Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568-1714 9783737003506, 9783847103509, 9783847003502

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Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568-1714
 9783737003506, 9783847103509, 9783847003502

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Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit

Band 20

Herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve

Andreas Rutz (Hrsg.)

Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568–1714

Unter redaktioneller Mitarbeit von Marlene Tomczyk, mit 30 Abbildungen und einer DVD

V& R unipress

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MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-1574 ISBN 978-3-8471-0350-9 ISBN 978-3-8470-0350-2 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0350-6 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Landschaftsverbands Rheinland, der Sparkasse KölnBonn und des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Ó 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Plan der Stadt Bonn mit Belagerung von 1689 (Bezeichnet am oberen Rand: »GRVNDLICHER ABRISS, WIE DIE VESTUNG VND CHVRFR. RESIDENZ STATT BONN DEN 18. IVLY 1689. VON IHRO CHVRFR. DRCHLT ZV BRANDENBVRG VND DEREN ALLYRTEN VNTER H: GENERAL SCHWARZ MIT ZVTHVN IHRO FVRSTL DRCHLT. PFALZ NEVBVRG BELÄGERT BOMBARDIRT, VND IN DIE ÄSCH GELEGT WORDEN«), Kupferstich, gedruckt von J. P. Richermo, Köln (aus: Edith Ennen, Geschichte der Stadt Bonn, Bd. 2, Bonn 1962, Abb. 2). Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Einführung Andreas Rutz Der Westen des Reiches als Kriegsschauplatz und Erfahrungsraum im langen 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

I. Krieg Magnus Ressel Der Herzog von Alba und die deutschen Städte im Westen des Reiches 1567–1573. Köln, Aachen und Trier im Vergleich . . . . . . . . . . . . . .

33

Michael Kaiser Generalstaatische Söldner und der Dreißigjährige Krieg. Eine übersehene Kriegspartei im Licht rheinischer Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

Claude Muller Das Laboratorium eines Konflikts. Das Elsass im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

II. Kriegserfahrung Thomas P. Becker Der Alltag des Krieges. Das Rheinland im Kölner Krieg . . . . . . . . . . 121 Ren¦ Hanke Bürger und Soldaten. Erfahrungen rheinischer Gemeinden mit dem Militär 1618–1714 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

6

Inhalt

Gerhard Fritz Kriegsführung – Kriegskriminalität – Kriegsflüchtlinge. Überlegungen zur Zeit zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und dem Pfälzischen und Spanischen Erbfolgekrieg in Südwestdeutschland . . . . 159 Guy Thewes Kriegserfahrung und Krisenbewältigung in Luxemburger Selbstzeugnissen des späten 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . 183 Matthias Asche, Susanne Häcker und Patrick Schiele Studieren im Krieg. Die Universitäten entlang des Rheins im (Wind-)Schatten des Dreißigjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . 205 Guido von Büren und Marc Grellert Architectura militaris im langen 17. Jahrhundert am Rhein. Die virtuelle Rekonstruktion der Bonner Heinrichbastion und ihr Kontext (mit DVD)

237

III. Kriegswahrnehmung und -darstellung Astrid Ackermann Die Versorgung als kriegsentscheidendes Machtmittel und die publizistische Wahrnehmung des Krieges. Der Dreißigjährige Krieg am Oberrhein . . . . 275 Stephan Kraft Grimmelshausens Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch, der Krieg am Oberrhein und die Wiederkehr des Ewiggleichen . . . . . . . . . . . . . 299 Guillaume van Gemert Das Dutch miracle und sein publizistisches Umfeld. Zum Widerhall der niederländischen Kriege des langen 17. Jahrhunderts in deutschen und niederländischen Flugschriften der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Emilie Dosquet Die Verwüstung der Pfalz als (Medien-)Ereignis. Von der rheinländischen Kriegshandlung zum europäischen Skandal . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit«

389

Vorwort

Der vorliegende Sammelband befasst sich weniger mit der politischen Geschichte des späten 16. bis frühen 18. Jahrhunderts, den diplomatischen und kriegerischen Auseinandersetzungen der Epoche und ihren europäischen Konsequenzen. Vielmehr wird entsprechend den jüngeren Tendenzen der Forschung eine Alltags-, Wahrnehmungs- und Erfahrungsgeschichte des Krieges angestrebt und nach den gesellschaftlichen Konsequenzen von Krieg und Gewalt in der Frühen Neuzeit gefragt. Mit dem Westen des Reiches gerät dabei der deutsch-niederländisch-französische Grenzraum zwischen den Niederlanden und dem Bodensee in den Blick, der von den Kriegen des langen 17. Jahrhunderts, vor allem dem Achtzigjährigen Krieg in den Niederlanden (1568–1648), dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), den französischen Reunionskriegen (1667–1697) und dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714), besonders betroffen war. Durch ihre Nähe zu den im politischen Umbruch befindlichen Niederlanden und dem expandierenden Königreich Frankreich bildeten das Rheinland, die Pfalz und der Oberrhein zentrale Schauplätze von Kriegshandlungen. Zudem waren diese Regionen Rückzugs- und Durchzugsgebiet von Söldnerheeren sowie Migrationsziel zahlreicher Flüchtlinge. Die Beiträge gehen zurück auf die Herbsttagung der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte des Bonner Instituts für Geschichtswissenschaft am 16. und 17. September 2013. Nicht zum Abdruck kommen leider die Vorträge von Maximilian Lanzinner zur »Friedenssicherung im römisch-deutschen Reich der Frühen Neuzeit« und von Jutta Nowosadtko zum »Kriegsalltag im Spiegel der Einquartierungen im Fürstbistum Münster in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts«. Den ersten Anstoß zu der Veranstaltung gab die Ausgrabung von Resten der Heinrichbastion in Bonn im Zuge des Neubaus der Sparkasse am Friedensplatz. Richard Hedrich-Winter hat in diesem Zusammenhang den entscheidenden Impuls gegeben, den Kontakt zur Sparkasse KölnBonn hergestellt und auch die Produktion der beiliegenden DVD mit der virtuellen Rekonstruktion der Bonner Festungsanlagen angeregt und organisiert, wofür ich nicht genug danken kann. Die Realisierung des sehr umfangreichen Tagungs-

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Vorwort

programms und die Teilnahme mehrerer Referentinnen und Referenten aus dem Ausland, namentlich aus Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden, wurde dankenswerterweise durch die großzügige Förderung der Sparkasse KölnBonn und des Landschaftsverbands Rheinland ermöglicht. Die Sparkasse übernahm zudem die DVD-Produktion, der Landschaftsverband gewährte ebenso wie der Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande einen namhaften Druckkostenzuschuss. Mein herzlicher Dank gilt den Autorinnen und Autoren für die konstruktive Zusammenarbeit. Zu danken ist darüber hinaus dem Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V., insbesondere Matthias Asche (Tübingen), Marian Füssel (Göttingen) und Ralf Pröve (Potsdam), für die Aufnahme des Bandes in die Reihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit« und die kollegiale Unterstützung des Projekts. Mein Dank geht außerdem an Niina Stein, Marie-Carolin Vondracek und Laura Haase vom Verlag V& R unipress für die professionelle Betreuung der Drucklegung. Schließlich danke ich Marlene Tomczyk sehr herzlich für die engagierte redaktionelle Mitarbeit, ohne die das Erscheinen des Bandes nicht realisierbar gewesen wäre. Bonn, im Mai 2015 Andreas Rutz

Einführung

Andreas Rutz

Der Westen des Reiches als Kriegsschauplatz und Erfahrungsraum im langen 17. Jahrhundert

I.

Einleitung

»Wan es viant gewesen, were es zu gedulden, nuhe sullen es frunde sin.« Mit diesen Worten kommentiert der Kölner Ratsherr und Chronist Hermann Weinsberg die Gewalttaten und Plünderungen, die am 15. Mai 1593 im Umfeld der Reichsstadt von spanischen und kurkölnischen Soldaten begangen worden waren.1 Ihnen seien auch einige Kölner Bürger (»eines raitzs wirklude«) zum Opfer gefallen, die Soldaten hätten sie »irer kleider berauft, das sie blois nach Coln moisten traben.«2 Die unfreiwillige Komik, die diese Szene beinhalten mag, sollte nicht über das Ausmaß des Schreckens hinwegtäuschen, welches die Kunde von solchen Raubzügen für die lokale Bevölkerung hatte. Weinsberg berichtet an zahlreichen Stellen seines Werkes über entsprechende Kriegserfahrungen: Da wird »gesclagen, gestochen, geschossen und […] umpracht«,3 es wird geraubt, gebrandschatzt und geplündert, Gefangene werden gemacht und Mönche aus ihren Klöstern vertrieben.4 Umgekehrt werden aber auch Soldaten

1 Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Bd. 1–2 bearb. v. Konstantin Höhlbaum, Bd. 3–4 bearb. v. Friedrich Lau, Bd. 5 bearb. v. Josef Stein, Bonn u. a. 1886–1926, ND Düsseldorf 2000, hier Bd. 4, S. 167. Zu Weinsberg vgl. Manfred Groten (Hrsg.), Hermann Weinsberg (1518–1597) – Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk, Köln 2005; Matthew Lundin, Paper memory. A sixteenth-century townsman writes his world, Cambridge/Mass. 2012. 2 Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 4, S. 167. 3 Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 80. 4 Vgl. die zahlreichen Verweise im Register von Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 549, s. v. Freibeuter ; ebd., S. 552, s. v. Landsknechte. Die Übergänge zwischen militärischer Gewalt und Kriegskriminalität waren in der Frühen Neuzeit fließend; die Zeitgenossen konnten sicherlich nicht immer zwischen regulären Truppen, aus dem Dienst entlassenen und nun marodierend durch das Land ziehenden Söldnern und kriminellen Banden unterscheiden. Vgl. hierzu ausführlich Gerhard Fritz, »Eine Rotte von allerhandt rauberischem Gesindt.« Öffentliche Sicherheit in Südwestdeutschland vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ende des Alten Reiches, Ostfildern 2004.

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Andreas Rutz

erschlagen, von denen die Bauern dachten, sie seien »freibuter«.5 Und »das kreichsfolk der Staten«, das um Köln gelagert und den Leuten großen Schaden zugefügt hatte, wird von den Bauern bis Neuss und Odenkirchen verfolgt und »uff dem wege bei hondert nedergelagt, zerhauwen und erschossen.«6 Ob die Gewalt des Krieges tatsächlich – wie Weinsberg in der eingangs zitierten Passage behauptet – leichter zu ertragen war, wenn sie durch Feinde und nicht durch Freunde verübt wurde, ist zumindest hinsichtlich der physischen Dimension von Gewalt zu bezweifeln. Aber mit Blick auf die psychologische Dimension erscheint sein Kommentar durchaus plausibel und zeugt von einer deutlichen Verunsicherung durch das Handeln der zum eigenen konfessionellen Lager gehörigen Soldateska, die das vorhandene Freund-Feind-Schema – hier die katholischen Spanier und Kurkölner, dort die protestantischen Niederländer – durcheinanderbrachte.7 Die Gewalt des Krieges wurde nicht nur als ein von außen kommendes Übel erfahren, welches es zu erdulden galt. Vielmehr kam sie auch von innen und drohte damit praktisch an jedem Ort und jederzeit. Für die Bevölkerung der Frühen Neuzeit dürften angesichts eines solchen Gefahrenpotenzials die Kampfeshandlungen selbst und die Frage, wer auf welcher Seite stand, nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Entscheidend war vielmehr, wie man der Gewalt entgehen konnte. Natürlich war Weinsberg letztlich nur ein Zaungast des Krieges. Er saß hinter den sicheren Mauern der Stadt Köln und verfolgte von dort das Geschehen – sei es durch die Lektüre von Flugblättern, Flugschriften und Messrelationen, sei es durch Gespräche im Rat und in der Stadt.8 Darüber hinaus begegnete er natürlich auch innerhalb der Stadtmauern Kriegsleuten, bei Einquartierungen sogar im eigenen Haus. Und es waren genau diese Soldaten, die nach dem Eingangszitat eigentlich »frunde« sein sollten, vor deren Unberechenbarkeit man aber offensichtlich doch Angst haben musste. Schließlich machte der Krieg auch vor dem eigenen familiären Umfeld nicht halt: Bereits 1567 hatte sich ein weitgehend mittelloser Neffe Weinsbergs, Johann Kuckelmann van Aich, entschlossen, als Landsknecht gegen die aufständischen Niederländer anzuheuern. Hermann schenkte ihm zum Abschied ein Schwert für seine Ausrüstung9 und berichtet dann wenige Monate später, dass Johann tot sei – »erstochen und 5 Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 182. 6 Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 4, S. 210. 7 Vgl. in diesem Zusammenhang allg. Matthias Asche, Anton Schindling (Hrsg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, 2. Aufl., Münster 2006. 8 Vgl. Eva-Maria Schnurr, »Jedem anbringer gleub ich so balt nit.« Informationsbeschaffung und Mediennutzung des Kölner Bürgers Hermann Weinsberg während des Kölner Kriegs (1582 bis 1590), in: Geschichte in Köln. Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte 56 (2009), S. 171–206. 9 Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 159.

Der Westen des Reiches als Kriegsschauplatz und Erfahrungsraum

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gestorben«.10 Der Tod hatte sich nicht im Zuge von Kriegshandlungen ereignet, sondern als sich Johann und sieben weitere Landsknechte in Friesland zwischen Groningen und Leeuwarden gewaltsam Zutritt zu einem Hof verschaffen wollten, um sich dort einzuquartieren. Die Bewohner leisteten bewaffneten Widerstand und Johann erhielt einen tödlichen Schwerthieb in die rechte Seite – »und wie im wol ein emmer bloitz ableif, starb er alsbalde in ansehen siner frawen.«11 Letztere hatte ihn – auch dies wieder ein kleines Stück Alltagsgeschichte des Krieges – auf seinen Zügen begleitet. Die drei Männer des Hofes, die sich zur Wehr gesetzt hatten, werden von Weinsberg als »doitscleger« bezeichnet und als erbarmungslos dargestellt, weil sie seinem Neffen nach dem todbringenden Stoß einen Trunk verwehrt und ihn sogar noch mit einem Stock zu Boden geschlagen hätten. Der eigentliche Auslöser des Vorfalls, das gewaltsame Eindringen Johanns und seiner Kumpane in den fremden Hof, wird dagegen nicht moralisierend bewertet. Weinsberg charakterisiert seinen Neffen hingegen als »wilde[n] gesel«, der sich vorzeiten nicht hatte helfen lassen und daher in Armut fiel, »dadurch diss ungemach untstanden ist.« Die äußeren Umstände dienen zur Erklärung und Rechtfertigung der von einem engeren Familienmitglied verübten Gewalt. Dass Johann die Hilfe der Familie abgelehnt und sich dadurch erst in die Situation gebracht hatte, sich als Landsknecht verdingen zu müssen, ermöglicht Weinsberg zudem, eine feine Trennlinie zwischen sich und Johann zu ziehen. Dennoch bleibt als Grunderfahrung, dass die Gewalt des Krieges auch von innen – hier aus der Familie – kommen konnte.

II.

Jüngere Ansätze zur Erforschung von Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches

Die wenigen Beispiele aus den Aufzeichnungen des Kölner Chronisten ergeben ein anderes Bild vom Krieg als Historiker es jahrzehntelang gezeichnet haben. Sie zeigen, dass sich die Geschichte von Krieg nicht in der Rekonstruktion politischer Hintergründe, diplomatischer Verwicklungen, militärischer Strategien und Kampfeshandlungen erschöpft. Vielmehr betrifft Krieg die Menschen selbst existenziell – sowohl die Zivilbevölkerung als auch die Soldaten. Das muss gar nicht unbedingt der Tod als solcher sein. Es geht auch um Gewalterfahrungen verschiedenster Art sowie die Einschränkungen und Veränderungen im Alltag, die sich aus der Kriegssituation auf gesellschaftlicher und individueller Ebene ergeben. Die Geschichtswissenschaft diskutiert diese Zusammenhänge 10 Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 162. 11 Buch Weinsberg (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 163, die folgenden Zitate ebd.

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im Rahmen der ›Neuen Militärgeschichte‹ seit gut zwei Jahrzehnten.12 Dabei kommt den kulturgeschichtlichen Kategorien Wahrnehmung und Erfahrung eine entscheidende Rolle zu, denn Kriege finden, so Anton Schindling, »nicht nur auf den Schlachtfeldern, sondern gleichermaßen in den Köpfen der Menschen statt. In deren Köpfen werden die Phänomene der Gewaltanwendung durch bewusstseinsmäßige Vorprägungen geordnet und interpretiert, legitimiert oder delegitimiert. Das Töten und Zerstören im Krieg wird in Begriffe und Bilder gefasst, phänomenologisch zugeschrieben und mit einer sinnstiftenden Deutung versehen. Jetzt wird – beginnend mit dem soeben erst wahrgenommenen Geschehen – auch bereits die Erinnerung daran gestiftet.«13

12 Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die »neue Militärgeschichte« der Frühen Neuzeit. Perspektiven, Entwicklungen, Probleme (2000), in: ders., Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, hrsg. v. Bernhard R. Kroener, Angela Strauß, Münster 2010, S. 105–123; vgl. darüber hinaus als grundlegende, insbesondere auch methodische Einführungen Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002; Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003; Bernhard R. Kroener, Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300–1800, München 2013. Lediglich einen Überblick zur Militär- und Kriegsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart bietet Rolf-Dieter Müller, Militärgeschichte, Köln u. a. 2009, vgl. aber die Einleitung »Militärgeschichte. Möglichkeiten und Grenzen einer Teildisziplin der Geschichtswissenschaft«, S. 9–24. 13 Anton Schindling, ›Ikonen‹ der Kriegserfahrung. Eine Bilderauswahl zur Einführung, in: Georg Schild, Anton Schindling (Hrsg.), Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung, Paderborn u. a. 2009, S. 17–39, hier S. 17. Der Autor hat an anderer Stelle den Begriff der Erfahrung noch genauer gefasst und von einem umgangssprachlichen Gebrauch abgegrenzt, der lediglich ein Erlebnis oder ein Erleben meine: »Die angeblich unmittelbare Authentizität von ›Erfahrungen‹ wird vielmehr als Ergebnis wissenssoziologischer Reflexion in Frage gestellt. Jegliche ›Erfahrung‹ schließt nach dieser Begriffsdefinition bereits die Dimensionen von vorgeprägter Wahrnehmung, erworbenem Wissen, davon abhängiger Deutung sowie sinnstiftender Interpretation und Verarbeitung des Erlebten in sich ein und vermittelt Orientierung und Modelle für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln. Mit der Ausbildung von Erfahrungen verbindet sich das Speichern von Wissen im kollektiven Gedächtnis von gesellschaftlichen Gruppen, ein Prozeß, der bei diesen Erfahrungsgruppen stets auch Selektion, Verdrängen und Vergessen impliziert. Die Verknüpfung von Erleben, Wissen, Deuten und Handeln im Wechselspiel von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen zwischen Vergangenheit und Zukunft ist für einen solchen Erfahrungsbegriff konstitutiv«, Anton Schindling, Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Erfahrungsgeschichte und Konfessionalisierung, in: Asche, Schindling, Strafgericht (wie Anm. 7), S. 11–51, hier S. 13. Vgl. auch grundlegend Nikolaus Buschmann, Horst Carl, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges. Forschung, Theorie, Fragestellung, in: dies. (Hrsg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn u. a. 2001, S. 11–26; Nikolaus Buschmann, Aribert Reimann, Die Konstruktion historischer Erfahrung. Neue Wege zu einer Erfahrungsgeschichte des Krieges, in: ebd., S. 261–271.

Der Westen des Reiches als Kriegsschauplatz und Erfahrungsraum

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Schindling gehört zu den Verantwortlichen des von 1999 bis 2008 arbeitenden Tübinger Sonderforschungsbereichs 437, der dem Thema »Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit« gewidmet war und für unser Thema zahlreiche grundlegende Erkenntnisse erbracht hat. Sie liegen neben verstreuten Publikationen vor allem in zahlreichen Bänden der Reihe »Krieg in der Geschichte« vor.14 Ein zweiter wichtiger Impulsgeber ist der Arbeitskreis »Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit«, der seit 1995 der jüngeren Militärgeschichte regelmäßig mit Tagungen und Veröffentlichungen ein Diskussionsforum bietet. Hinzuweisen ist auf die 1997 gegründete Zeitschrift »Militär und Gesellschaft«15 und die Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit«.16 In der landesgeschichtlichen Forschung spielt das Thema Krieg ebenfalls seit einigen Jahren eine gewisse Rolle, zumal die meisten Arbeiten der jüngeren Militärgeschichte einen regionalen Ansatz bei der Quellenrecherche und der Exemplifizierung ihrer Thesen verfolgen. Man muss in der bibliographischen Recherche freilich bis zu Max Braubach und Franz Petri zurückgehen, um eine breitere Diskussion der Kriege der Frühen Neuzeit im Rheinland und im Westen des Reiches insgesamt zu finden.17 Im Mittelpunkt stehen hier die politische und die Diplomatiegeschichte der Kriege sowie die der anschließenden Friedensverhandlungen und Friedensschlüsse. Verschiedene Arbeiten in jüngerer Zeit 14 Vgl. nur den bilanzierenden Band von Schild, Schindling, Kriegserfahrungen (wie Anm. 13), der auch eine Gesamtbibliographie des SFB enthält. 15 Alle Ausgaben bis 2013 sind auch online greifbar unter http://www.amg-fnz.de/zeitschrift/ (12.04.15). 16 Vgl. u. a. die auf Tagungen des Arbeitskreises zurückgehenden Sammelbände von Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster u. a. 2000; Michael Kaiser, Stefan Kroll (Hrsg.), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2004; Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte »res publica«. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Berlin u. a. 2006; Matthias Asche u. a. (Hrsg.), Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, Berlin u. a. 2008; Jutta Nowosadtko, Matthias Rogg (Hrsg.), Mars und die Musen. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008; Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012; Jutta Nowosadtko u. a. (Hrsg.), Militär und Recht (16.–19. Jahrhundert). Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen, Göttingen 2015. 17 Vgl. nur Franz Petri, Im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1500–1648), in: ders., Georg Droege (Hrsg.), Rheinische Geschichte in drei Bänden, Bd. 2, 3. Aufl., Düsseldorf 1980, S. 1–217, insb. S. 83–111 u. 133–156; Max Braubach, Vom Westfälischen Frieden bis zum Wiener Kongreß (1648–1815), in: ebd., S. 219–365, insb. S. 240–265. In jüngerer Zeit vgl. die Überblicke von Klaus Müller, Rheinische Geschichte 1521–1609, in: Portal Rheinische Geschichte [08. 03. 2011], URL: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/epochen/epochen/ Seiten/1521bis1609.aspx (11. 06. 2015); ders., 17. und 18. Jahrhundert (1609–1794), in: ebd. [08. 03. 2010], URL: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/epochen/epochen/Seiten/ 1609bis1794.aspx (11. 06. 2015).

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Andreas Rutz

lassen sich diesem Themenkreis zuordnen, etwa die zahlreichen Studien HansWolfgang Bergerhausens zu den außenpolitischen Verflechtungen der Reichsstadt Köln18 oder auch Christian Bartz’ auf der Grundlage der Ratsprotokolle erarbeitete Dissertation zu Köln im Dreißigjährigen Krieg von 2005.19 Für den Südwesten sei in diesem Zusammenhang Max Plassmanns Studie zur Kriegsführung der Vorderen Reichskreise am Oberrhein in den Erbfolgekriegen um 1700 aus dem Jahr 2000 genannt.20 Stärkere sozialgeschichtliche Akzente hatten bereits die Arbeiten von Horst Carl zu den preußischen Westprovinzen im Siebenjährigen Krieg von 1993 und vor allem von Peter Burschel zum Söldnerwesen in Nordwestdeutschland von 1994 gesetzt.21 Der Publizistik als Medium des Krieges und über den Krieg räumte Johannes Arndt in seinem Buch zum Achtzigjährigen Krieg von 1998 zentrale Bedeutung ein.22 Etwa zehn Jahre später wurde diese medienhistorische Perspektive von Eva-Maria Schnurr für den Kölner Krieg weiter vertieft.23 Eine weitere Öffnung für neue Forschungsthemen im Sinne einer Alltags- und Erfahrungsgeschichte von Krieg erfolgte im Zusammenhang des 350jährigen Jubiläums des Westfälischen Friedens, das seit 1998 zahlreiche Initiativen zur Erforschung regionaler und lokaler Kriegsfolgen angestoßen hat. Zu nennen sind unter anderem die Sammelbände und Ausstellungskataloge zum Herzog-

18 Vgl. nur Hans-Wolfgang Bergerhausen, Die Stadt Köln und die Reichsversammlungen im konfessionellen Zeitalter. Ein Beitrag zur korporativen reichsständischen Politik 1555–1616, Köln 1999; ders., Köln in einem eisernen Zeitalter 1610–1686, Köln 2010, insb. S. 64–176 u. 315–348. 19 Christian Bartz, Köln im Dreißigjährigen Krieg. Die Politik des Rates der Stadt (1618–1635) vorwiegend anhand der Ratsprotokolle im Historischen Archiv der Stadt Köln, Frankfurt/M. u. a. 2005. 20 Max Plassmann, Krieg und Defension am Oberrhein. Die Vorderen Reichskreise und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden (1693–1706), Berlin 2000. Vgl. mit Blick auf die Alltagsgeschichte des Krieges auch ders., »… so hoerete man heulen, weinen und seuffzen«. Landbevölkerung, Obrigkeiten und Krieg in Südwestdeutschland (1688–1713), in: Kroll, Krüger, Militär (wie Anm. 16), S. 223–249. 21 Horst Carl, Okkupation und Regionalismus. Die preußischen Westprovinzen im Siebenjährigen Krieg, Mainz 1993; Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1994. 22 Johannes Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politischkonfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg, Köln u. a. 1998. Vgl. außerdem ders., Köln als kommunikatives Zentrum im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, in: Georg Mölich, Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln 2000, S. 117–138; ders., Köln und die Medienproduktion zum spanisch-niederländischen Krieg 1566 bis 1648, in: Dieter Geuenich (Hrsg.), Köln und die Niederrheinlande in ihren historischen Raumbeziehungen (15.–20. Jahrhundert), Pulheim 2000, S. 339–353. 23 Eva-Maria Schnurr, Religionskonflikt und Öffentlichkeit. Eine Mediengeschichte des Kölner Kriegs (1582 bis 1590), Köln u. a. 2009.

Der Westen des Reiches als Kriegsschauplatz und Erfahrungsraum

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tum Berg,24 zum Herzogtum Westfalen,25 zum Emsland und der Grafschaft Bentheim,26 zur Grafschaft Sayn-Wittgenstein,27 zum Kreis Steinfurt,28 zum Kreis Warendorf,29 zu Soest und zur Soester Börde,30 zum Westmünsterland31 und zu Westfalen insgesamt.32 Michael Kaiser hat dieses Forschungsfeld für den Niederrhein in verschiedenen Aufsätzen bearbeitet.33 Für den Südwesten des Reiches, genauer die Grafschaft Hohenlohe, hat Frank Kleinehagenbrock eine dezidiert »erfahrungsgeschichtliche Untersuchung« vorgelegt.34 Auch für das weitere 17. und 18. Jahrhundert liegen für den von uns fokussierten Raum verschiedene Studien mit alltags- und erfahrungsgeschichtlichem Ansatz vor: Für Westfalen ist auf die Arbeiten von Jutta Nowosadtko zu verweisen, jüngst noch die große Studie zum Zusammenleben von Militär und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster von der Mitte des 17. Jahrhunderts

24 Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen, Neustadt an der Aisch 2002. 25 Michael Senger (Red.), Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Westfalen, Schmallenberg 1998. 26 Gerd Steinwascher (Hrsg.), Krieg, Konfessionalisierung, Westfälischer Frieden. Das Emsland und die Grafschaft Bentheim in der Zeit des spanisch-niederländischen und des Dreißigjährigen Krieges, Sögel 1998. 27 Dreißig Jahre Krieg, 1618–1648. 350 Jahre Westfälischer Frieden, 1648–1998 (= Wittgenstein. Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins 86/4 [1998]), Bad Laasphe 1998. 28 Eva Berger, Dem Frieden die Zukunft, 1648–1998. Sozialgeschichtliche Beiträge aus dem Kreis Steinfurt. Der Dreißigjährige Krieg und die Hoffnung auf Frieden, Steinfurt 1998. 29 Siegfried Schmieder (Hrsg.), Der Kreis Warendorf im Dreißigjährigen Krieg. Dokumente zur Geschichte des Krieges und zum Westfälischen Frieden, Warendorf 1998. 30 Gerhard Köhn, Der Dreißigjährige Krieg in Stadt und Land. Zum Beispiel in Soest/Westfalen und in der Soester Börde, Soest 1998. 31 Timothy Sodmann (Hrsg.), 1568–1648. Zu den Auswirkungen des Achtzigjährigen Krieges auf die östlichen Niederlande und das Westmünsterland, Vreden 2002. 32 Gunnar Teske, Bürger, Bauern, Söldner und Gesandte. Der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Frieden in Westfalen, 2. Aufl., Münster 1998; ders. (Red.), Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Forschungen aus westfälischen Adelsarchiven, Münster 2000. 33 Vgl. insb. Michael Kaiser, Überleben im Krieg – Leben mit dem Krieg. Zur Alltagsgeschichte des Dreißigjährigen Krieges in den niederrheinischen Territorien, in: Ehrenpreis, Krieg (wie Anm. 24), S. 181–233; ders., Die vereinbarte Okkupation. Generalstaatische Besatzungen in brandenburgischen Festungen an Niederrhein, in: Meumann, Rogge, Res publica (wie Anm. 16), S. 271–314. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Günter Bers, Don Gabriel de la Torre. Ein spanischer Gubernator der Stadt und Festung Jülich (1641–1660). Zur Stadtgeschichte im Dreißigjährigen Krieg, Jülich 2013. 34 Frank Kleinehagenbrock, Die Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg. Eine erfahrungsgeschichtliche Untersuchung zu Herrschaft und Untertanen, Stuttgart 2003; außerdem ders., Ohnmächtige im Ringen der großen Mächte oder Teilnehmer am Konfessionskrieg? Von der Anwendung eines erfahrungsgeschichtlichen Konzeptes bei der Untersuchung der Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg, in: Franz Brendle, Anton Schindling (Hrsg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Münster 2006, S. 177–189.

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bis zur Säkularisation von 2011,35 für den Südwesten unter anderem auf den Sammelband von Gerhard Fritz und Roland Schurig zum Franzoseneinfall 169336 sowie die zeitlich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des Alten Reiches reichenden Arbeiten zur historischen Kriminalitätsforschung von Gerhard Fritz, die immer wieder auch den Zusammenhang von Krieg, Militär und Kriminalität diskutieren.37 Den Spanischen Erbfolgekrieg speziell in der Markgrafschaft Baden-Baden behandelt der Ausstellungskatalog zum Frieden von Rastatt von 2014.38 Einen langen Bogen vom Mittelalter bis in das frühe 18. Jahrhundert spannt dagegen ein Sammelband von 2007, der nicht nur Krieg und Kriegsgewalt am Oberrhein, sondern auch andere Katastrophen wie Hungersnot und Seuchen diskutiert.39

III.

Quellen

Neben den genannten Studien ist eine Reihe von Quelleneditionen zu erwähnen, die für die weitere Arbeit entscheidende Impulse geben können. Die reiche Überlieferung der Zeit insbesondere des Dreißigjährigen Krieges lässt sich freilich nicht in Gänze oder auch nur annäherungsweise erschöpfend edieren. Gleichwohl können regional oder territorial zugeschnittene Auswahlpublikationen für das Thema und vor allem für die Überlieferung sensibilisieren und Ausgangspunkt vertiefter, auch vergleichender Forschungen sein. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf eine Reihe von Quelleneditionen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in Westfalen, die entweder die Überlieferung eines Archivs, hier des Staatsarchivs Münster,40 oder die Quellen zu einem oder mehreren Territorien, etwa dem Fürstbistum Osnabrück, den Hochstiften Paderborn und Corvey oder dem Herzogtum Westfalen, zugänglich machen.41 35 Jutta Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803, Paderborn u. a. 2011. 36 Gerhard Fritz, Roland Schurig (Hrsg.), Der Franzoseneinfall 1693 in Südwestdeutschland. Ursachen – Folgen – Probleme, Remshalden 1994. 37 »Das Militär zieht sich […] wie ein roter Faden oder – treffender – wie ein Krebsübel durch das untersuchte Jauner- und Vagantentum«, Fritz, Rotte (wie Anm. 4), S. 270. 38 Der Friede von Rastatt. »… dass aller Krieg eine Thorheit sey.« Aspekte der Lokal- und Regionalgeschichte im Spanischen Erbfolgekrieg in der Markgrafschaft Baden-Baden, hrsg. v. der Stadt Rastatt, Regensburg 2014. 39 Kriege, Krisen und Katastrophen am Oberrhein vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit (= Das Markgräflerland. Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur N.F. 2 [2007]), Schopfheim 2007. 40 Leopold Schütte (Red.), Der Dreißigjährige Krieg und der Alltag in Westfalen. Quellen aus dem Staatsarchiv Münster, Münster 1998. 41 Gerd Steinwascher (Bearb.), Krieg – Frieden – Toleranz. Quellen zum Dreißigjährigen Krieg

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Ein kursorischer Blick in diese Editionen macht schnell deutlich, dass es kaum eine Quellengattung gibt, in der der Krieg und seine Folgen nicht erwähnt werden, was einmal mehr auf die gesellschaftliche Bedeutung kriegerischer Ereignisse verweist. Ohne hier eine detaillierte Quellenkunde bieten zu wollen oder zu können, sei im Sinne einer ersten Annäherung und zur Verdeutlichung des Potenzials regionaler und lokaler Archivbestände auf einige zentrale Quellengattungen hingewiesen, die für eine Alltags- und Erfahrungsgeschichte des Krieges besonders geeignet erscheinen. Ich habe eingangs die Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs erwähnt, der die Kriegszüge niederländischer und anderer Truppen im Umfeld der Reichsstadt Köln im Zuge des Truchsessischen Krieges kommentiert und von Alltagserfahrungen mit dem Militär berichtet. Vergleichbare Selbstzeugnisse liegen für die Frühe Neuzeit nicht massenhaft, aber doch in einer gewissen Zahl vor, für den Dreißigjährigen Krieg etwa in Form von Tagebüchern und chronikalischen Aufzeichnungen von Söldnern und Bauern.42 Aus ganz unterschiedlichen individuellen Perspektiven lässt sich auf dieser Grundlage eine Erfahrungsgeschichte des Krieges schreiben, die auch wesentliche Einblicke in die konkreten Zustände vor Ort ermöglicht.43 und Westfälischen Frieden aus dem Fürstbistum Osnabrück, Melle 1996; Andreas Neuwöhner (Hrsg.), Im Zeichen des Mars. Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens in den Stiften Paderborn und Corvey, Paderborn 1998; Horst Conrad, Gunnar Teske (Hrsg.), Sterbzeiten. Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Westfalen. Eine Dokumentation, Münster 2000. 42 Vgl. das Repertorium von Benigna von Krusenstjern, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis, Berlin 1997; außerdem in jüngerer Zeit u. a. Wilhelm A. Eckhardt, Helmut Klingelhöfer (Hrsg.), Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636–1667, Marburg 1998; Holger Th. Gräf (Hrsg.), Söldnerleben am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Lebenslauf und Kriegstagebuch 1617 des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter, Marburg 2000; Jan Peters, Mit Pflug und Gänsekiel. Selbstzeugnisse schreibender Bauern. Eine Anthologie, Köln u. a. 2003; Jan Kili‚n (Hrsg.), Michel Stüelers Gedenkbuch (1629–1649). Alltagsleben in Böhmen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Göttingen 2014. Für unseren Untersuchungsraum ist u. a. hinzuweisen auf Gunnar Teske, Das Hausbuch des Sweder Schele zu Weleveld und Welbergen, Erbkastellan zu Vennebrügge (1569–1639). Ein Selbstzeugnis zur westfälischen Landesgeschichte, in: Westfälische Zeitschrift 162 (2012), S. 81–104, hier S. 98f. zum Dreißigjährigen Krieg; Liliane Ch–telet-Lange, Das emblematische Tagebuch eines »sonderbaren Patrioten« aus den Jahren 1620 bis 1630, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 157 (2009), S. 203–222. Zur Quellengattung vgl. allg. Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: Stefan Elit u. a. (Hrsg.), Das ›Ich‹ in der Frühen Neuzeit. Autobiographien – Selbstzeugnisse – Ego-Dokumente in geschichts- und literaturwissenschaftlicher Perspektive (= zeitenblicke. Online-Journal für die Geschichtswissenschaften 1 [2002], Nr. 2) [20. 12. 2002], URL: http://www.zeitenblicke.de/2002/02/ rutz/ (11. 06. 2015). 43 Vgl. nur Benigna von Krusenstjern, Hans Medick (Hrsg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, 2. Aufl., Göttingen 2001; methodische Probleme bei der Auswertung von Selbstzeugnissen für die Erfahrungsgeschichte des Krieges diskutiert

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Ergänzen lässt sich diese individuelle Sicht durch verschiedenste Quellen, die auf den Alltag der betroffenen Menschen schließen lassen, denn die Akten der landesherrlichen, landständischen, städtischen oder klösterlichen Verwaltungen spiegeln in großer Vielfalt die Ereignisse und ihre Auswirkungen auf das alltägliche Leben. So lassen sich etwa anhand von Gerichtsprotokollen sehr detailliert Übergriffe von Soldaten auf die Zivilbevölkerung nachvollziehen, sofern diese strafrechtlich verfolgt und geahndet wurden. In einem Protokollband für das Amt Ravensberg, der die Jahre 1631 bis 1633 umfasst, lesen wir zum Beispiel von einem Mädchen namens Elschen Stovener, das am 3. Juni 1631 vor Gericht unter Eid aussagt, »das ein soldate, so einen blawen rock angehabt, sie ubergeweltiget und sie also geschwengert«.44 Des Weiteren finden sich in dem Band Hinweise auf Straßenräuberei, Pferde- und andere Diebstähle, die Plünderung von Kirchen, weitere Vergewaltigungen sowie Mord.45 Aber auch die Bevölkerung wird interessanterweise gerichtlich belangt, wenn etwa Fuhrdienste für das Militär nicht geleistet, Kontributionen nicht gezahlt oder Diebstähle begangen werden. Der Vorwurf des Diebstahls betrifft unter anderem mehrere Mägde des Adelssitzes Brinke. Dorthin hatte eine Frau ihre Kleider und Sachen zur sicheren Verwahrung gebracht, die nun aber von den Mägden entwendet und verkauft worden waren.46 Überaus interessant sind für unseren Zusammenhang auch Schadenserhebungen, die im Auftrag der Landesherren angefertigt wurden, um gegebenenfalls Reparationsforderungen erheben zu können. Sie beziffern unter anderem die Kosten von Einquartierungen und führen so die Dimensionen des Problems eindrücklich vor Augen.47 So heißt es etwa in der »Westfälische[n] SchadenDesignation 1622«, in der die von den Truppen des Grafen Anholt im kurkölnischen Herzogtum Westfalen erpressten Gelder und angerichteten Schäden gelistet und in Reichstalern beziffert werden: »Die dorffschafft Heinßpergk hatt im irsten durchzugh 30 fueßknechte 2 tagh underhalden«.48 Die Kosten dafür werden mit 14 Reichstalern veranschlagt, was immerhin drei bis vier Monatslöhnen eines Handwerkers entsprach. Ganz andere Dimensionen als im Dorf

44 45 46 47

48

Jutta Nowosadtko, Erfahrung als Methode und Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis. Der Begriff der Erfahrung in der Soziologie, in: Buschmann, Carl, Erfahrung (wie Anm. 13), S. 27–50, hier S. 46–50. Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 58–66, Nr. 15, hier S. 58. Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 58–66, Nr. 15; das Folgende ebd. Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 58–66, Nr. 15, hier S. 64f. Vgl. neben den folgenden Beispielen auch die umfassende Zusammenstellung und Auswertung entsprechender Quellen bei Wolfgang von Hippel (Bearb.), Das Herzogtum Württemberg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel von Steuer- und Kriegsschadensberichten 1629–1655. Materialien zur Historischen Statistik Südwestdeutschlands, Stuttgart 2009. Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 112–122, Nr. 39, hier S. 114.

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Heinsberg erreichten die Kosten freilich, wenn größere Truppenkontingente über einen längeren Zeitraum zu versorgen waren: »Alß der herr graf von 3. Martii biß auff den 17. Maii anno 1622 binnen Werl mitt den regiment stab gelegen, sein allda zu tagh und nacht von allen compagnien an- und abgezogen und allda verzehrt 13.364 [Reichstaler]«.49 Weiterführende Informationen zu den Kosten des Krieges liefern Rechnungsbücher. So spiegeln die Einnahme- und Ausgaberechnungen der landesherrlichen Hofkammern, von Städten, adligen Häusern oder auch von Klöstern die wirtschaftlichen Konjunkturen in Kriegszeiten, zeigen Teuerungen, Mangel, Misswirtschaft und kriegsbedingte Ausgaben (Lieferungen, diplomatische Missionen, Bestechungs- und Freikaufsgelder, Belohnungen usw.). In den Rechnungen werden auch immer wieder Gründe für zusätzliche Kosten oder das Ausbleiben von Einnahmen genannt, so etwa in der Rechnung des Amtes Herstelle im Fürstbistum Paderborn für 1640: Da muss »wegen gantz verwusteten furstlichen ambthaußes« ein anderes Haus gepachtet werden, wodurch zusätzliche Kosten entstehen, oder der Kornvorrat ist erheblich geschmälert, weil von den »schwedischen alhie gelegenen volkern daß zehend korn außgedroschen« worden sei.50 Am Ende der Einnahmenliste heißt es: »Ubrige intraden stehen annoch bey den leuten, und ist davon, weill sie gantz verderbt und taglich annoch uberfallen werden, nichts zu erzwingen gewest«. Der Krieg belastete also die Bevölkerung so sehr, dass auch die üblichen Abgaben an die Landesherrschaft nicht mehr zu leisten waren. Eine sehr viel anschaulichere und durchaus mit den lebendigen Schilderungen mancher Selbstzeugnisse vergleichbare Quelle bilden schließlich die Berichte von Amtleuten oder städtischen Verwaltungen über Vorfälle in ihren jeweiligen Sprengeln. Diese an die Landesherren gerichteten Schreiben bieten die konkreten Geschichten hinter dem Zahlenwerk der Schadenserhebungen und Rechnungsbücher, die uns lediglich vermuten lassen, was etwa die Einquartierung eine Kompanie für die Bevölkerung bedeutet haben mag. Als Beispiel sei ein »warhaffter umbständlicher bericht des zue Beurenn uff Oistertagh beschehenen verlauffs« vom 15. April 1626 genannt, in dem es um die Einquartierung verbündeter kaiserlicher Truppen in Büren im Hochstift Paderborn geht.51 Bürgermeister und Rat berichten hier sehr anschaulich an die fürstbischöflichen Beamten in Paderborn über die Einquartierungssituation und die diesbezüglichen Schwierigkeiten. Da heißt es etwa, dass »bey Lübbertt Drevelln […] ein reformirter corporal, so ein matresse bey sich gehaptt, einlogirt ge-

49 Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 112–122, Nr. 39, hier S. 115. 50 Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 194–201, Nr. 82, hier S. 201, das folgende Zitat ebd. 51 Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 182–191, Nr. 78.

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wesen« sei.52 Der Wirt habe ihm »nach zustandtt dieser orther unnd settigungh eines ehrlichen menschenn gnugsame speißenn« vorgesetzt, nämlich Sauerkraut mit Mettwurst, einen Schafsschinken, ein Stück Rindfleisch, einen Schlachttopf vom Schwein, einen halben Schafskäse und Butter. »Der corporal wirfft die speisenn mehrntheilß zur dehll hinauß, unnd sagtt mitt entrustungh zu seinem wirth, solche speisenn solte er einem hudler [Lump] gebenn. Ob er meinte, das er ein hudler vor sich hette. Er hette woll beßer speiß dem bettler vor die thuer gebenn etc., unnd will sich nicht stillen laßenn, biß ihme der wirth folgendenn tags nach seinem willenn schincken, hüner, kalbfleisch etc. aufzutragen verpflichtett.«

Ganz ähnlich verhielten sich nach dem Bericht auch andere Einquartierte, verlangten besseres Essen und schlugen und bedrohten die Wirte. Die Stadtoberen mahnten ihre Bürger »zur patientz […], mit der vertröstung, daß eß baldt ein endt gewinnen werde«, und tatsächlich zogen die Soldaten nach vierzehn Tagen ab.53 Aber auch der Abzug war konfliktbeladen, denn die Soldaten forderten teilweise »geltt zum abzugh«, wie etwa ein Reiter namens Friedrich, der zwar zunächst von Kameraden abgehalten wurde, seinen Wirt Caspar Oisterman weiter zu bedrängen.54 Dann kam er aber mit mehreren Reitern wieder, »hatt die fenster eingeschlagen, seine büchsenn durch die haußthür gelöset […]. Endtlich hatt er mitt gewaldt sich inß hauß getrungenn, […] seinen [Caspars] frawenn die stubenn zu eroeffnen genöttigt, die fenster vollendts außgeschlagenn, ein degenn mit einer wischtaßchenn unnd einem barbierbeckenn zu sich genmmen, der frauwenn, do er deß aufm arm tragendenn kindts nit verschonte, über denn kopff zu hawenn getrohett, endtlich ihr die wöhr auf die brust gesetztt, unnd vielleicht noch unglück erwecktt hette, dofern nicht ein corporall darzukommen, unnd Friederich vor sich auß dem hauß getriebenn. Derselb aber hatt sich wieder sehenn unnd im umreitten umb daß hauß mit lauter stim vernemmen laßenn, er wolte dem schelmenn daß hauß anzunden.«

IV.

Zum Inhalt des Sammelbandes

Die wenigen Lesefrüchte aus den bereits edierten Quellen haben deutlich gemacht, welche Möglichkeiten eingehende Recherchen in den regionalen und lokalen Archiven für die Erforschung der Alltags- und Erfahrungsgeschichte des Krieges bieten. Einige Schätze sind bereits gehoben, vieles harrt aber noch der Aufarbeitung. Die genannte Literatur mit sozial-, alltags- oder medienhistorischem Ansatz bietet hierfür einen guten Ausgangspunkt. Der eher heterogene 52 Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 182–191, Nr. 78, hier S. 185, die folgenden Zitate ebd. 53 Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 182–191, Nr. 78, hier S. 187. 54 Schütte, Krieg (wie Anm. 40), S. 182–191, Nr. 78, hier S. 189, das folgende Zitat ebd.

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Forschungsstand zeigt aber zugleich, dass noch ein erheblicher Bedarf an regional- und lokalhistorischen Studien zum Thema Krieg und Kriegserfahrung in unserem Untersuchungsraum besteht. Besonders vielversprechend erscheinen mir dabei die landesgeschichtlich vergleichende Perspektive, die Einbeziehung der östlichen Regionen der Beneluxländer und Frankreichs sowie die disziplinäre Erweiterung des Forschungsansatzes. Die Beiträge des vorliegenden Bandes, die auf eine Tagung in Bonn am 16. und 17. September 2013 zurückgehen,55 tragen dem Rechnung, indem sie Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches in ganz unterschiedlicher zeitlicher und regionaler Perspektive, aber auch auf der Grundlage verschiedener Quellenbestände analysieren. Auf diese Weise ergeben sich vielfältige Möglichkeiten des regionalen und überregionalen wie auch des synchronen und diachronen Vergleichs. Die Einbeziehung des Beneluxraums und Frankreichs erweitert den engeren regionalen Fokus und trägt zu einer dringend notwendigen Europäisierung der deutschen Landes- und Regionalgeschichte bei.56 Literaturwissenschaftliche sowie kunst- bzw. architekturhistorische Beiträge eröffnen zudem interdisziplinäre Perspektiven auf die diskutierten Phänomene. Der Westen des Reiches, hier verstanden als der deutsch-niederländischfranzösische Grenzraum zwischen den Niederlanden und dem Bodensee, war vom späten 16. bis in das frühe 18. Jahrhundert fast ununterbrochen von den europäischen Kriegen der Epoche betroffen.57 Dabei können drei Ereigniskomplexe unterschieden werden: 1. der Achtzigjährige (1568–1618) und der 55 Vgl. Dorothe¦ Goetze, Tagungsbericht »Krieg und Kriegserfahrung am Rhein. Der Westen des Reiches im langen 17. Jahrhundert (1568–1714)«, Bonn 16.–17. 09. 2013, in: H-Soz-uKult [20. 12. 2013], URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5152 (11. 06. 2015). 56 Vgl. Andreas Rutz, Deutsche Landesgeschichte europäisch. Grenzen – Herausforderungen – Chancen, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 79 (2015), S. 1–19. 57 Vgl. allg. zur ›Bellizität‹ der Epoche Johannes Burkhardt, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997), S. 509–574. Hinzuweisen ist freilich auf ein weiteres Charakteristikum der Frühen Neuzeit, das komplementär zu den fortwährenden Kriegen der Epoche zu denken ist: der Versuch, Frieden auf dem Verhandlungswege zu stiften und dauerhaft zu sichern; vgl. hierzu in jüngerer Zeit u. a. Christoph Kampmann u. a. (Hrsg.), L’art de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens, Münster 2011; Heinz Duchhardt, Frieden im Europa der Vormoderne. Ausgewählte Aufsätze 1979–2011, hrsg. v. Martin Espenhorst, Paderborn u. a. 2012; Guido Braun, Arno Strohmeyer (Hrsg.), Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag, Münster 2013; Heinz Duchhardt, Martin Espenhorst (Hrsg.), Utrecht – Rastatt – Baden 1712–1714. Ein europäisches Friedenswerk am Ende des Zeitalters Ludwigs XIV., Göttingen 2013; Axel Gotthard, »Der liebe vnd werthe Fried«. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2014; sowie in regionaler Perspektive Martial Gantelet u. a. (Hrsg.), La Paix des Pyr¦n¦es et son impact en Lorraine et au Luxembourg (= H¦mecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 62 [2010], Heft 3–4), Luxemburg 2010.

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Dreißigjährige Krieg (1618–1648); in diesen Zeitraum fallen auch der Truchsessische oder Kölner Krieg (1583–1588) sowie der Jülich-Klevische Erbfolgestreit (1609–1614), der zwar zu keinen massiven militärischen Auseinandersetzungen, aber doch zu verstärkter Truppenpräsenz am Niederrhein führte.58 2. die französischen Reunionskriege, angefangen mit dem Devolutionskrieg (1667/68) über den Holländischen Krieg (1672–1679) und den Reunionskrieg (1683/84) bis hin zum Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697). Und schließlich 3. der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714). Die allgemeinen politischen Hintergründe sowie der Verlauf dieser Kriege sind nicht Thema des Sammelbandes, werden aber in verschiedenen Beiträgen zwecks Kontextualisierung skizziert. Darüber hinaus finden sich Analysen zu Einzelaspekten der Politik und insbesondere des Kriegsgeschehens der Epoche, die unser diesbezügliches Wissen nicht zuletzt aufgrund der Auswertung unbekannten Quellenmaterials erheblich erweitern. So basiert Magnus Ressels Beitrag zu den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Niederlanden und den rheinischen Städten Köln, Aachen und Trier in der Frühphase des Achtzigjährigen Krieges auf der von der Landesgeschichte kaum genutzten Überlieferung im Algemeen Rijksarchief in Brüssel (Der Herzog von Alba und die deutschen Städte im Westen des Reiches 1567–1573. Köln, Aachen und Trier im Vergleich). Deutlich herausgearbeitet wird die vielfache Einflussnahme der Brüsseler Regierung auf die städtischen Belange, etwa mit Blick auf den Umgang mit protestantischen Flüchtlingen, den Universitätsbesuch von Niederländern in Köln, den städtischen Fernhandel oder auch das diplomatische Taktieren angesichts von militärischen Bedrohungen und – im Falle Triers – die Auseinandersetzungen mit dem Landesherrn. Michael Kaiser liefert eine faszinierende Studie zum Engagement generalstaatischer Truppen im Dreißigjährigen Krieg, die ein Ineinanderfließen des niederländischen Aufstands mit dem großen Krieg zeigt, welches eigentlich aufgrund der strikten Neutralität von Kaiser und Katholischer Liga gegenüber Den Haag ausgeschlossen war (Generalstaatische Söldner und der Dreißigjährige Krieg. Eine übersehene Kriegspartei im Licht rheinischer Befunde). Gleichwohl waren die Generalstaaten mit festen Garnisonen am Niederrhein präsent, aus deren Umfeld Streiftrupps plündernd und Lösegeld pressend bis nach Kurtrier, Kurmainz und Hessen zogen. Darüber hinaus wechselten generalstaatische Truppen gelegentlich in den Dienst einer im Reich engagierten Kriegspartei. Den Haag unterstützte auf diese Weise etwa Kurbrandenburg, Schweden oder Hessen-Kassel und griff so in den Dreißigjährigen Krieg ein. Claude Muller schließlich schildert detailliert die Kriegshandlungen im Elsass 58 Vgl. Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Der Jülich-Klevische Erbstreit 1609. Seine Voraussetzungen und Folgen, Düsseldorf 2011; Sigrid Kleinbongartz (Hrsg.), Fürsten, Macht und Krieg. Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit, Düsseldorf 2014.

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im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges und zeigt so exemplarisch die Charakteristika der von John A. Lynn als ›war-as-process‹ bezeichneten militärischen Auseinandersetzungen der Zeit.59 Sie bestanden weniger in Entscheidungsschlachten als wiederholten Belagerungen und kleineren Militäraktionen und wurden mit dem Ziel geführt, den Gegner parallel zu den laufenden diplomatischen Verhandlungen zu zermürben (Das Laboratorium eines Konflikts. Das Elsass im Spanischen Erbfolgekrieg 1701–1714). Die Landesherren der rheinisch-westfälischen, mittel- und oberrheinischen Territorien gehörten freilich nicht oder nur teilweise zu den Akteuren der genannten Kriege. Ihre Länder bildeten aber aufgrund der Nähe zu den im politischen Umbruch befindlichen Niederlanden und dem expandierenden Frankreich zentrale Schauplätze von Kriegshandlungen, waren Rückzugs- und Durchzugsgebiet von Söldnerheeren und Migrationsziel zahlreicher Flüchtlinge.60 In verschiedenen Beiträgen werden die Konsequenzen dieses Szenarios für die lokale Bevölkerung geschildert. So zeigt Thomas P. Becker am Beispiel des Kölner Krieges, dass der Krieg nicht nur unendliches Leid durch Plünderungen, Vergewaltigungen, Ranzionieren oder Mord und Totschlag mit sich brachte, sondern aufgrund der Zerstörungen und der kriegsbedingten Verschuldung von Bevölkerung, Städten und Landesherrschaft auch längerfristig enorme wirtschaftliche Belastungen zur Folge hatte (Der Alltag des Krieges. Das Rheinland im Kölner Krieg). Die vielfach ausgeübte Gewalt steht auch im Mittelpunkt des Beitrags von Ren¦ Hanke, der sich auf der Grundlage der Überlieferung im Landeshauptarchiv Koblenz in einer langen zeitlichen Perspektive vom Beginn des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges mit dem Verhältnis von Militär und Zivilbevölkerung im Rheinland befasst und dabei intensive Einblicke in den dörflichen (Kriegs-)Alltag gibt (Bürger und 59 John A. Lynn, The wars of Louis XIV 1667–1714, London u. a. 1999, insb. S. 367–376. 60 Zur geopolitischen Lage des Rheinlandes und den Einwirkungen Frankreichs und der Niederlande vgl. neben den grundlegenden, in Anm. 17 genannten Überblicken von Petri und Braubach in jüngerer Zeit Helmut Gabel, Der Kölner Kurstaat und das Rheinland im Spannungsfeld der europäischen Mächte. Voraussetzungen und Entwicklungslinien mächtepolitischer Orientierung vom Westfälischen Frieden bis zum Ende des Ancien R¦gime, in: Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Im Wechselspiel der Kräfte. Politische Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts in Kurköln, Köln 1999, S. 43–61; Jörg Engelbrecht, Ein hortus bellicus. Das nördliche Rheinland als kriegerisches und militärisches Durchgangsland in der Neuzeit, in: ders., Clemens von Looz-Corswarem (Hrsg.), Krieg und Frieden in Düsseldorf. Sichtbare Zeichen der Vergangenheit, Düsseldorf 2004, S. 15–34; Johannes Arndt, Die Verflechtung des Rheinlandes mit dem politisch-rechtlichen System des Alten Reiches 1648–1806, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 208 (2005), S. 155–174; ders., Der Niederrhein zwischen dem niederländischen Aufstand und dem Dreißigjährigen Krieg, in: Groten u. a., Erbstreit (wie Anm. 58), S. 163–176; Jörg Engelbrecht, Außenpolitische Handlungsspielräume rheinischer Barockfürsten, in: Benedikt Mauer (Hrsg.), Barocke Herrschaft am Rhein um 1700. Kurfürst Johann Wilhelm II. und seine Zeit, Düsseldorf 2009, S. 117–130.

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Soldaten. Erfahrungen rheinischer Gemeinden mit dem Militär 1618–1714). Auf dieser Ebene war von einer Disziplinierung und organisatorischen Verbesserung des Militärs im Zuge der sogenannten militärischen Revolution des 17. Jahrhunderts kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil: Die immer größeren Heere mussten aus dem Land versorgt werden; Kontributionen und Einquartierungen mit ihren vielfach gewaltsamen Begleiterscheinungen gehörten längerfristig zum Alltag des Krieges. Gewalt ging nicht allein von regulären Truppen aus, sondern auch von außerhalb der Heere agierenden Kombattanten, wie Gerhard Fritz anhand der ›Schnapphähne‹ in Südwestdeutschland zeigt (Kriegsführung – Kriegskriminalität – Kriegsflüchtlinge. Überlegungen zur Zeit zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs und dem Pfälzischen und Spanischen Erbfolgekrieg in Südwestdeutschland). Teilweise handelte es sich bei den Schnapphähnen auch um organisierte Banden mit kriminellem Hintergrund. Die Übergänge zwischen Kriegsführung und Kriminalität scheinen hier fließend, wie überhaupt interessante Wechselwirkungen zwischen beiden Feldern zu konstatieren sind, denen der Autor ausführlich nachgeht. Der zu konstatierende Anstieg von Kriminalität nach dem Ende von kriegerischen Auseinandersetzungen bedeutete für die Bevölkerung in der Regel die Fortsetzung von Gewalterfahrungen. Auch die von Fritz abschließend skizzierten kriegsbedingten Fluchtbewegungen zeitigten Folgen, die lange über die eigentlichen Kriegshandlungen hinausreichten. Während die genannten Beiträge ihre Einsichten aus Akten unterschiedlicher Provenienz gewinnen, befasst sich Guy Thewes mit Selbstzeugnissen und bringt damit eine stärker individuell geprägte Perspektive in die Diskussion ein (Kriegserfahrung und Krisenbewältigung in Luxemburger Selbstzeugnissen des späten 17. Jahrhunderts). Auch hier findet sich das ganze Spektrum von Kriegserfahrungen, und es werden die Bemühungen der Menschen deutlich, mit der Situation umzugehen. Noch genauer nachvollziehbar werden darüber hinaus aber auch – wie wir es schon bei Weinsberg gesehen haben – die individuellen Wahrnehmungen und Bewertungen der Ereignisse sowie die Versuche, das Geschehen in kohärente Erzählungen einzufügen und damit Ordnung in das Chaos des Erlebten zu bringen. Das gilt insbesondere für die Konstruktion von Feindbildern und die damit zusammenhängende Bewertung der Legitimität von Besatzungen und Herrschaftswechseln. Abgesehen von den kollektiven und individuellen, leidvollen Kriegserfahrungen resultierte die ständige Anwesenheit des Krieges in Anpassungen und Veränderungen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens, seien es die regionale Wirtschaft,61 Kirchen und Klöster62 oder Schulen und Universitäten,63 61 Vgl. jüngst die einschlägige Studie von Marjolein ’t Hart, The Dutch wars of independence. Warfare and commerce in the Netherlands 1570–1680, London u. a. 2014.

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seien es die Lebenswelten der Menschen und das alltägliche Zusammenleben.64 Nicht zuletzt bedeuteten die Kriegsereignisse für die Bevölkerung einen so nie da gewesenen Kontakt mit Fremden, namentlich Söldnern und Flüchtlingen.65 Die Kriegsfolgen waren dabei durchaus ambivalent. Neben der ohne Zweifel dominierenden Katastrophe bot der Krieg – so zynisch das klingen mag – immer wieder auch Chancen, etwa für Handwerk und Gewerbe beim Festungsbau oder der Versorgung von Truppen, für Neugründungen von geistlichen Institutionen und Bildungseinrichtungen oder für kulturelle Transfers.66 Ein Beispiel für letzteres ist der Festungsbau, der im Reich seit dem 16. Jahrhundert maßgeblich durch die Heranziehung von italienischen Spezialisten betrieben wurde. Die Kriege des langen 17. Jahrhunderts hatten im Westen des Reiches für diese spezifische Bauaufgabe eine geradezu katalysatorische Wirkung. Die allgemeine Entwicklung des Festungsbaus in der Frühen Neuzeit und der diesbezüglichen Spezifika im nördlichen Rheinland werden ausführlich von Guido von Büren 62 Vgl. nur die zahlreichen Hinweise in Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815, bislang 2 Bde, Siegburg 2009/13; hierzu knapp Michael Kaiser, Die Kapuziner in der Schenkenschanz (1635), in: dk-blog [05. 02. 2013], URL: http://dkblog.hypotheses.org/82 (11. 06. 2015); ders., Rheinische Klöster im Dreißigjährigen Krieg, in: dk-blog [23. 04. 2013], URL: http://dkblog.hypotheses.org/167 (11. 06. 2015). 63 Vgl. für das Schulwesen die interessante These von Johannes Kistenich, Bettelmönche im öffentlichen Schulwesen. Ein Handbuch für die Erzdiözese Köln 1600 bis 1850, 2 Bde, Köln u. a. 2001, S. 114–123 (»Krieg macht Schule«); für die Universitäten u. a. Thomas Kossert (Hrsg.), Universitäten im Dreißigjährigen Krieg (= Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 15 [2011], Heft 1), Potsdam 2011. 64 Vgl. u. a. Karen Hagemann, Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt/M. 1998; Kroll, Krüger, Militär (wie Anm. 16); Beate Engelen, Soldatenfrauen in Preußen. Eine Strukturanalyse der Garnisonsgesellschaft im späten 17. und im 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005; John A. Lynn, Women, armies, and warfare in early modern Europe, Cambridge u. a. 2008. 65 Vgl. allg. Asche u. a., Krieg (wie Anm. 16); außerdem jüngst ders., Migrationsregime und Migrationssysteme nach dem Dreißigjährigen Krieg. Zur Bedeutung kriegsbedingter Einwanderungsvorgänge für die (Re-)Konstruktion und den Wandel ländlicher Gesellschaften am Beispiel Norddeutschlands, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 61 (2013), S. 13–26. 66 Vgl. nur die in Anm. 61–65 genannte Literatur. Ein interessanter Quellenbeleg für die Ambivalenz des Krieges sei hier nur am Rande erwähnt: Im Dreißigjährigen Krieg nutzte Wilhelm Schickhard bei der Vermessung des Herzogtums Württemberg brennende Städte für Peilungen: »[Als] das stättlein Openaw abgebrunnen / daß ich den Rauch / in gestalt einer geraden Saul sich erheben [sah]«. Die katastrophalen Kriegsereignisse verbesserten also die Möglichkeiten einer exakten Landesvermessung und inspirierten sogar zu neuartigen Verfahren, denn in gleicher Weise könne man auch selbst Feuer oder Feuerwerk machen, indem »Büchsenmaister / mit grossen Raggeten / bey nacht / auß tieffen Thälern / eine losung oder warzeichen hierzu geben«, Wilhelm Schickhard, Kurze Anweisung wie künstlice Landtafeln auß rechtem Grund zu machen und die biß her begengene Irrthumb zu verbessern, Tübingen 1629, S. 16f.

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und Marc Grellert vorgestellt, wobei sie insbesondere auf Jülich, Kalkar und Bonn eingehen. Darüber hinaus erläutern die Autoren die Möglichkeiten der virtuellen Rekonstruktion von Festungsanlagen am Beispiel der jüngst archäologisch untersuchten Bonner Heinrichbastion. Ein diesbezüglicher Film ist dem Sammelband als DVD beigegeben (Architectura militaris im langen 17. Jahrhundert am Rhein, mit einer virtuellen Rekonstruktion der Bonner Heinrichbastion). Mit Blick auf die gesellschaftlichen Kriegsfolgen widmen sich Matthias Asche, Susanne Häcker und Patrick Schiele der Entwicklung des Universitätswesens im Westen des Reiches während des Dreißigjährigen Krieges (Studieren im Krieg. Die Universitäten entlang des Rheins im (Wind-)Schatten des Dreißigjährigen Krieges). Deutlich wird, dass der Krieg zwar enorme Belastungen und Herausforderungen für die Universitäten darstellte, etwa Einschränkungen im Lehrbetrieb, gelegentlich auch die zeitweilige Einstellung desselben, das Ausweichen von Studenten und Professoren an andere Hochschulen, die Konversion von Universitätsverwandten oder die Heranziehung von Studenten zur Stadtverteidigung. Ein mit der Reformationszeit oder dem Ende des Alten Reiches vergleichbarer Einbruch des universitären Lebens fand allerdings nicht statt, wie nicht zuletzt die Regeneration der Universitäten wenige Jahre nach dem Krieg zeigt. Die vielfach katastrophalen Auswirkungen des Krieges auf die Wirtschaft werden in dem bereits erwähnten Beitrag von Becker beleuchtet, der unter anderem auf die kriegsbedingten Gefahren für Kaufleute sowie das Lizentenwesen eingeht, aber auch die längerfristigen ökonomischen Folgen durch kriegsbedingte Verschuldung in den Blick nimmt. Auch Hanke geht auf dieses Problem für die von ihm behandelten Landgemeinden ein. Astrid Ackermann betrachtet das Problem der Kriegsökonomie hingegen aus der Perspektive der Heerführer und der militärischen Notwendigkeit der Truppenversorgung (Die Versorgung als kriegsentscheidendes Machtmittel und die publizistische Wahrnehmung des Krieges. Der Dreißigjährige Krieg am Oberrhein). Am Beispiel der Eroberung Breisachs durch Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar im Jahre 1638 identifiziert sie die gelungene Verproviantierung der Soldaten als ein kriegsentscheidendes Mittel, das in seiner Bedeutung auch von der zeitgenössischen Publizistik wahrgenommen und propagandistisch genutzt wurde. Die Wahrnehmung der Kriegsereignisse in der europäischen Öffentlichkeit und deren Verarbeitung in Publizistik, Literatur und Kunst67 sowie die hieraus 67 Vgl. u. a. Holger Th. Gräf, Die Schrecken des Krieges. Bilder vom Kriege aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Jacques Callot, Matthäus Merian und Valentin Wagner, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 59 (2001), S. 139–166; Nowosadtko, Rogg, Mars (wie Anm. 16); Birgit Emich, Gabriela Signori (Hrsg.), Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2009; Ramon Voges, Augenzeugenschaft und Evidenz. Die Bildberichte Franz und Abraham Hogenbergs als visuelle Historiographie, in: Sibylle Schmidt u. a. (Hrsg.), Politik der Zeugenschaft. Zur Kritik einer Wissenspraxis, Bielefeld 2011, S. 159–181.

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erwachsenden Erinnerungskulturen68 sind in den letzten Jahren intensiver in der Forschung diskutiert worden. Neben Ackermann beschäftigt sich im vorliegenden Band auch Guillaume van Gemert mit der Publizistik, genauer mit der Darstellung der niederländischen Kriege in deutschen und niederländischen Flugschriften des 17. Jahrhunderts (Das Dutch miracle und sein publizistisches Umfeld. Zum Widerhall der niederländischen Kriege des langen 17. Jahrhunderts in deutschen und niederländischen Flugschriften der Zeit). Anhand einer kursorischen Auswertung der Flugschriftenproduktion zu zentralen Ereignissen der niederländischen (Kriegs-)Geschichte zwischen 1568 und 1713 rekonstruiert er das Niederlandebild im Reich und das niederländische Selbstbild. Dabei arbeitet er detailliert die große Bedeutung heraus, die publizistischen Offensiven im Rahmen der niederländischen Kriegspolitik zukamen, um die Kriegshandlungen nach innen zu rechtfertigen und nach außen – insbesondere im Reich – um Sympathie zu werben. Auch Emilie Dosquet legt einen mediengeschichtlichen Beitrag vor. Ihr geht es um die Frage, wie aus einer Vielzahl geographisch verstreuter und chronologisch nicht unbedingt zusammenhängender französischer Kriegshandlungen im Westen des Reiches das Ereignis ›Verwüstung der Pfalz‹ konstruiert wurde (Die Verwüstung der Pfalz als (Medien-)Ereignis. Von der rheinländischen Kriegshandlung zum europäischen Skandal). Hieran hatten die Druckmedien in ganz Europa entscheidenden Anteil, indem sie die einzelnen Kriegshandlungen als Teil eines fortlaufenden Geschehens beschrieben, den Ausnahmecharakter der Militäroperationen – nicht zuletzt vor dem Ideal des iustum bellum – betonten und ihre Berichterstattung vor allem auf die Pfalz richteten, obwohl auch andere Teile des Reiches betroffen waren. Die von den Druckmedien hervorgebrachte Wahrnehmung der ›Verwüstung der Pfalz‹ prägte auch die spätere Historiographie sowie die europäische Erinnerungskultur. Die Erinnerung an den Krieg spielt auch in der Literatur der Zeit eine wichtige Rolle, namentlich bei dem von Stephan Kraft behandelten Grimmelshausen (Grimmelshausens Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch, der Krieg am Oberrhein und die Wiederkehr des Ewiggleichen). In literaturwissenschaftlicher Perspektive analysiert Kraft die Erzähllogik des Simplicissimus und fragt nach der Bedeutung des Ortes ›Oberrhein‹ im Roman, der sich insbesondere als Ort des Erinnerns, des Erzählens vom Krieg erweist. Dieses Erzählen beinhaltet Vgl. jetzt auch die methodischen Überlegungen von Marian Füssel, Michael Sikora, Einführung. Schlachtengeschichte als Kulturgeschichte, in: dies. (Hrsg.), Kulturgeschichte der Schlacht, Paderborn u. a. 2014, S. 11–26, hier insb. S. 22–26. 68 Vgl. insb. Carl, Planert, Erinnerungskulturen (wie Anm. 16). Ausführlich analysiert wird die militärische Erinnerungskultur auch in der Studie von Anika Bethan, Napoleons Königreich Westphalen. Lokale, deutsche und europäische Erinnerungen, Paderborn u. a. 2012, S. 45–129.

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natürlich die unseren Sammelband durchziehenden Schilderungen vom Schrecken des Krieges für die Zivilbevölkerung, von einer skrupellosen Soldateska und schließlich von der endlosen Dauer des Kriegszustandes, die es nötig, teilweise vielleicht sogar wünschenswert machte, sich darin einzurichten. Diese Erfahrungen werden die Figuren des Romans nicht mehr los, auch nicht nach dem Ende der Kampfhandlungen. Darüber hinaus wird bei Grimmelshausen noch eine andere Facette des Krieges angesprochen, die uns zu unserem Gewährsmann Hermann Weinsberg zurückführt: die Erfahrung, dass Gewalt in den Zeitläuften nicht nur von außen, sondern auch von innen kommt. Bei Weinsberg waren es die spanischen und kurkölnischen Soldaten, die doch eigentlich ›frunde‹ sein sollten und sich trotzdem wie ›viant‹ aufführten, sowie der Neffe Johann, der als Landsknecht in Friesland wütete. Grimmelshausen geht noch einen Schritt weiter, indem er seinen Helden nicht nur als Opfer zeigt, sondern selbst zum Täter werden lässt, der sich freilich wiederum zum Opfer der Verhältnisse stilisieren darf oder auf andere verweist, die es noch schlimmer trieben. Das ganze menschliche Drama des Krieges und die Hybris, die er gebiert, werden damit in geradezu zeitloser Schonungslosigkeit entlarvt.

I. Krieg

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Der Herzog von Alba und die deutschen Städte im Westen des Reiches 1567–1573. Köln, Aachen und Trier im Vergleich

I.

Einleitung

Die Zeit der Statthalterschaft des Herzogs von Alba in den Niederlanden kann zu den wesentlichen Phasen eines beschleunigten Umbruchs während der frühneuzeitlichen europäischen Geschichte gerechnet werden. Die etwas mehr als sechs Jahre, die der dritte Herzog von Alba, Don Fernando Ýlvarez de Toledo y Pimentel, als Statthalter in den Niederlanden verbrachte, haben daher auch nicht umsonst eine intensive Aufmerksamkeit von Historikern erfahren.1 In den meisten Darstellungen zu den sechs Jahren zwischen dem 22. August 1567, als Alba in Brüssel einzog, und dem 17. November 1573, als sein Nachfolger Don Luis de Requesens y ZfflÇiga ihn ablöste, werden bis heute vor allem das politisch-militärische Geschehen in den Niederlanden und die diplomatischen Verwicklungen zwischen den mächtigen Höfen und Machtzentren Europas hervorgehoben.2 Im Folgenden soll ein Aspekt im ›Windschatten‹ der großen Politik in den Blick genommen werden. Die Politik zwischen dem Statthalter in Brüssel und den kleinen deutschen Akteuren im Westen des Reiches, die an der Grenze zu 1 Die weiterhin beste Biographie über Alba ist William Maltby, Alba. A biography of Fernando Alvarez de Toledo, third duke of Alba 1507–1582, Berkeley 1983; etwas stärker kommentierend und mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Albas Zeit in den Niederlanden ist die Biographie von Henry Kamen, The duke of Alba, London 2004. 2 Die klassische englischsprachige Übersichtsstudie, die der Forschung zum niederländischen Aufstand wichtige Impulse verliehen hat, stammt von Geoffrey Parker, The Dutch revolt, 2. Aufl., London 1985. Eine eingängige Übersicht des Geschehens liefert Jonathan Israel, The Dutch republic. Its rise, greatness, and fall 1477–1806, 2. Aufl., Oxford 1998, S. 129–183. Eher skeptisch beurteilt wird in der Fachwelt ein systemtheoretischer Analyseversuch des Aufstandes von Dirk Maczkiewitz, Der niederländische Aufstand gegen Spanien (1568–1609). Eine kommunikationswissenschaftliche Analyse, Münster 2005. Die aktuellste mir bekannte umfassendere Studie liefert James D. Tracy, The founding of the Dutch republic. War, finance, and politics in Holland, 1572–1588, Oxford 2008. Eine auf die Kultur und Inszenierung der Revolte zielende Analyse wurde jüngst vorgelegt von Peter Arnade, Beggars, iconoclasts, and civic patriots. The political culture of the Dutch revolt, Ithaca 2008.

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den Niederlanden gelegen und mit diesen durch mannigfaltige Verbindungen – vor allem wirtschaftlicher und familiärer Natur – auf das Intensivste verknüpft waren, kann unsere Sicht auf Albas Amtszeit und ihre Fernwirkungen auf das Rheinland in wichtigen Nuancen erweitern. Der Rhein-Maas-Raum war damals eines der wirtschaftlich am stärksten entwickelten Gebiete Europas, dicht besiedelt und bei aller politischen Fragmentierung generell durch ein hohes Maß an Ständemacht – unabhängig von der jeweiligen politischen Einheit – gekennzeichnet. Zu Beginn der Statthalterschaft Albas hatten die Städte dieses Gebietes als Transit- aber auch Produktionsorte über Frankfurt einen intensiven Bezug zu den Handelszentren Oberdeutschlands und Oberitaliens sowie über die Hanse bis ins Baltikum und natürlich zum europäischen Handelszentrum Antwerpen mitsamt dessen gewerblich relativ entwickelten Umland. In der Literatur wird der von Niederrhein, Maas und Schelde definierte Raum als wirtschaftlich eng zusammenhängend, als sogenannte ›ökonomische Landschaft‹ seit dem Mittelalter betrachtet. Er zeichnete sich laut dieser Sichtweise durch einen hohen Grad an Urbanisierung und zahlreiche verflochtene Produktionszentren aus.3 Der wirtschaftliche Austausch hatte sich seit Jahrhunderten zu einem relativ stabilen System entwickelt, und gerade vom jüngeren Niedergang der Hanse von Beginn bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts war das Kölner Quartier ebenso verschont geblieben wie von den kriegerischen Konfrontationen zwischen Schmalkaldischem Bund und Kaiser Karl V.4 In Religionsfragen 3 Konstatin Höhlbaum, Inventare hansischer Archive des 16. Jahrhunderts, Bd. 1: Kölner Inventar, Leipzig 1896, S. X–XII. Das Konzept blieb immer nur ein angedeutetes Stückwerk bei Rudolf Häpke, Die Entstehung der holländischen Wirtschaft. Ein Beitrag zur Lehre von der ökonomischen Landschaft, Berlin 1928; ders., Brügges Entwicklung zum mittelalterlichen Weltmarkt, Berlin 1908, S. 79–93. Heutzutage geht die Forschung grundsätzlich von der Idee eines eng verbundenen niederrheinischen Delta-Raumes von Schelde, Maas, Rhein und Ems aus: Anton Legner (Hrsg.), Rhein und Maas. Kunst und Kultur 800–1400, 2 Bde, Köln 1972/73; Jörg Engelbrecht, Verkehrs- und Kommunikationsbeziehungen zwischen Köln und dem Niederrhein, in: Dieter Geuenich (Hrsg.), Köln und die Niederrheinlande in ihren historischen Raumbeziehungen (15.–20. Jahrhundert), Pulheim 2000, S. 239–255. 4 Die Forschungslage ist zum Thema der wirtschaftlichen Entwicklung für Köln am besten, vgl. Ermentrude von Ranke, Köln und das Rheinland. Ein Ausschnitt aus dem Wirtschaftsleben des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Hansische Geschichtsblätter 47 (1922), S. 25–71; dies., Kölns binnendeutscher Verkehr im 16. und 17. Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 49 (1924), S. 64–77; dies., Die wirtschaftlichen Beziehungen Kölns zu Frankfurt a. M., Süddeutschland und Italien im 16. und 17. Jahrhundert (1500–1650), in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 17 (1924), S. 54–94; Hildegard Thierfelder, Köln und die Hanse, Köln 1970, S. 12–14; Gertrud Susanna Gramulla, Handelsbeziehungen Kölner Kaufleute zwischen 1500 und 1650, Köln u. a. 1972; Hermann Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte Kölns im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, Bd. 1, Köln 1975, S. 321–427. Eine gelungene Kontextualisierung des Gesamtrahmens findet sich in einer anhand ihres Titels eher speziell anmutenden Studie von Claudia Schnurmann, Kommerz und Klüngel. Der Englandhandel Kölner Kaufleute im 16. Jahrhundert, Göttingen 1991, S. 14–45.

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herrschte, bei aller Vorsicht, die man bei solchen generalisierenden Aussagen anbringen muss, bis in die frühen 1560er Jahre eher eine erasmianisch geprägte Toleranzeinstellung vor, die vom Hof des Herzogtums Jülich ausging.5 Ohne ein zu harmonisches Bild zeichnen zu wollen, kann man doch sagen, dass das Rheinland in den 1550er und 1560er Jahren eine Phase von Stabilität und wirtschaftlichem Gleichgewicht erlebte.6 Die Statthalterschaft Albas brachte einen deutlichen Bruch. Da das Rheinland als wichtiger Flucht-, Rückzugs- und Aufmarschraum der Gegner Albas fungierte und hier in dichter räumlicher Nähe katholische und calvinistische politische Gebilde sowie verschiedenkonfessionelle Strömungen innerhalb der Bevölkerung nebeneinander bestanden, war das Rheinland ein wichtiges Feld von Albas Außenpolitik. Hier förderte er aktiv den gegenreformatorischen Katholizismus und bekämpfte protestantische Tendenzen.7 Angesichts einer notorischen Schwäche der Exekutivorgane des Reiches und somit ganz grundsätzlich des Zusammenhalts des niedersächsischen und vor allem des westfälischen Reichskreises wurde einem intensiven Einwirken der beiden niederländischen Kriegsparteien in diesem Raum nur wenig entgegengesetzt.8 Im Gegenteil, es lassen sich vielfältige Arten von Kollaboration über die Grenzen feststellen. Nun ist die Thematik der Beziehungen der Niederlande und des Reiches für das Jahrhundert der Religionskonflikte von 1550 bis 1650 alles andere als ein Randthema der derzeitigen historischen Forschung.9 Johannes Arndt und Mo5 Ludwig Keller, Der Kampf um das evangelische Bekenntnis am Niederrhein (1555–1609), in: Historische Zeitschrift 63 (1889), S. 193–241, hier S. 193–200; August Franzen, Das Schicksal des Erasmianismus am Niederrhein im 16. Jahrhundert. Wende und Ausklang der erasmischen Reformbewegung im Reformzeitalter, in: Historisches Jahrbuch 83 (1963), S. 84–112. Vgl. auch Elisabeth M. Kloosterhuis, Erasmusjünger als politische Reformer. Humanismusideal und Herrschaftspraxis am Niederrhein im 16. Jahrhundert, Köln u. a. 2006. 6 Vgl. auch die Andeutungen bei Franz Mathis, Die deutsche Wirtschaft im 16. Jahrhundert, München 1992, S. 19f. 7 Ludwig Keller, Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein, Bd. 1: 1555–1585, Leipzig 1881, S. 19–31. 8 Vgl. das entsprechende harte Urteil von Andreas Schneider, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis im 16. Jahrhundert. Geschichte, Struktur und Funktion eines Verfassungsorgans des Alten Reiches, Düsseldorf 1985, S. 227–229; vgl. dagegen Johannes Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566–1648. Politisch-konfessionelle Verflechtungen und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg, Köln u. a. 1998, S. 138–140. 9 Bis zum Erscheinen von Arndts Studie 1998 konnte man dies jedoch wohl behaupten. Einer der wenigen zuvor explizit zu diesem Thema geschriebenen Artikel stammt von Volker Press, Die Niederlande und das Reich in der frühen Neuzeit, in: Wim Blockmans, Herman van Nuffel (Hrsg.), Êtat et religion aux XVÀme et XVIÀme siÀcle, Brüssel 1986, S. 321–339. Die ältere Forschung um Franz Petri und seine ›Westforschung‹ in der Zeit des Nationalsozialismus mag in den Nachkriegsjahrzehnten eine intensivere Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen Reich und Niederlanden in der Frühen Neuzeit behindert haben, vgl. hierzu Hans Derks, German Westforschung 1918 to the present. The case of Franz Petri, 1903–1993, in: Ingo Haar,

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nique Weis haben erst vor wenigen Jahren viel beachtete und tief aus den Quellen geschöpfte Arbeiten vorgelegt. Mit einer deutlich auf die Beziehungsgeschichte gerichteten Fragestellung konnten sie die großen Leitlinien, aber auch vielfältige Nuancen mit einem Schwerpunkt auf dem hier im Zentrum stehenden Untersuchungszeitraum herausarbeiten. Beide konzentrieren sich vor allem auf den politischen Bruch, also die Kappung der feudalen und reichsrechtlichen Bande zwischen den Niederlanden und dem Reich als Ergebnis des Aufstandes und des folgenden Krieges. Den Schwerpunkt nimmt dabei die Darstellung der Politik der mächtigeren Akteure ein. Bei der Herausarbeitung von grundsätzlichen politischen Linien besticht bei beiden Arbeiten insbesondere die intensive Verwertung von handschriftlichem Archivmaterial aus den einschlägigen Archiven; dies war zuvor noch nicht in dieser Tiefe und Breite vorgenommen worden.10 Eine ähnlich dichte, wenn auch anders gelagerte Arbeit zum Netzwerk König Philipps II. im Heiligen Römischen Reich hat Friedrich Edelmayer verfasst. In dieser finden sich naturgemäß ebenfalls eine Fülle an Bezügen zu den Verbindungen der Niederlande und dem Reich zur Zeit des Aufstandes.11 Mit diesen drei Studien ist der Rahmen einer verfeinerten Beziehungsgeschichte vorgegeben, der allerdings auch weiterhin in vielfältiger Hinsicht noch einer Füllung durch grundlegende Archivstudien und einer weiteren Kontextualisierung insbesondere mit der Wirtschafts- und Konfessionsgeschichte bedarf. Hierzu soll im Folgenden ein kleiner Beitrag geleistet werden. Reichsstädte wie Köln und Aachen oder auf diesen Status hinarbeitende Landstädte wie Trier waren im Untersuchungszeitraum weitgehend autonome bis unabhängige politische Akteure. Auch wenn sie außenpolitisch minder- bis ohnmächtig waren, so konnten sie doch in einem begrenzten Rahmen gegenüber den mächtigeren Akteuren innerhalb wie außerhalb des Reiches selbstständig agieren.12 Dadurch, Michael Fahlbusch (Hrsg.), German scholars and ethnic cleansing 1920–1945, Oxford 2005, S. 175–200. 10 Arndt, Reich (wie Anm. 8). Als Nuance sei angemerkt, dass Arndt noch stärker die kleineren Akteure, vor allem Aachen und Köln, in seine Betrachtung mit aufnimmt und auch der »Mediengeschichte« eine große Aufmerksamkeit widmet. Hingegen ist Weis der neueren Diplomatiegeschichte um Lucien B¦ly verpflichtet, die sich m. E. vor allem durch eine Betonung der individuellen Akteure und ihrer Wirkmacht von der älteren auf Staaten fixierten Richtung unterscheidet, vgl. Monique Weis, Les Pays-Bas espagnols et les ¦tats du Saint Empire (1559–1579). Priorit¦s et enjeux de la diplomatie en temps de troubles, Brüssel 2003. 11 Friedrich Edelmayer, Söldner und Pensionäre. Das Netzwerk Philipps II. im Heiligen Römischen Reich, München 2002. 12 Ein gestiegenes Interesse an den Kleinstaaten zur Vertiefung unseres Verständnisses von vormoderner Staatlichkeit ist in den letzten Jahren deutlich wahrnehmbar, vgl. bspw. den Sammelband von Dieter Langewiesche (Hrsg.), Kleinstaaten in Europa. Symposium am Liechtenstein-Institut zum Jubiläum 200 Jahre Souveränität Fürstentum Liechtenstein 1806–2006, Schaan 2007; oder den grundlegenden Aufsatz von Matthias Schnettger, Kleinstaaten in der Frühen Neuzeit. Konturen eines Forschungsfeldes, in: Historische Zeitschrift

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dass sie als politische Körperschaften wahrgenommen wurden und ihre Korrespondenz an die mächtigeren Akteure richten konnten, hatten sie die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die wesentlichen Entscheidungsträger.13 Ihre Anliegen standen zur Zeit Albas häufig in Zusammenhang mit aktuellen Kriegsgeschehnissen, schlossen aber auch langfristigere Ziele ein. Städte hatten im allgemeinsten Sinne immer ein Interesse an der Wahrung ihrer Unabhängigkeit und der möglichst weitreichenden Freiheit des Handels. Beides war kurzwie langfristig deutlich durch Krieg in der Nähe gefährdet. Monique Weis hat auf den erstrangigen Quellenbestand der Deutschen Kanzlei in Brüssel hingewiesen und die äquivalenten Bestände in den entsprechenden deutschen Archiven für das späte 16. Jahrhundert als eher marginal bezeichnet.14 Im Allgemeinen Reichsarchiv Brüssel befinden sich die bislang erstaunlich selten in der Forschung verwendeten Akten der Korrespondenz zwischen Alba und den souveränen politischen Gebilden des Rheinlandes im Bestand der »niederburgundischen hochdeutschen Kanzlei«.15 Seit 1548 existierte die zumeist unter der Bezeichnung »Secr¦tairerie d’¦tat d’Allemagne« bekannte Behörde. Insbesondere im späten 16. Jahrhundert war diese Kanzlei eine der wesentlichen Schaltstellen der niederländischen Politik. Sie hatte zeitweise den Charakter eines Ministeriums für Deutschlandpolitik, insbesondere zur Zeit des beginnenden niederländischen Aufstandes.16 In dieser Funktion war

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286 (2008), S. 605–640. Es sei angemerkt, dass bei den genannten Publikationen häufig die Reichsstädte mit kleineren weltlichen oder geistlichen Territorien in einem Zusammenhang betrachtet werden. Hier möchte ich etwas stärker für eine getrennte Analyse aufgrund der doch recht anderen Systemlogik plädieren. Es sei nur darauf verwiesen, dass die dynastische Option für die politische Führung von Reichsstädten ausschied, ein kaum hoch genug zu veranschlagender Unterschied. Zu den Reichsstädten vgl. insb. Andr¦ Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; ders., Das diplomatische Zeremoniell der Reichsstädte, oder : Was heißt Stadtfreiheit in der Fürstengesellschaft, in: Historische Zeitschrift 281 (2007), S. 1–30. Es wurde in der Forschung betont, dass die Aufnahme von Gesandten als ein wesentliches Merkmal von Souveränität in der Vormoderne anzusehen sei, vgl. bspw. Robert Jackson, Sovereignty. The evolution of an idea, Cambridge 2007. Bislang kaum formuliert finde ich hingegen die Ansicht, dass, wenngleich in geringerem Maße, auch durch eine reguläre Korrespondenz zwischen verschiedenen politischen Gebilden eine Aufwertung des Partners stattfindet, die auch eine Form von Anerkennung von politischer Legitimität bis hin zur Souveränität beinhaltet, vgl. in einem zeitlich ähnlichen, aber doch differenten Fall Annette Finley-Croswhite, Henry IVand the towns. The pursuit of legitimacy in French urban society, 1589–1610, Cambridge 2006. Weis, Pays-Bas (wie Anm. 10), S. 10f. Vgl. zur deutschen Bezeichnung Rudolf Häpke, Reiseberichte I, in: Hansische Geschichtsblätter 14 (1908), S. 515–525, hier S. 517. Weis, Pays-Bas (wie Anm. 10), S. 41–51, spricht von der Ära Scharberger, die von 1553–1579 gedauert habe. In dieser Zeit habe der Leiter der deutschen Kanzlei, Urban Scharberger, die Reichspolitik der spanischen Niederlande wie kein zweiter bestimmt und nie wieder habe einer seiner Nachfolger dem deutschen Sekretariat eine solche Bedeutung gebracht.

