glaubenslehre nämlich, seyn, was nicht zuvor in dem idealen oder philosophischen gewesen", oder „daß ich drei Momente in der Idee Gottes statuire," von denen noch dazu zwei so schlecht gefaßt sind, daß sie sich nicht einmal ausschließen, oder daß ich, „von dem über alle Veränderung erhabenen Gott den der Zeit unterworfenen Gott unterscheide": so kann ich gar keinen Beruf fühlen, mich in den Streit zu mengen, den diese Herren mit einem Schleiermacher führen, in dem ich mich gar nicht wieder erkennen kann. Und wer so folgern kann: wem Alles auf das Leben Christi in uns ankomme, dem müsse der Tod Christi und mit demselben die ganze historische Person | Christi überflüssig erscheinen, der hat eine 262 Logik, auf die ich mich nicht verstehe. Es thut mir bei der hohen Achtung, die ich für Hrn. Dr. Steudel hege, leid, dasselbe sagen zu müssen von der Art, wie er meint, mich, hätte ich damals gelebt, mittelst meiner eigenen Lehre in den Muhamedanismus hineinlocken zu können, in-

2 253] 213

D. Schleiermacher's Abhandlung im 1. Heft der von ihm, de Wette u.A. herausgegebenen Zeitschrift, in: Studien der evangelischen Geistlichkeit Wirtembergs, Bdl, Heft 1 (Stuttgart 1827), S. 175, wonach Schleiermacher in §121 von CG' behaupte, die „Erlösung durch Christum [...] als die Mittheilung seiner Unsündlichkeit und Vollkommenheit [...] geschehe [...] blos durch Lehre und Beispiel, also das heilige Beispiel Jesu, folglich durch seinen freiwilligen Gehorsam [...]". Im 2. Heft derselben Zeitschrift (Stuttgart 1828, S. 35-151; hier 126) schreibt Albert Knapp, der Schleiermacher als Vertreter des „ästhetischen" dogmatischen Systems zitiert: „Schon der Grundsatz des ästh. Systems, daß auch andre Religionen ihre, wenn auch unvollkommenere, Erlösung haben, deutet an, daß hier von einer Erlösung durch Christum im biblischen und kirchlichen Sinne überall nicht die Rede ist, sondern nur von einer solchen, die in moralischer Nachahmung des Stifters besteht." („Ist die Verschiedenheit der dogmatischen Systeme kein Hindemiss des Zwecks der Kirche f Mit besonderer Rücksicht auf die Abhandlung in Tzschimers Magazin fur christliche Prediger.") 2f KGA 1/7.2,67,7-30 4-6 Vgl. Baur: Osterprogramm 13 (s. Anhang KGA 1/7.3,248) 6-8 Vgl. Baur: Osterprogramm 26 Anm., Selbstanzeige 257 (s. Anhang KGA 1/7.3,254.275) 8f Vgl. Baur: Osterprogramm 26 (s. Anhang KGA 1/7.3,254) 12-14 Vgl. Baur: Osterprogramm 21 (s. Anhang KGA 1/7.3,252) 15-3 Vgl. Johann Christian Friedrich Steudel: Die Frage über die Ausführbarkeit einer Annäherung zwischen der rationalistischen und supranaturalistischen Ansicht, mit besonderer Rücksicht auf den Standpunkt der Schleiermacherschen Glaubenslehre, beleuchtet von Dr. J. C. F. Steudel, aus Anlaß von der Schrift: Dr. H.A. Schotts Briefe über Religion und christlichen Offenbarungsglauben, Worte des Friedens an streitende Partheien. Jena 1826, in: Tübinger Zeitschrift fur Theologie 1828, 1. Stück, S.193f (unten 568,29569,6)

316

5

10

15

20

25

30

35

An

Lücke

dem er dem, was ich das Einswerden des sinnlichen und höheren Selbstbewußtseyns nenne, den muhamedänischen Sühnebund zwischen beiden substituirt. Diese Instanz verschwindet ja gänzlich, wenn man das liest, was in meiner Einleitung selbst über den Muhamedanismus gesagt ist. In anderen Fällen weiß ich die Sache nicht zu handhaben, weil mir der Grund des Zwiespaltes, wenn er nicht ein bloßer Wortstreit ist, viel zu tief zu liegen scheint, als daß ich ihn sollte schlichten können. So geht es mir mit H r n . Dr. Bretschneider. Der Zwiespalt, den er zuerst aufstellt, scheint mir nämlich sehr leicht gehoben. Dieser Theologe 584 läugnet die Identität zwischen Gefühl und Selbstbewußtseyn, indem er mich auf bewußtlose Gefühle verweiset. Hierin liegt nun nichts Anderes, als daß er den Ausdruck Gefühl anders braucht, als ich; aber über den Gebrauch von Selbstbewußtseyn sind wir einig. Wenn ich ihm also den Ausdruck Gefühl in dem Sinn, wie er ihn gebraucht, gleich Preis gebe; und wenn ich nun sage, daß seine Erklärung von Bewußtseyn, es sey ein Wissen von der jedesmaligen Art von Bestimmung unseres Seyns, gerade das aussage, was ich unter Selbstbewußtseyn verstehe, nur daß ich nicht so gern den Ausdruck Wissen hier gebrauchen würde, - ich denke aber, ich kann das als bekannt annehmen, daß mir an bestimmten Terminologien wenig gelegen, wenn ich nur zu der Ueberzeugung gelangen kann, daß ich dasselbe meine, wie der Andere - : so ginge die Uneinigkeit zwischen uns erst später an, nämlich dabei, daß H r . Dr. Bretschneider meint, auf demjenigen Gebiet, wohin die Frömmigkeit gehört, | hänge eben diese Bestimmtheit des Seyns selbst, und also auch 263 das Wissen um dieselbe erst ab von der Auffassung der Ideen, weil das Gefühl sich nur auf das Gedachte beziehen könne. Ich kann dieses nur so verstehen, man müsse erst die Idee Gott gefaßt haben, ehe man zu dem Wissen von jener Bestimmtheit des Seyns gelangen könne. Freilich muß ich dieß gänzlich verneinen; ich brauchte aber zunächst nur zu sagen, ich rechnete ein früheres Auffassen der Idee Gottes nicht mit zur Frömmigkeit, weil es weder ein Wissen um die Art der Bestimmtheit meines Seyns ist, noch sich aus diesem erst entwickelt. So schiene es freilich wieder nur Streit um das Gebiet eines Wortes zu seyn; aber genauer betrachtet, liegt eine so tiefgewurzelte Verschiedenheit zwischen H r n . Dr. Bretschneider und mir zum Grunde, daß ich um so weniger

l f CG' § 10,4 (KGA 1/7.1,36,33-36) 4f §§ 15,4.16,3.18,1.19,2 (KGA 1/7.2,32,19-28. 57,28-35.61,14-28.72,23-26) 10-12 Vgl. Karl Gottlieb Bretschneider: Ueber das Princip der christlichen Glaubenslehre des Herrn Prof. Dr. Schleiermacher, in: Journal für Prediger 66 (Halle 1825), S.7f (s. Anhang KGA 1/7.3,372f). Grundansichten 15f (unten 470,3-25) 16-18 Vgl. Bretschneider: Grundansichten 16 (unten 470,16-18) 23-27 Vgl. Grundansichten 16 (unten 470,26-43)

Erstes

5

10

15

20

25

30

35

Sendschreiben

317

hoffen kann, sie auszugleichen, als ich eigentlich alles, was ich dazu thun kann, schon gethan habe, und also nur schon mit anderen Worten Gesagtes sagen müßte. Denn, wenn ich nun zuerst jenen bekannten ägyptischen Mönch vorschöbe, welcher verzweifeln wollte, als man ihm 585 zumuthete, sich Gott nicht länger mit körperlicher Gestalt zu denken, und welcher also gewiß die Idee Gottes, welche Hr. Dr. Bretschneider im Sinne hat, nicht selbstthätig aufgefaßt hatte, vielmehr auch die überlieferte Vorstellung des höchsten Wesens durch seine Unfähigkeit verdunkelte, will man dem Armen die Möglichkeit absprechen, daß seine Frömmigkeit reiner und besser gewesen seyn könne, als seine Idee, wenn doch das Gefühlte sich nur auf das Gedachte beziehen kann? Und wenn es so viele Tausende giebt, deren Vorstellungen von Gott, wenn auch nicht eben so grob, doch immer noch höchst unvollkommen sind, deren Frömmigkeit aber schlicht und rein ist: soll ich nicht glauben dürfen, die Frömmigkeit als Bestimmtheit des Selbstbewußtseyns könne vorhanden seyn, auch ehe es noch zu einer Auffassung der Idee Gottes gekommen? Und wenn ich mich nun auf das Bewußtseyn der Freiheit, nämlich auch als Selbstbewußt-|seyn, berufe, wird man sagen, 264 auch dieses könne nicht anders vorhanden seyn, als nachdem die Idee der Freiheit aufgefaßt worden, und wer diese Idee nicht aufgefaßt habe, der könne auch nicht als ein sich seiner so Bewußter handeln? Und wenn ich als Gegenstück zu meinem Mönch eine Menge von raisonnirenden Menschen aufstelle, welche die Idee Gottes aufgefaßt haben, und mit derselben, wie mit allen andern leitenden Gedanken, rechnen und folgern, aber das Gefühlte, wozu sie das Gedachte haben, kommt gar nicht nach und läßt sich nirgend in ihrem Leben spüren: soll ich dennoch nicht sagen dürfen, daß die Auffassung der Idee Gottes, an und für sich betrachtet, nicht zur Frömmigkeit gehöre und nicht nothwendig das erste darin sey? Aber nicht wahr, lieber Freund, das alles habe ich schon mannichfaltig gesagt; wozu also die Wiederholung? Zwischen dieser Ansicht und der meinigen sind die Acten meines Erachtens so weit geschlossen, daß jeder für sich prüfen und entscheiden muß; die Deuterologien würden nur Palillogien seyn. - Ich weiß nicht, ob Ihnen in die Hände gefallen ist, was Aehnliches in des sei. Tzschirner's Briefen eines Deutschen steht; es hat damit ziemlich die- 586 selbe Bewandtniß, wie mit dem obigen. Wenn er sagt, das Ursprünglichste in der Frömmigkeit sey eben so wenig Gefühl, als Wissen oder Thun, sondern die Gesinnung: so scheint er jene drei einander zu coor-

3 - 5 Anspielung auf die bei Johannes Cassianus (Collationes 10,3) überlieferte Geschichte des anthropomorphitischen Mönchs Serapion 34f Vgl. Briefe 32 (unten 572,42-573,7) 36-38 Vgl. Tzschirner: Briefe 37 (unten 576,3-27)

318

5

10

15

20

25

30

35

An

Lücke

diniren, die letzte aber als ein Innerlicheres und Höheres bezeichnen zu wollen. Ich aber stelle, was ich Gefühl nenne, nicht ganz so wie er, sondern eher so, wie er die Gesinnung stellt, und bediene mich nur des letzteren Ausdrucks nicht, weil er dem Sprachgebrauch nach eine Färbung überwiegend nach dem Praktischen hin an sich trägt. Wenn ich mir aber denke die Neigung eines frommen Menschen, alle seine Affectionen mit dem Gottesbewußtseyn zu verbinden und darin gleichsam aufzulösen: so constituirt diese eigenthümliche Gefühlsweise, aus der sich übereinstimmende | Denkweisen und Handlungsweisen entwickeln, 265 offenbar seine Gesinnung. U n d so schiene denn der Zwiespalt zwischen uns auch sehr leicht beseitigt werden zu können. Wenn ich aber dann wieder sehe, wie auch dieser treffliche Mann zu glauben scheint, das Gefühl gehe immer erst von der Vorstellung aus, und wie er deutlich ausspricht, der letzte Grund des Glaubens bleibe immer die Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang der ergriffenen Ideen: so muß ich mich wieder darauf zurückziehen, daß, was ich unter dem frommen Gefühl verstehe, gar nicht von der Vorstellung ausgeht, sondern die ursprüngliche Aussage ist über ein unmittelbares Existentialverhältniß, und ich finde mich wieder in derselben Opposition, wie gegen H r n . Dr. Bretschneider. Ich setze voraus, lieber Freund, daß Sie den frühzeitigen Verlust des freisinnigen und kräftigen Tzschirner eben so innig bedauern, als ich, und so trauen Sie mir auch wohl zu, daß ich auch H r n . Dr. Bretschneider's mannichfaltige Verdienste anerkenne. Wenn ich Ihnen also mitzutheilen versuche, was ich von dem G r u n d der zwischen ihnen und mir obwaltenden Differenz glaube: so werden Sie dieß nicht so deuten, als ob ich etwas zum Nachtheil dieser M ä n n e r sagen wollte. Es giebt gewiß in unserer großen Kirchengemeinschaft sehr viele Theolo- 58 7 gen, welche sich diesem Beruf gewidmet haben, ehe sie an sich selbst viel von christlicher Frömmigkeit erfahren hatten. D a ß ich dieses f ü r etwas Mangelhaftes halte, kann jeder wissen, der nur einmal in meine Encyclopädie hinein gesehen hat; aber ich sehe auch ein, daß es unvermeidlich ist in der gegenwärtigen Lage der Dinge. U n d so ist es ja schön, wenn sich nur in vielen solcher Männer auf Veranlassung ihrer geistigen Beschäftigung mit diesen Gegenständen allmählig eine lebendige christliche Frömmigkeit entwickelt. N u r sollten sie nicht, was - mit dem seligen Semler zu reden - ihre besondere Geschichte ist, als etwas

12f Vgl. Tzschirner: Briefe 35 (unten 575,1-13) 13-15 Vgl. Tzschirner: Briefe 36 (unten 575,35-576,2) 20i Heinrich Gottlieb Tzschirner war 49jährig am 17.2.1828 verstorben. 29-31 Vgl. Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, Berlin 1811, z.B. S. 2-4 §§7-13.13f §§ 13-17; ed. H. Scholz, 4.Aufl., Darmstadt 1961, S.3-5.16f 35-1 Vgl. z.B. Johann Salomo Semler: Versuch einer freiem theologischen Lehrart, Halle 1777, S. 77f

Erstes

5

10

15

20

25

30

35

Sendschreiben

319

Allgemeines feststellen, wie ein anderer berühmter Theologe geradezu in der Formel ge-|than hat, die Religion sey eine Tochter der Theologie. 266 Dem müssen ja nothwendig diejenigen widersprechen, die eine fromme Jugend gehabt haben, ehe ihnen ein Gedanke gekommen war an ihren künftigen Beruf, und die also aus ihrer besondern Geschichte wissen, daß die Frömmigkeit unabhängig ist von jeder Einsicht in irgend einen Zusammenhang ergriffener Ideen. Diesen Widerspruch lege nun auch ich ein, und thue damit - wenn gleich meine Sprache nicht immer die ihrige ist - nichts Anderes, als was eine zahlreiche Schule seit mehr als einem Jahrhundert immer gethan hat. Aber sollten wir jener Behauptung nicht alle widersprechen? Wenn man auch jetzt nicht mehr im Allgemeinen sagen kann, daß es den Weisen verborgen bleibe, haben wir nicht alle Ursache, Gott zu danken, daß er es vorzüglich den Unmündigen offenbart hat, das heißt denen, deren Frömmigkeit gar nicht weit her seyn müßte, wenn sie auf einem complexus von Ideen beruhen sollte? War nicht auch unser Luther ein solcher, und fing erst an über seine Frömmigkeit nachzudenken, als es galt, ihren Besitz festzuhalten, so daß seine Theologie offenbar eine Tochter seiner Religion war? Und wie möchte es um unsere evangelische Kirche stehen, wenn nicht das lebendige evangelische Christenthum so tiefe Wurzel geschlagen hätte in dem unspeculativen, unphilosophischen Volk, dessen Frömmigkeit so 588 entfernt ist, auf dem Gedachten zu beruhen und in einem eingesehenen Zusammenhang von Ideen gegründet zu seyn, daß es großentheils erst eben an ihr allmählig denken lernt. Ich nun bin mit, Gott sey Dank, vielen Anderen überzeugt, daß dennoch unsere Frömmigkeit und die jenes Volks gar nicht verschieden sind von einander; wogegen jene Voraussetzung denen, welche nicht fähig sind, erst durch das Gedachte innerlich aufgeregt zu werden, und zumal - wie es doch hier seyn müßte vor allem eigenen Interesse her einen Kreis von Ideen zu fassen, die Frömmigkeit entweder ganz abspricht, oder ihnen nur eine, von | der 267 Frömmigkeit der Denkenden abgeleitete, in ihnen selbst nicht begründete, gestattet, woraus uns dann eine Hierarchie der intellectuellen Bildung, ein Priesterthum der Speculation entstehen würde, welches ich meines Theils nicht allzu protestantisch finden kann, und welches mir auch, wo immer ich das Geschick gehabt habe, demselben zu begegnen, niemals ohne einen gewissen papistischen Anstrich erschienen ist. Damit hängt natürlich auch eine ganz verschiedene Ansicht von dem kirchlichen Dienste des Wortes zusammen. Jene machen alle christliche Ansprache zur Belehrung, und zwar nicht nur in so fern, als dem Volke

1 f Anspielung auf Christoph Friedrich Ammon: Summa theologiae christianae, 3. Aufl., zig 1816, S. 6 (s. Anhang KGA 1/7.3,221) 12-14 Vgl. Mt 11,25 par

Leip-

320

5

10

15

20

25

30

35

An

Lücke

die Schrift, in fremder Sprache gegeben und fremden Sitten entsprossen, erst muß aufgeschlossen werden, sondern um zu versuchen, wie weit es sich durch allmählige Uebergänge in jenen Zusammenhang von Ideen einführen läßt. Uns Andern hingegen kommt es immer nur an auf eine klare und belebende Darstellung der gemeinsamen inneren Erfahrung; und was als Lehre erscheint, ist hiezu nur Vorbereitung lind Mittel. Wir dünken uns nicht, unseren Gemeinen etwas ganz Neues zuzubringen, indem wir etwa in einem ersten Cursus ihnen die Ideen mittheilen, und im zweiten darauf die Frömmigkeit begründen; sondern der Besitz ist gemeinsam, und wir dienen unseren Brüdern nur dadurch, daß wir denselben ihnen genauer darlegen und Freude daran, so wie Sorge dafür bei ihnen erwecken. Eben so nun entfernen sich beide 589 Theile von einander sehr natürlich gleich in dem Begriff der Dogmatik. Denn den ersten muß sie ja wohl die Zusammenstellung der Ideen seyn, aus welchen sich erst die Frömmigkeit erzeugen soll, oder vielleicht gar soll sie diese Ideen beweisen, wie denn der sei. Tzschirner ausdrücklich darüber klagt, daß die von mir gewählte Methode kaum einen Beweis zuläßt. Ich hingegen weiß gar nichts von solchen Ideen und noch weniger von Beweisen derselben, und überhaupt nicht, wo eine Dogmatik her kommen sollte, wenn nicht die Frömmigkeit schon da wäre. Dabei, lieber Freund, | fällt mir eine vor kurzem neu aufgegangene Zeitschrift 268 ein, welche über dieses Thema präludirt und mich beklagt, daß ich die praktische Anwendung der Dogmatik für die theologische Kunst mit der Dogmatik selbst verwechsele. Das ist nun freilich auch wieder nur ein Streit um ein Wort, denn ich habe es ja deutlich genug gesagt, daß meine Dogmatik gar keine anderen Ansprüche macht. Wer also von der Dogmatik verlangt, sie solle mit Beiseitsetzung alles Positiven, als welches nur eine historische Einkleidung sey, nur nach der reinen Wahrheit eines allgemeinen Vernunftglaubens fragen, der gebraucht das Wort in einem andern Sinne, als ich, und zwar für etwas, wogegen ich lange meinen Verdacht zu erkennen gegeben habe, ob es auch zu Stande kommen könne. Weshalb mir aber der Aufsatz, in dem übrigens wohl auch Sie, wenn Sie Sich seiner erinnern, wenig Klares und Festes werden gefunden haben, jetzt einfiel, das ist dieses. Der Verfasser sucht eine Darstellung, welche für die sogenannte - denn anders kann ich mich einmal nicht ausdrücken - natürliche Religion dasselbe sey, was die Dogmatik für die christliche; denn er will jene reine Wahrheit des

16-18 Vgl. z.B. Briefe 26.28.38f.47 (unten 570,14-23.571,17-23.577,4-25.582,5-12) 2124 Vgl. Schmid: Verhältniß 56 (unten 555,39-43) 25f Vgl. CG1 §1 26-29 Vgl. Schmid: Verhältniß 70.73 (unten 557,31-558,3.559,14-17) 30-32 Vgl. ζ. B. Über die Religion, 1. Aufl., Berlin 1799, S. 272-279 (KGA 1/2,308,33-311,23; ed. Pünjer 267-271) 34-1 Vgl. Schmid: Verhältniß 55.65-72 (unten 555,20-25.557,27-559,7)

Erstes

5

10

15

20

25

30

Sendschreiben

321

selbstständigen Vernunftglaubens aus dem ursprünglichen reinen Menschengefühl schöpfen. Nun tröste ich mich gern über diese nur beiläufig angedeutete Sublimirung meiner Methode in jene luftige Region hierin, daß kein gefährliches oder zerstörendes Sublimat dadurch zu Stande kommen wird, sondern eben gar nichts. Aber ganz anders ist es 590 mit jener Begründung der Frömmigkeit durch Einsicht in den Zusammenhang ergriffener Ideen. Denn wenn nun, wie jener Verf. sich ausdrückt, das Positive durch Philosophie construirt wird, und die Construirenden lange genug auf jene Armen, die gar nicht dahinter kommen können, wie es mit ihrer Frömmigkeit zusammenhängt, herabgesehen: so müssen sie sich am Ende doch unter einander gestehen, daß ihre Speculation das Positive nicht würde construirt haben, wenn sie | es 269 nicht schon gefunden hätte, und daß also die Frömmigkeit, so wie sie sich wirklich findet, das Unbegründete, Willkührliche, Zufällige, also Nichtige ist, womit die Philosophie Ehren halber gar nichts zu thun haben kann. Und kommt dann dieses unglücklicher Weise aus, daß die Philosophie in jenen kältesten Polarkeisen, wohin nur wenige vordringen, allein thront, und daß sich die Frömmigkeit aus den Ideen gar nicht entwickelt: so ist leider zu besorgen, daß gar viele edle, zumal junge Gemüther aus Ehrfurcht gegen die Philosophie sich der Frömmigkeit ebenfalls entschlagen, und sie den Nichtwissenden überlassen werden. Für diese nun bleiben immer wir Andern, und suchen ihnen ohne Beweis und Ideen, mittelst des alten λόγος άναπόδεικτος, ihre Frömmigkeit klar zu machen und zu befestigen; aber für jene, die uns treffliche Hülfe hätten leisten können, wären sie nicht auf diesen Abweg geführt worden, ist es doch jammerschade. Doch ich lenke ein, wovon ich abgeschweift, und frage Sie nun, ob Sie es mehr als ich für thunlich halten, einen so tief eingewurzelten und weit greifenden Zwist, der nur durch die That, durch den Ausschlag der gegen einander strebenden Wirksamkeit beider Partheien erschöpft, oder durch ruhige allmählige Verständigung gelöst werden kann, durch Disputationen von einem einzelnen Punkt aus zu schlichten? Ich bin gewiß, Sie verneinen die Frage, und billigen also mein Schweigen.

Und gewiß werden Sie auch das natürlich finden, daß ich mich 591 35 nicht verpflichtet finden kann, mich auf die sonderbarsten Mißverständnisse einzulassen, von denen ich mit dem besten Gewissen be7f Nachdem Schmid die „erste Ansicht" der „das Positive in die Philosophie hinüberdeutenden Theologen" nämlich die Schleiermachers und Twestens, dargestellt hat (Verhältniß 53-59; unten 554,4-557,26), fährt er fort: „Die zweite, damit verwandte Ansicht, welche den positiven Glauben aus der Philosophie construirt, ist die in der naturphilosophischen, besonders hegel'schen Schule herrschende." (59) Hierzu zählt er Daub, Zimmer, Marheineke und Rust. 23 Vgl. z.B. Piaton: Definitiones 415b, Opera ed. Societas Bipontina Bdll, Zweibrücken 1787, S.297

322

5

10

15

20

25

30

An

Lücke

h a u p t e n k a n n , d a ß ich sie nicht verschuldet habe. O d e r meinen Sie, es l o h n e noch, einen b e s o n d e r e n A p p a r a t b e i z u b r i n g e n zu meinen ersten E r k l ä r u n g e n , d a m i t n i e m a n d weiter glauben k ö n n e , d u r c h die absolute A b h ä n g i g k e i t von G o t t w e r d e die menschliche Freiheit a u f g e h o b e n ? Ich k ö n n t e verzweifeln ü b e r die F o r d e r u n g , d e n n | ich weiß mich nicht 270 deutlicher d a r ü b e r a u s z u d r ü c k e n , als ich schon g e t h a n habe. Ich glaube aber auch, es ist jetzt weniger nöthig; d e n n w e r da meint, die menschliche Freiheit auf solche Weise d e n k e n zu müssen, d a ß sie mit jener Abhängigkeit nicht besteht, d e r spiegle sich n u n an einem W ü r t e m b e r g i sehen T h e o l o g e n , dessen ich auch schon o b e n gedacht, u n d d e r sich in diesem Streit auf den P u n k t gestellt hat zu sagen, d a ß allerdings in d e m Willen d e r Allmacht, d a ß a u ß e r G o t t freie W e s e n seyn sollten, ein in sich nicht e r k l ä r b a r e r Act göttlicher Selbstbeschränkung liege. W e n n ich gesagt hätte, d a ß dieß f o l g e aus der V e r w e r f u n g meiner Ansicht: so w ü r d e sich das b e k a n n t e Geschrei e r h o b e n h a b e n ü b e r sophistische Dialektik o d e r C o n s e q u e n z m a c h e r e i . N u n aber ein schlichter M a n n , d e m sein logisches Gewissen zu schaffen macht, sich ein H e r z faßt, es selbst gerade h e r a u s zu sagen, wird es mir d o c h erlaubt seyn, es utiliter zu aeeeptiren. U n d so, d e n k e ich, sind ü b e r diesen P u n k t die W ü r f e l gew o r f e n , u n d jeder k a n n w ä h l e n . W e r sich einen G o t t d e n k e n kann, d e r Acte d e r Selbstbeschränkung ausübt, der k a n n sich d a n n auch mit einer Freiheit schmeicheln, welche sich über die absolute Abhängigkeit erhebt; wer sich hingegen mit solchen Acten G o t t e s nicht zu b e f r e u n d e n vermag, wie ich d e n n meine U n f ä h i g k e i t hiezu gern bekenne, d e r bringe die V o r s t e l l u n g von einer „absoluten Freiheit g e g e n ü b e r d e r absoluten Abhängigkeit", dergleichen ich auf keine Weise zugeben kann, z u m O p f e r . A b e r es giebt n o c h a n d e r e Mißverständnisse ü b e r diesen P u n k t , in B e z i e h u n g auf welche ich mich in gleichem Falle b e f i n d e . Ich gebe es ja w o h l H r n . D r . Steudel von g a n z e m H e r z e n zu, d a ß wir in A n e r k e n n u n g unserer A b h ä n g i g k e i t auch u n s e r e Weltansicht bestim- 592 men, u n d ich h o f f e , ein g r o ß e r Theil meiner G l a u b e n s l e h r e ist nichts Anderes, als die D a r s t e l l u n g dieser Weltansicht; ja, w e n n es mir n o c h w ü r d e , eine christliche Sittenlehre auszuarbeiten, so sollte diese w o h l

7-9 Entsprechende Kritik z.B. bei Baur: Selbstanzeige 258 (s. Anhang KGA 1/7.3,276); Christian Friedrich Böhme: Rezension von CG', in: Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle/ Leipzig 1823), Nr. 116, Sp. 58 (s. Anhang KGA 1/7.3,283); Karl Hase: De fide dissertatio, Tübingen 1823, S. 28; Johann Gottlieb Katze: Erläuterungen einiger Hauptpunkte in Dr. Fr. Schleiermachers christlichem Glauben nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Leipzig 1823, S. 107f; Rust: De nonnulis 69-71 (unten 551,13-37); C.F.Schmid: Tübinger Pfingstprogramm 1826, 11-14 9-13 Vgl. Klaiber: Begriff 120.123 (unten 546,3-7.547,34-40) 25f Vgl. Braniß: Versuch 80-83.90/ (s. Anhang KGA 1/7.3,291-293.298) 29-31 Vgl. Steudel: Frage 100 (unten 562,12-20)

Erstes

Sendschreiben

323

von Anfang bis zu Ende nichts Anderes seyn, als die Darstellung der | unter dieser Anerkennung gefaßten Willensbestimmung. Aber wie 271 nun daraus folgen soll, daß die Frömmigkeit nicht unmittelbarer im Gefühl ihren Sitz habe, als im Willen und im Erkennen, da doch die Frömmigkeit jene Anerkennung selbst ist, fromme Weltansicht aber und Willensbestimmung erst - nach Hrn. Steudels eignen Ausdrücken - aus derselben folgen, das kann ich nicht einsehn. Nur dämmert mir etwas aus der Stelle selbst, die ich im Auge habe 1 , nämlich, ich könne so mißverstanden seyn, als ob nicht die Anerkennung selbst die Frömmigkeit sey, sondern das „in dieser Anerkennung Lust und Unlust Hinnehmen und sich dem Schicksal Fügen." Dieses aber ist mir schon eine fromme Willensbestimmung und Handlungsweise; und ich bin mir gar nicht bewußt, irgend wodurch ein solches Mißverständniß veranlaßt zu haben. Oder wenn gar das schlechthin abhängig Seyn deßhalb bedenklich gefunden wird, weil damit nicht bestehen könnte, daß wir als freie Wesen die göttliche Weltordnung zu verwirklichen haben, ferner, daß dieses Verwirklichen ein Verhältniß der Wechselwirkung mit Gott seyn soll, und eben so, daß, wer sich seiner als b l o ß schlechthin abhängig bewußt wäre - welches „bloß" aber gar nicht von meiner Fabrik ist - , auch kein Selbst mehr seyn könne, was soll ich dazu sagen? Und Hr. Dr. Bretschneider, als er mir entgegnete, das absolute Abhängigkeitsgefühl ohne Idee des Guten könne nur Furcht und Grauen seyn, und das Christenthum könne nicht so begründet werden - welches Letztere immer nur heißen darf erklärt werden, denn von einem Begründen ist gar nicht die Rede bei mir -, muß wohl vergessen haben, daß es dort eben auf eine Erklärung ankam, welche alle Arten von Frömmigkeit unter 593 sich begriff, also auch jene allerniedrigsten, welche sich nur als Furcht und Grauen äußern können. Ich mag nun freilich nicht gern von Gefühl den | Ausdruck dunkel gebrauchen, weil er einmal für Vorstellung 272 üblich ist; aber wenn nun auf jener Stufe das Gefühl der absoluten Abhängigkeit, so lange das Etwas noch unbestimmt ist, ein dunkles seyn soll, so werden doch noch lange nicht alle dunkeln Gefühle Frömmigkeit, weil sie ja nicht alle eine absolute Abhängigkeit aussagen. Aber 1

Tüb. Zeitschr. I. S.100.

3 - 7 Vgl. Steudel: Frage 100 (unten 562,18-22.33-36) 14-16 Vgl. Steudel: Frage 101 (unten 562,41-563,19) 16f Vgl. Steudel:Frage 101 f (unten 563,19-32) 1820 Vgl. Steudel: Frage 102 (unten 563,36-42) 20-23 Vgl. Grundansichten 17f (unten 471,31-472,3). Princip 21 f (s. Anhang KGA 1/7.3,379f) 28-32 Vgl. Bretschneider: Grundansichten 16/(unten 471,2-10) 34 Vgl. unten 562,21f

324

An Lücke

freilich, Hr. Bretschneider meint, die absolute Abhängigkeit müsse eben so gut auf Welt bezogen werden können, als auf Gott, weil nämlich auch vieles in der Natur keine Gegenwirkung gestatte, und so könnten denn freilich viele dunkle Gefühle dazu kommen, Frömmigkeit zu seyn, nur nicht in meinem Sinne! Oder könnte wohl Jemand aus meinen Worten herauslesen, daß Frieren oder Schwitzen eine absolute Abhängigkeit beweisen? Aber es liegt wohl darin, daß Hr. Bretschneider meint, da das Gefühl immer nur eine gegenwärtige Hemmung aussage: so könne es auch immer nur eine relative Abhängigkeit aussagen. Das gilt wohl von dem sinnlichen Gefühl, woran sich das geistige entwikkelt; aber nicht von diesem selbst. Noch sonderbarer ist das Mißverständniß, daß, was ich als Hemmung des höhern Lebens bezeichne, erklärt wird als das „ein persönliches oder individuelles Sinnenleben constituiren wollen", beinahe, als ob ich das zeitliche Daseyn an und für sich für den Abfall erklärte, da ich doch diesen immer nur darin finde, wenn das Gottesbewußtseyn ausgeschlossen wird. Doch was soll ich noch Einzelnes anführen, w o mir zuletzt ein so allgemeines Mißverständniß entgegentritt, als ob die in meiner Glaubenslehre aufgestellte Analyse des Selbstbewußtseyns etwas Anderes seyn wollte, als ganz einfach und ehrlich nur empirisch! Denn deßhalb wirft mir Hr. Bretschneider meine Theorie der Erbsünde als eine Inconsequenz vor, weil diese wirklich empirisch sey. Sagen Sie doch, ist es wirklich nicht deutlich genug, daß, wo ich von Bewußtseyn der Sünde, von Erlösungsbe- 594 dürftigkeit, von der Befriedigung, welche wir bei Christo finden, rede, ich wirkliche erfahrungsmäßige Thatsachen meine, und nicht | etwa vor 273 der Erfahrung hergehende Thatsachen des Bewußtseyns? Steht es nicht schon vor dem Text im Motto? Steht es nicht schon vor der ganzen Dogmatik in der Encyclopädie? Wahrlich, es wäre mir bei tausend Meilen nicht eingefallen, daß irgend Jemand mich anders verstehen könnte; vielmehr war das der Punkt, über den ich in der allervollkommensten Sorglosigkeit war. Und nichts hätte ich mir weniger versehen, als daß ich mit den speculativen Dogmatikern so mannichfaltig zusammengestellt werden sollte, unter denen ich nicht einmal als Dilettant aufzutreten vermöchte, indem ich auch gar nicht darauf eingerichtet bin, in der Dogmatik zu philosophiren. Das soll ich aber durchaus, wie wenig ich

1 - 3 Vgl. Princip 19/ (s. Anhang KGA 1/7.3,378/). Grundansichten 18/ (unten 472,9-29) 7 - 9 Vgl. Princip 17/(s. Anhang KGA 1/7.3,377/}. Gmndansichten 17 (unten 471,13-22) 12-14 Vgl. Bretschneider: Grundansichten 21 (unten 474,15-21). B e g r i f f (Journal fiir Prediger 67) 2/; Schleiermacher: CG' §§84-106 15f Vgl. CG' §80 (KGA 1/7.1,256,25J) 20-22 Vgl. Grundansichten 32/(unten 479,3-41); ähnlich bereits B e g r i f f (Journal fiir Prediger 67) 19/ 26f Vgl. KGA 1/7.1,1 31-33 Vgl. ζ.B. Bretschneider: Grundansichten 65-71 (unten 481,35-485,39); Schmid: Verhältniß 59 (s. oben Anm. zu 321,7/)

Erstes

5

10

15

20

Sendschreiben

325

auch will. Und wie sonderbar wird es mir aufgedrungen. Man solle ja nicht mein „Gottesbewußtseyn" mit „Bewußtseyn von Gott" verwechseln! und es findet sich hernach, das Gottesbewußtseyn in dem Menschen solle Gott selbst seyn! Ich Armer! Wenn ich glaube, mich der größten grammatischen Schärfe zu befleißigen, schlägt es mir ganz entgegengesetzt aus. Wenn aber doch Selbstbewußtseyn, Weltbewußtseyn, Gottesbewußtseyn im Zusammenhang mit einander vorkommen: kann wohl mit Recht die eine Zusammensetzung anders verstanden werden, als die andere? Ist das Weltbewußtseyn in dem Menschen auch die Welt selbst? Und wenn ich auch sage, das Gottesbewußtseyn sey das Seyn Gottes in dem Menschen: muß nicht ein Jeder, der mit dem Ausdruck Allgegenwart einen Begriff verbinden will, ein Seyn Gottes in Anderem zugeben? Ist aber dieses deßhalb Gott selbst? Eben so wenig, als ich mir aufbürden lasse, daß das Seyn Christi in uns, wovon Er selbst redet, Er selbst sey. Sie lächeln? als ob ich das auch gesagt haben sollte? Freilich soll ich es auch gesagt haben! Das ist ja eben der ideale Christus, auf den es mir allein ankommen soll, der zugleich das Gottesbewußtseyn selbst ist, und der Typus des Menschen, wie er seyn soll; wogegen, 595 wenn ich den historischen Christus | einschwärze, ich aus diesem - auch 274 durch sonderbare Mißverständnisse und Uebersehungen, die aber schon ein jüngerer Freund fast hinreichend auseinandergesetzt hat nicht mehr zu machen weiß, als was etwan Aristoteles auch war. Doch ich bin weit entfernt, zu glauben, daß Hr. Prof. Branis sich diesen besonders ausgesucht hat, weil er etwa weiß, daß ich auf ihn, wenn von

1 - 3 Vgl. Bretschneider: Grundansichten 20 (unten 473,12-15). Begriff (Journal für Prediger 67)2 3f Vgl. Bretschneider: Grundansichten 26 (unten 474,40f) lOf Vgl. z.B. CG'§116,3 (KGA 1/7.2,29,21-32) 1 3 - 1 6 Vgl. Klaiber: Begriff 112f (unten 541,20-34) 14 Vgl. Joh 14,20.15,4-7.17,22f 1 6 - 1 8 Vgl. Baur: Osterprogramm 15.23 (s. Anhang KGA 1/7.3,249.253). Selbstanzeige 250f.256 (s. Anhang KGA 1/7.3,27lf. 274) 18 Vgl. die Bemerkung Bretschneiders zu seinem Referat der Schleiermacherschen „ Sätze über die versöhnende Thätigkeit Christi": „Man darf dabei nur nie vergessen, daß Christus der Typus des Menschen ist, wie er seyn soll, nämlich des Menschen, in welchem das Gefühl des sinnlichen Lebens (die menschliche Natur) in dem frommen Gefühl (dem allgemeinen Gottesbewußtseyn, dem die Persönlichkeit geopfert werden muß, was der V f . die göttliche Natur nennt) verschlungen ist." (Grundansichten 23) 1 9 - 2 2 Vgl. Braniß: Versuch 104-108 (s. Anhang KGA 1/7.3,307-309) 20 f Vgl. Karl Immanuel Nitzschs Sammelrezension von Baurs Antrittsprogramm („Primae rationalismi et supranaturalismi historiae capita potiora pars /", Tübingen 1827), Osterprogramm und Selbstanzeige in: Theologische Studien und Kritiken 1 (Hamburg 1828), S. 836-853: „Der Verf. wendet viel Kunst und Scharfsinn darauf, zu beweisen, der Christus dieser Glaubenslehre sey nicht der historische, überhaupt kein historischer, sondern ein ideeller. Bisher aber scheint der Verf. Beweise gebraucht zu haben, die entweder Schleiermachers Dogmatik nicht, oder das kirchliche System zugleich treffen. [...] Der Verf. bemerkt weiter:, Ob die Person Jesu von Nazareth wirklich die Eigenschaften habe, die in dem von Schleiermacher aufgestellten Begriffe des Erlösers angenommen werden, ist doch in der That eine rein historische Frage, die nur durch eine historische Untersuchung der schrifili-

326

An Lücke

der eigentlichen Speculation die Rede ist, eben nicht am meisten halte. Vielmehr erlauben Sie mir hier noch ein Paar Wörtchen für diesen Mann, dem ich nicht nur Dank schuldig bin, weil er einer der ersten war, sich ausführlich mit meiner Glaubenslehre zu beschäftigen, son5 dern den ich wahrhaft hochschätze, und dem ich vollkommen recht gegen mich geben würde, wenn ich das behauptete, was er mich behaupten läßt. Nämlich er kann mit Recht von mir verlangen, daß die geschichtliche Form der Erlösung schon mit Christo selbst anfangen, also auch, daß sie in ihm zuerst als minimum gesetzt seyn soll; aber er kann 10 es doch nur von mir verlangen, so wie es mit der Voraussetzung stimmt, die ich einmal als die christliche Grundvoraussetzung angenommen,

chen Urkunden der evangelischen Geschichte etc. beantwortet werden kann.' Da nun Schleiermacher eine solche Untersuchung nicht vorangestellt habe, so wisse man nicht, wie man mit dem historischen Anknüpfungspunkte dieser Erlösungslehre daran sey. Einmal aber ist hiebei vom Verf. wenig berücksichtigt worden, wie vom Dogmatiker die apologetische Theologie völlig vorausgesetzt werden dürfe, und wie namentlich nach Schleiermacher's Begriffen von Theologie die Aufgabe diese sey, über die Thatsachen eines christlich bestimmten, unmittelbaren Lebensbewußtseyns eine vollständige Reflexion anzustellen; und dann wird niemand auf dem bloßen Wege historisch-biblischer Untersuchung zu der Erkenntniß kommen, daß Jesus der Christ sey. Sonst müßte der Beweis für das Christenthum schlechterdings empirisch seyn und in Demonstration sich vollenden. Ist denn der Gegenstand des Glaubens an Christus, wie er von Anfang bis hieher in der Kirche lebte, nichts als die Summa der Notizen von Jesu von Nazareth, aus denen die Evangelien bestehen ? Ist der geglaubte Erlöser nicht überall zugleich und nothwendig ein in gewissem Sinne ideeller Jesus, den wir, um mit Paulus zu reden, nicht nach dem Fleisch kennen?[...] Schleiermacher habe überdieß selbst die dogmatischen Sätze, durch welche menschliche Zustände beschrieben werden, vorangestellt undgewissermaaßen für allerschöpfend erklärt, auch von der Person des Erlösers nicht in dem Abschnitte von den Beschaffenheiten der Welt, sondern in dem von den christlichen Zuständen gehandelt, woraus sich vollends ergebe, daß ihm die Erlösung und der Erlöser nur die Thatsachen der höchsten natürlichen Entwickelung des menschlichen Bewußtseyns seyen. Abgesehn nun davon, daß der historische Christus, den der Verf. fordert, vor allen Abschnitten der Erlösungslehre und über allen stehet, als Bedingendes und Verknüpfendes, und daß der von der Historie durch den Glauben im Bewußtseyn reflectirte Christus unmöglich erst in dem christlichen Glaubensartikel von der Welt, vielmehr zuerst in dem Artikel von der persönlichen Erlösung vorkommen mußte: so hat sich doch Schleiermacher gegen die naturalistische Deutung seines Erlöserbegriffs geradehin und bestimmt in der vom Verf. S. 251. angeführten Stelle verwahrt, indem er läugnet, die Urbildlichkeit Christi mache ihn zu einem Erzeugniß der menschlichen Seele, läugnet, daß die menschliche Seele sündhaft seyn und zugleich ein reines Urbild erzeugen könne, und behauptet, die Vereinigung des Urbildlichen mit dem Geschichtlichen in Christus sey wesentlich für ein Wunder zu achten. Vergebens entgegnet hier der Verf., das Wunder sey nach Schleiermacher's Begriff natürlich und übernatürlich zugleich, es lasse sich also nicht ersehen, warum nicht auch in jeder Seele kraft desselben Wunders, welches jene Vereinigung bewirkte, das menschliche Urbildliche erzeugt werden könne. Wohl läßt sich dieß einsehen; denn eine solche Erzeugung des Urbilds durch die sündliche Richtung und in derselben würde nicht die Verbindung des Natürlichen und Uebematürlichen, sondern das Unnatürliche und Widersprechende selbst seyn." (848.849f.851f) 7 - 9 Vgl. Braniß: Versuch 193-195 (s. Anhang KGA // 7.3,363f) 1 0 - 2 Vgl. z.B. CG' §118,3 (KGA 1/7.2,46,11-47,26)

Erstes

5

10

15

20

25

30

35

Sendschreiben

327

nämlich der Kraft nach ist sie ganz und ausschließend in ihm gesetzt, und in seiner Person keine Spur von Erlösungsbedürftigkeit. Diese Voraussetzung halte ich aber auch so fest, daß ich mich durch keine einzelne biblische Stelle, die etwas Entgegengesetztes zu enthalten scheint, irre machen lasse. Der Unterschied zwischen Entwicklung und Kampf läßt sich sehr fest halten. Aber Kampf mit sich selbst, um eine Ergebung in den Willen Gottes zu erkämpfen, diesen für Sünde zu achten, ist eine Strenge, von der ich mich nicht dispensiren kann, und einen solchen kann ich daher Christo nicht zuschreiben, ohne die Grundvoraussetzung zu zerstören. Demohnerachtet war die Erlösung als Thatsache in der That noch Null auch nach der Erscheinung Christi vor seiner darauf gerichteten Thätigkeit, und so blieb sie auch als geschichtliche Erscheinung etwas sehr Geringes, so lange Christus | auf 275 Erden war. Dieß werde ich mich nie weigern zuzugeben, aber es folgt auch gar nichts daraus, was mich irgend beschweren könnte. Denn, daß auch die Kraft der Erlösung in Christo ein minimum gewesen seyn müßte, das hängt mit meiner Darstellung nicht zusammen; denn nur mit der ihm einwohnenden göttlichen Kraft wird er diese besondere geschichtliche Person. Wer dieses nicht annehmen kann, der kann aber nicht nur das System meiner Glaubenslehre nicht in seine Gesinnung aufnehmen, welches in dieser Beziehung gar nichts Eigenthümliches aufstellt, sondern auch das kirchliche System nicht, zu welchem sich doch Herr Branis, soviel ich weiß, mit voller Freiheit bekennt, sondern er muß sich dann zu derjenigen Ansicht wenden, welche allerdings auf eine gemeinsame Erlösung Aller durch Alle hinausläuft, in der Christus nur einen ausgezeichneten Punkt bildet. Wie aber etwas Aehnliches auch Jemand für meine Lehre hat ausgeben können, begreife ich noch weniger. - Doch ich kehre zurück, wovon ich abgeschweift bin. Denn was meine Christologie im Allgemeinen betrifft, so genügt es mir schon, Jeden an das zu verweisen, was unser Freund Nitzsch mir bezeugt. Aber jenes Gottesbewußtseyn, welches Gott selbst seyn soll, wovon ich nichts gesagt habe, jener doppelte Gott, ein unveränderlicher und ein der Zeit unterworfener, wovon ich nichts gesagt habe, und jene drei Momente, die ich in der Idee Gottes unterscheiden soll, wovon ich nichts gesagt habe, dieß Alles, wiewohl gar wenig unter sich zusammenstimmend,

2-10 Vgl. Bretschneider: Grundansichten 37f (unten 481,16-34); ähnlich bereits Begriff (Journal fur Prediger 67) 28-30 15-17 (Vgl. Braniß: Versuch 194f (s. Anhang KGA // 7.3,364) 19-21 Vgl. Braniß: Versuch 192 (s. Anhang KGA 1/7.3,362) 22 f Anspielung auf Braniß: Versuch 180.190/ (s. Anhang KGA 1/7.3,3Hf.361) 24-27 Anspielung nicht nachgewiesen 29f Vgl. Nitzsch: „Der christliche Glaube, als ein Glaube an Christus, an den Eingebornen, der sich gar sehr in Glauben an Vorsehung, Tugend und Unsterblichkeit, oder an die sogenannte Lehre Jesu aufgelöst hatte, ist doch wohl gerade von Schleiermachern mehr, als von irgend einem als Grundartikel dargestellt worden." (Rezension von

328

5

10

15

20

25

An

Lücke

und mehreres der Art hängt zusammen mit meinem vorausgesetzten Pantheismus. Und über diesen mich zu erklären, bin ich freilich schon so oft aufgefordert worden, daß ich die Stimmen nicht überhören kann. Auch will ich mich nicht bloß hinter unseres Freundes Nitzsch Wort schützen, daß nun einmal das Christenthum zu etwas in gewissem Sinne Pantheistischem hin-|neige. Denn es mag wohl etwas seyn an der War- 276 nung eines andern Theologen, man solle sich mit dem Worte vorsehen, weil in diesen Tagen die Unwissenheit mit nichts so sehr ihr Spiel treibe. Ich will nicht gerade behaupten, daß es die Unwissenheit thut, 597 denn ich weiß, daß es nicht angenehm ist, so gescholten zu werden; aber Spiel genug wird damit getrieben. Allein, was soll ich machen, wenn ich nirgend erfahren kann, woher die Voraussetzung eigentlich kommt? Der sei. Tzschirner nimmt es als eine bekannte Sache an; denn wo er von dem ästhetischen Princip redet - eine Zusammenfügung, die ich mir freilich auch gar nicht aneignen kann - bin ich doch vorzüglich gemeint, und er sagt, dieses sey vorzüglich zu erklären aus der Schellingschen Philosophie, welche den Pantheismus Spinoza's erneuert habe. Eben so ist auch anderwärts gesagt worden, meine wahre Absicht sey, das Christenthum nach dem Pantheismus, einer mit demselben ganz unverträglichen Philosophie, umzudeuten und zu modeln. Wenn das nun einem vorgeworfen wird, der so laut und wiederholt gesagt hat, die christliche Lehre müsse völlig unabhängig von jedem philosophischen System dargestellt werden: so müßte doch die Behauptung mit den stringentesten Beweisen versehen seyn; und Niemand sollte es auch nur nachsagen, ohne sich auf diese Beweise zu berufen. Wenn aber, wozu ich mich nie bekannt habe, als bekannt angenommen wird, ohne daß es irgend Jemand bewiesen hätte, was soll ich thun? Eben so

Delbrück: Christenthum 3, in: ThStKr 1,625) 5-7 Vgl. Rezension von Delbrück: Christenthum 3: „Je mehr nun eine Weltweisheit Religionsweisheit ist, je mehr sie das Welt- und Naturbewußtseyn im Gottesbewußtseyn und dieses in jenem hegt, je mehr sie vom anthropomorphischen Gepräge des Gottesgedankens aufgiebt, und die Gebiete der Freiheit und Natur mehr in einander, als außer einander, stehet, je mehr sie endlich alle Thatsachen des Bewußtseyns und alle Arten des unsre Zustände begleitenden Gefühls religiös auszulegen beflissen ist, desto mehr muß sie einerseits, sie mag vom Bedürfnisse des Christenthums aus, oder ganz außer demselben gebildet seyn, dem Christenthume schon deshalb entsprechen. Wir sagen einerseits; denn aus dem biblischen, christlichen Monotheism entspringt ein gewisser Pantheism, eine beständige Wiederaufhebung der Mittelursachen in Bezug auf einzelnes Leben und Seyn der Natur, eine Einheit der supematuralen und naturalen Ansicht der Dinge, kurz das, was de Wette in der Lehre vom Geiste Gottes und vom Concursus der Aufmerksamkeit näher gebracht hat, ganz unfehlbar." (ThStKr 1,656f) 7-10 Anspielung nicht nachgewiesen 14-19 Vgl. Tzschirner: Briefe 25-28 (unten 569,22-571,11) 19-21 Vgl. Böhme: Rezension von CG' 49.51.65f (s. Anhang KGA 1/7.3,279.280.285f) 22-24 Vgl. z.B. CG' §§2.31,1.4.38,3

Erstes

5

10

15

20

25

30

35

Sendschreiben

329

schreibt mir Hr. Dr. Bretschneider eine Abhängigkeit von der Schellingschen Philosophie gemeinschaftlich mit Hrn. Dr. Marheinecke und Hrn. Hase zu, und meint, wir zeigten sie darin, daß wir die Weltentwikkelung als eine werdende Persönlichkeit Gottes betrachteten, item die Gegensätze des Individuellen und Absoluten als Sünde. Ich für mich kann nun doch nichts Anderes thun, als protestiren, bis man mir zeigen wird, wo eines von beiden in meinen Schriften vorkommt. Die Ausdrücke sind schon gewiß nicht die | meinigen, sondern Hrn. Dr. Bret- 277 Schneider müssen ganz andere vorgeschwebt haben, die er in diese mir völlig fremde Terminologie übertragen hat. Aber dann würde es doch erst darauf ankommen, die Richtigkeit der Uebertragung darzuthun. Mir ist nichts bekannt, weder in meinen Aeußerungen über die Sünde, 598 noch in denen über die Welt, was hiezu auch nur Veranlassung hätte geben können. Ein Würtembergischer Theologe schreibt mir die Sätze zu, daß das Unendliche, Göttliche selbst das eigentliche Wesen der Dinge sey, und den immanenten Grund ihres Seyns und Lebens ausmache. Item, daß das göttliche unendliche Leben aus dem Zusammenwirken verschiedener attractiver und expansiver Kräfte bestehe. Beide Sätze scheinen mir gar nicht mit einander zu stimmen, wenn nicht etwa das unendliche Göttliche selbst, und das göttliche unendliche Leben zwei ganz verschiedene Dinge sind. Aber ich bin auch gar nicht in dem Fall, etwa zwischen einem von beiden zu wählen, denn es gehört mir keiner von beiden an. Als ich mich aber umsehen wollte, was etwa in den Reden über die Religion zu einem von beiden könnte Veranlassung gegeben haben, stieß ich statt dessen gleich auf eine Stelle, worin ganz deutlich steht, daß in Gott nichts entgegengesetzt, getheilt, vereinzelt seyn kann, und auf eine andere, welche dagegen sagt, daß die Gottheit ihr Werk bis ins Unendliche zertheile. Wenn nun mir, der ich dieses klar und deutlich gesagt habe, jenes, ich weiß nicht woher, beigelegt wird, ohne nach diesem auch nur zu fragen: was kann ich thun, als Jedem anheimstellen, wieviel er einem solchen Berichterstatter Glauben beimessen will. Ein anderer, als er in der Einleitung zur Glaubenslehre die beiläufige Bemerkung liest, es könne auch eine pantheistische Frömmigkeit geben - eine Bemerkung, die ich dem schuldig zu seyn glaubte, was ich in den Reden über Spinoza gesagt hatte, von der ich aber selbst

1 - 5 Vgl. Grundansichten 12-14 (unten 468,26-469,8) 14-17 Vgl. Klaiber: Begriff 102 (unten 534,9-21) 17f Vgl. Klaiber: Begriff 103 (unten 535,4-7) 25-27 Vgl. Über die Religion, 3.Aufl., Berlin 1821, S.37, Erläuterung 2; ed. Pünjer 29 27f Vgl. Über die Religion, 3. Aufl., 5; ed. Pünjer 4 32-3 Nach Nitzschs (Rezension von „Christenthum 3" in ThStKr 1,662) kritischer Annotation und der Sache nach Anspielung auf Delbrück: Christenthum 3,50 (unten 511,7-12); den in Rede stehenden §15,5 dagegen verhandelt Delbrück Christenthum 3, 77f. 33f.35-2 Vgl. CG' §15,5 (KGA 1/7.1,53,13-27.54,4-11) 35 Vgl. Über die Religion, 3.Aufl., 69.167.178-180; ed. Pünjer 53.127.135f

330

An Lücke

bemerke, sie gehöre gar nicht dahin, weil keine Religionsform pantheistisch sey -, klatscht sein εΰρηκα in die Hände und ruft, | was dürfen wir 278 weiter Zeugniß! Was kann ich Anderes thun, als den Mann, der auf dieselbe Bedingung, ich weiß nicht, was alles seyn müßte, neben dem, was er ist, seinem etwas wunderlichen Schicksal überlassen? Denn zum Beweise auffordern, daran habe ich mit dem Einen Mal genug, wenn ich mich nicht noch mehrerer Bücher schuldig machen will, die eben so wenig zum Ziele führen möchten, aber gewiß nicht alle eben so schön und 599 kunstreich geschrieben seyn würden, als das Delbrücksche. Hätten Sie wohl gedacht, daß er, nach der Art, wie ich ihn aufgefordert hatte, mir den Spinozismus, den er im Ganzen so gut dargestellt hatte, nachzuweisen, nun doch, daß von diesem nicht die Rede seyn könne, zwar ehrlich gestehn, dafür aber mit demselben unbestimmten Hin und her von Pantheismus und All-Eins Lehre zum Vorschein kommen würde, worüber ich mich, wie es in jenem Anhange zu lesen ist, geäußert hatte? Und wie mußte ich mich wundern, meine Erklärung über Gott, wobei ich weder rechts, noch links nach irgend einem Philosophen gesehen hatte, sondern ganz einfältig das allen frommen Christen gemeinsame Gefühl gefragt, und dieses nur so zu beschreiben gesucht, daß ich es nicht auf einer andern Seite verletzte, wenn ich ihm auf der einen zu genügen suchte, diese auf einem ganz andern chemischen Wege reproducirt zu sehen aus einer wundersamen Zersetzung von Spinoza und Fichte, wobei der eine Bestandtheil von jedem verfliegt, der übrig bleibende des Einen aber mit dem übrig bleibenden des Andern sich vermöge einer freilich gar nicht erklärten Wahlverwandtschaft verbindet! Mich tröstet nur, daß ich nun wenigstens eben so viel Anspruch habe, ein Ichheitler genannt zu werden, als ein All-Einheitler. Aber ist es auch wirklich dieselbe Erklärung? Kommt auch die Weisheit und die Liebe auf diese

5-15 F.Delbrück publizierte 1826 in Bonn sein „Christenthum. Betrachtungen und Untersuchungen, Zweyter Theil. Enthaltend Philipp Melanchthon, den Glaubenslehrer, eine Streitschrift", worin er in einem Spinoza-Kapitel (S. 79-133) explizit auf Schleiermacher Bezug nahm (S. 124.127f). Mit diesem Werk setzten sich Κ. H. Sack, Κ. I. Nitzsch und F.Lücke unter dem Titel„ Ueber das Ansehen der heiligen Schrift und ihr Verhältniß zur Glaubensregel in der protestantischen und in der alten Kirche. Drei theologische Sendschreiben [...]", Bonn 1827, auseinander, dem als „Zugabe" die hier in Rede stehende „Erklärung des Herrn Dr. Schleiermacher über die ihn betreffenden Stellen der Streitschrift. Aus einem Briefe an einen Freund am Rhein" beigefugt wurde (S. 213-216, bes. 214; vgl. Briefe 4,357-360.358f). Darauf reagierte Delbrück zunächst privat in einem Brief an Schleiermacher vom 19.10.1826 (Briefe 4,366-371; Schleiermachers Antwort vom 2.1.1827 a.a.O. 371-377) und dann in der Vorrede von „ Christenthum 3 " (V-X; unten 504,6-507,9), auch unter Hinweis auf einen weiteren vorauslaufenden Briefwechsel ( X l f ; unten 507,36-508,6; vgl. Briefe 4,378-383). 12f Vgl. Delbrück: Christenthum 3,110 (unten 521,8-10) 16 Vgl. CG' §§64-68 21-25 Vgl. Delbrück: Christenthum 3,96f (unten 517,30-518,10) ' 28 Vgl. CG' §§181-185

Erstes Sendschreiben

5

10

15

20

25

30

331

Weise heraus? Oder ist unser Delbrück nicht so weit gekommen in meiner Glaubenslehre? Oder meint er etwa, das Ende eigne mir nicht so, sey mir nicht so Ernst, als der Anfang, trotz | dem, was ich über das Ver- 279 hältniß beider Theile gegen einander gesagt habe? U n d die Strophe, die er in meinem Namen gedichtet hat, ist ein besonderer Liebesdienst. Fehlt es etwa an Verherrlichung der göttlichen Gnade in meiner Glaubenslehre? oder habe ich mich nicht eben so gegen alles M u ß in Gott erklärt, wie gegen jede Aehnlichkeit mit einer auf Wahl, das heißt auf Schwanken und Unsicherheit gegründeten Freiheit? Aber antworten läßt sich doch hierauf nicht. Denn ich bin eben kein Dichter, daß ich 600 auch eine Strophe dichten könnte in seinem Namen. Setze ich ihm aber in einem wohlgemeinten herzlichen Briefe, meines Wissens ohne alle Zuthat von Witz, aus einander, was mir unangemessen erscheint und inconsistent in seiner Vorstellung von Gott: so antwortet er mir gedruckt und nennt mich doch wieder einen spinozischen Witzling, was ich wenigstens nicht in der Art eines guten einfältigen Menschen finden kann. Und wenn Delbrück von Ewigkeit geschaffen haben und gar nicht geschaffen haben, f ü r einerlei erklärt: so verräth das so wenig Bekanntschaft mit der Sache, daß auch um deswillen die Verhandlungen weiter fortzusetzen nicht thunlich ist. Doch wohin bin ich gerathen? Ich wollte eigentlich gar nicht von diesem Ihrem ehemaligen Collegen reden, weil es in jedem seiner sieben Abschnitte vieles giebt von gleichem Schlage, wie das hier Erwähnte, und es weder lohnen kann, noch erfreuen, dieselbe Operation so o f t zu wiederholen. N u r eine Warnungstafel möchte ich hier noch aufstellen. Wenn Delbrück f ü r das Christenthum oder eigentlich schon f ü r den Monotheismus fordert, daß die Welt nicht nur ein Werk Gottes, sondern auch ein zufälliges Werk G o t tes sey - seine geliebte Glaubensregel scheint dieß freilich völlig frei zu lassen - , so sollen also alle diejenigen Pantheisten heißen, welche sich nichts zufälliges in Gott denken können. In diesem Sinne wird dann bald der größte Theil der denkenden Christen mit mir pantheistisch seyn. Aber wie nun, wenn diese zu Herrn Delbrück sagen: Wir | können 280 nicht anders, als den, der in Gott etwas Zufälliges postulirt, f ü r einen

3 f Vgl. CG' §33 4 f Vgl. Delbrück: Christenthum 3,99f (unten 518,40-319,30) 7 - 9 Vgl. CG' §§ 68 a.b 11-14 Vgl. Brief vom 2./anuar 1827 (Briefe 4,371-377; bes. 373f) 14 f Vgl. Delbrück: Christenthum 3,155 (unten 532,10-18), wo er auf eine Passage des Schleiermacher-Briefs vom 2.1.1827 (Briefe 4,374) anspielt. 17£ Schleiermacher faßt hier Delbrücks Kritik seiner Schöpfungslehre zusammen (Christenthum 3,87-106; unten 511,34-520,10). 21 Anspielung auf Lückes Bonner Lehrtätigkeit (1818-1827) 25-28 Vgl. Christenthum 3,87 (unten 512,4-13) 28 Anspielung auf Delbrücks These der fundamentalen Bedeutung des Apostolikums für das Christentum

332

5

10

15

20

25

30

35

An

Lücke

Atheisten halten? Nicht freilich bezüglich auf jene Erklärung, welche auch den Fetisch unter dem Namen Gott befassen, sondern auf die, welche nur das allervollkommenste Wesen bezeichnen soll? Und so wäre es denn am Ende auch für Hrn. Delbrück am besten, wenn wir uns mit solchen Wörtern lieber gar nicht befaßten, die ich wenigstens so ungern handhabe, weil sie überall einen Flecken zurücklassen, nicht nur da, wohin sie geworfen werden, sondern auch da, woher sie kommen. Ich aber bin in diese Verdammniß des Pantheismus gerathen 601 durch meine Reden lediglich deßhalb, weil ich den Verächtern der Frömmigkeit dieselbe gern überall und auch da zeigen wollte, wo sie sie am wenigsten suchten, und am liebsten an dem Mann, dessen Speculation damals anfing, von Einigen auf eine höchst verkehrte Weise vergöttert zu werden, während Andere ihn auf das Härteste verdammten, dessen acht menschliche, von innen heraus milde, höchst ansprechende Persönlichkeit, dessen tiefe Gemüthsrichtung auf das höchste Wesen hingegen fast Niemand beachtete. Wäre ich nun ein vorsichtiger Mann gewesen, der seinen Lesern alles Schlimme zutraut: so hätte ich wohl ein Plätzchen gefunden, um ihnen zu sagen, wie wenig dennoch in meinen Worten Veranlassung läge, mich für einen Spinozisten zu halten. Aber wie ich nun bin, fiel mir eben das nicht ein; wofür nun seitdem schon so manch liebes Mal nicht sowohl ich gestraft worden bin, denn mir hat es nicht sonderlich was gethan, als vielmehr das Publikum, welches immer der leidende Theil ist bei unnützem Geschrei. Das freilich wäre eine harte Strafe, wenn mein Buch wirklich „nicht wenig beigetragen hätte, dem reißenden Hange zur All-Einheitslehre seine noch fortdauernde Schwungkraft mitzutheilen", weil das nämlich ganz gegen meinen Willen geschehen wäre. Aber ich glaube das auch nicht; soviel aber weiß ich, daß es wenigstens etwas beigetragen hat, um | den Strom 281 der Spötterei zu hemmen, und wenn auch nur einzelne Seelen aus dem tödtenden Indifferentismus herauszureißen, und ihnen die Augen für die, so Gott will, dennoch wahre und ächte Frömmigkeit zu öffnen. Mit diesem Resultat bin ich zufrieden und achte es für einen göttlichen Segen, so daß mir noch keinen Augenblick leid gethan hat, das Buch geschrieben zu haben. Ja ich sehe wohl, es mußte zu diesem Ende größtentheils so seyn, wie es ist, selbst den vornehmen Ton nicht ausgeschlossen, welcher darin vorherrscht und sich mit gutem Erfolg der falschen Vornehmigkeit einer frivolen Negativität entgegen stellte. Durch meine Glaubenslehre aber bin ich in den Verdacht des Pantheis- 602 mus gerathen, lediglich wegen des Kanons, dessen ich vorher erwähnte.

lf

Vgl. Delbrück: Christenthum 3,47 (s. Anhang KGA 1/7.3,396,f) brück: Christenthum 3, VII (unten 505,13-19) 39 Vgl. oben 331,7-9

24-26

Vgl. Del-

Erstes

5

10

15

20

25

30

35

Sendschreiben

333

Darum erlauben Sie mir über diesen noch ein Paar Worte. Sie wissen, lieber Freund, ich habe mir von Anfang an die Aufgabe so gestellt, das in der christlichen Kirche entwickelte Gottesbewußtseyn, wie wir es Alle in uns tragen, in allen seinen Aeußerungen so darzustellen, d a ß es in jedem einzelnen Momente möglichst rein erscheine, und so, daß die einzelnen Bestimmungen, die auf diese Weise entstehen, sich auch zusammenschauen lassen, und eben so zu Einem streben, wie das Gefühl selbst doch immer dasselbe ist, mag es sich nun verbinden mit dem Bewußtseyn unserer Willensfreiheit, oder mit unserem Bewußtseyn des Naturzusammenhanges oder mit dem der geschichtlichen Entwickelung. Rein aus dieser Fassung der Aufgabe ist meine dogmatische Gotteslehre zu erklären. Wer dabei an irgend eine Philosophie denkt, der muß sich nothwendig verwirren, und diese Verwirrung merke ich denn auch fast in allen etwas ausführlichen Kritiken. Ja schon dagegen muß ich protestiren, daß ich, wie unser Freund Nitzsch - der Mann, von dem ich übrigens am liebsten sowohl gelobt werde, als getadelt unter Allen, die sich mit meiner Glaubenslehre beschäftiget - sich ausdrückt, das besondere christliche in ein allgemeines religiöses Wissen | a u f z u - 282 nehmen suche. Ein solches könnte, nach meiner Ansicht, nichts anderes seyn, als eine Abstraction von dem christlichen. Ist aber etwa unter jenem Ausdruck doch ein speculatives Wissen um Gott gemeint: so bleiben diese beiden bei mir immer außer einander, weil sie - so ist meine Ueberzeugung wenn sie gleich zusammen stimmen müssen, doch nicht zusammen gehören, und nicht durch einander bestimmt werden. Ich bin mir auf das Bestimmteste bewußt, von jener Regel nirgend auch nur um eine Linie abgewichen zu seyn; sondern aus ihr sind nicht nur meine Sätze, sondern auch meine Kritiken der bisherigen Formeln allein hervorgegangen. Denn diese freilich haben mir nie genügt, und wenn man die seit den letzten hundert Jahren übliche Behandlung der Lehre von den göttlichen Eigenschaften Kirchenlehre nennen will - wie 603 ich denn hiegegen nach meinem eignen Sprachgebrauch nichts einwenden kann - : so weiß ich auch in der Geschichte meiner Bildung von keiner Annäherung an dieselbe, sondern nur von immer bestimmterer Entfernung. Diese Sätze sind ein Gemisch von Leibnitzisch-Wolfischer rationaler Theologie und von sublimirten alttestamentischen Aussprüchen, unter welchen beiden sich das wahrhaft Christliche fast nur ver-

15-19 Vgl. Rezension von Delbrück: Christenthum 3 (in unmittelbarem Anschluß an das oben in Anm. zu 314,9-11 gegebene Zitat): „Aber seine Dialektik ist ja keineswegs bloße Formal-Philosophie. Sondern er sucht so sehr als Andre nur immer in ein allgemeines religiöses Wissen das besondre christliche aufzunehmen, und bemüht sich eben so sehr um die höchste Einheit und Uebereinstimmung darin, nur daß er mehr als Andre beides seinem Ursprünge nach unterscheidet." (ThStKr 1,656)

334

5

10

15

20

25

30

35

An

Lücke

liert. Die Unhaltbarkeit derselben, wenn man die moralischen und metaphysischen Eigenschaften zusammenstellt, hat es am meisten verschuldet, daß der französische Atheismus unter uns Eingang fand; denn, wo man unter uns von Gott nichts wissen wollte, war immer mehr die herrschende Darstellung gemeint, als die Idee selbst. Das ist die Erfahrung, die sich mir seit meinem Knabenalter immer tiefer eingeprägt hat. Ich nun habe niemals zu meiner Frömmigkeit, weder um sie zu nähren, noch um sie zu verstehen, irgend einer rationalen Theologie bedurft, aber eben so wenig auch der sinnlich theokratischen des alten Testamentes. Darum bildete sich mir mein eignes Verständniß immer in der Polemik gegen jene Methode, wenn sie irgend die-|sen Namen ver- 283 dient, weiter aus. Wäre ich nun nicht in das akademische Lehramt gekommen, was ich gar nicht erwarten konnte, wie ich es auch nie vorher gewünscht hatte, nun so hätte ich auch diesen Theil meiner Dogmatik für mich behalten und verbraucht als Richtschnur für meine Lehrweise auf der Kanzel; wie denn auch die Spuren davon schon in meinen frühesten Predigten deutlich genug zu finden sind. Nun aber mußte sie doch einmal endlich hervortreten. Fragen Sie mich aber, ob nicht nach diesem eignen Bekenntniß der erste Abschnitt meiner Gotteslehre doch eigentlich zu demjenigen Individuellen gehöre, welches zwar in der Kirche seyn möge, dem aber nach meiner eigenen Theorie doch kein Platz in der Dogmatik gebühre: so verneine ich die Frage. Ist jene Behandlung wirklich Kirchenlehre: nun wohl, so sey die meinige immerhin heterodox; aber ich bin fest überzeugt, es ist jene divinatorische Heterodoxie, die schon noch zeitig genug, wenn auch gar nicht gerade durch 604 mein Buch, und wenn auch erst lange nach meinem Tode, orthodox werden wird. Wie sehr es auch jetzt scheint, als wolle auf der einen Seite die Philosophie sich des Christenthums bemächtigen und es mit Gewalt an sich reißen; das gesunde Leben unserer Kirche wird doch immer mehr alle menschliche Speculation in ihr eigenthümliches Gebiet zurückweisen. Wie viele unserer wohlgesinntesten Geistlichen auch zur Sprache des alten Testamentes und zum Predigen aus dem alten Testament zurückkehren: es wird sich doch auch auf diesem Gebiet immer mehr bewähren, daß in Christo das Alte vergangen ist und Alles neu worden. Und wie viele Theologen, die ich brüderlich begrüße, und vor denen ich die größte Achtung hege, es auch noch versuchen mögen, an der alten Methode zu putzen und zu feilen: es wird sich doch immer mehr zeigen, daß Formeln, die zusammengehören sollen, und die doch nicht zusammen leben wollen, auch nur todte Formeln seyn können,

16f Vgl. Predigten von F. Schleiermacher, Berlin 1801; SWΠ/1,3-181 §§1,2.29,3 (KGA 1/7.1,11,8-14.102,29-39) 34f Vgl. 2Kor 5,17

20-22

Vgl. CG'

Erstes Sendschreiben

335

und daß | eine Gotteslehre, welche ihre Farben größtenteils aus der vorchristlichen Zeit nimmt, und was die Zeichnung betrifft, bei irgend einer Philosophie in die Schule gegangen ist, sich nicht für eine richtige Darstellung des christlichen Bewußtseyns geltend machen kann. Darum bleibe ich bei meiner Methode, und gebe sie getrost, auch was diesen Theil betrifft, für eine christliche Glaubenslehre, und glaube nicht, daß eine Protestation hiegegen einen bedeutenden Erfolg haben wird. Aber freilich Wünsche haben mir die auf diesem Gebiet entstandenen Irrungen für die zweite Ausgabe meiner Glaubenslehre erregt, die mich viel und lange beschäftigt haben, die ich aber doch, Alles wohl überlegt, mir selbst nicht gewähren kann. Doch für heute haben Sie genug anhören müssen; versparen wir das auf nächstens.

Manuskript

(Druckvorlage) des Zweiten Teilfaksimile von Blatt 160v

Sendschreibens an Lücke (Originalgröße)

Dr. S c h l e i e r m a c h e r über seine Glaubenslehre, an Dr. Lücke.

48i

Zweites Sendschreiben.

605

Also von meinen Wünschen für die zweite Ausgabe wollte ich Sie 5 unterhalten. Hoffentlich haben Sie Sich meinen etwas flüchtigen Ausdruck gleich richtig gedeutet, und erwarten nichts anderes, als eine freundschaftliche Rechenschaft von Ueberlegungen, die ich vorher angestellt, von Entwürfen, die ich gemacht, von denen ich aber doch hernach fand, daß sie sich nicht ohne großen Nachtheil ausführen ließen. 10 Ich nannte das Wünsche, indem ich mich in die Stelle meiner Leser setzte; und dies liegt ja wohl vorzüglich dem ob, der ein Recht haben will, ihnen so wenig Rechte einzuräumen, als ich mir neulich merken ließ. Das erste nun ist etwas sehr altes. Schon als ich zuerst das Werk 15 ausarbeiten wollte, habe ich lange geschwankt, ob ich den einzelnen Theilen die Stellung geben sollte, die sie nun haben und auch, wie Sie hoffentlich bald sehen werden, für jetzt noch behalten, oder ob ich sie umkehren sollte, mit dem jetzigen zweiten Theil anfangen und mit dem ersten schließen. Wäre es nicht auch ganz natürlich und anständig ge20 wesen für einen Theologen, der durchaus von der reformirten Schule herkommt und dies auch selbst in dem gegenwärtigen Zustande der Union gar nicht glaubt in Abrede stellen zu dürfen, wenn ich mich hierin dem Heidelbergischen Katechismus näher angeschlossen hätte?

1 Glaubenslehre] im Ms. Glaubens- unterstrichen 5 - 7 Ausdruck . . . anderes,... Ueberlegungen,] Ms.: Ausdrukk . . . andres . . . Ueberlegungen 8 gemacht] Ms.: über (Lgemahtl) 11 f setzte ... wohl . . . will,] Ms.: sezte . . . wol . . . will 15-17 geschwankt, . . . jetzt] Ms.: geschwankt . . . jezt 18 jetzigen] Ms. (mit Einfiigungszeichen über der Zeile): jezigen

11-13 Vgl. Erstes Sendschreiben 257f (oben 311,6-312,10) 23 Vgl. Catechismus, Oder Unterricht, Von der Christlichen Lehr, Welche in denen Reformirten Kirchen und Schulen der Chur-Fürstl. Pfaltz, und anderer Orten gelehret wird, Heidelberg 1724, S.3f (Frage 1 u. 2); ed. A. Lang, Leipzig 1907 (Nachdruck Darmstadt 1967), S.4f

338

5

10

15

20

25

An Lücke

Freilich sind ein Katechismus und eine Dogmatik | zwei gar verschie- 482 dene Dinge; um so eher aber glaubte ich, es könne an und für sich nicht 606 schaden, für die Dogmatik von etwas Gebrauch zu machen, was ich grade am Katechismus als solchem tadle. Denn die Jugend, für welche der Katechismus zunächst bestimmt ist, kann die Erlösungsbedürftigkeit nicht so empfinden, weder aus eigner Erfahrung, noch aus allgemeiner Menschenkenntniß. Aber das Grundgefühl eines jeden mündigen und zur Klarheit gekommenen Christen muß doch dieses alte seyn, daß in keinem andern Heil und kein anderer Name den Menschen gegeben ist, wobei eine große Verschiedenheit der Vorstellungsart allerdings immer noch statt finden kann. Und wäre nicht, hiervon auszugehn und von hier aus alles andere zu betrachten, das natürlichste und ordnungsmäßigste für mich gewesen, da ich so bestimmt ausgesprochen habe, daß Christen ihr gesammtes Gottesbewußtseyn nur als ein durch Christum in ihnen zu Stande gebrachtes in sich tragen? Dabei würde nun die eigentliche Lehre von Gott keinesweges zu kurz kommen; aber der Vater wäre zuerst in Christo geschaut worden. Die ersten bestimmten Aussagen über Gott würden gewesen seyn, daß er durch die Sendung Christi das Menschengeschlecht erneuert und sein geistiges Reich in demselben stiftet, also auch die ersten göttlichen Eigenschaften wären Weisheit und Liebe gewesen; und so wäre die ganze Lehre eben so wie jetzt vertheilt vorgekommen, nur in umgekehrter Ordnung. Denn wie zu dem frommen Selbstbewußtseyn des Christen das Bewußtseyn der Sünde immer noch als Element mitgehört, so hätten sich aus demselben ebenmäßig die Vorstellungen der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit als dazu gehöriges Gottesbewußtseyn entwickelt: was aber jetzt das erste ist, der Abschnitt, der größtentheils die sogenannten metaphysischen und natürlichen Eigenschaften Gottes abhandelt, wäre das letzte gewesen. |

2 f ich,... schaden,... machen,] Ms.: ich ... schaden ... machen 4 als solchem] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 6 empfinden,] Ms.: empfinden 6 weder aus] Ms.: aus über (aus) 6 Erfahrung,] Ms.: Erfahrung 8-11 seyn ... andern ... statt finden] Ms.: sein ... Andern ... stattfinden 11-14 nicht, ... andere ... betrachten, ... Gottesbewußtseyn] Ms.: nicht ... andre ... betrachten ... Gottesbewußtsein 15 würde] Ms.: über (Lwärel) 18 würden] Ms.: über (wären) 18 seyn] Ms. (mit Einfiigungszeichen über der Zeile): sein 19 erneuert] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand statt (erneurt) 22 jetzt] Ms.: jezt 23f Selbstbewußtseyn ... Bewußtseyn ... mitgehört,] Ms.: Selbstbewußtsein ... Bewußtsein ... mitgehört 26 Gottesbewußtseyn entwickelt] Ms.: Gottesbewußtsein entwikkelt 27 j e t z t . . . Abschnitt,] Ms.: jezt ... Abschnitt 28 und natürlichen] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 29 letzte gewesen.] Ms.: lezte gewesen. ; folgt Einfiigungszeichen; am

9f Vgl. Apg 4,12

13-15 Vgl. CG' §39

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

339

Das ist die Anlage, lieber Freund, zwischen der und der gegenwär- 483 tigen ich lange unentschieden geblieben bin; und ich hatte wohl Ursache genug, jetzt auf dieselbe Frage zurückzukommen. Denn wie die jet- 607 zige mißverstanden worden ist, sehe ich deutlich genug; meine Kritiker sind größtentheils von der Voraussetzung ausgegangen, ein solches Werk müßte in einem Antiklimax fortschreiten. Oder ist etwa nicht die Einleitung, mit der ich doch nichts anderes beabsichtigte, als eine vorläufige Orientirung, die, genau genommen, ganz außerhalb unserer Disciplin selbst liegt, als die eigentliche Hauptsache, als der rechte Kern des Ganzen angesehen worden? Und nächstdem offenbar der erste Theil! Aus dem Charakter der Sätze in der Einleitung ist geschlossen worden, daß meine Dogmatik eigentlich Philosophie sey, und daß sie das Christenthum, wenn meins nämlich eines sey, demonstriren oder deduciren wolle; und aus dem ersten Theile haben sie sich vorzüglich den Pantheismus construirt. Denn in diesem hat das seinen Sitz, was auch unser Nitzsch als eine gewissen Hinneigung des Christenthums zu dieser Vorstellungsart bezeichnet. Nächstdem ist dann ihnen zufolge noch in dem Abschnitt von der Sünde etwas von meiner Denkungsart wirklich enthalten; alles übrige ist nur ein Außenwerk, ein Anhang, um die Kirchenlehre, die man einmal nicht umgehen kann, jener Philosophie, so gut es sich thun ließ, zu assimiliren. So ist die Sache ja angesehen worden fast überall; und da doch niemand gern so gänzlich mißverstanden wird: so werden Sie es mir nicht verdenken, daß es mir fast leid that, diese Stellung durchgeführt zu haben. Tadeln konnte ich mich freilich nicht eigentlich; denn wie hätte ich mir träumen lassen

linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 1-3 Anlage, ... Freund, ... genug, jetzt ... zurückzukommen] Ms.: Anlage ... Freund ... genug jezt ... zurükzukommen 5 Voraussetzung] Ms.: Voraussezung 7 anderes beabsichtigte,] Ms.: anders beabsichtigte 8 Orientirung,] Ms.: folgt (L 1) 8f die, ... genommen, ... Hauptsache,] Ms.: die ... genommen ... Hauptsache 11 f Sätze ... worden, ... sey] Ms.: Säze ... worden ... sei 12 daß sie] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 13 sey] Ms.: sei 15 Sitz] Ms.: Siz 17 ihnen zufolge] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 19 Anhang,] so (ohne Komma) Ms. (auch Mulert); OD: Anfang, 20 f Philosophie,] Ms.: Philosophie 21 ja] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand statt (doch) 24 that,] Ms.: that

11 f Vgl. z.B. Braniß: Versuch 137-140 (s. Anhang KGA 1/7.3,328f) und Bretschneider: Princip 1 (s. Anhang KGA 1/7.3,369) 12-14 Vgl. ζ. B. Baur: Osterprogramm 3-5 (s. Anhang KGA 1/7.3,243f); Tzschimer: Briefe 29 (unten 571,38-43) 14f Vgl. insbesondere Christian Friedrich Böhme: Rezension von CG', in: Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle/ Leipzig 1823), Nr. 115-117, Sp. 49-54.57-63.65-72 (Auszug in Anhang KGA 1/7.3,279-286) 15-17 S. obenAnm. zu 328,5-7

340

5

10

15

20

25

An Lücke

können, daß man von einer solchen Voraussetzung ausgehen würde, da doch ein wissenschaftliches Werk kein Gastmahl ist, wobei man auf einen gewissen Rausch durch das vorangeschickte trefflichste Getränk rechnet, um dann geringeres Gewächs noch leidlich anzubringen. Ich war mir | sogar bewußt, das meinige treulich gethan zu haben, damit 484 eine solche Ansicht nicht aufkäme, indem ich ja deutlich genug gesagt hatte, der erste Theil gehöre zwar zum Gebäude selbst, aber doch nur als Eintritt und Vorsaal, und die Sätze desselben Seyen, so wie sie dort gegeben werden könnten, eigentlich nur unausgefüllte Rahmen, und be- 608 kämen ihren wahren Gehalt nur durch die Beziehung auf das, was erst hernach vorgetragen werde. Warum sollte ich nicht diesem Verhältniß zufolge berechtigt seyn, dieses ganze Geflecht von Sätzen bis dorthin zu versparen, wo sie gleich in ihrer vollen Bedeutung hervortreten können! Gewiß ist doch, daß eine Allmacht, von der ich nicht weiß, welches ihr Ziel ist und wodurch sie in Bewegung gesetzt wird, eine Allwissenheit, von der ich nicht weiß, wie sie die Gegenstände ihres Wissens stellt und schätzt, eine Allgegenwart, von der ich nicht weiß, was sie ausstrahlt und was sie an sich zieht, nur unbestimmte und wenig lebendige Vorstellungen sind, ganz anders aber, wenn in dem Bewußtseyn der neuen geistigen Schöpfung die Allmacht, in der Wirksamkeit des göttlichen Geistes die Allgegenwart, im Bewußtseyn göttlicher Gnade und Wohlgefallens die Allwissenheit sich kund giebt. N u n wollte ich freilich, auch wie das Buch jetzt ist, die Leser auch nicht einmal vorläufig mit jenen dürftigen Vorstellungen abspeisen, sondern ich setzte voraus, und habe auch nicht ermangelt, es zu sagen, daß das fehlende jeder in seinem unmittelbaren Selbstbewußtseyn auf irgend eine Weise mitbrächte, und also keiner sich würde verkürzt finden, wenn er auch das-

1-3 können, ... Voraussetzung ... gewissen] Ms.: können ... Voraussezung ... gewißen 3 f durch ... vorangeschickte trefflichste Getränk] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand): durch ... vorangeschikte treflichste Getränk 5-8 bewußt, ... haben,... Sätze ... Seyen] Ms.: bewußt... haben ... Säze ... seien 8 f so ... könnten,] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 10 das,] Ms.: das 12 seyn, ... Sätzen] Ms.: sein ... Säzen 14 doch,] Mi.: doch 15 Bewegung] Mi.: mit Einfügungszeichen am linken Rand statt (Gewiß) 15-18 gesetzt ... schätzt ... zieht,] Ms.: gesezt ... schäzt ... zieht 18 lebendige] folgt Ms.: also dürftige 19-21 aber, ... Bewußtseyn ... Bewußtseyn] Ms.: aber ... Bewußtsein ... Bewußtsein 23f jetzt ... setzte] Ms.: jezt ... sezte 25 und ... sagen,] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 25 ermangelt,] Ms.: ermangelt 26 Selbstbewußtseyn] Ms.: Selbstbewußtsein 2-4 Wohl Anspielung auf Joh 2,9f 6-11 Vgl. CG1 §33,1.2 (KGA 1/7.1,1 Π,22-116,39) 25-27 Vgl. CG' §33,1 (KGA 1/7.1,1 Π,33-116,21)

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

341

selbe in der Gestalt des Dogma hier erst später erhielt. Aber wenn doch alle solche Winke verloren waren, weil, wie gesagt, so viele an dem Buche theilnahmen und auch theilnehmen sollten, die nichts mitzubringen hatten, was sie nicht erst von der Dogmatik empfangen hätten: warum sollte ich nicht das Werk lieber gleich mit der Darstellung des vollen christlichen Bewußtseyns anfangen? Wenn jetzt so manche ach-|tungs- 485 werthe und auch sehr beachtete Stimme warnt, man solle ja nicht meinen, mein Gott sey der Gott des christlichen Glaubens: so muß ich eben denken bei Einigen, daß sie, von der Einleitung und dem ersten Theile als einem ihnen fremdartigen und ungewohnten Getränke gleichsam betäubt, in dem zweiten das ihnen sonst wohlbekannte und geläufige nicht mehr recht heraus schmecken konnten, bei Andern, daß ihnen der 609 zweite Theil sich zu kirchgläubig zu geberden schien, als daß sie sich hätten entschließen können, es genau mit ihm zu nehmen, zumal es sie verdroß, daß einer, von dem sie nun einmal anderwärts her glaubten, er sey noch weiter von dem kirchlichen entfernt, als vielleicht sie selbst, doch diesen Mantel mit einem gewissen natürlichen Geschick zu tragen wisse. Denn daß sie es beide bei den prophetischen Lehrstücken hernach doch wieder genau nahmen, wie schnell sie auch das frühere überschlagen hatten, das verdanke ich der natürlichen Neugierde des den Tod fürchtenden Kindes in uns. Diese Art der Behandlung des Buches wäre nun bei der umgekehrten Stellung nicht möglich gewesen. Keiner hätte dann verkennen können, daß die Darstellung des eigenthümlich christlichen Bewußtseyns wahrhaft und wirklich der eigentliche Zweck des Buches sey. Ja ich glaube selbst, wenn die Einleitung ganz eben so geblieben wäre, und sich durch diese für sich allein bei manchen ein Verdacht hätte einschleichen können, als sey es hier auf eine philosophische Construction abgesehen: so würde dieser bei dem eigentlichen

2-6 weil, ... gesagt, ... viele ... hatten, ... Bewußtseyns] Ms.: weil ... gesagt ... Viele ... hatten ... Bewußtseins 6-8 jetzt ... meinen,] Ms.: jezt ... meinen 9-17 sie, ... schmecken ... können,... sey ... entfernt,... Geschick] Ms.: sie ... schmekken ... können ... sei ... entfernt ... Geschikk 18 daß ... beide] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 18 Lehrstücken] Ms.: Lehrstükken 18f hernach ... nahmen] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand statt (führte doch beide) 20 das ... der] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand statt (die) 20 natürlichen] Ms.: korr. aus natürliche 21 uns] folgt Ms.: (wieder zusammen) 24f Bewußtseyns ... Zweck ... sey] Ms.: Bewußtseins ... Zwekk ... sei 25 selbst,] Ms.: selbst 26 durch ... allein] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand statt (also auch) 27-1 sey ... seyn,] Ms.: sei ... sein;

2-4 Vgl. oben 318,23-32 106 (unten 513,28-520,10)

6-8 Anspielung vermutlich auf Delbrück: Christenthum 3,9018 CG' §§176-179

342

5

10

15

20

An Lücke

Anfange des Werkes selbst wieder verschwunden seyn, weil die Einleitung sich von einem solchen Anfang als etwas ungleichartiges weit stärker abgesondert hätte. Daß alsdann auch die Sätze des jetzigen ersten Theiles, die in ihrer dermaligen Gestalt wohl verdienten als ein bloßes Außenwerk zuletzt aufgeführt zu werden, wenn sie wirklich erst hinter der Christologie und der Lehre von der Kirche und nach der Entwicklung der göttlichen Liebe und Weisheit aufträten, | einen wärmeren Far- 486 benton haben, und ebenfalls im eigenthümlich christlichen Licht erscheinen würden, wäre ein unverkennbarer und sicherer Vortheil gewesen. Hätte nun vollends die gefährliche Einleitung noch stärker und ausdrücklicher von dem Werke selbst gesondert werden können: so würde dann gewiß dem schlimmsten und grellsten Mißverständniß, daß nämlich meine Glaubenslehre eine speculative Tendenz habe, und auf einem speculativen Grunde ruhe, möglichst vorgebeugt worden seyn. Ich gestehe Ihnen, daß ich nicht nur lange mit Liebe an dieser An- 610 Ordnung gehangen habe, sondern daß mir diese Liebe niemals vergangen ist, und ich durch die gegenwärtige Gestalt des Buches meiner Neigung ein großes Opfer gebracht habe. Eines Theils wäre es alsdann viel nothwendiger geworden, bei jedem einzelnen Lehrstück auf das christliehe Centrum des Selbstbewußtseyns zurück zu gehn, und mithin würde auch der eigenthümliche Charakter des Buchs viel schärfer an jeder Stelle herausgetreten seyn. Andern Theils hätten meine Zuhörer etwas erhalten, das ihnen meine Vorträge nicht nur wiederholt, sondern

1-3 weil ... hätte] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 2f Anfang ... weit stärker abgesondert] Ms.: Anfang weit stärker ... abgesondert 3-7 Sätze ... jetzigen ... w o h l . . . zuletzt... Entwicklung] Ms.: Säze .. jezigen ... w o l . . . z u l e z t . . . Entwiklung 8 ebenfalls] Ms.: über (auch) 10-12 nun ... dem] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (dann nur noch die Einleitung gehörig abgesondert werden können, und schon der neue Anfang des Werkes würde (würde am Rand mit Einfiigungszeichen statt hätteJ dieses zum Theil bewirkt haben: so würde doch das) 12 schlimmsten und grellsten] Ms.: korr. aus schlimme und grelle 13 nämlich] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 14 seyn.] Ms.: sein.; folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 18 wäre] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (würde) 18 alsdann] Ms.: dann 19 geworden] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (gewesen sein) 19 einzelnen Lehrstück] Ms. (mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (Punkt)): einzelnen Lehrstükk 20 Selbstbewußtseyns zurück zu gehn] Ms.: Selbstbewußtseins zurükzugehn 21 würde] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 22 seyn] Ms.: sein 23 wiederholt,] Ms.: wiederholt

12-14 Vgl. z.B. Böhme: Rezension }4 (s. Anhang KGA 1/7.3,282/); Tzschimer: Briefe 2729 (unten 570,39-571,34)

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

343

sie ihnen ergänzt hätte. Wenn wir überlegen, mein lieber Freund, wie wenige von denen, welche vor uns auf den Bänken sitzen, hernach in einem eigentlich wissenschaftlichen Zuge bleiben, und wie kalt und trocken einem leider nur zu großen Theil die Anwendung dessen, was sie als Dogma aufgefaßt haben, auf der Kanzel geräth: so müssen wir wohl merken, daß unsere Einrichtung des Studiums und ihr künftiger Lebensgang sich nicht für einander schicken. Wie wenig ich deswegen denen beistimme, welche meinen, wir trügen überhaupt zuviel Dogmatik vor, wissen Sie, so wie auch, daß ich nicht viel halte von einer sogenannten praktischen Dogmatik, an welches System sie sich auch anschließen möge. Eben so wenig möchte ich rathen, unseren dogmatischen Vorlesungen selbst eine ganz andere Richtung zu | geben und mit der Ausein- 487 andersetzung der Glaubenslehren den ascetischen Gebrauch derselben zu verbinden, oder gar sie zu einem collegium pietatis zu machen. Vielmehr darf diesem Zeitraum des akademischen Studiums unserer Theologen der rein wissenschaftliche Gehalt nicht verkümmert werden, weil wir vorzüglich dazu berufen sind, diesen Keim überall hervorzulocken und zu pflegen, und darum wüßte ich auch meine dogmatischen Vorlesungen nicht eben viel anders einzurichten, als ich von jeher gethan. Aber von meinem Buche hätte ich gewünscht, es möchte dieses in einem höhern Grade, als es der Fall ist, und nicht nur durch seine ganze Anlage, sondern auch bei dem einzelnen leisten, nämlich gegen die aus- 611 schließliche Vertiefung in den systematischen Zusammenhang bewahren, und immer wieder das Bewußtseyn hervorrufen, daß die Sätze nur das abgeleitete sind und der innere Gemüthszustand das ursprüngliche. Ich hätte gewünscht, es so einzurichten, daß den Lesern möglichst auf jedem Punkt hätte deutlich werden müssen, daß der Spruch Joh. 1,14. der Grundtext der ganzen Dogmatik ist, so wie er dasselbe für die ganze Amtsführung des Geistlichen seyn soll. Wie es jetzt ist, gehören

1 - 6 überlegen, . . . Freund, . . . sitzen . . . trocken . . . wohl merken,] Ms.: überlegen . . . Freund ... sizen . . . trokken . . . wol merken 6 ihr künftiger] Ms.: der künftige 7 schicken] Ms.: schikken 8 - 1 0 beistimme, . . . meinen, . . . Dogmatik,] Ms.: beistimme . . . meinen . . . Dogmatik 11-13 rathen, . . . Auseinandersetzung] Ms.: rathen . . . Auseinandersezung 14 oder . . . machen.] Ms.: mit Einfügungsleichen am rechten Rand 15f des . . . T h e o l o g e n ] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 17f sind, . . . hervorzulocken] Ms.: sind . . . hervorzulokken 19 als . . . gethan.] Ms.: am rechten Rand 21-24 höhern G r a d e , . . . i s t , . . . A n l a g e , . . . Bewußtseyn hervorrufen, . . . Sätze] Ms.: höheren Grade . . . ist . . . Anlage . . . Bewußtsein hervorrufen . . . Säze 26-2 Ich . . . kann.] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 26-29 gewünscht, . . . müssen, . . . seyn] Ms.: gewünscht . . . müssen . . . sein 29-2 jetzt . . . Combinationen, . . . allen] Ms.: jezt . . . Combinationen . . . Allen

9f Vgl. CG1 §31 Zusatz (KGA

1/7.1,112,15-28)

344

An Lücke

hiezu Combinationen, die ich, so einfach sie auch sind, doch, wie ich leider sehe, nicht von allen erwarten kann. Wenn überall wissenschaftlicher Geist und religiöse Erregung gleichen Schritt halten müssen in theologischen Productionen, so glaube ich zwar mir das Zeugniß geben zu können, daß an meinem Buche, sofern ich es als That, als Handlung ansehen kann, das eine soviel Antheil hat, als das andere; aber wenn ich dasselbe von ihm sollte rühmen können als Werk, so müßte auch die Wirkung nach beiden Seiten hin eine gleichmäßige seyn, und dies kann ich, wie es jetzt ist, nicht glauben, bin aber überzeugt, daß bei jener Anordnung ich mich diesem Ziel um ein Bedeutendes mehr würde genähert haben. Dennoch mußte ich davon abstehen, eine solche Verbesserung auf diesem Wege zu suchen. Zwei Gründe hielten | mich davon zurück mit 488 einer für mich unüberwindlichen Gewalt; indeß da der eine nur eine Grille ist und der andere gewiß nur eine Unfähigkeit: so tröste ich mich um so leichter damit, daß früher oder später ein Anderer kommen wird, der diese bei weitem vorzüglichere Stellung mit Lust und Glück durchführt. Die Grille, mein Lieber, ist eine sehr starke Abneigung eben gegen jene Form des Antiklimax! Wenn die göttliche Weisheit und Liebe mir so wenig bedeuteten, wie es in einer pantheistischen Dogmatik - wenn ich nämlich das Wort in dem Sinne nehme, wie es gegen mich und andere als Vorwurf gebraucht wird - nicht anders seyn kann: so würde es mir nicht möglich gewesen seyn, ihnen die jetzige Stellung zu geben, so wie ich mich wohl gehütet hätte, mein Bestes gleich vorn weg zu neh- 612 men. Hätte ich aber, da sie nicht pantheistisch ist, die andere Stellung gewählt, so hätte ich den Schluß machen müssen mit den natürlichen Eigenschaften Gottes. Und wenn gleich wahr ist, daß auch diese sich dann hätten anders vortragen lassen, so würde mir auch dies nur dann zu einiger Milderung gereicht haben, wenn ich die Darstellung hätte

5 an] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand statt (L 1) 5—9 Buche, . . . That, . . . ansehen . . . hat, . . . seyn . . . jetzt . . . überzeugt,] Ms.: Buche . . . T h a t . . . ansehn . . . hat . . . sein . . . j e z t . . . überzeugt 12 abstehen,] Ms.: abstehn 13-16 zurück . . . wird,]. Ms.: zurükk . . . wird 17 bei . . . vorzüglichere] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (einzig richtige) 17f durchführt.] Ms.: folgt Einftigungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 21 es] Ms.: das 21-23 - wenn . . . wird - ] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 22-24 andere . . . seyn . . . seyn] Ms.: Andere . . . sein . . . sein 24 die jetzige] Ms.: diese 25 wohl . . . hätte,] Ms.: wol . . . hätte 26 aber . . . die] Ms.: eine ganz 27 gewählt,] Ms.: gewählt 27 ich] Ms.: ich dann 27 natürlichen] Ms.: sogenannten natürlichen und metaphysischen (natürlichen und mit Einftigungszeichen am linken Rand) 29 lassen,] Ms.: lassen; 29 auch] Ms.: doch

Zweites Sendschreiben

345

sehr zusammen drängen dürfen! Nach einer vollständigen Darstellung d e r L e h r e v o n d e r E r l ö s u n g u n d d e m R e i c h e G o t t e s w ü r d e es m i r k a u m a n d e r s m ö g l i c h g e w e s e n seyn, als alle L e h r s t ü c k e d e s j e t z i g e n e r s t e n Theils sehr k u r z zu b e h a n d e l n . U n d eben dies w ä r e unstreitig ein g a r 5 nicht unbedeutender Nachtheil gewesen, nicht gerade für das Buch an u n d f ü r sich b e t r a c h t e t , a u c h n i c h t in s e i n e m V e r h ä l t n i ß z u m e i n e r P e r s o n als A b b i l d m e i n e r A n s i c h t , w o h l a b e r in B e z u g a u f d i e g e g e n w ä r t i g e n B e d ü r f n i s s e u n s e r e r Kirche; u n d ich w ü r d e n i c h t g l a u b e n , m e i n e m B e r u f g e n ü g t z u h a b e n , w e n n ich d i e s e m T h e i l e t w a s B e d e u t e n d e s a b g e 10 z o g e n h ä t t e . S i e h a b e n h i e r e i n e s c h w i e r i g e u n d e b e n d e ß h a l b v i e l l e i c h t a u c h l a n g e H e r z e n s e r l e i c h t e r u n g z u e r w a r t e n ; a b e r i c h k a n n sie I h n e n nicht ersparen. | W e n n S i e d e n g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t b e - 489 t r a c h t e n , w i e sie sich i m m e r m e h r z u e i n e r u m f a s s e n d e n W e l t k u n d e g e 15 s t a l t e t , v o n d e r m a n v o r n o c h n i c h t g a r l a n g e r Z e i t k e i n e A h n d u n g hatte: w a s a h n d e t I h n e n v o n d e r Z u k u n f t , ich will n i c h t e i n m a l s a g e n f ü r unsere Theologie, sondern für unser evangelisches Christenthum? Ich sage f ü r u n s e r evangelisches; d e n n ein romanistisches k a n n m a n freilich i m m e r haben. W e n n m a n mit d e m S c h w e r d t drein schlagen 20 k a n n g e g e n d i e W i s s e n s c h a f t ; w e n n m a n i m B e s i t z a l l e r ä u ß e r n H ü l f s mittel sich e i n z ä u n e n k a n n g e g e n allen A n g r i f f g e s u n d e r F o r s c h u n g , u n d nun d r i n n e n eine gebietende Kirchenlehre aufstellen, die Allen d r a u ß e n w i e ein w e s e n l o s e s G e s p e n s t e r s c h e i n t , d e m sie a b e r d o c h h u l d i g e n m ü s s e n , w e n n sie e i n m a l o r d e n t l i c h b e g r a b e n s e y n w o l l e n : s o 25 b r a u c h t m a n s i c h f r e i l i c h n i c h t s a n f e c h t e n z u l a s s e n , w a s i r g e n d a u f d i e - 613 sem Gebiet geschehen mag. Aber das k ö n n e n wir d o c h nicht und wollen es a u c h n i c h t , u n d d a r u m m ü s s e n w i r u n s m i t d e r G e s c h i c h t e b e h e l f e n , w i e sie s i c h e b e n e n t w i c k e l n w i r d . U n d d e ß h a l b will m i r n u n n i c h t s a n d e r e s a h n d e n , als d a ß w i r w e r d e n l e r n e n m ü s s e n u n s o h n e vieles b e 30 h e l f e n , w a s V i e l e n o c h g e w o h n t s i n d a l s m i t d e m W e s e n d e s C h r i s t e n -

1 zusammen drängen] Ms.: zusammendrängen 3 seyn . . . Lehrstücke . . . jetzigen] Ms.: sein ... Lehrstükke . . . jezigen 7-10 wohl . . . glauben, . . . deßhalb] Ms.: wol ... glauben ... deshalb 12 ersparen.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 13f betrachten,] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (gestaltet) 16f Zukunft, ... Theologie,] Ms.: Z u k u n f t . . . Theologie 18 romanistisches] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (katholisches) 19£ drein schlagen . . . Besitz] Ms.: dreinschlagen ... Besiz 20 äußern] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (nöthigen)J: äußeren 2125 Forschung, . . . seyn ... lassen,] Ms.: Forschung . . . sein . . . lassen. 25f was . . . mag.] Ms.: mit Einfiigungszeichen am Unken Rand 28 entwickeln] Ms.: entwikkeln 28 Und] Ms.: korr aus Lundl 28 deßhalb] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (es)): deshalb 29 anderes] Ms.: anders 30 Viele] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (wir)

346

5

10

15

20

25

An

Lücke

thums unzertrennlich verbunden zu denken. Ich will gar nicht vom Sechstagewerk reden, aber der Schöpfungsbegriff, wie er gewöhnlich construirt wird, auch abgesehen von dem Zurückgehn auf die mosaische Chronologie und trotz aller freilich ziemlich unsichern Erleichterungen, welche die Auslegung schon herbeigeschafft hat: wie lange wird er sich noch halten können gegen die Gewalt einer aus wissenschaftlichen Combinationen, denen sich niemand entziehen kann, gebildeten Weltanschauung? und das zu einer Zeit, wo die Geheimnisse der Geweiheten nur in der Methode und in dem Detail der Wissenschaften liegen, die großen Resultate aber sehr bald allen helleren und umsichtigen Köpfen auch im eigentlichen Volke zugänglich werden! Und unsere Neutestamentischen Wunder, denn von | den Alttestamentischen 490 will ich gar nicht erst reden, wie lange wird es noch währen, so fallen sie aufs neue, aber von würdigern und weit besser begründeten VorausSetzungen aus, als früherhin zu den Zeiten der windigen Encyclopädie, unter das Dilemma, daß entweder die ganze Geschichte, der sie angehören, sich muß gefallen lassen, als eine Fabel angesehen zu werden, von der sich gar nicht mehr ausmitteln läßt, wie viel Geschichtliches ihr eigentlich zum Grunde liegen mag, und dann erscheint das Christenthum vor allem andern als nicht aus dem Wesen Gottes, sondern aus Nichts geworden, oder wenn sie wirklich als Thatsachen gelten sollen, werden wir zugeben müssen, daß, sofern sie wenigstens in der Natur geworden sind, auch Analogien dazu in der Natur gesucht werden. Und so ist es auch hier wieder der Begriff des Wunders, der in seiner bisherigen Art und Weise nicht wird fort bestehen können. Was soll dann werden, mein lieber Freund? Ich werde diese Zeit nicht mehr erle- 614 ben, sondern kann mich ruhig schlafen legen. Aber Sie, mein Freund, und Ihre Altersgenossen, so viele deren mit uns gleichen Sinnes sind,

2f S c h ö p f u n g s b e g r i f f , . . . wird, . . . Zurückgehn] Ms.: S c h ö p f u n g s b e g r i f f ... wird . . . Zurükgehn 4 und] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 4 trotz] Ms.: troz 10 liegen,] Ms.: liegen 12f Alttestamentischen . . . währen,] Ms.: alttestamentischen . . . währen 14f aufs . . . Encyclopädie] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 14 würdigern und] Ms.: mit Einßigungszeichen über der Zeile 14-16 Voraussetzungen aus, . . . früherhin ... Encyclopädie, . . . Dilemma,] Ms.: Voraussezungen aus ... früher hin . . . Encyclopädie . . . Dilemma 16 daß] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 16-22 angehören, . . . lassen, . . . l ä ß t , . . . Geschichtliches ... Gottes, ... sollen, ... müssen,] Ms.: angehören ... lassen . . . läßt . . . geschichtliches ... Gottes ... sollen . . . müssen 22 sofern] so Ms.; OD: soferne 23 sind,] Ms.: sind 24 Wunders, der] Ms.: Wunders der; folgt (sich) 26 werden,] Ms.: werden 26f erleben,] Ms.: erleben 27f Sie, ... Altersgenossen,] Ms.: Sie ... Altersgenossen

2 Vgl. Gen 1,3-31

Zweites

5

10

15

20

25

30

Sendschreiben

347

was gedenken Sie zu thun? Wollt Ihr Euch dennoch hinter diesen Außenwerken verschanzen, und Euch von der Wissenschaft blokiren lassen? Das Bombardement des Spottes, welches dann auch von Zeit zu Zeit erneuert werden wird, will ich für nichts rechnen, denn das wird auch Euch, wenn Ihr nur Entsagung genug habt, wenig schaden. Aber die Blokade! die gänzliche Aushungerung von aller Wissenschaft, die dann, nothgedrungen von Euch, eben weil Ihr Euch so verschanzt, die Fahne des Unglaubens aufstecken muß! Soll der Knoten der Geschichte so auseinander gehn? das Christenthum mit der Barbarei, und die Wissenschaft mit dem Unglauben? Viele freilich werden es so machen, die Anstalten dazu werden schon stark genug getroffen, und der Boden hebt sich schon unter unsern Füßen, wo diese düstern Larven auskriechen wollen, von enggeschlossenen religiösen Kreisen, welche alle Forschung außerhalb jener Umschanzungen eines alten Buchstaben 491 für satanisch erklären. Aber diese können wohl nicht ausersehen seyn zu Hütern des heiligen Grabes, und ich kann mir Sie und unsere gemeinschaftlichen Freunde und deren Schüler und Nachfolger nicht unter ihrer Zahl denken. Soll ich, wenn einmal jener Streit zwischen der freien, unabhängigen Wissenschaft und unserer Glaubenslehre ungeschlichtet bleiben müßte, noch ein Paar Auswege nicht sowohl vorschlagen, als vielmehr nur vorlegen? Denn betreten sind sie schon genug. Versucht es, ob Ihr Euch dessen, was uns bisher das eigentliche Christenthum gewesen ist, des Glaubens an eine göttliche Offenbarung in der Person Jesu, aus welcher Alle immer aufs neue ein kräftiges himmlisches Leben schöpfen können und sollen, entschlagen könnt, und Euch den Jesum gefallen lassen, der schon seit geraumer Zeit mit allen Ehren bald als Weiser von Nazareth, bald als simpler Landrabbiner umgeht, und zwar die neue Synagoge, die sich so wunderbarer Weise zur christlichen Kirche erweitert hat, fast ohne es zu wollen, ge- 615 stiftet und das Centrum ihrer Lehre, den Glauben an ihn selbst, hinter dem doch nichts ist als die Fantasmagorien, die sich mittelst geistiger Hohlspiegel bewirken lassen, leider gewissermaßen geduldet, aber doch für seine Zeit gar schöne Sachen gesagt hat, die man immer noch als Motto gebrauchen kann, um unsere heilsamen und vornehmen Gedan-

1 gedenken Sie] Ms.: gedenkt Ihr 3-5 Spottes, ... Euch, ... habt,] Ms.: Spottes ... Euch ... habt 7f Euch, ... aufstecken] Ms.: Euch ... aufstekken 8 Knoten] Ms.: Gang 9 gehn?] so Ms.; OD: gehn; 11 getroffen,] so Ms. (auch Mulert); OD: getroffen 12f Füßen, ... wollen,] Ms.: Füßen ... wollen 15 wohl ... seyn] Ms.: wol ... sein 18 ich,] Ms.: ich 19 freien, unabhängigen] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand): freien unabhängigen 20 müßte,] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (soll) 20f sowohl vorschlagen,] Ms.: sowol vorschlagen 22-30 dessen, ... Nazareth, ... wollen, ... selbst,] Ms.: dessen ... Nazaret ... wollen ... selbst

348

An Lücke

ken daran zu knüpfen. Wollt Ihr Euern Glauben an ihn darauf beschränken, daß Ihr Euch mit einspannt, um ihn noch länger bei Ehren zu halten und, da es um eine neue Centraifigur und ein neues Spruchbuch immer eine mißliche Sache ist, das Geschäft der Volksbildung und Ethisirung noch länger an diesem Faden fortzuleiten: so werdet Ihr immer, wenn jene T a g e hereinbrechen, mehr Entschuldigung haben, als jetzt. Und solches Einlenken fängt schon an auch auf geschichtlichem Wege leicht genug gemacht zu werden. O d e r werden nicht die Ebioniten | schon laut genug gerühmt als die ächten Christen, die sich von der sentimentalen Mystik des Johannes und der dialektischen des Paulus glücklicherweise entfernt gehalten haben? Indessen es giebt noch einen andern Ausweg, der freilich, was das Geschichtliche betrifft, eben nicht weit von jenem abgeht, aber er ist viel höher angelegt, und so stattlich, daß man von da aus auf jenen eben so sehr, als auf die bisherige Heerstraße mit einem höhern Bewußtseyn herabschauen kann. Das ist eben der, lieber Freund, auf dem ich auch gesehen worden seyn soll, es ist aber nur mein Gespenst gewesen, mein Doppelgänger; ich meine die speculative Theologie. Die großartigen Sätze, auf die es uns hier vorzüglich ankommt, daß göttliche und menschliche Natur an sich gar nicht getrennt sind, daß die göttliche Natur die Wahrheit der menschlichen Natur ist, und die menschliche Natur die Wirklichkeit der göttlichen Natur, verhalten sich zu den Fundamenten jener Behandlungsweise ohngefähr wie der philosophische Tiefsinn zu der Sprüchwörterklugheit des gemeinsten Lebens; und wenn ich lese, daß in der Person

1-3 Euern . . . einspannt, . . . und,] Ms.: euern . . . einspannt . . . und 5-7 immer, . . . hereinbrechen, . . . haben, . . . jetzt] Ms.: immer . . . hereinbrechen . . . haben . . . jezt 7-11 Und . . . haben?] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 7 solches Einlenken] Ms.: mit Einfiigungszeichen über der Zeile statt (es) 9-11 Christen, . . . glücklicherweise] Ms.: Christen ... glüklicherweise 12-15 freilich, . . . Geschichtliche betrifft, . . . stattlich, . . . sehr, . . . höhern Bewußtseyn] Ms.: freilich . . . geschichtliche betrifft . . . stattlich . . . sehr . . . höheren Bewußts^in 16 seyn soll,] Ms.: sein soll; 18-21 Sätze, . . . ist,] Ms.: Säze . . . ist 27 den Fundamenten] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 24-3 lese, . . . Geschehenseyn . . . ich, . . . Ausdruck seyn] Ms.: lese . . . Geschehensein . . . ich . . . Ausdrukk sein 19f Vgl. Philipp Marheineke: Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, 2., völlig neu ausgearbeitete Aufl., Berlin 1827, S. 188: „Die Möglichkeit der Menschwerdung Gottes zeigt schon an ihr selbst dieses, daß göttliche und menschliche Natur an sich nicht getrennt sind." (§319) 20-22 Vgl. Marheineke: „ Wie die Wahrheit der menschlichen Natur die göttliche ist, so ist die Wirklichkeit der göttlichen Natur die menschliche." (Dogmatik 2. Aufl., 189; §320) 24-2 Vgl. Marheineke: „§.326. Als ein Geschehenseyn oder geschichtlich ist diese Einheit Gottes mit dem Menschen offenbar und wirklich in der Person Jesu Christi; in ihm ist die göttliche Offenbarung vollkommen menschlich geworden. " (Dogmatik 2. Aufl., 193)

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

349

Jesu Christi diese Einheit Gottes mit dem Menschen offenbar und 616 wirklich ist als ein Geschehenseyn: so denke ich, das kann ein schöner und wahrer Ausdruck seyn f ü r unsern Glauben. Wenn ich dann aber lese, daß diese Wahrheit ihre Gewißheit hat in dem Begriff der Idee Gottes und des Menschen oder im Wissen: so lasse ich der Tiefsinnigkeit der Speculation volle Gerechtigkeit widerfahren, aber ich bleibe immer wieder dabei, daß ich sie nicht anerkennen kann als den Grund der Gewißheit meines Glaubens an jene Wahrheit. So daß, wenn die beiden ersten Sätze in der T h a t meine Philosophie darstellten, was ich aber gar nicht etwa gesagt haben will, so wäre der dritte Satz höchstens eine Formel, welche aussagt, wie sich diese Philosophie mit jenem Glauben verträgt. Niemals aber werde ich mich dazu bekennen können, daß mein Glaube an Christum von dem Wissen oder der Philosophie | her 493 sey, sey es nun diese oder irgend eine andere. U n d wenn ich mir nun die immer mehr herannahende Krisis denke, und stelle mir vor, wenn ich nicht wollte alle Wissenschaft aus meinem Lebensgebiet ausschließen, müßte ich dann nothwendig zwischen einem von beiden wählen, entweder die Entstehung des Christenthums mit in die unendliche Sammlung der gemeinen Erfahrung hinein zu werfen, welche sich selbst der Wissenschaft als rohen Stoff hingiebt, auf daß sie daran ergehen lasse, was recht ist, so sie es anders der M ü h e werth hält, diesen Gegenstand aus der ganzen Masse besonders herauszuheben, oder meinen Glauben von der Speculation zu Lehn zu nehmen, welche ihn dann auch verfechten mag gegen die Naturwissenschaft, der sie ja ebenfalls die Regel giebt und sie ihrer allgemeinen Construction unterwirft: so wüßte ich wahrlich nicht, zu welchem von beiden ich greifen wollte. Für mich allein würde ich gleich das letzte wählen, wiewohl ich freilich auch fürchte, die beste Freudigkeit würde mir doch verloren gehen, wenn ich mir nun nähere Rechenschaft darüber geben sollte, wie denn

7 dabei,] Ms.: dabei 8 - 1 0 daß, ... Sätze . . . Satz] Ms.: daß ... Säze . . . Saz 14 sey, sey] Ms.: sei, sei 19 hinein zu werfen] Ms. (mit Einfügungszeichen am linken Rand statt {hineinwerfen),): hineinzuwerfen (korr. aus hinzuwerfen j 20 f hingiebt, . . . hält,] Ms.: hingiebt ... hält 24 der] Ms.: welcher 26 wahrlich] Ms.: warlich 27 letzte wählen, wiewohl] Ms.: lezte wählen; wiewol 28 doch] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (auch)

4f Vgl. Marheineke: „Die Wahrheit aber in der Vorstellung von der Identität und Differenz seiner absoluten göttlichen Kindschaft und der unsrigen durch die seinige, hat ihre Gewißheit nicht in dieser Vorstellung an und für sich, so wenig als in heiligen Aussprüchen und Schriften, in denen sie enthalten ist, sondern in dem Begriff der Idee Gottes und des Menschen, oder im Wissen, von wo aus sie denn auch in den mannigfaltigsten Formen in allen Traditionen ist." (Dogmatik 2. Aufl., 196; §328)

350

5

10

15

20

25

30

An

Lücke

nun jene Wahrheit von der absoluten Kindschaft Gottes in der Person Jesu ihre Gewißheit im Wissen habe, und es ahnet mir, daß dabei für die geschichtliche Person des Erlösers doch nicht viel mehr übrig 617 bliebe, als bei jener ebionitischen Ansicht auch herauskommt. Aber wenn ich mich in der Gemeinde betrachte und vorzüglich als Lehrer: so werde ich auf die entschiedenste Weise von dieser Seite fort und auf die entgegengesetzte hinüber gezogen. Der Begriff der Idee Gottes und des Menschen, das ist freilich ein köstliches Kleinod, aber nur Wenige können es besitzen, und ein solcher Privilegirter will ich nicht seyn in der Gemeine, daß ich unter Tausenden den Grund des Glaubens allein habe. Hier kann mir nur wohl seyn in der völligen Gleichheit, in dem Bewußtseyn, daß wir alle auf dieselbe Weise von dem Einem nehmen, und dasselbe an ihm haben. Und als Wort-|führer und Lehrer in der Ge- 494 meine könnte ich doch unmöglich mir die Aufgabe stellen, Alt und Jung ohne Unterschied den Begriff der Idee Gottes und des Menschen beizubringen; und so wäre in Ansehung auch der gemeinsamen Angelegenheit selbst eine Kluft befestigt zwischen mir und den Uebrigen, die nicht zu übersteigen wäre. Ich müßte ihren Glauben als einen grundlosen in Anspruch nehmen, und könnte ihn auch nur als einen solchen stärken und befestigen wollen. Kurz die speculative Theologie bedroht uns mit einem den Aeußerungen Christi, welcher will, sie sollen Alle von Gott gelehrt seyn, gar nicht gemäßen Gegensatz esoterischer und exoterischer Lehre; die Wissenden haben allein den Grund des Glaubens, die Nichtwissenden haben nur den Glauben und erhalten ihn daher wohl nur auf dem Wege der Ueberlieferung. Läßt hingegen jene ebionitische Ansicht nur wenig von Christo übrig: so ist doch dieses wenige allen gleich zugänglich und erreichbar, und wir bleiben dabei bewahrt vor jeder immer doch ins Römische hinüber spielenden Hierarchie der Speculation. Das eine ist eben so wenig als das andere unser Weg. Wenn die Reformation, aus deren ersten Anfängen unsere Kirche hervorgegangen ist, nicht das Ziel hat, einen ewigen Vertrag zu stiften

2—4 und ... herauskommt.] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 2 ahnet] Ms.: ahnete 7 entgegengesetzte] Ms.: entgegengesezte 9f besitzen ... seyn ... Tausenden] Ms.: besizen ... sein ... tausenden 11 £ seyn ... Bewußtseyn ... alle ... nehmen,] Ms.: sein ... Bewußtsein ... Alle ... nehmen 16 Ansehung] Ms.: Beziehung 19 nehmen,] Ms.: nehmen 21 einem] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (dem) 21 Christi,] Ms.: Christi 21 f welcher ... gar] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 22-25 seyn ... Gegensatz ... wohl] Ms.: sein ... Gegensaz ... wol 27f allen ... Römische] Ms.: Allen ... römische 31-2 hat, ... freigelassenen,] Ms.: hat ... freigelassenen

21 f Vgl. Joh 6,45

Zweites

5

10

15

20

25

351

Sendschreiben

zwischen dem lebendigen christlichen Glauben und der nach allen Seiten freigelassenen, unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen 618 Forschung, so daß jener nicht diese hindert, und diese nicht jenen ausschließt: so leistet sie den Bedürfnissen unserer Zeit nicht Genüge, und wir bedürfen noch einer andern, wie und aus was für Kämpfen sie sich auch gestalten möge. Meine feste Ueberzeugung aber ist, der Grund zu diesem Vertrage sey schon damals gelegt, und es thue nur Noth, daß wir zum bestimmteren Bewußtseyn der Aufgabe kommen, um sie auch zu lösen. Am ersten fehlt es nicht: gemahnt ist jeder genug, und zwiefach aufgefordert, zur Lösung etwas beizutragen, ist jeder, der an beiden zugleich, am Bau der Kirche und am | Bau der Wissenschaft, irgend 495 einen thätigen Antheil nimmt. Dies, mein lieber Freund, ist ganz vorzüglich der Standpunct meiner Glaubenslehre. Wie ich fest davon überzeugt bin: so glaubte ich es auch darstellen zu müssen nach bestem Vermögen, daß jedes Dogma, welches wirklich ein Element unseres christlichen Bewußtseyns repräsentirt, auch so gefaßt werden kann, daß es uns unverwickelt läßt mit der Wissenschaft. Dies war nun auch besonders meine Aufgabe bei Bearbeitung der Lehren von der Schöpfung und Erhaltung, auf welche letztere sich hernach gerade in dieser Hinsicht meine Darstellung der Wunder bezieht und so auch des Wunders aller Wunder, nämlich der Erscheinung des Erlösers. Selbst diese hoffe ich, und zwar ohne Nachtheil des Glaubens, so gestellt zu haben, daß die Wissenschaft uns nicht den Krieg zu erklären braucht. Muß sie die Möglichkeit zugeben, daß noch jetzt Materie sich balle und im unendlichen Räume zu rotiren beginne: so mag sie auch zugeben, es gebe eine Erscheinung im Gebiet des geistigen Lebens, die wir eben so nur als eine neue Schöpfung, als reinen Anfang einer höheren geistigen Lebensentwickelung erklären kön-

3 f so ... ausschließt:] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 7 f sey ... thue ... Noth, ... Bewußtseyn ... kommen,] Ms.: sei ... t h u t . . . Noth ... Bewußtsein ... kommen lOf aufgefordert, ... beizutragen, ... jeder, ... zugleich, ... Wissenschaft,] Ms.: aufgefodert ... beizutragen ... Jeder ... zugleich ... Wissenschaft 12 nimmt.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 13 Dies, ... Freund,] Ms.: Dies . . . Freund 14-17 bin: ... Bewußtseyns repräsentirt, ... unverwickelt] Ms.: bin, ... Bewußtseins repräsentirt ... unverwikkelt 20 letztere] Ms.: leztere 20f Hinsicht ... Wunder bezieht] Ms.: Hinsicht bezieht . . . Wunder 23-26 haben, ... jetzt ... Räume . . . zugeben,] Ms.: haben ... jezt ... Raum ... zugeben 28 höheren] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 28 Lebensentwickelung] Ms.: Lebensentwiklung

18f Vgl. CG· §§43-51.59-63 §§ 20.21,3.109.4.114,2.124,3

20f Vgl. CG' §61,2-4

21 f Vgl. z.B.