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sie weitgehend, aber nicht nur für die diplomatischen Beziehungen mit den Reichsständen und die Vertretung des burgundischen Reichskreises auf den Reichsversammlungen zuständig.17 Die von der Kanzlei empfangenen Schreiben sind in der Regel mit den Entwürfen der Antwortschreiben konserviert, sodass sich die Kommunikationsabläufe meist lückenlos rekonstruieren lassen. Für die Erforschung der deutschen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts ist dieser Bestand grundsätzlich von eminenter Bedeutung. Analysiert werden sollen hier exemplarisch die Korrespondenzen zwischen der Regierung Albas und den Städten Köln, Aachen und Trier. Die drei rheinischen Städte wurden primär deshalb ausgesucht, weil sie als relativ unabhängige politische Körperschaften traditionell den Kontakt zu den Niederlanden pflegten und eine fundamentale Veränderung ihrer Beziehungen zu diesen im Laufe der Statthalterschaft Albas erleben mussten. Die Voraussetzungen sind bei jeder Stadt deutlich verschieden, es bestehen aber ein paar Ähnlichkeiten im Grundsätzlichen. Die Reichsstadt Köln wandelte sich bereits in den 1520er Jahren zu einer Bastion des Katholizismus18, hatte aber dennoch starke Bindungen an die mehrheitlich protestantische Hanse, da diese wirtschaftliche Vorteile sicherte.19 Köln musste also besonders negativ von einer konfessionellen Eskalation tangiert werden. Die Reichsstadt Aachen hingegen war konfessionell schwankend und tendierte gerade in dieser Zeit immer deutlicher zum Protestantismus.20 Auch hier war eine Verschärfung der innerstädtischen Gegensätze angesichts eines Konfessionskrieges in der direkten Nachbarschaft zu befürchten. Trier war zwar nur eine Landstadt des gleichnamigen Kurfürsten-

17 Die weiteren Funktionen waren die Korrespondenz mit den nordöstlich an das Reich angrenzenden Ländern, Dänemark, Schweden und Polen. Zudem vertrat die Kanzlei die spanischen Niederlande vor dem Reichskammergericht und kümmerte sich um die Verwaltung der deutschen Truppenkörper in den Niederlanden, Weis, Pays-Bas (wie Anm. 10), S. 43. 18 Robert W. Scribner, Warum gab es in Köln keine Reformation?, in: Georg Mölich, Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln 2000, S. 88–109; hierzu auch Manfred Groten, Die nächste Generation. Scribners Thesen aus heutiger Sicht, in: ebd., S. 110–113. 19 Die bislang genaueste und noch dringend einer weiteren Füllung bedürfende Analyse des Verhältnisses von Köln zur Hanse im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert liefert eher nebenbei Johannes Schipmann, Osnabrück und die Hanse im 16. und 17. Jahrhundert, in: Osnabrücker Mitteilungen 109 (2004), S. 94–101. Einen Rahmen für die künftig noch zu leistende genauere Bestimmung des Verhältnisses von Köln zur Hanse liefert Joachim Deeters, Köln auf Reichs- und Hansetagen 1396 bis 1604. Ein Vergleich, in: Hansische Geschichtsblätter 119 (2001) S. 103–133. 20 Die grundlegende Studie zu Aachen bleibt Walter Schmitz, Verfassung und Bekenntnis. Die Aachener Wirren im Spiegel der kaiserlichen Politik (1550–1616), Frankfurt a. M. 1983; einen einführenden Überblick bietet Hansgeorg Molitor, Reformation und Gegenreformation in der Reichsstadt Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 98/99 (1992/ 93), S. 185–203.

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tums und lag meist fern von den Kriegsereignissen in den Niederlanden.21 Ihre konfessionelle Zugehörigkeit war seit der Vertreibung des Predigers Caspar Olevian im Jahr 1559 eigentlich recht eindeutig bestimmt.22 Da die Stadt jedoch in diesen Jahren intensiv nach dem Status einer Reichsstadt strebte und hierbei eine Stütze in ihren alten Verbindungen zu den burgundischen Niederlanden suchte, brachte auch im Moselraum die Statthalterschaft Albas eine wichtige Zäsur. Der Aufsatz versteht sich als ein Beitrag zu einer jüngeren Richtung der Erforschung der Reichsstädte und der Aspiranten auf diesen Status. Ihre Betrachtung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten von einer Idealisierung der Republiken in der Fürstengesellschaft, genauso aber von einer Nichtbeachtung, ja Verachtung der mindermächtigen politischen Akteure im Alten Reich entfernt.23 Die Herausarbeitung der tatsächlichen Leistungen und Möglichkeiten von Reichsstädten oder nach diesem Status strebenden Landstädten mit besonders intensiver Fundierung durch das vorhandene Quellenmaterial verspricht wohl keine völlig neuen Einsichten in die historischen Sachverhalte, wohl aber eine Erweiterung unseres Wissens über das Alte Reich in den Angelegenheiten seiner kleinsten Akteure an der Peripherie. In den einschlägigen Forschungen zu den Städten wurde bislang eher selten auf die ›außenpolitische‹ Lage und Bedingtheit durch innerurbane Entwicklungen rekurriert, erst jüngst ist hier eine Veränderung zu bemerken.24 Im Folgenden stehen vor allem konfessionelle, wirtschaftliche und politische 21 In den jüngeren Arbeiten zu Trier werden dessen Konflikte zum Kurfürsten zwischen 1559 und 1580, übrigens im deutlichen Gegensatz zu einer traditionellen Stadtgeschichtsschreibung, eher kursorisch behandelt, vgl. Richard Laufner, Politische Geschichte, Verfassungsund Verwaltungsgeschichte, in: Kurt Düwell, Franz Irsigler (Hrsg.), Trier in der Neuzeit, Bd. 3, Trier 1988, S. 3–14; Rita Voltmer, Kurtrier zwischen Konsolidierung und Auflösung (16.–18. Jahrhundert), in: Bernhard Schneider, Martin Persch (Hrsg.), Geschichte des Bistums Trier, Bd. 3, Trier 2010, S. 38–54, hier S. 49–51; Wolfgang Schmid, Die Erzbischöfe – Biographische Skizzen, in: ebd., S. 55–101, hier S. 70. Die derzeit aktuellste und m. E. prägnanteste Zusammenfassung liefert Johannes Dillinger, Die Ansprüche Triers auf den Status einer freien Reichsstadt und ihre Bedeutung für die Reformationsgeschichte, in: Michael Embach (Hrsg.), Der Trierer Reichstag von 1512 in seinem historischen Kontext, Trier 2012, S. 203–229. 22 Julius Ney, Die Reformation in Trier 1559 und Ihre Unterdrückung, Halle 1906. 23 Eine gelungene und weit über den im Titel angegebenen Untersuchungszeitraum hinausreichende Synthese der jüngeren Forschungen zur Geschichte von städtischer Autonomie im Alten Reich liefert Thomas Lau, Unruhige Städte. Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt (1648–1806), München 2012. Grundlegende Forschungen zu den civitates mixtae status, zu denen man Trier bis 1580 formal wohl wird rechnen können, stehen noch aus, vgl. vorerst Jochen Rath, »Alss gliedere eines politischen leibes trewlich meinen«. Die Hansestädte und die Konflikte Braunschweigs mit den Welfen im 17. Jahrhundert, Münster 2001, S. 12–22. 24 Vgl. den Sammelband von Michael Jucker, Christian Jörg (Hrsg.), Spezialisierung und Professionalisierung. Träger und Foren städtischer ›Außenpolitik‹ während des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2010.

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Belange mitsamt ihrer gegenseitigen Verflechtungen im Vordergrund. Erstere Themen bestimmen die Korrespondenz der niederländischen Regierung vor allem mit Köln und Aachen weitgehend. Im Falle Triers betrifft der Schriftwechsel hingegen fast ausschließlich politische Angelegenheiten. Vor den eigentlichen Kapiteln wird noch in einem eigenen Abschnitt die gegenseitige ökonomische Durchdringung von Rheinland und Niederlanden aufgezeigt, die gerade für Städte von fundamentaler Wichtigkeit war.

II.

Die Verflechtung des Niederrheins mit den Niederlanden im frühen 16. Jahrhundert

Das Rheinland florierte seit dem Ende des 15. Jahrhunderts im Zuge des starken Aufschwungs der Niederlande. Bis vor wenigen Jahren herrschte in der Forschung noch die Meinung vor, dass die Blüteperiode Antwerpens von 1500 bis 1570 auf drei Säulen basierte: dem transkontinentalen (Metall-)Handel mit süddeutschen Kaufleuten, dem portugiesischen Pfefferhandel und dem Export von Textilien.25 So wahr es ist, diese drei Bereiche als herausragende Wirtschaftsbranchen anzusehen, so sollte man doch den Nahhandel, der Antwerpen eher als Zentrum einer dichten urbanen Zone in den Niederlanden und dem Niederrheingebiet heraushebt, dabei nicht vernachlässigen. Filip Vermeylen konnte zeigen, welche überragende Bedeutung gerade Köln und Aachen im Handel mit Antwerpen hatten; und zwar einerseits als Gateways für den weiteren Handel mit dem deutschen Hinterland, aber andererseits auch für den Nahhandel.26 Hier waren es nicht wie in Süddeutschland wenige reiche Kaufmannsdynastien, die einen Handel mit teuren Gütern kontrollierten, sondern eher eine große Anzahl an kleineren Kaufleuten, die alltägliche Geschäfte mit geringerwertigen Gütern trieben.27 Städte wie Köln und Aachen bezogen aus den Niederlanden Nahrungsmittel (hauptsächlich Hering, Butter und Käse, aber 25 Vgl. insb. Hermann van der Wee, The growth of the Antwerp market and the European economy, Bd. 2: Interpretation, Den Haag 1963, S. 113–207. 26 Ich greife mit dem Begriff des ›Gateway‹ ein derzeit in der niederländischen Wirtschaftsgeschichte höchst populäres Konzept auf. Hier werden spatiale Anordnungen urbaner Räume in Hinsicht auf ihre funktionale Arbeitsteilung in Export- und Importsystemen herausgearbeitet, vgl. die grundlegende Arbeit von Cl¦ Lesger, The rise of the Amsterdam market and information exchange. Merchants, commercial expansion and change in the spatial economy of the Low Countries, c.1550–1630, Aldershot 2007. 27 Leider wurde seine Lizenziatsarbeit nie gedruckt: Filip Vermeylen, De export vanuit de Zuidelijke Nederlanden naar Duitsland omstreeks het midden van de 16de eeuw, Löwen 1989, S. 35–57 u. 90–105. Die statistische Auswertung Vermeylens deutet im Rheinland auf die von der Forschung oft vernachlässigten kleineren, auf die Region hin orientierten Händler, die durch ihre Zahl auch recht deutlich ins Gewicht fielen, vgl. v. a. ebd., S. 39f.

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auch baltisches Getreide), Tuche, Lederwaren, Wachse und Kerzen, Schuhe, Papier und kleinere Kramwaren und versandten meistenteils Metalle, Wein, aber auch Kleidung, während Süddeutschland mit seinen reichen Zentren Nürnberg und Frankfurt stärker Pfeffer, flämische Industrieerzeugnisse oder englische Laken importierte und wiederum Metalle, Rüstungsgüter und Textilien (insbesondere Barchent) exportierte.28 Das klassisch angeführte Unterscheidungsmerkmal von Hansekaufleuten und oberdeutschen Kaufleuten im 16. Jahrhundert scheint sich hier erneut zu bestätigen. Erstere waren nach dieser Leseart eher zahlreich, operierten in Gemeinschaftsgeschäften auf festen Bahnen in geringer räumlicher Ausdehnung und akkumulierten nur wenig Kapital. Letztere bildeten große Firmen, deren Reichweite, Volumen und Kapitalausstattung beeindrucken, was sie aber auch höheren Risiken aussetzte.29 Es sei im Gegensatz zu diesem ersten Eindruck jedoch betont, dass auch im Rheinland in diesen Jahren manche großen Firmen operierten, die den süddeutschen Großkapitalisten durchaus ebenbürtig waren.30 Wichtig ist für uns an dieser Stelle nur zu bestimmen, in welchem Maße die einzelnen Städte von den Märkten in den südlichen Niederlanden abhängig waren und inwieweit sie somit von den Folgen des Krieges betroffen sein mussten. Dies kann aus Platzgründen nur skizzenhaft geschehen. Köln war von den Kriegshandlungen in den Niederlanden schwer betroffen, da seine Handelsbeziehungen nach Westeuropa weitgehend auf Antwerpen basierten.31 In der Forschung wurde herausgearbeitet, in welche schwierige Lage ein zentraler Handelsstrang Kölns wie der Englandhandel durch die Blockade der Scheldestadt geriet.32 Wirtschaft und Handel der Stadt waren jedoch hinreichend diversifiziert, sodass der temporäre Ausfall eines Exporthafens an der Atlantikküste durch eine Umstrukturierung des Handelsgebarens teilweise abgefangen werden konnte. Kölns Lage am Rhein begünstigte im späten 16. Jahrhundert eine Partizipation am Aufstieg der nördlichen Niederlande, weshalb der kurzfristige Schaden zwar deutlich, der mittel- bis langfristige hingegen eher gering

28 Vgl. hierzu v. a. Donald Harreld, High Germans in the Low Countries. German merchants and commerce in Golden Age Antwerp, Leiden 2004, S. 128–171. 29 Zu dieser traditionellen Debatte vgl. Stephan Selzer, Ulf-Christian Ewert, Wirtschaftliche Stärke durch Vernetzung. Zu den Erfolgsfaktoren des hansischen Handels, in: Mark Häberlein, Christof Jeggle (Hrsg.), Praktiken des Handels. Geschäfte und soziale Beziehungen europäischer Kaufleute in Mittelalter und früher Neuzeit, Konstanz 2010, S. 3–69. 30 Claudia Schnurmann identifizierte zwar viele Kleinhändler, aber auch manche Großkaufleute, die ein beachtliches Handelsvolumen bewegen konnten, Schnurmann, Kommerz (wie Anm. 4), S. 53–85, 152–185, 191f., 215 u. 251; Harreld, Germans (wie Anm. 28), S. 156–158. 31 Gramulla, Handelsbeziehungen (wie Anm. 4), S. 321–342. 32 Schnurmann, Kommerz (wie Anm. 4), S. 43, 243–257 u. 263–265.

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war.33 Aachen hingegen war stärker von den südlichen Niederlanden abhängig. Nicht von einem mächtigen Fluss in der Nord-Süd-Richtung durchzogen, war diese Stadt eher auf die Ost-West-Achse der Straße angewiesen.34 In dem Maße, in dem Aachen ab 1568 Randgebiet eines Kriegsgebietes wurde, musste der Handel immer stärker leiden.35 Trier lag zwar am südlichen Rand der spanischen Niederlande und war daher weit weniger von den Kämpfen im Aufstandsgebiet betroffen. Eine gründliche statistische Auswertung von Franz Irsigler zeigt uns dennoch ein extremes Hoch von Getreidepreisen in der Stadt von genau 1570 bis 1574.36 Es steht zu vermuten, dass dies im Zusammenhang des Konfliktes mit dem Erzbischof, einer allgemeinen Erntekrise,37 aber auch dem hohen Getreidebedarf in den spanischen Niederlanden im Zuge der Seeblockade durch die Geusen steht. Auch Trier wurde daher von den Kämpfen in den Niederlanden beeinflusst, jedoch wohl weniger auf langfristige Sicht, da nur ein schwach ausgeprägter Fernhandel nach Nordwesten existierte.38 So war vor allem Aachen auf die südlichen Niederlande bezogen und von diesen abhängig. Für Köln galt dies zwar eigentlich auch, die Stadt konnte jedoch angesichts ihrer Zentrallage den potenziellen Ausfall besser durch alternative Handelsrouten kompensieren. Solange Antwerpen blühte, war Köln intensiv mit diesem verbunden, eine Tatsache, die sich nicht zuletzt in einer Wiederbelebung der Hanse nach 1540 widerspiegelt.39 In der Forschung wird zu wenig berück33 Schnurmann, Kommerz (wie Anm. 4) , S. 98–103; Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 4), S. 389–391. 34 Wolfgang Herborn, Der Antwerpener Markt und die Kauf- und Fuhrmannschaft der Reichsstadt Aachen (1490–1513), in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 90/91 (1983/84), S. 97–147; Reinhold Wacker, Das Verkehrswesen im Rheinland vom 15. Jahrhundert bis 1794, Trier 2008, S. 101–134. 35 Hermann Kellenbenz, Die Wirtschaft des Aachener Bereichs im Gang der Jahrhunderte, in: Clemens Bruckner (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte des Regierungsbezirks Aachen, Köln 1967, S. 459–507, hier S. 473. 36 Franz Irsigler, Wirtschaftsgeschichte der Stadt Trier 1580–1794, in: Düwell, Irsigler, Trier (wie Anm. 21), S. 185. 37 Vgl. Wolfgang Behringer, Die Krise von 1570. Ein Beitrag zur Krisengeschichte der Neuzeit, in: Manfred Jakubowski-Tiessen, Hartmut Lehmann (Hrsg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, S. 51–156. 38 Lukas Clemens, Michael Matheus, Trierer Wirtschaft und Gewerbe im Hoch- und Spätmittelalter, in: Hans Hubert Anton, Alfred Haverkamp (Hrsg.), 2000 Jahre Trier, Bd. 2: Trier im Mittelalter, Trier 1996, S. 528f.; Irsigler, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 36), S. 99–102 u. 145f. 39 Da die Privilegien der Hansekaufleute in den Niederlanden hauptsächlich auf Brügge fixiert worden waren, ging die faktische Verlegung des Kontors im Jahr 1539 nach Antwerpen, den Kaufleuten damit mit einiger Verzögerung folgend, mit dem Verlust der bislang privilegierten Stellung einher. Als 1546 durch Anstrengungen von Kölner und Lübecker Seite ein Vertrag mit Antwerpen zustande kam, der die Privilegien der Hanseaten hier befestigte, war diesem eine fünfjährige intensive Kooperation von beiden Städten vorangegangen. Auch die Ausgestaltung des Vertrages in Zukunft sowie die Verlagerung des Kontorgebäudes von

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sichtigt, dass die Erneuerung des Städtebundes vor allem von Seiten der Reichsstadt Köln ausging.40 Die Stadt hatte sich im späten 15. Jahrhundert von der Hanse distanziert, nun jedoch gewann der Städtebund mit dem Aufstieg Antwerpens erneut an Attraktivität. Der Zusammenbruch der Stellung Antwerpens ging von daher auch nicht zufällig mit einer bald darauf folgenden Abkehr Kölns von der Hanse einher. Da dies im Kern erst nach der hier zu untersuchenden Periode liegt, soll nicht genauer darauf eingegangen werden. Während der Statthalterschaft Albas kann man hingegen eine Gunstphase des Handels feststellen, wie vor allem aus dem Diagramm des Brabantschen Landzolls hervorgeht [Abb. 1].

Abb. 1: Die Einnahmen des Brabantschen Landzolls, markiert ist die Amtszeit Albas. (Die Grafik stammt von Filip Vermeylen, In de ban van Antwerpen. De Kempen in de zestiende eeuw, in: Taxandria. Jaarboek van de koninklijke geschied- en oudheidkundige kring van de antwerpse kempen 63 (1991), S. 229–243, hier S. 232.)

Brügge nach Antwerpen bedurfte einer deutlichen Anstrengung von Seiten der Zentren der Hansepolitik. Vgl. v. a. Walter Evers, Das Hansische Kontor in Antwerpen, Kiel 1915, S. 16–19. 40 Vgl. u. a. die Vorleistungen, die Köln in den 1550er und 1560er Jahren für die Hanse nach eigener Auskunft geleistet hatte, Höhlbaum, Inventare (wie Anm. 3), S. 561f.; Paul Simson, Die Organisation der Hanse in ihrem letzten Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 34 (1907), S. 207–244 u. 381–431, hier S. 214 u. 220. Allerdings war man in Köln kaum bereit, aus der Hanse eine stärker politische Organisation zu machen; das Engagement beschränkte sich auf Handelsangelegenheiten, ebd., S. 381 u. 398–402.

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Man erkennt deutlich, dass Alba eine Lage stabilisierte, die dabei gewesen war, außer Kontrolle zu geraten.41 Mag seine Herrschaft noch so viele harte Züge tragen, bis 1571 kann ihr aus der rein ökonomischen Perspektive der Erfolg nicht abgesprochen werden. Zwar hat Alba einige Zollerhöhungen durchführen lassen, auf die später noch einzugehen sein wird, aber der Anstieg der Gesamteinnahmen des Brabantschen Landzolls von etwa 90.000 auf 130.000 Schillinge ist in erster Linie einer Intensivierung des Handels geschuldet.42 Dass der Anstieg des Landverkehrs durchaus mit einem Erfolg des hansischen Seehandels einhergeht, ist nicht zu bezweifeln. Gerade zu Beginn der 1570er Jahre stand dieser erneut in deutlicher Blüte und rechtfertigte zunächst den teuren Bau eines neuen Kontors.43 Erst in den Jahren nach 1572 kam es mit der Ausweitung des Aufstandes und den Erfolgen der Wassergeusen zu dem bekannten Niedergang des Handels und Antwerpens, was auch mit eine Ursache für die Abberufung Albas darstellte. Festzuhalten ist, dass die Städte des Rheinlandes ein großes Interesse an einer stabilen Lage in den Niederlanden haben mussten und ihnen aus dieser Perspektive die Statthalterschaft Albas entgegenkam. Köln insbesondere musste mehr als alle deutschen Städte Albas Herrschaft eigentlich begrüßen, da die Unterdrückung von Häretikern und die Stärkung von Handel im Kern den Interessen der katholischen Reichsstadt entsprachen. In Aachen war eine andere Sicht zu erwarten, denn diese Stadt war bereits zu Beginn von Albas Statthalterschaft eher philoprotestantisch, wenn auch die Abhängigkeit vom Handel mit den Niederlanden weit mehr als in Köln galt. Der Zusammenhang Triers mit einem stabilen Handel in den Niederlanden kann hier eher angenommen als klar belegt werden, allgemein wird dieser aber auch gegeben gewesen sein. Hier war die primäre Motivation für die Korrespondenz nach Brüssel politischer, nicht wirtschaftlicher Natur.

III.

Die Korrespondenz mit Köln

Zwischen der Regierung Alba und Köln wurden in den Jahren seiner Statthalterschaft über fünfzig Briefe gewechselt. Mit durchschnittlich etwa einem Brief alle eineinhalb Monate in einer Richtung ist der Kontakt damit recht regelmäßig. Es ist auch die mit Abstand höchste Korrespondenzdichte der Brüsseler Re41 Zu den Schwierigkeiten Antwerpens von 1566 bis 1569 vgl. Erich Kuttner, Het Hongerjaar 1566, Amsterdam 1974, S. 351–360; van der Wee, Growth (wie Anm. 25), S. 231–236. 42 Die Belebung des Antwerpener Handels in den Jahren 1570/71 ist in der Forschung bekannt, vgl. van der Wee, Growth (wie Anm. 25), S. 238. Dies gilt auch für die wendischen Hansestädte, Jonathan Israel, Dutch primacy in world trade, Oxford 1989, S. 26. 43 Evers, Kontor (wie Anm. 39), S. 78 u. 111–128.

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gierung mit einer deutschen Stadt. Hier spiegelt sich die überragende Zentralität Kölns für das Rheinland und dessen starke Stellung im beiderseitigen Handel wider. Zudem ist es ein Zeichen von politischer Bedeutung und akademischem Prestige der Reichs- und Universitätsstadt. Da die Korrespondenz recht umfangreich ist, ist es in diesem Fall möglich, politisch-konfessionelle und wirtschaftliche Themen getrennt zu behandeln.

1.

Politische und konfessionelle Themen

Zwischen Köln und Alba ist mit Beginn der Korrespondenz bereits ein gewisses Misstrauen greifbar. Ein Beispiel sei hier einleitend herausgegriffen: Im September 1568 wurde der Kölner Bote gefangen genommen, seiner Briefe beraubt und schwer misshandelt, da er, obwohl des Lesens und Schreibens unkundig, Briefe mit »verdechtlichen, vfrurischen schrifften« überbracht hatte. Die eindringliche Verwendung Kölns für seinen Boten wurde mit der scharfen Ermahnung beantwortet, Köln habe darauf zu achten, dass der Bote in Zukunft keine rebellischen Briefe mehr befördere. Dies musste der Reichsstadt klar machen, wie hier die Gewichte verteilt waren. Man misstraute den Kontaktlinien ins potenziell häretische Reich und fügte Kontrollmechanismen ein, um sich von äußeren Einflüssen zu schützen.44 Dieses Misstrauen war eines der durchgängigen Leitmotive der Brüsseler Politik. Gleich im ersten erhaltenen Brief von Köln vom 12. November 1567 findet sich die grundlegende Linie angedeutet. Alba hatte wegen der Truppen des Herzogs von Oranien angefragt, die sich im Herzogtum Kleve versammelten. Köln schrieb, dies sei ein »hernloser geringer Hauf«, dem man »khein durchzug« gestatten würde. Zudem bot man alle »gutnachbarliche« Hilfe für die Zukunft an.45 Diese Armee der Rebellen wurde am 21. Juli 1568 durch die Truppen Albas in der Schlacht von Jemgum geschlagen. Als Wilhelm I., Fürst von Oranien, im August und September seine nächste Invasion aus dem rheinischen Raum vorbereitete, ließ Alba erneut misstrauische Warnschreiben an Köln senden.46 Diese Armee zerstreute sich wegen Geldmangels im Oktober in den Niederlanden, ohne eine wesentliche Schlacht geschlagen zu haben. Gegenüber diesen Warnschreiben sowie dem nachträglichen Vorwurf im November, Köln habe der Armee Oraniens Zufuhr in Form von Waffen gegeben, betonte die Stadt in ihren

44 Brüssel, Algemeen Rijksarchief, I 074, Duitse Staatssecretarie [im Folgenden: AGR, DS], 185, fol. 17r–18v. 45 AGR, DS, 185, fol. 1r–2v. 46 AGR, DS, 185, fol. 11r–16v.

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Schreiben regelmäßig, zuletzt im Dezember, den Rebellen keinerlei Hilfe gewährt zu haben.47 Für fast ein Jahr fand kein weiterer Briefwechsel zwischen der Reichsstadt und der Brüsseler Regierung statt. Dies war das Jahr der schweren englischniederländischen Krise, die sich an der Beschlagnahmung der spanischen Schiffe in Cornwall im November 1568 entzündet hatte. Diese Krise hat laut der gängigen Literatur ein militärisches Ausgreifen Albas in die deutschen Rheinlande verhindert.48 Auch wenn solche Pläne eventuell von Alba niemals gehegt wurden, so lenkten die Schwierigkeiten mit England die Aufmerksamkeit der spanischen Politik zeitweise offenbar vom Rheinland ab. Erst am 22. August 1569 schickte Köln einen Brief nach Brüssel, in welchem man sich für El¦onore de Montmorency, die Witwe des Grafen von Hoogstraten Antoine II. de Lalaing, einsetzte.49 Sie war eine der vielen Flüchtlinge, die sich in Köln aufhielten und hatte offenbar angesichts der inzwischen vollbrachten Pazifikation und nach dem Tod ihres Mannes im Vorjahr den Wunsch nach Rückkehr in die Niederlande geäußert.50 Die Reaktion aus Brüssel ließ zunächst auf sich warten, fiel dann aber am 22. Dezember 1569 äußerst scharf aus. Man ging auf das Ansinnen der Milde für El¦onore gar nicht ein, sondern schrieb nun einen Drohbrief aufgrund der vielen Flüchtlinge, die sich in der Stadt aufhielten. Man hoffte, stattdessen »Ir wurdet dieser der Kun. Mt. Zu Hispanien unsers gnedigsten Herrn Nider Erblanden unserer Verwaltung offenbaren Vheinden und entwichenen straffmessigen Rebellen bey Euch kain heußliche Beywonung, Herberge oder Vnderschlaiff nicht gestatten, Sondern dieselbigen andern zu einem abscheulichen Exempel von Euch fueglich abgewießen haben«. Da man aber erfahren habe, dass eine große Anzahl dieser Feinde der Spanier sich in Köln aufhielten, forderte man die Stadt etwas undeutlich auf, »das jenige mit dem Werckh erzaigen, was die billigkhait und gutte nachparschafft« erfordere.51 Der Kölner Stadtrat mag es bereut haben, überhaupt die Fürsprache für eine prominente Flüchtlingsfrau geleistet zu haben, zeigte sich aber zunächst in der 47 AGR, DS, 185, fol. 19r–20v. 48 Alexander Franz, Ostfriesland und die Niederlande zur Zeit der Regentschaft Albas 1567 bis 1573, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 11 (1895), S. 1–82 u. 203–398, hier S. 8–10 u. 207f.; Maximilian Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576), Göttingen 1993, S. 150f. 49 AGR, DS, 185, fol. 22r–23r. 50 Zu Flüchtlingen in Köln vgl. Charles Rahlenbeck, Les bannis du duc d’Albe — Cologne, Brüssel 1865, S. 14 u. 22; zu El¦onores Mann, dem berühmten Antoon II van Lalaing, Graf von Hoogstraten vgl. Violet Soen, Vredehandel. Adellijke en Habsburgse verzoeningspogingen tijdens de Nederlandse Opstand, Amsterdam 2012, S. 331f. 51 AGR, DS, 185, fol. 24r–25r. Der scharfe Brief hat einige Berühmtheit in der Literatur erlangt, vgl. Schneider, Kreis (wie Anm. 8), S. 185; Arndt, Reich (wie Anm. 8), S. 193.

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Sache durchaus unnachgiebig. Man nahm sich bis zum 16. Januar 1570 Zeit, um zu antworten – begründet mit »furstehender verenderung des Radtz und Offitiren nach althem prauch dieser Statt«.52 Zustimmend wurde darauf verwiesen, »das von wegen Kauffmans gewerb und gelegenheit des Reinistrombs, vnnd villeicht auch wegen der widderwertigkeit, so In hohit gedachter Khun. Matt. Zu Hispanienn Nider Erblanden vnlangs sich leider zugetragen und empört. In dieser des Heilig. Reichs Statt allerhandt frembdt Volck, Edel vnnd one Edel, Kaufleuthe vnnd andere mehr ankommen, durchreisenn, auch ein Zeitlangk Irenn Pfenning verzeren«. Man habe auch wohl vernommen, dass sich unter diesen auch Personen befänden, die aus den Niederlanden entwichen seien. Da diese aber hier lebten, »one das einich Clagh vber dieselbe biß daher kommen«, hätte man keine Ursache, diese »abzuwerfen«. Bei den meisten Flüchtlingen habe zudem eine genauere Erkundigung ergeben, dass diese gut katholisch lebten. Man garantierte zwar für die Zukunft weiterhin fleißige Erkundigungen, verteidigte im Kern aber die Flüchtlinge und die eigene Souveränität.53 Die Reaktion erfolgte am 4. März 1570 in Form einer Art von Embargo gegen die Kölner Universität. In einem Erlass wurde den niederländischen Studenten nur noch ein Studium »binnen andere Conynckrijcken, Landen oft Staten, van onser onderdanicheyt«, also Spaniens, der spanisch beherrschten Teile Italiens (mit den Universitäten Pavia und Neapel) oder der Stadt Rom gestattet.54 Dieser Schlag musste die Universität Köln, die traditionell von vielen niederländischen Studenten besucht wurde, auf das Schwerste bedrohen.55 Köln gab dementsprechend schnell nach. Am 21. Juli 1570 erließ die Stadt ein Ausweisungsmandat für alle Personen in der Stadt, die nicht nachweisen konnten, dass sie in Frieden von ihrer Obrigkeit geschieden waren und sich nicht eindeutig zum katholischen Glauben bekannten. Am 9. August bereits schickten »Clerus & Vniuersitas S.P.Q. Coloniensis« ein Schreiben nach Brüssel, in dem sie versicherten, dass »falsae ac haereticae religionis homines, qui […] in hac ciuitate 52 Gemeint ist die halbjährliche Neuwahl der Hälfte des Rates; jedes Mitglied konnte also nur ein Jahr amtieren, vgl. zur Verfassungsrealität in Köln in der Frühen Neuzeit Gerd Schwerhoff, Ad populum potestas? Ratsherrschaft und kooperative Partizipation im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Köln, in: Klaus Schreiner (Hrsg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Göttingen 1994, S. 188–243. 53 AGR, DS, 185, fol. 26f.; vgl. auch Hans-Wolfgang Bergerhausen, Die Stadt Köln und die Reichsversammlungen im konfessionellen Zeitalter. Ein Beitrag zur korporativen reichsständischen Politik, 1555–1616, Köln 1990, S. 151f. 54 Gedruckt in Tweeden placaet-bovck inhovdende diversche Ordonnancien, Edicten, ende Placaeten vande Coninclicke Maten ende haere Hoocheden, Grauen van Vlaendren, Mitsgaders van heurliederen Prouincialen Raede aldaer : gepubliceert in Vlaendren, t’zedert den Jaere 1560 tot ende metten Jaere 1629, Gent 1630, S. 1–3. 55 Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die Alte Universität, Köln u. a. 1988, S. 279f.

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domicilium saedesque impune fouere«, aus der Stadt vertrieben würden.56 Am 11. August schritt man tatsächlich zur Exekution des Beschlusses. Die nun einsetzende halbherzige Vertreibungspolitik von Seiten Kölns wurde bereits häufiger in der Literatur behandelt.57 Allein im Jahr 1570 wurden über 2.000 Flüchtlinge der Stadt verwiesen. Köln verschonte allerdings die Kaufleute im Rahmen des Möglichen. Dennoch war der Exodus spektakulär und erzeugte einen entsprechenden Aufschrei innerhalb des protestantischen Deutschland.58 Den hohen politischen und wirtschaftlichen Kosten zum Trotz wurde das gewünschte Ziel nicht erreicht. Eine eigens abgefertigte Gesandtschaft der Universität und der Stadt bekam noch Unterstützung durch den Kölner Kurfürsten Salentin von Isenburg und sogar durch die junge spanische Königin.59 Jedoch zeigte sich Alba unnachgiebig. Die Verordnung des Verbots von auswärtigen Studienaufenthalten für die Niederländer wurde künftig regelmäßig erneuert, aber mit dem Vorbehalt, dass der König oder sein geheimer Rat die Erlaubnis zu einem Studium an einer katholischen Universität erteilen konnten.60 Allerdings half dies der Universität Köln in der Praxis nicht im gewünschten Maße; Studenten aus den Niederlanden suchten die Universität auch in den Folgejahren kaum auf.61 Mittelfristig sollte sich das sogar noch verschlimmern: In den nächsten Dekaden verschärfte die niederländische Regierung das Verbot weiter und isolierte damit das eigene Land langfristig selbst innerhalb der katholischen universitären Landschaft Europas.62 Auch jenseits der Thematik der Universität blieb Köln weiterhin unter 56 AGR, DS, 185, fol. 33r. 57 Eine konzise Darstellung bietet Heinz Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte, Gütersloh 1972, S. 33f.; weiterhin lesenswert ist Max Lossen, Der Kölnische Krieg. Bd. 1: Vorgeschichte 1561–1581, Gotha 1882, S. 179f. 58 Bergerhausen, Stadt (wie Anm. 53), S. 152f. 59 Leonhard Ennen, Geschichte der Stadt Köln. Meist aus den Quellen des Kölner Stadtarchivs, Bd. 5, Köln 1875, S. 839; eine detaillierte Darstellung der Verhandlungen bietet Joseph Hansen, Rheinische Akten zur Geschichte des Jesuitenordens 1542–1582, Bonn 1896, S. 578f., Anm. 1. 60 Hilde de Ridder-Symoens, Peter Vandermeersch, Verbod op studiereizen in de Spaanse Nederlanden, in: Spiegel historiael. Maandblad voor geschiedenis en archeologie 31 (1996), S. 172–178. 61 Zuvor liest man in den Matrikeln noch relativ häufig einen niederländischen Ortszusatz, seit 1570 hört dies in auffälliger Weise fast gänzlich auf: Ulrike Nyassi, Mechtild Wilkes (Bearb.), Die Matrikel der Universität Köln, Bd. 4: 1559–1675, Düsseldorf 1991, S. 57–99 (1568–1575), zu Ausnahmen für niederländische Studenten nach 1570 vgl. u. a. S. 85 (Flander) u. S. 89 (Antwerpiensis). 62 Vgl. die quantitative Auswertung der beantragten Dispense für ein Studium im Ausland; die Marginalität Kölns tritt hierbei deutlich hervor, Hilde de Ridder-Symoens, Êtude du rayonnement national et international d’une universit¦ sans livres matricules. Le cas de l’Universit¦ de Douai 1559–1794, in: Michel Bideaux, Marie-Madeleine Fragonard (Hrsg.), Les ¦changes entre les universit¦s europ¦ennes — la Renaissance, Genf 2003, S. 45–60.

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scharfer Beobachtung: Alba bestand auch in den nächsten Jahren auf einer relativ rigorosen Fremdenpolitik der Stadt. Am 4. Mai 1572 erging an Köln ein Schreiben, in dem es heißt, dass »unß erst gestern von glaubwirdigen orten angelangt, alß sollen sich etliche ufrurische Leithe bey Euch zu Colln in gehaim, umb krieges Volck bewerben«. Man bat um die Abstellung und Verhinderung solcher Vorgänge.63 Am 12. Mai bereits folgte die knappe Antwort Kölns, mit der man versicherte, dass man so etwas in der Stadt nie dulden würde und sich ganz nach dem Landfrieden richte.64 Andersherum sollte dies natürlich nicht gelten. Mit der Intensivierung der Kriegshandlungen seit der Eroberung von Briel durch die Wassergeusen am 1. April 1572 war der Bedarf nach Truppen für die Macht Spaniens gewachsen. Am 16. und am 22. Juli gingen Schreiben von Brüssel nach Köln ab, in denen Nahrungsvorräte bestellt wurden und die Ankunft von Graf Eberstein in der Stadt zu großen Söldnerwerbungen angekündigt wurde.65 Köln sollte aber kein Musterplatz werden, typischerweise war dies in den nächsten Jahren immer das benachbarte Kerpen, welches von 1522 bis 1712 unter spanischer Herrschaft stand. Die Musterungen in der Nachbarschaft sollten Köln noch manchen Verdruss bereiten und eine tiefgreifende Entfremdung zwischen der Reichsstadt und dem spanischen Statthalter auch bezüglich der Wirtschaftsbeziehungen vollenden. Sie werden daher zum Schluss des nächsten Abschnittes eingehender behandelt.

2.

Wirtschaftliche Themen

Die Grundlage des guten Verhältnisses zwischen Köln und den Niederlanden war die Symbiose von Handelsinteressen durch gegenseitige Verflechtung und die Funktion von Antwerpen und Köln als Gateways. Auch hier jedoch schaffte es Alba, die beiderseitigen Beziehungen deutlich zu verschlechtern. Dies begann unmittelbar mit seiner Ankunft. Die Weinhändler in Köln, deren hauptsächlicher Exportmarkt die Niederlande waren, litten seit Albas Ankunft unter der 1567 für ein Jahr eingeführten Abgabe. Diese wurde 1568 auf ein weiteres Jahr verlängert, aber auch danach weiter eingetrieben. »Damit die Kauffleuthe sollicher unbehörlicher lasten enthoben«, wandte sich die Reichsstadt am 24. Februar 1570 an Alba.66 Am 11. März erfolgte eine knappe Antwort. Die Abgabe sei

63 AGR, DS, 185, fol. 76r–v. 64 AGR, DS, 185, fol. 77r–v. 65 AGR, DS, 185, fol. 78r–79v. Zum Kontext der Söldnerwerbungen und der Schwierigkeiten für die spanische Regierung im Reich vgl. Edelmayer, Söldner (wie Anm. 11), S. 225–273, speziell zu Eberstein ebd., S. 250f. 66 AGR, DS, 185, fol. 28r–30v ; Rudolf Häpke, Niederländische Akten und Urkunden zur Ge-

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gering und mit Einwilligung der Landstände eingeführt worden: »Eure Mitbürger noch Jemandeß anderß werden sich angerürter Verordnung mit fueg nicht haben zu beschweren«.67 Aus der oben diskutierten Grafik geht hervor, dass Köln sich durchaus nicht über die Lage des Handels beklagen musste.68 1570 und 1571 florierte der Handel wie selten und dies war offenbar zum großen Teil der Beruhigung zu verdanken, die Alba bewirkt hatte. Die Behinderungen des Hansekontors in Antwerpen in den Jahren des niederländisch-englischen Embargos waren offenbar eher problemlos.69 In dem Moment, in dem jedoch die Kriegshandlungen wieder aufflammten, musste das die Stadt Köln mit ihrer engen Verbindung zu Antwerpen sofort betreffen. Die Ereignisse sind bekannt. Seit April 1572 begannen die Kriegshandlungen im Süden und im Norden der spanischen Niederlande erneut. Die spanische Gegenwehr blieb im Norden eher erfolglos, da die Truppen meistenteils im Süden eingesetzt wurden, um hier auch einen eventuellen Angriff Frankreichs abwehren zu können. Nach der Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August war diese Gefahr vorüber und der Süden konnte schnell vollständig unter spanische Kontrolle gebracht werden. Ab Oktober waren die spanischen Truppen wieder hauptsächlich in den nördlichen Provinzen im Einsatz, wo der Krieg in den nächsten Jahren andauern sollte. Das in wirtschaftshistorischer Sicht fundamentalste Ereignis zu Beginn des neuentflammten Krieges war die Einnahme von Vlissingen durch die Rebellen am 6. April 1572. Damit war für die nächsten 220 Jahre die Scheldemündung in der Hand der sich bald konstituierenden Generalstaaten und Antwerpens Seehandel potenziell dauerhaft gelähmt. Dies musste auch Auswirkungen für den deutschen Handel nach den südlichen Niederlanden haben. Im Zuge des neu ausbrechenden Aufstandes suchte Alba zeitweise – vermutlich mit dem Gedanken, die Reichsstadt Köln als Lockobjekt einzusetzen – ein engeres Bündnis mit dem Kölner Kurfürsten, der selbst bereits 1569 eine Annäherung an Brüssel gesucht hatte.70 Im Jahr 1583 während des Kölner Krieges schrieb Kurfürst Gebhard von Truchseß an die Reichsstadt einen Brandbrief, in dem er behauptete, dass Alba bei der Belagerung von Mons 1572 mit dem damaligen Erzbischof von Köln, Salentin von Isenburg, zusammengetroffen sei und ihm das Angebot gemacht habe, gegen deutliche politische

67 68 69 70

schichte der Hanse und zur deutschen Seegeschichte, Bd. 2: 1558–1669, Lübeck 1923, S. 253f., Nr. 633. AGR, DS, 185, fol. 31r–v ; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 254, Nr. 634. Vgl. Abb. 1. Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 255, Nr. 642; S. 256, Nr. 645 u. S. 258, Nr. 651. Hansgeorg Molitor, Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe, 1515–1688, Köln 2008, S. 200.

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Unterstützung bei einer Eroberung der Stadt behilflich zu sein.71 Unwahrscheinlich scheint Gebhards Darstellung angesichts der Nützlichkeit der Allianz zwischen Alba und den rheinischen geistlichen Kurfürsten nicht, ein eindeutiger Beleg hat sich aber bislang nicht finden lassen. Grundsätzlich herrschte ohnehin immer noch Misstrauen von Brüssel gegenüber der Reichsstadt vor. Am 26. Oktober 1572 ging von Brüssel ein Schreiben an Köln, in dem man nachfragte, ob tatsächlich von Rebellen geraubte Kirchengüter in der Stadt verkauft worden seien, wie man glaubwürdig erfahren habe.72 Die Stadt nutzte in ihrer Antwort vom 7. November 1572 die Gelegenheit für eine ausführliche Darlegung der eigenen Probleme und Beschwerden. Man schrieb, dass im vergangenen Sommer »von Anfangk der emporung biß vff den heutigen dagh« die Kölner Bürger, aber auch die Untertanen von den Kur- und Fürstentümern Mainz, Köln, Trier, Jülich, Kleve, Berg, Mark und Lüttich ihre Waren nach Seeland, Holland, Overijssel und Friesland nach Bezahlung des schuldigen Zolls »vnuerlezt vßgefurt« hätten. Die Ausstellung des Zollscheins gegen Bezahlung nahm man explizit als Genehmigung der spanisch-niederländischen Beamten, die Waren legitim in die Niederlande einzuführen. Man verwies auch auf den Präzedenzfall der Kriege Karls V., denn damals war der Handel mit dem Feind erlaubt geblieben. Nun waren aber bei Amsterdam Waren Kölner Bürger arretiert worden, die für Gebiete unter Kontrolle der Rebellen bestimmt waren; und dies angeblich auf direkten Befehl von Alba. Man bat um künftige Sicherheit der Kaufmannschaft vor solchen Beschlagnahmungen und versicherte zugleich eine genaue Untersuchung der angeblichen Verkäufe von Plündergut in Köln.73 Die Regierung in Brüssel reagierte schnell auf diese umfassende Klageschrift. Bereits am 15. November sandte man eine ausführliche Antwort ab, in der man auf die Tradition von Korrespondenz und Freundschaft seit den Zeiten der Herzöge von Burgund verwies. Im rechtlichen Sachverhalt gab man prinzipiell zwar nicht nach, die Erlaubnisse von Karl V. hatten für reguläre Kriegsgegner und nicht für rebellische Provinzen gegolten. Da die aufgehaltenen Kaufleute jedoch mit den noch unter spanischer Herrschaft stehenden Gebieten hatten handeln wollen, gab man den expliziten Befehl an Maximilien de H¦nin-Li¦tard, den Grafen von Boussu und derzeitigen Statthalter in Holland, die Güter ausnahmsweise freizugeben. Mit den rebellischen Regionen sei ein weiterer Handel 71 Johann Heinrich Hennes, Der Kampf um das Erzstift Köln zur Zeit der Kurfürsten Gebhard Truchsess und Ernst von Baiern, Köln 1878, S. 98–100. Die dauernden Konflikte zwischen Reichsstadt und Kurfürst werden anschaulich geschildert bei Karl H. Graff, Der Kölner Kurfürst Salentin von Isenburg, Köln 1937, S. 35–74; Max Lossen, Der Kölnische Krieg, Bd. 2: Geschichte des Kölnischen Krieges 1582–1586, München u. a. 1897, S. 357f. 72 AGR, DS, 185, fol. 82r–83r. 73 AGR, DS, 185, fol. 84r–89r; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 297, Nr. 744.

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aber verboten. Damit war erstmals ein deutliches Handelsembargo gegen die Aufständischen verhängt worden; eine Traditionsbegründung, die sich mit fundamentalen Fernwirkungen bis 1648 erstrecken sollte.74 Man gab sich auch mit der Antwort zu den geraubten Gütern aus den Kirchen zufrieden und stellte weitere Ermittlungen den Kölnern anheim.75 Nur vier Tage nach Absendung des Briefes aus Brüssel sandte die Stadt Köln am 19. November ein Antwortschreiben an Alba, in dem das Verbot des Handels mit den Rebellen zur Kenntnis genommen und bestätigt wurde. Zugleich bat man jedoch noch inständig um die Aufhebung der geschehenen Arretierung.76 Am 24. November antwortete Brüssel, dass die Kölner bezüglich der Gütererstattung etwas Geduld brauchen würden. Zugleich übersandte man Verbotsmandate betreffend den Kauf geraubter Kirchengüter, die in Köln verlesen werden sollten.77 Am 2. Januar 1573 musste sich Köln jedoch erneut wegen der Arretierung leicht verderblicher Waren seiner Kaufleute beschweren, weil dies einzelne Händler mit dem Ruin bedrohte.78 Alba antwortete erst am 30. Januar aus Nimwegen. Diesmal scheinen die Kaufleute tatsächlich Handel mit den Rebellen versucht zu haben. In der ablehnenden Antwort heißt es, sie würden durch »dise vnd dergleichen Negotiation vnd außfuer an geldt gesterckt vnd also in Jrem strafmessigen freuel vnd vngehortem vnderhalten«. Man bitte die Kölner aber nur um etwas Geduld, die Belagerung der Stadt Haarlem und die weitere Kampagne in Holland nehme »glückliche wege«, der Krieg wäre also wohl bald vorbei.79 Dies half den Händlern jedoch nicht weiter. Am 30. März schickte Köln im Namen der betroffenen Kaufleute erneut ein dringendes Bittgesuch an Alba zur Freigabe der Güter.80 Als das nicht half, sandte die Stadt am 15. April sogar ihren Syndicus Peter von Steinwick und den Sekretär Nikolaus Lieck nach Brüssel, um für ihre Kaufleute zu sprechen.81 Mit Intensivierung der Kriegshandlungen wurde der Ton zwischen Köln und Alba rauer. Am 23. Juni 1573 schickte die Stadt einen längeren Beschwerdebrief nach Brüssel. Man beklagte sich über die Teuerung des Korns, die die Truppenwerbungen bei Kerpen verursachten, nachdem bereits die Ernte des Vorjahres durch die Truppendurchzüge »verderbt« worden sei, und bat dringend 74 Johannes Kernkamp, De handel op den vijand, Bd. 1: 1572–1588, Utrecht 1931, S. 22f.; zum daraufhin steigenden Ausweichverkehr über Emden vgl. ebd. S. 37. 75 AGR, DS, 185, fol. 90r–91v ; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 298, Nr. 746. 76 AGR, DS, 185, fol. 92r–93r; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 298, Nr. 747. 77 AGR, DS, 185, fol. 94r–95r; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 298f., Nr. 749. 78 AGR, DS, 185, fol. 96r–98r; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 299, Nr. 751, vgl. auch ebd., Nr. 750 u. S. 299f., Nr. 752. 79 AGR, DS, 185, fol. 99r–v. 80 AGR, DS, 185, fol. 100r–104r. 81 AGR, DS, 185, fol. 105r.

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um Verlegung des Musterplatzes.82 Hierauf hielt es die Brüsseler Regierung nicht einmal mehr für nötig zu antworten. Ein weiterer Brief vom 19. August wegen Misshandlung von Kölner Händlern und illegalen Beschlagnahmungen von Warensendungen von und nach den rebellischen Gebieten, die vor Erlass des Verbotes begonnen worden waren, blieb ebenfalls unbeantwortet.83 Da nun viele rheinische Kaufleute schwere Verluste befürchten mussten, wurde dies zum Thema eines westfälischen Kreistages in Duisburg. Das leider undatierte, aber nachträglich mit dem Jahr 1573 versehene Schreiben im Namen der Kreisstände an Alba mit der Aufforderung, die Kaufmannsgüter freizugeben, war wohl das letzte, welches er noch zu seiner Amtszeit aus der Rheinmetropole erhielt. Es ist ein Dokument, das durch seine Erfolglosigkeit eine deutliche Entfremdung zwischen dem Kreis und den Niederlanden bezeugt.84

IV.

Die Korrespondenz mit Aachen

Der erste Brief von Aachen an Alba datiert erst vom 4. Juni 1568, also fast ein Jahr nachdem Alba seine Regentschaft in den Niederlanden angetreten hatte. Dabei handelt es sich aber lediglich um eine banale, quasi-notarielle Beglaubigung eines Geschäftes zwischen einem französischen und mehreren Aachener Händlern.85 Am 11. September 1568 schrieb Alba von Maastricht an Aachen und bat um große Mengen an Nahrungsmitteln für seine Armee, die in der Nähe kampierte. Am 15. September antwortete die Stadt bereits und versprach, trotz großer Schwierigkeiten, so viel wie möglich zu liefern.86 Die nächsten Briefe, die Aachen an Alba schrieb, hatten keinen günstigen Inhalt und sollten nicht nur für das nächste halbe Jahr die Beziehung zwischen beiden Seiten belasten, sondern auch eine dauerhafte Atmosphäre des Misstrauens von Seiten der Brüsseler Regierung erzeugen. Am 30. September und am 6. Oktober 1568 versandte Aachen sehr lange Schreiben mitsamt Anhängen zur genauen Darstellung eines dramatischen Vorfalls Ende September. Wilhelm von Oranien hatte mit seiner Armee am 28. September Aachen passiert und der Stadt ein Ultimatum gestellt. Sie hätte ihm die Güter der Feinde Oraniens, insbesondere von Johann I., dem Grafen von Ostfriesland, Herrn zu Dürby und königlich spani82 AGR, DS, 185, fol. 106r–107v. 83 AGR, DS, 185, fol. 108r–110r; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 304f., Nr. 768. 84 Zu dem Kreistag lässt sich in der Literatur nichts finden, im Schreiben an Alba wird die Versammlung jedoch explizit so bezeichnet, AGR, DS, 185, fol. 114r–115r; Häpke, Akten (wie Anm. 66), S. 303, Nr. 760. Vgl. zum Handelsembargo auch Kernkamp, Handel (wie Anm. 74), S. 38f. 85 AGR, DS, 187, fol. 1r–v. 86 AGR, DS, 187, fol. 3r–4r.

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schem Statthalter der Länder Limburg und Overmaas,87 auszuliefern, ansonsten würde er sich diese mit Gewalt holen. Die Stadt habe drei Tage durch Verhandlungen versucht, die Beschlagnahmung zu verhindern. Schließlich habe Oranien auf Bitten Aachens nur noch 40.000 Reichstaler sowie zwei Kartaunengeschütze und 30 Tonnen Büchsenpulver gefordert. Man habe schließlich nach schwierigen Verhandlungen am 30. September erreicht, anstelle der Güter der Feinde Oraniens, die »etlich hondert tausent thaler werdt zu sein geacht«, nur 20.000 Reichstaler hergeben zu müssen. Dies sei unter Zwang des gewaltigen und starken Heeres von Oranien geschehen, man habe als »von naturen ganz schwachen stat, sonderlich ohn einiche besezung« von vornherein keinen Widerstand leisten können. Die 20.000 Reichstaler waren nur durch eine sofortige Anleihe von 6.000 Reichstalern beim Vizedechanten und Kapitel des Liebfrauenstifts aufzubringen gewesen. Der König von Spanien werde bei erster Gelegenheit eine Erstattung erhalten. Angesichts sowohl der Schwierigkeiten mit der Teuerung und der geleisteten Hilfe für die spanische Armee als auch des hohen Verlustes an Geld hoffte die Stadt, die niederländische Regierung »werde vns wolle vns vnd gemeine vnsere stat […] niet allein zu keinen ongnaden verdencken, sonder auch solche vnsere vnd der vnsern ganz onverschulte beschedigung betrangnis und beangstigung gnediglich vnd mitleidentlich zu gemuth fueren«.88 Es wäre müßig, die verschlungene Korrespondenz zu dieser Angelegenheit im Folgenden genau nachzuzeichnen; dies soll hier nur skizzenhaft geschehen. Von Alba wurden die Briefe Aachens mit äußerster Ungnade aufgenommen. Die Stadt habe einem Feind der Niederlande und Landfriedensbrecher Geld zukommen lassen und dadurch selbst die Reichsabschiede gebrochen, ja sich sogar der Gewalttaten eines Friedensbrechers teilhaftig gemacht. Eigentlich habe man als niederländische Regierung das Recht, einen hohen Schadensersatz von Aachen zu fordern.89 Auf verschiedene Verteidigungsschreiben Aachens, die darauf hinausliefen, die Alternativlosigkeit der Entscheidung und den Schutz von Gütern niederländischer Untertanen hervorzuheben, bekam man von Alba die Antwort, man hätte sich »mit erlaubter Rechtmessiger gegenwehr« verteidigen müssen.90 Dass die Stadt dabei sicher gefallen wäre, hätte Alba nur recht sein können. Eine Ächtung Wilhelms von Oranien durch das Reich und die damit einhergehende dramatische Schwächung seines Aufstandes wäre wohl das Ergebnis gewesen. So wird Albas Ärger über die Zahlung der 20.000 Reichstaler durch Aachen sehr verständlich. Die Korrespondenz zog sich bis Ende Februar 87 Es handelt sich um den katholischen Onkel der damals in Ostfriesland regierenden Grafen Edzard II. und Johann II. Zu ihm siehe Walter Deeters, Johann (d. Ä.), Graf von Ostfriesland, in: Biographisches Lexikon für Ostfriesland, Bd. 2, Aurich 1997, S. 191. 88 AGR, DS, 187, fol. 5r–15v. 89 AGR, DS, 187, fol. 17r–18r. 90 AGR, DS, 187, fol. 19r–26.

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1569 hin, um dann ohne einen Konsens abzubrechen. Am 18. Februar schrieb Aachen den letzten Brief in dieser Angelegenheit, da man meinte, dass Alba immer noch ein »sonder missfallen tragen« würde. Man verwies noch einmal darauf, dass kein Reichsstand die Armee Oraniens bekämpft habe und man selbst zu schwach gewesen sei. Hätte man sich gewehrt, so hätte man »mit allem ernst vnss betrewet verhergen und verderben an stundt zu erwarten gehabt«. Man habe dies dem Kaiser und den Kreisständen auf dem Kreistag im November vorgetragen und bitte um Verzeihung. Alle Güter der niederländischen Untertanen seien weiterhin sicher und unberührt; von diesen bezahle man auch Pensionen an die niederländischen Stände.91 Hierauf erhielt Aachen keine Antwort mehr. Erst am 23. Juni 1569 schrieb Brüssel wieder, und erneut war der Anlass ungünstig für Aachen. Charles de Brimeu, zu Meghen, einer der wichtigsten militärischen Kommandeure Albas, war auf offener Straße zwischen Maastricht und Aachen durch Flüchtlinge auf das Gröbste beleidigt worden. Zudem würde einer Menge an Flüchtlingen in Aachen Unterschlupf gewährt. Dies käme der Regierung »frembd« vor, nachdem Aachen bereits im letzten Jahr Geld an Oranien gegeben hatte. Im Sinne einer fortwährend guten Nachbarschaft sollten die Aachener Obrigkeiten hier etwas ändern, andernfalls wurde recht unverhohlen mit Konsequenzen gedroht: »Dar da sollicheß wider unser verhoffen, nicht geschehen solte, habt Ir Zuermessen, dz wir der sachen durch andere geburliche mitel und wege, rhat werden schaffen muessen.«92 Aachen antwortete am 28. Juni 1569. Man habe die Aufrührer verhaften lassen, leider seien sie inzwischen wieder entflohen. Daraufhin seien sie durch Anschläge am Rathaus öffentlich verbannt worden. Alba und der Graf zu Meghen hätten »sich desfals gegen vns nichts beschweren, sondern mit vnss ein gnedig gut benuegen tragen werden.« Man will »ongern gestatten«, dass sich »obgedachter Landen wisentliche feindt vnd algemeines fridens betrueber bei vns erhalten«. Auch in Zukunft würde man darauf achten, diese Leute »bei vns mit nichten zu gedulden«.93 Es folgte nun eine längere Pause in der Korrespondenz, die allerdings immer wieder von einem Briefverkehr über den Reichskammergerichtsprozess des Kapitels der Liebfrauenkirche in Aachen unterbrochen wurde. Diese gehört allerdings sachlich nicht zur direkten Korrespondenz mit der Reichsstadt.94 Im engeren Sinne politische Kommunikation folgte erst wieder nach über einjähriger Pause am 3. Januar 1571, als Alba aus Antwerpen schreiben ließ, dass viele gefährliche Rebellen vor ihrer gerechten Strafe geflohen seien und nun nicht nur 91 92 93 94

AGR, DS, 187, fol. 27r–29v. AGR, DS, 187, fol. 31r–v. AGR, DS, 187, fol. 34r–35v. AGR, DS, 187, fol. 37r–39v u. 46r–48r.

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in Aachen »Ir Handtierung vnd vnderschleiff, sonder sich auch mit stetter täglicher beiwonung hauslich gesezt vnd niedergethon haben solten«. Aachen versprach im Antwortschreiben vom 16. Januar ein strenges Vorgehen und verwies auf die bereits bestehenden Edikte, die bestimmten, dass die Fremden nur kommen dürften, wenn sie bei Eid versicherten, nicht der neuen Lehre anzugehören, rebellisch gehandelt zu haben oder innerhalb der letzten vier Jahre keinen Kriegsdienst geleistet zu haben.95 Damit ließ sich die Brüsseler Regierung, hier in auffallender Parallele zu ihrer Haltung zu Köln, nicht abspeisen. Am 16. März antwortete man, dass das Schreiben zwar empfangen worden sei, man verwies aber auf einen in Aachen lebenden Peter van Vlieck, der in Maastricht aufrührerische Reden gehalten habe, »welcheß dan mit ehegedachtem Eueren schreiben nicht vber ain stimbt«. Man solle bitte gegen diesen ermitteln, zugleich sandte man eine Liste der Flüchtlinge.96 Bereits am 22. März antwortete Aachen an Alba, dass die meisten der genannten Personen unbekannt seien. Peter van Vlieck hingegen sei gefasst, ernsthaft ausgefragt und schließlich der Stadt verwiesen worden.97 Erst am 17. November kam die Antwort von Alba: Man habe das Schreiben zu den Flüchtlingen erhalten und erwarte, dass einzelne genannte Personen »vnd gemaines friedenß widerwertige Rebellen in der Stat Achen diesen Niederlanden zu nachthail nicht geduldet werden [und keine] handtierung vnd Khaufmanschafft in diesen Niederlanden sollen mogen gebrauchen«. Außerdem erläuterte man das Verbot von Kornausfuhr und bat um Verständnis angesichts der Bedürfnisse der Niederlande.98 Es folgte eine längere Korrespondenzpause. Erst am 22. April 1572 erging erneut ein Mahnschreiben an den Rat von Aachen, dass sich aufrührerischer Anhang in der Stadt aufhielte.99 Am 29. April bedankte sich der Rat für diese Warnung vor den Rebellen. Man versprach genaue Nachforschung und versicherte, die entsprechenden Edikte und Erlasse erneut publizieren und verkünden zu lassen.100 Das dilatorische Verhalten ist hier offensichtlich, da die Stadt zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere tausend Flüchtlinge in ihren Mauern duldete.101 Wie schon bei Köln erlahmte das Brüsseler Interesse an den Flüchtlingen mit dem erneuten Ausbruch der Kampfhandlungen im Frühjahr/Sommer 1572. Am 9. Oktober erkundigte sich Alba unter genauer Angabe der einzelnen Stücke nach geraubten Gütern seiner Untertanen, die durch Rebellen in Aachen verkauft worden seien. Aachen wies diesen Verdacht zurück und bat am 8. No95 96 97 98 99 100 101

AGR, DS, 187, fol. 40r–41r. AGR, DS, 187, fol. 42r–v. AGR, DS, 187, fol. 43r–v. AGR, DS, 187, fol. 50r–52v. AGR, DS, 187, fol. 55r–56r. AGR, DS, 187, fol. 57r. Die besten Zahlenschätzungen finden sich bei Schilling, Exulanten (wie Anm. 57), S. 71–76.

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vember um die Entsendung eines Bevollmächtigten, der bei seinen Ermittlungen in Aachen vollständige Freiheit haben sollte.102 Am 18. November präzisierte Aachen dies, da man nun wusste, woher genau die Anschuldigungen kamen. Manche Bürger von Roermond hatten an Alba in Nimwegen gemeldet, dass ihre Güter aus Kirchen und Bethäusern in Aachen verkauft worden seien. Man versprach zwar eine Überprüfung, versicherte aber zugleich, dass ein entsprechendes Verbot bereits nach »jammerlicher eroberung und plünderung« Roermonds erlassen und streng überprüft worden sei.103 Es folgte eine Pause in der Korrespondenz, bis Aachen am 20. März 1573 einen Klagebrief nach Brüssel sandte. Ähnlich wie die Kölner wurden die Aachener Händler vom Embargo gegen die nördlichen Niederlande geschädigt, und ähnlich wie in Köln argumentierte der Rat, dass die Händler nichts von diesem Embargo zum Zeitpunkt ihrer Warenkäufe und -versendungen hätten wissen können.104 Die deutliche Kornverteuerung im Zuge der Handelssperre zog relativ rasch auch Aachen in Mitleidenschaft. Als die Stadt im Juni in den Niederlanden durch den Gesandten Johann von Theren Korn kaufen wollte, bekam sie am 5. Juli 1573 die klare Antwort aus Brüssel, dass dies nicht möglich sei, da die Blockade der Seezufuhr diesen Mangel in den Niederlanden verursacht habe. Das vorhandene Korn sei für die Armee bestimmt, die gegen die rebellischen Untertanen vorgehe. Daher solle Aachen das Kornausfuhrverbot nicht als gegen sich gerichtet betrachten.105 So standen auch hier am Ende der Statthalterschaft Albas die Zeichen auf eine weitere Reduktion der Handelsbeziehungen, immer begleitet von einem prinzipiellen Misstrauen seitens der Brüsseler Regierung gegen die benachbarte Reichsstadt.106

V.

Die Korrespondenz mit Trier

Gänzlich anders als das Verhältnis von Aachen und Köln zu den Niederlanden waren die Beziehungen Triers gelagert. Hier dominierte faktisch ausschließlich die Politik, und diese stand im Zeichen eines zu dieser Zeit nicht unüblichen 102 AGR, DS, 187, fol. 65r–66r. 103 AGR, DS, 187, fol. 67r–v. Man bezog sich auf die Eroberung durch Wilhelm von Oranien am 23. Juli 1572 und die dabei geschehenen Ausschreitungen gegen die Geistlichen, vgl. Willem Nuyens, Geschiedenis van den opstand in de Nederlanden, van de komst van Alva tot aan de bevrediging van Gend (1567–1576), Bd. 2, Amsterdam 1867, S. 71–75. 104 AGR, DS, 187, fol. 59r–v. 105 AGR, DS, 187, fol. 61r–64r. 106 Auch in den Folgejahren kreiste die Korrespondenz immer wieder um Handelsarretierungen und die Problematik der Flüchtlinge, wobei der Ton fast durchweg vorwurfsvoll von Seiten Brüssels und demütig-bittstellerisch von Seiten Aachens verblieb, vgl. AGR, DS, 220, fol. 19r, 39r–v, 51r–57r u. 103r–105v.

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Konfliktes um den Status der nach Reichsunmittelbarkeit strebenden Stadt. Albas Ankunft in Brüssel koinzidierte relativ genau mit der Eskalation des Konfliktes zwischen der Stadt und dem Kurfürst-Erzbischof von Trier.107 Das bereits länger andauernde Streben Triers nach Erringung des Status einer Freien Reichsstadt führte 1567 mit Antritt der Regierung des Kurfürsten und Erzbischofs Jakobs III. von Eltz zum bewaffneten Konflikt. Es wird in der Literatur meist nur am Rande erwähnt, dass eine wichtige Quelle der Eskalation dieses Konfliktes in der Verbindung Triers mit dem Herzogtum Luxemburg lag, welches wiederum selbst Teil der habsburgischen Niederlande war. Auf Basis eines Vertrags aus dem Jahr 1302 stand Trier in einem Schutz- und Schirmverhältnis zum Herzogtum Luxemburg, seit 1364 auch in einem ähnlichen Verhältnis zum Herzogtum Lothringen. Diese Schutzverträge waren über die Jahrhunderte immer wieder verlängert worden und hatten die Stadt Trier in ihrer Semi-Autonomie gestützt.108 Vom späten 14. bis zum frühen 16. Jahrhundert kann die Stadt, auch und gerade wegen dieser Hilfe, als de facto unabhängig gelten. Gleichwohl bekundete sie häufig den Status einer Landstadt, um Reichssteuern und Gesandtschaftskosten zu sparen.109 1477 war Luxemburg unter die habsburgisch-niederländische Herrschaft geraten. Im Prinzip musste damit seit dem frühen 16. Jahrhundert ein kaiserliches Interesse an einer Stärkung der Trierer Unabhängigkeit bestehen, auch wenn dies durch die Reformation eine gewisse Abschwächung erfuhr. Die seit 1559 in den Niederlanden regierende Statthalterin Margarethe von Parma ließ 1564 den Schutz- und Schirmvertrag demonstrativ verlängern und sandte um 1566 Truppen zur Sicherung der Stadt gegen die absolutistischen Bestrebungen ihres Landesherren.110 Als nun um den Jahreswechsel 1567/68 die Truppen des Erzbischofs die Güter der Trierer Bürger im Stift in Beschlag nahmen, die Straßen sperrten und den Flussverkehr stoppten, wandte sich die Stadt Hilfe suchend an die traditionellen Schutzmächte in Brüssel und Nancy. Im ersten Brief an Alba vom 27. Januar 1568111 verwies man daher auch auf das Ziel des Erzbischofs, die »vßleschongh

107 Dillinger, Ansprüche (wie Anm. 21), S. 219f. 108 Die Bedeutung dieser Verträge im Mittelalter werden am besten erläutert bei Richard Laufner, Triers Bündnis- und Schirmverträge mit den Fürsten von Luxemburg und Lothringen vom 13. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 19 (1954), S. 104–118. 109 Im Einzelnen herausgearbeitet bei Dillinger, Ansprüche (wie Anm. 21), S. 207–214. 110 Gottfried Kentenich, Die Geschichte der Stadt Trier von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Denkschrift zum hundertjährigen Jubiläum der Zugehörigkeit der Stadt zum preussischen Staat, Trier 1915, S. 388; die Truppen waren wohl durchaus als potenzielle Vorboten einer Annexion an das Herzogtum zu sehen, Dillinger, Ansprüche (wie Anm. 21), S. 224–227. 111 Nach dem bis 1648 in der Kirchenprovinz Trier gültigen Annunciationsstil begann das neue

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zwusen dem Furstenthumb Lutzenborgh vnnd der Statt Trier vor zwey hundertt vnnd sechzich Jarenn vffgerichten vnnd biz hero continuierten Erbschirmuertregenn vnd verbündtnussen«. Man bat um »Raitt, Hilff, vnnd beistandt«.112 Mit Albas Herrschaftsantritt hatte sich die Lage jedoch grundsätzlich geändert. Sein Ziel war neben der Durchsetzung der spanischen Herrschaft prinzipiell immer auch die Stärkung des Katholizismus und der Herrscherautoritäten gegen die Ständemacht gewesen. Auch mussten ihm die rheinischen Kurfürsten als natürliche Alliierte vorkommen, konnten sie doch als Puffer gegen die calvinistische Kurpfalz dienen. Der Herzog von Lothringen folgte hingegen der traditionellen Linie und sandte 200 Mann an die Stadt zur Unterstützung gegen die kurfürstlichen Truppen.113 Die Regierung in Brüssel musste offenbar sehr lange überlegen, welchen Weg sie einschlagen wollte. Man antwortete schließlich an die Stadt Trier am 30. Juli 1568, dass man mit Kriegsangelegenheiten beschäftigt gewesen war und sich daher nicht hinreichend um die Vermittlung habe kümmern können. Zwischenzeitlich seien einige Räte an den Kurfürsten gesandt worden, diese hätten von ihm die Versicherung erhalten, dass er in eine »guetliche vnderhandlung« eingewilligt habe, was man von Seiten der niederländischen Regierung sehr gerne sähe.114 Der »Bohnenkrieg«, den Trier seit dem Juni gegen den Erzbischof geführt hatte, endete einige Tage später. Allerdings waren die lothringischen Soldaten wohl wirkmächtiger als die Brüsseler Vermittlung gewesen. Am 4. Oktober 1568 erging ein erneutes Schreiben Albas an Trier angesichts der jüngst wieder verstärkten Spannungen. Jetzt schickte Brüssel anstelle der gewünschten Soldaten einige Luxemburger Räte, die Trier Schutz und Schirm angedeihen lassen und gegen die »zugefuegten beschwerden [zu befurderung Euers guetten Rechtens] rhatsam vnd beystendig sein sollen«. Weiterhin bat man, dass auch Trier sich gegenüber den kaiserlichen Kommissarien wohlmeinend verhalte, nur in diesem Rahmen sei der Beistand weiterhin möglich.115 Trier kam nun zur Ruhe und der bekannte Reichskammergerichtsprozess lief an. Erst über ein Jahr später, am 10. Februar 1570, sandte die Stadt wieder ein Schreiben nach Brüssel. Man verwies auf die Mühen, die man durch den Wiederaufbau der bei der Beschießung während der Belagerung teilweise zerstörten Stadt gehabt habe. Zudem führte man die Kosten für die kaiserlichen Kommissarien auf wie auch die hohen Summen, die man dem Advokaten der Stadt am Reichskammergericht zahlen musste. Die Belastung war für die Stadt so

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Jahr immer am 25. März, daher steht auf dem Brief die Jahresangabe »1567 more treuirensi«. Die weitere Korrespondenz datierte man immer von beiden Seiten gregorianisch. AGR, DS, 187, fol. 110r–v. Kentenich, Geschichte (wie Anm. 110), S. 388. AGR, DS, 187, fol. 111r–v. AGR, DS, 187, fol. 112r–v.

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stark, dass man um einen zehn- bis zwölfjährigen Erlass der 400 Goldgulden bat, die die Stadt jährlich aufgrund ihres Schirmvertrages an Luxemburg bezahlen musste. Man versprach, diese Zahlungen nach Ablauf der Frist sogleich wieder aufzunehmen.116 Die Antwort war allerdings nicht so günstig, wie man in Trier wohl gehofft hatte. In einem Schreiben vom 23. Februar 1570 akzeptierte man die Nöte der Stadt und bewilligte eine Aussetzung der Zahlung in den folgenden drei Jahren, in denen Trier Schutz und Schirm allein aus königlicher Gnade bekommen sollte.117 Dies nun wollte Trier kurz darauf nutzen. Am 21. Juni 1570 schickte man einen Brief an Brüssel, in welchem man zwei wesentliche Beschwerdepunkte ansprach. Einerseits wurde der Trierer Bürgermeister Peter Neumann immer noch vom Erzbischof gefangen gehalten, andererseits hatte er immer noch die Schlüssel zur Stadt in seinem Besitz. Die Freilassung Neumanns und die Herausgabe der Schlüssel wollte Trier auf dem Reichstag in Speyer erwirken, benötigte dafür aber einen Fürsprecher. Unter Berufung auf den Schirmvertrag bat man nun bei der Regierung in Brüssel, hierfür durch deren Gesandten in Speyer Fürsprache zu leisten.118 Für beides setzte sich die niederländische Regierung tatsächlich in Speyer ein.119 Der Erfolg der Freilassung Neumanns und der Übergabe des Schlüssels an den kaiserlichen Kommissar Johann Ludwig von Hagen, der in der Stadt bis 1580 als Statthalter des Kaisers residieren sollte, mag dann auch dieser Interzession geschuldet sein. In den nächsten Jahren flaute der Kontakt zwischen Trier und der Brüsseler Regierung merklich ab. Am 22. August 1572 lehnte die Stadt das Ansuchen Albas zur Soldatenrekrutierung in Trier unter Verweis auf die in den Kämpfen mit dem Erzbischof erlittenen Schäden ab.120 Am 14. September 1573 erbat Trier ein weiteres Mal die Stundung der nun erneut zu bezahlenden 400 Gulden pro Jahr und verwies zur Begründung auf die hohen Kosten von mehreren tausend Gulden, die man mit dem Reichskammergerichtsprozess gegen den Erzbischof hatte.121 Am 4. Oktober erfolgte aus Brüssel die Anerkennung einer Stundung für ein weiteres Jahr, allerdings mit der Erwartungshaltung, dass künftig die Gelder wieder bezahlt würden.122 Da sich die finanzielle Lage Triers nicht mehr bessern sollte, musste die Brüsseler Regierung langfristig jedes Interesse an der weiteren Unabhängigkeit der Stadt verlieren. Zeitgleich erfolgte eine intensive Hilfe der spanischen Politik durch den Erzbischof von Trier in Form von Truppenstellung 116 117 118 119 120 121 122

AGR, DS, 187, fol. 114r–116r. AGR, DS, 187, fol. 117r–v. AGR, DS, 187, fol. 119r–120r. AGR, DS, 187, fol. 121r–v. AGR, DS, 187, fol. 123r–v. AGR, DS, 187, fol. 126r–130v. AGR, DS, 185, fol. 112r–113r.

Der Herzog von Alba und die deutschen Städte im Westen des Reiches

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und vertraulicher Korrespondenz.123 Die Stadt verlor dadurch ihre Unterstützung durch die traditionelle Schutzmacht im Westen.124 Da auch Lothringen mehr und mehr in die französischen Religionskriege verwickelt wurde, schwand der traditionelle Rückhalt der auswärtigen Mächte just in dem Moment, als man sie seit Jahrhunderten am dringendsten gebraucht hätte. So musste Trier dem Ende des Reichskammergerichtsprozesses mit Sorge entgegensehen.

VI.

Fazit

Das Verhältnis von Köln, Aachen und Trier zu den Niederlanden hat sich zwischen 1567 und 1573 auf allen wesentlichen Ebenen fundamental gewandelt. Wirtschaftlich lässt sich eine Kontraktion feststellen, konfessionell eine Eskalation und politisch schließlich eine Entfremdung. Es fällt schwer, in einem der genannten Aspekte eine gegenläufige Entwicklung oder wenigstens eine gewisse Teilverdichtung von Kontakt festzustellen. Allerhöchstens gab es eine Intensivierung der Verflechtung im Bereich des Militärischen, da in Zukunft regelmäßig im Rheinland für die spanische, aber auch die oranisch-staatische Armee geworben werden sollte. Um nicht missverstanden zu werden: Auch nach Albas Herrschaft blieben die Verflechtungen zwischen dem Rheinland und den Niederlanden eng und bereits vor Albas Herrschaft hatte eine deutliche Scheidung der habsburgischen Niederlande vom Reich stattgefunden. Der beiderseitige Handel blieb auch in den folgenden Jahrhunderten intensiv, vor allem, da Antwerpen bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts eine gewisse Bedeutung als kommerzielles Zentrum behielt.125 Dennoch kann eine substanzielle Beschleunigung von Abkapselungstendenzen der Niederlande – tendenziell eher zum beiderseitigen Nachteil – unter Albas Herrschaft konstatiert werden. Dies spiegelt sich im Handelsverkehr, im akademischen Austausch und im politischen Verhältnis wider und die hier analysierte Korrespondenz legt davon beredtes Zeugnis ab. Die Entwicklung war nicht zwangsläufig, sondern liegt zu einem wichtigen Teil im Wirken des niederländischen Statthalters begründet. Albas Misstrauen 123 Edelmayer, Söldner (wie Anm. 11), S. 141, Anm. 136 u. S. 251. 124 Dies zeigt sich auch am Abflauen der Korrespondenz, die erst um den Jahreswechsel 1575/ 76 wieder einsetzte, als Trier von Albas Nachfolger, Don Luis de Requesens, dringend Kommissare zu weiteren Verhandlungen erbat, vgl. AGR, DS, 220, fol. 106r–108v. 125 Hermann Thimme, Der Handel Kölns am Ende des 16. Jahrhunderts und die internationale Zusammensetzung der Kölner Kaufmannschaft, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 31 (1912), S. 389–473, hier S. 412f.; Ronald Baetens, De nazomer van Antwerpens welvaart. De diaspora en het handelshuis De Groote tijdens de eerste helft der 17de eeuw, Brüssel 1976, S. 88 u. 98–134; Susanna Gramulla, Wirtschaftsgeschichte Kölns im 17. Jahrhundert, in: Kellenbenz, Jahrtausende (wie Anm. 4), S. 429–517, hier S. 436.

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gegen das Reich, das durch die Erfahrung der letzten Kriege Karls V. noch gewachsen war, ließ ihn – hierbei über den Trend der Zeit weit hinausgehend – eine verschärfte Politik von Autonomisierung und Abschottung nach außen bei gleichzeitiger Herrschaftsverdichtung im Inneren betreiben.126 Konsequent erhöhte Alba die Anforderungen an die Reichsstädte in der Nachbarschaft. Sie mussten von Brüssel eine Reihe von drohenden Aufforderungen zu ihrer politisch-konfessionellen Linie hinnehmen. Gleichzeitig gab es von Seiten der Brüsseler Regierung jedoch nur unzureichende Gegenleistungen für etwaiges Wohlverhalten. Ein Beispiel hierfür ist die ›Belohnung‹ für das Kölner Ausweisungsmandat von 1570. Die angebliche Möglichkeit für Niederländer, mit einer königlichen Erlaubnis in Köln zu studieren, erwies sich in der Praxis als bedeutungslos. Die faktische Beendigung der Studienmöglichkeiten von Niederländern in Köln marginalisierte, abgesehen vom wirtschaftlichen Verlust, auch die geistige Kontaktlinie zwischen den spanischen Niederlanden und Köln. Der Niedergang Antwerpens seit 1572 im Gefolge des eskalierenden Aufstandes leistete zur Kontaktverminderung den wesentlichsten Anteil, indem er den Handel zur Scheldestadt und dem dortigen Hansekontor deutlich verminderte. Die Kölner Kaufmannschaft verlor bereits während Albas Herrschaft teilweise ihr Interesse am Handel mit den südlichen Niederlanden. Diese Tendenz verschärfte sich in der Spätphase seiner Herrschaft rapide. Die Folge war, dass die Hanse für Köln nutzlos wurde. Dies begünstigte den Erlass weiterer Ausweisungsmandate gegen Protestanten im späten 16. Jahrhundert und führte zu einem Rückgang der Toleranzkultur in Köln und generell zu einem gewissen Verlust an wirtschaftlicher Dynamik.127 Das traditionell eng mit den Niederlanden verbundene Aachen hatte sich kurz nach Beginn von Albas Herrschaft einen scharfen Unwillen der Brüsseler Regierung zugezogen und stand seither unter Beobachtung. Die Stadt litt noch schwerer als Köln unter dem Niedergang des niederländischen Handels, von dem sie ungleich abhängiger gewesen war. Als Grenzstadt musste man Neutralität nach allen Seiten wahren. Eine recht liberale Flüchtlingspolitik hingegen stellte die Weichen dafür, dass die Stadt in der Folge mehrfach (1582, 1598, 1614) 126 Zu Albas Denken in Bezug auf das Reich vgl. Leopold von Ranke, Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, Berlin 1836, S. 57–60. Eine nuancierte Betrachtung von Albas Charakter bieten Maltby, Alba (wie Anm. 1), S. 133–158 u. 205–214; Kamen, Duke (wie Anm. 1), S. 162–164. 127 Leo Schwering, Die Auswanderung protestantischer Kaufleute aus Köln nach Mülheim am Rhein im Jahre 1714, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 26 (1907), S. 194–250; Gramulla, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 125), S. 500–505; Joachim Deeters, Der »Bau zu Mülheim« und der Ausschluss der Kölner Protestanten aus der Gemeinschaft der Bürger, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 69 (2005), S. 192–211.

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den Versuch unternahm, zum Calvinismus überzutreten und daraufhin das Opfer spanisch-habsburgischer Interventionen wurde. Wie die Entwicklung in Aachen ohne Alba verlaufen wäre, ist schwer zu sagen, es steht jedoch zu vermuten, dass es hier zu einem Übertritt zum reformierten Protestantismus gekommen wäre und die Stadt eine wichtigere Stellung im Handelsgefüge des Reiches behalten hätte.128 Für Trier schließlich bedeutete die Statthalterschaft Albas das Ende des jahrhundertealten Schutzschirms und das daraus schließlich folgende Scheitern des Versuches, eine freie Reichsstadt zu werden. Auch hier ist unklar, wie die Entwicklung ohne Alba verlaufen wäre. Dass die Stadt jedoch mit der Unterstützung Margarethe von Parmas höhere Aussichten auf Erfolg ihrer Aspirationen gehabt hätte, erscheint nicht unwahrscheinlich. So spürte das Rheinland, in einer hier zunächst eher gewaltlosen Analogie zu den gesamten Niederlanden, Herrschaftsverdichtung, Verschärfung der konfessionellen Gegensätze und auch wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Mikrobeispiel der drei aufgeführten Städte lassen sich die Manifestation und Auswirkungen dieser Tendenzen in den Korrespondenzen relativ genau nachverfolgen. Insbesondere fällt dabei auf, wie gering doch der politische Manövrierraum der Städte in ihrer ›Außenpolitik‹ mit dem großen Nachbarn im Westen ausfällt. Zwar hatte man einen funktionierenden Kommunikationskanal und dadurch immerhin die Möglichkeit, sich zu erklären und Anliegen zu äußern. Betrachtet man jedoch die Tonlage der Korrespondenzen, so fällt es schwer, nicht eine herablassende Art der niederländischen Regierung, bisweilen sogar ins aggressive umschlagend, zu konstatieren, während die Städte fast immer in einem demütig-bittstellerischen Tonfall schrieben. Dies spiegelt mehr als nur ein reines Machtungleichgewicht wider. Hier korrespondierten adelige Autoritäten, die aus den Fürstengesellschaften des feudalen Spanien oder Österreich stammten, mit im Grunde verachteten politischen Akteuren bürgerlicher Abkunft.129 Wesentlich für die beschriebenen Entwicklungen war jedoch der Grundimpetus Albas, seinen Machtbereich frei von Häresie zu halten. Latent führte dies zu einem Grundmisstrauen gegen zu unabhängige Städte in der Nachbarschaft, die dann auch ihre 128 Dies ist natürlich spekulativ, es sei aber auf den wirtschaftlichen Niedergang Aachens nach 1614 und den sukzessiven Aufschwung der hohenzollerschen Territorien Kleve und Mark verwiesen, vgl. Schmitz, Verfassung (wie Anm. 20), S. 337–352; zum Wiederaufschwung der Region um Aachen im 18. Jh. vgl. Kellenbenz, Wirtschaft (wie Anm. 35), S. 478–483; zum eher stärkeren Wachstum der Umgebung Aachens vgl. Karl Heinrich Kaufhold, Gewerbelandschaften in der frühen Neuzeit (1650–1800), in: Hans Pohl (Hrsg.), Gewerbe- und Industrielandschaften vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Stuttgart 1986, S. 112–202, hier S. 150–153. 129 Vgl. Klaus Graf, »Der adel dem purger tregt haß«. Feindbilder und Konflikte zwischen städtischem Bürgertum und landsässigem Adel im späten Mittelalter, in: Werner Rösener (Hrsg.), Adelige und bürgerliche Erinnerungskulturen, Göttingen 2000, S. 191–204.

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Interessen im burgundischen Reichskreis kaum mehr mit Erfolg vertreten konnten. Albas Herrschaft brachte dem Rheinland einen bemerkbaren, wenn auch nicht zu überschätzenden Anstoß hin zu einer gewissen Einschränkung von geistiger Freiheit, der Verschärfung von politisch-konfessionellen Gegensätzen, dem Niedergang wirtschaftlicher Dynamik und einer markanteren Trennung von den Niederlanden.

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Generalstaatische Söldner und der Dreißigjährige Krieg. Eine übersehene Kriegspartei im Licht rheinischer Befunde*

I.

Einleitung

Im April 1630 erhielt der Kölner Kurfürst Ferdinand von Bayern ungewöhnlichen Besuch: Caspar von Vosbergen, der Abgesandte der Generalstaaten, kam zu Verhandlungen nach Bonn in die kurfürstliche Residenz.1 Seine Anliegen lassen sich sehr konkret mit folgenden Stichworten benennen: Namens der Generalstaaten wollte Vosbergen zunächst »alle freünt vnnd nachbaurliche correspondentz anbieten«, vor allem aber sollte er die Versicherung der Generalstaaten überbringen, dass sie »eine gutte vnnd fäste neutralitet mit dem ganzen Hl Röm Reich, Jhrer Churf Dh vnnd deroselben angehorigen zuunderhalten« offerierten.2 Diese Delegation war schon länger geplant gewesen. Bereits zum Jahresbeginn hatten die Generalstaaten den Wunsch geäußert, einen Gesandten zum Kurfürsten zu deputieren, um über zwei Themen zu verhandeln: Zum einen war dies die Pfalzfrage, die im Vorfeld des im Sommer desselben * Die Studie basiert auf ungedruckten Materialien aus folgenden Archiven: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München: BayHStA; Bayerisches Staatsarchiv Würzburg: StAW; Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: GStAPK; Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: HessHStAW; Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: HessStAD; Historisches Archiv der Stadt Köln: HAStK; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland: LAV NRW R (ehem. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf); Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen: LAV NRW W (ehem. Staatsarchiv Münster); Landeshauptarchiv Koblenz: LHAK; Schönstein, Fürstlich Hatzfeldt-Wildenburgsches Archiv, Kriegsarchiv Melchior von Hatzfeldt. 1 Umfangreiches Material dazu findet sich in Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618–1651, Teil 2, Bd. 5: Juli 1629–Dezember 1630, bearb. v. Dieter Albrecht, München 1964, S. 385–389, Nr. 148: Kurfürst Ferdinand von Köln an Kurfürst Maximilian von Bayern, Bonn 21. April 1630. 2 Protokoll von Vosbergens Aussagen als Beilage zu Kurfürst Ferdinand von Köln an Kurfürst Maximilian von Bayern, Bonn 21. April 1630, BayHStA, Kasten schwarz 958/1, fol. 358r–359v (Ausfertigung), hier fol. 360r–362v. Ein Bericht über die Verhandlungen auch bei Hermann Forst (Hrsg.), Politische Correspondenz des Grafen Franz Wilhelm von Wartenberg, Bischofs von Osnabrück, aus den Jahren 1621–1631, Leipzig 1897, S. 419 (Aldenhoven an Franz Wilhelm von Wartenberg am 1. Mai 1630).

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Jahres anstehenden Kurfürstentags in Regensburg neuen Auftrieb erhielt. Das Thema war höchst heikel, waren doch aus Sicht des Hauses Bayern mit der Translation der pfälzischen Kur und der Annexion der Oberpfalz Fakten geschaffen worden, die man nicht mehr verhandeln wollte.3 Gleichwohl konnte Kurfürst Ferdinand, der sich politisch eng mit seinem Bruder Kurfürst Maximilian I. von Bayern in München abstimmte, diesem Thema nicht wirklich ausweichen. Zum anderen waren es die Spannungen zwischen den Generalstaaten und den benachbarten Reichsständen, namentlich Kurköln, die immer wieder zu eskalieren drohten und den Status der gegenseitigen Neutralität in Frage stellten.4 Konkret bedeutete dies, dass Truppen der Generalstaaten immer wieder auf kurkölnisches Terrain vordrangen und dort die Bevölkerung drangsalierten. Derartige Vorfälle waren nichts Neues, gehörten vielmehr schon seit Jahren zum Kriegsalltag am Niederrhein.5 Doch in den vergangenen Monaten hatte sich die Intensität dieser Übergriffe merklich gesteigert, nicht nur auf kurkölnischem Gebiet, sondern auch bei benachbarten Reichsständen. Was war vor dem Hintergrund dieser Entwicklung die Neutralität noch wert?6 Diese Frage ging sicher die Katholische Liga und damit auch Maximilian von Bayern etwas an, doch in erster Linie waren durch die generalstaatischen Übergriffe genuine kurkölnische Interessen tangiert, die diese Gesandtschaft in jedem Fall sinnvoll erscheinen ließen. Dabei war es nicht so ohne Weiteres möglich, dass ein Reichsstand wie Kurköln mit den Generalstaaten in diplomatischem Kontakt stand.7 Denn die 3 Michael Kaiser, Gegen den ›proscribierten Pfalzgrafen‹. Die negative Pfalzpolitik Maximilians I. von Bayern im Dreißigjährigen Krieg, in: Peter Wolf u. a. (Hrsg.), Der Winterkönig. Friedrich V. Der letzte Kurfürst aus der Oberen Pfalz. Amberg – Heidelberg – Prag – Den Haag, Regensburg 2003, S. 122–130. 4 Zur Neutralität vgl. aus generalstaatischer Sicht Petrus J. H. Ubachs, Neutraliteit, theorie en praktijk tijdens de Tachtigjarige Oorlog, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 96 (1983), S. 165–178; zur Katholischen Liga vgl. Michael Kaiser, Politik und Kriegführung. Maximilian von Bayern, Tilly und die Katholische Liga im Dreißigjährigen Krieg, Münster 1999, S. 205–235. Vgl. allg. jetzt auch Axel Gotthard, Der liebe vnd werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2014. 5 Michael Kaiser, Überleben im Krieg – Leben mit dem Krieg. Zur Alltagsgeschichte des Dreißigjährigen Krieges in den niederrheinischen Territorien, in: Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen, Neustadt a. d. Aisch 2002, S. 181–233. 6 Unabhängig von den in Anm. 4 genannten Konzepten vormoderner Neutralität erscheint für das hier geltende Verständnis der Begriff der »observierten Neutralität« wichtig, womit die praktizierte, aber nicht vertraglich geregelte Norm gemeint war, vgl. Barbara Stadler, Pappenheim und die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Winterthur 1991, S. 409 u. 659. 7 Zur Politik der drei geistlichen Kurfürsten grundlegend Jürgen P. R. Kessel, Spanien und die geistlichen Kurfürsten am Rhein während der Regierungszeit der Infantin Isabella (1621–1633), Frankfurt/M. 1979.