CG·

352

An Lücke

nen. Haben wir nicht nöthig, innerhalb des Thatsächlichen bestimmte Grenzen zu ziehen zwischen Natürlichem und absolut Uebernatürlichem, und ich kann nicht einsehen, daß uns etwas dazu nöthigte: nun so können wir der Wissenschaft auch frei lassen, alle uns interessiren5 den Thatsachen in ihren Tiegel zu nehmen, und zu sehen, was für Ana- 619 logien sie dazu findet. Sie sehen, lieber Freund, dies ließ sich nicht bequemer entwickeln, als in der Ordnung, der ich wirklich gefolgt bin, und die ich aus demselben Grunde auch jetzt beibehalte; und Sie werden mir auch gern zugeben, daß es mir nicht hätte gemüthlich seyn 10 können, nachdem ich schon in der Darstellung des eigentlich Christlichen begriffen gewesen wäre, hernach noch | diese Gegenstände auf 496 eine solche Weise zu behandeln. Ich will mein Werk nicht rühmen, auch nicht behaupten, daß Jeder es gerade so machen müsse, Sie wissen, daß ich darauf niemals erpicht gewesen bin; aber das glaube ich sagen 15 zu können, wer heut zu Tage unsere Glaubenslehre bearbeitet, und es nicht in diesem Sinne thut, der läßt entweder Alles beim Alten, so daß er eigentlich nichts thut, und der Herr ihn nicht wachend findet, wenn er kommt, oder er führt uns auf einen von jenen beiden bedenklichen Abwegen. 20

Aber wir werden es nicht mit der Naturwissenschaft und Weltkunde allein zu thun haben; sondern es droht uns von der Geschichtsforschung und von der Kritik, die wir doch beide auch in unserem Geschäft selbst nicht entbehren können, die gleiche Gefahr. Wissen Sie schon, was der letzte Ausspruch seyn wird über den Pentateuch und 25 den Alttestamentischen Kanon überhaupt? Hoffen Sie, daß die bisherige Behandlung der messianischen Weissagungen und nun gar der Vorbilder noch lange Zeit Glauben finden wird unter denen, in welchen sich eine gesunde und lebendige Anschauung geschichtlicher Dinge gebildet hat? Wenn ich die Zeichen der Zeit recht verstehe, kann ich es

1 - 4 nöthig, . . . Natürlichem ... Uebernatürlichem . . . einsehen, . . . lassen,] Ms.: nöthig ... natürlichem ... übernatürlichem ... einsehn . . . lassen 5 Tiegel] Ms. und OD: Tigel 5 zu sehen,] Ms.: zu sehen 6-12 Sie . . . behandeln.] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 7-11 entwickeln, ... Ordnung,... bin, . . . j e t z t . . . seyn ... Christlichen] Ms.: entwikkeln ... Ordnung . . . bin . . . jezt . . . sein . . . christlichen 12-16 rühmen, . . . behaupten, . . . bearbeitet, ... Alles] Ms.: rühmen ... behaupten ... bearbeitet . . . alles 18 beiden] fehlt Ms. 19 Abwegen.] Ms.: folgt Einfügungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 24f letzte . . . seyn ... Alttestamentischen] Ms.: lezte ... sein ... alttestamentischen 26 f und ... Vorbilder] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 27 denen,] Ms.: denen

17f Vgl.

Lk 12,37

Zweites

5

10

15

20

Sendschreiben

353

nicht glauben. Einige unserer Theologen, der würdige Steudel an der Spitze, thun zwar redlich das ihrige; aber ich fürchte, daß mit feinen Distinctionen nicht viel auszurichten seyn wird in der Sache; und auch unser Freund Sack, der diesem Gegenstande einen so großen Raum gegönnt hat in seiner Apologetik, und ihn mit so vieler Liebe und Treue bearbeitet, wird doch, fürchte ich, nicht für gar lange Zeit gearbeitet haben. Der Glaube an eine bis zu einem gewissen Zeitpuncte fortgesetzte 620 besondere Eingebung oder Offenbarung Gottes in dem jüdischen Volk ist schon bei dem gegenwärtigen Stande der Untersuchung über die jüdische Geschichte so wenig Jedem zuzumuthen, und es ist | mir so we- 497 nig wahrscheinlich, daß er am Schluß dieser Untersuchungen mehr Stützen werde bekommen haben, daß es mir sehr wesentlich schien, auf das bestimmteste auszusprechen, wie ich es eben so deutlich einsehe als lebendig fühle, daß der Glaube an die Offenbarung Gottes in Christo von jenem Glauben auf keine Weise irgend abhängig ist. Wenn unsere Glaubenslehre eine Sammlung oder ein System von Entscheidungen seyn sollte über alle wahrhafte oder angebliche Offenbarungsthatsachen, dann müßte sie freilich auch hierüber etwas entscheiden; da sie aber doch nur Rechenschaft geben soll von dem christlichen Glauben an und für sich, so müssen wir uns auch diese Last nicht auflegen. Das Bedürfniß muß doch immer von innen entstehen, und wir brauchen dazu kein prophetisches Wehe; und ich glaube, der soll noch kommen,

2-6 Spitze ... seyn ... Apologetik, ... doch, ... ich,] Ms.: Spize ... sein ... Apologetik ... doch ... ich 7 Zeitpuncte fortgesetzte] Ms.: Zeitpunkt fortgesezte 8 Eingebung oder] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 11 f wahrscheinlich, ... Stützen ... schien,] Ms.: wahrscheinlich ... Stüzen ... schien 17f seyn ... Offenbarungsthatsachen,] Ms.: sein ... Offenbahrungsthatsachen; 21 entstehen,] Ms.: entstehen 22 Wehe] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand statt ([ ]) 22-2 glaube, . . . Frage: Wo ... Alttestamentischen] Ms.: glaube ... Frage, wo ... alttestamentischen

lf Anspielung wohl auf Steudels ausfuhrliche Erläuterung der eigenen „supranaturalistischen Ansicht" (Frage 150-168), die er programmatisch so zusammenfaßt: „[...] die messianische Idee wird von den frühesten Zeiten an im Α. T. ausgesprochen, bildet sich durch den Lauf der Zeiten hindurch immer allseitiger aus, wird auch in den Zeiten, welche gegen die jemals zu hoffende Verwirklichung derselben am entschiedensten zu zeugen schienen, mit aller Stärke und Innigkeit festgehalten, und hat sich dann im Christenthume und in dessen Stifter aufs herrlichste verwirklicht." (Frage 151; vgl. auch Marginalie 400 zu CG' in KGA 1/7.3,76) 4-6 Vgl. Karl Heinrich Sack: Christliche Apologetik. Versuch eines Handbuchs, Hamburg 1829, S. 205-359 („ Dritter Theil. Von dem Heil und den Zeugnissen Gottes. Erster Abschnitt. Begriff des Heils Gottes. [...] 3. Begriff der Weissagung. 4.Begriff des Vorbildes. 5.Aussprüche der heiligen Schriften. Zweiter Abschnitt. Von den göttlichen Zeugnissen. 6. Eintheilung der Weissagungen. 7. Grundweissagungen. 8. Reichsweissagungen. 9. Bildweissagungen. lO.Eintheilung der Vorbilder. 11. Vorbildliche Personen. 12. Vorbildliche Stiftungen. ")

354

5

10

15

20

25

An Lücke

der sich zur richtigen Beantwortung der Frage: Wo aber soll ich hingehn? ursprünglich durch das Studium der Alttestamentischen Weissagungen hätte leiten lassen. Ja, ich will noch mehr sagen als, so viel ich mich erinnere, irgendwo in meiner Glaubenslehre steht, nicht einmal einen Juden der damaligen Zeit, der auf dem Wege gewesen wäre zu glauben, würde ein bestimmter Verdacht, daß jene Weissagungen auf Jesum nicht passen, vom Glauben zurückgehalten haben. Diese Ueberzeugung, daß das lebendige Christenthum in seinem Fortgange gar keines Stützpunctes aus dem Judenthum bedürfe, ist in mir so alt, als mein religiöses Bewußtseyn überhaupt. Für ein freudiges Werk kann ich dieses Bestreben, Christum aus den Weissagungen zu beweisen, niemals erklären, und es thut mir leid, daß sich noch immer so viel würdige Männer damit abquälen. Eben deshalb kann ich aber auch nicht umhin zu vermuthen, daß immer etwas Falsches mit dabei zum Grunde liegt, und daß es wenigstens einem Mangel an frischer Zuversicht zu der innnern 621 Kraft des Christenthums zuzuschreiben ist, wenn man auf diese äußeren Beweise einen großen Werth legt. O f t jedoch ist diese Theo-|rie 498 auch nur ein Zweig einer allgemeinen Anhänglichkeit an das unvollkommene Wesen und die dürftigen Elemente des alten Bundes, der wir uns billig entschlagen sollten, wir, die wir im Besitz des vollkommneren sind. Und ich glaube, sie wird uns auch nicht sehr zum Vortheil gereichen in jener bevorstehenden Krisis. Für mich wenigstens hat es keine volle Wahrheit, was unser Freund in seiner Apologetik sagt, daß das prophetische Wort auch jetzt noch, und für den Christen, der mitten im Glauben steht, eine unerschöpfliche Quelle von Belehrung und Erkenntniß sey. Ich fürchte, je mehr wir uns, statt die reichen Gruben des neuen Bundes recht zu bearbeiten, an das Alte halten, um desto ärger wird die Spaltung werden zwischen der Frömmigkeit und der Wissen-

3 - 7 als, so viel . . . erinnere, . . . zurückgehalten] Ms.: als soviel . . . erinnere ... zurükgehalten 9f Stützpunctes . . . alt, . . . Bewußtseyn] Ms.: Stüzpunktes . . . alt . . . Bewußtsein 11 f Bestreben, . . . beweisen, . . . leid,] Ms.: Bestreben . . . beweisen . . . leid 14 vermuthen,] Ms.: vermuthen 20 wir, . . . Besitz . . . vollkommneren] Ms.: wir . . . Besiz . . . vollkommnern 21 glaube,] Ms.: glaube 23-26 Wahrheit, . . . jetzt . . . sey] Ms.: Wahrheit . . . j e z t . . . sei 26f fürchte, . . . uns, . . . Alte] Ms.: fürchte . . . uns . . . alte

l f Anspielung wohl auf /oh 6,68 3 - 7 Anspielung vermutlich auf §21,2 (KGA H 7.1,84,30-36) 23-26 Vgl. K. H.Sack: „Das prophetische Wort in seiner göttlichen Tiefe und Fülle ist also nach der Zeit des Heilandes fur die, welche mitten im Glauben stehen, noch immer eine unerschöpfliche Quelle von Belehrung und Erkenntniß." (Apologetik 214f in Abschnitt 3,3 über den „Begriff der Weissagung"gegen Schleiermacher: CG' §21,2)

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

355

schaft. Darum glaubte ich auch, es sey meine Pflicht, ganz gerade herauszugehn mit meiner Ansicht, nicht nur von dem Werth der Weissagungen für den Glauben, sondern auch von dem Verhältniß der Alttestamentischen Offenbarung zu der in Christo, und, was so genau damit zusammenhängt, von der Einheit der Alttestamentischen und Neutestamentischen Kirche. Und, um auch dieses gleich dazu zu nehmen, was wird uns die Kritik noch bringen in Bezug auf unsern Neutestamentischen Kanon? Wehren wollen Sie ihr gewiß eben so wenig, als ich. Wer wollte sich auch nicht freuen, daß die sonst zerstreuten Andeutungen über den Character unseres Johanneischen Evangeliums einmal in der tüchtigen Gestalt einer kritischen Hypothese hervorgetreten sind. Dieses nun konnte wohl keinen andern Ausgang nehmen. Aber, was meinen Sie, wie lange es dauern wird, bis allgemein anerkannt wird, was Hr. D. Schulz über den Matthäus freilich nur gar zu kurz vorgetragen hat, was sich aber gewiß in größerer Ausführlichkeit noch viel überzeugender darlegen läßt? Und sollten wir nicht auch mit mehreren Briefen auf die 622 Zweifel, welche früher darüber in der Kirche | obgewaltet, zurückkom- 499 men? Wesentliches können wir nichts dabei verlieren; Christus bleibt derselbe, und der Glaube an ihn bleibt dasselbe; aber mit unserer Lehre vom Kanon und von der Inspiration, als einer besonderen Wirkung des Geistes in Bezug auf den Kanon, werden wir uns doch wohl besinnen müssen, daß wir nichts hineinbringen, was mit allgemein anerkannten Resultaten einer historischen Forschung streitet. Es wird immer sehr schwierig seyn, den Grundsatz aufzustellen, Alles, was in den heiligen Schriften enthalten ist, sey göttliche Lehre, und dabei nicht bestimmen zu können, welches diese heiligen Schriften sind, und welches die

1-6 auch, ... sey ... Pflicht, ... gerade ... Ansicht, ... Glauben, ... Alttestamentischen ... Alttestamentischen ... Neutestamentischen] Ms.: auch ... sei ... Pflicht ... grade ... Ansicht ... Glauben ... alttestamentischen ... alttestamentischen ... neutestamentischen 6 Kirche.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 8 Neutestamentischen] Ms.: neutestamentischen 9 wenig,] Ms.: wenig 11 Johanneischen] Ms.: johanneischen 1> wohl] Ms.: wol 13f Aber, ... Sie, ... wird,] Ms.: Aber ... Sie ... wird 15 Schulz] Ms. und OD: Schulze 18f Zweifel, ... obgewaltet, zurückkommen] Ms.: Zweifel ... obgewaltet zurükkommen 20-23 dasselbe; ... Inspiration, ... Kanon, ... wohl ... hineinbringen,] Ms.: dasselbe: ... Inspiration ... Kanon ... wol ... hineinbringen 25f seyn, ... Grundsatz ... Alles, ... ist, sey] Ms.: sein ... Grundsaz . . . alles :.. ist sei

10-12 Anspielung auf Karl Gottlieh Bretschneider: Joannis, Apostoli, indole et origine, Leipzig 1820 Lehre vom heiligen Abendmahl nach dem Grundtexte 302-322 („Beilage. Bemerkungen über den Verfasser

Prohahilia de evangelii et epistolarum 14 f Vgl. David Schulz: Die christliche des Neuen Testaments, Leipzig 1824, S. des Evangeliums nach Matthäus.")

356

5

10

15

20

An

Lücke

Grenze zwischen ihnen und anderen. - Doch dieß könnte mich noch weiter abführen von meiner eigentlichen Rechenschaft; ich wollte nur bemerklich machen, wie auch die Stellung sowohl, als die Behandlung der Lehre von der Schrift - von welcher es mich übrigens wundert, daß ich ihretwegen nicht stärker bin angefochten und der Annäherung an den Katholicismus beschuldigt worden, und daß auch sie unsers Delb r ü c k s H e r z nicht um ein Weniges erweicht hat gegen mich - ganz auf demselben Grundsatz beruht, die Glaubenslehre nicht zu gestalten, als ob es nur darauf ankäme, in einer fortlaufenden Ueberlieferung alles Bisherige möglichst zu erhalten und weiter zu geben, sondern in M o menten, wie dieser, mit vorherrschender Berücksichtigung der, wie mir scheint, unvermeidlichen nächsten Zukunft. Freilich nicht, um irgend etwas zum Wesen des evangelischen Christenthumes Gehöriges Preis zu geben, oder auch nur zu verstecken; aber um bei Zeiten uns alles dessen zu entledigen, was offenbar nur Nebenwerk ist und auf Voraussetzungen beruht, die nicht mehr gelten können, damit wir uns nicht in einen unnützen Streit verwickeln, in welchem hernach Viele leicht die H o f f n u n g aufgeben möchten, auch das Wesen erhalten zu können. Sie sehen, dieser Punct hängt nicht mehr so unmittelbar mit meiner Grille zusammen, wie der erste; sondern so-|viel nur will ich in dieser Bezie- 500 hung sagen, daß ich nicht etwa, auch wenn ich mit dem zweiten Haupt- 623 theil hätte anfangen wollen, die Lehre von der Schrift, als von dem eigentlichen Grunde des Glaubens, hätte voranschicken können.

Nehmen Sie nun Alles zusammen: so hoffe ich, Sie werden meine 25 Grille nicht so ganz verwerflich finden, sondern mich loben, daß ich sie glücklich durchgesetzt. Aber mit meiner Unfähigkeit, fürchte ich,

1-3 dieß ... machen, ... sowohl,] Ms.: dies ... machen ... sowol 4 - von] Ms.: Gedankenstrich mit Einfügungszeichen am rechten Rand 6-12 Katholicismus ... Delbrücks ... Weniges ... Grundsatz ... gestalten,... ankäme,... Bisherige ... Momenten, ... dieser, ... der, ... scheint,] Ms.: Katholizismus ... Delbrükk ... weniges ... Grundsaz ... gestalten ... ankäme ... bisherige ... Momenten ... dieser ... der ... scheint 12-17 nicht, ... Gehöriges ... geben, ... verstecken ... Voraussetzungen ... unnützen ... verwickeln ... Hoffnung ... möchten,] Ms.: nicht... gehöriges ... geben ... verstekken ... Voraussezungen ... unnüzen ... verwikkeln ... Hofnung ... möchten 19f sehen, ... Punct ... zusammen,] Ms.: sehen ... Punkt ... zusammen 20f sondern ... sagen,] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand statt (aber das ist doch auch gewiß) 21 etwa] folgt Ms.: hätte können 21 auch] folgt Ms.: (was) 22 Schrift,] Ms.: Schrift 23 Glaubens, hätte voranschicken können.] Ms.: Glaubens voranzuschikken; folgt Einfiigttngszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 24-26 Alles ... ich, ... loben, ... glücklich durchgesetzt] Ms.: alles ... ich ... loben ... glüklich durchgesezt

3f

Vgl. CG'

§§147-150

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

357

werde ich einen schweren Stand bei Ihnen haben. Ich habe nämlich etwas sehr gern erreichen wollen in meiner Glaubenslehre, habe es aber nur sehr unvollkommen vermocht, und fürchte, ich würde es noch weit weniger vermocht haben, wenn ich die andere Stellung gewählt hätte. Nun fürchte ich nicht etwa Ihre Strenge darüber, daß ich nicht gekonnt habe, was ich wollte; sondern vielmehr, ob Sie nicht sehr mißbilligen werden, daß ich es überhaupt gewollt, und mich mit dem schlechten Trost entlassen, das Mißlingen sey nur eine gerechte und unvermeidliche Strafe für das schlechte Vorhaben. Wenigstens bin ich meiner Sache nicht sicher mit Ihnen, denn wir haben den Gegenstand lange nicht besprochen. Darüber besorge ich keinen Zwiespalt unter uns, daß es weder christlich ist, noch heilsam, die sogenannten Rationalisten, wenn auch freundlich und mit guter Art, aus unserer Kirchengemeinschaft herauszunöthigen; und es ist schmerzlich, wenn Männer von milden Character und wohlbegründetem Ansehn das wahre Interesse der Kirche so weit verkennen, daß sie sich in einen solchen Angriffskrieg hineinziehen lassen. Tritt nun eine einseitige Tendenz so stark hervor, als hierbei geschehen ist: so ist es meine, ich weiß nicht, soll ich sagen Art oder Unart, daß ich aus natürlicher Furcht das Schifflein, in dem wir Alle fahren,| möchte umschlagen, so stark, als es bei meinem geringen Ge- 501 wichte möglich ist, auf die entgegengesetzte Seite trete. Und da genügt mir nun nicht nur, irgend wie zu erklären, wie bereitwillig ich meinerseits bin, die würdigen Männer, die man so nennt, in unserer Kirchengemeinschaft zu behalten: sondern ich möchte auch gern zeigen, daß sie mit ihrem guten Rechte darin seyn und bleiben können. Mein Ver- 624 such, das Häretische zu construiren und zu beschränken, so wie die be-

3 fürchte,] Ms.: fürchte 6 habe, . . . vielmehr,] Ms.: habe . . . vielmehr 7 dem] Ms.: mit Einftigungszeichen am rechten Rand 8 sey] Ms.: sei 11 besprochen.] Ms.: folgt Einßigungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 13-15 ist, . . . heilsam, . . . Rationalisten, . . . Art, . . . herauszunöthigen] Ms.: ist . . . heilsam ... Rationalisten ... Art . . . heraus zu nöthigen 18f hervor, . . . hierbei . . . meine, ... nicht,] Ms.: hervor ... hiebei . . . meine . . . nicht 20f das . . . fahren,] Ms.: mit Einftigungszeichen am linken Rand statt (es) 21 f stark, . . . ist, . . . entgegengesetzte] Ms.: stark ... ist ... entgegengesezte 23-26 nur, ... nennt, ... seyn] Ms.: nur . . . nennt ... sein 26-2 Versuch, . . . Häretische . . . beschränken, . . . Heterodoxen . . . Häretischen . . . Gegenstand, ... vernachlässigt] Ms.: Versuch . . . häretische ... beschränken ... heterodoxen . . . häretischen ... Gegenstand . . . vernachläßigt

12-18 Anspielung vermutlich auf die Diskussion um August Hahn: De rationalismi qui dicitur vera indole et qua cum naturalismo contineatur ratione, Leipzig 1827 26-1 Vgl. CG1 SS 24f.30 Zusatz

358

An Lücke

stimmte Unterscheidung des Heterodoxen vom Häretischen - ein Gegenstand, der fast ganz vernachlässigt zu werden pflegt, fast als ob er durch die völlig veraltete Untersuchung über die Fundamentalartikel schon abgemacht wäre - und außerdem noch manches andere anderwärts Gesagte, alles dieses hat dieselbe Abzweckung. Aber ich wollte nicht nur im Allgemeinen recht viel Raum machen innerhalb des Kirchlichen im Gegensatz gegen beide Partheien, die jede von ihrem Brennpunct aus ihn immer mehr zu verengern suchen, so daß wirklich Gefahr entsteht, daß er sich doch theile; sondern meine Absicht war auch, im Einzelnen, so viel möglich, an allen Hauptpuncten nachzuweisen, nicht nur, wie viel Raum noch sey zwischen den kirchlichen Thesen und den ihnen gegenüberstehenden häretischen, sondern auch, wie viel freundliche Zusammenstimmung das innerhalb dieses Raumes dem O r thodoxen und Heterodoxen Gemeinsame noch zulasse. J e mehr wir uns in dieser Stellung halten, um desto leichter wird sich dann der Wahrheit nach ermitteln lassen, wie viel eigentlich Streit sey um die Gesinnung, die jetzt von beiden Seiten oft ziemlich voreilig, wie mir scheint, angefochten zu werden pflegt. Dies ist mir aber nicht nach Wunsch gelungen, und ich sehe schon deutlich genug, der Fehler liegt schon in der Einleitung. Ich habe schon dort, wo es nur darauf ankam, das Characteristische des Christenthums in dem Centralbeziehungspuncte desselben aufzuzeigen, den Begriff der Erlösung viel enger zusammengezogen, als nöthig gewesen wäre, so daß fast nur die | strengere Ansicht davon übrig bleibt. D e r Heidelberger Katechismus, der so unmittelbar von dem christlichen Grundgefühl ausgeht, hat mich zu fest gehalten in

4 f und . . . Gesagte,] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand): und . . . gesagte 5 Abzweckung] Ms.: Abzwekkung 6 f Allgemeinen . . . Kirchlichen] Ms.: allgemeinen . . . kirchlichen 7 im Gegensatz gegen] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (da)): im Gegensaz gegen 7 Partheien,] Ms.: Partheien 7 die] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 8-11 Brennpunct . . . suchen, . . . entsteht, . . . auch, . . . Einzelnen, so viel möglich, . . . Hauptpuncten nachzuweisen,] Ms.: Brennpunkt . . . suchen . . . entsteht . . . auch . . . einzelnen soviel möglich . . . Hauptpunkten nachzuweisen 11 nicht nur,] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand): nicht nur 11-14 wie viel . . . sey . . . häretischen, . . . auch, wie viel . . . Orthodoxen . . . Heterodoxen Gemeinsame] Ms.: wieviel . . . sei . . . häretischen; . . . auch wieviel . . . orthodoxen . . . heterodoxen gemeinsame 16f wie viel . . . sey . . . jetzt . . . voreilig, . . . scheint,] Ms.: wieviel . . . sei . . . j e z t . . . voreilig . . . scheint 19 schon] fehlt Ms. 19 genug,] Ms.: genug 20f ankam, . . . Characteristische . . . Centralbeziehungspuncte] Ms.: ankam . . . charakteristische . . . Centralbeziehungspunkt 24£ Katechismus, . . . ausgeht,] Ms.: Katechismus . . . ausgeht

20-23 Vgl. CG' §18,3 Lang 4

2 4 f Vgl. Catechismus (Heidelberg

1724) 3/ („1. Frag."); ed.

Zweites Sendschreiben

359

den Banden seiner fünfzehnten Frage und was folgt. Doch ich sollte mich fast scheuen, dies zu sagen; denn da ich vorzüglich jener Darstellung wegen beschuldigt worden bin, daß es mir nur um einen idealen Christus zu thun sey: so könnte es am Ende geschehen, daß auch der gute Katechismus wegen seiner constructiven Frage: „Was für einen Mittler und Erlöser müssen wir dann suchen?" noch nachträglich mit mir zugleich für einen Gnostiker erklärt würde. Nun bin ich aber überzeugt, wenn ich auch in der Einleitung die Klippe glücklich vermieden hätte, und dafür wird denn die zweite Ausgabe zu sorgen haben: so würde ich doch in denselben Fehler verfallen seyn, wenn die Darstellung selbst gleich mit diesem Mittelpuncte begonnen hätte; und so hoffe ich denn nur, indem ich auch für die zweite Ausgabe die bisherige Ordnung beibehalte, mich meinem Ziel in dieser Hinsicht etwas mehr zu nähern. Doch vielleicht lächeln Sie über meine ganze Herzenserleichterung, wie gutwillig ich damit meinen Kritikern und sogenannten Gegnern ins Garn laufe. Allein, wenn auch Einige von ihnen nun sagen, es müsse wohl um den einzigen Vorzug, den sie meinem Buche noch zugestanden, nämlich eine Art von systematischem Zusammenhange, auch nicht sonderlich stehen, wenn es mir an und für sich so gleichgültig wäre, auch das Hinterste zum Vordersten zu machen: so mag es drum seyn! Gedichte liebe ich freilich nicht, die man beliebig bei jeder Zeile anfangen kann und dann vorwärts oder rückwärts gehn, mögen sie nun griechisch seyn oder deutsch; und bei philosophischen Systemen würde ich

2 scheuen,] Ms.: scheuen 2 f Darstellung] folgt Ms. (L 1) 4 f sey . . . Frage:] Ms.: sei . . . Frage 7 erklärt] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand statt (gehatten) 7-12 überzeugt, . . . glücklich . . . seyn . . . Mittelpuncte . . . nur,] Ms.: überzeugt . . . glüklich . . . sein . . . Mittelpunkte . . . nur 12 Ausgabe] Ms.: korr. aus Auflage 13 beibehalte,] Ms.: beibehalte 14 nähern.] Ms.: folgt Einfugungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 17 Allein,] Ms. (mit Einfugungszeichen am linken Rand statt (Eini)J; Allein 17 auch] Ms.: mit Einfugungszeichen über der Zeile 17-19 Einige . . . wohl . . . zugestanden,] Ms.: einige . . . wol . . . zugestanden 19 nämlich . . . Zusammenhange,] Ms. (mit Einfugungszeichen am linken Rand): nämlich . . . Zusammenhang, 20f wäre, . . . Hinterste . . . Vordersten . . . seyn] Ms.: wäre . . . hinterste . . . vordersten . . . sein 23-1 rückwärts . . . seyn . . . Sätze] Ms.: rükwärts . . . sein . . . Säze

1.5f Vgl. Catechismus (Heidelberg 1724) 10; ed. Lang 8 22-24 Ferdinand Delbrück hat diese Anspielung in seiner Schrift „Der verewigte Schleiermacher. Ein Beytrag zu gerechter Würdigung desselben" (Bonn 1837, S. 95f ) auf die Zitation der Grabinschrift des Midas in Piatons „Phaedrus" 264d (vgl. Piatons Werke von F. Schleiermacher Bdl/1, Berlin 1804, S. 145; Werke in acht Bänden, Bd5, Darmstadt 1983, 140f) gezogen.

360

5

10

15

20

25

An

Lücke

solche Veränderungen in den Gliedern und Rotten der Sätze auch nicht f ü r thunlich halten, so weit ich als Dilettant darüber urtheilen kann. Aber eine Dogmatik wird niemals ein Gedicht, wenn sie auch in ihrem Urheber | noch so wenig Wahrheit hat, und ein philosophisches System 503 soll sie auch nicht seyn, und wenn auch ihr Verfasser übrigens noch so philosophisch ist. Darum kann es nicht nur mit ihr eine andere Bewandniß haben; sondern ich könnte so keck werden zu behaupten, daß es ein Vorzug einer Dogmatik sey, wenn sie eine solche Umstellung verträgt. Denn es ist ein Zeichen, daß sie sich in ihren Schranken hält, und nichts seyn will, als eine bequeme und geschickte, somit auch den Beweis der Vollständigkeit in sich tragende Anordnung dessen, was an 626 und f ü r sich doch gleichzeitig gegeben ist und wechselseitig durch einander bedingt. H a t man dann nur den rechten Punct getroffen: so muß es gleichgültig seyn, ob man sich zuerst nach dieser oder zuerst nach jener Seite hin bewegt. U n d wahrlich, ich will lieber jenen ganzen Ruhm verlieren, als so damit mißverstanden werden, als ob ich das Kunststück hätte machen wollen, das Christenthum irgend woher zu deduciren! Das erste Mal wäre es doch gewiß, daß so etwas Jemandem gelänge ganz gegen den eigenen Willen! Giebt es auch wohl eine Phrase, die weniger das Wesentliche meiner Bemühung ausdrückte, als die, ich deducire das Christenthum aus dem Abhängigkeitsgefühl? Wörter sind freilich willkührlichen Gebrauchs; aber wenigstens müßte man dann sagen, ich deducire alle Religionen daraus. Will man den Sprachgebrauch auf dieselbe Weise fortsetzen: so müßte man sagen, ich deducire das Christenthum aus dem Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit, welches allerdings eine besondere Form des Abhängigkeitsgefühls ist. Nennt man aber das wohl sonst in anderen Fällen deduciren, wenn ich sage, vermöge der Lebendigkeit dieses Gefühls entstand das Christenthum, als Christus erschienen war, und in seiner Herrlichkeit und Kraft erkannt

5 seyn] Ms.: sein 5f und ... ist.] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 6f eine ... haben] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (ein anders sein) 7f keck ... behaupten, ... sey,] Ms.: kekk ... behaupten ... sei 9-11 hält, ... seyn will, ... geschickte, ... dessen,] Ms.: hält ... sein will ... geschikte ... dessen 13f Punct ... seyn] Ms.: P u n k t . . . sein 15-17 wahrlich, ... wollen,] Ms.: warlich ... wollen 17 zu] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 18 Jemandem] Ms.: jemandem 19 f wohl ... Wesentliche ... ausdrückte] Ms.: wol ... wesentliche ... ausdrükte 24 fortsetzen] Ms.: fortsezen 26 man] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 27-29 wohl ... anderen ... Christenthum, ... war,] Ms.: wol ... andern ... Christenthum ... war

19-21 Vgl. Tzschimer: Briefe 29 (unten

571,39f)

Zweites

5

10

15

20

25

361

Sendschreiben

wurde? Eben so durchaus unpassend ist der Tzschirnerische Ausdruck: das ästhetische Princip, unter welchem ich, gewiß mir höchst unerwartet, mit Herrn von Chateaubriand, aber dann auch wie-|der, gewiß 504 Herrn Schelling sehr unerwartet, mit der Schellingschen Philosophie zusammengeworfen werde. Meine systematische Kunst, wenn ich mich einer rühmen kann in der Dogmatik, hängt aber mit Principien und Deductionen in diesem Sinne gar nicht zusammen, sondern ist nur ganz einfach das Geschick, solche Theilungsformeln aufzufinden, daß man dadurch eine Ueberzeugung von der Vollständigkeit der Darstellung gewinnt, und daß man, wenn nicht unmittelbar, doch mittelbar von jedem dogmatischen Satz auf das durch ihn repräsentirte unmittelbare Selbstbewußtseyn zurückgeführt wird. Wer mehr dahinter sucht, darf seinen Regreß nicht an mich nehmen, wenn er es nicht findet, sondern 627 an irgend einen meiner allzugütigen Gegner. Wundern Sie Sich nicht, lieber Freund, daß ich noch eine solche Nachrede mache über diesen Gegenstand, denn er ist zugleich eine Vorrede. Ich habe nämlich ernstlich berathschlagt, ob es nicht schon jetzt bei der zweiten Ausgabe meines Buches Zeit sey zu einer andern Umarbeitung desselben in Bezug auf seine Gestaltung. Ich meine nämlieh die in dem Buche selbst schon dadurch angedeutete und gleichsam verheißene, daß die beiden Formen dogmatischer Sätze, die, welche Eigenschaften Gottes, und die, welche Beschaffenheiten der Welt aussagen, nur Nebenformen genannt werden. Denn, wenn es wahr ist, daß sie nichts aussagen, was nicht seinem wesentlichen Gehalte nach schon in Sätzen, welche die Grundform an sich tragen, enthalten sey: so können jene beiden anderen ja gemißt werden. Und das ist auch in der That meine Ueberzeugung, womit denn auch die zusammenhängt, daß

1-4 Ausdruck: das ästhetische ... unerwartet, ... Chateaubriand, ... wieder, ... unerwartet, ... Schellingschen] Ms.: Ausdrukk „das aesthetische ... unerwartet ... Chateaubriand ... wieder ... unerwartet ... Schellingischen 5-12 Kunst, ... Dogmatik, ... zusammen, ... Geschick, ... gewinnt, ... man, ... unmittelbar, ... Satz ... Selbstbewußtseyn zurückgeführt] Ms.: Kunst... Dogmatik ... zusammen ... Geschikk ... gewinnt ... man ... unmittelbar ... Saz ... Selbstbewußtsein zurükkgeführt 12f sucht, ... nehmen,] Ms.: sucht ... nehmen 14 Gegner.] Ms.: folgt Einfügungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 15 nicht,] Ms.: nicht 15 lieber Freund,] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand): lieber Freund 18 jetzt] Ms.: jezt 18 Ausgabe] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand statt (Auflage) 18 sey] Ms.: sei 19 seine] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (die) 19 Gestaltung] folgt Ms.: (desselben) 21 f Sätze, die,... Gottes, ... die,] Ms.: Säze, die ... Gottes ... die 23-26 Denn, ... Sätzen ... sey ... anderen] Ms.: Denn ... Säzen ... sei ... andern

1-5 Vgl. Tzschimer: Briefe 25-29 (unten 569,22-571,34)

21-23 Vgl. CG' §34,2

362

5

10

15

20

25

An Lücke

unsere Glaubenslehre einmal lernen wird, sich o h n e sie zu behelfen. W e n n einer nun in seiner L a u f b a h n so weit vorgerückt ist, als ich: was ist natürlicher, als, wenn er deutlich sieht, wie sein W e r k in der letzten Vollendung sich gestalten müßte, d a ß er sucht, ihm diese baldmöglichst selbst zu geben? Allein bei näherer Ueberlegung f a n d ich, d a ß dies jetzt versuchen n u r eine in | der Eigenliebe gegründete, dem W e r k e selbst 505 aber in seiner W i r k u n g schädliche Uebereilung seyn würde; u n d d a ß ich aus derselben Ueberzeugung, die mich das erste Mal davon abhielt, auch jetzt diesen G e d a n k e n gar nicht erst w ü r d e wieder a u f g e n o m m e n haben, wenn ich nicht durch die gegen mich gerichtete Polemik in Versuchung gebracht worden wäre. Nämlich H e r r Prof. Baur hat doch in dem Verhältniß, welches ich zwischen diesen drei Formen aufgestellt, einen Hauptbeweis g e f u n d e n f ü r das, was er meinen Gnosticismus nennt, d a ß es nämlich f ü r mich n u r einen idealen Christus gebe, auf den geschichtlichen mir selbst aber wenig o d e r gar nichts ankomme. Ich möchte wohl wissen, wie viel o d e r wie wenig ich Ihrer M e i n u n g nach Schuld habe an diesem Mißver- 628 ständniß! Es beruht nämlich, ostensibel wenigstens, lediglich darauf, d a ß ich bei E i n f ü h r u n g dieser F o r m e n 1 gesagt habe, daß, ohnerachtet die beiden letzten Formen, streng genommen, eigentlich überflüssig wären, doch einem Lehrgebäude, welches sie übergehen wollte, die rechte geschichtliche H a l t u n g und also sein kirchlicher Character fehlen würde. N u n sind zwar diese beiden Ausdrücke, außer dem Z u s a m m e n h a n g angehört, unbestimmt und dunkel; aber ist nicht der letzte deutlieh genug durch das bald anfangs Gesagte über den Unterschied zwischen einer Dogmatik, welche öffentliche Lehre vorzutragen hat, u n d 1

Glaubensl. §.34, 3.

1 wird,] Ms.: wird 2-4 vorgerückt ist, ... natürlicher, ... letzten ... sucht,] Ms.: vorgerükkt i s t . . . natürlicher ... lezten ... sucht 5f jetzt ... gegründete,... Werke] Ms.: j e z t . . . gegründete ... Werk 7 in ... Wirkung] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 7-9 seyn ... jetzt] Ms.: sein ... jezt 11 wäre.] Ms.: folgt Einßigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 12 Prof.] Ms.: Prof 16 wohl] Ms.: wol 18 nämlich,] Ms.: nämlich 18 ostensibel wenigstens,] Ms. (mit Einßigungszeichen am rechten Rand): ostensibel wenigstens 19 daß,] Ms.: daß 20 die] Ms.: folgt (L 1) 20 letzten Formen, ... genommen, ... überflüssig] Ms.: lezten Formen ... genommen ... überflüßig 23-26 Ausdrücke, ... angehört, ... letzte ... Gesagte ... Dogmatik,] Ms.: Ausdrükke ... angehört ... lezte ... gesagte ... Dogmatik 26 hat] fehlt Ms. 27 Glaubensl. §.34,3.] Ms. (mit Anmerkungszeichen am rechten Rand): Glaubensl. §34,3

12-16 Vgl. Baur: Osterprogramm 7-13 (s. Anhang KGA 1/7.3,245-248; Selbstanzeige 244247 (s. Anhang KGA 1/7.3,268-270) 25f u. l f Vgl. CG' § 1,1 (KGA 1/7.1,10,32-38) 27 KGA 1/7.1,120,7-14

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

363

einem Systeme von, wenn auch dem Geiste nach, christlichen Privatüberzeugungen? Oder, war es einem aufmerksamen Leser zuviel zugemuthet, gerade hier, wo der Schematismus der Dogmatik aufgestellt werden soll, an jene näheren Bestimmungen dessen, was zur Dogmatik gehöre, zurückzudenken? Und wird der Ausdruck: geschichtliche Hal-| tung, nicht theils durch den Zusammenhang deutlich, in den er mit dem 506 andern gesetzt ist, theils durch die unmittelbar 2 vorhergehende Anführung, alle christliche Glaubenslehren enthielten Sätze von diesen drei Formen? Und wenn hier steht, ein L e h r g e b ä u d e , setzt nicht der Zusammenhang außer allen Zweifel, daß hier keinesweges von der christlichen Glaubenslehre im Allgemeinen die Rede ist, sondern von einer möglichen Anordnung derselben? Bin ich also irgend Schuld an der Verwechslung zwischen der geschichtlichen Haltung eines Buches und dem geschichtlichen Character der christlichen Glaubenslehre selbst? Und ist es mir zuzurechnen, daß das Programm geschichtliche Haltung durch „fundamentum historicum" übersetzt, und nun schließt, wenn also die Glaubenslehre vollständig seyn könnte ohne Sätze von jenen beiden Formen, so würde sie auch vollständig seyn ohne das geschichtliche Fundament, und das heißt wieder ohne den geschichtlichen Chri- 629 stus? ohne irgend daran zu denken, daß ich gerade heraussage, es könne in Sätzen von diesen beiden Formen nichts enthalten seyn, was nicht schon in der Vollständigkeit der ersten Form enthalten wäre! Wo haben also andere Glaubenslehren den historischen Christus, daß meine ihn nicht auch nothwendig haben müßte? 2

§.34,2.

1 Systeme von,... nach,] Ms.: System von ... nach 2-5 O d e r , . . . gerade hier, ... näheren ... dessen, ... gehöre, zurückzudenken?] Ms.: (mit Einfiigungszeichen am rechten Rand): Oder ... grade hier ... nähern ... dessen ... gehöre zurükzudenken? 5-8 Ausdruck: ... Haltung, ... deutlich, ... gesetzt... Sätze] Ms.: Ausdrukk ... Haltung ... deutlich ... gesezt... Säze 9-11 steht,... s e t z t . . . Zweifel,... Allgemeinen ... ist,] Ms.: steht ... sezt ... Zweifel ... allgemeinen ... ist 11 sondern von] Ms.: korr. aus sondernvon 15 zuzurechnen,] Ms.: zuzurechnen 16 „fundamentum historicum"] Ms.: fundamentum historicum 16-18 übersetzt ... schließt, ... seyn ... Sätze ... seyn] Ms.: übersezt ... schließt ... sein ... Säze ... sein 20f denken, ... heraussage, ... Sätzen ... seyn] Ms.: denken ... heraussage ... Säzen ... sein 24 müßte?] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 25 §. 34,2.] Ms. (mit Anmerkungszeichen am rechten Rand): §34,2

15-20 Vgl. Baur: Osterprogramm 9 (s. Anhang KGA 1/7.3,246) 7.1,119,31-34 25 KGA 1/7.1,119,30/

20-22 KGA 1/

364

5

10

15

20

25

An Lücke

D o c h Sie haben mich gewiß längst losgesprochen wegen dieses fast unbegreiflichen Mißverständnisses; aber doch werden Sie es mir verzeihen, daß, da es sich, wie es scheint, in der ganzen T ü b i n g e r Schule festgesetzt hat, ich nicht wenig Lust bekam, ihm auf jenem Wege entgegen zu treten und zu zeigen, daß, wenn auch alle Glaubenssätze in der ersten Form blieben, der historische Christus darin doch so fest und vollständig seyn würde, als irgendwo. | Ja es wäre unstreitig keine kleine 507 Befriedigung f ü r mich, die D o g m a t i k ganz abgeschlossen in der Eigenthümlichkeit, wie sie sich in mir gebildet hat, darzustellen. Auf ähnliche Weise, wie H e r r Prof. Baur, reizt mich zu dieser U m a r b e i t u n g auch H e r r D r . Röhr, indem er mir zu verstehen giebt, die beiden u n t e r g e o r d neten Formen machten sich in meiner Bearbeitung viel breiter, als dem Werthe, den ich ihnen beilege, gemäß sey; und hinter diesem Vorwurf scheint freilich der Verdacht zu lauern, als ob ich o h n e diese Formen, ohnerachtet ich sie f ü r entbehrlich erkläre, doch manches Lehrstück entweder gar nicht, oder doch nicht auf die gehörige Weise hätte z u r Darstellung bringen können. Aber auch diese Stimme, wie sehr sie auch zu beachten ist, vermochte es nicht über mich, diese V e r ä n d e r u n g zu übereilen, sondern ich kam doch wieder auf dasselbe zurück, was ich schon dort gesagt habe; es ist damit noch bei weitem zu früh, u n d ich k ö n n t e es n u r auf die G e f a h r thun, d a ß mein Buch in dieser Form ein bloßes Privatbuch würde, ein Kabinetsstück gleichsam in der theologischen Literatur, an dem sich M a n c h e erbauen u n d M a n c h e belehren würden, das aber auf den öffentlichen V o r t r a g der christlichen Lehren gar keinen E i n f l u ß ausüben könnte, da f ü r diese die rechten A n k n ü p - 630 fungspuncte fehlen würden, und damit würde denn ein großer Theil von dem, was ich gern erreichen möchte, unerreichbar gemacht.

3-7 daß, ... sich, ... scheint, ... festgesetzt ... daß, ... Glaubenssätze ... seyn würde,] Ms.: daß ... sich ... scheint ... festgesezt ... daß ... Glaubenssäze ... sein würde 8f mich, ... Eigentümlichkeit, ... hat,] Ms.: mich ... Eigentümlichkeit ... hat 9-19 Auf ... sondern] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (Aber) 10 Weise, ... Baur,] Ms.: Weise ... Baur 11 Herr Dr.] Ms.: Herr G.S. 12-16 breiter, ... Werthe, ... beilege, ... sey ... Formen, ... erkläre, ... Lehrstück ... nicht,] Ms.: breiter ... Werth ... beilege ... sei ... Formen ... erkläre ... Lehrstükk ... nicht 18f mich, ... zurück] Ms.: mich ... zurükk 20 dort] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (damals) 21 thun,] Ms.: thun 22f ein ... Literatur,] Ms. (mit Einfiigungszeichen am rechten Rand): ein ... Litteratur 23-27 Manche belehren ... Anknüpfungspuncte ... dem, ... möchte,] Ms.: manche belehren ... Anknüpfungspunkte ... dem . . . möchte

11-13 Vgl. Johann Friedrich Röhr: Rezension von CG', in: Kritische Prediger-Bibliothek 4 (Neustadt a.d. O. 1823), S. 382-386 (s. Anhang KGA 1/7.3,111-513)

Zweites Sendschreiben

5

10

15

20

25

365

Nächstdem finden sich aber auch eine große Menge von den dogmatischen Ausdrücken, gegen die ich am lebhaftesten protestire, in den Sätzen der zweiten und dritten Form, und ich glaube, es ist eben deshalb unerläßlich, die Polemik fürs erste immer noch in derselben Form zu führen. Denn nur eine dialektische, d.h. von dem Bestehenden ausgehende und es an Zugestandenem prüfende Polemik, welche sich zugleich durch die That darüber ausweiset, daß sie den christlichen Glaubensgehalt der Sätze unerschüttert läßt, und zugleich uns sicher stellt, daß sie uns unter kein anderes phiIosophi-|sches System gefangen 508 nimmt, welche Sicherstellung und Ausweisung in der vollständigen Durchführung der ersten Form nothwendig von selbst liegen muß, nur eine solche kann gründlich helfen gegen allen unserer Disciplin noch anklebenden scholastischen Wust, von dem wir uns nicht bald genug befreien können. Die bloße Simplificationsmethode, die man schon vor geraumer Zeit eingeschlagen hat, konnte sich wohl auf die Länge nicht bewähren. Denn von scharf geschnittenen und gespaltenen Vorstellungen sich zu unbestimmten und verwaschenen hinwenden, damit konnten beide Theile, die hier zu sprechen haben, nicht zufrieden seyn. Der wissenschaftliche Geist konnte keinen Fortschritt darin finden, sondern nur ein Zeichen von rathloser Ermüdung an dem Gegenstande, der fromme Sinn, wie gern er sich auch immer eines abgestorbenen Buchstaben entledigt, mußte doch bald inne werden, daß so weitschichtige Formeln nicht aus seinem Bedürfniß, sich auszusprechen, könnten hervorgegangen seyn. Ist aber dieser gestillt durch Ausdrücke des Glaubens, wie die Grundform sie darbietet, welche nämlich überall auf das unmittelbare Selbstbewußtseyn des Christen zurückgehn, dann kann jener über die einer längst vergangenen Zeit angehörigen Formeln ergehen lassen, was recht ist. Dieser Krieg nun wird noch nicht sobald ausgefochten seyn, und so muß ich denn auch, um hierbei das Meinige 631

2 f Ausdrücken ... protestire,... Sätzen ... glaube,] Ms.: Ausdrükken ... protestire ... Säzen ... glaube 3 eben deshalb] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand (davor (zuerst)J statt (zulezt) 4 unerläßlich,] Mi.: unerläßlich 4 fürs ... noch] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 5 f dialektische, ... Bestehenden ... Zugestandenem ... Polemik,] Ms.: dialektische ... bestehenden ... zugestandenem ... Polemik 7 christlichen] Ms.: eigentlich christlichen 8 Sätze] Ms.: Säze 8-10 und ... und] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (welche) 11 f nur ... solche] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 15 wohl] Ms.: wol 18 Theile, ... haben, ... seyn] Ms.: Theile ... haben ... sein 21-24 Sinn, ... werden, ... Bedürfniß, ... auszusprechen, ... seyn] Ms.: Sinn ... werden ... Bedürfniß ... auszusprechen ... sein 24 Ist aber] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 24-28 Ausdrücke ... Glaubens, ... Selbstbewußtseyn ... zurückgehn ... lassen,] Ms.: Ausdrükke ... Glaubens ... Selbstbewußtsein ... zurükgehn ... lassen 29-3 seyn ... auch, . . . hierbei ... Meinige ... und, ... hätte, ... spätem] Ms.: sein ... auch ... hiebei ... meinige ... und ... hätte ... späteren

366

5

10

is

20

25

An Lücke

a u f s beste z u t h u n , d e r f r ü h e r g e w ä h l t e n c o m p l i c i r t e n M e t h o d e a u c h d i e s m a l n o c h t r e u bleiben u n d , w a s ich g e r n n o c h selbst g e t h a n h ä t t e , e i n e r s p ä t e m Z u k u n f t ü b e r l a s s e n . W e n n ich a b e r h ä t t e alle L e h r s t ü c k e n u r n a c h d e r G r u n d f o r m b e h a n d e l n , u n d d o c h die a n t i s c h o l a s t i s c h e P o lemik auf dieselbe W e i s e f ü h r e n wollen: so h ä t t e die A u s f ü h r l i c h k e i t d o c h die gleiche bleiben m ü s s e n , wie jetzt; die U n t e r a b t h e i l u n g e n h ä t t e n sich in d e m s e l b e n M a a ß vervielfältigen m ü s s e n , als die C o o r d i n a t i o n w e g g e f a l l e n w ä r e , s o m i t w ä r e n die M a s s e n u n b e h o l f e n e r u n d d a s A u f f a s s e n s c h w i e r i g e r g e w o r d e n , u n d das w ä r e a u c h | k e i n G e w i n n g e - 509 w e s e n . H ö c h s t e n s also w e r d e ich im E i n z e l n e n hie u n d d a n a c h h e l f e n k ö n n e n , u n d auf die e i n f a c h e r e n A u s d r ü c k e s t ä r k e r u n d b e s t i m m t e r hinweisen, bei d e n e n wir w e r d e n s t e h e n bleiben d ü r f e n , w e n n das S c h o lastische g a n z w i r d a b g e t h a n seyn. N u n gut, w e n n es n i c h t a n d e r s seyn soll! Ich f r e u e m i c h w e n i g s t e n s in d e r U e b e r z e u g u n g , d a ß ich die G e stalt einer f r e i e r e n u n d l e b e n d i g e r e n B e h a n d l u n g s w e i s e u n s e r e r G l a u b e n s l e h r e w e n i g s t e n s v o n f e r n e g e s e h e n h a b e . U n d G o t t sey D a n k , ich sehe a u c h d e n W e g zu d i e s e m Ziele, wie ich ihn e b e n a n g e d e u t e t h a b e , u n d h o f f e d a s Beste s o w o h l v o n d e m w i s s e n s c h a f t l i c h e n Geiste d e r a u f s t r e b e n d e n G e n e r a t i o n , d e r uns, wie s e h r sich vielleicht a u c h die p h i l o s o p h i s c h e n F o r m e n w i e d e r d e r Scholastik n ä h e r n , d o c h auf u n s e r m G e biet d a v o n l o s m a c h e n m u ß , als a u c h v o n d e m Freiheitssinne i h r e r F r ö m m i g k e i t , w e l c h e uns, wie sehr a u c h v o n e i n e r a n d e r n Seite die N e i g u n g , u n s u n t e r das J o c h eines m e n s c h l i c h e n B u c h s t a b e n z u b e u g e n , w i e d e r h e r v o r b r e c h e n m ö g e , d o c h g e w i ß v o r allen E i n g r i f f e n d e r Spec u l a t i o n auf u n s e r G e b i e t sicher stellen w i r d .

K o n n t e ich mich also an so g r o ß e U m a r b e i t u n g e n meines B u c h e s n i c h t w a g e n , liebster F r e u n d ; w a s bleibt mir ü b r i g in d e r n e u e n A u s g a b e z u leisten? Z w e i e r l e i h a b e ich m i r v o r z ü g l i c h v o r g e n o m m e n ; leider a b e r w e i ß ich n u r v o n d e m E i n e n mit einiger G e w i ß h e i t , d a ß es mir gelingen 30 w i r d , das A n d e r e h i n g e g e n will ich z w a r v e r s u c h e n , ich w e i ß aber nicht, m i t w e l c h e m E r f o l g . Lassen sie m i c h bei d e m L e t z t e n a n f a n g e n , das ist 632 3 Zukunft] so Ms.; OD: Zukunst 3-10 Wenn . . . gewesen.] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 3 Lehrstücke] Ms.: Lehrstükke 4f Polemik] davor Ms.: (Methode) 6 f jetzt ... müssen,] Ms.: jezt . . . müssen 10 also] Ms.: mit Einfugungszeichen am rechten Rand 10-12 Einzelnen ... können, . . . Ausdrücke ... hinweisen,] Ms.: einzelnen ... können . . . Ausdrükke . . . hinweisen 12 dürfen] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (können) 12 f Scholastische . . . seyn] Ms.: scholastische . . . sein 13 seyn] Ms.: sein 14 Ich] Ms.: ich 16-23 sey Dank, . . . Ziele, ... sowohl ... Geiste ... Freiheitssinne ... Neigung, ... beugen,] Ms.: sei Dank ... Ziele ... sowol . . . Geist ... Freiheitssinn ... Neigung . . . beugen 24 vor] Ms.: von 25 wird] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (muß); auf Streichung folgt Einfiigungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 29 f Einen ... Gewißheit, ... Andere] Ms.: einen . . . Gewißheit... andere 31-1 Letzten ... erschrecke,] Ms.: lezten ... erschrekke

Zweites Sendschreiben

367

die möglichste Abkürzung des Buches, über welches ich erschrecke, so oft ich es darauf ansehe, wie unvermerkt und wider Willen es mir unter den Händen zu solcher Masse angeschwollen ist, fast als ob ich mich auf einmal umgewendet hätte, und statt der zu großen Kürze, die man mir bisweilen vorgeworfen, in Weitschweifigkeit gerathen wäre. Wenn ich mein Buch mit andern ähnlichen von weit geringerem Umfange vergleiche, | welchen üppigen Reichthum von besonders neuerer Literatur 510 enthalten diese, und welche Fülle von Berücksichtigungen einzelner Meinungen ausgezeichneter Männer! Wie muß ich mich also nicht eigentlich schämen, daß ich zu weit Wenigerem - denn von diesen Zuthaten habe ich überall keinen Gebrauch gemacht - doch weit mehr Raum verbraucht habe? Darum möchte ich gern so viel als möglich zusammenziehen. Nur freilich zwei Grenzen sind mir gesteckt, die ich nicht glaube ohne Nachtheil überschreiten zu können. Das Buch muß wenigstens so durch sich selbst verständlich seyn, wie jetzt. Lächeln Sie mir nur nicht zu, das sey herzlich wenig gesagt; ich meine auch nur so, daß nicht, damit das Gesagte deutlich werde, auf etwas außer dem Buche müsse verwiesen werden, weder Fremdes, noch Eigenes. Natürlich nehme ich hierbei meine Encyclopädie aus* aber auch nur, was den Vorhof des Buches betrifft; auf diese würde ich mich eben so zu berufen haben in jedem theologischen Lehrbuche, das ich noch schreiben könnte. Sonst aber, und wenn man eine so genaue Zusammengehörigkeit abrechnet, muß das doch seine Grenzen haben, daß alle Schriften eines Verfassers als Ein Ganzes anzusehen sind, und daß jedes Werk nur ein einzelnes Auge ist in dem Zweige der Literatur, dem es angehört. Dies ist eine vortreffliche Regel für die Leser, zumal, wenn sie es dahin bringen wollen, den Schriftsteller besser zu verstehen, als er sich selbst; aber der Schriftsteller muß, was er als ein Ganzes giebt, auch möglichst in sich selbst beschlossen darstellen. Nächstdem aber müßte es doch auch dabei bleiben, wenn nicht auch der ganze Vortrag sollte 633 umgegossen werden, daß sich die Ausführungen von den Paragraphen selbst auch in der Sprache bestimmt unterschieden. Diese Schreibart hat, auch abgesehen von ihrem Zusammenhang mit unseren akademischen Vorlesungen, ihre großen Vortheile, wenn man sich streng an sie hält. Dann aber auch die Paragraphen so aphoristisch als möglich, und

7 f Literatur . . . Berücksichtigungen] Ms.: Litteratur . . . Berüksichtigungen 10f Wenigerem - . . . gemacht - ] Ms.: wenigerem, . . . gemacht, 12 so viel] Ms.: soviel 13 gesteckt] Ms.: gestekkt 15 seyn . . . jetzt] Ms.: sein . . . jezt 1 6 - 1 8 s e y . . . Gesagte . . . Fremdes, . . . Eigenes] Ms.: sei . . . gesagte . . . fremdes . . . eignes 19-21 hierbei . . . nur, . . . Lehrbuche,] Ms.: hiebei . . . nur . . . Lehrbuch 25 Literatur] Ms.: Litteratur 2 6 f zumal, . . . wollen, . . . verstehen,] Ms.: zumal . . . wollen . . . verstehen 33 unseren] Ms.: unsern

368

5

10

15

20

25

An Lücke

jeder mache ir-|gend etwas rein ab. Nichts kömmt mir wunderlicher vor, 511 als wenn in einem solchen Buche der Paragraph selbst schon ziemlich in die Breite geht, dann folgt eine Ausführung, die sich nur noch durch den Druck vom Paragraphen unterscheiden kann, und der folgende Paragraph ist dann überschrieben: Fortsetzung. Sollen mir nun, im Gegensatz mit dieser Manier, die Ausführungen nicht eben so aphoristisch gerathen, als die Paragraphen, so weiß ich nicht, wie bedeutend meine Ersparnisse seyn werden. Gelingt mir nun dies nicht sonderlich: so sind Sie es vorzüglich, den ich bei Zeiten bitten muß, den guten Willen f ü r die That zu nehmen, da gerade Sie es so vortrefflich verstanden haben, in demselben Buche aus einer gemächlicheren in eine gedrängtere Schreibart überzugehen. Gesetzt aber auch, dies gelänge mir nach Wunsch: so sollte dann auch der Raum rein erspart seyn, denn ich würde doch in jenen beiden Puncten von meinem bisherigen Verfahren nicht abgehen. Was zuerst die eigentlich sogenannte Literatur betrifft: so möchte ich wohl meine Ansicht zu näherer Prüfung empfehlen, daß sie nämlich in Büchern, die mit unsern Universitätsstudien genauer zusammenhängen, auf die Weise, wie man sie gewöhnlich beigebracht findet, gar nicht hineingehöre. Nicht nur, daß wir im Allgemeinen nachgerade Bedacht darauf nehmen müssen, daß doch auch Platz bleibe f ü r das bedruckte Papier, sondern vorzüglich auch scheint mir wichtig, daß die Handbibliotheken unserer Studirenden möglichst tragbar müssen einzurichten seyn. Wenn wir nun unsere theologischen Lehrbücher zusammen nehmen: wie unzählig oft finden wir dieselben Bücher gegenseitig citirt! Werden die Stellen ausgeschrieben, welcher Raum! Werden sie blos angeführt: 634 wie Viele von denen, die dergleichen Bücher gebrauchen, mögen wohl auf solche Anführungen hin die Stellen nachschlagen? zumal iri neu-

1—4 k ö m m t . . . vor, ... Buche ... Ausführung, ... Druck] Ms.: kommt ... vor ... Buch ... Ausführung ... Drukk 4 vom] Ms.: von dem 5 überschrieben: Fortsetzung] Ms.: überschrieben, Fortsezung 5 - 8 Gegensatz ... gerathen, . . . nicht, ... seyn] Ms.: Gegensaz . . . gerathen ... nicht . . . sein 9-11 vorzüglich, . . . muß, . . . gerade . . . vortrefflich ... haben, ... Buche] Ms.: vorzüglich . . . muß ... grade ... vortreflich ... haben . . . Buch 12 überzugehen.] Ms.: überzugehn.; folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 13-15 Gesetzt . . . auch, ... seyn . . . Puncten] Ms.: Gesezt ... auch . . . sein . . . Punkten 16f Literatur ... wohl . . . Büchern, ... Weise,] Ms.: Litteratur . . . wol ... Büchern ... Weise 20-23 nur, ... Allgemeinen ... Platz . . . bedruckte ... seyn] Ms.: nur ... allgemeinen . . . Plaz . . . bedrukte ... sein 26f blos . . . wohl] Ms.: bloß ... wol

10-12 Vgl. Friedrich Lücke: Commentar über die Schriften des Evangelisten Johannes, Bd 1, Bonn 1820 [zu Joh 1-4; 682 S.J. Bd 2, Bonn 1824 [zu Joh 5-21; 576 S.J. Bd 3, Bonn 1825 [Einleitung und 1.-3. Joh; 314 S.J

Zweites

369

Sendschreiben

eren Büchern, von denen ich zunächst rede! | Darum, denke ich, ist es so 512 zu halten. Kann der Lehrer einer einzelnen Disciplin sich nicht darauf verlassen, daß entweder die theologische Bücherkenntniß in besonderen vorbereitenden Vorlesungen zweckmäßig behandelt wird, oder wenigstens, daß seine Zuhörer, sey es nun durch literarische Handbücher und kritische Blätter, oder aus mündlicher Ueberlieferung, von den bedeutenden neueren Werken Kunde haben: nun wohl, so statte er sein Lehrbuch aus mit einem Verzeichniß von denen, die er am liebsten empfehlen möchte, entweder im Allgemeinen oder vor den einzelnen Hauptabschnitten, je nachdem ihm der eine Schriftsteller hier, der andere dort vorzüglicher scheint gearbeit zu haben; der Hinweisungen auf einzelne Stellen aber enthalte er sich. Ich nun glaubte um so mehr von jener Voraussetzung ausgehen zu dürfen, als ja bis jetzt fast jedes Lehrbuch solcher Nachweisungen in Menge enthält, und die beliebtesten am meisten, überdies aber bei dem großen Verkehr der Universitäten unter einander die mündliche Ueberlieferung, sowohl was Lehrer, als was Lehrbücher betrifft, unter unsern Anfängern von großer Wirksamkeit zu seyn scheint. Und so mögen es mir denn unsere gelehrten Zeitgenossen und Mitarbeiter in diesem Fach verzeihen, daß ich mein Buch nicht mit öfterer Wiederkehr ihrer Namen geschmückt habe. Für Citate aus älteren, besonders patristischen Schriften habe ich mir das Gesetz gemacht, bei Formeln, die nicht streng symbolisch sind, denn für diese genügt die Anführung der Bekenntnißschriften, auf die meines Wissens älteste Quelle zurückzugehen, wo sie in der Gestalt vorkommen, welche ich empfehle. Und ich habe mich so genau daran gehalten, nur auf solche Schriften und Abschnitte zurückzugehen, worin der betreffende Gegenstand ex professo behandelt wird, und in diesen die prägnantesten und unzweideutigsten Stellen zu wählen, daß ich wahrlich am wenigsten den Vorwurf erwartet habe, den mir Delbrück macht, 635 3-10 besonderen ... zweckmäßig . . . wenigstens, . . . Zuhörer, sey . . . literarische ... Blätter, . . . Ueberlieferung, . . . neueren . . . denen, ... möchte, . . . Allgemeinen . . . Hauptabschnitten, ... hier,] Ms.: besondern ... zwekmäßig . . . wenigstens ... Zuhörer sei . . . litterarische ... Blätter . . . Ueberlieferung . . . neuern . . . denen . . . möchte ... allgemeinen ... Hauptabschnitten . . . hier 13f Voraussetzung . . . jetzt . . . enthält,] Ms.: Voraussezung . . . jezt . . . enthält 15f bei ... einander] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 16-18 Ueberlieferung, sowohl ... Lehrer, . . . betrifft, . . . seyn] Ms.: Ueberlieferung sowol ... Lehrer . . . betrifft . . . sein 20 ihrer Namen geschmückt] Ms.: ihres Namens geschmükt 20-6 Für ... gegeben.] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 21-24 älteren, ... Gesetz ... Formeln, . . . Bekenntnißschriften, ... zurückzugehen] Ms.: älteren . . . Gesez . . . Formeln ... Bekenntnißschriften . . . zurükzugehn 25-1 gehalten, . . . zurückzugehen, ... wahrlich ... habe, . . . Zusammenhange] Ms.: gehalten . . . zurükzugehen . . . warlich ... habe ... Zusammenhang

29-1 Vgl. Delbrück: Christenthum

3,93/109/(unten

515,35-516,12.520,25-521,7)

370

5

10

15

20

25

An Lücke

aus dem Zusammenhange gerissene Stellen bewiesen nicht) viel. Hätte 513 er doch nur zur Probe eine oder die andere nachgeschlagen, und so aus dieser Insinuation einen bestimmten Vorwurf gemacht. Indeß ich lebe der guten H o f f n u n g , daß ein Mann vom Fach nicht f ü r ihn in die Schranken treten würde, und er selbst hat mir schon S. 140 seiner Schrift die freundschaftlichste Genugthuung f ü r diese Unbill gegeben. - Auf eine Mannigfaltigkeit verschiedener, zumal neuerer Darstellungen einzugehen, würde freilich durch eine nach Maßgabe der bewirkten Ersparnisse eintretende gleichmäßige Erweiterung der einzelnen Artikel möglich geworden seyn. Allein ich glaube, ein das Ganze des christlichen Glaubens umfassendes Lehrbuch hat genug zu thun, wenn es die wesentliche Pflicht erfüllt, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb deren sich die Vorstellung bewegen kann, ohne den Zusammenhang mit den Grundsätzen der Kirche aufzugeben. U n d wenn die Uebersicht nicht zu sehr erschwert werden soll, dürfen die einzelnen Artikel nicht bis zu einer solchen Ausführlichkeit erweitert werden, daß sie sich nicht mehr von Monographien unterscheiden. Ich will also auf alle Erweiterungen dieser Art auch f ü r die zweite Ausgabe Verzicht leisten, und zufrieden seyn, wenn sich nur jenes überall in das gehörige Licht stellt. Das Zweite, was ich mir zum Ziel gesteckt habe, ist eine Revision und vielleicht bedeutende daraus hervorgehende Aenderungen in der Einleitung. Ich kann nämlich nicht umhin, mir einen Vorwurf daraus zu machen, daß, wie die meisten meiner Kritiker sich vorzüglich mit der Einleitung beschäftiget haben, eine Menge der bedeutendsten Mißverständnisse daraus entstanden sind, daß sie sich die Einleitung zu sehr mit der Dogmatik selbst als eines gedacht haben. Lassen Sie mich Ihnen nur einige wenige Beispiele herausheben. Das bekannte Tübinger Osterprogramm sagt, ich wolle die christliche Frömmigkeit aus dem allgemeinen menschlichen frommen Bewußtseyn erklären. Wenn darun-|

4f Hoffnung, ... würde,] Ms.: Hofnung ... würde 7f verschiedener, ... einzugehen ... Maßgabe] Ms.: verschiedener ... einzugehn ... Maaßgabe 8 f der bewirkten] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (anderer) 9 gleichmäßige] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 10 seyn] Ms.: sein 10-14 glaube, ... erfüllt, ... bestimmen, ... kann, ... Grundsätzen] Ms.: glaube ... erfüllt ... bestimmen ... kann ... Grundsäzen 18f leisten, ... seyn,] Ms.: leisten ... sein 19 stellt.] Ms.:folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 20 Zweite, ... habe,] Ms.: zweite ... habe 22f umhin, ... daß,] Ms.: umhin ... daß 28f sagt, ... Bewußtseyn] Ms.: sagt ... Bewußtsein

5f Anspielung auf Delbrücks Kirchenväter-Zitation in Christenthum 3,140-149; vgl. dazu 139f.149f.nSf (unten 531,14-35.531,36-532,8.532,19-533,13) 27-29 Vgl. Baur: Osterprogramm 3-5 (s. Anhang KGA 1/7.3,243f)

Zweites

5

10

15

20

25

30

Sendschreiben

371

ter nichts anders verstanden werden soll, als daß ich dem Christenthum 514; 636 unter den verschiedenen möglichen Modificationen jenes gemeinsamen Bewußtseyns seine eigenthümliche Stelle zu bestimmen suche, wie H e r r Baur sich selbst in der Relation, welche er in der Tübinger Zeitschrift von jenem Programm geliefert hat, ausdrückt: so waltete kein Mißverständniß ob. Allein es entwickelt sich doch dort immer mehr die Ansicht, als wolle ich das Christenthum, wie man zu sagen pflegt, a priori demonstriren, und ich sehe nicht ein, wie das möglich gewesen wäre, wenn H e r r Baur nicht in den Sätzen der Einleitung, mit der er es allein zu thun hat, mehr gesucht hätte, als nur die Ortsbestimmung. Dies wird mir noch deutlicher durch das Folgende. Er hält sich nämlich berechtigt, aus der Behandlung des Erlösungsbegriffs in der Einleitung zu folgern, daß bei mir der Begriff Erlöser gar nicht ein geschichtlich gegebener sey, sondern mit dem Begriff der Erlösung zusammenfalle, und daß also auch mein Christenthum nicht auf jener Thatsache wesentlich beruhe, sondern ganz im Begriff gegründet sey. Denn, sagt er, es wird zwar der Satz aufgestellt, daß sich Alles darin auf das Bewußtseyn der Erlösung in der Person Jesu von Nazareth beziehe; allein in der Ausf ü h r u n g des Paragraphen sey hernach von dieser Person gar nicht weiter die Rede, sondern der Begriff des Erlösers werde nur genauer bestimmt. Wäre nun H r . Dr. Baur bei dem geblieben, daß es hier nur darauf ankomme, dem Christenthum seinen O r t zu bestimmen: so würde er sich dies, zumal er auch mit meinen Reden über die Religion nicht unbekannt ist, ganz anders erklärt haben. Alle weitere Ausführung dessen, was die Person anbetrifft, gehört natürlich eben deshalb in die Dogmatik, weil sich Alles im Christenthum auf diese Person bezieht; in der Einleitung war nur zu zeigen, wie der Begriff der Erlösung müsse gefaßt seyn, wenn er solle, möchte nun die Person, durch welche sie vollbracht | seyn sollte, diese seyn oder eine andere, den Central- 515 punct einer besonderen Glaubensweise bilden; wenn also H r . Baur dennoch auch jenes von der Einleitung fordert: so hat er ihre ganze T e n -

1-3 soll, ... Bewußtseyns] Ms.: soll ... Bewußtseins 3-5 wie ... Relation, ... ausdrückt:] Ms. (mit Einfügungszeichen am linken Rand): wie ... Relation ... ausdrükkt: 6-10 entwickelt ... ein, ... Sätzen ... hätte,] Ms.: entwikkelt ... ein ... Säzen ... hätte 11 Folgende] Ms.: folgende 14-16 sey ... sey] Ms.: sei ... sei 17-19 Satz ... Alles ... Bewußtseyn ... sey] Ms.: Saz ... alles ... Bewußtsein ... sei 21 f Dr. ... ankomme,] Ms.:Ό. ... ankomme 26-30 Alles ... seyn ... seyn ... seyn ... Centralpunct ... Hr.] Ms.: alles ... sein ... sein ... sein ... Centraipunkt ... Herr

1-5 Vgl. Baur: Selbstanzeige 240 (s. Anhang KGA 1/7.3,266) anzeige 241f(s. Anhang KGA 1/7.3,266f)

11-21 Vgl. Baur: Selbst-

372

An Lücke

denz zu wenig von der der Dogmatik selbst geschieden. Am allerstärksten aber und ganz unverkennbar zeigt sich dies dadurch, daß er sich wundert, warum ich nicht auch die Sätze der Einleitung in jenen drei Formen vorgetragen habe 3 . Ja er fordert gewissermaßen, dies hätte geschehen sollen, weil dann erst recht hevorgetreten seyn würde, was ich eigentlich mit meiner Dogmatik im Schilde führe. Wie so doch? Da ich von jenen drei Formen nur in Beziehung auf dogmatische Sätze rede, und in der ganzen Einleitung kein einziger eigentlich dogmatischer Satz zu finden ist! Wie hätte wohl mein Sinn dadurch erst recht ins Licht treten können, wenn ich eine solche Verwirrung angerichtet hätte, die nothwendig eine Menge anderer Verwirrungen hätte nach sich ziehen müssen. Wie denn auch Alles, was Herr Baur von hier aus sagt, und die Beziehung, die er daran knüpft, freilich nicht zwischen den drei dogmatischen Formen, von denen eigentlich die Rede war, sondern zwischen den beiden Hauptformen der Religion auf der einen, und Heidenthum, Judenthum und Christenthum auf der andern Seite für mich nichts ist, als Verwirrung, und ich nicht das Mindeste darin finde, was meinen Sinn irgend deutlich machen könnte. Wie wäre also mein scharfsichtiger Analytiker dazu gekommen, von der Einleitung zu fordern, was durchaus nur in der Dogmatik selbst seinen Ort haben kann, wenn er nicht doch die Kluft zwischen beiden irgendwie übersehen hätte? Ich kann Ihnen nicht helfen, Sie müssen mir Geduld schenken, daß ich noch ein Paar Beispiele von mir befreundeteren Männern anführe. 3

T ü b i n g . Z e i t s c h r . I. S . 2 4 7 f f .

3 Sätze] Ms.: Säze 4 Ja] davor im Ms.: Semikolon 5 hervorgetreten] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand statt (herausgekommen) 5 seyn] Ms.: sein 7-9 Sätze ... Satz] Ms.: Säze ... Saz 9 wohl] Ms.: wol 10 wenn] Ms.: über (daß) 10 angerichtet] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (gemacht) 11 eine ... anderer] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (lauter) 1214 Alles, ... Beziehung, ... Formen, ... war,] Ms.: alles ... Beziehung ... Formen ... war 15 auf ... einen,] Ms. (mit Einfiigungszeichen am rechten Rand): auf ... einen 16 Heidenthum,] Ms.: Heidenthum 16 auf ... Seite] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 17 ist, ... Mindeste] Ms.: ist ... mindeste 19f fordern,] Ms.: fordern 23 Ich] davor im Ms.: Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 23 schenken,] Ms.: schenken 25 T ü b i n g . Z e i t s c h r . I. ...ff.] Ms. (mit Anmerkungszeichen am rechten Rand): T ü b i n g Z e i t s c h r I ... flgd

12-16 Vgl. Baur: Selbstanzeige 248f (s. Anhang KGA 1/7.3,270f) 247-234 (s. Anhang KGA 1/7.3,270-273)

25 Selbstanzeige

Zweites Sendschreiben

5

10

15

20

373

Mein lieber Schwarz, dem | ich sehr verpflichtet bin für die große Ar- 516 beit, die er an die Recension meiner Glaubenslehre gewendet hat, und dem ich für vieles Einzelne darin noch besonders Dank zu sagen habe, erkennt im Ganzen sehr bestimmt an, daß die Untersuchungen in der Einleitung nur propädeutisch und exoterisch seyen; dennoch aber glaubt er sich gemüßigt zu erklären, daß der von §. 6. an gemachte Ver- 638 such, dem Christenthum durch Vergleichung mit andern Glaubensweisen und Aufweisung seines Eigenthümlichen auch seinen Ort in dem Gesammtgebiet der Religionsgemeinschaften zu bestimmen, nicht hinreiche, die christliche Glaubenslehre zu begründen. Wie könnte mir aber wohl eingefallen seyn, in der Einleitung eine solche Begründung geben zu wollen! Ausgenommen, was aber die Begründung auch für jede Glaubenslehre einer anderen Religionsgemeinschaft gewesen wäre, das Zurückgehn auf die in dem Selbstbewußtseyn liegende Nothwendigkeit, sich zu äußern, und auf einen Gesammtwillen, der eine Gemeinschaft dieser Aeußerung hervorbringt. Für die christliche Glaubenslehre ist die Darstellung zugleich die Begründung; denn Alles in derselben läßt sich nur dadurch begründen, daß es als richtige Aussage des christlichen Selbstbewußtseyns dargestellt wird. Wer aber dasselbe in seinem Selbstbewußtseyn nicht findet, für den ist auch keine Begründung möglich, sondern nur die Aufforderung, den Punct aufzusuchen, wo sein persönliches frommes Bewußtseyn von dem in dem Lehrgebäude dargestellten Gesammtbewußtseyn abweicht. Die Einleitung nun mußte nothwendig den Versuch machen, für das in allen Modificatio-

1 Schwarz] im Ms. unterstrichen 3-7 Einzelne ... seyen ... §.6. ... Versuch,] Ms.: einzelne ... seien ... § 6 ... Versuch 8 und ... auch] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 8 Eigenthümlichen] Ms.: eigenthümlichen 9f hinreiche,] Ms.: hinreiche 12 wohl ... seyn,] Ms.: wol ... sein 13 f anderen ... Zurückgehn] Ms.: andern ... Zurükgehn 14 in ... Selbstbewußtseyn liegende] Ms. (mit Einßigungszeichen am rechten Rand): in ... Selbstbewußtsein liegende 14f N o t w e n d i g keit,] Ms.: Nothwendigkeit ; folgt (des Selbstbewußtseins) 15 äußern,] Ms.: äußern 17-19 Alles ... Selbstbewußtseyns] Ms.: alles ... Selbstbewußtseins 20-22 Selbstbewußtseyn ... Aufforderung, ... Punct aufzusuchen, . . . Bewußtseyn] Ms.: Selbstbewußtsein ... Aufforderung ... Punkt aufzusuchen ... Bewußtsein 22f dem Lehrgebäude] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand statt (der Dogmatik) 23 Gesammtbewußtseyn] Ms.: Gesammtbewußtsein

lf Friedrich Heinrich Christian Schwarz: Rezension von CG', in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur 15 (1822), S. 854-864.945-980; 16 (1823), 209-226.321-352 (s. Anhang KGA 1/7.3,539-623) 4f Vgl. Schwarz: Rezension von CG1, 959.963 (s. Anhang KGA 1/ 7.3,561.565) 6-10 Vgl. Schwarz: Rezension von CG', 962-966, bes. 965f (s. Anhang KGA 1/7.3,563-567) 23-2 Vgl. CG'$ 18 Leitsatz

374

An

Lücke

nen des christlichen Selbstbewußtseyns Gültige, außer demselben aber nicht Vorhandene, eine Formel aufzustellen; aber auch diese kann für Niemand eine Begründung seyn. Und die Einleitung legt es nicht einmal darauf an, diese Formel auf das christliche Gesammtbewußtseyn 5 zurückzuführen, sondern wie sie hier in dem Gebiet sich bewegt, welches ich durch den Ausdruck Religionsphilosophie, ein Wort, wel-|ches 517 Andere anders brauchen, zu bezeichnen pflege: so will diese Formel auch von jedem Unchristen dafür gehalten seyn, daß er durch dieselbe jede christliche fromme Erregung und einen sie aussagenden Glaubens10 satz von jeder nichtchristlichen unterscheiden könne. Ist also nicht auch hier eine Verwechselung zwischen der Aufgabe der Einleitung und der der Dogmatik selbst vorauszusetzen? Und nun noch eines nur von unserm Freunde Sack, ich meine, was er über meine Behandlung 639 des Offenbarungsbegriffs sagt4, daß ich nämlich den Begriff als dogma15 tisch nicht streng zu haltend darstelle, und daß, wenn gleich nur für seinen Standpunct, meine andere Behauptung, daß die absolute Offenbarung allein in Christo sey, nur historischen Gehalt habe, die Bestim4

Apologetik S.75.

1 - 3 Selbstbewußtseyns Gültige, . . . V o r h a n d e n e , . . . N i e m a n d . . . seyn] Ms.: Selbstbewußtseins gültige . . . v o r h a n d e n e . . . n i e m a n d . . . sein 3 U n d ] Ms.: korr. aus Lundl 4 f G e s a m m t b e w u ß t s e y n z u r ü c k z u f ü h r e n . . . A u s d r u c k ] Ms.: G e s a m m t b e w u ß t s e i n zurükzuführen ... Ausdrukk 6 Religionsphilosophie] folgt Ms.: (bezeichne) 6 W o r t , ] Ms.: W o r t 7 zu bezeichnen pflege] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 8 - 1 0 seyn . . . G l a u b e n s s a t z ] Ms.: sein . . . G l a u b e n s s a z 12 und d e r ] Ms.: d e r mit Einßigungszeichen am rechten Rand 12 v o r a u s z u s e t z e n ] Ms.: vorauszusezen 13 Sack] im Ms. unterstrichen 1 3 - 1 7 meine, . . . w e n n gleich . . . S t a n d p u n c t . . . andere . . . sey] Ms.: meine . . . wenngleich . . . S t a n d p u n k t . . . a n d r e . . . sei 17 habe,] folgt Ms.: (und) 18 Apologetik S.75.] Ms. (mit Anmerkungszeichen am rechten Rand): A p o logetik S.75

5 - 7 Vgl. CG' §18,5 (KGA 1/7.1,68,17-39) 18 „Wenn uns nun diese Entstehung des Begriffs auf unserem Gebiete eigentlich nichts angeht: so giebt es doch andere mehr theologische Bestimmungen desselben, die wir hier nicht umgehen können, wobei nur der eigene Fall eintritt, daß gerade derjenige Schriftsteller, dessen Behandlung des Begriffs in dieser seiner dritten Richtung uns vorzüglich interessirt haben würde, denselben mit einer sichtlichen Gleichgültigkeit behandelt, nicht nur als fast identisch mit dem Begriff positiv, sondern eine streng wissenschaftliche Begründung desselben aufgebend [Anm.: Schleiermacher im Christlichen Glauben (Th. 1. S. 97-106). Daß der Begriff hier als dogmatisch nicht streng zu haltend angegeben wird, sagt völlig, daß er es wissenschaftlich überhaupt nicht sei, da dieser Theil jener Dogmatik mehr apologetische Vorbereitung ist.]. Nehmen wir indessen zusammen, was in diesem Werke und nach verwandten Ansichten sich über diesen Begriff vorfindet, so ist es vorzüglich eine neue, aus nichts Geschichtlichem und Zufälligem zu erklärende Erregung des religiösen Bewußtseins, besonders wenn sie durch einen weiteren Umfang und ein gebietendes Ansehn sich über viele

Zweites

Sendschreiben

375

mung des Begriffs aber nicht afficire. Ich dächte, gerade für einen Apologeten wäre meine Behandlung trefflich, wie denn auch wirklich meine Einleitung sich hier in dem Gebiete der Apologetik bewegt. Ich denke, wenn der christliche Apologet den andern Glaubensgenossen sagen 1 aber] Ms.: mit EinfUgungszekhen am rechten Rand ... Gebiete] Ms.: dächte grade ... treflich ... Gebiet denke ... kann

1-3 dächte, gerade ... trefflich 3-1 denke, ... kann:] Ms.:

Geschlechter verbreitet, was man Offenbarung nennen soll. ,Denn, sagt diese Ansicht, in jeder neuen Erregung des Bewußtseins Gottes offenbare sich dieser auf eine eigene und neue Weise, eine solche sei auch nie aus geschichtlicher Ueberlieferung oder reflektirender Thätigkeit zu erklären, sondern es bleibe dabei das Unmittelbare, von Gott Ausgehende, welches überhaupt im Wesen der Religion liege. In dieser Hinsicht sei jede positive Religion offenbart, nämlich eine unmittelbare göttliche Wirkung in der Seele der ersten Stifter, und das Falsche, welches sich in allen bestehenden Religionen finde, sei nur Erfolg der Trübung des göttlichen Eindrucks in den Gemüthern der Menschen. Wenn freilich in diesem Sinne auch die Entstehung eines neuen Kunst- und bürgerlichen Lebens könnte Offenbarung genannt werden, weil doch immer darin etwas Göttlichunmittelbares anzuerkennen sei: so müsse man theils dies gelten lassen, theils jene Merkmale von Umfang und Ansehn zum Begriffe der eigentlichen Offenbarung hinzunehmen' [Anm. : Daß der Verfasser nachher die absolute eigentliche Offenbarung allein in Christo findet, ist von unserem Standpunkte aus historisch, und gehört nicht zur Bestimmung des Begriffs.]. An diese letzten Bestimmungen knüpft sich die Bestreitung dieses Begriffs. Wie kann äußerer Umfang und gebietendes Ansehn darüber entscheiden, ob etwas Offenbarung Gottes sei ? Kann diese nicht vollständig da sein, wo nur erst ein kleiner Kreis sie anerkennt, welchen zu vermehren sich aber keiner soll hindern lassen durch das geringe Ansehn der Offenbarung? Kann nicht ein Kunstleben, eine neue bürgerliche Schöpfung ein umfassendes und frei anziehendes Ansehn gewinnen, und ist beides deshalb seinem ersten Ursprünge nach Offenbarung? Wenn dies aber zugegeben wird, wie es denn wird, und wie Viele alles Bedeutende in der Geschichte, ja die Geschichte selbst eine Offenbarung Gottes nennen: welche Beziehung dieses Begriffs bleibt da zu dem Begriffe der Religion, d. h. der von Gott ausgehenden Wiedervereinigung der Menschheit mit ihm? Daß große historische Erscheinungen der bürgerlichen wie der religiösen Art etwas Unerklärliches, Unmittelbares in ihrem Ursprung haben, ist gewiß: aber werden beide dadurch Offenbarung, werden die letzten schon dadurch göttlich? Tragen sie schon deshalb zur Wiedervereinigung der getrennten Menschheit mit Gott bei, so daß das Herz des Menschen durch sie mit Gott geeinigt wird? Und wenn das Unerklärliche dadurch schon göttlich wäre: so müßte nicht nur vieles doch seinem Wesen nach blos im Weltzusammenhange Gegründete göttlich genannt werden, sondern auch das Böse, Irrige, welches oft aus den Tiefen des Herzens und der Menschheit, ohne hinreichende Erklärbarkeit, ein gewaltiges Ansehn gewinnt, könnte nicht mehr unterschieden werden von dem Göttlichwahren. Es bleibt also nach dieser Ansicht nichts übrig, als den Begriff Offenbarung entweder als der Religion gar nicht eigentümlich auszudehnen auf alles neue, mächtige Werden und Wirken, oder den Begriff der Religion selbst insofern er eine von der Welt verschiedene Wirkung Gottes bezeichnet, nicht anzuerkennen, und von einem anderen Religionsbegriff aus auch einen anderen vielleicht mit jenem verwandten religiösen Offenbarungsbegriff zu bilden. Zwischen beidem bewegt sich das genannte Werk, beides aber dürfen wir zurückweisen. Das erste ist gar nicht theologisch, und in das letzte dürfen wir nicht einstimmen, so lange unser Begriff von Religion uns der wahre scheint [Anm. ... J." (Sack: Apologetik 74-77; „Zweiter Theil. Von der Offenbarung und den göttlichen Thaten. Erster Abschnitt. Begriff der Offenbarung. [...] 2. Bestreitung gewisser Definitionen. ")

376

5

10

15

20

25

An Lücke

kann: „Was ihr geoffenbart nennt, das läßt sich gar nicht bestimmt genug unterscheiden von dem nichtgeoffenbarten, wenn ihr nicht eben so gut vieles Andere, was ihr sonst gar nicht oder nur in sehr unbestimmtem Sinne so zu nennen pflegt, doch auch für eben so sehr geoffenbart erklären wollt. Da ihr aber doch den Begriff für etwas haltet: so müßt ihr mir um so mehr gestatten, das Meinige für geoffenbart zu halten, welches sich so bestimmt von allem Anderen unterscheidet, daß es sich nur mit der ursprünglichen Offenbarung Gottes, nämlich der Schöpfung, als eine zweite vergleichen läßt": so hat er sich gar nicht übel gestellt, und zugleich dafür gesorgt, den Begriff dogmatisch haltbar zu machen! Und dies ist es doch gerade, was ich gethan habe. Die Einleitung hat es mit dem Offenbarungsbegriff zunächst als mit einem mehreren oder allen | Religionen Gemeinschaftlichen zu thun, und so findet 518 sie ihn unbestimmt. Dies ist also gerade das Historische, aber unser Sack nennet es dogmatisch. Daß derselbe Begriff aber, auf Christum bezogen, haltbar ist als Bezeichnung für die Art und Weise des Seyns Gottes in ihm, das ist gerade, was dogmatisch gebraucht werden könnte; aber unser Sack nennet dies historisch. Daß ich es für gerathener erkläre, auch in der Dogmatik von dem Ausdruck keinen Gebrauch in einer Mannichfaltigkeit von Formeln zu machen, das ändert in diesem Sachverhältniß nichts. Habe ich also nicht Grund genug zu glau- 640 ben, daß auch hier der Unterschied zwischen der Einleitung und dem Werke selbst nicht scharf genug gefaßt worden ist? Nun kann aber solchen Männern und andern - denn mit meiner Beispielsammlung wäre ich noch lange nicht zu Ende - dieses nicht begegnet seyn, ohne daß es irgenwie meine Schuld sey, und diese Schuld habe ich also alles Ernstes aufgesucht. Viel habe ich nicht gefunden, aber doch genug, um mich zu einer bedeutenden Umstellung zu veranlassen.

1 gar nicht] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 1 f genug] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 3 Andere] Ms.: andere 6-10 gestatten, ... Meinige ... Anderen ... Gottes, ... Schöpfung, ... gesorgt,] Ms.: gestatten ... meinige ... anderen ... Gottes ... Schöpfung ... gesorgt 11 gerade] Ms.: grade 13 Gemeinschaftlichen] Ms.: gemeinsamen 14 gerade] Ms.: grade 15 derselbe Begriff] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 15f aber, ... bezogen,] Ms.: aber ... bezogen 16 für ... des] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand statt (des) 16f Seyns ... gerade,] Ms.: Seins ... gerade 19f erkläre,... Mannichfaltigkeit] Ms.: erkläre ... Mannigfaltigkeit 23 gefaßt worden ist] Ms.: ist gefaßt worden 25f seyn ... sey] Ms.: sein ... sei 26 Schuld] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 27 gefunden, ... genug,] Ms.: gefunden ... genug 28 veranlassen.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 18-20 Vgl. CG' §19,3 (KGA 1/7.1,76,4-7)

Zweites

5

10

15

20

25

377

Sendschreiben

Vielleicht ist schon das nachtheilig gewesen, daß die Einleitung gleich mit einer vollständigen Erklärung der Dogmatik anhebt. Denn nun konnte man leicht denken, nachdem diese gegeben worden, hebe auch die Dogmatik an, und bedachte nicht, daß das Folgende eigentlich der Erklärung hätte vorangehen sollen, als welche ohne diese Erörterungen nur ein todter Buchstabe wäre und von ganz unbestimmtem Gehalt. Nun hätte solchem Mißverstand auch hernach noch können vorgebeugt werden, wenn ich die Einleitung auch, wie das Buch selbst, in mehrere Abschnitte getheilt hätte, damit so die Ueberschriften dem Leser bei dem Bestreben zu Statten gekommen wären, sich fleißig zu orientiren und immer genau zu wissen, wo er sich befinde. Nun aber laufen die fünf und dreißig Paragraphen in einem fort, ohne irgend eine sichtbare innere Organisation, und das konnte freilich leicht manchen auch sonst wackeren Leser | verwirren. Das ist also mein Vorhaben! Ich 519 will der Erklärung selbst alles das voranschicken, was zur näheren Bestimmung der darin vorkommenden Ausdrücke gehört, und dabei will ich dann durch die Ueberschriften der kleineren Abschnitte zeigen, wo diejenigen Sätze, die der Constituirung des Begriffs der Dogmatik vorangehen müssen, eigentlich ihre Heimath haben. Dann tritt von selbst Alles, was den Schematismus des Werkes vorbereiten und bestimmen soll, näher an die Erklärung heran, und die Einleitung wird sich dann mehr in sich selbst als ein Ganzes abrunden. Ob sie deshalb mir selbst gerade besser gefallen wird, weiß ich noch nicht. Wenn ja, dann vor- 641 züglich deshalb, weil so, wie dies auch eigentlich für die Einleitung gehört, der Zusammenhang dieser besonderen theologischen Disciplin mit denjenigen allgemeinen Wissenschaften, an welche sie sich ihrer wissenschaftlichen Form wegen vorzüglich zu halten hat, unmittelbar hervortreten wird; wie sie jetzt ist, muß dies der Leser selbst finden. Ich dachte freilich, meine kurze Darstellung etc. würde hoffentlich Andeu-

3-5 worden, ... nicht, ... Folgende ... sollen,] Ms.: worden ... nicht ... folgende ... sollen 8 werden, ... auch,] Ms.: werden ... auch 8 wie ... selbst,] Ms. (mit Einfügungszeichen am linken Rand): wie ... selbst 9 damit] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (und) 10 wären,] Ms.: wären 12-14 fort, ... wackeren] Ms.: fort ... wakkeren 15f voranschicken, ... Ausdrücke] Ms.: voranschikken ... Ausdrükke 16 gehört,] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 18f Sätze, ... müssen,] Ms.: Säze ... müssen 20f Alles, ... soll, ... heran,] Ms.: alles ... soll ... heran 21 dann] Ms. : mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (so) 28 jetzt ist,] Ms.: jezt ist 28f Ich dachte] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (wozu ihm) 29 freilich,] Ms.: freilich 29 etc.] Ms.: ρ 29 würde] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand l f §1 §§22-27.11-13

14-19 Vgl. die Umgestaltung CG2 §§1-19 §§1-12.lif §§1-6; ed. Scholz 9f.13-16.19f

29-1 Vgl. KD

6f

378

5

10

15

20

25

An Lücke

t u n g e n g e n u g hiezu geben, a b e r d e r Leser selbst blieb allerdings m e h r , als n ö t h i g w a r , a u f e t w a s a u ß e r d e m B u c h e s e l b s t v e r w i e s e n . D a r a u f a l s o b e s c h r ä n k e n sich i m W e s e n t l i c h e n m e i n e E n t w ü r f e . A u ß e r d e m h a b e ich n u n z u n ä c h s t U e b e r l e g u n g e n a n g e s t e l l t ü b e r d i e S p r a c h e m e i n e s B u c h e s ; a b e r w e n n i c h m i c h b e f l e i ß i g e , s o viel in m e i n e n K r ä f t e n s t e h t , w a s a b e r h i e r n i c h t viel s a g e n will, d e r S c h w e r f ä l l i g k e i t d e r S c h r e i b a r t a b z u h e l f e n , s o w e i t es g e s c h e h e n k a n n , o h n e m i c h d e r W e i t s c h w e i f i g k e i t z u n ä h e r n ; w e n n ich suche, im V o r t r a g e m e i n e r eigenen Formeln noch strenger undeutsche Ausdrücke und besonders solche, die zu bestimmt an philosophische Schulen erinnern, gegen d e u t s c h e u n d f r e i e z u v e r t a u s c h e n : d a s w i r d z i e m l i c h Alles s e y n , w a s i c h hier w e r d e leisten k ö n n e n ; die e i g e n t h ü m l i c h e Lage meines Buches gegen d i e b i s h e r i g e A u s b i l d u n g d e r k i r c h l i c h e n L e h r e will n i c h t s n o c h G e f ä l l i - | g e r e s g e s t a t t e n . U n d in d e r T h a t d a r f m a n a u c h s e l b s t a n e i n e d e u t s c h e 520 D o g m a t i k k e i n e z u g r o ß e n F o r d e r u n g e n in d i e s e r H i n s i c h t m a c h e n . D i e d o g m a t i s c h e S p r a c h e ist d o c h n i e m a l s b e s t i m m t , in d i e v o l k s m ä ß i g e M i t t h e i l u n g d e r P r e d i g t o d e r d e r K a t e c h e s e ü b e r z u g e h n ; j a es w ä r e e i n Nachtheil, w e n n m a n dieses zu sehr erleichterte. D i e N o t h w e n d i g k e i t , d i e A u s d r ü c k e , u n t e r d e n e n m a n d i e V o r s t e l l u n g e n e m p f a n g e n h a t , in a n d e r e z u v e r w a n d e l n , v e r b ü r g t ein a n e i g n e n d e s D u r c h d e n k e n , w e l c h e s wir unsern a n g e h e n d e n Geistlichen d u r c h a u s z u m u t h e n müssen. Ich k a n n mich i n d e ß nicht enthalten, I h n e n ein P a a r W o r t e zu sagen ü b e r e i n w a r n e n d e s W o r t , d a s e i n b e d e u t e n d e r M a n n in d i e s e r H i n s i c h t a u s gesprochen hat. H e r r P r o f . F r i e s n ä m l i c h in e i n e r A b h a n d l u n g in d e r n e u e n Z e i t - 642 schrift f ü r T h e o l o g i e u n d Philosophie läßt mir die Scheidewand z w a r

1 hiezu geben] Ms.: mit Einßigungszeichert am linken Rand statt (giebt) 1 der ... allerdings] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand statt (er bleibt doch) 1 mehr,] Ms.: mehr 2 war,] Ms.: wäre 3 Wesentlichen] Ms.: wesentlichen 3 Entwürfe.] Ms.: folgt Einfügungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 4 Außerdem] Ms.: korr. aus außerdem ; davor: (Ich habe) 4 habe . . . zunächst] Ms.: mit Einfiigungszeichen über der Zeile 5 Buches;] Ms.: Buches, 5 - 8 wenn . . . nähern;] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand 5 - 7 so viel ... so weit ... kann,] Ms.: soviel ... soweit ... kann 8-14 suche, . . . eigenen . . . Ausdrücke ... Alles seyn, ... Buches ... Gefälligeres] Ms.: suche ... eignen ... Ausdrükke ... alles sein . . . Buchs . . . gefälligeres 16 bestimmt,] Ms.: bestimmt 18-20 Nothwendigkeit, . . . Ausdrücke, ... hat, ... verwandeln, . . . Durchdenken,] Ms.: Nothwendigkeit . . . Ausdrükke ... hat ... verwandeln ... Durchdenken 22 enthalten,] Ms.: enthalten 23 Hinsicht] Ms.: Beziehung 24 hat.] Ms.: folgt Einfügungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz

25-380,2 Vgl. Jakob Friedrich Fries: „ Schleiermacher beginnt seine Lehre vom christlichen Glauben mit einer Unterscheidung und Entgegensetzung zwischen Religion und Philosophie, welche wir ihm gern anerkennen. Philosophie ist und bleibt Sache der Erkenntniß und

Zweites Sendschreiben

379

gelten, die ich ziehe zwischen Religion und Philosophie; er behauptet aber dennoch, in der Religionslehre sey jede Betrachtung ihrem Wesen nach philosophisch; und wer sich dabei der Philosophie enthalten wolle, der werde nur dem passiven sich in der Sprache mittheilenden

1-380,1 gelten, . . . Philosophie; . . . dennoch, . . . sey . . . Zusammensetzung sey] Ms.: gelten . . . Philosophie . . . dennoch . . . sei . . . Zusammensezung sei

der Wahrheit, die Religion soll andern Lebenselementen unsres Geistes dienen, sie gehört dem Gemiith und seinem Gefiihl, sie soll von da aus in Andacht und Frömmigkeit der sittlichen Kraft Ruhe und Leben mittheilen. Die Religion gibt also dem Leben Zwecke, welche in den Stufen der Fortbildung des Geistes wesentlich von denen der Philosophie verschieden ausfallen. Aber die Religionslehre? Alle Lehre bleibt Sache der Erkenntniß und der Wahrheit; dabei sind die Ideen des Glaubens Heiligkeit, Ewigkeit, Gottheit nicht von sinnlicher Erkenntniß, sondern sie werden der menschlichen Vernunft nur in eigner Einsicht klar, - alle Wahrheiten der Religionslehre sind von philosophischem Ursprung und von philosophischer Erforschung. Was bedeutet uns also jene Trennung von Philosophie und Religion, wenn wir nach der Fortbildung der Religionslehre fragen ? Eben dieses, daß hier die philosophischen Interessen der Lehre und die andern des religiösen Lebens mit einander zusammenwirken, und so in der geschichtlichen Fortbildung auch oft in Widerstreit mit einander gerathen. Was soll ζ. B. ein werkthätiger Religionslehrer bei uns zur Grundlage seiner Belehrung vor dem Volke nehmen ? Kein Philosophem, weder das seine, noch ein fremdes, sondern die Bibel. Die Bibel hat das Vertrauen der Jahrhunderte für sich, auf ihrem Grund und Boden besteht allein der Verband und die Einheit unsrer Religionsgesellschaften, auf diesem sind alle unsre positiven Religionsvorstellungen und Gebräuche erwachsen. Wenn nun aber eben dieser die Worte der Bibel auffassen, bedenken, besprechen will, so wird er zu dogmatischen, zu religionsgeschichtlichen und kirchengeschichtlichen Betrachtungen geführt und mit diesen auf den Grund und Boden der Wissenschaft und zwar der philosophischen Wissenschaft. Wer sich hier noch gegen die Philosophie wehren und von ihr zurückziehen will, der versteht nur sich selbst nicht. Jede Betrachtung in der Religionslehre ist ihrem Wesen nach philosophisch; wer darüber denkt, der philosophirt, aber der eine nach diesem der andere nach jenem Philosophem. Wer sich hier bei uns von aller Philosophie oder doch von dem Philosophem jeder bestimmten Schule frei zu halten meint, der fällt nur dem Philosophem zu, welches bei unsrer Ausbildung der Sprache Jedem mitgetheilt wird, ohne daß er eben selbst groß darüber nachzudenken brauchte. Dieses passiv sich in der wissenschaftlichen deutschen Sprache jetzt mittheilende Philosophem ist eine Zusammensetzung aus den Philosophemen der Wolfianer, der Kantianer und der Fichtianer, und diejenigen, welche am sorgfältigsten aller Philosophie auszuweichen meinen, philosophiren eben in einem unbestimmten Wolfranismus, der ihnen genügen mag, der aber der Fortbildung des Geistes selbst nicht mehr entspricht. Wir können nur das Bestreben derjenigen Bearbeiter der theoretischen theologischen Wissenschaften als das richtige anerkennen, welche sich selbst eine philosophische Schulbildung zu eigen machten und diese streng in ihren systematischen Werken anzuwenden suchen, nicht um darin ein für allemal einen Abschluß der wahren Lehre zu geben, sondern um auf dem richtigen Weg der Fortbildung der Wissenschaft selbst einige Fortschritte zu versuchen. Wenn dann aber für die Anwendungen im Leben diese Verfahrungsart gescheut oder auch nur vermieden werden sollte, so liegt der Fehler offenbar nicht an den Theologen, sondern nur an uns Philosophen, die wir heut zu Tage so ungeschickt sind, uns zu keiner Schule vereinigen zu können. " (Bemerkungen über des Aristoteles Religionsphilosophie, in: Für Theologie und Philosophie. Eine Oppositionsschrift, Neue Folge Bd 1/1 (Jena 1828), S. 140-167; hier 147-149)

380

5

10

15

20

25

30

An Lücke

P h i l o s o p h e m a n h e i m f a l l e n , welches eine Z u s a m m e n s e t z u n g sey aus d e n p h i l o s o p h i s c h e n T e r m i n o l o g i e n z w i s c h e n W o l f u n d F i c h t e . Sie k ö n n e n w o h l d e n k e n , d a ß ich ü b e r d e n H a u p t s a t z n i c h t s z u s a g e n h a b e , s o n d e r n ihn schlechthin verwerfe, sobald u n t e r R e l i g i o n s l e h r e die L e h r e irg e n d e i n e r b e s t i m m t e n R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t v e r s t a n d e n w e r d e n soll, s o w i e ich ihn u n b e d i n g t z u g e b e , w e n n v o n einer speculativen T h e o l o g i e d i e R e d e ist; d a n n a b e r n u r g e g e n d e n A u s d r u c k R e l i g i o n s l e h r e p r o t e s t i r e . W a s a b e r h i e r d e m j e n i g e n g e w e i s s a g t w i r d , d e r in e i n e r R e l i g i o n s l e h r e , w e l c h e G l a u b e n s l e h r e s e y n will, n i c h t p h i l o s o p h i r t , d a s b e t r i f f t mich n u n g a n z vorzüglich. D i e H a u p t s a c h e i n d e ß scheint mir diese zu seyn, d a ß H e r r Fries u n s e r e r Disciplin kein e i g e n t h ü m l i c h e s S p r a c h g e b i e t z u g e s t e h e n will, s o n d e r n d a s D i l e m m a a u f s t e l l t , d e r D o g m a t i k e r m ü s s e e n t w e d e r in d e r S p r a c h e E i n e r p h i l o s o p h i s c h e n | S c h u l e r e d e n , 521 o d e r in d e r g e m e i n e n S p r a c h e . S o s c h e i n t m i r a b e r d i e S a c h e n i c h t z u l i e g e n . D a s C h r i s t e n t h u m h a t sich v o m A n f a n g a n in b e i d e n S p r a c h e n als e i n s p r a c h b i l d e n d e s P r i n c i p b e w i e s e n , u n d w i r k ö n n e n in d i e s e m eigenthümlichen Sprachgebiet der christlichen Frömmigkeit n u r verschied e n e A b s t u f u n g e n u n t e r s c h e i d e n , u n t e r d e n e n d i e d o g m a t i s c h e als d i e schärfste u n d strengste o b e n a n steht. W e n n n u n jenes Sprachgebiet sich d o c h am meisten bildete durch U m d e u t u n g schon v o r h a n d e n e r Ausdrücke: so k o n n t e n allerdings f ü r den G e b r a u c h des engeren Kreises auch philosophische Sprachelemente g e n o m m e n w e r d e n . Aber diese w u r d e n d e n n auch alsbald von ihrem alten S t a m m e gelöst u n d w u r z e l t e n in d e m n e u e n B o d e n e i n , s o d a ß d i e s t r e n g e S c h u l b e d e u t u n g n i c h t mit h i n ü b e r g i n g ; s o n d e r n i n d e m die hieratische u n d juristische Sprache n i c h t m i n d e r in d i e s e n N u t z e n v e r w e n d e t w u r d e n , als d i e p h i l o s o p h i - 643 sehe, juristische A u s d r ü c k e aber auf das V e r h ä l t n i ß d e r M e n s c h e n zu G o t t immer n u r uneigentlich angewendet werden können, und eben so alles P r i e s t e r l i c h e in d e m a l t e n S i n n e n i c h t g e n o m m e n w e r d e n k o n n t e : so e n t s t a n d eine Sprache, die, wie eine M ü n z e , ein d o p p e l t e s G e p r ä g e

3 wohl denken, ... Hauptsatz] Ms.: wol denken ... Hauptsaz 3f sondern] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (und) 5 f so wie] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (daß) 7 Ausdruck] Ms.: Ausdrukk 8 f Religionslehre, ... seyn] Ms.: Religionslehre ... sein 10 indeß] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (mir) 11 seyn] Ms.: sein 13 reden,] Ms.: reden 16-19 sprachbildendes ... unterscheiden, ... obenan] Ms.: Sprachbildendes ... unterscheiden ... oben an 20£ Ausdrücke] Ms.: Ausdrükke 24f so ... sondern indem] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand statt (und) ; vor sondern : (auch wurden) 25 Sprache] folgt Ms.: (wurden) 26 Nutzen] Ms.: Nuzen 26 wurden,] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand): wurden 27-4 juristische ... assimiliren.] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 27-2 Ausdrücke ... Priesterliche ... Sprache, die, ... Münze, ... hatte, ... einen, ... Stück, ... bestimmen,] Ms.: Ausdrükke ... priesterliche ... Sprache die ... Münze ... hatte ... einen ... Stükk ... bestimmen

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

381

hatte, ein bildliches auf der einen, ein dialektisches auf der andern, man mußte aber doch jedes Stück, um seinen Werth zu bestimmen, von beiden Seiten besehen. Und diesem allgemeinen Character mußten sich dann auch die philosophischen Ausdrücke assimiliren. Jedes neuere philosophische System aber ist natürlich immer auf dieselbe Weise sprachbildend, und wenn es ein Interesse erweckt, das über die Grenzen der Schule hinausgeht, so bilden sich auf dieselbe Weise verschiedene Abstufungen von philosophischer Sprache, streng wissenschaftlicher die einen, volksmäßiger die anderen. Und indem das philosophische Interesse außerhalb der Schule von verschiedenen Systemen afficirt wird, ohne auf dieselbe Weise, wie die Schulen selbst, an dem Streite Theil zu nehmen, so entsteht allmählig ein solches Sprachgebiet, wie Fries es schildert. | Ich glaube auch, in Folge des bisher Gesagten, daß es an und für 522 sich betrachtet unverfänglich ist, aus diesem ebenfalls für den dogmatischen Gebrauch zu schöpfen, ohne daß daraus weder Verwirrung in den Vorstellungen entstehe, noch auch ein unbewußtes Philosophiren, nur glaube ich nicht, daß das dogmatische Interesse zu allen Elementen desselben die gleiche Verwandtschaft hat. Die Kantische und Fichtesehe Philosophie konnten der Natur der Sache nach keine große Ausbeute geben; selbst das radicale Böse hat die Erbsünde nicht verdrängt, und auch in der Terminologie der christlichen Sittenlehre ist nicht viel von ihnen geblieben, sondern die Leibnizisch-Wolfische, so wie die auf sie gefolgte sogenannte eklektische oder Popular-Philosophie haben sich auf ihrer Stelle behauptet. Dies hat aber keinen anderen Grund, als weil jene Philosophien selbst sehr stark dogmatisirten, und zwar in demselben Sinne, in dem ich das Wort nehme, den man aber, indem 644

4 Ausdrücke] Ms.: Ausdrükke 5 aber] Ms.: mit Einßigungszeichen über der Zeile 5 ist] Ms.: korr. aus L 1 6—9 erweckt, ... hinausgeht, ... einen, ... anderen] Ms.: erwekkt... hinausgeht: ... einen . Λ andern 10-12 wird,... Weise, ... selbst,... Theil zu nehmen, ... Sprachgebiet,] Ms.: wird ... Weise ... selbst ... theilzunehmen ... Sprachgebiet 13 schildert.] Ms.: folgt Einßigungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 14 auch,] Ms.: auch 14 in ... Gesagten,] Ms. (mit Einßigungszeichen am linken Rand): in ... gesagten, 15-19 ist, ... entstehe, ... nicht, ... Verwandtschaft] Ms.: ist ... entstehe ... nicht ... Verwandschaft 23 sondern] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (und) 23 Leibnizisch-] so Ms.; OD: Leibnitzisch23 Wolfische,] Ms.: Wolfische 24 Popular-Philosophie] Ms.: PopularPhilosophie 25 Grund,] Ms.: Grund 26-2 und ... Nämlich] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (denn) 27-2 Sinne,... aber, indem ... Gegensatz ... sprach,] Ms.: Sinne ... aber in dem ... Gegensaz ... sprach

21 Vgl. Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Königsberg 1793, S. 24f; Akademie-Textausgabe Bd 6, Berlin 1968, S. 32,22-33

382

5

10

15

20

25

30

An Lücke

m a n v o n d o g m a t i s c h e r P h i l o s o p h i e im G e g e n s a t z g e g e n d i e k r i t i s c h e s p r a c h , n i c h t i m A u g e h a t t e . N ä m l i c h d i e W o l f i s c h e S p r a c h e a u f d e r ein e n S e i t e s t e h t d o c h n o c h in e i n e m u n v e r k e n n b a r e n Z u s a m m e n h a n g m i t d e r s c h o l a s t i s c h e n , d i e n i c h t s a n d e r e s w a r , als e i n e I n d i f f e r e n z v o n M e t a p h y s i k u n d D o g m a t i k , so d a ß wir n u r unser eigenes G u t vindiciren, w e n n wir von ihr entlehnen. U n d die H ä u p t e r der englischen Phil o s o p h i e auf d e r a n d e r n , w e l c h e so g r o ß e n E i n f l u ß auf die u n m i t t e l b a r vorkantische deutsche Philosophie ausübten, gingen vorzüglich von d e m G e f ü h l als e i n e m g e g e b e n e n a u s , w e s w e g e n m a n a l l e r d i n g s z w e i fein kann, o b ihre Philosophie diesen N a m e n auch nach unserem strengeren Sprachgebrauch verdiene, aber desto deutlicher springt die A e h n l i c h k e i t z w i s c h e n i h r e m V e r f a h r e n u n d d e m u n s r i g e n in d i e A u g e n , u n d s o m i t a u c h dieses, d a ß w i r u n s das Sprachgebiet, welches sich d u r c h ihren E i n f l u ß gebildet hat, a m leichtesten w e r d e n assimiliren k ö n n e n . M a g nun also diese M i s c h u n g von E l e m e n t e n aus g a n z verschiedenen, t h e i l s g l e i c h z e i t i g e n , | t h e i l s a u f e i n a n d e r g e f o l g t e n S c h u l s p r a c h e n a n 523 u n d f ü r s i c h als v e r w o r r e n e r s c h e i n e n u n d f ü r d i e P h i l o s o p h i e u n b r a u c h b a r s e y n , w e s h a l b a u c h m i t R e c h t j e d e n e u e S c h u l e sich a u c h i h r e e i g e n e n e u e S p r a c h e b i l d e t : s o w i r d sie u n s d o c h , e b e n w e i l w i r n i c h t p h i l o s o p h i r e n , n i c h t e b e n s o u n b r a u c h b a r , j a w a s w i r d a r a u s in u n s e r e d o g m a t i s c h e S p r a c h e ü b e r t r a g e n , d a s w i r d bei richtigem V e r f a h r e n a u f u n s e r m G e b i e t a u c h v ö l l i g k l a r s e y n k ö n n e n . D a r u m , m e i n e ich, k ö n n e n w i r e i n m a l in d e r f ü r d i e S c h u l e b e a r b e i t e t e n G l a u b e n s l e h r e n i c h t a u f d i e b i b l i s c h e S p r a c h e allein z u r ü c k g e h n , u n d d a s w i r d w o h l kein K e n n e r d e r Sache t h u n l i c h f i n d e n : so d ü r f e n w i r w o h l auf d e m e i n g e s c h l a g e n e n W e g e g e t r o s t f o r t s c h r e i t e n , u n d w e r d e n es u m d e s t o s i c h e r e r , j e b e s t i m m t e r w i r u n s in j e d e m A u g e n b l i c k d e s U n t e r s c h i e d e s zwischen u n s e r m V e r f a h r e n u n d d e m philosophischen b e w u ß t sind. L e t z t e r e s n u n ist m e i n b e s t ä n d i g e s B e s t r e b e n , o d e r v i e l m e h r d i e s e s B e w u ß t s e y n l e b t u n d w i r k t i m m e r in m i r ; i c h g l a u b e a l s o a u c h n i c h t , d a ß mich hier etwas gefährliches u n b e w u ß t beschleichen könnte. W a s a b e r n u n d a s E i n z e l n e d e s I n h a l t e s b e t r i f f t : s o k a n n ich es 645 n i c h t g e n u g b e d a u e r n , d a ß d e r Z w i s c h e n r a u m seit d e r e r s t e n E r s c h e i -

2 f auf ... Seite] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 4-6 war, ... Dogmatik, ... vindiciren,] Ms.: war ... Dogmatik ... vindiciren 7 auf ... andern,] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 10 kann, ... unserem] Ms.: kann ... unserm 15-18 verschiedenen, ... gleichzeitigen,... seyn] Ms.: verschiedenen ... gleichzeitigen ... sein 19 ihre] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 19-22 doch, ... philosophiren, ... seyn] Ms.: doch ... philosophiren ... sein 22-27 Darum,... zurückgehn ... wohl ... wohl ... Augenblick] Ms.: Darum ... zurükgehn ... wol ... wol ... Augenblikk 29f Letzteres ... Bewußtseyn ... mir; ... nicht,] Ms.: Lezteres ... Bewußtsein ... mir, ... nicht 31 könnte.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz

Zweites Sendschreiben

383

nung des Buches in dieser Beziehung so wenig fruchtbar für mich gewesen ist. Es ist wohl möglich, daß mir manches entgangen ist, was in Zeitschriften oder Dissertationen steht; doch glaube ich, auf irgend bedeutendes würde wohl ein oder der andere Freund mich aufmerksam gemacht haben. Und so muß ich es Ihnen denn klagen, daß mir viel weniger Belehrungen oder auch nur Ausstellungen über mein Verfahren in einzelnen eigenthümlich christlichen Lehren zu Theil geworden sind, als sich in der ganzen, nicht unbedeutenden Masse von Kritik, die über mich ergangen ist, erwarten ließ. Auch Hr. Dr. Steudel, der so gütig ist, sich viel mit mir zu beschäftigen, bleibt bis jetzt - ich habe aber das zweite Heft der Zeitschrift noch nicht gelesen - nur bei den Vorbegriffen stehen, weil er glaubt, das wichtigste sey doch immer, die supernaturali-|stische Ansicht, die seinige nämlich, zu vertheidigen: so daß auch der würdige Schott nicht würdig genug abgeschätzt wird, weil er sich etwas von einiger Uebereinstimmung mit meiner Darstellung hat verlauten lassen. Erinnern Sie Sich der entscheidenden Fragen, mit welchen Herr Steudel diese Verhandlung eröffnet? und so auch der leichten Fragen, auf welche er die Untersuchung über die Wunder zurückführt? Beides hat mich recht aufs neue davon durchdrungen, wie nichtig dieser Streit ist. Wenn die Dogmatik Formeln aufstellen soll, um natürliches und übernatürliches mit Sicherheit von einander zu scheiden: so muß sie ja metaphysisch werden und speculativ, und das ist für mich grade dasselbe, wie der Eingriff der geistlichen Macht in das welt-