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Vereinigten Provinzen der Niederlande befanden sich im offenen Krieg mit der spanischen Krone, die in ihnen abtrünnige Provinzen, mithin Rebellen, sah. Der habsburgische Kaiser Ferdinand II. schien geneigt, dieser Sichtweise seiner spanischen Verwandtschaft zu folgen, ja er liebäugelte offenbar mit dem Gedanken, die spanischen Habsburger auch militärisch im Kampf gegen die Generalstaaten zu unterstützen. Dieses Ansinnen lehnten die Reichsstände, gerade auch die katholischen, die sich in der Katholischen Liga organisiert hatten, rundweg ab – die habsburgische Macht weiter zu konsolidieren, lag nicht in ihrem Interesse. Doch auch die Liga akzeptierte, dass die Generalstaaten faktisch als Reichsfeinde zu betrachten seien. Da sie einen Krieg zu vermeiden wünschte, verhielt sie sich neutral. Diese Neutralität entsprang der politischen und militärischen Praxis, wie sie sich in den Jahren zuvor entwickelt hatte. Gerade als der zwölfjährige Waffenstillstand zwischen Brüssel und Den Haag im Jahr 1621 auslief und die offenen Kampfhandlungen zwischen beiden Mächten wieder aufgenommen wurden, wurde die Neutralität zum Gebot der Stunde. Allerdings war sie nirgends schriftlich vereinbart oder fixiert worden – wie hätten auch die Katholische Liga oder andere Reichsstände mit einem Reichsfeind eine Abmachung eingehen können? Die Neutralität lag in beiderseitigem Interesse und war deswegen die entscheidende Leitlinie im Verhältnis zwischen den Reichsständen und den Generalstaaten in den 1620er Jahren. Obwohl diese Konstellation zunächst klar und eindeutig aussah, entpuppte sie sich in der konkreten politischen Praxis als höchst komplex. Denn die Generalstaaten stellten längst einen Machtfaktor dar, der auch im Reich selbst präsent war. Dies wiederum war eine Konsequenz des Erbfolgestreits um die niederrheinischen Territorien, der mit dem Tod des letzten Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg offen ausgebrochen war.8 Unter den verschiedenen Erbprätendenten hatten sich sowohl der Herzog von Pfalz-Neuburg Wolfgang Wilhelm als auch der Kurfürst von Brandenburg Johann Sigismund durchgesetzt und zunächst eine gemeinsame Verwaltung der vier erbvereinten Territorien geplant, bis sich im Vertrag von Xanten 1614 die Teilung in einen jülich-bergischen Teil für Pfalz-Neuburg und einen kleve-märkischen Teil für Brandenburg manifestierte. Bereits bei der Xantener Regelung waren die Generalstaaten als Garantiemacht eingebunden worden, doch schon vorher waren sie – wie auch die Spanier – in das niederrheinische Machtvakuum eingedrungen: Beide Kontrahenten sahen in dieser Region ein machtstrategisches Glacis, 8 Vgl. dazu in jüngerer Zeit Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit 1609. Seine Voraussetzungen und Folgen, Düsseldorf 2011; Sigrid Kleinbongartz (Hrsg.), Fürsten, Macht und Krieg. Der Jülich-Klevische Erbfolgestreit, Düsseldorf 2014; außerdem Dieter Albrecht, Maximilian I. von Bayern 1573–1651, München u. a. 1998, S. 539–580.

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in dem es für die weiteren Auseinandersetzungen Positionen zu besetzen und zu halten galt. So hatten generalstaatische Truppen schon früh eine Reihe von Städten und festen Plätzen im Herzogtum Kleve und in der Grafschaft Mark besetzt – ganz im Sinne des eigenen Machtkalküls, aber eben auch zugunsten des brandenburgischen Erbanwärters. Denn die brandenburgischen Hohenzollern hatten kaum Ressourcen, um ihre Erbansprüche durchzusetzen, und waren in den weit von ihrem Kernland entfernt liegenden niederrheinischen Territorien dringend auf die Unterstützung durch eine regionale Macht angewiesen. Schon früh einigten sich Brandenburg und Den Haag auf eine Kooperation, der zufolge die Generalstaaten einerseits dem machtpolitisch schwachen Kurfürsten halfen, seine Anrechte am Niederrhein zu realisieren, und damit andererseits einem befürchteten spanischen Vordringen einen Riegel vorschoben. 1609 setzte also ein Wettlauf um die festen Plätze in den erbvereinten Territorien ein: Dort, wo generalstaatische Truppen einrückten, wehrten sie die spanische Besetzung ab und realisierten gleichzeitig den brandenburgischen territorialen Anspruch. Es war also diese Verschränkung des spanisch-niederländischen Konflikts mit dem niederrheinischen Erbfolgefall, der die Generalstaaten mit massiver Truppenpräsenz auf Reichsboden führte, lange bevor überhaupt die Krise in Böhmen eskalierte und daraus der Dreißigjährige Krieg erwuchs. Wie weit die Generalstaaten bei ihrem Kampf gegen Spanien schon in diesen frühen Jahren ins Reich hinein vorstießen, zeigte die Einnahme der Festung Jülich im Jahr 1610 und die Befestigung der Rheininsel vor der Siegmündung im Jahr 1620, die unter dem Namen Pfaffenmütz bekannt wurde.9 Der eigentliche, auch rechtlich bedeutsame Ansatz für das niederländische Engagement auf Reichsboden blieb aber die Verbindung zu Brandenburg. Diese Bindung zwischen Den Haag und dem brandenburgischen Herrscherhaus wurde nicht nur durch die Konversion Kurfürst Johann Sigismunds zum Calvinismus Ende 1613 befördert. Wichtig war auch die finanzielle Unterstützung seitens der Generalstaaten durch einen Kredit von 100.000 Talern für die stets klammen Hohenzollern im Februar 1616, der als sogenannte Hoefeysersche Schuld noch Geschichte machen sollte.10 Formal wurde die nieder9 Guido von Büren, Die militärischen Auseinandersetzungen am Niederrhein infolge des Jülich-Klevischen Erbfolgestreites aus der Perspektive von Stadt und Festung Jülich, in: Groten u. a., Erbfolgestreit (wie Anm. 8), S. 186–194; Heinrich Brodeßer, Die Pfaffenmütz. Eine bemerkenswerte Inselfestung im Mündungsdelta der Sieg und das Land an der unteren Sieg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, Troisdorf 1990. 10 August von Haeften (Hrsg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg 5: Ständische Verhandlungen, Bd. 1, Berlin 1869, S. 49. Letztlich bot dieser Kredit den Generalstaaten über Jahrzehnte hinaus die Möglichkeit zu massiven Eingriffen in den niederrheinischen Territorien, vgl. vorerst Michael Kaiser, Die vereinbarte Okkupation. Generalstaatische Besatzungen in brandenburgischen Festungen

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ländisch-brandenburgische Kooperation noch durch eine Defensivallianz im Jahr 1622 beschlossen, die Graf Schwarzenberg, der spiritus rector der brandenburgischen Politik in diesen Jahren, in Den Haag ausgehandelt hatte. Dieses Bündnis räumte den Generalstaaten weitgehende Eingriffsrechte in den niederrheinischen Territorien ein, verpflichtete Den Haag aber auch zu Hilfsleistungen zugunsten Brandenburgs.11 Letztlich bescherte dieses Bündnis beiden Vertragspartnern Vorteile. Indem Den Haag die Besitzansprüche des Hauses Hohenzollern auf die niederrheinischen Territorien unterstützte, vermochte man zugleich die Gelegenheit auszunutzen und wichtige strategische Positionen nicht nur am Niederrhein, sondern praktisch im ganzen Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis zu besetzen, die sonst womöglich von spanischen Truppen eingenommen worden wären. Am Ende hätte dies nur den konkurrierenden Ansprüchen des Pfalzgrafen von Neuburg Auftrieb gegeben.12 In diesem Moment war der spanischgeneralstaatische Konflikt, der seit dem späten 16. Jahrhundert nicht nur das Gebiet der niederländischen Provinzen, sondern als Bedrohungsszenario auch weite Teile des Nordwestens des Reiches in Atem hielt, tatsächlich im Reich angekommen. Doch dies konnte den Kurfürsten von Brandenburg nicht abhalten, weiterhin auf die niederländische Karte zu setzen. Gerade der spanische Vorstoß in die Grafschaft Mark, die doch eigentlich Brandenburg zugesprochen worden war, hatte in den 1610er Jahren gezeigt, wie gefährdet die brandenburgischen Positionen immer noch waren. Vor diesem Hintergrund war es plausibel, dass die kurfürstliche Politik den weiteren Schulterschluss mit Den Haag suchte. Spätestens von diesem Zeitpunkt an kann man von einer ›vereinbarten Okkupation‹ sprechen, insofern zwar generalstaatische Truppen fremde Territorien besetzt hielten, damit aber überhaupt erst dem brandenburgischen Landesherrn die Chance boten, in diesen von ihm reklamierten Territorien eine Landesam Niederrhein, in: Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte »res publica«. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster 2006, S. 271–314, hier S. 296–298. 11 Die Defensivallianz ist ediert bei Theodor von Moerner (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge von 1601 bis 1700. Nach den Originalen des Königl. Geh. Staats-Archivs, Berlin 1867, S. 78–80; zur Einordnung ausführlich Ulrich Kober, Eine Karriere im Krieg. Graf Adam von Schwarzenberg und die kurbrandenburgische Politik von 1619 bis 1641, Berlin 2004, S. 92–104, insb. S. 103. Zusätzlich wurde im Oktober 1624 noch eine Deklaration zur Beilegung einiger Differenzen bei der Ausführung des Vertrags von 1622 verabschiedet, vgl. Moerner, Staatsverträge, S. 92–94. 12 Wie sehr die Etablierung der pfalz-neuburgischen Herrschaft von den spanischen Waffen abhing, zeigte sich auch in der Grafschaft Mark, vgl. dazu Michael Kaiser, Ein schwieriger Anfang. Die Hohenzollern und die Grafschaft Mark im 17. Jahrhundert, in: Eckard Trox, Ralf Meindl (Hrsg.), Preußen – Aufbruch in den Westen. Geschichte und Erinnerung – die Grafschaft Mark zwischen 1609 und 2009, Lüdenscheid 2009, S. 13–34.

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obrigkeit zu etablieren.13 Allerdings wurde schnell klar, dass die brandenburgisch-generalstaatische Allianz nicht nur den spanisch-niederländischen Krieg ins Reich zu tragen drohte, sondern auch die Neutralität als politisches Prinzip zwischen den Generalstaaten und den Reichsständen in Gefahr brachte. Und je mehr der Dreißigjährige Krieg auch den Nordwesten des Reiches erreichte, dort also Truppen des Kaisers und der Liga auftauchten, desto deutlicher wurde dies. Dennoch waren die Generalstaaten im Reich keine Kriegspartei: Weder wollten die Reichsstände in den Krieg zwischen Spanien und den Generalstaaten hineingezogen werden, noch hatte Den Haag ein Interesse daran, offen in die Konflikte einzugreifen, die seit dem Böhmischen Aufstand nach und nach das ganze Reich erfassten. Jenseits dieses politischen Kalküls auf beiden Seiten ergaben sich aus der Präsenz des Militärs Belastungen für die betroffenen Regionen, sei es kurzfristig, indem die Soldaten eine Gegend passierten, sei es langfristig, indem sie dort Quartier nahmen. Die Auswirkungen der Anwesenheit generalstaatischer Truppen für das Rheinland und auch die daran angrenzenden Gebiete waren dabei, wenig überraschend, ähnlich wie in anderen Regionen, die vom Krieg heimgesucht wurden: Es kam zu Streifzügen kleinerer Soldatentrupps, die Überfälle verübten, raubten und Geiseln nahmen. Das Panoptikum dieser Übergriffe stellte sich hier genauso dar wie in anderen Kriegstheatern. Ebenso wurden aber auch Werbungen durchgeführt und Kontributionen, also Kriegssteuern, erhoben. Selbst wenn man angesichts einer gewissen Allgegenwart von alltäglicher und auch soldatischer Gewalt in dieser Zeit ausgeht, hatten die Ausschreitungen generalstaatischer Söldner doch beizeiten Dimensionen erreicht, die diplomatischer Regelung bedurften – die eingangs erwähnte Visite Vosbergens ist in eben diesem Kontext zu sehen. Was war in den Jahren zuvor passiert? Dass der niederländische Gesandte sich an Kurköln wandte, war kein Zufall – das Kurfürstentum, zu dem neben dem Erzstift auch das Vest Recklinghausen und das Herzogtum Westfalen gehörten, litt erheblich unter dem generalstaatischen Militär. Gleiches gilt für die Hochstifte Münster, Paderborn und Lüttich, die Kurfürst Ferdinand von Bayern in Personalunion mit dem Kurfürstentum beherrschte. Nicht viel besser erging es den Herzogtümern Jülich und Berg, die unter der Verwaltung des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg standen. In Mitleidenschaft gezogen wurden zudem kleinere Reichsstände wie das Stift Essen, und die Auswirkungen der generalstaatischen Militärpräsenz erreichten auch die Territorien der Kurfürsten von Trier und von Mainz. Wenn im Folgenden dargestellt werden soll, wie sich die Übergriffe generalstaatischen Militärs für die betroffenen Reichsstände darstellten, wird dies 13 Vgl. dazu ausführlich Kaiser, Okkupation (wie Anm. 10).

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zunächst anhand kurkölnischer Erfahrungen geschehen (II). Ergänzend kommen dann Berichte anderer Reichsstände hinzu. Hierbei fällt auf, dass das generalstaatische Militär zum Ende der 1620er Jahre deutlich aktiver und aggressiver auftrat. Die erfolgreiche Abwehr spanischer Angriffe und der Übergang zur Offensive, sichtbar im Gewinn der Festungen Wesel und Herzogenbusch im Jahr 1629,14 hatten offenkundig direkte Auswirkungen auf die Aktivität der in ihren Garnisonen liegenden generalstaatischen Truppen: Gerade in den Jahren 1629 bis 1631 machten sich niederländische Streifparteien besonders häufig auf ihren Weg durch die rheinischen Lande. Auch dies gehört zum Hintergrund der Mission Vosbergens an den kurkölnischen Hof 1630, und in der weiteren Darstellung wird auf diese Phase ein besonderer Schwerpunkt zu legen sein. In einem zweiten Schritt ist dann der Frage nachzugehen, wie die betroffenen Reichsstände auf diese militärischen Aktionen reagierten (III). Konnte man einfach militärische Gegenmaßnahmen einleiten, wenn sich der Gegner, der dafür verantwortlich war, für neutral erklärte? Politische Spannungen konnten auch durch die Frage der Jurisdiktion aufkommen: Wer straft die Delinquenten, wenn man denn ihrer habhaft werden konnte? Das Militär, auch von Verbündeten, war ohnehin bemüht, eine eigene Gerichtsbarkeit zu etablieren. Gefangene Söldner abzuurteilen, konnte also als Eingriff in eine fremde Rechtssphäre angesehen werden, erst recht bei einer Armee, die einem neutralen Souverän unterstand. Doch waren es überhaupt Angehörige des generalstaatischen Militärs, die sich dieser Übergriffe schuldig gemacht hatten? Was auf den ersten Blick so eindeutig erschien, stellte sich in vielen Fällen als zweifelhaft heraus; zumindest stellten die generalstaatischen Kommandeure die Sachverhalte bei verschiedenen Vorfällen ganz anders dar. Jedenfalls war es in vielen Fällen entscheidend, dass sich die betroffenen Reichsstände an die Generalstaaten wandten, sei es, dass sie direkt in Den Haag vorsprachen, sei es, dass sie sich an die vermuteten Kommandeure in den Garnisonen wandten (IV). In allen Fällen mussten die Reichsstände einen Weg finden, der ihnen die Abwehr der militärischen Übergriffe und eine Bestrafung der schuldigen Söldner ermöglichte, ohne dass der Status der Neutralität in Gefahr geriet. Wie sich betroffene Reichsstände gegenüber dem Engagement der Generalstaaten im Reich verhielten, wird an verschiedenen Fallbeispielen vorgestellt werden. Die problematische Konstellation, dass generalstaatische Einheiten im Rheinland aktiv waren, ließ sich jedoch nicht nachhaltig beilegen; ein kurzer Ausblick auf die Entwicklung der folgenden Jahre schließt die Untersuchung ab (V). 14 Vgl. dazu zuletzt Olaf van Nimwegen, The Dutch army and the military revolutions 1588–1688, Woodbridge 2010, S. 217–234.

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An dieser Stelle sei noch explizit festgehalten, dass die nachstehenden Ausführungen nur ein Segment eines deutlich größeren Themas abdecken. Wenn Kriegsbedrückungen in den Territorien des Nieder- und Mittelrheins untersucht werden, gehört nicht nur das Militär der Generalstaaten dazu. Ebenso müssten komplementär auch die Truppen der spanischen Krone mit in den Blick genommen werden, was hier allerdings aus Platzgründen nicht erfolgen kann. Schließlich wird im Folgenden lediglich der militärische Einfluss der Generalstaaten aufgegriffen, dies zudem nur mit Bezug auf kleine militärische Operationen in einem regional deutlich eingegrenzten Raum mit dem zeitlichen Schwerpunkt auf den späten 1620er Jahren. Tatsächlich nahmen die Generalstaaten auch im größeren Maßstab über lange Jahre hinweg massiven Einfluss auf die militärischen Vorgänge im Reich während des Dreißigjährigen Kriegs, und ebenso immens war ihr politisches Gewicht im Hinblick auf die Geschicke im Reich.

II.

Generalstaatische Streifzüge und Plünderungen – die Garnison Soest und andere Beispiele

Am 11. Februar 1625 wurde die Stadt Soest von einer Abteilung generalstaatischer Söldner im Handstreich genommen. »Unvermutet«, wie es in einem zeitgenössischem Bericht hieß, seien die Angreifer über die Mauern gestiegen, hätten die nur kleine spanische Besatzung niedergemacht oder gefangen genommen und so Besitz von der Stadt ergriffen.15 Damit endete eine längere Phase spanischer Besatzung in Soest, die 1616 begonnen hatte und nur im Jahr 1622 durch die kurzfristige Einnahme des Herzogs Christian von Braunschweig unterbrochen worden war. Die Aktion im Jahr 1625 war dann nicht überraschend gekommen. Vielmehr war die Gelegenheit zu Beginn des Jahres günstig, »da dz Landt ietzo ledig, vndt gute occasiones den fuß weiter zu setzen offen stehen«. So beobachtete es die kurbrandenburgische Regierung in Emmerich und forderte den Residenten in Den Haag auf, die Generalstaaten dazu zu bringen, weitere Truppen in die Grafschaft Mark zu entsenden.16 Gleichzeitig stritt die brandenburgische Seite stets ab, für die Truppen, die vom klevischen Territorium aus operierten, verantwortlich zu sein. So verwahrte sich Kurfürst Georg Wilhelm gegen kurkölnische Anschuldigungen, dass brandenburgische Soldaten in den 15 Gerhard Köhn, Soest und die Soester Börde in den kriegerischen Auseinandersetzungen 1543–1648, in: Ellen Widder u. a. (Hrsg.), Soest. Geschichte der Stadt, Bd. 3: Zwischen Bürgerstolz und Fürstenstaat. Soest in der frühen Neuzeit, Soest 1995, S. 687–864, hier S. 782. 16 Statthalter Gebhardt von Eyll und die kurfürstlichen Räte an den brandenburgischen Residenten Floris von Merode, Emmerich 17. Februar 1625 (alter Stil), LAV NRW R, Kleve-Mark, Akten 181, fol. 9r–v u. 12r (Ausfertigung).

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Überfall auf Haus Knippenburg unweit Bottrop und in die Geiselnahme einiger Personen involviert gewesen seien: »Eß mögen Vnß E. Ld. zuetrawen vnnd glauben, daß wir nie willens worden, einighe thathandlungh wieder E. Ld. oder die Jhrigen durch vnsere Soldaten oder andere fürnehmen zu laessen.«17 Diese Lesart ging hart an der Realität vorbei, denn auch wenn es letztlich generalstaatisches Militär gewesen sein mochte, dem Befehle zu erteilen der brandenburgischen Seite nicht zustand, gab es mindestens eine indirekte Einflussnahme der kurfürstlichen Regierung in Emmerich auf die im Herzogtum Kleve stationierten niederländischen Garnisonen.18 Ähnlich wird es auch im Fall Soests gewesen sein: Die Einnahme der Stadt bedeutete den Gewinn eines wichtigen Stützpunktes für das generalstaatische Militär, mit dessen Hilfe aber auch die Grafschaft Mark wieder stärker unter brandenburgische Kontrolle gebracht werden konnte.19 Für Soest selbst leitete die Einnahme der Stadt durch generalstaatische Truppen eine Phase relativer Ruhe und verminderter Belastungen ein.20 Im regionalen Umfeld sah die Situation jedoch deutlich anders aus. Denn in den Jahren ab 1625 wurde Soest zum Ausgangspunkt für ausgedehnte Streifzüge generalstaatischer Trupps. Welches Ausmaß diese Aktivitäten hatten, verdeutlicht eine Aufstellung der dabei verursachten Schäden, die in dem zu Kurköln gehörenden Herzogtum Westfalen von 1625 bis Anfang 1627, also in nur zwei Jahren, ermittelt wurden.21 Diese »Designatio« der protokollierten Schäden, die im Folgenden ausgewertet werden soll, verzeichnet nicht nur die Überfälle aus Soest kommender Söldner. Vielmehr wurden auch die Übergriffe von Streifparteien aus Unna und Lünen erfasst. Doch die deutlich überwiegende Anzahl der Raubzüge ging auf das Konto Soester Trupps; in dieser Stadt lag offenkundig das Zentrum des generalstaatischen Militärs in dieser Region. An diesem Befund ist auch das Muster ablesbar, nach dem diese umherstreifenden Söldner agier17 Kurfürst Georg Wilhelm an Kurfürst Ferdinand von Köln, Cölln an der Spree 2. Juli 1624 (alter Stil), LAV NRW R, Kleve-Mark, Akten 178, fol. 121r (Kopie). – Bottrop gehörte zum Vest Recklinghausen, allerdings reklamierte der Herzog von Kleve seit dem Spätmittelalter einige Eingriffsrechte in diesem Raum. 18 Die Beziehungen zwischen den Generalstaaten und Brandenburg, die natürlich auch nicht immer spannungsfrei waren, lassen sich für diesen kurzen Zeitraum gut nachvollziehen in den Korrespondenzen der kurfürstlichen Regierung in Emmerich mit dem brandenburgischen Residenten in Den Haag Floris von Merode zu Rummen in LAV NRW R, Kleve-Mark, Akten 181; vgl. ansonsten allg. Kober, Karriere (wie Anm. 11). 19 Zur Grafschaft Mark in dieser Phase vgl. Ralf-Peter Fuchs, Der 30jährige Krieg und die Grafschaft Mark, in: Jahrbuch des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark 100 (2000), S. 103–138; Kaiser, Anfang (wie Anm. 12). 20 So Köhn, Soest (wie Anm. 15), S. 783; vgl. auch das Zitat aus einer zeitgenössischen Soester Chronik ebd., S. 782. 21 »Designatio der Übergriffe der brandenburgischen Garnisonen in Soest, Unna und Lünen«; LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 1r–61r, eingereicht Bonn am 25. Februar 1627.

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ten. Meist waren es Gruppen von ungefähr zehn Mann oder wenig mehr, die einzelne Dörfer oder Bauernschaften überfielen. Dort requirierten sie einzelne Stücke Vieh, das die Beraubten dann auf anderen Märkten oder gleich in Soest zurückkaufen konnten, oder erpressten Geld – nicht viel, meist nur wenige Reichstaler. Gewalt gegenüber der Bevölkerung kam selten vor, auch von Sachbeschädigungen oder der wahllosen Zerstörung von Gütern wird kaum berichtet; konfessionelle Motive fehlen vollständig. Dabei erfolgt fast nie eine Klassifizierung der Söldner als brandenburgisch, abgesehen vom Titel, der von »Churf. Brandeburgischen reutern vnndt Soldaten« spricht, ist dagegen nur an ganz wenigen Stellen von den »Statischen« die Rede (Pfingsten 1625).22 Die Söldner machten keinen Hehl daraus, woher sie kamen; ausnahmslos konnten sie einer bestimmten Garnison – meist eben der Soester – zugeordnet werden. Falls möglich, wurden einzelne Söldner beschrieben oder namentlich benannt,23 besonders Offiziere werden aufgeführt wie der Fähnrich Langenauer, der an einem Diebstahl von drei Pferden beteiligt war,24 und ein Korporal Jörgen »vnnder dem Obristenn Gentz [!]«, der eine Quittung über verursachte Schäden abgezeichnet hatte.25 Damit konnten die Geschädigten die Glaubwürdigkeit ihrer Berichte erhöhen, vielleicht auch die Chancen, die verantwortlichen Militärs direkt für den Schaden haftbar zu machen. Die Beteiligung von Offizieren machte deutlich, dass diese Aktionen keineswegs gegen die Anordnung oder auch nur ohne Kenntnis der Befehlshaber durchgeführt wurden. Diese wussten vielmehr Bescheid und führten die Trupps in eigener Person an. Die immer wieder notierte Beteiligung von Offizieren widerlegte auch die sonst oftmals gemachten Ausflüchte, bei den Streifparteien handele es sich nicht um reguläre, in Diensten stehende Kriegsknechte, sondern einfach nur um räuberisches Gesindel. Vielmehr lag der Verdacht nahe, dass die Streifzüge und Plünderungen den Kommandeuren der generalstaatischen Truppen nicht nur bewusst waren, sondern dass sie diese zumindest stillschweigend billigten. Dies passte auch zu einem anderen Befund, den beispielsweise Johann Schuldt in Beringhausen, unweit Meschede, machte. Er musste Mitte Juni 1625 (»vmb S.Viti zeit«) sechs Söldner aus Soest bei sich unterbringen und verköstigen.26 Sein Hinweis auf eine Salvaguardia, die er von Oberst Gent erhalten habe, wurde nicht nur ignoriert, sondern führte letztlich dazu, dass auf seinem Gut Feuer gelegt wurde und ein 22 LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 9r. 23 So wird LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 30v, »ein klein Trommeter, so damahln ein plaster auff der backen gehebt«, beschrieben; ebd., fol. 35v, ist ein gewisser Caspar identifiziert, der aus Brilon stammte. 24 LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 29v. 25 LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 40r. 26 LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 4r.

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erheblicher Sachschaden entstand. Wenn die Söldner sich so sicher waren, dass sie den Schutzbrief ihres eigenen Kommandanten missachten konnten, resultierte dies offenkundig aus der Gewissheit, dass Oberst Gent die von ihm ausgegebenen Salvaguardien selbst nicht ernst zu nehmen bereit war. Dies war kein Einzelfall, wie ein weiterer für das Jahr 1625 belegter Vorfall im Kirchspiel Büderich im Amt Werl zeigte. Dort erpresste ein »Soestischer Soldat« vom dortigen Schulten neuneinhalb Reichstaler.27 Dabei gehörte der Söldner namens Johann Hertzog genau zu der Kompagnie, die im nahegelegenen Wickede eigens als (sogenannte lebendige) Salvaguardia einlogiert worden war : Die zum Schutz der Bevölkerung abgestellten Söldner entpuppten sich als diejenigen, die sie erst recht drangsalierten. In einem Fall wurde über die abgepressten Gelder sogar eine Quittung ausgestellt: Den Erhalt von 112 Reichstalern quittierte mit Korporal Jörgen immerhin ein Offizier der Soester Garnison.28 Dabei waren Nachrichten über körperliche Gewalt vergleichsweise selten – da konnten sich zwei Männer bei Volkringhausen, die eine Soester Partei zu erschießen drohte, retten, indem sie ihre Waffen (»Jhre Rohren vnndt gewehr«) abgaben.29 Dem Schulten Scheffer wurden die Hände auf den Rücken gebunden, bis er 23 Reichstaler bezahlte.30 Bei Olpe wurde Peter Feldtmann bei einem Überfall durch beide Beine geschossen.31 Schlimm traf es einen Bauern, den Soldaten aus Soest Ende Mai 1626 in seinem Haus überfielen: Erst wurde er von ihnen übel verprügelt, dann wurde er an einem Seil um den Hals herumgeschleift, bis er ihnen in seiner Todesangst 100 Reichstaler versprach.32 Der zuletzt geschilderte Fall weist auf das vorherrschende Muster hin, nach dem die Streifparteien aus Soest verfuhren. Vielfach erpressten sie direkt in den Dörfern und kleinen Städtchen Gelder, noch häufiger raubten sie Vieh und vor allem Pferde. So wurden den Einwohnern von Messinghausen, als sie einige Tage vor Ostern 1626 gerade vom Kirchgang zurückgekommen waren, viele Pferde geraubt, die die Beraubten »ein iedes für 14 Reichsthaller ohne anndere vnkosten Jnn Soest rantzionniren vnd daselbsten die gelder erlegen müßenn«.33 Eine Geiselnahme war selten, doch 1626 wurde ein Einwohner aus dem Dorf Rösenbeck bei Brilon so lange gefangen gehalten, bis die Ranzion von 30 Reichstalern bezahlt worden war.34 Schilderungen dieser Art, auch aus der Perspektive der Betroffenen und 27 28 29 30 31 32 33 34

LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 9r. LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 40r. LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 28v. LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 9v. LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 39r. LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 40r. LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 34r. LAV NRW R, Kurköln VII, 48/1, fol. 35r.

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Geschädigten, lassen sich in der »Designatio« vielfach in dieser und ähnlicher Weise auffinden. Dabei ist bemerkenswert, dass es sich bei der Quelle um eine Auflistung jener Vorfälle handelt, die vor allem auf das Konto der unter dem Kommando des Obersten Gent in Soest logierenden Garnison gingen. Von Baron Gent und Truppen unter seinem Kommando wird auch im Folgenden immer wieder die Rede sein. Denn gerade mit seinem Namen verbanden sich in vielen Fällen die generalstaatischen Aktivitäten auf Reichsgebiet. Zumindest war dies zum Ende der 1620er Jahre der Fall, als die Generalstaaten im Kampf gegen die Spanier immer mehr die Oberhand gewannen. Die »Designatio« protokollierte sogar noch eher die Jahre zuvor, in denen, wie sich zeigte, die Belastungen für die Bevölkerung ebenfalls sehr groß waren. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass sämtliche Vorfälle, die die »Designatio« schildert, politisch eine neue Qualität besaßen. Zwar entsprang die Besetzung Soests eher dem Ansinnen, die Grafschaft Mark zu kontrollieren; es war also eine militärische Maßnahme, die man in den Rahmen des Erbfolgestreits stellen konnte. Doch das Treiben der dort stationierten generalstaatischen Truppen berührte eben nicht mehr märkisches und dann bergisches Territorium – also Länder aus der Jülicher Erbmasse –, sondern griff auf kurkölnisches Gebiet über und berührte damit einen Reichsstand, der weder in den Erbfolgestreit noch sonst in den spanisch-niederländischen Krieg involviert war. Die Operationen des generalstaatischen Militärs gingen also weit über den engeren Rahmen des Erbfolgestreits hinaus. Hier zeigten sich die Generalstaaten als eine militärische Macht, die alle Reichsstände am Niederrhein und den angrenzenden Territorien bedrohte. Es waren aber nicht nur Soldaten der Soester Garnison aktiv ; praktisch aus allen Stützpunkten, die die Generalstaaten am Niederrhein besetzt hielten, waren Söldnertrupps unterwegs. Ende 1623 überfiel ein Trupp aus der Garnison zu Rees Fuhr- und Kaufleute aus dem kurkölnischen Uerdingen, die aus Rheinberg Gerste transportierten. Drei Kaufleute wurden nach Rees verschleppt und mussten sich freikaufen.35 Auch den Söldnern aus der Garnison in Wesel wurden einige Überfälle zur Last gelegt, so etwa ein Überfall auf stadtkölnische Boten.36 Zum Ende der 1620er Jahre nahm die Tätigkeit generalstaatischer Streifparteien deutlich zu, sicherlich befördert durch die wachsenden Erfolge im Kampf gegen die Spanier. Auch ihr Aktionsradius erfuhr noch einmal eine deutliche Ausweitung. So befürchtete der Kurfürst von Mainz im September 1629, dass generalstaatische Trupps bis zum Main vorstoßen und sich dort 35 Kurköln an Veecken, Bonn 18. Mai 1624, LAV NRW R, Kurköln VII, 47/3, fol. 212r–v (Ausfertigung mit Korrekturen). 36 Reichsstadt Köln an den Gouverneur zu Wesel, 19. Juli 1631, HAStK, Briefbücher 145, fol. 181v–182r.

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festsetzen würden; auch die Pfalz, die damals teils spanisch, teils kurbayerisch besetzt war, sah er gefährdet.37 Die Kommandos kamen auch nicht nur aus den Garnisonen im Herzogtum Kleve, sondern auch von weiter nördlich gelegenen Stützpunkten. So streiften im Kurkölnischen 1631/32 Trupps aus den Garnisonen Groenlo und Bredevoort, die nun nicht ins näher gelegene Hochstift Münster einfielen, sondern offenbar problemlos rund 140 Kilometer Luftlinie bis in das Amt Lechenich bewältigten.38 Besorgnis erregte nicht nur die Reichweite dieser Unternehmungen, sondern auch ihre Häufigkeit. Wenige Wochen später berichtete der kurtrierische Amtmann zu Freusberg (Freusburg) von umherstreifenden Parteien, namentlich aus Soest, Wesel und Herzogenbusch, »Ja vnd schier auß allen Guarnisonen«: Deren Tätigkeit nehme derart überhand, »daß bißweilen einen tag 3 vndt mehr Partheyen sich finden«.39 Die neue Qualität der generalstaatischen Aktivitäten, »das Sie sich so weit herauf, vnnd vf des Reichs ohnmittelbaren grundt vnd boden begeben, vnnd darinnen dergleichen gewalt vnnd feindtsthetlichkheiten veryebt haben«, beunruhigte auch Kurfürst Maximilian von Bayern, den der Kurfürst von Mainz auf diese neue Bedrohung hingewiesen hatte.40 Immer wieder waren es auch Geistliche, die offenkundig zu den bevorzugten Opfern der Streifparteien zählte. Im Vest Recklinghausen kam es bereits in den Jahren 1622/23 zur Entführung von Priestern, was sich in ausführlichen Verhandlungen mit den Generalstaaten niederschlug.41 Inwieweit hier eine konfessionspolitische Agenda eine Rolle spielte, ist im Einzelfall schwierig zu entscheiden. Eindeutig erscheint allerdings das generalstaatische Eingreifen in Essen, wo die Äbtissin gegenreformatorische Maßnahmen in der Stadt unter dem Schutz einer dort einlogierten spanischen Garnison durchführen konnte. Diese zog Ende April 1629 ab, und schon im Herbst quartierten sich dort generalstaatische Truppen ein: Die protestantische Partei bekam nun die Oberhand.42 In späteren Jahren kam es besonders im Kurtrierischen zu Vorfällen, bei denen Geistliche unter den Streifzügen der generalstaatischen Söldner zu leiden 37 Kurmainz an Kurbayern, Mainz 1. September 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 53r–54r (Konzept). 38 Material dazu in LAV NRW R, Kurköln VII, 52/1, etwa Kurfürst Ferdinand an den Agenten van der Veecken, Bonn 17. Mai 1632, fol. 74r–75r (Konzept), und ders. an den Amtmann zu Lechenich, o. O. o. D. [ca. Juli 1632], fol. 152r–v (Konzept). 39 Amtmann zu Freusberg an kurtrierische Räte zu Koblenz, Holdingshausen 10. Dezember 1629, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 3r–v (Ausfertigung). 40 Maximilian von Bayern an den Kurfürsten von Mainz, Schloss Isareck 21. August 1631, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 29r–29a v (Ausfertigung). 41 Vgl. die Korrespondenz des Agenten Johann van der Veeckens mit dem Kurfürsten von Köln, aber auch mit Bertram von Nesselrode als Statthalter im Vest in LAV NRW R, Kurköln VII, 43. 42 Hermann Schröter, Die Besetzung der Stadt Essen durch die Holländer im Dreißigjährigen Krieg, in: Das Münster am Hellweg 15 (1962), S. 123–132, hier S. 125–127.

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hatten. Dies berichtete Kurfürst Philipp von Sötern im Januar 1630 an Graf Johann Ludwig von Nassau-Hadamar,43 der ihn einige Zeit später über einen ähnlichen Vorfall informierte, als nämlich ein Jesuit gefangen genommen wurde.44 Dieser Fall zog sich eine geraume Weile hin. Die »Streuffer«, wie sie genannt wurden, hielten den Pater in den Wäldern, in Dörfern und an »geheimen orten« fest. Dabei wurde er schlecht behandelt (»sehr Jamerlich«) und sah sich stets mit der Drohung konfrontiert, man werde ihm die Ohren abschneiden, den Leib zerschlagen und ihn am Ende töten. Wegen der Ranzionierung standen die Entführer in Briefkontakt mit dem Grafen von Nassau-Hadamar ; immerhin gelang es im Laufe der Zeit, die geforderte Summe von 1.500 auf 500 Reichstaler herunterzuhandeln. Dass Graf Johann Ludwig um den Pater so bemüht war, resultierte aus seiner Konversion zum Katholizismus im Jahr zuvor, ein Vorgang, der nicht nur zur Abführung kaiserlicher Truppen, sondern auch zu gegenreformatorischen Maßnahmen in seinem Territorium führte.45 Auch im pfälzischen Gebiet, das ja damals teils spanisch, teils kurbayerisch besetzt war, waren generalstaatische Streifparteien aktiv. Sie wurden hier aufmerksam auch von kurmainzischer Seite beobachtet, ein Hauptmann berichtete davon, dass sie »ein geistlichen bey braunfels weg gefuret vnnd vmb etlich hundert Reichstaller rantioniret haben«.46 Für diese vereinzelten Überfälle und Erpressungen waren vor allem Trupps von einem Dutzend Soldaten verantwortlich, den Überfall in Lechenich etwa verübten neun Mann einer Streifpartei aus der Garnison Groenlo.47 Gerade Ende der 1620er Jahre waren aber auch deutlich stärkere Einheiten unterwegs. So kamen Gerüchte auf, dass »etlich tausent man« die Stadt Siegen berannt hätten.48 Nun erschien diese Nachricht wenig glaubwürdig und wurde, wie nur wenige Tage später gemeldet wurde, »aller orthen vor ein ohnbegrundtes geschrey ge-

43 Kurtrier an den Grafen zu Hadamar, Koblenz 17. Januar 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 8r (Konzept). 44 Johann Ludwig Graf zu Nassau an Kurtrier, Hadamar 28. März 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 31r–32r (Ausfertigung). 45 Zur Konversion des Grafen und der daraufhin angestrengten gegenreformatorischen Maßnahmen vgl. Ernst Friedrich Keller, Die Drangsale des Nassauischen Volkes und der angrenzenden Nachbarländer in den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, seine Helden, Staatsmänner und andere berühmte Zeitgenossen. Ein Beitrag zur inneren Geschichte jener Zeit, nach archivalischen und anderen Quellen, Gotha 1854, S. 107–124. 46 Hans Peter Eltz, Hauptmann auf Königstein, an Kurmainz, Königstein 11. August 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 10r–v (Ausfertigung). 47 Kurfürst Ferdinand an Agenten van der Veecken, Bonn 17. Mai 1632, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/1, fol. 74r–75r (Konzept mit Verbesserungen). 48 Hauptmann zu Königstein an Kurmainz, Königstein 29. August 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 34r (Ausfertigung).

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halten«.49 Doch Angst beeinflusste auch die politischen Entscheidungen, und es stand außer Zweifel, dass manche Streiftrupps schon ein paar Hundert Söldner stark waren. Dies galt auch für das generalstaatische Kommando, das mit 200 Reitern und 400 Fußsoldaten am 9. August 1629 die Reichsstadt Wetzlar überfiel und ausplünderte.50 Unabhängig von der Stärke der jeweiligen Trupps wurde immer wieder deutlich, dass sich die generalstaatischen Söldner in der Region, in der sie tätig waren, gut auskannten. Als sich im schon oben erwähnten Fall des Anfang 1630 entführten Jesuitenpaters aus Nassau-Hadamar die Verhandlungen hinzogen, wurde der Verschleppte durch Wälder und Hecken geschleppt und in Dörfern und an diskreten Plätzen festgehalten;51 jedenfalls hatten die Entführer offenkundig keine Probleme, das Spiel auf Zeit mitzumachen. Ebenso war erkennbar, dass die Streifparteien mit guten und aktuellen Informationen versorgt wurden. Im Spätsommer 1629 war ein Kommandounternehmen auf den spanischen Gouverneur in der Unterpfalz Don Philippo de Sylva geplant; doch die generalstaatischen Soldaten erfuhren rechtzeitig, dass der Gouverneur nach Kreuznach zurückgereist war, und brachen ihr Unternehmen ab, hielten sich dann aber an einem nassauischen Schultheißen schadlos, dem sie 60 Reichstaler abpressten.52 Geschick und Erfolg der generalstaatischen Unternehmungen ließen dann auch einen naheliegenden Verdacht aufkeimen: dass nämlich die Bevölkerung die Söldner unterstütze, ja mit ihnen gemeinsame Sache mache – so unterstellte der Dechant im hessischen Fritzlar den Bauern vielfach die »Collusion« mit den Streifparteien.53 Und selbst der Kurfürst von Trier mahnte die Westerwälder Grafen, den umherstreifenden Söldnern keinen Unterschlupf (»vnterschleiff«) zu gewähren; andernfalls, so drohte Kurtrier, würde man beim Kaiser um eine »abermahlige vnd stärckere einquartirung« in ihren Landen nachsuchen.54

49 Rudolf Sparr von Greiffenberg an Kurmainz, Königstein 3. September 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 66r–67r (Ausfertigung). 50 Rudolf Sparr von Greiffenberg, Oberamtmann zu Königstein, an den Kurfürsten von Mainz, Obermörlen 10. August 1629, »abents vmb 9 vhr«, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 3r–v (Ausfertigung). Dem Bericht des Hauptmanns zu Gießen über den generalstaatischen Überfall auf Wetzlar zufolge, o. D., StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 23r–24r (Kopie), konnte »in allem die Parthey über dreyhundert man geschetzet« werden. 51 Johann Ludwig Graf zu Nassau an Kurtrier, Hadamar 28. März 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 31r–32r (Ausfertigung). 52 Rudolf Sparr von Greiffenberg an Kurmainz, Königstein 3. September 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 66r–67r (Ausfertigung). 53 Dechant und Kapitel zu Fritzlar an Kurmainz, Fritzlar 28. August 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 90r–v (Ausfertigung). 54 Kurtrier an westerwäldische Grafen (Sayn, Wittgenstein, Wirdt, Westerburg, Runckel,

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Der Argwohn der Obrigkeit, dass die eigene Bevölkerung mit den durchziehenden Söldnern gemeinsame Sache machte, entsprang mitunter der nackten Angst vor rebellischen Gelüsten der Untertanen. So befürchtete etwa Kurfürst Maximilian von Bayern, dass der geächtete Pfalzgraf Friedrich mit generalstaatischer Hilfe die Unterpfalz wiederzugewinnen trachtete und dabei auf die Unterstützung der dortigen Untertanen setzte.55 Auch die Äbtissin von Essen, Maria Clara von Spaur, die in ihrem Stift eine rigorose Rekatholisierung durchgeführt hatte, misstraute den Bürgern der Stadt. Gerade unter dem Eindruck der Eroberung Wesels 1629 durch die Generalstaaten unterstellte sie den Essenern, dass sie »dergestaldt animirt worden, daß Sie sich außtruckhlich verlauten laßen, die Kirchen widerzunemmen, die schulen wieder anzufangen, die Praedicanten einzufuhren, […] den Patribus einen schimpff zuthun, den Geistlichen Jre Häuser ia die Kirchen selbst zuplundern, vnd dergleichen insolentien viel.«56 In vielen Fällen war die bei den Untertanen vermutete Kollaboration aber nur eine Unterstellung, die aus der obrigkeitlichen Hilflosigkeit entsprang. Die begrenzten Möglichkeiten eines Landesherrn, Schutz zu gewähren, führten dazu, dass sich die Bevölkerung mit den Militärs arrangierte. Was blieb ihr auch anderes übrig?57 Gleichwohl war es für die Bevölkerung am Ende unerheblich, welche Armeen durch ihr Land zogen und Kriegssteuern erhoben oder einfach nur raubten und plünderten. Bezeichnend ist die Beiläufigkeit, mit der Anfang 1631 die bergische Freiheit Monheim über die »langwirige[] betreubte[] Kays[erliche] contribution wie auch Staidtische[]« klagte, sodass die Monheimer nun »in grundt verderbte vnderthanen« wären und nicht mehr fähig seien, die angekündigte Einquartierung von 25 Soldaten samt neun Soldatenfrauen und 22 Kindern vom ligistischen Regiment Erwitte auszuhalten.58 In diesen Jahren war längst offenbar

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Weilburg, Dillenburg, Hadamar), Koblenz 21. März 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 24r–25r (Konzept). Kurfürst Maximilian von Bayern an den Kurfürsten von Mainz, München 9. Oktober 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 105r–106v (Ausfertigung). Diese Haltung ist beispielhaft für die Maximilians handlungsleitende Sorge um die Bewahrung der pfälzischen Kur als seinen Kriegsgewinn und ein Kontinuum seiner Politik dieser Zeit. Äbtissin zu Essen an Kurfürst Ferdinand von Köln, 21. August 1629, praes. Arnsberg 26. August 1629, LAV NRW R, Kurköln VIII, 545, fol. 60r–61r (Ausfertigung). Zum schwierigen, mitunter aber auch konfliktfreien Verhältnis zwischen den Söldnern und der Bevölkerung vgl. grundsätzlich Michael Kaiser, Die Söldner und die Bevölkerung. Überlegungen zu Konstituierung und Überwindung eines lebensweltlichen Antagonismus, in: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster u. a. 2000, S. 79–120, insb. S. 101–104; mit Bezug zum Rheinland Kaiser, Überleben (wie Anm. 5), S. 220–223. Bürgermeister und Gemeinde der Freiheit Monheim an den Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm, o. O. o. D. [Monheim, Anfang Januar 1631], LAV NRW R, Jülich-Berg II, 3102, fol. 18r–v (Ausfertigung).

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geworden, dass sich kaum eine Armee um landesherrliche Rechte kümmerte.59 Nicht nur das kurkölnische Gebiet, sondern auch die angrenzenden Territorien waren längst zum Kriegstheater geworden – mit allen negativen Konsequenzen für die Bevölkerung.

III.

Die schwierige Wahl der Mittel – Gegenmaßnahmen der Reichsstände

In welcher Weise konnten die Reichsstände nun auf die generalstaatischen Aktionen reagieren und wie konnten sie, wie es der Kurfürst von Trier vor dem Hintergrund dieser Vorfälle formulierte, »Sicherheit pflanzen«?60 Ein naheliegender Gedanke war, auf militärische Gewalt auch eine militärische Antwort zu geben. Dass sich dafür vor allem Militärs stark machten, kann nicht verwundern. So war besonders der Feldherr der Katholischen Liga Johann Tserclaes Graf von Tilly für seine kompromisslose Haltung gegenüber den Generalstaaten bekannt, die er als »uranstifter alles unheils in- und ausserhalb des reiches« ansah.61 Der Feldherr plädierte früh und vor allem durchgängig für rigorose Gegenmaßnahmen gegen niederländisches Militär auf Reichsboden und insbesondere in Territorien von Ligaständen.62 Doch genau hier widersprach ihm Maximilian von Bayern als Bundesoberst der Liga: Ein solches Agieren würde nur die Neutralität »rumpieren« und die Liga in einen Krieg gegen Den Haag führen, was unbedingt vermieden werden sollte. Entsprechend erging während der 1620er Jahre konsequent die Anweisung an Tilly, sich eben nicht mit den Generalstaaten auf Gefechte einzulassen und die Neutralität unbedingt zu halten.63 Kennzeichnend für die Politik der Liga war das Prinzip der Defension, demzufolge die Truppen der Ligastände für die territoriale Integrität eines jeden Bundesmitglieds zu sorgen hatten. So besehen hätten die Ligatruppen direkt gegen generalstaatisches Militär eingreifen müssen. Doch hier kollidierte das 59 Vgl. Kessel, Spanien (wie Anm. 7), S. 196. 60 Kurtrier an westerwäldische Grafen (Sayn, Wittgenstein, Wirdt, Westerburg, Runckel, Weilburg, Dillenburg, Hadamar), Koblenz 21. 3. 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 24r–25r (Konzept). 61 Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618–1651, Teil 2, Bd. 3: 1626, 1627, bearb. v. Walter Goetz, Leipzig 1942, S. 499 (ca. April 1627). 62 Vgl. die frühe Einschätzung Tillys aus dem Jahr 1623, dass das Reich auf keinen Frieden hoffen könne, bis nicht die Generalstaaten »exterpiert seint«, Michael Kaiser, Der Krieg in der ›Wetterecke der europäischen Politik‹. Kurköln und die Kriegführung der Liga unter dem Feldherrn Tilly (1621–1630), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 98 (1997/98), S. 29–66, hier S. 49. 63 Vgl. grundsätzlich dazu Kessel, Spanien (wie Anm. 7); Kaiser, Politik (wie Anm. 4), S. 205–235.

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Defensionsprinzip mit demjenigen der Neutralität, zumal innerhalb der Liga selbst weitestgehend Konsens darüber herrschte, dass sich der Bund keinesfalls in einen Krieg mit den Generalstaaten einlassen sollte.64 Die Haltung zweier Ligastände ist in dieser Frage von besonderem Interesse: Der Kurfürst von Köln sah nicht nur sein Kernterritorium, sondern auch andere Länder seines Herrschaftsbereiches in besonderer Weise den Übergriffen generalstaatischer Truppen ausgesetzt. Das landesherrliche Bedürfnis, diesen Ländern Schutz zukommen zu lassen, war stark ausgeprägt. Dabei war sich Kurfürst Ferdinand nicht minder des Risikos eines offenen Konflikts mit Den Haag bewusst, ein Eindruck, der letztlich überwog und ihn auch die vielen generalstaatischen Bedrückungen ertragen ließ.65 Der Kurfürst von Mainz befand sich zwar nicht in einer so exponierten Lage wie Kurköln, doch sah er sein Territorium immer noch als gefährdet genug an, um sich – ungeachtet einer tendenziell durchaus kaiserfreundlichen Politik – dem Wunsch der Habsburger in Wien wie in Brüssel nach einem Kriegseintritt der Liga gegen die Generalstaaten zu widersetzen.66 Die Verletzung der Neutralität sollte also unbedingt vermieden werden – die Verteidigung gegen externe Übergriffe, auch seitens der Generalstaaten war aber ein Thema, das Kurmainz nicht weniger intensiv beschäftigte als Kurköln. Dies war bereits während der 1620er Jahre der Fall,67 doch gerade angesichts der wachsenden Bedrohung durch generalstaatische Streifzüge im Jahr 1629 fragte Kurmainz bei Maximilian von Bayern als Bundesoberstem der Liga an, »ob nicht obangedeut attentata vermittels der bundtshulff abzuwenden vnd zuverhueten sein möchten«.68 Mit der Bundeshilfe meinte der Mainzer Kurfürst den Einsatz von Ligatruppen, also genau den Fall, der eigentlich sonst immer vermieden werden sollte. Aber wann war eigentlich eine direkte militärische Auseinandersetzung mit den Generalstaaten unvermeidlich? Der bayerische Kurfürst hatte dafür fol-

64 Zur schwierigen Balance zwischen dem Prinzip der Defension und dem der Neutralität vgl. Kaiser, Krieg (wie Anm. 62), S. 50. 65 Vgl. dazu Kaiser, Krieg (wie Anm. 62), S. 32–37. 66 Vgl. dazu grundsätzlich Kessel, Spanien (wie Anm. 7); Franz Brendle, Der Erzkanzler im Religionskrieg. Kurfürst Anselm Casimir von Mainz, die geistlichen Fürsten und das Reich 1629 bis 1647, Münster 2011, S. 132f. Wichtig ist auch die Einschätzung bei Goetz, demzufolge Kurmainz durchaus die spanische Seite zu unterstützen geneigt war, um die Generalstaaten nicht zu mächtig werden zu lassen, Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618–1651, Teil 2, Bd. 4: 1628–Juni 1629, bearb. v. Walter Goetz, München 1948, S. 433, Z. 33f. 67 Zur schwierigen Einhaltung der Neutralität vgl. auch Kessel, Spanien (wie Anm. 7), insb. S. 249–262 für die späten 1620er Jahre. 68 Kurmainz an Kurbayern, Mainz 1. September 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 53r–54r (Konzept).

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gende Formel entwickelt:69 Das Ausgreifen generalstaatischer Truppen weit ins Reich hinein habe er »mit befrembden: sonderlich aber vast vngern vernommen«. Da sich dieser Einfall aber gegen eine spanische Garnison gerichtet habe und Truppen der Liga nicht attackiert worden seien, hielt er fest, dass dies »für kheinen bruch der neutralitet« zu halten sei. Zugleich betonte er, dass man sich im Falle eines direkten Angriffs auf Ligatruppen und der Invasion weiterer Ligastände mit Fug und Recht militärisch zur Wehr setzen könne. Wenn es auch direkte Kämpfe zu vermeiden galt, so sollte doch zumindest ein weiteres Ausgreifen der niederländischen Truppen verhindert werden. Als sich zum Ende der 1620er Jahre der Aktionsradius der generalstaatischen Streiftrupps erweiterte, galt es auch, mit präventiven Schutzmaßnahmen gegenzusteuern. Auf diese Weise war es leichter, die Neutralität zu wahren; gleichzeitig bestand damit die Chance, dass die Liga dem Auftrag zur Defension der Bundeslande gerecht wurde. In diese Richtung argumentierte bezeichnenderweise Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, der als lutherischer Reichsstand gar nicht Mitglied der Liga war. Aber er befürwortete solche Maßnahmen, weil die Präsenz spanischer Truppen unabsehbare Folgen hatte: Beließe man diese an ihren bisherigen Positionen, würde »man sedem belli ie länger ie mehr herauf ins Reich ziehen«. Konsequenterweise war sein Vorschlag, die spanischen Einheiten mit Truppen »sonderlich etwa von der Tillyschen armee (als welche mehrers neutral ist)« zu »surrogiren«.70 Bemerkenswert war hierbei vor allem der Hinweis, dass die ligistischen Truppen offenbar noch mehr als die Kaiserlichen – also diejenigen unter Wallenstein – den Generalstaaten gegenüber als neutral auftreten konnten.71 Dass in manchen Regionen ligistische Truppen mit denen anderer Armeen sehr nah, ja geradezu vermischt einquartiert waren und damit die Neutralität gefährdeten, machte diese Überlegungen nur noch dringlicher.72 Auch der Überfall auf die Reichsstadt Wetzlar im August 1629 konnte hier angeführt werden, denn die Stadt war nicht zuletzt deswegen angegriffen worden, weil in ihr eine spanische Garnison einlogiert war. Beim Überfall wurden offenbar gezielt die spanischen Söldner angegriffen.73 Tatsächlich wurde die Idee, in bestimmte feste Plätze ausschließlich ligistische und keine anderen Truppen ein69 So Maximilian von Bayern an den Kurfürsten von Mainz, Schloss Isareck 21. August 1631, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 29r–29a v (Ausfertigung). 70 Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt an den Kurfürsten von Mainz, Marburg 4. November 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 145r (Ausfertigung). Ähnliche Gedanken gab es auch bei Kurköln, vgl. Kessel, Spanien (wie Anm. 7), S. 197 u. 199. 71 Dieser Meinung war auch Kurmainz, Stadler, Pappenheim (wie Anm. 6), S. 433f. 72 Vgl. dazu Kaiser, Krieg (wie Anm. 62), S. 52. 73 Vgl. den Bericht des Hauptmanns zu Gießen über den generalstaatischen Überfall auf Wetzlar, o. D., StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 23r–24r (Kopie).

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zulegen und sie auf diese Weise vor einem generalstaatischen Zugriff zu schützen, durchaus aufgegriffen. Dies zeigt etwa das Beispiel des Schlosses Pyrmont, das im Spätsommer 1630 eine ligistische Garnison erhalten sollte. Zwar regte sich zunächst Widerstand bei der Regierung des Hochstifts Paderborn, die die Grafschaft Pyrmont gegen waldeckische Ansprüche für sich reklamierte.74 Doch dieser schwelende Rechtsstreit konnte den ligistischen Kommandeur Pappenheim nicht abhalten, Ende August eine Abteilung ligistischer Söldner nach Pyrmont zu verlegen. Dies geschehe, so begründete er die Maßnahme zunächst ganz allgemein, damit »durch ferrnere einfähle der General Staaden das gemaine wesen nicht in gefahr gesezt werde«.75 Dabei stützte sich der Generalfeldzeugmeister der Liga explizit darauf, dass dies »im Namen meiner Herren vnd Supperioren« geschehe, womit die Katholische Liga gemeint war. Dies war jedoch insofern etwas heikel, als das Hochstift Paderborn zum Bischofsreich Ferdinands von Bayern gehörte, der als Kurfürst von Köln prominentes Mitglied der Liga war. Ferdinand hätte in diesem Fall zwar lieber eine eigene, Paderborner Schutztruppe in Pyrmont gesehen, doch da er ansonsten durchaus erpicht darauf war, die Truppen der Liga zum Schutz gegen generalstaatische Einfälle eingesetzt zu sehen, musste er dieses höhere Ziel wohl akzeptieren. Auch Tilly als Generalleutnant der Liga begrüßte ausdrücklich, dass »dz Schloss Pyrmont besezet, vnd dardurch vor den Hollendern in versicherung genommen worden« sei.76 Allerdings muss man selbst bei Tilly einkalkulieren, dass seine Sichtweise auch dadurch motiviert war, dass er seinerseits schon einmal im Jahr 1628 Absichten auf Pyrmont geäußert hatte und auch deswegen diese Herrschaft nicht einem generalstaatischen Zugriff ausgesetzt sehen wollte.77 Mochte Pyrmont also dazu noch Streitobjekt zwischen anderen Reichsständen gewesen sein, war man sich doch einig, dass eine niederländische Kontrolle über diesen Ort in jedem Fall zu verhindern war. Gleichwohl zeigte das Beispiel Pyrmont, dass Schutzmaßnahmen gegen generalstaatisches Militär vielfach mit anderen Interessen konvergierten, die wiederum auf Konfliktlagen fernab des eigentlichen Kriegsgeschehens hinwiesen. Gerade für den Kurfürsten von Köln lässt sich zeigen, dass er den Einsatz von Ligatruppen auch zur Konsolidierung eigener Herrschaftsrechte einsetzte, so etwa im Zuge der Kämpfe gegen Christian von Braunschweig 1623 gegenüber 74 Vgl. dazu Stadler, Pappenheim (wie Anm. 6), S. 436. 75 Generalfeldzeugmeister Pappenheim an die Regierung zu Paderborn, Hameln 16. September 1630, LAV NRW W, Fürstbistum Paderborn, Kanzlei 189, fol. 249r–v (Ausfertigung). 76 Generalleutnant Tilly an Generalkommissar Lerchenfeld, Regensburg 12. September 1630, LAV NRW W, Fürstbistum Paderborn, Kanzlei 189, fol. 250r (Extractkopie für Pappenheim an Paderborner Regierung). 77 Vgl. die Nachricht bei Forst, Correspondenz (wie Anm. 2), S. 298; zum Kontext Kaiser, Politik (wie Anm. 4), S. 27.

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Städten im Hochstift Münster.78 Wie sehr in die Abwehr einer äußeren Bedrohung ganz andere Ambitionen und Interessen einflossen, wurde ebenso bei den Vorgängen um das Kloster Altenberg deutlich, das Ende Oktober 1629 von einem generalstaatischen Kommando überfallen wurde.79 Der Prior des Klosters hielt es für notwendig, »bey Jhro Excellentz Printz [sc. Friedrich] Henrichen oder Obristen Genthen schrifftliche Saluaguardia fur daß Closter, damit wihr desto Ruhiger vndt sicherer mögen sein, ohnseumlich außzubringen«.80 Genau diesem Ansinnen widersprachen sowohl der Hauptmann zu Gießen als auch der Statthalter zu Marburg gegenüber dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt: Dies sei »nicht Rahtsamb« und »auß vielen vrsachen bedencklich« – welche konkreten Hintergründe dies waren, machten beide gegenüber ihrem Landesherrn nicht explizit.81 Dabei war das eigentliche Ziel auf hessen-darmstädtischer Seite ohnehin klar, wie die Idee erkennen ließ, die der Statthalter von Marburg formulierte: Der Landgraf solle dem Kloster den Vorschlag unterbreiten, »wen sie [gemeint ist der Konvent zu Altenberg] etwaß vermercktten, vndt es E F G hauptman notificirten, daß derselbe ein hundertt oder mehr man vffbringen vndt auff Jhr Closters vnderhalttung alda zum Schutz vndt Rettung eilents einlegen soltte«.82 Hessen-Darmstadt verfolgte eindeutig das Ziel, die Zugriffsrechte auf das Kloster Altenberg zu stärken. Die militärische Bedrohung seitens generalstaatischer Truppen war hier ein willkommener Anlass, um diese territorialen Arrondierungen zu forcieren. Entsprechend schloss der Statthalter mit der relativierenden Bemerkung, dass Oberst Gent ohnehin erklärt hätte, »daß solche dinge ohn sein vorwißen geschehen«. Da auch andere Parteien und nicht nur solche aus Soest in dieser Gegend unterwegs wären, könne man von dessen Seite nicht mehr als die bisherigen Erklärungen erwarten. Beide Vorgänge, in Pyrmont wie in Altenberg, lassen erkennen, dass von den Überfällen Betroffene nicht allein im generalstaatischen Militär eine Gefahr erblicken mussten. Mitunter stand für Klöster und kleinere Herrschaften mehr 78 Vgl. dazu Kaiser, Politik (wie Anm. 4), S. 164. 79 Eine Schilderung der Vorkommnisse findet sich bei der Eingabe des Konvents des Klosters Altenberg an Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, Altenberg 3./13. November 1629, HessStAD, Best. E 8 A, Nr. 69/1 [unfol.] (Ausfertigung). 80 Johannes Biden, Prior zu Altenberg, an Hauptmann zu Gießen Ulrich Eberhardt von Buseck, Altenberg 18. Januar 1630, HessStAD, Best. E 8 A, Nr. 69/1 [unfol.] (Kopie als Beilage zu Georg Riedesel zu Eisenbach, Statthalter zu Marburg, an Landgraf Georg II. von HessenDarmstadt, Marburg 12. Januar 1630). 81 Ullrich Eberhard von Buseck, Hauptmann zu Gießen, an Statthalter zu Marburg Georg Riedesel zu Eisenbach, Gießen 11. Januar 1630, HessStAD, Best. E 8 A, Nr. 69/1 [unfol.] (Kopie), und Georg Riedesel zu Eisenbach, Statthalter zu Marburg, an Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, Marburg 12. Januar 1630, ebd. (Ausfertigung). 82 Georg Riedesel zu Eisenbach, Statthalter zu Marburg, an Landgraf Georg II. von HessenDarmstadt, Marburg 12. Januar 1630, HessStAD, Best. E 8 A, Nr. 69/1 [unfol.] (Ausfertigung), das folgende Zitat ebd.

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auf dem Spiel als nur eine Kontributions- oder Lösegeldforderung einer Streifpartei. Dies konnte die Bedrohung durch die niederländischen Kommandos nur unwesentlich relativieren. Möglicherweise ist dies aber auch eine Erklärung dafür, dass man eher die Überfälle hinzunehmen gewillt war als benachbarte Reichsstände zu Mediatisierungsversuchen zu ermutigen. Generell verhielten sich aber die Reichsstände gegenüber den Generalstaaten sehr vorsichtig und waren darauf bedacht, sie nicht zu provozieren. Diese Haltung wurde noch verstärkt durch den von den Generalstaaten erhobenen Vorwurf, dass sie selbst unter Überfällen der anderen Seite zu leiden hätten. Als 1630 die Liga Pyrmont besetzte und deren Truppen eine Paderborner Schutztruppe ersetzen sollten, erläuterte Pappenheim dies explizit mit dem Hinweis, »das dahero die bemelte Staaden praetext vnd gelegenheit suchen wurden, vff dz Haus [= Schloss Pyrmont] anderweit zu praetendiren […] vnd sich austruckhlich mit disen formalibus vermerckhen lassen, sie sein außgeschickht vff die Paderbornische schnapphannen so in Pyrmont sein zustraiffen«.83 Sollte man sich also gegen umherstreifende Söldnertrupps zur Wehr setzen? Gerade der Mechanismus der erpresserischen Gefangennahme, das sogenannte Fangen und Spannen also, wurde als besonders bedrückend wahrgenommen.84 Eine Möglichkeit war sicherlich die Risikominimierung: Wer konnte, ging erst gar nicht auf Reisen. Allerdings nahm man in diesen Fällen andere Nachteile in Kauf, wie etwa die Landstände, die angesichts einer anhaltenden Tätigkeit von Streifparteien erst gar nicht ausgeschriebene Landtage besuchten, oder wie Kaufleute, die ihre eingeschränkte Handelstätigkeit mit Profiteinbußen bezahlten.85 Als alternative Lösung erscheint der Versuch des Jesuitenordens, ganz aus dem System der Gelderpressung auszubrechen. So habe der Orden beschlossen, »daß zu verhuetung gefärliger vnd böser Consequentz, dz keiner auß Jhnen, wan er gefangen würd, nit geranzonirt, oder gelöset werden solle, dieweill sonsten sie nimmermehr irgents wohin sicher reisen können, sondern immerdar vffgefangen, vnd zu gleichmessigen rantzoniren gezwungen zu werden sich befahren, vnd solches allerwegen gewarten müssen.«86 Im Mai 1630 fand Tilly, der Generalleutnant der Liga, auf die Bedrohung durch streifende Parteien eine 83 Generalfeldzeugmeister Pappenheim an die Regierung zu Paderborn, Hameln 16. September 1630, LAV NRW W, Fürstbistum Paderborn, Kanzlei 189, fol. 249r–v (Ausfertigung). 84 Zum ›Fangen und Spannen‹ vgl. Kaiser, Überleben (wie Anm. 5), S. 195f.; Helmut Gabel, Sicherheit und Konfession. Aspekte niederländischer Politik gegenüber Jülich-Berg vor und während des Dreißigjährigen Krieges, in: Ehrenpreis, Krieg (wie Anm. 5), S. 132–179, hier S. 155f. 85 Beispiele bei Kaiser, Überleben (wie Anm. 5), S. 196 u. 217. 86 So berichtete Johann Ludwig Graf zu Nassau an Kurtrier, Hadamar 28. März 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 31r–32r (Ausfertigung). Allerdings wollte Johann Ludwig in dem konkreten Fall unbedingt den Pater freibekommen und bat den Kurfürsten daher um Hilfe in dieser Angelegenheit.

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eindeutige Antwort: Auf die Anfrage eines ligistischen Hauptmanns erklärte er, dass »die Partheyen so man in solchen actu87 betreffen vnd Jhr Meister sein kan, stracks niedermachen zulaßen, oder gefenglich anzunehmen« seien.88 Möglicherweise war es kein Zufall, dass Tilly zuerst die Tötung, dann die Gefangennahme empfahl, denn der Generalleutnant war seit Jahren zutiefst erbittert über die generalstaatischen Übergriffe.89 Doch in seinem Hauptquartier in Stade hatte er, wenig verwunderlich, einen anderen Blick auf die Situation als die betroffenen Reichsstände am Nieder- und Mittelrhein. Die Frage nach der angemessenen Reaktion auf die generalstaatischen Streifereien stellte sich nicht nur dem Feldherrn der Katholischen Liga. Und sie wurde auch nicht nur auf der politischen Ebene diskutiert, wie etwa von Geheimen Räten eines Reichsstands, sondern auch auf einer unteren Ebene der Landesverwaltung war dies ein zentraler Punkt. Der Amtmann zu Freusberg erläuterte das Dilemma, dem er sich gegenübersah, den kurtrierischen Geheimen Räten Ende 1629: Angesichts der immer häufiger durchziehenden Streifparteien sei naheliegend, »solche gesellen vff euserst zu verfolgen«. Allerdings müsse man dann damit rechnen, dass diese Söldnertrupps, zumal »sich etlich der Partheyen deßen expresse […] vernehmen laßen«, dann erst recht anfangen würden, »die vnderthanen zufangen vnd zuspannen«.90 Die tiefe Verunsicherung zeigte sich auch in der Anweisung des Trierer Kurfürsten an den Kellner zu Freusberg im Frühjahr 1630, als es darum ging, die dortigen Geistlichen vor Überfällen durch umherstreifende Parteien zu schützen. So kündigte das kurfürstliche Schreiben zunächst an, dass man sich entschlossen habe, »eine gewisse anzahl vnion volckhs in g[enanntes] vnser ampt zu logiren, damit dergleichen rotten abgehalten vnnd sicherheidt gepflanzt werde«. Doch dieser Passus war dann getilgt worden, denn offenbar wollte Kurtrier doch nicht ligistische Truppen gegen generalstaatische Söldner aufbieten. Es blieb am Ende bei der an die Geistlichkeit gerichteten Empfehlung, »daß sich ein ieder nacher Freißburgh oder sonsten verwahrte örter eine zeitlangh retiriren wolle«91 – eine ausgesprochen defensive, ja ausweichende Richtlinie, getragen von der Hilflosigkeit, wie man mit der generalstaatischen Bedrohung tatsächlich umzugehen habe. Es blieb bei dem Versuch, die eigenen Untertanen zur Selbsthilfe gegen die umherstreifenden Söldner zu mobilisieren. Kurtrier instruierte bereits im Ja87 Gemeint war hier konkret die Gefangennahme von Personen zur Lösegelderpressung. 88 Generalleutnant Tilly an einen ligistischen Hauptmann, Stade 13. März 1630, GStAPK, I. HA Rep. 34, Nr. 109 [unfol.] (Kopie). 89 Kaiser, Politik (wie Anm. 4), S. 46, 177, 191 u. öfter. 90 Amtmann zu Freusberg an kurtrierische Räte zu Koblenz, Holdingshausen 10. Dezember 1629, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 3r–v (Ausfertigung). 91 Der Kurfürst von Trier an den Kellner zu Freusberg, Koblenz 11. Mai 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 62r (Reinschrift mit Verbesserungen).

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nuar 1630 verschiedene Amtleute, gegen die streifenden Söldnertrupps vorzugehen. Explizit sollte auch die Bevölkerung dieses Vorgehen aktiv unterstützen; ein entsprechendes kurfürstliches Patent war von den Amtleuten den Untertanen bekannt zu machen.92 Der Effekt dieser Maßnahme war aber offenkundig eher bescheiden. Die Bevölkerung ließ sich allein durch kurfürstliche Anweisungen keineswegs zum Widerstand gegen die Streifparteien ermutigen. So räumte der Kurfürst von Trier wenige Monate später ein, »daß die vorhin von vnß gegen solche partheyen emanirte patenten bey den vnderthanen wenigh früchten«.93 In Kurtrier kam man daher zu der Erkenntnis, dass Gegenmaßnahmen gegen die Streifzüge territorienübergreifend organisiert werden müssten. Schon Ende März 1630 mahnte Kurtrier die Westerwälder Grafen, sich der »Coniunctur« halber kooperativ zu zeigen.94 Der Graf von Nassau-Hadamar bot sich dann tatsächlich an, gemeinsam mit den in Freusberg liegenden kurtrierischen Soldaten gegen Streifparteien vorzugehen.95 Ebenso sagte Graf Georg II. zu Sayn und Wittgenstein zu, alles unternehmen zu wollen, um das Streifen zu verhindern; auch wolle er die Söldnertrupps nicht unterstützen und ihnen »keinen Paß vnd durchzuge zugestatten«. Im Weiteren hielt er jedoch fest, dass es vor allem auf Kurköln ankomme, wenn der Durchzug der Streifparteien bis an den Mittelrhein verhindert werden solle. Mit diesem Hinweis wollte sich der Graf allerdings nicht aus seiner eigenen Verantwortung davonstehlen. Vielmehr versicherte er dem Kurfürsten von Trier, dass er, »was ich dißfals zu abhalttung solcher streiffenden Partheyen in vnderthenigkeitt thun kan, an meinem ortt besten vermögens nach nichts ersitzen zulaßen« wolle.96 Tatsächlich bemühte sich der Kurfürst von Köln um wirksame Gegenmaßnahmen gegen die streifenden Parteien. So aktivierte er die kurkölnische Landwehr, die die generalstaatischen Kommandos abfangen sollte. Immerhin gelang es den kurkölnischen »ausgesetzten Schützen« (so der in den Korrespondenzen verwandte Begriff) im Sommer 1631 im Amt Lechenich einen Trupp von neun Mann, die

92 Der Kurfürst von Trier an die Amtleute zu Ehrenbreitstein, Limburg, Montabaur und Freußburg, Koblenz 29. Januar 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 11r (Konzept). 93 Der Kurfürst von Trier an den Kellner zu Freusberg, Koblenz 11. Mai 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 62r (Reinschrift mit Verbesserungen). 94 Kurtrier an die Westerwälder Grafen Sayn, Wittgenstein, Wirdt, Westerburg, Runckel, Weilburg, Dillenburg und Hadamar, Koblenz 21. März 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 24r–25r (Konzept). 95 Johann Ludwig Graf zu Nassau an Kurtrier, Hadamar 28. März 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 31r–32r (Ausfertigung). 96 Georg Graf zu Sayn und Wittgenstein an den Kurfürsten von Trier, Berleburg 31. Mai 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 35r–v (Ausfertigung).

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aus der generalstaatischen Garnison zu Groenlo stammten, gefangen zu nehmen.97 Die sicherlich wichtigste Maßnahme wurde aber erst im Sommer des Jahres 1631 verabredet. Die Vereinbarung firmierte mal als »Nachbarliche Vereinigung«, »vnuermeidentliche Landt Defension« oder einfach auch »Landtrettung«, stellte aber vor allem eine Territorien übergreifende Vereinbarung dar.98 In dieser verständigte sich der Kurfürst von Köln mit Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm als Herzog von Jülich und Berg über koordinierte Maßnahmen zur Abwehr der »Streuffereien«, die immer mehr überhandnahmen und den Handel schädigten. Es ging sowohl um Vorkehrungen und Alarmsysteme, als auch um die Mobilisierung der »Burger vndt Haußleuth, auch außgesetzte[n] Schutzen«.99 Breiten Raum nahm auch die Koordinierung der Abwehrmaßnahmen zwischen den beteiligten Territorien ein; deutlich spricht aus diesem Dokument die Erkenntnis, dass der Schutz der Lande nur durch gemeinsame Anstrengungen gemeistert werden könne. Die Maßnahmen, das Land gegen durch das Land streifende Parteien und deren Überfälle wehrhaft zu machen, wurden aber offenbar nur teilweise umgesetzt. Dies wird zumindest für die kurkölnische Seite deutlich. So rügte der Kölner Kurfürst im Juni 1634 den Oberkellner zu Brühl, dass entgegen seiner Anordnungen – und auch der eben erwähnten Abmachung mit Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm im August 1631 – die Landwehren und Straßen im Amt Brühl nicht mit Gräben und Schlagbäumen versehen seien.100 Zu diesem Zeitpunkt war es schon längst zu Zusammenstößen zwischen generalstaatischen Parteien und kurkölnischen Landestruppen gekommen. Wie so oft, wenn erprobte Söldner mit dem Aufgebot der Landesdefension zusammenstießen, erwies sich letzteres als unterlegen.101 In einem Fall aus dem Jahr 1632 kam bei einem solchen Zwischenfall prompt ein kurkölnischer Schütze zu Tode.102 Vor allem aber erregte die kurkölnische Gegenwehr in wachsendem Maße den Unwillen der Generalstaaten. Der Kölner Kurfürst sah sich im Frühjahr 1632 gezwungen, seinen Agenten in Den Haag deswegen klarstellen zu 97 Vgl. Kurfürst Ferdinand von Köln an Agenten van der Veecken, Bonn 17. Mai 1632, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/1, fol. 74r–75r (Konzept mit Verbesserungen). 98 Das nicht betitelte Dokument ist datiert mit Düsseldorf 28. August 1631 und in zwei Ausfertigungen vorhanden, LAV NRW R, Jülich-Berg II, 3115, fol. 8r–13v u. fol. 15r–20r (Ausfertigung), die Begriffe fol. 19v u. 20r. Der Faszikel enthält noch weitere die Bemühungen zur Landesdefension betreffende Dokumente. 99 LAV NRW R, Jülich-Berg II, 3115, fol. 16v. 100 Kurfürst Ferdinand zu Köln an den Oberkellner zu Lechenich, Bonn 22. Juni 1634, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/2, fol. 4r–v (Konzept). 101 Bekannt ist gerade in diesen Jahren das Schicksal der bayerischen Landfahnen, vgl. dazu Albrecht, Maximilian I. (wie Anm. 8), S. 379–385. 102 Kurfürst Ferdinand von Köln an den Amtmann zu Lechenich, o. O. o. D. [ca. Juli 1632], LAV NRW R, Kurköln VII, 52/1, fol. 152r–v (Konzept).

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lassen, »daß wir von den taglichen in vnseren Landen streuffenden Partheien auff den straßen getrungen werden, wieder darauff straiffen zu lassen«. Ungeachtet der niederländischen Klagen beharrte der Kurfürst darauf, dass »wir habenn offtmalß auisirt vnnd begert man wolle dergleichen Violentien in vnseren landen nit begehen, aber alles vmb sonst«.103 Hier deutete sich schon an, dass Gewalt als Antwort auf Gewalt eine gefährliche Entwicklung anstoßen konnte. Wichtig war also, dass die betroffenen Reichsstände mit den Generalstaaten selbst in Kontakt traten und nach einvernehmlichen Lösungen suchten, um diese offenbaren Konflikte gütlich beizulegen. Die Verhandlungen mit Den Haag sollen im Folgenden thematisiert werden.

IV.

Um Sicherheit und Neutralität – Verhandlungen mit den Generalstaaten

Bezeichnend für die Unsicherheit auf politischer Ebene war die Sprachregelung in der zwischen Kurköln und Pfalz-Neuburg vereinbarten »Landrettung« von 1631. In diesem Dokument war an keiner Stelle davon die Rede, dass die Gefährdung vor allem von Streifparteien aus generalstaatischen Garnisonen herrührte. Vielmehr wurde von den »Benachbarte[n] Kriegende[n] theilen« gesprochen. Dass die in dieser »Neutrall Landtrettung« festgelegten Abwehrmaßnahmen »niemandt zur Offension gemeint« waren, sondern nur die Sicherheit auf den Straßen befördern wollten, wies aber genauso in Richtung Den Haag wie folgender Hinweis: All die Maßnahmen seien »bei wehrender Jeziger beiderseits Landtschafften neutralitet, vndt auff keine andere weiters außsehende hendell vndt Occasion verstanden, vndt man dardurch zue einiger ruptur die geringste vrsach zuegeben nit gemeint seye« – Formulierungen, mit denen man an den bekannten Neutralitätsdiskurs anknüpfte.104 Die Brisanz, die bewaffneten Gegenmaßnahmen innewohnte, war jedenfalls allen betroffenen Reichsständen bewusst. Denn alle Aktionen gegen die Streifparteien lösten potenziell Vergeltungsmaßnahmen aus. So konnten Ende 1628 im Hochstift Lüttich fünf Plünderer gefasst werden. Doch generalstaatische Streiftruppen revanchierten sich »Via Repressaliarum« und setzten ihrerseits Bürger aus Lüttich fest.105

103 So die »additio Ser[enissi]mi« zu Kurfürst Ferdinand von Köln an den Agenten Johann van der Veecken, Bonn 17. Mai 1632, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/1, fol. 74r–75r (Konzept mit Verbesserungen). 104 Zwischen Kurköln und Pfalz-Neuburg vereinbarte »Landrettung«, Düsseldorf 28. August 1631, LAV NRW R, Jülich-Berg II, 3115, fol. 15r–20r (Ausfertigung), hier fol. 16v u. 19r. 105 Veecken an Kurfürst Ferdinand von Köln, Den Haag 1. Januar 1629, BayHStA, Kasten

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Dieser Mechanismus wird ein Grund dafür gewesen sein, warum die Reichsstände ihre Reaktionen auf das Unwesen der Streifparteien nicht ohne Nachfragen bei den Generalstaaten selbst organisierten. Grundsätzlich gab es hier zwei mögliche Adressen. So konnte sich ein betroffener Landesfürst direkt nach Den Haag wenden und dort wiederum entweder die Versammlung der Generalstaaten anrufen oder den Prinzen von Oranien in seiner Funktion als Statthalter der Vereinigten Niederlande. Besonders Kurköln wählte diesen Weg und ließ regelmäßig seine Klagen vor den Herren Staaten vortragen, wenn generalstaatische Soldaten sich Übergriffe gegen kurkölnische Untertanen hatten zuschulden kommen lassen. Dies war insofern naheliegend, als der Kurfürst von Köln bereits Jahre vor dem Ausbruch des Krieges mit Johann van der Veecken einen eigenen »Agenten«, also einen niedrigrangigen diplomatischen Vertreter, zur Nachrichtenbeschaffung und Wahrnehmung kurkölnischer Interessen in Den Haag bestallt hatte. Mit ihm hatte Kurköln einen Kontaktmann, der exzellent vernetzt war und zu verschiedenen Vertretern der Generalstaaten, am Oranierhof und zu vielen anderen Botschaftern gute Kontakte pflegte.106 Entsprechend wurde er vielfach aktiviert, um kurkölnische Beschwerden vorzubringen. Schon 1624 wurde der Agent angewiesen, wegen des Überfalls auf die Uerdinger Kaufleute bei den Herren Staaten vorzusprechen, »damit die abgenotigte gelder restituirt vnnd vnsere vnderthanen inn Vbung Jrer Commercien ferrers nit beschwert werdenn«.107 Der kurkölnische Agent kümmerte sich aber nicht nur um die Klagen aus dem Erzstift Köln,108 sondern leitete auch Beschwerden weiter, die aus anderen Regionen des Territorienkomplexes Kurfürst Ferdinands stammten. Anfang Januar 1629 referierte Veecken über einen entsprechenden Übergriff im Hochstift Lüttich, wo generalstaatische Streifparteien geplündert hatten.109 Ein Jahr später waren es dann »excessus in Diocesi Paderbor[nensi] commissos et in Ducatu Westphaliae, Diocesi Leod[iensi] et

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schwarz 955, fol. 14r (Kopie als Beilage zum Brief an Kurfürst Maximilian von Bayern am 14. Januar 1629). Vgl. jetzt insg. Michael Kaiser, Nachrichten aus Den Haag. Johann van der Veecken als kurkölnischer Agent zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 217 (2014), S. 201–285. Kurfürst Ferdinand von Köln an Johann van der Veecken, Bonn 18. Mai 1624, LAV NRW R, Kurköln VII, 47/3, fol. 212r–v (Ausfertigung mit Korrekturen). Die Angelegenheit zog sich über Monate hin, dementsprechend intensiv war die Korrespondenz Veeckens mit dem Kurfürsten. Vgl. Veecken an Kurfürst Ferdinand von Köln, Den Haag 18. Oktober 1629, BayHStA, Kasten schwarz 956, fol. 261v (Kopie). Veecken an Kurfürst Ferdinand von Köln, Den Haag 1. Januar 1629, BayHStA, Kasten schwarz 955, fol. 14r (Kopie als Beilage zum Brief an Kurfürst Maximilian von Bayern am 14. Januar 1629).

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Monasterien[si]«.110 Der Agent erwähnte hier nur noch pauschal diese Vorfälle, machte aber damit auch klar, dass er sich um die Ausschreitungen in all den Territorien kümmerte, in denen Kurfürst Ferdinand Landesherr war. Dabei wurde er nicht nur vom Kurfürsten, sondern auch von den Regierungen der einzelnen Territorien direkt angesprochen. So entsandte im Januar 1630 die Regierung des Hochstifts Münster den Sekretär Stephan von Althen nach Den Haag, wo er sich der Hilfe Veeckens bedienen sollte, um die »remission der gefangenen« zu erreichen.111 Auch ohne einen eigenen Agenten in Den Haag war es aber nicht unüblich, sich direkt an die Generalstaaten zu wenden. Dies tat etwa der Rat der Reichsstadt Köln Ende 1630 im Fall des gefangengenommenen Hauswirts Johannes Dreubeler.112 Allerdings zogen sich die Verhandlungen, bei denen es nicht nur um die Bestrafung der Täter, sondern gerade bei Kaufleuten um die Erstattung des geraubten Gutes ging, über Monate hin. So korrespondierte der Kölner Kurfürst noch im Mai 1624 mit seinem Haager Agenten im Fall der schon oben erwähnten Uerdinger Kaufleute: Der Vorfall selbst datierte auf das Jahresende 1623 zurück – eine Folge des langen Wartens war, dass die Kaufleute »dadurch ins verderbeen gesetzt werden«.113 Diese langen Fristen mögen für einen betroffenen Reichsstand ein zusätzlicher Grund gewesen sein, die andere Möglichkeit der Kontaktaufnahme auszuprobieren und sich direkt an den generalstaatischen Kommandeur zu wenden, aus dessen Garnison die betreffende Streifpartei mutmaßlich stammte. Wie oben bereits erwähnt, war zum Ende der 1620er Jahre besonders die Garnison in der Stadt Soest Ausgangspunkt für viele Streifkommandos in dieser Zeit. Entsprechend häufig gingen Beschwerden über das ungebührliche Verhalten seiner Truppen beim Gouverneur Oberst Gent ein. Die Reaktionen des Gouverneurs fielen unterschiedlich aus. Durchaus häufig leugnete er, dass die beklagten Exzesse überhaupt etwas mit generalstaatischen Söldnern zu tun gehabt hätten – so etwa im Dezember 1629.114 Abgesehen von den Fällen, in denen die betroffenen Söldner mitunter selbst nicht wussten, welcher Kriegspartei sie gerade zuge110 Veecken an Kurfürst Ferdinand von Köln, Den Haag 31. Januar 1630, BayHStA, Kasten schwarz 958, fol. 102v (Kopie). 111 Memorial für den fürstlich-münsterischen Secretär Stephan von Althen auf seiner Verrichtung im Haag, signatum o. O. 31. Januar 1630, LAV NRW W, Fürstbistum Münster, Landtag 45, fol. 85r–86r. 112 Hier erging ein Vorschreiben für die Ehefrau Elisabeth Boes, gerichtet war es sowohl an die Stadt Lüttich (wo der Vorfall passiert war) als auch an die Generalstaaten selbst, HAStK, Ratsprotokolle 76, fol. 475v (2. Dezember 1630). 113 Vgl. den Hinweis in Kurköln an Veecken, Bonn 18. Mai 1624, LAV NRW R, Kurköln VII, 47/ 3, fol. 212r–v (Ausfertigung mit Korrekturen), als der Kurfürst sich auf erste Korrespondenzen aus dem Januar 1624 bezog. 114 Baro de Gent an Kurtrier, Soest 14. Dezember 1629, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 6r–v (Ausfertigung).

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ordnet waren,115 war es insbesondere für die Zeitgenossen schwierig zu entscheiden, auf welcher Seite denn nun die Söldner im Dienst standen – oder ob sie überhaupt einfach nur vertragslose Kriegsknechte waren, die als sogenannte gartende Söldner ihr Auskommen auf eigene Faust besorgen mussten und dabei schlichtweg auf Raubzug gingen.116 Es gab durchaus Vorfälle, bei denen sich eine Streifpartei als generalstaatisch ausgab, ohne es zu sein; in einem Fall handelte es sich bei der rund 80 Mann starken Truppe noch nicht einmal um Söldner, sondern, wie der Bericht auswies, um Bauern und sogenannte Schnapphähne, also einfache Wegelagerer.117 Anders war es im Sommer 1629, als der Hauptmann der kurmainzischen Festung Königstein von einem Trupp Soldaten berichtete, »welche sich zwar vor spannisch volck ausgeben«, tatsächlich aber generalstaatisch waren.118 Auch im März 1630 bestritt Oberst Gent rundweg, dass die geschilderten Untaten auf das Konto generalstaatischer Söldner gingen. Es sei für ihn, so Gent, schmerzlich zu erfahren, »alß soltten sie [die generalstaatischen Söldner] alles allein verrichten«. Vielmehr schob er die Verantwortung auf »allerhandt herrnloß gesindtlein«. Diese würden sogar bis vor seine Soester Garnison hin Streifzüge unternehmen. Da der Kommandeur die Schuldigen eindeutig außerhalb seines Verantwortungsbereichs identifiziert hatte, fiel ihm die Empfehlung gegenüber der betroffenen Obrigkeit leicht, »damit dergleichen Excedenten ohn einiges respect verfolget, beym kopffe genohmmen, vnndt nach ihren meriten bestrafft werden mögen«.119 Ähnlich hatte sich Gent schon Anfang 1630 geäußert, dass nämlich, da es sich bei den angesprochenen Vorfällen nicht um generalstaatische Söldner handelte, »ein iede obrigkeit sich demselbigen alß

115 Dies war gerade dann der Fall, wenn generalstaatische Söldner an andere Kriegsherren im Reich übergeben wurden; so hieß es von Truppen, die im Frühsommer 1642 auf dem niederrheinischen Kriegsschauplatz erschienen, »sie wissen nit wem sie dienen«, Wilhelm Broich an den Kurfürsten von Mainz Anselm Casimir, Köln 8. Juni 1642, StAW, Mainzer Kartons, Misc. 6499 [unfol.] (Ausfertigung). Rückblickend war klar, dass es sich um Verstärkungen für die hessen-kasselischen Truppen handelte, doch den Söldnern wird man möglicherweise zugutehalten müssen, dass sie im Einzelfall über diese Zuordnungen nicht immer Bescheid wussten. 116 Zum Begriff vgl. Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1994, S. 277, der erstaunlicherweise sonst kaum Beispiele aus der Phase des Dreißigjährigen Kriegs bietet. 117 Adam Vogt von Elspe an Ludwig Heinrich Graf von Nassau-Katzenelnbogen, o. D. [1637], HessHStAW, Abt. 171, K 1832 b [unfol.], Nr. 152 (Ausfertigung). 118 Hans Peter Eltz, Hauptmann auf Königstein, an Kurmainz, Königstein 11. August 1629, StAW, Aschaffenburger Archivreste, Fasz. 249/XL, fol. 10r–v (Ausfertigung). 119 Baro de Gent an Ludwig Heinrich Graf zu Nassau, Katzenelnbogen und Dietz, Herr zu Beilstein, Soest 1. April 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 49r–v (Kopie).

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offentlichen stroppierern mechtig machen vnd Jhren verdiensten lohn widerfahren laßen solle.«120 Indem Oberst Gent in solchen Fällen die Ergreifung und Aburteilung der Streifparteien guthieß, sandte er ein deutliches Zeichen der Kooperationsbereitschaft aus: Als Kommandeur einer generalstaatischen Garnison wollte er offenkundig nicht den Makel an sich haben, schrankenlose Plünderungen gutzuheißen oder auch nur zu dulden. Voraussetzung für diese Haltung war der Umstand, dass die Söldner tatsächlich nicht zu einer generalstaatischen Garnison gehörten. Wenn es sich aber doch um staatische Soldaten handelte, war Gent die Auslieferung deutlich lieber. Falls aber auch in diesem Fall die kurtrierische Seite lieber selbst Justiz üben wolle, wünschte der niederländische Kommandeur zumindest über die Vergehen der Täter und ihre Aussagen in Kenntnis gesetzt werden, wie er noch einmal im Februar 1630 wissen ließ.121 Gent ließ es nicht bei diesem Hinweis bewenden, sondern fügte abschließend noch folgende Bemerkung an: Auch in seiner Gegend würde sich »allerlei herloß gesindtlein, So deilß Keysersche, theilß Ligisten volck, vndt mitt denn Spanischen conjungiret seinn, [..] mitt vmbherstreiffen auffhalten thuen«. Diese Trupps, die »Jn meiner Soldatesca nahmen«, also als generalstaatische Söldner, viel Schaden anrichten würden, wollte Oberst Gent dann auch seinerseits bestrafen. Und damit machte der Kommandeur auf durchaus unmissverständliche Weise klar, dass die Strafaktionen, die Kurtrier in seinen Ämtern sanktionieren wollte, auch entsprechende Maßnahmen in den Regionen auslösen würden, in denen das generalstaatische Militär dominierte. In jedem Fall würde es zu einer Eskalation von militärischer Gewalt mit generalstaatischen Truppen kommen, und dies war, wie Gent gegenüber dem Ligamitglied Kurtrier nicht eigens erwähnen musste, dasjenige, was am wenigsten gewünscht war. Die hier mitschwingende Drohung verfehlte nicht ihre Wirkung auf den Kurfüsten. Im Mai 1630 erließ er die Anweisung, dass sich die Geistlichen für eine Zeit in »verwahrte örter« zurückziehen sollten; von militärischem Schutz oder gar dem Einsatz von Ligatruppen war nicht mehr die Rede.122 Die Leugnung Gents, dass die fraglichen Söldnertrupps zu seiner Garnison gehörten, mochte man schnell als einfache Lügen abtun, mit denen der Kommandeur die ihm untergebenen Truppen von der Anschuldigung der Plünde120 Kurtrier an den Grafen zu Nassau-Hadamar, Koblenz 17. Januar 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 8r (Konzept). 121 »So geschicht mir auch kein größeres gefallens, alß wann solcheß alßo furters möchte furgenohmen werden, doch musten der Jnnhafftierten delicta vnnd bekendtniß mir zuvorderist werden verstendiget«, Baro de Gent an Kurtrier, Soest 9. Februar 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 18r–v (Ausfertigung). 122 Der Kurfürst von Trier an den Kellner zu Freusberg, Koblenz 11. Mai 1630, LHAK, Best. 1C, Nr. 9219, fol. 62r (Reinschrift mit Verbesserungen).

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rung reinwaschen wollte. Tatsächlich war es in einer Zeit, in der Soldaten keine Uniformen trugen und sich in den Heeren Söldner aus aller Herren Länder tummelten, schwer, die Zugehörigkeit von Söldnern zu bestimmen. Sowohl die Anschuldigung, ein Überfall gehe auf das Konto der Soester Garnison, wie auch gegenteilige Behauptungen waren nur sehr schwer zu beweisen. Dies wurde auch durch den Umstand nicht einfacher, dass sich offenkundig viele der umherstreifenden Trupps nicht nur offen zu einer Armee bekannten, sondern auch angaben, von welchem Standort sie stammten. Dies taten sie aus einem gewissen Standesbewusstsein heraus, demzufolge sie ihr Tun keineswegs für anrüchig hielten, sondern sich mit ihrem Handeln bei der Bevölkerung vielmehr Achtung und – vielleicht auch furchteinflößenden – Respekt erwerben wollten.123 Doch auch vor diesem Hintergrund blieb vielfach die Frage im Raum, ob die Angaben jeweils der Wahrheit entsprachen. Denn hier konnten Räuberbanden gewissermaßen als Trittbrettfahrer das Renommee einer kampfstarken Garnison für ihre Plünderungszüge missbrauchen. Ein besonderes Beispiel ist der Fall Martin Böhm. Über ihn berichtete Landgraf Georg von Hessen-Darmstadt im April 1630 ausführlich an die Generalstaaten und praktisch wortgleich an Prinz Friedrich Heinrich von Oranien, den Statthalter der Vereinigten Niederlande.124 Dass er dies tat, nachdem er sich zuvor an Oberst Gent in Soest gewandt hatte, verwies bereits auf die Schwere des Falles, denn offenbar hatte die Kontaktaufnahme mit dem Gouverneur zu Soest kein befriedigendes Ergebnis gezeitigt. Zwar hatte ihm Oberst Gent damals, als er eine Abordnung nach Soest entsandt hatte, mit dem Hinweis freie Hand gegen die Streifparteien gegeben, »das solche Partheyen mehrentheils ein zusammen rottirtes gesindlein, eines theils desperirte Landkinder, vnd in keinen würcklichen Stadischen diensten weren, auch man mit vns als einem neutral Fürsten vnd Stand, in vngutem nichts zuthun«. Ein besonderes Problem stellte aber nun, wie Landgraf Georg ausführte, der Streiftrupp eines gewissen Martin Böhm dar. Dieser habe von sich behauptet, ein Leutnant in der generalstaatischen Armee zu sein, und hätte mehrere Überfälle verübt. Nachdem man bei einem Pferderaub Böhms Trupp gestellt und einige Gefangene gemacht hatte, hätten diese ausgesagt, dass »sie in der herren [Staaten] diensten […] nie gewesen«, sondern von Böhm einfach nur für Raubüberfälle angeworben worden seien. Diese Aussage entspräche auch dem, was Oberst Gent hätte verlauten lassen, dass nämlich »mehrgemelter Martin Böhm in seinen des Obristen Genthen diensten nicht, sondern ein Leichtfertiger andere redliche Reüter verführender Vogel seye«. 123 Vgl. zu diesen sozialen Mechanismen Kaiser, Söldner (wie Anm. 57), insb. S. 86–100. 124 Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt an die Generalstaaten, Darmstadt 10. April 1630, HessStAD, Best. E 8 A, Nr. 72/4 [unfol.] (Ausfertigung, 8 S.), und ebenso an Prinz Friedrich Heinrich von Oranien, ebd. [unfol.] (Ausfertigung, 7 S.).

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Damit schien der Fall klar, doch Böhm verblüffte nun mit einer unerwarteten Reaktion. Er sandte, wie Landgraf Georg weiter berichtete, »einen betrohlichen absags: vnd feindbriefen«, in dem er konstatierte, dass mit Festnahme seiner Reiter als Straßenräuber »die neutralität mit den herren [Staaten] gebrochen [sei]«. Nun wolle er dafür an den Dienern, den Beamten und den Richtern Hessen-Darmstadts Rache nehmen, »also das keiner auf den strassen oder in seinem hausse sicher bleiben solte«. Landgraf Georg musste auch einige Schmähreden in diesem Schriftstück hinnehmen, aber der eigentliche Kern des Affronts war doch der angekündigte Krieg, den ein einfacher »Leutnant« mit einem Fehdebrief einem Reichsfürsten erklärte. Natürlich war diese Ankündigung so übertrieben wie unsinnig, doch war auch nicht zu übersehen, wie allgemein verbreitet das Spiel mit der Neutralität war, das die Generalstaaten und die Reichsstände in diesen Jahren spielten. Denn viele der Aktionen auf beiden Seiten stellten den fragilen Status des NichtKrieges immer wieder infrage. Wie die Geschichte um Martin Böhm ausging, ist den Akten nicht zu entnehmen.125 Aber es ist wenig überraschend, dass Landgraf Georg am Ende seines Anschreibens an Den Haag darauf hinwies, dass die Neutralität zwischen den Generalstaaten und Hessen-Darmstadt zu wahren und dementsprechend keine Raubzüge zu dulden seien. Was blieb also am Ende zu tun? Wie die angeführten Episoden zeigen, war es durchweg riskant, den generalstaatischen Streifparteien wirkungsvoll entgegenzutreten, ohne dabei eine ›Ruptur‹, also eine Verletzung des Status der Neutralität zu riskieren. Daher scheiterten alle Versuche, mit starker militärischer Hand gegen die Präsenz der generalstaatischen Söldner vorzugehen, was allerdings durchweg daran lag, dass die involvierten Reichsstände eine wirklich konsequente Defension ihrer Territorien und eine stringente Verfolgung der Plünderer scheuten. Sicher mussten viele Landesherren erkennen, dass es mit dieser zurückhaltenden Politik schwierig war, das Gesicht einer Obrigkeit zu wahren, die ihren landesherrlichen Pflichten nachzukommen imstande war. Ein durchaus geschmeidiger Versuch, sowohl die territoriale Integrität zu wahren als auch eine Eskalation mit den Generalstaaten zu vermeiden, war in diesen Jahren bei Kurköln zu beobachten. Als es Anfang 1632 im Amt Lechenich zu einem Zusammenstoß mit generalstaatischen Söldnern kam, wurden dabei auch zwei von ihnen gefangen genommen. Auf Peter Brunck und Hermann van Capellen wartete »Jhres befundenen vnd bekandten verbrechens halber« die Todesstrafe. Der Kurfürst wies jedoch den Schultheiß und die Schöffen zu Lechenich auf eine andere Möglichkeit hin: Zum einen hätten die Söldner sich in der mehrmonatigen Gefangenschaft bußfertig gezeigt, zum anderen aber seien 125 Es ist noch nicht einmal klar, ob diese Schreiben überhaupt expediert wurden. Denn bei den Stücken im hessen-darmstädtischen Archiv handelt es sich um die Ausfertigungen.

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»sie in so geraumer zeit von Jhrer obrigkeidt nit reclamirt [worden]«. Man müsse also davon ausgehen, dass sie nicht mehr in Diensten seien (»herlose gesellen«); es sei daher am besten, wenn sie »sich in vnserm Kriegß dienst vnderstellen vnnd zum bessern leben schicken sollen«.126 Eine ähnliche Vorgehensweise wurde zwei Jahre später gewählt: Im Frühsommer 1634 wurden generalstaatische Reiter bei Brühl festgenommen, die aus der Garnison zu Venlo stammten. Auch hier ging es zunächst darum, sie »geburlich bestraffen« zu lassen, bis der Kurfürst erklärte, Milde walten und sie freizulassen. Nur beim Anführer Hein von Hurth sollte noch eine weitere Untersuchung des Tathergangs erfolgen und der Gouverneur von Venlo, Oberst Brederode, entsprechend informiert werden.127 Tatsächlich kam Hein nie nach Venlo zurück. Der Söldner reichte seinerseits eine Petition an den Kurfürsten ein, in der er darum bat, ihn aus »dehren beschwerlichen hafftung zuerlassen vnd in wolgefallig gn[ädig]st dienst zunehmen«.128 Genau diesem Wunsch willfahrte der Kurfürst und verfügte, Hein von Hurth sei »in vnserm vnnd der ligae dienst vnderzustellen«.129 Die Ausübung der Justiz seitens Kurköln wäre für die generalstaatischen Kommandeure ein Affront gewesen, sowohl ein Eingriff in ihre militärische Jurisdiktion als auch eine manifeste Vorhaltung, dass Söldner ihrer Einheiten sich Plünderungen hatten zuschulden kommen lassen. Nun aber Milde walten zu lassen, bedeutete keineswegs einen Verzicht auf obrigkeitliches Handeln. Im ersten Fall erklärte Kurköln die Gefangenen zu Söldnern ohne Dienstvertrag, was den langwierigen Verhandlungen im Vorfeld Hohn spricht, im zweiten Fall lag ein (möglicherweise angestiftetes) Gesuch des Gefangenen vor, in kurkölnische Dienste übernommen zu werden. Da Hein von Hurth seinerseits auf seine soldatischen Fähigkeiten hinwies, ließ er noch ein anderes Motiv für das Verhalten des Kurfürsten aufscheinen: Jede Obrigkeit war in diesen Zeiten bemüht, ihre militärische Schlagkraft zu erhalten, wenn nicht zu erhöhen. Dies gelang am besten durch erfahrene Söldner. Wenn man diese dem Gegner abwerben konnte, war dies ein geschickter Schachzug. Dies war hier umso mehr der Fall, als Kurköln nicht nur eine militärische Eskalation mit den Generalstaaten vermied, sondern auch die betroffenen Söldner für das eigene Militär gewann. Sicherlich bedeutete dies keine nachhaltige Lösung des grundsätzlichen Problems, das die 126 Kurfürst Ferdinand an Schultheiß und Schöffen zu Lechenich, Bonn 19. Juli 1633, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/1, fol. 253r–v (Konzept). 127 Vgl. dazu Kurfürstlich Kölnische Kriegsräte an Amtmann zu Lechenich, Bonn 5. Juli 1634, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/2, fol. 34r–35r (Konzept). 128 Hein von Hurth an Kurfürst zu Köln, o. O. praes. 6. Juli 1634, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/ 2, fol. 36r (Ausfertigung). 129 Kurfürst Ferdinand an Schultheiß und Schöffen zu Lechenich, Bonn 19. Juli 1634, LAV NRW R, Kurköln VII, 52/2, fol. 44r (Konzept).

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Anwesenheit generalstaatischer Truppen auf Reichsboden darstellte. Aber es zeigte den Pragmatismus, den die betroffenen Reichsstände im Rheinland an den Tag legten: Sie konnten die generalstaatischen Söldner nicht vertreiben; aber sie suchten nach Wegen, dieser potenziellen Konfrontation auszuweichen und vielleicht sogar noch einen Vorteil für sich daraus abzuleiten.

V.

Ausblick

Auch in den späteren Jahren des Dreißigjährigen Krieges waren Söldner der Generalstaaten auf Reichsboden aktiv.130 Als im Jahr 1637 Jan von Werth die von französischen Truppen gehaltene Festung Ehrenbreitstein belagerte, waren auch generalstaatische Söldner in die Versuche zum Entsatz involviert. Ende Januar 1637 gelangten ein Dutzend holländische Reiter in die belagerte Feste und kündigten einen Konvoi an, der mit seinen Versorgungsgütern bereits bei Altenkirchen im Westerwald stünde.131 Dabei war dieses Unternehmen keineswegs eine besonders geheime Angelegenheit, konnte es angesichts der Größe des Entsatzes auch nicht sein: Nachrichten machten die Runde, dass es rund 6.000 generalstaatische Soldaten mit 300 Wagen sein sollten.132 Ganz so umfangreich war das Truppenkontingent wohl nicht, das den Konvoi begleitete; Jan von Werth konnte ihn jedenfalls abfangen. Auch ein weiterer generalstaatischer Versuch im Mai konnte vereitelt werden. Der Entsatz Anfang Januar war vom hessen-kasselischen Generalleutnant Melander kommandiert, doch des ungeachtet waren einige generalstaatische Kräfte involviert.133 Von einer solchen hessisch-generalstaatischen Kooperation berichtete Jahre später auch der kurbayerische Feldmarschall Wahl. Er konnte Anfang 1641 Vorstöße hessen-kasselischer Truppen in Westfalen abwehren. Dabei war ihm aufgefallen, dass bei den Kämpfen um Dortmund auf hessischer Seite auch generalstaatische Söldner beteiligt gewesen waren.134 Wie nun generalstaatische 130 Das Thema des militärischen Engagements der Generalstaaten in diesen späteren Jahren wird immer wieder berührt bei Joachim F. Foerster, Kurfürst Ferdinand von Köln. Die Politik seiner Stifter in den Jahren 1634–1650, Münster 1976. 131 Vgl. das Bruchstück eines Tagebuches über die Belagerung der Festung Ehrenbreitstein, überliefert für den Zeitraum vom 25. Juli 1636 bis zum 30. Mai 1637, LHAK, Best. 1C, Nr. 9436 [unfol.], zum 30. und 31. Januar 1637. 132 Friedrich von Stackhausen an den kaiserlichen Generalwachtmeister Ludwig Heinrich Graf zu Nassau-Katzenelnbogen, Bilstein 31. Januar 1637 (neuer Stil), praes. 21./31. Januar 1637, HessHStAW, Abt. 171, K 1832 b [unfol.], Nr. 7 (Ausfertigung). 133 Vgl. die Angaben bei Helmut Lahrkamp, Jan von Werth. Sein Leben nach archivalischen Quellenzeugnissen, 2. Aufl., Köln 1988, S. 70f. u. 76. 134 »Bei den Hessischen so für Dortmundt gewesen, haben sich auch Stadische befunden, welche gekant worden«, Feldmarschall Joachim Christian von Wahl an Feldmarschall

Generalstaatische Söldner und der Dreißigjährige Krieg

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Söldner in die Heere der Gegner des Kaisers gelangten, zeigt eine Episode aus dem Folgejahr. Als sich im Jahr 1642 der Kriegsschauplatz in das Herzogtum Jülich verlagerte und Reichskreistruppen unter dem Kommando des kaiserlichen Feldmarschalls Hatzfeldt und seines kurbayerischen Kollegen Wahl in Kämpfe gegen hessische und französische Truppen verwickelt wurden,135 erhielten die hessen-kasselischen Truppen im Frühsommer auch aus den Niederlanden Verstärkung. Als die generalstaatischen Soldaten zu den anderen Truppen stießen, beobachtete man Folgendes: »die hollen[di]sche völcker haben ihre fahnnen verEndert, weiße vndt blaue fahnnen bekommen«136 – und waren mit dieser Umetikettierung nicht mehr Teil der generalstaatischen Armee, sondern wurden ein hessen-kasselisches Kontingent.137 Bei den drei genannten Beispielen muss man davon ausgehen, dass die Vorgänge nicht nur mit stillschweigender Duldung der Kommandeure, sondern höchstwahrscheinlich sogar mit Billigung der militärischen Obrigkeit vollzogen wurden. Dass Den Haag von derartigen Aktionen keine Kenntnis gehabt haben sollte, erscheint wenig plausibel. Feldmarschall Wahl äußerte deswegen auch gegenüber seinem kaiserlichen Kollegen Hatzfeldt, »ob Eur Ex[zellenz] solches den herrn Staaden wollen vorweisen, steht zu dero belieben.«138 Dies jedoch hütete sich der kaiserliche Feldmarschall, der noch ganz andere Probleme zu bewältigen hatte, zu tun.139 Auch bei den beiden anderen Vorfällen ist nicht nachweisbar, dass die kaiserliche Seite die Generalstaaten für ihr Eingreifen zur Rede stellte. So zeigen diese Episoden nicht nur, dass auch zum Ende des Krieges die militärische Präsenz und das militärische Engagement der Generalstaaten im Rheinland nicht nachgelassen hatten. Ebenso wenig gab es auf der Seite der Kaiserlichen und ihrer Verbündeten die Neigung, gegenüber Den Haag die ge-

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Melchior von Hatzfeldt, Hamm 12. Januar 1641, Schönstein, Fürstlich Hatzfeldt-Wildenburgsches Archiv, Kriegsarchiv Melchior von Hatzfeldt, Akte 146 [unfol.] (Ausfertigung). Günther Engelbert, Der Hessenkrieg am Niederrhein, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 161 (1959), S. 65–113; 162 (1960), S. 35–96. Wilhelm Broich an den Kurfürsten von Mainz Anselm Casimir, Köln 1. Juni 1642, StAW, Mainzer Kartons , Misc. 6499 [unfol.] (Ausfertigung). Ein noch späteres Beispiel für die gängige Praxis der Generalstaaten, Truppen an Reichsstände zu überlassen, liefert 1646 der kaiserliche Generalfeldmarschall Graf Holzappel an den kaiserlichen Rat und fürstlich-bergischen Syndicus Licentiat Hermann Ostmann, Siegburg 17. Dezember 1646, praes. Köln 19. Dezember 1646, LHAK, Best. 47, Nr. 4439 [unfol.] (Ausfertigung), als er sich über Hinweise beunruhigt zeigte, »ob sollten die Staadten in die 50 Compag[nien] abgedanckhet selbige Jhrer Churf[ürstliche] D[urchlaucht von Brandenburg] überlassen vndt sonsten mit Jhro eine solche verbundtnüß das Sie deroßelben […] in all […] die hülffliche handt biethen wollten getroffen haben«. Feldmarschall Joachim Christian von Wahl an Feldmarschall Melchior von Hatzfeldt, Hamm 12. Januar 1641, Schönstein, Fürstlich Hatzfeldt-Wildenburgsches Archiv, Kriegsarchiv Melchior von Hatzfeldt, Akte 146 [unfol.] (Ausfertigung). Zur Situation am Niederrhein vgl. Foerster, Kurfürst (wie Anm. 130), S. 194f.

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Michael Kaiser

neralstaatischen Aktivitäten auf Reichsboden zu thematisieren. Und so blieben die Generalstaaten eine geflissentlich übersehene, aber deswegen nicht weniger bedeutsame Partei im Dreißigjährigen Krieg.

Claude Muller

Das Laboratorium eines Konflikts. Das Elsass im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714)

I.

Einleitung

Im Gefolge des Westfälischen Friedens wird der größte Teil des Elsasses französisch. Jedoch bleiben die Texte des Friedensvertrags absichtlich unklar und nichts ist juristisch eindeutig. Die Bourbons erhalten die Rechte der Habsburger über das obere Elsass und die zehn Städte der Dekapolis.1 Das damalige Elsass stellt ein außerordentlich zerstückeltes politisches Gebilde dar, gewissermaßen ein buntes Flickenkleid. Ausländische Fürsten, wie der Fürst von HessenDarmstadt oder der Fürstbischof von Speyer, sind im Norden begütert. Die freie und lutherische Stadt Straßburg wird, mitten in der Friedenszeit, im Jahr 1681, militärisch eingenommen.2 Mülhausen, eine freie calvinistische Stadt, steht im Bündnis mit den Schweizer Kantonen und wird erst 1798, also in der Revolutionszeit, französisch.3 Dieses reiche und fruchtbare Elsass ist gewissermaßen eine Halbinsel, da es nur über die 1678 französisch gewordene Franche Comt¦ mit Frankreich zusammen hängt – Lothringen sollte dem Königreich erst 1766 einverleibt werden.4 Des Weiteren ist die Region ein unglaubliches religiöses Kaleidoskop und überdies sprachlich vor allem deutsch und noch nicht tout — fait franÅaise.5 Nun wird das Elsass zur vordersten Linie im Spanischen Erb1 Claude Muller, L’Outre-ForÞt au XVIIIe siÀcle, Straßburg 2004. 2 Georges Livet u. a., Le rattachement de Strasbourg — la France, Straßburg 1981 (= Saisons d’Alsace 95); Bernard Vogler, Die Politik Ludwigs XIV. im Elsaß und in der Pfalz im späten 17. Jahrhundert, in: Gerhard Fritz, Roland Schurig (Hrsg.), Der Franzoseneinfall 1693 in Südwestdeutschland, Remshalden 1994, S. 19–26. 3 Nicolas Schreck, La R¦publique de Mulhouse et l’Europe des LumiÀres, Straßburg 1993. 4 Jean-Michel Boehler, Une soci¦t¦ rurale en pays rh¦nan. La paysannerie d’Alsace (1648–1789), Straßburg 1994. 5 Zur konfessionellen Vielfalt vgl. Louis Chätellier, Tradition chr¦tienne et renouveau catholique dans l’ancien diocÀse de Strasbourg (1750–1770), Straßburg 1981; Claude Muller, Politische Grenze und religiöse Grenze. Das Elsass im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 154 (2006), S. 241–270. Zur Sprachsituation vgl. Claude Muller, Das Elsass, französischer oder oberrheinischer Raum im 18. Jahrhundert? Aus der Sicht der

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Claude Muller

folgekrieg, den Frankreich und Spanien gegen eine europäische Koalition führen, in der unter anderem das Heilige Römische Reich, Österreich, England und die Vereinigten Niederländischen Provinzen verbündet sind.6 Dieses Grenzland ragt wie ein Stachel in das Reich hinein und ist so ein wirkliches Laboratorium eines Konflikts, wo man dicht beieinander alle Charakteristika des Krieges im 18. Jahrhundert findet, die auch anderswo zu beobachten sind. Drei kriegerische Phasen sind deutlich erkennbar. Die ersten Jahre des Spanischen Erbfolgekrieges, von 1701 bis 1705, sind durch Stellungsund Belagerungskriege gekennzeichnet. Die Ankunft des Marschalls ClaudeLouis-Hector de Villars verändert die Gegebenheiten, indem nun der Bewegungskrieg vorherrschend wird. Seinen Höhepunkt erreicht Villars 1707 mit der Einnahme der Bühl-Stolhofener-Linie. Von 1709, der ausschlaggebenden Schlacht von Rumersheim, bis 1712 überwiegt hingegen wieder der Stellungskrieg.

II.

Das Elsass verteidigen

Im Augenblick des Kriegsbeginns bearbeitet der Militäringenieur Guillin in aller Eile ein wichtiges Kompendium.7 Er beschreibt im Jahre 1702 das nördliche Elsass, von Straßburg bis Zabern, etwa das Gebiet, in dem sich fast 13 Jahre lang die Kriegsereignisse abgespielt haben. Sein Memoire nimmt in vielem die Zukunft vorweg und ist ein Dokument von ganz großer Wichtigkeit. In der Einleitung betont Guillin die Bedeutung des Rheines: Er sei eher Grenze als Transportweg. Alsdann schreibt er über die Moder, hinter der Lauter-Linie.8 Er Reisenden, in: Brigitte Herrbach-Schmidt, Hansmartin Schwarzmaier (Hrsg.), Räume und Grenzen am Oberrhein, Ostfildern 2011, S. 175–188. 6 FranÅois de Vault, M¦moires militaires relatifs — la succession d’Espagne sous Louis XIV, Paris 1762; Andr¦ Corvisier, Les FranÅais et l’arm¦e sous Louis XIV d’aprÀs les m¦moires des intendants, Paris 1975; ders., Les hommes, la guerre et la mort, Paris 1985; FranÅois Bluche, Louis XIV, Paris 1986; Philippe Contamine (Hrsg.), Histoire militaire de la France, Bd. 1, Paris 1992; FranÅois Lebrun, La puissance et la guerre 1661–1715, Paris 1997; John Lynn, Giant of the Grand siÀcle. The French army 1610–1712, Cambridge 1997; Jeremy Black, Warfare in the eighteenth century, London 1999; Jean-Philippe Cenat, Le roi stratÀge. Louis XIV et la direction de la guerre (1661–1715), Rennes 2010; John Lynn, Les guerres de Louis XIV, Paris 2010; Gilles Muller, L’Alsace et la guerre de succession d’Espagne (1701–1714), Straßburg 2013. 7 Eine umfassende Biographie steht noch aus, vgl. vorerst Anne Blanchard, Dictionnaire des ing¦nieurs militaires (1691–1791), Montpellier 1981, S. 355; das Kompendium findet sich in Paris, Archives du MinistÀre des Affaires EtrangÀres, Section M¦moires et Documents, fonds Alsace, Bd. 13, fol. 91–185. 8 Jean Doise, Art. ›Lignes de la Lauter ou de Wissembourg‹, in: Encyclop¦die d’Alsace, Bd. 8, Straßburg 1984, S. 4755f.; ders., Histoire militaire de l’Alsace. La d¦fense du pays, Bd. 1: De la guerre de Trente Ans — Napol¦on, Straßburg 1984.

Das Laboratorium eines Konflikts

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beschreibt detailliert deren Lauf von der Quelle zum Rhein. Dem folgt dann die Beschreibung der Wälder und speziell der Straßen, welche das Umherziehen der Heere ermöglichen. Nach der Beschreibung der Landschaft zählt der Ingenieur 243 Ortschaften auf. Aufmerksamkeit schenkt er den Stadtmauern, Kirchen und Friedhöfen. Bei den Kirchen notiert er die gewölbten Decken, macht aber keinen Unterschied zwischen katholischer und evangelischer Benutzung. Die Friedhöfe werden nur erwähnt, wenn sie von Mauern umgeben sind. Bei den Städten wird Guillin ausführlicher. Er liefert topographische Details über die Umgebung, die Lage und die Dichte der Stadtmauern. Manche Beobachtung entspricht den Erwartungen. Aber er notiert auch die Wälder, die Weinberge und Wiesen und die Existenz der Märkte. Allein für den Kochersberg zählt er 87 Ortschaften auf, darunter 27 kleinere und sieben große. Sein Augenmerk richtet sich auf die Kirchtürme, die zur Überwachung dienen und die bei Angriffen auch der Bevölkerung Schutz bieten können. Einen besonderen Schutz sieht er grundsätzlich in den sichtbaren Schießscharten. In Offenheim oder Saessolsheim ist ihm speziell die gewölbte Decke im Erdgeschoss wichtig, welche dem Feind den Aufstieg in die oberen Stockwerke erschwert. Das wichtigste Gebäude in der Ortschaft ist die Kirche. Sie ist gut sichtbar – am Dorfeingang, in der Mitte oder auch auf einer Erhöhung. Guillin beschreibt ausführlich die Friedhofsmauern, unter anderem erwähnt er die Zinnen des Friedhofs von Wintzenheim. Der bauliche Zustand der Gebäude wird angegeben: Er ist gut in Balbronn, dagegen schlecht in Guggenheim und Wolfisheim. In zwölf anderen Ortschaften besteht nur eine Einfriedung aus Pfählen, während in zwölf weiteren die Einfriedung ganz fehlt. Schließlich hebt Guillin die neun Burgen bzw. Schlösser hervor, insbesondere die Burg des Kochersberges, obwohl sie in Ruinen liegt. Das Schloss von Romanswiller hingegen wird von einem Edelmann in gutem Zustand gehalten. Insgesamt bietet Guillins Beschreibung keine konkrete Anleitung, weder zum Angriff noch zur Verteidigung. Er begnügt sich, Vor- und Nachteile der Topographie aufzuzeichnen. Dem Offizier, der eine Armee zu führen hat, liefert er einen Katalog, in dem jedoch die Elemente der Verteidigung überwiegen. In der Beschreibung des nördlichen Elsasses – einer Schwachstelle der Region – wird allerdings der Festungsgürtel ausgelassen, der mit Ausdauer von S¦bastien Le PrÞtre Marquis de Vauban und Jacques Tarade ausgeführt wurde.9 Beide haben sich einen Schutzwall mit mehreren Riegelstellen ausgedacht: Hüningen in Sichtweite von Basel, Straßburg, umgestaltet zur größten Stadtfestung Eu9 Zu Vauban vgl. Jean Doise, Art. ›Vauban‹, in: Encyclop¦die de l’Alsace, Bd. 12, Straßburg 1986, S. 7537f.; zu Tarade vgl. Alphonse Halter, Dictionnaire biographique des mar¦chaux et g¦n¦raux alsaciens, Colmar 1994, S. 310.

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ropas, als Zentralpunkt des ganzen Verteidigungssystems, und schließlich NeuBreisach. Das sind wichtige Übergangsstellen des Rheins in den Händen von König Ludwig XIV. Insgesamt sind es nicht weniger als elf Festungen, welche die Sicherheit des Elsasses garantieren:10 Pfalzburg, Weißenburg, Lauterburg, Landau, Drusenheim, Fort-Louis, Straßburg, Neu-Breisach, Hüningen, Landskron und Belfort.11 Der Abstand dieser Festungen ist so gestaltet, dass der Feind keine Vorteile aus einer Einnahme ziehen kann, denn er müsste gleichzeitig auch andere Festungen in der Nähe belagern. Der Festungsbau bedeutet ganz außerordentliche Anstrengungen, nicht zuletzt um das nötige Baumaterial an Ort und Stelle zu bringen.12 Wie sein Vorgänger Jacques de La Grange beschreibt der Intendant F¦lix Le Pelletier de La Houssaye in seinen Berichten die Lage der Provinz.13 In einem ersten großen Konvolut von 1700 behandelt er detailliert die Festungen und betont den Reichtum und die Fruchtbarkeit der Provinz.14 In den beiden folgenden, kürzeren Berichten von 1701 und 1702 erwähnt de La Houssaye das Auswerfen zweier Kanäle.15 Der eine führt von Straßburg nach Sulz bei Molsheim und dient 10 Jean-FranÅois Blattner, Trois siÀcles de fortifications dans la plaine du Rhin sup¦rieur, Drusenheim 1999; Claude Muller, L’Alsace au XVIIIe siÀcle, Nancy 2008. 11 Zu Drusenheim vgl. Pierre Perny, Drusenheim. Deux destins: le Rhin et les guerres, Straßburg 1985; zu Straßburg vgl. Gaston Zeller, La forteresse de Strasbourg jug¦e par Vauban, in: Revue d’Alsace 88 (1948), S. 203–207; Jean Reussner, Strasbourg, place de guerre, in: Annuaire des amis du vieux Strasbourg 11 (1981), S. 49–88; vgl. auch Christopher Duffy, The fortress in the age of Vauban and Frederic the great (1660–1789), London 1985; zu Hünningen vgl. Georges Baud, Huningue, centre de renseignements pendant la guerre de succession d’Espagne, in: Bulletin de la soci¦t¦ d’histoire de Huningue et sa r¦gion 34 (1989), S. 43–52; Catherine Lubat-Pfeiller, Conception et organisation des places fortes de Vauban. La r¦alisation pratique d’un grand projet, l’exemple de la forteresse de Huningue, Straßburg 1995; Paul-Bernard Munch, Les atlas de Huningue et du ch–teau de Landskron (1775), Huningue 2007; zu Belfort vgl. Yvette Baradel, Belfort au XVIIIe siÀcle, Belfort 1993; vgl. auch Linda Frey, Marshal Frey (Hrsg.), The theatres of the war of the Spanish succession, Westport 1995. 12 Andr¦ Corvisier, La France de Louis XIV (1643–1715). Ordre int¦rieur et place en Europe, Paris 1979, S. 323–342. 13 Zu de La Grange vgl. Roland Oberle, L’Alsace en 1700. Le m¦moire de Jacques de La Grange, S¦lestat 1975. Die Memorien wurden nicht vom Intendanten selbst geschrieben, sondern von mehreren Autoren. Einer von ihnen ist der ›pr¦teur royal‹ von Colmar Dietremann, vgl. Claude Muller, Le m¦moire sur la Haute Alsace de FranÅois Dietremann (1694), in: Annuaire de la soci¦t¦ d’histoire de Colmar 44 (1999/2000), S 45–64. La Houssaye war Intendant des Elsasses von 1699 bis 1715, dann ›contrúleur g¦n¦ral des finances‹ von 1720 bis 1722, Georges Livet, Art. ›Le Pelletier‹, in: Nouveau dictionnaire de biographie Alsacienne, Bd. 24, Straßburg 1995, S. 2308. 14 Paris, BibliothÀque du S¦nat, 3 FPM. 15 Für 1701 vgl. Straßburg, BibliothÀque Andr¦ Malraux [im Folgenden: BMS], Ms 1136: »Il y a en Alsace deux canaux — main d’hommes l’un sur la Bruche depuis Soultz prÀs Molsheim jusqu’— Strasbourg. Le roi l’a fait construire pour servir au transport de mat¦riaux n¦cessaires pour les fortifications de Strasbourg. L’autre canal est tir¦ d’Alberschweiler jusqu’—

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zum Transport des Baumaterials, das zum Bau der Festung Straßburg nötig ist. Der andere Kanal zieht von Aberchweiler (sic) nach Landau. Ein vierter Bericht vom 20. Mai 1707 erwähnt nun vier Kanäle: zur Breusch (Bruche) und nach Breisach, von Hattstatt bis Widensolen; ein dritter Kanal von größerem Ausmaß zieht, längs des Rheins, von Wanzenau bis Selz und ist bestimmt, die Verproviantierung der Lauterlinien zu sichern.16 Schließlich führt ein vierter Kanal nach Landau. Der Intendant zählt jetzt 16 feste Stellungen auf: die Zitadelle von Straßburg, Fort-Louis, Kehl, Schlettstadt, Alt-Breisach, Neu-Breisach, FortMortier gegenüber von Breisach, Belfort, Hüningen, Landskron, Lichtenberg, Lützelstein (La Petite-Pierre), Hagenau, Zabern, Drusenheim und Lauterburg. Die französische Monarchie wartet selbstverständlich nicht auf die Feststellungen von Guillin und auch nicht auf die Berichte des Intendanten, um die Grenzen zu sichern. Bereits im September 1701 beginnen die ersten Arbeiten an der Moder, in der Nähe von Neuburg bei Hagenau, während im Oktober der Verwalter des Deutschordens in Weißenburg einen kaiserlichen Schutzbrief für das Ordenshaus erbittet. Im Mai 1702 werden die Bauern zu allerhand Fronen herbeigezogen. Zwischen Lauter und Moder fehlen die Arbeitskräfte für die landwirtschaftlichen Arbeiten. Richard Schlee, der Beichtvater der Zisterzienser von Königsbrück, ist der erste Zeuge der kriegerischen Ereignisse. Er schreibt auf Deutsch: »Nach einer kurzen Friedenszeit, und kaum war alles wieder in Ordnung gebracht, entzündet sich ein neuer, schädlicher Krieg zwischen seiner kaiserlichen Majestät und dem sehr katholischen König von Frankreich, wo es um die spanische Königskrone geht. Am 2. April überschreiten die kaiserlichen Truppen den Rhein bei Lauterburg, besetzen die Stadt Weißenburg und ziehen hin und wieder durch die Umgebung der Abtei. Französische Truppen, etwa hundert Reiter, treffen um vier Uhr morgens in Königsbrück ein und zerstören die Brücke des Sauergrabens. Durch diese Zerstörung wird die Straße unbrauchbar.«17 Als Priorität der Kaiserlichen gilt es, Landau einzunehmen. Diese Festung liegt fünf Stunden von Speyer entfernt, und etwas mehr von Philippsburg, drei Stunden vom Rhein, fünf von Weißenburg, zwölf von Hagenau. Bereits am Landau«. Für 1702 vgl. BMS, Ms 934, fol. 17: »La ville de Neuf-Brisach que l’on construit actuellement […] sera une bonne d¦fense quand l’ouvrage sera achev¦«; ebd., fol. 39: »— la v¦rit¦ les bornes de l’Alsace du cút¦ du Palatinat n’ont pas encore ¦t¦ bien pr¦cis¦ment d¦crites ni limit¦es. Elles ne sont sujettes — aucune contestation jusqu’— la riviÀre de la Lauter, mais le roi a grand int¦rÞt de maintenir sa souverainet¦ jusqu’— la riviÀre de la Queich«. 16 BMS, Ms 1137, fol. 12: »Le troisiÀme canal va de la Wantzenau jusqu’— Seltz. Il a ¦t¦ fait pour le transport de subsistance des troupes tant sur les lignes de la Lauter que le long du Rhin qui sans cela serait trÀs difficile pour la quantit¦ prodigieuse de chariots qu’il faudrait y employer. Le transport aurait mÞme pu devenir impraticable par terre dans le mauvais temps«. 17 Mairie de Leutenheim, Chronique de Koenigsbruck auf Deutsch, fol. 104–110, zit. nach Francis Rapp, Claude Muller, Koenigsbruck, Drusenheim 1998, S. 191–195.

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23. April ist Landau erreicht. Am 18. Juni beginnt man damit, Gräben aufzuwerfen. Die wichtigsten Kriegsereignisse sind uns durch Br¦ande überliefert, einen Kapitän der Königlichen Artillerie.18 Er gibt die Zahl von 4.000 Belagerten an, angeführt von Ez¦chiel de M¦lac. Nach Br¦ande ist die Festung gut angelegt, aber nicht gut vorbereitet: »Il manque les choses essentielles«.19 Es sind wenige Bomben parat, wenige Lafetten für kleine Kanonen, sehr wenige Bretter, Balken und Pfähle. Br¦ande schreibt auch, dass die Truppen aus wenig erfahrenen Rekruten bestehen würden. Anfänglich beschränkt sich die Belagerung auf das Ausheben von Gräben auf der österreichischen Seite. Die französische Artillerie beginnt einerseits die Arbeit an den Gräben zu verhindern, anderseits versucht sie das Ausbrechen zu unterstützen. Jeder Graben wird angezeigt. Insgesamt machen die Franzosen nur ganz geringe Vorstöße, was ganz im Gegensatz zum damals Üblichen steht. »Il ne suffit pas qu’une exp¦dition soit glorieuse, il faut encore qu’elle soit utile«, schreibt Br¦ande.20 Vom 6. Juli an beginnen die Kaiserlichen ihre Umwallungslinien vom Kanal aus zum Berg von Arzheim auszuführen, indem sie alles mit Palisaden umgeben. Ein Kraftakt findet am 8. Juli 1701 um zwei Uhr nachmittags statt. Die kaiserlichen Truppen stellen sich in Schlachtordnung oberhalb ihres Lagers auf. Drei aufeinander folgende Salven werden abgefeuert und die Schüsse von neun Kanonen einer frischen Batterie richten großen Schaden an. Unter anderem werden die königlichen Kasernen durch Brand zerstört. M¦lac gibt darauf den Befehl zu einem mitternächtlichen Ausbruch von 200 Mann. Dabei finden etwa zehn Franzosen den Tod. Am 18. Juli ist ein großes, beidseitiges Artilleriefeuer verzeichnet. Allerdings donnern die Kanonen während der ganzen Zeit der Belagerung jede Nacht. Br¦ande erwähnt für den 22. Juli, dass ein Deserteur der kaiserlichen Armee in die Festung gekommen sei und sich ergeben habe. Ab dem folgenden Tag bauen die Österreicher ihre Stellung aus und vergrößern sie noch. Der Berichterstatter notiert auch zwei kleine Zwischenfälle in diesem Konflikt. Am 27. Juli bietet ein französischer Offizier einem deutschen Erfrischungen an, und zwar sechs Flaschen Wein aus Burgund. Am 3. August tauschen Franzosen und Österreicher als freundschaftliche Geste Champagner und Obst aus. Ein anderes Mal kommt es zu einem großen Durcheinander : Einen Augenblick lang glauben die Franzosen, dass eine von Nicolas de Catinat geführte Unterstützung eintreffe. In Wirklichkeit handelt es sich um drei Salven von 50 Kanonen, welche Catinats Eintreffen aufhalten. 18 Journal du siÀge de Landau en l’ann¦e 1702 par de Br¦ande, Paris 1702; der Text ist abgedruckt bei Muller, Alsace (wie Anm. 6), S. 62–104. 19 Muller, Alsace (wie Anm. 6), S. 75. 20 Muller, Alsace (wie Anm. 6), S. 77.

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Alsbald zeigen sich die Folgen der Belagerung. Am 12. August wird das Heu knapp. Man nimmt, was man gerade findet, um neue Futterballen für die Pferde zu schnüren. Pferde werden geschlachtet, um Fleischbrühe für die Verwundeten zu gewinnen. Ein letzter Angriff findet am 24. und 25. August statt. Am 24., dem Vorabend des Festes des heiligen Ludwig, drücken die Belagerer in den Gräben ihre Freude über den in Italien errungenen Sieg aus: Sie werfen Zettel in das belagerte Landau, um den Franzosen die Niederlage anzukündigen. Am Tag darauf feiern die französischen Truppen das Fest des Heiligen. Bald darauf wird ein kaiserlicher Graben bis zur Festungsmauer vorgetrieben. Das ist der Anfang vom Ende. Am 29. August versuchen die Franzosen den Pionier, dem es gelingt, die Mauern zu sprengen, zu erwürgen. Am 1. September sprengen die Kaiserlichen die linke Seite des Halbmondes, bevor sie zu einem neuen Angriff übergehen. Nun ist es aus. Ludwig Wilhelm von Baden unterschreibt am 10. September die Übergabe der Stellung. Die Garnison kann, lebendigen Leibes, mit einigen Waffen ausziehen. Aber der Krieg im nördlichen Elsass hört nicht auf und es überwiegt wieder die Angst. Am 5. Mai 1703 bedrängt der Verwalter des Deutschordens in Neckarsulm, von der die Komturei von Weißenburg und Riedseltz abhängt, den Greffier, eine Summe von 3.500 Gulden nach Heidelberg in Sicherheit zu bringen. Im Sommer 1703 werden über 3.000 Bauern requiriert, um die feindlichen Linien in Lauterburg und längs der Lauter, nach dem feindlichen Rückzug, niederzulegen. Die französischen Truppen bemächtigen sich des gesamten Futtervorrates von Schönenburg. Vom 24. August bis zum 6. September wird Breisach belagert. Die strategische Bedeutung des Elsasses wird durch die Anwesenheit von Louis de France, dem Herzog von Bourgogne und Enkelsohn Ludwigs XIV., in Straßburg unterstrichen, wo er am 3. Juni 1703 von Abb¦ Louis de La Grange in einer feierlichen Ansprache begrüßt wird: »Les fleurs de lys poussent plus haut leurs tiges que le vol impuissant de l’aigle imp¦riale«.21 Im Herbst ziehen sich die französischen Truppen zurück und richten dabei großen Schaden an. In Birlenbach beziffert sich der Verlust auf 500 Gulden. In Seltz nehmen die Franzosen den gesamten Getreidevorrat und das Holz aus den Scheunen und verlangen 1.500 Livres.22 Am 17. Oktober 1703 wird Landau zum zweiten Mal belagert. Julius Heinrich Graf von Friesen beklagt 2.100 Tote und ergibt sich zu den gleichen Bedingungen, die man M¦lac im vorherigen Jahr zugesagt hatte. Die winterliche Waffenpause unterbricht die Kriegsereignisse nur für kurze Zeit. Anfang des Jahres 1704 treffen ungarische Husaren in Zabern ein. Sie plündern die Dörfer Eckartswiller und Otterthal und entwenden das Vieh auf der 21 Archives d¦partementales du Haut-Rhin, 1 J 11, f. 16. 22 Daniel Peter, Na„tre, vivre et mourir dans l’Outre-ForÞt, Wissembourg 1998, S. 62–72.

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Weide. Einige Bürger versuchen Widerstand zu leisten. Die Scharmützel bringen einige Todesfälle in beiden Lagern. Die Kriegsereignisse treiben die Bevölkerung auf die Flucht. Im März 1704 findet die Bevölkerung von Preuschdorf Zuflucht in Lobsann, dann in Bitsch. Für die Franzosen folgt ein Rückschlag dem anderen. Ende Juli 1704 zieht sich Marschall Villars nach Weißenburg zurück. Drei Tage später überschreitet er in Neuburg die Moder und begibt sich nach Weyersheim. Mitte September ziehen sich die Soldaten Villars hinter die Moderlinien zurück, wo 10.000 Gefangene tätig sind. Dieses äußerst große Unternehmen braucht die Lebensmittelreserven der Gegend, die schon vor dem Krieg knapp waren, ganz auf. Am 13. August 1704 werden die Franzosen in Höchstedt in Bayern geschlagen. Bereits am 13. September steht der Feind vor Landau, das die auf sich selbst gestellte vorderste französische Linie bildet. Sogleich beginnen die Vorbereitungen zur dritten Belagerung Landaus. Diese sind uns durch einen Bericht des Ingenieurs Villemont überliefert.23 Zunächst bietet er Zahlen: 70.000 Belagerer, nämlich die Truppen von Prinz Eugen, diejenigen von Ludwig Wilhelm von Baden und ein Kontingent Engländer und Holländer unter dem Befehl John Churchills, des Herzogs von Marlborough. Ihnen gegenüber stehen 5.000 französische Soldaten, die vom Rückzug aus Bayern ermüdet sind. Die Angreifer heben in der Nacht vom 13. zum 14. September einen Graben aus. Die Österreicher beginnen den Angriff mit der Beschießung durch ihre Kanonen. Eine Episode des guerre en dentelles, des Krieges in Spitzen, das heißt der sonderbaren Höflichkeitsbräuche unter Feldherren, sei erwähnt. Es handelt sich um die Anfrage des Platzkommandanten Laubanie an Ludwig Wilhelm von Baden. Er will wissen, wo sich das Quartier des roi des Romains befinde, um zu verhindern, dass darauf geschossen wird. In den folgenden Nächten gibt es weitere Ausfälle gegen die Untergrabungen. Die Österreicher wissen, dass der gedeckte Weg unterminiert ist, also beschließen sie ihrerseits zu untergraben, aber das braucht Zeit. Am 3. November erreichen die Belagerer diese Stelle. Am 8. schlagen sie in die demi-lune eine Bresche. Am 23. besetzen sie zwei contre-gardes. Laubanie verfügt nur noch über 2.000 kampffähige Männer, darunter eine große Zahl von Rekruten. Da eine Niederlage unabwendbar ist, unterzeichnet Laubanie am 24. November die Kapitulation.24

23 Colmar, BibliothÀque Municipale, Ms 96, zit. nach Muller, Alsace (wie Anm. 6), S. 105–151. 24 Vincennes, Archives du Service Historique de la D¦fense [im Folgenden: ASHD], A1 1751, fol. 207.

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III.

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Taktische Notwendigkeit: Bewegung

Auf königliche Anordnung lässt Villars nun vom Stellungskrieg ab und geht zu einer beweglichen Kriegsführung über, wie er es schon 1704 getan hatte. Von 1705 bis 1708 begibt sich die Truppe von einem Ort zum anderen. Nach der Winterpause werden die Kämpfe wieder aufgenommen. Der Herzog von Marlborough führt das englisch-österreichische Heer und greift im nördlichen Lothringen an. Villars gelingt es, den weiteren Vormarsch aufzuhalten, indem er sich in die Festung Sierck nördlich von Diedenhofen (Thionville) begibt. Marlborough verbraucht seine Lebensmittel und muss sich mit 80.000 Mann nach Trier zurückziehen. Villars will die Lage ausnutzen und unternimmt Anfang des Sommers ein Ablenkungsmanöver im Unter-Elsass. Er erreicht das Elsass am 3. Juli 1705. In Hördt trifft er Marschall Ferdinand de Marchin, wo sich beide Armeen vereinigen. Es sind jetzt 58 Bataillone und 95 Schwadronen. Die Strategie besteht darin, den Feind über die Lauter hinaus aus dem Land zu vertreiben und auf das andere Ufer des Speyerbaches zu drängen, um Landau belagern zu können. Weißenburg fällt rasch, da die Kaiserlichen die Schlacht verweigern. Lauterburg hingegen hält bis zum 5. Juli. Villars nimmt alsdann die Burgen von Selz, Hatten und Niederrödern ein. In Weißenburg befällt die »Feuerkrankheit« die Pferde des Regiments d’Egmont.25 Villars versucht den Feind in Stollhofen, auf der rechten Rheinseite, festzuhalten, um jedem Angriff der Kaiserlichen zuvorzukommen und zieht sich nach Gambsheim zurück. Am 22. August überschreitet der Prinz von Baden die Lauter und verlegt sein Lager nach Langenschleithal. Die zahlenmäßige Übermacht – 70.000 Mann gegen 35.000 von Villars – lässt den Markgrafen eine Konfrontation suchen, während Villars noch Truppen nach Flandern und Italien abgeben muss. Um der Gegenüberstellung zu entgehen, zieht sich Villars nach Süden zurück. Der Prinz von Baden unternimmt eine Belagerung von Drusenheim und Hagenau. Drusenheim fällt am 24. September, Hagenau am 6. Oktober.26 Der Kapitän von Hagenau hat keine Kapitulation erhalten, kann aber entfliehen. Villars wird am Hof über den Fall von Hagenau ausgefragt. Er antwortet, es lohne sich nicht, die Festung zu verteidigen, weil die Lage nicht so gut sei.27 25 Jean-Claude Streicher, La cavalerie franÅaise malade du feu au camp de Wissembourg en juillet 1705, in: L’Outre-ForÞt 126 (2004), S. 29–39. 26 Joseph Klele, Haguenau pendant la guerre de succession d’Espagne (1701–1714), Haguenau 1926. 27 »La sup¦riorit¦ du Prince de Bade ne lui a pas donn¦ que Drusenheim et Haguenau qu’on lui a abandonn¦. Le Fort-Louis est bloqu¦, mais il est dans le meilleur ¦tat que l’on puisse d¦sirer par les nouveaux ouvrages et muni de tant de munitions que le siÀge, s’ils l’entreprennent achÀvera de ruiner leurs troupes«, ASHD, A 1 1848, fol. 179 (Brief von Villars an Ludwig XIV. vom 2. Dezember 1705).

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Der neue Feldzug beginnt am 1. Mai 1706. Er verläuft für die Franzosen günstig.28 Marchin zieht nach Schweighausen und über die Linien der Moder. Villars nimmt Bischwiller ein, dann Drusenheim. Fort-Louis ist nun freigekämpft. Am 6. Mai ist er in Lauterburg, das die Kaiserlichen verlassen haben.29 Er sendet diese Nachricht sogleich an du Bourg.30 Marchin und Jean Baptiste de Regemorte beabsichtigen die Lauter umgehend zu befestigen.31 Die Arbeiten dauern sieben Wochen und beschäftigen 5.000 Pioniere. Villars erhält am 11. Juli von Ludwig XIV. den Befehl, Landau zurück zu gewinnen.32 Er aber spricht von einem Mangel an Futtermitteln und von der geringen Zahl an Truppen und unternimmt nichts, sondern zieht am 12. September in Hagenau ein. Das erklärt, weshalb der König letztlich doch milde reagiert. Drei Deserteure werden von ihm unter der Bedingung, wieder in den Dienst zu treten, begnadigt.33 Die Lage ändert sich ab dem 13. September. Der General von Thüringen überschreitet den Rhein in Philippsburg mit 20.000 Mann und 40 Kanonen. Am gleichen Tag erleiden die Franzosen eine Niederlage. Villars muss sich hinter die Linien an der Lauter zurückziehen. Zum Glück ereignet sich, wie von den Ingenieuren vorhergesagt, eine Überschwemmung. Ende September und Anfang Oktober behindert diese die österreichische Armee, die doppelt so groß ist wie die französische. Am 16. November 1706 kehren die Kaiserlichen über den Rhein zurück, ohne eine Schlacht geschlagen zu haben. Der neue Feldzug beginnt und in der Nacht vom 22. auf den 23. Mai gelingt es Villars überraschend, die Linien von Bühl und Stollhofen einzunehmen.34 Rasch sind die 2.000 Verteidiger überwältigt. Villars fordert hohe Kriegskontributionen und setzt die Instruktionen wörtlich um: 220.000 Livres von Württemberg, 220.000 von Baden-Durlach und 330.000 von Baden-Baden.35 Im nördlichen 28 Paris, BibliothÀque de l’Arsenal [im Folgenden: BAP], Ms 4518; vgl. Claude Muller, Les campagnes du mar¦chal de Villars en Alsace septentrionale (1705–1706), in: L’Outre-ForÞt 149 (2010), S. 21–28. Der Winter 1705 wird benutzt, um die Festungen wieder aufzubauen. Der Intendant braucht 2.000 Bauern im Januar und 2.000 weitere im Februar, um die Arbeiten in Alt-Breisach und Neu-Breisach abzuschließen. »Il faut les tirer de Franche-Comt¦, pour soulager l’Alsace«, ASHD, A 1 1954, fol. 92 (20. Januar 1706). 29 »Nous avons trouv¦ qu’il n’y avait plus d’ennemi. Votre Majest¦ a regagn¦ toute la Moder et tout le Rhin jusqu’— Lauterbourg«, ASHD, A1 1948, fol. 69 (Villars an Ludwig XIV). 30 BAP, Ms 6624, fol. 108. 31 ASHD, A1 1948, fol. 74, 135. Vgl. auch Ren¦ Bayer, Joseph Ehrhard, Les lignes de la Queich et de la Lauter, in: L’Outre-ForÞt 57 (1987), S. 58–66. 32 »La disposition des affaires de Flandre me donne lieu de vous d¦pÞcher le courrier pour vous faire savoir la n¦cessit¦ dans laquelle je me trouve d’employer toutes sortes de moyens pour obliger les ennemis — partager leurs forces. Je n’en connais pas un plus s˜r que celui du siÀge de Landau«, ASHD, A1 1933, fol. 66. 33 Vgl. Muller, Alsace (wie Anm. 6), S. 58. 34 ASHD, A1 2027. 35 »Rappelez-vous que l’Allemagne regorge d’abondance et que je suis en grande d¦tresse, car depuis longtemps il n’a pas ¦t¦ possible de faire supporter par le royaume le co˜t d’une

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Elsass erschöpfen die Ausschreitungen der Soldateska die Bevölkerung. Im Februar 1707 beklagen sich die zweibrückischen Orte Hofen, Hunspach, Birlenbach und Keffenach, dass sie ohne Unterlass Lebensmittel und Wagen liefern, sowie täglich an den Werken arbeiten müssen.36 Der Intendant Le Pelletier de la Houssaye überbringt die Klagen nach Versailles. Einige Angaben sind zu den Winterquartieren zu machen: Eine Aufstellung von Ende 1707 bestätigt die Anwesenheit von 17 Kavallerieregimentern im Elsass.37 Das Regiment de Noailles ist auf Gebweiler, Sulz, Issenheim, Raedersheim und Merxheim im Süden des Elsasses verteilt, das Regiment de Clermont ist in Maursmünster (Marmoutier), Westhofen, Balbronn und Nordheim bei der Bevölkerung einquartiert. Das Regiment de Duras ist auf Ottmarsheim, Nambsheim, Rixheim, Schlierbach, Bartenheim und Sierenz verteilt. Ein weiteres Regiment befindet sich in Dambach, Kestenholz (Ch–tenois), Sankt Pilt (SaintHippolyte), Scherweiler, Stotzheim, Epfig, Dammerkirch (Dannemarie), Zillisheim und Wahlheim. Andere überwintern in der Franche Comt¦, der Champagne und in der Gegend der Saar. Von den zwanzig Infanterieregimentern ist Toulouse in Selz, Languedoc in Hagenau und Mortemart in Colmar. Drei Kompanien befinden sich in Rufach. John Lynn betont, dass die winterlichen Unterbrechungen der Kriegsereignisse den Truppen ermöglichen, sich wieder aufzurichten.38 Sie begünstigen somit die Verteidigungsmaßnahmen. Den Verlauf des Krieges von 1708 kennen wir durch die Korrespondenz Berwicks an du Bourg.39 Berwick ist am 6. Juni in Hagenau, am 7. in Pfalzburg, am 8. in Bockenheim/Bouquenom (später Saarunion bzw. Sarre-Union) und am 12. in Saarlouis. Er gibt seine Strategie an: Das Wichtigste seines Krieges sei es, tunlich hin und her zu ziehen. Am 8. ist er in Luxemburg und lässt du Bourg mit einigen Truppen im Elsass, um Unternehmen des Kurfürsten von BraunschweigLüneburg, Georg I. Ludwig, zu verhindern.

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d¦pense aussi grande que celle que le roi est oblig¦ de soutenir«, ASHD, A1 2027, fol. 98 (Ludwig XIV. an Villars). Daniel Peter, Birlenbach durant les guerres du rÀgne de Louis XIV, in: L’Outre-ForÞt 102 (1998), S. 29–34; vgl. allg. Lucien Bely, Andr¦ Corvisier, Arm¦e et soci¦t¦ en Europe de 1494 — 1799, Paris 1996; Frank Tallett, War and society in early modern Europe, London 1992. BAP, Ms 6625, fol. 29–39. Lynn, Guerres (wie Anm. 6), S. 377f. BAP, Ms 6616 (Briefe von Berwick an du Bourg); vgl. Claude Muller, Guerres et paix sur la frontiÀre du Rhin au XVIIIe siÀcle, Drusenheim 2007, S. 81–87.

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IV.

Claude Muller

Anstrengungen zur Festigung der Linien

Am 15. Januar 1709 befindet sich Jacques Fitz-James, Herzog von Berwick, in Saint-Germain en Laye. Die Generäle für die neue Kampagne sind noch nicht bestimmt. Du Bourg bespricht mit ihm den schrecklichen Winter und betont die Notwendigkeit der Verpflegung sowie den Finanzbedarf der Kriegsführung.40 Marschall Henri d’Harcourt wird als Befehlshaber für den Krieg am Rhein ernannt. Schon am 17. März nimmt er Kontakt mit du Bourg auf, wohl wegen der Verproviantierung; er spricht auch ahnungsvoll von der Gefahr österreichischer Angriffe aus südlicher Richtung.41 D’Harcourt verlässt Versailles im Mai. Am 10. ist er in Pontarlier, bevor er an den Königshof zurückkehrt, was seine geringe Eile, in das Elsass zu gelangen, bezeugt. Am 12. Juni ist er in Kehl. Am 20. August richtet er sich endgültig in Schleithal ein, nachdem er Fort-Louis, Lauterburg, Weißenburg und Hagenau inspiziert hat. Seinen Worten zufolge ist dort alles in gutem Zustand. Er beabsichtigt nicht, die Region zu verlassen. Während d’Harcourt den Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg im nördlichen Elsass blockiert, wird in Wien ein neuer Kriegsplan geschmiedet. Graf von Mercy kommt aus Ungarn mit 26 Schwadronen. Er soll über Basel mit seiner Kavallerie in das obere Elsass eindringen, um eine Schiffbrücke in Neuenburg – der traditionellen Übergangsstelle über den Rhein – zu bauen. Hier soll die Infanterie den Rhein überschreiten. Dann will er von Norden her in die Franche Comt¦ einfallen. Am 21. August verbreitet sich die Nachricht vom Einmarsch der kaiserlichen Truppen in das Elsass. Betuchte Colmarer Bürger, insbesondere Mitglieder des Königlichen Rates, suchen Sicherheit in Schlettstadt.42 Um das Vordringen der Österreicher zu verhindern, befiehlt d’Harcourt dem Grafen du Bourg, zehn Schwadronen der Kavallerie und einige Bataillone Infanterie zu sammeln.43 Am 23. August ist du Bourg in Breisach. Am selben Tag bringt Mercy seine Infanterie, von Freiburg im Breisgau kommend, nach Neuenburg und ruft die Vertreter der umliegenden elsässischen Ortschaften zusammen, um Geld und Lebensmittel zu requirieren. Er gibt in seinem Lager ein Fest, ohne zu ahnen, was nur wenige Tage später passieren wird. 40 Zum schlechten Winter von 1709/1710 vgl. Claude Muller, Chronique de la viticulture en Alsace au XVIIIe siÀcle, Riquewihr 1993. 41 BAP, Ms 6618 (Briefe von d’Harcourt an du Bourg). 42 Paris, Archives Nationales, G 7, 81, zit. nach Georges Danzas, Note sur la correspondance du contrúleur g¦n¦ral des finances relatives — l’Alsace, in: Revue catholique d’Alsace 13 (1894), S. 698–706, 734–743 u. 911–916, hier S. 742f. 43 Arthur Benoit, Le combat de Rumersheim, in: Revue catholique d’Alsace 15 (1896), S. 830–838; Etienne Fritz, Art. ›Rumersheim‹, in: L’Encyclop¦die de l’Alsace, Bd. 11, Straßburg 1985, S. 6556; Claude Muller, La guerre dans la Hardt. Le comte du Bourg et la bataille de Rumersheim (1709), in: Annuaire de la soci¦t¦ d’histoire de la Hardt et du Ried 24 (2011/12), S. 41–44.

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Am 26. August 1709, um fünf Uhr morgens, bricht die kleine französische Truppe von 8.000 Mann, in Dreierreihen aufgestellt, zum Marsch auf. Mercy ist von der Ankunft des Feindes unterrichtet, verlässt sein Lager und versammelt seine Truppen oberhalb von Rumersheim. Die Infanterie empfängt ohne große Aufregung eine Salve der österreichischen Dreierreihen. Bevor die Österreicher aufstehen können, um ihre Waffen erneut zu laden, stürmen die französischen Soldaten im Bajonettangriff auf sie zu. Die österreichische Infanterie ist bestürzt, glaubt überall Feinde zu sehen, verliert die Übersicht und behindert die eigene Kavallerie. Die Soldaten stürmen zum Rhein, manche versuchen hinüber zu schwimmen, andere eilen zur Brücke, die alsbald unter dem Gewicht der Drängenden zusammenbricht. Graf von Mercy muss ebenfalls fliehen. Allein an diesem Tag verlieren die Kaiserlichen zwölf Fahnen, acht Banner, ihre Artillerie und 500 mit Proviant und Munition beladene Wagen. In der Schlacht von Rumersheim stoßen insgesamt etwa 20.000 Mann aufeinander. Sie endet so rasch, wie sie begonnen hat. Sie dauert anderthalb Stunden, aber verhindert jede weitere Invasion des Elsasses und vereitelt die kaiserlichen Absichten, hier große Schlachten zu schlagen.44 Trotz allem ist die Schlacht von Rumersheim heute ganz in Vergessenheit geraten, denn Malplaquet überstrahlt alles.45 Am 11. September 1709, also drei Wochen nach der Blitzschlacht von Rumersheim, stehen sich hier 170.000 Soldaten beider Armeen gegenüber – 90.000 des Prinzen Eugen und Churchill, 80.000 von Villars. Der Rückzug der Franzosen bedeutet ihre Niederlage, wenn auch Villars angibt, dass seine Truppe weniger Verluste zu verzeichnen hatte als die des Feindes.46 Tatsächlich zählt man 21.000 Tote und Verletzte auf alliierter und nur 11.000 auf französischer Seite. »Je ne crois pas qu’il soit — propos pour vous de chercher — combattre les ennemis. La conjoncture pr¦sente ne requiert pas que nous risquions aucune

44 Berwick beglückwünscht du Bourg am 9. September 1709 mit den Worten: »Mon compliment sur la belle et grande victoire que vous avez remport¦e sur les ennemis« und fügt am 28. Oktober hinzu: »Le roi a fait d’Harcourt pair de France«, BAP, Ms 6616, fol. 136 u. 147. Der Sieg wird also d’Harcourt verdankt, nicht du Bourg, der später aber immerhin belohnt wird. 45 Andr¦ Corvisier, La bataille de Malplaquet 1709. L’effondrement de la France ¦vit¦, Paris 1997; Lynn, Guerres (wie Anm. 6), S. 402f., erwähnt Rumersheim nicht; eine Ausnahme ist dagegen Ronald Thomas Ferguson, Blood and fire. Contribution policy of the French armies in Germany (1668–1715), Minneapolis/MN 1970. 46 »Nous avons enfin un g¦n¦ral qui a foi dans le soldat, dans le sort de la France et en soimÞme«, sagte Mme de Maintenon 1709, zit. nach John B. Wolff, Louis XIV, New York 1968, S. 557. »Je mets ma confiance en Dieu et en vous« (Ludwig XIV. an Villars, 1709), zit. nach FranÅoise Ziegler, Villars, le centurion de Louis XIV, Paris 1996, S. 188; »Les troupes de votre Majest¦ ont fait de merveilles. Quoique votre arm¦e soit en retraite, il appara„tra qu’elle a perdu moins d’hommes que l’ennemi«, ASHD, A1 2152, fol. 170 (Villars an Ludwig XIV.).

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action consid¦rable«.47 Dieser Befehl des Königs lässt uns die französische Einstellung der letzten Kriegsjahre – nämlich Unbeweglichkeit – verstehen. Am 2. September 1709 sagt d’Harcourt, dass es nichts anderes zu tun gebe, als den Feind zu beunruhigen.48 Am 2. November zeigt er sich bereit, das Elsass zu verlassen. Vier Tage später ist er in Hagenau, am 9. November in Zabern und am 19. in Metz. Er hinterlässt eine bedenkliche Lage an der Lauterlinie: Den zurückbleibenden Truppen fehlt Verpflegung und Sold. Also wuchert die Desertion.49 Wenn es darum geht, Schuhe zu kaufen, sind die Kredite ausgeschöpft. Von Deserteuren wird immer noch im Januar 1710 gesprochen. Comte de Pery schreibt in Weißenburg, dass sich in zehn Tagen 20 Grenadiere von der Truppe entfernt hätten. Am 27. März schreibt d’Harcourt an du Bourg, dass er in das Elsass zurückkehre. Der König hat ihm 50 Bataillone und 80 Schwadronen zugesagt, wenn man sie ihm nicht entzieht. Aber d’Harcourt ist krank und wird durch Jacques Bazin de Bezons ersetzt, welcher am 7. Juni in Selz eintrifft.50 Sogleich begibt er sich nach Fort-Louis, um eine Brücke herstellen zu lassen, dann nach Salmbach, wo er bis zum 17. August weilt, und schließlich nach Weißenburg. Er ist beunruhigt von den Nachrichten, die Gaspard de Hatzel, der in Deutschland einen Kreis von Informanten aufgebaut hatte, ihm zusendet.51 Nun erwartet er die winterliche Waffenruhe.52 Am 26. November 1710 kommt er durch Zabern, am 30. durch Metz. Am 5. Mai 1711 gibt de Bezons abermals Nachricht an du Bourg. Er schätzt, dass die campagne d’Allemagne nicht so gemütlich sein wird wie die des vergangenen Jahres. Am 19. Mai gelangt er über Zabern nach Straßburg. Dann inspiziert er Fort-Louis am 12. Juni, am 14. Selz. Der Intendant notiert die Anwesenheit von Jacques FranÅois Stuart in Weißenburg am 30. Juni 1711.53 Am 11. September ist de Bezons immer noch in Seebach: »Tout continue pareille47 ASHD, A1 2303; vgl. auch JoÚl Cornette, Le roi de guerre. Essai sur la souverainet¦ de la France du Grand siÀcle, Paris 1993. 48 BAP, Ms 6618 (Briefe von d’Harcourt an du Bourg). 49 Jean-Claude Streicher, §tre militaire en 1709 sur les lignes de la Lauter, in: L’Outre-ForÞt 1 (1973), S. 27–29. 50 BAP, Ms 6617 (Briefe von de Bezons an du Bourg). 51 Ren¦ Bayer, Jean Gaspard de Hatzel (1668–1746). Un personnage haut en couleur, in: L’Outre-ForÞt 41 (1983), S. 21–24; Jean Vogt, Encore le subd¦l¦gu¦ Hatzel, in: L’Outre-ForÞt 79 (1992), S. 25f.; Claude Muller, L’Outre-ForÞt au XVIIIe siÀcle, Straßburg 2004, S. 74–78. Ein anderer Mann ist noch zu erwähnen, vgl. Jean-Claude Streicher, Les missions sp¦ciales du sieur Willemann, bailli de Fleckenstein et de Lauterbourg pendant la guerre de succession d’Espagne, in: L’Outre-ForÞt 2 (1973), S. 7–11; ders., FranÅois Thi¦baut Willemann, bailli de Fleckenstein et de Lauterbourg, in: L’Outre-ForÞt 78 (1992), S. 4–20. 52 »J’ai reÅu les ordres de la Cour pour la destination des troupes pendant l’hiver, mais jugez bien que je ne me s¦parerai pas de l’arm¦e, tant que les ennemis resteront dans la situation o¾ ils sont«, BAP, Ms 6618 (4. November 1710). 53 ASHD, A1 2320, fol. 121.

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ment ici d’Þtre fort tranquille tant de la part de nos ennemis que de la nútre«.54 Es bleibt das Warten auf die Winterpause. Der Marschall glaubt am 11. November 1711 zu wissen, dass das feindliche Heer sich aufteilt und auf einen Rheinübergang vorbereitet. Ganz sicher ist er nicht. Am 26. gibt er seiner Ungeduld Ausdruck, wegen der »schrecklichen« Regenfälle abzuziehen. Der Hagenauer Forst sehe aus wie ein »Meer«, schreibt er. Aber am 1. November ist er immer noch dort und wartet auf Hatzel, der 15.000 Heurationen bringen soll. Und dann wettert er gegen die Reiter, die selbst alle Baracken des Regiments in Brand gesteckt hätten. De Bezons ist am 13. Dezember in Zabern und am 19. in Paris, weit weg von der wenig verlockenden Front. Für die Kampagne von 1712 verbindet sich d’Harcourt mit de Bezons. Am 18. Mai 1712 erreicht er Langres, am 23. Mai das Elsass. Für du Bourg notiert er, dass Thi¦baut Willemann ihm berichtet habe, die feindlichen Truppen würden sich hinter den Linien sammeln. Er selbst erwartet Kavallerie aus der Franche Comt¦. Als er ermüdet von dem langen Weg in Straßburg ankommt, verlangt er weder Feier noch Kanonenschüsse oder die Truppe zu sehen.55 Am 16. Juli 1712 ist d’Harcourt in Langenschleithal zusammen mit de Bezons, der vom Schnupfen geplagt wird. Am 8. September ist de Bezons in Geisberg, er leidet an Durchfall. Am 15. September hoffen beide Kriegsführer schon, dass die Österreicher über den Rhein kommen. Am 20. September schätzt er, dass die Dragoner von Krankheiten so bedrängt sind, dass sie ein gutes Winterquartier brauchen. Er verlässt das Elsass zwei Monate später. Am 16. November befindet er sich in Metz, am 19. in Verdun, am 20. in Ch–lons und am 23. in Paris. De Bezons macht dem König am 26. November 1712 seine Aufwartung. Am 30. zweifelt er nicht daran, »que nous ne commencions notre campagne sur le Rhin peut-Þtre plus vite que ces derniÀres ann¦es«.56 Erst am 14. Mai 1713 schreibt de Bezons wieder an du Bourg. Der König hat die Truppe passieren lassen und speziell Villars muss sich ins Elsass begeben. Also verlässt er Metz am 26. Mai und begibt sich nach Straßburg. Am 7. Juni ist de Bezons in Langenschleithal. Er soll Le Pelletier de La Houssaye und du Bourg treffen. Am 9. Juni ist er in Rheinzabern: »Villars a demand¦ d’Þtre ici pour me voir«. Von dem Gouverneur verlangt er zehn Bataillonen: »Je vous dirai demain — quoi ils sont destin¦s. Ce sera pour le siÀge de Landau«, dem letzten großen Manöver in diesem Krieg, in einem Moment, wo das übrige Europa bereits zum Frieden übergeht. 54 BAP, Ms 6617 (Briefe von de Bezons an du Bourg); zum Folgenden ebd. 55 Ludwig XIV. schreibt an d’Harcourt am 5. Juni 1712: »Vous avez pourvu — la s˜ret¦ des lignes et il a apparence que dans ce commencement de campagne, il ne s’agira de part et d’autre que de subsistance«, ASHD, A1 2391, fol. 236. Jegliche Anstrengungen Frankreichs gelten Flandern. 56 BAP, Ms 6617 (Briefe von de Bezons an du Bourg); zum Folgenden ebd.

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Die eindrucksvolle Konzentration der Kräfte im Elsass setzt sich aus den Truppen der Fronten in Italien und Flandern zusammen.57 Villars verfügt über etwa 80 Bataillone und 100 Schwadronen. Die Kaiserlichen verfügen über 70.000 Mann. Das Elsass ist nun der einzige Kriegsschauplatz im Spanischen Erbfolgekrieg. Es zieht besonders das Augenmerk auf sich, denn der Ausgang dieser Schlacht bestimmt die Friedensbedingungen. Getreu seinem Ruf ist Villars wieder kämpferisch.58 Am 11. Juni 1713 beginnt er die Vorbereitung der Belagerung von Landau, das vierte dieser ›Feste‹. Der Angriffsgraben ist am 24. geöffnet. De Bezons seinerseits befasst sich mit der Verpflegung. Am 20. Juni ist er besorgt, dass die Truppen in Hagenau und in Weißenburg nicht ausreichen, da die meisten in Landau konzentriert sind. Am 26. Juni klagt er, dass die Soldaten sich wie Plünderer aufführen würden. Am 1. Juli werden 40 dieser Plünderer in der Nähe von Weißenburg festgenommen. Am 9. Juni schreibt er, dass die Fuhrleute der Munitionswagen den Zug verließen und die Begleitmannschaft die Landwirte drangsalieren würde. Ein Teil der Kanonenkugeln wird abgeworfen, um rascher vorwärts zu kommen. Am 13. Juli lässt er 200 Wagen losfahren, um Mehl in Selz zu laden, und berichtet optimistisch über die Belagerung von Landau.59 Da der Sohn des Generals Boessenburg in Gefangenschaft geraten ist, verlangt Bezons, ihm einen Pass zu geben, damit er über den Rhein nach Ettlingen könne. Dasselbe verlangt er am 29. Juli für sechs gefangene Soldaten von Landau, die das Krankenhaus verlassen. Angesichts der Belagerung darf man die Scharmützel nicht vergessen, wie das in Selz vom 3. August. Der letzte Ansturm auf Landau findet am 19. August statt. Hier schlägt die Schamade und Carl Alexander von Württemberg kapituliert mit 6.000 Mann. Bezons berichtet am 20. August an Ludwig XIV.60 Villars unterwirft die Pfalz der 57 Jan Willem Wijn, Het Staatsche leger het tijdperk van de spaanse successiorlog 1702–1715, 8 Bde, Den Haag 1959–1964. 58 »On ne vient pas — bout des Allemands par la mod¦ration. Le ton de la hauteur est le seul qui les persuade surtout avec les moyens que sa Majest¦ veut bien m’en donner«, ASHD, A1 2454, fol. 2. 59 »Nous avons attaqu¦ hier le second ouvrage avanc¦ des ennemis que nous avons envelopp¦ comme nous avions fait (avec) le pr¦c¦dent. Nous avons fait prisonniers trois officiers et environ cinquante soldats. Il y avait 250 hommes dans la redoute. Le reste a ¦t¦ tu¦. Nous avons eu trois ing¦nieurs ainsi que cinq ou six officiers et 6 hommes tu¦s ou bless¦s«, BAP, Ms 6617 (Briefe von de Bezons an du Bourg). 60 »Le mar¦chal de Villars ne jugea pas — propos de donner — la garnison d’autre capitulation que d’Þtre prisonnier de guerre, ce que les otages refusÀrent absolument, disant que le prince Alexandre de Wurtemberg avait bien reÅu du prince EugÀne l’ordre de recevoir une bonne capitulation quand les contregardes seraient prises, mais qu’ils ne se r¦soudraient jamais — Þtre prisonniers de guerre […]. Ce matin les ennemis viennent d’arborer un drapeau blanc et […] ont accept¦ les conditions que le mar¦chal de Villars leur avait prescrites«, ASHD, A1 2456, fol. 181; vgl. auch Christopher Duffy, The science of fortress warfare (1660–1860),

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Plünderung und der Brandschatzung, dann erwägt er den Angriff auf Freiburg. Anfänglich zeigt sich der König zurückhaltend, überlässt dem Marschall aber schließlich die Entscheidung.61 Villars umringt Freiburg vom 22. September an. In der Nacht zum 1. Oktober wird ein Graben aufgeworfen. Prinz Eugen versucht die Belagerung zu verhindern, zieht sich aber hastig hinter die Linie von Ettlingen zurück. Am 16. November verlangt der Gouverneur Haarsch die Kapitulation. Die 7.000 Überlebenden der Garnison ziehen am 20. November aus der Stadt ab, was das Ende der Kampagne bedeutet. Zehn Tage nach diesem letzten Erfolg begibt sich Villars in gestärkter Position nach Rastatt, um den endgültigen Vertrag mit Prinz Eugen auszuhandeln.

V.

Fazit

»Sans commettre une arm¦e au sort d’une journ¦e qui n’¦tant pas heureuse pourrait me jeter dans de grands embarras« – die persönliche Anordnung von Ludwig XIV. an Villars, während er im Elsass Krieg führt, sagt alles zu diesem Thema.62 Der Sonnenkönig führt einen Stellungskrieg mit hohem Verschleiß an Soldaten, der sein letzter sein sollte und in dem es galt, eher nicht zu verlieren, als um jeden Preis zu gewinnen. Diese Strategie erscheint bei den vier Belagerungen von Landau ganz deutlich. Aber dieses viermalige Zeugnis soll die anderen, weniger spektakulären Belagerungen von Hagenau, Freiburg, Neu-Breisach, Alt-Breisach, Fort-Louis, Drusenheim, Lauterburg und Weißenburg nicht in Vergessenheit geraten lassen. Wenn die Belagerungen allgegenwärtig scheinen, so gibt es gleichzeitig durchaus Hinweise auf die Beweglichkeit der Truppen. Erwähnt seien die ständigen Überraschungsangriffe des waghalsigen Villars in den Jahren 1705 und 1706, der auf diese Weise mit der Unbeweglichkeit von Tallard und dessen Nachfolgern de Bezons und d’Harcourt bricht. Letztere scheinen sogar zu manövrieren, um der Schlacht auszuweichen, statt sich darauf einzulassen. Von Anfang bis zum Ende des Konflikts leben die Truppen auf Anordnung des Königs so lange als möglich auf Kosten der Bevölkerung. Erwähnt sei auch die grundlegende Bedeutung des Newton Abbot 1975; David Chandler, The art of warfare in the age of Marlborough, New York 1976. 61 »Sa Majest¦ reconna„t bien que la prise de cette place lui serait plus avantageuse que tous les autres projets que vous pourriez former et ex¦cuter, mais elle ne juge point devoir donner d’ordre positif […]. Ainsi c’est — vous — prendre votre r¦solution pour faire ou ne pas faire ce siÀge et — ex¦cuter ce que vous croirez de meilleur pour le service de Sa Majest¦«, ASHD, A1 2422, fol. 93. 62 Zit. nach Lise M. Pommois, La guerre de 1701–1714 dans le Ried Nord, Drusenheim 2001, S. 170.

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Intendanten Le Pelletier de La Houssaye, der die Verpflegung der französischen Truppen einrichtet und leitet. In diesem endlosen Stellungskrieg ist nur die Schlacht von Rumersheim am 26. August 1709 hervorzuheben. Diese wird nicht von einem französischen Marschall, sondern von Eleonor du Bourg, einem einfachen Gouverneur von Straßburg, angeführt. Ihm gelingt es mit einer Reservearmee, die Gefahr einer Invasion des Elsasses und darüber hinaus des Königreiches abzuwenden. Und trotzdem ist diese außerordentliche Waffentat in unbegreifliche historische Vergessenheit gefallen. Die strategische Bedeutung der Schlacht von Malplaquet, in welcher dem Feind der Weg nach Paris und Versailles versperrt wurde, hat also Rumersheim überstrahlt. Die Priorität der Gefahren ist somit deutlich zu erkennen. Insgesamt ist alles, was sich im Elsass abspielt, typisch für die Kriegskunst dieser Zeit. So beschreibt es auch der amerikanische Autor und Erfinder des Begriffes »beständiger Krieg«, John Lynn: Seltene Entscheidungsschlachten, eine nur langsame Fortbewegung der Armeen, wiederholte Belagerungen, der Wille, den Gegner zu erschöpfen und gleichzeitig die eigenen Kräfte im Winter wieder aufzurichten, und ununterbrochene diplomatische Verhandlungen. Für Ludwig XIV. ist der Krieg nur ein Mittel, den Einfluss Frankreichs auszudehnen. Die Verträge von Utrecht (1713) und Rastatt (1714) bringen das Ende der Kampfhandlungen. Damit enden allerdings nicht die französischen Versuche zur Einflussnahme im Reich.63

63 Vgl. zum Beispiel Claude Muller, Frankreich und die Fürstbischöfe von Speyer im 18. Jahrhundert, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 58 (2006), S. 197–213.

II. Kriegserfahrung

Thomas P. Becker

Der Alltag des Krieges. Das Rheinland im Kölner Krieg

I.

Einleitung

Am 10. August des Jahres 1543 kamen vor den Toren der Stadt Bonn die ersten Kontingente eines 40.000 Mann starken kaiserlichen Heeres an, die durch das neutrale Kurköln gegen den Herzog von Jülich-Kleve-Berg zogen, um mit ihm um die geldrische Erbfolge zu streiten.1 Ihr Oberbefehlshaber, der Vizekönig von Sizilien, Ferrante I. Gonzaga, nahm auf Bitten des Stadtrates sein Quartier außerhalb der Stadt im nördlich gelegenen Stift Dietkirchen. Aber obwohl von Dietkirchen aus rheinabwärts in Richtung Köln ausreichend freie Fläche für 8.000 Italiener und Spanier, 12.000 deutsche Landsknechte, je 1.500 griechische und deutsche Reiter und einen umfangreichen Tross vorhanden war, ließ der im Auftrag von Kaiser Karl V. handelnde kaiserliche General einen beträchtlichen Teil seiner Truppen im Süden der Stadt unmittelbar vor den Mauern lagern. Die gesamte Fläche Richtung Godesberg war damals mit Weingärten und Feldern bedeckt. Dieses gesamte Areal fiel nun der Willkür der Soldateska zum Opfer. Herzog Wolfgang von der Pfalz, der mit einigen Fähnlein Reitern zum kaiserlichen Heer hinzugestoßen war, wollte sich sogar weigern, mit seinen Kavalleristen in diesen Weingärten zu lagern, erhielt aber von Gonzaga den ausdrücklichen Befehl dazu. Dabei war man nicht in Feindesland, denn Kurfürst Hermann von Wied stand offiziell, wie andere Kurfürsten auch, im Lager des Kaisers, der gegen Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg sein vertraglich gesichertes Erbrecht für das Herzogtum Geldern forderte. Doch in einer ganz 1 Die folgende Schilderung entstammt einem Brief des Straßburger Reformators Martin Bucer, der damals auf Bitten des Erzbischofs Hermann von Wied zu einer grundlegenden Reform der Kölner Kirche in Bonn weilte. Der Brief ist veröffentlicht bei Carl Krafft, Briefe Melanchthons, Bucers und der Freunde und Gegner derselben, bezüglich der Reformation am Rhein zur Zeit des Churfürsten und Erzbischofs Hermann von Wied. Als Beitrag zu einem geschichtlichen Urkundenbuch der rheinischen evangelischen Kirche, in: Theologische Arbeiten des Rheinischen Predigervereins 2 (1874), Nr. 9, S. 12–91, hier S. 81–86; vgl. auch die Schilderung bei Josef Niessen, Geschichte der Stadt Bonn, Bd. 1, Bonn 1956, S. 212–214.

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anderen Angelegenheit, nämlich dem drohenden Übergang des rheinischen Erzstifts Köln zum Protestantismus, wollte der Kaiser mit der Entfaltung seiner ganzen militärischen Macht und mit der mutwilligen Zerstörung der Weingärten unmittelbar unter den Fenstern des kurfürstlichen Hauses eine unmissverständliche Drohung aussprechen. Dem Kurfürsten und Erzbischof Hermann von Wied sollte klar werden, was passieren könnte, sofern er nicht zur alten Kirche zurückkehren sollte. Am 17. August traf dann der Kaiser ein und nahm in der Stadt selbst Wohnung, deren Tore dadurch auch für die Soldaten geöffnet wurden. Wir müssen nicht unbedingt annehmen, dass die Soldaten sich in der Stadt feindselig aufführten, selbst wenn kleinere Plündereien, Schlägereien und Vergewaltigungen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Soldaten in der Stadt nicht auszuschließen sind. Aber auch so hatten die Bewohner zu leiden, denn die Soldaten requirierten so viel an Lebensmitteln, dass die Bonner nach einiger Zeit selber in das Lager hinausgehen mussten, wenn sie Brot kaufen wollten. Die Soldaten, die sich in der Stadt noch einigermaßen schicklich aufgeführt hatten, ließen in den umliegenden Dörfern jede Zurückhaltung fallen, nahmen das Vieh und das Getreide, raubten dazu alles mögliche an Hausrat und anderen Dingen, die sich auf dem Hehlermarkt im Lager zu Geld machen ließen. Nach Abzug der kaiserlichen Truppen waren über 300 Morgen Weingarten und Ackerland verwüstet. Die Zehntherren und Patrone der umliegenden Kirchspiele, überwiegend Kölner Stifte und Klöster wie etwa Maria im Kapitol, verzichteten bis zu drei Jahre auf ihre üblichen Abgaben, weil die Pächter und Abgabepflichtigen nicht mehr in der Lage waren, ihren Verpflichtungen nachzukommen.2 Was da im August 1543 passiert war, unterbrach für die Bonner Bevölkerung eine jahrzehntelange Friedenszeit. Seit der Kölner Stiftsfehde, die in den sogenannten Neusser Krieg von 1474 gemündet hatte, waren keine Heere mehr durch dieses Gebiet gezogen. Es herrschte Frieden im Land und damit gleichzeitig auch relative Sicherheit auf den Straßen. Handel und Wandel blühten, auch wenn die Zünfte durch ihre veralteten Produktionsmethoden noch nicht den Sprung in die Neuzeit geschafft hatten. Die Erträge der Bauern stiegen noch an, was sich auch an den Getreidepreisen des Kölner Marktes ablesen lässt.3 Das bedeutet nicht, dass die Abwesenheit von Krieg zu einem völlig gewaltfreien Leben geführt hätte. Bewaffnete Auseinandersetzungen einzelner Adeliger oder auch einzelner Städte konnten durchaus auftauchen. Ein Beispiel aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist der Zwist zwischen dem Moerser Grafen Adolf 2 Auskunft darüber gibt eine Urkunde des Stiftes Maria im Kapitol vom 25. November 1543; vgl. Niessen, Geschichte (wie Anm. 1), S. 213, Anm. 38. 3 Die Getreidepreise lassen sich nachschlagen bei Dietrich Ebeling, Franz Irsigler, Getreideumsatz, Getreide- und Brotpreise in Köln 1368–1797, 2 Bde, Köln 1977.

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von Neuenahr und dem Grafen Werner von Salm-Reifferscheidt, der zeitweise in spanischen Diensten stand und mit seinen Soldaten die Stadt Bedburg besetzte, was ihm eine Einkerkerung durch Adolf von Neuenahr einbrachte. Aber solche Friedensstörungen änderten nichts daran, dass bis in die 80er Jahre des 16. Jahrhunderts hinein das Leben im nördlichen Rheinland als weitgehend friedlich bezeichnet werden kann.

II.