2—4 wohl ... ich, ... wohl] Ms.: wol ... ich ... wol 7 zu ... sind,] Ms. (mit Einfiigungszeichen am rechten Rand): zu ... sind 8 ganzen,] Ms.: ganzen 9-14 Dr.... ist,... jetzt... glaubt,... sey ... immer, ... abgeschätzt] Ms.: D. ... ist... jezt... glaubt... sei ... immer ... abgeschäzt 16f Fragen, ... eröffnet] Ms.: Fragen ... eröfnet 18f Fragen, ... zurückführt] Ms.: Fragen ... zurükführt 20-23 soll, ... dasselbe,] Ms.: soll ... dasselbe 10f Gemeint ist der zweite Teil und zugleich „Beschluß" von Steudel: Frage, in: Tübinger Zeitschrift für Theologie 1828, 2. Stück, S. 74-120 14-16 Vgl. Heinrich August Schott: Briefe über Religion und christlichen Offenbarungsglauben, Worte des Friedens an streitende Partheien, Jena 1826, bes. S. 369-377 (vgl. auch 5-12.70-93.242-269.385f.528532) 16f Vgl. Steudel: Frage 77f (unten 559,29-560,15) 17-19 Innerhalb seiner „Würdigung" der Wunder aus supranaturalistischer Sicht (Frage 131-147) postuliert Steudel: „ Tritt ein Religionsstifter unter der Berufung auf Wunder als Zeugnisse göttlicher Beglaubigung für sich auf: so hat eine gewissenhafte Forschung einfach und klar die zwei Fragen auszumachen: 1) Eignet sich an sich das Zeugniß, auf welches der Religionsstifter sich beruft, zu einem Zeugnisse göttlicher Beglaubigung? -2) Sind die von dem Religionsstifter verrichteten Wunder - ihre historische Wahrheit vorausgesetzt - wirklich von der Art, daß sie ihm das Zeugniß göttlicher Beglaubigung geben?" (134)

384

5

10

15

20

25

An Lücke

liehe Gebiet. Und was ist am Ende daran gelegen, wie natürlich oder übernatürlich es mit den Grundthatsachen des Christenthums hergegangen ist, wenn doch der Glaube, zu dem sie führen sollen, nur ein Fürwahrhalten ist, und die Offenbarung, welche sie enthalten sollen, immer wieder nur eine Belehrung! Sollte aber wohl Herr Steudel wirklich daran zweifeln, daß ich Christum als einen Uebernatürlichen dar- 646 stelle? Ich glaube es kaum, wenn er sich nur erst überzeugt hätte, daß ich einen wirklichen Christus meine! Glaubt er aber das letzte nicht, wie Hr. Prof. Baur: nun so hätte ich doch hoffen dürfen, daß er meine Christologie anfaßte; denn es wäre doch sonderbar, wenn das sich gar nicht in meiner Christologie auf irgend eine Weise abspiegeln sollte, daß es meinem Christus an der Wirklichkeit fehlte! Irgend etwas Doketisches hätte dann doch hinein kommen müssen. Aber statt auf dieses Jagd zu machen, scheint Hr. Dr. Steudel selbst in das Doketische hineinzufallen, wenn er meint, die Persönlichkeit Jesu sey gar nicht volksthümlich bestimmt gewesen; denn dann müßte doch wirklich Maria, die jüdisches Blut hatte und jüdische Constitution, ein bloßer Durchgangskanal gewesen seyn. Die Ironie über meine Art, den Begriff der Accommodation abzu-|weisen, ist wohl weit entfernt, eine ernste Ausstellung 525 gegen meine Christologie zu seyn. Vielmehr rechne ich es zu den Verdiensten meines Buches, in Lehrstücken, wie dieses, solche Fragen zu stellen, deren Entscheidung zur Bestimmtheit der Vorstellung beiträgt. Zuerst kommt es freilich darauf an, wie jetzt in England bei der Emancipation, ob die Frage eine politische ist oder eine religiöse, so hier: ob die Vorstellungen von Engeln und Teufeln wirklich religiöse sind oder

1 gelegen,] Ms.: gelegen 1-3 wie ... sollen] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand statt (wenn Glaube doch) 2 übernatürlich] Ms.: korr. aus übernatürliches 3 Glaube,] Ms.: Glauben 4f die Offenbarung, ... wieder] Ms. (mit Einfügungszeichen am rechten Rand): die Offenbarung ... wieder statt (Offenbarung) ; auf wieder folgt (nur) 5 wohl] Ms.: wol 8-12 letzte ... Prof. ... fehlte] Ms.: lezte ... Dr. ... fehlt 14-18 D r . . . . Doketische ... meint,... sey ... Constitution,... seyn] Ms.: D. ... doketische ... meint ... sei ... Constitution ... sein 18-20 Art, ... wohl ... entfernt, ... seyn] Ms.: A r t . . . wol ... entfernt... sein 21 Buches, ... Lehrstücken,... dieses,] Ms.: Buches ... Lehrstükken ... dieses 23 an,] Ms.: an 23f wie jetzt... Emancipation, ... hier:] Ms. (mit Einßigungszeichen am rechten Rand): wie jezt ... Emancipation ... hier 4f Anspielung auf Steudel: Frage 108f (unten 564,27-32) 15f Vgl. Frage 109-113 (unten 565,9-567,21) 18f Vgl. Steudel: Frage llOf (unten 565,14-566,7) zu CG' §53,1 (KGA 1/7.1,154,16-24) 23 f Anspielung auf den politischen Zusammenhang zwischen der in der „Roman Catholic Relief Bill" vom 13.4.1829 hergestellten rechtlichen Gleichstellung der englischen Katholiken und der Eingliederung Irlands in das United Kingdom

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

385

nur kosmologische; und dann fragt sich, ob Vorstellungen Jesu nicht religiösen Gehalts eben so von dem Seyn Gottes in ihm afficirt sind, als die religiösen Gehaltes. O f t kann man sich bei Streitfragen nicht besser helfen, als durch das, was der Platonische Sokrates ein φορτικόν nennt. Und so möchte ich fragen, wenn wir uns über die Qualität jener Vorstellungen nicht einigen können, ob wir uns denken sollen, Jesus habe von dem Verhältniß der Erde zur Sonne, gewiß also etwas bloß kosmologisches, die kopernikanische Vorstellung gehabt, oder die gemeine? Ich glaube, wie man auch antworte, wird man auf die dort von mir gemachte Unterscheidung zwischen Ueberzeugung im strengeren und im weiteren Sinne zurückkommen müssen; und so ist dann ihre Realität sicher gestellt. Doch wohin verirre ich mich! Ich wollte sagen, wie die beiden ge- 647 nannten Tübinger Theologen alle Ursache gehabt hätten, in meiner Christologie die Irrthümer aufzusuchen, welche aus der falschen Voraussetzung entspringen müßten: eben so hätte es für jeden der gelehrten Kritiker, die sich nur an meine Principien gehalten haben, gewiß unter den eigentlichen Lehrstücken solche gegeben, an denen sich die Folgen des falschen oder unchristlichen in den Principien besonders zeigen mußten. Wenn ich die Religion ihrer Würde beraube, wenn ich fast ein Kyrenaiker bin, wie nothwendig müßte sich das in den Lehren vom heiligen Geist und von der Heiligung zeigen! Aber leider die Herren haben es nicht der Mühe werth gehalten, mich so weit zu be-|glei- 526 ten. Nun freilich konnte ich das nicht verlangen, wenn es wahr wäre, was ein junger Theologe, der seine Laufbahn auf eine glänzende, vielleicht fast blendende Weise beginnt, frisch weg behauptet, ich lege den kirchlichen Ausdrücken oft neue Ideen unter. Ich denke aber, daß, wo

1 f sich,... Seyn ... sind,] Ms.: sich ... Sein ... sind 4 helfen,... das,] Ms.: helfen ... das 5f fragen, ... sollen,] Ms.: fragen ... sollen 7 etwas] Ms.: über (ein) 10f zwischen ... Sinne] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 11 zurückkommen] Ms.: zurükkommen 12 gestellt.] Ms.:folgt Einßigungszeichen; am rechten Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 15-18 Voraussetzung ... Lehrstücken] Ms.: Voraussezung ... Lehrstükken 20 beraube,] Ms.: beraube 22 zeigen!] so Ms. (auch Mulert); OD: zeigen? 23 gehalten,] Ms.: gehalten 24-27 wäre, ... glänzende, ... beginnt, ... Ausdrücken] Ms.: wäre ... glänzende ... beginnt ... Ausdrükken 27-4 daß, ... Ausdrücke ... Ausdruck ... wohl ... werden, ... seyn,] Ms.: daß ... Ausdrükke ... Ausdrukk ... wol ... werden ... sein

4 Vgl. Piaton: De re publica 4,442e, Opera Bd7, Zweibrücken 1784, 374; Werke Bd4, Darmstadt 1971, 354 20f Vgl. Rust: De nonnullis 56.61f.65 (unten 550,I8f.550,33-43.551,6-8) 25-27 Gemeint ist Karl Hase (1800-1890): Lehrbuch der Evangelischen Dogmatik, Stuttgart 1826, S. 9 („§. 7. Verhältniß der Kirche zur Philosophie"),

386

An

Lücke

ich von der kirchlichen Ansicht wirklich abweiche, ich da auch die geltenden Ausdrücke tadle; und wenn ich dann sage, in welchem Sinn ich den Ausdruck allenfalls noch könne gelten lassen: so kann wohl weder ein aufmerksamer Leser irre geführt werden, noch die Absicht seyn, ei5 nen Schein von Orthodoxie zu erschleichen, worauf doch jene Insinuation immer hinausläuft. Einige Winke über einzelne Lehrstücke finden sich in der ausführlichen Recension des Hermes. Ein Freund versprach mir schon vor ein Paar Jahren, meine Glaubenslehre von Seiten der Eschatologie anzugreifen, und das wäre gewiß geistvoll und lehrreich 10 geworden; er hat aber nicht Wort gehalten. Einige Bedenklichkeiten läßt mich unser Nitzsch ahnden; mehr habe ich gewiß zu erwarten,

5f worauf . . . hinausläuft.] Ms.: ausgeschrieben auf den rechten Rand 6 Lehrstücke] Ms.: Lehrstükke 7-10 Ein . . . Bedenklichkeiten] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand statt (Weniges) 8 Jahren,] Ms.: Jahren

Anm.„l) Schleiermacher's Fordrung (Chr. Gl. §. 1.) - daß die dogm. Theologie nur die öffentlich geltende KL. wissenschaftlich darstellen solle, während bei lebhaftem geistigen Verkehre unbemerkt Verändrungen statt finden, und alle neuen Lehrbestimmungen aus den gottesdienstlichen Verhandlungen entstanden seyn, - scheint den Gang der Dinge und den Vortheil der Wissenschaft zu verkennen, wie weit auch der Begriff jenes öffentlich Geltenden genommen wird als alles dessen, was ohne Zwiespalt und Trennung zu bewirken, in einzelnen Theilen der Kirche öffentlich gehört werde. Verändrungen des Lehrbegriffs sind zwar aus gottesdienstlichen Verhandlungen großentheils hervorgegangen, aber diese waren erst aus wissenschaftlichen Verhandlungen entsprungen, und müssen in diesen, wenn nicht die Gemeinde jedem Einfall preis gegeben werden soll, wo nicht zur Einheit, doch zur Einsicht gelangen. So entstand unsre Kirche, erst nachdem ihr Grundsatz in gelehrten Streitigkeiten verhandelt worden war, und jemehr eine zweite kirchliche Losreißung zu furchten wäre, desto mehr muß jede Veränderung der Lehre erst von der Wissenschaft geprüft und durch sie besonnen der Gemeinde übergeben werden. Wie nothwendig für dieses Uebergeben unmerkliche Verändrungen sind, für die Wissenschaft selbst, in der Art wie Schleierm. den kirchlichen Ausdrücken zum Theil neue Ideen unterlegt, veranlassen sie Verwirrung der Begriffe. Daher hat die Geschichte den bibl. und kirchl. Lehrbegriff treu darzustellen, wie sie dem Leben nach, schreitet die Philosophie ihm vor, und befördert durch scharfe Nebeneinanderstellung der Gegensätze die allgemeine Einsicht, deren sich, wenn sie gewonnen ist, das Leben nicht erwehren kann." 6f Vgl. Friedrich Wähner: Rezension von CG', in: Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur Heft 22 (Leipzig 1824), S. 275-344. Heft 23 (Leipzig 1824), S. 214-274 (Auszüge im Anhang KGA 1/7.3,642-649) 10f In seiner Rezension von Delbrück: Christenthum 3 konstatiert Nitzsch fur die Systeme „der späteren Stoiker, der Pythagoräer, der Platoniker und selbst auch Spinoza's" (ThStKr 1,657 im Anschluß an das oben in Anm. zu 328,5-7 gegebene Zitat): „Ein solches System hat keinen Platz für das wirkliche Böse." und fährt fort: „ Will es dennoch die Ponerologie, weil diese der Hebel der Heilslehre ist, aufnehmen und gültig machen, so ist eine gewisse Täuschung über die einschlagenden christlichen Lehren fast unvermeidlich. Ree. meint, daß die Darstellung des christlichen Bewußtseyns von der Sünde, wie sie in Schleiermacher's Glaubenslehre vorhanden ist, von einer solchen Selbsttäuschung nicht ganz frei sey, und stimmt in dieser Hinsicht dem Verf. mehrentheils bei. Ueberhaupt kann eine allgemeine Religionsweisheit entweder so ausgebildet seyn, daß sie an sich selbst schon zur Er-

Zweites

Sendschreiben

387

wenn Twesten sein Werk fortsetzt; aber wäre es nur jetzt schon fertig! So aber bin ich fast ganz mir selbst überlassen, und freilich der Vergleichung meines Buches mit andern. Doch der Versuchung will ich nicht unterliegen, jetzt noch mit Ihnen einen Spaziergang durch die neueste 5 dogmatische Literatur zu machen und mich darüber auszulassen, wie 648 viel oder wie wenig aus den neuesten dogmatischen Werken Gewinn für mich zu machen gewesen. Lieber lassen Sie mich noch ein Paar Worte sagen über allerlei, was noch dieser und jener gute Freund für die zweite Ausgabe von mir ge-

1 f o r t s e t z t . . . j e t z t ] Ms.: f o r t s e z t . . . jezt 2 f a s t ] Ms.: mit Einßigungszeichen am rechten Rand 4 - 6 jetzt . . . Literatur . . . machen . . . auszulassen, wie viel] Ms.: jezt . . . Litteratur . . . machen, . . . auszulassen wieviel 7 gewesen.] Ms.: folgt Einfügungszeichen; am rechten Rand dazu die Druckanweisung: Absaz

Wartung einer thatsächlichen Offenbarung Gottes hinfuhrt und sich also in Bezug auf den Zwiespalt zwischen der wirklichen Welt und ihrer göttlichen Idee fragend und erwartend verhält, oder so, daß sie über jede historische Offenbarung, und also auch über die christliche, in demselben Grade selbstgenügsam hinwegsiehet, in welchem sie jenen Zwiespalt selbst aufzuheben gewußt hat, oder endlich so, daß sie wenigstens die bloße Darstellung ihrer selbst in den letzten und vollkommensten Erscheinungen positiver Religion suchen zu dürfen und finden zu können vermeint. Der zweite Fall fand, dünkt uns, von jeher bei derjenigen Statt, welcher die Schleiermachersche Lehre von Gott und der Welt am nächsten kommt, oder der dritte. Der erste gewiß nicht. Wenn dieser Theolog nun dennoch als wahrer christlicher Theolog von der Thatsache des christlichen Bewußtseyns unwiderruflich ausgieng, und diese nicht erst construiren, sondern darüber reflectiren wollte, wie er es denn auch that, da er einen rein geschichtlichen Artikel zum Grundartikel des Christenthums machte, Jesus von Nazareth der Welt-Erlöser, und wenn er mit dem bestimmtesten Bewußtseyn von der Heteronomie, die zwischen Vernunft- und Schrifttheologie Statt finde, verfuhr, so läßt sich doch schon erwarten, daß sein christliches Lehrgebäude die Identität mit irgend einer Religionsphilosophie nicht nur aufgegeben, sondern auch wirklich verloren habe. Was hindert ihn denn, vermöge seiner Thesis oder seines theologischen Grundsatzes vom christlichen Bewußtseyn aus voll und klar geltend zu machen ζ. B. die persönliche Fortdauer, von der sein allgemeines religiöses Wissen als solches nichts wußte. Was hindert ihn, sein christliches Bewußtseyn immer weiter und weiter zu entwickeln, und Gegensätze zu erkennen, die außer dem Christenthume nicht, oder andre waren, wiederum Fülle der Geschichte dahin zu bringen, wo es vorher nur einen Moment oder eine leere Stätigkeit gab? Man gehe diesem Glaubenslehrer besonders in den seit zwanzig Jahren von ihm herausgegebenen Predigten nach. Welche unverkennbare Entwicklungen! Aber, wenn wir uns nicht sehr täuschen, so hat sich ihm die allgemeine Religionsweisheit nicht umgestaltet, sondern vom geschichtlich bestimmten, vom christlichen Bewußtseyn aus sind ihm alle diese Annäherungen seiner Lehre zum kirchlichen Glauben entstanden. Wie weit sie reichen, und ob sie in die Lehren von Gott und Welt überhaupt hinein reichen, ist eine andre Frage. Vielleicht ist er theilweise in einem allgemeinen religiösen Wissen, als einem positiven, stehen geblieben, welches sich, seiner ursprünglichen Beschaffenheit nach, weder des Christenthums, noch irgend einer Offenbarung versehen hatte." {658f) 1 Vgl. August Detlev Christian Twesten: Vorlesungen über die Dogmatik der Evangelisch-Lutherischen Kirche, nach dem Compendium des Herrn Dr. W. M. L. de Wette. Erster Band, welcher die Einleitung und den ersten, kritischen Theil enthält, l.Aufl., Hamburg 1826; 2. Aufl., Hamburg 1829

388

5

10

15

20

25

An Lücke

wünscht. Also Einige haben mir sehr angelegen, ich möchte mich doch, da der Zwiespalt über diese Frage so groß sey, nicht nur mit entfernten Winken, sondern offen und klar darüber äußern, wie ich eigentlich das Verhältniß - und nun sagte der eine zwischen Religion und Philosophie, der Andere zwischen Dogmatik und Philosophie, der Dritte gar zwischen dem höheren | Selbstbewußtseyn, von welchem ich ausgehe, 527 und dem ursprünglichen Gottesgedanken, den ich zuzugeben scheine, wie ich also dieses Verhältniß auffaßte. Aber wie soll eine solche Erörterung in die Dogmatik kommen, ich meine in die meinige? Sie ist ja sowohl nach Form, als nach Inhalt ganz und gar bedingt durch die Voraussetzung, daß der in ihr zu entwickelnde Gottesgedanke nicht ursprünglich sey, sondern nur geworden in der Reflexion über jenes höhere Selbstbewußtseyn. Und daß ich den ursprünglichen Gottesgedanken, von dem dort immer nur problematisch die Rede seyn konnte, wenn ich mein Gebiet nicht überschreiten wollte, auf jeden Fall in das Gebiet der Speculation verweisen würde, das glaube ich doch auch deutlich genug gesagt zu haben; und wo nicht, so kann es wohl jeder hinreichend aus den ersten Erörterungen in den Reden über die Religion abnehmen. Zusammenhang ist für mich zwischen jenem ursprüngliehen Gedanken und diesem ursprünglichen Selbstbewußtseyn kein anderer, aber auch eben so viel, als zwischen irgend anderen Erzeugnissen verschiedener geistiger Functionen, aber auf derselben Stufe, und welche dieselbe Beziehung haben. So denke ich, kann auch niemand zweifeln, wie ich Religion und Philosophie zu einander stelle. Ich glaube wirklich, und hoffe auch immer zu glauben, und daß es auch noch lange nach mir und dann vielleicht noch mehr geglaubt werden wird, als jetzt, daß beides sehr gut in demselben Subject bestehen kann, daß die Philosophie nicht nothwendig dahin führt, sich über Christum, und 649 Sie verstehen, ich meine hier wieder den wirklichen, geschichtlichen

1-6 doch, ... sey ... Winken,... Andere ... Dritte ... Selbstbewußtseyn] Ms.: doch ... sei ... Winken ... Andre ... dritte ... Selbstbewußtsein 8 wie ... auffaßte.] Ms.: mit Einfügungszeichen am rechten Rand 9-13 sowohl ... Form, ... Voraussetzung ... entwickelnde ... sey ... Selbstbewußtseyn] Ms.: sowol ... Form ... Voraussezung ... entwikkelnde ... sei ... Selbstbewußtsein 14-17 seyn ... nicht, ... wohl jeder] Ms.: sein ... nicht ... wol Jeder 19 abnehmen.] Ms.: mit Einfligungszeichen am rechten Rand statt (sehen) 19 für mich] Ms.: mit Einfiigungszeichen am rechten Rand 20-22 Selbstbewußtseyn ... anderen ... Functionen,] Ms.: Selbstbewußtsein ... andern ... Functionen 23f So ... zweifeln,] Ms.: So, ... zweifeln 26-29 wird, ... jetzt ... führt,... verstehen, ... wirklichen,] Ms.: wird ... j e z t . . . f ü h r t . . . verstehen ... wirklichen

13-17 Vgl. z.B. CG· §38 16-24

18f Vgl. Über die Religion, 3.Aufl., 21-30; ed. Pünjer

Zweites Sendschreiben

389

Christus, zu erheben, als ob alle Frömmigkeit nur unreife Philosophie und alle Philosophie erst zum Bewußtseyn gekommene Frömmigkeit wäre; sondern daß ein wahrer Philosoph auch ein wahrer Gläubiger seyn und bleiben kann, und eben so, daß man von Herzen fromm seyn kann und doch den Muth haben und behalten, sich in die tiefsten Tiefen der Speculation hineinzugraben. Aber | ich weiß freilich auch, daß eines seyn kann, ohne das andere, also auch daß in manchem die Frömmigkeit auf ihre Weise zum vollständigsten Bewußtseyn kommen kann, auch in der strengsten Form, und das ist eben die dogmatische, ohne daß je ein Körnchen Philosophie in ihn hineinkommt, und daß Mancher den Becher der Speculation ganz kann geleert haben, ohne daß er die Frömmigkeit auf dem Boden gefunden. Aber weil ganz dasselbige auch zwischen der Frömmigkeit und einer Menge anderer Geistesthätigkeiten statt findet: wie sollte ich dazu gekommen seyn, grade dieses Verhältniß zu behandeln, die andern aber nicht? Was aber nun das Verhältniß zwischen Dogmatik und Philosophie anbelangt: so gestehe ich Ihnen, es geschieht mit einer gewissen Vorliebe, daß ich so wenig als möglich davon rede. Haben nicht die Philosophen lange genug darüber geklagt, daß in der scholastischen Periode die Philosophie sey theils im Dienst, theils unter dem Druck des Kirchenglaubens gewesen? Mag dem gewesen seyn, wie ihm wolle: so ist wenigstens seitdem die Philosophie frei genug geworden, weil der zu seiner ursprünglichen Quelle zurückgekehrte Glaube ihres Dienstes auch für die dogmatische Form der Kirchenlehre nicht weiter bedurfte, und die über ihr wahres Interesse besser verständigte Kirche keinen Druck ausüben wollte. Hat die Philosophie diese Freiheit seitdem oft gebraucht, um feindselig gegen die Kirchenlehre aufzutreten: wohl, so steht dieser zu, nach dem ihrigen zu sehen; und sie soll das können, ohne ihrerseits weder Angriffe

1 Christus] Ms.: korr. aus Christum 1—4 erheben, ... Bewußtseyn ... seyn] Ms.: erheben ... Bewußtsein ... sein 3f auch ... bleiben kann] Ms.: auch kann ... bleiben 4 s o , . . . seyn] Ms.:so ... sein 7 seyn kann,] Ms.: sein kann 7 in manchem] Ms. (mit Einßigungszeichen am rechten Rand): in Manchem 8f Bewußtseyn ... kann, ... dogmatische] Ms.: Bewußtsein ... kann ... Dogmatische 14 statt findet ... seyn,] Ms.: stattfindet ... sein 17f so ... möglich] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (nicht) 19f sey ... Dienst, ... Druck] Ms.: sei ... Dienst ... Drukk 21-23 seyn, ... zurückgekehrte] Ms.: sein ... zurükgekehrte 23f auch ... Kirchenlehre] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 24 wahres] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (Lwahrsl) 25 Druck] Ms.: Drukk 25f die Philosophie] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (sie) 26 gebraucht,] Ms.: gebraucht 27 die Kirchenlehre] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (den Glauben) 27 wohl,] Ms.: wohl! 27 dieser] Ms.: korr. aus diesem 27 zu,] Ms.: zu 27f ihrigen] Ms.: korr. aus seinigen 28 sie] Ms.: korr. aus er 28 können,] Ms.: können 28 ihrerseits weder] Ms.: ihrer seits weder (umgestellt aus weder ihrer seits); ihrer korr. aus seiner

390

5

10

15

20

25

30

An

Lücke

auf die Philosophie zu machen, noch um ihre Gunst zu buhlen. Ich weiß wohl, daß mancher sagen wird, von welcher Philosophie ich wohl 650 redete? Offenbar von solcher, die es gar nicht sey! Ich entgegne aber, daß wir als Theologen solchen Hader nicht zu schlichten haben, weil wir keine Polizei auszuüben gedenken auf fremdem Gebiet. Jene Leute gaben sich für Philosophen, die Welt nahm sie dafür; wir thun es auch. Steht seitdem fest, daß | wahre Philosophie mit der Lehre der Kirche, 529 wenn diese ohne Mißgriffe dem Inhalt des Glaubens gemäß dargestellt wird, nicht im Streit seyn kann: desto besser! aber wir Theologen können das auf keine Weise verbürgen wollen. Daher nun, zeigt die Philosophie sich bald für, bald wider uns: so haben wir gar kein festes Verhältniß mit ihr, seit wir beide frei geworden sind von einander; und dies ist das einzige, was mir räthlich scheint zu sagen und durch die T h a t zu befestigen. Verlangt man mehr: sieht das nicht immer aus, als sollten wir uns entschuldigen bei der Philosophie, daß es nicht anders ist und geht, als so? als hätten wir Verbindlichkeiten gegen sie zu erfüllen? J a selbst, wenn sie uns auf das wohlmeinendste einladet, uns durch ihre Hülfe zu der vollkommnen Selbstverständigung bringen zu lassen, die sie doch allein geben könne: so gestehe ich ihr dieses zwar zu auf jedem wissenschaftlichen Gebiet; aber wenn wir auf dem unsrigen uns nicht verstehen, so muß die Schuld an etwas liegen, was sie nicht geben kann, so fern sie doch mehr seyn will, als Logik, in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes, und Grammatik. Lassen Sie mich also bei meinem „timeo Danaos et dona ferentes" immer bleiben, und mich freuen, daß ich dem Vorsatz treu geblieben bin, meinem eignen philosophischen Dilettantismus, und wenn ich mehr auf diesem Gebiet aufzuweisen hätte, würde meine Maxime doch dieselbe geblieben seyn, keinen Einfluß auf den Inhalt der Glaubenslehre gestattet zu haben. Wie es mir mit diesem Vorsatz gelungen ist, das freilich ist eine andere Frage; indessen die Zeichen sind leidlich gut. Wenn doch der Eine eben so fest behauptet,

1 machen,] Ms.: machen 2 wohl, . . . mancher ... wohl] Ms.: wol ... Mancher ... wol 3 solcher, . . . sey] Ms.: solcher ... sei 7-9 der Lehre ... wird,] Ms.: mit Einfügungszeichen am linken Rand statt (dem Glauben) 9 seyn] Ms.: sein 9 Theologen] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 10f die Philosophie] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (sie) 11 für,] Ms.: für 14 aus,] Ms.: aus 15 bei . . . Philosophie] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (bei ihr) 16 geht,] Ms.: geht 17 selbst, ... einladet,] Ms.: selbst ... einladet 18 zu . . . vollkommnen] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (zur) 20 wir] folgt Ms.: (uns) 21-23 verstehen, ... liegen, ... so fern . . . seyn will, ... Logik, ... Wortes,] Ms.: verstehen ... liegen ... sofern ... sein will ... Logik ... Wortes 25-27 Vorsatz ... seyn] Ms.: Vorsaz . . . sein 29 Vorsatz] Ms.: Vorsaz 30f behauptet, ... sey 30f S. oben Anm. zu 313,4

Zweites

5

10

15

20

391

Sendschreiben

ich sey auf Jacobi basirt, wie der Andere sagt, auf Schelling, und wenn sich beides nur durch sonderbare Einlegungen und unstatthafte Vor- 651 aussetzungen nachweisen läßt; wenn ein kundiger Mann, wie der Bonnische Freund, zu keiner andern Ahndung von meiner Art zu philosophiren gekommen ist, als daß ich eben nicht ein Gefühl, sondern einen Ge-|danken zum Grunde legen würde, im übrigen aber würde es ziem- 530 lieh dasselbe seyn, wie die Glaubenslehre: so scheint doch hieraus zusammengenommen hervorzugehen, daß von Philosophie und Philosophemen nicht viel muß anzutreffen seyn in der Glaubenslehre. Und daran bin ich weit entfernt, etwas ändern zu wollen; vielmehr, wenn ich noch einen Satz fände, der irgend seinem Inhalt nach speculativ wäre, oder nur mit einigem Recht dafür könnte angesehen werden, so würde ich ihm dieses unhochzeitliche Gewand ausziehen, oder ihn ausstreichen. Das soll kein Fehdehandschuh seyn, den ich der speculativen Theologie hinwerfe; vielmehr lasse ich sie gern ihren Gang gehen, und stelle anheim, wieviel Gebrauch die Kirche von ihr machen wird, und ob es der herrschenden Schule länger gelingen wird, als den früheren, jene scholastische Zeit zu vergelten, oder sie auf andere Weise zurückzuführen; nur ich für meinen Theil will mich von dieser Verfahrungsweise so rein als möglich absondern.

Andere hatten einen andern auch schwierigen Punkt ins Auge gefaßt, und meinten, aus dem, was ich von dem übernatürlichen in der christlichen Offenbarung und von dem Naturwerden der göttlichen Heilsordnung gesagt, sey allerdings schon viel zu nehmen. Allein es rei25 che doch gewiß für Viele nicht hin, um über meinen Standort in dem Streit zwischen Supernaturalisten und Rationalisten zu entscheiden.

. . . Jacobi] Ms.: behauptet . . . sei . . . Jakobi 1 sagt,] Ms. (mit Einßigungszeichen am linken Rand): sagt 2£ Voraussetzungen] Ms.: Voraussezungen 3 läßt] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 5 ein] Ms.: korr. aus einen 5 - 9 Gefühl, . . . seyn . . . seyn] Ms.: Gefühl . . . sein . . . sein 10 vielmehr,] Ms.: vielmehr 11 einen Satz] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (etwas)): einen Saz 11 der] Ms.: korr. aus das 11 wäre,] Ms.: wäre 12 oder . . . werden] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand; auf Einfiigungszeichen im Text folgt Doppelpunkt 14-18 seyn . . . a n h e i m , . . . wird, als . . . früheren, . . . vergelten,] Ms.: sein . . . anheim . . . wird als . . . f r ü heren . . . vergelten 18 sie] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 18f zurückzuführen] Ms.: z u r ü k k z u f ü h r e n 20 absondern.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am linken Rand dazu die unterstrichene Druckanweisung: Absaz 22 dem,] Ms.: dem 23 f und . . . gesagt] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand; auf Einfiigungszeichen im Text folgt ((gesagt)) 24 sey . . . nehmen. Allein] Ms.: sei . . . nehmen, allein

1 S. oben Anm. zu 313,.3,f 3 - 7 Vgl. Delbrück: Christenthum 10) 22-24 Vgl. CG' §20

3,40f

(unten

509,42-510,

392

An Lücke

Um alle ferneren Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich also doch hierüber etwas genügendes beibringen. Diese Freunde nun werden auch schwerlich durch das befriedigt seyn, was ich Ihnen hierüber eben geschrieben. Aber ich weiß auch ihren Wünschen nicht zu entsprechen; denn ich bin überzeugt, Mißverständnisse sind nicht zu vermeiden, weil die ganze Sache eine mißverstandene ist. Ich dächte, man dürfte nur den Steudelschen Aufsatz, von dem ich freilich nur den Anfang kenne, 652 über die Annäherungsversuche zwischen beiden Partheien le-|sen, um 531 sich hiervon zu überzeugen. Schon die Namen sind eine höchst unglückliche Bezeichnung, indem der eine auf die Beschaffenheit der Begebenheiten, der andere auf die Erkenntnißquelle der Lehren geht. Warum soll nicht einer können vollkommen überzeugt seyn von der Uebernatürlichkeit gewisser Begebenheiten, und doch behaupten, es könne ihm niemand zumuthen, Lehren anzunehmen, die er nicht einsehe, und mit seiner Vernunft nicht nachconstruiren könne? Und sollte nicht ein anderer sagen können, er sey sehr geneigt, zu seinem Trost Lehren, vorausgesetzt, daß er nur etwas bestimmtes dabei denken könne, anzunehmen, wenn er sie auch in einen allgemeinen Zusammenhang mit den Lehren seiner Vernunft nicht aufnehmen könne; aber Thatsachen sich grade so vorzustellen, wie sie sich in einen allgemeinen Zusammenhang mit der Erfahrung nicht aufnehmen lassen, da doch eine andere Vorstellung immer möglich bleibe, das sey er nicht im Stande. Es hilft auch hier gar nicht zu sagen, auf die Namen komme ja nichts an, sondern auf die Sache. Denn wenn man die Sache, das eigentliche Wesen dieses großen Zwiespaltes in unserer Kirche - denn daß ein solcher vorhanden ist, will ich keinesweges läugnen - wenn man dieses aber erst richtig gefaßt hätte: so würde sich auch die angemessene Benennung gefunden haben. Nun aber wird immer mit jenen Namen fortgerechnet, und was dem einen entgegengesetzt worden ist,

1 vermeiden,] Ms.: vermeiden 3 seyn] Ms.: sein 4 ihren] Ms.: kon. aus Ihren 6 mißverstandene] Ms.: mißverstandne 6 - 9 dächte, . . . Aufsatz ... hiervon] Ms.: dächte ... Aufsaz ... hievon 9-11 unglückliche . . . Erkenntnißquelle] Ms.: unglükliche ... Erkentnißquelle 12-15 vollkommen . . . seyn . . . behaupten, . . . zumuthen, ... einsehe,] Ms.: vollkomen ... sein . . . behaupten ... zumuthen . . . einsähe 16 anderer . . . sey ... geneigt,] Ms.: Anderer . . . sei ... geneigt 16 f Trost Lehren] Ms.: korr. aus TrostLehren 17 vorausgesetzt,] Ms.: vorausgesezt 21 lassen] Ms.: ließen 22 sey] Ms.: sei 25 dieses] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand statt (eines) 25-27 - denn . . . erst] Ms.: mit Einßigungszeichen am linken Rand 26 läugnen-] Ms.: läugnen, 27 dieses] Ms.: unter (ihn) 29 entgegengesetzt . . . ist,] Ms.: entgegengesezt ... ist

7f S. oben

383,10/

Zweites

5

10

15

20

25

Sendschreiben

393

wird dann wieder von demselbigen prädicirt. Das ist auch an sich bei so bewandter Sache recht gut möglich, weil nämlich die Entgegensetzung keine war; aber Verwirrung ist dabei gewiß nicht zu vermeiden, und warum soll man sich ohne Noth in diese hineinbegeben? Was sagen Sie? Ist doch erst ganz kürzlich eine eigne Art von Rationalismus, ich möchte fast glauben, nur ist es mir zu viel Ehre, für mich besonders erfunden worden; mich dünkt, er hieß der ideelle Rationalismus, und soll darin bestehen, daß man zugiebt, ein natürliches könne zugleich ein | übernatürliches seyn. So dankbar ich aber auch dafür bin, so weiß ich 532; 653 doch noch einen bessern Rath. Wo nämlich übernatürliches bei mir vorkommt, da ist es immer ein erstes, es wird aber hernach ein natürliches als zweites. So ist die Schöpfung übernatürlich, aber sie wird hernach Naturzusammenhang; so ist Christus übernatürlich seinem Anfang nach, aber er wird natürlich als rein menschliche Person, und eben so ist es mit dem heiligen Geist und der christlichen Kirche. Also müßte man für mich lieber ein übernatürliches, das zugleich ein natürliches seyn kann, aufstellen, also, wie jenes ein Rationalismus war, müßte dies ein Supernaturalismus seyn, und warum sollte man ihn nicht reell nennen? Und so will ich denn sagen, ich setze mich als reellen Supernaturalisten, und denke, diese Form ist so gut als irgend eine andere. Was aber damit gewonnen ist, sehe ich nicht ein, und auch nicht, was wohl hindern könnte, wenn man es nicht genauer nimmt, als auch Herr Prof. Baur, daß man nicht jeden, der nur nicht grade an den äußersten Enden steht, könnte, wie man wollte, zum Rationalisten machen, oder zum Supernaturalisten, und wenn er sich auch nicht um ein Zehntel Sekunde höher oder tiefer gestimmt hätte.

1 demselbigen] Ms.: dem andern 2 Entgegensetzung] Ms.: Entgegensezung 3 ist] folgt Ms.: (doch) 3 gewiß] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 5-9 Ist ... dünkt, ... zugiebt, ... seyn] Ms.: ist ... dünkt ... zugiebt ... sein 9f bin, ... bessern] Ms.: bin: ... besseren 11 erstes,] Ms.: erstes 14 nach,] Ms.: nach 14f rein menschliche ... Kirche.] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand statt (Person)^: reinmenschliche ... Kirche. 17 seyn ... also,] Ms.: sein ... also 17 w i e . . . war,... dies] Ms. (mit Einfiigungszeichen am linken Rand): wie ... war ... dies 18 ein] folgt Ms.: (Lrel) 18 seyn] Ms.: sein 19f sagen, ... setze ... denke,] Ms.: sagen ... seze ... denke 21-23 ist, ... nicht, ... wohl ... jeden,] Ms.: i s t . . . nicht... wol ... Jeden 23f der ... steht,] Ms.: mit Einfiigungszeichen am linken Rand 24 könnte, ... wollte, ... machen,] Ms.: könnte ... wollte ... machen 26 hätte.] Ms.: folgt Einfiigungszeichen; am linken Rand dazu die Druckanweisung: Absaz

5-9 Vgl. Baur: Selbstanzeige 224f.239 (s. Anhang KGA 1/7.3,259.265) in Bezugnahme auf „Primae rationalismi et supranaturalismi historiae capita potiora pars I. De Gnosticorum christianismo ideali dissertatio", Tübingen 1827, S.8f.l0.39f

394

An

Lücke

Doch es ist wohl Zeit, liebster Freund, daß ich aufhöre, denn ich will nicht sagen abbreche, damit Sie Sich nicht etwa noch auf eine solche desultorische Epistel gefaßt machen, wiewohl ich freilich noch mancherlei anzubringen hätte. Allein je länger hier, je später dort, und 5 es wird die höchste Zeit, d a ß ich mit Ernst an die Dogmatik selbst gehe. Also leben Sie wohl und lehren Sie wohl; das neue Semester ist vor der Thüre, mein fünfzigstes. Vielleicht bringt es mir einen oder den andern wackern Jüngling von Ihnen, so wie ich Ihnen einen sende mit meinem freundlichsten G r u ß und der Versicherung, daß ich immer unverändert 10 der Ihrige bin.

1 - 3 wohl ... a u f h ö r e , . . . wiewohl] Ms.: wol ... aufhöre ... wiewol Ms.: hier ... Zeit 8 sende] folgt Ms.: gestrichenes Satzzeichen Ms.: Versicherung

6f Sommersemester 1829

4 f hier, ... Zeit,] 9 Versicherung,]

An die Herren D. D. D. von Cölln und D. Schulz (Theologische Studien und Kritiken, Jahrgang 1831, Erstes Hefi, Hamburg 1831)

An die Herren D . D . D . v o n C ö l l n und D . S c h u l z .

3

Ein Sendschreiben von Dr. Fr. Schleiermacher. Gewiß werden Sie, meine hochverehrten Herren Amtsgenossen 5 und Freunde, wenn Sie diese öffentliche Zuschrift erhalten, sogleich 6 6 9 vermuthen, daß sie in Beziehung stehe mit Ihrer gemeinschaftlichen offnen Erklärung und vorläufigen Verwahrung; aber schwerlich werden Sie glauben, daß ich mich in dieser Sache in einem Widerspruch gegen Sie befinden könne. Und doch ist es nicht anders! Ich bekam Ihre 10 Schrift durch einen Reisenden in die Hände, noch ehe Sie die Güte hatten sie mir zu übersenden, und noch lange genug vor dem Fest, welches wir seitdem gefeiert haben, um meinen Protest bei Ihnen in Bezug auf dasselbe auch noch vorher einzulegen. Allein wie ich ein schlechter Briefschreiber und ein langsamer Schreiber überhaupt bin: so habe ich 15 diesen Termin versäumt; und seitdem ist wieder so manches über den Gegenstand, den auch Ihre Schrift vorzüglich im Auge hat, erschienen, daß mir fast bange werden muß, meine Worte werden sich in dieser immer mehr anschwellenden Fluth von genannten und ungenannten, berühmten und unberühmten Stimmen ganz unbemerkt verlieren. Leider 20 aber habe ich zu der Langsamkeit auch noch diese Zähigkeit als Mitgabe erhalten, | daß ich nicht leicht loslasse, wenn ich einmal einen Ge- 4 danken mit einer gewissen Bestimmtheit gefaßt habe; und so empfangen Sie denn als einen verspäteten Nachtrag, was Ihnen ganz früh und frisch zu Händen kommen sollte. Hängt sich nun an die Einwendun-

6f Daniel von Cölln/David Schulz: Ueber theologische Lehrfreiheit auf den evangelischen Universitäten und deren Beschränkung durch symbolische Bücher. Eine offene Erklärung und vorläufige Verwahrung, Breslau 1830 (unten 486-303) 9 - 1 1 Vgl. Schleiermachers Brief an Gaß vom 23. Juli 1830 (Briefwechsel mit Gaß 226) Mi Um den 25. Juni 1830 herum wurde im gesamten protestantischen Deutschland der Ubergabe des Augsburgischen Bekenntnisses am 25. Juni 1530 gedacht. Die Feierlichkeiten sind dokumentiert bei Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergdke der Augsburger Confession in den deutschen Bundesstaaten, Erlangen 1831. 18 f Vgl. die Zusammenstellung der Streitschriften bei Johannes Bachmann: Emst Wilhelm Hengstenberg, Bd2, Gütersloh 1880, Beilagen, S. 45-56

398

5

10

15

20

25

An von Cölln und Schulz

gen, die mich ursprünglich antrieben, noch manches andere an, worüber ich mich vorzüglich gern mit Ihnen unterhalten möchte: so nehmen Sie die Versicherung an, daß ich keine angemessenere Art wußte, Ihnen 670 meinen Dank für das kräftige, von Ihnen gemeinschaftlich in der großen Angelegenheit unserer Kirche gesprochene Wort darzubringen. Was nun das Fest anbetrifft, so gestehe ich Ihnen gern, auch ich habe ihm unter den gegenwärtigen Umständen nicht mit außerordentlicher Freudigkeit entgegengesehen. Mir war herzlich bange, es möchte unter allem, was gesprochen und geschrieben werden würde, gar vieles recht dazu gemacht seyn, die streitenden Partheien noch mehr gegen einander zu erbittern und zu noch heftigeren Kämpfen aufzuregen, was, menschlichem Ansehn nach, unsere Angelegenheiten auf den Gipfel der Verwirrung bringen müßte. Nur die Besorgniß konnte ich nicht theilen, die Sie gehegt zu haben scheinen, daß diese Feier, wozu die AnOrdnung, damals als Sie schrieben, noch nicht gegeben war, dazu benutzt werden möchte, eine neue Verpflichtung auf das augsburgische Bekenntniß unter uns einzuführen. Indeß auch meine Befürchtungen hat der Tag selbst gar sehr beschwichtiget. Was Berlin betrifft, so hat die große Theilnahme an dieser Feier, sie war so angelegentlich, daß es wol keine Kirche gab, vor welcher nicht eine Menge von Menschen hätte umkehren müssen, mich angenehm überrascht. In einer so alt evangelischen Stadt, wie meine liebe Vaterstadt, und die immer ausgezeichnet kirchlich geblieben ist, versteht sich das von selbst; und gewiß ist sie, da sie jetzt an Ihrer Facultät eine solche Pflanz-|schule evangeli- 5 scher Lehrer besitzt, noch nie in solcher kirchlicher Verherrlichung erschienen, als bei dieser Feier, und muß einen erfreulichen Anblick würdiger Festlichkeit gewährt haben. Und die Reden dieses Tages anlangend von Kanzel und Katheder herab, so war ich selbst zu sehr bei der ersten betheiligt, als daß ich noch irgend einer andern Feier hätte bei-

15 Sie] sie

14 f Vgl. Circular-Rescript des Königl. Ministeriums der Geistlichen, Unterrichts-und Medizinal-Angelegenheiten an sämmtliche Königl. Konsistorien und Provinzial-Schul-Kollegien, so wie abschriftlich an sämmtliche Königl. Regierungen, die dritte Säcular-Feier der Uebergabe der Augsburgischen Konfession betreffend, in: Annalen der Preußischen innem Staats-Verwaltung 14 (Berlin 1830), Heft 1, S. 321 -323. Das Reskript selbst ist auf den 8. Mai 1820 datiert (323), die Anlage a, eine Kabinettsordre Friedrich Wilhelms III., auf den 4. April 1830 (324). 24 Seit 1695 bestand in Breslau eine Jesuitenschule, die 1702 zur Universität erhoben wurde und 1811 durch die Vereinigung mit der Universität Frankfurt/Oder eine evangelisch-theologische Fakultät erhielt. 28f Schleiermacher hielt am 25. Juni 1830 die Predigt „Die Uebergabe des Bekenntnisses als Verantwortung über den Grund der Hofnung" über 1 Petr 3,15 (vgl. Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession 20jf; SW II 12,626ff; Kleine Schriften und Predigten 3, ed. E. Hirsch, Berlin 1969, 2 5 f f ) .

An von Cölln und Schulz

399

wohnen können; aber soviel ich von dem vernommen, was hier geredet worden, habe ich mich an allem nur herzlich erfreuen können. Denn niemand bei uns scheint über das schöne Wort unseres Königes, daß wir uns an den Geist dieser Bekenntnißschrift von Herzen anschließen, hinausgegangen zu seyn, und diejenigen, welche uns gern wieder unter 671 die Lehrnorm eines Buchstabens beschwören wollten, haben an diesem Tage unter der evangelischen Geistlichkeit unserer Stadt keinen Dolmetscher gefunden. So wird es bei Ihnen, denn nähere Nachricht ist mir darüber noch nicht geworden, wol auch gewesen seyn; und ich hoffe, daß auch Sie beide, da Sie vorher schon versichert seyn mußten, daß von Uebernahme einer Verpflichtung gar nicht die Rede sey, einen freudigen und ungetrübten Antheil an dieser Feier werden genommen haben. Was nun bei Ihnen sowol, als auf andern Universitäten von den Facultäten ausgegangen ist, und vom Katheder herab sich hat vernehmen lassen, davon fangen nun eben an öffentliche Blätter und freundliche Zusendungen Kunde zu geben. Noch ist mir nur wenig davon flüchtig unter die Augen gekommen; ich erwarte aber von allen Seiten nichts anderes, als daß überall das beides wird verbunden worden seyn, was sich Ihnen beiden, wol nur in einer Anwandlung von ängstlich gereizter Besorgniß, als unverträglich darstellen konnte, das Anerkenntniß der Thatsache in ihrer ganzen Wichtigkeit, und die gesundeste Abneigung gegen jede Unterwerfung unter den Buchstaben des damals aufgestellten Documentes. | Eben dieses nun war es, was mich zunächst auf den Gedanken 6 brachte, dieses Schreiben an Sie zu richten. Ich bin Ihr Amtsgenosse auf dem Katheder, aber Sie sind nicht die meinigen auf der Kanzel; und wenn wir Kanzelmänner doch zunächst von dem Katheder unsere Weisungen erwarten: so glaubte ich mich gegen Sie rechtfertigen zu müssen, daß ich selbst mir diese nicht gegeben, und daß ich, wenn gleich soweit als irgend jemand entfernt davon eine Verpflichtung auf jenes oder auch auf irgend ein anderes Bekenntniß unterschreiben zu wollen,

3 f „Möchte dies Erinnerungsfest der Uebergabe dieses, auf die Heilige Schrift und die in ihr geoffenbarten Heilswahrheiten gegründeten Zeugnisses von dem Glauben der evangelischen Christen, daß sich nach drei Jahrhunderten noch eben so bewährt zeigt und zeigen wird, als damals, und zu dessen Geist auch Ich Mich von Herzen bekenne, dazu beitragen, in der evangelischen Kirche die ächte Glaubenstreue immer mehr zu befestigen und zu beleben, [••••]" (Kabinettsordre Friedrich Wilhelms III. vom 4.April 1830, in: Annalen 14,1830, 323). 13f Zu den Feierlichkeiten an der Breslauer Universität vgl. Ammon: Denkmal 216-218. Als Dekan der theologischen Fakultät verfaßte von Cölln die Einladungsschrift „Confessionum Melanchthonis et Zwingiii Augustanorum capita graviora inter se conferuntur", Breslau 1830. Schulz hielt die Festrede „De vera et optabili ecclesiarum reconciliatione", Breslau 1830. 1 9 - 2 3 Vgl. von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 4f (unten 486,37-487,11)

400

5

10

15

20

25

30

An von Cölln und Schulz

ja auch, damit ich nicht scheine Sie zu mißverstehen, eben so weit entfernt jenes Bekenntniß in allen Stücken zu billigen und ihm unbedingt beizutreten, doch keinesweges fürchtete, wenn ich an jenem festlichen Tage vor der Gemeine aufträte, weder eine Heuchelei zu begehen, noch eine Folgewidrigkeit. Ich glaube, ein Geistlicher konnte getrost an die- 672 sem festlichen Tage auch auf der Kanzel sagen, daß die an jenem Tage übergebene Schrift nicht dürfe nach dem Maaß unserer Zeiten gemessen werden, und daß man sie in vielen Stücken mit Nachsicht beurtheilen müsse. Liegt ja doch offen genug zu Tage, daß der Verfasser selbst ihr nicht lange seinen ungetheilten Beifall geschenkt, daß er nicht nur im einzelnen gebessert hat, so bald er konnte, so daß noch nicht aufs reine gebracht ist, welches der eigentlich wahre übergebene Text sey, sondern Melanchthon hat ja rathsam gefunden, sie hernach in seiner Confession der sächsischen Gemeinen, die er eine Repetition der augsburgischen Confession nennt, ganz umzuarbeiten. Und dabei hat ihn keinesweges nur der Gedanke geleitet, daß die Sache für das Concilium anders müsse oder könne gestellt seyn, als f ü r den Kaiser und die Fürsten; sondern daß sich der Gegenstand in ihm immer lebendig bewegte, das nöthigte ihm eine andere frische Darstellung desselben ab. Betreffen nun die Veränderungen auch nicht eben den dogmatischen Gehalt oder die exegetische Virtuosität, nun so ist doch natürlich, daß, wenn | diese große Angelegenheit seitdem unter uns immer ist lebendig bewegt 7 worden in den Gemüthern, sein erster Aufsatz noch weniger kann für eine uns angemessene Darstellung gelten, und die Gestalt, die wir einem solchen Bekenntniß würden geben müssen, in einem noch größeren Maaß, als nach dem Verhältniß zwischen zwanzig und dreihundert Jahren, verschieden seyn würde. Wie wäre es wol möglich, daß damals schon alles sollte durchgeschaut und durchgeprüft worden seyn, was doch irgendwie durch die von den Reformatoren angefochtenen Verderbnisse in der kirchlichen Lehre afficirt und so oder so bestimmt worden war! Das muß ja von selbst jeder Laie einsehen, der etwas um

31 um] nm

4f Vgl. von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 5 (unten 487,10/) 5 - 9 Vgl. die Predigt „Die Uebergabe des Bekenntnisses als Verantwortung über den Grund der Hofitung", in: Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession 22; SWII/2, 627; Kleine Schriften 3,26 9 - 1 2 Das deutsche und das lateinische Original der Confessio Augustana, die dem Kaiser übergeben wurden, sind verloren. 13-15 Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession und die repetitio confessionis Augustanae, ed. A. Twesten, Kiel 1816, S. VI. 124; Melanchthon: Werke in Auswahl, ed. R.Stupperich Bd 6, Gütersloh 1955, S.82

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

401

sich weiß; ja ich möchte sagen, jeder nicht ganz verabsäumte Katechumene aus unsern unterrichteten Ständen. Aber wenn auch das ganz allgemein zugestanden wird und wir es dankbar erkennen, daß unsere Kirche in dreihundert Jahren nicht stillgestanden hat in der Reinigung der christlichen Lehre durch Forschen in der Schrift; unserm Fest konnte das keinen Abbruch thun. Vielmehr konnten alle evangelischen 673 Geistlichen ihren Theil an dieser Feier auf das würdigste ausfüllen, ohne sich auf das einzelne des Inhaltes dieser Bekenntnißschrift einzulassen, mithin gleich gut, wie verschieden sie auch über einzelne Punkte und überhaupt über die Angemessenheit dieser Schrift f ü r unsere und die folgenden Zeiten denken mögen. Denn die Feier gilt ja überhaupt nicht der Urkunde, daß sie verfaßt worden und daß sie gerade so geworden, sondern ihrer Uebergabe; nicht das Werk wird gefeiert, sondern die That. Gehen wir von diesem Gesichtspunkte aus; so können wir, auch was den Inhalt betrifft, nur die gegen die Mißbräuche und Irrlehren der römischen Kirche gerichteten Zeugnisse, und den ausgesprochenen Entschluß, nur aus der Schrift Belehrung und Widerlegung annehmen zu wollen, f ü r wesentlich halten. Das frische und kühne Hervortreten mit diesen Zeugnissen ward von diesem Tage an ein | ge- 8 meinsames Band f ü r die Gleichgesinnten; denn nun erst hatten sie etwas gemeinsames zu vertreten, und standen um desto fester zusammen in allen Anfechtungen. Zugleich aber haben sie durch den letzteren Entschluß uns und alle ihre Nachkommen frei gemacht von der Knechtschaft des Buchstaben, indem sie uns das Recht geben, alles Einzelne in dem Bekenntniß mit dem guten Willen desselben zu berichtigen, wenn wir es nicht schriftmäßig finden. Eine solche That, meine ich, haben wir insgesammt große Ursache zu verherrlichen, und thun wohl auch unsere Zustimmung dazu den Nachkommen zu überliefern. Dieser Sinn sprach sich auch in der Auswahl von Texten aus, welche die kirchliche Behörde den Predigern überliefert hat, und niemand wird ihn wol verfehlt haben.

23 u n d ] nnd

15f Vgl. ed. Twesten 51; BSLK 84 16-18 Die CA bietet keine Aussage dieses Inhalts, vgl. aber die vom sächsischen Kanzler Brück verfaßte „Antwort der evangelischen Fürsten und Städte" in: D.Martin Luthers Sämtliche Schriften Bdl6, ed. J.G. Walch, Halle 1745, Sp. 1634; Karl Eduard Förstemann: Urkundenbuch zur Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd2, Halle 1835, S.185. 29 Evangelium: Joh 10,12-16; Epistel: Hebr 13,7f; Predigttexte (zur Auswahl): Rom 10,9f. Mt 10,18-20.Mt 10,32f.Apg 26,22f. IPetr 1,25.1 Petr 3,15.1 Kor 1,10.1 Kor 3,ll.Ps 119,46-50 (Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg, Ministenum des Innern, Rep. 76 - III, Sekt. 1 - Abt. XIV, Bl. 69; vgl. Ammon: Denkmal 84 f )

402

An von Cölln und Schulz

Wenn wir nun aber grade dadurch, daß wir uns so der katholischen Kirche gegenüberstellen und uns so auf die Schrift gründen, der evangelischen Kirche angehören, sie bilden und aufrechthalten helfen: haben Sie dann wol Recht, unsern jetzigen Zustand als eine innerliche Auflösung des kirchlichen Verbandes anzusehen? Ich vermag es nicht, meine würdigen Freunde, Ihnen hierin beizustimmen. Eine solche Auf- 674 lösung, einen Mangel an Gemeinsinn und Gemeingeist könnte ich nur da finden, wo Gleichgültigkeit eingerissen wäre gegen den religiösen Zustand unserer Kirchgenossen, wo Lauheit die Stelle einer fördernden Liebe eingenommen hätte, wo überwiegende fremdartige Interessen das Forschen in der Schrift aus der Tagesordnung geschoben hätten, oder Frivolität das christliche Leben zerstört. Wieviel freier schweiften alle diese Uebel umher am Ende des vorigen Jahrhunderts, so daß die Frömmigkeit sich fast verbarg! Wie frei tritt sie uns dagegen jetzt fast überall entgegen. Bei wieviel gemeinnützigen und wohlthätigen Vereinen ist der thätige Glaube das leitende Princip, so daß ich jetzt den kirchlichen Ge-|meingeist nur kann im Zunehmen finden. Es geht frei- 9 lieh auf dem Gebiet der Theologie bunt genug durch einander, vielerlei Sinn und vielerlei Weise; alles will nicht immer zusammenklingen, alles fügt sich nicht glatt und genau in einander. Aber es ist doch alles nur freies Zusammenwirken zur fortgehenden Berichtigung christlicher Einsicht, und immer auf Schriftforschung gegründet. U n d der lebendige Antheil, den Jeder nimmt an denjenigen, deren Sinn und Weise mit der seinigen nicht übereinstimmt, ist doch wol Liebe, wenn sie sich gleich bisweilen etwas barsch und ungebehrdig ausspricht! Und alle Besten auch von den entgegengesetzten Partheien wollen doch die durch unsere Reformation proclamirte Freiheit von menschlicher Autorität fest halten; alle wollen doch mit Wissen und Willen in den alten Zustand der Knechtschaft in todten Werken und todten Buchstaben nicht zurückkehren. Daher sehe ich denn in allen unsern Differenzen nichts weniger, als Auflösung; im Gegentheil, sie sind die weinige Gährung, aus der erst die rechte Veredlung hervorgehen wird. Der Proceß geht etwas langsam, denn er war vor dreihundert Jahren schon im Gange, aber am übelsten hat sich die Kirche gewiß befunden, so o f t er unterbrochen schien. Er wird diesen Charakter auch immer behalten, so lange wir den Sinn bewahren, alle Verschiedenheiten, wie sie sich entwickeln, im U m f a n g unserer Gemeinschaft zusammenzuhalten, um sie 6/5 in Streit und Liebe zu verarbeiten. In der römischen Kirche können Differenzen der Lehre partielle Auflösungen hervorbringen, weil da

4 f Vgl. von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit Lehrfreiheit 5 / ( u n t e n 487,21)

6 (unten 487,26)

7 Vgl. von

Cölln/Schulz:

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

403

Bann und Verketzerung gesetzlich ist, und ich meine, wir haben dieserhalb nicht Ursache, jene Kirche zu beneiden. Auch in England und Nordamerika können solche Auflösungen vorkommen, weil eine so unbeschränkte Leichtigkeit besteht zusammenzutreten und auseinander zu gehn, daß leicht auch ganz unbedeutende Abweichungen ein solches ausscheidendes Zusammentreten hervorrufen; aber eben deshalb kommt | man dort so wenig weiter in der Erkenntniß, weil die sich ge- 10 trennt haben einander gleichgültig werden, wogegen bei uns Streit und Liebe sich an einander nähren. Ja ich glaube unbedenklich behaupten zu können, daß wir ohne den Eifer der streitenden Partheien zu einem solchen Wachsthum theologischer Einsicht in allen Fächern nicht würden gediehen seyn, und daß jede der andern, mithin wir Alle beiden, mehr zu verdanken haben als gewöhnlich eingesehen wird. Und eben so wenig scheue ich mich auch an das alte Sprüchlein zu denken, daß es wenig Gewinn bringt, in Kenntnissen zuzunehmen, wenn man an Sitten zurückkommt. Denn ich finde auch hierüber nicht zu klagen, so lange es ein ungestörtes Zusammenwirken beider Theile gibt, wie es uns ja in allen kirchlichen Verhältnissen in unsern Bibelgesellschaften und Missionsvereinen überall entgegentritt. Wenn wir also nur auf diesem Wege bleiben, und beim Streit die Liebe bewahrt wird: so wird auch die Anzahl derer immer mehr zunehmen, welche bereit sind, das Streben nach christlicher Wahrheit auch bei dem Widerpart anzuerkennen, und unser kirchlicher Zustand wird von dieser Seite gewiß immer gedeihlicher werden. N u r das muß ich Ihnen freilich zugeben, daß sich einzelne Stimmen in unserer Kirche vernehmen lassen, welche auf etwas ausgehen, was, wenn sie es durchsetzen könnten, gar leicht eine Auflösung hervorbringen dürfte. Und f ü r das gewichtige Wort, was Sie hierüber gesprochen haben, möchte ich Ihnen vornehmlich meinen D a n k dadurch darbringen, daß ich, was Sie nur kurz berühren konnten, was auch unser Freund Ullmann nur andeutet, nach meiner Kenntniß unse- 676 res kirchlichen Zustandes noch etwas weiter auseinander setze. Ich denke hiebei zunächst an diejenigen, welche den lebhaften Wunsch hegen, unsere sogenannten Rationalisten möchten lieber frei-

1 4 - 1 6 „ Die wohl - anständige Sitten seyn offt die Farben und das Gold / so ein höltzem Bild ansehlich machen: manche Jungfrau ist kaum so schön / das man Sie nicht heslich nennen kan / und macht sich doch mit schönen Sitten und Geberden so beliebt / das sie vilen andern vorgezogen wird; und es bleibet wohl bey dem Alten / das der so in Künsten zu- und in Sitten abnimt / mehr ab- als zugenommen habe." (Samuel von Butschky: Pathmos enthaltend: Sonderbare Reden und Betrachtungen allerhand Curioser; in allen Ständen benötigter; [...] HoffWelt- und Stats-Sachen, Leipzig 1677, S. 152) 24-28 Vgl. von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 33 ff (unten 500,35-502,17) 2 9 f Karl Ullmann: Theologisches Bedenken aus Veranlassung des Angriffs der evangelischen Kirchenzeitung auf den Hallischen Rationalismus, Halle 1830, S. 29-33

404

An von Cölln und Schulz

willig aus der evangelischen Kirchenge-|meinschaft ausscheiden. Neuerlich hat H e r r Dr. Hahn, soviel ich die Sache kenne, diesen Wunsch zuerst ausgesprochen, mehreren leidenschaftlicheren Aeußerungen und Versuchen in Dänemark liegt dieselbe Abzweckung zum Grunde, und auch diejenigen, welche sich in der hiesigen evangelischen Kirchenzeitung lautbar gemacht, würden wol durch einen solchen Ausgang zufrieden gestellt seyn. Darf ich aber hier, ehe ich weiter gehe, einen kleinen Protest bei Ihnen einlegen, der mich selbst betrifft? Sie haben auch meine Darstellung der Glaubenslehre den rationalistischen beigezählt; ich glaube mit Unrecht, selbst in dem Sinne, den Sie S. 13. festsetzen, als ob ich nämlich f ü r den Glaubensinhalt der heiligen Schrift eine weitere Begründung in dem religiösen Erkenntnißvermögen aufsuchte. Denn ich bin mir bewußt, den Glaubensinhalt des Christenthums immer nur auf die Grundthatsache desselben und auf die innere Erfahrung von dieser Thatsache zurückgeführt zu haben. Ich habe eine solche Begründung, wie Sie meinen, nirgend, auch nicht einmal bei denjenigen Lehren, welche den ersten Theil meiner Darstellung bilden, versucht; ja selbst f ü r den Ausdruck religiöses Erkenntnißvermögen weiß ich keinen rechten Platz in meiner Auffassung. Ich berühre dieses hier nicht um Ihretwegen, verehrte Herren, sondern nur um meine Unbefangenheit in Sachen jenes Wunsches zu documentiren; denn ich bin überzeugt, so viel auch an meinem Glauben ausgesetzt worden ist von jener Seite her, so bin ich doch bis jetzt noch nicht gradezu mitgemeint unter

14 und] uud

1 - 3 August Hahn (1792-1863) veröffentlichte 1827 als Grundlage einer Disputation bei seiner Übernahme einer ordentlichen Professur der Theologie in Leipzig die Schrift „De rationalismi, qui dicitur, vera indole et qua cum naturalismo contineatur ratione" in der er die Unvereinbarkeit des Rationalismus mit dem Christentum behauptete und dessen Vertreter deshalb zum Ausscheiden aus der evangelischen Kirche aufforderte. Jf 1825 veröffentlichte Henrik Nikolai Clausen (1793-1877, seit 1822 Theologieprofessorin Kopenhagen) das Buch „Catholicismens og Protestantismens Kirkeforfatning, Laere og Ritus". In seiner Gegenschrift „Kirkens Gienmaele" forderte Nikolaj Frederik Severin Grundtvig, Clausen solle seine Thesen widerrufen oder die Kirche verlassen. Clausen gewann seinen Beleidigungsprozeß gegen Grundtvig, dessen Schriften bis 1838 einer besonderen Zensur unterstanden. Unterdessen setzte Grundtvigs Freund Lindberg die Kontroverse fort. 8-12 von Cölln!Schulz: Lehrfreiheit 12f (unten 490,18f) 16f Vgl. Schleiermacher: Der christliche Glaube, l.Aufl., §§36-76; KGA 1/7.1,123-249 22 f Vgl. z.B. die beiden scharfen anonymen Angriffe auf Schleiermacher: Ueber Schleiermacher. (Auch ein Sendschreiben.), in: EKZ 1829, Nr. 97, Sp. 769-Nr. 100, Sp. 798; Ueber Dr. Schleiermacher's Behauptung der Unkräftigkeit und Entbehrlichkeit der messianischen Weissagungen, in: EKZ 1830, Nr. 3, Sp. 17 - Nr. 4, Sp.31. Beide Artikel sind von Hengstenberg selbst verfaßt (vgl. Anneliese Kriege: Geschichte der Evangelischen Kirchen-Zeitung, Bonn 1938, Bd2, S. 10.12).

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

35

405

denen, von welchen man wünscht, daß sie ausscheiden möchten. Meine Meinung ist nämlich, daß diejenigen, welche diesen Wunsch aussprechen, sich nicht immer recht klar darüber sind, wie derselbe soll realisirt werden. Ich sage dies nicht gern, weil es immer eine eigne Sache ist, einen Wunsch, mit dem es sich so verhält, ernsthaft und dringend auszu- 677 sprechen; allein es scheint mir so. Zu einer Gewissenssache kann man den Rationa-|listen dieses Ausscheiden nicht machen, das zeigt der Er- 12 folg deutlich; auch Ihre Schrift ist ein neuer Beweis davon, aber es ließ sich auch sehr leicht voraussehen. Alle von dieser Seite haben andere Begriffe von den Grenzen unserer kirchlichen Gemeinschaft, als die der Widerpart ihnen vorhält; auch Sie haben diese weiteren Grenzen fest und tapfer behauptet, und schwerlich wird es einem Theile gelingen, dem andern seine Ueberzeugung hierüber annehmlich zu machen. Schon deshalb könnte sich bei mir ein solcher Wunsch nicht halten, ohnerachtet ich gern gestehe, wie ich nicht glaube, daß die Verbreitung mancher Formen des Rationalismus an und für sich sehr segensreich seyn kann für unsere Kirche. Gäbe es nun noch ein Mittel, diesen Männern die Ausscheidung angenehm zu machen; aber wie? Sie sind durchaus keine Freunde von kleinen Verbindungen; sie würden sich gar nicht darüber freuen, wenn es auch noch so leicht ins Werk zu richten wäre, eine kleine Gemeinschaft unter sich zu stiften, und von dort nach außen zu streiten; und das kann ich nicht anders als loben. Ich weiß keinen unter ihnen, der nicht für die Union wäre, das heißt für eine Vergrößerung der Kirchengemeinschaft, und Sie haben sehr schön auseinander gesetzt, daß der von der andern Seite aufgestellte Begriff von Kirchengemeinschaft hiermit unverträglich ist. Das Versprechen einer vollkommnen Lehrfreiheit, aber nur außerhalb unserer Kirche, ist nun gar eine sehr geringe Lockspeise. Meint man damit zunächst die akademischen Lehrer: wo sollen sie denn außerhalb der Kirche ihren Lehrstuhl aufschlagen, und was für Schüler sollen sie erwarten? Gibt es soviel junge Männer, welche im Stande wären sich mit diesen Dingen ausschließend zu beschäftigen, ohne irgend einen praktischen Gebrauch davon zu machen? wenn man sie doch hernach abweisen wollte mit dem Bescheid, sie hätten nur eine außerkirchliche Weisheit und Lehre eingesogen. Die Lehrfreiheit würde sich also in der That auf eine bloße | Schreibfreiheit beschränken, und damit sollten sich gutwillig 13; 678 Männer zufrieden stellen lassen, welchen ihre Ueberzeugung werth ist, und welche im Besitz waren, sie durch den lebendigen Vortrag bei einer zahlreichen Jugend geltend zu machen? Dies erscheint mir als die wun11 f von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 11 ff (unten 490,3-491,9) Schulz: Lehrfreiheit 24 (unten 496,12-17) 26f Vgl. [Hengstenberg:] Redaction, in: EKZ 1830, Nr. 18, Sp. 140 - Nr. 19, Sp. 149, bes. 148

2 4 - 2 6 von Cölln/ Gegenerklärung der

406

An von Cölln und Schulz

derlichste Einbildung! U n d helfen würde es auch nicht. Denn wenn heute alle von ihren Kathedern entfernt wären: wieviel junge Docenten werden nicht unmerklich rationalistisch durch ihre Studien? denn die meisten sind es doch auf diesem Wege geworden! U n d diese wunderliche Zumuthung, sich zu entfernen, weil sie Andern die Luft beengen, müßte dann immer wieder erneuert werden, und würde es gewiß immer wieder vergeblich. Meint man aber mit diesem Anerbieten nicht nur die akademischen Lehrer, sondern auch die Geistlichen, und wie sich dann von selbst versteht, den ihrer Lehre anhängenden Theil unserer Gemeinen: so scheitert alles wieder an dem ersten Hinderniß, daß sie keine Lust haben sich zu trennen, weil es ihnen gar nicht schwer wird, in dieser gemeinschaftlichen Luft zu athmen, und daß sie also höchstens aus Höflichkeit sagen würden: Lieben Freunde, wenn euch so viel daran liegt, mit uns aus einander zu kommen: so gebt euch wenigstens die Mühe, die Sache einzurichten, legt uns einen tüchtigen Theilungsentwurf vor, mit dem wir zufrieden seyn können, dann wollen wir die Sache überlegen. Was meinen Sie wol, ob irgend einer von den Herren, welche diesen Wunsch geäußert, die Sache so weit durchdacht hat, um mit seinem Vorschlage fertig zu seyn? Ich wette alles dagegen; ja nicht nur das, sondern daß auch keiner von ihnen jemals einen zu Stande bringt. Was hilft es also, Papier bedrucken und die Gemüther aufregen um nichts? Einige habe ich neuerlich besonders schlau gefunden in einer Erfindung, um diese Last auf ihre Gegner abzuwälzen, indem sie dabei die Agende zu Hülfe rufen. Sie geben nämlich zu verstehen, ein Rationalist, der die Agende an-|genommen habe, der habe sich nun 14 selbst gefangen gegeben; denn diese sey so ganz antirationalistisch, daß er es unmöglich dabei aushalten könne, sondern entweder müsse er sich aufrichtig bekehren oder er müsse ein Amt niederlegen, wobei er sich 679 nun selbst aufgelegt habe, immerfort etwas zu wiederholen, wobei er sich sagen müsse: „das liesest du nun, du denkst aber das Gegentheil". Anfangs wunderte ich mich sehr, aber neuerdings freilich soll die Agende so vieles seyn und leisten, was in ihrer Abzweckung nicht liegt, worauf sie selbst auch niemals Anspruch gemacht hat, daß ich mich nun über diesen Einfall auch nicht wundern kann. Aber grundloser und un22-30

Vgl. Ein Landpfarrer aus der Provinz Sachsen: Das theologische Catheder und die Kirche, oder der Rationalismus und die Agende, in: EKZ 1830, Nr. 44, Sp. 345 - Nr. 45, Sp. 356; der Verfasser ist Rudolf Ewald Stier (1800-1862), damals Pastor in Frankleben bei Merseburg. 31 f Anspielung auf Rulemann Friedrich Eylert: Ueber den Werth und die Wirkung der fur die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Staaten bestimmten Liturgie und Agende, Potsdam 1830. Eylert schreibt der Agende u. a. die Funktion zu, die in den Bekenntnisschriften niedergelegte Lehre der Kirche lebendig zu erhalten und dieser damit Kontinuität und Einheit zu sichern (vgl. V i f ) . Zu Schleiermachers Kenntnis und Beurteilung des Buches vgl. seine Briefe an Gaß vom S.Mai 1830 und 23. Juli 1830 (Briefwechsel mit Gaß 224.227)

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

35

407

praktischer ist wol nichts zu denken! Wie? gibt es denn nicht für alle supernaturalistischen Ausdrücke, welche in unserer Agende vorkommen, eben zu diesem Behuf rationalistische Erklärungen in allen Lehrbüchern aus dieser Schule? Ist es zu begreifen, warum es dem Geistlichen schwerer werden soll oder mehr durchs Herz gehn, wenn er sie in der Agende liest, sich dasselbe dabei zu denken, was er schon immer anderwärts dabei gedacht hat? Zumal noch, wenn er überzeugt ist, daß der größte Theil der Versammlung, in Folge der von ihm empfangenen Unterweisungen und Belehrungen, auch nichts Anderes dabei denkt als er? Und wie sollte ihn doch dieses Vorlesen auf eine so eigenthümliche Weise afficiren, da schon eine große Sammlung und für Viele gewiß eine große Anstrengung dazu gehört, daß es bei der so häufigen Wiederholung nicht etwas Mechanisches werde und die Gedanken ganz frei lasse! Zumal wir schon immer so Manches lesen müssen, wobei man etwas Bestimmtes gar nicht denken kann! Denkt sich Jemand etwas Bestimmtes bei „empfangen von dem heiligen Geist"? Die beiden neutestamentischen Stellen bringen diese beiden Ausdrücke nicht zusammen, auch die ältesten Exemplare des Symbolum kennen den Ausdruck nicht, und nur weil eine jüngere in unsern Ländern am meisten verbreitet gewesene Redac-|tion diese tadelnswerthe Zusammenstellung 15 gemacht hat, sind wir bis jetzt verurtheilt geblieben, ihn jedesmal zu wiederholen, wenn das Glaubensbekenntniß vorkommt. Nicht anders ist es mit dem „niedergefahren zur Höllen", was auch nicht ächter ist, als verständlich. Muß sich der Geistliche nun das sagen: „Du liesest dieses, aber du verstehst doch nicht, was du liesest": was wird es ihm für 680 eine große Schwierigkeit machen, sich auch zu sagen: „Du liesest dieses; aber weil du niemals hast fassen können, was dabei gedacht werden soll, so denkst du nur dabei deine eigene Meinung von dem Gegenstande." Und ich begreife nicht recht, wie man dies wollte einen Mangel an Treu' und Glauben nennen oder eine reservatio mentalis, da es ja nur des Geistlichen eigene Andacht ist, welche er dadurch fördert, daß er sich das Gelesene in seine Vorstellungsweise überträgt, mit seiner Amtshandlung aber hängt dies gar nicht zusammen. Denn das versteht sich ja von selbst, daß keiner das vertreten will, was er vorliest; er ist ja dabei nicht der Handelnde, sondern diejenigen, welche die Liturgie ordnen. Sonst müßte auch angenommen werden, wenn wir Evangelien und Episteln verlesen, daß wir die etwanigen fehlerhaften Uebersetzun-

16 Geist"?] Geist?"

25 liesest":] liesest:"

16 f Mt 1,18. Lk 1,28-3S 18-24 Zu den verschiedenen Fassungen des sog. in der Alten Kirche vgl. Symbola ed. Twesten 3; BSLK 21

Apostolicum

408

5

10

15

20

25

30

35

An von Cölln und Schulz

gen vertreten und durch das Verlesen unsern Glauben an ihre Richtigkeit bezeugen wollten. Wie kann also Jemand im Ernst erwarten, daß das Vorlesen der Agende für einen Rationalisten, der das auch bleiben will, etwas Unerträgliches seyn werde, und ihn auf den Gedanken bringen, sein Amt niederzulegen? Ich glaube daher, daß diejenigen, welche so sehr dringlich sind in dieser Scheidung zwischen Rechtgläubigkeit und Rationalismus, daß sie beides als den Gegensatz von Glauben und Unglauben ansehen, diesen Wunsch nur vorangeschickt haben als einen Späher, um das Land auszukundschaften, und daß Sie beide, meine verehrten Freunde, nicht unrecht haben zu fürchten, diese eifrigen Männer möchten gar zu gern irgend einen evangelischen Landesfür-|sten dazu 16 bewegen, eine Verpflichtung auf symbolische Bücher wieder einzuführen. Aber einen einzigen Schritt weiter bin ich gleich wieder uneins mit Ihnen. Sie äußern nämlich die Besorgniß, daß in einem solchen Fall die Kirche eines großen Theils ihrer Lehrer würde beraubt werden, und es klingt mir fast durch Ihre Worte hindurch, als meinten Sie, Viele würden lieber, als ein Symbol zu unterschreiben, ihr Amt niederlegen. Ich hingegen lebe der festen Hoffnung, daß das kein einziger thun wird. Wer sein Amt gewissenhaft nach bester Ueberzeugung verwaltet, diese 681 sey nun eine rationalistische oder supernaturalistische, der hat gewiß das Bewußtseyn, daß ihm sein Amt, wenn er es auch von Menschenhänden empfangen hat, doch von Gott anvertraut worden ist, und daß er diesem Rechenschaft darüber abzulegen hat. Er kann es also nicht freiwillig niederlegen, Andern zu lieb und zu gefallen; sondern, wenn es hierzu nicht aus ihm selbst hervorgehende Motive gibt, darf er nur der Gewalt weichen, wenn sie ihm sein Amt nimmt. Und dieß meine ich nicht nur von denjenigen Lehrern, welche niemals oder nur bedingterweise auf ein symbolisches Buch verpflichtet worden sind, sondern auch von allen denen, die sich bei ihrem Amtsantritt verpflichtet haben. Denn werden die letzteren nicht alle nachweisen können, daß unter den Verpflichtenden selbst solche gewesen, die keine symbolische Autorität anerkennen, daß lange vor ihnen schon viele solche mit gleicher Verpflichtung ihr Amt übernommen und es ruhig fortgeführt haben, ohnerachtet sie niemals Hehl gehabt, daß sie mit den symbolischen Büchern nicht übereinstimmten, und ohne daß irgend jemand nach ihrer amtlichen Praxis in dieser Hinsicht gefragt hätte; kurz, sollten sie nicht Alle nachweisen können, daß von beiden Theilen durch die That anerkannt worden, diese Verpflichtung werde jetzt nur noch als eine Förmlichkeit

7f Vgl. z.B. Ein Landpfarrer aus der Provinz Sachsen: Das theologische Catheder und die Kirche, oder der Rationalismus und die Agende, in: EK2 1830, Sp.348 9-13 Vgl. von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 7f (unten 488,12-16) 14-17 Vgl. von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 31/(unten 499,32-500,9)

An von Cölln und Schulz

409

gefordert und geleistet, weil man nicht nothwendig erachtet, sie ausdrücklich aufzuheben? Kann sich wol un-|ter solchen Umständen ein 17 Lehrer gedrungen fühlen, als ob er sich schuldig wüßte, sein Amt niederzulegen, damit er nicht abgesetzt werde? Hat er nicht dasselbe Recht und also auch dieselbe Pflicht, wie der, welcher gar nicht verpflichtet worden, zu sagen: Ich will mein Amt nicht niederlegen, und auch eine Verpflichtung nicht jetzt übernehmen, unter der ich mein Amt gar nicht überkommen habe? In diesem Fall also, wie in jenem, würde eine solche Regierung sich entschließen müssen, die Lehrer abzusetzen. Sollte sich hierzu irgend ein evangelischer Landesherr - von dem unsrigen rede ich gar nicht, weil es unmöglich ist, das zu denken so leicht verstehen? Wird nicht eben dieses, daß er sich dazu entschließen müßte, ohne vorher übersehen zu können, an wie vielen dieser 682 harte Entschluß müßte vollstreckt werden, jeden Landesherrn, der nicht die Angelegenheiten der Kirche aus einem ganz fremden Gesichtspunkte behandelt, von einem solchen Schritt abhalten? Doch eben weil dieses möglich ist, wollen wir annehmen, ein Landesherr hätte die Ueberzeugung gewonnen, daß ein gewisser Grad von Einheit der Lehre und eine gewisse Beschaffenheit der Lehre ausschließend heilsam sey für die Anhänglichkeit an das Bestehende und für die Erhaltung der Treue und des Gehorsams, und die symbolische Lehre sey gerade eine solche, und die Verpflichtung auf die Symbole könne allein die Gewähr leisten für eine solche Einheit der Lehre. Gesetzt also, er entschlösse sich, eine solche Verpflichtung einzuführen, und faßte auch den Muth, was sich nicht fügen wollte, abzusetzen gemäß seiner Gewalt: ich dächte doch, wir müßten ihm für seinen eignen Zweck rathen, daß er uns akademische Lehrer von dieser Verpflichtung ausnähme; ja daß er unsere Facultäten ganz ließe wie sie sind. Wenn er sein Land nicht verschließen will, daß keiner hinaus kann: was würde ihm das Abse-|tzen helfen? Die Abgesetzten würden als Märtyrer er- 18 scheinen; und gesetzt auch, keiner triebe das Vertrauen auf akademische Rechte und Freiheiten so weit, eben da, wo er abgesetzt worden, als Privatdocent wieder aufzutreten: so würde es anderswo geschehen. Und da nichts mehr Beifall und Bewunderung erregt, als das Märtyrthum: so würde sich die Jugend beeifern, die Härte des Landesherrn nach Vermögen gut zu machen. Ja noch mehr, würde je eine Facultät sich bewegen lassen freiwillig bei ihren Prüfungen zu akademischen Würden auf strenge Uebereinstimmung mit den symbolischen Büchern

20 f Vgl. Allgemeines Landrecht fiir die Preußischen Staaten, Zweyter Theil, Eilfier Titel, Erster Abschnitt, §13, Neue Ausgabe, Berlin 1821, Bd4, S.34; ed. Hattenhauer, Frankfurt (Main)/Berlin 1970, S. 543

410

5

10

15

20

25

30

An von Cölln und Schulz

zu sehen? Nein, verehrte Freunde, ich dächte wir sagten es lieber grade heraus, daß wir die Verfasser unserer kirchlichen Bekenntnisse nur f ü r unseres gleichen achten. Sie waren Theologen wie wir; und wir haben denselben Beruf Reformatoren zu seyn wie sie, wenn und so weit es nöthig ist und wenn und so weit wir uns geltend machen. U n d so stellen wir auch ihre Werke den unsrigen gleich. Wir geben unsern Nach- 683 kommen unsere Werke hin, damit sie sie frei gebrauchen und frei beurtheilen, und so wollen wir es auch mit den Werken unserer Vorfahren machen. Sind sie exegetisch; wir erkennen keine authentische Interpretation an, sondern legen die Schrift aus nach unsern eignen mit Gottes Hülfe auch von dem göttlichen Geist, der ja seitdem nicht ausgestorben ist, geleiteten, auch fleißigen und mühsamen und durch einen größeren Reichthum von Hülfsmitteln unterstützten Untersuchungen. Sind sie dogmatisch; wir erkennen keine abgeschlossenen feststehenden Formein, weil derselbe Buchstabe nach einer Reihe von Generationen nicht mehr dasselbe bedeutet, weil es ein todtes W e r k wäre, den christlichen Glauben darstellen zu wollen ohne allen Zusammenhang mit dem, was darüber drinnen und draußen gedacht wird, wie denn unsere symbolischen Bestimmungen selbst auch nur aus solchen Berücksichtigungen entstanden sind. Oder sollte ein solcher | Aufsatz f ü r uns und auf un- 19 serm Gebiet einen ganz andern Charakter bekommen durch die Unterschrift der Fürsten, oder durch die Annahme des Kaisers? Diese T h o r heiten sind wol längst hinreichend widerlegt, und es ist auch bei der jetzigen Veranlassung von so vielen Seiten geschehen, daß ich nichts hierüber hinzufüge. Freiwillig also wird nie eine Corporation evangelischer Theologen eine solche Maaßregel annehmen. Wir können nicht abhängen von einem symbolischen Buch, vielmehr umgekehrt, es gilt fort, weil und sofern wir es aufs neue bestätigen durch unsere Lehre und die Jugend von demselben überzeugen. Aber damit diejenigen, denen wir die akademischen Rechte verleihen, dies auch thun können, muß jedermann wissen, daß sie frei sind nach ihrer Ueberzeugung zu lehren; denn nur die frei gebildete Ueberzeugung kann wieder Ueberzeugung hervorbringen. Wenn uns also die Rechte unserer Facultäten nicht genommen werden, werden wir fortfahren die akademischen

14 f Formeln] Kj (auch Gerdes) Formeln an 27 gilt] gift

18 wird] mird

26 nicht] nich

20-22 Vgl. z.B. [Emst Wilhelm Sartorius:] Die Augsburgische Confession 1530 und 1830, in: EKZ 1830, Nr. 48, Sp.377 - Nr. 49, Sp.387, bes. 377-380 22-25 Vgl. z.B. Karl Gottlieb Bretschneider: Sendschreiben an einen Staatsmann über die Frage: ob die evangelischen Regierungen gegen den Rationalismus einzuschreiten habenζ Leipzig 1830, S. 39-48; Ulimann: Theologisches Bedenken 25f

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

35

411

Würden zu ertheilen nach unserer Ueberzeugung, aber freilich nicht nur von der theologischen Gelehrsamkeit, sondern auch von der evangelischen Gesinnung und dem kirchlichen Eifer der Aspiranten, ohne jedoch diesen nach einem Buchstaben zu messen. U n d so werden diese 684 Würden und die daran hängenden Rechte immer wieder auch an rationalistische Männer kommen. Könnte es nun in dem Interesse eines Landesherrn liegen, der Einheit und symbolische Beschaffenheit der Lehre zu erzielen wünschte, uns hierin zu stören, und uns zu nöthigen, daß wir unsere Promovenden auf die symbolischen Bücher verpflichten müßten? O f f e n b a r doch gar nicht. Denn sie würden dann keinen Glauben finden mit ihrer Lehre, weil sie eine bestellte wäre; und entweder würden sie doch Mittel finden, mit der Ableistung dieser Pflicht den Vortrag ihrer eignen abweichenden Meinung zu verbinden, oder die Jugend würde nur desto begieriger der rationalistischen Geistesnahrung nachgehn, weil sie ihnen unzugänglich ge-|macht werden soll. D a h e r 20 finde ich immer, wie ich es auch überlege, daß evangelische Regierungen, mögen sie noch so viel Werth legen auf Einstimmigkeit in der Lehre, und mögen sie ihre Pflicht, für das Wohl der Kirche auch in dieser Hinsicht zu sorgen, noch so hoch anschlagen, doch in Bezug auf die akademischen Lehrer nichts anders thun können, als alles lassen wie es ist. Sie müßten denn unser ganzes Universitätswesen umwerfen und anders organisiren, was ich unter den gegenwärtigen Umständen doch mehr fürchten würde als wünschen. Nimmt in Zeiten entgegengesetzter Ansichten, wie jetzt, die Regierung ein Interesse an der einen Seite; nun so hat sie an der Auswahl derer, welche sie als öffentliche Lehrer besonders bevorrechtet und besoldet, ein zureichendes Mittel, ihrer Seite, wenn diese vielleicht zurückgedrängt war, wieder zum Gleichgewicht zu verhelfen, und ein ganz untadeliches, denn welcher andern Regel soll sie denn folgen bei ihren Berufungen als ihrer Ueberzeugung? Wir haben an Halle das schönste Beispiel, wie diese Angelegenheit muß behandelt werden. Man muß gestehen, die rationalistische Seite war eine Zeitlang im Uebergewicht, das hat aber nicht gehindert, daß nicht auch antirationalistische junge Männer promovirt und als Privatdocenten anerkannt worden wären. N u n hat die Regierung noch einen eben so gesinnten, gelehrten und geistreichen Lehrer neben jene gestellt, und da- 685

33f 1829 wurde z.B. Heinrich Emst Ferdinand Guericke (1803-1878) zum außerordentlichen Professor der Theologie in Halle ernannt. 34 f Friedrich August Gottreu Tholuck (1799-1877) wurde 1825 gegen den Willen der Fakultät als ordentlicher Professor der Theologie nach Halle versetzt. Zuvor hatte die Kolportage einer Rede, die er in London gehalten hatte (Allgemeine Kirchenzeitung, Darmstadt 1825, Nr. 138, Sp. 1129-1132), und in der er gerade die in Halle herrschende Theologie scharf verurteilt hatte, empörte Proteste hervorgerufen.

412

An von Cölln und Schulz

mit hat sie ihrer Pflicht und ihrem Interesse an dem W o h l der Kirche vollständig genügt. Wer wie dieser Gelehrte beim Katheder hergekommen ist, wird auch bei den glänzendsten Talenten nicht Anspruch darauf machen, diejenigen in wenigen Jahren zu überholen, welchen neben ihren Lehrgaben noch eine lange Ueberlieferung zu statten kommt, sondern er begnügt sich mit der Hoffnung bei Anstrengung und Ausdauer ihnen allmählig gleich zu kommen. Seine minder sachkundigen Freunde mögen in wohlmeinendem Eifer von augenblicklichen Siegen geträumt haben, und | wenn sie sich getäuscht sehen, mag es ihnen leid thun um jede Jünglingsseele, die auch nun noch dem Strome folgen will, wie er bisher geflossen ist, ohne abzulenken in das neu eröffnete Bette. Das ist natürlich! Aber wenn sie nun darauf dringen, daß die Lehrer der andern Seite entfernt werden müßten: so wird ihr Freund, wenn er weise ist, nicht aus Ungeduld seine Hand ausstrecken nach so verbotener Frucht, sondern er wird ihnen beruhigend seine Gesinnung schildern, wie das 467ste Lied aus unserm neuen Gesangbuch sie ausspricht. Und diese Gesinnung geziemt doch offenbar ganz vorzüglich einer theologischen Denkart, die ihren engen Zusammenhang mit einer wahrhaft frommen Gesinnung so laut behauptet. Und eben so wird die Regierung, auch wenn sie dieselben Wünsche hegt, solchem Andrängen eines stürmischen Eifers nicht nachgeben, weil sie wol weiß, daß sie dadurch der Seite, welche sie selbst begünstigen will, nur Niederlagen zuziehn würde, theils von Seiten anderer und anders denkender Regierungen, theils, und dies noch sicherer, von Seiten der öffentlichen Meinung, welche sich schonungslos von denen abwendet, die da unterdrükken und auf ungehörigem Wege eine Alleinherrschaft in der Kirche erringen wollen, eben dadurch aber einen großen Mangel an Vertrauen zu der Kraft ihrer eigenen Sache verrathen.

16 Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch fur evangelische Gemeinen. Mit Genehmigung Eines hohen Ministerii der geistlichen Angelegenheiten, Berlin 1829, Lied Nr. 467: „Geh hin nach Gottes Willen in Demuth und Vertraun, lem das Gebot erfiillen, sein großes Feld zu baun! Frag nach der Emdte nicht! Du darfst den Lohn nicht messen, mußt Freud' und Lust vergessen, nur sehn auf deine Pflicht. 2. Willst du nur seyn geborgen, und vor der Welt geehrt, so kannst du nicht besorgen, was deinem Herrn gehört. Sieht Jemand auf Gewinn, und trachtet hier auf Erden nur glücklicher zu werden, der hat den Lohn dahin. 3. Doch hast du deine Gaben dem Dienst des Herrn geweiht, so wirst du Augen haben, zu sehn, was er gebeut. Das thue still und gem! Du darfst nicht zaudernd wählen, nicht rechnen und nicht zählen; er ruft, du folgst dem Herrn. 4. Nur frisch an allen Enden die Arbeit angefaßt! Mit unverdroßnen Händen sey wirksam ohne Rast! Das ist der rechte Muth. Streu aus den edlen Samen, arbeit' in Gottes Namen, so keimt und wächst es gut. 5. So wird von Stund zu Stunde das Feld des Herrn gedeihn, und bald auf seinem Grunde kein Unkraut sichtbar seyn. Schlag Alles aus dem Sinn, was sonst dich hielt gefangen, dein Wünschen und Verlangen, und gieb dich gänzlich hin." (S. 2i7)

An von Cölln und Schulz

413

U n d nun, nachdem ich unsern akademischen Wirkungskreis habe zu wahren gesucht, damit die Art, wie wir unsern Beruf üben, nicht gänzlicher Unsicherheit preis gegeben werde, nun lassen Sie uns sehen, wenn eine Regierung das akademische Heiligthum nicht antastete, sie ließe sich aber bewegen, den Geistlichen die Verpflichtung auf symbolische Bücher aufzulegen, wie sich die Sache stellen würde. Also freiwillig, haben wir schon gesagt, würden auch diese nicht niederlegen; und die nicht unterschreiben wollten, sollten abgesetzt werden. A b e r was würden ihre | Gemeinen machen? Ich weiß zwar, daß diese nicht immer sehr reizbar sind auf den Punkt eines Wechsels; aber doch, wie sie manchmal mehr thun, als zu loben ist, um einen P f a r r e r zu bekommen, den sie gewöhnlich noch nicht sonderlich kennen, so finden sich auch bisweilen solche, die sich anstrengen, um in Verbindung mit einem Geistlichen zu bleiben, den sie seit vielen J a h r e n kennen und lieben; und viele rationalistische Geistliche sind sehr beliebt bei ihren Gemeinen. Besonders aber ist zu erwarten, daß die Anhänglichkeit sich regen wird, wenn der Geistliche nicht versetzt werden soll, um sich zu verbessern, sondern abgesetzt, und zwar abgesetzt um der Lehre willen, durch welche sie sich erbaut finden, die er vielleicht schon ihnen selbst in ihrer J u g e n d eingeflößt hat, und in der er nun ihre K i n d e r unterweiset, zumal sie alle Ursache haben, von einem andern Geistlichen, der das Bekenntniß unterschrieben hat, auch eine andere Weise im V o r t r a g der Lehre, in der Verwaltung der Sakramente und im Unterricht der J u g e n d zu erwarten. Wenn sie nun erklären, sie wollten zu ihren Pfarrern halten, welche die Unterschrift verweigern: sollten solche Gemeinen nicht auch ihren Anspruch haben auf Gewissensfreiheit außerhalb der Kirche? G e wiß müßte eine Regierung, welche jene Veranstaltung träfe, auch dieses eher begünstigen. Denn was würde die Ausscheidung der Geistlichen nützen, wenn die rationalistischen Gemeinen blieben und so der R a t i o nalismus immer wieder der J u g e n d eingepflanzt würde? Wenn nun aber die Gemeinen ausscheiden, so nehmen sie doch w o l ihr Kirchengut mit! Ich weiß zwar, daß auch dies in der T h e o r i e eine streitige Frage ist; aber in der Praxis könnte es sich doch unmöglich anders stellen. D a s Kirchengut solcher ausscheidenden Gemeinen oder auch nur Gemeindestheile zum Vortheil des unterschreibenden Theiles einzuziehen, wohl gar sie diesem Stolgebühren- und Zehentpflichtig zu halten, und sie zu nöthigen ihren neuen Geistlichen anderweitig | zu versorgen, diese Härte dürfte sich schwerlich mit dem wohlverstandnen Interesse irgend eines Staates vertragen. Auf diese Art also käme denn eine Spaltung wirklich in den G a n g . Aber welche v o n beiden Gemeinschaften wäre nun eigentlich die alte, und welche die neue? Aeußerlich angesehen, wenn der Befehl zur Unterschrift von der kirchlichen Behörde ausgegangen ist, erscheinen die Unterschreibenden als die alte; denn

686

22

687

23

414

5

10

15

20

25

30

35

An von Cölln und Schulz

diese bleiben im Zusammenhang mit ihrem bisherigen Kirchenregiment. Innerlich aber angesehen, wären die Nichtunterschreibenden die alte, denn sie bleiben der bisherigen Praxis treu; jene aber bekennen sich zu einer Neuerung. Indeß der Landesherr und die Behörden würden in unserem Falle offenbar die erste Ansicht fassen, und also den Ausscheidenden sagen: Es ist nicht genug, daß ihr diese Unterschrift verweigert; sondern indem ihr nun eine neue Gemeinschaft bilden wollt, setzt ihr euch selbst in die Nothwendigkeit dessen, was ihr zu vermeiden sucht. Denn ihr müßt nun ein neues Bekenntniß aufsetzen, damit man die Grundsätze eurer Gemeinschaft kenne. Dieses in einem solchen Falle höchst sonderbare Ergebniß ist in unserer Gesetzgebung begründet. Frage ich mich nun, wie dieses ausfallen würde, wenn alle solche Gemeinen sich nicht vorher mit einander berathen können: so will mir doch gar nicht bange werden, daß wir ausschweifende, derb naturalistische, gegen die öffentliche Lehre der Kirche polemisch gerichtete Bekenntnisse sollten ans Licht treten sehen. Keine bedeutende Wirksamkeit auf dem Katheder, keine bedeutende Erscheinung in unserer Litteratur deutet hierauf; und wenn ja sich so etwas zeigte, könnte es nur von einem in irgend einen Winkel hin verschlagenen Jünger des Ultrarationalismus - damit ich doch auch einmal ein Wort mache - herkommen. Vielmehr ist zu erwarten, daß diejenigen, welche Bedenken tragen, das augsburgische Bekenntniß zu unterschreiben, gar nicht sonderlich geneigt seyn werden, sich an ein ande-|res zu binden, noch weni- 24; 688 ger aber individuelle Ansichten darin aufzunehmen. Denn das ist es grade, wodurch eine Sekte entsteht und sektirischer Sinn ist nicht auf dieser Seite. Dagegen thut man doch immer so wenig als möglich darin, was man wider Willen thun muß; und darum würden wir nur kurze, im allgemeinen gehaltene, leicht gegen einander auszugleichende Formeln erhalten, und es würde ohne die entschiedenste zweckloseste Härte nicht zu hindern seyn, daß über kurz oder lang die Bekenner so verwandter Formeln sich zu Einer Kirchengemeinschaft gestalteten. Ja, ich möchte noch mehr sagen. Verführe man nur bei Entwerfung dieser Formeln so wenig als möglich ausschließend, so daß hauptsächlich nur die Verpflichtung auf einen menschlichen Buchstaben bestimmt ausgeschlossen würde: so würden gar viele gar nicht rationalistische Lehrer, und wenn sie Einfluß genug hätten, mit ihren Gemeinen sich lieber zu dieser neuen Gemeinschaft schlagen, als auf jener Seite bleiben, welche grade nichts so deutlich ankündigt, als daß sie die Herrschaft eines menschlichen Buchstaben begründen will. Mit dem höchsten Erstaunen

11 f Vgl. Allgemeines ster Abschnitt, §§32/

Landrecht fur die Preußischen Staaten, Zweyter Neue Ausgabe, 1821, Bd4,36; ed. Hattenhauer

Theil, Eilfter Titel, Er544

An von Cölln und Schulz

415

habe ich neulich in einem Aufsatz eines akademischen Theologen gelesen, es sey der Grundcharakter des Protestantismus, sich auf unwandelbare schriftliche Grundlagen zu basiren, und besonders den Klerus unter das Gesetz einer unverbrüchlichen Verfassungsurkunde zu stellen. Wurde mir doch zu Muthe, als wäre ich plötzlich von Finsterniß umfangen, und müßte nach der Thüre tappen, um wieder ans freie Licht zu kommen. Und so werden gewiß viele empfinden, die eben so wenig rationalistisch sind als ich. Ich wenigstens, wenn statt des edlen Grundsatzes der Freiheit, daß keine Versammlung das Recht hat Glaubensartikel zu stellen, jener geltend gemacht werden sollte, will lieber mit allen Rationalisten, die nur ein Bekenntniß zu Christo zulassen und aus Ueberzeugung fortfahren sich Christen zu nennen, auch mit denen, gegen deren Lehrweise ich mich | am bestimmtesten erklärt habe, in einer 25 Kirchengemeinschaft seyn, welche freie Forschung und friedlichen Streit zuläßt, als mit jenen in einer Verschanzung zusammengesperrt, 689 welche der starre Buchstabe bildet. Geschähe nun dieses nur halb so häufig, als ich mir es denke: was für eine große Gemeinschaft würde sich dann bilden außerhalb unserer bisherigen Kirche! Indeß man braucht dieß auch gar nicht mit zu veranschlagen, und kann doch nicht im Zweifel seyn über den Ausfall der Theilung. Aber dieß ist es eben, worüber die trefflichen Männer, die auf diese Theilung hinarbeiten, nicht recht im Klaren zu seyn scheinen. Bald reden sie vom Rationalismus als von einem schon in sich selbst vertrockneten, leicht auszuschneidenden Schaden, anderwärts aber kommen Aeußerungen vor, die auf ein ganz anderes Ergebniß führen. Ich will mich nur an eine Angabe halten, die, von jener Seite aufgestellt, Ihnen gewiß noch erinnerlich ist. Es wird nämlich gesagt, der sehr große Unterschied in der Frequenz der Tholuckschen und der Wegscheiderschen Vorlesungen sey vornehmlich in der rationalistischen Gesinnung der Väter zu suchen, die ihren Söhnen die Anweisung ertheilten, an welchen öffentlichen Lehrer sie sich vorzüglich halten sollten. Diese Väter sind also sämmtlich eifrige Rationalisten; aber sollten grade alle eifrigen Rationalisten ihre Söhne zum Studium der Theologie aufmuntern? Das Gegentheil

1—4 [Sartorius.] Die Augsburgische Confession 1530 und 1830, EKZ 1830, 385; Sartorius war derzeit o. Prof. der Theologie in Dorpat. 8 - 1 0 Vgl. ζ. B. Art. Smalc. 11,2, Concordia (1732) 308; BSLK 421 12f Vgl. z.B. die Polemik gegen rationalistische Christologie in CG' §114 (KGA 1/7.2,19ff) 22-24 Vgl. z.B. [E.W. Hengstenberg:] Vorrede, in: EKZ 1830, Nr. 1, Sp. 1 - Nr. 2, Sp. 16, bes. 2f 24f Vgl. ζ. B. [Emst Ludwig von Gerlach:] Der Rationalismus auf der Universität Halle, in: EKZ 1830, Nr. 5, Sp. 40 - Nr. 6, Sp. 47 27-32 Vgl. Literarische Anzeige: Bericht über die Umtriebe der Frömmler in Halle, oder: Welch' Zeit ist es im Preußischen Staate? Von Freimund Lichtfreund Altenburg 1830, in: EKZ 1830, Nr. 38, Sp. 302-304, bes. 304; Verfasser der Rezension war E. W. Hengstenberg (vgl. Kriege: Geschichte der Evangelischen Kirchen-Zeitung, Bd2, 15).

416

5

10

15

20

25

An von Cölln und Schulz

ist wol eher wahrscheinlich! Wie viel mehr also gibt es in eben den Gegenden, woher die akademischen Jünglinge in so häufigem Wechsel zuströmen, eifrige Rationalisten! und auf jeden eifrigen wie viel minder eifrige, die aber doch eifrig werden, sobald es eine Anfechtung gilt. Unter denen aber, die ihre Söhne mit so bestimmten Anweisungen Theologie studiren lassen, sind gewiß ein gut Theil selbst Pfarrer oder Schullehrer, die also in eben diesem Geist auf ihre Gemeinen und auf die anvertraute Jugend wirken. Ja wie viel Geistliche sind schon seit einer großen Reihe | von Jahren im Amt, die ihre Studien ganz in jenem Geist 26 gemacht haben und ihm auch treu geblieben sind. Wie vervielfältigen sich also die Rationalisten, wie man sich nur umsieht, nach allen Seiten hin! In manchem kleineren Staat, will mich bedünken, würden in solchem Falle die Nichtunterschreibenden die ganze Landesgemeine seyn; 690 in größeren würde dasselbe wenigstens von ganzen Provinzen gelten. Und welches sonderbare Ansehen gewänne dann die Sache, wenn die Aufforderung zum Unterschreiben von den kirchlichen Behörden ausgeht, und diese fänden sich dann überhaupt oder wenigstens Provinzenweise in einer auffallenden Minorität. In welche Verlegenheit geriethe dann die Regierung wegen des Kirchenregimentes! Ich will Ihnen nicht damit beschwerlich fallen, diese auseinander zu setzen und die großen Inconvenienzen bemerklich zu machen, die sich bei jedem Auswege finden müßten. Es bliebe, daß ich es heraus sage, nur der einzige übrig, daß die Regierung unter solchen Umständen die eigentliche Kirchenleitung ganz aufgäbe und sich nur mit der allgemeinen Staatsaufsieht begnügte. Eben deshalb aber bin ich auch überzeugt, daß sich keine evangelische Regierung in Deutschland zu einem solchen die bedenklichste Spaltung hervorrufenden Schritt wird hinreißen lassen.

Dafür aber kann ich freilich nicht einstehen, daß, wenn dieser Versuch immer und überall mißlingt, alsdann nicht einige besonders hitzige 30 Gemüther von jener ausschließenden Denkart in ihrem ungeduldigen Bestreben, sich von der Gemeinschaft mit Fremdartigem zu befreien, lieber selbst sollten die Initiative ergreifen, um sich ihrerseits von der großen Kirche ausscheidend zu einer besonderen Gemeinschaft zu constituiren. Es gibt wol hie und da unter ihnen noch so strenge Luthera35 ner, welche die Union zum Vorwand nehmen und sich auf die ungeänderte augsburgische Confession und auf die reine wittenberger Agende könnten basiren wollen. Ja, Manches, was hier Orts vor Kur-|zem vor- 27 gekommen ist, kann auf die Vermuthung bringen, daß bald jeder fast 34-37

Schleiermacher spielt auf die Separation der Altlutheraner in Schlesien an, die am 19. Juni 1830 durch die zeitweilige Suspension Johann Gottfried Scheibeis ausgelöst wurde. 3 7 - 2 Zu Gerüchten um eine bevorstehende Separation in Berlin vgl. Schleiermachers Brief an Gaß vom 23. Juli 1830 (Briefwechsel mit Gaß 225-227, bes. 225)

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

35

40

417

geringfügige Anlaß dürfte benutzt werden, um einen Anfang zu machen mit einer solchen abgeschlossenen Gemeine von Gleichgesinnten. Und daß der erste Anfang auch Nachfolge finden würde, bezweifle ich gar nicht. Es gibt fast in allen Hauptstädten unserer Monarchie christliche Vereine dieser Art, die nur noch mit Widerstreben das Band der Gemeinschaft mit unserer Kirche in deren gegenwärtigem Zustande 691 festhalten; und eben so ist in vielen Gegenden auf dem Lande eine Frömmigkeit erwacht, welche leider in dem öffentlichen kirchlichen Leben ihre Befriedigung nicht findet. Was also natürlicher, als daß auch diese am besten gefördert zu werden glauben würde durch gänzliche Trennung von jenem, und desto genauere und umfassendere Verbindung mit denen, die ihre Denkart theilen. Sehen wir aber etwas weiter hinaus, so muß ich doch glauben, daß diese Gemeinschaft, und wenn sie auch sehr bald alle jene Kreise umfaßte, doch nicht lange Zeit ungetheilt Eine bleiben würde. Denn die Christen von dieser Gesinnung können, wenn sie sich einmal auf Untersuchungen über die Lehre werfen, anstatt mehr nach einem reiferen und ungestörten christlichen Leben und einer innigeren Mittheilung christlicher Erfahrung zu streben, nicht gar viel Verschiedenheit ertragen, mithin kann auch eine auf Einstimmigkeit in der Lehre beruhende Vereinigung unter ihnen nicht lange bestehen, weil sich Verschiedenheiten auf diesem Gebiet doch immer entwickeln. Ueber welches Bekenntniß sie sich auch ursprünglich vereiniget hätten, nicht lange, so wird zu demselben hier ein Separatanhang und dort ein anderer entstehen, und keine Versammlung wird mit der in Gemeinschaft bleiben wollen, die nicht diesen eben so werth hält, als das ursprüngliche. Wie die Rationalisten im gleichen Fall immer genauer zusammenwachsen würden: so würde sich unter diesen die Zerspaltung immer weiter fortsetzen, wie es an den Me-|thodisten, Bapti- 28 sten und allen ähnlichen Gemeinschaften die Erfahrung lehrt. Wie wollten nun diese kleinen Verbindungen, denen gegenüber die allgemeine Landeskirche keinesweges ganz rationalistisch ist, ihnen aber doch so scheint, indem sie sich alle von dieser, dann aber auch jede von der andern immer strenger entfernen, zu akademisch gebildeten Lehrern kommen? Natürlich werden sie das aufgeben müssen, da sie ja die ganze Spaltung gemacht haben, um sich fremde Lehre fern halten zu können; ihre jüngeren Geistlichen werden durch Privatunterricht der älteren oder auf kleinlich eingerichteten Seminarien gebildet werden. Sie werden sich bald in einem Zustand theologischer Unbildung befin- 692 den, wie er bis jetzt bei unsern deutschen Gemeinen in Amerika war, wie er auch bei den dissentirenden Gemeinen Englands großentheils seyn würde, wenn nicht da auch die allgemeine Bildung ganz anders organisirt wäre. Nun bei diesem Mangel kann freilich das wahre praktische Christenthum vortrefflich bestehen, denn das Wehen des Geistes

418

An von Cölln und Schulz

hängt nicht davon ab, wie wir Alle wissen. Aber sie werden auch nicht ihre eigenen Gymnasien haben, und werden eben so die öffentlichen scheuen und mit Recht, wenn ihre Jugend da nicht andere religiöse Vorstellungen einsaugen soll; sie werden also auch in der allgemeinen 5 Bildung zurückbleiben, mithin weniger wirksame und belebende Staatsbürger seyn. Ich glaube nun fest, daß alle diese Folgen und die ihnen vorangehenden Verwirrungen scheuend alle evangelischen Regierungen, die unserer deutschen Kirche vorstehen, auch nach dieser Seite hin äußerst vorsichtig seyn, und nicht übereilte Tendenzen auf Errichtung 10 besonderer Gemeinschaften rasch begünstigen, sondern ihre kirchlichen Organe gebrauchen werden, um diejenigen, die sich so aussondern wollen, erst zu einem vollkommen klaren Bewußtseyn darüber zu bringen, wie ihr Gebäude gestaltet seyn soll, und was f ü r Mittel ihnen zu Gebote stehen, um es so a u f z u f ü h r e n und zu erhalten, daß es ihren 15 Zwecken | entspricht und zugleich auch ihren Pflichten gegen das Ge- 29 meinwesen genügt.

20

25

30

35

40

Doch freilich sehr viele von denen, welche die Verpflichtung auf ein Bekenntniß betreiben, sehen wol nicht, daß daraus eine Spaltung entstehen müßte, und begehren keine solche; sie meinen es nur gut mit unsern evangelischen Gemeinen, und möchten ihnen eine Schutzwehr verschaffen gegen ihre Geistlichen, daß diese ihnen nicht predigen könnten, was sie wollen. Auch Sie haben schon aufmerksam gemacht darauf, daß diese Schutzwehr gar nicht hinreichend ist, und schon deshalb, wenn man sich auf sie verläßt, nachtheilig werden muß. Kann nicht einer, ohne im mindesten seine Verpflichtung zu brechen, das ganze Jahr hindurch mit ökonomischen und moralischen Plattitüden auf der einen Seite, und mit sentimentalen Naturpredigten auf der an- 693 dern abwechseln? Wird die Verpflichtung hindern, daß Geistliche ihre Woche mit Ackerbau, Jagd und Spiel hinbringen, und dann Sonntags eine veraltete Predigt ablesen. Das sind freilich Dinge, über die mit allem, was man sich von selbst dazu denkt, jedem wahren Christen das H e r z blutet; ich wünsche, daß Ihr schönes Land, mein liebes Vaterland, ganz davon frei seyn möge! aber in unsern und andern Gegenden kommen sie leider häufig genug vor. Was hilft es nun, den Geistlichen an den vortrefflichsten Buchstaben binden, wenn ihm der Geist fehlt? Ich glaube allerdings, daß die meisten solcher Sünder jetzt aus gewissen rationalistischen Schulen herkommen, wo fast nichts getrieben wird, als Polemik gegen diejenigen symbolischen Vorstellungen, die man f ü r irrig und nachtheilig hält. Aber so wird der Keim des christlichen Glaubens auch in der Gestalt, die jene Lehrer selbst anerkennen, nicht ent-

22-24

Vgl. von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit 31 f (unten

500,1-9)

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

419

wickelt, die Jugend lernt ihr eigenes Inneres nicht verstehen, sie wird nicht fähig einen einzigen religiösen Gedanken, ich bediene mich absichtlich eines so weitschichtigen Ausdrucks, aufzufassen, | geschweige 30 selbst zu entwickeln und zu gestalten. Aber das liegt nicht an der Denkungsart selbst, sondern theils an jener falschen Methode, theils an Mängeln der Persönlichkeit. Friedrich Heinrich Jacobi war gewiß ein Rationalist, aber hätte er nur können ein Professor der Theologie seyn, diese Kunst hätte er gewiß verstanden, und so trockne Seelen hätte er nicht gezogen, die auf das niedrigste verfallen, weil sie sich in einem Amt, wie das geistliche ist, langweilen, indem sie nur niederreißen gelernt haben, auch in sich selbst, und nicht aufbauen. Ich sage absichtlich, jetzt kommen Solche aus den rationalistischen Schulen; sie können eben so gut aus ganz rechtgläubigen kommen, die wir ja eben so geistlos im todten Buchstaben versenkt gekannt. N u r jetzt grade giebt es nicht leicht solche; würden aber die akademischen Lehrer ernsthaft auf die Confession verpflichtet, so würden wir sie bald haben und um gar nichts gebessert seyn. So sehr ich aber über das Uebel seufze, so deutlich ich es einsehe, daß dieser Schutz dagegen keiner wäre, so kann ich 694 doch den Satz, daß unsere Gemeinen eines Schutzes gegen ihre Geistlichen bedürfen, nicht aufkommen lassen. Er stellt alle Verhältnisse so auf den Kopf, daß ich die Sache kaum anzufassen weiß; aber es liegt ein so schreiender Vorwurf darin, daß ich mir keinen härteren denken kann. Und wen trifft er zunächst? O f f e n b a r unsere kirchlichen Behörden. Darum hat es mich gewundert, meine verehrten Herren, da Sie beide doch auch einer solchen angehören, daß Sie die Gelegenheit nicht wahrgenommen haben, auch diese Seite der Sache herauszukehren, zumal eben dies in den Aufsätzen, auf welche Sie Sich beziehen, deutlich genug ausgesprochen war. Die Doctoren, die Mitglieder einer unirten Facultät, haben schön und wacker gesprochen gegen diese aufgeregten Symboliker; aber ich wollte, die Consistorialräthe hätten auch nicht geschwiegen. O d e r sollte es so stehen mit unsern Behörden, daß es den Gemeinen an Schutz fehlt, daß | wenn eine Gemeine sich beschwerte, so 31 wie sie wäre unterwiesen, und in das Verständniß der Schrift eingeleitet

24 f Von Cölln (seit 1821) und Schulz (seit 1819) waren nebenamtlich als Konsistorialräte tätig. 25-28 Auf die Behauptung Gerlachs in seinem Denunziationsartikel, rationalistisch gebildete Theologen seien zur Ausübung des Pfarramtes unfähig (EKZ 1830, Sp.45f), haben von Cölln und Schulz nicht geantwortet. 28f Wie 1806 die lutherische Theologische Fakultät in Halle durch die Ernennung des Reformierten Schleiermacher zum Ordinarius faktisch uniert wurde, so auch im selben Jahr ihre reformierte Schwesterfakultät in Frankfurt/Oder, die 1811 mit der Gesamtuniversität nach Breslau verlegt wurde, durch die Übernahme des Lutheraners Gotthelf Samuel Steinbart (1738-1809) als Ordinarius aus der Philosophischen Fakultät.