Der Kölner Krieg

Dass dieser Zustand einigermaßen unvermutet und nachhaltig verändert wurde, lag an dem Ereignis, das mit unterschiedlichen Namen als Kölnischer, Kölner oder auch Truchsessischer Krieg bezeichnet wird. Durch die Teilnahme bayerischer, pfälzischer, wallonischer, italienischer, spanischer, niederländischer und englischer Soldaten wie auch die finanziellen Zuwendungen der französischen Hugenotten, der englischen Krone und des Heiligen Stuhls hatte der Kölner Krieg eine europäische Dimension. Aufgrund der weitreichenden Konsequenzen, die mit einem anderen Ausgang verbunden gewesen wären, hätte er zudem die Geschichte Europas in ganz andere Bahnen gelenkt. Gleichwohl ist dieser Krieg weitgehend unbekannt. Nach der Niederschlagung des ersten Kölner Reformationsversuches unter Erzbischof Hermann von Wied, der 1548 durch dessen Rücktritt beendet worden war, hatten konfessionelle Auseinandersetzungen für längere Zeit keine Rolle mehr in der rheinischen Politik gespielt, sieht man von einem allmählichen Erstarken der von Menno Simons reorganisierten Täufer ab. Die 1577 erfolgte Wahl des schwäbischen Grafen Gebhard Truchsess von Waldburg zum Erzbischof hatte daher auch nicht den geringsten Anlass zu Befürchtungen gegeben, er könne nicht auf dem Boden der altkirchlichen Lehre und des 1563 beendeten Konzils von Trient stehen.4 Doch auch dieser Erzbischof sollte sein Erzbistum und sein Kurfürstentum erneut der Reformation zuführen, und diesmal mit den kriegerischen Folgen, die 1543 von Kaiser Karl V. nur angedeutet worden waren. Der unmittelbare Anlass für diesen zweiten Reformationsversuch war allerdings kein religiöser Gesinnungswandel, sondern die Liebe zu einer schönen Frau. 4 Max Lossen, Der Kölnische Krieg, Bd. 1, München 1882, S. 502f. Für Gebhard Truchsess sprach ganz besonders die enge Verwandtschaft zu Otto Truchsess von Waldburg, Bischof von Augsburg und eine der wenigen verlässlichen Stützen der Tridentinischen Reformen im deutschen Episkopat. Der Lebenswandel von Gebhard Truchsess war allerdings alles andere als priesterlich, dazu Michael ab Isselt, Bello Coloniensi libri quattuor, Köln 1584, S. 11; vgl. Lossen, Krieg, Bd. 2, Leipzig 1897, S. 34; Hansgeorg Molitor, Geschichte des Erzbistums Köln. Bd. 3: Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe 1515–1688, Köln 2008, S. 208 u. 213.

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Wie quellenmäßig gut verbürgt ist, traf sich der Erzbischof seit 1579 heimlich mit der Gerresheimer Stiftsdame Agnes von Mansfeld. Sie war Kanonisse in dem frommen Damenstift Gerresheim bei Düsseldorf und entstammte einem Reichsgrafengeschlecht, das seine Verbindungen auch ins Kölner Erzstift hatte. Gebhard lernte seine spätere Geliebte durch seinen Höfling Peter Ernst von Kriechingen kennen, der mit ihrer Schwester Maria von Mansfeld, verwitwete Gräfin von Sayn, verheiratet war. Michael von Isselt, der erste Historiograph des Kölnischen Krieges, will wissen, dass Gebhard schon seit dem Jahre 1579 ein Verhältnis mit der adeligen Stiftsklerikerin gehabt hat.5 Den Brüdern der »schönen Mansfelderin« aus dem gräflichen Hause Mansfeld-Eisleben in Thüringen missfiel dieses Verhältnis ihrer Schwester zu dem hohen geistlichen Herren, und so zogen sie nach Bonn, wo sie den Erzbischof unter massiven Drohungen dazu bewegten, die Ehre ihrer Schwester durch eine gottgefällige Heirat wiederherzustellen.6 Ein Rücktritt wäre an sich für einen deutschen Erzbischof damals nicht schwierig gewesen. Auch Gebhards Vorgänger Erzbischof Salentin von Isenburg hatte so gehandelt, weil er als Letzter seines Stammes heiraten und einen Sohn zeugen wollte. Eine Heirat als amtierender Erzbischof kam allerdings nicht in Frage, zumal Gebhard Truchsess zur Verbesserung seiner Wahlchancen vor der Erzbischofswahl 1577 die Priesterweihe angenommen hatte, was für damalige Bischöfe und Erzbischöfe höchst ungewöhnlich war. Ein Ausweg blieb, nämlich der Rücktritt bei gleichzeitigem Übertritt zum Augsburger Bekenntnis. Der sogenannte Geistliche Vorbehalt, ein geheimer Zusatz des Augsburger Religionsfriedens, gewährte auch den geistlichen Ständen des Reiches ausdrücklich das Recht 5 Isselt, Bello Coloniensi (wie Anm. 4), S. 12–14. Ein erstes geheimes Treffen fand 1579 im Schloss des Grafen von Moers statt. Es scheint so, als ob dies nicht das einzige heimliche Stelldichein des Liebespaares gewesen ist. Die Stadt und das Schloss Moers dienten nach einem rückblickenden Bericht des Rheinberger Stadtrates aus dem Jahre 1607 mehrfach als Treffpunkt für die Romanze: »der wolgeborner herr Adolff graue zu Newenahr aber, bei dessen gnaden und seiner gnaden gemahlin der auch wolgebornen frawen Walpurgis grauinnen zu Newenahr und Mörss sich wolgemeltes frewlein von Mansfeldt binnen Mörss eine zeit hero verhalten und herr Gebhardt Truchsess sich daselbst oft finden lassen«, Theodor Joseph Lacomblet, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Cöln, der Fürstenthümer Jülich und Berg, Geldern, Meurs, Cleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden, Bd. 4, Düsseldorf 1853, ND Aalen 1966, S. 755–758, Nr. 599, hier S. 755 (Bericht des Magistrats von Rheinberg vom 1. Januar 1607). 6 Isselt, Bello Coloniensi (wie Anm. 4), S. 14f. Die effektvoll ausgestaltete Erzählung des Michael von Isselt, die Lossen, Krieg (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 36, als »im wesentlichen gut beglaubigt« kommentiert, erhält ihre Bestätigung vor allem durch eine Erklärung Kriechingens, er habe dem Kurfürsten wegen dessen Verhältnis zu seiner Schwägerin mehrmals »etwas reiterisch« zugesprochen, wobei er einige Kapitulare zu Hilfe gezogen hätte. Vgl. Friedrich von Bezold, Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir mit verwandten Schriftstücken, 3 Bde, München 1882–1903, hier Bd. 1, S. 280, Nr. 72, Anm. 1, wo auch noch andere Belege genannt werden, und ebenso Lossen, Krieg (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 36, Anm. 1, der seinerseits noch zwei Belege dazugibt.

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des Religionswechsels. Allerdings mussten sie gleichzeitig aus dem Amt scheiden und für die Nachfolge durch einen romtreuen Katholiken Sorge tragen. Der damalige Hofklatsch will wissen, dass diese Aussicht für Gebhard Truchsess, der nach Verlust der Einkünfte aus seinen geistlichen Ämtern mittellos gewesen wäre, nicht sonderlich verlockend war, denn die ehemalige Stiftsdame sei einiges an Luxus gewohnt gewesen.7 In die Überlegungen des Erzbischofs wegen seiner weiteren Zukunft mischte sich der Graf von Moers ein, der uns schon bekannt gewordene Adolf von Neuenahr. Er machte sich zum Anwalt einer größeren Gruppe von Grafengeschlechtern, vor allem aus dem Wetterauer Grafenverein am Mittelrhein, die schon seit längerer Zeit versuchten, die Bestimmungen des Geistlichen Vorbehalts zu durchbrechen. Viele der nachgeborenen Söhne aus Wetterauer und anderen Grafengeschlechtern waren mittlerweile heimlich zum Calvinismus übergetreten, obwohl sie Kleriker waren und ihre Einkünfte aus geistlichen Ämtern bezogen, die bis hin zum Kölner Domkapitel gingen. Für diese kam ein offenes Bekenntnis zur reformierten Lehre natürlich nicht in Frage. Durch die Zwangslage, in die sich der Erzbischof Gebhard Truchsess manövriert hatte, eröffnete sich den Wetterauer Grafen nun endlich die Möglichkeit, ihre Pläne von der sogenannten Freistellung in einem der bedeutendsten Hochstifter des Reiches durchzusetzen.8 Im engeren Sinne meinte Freistellung die Abschaffung des im Augsburger Religionsfrieden festgelegten Geistlichen Vorbehalts. Damit verbunden war der freie Zugang von Protestanten zu Dom- und Stiftskapiteln. Im Falle des Religionswechsels eines geistlichen Fürsten wirkte sich das ius reformandi eben nicht auf sein Territorium aus. Da diese Territorien sich nun nicht mehr dem Protestantismus öffneten und die Statuten der Kapitel die Aufnahme von Protestanten verboten, standen für die nachgeborenen Söhne und Töchter der adeligen Geschlechter nun die angestammten Versorgungsmöglichkeiten nicht mehr zur Verfügung.9 Seit 1566 hatten gerade die im Wetterauer Grafenverein zusammengeschlossenen mittelrheinischen Grafenhäuser mit ihrem Kampf um die Freistellung begonnen, mit der sie die Kapitel der Hochstifter wieder für sich verfügbar machen wollten. Denn ohne diese blieb den jungen Grafensöhnen nur die Wahl zwischen dem Verzicht auf eine standesgemäße Versorgung und der Verleugnung ihrer religiösen Überzeugung.10 7 Isselt, Bello Coloniensi (wie Anm. 4), S. 12–14. 8 Vgl. dazu Gudrun Westphal, Der Kampf um die Freistellung auf den Reichstagen zwischen 1556 und 1576, Marburg 1976, S. 8. 9 Ernst Walther Zeeden, Das Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 2, Stuttgart 1970, S. 57. 10 Rolf Glawischnig, Niederlande, Kalvinismus und Reichsgrafenstand 1559–1584. NassauDillenburg unter Graf Johann VI., Marburg 1973, S. 130; vgl. auch Karsten Ruppert, Die

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Adolf von Neuenahr hatte sogleich die Möglichkeiten gesehen, das Dilemma des Erzbischofs Gebhard Truchsess für sich und die Sache der Reformierten zu nutzen. Zusammen mit dem Grafen Hermann Adolf von Solms überzeugte er ihn mithilfe der Heiligen Schrift, nach welcher Priestertum und Ehe durchaus miteinander vereinbar seien. Die Lösung für ihn sei also, seine Würde als Erzbischof nicht abzulegen und trotzdem zu heiraten, was nur durch seinen Übertritt zum Protestantismus möglich werde.11 Gebhard hat später des Öfteren erzählt, dass er erst durch das Drängen des Grafen von Moers und anderer Freunde zu dem Entschluss gekommen sei, nicht zurückzutreten und seinen Untertanen die Ausübung der evangelischen Religion zu gestatten.12 Daraus entstand nun eine Verschwörung einiger gräflicher Mitglieder des Domkapitels, einiger Adeliger um Adolf von Neuenahr und etlicher Anhänger des reformierten Bekenntnisses, die zum Ziel hatte, Domkapitel und Bevölkerung vor vollendete Tatsachen zu stellen. Graf Adolf von Neuenahr, der vielleicht der weitsichtigste Kopf unter den Freunden des Erzbischofs war, hatte sogleich gesehen, welche politischen Implikationen der Religionswechsel Gebhards bei gleichzeitiger Bewahrung seiner Ämter hatte.13 Damit wäre nämlich das sorgfältig austarierte konfessionelle Gleichgewicht im Kurfürstenkollegium zugunsten der evangelischen Seite gekippt. Angesichts einer erstarkenden englischen und niederländischen Politik, die einer protestantischen Kaiserwahl ihre Unterstützung gewähren konnte, war die katholische Sache in weiten Teilen des Reiches – und damit auch die Machtposition der spanischen Habsburger in den südlichen Niederlanden – enorm gefährdet. Die evangelischen Fürsten des Reiches, die wie der Kurfürst August von Sachsen gar keinen Wunsch nach Veränderung der Machtverhältnisse hatten, hielten sich daher mit der Unterstützung für Gebhard Truchsess sehr zurück, zumal die etwas anrüchige Liebesgeschichte, die zum Ausgangspunkt für die Umsturzideen der rheinischen Verschwörer geworden war, ihnen nicht genehm war. Demgegenüber waren die katholischen Kräfte im Reich alarmiert. Allerdings gab es unter den katholischen Reichsständen nur ein Territorium, das

Landstände des Erzstifts Köln in der frühen Neuzeit. Verfassung und Geschichte, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 174 (1972), S. 47–111, hier S. 80. 11 Thomas P. Becker, Moers im Zeitalter der Reformation, in: Margret Wensky (Hrsg.), Geschichte der Stadt Moers von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Bd. 1: Von der Frühzeit bis zum Ende der oranischen Zeit (bis 1702), Köln u. a. 2000, S. 159–269, hier S. 186. 12 Lossen, Krieg (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 37. 13 Becker, Moers (wie Anm. 11), S. 186f.

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tatsächlich die militärische Macht hatte, am Rhein einzugreifen, nämlich das Herzogtum Bayern.14 Zunächst brachte Kurfürst-Erzbischof Gebhard Truchsess Bonn, die Defacto-Hauptstadt des Kurstaates, in seine Gewalt. Hier lagerten seit einigen Jahrzehnten die Urkunden des kurkölnischen Archivs, das heißt die Nachweismöglichkeit über Besitztitel und Einkünfte des kurkölnischen Staates. Am 4. November 1582 erschien Gebhard mit 100 Reitern und 150 Schützen in Bonn und bemächtigte sich nach wochenlangen zähen Verhandlungen mit dem misstrauischen Stadtrat des Archivs und der Landeskasse.15 Gleichzeitig wurden die umliegenden Wasser- und Höhenburgen von Poppelsdorf, Brühl, Lechenich und Godesberg besetzt und in Verteidigungszustand versetzt. Damit war nun offensichtlich, dass der Rubikon überschritten war und ein militärischer Konflikt in greifbare Nähe rückte. Doch der entscheidungsarme Kurfürst zögerte immer noch. Da traf am 17. November Adolf von Neuenahr mit 24 Reitern in Bonn ein. Seine Anwesenheit und sein mitreißendes Engagement gaben endlich den Ausschlag. Am 21. November 1582 schrieb Gebhard von Truchsess an den Wetterauer Grafenführer Johann VI. Graf von Nassau: »man erklere sich aber der oder ander orter, was man wolle, so ist der danz so weit den 20ten 9bris [November] angefangen et iacta est alea, lest sich nicht mehr zuruck sehen«.16 Erst durch eine List gelang es am 22. Dezember, dem Rat die Stadtschlüssel zu entwinden.17 Damit begann für die Bonner Bevölkerung erneut eine Leidenszeit, die durch anwesende Soldaten ausgelöst wurde. Gebhard Truchsess zog sogleich weitere Truppen, die in der Nähe gelagert hatten, in die Stadt, wodurch er die Macht hatte, die Bürgerschaft vollständig zu entwaffnen und sich zum uneingeschränkten Herren zu machen. Am 3. Februar endlich ließ Gebhard das Religionsedikt öffentlich an den Toren der Stadt anschlagen. Am selben Abend heiratete er im Gasthaus »zur Blomen«, heute »Em Höttche«, seine Konkubine Agnes von Mansfeld und verließ darauf sofort die Stadt, um in Westfalen Geld und Truppen für den nunmehr unausweichlichen Krieg auszuheben.18 Dieser zerfiel in mehrere Phasen, die jedoch nur im Nachhinein zu erkennen 14 Moriz Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555–1684), Bd. 1, Stuttgart 1889, S. 600. 15 Niessen, Geschichte (wie Anm. 1), S. 230–232. 16 Von Bezold, Briefe (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 19f., Nr. 23. 17 Niessen, Geschichte (wie Anm. 1), S. 235. Als die Stadt zum zweiten Mal einen Boten nach Köln sandte, um vom Domkapitel Unterstützung und Verhaltensregeln zu erbitten, ließen die Truchsessischen einen falschen Kapitelsboten auftreten, der die gefälschte Antwort aushändigte, nach der die Bonner Stadträte dem Kurfürsten in allem gehorsam sein sollten. Der Schwindel fiel zunächst nicht auf, weil die Stunden später eintreffende echte Antwort des Domkapitels so ungenau und zweideutig ausfiel, dass sie wie eine Bestätigung der ersten verstanden werden konnte. 18 Niessen, Geschichte (wie Anm. 1), S. 238.

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und auch nur mit Mühe zu unterscheiden sind. Die erste Phase hatte noch eine Dimension, die geprägt war von kurzfristig geplanten Handstreichen, von Nadelstichen und gegenseitigen Provokationen, die jedoch selten in Gefechten mündeten. Die energischsten Kommandeure der beiden Seiten waren dabei auf der truchsessischen Seite der Graf Adolf von Neuenahr, auf der Seite des Domkapitels der 1577 zurückgetretene frühere Kölner Erzbischof Salentin von Isenburg und vor allem der Chorbischof Friedrich von Sachsen-Lauenburg.19 Von Januar bis März lieferten sich der Graf von Moers und der Chorbischof einen Wettlauf darin, Wasserburgen und andere feste Häuser im Land schneller als die Gegenseite mit ihren Soldaten zu besetzen. Außerdem versuchte man, der anderen Seite Nadelstiche zu versetzen, etwa durch das Stören der Nachschublinien oder das Wegnehmen von Zollkassen oder Pachtzahlungen. So sicherte der Chorbischof im Januar 1583 die Festung Zons mit 50 Schützen und 30 Reitern. Als Gebhard Truchsess im Gegenzug die an Kölner Bürger und Institutionen auszuzahlenden Domrenten zurückhielt, raubte der streitbare Chorbischof am 6. Januar 1583 im Handstreich die Zollkasse von Rheinberg, aus der diese Zahlungen bestritten wurden. Eine Woche später gelang ihm erneut ein frecher Coup, als er ein Lastschiff, das Lebensmittel und Tücher für die truchsessischen Garnisonen in Bonn und Umgebung geladen hatte, bei Zons anhalten und beschlagnahmen konnte. Der Kölner Patrizier Hermann Weinsberg gibt Zeugnis über das Selbstbewusstsein und die Schadenfreude der Katholiken in der Stadt Köln, wo man sich erzählte, man habe so reichlich Lebensmittel in dem Schiff vorgefunden, dass man den Kindern die Würste um den Hals gehängt habe. Drohend habe der Erzbischof dem Chorbischof mitgeteilt, er solle doch anrichten lassen, er wolle kommen und die Suppe mit ihm essen; Friedrich von Sachsen-Lauenburg soll höhnisch geantwortet haben, die Suppe sei schon eingeschenkt, der Kurfürst solle nur bald kommen, damit sie nicht kalt werde.20 Das ganze Frühjahr hindurch zog sich diese Art der Kriegsführung hin, in der es Kommando-Unternehmen, kleinere Scharmützel und vor allem die handstreichartige Besetzung fester Häuser und Wasserburgen überall im Land gab. Doch das war nur das Vorspiel zu einer größeren Dimension des Kampfes. Im März nämlich rückte ein spanisches Regiment von Belgien her in das Rheinland vor, das unter dem Oberbefehl Karls von Arenberg stand, des Schwagers des zurückgetretenen Kölner Erzbischofs und Kurfürsten Salentin von Isenburg. Arenberg stand als Obrist im Sold der spanischen Krone, war aber durch Geburt gleichzeitig kurkölnischer Landstand, hatte also Sitz und Stimme auf dem Landtag, wovon er am 28. Januar auf einem vom Domkapitel einberufenen au19 Becker, Moers (wie Anm. 11), S. 188. 20 Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Bd. 3, hrsg. v. Friedrich Lau, Bonn 1897, S. 165.

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ßerordentlichen Landtag in Köln schon reichlich Gebrauch gemacht hatte. Sein Auftreten und das damit verbundene Gerücht, dass die Spanier bereit wären, in das rheinische Erzstift Köln einzurücken, verhinderte auf dem Landtag eine Mehrheit zugunsten Gebhards.21 Doch war das noch lange nicht gleichbedeutend damit, dass der landsässige Adel und die rheinischen Städte sich einem Kriegszug gegen den abtrünnigen Erzbischof anschließen wollten. Daher entschlossen sich die Spanier nun tatsächlich, ihre bei Aachen stehenden Truppen an den Rhein marschieren zu lassen. Den gut trainierten und gefürchteten Tercios der Spanier – fest besoldeten militärischen Einheiten, bestehend aus Pikenieren, Schwertkämpfern und Arkebusen-Schützen – hatten die truchsessischen Fähnlein nicht viel entgegenzusetzen. Für die rheinische Bevölkerung hieß das gleichzeitig, dass nun noch mehr Soldaten auf den Straßen waren. Die bisherige Truppenstärke der Truchsessischen und der Kapitelsarmee waren zu diesem Zeitpunkt recht bescheiden gewesen, denn die Werbungen waren noch im Gange. Außerdem war für das Anwerben größerer Heere auf beiden Seiten nicht das Geld vorhanden. Alle Burgen und Befestigungen wurden bemannt, aber darüber hinaus blieb nur wenig Militär, das durch das Land streifte und auf Kampf und Plünderung aus war. Die Kapitelstruppen unter Chorbischof Friedrich stießen im März zusammen mit den Spaniern immer weiter nach Norden vor und eroberten eine Burg nach der anderen, die von den Männern des Moerser Grafen Adolf von Neuenahr verteidigt worden waren. Dieser hatte allerdings noch während der ersten dieser Belagerungen durch seine guten Beziehungen zu den Niederlanden staatische Söldner aus dem geldrischen Venlo herbeiführen können, die im Norden des Kurfürstentums Stadt und Festung Rheinberg einnehmen konnten.22 So hatten nun Spanier und Niederländer in den Krieg eingegriffen, der damit eine neue Eskalationsstufe erreichte. Beide Mächte sahen sich nicht als kriegsführende Parteien im engeren Sinne an. Sie sollten aber noch auf Jahre hinaus den Kölnischen Krieg immer wieder nutzen, um den Druck auf ihren eigenen Kriegsschauplatz zu verringern oder ihre Nachschubwege zu schützen. Im selben März 1583 kam der jüngere Sohn Herzog Albrechts V. von Bayern, Ernst von Wittelsbach, in Köln an. Er war 1577 als Konkurrent von Gebhard Truchsess zur Wahl als Erzbischof von Köln angetreten, damals aber unterlegen. Nun war das Domkapitel von allen Parteigängern des abtrünnigen Erzbischofs gesäubert worden und aus Rom die Absetzungsbulle für Gebhard Truchsess eingetroffen, sodass der Wahl des Bayernprinzen zum neuen Erzbischof und 21 Ritter, Geschichte (wie Anm. 14), S. 594. 22 Joseph Hansen (Bearb.), Nuntiaturberichte aus Deutschland, nebst ergänzenden Aktenstücken. Die Kölner Nuntiatur, Bd. 3,1: Der Kampf um Köln 1576–1584, Rom 1892, S. 438; vgl. auch Buch Weinsberg (wie Anm. 20), S. 173.

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Kurfürsten von Köln am 23. Mai 1583 nichts mehr im Wege stand.23 Damit wurde die dritte Eskalationsstufe des Kölnischen Krieges eingeleitet, denn die Wahl von Herzog Ernst hatte zur Konsequenz, dass das Herzogtum Bayern nun mit päpstlichem Geld Truppen ausheben ließ, um ein größeres Heer ins Rheinland zu führen. Auf evangelischer Seite war bis dahin außer der kurzfristigen Eroberung von Rheinberg durch die niederländischen Truppen noch keine nennenswerte Unterstützung für die truchsessische Sache erfolgt. Nun, wo die katholische Seite die Übermacht zu gewinnen drohte, warf sich der jüngere Bruder des Pfalzgrafen bei Rhein, Johann Casimir, in den Kampf. Auch er erklärte sich bereit, Truppen auszuheben, um mit einem stattlichen Heer an den Rhein zu ziehen. Freilich musste Gebhard Truchsess ihm dafür in einem Edikt vom 12. April 1583 sämtliche Einkünfte des Kurstaates verschreiben, um seine Armee zu finanzieren.24 Das Eintreffen der Truppen unter bayerischer und pfälzischer Führung im Sommer brachte allerdings keine Entscheidung. Bayern und Pfälzer hatten jeweils ca. 8.000 Mann zusammengebracht. Da die truchsessisch-pfälzische Armee früher als die bayerische am Rhein eintraf, war sie stark genug, die Stadt Deutz einzunehmen. Köln selbst, dem der Krieg nun empfindlich nahe kam, war allerdings in der gesamten Zeit neutral und beiden Seiten gegenüber wohlwollend eingestellt, solange dabei Profit zu machen war. Die Kapitelsarmee, die zu diesem Zeitpunkt nur aus ›ausgeliehenen‹ spanischen Söldnern bestand, war nicht stark genug, um die Erstürmung von Deutz zu verhindern. Doch dieses Übergewicht der vereinigten pfälzischen und truchsessischen Truppen währte nur so lange, bis die bayerische Seite ihre vornehmlich im Bistum Lüttich ausgehobenen Söldner an den Rhein führen konnte. In sogenannter Ermüdungsstrategie zogen beide Heere an den gegenüberliegenden Seiten des Rheines zwischen Bonn und Köln hin und her. Damit war für diese Region der Schrecken des Krieges zum realen Alltag geworden. Egal, ob Freund oder Feind, die Soldaten raubten, plünderten und zerstörten rücksichtslos alles, was ihnen beliebte. Besonders gilt dies für die truchsessischen und pfälzischen Soldaten, die auf der rechten Rheinseite umherstreiften, also im eigentlich neutralen Gebiet des Herzogtums Berg. Bei Mühlheim im Nordosten von Köln war das truchsessische Lager mehr schlecht als recht versorgt. Hinzu kamen Streitigkeiten unter den Söldnern und Missorganisation seitens der Generäle und Offiziere. Als Johann Casimir sich im September 1583 endlich zur Belagerung von Kaiserswerth 23 Text der Urkunde bei Lacomblet, Urkundenbuch (wie Anm. 5), S. 730f., Nr. 586. 24 Nach einer Notiz, die bei von Bezold, Briefe (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 554–564, Nr. 418, hier S. 557 abgedruckt ist, hatte Johann Casimir noch vor dem offiziellen Religionswechsel Gebhards auf eine derartige Situation in Kurköln spekuliert: »Wen bischoff zu Coln nichts erhalten kan, so soll er mir das stift resignirn, will ich sehen.« Zur Datierung dieser Stelle vgl. ebd., Bd. 2, S. 94f., Nr. 115, hier S. 94, Anm. 1.

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entschlossen hatte, verlangte er von Gebhard Truchsess die Übersendung der Geschütze aus Bonn. Dieser zeigte sich sogleich willig, war aber nicht einmal in der Lage, die für den Transport nötige Bespannung zu besorgen. Die Stimmung war dementsprechend gespannt. Ein Brief Johanns von Nassau aus dem Lager vom 21. September 1583 gibt die ganze Misere dieses peinlichen Kriegstheaters wieder : »Unser wesen will je lenger je mer den krebsgang gewinnen. Misstrauen reusst bei den teutschen knechten und soldaten ein, also das nechten, heut in der nacht und noch disen morgen zu beiden [bezieht sich auf die deutschen Söldner von Gebhard Truchsess und die meist aus Frankreich rekrutierten Söldner von Johann Casimir] ein guet tail erstochen worden. Truchsess ist bei uns, lasst ime nichts zu herzen geen, seuft sich fast ordinarie uber den mittagsinbis voll; volgends und wann er ain stund geschlaffen, verwirrt er die leut und beut Casimiro im geringsten mit nicht die hand; durch sein farlas kan man itz das geschütz nicht zu veld bringen. Casimirus ist etlicher massen traurig, das man nichts anfangen kan, welches daher volgt, das wir das geschütz nit fortbringen konnen, one dasselb wir nicht tentiren dorfen. Die obristen sagen, ir tag sei inen kain beschwerlicherer werk, darinnen si wenig vom usgang urteilen konnen, furkommen, sein auch forchtsam und lassen sich berait verlauten, wir seien dem veind nit stark genug. Geschicht das itzt, da man gesund, was will geschehen, wann man matt wirdt?«25

Die Ermüdungsstrategie der bayerischen und pfälzischen Truppen endete schon nach wenigen Wochen. Johann Casimir, der sich überraschend an die Seite der Truchsessischen gestellt hatte, zog sich genauso überraschend wieder zurück. Der Tod seines Bruders, des Kurfürsten Ludwig von der Pfalz, gab ihm den willkommenen Vorwand, sich aus dem wenig lukrativen kölnischen Abenteuer wieder zurückzuziehen, um die Vormundschaft über seinen Neffen, den nachmaligen Kurfürsten Friedrich IV. von Wied, zu übernehmen.26 Nachdem er seinen Soldaten einen mageren Abschlag auf den ausstehenden Sold gezahlt hatte, reiste er am 16. Oktober 1583 ab und überließ Gebhard Truchsess seinem Schicksal. Die evangelische Seite war dadurch empfindlich geschwächt, aber wieder gelang es Graf Adolf von Neuenahr, aus den geldrischen Festungen niederländische Söldner als Ersatz herbeizuschaffen, die nach Rheinberg und Uerdingen verlegt wurden. Beim Feldlager vor Hüls konnte die vereinigte bayerische und Kapitelsarmee vernichtend geschlagen werden.27 Im Winter 1583/84 verlor Gebhard Truchsess alle seine südlichen Festungen. Erst wurde das Wasserschloss Poppelsdorf sturmreif geschossen und erobert, 25 Von Bezold, Briefe (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 164–166, Nr. 222, hier S. 164. 26 Franz Petri, Im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1500–1648), in: ders., Georg Droege (Hrsg.), Rheinische Geschichte, Bd. 2: Neuzeit, Düsseldorf 1976, S. 1–217, hier S. 112. 27 Hermann Keussen, Hüls. Geschichtliche Rückblicke, Hüls 1925, S. 11; zum Verlauf der Schlacht an der Hülser Schanze vgl. auch Becker, Moers (wie Anm. 11), S. 196–198.

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dann gelang nach monatelanger Belagerung durch Sprengung des Burgberges die Erstürmung der Höhenburg auf dem Godesberg, und am 29. Januar 1584 (neuen Stils) fiel Bonn durch Meuterei der Besatzung.28 Unter den Parteigängern von Gebhard Truchsess wurde ein strenges Strafgericht abgehalten. Auf dem Markt wurden Galgen errichtet, an denen zum Beispiel die beiden unter truchsessischer Besatzung gewählten Bürgermeister hingerichtet wurden. Zwei reformierte Prediger, die man in der Stadt vorfand, wurden am 6. Februar 1584 an Händen und Füßen gefesselt und ohne ein Gerichtsverfahren in den eiskalten Rhein geworfen. Einer der beiden, der Magister Johann Northausen, konnte seine Fesseln lösen und fliehen. In Köln ließ er seine versuchte Ermordung mit begleitenden Bildtafeln als Flugschrift drucken und verbreiten.29 Gebhard Truchsess, der in Westfalen einige neue Truppen ausgehoben hatte, floh mit den Resten seiner Armee in die Niederlande. Damit war der Krieg für die katholische Seite gewonnen. Beendet war er aber leider noch nicht. Eine völlig neue Situation trat nämlich ein, als im Januar 1584 die niederländischen Generalstaaten ihre Politik völlig änderten. Mitte Januar wurde ein förmliches Abkommen zwischen Gebhard Truchsess und dem Fürsten von Oranien Philipp Wilhelm geschlossen. Adolf von Neuenahr, Graf von Moers, trat in niederländische Dienste und wurde Statthalter in Geldern und Overijssel. Gleichzeitig berief Gebhard ihn zum General-Oberstleutnant aller seiner Truppen. Diese Bestallung gab dem nunmehr in staatischen Diensten stehenden Moerser Grafen für die kommenden Jahre die Gelegenheit, im Namen des Truchsessen auf rheinischem Boden den Krieg immer wieder neu zu entfesseln. Das erste Mal passierte dies im Mai 1585. Durch Überrumpelung brachte Adolf die Stadt Neuss in seine Gewalt. Der neue Kölner Erzbischof und Kurfürst Ernst von Wittelsbach hatte weder die Truppen noch die Geldmittel, um aus eigener Kraft seine größte und wichtigste Stadt wieder einnehmen zu können. Also blieb ihm nur ein Hilferuf an die Spanier. Die Generalstaaten hatten damit ihr taktisches Ziel erreicht, den Druck der spanischen Truppen auf ihre eigene Front zu verringern, weil sie die spanischen Söldner an den Rhein zwangen.30 Die Belagerung von Neuss nahm trotz der erdrückenden Übermacht zwei Wochen in Anspruch, dann ließ sich die Stadt nicht länger halten. Die spanischen und italienischen Soldaten führten den entscheidenden Sturmangriff ohne Befehl aus, weil sie durch das Kapitulationsgesuch um ihre Beute fürchteten. Das Resultat war ein furchtbares Blutbad. Etwa 2.000 Verteidiger und 28 Niessen, Geschichte (wie Anm. 1), S. 244–249. 29 Johann Friedrich Gerhard Goeters, Magister Johann Northausen, Bonns reformierter Pastor in der Zeit des Truchsessischen Krieges, und seine Gemeinde, in: Manfred van Rey, Norbert Schlossmacher (Hrsg.), Bonn und das Rheinland. Beiträge zur Geschichte und Kultur einer Region. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dietrich Höroldt, Bonn 1992, S. 171–195. 30 Vgl. dazu Helmut Gilliam, Die Bedeutung des Kölner Krieges für die Stadt Neuss, Neuss 1968.

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Anhänger Gebhards wurden niedergemetzelt, egal, ob sie weiterkämpften oder sich ergeben hatten.31 Dieses Spiel wiederholte sich. Der Söldnerführer Martin Schenk von Nideggen, der schon bei der Besetzung von Neuss eine Rolle gespielt hatte, brach 1587 mit einer 300 Mann starken Freibeuter-Truppe, die mit niederländischem Geld ausgehoben worden war, nach Bonn auf. In der Nacht des 23. Dezember 1587 wurde die Stadt durch Sprengung eines Tores am Rhein geöffnet und besetzt. Nun war wiederum die Nachschublinie der Spanier gefährdet, und das führte erneut zu dem gewünschten Effekt, dass die Truppen, die nun auf Bitten des Erzbischofs an den Rhein zogen, an der niederländischen Front nicht mehr eingesetzt werden konnten. Martin Schenk von Nideggen brachte im Lauf einiger Wochen über 3.000 Mann in Bonn zusammen, die von der Bevölkerung zu versorgen waren. Entsprechend groß musste das spanische Heer sein, das im Frühjahr 1588 zur Belagerung herbeieilte. Ende September 1588 war die Belagerung vorüber und der Besatzung wurde der ehrenvolle Abzug mit Seitengewehr zugestanden.32 Als letzter truchsessischer Platz blieb nun Rheinberg, das 1590 ebenfalls aufgab. Damit war nach acht Jahren und der Verwüstung sowohl mehrerer Städte als auch zahlloser Dörfer der rheinische Religionskrieg endlich zu Ende.

III.

Die Bevölkerung und der Krieg

Werfen wir nach diesem Überblick über den Kriegsverlauf einen Blick auf die Bevölkerung und auf das, was dieser Krieg für sie bedeutete. Die erste Phase des Kölnischen Krieges war noch am wenigsten durch Verwüstungen und Gewalttaten gekennzeichnet. Da sich in der Region keine besonderen konfessionellen Spannungen aufgebaut hatten, kam der Ausbruch des Krieges relativ unerwartet. Zwar hatten sowohl die reformierte als auch die täuferische Bewegung seit den 1570er Jahren an Umfang zugenommen, aber wie die Visitationsprotokolle von 1569 zeigen, war die katholische Religion in den Dörfern und Städten keineswegs ernstlich bedroht.33 Die Besetzungen der befestigten Plätze ging in dieser ersten Phase meist unblutig vonstatten, man war bemüht, die andere Seite zu schonen, weil unklar war, ob sich die Angelegenheit nicht wieder einrenken 31 Gilliam, Bedeutung (wie Anm. 30), S. 61f. 32 Niessen, Geschichte (wie Anm. 1), S. 255–267. 33 August Franzen (Hrsg.), Die Visitationsprotokolle der ersten nachtridentinischen Visitation im Erzstift Köln unter Salentin von Isenburg im Jahre 1569, Münster 1960; ders., Die Herausbildung des Konfessionsbewusstseins am Niederrhein im 16. Jahrhundert, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 158 (1956), S. 164–209.

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ließ. Noch war der Krieg mit seinen Auswirkungen eher eine abstrakte Bedrohung als eine konkrete Gefahr. Im März allerdings, mit der Ankunft der spanischen und niederländischen Truppen, gewann der Krieg eine andere Dimension. Bei ihrem Vorstoß nach Norden wagten die Soldaten des Chorbischofs einen Streifzug durch das Gebiet der Grafschaft Moers. Diese war evangelisch, und nun zeigten sich erste Elemente eines ideologischen Kriegsverständnisses, das nicht nur die feindlichen Truppen, sondern auch die Zivilbevölkerung des feindlichen Lagers als Feind ansah. Von den Kapitelstruppen wurden am Ostermontag 1583 etliche moersische Bauern erschossen oder erschlagen, etliche weitere – darunter ein siebenjähriger Knabe – gefangen genommen und in das eigene Feldlager entführt.34 Dies war die Methode des sogenannten Ranzionierens. Die Familien der Entführten waren gezwungen, hohe Lösegeldsummen aufzubringen, um die Gefangenen wieder auszulösen. Besonders hatte man es dabei auf die reformierten Prediger abgesehen. Auch eine erste umfangreiche Plünderung fand statt. Die Stadt Krefeld nämlich, die nur schwach befestigt war, wurde von den katholischen Truppen eingenommen und im Sinne einer Strafaktion gnadenlos ausgeplündert, wobei sich die Kapitelstruppen zunutze machten, dass die zahlreichen Täufer unter den Einwohner sich ihrer pazifistischen Gesinnung entsprechend nicht im Mindesten wehrten.35 Mit den Geschehnissen der Ostertage 1583 war das Signal für einen brutalen Plünderkrieg gegeben. Die ländliche Bevölkerung konnte nun nicht mehr sicher sein, vom Krieg nicht betroffen zu werden, denn das Ranzionieren macht die Bauern selbst zur Beute und jedes beliebige Auftreten von Soldaten zur Gefahr. Die Truchsessischen standen dem in nichts nach. Als nach der Einnahme von Deutz im Frühsommer 1583 die nördlichen Garnisonen der Kapitelsarmee verringert wurden, um der pfälzischen Gefahr zu begegnen, wurde von den Truppen des Grafen Adolf die Stadt Linn überrannt. Die Burg konnte sich halten, aber die Stadt wurde geplündert, und etliche Bürger wurden zur Ranzionierung nach Uerdingen verschleppt. Auch die Truchsessischen hatten es im weiteren Verlauf des Krieges vor allem auf die Pfarrer abgesehen. Johannes Rhittenus, der Pfarrer des westlich von Neuss gelegenen Dorfes Glehn, wurde sogar zweimal ranzioniert: In einem Bericht heißt es, man habe ihn »hinweg geführet in den Moerser Busch, hat fünffhundert Thaler müssen geben, auffs Pferd gebunden, dahero gebrechlich worden, so uebell tractiret, daß er eigentlich davohn ge-

34 Karl Rembert, Der Kölnische oder Truchsessische Krieg am Niederrhein 1583–1585, in: Die Heimat. Krefelder Jahrbuch 16 (1937), S. 2–23, hier S. 8, Anm. 8. 35 Rembert, Krieg (wie Anm. 34), S. 8, Anm. 9; vgl. dazu auch Buch Weinsberg (wie Anm. 20), S. 176.

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storben.«36 Albert Baxen, den Besitzer des adeligen Sülzhofes in Nievenheim, kostete der Freikauf aus der Gefangenschaft die enorme Summe von 1.500 Talern, was dazu führte, dass er seinen Hof verpfänden musste.37 Weder Glehn noch Nievenheim waren umkämpfte Gebiete. Es zeigt sich, dass auch unterhalb der Schwelle der Ausübung physischer Gewalt durch Verwundung, Vergewaltigung oder Tötung, ja sogar unterhalb der Schwelle von Plünderung und Brandschatzung, die Bevölkerung schon bis hin zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz zu leiden hatte. Die Bedrückungen und Bedrohungen der Bevölkerung betrafen in erster Linie die Landbevölkerung und die Einwohner der nur wenig wehrhaften kleineren Städtchen. Wenn die Bauern nicht durch Plünderung und Brandstiftung in den Ruin getrieben wurden, so wurden sie ab Sommer 1583 durch den Feldzug Johann Casimirs und die Gegenoffensive der bayerischen Truppen, mitten in der Erntezeit als Schanzengräber für Belagerungen gepresst oder gingen ihrer Zugtiere verlustig. Um sich davon loszukaufen, hatten sie ihre geringen Geldmittel herzugeben.38 Die Folge dieser Verhältnisse war eine umfangreiche Landflucht, die vor allem in der großen und wehrfähigen Stadt Köln ihr Ziel hatte.39 Die Bedrückungen durch den Krieg beschränkten sich aber keineswegs auf die kurkölnischen Gebiete. Nach Ankunft der Truppen des Pfalzgrafen Johann Casimir waren die Truchsessischen kurzerhand auf das rechtsrheinisch gelegene Gebiet des Herzogtums Berg ausgewichen, das ja neutral war. Das Herzogtum Berg hatte dem nichts entgegenzusetzen außer der Landesdefension, die durch die Bauern gestellt wurde. Sie waren hilflos gegen die großen Heerhaufen in ihren befestigten Lagern oder ihren Zügen im Land. Aber jede kleinere Abteilung, die zum Fouragieren in die Hügel vordrang, wurde gnadenlos niedergemacht. Graf Johann von Nassau, der Führer des Wetterauer Grafenvereins, schrieb betrübt darüber aus dem Lager bei Mühlheim:

36 Hans Georg Kirchhoff, Glehn. Ein geschichtliches Lesebuch, Korschenbroich 1979, S. 128; vgl. Thomas P. Becker, »Solch ein Brennen, Plündern, Rauben …« Frühe Neuzeit, in: Peter Dohms, Heinz Pankalla, Nievenheim. Die Geschichte des Kirchspiels, der Bürgermeisterei und des Amtes von den Anfängen bis zur Gegenwart, Dormagen 1996, S. 137–152, hier S. 142. 37 Walter Lorenz, Gohr, Nievenheim, Straberg. Quellen zur Geschichte des Amtes Nievenheim, seiner Bewohner und Siedlungen, Bd. 1, Köln 1973, S. 215, Nr. 555. 38 Johannes Maria RuÚtz, Die Finanzzustände im Erzstift Köln während der ersten Regierungsjahre des Kurfürsten Ernst von Bayern, 1584–88, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 72 (1901), S. 1–88, hier S. 45. 39 Hermann Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte Kölns im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, Bd. 1, Köln 1975, S. 321–427, hier S. 423.

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»Die Gülchischen paurn fangen an sich zusamen zu roten; was si von den unserigen bekommeu, schlagen si zu tod wie die hund, wie dann der unserigen bereit ain gueter tail bliben; dessen ich die paurn nit verdenken kann, dann man erger mit inen haust, als ich niemalen in 63 [Frankreich?] und anderer orten, da wir in veinds land gewesen, gesehen.«40

Die zumeist evangelischen Söldner des Pfalzgrafen hatten es besonders auf die Kirchen abgesehen, denn hier lockten die Reliquiengräber in den Altären, die gewöhnlich mit Gold und Silber eingefasst waren und nicht in Sicherheit gebracht werden konnten. Damit war nach Abzug der Soldaten der Altar profaniert. Die Konsequenz für die Gemeinde war, dass es bis zur Beschaffung eines mobilen Altars, eines sogenannten portatile, keine Messfeiern mehr in dieser Kirche geben konnte. Die Soldaten Johann Casimirs nahmen aus den Kirchen alles mit, was zu Geld zu machen war. Dazu gehörten erstaunlicherweise in Bergisch Gladbach sogar das Pfarrarchiv und die Hofgerichtsprotokolle. In dem 1596 neu angelegten Gerichtsbuch liest man, dass »durch Hertzog Hansen Casimiri kriegsvolck die Gerichtsbücher, darin diese gütter zum theil eingeschrieben gewesen, entwendt und hingenommen worden«.41 Das Land war so verwüstet, dass die bergische Regierung bei der Festsetzung der 1584 fälligen Reichssteuer die Veranlagung des Amtes Porz »erlittenen schweren schadens halber, so das gesamte ambt, sonder etliche kerspel langs den Rhein, getroffen«, um ein Viertel senkte. Damit war die Bergisch Gladbacher Gegend allerdings zu diesem Zeitpunkt noch deutlich besser gestellt als das am Siebengebirge gelegene Amt Löwenburg, das, weil es »sowol durch die Casimirischen als Beierschen schier in grunt verderbt«, von über 1.000 auf 300 Reichstaler herabgestuft wurde.42 Die Leiden der bergischen Bevölkerung waren nicht auf die Ausschreitungen und Plünderungen durch die evangelischen Truppen beschränkt. Als 1588 spanische Truppen zur Befreiung der kurkölnischen Hauptstadt Bonn aus den Händen Martin Schenks von Nideggen ins Rheinland vorrückten, ließ der Oberbefehlshaber Karl von Croy etliche Fähnlein bei Mülheim über den Rhein setzen. Genau wie die Pfälzer vor ihnen, setzten sich die Spanier zwischen Deutz und Mülheim in einem befestigten Lager fest.43 Obwohl sie sich auf neutralem Boden mit einer romtreuen Bevölkerung befanden, benahmen sich die spanischen Söldner wie in Feindesland. Viele der bergischen Untertanen, die sie in die 40 Von Bezold, Briefe (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 164–166, Nr. 222, hier S. 165. 41 Zit. nach Anton Jux, Das Bergische Botenamt Gladbach. Die Geschichte Bergisch Gladbachs bis in die preußische Zeit, Bergisch Gladbach 1963, ND 1992, S. 102. 42 Georg von Below, Landtagsakten Jülich-Bergisch 1400–1610, Bd. 2,2, Düsseldorf 1907, S. 534. 43 Thomas P. Becker, Katholiken und Protestanten, in: Albert Eßer (Hrsg.), Bergisch Gladbacher Stadtgeschichte, Bergisch Gladbach 2006, S. 119–148, hier S. 126–128.

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Hände bekamen, wurden getötet oder zur Einforderung von Lösegeld weggeschleppt. Andere Bewohner der Bergisch Gladbacher Gegend, so heißt es in einem zeitgenössischen Bericht, »haben sie dermassen wundlich zerkerbt, zerschlagen und mit den hanen von den buchsen inen die negel ab den Daumen geschlagen und sonst unerhorter weis gemartert, das inen der tot naher und nutzer als das Leben gewesen. Haben sich gleichwol ransonen mussen und sein dern etliche folgentz tots verfaren. Die Weibspersonen, so in ire hend geraten, haben sie dergestalt benotzuchtigt, geschandt und misspraucht und in aller unzucht sich also sodomitisch, turkisch und viehisch verhalten und noch, dass es nicht zu beschreiben; etliche haben sie gleich den mennern ertodet.«44

Die großen Städte konnten sich zunächst ganz aus den militärischen Auseinandersetzungen heraushalten, sieht man von der Stadt Bonn ab, deren Bewohner ja die ersten Opfer des Krieges geworden waren, weil sie seit Dezember 1582 eine truchsessische Besatzung hatten. Köln war allein durch seine schiere Größe, aber auch durch seine Befestigungen und seine Militärstärke vor jedem Angriff gefeit. Für die Kölner Kaufleute am schlimmsten war der Zusammenbruch des Handels. Die wichtigste Handelsstraße war der Rhein, und die Rheinschifffahrt wurde durch den Krieg auf vielerlei Weise behindert. Die kriegführenden Parteien gewöhnten es sich schnell an, zu den schon bestehenden Zöllen weitere Stationen, sogenannte Lizenten, einzuführen. Da die Rheinschifffahrt auf Treidelpfade angewiesen war, ließen sich diese Mautstellen nicht vermeiden.45 Viele Kaufleute versuchten auf den Landweg auszuweichen. Der aber war nicht nur beschwerlich und langsam, sondern vor allem auch gefährlich. Die marodierenden Söldner beider Lager, aber auch Deserteure und Wegelagerer, machten die Straßen für einzelne Fuhrwerke unpassierbar. Dieser Umstand schadete insbesondere den Bauern der Weinbaugebiete des Mittelrheins. 1583 war ein sehr guter Weinjahrgang mit einer reichlichen Ernte, aber der Krieg verhinderte den Transport nach Norden. So traf der Kölner Krieg die Winzer selbst da, wo gar keine Soldaten hinkamen.46 Ähnliches galt für die Versorgung mit Brotgetreide. Trotz guter Ernten konnte die städtische Bevölkerung nicht immer ausreichend versorgt werden, weil die Bauern entweder nicht genug Zeit zur Ernte fanden (zum Beispiel während der Belagerungen von Neuss oder Bonn), sie vor den Soldaten geflohen waren oder man das Getreide nicht abtransportieren konnte. 1586 und 1587 stiegen infolgedessen in Köln die Brotpreise drastisch an. 44 Friedrich Küch, Die Lande Jülich und Berg während der Belagerung von Bonn 1588, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 30 (1894), S. 213–252, hier S. 249. 45 Lossen, Krieg (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 6f.; Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 39), S. 397f. 46 Johann Heinrich Hennes, Der Kampf um das Erzstift Köln zur Zeit der Kurfürsten Gebhard Truchsess und Ernst von Baiern, Köln 1878, S. 113.

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Die Kölner Kaufleute freilich hatten andere Möglichkeiten, sie suchten ihr Heil in der Zusammenstellung großer Konvois. Aber nicht einmal das konnte dauerhaft Schutz bieten. Im September 1586 wurde bei Junkersdorf unweit Melaten ein 1.000 Personen umfassender Konvoi von Heckenschützen angegriffen und ausgeplündert. Über 100 Tote und mehr als 200 Verletzte bildeten die schreckliche Bilanz dieses brutalen Raubüberfalls.47 Die Täter waren kurkölnische und spanische Soldaten aus den Garnisonen von Worringen, Zons und Gnadenthal bei Neuss. Der Erzbischof schritt jedoch gegen die Plünderer nicht ein. Die Konsequenz war ein bald darauf erfolgender erneuter Angriff auf einen Kölner Konvoi, bei dem 12 stadtkölnische Soldaten ihr Leben ließen.48 Die anderen Städte hatten nicht das Glück, stark genug für die Ausrüstung umfangreicher Konvois zu sein. Manche, wie Bonn oder Neuss, mussten fremde Besatzungen in ihren Mauern dulden. Neuss bezahlte mit der völligen Zerstörung, aber auch Bonn hatte unter den beiden Belagerungen schwer zu leiden gehabt. Die Belagerungsgeschütze der Spanier richteten schwere Schäden an den Bonner Häusern und Kirchen an. Die Bürger waren schon bei der ersten Belagerung durch die bayerischen Truppen gründlich ausgeplündert worden. Als nun Martin Schenk mit seinen Horden die Stadt in Besitz nahm, forderte er von den verbliebenen Bonner Bürgern horrende Summen als Kontribution. Die Gelder konnten aber nur noch durch Darlehen bei Kölner Bank- und Handelshäusern aufgetrieben werden. Von den Geldern, die von Rat, Bürgern und kirchlichen Einrichtungen der Stadt Bonn im Kölnischen Krieg abgepresst worden waren, waren noch im 18. Jahrhundert 20.000 Goldgulden nicht abbezahlt.49 Und so wie der Stadt Bonn ging es vielen Dörfern und Städten. Der Kölner Krieg zeigt sich auch hier als Zäsur im Alltag, denn seine Belastungen waren, nachdem die Toten begraben und die zerstörten Häuser wieder aufgebaut worden waren, noch lange nicht vorbei. Die desaströs zerrüttete Finanzsituation betraf ja nicht nur die einzelnen Bürger, sondern auch den gesamten Staat. Allein dem Herzogtum Bayern schuldete man bis 1587 die schwindelerregende Summe von 700.000 Gulden, an deren Rückzahlung gar nicht zu denken war. Die enormen Schulden wurden allerdings erst dadurch vollends zur Katastrophe, dass die Gewalt einfach nicht aufhörte. Gerade in den Jahren nach Kriegsende zeigt sich, dass in der Frühen Neuzeit die Abwesenheit von Krieg keine gewaltfreie Friedenszeit bedeutet. Das immer wieder neue Aufflackern der Gewalt durch neu heranziehende Armeen machte jeden Versuch zur Konsolidierung der finanziellen Verhältnisse zunichte. Das Ergebnis war eine weitgehende Auflösung der staatlichen Ordnung. Ernst von Wittelsbach reagierte auf 47 Lossen, Krieg (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 623. 48 RuÚtz, Finanzzustände (wie Anm. 38), S. 47. 49 Niessen, Geschichte (wie Anm. 1), S. 271.

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das Zusammenbrechen der Einnahmen aus Steuern und Zöllen mit der Aufstellung einer Terrortruppe, der sogenannten ›rothen Rotte‹ unter Führung des ehemaligen Antwerpener Schultheißen Hieronymus Michiels.50 Dieser und weitere Günstlinge des neuen Kurfürsten zögerten nicht, mit den brutalsten Methoden der eigenen Bevölkerung Gelder abzupressen, weil die Einkünfte der Rheinzölle nicht mehr reichten. Auch Kölner Kaufleute, die auf dem Rhein von der Frankfurter Messe kamen, wurden in Bonn gefangen gesetzt. Den Calvinisten unter ihnen wurde angedroht, an die spanische Inquisition ausgeliefert zu werden, wenn sie sich nicht durch hohe Lösegelder freikaufen wollten. Michiels, seit 1586 kurkölnischer Generalkommissar für Kriegsangelegenheiten, trieb die Ausplünderung der eigenen Bevölkerung und die Schikanierung von Kölner Bürgern so weit, dass er, als er unvorsichtigerweise 1587 die Stadt Köln besuchte, von den Kölner Stadtwachen verhaftet und nach einem spektakulären Prozess öffentlich hingerichtet wurde.51

IV.

Fazit

Der Kölner Krieg hinterließ also ein Land, in dem viele Dörfer verwüstet, viele Landstädte finanziell ausgeblutet und die beiden größten Städte Neuss und Bonn schwer zerstört und mit Schulden überhäuft waren. Nach dem Krieg trat der durch Ernst von Wittelsbach und seine Räte aufgebaute staatliche Terror an die Stelle der räuberischen Soldateska, die seit 1583 die kurkölnischen Länder und die Nachbarterritorien verheert hatte. Erst mit der Kaltstellung des Kurfürsten Ernst durch Einstellung seines achtzehnjährigen Neffen Ferdinand von Bayern als Koadjutor konnten die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um dem Land wieder einigermaßen friedliche Verhältnisse zu verschaffen und an die Reorganisation der Wirtschaft und den Abbau der Kriegsschulden zu gehen. Aber ganz abgesehen davon, dass auch in dieser Friedenszeit der ›verdeckte Krieg‹ weiterging, drohte nach wenigen Jahren schon die nächste militärische Auseinandersetzung, nämlich der jülich-klevische Erbstreit, der wieder die Durchzüge raublüsterner Truppen mit sich brachte. Die Menschen am Rhein aber waren es gewohnt. Seit der Hochzeit von Gebhard Truchsess mit Agnes von Mansfeld am idyllischen Bonner Marktplatz waren Krieg und Kriegsgefahr zu einem Teil ihres Alltags geworden, und das sollte sich für viele Generationen nicht mehr ändern.

50 RuÚtz, Finanzzustände (wie Anm. 38), S. 7. 51 Zum Ganzen vgl. RuÚtz, Finanzzustände (wie Anm. 38), passim.

Ren¦ Hanke

Bürger und Soldaten. Erfahrungen rheinischer Gemeinden mit dem Militär 1618–1714

I.

Einleitung

Im ›langen 17. Jahrhundert‹ war der Krieg im Rheinland permanent gegenwärtig: Die Nachbarschaft zu den spanischen Niederlanden und zu den Generalstaaten der Vereinigten Niederlande – zwei Hauptkriegsschauplätzen des Zeitalters –, die Kämpfe um die Kurpfalz und am Oberrhein sowie die Bedeutung des Rheins als Hauptschlagader des Transportverkehrs in einer Zeit, in der die Versorgung von Armeen zu Wasser viel leichter war als auf dem Landweg, hatten zur Folge, dass stets Soldaten entweder durch das Rheinland zogen oder dort einquartiert waren. Das war selbstverständlich der Fall in den Territorien, die sich an den bewaffneten Auseinandersetzungen aktiv beteiligten – aber eben nicht nur hier : Denn auch neutrale Gebiete wurden von den Kriegsparteien mit einer Selbstverständlichkeit als Aufmarschgebiet, Winterquartier, Rekrutierungs- und Versorgungsreservoir genutzt, die aus heutiger Sicht schockiert. Die Kriegführung der Frühen Neuzeit hatte wenig Respekt vor einer Neutralität, die nicht oder zu schwach bewaffnet war, um ihrem Status Geltung zu verschaffen: So musste der Trierer Kurfürst Johann Hugo von Orsbeck 1684 der ultimativen Forderung des französischen Marschalls FranÅois de Cr¦qui nach der Schleifung der Festungswerke von Trier und der Zuschüttung der Festungsgräben gehorchen, obwohl er an der französisch-spanischen Auseinandersetzung gar keinen Anteil hatte. Die Maßnahme sei erforderlich, so Cr¦qui, um zu verhindern, dass Feinde Frankreichs sich in Trier festsetzten – das genügte dem französischen Marschall, und das musste auch dem Kurfürsten genügen.1 Im Folgenden wird ein Überblick über die Formen geboten, in denen die Bevölkerung an Mittelrhein und Mosel, in der Eifel, im Westerwald und im Hunsrück zwischen 1618 und 1714 die ständige Präsenz des Militärs erlebte. Dabei ist zu erläutern, dass im Aufsatztitel den Soldaten der Begriff ›Bürger‹ in 1 Vgl. Johann Leonardy, Geschichte des Trierischen Landes und Volkes, Trier u. a. 1877, S. 821–823.

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seinem weiteren, heutigen Sinn gegenüber gestellt wird, weil er eingängiger ist als Bezeichnungen wie ›Zivilisten‹ oder ›Nichtkombattanten‹. Nicht alle Zivilpersonen, von denen im Folgenden die Rede ist, waren ›Bürger‹ im engeren, zeitgenössischen Verständnis, das heißt mit Bürgerrecht ausgestattete Einwohner einer Gemeinde mit Stadtrechten. Der Überblick basiert auf einer Sichtung der im Landeshauptarchiv Koblenz verwahrten Quellen kommunalen und territorialen Ursprungs. Beispiele aus diesem Quellenfundus machen die Phänomene konkret fassbar und ermöglichen eine kritische Überprüfung abstrakter Forschungsthesen. Es ist Allgemeingut der Forschung geworden, dass sich im 17. Jahrhundert eine ›militärische Revolution‹ vollzogen hat, die sich einerseits in einem ungeheuren Anwachsen der Armeen, andererseits in einer Zunahme von Disziplinierung und Reglementierung des ganzen Heerwesens ausdrückte.2 Die traditionelle Forschungsmeinung geht – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Epochenbegriffs ›Absolutismus‹ – davon aus, dass die Verstaatlichung des Militärwesens ab der Mitte des 17. Jahrhunderts einen qualitativen Sprung hinsichtlich der Versorgung und Disziplinierung der Truppen bedeutete. Dem ist in jüngerer Zeit widersprochen worden.3 Die vorliegende Untersuchung soll nicht zuletzt überprüfen, welche Auffassung durch die hier untersuchten Quellen gestützt wird.

II.

Erfahrungen rheinischer Gemeinden mit dem Militär

Vergleicht man die unterschiedlichen Formen der Belastung von Zivilisten durch den Krieg, so stellt sich der Durchmarsch von Truppen als zumindest relativ rasch vorübergehende, wenn auch keineswegs leichte Belastung für die Bevölkerung dar : In solchen Situationen mussten die betroffenen Gemeinden und Ämter die Verpflegung für die Soldaten und für die Pferde der Kavallerie und des Trosses aufbringen. Das geschah beim Durchzug kleinerer militärischer Einheiten meist durch die unmittelbare Ablieferung von Lebensmitteln für die Soldaten und von Futter (Fourage) für die Pferde, beim Durchzug größerer 2 Vgl. die grundlegenden Werke zur ›militärischen Revolution‹ von Michael Roberts, Die militärische Revolution 1560–1660, in: Ernst Hinrichs (Hrsg.), Absolutismus, Frankfurt/M. 1986, S. 273–309; Geoffrey Parker, Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500–1800, Frankfurt/M. u. a. 1990. 3 Vgl. für die traditionelle Auffassung Johannes Kunisch, Absolutismus. Europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien R¦gime, 2. durchges. u. bibliographisch erw. Aufl., Göttingen 1999, S. 85–90; Günter Vogler, Absolutistische Herrschaft und ständische Gesellschaft. Reich und Territorien von 1648 bis 1790, Stuttgart 1996, S. 69f.; Christof Dipper, Deutsche Geschichte. 1648–1789, Frankfurt/M. 1991, S. 304. Für die Gegenposition vgl. Jürgen Luh, Kriegskunst in Europa. 1650–1800, Köln 2004, S. 10.

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Truppenkörper durch die Lieferung von Naturalien an eine Sammelstelle, die von der lokalen Obrigkeit für die Versorgung der Truppen eingerichtet worden war.4 Schutz vor solchen und anderen militärischen Lasten, wie zum Beispiel der Einquartierung, konnte eine sogenannte Salvaguardia bieten. Dieser Begriff ist mehrdeutig und hat nach dem Befund der Quellen lediglich den stets gleichbleibenden Kern, dass er Schutz vor den Lasten des Krieges bedeutete oder doch wenigstens bedeuten sollte: Eine Salvaguardia konnte ein Dokument sein, ein Schutzbrief, in dem die Einwohner eines Gebietes mehr oder weniger umfassend und eindeutig von militärischen Lasten befreit und die Militärbefehlshaber angewiesen wurden, dem Rechnung zu tragen. Natürlich band ein solcher Schutzbrief bestenfalls die Soldaten der Macht, die ihn ausgestellt hatte, sowie eventuell die Truppen verbündeter Mächte, aber niemals die der gegnerischen Seite. Kaiser Ferdinand II. stellte einen solchen Schutzbrief 1628 für die kurtrierisch-sponheimische Kondominatsherrschaft des Kröver Reiches aus. Er begründete dies mit den Appellen der Einwohner, die durch Einquartierungen und Gelderpressungen so schwer gelitten hätten, dass viele von ihnen Haus und Hof im Stich gelassen hätten, um sich mit Betteln durchzuschlagen.5 Dass Kurfürst Lothar von Trier ihn schon vor fünf Jahren um einen solchen Schutzbrief für das Kröver Reich gebeten hatte, erwähnt der Kaiser in seinem Bemühen, sein Wohlwollen und nicht zuletzt seine Weisungsbefugnis über das Kröver Reich zu unterstreichen, freilich nicht.6 Auch mangelte es dem Kaiser entweder an der Macht oder am Willen, seine Weisungen durchzusetzen: Als sein Sohn und Nachfolger Ferdinand III. 1640 erneut eine Salvaguardia für das Kröver Reich sowie für die Vordere und Hintere Grafschaft Sponheim ausstellte, geschah dies unter Hinweis darauf, dass diese Territorien trotz kaiserlicher Schutzbriefe noch im vergangen Jahr von schweren Einquartierungen heimgesucht worden seien.7 Auch diesmal schützte das kaiserliche Wort nicht: 1643 kaufte sich das Kröver 4 Vgl. Moriz Ritter, Das Kontributionssystem Wallensteins, in: Historische Zeitschrift 90 (1903), S. 193–249, hier S. 216. Das Amt Rheinfels in der Niedergrafschaft Katzenelnbogen z. B. hatte sich 1685 an der Durchmarschverpflegung für kurkölnische und pfalz-neuburgische Truppen zu beteiligen, die in Begleitung von Miliz-Einheiten aus Hessen-Kassel das Amt auf ihrem Weg nach Ungarn durchquerten, Landeshauptarchiv Koblenz [im Folgenden: LHAK], Best. 638, Nr. 678, fol. 5v. Vgl. auch die Aufstellung der Gemeinde Enkirch über Naturalien, die 1693 anlässlich des An- und Abmarschs von Truppen nach St. Goar von ihr geliefert werden mussten, LHAK, Best. 655,080, Nr. 380. 5 Vgl. Salvaguardiabrief Kaiser Ferdinands II. vom 15. Dezember 1628, LHAK, Best. 51,012, Nr. 21, fol. 6r. 6 Vgl. Schreiben Kurfürst Lothars von Trier an Kaiser Ferdinand II. vom 24. Juli 1623, LHAK, Best. 51,012 Nr. 21, fol. 1r–4r. 7 Vgl. Salvaguardia Kaiser Ferdinands III. vom 21. November 1640, LHAK Best. 51,012, Nr. 21, fol. 11r–12v.

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Reich durch die Zahlung von 400 Gulden von der Einquartierung über den Winter frei, die im Vorjahr trotz des kaiserlichen Schutzbriefes stattgefunden hatte.8 Eine Salvaguardia konnte auch eine Schutzwache sein, die vor Ort stationiert wurde, um gegebenenfalls durch militärischen Widerstand Durchmärsche, Eintreibungen von Lebensmitteln und Fourage sowie Gewalttätigkeiten von den Schutzbefohlenen abzuwenden. Die Schutzbefohlenen schlossen mit der Aufnahme einer solchen Salvaguardia einen Kompromiss, denn sie mussten die bei ihnen einquartierte Schutzwache auf ihre Kosten unterhalten – in der Hoffnung, mit dieser sicheren, kalkulierten Belastung größere Übel abzuwenden. Zeugnisse über die Umlegung der Kosten für eine solche Schutzwache liegen zum Beispiel aus dem pfalz-zweibrückischen Oberamt Meisenheim aus der Endphase des Dreißigjährigen Krieges vor.9 Es klang bereits an, dass die Heere des hier behandelten Zeitraums sich aus dem Land zu versorgen pflegten, das sie durchquerten, oder in dem sie sich länger aufhielten. Dieser Grundsatz galt unabhängig davon, ob es sich um eigenes, befreundetes, neutrales oder gegnerisches Gebiet handelte. Er galt über den ganzen hier behandelten Zeitraum, obwohl im Zuge der Verstaatlichung des Militärwesens und der Aufstellung stehender Heere ab der Mitte des 17. Jahrhunderts auch zunehmend Magazine eingerichtet wurden, in denen Lebensmittel – das heißt vor allem Getreide – zur Versorgung der Truppen auf Vorrat gehalten wurden. Ohne diese Magazine wäre die enorme Vergrößerung der Heere im Verlauf des 17. Jahrhunderts wohl nicht möglich gewesen: Sie ermöglichten es im Kriegsfall, die Truppen gut versorgt in die erste Kampagne zu schicken, und sie leisteten einen Beitrag zur längerfristigen Versorgung der Soldaten mit Lebensmitteln. Nicht zuletzt stellten gut gefüllte Magazine in den immer mehr an Bedeutung und Verbreitung gewinnenden Festungsanlagen wichtige Fixpunkte der zeitgenössischen Strategie dar. Aber die stetig wachsenden Heere des 17. Jahrhunderts konnten über das in den Kinderschuhen steckende Magazinwesen und die unzulänglichen Transportmöglichkeiten nicht im Entferntesten ausreichend versorgt werden. Selbst bei auskömmlicher Versorgung mit Getreide wäre es den Armeen unmöglich gewesen, dieses rasch genug zu Brot zu verarbeiten.10 8 Vgl. Quittung des Oberamtmanns von Trarbach über den Empfang der 400 Gulden zu dem genannten Zweck vom 24. Juni 1643, LHAK, Best. 51,012, Nr. 21, fol. 14r. 9 Übersicht über die Aufteilung der Kosten unter die Gemeinden des Oberamtes, o. D. [um 1648], LHAK Best. 24, Nr. 1523, S. 21f. 10 Vgl. Fritz Redlich, De praeda militari. Looting and booty 1500–1815, Wiesbaden 1956, S. 63, wo darauf aufmerksam gemacht wird, dass die Einführung des Magazinwesens die Situation für die Bevölkerung zunächst sogar verschlimmert habe, weil auch die Magazine durch Kontributionsleistungen aufgefüllt wurden, sodass Kontributionen jetzt nicht nur erhoben

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Der Soldat, den in der ersten Jahrhunderthälfte häufig seine ganze Familie auf dem Feldzug begleitete,11 hungerte nicht selten. Der Bauer, der verpflichtet wurde, die Unzulänglichkeiten des Versorgungswesens auszugleichen, musste den häufig nur für ihn und seine Familie reichenden Ertrag seines Bodens mit noch mehr Menschen teilen und hungerte ebenfalls. Beide übersahen die Zusammenhänge nicht: Für den Soldaten war der Bauer ein glücklicher Besitzender, der zu geizig war, ihm von seinem Überfluss etwas abzugeben – für den

wurden, um die Not des Augenblicks zu beheben, sondern auch zu dem Zweck, Vorräte anzuhäufen; G¦za Perj¦s, Army provisioning. Logistics and strategy in the second half of the 17th century, in: Acta Historica. Zeitschrift der Ungarischen Akademie der Wissenschaften 16 (1970), S. 1–51, hier S. 4f. u. 10, wo festgestellt wird, Kriegführung sei in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts nur auf der Grundlage des Magazinwesens möglich gewesen, was die Beweglichkeit der Armeen stark eingeschränkt habe; Martin van Creveld, Supplying war. Logistics from Wallenstein to Patton, 2. Aufl., Cambridge 2004, S. 20–25, hier S. 34 u. 38f., wo argumentiert wird, die Transportmöglichkeiten der Zeit hätten es niemals erlaubt, mehr als ca. zehn Prozent des Bedarfs eines Heeres über die Magazine zu liefern, weshalb keine Rede von einer Einschränkung der Beweglichkeit der Heere durch die angeblich unverzichtbaren rückwärtigen Verbindungen zu den Magazinen sein könne; im Gegenteil habe die Notwendigkeit, vor Ort 90–100 Prozent der Lebensmittel für die wachsenden Heere aufzutreiben, diese zu ständigem Ortswechsel veranlasst; Versorgung der damaligen Heere allein aus dem Land sei durchaus möglich gewesen; John A. Lynn, Foods, funds and fortresses. Ressource mobilization and positional warfare in the campaigns of Louis XIV, in: ders. (Hrsg.), Feeding Mars. Logistics in western warfare from the Middle Ages to the present, Boulder u. a. 1993, S. 137–159, hier S. 139–143, wo es in Bezug auf die Thesen van Crevelds heißt, die Heere ab 1650 seien sehr wohl abhängig von Magazinverpflegung gewesen, denn van Crevelds zehn Prozent Magazinverpflegung hätten ausschließlich aus einem substantiellen Anteil des Lebensmittelbedarfs der Soldaten bestanden, den aus dem Land aufzubringen bei einer stationären Armee unmöglich, bei einer marschierenden extrem schwierig gewesen wäre; die Armeen hätten auf diese Lieferungen nicht verzichten können, was ihre Beweglichkeit eingeschränkt habe, während andererseits die Notwendigkeit, Futter für die Pferde zu beschaffen – das niemals über die Magazine geliefert wurde, weil diese und das damalige Transportwesen dies unmöglich auch noch hätten leisten können – zum ständigen Ortswechsel gezwungen habe; Luh, Kriegskunst (wie Anm. 3), S. 24–55, wo festgestellt wird, die 100.000-Mann-Heere zu Beginn des 18. Jahrhunderts hätten ohne das inzwischen etablierte Magazinwesen nicht versorgt werden können; gleichwohl, so Luh, seien Kontributionen und Lieferungen von Vertragshändlern die geläufigsten Formen der Heeresversorgung vom Ende des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gewesen, weil Magazin- und Transportwesen sowie die Möglichkeiten zum Brotbacken unzureichend gewesen seien; Luh bilanziert ebd., S. 77, für die Zeit von 1650–1800: »Die Truppen mit dem Notwendigsten zu versehen, funktionierte nur in der Nähe der (heimatlichen) Depots. Gegenüber den Zuständen des späten sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhunderts hatte sich nichts geändert«. Zur Vergrößerung der europäischen Armeen im 17. Jahrhundert vgl. Roberts, Revolution (wie Anm. 2), S. 281–284; Parker, Revolution (wie Anm. 2), S. 68f. 11 Vgl. Geoffrey Parker, The soldiers of the Thirty Years’ War, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618 bis 1648. Europäische Probleme und Perspektiven, München 1988, S. 303–315 u. 356–359, hier S. 310; Geoffrey Parker, Der Soldat, in: Rosario Villari (Hrsg.), Der Mensch des Barock, Frankfurt/M. u. a. 1997, S. 47–81, hier S. 67f.

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Bauern war der Soldat ein Taugenichts, der ihm die Früchte harter Arbeit raubte.12 Bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts war es nicht üblich, dass die Soldaten direkt von den Militärbehörden versorgt wurden: Man erwartete, dass sie von ihrem Sold einkauften, was sie für sich und ihre Familien zum Leben brauchten. Nun konnten in der Regel weder die Soldaten noch ihre Familien während eines Feldzuges einfach auf den Markt gehen. Darum folgte den Armeen der ersten Jahrhunderthälfte ein Tross von fahrenden Händlern, sogenannten Marketendern.13 Aber schon zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges zeigte sich die Unzulänglichkeit dieses Systems zur Versorgung der wachsenden Armeen: Man verpflichtete darum anfänglich die Bewohner des eigenen Territoriums, den Lebensmittelbedarf der Armee zu beschaffen. Bezahlt wurden diese Lieferungen mit Schuldscheinen des Landesherrn, der den Geldwert der Lieferungen vom Sold seiner Soldaten abzog. Häufig wurden die bäuerlichen und städtischen Gläubiger von ihrem Landesherrn allerdings trotzdem nicht bezahlt,14 denn weder die Fürsten noch die von ihnen beauftragten Kriegsunternehmer dieses Zeitalters waren fähig, die eigenen Soldaten regelmäßig aus den Staatseinkünften bzw. aus vorgestreckten eigenen Mitteln zu entlohnen. Es war diese Unfähigkeit der Staaten des frühen 17. Jahrhunderts, die Kosten ihrer vergrößerten Armeen aus eigenen Mitteln aufzubringen, die zu einer radikaleren Lösung des Versorgungsproblems führte.15 Heerführer wie Ambrosio Spinola und Johann Tserclaes Graf von Tilly gingen schon in den frühen 1620er Jahren dazu über, die Lebensmittel für ihre Soldaten aus dem Land zu beschaffen, in dem die Armee sich gerade aufhielt – ganz gleich, ob es sich um befreundetes, neutrales oder feindliches Territorium handelte. Die örtlichen Obrigkeiten wurden auch hier verpflichtet, den Bedarf der Armee heranzuschaffen; allerdings war jetzt von Bezahlung keine Rede mehr. Während Tilly sich bei der Versorgung des Ligaheeres auf Lebensmittellieferungen in Naturalien und ersatzweise in Geld beschränkte, erhoben Spinola und Wallenstein auch den Sold ihrer Truppen von den quartiergebenden Gemeinden und Ämtern. Dabei ging Wallenstein 1625 dazu über, grundsätzlich Geld und nur ersatzweise Naturalien für den Geld- und Lebensmittelbedarf 12 Vgl. Fritz Redlich, The German military enterpriser and his workforce. A study in European economic and social history, 2 Bde, Wiesbaden 1964/65, hier Bd. 1, S. 525. 13 Vgl. Redlich, Praeda militari (wie Anm. 10), S. 49; Kersten Krüger, Kriegsfinanzen und Reichsrecht im 16. und 17. Jahrhundert, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn u. a. 1996, S. 47–57, hier S. 49. 14 Vgl. Ritter, Kontributionssystem (wie Anm. 4), S. 213–215 u. 220f. 15 Vgl. Roberts, Revolution (wie Anm. 2), S. 297; Perj¦s, Army provisioning (wie Anm. 10), S. 3; Parker, Soldiers (wie Anm. 11), S. 309f.; Creveld, Supplying war (wie Anm. 11), S. 8.

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seiner Soldaten zu fordern. Dieses neue Verfahren, die Versorgung und eventuell auch die Bezahlung der Soldaten über eine Art Steuer dem Land aufzubürden, in dem die Truppen gerade standen, erhielt schon bald die Bezeichnung ›Kontribution‹.16 Wenn in der Literatur zuweilen der Eindruck erweckt wird, die von Wallenstein 1625 etablierte Praxis sei eine einschneidende Neuerung gewesen, die der Kontribution ihre allgemein- und endgültige Form gegeben habe,17 so muss hier gesagt werden, dass die Quellen diese Darstellung nicht stützen: Das Amt Böckelheim in der Vorderen Grafschaft Sponheim zum Beispiel entrichtete schon 1623–1625 seine Kontributionen an die spanischen Besatzungstruppen in Form von Geldzahlungen.18 Dagegen leistete die Gemeinde Enkirch an der Mosel noch 1702–1704 ihre Kontributionen, indem sie – offenbar unentgeltlich – Naturalien an verschiedene Truppenteile der antifranzösischen Koalition lieferte.19 Auch in dem Vertrag, den das Amt Kastellaun im Hunsrück 1705 schloss, verpflichtete man sich, den einquartierten Truppen Verpflegung und Fourage in Naturalien zu liefern – diesmal allerdings gegen Bezahlung.20 Der Kurfürst von Trier Johann VIII. Hugo von Orsbeck regelte 1705 die Verpflegung der in seinem Gebiet einquartierten Truppen der antifranzösischen Koalition ebenfalls auf diese Weise.21 Das Amt Birkenfeld in der Hinteren Grafschaft Sponheim schließlich schloss 1706 eine Vereinbarung, wonach die Verpflegung grundsätzlich in Naturalien und gegen Bezahlung zu liefern war ; es wurde allerdings vereinbart, 16 Vgl. Ritter, Kontributionssystem (wie Anm. 4), S. 217–219 u. 225–233; Fritz Redlich, Contributions in the Thirty Years’ War, in: The Economic History Review 12 (1960), S. 247–254, hier S. 249–254; Redlich, Enterpriser (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 499. 17 Vgl. Ritter, Kontributionssystem (wie Anm. 4), S. 247f.; Redlich, Contributions (wie Anm. 16), S. 253f. 18 Vgl. die Bitten des Amtes Böckelheim an die Regierung der Unterpfalz in Kreuznach vom 6. und 12. Juni sowie vom 6. und 17. Juli 1623, die monatliche Kontribution von 1.300 Reichstalern zu ermäßigen; die Bitten wurden am 7. Juni und 7. Juli 1623 abschlägig beschieden, LHAK, Best. 642, Nr. 262. Offensichtlich reagierte man auch auf die Bitte vom 17. Juli 1623 unnachgiebig: Am 5. Juni 1624 teilte die Regierung dem Amtsverweser mit, das Amt sei mit seiner Kontributionszahlung für den Zeitraum vom 20. Mai 1623 bis 20. Mai 1624 um 12.541 Reichstaler im Rückstand. Dem Amtsverwalter wurde befohlen dafür zu sorgen, dass die Hälfte dieser Summe binnen 14 Tagen, die andere Hälfte innerhalb eines Monats entrichtet werde. Werde die zuerst genannte Forderung nicht binnen der vierzehntägigen Frist erfüllt, so würden die militärischen Befehlshaber zur Zwangseintreibung ermächtigt, LHAK, Best. 643, Nr. 263. 19 Vgl. den Bericht der Gemeinde Enkirch an die Regierung der Hinteren Grafschaft Sponheim, o. D. [um 1715] über das Schicksal der Gemeinde während des Spanischen Erbfolgekrieges, LHAK, Best. 655,080, Nr. 3005. Das Wort »Contribution« fällt nur einmal in diesem Bericht und bezieht sich in diesem Fall nicht auf die Verpflegungslieferungen an die einquartierten Truppen, sondern auf die Erpressung von Lösegeld durch hessische Truppen – eine Warnung, auf die uneinheitliche Terminologie in den Quellen zu achten. 20 Vgl. LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 493–494. 21 Vgl. LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 501–512.

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dass für Naturalien, die das Amt nicht beschaffen konnte, Geldzahlungen geleistet werden sollten. Alle 14 Tage sollte eine Abrechnung stattfinden, bei der das Amt für seine Lieferungen bezahlt werden bzw. verpflichtet sein sollte, noch ausstehende Lieferungen durch Zahlungen auszugleichen.22 Erhoben wurden die Kontributionen entweder für ein ganzes Territorium, für mehrere oder einzelne Verwaltungsbezirke oder auf Gemeindeebene. Wie viele Rationen pro Soldat und Pferd aufzubringen waren, regelte entweder eine Vereinbarung zwischen dem Militär und der lokalen Obrigkeit oder eine einseitige militärische Verfügung, eine sogenannte Ordinanz. Eine solche wurde 1622 vom Amt Böckelheim gegenüber dem spanischen Generalgubernator der Unterpfalz eigens eingefordert, um die Belastung der Einwohner wenigstens kalkulierbar zu machen.23 1640 befahl dann der französische Kommandant in Kreuznach die Gemeindevertreter des Amtes zu sich, um über den Unterhalt seiner Garnison zu verhandeln.24 Die Aufbringung der Kontribution fiel in die Verantwortung der lokalen Obrigkeit, die das benötigte Quantum an Geld oder Naturalien auf die betroffenen Verwaltungsbezirke umlegte, die wiederum ihren Anteil auf die Gemeinden verteilten. Die Gemeinden schließlich verteilten ihre Quote auf die einzelnen Haushalte. Die Kontributionsrechnungen der Stadt Sobernheim für die Jahre 1624 und 1625 zeigen detailliert die Belastung der einzelnen Haushalte.25 Die Zumessung des Anteils an der Kontribution war eine ständige Quelle des Streits. Hier zeigt sich, dass sich unter Kriegsbedingungen nicht nur die Beziehungen zwischen Soldaten und Zivilisten, sondern auch von Zivilisten untereinander zu Konflikten auswuchsen. Die zu Recht oder Unrecht erhobene Klage, man werde über Gebühr belastet, findet sich auf allen Ebenen: So führten die Hunsrück-Ämter Oberstein und Herrstein 1705 beim Landgrafen Karl von Hessen-Kassel Klage darüber, dass nur sie die Kontribution für den Unterhalt eines hessischen Dragoner-Regiments zu tragen hätten, weil die Ämter Birkenfeld und Allenbach sowie die Herrschaft Sötern sich durch eine einmalige Zahlung von allen Lasten freigekauft hätten.26 Die Gemeinde Unkenbach ersuchte 1627 den Pfalzgrafen Georg Johann II. von Veldenz um eine gerechtere Verteilung der Kontribution unter den Gemeinden des Amtes Meisenheim.27 Auch auf der Gemeindeebene wiederholte sich der Konflikt: Hier verteidigten sich zum Beispiel sechs wohlhabende Einwohner der Gemeinde Medard vor dem Amt Mei22 23 24 25 26 27

Vgl. LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 533–535. Vgl. LHAK, Best. 642, Nr. 263. Vgl. LHAK, Best. 642, Nr. 263. Vgl. LHAK, Best. 642, Nr. 263. Vgl. LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 443–445. Vgl. LHAK, Best. 24, Nr. 1523, S. 1–4.

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senheim gegen die Klage weniger begüterter Mitbürger, die Kontributionslasten seien ungerecht verteilt. Die Beklagten führten aus, der Vorwurf, die Armen müssten fast ebenso viel zahlen wie die Reichen (»darfür sie unß halten«), sei ungerechtfertigt. Es sei nicht wahr, dass Klagen über die ungerechte Verteilung der Lasten nicht berücksichtigt worden seien. Vielmehr habe man die Lastenverteilung seit Kriegsbeginn schon fünfmal angepasst. Ob das Amt dem Verlangen der Kläger nachkomme, den Besitz der Beklagten schätzen zu lassen, stellte man in das Belieben des Amtes, bat sich aber aus, dass dann der Besitz aller Einwohner in der Gemarkung geschätzt und künftig bei der Lastenverteilung herangezogen würde. Im Augenblick verhalte es sich nämlich so, dass die Beklagten unter anderem darum am schwersten belastet seien, weil der Grundbesitz von außerhalb der Gemarkung wohnenden Eigentümern bei der Lastenverteilung außen vor bleibe.28 Der Wild- und Rheingraf Otto Ludwig von Salm-Kyrburg-Mörchingen bemühte sich 1632 um eine einvernehmliche Lösung eines derartigen Konflikts, indem er die Vertreter der Gemeinden des Amtes Böckelheim zu einer Versammlung einberief. Auf ihr sollte eine verbesserte Verteilung der Lasten beschlossen werden, die das Amt mit der Versorgung der Truppen zu tragen hatte, die Otto Ludwig in seiner Funktion als schwedischer Oberst befehligte.29 Die Streitigkeiten wirkten manchmal auch über das Kriegsende hinaus, weil die Gemeinden sich zum Teil massiv verschulden mussten, um die Kontributionen aufzubringen: 1654 legte die Gemeinde Traben im Oberamt Trarbach der Hinteren Grafschaft Sponheim dem Pfalzgrafen Georg Wilhelm von Birkenfeld dar, dass viele Einwohner in Nachbargemeinden verzogen seien und sich nun weigerten, nach Maßgabe ihres Grundbesitzes in der Gemarkung Traben die Schuldenlast mitzutragen, welche die Gemeinde in Kriegszeiten habe aufnehmen müssen. Man berief sich auf das Beispiel der im selben Amt gelegenen Gemeinde Wolf, die 1640 vor demselben Problem gestanden habe; damals habe der Pfalzgraf ein Dekret erlassen, das die weggezogenen Grundbesitzer verpflichtet habe, die Schuldenlast mitzutragen. Ein solches Dekret erhoffte sich nun auch die Gemeinde Traben. Der Pfalzgraf beauftragte das Oberamt, die Sachlage zu prüfen und den Wünschen der Gemeinde zu entsprechen, sollte sich deren Darstellung bewahrheiten.30 Der nahezu ununterbrochene Kriegszustand ließ den Gemeinden kaum Erholungspausen: 1689 bat die Gemeinde Enkirch den französischen Intendanten inständig, der Gemeinde die rückständige Kontribution in Höhe von 6.747 Livres zu erlassen. Begründet wurde dies damit, dass man durch die Zinszah28 Vgl. Schreiben an das Amt Meisenheim, o. D. [um 1640], LHAK, Best. 24, Nr. 1527, S. 49–52. 29 Vgl. LHAK, Best. 642, Nr. 263. 30 Vgl. LHAK, Best. 33, Nr. 12374, S. 1–3.

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lungen für Schulden, die man während der letzten Kriege aufgenommen habe, außer Stande sei, mehr als die schon entrichteten 1.607 Livres zu bezahlen. Niemand wolle der Gemeinde mehr Kredit geben. Die Adligen, denen viele der besten Felder und Weinberge in der Gemarkung gehörten, weigerten sich, zu den Gemeindelasten beizutragen. Auch seien die Einwohner durch den Krieg, die Einquartierung und die ständige Heranziehung zu aller Art von Arbeiten für das Militär in ihren Verdienstmöglichkeiten stark eingeschränkt.31 Diese Ausführungen der Gemeinde Enkirch berühren die Beanspruchung durch die Beherbergung von Soldaten, der manche Gemeinden über die Leistung von Kontributionen hinaus ausgesetzt waren. Der Sobernheimer Bürger Johann Heinrich Behn berichtet, dass seine Frau im November 1688 zehn Offiziere und Militärmusiker mit Essen und Trinken versorgen musste, als acht Reiterkompanien vor Ort waren. Als vier der acht Kompanien abzogen, wurde eine davon in Sobernheim einquartiert. Infolgedessen musste Behn vom 13. Dezember 1688 bis zum 16. Januar 1689 einen Leutnant mit drei Bediensteten, drei Pferden und sieben Hunden verköstigen, was ihn stärker belastete, als seinem Anteil an den Kontributionslasten der Gemeinde entsprach. Zwei Tage vor der Abreise der ungebetenen Gäste wurde ein Major mit drei Knechten und elf Pferden bei Behn einquartiert, der bis zum 4. Februar 1689 blieb. Behn musste infolgedessen für vier Verpflegungsportionen aufkommen, obwohl er nur zweieinhalb schuldig gewesen wäre. Durch das, was die Knechte an Wein konsumierten, und durch das Futter für die Pferde entstanden noch zusätzliche Kosten. Statt einer Entschädigung wurden Behn dafür, dass er nach dem Abmarsch des Majors sieben Tage lang niemanden zu verköstigen hatte, vom Bürgermeister drei Reichstaler als Ausgleichszahlung abgefordert. Als Behn diese Zahlung verweigerte, verklagten ihn Bürgermeister und Oberschultheiß beim Amtmann, der ihn nötigte, sogar fünf Reichstaler zu bezahlen. Zu allem Überfluss quartierte man einen Trompeter bei ihm ein, den ein anderer Mitbürger nicht länger bei sich dulden wollte. Diesen und noch zwei andere versorgte Behn, bis nach vier Tagen der Bruder des Majors, der Behn am 4. Februar verlassen hatte, mit zwei Knechten und fünf Pferden bei ihm abstieg. Obwohl Behn bereits bis zum 4. Februar den Major und vom 12. bis 16. Februar den Trompeter bei sich unterbringen und ihnen das Geld für ihren Lebensmittelbedarf hatte zahlen müssen, verpflichtete man ihn nun, auch den Bruder des Majors für den kompletten Monat Februar und bis zum 15. Mai 1689 zu bezahlen. Es kam noch schlimmer, als am 16. April der Major aus Kyrburg zurückkehrte und sich mit drei Knechten und acht Pferden erneut bei Behn einlogierte, der die zwei Offiziere, deren fünf Knechte und dreizehn Pferde bis zum 15. Mai 1689 zu beköstigen hatte. Danach, so Behn, sei er wegen der erlittenen 31 Vgl. LHAK, Best. 655,080, Nr. 2.

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Strapazen drei Wochen krank gewesen. Anschließend habe man ihn zwölf Tage lang inhaftiert, weil er für Schulden Dritter in Höhe von sechzig Reichstalern gebürgt hatte. Da er nicht für sich selbst, sondern für andere einsaß, musste er die Kosten seiner Verpflegung während der Gefangenschaft selbst tragen und erkrankte abermals. Die Erzählung der Unglücksfälle dieses frühneuzeitlichen Hiob ist damit noch nicht zu Ende, fügt dem Gesamtbild aber keine neuen Einzelheiten hinzu.32 Ob Behn mit seiner Forderung auf Entschädigung durch die Gemeinde Erfolg hatte, ist unbekannt. Die quartiergebenden Stände des Amtes Kastellaun bemühten sich um eine klare Regelung der Einquartierungslasten: Sie erklärten sich für den Fall, dass »gude ordre gehalten undt der quartiersman mit keinem tranck in bier, wein oder brantwein beschwehert wird, vor die mundt portion taglich zu reichen hausmans kost, worin begriffen sein solle nach nothurfft brodt, supe undt gemus, so guth es der quartiersman vermag, item 12 pfund fleisch. Vor die pferd portion acht pfund haber mit proportionirtem hexel, so lang davon bey zu bringen ist, item zehn pfund heu undt nach noth stroh vor zu streun. Undt ist zufrieden das davor nuhr vier gulden so wohl von herren officiers als dem gemeinen mann bezahlt werde.«

Man lehnte die Zumutung ab, dass die Offiziere für ihre Verpflegung nur zwei Gulden bezahlten, aber für jede an der Sollstärke fehlende Offiziers- oder Soldatenstelle vier Gulden Ausgleichszahlung verlangten. Auch gewisse Freiheiten, die sich die einquartierten Offiziere heraus zu nehmen pflegten, suchte man abzustellen: »Weilen die herren officiers bey den compagnien in ihren quartiren uber repartirte portiones [hinaus] allerhandt exactiones ahn fleisch, wein undt anderem forciern, undt ihren tisch vom quartiersman gefürt undt gehalten haben wollen«, forderte man, »das solches abgethan undt eingestelet werde, sonderlich weilen der quartiersman dardurch in grosen schaden gebracht undt ruinirt werden kan woruber grose klagen albereits endtstanden«.33

Der Bericht des Bürgers Behn und die Forderungen der Kastellauner Amtsangehörigen machen deutlich, dass Einquartierungen für die Betroffenen Belastungen mit sich brachten, die über die bloße Unbequemlichkeit und die Erfüllung der persönlichen Kontributionspflichten hinaus gingen. Und dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass das Miteinander von Einquartierten und Quartiersleuten häufig alles andere als reibungslos verlief: Ein Einwohner der Gemeinde Medard klagte etwa gegenüber der Pfalzgräfinwitwe Magdalena von Zweibrücken über seine Behandlung durch die Bediensteten des bei ihm ein32 Vgl. LHAK, Best. 642, Nr. 262. 33 Vgl. Resolution der Quartiersstände des Amtes Kastellaun, o. D. [1705], LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 493f.