420

5

10

15

20

25

30

35

40

An von Cölln und Schulz

w o r d e n , k ö n n e sie sich n i c h t e r b a u e n a n d e m , w a s i h r d e r P r e d i g e r v o r t r ä g t , d e n m a n i h r g e g e b e n , sie k ö n n e v i e l m e h r n u r A n s t o ß n e h m e n a n s e i n e r L e h r w e i s e , u n d n u r m i t K u m m e r i h r e J u g e n d in s e i n e H ä n d e g e b e n , sie d a n n k u r z a b g e w i e s e n w ü r d e m i t d e m B e s c h e i d e , i h r s t e h e n i c h t z u helfen, d e r M a n n h a b e Freiheit zu lehren, w a s er wolle, d e n n er sey a u f k e i n B e k e n n t n i ß v e r p f l i c h t e t , u n d i h r b l e i b e n i c h t s ü b r i g , als sich in seine Lehre h i n e i n z u g e w ö h n e n ? Es steht ja zu h o f f e n , d a ß kein solcher Fall sich e r e i g n e t - u n d b e s o n d e r s in I h r e r P r o v i n z k a n n ich m i r es n i c h t d e n k e n - w o nicht die Billigkeit a n e r k a n n t u n d V e r m i t t l u n g o d e r A b h ü l f e g e s c h a f f t w ü r d e , s o g u t es e b e n g e h t ! O d e r s o l l e n w i r d a s u n bedingt a n n e h m e n , was o f t g e n u g gesagt wird, diese Mißverhältnisse k ä m e n n u r n i c h t z u r S p r a c h e , w e i l d i e G e m e i n e n n i c h t k l a g t e n , u n d sie k l a g t e n n u r n i c h t , w e i l sie d o c h w ü ß t e n , d a ß es n i c h t h i l f t ? W a s f ü r e i n s o n d e r b a r e r Z u s t a n d m ü ß t e das seyn, w e n n so d u r c h a u s die B e h ö r d e n u n d die G e i s t l i c h e n auf d e r einen Seite s t ä n d e n , u n d die G e m e i n e n auf d e r a n d e r n ! O f f e n b a r g a n z g e g e n d i e N a t u r . D e n n w o h e r k o m m e n d i e 695 G e i s t l i c h e n u n d d i e M i t g l i e d e r d e r B e h ö r d e n a n d e r s , als w i e d e r a u s d e n G e m e i n e n ? Diese k ä m e n also aus lauter, mit V e r g u n s t zu sagen, u n gläubigen G e m e i n e n , die aus U n g l a u b e n ihre S ö h n e z u Geistlichen erziehen lassen d u r c h rationalistische P r o f e s s o r e n ? die rechtgläubigen G e m e i n e n aber, die d o c h eigentlich des Schutzes b e d ü r f e n , hätten so w e n i g G e m e i n g e i s t , bei a l l e m V e r s t a n d , d e n sie a m E v a n g e l i u m h a b e n , d a ß sie i h r e b e i d i e s e m V e r s t a n d a u f g e w a c h s e n e n K i n d e r l i e b e r n i c h t z u G e i s t l i c h e n b e s t i m m e n , d a sie d o c h d e m V e r d e r b e n e n t g e g e n w i r k e n k ö n n t e n ? S o k a n n es a l s o n i c h t s e y n . A b e r f r e i l i c h b e i s o vielerlei S i n n in d e n G e m e i n e n u n d v i e l e r l e i W e i s e a u f d e n K a n z e l n u n d K a t h e d e r n , g i e b t es n a t ü r l i c h a u c h v i e l e r l e i M a x i - | m e n in d e n B e h ö r d e n , s o d a ß , 32 w e n n es n i c h t n u r n i c h t a n S c h u t z f e h l e n soll, s o n d e r n a u c h n i c h t a n d e r r e c h t e n V o r s o r g e , d i e d e n S c h u t z u n n ö t h i g m a c h t , viel W e i s h e i t n ö t h i g ist u n d e i n e F ü l l e d e s G e i s t e s , u m r i c h t i g z u v e r t h e i l e n . I c h meine nämlich, richtig w i r d vertheilt seyn, w e n n Geistliche u n d G e m e i n e n s o f ü r e i n a n d e r p a s s e n , w i e m a n sie z u s a m m e n f ü g t , u n d w e n n d u r c h die G e s a m m t v e r t h e i l u n g verhütet wird, d a ß die Einseitigkeiten sich nicht n o c h m e h r s p a n n e n u n d die V e r w i r r u n g n o c h h ö h e r steigt. D i e s e W e i s h e i t ist s c h w e r z u e r w e r b e n , u n d es ist k e i n W u n d e r , w e n n sie sich in d e r H a n d l u n g s w e i s e u n s e r e r B e h ö r d e n n i c h t i m m e r z e i g e n k a n n ; d e n n es f e h l t i h n e n d a z u g r ö ß t e n t h e i l s a n d e m n ö t h i g s t e n , n ä m l i c h d e r G e m e i n s c h a f t . G ä b e es Z u s a m m e n k ü n f t e , in d e n e n d i e V e r t r e ter d e r G e m e i n e n mit d e n Geistlichen vereint die kirchlichen Angeleg e n h e i t e n b e r i e t h e n ; d a n n g ä b e es e i n M i t t e l , d e n C h a r a k t e r d e r G e m e i n e n k e n n e n z u l e r n e n . L e b t e n d i e k ü n f t i g e n G e i s t l i c h e n in u n d m i t d e n G e m e i n e n , u n d l e i s t e t e n in d e n s e l b e n D i e n s t u n d A u s h ü l f e ; d a n n

An von Cölln und

Schulz

421

g ä b e es ein M i t t e l z u w i s s e n , w e s G e i s t e s K i n d u n d w i e z u b r a u c h e n jed e r ist. O b w i r a b e r e i n e V e r p f l i c h t u n g a u f s y m b o l i s c h e B ü c h e r h a b e n o d e r nicht, das wird hiezu i m m e r v o l l k o m m e n gleichgültig seyn. J a , u m a u c h d a s n i c h t z u ü b e r g e h e n , w a s d o c h g e w i ß g e s c h e h e n 696 5 w ü r d e , w e n n eine solche V e r p f l i c h t u n g e i n g e f ü h r t w e r d e n sollte, s o gew i ß , als w i r alle M e n s c h e n b l e i b e n , d a ß n ä m l i c h m a n c h e r G e i s t l i c h e , d e r d o c h keinesweges mit d e m Bekenntniß g a n z übereinstimmte, kein Bed e n k e n t r a g e n w ü r d e z u u n t e r s c h r e i b e n , u n d d o c h nichts w e i t e r in seiner Lehrweise zu ändern, so d a ß diese U n t e r s c h r i f t n u r wie ein leeres 10 B l a t t w ä r e i n s e i n e m L e b e n : w ü r d e n S i e S i c h s e h r b e r u f e n f ü h l e n , d e n ersten Stein z u w e r f e n auf einen solchen? Ich meines Theils w ü r d e mich sehr h ü t e n , z u m a l so allein wie j e d e r u n t e r u n s steht, d a ß e r d e n E i n f l u ß s e i n e r H a n d l u n g g a r n i c h t ü b e r s e h e n k a n n . | I c h s o l l t e e i n e n b e - 33 s c h e i d e n e n M a n n v e r d a m m e n , w e l c h e r z u sich selbst sagte: „ D i e H a n d 15 l u n g , d i e d u b e g e h s t , w e n n d u d e i n e U n t e r s c h r i f t v e r w e i g e r s t , s t e h t i n gar keinem Verhältniß zu dem Zweck der Verfügung. Jedermann weiß ja, u n d also a u c h u n s e r e k i r c h l i c h e n G e s e t z g e b e r , d a ß n i c h t z w e i M e n schen g e n a u d e n k e n einer wie d e r a n d e r e , u n d a u c h die, w e l c h e dieses B e k e n n t n i ß z u e r s t u n t e r s c h r i e b e n , h a b e n es theils n i c h t m i t d e m s e l b e n 20 G r a d e b e s t i m m t e r U e b e r z e u g u n g g e t h a n , t h e i l s n i c h t d a s s e l b e d a b e i g e d a c h t . Es k o m m t also i m m e r n u r auf ein m e h r o d e r w e n i g e r v o n U e b e r e i n s t i m m u n g an. W e n n ich n u n glaubte, m e i n e A b w e i c h u n g w ä r e so g r o ß u n d v o n d e r Art, d a ß diejenigen, die ich n a c h m e i n e r U e b e r z e u gung belehre und anrege, nicht zur Gemeinschaft der Kirche gehören 25 k ö n n t e n , d i e s i c h v o n d i e s e m B e k e n n t n i ß a u s d e r r ö m i s c h e n g e g e n ü b e r gebildet hat: d a n n wäre G r u n d genug, das A u f s e h n einer V e r w e i g e r u n g n i c h t z u s c h e u e n . D a s ist a b e r n i c h t d e r Fall, u n d w e i t e r , als m e i n e innige U e b e r z e u g u n g hievon, b e k e n n e ich ja nichts d u r c h m e i n e U n t e r s c h r i f t " . U n w a h r h e i t ist ein g r o ß e s W o r t , a b e r d o c h n u r ein a b s t r a k t e s , 30 u n d e s k a n n j e d e s m a l n u r d e r N a t u r d e r S a c h e n a c h a n g e w e n d e t w e r den. W e r n u n hierin auch n u r eine reservatio mentalis finden wollte, d e r m ü ß t e v e r l a n g e n , d a ß im Fall eines s o l c h e n G e b o t e s m i t j e d e m E i n zelnen V e r h a n d l u n g e n a u f g e n o m m e n w ü r d e n , die vielleicht nie zu E n d e k ä m e n , u n d w a s d a n n als g e m e i n s c h a f t l i c h s t e h e n b l i e b e , d a s 35 w ü r d e w e n i g g e n u g s e y n . U n d m ü ß t e u n s n i c h t A l l e n , w e n n e i n m a l i r g e n d w o e i n s o l c h e r M i ß g r i f f g e m a c h t w ü r d e , d i e s e r s t i l l e , n i c h t s s a - 697 gende, aber eben deshalb auch nichts v e r d e r b e n d e A u s g a n g d e r liebste s e y n , d a ß J e d e r , d e r n u r n i c h t in e i n e r o f f e n e n P o l e m i k g e g e n d e n G e i s t unseres Bekenntnisses stände, g a n z ruhig seine U n t e r s c h r i f t leistete? 40 L i e b e r a l s j e n e S p a l t u n g , u n d l i e b e r a l s d i e s e e i n z e l n e n C o m p r o m i s s e ;

J immer] imner

422

An von Cölln und Schulz

indem durch beides eine Menge von guten evangelischen Christen, die aber | kein geschichtliches Leben führen und um den Zustand der Kir- 34 che sich f ü r gewöhnlich nicht sonderlich kümmern, nur gar zu leicht irre gemacht werden können, wenn er ihnen auf einmal in dieser Ge5 stalt entgegentritt! Gewiß werden Sie um so mehr meiner Meinung seyn, als es Ihnen gewiß auch in Ihrer N ä h e nicht entgeht, mit welcher Aufmerksamkeit die römische Kirche diese Aufregungen innerhalb der unsrigen begleitet, und wie sie jede Unsicherheit und Unklarheit Einzelner unter unsern Glaubensgenossen zu benutzen, wie sie dann den 10 verborgenen Katholicismus zu entwickeln weiß, den jeder in sich trägt, der nicht zur Selbstständigkeit durchgedrungen ist.

15

20

25

30

35

Kann nun so gar nichts dabei herauskommen, was unsere Kirche fördern könnte, wenn wir wieder auf ein verpflichtendes Bekenntniß zurückgehn, so will ich nun auch das letzte nicht zurückhalten, was ich gegen Sie auf dem Herzen habe, meine verehrten Freunde. Sie führen aus, das augsburgische Bekenntniß sey nicht mehr zusammenstimmend mit den in unserer Kirche herrschenden Ueberzeugungen; ich möchte dasselbe behaupten, aber vielleicht in anderer Beziehung als Sie. Sie behaupten, die Ansichten gingen fast viel zu weit aus einander, um ein anderes Symbol an die Stelle von jenem zu setzen und darin wird Ihnen nicht leicht jemand widersprechen. Aber Sie weisen auf eine Z u k u n f t hin, die besser seyn werde, die Differenzen würden ausgeglichen seyn, die Zurückgebliebenen mit fortgerissen, der scholastische Wust ganz weggeräumt, die richtigeren Einsichten allgemein verbreitet, und dann werde auch ein neues Bekenntniß können aufgestellt werden. Aber wozu und was wäre davon Gutes zu erwarten? Warum nähren doch auch Sie dieses Vorurtheil, denn anders kann ich es nicht nennen, als ob 698 der gegenwärtige Zustand, in welchem wir kein allgemein anerkanntes Bekenntniß haben, deshalb ein unvollkommner wäre, also als ob uns ein Bekenntniß N o t h thäte? Auch beim Heraustreten aus der | römischen 35 Kirche wäre es an und f ü r sich betrachtet nicht einmal nöthig gewesen; es war nur die Verläumdung, das falsche Geträtsch, was doch durch die Bestrebungen, die sich zu Tage legten, nicht bestätigt wurde, und das Bedürfniß der großen Herren, wenn sie sich über etwas orientiren wollen, alles in einer möglichst kurzen Relation beisammen zu haben, wodurch das Bekenntniß hervorgerufen wurde. In Bezug auf den Kaiser und die Fürsten und auf Alle außer unserer Kirche freute man sich über die schöne nach den Umständen wohlgelungene Arbeit; aber daß damit

15-17 Von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 28-31.36f (unten 498,25-499,31.502,18-42) 25 Von Cölln/Schulz: Lehrfreiheit 37f (unten 503,10-22)

18-

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

35

40

423

etwas großes f ü r unsere Kirche selbst erreicht worden wäre, oder ein Verlangen gestillt, das sie lange gehegt hatte, das ist niemanden eingefallen. Am wenigsten, daß dadurch erst die Mitglieder der Kirche selbst in Erfahrung gebracht hätten, was sie eigentlich glaubten oder glauben sollten, denn dieses fanden sie in allen Schriften Luthers und der Seinigen, die ja auf das allgemeinste verbreitet waren, viel kräftiger und anregender und ihrem Standpunkt angemessener, wogegen die scholastisirenden Formeln und die geschichtlichen Beziehungen der Confession ihnen immer fremd bleiben mußten. W o z u soll uns also wol in irgend einer Z u k u n f t eine Bekenntnißschrift nützen? Eine solche scheint mir lediglich eine Sache jener Epoche zu seyn, und nur wenn eine Spaltung unter uns wirklich einträte, und eine weltliche Macht Kenntniß nehmen müßte von den Grundsätzen einer neu zu organisirenden Gemeinschaft, könnte wieder ein Bekenntniß nöthig werden, welches aber eben deshalb, weil es wieder nur ein kurzer Auszug seyn könnte, und nur in Beziehung auf die weltliche Macht und auf ein äußeres Publicum zusammengestellt, nach innen keine große und am wenigsten eine eigenthümliche Wirksamkeit ausüben würde. Aber von dieser Voraussetzung sind Sie nicht ausgegangen, und sehen doch mit Wohlgefallen auf die Zeit hin, wo die Kirche ein gemeinsames Bekenntniß aufzusetzen im 699 Stande seyn und wo sie es auch | thun würde. Ich hingegen möchte mich 36 mit aller Macht dem entgegensetzen, und ich würde nur Verderben davon ahnden, wenn die Kirche dies jemals thäte aus freien Stücken; denn eine solche Schrift kann niemals etwas wünschenswerthes seyn oder ein Gut für die Kirche selbst, sondern immer nur eine Sache der N o t h in äußerer Beziehung. Für den inneren Gebrauch der Kirche thut doch den Erwachsenen ein solcher kurzer Auszug nicht Noth, und f ü r den Unterricht der Jugend sind doch scharf bestimmte auf andere Meinungen Rücksicht nehmende Formeln nichts brauchbares. Der Katechismus bedarf eines anderen Tons; eine gute Confession ist ein schlechter Katechismus, und ein guter Katechismus eine schlechte Confession. Was soll also die Confession? In der Gemeine die Uebereinstimmung der Lehre erhalten, dadurch daß sie neuen Meinungen vorbeugt? H a t die augsburgische Confession dies nicht vermocht, die zu einer Zeit entstanden ist, wo wenige Einzelne so sehr hervorragten über die Gesammtheit: wie soll es eine spätere vermögen aus einer Zeit, wo so viel mehr Gleichheit herrscht? O d e r dadurch, d a ß man desto leichter diejenigen ausscheiden kann, die nicht übereinstimmen? Nun, hierüber habe ich mich schon erklärt und wiederhole nur noch einmal, daß wir das nicht einmal wünschen sollen zu können. U n d ein anderer Nutzen, als

38f Oben 403,32-416,27

424

5

10

15

20

25

30

35

An von Cölln

und

Schulz

der sich auf die Einstimmigkeit in der Lehre bezieht, ist doch nicht abzusehen. Jeder leere Gedanke ist immer mit mancherlei Unheil angefüllt. Hüten wir uns ein Vertrauen zu nähren auf etwas, das nichts ist, und eben deshalb so leicht ein Idol werden kann. In einer Gemeine, wie die unsrige, wo freies Forschen in der Schrift gilt und gelten muß, sind Streitigkeiten unvermeidlich; und nach dem Standpunkt unserer Kritik und unserer Auslegungsweise werden sie noch lange unvermeidlich seyn. Aber ganz anders gestalten sie sich, wenn sie sich ohne weitere Rücksicht auf diesem Gebiet bewegen, als wenn ein äußerlich aner-| kanntes Symbol aufgestellt ist, und jeder seinem Gegner aufpaßt, ob er 37 eine Blöße giebt gegen dieses; sie werden dadurch unerfreulich, gehäs- 700 sig und bei weitem weniger förderlich für das Ganze. Jedem wird sich das bewähren, der unsere Geschichte seit der Reformation hierauf ansieht; ja auch der gegenwärtige Augenblick zeigt es schon, da man nur erst danach strebt, das Symbol wieder hervorzurufen. Und wieviel kleinliche Leidenschaften sonst noch einen erwünschten Vorschub finden an solchem Buchstaben, wieviel Wortkrämerei dadurch erzeugt wird, davon schweige ich. Was müßte eine Bekenntnißschrift leisten, um diese Uebel gut zu machen! Und wenn wir auf eine Zeit hoffen, wo mehr Einstimmigkeit seyn wird in unserer Kirche, dann sollen wir diese Uebel erneuern wollen für die Streitigkeiten, die noch kommen können, und sollten ein Symbol aufstellen, grade wenn es am wenigsten nöthig ist? Leichter zu machen ist es freilich, wenn grade die Einigkeit größer ist, aber so steht es überhaupt, wenn man den Werth eines Symbols für die Kirche selbst betrachtet; wenn es leicht zu machen ist, ist es am wenigsten nöthig, und wenn es am nöthigsten wäre, ist es nicht zu Stande zu bringen. Haben wir aber die Union für unser Land zu Stande bringen können ohne Symbol - und zu Stande gebracht ist sie doch im wesentlichen, wenn man sich auch weislich hie und da mit den äußeren Zeichen nicht übereilt hat, an denen ja nichts gelegen ist - wozu sollten wir wol ein neues Symbol brauchen? Es geziemt uns nicht auf Menschenwort uns erbauen zu wollen, denn das gäbe Menschen ein Recht über uns, das wir keinem einräumen dürfen. Glauben wir nur stark genug daran, daß das unter uns scheinende Licht der Wahrheit immer mehr alles Dunkel erleuchten müsse, daß das Wahrheit suchen in Liebe auch wirklich zur Wahrheit führen muß, glauben wir nur, daß Jeder, der Jesum einen Herrn nennt, es durch denselben Geist thut, der, was er von Christo nimmt, auch immer | mehr verklärt, und der in Jedem alle 38 Gaben wendet zum gemeinen Nutz: warum wollen wir uns irgend einer

31 f Anspielung auf 1 Kor 2,5 32 f Anspielung 36-39 1 Kor 12,3.Joh 16,14.1 Kor 12,7

auf 1 Kor 7,23

35 Eph 4,15

An von Cölln und Schulz

5

10

15

20

25

30

35

40

425

solchen heilsamen G a b e muthwillig berauben? u n d w e n n wir das nicht w o l l e n , w a r u m l ö s e n w i r n i c h t d e n B a n n e i n e s B u c h s t a b e n , d e r n i c h t s 701 a n d e r s b e z w e c k e n k a n n als B e e n g u n g ? E r s t w e n n w i r dies v o l l s t ä n d i g gethan haben, werden wir uns mit stärkeren Schritten dem Z u s t a n d e n ä h e r n , d e n ich f ü r d a s e i g e n t l i c h e Ziel u n s e r e r d e u t s c h - e v a n g e l i s c h e n K i r c h e h a l t e , n ä m l i c h als G e g e n s t ü c k z u d e r e n g l i s c h e n u n d a m e r i k a n i s c h e n V i e l s p a l t i g k e i t in e i n e r g a n z f r e i e n G e m e i n s c h a f t z u l e b e n , w e l che gegenüber der katholischen G e b u n d e n h e i t n u r d u r c h die evangelische F r e i h e i t z u s a m m e n h ä l t . Viel ist ja s c h o n g e s c h e h e n , i n d e m d i e U n i o n u n s Alle e b e n s o w o l m i t d e r n i c h t u n i r t e n l u t h e r i s c h e n , als m i t der nicht unirten reformirten Kirche Deutschlands u n d der verwandten L ä n d e r v e r b i n d e t , s o d a ß d u r c h u n s u n d in u n s d i e s e d o c h u n i r t sind, m ö g e n sie es n u n w i s s e n u n d w o l l e n o d e r n i c h t . Bald w e r d e n sie es m e r k e n , u n d es s o w e n i g s t e n s a u c h w o l l e n , bis i h n e n d i e S a c h e n o c h n ä h e r t r i t t . A b e r es k a n n n o c h viel m e h r g e s c h e h e n . G i e b t es e i n i g e C h r i s t e n , die ihr Gewissen v e r h i n d e r t zu schwören; w a r u m sollten wir nicht f ü r sie e i n t r e t e n b e i m S t a a t , u n d i h n b i t t e n , j e d e n e v a n g e l i s c h e n C h r i s t e n , d e n sein G e w i s s e n in d i e s e r B e z i e h u n g b i n d e t , e b e n s o z u b e h a n d e l n , w i e er d i e M e n n o n i t e n b e h a n d e l t ? D e n n w a r u m s o l l t e n s o l c h e C h r i s t e n d e s h a l b g e n ö t h i g e t w e r d e n a u s z u t r e t e n , u n d sich e i n e r k l e i n e n G e m e i n s c h a f t e i n z u v e r l e i b e n ? G i e b t es A n d e r e , d i e i h r e K i n d e r n i c h t w o l l e n t a u f e n lassen, bis sie u n t e r r i c h t e t sind u n d B e k e n n t n i ß a b l e g e n k ö n n e n : l a ß t es u n s e b e n s o m a c h e n , d e n n die K i n d e r t a u f e ist k e i n n ö t h i g e s S t ü c k . W o l l e n E i n i g e d i e A p o k r y p h e n v o n d e r Bibel s c h e i d e n : w e n n sie n u r ihrerseits dulden, d a ß A n d e r e hierin d e r G e w o h n h e i t f o l g e n , was s o l l t e n w i r d a g e g e n h a b e n , d a w i r ja d o c h v o n d i e s e n B ü c h e r n k e i n e n k i r c h l i c h e n G e b r a u c h m a c h e n . F ü g e n Sie h i n z u , w a s Sie w o l l e n ; ja w e n n | a u c h eine G e m e i n e w o l l t e d a s heilige M a h l d e s A b e n d s f e i e r n , 39 weil es s o e i n g e s e t z t ist, o d e r s o n s t e t w a s a b s o n d e r l i c h e s in i h r e r L i t u r gie e i n r i c h t e n ; w e n n n u r alles auf C h r i s t u m z u r ü c k g e f ü h r t w i r d , w e n n n u r Alle gleich f e s t s t e h e n g e g e n M e n s c h e n s a t z u n g e n , s o will ich m i c h f r e u e n , je m e h r F r e i h e i t g e f o r d e r t w i r d . Alles w e r d e g e d u l d e t , a b e r alles w e r d e a u c h b e s t r i t t e n , n u r so, d a ß , w e n n es e i n m a l s c h a r f h e r g e h t , j e d e r 702 d o c h wisse u n d m e r k e , d a ß B r ü d e r mit e i n a n d e r s t r e i t e n . H a b e n w i r s o die b a n n e n d e K r a f t des Symbols ü b e r h a u p t ü b e r w u n d e n , d a n n erst w e r d e n Alle v e r m ö g e n , s o w i e es j e t z t n u r W e n i g e t h u n , j e n e B e k e n n t n i ß s c h r i f t als ein s c h ö n e s W e r k i h r e r Z e i t e b e n s o w i e d i e T h a t als e i n e e r folgreiche G l a u b e n s t h a t mit rechter Freudigkeit zu preisen, u n d niem a n d w i r d U r s a c h e h a b e n g e g e n diese F e i e r z u p r o t e s t i r e n , w e i l auf d e r a n d e r n Seite n i e m a n d d a s e y n w i r d , d e r u n g e h ö r i g e A n s p r ü c h e d a r a u f g r ü n d e t . D o c h , i n d e m ich s o z u m e i n e m A n f a n g z u r ü c k k e h r e , s e h e ich, d a ß Sie g e w i ß I h r e n P r o t e s t s c h o n z u r ü c k g e n o m m e n h a b e n , n u n Sie es

426

An von Cölln

und

Schulz

lesen können, daß dies das einzige ist, worin Einer von den Schriftstellern der evangelischen Kirchenzeitung mit Ihnen harmonirt. Aber was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben, und glaube im Ganzen mich Ihrer beiderseitigen Zustimmung dazu versichert halten zu dür5 fen, daß wir nur auf diesem Wege und auf keinem andern mit unsern kirchlichen Angelegenheiten aufs geraume kommen können.

lf Vgl. Rezension von „D. von Cölln/D.Schulz: 387-392, bes. 392

Lehrfreiheit", in: EKZ 1830, Nr. 49, Sp.

Anhang

[Ammon, Christoph Friedrich] Bittere Arznei für die Glaubensschwäche der Zeit. Verordnet von Herrn Claus Harms, Archidiaconus an der Nicolaikirche in Kiel, und geprüft von dem Herausgeber des Magazins für christliche Prediger. Aus dem zweiten Bande des Magazins besonders abgedruckt, Hannover und Leipzig 1817

[3] Bittere Arznei gegen die Glaubensschwäche der Zeit, verordnet von C l a u s H a r m s 1 und geprüft von dem Verfasser. Die Jubelfeier unserer Reformation, der man eine gewisse asthenische Bebung mit fester Zuversicht vorherverkündigt hatte, scheint nach allen Nachrichten die Gemüther durch ganz Deutschland viel inniger und wohlthätiger ergriffen zu haben, als man erwartete. Man hört von allen Orten: der Jubel war allgemein, öffentliche Beamte sind wieder, wie alte Freunde, in den Kirchen erschienen, und berühmte Gelehrte haben das Andenken an ihre erste Communion erneuert. Aber während man aus dem frohen und merkwürdigen Taumel, welchen Paraden, Chöre, Paeane, Lorbeerkränze und Doctorhüte, Gastmäler und rasche Bruderumarmungen erzeugten, halb ermattet, halb dröhnend erwacht, zieht aus Nordwesten eine stille [4] Wolke heran, die auf einmal fünf und neunzig alte Wahrheiten, wie eben so viel neue Blitze, auf die erstaunte Menge herabschleudert. Ueber die Erschütterung selbst sind, nachdem der erste Schrecken verschwunden ist, die Stimmen getheilt. Er ist voll süßen Weins, rufen die Sadducäer; Andere sprechen von einer Sternschnuppe; wieder Andere von einem Donner aus dem Topfe; die sicheren Sünder entrüsten sich, daß man sie im Angesichte der Gemeinde, wie in einer schwedischen Landkirche, durch einen Schlag des Stabs Wehe aus dem Schlummer weckt; ausgebrannte Glaubensberge werfen aus dem Krater ihrer Gelehrsamkeit zürnend eine Aschenwolke mit Schwefeldampf aus; die Klüglinge rufen, Pfaffenlärm! und freuen sich, daß die Hühner des Staates fressen, nach, wie vor. Wir lassen, wie billig, die Meinungen in Babel, wie sie sind, verworren und unverworren; aber thöricht, wäre es doch, einen Spiegel zu zerbrechen, der uns treulich zeigt, wie wir gestaltet sind. 1

Das sind die 95 Streitsätze Dr. Luthers theuren Andenkens, mit einer Uebersetzung aus 1517. in 1817. Kiel, 1817.

430

Anhang

Der Zeitgeist, sagt man, ist ein Geist des Lichtes und der Vollkommenheit, der uns weit über die Reformatoren, ia über die ersten Lehrer des Christenthums selbst erhebt; das ist wahr und wahrhaftig, denn die Zeit glaubt es, und iede Zeitung beweißt es ohne Widerspruch. Aber „unser Meister will, daß sich die Menschen nach seiner Lehre formen, und nicht, daß man seine Lehre nach den Menschen und nach dem veränderten Zeitgeist forme. M i t d e r I d e e e i n e r f o r t s c h r e i t e n d e n R e f o r m a t i o n r e f o r m i r t m a n d a s L u t h e r t h u m ins H e i d e n t h u m h i n e i n u n d d a s C h r i s t e n t h u m a u s [5] d e r W e l t h i n a u s . Die Predigt, thut Buße! gilt den Guten, wie den Schlechten; und f ü r Schlechte w e r d e n angesehen, die dem falschen L e h r b e g r i f f e g e m ä ß s i c h g e f o r m t h a b e n . In d e r L u t h e r i s c h e n K i r c h e g e h t d i e V e r n u n f t r a s e n ; reißt Christum vom Altar, schmeißt Gottes Wort von der Kanzel, wirft Koth ins Taufwasser, und nennt es Aufklärung, wenn man mit den Johannisiüngern (AG. 19,2.) spricht, wir haben nie gehört, ob ein heiliger Geist sei." 2 Die Worte sind herb genug; aber wie der Einschlag, so der Eingang; wer ein Kleid aus gewobenem Winde trägt, darf sich nicht wundern, wenn ihm der Hagel auf die nakten Schultern fällt. Die fortschreitende Veredelung der Menschheit, fährt man fort, wird in unsern Tagen durch nichts so klar bewährt, als durch die Erscheinung des Triumphes, daß der Glaube sinkt und das Gewissen steigt. Von der unsichtbaren Welt wissen wir ia nichts und können nichts wissen; Gott selbst kann von uns weder erkannt, noch begriffen werden; die moralische Religion ist die einzige, die uns versöhnen, freisprechen und veredeln mag; wer daran zweifelt, hat auch nicht einmal die Anfangsgründe der wahren Weisheit gefaßt. Aber auf diesem Scheitelpunkte unserer Vollendung hören wir die kühne Stimme: „ C a l i x t , der die Tugendlehre von der Glaubenslehre trennte, hat dem Gewissen den Stuhl der Maiestät gesetzt, und K a n t , der die Autonomie des Gewissens lehrte, [6] hat dasselbe hinaufgesetzt. Es ist a b e r d a s G e w i s sen d e r A n t i c h r i s t u n s e r e r Z e i t , dem man die dreifache Krone der Gesetzgebung, der Belobung und Bestrafung aufsetzt. Es kann kein Gesetz geben, kann nichts loben, nichts strafen, als nach Gottes Wort, welches der Text des Gewissens ist; die Vergebung ist Gottes. H ö r t d a s G e w i s s e n auf zu l e s e n , u n d f ä n g t es an, s e l b s t zu s c h r e i ben, so f ä l l t es so v e r s c h i e d e n a u s , w i e d i e H a n d s c h r i f t e n d e r M e n s c h e n . Nenne mir J e m a n d eine Sünde, die J e d e r m a n n daf ü r h ä l t ! Gewissenhaftigkeit ohne Gottesfurcht hat von ieher die Gewissenlosigkeit befördert, denn sie läßt den Begriff von göttlichen Strafen ganz verschwinden. Die Vergebung der Sünden kostete doch Geld 2

Ebend. § . 1 . 2. 3. 5. 71. 74.

Ammon: Bittere Arznei

431

im sechszehnten Jahrhundert; im neunzehnten hat man sie ganz umsonst, denn man bedient sich selbst damit." 3 Gewissen ist das Bewußtseyn des Menschen in Gott; schon M e l a n c h t h o n nannte es einen Vernunftschluß, in dem der Obersatz Gottes Wort, der Untersatz die menschliche That, und Schuld oder Unschuld die Schlußfolge ist. Ein Gewissen ohne Gott, wie es irreligiöse Moralcompendien darstellen, führt zuerst zu einem hohlen Gesetze, und dann zur Gottlosigkeit in Wort und That. Z e n o erhängt sich, E p i k u r folgt seiner Lust, V o l t a i r e lästert die Vorsehung, R o u s s e a u setzt fünf seiner Kinder vor dem Findelhause aus und lästert seinen Wohlthäter Hume, Alles nach [7] bestem Wissen und Gewissen. Nur in der kleinen Periode von K n u t z e n bis auf unsere Zeit erinnern hundert Beispiele an die Worte Friedrichs: euren Talenten Bildsäulen, euren Thaten Ketten. Aber auch in Schriften lehrt man mit dürren Worten: „ob Gott sei, oder nicht sei, kann man so eigentlich nicht wissen; nichts ist widriger in der Moral, als das ewige Gebieten und Verbieten; im Grunde giebt es keine Pflichten, sondern nur Bestrebungen im Großen, in iedem Falle aber keine Pflichten gegen Gott; nur der schwache Mensch betet, weil er die Heiligkeit seiner Pflichten nicht kennet; das Gewissen kann schlechterdings nicht irren, und wer das behauptet, ist ein Bösewicht in der Haut. Der Eid ist eine abergläubische und gotteslästerliche Ceremonie; der Selbstmord ist schön auf dem Theater, also auch gut im Leben, und ein seines Daseyns überdrüßiges Volk kann nichts Besseres thun, als sich in die Fluthen stürzen; dem Andern dienen, seine Lust zu stillen, heißt ihm über die Mauer des Bedürfnisses die Hand reichen; periodische Ehen sind der gegenwärtigen Cultur der Menschheit am angemessensten und werden das Glück u n z ä h l i g e r F a m i l i e n b e g r ü n d e n . " Die Belege zu allen diesen Sätzen liegen frei und buchstäblich vor aller Welt da; sie sollen gewissenhafte Leser, Schüler, Zuhörer, und was das Wichtigste ist, g e w i s s e n h a f t e L e h r e r d e r R e l i g i o n bilden; selbst in der Theologie hat man die positiven Strafen Gottes verspottet und an die Stelle der Sündenvergebung die eigene Absolution gesetzt. Wie das geschriebene Wort, das doch gewiß einmal ungeschrieben [8] war, sich zu dem von Gott erleuchteten Gewissen des Menschen verhalte, mag hier immer unerörtert bleiben; aber rein und lauter wird dieses doch nur genannt werden können, wenn es das Geheimniß des Glaubens treu bewahrt. Unser Glaube, unser Gottesdienst, unser ganzes Leben soll vernünftig und geistig seyn; das wollen P a u l u s und L u t h e r , 4 und wehe uns! wenn wir in dem Allen einmal unvernünftig, ungeistig, empfin3 4

Ebend. §.9. 10. 15-18. 21.f. Rom. XII. 1. Aug. Conf. art. XX.

432

Anhang

delnd und fleischlich werden. Aber u n s e r e Vernunft in der Religion ist ein Schwerdt in der Hand des Kindes. Entweder verwechseln wir die menschliche Vernunft mit der göttlichen; dann fragen wir, wie ein berühmter Idealist und Leibgeber, habe ich die Welt erschaffen, oder Gott? O d e r wir verwechseln unsere individuelle Vernunft mit der des ganzen Menschengeschlechtes; dann bauen wir Religionssysteme, an die Niemand glaubt, als wir selbst, wie denn wirklich die Geschichte lehrt, daß unter den Choragen menschlicher Weisheit die scharfe Vernunft des Einen in der T h e o l o g i e hektisch, die betrunkene des Andern taumelnd, und die träumende des Dritten mit einem süßen Wahnsinne behaftet war. O d e r wir vergessen endlich, daß auch die besonnene Vernunft nur leuchtet, aber nicht erleuchtet und erwärmt; wir vergessen, daß das Herz, daß Gefühl und Einbildungskraft auf dem Gebiete der Religion Rechte und Bedürfnisse haben, welchen nur Thatsachen, Geschichte, heilige Geschichte, mit einem Wor-[9]te, g ö t t l i che O f f e n b a r u n g ein Genüge leisten können; nun verwandelt sich unser Glaube in schalen Deism, unser Gottesdienst in eine eitle Lippenmoral, unsere Weisheit in metaphysischen Romanenflitter, und unsere Hofnung in die Loderasche des göttlichen Universum. Menschen, in diesen Monaten geboren, reicht unser Verfasser sein bitteres Hauptund Seelenmittel: „der Antichrist unserer Tage in Hinsicht des Glaubens ist die V e r n u n f t , die den M o n d f ü r die S o n n e a n s i e h t . Die s o g e n a n n t e V e r n u n f t r e l i g i o n ist e n t w e d e r von V e r n u n f t , o d e r von R e l i g i o n , o d e r von b e i d e n e n t b l ö ß t . Einige Wahrheiten der geoffenbarten Religion vermag der Mensch, nachdem sie ihm gegeben sind, wiederzufinden unter gewissen Erscheinungen der Natur und der Menschenwelt; aber die Vernunft hat dabei weder zu nehmen, noch zu geben. Sie zieht das Heilige des Glaubens in den Kreis gemeiner Erfahrung und spricht wie Muhamed: wie sollte Gott einen Sohn haben, er hat ia keine Frau? Wenn in Religionssachen die Vernunft mehr, als Laie seyn will, so wird sie eine Ketzerin. Die meide (Tit. 3,10.)!" 5 Unser Asclepiade, der Kraft seiner hippokratischen Aphorismen sich wohl bewußt, legt auf dieses Mittel einen hohen Werth; denn er bemerkt im Laufe seiner Verordnung: „wer des ersten Buchstabens der Religion, heißt heilig, mit seiner Vernunft mächtig werden kann, der entbiete mich zu sich." Entschieden bekennt sich der Verfasser dieser [10] Zeilen zur Metaphysik des Christenthums, wie der Funke zu der Flamme; nur erhebt er sich erst zum Unbegreiflichen, wenn er Grund und Boden gefunden hat auf dem Begreiflichen; und wenn Gott von ihm seine Seele fordert, so will er weder an der Schwindsucht des Unglaubens, noch an dem hitzigen Fieber des Aberglaubens, sondern mit dem festen 5

Ebend. §.9. 32. 33. 41. 45. 47.

Amman: Bittere

Arznei

433

Glauben an Gott und sein Wort in Christus, unserem Herrn, verscheiden. Was heilig ist, positiv, nicht levitisch, wissen auch christliche Theologen zu Hunderten nicht; wenn es daher der Urheber dieser Streitsätze wirklich und im Ernste weiß, so ist er der Mann, den ich lange gesucht habe. Da der wißbegierige Mensch seine Vernunft für etwas Hohes hält, und das von Rechtswegen, so kann er nur Höheres suchen bei Menschen, die vernünftiger, als er, sind. Er geht in die Schule, und wächßt an des Lehrers Haupt; er besucht die Tempel, und reicht dem Prediger an den Scheitel; nun eilt er in die Hörsäle der Weisen, und findet bald die Quelle, aus welcher Hefte und Systeme fließen; selbst in großen Bibliotheken bedeckt er zuletzt sein Haupt, wenn er die Stelle erblickt, wo D e s - C a r t e s wirbelt, wo S p i n o z a den Kettenring seiner Substanzen schlingt, wo L e i b n i z Ziffern mahlt und Zeiger drechselt für seine harmonische Weltenuhr, und wo K a n t aus den Kategorien des Aristoteles neue Formen des Verstandes bildet. Wie möchte sie ruhen, diese verwegene Hand, bis sie die halb verbotene Frucht auch von dem Baume der Erkenntniß bricht! Es ist wahr, [11] man trat in das Paradies zuerst bescheiden und nicht mit leerer Hand; der Eine brachte Weihrauch aus Arabien und Wurzeln vom Berge Libanon, der Andere Eulen von Athen und Gänse aus Rom; es entstanden Observationen und Parallelen zu Tausenden, die den Sentenzen der Bibel so ähnlich schienen, wie ein Ei dem anderen; nun hieß es, gefunden, der goldne Apfel wurde vom heiligen Stamme gerissen und unter die anderen gemeinen Früchte geworfen, die man in dem eigenen Garten baute. H i s t o r i s c h e A u s l e g u n g nannte man diesen geharnischten Fruchtkranich und kritischen Klugheitsraben; 6 man würde ihn besser profane Dialektik nennen, denn Grammatik und Auslegung sind nur Hände und Mägde für das Raubinstrument, welches Frucht und Zweige vom Wipfel des hehren Baumes herabreißt. Unser Verfasser läßt sich bei diesem Beginnen der Zeit also vernehmen: „wir haben ein festes Bibelwort, darauf wir achten, und daß Niemand mit Gewalt uns dasselbe drehe, gleich einem Wetterhahn, dafür ist durch unsre symbolischen Bücher gesorgt. Auch die Worte unserer geoffenbarten Religion halten wir heilig in der Ursprache und betrachten sie nicht, wie ein Kleid, welches man der Religion ausziehen könnte, sondern als ihren Leib, mit welchem vereint sie Ein Leben hat. Eine Uebersetzung aber in eine lebende Sprache muß alle Jahr-[12]hunderte revidirt werden, damit sie

6

M a n u s f e r r e a , h a r p a g o , c o r u u s bei C u r t . IV. 2. G r u s , c o r u u s depraedator bei Vitruv. X . 19. Κ,όραξ, σιδηρούν ε χ ο ν δακτύλιον επί της κορυφής bei Polyb. I. 22.

434

Anhang

im Leben bleibe. Es hat der Wirksamkeit der Religion geschadet, daß man dieß nicht gethan hat. Die Bibelanstalten sollten eine revidirte Lutherische Bibelübersetzung veranstalten. Die Bibel aber mit Glossen ediren, die das ursprüngliche Wort emendiren, heißt den heiligen Geist corrigiren, die Kirche spoliren, und die daran glauben zum Teufel führen." 7 Was nun zum Unglimpf der Altonaer Bibel folgt, mögen wir nicht nachsprechen; noch kennen wir sie nicht genug, und dann billigt man in solchen Sachen auch außer Holstein weder das Eilen, noch das Uebereilen, weder das Treiben, noch das Uebertreiben. Aber darinnen sind wir einstimmig, daß die natürlichen Bibelerklärungen, nach Paläphatus, nichts taugen, weil sie freveln und das Volk verwirren; und daß wir freie Deutsche zu bescheiden sind für baares Geld, wenn wir unsere Lutherische Bibel veralten lassen, weil die englische mit ihr verwandt und zuletzt iede Besserung beschwerlich ist.8 Wie wird nun aber dem Uebel zu steuern seyn, seitdem öffentliche Lehrer der Religion so fleißig daran arbeiten, die Bibel, die Kirche, und sich selbst entbehrlich zu machen? Denn daß sie nicht auf rechten Wegen wandeln, das sagen ihnen ihre immer leereren [13] Kirchen, das sagt ihnen der, namentlich in den Städten der Gelehrten, immer tiefer sinkende Cultus, das sagt ihnen das Gewissen, das mit Eiden nicht spielen läßt; selbst die Entrüstung gegen die Stimme des warnenden Ernstes belehrt sie zuletzt, daß sie nur überredet, nicht überzeugt, also, wenn auch spät, doch der besseren Ansicht noch fähig sind. Stark genug erklärt sich hierüber unser Verfasser: „man soll die Christen lehren, d a ß sie das R e c h t haben, U n c h r i s t l i c h e s und U n l u t h e r i s c h e s auf den K a n z e l n , wie in K i r c h e n - und S c h u l b ü c h e r n n i c h t zu leiden. W e n n s o n s t N i e m a n d sich um die L e h r e b e k ü m m e r t , so ist zu besorgen, d a ß das V o l k es selber t h u e , welches n i c h t M a a ß , n o c h Ziel hat. Vertrauen kann das Volk nicht haben zu den O b e r c o m m i s s a r i e n der K i r c h e , davon mehrere in dem Geschrei stehn, daß sie selber den Glauben der Kirche nicht haben. Es ist ein sonderbares Verlangen, daß es frei stehn müsse, einen n e u e n G l a u b e n zu l e h r e n von einem S t u h l e , den der alte G l a u b e g e s e t z t hat, u n d aus einem M u n d e , dem der alte G l a u b e zu essen giebt. (Ps. 41,10.) 9 " Die Abweichungen vieler Novaturienten in Schrift und Lehre haben mit den Duellen der Musensöhne große Aehnlichkeit. Gesetzwidrig sind sie, das ist klar, denn sie verletzen Symbol und Eid; sie sind oft voreilig und unreif, wie ζ. B. die unbeschränkte Anrathung der 7 8

9

Ebend. §.50-55. Man vergl. die Geschichte dieser Verwandtschaft bei Seckendorf im commentar. de Lutheranismo sect. I. et II. Ebend. §.63-67.

Ammon: Bittere

Arznei

435

allgemeinen [14] Beichte, die nun die Weiseren im Stillen beseufzen 10 ; sie zerstören sich endlich selbst, weil Niemand mehr in eine Versammlung treten würde, in der es iedem Lehrer erlaubt wäre, Anderen seine flüchtigen Einfälle als Gottes Worte vorzutragen. Aber wie sich der iunge Akademiker trotz aller Strafe muthig schlägt für seine Ehre, so kriegt mancher Novaturiente für seine Wahrheit; er weiht sich dem Märtyrerthum für fremde Aufklärung, ob es schon um die eigene Krone nichts weniger, als immer licht und helle ist; er ergrimmt gegen die alten Zionswächter, die, wie er schmäht, in dicker Unwissenheit ergrauen und mit dem herrlichen Zeitgeiste nicht fortschreiten; er stellt sich wohl mit L u t h e r in die Reihe, selbst da, wo er ihn mit Fäusten schlägt und ihn höhnend unter die Füße seines Glaubens tritt. Und diese Irrenden mit Eifer, wenn schon oft mit gelehrtem Unverstände, sollen nun Recht nehmen bei dem V o l k e ; sie sollen sich dem Urtheile d e r Laien unterwerfen, die vor ihnen nichts voraus haben, als den durch Dialektik und Afterexegese noch unverfälschten I n s t i n c t ; von ihnen sollen sie lernen, was wahr, was recht, was nütze ist zum Unterricht, zur Besserung und Züchtigung in der Gerechtigkeit; sie sollen sich unter die Beschlüsse einer S c h a a r beugen, die heute ruft, groß ist Christus, und morgen, die Diana von Ephesus! Ja wohl hat solches Volk nicht M a a ß , noch Ziel, [15] sondern ist aller Tollheit und Tyrannei voll. Bittere Arzneien loben wir; aber heftige Brechmittel machen die Krankheit oft gefährlich und nicht selten tödtlich. Lauter Folgen, ruft man, des unseligen und ewigen Protestirens, das im Staate zuletzt zum Jacobinism, in der Kirche unvermeidlich zur Glaubensnullität und zu Predigten von blauen Enten führt. Hat doch Eck schon Luthern geweissagt, wir würden einst so viel Schrifterklärer haben, als Köpfe; hat doch B o s s u e t schon den hohen Episcopat des grausamen Heinrich und aller Weltlichkeit als den wahren Antichrist verflucht; hat doch de Ligne unsere Domherrn in Knebelbärten schon mit gerechtem Spotte gezüchtigt; muß doch iedem evangelischen Christen das Herz im Leibe bluten, wenn er sieht, wie schmachvoll unsre Kirche von denen verhöhnt wird, die als höchste Bischöffe den Vorstand des Glaubens und der öffentlichen Spiel- und Lusthäuser des Landes zuweilen in einer Person vereinigen. „Diese Operationen, mahnt unser Verfasser ernst, sind geschehen, w ä h r e n d k e i n e W a c h t in u n s e r e r K i r c h e war. Die lutherische Kirche hat in ihrem Baue Vollständigkeit und Vollkommenheit; nur daß die oberste Leitung und Entscheidung auch in eigentlich geistlichen Sachen bei einer Person, die nicht geistlichen Standes ist, bei dem Landesherrn steht, das ist ein in 10

Aug. Conf. art. XI. I m p i u m e s s e t , ex e c c l e s i a p r i u a t a m a b s o l u t i o n e m t o l l e r e . Apolog. Rechenb. p. 181. Tittmann p. 161.

436

Anhang

Eil und U n o r d n u n g g e m a c h t e r F e h l e r , den man auf o r d e n t l i c h e m W e g e w i e d e r g u t zu m a c h e n hat. So wie noch das mit den protestantischen Grundsätzen unserer Kirche sich nicht vereinigen läßt, daß einige wenige Personen in [16] einer Gemeine, oder gar eine einzige nur, der [!] vielleicht nicht einmal zur Gemeine gehört, derselben einen Prediger setzt. Schaafen setzt man einen Hirten, Seelen aber sollten sich allenthalben ihre Pastoren wählen 11 ". Wer unter uns seine Zeit und seine Kirche kennt, der kennt auch die wunde Stelle, die man nicht, wie Erasmus, auflachen kann, sondern aufklagen und aufseufzen mögte. Die Freiheit des Gewissens gab uns das Leben, und die Freiheit der Meinungen und der Willkühr droht uns den Tod. Welt und Himmel streiten in den empörten Gemüthern; auch das heilsamste Wort sprüht nun Lichtfunken in der Nähe einer Pulvertonne; man schweige, oder spreche, so ist Schmach, oder Gefahr gewiß. Es ist gut, daß sich die Kirche immer mehr losreißt vom Staate in d e r T h e o r i e ; es ist anständig und löblich, es frei zu sagen, daß, wenn Mars in seiner Rüstung nicht stehen darf im Tempel der Gerechtigkeit, auch Themis als Amazone keinen Raum auf unseren Altären findet; Gleichartigkeit und Ordnung sind Naturgesetze, gegen die man zwar freveln, die man iedoch ungestraft nie ganz unterdrücken kann. Aber wenn das Schwerdt das Recht schüzt; warum soll das Recht nicht wieder den Glauben schützen, mit dem es doch viel näher verwandt ist, als das Gesetz mit dem Schwerdte? Geister, unterthan dem Worte und den Propheten, gehorchen nicht gern dem Fürstenthume, der Gewalt und Herrschaft; aber, unter uns gesprochen, stolze [17] Geister sind selbst schlechte Herrscher, und ein leidlicher Gehorsam ist doch zuletzt besser, als ein unleidliches Brandopfer. Wer den Scepter trägt in der Rechten, warum sollte der nicht auch den Bischofsstab in der Linken führen; wer des Abends fleisig ließt im V o l t a i r e und St. E v r e m o n d , warum sollte der nicht des Morgens lesen im J o h a n n e s und St. P a u l , um zu sehen, wer inspirirt und wer besessen ist? Es lernen nur die, die sich der Kirche schämen, zuerst sich ihrer falschen Schaam schämen; es lernen nur die, welche das Kreuz Christi auf dem Latze tragen, vor Allen das Kreuz des Heilandes in der Brust und im Herzen führen; der Urbesiz ist zweideutig an ieder Würde, an ieder Erbschaft, an iedem Eigenthume; er wird aber fest und heilig, wenn man ihn verdient und sich seiner würdig macht. Wollen wir daher keinen neuen Papst, den Einige wünschen, Andere verwünschen, und vielleicht Beide nicht nach seinem wahren Werthe schätzen; so ist die Vereinigung der Landeshoheit und höchsten Kirchengewalt, nach den in unseren zwei ersten symbolischen Bü-

11

Ebend. §.14. 30. 90. 91.

Ammon: Bittere Arznei

5

10

15

20

25

30

35

40

437

ehern abgemessenen Grenzen, noch immer das erträglichste und in unserer concreten Welt ausführbarste System. Anders dürfte das freilich dann erscheinen, wenn sich unsere Kirche noch näher mit einer verschwisterten [18] verbinden sollte, die an aller weltlichen Herrschaft in ihrer Mitte immer großen Anstoß genommen und dafür eine gewisse apostolische Hierarchie, bei welcher der Prediger offenbar gewinnt, in ihrer inneren Verfassung erhalten hat. Alles Gute strebt nach Vereinigung und Eintracht; ihr entgegenwirken, sie verunglimpfen, oder spottend über sie die Achsel zucken, heißt den Israeliten im Munde und den Pharisäer im Herzen tragen. Arbeitet doch ieder evangelische Lehrer treulich an der Bekehrung der Rationalisten in unserer Mitte, gegen die gewiß der eifrigste Zwinglianer und Calviniste noch immer ein frommer Glaubensheld ist. Aber ohne feste Regel, wie Alles, was der Mensch, als geborner Schauspieler, unternimmt, soll man ein so großes Werk nicht beginnen. „Als eine arme Magd, spricht unser Verfasser, möchte man die lutherische Kirche iezt durch eine Copulation reich machen. Vollzieht den Act ia nicht über L u t h e r s Gebein! Es wird lebendig davon und dann - weh euch! Die da meinen, „brach es" sei ein Wörtlein von großem Reichthum, und für dasselbe, so weit sie können, die lutherische Kirche aufzugeben bereit stehen, sind unwissender, als das unbefragte Volk, das man über seinen Glauben doch wohl hätte befragen sollen. Sagen, die Zeit habe die Scheidewand zwischen Lutheranern und Reformirten aufgehoben, ist keine reine Sprache. [19] Es gilt, welche sind abgefallen von dem Glauben ihrer Kirche, die Lutheraner, oder die Reformirten, oder Beide? War auf dem Colloquio zu Marburg 1529. Christi Leib und Blut im Brodt und Wein, so ist er es noch 1817. Wider solche Verbindung, zumal da sie nur das Aeusserliche berührt, unter beiderseitigem Vorbehalt des Innerlichen, wäre wohl eines einzigen Lutheraners, oder Reformirten Protestation genug. N i c h t also, auf d a ß n i c h t uns u n d e u c h g e b r e c h e . G e h e t a b e r hin zu den K r ä m e r n (Matth. 25,9.) Gleichwie die Vernunft die Reformirten gehindert hat, ihre Kirche auszubauen und zur Einigkeit zu bringen, so würde die Aufnahme der Vernunft in die lutherische Kirche nur Verwirrung und Zerstörung in derselben anrichten. Verwirrung mit den Bekenntnißschriften, die nichts anders sind, als eine bestimmte, allgemein angenommene Auslegung der heiligen Schrift; Verwirrung mit den autorisirten Kirchenagenden, Gesangbüchern und Katechismen; Verwirrung unter den Lehrern, wenn der Eine den alten, der Andere den neuen Glauben predigt; Verwirrung in dem Verhältniß zwischen Lehrern und Gemeinden; Verwirrung mit anderen Kirchen, mit den Staaten und im bürgerlichen Leben. D a s religiöse E l e m e n t im M e n s c h e n , w e n n es n i c h t g e b u n d e n liegt an einer g ö t t l i c h e n O f f e n b a r u n g , [20] ist ein f u r c h t b a r e s Ele-

438

Anhang

ment 1 2 ." Wie der Apostate P ö l l n i t z über den Unterschied der drei christlichen Confessionen für seine Person dachte, ist aus der Geschichte seines Lebens bekannt; als er aber in seinen Denkwürdigkeiten der vier Souveraine Brandenburgs eines protestantischen Fürstbischofs in Osnabrück erwähnte, der seine Töchter nach drei Katechismen unterrichten lies, bis der künftige Bräutigam die Wahl bestimmen würde, bedauerte er die Vergessenheit des Islam, im Falle einer Anwerbung des Großsultan. So rächte sich die Wahrheit an dem Verräther in seinem eignen Spotte. Was L u t h e r sagen würde, wenn er erwachte? „Wohlan denn, weil sie so gar verrucht sind und alle Welt spotten, will ich eine lutherische Warnung dazu thun und sage also: v e r f l u c h t sei solche Liebe u n d E i n i g k e i t in A b g r u n d der H ö l l e , darum, daß solche Einigkeit nicht allein die Christenheit iämmerlich zutrennet, sondern sie, nach teuflischer Art, noch zu solchen ihrem Jammer spottet und närret. 13 " Mit dem Brechen ists so [21] lange nicht gethan, als wir unsere Kinder nicht, wie S d o u r z a ernstlich fordert, auch in der Spree und Elbe taufen. Und geschähe das, wer mögte sagen, es sei außerwesentlich, ob mir Christus Brodt giebt, oder seinen Leib? Für einen göttlichen Menschen hielt Jesum auch Muhamed; er preißt die Christen selig, und in seinem Koran steht mehr ächte Moral, als in den Systemen vieler Vernunftprediger unserer Tage; dennoch schneidet ihn sein Unglaube an den Sohn Gottes auf immer von der Theilnahme an den Wohlthaten des Evangelii ab. Müßte man nun fürchten, es stehe Christus bei Vielen, die das Reformationsfest als ein neues Schauspiel begiengen, kaum so hoch, als bei dem Stifter des Islam; so war ihnen auch, wie Luther sagt, statt der Taufe lieber „ein gemein Bad" und statt des Abendmahls lieber eine gemeine Brodt- und Weinspende zu bereiten, wobei es immer unbenommen blieb, darzureichen brüderliche Liebe und gemeine Liebe. Das Darbieten der Hostie und Oblate zur eigenen Auswahl bezeichnet schon den Latitudinarier, führt geradehin zum Indifferentism, und ist in einigen Ländern von gemischten Gemeinden, die man spöttisch so zu bewirthen gebot, mit Recht, und wenigstens so lange für eine bittere und die Andacht störende Kränkung erklärt worden, biß man sich, wie die frommen Oberen, über ieden Lehrtypus weggesetzt und überhaupt nichts mehr [22] geglaubt hat. Von der Entstehung des Christenthums biß auf unsere Tage war die Gemeinschaft des Altares nicht gegründet auf die Gemeinschaft des Un- oder halben, sondern des ganzen und vollen Glaubens; man fieng daher die so oft mißlungenen Vereini-

12 13

Ebend. § . 7 5 - 8 9 . Dr. M. L u t h e r s Schrift, daß diese Worte Christi, das ist mein Leib, noch veste stehn, wider die Schwarmgeister. Anno 1527. §.24. Walch. Ausg. Th. X X . S.963.

Ammon: Bittere

Arznei

439

gungsversuche der getrennten Religionspartheien nie von der raschen That, sondern immer von tiefen und besonnenen Unterhandlungen über die bestehenden Abweichungen in der Lehre an 14 ; man hegte für die Religion noch zu viel wahre Ehrfurcht, als daß man es gewagt hätte, aus den Manifesten Gottes etwas auszuscheiden, wie aus einem Landrechte, oder ein Landesevangelium zu formen, wie einen Landsturm; man erwog es sorgfältig, daß die Verführung des Volkes zum Indifferentism der Lehre leicht betrachtet wird als stillschweigende Einwilligung in den Differentism des Gehorsams; man nahm es endlich wohl zu Herzen, daß man durch den gemeinschaftlich bekannten, erkämpften, beschwornen Glauben nicht allein sich, sondern der großen Völkergemeinde zugehört, mit der man [23] bisher religiös verbrüdert war, und daß man sich mehr, oder minder von ihr losreißt, wenn man, ohne sich mit den gemeinschaftlich durch Gottes Wort gebundenen Gewissen zu berathen, Namen, Sitte und Grundsätze nach eigener Willkühr ändert. So wenig ein wahrhaft evangelischer Christ unserer Kirche ie von der Bibel weicht, eben so wenig wird er ie von der Augsburger Confession weichen; wer sich unter diesen Panieren sammeln will, ist uns willkommen; wer es nicht will, kann - nicht Duldung, denn diese darf kein Mensch dem Menschen versagen - er kann unsere Achtung und Liebe fordern und verdienen; nur verschone er'uns mit einer Brüderschaft ohne Stamm und mit einer Glaubenseintracht ohne Grund und Bündniß, die den Keim der Feindschaft schon in sich selbst und iri ihrer Uebereilung trägt. So viel unserer vollkommen sind, die lasset uns also gesinnet seyn. Wir schließen diese Prüfung mit einer treflichen Stelle unseres Verfassers, die nur einer kurzen Erklärung bedarf. „Die evangelischkatholische Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Sacrament. Die evangelisch-reformirte Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Worte Gottes. Herr-[24]licher, als beide, ist die evangelisch-lutherische Kirche. Sie hält und bildet sich am Sacrament, wie am Worte Gottes. In diese hinein bilden sich, selbst ohne der Menschen absichtliches Zuthun, die beiden anderen. Aber der Gottlosen Weg vergehet. Ps. 1,6." 15 . Es wird schwer seyn, den Organism und das innere Leben der drei christlichen Kirchen des Abendlandes kräftiger zu bezeichnen, als durch diese graphischen Worte. Die katholische Kirche lebt und wirkt in dem C h r i s t e n t h u m e d e r A n s c h a u u n g ; sie erhebt vorzugsweise die Gemüther 14

15

L e i b n i t i i epistolae ad diversos ed. Kortholt ep. X X - X X V I I I . Lips. 1734. t. I. p.32.ff. P l a n c k Uber die Trennung und Wiedervereinigung der getrennten christlichen Hauptpartheien. Tübingen 1803. S. 17. ff. Ebend. §.92-95.

440

Anhang

durch das Sacrament und die äußere Handlung; sie ergreift Gefühl und Einbildungskraft, den Geist zu erleuchten und das Herz zu bessern. Die reformirte Kirche lebt und wirkt in d e m C h r i s t e n t h u m e des V e r s t a n d e s ; sie hält fest an geschlossenen Begriffen und geometrischer Bündigkeit des Beweises; sie verschmäht nicht nur das Beschauliche des Cultus, sondern auch die lebendige Bewegung der Einbildungskraft und des Gefühles, und trägt sich daher auch mit einer gewissen Starrheit und Strenge, die ihr wahre Duldung und Sanftmuth sehr erschweren würde, wenn sie iemals herrschend werden könnte. Die lutherische [25] Kirche endlich lebt und wirkt in dem C h r i s t e n t h u m e des G e m ü t h e s ; sie vereinigt die Reife der Idee mit der Lebendigkeit des Gefühls, und die Klarheit des Begriffes mit der freien Rührung der Andacht; sie verbindet Glaube und Liebe durch die innige Gemeinschaft des Wortes und Sacramentes; sie protestirt nur gegen den Mißbrauch des menschlichen Ansehns und gegen die Flüchtigkeit zudringlicher Meinungen; sie bedarf keines neuevangelischen Titels, weil sie altevangelisch ist, war und bleiben wird. Man gebe uns vollkommene Lehrer und vollkommene Gemeinden, ohne Sectengeist und Fanatism, ohne Leichtsinn und Versatilität; so werden sich die drei Confessionen eben so schnell vereinigen, als die W e i s e r e n u n d Besseren u n t e r i h n e n s c h o n i e t z t i n n e r l i c h u n d im Geiste v e r e i n i g t sind. Ist und bleibt hingegen in der streitenden Kirche auf Erden Alles unvollkommen, so werden auch alle Bemühungen, sie g ä n z l i c h zu verbrüdern, vergebens und fruchtlos seyn; es wird bei der Einseitigkeit der menschlichen Bildung, auch in der christlichen Kirche, entweder das Gefühl, oder der Verstand vorherrschen; es wird aus dem Antagonism beider ein reiner Lebensfunke aufsprühen, der dann erst zur Zwietracht aufflammt, wenn man die bisher abgesonderten Elemente unvorsichtig vermischt und durcheinander wirft; [26] alle Leidenschaften der florentinischen Kirchenversammlung werden erwachen, die neuunirten Griechen werden von den nichtunirten nicht anerkannt, von der alten Kirche mit Mißtrauen beobachtet werden, und sich selbst vielleicht unter einander wieder Muttermörder und Verfälscher des Glaubens nennen. 16 Bei der großen Gleichgültigkeit gegen das, was man ausserwesentlich nennt und das ist fürwahr nicht wenig - wird man zwar die G e r h a r d e nicht mehr vertreiben und die C r e l l e nur noch in der Geschichte finden; aber die evangelische Kirche wird doch, ohne ausdrückliche Beibehaltung der Grundartikel ihres Glaubens, weder im Abendmahle gegen Z w i n g l i ' s Alloeose und Bedeutung, noch in der Vorsehungslehre gegen das furchtbare Princip Calvins geschüzt seyn, daß das Gute nicht in der höchsten Vollkommenheit Gottes, sondern in seiner unbedingten 16

S c h r ö c k h s christliche Kirchengeschichte T h . X X X I V . S.425. fl.

Ammon: Bittere Arznei

5

10

15

20

25

441

Willkühr wurzele; und in Fällen, wie der unten bemerkte 17 , würde das sich selbst verwirrende [27] Gewissen vielleicht vergebens die kirchliche Lösung eines Dilemma's suchen, bei dem, wenn Gott nicht sicherer führte, als die Menschen, nichts Geringeres, als Pflicht und Seelenheil auf dem Spiele steht. Die Folge aus allen diesen Bemerkungen liegt rein und mild in dem Satze; die e v a n g e l i s c h e K i r c h e h ä l t f e s t am W o r t e u n d am S a c r a m e n t . [28] Daß übrigens C a l v i n , der bis zum Jahre 1549. in der Lehre vom heiligen Abendmahle bei Weitem mehr Lutheraner, als Zwinglianer war, noch immer mit der Augsburger unveränderten Confession nicht unvereinbar ist, erhellt deutlich aus seinen eigenen Worten. 18 „Man muß gewiß lehren, d a ß uns C h r i s t u s im S a c r a m e n t e w a h r h a f t i g g e r e i c h t w e r d e , nicht anders, als ob er von uns gesehen und mit Händen befühlt würde. D e n n das W o r t , n e h m e t , esset, das ist mein Leib, k a n n n i c h t l ü g e n , o d e r t ä u s c h e n . Auch wird nur Christus, der Gekreuzigte, von uns zu unserem Heile genossen, indem wir die Wirksamkeit seines Todes im wahrhaftigen Sinne erfassen. Wenn sich Christus das Brodt des Lebens nennt, so spricht er hier nicht vom Sacrament, wie Einige v e r k e h r t e r W e i s e auslegen. Er lehrt vielmehr, er sei das Leben, nicht nur als das ewige Wort Gottes, das vom Himmel kam, sondern weil er es durch seine Menschwerdung seinem Fleische mitgetheilt habe, damit durch dasselbe auch uns das Leben mitgetheilt würde. Hieraus folgt denn, daß sein Fleisch wahrhaftig eine [29] Speise und wahrhaftig ein Trank ist, der f ü r die G l a u b i g e n eine Nahrung zum ewigen Leben wird. O b es n u n a b e r g a n z u n 17

30

35

40 18

Im J. 1730. forderte die evangelische Gemahlin Friedrich Wilhelms I. von Preußen von ihrer Tochter Wilhelmine, nachherigen Markgräfin von Baireuth: que Vous fassiez un serment sur votre salut eternel, que vous n'epouserez jamais, que le prince de Gal-[27]les. Die reformirte Prinzessin hatte diese Verbindung früher gewünscht; aber ihre Neigung wankte, die Strenge eines unerbittlichen Vaters schreckte, ihr eigenes Gewissen verwirrte sie. Sie erwiederte mit frommer List: mon sort est ecrit en ciel. Si la p r o v i d e n c e par ses d e c r e t s e t e r n e l s a c o n c l u , que je sois etablie en Angleterre, ni le roi, ni aucune puissance humaine ne seront en etat, de l'empecher; et si au contraire e i l e en a o r d o n n e a u t r e m e n t , toutes les peines et tous les efforts, que V . M . se donnera, pour y parvenir, seront vains. Je ne puis d o n e preter un s e r m e n t t e m e r a i r e , que je ne s e r o i s p e u t - e t r e pas en etat, de tenir. Memoires de F r e d e r i q u e S o p h i e W i l h e l m i n e , Margrave de Bareuth, soeur de Frederic le grand. Braunschweig 1810. Τ. I. S. 283. f. Wären wir nicht schon M ä n n e r und g e t r o s t aus Freiheit, zu welcher Festigkeit müßte uns nicht dieses Argument ermannen aus Glaubenstaktik! I n s t i t u t i o n e s C h r i s t i a n a e r e l i g i o n i s . Ohne Druckort (Genf) 1561. S. 503-513. Ein, auch seiner treflichen Latinität wegen, unschätzbares Buch.

442

Anhang

g l a u b l i c h s c h e i n e n m ö g t e , d a ß bei e i n e r s o g r o ß e n O r t s e n t f e r n u n g d e n n o c h das Fleisch C h r i s t i biß zu uns komme19; so müssen wir d o c h b e d e n k e n , wie weit die g e h e i m e K r a f t des h e i l i g e n G e i s t e s ü b e r alle u n s e r e S i n n e e r h a b e n , u n d wie t h ö r i c h t es sei, s e i n e U n e r m e ß l i c h k e i t n a c h u n s e r e m M a a ß e m e s sen zu w o l l e n . Das B r e c h e n des Brodtes ist nur ein Zeichen, nicht die Sache selbst; doch schließen wir gewiß, indem wir das Zeichen des Leibes empfangen, w e r d e u n s auch der Leib selbst dargereicht, so, d a ß C h r i s t u s w a h r h a f t i g d u r c h die S u b s t a n z seines Leibes u n d B l u t e s u n s e r e S e e l e n belebt. Man muß mehr, als stumpf seyn, wenn man nicht merken will, daß in diesen wenigen Worten viele W u n der verborgen sind." Bei dieser großen Annäherung der B ^ r i f f e , und sobald man sich darüber verständigt, daß der Glaube im Sacramente ohne die obiective Gegenwart Christi [30] nur ein psychologisches Spiel der Begriffe seyn würde, ist eine Ausgleichung der Mißverständnisse ü b e r d i e s e n A r t i k e l vollkommen eingeleitet, sobald man von beiden Seiten mit redlichem Ernste auf die evangelische Einheit der Lehre Bedacht nimmt; aber es leuchtet auch von selbst ein, daß uns zu diesem Zwecke nicht einmal eine Veränderung unseres ersten Hauptbekenntnisses angesonnen werden kann. Zwar hat man sich, vielleicht um streitigen Erörterungen dieses Dogma's auszuweichen, auf das Beispiel der evangelischen Brüdergemeinde, als einer Vereinigung von Christen des lutherischen und refomirten Bekenntnißes berufen, welche das heilige Abendmahl nach einem, beide Theile befriedigenden, Ritus feiern 20 . In der T h a t stimmen C a l v i n und die B r ü d e r in einigen prägnanten Stellen ihres öffentlichen Bekenntnisses merkwürdig zusammen 2 1 . Niemand weniger, als der Verfasser dieser Prüfung, kann an der Frage Gefallen finden, zu welcher Kirche dieienigen Gemeinden zu rechnen seyn mögten, die, [31] ohne ein bestimmtes Symbol, sich vor der H a n d mehr in der Gemeinschaft andächtiger Gefühle, als eines deutlichen und bestimmten Glaubens, zur Feier des heiligen Abendmahles nach vermischten Gebräuchen und wechselnden Ansichten verbinden? Dennoch wird und muß sie aufgeworfen werden, sei es nun, um die Abendmahlslehre der luthe-

19 20

21

In tanta l o c o r u m d i s t a n t i a ad n o s p e n e t r a r e Christi carnem. Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30.0ctbr. von ihr zu haltende Abendmahlsfeier. Berlin 1817. S. 16. Illis (Zvinglianis) manducatio est fides; mihi ea f i d e potius c o n s e q u i videtur. In verbis paruum, in re n o n m e d i o c r e est discrimen. C a l u i n u s 1. c. p. 504. „Es ist aber wohl zu merken, daß Jesus das heilige Abendmahl n i c h t f ü r die U n g l ä u b i g e n , s o n d e r n f ü r die G l ä u b i g e n eingesetzt und verordnet hat." Spangenberg idea fidei fratrum. Barby, 1779. S. 297-299.

Ammon: Bittere Arznei

443

rischen Kirche, welche die wirkliche Gegenwart Christi mit der katholischen und griechischen behauptet, zu berichtigen, und dafür der zwinglischen, der calvinischen, oder einer neuen Bestimmung das Uebergewicht zu verschaffen; oder um sich unumwunden zu der Behauptung zu bekennen, daß es unentschieden, gleichgültig und unwesentlich sei, ob das Brodt den Leib Christi nur bedeute, ob er nur von den Gläubigen genossen, oder ob er kraft der Einsetzungsworte wirklich gegenwärtig sei; oder um es endlich mit der Brüdergemeinde feierlich zu erklären, „das 1530. zu Augsburg übergebene Bekenntniß sei und b l e i b e ihr Glaubensbekenntniß, weil die Grundwahrheiten christlicher Lehren in demselben so k u r z und r u n d , so d e u t l i c h z u s a m m e n g e f a ß t und mit Dranwagung Leibes und Lebens, Guts und Bluts öffentlich dargelegt worden, daß sie n i c h t s V o r t r e f f l i c h e r e s von d e r Art wisse22." Wir gestehen frei, daß wir ohne die letzte Bedingung an keine vollkommene Vereinigung der bisher schon so nahe verschwisterten Kirchen glauben können. Die Brüder, auch [32] wenn sie zur Anbildung neuer Zöglinge verschiedene Lehrtypen zulassen und sie bei dem Zusammenflusse ihrer Gemeinde aus verschiedenen Familien, so wie bei ihrer zuerst eifrig bedrängten Lage, zulassen mußten, ermangeln doch, wie es von Christen zu erwarten steht, einer bestimmten inneren Haltung, oder wie der Apostel sagt, der köstlichen Festigkeit des Herzens nicht, und wir haben zur Zeit nicht die geringste Ursache, zu glauben, daß sie sich mit den unirten, und zu unirenden neulutherischen und neureformirten Gemeinden kirchlich vereinigen, oder, bei ihrer rühmlichen Gewandtheit und Vorsicht, die Grenzen einer höflichen Begrüßung überschreiten werden. Steht nun aber eine kleine Gemeinde, die doch in dieser Angelegenheit als Vorbild aufgerufen wird, zur Zeit beobachtend für sich; warum soll eine große Kirche, die man noch dazu als altlutherisches Nachbild betrachtet, es nicht frei erklären, was sie besizt und wo ihre Grenzen stehen? Geschrieben am 17.Nov. 1817.

22

S p a n g e n b e r g ' s idea fidei fratrum. Barby 1779. Vorher. S.5.f.

444

Anhang

Bretschneider, Karl Gottlieb Aphorismen über die Union der beiden evangelischen Kirchen in Deutschland, ihre gemeinschaftliche Abendmahlsfeier und den Unterschied ihrer Lehre, Gotha 1819 (Auszug)

[III]

Vorwort.

Daß die Trennung der evangelischen Kirche in die lutherische und reformirte ein Uebel, und daß es wünschenswürdig sey, diese Trennung zu beseitigen; darüber waren von jeher viele verständige und wohldenkende Männer beider Theile einverstanden. Es war zu erwarten, daß auch unser bewegliches Zeitalter bei der Säcularfeier der Reformation durch diese aufs Neue an die unbrüderliche Trennung gemahnt, den Gedanken einer Vereinigung beider Kirchen wieder auffassen würde. Dieses geschah auch wirklich. Die Synode der Geistlichen beider Theile in Berlin vereinigte sich, das Abendmahl nach einem [IV] neuen Ritus, den beide Theile ohne Anstoß brauchen könnten, gemeinschaftlich zu feiern. Viele andere, von beiden Confessionen, folgten ihrem Beispiele, und man beabsichtigt die allgemeine Einführung dieses Ritus im Preußischen, um dadurch eine Einleitung zu einer äußerlichen kirchlichen Gemeinschaft beider Theile zu treffen. Im Nassauischen, späterhin auch im Hanauischen führte man die Sache weiter und vereinigte den Cultus, den Lehrerstand, das Kirchenregiment und Kirchengut beider Theile zu einem Ganzen. Die Stille, mit welcher die Theologen beider Kirchen in andern Ländern diese Erscheinung ansahen, wurde endlich auf lutherischer Seite unterbrochen. H a r m s warf in seinen Thesen 1 den ersten Stein auf das Unionswerk, und einige Zeit darauf erklärte sich auch A m m o n bei der Anzeige der Harmsischen Theses mißbilligend über d i e s e A r t der Union. 2 [V] Dadurch fand sich S c h l e i e r m a c h e r aufgefordert, den Weg, den man für die Union gewählt hatte, und die neue Abend-

1

„Das sind die 95 Theses oder Streitsätze D. Luthers, theuern Andenkens. Zum besondern Abdruck besorgt und mit andern 95 Sätzen, als mit einer Uebersetzung aus Anno 1517 in 1817, begleitet von C l a u s Harms." Kiel, 1817.

2

„Bittre Arznei gegen die Glaubensschwäche der Zeit verordnet von Claus Harms, und geprüft von A m - [ V ] mon." In s. Magazin für christl. Prediger 2 ter B. 2 tes St.

8.

Bretschneider:

Aphorismen

445

mahlsfeier zu vertheidigen. 3 Sein Sendschreiben an Ammon blieb von diesen nicht unbeantwortet 4 ; doch erklärten beide, daß sie den Streit nicht weiter fortzusetzen gemeint seyen. Bald darauf nahm aber T i t t m a n n in Leipzig den Fehdehandschuh auf, und beschuldigte in einem an Schleiermacher gerichteten Schreiben die Union, daß sie, in der Art, wie man sie eingeleitet habe, nichts anders sey, als ein Versuch, die lutherische Kirche der reformirten in einigen Ländern auf schlaue Art zu unterwerfen. 5 Einen solchen Verdacht hatte ich von der Union nie fassen können. Ich sah diese Sache vielmehr nicht [VI] nur für etwas Wünschenswerthes, sondern auch für etwas sehr Ausführbares an, indem ich glaubte, beide Theile wären in ihrer Wissenschaft so weit fortgeschritten, um zu erkennen, daß sie eigentlich nur noch der Nachhall voriger Zeiten und die alte Gewohnheit trenne. Ich habe es nämlich stets für ausgemacht gehalten, daß wenn beide Theile jemals eins werden sollen, beide nachgeben müssen, und zwar die Lutherischen in der Theorie von dem mündlichen Genüsse der Substanz des Leibes und Blutes Christi im Abendmahle, die Reformirten in der Lehre von der unbedingten Gnadenwahl. Dieses schien mir nun auf unsrer Seite der Fall zu seyn, und ich glaubte, daß es auf der andern Seite eben so gewiß der Fall seyn müsse, wenn ich hörte und las, daß der Lehrunterschied zwischen beiden unbedeutend, und diese Scheidewand durch die Zeit zerstört worden sey. Denn betrachtete ich die Schriften der angesehensten neuern Theologen unsrer Kirche, so fand ich, daß sie, wie M i c h a e l i s und R e i n h a r d , das Brechen des Brods im Abendmahle gebilligt, daß sie, wie M o r u s , R e i n h a r d , J u n g e , A m m o n , S c h o t t und Andre den Unterschied, wie man sich die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahle denken wolle, für gleichgültig und einflußlos auf [VII] die Wirkung des Sacraments erklärt, oder daß sie, wie Z a c h a r i ä , R e i n h a r d , S t o r r diese Gegenwart sich eben so wie Calvin nicht anders als der Wirkung nach vorgestellt, oder auch daß Andre sich den Vorstellungen Zwingli's genähert, und wenigstens die Meisten sich von der Vorstellung Luthers von einem mündlichen Genüsse der Substanz des Leibes Christi ganz entfernt hatten. In dieser Lehre also scheinen die

3

4

5

An den Hrn. Oberhofprediger Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Sätze. Von F. S c h l e i e r m a c h e r . Berl. 1818. 8. „Antwort auf die Zuschrift des Hrn. D. Fr. Schleiermacher über die Prüfung der Harmsischen Sätze vom Herausgeber des Magazins. 1818. 8. Worauf erschien: S c h l e i e r m a c h e r , Zugabe zu einem Schreiben an Hrn. Ammon." Berl. 1818. 8. Ueber die Vereinigung der evangelischen Kirchen von J . A . H . T i t t m a n n . Leipz. 1818. 8.

446

Anhang

j e t z t l e b e n d e n G l i e d e r beider Kirchen größtentheils einig zu seyn, und es kann keinen unüberwindlichen Schwierigkeiten ausgesetzt seyn, auch die beiderseitigen öffentlichen Bekenntnisse über diesen Punct zu vereinigen. Was bei uns in d i e s e r Lehre der Fall war, das glaubte ich, müsse bei den Reformirten mit der andern Hauptlehre, die beide Kirchen trennte, der c a l v i n i s c h e n T h e o r i e von d e r G n a d e n w a h l auch geschehen seyn; nämlich daß die jetzt lebenden Glieder der reformirten Kirchen in unserm Vaterlande Calvins Theorie aufgegeben hätten, und also auch dieser Lehrunterschied zwischen den j e t z t L e b e n d e n so gut als nicht mehr vorhanden sey. Zu diesem Glauben drang mich die doppelte Bemerkung, theils daß ich in so vie-[VIII]len Schriften reformirter Theologen, die mir zur Hand gekommen sind, keinen Einfluß der calvinischen Theorie von der Gnadenwahl gewahr werden konnte, wohl aber eine Menge mit ihr unverträglicher Behauptungen fand; theils daß sich die lutherischen Theologen dieser Theorie auch nicht entfernt genähert haben, und daher gar kein Grund vorhanden ist, anzunehmen, daß sie hierin jemahls nachgeben, und sich mit Calvins Theorie vertragen, oder sie für etwas Gleichgültiges und Unschädliches erkennen würden. Wenn man nun das in Bewegung gekommene Werk der Union unter andern auch von der Seite empfehlen hörte, daß es ja noch kaum einen Streit zwischen beiden Kirchen gebe, daß der Unterschied der Lehre unbedeutend, und ohne Einfluß aufs Leben sey, und daß die Zeit die Scheidewand zwischen beiden Kirchen niedergeworfen habe; so konnte man diesen Behauptungen kaum einen andern Sinn geben als diesen: daß nun die Zeit gekommen sey, wo beide Kirchen über den Lehrunterschied, der sie früher so bitter trennte, andrer Meinung geworden wären, und die Lutheraner erkannt hätten, daß sie in der Lehre vom Abendmahle, die Reformirten aber, daß sie in der Lehre von der Gnadenwahl zu weit gegangen wären; wo zwar die öffentlichen Bekenntnisse [ I X ] noch polemisch getrennt seyen, aber die jetzt lebenden Lehrer einig seyen; wo also einer Vereinigung beider Theile kein wesentliches Hinderniß mehr im Wege stehe. So schien also die Vereinigung in der Lehre zwischen beiden Kirchen bereits stillschweigend geschehen, und die äußerliche Vereinigung blos ein Aussprechen, eine Bestätigung der schon vorhandenen Glaubenseinigkeit zu seyn. Und in dieser Voraussetzung erschien mir die Union als etwas sehr Wünschenswerthes, Ausführbares, und für das Gewissen beider Theile Erlaubtes. Denn es ist wohl entschieden genug, daß unter allen Lehren, die beide Kirchen trennen, nur die von der Gnadenwahl einen Einfluß auf das practische Christenthum, auf Tugend und Beruhigung des Christen hat, daß also, wenn man hierüber einig ist, die übrigen Differenzen von geringerem Belange sind.

Bretschneider:

Aphorismen

447

Ich war daher sehr unzufrieden mit H a r m s , daß er in seinen Thesen das Unionswerk nicht ohne Bitterkeit angriff, und in der 77sten Theses behauptete: es sey keine reine Sprache, zu sagen, die Zeit habe die Scheidewand zwischen Reformirten und Lu-[X]theranern aufgehoben. Ich hielt dieses wenigstens für wahrscheinlich, und glaubte aus den schon bemerkten Gründen, daß bei den jetzt lebenden Reformirten die calvinische Gnadenwahl eben so gefallen sey, wie bei den jetzt lebenden Lutheranern Luthers Theorie vom mündlichen Genüsse der Substanz des Leibes Christi gefallen ist. Daß ich aber hierin irrte, ersah ich späterhin mit Bedauern. Die amtliche Erklärung der Berliner Synode, die mir zufällig erst spät zu Gesichte kam, erklärte mit dürren Worten: es sey auf eine Vereinigung der Bekenntnisse und der Lehren beider Kirchen gar nicht abgesehen; diese Verschiedenheit solle vielmehr nicht nur i m m e r f o r t b e s t e h e n , sondern auch, je mehr Eifer im Christenthum rege werde, d e s t o m e h r h e r v o r t r e t e n . Daß hierbei die Lehre von der Gnadenwahl nicht ausgeschlossen sey, zeigte nicht nur die Allgemeinheit des Ausdrucks, sondern auch die Erklärung des Präsidenten jener Synode, der in seinem Sendschreiben an A m m o n die calvinische Lehre von der Gnadenwahl in Schutz nimmt, und bemerkt, daß sie nur zeither nicht recht gefaßt und nicht gründlich genug durchgefochten worden sey. [XI] Ich sah hieraus, daß die Voraussetzung, man sey reformirter Seits von Calvins Theorie zurückgekommen, und wolle stillschweigend auf sie Verzicht leisten, voreilig und grundlos gewesen war. Ich sah, daß es nicht die Meinung war, die Bekenntnißschriften zwar unverändert zu lassen, aber die Streitpuncte in Vergessenheit zu bringen, und namentlich in diesem Puncte auf Calvin zu verzichten; sondern daß man gesonnen sey, „ ü b e r a l l , wo es N o t h t h u e , " (was doch nichts anders heißen kann, als auf Academien, beim Confirmandenunterricht, in den Lehrbüchern der Religion für Schulen, und auch auf der Kanzel, wo man doch die Lehre von der allgemeinen Gnade Gottes in Christo nicht mit Stillschweigen übergehen kann), den Lehrunterschied vorzutragen und festzuhalten; ich sah, daß man sogar wünschte und erwartete, der Lehrunterschied werde bei vermehrtem Eifer im Christenthume, auch zu desto lebhaftem Discussionen zwischen beiden Theilen führen. So soll also die Scheidewand der Lehre zwischen beiden Kirchen nicht aufgehoben, sondern befestigt werden; und dennoch will man beide Kirchen zu einer machen! - So erfreulich und ausführbar mir auch [XII] das Unionswerk unter der Voraussetzung gewesen war, daß die Zeit wirklich die Scheidewand der Lehre zwischen beiden Kirchen niedergeworfen habe, und daß die Union erst ein stillschweigendes, bald aber ein öffentliches Verzichtleisten auf die Theile des Lehrunter-

448

Anhang

schiedes, in denen man einmal, wenn es zur Vereinigung kommt, dem Andern nachgeben muß, beabsichtige und zur Folge haben solle: so wenig kann ich mich freuen, daß man an eine Vereinigung denkt, wo der Lehrstreit fortdauern, und lebhafter werden, und kein Theil das aufgeben soll, was ihm doch im Laufe der Zeit als unhaltbar und falsch erschienen ist. Ich kann mich nämlich nicht überzeugen, daß unter solchen Umständen, bei solchen Gesinnungen und Absichten die Union von D a u e r und N ü t z l i c h k e i t seyn werde. Diese letzte Ueberzeugung hier auszusprechen, finde ich um so weniger Bedenken, da dieser Gegenstand durch die vorhin angeführten Schriften einmal ein öffentliches Interesse bekommen hat. Zwar weiß ich wohl, daß diejenigen, welche für eine Sache erwärmt sind, es nicht immer wohl aufnehmen, wenn man ihnen mit Bedenklichkeiten oder Widersprüchen in den Weg tritt; aber auf der andern Seite, ist doch [ X I I I ] dieses das wirksamste Mittel, um auf die Schwierigkeiten, die man übersehen oder zu leicht genommen hat, aufmerksam zu machen, dadurch das gute Werk wahrhaft zu fördern, und die öffentliche Stimme über eine so wichtige Angelegenheit allmählich zu erforschen. Nicht zum Richter in dieser Sache habe ich mich aufwerfen, und noch weniger den Sachwalter des einen oder des andern Theils der Streitenden machen wollen, dessen auch kein Theil bedarf; sondern meine Ueberzeugung mit ihren Gründen habe ich ohne Leidenschaft aussprechen und dadurch eine Veranlassung zum weitern Nachdenken über die berührten Gegenstände, und zu einer mehrseitigen Verhandlung dieser wichtigen Angelegenheit geben wollen. Ich hoffe, mich von dem Wege der Unpartheilichkeit nicht entfernt zu haben; ich rechne mir aber dieses nicht zum Verdienst an, da ich mit der Union nicht in der entferntesten amtlichen Berührung stehe. Auch glaube ich den Beförderern der Union alle Gerechtigkeit bewiesen, und mich nicht als einen von Leidenschaft befangenen Gegner, sondern als einen Freund der Kirchenvereinigung gezeigt zu haben, denn es schmerzt, daß der zur Union eingeschlagene Weg ein [ X I V ] Hinderniß der guten Sache werden dürfte, und der von dem Wunsche geleitet wird, bald eine vollkommene Vereinigung beider Kirchen nicht nur im Aeußern, sondern auch im Innern, eingeleitet, und zu Stande gebracht zu sehen. Sollten diese Blätter näher oder entfernt dazu beitragen, diesen Wunsch zu befördern, so werde ich nicht bereuen, sie dem Publikum übergeben zu haben. Gotha, den 6. August 1818.

B.

Bretschneider:

[XV]

449

Aphorismen

Inhalt. Seite.

I. Ueber den neuen Abendmahlsritus, den man für die vereinigte evangelische Kirche in Vorschlag gebracht, und an mehrern Orten bereits eingeführt hat II. Von der Nützlichkeit einer Union zwischen der lutherischen und reformirten Kirche überhaupt III. Ueber die Natur kirchlicher Unionen überhaupt und der projectirten insonderheit IV. Ist es erlaubt und hat es einen Werth, daß beide Kirchen eine blos gesellschaftliche Vereinigung mit fortbestehender Verschiedenheit des Lehrbegriffs schließen? V. Ueber die Gründe einer blos gesellschaftlichen Union VI. Ueber den Unterschied der Lehre vom Abendmahle zwischen beiden Kirchen. Desgleichen von der Beichte VII. Ueber den Unterschied der Lehre von der Gnadenwahl zwischen beiden Bekenntnissen VIII. Ueber die Modificationen, welche Calvins Lehre von der Gnadenwahl in den vornehmsten Bekenntnißschriften der Reformirten erfahren hat

[- - -] [82]

1 18 25

33 50 69 82

109

VII.

U e b e r d e n Unterschied der Lehre v o n der G n a d e n w a h l zwischen beiden Bekenntnissen.

Die andre Hauptlehre, welche beide Kirchen trennt, ist die Lehre von der Gnadenwahl. Auch hier wollen wir die Differenzpuncte zuerst aufsuchen, und den Unterschied der Lehre sodann in Beziehung auf Schrift, System und practisches Christenthum prüfen. Die lutherische und reformirte Kirche lehren einstimmig, daß die Menschen von Gott ursprünglich moralisch gut erschaffen, aber durch Adams Fall mit der Erbsünde behaftet, und deßhalb der Verdammniß unterworfen worden seyen. Beide lehren, daß Jesus von Gott in der Absicht gesendet worden sey, um die Menschen durch die von ihm gestiftete Versöhnung von der Verdammniß zu befreien, und ihnen das ewige Leben zu verschaffen. Beide lehren [83] einstimmig, daß der Mensch durch die Erbsünde unfähig sey, aus eigner Kraft sich zu bessern und an Jesum zu glauben, sondern daß er dazu des Beistandes Gottes oder seines Geistes, den man die Gnade Gottes nannte, bedürfe.

450

Anhang

Die Abweichung besteht aber in Folgendem. U n s r e K i r c h e behauptet: der Rathschluß Gottes, durch Jesum die Strafe der Erbsünde aufzuheben, beziehe sich auf alle Menschen, ohne Unterschied; er lade sie daher alle zur Besserung und Seeligkeit bei, verweigere keinem die bessernde Gnade, und wolle nicht, daß ein Mensch verlohren werde, sondern daß sie alle durch Jesum gerettet würden. Da aber der Mensch der bessernden Gnade widerstehen und der Einladung Gottes entweder folgen oder sie verachten könne, und Gott vorhergesehen habe, wer sich bessern lassen würde und wer nicht; so habe Gott beschlossen, diejenigen, von denen er vorhersah, daß sie der Erlösungsanstalt sich bedienen würden, seelig zu machen, diejenigen aber, deren Beharrung im Unglauben er vorhergesehen habe, nicht seelig zu machen, sondern die Strafe der Sünde, die Verdammniß, an ihnen zu vollziehen. Der reformirten Kirche theilte Calvin eine andre Theorie mit, welche jedoch von ihnen späterhin zum Theil gemildert worden ist, wovon hernach die Rede seyn wird. Hier müssen wir zuerst Calvins Theorie neben die lutherische stellen. Calvin aber lehrt: es sey Gottes Wille und Absicht nicht, das ganze menschliche Geschlecht von der durch die Erbsünde verdienten Verdammniß zu befreien; sondern er habe von Ewigkeit her beschlossen, nach freier [84] Willkühr, ohne durch das Vorhersehen des künftigen Verhaltens der Menschen in seiner Wahl geleitet zu werden, nur einen Theil der Menschen zu erleuchten, zu bessern, ihnen den Glauben zu geben und sie ewig seelig zu machen, einen andern Theil aber nicht zu erleuchten, nicht zu bessern, ihnen den Glauben und die Seeligkeit nicht zu geben, sondern sie in ihrer Bosheit zu bestärken, sie zu verhärten und zu verdammen. So zeige er sich theils als barmherzig, theils als gerecht; der Grund aber, warum er diesen seelig mache und einen andern verdamme, sei uns gänzlich unbekannt, und der Mensch habe kein Recht darnach zu fragen. 6

6

C a l v i n , instit. relig Chr. lib. III c. 21. §.5. p.589: „Praedestinationem vocamus, aeternum Dei decretum, quo apud se constitutum habuit, quid de unoquoque homine fieri vellet. N o n enim pari conditione creantur omnes; sed aliis vita aeterna, aliis damnatio aeterna praeordinatur. Itaque prout in alterutrum finem quisque conditus est, ita vel ad vitam vel ad mortem praedestinatum dicimus." - §.7. p. 591: „Dicimus, aeterno et immutabili consilio Deum semel constituisse, quos olim semel assumere vellet in salutem, quos rursum exitio devovere. H o c consilium quoad electos in gratuita eius misericordia fundatum esse asserimus, nullo humanae dignitatis respectu; quos vero damnationi addicit, his justo quidem et irreprehensibili, sed incomprehensibili ipsius judicio, vitae aditum praecludi." - Cap. 24. §.12. p. 624: „Quemadmodum suae erga electos vocationis efficacia, salutem, ad quam eos aeterno consilio destinarat, perficit Deus: ita sua habet adversus reprobos judicia,

Bretschneider:

Aphorismen

451

[85] Die Differenz der beiderseitigen Lehrmeinungen kommt also darauf zurück, daß nach dem lutherischen Lehrbegriff der Wille Gottes in der Idee aller gefallenen Menschen Beseeligung, ohne Ausnahme beabsichtigt, in der Ausführung aber dadurch bedingt wird, daß der einzelne Mensch diesen Willen Gottes durch fortdauerndes Widerstreben gegen die bessernde Gnade, für seine Person nicht unwirksam macht; nach der calvinischen Lehre aber der Wille Gottes auch in der Idee nur einer gewissen Anzahl von Menschen die Beseeligung zugedacht hat, und die Ausführung dieses Willens von dem Menschen auf keine Weise vereitelt werden kann. Beide gestehen zu, daß durch den Sündenfall [86] und die Erbsünde alle Menschen ihren Anspruch auf die Seeligkeit verloren hätten, und daß die Rettungsanstalt durch Jesum freie Gnade Gottes sey; beide bekennen, daß in der Erfahrung nicht alle Menschen durch Christum wirklich seelig werden, sondern nur ein gewisser Theil; die Lutherischen suchen aber den Grund davon in dem Menschen selbst und seinem Widerstande, Calvin sucht ihn blos in dem freien Entschlüsse Gottes, der, man wisse nicht warum, einmal nicht wolle, daß alle seelig werden sollten. Nach unsrer Theorie sollen alle Menschen seelig werden, wenn es Gottes Willen nachgeht, und Gott hat die Heilsanstalt durch Jesum für alle Menschen gestiftet; sie werden aber nicht alle seelig, weil sie nicht alle wollen; nach Calvin k ö n n ten zwar alle seelig werden, wenn Gott wollte, sie werden es aber nicht, weil es G o t t nicht will, und das Heil durch Jesum nicht für alle sondern für einen Theil bestimmt hat. Sonderbar aber kann es scheinen, daß beide Theile ihre Behauptungen allein auf die Schrift gründen; denn beide Theile erklären, daß sie hierbei der Schrift ganz allein fol-

quibus consilium de illis suum exequatur. Q u o s ergo in v i t a e c o n t u m e liam et m o r t i s e x i t i u m c r e a v i t , ut irae suae Organa forent, et severitatis exempla, eos, ut in f i - [ 8 5 ] n e m s u u m p e r v e n i a n t , nunc audiendi verbi sui facultate p r i v a t , n u n c e i u s p r a e d i c a t i o n e m a g i s e x c a e c a t et o b s t u p e facit." - C.23. §.1. p.603: „Quos Deus praeterit, reprobat; n e q u e alia d e c a u s a nisi quod ab haereditate, quam filiis suis praedestinat, illos v u l t excludere." - p.604: „Dei consilium obdurationis est causa." - C.24. §.12. [ ! ] p. 625: „Quare ne cum Augustino loqui nos pigeat, posset (inquit ille) Deus malorum voluntatem in bonum convertere, quia omnipotens est. Posset plane. Cur ergo non facit? Q u i a n o l u i t . Cur n o l u e r i t p e n e s i p s u m est. D e b e mus enim non plus sapere, quam oportet." - Cap. 22 §. 1. p. 593: „Vulgo existimant (die Lutheraner,) Deum, prout cuiusque merita fore praevidet, ita inter homines discernere, quos ergo sua gratia fore non indignos praecognoscit, eos in filiorum locum cooptare: quorum ingenia ad malitiam et impietatem propensura dispicit, eos mortis damnatione devovere. Sic interposito praescientiae velo non m o d o obscurant electionem, sed originem aliunde (als in der bloßen Willkühr Gottes) habere fingunt."

452

Anhang

gen wollten. 7 Es kann hier nicht unsre Absicht seyn, alle Schriftstellen, welche von Calvin und seiner Kirche zur Bestätigung ihrer Lehre von der Gnadenwahl angeführt werden, zu beleuchten, und in ausführ[87]liche exegetische Untersuchungen einzugehen; aber es wird zur Beurtheilung des Verhältnisses beider Theorien über diesen Punct, doch erforderlich seyn, die allgemeinen Gesichtspuncte anzugeben, aus denen jene Schriftstellen zu beurtheilen sind. Was die l u t h e r i s c h e Vorstellung betrifft, daß Gott alle Menschen, auch die Bösen, liebe, daß er wolle, es solle allen durch Jesum geholfen werden, alle zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, und seiner Absicht nach keiner verloren gehen; so enthält das neue Testament diese Sätze mit ausdrücklichen Worten. S. l T i m o t h . 2,4. Tit. 2,11. l j o h . 2,2. I P e t r . 3,9. Vergl. Mark. 2,17. Luk. 15,10. Apost. 26,18. Matth. 5,44-48. Auch befahl Jesus seinen Jüngern Matth. 28,18. auszugehen in alle Welt, und alle Völker zu lehren und zu taufen, und erklärte damit deutlich genug, daß seine Anstalt des Heils nicht etwa nur für einige, sondern für alle bestimmt sey. Der calvinischen Theorie geht dieser Vortheil ab; es findet sich keine Schriftstelle, wo mit ausdrücklichen, deutlichen Worten gesagt würde: daß Gott einen Theil der Menschen zur Verdammniß erschaffen und bestimmt habe, einen andern aber zur Seeligkeit, und daß er nur die letzten erleuchte, bessere und ihnen den Glauben gebe, die erstem aber verfinstre und verhärte. Die ganze Lehre ist vielmehr aus einzelnen Aussprüchen g e f o l g e r t , aus einzelnen Beispielen abgeleitet. Man beruft sich auf manche Stellen des alten Testaments, wo bisweilen gesagt wird, Gott habe einzelnen [88] Menschen das Herz verhärtet z.B. 2 Mos. 4,21. 7,3. Kap. 9,16. Josua 11,20., was auch bisweilen im neuen Testamente wiederholt wird. Es ist nicht nöthig, hier zu erinnern, daß aus dieser Denk- und Sprechweise der alten Welt keine dogmatischen Sätze abzuleiten sind; denn darüber ist man jetzt wohl größtentheils einverstanden. Aber, wenn wir sie auch nehmen, wie sie lauten, diese Stellen, so ist doch in ihnen nirgends von der d u r c h C h r i s t u m zu erlangenden Seeligkeit nach dem Tode, oder von der ewigen Verdammniß die Rede, sondern vom irdischen Ergehen, und der Erkenntniß dessen, was in gewissen Fällen der irdischen Wohlfahrt förderlich war oder nicht. Noch weniger ist aus dem, was von einem Pharao gesagt wird, ein Schluß zu machen auf ewige Rathschlüsse Got1

C a l v i n instit. relig Chr. Lib. III. Cap.21. §.2. p. 587. „Sit igitur primum nobis hoc prae oculis, aliam praedestinationis notitiam appetere, quam quae verbo Dei explicatur, non minoris esse insaniae, quam si quis vel per invium incedere, vel in tenebris cernere velit."

Bretschneiäer:

Aphorismen

453

tes über das Schicksal des ganzen menschlichen Geschlechts. - Wenn man aber auch Calvin zugiebt, daß im alten Testamente in sofern ein gewisser Partikularismus zu finden sey, in wiefern Abraham und seine Nachkommen als das von Gott auserwählte Volk dargestellt werden, dem er sich offenbaren und dem er wohl thun wolle; so bezieht sich theils diese Wahl Gottes nicht auf die Auswahl zur Seeligkeit n a c h dem T o d e , sondern auf irdisches und äußerliches Wohlergehen, theils würde daraus nur eine Auswahl Gottes unter ganzen Völkern zu seinem Reiche, nicht aber eine Auswahl Einzelner unter den erwählten Völkern zur ewigen Seeligkeit folgen. Gesetzt aber, daß die ganze calvinische Prädestination im alten Testamente läge; so ist doch dieser Partikularismus durch das Christenthum ganz [89] vernichtet worden, indem es sich unter andern auch dadurch charakteristisch von der mosaischen Religionsverfassung unterschied, daß es ohne Unterschied Juden und Heiden, alle Völker umfassen sollte. Matth. 28,18. Schon aus dieser Bestimmung des Christenthums dürfte sich vermuthen lassen, daß die Stellen des neuen Testaments, wo man eine partikuläre Gnadenwahl zu finden vermeinte, nicht richtig aufgefaßt seyn möchten. Was die Reden Jesu betrifft, so berief man sich darauf, daß er öfters sagt: es wären zwar viele berufen, aber wenige auserwählt. In dieser oft wiederkehrenden Formel sagt aber Jesus nichts anders, als dieses: es würden zwar alle Juden (denn auf diese, nicht auf alle Menschen beziehen sich seine Worte) von ihm eingeladen, seine Lehre anzunehmen und Mitglieder des Gottesreiches, das er auf Erden stiften wolle, zu werden; aber die Zahl derer, welche folgten, sey gering. Denn das Wort a u s e r w ä h l t e , das oft im neuen Testamente wiederkehrt, hat nicht gerade die Bedeutung: von Gott nach freier Willkühr erwählte, sondern es bezeichnet bekanntlich öfters Christen überhaupt, öfters solche, die von Gott geliebt werden, d. h. in einem solchen Zustande sind, daß sie Gottes Wohlgefallen besitzen, und seiner Wohlthaten gewürdigt werden. Nun sagt zwar Jesus Luk. 13,23-27. daß Manche ins Himmelreich zu kommen trachten, und doch nicht dazu gelangen würden, weil eine Zeit kommen werde, wo der Eingang dazu für sie verschlossen seyn dürfte; aber es folgt daraus auf keine Weise, daß Gott diese Menschen, und noch weni-[90]ger, daß er überhaupt Menschen zur Verdammniß prädestinirt habe. Denn Jesus setzt voraus, daß es für sie allerdings eine Zeit gebe, wo auch sie ins Gottesreich kommen könnten, daß jedoch auch eine Zeit kommen würde, wo es für sie zu spät seyn würde. Daß sie nie dazu hätten gelangen können, weil G o t t sie zur Verdammniß prädestinirt habe, davon sagt er kein Wort; vielmehr erklärt er sie im 27sten Verse für Uebelthäter, und sucht also den Grund, warum sie nicht aufgenommen werden würden, in ihrer moralischen Beschaffen-

454

Anhang

heit. Er tadelt nämlich hier, so wie an andern Orten, z.B. Matth. 7,21-23 die Juden deßwegen, daß sie glaubten, sie bedürften der Besserung nicht, um ins Gottesreich zu gelangen, sondern sie hätten dazu schon als Juden, aus deren Mitte der Messias hervorgehe (V. 26), und wegen ihrer jüdischen Abstammung (V. 27) ein Vorzugsrecht. Davon ist auch Matth. 20,1-16, Kap. 22,Iff. die Rede, Joh. 15,16. aber von der Erwählung zum Apostelamte. Besonders aber hat man beim Apostel Paulus die Lehre von einer unbedingten Gnadenwahl zu finden gemeint. Er sagt zwar Rom. I,24-28. daß Gott die Heiden ihren sündlichen Lastern dahin gegeben, und sie mit dem Beistande seiner bessernden Gnade verlassen habe; aber er sagt nicht, daß Gott dieses deßwegen gethan habe, weil er einmal nicht gewollt habe, daß sie gebessert werden sollten; sondern weil sie die Offenbarung Gottes in der Natur (V. 19-21) nicht geachtet, und (V. 28) nicht darnach gehandelt hätten. Von einer VerStockung bei Verkündi-[91]gung des Evangeliums ist aber noch weniger die Rede, weil Paulus von ihrem Zustande spricht, ehe ihnen das Christenthum verkündigt wurde. In der Stelle 2 Timoth. 1,9, vergl. Vers 5-8, spricht aber Paulus blos von der Erwählung zum Apostelamte, nicht von der Erwählung zur Seeligkeit. In den Hauptstellen aber, die man für die willkührliche Berufung zur ewigen Seeligkeit anführte, nähmlich Rom. 8,28 ff. Kap. 9. Kap. II,1-11. Ephes. 1,3-12. 2 Thess. 2,10-13. Joh. 12,39. 40. ist nicht davon die Rede, daß Gott u n t e r C h r i s t e n Einige zur Seeligkeit, Andre zur Verdammniß bestimme; sondern von seiner besondern Liebe, nach welcher er die ersten Christen und die Apostel unter so vielen J u d e n und H e i d e n ausgewählt habe, daß sie die e r s t e n Verkündiger und Bekenner des Christenthums, die ersten Theilhaber an den Wohlthaten und Hoffnungen derselben seyn sollten. Sie handeln nicht, diese Stellen, von einem Rathschlusse Gottes über alle Menschen und zu allen Z e i t e n , oder über die Seeligkeit derselben in der z u k ü n f t i g e n Welt, sondern von dem irdischen Vorzuge der ersten Christen, daß sie unter so Vielen zuerst Christen und Lehrer des Christenthums wurden. Dieses ist besonders in den beiden Hauptstellen Rom. 9 und 11 zu bemerken, wo Paulus über die Erscheinung spricht, warum doch so wenige Juden, denen doch der Messias zunächst bestimmt gewesen sey, Christen geworden wären, und warum dagegen die Wohlthaten des Christenthums auf so zahlreiche Heiden übergiengen. Er findet [92] den Grund davon darin, daß es theils Gott freigestanden habe, auch die Heiden an diesen Wohlthaten Antheil nehmen zu lassen, indem seine Liebe an keine äußerlichen Verhältnisse, wie sie die Juden geltend machen wollten, gebunden sey (Rom. 9, V. 13-16), theils daß die Juden selbst Jesum verworfen hätten (Rom. 9,32-33.).

Bretschneider:

Aphorismen

455

Es ist daher wohl von einer Auswahl Gottes unter den Z e i t g e n o s s e n j e s u und der Apostel zum C h r i s t e n t h u m e , aber nicht von einem ewigen und unveränderlichen Rathschlusse willkührlicher Auswahl unter C h r i s t e n und zur ewigen S e e l i g k e i t die Rede. Aber liegt nicht in der Wahl zum Christenthume auch mittelbar eine Wahl zur Seeligkeit, welche Christen bestimmt ist? Dieses ist zwar wahr; aber es wird doch nirgends gesagt, daß G o t t die, welche nicht Christen würden, nicht auch seelig machen wolle, und auch bei denen, die Christen werden, wird die Seeligkeit nicht als etwas vorgestellt, das sie nicht wieder verlieren, durch eigene S c h u l d verlieren könnten. Auch Judas der Verräther gehörte längere Zeit zu den Auserwählten; Paulus versichert 1 Kor. 10,1-12, daß, so wie nicht Alle Israeliten das gelobte Land erreicht hätten, also auch nicht alle Christen, wenn sie sich des Bösen nicht enthielten, das ewige Leben erlangen würden; daß man (1 Kor. 15,2) durch das Evangelium nur seelig werde, wenn man es behalte, daß man aber außerdem umsonst geglaubt habe, und ermahnt die Christen wiederholt zur Tugend, ohne welche sie das Leben nicht erlangen würden. Er denkt sich also die Wahl [93] zum Christenthume zwar wohl als eine Wahl zur Seeligkeit aber nicht als eine unbedingte; nämlich es hange von dem Gebrauche ab, den der M e n s c h vom Christenthume mache, ob er dadurch seelig werden solle oder nicht. Noch weniger sagt er, daß nach Gottes Willen nicht Alle, denen Christus verkündigt werde, sondern nur Einige seelig werden sollten, und daß Manche bei dieser Verkündigung von Gott verstockt und verblendet würden. Aber auch bei der Erwählung der ersten Bekenner des Christenthums wird Gott nur in sofern eine f r e i e Wahl zugeschrieben, in wiefern er dabei nicht auf solche Vorzüge, wie sie die Juden als das Volk der Verheißung geltend machten, gesehen, sondern eben so wohl Heiden als Juden erwählt habe; nicht aber in so fern, in wiefern er denen, die er nicht habe erwählen wollen, den Glauben verweigert, und sie in ihrer Unwissenheit und Bosheit verhärtet habe. Denn an mehrern Orten wird als Grund ihrer Ausschließung vom Christenthume und dessen Gütern ihr eigenes freies Verhalten angegeben. So heißt es Matth. 22, V. 3. sie w o l l t e n nicht kommen; so wird 2 Thess. 2,10. 11. die Verwerfung dadurch motivirt, daß die V e r w o r f e n e n die Wahrheit nicht a n g e n o m m e n hätten, nicht aber dadurch, daß Gott sie verblendet hätte; so wird Joh. 12,40-43 der Grund des Unglaubens in einer fehlerhaften moralischen Beschaffenheit gesucht, nämlich V. 43, daß sie die Ehre bei Menschen lieber hätten als die Ehre bei Gott; so sagt Paulus Rom. 9,32. daß die Juden deßwegen nicht zum Glauben an Christum gekommen seyen, [94] weil sie sich auf ihr Gesetz verlassen, oder wie es Apost. 13,46 heißt, sich selbst des ewigen Lebens nicht werth geachtet

456

Anhang

hätten. - Auch in andern Stellen z.B. Eph. 4,19. Rom. 2,5. Hebr. 3,8. wird die Schuld des Unglaubens und der Lasterhaftigkeit in dem Menschen selbst gesucht. Sieht man also auf die heil. Schrift; so finden sich für die lutherische Lehre entscheidende Aussprüche, für Calvins Theorie aber nicht; vielmehr steht die letztere mit entscheidenden Aussprüchen der Schrift im Widerspruche. Es fragt sich nun, in welchem Verhältnisse stehen beide Theorien zu den übrigen Theilen des theologischen Systems? Was die l u t h e r i s c h e Theorie betrifft, so steht sie nur mit einer, und zwar einer falschen Behauptung des lutherischen Systems im Widerspruche, nämlich mit der: daß der Mensch nicht nur überhaupt ganz untüchtig sey, sich zu bessern, sondern daß er auch dabei nicht einmal mitwirken könne, sondern der göttlichen Gnade stets widerstrebe, welchen Widerstand die göttliche Gnade in uns überwinden müsse. Aus dieser Lehre nämlich, als Vordersatz betrachtet, folgt unvermeidlich der Folgesatz: daß also auch, wenn dieser Widerstand bei Einzelnen nicht überwunden werde, der Grund nicht in dem Menschen, sondern in der göttlichen Gnade gesucht werden müsse; daß es daher, wenn einige Menschen nicht bekehrt würden, Gottes Wille sey, daß sie nicht bekehrt werden sollten. Dieser Folgesatz stritt aber zu sehr gegen das moralische Gefühl unsrer Theologen, und gegen entscheidende Aus-[95] Sprüche der Schrift, als daß sie ihn hätten annehmen sollen. Doch glaubten sie auch den Vordersatz von der absoluten Schwäche des Menschen, irgend etwas bei seiner Bekehrung mitwirken zu können, nicht aufgeben zu dürfen, weil sie dafür entscheidende Aussprüche der Schrift zu haben glaubten. Indessen hat man die Unhaltbarkeit jenes Vordersatzes erkannt, und es kann um so weniger Bedenken seyn, ihn aufzugeben, da doch Paulus Rom. 7,15-22 ausdrücklich sagt, daß der Mensch das Gute wenigstens wolle, wenn er es auch nicht immer vollbringe; da er Rom. 2,14 ff. auch den Heiden eine Erkenntniß des Sittengesetzes zuschreibt, und sie strafbar findet, wenn sie diesem Gesetze nicht gehorchen, und Petrus Apost. 10,35. die Ueberzeugung ausspricht, daß auch unter den Nichtchristen Menschen Seyen, die vermöchten Gott zu fürchten und recht zu thun. Nähere Untersuchungen hierüber gehören hieher nicht, und es sollte hier nur so viel bemerkt werden, daß der lutherische Theologe jenen Vordersatz, aus dem die calvinische Prädestination unvermeidlich folgen würde, weil er ihn nicht in der Schrift findet, aufgeben könne und müsse. Calvins Theorie steht nun zwar mit jenem Vordersatze nicht in Widerspruch, sondern im genauesten Einklänge; aber dafür widerstreitet sie andern erweislichen Lehren nicht nur des Systems sondern auch der heiligen Schrift. Sie steht nämlich in Widerspruch mit der Lehre von der allgemeinen

Bretschneider:

Aphorismen

457

Vaterliebe Gottes gegen alle Menschen, indem Gott ohnmöglich alle lieben kann, wenn der Grund, warum er nur einige, die doch mit allen andern gleiche Verdammniß [96] verschuldet hatten, bekehrt und seelig macht, blos in seiner freien Wahl liegen soll. Sie streitet mit der Weisheit seiner sich über alles erstreckenden und für Alle sorgenden Vorsehung, indem sie voraussetzt, daß Gott zwar Vieles, was das Glück der Menschen befördert, thun k ö n n t e , es aber nicht alles thun will, weil er n i c h t will, und daß er dagegen einem Theile der Menschen das Gute zwar bekannt macht, aber nicht, damit sie es empfangen, sondern daß sie ihr Schicksal erfüllen und elend werden sollen. 8 - Sie streitet mit dem Glauben an die sittliche Freiheit des Menschen, indem sie nicht nur behauptet, daß alle Menschen das Vermögen, das Sittengesetz zu erfüllen, verloren hätten, sondern auch, daß die Anstalten Gottes zur Wiederherstellung der sittlichen Freiheit nur auf einige, nicht auf alle berechnet seyen. Sie macht eben dadurch Gott, wenn auch nicht zum Urheber, doch zum Beförderer der Sünde, weil sie von ihm behauptet, er könnte zwar alle bessern, aber er wolle nicht, und lasse manchen das Evangelium nur verkündigen um sie zu verhärten. Denn wer Böses verhindern kann, und es doch nicht thut, der ist indirect Urheber, negativer Grund des Bösen, wie Jakobus K. 4, V. 17. ganz recht behauptet. Diese Lehre löset daher [97] die Freiheit der moralischen Welt in eine moralische N o t w e n d i g k e i t auf, bei welcher dem Menschen weder im Guten noch im Bösen etwas mehr überlassen ist, sondern alles nach Gottes unveränderlichem Rathschlusse erfolgt. Sie zerstört die moralische Natur des Menschen, um Gottes Willkühr zu erheben, und muß, wenn sie consequent seyn will, auch annehmen, daß Gott das erste Menschenpaar zum Sündenfalle prädestinirt habe. Und dieses behauptet auch Calvin9, und macht dadurch Gott auch zum positiven Urheber

8

9

Calvin selbst sucht seine Prädestination Lib. III. C.23. p.603 seqq. gegen die Einwürfe, die man aus der Lehre von der Vorsehung herleiten könnte, zu rechtfertigen; es sind aber mehr die Einwürfe gegen die aus der Imputation des Sündenfalls entspringende Verdammniß aller Menschen, als Einwürfe gegen diese Prädestination. Calvin instit. Lib. III. C.23. §.7. [ ! ] p.608: „Disertis verbis hoc extare negant, (nämlich die Gegner) decretum fuisse a D e o ut sua defectione periret Adam. Quasi vero idem ille Deus, quem scriptura praedicat facere quaecunque vult, ambiguo fine condiderit nobilissimam ex suis creaturis. Liberi arbitrii fuisse dicunt, ut fortunam ipse sibi fingeret; Deum vero nihil destinasse nisi ut pro merito eum tractaret. Tarn f r i g i d u m c o m m e n t u m si recipitur, ubi erit illa Dei o m n i p o t e n t i a etc. — U n d e factum est, ut tot gentes una cum liberis eorum infantibus aeternae morti involveret lapsus Adae absque remedio, nisi quia D e o ita v i s u m e s t ? D e c r e t u m q u i d e m h o r r i b i l e , f a t e o r ; inficiari

458

Anhang

des moralisch Bösen, den er durch die Bemer-[98]kung, daß er dadurch seines Namens Ehre habe verherrlichen wollen, nur schlecht rechtfertigt. - Sie streitet ferner, diese Lehre, mit der Versicherung der Schrift, daß Gott wolle, daß allen Menschen geholfen werde, und mit der feierlichen Versicherung des Apostels Rom. 5,12-19, daß die Erlösung durch Christum eben so allgemein sey, und sich eben so auf alle Menschen erstrecke, wie allgemein die Sünde und ihre Strafen sey; sie streitet mit den öftern, ernstlichen Ermahnungen, daß der Sünder sich bessern und seine Seeligkeit suchen solle, weil diese Forderung sinnlos wäre, wenn es von Gottes Willkühr abhinge, ob er besser und seelig werden solle oder nicht. Was nun endlich das Verhältniß dieser Lehre zum p r a k t i s c h e n C h r i s t e n t h u m e betrifft, so ist offenbar, und durch keine Subtilität zu verdecken, daß sie, consequent aufs Leben angewendet, der Moralität schädlich, - sehr schädlich werden kann und werden muß. Man setze uns hier Calvins und andrer Calvinisten strenge Tugend nicht entgegen; wir bezweifeln diese Tugend nicht im geringsten, sondern ehren sie; aber sie beweisen nichts für die Unschädlichkeit dieser Lehre, sondern sind nur ein Beleg zu [99] der oft gemachten Erfahrung, daß die Macht der moralischen Natur des Menschen oft stärker ist als alle theoretische Irrthümer, und daß eine falsche Theorie nicht immer aufs Leben angewendet wird. Calvins Theorie folgerecht aufs Leben angewendet führt offenbar bei dem, der sich so weit gebessert fühlt, daß er sich unter die Erwählten rechnet, zum Leichtsinn oder Stolze, bei dem, wo Tugend und Laster noch in Streit liegen, entweder zum Leichtsinn oder zur Muthlosigkeit, und bei dem, der sich vieles Bösen bewußt ist, und der sich unfähig fühlt, sich aus den Banden der Sünde loszureißen, zur Trostlosigkeit.

tarnen nemo poterit, quin praesciverit Deus, quem exitum esset habiturus homo, antequam ipsum conderet, et i d e o praesciverit, quia d e c r e t o suo sie ordinarat. - Nec absurdum videri debet, quod dico, Deum non modo primi hominis casum et in eo posterorum ruinam praevidisse; sed arbitrio q u o q u e s u o d i s p e n s a s s e . Ut enim ad eius sapientiam pertinet omnium, quae futura sunt, esse praescium, sie ad p o t e n t i a m , omnia manu sua regere ac moderari. - - Lapsus est primus homo, quia D o m i n u s ita expedire censuerat. Cur censuerit, nos latet. Certum tarnen est, non [98] aliter censuisse, nisi quia videbat n o m i n i s sui g l o r i a m inde m e r i t o illustrari. Ubi mentionem gloriae Dei audis, illic justitiam cogita. Justum enim oportet esse quod laudem meretur. Cadit igitur homo, Dei Providentia sic ordinante; sed suo vitio cadit." Wenn aber auch das vitium nach Gottes Vorherbestimmung nothwendig ist, ist da nicht das vitium Gottes, und nicht des Menschen?

Bretschneider:

5

10

15

20

25

30

35

40

Aphorismen

459

Denn der e r s t e r e muß denken: „dich hat Gott erwählt, dich hat er gebessert, dir ist also die Seeligkeit bestimmt; was er dir bestimmt hat kann dir nicht geraubt werden; du kannst nicht wieder fallen, oder wenn du auch fallen solltest, so ändert dieses den unveränderlichen Rathschluß Gottes nicht. Du kannst also immer einige Sünde mit unterlaufen lassen; deine Erwählung ist doch unwandelbar." - Der z w e i t e muß denken: bei dir streitet Tugend und Laster noch um die Herrschaft; hat es Gott beschlossen, daß das Gute in dir siegen soll, so wird es gewiß vor deinem Ende geschehen, ohne daß du dich darum bekümmerst, denn du kannst so nichts dazu thun. Du kannst also, bis die Gnade kommt, und dich bessert, deinen Lüsten und Begierden dienen, du verderbst darum Gottes unabänderlichen Rathschluß nicht. Hat er aber beschlossen, dich nicht zu bessern und zu beseeligen, so bist du so verloren, und alle Laster verderben nichts an deinem Schicksale. Es wäre vergebens etwas [100] anzufangen, was doch, weil es Gott nicht will, nie zu Stande kommt. - Der d r i t t e aber müßte denken: „Deine Laster, die du nicht bändigen kannst, und die auch Gott nicht bändigt, sind ein Zeichen, daß du zu den Verworfenen gehörst. Gott hat dich zur Verdammniß gebohren werden lassen; er verhärtet dich im Laster, damit du ein Gefäß seines Zornes seyst und er seine Gerechtigkeit und Macht in deiner Verdammniß offenbare. Ob du auch gleich seelig werden möchtest, so k a n n s t du n i c h t ; ob dich gleich G o t t seelig machen könnte, so will er n i c h t ; warum er nicht will, w e i ß t du n i c h t , und d a r f s t auch d a r n a c h n i c h t f r a g e n . " Es ist daher nicht verständlich, wie man neulich hat sagen können, „die Lehre von der Gnadenwahl gehöre m e h r der Schule als dem Leben an; sie sey nur aus unzeitigem Eifer der in Streit begriffenen ins Leben hineingezogen worden, und es gebe daher auf dem Gebiethe des praktischen Christenthums hierüber keinen Streit zwischen Lutheranern und Reformirten." Hätte sie keinen großen Einfluß auf Glauben und Leben, warum hätte denn Calvin in seinen Institutionen sich so viele Mühe gegeben, sie mit der Lehre von der Vorsehung p. 603 ff. in Einklang zu bringen, und die daraus entspringenden unmoralischen Folgerungen abzuwenden, p.61 Off.? Ist es nicht offenbar, daß sie mit der Lehre von dem Verhältniß der moralischen Freiheit zu der Weltregierung, mit der Lehre von der Besserung, der Bildung des Menschen zur Vollkommenheit in genauer Verbindung steht, und auf die religiöse Ansicht [101] vom irdischen Leben überhaupt und von der Menschheit, und auf den Eifer in der Tugend einen unverkennbaren Einfluß hat? Erkennt nicht auch Calvin das Gefährliche seiner Lehre, wenn er p. 613 sagt, man solle sich dadurch nicht abhalten lassen, sie fleißig dem Volke zu lehren, weil dieses die Hochachtung gegen die Schrift fordere? Giebt er nicht selbst zu, daß der Zweifel, ob man auch unter die Er-

460

Anhang

wählten gehöre, eine der schwersten und gefährlichsten Versuchungen des Satans sey, und hat wohl dieser Zweifel einen andern Grund, als den, daß die Erwählung allein von Gottes Willen abhängig, der Mensch aber unvermögend dargestellt wird, etwas darin zu ändern, und selbst 5 seine Seeligkeit zu schaffen? 10 - Es kann daher wohl [102] kein Streit seyn, daß diese Lehre dem Leben e b e n s o s e h r angehöre als der Schule. Denn daß sie endlich, und verfolgt in ihre ersten Wurzeln mit der philosophischen Frage zusammenfällt: ob man von irgend etwas, was geschieht, den göttlichen Willen als Grund ausschließen könne? 10 und daß sie diese Frage so zu verneinen sucht, daß doch dabei die göttliche Gerechtigkeit gerettet werde, ändert in der Sache nichts. Denn diese philosophische Frage, auf Menschen, ihre Besserung und Bestimmung bezogen, hängt mit der Lehre von der sittlichen Freiheit aufs Innigste zusammen, und ist daher, so transcendental man sie auch fassen 15 oder beantworten möge, ganz praktisch. - Man hat aber um so weniger Grund, die Prädestination zu einer Aufgabe für die speculative Philosophie zu subli-[103]miren, da unsre Kirche nicht nur, sondern auch Cal10

20

25

30

35

40

Calvin, instit. lib. III. c. 23. [!] §.4. p.617 sq: „Nulla tentatione vel gravius vel periculosius fideles percellit Satan, quam dum ipsos suae electionis dubitatione inquietans, simul prava eius extra viam inquirendae cupiditate solicitat. Extra viam inquirere voco, ubi in abditos divinae sapientiae recessus perrumpere homuncio conatur, et, quo intelligat, quid de se sit constitutum apud Dei tribunal, ad supremam usque aeternitatem penetrare. Tunc enim se in profundum immensae voraginis absorbendum praecipitat; tunc innumeris atque inexplicabilibus laqueis se induit; tunc caecae caliginis abysso se adobruit. - Eoque exitialior est haec tentatio, q u o d ad nullam aliam p r o p e n siores simus f e r e omnes. Rarissimus enim est, cuius n o n i n t e r d u m animus hac c o g i t a t i o n e f e r i a t u r : „Unde tibi salus, nisi ex Dei electione? Electionis porro quae tibi revelatio?" Quae si apud quempiam semel invaluit, aut diris t o r m e n t i s m i s e r u m p e r p e t u o excruciat, aut r e d d i t p e n i t u s a t t o n i t u m . Nullo sane certiore argumento confir-[102]mare velim, quanta pravitate praedestinationem imaginentur huiusmodi homines, quam ilia ipsa experientia. Siquidem nullo pestilentiori errore infici mens possit, quam qui sua erga Deum pace et tranquillitate conscientiam diruit ac deturbat. Ergo naufragium si timemus, solicite ab hoc scopulo cavendum, in quem n u n quam sine exitio i m p i n g i t u r ! " - Diese Klippe, an der man nach Calvins Geständniß bei dieser Lehre immer scheitert, ist also das Nachdenken, ob auch die Prädestination mit Gottes Weisheit sich vereinigen lasse, und ob man in Gottes Weisheit einen Grund finde, sich unter die Verdammten oder die Erwählten zu rechnen. Aber wer mag es dem Menschen wehren, dahin zu streben, die Tiefen der göttlichen Weisheit zu erforschen? Führt nicht die Vernunft unvermeidlich dahin? Ist es nicht ihre Function, die höchsten Regeln der Weisheit aufzusuchen, und ist ein bloßes veto hier natürlich und billig?