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logierten Hauptmanns der im Ort einquartierten Kompanie. Er berichtet, dass sich diese in Abwesenheit des Hauptmanns ihm gegenüber »mit scheldt- unnd droworten, schlachtung deß viehs und schlagen so heftig verlauten lassen, gestalt ich dan albereit erbarmlich von ihnen tractiret, und zum boden geschlagen worden, und noch all augenblick gewärtig sein muß, kan derowegen ich bey meiner haußhaltung, so mir nit von Ewer Fürstliche Gnaden hielff und rettung gnädig wiederfahren wirdt, [nit] verbleiben, sondern werde alles dem wolffe gleichsam in rachen stehen und liegen lassen und mit viel anderen nachbauren, welche von ihren soldaten gleichesfals mit abforderung geldt und anderem, so bey uns armen biß auffs marck außgesogenen underthanen zu bekommen unmüglich, jämmerlich tribuliret werden, hauß und hoff stehen und ins elendt gehen müssen, hab demnach ich kurtz und einfältig so woll mein, als auch der gantzer gemeinden trübseelig zustandt hiermit underthänig nit verhalten sollen.«34

Auch die Gemeinde Enkirch klagte 1689 gegenüber dem französischen Intendanten darüber, dass die einquartierten Soldaten häufig gewalttätig seien. Auch seien die Einwohner durch ihre Verpflichtung, Arbeiten für die französischen Truppen zu erledigen, stark belastet.35 Diese Klage berührt eine weitere Begleiterscheinung der Einquartierungen, nämlich die Verpflichtung der Einwohner, zum Beispiel bei Schanzarbeiten zu helfen oder Transporte für das Militär zu erledigen.36 Gegen Ende des pfälzischen Erbfolgekrieges beschwerte sich die Gemeinde Enkirch gegenüber dem General Spiegel über die Gewohnheit der einquartierten Soldaten, mehr als die vereinbarte Verpflegung von ihren Gastleuten zu erpressen, was viele Einwohner schon bewogen habe, von Haus und Hof zu flüchten.37 Die Gemeinden konnten sich noch glücklich schätzen, wenn ihre Obrigkeit ihnen einen gewissen Ausgleich für die Lasten der Einquartierung verschaffte. Dies war zum Beispiel bei der Gemeinde Nastätten der Fall, der die Regierung von Hessen-Rheinfels 1684 100 Reichstaler als Ausgleich für die achtwöchige Einquartierung eines Regiments bewilligte. Der Betrag war von den übrigen 34 Vgl. Schreiben an die Pfalzgräfin von Zweibrücken, o. D. [um 1632], LHAK, Best. 24, Nr. 1527, S. 9f., das Zitat S. 9. 35 Vgl. LHAK, Best. 655,080, Nr. 2. 36 Vgl. Befehl des Generalgubernators der Unterpfalz an die Gemeinden des Amtes Böckelheim, Arbeiten am Schloss Böckelheim zu erledigen, dessen Garnison vom Amt unterhalten werden musste, 1622, LHAK, Best. 642, Nr. 263; Befehl an die Gemeinde Enkirch, für Zwecke des französischen Militärs die Wege von Mont Royal Richtung Trier und Saarburg in Stand zu setzen, 1688, LHAK, Best. 655,080, Nr. 2; Beschwerde von Untertanen der Herrschaft Holzappel, die zum Gepäcktross einer Kompanie zwangsverpflichtet waren, über Misshandlungen, 1689, LHAK, Best. 47, Nr. 2760; Verpflichtung von Untertanen der Hinteren Grafschaft Sponheim zu Schanzarbeiten vor Trier und an der Konzer Brücke, 1705, LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 341f.; Verpflichtung von Untertanen der Ämter Oberstein und Herrstein zu Frondiensten und zur Befestigung der beiden Hauptorte der Ämter, 1705, ebd., S. 443–445. 37 Vgl. LHAK, Best. 655,080, Nr. 1192.

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Gemeinden der Niedergrafschaft Katzenelnbogen aufzubringen, die der Linie Hessen-Rheinfels unterstanden; beantragt hatte Nastätten eine Unterstützung von 200 Reichstalern.38 Manchmal hatte man nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: So regte der Amtmann von Kastellaun 1705 gegenüber dem badischen Rat Doffus an, der Markgraf von Baden möge, als ein Landesherr der Kondominatsherrschaft in der Hinteren Grafschaft Sponheim, die Grafschaft für die Einquartierung seiner eigenen Truppen in Anspruch nehmen und wenigstens auf diese Weise die drohende Einquartierung dreier hessischer Regimenter abwenden, die für ihre Rücksichtslosigkeit bekannt seien.39 Die Beschwerlichkeit von Einquartierungen wird dadurch unterstrichen, dass mit ihr für den Fall gedroht wurde, dass die Kontribution nicht pünktlich entrichtet wurde – so 1622 gegenüber der Stadt Sobernheim.40 Es gehörte untrennbar zum Wesen der Kontribution, dass sie unter der Androhung der Zwangseintreibung erhoben wurde,41 wie man sie 1623 etwa dem Amt Böckelheim angekündigt hatte, nachdem wiederholte Bitten des Amtes um Ermäßigung abgeschlagen worden waren.42 Wurde die Kontribution in Geld erhoben, holte man es sich dort, wo es gerade zu haben war, und überließ es den Geschädigten, sich die unfreiwilligen Auslagen von ihren Mitbürgern erstatten zu lassen: So führte zum Beispiel 1648 Peter Breuer beim Amtmann von Jülich Klage, er habe bei Zwangsexekutionen kaiserlicher und hessischer Truppen insgesamt 51 Reichstaler und 31,5 Albus für das Dorf Inden vorstrecken müssen. Dieses Geld habe er selbst leihen müssen, und seine Gläubiger bedrängten ihn, während die Gemeinde sich weigere, ihre Schulden bei ihm zu begleichen.43 Zwangseintreibungen waren ein vom damaligen Kriegsrecht ebenso gebilligtes Mittel wie die Erpressung einer Gemeinde in Feindesland durch die sogenannte Brandschatzung, bei der man eine bestimmte Geldsumme dafür eintrieb, dass man auf das Plündern und Niederbrennen einer Ortschaft verzichtete. Verwandt war dieser Maßnahme der erzwungene Loskauf einer Gemeinde von der Einquartierung,44 wie sie uns 1643 am Beispiel des Kröver Reichs begegnet ist. Die Niedergrafschaft Katzenelnbogen beschloss 1688 nach anfänglichem Zögern eine Brandschatzungszahlung an französische Truppen, 38 Vgl. Anweisung der Kanzlei von Hessen-Rheinfels an das Amt Rheinfels, LHAK, Best. 638, Nr. 687, fol. 2r. 39 Vgl. LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 415–417. 40 Vgl. LHAK, Best. 642, Nr. 263. 41 Vgl. Redlich, Contributions (wie Anm. 16), S. 249f.; Redlich, Enterpriser (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 499. 42 Vgl. LHAK, Best. 642, Nr. 262. 43 Vgl. LHAK, Best. 49, Nr. 8425. 44 Vgl. Redlich, Contributions (wie Anm. 16), S. 247–250.

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nachdem diese ihre Drohung wahr gemacht und zwei Dörfer ganz bzw. teilweise eingeäschert hatten.45 Ebenfalls verheerend für die Betroffenen war die nach zeitgenössischem Kriegsrecht legitime Plünderung feindlichen Territoriums durch durchziehende militärische Einheiten. Aber geplündert wurde keineswegs nur im Feindesland: Aus den kurtrierischen Ämtern Manderscheid und Daun in der Eifel liegen detaillierte Aufstellungen der Gemeinden über die Verluste vor, welche die einzelnen Haushalte an Lebensmitteln, Vieh und Hausrat durch französische Truppen erlitten. Diese plünderten auf ihrem Marsch durch das neutrale Kurtrier im Juli 1684 die geräumten Dörfer. Für die Betroffenen war unter anderem fatal, dass zum Teil auch die vergrabenen Lebensmittelvorräte von den Franzosen aufgefunden und geplündert wurden, und dass fast alles Viehfutter weggeschleppt wurde, sodass die Einwohner befürchten mussten, dass ihre Tiere den kommenden Winter nicht überstehen würden.46 Eine in feindlichem Territorium ebenfalls legitime – aber ebenfalls nicht nur dort verübte – Gewaltmaßnahme bestand darin, das Vieh oder die Pferde der Einwohner zu entführen. Die Beute diente entweder dem eigenen Bedarf, oder man verkaufte sie gewinnbringend andernorts. Später vereinfachte man das Verfahren, indem man den Besitzern ihre eigenen Tiere gegen Lösegeld zurückerstattete.47 Auf diese Weise musste das Kirchspiel Fischbach im kurtrierischen Amt Freusburg 1627 zwei Pferde auslösen; 14 weitere Pferde erhielt man nicht zurück, obwohl man für sie 215 Reichstaler Lösegeld angeboten hatte. Die Diebstähle gingen auf das Konto niederländischer Söldner aus der Garnison in Soest und wurden unter Missachtung der Neutralität Kurtriers verübt.48 Der Schultheiß von Gebhardshain im Westerwald, Anton Jung, betätigte sich nach der Aussage seines Dieners als Hehler, indem er für maximal zwei Reichstaler 60 Schafe aus dem kurtrierischen Amt Limburg aufkaufte, die ihren Besitzern gestohlen worden waren, als diese zeitweilig ihre Höfe verlassen hatten.49 Allem Anschein nach handelte es sich dabei sogar noch um ein vergleichsweise geringes Vergehen des Gebhardshainer Schultheißen. Denn dieser wurde 1626 auch beschuldigt, Drahtzieher von Entführungen im kurtrierischen Amt Freusburg durch Soldaten der Soester Garnison zu sein. Jungs Diener sagte aus, 45 Vgl. LHAK, Best. 638, Nr. 378, fol. 18v–19v. 46 Vgl. Aufstellungen über die Verluste der Haushalte der Gemeinden der Ämter Manderscheid und Daun, o. D. [1684], LHAK, Best. 1C, Nr. 9240, fol. 15r–18v bzw. 32r–42r. 47 Vgl. Redlich, Praeda militari (wie Anm. 10), S. 50–52; Ingomar Bog, Die bäuerliche Wirtschaft im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Bewegungsvorgänge in der Kriegswirtschaft nach den Quellen des Klosterverwaltungsamtes Heilbronn, Coburg 1952, S. 112f. 48 Vgl. Bericht des Amtmanns von Freusburg vom 15. April 1627 sowie dessen Schreiben an den Befehlshaber der Soester Garnison vom 16. April 1627, LHAK, Best. 1C, Nr. 9218. 49 Vgl. Protokoll der Vernehmung von Heinrich Schwann, 22. September 1626, LHAK, Best. 1C, Nr. 9218.

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dass sein Herr den Soldaten die Zielpersonen vorgegeben habe, und dass die Anschläge im Haus seines Herrn beraten worden seien. Bei den Entführungen scheinen sich finanzielle, konfessionelle und politische Motive vermischt zu haben, denn die Opfer waren Honoratioren des Amtes Freusburg, die Kurtrier gehuldigt hatten, als dieses 1626 das Amt von der Graftschaft Sayn einzog. Graf Ernst von Sayn-Wittgenstein bestritt die Rechtmäßigkeit dieses Schrittes.50 Nach der Aussage, die der Schultheiß von Gebhardshain nach seiner Verhaftung machte, hatte ihn der Graf zu den Entführungen angestiftet. Diese Aussage machte Jung allerdings unter Androhung der Folter. Für ihre Wahrheit spricht gleichwohl, dass das kurtrierische Amt Freusburg schon zuvor berichtet hatte, die Entführungen durch in der Region umherstreifende Soldaten müssten als gegen Kurtrier gerichtete Maßnahme interpretiert werden, weil nur dessen Untertanen betroffen seien, und weil der Sekretär des Grafen Ernst dem Schultheißen von Grumbach genau dies angedroht habe, sollte dieser Kurtrier huldigen. Auch sagten gegen Lösegeld befreite Entführte aus, sie seien von den Tätern übel misshandelt und als »meineidige Schelme« beschimpft worden, weil sie von dem »frommen Graffen« abgefallen seien und Kurtrier gehuldigt hätten. Der Diener des Schultheißen berichtete zudem, die Soldaten hätten bei der ersten Entführung eine Kerze in vier Teile zerschnitten, diese vor die vier Entführten hingestellt und erklärt, diese sollten sie nun als »meineidige Schelme« anbeten. Auch wenn der konfessionelle Gegensatz zwischen Kurtrier einerseits und der protestantischen Grafschaft Sayn bzw. den Soldaten der Generalstaaten andererseits die Entführer nicht als ein echtes Motiv bewegt haben sollte, so wirkte er doch zumindest als Legitimationsstrategie für die verübten Verbrechen und dürfte dazu beigetragen haben, die Hemmschwelle der Soldaten zu senken. Man zwang die Entführten, an ihre Verwandten zu schreiben und diese um ihre Auslösung zu bitten. Die Entführungen im Amt Freusburg fanden ein vorläufiges Ende, als sich eine Abteilung kurtrierischer Soldaten für solche der Generalstaaten ausgab, sich bei dem Schultheißen von Gebhardshain einschlich und die Bande aushob.51 Wie gesagt war die Beruhigung aber nur vorläufig, denn 1629 sah sich der Kurfürst Philipp Christoph von Sötern genötigt, seine Untergebenen im Amt Freusburg zu besseren Sicherheitsvorkehrungen zu ermahnen wegen der um50 Vgl. Hellmuth Gensicke, Landesgeschichte des Westerwaldes, Wiesbaden 1958, erg. ND Wiesbaden 1987, S. 339–341. 51 Vgl. Schreiben von Entführten, o. D. [1626] bzw. 1626; Bericht des Amtes Freusburg vom 19. August 1626; Bericht von Entführten nach ihrer Freilassung vom 5. September [1626], die beiden ersten Zitate ebd.; Protokoll der Vernehmung von Heinrich Schwann vom 22. September 1626, das dritte Zitat ebd.; Bericht über die Vernehmung des Schultheißen von Gebhardshain und der mit ihm ergriffenen Beschuldigten, o. D. [Ende Oktober 1626], LHAK, Best. 1C, Nr. 9218.

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herstreifenden Soldatentrupps, die »mehrentheils ihre ahnschlägh uff die geistliche machen, dieselben zu verfolgen und gefenglich hinwegh zu führen«. Die Entführungen, bei denen die Gefangenen wiederum schwer misshandelt wurden, dienten wieder der Erpressung von Lösegeld. Der Kurfürst schrieb in der Sache auch dem Prinzen von Oranien, weil auch diesmal niederländische Soldaten aus Soest als Schuldige ausgemacht worden waren, und pochte darauf, dass man die Neutralität seines Kurfürstentums respektiere.52 Berichte über Soldaten, die in kleinen Trupps im Land umherstreiften und die Einwohner misshandelten, ausplünderten und gelegentlich sogar töteten, finden sich mehrfach aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Die Gemeinde Kotzenroth, ebenfalls im Amt Freusburg, Kirchspiel Gebhardshain, gelegen, wurde 1627 von Soldaten überfallen. Eine Einwohnerin sagte später aus, Anführer sei ein Leutnant mit einer roten Schärpe gewesen, der ihren Ehemann mit 41 Stichen ermordet habe. Derselbe Offizier hatte einen Einwohner nach dessen Aussage mit einem Strick gewürgt, ihn daran umhergeschleift und am nächsten Tag zusammen mit anderen Opfern verschleppen lassen. Übrigens sagten auch hier zwei Beschuldigte aus, die Marodeure seien von hachenburgischen Offizieren und insbesondere vom Oberförster des Grafen Ernst angeführt worden.53 Aus dem Jahr 1647 ist ein Bericht der Amtleute von Meisenheim über Ausschreitungen durchziehender Soldaten in der Gemeinde Jeckenbach überliefert: Hier ging es den Soldaten darum, Geld von den Einwohnern zu erpressen.54

III.

Fazit

Ausschreitungen gegenüber der Zivilbevölkerung sind keine Besonderheit der ersten Jahrhunderthälfte.55 Die Quellen stützen weder hier noch hinsichtlich der Truppenversorgung die einleitend erwähnte traditionelle Forschungsmeinung von einem qualitativen Sprung zwischen dem, was bis vor kurzem als ›Zeitalter der Glaubenskämpfe‹ (1555–1648) bzw. als ›Zeitalter des Absolutismus‹ 52 Vgl. Befehl des Kurfürsten von Trier Philipp Christoph von Sötern an seine Untergebenen im Amt Freusburg vom 29. November 1629 (Zitat ebd.); Schreiben desselben an den Prinzen von Friedrich Heinrich von Oranien vom 29. November 1629; LHAK, Best. 1C, Nr. 9219. 53 Vgl. LHAK, Best. 1C, Nr. 9218. 54 Vgl. LHAK, Best. 24, Nr. 1523, S. 5–7. 55 Vgl. Ermahnung der Generalstaaten an ihre Truppen, gute Ordnung zu halten, mit der Bemerkung, die begangenen Exzesse gehörten sich nicht für Truppen, die regelmäßig bezahlt würden, 1704, LHAK, Best. 33, Nr. 6081, S. 285f.; Schreiben des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden an die Generalstaaten mit der Beschwerde über Exzesse und Erpressungen von Seiten ihrer Truppen, 1705, ebd., S. 357–359; Schreiben von Offizieren, die mit der Aufklärung von Diebstählen durch Soldaten befasst waren, 1689 bzw. 1704, LHAK, Best. 47, Nr. 2760; ebd., Best. 33, Nr. 6081, S. 375f.

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(1648–1789) bezeichnet worden ist. Stattdessen bestätigen sie den nivellierenden Befund der neueren Forschung. Während des ganzen hier behandelten Zeitraums lebten die Armeen ganz wesentlich von dem Land, in dem sie sich aufhielten: Sie plünderten, erpressten im Zuge von Brandschatzungen und Entführungen fallweise Abgaben oder erhoben geregelte Kontributionen. Dass die Art und Weise der Erhebung von Kontributionen nach den jeweiligen konkreten Umständen unterschiedlich ausfiel und keine allgemeingültige Form fand, wurde oben bereits festgestellt. Aber wie steht es dann um die ›militärischen Revolution‹ und um die Verstaatlichung des Militärwesens? Gab es keine Entwicklung zum Besseren? Es gab diese Entwicklung durchaus – aber lange Zeit nur unmerklich. Man wird sie sich als schleichenden Prozess vorstellen müssen: Dass die Übernahme der Verantwortung für Heeresversorgung und -organisation durch den Staat und die stärkere Reglementierung in allen Bereichen des Militärwesens im Zuge der sogenannten militärischen Revolution des 17. Jahrhunderts Verbesserungen bewirkte,56 wird kaum jemand bestreiten. Aber diese Reformen konnten sich erst über einen langen Zeitraum auswirken, weil sie nur ein Mittel zu dem Zweck waren, den Mächten des Zeitalters die Aufstellung größerer Heere zu ermöglichen. Dieser Punkt ist entscheidend, weil die Erfolge der Reformen sich zu einem erheblichen Teil selbst wieder aufhoben: Verbesserungen in Organisation, Disziplin und Versorgung sollten die Aufstellung und Lenkung größerer Heere ermöglichen, und taten dies auch. Aber größere Heere waren natürlich schwieriger zu organisieren, zu verpflegen und zu versorgen als kleinere. Es wurde zwar unausgesetzt an der Verbesserung des Heerwesens gearbeitet – aber gerade dadurch vergrößerte man im buchstäblichen Sinne das Problem, das man lösen wollte.57 Lange Zeit, so lässt sich bilanzieren, reichte die Kraft der erreichten Verbesserungen eben nur gerade so weit, die logistischen und disziplinarischen Probleme angesichts einer immer weiter anwachsenden Truppenzahl ungefähr auf dem bisherigen Niveau zu halten. Darum bemerkten weder die Soldaten noch die Bürger und Bauern während des hier beschriebenen Zeitraums eine Verbesserung ihrer Situation. Erst eine längere Friedensperiode, wie sie endlich nach den napoleonischen Kriegen eintrat, stoppte das Anwachsen der Heere und verschaffte den Staaten eine Atempause zur Vollendung und Konsolidierung

56 Vgl. Roberts, Revolution (wie Anm. 2), S. 285–291 u. 296. 57 »The ›military revolution‹, which had inflated armies to unprecedented size, had in fact elevated the logistical problems of war beyond the power of any European government to solve«, Parker, Soldiers (wie Anm. 11), S. 10.

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ihrer Bemühungen – mit allen Auswirkungen für die Lebensumstände von Soldaten wie Zivilisten.58

58 Der hier ausgeführte Gedanke klingt bereits bei Roberts, Revolution (wie Anm. 2), S. 299f., an: »Bevor hier wirkliche Linderungen eintreten konnten, bedurfte es einer umfassenderen Kontrolle der Armeen durch den Staat sowie verbesserter Vergeltungsmaßnahmen. Wenn deshalb die militärische Revolution auch die Schuld an der besonderen Schreckensbilanz des Dreißigjährigen Krieges trifft, so brachte sie doch letztlich auch das Gegenmittel dazu hervor«.

Gerhard Fritz

Kriegsführung – Kriegskriminalität – Kriegsflüchtlinge. Überlegungen zur Zeit zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und dem Pfälzischen und Spanischen Erbfolgekrieg in Südwestdeutschland

I.

Einleitung

Südwestdeutschland – also ungefähr das Gebiet des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg – war schon während des Dreißigjährigen Krieges eine der am schwersten verwüsteten Regionen des Reiches. Neuerdings vermag man durch Auswertung von Steuerlisten und Kriegsschadensberichten die Schäden wenigstens für das Herzogtum Württemberg zu quantifizieren und zu differenzieren und kommt allein bei den Bevölkerungszahlen auf Verlustquoten, die je nach Region zwischen etwa 50 und 90 Prozent schwanken.1 Zwar begann nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges eine rasche Erholung, aber diese war von einer Kette neuer Kriege unterbrochen. Längere Friedensphasen gab es für den deutschen Südwesten bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1713/14 nicht, so dass das Land letztlich von einem beinahe hundertjährigen Krieg heimgesucht wurde. Diese Kriege sollen im Folgenden unter den drei Aspekten Kriegsführung, Kriegskriminalität und Kriegsflüchtlinge näher betrachtet werden. Der Masse des Stoffes wegen soll das Schwergewicht der Betrachtungen auf den Kriegen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und insbesondere dem Pfälzischen Erbfolgekrieg liegen. Der Spanische Erbfolgekrieg wird nur kurz gestreift.

1 Vgl. allgemein Dieter Stievermann, Absolutismus und Aufklärung (1648–1806), in: Meinrad Schaab u. a. (Hrsg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 1,2, Stuttgart 2000, S. 307–456, hier S. 334–336; vgl. mit umfassendem Zahlenmaterial Wolfgang von Hippel, Das Herzogtum Württemberg zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel von Steuer- und Kriegsschadensberichten. Materialien zur Historischen Statistik Südwestdeutschlands, Stuttgart 2009; außerdem ders., Bevölkerung und Wirtschaft im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Das Beispiel Württemberg, in: Zeitschrift für Historische Forschung 5 (1978), S. 413–443.

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II.

Gerhard Fritz

Kriegsführung

Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und das 18. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution gelten gemeinhin als das Zeitalter der Kabinettskriege, für das geworbene Armeen charakteristisch waren. Auch die sich nach und nach etablierenden stehenden Heere rekrutierten sich teilweise durch mehr oder minder freiwillige Werbung. Üblicherweise, so ist es Communis Opinio, habe sich im Kriege die Bevölkerung mit diesen Armeen wenig identifiziert und habe meist weniger durch unmittelbare Kriegseinwirkungen – Schlachten, Beschießungen, Eroberungen, Zerstörungen – gelitten, als durch mittelbare Kriegseinwirkungen wie Einquartierungen, die erpresste Ablieferung von Lebensmitteln, Geld und Material jeder Art sowie durch Marodeure. Dabei sei es für die Bevölkerung oft unerheblich gewesen, ob diese Lasten durch feindliche oder eigene Truppen verursacht wurden.2 Im Holländischen Krieg (1672–1678) wurden die südwestdeutschen rechtsrheinischen Gebiete von den Kämpfen nur gestreift. Die Masse der Kampfhandlungen fand in den Niederlanden, den linksrheinischen deutschen Gebieten und im damals bereits zu großen Teilen unter französischer Herrschaft stehenden Elsass statt.3 Insofern lässt sich über die Kriegsführung wenig sagen. Der im Wesentlichen ergebnislose Vorstoß der Franzosen über Sinsheim und Ladenburg in die Heilbronner Gegend 1674 war die einzige nennenswerte Ausnahme. Der Vorstoß lief, nach allem was bekannt ist, in konventionellen Formen ab, also ohne erkennbare Beteiligung irregulärer Kräfte. Offenbar unabhängig von diesen militärischen Operationen lassen sich 1672, 1673 und 1675 einige Randerscheinungen des Krieges fassen, namentlich Überfälle und sogenannte Schnapphähne. Auf sie soll weiter unten eingegangen werden.4 Wie oben erwähnt, erfassten die Kampfhandlungen dieses Krieges, der seit 1674 auch als Reichskrieg gegen Frankreich geführt wurde, das rechtsrheinische Südwestdeutschland kaum. Das Land war, in der Terminologie späterer Kriege ausgedrückt, eine Art Etappe. Immerhin vermittelt ein Generalreskript des württembergischen Herzogs Wilhelm Ludwig von 1675 ein Bild, wie es in dieser Etappe zuging: Die Lage war gekennzeichnet durch ein buntes Durcheinander 2 Frank Kleinehagenbrock, Die Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg. Eine erfahrungsgeschichtliche Untersuchung zu Herrschaft und Untertanen, Stuttgart 2003, S. 108–120, beschreibt für eine eng umschriebene Region detailliert die Folgen von Einquartierungen und Kriegslasten. 3 Cathal J. Nolan, Wars of the age of Louis XIV, 1650–1715. An encyclopedia of global warfare and civilization, Westport, CT u. a. 2008, S. 119–129. 4 Gerhard Fritz, Räuberbanden und Polizeistreifen. Der Kampf zwischen Kriminalität und Staatsgewalt im Südwesten des Alten Reichs zwischen 1648 und 1806, 2. Aufl., Remshalden 2006, S. 29–31.

Kriegsführung – Kriegskriminalität – Kriegsflüchtlinge

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von Truppenteilen, die vom Kampfgebiet kamen oder dorthin unterwegs waren, von Überläufern der französischen Armee, die im deutschen Hinterland abzutauchen hofften, und von zivilen Flüchtlingen, die sich aus dem Kampfgebiet in Sicherheit bringen wollten. All diese Personengruppen sahen sich immer wieder Überfällen durch Schnapphähne ausgesetzt, wobei zu vermuten ist, dass diese sich zumindest teilweise auch aus den genannten Soldaten und Überläufern rekrutierten. Allerdings erwähnt das Reskript, dass sich auch württembergische Untertanen unter die Schnapphähne mischten oder diese bei ihren Überfällen unterstützten.5 Das Generalreskript des württembergischen Herzogs markierte dabei bereits einen gewissen Schlusspunkt in den obrigkeitlichen Maßnahmen. Schon zuvor hatte 1672 und 1673 die vorderösterreichische Regierung in ihren Territorien in Vorarlberg und im Gebiet des heutigen südlichen Baden-Württemberg Streifen gegen umherziehendes Gesindel angeordnet. War es hier noch nicht ganz eindeutig, ob diese Streifen kriegsbedingte Ursachen hatten oder ob sie sich gegen die ›normale‹ Unsicherheit auf den Straßen richteten, weisen 1673 durchgeführte Maßnahmen im Grenzbereich zwischen Schwäbischem und Fränkischem Reichskreis einen Charakter auf, in dem sich militärische und polizeiliche Aspekte unentwirrbar vermengten. Auf den Bergen rund um Schwäbisch Hall und in Hohenlohe sollten Wachen eingerichtet werden, um mit einem Flaggensystem anzuzeigen, von woher berittene plündernde ›Parteien‹ anrückten – und es wurde geregelt, mit welchen Streifmaßnahmen man diesen Trupps umherziehender Marodeure begegnen wollte.6 Was sich im Holländischen Krieg für Südwestdeutschland erst angedeutet hatte, wurde im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) in voller Entfaltung sichtbar.7 Das Reich im Allgemeinen und Südwestdeutschland im Besonderen waren beim Beginn des französischen Angriffs im Herbst 1688 praktisch schutzlos, da die Truppen des Schwäbischen Kreises noch im Krieg gegen die Türken gebunden waren und erst in Eilmärschen herangeführt werden mussten. Mittlerweile hatten die Franzosen bereits den Rhein überschritten und waren durch den Kraichgau auch nach Württemberg eingefallen, das sich vergebens 5 Fritz, Räuberbanden (wie Anm. 4), S. 30f. 6 Fritz, Räuberbanden (wie Anm. 4), S. 31. 7 Vgl. zum Folgenden zusammenfassend Nolan, Wars (wie Anm. 3), S. 320–330, insb. S. 325–327; Stievermann, Absolutismus (wie Anm. 1), S. 356–358; Siegfried Fiedler, Kriegswesen und Kriegführung im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 221–228; detaillierter Gerhard Fritz, Südwestdeutschland und das Franzosenjahr 1693, in: Württembergisch Franken 79 (1995), S. 117–148, hier S. 128f.; Gerhard Fritz, Roland Schurig (Hrsg.), Der Franzoseneinfall 1693 in Südwestdeutschland. Ursachen – Folgen – Probleme, Remshalden 1994; Max Plassmann, Die Kriegsführung der vorderen Reichskreise im Pfälzischen und Spanischen Erbfolgekrieg, in: Wolfgang Wüst (Hrsg.), Reichskreis und Territorium. Die Herrschaft über der Herrschaft? Supraterritoriale Tendenzen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich süddeutscher Reichskreise, Stuttgart 2000, S. 89–109.

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bemüht hatte, mit einer Politik der Neutralität aus dem Krieg herausgehalten zu werden. Ohne nennenswerte Kämpfe konnten fast alle wichtigen Städte im Neckarraum besetzt werden, auch die württembergischen Landesfestungen Asperg und Tübingen mussten übergeben werden. Aus den besetzten Städten pressten die Franzosen hohe Brandschatzungsgelder und Kontributionen. Verweigerte eine Stadt die Zahlung, wurde sie niedergebrannt, wie zum Beispiel Ehingen an der Donau. Nur in zwei Fällen gab es spektakuläre Ausnahmen: Die württembergischen Festungsstädte Schorndorf und Göppingen, etwa 30 Kilometer östlich von Stuttgart gelegen, wollten sich bereits den französischen Truppen ergeben, doch konnte diese Kapitulation durch das energische Auftreten der Schorndorfer Frauen unter der Führung von Barbara Walch-Künkelin, der Frau des Bürgermeisters, verhindert werden. Die berühmten ›Weiber von Schorndorf‹ zwangen ihre wankelmütigen Männer, die Stadttore nicht zu öffnen. Ähnlich sollen es auch die ›Weiber von Göppingen‹ gehalten haben.8 Nun hätten sich die veralteten und kleinen Festungen gewiss nicht halten können, wenn die Franzosen einen ernsthaften Angriff durchgeführt hätten. Aber in der Zwischenzeit trafen die von der Türkenfront kommenden Kreistruppen ein. Außerdem kam von Norden Verstärkung durch sächsische Kontingente. Dies veranlasste die Franzosen um die Jahreswende 1688/89, sich aus dem NeckarDonau-Gebiet zurückzuziehen. Bereits vorbereitete umfangreiche Siedlungszerstörungen – in Cannstatt bei Stuttgart lag bereits das Holz bereit, um die Stadt anzustecken – konnten in der Eile nicht mehr durchgeführt werden. Dafür traf es neckarabwärts die pfälzische Hauptstadt Heidelberg umso härter.9 Sie wurde 1689 (und nochmals 1693) auf jene berüchtigte Weise zerstört, dass die Ruinen Heidelbergs auf Jahrhunderte zum Symbol deutsch-französischer Erbfeindschaft werden sollten. In den folgenden Jahren ereigneten sich lediglich einige begrenzte französische Verwüstungs- und Plünderungszüge in den badischen und pfälzischen Raum, überschritten den Rhein also allenfalls bis an den westlichen Rand des Schwarzwalds. Frankreich hatte mehrere Jahre lang von der Zersplitterung der Reichstruppen profitiert, die weiterhin auch noch den Krieg gegen die Türken fortführen mussten. Allerdings hatten sich mit der Bildung der antifranzösischen ›Großen Allianz‹ fast alle Nachbarstaaten gegen Frankreich verbündet. Mit der Schlacht von Slankamen 1691, in der die Türken eine schwere Niederlage erlitten, rückte auch ein Friedensschluss an der Türkenfront näher, was die Lage für Frankreich noch weiter verschlechtert hätte. Das war der Hintergrund für 8 Uwe-Jens Wandel, Karl-Heinz Rueß (Hrsg.), Frauenprotest 1688. Die Göppinger und Schorndorfer Weiber, Schorndorf 1988. 9 Roland Vetter, »Die ganze Stadt ist abgebrannt«. Heidelbergs zweite Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1693, 3. Aufl., Karlsruhe 2010, S. 21–31; besonders zu erwähnen ist die Quellenedition ebd., S. 157–231.

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eine Änderung der Verhältnisse auch an der Oberrheinfront. Frankreich musste notgedrungen wieder aktiver werden und die Zeit nutzen, solange der wankende türkische Bundesgenosse noch im Krieg stand. 1692 änderten sich die Dinge dann insofern, als die Franzosen ihre Vorstöße ausdehnten und nun auch Gebiete im Westen Württembergs verwüsteten. Unter anderem wurden die Städte Calw und Zavelstein sowie das große Kloster Hirsau zerstört. Ein eigentlich nur als Ablenkungsangriff gedachter französischer Vorstoß weiter nach Osten führte 1692 zum Gefecht von Ötisheim. Die militärisch belanglose Aktion war politisch von erheblichem Gewicht, weil der württembergische Herzog-Administrator Friedrich Carl in französische Gefangenschaft geriet und eilends nach Paris gebracht wurde. König Ludwig XIV. von Frankreich bemühte sich, den Württemberger durch eine ausgesucht freundliche Behandlung dazu zu bringen, aus der antifranzösischen Koalition auszuscheren. Kaiser Leopold erklärte daraufhin den erst sechzehnjährigen württembergischen Thronfolger Eberhard Ludwig vorzeitig für mündig, sodass den Versuchen, den Herzog-Administrator zum Verlassen der Reichsfront zu bewegen, der Boden entzogen war. Den Gipfelpunkt der militärischen Operationen brachte das Jahr 1693.10 Ludwig XIV. wollte mit einer kombinierten Offensive in den Niederlanden und am Oberrhein die Entscheidung erzwingen. Im Mai 1693 stieß eine französische Armee unter dem Marschall de Lorge auf Heidelberg vor, das schlecht verteidigt wurde und rasch genommen werden konnte.11 Von dort aus marschierte de Lorge nach Süden. Den Franzosen stellte sich in der Gegend von Heilbronn die nunmehr von Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, dem als ›Türkenlouis‹ berühmt gewordenen Sieger von Slankamen, kommandierte Reichsarmee entgegen. De Lorge schwenkte nach Norden ab und verwüstete die Bergstraße, um wenig später wieder zurückzukehren. Von Westen stieß eine weitere französische Armee unter dem Befehl des Dauphin hinzu, so dass die Franzosen bei Marbach den Neckarübergang erzwingen konnten. Der ›Türkenlouis‹ bezog mit seiner zahlenmäßig unterlegenen Armee eine Defensivposition bei Ilsfeld, wo sich die beiden Armeen mehrere Wochen lang ziemlich tatenlos gegenüberlagen und die große Entscheidungsschlacht vermieden. Während dieser Zeit schwärmten französische Truppenabteilungen im weiten Umkreis aus und richteten erhebliche Siedlungszerstörungen in Württemberg an, bei denen neben etlichen kleineren Dörfern die Städte Backnang, Beilstein, Marbach, Vaihingen/Enz, Winnenden sowie die großen Marktorte Fellbach und Oberstenfeld niedergebrannt wurden. Dabei waren die Verwüstungen in Württemberg noch bescheiden im Vergleich zur flächenmäßigen Devastation der Pfalz, wo 10 Vetter, Stadt (wie Anm. 9), S. 31–50. 11 Vetter, Stadt (wie Anm. 9), S. 51–96 u. 113–126.

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nicht nur Heidelberg ein zweites Mal – und viel schlimmer als 1689 – zerstört wurde, sondern fast das gesamte Land einschließlich der Reichsstädte Speyer, Worms und Oppenheim mit dem Kaiserdom in Speyer und der dortigen Grablege der Salier und Staufer.12 Zwar fand die große Schlacht im Feldzug von 1693 nicht statt. Die teilweise erhaltene Korrespondenz der Heerführer zeigt aber eine äußerst lebhafte Kampftätigkeit im Bereich des ›kleinen Krieges‹.13 Dragoner und – hauptsächlich – Husaren operierten ständig weiträumig im Hinterland der französischen Armee und störten die Verbindungs- und Versorgungslinien erheblich. Anfang September trat die französische Armee den Rückzug hinter den Rhein an. Die folgenden Kriegsjahre bis zum Friedensschluss von 1697 brachten am Oberrhein keine nennenswerten Aktionen mehr, so dass an dieser Stelle eine Synthese der militärischen Operationen von 1688/89 und 1692/93 folgen kann. Eine klassische große Schlacht der beiden Hauptarmeen fand weder 1688/89 noch 1692/93 statt. Nun ist das Vermeiden solcher Entscheidungsschlachten für das späte 17. und das frühe 18. Jahrhundert gar nicht untypisch. Die Feldherren bevorzugten, sich durch Truppenbewegungen gegenseitig auszumanövrieren und den Gegner auf diese Weise in eine kapitulationsreife Situation zu bringen.14 Aber auch hier brachten die Kampagnen von 1688/89 und 1692/93 keine Entscheidung. Auffällig sind vielmehr die Operationen des ›kleinen Krieges‹.15 Dieser umfasste allerdings nicht nur die Vorstöße der Husaren und Dragoner. Bereits 1688 war es ja zu den völlig untypischen Aktionen der ›Weiber‹ von Schorndorf und 12 Zur Zerstörung von Worms vgl. Fritz Reuter, Der Pfälzische Erbfolgekrieg und die Freie Stadt Worms, in: Fritz, Schurig, Franzoseneinfall (wie Anm. 7), S. 27–38; ders., Peter und Johann Friedrich Hamman. Handzeichnungen von Worms aus der Zeit vor und nach der Stadtzerstörung 1689 im Pfälzischen Erbfolgekrieg, Worms 1989; zur Zerstörung von Heidelberg vgl. Vetter, Stadt (wie Anm. 9), S. 31–50 u. 97–112; außerdem übergreifend Karl von Raumer, Die Zerstörung der Pfalz von 1689 im Zusammenhang mit der französischen Rheinpolitik, München 1930. Die vergeblichen württembergischen Forderungen an Frankreich wurden schon 1696 in einer eigenen Schrift begründet: Ausführliche Vorstellung / Was das Hoch=Fürstl. Hauß Würtemberg / und dessen in Schwaben gelegene Lande / von der Cron Franckreich / — tempore deß gebrochnen Stillstands / biß hero wider aller Völcker Rechten / unbillig erlitten / und dessentwegen von der Aller Christlichsten Majestät völlige Reparation zu suchen. Cum Provocatione ad Tractatus Pacis Futurae Ejusque Conciliatores & Compaciscentes Aequissimos, Stuttgart 1696. 13 Vgl. Gerhard Fritz, Kabinettskrieg, Marodeurskrieg oder Volkskrieg? Überlegungen zum militärgeschichtlichen Aspekt des Pfälzischen Erbfolgekriegs von 1688–1693, in: Fritz, Schurig, Franzoseneinfall (wie Anm. 7), S. 77–106. 14 Zum Krieg dieser Zeit, der manchmal als geradezu geometrisch, ja ballettartig bezeichnet wird vgl. Hennig Eichberg, Geometrischer Krieg. Über frühmodernes Befestigungswesen und die gesellschaftliche Relativität zweckrationalen Handelns, in: Thomas Kolnberger, Ilja Steffelbauer (Hrsg.), Krieg in der europäischen Neuzeit, Wien 2010, S. 131–165. 15 Vgl. Georg Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 146f.; der allerdings nur auf den ›kleinen Krieg‹ an der Türkenfront eingeht; außerdem unten Anm. 22.

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Göppingen gekommen, und in beiden Kampagnen spielten auch irreguläre Truppen eine erhebliche Rolle. Letztere werden in den Quellen häufig mit dem schon erwähnten, schillernden Begriff ›Schnapphähne‹ belegt, der sowohl Kombattanten außerhalb der Ordnung der regulären Heere als auch bandenmäßig organisierte Personen mit eher kriminellen Motiven bezeichnen kann. Auf jeden Fall schwingt dabei eine negative Konnotation mit. Das war etwas, von dem diejenigen, die schriftliche Quellen hinterlassen haben, nicht recht wussten, wie es zu beurteilen war und das sich jedenfalls nicht in die ›ordre de bataille‹ der regulären Armeen einfügte. Tatsächlich dürfte bei den Schnapphähnen beides zugetroffen haben: Sie waren sowohl irreguläre Kombattanten als auch Leute, die sich ihren Lebensunterhalt auf Kosten biederer Bauern, Bürger und – gegebenenfalls – auch auf Kosten regulärer Heeresdepots verdienten. Was dabei überwog – der militärische oder der deviant-kriminelle Aspekt – dürfte sich von Gruppe zu Gruppe und von Situation zu Situation unterschieden haben. Wie hätten auch irreguläre Kombattanten ihren Lebensunterhalt anders bestreiten können als auf kriegsrechtlich fragwürdige Weise? Aber man muss es im Falle der südwestdeutschen Schnapphähne nicht bei solchen allgemeinen Ausführungen belassen. Sie können – weit über die abschätzigen Gesamturteile der meisten Quellen hinaus – bis zu einem gewissen Grad durchaus genauer charakterisiert und namhaft gemacht werden. Demnach scheinen die Schnapphähne im Gebiet von Neckar und oberer Donau Leute gewesen zu sein, die mit der lavierenden Politik Württembergs nicht einverstanden waren. Der eben ins Amt eingesetzte junge Herzog Eberhard Ludwig und seine lokalen Beamten versuchten notgedrungen mit der französischen Armee, die große Teile des Landes besetzt hatte, einen Modus Vivendi zu finden, um die Zerstörungen wenigstens einigermaßen in Grenzen zu halten. Das schaffte der Herzog nur teilweise. So gelang es am 24. Juli 1693 den Schnapphähnen, die jetzt mit regulären Husaren zusammenarbeiteten, in die Residenzstadt Stuttgart einzudringen, die dort liegende französische Besatzung zu überwältigen und gefangen zu nehmen. Die siegestrunkenen Eroberer der Stadt begannen nach versteckten Franzosen zu fahnden und erschossen einige von ihnen. Zur Mäßigung ratende Mitglieder der herzoglichen Regierung, die das Anrücken überlegener französischer Truppen befürchteten, wurden als Feiglinge und Verräter beschimpft. Rechtzeitig eintreffende reguläre Dragoner der Reichsarmee konnten die Lage entschärfen, indem sie die Kriegsgefangenen übernahmen und wegführten und die Schnapphähne zum Abzug bewegten. Herzog Eberhard Ludwig tat in den folgenden Tagen alles, irreguläre Aktionen wie die vom 24. Juli zu unterbinden. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, der Oberkommandierende der Reichsarmee, liebäugelte dagegen mit einer Volkserhebung und einem umfassenden Volkskrieg gegen die Franzosen und rechnete sich gute Chancen aus, deren rückwärtige Linien und die Versorgung so

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zu schädigen, dass sich die französische Armee nicht mehr würde halten können. Dazu kam es schließlich nicht – wenigstens nicht in vollem Umfang –, weil die herzogliche Regierung sich heftig gegen die unkalkulierbaren Folgen eines Volkskrieges mit vollem Einsatz der Landmiliz sträubte. Einzelne weitere Aktionen gab es durchaus, so in Köngen am Neckar, wo die Franzosen etwa 100 Mann verloren und im Kappeler Tal im Südschwarzwald, wo die Franzosen Verluste von etwa 200 Mann hatten. Tatsächlich antworteten die Franzosen mit Repressalien, das heißt mit Erschießungen, Plünderungen und der Wegführung mehrerer hundert Bauern. Trotzdem blieb das Netz der rückwärtigen Linien die Achillesferse der Franzosen. Als Ende August 1693 die zentralen Feldbäckereien der Franzosen in Vaihingen an der Enz mitsamt der Stadt niederbrannten, musste die französische Armee den Rückzug antreten. Es ist bis heute nicht klar, ob der Brand der Bäckerei auf Aktionen der Schnapphähne zurückging oder ob er durch leichtfertiges Hantieren mit Feuer ausgelöst worden war.16 Die Position der herzoglichen Regierung wurde nicht überall geschätzt. Neben den zahlreichen anonymen Flugschriften, die die Zerstörung Heidelbergs und der Reichsstädte Worms und Speyer diskutierten,17 hatte schon 1689 der in Göppingen ansässige Literat und Lehrer Daniel Speer angesichts der als windelweich eingeschätzten Haltung des Herzog-Administrators Friedrich Carl die Flugschrift »Der durch das Schorndorffische und Göppingische Weiber-Volck geschichterte Hahn« verfasst.18 Darin kontrastierte Speer die Haltung der Schorndorfer und Göppinger Frauen, die sich dem ›gallischen Hahn‹ entschlossen und erfolgreich entgegengestellt hatten, mit dem stets schwankenden Administrator. Derlei freies Wort bekam Speer gar nicht gut. Auch wenn die Flugschrift primär gegen die Franzosen gerichtet war und gegen diese mobilisieren wollte, empfand der Landesfürst den ›geschichterten Hahn‹ doch als eine Kritik an sich selbst und ließ Speer auf dem Hohenneuffen inhaftieren. Offenbar stieß die Schrift in der Bevölkerung durchaus auf Resonanz. Weshalb war die Stimmung so aufnahmebereit für ein solches Pamphlet? Hier dürften die Zerstörungen erheblich zu einer deutlich franzosenfeindlichen Stimmung beigetragen haben. Aber es waren wohl kaum nur die eigenen Erfahrungen mit den von den Franzosen angerichteten Verwüstungen, sondern vermutlich in hohem 16 Fritz, Kabinettskrieg (wie Anm. 13), S. 94–104. 17 Vgl. Hans von Zwiedineck-Südenhorst, Die öffentliche Meinung in Deutschland im Zeitalter Ludwigs XIV. 1650–1700. Ein Beitrag zur Kenntnis der deutschen Flugschriften-Literatur, Stuttgart 1888, S. 106–114, zu den Flugschriften der Jahre 1688/90, die sich fast durchweg auf die französische Kriegsführung und die von den Franzosen angerichteten Zerstörungen beziehen; Johannes Haller, Deutsche Publizistik in den Jahren 1668–1674. Ein Beitrag zur Geschichte der Raubkriege Ludwigs XIV., Heidelberg 1892. 18 Daniel Speer, Der durch das Schorndorffische und Göppingische Weiber-Volck geschichterte Hahn. Oder : eine kurtzbündige Relation alles dessen, so bey Einfallung der Frantzösischen Trouppen in das Würtenbergische vorgefallen, Ulm 1688 [1689].

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Maße auch die Horrornachrichten, die durch die zahlreichen pfälzischen Flüchtlinge in Württemberg verbreitet wurden. In der Kampagne von 1692/93 fand sich zwar kein einzelner Ideologe, der wie Speer den Unmut in der Bevölkerung in einer neuen Flugschrift zusammenfasste. Allerdings kursierten zahlreiche andere Flugschriften, die die Stimmung anheizten.19 Neben der Flugschriftenliteratur spielten auch Zeitungen eine zunehmend wichtigere Rolle. Man kann annehmen, dass auch der in Nürnberg erscheinende, offenbar viel gelesene Teutsche Kriegs-Kurier in Südwestdeutschland verbreitet war. Er vermittelte schon seit seiner Gründung 1673, also mitten im Holländischen Krieg, nicht nur Nachrichten über die militärischen und politischen Ereignisse, sondern lieferte auch Argumente dafür, dass es sich bei den Konflikten mit Ludwig XIV. um gerechte Kriege handelte. Entsprechend negativ wurden die Franzosen beurteilt. Mehr als in zeitgenössischen französischen und englischen Blättern spielte hier die Berichterstattung über Gewalttätigkeiten und Exzesse des Gegners eine Rolle.20 Ansätze von ideologisch aufgeladenen Führungspersonen und -strukturen gab es auch unter den Schnapphähnen von 1693. Das waren in Württemberg eben nicht nur marodierende und ideologisch orientierungslose Bauernhorden. Da die Schnapphähne selbst keine schriftlichen Quellen produzierten, werden Personen und Strukturen zwar nur schemenhaft erkennbar, aber immerhin wird deutlich, dass sich der eine oder andere Beamte an die Spitze der Schnapphähne stellte und ihnen Form, Ideologie und eine gewisse Führung zu geben versuchte. Als solche Führungspersönlichkeiten werden der württembergische Kammerrat Steudlin, der Postmeister Leporini von Göppingen oder die Fähnriche Schober und Namur sowie der Kornett Pistorius erwähnt. Es verwundert nicht, dass die Beamten- bzw. Militär-Karrieren dieser Leute nach dem Ende der Ereignisse von 1693 beendet waren. Das Jahr 1693 war noch lange nicht das Jahr des modernen Nationalismus und die kleinen württembergischen Aktivisten Speer, Steudlin, Leporini, Schober, Namur und Pistorius wurden noch lange nicht zu dem, was ein Buchhändler Palm, ein Andreas Hofer oder ein Ferdinand von Schill im Zeitalter des erwachenden Nationalismus im 19. Jahrhundert werden konnten.21 Militärgeschichtlich oszillieren die beschriebenen Ereignisse aus dem Pfäl19 Zwiedineck-Südenhorst, Meinung (wie Anm. 17), S. 106–115. 20 Sonja Schultheiss-Heinz, Krieg, Publizistik und Propaganda in der Frühen Neuzeit, in: Kolnberger, Steffelbauer, Krieg (wie Anm. 14), S. 347–385, v. a. S. 361–366. 21 Fritz, Kabinettskrieg (wie Anm. 13), S. 103. Als Resultat des Tübinger Sonderforschungsbereichs »Kriegserfahrungen« wird mittlerweile sogar für die Zeit um 1800 allenfalls in intellektuellen Kreisen von einem Bewusstsein des modernen Nationalismus gesprochen; vgl. Dieter Langewiesche, Nation, Imperium und Kriegserfahrungen, in: Georg Schild, Anton Schindling (Hrsg.), Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung, Paderborn u. a. 2009, S. 213–230, hier v. a. S. 214–216.

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zischen Erbfolgekrieg zwischen verschiedenen Polen. Einerseits scheinen die Aktivitäten der Schnapphähne protonationalistische und auf jeden Fall aggressiv antifranzösische Züge zu tragen, andererseits erinnern sie an die vormodernen Verfahren der Landesdefension. Als dritter Pol erscheint noch die schwer zu definierende gewalttätige Selbstverteidigung von Bauern, die in mittelalterlichen und vormodernen Konflikten immer wieder einmal zu fassen ist. Aber auch diese rabiate bäuerliche Selbstverteidigung dürfte auf die Erfahrungen der Landesdefension zurückgegriffen haben, die sich in Württemberg bis in das 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Nur im Rahmen solcher zwar oft amateurhaften, aber regelmäßigen Waffenübungen konnten ja die Leute, die 1693 in Stuttgart und anderswo so spektakulär hervorgetreten waren, ihre militärische Einsatzfähigkeit gelernt haben.22 Auf jeden Fall wird man den ›kleinen Krieg‹ nicht – wie es oft getan wird – auf den Türkenkrieg reduzieren dürfen und ihm auch nicht erst in der Zeit Friedrichs des Großen größere Bedeutung zumessen dürfen.23

22 Erwin Pflichthofer, Das württembergische Heerwesen am Ausgang des Mittelalters, Diss. Tübingen 1939; allgemein auch Peter Hamish Wilson, War, state and society in Württemberg 1677–1770, Diss. Cambridge 1989. Zu bäuerlichen Gewaltakten gegen Soldaten, allerdings in einer späteren Epoche Ulf Wendler, Bäuerliche Gewalt und Widerstand gegen Soldaten – der Hegau 1796, in: Jörg Deventer u. a. (Hrsg.), Zeitenwenden. Herrschaft, Selbstbehauptung und Integration zwischen Reformation und Liberalismus, 2. Aufl., Hamburg 2006, S. 407–424. Ebenfalls in die Zeit des Pfälzischen Erbfolgekrieges fallen entsprechende Operationen aus der Pfalz, vgl. Klaus Peter Decker, Die Schnapphähne am Donnersberg im Jahre 1690. Ein Versuch militärischen Widerstandes gegen die Verbrennungspolitik Ludwigs XIV, in: Mitteilungen des historischen Vereins der Pfalz 79 (1981), S. 303–324. Für Norddeutschland liegen zur selben Thematik ausführliche Studien vor, insb. Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg, Köln u. a. 2007; vgl. auch dies., Zwischen den Kriegen zwischen allen Fronten. Gewaltsamer Widerstand gegen Obrigkeit und Militär in einer pommerschen Kleinstadt um 1700, in: Deventer u. a., Zeitenwenden, S. 385–405. 23 Sowohl Johannes Kunisch, Der Kleine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus, Wiesbaden 1973, als auch Martin Rink, Vom »Partheygänger« zum Partisanen. Die Konzeption des kleinen Krieges in Preußen 1740–1813, Frankfurt/M. u. a. 1999, sehen das Schwergewicht des ›kleinen Krieges‹ im 18., ja sogar im frühen 19. Jahrhundert; vgl. auch ders., Die noch ungezähmte Bellona – der kleine Krieg und die Landbevölkerung in der frühen Neuzeit, in: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster u. a. 2000, S. 165–190. Dagegen stellt Beatrice Heuser, Rebellen, Partisanen, Guerrilleros. Asymmetrischer Krieg von der Antike bis heute, Paderborn u. a. 2013, S. 33–35, Aussagen von Militärs aus dem 17. Jahrhundert zusammen, aus denen die Bedeutung des ›kleinen Krieges‹ schon in dieser Zeit hervorgeht; vgl. auch Ortenburg, Waffe (wie Anm. 15).

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III.

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Ganz allgemein gibt es eine erstmals in der englischen Literatur beschriebene Wechselwirkung zwischen frühneuzeitlichem Krieg und Kriminalität.24 Natürlich kam es in den Kriegen selbst (und kommt es bis in die Gegenwart hinein) zu Verbrechen und Gräueln teilweise allerschlimmster Art.25 Den britischen Forschern war aber aufgefallen, dass ausgerechnet der ausbrechende Friede die Belastung der Bevölkerung durch kriminelle Übergriffe keineswegs beendete, sondern dass diese Übergriffe sich jahrelang fortsetzten, ja teilweise gegenüber dem Krieg noch verschlimmerten, dass aber umgekehrt ein ausbrechender Krieg die sozusagen normale, grundständige Friedenskriminalität deutlich reduzierte. Nur in den vom Krieg unmittelbar betroffenen Gebieten wurde die Friedenskriminalität durch kriegsspezifische Delikte – vom jeweiligen Oberkommando erwünschtes und unerwünschtes Plündern oder völlig aus dem Ruder laufendes Marodieren – ersetzt. Für Gebiete, die dem Krieg fernlagen, kann man während des Krieges sogar einen Rückgang des Kriminalitätsniveaus feststellen. Die dahinter stehenden Mechanismen sind klar : Im Krieg saugten die Armeen alle möglichen Personengruppen auf, darunter auch heimatlose und sowieso der Devianz zuneigende Leute. Diese Menschen und ihr Anhang aus Frauen und Kindern fanden in den Armeen ein gewisses Auskommen. War der Krieg beendet, wurden Zehntausende oder gar Hundertausende von Soldaten entlassen und standen vor dem materiellen Nichts. Auch wenn nach dem Dreißigjährigen Krieg ein großer Teil der entlassenen Soldaten wieder in an24 James A. Sharpe, Crime in Seventeenth Century England. A County Study, Cambridge 1983, S. 62f.; vgl. auch ders., The history of violence in England. Some observations, in: Past and Present 101 (1983), S. 206–215; ders., Crime in early modern England 1550–1750, London 1984; Peter King, Crime, justice, and discretion in England 1740–1820, Oxford 2000, S. 153–155. 25 Vgl. Sönke Neitzel, Daniel Hohrat (Hrsg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn u. a. 2008, darin zum 17. Jahrhundert Michael Kaiser, »Ärger als der Türck«. Kriegsgreuel und ihre Funktionalisierung in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, S. 155–184; zum 18. Jahrhundert Sascha Möbius, Kriegsgreuel in den Schlachten des Siebenjährigen Krieges in Europa, S. 185–204; vgl. außerdem Maren Lorenz, Tiefe Wunden. Gewalterfahrung in den Kriegen der Frühen Neuzeit, in: Ulrich Bielefeld u. a. (Hrsg.), Gesellschaft – Gewalt – Vertrauen. Jan Philipp Reemtsma zum 60. Geburtstag, Hamburg 2012, S. 332–354; zu kriegsbedingten Verbrechen in der Grafschaft Hohenlohe: Kleinehagenbrock, Grafschaft (wie Anm. 2), S. 120–124; ein weiteres südwestdeutsches Beispiel jüngst bei Eberhard Fritz, Maria Würfel, Soldaten und Bauern im Dreißigjährigen Krieg am Beispiel der Pfandschaft Achalm, in: Landesgeschichte in Forschung und Unterricht 7 (2011), S. 18–35; dies., Sources concerning the relations between soldiers and civilians during the Thirty Years’ War in the Achalm Region, South Western Germany, in: Sabine Veits-Falk, Gerhard Fritz (Hrsg.), Beggars, peasants, and soldiers in the early modern age, Schwäbisch Gmünd 2011, S. 34–53.

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deren Armeen unterkam – zum Beispiel in der weiter kriegführenden spanischen oder der venezianischen – und auch wenn viele Soldaten, insbesondere diejenigen mit Frau und Familie, nahtlos als Bürger und Bauern in den entvölkerten Städten und Dörfern des Reiches aufgenommen wurden: In ein normales bürgerliches oder bäuerliches Leben zurück fanden keineswegs alle. Dies gilt vor allem für diejenigen, die schon vor dem Krieg in prekären Verhältnissen und ohne festen Wohnsitz die Straßen bevölkert hatten. Im Krieg hatte man zudem in erster Linie Fertigkeiten gelernt, die einem bürgerlichen oder bäuerlichen Dasein wenig förderlich waren, insbesondere die Anwendung von Gewalt als pseudolegitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Ansprüche. Das von den englischen Historikern festgestellte Phänomen der friedens- und kriegsbedingten Konjunkturwellen der Kriminalität war im Übrigen nicht für das 17. und 18. Jahrhundert spezifisch. Schon im 16. Jahrhundert standen ja die Landsknechte vor einem Existenzproblem, wenn der Krieg pausierte und – wie es in einem damals geprägten Wort hieß – somit ›ein Loch hatte‹,26 und schon vor dem Dreißigjährigen Krieg erwähnte der elsässische Kannengießer Augustin Güntzer in seiner Autobiographie die außerordentliche Belastung der Pfalz durch marodierende, nach dem Malzeiner Krieg aus den Heeren entlassene Soldaten. Die »gesteigerte Bedrohung durch Kriminalität als Kriegsfolge« wird mittlerweile auch in der deutschsprachigen Forschung immer wieder thematisiert.27 Tatsächlich lassen sich solche Schwankungen der Kriminalität auch in Südwestdeutschland feststellen.28 In den 1650er und den 1660er Jahren – also im gerade begonnenen Frieden – waren im Schwäbischen Kreis beinahe jährlich und wiederholt Reskripte des Kreises oder einzelner Territorien gegen Vaganten und Mordbrenner erlassen worden. Teilweise handelte es sich bei diesen um 26 Vgl. dazu Bernhard Kroener, »Der Krieg hat ein Loch«. Überlegungen zum Schicksal demobilisierter Söldner nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, München 1998, S. 599–632, zur Integration in andere Armeen insbesondere S. 619–621, zur Aufnahme in Städte und Dörfer S. 625–627, zu den integrationsunwilligen ehemaligen Soldaten nur kurz S. 628. 27 Vgl. Jan Willem Huntebrinker, Übergriffe des Militärs auf die Bevölkerung im 17. Jahrhundert. Bilder soldatischer Kriminalität aus unterschiedlichen Perspektiven, in: Karl Härter (Hrsg.), Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2010, S. 165–194 mit zahlreichen Literaturangaben; der Hinweis auf Güntzer, ebd., S. 165. Der als ›Malzeiner Krieg‹ bezeichnete Konflikt ist ein Teil der militärischen Auseinandersetzungen im JülichKlevischen Erbfolgestreit 1610; vgl. Augustin Güntzer, Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässers Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert, ediert und kommentiert von Fabian Brändle und Dominik Sieber, Köln u. a. 2002, S. 125. 28 Vgl. zum Folgenden grundsätzlich Gerhard Fritz, »Eine Rotte von allerhandt rauberischem Gesindt.« Öffentliche Sicherheit in Südwestdeutschland vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ende des Alten Reiches, Ostfildern 2004, S. 93–114 u. 212–214.

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Leute, die sich zunächst noch paramilitärisch organisiert hatten und sogar beritten vorgingen. Andere terrorisierten zu Fuß mit Überfällen aus dem Wald heraus die Bewohner einzelner Städte.29 Verschiedentlich waren die Märkte und der Warenaustausch wegen der Unsicherheit auf den Straßen erheblich gefährdet. Der Pyrenäenfriede 1659 spülte sogleich eine größere Anzahl entlassener Soldaten auch in den Schwäbischen Kreis und war Anlass zu mancherlei Sorge. Im Laufe der 1660er Jahre verlor sich allmählich der militärische Charakter der Vagierenden, und man hatte es jetzt mit einem Gemenge aus Personen zu tun, die summarisch als »Bettler / Landläuffer / Brandstewersamler und allerhand vagierende[s] Gesindlein« bezeichnet werden.30 Im Holländischen Krieg war der Schwäbische Kreis zeitweilig stark mit Reichstruppen und Truppen der Alliierten belegt, die mit »Raubereyen« und »Gewaltthaten« die Wirtschaft stark behinderten und die Straßen unsicher machten. Dagegen wurden 1675 allerlei Maßnahmen angeordnet: Kontrollstellen sollten eingerichtet werden, ohne Pässe durfte niemand durchgelassen werden, von den Türmen der Städte herab war zu beachten, ob sich nähernde Soldaten wie Plünderer wirkten, und es waren zu deren Abwehr ausgewählte Untertanen in Bereitschaft zu halten, Zu- und Abwege waren mit Verhauen zu sperren, sodass aller Verkehr auf die Landstraßen gezwungen würde.31 Mit dem Ende des Holländischen Krieges wurden die Verhältnisse nicht besser – im Gegenteil. Die Entlassung von Truppen verursachte erhebliche Probleme. In Württemberg waren noch bis ins Jahr 1679 hinein »Kriegsvölker« einquartiert, die weiterhin die Straßen unsicher machten und gegen die Patrouillen von Untertanen eingesetzt werden sollten. Allerdings zweifelten die Obrigkeiten selbst an der Wirksamkeit solcher Maßnahmen biederer Bürger und Bauern gegen kriegserfahrene Soldaten: Sollten die plündernden Soldaten zu zahlreich sein, sollte die Patrouille sich zurückhalten und versuchen, andere Patrouillen zur Verstärkung heranzuholen. Gleichzeitig überschwemmten ausländische Bettler den Schwäbischen Kreis. In ihnen wird man zumindest teilweise bereits entlassene Soldaten vermuten können.32 Im weiteren Verlauf des ersten Friedensjahres setzten sich die Klagen fort: Die Feld- und Walddiebstähle nähmen zu; sogar in der württembergischen Residenzstadt Stuttgart würden Schlösser, Türen und Tore aufgebrochen; die Soldateska verursache mit Wildbretschießen große Schäden in den Wäldern.33 Ausdrücklich wird auch erwähnt, dass ein in Abwicklung begriffenes lothringisches Regiment, von dem bereits die 29 Vgl. die Beispiele bei Fritz, Rotte (wie Anm. 28), S. 93–95. 30 Fritz, Räuberbanden (wie Anm. 4), S. 13–24, das Zitat S. 15. 31 Hauptstaatsarchiv Stuttgart [im Folgenden: HStAS], A 39, Bü. 11, Württembergisches Generalreskript [im Folgenden: GR] vom 18. Februar 1675. 32 HStAS, A 39, Bü. 11, GR vom 18. Januar und vom 4. März 1679. 33 HStAS, A 39, Bü. 11, GR vom 19. Mai und 2. Juni 1679.

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Hälfte der Soldaten entlassen war, die Ursache etlicher Gefahren sei. Man solle den entlassenen Soldaten keinen Unterschlupf gewähren und sie gegebenenfalls verhaften oder abschieben – wobei auch hier die Frage ist, wie die Untertanen das hätten bewerkstelligen sollen.34 Im weiteren Verlauf der Jahre 1679 und 1680 ließ dann offenbar der spezifisch militärische Charakter der Eigentumsdelikte und Belästigungen allmählich nach, geklagt wurde nun ganz allgemein über umherziehendes Jauner- und Bettelvolk.35 Im Pfälzischen Erbfolgekrieg vermengten sich im Schwäbischen Kreis allgemeine Kriegsereignisse und Kriminalität zu einem unentwirrbaren Knäuel sich gegenseitig beeinflussender Faktoren. Die nun im Vergleich zu früheren Jahrzehnten außerordentlich dichte Überlieferung der württembergischen Generalreskripte ermöglicht es, die Wechselwirkungen detailliert zu beschreiben: Beim Beginn des Pfälzischen Erbfolgekriegs 1688 waren die südwestdeutschen Obrigkeiten wegen der fehlenden eigenen Truppen zunächst vollkommen erpressbar. Herzog-Administrator Friedrich Carl teilte seinen Untertanen im November 1688 kommentarlos mit, dass die ins Land eingefallenen Franzosen Geldforderungen an ihn gerichtet hätten und dass ihm nichts übrigbleibe, als dieses Geld durch seine Beamten von der Bevölkerung eintreiben zu lassen.36 Diese durch den Feind verursachte Enteignung der Untertanen war in ihren Dimensionen schlimmer als alle Schäden, die durch Friedenskriminalität verursacht wurden. Mit dem Eintreffen der von der Türkenfront herbeieilenden Reichstruppen gegen Ende des Jahres 1688 wandelte sich der Ton der herzoglichen Reskripte: Es wurden Freiwillige zum Eintritt in die Reichsarmee gesucht, man sollte französischen Deserteuren, die offenbar in größerer Zahl umherstreiften, forthelfen und gegen französische Spione wachsam sein. Die Nachricht von den französischen Siedlungszerstörungen wurde allgemein verbreitet. Die dagegen zu ergreifenden Maßnahmen waren aber eher bescheiden: Man solle auf die eigenen Kohlen und auf offenes Feuer aufpassen und entzündliches Material gut verwahren.37 Auffälligerweise fehlen jetzt – anders als im Holländischen Krieg – Klagen wegen Ausschreitungen der eigenen Truppen. Offenbar war die Angst vor den Franzosen jetzt so groß, dass man die zwangsläufig auch vorkommenden Belästigungen durch eigene Soldaten zunächst weitgehend klaglos hinnahm. 1690 – die Franzosen hatten sich zurückgezogen – begann sich die Situation zu ändern, und 1691/92 verschärfte sich die Lage zunehmend. Die Werbung 34 HStAS, A 39, Bü. 11, GR vom 14. Juli 1679. 35 Vgl. HStAS, A 39, Bü. 11 die weiteren GR von 1679 und Bü. 12 die wiederholten GR gegen »frembde, ausländische Bettler, Landröcken und Störtzer, herrenlos und wider herumb vagirende Zigeiner« (u. a. GR vom 21. Mai 1680). 36 HStAS, A 39, Bü. 11, GR vom 13. November 1688. 37 HStAS, A 39, Bü. 13, GR vom 11. Januar, 11. Februar, 9. März und 24. Juli 1689.

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eigener Truppen, verbunden mit dem Verbot der Werbung durch Ausländer, war weiterhin ein Dauerthema – es sollten württembergische Truppen und solche des Schwäbischen Kreises aufgestellt werden.38 Dies machte zwar nach und nach Fortschritte, aber die eigenen Truppen neigten genauso zur Desertion wie die des Feindes.39 1692 hatten die Desertionen ein solches Ausmaß erreicht, dass zur Auffüllung der gelichteten Reihen ein vierwöchiger Generalpardon gewährt werden musste, wenn die Flüchtigen wieder zur Truppe zurückkehrten.40 Kurzfristiges Entfernen von der Truppe und längerfristiges Desertieren führten immer wieder zu Übergriffen durch marodierende Soldaten, diesmal nicht französische, sondern eigene.41 Außerdem wurden die Kriegskosten, die jetzt nicht mehr an die Franzosen, sondern an die eigene Armee zu entrichten waren, zum Dauerthema42 und die eigene württembergische Verwaltung zeigte sich zunehmend überfordert, die materiellen Nöte zu bewältigen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.43 Die Bevölkerung ihrerseits reagierte darauf mit Verweigerung von Fuhr- und Vorspanndiensten für die Truppen.44 38 HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 21. Juni 1690 (Werbung für ein dem Kaiser zu stellendes württembergisches Regiment mit 4–5 Rtlr. Handgeld für jeden Geworbenen); vom 9. Dezember 1690 (Verbot fremder Werbungen im Lande); vom 10., 13. und 14. Januar 1691 (wegen Aufstellung von 2.000 Mann Infanterie und 500 Dragonern des Kreises zur Bedeckung der Grenzen und Kostenumlage auf die württembergischen Ämter). 39 HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 23. Mai 1690 (alle Unbekannten zu Fuß und zu Pferd und alle Verdächtigen, die von der Armee zurückkamen, sollten angehalten und an die Generalität gemeldet werden); vom 27. Februar 1691 (Klage wegen der Disziplin der Miliz und wegen Ausreißen; durch Desertion entstandenen Lücken sollten durch neue Werbung geschlossen werden); vom 22. August 1691, vom 22. Dezember 1691 und 1. März 1692 (wegen Desertion). 1692 häuften sich einschlägige GR dermaßen, dass sie hier gar nicht einzeln aufgezählt werden können. Vgl. zur Desertion – allerdings ein paar Jahrzehnte später – Michael Sikora, Verzweiflung oder ›Leichtsinn‹? Militärstand und Desertion im 18. Jahrhundert, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn u. a. 1996, S. 237–265. 40 HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 1. März 1692. 41 HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 30. Dezember 1690 (Klagen, »allwo die kaiserl. und andere Miliz postirt und logirt ist / von der Soldatesca, durch die verbottene Exkursiones die Strassen unsauber gemacht: der reisende Landmann und Underthanen geplündert / und benebens sonsten übel tractirt worden«; die Kommerzien würden gehemmt; Offiziere würden dem gewiss abhelfen, es gebe Befehl, dass kein Soldat sein Quartier verlassen dürfe, Übertretungen seien zu melden), ähnlich GR vom 8. November 1692. 42 HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 2. Januar 1690 (Raißzettel wegen Kriegskosten im Land), 25. Februar 1690 (wegen Fruchtaufkauf durch kaiserliche Kommissare), 24. April 1690 (wegen Kosten für die an die kaiserliche Armee zu liefernden Portionen). 1692 sind die sich häufenden einschlägigen GR nicht mehr einzeln aufzuzählen. 43 HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 14. Mai 1692. Vgl. zum Verhalten hohenlohischer Beamter im Dreißigjährigen Krieg: Kleinehagenbrock, Grafschaft (wie Anm. 2), S. 139–228; Carsten Kohlmann, »Von unsern widersachern den bapisten vil erlitten und ussgestanden«. Kriegsund Krisenerfahrungen von lutherischen Pfarrern und Gläubigen im Amt Hornberg des Herzogtums Württemberg während des Dreißigjährigen Krieges und nach dem Westfäli-

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All dies schien 1693 plötzlich wieder harmlos, als erneut die französische Armee in Württemberg auftauchte. Im Juli wurde angeordnet, alle Frucht zu ernten und sofort vor dem Feind in sichere Landesteile zu evakuieren.45 Das gelang offenbar kaum, denn die nächsten Monate – das Land war nun zu großen Teilen von den Franzosen besetzt – ging es nur noch darum, die Brandschatzungskosten für die Franzosen aufzubringen.46 Die Brandschatzungsgelder und die da und dort gegen teures Geld in die einzelnen Städte gelegten französischen sogenannten Salvaguardien verhinderten aber nicht die umfangreichen Zerstörungen von Städten und Dörfern in den folgenden Wochen und Monaten. Erneut hatten sich Teile der Beamten der Lage nicht gewachsen gezeigt: Im November 1693 – die Verhältnisse hatten sich mittlerweile durch den Rückzug der Franzosen wieder etwas stabilisiert – wurde über die Beamten geklagt, die die privaten Güter zwar in Sicherheit gebracht, aber die herzoglichen im Stich gelassen hätten.47 Die Zerstörungen hatten die Stimmung derart angeheizt, dass der neue Herzog Eberhard Ludwig Mitte 1694 vor weiteren Brandaktionen durch die Franzosen warnte, die nun, als Bettler und Vaganten getarnt, in Mordbrennermanier weitere Verwüstungen im Land vorhätten.48 Ein weiteres, immer wieder auftauchendes Thema der Jahre 1693/94 waren die württembergischen Geiseln, die 1693 von den Franzosen nach Straßburg und dann nach Metz verschleppt worden waren, um die Zahlung der Kontributionen und Brandschatzungsgelder sicherzustellen. Offenbar herrschte im Lande größte Sorge um diese Geiseln.49 Im weiteren Verlauf des Jahres 1694 und erst recht 1695 beruhigte sich die Lage dann weiter. Die Generalreskripte widmeten sich jetzt wieder vermehrt allgemeinen wirtschaftlichen Themen. Es blieben aber Klagen über gehäuftes Wildern der eigenen Truppen und der Untertanen sowie über Kosten für den Unterhalt der eigenen Soldaten, bemerkenswerterweise nun aber nicht mehr über Deserteure und Marodeure. 1696 und in den folgenden Jahren zeichnete sich deutlich der beginnende Wiederaufbau ab: Es ging nun um Peuplierung der vielen verwüsteten und leer stehenden Orte und Häuser im Lande, wozu unter anderem auch Waldenser aufgenommen wurden.50

44 45 46 47 48 49 50

schen Frieden, in: Matthias Asche, Anton Schindling (Hrsg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001, S. 59–122. HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 2. Mai und 26. Juni 1692. HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 11. Juli 1693. HStAS, A 39, Bü. 14 und 15, zahlreiche GR im weiteren Verlauf des Jahres 1693 und bis in das Jahr 1694 hinein. HStAS, A 39, Bü. 14, GR vom 11. November 1693. HStAS, A 39, Bü. 15, GR vom 21. Juni 1694. HStAS, A 39, Bü. 14–15, GR vom 4. Oktober 1693, 14. September 1694 und öfters. HStAS, A 39, Bü. 15–16 mit zahlreichen einschlägigen GR; zur Peuplierung insbesondere die

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Mit dem Ende des Pfälzischen Erbfolgekrieges schwappten durch Truppenentlassungen sogleich wieder jene entwurzelten Menschen ins Land, die die – nunmehr zivile – Kriminalität erneut hochschnellen ließen. Gesindel vagiere, greife die Leute mit Gewalt an und verursache große ›Insolentien‹ mit Rauben und Plündern.51 Der Spanische Erbfolgekrieg, auf den hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden kann, glich in seiner Wirkung auf den Schwäbischen Kreis dem Pfälzischen Erbfolgekrieg. Im Grunde könnte man fast alles, was zum Pfälzischen Erbfolgekrieg gesagt wurde, so auch zum Spanischen sagen.52 Was Einzelprobleme angeht – so etwa die Frage der Deserteure – sind die Quellen zum Spanischen Erbfolgekrieg sogar noch ausführlicher als die zum Pfälzischen: Gedruckte Deserteurslisten lassen bis ins Detail erkennen, welche Soldaten ihre Truppe verlassen hatten.53 Ein entscheidender – allerdings gewichtiger – Unterschied für Südwestdeutschland lag darin, dass es im Spanischen Erbfolgekrieg kaum mehr zu den flächenhaften Siedlungszerstörungen kam, wie sie für die Jahre 1688/89 und 1692/93 charakteristisch gewesen waren. Eine der Ausnahmen war Neuenburg am Rhein in der Nähe von Freiburg, das gleich zweimal, 1675 und 1704, von den Franzosen zerstört wurde.54 Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1713/14 flackerte sofort wieder die übliche Nachkriegskriminalität umherziehender Gruppen und Banden auf, deren große Brutalität in manchen Gegenden den Unterschied zum Krieg für die Bevölkerung kaum erkennbar werden ließ. Erst in den 1720er Jahren endete diese exzeptionell brutale Form der Kriminalität und wurde allmählich durch eine moderatere, eher gewaltvermeidende Form der Gruppenund Bandenkriminalität ersetzt.55

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55

GR vom 28. Februar 1698, vom September (ohne Tagesdatum) 1698 (»Articul, worauf die Waldenser in das Herzogthum Württemberg recipirt worden. Articles touchant la reception des Vaudois dans le Duch¦ de Wirtemberg«); ebenso am 20. Januar 1700. Vgl. auch Konstantin Huber, Die Auswirkungen der Kriegsereignisse 1688–1697 auf die Bevölkerungsentwicklung im Maulbronner Raum, in: Fritz, Schurig, Franzoseneinfall (wie Anm. 7), S. 137–150; Gerhard Fritz, Einige Beobachtungen zu den demographischen Auswirkungen der Franzoseninvasion von 1692/93, in: Wolfgang Schmierer u. a. (Hrsg.), Aus südwestdeutscher Geschichte, Festschrift für Hans-Martin Maurer. Dem Archivar und Historiker zum 65. Geburtstag, Stuttgart u. a. 1994, S. 447–461. HStAS, A 39, Bü. 16; vgl. als ein GR von mehreren das vom 14. Dezember 1700. Die württembergischen GR in HStAS, A 39, Bü. 16–24 liefern exzellentes, im Detail noch nicht ausgewertetes Material für die Alltagsgeschichte des Spanischen Erbfolgekriegs und der Jahre danach. Vgl. z. B. HStAS, A 39, Bü. 18, GR vom 10. August 1705. Christian Greiner, Der deutsch-französische »Kriegsgarten« am Oberrhein 1648–1697, in: Ursula Huggle, Thomas Zotz (Bearb.), Kriege, Krisen und Katastrophen am Oberrhein vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit (= Das Markgräflerland. Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur 2007, Heft 2), Schopfheim 2007, S. 205–226. Fritz, Rotte (wie Anm. 28), S. 106–118 u. 379–385.

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Bemerkenswert ist, dass die Kriege des späten 17. Jahrhunderts gravierende Auswirkungen auf die Fahndungsmethoden und die juristischen Strafmaßnahmen im Schwäbischen Kreis hatten.56 Ursprünglich wurde die Fahndung nach Dieben und Räubern mangels anderer Fahndungsinstrumente von den Untertanen selbst in Form von Zivilstreifen durchgeführt. Das war schon immer eine zweifelhafte Sache gewesen, denn die notdürftig bewaffneten Zivilisten erwiesen sich bei der Verfolgung der oft gut bewaffneten und rabiaten Kriminellen nicht als sehr effektiv. In den diversen Kriegen hatten es die Zivilstreifen zunehmend mit marodierenden Soldaten zu tun, deren Gewalttätigkeit und gute Bewaffnung ein Übriges tat, den Fahndungseifer der Zivilstreifen zu dämpfen. In den kurzen Friedenszeiten, insbesondere in den Nachkriegszeiten verwandelten sich viele ehemals marodierende Soldaten in nicht weniger gewalttätige marodierende, ›gartende‹ Zivil-Räuber. Man kann feststellen, dass die Obrigkeiten, die den sehr begrenzten Wert von Zivilstreifen erkannten, diese durch Militärstreifen ergänzten und teilweise ersetzten. Von einer regulären Polizei war man zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Schwäbischen Kreis noch weit entfernt. Polizeiähnliche Streifen kamen erst in der zweiten Jahrhunderthälfte auf und wurden dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts in eine reguläre Landjägertruppe umgewandelt, die organisatorisch ungefähr der heutigen Polizei glich. Nicht minder tief gingen die Veränderungen im Strafsystem. Die alten Körperstrafen der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532 galten zwar weiterhin, wurden aber bereits in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg wesentlich seltener angewandt als vorher. Seit dem frühen 17. Jahrhundert waren in den Niederlanden und in verschiedenen norddeutschen Städten Zuchtund Arbeitshäuser eingerichtet worden. Man erwartete von dieser neuen, in der Halsgerichtsordnung noch nicht vorgesehenen Einrichtung wahre Wunder und glaubte, man könne mit den Zucht- und Arbeitshäusern aus Kriminellen bessere Menschen machen und die Kriminalität ausrotten. Auch im Schwäbischen Kreis erörterte man in den 1680er Jahren die Einrichtung eines Zucht- und Arbeitshauses. Der 1688 ausbrechende Pfälzische Erbfolgekrieg machte solche Überlegungen hinfällig. Erst 1710, als sich die militärische Lage im Spanischen Erbfolgekrieg einigermaßen beruhigt hatte, wurde mit etlichen Jahrzehnten Verzögerung in Stuttgart das erste Zuchthaus des Schwäbischen Kreises eingerichtet.

56 Vgl. zum gesamten Sachverhalt detailliert Fritz, Rotte (wie Anm. 28), S. 732–776.

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IV.

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Kriegsflüchtlinge

Bereits im Holländischen Krieg werden zivile Flüchtlinge erwähnt, die sich offenbar 1675 in nennenswerter Zahl auf den Straßen des Schwäbischen Kreises aufhielten. Sie dürften aufgrund der französischen Operationen in der Pfalz, im Elsass, aber auch in Nordschwaben selbst (Ladenburg, Sinsheim, Heilbronn) geflohen sein.57 Die größten Bevölkerungsbewegungen fanden aber im Pfälzischen Erbfolgekrieg statt. Schon 1688 und erst recht 1689 verließen unübersehbare Menschenmassen die von den Franzosen verwüstete Pfalz und flüchteten nach Osten. Ein erheblicher Teil davon landete im Gebiet des Schwäbischen Kreises. Die Erzählungen der Flüchtlinge über die Brutalität der Franzosen muss in weiten Teilen des Schwäbischen Kreises regelrechte Panik verursacht haben.58 Die außerordentlich zahlreichen Flugschriften sind einerseits Ausdruck der Panik und des damals entstehenden, extrem negativen Frankreichbildes, andererseits trugen sie in einem dialektischen Prozess natürlich auch dazu bei, Panik und negatives Frankreichbild massenwirksam zu verbreiten.59 In den ruhigeren Jahren 1690/91 werden die Nachrichten über Flüchtlinge und über die von diesen verbreitete Stimmung seltener, um dann 1692 und in ganz großem Stil 1693 wieder aufzuflammen.60 Angesichts der allgemeinen kriegsbedingten Schwierigkeiten, die auch in der eigenen, ortsansässigen Bevölkerung zu Not und Hunger führten, fiel es den Obrigkeiten schwer, sich auch noch um Flüchtlinge zu kümmern. Die selbst leidende einheimische Bevölkerung begegnete den fremden Vertriebenen und Flüchtlingen offenbar nicht immer entgegenkommend. Nur so ist es zu verstehen, dass im April 1693 ein württembergisches Generalreskript die Untertanen ermahnte, die Flüchtlinge nicht vom Almosen auszuschließen, ihnen also nicht die (spärlichen) milden Gaben an Geld und Essen vorzuenthalten, die den bettelberechtigten ortsansässigen Armen zustanden.61

57 Vgl. zur Einordnung der Fluchtbewegungen im Krieg auch Matthias Asche, Wanderungsbewegungen von und nach Deutschland. Eine Übersicht über die Epoche der Frühen Neuzeit (16.–18. Jahrhundert), in: Volker Trugenberger (Hrsg.), Genealogische Quellen jenseits der Kirchenbücher, Stuttgart 2005, S. 267–283, hier S. 272. 58 Vgl. Gerhard Fritz, Backnang und die Franzoseninvasion von 1693, in: Backnanger Jahrbuch 2 (1993/94), S. 64–95, hier S. 74f.; Sabine Reustle, Großaspach im Pfälzischen Erbfolgekrieg, in: ebd., S. 96–108; für Esslingen Karl H. S. Pfaff, Vor zweihundert Jahren: Einfall der Franzosen in Eßlingen, Esslingen o. J. [1894], S. 1f. 59 Vgl. Zwiedineck-Südenhorst, Meinung (wie Anm. 17); Haller, Publizistik (wie Anm. 17). Beide Beiträge sind wegen ihrer überwältigenden Materialfülle bis heute unentbehrlich. 60 Fritz, Kabinettskrieg (wie Anm. 13), S. 94f. 61 HStAS A 39, Bü. 14, GR vom 3. April 1693.

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Einzelne Regionalstudien lassen die Fluchtbewegungen genauer erkennen.62 So floh im württembergischen Klosteramt Maulbronn die Bevölkerung in den ersten Jahren des Pfälzischen Erbfolgekrieges bis 1692 zunächst aus den Dörfern in die vermeintlich sicheren Mauern der Städte in der näheren Umgebung. Sobald die Franzosen unmittelbar aufgetaucht waren, zeigten sich manche Städte und ihre umliegenden Ämter völlig entvölkert, so etwa 1692 das im Westen Württembergs gelegene Amt Neuenbürg mit seinem kleinen Amtsstädtchen. Die französische Invasion von 1693 hatte insofern eine neue Qualität, als die Einwohner der westwürttembergischen Orte nun in weit entfernte Gegenden flohen, zum Beispiel in den Raum von Stuttgart und Tübingen, ja sogar bis nach Blaubeuren und in die Markgrafschaft Ansbach. Die Einzelheiten, die zur Flucht der württembergischen Bevölkerung bekannt geworden sind, vermitteln ein dramatisches Bild: Als die Franzosen am 17./ 18. Juli 1693 bei Marbach den Neckarübergang erzwungen hatten, wälzte sich umgehend ein gigantischer Zug von Flüchtlingen Richtung Osten nach Backnang, unmittelbar verfolgt von wild schießenden Franzosen. Auch dort brach Panik aus. Unter den Stadttoren drängten sich die Menschenmassen, und auf die Nachricht von Toten unter der Zivilbevölkerung in benachbarten Dörfern ergriffen »noch selbige Nacht die mehiste Burger, nebst Vogt und Burgermeister und auch [der] Stiftsverwalter die Flucht. Nachts zwischen 11 und 12 Uhren [waren] vihl 1.000 Menschen reitent, gehent und fahrendt […] mit großem Geschrey, Seuffzen und Wehclagen, daß es wohl einen Stein hätte erbarmen mögen«, durch die Stadt gelaufen.63 Nun setzte sich die Flucht von Backnang aus weiter Richtung Osten und Norden nach Schwäbisch Hall, Gaildorf, Göppingen und Aalen fort – also in Städte, die 50, teilweise sogar 100 Kilometer weit entfernt waren. Am folgenden Tag war das gesamte Tal ostwärts von Backnang von einer ungeheuren Masse von Flüchtlingen verstopft und die Situation kippte in Hysterie um, wenn französische Reiter die Menschenmassen überholten oder Husaren der Reichsarmee auftauchten und in dem allgemeinen Getümmel zu weit vorgepreschte Franzosen niedermachten. So dramatisch die unmittelbaren Umstände der Flucht waren – bemerkenswert sind auch deren mittelfristige Folgen: Aus zerstörten Orten wie zum Beispiel Knittlingen waren Flucht und Abwanderung besonders stark. Erst ab 1695, als der 62 Vgl. Huber, Auswirkungen (wie Anm. 50); ders., Der Pfälzische Erbfolgekrieg (1688–1697) im Pforzheimer Umland. Regional- und siedlungsgeschichtliche Aspekte europäischen Geschehens, in: Kraichgau 13 (1993), S. 105–115; Hans-Peter Becht, Gerhard Fouquet, Pforzheim im Pfälzischen Krieg 1688–1697. Ein Beitrag zur Geschichte und Topographie der Stadt am Ende des 17. Jahrhunderts, in: Hans-Peter Becht (Hrsg.), Pforzheim in der frühen Neuzeit. Beiträge zur Stadtgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts, Sigmaringen 1989, S. 81–115. 63 Zit. nach Fritz, Backnang (wie Anm. 58), S. 74, vgl. zum Folgenden ebd.

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Bau der Eppinger Linien – einer Reihe von Feldbefestigungen von Weißenstein bei Pforzheim über Mühlacker, Sternenfels und Eppingen bis Neckargemünd – eine gewisse Sicherheit vor neuen französischen Einfällen versprach, begann die Bevölkerung ganz allmählich wieder in die westwürttembergischen Verwüstungsgebiete zurückzuströmen. Angesichts der erdrückenden militärischen Übermacht der Franzosen begannen manche Einwohner – so zum Beispiel im badischen Oberamt Pforzheim – sogar zu erwägen, ob es nicht besser sei, die Seiten zu wechseln, weil man hoffte, unter französischer Herrschaft mehr Ruhe zu haben als ständig »teutsche Noth und Kummer leyden« zu müssen »oder die in der ganzen Welt verlästerte teutsche Schwaben« zu sein.64 Auch diese letztgenannte Äußerung zeigt deutlich, wie wenig die Flüchtlinge in ihren Aufnahmeländern willkommen waren. Die 1695 in Württemberg durchgeführten Seelenzählungen weisen im Detail die gravierenden Bevölkerungsverluste nach. Zwei Jahre nach dem französischen Feldzug von 1693 und nach teilweise bereits wieder erfolgter Rückkehr der Flüchtlinge zählten Marbach und Knittlingen immer noch erst etwa 40 Prozent ihrer Bevölkerung vor den Verwüstungen, Beilstein, Vaihingen an der Enz und Calw zählten Werte um 50 Prozent. Die rechts des Neckars gelegenen Orte erholten sich – auch wenn sie niedergebrannt waren – rascher : Backnang, Winnenden und Oberstenfeld zählten 1695 etwa 75–80 Prozent ihrer Bevölkerung vor dem Brand, das nahe Stuttgart gelegene Fellbach gar wieder etwa 90 Prozent. Offenkundig strömten die Flüchtlinge schneller zurück, wenn eine größere geographische Distanz zum französischen Feind vorhanden war. Erst als 1697 mit dem Frieden von Rijswijk auf stabilere Verhältnisse gehofft werden konnte, begannen die Menschen auch vermehrt in die westlich gelegenen Gebiete zurückzukehren.65 Das galt insbesondere für Heidelberg, wo man sich erst 1698 wieder an den Beginn des Wiederaufbaus wagte.66 Insgesamt schnellte durch die Kriegsereignisse zeitweilig der Prozentsatz der unbehausten, heimatlosen Bevölkerung in Südwestdeutschland von einem Friedenswert von ca. zwei Prozent auf Werte von 10, 20, 30 Prozent oder mehr empor.67 Die meisten Bevölkerungsverluste waren das Resultat von Fluchtbewegungen. Zwar hatten die Franzosen auch eine nicht genau bekannte Anzahl von Zivilisten 64 Zit. nach Huber, Auswirkungen (wie Anm. 50), S. 140f.; vgl. auch ders., Erbfolgekrieg (wie Anm. 62); Becht, Fouquet, Pforzheim (wie Anm. 62). 65 Fritz, Beobachtungen (wie Anm. 50), S. 450–452. 66 Frank Meier, Die Stadt verbrannt, das Land versengt. Heidelbergs »Stunde Null« nach dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697), in: Landesgeschichte in Forschung und Unterricht 4 (2008), S. 17–28; vgl. auch Vetter, Stadt (wie Anm. 9), S. 127–137. 67 Gerhard Fritz, Robbers – vagrants – beggars in South Western Germany during the 17th and 18th century. Quantitative aspects of a social problem, in: Veits-Falk, Fritz, Beggars (wie Anm. 25), S. 15–27.

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getötet – im Herzogtum Württemberg zwischen etwa 100 und 200, im pfälzischen Heidelberg allein wohl mehr, für die anderen Territorien fehlen Zahlen. Aber diese Verluste fielen, so gravierend sie angesichts der damals allgemein niedrigen Bevölkerungszahlen waren, demographisch nicht allzu sehr ins Gewicht. Schlimmer waren not- und fluchtbedingte Bevölkerungsverluste durch erhöhte Sterblichkeit infolge von Hunger und Kälte im Winter und ein darauf folgender dramatischer Einbruch der Geburtenzahlen. Die Jahre seit 1688, insbesondere 1692/94, brachten regelrechte demographische Krisen.68 Der Wiederaufbau der zerstörten Städte und Dörfer erfolgte nur langsam und über viele Jahrzehnte in bescheidenen Formen. Am berühmtesten ist die Tatsache, dass das Heidelberger Schloss nie wieder aufgebaut wurde, und auch der Kaiserdom in Speyer blieb bis 1778 ein Fragment, von dem nur noch die Osthälfte stand, bis die Westhälfte recht und schlecht wieder errichtet wurde.69 Weniger spektakulär war der Wiederaufbau der nicht so symbolträchtigen kleineren Städte und Dörfer, der sich – anfangs und über Jahrzehnte hin in Form von Provisorien – bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hinzog.70 Ähnlich langsam kam auch die Wirtschaft wieder in Gang.71

V.

Fazit

Fasst man die Ereignisse im deutschen Südwesten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zusammen, so zeigen sich die drei im Titel des vorliegenden Beitrags formulierten Themen als zentrale Kriegserfahrungen der Bevölkerung. Kriegsführung, Kriegskriminalität und Kriegsflüchtlinge waren exakt das, womit die Bevölkerung konfrontiert wurde und worunter sie zu leiden hatte. Die weithin auf Devastation ausgelegte französische Kriegsführung und die lange Zeit unzureichenden Gegenmaßnahmen des Reichsheeres und seiner Hilfstruppen erwiesen sich als Wurzel aller weiteren Übel und zogen Kriminalität und Fluchtbewegungen als zwangsläufige weitere Kriegsfolgen nach sich, wie überhaupt zwischen allen drei Phänomenen intensive Wechselwirkungen bestanden. Zwar dürften der Bevölkerung, wie die diversen Flugschriften zeigen, 68 Huber, Auswirkungen (wie Anm. 50) S. 139, 142 u. 150; Fritz, Beobachtungen (wie Anm. 50), passim. Vgl. mit ähnlichen Befunden für Mainz auch Christina E. Gaede u. a., Bevölkerungsbewegung und soziale Strukturen in Mainz zur Zeit des Pfälzischen Krieges (1680–1700). Eine historisch-demographische Studie, Wiesbaden 1978. 69 Philipp Weindel, Der Dom zu Speyer, 4. Aufl., Speyer 1980, S. 16–18. 70 Paul Rathgeber, Der Wiederaufbau der zerstörten Städte am Beispiel Calws, in: Fritz, Schurig, Franzoseneinfall (wie Anm. 7), S. 107–120. 71 Franz Quarthal, Die wirtschaftlichen Folgen der Franzosenkriege im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts für Württemberg, Vorderösterreich und den Schwäbischen Kreis, in: Fritz, Schurig, Franzoseneinfall (wie Anm. 7), S. 121–136.

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die großen politischen und militärischen Zusammenhänge durchaus in hohem Maße bewusst gewesen sein. Die meisten Menschen waren aber angesichts der gewaltigen französischen Militärmaschinerie in einem Zustand völliger Ohnmacht. Dies galt freilich nicht für alle. Am ›kleinen Krieg‹ gegen die großen Heere war offenbar eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Einwohnern – Bauern und Bürgern – beteiligt. Insgesamt war der Erfolg dieser Operationen zwar wechselnd, aber militärisch keineswegs erfolglos. Bemerkenswert ist, dass die offiziellen Gewalten – der Herzog von Württemberg und der Markgraf von Baden als Oberkommandierender des Reichsheeres – hinsichtlich der Einbindung der Schnapphähne, das heißt der irregulären Truppen, durchaus unterschiedliche Ziele verfochten: Während der eine aus Angst vor französischen Repressalien ständig bremste, meinte der andere, mit einem voll entfesselten Volkskrieg die Franzosen schneller aus dem Land zu bekommen. Der weitgehende Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung infolge der Kriegsführung und der Fluchtbewegungen begünstigte die Kriminalität, also jene Form kriegsbegleitender Gewalt, die von den Heerführern nicht unbedingt intendiert war. Die Fluchtbewegungen als solche führten nach 1688/89 und erneut 1692/93 zu einer mehrere Jahre dauerenden weitgehenden Entvölkerung insbesondere der im Westen gelegenen Gebiete und hatten mit erhöhter Sterblichkeit und Geburtenrückgang auch erhebliche demographische Auswirkungen. Die Rückwanderung der Bevölkerung erfolgte nur langsam, und der Wiederaufbau zog sich – oft in bescheidenen Formen – meist über etliche Jahrzehnte hin. Insbesondere die aggressive Nachkriegskriminalität seitens der entlassenen Soldaten führte dabei zu starken Verzögerungen.

Guy Thewes

Kriegserfahrung und Krisenbewältigung in Luxemburger Selbstzeugnissen des späten 17. Jahrhunderts

I.

Einleitung

Achtzigjähriger Krieg in den Niederlanden, Dreißigjähriger Krieg im Reich, Expansionskriege Ludwigs XIV., Spanischer Erbfolgekrieg – keiner dieser gewaltvollen Konflikte verschonte das Herzogtum Luxemburg. ›Eisernes Zeitalter‹ (siÀcle de fer), so nannten die Zeitgenossen das 17. Jahrhundert in Anspielung auf die endlose Folge von kriegerischen Auseinandersetzungen.1 In der luxemburgischen wie auch in der belgischen Geschichtsschreibung gilt die Epoche zwischen dem Tod König Philipps II. von Spanien im Jahr 1598 und dem Beginn der österreichischen Herrschaft 1715 als ›Unglücksjahrhundert‹ (siÀcle des malheurs).2

II.

Hundert Jahre Krieg

Luxemburg war die südlichste Provinz der spanischen Niederlande und diente den habsburgischen Truppen, die gegen die holländische Republik kämpften, als Aufmarschgebiet und Nachschubreservoir.3 Seit dem 16. Jahrhundert fielen kleine Verbände holländischer ›Freibeuter‹ immer wieder plündernd in das 1 Vgl. etwa Jean-Nicolas de Parival, Abr¦g¦ de l’histoire de ce siÀcle de fer, Leiden 1654. 2 Vgl. Gilbert Trausch, Le Luxembourg. Êmergence d’un ¦tat et d’une nation, Antwerpen 1989, S. 126; Catherine Denys, Isabelle Paresys, Les anciens Pays-Bas — l’¦poque moderne (1404–1815). Belgique, France du Nord, Pays-Bas, Paris 2007, S. 141–158. 3 Monique Weis, Nourrir les arm¦es de Philippe II. La ville et le duch¦ de Luxembourg face aux d¦fis de la logistique militaire pendant la R¦volte des Pays-Bas, in: Philippe Bragard u. a. (Hrsg.), L’arm¦e et la ville dans l’Europe du Nord et du Nord-Ouest. Du XVe siÀcle — nos jours, Louvain-la-Neuve 2006, S. 263–274; Monique Weis, Un enjeu de politique int¦rieure. PierreErnest de Mansfeld face au problÀme des arm¦es indisciplin¦es, in: Jean-Luc Mousset, Krista De Jonge (Hrsg.), Un prince de la Renaissance. Pierre-Ernest de Mansfeld (1517–1604), Bd. 2: Essais et catalogue, Luxemburg 2007, S. 117–121.

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Land ein und hinterließen eine Spur der Verwüstung.4 Nach der Einnahme der freien Reichsstadt Metz durch Frankreich im Jahr 1552 lag das Herzogtum zudem in direkter Frontstellung gegen die hegemonialen Bestrebungen der französischen Könige.5 Die Festungen Luxemburg und Thionville bildeten einen Riegel, der einen Vorstoß der Franzosen entlang der Mosel in Richtung Rheinland verhinderte. Nachdem Frankreich sich 1635 entschlossen hatte, in den Machtkampf im Reich einzugreifen und König Philipp IV. von Spanien den Krieg erklärte, wurde Luxemburg zum Kriegsschauplatz. Kaiserliche wie auch französische Truppen durchquerten das Land.6 Die zeitgenössischen Quellen berichten von Zerstörungen, Brandschatzungen, Plünderung und Gräueltaten marodierender Söldner. Zählungen von Herdstätten belegen die Entvölkerung und den wirtschaftlichen Ruin ganzer Landstriche.7 Für Luxemburg und die anderen Provinzen der südlichen Niederlande endete der Konflikt nicht mit den Westfälischen Friedensverträgen von 1648. Spanien und Frankreich kämpften weiter und konnten erst 1659 eine Einigung finden.8 Durch den Pyrenäenfrieden kamen Gebiete im Süden des Herzogtums mit den befestigten Orten Thionville, Montm¦dy und Damvillers an Frankreich.9 Der Grenzraum zwischen Luxemburg und dem Königreich blieb jedoch umstritten, und der Friedensschluss brachte nur für kurze Zeit Entspannung. Ludwig XIV. beanspruchte weitere luxemburgische Herrschaften und ließ sie nach und nach von seiner Armee besetzen. Die geschwächte spanische Regierung konnte der französischen Annexionspolitik, den sogenannten Reunionen, militärisch nichts entgegensetzen. 1683 wurde die Festung Luxemburg bombardiert und 1684 durch eine von Vauban geleitete Belagerung eingenommen.10 Das Herzogtum stand in der Folge 4 Paul Margue, Luxemburg in Mittelalter und Neuzeit, Luxemburg 1978, S. 127f. 5 Martial Gantelet, L’absolutisme au miroir de la guerre. Le roi et Metz (1552–1661), Rennes 2012. 6 Jean Schötter, Êtat du duch¦ de Luxembourg et du comt¦ de Chiny pendant la guerre de trente ans, Brüssel 1877; Philippe Martin, Une guerre de Trente Ans en Lorraine 1631–1661, Metz 2002. 7 Pol Schiltz, Les r¦percussions de la Guerre de Trente Ans au Luxembourg 1635–1659, in: H¦mecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 55 (2003), S. 137–195 u. S. 309–374. 8 Jean Schötter, Le duch¦ de Luxembourg et le comt¦ de Chiny depuis la paix de Münster jusqu’au trait¦ des Pyr¦n¦es (24 octobre 1648–7 novembre 1659), in: Publications de la Section Historique de l’Institut Royal Grand-Ducal de Luxembourg 30 (1876), S. 201–256. 9 Martin Uhrmacher, Die Auswirkungen des Pyrenäenfriedens auf die Grenze zwischen dem Königreich Frankreich und dem Herzogtum Luxemburg im Spiegel der Kartographie, in: Martial Gantelet u. a. (Hrsg.), La Paix des Pyr¦n¦es et son impact en Lorraine et au Luxembourg (= H¦mecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 62 (2010), Heft 3/4), Luxemburg 2010, S. 463–492. 10 Jean Schötter, Êtat du Duch¦ de Luxembourg et du Comt¦ de Chiny depuis le Trait¦ des Pyr¦n¦es jusqu’au Trait¦ de paix d’Aix-la–Chapelle (7 novembre 1659–2 mai 1668), in: Publications de la Section Historique de l’Institut Royal Grand-Ducal de Luxembourg 31 (1876), S. 323–386; Jean Schötter, Le duch¦ de Luxembourg et le comt¦ de Chiny depuis le

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14 Jahre lang unter französischer Herrschaft. Durch den Vertrag von Rijswijk kam es 1697 wieder an die spanischen Habsburger. Nach dem Ableben König Karls II. von Spanien im Jahre 1700 erfolgte ein erneuter Herrschaftswechsel. Der letzte spanische König aus dem Hause Habsburg hatte sein gesamtes Erbe dem Bourbonenprinzen Philipp von Anjou vermacht. Der Generalgouverneur der Niederlande, Kurfürst Max Emanuel von Bayern, erkannte Philipp V. als spanischen König an.11 Der neue Herrscher und sein Statthalter waren auf französische Hilfe angewiesen. Französische Truppen besetzten wiederum die Festung und Provinz Luxemburg, diesmal im Namen des Enkels von Ludwig XIV. Österreich und die verbündeten Seemächte verteidigten dagegen die habsburgischen Ansprüche auf das spanische Erbe und erklärten im Mai 1702 Frankreich den Krieg. Den Alliierten gelang es, bis 1709 alle südniederländischen Provinzen mit Ausnahme Namurs und Luxemburgs zurückzuerobern. 1711 trat Philipp von Anjou seine Herrschaftsrechte über die verbliebenen Gebiete an seinen Statthalter in den Niederlanden, Kurfürst Max Emanuel, ab. Dessen Herrschaft war aber nur von kurzer Dauer. Die Verträge von Utrecht und Rastatt (1713/1714) beendeten den spanischen Erbfolgekrieg und sprachen die Niederlande Kaiser Karl VI. zu. Am 21. Dezember 1714 zogen die ersten österreichischen Truppen in das Herzogtum Luxemburg ein. Nun begann eine längere Zeit des Friedens.12 Angesichts einer solch wechselhaften Ereignisgeschichte drängt sich die Frage auf, wie die Zeitgenossen selbst das politische und militärische Geschehen wahrgenommen haben. Wie wurden die Verwerfungen des 17. Jahrhunderts von den einzelnen Menschen erlebt und verarbeitet? Der Krieg war kein kontinuierlicher Zustand. Einzelnen verwüsteten Orten standen Landstriche gegenüber, die kaum Zerstörungen erlitten. Zwischen den Konfliktperioden lagen auch Friedensmomente. Dennoch muss die latente Bedrohung und die andauernde trait¦ d’Aix-la–Chapelle jusqu’au commencement de la guerre entre la France et la Hollande (2 mai 1668–6 avril 1672), in: Publications de la Section Historique de l’Institut Royal GrandDucal de Luxembourg 32 (1877), S. 239–300; Jean Schötter, Le duch¦ de Luxembourg et le comt¦ de Chiny depuis le trait¦ de paix de NimÀgue jusqu’— la prise de la ville de Luxembourg par Louis XIV (17 septembre 1678–7 juin 1684), in: Publications de la Section Historique de l’Institut Royal Grand-Ducal de Luxembourg 34 (1880), S. 258–301; Bertrand Jeanmougin, Louis XIV — la conquÞte des Pays-Bas espagnols. La guerre oubli¦e 1678–1684, Paris 2005. 11 Zur Person Max Emanuels, seine niederländische Statthalterschaft und spätere Souveränität vgl. Reginald de Schryver, Max II. Emanuel von Bayern und das spanische Erbe. Die europäischen Ambitionen des Hauses Wittelsbach 1665–1715, Mainz 1996. 12 Alphonse Sprunck, Du roi Charles II d’Espagne — l’empereur Charles VI. PremiÀre partie, in: Publications de la Section Historique de l’Institut Royal Grand-Ducal de Luxembourg 78 (1960), S. 7–344; Reginald De Schryver, Les pr¦tentions autrichiennes — l’h¦ritage des Habsbourg d’Espagne. Les Pays-Bas du Sud pendant la Guerre de Succession d’Espagne (1700–1716), in: Herv¦ Hasquin (Hrsg.), La Belgique autrichienne, 1713–1794. Les Pays-Bas m¦ridionaux sous les Habsbourg d’Autriche, Brüssel 1987, S. 11–36.

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politische Unsicherheit die Lebens- und Vorstellungswelt der Menschen nachhaltig geprägt haben. Wie kam die betroffene Zivilbevölkerung mit der Erfahrung des Krieges und den daraus resultierenden Herrschaftswechseln zurecht?

III.

Selbstzeugnisse als Zugang zur Erfahrungsgeschichte des Krieges

Als Quelle für die Geschichte der subjektiven zeitgenössischen Wahrnehmung können Selbstzeugnisse aus dieser Zeit dienen.13 Texte, in denen der Autor etwas über sein persönliches Leben und seine Gefühle erzählt – Autobiographien, Memoiren, Tagebücher, aber auch Chroniken, Reisebeschreibungen oder Haushaltsbücher –, liefern Einblicke in die Erfahrungen und Überlebensstrategien der Betroffenen. Mindestens seit den 1990er Jahren interessiert sich die Geschichtswissenschaft verstärkt für überlieferte persönliche Lebensäußerungen. In vielen Ländern und Regionen Europas wurden die frühneuzeitlichen Selbstzeugnisse systematisch erfasst und analysiert.14 Für das Territorium des früheren Herzogtums Luxemburg gibt es leider keine Bestandsaufnahme. Die Erstellung eines Verzeichnisses von frühneuzeitlichen Selbstzeugnissen für diesen Raum ist zweifellos ein Forschungsdesiderat. Dennoch hat diese Art von Quellen schon in der Vergangenheit verschiedentlich das Interesse von Luxemburger Historikern geweckt. Einige Selbstzeugnisse aus dem 17. und 18. Jahrhundert wurden ediert, meistens aber nur auszugsweise und auch nicht immer den heutigen wissenschaftlichen Standards entsprechend. Eine erfreuliche Ausnahme bilden zwei jüngere Publikationen des Luxemburger Nationalarchivs: 2007 veröffentlichte es die Chronik des Echternacher Pfarrers Oswald Keess, gefolgt 2009 von der Edition der Ephemeriden des Benediktinermönchs aus der Abtei Echternach Placidus Eringer.15 13 Vgl. Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20. 12. 2002], URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/rutz/index.html (17. 03. 2014). 14 Für einen Überblick über die Forschungsvorhaben zu Selbstzeugnissen vgl. Jean-Pierre Bardet, Elisabeth Arnoul, FranÅois-Joseph Ruggiu (Hrsg.), Les ¦crits du for priv¦ en Europe du Moyen ffge — l’¦poque contemporaine. EnquÞtes, analyses, publications, Bordeaux 2010; für Österreich vgl. Harald Tersch, Österreichische Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20. 12. 2002], URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/ 2002/02/tersch/index.html (17. 03. 2014); für die Schweiz vgl. Kaspar von Greyerz, Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500–1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20. 12. 2002], URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/ 2002/02/greyerz/index.html (17. 03. 2014); für Frankreich vgl. http://www.ecritsduforprive. fr (17. 03. 2014). 15 FrÀre Oswald Keess. La retraite honorable et religieuse, kommentiert u. übers. v. Pierre

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Die folgenden Erörterungen zur Kriegserfahrung und Krisenbewältigung im Herzogtum Luxemburg basieren auf diesen beiden Quelleneditionen. Vervollständigt werden sie durch die Auswertung von Auszügen aus zwei weiteren Selbstzeugnissen, der Chronik des S¦bastien-FranÅois de Blanchart sowie den Eintragungen des Pfarrers Antoine Feller im Pfarrregister der Nikolauskirche in der Stadt Luxemburg.16 Die vier ausgewählten Schriften decken den Zeitraum von etwa 1680 bis zum Beginn der österreichischen Herrschaft 1715 ab und stammen aus unterschiedlichen Teilen des ehemaligen Herzogtums Luxemburg. Zwei Zeugnisse wurden von Einwohnern des deutschsprachigen Viertels der Provinz verfasst, ein Dokument kommt aus dem wallonischen Viertel, und ein weiterer Text entstand in der Festung Luxemburg. Die Verfasser sind allesamt der gesellschaftlichen und kulturellen Elite des Herzogtums zuzuordnen. Keess, Eringer und Feller gehörten dem Klerus an. de Blanchart war Mitglied des Adelsstandes. »Kleine Leute«, wie Handwerker oder Bauern, sind demnach nicht unter den Autoren vertreten. Obwohl die ausgewerteten Quellen keine Repräsentativität beanspruchen können, zeichnen die vier einschlägigen Zeugnisse doch ein sehr anschauliches Bild.

1.

Die Chronik des Oswald Keess17

Oswald Keess wurde 1673 in Kinheim an der Mosel geboren und starb 1745 in Echternach. Nach seiner Ausbildung am Jesuitenkolleg in Luxemburg trat er 1698 in das Benediktinerkloster in Echternach ein. Von 1704 bis 1733 war er zuerst als Kaplan, später als Pfarrer an der Echternacher Pfarrkirche St. Peter tätig.18 Keess hat seine Chronik nach 1733 verfasst, nachdem er sich von seinem Amt als Pfarrer in den Ruhestand zurückgezogen hatte. Dies geht aus dem Titelblatt Kauthen u. Pol Schiltz, Luxemburg 2007; Ephemeriden des Placidus Eringer, kommentiert u. übers. v. Pol Schiltz u. Pierre Kauthen, Luxemburg 2009. 16 Jean Peters, Sebastian Franz de Blanchart und seine Luxemburger Chronik, in: Publications de la Section Historique de l’Institut Royal Grand-Ducal de Luxembourg 46 (1898), S. 107–218; Nicolas Van Werveke, M¦langes historiques. Chronique Blanchart, in: Publications de la Section Historique de l’Institut Royal Grand-Ducal de Luxembourg 52 (1903), S. 53–125; L¦on Zettinger, La chronique de l’abb¦ Antoine Feller cur¦ de l’¦glise paroissiale de Saint-Nicolas — Luxembourg (1674–1717), in: H¦mecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 18 (1966), S. 433–447; 19 (1967), S. 181–197; 23 (1971), S. 59–78; Paul Lafontaine, Die Belagerung und Erstürmung der Stadt Luxemburg aus der Sicht des Pfarrers von St. Nikolaus, Antoine Feller (1683–1684), in: H¦mecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 49 (1997), S. 415–421. 17 Archives nationales du Luxembourg [im Folgenden: ANLux], A-XXIX, Nr. 1297. 18 Biographische Angaben in Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 10f.

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des Manuskripts hervor.19 Während seiner Zeit als Seelsorger hat Keess ein Diarium geführt. Die Schilderung der Ereignisse basiert auf den Eintragungen in diesem Tagebuch. Die Chronik umfasst etwa 100 Seiten, beginnt im Jahr 1680 und reicht bis 1734. Für die Zeit von 1680 bis etwa 1695 greift Keess nicht auf seine eigenen Erinnerungen zurück, sondern bedient sich der Erzählungen von anderen Mönchen der Abtei und Einwohnern der Stadt Echternach. Die Ereignisse werden in der chronologischen Abfolge der Jahre geschildert. Keess beginnt jedes Jahr mit den bedeutenden politischen und militärischen Ereignissen, die sich auf internationaler Ebene zugetragen haben, dann schildert er das Leben seiner Pfarrei sowie der Mönchsgemeinschaft. Keess‹ Anliegen ist es, einen Rechenschaftsbericht über seine Tätigkeit als Pfarrer abzulegen. Der Leser erfährt viel über die Intrigen und Machtkämpfe innerhalb der Abtei sowie deren Streitigkeiten mit den Einwohnern von Echternach. Aber auch lokale Ereignisse und denkwürdige Szenen aus dem Alltagsleben finden Eingang in die Chronik. Der Text ist in Latein geschrieben, doch ab und zu fügt der Autor einen Satz oder Satzteil in deutscher Sprache ein.

2.

Die Ephemeriden des Placidus Eringer20

Placidus Eringer, mit seinem weltlichen Namen Karl Franz Eringer genannt, wurde 1664 in Luxemburg geboren und starb 1733 in Echternach. Er trat 1682 in die Echternacher Abtei ein und übte innerhalb der Klostergemeinschaft das Amt des Cellerarius, des Kellners aus. Dieser war verantwortlich für die wirtschaftliche Nutzung der Klostergüter. Er trieb die Steuern ein, wahrte die grundherrschaftlichen Rechte des Klosters und überwachte die Meier. Nebenbei war Eringer auch als Arzt tätig. Nachdem er das Amt des Kellners abgegeben hatte, widmete er sich ganz seinen medizinischen Studien und betreute die Klosterapotheke.21 Die Ephemeriden beginnen im Jahr 1682 und enden 1728. Doch die allermeisten Eintragungen datieren aus der Zeit von 1695 bis 1714, als Eringer Cellerarius war. Eringer schrieb Monat für Monat auf, was er im Dienst des Klosters erlebte. Seine Absicht bestand vor allem darin, die Rechte der Abtei, die immer wieder von den Bauern oder anderen Grundherren angefochten wurden, zu dokumentieren. Indem Eringer ein Tagebuch über seine alltäglichen Verrich19 »Honestum et religiosum otium fratris Oswaldi Keess in su– per resignatam parochiam 7 epternacensem reassumpt– 1.a juny¨ 1733 delectabili solitudine, sive extractus eorum qua sunt fori ex diario meo in domo pastorali habito pro nunc volcano tradenda«, Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 22. 20 ANLux, A-XXIX, Nr. 1298. 21 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 7–11.

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tungen führte, vollzog er indirekt eine Verschriftlichung der Rechtsansprüche der Abtei. Wenn der Autor also häufig über Jagden berichtet, bedeutet dies nicht, dass er ein leidenschaftlicher Jäger war, sondern er beabsichtigte vielmehr das Jagdrecht des Klosters in diesem oder jenem Wald festzuhalten. Die knapp 90 Blätter umfassende Chronik Eringers ist vorwiegend in deutscher Sprache geschrieben. Doch es kommt vor, dass der Verfasser in einem Satz oder einer Textpassage ins Lateinische wechselt.

3.

Die Chronik des Sébastien-François de Blanchart22

S¦bastien-FranÅois de Blanchart wurde 1674 auf dem Schloss Le Ch–telet bei Habay-la-Neuve geboren, im damaligen wallonischen Teil des Herzogtums Luxemburg. Seine humanistische Ausbildung bekam er auf dem Jesuitenkolleg in Luxemburg. Danach zog er sich wieder auf sein Schloss bei Habay-la-Neuve zurück und verwaltete seine Güter. Blanchart war Grundherr von Ch–telet, Arloncourt, Belvaux, Helzingen und Brandenburg. Seit 1701 saß er als Mitglied des Adelsstandes in der Luxemburger Ständeversammlung.23 Er starb 1752. Blancharts Interesse galt der Geschichte, der Genealogie und der Heraldik. Er hinterließ eine bruchstückhafte Geschichte des Luxemburger Landes von der Ankunft der Römer bis zum Jahre 1737. Der hier analysierte Text ist Teil dieser Geschichte. Als Selbstzeugnis im weiteren Sinne kann der Bericht über die Periode von 1678 bis 1739 gelten, denn für diesen Zeitraum standen Blanchart neben offiziellen Schriftstücken auch persönliche Erinnerungen zur Verfügung.24 Nicht selten merkt der Autor an, dass er Augenzeuge eines Ereignisses war. Blanchart bettet seine Luxemburger Chronik in das allgemeine Zeitgeschehen ein. Für jedes Jahr notiert er die Getreidepreise und schenkt den Unbilden des Wetters besondere Aufmerksamkeit. Hier zeigt sich die Verbundenheit des Grundherrn mit der bäuerlichen Lebenswelt. Ungünstige Witterungsverhältnisse und Ernteausfälle wurden als mindestens so existenzbedrohend empfunden wie der Krieg. Blanchart verfasste seine Chronik in französischer Sprache.

22 ANLux, SHL, Abt. 15, Nr. 514. 23 Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 107–109. 24 Die erste persönliche Erinnerung Blancharts geht auf das Jahr 1678 zurück, als er am 18. Juni als vierjähriges Kind die Hinrichtung von Verrätern auf dem Hauptplatz der Stadt Luxemburg miterlebte, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 147f.

190 4.

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Das Pfarrregister des Abbé Antoine Feller25

Antoine Feller wurde 1636 in Simmern geboren, eine Ortschaft, die etwa 30 Kilometer nordwestlich der Stadt Luxemburg liegt. Nach seinem Studium am Jesuitenkolleg in Luxemburg und an der theologischen Fakultät in Trier wurde er 1661 zum Priester geweiht. Auf Betreiben des damaligen Gouverneurs des Herzogtums, Philipp-Franz von Croy, Prinz von Arenberg und Chimay, wurde Feller Ende 1673 zum Pfarrer der Pfarrei St. Nikolaus in der Festungsstadt ernannt. Er starb 1717 in Luxemburg.26 Während seiner Zeit als Seelsorger verfasste Feller ein umfangreiches, 834 Folien starkes Pfarrregister. Dort trug er Tag für Tag seine Taufen, Heiraten, Begräbnisse und Kasualien ein, mit den jeweiligen Geldsummen, die er für diese geistlichen Amtshandlungen erhielt. Relevant für unser Forschungsanliegen ist aber, dass er in den offiziellen Schreibfluss auch persönliche Notizen über die Zeitereignisse einfügt. So enthält das Register einen nahezu lückenlosen Bericht über das Bombardement der Stadt Luxemburg durch französische Truppen im Dezember 1683 sowie die anschließende Belagerung von April bis Juni 1684. Es handelt sich demnach nicht allein um ein klassisches Pfarrbuch, sondern es kann als eine Chronik der Epoche gelesen werden. Dies gilt allerdings nur für die ersten 25 Jahre. Danach beschränkt Feller sich zunehmend auf das Eintragen der Taufen, Eheschließungen und Begräbnisse. Das Register ist in lateinischer Sprache verfasst, mit einzelnen deutschen Textpassagen.

IV.

Erfahrungsbericht oder Chronik der Ereignisse

Nach dieser kurzen Vorstellung des Textkorpus stellt sich die Frage, inwiefern die vier Schreiber das eigene Erleben thematisieren oder nur rein äußerlich Ereignisse beschreiben. In anderen Worten: Können die hier ausgewählten Chroniken überhaupt als Selbstzeugnisse gelten? In einem grundlegenden Aufsatz hat Benigna von Krusenstjern 1994 zwei entscheidende Kriterien für die Definition von Selbstzeugnissen vorgeschlagen.27 Erstens muss der Text ein gewisses Maß an Selbstthematisierung enthalten, das heißt der Verfasser tritt darin selbst handelnd oder leidend in Erscheinung und nimmt explizit auf sich Bezug. Zweitens entstehen Selbstzeugnisse aus eigenem Antrieb und sind selbst 25 Archives de la Ville de Luxembourg, Paroisse Saint Nicolas, Naissances, Mariages, D¦cÀs, Nr. 13, Chronique de l’Abb¦ Feller. 26 Zettinger, Chronique (wie Anm. 16), S. 434. 27 Benigna von Krusenstjern, Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie. Kultur. Gesellschaft. Alltag 2 (1994), S. 462–471.

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niedergeschrieben oder diktiert.28 Je nach Grad der Selbstthematisierung schlägt von Krusenstjern eine Abstufung von vier Typen (A bis D) von Selbstzeugnissen vor. Typ A vereint Texte, in denen der Bezug auf das Ich kennzeichnend ist, wie zum Beispiel Autobiographien, die einen hohen Anteil an Selbstreflexion enthalten. Am anderen Ende der Skala (D) stehen dagegen Texte, in denen das Ich des Erzählers kaum noch vorkommt und die Chronik der Ereignisse im Vordergrund steht. Wenn man nun von Krusenstjerns Typologie auf den vorliegenden Korpus anwendet, kann man die Schriften von Keess, Eringer und Feller der Kategorie C zuordnen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das ›Ich‹ der Autoren zwar noch vorkommt, aber bereits hinter die allgemeinen Aspekte zurücktritt. Das Werk von Blanchart fällt dagegen in die Kategorie D, da das Selbst des Verfassers kaum zum Vorschein kommt. Historiker, die sich mit Selbstzeugnissen auseinandersetzen, haben öfters darauf hingewiesen, dass wir für das 17. Jahrhundert und das frühe 18. Jahrhundert weder Innenreflexion noch bewusstes Darlegen von Gefühlen erwarten können. Die egozentrische Darstellung des Innenlebens einer Person erscheint erst in den Tagebüchern des späten 18. und des 19. Jahrhunderts.29 Folglich finden wir in den hier untersuchten Texten vorwiegend eine ›äußerliche‹ Beschreibung der Ereignisse. Da der Autor aber diese Ereignisse miterlebt hat, ist es für unsere Fragestellung relevant, welche Elemente des historischen Geschehens zurückbehalten wurden und wie von ihnen berichtet wird. Aus dem, was der Schreiber als ›denkwürdig‹ einstuft, erschließt sich sein Erfahrungshorizont. Die Erzählung des Abb¦ Feller wirkt besonders authentisch, da der Schreibprozess aller Wahrscheinlichkeit nach kontinuierlich und sehr ereignisnah stattfand. Der Pfarrer von St. Nikolaus hat das Erlebte unmittelbar aufgeschrieben, die Erinnerungen sind demnach noch frisch und nicht durch spätere Entwickelungen umgedeutet worden. Bei Keess und Blanchart liegt dagegen eine große Zeitspanne zwischen den Ereignissen und ihrer Niederschrift. Keess hat seine Chronik erst nach seinem Rücktritt als Pfarrer verfasst. Die Geschehnisse, von denen berichtet wird, liegen also 10, 20 oder gar 30 Jahre zurück. Aber auch bei Eringer trügt der Eindruck, er hätte Tag für Tag das Geschehen aufgezeichnet. So finden wir zum Beispiel am Rande der Eintragung vom 19. August 1711 folgende Bemerkung: »dieses ist geschehen den 19ten May 1712 und per errorem hiehin geschrieben worden«.30 Unter dem 19. Mai 1712 steht dann der Korrektureintrag »vide den 19ten augusti anno 1711, welcher posten hiehin 28 Die neuere Forschung bezieht unter dem Begriff »Ego-Dokumente« auch Fremdaufzeichnungen ein; vgl. Winfried Schulze (Hrsg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996. 29 Rutz, Ego-Dokument (wie Anm. 13), Absatz 4. 30 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 168.

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gehöret«.31 Eringer hat offensichtlich seine Notizen falsch geordnet und bei der nachträglichen Niederschrift versehentlich durcheinandergeworfen. Auch hier liegen also Monate, wenn nicht Jahre zwischen den Ereignissen und ihrer schriftlichen Fixierung. Diese zeitliche Distanz schränkt die Möglichkeit, über die unmittelbaren Empfindungen und Wahrnehmungen des Autors Aufschluss zu bekommen, ein.

V.

Erfahrungen von Krieg und Leid

Nach diesen einführenden quellenkritischen Anmerkungen wollen wir nun untersuchen, wie der Krieg und seine Auswirkungen in den vorliegenden Texten dargestellt werden. Wie haben Blanchart, Feller, Eringer und Keess die gewaltvollen Auseinandersetzungen ihrer Zeit wahrgenommen? Berichten sie von Kriegshandlungen, dem Leid der Bevölkerung und Todesfällen? In dem hier untersuchten Zeitraum des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ist die Belagerung der Festung Luxemburg durch französische Truppen in den Jahren 1683 bis 1684 das bedeutendste Kriegsereignis. Alle vier Zeitzeugen berichten in unterschiedlicher Länge davon, obwohl nur Antoine Feller tatsächlich in der belagerten Stadt anwesend war. Keess ist die Einnahme Luxemburgs drei Zeilen wert, doch indem er seine kurze Mitteilung mit einem Stoßseufzer – »Eheu!« (Ach!) – schließt, verleiht er seinen antifranzösischen Gefühlen Ausdruck.32 Placidus Eringer trägt die Besetzung durch die Franzosen ebenfalls in seinem Tagebuch ein, fügt aber noch eine Bemerkung zur guten Weinernte an: »Im Juni 1684 besetzten die Franzosen Luxemburg. In diesem Jahr wuchs ein vorzüglicher Wein. Ein Fass dieses Jahrgangs wurde im Jahre 1704 in Trier für 500 Reichstaler verkauft«.33 Im Rückblick ist die Weinernte für den Kellner der Abtei wichtiger als das lang vergangene Kriegsereignis. Der gute Wein hielt sich offensichtlich länger als die Erinnerung an die französische Besatzung. Blanchart schreibt sehr ausführlich über die Beschießung und Belagerung Luxemburgs, greift dabei aber auf bestehende Berichte zurück, da er selbst zum Zeitpunkt der Geschehnisse erst neun Jahre alt war und aller Wahrscheinlichkeit nach im Schloss Le Ch–telet lebte.34 Er stellt dennoch einen persönlichen Bezug 31 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 177. 32 Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 50f. 33 »Anno 1684 in junio galli occupant Luxemburgum. Hoc anno crevit optimum vinum, cujus crescentiae plaustrum anno 1704 venditum fuit treviris 500 imperialibus«, Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 24. 34 Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 152–157.

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her, indem er erwähnt, dass drei Bomben in das Haus fielen, das seiner Familie in der Stadt Luxemburg gehörte.35 Der einzige tatsächliche Augenzeuge der Ereignisse war Pfarrer Antoine Feller. Seinem Bericht entnehmen wir dann auch wertvolle Informationen, wie die Zivilbevölkerung die Bombardierung im Dezember 1683 erlebt hat: Die Stadtbewohner wurden von der Beschießung der Stadt mit Brandbomben überrascht. Feller berichtet, dass er selbst fast auf offener Straße von einem Geschoss getroffen wurde. »Ich Antoine Feller, Dechant und Pfarrer von Luxemburg, der hier schreibt, ich hätte fast den ersten Schuß abbekommen. In der Tat, die erste Bombe fiel neben mir, als ich mich in meine Kirche begab. Es war nur indem ich mich zu Boden warf, dass ich mein Leben retten konnte. Gott sei gelobt!«36 Die Einwohner der Stadt suchten Schutz in ihren Kellern und schafften ihr Hab und Gut an diesen einzig sicheren Ort. Da alle in den Kellern saßen, konnten keine Messen abgehalten werden, obwohl es Heiligabend war. Am ersten Weihnachtstag hielt Feller eine Messe auf einem tragbaren Altar in den unterirdischen Räumen des Stadthauses. Als nachmittags die Kanonen kurz verstummten, wagte Feller sich aus dem Untergrund hervor, mit der Absicht, seinen Mitbürgern Trost zu spenden. Auf der Straße bot sich ihm aber ein seltsames Spektakel, das er als sowohl »triste« (traurig) wie auch »jucundum« (erheiternd) beschrieb. Er entdeckte lachende Männer, Frauen und Kinder, die unter dem Einfluss von alkoholischen Getränken standen und mit Worten und Gesten zu verstehen gaben, dass sie sich nichts aus den Zerstörungen machten und bereit seien, für die Verteidigung der Stadt zu sterben.37 Von anderen Belagerungen ist bekannt, dass den Soldaten große Mengen an Branntwein verabreicht wurden, aber offensichtlich trank auch die Zivilbevölkerung sich in solchen Situationen Mut an. Die Belagerung Luxemburgs war die einzige große Kriegshandlung, die sich im Zeitrahmen von 1680 bis 1715 auf Luxemburger Territorium ereignete. Weitere Einnahmen von Festungen oder Feldschlachten fanden nicht statt. Derweilen war das Herzogtum aber von einer unterschwelligen Form des Krieges betroffen, die der französische Historiker Fernand Braudel treffend als

35 Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 154. 36 »Ego Antonius Feller Decanus et Pastor Luxemburgensis qui haec scribo primum ictum fere sensissem, prima enim bomba iuxta me cecidit voltem ire ad templum meum, quam tamen prostratus in terram evasi salvus. Laudes sint Deo!«, zit. nach Lafontaine, Belagerung (wie Anm. 16), S. 416. 37 »Ista die post meridiem dum cessarunt tormenta, exivi et transivi per plateas consolaturus cives, inveni mares, foeminas et pueros hilares, ex aliquo potu, resignatos et indicantes verbis ac gestibus se non curare iacturam bonorum nec ruinam plurimarum aedium iam factum ac futuram, immo se mori velle pro conservatione urbis, spectaculum certe et triste et iucundum«, zit. nach Lafontaine, Belagerung (wie Anm. 16), S. 417.

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»la guerre au ralenti«, den langsamen Krieg bezeichnet hat.38 Immer wieder kam es zu gewaltsamen Übergriffen und Exzessen feindlicher Soldaten. In kleinen Verbänden fielen sie in das Land ein und bedrängten die Einwohner mit Plünderungen und Kontributionen. 1689, während des pfälzischen Erbfolgekriegs, überfielen brandenburgische Truppen die Stadt und Abtei Echternach. Dem Bericht von Keess zu Folge blieben die geweihten Orte, also Kirche und Kapellen, verschont, während die Zellen der Mönche ausgeraubt wurden. Keess erzählt, dass die reiche Witwe von Schenk sowie viele andere Echternacher Bürger ihre Silberschätze und Wertsachen zur Sicherheit in der Krypta der Abtei deponiert hatten. Dieser Raum blieb durch eine List unversehrt: Ein Pater stellte sich vor der Eingangstür der Krypta den plündernden Soldaten mit den Worten entgegen: »Dieser Ort ist heilig. Es ist die Kapelle, wo die Mitbrüder begraben liegen«.39 Die Soldaten sollen daraufhin nicht in die Krypta eingedrungen sein. 1704 wurde Echternach erneut von einer Einheit feindlicher Reiter heimgesucht. Diesmal waren es Soldaten des englischen Feldherrn John Churchill, Herzog von Marlborough, dessen Armee in der Nähe von Trier lagerte. Laut Keess zählte der Reiterverband 1.600 Mann.40 Die Bürgerhäuser wurden ausgeraubt, das Kloster aber, das die Mönche komplett abgeriegelt hatten, blieb unbehelligt. Diese Erfahrung militärischer Gewalt muss auch Keess’ Mitbruder Eringer erschüttert haben, denn von diesem Zeitpunkt an verfolgt er die Aktualität des Konflikts und notiert in seinen Ephemeriden die Neuigkeiten von Siegen und Niederlagen. Das hautnahe Erleben des Krieges weitet den Blick über das lokale Geschehen hinaus. Seine Funktion als Cellerarius des Klosters lässt Eringer das Geschehen im Umland von Echternach aufmerksamer beobachten, als Keess dies tut. In seinen Aufzeichnungen berichtet er von den Plünderungen Grevenmachers, Wasserbilligs, Bitburgs und Sankt Viths in den Jahren 1704 und 1705. Häuser wurden abgebrannt, Geiseln genommen und die umliegenden Dörfer verwüstet.41 Die Abtei, die weit verstreute Rechte und Güter im Eifel- und Moselraum besaß, war von dieser Heimsuchung des platten Landes durchaus wirtschaftlich betroffen.

38 Fernand Braudel, L’identit¦ de la France. Espace et histoire, Paris 1986, S. 305. 39 »Hunc locum sacram et capellam cum sepulture fratrum esse«, Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 58f. 40 Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 98f. Eringer schätzt ihre Zahl auf »3 tausend man zu pferd und 1000 zu fuß«, Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 50. 41 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 51, 55 u. 67.

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VI.

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Schutz durch Kontribution

Doch nicht nur feindliche Armeen plünderten und brandschatzten im Herzogtum. Auch die verbündeten Truppen stellten eine Gefahr für die Bevölkerung dar. Kurfürst Max Emanuel von Bayern, der Statthalter in den Niederlanden unter Philipp von Anjou, war mit Frankreich alliiert. Um Luxemburg gegen die Ansprüche der habsburgischen Anwärter auf das spanische Erbe zu verteidigen, waren französische Truppen von 1702 bis 1714 in der Festung und im Herzogtum stationiert. Insbesondere während der Krisenjahre 1708 und 1709 gab es gravierende Versorgungsengpässe in der Armee des Sonnenkönigs. Eringer berichtet, dass »die frantzossen haben langer zeitt kein geld bekommen, plünderen etliche häuser zu lützemburg und in dem land«.42 Blanchart stellt ebenfalls in seiner Chronik den zerlumpten Zustand der Garnison fest: »In diesem Jahr 1708 waren die Truppen Frankreichs sehr schlecht bezahlt und es fehlte ihnen an Kleidern und Schuhen, was wir bei den französischen Einheiten der Garnison von Luxemburg feststellen konnten«.43 Soldrückstände und schlechte Versorgung schlugen sich in Unordnung und Drangsalierung der Zivilbevölkerung nieder. Doch die Einwohner schützten sich selbst und wehrten sich gegen die marodierenden Soldaten. Blanchart erzählt von den Selbstverteidigungsmaßnahmen, die ergriffen wurden. Die Einwohner von Habay-la-Neuve bewaffneten sich in großer Anzahl und befestigten den Friedhof rund um die Kirche, sodass die französischen Marodeure von einem Angriff absahen. Einzelne Soldaten wurden von den Bauern aufgegriffen und erschlagen.44 Doch das eigentliche Mittel, um Sicherheit zu schaffen, war nicht Gegengewalt, sondern das Aushandeln von Kontributionen.45 Mit der Zahlung von Schutzgeldern erkauften sich die Gemeinden sozusagen die Befreiung vom Krieg. Die Kontributionen stellten wieder eine gewisse öffentliche Ordnung her. Eringer berichtet von den Schutzgeldzahlungen. Beim Durchzug der englischen Armee 1705 lieferten Stadt und Propstei Echternach 5.000 Rationen Heu und Hafer; die Abtei beteiligte sich mit einem Geldbetrag von 25 Patagonen.46 Der

42 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 140. 43 »En cette ann¦e 1708 les troupes de France estoient trÀs mal pay¦ et en besoin d’habits et souliers, ce que nous avons vu aux troupes de France de la garnison de Luxembourg«, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 178. 44 Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 178. 45 Vgl. Christian Baes, Prendre l’argent plutút que le sang. La contribution de guerre au XVIIe siÀcle, in: Revue belge de philologie et d’histoire 85 (2007), S. 663–684; Jean-FranÅois Chanet, Christian Windler (Hrsg.), Les ressources des faibles. Neutralit¦s, sauvegardes, accommodements en temps de guerre (XVIe–XVIIIe siÀcle), Rennes 2009. 46 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 55 u. 66.

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von Marlborough unterschriebene Schutzbrief ist überliefert.47 Der Heeresführer schickte eine Wache nach Echternach, um den Schutz auch wirksam zu überwachen. Die benachbarten Dörfer Rosport, Mesenich und Moersdorf wurden dagegen von herumstreunenden Soldaten geplündert.48 1713, kurz vor dem Friedensschluss, sah man sich mit der Frage konfrontiert, ob überhaupt Schutzgelder an den Feind gezahlt werden dürften. Eringer wägt in seinem Buch die Bedenken ab: »Inmittels bedroheten die Brandenburger dem Land mitt plünderen und brennen dahere man mitt ihnen wegent der Contribution nit traktieren solte, welches aber zum höchsten schaden der provintz der Churfürst, unser gnädigster H[er]r, verbotten hatte«.49 Trotz des Verbots des Landesherrn entschlossen sich die lokalen Behörden zur Zahlung der geforderten Kontributionen und entgingen somit der Geiselnahme und Brandschatzung. Auf der untersten Ebene setzte demnach schon früh eine wirksame Pazifizierung durch den Freikauf vom Krieg ein, noch bevor es den Herrschern und ihren Zentralregierungen gelang, die Friedensverträge von Utrecht und Rastatt umzusetzen. Der spanische Erbfolgekrieg gilt gemeinhin als klassischer Kabinettskrieg.50 Gräueltaten, wie sie die vorausgehenden Religionskonflikte kennzeichneten, waren eher die Ausnahme. Es bestand zumindest die Intention, den Krieg einzuhegen und die Zivilbevölkerung zu schonen, ja sogar ganz aus den kriegerischen Auseinandersetzungen herauszuhalten, auch wenn dies in der Realität nicht immer gelang. Kabinettskriege hatten beschränkte, zumeist dynastische Ziele und wurden von professionalisiertem Militär geführt. Im Idealfall sahen sich die Bürger in die Rolle von Zuschauern des Kriegsgeschehens versetzt.51 Blanchart erinnert sich an das Schauspiel, das die Armee Marlboroughs bot, als sie im Mai 1705 auf den Anhöhen über Sierck und Perl lagerte. Die Bürger der Stadt Luxemburg zogen in großen Scharen vor die Festungstore nach Sandweiler, da man von dort aus in der Ferne die Zelte der Engländer sehen konnte. Blanchart war auch unter den Schaulustigen, die sich am militärischen Spektakel ergötzten.52 Unterdessen bereitete sich die französische Garnison der Festung mit eilig ausgeführten Schanzarbeiten auf einen drohenden Angriff vor.53 47 ANLux, A-XXIX, Nr. 849, Schutzbrief des Herzogs von Marlborough für die Abtei Echternach, 31. 05. 1705. 48 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 55. 49 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 186. 50 Vgl. Siegfried Fiedler, Kriegswesen und Kriegführung im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 21. 51 Vgl. Horst Carl, Unter fremder Herrschaft. Invasion und Okkupation im Siebenjährigen Krieg, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. 331–348, hier S. 348. 52 »[…] il me souvient qu’estant — Santweiler au mois de may vers la feste de l’Ascension, j’y d¦couvris auprÀs de la chapelle assez distinctement et sans perspective les tentes de l’arm¦e de Marbouroug camp¦e sur la hauteur de Perle, grand nombre de personnes de la ville de

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VII.

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Szenen des Zusammenlebens

Der andauernde, wenn meist auch nur latente Kriegszustand bedeutete die ständige Anwesenheit einer hohen Anzahl von Soldaten im Herzogtum. Die Truppen waren nicht alle innerhalb der Festung Luxemburg konzentriert, sondern verteilten sich auf die Ortschaften des Herzogtums. Auch das Abteistädtchen Echternach wurde so zu einer Garnisonsstadt. 1703 zog eine französische Freikompanie von 200 Mann ein, die unter dem Befehl von Obristleutnant Georges Andenaul, auch unter seinem Kriegsnamen ›Ch–teaufort‹ bekannt, stand. Laut Keess handelte es sich um »Diebe anstatt Soldaten«.54 Aufgabe dieser irregulären Einheit war es, in benachbartes Feindgebiet einzufallen, Fourage herbeizuschaffen und Kontributionen einzutreiben. Neben dieser ständigen französischen Garnison kamen jedes Jahr vier kurbayerische Reiterkompanien nach Echternach ins Winterquartier. Geht man von einer Stärke von 100 Mann pro Kompanie aus, wären das noch einmal zusätzliche 400 Mann.55 Im Winter waren folglich etwa 600 Soldaten in Echternach untergebracht, einer Stadt, die Anfang des 18. Jahrhunderts kaum 2.000 Einwohner zählte.56 Entsprechend schwierig gestaltete sich das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung. Eringer weist darauf hin, dass die Unterbringung der Soldaten in den Bürgerhäusern »zur höchster beschwernus der armer leuth« war.57 Keess und Eringer berichten von den Befestigungsmaßnahmen der Franzosen, die den Zugang in die Stadt und somit das Leben der Bürger erschwerten.58 Die Kicker Pforte, die direkt zum Fluss Sauer führte, wurde verschlossen, andere Straßen wurden verbarrikadiert und mit Palisaden versehen. Nach dem Abbruch der

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Luxembourg s’estant transport¦s auprÀs de la mÞme chapelle de Santweiler pour avoir le plaisir de voir le mÞme camp«, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 176. »[…] et comme on estoit dans l’incertitude, si possible les alli¦s ne faisoient point quelque tentative sur Luxembourg, M. le comte d’Autel, gouverneur de cette place, de concert avec le chevalier de Courcelle y commandant les troupes de France, fit faire une espÀce de fort entre la chapelle de Luxembourg et celle de l’Ange gardien, — la Porte neuve, qui consistoit seulement en quelque foss¦ et ouvrage de simple terre relev¦e en forme de batterie«, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 176. »pro milite furibus«, Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 94f. Klaus Ulrich Hammel, Militärorganisation und Praxis der Kriegführung um 1700. Der Aufbau des kurbayerischen Heeres unter Kurfürst Max Emanuel, in: Johannes Erichsen, Katharina Heinemann (Hrsg.), Brennpunkt Europas 1704. Die Schlacht von Höchstädt. The Battle of Blenheim, Ostfildern 2004, S. 43–53, hier S. 50. Nicole Metzler-Zens, D¦mographie de la paroisse d’Echternach au 18e siÀcle, in: Le livre d’or du centenaire, Echternach 1977, S. 123–132; Edouard M. Kayser, Le d¦nombrement g¦n¦ral de 1784 dans les Pays-Bas autrichiens et l’¦tat de la population luxembourgeoise — la fin de l’Ancien R¦gime (1766–1784), in: H¦mecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 36 (1984), S. 79–93, hier S. 85. Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 72. Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 100f.; Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 53.

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Brücke über die Sauer ließ der Fluss sich nur noch mit der Fähre überqueren. Die Franzosen verschanzten sich, befestigten die auf einer kleinen Anhöhe liegende Pfarrkirche St. Peter und stellten eine Wache im Kirchturm auf. Echternach verwandelte sich in einen militärischen Stützpunkt. Soldaten sind in der Regel Menschen mit einem hohen Aggressionspotential, und sie tragen Waffen. Ihre Gewaltbereitschaft spiegelt sich in der Häufung unnatürlicher Todesfälle wider. Das Pfarrregister des Abb¦ Feller bietet sich natürlich in dieser Hinsicht als eine ergiebige Quelle an, aber auch Eringer vermerkt eifrig die gewaltbedingten Todesfälle. Am 13. Januar 1705 ersticht ein Soldat eine Frau im Haus von Hans Theisen. Am 4. Mai 1709, morgens um halb fünf, erschießt ein Soldat einen Kameraden im Bett. Am Johannisfest 1714 erdolcht ein Reiter im Haus von Johannes Schin einen Grenadier im Streit.59 Am 19. Mai 1705 schießt ein französischer Soldat angeblich aus Versehen in das Strohdach des Hauses von Johannes Mentges. Das Dach fängt sofort Feuer. Rasch entwickelt sich ein Großbrand, bei dem nach Angabe Eringers 143 Häuser verbrennen.60 Anstatt beim Löschen zu helfen, flüchten die französischen Soldaten, wie so oft, wenn der Stadt Gefahr droht, auf einen benachbarten Hügel. Bei der Beschreibung eines solchen Rückzugs schlägt die Haltung von Keess gegenüber den Franzosen in Verachtung um. Mitten in einem lateinischen Satz wechselt er ins Deutsche und beschimpft die französischen Soldaten »marodendieb, hammen und pfannenkuch-fresser«, die »auß hasenforcht der feinden« auf einen Berg fliehen. Denn als im Vorjahr Echternach von englischen Truppen geplündert worden war, hatte die französische Garnison ebenfalls auf der »Irreltgen« genannten Anhöhe Zuflucht gesucht. Aus Spott nannte die Bevölkerung den Berg fortan »Schatteauforch-bergh«.61

VIII. Freund und Feind Das vernichtende Verdikt über die französische Garnison steht im Gegensatz zu dem positiven Urteil über die kurbayerischen Truppen, die ins Winterquartier nach Echternach kamen. Verschiedene Faktoren können die unterschiedliche Wahrnehmung der beiden Schutzmächte erklären. Die kurbayerischen Reiterkompanien gehörten der regulären Armee an. Die Kavallerie war in der Regel sozial höher gestellt als andere militärische Einheiten. Das Freikorps von Ch–teaufort stellte das exakte Gegenbild dar. Bestimmt für den sogenannten ›kleinen Krieg‹, war es von Natur aus undisziplinierter und ›wilder‹ als die regulären 59 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 52, 131 u. 198. 60 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 54. 61 Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 104f.

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Truppen. Diejenigen die sich für die leichten Truppen anwerben ließen, taten dies zumeist in der Hoffnung auf Beute. In der Bevölkerung weckten die Freikorps wenig Sympathie, da man mit ihnen Schreckensbilder von Plünderungen und Gräueltaten verband.62 Alle Soldaten, ob französische oder kurbayerische, waren Fremde in Echternach. Das Fremdsein spielte offensichtlich eine untergeordnete Rolle in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Wichtiger ist die Tatsache, dass die kurbayerischen Truppen als Repräsentanten des legitimen Herrschers bzw. seines Statthalters in den Niederlanden empfunden wurden, die Franzosen hingegen als Besatzer und Eindringlinge. Keess erzählt, wie der General der kurbayerischen Kavallerie, Bartholomäus Graf von Costa, den Abt des Klosters in Schutz nimmt vor den Anfeindungen des Gouverneurs der Provinz. Der Offizier empfiehlt seinem Kurfürsten den Abt »als ein Mann der Ihrer Durchlaucht und den Bayern treu ergeben ist mit aller Untertänigkeit, die ihnen zustehe«.63 Auch Eringer erkannte die Legitimität des Kurfürsten Max Emanuel an und bezeichnete ihn als »unseren durchlauchtesten Herzog«.64 Die Soldaten des rechtmäßigen Landesherrn stießen demnach sowohl bei Keess als auch bei Eringer auf eine höhere Akzeptanz als die des alliierten Frankreichs. Der Umstand, dass mehrere Jahre hintereinander die gleichen kurbayerischen Kompanien ins Winterlager nach Echternach kamen, wirkte sich ebenfalls positiv aus. Die Soldaten, die wussten, dass sie nächstes Jahr wiederkommen würden, gingen schonender mit der Bevölkerung um. Eine gewisse Vertrautheit stellte sich ein, welche die Last der Einquartierung erleichterte. Eringer und Keess beschreiben beide, wie sich gute und sogar freundschaftliche Beziehungen zwischen den Offizieren und der Klostergemeinschaft entwickelten. Sie erlebten »manch lustige Stunden mit ihnen«.65 Der Kommandant und die Offiziere der kurbayerischen Truppen wurden zu Tisch in die Abtei geladen und nahmen an den Festen teil. Eringer notiert unter dem 6. Januar 1709: »Der H[er]r obrist Seefelt ist in conventu könig worden«.66 Mönche und Offiziere feierten gemeinsam das Dreikönigsfest nach altem Brauch. Oberst Bartholomäus von Seefeld bekam vom Dreikönigskuchen das Stück mit der Bohne und durfte dann während der Feier den Königstitel tragen. Oberst von Seefeld war kein Katholik, sondern Lutheraner. Die Einquartierung des Militärs führte zum Kontakt nicht nur mit Fremden, sondern auch mit 62 Johannes Kunisch, Der kleine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus, Wiesbaden 1973, S. 34–49. 63 »[…] virum sua serenitati ac bavaris in omni debita subjectione devotissimum«, Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 128f. 64 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 173. 65 »[…] cum quibus sape hilariter viximus«, Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 108f. 66 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 125.

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einer anderen Konfession. Mit Ausnahme der Herrschaften Schleiden und Manderscheid war das Herzogtum Luxemburg ausschließlich katholisch geblieben. Die Anwesenheit von Andersgläubigen erzeugte jedoch keine Konflikte in Echternach. Ganz von einer Missionierung der ›Häretiker‹ konnten die Mönche aber nicht ablassen. Von Seefeld wechselte unmittelbar vor seinem Tod am 8. Februar 1709 die Konfession und trat zum Katholizismus über – ein Vorgang, den Kees ausführlich schildert, auch um seine eigene Rolle bei der Bekehrung zu unterstreichen. Die Konversion des hohen Offiziers fand vor den Augen der Öffentlichkeit statt und wurde mit großem Aufwand inszeniert. Die Witwe des Verstorbenen sowie zwei weitere Militärpersonen folgten dem Beispiel.67 Moralische Vorurteile verstärkten die Abneigung gegenüber der französischen Garnison. Die Franzosen galten als zügellose Liebhaber und Frauenverführer. Sie wurden verantwortlich gemacht für den Anstieg der Prostitution und der Geburt von unehelichen Kindern. Ein Tross von Soldatenfrauen begleitete das Freikorps, das 1703 von Köln aus kommend in Echternach einzog, »verstoßene Frauen aus Deutschland«, wie Keess abschätzig vermerkte.68 Der Kirchenmann empörte sich, dass selbst ihr Anführer Ch–teaufort nicht mehr mit seiner legitimen Ehefrau zusammenlebte, sondern mit einer Konkubine. Als 1711 eine Epidemie ausbrach, erkannte Keess darin eine göttliche Strafe für das unsittliche Leben, zu dem die Soldaten die Bevölkerung verführt hatten. In einem einzigen Jahr will Keess nicht weniger als elf uneheliche Kinder gezählt haben. Einige Eltern sollen sogar aus Gewinnsucht ihre eigenen Töchter »sacrificare daemony¨s prostituere«, das heißt dem Dämonen geopfert und als Prostituierte an das Militär ausgeliefert haben. Insbesondere ein hoher Offizier, der in der Chronik nicht namentlich genannt wird, stach als notorischer Frauenheld hervor. In seiner Wohnung lebten mehrere Frauen. Eine von ihnen gebar drei uneheliche Kinder in Folge. Zwei verheiratete Frauen, die in flagranti ertappt wurden, als sie Geschlechtsverkehr mit Soldaten hatten, wurden aus der Stadtgemeinschaft verbannt.69 Auch Eringer konstatiert, nicht ohne eine Portion Zynismus, dass Jungfrauen »bey dieser zeit so rar seind alhir zu Echternach, als die näglein, citronen und pommerantzen im graulsbüsch und in prümer bircken wachsen, quod dolendum«.70 So ist dann auch die Erleichterung groß, als »bey balt darauf Erfolgte friden die fremde gäst und franzen Männer sich hinvon dannen in andrer Länder entzogen haben«.71 67 Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 118–123. 68 »[…] ac numerosa ex inferioris germania partibus exautorato foemineo sexu«, Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 94f. 69 Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 132–135. 70 Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 197. 71 Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 136–139.

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Die politische Lage des Herzogtums war verworren, der Ausgang des Streits um das spanische Erbe lange Zeit ungewiss. Dennoch bezogen alle vier Selbstzeugnisse eindeutig Position. Wer Freund war und wer Feind, geht klar aus der Darstellung hervor. Als am 5. April 1705 Kaiser Leopold I. stirbt und sein Sohn Joseph I. ihm auf dem Kaiserthron folgt, exklamiert Eringer in seinem Tagebuch: »Es lebe in Ewigkeit das hehre Haus Österreich, mögen zurückweichen und zerstreut werden, welche ihm Böses wollen, sie mögen zuschande gehen und untergehen wie die Stoppeln angesichts des Windes«.72 Keess, Eringer und Blanchart ergreifen in ihren Chroniken Partei für den Kaiser und die habsburgischen Herrscher.73 Jeder Sieg, jede erfolgreiche Belagerung oder Feldschlacht der alliierten Truppen gegen Frankreich wird erwähnt. Die verschiedenen Aussagen in den Selbstzeugnissen verdichten sich zum Feindbild Frankreich. Die französische Herrschaft unter Ludwig XIV. und die Truppenpräsenz während des Spanischen Erbfolgekrieges werden negativ bewertet. Die Ablehnung gegenüber Frankreich kann aber auch dadurch bedingt sein, dass alle Zeugen, mit Ausnahme von Feller, ihre Chroniken während der österreichischen Herrschaft niederschrieben oder zumindest die Reinschrift anfertigten. Zum Zeitpunkt des Entstehens der Werke von Keess, Blanchart und wahrscheinlich auch Eringer war Karl VI. bereits der anerkannte Herrscher der Niederlande, und es gab erneut Spannungen mit dem französischen Nachbarn, die schließlich in den Polnischen Erbfolgekrieg mündeten. Die Herrschafts- und Treueverhältnisse nach 1715 dürften demnach rückwirkend die Wahrnehmung Frankreichs in den Chroniken geprägt haben. Wäre Luxemburg nach 1697 bzw. nach 1714 bei Frankreich geblieben, würde die vorherige französische Besatzung wahrscheinlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.

IX.

Herrschaftswechsel und Legitimitätsdenken

Blanchart schildert eine Begebenheit, die sich Anfang 1698 beim Herrschaftswechsel in Marche-en-Famenne zutrug und die eine antifranzösische Einstellung nicht nur unter Vertretern der kirchlichen und adligen Eliten, sondern auch innerhalb der Bevölkerung belegt. Als nach dem Frieden von Rijswijk die spanischen Truppen in Marche einzogen, wurde ihnen ein Mann vorgeführt der einen vierzehn Jahre alten Bart trug. Er hatte 1684, nach der Einnahme Luxemburgs, den Schwur abgelegt, sich nicht mehr zu rasieren, solange die 72 »Vivat in aeternum domus austriaca augustissima, avertantur retrorsum et crebescant cogitantes eidem mala, confundantur et pereant et fiant sicut stipula ante faciem venti«, Eringer, Ephemeriden (wie Anm. 15), S. 54. 73 Feller ist bis zur Einnahme der Stadt Luxemburg pro spanisch eingestellt; dann versucht er ein Auskommen mit den neuen Machthabern zu finden.

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Franzosen in dieser Festung blieben. Jetzt ließ er sich vor versammelter Menschenmenge aus Freude über die Ankunft der Spanier den Bart schneiden. Lauthals verkündete er, man habe ihm den »französischen Bart« abgenommen. »Jetzt könne er beruhigt sterben, denn er habe das Glück gehabt noch zu erleben, wie die Provinz ihrem wahren und rechtmäßigen Herrscher zurückerstattet wurde«.74 Trotz des häufigen Herrschaftswechsels hatten die Menschen des ausgehenden 17. Jahrhunderts ein sehr präzises Verständnis von der Rechtmäßigkeit der Herrschaftsverhältnisse. Insbesondere bei Blanchart kommen Landesbewusstsein und Legitimitätsverständnis offen zum Ausdruck. Die Art und Weise, wie er die politischen Umwälzungen erzählt, verdeutlichen sein Macht- und Standesinteresse. Blanchart war Adelsmitglied der Luxemburger Landstände. Als solcher verteidigte er die Vorrechte des Adels und das Mitbestimmungsrecht der Stände. Für Blanchart war die französische Okkupation zwischen 1684 und 1698 keine legitime Herrschaft gewesen, denn sie brach mit der Verfassung des Landes. Nach der Eroberung Luxemburgs 1684 hatte das französische Regime den adelig-ständischen Einfluss stark eingeschränkt. Es schaffte die Ständeversammlung zwar nicht ab, berief sie aber auch nicht mehr ein.75 Ludwig XIV. erhob die Steuern ohne Votierung und Mitwirkung der Stände. Die neuen Machthaber kümmerten sich nicht um die alten Privilegien und Freiheiten des Herzogtums, sondern verwalteten es nach französischem Muster.76 Bezeichnend für den Umgang der absoluten Monarchie mit den gewohnheitsrechtlichen Ansprüchen der lokalen Eliten ist folgende Szene, die Blanchart in seiner Chronik schildert: In der Festung Luxemburg wurden nach altem Brauch die Schlüssel des Haupttors der Schlossbefestigung vom Propst der Stadt aufbewahrt. Deshalb wandte sich der Wortführer der Landstände, Baron d’Ouren, der gleichzeitig das Amt des Propstes innehatte, mit der Bitte an Kriegsminister Louvois, ihm doch die Schlüssel der Schlosspforte auszuhändigen. Daraufhin fragte ihn Louvois, ob es für das alte Tor, das bei der Belagerung zerstört worden war, noch Schlüssel gebe, was d’Ouren bejahte. Der Kriegsminister erwiderte mit einem Lächeln: »Dann sind wir einverstanden. Nach der Belagerung, musste der 74 »[…] lequel ayant fait para„tre une joye incroyable — l’arriv¦e des espagnols — Marche et t¦moign¦ se vouloir faire quitter la barbe, on dressat un espÀce de th¦–tre sur la place, l— o¾ il fut ras¦ publicquement, dont il fut charm¦, disant qu’on luy avoit ost¦ la barbe franÅoise, et qu’il estoit content de mourir, puisqu’il avoit le bonheur de veoir la province restitu¦e — son vray et l¦gitime souverain«, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 167. 75 Roger Petit, La politique franÅaise dans le Luxembourg de 1681 — 1697, in: Raymond Poidevin, Gilbert Trausch (Hrsg.), Les relations franco-luxembourgeoises de Louis XIV — Robert Schuman, Metz 1978, S. 39–60, hier S. 42. 76 Paul Margue, Assujetis ou sujets? Les Luxembourgeois sous Louis XIV, in: Raymond Poidevin, Gilbert Trausch (Hrsg.), Les relations franco-luxembourgeoises de Louis XIV — Robert Schuman, Metz 1978, S. 21–38.

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König neue Schlüssel für die wiedererrichtete Pforte herstellen lassen. Sie behalten die alten, wir die neuen«.77 Blanchart empört sich über diese Zurückweisung: »So verspottete der Minister des Siegers offen einen der vornehmsten Anführer dieses eroberten Landes […]. Die Wirkung der alten Freiheit war erloschen«.78 Die Wiederherstellung der spanischen Herrschaft nach 1697 sowie der Herrschaftswechsel 1714 werden im Gegenzug sehr positiv bewertet, denn sie bedeuteten eine Restauration der Landstände: »Die Provinz gelangte zu ihren alten Rechten, Freiheiten und Privilegien, die Stände wurden wieder einberufen«.79 Das Anliegen Blancharts, eine Geschichte Luxemburgs von den Römern bis in seine Zeit zu verfassen, zeugt von einem ausgeprägten Landesbewusstsein. Partikularismus äußert sich ebenfalls in einer von Oswald Keess beschriebenen Szene: Der Vertrag von Rijswijk war kaum unterzeichnet, die Franzosen lagen noch in der Festung, da entsandten die Luxemburger Landstände schon drei Abgeordnete nach Brüssel, an den Hof des Generalgouverneurs der Niederlande, Kurfürst Max Emanuel. Unter ihnen befand sich der Abt von Echternach, Benedikt Zender, der von Keess begleitet wurde.80 Keess wurde Augenzeuge eines erstaunlichen Vorgangs. Als Max Emanuel die Luxemburger Delegation in Brüssel empfing, richtete der Abt von Echternach eine kurze Begrüßung an ihn. Doch der Wortführer der Stände wählte keine der offiziellen Sprachen – Spanisch oder Französisch –, sondern sprach den Generalgouverneur in der Volkssprache Deutsch, in »sua lingua vernacula germanica« an. Max Emanuel, ein »princeps germanus«, war laut Kees sichtlich erfreut, auf Deutsch begrüßt zu werden.81 Den Ständevertretern ging es aber wohl mit dieser Geste darum, die Eigenart und die Eigenständigkeit des Herzogtums Luxemburg zu unterstreichen. In Zeiten des Herrschaftswechsels waren die Landstände Garanten der Kontinuität und Integrität des Landes.

77 »Nous sommes d’accord, le roy aprÀs le siÀge at est¦ oblig¦ de faire faire des clefs neufves — ladite porte aussy nouvellement refabriqu¦e, vous guarder¦s les vieilles et nous les neuves«, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 157. 78 »C’est ainsy que ce ministre du vainqueur se railloit ouvertement d’un des principaux chefs de ce pays conquis […] les effets de l’ancienne libert¦ se trouvÀrent esteints«, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 157. 79 »La province estant rentr¦e dans ses anciens droits, libert¦es et privilÀges, les Estats d’icelle furent aussy restablis«, Peters, Blanchart (wie Anm. 16), S. 169. 80 Keess trat erst 1698 ins Noviziat ein, doch er stand schon vorher im Dienst des Abts und des Priors der Abtei, vgl. Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 10 u. 83. 81 Keess, Retraite (wie Anm. 15), S. 82f.

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X.

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Fazit

Das Bedürfnis nach Kontinuität kann als eines der Hauptmotive gelten, ein Selbstzeugnis abzulegen. Tagebücher und Chroniken sind der Versuch, in bewegten (Kriegs-)Zeiten Ordnung zu schaffen. Schreiben ist eine Form der Krisenbewältigung. Der »diskontinuierliche Charakter des Erlebten« wird »in der kontinuierlichen Praxis des Registrierens gebannt«.82 In diesem Sinne finden die Auswirkungen der Kriege auch in den untersuchten luxemburgischen Selbstzeugnissen ihren Niederschlag. Diese berichten von Belagerung und Bombardierung, von Kontributionszahlungen und Einquartierungen, vom Zusammenleben zwischen Militär- und Zivilbevölkerung, von Feindbildern und Zugehörigkeitsgefühlen. Vergleicht man die Erzählungen des späten 17. Jahrhunderts mit denen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, fällt eine Entwicklung auf: die Grausamkeiten des Militärs gegenüber der Zivilbevölkerung nehmen ab, sie werden in geordnete Bahnen geleitet. Bellona scheint gezähmt. In den Selbstzeugnissen tauchen die Einwohner der vom Krieg berührten Gebiete aber nicht nur als passive Opfer auf, welche die militärische Gewalt wie eine Naturkatastrophe erdulden müssen. Durch das Aushandeln von Schutzgeldern und Kontributionen werden die Stadt- und Dorfgemeinden zu Akteuren, die bei der Eingrenzung des Krieges mitwirken. Friede wurde nicht nur von oben nach unten durch die Verträge der Könige und Kaiser geschaffen. Auch auf lokaler Ebene waren Landstände, Stadtregierungen, Grundherren und Amtsleute aktiv an einer Befriedung beteiligt.

82 Andreas Merzhäuser, Das ›illiterate‹ Ich als Historiograph der Katastrophe. Zur Konstruktion von Geschichte in Hans Heberles »Zeytregister« (1618–1672), in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20. 12. 2002] URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/merzhaeuser/ index.html (17. 03. 2014).

Matthias Asche, Susanne Häcker und Patrick Schiele

Studieren im Krieg. Die Universitäten entlang des Rheins im (Wind-)Schatten des Dreißigjährigen Krieges*

I.

Einleitung

Zwischen den beiden Umbruchepochen der Reformation und der Reformzeit um 1800 markierte der Dreißigjährige Krieg zweifellos die größte Erschütterung des deutschen Universitätswesens. Daher kann die These von der Zäsurhaftigkeit dieses Krieges bezogen auf das Universitätswesen nach wie vor mit einiger Berechtigung vertreten werden – wenn auch nicht mit den scharfen Verdikten der um 1900 meinungsführenden borussisch-kleindeutsch-kulturprotestantischen Historiker, welche generell die deutschen Universitäten des 17. und 18. Jahrhunderts gering schätzten und zuweilen noch heute die Universitätsgeschichtsforschung beeinflussen.1 Sie vertraten das undifferenzierte Bild eines generellen geistig-kulturellen Verfalls an deutschen Universitäten während des Dreißigjährigen Krieges – ganz analog zu dessen Deutung als ›Urkatastrophe des deutschen Volkes‹.2 Im Folgenden werden einige Überlegungen zum Themenkomplex ›Universitäten und Dreißigjähriger Krieg‹ am Beispiel der Universitäten entlang des Rheins vorgestellt. Behandelt werden einerseits die Universitäten in Südwestdeutschland und am Oberrhein – das reformierte Heidelberg, das katholische Freiburg und das lutherische Tübingen – sowie die beiden elsässi* Die Einleitung (I) wurde gemeinsam verfasst, das zweite Kapitel (II) stammt aus der Feder von Susanne Häcker und Patrick Schiele. Beide sind Doktoranden an der Eberhard Karls Universität Tübingen und befassen sich in ihren Dissertationsprojekten mit den Universitäten in Südwestdeutschland (Häcker) und im Elsass (Schiele). Den dritten Abschnitt (III) hat Matthias Asche verfasst. 1 Zum Gesamtzusammenhang vgl. etwa zuletzt den Literaturbericht von Matthias Asche, Stefan Gerber, Neuzeitliche Universitätsgeschichte in Deutschland. Entwicklungslinien und Forschungsfelder, in: Archiv für Kulturgeschichte 90 (2008), S. 159–201, hier insbesondere S. 161–165. 2 Zur Historiographietradition zum Dreißigjährigen Krieg vgl. Konrad Repgen, Über die Geschichtsschreibung des Dreißigjährigen Krieges. Begriff und Konzeption, in: ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden. Studien und Quellen, hrsg. v. Franz Bosbach, Christoph Kampmann, Paderborn u. a. 1998, S. 21–111.

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schen: die 1621 durch kaiserliche Privilegierung aus einem Gymnasium Illustre hervorgegangene reichsstädtische Universität im lutherischen Straßburg und die 1618 gegründete Jesuitenuniversität in Molsheim im Hochstift Straßburg (II). Andererseits werden die Universitäten am Nieder- und Mittelrhein sowie in Westfalen in den Blick genommen: die katholischen Universitäten in Köln, Mainz und Trier,3 dazu die erst 1614 gegründete Jesuitenuniversität in Paderborn und die 1619 vom Reichsvikar, dem pfälzischen Kurfürsten Friedrich V., von einem vormaligen Gymnasium Illustre in Stadthagen mit akademischen Privilegien begabte, 1621 eröffnete Universität in Rinteln an der Weser, – neben der nur kurzzeitigen Osnabrücker Jesuitenuniversität (1629–1633) – die beiden einzigen dauerhaft bestehenden westfälischen Universitäten (III).4 Die große Zahl der vorgestellten Institutionen verlangt zwangsläufig nach thematischer Beschränkung und Exemplarität. Aus diesem Grunde stehen vor allem folgende Fragestellungen im Zentrum: Erstens das Problem der Präsenz des Krieges in einer Universitätsstadt, zweitens die Auswirkungen des Krieges auf den Studentenbesuch und den Lehrbetrieb sowie schließlich drittens die Überlebens- und Bewältigungsstrategien von Professoren und Studenten. Andere, zweifellos ebenso wichtige Aspekte, etwa Auswirkungen des Krieges auf die Wirtschafts- und Finanzgeschichte von Universitäten5 oder auf einen Mentalitätswandel der Studenten6, müssen hier ausgespart bleiben. Insgesamt ist zu 3 Knappe Überblicke über die Universitäten im Rheinland vermitteln Hermann Keussen, Die alten rheinischen Universitäten, in: Westdeutsche Monatshefte für das Geistes- und Wirtschaftsleben 1 (1925), S. 549–567; Dietrich Höroldt, Das rheinische Hochschulwesen der Frühen Neuzeit, in: Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Eine Gesellschaft zwischen Tradition und Wandel. Alltag und Umwelt im Rheinland des 18. Jahrhunderts, Köln 1999, S. 109–125. 4 Knappe Überblicke über die Universitäten und das höhere Schulwesen in Westfalen vermitteln Alfred Hartlieb von Wallthor, Höhere Schulen in Westfalen vom Ende des 15. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Westfälische Zeitschrift 107 (1957), S. 1–105; Josef Bergenthal, Alte und neue Universitäten in Westfalen, Münster 1971. Vgl. darüber hinaus Eduard Hegel, Die Jesuiten in Westfalen (16.–18. Jahrhundert), in: Peter Berghaus (Hrsg.), Köln – Westfalen 1180–1980. Landesgeschichte zwischen Rhein und Weser, Bd. 1, 2. Aufl., Münster 1981, S. 363–368. 5 Hier wäre etwa darauf hinzuweisen, dass auch während des Dreißigjährigen Krieges Stipendien gestiftet wurden – sogar auffallend zahlreich, wie etwa in Köln, vgl. hierzu die tabellarische Übersicht bei Tanja Ahrendt (Red.), Bildung stiften. Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Köln 2000, S. 178f. Weil aber vielfach das Stiftungskapital der Privatstipendien angegriffen wurde, um damit Schulden zu zahlen, konnte dies freilich dazu führen, dass die Stiftertätigkeit nicht nur nach dem Ende des Krieges auffallend nachließ, sondern auch bestehende Stipendien oft nicht mehr regelmäßig und in voller Höhe verliehen wurden, vgl. zum Gesamtzusammenhang Matthias Asche, Studienförderung und Stipendienwesen an deutschen Universitäten in der Frühen Neuzeit, in: ders., Stefan Gerber (Hrsg.), Studienförderung und Stipendienwesen an deutschen Universitäten von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2013, S. 37–105, hier S. 49. 6 Exemplarisch vgl. Hermann Stünkel, Rinteln im 30jährigen Kriege. Eine Chronik, Rinteln 1952, welcher das Betragen der Rintelner Studenten scharf kritisiert: Sie hätten sich aufge-

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betonen, dass der Themenkomplex ›Universitäten und Dreißigjähriger Krieg‹ noch keineswegs vollständig erfasst oder gar vergleichend behandelt wurde.7 Die Entwicklung der Besucherfrequenzen ist der sichtbarste Marker für die tiefgreifende Krise der meisten deutschen Universitäten.8 Für die hier behandelten Universitäten ist diesbezüglich auf die beiden beigefügten Diagramme mit den Frequenzverläufen zu verweisen. Zu betonen ist gleichwohl, dass am Ende des Dreißigjährigen Krieges immerhin mehr Universitäten in den Territorien und Städten des Heiligen Römischen Reiches – unter Ausklammerung der Hochschulen in der Eidgenossenschaft, im Burgundischen Reichskreis und in Reichsitalien – bestanden (29) als noch dreißig Jahre zuvor (25).9 Die konfessionell vielgestaltige Universitätslandschaft konnte somit nicht nur über die führt wie die »Herren der Stadt«, vgl. ebd., S. 89f., ähnliche Wertungen öfter. Zur angemessenen Einordnung des studentischen Tumults während des Dreißigjährigen Krieges vgl. Marian Füssel, Akademischer Sittenverfall? Studentenkultur vor, in und nach der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Thomas Kossert u. a. (Hrsg.), Universitäten im Dreißigjährigen Krieg, Potsdam 2011, S. 124–146. 7 Eine Gesamtübersicht bietet Howard Hotson, A dark Golden Age. The Thirty Years War and the universities of Northern Europe, in: Allan McInnes u. a. (Hrsg.), Ships, guns and bibles in the North Sea and Baltic States c.1350 – c.1700, East Linton 2000, S. 235–270, dazu neuerdings den Sammelband von Thomas Kossert u. a., Universitäten (wie Anm. 6), darin insbesondere der Beitrag von Matthias Asche, Der Dreißigjährige Krieg und die Universitäten im Heiligen Römischen Reich. Ein Fazit und viele offene Fragen, S. 147–182 – jeweils mit weiterführender Literatur. Seither sind folgende einschlägige Studien erschienen: Alexander Zirr, Stadt und Universität Leipzig im Dreißigjährigen Krieg, in: Detlef Döring (Hrsg.), Stadt und Universität Leipzig. Beiträge zu einer 600jährigen wechselvollen Geschichte, Leipzig 2010, S. 145–166; Hans Schlosser, L’universit— ducale bavarese di Ingolstadt. Propugnatrice della ricattolicizzazione e baluardo della controriforma cattolica durante la Guerra dei Trent’anni, in: Piero Del Negro (Hrsg.), Le universit— e le guerre dal Medioevo alla Seconda Guerra mondiale, Bologna 2011, S. 59–68; Linda Wenke Bönisch, Universitäten und Fürstenschulen zwischen Krieg und Frieden. Eine Matrikeluntersuchung zur mitteldeutschen Bildungslandschaft im konfessionellen Zeitalter (1563–1650), Berlin 2013; Alan S. Ross, Pupils’ choices and social mobility after the Thirty Years War. A quantitative study, in: The Historical Journal 57 (2014), S. 311–341. 8 Zur Entwicklung der Immatrikulationszahlen deutscher Universitäten vgl. die Tabellen bei Asche, Krieg (wie Anm. 7), S. 180–182. 9 Das Universitätswesen im Heiligen Römischen Reich am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges bestand jeweils zur Hälfte aus katholischen und protestantischen Hochschulen. Die katholischen Universitäten: Wien, Köln, Erfurt, Freiburg, Ingolstadt, Trier, Mainz, Dillingen, Würzburg, Graz, Olmütz, Paderborn und Molsheim – dazu die utraquistische Universität Prag –, die protestantischen Universitäten: Heidelberg (reformiert), Leipzig (lutherisch), Rostock (lutherisch), Greifswald (lutherisch), Tübingen (lutherisch), Wittenberg (lutherisch), Frankfurt an der Oder (lutherisch/reformiert), Marburg (reformiert), Jena (lutherisch), Helmstedt (lutherisch) und Gießen (lutherisch). Bis 1648 wurden folgende Universitäten gegründet: Straßburg (lutherisch), Rinteln (lutherisch), Salzburg (katholisch), Altdorf (lutherisch) und Bamberg (katholisch). Eine Übersicht bietet Laetitia Boehm, Rainer A. Müller (Hrsg.), Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eine Universitätsgeschichte in Einzeldarstellungen, Düsseldorf 1983.

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Kriegsjahre bewahrt, sondern sogar noch erweitert werden. Dies war vor allem das Ergebnis von Statuserhöhungen einiger zuvor nur als Akademische Gymnasien (Gymnasia Illustria) zu bezeichnenden, universitätsähnlichen Institutionen. Für den Untersuchungsraum entlang des Rheins sind hier die beiden 1621 mit kaiserlichen Privilegien begabten lutherischen Hohen Schulen Straßburg10 und Rinteln11 zu nennen. Dazu trat als kurzlebige Neugründung die Jesuitenuniversität in Osnabrück, die 1629 vom Papst und 1632 vom Kaiser mit vollen akademischen Rechten versehen wurde, aber nach der schwedischen Eroberung der Stadt 1633 wieder geschlossen werden musste.12 Die Gründung Osnabrücks und der parallel laufende, aber letztlich gescheiterte Gründungsversuch im benachbarten Münster13 verweisen darauf, dass im Krieg nicht zwingend das akademische Leben zum Erliegen kommen musste. Allerdings waren bei Kriegsende noch immer zwei ältere Universitäten geschlossen: Gießen und Heidelberg.

10 Anton Schindling, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538–1621, Wiesbaden 1977, S. 67–77. 11 Gerhard Schormann, Academia Ernestina. Die schaumburgische Universität zu Rinteln an der Weser (1610/21–1810), Marburg 1982, S. 87–103. 12 Karl Hengst, Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten. Zur Geschichte der Universitäten in der Oberdeutschen und Rheinischen Provinz der Gesellschaft Jesu im Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzung, Paderborn u. a. 1981, S. 266–284; Michael F. Feldkamp, Johannes Alting (1587–1652). Rektor der Jesuitenuniversität Osnabrück und Weggefährte des Bischofs Franz Wilhelm von Wartenberg. Ein Lebensbild im Zeitalter der Konfessionalisierung, in: Osnabrücker Mitteilungen 100 (1995), S. 75–116; außerdem ders., Die Statuten der Jesuitenuniversität Osnabrück und ihrer Fakultäten, in: Osnabrücker Mitteilungen 91 (1986), S. 85–139. 13 Die Gründung der Universität Münster scheiterte – trotz vorliegender päpstlicher (1629) und kaiserlicher Privilegien (1631) – am Widerstand der Landstände, welche eine Dotation von der Errichtung einer Vier- statt der üblichen jesuitischen Zwei-Fakultäten-Universität abhängig machten, um nicht mehr auf kostspielige Reisen ins Ausland angewiesen zu sein, vgl. Alwin Hanschmidt, Die erste münstersche Universität 1773/80–1818. Vorgeschichte, Gründung und Grundzüge ihrer Struktur und Entwicklung, in: Heinz Dollinger (Hrsg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 3–28, hier S. 4f.; Hengst, Jesuiten (wie Anm. 12), S. 238–266; ders., Kritik von Stadt und Ständen an den Universitätsprivilegien für Münster 1626 und 1629, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Stadt und Universität, Köln u. a. 1993, S. 127–141; Bernd Schönemann, Die Bildungsinstitutionen in der frühen Neuzeit, in: FranzJosef Jakobi (Hrsg.), Geschichte der Stadt Münster, Bd. 1, 3. Aufl., Münster 1994, S. 683–733, hier S. 704–706.

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II.