Sretschneider:

Aphorismen

461

vin die ganze Lehre einzig und allein auf die Schrift gründen, und darüber nicht hinausgehen wollen. Auch betrifft sie in Wahrheit nicht die Frage über das Verhältniß moralischer Freiheit zu Gottes Regierung, sondern einen viel eingeschränktem Satz: nämlich ob Gott wolle, daß das g a n z e durch die Erbsünde der Verdammniß schuldige menschliche Geschlecht durch Christum gerettet werde, und ob er die dazu erforderlichen Mittel keinem versage; oder ob er dieses n i c h t w o l l e , und daher einem Theil die Mittel dazu vorenthalte? Die Wichtigkeit dieser Lehre fürs Praktische, und ihr nachtheiliger Einfluß auf Ruhe und Tugend des Menschen, s o b a l d man sie f o l g e r e c h t a n w e n d e t , dürfte also nicht streitig seyn. Man hat zwar durch allerhand Restrictionen, Subtilitäten und Berufung auf Gottes verborgene Weisheit die nachtheiligen Folgen der calvinischen Prädestination auf die T h e o r i e des Glaubens und Lebens abzuwehren gesucht; aber es ist auch gewiß, daß diese künstlichen Mittel nicht einmal die Theorie retten, und daß sie noch weniger vom Volke geachtet oder begriffen werden, das vielmehr nach seiner einfachen Schlußweise auf unmoralische und trostlose Folgerungen kommen muß. Auch ist es schon keine Empfehlung für einen Lehrsatz, wenn es eines kunstreichen Walls bedarf, um ihn moralisch unschädlich zu machen. So gering und unwesentlich also auch die Differenz Luthers und Calvins in der Lehre vom Abendmahl befun-[104]den wurde; so groß und wesentlich ist sie in der Lehre von der Gnadenwahl, und da sich die Lutherischen nie dazu verstehen werden, eine Lehre anzunehmen, die mit ausdrücklichen Stellen der Schrift, mit wichtigen Glaubenslehren der Vernunft und mit der Moralität in Widerspruch stehe, so bleibt hier kein andrer Weg der d o g m a t i s c h e n Vereinigung, als daß die Reformirten die calvinische Theorie aufgeben. Aus dem bisher Gesagten dürfte sich nun leicht beurtheilen lassen, ob ein oder der andre Theil bei einer Union, in welcher die Lehrunterschiede nicht in Vergessenheit gestellt, nicht stillschweigend in der Praxis aufgegeben, sondern fernerhin gelehrt, fortgeführt und noch mehr hervorgehoben werden sollen, sein Gewissen verletzt fühlen kann, oder nicht. Als Hauptregel hierbei dürften wohl beide Theile dieses erkennen: nie mit dem erweislichen Inhalte der im neuen Testamente enthaltenen göttlichen Lehre in Widerspruch zu kommen, und nichts zu begünstigen, was die Wirkung des Christenthums auf Tugend und Beruhigung der Christen hindern könnte, oder was mit der moralischen Natur des Menschen in Widerspruch stehet. Der Fall selbst, wo diese Regel in Anwendung kommt, ist nun dieser: beide Theile schließen eine Vereinigung, durch welche sie eine Art von Simultaneum mit den gegenseitigen Lehrunterschieden errichten,

462

5

10

is

20

25

30

35

40

Anhang

d. h. sie erklären dabei entweder ausdrücklich oder doch factisch: daß sie wohl glaubten, die Lehren beider Kirchen könnten neben einander [105] bestehen; beiderlei Lehrunterschied sey nicht sowohl im Worte Gottes als in gelehrten Streitigkeiten gegründet, und habe auf Beruhigung und Tugend der Christen keinen Einfluß; es könnten daher auch beiderlei Gemeinden Lehrer der andern Kirche haben, und lutherische Gemeinden einen reformirten, reformirte einen lutherischen Pfarrer bekommen, oder Lehrer von beiderlei Bekenntniß an einer und derselben Gemeinde stehen. Die Lehrer selbst erklären sich dabei factisch noch dahin: daß sie es für gleichgültig hielten, ob sich die eine oder die andere Theorie unter den Christen ausbreite, und ob also eine lutherische Gemeinde calvinisch, oder eine calvinische lutherisch gelehrt werden. Ob man sich dadurch auf der einen oder der andern Seite im Gewissen beschwert fühlen werde, das hängt freilich von dem subjectiven Urtheile eines Jeden über den Lehrunterschied beider Kirchen ab. Wäre die Sache dahin gediehen, oder könnte man glauben, daß die Lutheraner stillschweigend ihre Abendmahlslehre, die Calvinisten aber ihre Prädestination hätten fallen lassen; hätte die Union die Absicht, beide Streitigkeiten mit dem Schleier der Vergessenheit zu bedecken, sie aus dem öffentlichen Unterrichte zu entfernen und aus dem Leben in die Geschichte der Vergangenheit zu verweisen: so dürfte nicht leicht irgend eines Lehrers Gewissen bei der Union beschwert werden. Da aber dieses nicht ist, und nach der eigenen Erklärung der Beförderer und Urheber der Union nicht seyn soll; so wird es auf beiden Seiten nicht an solchen fehlen, die sich bei [106] der Union im Gewissen verletzt fühlen, obgleich bis jetzt ein Widerspruch dieser Art nicht kundbar geworden ist. Was die Lehre vom Abendmahle betrifft; so sind beide Theorien der Vernunft unbegreiflich; beide haben auf die übrigen Glaubenslehren, die man dem Volke vorzutragen hat, keinen Einfluß; beide lassen sich mit den Worten der Schrift vereinigen; beide stehen weder mit dem Leben noch mit der Verwaltung der Sacramente in Verbindung. Es sollte daher wohl kaum ein Gewissensscrupel Statt finden können bei dem Beschlüsse, beide Theorien neben einander bestehen zu lassen. Es steht aber zu erwarten, ob dennoch nicht mancher Reformirte die lutherische Theorie für einen nicht zu dultenden Aberglauben erkennen wird. - Noch gewisser wird sich manches Gewissen in der Lehre von der Gnadenwahl beschwert fühlen. Der Reformirte wird zwar nicht so leicht Bedenken finden, die lutherische Theorie hierüber neben sich zu dulten, weil sie doch mit ausdrücklichen Aussprüchen der Schrift übereinstimmt, keiner andern Glaubenslehre, die man dem Volke vorträgt, widerstreitet, und der Moralität nie gefährlich werden kann. Aber man

Bretschneider:

Aphorismen

463

kann mit Sicherheit annehmen, daß sich unter den Lutheranern Mehrere, vielleicht Viele finden werden, die es mit ihrer Lehrerpflicht nicht für vereinbar halten, der calvinischen Gnadenwahl eine gleiche Dultung angedeihen zu lassen; besonders wenn entweder eine längere Erfahrung ihnen die Ueberzeugung geben sollte, daß man von reformirter Seite diese Lehre nicht zu antiquiren gemeint sey, son-[107]dern sie im Volksunterrichte anwende, oder wenn sie bei ihren Gemeinden der Moralität nachtheilige Anwendungen dieser Lehre bemerken sollten. Es ist daher wohl kaum etwas anderes zu erwarten, als daß dieses Simultaneum in der Lehre früher oder später der Dauer und dem Frieden der Union gefährlich werden dürfte, und es ist also hieraus klar, daß auch die Rücksicht auf die Gewissen einen Vergleich in der Lehre erforderlich macht. Man hat diesen Vergleich aber unter andern auch dadurch als überflüßig darzustellen gesucht, daß man behauptete, die calvinische Theorie von der Gnadenwahl, so wie sie hier aus Calvin selbst vorgetragen worden ist, werde bei einem großen Theile der Reformirten in ihren öffentlichen Bekenntnißschriften nicht mehr gefunden. Viele reformirte Gemeinden hätten nämlich Calvins Lehre von der Gnadenwahl nicht ausdrücklich angenommen, andere aber sie in ihren öffentlichen Bekenntnißschriften wenigstens gemildert, ja zum Theile so gemildert, daß zwischen ihrem und dem lutherischen Bekenntniß kein bedeutender Unterschied mehr vorhanden sey; folglich sey Calvins unbedingte Gnadenwahl nicht mehr als Lehre der reformirten Kirche überhaupt anzusehen, und es bedürfe daher über diesen Punct keiner Vergleichung, und das Unterlassen einer solchen Vergleichung könne keines Verständigen Gewissen beschweren. Vorausgesetzt, daß dieses gegründet ist, und daß die mildern Bekenntnisse mit uns bekennen: Gott wolle, daß allen Menschen durch Christum geholfen werde und daß nicht einer verloren gehe; er lasse keinen zur Verdammniß [108] geboren werden, verstocke und verhärte die Menschen nicht, sondern wolle, daß das Evangelium allen, denen es verkündigt wird, zur Seeligkeit verkündiget werde, und die Ursache, wenn Einige dennoch dieser Verkündigung nicht gehorchten und die Seeligkeit nicht erlangten, liege nicht in seiner Auswahl, sondern in dem Verhalten dieser Menschen; - dieses vorausgesetzt: so gäbe es zwischen uns und ihnen gar keinen Streit über diesen Punct, und es wäre freilich höchst überflüßig, wenn sich irgend ein Lutheraner bei der Union über diese Lehre ein Gewissen machen wollte. Dann aber ließe sich auch kein haltbarer Grund denken, warum man nicht bei einer so feierlichen Gelegenheit, als eine kirchliche Union ist, dieses öffentlich erklären, und dadurch bei denen, die hiervon nicht genug unterrichtet wären, allen Gewissensbedenklichkeiten zuvorkommen wollte. Würden dadurch

464

Anhang

nicht auch die lutherischen Kirchen andrer Länder desto geneigter werden, der neuen evangelischen Brüderschaft beizutreten, und muß man nicht dieses wünschen und beabsichtigen, wenn man bei der Union mehr als provinzielle Zwecke hat? 5 Doch es verdient wohl noch eine besondere Prüfung, ob und wie weit Calvins Theorie von der Gnadenwahl, und in welchen reformirten Bekenntnissen sie gemildert sey, und ob man folglich diese Lehre noch im Allgemeinen als Lehre der reformirten Kirche zu betrachten habe oder nicht.

10 [109]

VIII.

U e b e r die Modificationen, welche Calvins Lehre von der G n a d e n w a h l in den vornehmsten Bekenntnißschriften der r e f o r m i r t e n Kirche e r f a h r e n hat. Bei dem Verhör der reformirten Bekenntnisse über diesen Glaubens15 punct können wir 1) Die Formula consensus helvetica, und die canones der Dortrechter Synode mit Stillschweigen übergehen, weil es bekannt genug ist, daß sie die Gnadenwahl Calvins enthalten. 2) Die confessio et expositio simplex orthodoxae fidei etc. oder 20 die sogenannte confessio helvetica vom Jahre 1556, welche die Schweizer und die Reformirten in Frankreich, England, den Niederlanden, Pohlen, Ungarn, auch viele in Deutschland annahmen, sagt im lOten Artikel von der Prädestination: „Gott wählte von Ewigkeit frei und nach bloßer Gnade, ohne Rücksicht auf des Men-[110]schen Beschaf25 fenheit, die H e i l i g e n aus, welche er durch Christum seelig machen will. - In Christo erwählte uns Gott so, daß die, welche nun Christo durch den Glauben eingepflanzt sind, auch die erwählten sind, die Verworfnen aber die, welche außer Christo sind, nach dem Ausspruche des Apostels: prüfet euch selbst, ob ihr im Glauben seyd. [Anm. ...]" - Daß 30 alle Menschen in Christo zur Seeligkeit erwählt worden seyen, sagt also diese Confession nicht, sondern sie schränkt diese Wahl auf die Heiligen ein, und leitet die Wahl nicht von der Annahme, welche die Berufung zur Seeligkeit unter den Menschen finden würde, nicht von dem Verhalten der Menschen gegen diesen Ruf, sondern von der Will35 kühr Gottes ab, so wie sie auch im 14ten Artikel die Buße oder Bekehrung und im 16ten Artikel den Glauben als ein bloßes Geschenk Gottes betrachtet, das er nicht allen, sondern nur denen gebe, die er erwählt habe. [Anm. ...] Es ist also hier die Hauptsache der [111] calvinischen

Bretschneider:

Aphorismen

465

Theorie vorhanden. Doch finden sich auch Aeußerungen, die man als Milderungen ansehen könnte, die es aber in Wahrheit nicht sind. Denn wenn im lOten Artikel gesagt wird: daß zwar die Schrift von w e n i g e n Auserwählten spreche, daß man aber deßhalb niemanden voreilig den Verdammten beizuzählen, sondern von allen das Beste zu hoffen habe; und daß die Redensarten: „da ich nicht weiß ob ich erwählt bin, so will ich meine Lust büßen; wenn ich erwählt bin, so werden mich meine Sünden an der Seeligkeit nicht hindern; wenn ich aber verworfen bin, so werden mir Buße und Glauben nichts helfen!" nicht zu billigen seyen: so sind dieses doch nichts weiter als Protestationen gegen den consequenten Gebrauch der calvinischen Theorie, und zeigen nur, daß man diese Theorie selbst nicht aufgeben wolle. [Anm. ...] Wenn sich aber Ausdrücke finden, nach denen man glauben sollte, die Erlösung [112] sey für alle Menschen bestimmt, so stehen zugleich 11 Einschränkungen darneben, durch welche diese Wohltat doch nur auf die Gläubigen restringirt wird, d. h. auf diejenigen, denen Gott wenn, wo, und w e l c h e n er will, den Glauben aus Gnaden giebt. Im Wesentlichen also enthält diese Confession die calvinische Lehre von der Erwählung, und nur die rauhen Ausdrücke über die Verwerfung und Verhärtung hat man nicht aufgenommen. Was 3) die Confession der französischen Kirchen betrifft (Gallicarum ecclesiarum confessio fidei Carolo IX. Regi, anno MDLXI exhibita) so wird zwar im 8ten §. geläugnet, daß Gott Urheber des Bösen sey, aber doch gesagt, daß alles Böse, was geschehe, nach seiner Vorherbestimmung erfolgte 12 ; und im 12ten §. die calvinische Theorie [113] von der 11

12

Art. 11. Heißt Jesus salvator mundi; aber weiter unten erklärt dieses derselbe Artikel so: „passione et morte sua reconciliavit o m n i b u s f i d e l i b u s D o m i nus noster patrem coelestem, expiavit peccatum etc." - „Credimus Jesum Christum unicum et aeternum g e n e r i s h u m a n i , adeoque t o t i u s m u n d i esse servatorem, in quo per fidem servati sint, q u o t q u o t ante legem, sub lege et sub Evangelio s a l v a t i s u n t , et q u o t q u o t adhuc in finem usque seculi salvabuntur." Confess. Gallicana, § VIII. „Credimus, Deum omnia non tantum creasse, sed etiam regere et gubernare, ut qui pro sua voluntate disponat et ordinet quicquid in mundo evenit. Negamus tarnen ilium esse authorem mali, aut eorum, quae perperam fiunt, ullam culpam in ipsum transferri posse, quum ipsius voluntas sit summa et certissima omnis justitiae norma. Habet autem ipse admirabiles potius, quam [113] explicabiles rationes, ex quibus sie utitur diabolis omnibus et peccantibus hominibus, tanquam instrumentis, ut quiequid illi male agunt, id ipse sicut j u s t e ordinavit (also auch den Sündenfall?), sie etiam in bonum convertat. Itaque dum confitemur, nihil prorsus non interveniente ipsius Providentia et ordinatione fieri, humiliter adoramus arcana nobis occulta, neque in ea, quae captum nostrum superant inquirimus."

466

5

10

15

20

25

30

35

40

Anhang

Gnadenwahl so dargestellt: „daß Gott einen Theil der Menschen von der Verdammniß wegen der Erbsünde zu befreien, andere aber ihrem Verderben zu überlassen beschlossen habe, und nicht durch etwas außer sich, sondern blos durch seinen Willen zur Wahl bestimmt werde. Denn, wie es §.21 heißt, er gebe den Glauben nur denen, denen er ihn geben wolle, und diesen unverlierbar." [Anm. ...] - [114] Also auch dieses Bekenntniß bringt uns nicht weiter; es stimmt ganz mit Calvin überein, und mildert nur darin, daß es die Verwerfung mit einem mildern Ausdrucke bezeichnet, und nicht sagt: damnationi devovere, indurare, excaecare ut in hunc finem perveniant, sondern: damnationi relinquere. [...] [122] [...] Was aber [...] Das [...] B e k e n n t n i ß von L e i p z i g vom Jahre 1631 betrifft, so ist es die Erklärung, welche die Brandenburgischen und Hessischen re-[123]formirten Theologen über ihre Lehre und deren Verhältniß zur Augsburgischen Confession bei Gelegenheit eines zu Leipzig versuchten Religionsvergleichs ausgestellt haben. Diese Theologen erklären bei dem 4ten Artikel der Augsburg. Confession, „daß Christus für alle Menschen gestorben, und für die Sünden der ganzen Welt vollkommen genug gethan; daß es Christi ernstlicher Wille, nicht ein Schein-Wille sey, daß alle Menschen an ihn glauben und seelig werden sollen, und daß also keiner von der Genugthuung Christi ausgeschlossen sey, als der sich selbst durch den Unglauben ausschließe." Wenn sie aber damit mehr haben sagen wollen als nur dieses, daß Jesu geleistete Genugthuung für alle Menschen zureiche, und daß er keinen Menschen von den Wohlthaten seines Todes habe ausschließen wollen; wenn sie damit auch dieses haben sagen wollen, daß G o t t wolle, daß alle von der durch die Erbsünde entstandenen Verdammniß frei seyn sollten: so ist nicht ersichtlich, wie sich dieses mit ihrem anderweitigen, am Schlüsse abgegebenen Bekenntnisse über die Gnadenwahl vereinigen lasse. Denn hier erklären sie sich gerade so wie das Glaubensbekenntniß des Churf. Johann Sigismund lautet, und bringen bei der Verwerfung dieselben nur auf das erste Verdammungsurtheil nach dem Falle, nicht aber auf dessen Bestätigung durch die Nichterwählung zur Seeligkeit passenden Restrictionen an, daß nämlich der Mensch nicht willkührlich, sondern wegen seiner Sünde verdammt werde. Denn wenn dieses nicht von der auf den Sündenfall gesetzten Verdammniß, sondern von der Nicht-[124]erwählung, dem relinquere damnationi, gesagt seyn soll, so werfen sie ihre Behauptung selbst nieder, indem sie, wie die churfürstliche Confession, bekennen: „daß Gott keine Ursach oder Anlaß, oder vorgehendes Mittel, oder Condition solcher Wahl in den E r w ä h l t e n selbst gefunden, o d e r z u v o r e r s e h e n , weder ihre gute Werke, noch ihren Glauben, oder auch die e r s t e h e i l s a m e N e i g u n g , B e w e g u n g oder E i n w i l l i g u n g z u m G l a u b e n , sondern daß alles gute, das in ihnen ist, allein aus lautern freiwilligen Gnaden Got-

Bretschneider:

Aphorismen

467

tes, die ihnen f ü r a n d e r n in Christo von Ewigkeit verordnet und gegeben ist, ursprünglich herfließe." Da nun aber die Erwählten eben so gut und eben so große Sünder waren, als die Verworfenen, und Gott den Vorzug, daß er sie f ü r a n d e r n erwählte nicht auf ihre subjective Beschaffenheit gründet; so ist es ganz unmöglich, daß die a n d e r n , die er „aus lautern freiwilligen Gnaden" nicht erwählet, sondern in der Sünde läßt, nun noch selbst schuld seyn sollten, daß er sie nicht auch erwählet. Man kommt also durch diese Erklärung eben nicht weiter als durch das Bekenntniß des Churfürsten. Die Hauptverschiedenheit beider Kirchen bleibt immer; nämlich daß der Grund, warum nicht alle durch Christum seelig werden, nach unsrer Kirche in d e n M e n s c h e n selbst liegt, weil sie nicht alle wollen, nach diesen Bekenntnissen aber in G o t t , weil er die „lautere freiwillige Gnade" nach welcher er einige erwählt, bessert und beseeligt, nicht auf alle erstreckt. [125] Etwas andres findet sich auch im Ganzen nicht [...] in der T h o r n ' s c h e n C o n f e s s i o n vom Jahre 1645, gleichfalls aufgesetzt, um den Religionsstreit zu vergleichen. Auch hier heißt es im 4ten Artik. de gratia: Gott habe die Gläubigen von Ewigkeit, nicht weil er ihren Glauben, oder ihre Neigung dazu vorhergesehen habe, sondern aus lauter Gnade zur Berufung, Rechtfertigung, Kindschaft, Befestigung und zum ewigen Leben erwählt, die übrigen aber, qui veritatem in injustitia detinent, et gratiam Christi oblatam contumaciter respuunt, verworfen. Wie aber dieses zu verstehen sey, erklären sie am Ende dieses Artikels in einer sehr geschraubten Erläuterung. Sie wiederholen, daß die Erwählung nicht durch Vorhersehung des Glaubens der Erwählten, oder der Fähigkeit zum Glauben, oder der Beistimmung ihres Willens, sondern aus lauter Gnade erfolge, und sichern sich dadurch den Bestand der calvinischen Lehre, daß die Ursache der Erwählung nicht in dem Menschen, sondern lediglich in Gott liege. Um aber doch auch den Lutheranern etwas nachzugeben, so setzen sie mit unbegreiflicher Inconsequenz hinzu; sie wollten damit nicht behaupten, daß die Erwählung und Verwerfung absolut, ohne alle Rücksicht auf Glauben und Unglauben, Tugend und Laster geschehen sey; sondern ihre Meinung sey: „bei der Erwählung sey zwar Glaube und Gehorsam der Erwählten nicht als Ursache oder Grund der Wahl selbst vorhergesehen, aber doch als M i t t e l zur Seeligkeit von Gott ihnen v o r h e r b e s t i m m t worden (tarnen ut medium ad salutem a Deo ipsis praeor-[126]dinatum esse"); bei der Verwerfung aber sey theils die Erbsünde, theils bei den Erwachsenen auch der störrige Unglaube und die Unbußfertigkeit von Gott zwar n i c h t e i g e n t l i c h (?) v o r h e r b e s t i m m t (non quidem a Deo p r o p r i e praeordinatum), aber doch in den Verworfenen als v e r d i e n e n d e Ursache des Belassens in der Verdammniß vorhergesehen und zugelassen worden."

468

Anhang

Der Widerspruch ist klar. Wenn einige Menschen deßwegen in der, eigentlich von Allen verdienten Verdammniß belassen würden, weil Gott ihren Unglauben vorhergesehen und zugelassen hätte; so müßte die Wahl Anderer, die er nicht in der Verdammniß läßt, wenigstens einen negativen Grund in i h n e n selbst haben, nämlich die Abwesenheit dieses Unglaubens und dieser Unbußfertigkeit, also eine, wenigstens negative Disposition zu Glauben und Tugend, und diese müßte sodann der Grund der Erwählung seyn. Da aber das letztere ausdrücklich geläugnet, und ihr Glaube und Tugend als präordinirt betrachtet wird, und zwar als etwas das blos ihnen, den Verworfenen aber nicht präordinirt wird; so sieht man nicht ein, wie Gottes Erwählung und Verwerfung nicht willkührlich seyn sollte. [...]

Bretschneider, Karl Gottlieb Ueber die Grundansichten der theologischen Systeme in den dogmatischen Lehrbüchern der Herren Professoren Schleiermacher und Marheinecke, so wie über die des Herrn Dr. Hase, in: Handbuch der Dogmatik, 3. Aufl., Bd 1, Leipzig 1828, 1-71 (Auszug) [3] Der Zweck dieses Aufsatzes ist, denen, die mit den Systemen der genannten Gelehrten bekannt zu werden wünschen, eine Kenntniß der Grundansichten derselben zu geben, damit sie wissen, welcher Hauptgedanke diesen Systemen zu Grunde liege und welche Grundansicht vom Christenthum daraus hervorgehe. [...] [12] [...] Dieses sind die Gründe, welche mir es unmöglich machen, mich den Speculationen Schellings zu ergeben, in ihnen Wahrheit anzuerkennen, und in dem Christenthum die Geschichte der zeitlichen Entwickelung der Persönlichkeit Gottes zu sehen. [Anm. ...] Es springt jedoch von selbst [13] in die Augen, wie diese Philosophie sich mit der kirchlichen Dogmatik parallelisiren läßt. Sie hat die O f f e n b a r u n g , indem sie die Weltgeschichte und den menschlichen Geist als Offenbarung des sich selbst werdenden Gottes betrachtet; sie hat den G o t t m e n s c h e n in der Vereinigung des göttlichen Bewußtseyns und des menschlichen; den S ü n d e n f a l l und die E r b s ü n d e in der Trennung des Besondern vom Absoluten; die V e r s ö h n u n g in der Rückkehr der Gegensätze zur Einheit; das heilige Leben in der Hingabe des individuellen Bewußtseyns an das allgemeine; die K i r c h e in der Entwickelung einer geistigen Einheit durch die Mannigfaltigkeit; die l e t z t e n D i n g e in der Auflösung aller Gegensätze in der werdenden Persönlichkeit Gottes. Solche Anwendung auf das Kirchensystem ist schon früher von D a u b [Anm. ...], neuerlich aber von den Verfassern der vorhin genann-

Bretschneider:

Grundansichten

469

ten dogmatischen Systeme gemacht worden, die, ob sie gleich mehrere Differenzen zeigen, und von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen, doch darin ihre Abhängigkeit von der bisher erörterten Philosophie zeigen, daß sie das vernünftige Bewußtseyn des Menschen als ein Bewußtseyn Gottes, Gott als das Absolute, die Gegensätze des Individuellen und Absoluten als [14] die Sünde, und die Weltentwickelung als die Entwickelung des Absoluten zum Bewußtseyn, oder als die werdende Persönlichkeit Gottes betrachten. Was nun I) die D o g m a t i k des H r n . P r o f . S c h l e i e r m a c h e r betrifft, so habe ich schon an einem andern Orte den Versuch gemacht, ihr Hauptprincip kürzlich zu entwickeln und zu beurtheilen [Anm. ...], und die jetzige Darstellung wird jene Abhandlungen zu Grunde legen. Die Grundlage des ganzen Systems von Schleiermacher ist seine Ansicht von Religion; sie ist das Princip, das dem Ganzen zu Grunde liegt, und jedem einzelnen Theile seinen Inhalt und seine Gestaltung gibt. Er läugnet, daß die R e l i g i o n , oder wie er lieber und gewöhnlich sagt, die F r ö m m i g k e i t , die f r o m m e E r r e g u n g , ursprünglich ein Wissen oder Thun sey, sondern behauptet, sie sey ein G e f ü h l , oder eine Neigung und Bestimmtheit des Gefühls. Ihm ist aber Gefühl und Selbstbewußtseyn identisch. „Unter Gefühl, sagt der Verf. lsten Thl. S.26., verstehe ich das unmittelbare Selbstbewußtseyn, wie es, wenn nicht ausschließlich, doch vorzüglich einen Zeittheil erfüllt, und wesentlich unter den entgegengesetzten Formen des Angenehmen oder des Unangenehmen vorkommt." Er braucht daher: Gefühl, Bewußtseyn, Erregung abwechselnd. Das Gemeinsame aller frommen Erregungen, also das W e s e n d e r R e l i g i o n ist dieses: d a ß wir uns u n s r e r selbst als s c h l e c h t h i n (absolut) a b h ä n g i g b e w u ß t s i n d , das [15] heißt, daß wir uns a b h ä n g i g f ü h l e n von einem A b s o l u t e n ( G o t t ) . Dieses wird so erläutert: Es gebe für den Menschen kein r e i n e s Selbstbewußtseyn, d.h. kein solches, worin der Mensch sich nur seines Ichs an sich bewußt wäre, sondern das Ich setze sich immer in Beziehung auf Etwas, auf ein Nicht-Ich. Das Gefühl bleibe sich nun e n t w e d e r hierin (in der Beziehung auf das Nicht-Ich) immer ganz gleich in dem Verlauf oder bei der jedesmaligen Wiederkehr des Verhältnisses zum Nicht-Ich, und dann bezeichne es ein Verhältniß der A b h ä n g i g k e i t ; o d e r es schlage um in einen Reiz zur Gegenwirkung, und dann bezeichne es ein Verhältniß der G e g e n w i r k u n g oder W e c h s e l w i r k u n g . Bei allen Gegenständen nun, und auch bei der ganzen Welt, als der Gesammtheit alles leiblichen und geistigen endlichen Seyns, sey eine Gegenwirkung möglich und gestattet. Vollkommene, durch keine Wechselwirkung durchschnittene

470

5

10

15

20

25

Anhang

Abhängigkeit setze daher als Object die einfache und absolute Unendlichkeit (das Absolute, Gott) voraus. Gegen diesen Grundbegriff der Religion als eines Gefühls einer absoluten Abhängigkeit, bei welcher keine Gegenwirkung möglich ist, welcher den Grundstein des ganzen kunstreichen Systems des Vfs bildet, dürfte Folgendes zu erinnern seyn. Gefühl und unmittelbares (d.h. nach dem Vf. dem Menschen inwohnendes, nicht erst von außen in ihn zu bringendes) Selbstbewußtseyn sind zwar verwandt aber nicht identisch. Das Gefühl ist ein Z u s t a n d des Lebens, zwar in der Regel mit Bewußtseyn, welches die beharrliche Einheit gibt für alle Gefühle, Gedanken und Thätigkeiten, verbunden, aber nicht nothwendig und nicht immer, wie sich denn bei Pflanzen ein bewußtloses Gefühl findet, und auch bei Menschen im Schlafe, in Ohnmächten und bei betäubenden Krankheiten. Das B e w u ß t s e y n aber ist kein Gefühl, sondern, wie auch schon das Wort aussagt, ein Wissen von dem Seyn, das nun entweder in einem Fühlen, oder Thun, [16] oder Denken bestehen kann; daher das Bewußtseyn ein Wissen von der jedesmaligen Art oder Bestimmung unsers Seyns ist. In dem Scheintodten und Ohnmächtigen erwacht zuerst das Gefühl durch angewendete Reizmittel, das noch lange ohne Bewußtseyn bleiben kann. Wenn aber der Kranke das Gefühl mit der Vorstellung seines Ichs verbindet; so entstehet das Wissen von seinem Zustande, oder das Bewußtseyn kehrt zurück, er k o m m t zu sich, d. h. das Ich hat sich im Bewußtseyn selbst wiedergefunden. Es scheint also irrig zu seyn, wenn der Vf. Gefühl und Selbstbewußtseyn für identisch erklärt.

Eben so wenig kann man wohl sagen: die Frömmigkeit sey ursprünglich kein Wissen und Thun, sondern nur ein Gefühl. Sie ist allerdings kein bloßes Wissen, denn dieses kann das Gemüth auch indifferent lassen; sie ist kein bloßes Thun, denn dieses setzt immer ein Affi30 cirtseyn von Etwas, also ein Wissen und Fühlen eines Gegenstandes, voraus; aber sie ist - auch nicht zuerst - kein bloßes Gefühl, sondern Wissen, Fühlen und Thun zusammen, und das erste dabei ist das Wissen. Gefühle entstehen durch den Eindruck, den ein Gegenstand auf uns macht und dadurch Lust oder Unlust erzeugt. Beim s i n n l i c h e n 35 Gefühle bedarf es keines vorhergehenden Wissens von dem Gegenstande, sondern das Wissen von demselben kann auch dem Gefühle nachfolgen; daher auch das Bewußtseyn bisweilen ungewiß bleibt, woher der Eindruck, der das sinnliche Gefühl afficirt, gekommen sey. Bei den Ideen aber, also auch der Idee von Gott, muß die Auffassung der 40 Idee im Bewußtseyn, oder das Wissen, vorausgehen, und das Gefühl folgen, eben weil sich das Gefühl auf etwas Gedachtes bezieht, das als Gedachtes eher seyn muß im Gemüth, als die Wirkung, die es aufs Gemüth haben soll. Das Gefühl könnte dem Wissen nur in dem Falle vor-

Bretschneider:

Grundansichten

471

ausgehen, wenn Gottes Wesen den menschlichen Geist berührte, ehe er noch Gott erkennte. Dann würde der Mensch aber doch nur das Gefühl von einem dunkeln Etwas, nicht das von Gott haben, und [17] letzteres nur erst bekommen können, wenn die Idee von Gott, in seiner Vernunft erkannt, zum Bewußtseyn käme. Dieses dunkle Gefühl von einem unbestimmten Etwas könnte man aber auf keine Weise Frömmigkeit nennen, weil man sonst alle dunkle Gefühle auch dahin rechnen müßte, die Beziehung des Gefühls auf Gott aber schlechterdings ein hervorgehendes Eintreten der Gottesidee ins Bewußtseyn voraussetzt. Das Gefühl der Abhängigkeit ist daher in der Religion nicht das erste, sondern das Wissen, oder Auffassen der Gottesidee, das nur durch eine Thätigkeit der Vernunft zu Stande kommen kann. Daß das Gefühl aber nicht das Ursprüngliche in der Frömmigkeit sey, sondern das Wissen von Gott, erhellt auch daraus, daß wir vom Gefühl aus nie zum Bewußtseyn einer absoluten Abhängigkeit kommen können, sondern nur durch die reflectirende Vernunft. Das Gefühl sagt nur eine g e g e n w ä r t i g e Hemmung aus, und daß diese in der G e g e n w a r t nicht überwunden werden könne. Dabei läßt es aber unentschieden, ob die Ueberwindung der Hemmung nicht überhaupt, oder zu andrer Zeit, möglich sey. Das zur Abhängigkeit bestimmte Gefühl ist daher nur ein in der Gegenwart, also nur ein relativ, nicht absolut bestimmtes. Nur die Reflexion der Vernunft kann es seyn, welche jene Hemmungen auf etwas Absolutes bezieht, indem sie die Idee des Absoluten a priori, oder aus sich selbst entwickelt. Ohne diese ideenbildende Thätigkeit der Vernunft könnte das Abhängigkeitsgefühl auch zum Materialismus führen, wie auch geschehen ist. Auch sind „die e i n f a c h e und a b s o l u t e U n e n d l i c h k e i t " und „ G o t t , " welche Schleiermacher als identische Begriffe hinstellt, nicht identisch. Jene kann nicht die ewige Weisheit, Güte und Gerechtigkeit seyn, da er behauptet, das Wissen von Gott werde erst aus dem Abhängigkeitsgefühle abgeleitet. Die absolute Unendlichkeit ist also ein noch ganz unbestimmter Begriff mit dem einzigen Merkmal der unwiderstehlichen Gewalt ausgestattet. Sie kann daher kein anderes Gefühl in uns hervorbringen [18] als das, was ein absolutes Uebel in uns erzeugt, nämlich das Gefühl absoluter, unüberwindlicher Hemmung unsrer Thätigkeit; also Furcht und Grauen vor solcher Macht und Trauer über die gänzliche Abhängigkeit von ihr. Um sie zu lieben als eine gute, und ihr zu vertrauen als einer weisen, und darum sich ihr mit Freudigkeit zu unterwerfen, muß man erst erkennen und wissen, daß sie gut und weise ist, d. h. die Vernunft muß erst die Idee der Gottheit zum Bewußtseyn bringen. Außerdem ist die absolute Unendlichkeit entweder etwas Leeres, Formloses, oder ein schreckliches Etwas. Auch kann dieser Begriff der Religion einer Theorie des c h r i s t l i c h e n Glaubens deß-

472

Anhang

wegen nicht zu Grunde gelegt werden, weil das Christenthum als Wesen der Religion die Liebe zu Gott heraushebt, welche eben die Furcht vor ihm austreibe. Die Liebe zu Gott hat aber nur eine wahre und lautere Quelle, nicht das Gefühl der Abhängigkeit von Gott, sondern dieses, daß die Vernunft in Gott (nicht das Unwiderstehliche, sondern) das höchste Gut, oder den Inbegriff aller Vollkommenheit erkennt, daß sie also die Gottesidee vollkommen entwickelt, mithin mit dem Wissen beginnt. E n d l i c h scheint die Nothwendigkeit nicht klar, daß das Gefühl absoluter Abhängigkeit nicht auch auf die Welt bezogen werden könnte. Der Vf. sagt: im Gefühle der Abhängigkeit von einem Endlichen, auch von dem Weltganzen, stelle sich immer eine Gegenwirkung und Wechselwirkung als möglich dar; zum Gefühl einer absoluten Unabhängigkeit bedürfe es nicht der in sich getheilten und endlichen gestalteten Unendlichkeit der Welt, sondern der einfachen und absoluten Unendlichkeit, die alle Gegenwirkung ausschließe. Aber es ist ja doch auch vieles in der Natur, was keine Gegenwirkung von unsrer Seite gestattet, wie die Bewegung der Weltkörper, der dadurch bestimmte Schritt der Zeit, die die Weltkugeln zusammenhaltende Schwere, die Nothwendigkeit des Veraltens und Sterbens. Dagegen ist eine Gegenwirkung von uns aus schlechthin undenkbar, wenn man nicht das eine Gegenwirkung nennen will, daß der Mensch [19] wenigstens den Willen haben kann, der Natur, von der er sich abhängig fühlt, zu trotzen. Dieses findet aber auch bei Gott statt, wie denn der Sünder und der Verstockte einen solchen Trotz gegen den allmächtigen Willen Gottes hat. Ueberhaupt aber ist ja wohl die Sünde eine Gegenwirkung, wenn man diesen Begriff allgemein faßt, des unfrommen Menschen gegen Gott; mithin wird das Gefühl absoluter Abhängigkeit uns weit mehr auf die Welt und die Naturkräfte als auf Gott hinweisen. Sind diese Erinnerungen gegründet, so hat der ganze Grundgedanke von dem der Vf. ausgeht, nämlich: daß Religion das Gefühl einer absoluten Abhängigkeit, und daß das Absolute gleich Gott sey, keinen Halt; mithin hat auch das daraus herausgesponnene kunstreiche und scharfsinnige System keinen wahren Grund. Das Fortbauen darauf geschieht nun folgender Maaßen. Dasjenige, sagt Schleiermacher, wovon wir uns in den frommen Erregungen abhängig fühlen, das Absolute, könne nie auf eine äußerliche Weise uns gegenüberstehend gegeben werden, weil dann, wie bei der Welt, Gegenwirkung möglich wäre; in dem Abhängigkeitsgefühle von Gott sey aber aller Gegensatz aufgehoben. Da nun aber dieses Gefühl absoluter Abhängigkeit dennoch da sey, so folge, daß es angesehen werden müsse als dem M e n s c h e n e i n g e b o r e n , und als immer mitlebend; also als ein in dem menschlichen Seyn immanentes Gefühl.

Bretschneider:

Grundansichten

473

Daraus wird nun weiter gefolgert, daß mithin das ganze Bewußtseyn des Menschen eine u n u n t e r b r o c h e n e Reihe frommer Erregungen seyn müsse. In der Wirklichkeit aber finde man, daß das sinnliche Gefühl eine f o r t l a u f e n d e Reihe sinnlicher Erregungen bilde, und daß es zwar zurücktreten aber niemals gleich Null werden könne, weil sonst der Zusammenhang unsers Seyns unwiderbringlich zerstört werde. Es finde daher in dem Menschen ein W i d e r s p r u c h statt, indem auf der einen Seite das Gefühl absoluter Abhängigkeit ununterbrochen seyn solle, auf der andern Seite aber das sinnliche Gefühl, oder das [20] Gefühl relativer Abhängigkeit eine fortlaufende Reihe wirklich bilde. Diese Sätze des Vfs. sind sehr wichtig, weil er auf die Lösung dieses Widerspruchs das Bedürfniß der Erlösung bauet. Das Gefühl der absoluten Abhängigkeit, oder die fromme Erregung nennt der Vf. auch das G o t t e s b e w u ß t s e y n , was mit Bewußtseyn von G o t t nicht zu verwechseln ist. Wenn er behauptet, dieses sey dem Menschen eingeboren und mit ihm immer mitlebend, so heißt dieses bei ihm: es sey das immanente Leben Gottes selbst, erscheinend in dem Menschen in der Form des geistigen Bewußtseyns. Darum kann es, nach dem Vf., nie heraustreten als ein sinnliches oder gegenständliches, und darum behauptet er, daß es ein stetiges, ununterbrochenes seyn müsse. Die letztere Forderung widerspricht aber der Natur der Gefühle und des Bewußtseyns, und ist, wenn dieses ist, eine unmögliche, naturwidrige, folglich grundlose. Es ist die Natur der Gefühle, daß sie wechseln; kein Gefühl, weder ein sinnliches noch ein moralisches, ist nach der Erfahrung ununterbrochen. Denn das Bewußtseyn, wenn es zu einem gewissen Grad der Lebendigkeit kommt, wird von einem Gegenstande so ganz erfüllt, daß alles andere daraus verschwindet. Der Gelehrte, der ein Problem seiner Wissenschaft lösen will, hat in seiner Meditation, der Dichter, der eine große Persönlichkeit oder ein großes Schicksal schildern will, der Geschichtsschreiber, der eine große Begebenheit darstellt, hat in seiner Anschauung nichts weiter als eben dieses. Er ist in dem Zustande des Andächtigen, der, ganz hingegeben der Betrachtung Gottes, der Welt ganz vergißt, und nur Gott in seiner Seele hat. Ununterbrochen dauernd kann aber keiner dieser Zustände seyn, weil sonst das Bewußtseyn zum Wahnsinn (zur fixen Idee) werden, folglich das Bewußtseyn als Selbstbewußtseyn zerstören würde. Dieß ändert sich nicht, wenn man auch mit Schleiermacher das Bewußtseyn Gottes als etwas Immanentes in dem Menschen denkt. Auch die sinnlichen und geistigen Kräfte [21] unsers Wesens sind etwas Immanentes in uns, aber doch bilden sie keine u n u n t e r b r o c h e n e n Reihen von geistigen und sinnlichen Erregungen. Unser Leben ist weder eine ununterbrochene Reihe von wissenden und wollenden, noch von sinnlichen Erregungen. Denn auch das sinnliche Bewußtseyn leidet im Schlafe, in Ohnmacht, in den Zu-

474

Anhang

ständen tiefer Geistesmeditation allerdings eine Unterbrechung. Die Forderung also, daß das Gottesbewußtseyn ein ununterbrochenes seyn solle, erscheint als eine naturwidrige, erkünstelte, folglich grundlose, mithin erscheint auch der Widerspruch, welchen der Verf. darin findet, daß auch das sinnliche Bewußtseyn ununterbrochen seyn will, gleichfalls als ungegründet. Auf diese Forderung baut nun aber der Vf. das Bedürfniß einer Lösung, die ihm zugleich, als Mittel zum Leben in Gott, E r l ö s u n g ist. Der Widerspruch zwischen der frommen Erregung, d. i. dem ununterbrochenen Gottesbewußtseyn, und dem sinnlichen Gefühl könne nur dadurch aufgehoben werden, daß beide Gefühle in jedem Momente eins würden, und diese Vereinigung könne nur geschehen dadurch, daß die höhere Stufe (das fromme Gefühl) die niedere Stufe (das sinnliche Gefühl) „in sich a u f n e h m e . " Der Sinn dieses Ausdrucks wird erst aus dem Folgenden klar. Nämlich: das Leben Gottes solle als geistiges Selbstbewußtseyn in uns immanent seyn, und durch nichts gehemmt und getrübt werden. Dieses geschehe aber gleichwohl, weil der Mensch, als Sinnenwesen, auch ein sinnliches Bewußtseyn habe, das gleichfalls stetig seyn, d. h. ein persönliches oder individuelles Sinnenleben constituiren wolle, wodurch das Gottesbewußtseyn in uns eine Hemmung erleide. Dieses etwas Persönliches seyn Wollen des Menschen als eines Sinnenwesens, dieses „ f ü r sich g e s e t z t S e y n des F l e i s c h e s " , und die daher entstehende Hemmung des göttlichen Bewußtseyns in uns, wodurch mit demselben Unlust gesetzt werde, sey die S ü n d e und das G e f ü h l von S ü n d e , das auch als Gefühl der Schuld erscheine, indem Jeder diese Hemmung als seine That ansehen müsse. Die [22] Macht aber, mit der das göttliche Bewußtseyn sich in uns erhebe, erscheine eben deßwegen als etwas Mitgetheiltes, als G n a d e . Daraus entwickle sich in dem Menschen das Gefühl der E r l ö s u n g s b e d ü r f t i g k e i t , oder das Verlangen, die Hemmung des Gottesbewußtseyns aufgehoben zu sehen. Die E r l ö s u n g bestehe nun darin, daß das Gottesbewußtseyn, das in das Sinnenleben versenkt und dadurch gehemmt und verunreinigt sey, von dieser Unterdrückung befreiet, und herrschend gemacht werde, oder mit andern Worten: daß das sinnlich-persönliche Gefühl eine solche Umwandlung erleide, daß der Mensch, als Sinnenwesen, sich nicht mehr als ein Persönliches, Selbstständiges fühle, sondern sich im G e m e i n g e f ü h l als ein Theil desjenigen allgemeinen geistigen Lebens fühle, das durch das Seyn Gottes in der Form des geistigen Bewußtseyns in allen Menschen bestehen solle. [ . . . ] [26] [ . . . ] Da Gott bei Hrn. Schleiermacher das Gottesbewußtseyn in dem Menschen ist, so hat er die Lehre von den göttlichen Eigenschaften nicht, wie gewöhnlich geschieht, verbunden dargestellt, sondern [27] sie vertheilt nach den Verhältnissen, in denen er das Gottes-

Bretschneiäer:

5

10

15

20

25

30

35

40

Grundansichten

475

bewußtseyn in dem Menschen betrachtet. Seine ganze Darstellung zerfällt nämlich in zwei Haupttheile: I) das fromme Abhängigkeitsgefühl an sich, ehe sich noch der Gegensatz in dasselbe hineingebildet hat, wo a) von der Schöpfung und Erhaltung, b) von der Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht, Allwissenheit Gottes, und c) von der ursprünglichen Vollkommenheit der Natur und des Menschen gehandelt wird. - II) Das Gottesbewußtseyn, wie sich der Gegensatz h i n e i n g e b i l d e t hat, welcher v e r s c h w i n d e n soll. Also 1) von der S ü n d e ; der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes; 2) von der G n a d e ; von Christo, der Erlösung, der Kirche, der Schrift, dem Lehramt, Sacramenten, der Vollendung der Kirche (den letzten Dingen), und von den göttlichen Eigenschaften der Liebe und der Weisheit, denen als ein Corrolarium eine Untersuchung über die göttliche Dreiheit angehängt ist. Hiermit dürften die Grundansichten des Systems Schleiermachers, besonders in wie weit sie die Auffassung der Hauptpunkte der kirchlichen Dogmatik bestimmen, dargelegt seyn. So angenehm es seyn würde, die äußerst scharfsinnige und consequente Durchführung dieser Grundansichten durch alle Theile des kirchlichen Systems zu verfolgen; so müssen wir der Kürze halber uns das Weitere versagen, um noch Raum zu einigen Bemerkungen über die Grundansicht Schleiermachers über die Erlösung zu gewinnen. Es kommt hierbei z u e r s t an auf den W i d e r s t r e i t z w i s c h e n sinnlichem und geistigem Bewußtseyn, den der Vf. in dem Menschen annimmt, darin die Sünde findet, und darauf das Bedürfniß einer Erlösung gründet. Der Widerstreit zwischen beidem entsteht ihm aus der Forderung, daß das Gottesbewußtseyn in uns immanent seyn, oder jeden Lebensmoment bestimmen solle, gleichwohl aber das sinnliche Bewußtseyn ebenfalls eine fortlaufende Reihe bilde. Jene Forderung erschien aber, wie wir sahen, als eine unbegründete und unmögliche, und eben so erscheint, [28] was nun hier zu erörtern ist, der nothwendige Widerstreit zwischen beiderlei Bewußtseyn und die daher abgeleitete Hemmung des Gottesbewußtseyns als nicht vorhanden. Der Charakter des Bewußtseyns ist nämlich ganz und gar die Einheit, oder das Wissen, daß man bei allen Veränderungen dieselbe Person bleibt. Der Mensch hat also entweder überhaupt kein Bewußtseyn von sich, oder die Einigung seines sinnlichen und geistigen Gefühls muß in demselben Augenblicke geschehen, wo beide in sein Bewußtseyn eintreten. Ein sinnliches und geistiges Bewußtseyn, als abgesondert und verschieden, ist in dem Menschen nicht denkbar. Bei jenem allein würde er sich bloß als Thier, bei diesem allein bloß als Gott fühlen. Es kann also auch die Forderung nicht gemacht werden, daß das geistige oder das Gottesbewußtseyn das sinnliche so „in sich a u f n e h men" solle, daß der Mensch sich nicht mehr als sinnliches Individuum

476

Anhang

fühle. Eben als Mensch muß er in seinem Bewußtseyn beides zugleich haben, und ein natürlicher und bleibender Zwiespalt zwischen sinnlichem und geistigem Bewußtseyn wäre nur denkbar, wenn man auf manichäische Weise die Sinnenwelt f ü r etwas an sich Böses und Gott Entgegengesetztes ansähe. Ist aber die Sinnenwelt und das sinnliche Bewußtseyn ein Werk des Schöpfers, so ist es auch göttlich und ein durch Gott bedingtes und von ihm eben so abhängiges Bewußtseyn, wie das geistige; es kann also auch nicht mit dem Seyn des Schöpfers, oder dem Gottesbewußtseyn in uns in natürlichem Zwiespalt stehen. Außerdem müßte es auch mit Gott selbst, da das Seyn des Schöpfers die Form des geistigen Bewußtseyns in uns ist, in Widerspruch stehen, und die daher entstehende H e m m u n g müßte mit dem göttlichen Bewußtseyn, in wiefern es in Gott ist, eben so empfunden werden, wie in dem göttlichen Bewußtseyn, in wiefern es in dem Menschen ist. Jener angebliche Widerstreit kann also nur Statt finden, wenn man auf manichäische Weise, was doch der Vf. nicht will, der Sinnenwelt eine vom göttlichen Willen unabhängige Beschaffenheit und Thätigkeit beilegt. [29] Auch in m o r a l i s c h e r Hinsicht, und in dieser noch weniger, kann ein natürlicher und nothweniger Zwiespalt zwischen beiden Arten des Bewußtseyns angenommen werden. Sinnlichkeit und Vernunft, als vereinigt in Einem Wesen, b e d i n g e n s i c h , als Antriebe zum Handeln betrachtet, g e g e n s e i t i g . Widernatürlich und dadurch sündlich wird ihr Verhältniß nur, wenn der eine Theil die Realität der Ansprüche und Aussprüche des andern Theils nicht mehr anerkennen will. Dann erst entsteht Sünde und Entzweiung des innern Menschen. Wären sie an sich widersprechend, so mußte der Widerspruch vom Schöpfer gegeben seyn, und in seinem eignen Wesen liegen. Was nun zuerst die Triebe des s i n n l i c h e n Lebens betrifft, so stehen sie mit dem Gottesbewußtseyn in uns nicht im geringsten Widerspruch. Die Vernunft muß alle Forderungen der sinnlichen Natur, an sich betrachtet, als gerecht anerkennen, und nimmt daher ihre Befriedigung mit unter die Zahl der Pflichten auf. Außerdem müßten die sinnlichen Triebe zu den absolut verbotenen und unsittlichen Erregungen gehören. Die Vernunft maaßt sich nicht an, das Bewußtseyn allein erfüllen, allein Motiv des Handelns seyn, und die sinnliche Erregung als etwas ihr Widersprechendes aufheben zu wollen; sonst wäre die Vernunft eine Krankheit, ein Wahnwitz: sondern sie fordert nur, daß die Erregungen und Thätigkeiten der sinnlichen Natur nicht mit ihrem Wesen und Ansprüchen in Widerstreit gerathen. Wenn dieses doch geschieht, dann entsteht Sünde. Da aber auf der andern Seite auch das vernünftige Leben seinerseits durch das sinnliche bedingt ist, so folgt, daß die Vernunft ebenfalls zur Sünde wird, wenn sie die natürlichen Rechte des sinnlichen Lebens verkennt, und dasselbe in seiner gesetzmäßigen Thätigkeit hemmen will. Sie kann, als

Bretschneider:

Grundansichten

477

an ein sinnliches Leben gebunden, nicht absolut seyn wollen, ohne ihre Individualität zu vernichten, daher auch die Forderung des Vfs, daß der Mensch seine Persönlichkeit aufgeben, und sich mit einem allgemeinen Gottesbewußtseyn verschmelzen müsse, eine unmögliche ist. Die Ansicht von dem sinnlichen Leben als einem mit dem geistigen [30] Leben Streitenden, und der Versuch, die Thätigkeiten des geistigen Lebens zu absoluten zu erheben, war ja eben der Grund der widernatürlichen Mönchsmoral, die nur Verzerrungen des Lebens hervorbrachte, die oft bis zum feinen [ ! ] Selbstmord gingen. Auch die Fälle machen keine Ausnahme, wo wir verbunden sind, das sinnliche Leben für eine Pflicht zu wagen und zu opfern. Denn diese Pflichten kommen nur vor bei dem Menschen, in wiefern er in menschlicher Gesellschaft lebt, und gehen daher nur auf Erhaltung des gemeinschaftlichen Lebens, als ihren letzten Zweck aus. So wenig es also ein „Fürsichgesetztseyn" des sinnlichen Lebens gibt und geben soll, eben so wenig findet es beim geistigen Leben Statt. Herrscht aber zwischen beiden kein natürlicher Zwiespalt, so bedarf es auch nicht der Erlösung von diesem Zwiespalt. Dasselbe Urtheil ergibt sich z w e i t e n s über die Vorstellung Schleiermachers von S ü n d e und G n a d e . Es heißt (2ter Thl. S.6.): „Das Eigenthümliche der c h r i s t l i c h e n Frömmigkeit besteht darin, daß wir uns des Widerstrebens unsrer sinnlichen Erregungen, das Bewußtseyn Gottes mit in sich aufzunehmen, als u n s r e r T h a t bewußt sind, der Gemeinschaft mit Gott hingegen nur als etwas uns vom Erlöser Mitgetheilten. Jeder Lebenstheil, der, als ein Ganzes für sich betrachtet, unsre That ist, ohne das Gottesbewußtseyn in sich zu tragen, ist S ü n d e ; die Leichtigkeit aber, dieses Bewußtseyn zu entwickeln, als m i t g e t h e i l t , ist G n a d e . " - In unserm Bewußtseyn wird aber eben so wohl das sinnliche Leben als das Gottesbewußtseyn als etwas Mitgetheiltes empfunden. Unser Bewußtseyn sagt aus, daß das g a n z e Leben, als sinnliches und geistiges, etwas Entsprungenes und Abhängiges sey; entweder von der Natur oder von Gott. Der Vf. hat daher auch bei der Lehre von der Erbsünde das Widerstreben der sinnlichen Natur als etwas Mitgetheiltes aufzufassen sich genöthigt gesehen. Von den e i n z e l nen Erregungen im Leben aber sagt das Bewußtseyn, daß sie entweder aus unsrer innern Selbstthätigkeit, oder durch den Eindruck der Außen-[31]dinge entstehen; nirgends aber weiset es auf Gott, der als Causalität nie empfunden, sondern als solche nur von der Vernunft erschlossen werden kann. Ueberdieses sagt uns die Erfahrung, daß wir in Erweckung des Gottesbewußtseyns mehr von uns selbst abhängen, als bei den sinnlichen Empfindungen, die uns von den Außendingen mit unwiderstehlicher Macht aufgedrungen werden. Ist also die sinnliche Erregung unsre That, so ist es noch mehr die geistige.

478

Anhang

Eben so wenig kann man sagen, daß jeder Lebenstheil, der unsre That ist, ohne vom Gottesbewußtseyn begleitet zu seyn, S ü n d e sey. Der Lebenstheil, den der Mathematiker auf ein Problem, der Künstler auf ein Kunstwerk, der Handwerker auf seine Arbeit verwendet, kann ganz vom Gottesbewußtseyn geschieden seyn, ohne daß er die Natur der Sünde bekommt; eben so wie der Lebenstheil, der auf eine speculative Theorie vom Gottesbewußtseyn verwendet wird, darum noch nicht Gnade ist. Wenn nun aber das Seyn Gottes unter der Form des Selbstbewußtseyns in dem Menschen lediglich etwas Mitgetheiltes ist; so kann der Mangel desselben keine Sünde seyn, wenigstens keine Schuld begründen, weil niemand dafür verantwortlich ist, daß er nicht hat, was ihm nicht mitgetheilt wird, und was er ohne Mittheilung gar nicht haben kann. Der Verf., um die Sünde in moralische Beziehung zu setzen, modificirt daher (2ter Thl. S. 13.) den Begriff der Sünde so, daß er sagt: „das Bewußtseyn der Sünde haben wir überall, wenn unser Selbstbewußtseyn durch das mitgesetzte Gottesbewußtseyn als U n l u s t bestimmt wird." Dadurch ist aber die Sache wesentlich verändert. Es ist also nicht mehr die bloße A b w e s e n h e i t des Gottesbewußtseyns von einem Lebensmoment, was die Sünde bedingt, sondern die Art, wie die A n w e s e n h e i t des Gottesbewußtseyns empfunden wird; und die Sünde geht nicht mehr hervor aus einem ursprünglichen Mißverhältnisse zwischen dem sinnlichen und göttlichen Bewußtseyn, nämlich daß beide fortlaufende Reihen von Erregungen bilden und ausschließlich herrschen wollen, sondern sie ent-[32]steht aus einem subjectiven Gefühle der Unlust über die Anwesenheit des Gottesbewußtseyns. So hätte denn der Verf. alles das, was er über jenen ursprünglichen Zwiespalt des Bewußtseyns sagte, wieder aufgehoben, oder als unbrauchbar zur Seite geschoben. Er hätte alles, was er über das „Fürsichgesetztseyn" des einen oder des andern Bewußtseyns, und was damit zusammenhängt, gesagt hat, entbehren, und näher davon ausgehen können, daß das sinnliche Bewußtseyn, w e n n das Gottesbewußtseyn zu ihm trete, als Unlust bestimmt werde, und dieses die Sünde sey, von der Erlösung gesucht werden müsse. - Aber davon abgesehen, so ist auch diese neue Bestimmung der Sünde ungenügend. Es würde daraus folgen, daß grade der Zustand, den der Vf. für die Hauptsünde erklärt, nämlich, wo das Gottesbewußtseyn ganz fehlt, gar nicht Sünde sey, weil ihm die Unlust fehlen muß, die durch das Gottesbewußtseyn erst hervorgebracht werden soll. Der in die Sünde versenkte Mensch also, der das Gottesbewußtseyn getödet oder doch so geschwächt hat, daß es ihm keine Unlust erweckt, würde daher gar nicht sündigen. Es würde ferner folgen, daß der Fromme, der durch das Gottesbewußtseyn getrieben sich grausamen Schmerzen unterwirft und dadurch das Gefühl der Unlust bekommt, in den Stand der Sünde trete. Der Vf. hat daher durch diese 2te

Bretschneider:

5

10

15

20

25

30

35

40

Grundansichten

479

Bestimmung des Begriffs der Sünde etwas eingemischt, was seiner Speculation fremd ist. Was nun d r i t t e n s den Begriff der E r b s ü n d e betrifft; so ist dieser dem System des Vfs eigentlich wohl fremd, und nur auf Veranlassung des kirchlichen Systems eingeschoben. Der Vf. mußte dabei den Boden der psychologischen Speculation, auf welchem sich sein System bewegt, verlassen und auf das Gebiet der äußern Erfahrung treten, aus dem freilich nichts gefolgert werden kann für das innere Selbstbewußtseyn. Er behauptet (2 B. S. 163.), die Sünde sey der menschlichen Natur nicht wesentlich, sondern in dem ursprünglichen Bewußtseyn der menschlichen Natur sey beides angelegt gewesen, sowohl [33] die Möglichkeit einer ganz unsündlichen Entwickelung als auch die Möglichkeit der Sünde; und zwar die letztere „in der Einseitigkeit des G e s c h l e c h t s und in der U n g l e i c h h e i t d e r S t i m m u n g e n , vermöge deren auch das Gottesbewußtseyn von der Sünde überwachsen und in sie versenkt werden konnte." Gibt man dieses dem Vf. zu, so folgt unvermeidlich, wenn er anders nicht eine gleich Anfangs begonnene und fortgehende Verschlechterung der menschlichen Natur, und eine Veränderung ihres ursprünglichen Typus annimmt, daß beide Möglichkeiten zur Wirklichkeit gekommen seyn müssen, wenn auch die eine öfterer als die andere. Denn eine durch bleibende Anlagen bedingte Möglichkeit, die schlechthin nie Wirklichkeit würde, müßte eine unmögliche Möglichkeit, also Nichts, seyn. Nicht ohne Befremden lieset man, wie der Vf. sich zu helfen sucht, um zu erklären, warum bei allen menschlichen Individuen nur die Möglichkeit der Sünde zur Wirklichkeit komme. Er sagt 2 Thl. S.25f. „Das ungleichmäßige Verhalten der verschiedenen Verrichtungen und Richtungen der Sinnlichkeit in jedem Einzelnen gegen die höhere Geistesthätigkeit (das Gottesbewußtseyn) ist gegründet in einer (jedem) a n g e b o r n e n Differenz dieser Richtungen selbst in jedem Einzelnen, welche Differenz seine p e r s ö n l i c h e C o n s t i t u t i o n bilden hilft. Wir sehen aber dergleichen Differenzen theils in Geschlechtern sich fortpflanzen, und in der Bildung neuer Familien aus mehrern Geschlechtern zusammenarten, theils finden wir sie in großen Massen feststehend als Eigenthümlichkeit der Stämme und Völker." „Jede Menschenrace (S.39), jedes Volk, jeder Stamm, ja einzelne Geschlechter haben besondere sich fortpflanzende Einseitigkeiten, welche in ihnen sich fortpflanzende und erneuernde s ü n d l i c h e Anlagen begründen." Diese Behauptungen sind rein empirisch. Das Bewußtseyn sagt von ihnen gar nichts. Sie stehen daher da ohne allen Beweis und Zusammenhang mit dem auf einer Analyse des Bewußtseyns ruhenden System des Vf. Die Erfahrung kann aber nimmermehr [34] beweisen, daß in den ersten Menschen Einseitigkeiten und Ungleichheiten der sinnlichen Natur angelegt gewesen seyen, die sich entwickelt

480

Anhang

hätten, und nur im Laufe der Zeit feststehende fehlerhafte Typen geworden seyen. Die ganze Geschichte lehrt vielmehr, daß grade die sinnliche Natur des Menschen sich bei allen Völkern und in allen Zeitaltern nach einem ewig gleichen Typus reproducirt, und die kleinen Unterschiede, die man mit dem Namen der Constitution, der Nationalanlagen bezeichnen könnte, sind eben so oft auf das Gute gerichtet, wie auf das Böse. Dagegen ist es nach der Erfahrung umgekehrt das geistige Princip in uns, in welchem die Völker und Zeitalter die größte Differenz zeigen. Die sinnliche Natur hat, wie bei den Thieren und Pflanzen, ihren unveränderlichen Typus, nach dem sie sich o h n e u n s e r Z u t h u n erzeugt und bildet, daher überall mit der Munterkeit die sinnliche Natur von selbst und ohne unsern Willen in voller Blüthe steht. Ganz anders das geistige Leben. Dieses erwachset bloß durch Unterricht und Erziehung und nie ohne eigne Anstrengung; daher es auch nach der Erfahrung bei verschiedenen Völkern und in verschiedenen Zeiten bald vorwärts, bald rückwärts gehen, bald auch stille stehen kann. Der Grund also, warum die Möglichkeit zur Sünde allein zur Wirklichkeit geworden sey, kann ohnmöglich der von dem Vf. angegebene seyn. ["•Ι [36] F ü n f t e n s ist auch die speculative Theorie des Vf. von dem G o t t m e n s c h e n oder d e r g ö t t l i c h e n u n d m e n s c h l i c h e n N a t u r in C h r i s t o , in sich unhaltbar und mit dem N.Test, unvereinbar. [...] Obgleich der Vf. unter Gottesbewußtseyn nicht das Bewußtseyn von Gott, oder das Wissen von ihm, sondern (S.208.) „ein Seyn Gottes unter der Form des Bewußtseyns und der b e w u ß t e n Thätigkeit" versteht; so klingt doch ein Gottesbewußtseyn, das als b e w u ß t lose Kraft in dem Menschen liegen soll, eben so widersprechend als ein h ö l z e r n e s E i s e n . Denn wenn das Gottesbewußtseyn die Form des geistigen Bewußtseyns und b e w u ß t e r Thätigkeit ist; so kann es nie eine b e w u ß t l o s wirkende Kraft seyn, sondern es ist, wo nicht als Bewußtseyn, gar nicht. Der Vf. hat daher hier den Begriff wesentlich verändert und sich unter dem Gottesbewußtseyn nur einen göttlichen Instinct, der gleich dem thierischen ohne Bewußtseyn wirkt, gedacht, oder eine Anlage. Dadurch aber wird das Gottesbewußtseyn in Christo zu etwas gemacht, was mit dem Moralischen nicht den ge[37]ringsten Zusammenhang hat, und Jesus, wenn seine Unsündlichkeit nicht als das Werk seiner Freiheit, sondern eines in jedem Moment mächtiger als die sinnlichen Lebenserregungen seyenden göttlichen und nothwendigen Instincts angesehen wird, hört auf ein Vorbild der Gläubigen zu seyn, die von Adam her nur eine „ u n z u r e i c h e n d e " Gabe dieses Gottesbewußtseyns empfingen. Er ist nun kein Mensch mehr, sondern ein Gott, den man verehren, dem man aber nicht nachfolgen kann. Auch widerspricht der vom Vf. gezeichnete Gang der Entwicke-

Bretschneider:

Grundansichten

481

lung Jesu aller menschlichen Erfahrung, nach welcher sich in einem wahren Menschen das sinnliche Bewußtseyn schlechterdings eher entwickelt als das vernünftige. Nur durch die apollinaristische Behauptung, daß die göttliche Natur in Christo die Stelle der menschlichen Seele vertreten habe, würde sich das vom Vf. Gesagte halten lassen. Dazu kommt, daß der Vf. in Wahrheit die Ordnung, die Gott beliebt hat, umkehrt. Nach des Schöpfers Ordnung fängt der Mensch mit dem sinnlichen Bewußtseyn an; dann folgt späterhin das Gottesbewußtseyn in ihm, und die volle Herrschaft des letztern über das erstere ist das Ziel seiner Bestimmung und Entwickelung. Der Vf. aber verlangt, an diesem Ziele solle der Mensch gleich von der Geburt an stehen, und keinen Lebensmoment haben, wo nicht das Gottesbewußtseyn durchaus herrsche, und er erklärt die Ordnung des Schöpfers für die Sünde und die Erbsünde, und bezieht die Erlösung durch Christum auf die Erlösung von solcher Ordnung. Auch widerspricht die evangelische Geschichte der Vorstellung des Vfs. Sie stellt Momente des Lebens Jesu dar, wo er als Mensch empfand und k ä m p f t e , also nach des Vfs. Theorie sündigte. Denn wenn wir auch absehen von der Versuchung bei Antritt seines Amtes, wiewohl es wahrscheinlich genug ist, daß sie die parabolische Darstellung einer innern Versuchung ist, die nicht aus dem Gottesbewußtseyn hervorgehen konnte; so bleibt doch noch der Seelenkampf Jesu in Gethsemane (den der Vf. gar-[38]nicht berührt), wo das Gebet: Vater ists möglich, so gehe dieser Kelch vorüber! nicht aus dem in der Form des Bewußtseyns erscheinenden Seyn Gottes in Christo hervorgehen konnte; es bleibt der Ausruf: „mein Gott, warum hast du mich verlassen," der gewiß nicht durch die ungenügende Bemerkung (S. 296.) beseitigt wird, daß er, wenn er anders für einen eigentlichen Ausruf Christi anzusehen sey, nur begriffen werden könne als die höchste Aeußerung des M i t g e f ü h l s . Dieses ist willkürliche Deutung, und die ausdrücklichen Worte ήρξατο λυπεϊσθαι και άδημονεΐν, Matt. 26,37. περίλυπος έστιν ή ψυχή μου εως θανάτου, ν. 38, zeugen gegen den Vf. Auch heißt es Hebr. 5,7. 8. εμαθεν την ύπακοήν, er habe unter Geschrei, Thränen und Leiden den Gehorsam als Sohn g e l e r n t ; was doch gewiß Kampf voraus setzt. [...] [65][...] Im Allgemeinen ist über diese Systeme zu bemerken, daß als Philosophie das Urtheil über ihre Wahrheit darauf beruhen dürfte, daß sie das Räthsel des menschlichen Bewußtseyns wirklich und vollkommen lösen, und erst noch zeigen, w a r u m der Mensch der Idee Gottes sein individuelles Leben zum Opfer bringen müsse, und besonders, d a ß und wie er dieses vollziehen könne. Was aber die A n w e n d u n g der p h i l o s o p h i s c h e n T h e o r i e auf die c h r i s t l i c h e Glaubenslehre betrifft, so bemerke ich hierüber im Allgemeinen Folgendes, was aber nicht von Hase, sondern von den

482

Anhang

dogmatischen Systemen Schleiermachers und Marheineckes gilt, welche diese Anwendung durchzuführen gesucht haben. Beide Dogmatiker tragen ihr, eigentlich rein philosophisches, System nicht an sich, und in den Formen der Philosophie, sondern in den Formen und mit den Worten der kirchlichen Dogmatik vor, gleichsam als ob das philosophische System erst aus dieser kirchlichen Theorie entstehe und der nothwendige, eigentliche Sinn desselben sey. Dadurch haben sie nicht nur für den Unkundigen die Auffassung des wahren Sinns ihrer Ausdrücke ungemein erschwert, weil dieser beim Verständnisse der ge-[66]brauchten Formeln und Sätze immer von dem zeither üblichen und bestimmten dogmatischen Sinne ausgeht, wodurch er mißgeleitet und getäuscht wird; sondern, da sie in den Worten der Kirche, welche den Sinn ihrer Formeln festgestellt hat, sprechen, und deren Sätze zu den ihrigen machen, aber in einem sehr verschiedenen Sinne; so scheinen sie sich auch in einem Scheine, einer Täuschung zu bewegen, welche der Leser für eine willkürliche zu halten versucht werden kann. Wenn sie nun auch davon nach dem Geiste ihres Systems frei zu sprechen sind, indem dieses System die Weltgeschichte als die wirkliche Geschichte dieser Philosophie ansieht, und im Christenthum und der Kirche die wirkliche Offenbarung seiner Philosopheme zu haben glaubt; so ist nun auf der andern Seite desto auffallender, wie auch Sätze, welche nach dem Zeugnisse der Geschichte nur durch äußere Umstände, und keineswegs durch eine innere Nothwendigkeit zur kirchlichen Theorie kamen, oder deren Unbegründetes und deren Mißverhältniß zur heiligen Schrift erwiesen ist, hier gleichfalls als etwas Nothwendiges und Christliches dargestellt werden können. Beide dogmatische Darstellungen haben ferner den Mangel mit einander gemein, daß sie in i h r e m e i g e n t l i c h e n Sinne ganz unfaßbar, mithin auch unbrauchbar sind fürs Volk, und also nur in dem Gewände des kirchlichen Typus im öffentlichen Unterrichte gebraucht werden können, wo sie dann nicht in ihrem eigentlichen, dem Volke unbekannten und unverständlichen, sondern im gewöhnlichen Sinne aufgefaßt werden, und in dem Hörer eine Täuschung begründen. Beide Systeme sind in Verlegenheit, wie sie bei der Anwendung der philosophischen Theorie auf die kirchliche Lehre von der Person des Gottmenschen aus der menschlichen Natur Christi den Widerspruch gegen das Göttliche wegbringen sollen, den sie allgemein in jeder menschlichen Natur anzunehmen genöthiget sind. Eben so wenig ist in beiden Systemen die Anwendung auf die Erbsünde, und besonders die Schuld derselben gelungen. Beide geben der christlichen Lehre von der Person des Erlösers und von der Erlösung selbst [67] einen Sinn, den die christliche Kirche nie mit jenen Vorstellungen verbunden hat; woraus denn folgt, daß die Kirche bisher nur das leere Wort, nicht aber

Bretschneider:

Grundansichten

483

die Sache selbst gehabt habe, mithin die Erlösung selbst früher noch nicht da gewesen sey, sondern erst jetzt, und nur bei denen angehe, die den wahren Sinn derselben erfassen, der erst durch Schelling offenbar geworden ist. Beide sind ferner ihrem Wesen nach bloß theoretische Speculationen, die sich wenig fruchtbar erweisen dürften für das christliche Leben. Denn Niemand mag läugnen, daß nicht nur das Problem, das gelöset werden soll, ganz speculativ ist, sondern daß auch die gegebene Lösung selbst die moralische Begeisterung dadurch auslöscht, daß sie die Auflösung der Individualität fordert; worüber ich mich schon vorhin bei Erörterung des Schellingischen Systems erklärt habe. Damit soll nun nicht gesagt werden, als ob die Vf. nicht auch das Moralische zu begründen gesucht hätten, und noch weniger soll damit ihrem moralischen Sinne auf irgend eine Weise zu nahe getreten werden; denn ich spreche hier lediglich vom System und dessen wissenschaftlicher Beziehung, nicht aber von Personen. Vielmehr haben beide Vf. sehr herausgehoben, daß das göttliche Leben nur dann vollendet werde, wenn sich in dem menschlichen Geschlecht neben dem vollkommenen Wissen (der Weisheit) zugleich das vollkommene Thun (die Heiligkeit) entwikkele, und Hr. Prof. Marheinecke hat besonders herausgehoben, daß die Persönlichkeit Gottes eben die vollkommene Weisheit und Heiligkeit in ihrer Einheit sey. Diese Hinweisung aber wird aus schon angegebenen Gründen das Gemüth des Individuums gleichgültig lassen, weil es dabei als solches untergehen soll. Indem nämlich für das Ich nur das ein Daseyn hat, was es auf sich selbst, auf sein Ich beziehen kann, d. h., was als O b j e c t in das Bewußtseyn tritt; so sinkt alles, auch das Leben Gottes, in Nichts, wenn die Beziehung desselben auf das Ich, und damit das individuelle Bewußtseyn aufhört. Für etwas aber, das für das Gemüth nicht [68] mehr ist, dasselbe begeistern zu wollen, dürfte unmöglich seyn, und weniger ein thätiges Tugendstreben als einen unthätigen Quietismus hervorbringen. Endlich werden beide achtbare Gelehrte es nicht mißdeuten, wenn ich bekenne, daß ich das von ihnen beobachtete Verfahren in dem Gebrauche des kirchlichen Systems f ü r die e v a n g e l i s c h e K i r c h e nur f ü r n a c h t h e i l i g halten kann. Die Schrift verliert bei ihnen das, was sie zum Princip der Verbesserung der kirchlichen Lehre bei der Reformation machte, nämlich, daß etwas darum, weil es in der Schrift stehe, göttliche Lehre sey (was Hr. Prof. Marheinecke ausdrücklich verwirft), welches Princip auf nothwendige Weise auch die Negation einschließt, daß alles, was sich nicht aus der Schrift erweisen lasse, zur christlichen Lehre nicht gehöre. Beide Vf. aber stellen das, was die Kirchenlehre mehr enthält als die Schriftlehre als gleich göttlich und unentbehrlich dar. Ferner ist nicht zu läugnen, daß beide Systeme die Stellen und

484

Anhang

Lehrsätze der Schrift, unbekümmert um ihren grammatisch-historischen Sinn, aus ihrem System erklären, und also eine Art von dogmatischer Erklärung wieder einführen, welche eben so viel dazu beitrug, Irrthümer und Mißbräuche, welche die Reformation abschaffte, als schriftgemäß darzustellen, und deren sich die Katholiken noch immer bedienen, wenn sie uns ζ. B. aus der Schrift den Primat des Papstes, die Gültigkeit der Tradition, das Fegefeuer, das Meßopfer, das Sacrament der Priesterweihe, und der Ehe beweisen wollen. Endlich muß die Reinigung des Lehrbegriffs durch die Reformation auch bedeutend an Werth verlieren, und überhaupt das Gemüth gegen den Unterschied zwischen schriftmäßiger und nicht schriftmäßiger, wahrer und falscher Lehre gleichgültig werden, wenn man die ganze Kirchenlehre, ohne Rücksicht auf ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit als eine allegorische Hülle betrachtet. Denn da bei diesem Verfahren am Ende jedes Dogma gebraucht werden kann; so kann [69] es gleichgültig scheinen, ob man das evangelische oder das katholische Dogma nach dem Geiste des Systems aufzufassen und auszudrücken habe. So scheint mir z.B. das P a p a l s y s t e m sich mit beiden Theorien sehr gut zu vertragen, wenn man den Papst als die versinnlichte Idee der Einheit des in den Gläubigen erwachsenden Bewußtseyns Gottes, als das Symbol der werdenden Persönlichkeit Gottes auffaßt, woran sich dann knüpfen ließe, daß er auch als Erhalter der Glaubenseinheit, und als Primas der Kirche der Vermittler der Persönlichkeit Gottes sey, und daß alle, die sich von ihm als dieser Einheit trennen (die Ketzer) und ihrer Individualität folgen, dem Bösen (dem Teufel) verfallen sind und sich im Nichtigen bewegen; woraus denn endlich auch eine Rechtfertigung der Inquisition herausgebracht werden könnte, welche die Irrthümer des Glaubens als Sünde zu behandeln berechtigt sey. Denn wenn das die Sünde ist, daß das Individuum in Hinsicht seines Wollens selbstständig und ein Individuum seyn will; so ist ja wohl auch das eine Sünde, daß es in Hinsicht seines Denkens oder Wissens selbstständig seyn und seiner Individualität folgen will. Eben so dürfte sich das katholische M e ß o p f e r mit diesem Systeme wohl vertragen, entweder als Symbol der fortdauernden Liebe, die sich selbst genug thut, oder noch besser als Symbol und Zeichen der fortdauernden Nothwendigkeit, das Ichseyn, das eben durch den Leib vermittelt wird, der werdenden Persönlichkeit Gottes zum Opfer darzubringen. Wie bequem das Ausdeuten kirchlicher Dogmen zum Sinne einer speculativen Philosophie für alles Unevangelische sey, was die Reformation vor 300 Jahren abthat, liegt am Tage, und hat sich nicht nur neuerlich in den Beispielen von Z i m m e r , T h a n n e r und andern, sondern auch schon früher an den Scholastikern gezeigt. Es könnte sonach kaum der Mühe werth scheinen, daß man vor 300 Jahren eine Summe

Bretschneider:

Grundansichten

485

von Sätzen, die sich auch recht bequem würden haben deuten lassen, abgethan und darum eine Spaltung in der Kirche erregt hat. Und hiermit würde daher der Reforma-[70]tion ihr Verdienst und Werth entzogen, wenigstens der kirchliche Indifferentismus begründet. Fasset man aber einmal die christliche Kirche als die Geschichte des sich entwikkelnden Gottesbewußtseyns auf, so muß man, wie auch Hr. M a r h e i necke thut, auch die Tradition und die Concilienbeschlüsse eben so viel gelten lassen als die Schrift, wo aber dann nicht abzusehen ist, warum man nur die Tradition in dem apostolischen Symbolum und den symbolischen Büchern der evangelischen Kirche, und nicht auch die Dekrete aller Concilien bis herab aufs Tridentinische mit dazu nehmen soll; also den ganzen Katholicismus. Ich kann demnach über diese Behandlungsart der christlichen Dogmen immer noch kein anderes Urtheil fällen, als das schon früher von mir ausgesprochene: das diese Theologumena, wenn sie herrschend werden sollten, nur einen Uebergang zum Katholicismus, d. i. zur Wiederaufnahme der vor 300 Jahren abgethanen Irrthümer und Mißbräuche, bilden, den jungen Theologen gegen die eigenthümlichen Vorzüge der evangelischen Kirche und Lehre gleichgültig machen, und über dieses zum Dünkel orthodoxer Bigotterie und zur Vernachlässigung der kritischen, historischen und philologischen Studien, welche der evangelischen Kirche unentbehrlich sind, führen können. Man beziehe aber dieses nur auf die von beiden Gelehrten gewählte Verfahrensart, nicht aber auf das Wesen ihrer Systeme, und noch weniger auf ihre Personen, oder gar ihre Absichten. Beide sind vielmehr dem natürlichen Bedürfnisse scharfsinniger Geister, systematische Einheit in ihre Darstellungen zu bringen, gefolgt. Beide haben dem Bedürfnisse der Vernunft, Eintracht zu stiften zwischen dem Philosophischen und Historischen, zwischen dem Speculativen und Positiven, der Vernunft und der Offenbarung, zu genügen gesucht. Beide haben ein System gewählt, das sie nicht nur an sich für wahr halten, sondern das sie auch in den Lehren der christlichen Kirche wieder zu finden glauben. Beide haben bei Entwickelung ihrer Theorie großen Scharfsinn und [71] große Kunst bewiesen, und durch eine reiche und tiefe Speculation viele Sätze der Theologie in ein neues Licht gestellt, und so vielseitig beleuchtet, daß man das Studium ihrer, nur zu dunkel geschriebenen, Schriften nicht ohne vielfältigen Gewinn entweder neuer Ansichten, oder doch Aufregung zu neuer Forschung beendigen wird.

486

Anhang

Cölln, Daniel von/Schulz, David Ueber Theologische Lehrfreiheit auf den evangelischen Universitäten und deren Beschränkung durch symbolische Bücher. Eine offene Erklärung und vorläufige Verwahrung, Breslau 1830

5 [3] Sind Bekenntnißschriften nothwendig, um die E i n h e i t d e r L e h r e zu gewinnen, und bedarf die Kirche der letzteren, somit aber auch der ersteren, zur Erhaltung und Sicherung der Gemeinschaft? In welchem Verhältnisse müssen solche B e k e n n t n i ß s c h r i f t e n in einer der evangelischen Lehre folgenden kirchlichen Gemeinschaft zur 10 h e i l i g e n Schrift gedacht werden; sind sie derselben ü b e r - u n t e r oder irgend wie b e i z u o r d n e n ? Ist das einmal eingeführte öffentliche Bekenntniß einer Kirche jederzeit unverändert beizubehalten; oder kann dasselbe nicht nur im Einzelnen, sondern auch im Ganzen verändert werden unbeschadet des 15 kirchlichen Verbandes, in welchem es zuerst eingeführt wurde; und welche Art des Verfahrens ist bei solchen Veränderungen des Bekenntnisses, wenn sie durch die Verhältnisse geboten werden, festzuhalten? H a t die Kirche das Recht, die Lehrer, welchen sie die Fortpflanzung, wissenschaftliche Begründung und Entwickelung ihres gemeinsa20 men Lehrbegriffs [4] anvertraut, auf ihre Bekenntnißschriften zu verpflichten; welchen Sinn hat eine solche Verpflichtung, und welchen Umfang ihre verpflichtende Kraft? Bei Wem ist die Pflicht und das Recht, über die unverfälschte Erhaltung des Bekenntnisses zu wachen, die Mitglieder der Kirche wider 25 Beeinträchtigungen oder Verfolgungen um desselben willen zu schützen und diejenigen Lehrer oder Gemeinden, deren Abweichung von demselben offenkundig geworden, aus der Kirchengemeinschaft zu entfernen, oder doch ihre Wirksamkeit innerhalb derselben aufzuheben? Kommen diese Pflichten und Rechte der höchsten Kirchenbe30 hörde, oder kommen sie der höchsten Gewalt im Staate, wiefern derselbe den Schutz der Kirche übernommen hat, von Rechtswegen zu? Kann und soll die Kirche in solchen Fällen e i g e n e Gerichtsbarkeit über ihre Mitglieder üben, oder soll sie sich den Entscheidungen einer fremden, nicht verfassungsmässig kirchlichen, Behörde unterwerfen? 35 darf sie mindestens zur Staatsgewalt ihre Zuflucht nehmen, um die Vollziehung ihrer eigenen Beschlüsse zu bewirken? Diese und ihnen verwandte Streitfragen müssen durch die bevorstehende Säcularfeier der Augsburgischen Confession schon aus dem Grunde von Neuem zur Sprache gebracht werden, weil von ihrer Be40 antwortung großen Theils die Entscheidung darüber abhangen wird: ob jene feierliche Uebergabe einer Glau-[5]benserklärung durch einen

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

487

Theil der protestantischen Reichsstände sich überhaupt und in welchem Sinne sie sich zum Gegenstande einer k i r c h l i c h e n Gedächtnißfeier auch jetzt noch eignen kann? Die Begehung der letzteren nämlich scheint, wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll, den e r n e u e r t e n B e i t r i t t zu jener Glaubenserklärung und die Wiedereinsetzung derselben in ihre frühere, aber in p r a x i längst verjährte, Verpflichtungskraft für die Lehrer der evangelisch-lutherischen Kirche schon durch den Act selbst mit sich zu führen. Denn das Gedächtniß eines Bekenntnisses, zu welchem man sich nicht mehr bekennt, kirchlich zu begehen, würde entweder eine verächtliche Heuchelei seyn, oder offenbare Folgewidrigkeit. Sonach kann es auf keine Weise befremden, wenn jene, schon so oft verhandelten und doch niemals zur völligen Befriedigung gelösten, Fragen von den verschiedensten Seiten her bei der herannahenden Jubelfeier erörtert, besprochen und je nach dem Standpunkte der Fragenden auf abweichende Art beantwortet werden. Hielten sich diese Verhandlungen innerhalb der Schranken wissenschaftlicher Forschung, so könnte man ihren Ausgang ruhig abwarten, und sich der Hoffnung hingeben, daß durch sie zuletzt ein größerer C o n s e n s u s über die Art dieser Verhältnisse in der evangelischen Kirche werde bewirkt, damit aber auch der k i r c h l i c h e G e m e i n g e i s t , dessen [6] Mangel unter den evangelischen Christen Deutschlands so drückend gefühlt wird, von Neuem zum erfreulichsten Zusammenwirken für die heiligsten Zwecke werde belebt werden. Denn es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die immer schroffer hervortretende Differenz in den angeregten Punkten eine i n n e r l i c h e A u f l ö s u n g des kirchlichen Verbandes herbei geführt habe, welche vermittelst der jetzt erwarteten Uebereinstimmung in den äußerlichen Formen, vielleicht oberflächlichen Blicken für eine Zeitlang verdeckt, aber um so weniger wirklich gehoben und geheilt worden ist, da auch jene äußerliche Conformirung des Ritus nicht sowohl in der innerlichen Lebensthätigkeit der Kirche selbst und einer gesunden Aeußerung ihrer Kräfte Wurzel hatte, als nur von außen her, und nicht ohne langes Widerstreben, eingeführt wurde. Eine noch unerfreulichere Wendung nun, als die, welche die äußerliche Gestaltung der beiden evangelischen Kirchen genommen hatte, scheint eine religiöse Partei, indem sie darauf Verzicht leistet, durch wissenschaftliche Begründung und Darlegung die allgemeine Beistimmung für ihre Ansichten zu gewinnen, auch der Wiederherstellung einer innerlichen Einheit des Glaubens und Bekenntnisses bereiten zu wollen. Statt es der langsam aber sicher wirkenden Macht der Wahrheit, der siegreichen Kraft des Evangeliums zu über-[7]lassen, die über die Principien und Grundlehren des Christenthums streitenden Parteien allmählig einander näher und endlich zur lebendigen Einheit des

488

5

10

15

20

25

30

35

40

Anhang

Glaubens zu führen, ruft sie weltliche Waffen zu Hülfe und beabsichtigt durch Staatsstreiche ein Bekenntniß zu constituiren, welches alle evangelischen Christen zur Einheit des Glaubens und innigsten Verbrüderung zurückführen soll. Die Form des Bekenntnisses aber, welche diesem Zwecke entspräche, ist ihr keinen Augenblick zweifelhaft: sie dringt auf eine Wiederherstellung des vor drei Jahrhunderten abgelegten, und sie überredet sich, daß damit auch alle die historisch-kritischen, philologischen, philosophischen und theologischen Untersuchungen, durch welche im Laufe der Jahrhunderte dasselbe fast in allen seinen Artikeln erschüttert oder aufgelöst wurde, mit einemmale sammt ihren Ergebnissen würden antiquirt und in Vergessenheit gerathen seyn. Daher ist es ihr denn auch nur darum zu thun, die Gewalthaber, welche sie von allen Seiten mit ihren Sophismen umstrickt, dahin zu disponiren, daß sie durch entschiedene Kundgebung ihres Willens unter Strafandrohungen die Repristination des antiquirten Bekenntnisses gebieten. Denn die Folgen einer solchen Maaßregel, so deutlich sie auch vorliegen, will oder kann sie in ihrer leidenschaftlichen Verblendung nicht erwägen: ja sie ist blind genug, das Heil der Kirche von der Erneuerung eines Religionsedictes zu [8] erwarten, durch dessen Aufhebung unseres gerechten und frommen Königs Majestät, gleich beim Antritte Allerhöchstihrer glorreichen Regierung, der beunruhigten Kirche Freiheit und Frieden verbürgten. Wider diese Umtriebe, welche dahin zielen, der evangelischen Kirche, indem sie ihr heiligstes und gewissestes Eigenthum, - das Recht über ihren Glauben sich selbst zu erklären, - einer wandelbaren Politik Preis geben, auch den geringen Ueberrest von Freiheit und Selbständigkeit, dessen sie sich bisher noch zu erfreuen hatte, vollends zu entreißen, einmüthigst zusammenzutreten, ist Pflicht für Alle, welchen das W o h l der Kirche am Herzen liegt, vor Allem der Lehrer der Theologie auf den evangelischen Universitäten, deren wissenschaftliches Leben durch eine Lehrfreiheit bedingt wird, die ihrem Wesen nach vernichtet würde, wenn sie durch die Lehrnorm eines Bekenntnisses sollte gebunden und beschränkt werden, welches vorübergegangenen theologischen Bildungsstufen angehört und mit der herrschenden Ueberzeugung der Gegenwart nicht mehr übereinstimmt. V o n solchen Erwägungen geleitet, haben die Unterzeichneten, welche Gleichheit der wissenschaftlichen Bestrebungen, Uebereinstimmung der religiösen Ueberzeugungen und entschlossener Eifer für das W o h l der evangelischen Kirche innigst verbindet, sich ge-[9]drungen gefühlt, eine wider solche Attentate gerichtete o f f e n e E r k l ä r u n g und V e r w a h r u n g gemeinsam in der Absicht ergehen zu lassen, um den nachtheiligen Wirkungen eines blinden Parteieifers nach Kräften zeitigst vorzubeugen, oder doch, was auch erfolgen möge, mindestens ihr Gewissen zu

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

489

beruhigen und vor wahrhaft evangelischen Christen hinsichtlich ihrer Treue im Dienste des Herrn und seiner Gemeinde gerechtfertigt dazustehn. Die Veranlassung dazu wurde ungesucht dargeboten durch den bekannten Aufsatz: Uber den Rationalismus auf der Universität zu Halle in Nr. 5 und 6 der evangelischen Kirchenzeitung vom Jahr 1830. Obwohl es weder unsers Amtes und Berufs, noch auch erforderlich ist, die Richtigkeit der daselbst angegebenen Thatsachen, die Form ihrer Bekanntmachung, und die besonderen Absichten und Zwecke bei derselben zu prüfen, da über alle diese Punkte eine fiscalische Untersuchung eingeleitet und dem Vernehmen nach bereits zum Schlüsse gediehen ist, deren Ergebnissen wir mit vollem Vertrauen in die preiswürdige Gerechtigkeitspflege der preußischen Regierung entgegen sehen; obwohl die verdienstvollen Theologen, wider welche der Angriff zunächst gerichtet wurde, fremde Beihülfe und Vertheidigung auf keine Weise bedürfen, und auf wissenschaftliche Angriffe die Antwort nicht schuldig bleiben werden: [10] so forderte doch die Tendenz, welche sich in jenem Aufsatze kund giebt, die Maaßregeln, welche er herbeizuführen beabsichtigt, die Gefahren, welche für die evangelische Kirche entstehen würden, wenn die Behörden solchen Insinuationen Gehör geben könnten, - dieß Alles forderte uns dringend auf, wider das in jenem Aufsatze enthaltene Attentat auf die Lehrfreiheit der akademischen Theologen zeitigen und offenen Protest einzulegen. Betrachtet man nun den erwähnten Aufsatz näher: so bietet er gleich im Anfange folgende aus lauter Widersprüchen zusammengesetzte Behauptung dar: „Bekanntlich bekennen sich D. G e s e n i u s und D . W e g s c h e i d e r offen zum R a t i o n a l i s m u s und lassen sich d e m g e m ä ß angelegen seyn, was die e v a n g e l i s c h e K i r c h e in i h r e n B e k e n n t n i ß s c h r i f t e n als ewige g ö t t l i c h e W a h r heit anerkennt, als Irrthum darzustellen und zu bekämpfen." Was die Εν. K. 2. hier und überhaupt sich unter Rationalismus denke, hat sie niemals bestimmt erklärt und die Erscheinungen selbst, welche sie unter diesem Namen zusammenfaßt, sind so durchaus disparater Art, daß sie unmöglich unter einen gemeinsamen Begriff zusammengefaßt werden können. Bald ist es die grammatisch-historische Auslegung der biblischen Schriften; bald eine pelagianisirende Auffassung der Heilslehren; bald die sabel-[l ljlianische Darstellung der Lehre vom Vater, Sohn und Geist; bald Werkheiligkeit; bald ein frivoler Weltsinn, Zerstreuungssucht, Luxus und Sittenlosigkeit mit Unkirchlichkeit verbunden, was in ihr mit diesem Namen bezeichnet wird, um als Wirkung des entschiedensten Unglaubens dargestellt zu werden:

490

Anhang

daher denn auch U n g l a u b e und R a t i o n a l i s m u s , R a t i o n a l i s t und U n g l ä u b i g e r , ihr als ganz gleichbedeutend gelten 1 . Wie streitig aber auch der Begriff des Rationalismus zur Zeit erscheinen möge: darin ist die Mehrzahl der Theologen einverstanden, daß er nicht dem U n g l a u b e n ///, sondern dem S u p r a n a t u r a l i s m u s entgegenstehe, daß die von der Εν. Κ. Z. unter diesem Namen zusammengefaßten Richtungen weder in ihm enthalten sind, noch auch nothwendig und ausschließlich sich aus ihm entwickeln, daß er sich seinem Wesen nach gar nicht auf den Inhalt, sondern auf die wissenschaftliche Begründung der christlichen Glaubenslehre beziehe. Daher erscheint denn auch sofort die sich anschließende Behauptung der [12] Εν. K.Z., daß der Rationalismus nicht mit den Bekenntnißschriften der evangelischen Kirche zusammen bestehen könne, als factisch unbegründet. Der Rationalismus hat vielmehr, je nach den philosophischen Principien, welchen er folgt, von dem Glaubensinhalt der evangelischen Bekenntnißschriften abgelenkt, und sein Gebäude auf der Grundlage desselben auferbaut. Das Letztere ist, um nur einige der bekanntesten Beispiele aufzuführen, der Fall in den rationalistischen Darstellungen der Glaubenslehre von D a u b , S c h l e i e r m a c h e r und M a r h e i n e c k e . Gleicherweise kann der consequent verfolgte Supranaturalismus, wie die Beispiele von R e i n h a r d , S t o r r , K n a p p zeigen, dahin führen, einzelne, selbst für wesentlich geachtete, Bestimmungen der Bekenntnißschriften zu verlassen. Wer sich mit dem Inhalte und Geiste der symbolischen Bücher bekannt gemacht hat, muß auch wissen, daß sie selbst keinesweges das eine oder das andre Verfahren ausschließen. Allerdings bestehen sie darauf, daß kein Lehrsatz als c h r i s t l i c h e G l a u b e n s l e h r e aufgestellt werde, welcher nicht seinen f e s t e n G r u n d in der heiligen Schrift habe, keiner übergangen weruo, auf welchen deutliche Aussprüche der heiligen Schrift hinleiten, keine Behauptung in der Glaubenslehre zugelassen werde, welche mit klaren Zeugnissen der heiligen Schrift in Widerspruch treten würde. Aber nirgends gebieten sie, sich bei dieser p o s i t i v e n [13] Beweisart zu beruhigen; nirgends untersagen sie es, für den Glaubensinhalt der heiligen Schrift eine weitere Begründung in dem religiösen Erkenntnißvermögen des Menschen überhaupt aufzusuchen; nirgends verdammen sie denjenigen, welcher

1

So auch in dem fraglichen Aufsatze Nr. 6. S.46: „Wir sollen die Ungläubigen" - bisher aber war immer nur von Rationalismus die Rede - „nicht als beschränkte Menschen übersehen, was freilich oft sehr leicht ist" - wie sie in ihrem fanatischen Demuthsdünkel wähnen. Ebenso wird S.47 am Schluß des Aufsatzes in Beziehung auf den Rationalismus der Universität Halle von „Wunden" geredet, „welche der Unglaube den durch die Reformation so reichlich gesegneten Ländern geschlagen hat."

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

491

den letzten Grund seines Glaubens auf diesem letzteren Wege glaubt suchen zu müssen, vorausgesetzt, daß sein Glaube selbst wirklich alle die Gegenstände umfasse, welche die heilige Schrift dem Glauben zuweiset, oder welche sie selbst, als aus der heiligen Schrift geschöpft, in der Form nothwendiger Glaubensartikel aufstellen. Der blinde Eifer, welcher die neuen Fanatiker für die Wiederherstellung der Bekenntnißschriften beseelt, führt also leere Luftstreiche, wenn er wider eine wissenschaftliche Methode ankämpft, welche sich von jeher mit symbolischer Orthodoxie hat vereinigen lassen. Aber abgesehen von dieser Begriffsverwirrung, frägt es sich zunächst, ob die gehässige Beschuldigung selbst, die Richtigkeit der vorgebrachten Belege angenommen, nicht zugegeben, irgendwie durch die anonyme Anklage begründet werde. Als Beweise dafür, daß die beiden Genannten als I r r t h u m darstellen und bekämpfen, was die e v a n g e lische K i r c h e in i h r e n B e k e n n t n i ß s c h r i f t e n als ewige g ö t t l i c h e W a h r h e i t a n e r k e n n t , werden nämlich zuerst beigebracht: aus n a c h g e s c h r i e b e n e n H e f t e n e n t n o m m e n e [ 1 4 ] A e u ß e r u n g e n W e g s c h e i d e r ' s in seinen V o r l e s u n g e n über mehrere W u n d e r der evangelischen Geschichte, n a m e n t l i c h die A u f e r s t e h u n g J e s u . Im Allgemeinen muß darauf erinnert werden, daß die Bekenntnißschriften kein Gesetz vorschreiben, nach welchem sich der Erklärer der Wunder zu richten hätte, wie sie denn überhaupt kein Gesetz für die M e t h o d e d e r S c h r i f t e r k l ä r u n g geben, außer daß sie fodern: die heilige Schrift solle aus sich selbst, nicht aber aus der kirchlichen Tradition erklärt werden. Nur einzelne Wunder, namentlich die von der jungfräulichen Geburt und von der Auferstehung, gehören zum Inhalte des evangelischen Bekenntnisses, aber in einer Form, nach welcher sie nicht ausdrücklich als Wunder bezeichnet werden. Die Art namentlich, wie die Auferstehung Jesu in den mitgetheilten Heft-Excerpten gefaßt wird, ließe sich mit den Worten des Bekenntnisses mindestens ebenso unbezwungen vereinigen, als die Trinitätslehre eines Marheinecke oder Daub, welche doch als symbolisch-orthodox genommen wird. Wenn also die auch von uns verworfene Methode für die Erklärung der Wunder, welcher die bezeichneten Excerpte folgen, gesetzlich verhindert werden sollte: so würde eine Verpflichtung auf die bisher recipirten Bekenntnißschriften dazu schwerlich genügen, sondern diese müßten zu solchem Zweck zuvor mit [15] neuen, genau und bestimmt grade wider diese Methode gerichteten, Antithesen vermehrt werden. Ferner fragt es sich: wo denn doch diese wundervollen Thatsachen, welche die Excerpte als natürliche Ereignisse darzustellen suchen, als „ewige g ö t t l i che W a h r h e i t e n in den Bekenntnißschriften anerkannt" werden? Wie? Die Bekenntnißschriften, deren Sache der ungenannte Eiferer zu

492

Anhang

führen vorgibt, sollten sich der Ungereimtheit schuldig machen, Thatsachen, welche nach dem Zeugnisse der heiligen Schrift einem bestimmten Zeitabschnitte angehörten, und nur erst, nachdem sie geschehen waren, Gegenstand eines historischen Glaubens werden konnten, als ewige g ö t t l i c h e W a h r h e i t e n aufzufassen und somit außerhalb aller Zeitschranken zu setzen, so als ob Christus nicht in der Zeit vom Tode erstanden wäre, sondern nach einem ewigen Acte auferstünde? Möge sich der Fanatiker vor einer Entscheidung der Rechtgläubigkeit nach den Bekenntnißschriften, für welche er ohne sie gehörig zu kennen eifert, zu seiner eigenen Sicherheit hüten: denn fände sie statt, so würde er schon um dieser Behauptung willen als „Irrlehrer" bezeichnet und, wollte er in der kirchlichen Gemeinschaft bleiben, zu einer schimpflichen Retractation genöthigt werden müssen. Endlich aber ist er auch den Beweis dafür schuldig geblieben, daß der D. W e g s c h e i d e r die Ansicht von den Wundern, welche die symbolischen Bücher [16] vorauszusetzen scheinen, als I r r t h u m darstelle. Als Irrthum finden wir sie in den gegebenen Auszügen nirgends bezeichnet, vielmehr wird darin zugegeben, daß die heiligen Schriftsteller selbst keine andre Ansicht festhielten. Nur soviel deuten sie an, daß die entgegenstehende Ansicht, nach welcher die vermeintlichen Wunder Wirkungen natürlicher Ursachen sind, aus dem Standpunkte der historischen Kritik, welche nicht bei der Ansicht des Referenten stehen bleibt, sich als eine mögliche vertheidigen lasse, oder mit andern Worten, daß die Möglichkeit, die von dem Referenten als Wunder berichteten Thatsachen seien natürliche Begebenheiten gewesen, von dem historisch-kritischen Forscher nicht könne beseitigt werden. Möchten doch der Anonymus und die zu seiner Partei Gehörenden durch neue historisch-kritische Forschungen darthun, daß diese Möglichkeit wegfalle; möchten sie auf diesem Wege auch den historischen Glauben der Christen über jeden Zweifel erheben; möchten sie bei ihrer Kenntniß des gerichtlichen Verfahrens nach allen den Vorsichtsmaaßregeln, welche die geltenden Gesetze dem Richter zur Pflicht machen, wenn in criminellen Processen über die Wirklichkeit eines in Folge statt gehabter Mishandlungen eingetretenen wirklichen Todes soll geurtheilt werden, die Kreuzigung Jesu nach allen sie begleitenden Umständen bis zum Eintreten der Auferstehung der genauesten, umsichtigsten Untersuchung [17] unterwerfen, um einen Thatbestand, über dessen wirkliche Beschaffenheit noch immer in vielen Gemüthern eine ängstliche Ungewißheit herrscht, wider alle Einwürfe der historischen Kritik sicher zu stellen; alle wahren Christen, und Hr. D . W e g s c h e i d e r gewiß nicht zuletzt unter denselben, werden ihnen für solche Belehrungen den wärmsten Dank darbringen und sie selbst werden sich damit um die Kirche Christi in unsern Tagen ein weit größeres Verdienst erwerben,

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

493

als wenn sie ihr das vollständigste C o r p u s l i b r o r u m s y m b o l i c o r u m zu verschaffen wüßten. So lange jedoch weder sie noch Andre das Geforderte zu leisten vermögen, wird auch der akademische Lehrer das Recht in Anspruch nehmen, in Berücksichtigung jener Möglichkeit zu entwickeln, welche religiöse Bedeutung die Auferstehung Jesu, auch von jenem möglichen Standpunkte aus betrachtet, immer noch behalte und zur Ermahnung, Ermunterung und Beruhigung sich benutzen lasse. Dieses Recht macht ihm auch keine in den Bekenntnißschriften enthaltene Bestimmung streitig, und es wird daher unbeschadet der Verpflichtung auf dieselben fortwährend geübt werden können. Will man demnach, daß Stellen, wie die in der Εν. Κ. Z. excerpirten, in theologischen Vorlesungen nicht vorkommen sollen; so darf man wiederum nicht bei der einfachen Verpflichtung auf die Bekenntnißschriften der zwei evangelischen Kirchen stehn bleiben; son-[18]dern es werden neue Bestimmungen derselben nothwendig erscheinen, durch welche den Lehrern der Kirche die Ausübung eines solchen Rechtes ausdrücklich untersagt wird. Sonach würden also alle die Klagpunkte, welche der anonyme Kläger wider D . W e g s c h e i d er vorbringt, auch alsdann keinen Grund zur Klage abgeben können, wenn eine Verpflichtung des fälschlich Angeklagten auf die symbolischen Bücher statt gefunden hätte; vielmehr würde die Klage, nach dem Wege Rechtens, auf den Kläger zurückfallen, welcher schon in ihrer Fassung sich einer Abweichung von der symbolischen Lehrform schuldig machte. Sehr richtig ist daher anderswo bemerkt worden: Allg. Zeitung v. J. 1830, Beil. Nr.36, S. 141, Sp. 1: „Es ist eine durchaus falsche Vorstellung diese Pietisten, oder im Herzogthum Sachsen Mystiker genannten Christen (nach den symbolischen Büchern würden sie „Fanatiker" oder „Schwärmer" genannt werden müssen), für orthodoxe Lutheraner oder Reformirte zu halten." Noch um vieles schlechter aber steht es mit dem Beweise für die zweite, wider D . G e s e n i u s gerichtete, Anklage, daß derselbe „einen ebenso entschiedenen Unglauben an die G r u n d l e h r e n (diese waren bisher auch nicht im Mindesten von D . W e g s c h e i d e r berührt worden) und an die Wunder der Schrift ausspreche." Dieß nämlich soll bewiesen werden aus [19] spöttischen Bemerkungen desselben in seinen Vorlesungen, welche sich wider „den I n h a l t des ewigen W o r t e s " richten; die Belege dafür aber werden hergenommen aus m ü n d l i c h e n Erzählungen seiner Zuhörer (??), für deren wörtliche Richtigkeit jedoch nicht eingestanden werden könne. Der versteckte Denunciant, wenn er irgend des Rechtes kundig war, mußte aber wissen, daß, sobald über eine Verspottung durch Worte geklagt wird, Alles auf die w ö r t l i che Richtigkeit der Zeugenaussagen ankam, ja daß der ganze Zusammenhang der Rede und des Benehmens dabei müsse in Betracht gezo-

494

Anhang

gen werden. Schon wegen der Beschaffenheit der Zeugenaussagen mußte also diese Anklage in sich selbst als eine nichtige zerfallen. Wollte man aber auch die wörtliche Richtigkeit alles einzeln Aufgeführten annehmen: so würde sich auch alsdann zunächst nicht erhärten lassen, daß der Spott, wie der Ankläger will, den I n h a l t des ewigen W o r t e s betroffen habe. Wir haben lange darüber gesonnen, was hier doch mit dem „ewigen Worte Gottes" gemeint sey. Nach theologischem Sprachgebrauche könnte man dabei an den Sohn Gottes, den ewigen Logos Gottes denken, - aber auf diesen läßt sich keine der angeführten Spöttereien auch nur mit einigem Scheine beziehen; und wie könnte man in diesem Sinne von einem „Inhalte" des göttlichen Wortes reden? - Wollte man aber unter dem ewigen gött-[20]lichen Worte einen Inbegriff ewiger göttlicher Wahrheiten verstehen, so wissen wir auch darauf wiederum nicht eine einzige der angeführten Bemerkungen des D . G e s e n i u s hinzudeuten. Es muß also der Inhalt der biblischen Schriften überhaupt gemeint seyn. Dieser wird zwar, wenn auch nicht in ihnen selbst, doch in den Bekenntnißschriften, seinem ganzen Umfange nach das W o r t G o t t e s genannt. Aber ein „ewiges" Wort Gottes könnte er nur alsdann heißen, wenn man die heiligen Schriften nicht in der Zeit entstehen, sondern von Ewigkeit, etwa wie ein Theil der Mohammedaner den Koran für unerschaffen hält, existiren ließe. Unter dieser Voraussetzung aber führte die Fassung der Anklage wiederum auf einen unerhörten, mit allen Bestimmungen der heiligen Schrift und der Bekenntnisse in offenbarem Widerspruche stehenden Irrthum; die Anklage selbst erschiene auf jeden Fall schon ihrer Form und Fassung nach als eine u n s i n n i g e . Was aber die berichteten Thatsachen, rein an sich betrachtet, anlangt; so verräth sich in ihnen, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, allerdings ein Geist der Frivolität, welcher um so mehr der Rüge würdig scheint, je weniger er in dem herrschenden religiösen Zeitgeiste Entschuldigung findet. Aber diese Rüge sofort auszusprechen, muß man, wie die Sache vorliegt, um so mehr Bedenken tragen, da nicht einmal soviel feststehen möchte, ob die ange-[21]gebenen spöttischen Ausdrücke von dem Beklagten gebraucht wurden, um seine eigne Meinung zu erkennen zu geben, oder ob sie von Andern, und zwar in der Absicht, um dieselben als Religionsspötter zu bezeichnen, entlehnt wurden. Auf die letztere Vermuthung wird man dadurch geführt, daß mehrere ganz ähnliche Spöttereien, welche die Εν. Κ. Z. noch nachträglich erhascht haben wollte, von dem D . G e s e n i u s in der That nur in diesem Sinne waren beigebracht worden. Vergl. Εν. K.Z. 1830, Nr. 115 [!], mit der Berichtigung des D . G e s e n i u s im Int. Bl. der Allg. Litt. Zeitung 1830, Febr. Nr. 16. In andern Fällen liegt es sofort am Tage, daß der Spott sich nicht auf die biblischen Schriften selbst, sondern auf abgeschmackte Erklärungen

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

495

derselben bezieht. Dahin gehört die Bemerkung, daß diejenigen Erklärer, welche in dem Schlangensamen der Stelle 1 Mos. 3,15. den Teufel fänden, auch von einem Großvater desselben sprechen müßten, welche ein Gelächter herbeiführte, das wohl den Redacteur der Εν. Κ. Z. und seine guten Freunde, auf keine Weise aber die Freunde der heiligen Schrift verwunden konnte, welchen vielmehr der Spott, womit abgeschmackte Auslegungen derselben abgefertigt wurden, bei ihrer Achtung gegen die Bibel nur willkommen erscheinen mußte. Soviel aber steht auf jeden Fall fest, daß Spöttereien, wie die eben berührte, durch keine auch nicht durch die strengste [22] Verpflichtung der Lehrer auf die Bekenntnißschriften könnten gehindert werden. Hr. Hengstenberg mit seiner Erklärung des Schlangensamens wird den Exegeten jederzeit ein gerechter Gegenstand des Spottes bleiben, durch welche der zahlreichen evangelischen Bekenntnißschriften er auch seine Gegner zu binden und zu fesseln wissen möge. Ueberhaupt aber würde diese Verpflichtung, auch wenn sie in ihrer alten Form erneuert würde, doch immer nur eine d o g m a t i s c h e seyn können, und die exegetischen Licenzen, welche in der Εν. K.Z. gerügt werden, ganz unberührt lassen. Denn die symbolischen Bücher enthalten keine Vorschriften und Regeln für die Schrifterklärung, durch welche das gerügte Verfahren zweier hallischer Exegeten gehindert werden könnte: sie wollen überhaupt der Schriftauslegung keine Fesseln anlegen, sondern dieselbe nur von denen lösen, welche ihr die kirchliche Auctorität und die Herrschaft der kirchlichen Tradition geschmiedet hatte. Eine Repristination der symbolischen Bücher, wie sie in den Absichten der Partei gegeben liegt, würde also den - gleichviel ob mit Recht oder Unrecht gerügten - Uebelständen gewiß nicht abzuhelfen im Stande seyn. Dennoch ist es eben dieses Mittel, welches in dem anonymen Klaglibell zur Abhülfe des vermeintlichen Nothstandes der evangelischen Kirche Deutschlands und zur Heilung der „Wunden, welche ihr der Unglaube geschlagen hat," [23] anempfohlen wird. Nachdem dasselbe nämlich irrthümlich von einem „ L e h r p r i v i l e g i u m " geredet hat, welches die „Professoren der Theologie auf den deutschen Landesuniversitäten ausübten", fährt es fort: „Wenn man nun den bedeutenden Einfluß und Umfang dieses Privilegiums (?) erwägt, so ergiebt sich sofort, und ist auch immer (?) anerkannt worden, daß damit die P f l i c h t d e r r e i n e n L e h r e nach den B e k e n n t n i ß s c h r i f t e n d e r K i r c h e verbunden seyn muß, und daß die A n w e n d u n g des G r u n d s a t z e s u n b e d i n g t e r L e h r f r e i h e i t auf u n s r e P r o f e s s o r e n der T h e o l o g i e den schmählichsten Zwang (??) für die Studirenden und für die Kirchen, deren Lehrämter aus denselben besetzt werden, zur Folge haben müßte." In diesem Satze sind aus falschen Prämissen falsche Folgerungen geflossen. Notorisch falsch ist die erste Prämisse,

496

Anhang

daß ein Lehrprivilegium f ü r die „Professoren der Theologie" auf den deutschen Landesuniversitäten bestehe, da das Recht, Theologie auf denselben zu lehren, vielmehr Jedem zusteht, welcher sich dazu nach den gesetzlichen Vorschriften qualificirt hat, und man keinesweges als Professor der Theologie braucht angestellt zu werden, um dasselbe ausüben zu können. Ebenso notorisch falsch ist die zweite Prämisse, daß man immer anerkannt habe, jenes Recht sey an die Verpflichtung gebunden, den Bekenntnißschriften gemäß zu lehren. Vielmehr ist auf mehreren evangelischen [24] Universitäten die Verpflichtung nicht mehr üblich, und kann auch der N a t u r der Sache nach auf denen nicht mehr Statt finden, welche sich f ü r die Vereinigung der beiden evangelischen Kirchen erklärt haben. Denn d i e s e V e r e i n i g u n g k a n n m i t d e r V e r p f l i c h t u n g auf d i e , a u s d e r T r e n n u n g b e i d e r e v a n g e l i schen Kirchen hervorgegangenen, bisherigen Bekenntnißs c h r i f t e n n i c h t z u s a m m e n b e s t e h e n , u n d die vereinigte evang e l i s c h e K i r c h e h a t bis j e t z t k e i n e a l l g e m e i n g ü l t i g e B e k e n n t n i ß s c h r i f t a u f z u w e i s e n . Wenn aber endlich die Anwendung des Grundsatzes unbedingter Lehrfreiheit auf unsre Professoren der T h e o logie den schmählichsten Zwang f ü r die Studirenden u.s.w. zur Folge haben soll, so erhellt das Ungegründete dieser Behauptung schon aus der Unrichtigkeit der Prämissen, aus welchen sie abgeleitet wird, läßt sich aber auch thatsächlich darthun. Denn es steht gesetzlich im Preußischen fest, daß die Studirenden, welche mit dem Zeugnisse der Reife versehen sind, sowohl die Universität, auf welcher sie studiren wollen, selbst ausländische Universitäten - , als auch die Lehrer der Theologie, deren Vorträge sie zu benutzen wünschen, nach freier Wahl bestimmen können; daß ferner ungeachtet der im Allgemeinen wirklich herrschenden Lehrfreiheit auf den preußischen Landesuniversitäten; es dennoch auf keiner derselben an solchen Theologen [25] fehlt, welche mit den evangelischen Bekenntnißschriften in Uebereinstimmung zu bleiben sich angelegen seyn lassen; daß die Prüfungscommissionen f ü r die evangelischen Candidaten des Predigtamtes - namentlich die zu Halle - Mitglieder zählen, deren symbolische Rechtgläubigkeit auch diese Fanatiker nicht anzugreifen wagen werden, und daß, auch wo dieß nicht der Fall seyn sollte, niemals ein Candidat wegen seiner Anhänglichkeit an die Bekenntnißschriften von ihnen darf zurückgewiesen werden; d a ß endlich den Gemeinden, wenn sie darthun können, daß ein ihnen vorgesetzter Lehrer sich Abweichungen von dem in i h n e n g e l t e n d e n Bekenntnisse erlauben sollte, auf Abhülfe ihrer Beschwerden, falls sie gegründet erfunden werden, sicher rechnen dürfen. Aber freilich sind es nicht die Gemeinden, sondern einzelne zelotische Schwärmer, welche ihre eigenen Eingebungen f ü r Bestimmungen des Bekenntnisses ausgeben und sich zu Glaubensrichtern über die Gemeinden und deren

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

497

gehörig berufene Lehrer aufwerfen möchten, welche e i n s e i t i g Beschwerden vorzubringen sich herausnehmen, auf die einzugehen nach jeder wohlorganisirten Kirchenverfassung als unstatthaft erscheinen muß. Wenn nun aber nach unserer bisherigen Ausführung dieses Attentat auf die theologische Lehrfreiheit als durchaus unmotivirt, auf verworrenen Vorstellungen, offenbaren Unrichtigkeiten und Begriffs[26]verdrehungen, falschen Voraussetzungen und Folgerungen beruhend sich darstellt; so haben wir nur noch die Gründe zu entwickeln, welche uns bestimmt haben, auch abgesehen von den Sophismen und falschen Voraussetzungen jenes Aufsatzes, wider jede Beschränkung der theologischen Lehrfreiheit auf den deutschen Universitäten, welche durch eine Repristination der Verpflichtung auf die symbolischen Bücher der beiden, oder einer von beiden evangelischen Kirchen herbeigeführt würde, eine offene Verwahrung und Protestation freimüthigst auszusprechen. Fürs e r s t e nämlich kann eine solche Verpflichtung unserer Ueberzeugung nach auf keine Weise mit der kirchlichen V e r e i n i g u n g d e r b e i d e n e v a n g e l i s c h e n K i r c h e n , zu welcher wir uns bekannt haben, zusammen bestehen. Es giebt unter den symbolischen Büchern überhaupt nur eines, nämlich die Augsburgische Confession, welches theilweise von beiden evangelischen Kirchen anerkannt wurde. Aber wenn ein Theil der deutsch-reformirten Gemeinden sich zur Augsburgischen Confession bekannte, so geschah dieß einestheils nur vorübergehend und aus politischen Rücksichten, anderntheils nur mit dem Vorbehalte unter den veränderten Ausgaben derselben frei wählen, und demnach Bestimmungen verwerfen zu können, welche die der unveränderten Confession folgenden Lutheraner aufs Strengste glaubten festhalten zu müssen. Es war also in der That eine ver-[27]schiedene Confession, welcher beide Kirchen unter dem Namen der „Augsburgischen" folgten, und eine wirkliche Vereinigung über die Annahme ein und derselben Bekenntnißschrift hat in ihnen factisch niemals statt gefunden. Noch viel weniger aber wird sie jetzt eintreten, da die politischen Verhältnisse diejenigen Rücksichten, welche sie scheinbar für eine gewisse Zeit herbeiführten, jetzt überflüssig machen: denn die gesetzliche Existenz der Reformirten stützt sich nicht mehr auf die nur Bekenner der Augsburgischen Confession umfassenden Bestimmungen des Passauer Vertrages und des Augsburger Religionsfriedens, welche Reichsconstitutionen zum Theil schon durch den Westphälischen Frieden, dann aber vollends durch die Auflösung des deutschen Reichsverbandes ihre gesetzliche Gültigkeit verloren haben. Durch den 15ten Artikel der Bundesacte, welcher die gesetzlichen Verhältnisse der Religionsparteien in den Bundesstaaten bestimmt, genießen die Reformir-

498

Anhang

ten vollends als solche und ohne an das Bekenntniß der Augsburgischen Confession, zu welcher ihnen ursprünglich der Beitritt gar nicht einmal zugelassen wurde, gewiesen zu werden, völlig gleiche wohlbegründete Rechte mit den Lutheranern. Wie läßt es sich unter solchen Verhältnissen aber erwarten, daß sie sich zur Annahme eines Bekenntnisses entschließen werden, in welchem Glaubensbestimmungen, die der Stifter ihrer Kirchengemeinschaft in seinem, [28] den zu Augsburg versammelten Ständen gleichfalls übergebenen, Bekenntniß ausdrücklich als in der heiligen Schrift gegründet vertheidigt hatte, als verwerfliche, ja als v e r d a m m l i c h e Sätze behandelt werden. Erfolgt aber ein solcher Beitritt nicht, wie es zu erwarten und zu wünschen ist, und bleibt eine jede der beiden evangelischen Kirchen bei ihren besonderen Bekenntnißschriften stehen; so können auch diese beiden, verschiedenen und einander widersprechenden Bekenntnissen anhangenden, Gemeinden nimmermehr als E i n e k i r c h l i c h - v e r e i n i g t e G e m e i n d e betrachtet werden. Die Vereinigung kann nur dadurch herbeigeführt werden, daß man von allen bisherigen evangelischen Bekenntnißschriften abstrahirt, auf den gemeinsamen Quell der Erkenntniß des Heils in der heiligen Schrift zurückgeht und von diesem Standpunkte aus sich über die ewigen Grundwahrheiten des Christenthums zu verständigen sucht. Wir würden sie, soviel an uns ist, hindern, ganz vereiteln, wenn wir uns durch eine Verpflichtung auf die Bekenntnißschriften einer der getrennten Kirchen in unsern Lehrvorträgen wollten beschränken lassen. Dazu kommt z w e i t e n s , daß eine solche Verpflichtung, würde sie jetzt eingeführt, mit den ausdrücklichen Bestimmungen der Bekenntnißschriften in Widerspruch stehen, sich also selbst auflösen müßte. Die Bekenntnisse nämlich wollen nur insofern verpflichten, als [29] ihre Lehre aus klaren unumstößlichen Zeugnissen der heiligen Schrift geflossen ist, und insofern behalten sie allerdings f ü r jeden evangelischen Lehrer, und also auch f ü r uns, eine verpflichtende Kraft, welche zu verletzen uns das Gewissen nicht erlaubt. Wiefern sie aber zugleich Bestimmungen in sich fassen, welche aus der unrichtig aufgefaßten und ausgelegten Schrift geflossen sind und nach den bis jetzt gewonnenen Ergebnissen einer, protestantischen Grundsätzen folgenden Schriftauslegung weder klares Zeugniß der heiligen Schrift f ü r sich aufzuweisen haben, noch auch mit dem übrigen Lehrinhalte der heiligen Schrift sich ohne Widerspruch vereinigen lassen, können sie in Folge ihres eigenen Grundsatzes, welcher alle Glaubenslehren nach der durch sich selbst ausgelegten Schrift zu beurtheilen gebietet, keine verpflichtende Kraft in Anspruch nehmen. Sonach also müßte, da jene Ergebnisse von den protestantischen Schriftkundigen allgemein anerkannt werden, gegenwärtig die Verpflichtung auf die symbolischen Bücher entweder zu ei-

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

499

ner leeren Form herabsinken, zu einer Verbindlichkeit, welche durch ihren innern Widerspruch sich selbst auflösete; oder sie müßte durch eine totale Umkehrung des gesammten Ertrages der neueren Schriftauslegung, die den notorisch und in den wichtigsten Artikeln aufgehobenen C o n s e n s u s der Bekenntnißschriften mit der heiligen Schrift wiederherstellte, vorbereitet und bedingt werden; oder im entgegen[30]gesetzten Falle auf diejenigen symbolischen Lehrbestimmungen beschränkt bleiben, bei denen auch jetzt noch der C o n s e n s u s der heiligen Schrift mit den Bekenntnißschriften anerkannt wird. Im ersten Falle erschiene sie als etwas durchaus Unwürdiges und Verächtliches, als ein Gaukelspiel mit heiligen Dingen; im zweiten Falle könnte sie zwar b o n a f i d e eingegangen werden, aber die Voraussetzung selbst erscheint in diesem Falle, ungeachtet aller retrograden Bewegungen der neuesten, von traditionellem Geiste durchdrungenen und den Character des Protestantismus ihrem Wesen nach verleugnenden, Schriftauslegung, dennoch wenigstens bei der überwiegenden Mehrheit der evangelischen Schriftausleger, und grade bei den einflußreichsten und sachkundigsten derselben, als eine durchaus unwahrscheinliche. Endlich den dritten Fall angenommen, so wäre die Verpflichtung nicht allein überflüssig, sondern auch der Sache des evangelischen Glaubens nachtheilig: ü b e r f l ü s s i g , indem durch eine allgemeine Verpflichtung der Lehrer auf die heiligen Schriften völlig dasselbe erreicht würde: n a c h theilig, weil sie keine Gewährleistung gäbe, daß der Lehrer auch denjenigen Lehrinhalt der heiligen Schrift, welcher nicht ausdrücklich in die Bekenntnißschriften Eingang gefunden hat, anzunehmen und festzuhalten entschlossen sey. Sonach also bliebe durch ein solches Verfahren die Aufrechthaltung der evangelischen Lehre in i h - [ 3 1 ] r e r I n t e g r i t ä t gefährdet. Wir können uns demnach überhaupt keinen Fall als möglich denken, in welchem die Verpflichtung auf die früheren Bekenntnißschriften der evangelischen Kirche zuträglich und heilsam werden könnte. Wohl aber würde dieselbe d r i t t e n s zum großen Schaden der Kirche und des Staates ausschlagen. Es müßte nämlich bei der herrschenden Beschaffenheit der Lehrvorträge und der verbreitetsten Lehrbücher des Glaubens in der evangelischen Kirche präsumirt werden, daß die Kirche durch eine solche Maaßregel entweder ihrer meisten und verdientesten Lehrer beraubt und in einen Zustand der Verwaisung versetzt werden, oder daß sie Lehrer erhalten würde, welche ihr eigenes Gewissen um weltlichen Vortheils willen verletzt hätten, indem sie m a l a f i d e eine Verpflichtung eingingen, nach welcher sie wider ihre eigene bessere Ueberzeugung zu lehren gehalten würden. Denn daß mit der Erneuerung jener Verpflichtung auf einmal auch die herrschende Ueberzeugung selbst von Grund aus sollte umgestaltet werden, erscheint als durchaus un-

500

Anhang

denkbar. Also würde die Kirche durch eine solche Maaßregel entweder ihrer Lehrer und Vorsteher verlustig gehen, und in einen Zustand gerathen, welcher, wo er eintrat, die traurigsten Zerrüttungen, die wildesten Ausbrüche des Fanatismus, ja eine völlige Anarchie zur Folge gehabt hat; oder ihre Aufsicht würde gewissenlosen Miethlingen anvertraut werden, [32] welche mit dem Munde bekenneten, mit dem Herzen aber leugneten. Fern aber sei es von uns, zur Herbeiführung einer solchen Verwüstung der Gemeinde des Herrn an unserem Theile auf irgend eine Weise mitzuwirken. Endlich v i e r t e n s läßt sich gar nicht absehen, auf welche Weise die Wiedereinführung der früheren Bekenntnißschriften in die Kirche ohne Verletzung ihrer eigenthümlichen Gesellschaftsrechte unter den gegenwärtigen Verhältnissen bewirkt werden könnte. Es liegt in der Natur der Sache und ist auch von jeher anerkannt worden, daß die Aufstellung und Einführung des Bekenntnisses der Kirche selbst gebühre und weder ausgehen könne von einem einzelnen ihrer Mitglieder, noch bloß von der Staatsgewalt. Unleugbar wäre es empörende Tyrannei, wenn eine fremde Macht der Kirche vorschreiben wollte, was sie als den Ausdruck ihrer eignen gemeinsamen Ueberzeugung in Sachen des ewigen Heils aufzunehmen und festzuhalten habe. Sollte also eine Wiedereinführung der früheren Bekenntnißschriften ohne Rechtsverletzung möglich werden; so müßte sie von der vereinigten evangelischen Kirche selbst ausgehen. Diese aber hätte, damit dieß bewerkstelligt werden könnte, zuvor eine Verfassung zu erhalten, durch welche die Gesammtheit ihrer Mitglieder auf das Vollständigste vertreten würde und ihre Stimme abgeben könnte. Hätte auf diese Weise die Kirche [33] sich ausgesprochen, so wäre es alsdann bei dem Schutzherrn derselben, ihren Beschluß zu vollziehen und das kirchliche Bekenntniß zu schützen. Ist es aber wahrscheinlich, daß man unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen der Kirche eine Verfassung bewilligen werde, durch welche es ihr möglich würde, den Gesammtwillen ihrer Mitglieder auszusprechen? Und wenn ihr, wider Erwarten, eine solche Verfassung sollte zugestanden werden, ist es wahrscheinlich, daß sie den gemeinsamen Ausdruck für ihre Ueberzeugungen in irgend einer der früheren Bekenntnißschriften finden würde? Spricht sich doch jetzt schon die in der evangelischen Kirche Deutschlands herrschende Ueberzeugung, wenn man sie nach den in ihr wirklich gebilligten, allgemein aufgenommenen und verbreiteten Lehr- und Erbauungsschriften beurtheilt; wenn man erwägt, welche Glaubenserklärungen von denjenigen vereinigten evangelischen Kirchen, welche sich einer Verfassung zu erfreuen haben, ausgegangen sind, auf eine ganz entgegengesetzte Weise aus. Wäre es unter solchen Umständen nicht unverantwortlich, wenn die weltliche Macht, unter deren Schutz sich die Kirche gestellt hat, ihr

von Cölln/Schulz:

Lehrfreiheit

501

wider Willen vorschreiben wollte, was sie zu glauben oder vielmehr nur mit dem Munde zu bekennen hätte? Müßte nicht jedes Mitglied der Kirche, welches ein solches Bekenntniß nur mit dem Munde ablegen könnte, dasselbe verweigern, wollte es nicht der Untreue am Glauben, der schmählichsten Verleugnung der Wahrheit, der unheilbarsten Verletzung des Gewissens sich schuldig machen? Aus welcher andern Ursache haben denn die Märtyrer [34] aller Zeiten Blut und Leben freudig hingeopfert, als weil sie sich auf keine Weise nöthigen lassen wollten, äußerlich zu bekennen, was sie in ihrem Innern als Irrthum erkannt hatten? Schritte also der Staat zur Einführung eines Bekenntnisses, von dessen Billigung durch die gesammte Gemeinde er sich nicht zuvor aufs vollständigste und gewisseste überzeugt hätte, so würde er entweder eine Auflösung der Gemeinde herbeiführen, oder nur auf Kosten der Glaubenstreue eine Gemeinde gründen, welche in der That keine wäre. Und was würde endlich aus allen denen werden, welche, weil ihr Gewissen sie hinderte, dem Bekenntnisse der Staatskirche zu folgen, aus der Verbindung mit derselben herausträten? Wollte man sie aus dem Lande verweisen, so würde sich das traurige Beispiel von Protestantenverfolgungen wiederholen; wollte man sie zur Annahme des Bekenntnisses zwingen, so würde man entweder einen gewaltsamen Widerstand hervorrufen, oder neue Märtyrerkronen aufsetzen und unter den Verfolgungen würde die Gemeinde der Dissidenten nur immer mehr anwachsen, denn das Blut der Märtyrer ist eine Aussaat der Gläubigen. Wollte man endlich den das Bekenntniß Verweigernden gestatten, eine eigne Gemeinschaft nach dem selbst gewählten Bekenntnisse zu errichten, so wäre bei der herrschenden Denkart sicher vorauszusetzen, daß die neue Gemeinde sich in kurzer Zeit zur herrschenden im Staate erheben und diejenigen, welche dem Bekenntnisse des Regenten sich unterworfen hätten, zu der Bedeutungslosigkeit einer Secte herabdrücken würde, welcher es an innerer moralischer Kraft und an der [35] Macht, welche die gereifte Intelligenz verleiht, ebensosehr gebrechen müßte, als an jener äußeren Bedeutung, welche die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder einer religiösen Vereinigung im Staate verschafft. Auf jeden Fall würden bedenkliche Gährungen der Gemüther und bürgerliche Unruhen die Folge einer solchen Maaßregel seyn, wäre es möglich, sie in Ausführung zu bringen. Aber auch dieß Letztere muß man bezweifeln. Die öffentliche Meinung, schwer verletzt durch ein solches Verfahren, würde alle Freunde der aufgeklärten Denkart vereinigen, um die Durchführung desselben zu erschweren. Die Verpflichtung, wenn sie statt fände, würde als eine unrechtmäßig aufgedrungene betrachtet und daher nicht gehalten werden: im Falle ihrer Verletzung würden die Denuncianten sich der allgemeinen Verachtung aussetzen, fiscalische Untersuchungen

502

Anhang

würden zu keinem Ergebniß führen, weil alles sich verbände, sie zu hemmen und zu vereiteln: würden endlich Strafurtheile wirklich vollzogen, so erschienen die ihres Amtes Entsetzten als unschuldig Leidende, fänden von allen Seiten Unterstützung und Theilnahme, ihr Einfluß, ihr Ansehn beim Volke, welchen man durch die Bestrafung begegnen wollte, würde durch die Strafe selbst zur bedenklichsten Höhe gesteigert werden. Es sind nicht etwa leere Voraussetzungen in der Absicht zusammen gestellt, um durch unbegründete Besorgnisse zurückzuschrecken, deren wir hier gedenken; nein, sie haben bereits durchgängig ihre factische Bestätigung gefunden in der Geschichte des durch die hohe Weisheit unsers Königs aufgehobenen [36] Religionsedictes vom Jahre 1788. Auf keine Weise aber ist zu befürchten, daß derselbe ruhmvolle Monarch sich von blinden Fanatikern zur Wiederholung einer Maaßregel werde bewegen lassen, deren unglückliche Folgen in seinen Staaten durch Seine Weisheit gehoben zu haben Ihm zum ewigen Ruhme gereichen muß. Selbst die Erinnerung an das Augsburgische Bekenntniß und seine Uebergabe durch die protestantischen Reichsstände kann das Verwerfliche der in Vorschlag gebrachten Maaßregel darthun. Weit entfernt, nach eigenem Dafürhalten ein früheres Bekenntniß aufzunehmen, oder ein neues in der Absicht zu verfassen, um dasselbe dem Reichstage vorzulegen, überreichten die protestirenden Stände zu Augsburg vielmehr nur ihrer Pfarrherrn Glaubensbekenntniß und Lehre, was und welcher Gestalt diese aus Grunde heiliger Schrift in ihren Landen und Gebieten lehrten und predigten. Würden aber bei der bevorstehenden Wiederkehr des säcularischen Gedächtnisses dieser Uebergabe die evangelischen Fürsten und Glieder des deutschen Bundes, wenn die Uebergabe eines allgemeinen Bekenntnisses wiederholt gefordert würde, und sie jenes Augsburgische vorlegten, auch diese E r k l ä r u n g ihrer ruhmwürdigen Vorfahren mit Grund der Wahrheit wiederholen können? Müßten sie nicht vielmehr in solchem Falle, wollten sie aufrichtig seyn, erklären: wir stellen u n s e r Bekenntniß auf, nicht aber dasjenige, welches die Pfarrherrn in unsern Landen aus Grunde göttlicher Schrift lehren und predigen? Welche kirchliche Bedeutung für die Evangelischen könnte aber [37] eine solche Erklärung gewinnen? Würde sie nicht, wäre sie in dieser Form zu Augsburg aufgestellt worden, sofort zurückgewiesen worden seyn? Würde man ein so e i n s e i t i g e s Bekenntniß in der Reichsversammlung auch nur aufgenommen und nicht vielmehr die dasselbe Ablegenden darauf verwiesen haben, daß vor Kaiser und Reich nur von dem in ihren Gebieten geltenden, von ihren Pfarrherrn und Lehrern gepredigten Glauben und Bekenntniß gehandelt werde?

von Cölln/Schulz:

Lehrßreiheit

503

Wenn aber die evangelischen Stände damals nicht mit einem subjectiven, durch Glaubensedicte den Unterthanen aufgedrungenen Bekenntnisse hervortraten, sondern vielmehr den Glauben aussprachen, welcher, laut heller Zeugnisse der Geschichte, damals wirklich in ihren Gebieten und Landen zur Herrschaft gelangt war; so dürfen wir uns wohl der Hoffnung überlassen, daß auch unsere jetzigen evangelischen Fürsten bei der bevorstehenden und jeder andern Gedächtnißfeier der Augsburgischen Confession, dem erlauchten Beispiele ihrer großen Vorfahren getreu, sich in keinem andern Sinne aussprechen werden. Blicken wir endlich auf das neue Leben hin, welches sich allenthalben in der evangelischen Kirche Deutschlands entfaltet, auf den kirchlichen Sinn, welcher sich ungeachtet der ungünstigsten Verhältnisse in allen Ständen verbreitet, auf den religiös-sittlichen Ernst, welcher sich im Leben wie in der Wissenschaft wieder geltend macht, auf das Streben endlich nach Vereinigung zu lebendigem Glauben, welches sich von allen Seiten so offenkundig ausge-[38]sprochen hat; - so dürfen wir auch wohl der Zuversicht leben, daß die Zeit nicht mehr fern seyn werde, wo die evangelischen Fürsten und Völker Deutschlands ihrer Uebereinstimmung in allen wesentlichen Puncten des Glaubens so gewiß geworden sind, daß sie das Bekenntniß derselben ebenso getrost vor Jedermann auszusprechen wagen dürfen, wie es von den Helden des Augsburgischen Reichstages vor drei Jahrhunderten geschah. Hat die Kirche eine solche Einheit des Glaubens auf Grund der heiligen Schrift wieder erlangt, dann wird auch jeder evangelische Theolog sich verpflichtet fühlen, an derselben festzuhalten und dem im Worte Gottes gegründeten Bekenntniß solches Glaubens gemäß zu lehren, zu predigen, dasselbe gegen jeden Angriff mit den Waffen des Geistes zu vertheidigen. Einem solchen aus innerlicher Nothwendigkeit hervorgegangenen, seine Gewähr und Dauer in sich selbst tragenden Bekenntnisse würden aber auch wir mit freudiger Bereitwilligkeit beitreten, während wir uns dagegen offen und feierlichst verwahren mußten wider jede Maaßregel, durch welche die Herbeiführung desselben nur aufgehalten oder hintertrieben würde. Breslau, den 15.April 1830. D. Dan. v. Coelln.

D. Dav. Schulz.

504

Anhang

Delbrück, Ferdinand Christenthum. Betrachtungen und Untersuchungen. Dritter Theil. Enthaltend Erörterungen einiger Hauptstücke in Dr. Friedrich Schleiermacher's christlicher Glaubenslehre, Bonn 1827 (Auszug)

[V]

Vorrede.

Was ich in diesem Werke darbringe, wäre vielleicht entweder nie erschienen, oder doch in anderer Gestalt, würde mir es nicht, wie es ist, gewisser Maßen abgenöthigt. Hiemit hat es folgende Bewandniß. In einer jüngst von mir herausgegebenen Streitschrift (Philipp Melanchthon, der Glaubenslehrer) befindet sich ein Abschnitt über Spinoza's Sittenlehre, dessen Schlußrede sich ausprägen sollte als Herzensergießung eines einsamen Denkers, welcher einst selbst der All-Einheitslehre dienstbar, die anfangs süße Knechtschaft je länger desto unerträglicher fand, bis er ihre Fesseln zerbrach, und die segensreiche Freyheit wieder gewann, fortdauernden Unmuth nährend gegen die, welche ihn derselben beraubt, und gleich vielen andern der Gefahr ausgesetzt hatten, sich immer kläglicher zu verlieren, wie der Dichter sagt, in dem finstern Gebäu des träumenden Saddok. [VI] Als einer von jenen wird sehr kenntlich bezeichnet der Verfasser der Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Gleichwohl, da ich jenen Aufsatz ausdrücklich ankündigte als einen bereits Vorjahren und zunächst f ü r mich allein geschriebenen, da ich die aus den Reden als anstößig hervorgehobenen Stellen nicht nach der Ausgabe von 1821 anführte, sondern nach der früheren von 1806; da ich des Verfassers Namen verschwieg: so meinte ich genug gethan zu haben, um die Darstellung im Bezirke des Allgemeinen fest zu halten, und persönliche Beziehung abzuwehren. Eben so unerwartet daher als unerfreulich waren mir die herben Mißverständnisse, welche das unten angeführte Werk 1 öffentlich zur Sprache gebracht hat.

1

Ueber das Ansehen der heiligen Schrift und ihr Verhältniß zur Glaubensregel in der protestantischen und in der alten Kirche. Drey theologische Sendschreiben an Herrn Professor Dr. Delbrück in Beziehung auf dessen Streitschrift: Phil. Melanchthon, der Glaubenslehrer, von Dr. Κ. H. Sack, Dr. C. I. Nitzsch und Dr. Fr. Lücke. Nebst einer brieflichen Zugabe des Herrn Dr. Schleiermacher über die ihn betreffenden Stellen der Streitschrift. Bonn bey Eduard Weber 1827.

Delbrück: Christentum 3. Teil

5

10

15

20

25

30

505

Diese Mißverständnisse konnte ich verhüten durch eine Anmerkung etwa folgendes Inhalts: „Der bezeichnete namhafte Ungenannte hat die ihm hier beygelegte Anhänglichkeit an den Spinoza und dessen Lehre in einer späteren Ausgabe der Reden vom J. 1821 förmlich abgelehnt, woraus also hervorgeht, [VII] daß jene Anspielungen keine Anwendung finden auf die Denkart, zu welcher er sich jetzo bekennt. Ueberhaupt haben wir es hier nur zu thun mit dem Verfasser der Reden als solchem, nicht mit seiner anderweitigen Persönlichkeit; nicht mit dem haben wir es zu thun, was sein Dichten und Trachten im Leben leitet, sondern mit dem, was geschrieben steht in einem Werke, welches ihm eine Stelle unter den Denkern des ersten Ranges anweiset. Als solchen bewährte er sich bereits im J. 1806; nicht erst im J. 1821. Ja! sein damaliges Verhältniß zum Spinoza, ich will nicht sagen, wie es war, sondern w o f ü r es galt, ist vielleicht beachtungswerther als das angegebene der späteren Zeit, da sich nicht leugnen läßt, daß jene Reden von ihrer ersten Erscheinung an nicht wenig beygetragen haben, dem reißenden H a n g e unserer T a g e zur All-Einheitslehre jene Schwungkraft mitzutheilen, welche er noch hat, und allem Ansehen nach lange noch behalten wird." O b ich wohl that, vielleicht gar verpflichtet war, durch solche Anmerkung dem Urtheile des Lesers zu Hülfe zu kommen - ich weiß es nicht, wohl aber, daß ich Ursache finde, dessen, was ich etwa hiebey verschuldet habe, mich zu erfreuen, da es dem, f ü r welchen allein es kränkend seyn konnte, Anlaß gab, sich in dem Lichte zu zeigen, worin er am angeführten Orte erscheint. Seine dortigen Aeußerungen bewegten mich so sehr, daß ich auf der Stelle die Feder ergriff, nicht nur, um mich mit ihm zu verständigen, sondern auch, um ihm f ü r die würdevolle Haltung, die er in Ansehung meiner behauptet, gebührende Anerkennung, und f ü r die edle Sprache, die er, seinen aufgeregten Freunden gegen-[VIII]über, als mein Ankläger und zugleich als mein Anwalt führt, innigen D a n k zu bezeugen. Hierauf erhielt ich nach einiger Zeit ein gewogentliches Antwortschreiben, welchem zu Folge ich erachte, diese Sache als abgemacht ansehen zu können.

Anders verhält es sich mit den in der Streitschrift auf die Glau35 benslehre vorkommenden Anspielungen welche sich unter andern befinden S. 3, wo es heißt: „Die in dem dritten Abschnitte von mir bekämpfte Lehre von Vorherbestimmung, Knechtschaft des Willens, unabänderlicher N o t h w e n digkeit, drohet am Anfange des vierten Jahrhunderts unserer Kirche 40 mit eben der Anmaßung auftreten zu wollen, wie im Anfange des ersten, nicht wie damals, unter der vermeintlichen Schutzherrschaft eines Apostels, sondern unter der wirklichen eines Philosophen. Dieses hat mich bewogen, über Spinoza's Sittenlehre eine Reihe Bemerkungen ein-

506

Anhang

zuschalten, die zum Verständnisse und zur Würdigung derselben beytragen sollen". Und S. 78, wo es heißt: „Wie? jener in der Nacht der Blindheit tappende Heide hat vermögt, über das Geheimniß göttlicher Weltregierung und menschlicher Willensfreyheit mit Hülfe der Philosophie zu einer bündigen Gedankenverknüpfung und einer beruhigenden Ueberzeugung zu gelangen; und wir, die im Lichte des Evangeliums wandeln, sollten hieran verzweifeln, und jenem feigherzig das Feld räumen? Schimpflich wäre dieses, unter allen Umständen, besonders heut zu Tage, da es nicht an Versuchen fehlt, die Satzungen verhängnißlehriger Schulweisheit mit den kirchlichen künstlich zu verflechten, um sie mit [IX] einem heiligen Scheine zu umkleiden, der Schwachsichtige über ihren wahren Gehalt leicht verblenden kann. Hierin liegt für die Verehrer des apostolischen Christenthums ein mächtiger Antrieb, jenen Punct stets im Auge zu behalten, nicht, um darüber zu einer vollständigen Einsicht zu gelangen, (was unmöglich ist) sondern nur, Trug und Täuschung abzuweh« ren . Ueber diese Stellen werde ich am angeführten Orte in Anspruch genommen, mit der Herausfoderung, über das Anzügliche derselben Rede und Antwort zu geben. Bis ich auf diese öffentliche Herausfoderung mich öffentlich stellte, mußte ich meine Ehre als verpfändet ansehen. Da bin ich, um sie einzulösen. Was ich in jenen beyden Stellen andeuten wollte, war, daß Schleiermacher's Glaubenslehre ihrem innersten Wesen nach spinozisch sey, und als solche unvereinbar mit den Grundsatzungen des apostolischen Christenthums - spinozisch, wohl zu merken, in Ansehung dessen, was in der Streitschrift als das Wesentliche der spinozischen Lehre hervorgehoben wird, und ihr gemein ist mit jeder andern All-Einheitslehre - des apostolischen Christenthums, wohl zu merken, wie dieser Begriff in der Streitschrift bestimmt wird. Das war es, was ich andeuten wollte. Habe ich es gethan, ohne Bewußtseyn hinreichender Gründe: so haftet auf mir mindestens der Vorwurf des Leichtsinns; habe ich es aber gethan in Folge, wenn auch irriger doch redlicher Ueberzeugung: so gebietet mir die Pflicht der Selbstvertheidigung, diese Ueberzeugung in ihrer ganzen Stärke und nach ihrem vollen Umfange mit rücksichtloser Offenheit auszusprechen. Jener Pflicht kann ich [X] nicht genügen, ohne einzugehen in Erörterung des Heiligsten und Höchsten, was es giebt. Um so weniger wollte ich ihr mich entziehen, auch wenn ich gedurft hätte. Außerdem lag für mich ein nicht geringer Antrieb dazu in dem Gedanken, daß so hoch begabte, so beharrlich strebende, so mächtig wirkende Männer, wie der

Delbrück:

Christentum

3. Teil

507

Verfasser jener Glaubenslehre, zu den größesten Wohlthätern ihrer Zeit und aller Zeit gehören, aber nur, wenn sie einen tapfern und unermüdlichen Widerstand finden, wenn auf je Tausende, die sich ihnen gutwillig ergeben, wenigstens Einer kömmt, der sich gegen sie zur Wehre setzt, so lange er weiß und kann, um ihnen, so viel in seinen Kräften steht, wie gering auch diese seyn mögen, die Verbreitung ihrer Herrschaft möglichst zu erschweren, damit sie das Ihrige thun, dieselbe, so weit sie ihnen zukömmt, zu sichern, nicht allein f ü r die Mitlebenden, sondern auch f ü r die Nachkommen. Aber, wer steht mir dafür, daß ich nicht einen Schatten f ü r einen Riesen ansehe? Das will hier sagen: Wer steht mir dafür, daß das Buch, welches ich zu bestreiten unternehme, wirklich enthält, was es zu enthalten mir scheint, da so Viele etwas ganz anderes darin finden? Dieser Zweifel, ich bekenne es, hat mich o f t beunruhigt und nicht selten in peinliche Verlegenheit gesetzt, aus der ich jedoch mich gerettet habe durch folgende Erwägung: Die Frage, ob Schleiermacher's Glaubenslehre ihrem innersten Wesen nach mit den unveränderlichen Grundsatzungen des apostolischen Christenthums ver-[XI]einbar sey, oder nicht, ist eine rein geschichtliche, welche Niemand wird zu den an sich unbeantwortlichen zählen dürfen, und um so weniger, da das Werk von Seiten wissenschaftlicher Bündigkeit seines Gleichen sucht, wodurch, mit Ausnahme bedeutungsloser Nebenpuncte, theilweisige Verkennung desselben fast unmöglich wird, so, daß wer unter seinen Lesern und Beurtheilern es nicht von Grund aus versteht, anzusehen ist als einer, der es von Grund aus mißversteht. Wohlan! ich trete auf als W o r t f ü h r e r derer, welche obige Frage verneinen. Sind das nun dieselben, welche es von Grund aus mißverstehen: so erwerbe ich mir ein Verdienst um das Werk, weil ich mir schmeicheln darf, die Gründe dieses Mißverständnisses mit solcher Bestimmtheit dargethan zu haben, daß es den Gegnern leicht fallen wird, das Unhaltbare derselben aufzudecken. Im entgegengesetzten Falle leiste ich der Kirche einen Dienst, die nicht dulden darf, unter ihrem Stempel M ü n z e n auszuprägen, deren Gültigkeit sie nicht verbürgen kann. Wünschen mußte ich, das aus der N a t u r des Stoffs von selbst hervorgehende hin und wieder Stachelichte meines Vortrages, da es manchen kitzeln könnte, den ich eben nicht Lust habe, zu streicheln, abgestumpft zu sehen. Demnach hielt ich es meinem persönlichen Verhältnisse zu dem hochverehrten Meister für gemäß, ihm (in einem Briefe vom 12. v. M.) die nahe bevorstehende Erscheinung dieser gegen ihn gerichteten Erörterungsschrift anzukündigen, mit der Bitte, ihr ein Gastgeschenk mit auf den Weg zu geben, welches sie bey Freund und

Anhang

508

Feind w i d e r gehässige M i ß d e u t u n g e n [ X I I ] s c h ü t z e n k ö n n e , u n d mit der Anfrage, o b er mir z u d e m E n d e erlauben w o l l e , sie ihm in A u s h ä n g e - B o g e n theilweise z u k o m m e n z u lassen. In e i n e m baldigst eintreff e n d e n sehr g e w o g e n t l i c h e n Antwortschreiben hat er die G e w ä h r u n g 5 meiner Bitte abgelehnt, aus Gründen, die ich nicht u m h i n kann, g e b ü h rend z u achten. [ . . . ] B o n n , im M o n a t h September 1827. Der Verfasser.

Einleitung Anmerkungen Erster Abschnitt Begriff einer christlichen Glaubenslehre. 15 Anmerkungen Zweyter Abschnitt Wesen der Religion überhaupt. Anmerkungen Dritter Abschnitt 20 Ausmittelung des Wesentlichen im Christenthum. Anmerkungen Vierter Abschnitt Gott und Welt. Anmerkungen 25 Fünfter Abschnitt Sünde und Gnade. Anmerkungen Sechster Abschnitt Der Erlöser in der Person Jesu von Nazareth. 30 Anmerkungen [XIV] S i e b e n t e r A b s c h n i t t Ewiges Leben in persönlicher Fortdauer, und nachirdischer Zustand der Vergeltung. Anmerkungen 35 Schluß A n h a n g . [...]

Seite 1-25 2 6 - 28 29-43 4 4 - 46 4 7 - 53 54- 55 56-80 81- 86 87-106 107-111 112-152 153-159 160-176 177-178 179-188

189 190

Delbrück: Christentum 3. Teil

[29]

5

10

15

20

25

30

35

40

509

Erster Abschnitt. Begriff einer christlichen Glaubenslehre. [...]

[39][...] Welche Rolle aber spielen denn bey Ausmittelung des Altchristlichen die Glaubenszeugen jener fünf und vierzig Menschenalter, welche von Stiftung der Kirche an bis zu deren Umbildung aufgestanden sind? Eine sehr untergeordnete, da der apostolischen Glaubensregel kein Mal oder Ein Mal Erwähnung geschieht, der nicäischen vielleicht etliche Male mehr, meist beyläufig, und an einer sehr bedeutenden Stelle, nicht ohne wegen eines vermeintlich zweydeutigen Hauptwortes gedrillt zu werden; da ferner von den zwey und zwanzig großen Kirchenlehrern der fünf ersten Jahrhunderte nur dann und wann Einer zum Vorschein kömmt, und zwar in demüthiger Gebehrde, meist nur, um sich zurechtweisen zu lassen, oder, was der Verfasser vorsagt, zu bejahen, und wohl zu merken, sehr kurzlaut, in abgerissenen Worten, welche sie sich haben irgendwo und irgendwann entfallen lassen. Eine um nichts würdigere Behandlung erfahren bey Ausmittelung des Neuchristlichen die protestantischen Kirchenlehrer. Summa: Als evangelischer Glaubenslehrer tritt der Verfasser in so fern auf, als er bey seinen Festsetzungen von der Vorstellungsart ausgeht, welche er als Grundform des evangelischen Glaubens hinstellt, obwohl sie seiner eigenen Versicherung nach bis jetzo keinesweges schon mit erfoderlicher Kraft und Bestimmtheit in das Leben getreten ist, so fern er demnächst die aus jener Grundform sich entwickelnden Lehren mit den bekenntnißschriftlichen und den biblischen vergleicht, nicht, um sie [40] nach ihnen zu prüfen, und mit ihrer Hülfe zu beweisen, sondern, um diese jenen anzubequemen; wobey er nach Grundsätzen verfährt von einer Geschmeidigkeit, vermöge deren es bey einiger Geistesgewandtheit ein Leichtes ist, alles zu machen aus allem. Die Gutmüthigkeit eines Lesers, welcher sich überreden ließe, die Urkunden der Bekenntnißschriften und der heiligen Bücher seyen die Quellen, aus welchen diese Glaubenslehre geschöpft worden, möchte wohl der Verfasser selber als Einfalt belächeln. Nein! Nicht ist sie anzusehen als ein auf dem Boden der Kirchenweisheit entsprossenes Gewächs, sondern als ein künstlich dorthin verpflanztes, welches Daseyn, Wachsthum und Gedeihen einzig der Philosophie verdankt. Hiemit scheint freylich zu streiten, was S. 9 geschrieben steht, wie folget: „Das anders entstandene Denken, dessen Inhalt dem (§.2) beschriebenen gleich lautet, ist das der Weltweisheit angehörige. Daß dieses seiner Entstehung und Form nach ein anderes sey, und daß Philosophisches und Dogmatisches nicht vermischt werden dürfe, ist der Grundgedanke der vorliegenden Bearbeitung." Wie dieser Grundge-

510

Anhang

danke zu fassen sey, erhellet aus den S. 11 und 13 vorkommenden Erörterungen des Unterschiedes zwischen Theologie und Philosophie einiger Maßen, wird aber vermuthlich volles Licht erst erhalten, wenn des Verfassers Dialektik erscheint 2 . Ohne von dieses Werkes Inhalt und Form irgend [41] eine Kunde zu haben, wage ich dennoch, zu behaupten, es werde sich, außer der Anordnung und dem Wortausdrucke, von vorliegender Glaubenslehre nur darin unterscheiden, daß es nicht, wie diese, von einem Gefühle ausgeht, sondern von einem Begriffe, im Uebrigen aber und namentlich im letzten Ergebnisse völlig mit ihr übereinstimmen. [...]

[47]

Zweyter Abschnitt. W e s e n der R e l i g i o n ü b e r h a u p t .

[...] [s. KGA 1/7.3, 396f] [48] Gleichwohl giebt es über das Verhältniß der Gottheit zum Menschen eine Vorstellungsart, welche die Frömmigkeit des zweyten Elements gänzlich beraubt, ich meine die spinozische. Diese erkennt nur ein einziges selbständiges [49] und selbstthätiges Wesen an, in dem Weltgeiste, welcher von Ewigkeit zu Ewigkeit, alles in allem wirkt, und zwar nach Gesetzen, die nicht von ihm entworfen sind, sondern aus seiner Natur mit unabänderlicher Nothwendigkeit fließen. Sofern dieser Lehrbegriff dem Urwesen zwar Willensfreyheit abspricht, aber doch Bewußtseyn beylegt; sofern er dasselbe zwar nicht als Stifter der bestehenden Weltordnung anerkennt, aber doch sein Thun einer unverbrüchlichen Gesetzlichkeit unterwirft, unterscheidet er sich bestimmt von dem ungöttischen (atheistischen) welcher die uranfängliche Ursache für eine blind wirkende Kraft erklärt, und für den obersten Regierer der Dinge den Zufall. Sofern auf der andern Seite besagter Lehrbegriff dem Urwesen zwar das höchste Bewußtseyn beylegt, Willensfreyheit aber abspricht, und diese auch in den endlichen Wesen aufhebt; sofern er das Thun desselben zwar Gesetzen unterwirft, aber nicht solchen, die es giebt, sondern in sich vorfindet; sofern er dasselbe für eine von der Welt unzertrennliche Kraft erklärt, unterscheidet er sich bestimmt von dem gottthümlichen, (theistischen) da dieser in Gott das allein ewige und selbständige Urwesen anerkennt, welches ein von der Welt gesondertes Seyn hat, so, daß diese kraft seines Willens entstanden ist, und nach seinen Gesetzen bestehet, welchen die mechanischen, chemischen, organischen Kräfte dienen müssen, die mit Vernunft und Willensfreyheit begabten Geschöpfe gehorchen sollen, ohne nach einem Naturzwange zu müssen. 2

Siehe die drey Sendschreiben Zugabe. S.215.

Delbrück: Christentum 3. Teil

511

Man darf daher dem spinozischen Lehrbegriffe einen religiösen Bestandtheil weder absprechen, wie dem epikurischen, noch beylegen, wie dem leibnitzischen. Man [50] muß ihm einen solchen gewisser Maßen zugestehen, aber nur so weit, daß die daraus fließende Frömmigkeit das zweyte der oben erwähnten Elemente einbüßt, und sich in das Gefühl einer schlechthinigen Abhängigkeit von Gott auflöset. Und siehe! diese aus dem spinozischen Lehrbegriffe hervorgehende Erklärung der Frömmigkeit stimmt völlig überein mit der von dem Verfasser aufgestellten, welche so lautet: §. 9. „Das Gemeinsame aller frommen Erregungen, also das Wesen der Frömmigkeit ist dieses, daß wir uns unser selbst als schlechthin abhängig bewußt sind, das heißt, daß wir uns abhängig fühlen von Gott". Diese Erklärung bestätigt das im vorigen Abschnitte von mir Angedeutete, der Verfasser sey zur Einheit des Selbstbewußtseyns gelangt, nicht dadurch, daß er die beyden dort erwähnten Aussagen vermittelte, sondern eine zu Gunsten der andern zum Schweigen brachte, indem er das Gefühl durch den Begriff bezwingen ließ, und des Herzens Ansprüche den Ansprüchen des Verstandes aufopferte. Sehr begreiflich ist es demnach, daß er nicht eher zur Ruhe kommen, nicht eher des Lebens Gipfel erstiegen zu haben glauben konnte, als bis er aus seinen frommen Erregungen jedwedes, was, so lange sein Inneres sich noch im Zwiespalte befand, freye Persönlichkeit zu verbürgen schien, als täuschend ausgeschieden hatte, um das Gefühl unbedingter Abhängigkeit von Gott in ungetrübter Reinheit und ungeschwächter Kraft zu erhalten. - Dieses ist sehr begreiflich; aber befremdlich, wie der Verfasser es über sich gewinnen konnte, jenen Begriff von Frömmigkeit deßwegen, weil er der einzige ist, der ihn zu befriedigen vermag, als [51] allgemein gültigen hinzustellen; befremdlich, wie er es über sich gewinnen konnte, einer christlichen Glaubenslehre jenen Begriff zum Grunde zu legen, da derselbe mit dem innersten Wesen des Christenthums in dem entschiedensten Widerspruche steht. [...] [87]

Vierter Abschnitt. G o t t und Welt.

Setzt man Gott und Welt einander entgegen: so versteht man unter Welt den Inbegriff aller endlichen Dinge, deren Nichtseyn möglich ist; unter Gott dagegen das schlechthin nothwendige und schrankenlose Wesen, welches den Grund seines Seyns in sich hat, und alles Möglichen und Wirklichen Urheber ist. Unterwirft man diese Begriffe dialektischer Erörterung, um ihr gegenseitiges Verhältniß zu bestimmen: so geräth man in unüberwindliche Schwierigkeiten. Denn da Gott begreiflicherweise nur ist, sofern er

512

5

10

15

20

25

30

35

40

Anhang

wirkt: so kann er begreiflicher Weise nie angefangen haben, so kann er begreiflicher Weise nie aufhören, zu wirken. Folglich ist die Welt gleich ewig mit ihm. Ferner! Da Gott gedacht werden muß als ein unveränderliches Wesen: so kann, was er wirkt, nicht angesehen werden als Hervorbringung seines Willens, sondern als natürliches Erzeugniß seines Wesens. Folglich ist die Welt gleich nothwendig mit ihm, und alles Einzelne in der Welt gleich nothwendig mit ihm, und alles Einzelne in der Welt gleich nothwendig mit der Welt selbst. - Dies aber widerspricht der aufgestellten Erklärung von Welt als dem Inbegriffe aller zufälligen Dinge, deren Nichtseyn möglich ist, indem es die Nichtvorhandenheit des Endlichen eben so undenkbar macht, als die Nichtvorhandenheit des Unendlichen. [88] Diesem Irrsale zu entrinnen, giebt es ein einziges Mittel, welches darin besteht, daß man den Gegensatz zwischen Gott und Welt aufhebt, und beyde Begriffe zusammenfaßt als gleich wesentliche Bestandteile eines höhern, des Begriffs von dem All-Einen, in welchem Gott nicht als Urheber der Welt erscheint, sondern als Ursache, die Welt nicht als Werk Gottes, sondern als Wirkung Gottes, und in welchem beyde, Gott und Welt, unter der Herrschaft ewiger N o t w e n d i g keit stehen, die in endlichen Wesen nicht nur Selbständigkeit, sondern auch Selbstthätigkeit jeder Art aufhebt. Diese Lehre von dem All-Einen, welche Gott verweltlicht, und die Welt vergöttlicht, Mögliches und Wirkliches, Zufälliges und Nothwendiges, Zeitliches und Ewiges unmischbar und untrennbar zu einem vollendeten Ganzen unauflöslich verkettet - diese Lehre ist unter den über die göttlichen und menschlichen Dinge vorhandenen wie die älteste, so die einfachste, wie die einfachste, so einer Seits, die für den gemeinen Verstand faßlichste, (1) und andrer Seits, für den folgerechten Denker die einzig befriedigende. Diese ihr eigenen Vorzüge verkannte Piaton gewiß nicht. Was bewog ihn, sie aufzugeben, und ich will nicht sagen, sie zu widerlegen, (denn das ist unmöglich) sondern niederzuschlagen, wie durch einen Orakelspruch, der so lautet: Die Welt ist geworden, folglich hat sie einen Urheber. Die Welt ist schön; folglich ist sie nach einem Urbilde geordnet? Die Erörterung dieser Frage würde mich hier zu weit führen. Ich wende mich demnach zu meinem Hauptgegenstande, indem ich sage: Dem nach Gottes Rathschlusse durch das Judenthum vorbereiteten Christenthum ist, den Einreden des [89] grübelnden Verstandes zum Trotze, gelungen, weit und breit auf Erden den Glauben zu stiften an den Allgenugsamen, den eine menschliche Sprache so kann zu sich reden lassen: „Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit; außer mir ist nichts, ohne in so fern es durch mich etwas ist." (2)

Delbrück:

Christentum

3. Teil

513

Indem das Christenthum durch Stiftung dieses Glaubens, als den Anfangspunct aller Dinge, eine That hinstellte, von jeglicher N o t w e n digkeit den Ursprung nachwies in der Freyheit, alles Müssen verwandelte in ein Sollen, alles Können in ein Dürfen; indem es von allem Schönen und Guten die Quelle entdeckte in einer unendlichen Liebe, hob es das Leben auf die höchste Stufe, wohin menschliches Daseyn gelangen kann; verwandelte es die Natur in einen Tempel, worin alles und jedes, das Größeste, wie das Kleinste den Unendlichen in tausendfachen Bildern dem Auge abspiegelte, in tausendfachen Stimmen dem Ohre verkündigte. Noch größere Wunder offenbarte diese Religion dem Menschen in den Tiefen seiner eigenen Brust durch mächtige Belebung jener geheimnißvollen Kraft, welche ihn in den Stand setzt, das Wesen der Wesen nicht nur zu bewundern, sondern auch, ihm nachzuahmen, und durch selbständiges Einwirken in die Welt, sich der Theilnahme, wie an der göttlichen Macht, Weisheit und Güte, so auch an der göttlichen Seligkeit würdig und fähig zu machen. Wohlan! dieses in Ansehung alles Möglichen und Wirklichen allgenugsame Wesen ist der Gott, zu dem wir uns bekennen, wenn wir sprechen: Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden. In der Unerweislichkeit, oder vielmehr, in der Un-[90]begreiflichkeit der Lehre von der Vorhandenheit eines solchen Wesens, liegt schlechterdings kein Grund, sie zu verwerfen, vielmehr der stärkste Antrieb, sie als Glaubenslehre aufrecht zu erhalten; da ja eben jene Unerweislichkeit und Unbegreiflichkeit es ist, derenwegen sie mußte geoffenbaret werden, um dem natürlichen Unvermögen der menschlichen Vernunft zu Hülfe zu kommen. Wie verhält sich nun zu jenem Christengotte der Gott, welchen der Verfasser uns zur Anbetung aufstellt? Dieser Frage Beantwortung ist enthalten in folgenden von ihm aufgestellten Behauptungen: 1) I. S.207. „Daher scheint mir, eben so wenig als man sagen darf, Gott habe die Welt schaffen müssen, dürfe man auch weder sagen, daß Gott die Welt auch gar nicht hätte schaffen können, noch auch, daß er sie auch anders hätte schaffen können; sondern man muß vielmehr darauf zurückkommen, daß die Schöpfung der Welt die reine Offenbarung seines Wesens sey (Rom. 1,19,20). Wenn man glaubt, damit die Weisheit und Güte Gottes in der Welt vollkommen könnten verwirklicht werden, müsse man ihn in einer Wahl begriffen denken: so überlegt man nicht, daß eben jene Weisheit und Güte Gott so durchdringen müssen, daß alles nach ihnen von Ewigkeit fest bestimmt sey, und also in dem Gebiete ihrer Wirksamkeit nichts auf andere Weise geschehen könne als es geschieht." (S. §.4).

514

Anhang

2) I. S. 293. „Denn, wenn auch dem Umfange nach beyde (Können und Wollen) gleich gesetzt werden, und dadurch die Beschränkung aufgehoben, welche darin liegt, wenn eines von beyden größer ist als das andere: so ist auch schon die Trennung beyder, als ob Können ein anderer Act oder Zustand sey als Wollen, [91] eine Unvollkommenheit. Denn das Können, abgesondert von dem Wollen gedacht, setzt voraus, das Wollen sey ein zeitlich entstehendes oder eines Antriebes bedürftiges, und das Wollen, ohne Können gedacht, setzt voraus, das Können sey ein von außen gegebenes, nicht in der inneren Kraft gegründetes. Lassen sich aber Können und Wollen auch in unsern Gedanken von Gott nicht trennen, so lassen sich auch weder Wollen und Thun trennen, noch Können und Thun, sondern die ganze Allmacht ist ungetheilt und unverkürzt die thuende und bewirkende". 3) I. S.295. „Wenn nun diesem nothwendigen Willen der freye gegenübergestellt wird, als der, vermöge dessen Gott die Welt will: so ist weder der Gegensatz selbst auf Gott anwendbar, noch auch, was unter die entgegengesetzten Glieder gebracht wird, ist von einander zu trennen. Denn, wo ein solcher Gegensatz besteht, da ist das Nothwendige unfrey, oder das Freye willkührlich; und Beydes ist eine Unvollkommenheit, wie der ganze Gegensatz nur in dem durch anderes mitbedingten Seyn seine Bedeutung hat. Eben so wenig kann man aber auch Gottes Wollen seiner selbst und Gottes Wollen der Welt von einander getrennt denken. Denn, will er sich selbst, so will er sich auch als Schöpfer und Erhalter, worin also das Wollen der Welt eingeschlossen ist; und will er die Welt: so will er in ihr seine ewige und allgegenwärtige Allmacht, worin also das Wollen seiner selbst eingeschlossen ist". 4) I. S.206. „Will man keine ewige Schöpfung annehmen: so geräth man in die Verlegenheit, den göttlichen Beschluß zwiefach denken zu müssen, ohne seine Erfüllung aber doch eben so sehr Beschluß, und mit sei-[92]ner Erfüllung, wodurch denn doch in Gott Gegensätze eingeräumt werden". (Man vergleiche §.64-68.) Summa: Gott ist ein alles Zeitliche und Räumliche durchdringendes, Zeit und Raum selbst bedingendes, allmächtig-ewiges, allmächtiggegenwärtiges, allmächtig-geistiges Wesen, welches nicht darf unter den Gegensatz von Freyheit und Nothwendigkeit gestellt werden, da es nur kann, was es will, nur will, was es kann; nicht umhin kann, zu thun was es will und kann; ein Wesen, welches ohne Wahl und Absicht, von seines Seyns Beschaffenheit getrieben, die Welt nicht erschaffen, nicht hervorgebracht hat, sondern fortwährend verursacht, indem es in den endlichen Dingen alles Mögliche verwirklicht, alles Wirkliche vernothwendigt, dergestalt, daß nichts Unwirkliches möglich ist, nichts Mögliches unwirklich bleibt.

Delbrück:

Christentum

3. Teil

515

Diese Lehre von dem Verhältnisse Gottes zur Welt ist, wie ich bereits angemerkt habe, meiner Ueberzeugung nach die einzige folgerechte, und ich setze hinzu: der Verfasser hat sie mit einer Strenge durchgeführt, welche sie, ich will nicht sagen, unwiderleglich macht, (denn das wird sie bey der rohesten, kunstlosesten Behandlung) sondern, welche sie unwiderstehlich macht. Aber auf wissenschaftliche Bündigkeit allein kömmt es hier keinesweges an, sondern zuerst und vor allen Dingen darauf, ob jene Lehre mit den Satzungen des einhälligen Christenglaubens stimme oder nicht. Die Frage ist demnach: Widerspricht sie nicht den Zeugnissen der evangelischen Bekenntnißschriften? Nein! sagt der Verfasser: denn die hieher gehörigen Lehren (von der Schöpfung und Erhaltung) sind in den Bekenntnißschriften der evan-[93]gelischen Kirche nicht eigenthümlich durchgearbeitet, und sie sind also auch nicht für kirchlich abgeschlossen anzusehen. (§.45. I. S. 193). Wohl! Aber widerspricht sie nicht den Aussagen der heiligen Bücher? Nein! sagt der Verfasser: denn die in den Büchern des neuen wie des alten Bundes vorkommende Erwähnung der Schöpfung von Hebr. 11,3 an bis zu Salomonis Sprüchen 8,22. 23; und von da bis hinauf zur mosaischen Meldung: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, ist nicht von der Art, daß sie uns nöthigen könnte, genauere Bestimmung daraus für die Dogmatik zu entlehnen. (S.209-211). Wohl! Aber widerspricht sie nicht den Satzungen der von der ganzen Kirche anerkannten nicäischen Glaubensregel? Nein! sagt der Verfasser: denn, da der hier vor kommende Ausdruck ποιητής auf den sich alles gründet, über die Art des Machens nichts bestimmt: so ist seine Hauptabzweckung offenbar abwehrend. Es soll nämlich nichts in der Welt nicht von Gott hervorgebracht, seinem ganzen Seyn und Wesen nach in Gott gegründet seyn. Dieß besteht vollkommen mit dem Hervorgegangenseyn jedes einzelnen Wahrnehmbaren aus dem Naturzusammenhange, nur daß das Nähere über diese Vereinigung nicht bestimmt, sondern vorbehalten ist. (I. S.197). Wohl! Aber haben nicht dieses in der nicäischen Glaubensregel angeblich vorbehalten gebliebene, die angesehensten Kirchenlehrer aller Jahrhunderte zu Gunsten der Lehre von der Schöpfung der Welt aus Nichts, einhällig ergänzt? Nein! sagt der Verfasser; und dieses Nein sucht [94] er zu bekräftigen durch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Zeugen (unter welchen Augustinus, Origenes, Anselmus, Luther, Calvin, Reinhard, Henke) welche er abhört, um darzuthun, daß jene ehrenwerthen Männer in den Aussagen über die Entstehung der Welt weder mit sich selbst noch un-

516

Anhang

ter einander stimmen, überhaupt nicht befriedigen, weil sie die Frage unaufgelöst lassen, oder an einer von zwey Klippen scheitern, indem sie, um die Abhängigkeit der Welt von Gott zu retten, die Unabhängigkeit Gottes von der Welt gefährden, oder umgekehrt, daß namentlich der heilige Augustinus sich gegen die Ewigkeit der Welt, oder wie der Verfasser zu sagen pflegt, gegen die Ewigkeit der Schöpfung, sich nur schwach stelle; und daß man aus Luthers Worten zu Gen. 1,4 eine ewige Schöpfung folgern könne. (S.204. 207. 208.) D a ß dergleichen einzelne, aus dem Zusammenhange gerissene, zum Theil nur beyläufige, Aeußerungen nicht das geringste Gewicht haben, wenn es darauf ankömmt, jemandes herrschende Denkart zu bestimmen, leuchtet wohl jedem Unbefangenen von selber ein (3). Auch unabhängig hievon ist schwer einzusehn, was den Verfasser vermögt habe, die M ü h e dieser Zeugenabhörung zu übernehmen, da Berufung auf solche Gewährsmänner ihm bey Gleichgesinnten zu nichts nützen, bey andern nur schaden kann. Gleichgesinnte des Verfassers nenne ich die, welche den Unterschied zwischen der Gewißheit, die aus dem Glauben, und der, welche aus dem Wissen entspringt, wunderlich finden; wunderlich auch die Unterscheidung eines inweltlichen Gottes von einem außerweltlichen, (Siehe oben S. 72.) und welche d a f ü r halten, das Christenthum [95] vertrage sich mit jeder Philosophie, welche die Begriffe Gott und Welt nur irgendwie trenne. Diese bedürfen f ü r des Verfassers Behauptungen keiner Gewährleistung des Alterthums, werden also den langen Anmerkungen, womit in diesem Abschnitte die Hauptsätze ausgestattet sind, kaum eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden, es sey denn, daß sie es thäten, um sich an den künstlichen Wendungen des mit feinster Ironie durchwürzten philosophischen Witzes zu ergötzen, der hier ein so geistreiches Spiel treibt. Die andern aber, welche die erwähnten Unterscheidungen nicht wunderlich finden, sondern wesenhaft begründet, und welche d a f ü r halten, das Christenthum vertrage sich nur mit einer solchen Philosophie, welche Gott von der Welt sondert, wie einen selbständigen Urheber von dem zufälligen Werke seiner Hände, als der T h a t seines Willens; diese werden in des Verfassers Bemühung, den Widerspruch, worin seine Lehre mit der kirchlichen steht, auszugleichen, nichts erblicken, als ein eiteles Bestreben, Unmögliches zu bewerkstelligen. Gleichwohl könnten auch diese sich leicht in Irrsal verstricken lassen durch eine sehr oft bey ihm vorkommende Aeußerung, die bey'm ersten Anblicke keusch, nüchtern, unverfänglich zu seyn scheint, aber genau besehen, den Keim seiner ganzen Theologie in sich schließt, ich meine jene so o f t an uns ergehende Zumuthung, von dem Begriffe der

Delbrück:

Christentum

3. Teil

517

Gottheit alles auszuschließen, was mit menschlicher Beschränktheit zusammenhängt. Es ist allerdings wahr, daß menschliches Bewußtseyn der Persönlichkeit, daß menschliche Denk- und Willens-Kraft, daß menschliches Thun und Leiden an die Wirksamkeit körperlicher Stoffe geknüpft ist, dergleichen [96] wir dem Wesen der Wesen nicht beylegen dürfen, woraus folgt, daß ihm Bewußtseyn, Denken, Wollen, Thun, in dem Sinne und auf die Art nicht zukommen könne, wie uns. Da gleichwohl der Mensch nichts Höheres kennt, als selbständige, durch die Idee des Besten geleitete Wirksamkeit im Schauen, Handeln und Bilden: so bleibt ihm nichts anderes übrig, als eben dieses, was seinen Vorzug vor den übrigen Erdgeschöpfen ausmacht, in das Unendliche gesteigert, auf die Gottheit überzutragen. Eine solche Vermenschlichung der Gottheit ist so weit entfernt, echter Frömmigkeit Eintrag zu thun, daß sie vielmehr unerlaßliche Bedingung derselben ist. Denn Gott, nur gedacht als ein Wesen, zwischen welchem und uns der Abstand unermeßlich ist, zwischen welchem und uns es keine Verhältnisse giebt, die wir zu fassen vermögen, ein solcher Gott kann uns weder Verehrung, noch Vertrauen, noch Liebe einflößen; er kann kein Gegenstand unserer Andacht seyn, höchstens Gegenstand dumpfer, ungemüthlicher, gefühlloser und darum ganz unerbaulicher Anbetung. Von dieser geistigen Vermenschlichung stehen gleich weit entfernt, einer Seits die vernunftwidrige Vermenschlichung, und anderer Seits die übervernünftige Entmenschlichung derselben, da jene die Gottheit mit übermenschlicher Leibesschönheit und Leibeskraft begabt, sie mit Nektar und Ambrosia nährt, und ihre Seligkeit in überschwänglichen Genuß der Lust setzet, diese dagegen sie außer menschlicher Bedürftigkeit auch des Höchsten und Besten entkleidet, wohin die Seele sich zu erheben fähig ist. Als solches erkannte Fichte gesetzliche Selbstthätigkeit an. Indem er diese von den Schranken befreyte, [97] innerhalb deren sie sich im menschlichen Ich bewegt, und in solcher Umgestaltung auf die Gottheit übertrug, verwandelte er diese unter dem Namen sittlicher Weltordnung in ein bloßes, nirgendwo anders, als in der Seele des Weisen vorhandenes Gedankenbild. Alle die aber, welche dem göttlichen Wesen Bewußtseyn, Persönlichkeit, selbständiges Seyn beylegten, nannte er Götzendiener. Nach dieser Begriffsbestimmung erscheint als ein arger Götzendiener Spinoza, Er, welcher Gott für die all-einige Person erklärt, für das einzige selbständige Wesen von gränzenloser Ausdehnung, von all-umfassendem Bewußtseyn. Seiner Seits erscheint wiederum Fichte, dem Spinoza gegenüber, als ein Götzendiener wegen seiner abergläubischen Anerkennung eines freyen, von der Natur unabhängigen, ja sogar diese beherrschenden Willens. Unser Verfasser geht

518

Anhang

in der Entmenschlichung der Gottheit weiter als beyde, indem er von dem spinozischen Gottesbegriffe den Bestandtheil der Ausgedehntheit, von dem fichtischen den Bestandtheil der Selbstthätigkeit ausscheidet; von jenem dagegen den Bestandtheil der Willenlosigkeit, von diesem den Bestandtheil der Unpersönlichkeit beybehält, und beyde vermittelst eines dritten verflicht zu einem Gedankenbilde, in welchem Gott erscheint als die, ohne selbst räumlich und zeitlich zu seyn, alles Räumliche und Zeitliche durchdringende, weder aus Wahl noch aus Zwang, weder mit Freyheit noch mit Nothwendigkeit, wirksame allmächtig ewige Urkraft. (4) Wenn jemand sagte, diese Erklärung passe weder auf die stoischspinozische Weltseele, sofern diese aus Nothwendigkeit wirkt, noch auf den platonischen Welturheber, sofern dieser mit Freyheit wirkt, sondern auf [98] ein Wesen, welches weder eines von jenen beyden, noch keines von beyden, noch beydes zugleich sey: so würde ich erwidern: welche Bewandniß es auch haben möge mit der wissenschaftlichen Probehaltigkeit dieses Begriffes, immer bleibe schwer einzusehen, wie derselbe, als ein völlig anschauungsloser und unverständlicher, eine Stelle finden könne in der Glaubenslehre einer Religion, welche sich von allen andern durch nichts mehr unterscheidet als durch vollendete Vermenschlichung der Gottheit, indem sie zur Anbetung einen Heiligen aufstellt in der Person eines Gottmenschen. Statt hiebey zu verweilen, sey vergönnt, einige Bemerkungen mitzutheilen über das Lehrstück von der göttlichen Welterhaltung. Wer da glaubt, daß Gott durch ein allmächtiges Werde die Welt erschaffen habe, muß auch glauben, daß Gott durch ein allmächtiges Vergehe die Welt wieder vernichten könne. Welche Bürgschaft giebt es, d a ß Gott von seiner Allmacht diesen Gebrauch nie machen werde? keine andere, als den Glauben, daß seine Weisheit und Güte nicht weniger grenzenlos sey als seine Kraft, daß eben die unendliche Liebe, welche der Welt den Ursprung gab, ihr ewige Dauer sichere. „Das durch mich Gewordene ist unauflöslich, und zwar, weil ich es so will. Alles Verbundene ist trennbar. Schön Zusammengefügtes aber, und wohl sich Verhaltendes auflösen zu wollen, könnte nur, wer böse ist. Deßwegen seyd ihr, als Gewordene, zwar nicht unsterblich und nicht schlechthin unvergänglich. Dennoch sollet ihr nicht aufgelöset werden, und den T o d nimmer schmecken, und zwar kraft meines Willens, in welchem euch ein stärkeres und mächtigeres Band zusammenhält, als deren eines, welche, da ihr entstandet, euer Wesen knüpften." [99] Diese Worte welche Piaton (im Timäus) den Weltordner zu den versammelten Himmelsgöttern in einer feyerlichen Anrede sprechen läßt, enthalten vielleicht das Erhabenste, wohin sich in der vorchristlichen Zeit eine menschliche Seele erhoben hat, da sie die Idee

Delbrück:

Christentum

3. Teil

519

der Abhängigkeit alles Endlichen von einer sittlichen Urkraft auf eine Höhe treiben, über welche nur die christliche Gemeine hinausgeht, wenn sie singt: Was unser Gott geschaffen hat, Das will er auch erhalten, Darüber will er früh und spat Mit seiner Gnade walten. Das Lehrstück von der Weltschöpfung kann nur schrecken, wenn es nicht verbunden wird mit dem Lehrstücke von der Welterhaltung; und dieses verliert allen Sinn, wenn es getrennt wird von jenem. Mit Recht bringen daher unsere Theologen beyde in den innigsten Zusammenhang, da eines mit dem andern steht und fällt. Anders urtheilt der Verfasser, nämlich so, daß er dem ersten anfangs (§.43.) einen geringem dogmatischen Werth zugesteht, hierauf allen dogmatischen Werth abspricht, endlich es als unhaltbar verwirft, das andere aber zur Nährung des frommen Abhängigkeitsgefühls für wesentlich erklärt, da es aussage, daß alles was unser Selbstbewußtseyn bewegt, als solches durch Gott bestehe. (§. 59.) Wie? sind die beyden Redensarten: Gott erhält die Welt - und: die Welt besteht durch Gott - einerley? Schließet nicht jene den Begriff sorgender Liebe ein, der dieser abgeht, ja nach der Auslegung im Sinne des Verfassers abgehen muß, da ja wohl am Tage liegt, daß eine Welt, welche, um zu entstehen, göttlicher [100] Willensthätigkeit nicht bedurfte, derselben noch viel weniger bedürfen wird, um zu bestehen. Im Sinne des Verfassers müßte obige Liederstrophe umgebildet werden, wie folget: Auch, was Gott nicht geschaffen hat, Das muß er doch erhalten, Darüber muß er früh und spat Mit seiner Obmacht walten. Da mir nicht entgeht, zu wie inniger Andacht auch die auf solche Tonart gestimmten Hymnen Seelen von gewisser Empfindungsweise begeistern können: so will ich nicht fragen: welche jener beyden Strophen ist die erbaulichste an sich? Darauf werden die Antworten verschieden ausfallen; sondern ich will nur fragen: Welche von beyden ist allein erbaulich im Sinne des Christenthums? Hierauf ist nur Eine Antwort möglich. 5) [..-][105][...] Von einem Gotte aber, den der Verfasser verkündigt, als ein Wesen, welches nicht darf unter den Gegensatz der Freyheit und Nothwendigkeit gestellt werden, da es wirkt, weder, weil es will, noch weil es muß; da es von der Welt untrennbar und mit ihr unmischbar ist; als ein Wesen, welches, selber unräumlich, alles Räumliche durchdringt, selber zeitlos, alles Zeitliche beseelt; als ein Wesen, dessen die endlichen Dinge nicht bedurften, um zu entstehen; wohl

520

Anhang

aber, um zu bestehen; als ein Wesen, dem weder Einheit, noch Vielheit, noch Allheit, noch Reinheit zukömmt, von einem solchen Gotte muß man sagen: Er wohnet in einem undurchdringlichen Dunkel, vor welchem jeder endliche Geist zurückschaudert. [106] Wird denn aber jenes Dunkel nicht vielleicht aufgeheilet durch das, was der Verfasser meldet von göttlicher Heiligkeit, Gerechtigkeit und Gnade? Diese Eigenschaften, sagt er, beziehen sich auf die Erlösung. Es kann daher auch unter uns hievon an dieser Stelle nicht die Rede seyn, sondern erst im folgenden Abschnitte. [107]

Anmerkungen zum vierten

Abschnitte.

1) S.88. Z. 19. Die für den gemeinen Verstand faßlichste. In der That ist mir im Leben mehr als ein ganz unwissenschaftlicher Alleinheitbekenner vorgekommen, welcher sich ohne fremde Einwirkung und Beyhülfe seinen Lehrbegriff selber gebildet hatte, und desto fester hielt, je beschränkter sein Kopf war, je leerer sein Herz, je steifer sein Sinn. Wenn heut zu Tage die Alleinheitslehre in dem Rufe ausgezeichneter Tiefsinnigkeit steht, und darum nicht selten eine so vornehme Miene macht: so liegt das wohl nur in der Behandlung, die sie von Seiten mancher erfährt, welche, um sie geltend zu machen, nöthig finden, sie zu verschleiern, aus Besorgniß, durch Darstellung derselben in unverhüllter Nacktheit, Schaam und Zucht allzusehr zu verletzen. 2) S.89. Z.5. [...] [109][...] 3) S.94. Z.21. Die von dem Verfasser I. S.204 angeführten Worte des heiligen Augustinus, aus denen hervorgehen soll, derselbe stelle sich nur schwach gegen die Ewigkeit der Welt, beweisen meines Erachtens nichts weiter, als daß er, gleich jedem tiefen und scharfen Denker, den zeitlichen Ursprung der Welt durch Schöpfung aus Nichts unbegreiflich fand. Für wie nothwendig aber derselbe Kirchenlehrer es ansahe, eben diese Satzung als eine der wesentlichsten Grundlehren des Glaubens aufrecht zu erhalten, dieses ergiebt sich unwidersprechlich aus seiner Erläuterung der apostolischen Glaubensregel, in deren zweytem Abschnitte es heißt: „Quapropter rectissime credimus omnia Deum fecisse de nihilo; quia, etiam si de aliqua materia factus est mundus, eadem ipsa materia de nihilo facta est, ut ordinatissimo Dei munere primo capacitas formarum fieret, ac deinde formarentur, quaecunque [110] formata sunt. Hoc autem diximus, ne quis existimet, contrarias sibi esse divinarum scripturarum sententias; quoniam et omnia Deum fecisse de nihilo scriptum est, et mundum esse factum de informi materia." I. S. 149, wo die Rede ist von dogmatischer Beweisführung aus der Bi-

Delbrück: Christentum 3. Teil

521

bei erklärt sich der Verfasser gewiß mit großem Rechte gegen die Anziehung einzelner Schriftstellen als gegen etwas sehr Mißliches, empfiehlt dabey einen immer mehr in das Große gehenden Schriftgebrauch, welcher nicht auf einzelne aus dem Zusammenhange gerissene Stellen, sondern auf ganze Abschnitte Bezug nimmt. Wie kömmt es, daß er in Behandlung der Kirchenlehrer diesem einzig haltbaren Grundsatze gesunder Auslegung ungetreu wird? 4) S.97. 2.28. Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich, mit welchem Rechte und in welchem Sinne der Verfasser sagen könne, seine Gotteslehre sey nicht spinozisch. 5) S. 100. Z. 16. Ich dachte bey'm Niederschreiben dieser Zeilen an Lichtenberg's vortrefflichen Aufsatz, Amintor's Morgenandacht (Verm. Sehr. V. 1) in welchem sich höchst gemüthlich eine eben so zarte als kräftige Frömmigkeit ausspricht, die keine andere Quelle hat, als eine von sinniger Betrachtung und wissenschaftlicher Erforschung der Natur ausgehende Anerkennung unverbrüchlicher Ordnung der Dinge, welche, wie der göttliche Geist im Ganzen, so der menschliche theilweise mit Bewußtseyn durchdringt, desto glückseliger, je umfassender und inniger dieses Bewußtseyn ist. Ich werde bey Wiederholung jenes Aufsatzes in diesem Augenblicke von neuem so ergriffen, daß ich nicht scheue, zu sagen, unter den Neuern habe Niemand die spinozische Allein-[l 1 ljheitslehre erbaulicher vorgetragen, als auf den wenigen Blättern, Lichtenberg, derselbe, welcher einst weissagte: „Unsere Welt wird noch so fein werden, daß es so lächerlich seyn wird, einen Gott zu glauben, als heut zu Tage Gespenster". (I. 166). Laut der Vorrede, führte Lichtenberg im Betriebe seines wissenschaftlichen Gedankenverkehrs dreyerley Bücher, ein Sudelbuch, ein Fachbuch, ein Hauptbuch. Die Morgenandacht ist aus dem Hauptbuche vom Jahre 1790 dem neun und vierzigsten Lebensjahre des Buchhalters, dem neunten vor des seligen Mannes Tode; die Weissagung ist aus dem Sudelbuche ohne Zeitangabe, so daß Jacobi sich darüber vielleicht mehr als billig ist ereifert hat. [112]

Fünfter Abschnitt. Sünde und Gnade.

Die auf dieses Lehrstück bezüglichen Abschnitte gehören zu den schwierigsten des ganzen Werkes. Hievon liegt zum Theil die Ursache darin, daß der Verf. nicht selten an gangbare Ausdrücke andere Begriffe knüpft, als welche dieselben nach dem Sprachgebrauche der Kirche oder des gemeinen Lebens bezeichnen, woraus gar leicht Mißverständnisse entspringen. So wird, z.B. unter den Worten: ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen fast jeder Leser sich die dem ersten

522

Anhang

Menschenpaare anerschaffene Unschuld und Gottseligkeit denken. Der Verfasser aber versteht darunter den Inbegriff der in jedem Menschen vorhandenen Naturanlagen. §. 108. wird einer Voraussetzung erwähnt, welcher zu Folge die Sünde nach Ablauf einer unendlichen Zeit verschwinden werde. Wie kann eine unendliche Zeit je ablaufen; eine je ablaufende unendlich seyn? Anzunehmen, der Verf. habe etwas Widersprechendes sagen können, hieße der ihm gebührenden Verehrung zu nahe treten. Wie leicht kömmt daher in diesem Falle und in ähnlichen der bescheidene Leser auf die Vermuthung, daß die anscheinende Sinnwidrigkeit etwas außerordentlich Tiefsinniges in sich schließe. Nicht selten wirket auch störend die Vieldeutigkeit so gehaltvoller Worte, wie das Wort Freyheit, womit I. §.63. S. 260. b e - [ l 13]zeichnet wird der höchste Grad der Lebendigkeit, woran, freylich in unendlichen Abstufungen, alles ohne Ausnahme, was sich in Thieren, Pflanzen, Steinen regt, seinen beschiedenen Antheil hat; T h . I I . bald das Schwankende und Wählende in dem Werden unserer Zustände (S. 121) bald die Persönlichkeit (S. 123); bald die bestehende Ordnung, vermöge deren kein äußeres Verhältniß Macht hat über das innere Grundverhältniß des menschlichen Wesens. (S. 141 u. 142) In diesem Falle befindet sich aber auch jedes nichtmenschliche Wesen, da keine endliche Kraft eine andere zerstören kann. Will man sich nun aus diesen verschiedenen Erklärungen und Andeutungen ein Ganzes zusammensetzen: so zerfließt der Freyheitsbegriff in ein gaukelndes Nebelbild. Wenn der Weltgeist, welchen der Verf. zur Anbetung aufstellt, wie wir in dem vorigen Abschnitte gesehen haben, ein willenloses Wesen ist, ein nach Gesetzen wirkendes, welche nicht von ihm aufgestellt worden, sondern aus seiner Wesenheit nothwendig fließen: so kann, sollte man meinen, von Zweck und Absicht in der Schöpfung gar nicht die Rede seyn. Gleichwohl macht der Verf. häufig Gebrauch von dem, was er nennt teleologische (zweckliche) Ansicht, Betrachtungsart, Religionsform, welcher zu Folge (nach I. S. 72) den frommen Gemüthszuständen das vorherrschende Bewußtseyn sittlicher Zwecke zum Grunde liegt. Bezieht sich, wie es das Ansehn gewinnt, dieses Bewußtseyn auf Förderung und Hemmung des höhern Lebens: so entsteht die Frage, ob jene wie diese als des Menschen eigenes Werk anzusehen sey. Auf diese Frage antwortet der Verf. durch ein Sofern; indem er §. 79 sagt „Sofern das uns wesentlich inwohnende Bewußtseyn Got-[114]tes in jedem wirklich fromm erfüllten Augenblicke mit unserm Selbstbewußtseyn vereinigt, entweder in einem Gefühl der Lust oder in einem Gefühl der Unlust vorkömmt, sofern bringt der Karakter der teleologischen Ansicht mit sich, daß sowohl das Gehemmtseyn des höhern Lebens, als auch das Gefördertseyn desselben, wie eines oder das andere in jedem Augenblicke hervorragt, als die T h a t des Einzelnen gesetzt wird".

Delbrück:

Christentum

3. Teil

523

Man sieht: Das bedingende Sofern wird seiner Seits bedingt durch den Karakter der teleologischen Ansicht; eine andere Beschränkung erfährt es in der erläuternden Anmerkung 2. S.5, wo es heißt: „Indem nun aber die Hemmungen sowohl als die zunehmende Leichtigkeit in der Erscheinung des religiösen Bewußtseyns beyde als That des einzelnen Menschen angesehen werden: so können sie es nicht beyde auf gleiche Weise seyn, weil sonst Entgegengesetztes aus demselben Grunde müßte erklärt werden (warum nicht aus verschiedener Anwendung einer und derselben Kraft?) und also aufhören, in Beziehung auf ihn entgegengesetzt zu seyn. Also, sofern die Hemmung That des Einzelnen ist, muß die Förderung etwas ihm von außen Zukommendes seyn, und kann nur in einem andern Sinne (in welchem?) als seine That angesehen werden. Wie sich dieses aber gegen einander verhalte, darüber ist in dem Karakter der teleologischen Ansicht an und für sich nichts entschieden". Das will sagen: Es giebt eine teleologische Ansicht, welcher zu Folge die Hemmung des höheren Lebens als freywillig erscheint, die Förderung als unfreywillig; es giebt eine andere, welcher zu Folge das Gegentheil Statt findet. Wie reimt sich dieses aber mit dem, was in dem Hauptsatze geschrieben steht, die teleologische [115] Ansicht verlange, das eine sowohl als auch das andere als That des Einzelnen zu setzen? Woher kömmt es, daß jenes Sowohlalsauch sich plötzlich verwandelt in ein Entwederoder? daher vermuthlich, daß es mit dieser teleologischen Ansicht dieselbe Bewandniß hat, wie mit jeder andern Ansicht, die ihrer Natur nach etwas sehr Wankelmüthiges und Wandelbares ist. Solcher vielfach in einander verschränkter soferniger Sofernheiten, bedingender und bedingter Bedingungen, beziehender und bezogener beziehungsweisiger Beziehungen kommen in diesem Abschnitte nur zu viele vor, als daß nicht den gelassensten Leser bisweilen Ungeduld anwandeln, und in unbewachten Augenblicken des Unmuths der Verdacht beschleichen sollte, der verehrte Meister habe manche seiner Behauptungen absichtlich auf Schrauben gestellt, um den Kern seiner Lehre nicht sowohl zu enthülsen als zu verhülsen. Dieses merke ich einzig und allein deßwegen an, um des geneigten Lesers Nachsicht in Anspruch zu nehmen, wenn der folgende Versuch einer richtigen und allgemein faßlichen Darstellung dieses Lehrstücks unseres Verfassers mißlingen, und der darauf gewendeten Mühe nicht entsprechen sollte. Ausgehen will ich bey meiner Erörterung von dem noch im ersten Theile befindlichen 74sten Lehrsatze: „Die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen besteht erstlich in der Belebungsfähigkeit seiner Organisation durch den Geist, oder in der Zusammengehörigkeit von Leib und Seele; zweytens in der

524

Anhang

Erregbarkeit seines Erkenntnißvermögens durch die umgebende Welt oder in der Zusammengehörigkeit der Vernunft und der Natur; drittens in der Beweglichkeit des persönlichen Gefühls [116] durch das Gemeingefühl oder in der Zusammengehörigkeit des Einzelnen und der Gattung; endlich in der Vereinbarkeit jedes Zustandes mit dem Bewußtseyn des höchsten Wesens oder in der Zusammengehörigkeit des niedern und des höhern Selbstbewußtseyns". Dieser Lehrsatz würde im Wesentlichen ungekränkt bleiben, wenn man ihn in die gangbare Sprache also übersetzte: Der Mensch ist ein in der Welt lebendes, aus Seele und Leib bestehendes, sinnlich-vernünftiggeselliges, unendlicher Ausbildung fähiges Wesen. Mit der Vernunft ist ihm die Fähigkeit des Gottesbewußtseyns angeboren. Dieß besteht, wie aus dem vorigen Abschnitte erhellet, in nichts anderm, als in dem Gefühle schlechthiniger Abhängigkeit von dem Weltgeiste, und unzertrennlicher Gliedschaft jener unermeßlichen Verkettung der Wesen, welche mit dem Weltgeiste das All-Eine bilden. In wem sich vom Augenblicke der Geburt an bis zum Augenblicke des Todes das so eben beschriebene Gottesbewußtseyn mit Entfaltung seiner Kräfte und Erweiterung seiner sinnlichen, geistigen, geselligen Bestrebungen stufenweise gleichmäßig entwickelte, ein solcher würde seine Lebensaufgabe vollständig lösen, ein solcher wäre sündenrein. (II. S.25). Sündenreinheit, obwohl an sich jedem möglich, ist doch bisher nur in Einem zur Wirklichkeit gelangt, und zwar nach christlicher Vorstellungsart oder Ansicht in der Person Jesu von Nazareth. Alle übrige Menschen, welche leben, gelebt haben, und leben werden, sind wegen Ermangelung obgedachter gleichmäßiger Entwickelung des Gottesbewußtseyns mehr oder weniger mit Sünde behaftet. Das Wort Sünde kömmt bey dem Verf. in einer dreyfachen Bedeutung vor, da es bald bezeichnet das schmerz-[l 17]liche Gefühl der Nichtvorhandenheit des reinen Gottesbewußtseyns, bald diese Nichtvorhandenheit selbst, bald das Böse überhaupt. Jenes Gefühl äußert sich dreyfach als Warnung vor der That, als Vorwurf bey der That, als Reue nach der That (II. S. 14). Wo von diesen dreyen nichts sich regt, da ist keine Sünde in der zuerst angeführten Bedeutung des Worts. Stellet euch einen Menschen vor im Zustande einer im Wachsen begriffenen leidenschaftlichen Gemüthsbewegung, welche ihn zu einer That hinreißen will. So lange er noch Besinnung genug hat, die Einsprache des allmählich verschwindenden Gottesbewußtseyns zu vernehmen, sündiget er. Von dem Augenblicke an, wo diese durch die Gewalt der Leidenschaft erstickt wird, hört er auf, zu sündigen. Mit eintretender Reue fängt er wieder an, zu sündigen. Offenbar kann das schmerzliche Gefühl der Nichtvorhandenheit des reinen Gottesbewußtseyns nur in dem aufkommen, welcher Erinne-

Delbrück:

Christentum

3. Teil

525

rung oder Ahnung hat des Zustandes einer von dem Gottesbewußtseyn völlig durchdrungenen Seele. Diesen Zustand nennt der Verf. §.81. den Stand der Gnade, welcher ihm zu Folge nach christlich-teleologischer Ansicht bewirkt wird durch Christum, der in dieser Beziehung den Namen Erlöser führt. Auf dieser Begriffsbestimmung beruht die so oft vorkommende und so nachdrücklich eingeschärfte Behauptung, daß Sünde und Gnade in steter Wechselwirkung stehn und Hand in Hand neben einander einherwandeln (§. 83) - So viel von der Sünde, sofern sie eine Schwester der Gnade ist, und eine Tochter der Erlösung. Es folge nun die Erörterung des Wesens der Sünde in der zweyten der oben angeführten Bedeutungen. Wenn [118] wir bedenken, daß für jeden Menschen von dem Augenblicke an, wo er geboren, oder noch besser, wo er empfangen wird, eine beträchtliche Reihe von Tagen verfließt, ehe die Vernunft, wodurch er des Gottesbewußtseyns fähig wird, erwacht; daß in diesem beträchtlichen Zeitraum jeder Mensch ohne sein Zuthun unter der Gewalt der Sinnlichkeit steht, wie auch unter den mannichfaltig störenden Einflüssen derer, welche ihn nah und fern umgeben, imgleichen der Verhältnisse der bürgerlichen und kirchlichen Gesellschaft, welcher er angehört - wenn wir dieses alles erwägen: so entdecken wir von unserer Sündhaftigkeit Ursachen, die außerhalb unserer Persönlichkeit liegen. Der Inbegriff der nicht persönlichen Ursachen unsrer Sündhaftigkeit ist, was bey dem Verf. vorkömmt unter dem Namen Erbsünde (§.90). Weiter ist zu betrachten, daß ein endliches, aus ungleichartigen Bestandteilen zusammengesetztes, Wesen wie der Mensch, zur Entwikkelung seiner Kräfte nur gelangen kann durch Entgegenstrebungen, woraus Hemmung des Gottesbewußtseyns von selbst hervorgeht. Den Inbegriff der unabhängig von der Erbsünde in der menschlichen Natur unmittelbar liegenden Ursachen des Sündigens nennt der Verf. Ursündlichkeit (II. S.68.) womit demnach sich auch das erste Menschenpaar behaftet fand. Was hierin mit der Kirchenlehre von der unsern Stammeltern anerschaffenen Unschuld und der nachherigen Verscherzung derselben etwa Unvereinbares liegen möchte, zu beseitigen, fällt dem Verf. nicht schwer, indem er zeigt, die Meldung der heiligen Sage von dem Sündenfalle sey, als in lauter Widersprüche verwickelnd, einer wissenschaftlichen Behandlung nicht fähig, [119] und verdiene in einer Glaubenslehre nur warnende Berücksichtigung, daß man nicht wähne, als sey durch den Sündenfall in der menschlichen Natur überhaupt eine Veränderung vorgegangen (§.94). Dem zu Folge thut man am besten sich die Erbsünde vorzustellen als Gesammtthat und Gesammtschuld des menschlichen Geschlechtes, an welcher jeder Einzelne dergestalt seinen Antheil hat, daß durch dieselbe für keinen das Sündigen in ein-

526

Anhang

zelnen Fällen als nothwendig erscheint; aber f ü r jedweden im Allgemeinen als unvermeidlich (§.92. u. S.28). So viel von der Erbsünde. Aus dieser geht in allen Menschen immer die wirkliche Sünde hervor, sagt der Verf. §.95. Dieser Satz ließe sich vielleicht noch treffender so ausdrücken: Die Gesammtschuld des menschlichen Geschlechts ist die stets wirksame Ursache der persönlichen Sünde jedes Einzelnen. In Beziehung auf diese Sünde, man nenne sie nun wirkliche oder persönliche, lassen sich die Menschen in zwey Abtheilungen scheiden. Die eine derselben begreift die, in welchen die Pflege des höhern vom Gottesbewußtseyn durchdrungenen Lebens der Pflege des niederen zur Gottesvergessenheit hinführenden Lebens vorgeordnet ist, oder, um in der Kirchensprache zu reden, in denen der Geist waltet über das Fleisch; die andere begreift die, bey welchen das Gegentheil Statt findet. Die ersten nennt der Verfasser Wiedergeborne; die andern Nichtwiedergeborne. Jene sündigen und diese sündigen; aber mit dem großen Unterschiede, daß der Wiedergeborne von jedem Sündenfalle stärker aufsteht als er vorher war, durch jeden Fehltritt sich der Gnade würdiger macht, durch jede Verschuldung sich seiner Erlösungsfähigkeit und Erlö-[120]sungsbedürftigkeit inniger bewußt wird; daß dagegen bey dem Nichtwiedergebornen von dem Allen das Gegentheil angetroffen wird. Die beseligenden Wirkungen der Sünden des Wiedergebornen, und die verderblichen der Sünden des Nichtwiedergebornen, sind aber so weit entfernt, sich auf die Sündigenden zu beschränken, daß sie vielmehr sich auf die Gesammtheit des Menschengeschlechts nach allen Seiten in das Unermeßliche verbreiten. Sofern läßt sich sagen, daß die Sünden des Wiedergebornen vergeben, des Nichtwiedergebornen behalten werden. Dieser Unterschied zwischen vergebenen und behaltenen Sünden ist der einzige wesentliche und probehaltige, wogegen alle andere, die man macht zwischen äußeren und inneren, vorsätzlichen und unvorsätzlichen, erlaßlichen und unerlaßlichen, sich in einander verlaufen, nur auf ein M e h r oder Weniger zurückgehn, ohne irgend einen bestimmten Gegensatz zu bilden. Vorstehendes ist das Ergebniß, welches ich aus §. 96 gezogen habe, dessen Hauptsatz so lautet: Es ist in Bezug auf die Sünde kein wesentlicher Unterschied unter den Menschen als das Verhältniß, in welchem die Sünde in ihnen zur Erlösung steht. Die hier einem aufmerksamen Leser sich darbietende Frage, ob nach den gegebenen Begriffsbestimmungen Wiedergeburt und Sündenvergebung auch außerhalb der Christenheit Statt finden könne, ist im Sinne des Verfassers unstreitig zu bejahen, mir demnach wohl vergönnet, unter den nichtchristlichen Wiedergebornen in dem philosophi-

Delbrück:

Christentum

3. Teil

527

sehen Kaiser Antonin Einen zu nennen, welcher unter den Begnadigten der Heidenschaft nicht weniger hervorragt, als ζ. B. Thomas von Kempen unter den christlichen. Was haben diese Begnadigten mit einander ge-[121]mein, und worin unterscheiden sie sich? Gemein haben beyde, 5 daß der Geist in ihnen waltete über das Fleisch, daß sie gleichwohl häufig sündigten, daß aber jede Sünde auf der Stelle ihnen vergeben wurde durch Herstellung des ununterbrochenen Gottesbewußtseyns, durch Wiederbelebung der Andacht. Unterschieden sind sie in so fern, als der Weltgeist in Antonin's Seele die Erlösung dadurch zu Stande brachte, 10 daß er ihm zur Anbetung als das Heiligste die beseelten Sterne hinstellte, wegen der strengen Gesetzlichkeit, womit sie Tag und Nacht ihr Werk vollbringen; in Thomas Seele aber durch Christum, in welchem die Menschenschöpfung vollendet worden. So viel fähiger nun, (wenigstens nach christlicher Vorstellungsweise) inniges Gottesbewußtseyn 15 hervorzubringen, die Anbetung des Heilandes seyn muß, als die Verehrung der Sterne, so viel höher steht Thomas Frömmigkeit als Antonin's, vorausgesetzt, daß diese in beyden sich zur höchsten der einem jeden erreichbaren Stufe erhoben hatte. Dieser Unterschied betrifft das Mehr oder Weniger; ein anderer 20 zeigt sich darin, daß allerdings schon vor dem Antonin Pythagoras, Piaton und andere in Betrachtung der Sterne Erbauung gesucht und gefunden hatten, ohne aber in dieser Beziehung eine dauernde Gemeinschaft zu stiften. Hievon war eine Folge, daß Antonin sich in seinem Gnadenstande vereinsamt fühlte, wogegen Thomas von Kempen sich 25 seines Gnadenstandes erfreute als Genösse der unter Christi Waltung stehenden Kirche. So würde meines Erachtens die aufgeworfene Frage im Sinne des Verf. zu beantworten seyn. Hier nun eröffnet sich ein weites Feld von Betrachtungen, auf wel-[122]ches ich aber nicht eingehe, in Hoffnung, 30 weiter unten zu diesem Gegenstande zurückzukehren. [...] [134][...] Wohin ich also meinen Blick wende, ob in mich, oder um mich, oder über mich, oder unter mich: was sehe ich? Gott; überall Gott; und Gott allein, Ihn, den eine menschliche Sprache so kann reden lassen: Welt ich bin Du. Welt! du bist Ich. Alles, was mein ist, das ist 35 dein; alles was dein ist, das ist mein. Ich in dir, du in mir, sind wir beyde von Ewigkeit zu Ewigkeit mit einander verkettet durch das unauflösliche Band äherner Nothwendigkeit. Mein Leser! Vergönne mir, an dieser Stelle einige Augenblicke auszuruhen, um dir ein Bekenntniß abzulegen, wie mir zu Muthe ward, 40 als ich, bis hieher gelangt, den Lauf meiner Gedanken hemmte, und mich in Betrachtungen verlor über die unvergleichliche Bündigkeit dieser Lehre, welche sie unwiderleglich, über ihr hohes Alter, welches sie so ehrwürdig, über ihre erhabene Einfalt, welche sie allgemein faßlich

528

Anhang

macht; als ich demnächst bedachte, zu welcher Stufe der Weisheit und Tugend eben diese Lehre erwählete Seelen der Vorwelt gehoben, unter denen vielleicht keine heller leuchtet, als die Seele Antonin's, die erwählte der erwähleten. Wer sollte es glauben? Die alte Zärtlichkeit, die ich längst erstorben wähnte, erwachte wieder. Die Gottwelt, die Geliebte meiner Jugend, meine angebetete Pandora, sie erschien mir in dem Vollglanze ihrer unsäglichen Schönheit, daß ich über meine Abtrünnigkeit voll Schaam und Reue, von einer fast unwiderstehlichen Gewalt getrieben, nahe daran war, kniegebeugt von [135] neuem mein Leben ihrem Dienste zu weihen. Und wer weiß, was geschah, wenn nicht plötzlich, wie vom Himmel herab, eine Stimme fiel: Der H e r r dein Gott bin Ich; Ich, der allein Ewige, Ich, der Heilige; Ich, der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Ich werfe mich in Demuth nieder, Heiliger! vor dir, und flehe: Führe mich nicht wieder in diese Versuchung! W o aber könnte ich der Erhörung dieser Bitte mich zuversichtlicher getrösten als in dem Schöße der Kirche, der alten, treuen, apostolischen Kirche, der stets bereiten, mit offenen Armen zu empfangen die, welche, von Zweifeln gequält, zu ihr fliehen, um sich von den T ä u schungen eiteler Schulsatzung zu entwirren. Sie sagt mir aber heute nichts anderes, als was sie mir von Kindheit auf gesagt hat; was sie jedem sagt, der über den Anfang aller Weisheit nicht weiser seyn will, als sich ziemt, sondern klüglich weise. Vergönne sie mir, den Inhalt ihrer beseligenden Lehren in folgenden einfachen Worten bescheidentlich auszusprechen: 1) Gott ist heilig, er will, daß nicht minder als im Reiche der N a tur, im Reiche der Freyheit unverbrüchliche O r d n u n g herrsche durch Befolgung der Gesetze, welchen er die mit Vernunft und Willenskraft begabten Wesen dergestalt unterworfen hat, daß sie denselben gehorchen sollen, aber nicht müssen. 2) Solcher Wesen eines ist der Mensch, mit Gott, mit allen denkenden und wollenden Geschöpfen innigst verknüpft durch das Gewissen, welches anzeigt, was den göttlichen Geboten gemäß sey und zuwider. [136] Der Mensch gieng aus den H ä n d e n des Schöpfers hervor, mit so innigem Gottesbewußtseyn erfüllt, daß er tüchtig war, seine Willensfreyheit zur Uebertretung der göttlichen Gebote nie zu mißbrauchen. 4) Jene Tüchtigkeit ist verloren gegangen durch den Sündenfall, an welchem Gott nur in so fern Antheil hat, als er die Möglichkeit desselben ordnete.

Delbrück: Christentum 3. Teil

529

5) Der Sündenfall hat zwar den Menschen der Tüchtigkeit beraubt, sich vermöge der Willensfreyheit sündenrein zu bewahren, aber nicht der Tüchtigkeit, vermöge der Willensfreyheit nach Sündenreinheit zu streben. 6) Herrschendes Streben nach Sündenreinheit ist es, was die Bekehrten unterscheidet von den Unbekehrten. 7) Obwohl jeder von uns bey der Aufnahme in die Kirche mächtige Antriebe empfängt zur Bekehrung: so sind diese doch nicht unwiderstehlich, woraus folgt, daß Bekehrung und Nichtbekehrung eines jeden als Werk seines freyen Einflußes anzusehen ist. 8) Der Erfolg des Strebens nach Sündenreinheit besteht in fortschreitender Gottseligkeit, mit welcher es sich anders verhält als mit der Bekehrung: denn wie diese einzig und allein Werk unseres freyen Entschlusses, so ist jene zum Theil Werk der göttlichen Gnade. 9) Unter den Bekehrten giebt es keinen, welchem nicht die göttliche Gnade in dem Maße zu Theil wird, als sein Streben rein und beharrlich ist; aber es giebt deren, in welchen die göttliche Gnade das Streben selbst hervorlockt, unterstützt, fördert, kräftigt. Das sind die Erwählten, jene die Nichterwählten. 10) Da wegen angeerbter Untüchtigkeit selbst unter den Erwählten keiner ist, welcher sich der göttlichen [137] Gnade in dem Maße würdig machen könnte, um zu völliger Sündenreinheit zu gelangen; und da auf der andern Seite auch die Nichterwählten sich der Sündenreinheit bis zu einer gewissen Stufe nähern können: so besteht der Unterschied zwischen der Gottseligkeit der Erwählten und der Nichterwählten nicht in einem Gegensatze, sondern in einem Mehr und Weniger. 11) Was die Unbekehrten betrifft: so giebt es unter diesen keinen, der nicht, wie weit er auch durch NichtStreben nach Sündenreinheit von Gott abgewendet seyn möge, in jedem Augenblicke seines Lebens es in seiner Gewalt habe, kraft eines freyen Entschlusses sich ihm wieder zuzuwenden, und der nicht nach erfolgter Bekehrung des Beystandes der göttlichen Gnade zu fortschreitender Seligkeit sich getrösten dürfte. 12) An dem Bösen, welches nebst dem daran haftenden Uebel aus dem Mißbrauche der Willensfreyheit entspringt, hat Gott keinen Antheil, außer, sofern er die Möglichkeit desselben ordnete. Man darf daher nicht sagen, daß das Böse durch Gott geschehe, wohl aber, daß es nicht ohne Ihn geschehe. 13) Eben so wenig darf man sagen, daß, wer Böses thue, der von Gott gegründeten Weltordnung entgegenwirke, sondern nur, daß er ihr entgegenstrebe, weil sie so eingerichtet ist, daß, welchen Gebrauch die

530

Anhang

freyen Wesen von ihrer Freyheit machen mögen, sie unerschütterlich besteht. (3) 14) Wie die sittliche Weltordnung gestiftet worden durch die göttliche Heiligkeit, so wird sie erhalten durch die göttliche Gerechtigkeit. 15) Die göttliche Gerechtigkeit fodert, daß jede Schuld durch ein angemessenes Leiden gebüßet werde. [138] 16) Durch die seit dem Sündenfall allgemein verbreitete Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts, mit der auch die Erwählten behaftet sind, wird eine unendliche Schuld aufgehäuft, welche, damit der göttlichen Gerechtigkeit genügt werde, gebüßt werden muß durch ein unendliches Leiden. 17) Die Abbüßung der unendlichen Schuld, womit das Menschengeschlecht beladen ist, durch ein unendliches Leiden, ist erfolgt in dem Augenblicke, als der Erlöser ausrief: Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen? 18) Der Glaube an die Erlösung schließet in sich den Glauben an die Vergebung der Sünden, welche nach erfolgter Bekehrung eben so nothwendig ist, als sie ohne Bekehrung unmöglich ist. 19) Der Glaube an den Gottmenschen schließt in sich den Glauben an persönliche Dauer nach dem Tode in einem beseligend fortschreitenden ewigen Leben. 20) Der Glaube an den Gottmenschen schließet in sich den Glauben an den von ihm verheißenen heiligen Geist, und die stete Wirksamkeit desselben zur Erbauung der Bekehrten, welche in dem Maße als sie jener Einwirkung Raum bey sich geben, mit sich selber und unter einander einiger werden, und eine Gemeinschaft bilden, die Gott wohlgefällig ist. - Heiligkeit Gottes. - Menschliche Willensfreyheit. - Allgemeine Untüchtigkeit, zur Sündenreinheit zu gelangen. - Allgemeine Tüchtigkeit, nach Sündenreinheit zu streben, und unter dem Beystande der göttlichen Gnade zu fortschreitender Gottseligkeit zu gelangen. - Erlösung von dem Verderben des Sündenfalls durch Christi Leiden und Sterben. - Allgemeinheit [139] der Sündenvergebung nach erfolgter Bekehrung. - Persönliche Fortdauer in einem beseligend fortschreitenden ewigen Leben — Diese sieben Puncte bilden die siebenlampige Leuchte, welche Christi Licht trägt, um sie wendet sich die Predigt wodurch die Kirche, in der ganzen Welt den Pfad des Heiles nachweiset. Wer diesen Pfad nicht wandelt, den kann sie nicht für der Ihrigen einen erkennen. Da er sich aber innerhalb jener Schranken vielfach windet: so geschieht, daß die Predigt der Kirche zwar Allen dasselbe sagt, daneben aber jedwedem etwas Besonderes. Es gestalten sich demnach ihre Lehren in jedem Hörer eigenthümlich, und lassen unendlich viele Ausprägungen zu, wel-

Delbrück:

Christentum

3. Teil

531

che, bey der vollkommensten Uebereinstimmung in den Hauptzügen, von einander abweichen in Nebenzügen. Die hieraus erwachsende Fülle und Mannichfaltigkeit in Auffassung und Ausbildung der unveränderlichen Grundlehren, ist die Kirche so weit entfernt, ungern zu sehen, daß sie vielmehr derselben sich freuet, in der Ueberzeugung, es gebe zwischen den Gläubigen keine wahre Eintracht als die, welche aus der Freyheit entspringt. Jene Grundlehren sind übrigens so innig mit einander verknüpft, daß man nur die Wahl hat, sie sammt und sonders anzunehmen, oder sammt und sonders zu verwerfen. (4) Als Mittelpunct derselben erscheint die, welche das Verhältniß betrifft, worin bey dem Werke der Heiligung die menschliche Selbstthätigkeit zur göttlichen Gnade steht. Von großer Wichtigkeit ist daher, die beyden einander entgegenstehenden Mißverständnisse zu meiden, denen gerade diese Lehre von jeher am meisten ausgesetzt [140] gewesen. Das eine derselben entsteht, wenn man im Werke der Heiligung jene Selbstthätigkeit zu gering anschlägt, als daß damit die Satzung von der Willensfreyheit, oder zu hoch, als daß damit die Satzung von der Größe der allgemeinen Sündhaftigkeit bestehen könnte. Da das erste zur Ursache hat Verkennung der ursprünglichen Würde der menschlichen Natur, und zur Wirkung Trägheit im Guten oder Verzagtheit an sich selber; da das andere zur Ursache hat Verkennung der angeerbten Verderbniß der menschlichen Natur, und zur Wirkung, Uebermuth und Eigendünkel: so ist schwer zu sagen, welches von beyden für die Fortschritte in der Gottseligkeit hemmender wirke. Von jeher sind demnach die großen Kirchenlehrer beflissen gewesen, das eine wie das andere, zu bekämpfen, jedoch die meisten mit überwiegender Richtung ihrer Kraft nach der einen oder andern Seite hin. An der Spitze derer, welche vorzugsweise das bestreiten, welches die Satzung von der Willensfreyheit gefährdet, steht der heilige Chrysostomus; an der Spitze derer, welche vorzugsweise das andere bestreiten, welches die Satzung von der Größe und Allgemeinheit der Sündhaftigkeit gefährdet, steht der heilige Augustinus von seinem sechzigsten Lebensjahre an. [...] [149][...] Um nun von dieser Abschweifung zurückzukehren auf jene oben hervorgehobenen sieben Hauptpuncte der alten Heilsordnung: so wage ich, mit Zuversicht zu behaupten, daß eine Lehre, welche zwischen dem Guten und Bösen keinen andern Gegensatz, als welcher seinen Grund hat in der verschiedenen Auffassung der göttlichen Wirksamkeit bey dem einen wie bey dem andern, anerkennend, Gott gleichermaßen zum Urheber von jenem wie von diesem macht; eine Lehre, welche das Bewußtseyn der Willensfreyheit in ein täuschendes Gefühl

532

Anhang

der Selbstthätigkeit auflösend, der Gottheit eine von diesem täuschenden Gefühle unabhängige Heiligkeit abspricht, mit den Grundlehren des apostolischen Christenthums unvereinbar sey; wie auch, daß sie nicht sich schützen könne mit dem Ansehn des heiligen Augustinus, oder des Apostels Paulus, deren jeder, kehrte er in das Le-[150]ben zurück, und sähe heutige Alleinheitslehrer herbeyströmen, um sich unter sein Banner zu sammeln, entrüstet ausrufen würde: Weichet von mir! ich habe eures gleichen nie erkannt. (6) [...] [153]

A n m e r k u n g e n zum f ü n f t e n A b s c h n i t t e . [...]

[155][...] 3) S. 137. Z.27. Diesen Lehrsatz suchte einst ein spinozischer Witzling auf Spott zu ziehen, indem er sagte: Nach dieser Vorstellungsart erscheine Gott als Schachspieler, der die Partie gewinnen müsse, der Gegner möge ziehen wie er wolle - worauf ein völlig witzloser und ganz einfältiger Mensch antwortete: Wenn ich nur die Wahl habe, entweder unsern Herrgott mir unter dem Bilde eines Meisters im Schachspiele vorzustellen, oder mich und alle andere Menschen in Drathpuppen zu verwandeln: so entscheide ich mich unbedingt für jenes. [...] [158][...] 6) S. 150 Z.4. In des Verfassers Erkärung über meine Streitschrift (Zugabe zu den Sendschreiben S.213) findet sich folgende Stelle: „Denn hat er (nämlich der Verfasser der Streitschrift) mich wenigstens stark mit gemeint S. 3, wo er von dem drohenden Wiederauftreten der Vorherbestimmungslehre redet: so mußte doch erst aus meinen Aeußerungen dargethan werden, daß ich diese Lehre weniger unter der Schutzherrschaft eines Apostels - und eines der größten Kirchenlehrer hätte er hinzusetzen sollen, wenn nicht etwa Augustin ein Spinozist ante Spinozam war - als unter der eines Philosophen auf die Bahn gebracht habe. Und hat er mich auch S. 78 gemeint: so gilt es, das künstlich Verflochtene zu entwirren und zu zeigen, wie meine vorherbestimmungslehrige Schulweisheit ihre besondere Wurzel in oder an meinem Kopfe habe, und die vor mir anerkannten kirchlichen Satzungen auch wieder ihre besondere. So lange nun dieß beydes nicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gezeigt ist, müßte ich ja Luftstreiche führen, wenn ich mich dagegen erklären wollte, weil mir kein Körper gegenüber steht, sondern ein Schatten". Die hier an mich gestellte Herausforderung ist in einem Tone abgefaßt, der mich abschrecken konnte, sie anzunehmen. Er hat die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht, und meinen Eifer nur verstärkt, darzuthun, daß, wie des Verfassers gesammte Theologie, so namentlich seine Lehre von Willensfreyheit und Vor-[159]herbestim-

Delbrück: Christentum 3. Teil

533

mung mit der alt-apostolischen paulinisch-augustinischen des einhälligen Christenglaubens nicht das Mindeste gemein hat, daß beyde von der Wurzel bis zur Krone ganz ungleichartige Gewächse sind. Ob mein Unternehmen gelungen ist? Der Leser richte! Doch! wie auch der Spruch ausfalle, nie werde ich den gemachten Versuch bereuen, sollte ihm auch widerfahren, was jedem ähnlichen geweissagt worden, daß die gewälzte Last, gleich dem bekannten Stein des Sisyphus, wie der Verf. sich (S.215) ausdrückt, abrutschete, oder gar, setze ich hinzu: Hurtig hinab mit Gepolter entrollte als tückischer Marmor; als tückischer Marmor im homerischen Sinne, nicht in dem, worin vielleicht Uebelwollende das Wort nehmen, welche mich beschuldigen werden, jenen Versuch gegen den Verfasser und seine Anhänger gerichtet zu haben, da er doch einzig der Lehre gilt. [...] [190]

Schluß.

Hiemit, meine ich, die angekündigten Erörterungen enden zu können, da ich den Zweck derselben als erreicht ansehen darf. Dieser war kein anderer, als, öffentlich an mich ergangener Auffoderung gehorchend, darzuthun, was mich bewogen hatte, in der Streitschrift über den Melanchthon anzudeuten, daß vorliegende Glaubenslehre, ihrem innersten Wesen nach, mit den Grundsatzungen des apostolischen Christenthums unvereinbar sey. Gesetzt, mir wäre gelungen, hievon auch Andere zu überzeugen: so würde daraus für diese Andern nicht folgen, daß sie unbiblisch sey, weil es für Beurtheilung dessen, was biblisch und unbiblisch ist, keinen Prüfstein giebt, als die Kunst der Auslegung, deren Regeln schwanken; ja es würde nicht einmal folgen, daß sie unevangelisch sey, wenn man hierunter nur das versteht, dessen Schriftwidrigkeit sich unwiderleglich erweisen läßt, im Gegensatze dessen, was als schriftmäßig irgendwie geltend gemacht werden kann. In diesem Sinne ist sie nicht weniger evangelisch als irgend eine Glaubenslehre, welche, der heiligen Schrift kirchliches Ansehen zugestehend, Anspruch auf den Namen einer christlichen erwirbt. Unter allen bisherigen und künftigen, welche diesen Namen führen, wird die gegenwärtige immerdar einen bedeutenden Rang einnehmen, da Gelehrsamkeit und Redegewalt, zergliedernder Scharfsinn und schöpferischer Witz sich vereinigt haben, sie zu einem in seiner Art einzigen Werke zu machen, auf welches stolz zu seyn, die Schule vielfältige Ursache hat, die Kirche aber, zu zürnen, keine, wegen der demselben vermöge seiner eben so unerbaulichen als strengen Wissenschaftlichkeit reichlich inwohnenden Kraft, zu ihrer Ehre vieler Herzen Gedanken zu offenbaren, als ein Zeichen, dem widersprochen wird.

534

Anhang

Klaiber, Christoph Benjamin Ueber Begriff und Wesen des Supranaturalismus, und die Versuche, ihn mit dem Rationalismus zu vereinigen, mit Rücksicht auf die Schrift: Briefe über Religion und christlichen Offenbarungsglauben, Worte des Friedens an streitende Partheien von D. Η. A. Schott etc. Jena 1826, und auf einige andre neuere Schriften und Ansichten über diesen Gegenstand, in: Studien der evangelischen Geistlichkeit Wirtembergs, Ersten Bandes erstes Heft, Stuttgart 1827, 73-156 (Auszug) [102][...] Eine Lehre, welche alle m i t t e l b a r e n W i r k u n g e n Gottes in der Welt, nach dem oben entwickelten Sinne des Wortes, leugnet, welche alle Erscheinungen für unmittelbare Wirkungen Gottes, oder der göttlichen Kräfte erklärt, kann diese Behauptung consequent nur darauf gründen, daß sie den wahren Unterschied des Endlichen und Unendlichen aufhebt und behauptet, die Welt sey nur das entfaltete göttliche Leben selbst, nur die getheilte und endlich gestaltete Unendlichkeit, so daß der Naturzusammenhang, die Naturcausalität dem wahren Seyn und Wesen nach zusammenfällt mit der göttlichen Allmacht und Allwirksamkeit, und sich nur formell, eben durch die Form des Zeitlichen und Getheilten, von dem Unendlichen, Göttlichen unterscheidet, welches selbst das eigentliche Wesen der Dinge, den inhärirenden oder immanenten Grund ihres Seyns und Lebens ausmacht. 1

1

Diese Ansicht ist von Schleiermacher (namentlich in seinen Reden über Religion und seiner Schrift: der christliche Glaube etc.) ausgeführt. Wir erlauben uns, dieselbe pantheistisch zu nennen, obwohl bekanntlich Schleiermacher diese Benennung ablehnt, und bemerken, da hiebei Alles auf die Begriffsbestimmung ankommt, nur, daß w i r Pantheismus, (welcher sich auch mehr idealistisch gestalten kann), nicht blos das System nennen, welches Gott und Welt auf keine Weise unterscheidet, sondern auch dasjenige, welches zwar Gott und Welt unterscheidet, aber nur im Begriffe und der Form nach, so daß die Welt nicht Gott an [103] sich, sondern die zeitliche Form des sich offenbarenden göttlichen Lebens, Gott aber das immanente Prinzip der Welt, die absolute Thätigkeit und Einheit aller Weltwesen ist. Die mit unserer Frage in Verbindung stehenden Hauptsätze der Schleiermacherschen Ansicht, wie wir sie bisher auffassen zu müssen geglaubt haben, möchten kurz folgende seyn: Schleiermacher verwirft vorerst in der Idee Gottes den Begriff der Persönlichkeit und des damit verbundenen Selbstbewußtseyns, weil das Unendliche dadurch einem Gegensatz unterworfen, zu einem Gegenständlichen, und somit endlich und leidensfähig gemacht werde. Er opponirt aber auch bestimmt gegen eine materialistisch-fatalistische Auffassung des Absoluten, und hält die Vorstellung fest, daß das Göttliche unendliches Leben, absolute Lebendigkeit sey (Reden über Religion S. 37. ff. 160 ff. 176 ff. 198ff. christl. Glaube §.15. u. 64f. man vergl. §.4; 9; 10,3. - 5. u. Zus. 3;

Klaiber: Begriff des

Supranaturalismus

535

[103] Es ist hier nicht der Ort, diese pantheistische Ansicht, die sich selbst verschieden gestalten kann, ausführ-[104]licher zu prüfen; doch möchten folgende Bemerkungen dem Ganzen unserer Untersu-

5

10

15

20

25

30

35

40

45

37. f. u. 40,2.) D a nun dieses unendliche Leben, wie alles Leben, aus dem Zusammenwirken verschiedener, (attractiver und expansiver) Kräfte besteht, da ihm eben darum eine O f f e n b a r u n g und Entwicklung, ein Werden zukommt, so liegt hierin auch der G r u n d der Welt. Weil aber die Thätigkeit des U n endlichen an sich eine einfache, seine Lebendigkeit eine absolute, ewige ist, so begründet sie auch, an sich betrachtet, nur ein völlig einfaches, allgemeines, unzeitliches und unbestimmtes Seyn, sie begründet, was namentlich das menschliche Leben betrifft, noch keine zeitliche Bestimmtheit der Seele mit ihren Veränderungen, kein Ich (Reden S.70.ff, Christi. Glaube §.9-11; 36. f; 66; 78,1; 179,2.). Allein alle Weltwesen, so ferne sie eben das entwickelte und getheilte göttliche Leben sind, haben auch in sich jene zwei, das göttliehe Leben constituirenden Kräfte und Richtungen; sie haben einen Trieb f ü r sich zu seyn, sich als Besonderes hinzustellen, und einen Trieb, im Universum zu seyn, sich im Ganzen aufzulösen (Reden S. 5. ff; 70. ff.; christl. Glaube §.8; 10; 72.) So ergiebt sich nun eine Wechselwirkung des getheilten göttlichen Lebens unter sich, und eben daraus entsteht die zeit-[104]liche und räumliche Begrenztheit und Bestimmtheit der Einzelnwesen, oder die endliche Welt und Natur; es entsteht, was das menschliche Seyn und Geschlecht, in welchem Gott als Geist sich offenbart, und namentlich den einzelnen Menschen, als individualisirte Form der Menschengattung betrift, die zeitliche Bestimmtheit der Seele mit ihren Veränderungen, ein persönliches Ich (Reden S.72f; 124ff; 172ff; 241 ff; christl. Glaube §.9; 36; 41; 73f.). Es ist demnach kein Göttliches ausser der Welt, sondern dasselbe ist, u n d besteht nur, so ferne es sich offenbart in der Welt, soferne es in allen Weltwesen als ihr allgemeiner Lebensgrund und Einheitspunkt mitlebt, vor welchem und in welchem alles Einzelne verschwindet, und auch das Einzelne und Besondere Eins und Alles ist (Reden S. 160. f.) Gott ist die ursprüngliche ewige Einheit und Allheit, das von der zeitlichen Form entkleidete, alles Besondere als Einheit umfassende Universum, oder die einfache Unendlichkeit; die Welt ist das sich in der unendlichen Vielheit der werdenden Einzelnwesen darstellende Göttliche, oder die endlich gestaltete Unendlichkeit, die u n e n d liehe Reihe endlicher Offenbarungen und Entwicklungen des Ewigen (Reden S. 182.f; 160 f.; christl. Glaube §.9. f.; 15; 36 ff.; man vergleiche namentlich seine diese Ansicht erläuternde Lehre von der Welt und den göttlichen Eigenschaften). Somit ist die Welt nun allerdings nicht Gott an sich, sondern der Form und dem Begriffe nach zu unterscheiden von Gott; aber G o t t ist doch rein innenweltlich; er ist das immanente Prinzip, die absolute T h ä t i g keit und Einheit alles Wirklichen, und jenes Einzelne, Bedingte, Beschränkte, Zeitliche und Räumliche der Welt ist wohl das μη όν, d . h . das zwar f ü r das endliche Seyn, und in dem empirischen Bewußtseyn, wo der Gegensatz von Subject und Object besteht, aber nicht an und f ü r sich, nicht f ü r das ewige, absolute Seyn Wirkliche. Das wahrhaft Seyende ist das Ideale, Göttliche, in

536

Anhang

chung nicht fremd seyn. [105] Mit den angeführten Behauptungen jener Ansicht widersprechen wir den unmittelbarsten und unabweisbarsten [106] Thatsachen unsers Bewußtseyns, in welchem Gott und Welt,

5

10

15

20

25

30

35

40

45

allen Wesen Mitgesetzte; diese Welt in ihrer Einzelheit, Zeitlichkeit, Beschränktheit, in ihrem geschichtlichen Ablaufe aber ist die reale und endliche Erscheinungsseite des sich entwickelnden [105] und theilenden Idealen, Göttlichen (Reden S.67; 72ff.; 177; christl. Glaube §.41; 103, 1.2; 105,2.). Wie nun in der ganzen Welt das Göttliche, als ideale Einheit derselben, zu unterscheiden ist von der beschränkten zeitlichen und räumlichen Form der Weltwesen, so haben wir auch in dem Menschen das mitlebende Göttliche, als höchste Einheit seines Wesens, zu unterscheiden von der bestimmten zeitlichen und individuellen Form, welche die Seele annimmt in der Wechselwirkung mit allem Einzelnen und Getheilten; wir haben zu unterscheiden ein höheres und niederes, ein frommes und sinnliches Selbstbewußtseyn. Das sinnliche Selbstbewußtseyn mit dem Gegensatz des Subjectiven und Objectiven bildet sich in der Sphäre des endlichen und zeitlichen Lebens aus, und beruht darauf, daß der Mensch seines Fürsichgesetztseyns sich bewußt ist, und sich in Wechselwirkung stehend erkennt mit Einzelnem, Endlichem. Das höhere oder fromme Selbstbewußtseyn ist b e g r ü n d e t durch das in dem Menschen auf innere Weise mitgesetzte Göttliche, Ideale; es besteht darin, daß wir das ursprüngliche unmittelbare Seyn Gottes in uns haben durch das Gefühl, daß wir uns von dem in uns mitlebenden Göttlichen nothwendig und einfach bestimmt, schlechthin abhängig fühlen; in ihm verschwindet jener Gegensatz des Subjectiven und Objectiven (Reden S. 160 ff; christl. Glaube §.9; 10; 18.). Hieran schließt sich nun von selbst Schi.'s Ansicht von Religion an; diese ist weder Wissen noch Handeln, sondern eine Neigung und Bestimmtheit des Gefühles oder unmittelbaren Selbstbewußtseyns, und zwar das Gefühl des Unendlichen und Ewigen; ihre erste und eigenste Quelle ist das Höchste und Innerste in dem Menschen, die in demselben bestehende Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen, und das Bewußtseyn oder Gefühl dieser Einheit; ihr Wesen besteht darin, daß wir uns unserer selbst als schlechthin abhängig bewußt sind, d . h . daß wir uns von einem schlechthin und ungetheilt Unendlichen, oder von Gott abhängig fühlen (christl. Glaube §.8; 9; 36.). Die Religion ist ein reines Erregt- und Bewegtwerden von dem Unendlichen und [106] Ewigen, sie ist ein Leben in der unendlichen N a t u r des Ganzen, in dem Einen und Allen, in Gott (Reden S.61. 77. 112; christl. Glaube §. 15). Wir erheben uns in derselben über den Gegensatz alles Einzelnen und Endlichen, wie er in unserm sinnlichen Selbstbewußtseyn lebt, und geben uns dem in uns und der Welt lebenden Ewigen hin, so daß nun das allgemeine Seyn alles Endlichen in dem Unendlichen, das heißt, alles Seyn in der Unendlichkeit, entkleidet von seiner endlichen Form, von seiner zeitlichen und räumlichen Getrenntheit in uns lebt, also die Welt nicht mehr als Welt, sondern als absolute ideale Einheit derselben, oder Gott in unserm Bewußtseyn ist. Indem der Mensch, dessen absolute und höchste Seite seines Bewußtseyns eben das Göttliche in ihm ist, in solchen frommen Augenblik-

Klaiber: Begriff des

Supranaturalismus

537

so innig die Berührung und Durchdringung [107] der Welt durch Gott, als ihren Schöpfergrund ist, doch als zwei wesentlich verschiedene Arten des Seyns aus-[108]einander gehalten, und nicht blos in Gedanken

5

10

15

20

25

30

35

40

45

ken dem All der Dinge sich hingiebt, und dieselben als Einheit in sein Bewußtseyn aufnimmt, so daß dieses Bewußtseyn die Gesammtheit alles Endlichen repräsentirt, verschwindet aller Gegensatz des Endlichen; das menschliche Bewußtseyn dehnt sich zum Bewußtseyn des Alls aus; N a t u r und Vernunft lösen sich in eine höhere Einheit auf; der Mensch ist in diesen Augenblicken eins mit dem Unendlichen, er wird zur Seele, zum Centrum des Universums; es wird die endlich gestaltete Unendlichkeit der Welt in ihm wieder zur ungetheilten, unendlichen Einheit (Reden S.67. 72. ff. 100. 160.; christl. Glaube §.8; 10; 36; 41. f; 60). Wir erkennen hierin die idealistische Richtung des Schleiermacher'schen Systems; - daher auch seine vorherrschend subjective Ansicht von Gott; dieser ist nichts Objectives, sondern ist auf unmittelbare Weise in und mit dem Selbstbewußtseyn gesetzt, und in demselben mitlebend; die Einheit unsers Wesens, das Absolute, Ideale in unserm Selbstbewußtseyn ist das Göttliche in uns; die Idee Gottes in dem M e n schen ist eins mit dem Wesen Gottes. - Doch sind jene Augenblicke, in welchen das menschliche Bewußtseyn zum Bewußtseyn des Alls sich ausdehnt, und die Welt nicht mehr als Welt in ihrer Getrenntheit, sondern als absolute ideale Einheit in ihm lebt, (oder wo es sich aus dem Realen zum Idealen er[107]hebt), schnell vorübergehend, und kaum einen Zeitmoment erfüllend; denn der Mensch (ist die ins Reale ausgeprägte göttliche Idee), hat zugleich ein sinnliches Selbstbewußtseyn, dessen er sich nie völlig entschlagen kann; er ist ein f ü r sich gesetztes Wesen, eine zeitliche Bestimmtheit, welche immer wieder in ihrer Besonderheit und in der Wechselwirkung mit der Welt, als getheilter Einheit, hervortritt. Eben indem er nun die Einheit dieser ihm objectiv erscheinenden Welt als das Göttliche in der Welt erkennt, wie die Einheit seines Wesens als das Göttliche in ihm, entsteht ihm auch die o b j e c t i v e Idee von Gott, welche aber, wie der ganze Gegensatz des Subjectiven und Objectiven, nur auf dem untergeordneten Standpunkte endlicher Betrachtung statt haben kann. Erst durch jene nothwendige Verbindung unsers frommen Selbstbewußtseyns mit dem sinnlichen, durch die Beziehung unsers von Gott abhängigen Wesens auf die Welt und menschliche Gemeinschaft wird dann auch jede fromme Erregung eine bestimmte; es wird die an sich subjective Religion zur objectiven und historischen; es entsteht daraus das Mannichfaltige der frommen Erregungen, und die Verschiedenheit der Religionen, welche alle zusammen die Religion im allgemeinen Sinne, oder gleichsam den Fleisch gewordenen Gott, d . h . alle O f f e n b a r u n g e n des göttlichen Alllebens in dem menschlichen Einzelleben, und alle Beziehungen des letzteren zum ersteren enthalten, und deren es so viele geben kann, als verschiedene, durch die Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechts motivirte, Weltanschauungen möglich sind (man vergl. neben den oben genannten Stellen bes. Reden S.91.ff., 353ff.; christl. Glaube §.9.-16; 34.-38). Da jedoch in allen Menschen ein Zwiespalt des sinnlichen und frommen Selbst-

538

Anhang

und Gefühl, oder in der Form und Erscheinung ge-[109]schieden sind; wir heben das Endliche seinem wahren und namentlich freien Seyn nach auf, und verwandeln [110] es in eine Form und Erscheinung des

5

10

15

20

25

30

35

40

45

bewußtseyns, oder die Sünde besteht, in allen also Erlösungsbedürftigkeit ist, so nimmt die christliche Religion, in welcher die Erlösung durch Christus den Mittelpunkt bildet, die höchste Stufe ein (christl. Glaube §. 17; 169 etc.). - In einem andern Gebiete aber, als dem bisherigen der Religion bilden sich Wissen und Handeln aus, in dem Gebiete des endlichen Gegensatzes, und der Wechselwirkung alles Endli-[108]chen, wiewohl auch Wissen und H a n dein von dem religiösen Bewußtseyn als dem gemeinsamen höheren Lebensgrunde bestimmt und geleitet seyn kann und soll. Religion beruht in dem Werden unsres Seyns im Ganzen, Wissen und Handeln in dem Werden desselben f ü r sich; während dort rein passive Abhängigkeit, nothwendiges Bestimmtseyn von dem in uns mitlebenden Göttlichen ist, ist hier Wechselwirkung des einen Endlichen mit dem anderen, also nicht blos Erregbarkeit durch ein Anderes, Aufnahme des Andern in uns, sondern auch ein Sichselbstbewegen und Eingreifen in das Andere, ein Einprägen unsers Daseyns in die Gegenstände (Reden S . 4 6 f f ; 60 ff; 72 ff; christl. Glaube §.8-10; 32.). Auf dieser T r e n n u n g der verschiedenen geistigen Lebensgebiete, und auf der ganzen idealistischen Richtung der Schleiermacher'schen Lehre beruht auch seine Ansicht von der christl. Dogmatik und seine strenge Unterscheidung der Religion an sich von der historischen und philosophischen Form und Auffassungsweise derselben (man vergl. .das Tübinger Osterprogramm von 1827, enthaltend eine Vergleichung des Gnosticismus mit der Schleiermacher'schen Lehre). In jenem zweiten Gebiete der Wechselwirkung des Endlichen unter sich, welchem das Wissen und Handeln angehört, findet nun nach Schi, auch Freiheit statt; daß jedoch nicht die Freiheit in dem gewöhnlichen, und (nach unsrer vollen Ueberzeugung) wahren Sinn des Indeterminismus gemeint seyn könne, dieß liegt schon in allem Bisherigen. Jene Freiheit besteht in nichts Anderem, als in der theils durch die innere Lebendigkeit unsres Wesens, theils durch äußere Erregung hervorgebrachten Reaction unsers Seyns gegen anderes endliches Seyn; da nun aber jene innere Lebendigkeit unsers Wesens, wie der Naturzusammenhang nothwendig von Gott geordnet, da (§.63.) alle Wesen, auch die auf der höchsten Stufe der Lebendigkeit oder Freiheit stehenden, sowohl in ihrem Fürsichgesetztseyn, als ihrem Befaßtseyn unter der allgemeinen Wechselwirkung absolut von Gott abhängig sind, so ist jene Reaction selbst wieder eine nothwendig bestimmte, und die Freiheit ist nur logisch das diese Reaction [109] begleitende, oder das unsere verschiedenen werdenden und entgegengesetzten Zustände zusammenfassende Bewußtseyn (christl. Glaube §.16; 6 2 f f ; 7 9 f f ; 103,3; 104,2; 138ff; man vergl. die Reden S. 124ff.; 136ff. und den Aufsatz über Erwählung). Doch, welche Gestaltung nun die einzelnen christlichen Lehren in diesem System annehmen, das zu entwickeln, kann hier nicht der O r t seyn. N u r über die Lehre von der Sünde und von Christus glauben wir noch Einiges beifügen zu müssen; über letztere, weil sie in unzertrennlicher Verbindung steht

Klaiber: Begriff des

Supranaturalismus

539

Unendlichen, welche sich mehr oder weniger in bloßen Schein auf[ l l l ] l ö s t ; wir zerstören das wahre Wesen Gottes, indem wir das göttliche Seyn und Leben selbst endlich ma-[l 12]chen, sich theilen lassen in

5

10

15

20

25

30

35

40

45

mit Schl.'s Lehre von Gott und seiner O f f e n b a r u n g in der Welt; über erstere, weil sie zum Verständniß der Lehre von Christus vorausgehen muß, und zu weiterer Begründung unsers Urtheils über die Freiheit in dem Sinne Schleiermachers dient. Dadurch, daß der Mensch als zeitlich bestimmtes Wesen f ü r sich gesetzt ist, oder durch sein sinnliches Selbstbewußtseyn hat sich in das Gottesbewußtseyn ein Gegensatz hineingebildet, und eben in diesem Gegensatz und Widerspruch zwischen dem sinnlichen und f r o m m e n Bewußtseyn, oder darin, daß das sinnliche noch nicht von dem f r o m m e n und höheren durchdrungen wird, sondern in einer das letztere zurückdrängenden und hemmenden Fortschreitung f ü r sich begriffen ist, besteht die Sünde. Dieselbe ist gegründet theils in einer angebornen Differenz dieser beiden Richtungen, also jenseits unsers Daseyns in dem Naturzusammenhange, (peccatum originis), theils in unsrer eigenen That, soferne sich jedes Einzelwesen in seinem Fürsichseyn aus sich fort entwickelt, (peccatum actuale). So ferne nun aber der Mensch sowohl in seinem Gesetztseyn in den allgemeinen N a t u r z u s a m m e n hang, welcher mit der göttlichen Allmacht zusammenfällt, als in seinem Fürsichgesetztseyn nothwendig von Gott geordnet ist, ist auch die Sünde A n o r d n u n g G o t t e s s e l b s t . Dennoch ist sie nicht als S ü n d e A n o r d n u n g Gottes; denn was durch den hervorbringenden Willen Gottes erfolgt, ist nur auf der einen Seite die Unterstützung des Naturtriebes in seiner vorherrschen-[l 10]den Lebendigkeit, auf der andern Seite die Vorstellung des Gesetzes; dieses beides aber an sich betrachtet ist nicht Sünde; dieselbe wird erst dadurch, daß wir jene beiden von Gott geordneten Elemente, die Stärke des sinnlichen Triebes und die Vorstellung des Gesetzes, durch die F r e i h e i t in u n s e r m B e w u ß t s e y n in E i n s z u s a m m e n f a s s e n , u n d u n s i h r e r N i c h t ü b e r e i n s t i m m u n g b e w u ß t w e r d e n . Die Freiheit ist also der Akt des Zusammenfassens zweier nothwendig werdender Elemente unsers Lebens in dem Bewußtseyn, und die Sünde besteht in d e m v e r n e i n e n d e n Zusammenfassen und Ineinsbilden jener beiden nicht übereinstimm e n d e n L e b e n s e l e m e n t e . Die Sünde ist also, soferne sie etwas positives und von Gott geordnet ist, n i c h t S ü n d e ; so ferne sie aber Sünde ist, ist sie ein b l o s n e g a t i v e s U r t h e i l , und ist f ü r Gott nicht; denn die verneinende Zusammenfassung jener beiden nicht übereinstimmenden Lebenselemente, worin sie besteht, ist f ü r Gott nicht, so ferne in ihm kein mittelbares Erkennen ist; eben deßhalb konnte Schi, sogar sagen, Gott habe nicht blos jene beiden nicht übereinstimmenden Lebenselemente, sondern auch das verneinende Zusammenfassen derselben im endlichen Bewußtseyn (nach dem Obigen den Akt der Freiheit und der Sünde), geordnet. - D a jedoch immer noch die Einwendung bleibt, daß jene von Gott geordnete Stärke des sinnlichen Triebes und Kraftlosigkeit des Gottesbewußtseyns eine Unvollkommenheit sey, so lehrt das System weiter: Jene H e m m u n g des höheren Lebens durch

540

Anhang

eine unendliche Vielheit von Einzelwesen, und dem Werden, der Entwicklung [113] unterwerfen; wir können eben damit die Idee des ewigen p e r s ö n l i c h e n Geistes, also auch seiner Weisheit, [114] Heiligkeit, Liebe etc. in wahrem Sinne auf keine Weise mehr festhalten.

5

10

15

20

25

30

35

40

45

das sinnliche ist eine Folge der Begränzung oder des Endlichwerdens der Wesen; dieses aber folgt nothwendig aus der Entwicklung, Theilung und Individualisirung des göttlichen Lebens selbst. Das Böse ist überall nur an dem Guten, die Sünde nur an der Gnade, d.h. Gutes und Gnade lassen sich nicht denken, ohne die Zweiheit des sinnlichen und frommen Bewußtseyns, worin die Sünde besteht. Das menschliche Leben entwickelt sich, wie alles Leben, aus der Indifferenz durch die Differenz hindurch, worin eben die Sünde gegeben ist, zur höheren Ein-[11 l]heit. Die Sünde ist daher ein d u r c h g e h e n des E l e m e n t u n s r e s L e b e n s , sie ist das Werk einer nothwendigen Durchgangsperiode unsers Seyns, in welcher die Richtung auf das Gottesbewußtseyn oder das Göttliche in uns noch nicht erschienen, oder herrschend geworden ist. Somit ist von Gott das v e r s c h w i n d e n d e B e s t e h e n d e r S ü n d e g e o r d n e t , und die vollkommene Vereinbarkeit dieses Geordnetseyns der Sünde durch Gott mit dessen Wesen beruht darauf, daß die Schöpfung nur in der Einheit mit der Erlösung aufzufassen ist. Der Fall Adams ist von Gott gewollt wegen der Bestimmung des Menschengeschlechts zur Sündhaftigkeit und Erlösung; die göttliche Schöpfung oder Lebensentwickelung ist abgesehen von Christus noch unvollendet; die in dem ersten Adam gegebene Mittheilung des Geistes an das Endliche war noch eine unzureichende, so daß der Geist in die Sinnlichkeit versenkt blieb, und jener Zwiespalt hervortrat. In Christo aber, dem zweiten Adam, ist das schöpferische Werk Gottes vollendet durch eine zweite Mittheilung des göttlichen Geistes. Indem Gott die vorübergehende Stärke des sinnlichen Triebes, und Schwäche des frommen Selbstbewußtseyns und das Zusammenfassen derselben in dem endlichen Bewußtseyn geordnet hat, hat er eben damit auch schon das Bedürfniß der Erlösung und die Erlösung selbst geordnet (christl. Glaube §.78-96; 101-112; 116,4; Reden S. 126ff.; und die Erwählungslehre S. 75 ff.). Diese Erlösung ist Aufhebung der Trennung des sinnlichen und höheren Selbstbewußtseyns, also der Sünde und Unseligkeit, und Förderung des höheren nun auch das niedere zur wahren Einheit aufnehmenden Bewußtseyns; sie ist der Anfang eines neuen geistigen Ganzen, die vollendete Schöpfung (christl. Glaube §. 107-112; 180 ff.)· Die erlösende Thätigkeit ist ohne einen Erlöser nicht denkbar, und kommt Christo zu, welcher dem Christen seine reine Unsündlichkeit und Vollkommenheit mittheilt, und ihn in die Gemeinschaft seiner Seligkeit aufnimmt (§.121 f.). Wenn in allen übrigen Menschen das Fürsichgesetztseyn in dem sinnlichen Selbstbewußtseyn und [112] das Mitgesetztseyn des Göttlichen, oder das Gottesbewußtseyn einen relativen Gegensatz bildet, und dadurch die Sünde gegeben ist (§. 132.), so war in Christus das Fürsichgesetztseyn und das Mitgesetztseyn Gottes völlig dasselbe; das ihm inwohnende Gottesbewußtseyn wurde zu einem wahren Seyn Gottes in ihm, unter der Form des Bewußtseyns und der be-

Klaiber: Begriff des

Supranaturalismus

541

[115] Diese Ansicht beruft sich unter Anderem theils auf die Idee Gottes an sich, theils auf die Begriffe göttli-[l 16]cher Allmacht und Allwissenheit. Sie findet vorerst die Idee einer göttlichen Persönlichkeit und des damit verbundenen Selbstbewußtseyns unzuläßig, weil das 5

10

15

20

25

30

35

40

45

wußten Thätigkeit, so daß dieses Seyn Gottes in ihm sein innerstes Selbst ausmacht, und Gott in Christus eigentlich Mensch und Person geworden ist (§.116-118.). W ä h r e n d nämlich die Persönlichkeit der übrigen Menschen sich durch die Wechselwirkung mit anderem Endlichen, durch das Gesetztseyn in den Naturzusammenhang bildete, also eine natürliche, niedere, fleischliche Persönlichkeit ist (Reden S. 171 f.; christl. Glaube §.121,3; 174; 140-143.), ist in Christo die Entfaltung des göttlichen Lebens eine vollkommene, weil bei der Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen in seinem Wesen die menschliche Natur eine unpersönliche, rein leidende und aufnehmende, die göttliche die allein thätige, sich mittheilende, eigentlich Personbildende war, also in seinem Seyn eine neue schöpferische Thätigkeit sich zeigte (§. 109 f.; 114-119; 127; 132.). Eben daher ist in Christo keine H e m m u n g des höheren Lebens durch das niedere, keine Erlösungsbedürftigkeit, sondern vollkommene Erlösung, reine Urbildlichkeit und Unsündlichkeit, und eine eigenthümliche, ein neues unsündliches und seliges Gesammtleben in der Menschheit bildende Thätigkeit. Fragen wir aber, wie wir uns diesen Christus nach dem System näher zu denken haben, so müssen wir auf seine Lehre von Gott zurückkommen. Wie Gott selbst nicht ausser und über der Welt, sondern das in ihr verbreitete und mitgesetzte unpersönliche, absolute und ideale Leben, wie dieses Göttliche namentlich in dem Menschen der höchste absolute P u n k t seines Bewußtseyns ist, so ist auch Christus, der Logos Gottes, (noch abgesehen von seiner Erscheinung in einer besonderen Person), die vollkommene O f f e n b a r u n g und Entfaltung des göttlichen Lebens oder Darstellung der Idee Gottes in dem menschlichen Bewußtseyn [113] überhaupt, die erlösende, d . h . die Einheit des sinnlichen und frommen Selbstbewußtseyns vollendende Thätigkeit Gottes in demselben, die vollkommen realisirte Idee der Erlösung, oder die höchste absolute Entwicklung des menschlichen Bewußtseyns selbst, die eigentliche im höheren Sinne Personbildende Kraft in dem Menschen (§.18; 121; 127; 142-144; 154 ff.). D a h e r k n ü p f t auch Schi, erst an den Glauben an Christus den Glauben an die persönliche Unsterblichkeit des Menschen, welche er in seinen Reden verworfen hatte (Man vergl. die Reden S. 171 ff mit dem christl. Glauben §. 117-121; 127; 132; 140-143; 170 ff) - D a ß nun aber bei dieser Ansicht der historische Christus sehr zurücktrete, kann wohl nicht verkannt werden. Schleierm. denkt sich die Erscheinung desselben etwa so: Die O f f e n b a r u n g jenes innern Christus, oder göttlichen Logos an sich, oder jene höhere Entfaltung der göttlichen Idee, des göttlichen Lebens in dem menschlichen Bewußtseyn ist wenigstens der Potenz, dem Keime und ersten Anfange nach früher, als der historische Christus (§.20,1; 114; 110,1; 121,3; 169; 174,2.); es folgt dieß auch schon daraus, theils daß die Idee der Erlösung und des Erlösers, also die Idee einer vollkommenen Entfaltung des Gottesbewußtseyns,

542

Anhang

Göttliche dadurch einem Gegensatze unterworfen, zu einem Gegenständlichen, und eben damit endlich und leidensfähig gemacht werde. Mit dieser Leugnung der Persönlichkeit Gottes wird nun allerdings

5

10

15

20

25

30

35

40

45

u n d somit der A n f a n g derselben schon d u r c h das allgemeine Bewußtseyn der Sünde gegeben und bedingt ist, welches ja f r ü h e r ist, als der historische Christus (§.21,3; 93 ff; 114. etc.), theils d a ß jener innere Christus eben d a d u r c h zur Wirklichkeit und Entwicklung k o m m t , d a ß das Gottesbewußtseyn, welches ja, n u r relativ verschieden, in jedem M e n s c h e n ist, nach und nach in demselben herrschend, u n d der Zwiespalt zwischen ihm u n d d e m sinnlichen T r i e b e a u f g e h o b e n wird. J e n e r innere Christus aber, als vollkommene E n t f a l tung u n d Darstellung des Idealen, Göttlichen in dem Realen Endlichen, o d e r als höchste Entwicklung des Gottesbewußtseyns in d e m Menschen m u ß t e auch in einer historischen Person erscheinen, wenn eine wirkliche vollkommene Lebensgemeinschaft zwischen ihm u n d der sich geschichtlich entwikkelnden Menschheit statt finden, o d e r w e n n [114] ein christliches G e s a m m t ieben, eine christliche Kirche sich bilden sollte. Die an sich zeitlose u n d ewige erlösende Thätigkeit des innern, idealen Christus, o d e r des Logos Gottes, muß, f ü r unser irdisches Daseyn geordnet, unter das Gesetz der geschichtlichen Entwicklung gestellt, also eine von einem historischen Anf a n g s p u n k t e aus sich verbreitende seyn, sie kann in ihren W i r k u n g e n auf das Menschengeschlecht nur in der Zeit sich entfalten u n d vollenden (§.110; 114; 115; 119-121.). So ist nun, nachdem es schon vor Christus erlösende Personen gegeben hatte, aber solche, in welchen die Erlösung nur eine theilweise, die H e m m u n g des h ö h e r e n Lebens n u r eine geringere war, als in And e m , aber nicht vollkommen aufgehoben, also immer noch E r l ö s u n g s b e d ü r f tigkeit übrig blieb, - der historische Christus erschienen, in welchem die Erlösung, o d e r A u f h e b u n g der L e b e n s h e m m u n g eine vollkommene war, also der vollkommen urbildliche Mensch, in welchem zuerst die Idee Gottes, das ideale göttliche Seyn zu vollkommener, Alles u m f a s s e n d e r H e r r s c h a f t gek o m m e n ist. D a s Geschichtliche in dem Erlöser ist die ein neues höheres G e sammtieben in der Menschheit a n f a n g e n d e Erscheinung (§.18; 114-121.). Diese E r l ö s u n g aber, o d e r h ö h e r e Einheit des sinnlichen Selbstbewußtseyns mit d e m f r o m m e n k o m m t n u n auch in den Glaubigen d a d u r c h zu Stande, d a ß der innere, auch in jedem Menschen wenigstens implicit u n d relativ mitlebende Christus, o d e r jenes in jedem M e n s c h e n mitgesetzte Göttliche, jene erlösende, ein höheres Selbstbewußtseyn bildende K r a f t in demselben theils schon an sich in einer beständig fortschreitenden Entwicklung begriffen ist, theils d u r c h den historischen Christus, in welchem der ideale zuerst seine volle Realität f a n d , u n d durch die ganze unmittelbare u n d mittelbare T h ä t i g keit desselben z u r vollkommenen E n t f a l t u n g gebracht wird. Die Folge dieser Thätigkeit ist nämlich die G r ü n d u n g der christlichen Kirche o d e r Gemeinschaft, welche (§. 144; 165.) ganz das w e r d e n d e Abbild der Person Christi ist, so daß, wie das vollkommene Mannesalter Christi Resultat der Personbildenden, so die [115] V o l l k o m m e n h e i t der Kirche Resultat der Gemeinschaft bildenden Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen N a t u r

Klaiber: Begriff des

Supranaturalismus

543

Gott zu dem allen Dingen als ihre absolute Ursache immanirenden Urseyn gemacht, es wird eben damit der wesentliche Unterschied zwischen ihm und den Dingen aufgehoben. Allein wenn die Prädikate des heiligen Urwillens, der ewigen sich mittheilenden Vaterliebe, der abso5 luten vernünftigen Freiheit etc. wesentliche Prädikate des Göttlichen

10

15

20

25

30

35

40

ist. Denn die Kirche besteht durch den durch Christus geweckten und gegebenen christlichen Gemeingeist oder heiligen Geist, welcher selbst nichts anders ist, als die Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen N a tur unter der Form des das Gesammtieben der Glaubigen beseelenden Gemeingeistes, also nichts anders, als die vollkommene O f f e n b a r u n g und Entfaltung des Göttlichen in den Menschen, oder des inneren idealen Christus (§. 133-147.). Man vergleiche damit die §.§. 127-132, wo entwickelt wird, wie der Einzelne durch Christus und den christlichen Gemeingeist, oder heiligen Geist, welcher eins ist mit Christus, ergriffen, in die christliche Gemeinschaft aufgenommen, und die Erlösung in ihm vollendet wird. Es wird dadurch in den Glaubigen, nur in allmähliger Annäherung, dieselbe Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur, oder dieselbe Ineinsbildung des höheren und niederen Selbstbewußtseyns zu Stande gebracht, wie sie in Christus schon wirklich ist. Wie in Christus (§. 127) der Akt der Vereinigung der göttliehen N a t u r mit der menschlichen zu unterscheiden ist von dem Zustande des Vereintseyns, so ist in den Glaubigen der Akt der Vereinigung mit Christus, der Akt der Wiedergeburt, zu unterscheiden von dem fortwährenden Zustande des Vereintseyns, dem Zustande der Heiligung (d.h. es ist zu unterscheiden der Beginn der neuen schöpferischen Thätigkeit des in jedem Menschen auf innerliche Weise mitgesetzten Göttlichen zur Vollendung des höheren Selbstbewußtseyns von dem daraus hervorgehenden fortschreitenden Zustande). Christum in sich haben und den heiligen Geist, jenen christlichen Gemeingeist haben, ist dann eins und dasselbe (§.141; 143.); Christum in dem Einzelnen zum Leben bringen heißt: alles Menschliche dem Göttlichen aneignen (§.165,2.) oder: das höhere f r o m m e Selbstbewußtseyn zur völligen Herrschaft über das sinnliche bringen, und wir verhalten uns in dieser Gemeinschaft Christi zu Christo gerade, wie sich in ihm selbst die menschliche N a t u r zu der gött-[116]lichen in ihm verhält (§.121,3.). M a n sieht, wie auch hier der äussere historische Christus vor dem innern idealen zurücktritt: nachdem die göttliche, die Schöpfung vollendende Thätigkeit oder Lebensmittheilung an die Menschheit zuerst in Einer Person, in dem historischen Christus, und zwar auf eine von dem geschichtlichen Zusammenhange der göttlichen O f f e n b a r u n g e n abweichende, schlechthin vollkommene Weise erschienen war, tritt nun in der christlichen Gemeinschaft, oder in allen an Christus Glaubenden jene erlösende, die Schöpfung vollendende T h ä tigkeit zwar angeregt durch den historischen Christus, aber doch eigentlich auch als innerer Christus, als höherer Gemeingeist, oder als innere Entwicklungskraft hervor, aber auf eine allmählich werdende, dem geschichtlichen Zusammenhange der göttlichen O f f e n b a r u n g e n gemäße Weise.

544

Anhang

sind, so daß mit Aufhebung derselben die wahre Anbetungswürdigkeit Gottes, und das eigentliche Wesen der Religion verschwindet, wenn sie aber ihrem wahren Begriffe nach nicht gedenkbar sind ohne ein höchstes geistiges Leben Gottes für sich, ein Wissen von sich, und Wirken aus sich, also nicht trennbar [117] sind von dem Begriffe des höchsten Vernunftbewußtseyns, der höchsten Persönlichkeit, so liegt schon darin die Nothwendigkeit, uns Gott als persönlichen Geist zu denken, wenn wir auch diese absolute, allerdings von menschlicher verschiedene, Persönlichkeit nicht weiter zu erklären im Stande wären. Wir können aber mit Recht behaupten, daß der Begriff einer sich in ihrer innern Einheit des Wirkens selbst anschauenden und erkennenden, mit Bewußtseyn in sich und aus sich thätigen Kraft, oder der Begriff der P e r s ö n l i c h k e i t so wenig blos Prädikat des Endlichen ist, daß diese vielmehr das innerste Wesen der Vernunft überhaupt ausmacht. Man sagt, Gott werde durch den Begriff der Persönlichkeit zum Objekt, zu einem Gegenständlichen und somit Bestimmten, Begränzten, Endlichen. Allein sobald man überhaupt eine Welt und Menschheit ausser dem eigenen Ich annimmt, in welcher jenes Göttliche auch mitgesetzt ist, ja sobald man Endliches und Unendliches auch nur, wie der Idealismus, in Gedanken auseinander hält, wird dieses Göttliche, auch unpersönlich gedacht, schon zu einem Gegenständlichen und Objektiven. Doch der Begriff des Objektiven ist auch an sich nicht gerade und allein Merkmal des Endlichen; er ist überhaupt der Begriff des von einem Andern verschiedenen, und wenn dieses Andere vernünftig ist, von ihm vorgestellten Seyns. Auch das Merkmal der Bestimmtheit, welches in dem Begriff des Objektiven liegt, und nicht auf das Göttliche anwendbar seyn soll, ist nicht ausschließliches Prädikat des Endlichen. Das Unendliche schließt nur das unfreie Bestimmtseyn von [118] aussen, durch ein anderes Seyn, aus, nicht die innere geistige Selbstbestimmung; eben diese aus geistiger Selbstbestimmung und Selbsterkennung hervorgehende Bestimmtheit eines Wesens aber ist die Persönlichkeit. In diesen allgemeinen Sätzen liegt nun auch schon die Antwort auf die Gründe, welche der Pantheismus aus der Idee göttlicher Allmacht und Allwissenheit entnimmt. Wolle man, sagt diese Ansicht, die göttliche Allmacht und Allwissenheit nicht willkührlich beschränken und in sich selbst aufheben, so lasse sich kein positives selbstständiges Wirken des Endlichen neben dem Unendlichen denken; es komme jenem nur reine Passivität im Verhältniß zu diesem zu. In dem Gebiete göttlicher Allmacht sey kein zwiefacher Wille, der die Einheit störte, kein Unterschied zwischen Wirklichem und Möglichem, zwischen einem absoluten und hypothetischen Wollen, zwischen positivem Wirken und bloßer Zulassung, also namentlich kein solches Wirken des endlichen Geistes

Klaiber: Begriff des

Supranaturalismus

545

anzunehmen, an welches, als an die in dem Endlichen liegende Bedingung, das von Gott gewollte Gute, und die Seligkeit jener Wesen gebunden wäre. Bei der gewöhnlichen Ansicht von dem Bedingtseyn des göttlichen Willens durch die relative Selbstständigkeit des Endlichen, namentlich durch die Freiheit des Menschen im gewöhnlichen Sinne komme man auf den widersprechenden und unmöglichen Begriff eines unwirksamen Willens in Gott, einer ihm manichäisch entgegenstehenden, sein Walten und Wirken beschränkenden Macht. Die Trennung von Wollen und Können setze ferner voraus, das Wollen Gottes sey ein erst zeitlich entstehendes, oder eines Antriebes be-[119]dürftiges, das Können aber sey ein von aussen gegebenes, nicht in der innern Kraft Gottes begründetes, was in Gott ebenfalls nicht seyn könne (Schleierm. christl. Glaube §.68. und 103, und dessen Zeitschrift Th.I, S.69ff.). Wir stimmen nun allerdings in gewisser Beziehung ein in die Behauptung, daß die ganze göttliche Allmacht ungetheilt und unverkürzt die t h u e n d e und w i r k e n d e sey; aber wir können diese Behauptung nicht so erklären, daß dadurch die Freiheit und Selbstständigkeit endlicher Wesen aufgehoben wird. Eine Idee göttlicher Allmacht, die nur Passivität aller endlichen Wesen im Verhältnisse zu Gott zuläßt, steht im Widerspruche mit unsrem innersten, lebendigsten Selbstbewußtseyn, welches uns die Annahme einer relativen Selbstständigkeit und Freiheit unsres Wesens aufdringt. Allerdings ist eben das das Geheimniß jeder Philosophie, wie wir uns zu erklären haben, daß ausser dem Unendlichen ein Endliches sey mit eignem selbstständigem freiem Leben? Allein daß es so sey, sagt uns unser Selbstbewußtseyn, von dem alle Philosophie ausgehen muß, und daß es so seyn könne, wenn wir uns auch das Wie nicht positiv zu erklären vermögen, daß es mit der Idee des göttlichen Wesens nicht nur nicht streite, sondern allein in vollem Einklänge stehe, dieß sind wir ebenfalls uns zu erläutern im Stande. Die Lösung jener Schwierigkeiten liegt hauptsächlich darin, daß wir uns jene Allmacht nicht n a t u r a l i s t i s c h , als bewußtlos und nothwendig wirkende Naturkraft, sondern nur in absoluter Einheit mit Heiligkeit und Liebe denken, als einen a b s o l u t h e i l i g e n u n d l i e b e v o l l e n U r willen. Andere [120] Allmacht giebt es in dem göttlichen Wesen keine. Jener naturalistische Begriff von göttlicher Allmacht aber kann seinem Wesen nach auch da beibehalten seyn, wo das System des Pantheismus sich idealistischer gestaltet. Zwar weist Schleiermacher die Idee von einer blinden Nothwendigkeit ab, und spricht von absoluter Lebendigkeit; allein jener lebendige Urgrund wird doch um so mehr naturalistisch aufgefaßt, je mehr Selbstbewußtseyn und Persönlichkeit aus ihm entfernt werden; zwar nimmt auch Schleiermacher eine Einheit der Heiligkeit und Liebe mit der Allmacht an, allein mit vorherrschender Richtung der Allmacht, wie denn die Begriffe der Heiligkeit und Liebe

546

Anhang

schon an sich durch die Entfernung der Persönlichkeit aus Gott ihr Wesen verlieren. In jener wahren Idee göttlicher Allmacht aber, als des heiligen und liebevollen Urwillens, liegt nun auch von selbst, um es so zu nennen, der göttliche Akt der Selbstbeschränkung, oder der Wille, daß freie selbstständige Wesen, die Abbilder seiner eigenen Freiheit und Vernunft, ausser ihm seyen. Es kann eben darum von einer manichäischen, unfreien Beschränkung des göttlichen Willens durch ein Aeusseres nicht die Rede seyn. Denn Gott will als heilige Allmacht nur die Freiheit, als Grund und Princip des Guten, er will auf gleiche Weise nur alle diese Freiheit bildenden Mittel. Anders kann er das Gute nicht wollen; denn anders ist es gar nicht denkbar und möglich. Was er aber hier will, das wirkt er ganz, wie er es will, nämlich jene Freiheit und jene sittlichen Bildungsmittel der Freiheit; es ist also hier auch kein Unterschied zwi-[121]schen einem wirksamen und unwirksamen Willen in Gott. Eben so will Gott, was die Seligkeit endlicher Wesen betrifft, wieder die Freithätigkeit des Menschen, als Bedingung und subjektiven Grund der Sittlichkeit und somit auch der Seligkeit, und alle Entwicklungs- und Bildungsmittel des freien Menschenlebens zu diesem Zwecke. Dieß wirkt er auch, wie er es will; anders kann er die Seligkeit nicht wollen; denn anders ist sie bei freien vernünftigen Wesen nicht möglich. W a r u m sollte nun dieser Wille Gottes ein erst zeitlich entstehender seyn? Er ist und bleibt der ewige Wille seiner heiligen Liebe, obwohl die freien Handlungen und Lebensäußerungen der von ihm gewollten und auf ausserzeitliche Weise erhaltenen und unterstützten endlichen Wesen als solche zeitliche Erscheinungen sind. Eben so wenig kann gesagt werden, daß das Können Gottes bei der Ertheilung der Seligkeit ein blos von aussen gegebenes, kein inneres sey; denn die Bedingung, unter welcher er die Seligkeit will, ist ja eine von ihm selbst gesetzte; er will keine Seligkeit ertheilen, als durch und in Verbindung mit der Sittlichkeit freier Wesen; er will die Seligkeit, wie die Sittlichkeit nur durch die Freiheit, und durch die die Freiheit nicht störenden, sondern fördernden Mittheilungen seines heiligen und seligen Lebens an die Menschheit. In diesen Säzen nun liegt auch von selbst, daß wir in gewisser Beziehung die Unterscheidung des Möglichen und Wirklichen in G o t t s e l b s t eben so gut negiren, als die Ansicht, die wir bestreiten. Denn was f ü r Gott möglich ist, muß auch f ü r ihn wirklich seyn, wie und sofern es möglich ist. N u r glauben wir unter [122] Voraussetzung der Freiheit endlicher Wesen den Begriff des Möglichen in Gott anders bestimmen und näher begrenzen zu müssen. So fern nämlich der göttliche Wille, als ein heiliger und liebevoller Wille, die Freiheit endlicher Wesen, als das Princip des Guten, wollte, und wie er sie wollte, auch

Klaiber:

Begriff des

Supranaturalismus

547

wirkte, kann er nun von selbst nichts w o l l e n und w i r k e n , was diese Freiheit endlicher Wesen, die er wollte und wirkte, wieder aufheben würde; somit ist also in ihm selbst kein Unterschied zwischen W o l l e n und W i r k e n . Indem nun aber Gott die Freiheit endlicher Wesen so, wie er sie wollte, und wirkte, anschaut, und in d i e s e r F r e i h e i t als e i n e r e n d l i c h e n der Unterschied des Möglichen und Wirklichen ein realer ist, ist auch f ü r Gott dieser Unterschied eben so gut etwas Reales, als das Endliche überhaupt; aber er ist nicht etwas in seinem e i g e n e n W e s e n , sondern nur in den endlichen von ihm gewollten und geschaffenen Dingen Reales. Man kann eben darum so wenig sagen, wir setzen etwas Anthropomorphistisches in Gott selbst, als man zu sagen berechtigt ist, Gott werde dadurch endlich gemacht, daß man ihm überhaupt die Schöpfung einer endlichen Welt, und die Idee und Anschauung derselben als s o l c h e r zuschreibt. Dieselben Bemerkungen wiederholen sich im Ganzen bei der Frage nach dem Verhältnisse göttlicher A l l w i s s e n h e i t zu der endlichen Freiheit. Schleiermacher sagt (christl. Glaube §.68,6.): Allwissenheit sey die Geistigkeit oder innere Lebendigkeit der göttlichen Allmacht; Wissen und Wollen sey eins in Gott, so daß das endliche Seyn eben so gut in dem göttli-[123]chen Wissen aufgehen müsse, als in der göttlichen Allmacht. Hält man diesen Satz strenge fest, so kann man der Folgerung nicht ausweichen, daß es keine Freiheit endlicher Wesen im wahren Sinne des Wortes gebe, und daß auch das Böse, sofern es überhaupt etwas Wirkliches, und somit auch von Gott Gewußtes ist, T h a t Gottes selbst sey. Daher auch in diesem Systeme der blos negativ formale Begriff des Bösen (vergl. Anm. 1.). Die H a u p t g r ü n d e aber f ü r diese Identifikation des Wissens und Wollens oder Wirkens in Gott sind nach Schi, folgende: Die göttliche Allwissenheit sey kein endliches Wahrnehmungsvermögen, vielmehr sey alles göttliche Wissen ein Wissen des Gewollten, also eins mit dem Wollen; ein Unterschied zwischen Wissen und Wollen seze auch immer den Begriff endlicher Getrenntheit, einen Unterschied zwischen Wort und That, zwischen Anschauung, Erinnerung und Vorherwissen, oder Gegenwart, Vergangenheit und Z u k u n f t voraus. - Allein wenn wir die in unserm Selbstbewußtseyn wesentlich und nothwendig gegebene relative Selbstständigkeit und Freiheit des Endlichen, und seine wesentliche reale, nicht blos formale Verschiedenheit von Gott festhalten, so kommen wir wieder auf den oben genannten, in sich allerdings nicht weiter erklärbaren, Akt göttlicher Selbstbeschränkung zurück, welcher in dem Willen der heiligen Allmacht liegt, daß freie Wesen ausser ihm seyn sollen. [ . . . ]

Anhang

548

Rust, Isaak De nonnullis quae in theologia nostrae aetatis dogmatica desiderantur, Erlangen 1828 (Auszug)

[43]

PARS POSTERIOR.

DE N O V A QVADAM RATIONE, QVA N O N N V L L I HIS TEMPORIBYS THEOLOGIAM DOGMATICAM RESTAVRARE STVDENT. Ante aliquot annos philosophus ille adhuc inter vivos versabatur, qui, cum se Kantio, viro immortali, opponeret, non parum apud multos assecutus est laudis. F r i d e r i c u m H e n r i c u m J a c o b i u m dico. Inter omnes constat, eum haec fere docuisse: Res altioris momenti, hoc est, res intelligibiles minus cognosci, quam sensui cuidam interno innatas inveniri; quae hac via percipiantur, cum per se sint certa, nullis egere argumentis; intelligentiae conatum, quo primum cognoscendi [44] locum sibi arroget, prorsus esse repellendum, eamque sensui illi interno, qui nulla re interveniente verum cognoscat (immediatae conscientiae) subjiciendam esse. [..-][45][...] Verbo, sensus, conscientia immediata a philosophis, ut disciplinae ipsorum noxia, derelicta est. Derelictam, quod vix exspecta veris, theologi comiter receperunt et summa earn dignitate ornaverunt. Id, quod non [46] ab obscuris viris, sed ab iis factum est, qui sibi in theologia tractanda maximam jam comparassent gloriam. Quorum in numero F r i d e r i c u s S c h l e i e r m a c h e r u s , vir summo ingenii acumine et mira eruditione, primum obtinuit locum, qui, postquam aliis, priore jam tempore editis, scriptis declaravit, quantum emolumenti ab immediata sensui interno innata conscientia religioni et hujus ope etiam theologiae exspectaret, idem libro, ante aliquot annos in lucem emisso 1 , ita ostendit, ut clarius apertiusque fieri non posset. Priusquam viri omnibus modis observandi sententias accuratius afferendas et diligentius dijudicandas suscipiamus, liceat, verbo tantum monere, quemadmodum factum esse videatur, ut eas et amplecteretur et tanto studio probare ac defendere conaretur. Inter rationes tantum virum moventes propriae ingenii indoli, quae potissimum [47] in excellentioris naturae animis apparet, quaque in omnibus eorum actionibus et perpessionibus reguntur, jure primum concedimus locum. Atqui cum in quocunque Schleiermacheri libro miram intelligentiae et rationis vim atque virtutem videamus, neutiquam statuendum est, virum doctissimum, (quod tarnen aliis accidere solet), domi1

Der christliche Glaube. Berlin 1821. Editio hujus libri nova propediem in lucem proditura dicitur.

Rust: De nonnullis

5

10

15

20

nantis sensus impetu quodam abreptum, tantam immediatae conscientiae tribuisse auctoritatem dignitatemque. Itaque causa hujus rei ex aliis rebus ad illam peculiarem mentis indolem conditionemque accedentibus repetenda est. In quibus maxime vim quandam deprehendimus, quam Jacobius ad sententias viri egregii formandas habuit. Id, quod Schleiermacherus extra omnem ponit dubitationem, quippe qui in vestibulo libri, quem de religione 2 conscripsit, ingenue et gratissimo animo profiteatur, et se ipsum et ami-[48]cum, cui dicavit scriptum, Jacobio plurimum debere 3 . In eodem libro locus est, quem, cum alias eum, qui ad auctoris educationem pertineat, vix attingere auderemus, hie, ubi ad rem nostram illustrandam multum facere videtur, nullo m o d o praetermittendum esse putamus. Locus in prima oratione occurrit. Schleiermacherus enim, qui de se ipse loquitur, se ab incunabulis pietate imbutum esse, narrat 4 . A teneris [49] igitur in ejus mente religio excitata est. Jam vero inter omnes constat, hac aetate et mentem ipsam et quidquid ei insit, praesertim sub s e n s u s specie existere. Itaque auctor, quod plerisque necessario accidit, primum religionem ea, quam sensus ei tribuit, forma in animi sui penetralibus invenit, quam tanto studio amoreque amplexus est, ut earn, dubitationibus ortis et indagatione rerum divinarum diligentiore adhibita, nullo modo relinqueret. Quae cum ita sint, nonne liceat colligere, virum egregium, cum nobis novam atque [50] inauditam religionis et notio-

2

25

3

30 4

35

40

549

Ueber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Dritte vermehrte Ausgabe. Berlin 1821. Ich kann Dir aber dieß Buch nicht senden, ohne eine wehmüthige Erinnerung auszusprechen, die auch in Dir anklingen wird. Als ich nämlich daran gehen mußte, es aufs neue zu überarbeiten, schmerzte es mich tief, daß ich es dem nicht mehr senden konnte, mit dem ich zuletzt viel darüber gesprochen, ich meine F. H . J a c o b i , d e m w i r b e i d e s e h r v i e l v e r d a n k e n u n d m e h r g e w i ß , als w i r w i s s e n . N o n possumus facere, quin locum laudatum hue exscribamus. Vergönnet mir, von mir selbst zu reden. Ihr wißt, niemals kann Stolz seyn, was Frömmigkeit sprechen heißt; denn sie ist immer voll Demuth. Frömmigkeit war der mütterliche Leib, in dessen heiligem D u n k e l mein junges [49] Leben genährt und auf die ihm noch verschlossene Welt vorbereitet wurde; in ihr athmete mein Geist, ehe er noch sein eigenthümliches Gebiet in Wissenschaft und Lebenserfahrung gefunden hatte; sie half mir, als ich anfieng, den väterlichen Glauben zu sichten und Gedanken und Gefühle zu reinigen von dem Schutte der Vorwelt; sie blieb mir, als auch der Gott und die Unsterblichkeit der kindlichen Zeit verschwanden; sie leitete mich absichtslos in das thätige Leben; sie zeigte mir, wie ich mich selbst mit meinen Vorzügen und Mängeln in meinem ungetheilten Daseyn heilig halten solle, und nur durch sie habe ich Freundschaft und Liebe gelernt. 1. c. p. 14.

550

Anhang

nem et rationem commendare studeat, nihil aliud facere, nisi formam, qua religio in animis teneris necessario apparet, solam ac per se veram praedicare? Vix enim suspicionem ex animo ejicere possumus, virum excellentem magis, quam ipse novit, modum religionis puero carum reti5 nuisse nobisque ita proposuisse, ut sententiam suam omni, qua floret, arte et doctrina ornaret. His positis atque concessis, tantum abest, ut Schleiermacheriana opinio religionis vim et naturam per se spectatam attingat, ut ejus modum certo vitae tempori in primis adscriptum pro ea ipsa accipiat. Quae tarnen, cum id unum agamus, ut in re gravissima cla10 rius videamus, neutiquam eo consilio proposita sunt, ut animum viri, quem summa amplectimur observantia, ullo modo offenderemus. [...] [56][...] Omnia vero proponere atque explicare, quae nostra quidem sententia contra Schleiermacherianam opinionem sunt monenda, angustum prohibet dissertationis spatium. Itaque in eo acquiescendum 15 est, ut ea tantummodo afferamus, quae ad praecepta, quae diximus, refutanda maxime facere videantur. Quae his fere capitibus concludi enuntiarique possunt: Opinio Schleiermacheriana privat I. religionem per se spectatam dignitate sua; 20 [57] II. corrumpit in primis religionis christianae naturam et indolem; III. hominis minuit dignitatem. Paullo accuratius haec explicemus. I. Opinio Schleiermacheriana religionem per se spectatam sua privat dignitate. [...] 25 [61] [...] Ubi Veritas est sublata, ibi f i d e s c o g n o s c e n d i esse nequit; omnis enim haec fides in eo cernitur, ut persuasum habeamus, res objectas nos ita, ut vere sunt, clare distincteque percepisse. Itaque, si credere cogimur, ideas, quae animo insunt, rebus perceptis non respondere, sed pro sensus varietate formatas esse, quemadmodum fieri pos30 set, ut in iis acquiesceremus certamque earum habere cognitionem praedicaremus? N o n n e continuo in mentem nobis veniret quorundam vox, qua hominem qualemcunque omnium rerum esse modum statuerunt 5 ? 5

35

Cf. in primis Plat. Cratyl. p. 385. ed. Steph. [62] "Ωσπερ Π ρ ω τ α γ ό ρ α ς ελεγε,

λέγων, πάντων χρημάτων μέτρον είναι άνθρωπον, ώς άρα, οια μεν άν έμοί φαίνηται τά πράγματα είναι, τοιαύτα μεν έστιν έμοί, οια δαν σοι, τοιάδε. Quae verba plane ad earn, quam recensemus, sententiam de religione referri possunt. H u e etiam pertinent, quae Cicero de Cyrenaicis tradit. Vid. acad. quaest. IV, 46.: Cyrenaici praeter permotiones intimas nihil putant esse judicium. Quam sententiam etiam apud Sext. Empirie, adv. Mathem. VII. §.191.

40

invenies: φασίν ούν oi Κυρηναϊκοι, κριτήρια είναι τά πάθη, και μόνα καταλαμβάνεσθαι και α δ ι ά ψ ε υ σ τ α τυγχάνειν. Quibus tarnen dictum nolumus, plane nullum inter Cyrenaicorum et Schleiermacherianam opinionem esse discrimen.

Rust: De nonnullis

5

10

15

20

25

30

35

N o n n e [62] cogitatio semper animum subiret, quod verum falsumve sit, dici non posse, quia, cum h o m o doctus et indoctus, bonus et malus etc. de una eademque re plane sentirent diverse, diversas etiam atque inter se repugnantes de ea proferrent sententias, unusquisque eodem jure se rectum justumque rei m o d u m atque mensuram esse praedicaret? [ . . . ] [65][...]His explicatis, facile intelligitur, opinione Schleiermacheriana religionem, veritate et certa cognitione destitutam et ad sensus commotiones redactam, dignitate sua privari. II. U t vero haec sententia religionem per se spectatam, ita eadem christianam potissimum dignitate sua orbat; nam demonstrari potest, qui earn sequantur, eos non m o d o paganismo favere, sed hunc in christianismum inducere. [ . . . ] [69][...] III. Qui impugnatam colunt sententiam, humanae naturae dignitatem, cum in re gravissima ejus liberam voluntatem minuant, immo tollant, quam maxime laedunt. Voluntas enim [70] libera in eo potissimum versatur, ut homo, omnium expers affectuum, sua sponte i. e. legibus, quas, cum eas plane perspectas habeat, etiam suas esse cognoscit, agat. Atqui opinio recensenda sensus commotionibus et affectibus summam in religione gignenda tribuit auctoritatem; hae vero commotiones et affectus ita oriuntur, ut ii, quorum animis insunt, parum, aut nihil ad eas excitandas facere possint. Afficitur enim animus vel extrinsecus, vel intrinsecus rebus, quarum conspectum atque impulsum vix effugere potest. Eaedem res et modum et ambitum commotionum et affectuum sensus constituunt eorumque naturam definiunt. Quoniam vero hac ratione sensus perceptiones et affectus certo ita habemus, ut minus efficiamus, quam rebus impellentibus quasi nos praebeamus, nonne, istis dominantibus, voluntas hominis libera, si non plane tollitur, tamen mirum in modum minuitur? Schleiermacherus nullam in re nostra relinquit dubitationem, quippe qui ingenue fateatur, pietatem nostram, seu religionem in eo versari, ut sensus commotiones affectusque, a Deo per res mun-[71]danas excitatos, habeamus 6 . Quid? nonne hie merum Dei instrumentum, quo is ope rerum mundanarum pro suo arbitrio utatur, homo cogitatur? N o n n e recte affirmamus, hac sententia omnem libertatem in religione et gignenda et excolenda penitus a mortaHum animis exclusam esse? Vix, aperte profitemur, facere possumus, quin a parte stemus eorum, quibus ejus sententiae auctor Pantheismum, quem vocant, q u o d a m m o d o amplexus esse videtur. His consideratis, cetera omittamus. [ . . . ] 6

40

551

Insofern ihr die einzelnen Momente desselben (des von dem, der Seele und dem All gemeinschaftlichen Seyn und Leben erfüllten Gefühls) habt als ein Wirken Gottes in euch, vermittelt durch das Wirken der Welt auf euch, dieß ist eure Frömmigkeit. Ueber die Religion p.77.

552

Anhang

Schmid, Heinrich Ueber das Verhältniß der Theologie zur Philosophie, in: Für Theologie und Philosophie. Eine Oppositionsschrift, l.Band, l.Heft, Jena 1828, 16-73

(Auszug)

[48][...] II. Wenn wir die Gegner der Philosophie für die Theologie hiermit zurückgewiesen zu haben glauben, so bleibt uns das nicht minder wichtige Geschäft übrig, den f a l s c h e n G e b r a u c h der Philosophie in der Theologie abzuwehren. Unter denjenigen, welche der Philosophie eine Verbindung mit der Theologie gestatten, aber dieses Verhältniß unrichtig auffassen, lassen sich zwei H a u p t a n s i c h t e n unterscheiden, von denen die eine in einer widerrechtlichen B e s c h r ä n k u n g der Philosophie, die andere in einer unstatthaften V e r m i s c h u n g der Philosophie mit der Theologie besteht. [.. -][49][...] Steht aber nach allen diesen Ansichten die Philosophie in einem ganz äußern Verhältniß gegen die Theologie, so tritt sie [50] in höherem oder geringerem Grade in das Innere der Theologie als Wissenschaft ein, in denjenigen theologischen Ansichten, als deren Hauptcharakter wir 2) unstatthafte V e r m i s c h u n g der Philosophie mit der Theologie nannten. Der Grundgedanke, auf dem diese Ansichten beruhen, ist die Voraussetzung einer Einheit (es bleibt hier noch unerörtert, wie diese verschieden aufgefaßt wird) der Philosophie und Theologie. Dieser Gedanke hat auch allerdings einen wahren Sinn. Es liegt darin die Wahrheit, daß es nur Eine Wahrheit gebe, und daß diese Eine Wahrheit in der Theologie und Philosophie gleich sey, daß also jener scholastische Unterschied zwischen theologischer und philosophischer Wahrheit widersinnig sey. Aus diesem Grundsatz, richtig verstanden, wird also folgen, daß dasjenige, was in der Philosophie als Wahrheit erkannt worden ist, auch in der Theologie als solche anerkannt werden müsse. Es wird daraus folgen, daß, da diese Eine Wahrheit auch nur auf der Einen Vernunft beruht, diese Eine Vernunft in beiden in der Theologie eben so, wie in der Philosophie, als einzige Quelle der Wahrheit, als höchste Entscheidung über den Glauben, gelten müsse. So weit also, als die Theologie die Aufgabe hat, nicht bloß zu erforschen, was von andern Menschen und zu andern Zeiten geschehen und geglaubt worden ist (historische Wahrheit), sondern vielmehr zu bestimmen, was als wirkliche Wahrheit gelten und als eigener Glaube in die Ueberzeugung aufgenommen werden könne (rationale Wahrheit), so weit ist die Wahrheit der Theologie ganz Eine mit der Wahrheit der Philosophie, und so weit kann sie ihre Wahrheit nur aus der Einen Vernunft schöpfen, aus derjenigen Vernunft, die in der Philosophie entwickelt und ausgesprochen wird. So führt uns also dieser Grundsatz von der Einheit der Theologie und Philosophie, in seinem wahren Sinne genommen,

Schmid: Über das

Verhältnis

553

auf unser oben festgestelltes Princip von der freien Kritik des Positiven durch Vernunft und Philo-[51]sophie zurück. Daß dieß aber nicht der Sinn sey, in welchem diejenigen Theologen, von denen wir hier reden, diese Einheit nehmen, versteht sich von selbst. Sie unterscheiden nicht, was in der Theologie bloß historische Wahrheit und was rationale seyn solle. Das Historische oder Positive der Theologie selbst stellen sie der rationalen Wahrheit der Philosophie gleich; beide sind nach ihrer Ansicht gleich selbstständig, gleich wahr und richtig verstanden Eins. Man sieht leicht, daß das oben bezeichnete wahre Verhältniß zwischen dem historischen und rationalen Element, als dem zwischen Empfänglichkeit und Selbstthätigkeit, wonach nur die Vernunft die ewigen Gesetze der Wahrheit in sich enthält und selbstständig auf den geschichtlich dargebotenen Stoff anwendet, die Geschichte aber nur ein unvollkommenes, durch die Endlichkeit bedingtes Streben aufweisen könne, diese Vernunftwahrheit an sich auszusprechen, hier nicht beachtet werde. Von dem Gesetze der Endlichkeit aller Erscheinung nehmen diese eine Ausnahme an, indem sie in irgend einer historischgegebenen Lehre, sey es der der Bibel, oder gewisser kirchlicher Symbole, die absolute, reine Vernunftwahrheit voraussetzen, und diese darin wiederzufinden, sich zur Aufgabe setzen. Diese unausführbare Aufgabe, das Positive als Eins mit dem Rationalen, die zeitliche und endliche Erscheinung der Wahrheit, als Eins mit der ewigen Wahrheit an sich zu erkennen und darzustellen, suchen diese Theologen in der Dogmatik (und Moral) zu lösen. Die unselige Folge dieses Bestrebens ist große Willkühr in der Deutung der dogmatischen Formen, die der wissenschaftlichen Bestimmtheit der Begriffe sehr zum Nachtheil gereicht. Anders konnte es nicht kommen: man behauptete gleich von vorne herein, die Bibel- oder die Kirchenlehre sind Eins mit der Vernunft, sie m u ß Eins seyn, und soll als solche dargestellt werden. Aber sie sind es in der That nicht, wie die Natur aller endlichen Erscheinung fordert, und wie jeder Unbefangene zugesteht; [52] der Voraussetzung zu Liebe also muß den Formeln des veralteten Aberglaubens ein fremder Sinn aus den neuen Speculationen untergelegt, und so durch gezwungene oder willkührliche Erklärung die geforderte Einheit gefunden werden. Besser als diese Zweideutigkeit wird entweder offener Rationalismus oder einfach gläubiger Supranaturalismus der klaren, wissenschaftlichen Verständigung über religiöse Gegenstände dienen. Diejenigen aber, welche beide Denkarten, Rationalismus und Supranaturalismus dadurch zu verbinden streben, daß sie sich auf eine sogenannte höhere Einheit beider berufen, von denen Fries [Anm. ...] schon vor 16 Jahren sagte, daß sie „zweien [53] Herren zugleich dienen möchten, dem alten Aberglauben und der neu gefundenen Wahrheit," sie werden wohl schwerlich die Frömmigkeit der alten Zeit dadurch in das Leben zurückführen, daß sie die Farben

554

Anhang

derselben borgen, um eine ganz veränderte Stimmung des religiösen Gefühls damit zu bekleiden; eben so wenig als es wahre Tiefe des Gefühls und ächte Gemüthlichkeit verräth, wenn sie diese nur in den Formen einer fremden Religiosität auszusprechen vermögen. Zur näheren Charakterisirung dieser das Positive in die Philosophie hinüberdeutenden Theologen, unterscheiden wir unter ihnen drei verschiedene Ansichten. Die erste besteht in einer E n t w i c k e l u n g des Positiven zur Philosophie, die zweite in einer C o n s t r u c t i o n des Positiven durch Philosophie, die dritte in einer s y m b o l i s c h e n E r k l ä r u n g des Positiven nach philosophischen Ideen. Die erste Ansicht ist die S c h l e i e r m a chers 1 und T w e s t e n s 2 . Es ist bekannt, daß die philosophische Ansicht S c h l e i e r m a c h e r s , so wie er sich namentlich in seinen „Reden über die Religion" ausgesprochen hat, p a n t h e i s t i s c h ist, eine Ansicht, die dem Christenthum fremd und zuwider ist, und darum wenig geeignet, die christliche Glaubenslehre nach ihr zu entwickeln. Dennoch hat S c h l e i e r m a c h e r einen Versuch gemacht, den christlichen Glauben in seiner Einheit mit dieser seiner philosophischen Ansicht darzustellen. Er thut dieß nach folgenden Grundsätzen über das Verhältniß der Dog-[54]matik zur Philosophie. Das wissenschaftliche Denken (Philosophie) hat zu seinem Hauptgegenstande, wie die Religion, Gott (und sein Verhältniß zum Menschen), und die Art, wie sie dieses Gegenstandes inne zu werden streben, scheidet beide in „zwei ganz verschiedene Gebiete" (der christliche Glaube, S. 10.). Theologie und Philosophie müssen in strenger Unabhängigkeit von einander bestehen (S. 11.). Die Dogmatik beruht auf dem Glauben, der sich in frommen Gefühlsstimmungen ausspricht. Sie soll nicht überzeugen, sondern nur den schon vorhandenen Glauben dem Glaubigen a u s e i n a n d e r l e g e n . „Alles dogmatische Denken in Begriffen und Sätzen ist nichts anders, als eine solche zerlegende Betrachtung der ursprünglichen frommen Gemüthszustände, denn alles, was wir Dogmatik nennen, erscheint nie anders, als im Zusammenhange mit einer frommen Sinnesart," (S. 11. 12.). Die Philosophie dagegen strebt für sich thätig, ohne Beziehung auf jene frommen Gemüthszustände, im Denken über das Seyn der Dinge in's Klare zu kommen (S. 13.). Die Ausbildung des Glaubens und der frommen Gefühle als Glaubenslehre kann nur durch Wissen geschehen (S. 13. 14.). Und dieß ist die Aufgabe der Dogmatik. Sie soll sich von allem materiellen Zusammenhang mit der Philosophie losmachen, und ihren Stoff selbstständig aus den frommen Gefühlserregungen nehmen. Das wissenschaftliche Bedürfniß aber fordert es, daß die Uebereinstimmung 1

2

Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche. 2 Bde. Berl. 1821. Vorlesungen über die Dogmatik. l.Bd. Hamb. 1826.

Schmid: Über das

Verhältnis

555

dieser frommen Gefühle mit der Speculation klar werde. Die Dogmatik soll die religiöse Ueberzeugung so aussprechen, daß sie mit der wissenschaftlichen Erkenntniß nicht in Widerspruch stehe. Eben so geht T w e s t e n von einem ursprünglichen Glauben und frommen Gefühl aus, das aber in Begriffe zu fassen und in das Wissen zu erheben ist (Vorlesungen S. 22.). Ich streite nicht gegen diese Begründung der Religion auf Gefühl [55] und Glauben, wohl aber gegen die Art, wie es hier geschieht. Zuerst ist es seltsam, daß der Grund und die Quelle nur in der Dogmatik Gefühl und Glaube ist, nicht aber auch in der Philosophie, wie Schleiermacher annimmt. Ist es der geistigen Natur des Menschen eigen, daß die Religion in uns aus Gefühl entspringt und auf Glauben ruht, so muß dieß für menschliches Bewußtseyn überhaupt gelten, und in der That halte ich es auch für ganz richtig, daß die Religionsphilosophie nichts Anders zu leisten habe, als eine Zergliederung der ursprünglichen religiösen Gefühle, eine Reflexion über den ursprünglichen Glauben, (sonst kommen wir auf den scholastischen Unterschied zwischen theologischer und philosophischer Wahrheit). Ferner ist es unrichtig und der Natur des Gefühls und Glaubens zuwider, daß der Glaube dann doch noch (seinem Inhalt nach) in Wissen, das Gefühl in Begriffe verwandelt werden soll. Endlich aber hier das Wichtigste ist, daß das Gefühl nicht als das ursprüngliche reine Menschengefühl, der Glaube nicht als der reine selbstständige Vernunftglaube aufgefaßt wird, sondern ganz unstatthafter Weise das Gefühl an gewisse kirchliche Dogmen geknüpft und der Glaube in einen kirchlichen Autoritätsglauben verwandelt wird. Es ist schon davon die Rede gewesen, daß das religiöse Gefühl in seinen Aeußerungen sich immer an gewisse äußere Formen anschließt, und daß alle Fortbildung der Religion im Ganzen auf der Annahme gewisser religiöser Formeln, Symbole oder Gebräuche in der Gemeinschaft, Kirche, beruhe. Was aber geht dieß die Sache der Wissenschaft an? In der Dogmatik fragen wir nach nichts weiter, als nach der reinen Wahrheit, und muß sie diese, nach meiner Annahme, in den ursprünglichen religiösen Gefühlen durch Reflexion suchen, so ist es doch gerade ihr Zweck, in diesen Gefühlen das Besondere, Zeitliche, Kirchliche und Individuelle abzusondern, und nur das Ewige, Allgemeine, rein Menschliche in ihnen, für die Wahrheit hervorzuheben. [56] Nur für die praktische Anwendung, für die theologische Kunst, kommen dann auch die Symbole der religiösen Gemeinschaft, oder die überlieferten kirchlichen Formeln mit in Anschlag. S c h l e i e r m a c h e r und T w e s t e n aber verwechseln offenbar diesen praktischen Zweck der theologischen Kunst mit dem rein theoretischen der Dogmatik; denn sie legen der Dogmatik unmittelbar jenen praktischen Zweck unter, und gründen auf ihn großentheils die Nothwendigkeit, die Dogmatik in kirchlicher Form zu behandeln. Die

556

Anhang

Dogmatik soll, nach ihrer Ansicht, gar nicht eine allgemeingültige Wahrheit darstellen, sondern nur die besondere Form, in welcher sie sich in der Kirche gestaltet hat, die für eine jede Kirche, bei gleicher Wahrheit, eine andere seyn kann. Es liegt darin der wahre Gedanke, daß sich die reine Religionslehre nicht in ein allein wahres, abgeschlossenes System von Begriffen und Dogmen fassen lasse, wie die sogenannte natürliche Religion wollte, sondern daß sich durch Abstraction nur gewisse allgemeine religiöse Ideen, als der Kern der Wahrheit, aus unserem religiösen Bewußtseyn hervorheben lassen, daß aber diese Ideen, wenn sie im Gefühle (Ahndung) in's Leben treten und sich äußerlich darstellen wollen, in sehr verschiedenen Formen dargestellt werden können. Aber Aufgabe der Wissenschaft, also der Dogmatik als der Wissenschaft von der Religion, ist es eben, sich bewußt zu werden, daß diese Formen nicht die Wahrheit selbst aussprechen, sondern sie nur bildlich bezeichnen, und nur ästhetisch-praktische Bedeutung haben, die Wahrheit, die reine Idee der Religion, von der Hülle, in die sie Geschichte und Individualität gekleidet haben, zu entkleiden, die Verunstaltungen und Verfälschungen, welche durch sie die Religion oft erfahren hat, abzusondern. Ganz anders verfahren S c h l e i e r m a c h e r und T w e s t e n . Sie legen die Formen eines kirchlichen Glaubens als gegeben zu Grunde, und setzen es nur als Aufgabe der Dogmatik, diesen, aus dem Standpunct der neueren religiösen Bil-[57]dung zu verstehen, mit Hülfe der Philosophie die wissenschaftliche Bedeutung und Nothwendigkeit desselben in's Licht zu setzen. Die alte Glaubenslehre der Kirche soll, wie T w e s t e n sich ausdrückt, in die Sprache unserer Zeit und Philosophie ü b e r s e t z t werden, oder die Philosophie soll für den kirchlichen Glauben den rechten wissenschaftlichen A u s d r u c k suchen. Durchaus wird eine philosophische Construction des Glaubens verworfen, sondern nur der seinem Inhalt und seiner Form nach schon vorausgesetzte Glaube, soll mit H ü l f e der Philosophie e n t w i c k e l t werden [Anm. ...]. Wir sehen, Philosophie ist hier wieder nur H ü l f s w i s s e n s c h a f t der Theologie. Es ist im Wesentlichen wieder der Standpunct der Alexandriner und der Scholastiker, der hier erneuert wird. Ueber die πιστις und fides soll wieder eine γνωσις und intelligentia erhoben werden. Der kirchliche Glaube bei T w e s t e n hat beinahe den Sinn, wie jene πιστις und fides, und das höhere Verständniß jenes Glaubens, das Entwickeln desselben zum Wissen, oder das Uebersetzen des Glaubens in Philosophie ist eben das, was jene alexandrinische γνωσις und scholastische intelligentia war. Die Philosophie hat bei S c h l e i e r m a c h e r und bei T w e s t e n [58] wieder ganz dieselbe Stelle in der Theologie erhalten, wie bei den Alexandrinern und Scholastikern. Sie steht nur außen an den Pforten der Theologie, und dient nur als nützliches Hülfsmittel, um den von ihr ganz unabhängigen Kirchenglauben

Schmid: Über das Verhältnis

557

zu entwickeln, zu verstehen, wissenschaftlich darzustellen. Auch die Scholastiker ü b e r s e t z t e n den römischen Kirchenglauben in ihre aristotelischen Formen, wie die Neuscholastiker den lutherischen in ihre seyen es pantheistischen oder andere - Philosopheme. Gegen diesen N e u s c h o l a s t i c i s m u s ist zu erinnern, e r s t l i c h , daß es überhaupt eine falsche Aufgabe für die W i s s e n s c h a f t ist, die Formen und Symbole für die religiösen Gefühle w i s s e n s c h a f t l i c h zu b e s t i m m e n , und sie so zu Dogmen zu fixiren. Sie sind freier Ausdruck eigenthümlicher religiöser Gefühlsstimmungen, die sich ästhetisch und praktisch im Leben selbst bilden, und nur für das gemeinschaftliche kirchliche Leben eine gemeinschaftliche Gestalt annehmen. So wie aber das innere religiöse Leben in fortwährender Entwicklung und Umbildung begriffen ist, so müssen auch die gemeinschaftlichen religiösen Formen sich mit jenem frei umbilden, und darum ist es z w e i t e n s ein falsches Bestreben, die kirchlichen Formen irgend einer bestimmten, vergangenen Zeitperiode festzuhalten und gar wissenschaftlich festzustellen. Das innere religiöse Leben, das den lutherischen oder reformirten Lehrbegriff hervorbrachte, ist längst umgebildet, und so stehen jene Formen für uns als todt da, die weder wissenschaftlich, noch praktisch für uns eine Bedeutung haben. Uns können nur religiöse Formen und Symbole frommen, die, nicht eine veraltete, abgestorbene, sondern unsere eigene neue religiöse Stimmung ausdrücken, und dafür zu sorgen, ist Sache der theologischen Kunst. Die Wissenschaft aber hat gerade im Gegentheil in Beziehung auf diese alten Kirchenformeln zu zeigen, daß sie nur zeitliche Hüllen und als solche unvollkommen [59] und den reinen Ideen der Religion oft widersprechend sind [Anm. ...]. [...] [65][...] III. Welche Philosophie, ihrer Form und Methode, so wie ihrem Inhalt nach, zu einer solchen Verbindung mit der Geschichte, und im Besondern mit dem historisch überlieferten Christenthum, am meisten geeignet sey, dieß verdient jetzt noch untersucht zu werden. [..,][70][...] In Rücksicht seines objectiven Wahrheitsgehalts sind es vorzüglich die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, welche den reinen, ewigen Charakter des Christenthums bestimmen. Gott, als Geist, als von der Welt wesentlich verschieden, als lebendig in der Welt wirksam; Freiheit, als nothwendiger Grund der Sittlichkeit, der Zurechnung und der Versöhnung mit Gott; Unsterblichkeit, als Unvertilgbarkeit der persönlichen Existenz, und als seliger Zustand mit den schönen Bildern vom Himmel und vom Wiedersehen. Dieß sind Ideen, welche den w a h r e n , r e i n e n C h a r a k t e r des ä c h t e n Christenthums bezeichnen, und die zugleich, als Bestandtheile des ungetrübten menschlichen Bewußtseyns anerkannt werden müssen. Jede Philosophie also, die diesen Ideen eine feste und sichere Begründung in sich giebt und diese klar zum Bewußtseyn bringt, wird im wahren Sinne des Worts eine

558

Anhang

christliche genannt zu werden verdienen, und eine solche wird am gewissesten zum Heile der Wissenschaft und der Kirche in die Theologie einzuführen seyn. Aber gerade diese Ideen sind es, welche in den neueren pantheistischen und naturphilosophischen Systemen am schwächsten begründet, zum Theil ganz vernichtet sind, obgleich eben diese am lautesten den Namen der Christlichkeit für sich in Anspruch genommen, am eifrigsten den Schein der christlichen Rechtgläubigkeit für sich gesucht haben. Ihnen ist der Glaube nur ein niederer Grad des Bewußtseyns, für die rohe Menge, über den ein sogenanntes Wissen sich erheben solle. Die Sittlichkeit nimmt bei ihnen nur eine sehr untergeordnete Stelle ein, und wird fast ganz verschlungen von dem einseitigen theoretischen Interesse für das Wissen. Die Idee Gottes wird bei ihnen im Gegensatz gegen das Christenthum als Eins mit der Welt aufgefaßt, und so in ein starres Schicksal verwandelt oder [71] gänzlich vernichtet. Freiheit ist Eins mit Nothwendigkeit, und darum keine, im Sinne des Christenthums. Damit ist der ganze Grund der Sittlichkeit zertrümmert, Zurechnung und Verdienst sind leere Worte, und menschliche Unfähigkeit, Nothwendigkeit der Versöhnung durch fremdes Verdienst, durch den Opfertod Christi, treten an die Stelle der sittlichen Ideen. Unsterblichkeit ist Verschmelzung der Person in das All, in das Absolute, und vernichtet jene schönen christlichen Gedanken von ewigem Leben und Vergeltung. Diese Leerheit an wahrhaft christlichem Gehalte, welche diesen Systemen eigen ist, haben sie, vermittelst dialektischer Künste und vieldeutiger Biegsamkeit ihrer Formeln dadurch zu verbergen gesucht, daß sie die historische Schale des Christenthums für den Kern desselben ausgegeben, und diese mit ihrer Philosophie zu amalgamiren gesucht haben. So wurden Lehren, wie die von der doppelten Natur Christi oder von dem Mensch gewordenen Gott, oder von der Erlösung, von der Erbsünde, von der göttlichen Dreieinigkeit, von der Offenbarung, Wundern u.s.w., die alle nichts anders sind, als zeitliche Einkleidungen der ewigen Ideen des Christenthums, und die erweislich alle nur aus abergläubischer Fixirung mythischer Vorstellungen von dem historischen Ursprung des Christenthums hervorgegangen oder von Außen in die christliche Kirche gebracht worden sind, zu Grundlehren des Christenthums gemacht, und seltsamer Weise auf ganz fremde speculative Ideen gedeutet. So wird die Menschwerdung Gottes zur concreten Erscheinung der reinen Idee gemacht, die Erlösung zur Erhebung in den Stand der absoluten Anschauung, die Dreieinigkeit zum Realen, Idealen und Indifferenten gemacht, und dergleichen mehr. Wieder ist es auch hier die kritisch-anthropologische Richtung der Philosophie, welche tiefer und inniger mit dem Christenthum verwandt ist. Der Glaube hat in ihr die sicherste Begründung gefunden, vorzüglich dadurch, daß die subjective Richtung dieser Philosophie so

Steudel: Frage

5

10

15

20

559

klar den ursprünglichen Quell des religiösen Bewußt-[72]seyns in dem eigenen Innern nachgewiesen hat. Bei K a n t ist dieß noch unvollkommen geschehen durch einseitige Begründung auf dem sittlichen Glauben (kategor. Imperativ), vollkommner aber in der durch Fries geleisteten Fortsetzung der Kritik der Vernunft, deren Resultat eine reinere Auffassung des Unterschiedes zwischen natürlicher und idealer Ansicht oder Wissen und Glauben ist. [• ··][73][...] Das Allgemeine aber, was ich in dem Vorstehenden vorzüglich geltend zu machen gestrebt habe, ließe sich in folgenden Sätzen kurz wiederholen. E r s t e n s : Historischgelehrte Forschung und historisch-kritische Schärfe muß als gleich nothwendiges und wesentliches Element der Theologie neben freier philosophischer Ansicht anerkannt werden, und nur von dem gleichmäßigen Weiterstreben in beiden Richtungen ist wahres Gedeihen für die Theologie zu hoffen. Z w e i t e n s : für die systematische Theologie im Besondern (Dogmatik und Moral) ist ganz reine, offene, redliche Vernunftlehre, ohne alle positiv-historische Einkleidung, unbedingt zu fordern. D r i t t e n s : in dieser reinen Vernunftlehre kann klar verständige Besonnenheit, neben tiefer idealer Ansicht und neben Wärme des Gefühls und der Begeisterung, wohl bestehen, denn es ist ein Irrthum, daß das eine verlieren müsse, je mehr das andere gewinnt.

Steudel, Johann Christian Friedrich Die Frage über die Ausführbarkeit einer Annäherung zwischen der rationalistischen und supranaturalistischen Ansicht, mit besonderer Rücksicht auf den Standpunkt der Schleiermacherschen Glaubenslehre, beleuchtet 25 von Dr. J.C.F.Steudel, aus Anlaß von der Schrift: Dr. H.A.Schotts Briefe über Religion und christlichen Offenbarungsglauben, Worte des Friedens an streitende Partheien, Jena 1826, in: Tübinger Zeitschrift für Theologie, Erstes Stück, Tübingen 1828, 74-199 (Auszug)

[77][...] Ref. glaubt zwar durch Hervorhebung des eigentlichen Frage30 punktes allein schon die Unausführbarkeit einer Vereinigung zwischen beiderlei A n s i c h t e n - und um diese fragt es sich - befriedigend in's Licht setzen zu können. Der Streit läßt sich nämlich auf eine Frage zurückführen, auf welche durchaus n u r ein Ja oder [78] Nein sich antworten läßt, also daß kein Mittelweg zwischen dem einen oder andern, 35 kein halbes Ja und kein halbes Nein sich denken läßt. Diese Frage ist: Erkennst du außerhalb des dem Menschen Mitgegebenen, in ihm selbst Liegenden, aus ihm selbst Entwickelbaren noch eine geschichtlich dargebotene, glaubwürdige Quelle von Belehrung über göttliche

560

Anhang

Dinge an: so daß der Inhalt dieser Belehrung als wahr angenommen wird - nicht deßwegen, weil sie zu den von der menschlichen Vernunft durch sich selbst auffindbaren Wahrheiten gehört, sondern weil sie von Gott als Gegenstand des Glaubens befriedigend beglaubigt ward? Supranaturaliste ist, wer diese Frage bejaht; Rationaliste, wer sie verneint. - Oder ließe umgekehrt die entscheidende Frage sich fassen: Verwirfst du jedes Ansehen, das zum Glauben bestimmen sollte, neben dem, was als im Menschen ursprünglich liegend und aus ihm selbst entwickelbar nachgewiesen werden kann? Rationalist ist, wer diese Frage bejaht; Supranaturalist, wer sie verneint. Ref. gesteht, nicht einzusehen, wie, - sobald nur die Frage also gestellt wird, und anders mag sie nicht gestellt werden - die Hoffnung genährt werden kann, daß die rationalistische A n s i c h t mit der supranaturalistischen A n s i c h t vereinbart werden könne. [...] [93][...] Kaum wird Hr. D. Schott hier etwas zu seinen Gunsten benutzen können, was er S. 266. in Bezug auf die Schleiermacher'sche Ansicht (über deren Verhältniß zur Schott'schen gleich ein Wort soll gesprochen werden) als zu deren Rechtfertigung dienend geltend macht, daß nämlich, ob auch die Offenbarung als Anfang eines Neuen, nicht aus dem Vorangegangenen möge erklärt werden etc., doch „aus der universellen Bestimmung des Christenthums folge, daß wir das Menschwerden Christi selbst als etwas Natürliches zu betrachten haben, d.h. in der menschlichen Natur die Möglichkeit liegen muß, das Göttliche, so wie es in Christo gedacht wird, in sich aufzunehmen (denn alles Wirkliche muß möglich seyn, und was berechtigt uns zu der Annahme, daß diese Möglichkeit in die menschliche Natur erst später hineingeschaffen werden mußte?), und das zeitliche Hervortreten jenes Göttlichen in einer bestimmten einzelnen Person als eine in [94] der ursprünglichen von Gott getroffenen Einrichtung der menschlichen Natur begründete und durch alles Frühere vorbereitete That derselben und als die höchste Entwicklung ihrer geistigen Kraft angesehen werden muß." Hr. Schott wird diese Bemerkung zu Gunsten seiner Ansicht schwerlich benutzen können. Denn sobald von B e l e h r u n g , welche h i n g e n o m m e n wird, die Rede ist: so kann vollkommen zugestanden werden, daß die E m p f ä n g l i c h k e i t für die Hinnahme der Belehrung in der menschlichen Natur begründet seye. Daraus aber folgt dann keineswegs, daß das A u f g e n o m m e n e , durch Fürsorge Gottes Mitgetheilte, etwas von dem menschlichen Geiste selbst A u f f i n d b a r e s war. Die menschliche Vernunft ist allerdings kraft ihrer ursprünglich von Gott getroffenen Einrichtung etwas z u r Auffassung und Aneignung gewisser Wahrheiten und dann weiter d u r c h diese Auffassung und Aneignung Entwickelbares; aber diese Wahrheiten können ja eben deßwegen g e g e b e n werden, d a m i t die

Steudel: Frage

561

Vernunft v e r m ö g e dieser Mittheilung sich entwickle. Es ist hier etwas ganz Anderes, wenn angenommen wird, die Entwicklung eines L e b e n s seye in die Geschichte eingetreten, von welchem aus nun eine neue Anregung auf die Menschheit sich herschreibe. Hier wäre der Geist des Menschen allerdings g e w o r d e n , was er seiner ursprünglichen Anlage nach zu werden sich eignet, und was nun von diesem Anfangspunkte aus angeregt jeder mehr und mehr d a r s t e l l e n soll. Das führt uns nun eben auf die Erforschung des Verhältnisses, in welchem die Schott'sche Ansicht überhaupt zur Schleiermacherschen steht, wo es auch scheinen dürfte, die Richtung auf die Absicht, sich zusammentreffend zu finden, habe das in seiner Grund-[95]anlage völlig Unvereinbare beider Ansichten unsern ehrwürdigen Vermittler übersehen lassen. Der Grundunterschied ist eben der, daß nach Schott über göttliche Dinge b e l e h r e n d e Offenbarung der Menschheit werden kann, nach Schleiermacher nur eine A n r e g u n g des G e f ü h l s , welches zu dem bestimmtem Bewußtseyn dadurch vorausgesetzter Ansichten mag entwickelt werden. Nach der letztern Ansicht w i r d allerdings der Mensch nie etwas Andres, als was er bestimmt durch die auf ihn Anstoß übenden Einflüsse seiner ursprünglichen Natur nach zu werden hat; und consequenter Weise müßte mithin, wo etwas Neues hervortritt, um in's Leben aufgenommen zu werden, dieß als etwas aus diesem Geiste, als in dem menschlichen ursprünglich wohnend, Hervorgerufenes betrachtet werden; wobei angenommen wird, in Christo habe sich das Hervorzurufende in seiner vollendeten Reinheit und Vollständigkeit dargestellt, so daß einzig durch die Anregung des in Christo in die Wirklichkeit getretenen Lebens der Mensch wird, was er zu werden die Bestimmung hat: wozu dann freilich noch weitere Vorstellungsweisen treten, als ob dieses Urbild zugleich als Anfangspunkt das Belebende und als angeeignet das Belebte wäre: wodurch es aus einer historisch aufgetretenen Person in eine bloß ideelle verschwimmt. Unsere Erlösung durch Christum kommt dadurch zu Stande, daß, wie Christus nach seiner ideellen Natur völlig sündenfrei war, oder gedacht werden muß, so, wer seine Idee sich aneignet, sein neues Leben in sich aufnimmt, vollkommen und sündenfrei seyn muß (vgl. S c h l e i e r m a c h e r Gl.L.Th.2. S. 118.ff. §.113.ff.). Der Grund aber, aus welchem dem ideellen Christus ein historischer unterzulegen ist (vgl. ebendas. Th.2. S. 182. f.), insofern nämlich [96] aus der menschlichen sündigen Natur nicht eine andere, als irgendwie durch das Sündige behaftete Idee hätte hervorgehen mögen, ist selbst ein nicht genügender für den, welcher den historischen Standpunkt festhält, aber auch außerdem wohl kaum standhaltend selbst bei den Grundansichten Schleiermachers (vgl. D. Baur Osterprogr. Tüb. 1827. (comparatur Gnosticismus cum Schleiermacherianae theologiae indole) S. 17.). [...]

562

Anhang

[99][...] Das B e w u ß t s e y n unser selbst als abhängiger also nach dem Bisherigen - ist noch gar nicht Frömmigkeit; sondern zur Religion, Frömmigkeit gehört die A n e r k e n n u n g d e r G ü l t i g k e i t dieser Abhängigkeit. Eben damit ist die Frömmigkeit nicht ein bloßes Vorfinden unser selbst, sondern eine B e s t i m m u n g unser selbst - eine R i c h t u n g , welche wir kraft unsrer S e l b s t t h ä t i g k e i t uns geben. Und diese Selbstthätigkeit mögen wir ja nicht übersehen! So wenig der Mensch ohne jene in sich selbst vorgefundene Kunde seiner Abhängigkeit und andere Thatsachen seines Bewußtseyns zur Frömmigkeit g e l a n - [ 1 0 0 ] g e n würde: so wenig ist die F r ö m m i g k e i t s e l b s t bereits mit solchem Selbstbewußtseyn ihm g e g e b e n . Ein zweites ist, daß, indem nun der Mensch seine Abhängigkeit von einem ihm Ueberlegenen, H ö h e r n anerkennt, er von ihm sich abhängig anerkennt nach den verschiedenen Aeußerungen seines geistigen Wesens und ü b e r e i n s t i m m e n d m i t d e r N a t u r d e r s e l b e n ; oder: eben indem er sich s e l b s t seiner Abhängigkeit von dem H ö h e r n bewußt ist, ist er sich derselben als ein vernünftig erkennender, wollender und fühlender Geist bewußt. Also unter Anerkennung meiner Abhängigkeit von jenem Höhern, Ueberlegenen fasse ich meine W e l t a n s i c h t ; unter der gleichen Anerkennung bestimme ich meinen W i l l e n ; unter der gleichen Anerkennung nehme ich L u s t u n d U n l u s t , gebe ich mich dem Schicksal hin. Eben damit bieten sich mir dar die Ideen der mit Weisheit, der mit Heiligkeit, der mit Liebe gepaarten Macht. Denn f ü r meinen Blick um mich her, f ü r die Anschauungsweise dessen, was mich umgiebt, gewinne ich Einheit, indem ich jene waltende Macht mir denke als ordnend nach Zwecken; f ü r mein thätiges Eingreifen in den Lauf der Dinge, für mein Handeln gewinne ich Einheit, indem ich jene waltende Macht mir denke als wollend, fördernd und begünstigend das Gute, als heilig; f ü r die Nothwendigkeit des Fügens in das, was der Lauf der Dinge mit sich bringt, gewinne ich Einheit (Friede und Ruhe), indem ich jene waltende Macht mir denke als Alles zum Besten lenkend, als die Liebe. Hieraus geht wohl sehr klar hervor, daß, wenn wir dem Wesen der Religion oder Frömmigkeit auf der Spur nachgehen, wir keineswegs berechtigt sind, ihr ihren Sitz unmittelbarer im G e f ü h l e , als im W i l l e n und im E r k e n n e n anzuweisen. Umgekehrt [101] müßten wir, da wir uns ja auch als mit dem Gewissen begabt, als frei u.s.w. unmittelbar vorfinden, uns als solcher wechsellos bewußt sind, auch der Freiheit, der Gewissenhaftigkeit ihren Sitz im Gefühle anweisen, gleichwie der Religion, der Frömmigkeit. Nicht minder großer Bedenklichkeit ausgesetzt aber ist die Bestimmung, das Wesen der Frömmigkeit seye, daß wir uns unser selbst als s c h l e c h t h i n abhängig bewußt sind; oder wie es erklärt wird, ohne ein

Steudel: Frage

563

Verhältniß der Wechselwirkung: wie es noch zwischen jedem Endlichen und dem Inbegriff des Endlichen, der Welt und uns gedacht wird. Es ist nämlich allerdings richtig, daß wir neben dieser Abhängigkeit uns nicht bewußt seyn können, denn doch auf das Unendliche so einzuwirken, daß irgend dessen Zwecke gestört oder die Art seines Daseyns angetastet würde. Auf der andern Seite aber sind wir uns des Verhältnisses der Abhängigkeit zu ihm also bewußt, daß wir als f r e i e Wesen seine Ordnung zu verwirklichen haben (wobei gelegentlich zu bemerken seyn dürfte, daß es als Verkehrung der Begriffe erscheinen muß, wenn gesagt wird: „das Selbstbewußtseyn des Menschen, als durch die Welt, die Gesammtheit alles geistigen und leiblichen endlichen Seyns (und die Wechselwirkung mit ihr) mit bestimmt, ist eben das Bewußtseyn der Freiheit." Vielmehr ist das Bewußtseyn der Freiheit eben das Bewußtseyn, durch allen Andrang der einwirkenden Welt wohl angeregt, zu einer gewissen äußerlich so oder anders gestalteten Handlung v e r a n l a ß t , aber n i c h t b e s t i m m t zu werden: so wie der Mensch frei, im Besitze der Freiheit (der Willkühr, das Gute oder Böse zu seiner Triebfeder oder Absicht zu machen) wäre, auch wenn keine Welt um ihn her wäre). Jene, [102] wie anders als unter dem stetigen Einflüsse der Gottheit stehend zu denkende, Ordnung nun legt sich an uns - je nach der Verschiedenheit der Bestimmung unsers Willens - auch verschieden dar; und eben damit müssen wir auch uns als in Wechselwirkung mit dem Lenker jener Ordnung stehend denken, da ja die Ordnung und jede Aeußerung der Ordnung nur hervortritt, insofern der Ordnende es also fügt. Diese unsere Wirkung ist aber niemals eine andere, als wie sie die ewigen Gesetze dessen mit sich bringen, von welchem wir abhängig sind. Aber mit der Freiheit, welcher unser uns bewußt zu seyn, eben auch mit einen Bestandtheil unsers frommen Bewußtseyns (Gottes als des Heiligen) ausmacht, ist auch das Bewußtseyn einer Wechselwirkung gegeben, welche freilich nur eben in Uebereinstimmung mit den Gesetzen dessen, von welchem wir abhängen, sich darlegt, mithin eben dessen unantastbare Ueberlegenheit bewährt. Wenn aber die Frömmigkeit darin bestände, uns unser selbst als s c h l e c h t h i n abhängig bewußt zu seyn: so dürfte sich ferner wohl fragen: ob da überhaupt nur noch ein Selbstbewußtseyn übrig bliebe, wo man dem Schlechthin-abhängig-seyn hingegeben wäre? - Bei diesem Schlechthin-abhängig-seyn könnte sich ja eben das Bewußtseyn des Selbst gar nicht mehr regen, indem das Selbst eben auf etwas für sich Bestehendes hinweist. Was aber für sich - und mit dem Bewußtseyn, sich anzugehören - besteht, und nicht in jeglicher Beziehung bloß in so fern ein andres bestehet, das k a n n sich seiner gar nicht als b l o s s c h l e c h t h i n abhängig bewußt seyn. Das Thier, wenn wir es uns als blos durch das Gesetz der Nothwendigkeit geleitet vorstellen, also daß

564

Anhang

auch alle Aeußerungen der Seele bei ihm eben diejenigen sind, [103] welche der Zusammenhang mit dem Ganzen, in welchem es als das so modificirte steht, mit sich bringt - das Thier würde, wenn es sich selbst als ein gesondertes zum Objekt seiner Wahrnehmung machen könnte, sich selbst vorfinden als ein schlechthin abhängiges; allein insofern wir es als dieses schlechthin Abhängige uns zu denken hätten, vermöchten wir eben n i c h t es uns zu denken als ein sich seiner selbst mit Bestimmtheit bewußtes; es wäre sich selbst eben als in dem nothwendig bestimmenden Zusammenhang mit dem All gegeben, in welchem es als nothwendig bestimmt seinen Gang hingienge, nicht wie es ihn gestaltet; sondern wie er ihm gestaltet wird. Kurz! nach jener Forderung hieße Religion haben - das B e w u ß t s e y n s e i n e r selbst als P e r s o n a u f g e b e n . Wenn aber Religion die Bestimmung des Menschen als einer P e r s o n ist, so wird sie dieses sein Bewußtseyn als einer Person v e r k l ä r e n , keineswegs aufheben. Wir werden bei dem Gottes-Bewußtseyn nicht uns selbst v e r s c h w i n d e n ; sondern mit dem adelndsten Gepräge uns selbst finden als uns selbst. Nicht also das wird das Wesen der Frömmigkeit seyn, sich seiner selbst als schlechthin abhängig bewußt zu seyn; denn dabei würde uns das fromme Subjekt selbst zerrinnen; sondern Frömmigkeit wird seyn: g e m ä ß der Abhängigkeit, in welcher der Mensch sich findet, sein g a n z e s W e s e n bes t i m m e n ; - so erkennen, wollen und fühlen wie die Anerkennung des Höhern, von welchem er abhängt, es mit sich bringt. [...] [108][...] Schi, muß nämlich den Hauptwerth bei dem, was er Offenbarung nennt, darein setzen, daß ein neues Leben von dem Offenbarer aus in die Menschheit eingetreten ist, wie er ja denn das durch Christum eingetretene Leben auch mit der ursprünglichen Schöpfung vergleicht. Im Grunde kann er Christum und das Christenthum nur [109] als Anregung des in Christo dargestellten und von den übrigen anzueignenden Lebens, nicht aber als eine Anstalt der B e l e h r u n g über göttliche Dinge fortrücken lassen, außer in sofern jeder dieses in sich aufgenommene Leben zum Bewußtseyn kommen läßt. Und dieses Leben selbst erscheint vielmehr als etwas ohne Zuthun gegebenes, denn als etwas selbstthätig anzueignendes - natürlich, weil der Hauptsitz der Religion das G e f ü h l ist, von dessen Ergriffenseyn erst Verstand und Wille zur Thätigkeit angefacht wird. Darum darf es dem Supranaturalisten gar nicht unerwartet seyn, wenn er an dem einen Orte (vgl. Schi. Chr. Gl. Th. I. S. 100. f.) liest, „das Wort (Offenbarung) würde von andern Religionsstiftern nur in einem weiteren und untergeordneten Sinne gebraucht seyn, weil ihr Daseyn mit allen sich daraus entwickelnden Vorstellungen und Anordnungen auf eine zeitgemäße und volksthümliche Weise bestimmt und beschränkt war; und es würde in seinem höchsten Sinn auf Christum allein anwendbar seyn, weil, so wie das Ansehen,

Steudel: Frage

565

welches die in ihm gesetzte Offenbarung ausübt, sich unbegrenzt über alle Zeiten und Völker erstrecken soll, eben so auch sein persönliches Seyn und Wesen von s o l c h e r B e s t i m m t h e i t b e f r e i t gedacht werden muß;" wenn er dagegen aber bald sich sagen lassen muß (vgl. ebendas. S.215.): „Im neuen (Bunde) geben die Erzählungen von Engeln keine Bürgschaft, welche allgemein anerkannt wäre; und übrigens zeigt der gänzliche Mangel einer Anwendung des Begriffs, daß Christus und die Apostel ihn nur so gebraucht, wie ü b e r a l l j e d e r sich j e d e n v o l k s t h ü m l i c h e n Begriff aneignet." Wie steht es denn nun hier mit unserem Glauben an eine in Christo zu denkende, allein wahre Offenbarung, in sofern Jesu per-[l 10]sönliches Seyn und Wesen als von der Bestimmtheit durch volksthümliche Vorstellungen b e f r e i t gedacht werden muß, und dagegen dieser gleiche Christus, wie ü b e r a l l j e d e r , den volksthümlichen Begriff von Engel sich aneignet? - Ausdrücklich verwahrt sich hiebei Schi, noch, hierunter nicht zu verstehen, was man sonst Anbequemung nennt (wobei Christus noch als nicht wirklich von der volksthümlichen Vorstellung für seine Person bestochen hätte gedacht werden mögen); sondern es seye die Rede von einem Bilde, welches dem gemeinsamen Leben angehörig sich mit der unbestimmten Wahrheit, die ihm überhaupt nur zukommt, in der Seele festsetzt, und gelegentlich hervortritt, ohne mit den Vorstellungen, welche die Ueberzeugung im engern Sinne bilden, überhaupt in bestimmte Beziehung gesetzt zu seyn. Somit haben wir, was die Erkenntniß betrifft, in dem Schleiermacherschen historischen Christus einen Solchen, in dessen Seele eine auf die übersinnliche Welt (aus welcher er nach Hrn. Dr. Schotts Vorstellung in die unsrige eingetreten zu seyn mit Recht sich bewußt war) Bezug habende Vorstellung, wie sie unter den Juden gerade gangbar war, und weil sie unter den Juden gangbar war, eben mit der unbestimmten - d.h. wohl problematischen? - Wahrheit sich festsetzte, welche ihr überhaupt zukommt - freilich, wie wir von Hrn. Dr. Schleiermacher versichert werden, ohne daß sie Jesus in bestimmte Beziehung auf seine Ueberzeugung im engern Sinne gesetzt hätte. Wir erfahren also zugleich, daß Jesus eine Ueberzeugung im weitern und eine Ueberzeugung im engern Sinne hatte: was wohl schwerlich in diesem Zusammenhange etwas anders heißen kann, als daß er manches als wahr gelten ließ, weil es auch andere als wahr gelten ließen; andres aber ohne diese Be-[11 l]ziehung, ob es andere gelten ließen oder nicht; drängt sich da nicht - um dieß nur gelegenheitlich zu bemerken - der unwillkührliche Gedanke auf, daß eben derjenige, welcher das urbildliche Leben Jesu in sich aufnimmt, falls dasselbe in Jesu selbst so wenig wirksam war, um den Geist aus der Befangenheit in volksthümlichen Vorstellungen zu befreien, durch dasselbe nicht auf die ächte Weise ergriffen seyn kann, oder dessen noch in höherem Grade, als das Urbild

566

Anhang

selbst, theilhaftig geworden seyn muß, welcher nicht nur von den volkst ü m l i c h e n Vorstellungen seiner Zeit, sondern sogar von den noch in der Seele Jesu selbst in unbestimmter Wahrheit festgesetzten Bildern befreit wird und sich befreit sieht? - Und wie glücklich hat unser Zeitalter sich zu preisen, daß es uns Aufklärung darüber gibt, was bei dem von Gott Gekommenen zur Ueberzeugung im engern und was zur Ueberzeugung im weitern Sinne gehörte! - Mögen wir die weitere ähnliche Versicherung (vgl. ebendas. Th.2. S. 190. f.) daß „die menschliche Natur in Christo nicht vollständig wäre, wenn sie nicht auch wäre volksthümlich bestimmt gewesen," verstehen, wie wir wollen: so viel wird aus dem zuvor Bemerkten klar seyn, daß dieser von Schleiermacher uns angemuthete christliche Glaube in Bezug auf W a h r h e i t , welche wir aus dem Munde Jesu vernehmen zu dürfen uns zu versprechen hätten, so wenige Sicherheit gewährt, daß der Supranaturaliste mit dem, was ihm hier geboten wird, unmöglich befriedigt seyn kann, er setze denn voraus, daß in diesem neuen Glauben der Paraklet erschienen seye, welcher uns in alle, von Christo nicht nur nicht mitgetheilte, sondern auch von ihm selbst nicht erkannte, sogar miskannte Wahrheit zu leiten hat: worüber hier dem Urtheile Niemands will vorgegriffen werden. [112] Bis jetzt aber war Christus für den Supranaturalisten diejenige Person, von welcher nicht nur ein rein göttliches Leben, sondern auch eine die Tiefen der Gottheit und unser Verhältniß zu Gott durchdringende E r k e n n t n i ß prädicirt wurde, welche Erkenntniß in Wahrheit als nicht bestochen oder bestechbar durch irgend unbegründete Zeitvorstellungen galt. Daher z.B. eben, wenn Christus von Engeln sprach, deren Daseyn uns Menschen außerdem problematisch seyn möchte, diese durch Jesum gewordene Kunde von dem Daseyn solcher Wesen B e s t i m m u n g s g r u n d wurde, um an ihr Daseyn zu glauben. Der Supranaturaliste wird bei der Einfalt seines Glaubens niemals dem Grundsatze huldigen, daß, weil auf seiner gegenwärtigen Stufe sittlicher Entwicklung und geistiger Erkenntniß, deren Mangelhaftigkeit er sich nicht verhehlt, eine gewisse durch Christum aufgenommene Lehre ihm entbehrlich, außerhalb des Kreises seiner religiösen Bedürfnisse zu liegen scheint, er berechtigt seye, diese Lehre unter die Reihe der Zeitvorstellungen zu setzen, welche Christus, wie jeder die volksthümlichen Begriffe, sich aneignete. Umgekehrt würde er - etwa in die Sprachweise der neuen Glaubenslehre eingehend - erklären: Wenn zur Entfaltung des in Christo dargestellten vollkommenen Urbildes der Menschheit auch die Vorstellung von dem Daseyn und Einwirken der Engel beitrug und mit gehörte: wer bin ich, daß ich, was das göttliche Urbild in sich aufnahm, für leicht entbehrlich und für Erzeugniß des Eingehens in volksthümliche Ansichten, wie ja in diese jeder eingeht, erklärte? - Im Gegentheile würde der Supranaturaliste fürchten, die Ansicht, nach

Steudel: Frage

567

welcher er etwa das von dem Urbilde in sein Wesen Aufgenommene in die Reihe von Zeitvorstellungen zu [113] setzen versucht wäre, dürfte von der eigenen Befangenheit in Zeitirrthümer oder Zeitdünkel herrühren; und er würde sich bereden, besser zu thun, wenn er, anstatt das Urbild, wenn er einmal dieses in Wahrheit gefunden zu haben meinte, zu meistern, zuerst bei sich anfienge, in das Wesen des Urbilds einzugehen, und als dessen treuen Schüler ihm zur Durchbildung sich herzugeben. Hieraus geht hervor, daß es nicht auf eine D a r s t e l l u n g s w e i s e ankommt, welche die sich gegenüberstehenden Ansichten vereinigte; sondern daß die eine Ansicht in W a h r h e i t Christo als dem Vorbilde und Lehrer sich hingibt, die andere aber sich selbst h ö h e r setzt, als wie die G e s c h i c h t e uns Jesum Christum gibt, und aus sich selbst einen Christus schafft, nach welchem der historische Christus sich umgestalten muß, wenn er als Offenbarer der Gottheit gelten soll. Auch diese Glaubensdarstellung also, wie sehr sie das Gepräge eines kalträsonnirenden Rationalismus von sich wegweise, trifft in dem Wesentlichen mit ihm zusammen, - darin nämlich, daß sie sich sträubt, ein Ansehen anzuerkennen, durch welches dem Menschen etwas weiteres glaubwürdiges gegeben würde - neben dem, was er sich selbst zu geben, aus sich selbst, seiner Vernunft oder seinem geistigen Wesen zu schöpfen hat. [...] [190][...] Doch, so unsicher die B e g r ü n d u n g erscheinen muß für die Behauptung, daß der Gipfel der Offenbarung Christus seye, so ungenügend muß der von der O f f e n b a r u n g aufgestellte B e g r i f f selbst gefunden werden. Sie soll bestehen in dem Neuen, Ursprünglichen, seinem Grunde nach im Vorangegange-[191]nen nicht Nachweisbaren der frommen Anregungen, welche von einem gewissen Punkte aus in die Menschheit eingeführt werden. Dessen soll hier gar nicht gedacht werden, wie wenig geeignet zur Beurtheilung, in wie weit eine dargebotene Offenbarung mehr oder minder ihrem Inhalte oder Dargebotenen nach neu seye, eben diejenigen, für welche die Offenbarung sich darbeut, sich finden lassen dürften. Was für die Masse des Volkes neu ist, ist's deßwegen auch für den als theilhaftig einer Offenbarung Auftretenden? - Und am Ende - eben w e n n Längstbekanntes und in gewissen Beziehungen auch längst Benutztes nun so zur Anwendung hervorgestellt wird, daß es der Anfangspunkt eines sehr regen Lebens wird: warum sollte denn nun erst gefragt werden: wie neu es seye, um das Gepräge von Offenbarung ihm beizulegen? - Welcher Umfang von Kenntnissen, welche in die geheimsten Werkstätten des für die Menschheit sich Anbahnenden dringen müßten, würde dazu erfordert, um bei dem Auftreten einer Offenbarung das mindest im vorangegangenen Bedingte ihres Inhalts nachzuweisen? - Welchem durch die Offenbarung Angeregten wird es auch beigehen, ehe er ihrem Eindrucke sich hingibt,

568

Anhang

erst eine solche Untersuchung anzustellen? - Und, wenn gleich der Aussage, daß dem Christenthum dieses Prädicat des mindest Bedingtseyns durch das Vorangegangene zukomme, ihre Richtigkeit nicht bestritten werden will [Anm. ...], möchte sich doch fragen lassen: [192] worauf denn eigentlich das Ausgemachtseyn dieser Annahme beruhe? besonders dann, wenn von jedem Einzelnen, was Christus wirkte und dachte, sich nachweisen läßt, daß es seinen Grund in dem ganzen Zusammenhang des Laufs der Dinge hat? - W a s wäre denn hier das Neue, a u ß e r der Idee, welche m e i n e A u f f a s s u n g Christi und seines Werks in die Erscheinung des Christenthums hineinlegt? - Auf etwas dieser Art weißt uns ohnehin die W a h l der Ausdrücke: die in Christo g e s e t z t e Offenbarung; das Gedachtwerdenmüssen des persönlichen Seyns und Wesens Jesu als frei von nationaler Bestimmtheit, u. dgl. hin. Allein dieses Zurückführen des Begriffs von Offenbarung auf das N e u e des in ihr dargebotenen ist, an sich bedenklich genug. Gesetzt wir Christen leugneten dem Muhammed aus dem Grunde die Offenbarung ab, weil wir überzeugt sind, er habe seine Religion aus der christlichen und jüdischen und aus andern alten Ueberlieferungen zusammengesetzt: würde der Muhammedaner nicht mit allem Schein des Rechtes uns nachweisen, wie unsere christliche Lehre wenigstens eben so viel oder noch weit mehr aus den jüdischen Ueberlieferungen, dann vieles aus anderweitigen Quellen in sich auf-[193]genommen habe (wie ja dann solches Herr Schi, selbst zugibt)? Und wenn wir nun auf das Ganze des Lebens, das durch Christum als einen Anfangspunkt in die Menschheit ausströmte, aufmerksam machten: so würde er die Wunder der Begeisterung, welche der Muhammedanismus aufrichtete, uns vorführen, vor deren Aufzählung der Christ, wenn es ihm nicht gelänge, ihn vorher zum christlichen Sinne, der in solchem Aeußeren das Wahre nicht findet, umgeschaffen zu haben, verstummen müßte. Und selbst wenn wir dem Muhammedaner Sinn für die Bestimmung der Frömmigkeit beizubringen wüßten, nach welcher das sinnliche und höhere Bewußtseyn möglichst in einander aufgeht: so würde er zeigen, wie wirklich mittelst seines Glaubens der schönste Sühnebund zwischen dem sinnlichen und frommen Bewußtseyn gestiftet worden seye. Ref. sieht in Wahrheit nicht ein, was von dem durch Schleiermacher uns an die Hand gegebenen Gesichtspunkte aus irgend der Christ Standhaltendes dem Muhammedaner zu antworten wüßte. Selbst damit erlaubte ihm das System hier nicht sich zu helfen, daß man sagte, das im Muhammedanismus hervortretende Unreine und Verkehrte seye nur Unvollkommenheit, indem der Muhammedanismus sich ja in wirklichen feindseligen W i - [ 1 9 4 ] d e r s p r u c h g e g e n das C h r i s t e n t h u m ursprünglich setzte, und noch fortdauernd setzt. Kommt es aber, um den Preis der Offenbarung zuzuerkennen, nur auf das hervortretende Neue der

Tzschirner: Briefe eines Deutschen

569

frommen Erregungen, auf das Schaffen einer neuen Welt an: so spielte doch offenbar das Christenthum bei dem Auftreten des Muhammedanismus eine gar zu traurige Rolle; und ein damaliger Schleiermacherscher Christ hätte unstreitig keine andere Wahl gehabt, als sich dem 5 Zuge des so gewaltig hervortretenden neuen Lebens hinzugeben, und in die sich bildende neue Welt sich zu fügen. [...]

Tzschirner, Heinrich Gottlieb Briefe eines Deutschen an die Herren Chateaubriand, de la Mennais und Montlosier über Gegenstände der Religion und Politik. Herausgegeben 10 von W.T.Krug, Leipzig 1828 (Auszug) [VI]

I.

B r i e f e an den H e r r n V i c o m t e C h a t e a u b r i a n d ü b e r die v e r ä n d e r t e religiöse S t i m m u n g der W e l t und die rechte B e g r ü n d u n g des

Christenthums.

Erster Brief.

15

U e b e r die gegenwärtige religiöse Stimmung der W e l t und H e r r n Chateaubriand's Bemühungen auf dieselbe einzuwirken. Zweiter

Brief.

U e b e r des H e r r n Chateaubriand und einiger deutscher G e l e h r 20

ten V e r s u c h , das Christenthum ästhetisch zu begründen. [ . . . ]

[25][...]

Zweiter

Brief.

Nirgends zwar haben Sie, Herr Vicomte, sich über den Begriff des Christenthums und über den obersten Grundsatz erklärt, welcher Sie bey der Darstellung und Begründung desselben geleitet hat. Ohne an 25 eine Herleitung der christlichen Lehren aus den heiligen Büchern und an eine Scheidung kirchlicher Dogmen von christlichen Ideen zu denken, nehmen Sie unbedenklich und prüfungslos alles, was dafür in Ihrer Kirche gilt, als Christenthum auf, und suchen diese traditionellen Lehren und Institutionen dadurch zu rechtfertigen und zu empfehlen, daß 30 Sie diesel-[26]ben in poetischen Schilderungen als Gegenstände und Quellen frommer Gefühle darstellen. Aus diesem Verfahren selbst aber kann die leitende Idee Ihrer christlichen Schriften, das Princip Ihrer

570

5

10

15

20

25

30

Anhang

Darstellung und Begründung des Christenthums, ohne Mühe erkannt werden, und ich darf nicht fürchten, Ihre Meinung zu verfehlen, wenn ich es mit den Worten ausdrücke: Was das fromme Gefühl wecken und nähren kann, ist gläubig aufzunehmen als christliche Lehre und christliche Anstalt, und muß in der Kirche festgehalten und fortgepflanzt werden. Aus dem Gefühle ist Ihr eigener Glaube hervorgegangen; „ich h a b e g e w e i n t u n d ich h a b e g e g l a u b t " sagen Sie von sich selbst,1 und so wird es um so begreiflicher, daß auch bey dem Bemühen, Andere zum Glauben zu führen, die raisons poetiques, die raisons de sentiment, wie Sie Ihre Schilderungen der christlichen Dogmen und Institute nennen, als die letzten Glaubensgründe Ihnen gelten. Dieses Princip nenne ich das ästhetische und das durch dasselbe bestimmte Verfahren die ästhetische Begründung des Christenthums. Zu eben der Zeit, wo Sie diesen Grundsatz anwendeten, fingen einige deutsche Gelehrte an, auf dieselbe Weise zu Werke zu gehen, und obgleich eine wechselseitige Berührung zwischen Ihnen und diesen Gelehrten nicht Statt gefunden hat, auch das Verfahren derselben von Ihrem Verfahren merklich sich unterscheidet: so glaube ich doch die letzten Gründe dieser ästhetischen Auffassung des Christenthums in Ansichten und Richtungen der allgemeinen Denkart zu finden, welche Frankreich und Deutschland mit einander theilten. Hier wie dort vertraute man der Kraft des historischen Beweises, wie er von den frühern Vertheidigern des Christenthums geführt worden war, nicht mehr; hier wie dort hatte sich die philosophische Forschung [27] gleichsam erschöpft; hier wie dort regte sich das Verlangen nach einem Etwas, welches allerdings die Philosophie nicht gewähren kann; und obgleich das religiöse Interesse nach und nach stärker wieder hervortrat, so war doch keinesweges die Sinnlichkeit und Genußliebe vergangen, welche den Menschen geneigt macht, das Uebersinnliche als ein Sinnliches zu behandeln und auch in dem Heiligen Mittel einer ergötzenden Erregung des Gemüthes zu suchen. Das sind unstreitig die entferntem und tiefer liegenden Gründe der fast gleichzeitig in Frankreich und in Deutschland versuchten ästhetischen Begründung des Christenthums.

Die nächste Ursache aber dieser von deutschen Gelehrten gemach35 ten Versuche lag in der Schellingischen Philosophie, und in dem, zwar keinesweges allgemeinen, aber doch auch nicht unbedeutenden Einflüsse, welchen diese Lehre, obwohl für kurze Zeit nur (denn schon hat ihre Stunde geschlagen), wie auf andere Wissenschaften, so auch auf die Theologie erhielt [Anm. ...]. Diese, den Pantheismus Spinoza's er40 neuernde Philosophie nämlich, mehr das Erzeugniß einer speculirenden

1

Preface zum Genie du christianisme. p.VHI.

Tzschimer:

Briefe eines

Deutschen

571

Phantasie als einer philosophirenden Vernunft, bezweckte nicht die Selbstverständigung des menschlichen Geistes durch die Analyse seiner ursprünglichen Kräfte und Gesetze, sondern die Erregung des Gemü[28]thes durch die Darstellung des Absoluten, des immer neu sich gebährenden und in wechselnder Mannigfaltigkeit sich offenbarenden Natur-Lebens, verkündigte mit der Zuversicht einer Seherin in geheimnißreicher Rede, was sie durch eine eigenthümliche Erkenntnißweise, intellectuelle Anschauung genannt, ergriffen zu haben meinte, und setzte das Ziel der Weisheit darein, daß der Mensch, seines Zusammenhanges mit dem Absoluten oder dem All-Einen sich bewußt, sein individuelles Daseyn in das allgemeine Daseyn auflöse. Nichts ist begreiflicher, als daß die Anwendung dieser Philosophie auf das Christenthum zu der Behandlung desselben, welche ich die ästhetische Auffassung genannt habe, führen mußte. Was als der Zweck der Philosophie betrachtet ward, das sollte auch der Zweck des Christenthums seyn, die Erregung des Gemüthes durch die Darstellung bedeutsamer Erscheinungen des religiösen Lebens. Wie man in der Philosophie der Erklärungen und der Beweise nicht zu bedürfen meinte, so glaubte man ihrer auch in der Theologie entbehren zu können, fragte daher weder nach dem historischen Sinne der heiligen Urkunden, noch nach dem Grunde der religiösen Ideen, sondern suchte nur auf, was das Gemüth erregen könne, und deutete das Gegebne so lange, bis es für diesen Zweck sich zu eignen schien. Die Phantasie ward die Auslegerin der biblischen Lehren und der kirchlichen Dogmen, schmolz die widerstreitenden Elemente der All-Eins-Lehre und des Christenthums in einander; und was auf diese Weise, oft seltsam genug, aus heterogenen Stoffen zusammengefügt worden, stellte man nun als Object der intellectuellen Anschauung hin, das Gemüth zu erregen und mit Gefühlen der Andacht zu erfüllen. So entstanden die Versuche, das Christenthum ästhetisch aufzufassen und darzustellen, unter welchen keiner mehr Aufmerksamkeit verdient, als der, welchen der berühmte Berliner Theolog Schleiermacher, früher in seinen Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern, später in [29] einer systematischen Darstellung der christlichen Glaubenslehre machte. Denn obgleich die Richtung, welche dieser Gelehrte nahm, unverkennbar durch den Einfluß der Schellingischen Philosophie bestimmt worden ist; so hat er doch, vermöge seiner Selbstständigkeit und Originalität, die empfangenen Ideen auf eigenthümliche Weise gestaltet; und wer ihm zu folgen vermag, wird, ob er gleich dessen Princip nicht anerkennt und die Deduction des Christenthums aus dem Abhängigkeitsgefühle nicht billiget, dennoch gern anerkennen, daß er der theologischen Forschung durch seinen Scharfsinn und seine Tiefe neue Bahnen geöffnet und die christliche Wissenschaft bereichert habe.

572

Anhang

Der Irrthum aber hört deßhalb nicht auf, Irrthum zu seyn, weil er den einen oder den andern Denker auf neue Ideen oder neue Verbindungen im Reiche der Gedanken führt; und für einen Irrthum, selbst für einen schädlichen Irrthum muß ich die ästhetische Begründung des Christenthums erklären, weil sie dem wahren Wesen des Glaubens und der Frömmigkeit widerstreitet, die rechte Auffassung des Christenthums hindert, und entweder die wirkende oder doch die befördernde Ursache vielfacher Verirrungen auf dem Gebiete des religiösen Lebens wird. Es liegt mir ob, diese Behauptung, durch welche ich nicht nur Ihnen, sondern auch einer unserer theologischen Schulen entgegentrete, durch eine tiefere Erörterung der Sache zu rechtfertigen. Ehe ich jedoch in diese Erörterung eingehe, halte ich für nöthig, um Mißverständnissen zu begegnen, und um mich selbst gegen den Vorwurf einseitiger Verstandesbildung [Anm. ...] zu verwahren, die Erklärung vorauszuschicken, daß [30] ich den Werth und die Bedeutung der frommen Gefühle vollkommen zu würdigen weiß. Denn die Betrachtung des [31] religiösen Lebens und des Christenthums in seinem Verhältnisse zu demselben hat auch mich gelehrt, daß das religiöse Gefühl eben so nothwendig als der Glaube zu dem Wesen der Frömmigkeit gehöret, daß, wie in einzelnen Momenten der Gedanke eben so oft aus dem Gefühle als das Gefühl aus dem Gedanken kommt, so auch die ganze religiöse Richtung des Gemüthes eben so oft von der Andacht als von der Erkenntniß der göttlichen Dinge ausgeht, daß das Christenthum nicht nur die Zustimmung des Verstandes zu seinen Lehren fordert, sondern auch das re-[32]ligiöse Gefühl stark und mächtig bewegt, und daß das ästhetische Element desselben nicht nur von der Wissenschaft nachzuweisen, sondern auch von der Askese nach allen Beziehungen für den Zweck der Erbauung anzuwenden ist. So lange unsre Vorstellungen, auch wenn wir sie, allen unsern Scharfsinn aufbietend, in die feinsten Elemente auflösen und nach allen Richtungen verfolgen, bloße Vorstellungen sind, bleiben sie uns doch etwas Fremdes, das wir jetzt aufnehmen, jetzt wieder verlassen, und dringen in unser Inneres nicht ein. Dann erst werden sie unser wahres Eigenthum, lassen bleibende Eindrücke im Gemüthe zurück, verweben sich gleichsam mit unserem Wesen, und geben unsrer Denk- und Sinnesart eine dauernde Richtung, wenn sie durch die ihnen beywohnende Kraft und Lebendigkeit unsern Zustand also verändern, daß sie in Gefühle übergehen, welche so oft sich erneuern, als die Vorstellungen, von welchen sie ausgehen, uns vorschweben, und durch die Richtung, welche sie unsrer Denk- und Sinnesweise geben, wieder die Ursache der Geneigtheit zu der Beschäftigung mit eben diesen Vorstellungen werden. Die Gesinnung gehet nicht aus bloßer Einsicht und Erkenntniß, sondern auch aus der öftern Wiederkehr gleichmäßiger Ge-

Tzschimer:

Briefe eines

Deutschen

573

fühle hervor; und da die Frömmigkeit die Gesinnung ist, vermöge welcher der Mensch sein Daseyn und sein Handeln auf Gott beziehet, so ist sie eben sowohl in dem frommen Gefühle als in der Erkenntniß der göttlichen Dinge gegründet. Wo der Gedanke des Göttlichen nicht Erhebung des Gemüthes wirket, Andacht und Anbetung, da wird, bey aller Deutlichkeit und Tiefe der Einsicht, doch die Frömmigkeit nicht einkehren. Eben so gebe ich ferner zu, daß, wie in einzelnen Lebensmomenten der religiöse Gedanke eben so oft aus dem frommen Gefühle als dieses aus jenem kommt, so auch die religiöse Bildung und Richtung des Gemüthes eben sowohl von der Andacht als von der Erkenntniß der göttlichen Dinge ausgehen könne. Zwar ist kein Fühlen [33] ohne ein Vorstellen möglich. Allein auch dunkle, zum Gedanken nicht ausgebildete Vorstellungen können die unbewußte Ursache unsrer Gefühle werden. Das nun ist auch mit den religiösen Gefühlen der Fall, welche oft nicht aus dem klaren Gedanken des Göttlichen, sondern aus den dunklen Vorstellungen und Ahnungen der übersinnlichen Welt, welche jeder Mensch in seiner Seele trägt, entspringen. Daher kann es geschehen und geschieht oft, daß, wie das fromme Gefühl von dem Gedanken, so auch wechselseitig der Gedanke, die Betrachtung, von dem frommen Gefühle ausgeht. Das Gleiche ist der Fall mit der religiösen Bildung und Richtung des Gemüthes überhaupt. Der Mensch kann das Göttliche erst erkennen und dann fühlen, aber auch erst fühlen und darnach erkennen; und bey der Dunkelheit, in welche der Ursprung der Stimmungen und Richtungen des Gemüthes sich verlieret, werden wohl wenige zu sagen wissen, ob ihre Religiosität von der Andacht oder von der Erkenntniß ausgegangen sey. So viel wenigstens ist gewiß, daß das religiöse Gefühl oft auch in dem kindlichen Gemüthe sich regt; und viele fromme Menschen haben von sich bekannt, daß die Richtung ihrer Seele mehr durch Beispiel und fromme Uebung als durch Unterricht bestimmt worden sey. Endlich erkenne auch ich das im Christenthume gegebene ästhetische Element nach seiner ganzen Bedeutsamkeit an und verlange, daß es von der Wissenschaft nachgewiesen und von der Askese nach allen Beziehungen für den Zweck der Erbauung angewendet werde. Das Evangelium ist allerdings kein bloßer Inbegriff von Lehren, sondern auch eine Erscheinung und Darstellung des Göttlichen selbst; der Werth der heiligen Schriften beruhet nicht allein auf den religiösen Ideen und sittlichen Gesetzen, welche sie in der christlichen Welt fortpflanzen, sondern auch darauf, daß sie der Ausdruck und Abglanz frommer, gottbegeisterter Seelen sind; und die christliche Kirche soll nicht nur durch Unterricht zur Erkenntniß der göttlichen Dinge führen, son-[34]dern soll auch durch gemeinsame Anbetung und durch die

574

Anhang

Uebung heiliger Gebräuche fromme Gefühle hervorrufen und nähren. Hierüber bin ich mit denen, welche das Christenthum ästhetisch zu begründen versucht haben, völlig einverstanden, billige es auch, daß man jüngst mehr, als früher geschah, hierauf aufmerksam gemacht hat, und verlange in Uebereinstimmung mit ihnen von der Askese, daß sie mehr als eine Lehrerin, daß sie auch eine Bewegerin der Gemüther, eine Führerin zur Andacht und Erhebung der Seele seyn solle. Dieses alles erkenne ich an und darf daher den Vorwurf, daß ich die Bedeutung des frommen Gefühles nicht zu würdigen wisse, nicht fürchten, indem ich gegen das ästhetische Princip und das auf dasselbe gegründete Verfahren mich erkläre, d. h. indem ich läugne, daß das Gefühl, welches sie erregt, als das Merkmal der Wahrheit einer Vorstellung gelten könne, daß die Ideen von den Gefühlen, nicht diese von jenen abhängig zu machen Seyen, daß man das ästhetische Element des Christenthums als den letzten Grund seiner Geltung zu betrachten habe, und daß die Askese alles aufnehmen und anwenden dürfe, was nur geeignet sey, fromme Gefühle zu wecken. Das ist es, was von den Vertheidigern des ästhetischen Princips behauptet, von mir aber geläugnet und bestritten wird, weil das genannte Princip und das auf dasselbe gegründete Verfahren dem wahren Wesen des Glaubens und der Frömmigkeit widerstreitet, die richtige Auffassung des Christenthums hindert und die wirkende oder doch die befördernde Ursache vielfacher Verirrungen auf dem Gebiete des religiösen Lebens werden muß. Wie verschieden man auch über das Wesen des Glaubens sich erklärt hat, so ist man doch darüber einverstanden, daß er ein F ü h r w a h r h a l t e n sey. Wer etwas glaubt, hat eine Ueberzeugung, hält dafür, daß, was er glaubt, etwas Wahres sey, daß der Vorstellung, welcher er vertraut, etwas Reales entspreche. Das Fürwahrhal-[35]ten aber ist ein Act nicht der Phantasie und des Gefühles, sondern der Vernunft, des Vermögens der Wahrheit, ein Act des sich selbst begreifenden und verständigenden Geistes, nicht des von Gefühlen und Begierden bewegten Gemüthes; und deßhalb muß bey dem sich selbst verstehenden Denker der letzte Grund, so wie alles Fürwahrhaltens, so auch des religiösen Glaubens eine Einsicht und Erkenntniß seyn, aus welcher der Beifall, das Urtheil hervorgeht, durch welches er die dem Gemüthe vorschwebende Vorstellung als etwas Reales ergreift. Selbst diejenigen, welche, wie Jacobi, den religiösen Glauben nicht erst aus der sittlichen Natur des Menschen herleiten, sondern ihn für etwas Unmittelbares erklären, läugnen nicht, daß er ein Fürwahrhalten sey, welches eben darauf sich gründe, daß der Mensch die religiösen Ideen als etwas unmittelbar und ursprünglich im Selbstbewußtseyn Gegebenes, daß er sie als n o t w e n dige Ideen, denen er vertrauen müsse, um mit sich selbst übereinzustimmen, anerkenne. Hiermit nun streitet das ästhetische Princip und das

Tzschimer:

Briefe eines

Deutschen

575

auf dasselbe gegründete Verfahren. Denn wenn man behauptet, daß etwas darum geglaubt werden solle, weil es das Gemüth erregt und bewegt, so macht man die durch die Art und Weise ihrer Auffassung bedingte Wirkung der Vorstellung, nicht aber die Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang derselben mit den Gesetzen und Bedürfnissen des menschlichen Geistes zum Glaubensgrunde und gestehet der Phantasie ein Befugniß zu, welches sie nicht haben darf und soll. Die bewegende, Gefühle erregende Wirkung der Vorstellungen nämlich gehet von der Phantasie aus, welche sie der Seele unter Bildern, und mit ähnlichen oder contrastirenden Vorstellungen verwebt, vorhält. Gründet man daher den Glauben auf das Gefühl, so macht man ihn von der Phantasie abhängig, welche doch über die Geltung der Vorstellungen nicht entscheiden kann. Denn nur die Vernunft erkennet und wählt zwischen Wahrheit und Irrthum, aber nicht die Phantasie, welche Wahrheit und Dichtung [36] mit gleicher Liebe ergreift, und die eine eben so wie die andere in ihre, sinnliche Gefühle erregenden Formen kleidet. Und obgleich auch in den Gefühlen Wahrheit seyn kann und der Glaube vieler Menschen von Gefühlen ausgegangen ist, so darf man doch deßhalb nicht läugnen wollen, daß der Glaube des sich selbst verstehenden Weisen ein Fürwahrhalten aus Gründen, welche die Vernunft für zureichend anerkennt, sey, und daß mithin nicht der Glaube auf das fromme Gefühl, nicht die Ursache auf die Wirkung, nicht die Erkenntniß der Vernunft auf die Bilder der Phantasie, sondern im entgegengesetzten Verhältnisse vielmehr das fromme Gefühl auf den Glauben, die Wirkung auf ihre Ursache, die Form der Auffassung auf ihren Gegenstand gegründet werden müsse. Das fromme Gefühl, auch wenn es auf wahre Vorstellungen sich gründet, ist doch immer nur ein dunkles Bewußtseyn der übersinnlichen Welt und ein dunkles Bestreben, in Gemeinschaft mit ihr zu treten, welches von der Vernunft verdeutlicht und in klare Ideen aufgelöst werden muß. Wie nun darf man auf das Dunkle und Verworrene das Klare und Entwickelte gründen, und, nicht die klare Idee des sich selbst begreifenden Geistes, sondern das dunkle Gefühl des von der trügerischen Phantasie bewegten Gemüthes zum letzten Glaubensgrunde und zum Merkmale der Wahrheit machen wollen? - Allerdings wird der Glaube kein lebendiger, keine den Willen lenkende Ueberzeugung werden, wenn er nicht das Herz rührt, und dasselbe jetzt mit heiterem Frieden, jetzt mit demuthsvoller Ergebung, jetzt mit Hoffnung und freudiger Zuversicht erfüllt. Sein letzter Grund aber bleibt doch immer die Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang der ergriffenen Ideen mit den Gesetzen und Bedürfnissen des menschlichen Geistes, und das wird von denen verkannt, welche ihn aus dem Gefühle als aus seiner letzten Quelle herleiten, und nicht

576

Anhang

die Gefühle von den Ideen, sondern die Ideen von den Gefühlen abhängig machen wollen. [37] Wie mit dem Wesen des Glaubens, so stehet die Ansicht, welche ich bestreite, auch mit dem Wesen der Frömmigkeit im Widerspruche. Das Gefühl ist ein veränderlicher Zustand, eine wechselnde Modification eines Beharrlichen, mithin (ob es wohl die Ursache derselben durch seine öftere Wiederholung werden kann) doch an sich selbst keine bleibende Richtung der Seele. Unter der Frömmigkeit aber denken wir uns etwas Bleibendes, einen Charakterzug, nicht einen Zustand, eine beharrliche Bestimmung unsres Wesens, eine fortwährende Richtung der Seele, und finden daher nichts Widersprechendes und Unmögliches in der Forderung, daß wir Gott unser Lebelang im Auge und im Herzen haben, d. h. fromm und gottesfürchtig seyn sollen. Hiermit nun steht es im Widerspruche, wenn man die Frömmigkeit in das Gefühl setzt, und so sie erklärt, wie es von dem obengenannten berühmten Theologen geschehen ist, wenn er sagt: Die Frömmigkeit an sich ist weder ein Wissen noch ein Thun, sondern eine Neigung und Bestimmtheit des Gefühls 2 . Allerdings kann sie weder als ein Wissen noch als ein Thun, eben so wenig aber als ein Gefühl betrachtet werden. Sie ist keines von allen dreien, aber sie ist alles dreies in einem; sie ist nämlich die G e s i n n u n g , die bleibende Richtung der Seele, vermöge welcher der Mensch sein Daseyn und sein Handeln auf Gott bezieht; und an dieser Richtung haben die Ueberzeugung, welche das Göttliche als ein Wahres ergreift, das Gefühl, welches durch den Gedanken desselben bewegt und gerührt wird, und der Wille, welcher dem göttlichen Gesetze zu gehorchen beschließt, gleichen Antheil. Jedes dieser Elemente ist wesentlich und nothwendig. Ob eines wesentlicher und nothwendiger sey [38] als das andere, kann gar nicht gefragt werden, eben weil alle wesentlich und nothwendig sind; und da, was das Wesen einer Gemüthsbeschaffenheit ausmacht, nicht wie die Ingredienzen einer Tinctur oder Salbe nach Loth und Unze bestimmt werden können, so muß man die Forderung Schleiermacher's, daß, wer sage, die Frömmigkeit sey alles dreies, Wissen, Gefühl und Glaube [!], auch dazu sagen müsse, wie man diese drei zu mischen habe, damit die Frömmigkeit herauskomme, ziemlich sonderbar finden. Auch das Wesen der Frömmigkeit wird eben so, wie das Wesen des Glaubens von denen, die das Christenthum ästhetisch begründen wollen, verkannt. Denn schließt man die Erkenntniß von ihr aus, so bleibt sie ein Gefühl ohne einen bestimmten Gegenstand; und ohne das Han-

2

In der Schrift: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Β. 1. S.26.

Tzschirner: Briefe eines

Deutschen

5 77

dein, ohne die Willensbestimmung sind doch auch die lebendigsten Gefühle nur bedeutungslose Erregungen, nur ein leeres Spiel unserer Kräfte. Hierzu kommt ferner, daß das ästhetische Princip und das auf dasselbe gegründete Verfahren die richtige Auffassung des Christenthums hindert. Die erste Frage bei der Darstellung und Begründung desselben ist unstreitig die nach seinem ursprünglichen Inhalte, die zweite die nach dem Sinne und dem Grunde seiner Lehren. Jene zu beantworten, ist die Aufgabe der Geschichte, welche mit Hülfe der Sprachkunde aus den Denkmälern der christlichen Urzeit nachweisen muß, was Jesus Christus und seine Apostel der Welt gelehrt und verkündigt haben; diese zu erörtern, ist die Sache der Philosophie, welche das im Christenthume Gegebene zu entwickeln und in seiner Uebereinstimmung mit den Gesetzen und Bedürfnissen des menschlichen Geistes darzustellen hat. Nur durch die Geschichte und die Philosophie kann das wahre Christenthum und die Wahrheit in dem wahren Christenthume als Wahrheit erkannt werden. Unvermeidlich aber muß das ästhetische Princip alles Interesse für die geschichtlichen Untersuchungen und philosophischen Erörterungen, welche zu solcher [39] Auffassung und Begründung des Christenthums führen, auslöschen, da es ja für den Zweck der Gemüthserregung gleichgültig ist, ob die auf diesen Zweck bezogene Vorstellung aus dem ursprünglichen Christenthume oder aus dem in die Kirche eingedrungenen Aberglauben stamme, ob die Vernunft sie billige oder verwerfe, ob sie ein in der Kirche geltendes Dogma oder die Privatmeinung eines Kirchenlehrers sey. Diese Folge des ästhetischen Principes zeigt sich bey Ihnen ebensowohl als bey mehrern unsrer Theologen aus der neusten Schule. Denn nirgends haben Sie auch nur den Versuch gemacht, das ursprüngliche Christenthum durch die Erklärung der heiligen Schriften aufzufassen, und was nur zu einer poetischen Darstellung sich zu eignen schien, haben Sie ohne Weiteres aufgegriffen, selbst solche Vorstellungen, welche niemals weder von Ihrer noch von irgend einer andern christlichen Kirche gebilligt worden sind, ζ. B. die, daß Jesus Christus nicht nur alle physische, sondern auch alle moralische Leiden, alle Gewissensbisse (tous les remords), welche die Sünder aller Zeiten hätten erfahren sollen, an ihrer Stelle erfahren habe 3 . Auf ähnliche Weise sind mehrere deutsche Theologen zu Werke gegangen, und haben, anstatt die christlichen Lehren aus der heiligen Schrift zu entwickeln und in ihrer Angemessenheit zu den Gesetzen und Bedürfnissen des menschlichen Geistes darzustellen, phantastische Philosopheme vorgetragen, in

3

Tom. 1. p.32. [...]

578

Anhang

denen Christus und die Apostel gewiß eben so wenig, als in Ihren poetischen Schilderungen der fürbittenden Heiligen, des sündetilgenden Meßopfers und der [40] schönen Himmelskönigin Maria das Christenthum wiederfinden würden. Seltsames Verfahren, die Begründung eines Glaubens damit anzufangen, daß man ihn verfälscht und entstellt! W o z u soll es führen? Kann man, was man nicht einmal richtig aufzufassen vermag, mit irgend einem Erfolge zu begründen hoffen? Glauben Sie wirklich, einen der Schrift und der Geschichte kundigen Leser überreden zu können, daß Sie das Christenthum ihm dargestellt haben? Kann der poetische Gehalt der Grund der Geltung einer Vorstellung seyn? Poetischer ist doch wohl nichts als die Poesie; und wem ist jemals in den Sinn gekommen, Glauben an die Wahrheit der Dichtung zu fordern? Eine seltsame Verirrung ist in der T h a t die Ansicht und Weise, welche ich bestreite, und nichts ist begreiflicher, als daß eine solche Verirrung wieder die wirkende oder doch die befördernde Ursache anderer Verirrungen auf dem Gebiete des religiösen Lebens werden muß. Erlauben Sie, daß ich hierauf noch Ihre Aufmerksamkeit lenke, und Ihnen zeige, wie das auf das ästhetische Princip gegründete Verfahren theils den Mysticismus hervorbringe und nähre, theils leicht die Einmischung der Sinnlichkeit in die religiösen Gefühle veranlassen könne, theils bey flachen Menschen jene (wie soll ich sagen?) frivole Frömmeley oder frömmelnde Frivolität wirke, welche, wie mit allem Ernsten und Großen, so auch mit dem Heiligen nur ein nichtiges Spiel treibt. Der Mysticismus, in welcher Gestalt er immer erscheine, ob speculativ als Theosophie, oder practisch als Schwärmerey, ist der Irrthum, daß der menschliche Geist unmittelbar von dem Göttlichen berührt werden und dasselbe auf die gleiche Weise ergreifen könne [Anm. ...]. O b ein [41] Mensch sich f ü r inspirirt halte, ob er Umgang mit dem Herrn zu pflegen meine, ob er durch intellectuelle Anschauung das Göttliche zu ergreifen glaube, es ist immer ein und derselbe, nur verschieden ausgeprägte und gestaltete Irrthum. Denn so erscheint mir die Vorstellungsweise derer, welche einen unmittelbaren, wahrnehmbaren und fühlbaren Zusammenhang zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Geiste annehmen, darum, weil ich, auch [42] wenn meine Speculation den höchsten Flug nimmt, und das Verlangen der innigsten Sehnsucht mich himmelwärts zieht, doch niemals über den G e d a n k e n Gottes hinaus, zu ihm selbst, der in einem Lichte wohnet, wo Niemand zukommen kann, zu dringen vermag, und weil ich keine Gemüthsveränderung in mir wahrnehme, welche ich auf einen unmittelbaren Einfluß des höchsten Wesens zurückführen müßte. Die übersinnliche Welt ist f ü r den von den Schranken der Zeitlichkeit umgebenen Menschen eine Ideenwelt, nur dem Gedanken erreichbar. Den Irrthum nun, wel-

Tzschimer:

Briefe eines

Deutschen

579

eher dieses verkennt, den Mysticismus in allen seinen verschiedenen Gestalten, kann nichts mehr begünstigen, als das Verfahren derer, welche von dem ästhetischen Principe ausgehen. In jedem Gefühle nämlich tritt die Vorstellung, von welchem es ausgehet, hinter das Bewußtseyn unsers Zustandes zurück; wir vergessen, indem wir fühlen, daß es die Vorstellung, nicht das vorgestellte Object ist, was unsern Zustand verändert, und es ist uns, als wären wir in eine unmittelbare Verbindung mit dem vorgestellten Gegenstande getreten. Indem die Liebe zu der entfernten Geliebten sein H e r z bewegt, vergißt der Liebende, daß diese Bewegung seines Herzens nur von der Vorstellung der Geliebten ausgehet; es ist ihm, als wäre sie gegenwärtig und nahe, er redet mit ihr, und breitet die Arme nach ihr aus, als ob sie vor ihm stände. Eben so ist es auch mit den religiösen Gefühlen. Indem sie uns bewegen, tritt der Gedanke des Göttlichen hinter das Bewußtseyn unsres Zustandes zurück, und indem wir vergessen, daß die Rührung unsres Herzens von dem Gedanken des Göttlichen ausgehe, ist es uns, als wäre das Göttliche selbst uns nahe gekommen und würde von uns ergriffen und geschaut. Diese natürliche und an sich selbst unschädliche Selbsttäuschung nun wird bei vielen Menschen die Ursache des Irrthumes, welcher Mysticismus heißt, werden, wenn man es unterläßt, die religiösen Gefühle auf die Ideen, von denen sie ausgehen, zurückzuführen, [43] wenn man die Gefühle selbst f ü r Glaubensgründe erklärt, nur Gefühle zu erregen sucht, und überdem noch, wie von manchen unsrer pantheistischen Mystiker der neuesten Zeit geschehen ist, durch die mysteriösen Lehren von der Identität des Subjectes und des Objectes, des Gedankens und des Gedachten, und von dem Abfalle der Seele vom Absoluten und der Rückkehr zu ihm durch die Vernichtung des individuellen Seyns, welches untergehen solle in dem All-Einen, die Geister verwirret und, anstatt sie zu klarer Selbstverständigung zu führen, in ein dumpfes Starren und Staunen versenkt. Der Mysticismus ist Verkennung der Idee, Hingebung an dunkle Gefühle, Verwechselung der Vorstellung mit dem vorgestellten Objecte; wie sollte er nicht durch diejenigen hervorgerufen und begünstigt werden, welche, indem sie das Gemüth durch versinnlichte und verkörperte Vorstellungen erregen, die Idee hinter das Gefühl zurückdrängen und klare Selbstverständigung hindern? Es ist aber dieser Irrthum nicht nur ein Irrthum, sondern auch ein schädlicher Irrthum, indem er nach der Verschiedenheit der Charaktere, der sonstigen Bildung und der äußern Lebensverhältnisse, bald eine müßige, passive Beschaulichkeit, welche träumt und staunet, aber nicht handelnd mit freudigem Muthe in das Leben eingreift, bald einen geistlichen Stolz, welcher im ausschließenden Besitze der Wahrheit zu seyn glaubt und mitleidig auf die Unerleuchteten herabsieht, bald eine

580

Anhang

Schwärmerei, welche sogar zu Unthaten und Verbrechen geführt hat, bald den Separatismus, welcher die Gemeinde verläßt, um in dunkeln Conventikeln Nahrung einer schwärmerischen Andacht zu suchen, zur Folge hat. Traurige Verirrungen, welche um so mehr zu beklagen sind, da sie mit dem Besten, was der Mensch in seinem Herzen tragen kann, mit der Sehnsucht, mit der Andacht und mit der Liebe zusammenhängen, und was der Grund der Weisheit und der Tugend seyn soll, in eine Quelle der Thorheit und der Sünde verwandeln! [44] Wie die Ursache des Mysticismus, so kann das auf das ästhetische Princip gegründete Verfahren auch die Veranlassung zu der Einmischung der Sinnlichkeit in das religiöse Leben werden. Alle Gefühle haben mehr oder weniger einen sinnlichen Charakter und gehen leicht in Erregungen unsrer sinnlichen Natur über, theils weil ja die Gedanken dadurch eben, daß sie in versinnlichende Bilder sich kleiden, zu Gefühlen werden, theils weil die Psyche, das Gemüth, der Sitz der Gefühle und der Begierden, zwischen dem Geist und dem Leibe gleichsam in der Mitte steht, und die Grenze bildet, auf welcher das geistige und das thierische Leben einander begegnen. Auch die religiösen Gefühle machen hiervon keine Ausnahme; und wie oftmals in dem jugendlichen Gemüthe die dunkle Regung der sinnlichen Liebe religiöse Ahnung und Sehnsucht weckt, so kann leicht geschehen, daß auch die Andacht in der Regung der sinnlichen Liebe endiget. [Anm. ...] Wenn aber dem also ist, wer wollte bezweifeln, daß das Verfahren derer, welche die Religion zur Sache der Phantasie machen, nur Gefühle erregen wollen, und hierbey oftmals der von der sinnlichen Liebe entlehnten Bilder sich bedienen, die Veranlassung zu der Einmischung der Sinnlichkeit in das religiöse Leben geben könne? Haben Sie doch selbst in der im ersten Briefe erwähnten Stelle die schöne Vermittlerin zwischen Gott und Menschen, die Himmelskönigin Maria, so geschildert, daß die Betrachtung Ihres Bildes schwer-[45]lich das Gefühl einer reinen Andacht wekken wird. Haben doch die Mystiker aller Zeiten das Verhältniß der Seele zu Gott und Gottes zu der Seele unter dem Bilde der Braut und des Bräutigams dargestellt und von Kuß und Umarmung geredet, so daß sie die Flamme, welche sie auslöschen wollten, nur nährten, weil sie nicht aufgehört hatte, im eigenen Herzen zu brennen. Nur zu leicht tritt das von der Idee losgerissene und von der Vernunft nicht mehr bewachte Gefühl in den Kreis der Sinnlichkeit hinüber; woraus erklärbar wird, daß oftmals auch solche Menschen, deren Frömmigkeit gewiß mehr als Grimasse war, doch nicht aufhörten, zu sündigen und von der Andacht zur Lust, und von der Lust zur Andacht übergingen, wie die Geschichte nicht nur, sondern auch die Erfahrung bezeuget. Denn auch unter den Mystikern und Frömmlern dieser Zeit sind solche mir bekannt, welche mit dem Herrn Tartüffe von sich sagen können:

Tzschirner: Briefe eines

Deutschen

581

L'amour qui nous attache aux beautes eternelles, N'etouffe pas en nous l'amour des temporelles: Nos sens facilement peuvent etre charmes Des ouvrages parfaits que le ciel a formes. Solche Einmischung der Sinnlichkeit in das religiöse Leben aber, was ist sie Anderes, als eine Entweihung des Heiligthumes, in welchem der Mensch, anstatt zu ihr herabgezogen zu werden, über die Erde sich erheben und unversucht von dem Reize der Sinne den Himmel suchen und finden soll? Noch weit verwerflicher aber als ein Leben, in welchem die Andacht und die Sünde unablässig mit einander wechseln, ist die Denkund Sinnesart, die ich nicht anders als mit dem Namen einer frivolen Frömmeley oder einer frömmelnden Frivolität zu bezeichnen weiß, d. h. die Denk- und Sinnesart derer, welche, wie mit allem Ernsten und Großen, so auch mit dem Heiligen wissentlich oder unwissentlich zugleich ein Spiel nur treiben. Und solche [46] Menschen, welche alles durchgemacht haben, was das Herz austrocknet, und alle edlern Gefühle ertödtet, und doch die Sprache frommer Begeisterung reden, weder an Gott glauben noch ein ewiges Leben hoffen, allein jede Art des Aberglaubens in Schutz nehmen und, anstatt Wahrheit zu suchen durch den Gebrauch ihrer Vernunft, zur frommen Unterhaltung und Ergötzung nur die heiligen Bücher und die heilige Geschichte nach den Eingebungen ihrer Phantasie deuten, solche Menschen werden in dieser Zeit häufig genug in Deutschland gefunden. Den größten Antheil an dieser Verirrung aber, an dieser Verkehrtheit mehr noch der Gesinnung als des Verstandes, an diesem unheiligen Spiele mit dem Heiligen, durch welches der Mensch sich selbst eben so wohl als die Welt betrügt, hat unstreitig das auf das ästhetische Princip gegründete Verfahren und die Schule, von welcher dasselbe ausgegangen ist. Denn muß es nicht alles Interesse für Wahrheit und Forschung auslöschen, wenn man das Ziel der Weisheit in die Erregung des Gemüthes durch ein staunendes Anschauen des All-Einen setzt? Muß nicht die Vernunft hinter die Phantasie zurücktreten, wenn man anstatt zu erklären und zu beweisen, nur dichtet und träumet? Wenn aber die Phantasie die Stelle der Vernunft einnimmt, so vergehet die Sehnsucht nach Wahrheit und mit ihr der Glaube, daß sie gefunden werden könne, und unvermeidlich verfällt dann der Mensch in den sein besseres Selbst vernichtenden Wahn, daß sein Denken zwar ein nothwendiges, aber doch ein leeres Spiel nur sey, welches von dem am glücklichsten getrieben werde, der mit den schönsten und hellesten Bildern auf die ergötzlichste Weise zu tändeln wisse. So entstehet die Denk- und Sinnesweise, welche auf dem Gebiete des religiösen Lebens als frivole Frömmeley oder als frömmelnde Frivolität

582

Anhang

erscheinet, und, wie auf viele andere Weise, so auch durch die Behauptung einer Identität der Religion und der Poesie sich kund gemacht hat; denn wer [47] diese behauptet, macht, nicht die Dichtung zur Wahrheit, wohl aber die Wahrheit zur Dichtung. Diese, wie mich dünkt, wichtigen Gründe, bey deren Darstellung ich jedoch weniger Ihr Werk als das Verfahren einiger unsrer Theologen und Philosophen der neuesten Zeit berücksichtigt habe, nöthigen mich, das ästhetische Princip zu verwerfen, und im Gegensatze gegen dasselbe zu behaupten, daß man das Christenthum auf Beweis und Zeugniß gründen, nicht aus dem Gefühle die Idee, sondern aus der Idee das Gefühl ableiten und nur durch das, was in der P r ü f u n g der Vernunft sich bewährt hat, die Andacht erregen müsse. Mag es seyn, daß, wer diesem Grundsatze folgt, mancher Mittel zur Erregung der Gemüther sich begiebt; kann doch auch er alle die religiösen Gefühle, welche eine sittliche Bedeutung haben, hervorrufen, und mit der das sittliche Leben nährenden Wärme der Andacht die Gemüther erfüllen. O d e r wissen Sie mir irgend ein religiöses Gefühl zu nennen, das nicht in den Ideen, welche allgemein als christliche anerkannt werden, gegründet wäre, so daß es zu ihrer Erregung der abergläubigen, in das Christenthum eingedrungenen Vorstellungen, welche Sie nicht selten in die christlichen Ideen eingemischt haben, bedürfte? Ich will die Ehrfurcht vor Gott in den Gemüthern derer, zu denen ich rede, wecken. M u ß ich, um dieses Gefühl hervorzurufen, Gott als einen Zürnenden schildern, oder reicht es nicht hin, als den Allmächtigen, von welchem die Schrift sagt: „Er spricht und es geschieht, er gebeut und es steht da," und als den Gerechten ihn darzustellen, welcher einem jeden vergilt nach seinen Werken? Ich will mit freudigem Gottvertrauen die Herzen der Menschen erfüllen. M u ß ich sie deßhalb an schützende und vermittelnde Heilige verweisen, oder werde ich nicht dadurch schon meinen Zweck erreichen, daß ich sie zu dem himmlischen Vater, dessen Wege Weisheit und Güte sind, aufsehen lehre? Bedarf es, um das Gefühl der Demuth hervorzurufen, mehr als der Hinweisung auf [48] den Heiligen und der M a h n u n g an unsre Schuld? Ist die religiöse Bedeutung des Andenkens an die Vollendeten in der Vorstellung, daß die Fürbitte der Lebenden aus den Quaalen des Fegefeuers sie erlösen müsse, gegründet? Kann nur das Mysterium einer wunderbaren Wandelung des Brodes in Christi Leib mit der Ahnung unergründlicher Geheimnisse das H e r z erfüllen? Gehet nicht eben dieses Gefühl, und stärker und lebendiger noch, aus der Idee der Unbegreiflichkeit des göttlichen Wesens und aus dem Mysterium des eigenen Daseyns hervor? - Es giebt kein religiöses Gefühl, welches nicht von den in der P r ü f u n g der Vernunft sich bewährenden christlichen Ideen ausgehen könnte; und deßhalb wird der das sittliche Leben nährenden Andacht (und diese nur soll die

Tzschirner: Briefe eines Deutschen

583

Frucht einer sittlichen Religion, wie das Christenthum ist, seyn) keine ihrer Quellen dadurch verschlossen, daß man sie unter die Leitung der Vernunft stellt, und auf diese Ideen nur sie gründet. Zugeben aber muß man allerdings, daß die Ideen an sich selbst, so lange nur die speculative Vernunft sie denkt, Gefühle nicht erregen, und daß eine nur Ideen entwickelnde Lehre, eine Religionsphilosophie, nicht geeignet sey, eine kirchliche Gemeinschaft zu gründen. Sollen die religiösen Ideen Gefühle wecken und nähren, so müssen sie, damit die Phantasie sie ergreifen und halten könne, in bestimmte Formen gefaßt, in heiligen Gebräuchen dargestellt, in heiligen Geschichten symbolisirt, in heiligen Reden oder Schriften, ausgegangen von der durch sie erregten Begeisterung des Gemüthes, ausgesprochen werden; und dadurch nur kann eine religiöse Gemeinschaft entstehen, daß eine größere oder kleinere Gemeinheit in einer bestimmten Form des religiösen Lebens, in einem Bekenntnisse und in e i n e r Uebung der gottesdienstlichen Gebräuche sich vereinigt. Mit einem Worte, es bedarf, um den religiösen Ideen die das Gefühl weckende Lebendigkeit zu geben, und um eine Kirche zu gründen, dessen, was man das Positive des Christenthums zu nennen pflegt. Das nun war allerdings [49] lange genug verkannt worden; und gewiß ist es ein großes Verdienst der Schule, deren Princip ich bestreite, daß sie auf die Unentbehrlichkeit dieses Positiven, wie zur Gründung der Kirche, so zur Erregung der frommen Gefühle, hingewiesen hat. Denn unstreitig hat sie vollkommen Recht, wenn sie sagt, aus der Trennung der christlichen Ideen von ihren eigenthümlichen Formen und Symbolen gehe nichts als eine Religionsphilosophie hervor, welche, wie auch das Beyspiel des Theophilanthropismus beweise, niemals ein öffentlicher, zur Gemeinschaft vereinigender Glaube werden könne; und um die religiöse Gesinnung hervorzurufen und zu beleben, bedürfe es mehr als einer nur Religionslehren fortpflanzenden Schule, bedürfe es einer Kirche, in welcher das Göttliche nicht nur gelehrt, sondern auch dargestellt wird in heiliger Handlung und frommer Uebung, und der Glaube des einen den Glauben des andern stärkt. Gewiß das Christenthum würde allen Einfluß auf die menschlichen Gemüther verlieren und aufhören, der Glaube der Völker zu seyn, wenn man die Kirche in eine Schule verwandeln, die heiligen Gebräuche aufheben, die heiligen Bücher verdrängen, von der heiligen Geschichte schweigen, und forthin, anstatt von dem Vater über alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden, nur von dem Urgründe aller Dinge, anstatt von dem göttlichen Geiste, welcher kommt und Wohnung macht in den Herzen der Frommen, nur von der in der Geisterwelt waltenden Gotteskraft, anstatt von dem gnadenreichen Erbarmer und der Vergebung der Sünde, nur von der göttlichen Ordnung, daß der Mensch in eben dem Verhältnisse zufrieden mit sich selbst werde, in

584

Anhang

welchem er besser wird, reden wollte. Soll eine christliche Kirche bestehen und durch sie die fromme Gesinnung genährt und gestärkt werden, so muß ein Positives bleiben, mit der Idee auch die eigenthümliche christliche Form, neben der Lehre die heilige Geschichte und das in ihr gegebene Symbol; welche Forderung aber sehr wohl mit dem Grundsatze vereinbar ist, [50] daß das religiöse Gefühl auf die religiöse Idee zu gründen und nur durch die, wahrhaft christlichen Ideen entsprechenden, Formen und Symbole zu erregen sey. So erkenne ich auch in dem Irrthume die Wahrheit an, und lasse denen, die ich bestreite, volle Gerechtigkeit wiederfahren, wenn das Recht auf ihrer Seite ist. Niemals werde ich dem ästhetischen Principe huldigen und über die Verirrungen, zu denen es führt, schweigen. Keineswegs aber verblendet mich der Eifer des Widerspruchs so, daß ich alles, was eine Schule, deren Grundsatz ich nicht gelten lassen kann, mir bietet, blindlings verwerfen sollte; vielmehr weiß ich, daß meist jedes System die Dinge von einer Seite richtig fasset, und dankbar und gern habe ich manches, was über die Bedeutsamkeit des religiösen Gefühles und über die Unentbehrlichkeit des Positiven im Christenthume von den Vertheidigern des ästhetischen Principes gelehrt worden ist, in die eigene Ansicht und Lehrweise aufgenommen. [Anm. ...]

Zeichen und Abkürzungen Das Abkürzungsverzeichnis bietet die Auflösung der Zeichen und Abkürzungen, die von Schleiermacher und vom Bandherausgeber sowie in der zitierten Literatur benutzt worden sind, soweit die Auflösung nicht in den Apparaten oder im Literaturverzeichnis erfolgt. Nicht verzeichnet werden die Abkürzungen, die sich im „Duden Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter" (19. Aufl., Mannheim 1986) finden, sowie solche, die für Vornamen stehen. Ferner sind nicht berücksichtigt Abkürzungen, die sich von den aufgeführten nur durch das Fehlen eines Abkürzungspunktes oder durch Klein- bzw. Großschreibung unterscheiden. I / [] ] () (()) L1 [!]

Seitenumbruch Zeilenumbruch; Trennungsstrich zwischen Band und Teilband, zwischen mehreren Autoren, Editoren oder Erscheinungsorten Ergänzung des Bandherausgebers Lemmazeichen Streichung versehentlich nicht durchgeführte Streichung Unsichere Lesart Hinweis auf Anomalie

A. C. AdW Aesch. Anacephal. Apg art. Smalcald. Aug. Conf, Augsb. Conf. Ausg.

Augustana Confessio Archiv der Wissenschaften Aeschines Anacephalaiosis Apostelgeschichte articuli Smalcaldici Augsburger Confession Ausgabe

B. bibl. BSLK BSRK

Band biblisch Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Bekenntnisschriften der reformierten Kirche

c., cap. CA

capitulum caput Confessio Augustana

Zeichen und Abkürzungen

586

CChr cel., celeberr. cet. CG1 CG2 Cie. conf. Aug. Col. 2 Cor. CR CSEL

Corpus Christianorum celeberrimus cetera Schleiermacher: Der christliche Glaube, 1. bzw. 2. Auflage Cicero cori/essio Augustana Epistola ad Colossenses Epistola ad Corinthios secunda Corpus Reformatorum Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum

Ders. dogm. DV

Derselbe dogmatisch Druckfehlerverzeichnis

Ebend. Ebendas. Einl. d. Bandhg. Eph Epit. Ex

Ebenda Ebendaselbst Einleitung des Bandherausgebers Epheserbrief Epitome Exodus

FC flgd. fid. trinit.

Formula Concordiae folgende trinitatis

Gal GCS

fide

Gen geometr. Greg. G. S.

Galaterbrief Die Griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte Genesis geometrae Gregorius General Superintendent

Haer. h., heil. Hebr Hr. Hm.

Haeresis heilig Hebräerbrief Herr Herrn

Ibid. I. C. interpr. loh.

Ibidem Iesus Christ Iesus Christus interpretatur Evangelium secundum lohannem

Zeichen und Abkürzungen Jak. fes foh 1 Joh

Jakobusbrief Jesaja Johannesevangelium 1. Johannesbrief

KD KGA kirchl. Kj KL. 1 Kor 2 Kor korr. κ. τ.λ.

Schleiermacher: Kurze Darstellung Kritische Gesamtausgabe kirchlich Konjektur KirchenLehre 1. Korintherbrief 2. Korintherbrief korrigiert και τά λοιπά

L., Lib. LL. Lk, Luk. locr. th. Loc. Luc.

Liber Libri Lukasevangelium locorum theologicorum Locus Evangelium secundum Lucam

Matth. Mi Mk MPG MPL Mt

Evangelium secundum Matthaeum Micha Markusevangelium Migne: Patrologia Graeca Migne: Patrologia Latina Matthäusevangelium

Ν. Ν. Τ.

Nota Novum Testamentum

OD opp.

Originaldruck opera

p. ^ π. α., η. άρχ. 1 Petr Plat. De rep. Plutar. Poll. Polyb. praef. Ps

perge _ περί άρχων 1. Petrusbrief Piaton: De republica Plutarch Pollux Polybius praefatio Psalm

Q

Quelle (von Zitaten Schleiermachers)

587

588

r Ree. Ref. Rep. Rom Rom.

SC Sekt. Sir SN Sol. decl., Sol. declar., Solid, declar. Spiritus s. Spr sq. SW symbol.

Zeichen und Abkürzungen recto (Vorderseite) Recensent Referent Repositur Römerbrief Epistola ad Romanos seiner Sources chretiennes Sektion Jesus Sirach Schleiermacher-Nachlaß Solida declaratio Spiritus sanetus Sprüche Salomes sequens Sämmtliche Werke symbolisch

T., Tom. Th. Thucyd. 1 Tim. Tit tot.

Tomus Theil Thucydides 1. Timotheusbrief Titusbrief totus

V., Verf., Vf., V f f . Vergl. V. T.

Verfasser verso (Rückseite) Vergleiche Vetus Testamentum

WA WA.B Weish

Weimarer Ausgabe der Werke Luthers WA Briefe Weisheit Salomes

Xen.

Xenophon

V.

versus

Literaturverzeichnis Das Literaturverzeichnis führt die Schriften auf, die in Schleiermachers Text sowie in den Apparaten und der Einleitung des Bandherausgebers genannt sind. Die jeweiligen Titelblätter werden nicht diplomatisch getreu reproduziert. Folgende Grundsätze sind besonders zu beachten: 1. Die Verfassernamen werden in der heute gebräuchlichen Schreibweise angegeben. In gleicher Weise wird bei den Ortsnamen verfahren. 2. Ausführliche Titel werden in einer sinnvollen Kurzfassung wiedergegeben, die nicht als solche gekennzeichnet wird. 3. Werden zu einem Verfasser mehrere Titel genannt, so bestimmt sich deren Abfolge nach Gesamtausgaben, Teilausgaben und Einzeltiteln. Gesamtausgaben und Teilausgaben werden chronologisch, Einzeltitel alphabetisch angeordnet; bei letzteren ist das erste Wort unter Übergehung des Artikels maßgebend. 4. Bei anonym erschienenen Werken wird der Verfasser in eckige Klammern gesetzt. Läßt sich kein Verfasser nachweisen, so erfolgt die Einordnung nach dem ersten Titelwort unter Übergebung des Artikels. 5. Bei denjenigen Werken, die im Rauchschen Auktionskatalog der Bibliothek Schleiermachers aufgeführt sind, wird nach den bibliographischen Angaben in eckigen Klammern die Angabe „Rauch" mit der jeweiligen Seitenzahl und Nummer des Katalogs hinzugefügt.

Acta synodi nationalis Dordrechti habitae anno MDCXVIH et MDCXIX, Leiden 1620 [Rauch 3,71] Actenstücke betreffend die neue Preußische Kirchenagende, ed. N.Falck, Kiel 1827 Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen. Mit besonderen Bestimmungen und Zusätzen für die Provinz Brandenburg, Berlin 1829 [Rauch 6,176-178] Allgemeine Kirchenzeitung 1825, ed. E. Zimmermann, Nr. 138 (Darmstadt, 16.10.1825), Sp. 1129-1132 („ Verlästerung Deutschlands im Auslande durch Deutsche") Allgemeine Zeitung (Augsburg 1818), Nr. 91 (1. 4.1818), S.364 [Bericht aus Preußen] Allgemeiner Bericht über die evangelische Kirchenvereinigung in unserer Zeit und die dadurch entstandenen Streitigkeiten, in: Allgemeine Kirchenzeitung 1824, ed. E. Zimmermann, Nr. 143 (Darmstadt, 28.11.1824), Sp. 1185-1192 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Neue Ausgabe, 4 Bde, Berlin 1821

590

Literaturverzeichnis

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, ed. H. Hattenhauer, Frankfurt am Main/Berlin 1970 Ammon, Christoph Friedrich: Antwort auf die Zuschrift des Herrn D. Fr. Schleiermacher, ordentlichen oeffentlichen Lehrers der Theologie an der Universität zu Berlin, über die Prüfung der Harmsischen Sätze, Hannover/Leipzig 1818 : Antwort..., 2., verbesserte Aufl. Mit einer Nachschrift an die Leser, Hannover/Leipzig 1818 : Ausfuhrlicher Unterricht in der christlichen Glaubenslehre für Freunde der evangelischen Wahrheit nach Grundsätzen, Bd 1/1-1/2, Nürnberg/Altdorf 1807-1808 : Biblische Theologie, 2. Aufl., 3 Bde, Erlangen 1801-1802 : Bittere Arznei für die Glaubensschwäche der Zeit, Hannover/Leipzig 1817 : Bittere Arznei ..., 4., verbesserte Aufl., Hannover/Leipzig 1818 : Die christliche Sittenlehre nach einem wissenschaftlichen Grundrisse, Göttingen/Erlangen 1795 [Rauch 25,785] : Entwurf einer reinen biblischen Theologie, 2 Bde, Erlangen 1792 : Entwurf einer wissenschaftlich-praktischen Theologie, Göttingen 1792 : Handbuch der Anleitung zur Kanzelberedsamkeit, 2., vermehrte Aufl., Nürnberg 1812 [Rauch 19,610:3. Aufl. 1826] : Inbegriff der evangelischen Glaubenslehre, Göttingen 1805 : Rezension von „C. F. Ammon: Antwort, 1. u. 2. Aufl.", in: Magazin für christliche Prediger, ed. C. F. Ammon, Bd 3, 1. Stück (Hannover/Leipzig 1818), S. 253-255 : Rezension von „Reformationsalmanach auf das Jahr 1819", in: Magazin für christliche Prediger Bd 3, 2. Stück (Hannover/Leipzig 1819), S. 235-240 : Rezension von „F. Schleiermacher: An Ammon", in: Magazin für christliche Prediger, ed. C. F. Ammon, Bd 3, 1. Stück (Hannover/Leipzig 1818), S.252f : Summa theologiae christianae, Göttingen 1803 [Rauch 14,478] : Summa theologiae christianae, 3. Aufl., Leipzig 1816 [Rauch 47,1447] : Ueber die Folgerichtigkeit des evangelischen Lehrbegriffes von der sittlichen Unvollkommenheit des Menschen und seiner Erwählung zur Seligkeit. Gegen die Einwürfe des Herrn Drs. Schleiermacher, Hannover/Leipzig 1820 : Ueber die Hofnung einer freien Vereinigung beider protestantischen Kirchen. Ein Glückwünschungsschreiben an den Herrn Antistes Dr. Heß in Zürich, Hannover/Leipzig 1818 : Der verderbliche Hang des Menschen, das gesellige Leben in ein Schauspiel zu verwandeln. Predigt am Sonntage Rogate 1817, in: Magazin für christliche Prediger, ed. C. F. Ammon, Bd 2, 2. Stück (Hannover/Leipzig 1818), S. 393-406 : Vollständiges Lehrbuch der christlich-religiösen Moral, 4. Aufl., Göttingen 1806 [Rauch 11,408] : Von Ursprung und Beschaffenheit unmittelbarer göttlicher Offenbarung, Göttingen 1797 Ammon, Friedrich Wilhelm Philipp von: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den deutschen Bundesstaaten, Erlangen 1831 Apologia Augustanae Confessionis, ed. F.Lücke, Berlin 1817 [Rauch 18, 573]

Literaturverzeichnis

591

Aristoteles: Metaphysial, ed. F.Sylburgius, Frankfurt am Main 1585 Arnobius Junior: Opera omnia, in: MPL 53 (1865) : Conflictus cum Serapione, in: Maxima bibliotheca veterum patrum (ed. M. de la Bigne, 27 Bde, Leiden 1677), Bd 8, Leiden 1677 Articuli qui dicuntur Smalcaldici. Ε Palatino codice manuscripto, ed. P. Marheineke, Berlin 1817 [Rauch 9,269] Athanasius: Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe, 2 Bde, Paris 1698 : Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe, 4 Bde, Padua 1777 [Rauch 1,17-20] : Opera omnia, MPG 25-28; Bde 25 (1857), 26 (1857), 28 (1857) : Werke, Bd 2/1, ed. H.-G. Opitz, Berlin/Leipzig 1935 Der Augsburger Religionsfriede vom 25. September 1555, ed. K. Brandt, 2. Aufl., Göttingen 1927 Augustinus: Opera, Benediktiner-Ausgabe, 12 Bde, Antwerpen 1700-1703 [Rauch 2,60-65] : Opera omnia, MPL 32-47; Bde 34 (1845), 44 (1865) : Opera, CChr, bisher 18 Bde, Tumhout 1954ff Auswahl merkwürdiger Aeußerungen und Actenstücke bei dem Reformations-Jubiläum 1817, in: Theologische Nachrichten 1818, ed. L. Wachler, Bd 1 (Breslau, Juni 1818), S. 263-293 [vgl. Rauch 28, 881-901] Bachmann, Johannes: Ernst Wilhelm Hengstenberg. Sein Leben und Wirken nach gedruckten und ungedruckten Quellen dargestellt, 2 Bde, Gütersloh 1876-1879 Basilius Caesariensis: Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe, 3 Bde, Paris 1721-1730 [Rauch 1,21-23] : Opera omnia, MPG 29-32; Bde 31 (1857), 32 (1857) Baumgarten, Siegmund Jacob: Evangelische Glaubenslehre, ed. J. S. Semler, 3 Bde, Halle 1759-1760 [Rauch 10,288-290] Baur, Ferdinand Christian: Primae rationalismi et supranaturalismi historiae capita potiora pars I. De Gnosticorum Christianismo ideali, Tübingen 1827 (Antrittsprogramm) : Selbstanzeige von „Primae rationalismi et supranaturalismi capita potiora", in: Tübinger Zeitschrift für Theologie, ed. J. C. Steudel u.a. (Tübingen 1828), 1. Stück, S. 220-264 [Rauch 51,1620] [Baur, Ferdinand Christian:] Primae rationalismi et supranaturalismi historiae capita potiora pars II, in qua Comparatur Gnosticismus cum Schleiermacherianae theologiae indole, Tübingen 1827 (Osterprogramm) Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 7. Aufl., Göttingen 1976 Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, ed. E. F. K. Müller, Leipzig 1903 Bemerkungen über die Lehre von der Gnadenwahl, in Beziehung auf D. Schleiermacher's Abhandlung im 1. Heft der von ihm, de Wette und Anderen herausgegebenen Zeitschrift, in: Studien der evangelischen Geistlichkeit Wirtembergs, Bd 1, Heft 1 (Stuttgart 1827), S. 157-220 Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments nach der Uebersetzung Martin Luthers, ed. N.Funk, Altona 1815

592

Literaturverzeichnis

Blanc, Ludwig Gottfried: An meine Mitbürger über die Vereinigung der beyden, bis jetzt getrennten, protestantischen Kirchen-Partheyen, Halle 1818 : Briefe an Friedrich Schleiermacher, ed. H. Meisner/E. Schmidt, Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 2, Berlin 1909 Bleek, Friedrich: Ueber die Entstehung und Zusammensetzung der uns in 8 Büchern erhaltenen Sammlung Sybillinischer Orakel, in: Theologische Zeitschrift 1 (Berlin 1819), S. 120-246 [Rauch 2 7, 845] : Ueber Verfasser und Zweck des Buches Daniel; Revision der in neuerer Zeit darüber geführten Untersuchungen, in: Theologische Zeitschrift 3 (Berlin 1822), S. 171-294 [Rauch 104,8] Böhme, Christian Friedrich: Rezension von „F. Schleiermacher: CG1", in: Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle/Leipzig 1823), Nr. 115 (Mai 1823), Sp. 49-54; Nr. 116, Sp. 57-63; Nr. 117, Sp. 65-72 Braniß, Christlieb Julius: Ueber Schleiermachers Glaubenslehre. Ein kritischer Versuch, Berlin 1824 [Rauch 51, 1588] Bretschneider, Karl Gottlieb: Aphorismen über die Union der beiden evangelischen Kirchen in Deutschland, ihre gemeinschaftliche Abendmahlsfeier, und den Unterschied ihrer Lehre, Gotha 1819 : Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 2 Bde, 1814-1818 [Rauch 12, 412-413] : Die Lehre Calvins und der reformirten Kirche von der göttlichen Vorherbestimmung dargestellt, nach der neuesten Vertheidigung derselben durch Herrn Doctor Schleiermacher beleuchtet, in: Für Christenthum und Gottesgelahrtheit. Eine Oppositionsschrift, ed. W. Schröter IF. A. Klein, Bd 4, Heft 1 (Jena 1820), S. 1-96 : Probabilia de evangelii et epistolarum Joannis, Apostoli, indole et origine, Leipzig 1820 [Rauch 42, 1300] : Sendschreiben an einen Staatsmann über die Frage: ob die evangelischen Regierungen gegen den Rationalismus einzuschreiten haben?, Leipzig 1830 [Rauch 35,1113] : Ueber den Begriff der Erlösung und die damit zusammenhängenden Vorstellungen von Sünde und Erbsünde in der christlichen Glaubenslehre des Hm. Prof. Dr. Schleiermacher, in: Journal für Prediger 67 (Halle 1825), S. 1-33 : Ueber die Grundansichten der theologischen Systeme in den dogmatischen Lehrbüchern der Herren Professoren Schleiermacher und Markheinecke, so wie über die des Herrn Dr. Hase, in: Handbuch der Dogmatik, 3. Aufl., Bd 1, Leipzig 1828, S. 1-71 [Rauch 15, 511] : Ueber das Princip der christlichen Glaubenslehre des Herrn Prof. Dr. Schleiermacher, in: Journal für Prediger 66 (Halle 1825), S. 1-28 [Bretschneider, Karl Gottlieb:] Rezension von „F. Schleiermacher: CG2", in: Journal für Prediger 79 (Halle 1831), S. 297-301 Bucer, Martin: Opera omnia, Deutsche Schriften, ed. R. Stupperich, bisher 8 Bde, Gütersloh 1960ff Bude, Guilleaume: Commentaria linguae Graecae, Paris 1548 Bülow, Friedrich von: Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse des christlich evangelischen Kirchenwesens in Deutschland, besonders in Beziehung auf den Preußischen Staat, Magdeburg 1818

Literaturverzeichnis

593

Butschky, Samuel von: Patkmos enthaltend: Sonderbare Reden und Betrachtungen allerhand Curioser Hoff-, Welt- und Stats-Sachen, Leipzig 1677 Calixt, Georg: Werke in Auswahl, ed. I. Mager, bisher 4 Bde, Göttingen 1970ff : Epitomes theologiae moralis pars prima, Helmstedt 1634 Calvin, Johann: Opera omnia, 9 Bde, Amsterdam 1671 [Rauch 5,141-149] : Opera omnia, ed. G. Baum/E. Cunitz/E. Reuss, 59 Bde, Braunschweig 1863-1900 (CR 29-87) : Institutionum christianae religionis libri quatuor, Leiden 1654 [Rauch 3,86] : Institutio christianae religionis, in: Opera selecta, Bd 3-5, ed. P.Barth/W. Niesei, 3. Aufl., München 1967-1974 Cassianus, Johannes: Opera, CSEL 13, ed. M. Petschening, Wien 1886 Catechismus, oder Unterricht, von der christlichen Lehr, welche in denen reformirten Kirchen und Schulen der Chur-Fürstlichen Pfaltz gelehret wird, Heidelberg 1724 Chateaubriand, Francois Rene de: Les Martyrs, ou le triomphe de la religion chretienne, 2 Bde, Paris 1809 Der Chur Brandeburg Reformation Werck, Berlin 1615 [Rauch 9,274] Circular- Rescript des Königlichen Ministeriums der Geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten an sämmtliche Königliche Konsistorien und Provinzial-Schul-Kollegien, die dritte Saecular-Feier der Uebergabe der Augsburgischen Konfession betreffend (vom 8. 5.1830), in: Annalen der Preußischen innem Staats- Verwaltung 14 (Berlin 1830), Heß 1, S. 321-323 Clausen, Henrik Nikolai: Catholicismens og Protestantismens Kirkeforfatning, Laere og Ritus, Kopenhagen 1825 Clemens Alexandrinus: Opera, ed. J. Potter, 2 Bde, Venedig 1757 [Rauch 2,37-38] : ed. O. Stählin, GCS, 4 Bde, Leipzig 1905-1936; Bd 3, 2. Aufl., ed. L. Früchtel/U. Treu, Berlin 1970 Concordia (ed. A. Rechenberg), Leipzig 1732 [Rauch 28, 917] Delbrück, Ferdinand: Christenthum Bd 2. Philipp Melanchthon, der Glaubenslehrer, Bonn 1826 : Christenthum Bd 3. Erörterungen einiger Hauptstücke in Dr. Friedrich Schleiermachers christlicher Glaubenslehre, Bonn 1827 [Rauch 15, 504] : Der verewigte Schleiermacher. Ein Beytrag zu gerechter Würdigung desselben, Bonn 1837 de Wette, Wilhelm Martin Leberecht: Aktensammlung über die Entlassung des Professors D. de Wette vom theologischen Lehramt zu Berlin, Leipzig 1820 : Kritische Uebersicht der Ausbildung der theologischen Sittenlehre in der evangelisch Lutherischen Kirche seit Calixtus. Erster Abschnitt, in: Theologische Zeitschrift 1 (Berlin 1819), S. 247-314 [Rauch 27,845] : Lehrbuch der christlichen Dogmatik, 2 Bde, Berlin 1813-1816 [Rauch 23, 722: Bd 1] : Lehrbuch der christlichen Dogmatik, 2. Aufl., 2 Bde, Berlin 1818-1821 [Rauch 12,421-422] : Ueber die Lehre von der Erwählung, in Beziehung auf Herrn Dr. Schleiermachers Abhandlung darüber, in: Theologische Zeitschrift 2 (Berlin 1820), S. 83-131 [Rauch 27, 846J

594

Literaturverzeichnis

: Ueber die symbolisch-typische Lehrart des Briefes an die Hebräer; in Beziehung auf Herrn Dr. Schulzens Bearbeitung derselben, in: Theologische Zeitschrift 3 (Berlin 1822), S. 1-51 [Rauch 104, 8] Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession und die repetitio confessionis Augustanae, ed. A. Twesten, Kiel 1816 [Rauch 18, 585J Epiphanius: Opera omnia, ed. D. Petavius, 2. Aufl., 2 Bde, Köln 1682 [Rauch 2,42-43] .-Ancoratus undPanarion, GCS, 3 Bde, ed. K.Holl, Leipzig 1915-1933; Bd3, 2. Aufl., ed. J.Dummer, Berlin 1985 Ernst Moritz Arndt. Ein Lebensbild in Briefen, ed. H. MeisneriR. Geerds, Berlin 1898 Ersch, Johann Samuel: Allgemeines Repertorium der Literatur für die Jahre 1796-1800, Bd 1, Weimar 1807 : Handbuch der deutschen Literatur seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit, Bd 1, Amsterdam/Leipzig 1812 Estienne, Henri: Thesaurus Graecae linguae, 5 Bde, Genf 1572 [vgl. Rauch 57,22-24] Eusebius Caesariensis: Werke, GCS, 9 Bde, Leipzig 1903-1913, Berlin 1956ff; Bd 4, ed. E. Klostermann, 2. Aufl., 1972; Bd 8/1, ed K.Mras, 1954 : De demonstrations evangelica libri decern, quibus accessere contra Marceilum Ancyrae Episcopum libri duo, ed. R. Montagu, Paris 1628 [Rauch 2,46] : Historia ecclesiastica, ed. H. Valesius, Mainz 1672 [Rauch 2,44] : Kirchengeschichte, ed. E. Schwartz, Kleine Ausgabe, 5. Aufl., Berlin 1952 : Praeparatio evangelica, ed. F. Vigerus, Paris 1628 [Rauch 2,45] Eylert, Rulemann Friedrich: Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III., 3 Bde, Magdeburg 1842-1846 : Ueber den Werth und die Wirkung der für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Staaten bestimmten Liturgie und Agende, nach dem Resultate einer zehnjährigen Erfahrung, Potsdam 1830 Filastrius: Diversarum hereseon Uber, ed. J. A. Fabricius, Hamburg 1721 : Diversarum hereseon liber, in: CChr 9, Tumhout 1957, S. 217-324 Förstemann, Karl Eduard: Urkundenbuch der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, 2 Bde, Halle 1833-1835 Friedrich Wilhelm III. von Preußen: Allerhöchste Königliche Cabinets-Ordre die Vereinigung der lutherischen und reformirten Kirche (vom 27.9.1817), in: Annalen der Preußischen innem Staats- Verwaltung 1 (Berlin 1817), Heft 3, 5. 64-66 : Kabinettsordre die dritte Saecular-Feier der Uebergabe der Augsburgischen Konfession betreffend (vom 4.4.1830), in: Annalen der Preußischen innern Staats- Verwaltung 14 (Berlin 1830), Heft 1, S.323f Fries, Jakob Friedrich: Bemerkungen über des Aristoteles Religionsphilosphie, in: Für Theologie und Philosophie. Eine Oppositionsschrift, Neue Folge, ed. J. F. Fries/H. Schmid, Bd 1, Heft 1 (Jena 1828), S. 140-167

Literaturverzeichnis

595

: Ueber Schleiermachers zweites Sendschreiben über seine Glaubenslehre, in: Für Theologie und Philosophie. Eine Oppositionsschrift, Neue Folge, ed. J. F. Fries/H. Schmid, Bd 2, Heft 3 (Jena 1829), S. 138f Fries, Wilhelm: Die Franckeschen Stiftungen in ihrem zweiten Jahrhundert, Halle 1898 Fuhrmann, Wilhelm David: Handbuch der neuesten theologischen Literatur, Bd 1, Iserlohn/Barmen 1836 [Gaß, Joachim Christian:] Sammelrezension von „C.F.Ammon: Antwort", „F. Schleiermacher: Zugabe", „C.Harms: Briefe zur Verständigung", in: Neue theologische Annalen 1818, ed. L. Wachler (Frankfurt am Main, September 1818), S. 744- 751 [vgl. Rauch 28,881-901] : Sammelrezension von „C.F.Ammon: Arznei", „F. Schleiermacher: An Ammon", in: Neue theologische Annalen 1818, ed. L. Wachler (Frankfurt am Main, Mai 1818), S. 431-436 [vgl. Rauch 28, 881-901] : Rezension von „Reformationsalmanach auf das Jahr 1819", in: Neue theologische Annalen und theologische Nachrichten 1819, ed. L. Wachler, Heft 1 (Frankfurt am Main, Januar 1819), S. 26-34 [vgl. Rauch 28,881-901] : Rezension von „F. Schleiermacher: Oratio in sollemnibus ecclesiaeper Lutherum emendatae", in: Theologische Nachrichten 1818, ed. L. Wachler, Bd 1 (Breslau, Juni 1818), S. 265-269 [vgl. Rauch 28,881-901] Gennadius Massiliensis: Opera omnia, in: MPL 58 (1862) : De ecclesiasticis dogmatibus, ed. G. Elmenhorst, Hamburg 1614 Gerhard, Johann: Loci theologici, ed. J. F. Cotta, 20 Bde, Tübingen 1762-1781 [Rauch 8, 237-247] : Loci theologici, ed. E. Preuss, Bd 1-8 Berlin 1863-1870, Bd 9 Leipzig 1875 [Gerlach, Emst Ludwig von:] Der Rationalismus auf der Universität Halle, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 5 (Berlin, 16.1.1830), Sp. 38-40; Nr. 6 (20.1.), Sp. 45-47 Gerlach, Gottlob Benjamin: Ammon und Schleiermacher oder Präliminarien zur Union zwischen Glauben und Wissen, Religion und Philosophie, Supematuralismus und Rationalismus, Berlin 1821 [Rauch 17,551] [Gerlach, Otto von:] Ueber das neueste Sendschreiben des Herrn Dr. Schleiermacher an die Herren DD. von Cölln und D.Schulz (zu Breslau) in Bezug auf den Streit wegen der Lehreinheit in der evangelischen Kirche, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1831, Nr. 14 (Berlin, 16.2.1831), Sp. 105-112; Nr. 15 (19.2.), Sp. 113-117 Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen, Berlin 1829 Gregorius Thaumaturgos: Opera omnia, ed. G. Vossius, Mainz 1604 : Opera omnia, in: MPG 10 (1857) [Grohmann, Johann Christian August:] Ueber Offenbarung und Mythologie, Berlin 1799 Grundtvig, Nikolaj Frederik Severin: Kirkens Gienmaele, Kopenhagen 1825 Hahn, August: De rationalismi qui dicitur vera indole et qua cum naturalismo contineatur ratione, Leipzig 1827 : Lehrbuch des christlichen Glaubens, Leipzig 1828 [Rauch 12,433]

596

Literaturverzeichnis

Harms, Claus: Ausgewählte Schriften und Predigten, ed. P. Meinhold u.a., 2 Bde, Flensburg 1955 : Briefe zu einer nähern Verständigung über verschiedene meine Thesen betreffende Puncte. Nebst Einem namhaften Briefe, an den Herrn Dr. Schleiermacher, Kiel 1818 : Das Christenthum. In einem Kleinen Katechismus aufs neue der Jugend vorgestellt und gepriesen, Kiel 1810 : Das sind die 95 theses oder Streitsätze Dr. Luthers. Mit andern 95 Sätzen als mit einer Uebersetzung aus Anno 1517 in 1817 begleitet, Kiel 1817 : Daß es mit der Vernunftreligion nichts ist, Kiel 1819 Hase, Karl: De fide dissertatio, Tübingen 1823 : Lehrbuch der Evangelischen Dogmatik, Stuttgart 1826 Heidelberger Katechismus: s. Catechismus, oder ... Der Heidelberger Katechismus und vier verwandte Katechismen, ed. A. Lang, Leipzig 1907 (Nachdruck Darmstadt 1967) Heinrici, C.F. Georg: D. August Twesten nach Tagebüchern und Briefen, Berlin 1889 [Hengstenberg, Ernst Wilhelm:] Gegenerklärung der Redaction, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 18 (Berlin, 3.3.1830), Sp. 140-144; Nr. 19 (6.3.), Sp. 145-149 : Rechtfertigung des Sendschreibens über Schleiermacher, Berlin 1830 : Rezension von „Bericht über die Umtriebe der Frömmler in Halle, oder: Welch' Zeit ist es im Preußischen Staate? Von Freimund Lichtfreund, Altenburg 1830", in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 38 (Berlin, 12. 5.1830), Sp. 302-304 : Lieber Dr. Schleiermacher's Behauptung der Unkräftigkeit und Entbehrlichkeit der messianischen Weissagungen, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 3 (Berlin, 9.1.1830), Sp. 17-21; Nr. 4 (13.1.), Sp. 25-31 : Ueber Schleiermacher. (Auch ein Sendschreiben.), in: Evangelische KirchenZeitung 1829, Nr. 97 (Berlin, 5.12.1829), Sp. 769-775; Nr. 98 (9.12.), Sp. 777-782; Nr. 99 (12.12.), Sp. 785-790; Nr. 100 (16.12.), Sp. 793-798 : Vorrede, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 1 (Berlin, 2.1.1830), Sp. 1-8; Nr. 2 (6.1.), Sp. 9-16 Henke, Heinrich Philipp Konrad: Beurtheilung aller Schriften welche durch das Königlich Preußische Religionsedikt und durch andre damit zusammenhängende Religionsverfugungen veranlaßt sind, Kiel 1793 Heß, Johann Caspar: Lebensbeschreibung Ulrich Zwingiis. Aus dem Französischen nebst einem Anhang von L. Usteri, Zürich 1811 [Rauch 38,1167] Hester, Carl E.: Schleiermachers Besuch in Tübingen, in: Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte 1, Tübingen 1981, S. 127-144 Hieronymus: Opera, Benediktiner-Ausgabe, 5 Bde, Paris 1693-1706 [Rauch 1,3-7] : Opera omnia, MPL 22-30; Bd 23 (1889) Hilarius: Opera, Benediktiner-Ausgabe, Paris 1693 [Rauch 2, 59] : Opera omnia, MPL 9-10; Bd 10 (1845) : Opera, CSEL 65, ed. A.Feder, Wien 1916 : Opera, CChr 62. 62A, ed. P. Smulders, Turnhout 1979-1980

Literaturverzeichnis

597

Hippolyt: Opera, ed. J.A. Fabricius, 2 Bde, Hamburg 1716-1718 [Rauch 2, 50] : Scripta omnia, in: MPG 10 (1857) Hirsch, Emanuel: Fichtes, Schleiermachers und Hegels Verhältnis zur Reformation, Göttingen 1930 Hospinian, Rudolf: Concordia discors, seu de origine et progressu formulae concordiae Bergensis, Zürich 1607 Huet, Pierre Daniel: s. Origenes Jahrbüchlein der deutschen theologischen Literatur, ed. J. M. D. L. Deegen, 7 Bde, Essen 1819-1830 Joannes Chrysostomus: Opera omnia, ed. B. de Montfaucon, 13 Bde, Paris 1718-1738 [Rauch 1,24-36] : Opera omnia, MPG 47-64; Bde 48 (1859), 62 (1862), 63 (1862) : Interpretatio omnium epistolarum Paulinarum per homilias facta, ed. F. Field, 5 Bde, Oxford 1849-1855 : Sur le sacerdoce (Dialogue et Homelie), SC 272, ed. A. Malingrey, Paris 1980 Jonas, Ludwig: Gegen die Rechtfertigung des Sendschreibens über Schleiermacher. Einige Bemerkungen, Berlin 1831 [Jonas, Ludwig:] Sendschreiben an den Herrn Verfasser des in der Evangelischen Kirchenzeitung Numero 97 sequentes 1829 enthaltenen Sendschreibens über Schleiermacher, Berlin 1830 Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften, Akademieausgabe, bisher 26 Bde, Berlin 1900ff; (Nachdruck der Bde 1-9 als: Werke, Akademie-Textausgabe, Berlin 1968) : Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Königsberg 1793 [Rauch 85,357] Kirchenhistorisches Archiv, ed. C. F. Stäudlin/J. G. Tzschimer/S. Vater, Jg 3-4, Halle 1823-1824 Kirchenunionen im 19. Jahrhundert, ed. G. Ruhbach, Gütersloh 1967 (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte Heft 6) Klaiber, Christoph Benjamin: Ueber Begriff und Wesen des Supranaturalismus, und die Versuche, ihn mit dem Rationalismus zu vereinigen, in: Studien der evangelischen Geistlichkeit Wirtembergs, Bd 1, Heft 1 (Stuttgart 1827), S. 73-156 Klein, Friedrich August: Vertraute Briefe über Christenthum und Protestantismus, bei der dritten Jubelfeier der Lutherischen Reformation geschrieben, Jena 1817 [Rauch 17,558] Knapp, Albert: Ist die Verschiedenheit der dogmatischen Systeme kein Hindemiß des Zwecks der Kircheξ in: Studien der evangelischen Geistlichkeit Wirtembergs, Bd 1, Heft 2 (Stuttgart 1828), S. 35-151 [Rauch 104, 30] Krause, Johann Friedrich: De Rationalismo ecclesiae nostrae in doctrina de Praedestinatione. Programma MDCCCXIV edita, in: Opuscula theologica, Königsberg 1818, S. 177-198 [Rauch 39, 1187] Kriege, Anneliese: Geschichte der Evangelischen Kirchen-Zeitung unter der Redaktion Ernst-Wilhelm Hengstenbergs, maschinenschriftliche Dissertation, 2 Bde, Bonn 1958

598

Literaturverzeichnis

Lehenmann, Christopherus: De Pace Religionis Acta Publica et Originalia, Frankfurt 1631 Lenz, Max: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 4 Bde, Halle 1910 Literarisches Wochenblatt, ed. A. v. Kotzebue, Bd 1, 3. Aufl. (Weimar 1818), Nr. 35, S.273; Nr. 38, S.297 Lücke, Friedrich: Commentar über die Schriften des Evangelisten Johannes, Bd 1-3, Bonn 1820-1825 [Rauch 42, 1304-1306] : Ueber den richtigen Begriff und Gebrauch der exegetischen Tradition in der Evangelischen Kirche, in: Theologische Zeitschrift 3 (Berlin 1822), S. 121-170 [Rauch 104,8] Luther, Martin: Sämtliche Schriften, ed. J. G. Walch, 1. Aufl., 24 Bde, Halle 1740-1753 [Rauch 10,305-328] : Werke. Kritische Gesamtausgabe, 58 Bde, Weimar 1883ff : De servo arbitrio ad D. Erasmum Roterodamum, Wittenberg 1525 Magazin für christliche Prediger, Bd 1-6, ed. C.F.Ammon, Hannover 1816-1822 Marheineke, Philipp Konrad: Geschichte der teutschen Reformation, 4 Bde, Berlin 1816-1834 [vgl. Rauch 35, 1107-1108] : Die Grundlehren der christlichen Dogmatik, Berlin 1819 [Rauch 13, 445] : Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, 2., völlig neu ausgearbeitete Aufl., Berlin 1827 [Rauch 48, 1473] : Sanctorum patrum de praesentia Christi in coena domini sententia triplex, Heidelberg 1811 [Marheineke, Philipp Konrad:] Aphorismen zur Erneuerung des kirchlichen Lebens im protestantischen Deutschland, Berlin 1814 [Rauch 19, 623] Martini, Christoph David Anton: Versuch einer pragmatischen Geschichte des Dogma von der Gottheit Christi in den ersten vier Jahrhunderten nach Christi Geburt, Bd 1, Rostock/Leipzig 1800 Meisner, Heinrich: Schleiermachers Lehrjahre, ed. H.Mulert, Berlin/Leipzig 1934 Melanchthon, Philipp: Opera omnia, CR 1-15, ed. C. G. Bretschneider, CR 16-28 ed. Η. E. Bindseil, CR 1-18 Halle 1834-1852, CR 19-28 Braunschweig 1853-1860 : Werke in Auswahl, ed. R. Stupperich, bisher 7 Bde, Gütersloh 1951 ff : Loci communes theologici recens collecti et recogniti, Wittenberg 1535 [Rauch 10,286:1536] Meusel, Johann Georg: Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, 5. Aufl., 12 Bde, Lemgo 1796-1806 (Nachdruck Hildesheim 1966) Michahelles, Karl Friedrich: Literatur der dritten Reformations-Säcularfeier oder möglichst vollständiges literarisches Verzeichniß aller Schriften, welche in Beziehung auf das im Jahr 1817 gefeierte dritte Reformations-Jubelfest erschienen sind, Nürnberg 1820 Milton, John: Paradise lost. A Poem, London 1667 Möhler, Johann Adam: Athanasius der Große und die Kirche seiner Zeit, besonders im Kampfe gegen den Arianismus, 2 Bde, Mainz 1827

Literaturverzeichnis

599

Neander, August: Erklärung über meine Theilnahme an der Evangelischen Kirchenzeitung, und die Gründe, mich von derselben ganz loszusagen, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 18 (Berlin, 3.3.1830), Sp. 137-140 : Erklärung über seine Theilnahme an der evangelischen Kirchenzeitung nebst rechtfertigender Erörterung der ersteren, Berlin 1830 : Erklärung ..., 2., mit Bemerkungen und einem Anhange vermehrte Aufl., Berlin 1830 Neue Leipziger Literatur Zeitung 1806, 3. Stück (6.1.1806), Sp. 35-44 (Rezension von „W. T.Krug: Versuch einer systematischen Enzyklopädie der Wissenschaften, Leipzig 1804-1805") Neues Allgemeines Intelligenzblatt zur Neuen Leipziger Literatur Zeitung gehörend (Leipzig 1806), 13. Stück (15.3.1806), Sp. 202; 21. Stück (3.5.), Sp.331 („Literarische Nachrichten") Nitzsch, Karl Immanuel: De testamentis duodecim patriarcharum, libro Veteris Testament! pseudepigrapho, Wittenberg 1810 : Dissertatio de evangeliorum apocryphorum in explicandis canonicis usu et abusu, Wittenberg 1808 : Rezension von „ C. F. Baur: Antrittsprogramm, Osterprogramm und Selbstanzeige", in: Theologische Studien und Kritiken, ed. C. Ulimann/F. W. Umbreit u. a., Bd 1 (Hamburg 1828), S. 836-853 [vgl. Rauch 27,835-844] : Rezension von „F. Delbrück: Christenthum 3", in: Theologische Studien und Kritiken, ed. C. Ullmann/F. W. Umbreit u.a., Bd 1 (Hamburg 1828), S. 640-668 [vgl. Rauch 27,835-844] : Ueber den Menschenmörder von Anfang, /oh. 8,44, in: Theologische Zeitschrift 3 (Berlin 1822), S. 52-73 [Rauch 104,8] Novum Testamentum Graece, ed. G. C. Knapp, 2. Aufl., 2 Bde, Halle/Berlin 1813 [Rauch 43,1329-1330] Novum Testamentum Graece, ed. Nestle/Aland, 26. Aufl., Stuttgart 1979

Ohst, Martin: Schleiermacher und die Bekenntnisschriften. Eine Untersuchung zu seiner Reformations- und Protestantismusdeutung, Tübingen 1989 Olshausen, Hermann: Melanchthons Charakteristik aus seinen Briefen dargestellt, Berlin 1818 Orationes in sollemnibus ecclesiae per Lutherum emendatae saecularibus tertiis in Universitate litterarum Berolinensi die III. Novembris Anno MDCCCXVII. habitae, Berlin 1817 Origenes: Opera omnia, ed. C. Delarue, 4 Bde, Paris 1733-1759 [Rauch 2, 54-57] : Opera omnia, MPG 11-17; Bde 14 (1862), 17 (1857) : Werke, GCS, 12 Bde, Leipzig 1899-1941, Berlin 1955ff; Bd 2, ed. P.Koetschau, 1899; Bd 3, 2. Aufl., ed. P. Nautin, 1983; Bd 4, ed. E. Preuschen, 1903; Bd 5, ed. P.Koetschau, 1913; Bd 10, ed. E. Klostermann, 1935 : Origenis in sacras scripturas commentaria, ed. P. D. Huet, 2 Bde, Rouen 1668

Pabst, Julius: Lebens- und Charakterumrisse Christoph Friedrichs von Dresden 1850

Ammon,

600

Literaturverzeichnis

Planck, Gottlieb Jakob: Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zu der Einfuhrung der Concordienformel, 6 Bde, Leipzig 1781-1800 lRauch 13, 459-466 u. 35,1104-1106] Piaton: Opera, ed. Societas Bipontina, 12 Bde, Zweibrücken 1781-1787 [Rauch 71, 534-545] : Werke in acht Bänden, Griechisch und Deutsch, ed. G. Eigler, Darmstadt 1970-1983 : Piatons Werke, 3 Teile in 6 Bdn, übersetzt von F. Schleiermacher, Berlin 1804-1828 Rätze, Johann Gottlieb: Erläuterungen einiger Hauptpunkte in Dr. Fr. Schleiermachers christlichem Glauben nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Leipzig 1823 [Rauch 14, 483] Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. Aufl., ed. A. Hauck, 24 Bde, Leipzig 1896-1913 Reformations Almanack auf das Jahr 1819, ed. F. Keyser, Erfurt [1818] [Rauch 29, 922] Reformations Almanack für Luthers Verehrer auf das evangelische Jubeljahr 1817, ed. F. Keyser, Erfurt 1817 [Rauch 23, 714 u. 715] Reinhard, Franz Volkmar: Vorlesungen über die Dogmatik, Amberg/Sulzbach 1801 [Rauch 12,428: 4. Aufl. 1818] Rezension von „C. F.Ammon: Bittere Arznei", in: Leipziger Literatur-Zeitung 1818, Nr. 14 (16.1.1818), Sp. 105-110 Rezension von „C.Harms: Thesen", in: Leipziger Literatur-Zeitung 1818, Nr. 4 (5.1.1818), Sp. 25-32; Nr. 5 (6.1.), Sp. 33-35 Rezension von „Reformationsalmanach auf das Jahr 1819", in: Archiv für die Theologie und ihre neuste Literatur, ed. E. G. Bengel, Bd 4, 3. Stück (Tübingen 1821), S. 572-585 Rezension von „Reformationsalmanach auf das Jahr 1819", in: Für Christenthum und Gottesgelahrtheit. Eine Oppositionsschrift, ed. W. Schröter/F. A. Klein, Bd 2, Heft 3 (Jena 1819), S. 556-559 Rezension von „Reformationsalmanach auf das Jahr 1819", in: Leipziger LiteraturZeitung 1818, Nr. 314 (14.12.1818), Sp.2511f; Nr. 315 (15.12.), Sp.2520 Rezension von „F. Schleiermacher: An Ammon", in: Allgemeine Literatur-Zeitung 1818 (Halle/Leipzig 1818), Nr. 99 (April 1818), Sp. 785-792 Rezension von „F. Schleiermacher: An Ammon", in: Für Christenthum und Gottesgelahrtheit. Eine Oppositionsschrift, ed. W. Schröter/F. A. Klein, Bd 1, Heft 3 (Jena 1818), S. 549 Rezension von „F. Schleiermacher: Zugabe", in: Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle/Leipzig 1818), Nr. 100-101 (April 1818), Sp. 798-802 Rezension von „F. Schleiermacher: Zugabe", in: Für Christenthum und Gottesgelahrtheit. Eine Oppositionsschrift, ed. W. Schröter/F. A. Klein, Bd 1, Heft 4 (Jena 1818), S. 746f Rezension von „Theologische Studien und Kritiken Jg 1828-1831", in: Leipziger Literatur Zeitung 1832, Nr. 31-33 (6.-8.2. 1832), Sp. 241-247. 249-264 Rezension von „Theologische Studien und Kritiken Jg 1829", in: Ergänzungsblätter zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 1830, Bd 1, Nr. 1-2, Sp. 1-10

Literaturverzeichnis

601

Rezension von „Theologische Studien und Kritiken 1831, 1. Heft" in: Allgemeine Kirchenzeitung 1831, ed. E. Zimmermann, Nr. 21 (Darmstadt, 5.2.1831), Sp. 169f Rezension von „Theologische Studien und Kritiken Jg 1831", in: Ergänzungsblätter zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 1832, Nr. 14 f , Sp. 105-116 Renzension von „Theologische Studien und Kritiken Jg 1831", in: Theologisches Literaturblatt zur Allgemeinen Kirchenzeitung 1832, ed. E. Zimmermann, Nr. 97 (Darmstadt, 13. 8.1832), Sp. 790-792 Rezension von „Theologische Zeitschrift 1 (Berlin 1819)", in: Allgemeine LiteraturZeitung (Halle/Leipzig 1820), Nr. 219-221 (September 1820), Sp. 1-19 Rezension von „Theologische Zeitschrift 1 (Berlin 1819)", in: Allgemeines Repertorium der neuesten in- und ausländischen Literatur, ed. C. D. Beck u. a., Nr. 23, Bd 4, 5. Stück (Leipzig/Wien 1819), S.292f Rezension von „ Theologische Zeitschrift 1 (Berlin 1819)", in: Archiv für die Pastoral- Wissenschaft theoretischen und praktischen Inhalts, ed. J. S. Bail, Teil 3 (Züllichau/Frey Stadt 1821), S.343f Rezension von „Theologische Zeitschrift 1 (Berlin 1819)", in: Theologische Quartalschrift, ed. J.S.Drey u.a. (Tübingen 1820), Heft 2, S. 278-290 Rezension von „Theologische Zeitschrift 3 (Berlin 1822)", in: Allgemeines Repertorium der neuesten in- und ausländischen Literatur für 1823, ed. C. D. Beck u.a., Nr. 3, Bd 1, 3. Stück (Leipzig 1823), S. 177-181 Rezension von „D. von Cölln/D. Schulz: Lehrfreiheit", in: Evangelische KirchenZeitung 1830, Nr. 49 (Berlin, 19.6.1830), Sp. 387-392 Rezension von „D. von Cölln/D. Schulz: Zwei Antwortschreiben", in: Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle/Leipzig 1831), Ergänzungsblätter Nr. 84 (September 1831), Sp. 665-671 Rezension von „D. von Cölln/D. Schulz: Zwei Antwortschreiben", in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1831, Nr. 62 (Berlin, 3.8.1831), Sp. 489-496 Rezension von „D. von Cölln/D. Schulz: Zwei Antwortschreiben", in: Theologisches Literaturblatt zur Allgemeinen Kirchenzeitung 1831, ed. E. Zimmermann, Nr. 86 (Darmstadt, 20. 7.1831), Sp. 687f Röhr, Johann Friedrich: Grund- und Glaubenssätze der evangelisch-protestantischen Kirche, in: Kritische Prediger-Bibliothek, ed. J. F. Röhr, Bd 13 (Neustadt an der Orla 1832), Theologisches Notizenblatt Nr. III, S. 535-560 : Rezension von „R. F. Eylert: Ueber Werth und Wirkung der für die evangelische Kirche in den Preußischen Staaten bestimmten Liturgie und Agende", in: Kritische Prediger-Bibliothek, ed. J. F. Röhr, Bd 11, Heft 6 (Neustadt an der Orla 1831), S. 1065-1078 : Rezension von „F. Schleiermacher: CG'", in: Kritische Prediger-Bibliothek, ed. J. F. Röhr, Bd 4, Heft 1-2 (Neustadt an der Orla 1823), S. 371-394. 555-579 : Rezension von „D. von Cölln/D. Schulz: Zwei Antwortschreiben", in: Kritische Prediger-Bibliothek, ed. J. F. Röhr, Bd 12, Heft 6 (Neustadt an der Orla 1831), S. 988-1002 : Sammelrezension von „F. Schleiermacher: An Ammon", „C. F.Ammon: Antwort, 2. Aufl.", „F. Schleiermacher: Zugabe", in: Neueste Predigerliteratur Bd 1, 2. Quartalheft (Zeitz 1818), S. 137-152

602

Literaturverzeichnis

[Röhr, Johann Friedrich:] Briefe über den Rationalismus, Aachen [d. i. Zeitz] 1813 [Rauch 14, 484] Roennberg, Jacob Friederich: Uber symbolische Bücher in Bezug aufs Staatsrecht, o. O. [Rostock] 1789 Rosenkranz, Karl: Kritik der Schleiermacherschen Glaubenslehre, Königsberg 1836 : Sammelrezension von „F. Schleiermacher: An von Cölln und Schulz", „D. v. Cölln/D. Schulz: Zwei Antwortschreiben", in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1831, Nr. 49-51 (Stuttgart/Tübingen, Juli-September 1831), Sp. 388-398. 401-408 Rust, Isaak: De nonnullis quae in theologia nostrae aetatis dogmatica desiderantur, Erlangen 1828 : Sammelrezension von „A.Hahn: Lehrbuch des christlichen Glaubens", „L. Baumgarten-Crusius: Grundzüge der biblischen Theologie", „G. Knapp: Vorlesungen über die Glaubenslehre", „K. Bretschneider: Handbuch der Dogmatik", „F. Schleiermacher: Über die Glaubenslehre", in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1830, Nr. 23-26 (Stuttgart/Tübingen, Februar 1830), Sp. 182-197. 201-208 Sack, Karl Heinrich: Christliche Apologetik. Versuch eines Handbuchs, Hamburg 1829 [Rauch 22,694] : Für die Vereinigung der lutherischen und der reformirten Kirche, Berlin 1817 Sack, Karl Heinrich/Nitzsch, Karl Immanuel/Lücke, Friedrich: Ueber das Ansehen der heiligen Schrift und ihr Verhältniß zur Glaubensregel in der protestantischen und in der alten Kirche. Drei theologische Sendschreiben an Herrn Professor D. Delbrück. Nebst einer brieflichen Zugabe des Herrn D. Schleiermacher, Bonn 182 7 [Rauch 17, 546] Sammelrezension von 16 Publikationen zum Thesenstreit, in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1818, Nr. 144-146 (August 1818), Sp. 233-254 Sammelrezension von 17 Publikationen zum Thesenstreit, in: Allgemeine LiteraturZeitung (Halle/Leipzig 1818), Nr. 98-101 (April 1818), Sp. 777-806; Nr. 143-145 (Juni), Sp. 305-323 Sartorius, Ernst Wilhelm: Die lutherische Lehre vom Unvermögen des freyen Willens zur höheren Sittlichkeit, in Briefen, nebst einem Anhange gegen Herrn D. Schleiermacher's Abhandlung der Lehre von der Erwählung, Göttingen 1821 [Rauch 17,559] : Sabellianismi a summo reverendo Schleiermachero instaurati censura succincta, Dorpat 1825 [Sartorius, Ernst Wilhelm:] Die Augsburgische Confession 1530 und 1830, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 48 (Berlin, 16. 6.1830), Sp. 377-384; Nr. 49 (19.6.), Sp. 385-387 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Sämmtliche Werke, 30 erschienene Bde in 3 Abteilungen, Berlin 1834-1864 : Kritische Gesamtausgabe, ed. H.-J. Birkner/G. Ebeling/H. Fischer/H. Kimmerle/K.-V. Selge, bisher 7 Bde in 2 Abteilungen, Berlin/New York 1980ff : Sammlung zerstreuter, theologischer Aufsätze, Reutlingen 1830 : Kleinere theologische Schriften, 1. Teil, Gotha 1893 (Bibliothek theologischer Klassiker Bd 27)

Literaturverzeichnis

603

: Werke, ed. H.Mulert, Berlin 1924 : [Auswahl], 3 Bde, ed. H.Beintker, Berlin 1963 : Auswahl. Mit einem Nachwort von Karl Barth, ed. H. Bolli, München/Hamburg 1968; 2. Aufl., Gütersloh 1980 : Kleine Schriften und Predigten, ed. H. Gerdes/E. Hirsch, 3 Bde, Berlin 1969-1970 : Theologische Schriften, ed. K. Nowak, Berlin 1983 : An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Säze, Berlin 1818 : [Briefe] Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen, Bd 1-2, 2. Aufl., Berlin 1860; Bd 3-4, ed. L. Jonas/W. Dilthey, Berlin 1861-1863 (Nachdruck Berlin/ New York 1974) : [Briefe ed. Meisner] Schleiermacher als Mensch. Familien- und Freundesbriefe, ed. H. Meisner, 2 Bde, Gotha 1922-1923 : Briefe an einen Freund, ed. H. W. Schmidt, Weimar 1939 : Drei Briefe an Gass, ed. W. Dilthey, in: Literarische Mitteilungen. Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Literatur-Archiv-Gesellschaft in Berlin, Berlin 1901, S. 37-50 : Zwei ungedruckte Briefe Schleiermachers, ed. H. Stephan, in: Theologische Studien und Kritiken 92 (Gotha 1919), S. 168-171 : Briefwechsel mit August Boeckh und Immanuel Bekker 1806-1820, ed. H. Meisner, Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin, Neue Folge 11, Berlin 1916 : Briefwechsel mit Joachim Christian Gaß, ed. W. Gaß, Berlin 1852 : Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Christian Schwarz, ed. H.Mulert/H. Meisner, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 53 (Stuttgart 1934), S. 255-294 : Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde, Berlin 1821-1822 : Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2. Aufl., 2 Bde, Berlin 1830-1831 [Rauch 22,695-698:2 Expl.] : Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Neue unveränderte Ausgabe in 4 Teilen, eingeleitet durch des Verfassers zwei Sendschreiben über seine Glaubenslehre, Gotha 1889 (Bibliothek theologischer Klassiker Bd 13-16) : Erklärung gegen die Redaction der Neuen Leipziger Literaturzeitung, in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1806, Intelligenzblatt Nr. 54 (28. 6.1806), Sp. 454-456 : Erwiederung, in: Allgemeine Kirchenzeitung 1832, ed. E. Zimmermann, Nr. 66 (Darmstadt, 26.4.1832), Sp. 543 : Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, Berlin 1803 [Rauch 83,282] : Grundriß der philosophischen Ethik, ed. A. Twesten, Berlin 1841 : Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, Berlin 1811 [Rauch 22,68 7] : Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, ed. H. Scholz, 4. Aufl., Darmstadt 1961

604

Literaturverzeichnis

: Monologen. Eine Neujahrsgabe, 2. Aufl., Berlin 1810 : Monologen. Eine Neujahrsgabe, ed. F. M. Schiele/H. Mulert, 3. Aufl., Hamburg 1978 : On the discrepancy between the Sabellian and Athanasian method of representing the doctrine of the Trinity, translated by Moses Stuart, in: The biblical repository and quarterly observer Bd 5-6 (Andover/Boston, April u. Juli 1835), Nr. 18, S. 265-353; Nr. 19, S. 1-116 : On the Glaubenslehre. Two letters to Dr. Lücke, translated by James Duke and Francis Fiorenza, Chico 1981 : Predigten [Erste Sammlung], Berlin 1801 : Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession [Sechste Sammlung], Berlin 1831 : Reden Ueber die Religion. Kritische Ausgabe, ed. G. C. B. Pünjer, Braunschweig 1879 : Sendschreiben über seine Glaubenslehre an Lücke, ed. H. Mulert, Gießen 1908 (Studien zur Geschichte des neueren Protestantismus, 2. Quellenheft) : Uber den Gegensatz zwischen der Sabellianischen und der Athanasianischen Vorstellung von der Trinität, in: Friedrich Schleiermacher und die Trinitätslehre, ed. M. Tetz (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 11), Gütersloh 1969, S. 37-94 : Ueber die neue Liturgie fur die Hof- und Garnison-Gemeinde zu Potsdam und für die Garnisonkirche in Berlin, 1816 : Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 2. Aufl., Berlin 1806 [Rauch 82,270 u. 54,1722] : Uber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 3. Aufl., 1821 [Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst:] Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30. Oktober von ihr zu haltende Abendmahlsfeier, Berlin 1817 : Monologen. Eine Neujahrsgabe, Berlin 1800 : Uber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin 1799 [Rauch 82,269] Schmid, Christian Friedrich: Observationum pertinentium ad naturam peccati e doctrina christiana rite definiendam particula 1-3, 1826-1828 (Pfingstprogramme) Schmid, Heinrich: Ein Wort über Schleiermachers erstes Sendschreiben über seine Glaubenslehre an Dr. Lücke, in: Für Theologie und Philosophie. Eine Oppositionsschrift, Neue Folge, ed. J. F. Fries/H. Schmid, Bd 2, Heft 3 (Jena 1829), S. 135-138 : Ueber das Verhältniß der Theologie zur Philosophie, in: Für Theologie und Philosophie. Eine Oppositionsschrift, Neue Folge, ed. J. F. Fries/H. Schmid, Bd 1, Heft 1 (Jena 1828), S. 16-73 Schmidt, Johann Dietrich: Christoph Friedrich von Ammon. Ein Abriß seines Lebens und theologischen Schaffens, in: Zeitschrift fur bayerische Kirchengeschichte 24 (Nürnberg 1955), S. 169-199 Schmidt, Johann Ernst Christian: Einige Bemerkungen zur ältesten Geschichte des Dogma von der Trinität, in: Bibliothek für Kritik und Exegese des Neuen Te-

Literaturverzeichnis

605

staments und älteste Christengeschichte, Bd 2, 2. Stück (Herborn/Hadamar 1798), S. 207-217 Schott, Heinrich August: Briefe über Religion und christlichen Offenbarungsglauben. Worte des Friedens an streitende Partheien, Jena 1826 Schräder, Wilhelm: Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle, 2 Bde, Berlin 1894 Schroeckh, Johann Matthias: Christliche Kirchengeschichte seit der Reformation, 10 Bde, Leipzig 1804-1810 [Rauch 11, 366-375] Schroedter, Franz Adolph: Archiv der Harms'schen Thesen, oder Charakteristik der Schriften, welche für und gegen dieselben erschienen sind; größtentheils in deren eigenen Worten, mit beigefügten kurzen Beurtheilungen, Altona 1818 Schütz, Wilhelm von: Sammelrezension von „Reformationsalmanach auf das Jahr 1817 und auf das Jahr 1819", in: Jahrbücher der Literatur, ed. M. v. Collin (Wien, Juli-September 1820), S. 219-267 Schultheß, Johannes: Evangelische Lehre von der freyen Gnadenwahl. Ein Beytrag zur Vereinigung der evangelischen Kirchen, in: Exegetisch-theologische Forschungen Bd 2/1, Zürich 1818 [Rauch 52,1628] : Grundsatz der Helvetischen Reformation, in: Neueste theologische Annalen, ed. J. Schultheß, Bd 1, 3. Stück (Zürich 1831), S. 183f Schulz, David: Die christliche Lehre vom heiligen Abendmahl nach dem Grundtexte des Neuen Testaments. Ein Versuch, Leipzig 1824 [Rauch 41,1281] : De vera et optabili ecclesiarum reconciliatione, Breslau 1830 Schwarz, Friedrich Heinrich Christian: Rezension von „F. Schleiermacher: An Amnion", in: Heidelberger Jahrbücher der Litteratur 11, Heft 12 (Dezember 1818), Nr. 72, S. 1148-1151 : Rezension von „F. Schleiermacher: CG1", in: Heidelberger Jahrbücher der Litteratur 15 (1822), S. 854-864. 945-980; 16 (1823), S. 209-226. 321-352 [Rauch 104,24: Jg 16] : Rezension von „F. Schleiermacher: Zugabe", in: Heidelberger Jahrbücher der Litteratur 11, Heft 12 (Dezember 1818), Nr. 73, S. 1154 : Sammelrezension von 12 „Schriften, welche die Vereinigung der evangelisch lutherischen und evangelisch reformirten Kirchenparthey betreffen", in: Heidelberger Jahrbücher der Litteratur 11, Heft 12 (Dezember 1818), Nr. 72-73, S. 1137-1166 Semler, Johann Salomo: Versuch einer freiem theologischen Lehrart, Halle 1777 Sendschreiben an Herrn D.Friedr. Schleiermacher, in: Allgemeine Kirchenzeitung 1831, ed. E. Zimmermann, Nr. 197 (Darmstadt, 13.12.1831), Sp. 1625-1627 Sibbem, Friedrich Christian: Ueber das Verhältniß des christlichen Glaubens zum philosophischen Erkennen, in: Theologische Zeitschrift 3 (Berlin 1822), S. 74-120 [Rauch 104,8] [Souverain, Mathieu:] Versuch über den Piatonismus der Kirchenväter, aus dem Französischen übersetzt und mit einer Vorrede und Anmerkungen begleitet von Josias Friedrich Christian Löffler, 2. Aufl., Züllichau/Frey Stadt 1792 Statuten der Universität zu Berlin, Berlin o. J. [1816] Steffens, Henrik: Wie ich wieder Lutheraner wurde und was mir das Lutherthum ist, Breslau 1831

606

Literaturverzeichnis

Steiger, Günter: Das „Phantom der Wartburgverschwörung" 1817 im Spiegel neuer Quellen aus den Akten der preußischen Polizei, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, Jahrgang 15 (Jena 1966), Heft 2, S. 183-212 Stephanus: s. Estienne Steudel, Johann Christian Friedrich: Bemerkungen zu dem Sendschreiben an Hrn. D. Friedr. Schleiermacher, in: Allgemeine Kirchenzeitung 1832, ed. E. Zimmermann, Nr. 43 (Darmstadt, 15.3.1832), Sp. 345-352 : Die Frage über die Ausführbarkeit einer Annäherung zwischen der rationalistischen und supranaturalistischen Ansicht, mit besonderer Rücksicht auf den Standpunkt der Schleiermacherschen Glaubenslehre, in: Tübinger Zeitschrift für Theologie, ed. J. C. Steudel u.a. (Tübingen 1828), 1. Stück, S. 74-199; 2. Stück, S. 74-120 [vgl. Rauch 51,1620] : Folgeleistung gegen die Aufforderung D. Schleiermachers in der Allg. Kirchenzeitung 1832, Nr. 66, in: Allgemeine Kirchenzeitung 1832, ed. E. Zimmermann, Nr. 100 (Darmstadt, 26. 6.1832), Sp. 811-815 : Ueber das bei alleiniger Anerkennung des historischen Christus sich für die Bildung des Glaubens ergebende Verfahren. Sendschreiben an Hrn. D. Schleiermacher, in: Tübinger Zeitschrift fur Theologie, ed. J.C. Steudel u.a. (Tübingen 1830), Heft 1, S. 1-48 : Ueber Rücktritt zum Lutherthum, in: Tübinger Zeitschrift fur Theologie, ed. J. C. Steudel u.a. (Tübingen 1831), Heft 3, S. 125-144 [Steudel, Johann Christian Friedrich:] Anzeige mehrerer seit einiger Zeit erschienenen Schriften, welche die Lehre von der Gnadenwahl betreffen, in: Archiv fur die Theologie und ihre neuste Literatur, ed. E. G. Bengel, Bd 5, 2. Stück (Tübingen 1822), S. 404-451; 3. Stück, S. 666-743; Bd 6, 3. Stück (1824), S. 620-732 [Stier, Rudolf Ewald:] Das apostolische Glaubensbekenntniß in der Agende. Eine nochmalige Protestation gegen die liturgische Unwahrheit der Rationalisten, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1831, Nr. 33 (Berlin, 23.4.1831), Sp. 261-264; Nr. 34 (27.4.), Sp. 265-271 : Das theologische Catheder und die Kirche, oder der Rationalismus und die Agende, in: Evangelische Kirchen-Zeitung 1830, Nr. 44 (Berlin, 2.6.1830), Sp. 345-351; Nr. 45 (5.6.), Sp. 353-356 Storr, Gottlob Christian: Doctrinae christianae pars theoretica e sacris Uteris repetita, Stuttgart 1793 [Rauch 13,446] Tertullian: Opera, ed. J. S. Semler, 6 Bde, Halle 1770-1773 [Rauch 18, 575-580] : Opera, CChr, 2 Bde, Tumhout 1954 Theodoret: Opera omnia, ed. J. L. Schulze/J.A. Nösselt, 5 Bde, Halle 1769-1774 [Rauch 24, 759-767] : Opera omnia, MPG 80-84; Bd 83 (1864) Theologische Zeitschrift, ed. F. Schleiermacher/W. M. L. de Wette/F. Lücke, 3 Hefte, Berlin 1819-1822 [Rauch 27,845-847] Tice, Terrence N.: Schleiermacher-Bibliography (1784-1984), Updating and Commentary, Princeton (New Jersey) 1985

Literaturverzeichnis

607

Timotheus, Christian: Katechismus der wahren Religion für die Verächter der (positiven) Religion von Friedrich Schleiermacher, aus dessen Reden über die Religion entworfen, o. O. 1818 Tittmann, Johann August Heinrich: Ueber die Vereinigung der evangelischen Kirchen, Leipzig 1818 Töllner, Johann Gottlieb: Die kirchliche Vereinigung der Protestanten, in: Kurze vermischte Aufsätze, 2. Sammlung, Frankfurt an der Oder 1766, S. 147-173 [Rauch 14,491] Trauisen, Hans-Friedrich: Schleiermacher und Claus Harms. Von den Reden „ Uber die Religion" zur Nachfolge an der Dreifaltigkeitskirche, Berlin/New York 1989 Twesten, August Detlev Christian: Vorlesungen über die Dogmatik der Evangelisch-Lutherischen Kirche, nach dem Compendium des Herrn Dr. W. M. L. de Wette, Bd 1, Hamburg 1826 [Rauch 52,1638] : Vorlesungen über die Dogmatik ..., Bd 1, 2., verbesserte Aufl., Hamburg 1829 [Rauch 13,442] Tzschimer, Heinrich Gottlieb: Briefe eines Deutschen an die Herren Chateaubriand, de la Mennais und Montlosier über Gegenstände der Religion und Politik, ed. W. T.Krug, Leipzig 1828 [Rauch 19,619] : Die Verschiedenheit der dogmatischen Systeme kein Hindemiß des Zweckes der Kirche, in: Magazin für christliche Prediger, ed. H. G. Tzschimer, Bd 1, 1. Stück (Hannover/Leipzig 1823), S.l-18 Ulimann, Karl: Theologisches Bedenken aus Veranlassung des Angriffs der evangelischen Kirchenzeitung auf den Hallischen Rationalismus, Halle 1830 [Rauch 36,1121] Umbreit, Friedrich Wilhelm Karl: Vorwort zu christologischen Beiträgen. Mit besonderer Beziehung auf die Herrn Dr. Schleiermacher, Dr. Hengstenberg, Dr. Sack und Dr. Steudel, in: Theologische Studien und Kritiken, ed. C. Ullmann/ F. W. Umbreit u. a., 3. Jg (Hamburg 1830), Heß 1, S. 3-24 [vgl. Rauch 27,835-844] Vigilius Tapsensis: Scripta omnia, in: MPL 62 (1863) : Contra Arianos, Sabellianos etc. dialogus (Disputatio Athanasii cum Arrio), in: Athanasius: Opera omnia, Benediktiner-Ausgabe Bd 2, Paris 1698, S. 642-667 von Cölln, Daniel: Biblische Theologie, 2 Bde, ed. D. Schulz, Leipzig 1836 : Confessionum Melanchthonis et Zwingiii Augustanorum capita graviora inter se conferuntur, Breslau 1830 von Cölln, Daniel/Schulz, David: Ueber theologische Lehrfreiheit auf den evangelischen Fakultäten und deren Beschränkung durch symbolische Bücher. Eine offene Erklärung und vorläufige Verwahrung, Breslau 1830 : Zwei Antwortschreiben an Herrn D.Friedr. Schleiermacher, Leipzig 1831 Von einer völlig ungegründeten Furcht oder vielmehr Hoffnung des Herrn Dr. Schleiermacher, in: Homiletisch-liturgisches Correspondenz-Blatt, ed. C.P.H. Brandt, 5. Jg, Nr. 38 (Nürnberg, 29. 9.1829), Sp. 605-608

608

Literaturverzeichnis

Wähner, Friedrich: Rezension von „F. Schleiermacher: CG1", in: Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur, Heft 22 (Leipzig 1824), S. 275-344; Heft 23 (1824), S. 214-274 [Rauch 17,554 u. 104,33] Walch, Johann Georg: Historische und theologische Einleitung in die ReligionsStreitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche, 2. Aufl., 5 Bde, Jena 1733-1739 (Nachdruck Stuttgart 1972) [Rauch 13,468-472] Wiggers, Gustav Friedrich: Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus nach ihrer geschichtlichen Entwicklung, Teil 1, Berlin 1821 [Rauch 14,496] Wissenschaftliche Zeitschrift, herausgegeben von Lehrern der Baseler Hochschule, Basel 1823-1827 Zedlers Großes vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschaften und Künste, 64 Bde sowie 4 Supplementbde, ed. J.H. Zedier, Halle/Leipzig 1732-1754 (Nachdruck Graz 1961-1964) Zwingli, Ulrich: Sämtliche Werke, ed. E. Egli/G. Finsler, bisher 13 Bde, CR 88-98. 100-101, Berlin 1905ff : De vera et falsa religione, Zürich 1525 [Rauch 54,1696]

Namen Das Namensregister verzeichnet alle historischen Personen, die im vorliegenden Band genannt sind. Die Namen werden in der heute gebräuchlichen Schreibweise angegeben. Nicht angeßihrt werden die Namen biblischer und literarischer Personen, die Namen von Herausgebern und Übersetzern, die nur in bibliographischen Angaben vorkommen, sowie die Namen der an der vorliegenden Ausgabe Beteiligten. Die in den Texten des Anhangs erwähnten Namen werden ebenfalls nicht aufgeführt. Recte gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf Personen, die im Schleiermacherschen Text bzw. die sowohl im Text als auch im Apparat des Bandherausgebers genannt sind. Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf Personen, die in der Einleitung oder im Apparat des Bandherausgebers genannt sind. Aeschines 250 Alexander von Alexandria 272.303 Alexander I. von Rußland LXVII Altenstein XLIX.LIII.LXIII.XCIf Ammon, C. 19.21-47.49-86.88-92. 95.97-114.116.160.170 f. 183. 220f.319 XV-XXVIII.XXX-XXXIX. XLIf.XL V-XL VII. LI-LI II. LXf. CXIII. 17.48.93.125.150.154. 161.199 Ammon, F. 397.399.401 Amphilochius 273 Anaxagoras 288 Apollinaris von Laodicea 245.275. 299 Aristoteles 325 250.379 Arius 225.246.274 f.301.303 240.245 Arndt, E. X.XIIf XXXI.XXXIII. XXXVIII. Arndt, Ν. X Arnobius Junior 293 Artemon 227-231.237.253f.291.299 LXVIII

Athanasius 225 f.245.268.272.274. 276-283.286.289-299.302 f LXI. LXVII. LXIX. 223.240 August IX Augustinus 147-149.154.159.161. 165f.173f.176.180f.186f.189f. 196.202.207.214f.229 LIV.160

Bachmann LXXXIX.XCIf.C.397 Barth LXXXVIII Basilius von Cäsarea 245.273.275. 277 f. 286f.291-293.295f.298.302 Baumgarten 262 Baur 313f.362.364.371f.384f.393 LXX.315.322.325f.339.363.370 Beintker LXXXVIII Bekker VIII. Χ. XII. XX. XXII. XXIV. XL VI Bengel XLIII.LVII Beryllus 247.249-254.256 f.260.262272.274.276.278.283.300 f LXVIII Blanc 89 IXf.XII.XIVf.XXf.XXIII.XXV.

610

Namen

XXXI-XXXIII. XXXVIII-XL. XLV.XL VIII. LI. LIII. L V. LXIII. XCIII/.97 Bleek XL V. XL VIII. LXI. LXIII. LXXVI.LXXXIV.XCVIf Böckh VI II. XII Böhme 322.328.339.342 Böttiger XXXII Bolli LXXXVIII Braniß 325-327 311.322.339 Bretschneider 147.150-155.157.161163.165.168-172.175.177.179181.186.188.193.198.207.209. 219f.313.316-318.323f.329.391 XLV.XL VIIf.LI.LIIIf.L VI.LXf. LXXIf.LXXXVII. CXIII. 127f. 145.176.185.187.192.311.325. 327.339.355.410 Brück 401 Bucer 69 104 Bude 250 Bülow, F. 119.121.125.134 Bülow, L. VIII Bugenhagen 8 Butschky 403 Buttmann VIII.XIV Calixt

24 f XLV Calixt I , Papst 246 Calvin 36.39.58 f.65-67.69-74.83. 99-101.103.105.147f.150.154. 158.160-177.180-182.184-186. 188-190.192.195-198.202f. 204f.207.209.211.215f.220f XXIX. XXXVI. Lf.LIII. L VII-LXI Capito 8 Celsus 259.266 Chateaubriand 50.361 311 Cicero 250 Clausen 404 Clemens von Alexandria 257.301.303 258

Cyprian 99 105 Daub 321 Deegen XXX. XXXVI. XLIII.LX. LXVI de la Mennais 311 Delbrück 312 f.329 f.331 f.356.369 f. 391 LXX.LXXVI.311.314.328f.333. 341.359.386 de Wette 156 VIII/. XXXI. XXXVIII. XL V f . XL V I I I f .LI. LIV-LVI.L VIII. LXI-LXVI.315.328.387 Dilthey XX Dionysius von Alexandria 291.295. 297 f . 3 0 0 - 3 0 3 Dohna XXII. XL. LXXXIIIf Duke LXXXVIII Eichhorn, J.A. XIII Eichhorn, J. G. LXXXVI Epigones 241 Epiphanius 230.240 f.266.281 f.284. 286.304 108.279 Ersch 115 Eschel LXXXI Estienne 250 Eusebius von Cäsarea 227.249-253. 265.279.298.302 229f.297 Eustathius von Sebaste 305 Ewald 36 Eylert CV.5.406 Fichte

330.380.381 XIII Filastrius 232 Fiorenza LXXXVIII Förstemann 401 Francke XCf Friedrich III. von der Pfalz 124 Friedrich III. (der Weise), Kurfürst Sachsen 6 f XI

von

Namen Friedrich Wilhelm I. von Preußen 66 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 8.13 f.82.89.399.409 VIII. XIII. XVI. XXI. LXIII. XCIf. 5-7.398 Fries, J. 378-381 LXXVIII Fries, W. XC Fuhrmann LXI.LXVI Funk 38 Gaius

227 228

Gaß

XIV.XX.XXIIf.XXVIf.XXIX. XXXII-XXXIV.XXXVIII.XLI. XLIVf.XL VIII. Lf. LXIII-LXVI. LXXII. LXXVI. XCIIIf.XC VI 22.119.397.406.416 Geibel 14 IX Gennadius von Massilia 253 f Gentz XLII Georg (der Bärtige), Herzog von Sachsen 26 Gerbel 71 Gerdes XLIV.CXII Gerhard 154.156.188.198 L VI. 190 Gerhardt XCIIIf Gerlach, E. LXXXIX. XCI. XCIII. 415.419 Gerlach, G. XXX Gerlach, O. Cf Gesenius LXXXIX. XCI-XCIV Gieseler LXIX.LXXXIX Goldhorn LXXXVII Gottschalk 149 Gregorius 250 Gregorius Thaumaturgos 292 Grohmann 114 Grundtvig 404 Guericke XCI.411 Hahn

404 LXXXVII.357 Hanstein 82.89 XIV.XXI

611

Harms 19.21-26.28-31.33 f . 3 7 - 4 1 . 44-46.49.52.66.78.80.82.91.101 XV-XXV.XXVIIf.XXXI. XXXIVf.XXXVIIIf.XL VXL VII. 17.27.79.84.97.102.108. 124-127.130 Hase 329.385 311.322 Hegel XIII Heinrici XIV.XVIIl-XX. XXII. XXIV.XL.XL VIf.XLIXf. LXXVf.LXXXIV.XCVII.148. 310f Hengstenberg LXXV.LXXIXLXXXIV. LXXXVI. LXXXIX. XCIf.C.397.404f.415 Henke 119 Herder LXXXVI Hermes 14 Hermogenes 232 Herz XCVI Heß, J. C. XII.3.8 Heß,].]. 161 Hester LXXXVI Heydebreck VIII Hieronymus 249.253 f.265 Hilarius von Potiers 274 f.284.290 f. 295 f.298 Hippolyt 240-242.245-248.250. 255f.262f.268.300f Hirsch XIII. XLIV.CXII Hoffmann 22 Hospinian 154 Huet 249.251.253.271 254 Jacobi 313.391.419 Jakob XC Jean Paul s. Richter Joannes Chrysostomus 185.202.293 Johann (der Beständige), Kurfürst von Sachsen 6 Johann Friedrich (der Großmütige), Kurfürst von Sachsen 6 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 197 3.67

612

Namen

Johannes Cassianus 317 Jonas IX.LXXIIIf.LXXXILXXXIV. LXXXVI. XCIIIf. XCVI Justinian I., byzantinischer Kaiser 264 Kallistus s. Calixt I. Kant 24.381 Karl V., Römischer Kaiser 6.139. 400.410.422 XCIX.103 Karlstadt 79 Keyser, F. XXXVII Keyser, G. XXXVII Kircheisen VIII Klaiber 314.322.329 325 Klein 121 Kleomenes 241 Klewitz VIII Knapp XIV. 315 Konstantius II., römischer Kaiser 298 Kotzebue XXV.XLIX.LXIV Krause L Kriege LXXIX.LXXXIX.404.415 Krummacher 36 Lachmann XCIV Lavater 36 Lehenmann 122 Leibniz 333.381 Lenz VIIIf.XIII.XVI.13f Leo X., Papst 5 f.23 Lessing XXX.CIV Linck 71 Lindberg 404 Löffler 267 Löscher 99 Lücke 74.309.317 f.320 f.324 f.331. 333f.337.339.342-348.351f. 355-357.359.361 f.364.366-368. 370.372.378.380.383.387-389. 393 f XXXI.XXXVIII.XL Vf.XL VUIf. LV.L VIIf.LXI. LXIV. L X I X f . LXXV.LXXVIII.LXXXV.

LXXXVIIf.LXXXIX. CXIIIf 307.330 Luther 3-10.12 f.23 f.26.28.34.36.39. 56.67.71 f.79.83.87.104.106. 147f.l53.165.176.319.423 VII-IX.XI-XIII.XVIf.XXIV. XXXVII.XLI. 1.21.27.38.72.75f. 101.107.125.160.401 Marcellus von Ancyra 253 Marcion LXXVII Marheineke 58.156.329 VII.XII.XIV.5.7-9.12.134.311. 321.348f Marks XCIV Martini 241.245.249 267.290.302 Meisner 3 Melanchthon 8 f.14.63.67.73.75.79. 153.176.400 LIX.XCVIII.27.107..330.399 Menken 36 Metternich XLII Meusel 115f Michahelles XXVIII.XXXVI Midas 359 Milton 40 Möhler LXVIIf Moser XLII Montlosier 311 Müller 34 Muhammed 41.46.50 f 49 Mulert Natalius

LXXXVIII 230

Neander LXXXI. LXXXIV. LXXXVII.XCIII Nicolovius 105 XIV.22 Niemeyer, A. C. XCIV Niemeyer, Α. Η. XXIII. XXXIXXXIII. XC Niemeyer, H. XC.XCIV Nitzsch 14.314.325.327.333.339.386 LXI. L X I X f .LXXXIX. XC VII. 329f

Namen Noet

231.240-251.254.256.260. 263 f.266-272.279 f.300 f LXVIII Nowak LXXXVIII

Olshausen 14 Origenes 213.241.249.251.254 f. 257-262.264-266.268.271.273. 301.303 Pabst XV Pamphilus 254.271 Paulus von Samosata 229.290-292. 299 Pelagim 148 f.161 Perthes LXIX-LXXIV.LXXXIX. XCVf Petrus Lombardus 67 Planck 37.75.124 Piaton 41.385 111.250.321.359 Plutarch 250 Pollux 250 Polybius 250 Praxeas 231-238.240-242.246.248. 268.298.300 LXVIII Probst 106

Ratze 322 Reimer, C. XCV Reimer, G. XV.XXXf.XLV.L.LXI. LXIVf.24 Reinhard 156.206 XV.147f Ribbeck 82.89 Richter 44 Rienäcker XCIV Röhr 364 XXVI.XXXV.LXXV.CVf.132 Roennberg 121 Rosenkranz CIII-CV Rufinus 264 Rust 313 f.390 LXXXVII.311.321 f.385

613

Sabellius 225f.237.245.253.267269.271-304.306 LXI.LXVI-LXIX. 223 Sack 22.31.89.353 f.374.376 XL VIII. L. LIIIf.LXXV.LXX VII. LXXXVI.330.375 Sand, D. XLIX.LXIV Sand, K. XLIX.LXIV Sartorius 415 LVIf.LXVIf.410 Scheibel 416 Schelling 313.328f.361.391 Schlegel 34 Schleiermacher, Henriette X.LXX. XCIV. 63 Schleiermacher, Hildegard X Schlosser 34 Schmalz XX Schmid, C. 312.322 Schmid, H. 313.320 f LXXVIII.324 Schmidt, J. D. XV Schmidt, J. E. 269 Schott 383 315 Schräder LXXXIX.XCIf Schroeckh 34.37.72.176 Schroedter XXVIIf Schuckmann VIII. XUlf Schütz, C. XXIII Schütz, W. XLIIf Schultheß XLVII.CVIf Schulz 355.397-400.402-406.408. 410.413.415f.418-423.425f LXII. LXXX VIII. XCII- CI. CIIICVIII. CXI- CXIII. 395 Schurff 9 XI Schwarz 373 IX. XX V I I I f .XXX Vf Schwerin LXXIII Semler 318 LXXII. LXXXVI Serapion von Thmuis 274 Sibbern LXI Sophie Dorothea von Preußen 66 Souverain 267

Namen

614

Spalatin 7 Spinoza 328-330.332 386 Steffens CVIII Steiger IX Steinbart 419 Stephanus s. Estienne Steudel 315.322f.353.383-385.392 L VIIf.LXXXIV-LXXXVI. CVIII-CXI Stier CIIf.406.40S Stolberg 34 Storr 156 f Stuart LXVIII Tertullian

Ulimann 403 LXIX. LXXXIX. XCIII-XC V. XCVII.C.CV.410 Umbreit LXIX-LXXI.LXXVII. LXXXVIf.LXXXIX Unger VII Usteri XI 1.3 Vigilius Tapsensis 279f 289.295 Viktor I., Papst 231 von Cölln

397-400.402-406.408.

410.413.415f.418-423.425f

LXVI. LXXXVIII. XCII- CI. CIII-CVIII. CXI- CXIII. 395

231-238.240.242.246.

248.255.268 f.298.301

Tetz LXIX Tetzel 23 Theodoret

228 f.241-243.246.248.

279.283.293.297

240 Theodot der Gerber 229-231.237.291 Tholuck 411 f.415 XCI.XCIV Thomas von Aquino 67 Thukydides 250 Tice CIX Tieftrunk XL Tittmann 150 Töllner 221 Twesten 148.310.387 XIV.XVIII-XX. XXII-XXIV. XXXIXf.XLIV.XL VIf.XLIXf. LXXIV-LXXVI. LXXXIV. XCVII.311.321 Tzschimer 317f.320.328.361 311.315.339.342.360

Wachler XXIII Wähner 386 Walch 119.142 Wegscheider 415 XXV.LXXV.LXXXIX.XCIXCIV Werner 34 XIII Wiggers 148 Wilhelmine, Markgräfin von reuth 66 Wolff

Bay-

333.380f

Wucherer

XCIV

Xenophon

250

Zimmer Zwingli

321 3 f.8 f.35.37.59.71.73.79.83.

103

XIf.XXIV.69.102.399

Bibelstellen Recte gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf Bibelstellen, die im Schleiermacherschen Text angefiihrt sind. Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf Bibelstellen, die im Sachapparat des Bandherausgebers genannt sind. Die in den Texten des Anhangs erwähnten Bibelstellen werden nicht aufgeführt.

Gen 1,1-31 3,22

346 191

Mk 12,1-12 par 14,44f par

302 55

Ex 16,3

167

Jes 11,2 45,5

262 235

407 213 213 352

Mi 5,2

266

Lk 1,28-35 5,31 5,32 12,37 13,27 17,10 22,32

Ps 2, 7 95, 7f 119,46-50

262.266.277 193 401

Spr 8,22-31

262.266

Weish 7,21-28 9,1-4

262 262

Sir 24,1-9

262

Mt 1,18 7,12 7,21 10,18-20 10,32f 11,25 par 13,25 13,39 22,14 28,18

407 24 28 401 401 319 84 84 181 180

Joh 1,1 1,1-14 1,14 2, 9f 2,19 3,5 3,8 6,45 6,47 6,68 10,12f 10,12-16 10,30 10,38 13,1 14,9 14,9-11 14,16f 14,20 14,26

205

24 172 263 256.262 212.263343 340 241 152 173 350 167 354 166 401 235.248.298 289 235

289 235 269 325 270

616 15,1 15,4-7 15,26 16,7-15 16,14 16,15 17,22f Apg2 4,12 10,34f 19,2 26,22/ 26,24 27 Rom 1,16 3,21 f 3,28 5,12 5,12-19 17f 6,12f 7,14f 7,18-24 7,22 7,25 8,11 8,12f 9-11 10,9f 11,11 11,11-24 11,25f 1 Kor 1,10 1,24

Bibelstellen 2,5 2,14 3,11 7,23 12,3 12,7 15,10 15,15 15,25

424 8 401 424 424 424 152 241 249

2 Kor 5,17

334

Gal 5,6

167.170

262

Eph 4,14 4,15

132 424

152 64.205 182

1 Tim 2,2 2,4

180 179

Tit 2,11

180

Hebr 3,7f 3,15 4,9 5-7 9,28 13,7f 13,9

193 193 193 229 401 132

1 Petri, 25 3,15

401 398.401

1 /oh 2,19 3,2

259

302 325 270 269 424 239f 325 255 338 152 41 401 63 255

176.179.181

182 165 209 152 169 152 241 165 213 401 179 178

213 401 262

185

166

LUTHERS WERKE im Originaltext Studienausgabe der Werke Luthers von Otto Clemen Diese bietet die Schriften diplomatisch getreu, d. h. unter Wiedergabe aller Einzelheiten der zugrundegelegten Drucke. Lediglich Druckfehler werden verbessert, der ursprüngliche Wortlaut dabei jedoch im kritischen Apparat verzeichnet. Der Sachapparat der Ausgabe, die von prominenten Lutherkennern verantwortet wird, übertrifft nicht selten sogar den der Weimarer Ausgabe. Die Bände 1—4 bieten in chronologischer Ordnung 59 Hauptschriften Luthers. Sie sind bisher schon broschiert in Kassette erschienen: Oktav. L, 1920 Seiten, 1 Faksimile. 1966/67. DM 1 4 8 , - ; Einzelband DM 4 2 , -

Band Band Band Band

1: 2: 3: 4:

Schriften Schriften Schriften Schriften

von von von von

1517 bis 1520 bis 1524 bis 1529 bis

1520 1524 1528 1545

Die Ergänzungsbände 5 — 8 waren in den bisherigen Auflagen nur gebunden zu beziehen. Auch sie liegen jetzt ausschließlich in Broschur vor: Oktav. L, 1700 Seiten. 1962/66. Pro Band DM 4 8 , -

Band 5: Der junge Luther Band 6: Luthers Briefe Band 7: Predigten Band 8: Die Tischreden Martin Luthers Vorzugspreis bei Bezug der broschierten Gesamtausgabe

Band 1 - 8 : DM 3 2 0 , Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

w DE

G

Berlin · New York

EMANUEL HIRSCH Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik Die Dogmatik der Reformatoren und der altevangelischen Lehrer quellenmäßig belegt und verdeutscht 4. Auflage. Oktav. XII, 446 Seiten. 1964. Broschiert DM 52,ISBN 3110012421

Das Wesen des reformatorischen Christentums Oktav. VI, 270 Seiten. 1963. Ganzleinen DM 24.50 ISBN 311009262 X

Predigerfibel Oktav. XII, 514 Seiten. 1964. Ganzleinen DM 49,ISBN 3 11009260 3

Hauptfragen chrisdicher Religionsphilosophie Oktav. VIII, 405 Seiten. 1964. Broschiert DM 42,ISBN 3110092611 (Die kleinen de Gruyter-Bände 5)

Ethos und Evangelium Oktav. X, 443 Seiten. 1966. Ganzleinen DM 79,ISBN 3110063115

Weltbewußtsein und Glaubensgeheimnis Oktav. VI, 270 Seiten. 1967. Broschiert DM 43.50 ISBN 311001275 8

Betrachtungen zu Wort und Geschichte Jesu Oktav. VI, 241 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 31.50 ISBN 3110011921 Preisänderungen vorbehalten

Walter de Gruyter

w DE

G

Berlin · New York