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Die oberrheinisch-südwestdeutschen Universitäten im Dreißigjährigen Krieg14

Der Dreißigjährige Krieg zog bekanntlich – vereinfacht formuliert – eine Verwüstungs- und Zerstörungsspur quer durch das Reich: vom Nordosten über Mitteldeutschland und Franken bis in den Südwesten.15 Die Territorien und Städte entlang des Oberrheins gehörten dabei zu den am meisten und schwersten von den direkten Kriegseinwirkungen betroffenen Regionen. Dies gilt in besonderer Weise für die Kurpfalz mit der in der Residenzstadt des geächteten und geflohenen ›Winterkönigs‹ gelegenen Universität Heidelberg. Bereits im September 1622 wurde die Stadt von Liga-Truppen erobert und war seither dauerhaft von fremden Truppen besetzt. Erst ab 1632, mit dem Vordringen des schwedischen Königs, gab es in Heidelberg eine – allerdings nur kurzzeitige – Wiederherstellung der vormaligen protestantischen Verhältnisse.16 Württemberg und damit auch Tübingen bekam in den ersten Jahren nur die Randerscheinungen des Krieges, wie etwa Truppendurchzüge, Einquartierungen und die Inflation der Kipper und Wipper, zu spüren.17 Die Situation änderte sich durch die militärischen Erfolge auf kaiserlicher Seite und die darauffolgenden Einquartierungen friedländischer Truppen Wallensteins in Württemberg im Jahr 1628.18 Für weitere Spannungen sorgte das am 6. März 1629 durch Kaiser Ferdinand II. erlassene Restitutionsedikt. Unter dem Schutz der in Württemberg bereits einquartierten kaiserlich-wallensteinischen Truppen wurde das Edikt dann schließlich ab August 1630 durchgesetzt.19 Der 14 Zum Folgenden vgl. auch Susanne Häcker, Universität und Krieg. Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg, in: Kossert u. a. (Hrsg.), Universitäten (wie Anm. 6), S. 98–123; dies., Universität und Krieg. Die Auswirkung des Dreißigjährigen Krieges auf die Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg (Projektskizze), in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 11 (2007), S. 163–173. 15 Noch immer grundlegend Günther Franz, Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk, 4. Aufl., Stuttgart 1979. 16 Karl Moersch, Geschichte der Pfalz. Von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Landau 1987, S. 336f.; Meinrad Schaab, Geschichte der Kurpfalz, Bd. 2, Stuttgart u. a. 1992, S. 112f.; Anton Schindling, Walter Ziegler, Kurpfalz, Rheinische Pfalz und Oberpfalz, in: dies. (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 5, Münster 1993, S. 8–49, hier S. 39f. 17 Zit. nach Klaus Schreiner, Die Katastrophe von Nördlingen. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Folgen einer Schlacht für Land und Leute des Herzogtums Württemberg, in: Frieden ernährt Krieg und Unfrieden zerstört. Beiträge zur Schlacht bei Nördlingen 1634, Nördlingen 1985, S. 39–90, hier S. 41. 18 Gudrun Emberger, »In alten vigor und guten standt zu bringen…« Studien zum Wiederaufbau der Universität Tübingen nach dem Dreißigjährigen Krieg, Tübingen 1977, S. 14. 19 Andreas Neuburger, Konfessionskonflikt und Kriegsbeendigung im Schwäbischen Reichskreis. Württemberg und die katholischen Reichsstände im Südwesten vom Prager Frieden

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Versuch, die kaiserliche Armee zu vertreiben, misslang; die Truppen blieben im Land und zogen sich erst im Februar 1632 beim Heranrücken des schwedischen Königs Gustav Adolf und seiner Armee zurück.20 Auch aus Sicht der Universitätsgeschichte im Untersuchungsraum markierte die Schlacht bei Nördlingen im Jahre 1634 eine Zäsur des Krieges, in deren Folge die schwedischen Truppen Südwestdeutschland verlassen mussten.21 Seit Dezember 1632 war zuvor auch die Universitätsstadt Freiburg im Breisgau für einige Zeit schwedisch besetzt. Die vorderösterreichische Stadt blieb als umkämpfte Festungsstadt in unmittelbarer Nähe des Rheins dauerhaft von direkten Kriegshandlungen betroffen: Im Jahre 1638 eroberte der unversorgte Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, dem der französische König als Kriegslohn das Elsass versprochen hatte, die Stadt Freiburg und machte sie zur Residenz seiner »Fürstlich Sächsischen Regierung«. Da er bereits ein Jahr später starb, geriet die Stadt wie auch der Breisgau insgesamt und große Teile des Elsass mit der fürstbischöflichen Universitätsstadt Molsheim unter dauerhafte französische Besatzung.22 Im Falle Freiburgs hielt diese bis zum Entsatz durch kaiserliche und bayerische Truppen im Sommer 1644 an. In Tübingen bestand die erst 1647 eingerichtete französische Besatzung sogar noch bis zum Jahre 1649. Insgesamt waren alle genannten Universitätsstädte seit den 1620er Jahren mehr oder weniger durchgehend von Einquartierungen und anderen Begleiterscheinungen des Krieges betroffen.23 Lediglich die Universitätsstädte Straßburg und Basel wurden während des Dreißigjährigen Krieges nicht von fremden Truppen eingenommen. Durch die formale Neutralität der Eidgenossenschaft einerseits und die starke Befestigung der mächtigen elsässischen Reichsstadt andererseits wurden diese Städte während des Krieges jedoch wiederholt zu

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bis zum Westfälischen Frieden (1635–1651), Stuttgart 2011, S. 2; Walter Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457–1957. Von den Landständen zum demokratischen Parlament, Stuttgart 1957, S. 304; Klaus Schreiner, »Beutegut aus Rüst- und Waffenkammern des Geistes.« Tübinger Bibliotheksverluste im Dreißigjährigen Krieg, in: Eine Stadt des Buches. Tübingen 1498–1998, Tübingen 1998, S. 77–130, hier S. 43. Hugo Gmelin, Der Kriegszug des Grafen Egon von Fürstenberg gegen Württemberg 1631, der sogenannte Kirschenkrieg, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte 7 (1898), S. 104–123; Grube, Landtag (wie Anm. 19), S. 305; Schreiner, Katastrophe (wie Anm. 17), S. 43. Schreiner, Katastrophe (wie Anm. 17), S. 39–90; Wilfried Setzler u. a., Kleine Tübinger Stadtgeschichte, 2. Aufl., Tübingen 2013, S. 75–80. Das Standardwerk stammt aus der Feder von Jean B. Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg im Elsaß 1618–1648, 3 Bde, Carspach, Mulhouse 1912/29. Horst Buszello, Hans Schadek, Alltag der Stadt – Alltag der Bürger. Wirtschaftskrisen, soziale Not und neue Aufgaben der Verwaltung zwischen Bauernkrieg und Westfälischem Frieden, in: Heiko Haumann, Hans Schadek (Hrsg.), Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau, Bd. 2, Stuttgart 1994, S. 90–161.

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Zufluchtsorten sowohl für die Landbevölkerung als auch für Studenten und Professoren.24 Die Attraktivität und Bedeutung einer Universität zu messen ist damals wie heute ein schwieriges Unterfangen. Ist es die Reputation einzelner akademischer Lehrer, oder ist es der – salopp formuliert – ›Freizeitwert‹, der eine Universität zu einer erfolgreichen macht? Als ein verlässlicher – freilich keineswegs als einziger – Indikator für die Anziehungskraft einer Universität kann die Besucherfrequenz gelten. Diese ist anhand der Universitätsmatrikeln zu ermitteln. Mit Ausnahme von Molsheim – hier sind die Originalmatrikeln des 17. Jahrhunderts verloren – liegen für alle südwestdeutsch-oberrheinischen Universitäten Matrikeleditionen25 vor, die jedoch sämtlich von der Forschung bislang noch nicht systematisch ausgewertet wurden.26 Die kurpfälzische Universität in Heidelberg besaß am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges neben den niederländischen Hochschulen eine zentrale Bedeutung für den europäischen Calvinismus. Entsprechend international waren die Besucher der Universität, die von den Zeitgenossen gelegentlich auch als das »Deutsche Genf« bezeichnet wurde; etwa zwei Fünftel der Heidelberger Studenten rekrutierten sich aus nichtdeutschen Territorien und Städten.27 Mit dem Einfall spanischer Truppen in die Rheinpfalz 1620 und der Niederlage Kurfürst Friedrichs V. in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag brachen die Immatrikulationszahlen umgehend ein. Die meisten reformierten Professoren und Studenten flohen vor den katholischen Besatzungstruppen, vor allem an die reformierten Hochschulen in den Niederlanden und in der Eidgenossenschaft, aber auch an andere protestantische Universitäten, vor allem nach Straßburg.28 Nach der bayerischen Eroberung Heidelbergs entließ Kurfürst Maximilian I. 24 Robert Strittmater, Die Stadt Basel während des Dreißigjährigen Krieges. Politik, Wirtschaft, Finanzen, Bern 1977; Bernard Vogler, Geschichte des Elsaß, Stuttgart 2012, S. 92f. 25 Gustav Toepke (Hrsg.), Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662, Bd. 2, Heidelberg 1886, ND Nendeln 1976; Heinrich Hermelink (Hrsg.), Die Matrikeln der Universität Tübingen von 1600–1710, Bd. 2, Tübingen 1953; Gustav Carl Knod (Hrsg.), Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621 bis 1793. Die allgemeinen Matrikeln und die Matrikeln der Philosophischen und Theologischen Facultät, Bd. 1, Straßburg 1897, ND Nendeln 1976; Hermann Mayer (Hrsg.), Die Matrikel der Universität Freiburg i. Br. von 1460–1656, Bd. 2, Freiburg/Brsg. 1907. 26 Zur Quellengattung der Universitätsmatrikel vgl. Matthias Asche, Susanne Häcker, Matrikeln, in: Ulrich Rasche (Hrsg.), Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven, Wiesbaden 2011, S. 243–267. 27 Notker Hammerstein, Vom »Dritten Genf« zur Jesuiten-Universität. Heidelberg in der frühen Neuzeit, in: Die Geschichte der Universität Heidelberg, Heidelberg 1986, S. 34–44, hier S. 39; Armin Kohnle, Die Universität Heidelberg als Zentrum des reformierten Protestantismus im 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: M‚rta Font, L‚szlo Szögi (Hrsg.), Die ungarische Universitätsbildung und Europa, P¦cs 2001, S. 141–159, hier S. 152f. 28 Toepke, Matrikel (wie Anm. 25), S. 272–307; Alexander Persijn, Pfälzische Studenten und ihre Ausweichuniversitäten während des Dreißigjährigen Krieges, Waldfischbach 1959.

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sämtliche noch anwesende reformierte Professoren und richtete 1629 mit Hilfe von Jesuiten eine katholische Universität ein. An dieser immatrikulierten sich in den kommenden drei Jahren allerdings nur noch insgesamt 145 Besucher. In der schwedischen Besatzungszeit wurde die Universität zwar formal wieder protestantisch, aber ein Lehrbetrieb konnte nicht wieder in Gang gebracht werden,29 sodass vom Dezember 1631 bis zur förmlichen Wiedereröffnung der Universität im Jahre 1653 in Heidelberg auch keine Immatrikulationen mehr stattfanden.30 Demgegenüber blieb der Tübinger Lehrbetrieb – abgesehen vom Pestjahr 1625 – in den ersten knapp anderthalb Kriegsjahrzehnten ohne Einbrüche. Für die Zeit nach 1621 ist sogar ein gewisser Zulauf an Studenten zu beobachten, der wohl auch der Situation in Heidelberg geschuldet war.31 Nach der Schlacht bei Nördlingen 1634 setzten sich sowohl einige Professoren als auch zahlreiche Studenten hinter die sicheren Mauern der mächtigen Stadt Straßburg ab, wohin auch Herzog Eberhard III. mit seinem Hofstaat geflohen war ;32 allein am 30. September 1634 trugen sich 28 Württemberger zum Studium an der Straßburger Philosophischen und 18 an der Theologischen Fakultät ein.33 Die beiden Pestwellen der Jahre 1634/35 dezimierten die Tübinger Bürger-, Studenten- und Professorenschaft abermals: insgesamt vierzehn Professoren fielen dieser Pest zum Opfer.34 Unter den Bedingungen dauerhafter fremder Besatzungen blieb Tübingen bis zum Ende des Krieges mit durchschnittlich 40 Immatrikulationen pro Jahr eine nur schwach besuchte Universität.35 Für Freiburg brachte die Inkorporation der Jesuiten in den Lehrkörper der Universität seit dem Wintersemester 1620/21 zunächst einen signifikanten Anstieg der Immatrikulationszahlen, unterbrochen nur durch das Pestjahr 1627.36 Bis zum Einmarsch schwedischer Truppen 1632 wurde der Vorlesungsbetrieb kaum vom Krieg beeinträchtigt. Obwohl die schwedische Besatzung als eine der ersten Maßnahmen die Jesuiten vertrieben hatte, stand die Katholizität der habsburgischen Universität zu keiner Zeit in Frage.37 Unter den wechselnden 29 Volker Press, Kurfürst Maximilian I. von Bayern, die Jesuiten und die Universität Heidelberg im Dreißigjährigen Krieg 1622–1649, in: Wilhelm Doerr (Hrsg.), Semper Apertus. Sechshundert Jahre Universität Heidelberg 1386–1986, Bd. 1, Berlin, Heidelberg 1985, S. 314–370, hier S. 336f. 30 Toepke, Matrikel (wie Anm. 25), S. 313. 31 Hermelink, Matrikeln (wie Anm. 25), S. 109–189; Persijn, Studenten (wie Anm. 28), S. 42f. 32 Schreiner, Katastrophe (wie Anm. 17), S. 46. 33 Knod, Matrikeln (wie Anm. 25), S. 305f. u. 608. 34 Bernhard Zaschka, Die Lehrstühle der Universität Tübingen im Dreißigjährigen Krieg, Tübingen 1993, S. 147f. 35 Hermelink, Matrikeln (wie Anm. 25), S. 213–238. 36 Theodor Kurrus, Die Jesuiten an der Universität Freiburg i. Br. 1620–1773, Bd. 1, Freiburg/ Brsg. 1963, S. 18f.; Frank Rexroth, Die Universität bis zum Übergang an Baden, in: Haumann, Schadek, Geschichte (wie Anm. 23), S. 482–509, hier S. 486. 37 Kurrus, Jesuiten (wie Anm. 36), S. 27f.

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fremden Besatzungen fielen die Immatrikulationszahlen bei äußeren Einwirkungen wie Pest oder Belagerungen sofort, stiegen aber in ›Ruhephasen‹ sogleich auch wieder an, so etwa in der Zeit der Besatzung durch Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar 1634/38. Unter französischer Herrschaft (1638/44) fanden nur noch wenige Studenten den Weg nach Freiburg.38 Das Gymnasium Illustre in Straßburg hatte noch am Beginn des Krieges, im Jahre 1621, von Kaiser Ferdinand II. die Privilegien als Volluniversität erhalten.39 Eine solche Stärkung der protestantischen Seite konnte die Reichsstadt Straßburg vom katholischen Kaiser im Gegenzug für ihren Austritt aus der protestantischen Union erlangen, nachdem ihre dahingehenden Bemühungen vorher lange erfolglos geblieben waren.40 Nunmehr in der günstigen Situation, auch akademische Grade in allen vier Fakultäten verleihen zu können, profitierte die reichsstädtische Universität in den 1620er Jahren zunächst von den schwierigen Verhältnissen in Heidelberg,41 dann seit 1634 vor allem vom Niedergang der benachbarten Tübinger Universität. Während weite Teile des Elsass bereits seit den ersten Kriegsjahren immer wieder von Plünderungen und Verwüstungen heimgesucht wurden, konnte sich die mächtige Reichsstadt dem direkten Zugriff der Kriegsparteien bis zuletzt erwehren.42 Doch ebenso wie die Folgen des Krieges auch in der Stadt spürbar wurden – beispielsweise durch die hohe Zahl von Schutzsuchenden sowie dramatische Getreideteuerungen, besonders in den Hunger- und Seuchenjahren 1637/38 –,43 verfehlten sie ihre Wirkung auf die reichsstädtische Universität nicht. Die kriegsbedingt niedrige Zahl der Studenten aus dem Elsass44 und der zunächst noch ungebrochene Zustrom von Studenten aus den rechtsrheinischen Gebieten verliehen der Straßburger Universität während des Krieges das Erscheinungsbild einer »Fremdenuniversi38 39 40 41

Mayer, Matrikel (wie Anm. 25), S. 794–932. Schindling, Hochschule (wie Anm. 10), S. 160. Schindling, Hochschule (wie Anm. 10), S. 67–77. Aus konfessionellen Gründen war der Besuch der Straßburger Universität für Studenten aus dem lutherischen Tübingen ungleich attraktiver als für Studenten aus dem reformierten Heidelberg – in besonderem Maße gilt dies für Studenten der Theologie. Schließlich waren die Vorbehalte der Lutherischen gegen die Calvinisten ähnlich hoch wie gegen die Katholischen. Vergleichsweise gering fällt daher die Zahl der pfälzischen Studenten in Straßburg aus, vgl. Arthur Schulze, Die örtliche und soziale Herkunft der Straßburger Studenten 1621–1793, Frankfurt/M. 1928, S. 17. 42 Franz Brendle, Reformation und konfessionelles Zeitalter, in: Michael Erbe (Hrsg.), Das Elsaß. Historische Landschaft im Wandel der Zeiten, Stuttgart 2002, S. 61–83, hier S. 83. 43 Georges Livet, Francis Rapp, Histoire de Strasbourg des origines — nos jours, Bd. 3, Straßburg 1981, S. 27–52, insb. S. 30. 44 Durch das frühe Übergreifen der Kriegshandlungen in der Form von Plünderungen und Verwüstungen seitens der Truppen Ernsts von Mansfeld war die Zahl der elsässischen Studenten von Beginn an niedrig. Nach 1624 sorgte auch die vom Hochstift Straßburg ausgehende Rekatholisierung für sinkende Studentenzahlen, Schulze, Herkunft (wie Anm. 41), S. 17.

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tät«.45 Große Anziehungskraft hatte das Studium in Straßburg dabei nicht allein auf Studenten der nahe gelegenen protestantischen Territorien. Ebenso entfaltete die Universitätsgründung große Anziehungskraft auf die Zöglinge aus den südwest- und oberdeutschen Reichsstädten. So findet sich auch während des Krieges eine konstant hohe Zahl von reichsstädtischen Studenten an der Universität Straßburg – allen voran aus Ulm und Augsburg. Erst die schwierige Situation, in der sich die protestantischen Reichsstädte nach 1634 befanden, ließ die Zahl der aus ihnen stammenden Studenten an der Straßburger Universität in den Folgejahren einbrechen.46 Zudem führten die zuweilen unsicheren Reisewege während der französischen Expansionspolitik im Elsass, vor allem in den Jahren 1636 bis 1640, zu einem Rückgang an Studenten. Die Immatrikulationsfrequenz stabilisierte sich erst wieder in den 1640er Jahren. Auch während der Kriegsjahre blieb Straßburg ein Zentrum des geistig-literarischen Lebens, ebenso waren trotz nachlassender Studentenzahlen an der reichsstädtischen Universität bedeutende Professoren wie Matthias Bernegger und Johann Heinrich Boeckler tätig.47 Insgesamt trug Straßburg praktisch den gesamten Krieg über den Charakter einer »Ausweichuniversität« für protestantische Studenten aus dem Südwesten des Reiches.48 Am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges stiftete Erzherzog Leopold, Fürstbischof von Straßburg und Passau, eine Universität in dem nur zwanzig Kilometer von Straßburg entfernt gelegenen Städtchen Molsheim. Bereits von Bischof Johann von Manderscheid angesiedelt, entfalteten die Jesuiten von Molsheim aus schon seit 1580 ihre gegenreformatorische Wirkung im Elsass.49 Als Gegengründung zur blühenden protestantischen Hochschule in Straßburg sollte sich hier – so der Anspruch des Stifters – ein katholisches Bildungszentrum für das gesamte Elsass etablieren.50 Die Molsheimer Universität war eine 45 Schulze zählt 3.906 nicht-elsässische Studenten für den Zeitraum zwischen 1621 und 1650, denen 408 Straßburger und 110 Elsässer gegenüberstanden, Schulze, Herkunft (wie Anm. 41), S. 15. 46 Zu den Studenten aus anderen Reichsstädten vgl. Schulze, Herkunft (wie Anm. 41), S. 20–26. Allein 166 Studenten kamen aus Ulm im Zeitraum zwischen 1621 und 1650 nach Straßburg, aus Augsburg 124. 47 Zur Blüte der Kunst und der Bedeutung der Straßburger Professoren in Kriegszeiten vgl. knapp Brendle, Reformation (wie Anm. 42), S. 83f. 48 Begriff nach Persijn, Studenten (wie Anm. 28). 49 Zum frühen Wirken der Jesuiten von Molsheim aus vgl. den kurzen Überblick bei Andre Marcel Burg, Die alte Diözese Straßburg von der bonifazischen Reform (ca. 750) bis zum napoleonischen Konkordat (1802). Ein geschichtlicher Überblick mit besonderer Berücksichtigung des elsässischen Teiles, in: Freiburger Diözesan-Archiv 86 (1966), S. 221–351, hier S. 302–306; ausführlich zum Wirken der Jesuiten auch Medard Barth, Die Seelsorgetätigkeit der Molsheimer Jesuiten von 1580 bis 1765, in: Archiv für elsässische Kirchengeschichte 6 (1931), S. 325–400. 50 Anton Schindling, Die katholische Bildungsreform zwischen Humanismus und Barock.

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typische Jesuitenuniversität mit nur zwei Fakultäten, einer Theologischen und einer Philosophischen. Entsprechend bestand der Lehrkörper ausschließlich aus Angehörigen des Jesuitenordens: zum Zeitpunkt der Gründung im Jahre 1618 aus 17 jesuitischen Professoren. Da die Matrikeln verloren sind, ist keine Aussage zum Molsheimer Studentenbesuch zu machen. Allerdings ist die Besetzung der dortigen Lehrstühle bekannt:51 Da die schwedischen Besatzungstruppen die Jesuiten vertrieben hatten, wird es nach 1631 in Molsheim zunächst für einige Zeit überhaupt keinen Unterricht gegeben haben. Aber auch in den späteren 1630er und den 1640er Jahren waren nur sehr wenige Lehrstühle überhaupt besetzt. So gab es etwa 1639 nur zwei Professoren an der Theologischen Fakultät und einen Philosophieprofessor. Für die Jahre 1641 bis 1649 sind lediglich ein Professor für Rhetorik und ein zweiter für lateinische Grammatik nachzuweisen, womit Molsheim noch nicht einmal über einen vollen Gymnasialkurs verfügte. Insgesamt müssen für die meiste Zeit des Krieges wohl sehr begrenzte Studienmöglichkeiten in Molsheim angenommen werden.52 Dass die Universität Basel trotz ihrer geographischen Lage im Windschatten des Krieges nur am Beginn, nämlich in den 1620er Jahren, von den Verhältnissen an den Universitäten im Heiligen Römischen Reich profitieren konnte – namentlich von den Verhältnissen in Heidelberg –, lag zum einen an ihrem profiliert reformierten Charakter, der eben generell nur wenige Studenten ansprach. Zum anderen dürfte die enorme Anziehungskraft der reformierten Hohen Schulen in den Niederlanden, vor allem der Hohen Schulen in Leiden in der Provinz Holland und in Franeker in der Provinz Friesland, dazu geführt haben, dass Basel kaum als kriegsbedingte »Ausweichuniversität« aufgesucht wurde.53 Das eindeutige konfessionelle Bekenntnis und die Rechtgläubigkeit der Professoren und Gelehrten waren an den Universitäten im 16. und 17. Jahrhundert naturgemäß von herausragender Bedeutung. Da konfessionelle Gesichtspunkte bei Berufungen von Professoren bestimmend waren, gab es an vielen Universitäten Konfessionseide als Voraussetzung für deren Lehrtätigkeit. Über die Ausbildung von territorialen geistlichen und weltlichen FunktionsDillingen, Dole, Freiburg, Molsheim und Salzburg. Die Vorlande und die benachbarten Universitäten, in: Hans Maier, Volker Press (Hrsg.), Vorderösterreich in der frühen Neuzeit, Sigmaringen 1989, S. 137–176, hier besonders S. 163–167; vgl. zur Intention der Molsheimer Universitätsgründung auch Karl Hengst, Die erzherzogliche Akademie Molsheim – eine Universität der katholischen Reform. Zur Gründungsgeschichte einer Jesuitenuniversität, in: Soci¦t¦ d’Histoire et d’Arch¦ologie de Molsheim et environs. Annuaire 1980, S. 31–53; ders., Jesuiten (wie Anm. 12), S. 225–236. 51 Oscar Berger-Levrault, Annales des Professeurs des Acad¦mies et Universit¦s Alsaciennes 1523–1871, Nancy 1892, Tabellen F. 52 Bernhard Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, Bd. 2, Freiburg/ Brsg. 1913, S. 592f. 53 Persijn, Studenten (wie Anm. 28), S. 42f.

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eliten an konfessionell gebundenen Landesuniversitäten sollten ja immerhin die vom Landesherrn bestimmten Glaubensvorstellungen verbreitet werden.54 Dem rechten Glauben anzugehören, war in der unruhigen Kriegszeit von existenzieller Bedeutung. Materielle Gesichtspunkte und das Ziel, die Kriegszeiten möglichst unbeschadet zu überstehen, hatten neben Gewissens- und Glaubensgründen große Bedeutung für so manchen Konvertiten innerhalb der Professorenschaft. Der Konfessionsübertritt von Gelehrten darf insbesondere in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges als ein bedeutendes, Aufsehen erregendes Ereignis gewertet werden und war oft mit öffentlichen Konversionsschriften verbunden.55 Die Obrigkeiten bzw. die oftmals konfessionsfremden Besatzungsmächte erhofften sich von solchen öffentlich zelebrierten Konfessionswechseln zweifellos einen Nachahmungseffekt in der Studentenschaft und in der Bevölkerung. Unter den Heidelberger und Tübinger Professoren konnten für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges insgesamt fünf Konvertiten nachgewiesen werden. Ein besonders auffälliges Beispiel stellt der Fall des Mehrfachkonvertiten Reinhard Bachoven56 dar, der sich als Heidelberger Rechtsprofessor zwischen 1621 und 1635 nacheinander zu allen drei großen Konfessionen bekannte. Der reformierte Rechtsprofessor hatte sich nach seiner Flucht aus Heidelberg im Jahr 1622 zunächst an der Universität Tübingen aufgehalten, wo er sich am 2. September 1622 als »Reinhardus Bachovius, Lypsiensis juris Doctor et profeßor Heidelbergensis« einschrieb.57 Laut der Universitätsverfassung von 1601 war der Eid auf die Konkordienformel jedoch obligatorisch für die Aufnahme einer Lehrtätigkeit in Tübingen.58 Bereits im September 1622 hielt sich Bachoven wieder in Heilbronn auf und schrieb an den Diplomaten Joachim Camerarius nach Tübingen, dass er beabsichtige, an seiner Heidelberger Professur festzu54 Zum Typus von Landesuniversitäten vgl. Matthias Asche, Über den Nutzen von Landesuniversitäten in der Frühen Neuzeit – Leistung und Grenzen der protestantischen »Familienuniversität«, in: Peter Herde, Anton Schindling (Hrsg.), Universität Würzburg und Wissenschaft in der Neuzeit. Beiträge zur Bildungsgeschichte. Gewidmet Peter Baumgart anläßlich seines 65. Geburtstages, Würzburg 1998, S. 133–149. 55 Matthias Pohlig, Gelehrter Frömmigkeitsstil und das Problem der Konfessionswahl. Christoph Besold (1577–1638) und seine Konversion zum Katholizismus, in: Ute Lotz-Heumann u. a. (Hrsg.), Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2007, S. 323–352; Kim Siebenhüner, Glaubenswechsel in der Frühen Neuzeit. Chancen und Tendenzen einer historischen Konversionsforschung, in: Zeitschrift für historische Forschung 34 (2007), S. 243–272. 56 Dagmar Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386–1651, Bd. 1, Berlin u. a. 2002, S. 23f. 57 Zit. nach Hermelink, Matrikeln (wie Anm. 25), S. 143. 58 Volker Schäfer, Die Universität Tübingen zur Zeit Wilhelm Schickhards, in: ders., Aus dem »Brunnen des Lebens«. Gesammelte Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen. Festgabe zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Sönke Lorenz, Wilfried Setzler, Ostfildern 2005, S. 99–112, hier S. 103.

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halten, da seine Erfahrungen in Tübingen aufgrund des ungenügenden Fleißes der Studenten nicht gut gewesen seien.59 Nach seiner Entlassung an der Universität Heidelberg 1626 durch die bayerische Besatzung versuchte er wahrscheinlich an der Universität Straßburg unterzukommen. In der Matrikel der Straßburger Juristenfakultät findet sich am 26. September 1626 folgende Eintragung: »Johann Reinhardt Bachoffen von Echt, Gotha-Thuringus.«60 Die Straßburger Universität hing ebenso wie die Tübinger einer streng lutherischorthodoxen Lehre an.61 Im Januar 1629 traf sich Bachoven in Speyer zu einer längeren Diskussion über Religion mit dem ebenfalls zum Katholizismus übergetretenen Mathematikprofessor Christoph Jungnitz.62 Bachoven eröffnete Jungnitz, dass er zur Konversion zum katholischen Glauben bereit sei.63 Bereits 1625 hatte es diesbezüglich Gerüchte gegeben, die sogar bis zu Johann Heinrich Alting64 nach Emden durchgedrungen waren.65 Noch im März 1626 äußerte Bachoven sich dahingehend, dass er weder mit den Lehren der Reformierten noch mit denen der Katholiken ganz einig sei.66 »Zu den ersteren stehe er nur soweit, als sie selbst mit der alten Kirche übereinstimmen und mit den alten Lehrern, welche auch calvinianer und lutheraner Heilige nennen.«67 Nach seiner Rückkehr nach Heidelberg konvertierte er 1629 unter bayerischer Besatzung vom reformierten zum katholischen Glauben.68 Die Heidelberger Regierung sowie Balthasar Reid69 und Christoph Jungnitz, ebenfalls konvertierte Professoren in Heidelberg, empfahlen Reinhard Bachoven nun für die juristische Professur, zumal seine Konversion sicherlich viele Nachahmer finden und er als namhafter Jurist auch viele Studenten anziehen würde.70 Als daraufhin der bayerische Kurfürst Maximilan I. mehr über die Konversion wissen wollte, meldeten ihm die Jesuiten der Universität, dass Bachoven nicht aus »commoda«, sondern aus innerer Überzeugung zum katholischen Glauben übergetreten sei. Auch wenn Bachovens Konversion von der späteren protestantischen Geschichtsschreibung sehr kritisch gesehen wurde, müssen seine Beweggründe doch überzeugend gewirkt haben, da die Heidelberger Regierung ihn voll un59 Eduard Winkelmann (Hrsg.), Urkundenbuch der Universität Heidelberg. Zur 500jährigen Stiftungsfeier der Universität, Bd. 2, Karlsruhe 1886, S. 189. 60 Knod, Matrikeln (wie Anm. 25), S. 215. 61 Eike Wolgast, Die kurpfälzische Universität 1386–1803, in: Doerr, Semper Apertus (wie Anm. 29), S. 1–70, hier S. 44. 62 Drüll, Gelehrtenlexikon (wie Anm. 56), S. 342f. 63 Winkelmann, Urkundenbuch (wie Anm. 59), S. 192. 64 Drüll, Gelehrtenlexikon (wie Anm. 56), S. 11–13. 65 Press, Kurfürst (wie Anm. 29), S. 333; Winkelmann, Urkundenbuch (wie Anm. 59), S. 190. 66 Press, Kurfürst (wie Anm. 29), S. 334; Winkelmann, Urkundenbuch (wie Anm. 59), S. 190. 67 Zit. nach Winkelmann, Urkundenbuch (wie Anm. 59), S. 190. 68 Wolgast, Universität (wie Anm. 61), S. 44. 69 Drüll, Gelehrtenlexikon (wie Anm. 56), S. 467f. 70 Press, Kurfürst (wie Anm. 29), S. 334.

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terstützte.71 1630 bekannte Bachoven sich dann in seiner an Maximilian I. gerichteten Widmung der Commentarii in primam partem Pandectarum öffentlich als »per Dei gratiam Catholicae religionis sine ulla aequivocatione cliens.«72 In der Literatur finden sich unterschiedliche Angaben zu Bachoven für die Zeit nach der Eroberung Heidelbergs durch die Schweden im Jahre 1634. Weisert etwa schreibt, dass er unter schwedischer Besatzung wieder zum reformierten Glauben zurückgekehrt sei und dass er 1635 verstarb, bevor er die geforderte Erklärung für seinen wiederholten Glaubenswechsel abgeben konnte.73 Laut Press zeigte er zwar offenkundige Bereitschaft zu einer Konversion, ob er letztendlich wieder zum protestantischen Glauben übertrat, könne aber nicht nachgewiesen werden.74 Da der Tod im Dreißigjährigen Krieg allgegenwärtig war und wie viele andere Infektionskrankheiten – etwa Ruhr, Typhus, Diphtherie, Pocken – auch die Pest untrennbar zur Realität gehörte, ist es naheliegend, zumindest kurz auf die Rolle der akademisch gebildeten Mediziner bzw. die der Medizinprofessoren hinzuweisen.75 Zur angemessenen Einordnung ist zu beachten, dass die Bedeutung von Medizinischen Fakultäten an vormodernen Universitäten in aller Regel gering war ; meist lehrten nur ein oder zwei Professoren an dieser Fakultät, die zudem durchweg die wenigsten Studenten hatten.76 Die in erster Linie theoretische Ausbildung der Mediziner war am Beginn des 17. Jahrhunderts noch immer den großen Autoritäten der Antike verpflichtet, wohingegen es kaum empirische Forschung und nur selten praktischen Anschauungsunterricht anhand von anatomischen Sektionen gab.77 Zu den Aufgaben der Medizinprofessoren gehörten allerdings durchaus die Medicinalpolicey, also die medizinischhygienische Versorgung der Stadtbevölkerung sowie die Überwachung des Heilpersonals und der Apotheken. So verpflichtete etwa der Freiburger Magistrat während der Pestwelle der Jahre 1627/28 zwei Absolventen der Medizinischen Fakultät als Pestärzte und trug diesen auf, sowohl die Armen als auch die Reichen der Stadt zu behandeln.78 Im Alltag waren jedoch die zünftisch orgaPress, Kurfürst (wie Anm. 29), S. 334. Zitiert nach Wolgast, Universität (wie Anm. 61), S. 44f. Hermann Weisert, Geschichte der Universität Heidelberg, Heidelberg 1983, S. 45. Press, Kurfürst (wie Anm. 29), S. 368. Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, S. 139; Susanne Häcker, Die Rolle der akademischen Medizin während der Pestzüge des Dreißigjährigen Krieges am Beispiel von Freiburg im Breisgau, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 7 (2008), S. 185–193. 76 Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, ND Berlin 1994, S. 188–213. 77 Wolfgang Uwe Eckart, Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, 7. Aufl., Berlin u. a. 2013, S. 127f. 78 Buszello, Schadek, Alltag (wie Anm. 23), S. 124.

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nisierten und praktisch versierteren Wundärzte, die Bader, Barbiere und Chirurgen bedeutender, denn die diagnostischen Möglichkeiten der akademisch gebildeten Ärzte waren begrenzt. Deren wichtigste Hilfsmittel, Harnschau und Pulsmessung, wurden gleichsam zu Symbolen des akademischen Arztberufes. Durch akademisch gebildete Ärzte wurden zwar immer wieder Pestschriften mit Behandlungsmethoden und Verhaltensmaßregeln zu Pestzeiten veröffentlicht, doch wirklich sichere Methoden zur Vorbeugung oder Heilung gab es nicht, und sowohl Ärzte als auch Patienten standen der Pest letztlich hilflos gegenüber. Da es weder sichere Methoden zur Vorbeugung noch zur Heilung der Pest gab, rieten die Mediziner ihren Patienten zur Flucht, so etwa auch der Tübinger Medizinprofessor und herzogliche Leibarzt Carl Bardili,79 der es übrigens bezeichnenderweise tunlichst vermied, ein Pesthaus zu betreten. Er riet seinem Kollegen, dem berühmten Philosophieprofessor und Astronom Wilhelm Schickard, möglichst schnell und möglichst weit zu fliehen. Diesen gut gemeinten Rat beherzigten die meisten Medizinprofessoren im Übrigen auch selbst.80 Gemäß ihren Privilegien waren die Universitäten und ihre Angehörigen eigentlich vom Militärwesen befreit. Gleichwohl wurden immer wieder Studenten und andere Universitätsangehörige im Notfall zu Verteidigungsmaßnahmen herangezogen.81 In Heidelberg wurden die Studenten angehalten, in ihren Häusern zu bleiben, da es häufig zu Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Studenten gekommen war. Trotzdem waren auch sie häufig dazu bereit, an der Defension Heidelbergs mitzuwirken, wie etwa gegen die katholischen LigaTruppen Johann T’Serclaes Graf von Tillys im Jahr 1622, an deren Abwehr sich auch zwei Studentenkohorten beteiligten.82 Zur Beteiligung von Universitätsangehörigen an der Verteidigung der Stadt Tübingen und der Landesfestung Hohentübingen finden sich keine Hinweise. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Stadt Tübingen 1634 an die bayerischen und 1647 an die französischen Besatzer jeweils kampflos übergeben 79 Seine Frau Regina, geb. Burckhardt, gilt wegen ihrer bedeutenden Nachkommen übrigens als »Schwäbische Geistesmutter«, vgl. Hanns Wolfgang Rath, Regina, die schwäbische Geistesmutter (1927), 2. Aufl., neu bearbeitet von Hansmartin Decker-Hauff, Limburg an der Lahn 1981. 80 Ulrich Knefelkamp, Das Verhalten von Ärzten in Zeiten der Pest (14.–18. Jahrhundert), in: Jan Cornelius Joerden (Hrsg.), Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin – bloß ein Mittel zum Zweck?, Berlin u. a. 1999, S. 13–39, hier S. 39; Schreiner, Katastrophe (wie Anm. 17), S. 72. 81 Susanne Häcker, »…sogar Kriegskameraden trifft man unter euch an.« Die Verteidigung von Stadt, Lehre und Glauben durch Heidelberger, Tübinger und Freiburger Universitätstheologen im Dreißigjährigen Krieg, in: Franz Brendle, Anton Schindling (Hrsg.), Geistliche im Krieg, Münster 2009, S. 89–100. 82 Winkelmann, Urkundenbuch (wie Anm. 59), S. 186.

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wurde. 1634 wurde neben der Stadt auch das Schloss Hohentübingen kampflos ausgeliefert. 1647 wurde das Schloss zwar mehrere Wochen von der bayerischen Besatzung gegen die französischen Belagerer gehalten, doch über eine Beteiligung akademischer Bürger finden sich auch hier keine Hinweise.83 In Freiburg wurde bereits 1622, als sich die Kriegsgefahr von der Rheinpfalz und vom Oberrhein her zu nähern schien, eine Anfrage an alle über siebzehnjährigen Studenten gestellt, ob sie sich bereit erklären würden, der Stadt im Verteidigungsfall unter eigenem akademischen Feldzeichen zu dienen. Darauf meldeten sich 300 Studenten freiwillig.84 Im Dezember 1632 waren etwa 190 Studenten an der Stadtverteidigung gegen die schwedischen Belagerer beteiligt. Dabei sollen sogar zwei Jesuiten-Patres die Kanonen auf der Burg bedient haben.85 Am 22. Dezember 1632 bedankten sich die Bürger bei der Universität mit den Worten: »weil sie allen guten willen und naigung sowohl der universitet als der studenten verspüren, indem sie studiosi sich so baldt undt in guetter anzahl eingestellt, auch mit ihren wehren gemainer statt beygesprungen.«86 Dieser Beteiligung von Studenten an der Stadtverteidigung war ein langer Schriftverkehr zwischen Stadtkommandant und Universität vorausgegangen. Ebenso hatten die Studenten Bedingungen an ihre Beteiligung geknüpft. Sie würden nicht unter der einfachen Bürgerschaft wachen, sondern wollten eigene Posten haben, die nicht einem beliebigen Hauptmann unterstellt sein sollten, sondern einem aus dem akademischen Senat. Weiterhin forderten sie, dass die Universität als Rechtskorporation in den Vertrag bei Übergabe der Stadt eingeschlossen werden würde.87 Dies waren die Bedingungen, die Universität und Studenten in jedem Verteidigungsfall gegenüber dem Magistrat stellten. Sie resultierten aus einem spezifischen Standesverhalten, dessen rechtliche Grundlage der privilegierte Status der Professoren und Studenten als ›Universitätsverwandte‹ bildete.88 Ebenso zeigen sich besonders deutlich das Standesbewusstsein und das Selbstverständnis der akademischen Bürgerschaft innerhalb der Stadtmauern. Auch während der schwedischen Belagerung im Frühjahr 1638 hatten fünfzig 83 Erwin Haas, Die sieben württembergischen Landesfestungen. Hohenasperg, Hohenneuffen, Hohentübingen, Hohenurach, Hohentwiel, Kirchheim/Teck u. a. 1996, S. 153f.; Setzler u. a., Stadtgeschichte (wie Anm. 21), S. 77f. 84 Hermann Mayer, Freiburg i. Br. und seine Universität im Dreißigjährigen Krieg [1. Teil], in: Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften 26 (1910), S. 121–188, hier S. 123. 85 Leo Alexander Ricker, Freiburg. Aus der Geschichte einer Stadt, Karlsruhe 1964, S. 66; Heinrich Schreiber, Freiburg im Breisgau mit seinen Umgebungen. Geschichte und Beschreibung, Freiburg/Brsg. 1825, S. 31. 86 Zit. nach Mayer, Freiburg (wie Anm. 84), S. 137. 87 Mayer, Freiburg (wie Anm. 84), S. 128–137. 88 Marian Füssel, Universitätsverwandte, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 13, Stuttgart 2011, Sp. 1048–1050.

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Studenten bei der Stadtverteidigung mitgewirkt.89 Im Mai desselben Jahres erging durch den schwedischen Stadtkommandanten Friedrich Ludwig Kanoffski von Langendorf eine Anfrage an die Universität bezüglich der studentischen Verteidigungsbereitschaft im Falle einer kaiserlichen Belagerung. Deren Bereitschaft war allerdings nicht sehr groß. Sie verwiesen auf ihre Unfähigkeit, mit Waffen umzugehen, und darauf, dass sie in Freiburg geblieben wären, um ihre Studien fortzuführen, und nicht, um zu den Waffen zu greifen. Zu einem kaiserlichen Angriff kam es 1638 aber nicht mehr.90 Erst im Jahr 1648 beteiligten sich Studenten aufgrund der französischen Belagerung wieder an den Wachdiensten.91 Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass der Dreißigjährige Krieg trotz seiner typischen Begleiterscheinungen – Belagerungen, Einquartierungen, Kontributionen und Konfiskationen – von Universitätsstadt zu Universitätsstadt ganz unterschiedliche Auswirkungen zeitigte. Für die – hier nicht behandelte – wirtschaftliche Situation der Professoren, deren Besoldung ja überwiegend aus grundherrlichen Renten bestand, bedeutete die Kriegszeit folglich meist auch eine existenzielle Notzeit. Abgesehen von Heidelberg, wo ja eigentlich die regierende reformierte Simmernsche Linie der pfälzischen Wittelsbacher durch die katholische bayerische Kurlinie abgelöst werden sollte, wurde der Konfessionsstand der Universitäten von keiner Besatzungsmacht verändert.

III.

Die westfälischen, nieder- und mittelrheinischen Universitäten im Dreißigjährigen Krieg

Ähnlich wie die Schlacht bei Nördlingen 1634 für den Südwesten des Reiches hatte die Schlacht bei Hessisch Oldendorf an der Weser 1633 einen Zäsurcharakter für die mehrheitlich protestantischen Territorien im Nordwesten des Reiches, denn die Niederlage beendete die Aktionen der kaiserlichen Armee in Norddeutschland.92 Viele der bisherigen Beobachtungen können auch für das 89 Hermann Mayer, Zur Geschichte und Statistik der Universität Freiburg i. Br. im XVII. Jahrhundert, in: Alemannia 6 (1905), S. 281–298, hier S. 126. 90 Hermann Mayer, Freiburg i. Br. und seine Universität im Dreißigjährigen Krieg [2. Teil], in: Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften 27 (1911), S. 35–90, hier S. 53–56. 91 Mayer, Freiburg (wie Anm. 90), S. 85. 92 Helmut Lahrkamp, Der Entsatzversuch der Festung Hameln und die Schlacht bei Hessisch Oldendorf, in: Westfälische Zeitschrift 108 (1958), S. 280–288; Friedrich Kölling, Die Schlacht bei Hessisch Oldendorf am 28. 6. 1633. Ein Beitrag zur Geschichte des Feldzuges in Niedersachsen im Jahre 1633, Hameln 1959; zuletzt noch knapp Helge Bei der Wieden, Schlacht bei Hessisch Oldendorf, in: Hans Otte, Ronald Uden (Hrsg.), 100mal Niedersach-

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Universitätswesen in Westfalen, am Nieder- und Mittelrhein gelten. Es sollte deutlich geworden sein, dass einige Universitäten im Reich zwar kurzzeitig, insbesondere in Pestzeiten oder bei Belagerungen,93 aber nur sehr wenige für längere Zeit oder gar auf Dauer geschlossen waren, sodass zumindest im Prinzip der Lehrbetrieb über die gesamte Kriegszeit aufrechterhalten werden konnte – wenn auch manchmal personell erheblich reduziert.94 Die Bestandsgarantie für die Universitäten war freilich sowohl im Sinne der Landesherren als Universitätserhalter als auch der Okkupationsregime, zumal die Universitäten sonst sen. Kirche und Kultur, Hannover 2011, S. 104f. Zum Kriegsverlauf in Westfalen und am Rhein vgl. zuletzt die Überblicke von Franz Petri, Das Zeitalter der Glaubenskämpfe (1500–1648), in: ders., Georg Droege (Hrsg.), Rheinische Geschichte, Bd. 2, 2. Aufl., Düsseldorf 1980, S. 1–217, hier S. 133–156; Gunnar Teske, Bürger, Bauern, Söldner und Gesandte. Der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Frieden in Westfalen, 2. Aufl., Münster 1998; Helmut Lahrkamp, Westfalen und der Dreißigjährige Krieg. Schreckliche Leiden und wirtschaftliche Belastungen, in: Westfalen 52 (1998), S. 8–23; Günter Gleising, Zwei große Schlachten, Plünderungen und Belagerungen, durchziehende Heere, Raub, Mord. Der Niedergang der Region an Rhein und Ruhr im Dreißigjährigen Krieg, in: ders. (Hrsg.), 350 Jahre Westfälischer Frieden. Texte zum Dreißigjährigen Krieg, Bochum 1998, S. 47–77; Jörg Engelbrecht, Der Dreißigjährige Krieg und der Niederrhein. Überblick und Einordnung, in: Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg, Neustadt an der Aisch 2002, S. 10–25; Heinz Hesse, Margret Hesse, Der Dreißigjährige Krieg am Niederrhein. Zwischen Rhein und Maas, in: Marcus Ewers (Red.), »… was bereits hundert Tonnen teutscher Gulden gekostet hat.« Die Region Viersen im Dreißigjährigen Krieg, Viersen 2004, S. 34–155; Bernhard Sicken, Westfalen im Dreißigjährigen Krieg. Strukturbedingungen der Kriegführung, Kriegsverlauf, regionale Auswirkungen, in: Peter Heßelmann (Hrsg.), Grimmelshausen und Simplicissimus in Westfalen, Bern u. a. 2006, S. 27–54. 93 Dies gilt beispielsweise für die Stadt Paderborn, die von 1622 bis zum Ende des Krieges sechzehn Mal belagert wurde und insgesamt zehn Herrschaftswechsel erlebte, vgl. Bettina Braun, Paderborn im Dreißigjährigen Krieg, in: Frank Göttmann (Hrsg.), Paderborn. Geschichte der Stadt in der Region, Bd. 2, Paderborn u. a. 1999, S. 201–265 u. 524–537, hier S. 232; vgl. dazu auch Andreas Neuwöhner, Paderborn vor dem finanziellen Ruin. Der Dreißigjährige Krieg im Spiegel der Paderborner Stadtrechnungen, in: Westfälische Zeitschrift 149 (1999), S. 263–286. 94 Dies gilt etwa für die Universität Rinteln, die 1621 unter äußerst ungünstigen politischen Rahmenbedingungen eröffnet wurde und sich bereits seit 1622 nur noch auf niedrigem personellen Niveau behaupten konnte, vgl. Rudolf Feige, Das Akademische Gymnasium Stadthagen und die Frühzeit der Universität Rinteln, Hameln 1956, S. 34–37. Seit 1632 gab es nur noch einen Theologen in Rinteln, vgl. Robert Stupperich, Johannes Gisenius und sein Kampf um die Universität Rinteln, in: Jahrbuch für niedersächsische Kirchengeschichte 63 (1965), S. 140–157. Das Jahr 1636 bedeutete dann auch das Ende der Medizinischen und Juristischen Fakultät, vgl. Gerhard Schormann, Aus der Frühzeit der Rintelner Juristenfakultät, Bückeburg 1977, S. 70f. Die Universität war zwar zu keinem Zeitpunkt geschlossen, die akademische Lehre trug aber wegen der Ausschließlichkeit des Unterrichts durch die neben dem Theologen Gisenius einzig verbliebenen Professoren der Philosophischen Fakultät eher den Charakter einer Lateinschule, vgl. die Übersicht über die personelle Entwicklung des Rintelner Lehrkörpers bei Schormann, Academia (wie Anm. 11), S. 104f. u. 118.

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ihrer wichtigsten Aufgabe – der gerade in Kriegszeiten notwendigen Reproduktion geistlicher und weltlicher Funktionseliten – sonst nicht hätten nachkommen können. Dabei sollten die zahlreich überlieferten, von den Kommandierenden der fremden Besatzungsmächte für Universitätsstädte ausgestellten Schutzbriefe vor allem die Hochschulen in ihrem Bestand sichern.95 So wurden bemerkenswerterweise in aller Regel weder der bei Kriegsbeginn maßgebliche Konfessionsstand, noch der Lehrkörper und die Lehrinhalte von Universitäten von den fremdkonfessionellen Besatzern angetastet. Die wenigen Ausnahmen betrafen nur diejenigen Universitäten, von denen die Besatzer oder neuen Landesherren wegen grundlegend veränderter Machtverhältnisse realistischerweise erwarten konnten, dass diese auch nach dem Krieg so fortgeschrieben würden. Im Untersuchungsraum handelt es sich einerseits um Heidelberg nach der Übertragung der reformierten pfälzischen Kurwürde auf den katholischen bayerischen Herzog96 sowie zudem um die Jesuitenuniversität Paderborn während der mehrmaligen Besetzung durch die reformierten Landgrafen von Hessen-Kassel, die bis zum Ende des Krieges vergeblich auf eine Säkularisation des Hochstifts zu ihren Gunsten hofften.97 Darüber hinaus war die lutherische Universität Rinteln mehrfach in ihrem Bestand bedroht – zuerst nach der kurzzeitigen Rückkehr der Benediktinermönche in die gemäß kaiserlichem Restitutionsedikt zurückgegebenen, die Universität beherbergenden Klostergebäude. Diese sollten mit kaiserlicher Unterstützung – und zwar unter Verwendung des vorliegenden Universitätsprivilegs – eine Umwandlung Rintelns in eine Benediktineruniversität nach Salzburger Muster herbeiführen.98 Neben den zeitgleich geplanten Jesuitenuniversitäten Osnabrück und Münster sollte eine 95 Exemplarisch vgl. die Edition eines solchen Schutzbriefes des französischen Königs – mit deutscher Übersetzung – für die Universität Paderborn (1645) bei Andreas Neuwöhner (Hrsg.), Im Zeichen des Mars. Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens in den Stiften Paderborn und Corvey, Paderborn 1998, S. 218–220. 96 Zuletzt hierzu vgl. Dorothee Mußgnug, Die Achte Kur, in: Bernd-Rüdiger Kern u. a. (Hrsg.), Humaniora. Medizin – Recht – Geschichte, Berlin 2006, S. 219–242. 97 Christian Tacke, Das Eindringen Hessen-Kassels in die Westfälischen Stifter, in: Klaus Malettke (Hrsg.), Frankreich und Hessen-Kassel zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens, Marburg 1999, S. 175–187; vgl. auch Johannes Süßmann, Jesuitenhochschule und Fürstbistum. Zur Bedeutung der Theodoriana für den Erhalt des Fürstbistums Paderborn, in: Josef Meyer zu Schlochtern (Hrsg.), Die Academia Theodoriana. Von der Jesuitenuniversität zur Theologischen Fakultät Paderborn 1614–2014, Paderborn 2014, S. 101–117. 98 Feige, Gymnasium (wie Anm. 94), S. 37–39; Schormann, Academia (wie Anm. 11), S. 103–111. Im Jahre 1631 bestand in Rinteln kurzzeitig eine katholische Theologische Fakultät. Der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld ließ übrigens im selben Jahr bei der Rintelner Universitätsdruckerei anonym seine »Cautio criminalis« drucken, vgl. zum Gesamtzusammenhang Robert Stupperich, Äußere und innere Kämpfe im Weserraum während des 30jährigen Krieges und ihre Nachklänge, in: Westfalen 51 (1973), S. 225–237; Schormann, Academia (wie Anm. 11), S. 108–110.

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solche Benediktineruniversität in Rinteln ein geistig-theologischer Stützpunkt für eine Rekatholisierung des Nordens und Nordwestens des Reiches sein. Eine ganz grundlegende Gefährdung für den Bestand der Universität Rinteln stellte dann aber nicht mehr der Krieg, sondern nach dem Aussterben des alten Schaumburger Grafenhauses 1640 die Teilung der Grafschaft Schaumburg zwischen den Kasseler Landgrafen und den Grafen zur Lippe dar.99 Überhaupt erwies sich für die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes insbesondere die spezifische Situation an klassischen Jesuitenuniversitäten als schwierig. Typische Jesuitenuniversitäten besaßen – wie bereits erwähnt – nämlich anstelle der üblichen Vierzahl nur zwei Fakultäten (Theologie und Philosophie), an denen zudem ausschließlich Jesuiten lehrten.100 Auch wenn protestantische Okkupationsregime die katholischen Professoren in aller Regel im Amt beließen – dies war neben Freiburg auch in Mainz während der schwedischen Besatzung 1631/35 der Fall101 –, wurden bei stillschweigender Duldung der katholischen Professoren als erstes die Jesuiten und andere Ordensleute ausgewiesen, die man als größte Gefahr für das neue Regime ansah. An der Universität Mainz war der Lehrbetrieb nach der Ausweisung der Jesuiten zwar erheblich beeinträchtigt,102 weil diese personell die gesamte Theologische 99 Hierzu vgl. zuletzt Gerd Steinwascher, Schaumburg und der Westfälische Frieden. Ein verwaistes Territorium als Spielball nicht nur benachbarter Kräfte, in: Hubert Hömig (Hrsg.), Schaumburg und die Welt. Zu Schaumburgs auswärtigen Beziehungen in der Geschichte, Bielefeld 2002, S. 412–429, sowie knapp Gerhard Menk, Die schaumburgische Hohe Schule in der Universitätslandschaft des Reiches in der Frühen Neuzeit, in: Hubert Höing (Hrsg.), Zur Geschichte der Erziehung und Bildung in Schaumburg, Bielefeld 2007, S. 404–435, hier S. 430–435. Anfangs ergingen die Berufungen an der Universität Rinteln alternierend durch Schaumburg-Lippe und Hessen-Kassel. Erst im Jahre 1665 verzichtete Graf Philipp I. zu Schaumburg-Lippe förmlich auf seine Rechte an der gemäß Normaljahrsregelung lutherischen Universität, die – neben Marburg – fortan quasi die zweite Landesuniversität im Territorium der Kasseler Landgrafen war, vgl. Schormann, Academia (wie Anm. 11), S. 115–117. 100 Zuletzt zum Typus von Jesuitenuniversitäten vgl. Matthias Asche, Kollegien, Kompetenz und Kostenkalkül. Jesuitische Erfolgsrezepte an Universitäten im Konfessionellen Zeitalter, in: Historisches Jahrbuch 133 (2013), S. 57–75, mit weiterführender Literatur. 101 Hermann-Dieter Müller, Der schwedische Staat in Mainz 1631–1636. Einnahme, Verwaltung, Absichten, Restitution, Mainz 1979, S. 167–183; Helmut Mathy, Die Universität Mainz 1477–1977, Mainz 1977, S. 84f.; vgl. auch die Übersicht von Otfried Praetorius, Professoren der Kurfürstlichen Universität Mainz 1477–1797, in: Familie und Volk 1 (1952), S. 90–100 u. 131–139. 102 Zur Ausweisung der Jesuiten in Mainz vgl. Koloman Fritsch, Das Gymnasium in der kurfürstlichen Zeit, in: 400 Jahre Gymnasium Moguntinum. Festschrift des Rabanus-MaurusGymnasiums Mainz, Mainz 1962, S. 9–72, hier S. 30f. Die jährliche Anzahl der in Mainz lehrenden Jesuiten nennt Fritz Krafft, Jesuiten als Lehrer an Gymnasium und Universität Mainz und ihre Lehrfächer. Eine chronologisch-synoptische Übersicht 1561–1773, in: Hermann Weber (Hrsg.), Tradition und Gegenwart. Studien und Quellen zur Geschichte der Universität Mainz. Mit besonderer Berücksichtigung der Philosophischen Fakultät, Wiesbaden 1977, S. 259–350.

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und Philosophische Fakultät besetzten. Offenbar haben einige Mainzer Professoren mit ihren Studenten aber in Köln den Lehrbetrieb fortgesetzt.103 Die Stadt Mainz wurde zur Residenz der Schwedenherrschaft im Reich, des sogenannten Rheinischen (Schwedischen) Staates.104 Während der französischen Besatzung der Stadt zwischen 1644 und 1650 konnten freilich die 1635 nach Mainz zurückgekehrten Jesuiten wieder ungestört wirken.105 Für typische Zwei-Fakultäten-Universitäten wie Molsheim, aber auch für Paderborn und Osnabrück bedeutete demgegenüber die Ausweisung oder Flucht der Jesuiten die gänzliche Schließung der Universität.106 Hier muss beim rigorosen Vorgehen gegen die 103 Mathy, Universität (wie Anm. 101), S. 84. 104 Müller, Staat (wie Anm. 101); zur Stellung von Mainz als ›Gegenhauptstadt‹ vgl. auch Günter Barudio, Der große Krieg in Deutschland. Die Zentren Mainz, Wien und Wallensteins Lager, in: Uwe Schultz (Hrsg.), Die Hauptstädte der Deutschen, München 1993, S. 112–122; Anja Rieck, Frankfurt am Main und Mainz unter schwedischer Besatzung im Dreißigjährigen Krieg. Überlegungen zur Frage nach der Hauptstadt der Schweden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in: Peter Claus Hartmann, Ludolf Pelizaeus (Hrsg.), Forschungen zu Kurmainz und dem Reichserzkanzler, Frankfurt/M. u. a. 2005, S. 119–130. 105 Wolfgang Dobras, Die kurfürstliche Stadt bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1462–1648), in: Franz Dumont u. a. (Hrsg.), Mainz. Die Geschichte der Stadt, Mainz 1998, S. 227–263, hier S. 263. 106 In Paderborn waren die Jesuiten erstmals im Oktober 1631 nach der kampflosen Übergabe des Hochstifts an den Kasseler Landgrafen Wilhelm V. geflohen, der im Jesuitenkolleg für mehrere Wochen seine Residenz aufgeschlagen hatte, vgl. Braun, Paderborn (wie Anm. 93), S. 212–220; dazu die Übersicht über die jeweilige Anzahl der Jesuiten in Paderborn bei Gerhard Ludwig Kneißler (Hrsg.), Johannes Sander SJ (1559–1674). Geschichte des Jesuitenkollegs in Paderborn 1580–1659, Paderborn 2011, S. 1081–1083. Eine Schadensliste des Paderborner Jesuitenkollegs nach den Plünderungen des Herzogs Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahre 1622 ist ediert bei Neuwöhner, Zeichen (wie Anm. 95), S. 449–453; vgl. dazu zuletzt Heinrich Gabriel, Der Tolle Christian im Hochstift Paderborn und in den angrenzenden Gebieten, in: Geseker Heimatblätter 56 (1998), S. 139–142. Während der kasselischen Besetzung der Stadt zwischen April 1633 und August 1636 wurde zwar der katholische Gottesdienst nicht verboten, allerdings wurden die Jesuiten ausgewiesen, die ihren gymnasialen Unterricht im Kloster Abdinghof durchführten, vgl. Klemens Honselmann, Das Gymnasium Theodorianum im Kloster Abdinghof 1633–1636, in: Jahresbericht der Vereinigung ehemaliger Theodorianer 1983, S. 50f. Nach der Restitution des Fürstbischofs kehrten die Jesuiten nach Paderborn zurück und begannen im Herbst 1637 wieder mit den Vorlesungen. Es dauerte aber noch bis zum Jahre 1651, bis die akademische Lehre in der Theologie und Philosophie an der Jesuitenuniversität wieder das Vorkriegsniveau erreicht hatte, vgl. Braun, Paderborn (wie Anm. 93), S. 220–224 u. 254–257. Zur wechselhaften Geschichte des Paderborner Jesuitenkollegs vgl. neuerdings die Edition der Chronik des Jesuiten Johannes Sander von Kneißler (wie oben). In Osnabrück waren die Jesuiten und Dominikaner nach der kaiserlichen Niederlage bei Hessisch Oldendorf und der Eroberung der Stadt durch Dodo von Inn- und Knyphausen im September 1633 geflüchtet, die katholische Religionsausübung jedoch aus Rücksicht auf den Bündnispartner Frankreich vom Bistums-Administrator Gustav Gustavsson nicht angetastet worden, vgl. zuletzt Gerd Steinwascher, Kampf um städtische Unabhängigkeit und konfessionelle Selbstbestimmung. Osnabrück während des Dreißigjährigen Krieges und der

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Jesuiten freilich bedacht werden, dass die Landesherren – der Paderborner und der Osnabrücker Bischof – Familienangehörige der bayerischen Wittelsbacher waren. Demgegenüber wurde jedoch der Lehrbetrieb an der Universität Trier zu keiner Zeit eingestellt,107 auch wenn sich die pro-französische Politik des Kurfürsten Philipp Christoph von Sötern als unnötige Belastung für die Stadt erwies,

Verhandlungen zum Westfälischen Frieden, in: Klaus Bußmann, Heinz Schilling (Hrsg.), 1648 – Krieg und Frieden in Europa, Bd. 1, München 1998, S. 373–380, hier S. 374–376; ders., Von der Reformation zum Westfälischen Frieden, in: ders. (Hrsg.), Geschichte der Stadt Osnabrück, Belm 2006, S. 161–228, hier S. 192–198. Die Jesuiten konnten erst nach dem Westfälischen Frieden nach Osnabrück zurückkehren (1650/52). Das Carolinum, die ehemalige Jesuitenuniversität, wurde ihnen 1656 wieder überlassen. Eine Wiederbegründung der Universität erfolgte allerdings nicht, vgl. Michael F. Feldkamp, Die Jesuiten am Gymnasium Carolinum in Osnabrück 1624–1633 und 1651–1773/74, in: Rolf Unnerstall, Holger Mannigel (Hrsg.), Gymnasium Carolinum 804–2004, Osnabrück 2004, S. 33–63, hier S. 39–43; ders., Osnabrück – Jesuiten (1624 bis 1773/74), in: Josef Dolle (Hrsg.), Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, Bielefeld 2012, S. 1222–1227. Auch für Osnabrück liegen für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges edierte Quellen vor: Gerd Steinwascher (Bearb.), Krieg – Frieden – Toleranz. Quellen zum Dreißigjährigen Krieg und Westfälischen Frieden aus dem Fürstbistum Osnabrück, Melle 1996; Margret Tegeder, Axel Kreienbrink (Hrsg.), »… der osnabrugischenn handlung und geschicht.« Die Chronik des Rudolf von Bellinckhausen 1628–1637, Osnabrück 2002. 107 Emil Zenz, Die Trierer Universität 1473 bis 1798. Ein Beitrag zur abendländischen Universitätsgeschichte, Trier 1949, S. 48f. Die Liste der graduierten Trierer Baccalaurei und Magistri beginnt zwar 1604, aber die Promotionen sind erst seit 1642 notiert, die übrigens bis gegen Ende der 1650er Jahre jährlich sehr stabil waren. Dabei ist unklar, ob dies bedeutet, dass es vorher keine Graduierungen in der Philosophischen Fakultät gegeben hatte, vgl. Leonhard Keil, Die Promotionslisten der Artisten-Fakultät von 1604 bis 1794 nebst Anhang: Verzeichnis der an der juristischen Fakultät von 1739–1794 immatrikulierten Studenten und einiger an derselben Fakultät wirkenden Professoren, Trier 1926. Die juristischen Lehrstühle waren während des Krieges fast alle durchgehend besetzt, vgl. die tabellarische Übersicht über die Zusammensetzung der Juristischen Fakultät 1610 bis 1660 bei Peter Krause, Rechtswissenschaft in Trier. Die Geschichte der juristischen Fakultät von 1473 bis 1798, Köln u. a. 2007, S. 448–455. Ein grundsätzliches Misstrauen hegte Kurfürst Philipp Christoph von Sötern gegenüber den mangelnder Loyalität verdächtigten Jesuiten, deren Priesterseminar mehrfach von Schließung bedroht war und die mehrfach kurz vor der Ausweisung zugunsten der Kapuziner standen, vgl. Peter Alexander Reuss, Geschichte des Bischöflichen Priesterseminars (Seminarium Clementinum) zu Trier. Festschrift des Bischöflichen Priesterseminars zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum der Priesterweihe des hochwürdigsten Herrn Bischofs Dr. Michael Felix Korum am 23. Dezember 1890, Trier 1890, S. 25; Carl Kammer, Die Jesuiten in Trier. Festgabe zum 25jährigen Bischofsjubiläum für M. F. Korum, Bischof von Trier, Trier 1906, S. 37; Ferdinand Hüllen, Geschichte des Königlichen Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums. Das Jesuitengymnasium (1563–1773), in: Königliches Friedrich-Wilhelms-Gymnasium zu Trier 1563–1913. Festschrift zur Feier des 350jährigen Jubiläums der Anstalt, Trier 1913, S. 66–170, hier S. 135–137; Gottfried Kentenich, Geschichte der Stadt Trier von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Trier 1915, S. 495 u. 498; Zenz, Universität (wie Anm. 107), S. 48f.

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die seit 1630 dauerhaft entweder durch spanische (1630/31, 1635/45) oder französische Truppen (1631/35, 1645) besetzt war.108 Zweifellos hat der Dreißigjährige Krieg das deutsche Universitätswesen erheblich beeinträchtigt und geschädigt. Neben den üblichen Konflikten bei Okkupationssituationen lasteten insbesondere die Kontributionen und Einquartierungen schwer auf der zivilen Bevölkerung in den Universitätsstädten. Allerdings waren mit der hohen Militärpräsenz nicht nur negative Auswirkungen für die Universitätsstädte verbunden, sondern das einquartierte Militär sorgte auch für den Schutz der Zivilbevölkerung innerhalb der Stadtmauern, etwa durch Reparaturen der Befestigungsanlagen. Außerdem konnten die Militärpersonen durchaus stimulierend für Gewerbe und Handwerk wirken, sodass einige städtische Bevölkerungsgruppen durchaus vom Krieg profitieren konnten. Allerdings können bislang mangels vorliegender Studien kaum typologisierende Aussagen zum Umgang fremder Okkupationsregime oder landesherrlicher Militärregime mit Universitätsstädten gemacht werden. Insgesamt scheinen aber diejenigen Universitätsstädte, die zugleich bedeutende Handelsstädte gewesen sind, von den Kriegsparteien generell eher geschont worden zu sein. Dies gilt nicht nur für die nur kurzzeitig besetzten Städte Leipzig, Erfurt und Rostock, sondern auch für die zu keiner Zeit militärisch okkupierten Städte Straßburg sowie das im Dreißigjährigen Krieg wie zuvor im Spanisch-Niederländischen Krieg formal neutrale, faktisch jedoch pro-kaiserliche Köln.109

108 Kentenich, Geschichte (wie Anm. 107), S. 491–508; Richard Laufner, Politische Geschichte, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1580–1794, in: Kurt Düwell, Franz Irsigler (Hrsg.), 2000 Jahre Trier, Bd. 3, Trier 1988, S. 3–61, hier S. 15–21. 109 Die maßgebliche Studie zum Thema stammt von Hans-Wolfgang Bergerhausen, Die Stadt Köln im Dreißigjährigen Krieg, in: Ehrenpreis, Krieg (wie Anm. 92), S. 102–131; außerdem ders, Köln in einem eisernen Zeitalter 1610–1686, Köln 2010, hier S. 64–176, vgl. dazu den Kommentar von Michael Kaiser, Das kurze 17. Jahrhundert der Kölner Stadtgeschichte. Anmerkungen zu Bergerhausens »Köln in einem eisernen Zeitalter«, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 76 (2012), S. 298–311; vgl. außerdem Christian Bartz, Köln im Dreißigjährigen Krieg. Die Politik des Rates der Stadt (1618–1635), vorwiegend anhand der Ratsprotokolle im Historischen Archiv der Stadt Köln, Frankfurt/M. u. a. 2005; Michael Kaiser, Tilly in Köln. Eine biographische Episode im Kontext der Traditionsbildung, in: Geschichte in Köln 41 (1997), S. 5–29; ders., Der Krieg in der »Wetterecke der europäischen Politik.« Kurköln und die Kriegführung der Liga unter dem Feldherrn Tilly 1621–1630, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 98 (1997/98), S. 29–66; sowie jüngst Stefan Lewejohann (Hrsg.), Köln in unheiligen Zeiten. Die Stadt im Dreißigjährigen Krieg, Köln u. a. 2014, hier insb. der Beitrag von Hans-Wolfgang Bergerhausen, Et hätt noch immer jot jejange. Kölner »Außenpolitik« im Dreißigjährigen Krieg, S. 85–91. Die Stadt Köln hatte keinen direkten Kriegskontakt. Lediglich die vorgelagerte, allerdings kurkölnische Festung Deutz wurde im Dezember 1632 zwischenzeitlich schwedisch erobert, vgl. Wilhelm Becker, Der Überfall der Schweden auf Deutz im Jahre 1632, in: Rechtsrheinisches Köln 23 (1997), S. 1–42; Carl Dietmar, Das Militärwesen der Stadt Köln vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Bürgermiliz, Söldner, Stadtsoldaten, in: Heinz-Günther Hunold u. a. (Hrsg.), Vom Stadtsoldaten zum

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Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf gezielte Plünderungen von Herrschaftsinsignien, Kunst sowie Bibliotheks- und Archivgut, was nicht nur einen bestrafenden, sondern auch einen symbolischen Charakter haben konnte, wie im Falle des spektakulären Raubs der Bibliotheca Palatina in Heidelberg durch Herzog Maximilian von Bayern und deren Verbringung nach Rom 1622/ 23.110 Ansonsten waren aber Bücher als Beute durchaus übliche Kriegspraxis.111 Die schwedischen Truppen haben sehr systematisch die Buchbestände der Universitätsstädte Würzburg (1631) und Mainz (1632) in die Universitätsbibliothek nach Uppsala verbracht.112 Da die Universitätsbibliotheken im Roten Funken. Militär und Karneval in Köln, Köln 2005, S. 17–48, hier S. 34–39, und Bergerhausen, Köln (wie Anm. 109), S. 127–133. 110 Aufgrund der exponierten Politik des reformierten pfälzischen Kurfürsten und späteren Kriegsverlierers Friedrich V. war dessen Residenz Heidelberg durchaus so etwas wie ein zeitgenössischer ›Symbol-‹ oder ›Erinnerungsort‹ des kämpferischen Protestantismus im Reich, welchem der bayerische Herzog mit der Verschleppung des wertvollen Bücherschatzes gewissermaßen auch das ›kulturelle Kapital‹ raubte, vgl. Elmar Mittler (Hrsg.), Bibliotheca Palatina, 4. Aufl., Heidelberg 1986; Hans-Otto Keunecke, Maximilian von Bayern und die Entführung der Bibliotheca Palatina nach Rom, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 19 (1978), S. 1401–1446; ders., Die Vorbereitung der Heidelberger Buchentführung von 1622/23 durch den Vatikan und die Rolle Maximilians von Bayern, in: Hubert Glaser (Hrsg.), Wittelsbach und Bayern, Bd. 2,1, München 1980, S. 408–415; Timo Kirschberger, Die Vorbereitungen zu Bewahrung und Sicherstellung der Bibliotheca Palatina in den Jahren 1621 bis 1623, in: Bibliothek und Wissenschaft 42 (2009), S. 73–105. Die bayerischen Truppen hatten auch die Tübinger Universitätsbibliothek geplündert, vgl. Schreiner, Beutegut (wie Anm. 19). 111 Zum Gesamtzusammenhang vgl. Susanne Tauss, »… daß die Räuberei das alleradeligste Exercitium ist …«. Kunstschätze als Beute im Dreißigjährigen Krieg, in: Bußmann, Schilling, 1648 (wie Anm. 106), S. 281–288; Heinz Schilling, War booty, representation of power and the early modern state, in: Biblis 38 (2007), S. 31–36; ders., Kriegsbeute im Rahmen symbolischer Repräsentation in der frühneuzeitlichen Staatenwelt. Schweden als Beispiel, in: Wolfgang E. J. Weber, Regina Dauser (Hrsg.), Faszinierende Frühneuzeit. Reich, Frieden, Kultur und Kommunikation 1500–1800. Festschrift für Johannes Burkhardt zum 65. Geburtstag, Berlin 2008, S. 61–73; zudem noch immer Fritz Redlich, De praeda militari. Looting and booty 1500–1815, Wiesbaden 1956; vgl. in methodischer Hinsicht auch Michael Jucker, Vom Chaos zur Ordnung. Beuteökonomie und deren Repräsentation als methodische und pluridisziplinäre Herausforderung, in: Horst Carl, Hans-Jürgen Bömelburg (Hrsg.), Lohn der Gewalt. Beutepraktiken von der Antike bis in die Neuzeit, Paderborn 2011, S. 33–54; ders., Objektraub und Beuteökonomien. Methodische Überlegungen zu Wirtschaftsformen im Krieg des Spätmittelalters, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65 (2014), S. 548–562. 112 Zu Würzburg vgl. Otto Walde, Der Bücherraub der Schweden 1631 in Würzburg, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 56 (2004), S. 162–179; zu Mainz: Gustav Binz, Literarische Kriegsbeute aus Mainz in schwedischen Bibliotheken, in: Mainzer Zeitschrift. Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte 12/13 (1917/ 18), S. 157–165; Müller, Staat (wie Anm. 101), S. 138–140. Die Plünderungen deutscher Bibliotheken durch die schwedischen Truppen sind seit langem gut untersucht, vgl. insb. die Studien von Otto Wilhelm Walde, Störhetstidens litterära krigsbyten. En kulturhistorisk-bibliografisk studie [= Die literarische Kriegsbeute der Großmachtzeit. Eine kultur-

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17. Jahrhundert in der Regel noch keine öffentlichen Institutionen waren, führte deren Plünderung allerdings wohl zu keiner gravierenden Beeinträchtigung des akademischen Lehrbetriebs. Wie bereits ausgeführt, gab es – trotz der zu den traditionellen akademischen Privilegien der Universitätsverwandten gehörigen Befreiung der Professoren und Studenten vom Militärdienst und allen Pflichten, welche die Verteidigung der Universitätsstadt betrafen113 – durchaus Beispiele für studentische Einheiten zur Stadtverteidigung. Dies wurde allerdings nicht immer gerne gesehen, da sich die Universitätsangehörigen nicht problemlos in die bestehenden Kampfeinheiten einfügen ließen, sondern in aller Regel wohl auf der Bildung von eigenen Fähnlein beharrten. Nicht nur von südwestdeutschen Universitäten,114 sondern auch von Trier sind Schüler- und Studentenaufgebote zur Stadtverteidigung im Auftrag des Kurfürsten überliefert.115 In Köln schlossen sich – gegen den Willen der Jesuiten – Teile der Studenten des vom Orden geleiteten Gymnasium Tricoronatum im Dezember 1632 der Stadtwehr an, um die schwedischen Truppen aus der zu Kurköln gehörigen Festung Deutz zu vertreiben.116 Zumindest in letzterem Falle handelt es sich um den Ausdruck der Verteidigungsbereitschaft von Studenten für ihr Vaterland (»Patria«), mithin der Stadt Köln. Ob die auch sonst gelegentlich überlieferten Kriegsdienste von Studenten und Professoren ein Indiz für deren besondere Identifikation mit ihrer Universität oder Ausdruck spezifisch konfessioneller Wehrhaftigkeit gewesen sind, ist unklar.117 Insgesamt brachte das Spannungsfeld der Professoren zwischen Anhänglichkeit gegenüber der alten Landesherrschaft einerseits und der Notwendigkeit

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historisch-bibliographische Studie], 2 Bde, Uppsala u. a. 1916/20; ders., Bücher- und bibliotheksgeschichtliche Forschungen in ausländischen Universitäten, in: Nordisk tidskrift för bok- och biblioteksväsen 17 (1930), S. 75–148. Zu den Privilegien des akademischen Bürgerrechts gehörte unter anderem auch die Kontributionsfreiheit der Professoren und Studenten. Auf dieses Privileg haben sich etwa die Rintelner Professoren berufen, vgl. Stünkel, Rinteln (wie Anm. 6), S. 24 u. 32. Zu den Privilegien im Ganzen vgl. knapp Füssel, Universitätsverwandte (wie Anm. 88). Hierzu vgl. Häcker, Kriegskameraden (wie Anm. 81). Kentenich, Geschichte (wie Anm. 107), S. 485, geht von 1.000 Trierer Studenten aus, welche sich den regulären kurtrierischen Truppen anschlossen, um 1622 den niederländischen Angriff auf die Festung Ehrenbreitstein abzuwehren. Nach dem Ende der Prüfungen forderten die Studenten die Aufstellung einer eigenen Studentenkompagnie, vgl. Josef Kuckhoff, Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Köln 1931, S. 302–305; Manfred Groten (Bearb.), Älteste Stadtuniversität Nordwesteuropas. 600 Jahre Kölner Universität, Köln 1988, S. 47, hier die Abbildung des Bittschreibens der Kölner Studenten vom Gymnasium Tricoronatum an den Rat, ein Fähnlein von Freiwilligen aufzustellen. Dagegen spräche die ausführlich bei Stünkel, Rinteln (wie Anm. 6), S. 60–64, geschilderte Episode des Studenten Hühne, dessen Kommilitonen 1639 angesichts einer Verurteilung Hühnes durch das Akademische Gericht drohten, fremde Truppen in die Stadt zu schicken.

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Matthias Asche et al.

eines Arrangements mit den neuen Machtfaktoren vor Ort andererseits oftmals Loyalitätsprobleme mit sich, die bis hin zu Konversionen oder gar Mehrfachkonversionen führen konnten, bei denen nicht nur nach den Intentionen, sondern auch nach der Glaubwürdigkeit gefragt werden muss, wie bereits gezeigt wurde. Für die Universität Rinteln ist die Konversion des lutherischen Juristen Heinrich Christoph (von) Griesheim überliefert, der 1625 unter dem Eindruck der Dauerokkupation der Stadt seine Professur niederlegte und sich in die Dienste des katholischen Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg nach Düsseldorf begab.118 Sein Kollege, der Mediziner Johann Peter Lotichius, entzog sich 1632 der ungünstigen Situation der Universitätsstadt an der Weser durch die Verpflichtung als Feldarzt in der kaiserlichen Armee.119 Insgesamt ist beim derzeitigen Stand der Forschung noch unklar, ob im Dreißigjährigen Krieg die Konversionsbereitschaft protestantischer Professoren stärker war als diejenige katholischer. Dass die einzelnen Universitäten entlang des Rheins und in Westfalen keineswegs in gleichem Maße vom Krieg und seinen Begleitumständen berührt waren, belegen nicht zuletzt auch die anhand der Universitätsmatrikeln ermittelten Besucherfrequenzen.120 Der Zusammenhang von Krieg und Universitätsbesuch ist offenkundig.121 Dennoch muss hier aus methodischer Sicht betont werden, dass ohne differenzierte und vor allem vergleichende Matrikelanalysen122 die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse anhand von bloßen Frequenzanalysen lediglich als – freilich sehr signifikante – Indikatoren für einen Niedergang bzw. eine Verschonung einzelner Universitäten dienen können. So bleibt eine grundsätzliche Frage mangels Studien noch ungeklärt, nämlich ob der – in der Summe – auffällige Rückgang der Immatrikulationszahlen während des Dreißigjährigen Krieges tatsächlich auf ein Absinken der absoluten Studentenzahlen oder aber nur auf eine geringere Mobilität der Studenten zurückzuführen ist, die angesichts der kriegsbedingt unsicheren Reisewege eben nur noch eine statt mehrerer Universitäten aufsuchten. Jenseits des ohnehin 118 [N. N.] von L., Griesheim, Heinrich Christoph von, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 9, Leipzig 1879, S. 665. 119 Schormann, Academia (wie Anm. 11), S. 131f. 120 Für die in diesem Abschnitt zu behandelnden rheinisch-westfälischen Universitäten sind die überlieferten Matrikeln allerdings nur von begrenztem Wert, weil diese Quelle für Trier und Rinteln sowie für die ersten Jahre der Paderborner Universität (vor 1637) leider verloren ist. 121 Exemplarisch wurde der Einflussfaktor Krieg nachgewiesen in der Studie von Stefan Feldmann, Bonner und Düsseldorfer Studenten an der alten Kölner Universität. Eine qualitative Untersuchung der Kölner Universitätsmatrikel (1577–1773), in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 81 (2011/12), S. 151–198. 122 Für keine der in diesem Abschnitt zu behandelnden rheinisch-westfälischen Universitäten liegen systematische Matrikelanalysen vor.

Studieren im Krieg

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hohen Mobilisierungsgrades der vormodernen akademischen Welt – nicht zuletzt im Konfessionellen Zeitalter durch die Segmentierung des Universitätswesens entlang der Bekenntnisgrenzen123 – erfuhr die akademische Mobilität durch den Dreißigjährigen Krieg eine nochmalige Dynamisierung. Sie ergab sich nicht zuletzt auch aus den Unsicherheiten des Krieges selbst,124 etwa die zeitweise unsicheren Reisewege – nicht nur wegen Pestgefahr,125 sondern auch wegen der Furcht vor Zwangsverschleppung junger Männer in den Kriegsdienst.126 Immer wieder musste in Kriegszeiten aufgrund der lokalen Präsenz des Krieges von üblichen Reisewegen abgewichen werden, sodass zuweilen traditionelle regionale Studentenklientel die von ihnen ansonsten bevorzugten Universitäten bewusst gemieden haben. So konnten bestimmte Universitäten an Attraktivität verlieren, andere wiederum zu kriegsbedingten »Ausweichuniversitäten« werden, was in der Forschung bislang kaum thematisiert worden ist. Explizit untersucht wurde dieses Phänomen bislang nur für die pfälzischen Studenten, die mit der fremden bzw. fremdkonfessionellen Besetzung Heidelbergs ihre eigentliche Bezugs- und Landesuniversität verloren hatten.127 Während für die protestantischen Studenten der Besuch der weitgehend von direkten Kriegseinwirkungen verschonten, gemäßigt reformierten – mithin konfessionell toleranten – niederländischen Hochschulen – namentlich Leiden und Franeker, in bescheidenerem Maße auch Groningen und Utrecht – sehr verbreitet war, gab 123 Zum Überblick vgl. Matthias Asche, »Peregrinatio academica« in Europa im Konfessionellen Zeitalter. Bestandsaufnahme eines unübersichtlichen Forschungsfeldes und Versuch einer Interpretation unter migrationsgeschichtlichen Aspekten, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 6 (2005), S. 3–33; ders., Von Konfessionseiden und gelehrten Glaubensflüchtlingen, von Konvertiten und heterodoxen Gelehrten. Mobilitätsphänomene konfessionell devianter Professoren zwischen obrigkeitlicher Duldung, Landesverweis und freiwilligem Abzug, in: Henning P. Jürgens, Thomas Weller (Hrsg.), Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa, Göttingen 2010, S. 375–400, jeweils mit weiterführender Literatur. 124 Vgl. hierzu den allgemeinen Problemaufriss von Matthias Asche, Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit. Einleitende Beobachtungen zum Verhältnis von horizontaler und vertikaler Mobilität in der kriegsgeprägten Gesellschaft Alteuropas im 17. Jahrhundert, in: ders. u. a. (Hrsg.), Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, Berlin 2008, S. 11–36, mit weiterführender Literatur. 125 Den Einflussfaktor Pest auf den Universitätsbesuch – sowohl bezogen auf die Wahl des Universitätsortes, als auch auf die Heimatorte der Studenten – betont exemplarisch Feldmann, Studenten (wie Anm. 121), S. 159–161; vgl. auch Rudolf Creutz, Pest und Pestabwehr im alten Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 15 (1933), S. 79–119, hier S. 99–101 u. 110–115. Das Gymnasium Tricoronatum war zu den Pestzeiten nur kurzzeitig geschlossen, vgl. Kuckhoff, Geschichte (wie Anm. 116), S. 305–308. Zu den beiden schweren Pestwellen in Mainz (1632 und 1635) vgl. Walter G. Rödel, Pestepidemien in Mainz im 17. Jahrhundert, in: Scripta Mercaturae 15 (1981), S. 85–103; und in Paderborn (1625 und 1636) vgl. Braun, Paderborn (wie Anm. 93), S. 264f. 126 Feldmann, Studenten (wie Anm. 121), S. 166. 127 Persijn, Studenten (wie Anm. 28).

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Matthias Asche et al.

es auch innerhalb des Heiligen Römischen Reiches mehrere solcher kriegsbedingter »Ausweichuniversitäten«, wie es auch die Frequenzentwicklungen nahelegen: Neben dem bereits genannten Straßburg – in weitaus geringerem Maßen auch das kriegsverschonte Basel128 – gehörte im Untersuchungsgebiet vor allem Köln zu den eigentlichen Profiteuren des Krieges.129 Die Universität Köln konnte nicht nur ihr Frequenzniveau aus der Vorkriegszeit halten, sondern zeitweise auch erheblich steigern.130 Wie Straßburg für die Protestanten war die Stadt Köln mit ihrer funktionierenden Infrastruktur nicht nur ein »Medien- und Kommunikationszentrum«,131 sondern auch ein Zufluchtsort für Katholiken aus benachbarten Orten und die »Schatzkammer des katholischen Reiches«.132 Hinter die sicheren Mauern der Stadt in das direkte Umfeld des einflussreichen Kölner Erzbischofs, der ja auch Bischof von Paderborn, Münster, Hildesheim 128 Strittmatter, Stadt (wie Anm. 24). Die Universität spielte allerdings auch nach der Schließung Heidelbergs keine herausragende Rolle als »Ausweichuniversität« für reformierte Studenten, hatte mithin sogar in den 1620er, 1630er, 1640er und noch in den 1650er Jahren signifikant weniger Studenten als in der Vorkriegszeit, vgl. die Tabelle bei Asche, Krieg (wie Anm. 7), S. 181. Die Gründe hierfür sind unklar. Basel war seit der Reformation bis ins 18. Jahrhundert aber generell eine klassische Flüchtlingsstadt, vgl. Walter Bodmer, Der Einfluss der Refugianteneinwanderung von 1550–1700 auf die schweizerische Wirtschaft, Zürich 1946; Hans Georg Wackernagel, Basel als Zufluchtsort des Elsasses im 15.–17. Jahrhundert, in: Annuaire de Colmar 2 (1936), S. 56–64. 129 Winfried Becher, Profiteure des Dreißigjährigen Krieges, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte 34 (2009), S. 34–60, dazu die Literaturhinweise in Anm. 109; exemplarisch auch Feldmann, Studenten (wie Anm. 121), S. 162–168. Stabilisierend für das dezidiert katholische Profil der Universität mag gewirkt haben, dass Köln seit 1584 ständiger Sitz einer päpstlichen Nuntiatur war, vgl. Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1, Köln, Wien 1988, S. 326; Peter Schmidt, Die Kölner Nuntiatur im Dreißigjährigen Krieg. Zum Abschluss der Kölner Nuntiaturberichte, Bd. VII, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 68 (1997), S. 129–142. 130 Auch die Anzahl der Kölner Professoren schwankte kaum während des Krieges, vgl. die Übersichten bei Karl H. Boley, Die alte Universität und deren Studienstiftungen, in: Mitteilungen der westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde 75/76 (1987/88), S. 121–142, hier S. 142; zum Gymnasium Tricoronatum vgl. Kuckhoff, Geschichte (wie Anm. 116), S. 314–322. Es ist im Übrigen bezeichnend, dass es keinen eigenen Beitrag zur Universität Köln im Sammelband von Lewejohann, Köln (wie Anm. 109), gibt, wohl aber einen zu den Kölner Jesuiten, ders., »Cöllen war von Ketzerey nunmehr gantz eingenommen.« Die Jesuiten im Köln des 17. Jahrhunderts, S. 185–191. Dies verweist darauf, dass der Dreißigjährige Krieg eben keine (Negativ-)Zäsur in der Kölner Universitätsgeschichte darstellte. 131 Johannes Arndt, Köln als kommunikatives Zentrum im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, in: Georg Mölich, Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln 2000, S. 117–139; Georg Mölich, »Alda viel schöner Bücher und Bilder.« Köln als Medien- und Kommunikationszentrum im »Großen Krieg«, in: Lewejohann, Köln (wie Anm. 109), S. 175–183. 132 Bergerhausen, Köln (wie Anm. 109), S. 103. Zur kriegsbedingten Zuflucht in Köln und dort eingelagerten Wertgegenständen vgl. Stefan Lewejohann, Mit Sack und Pack nach Köln. Zufluchtsort und Tresor des katholischen Reiches, in: ders., Köln (wie Anm. 109), S. 203–208.

Studieren im Krieg

233

und Lüttich war, begab sich nicht nur die von schwedischen Truppen vertriebene hohe Geistlichkeit: der Wormser Bischof Georg Anton von Rodenstein (1630/ 35), der Mainzer Erzbischof Anselm Casimir Wamboldt vom Umbstadt samt Domkapitel und vielen kurmainzischen Geistlichen (1631/35), der Würzburger und Bamberger Bischof Franz von Hatzfeld (1631/34) sowie die Fuldaer Fürstäbte Johann Bernhard Schenk von Schweinsberg und Johann Adolf von Hoheneck (1631/34), später dann der Bischof von Osnabrück, Verden und Minden, Franz von Wartenberg (1633/49).133 Nach 1631 wurden an der Universität Köln zeitweise auch Professoren und Studenten aus Paderborn aufgenommen.134 Im Jahre 1635 zogen auch einige Mainzer Professoren mit ihren Studenten dorthin, wo dann zumindest die Mediziner in bescheidenem Maße ihren Lehrbetrieb fortsetzten.135 Auch für katholische Exulanten aus anderen Teilen des Reiches hatte die Kölner Universität ihre Tore geöffnet.136

IV.

Schluss

Die in der Forschung oftmals bis heute pauschal behauptete Niedergangsthese des höheren deutschen Bildungswesens im Dreißigjährigen Krieg ist so nicht mehr aufrechtzuerhalten. Ebenso wie der Dreißigjährige Krieg zu keiner Zeit alle 133 Zum Gesamtzusammenhang, vor allem zur heiklen Situation der formal neutralen Reichsstadt wegen der Aufnahme der politisch umtriebigen geistlichen Fürsten, vgl. HansWolfgang Bergerhausen, Ungebetene Gäste. Köln als Fluchtburg im Dreißigjährigen Krieg, in: Lewejohann, Köln (wie Anm. 109), S. 103–109. 134 Ursula Kern, Friedrich Spee und der Jesuitenorden, in: Friedrich Spee. Priester, Mahner und Poet (1591–1635), Köln 2008, S. 29–42, hier S. 37. Obwohl für die Universität Köln bislang keinerlei systematischen Matrikelanalysen vorliegen, hat eine kursorische Durchsicht der edierten Kölner Universitätsmatrikeln – Hermann Keussen u. a. (Hrsg.), Die Matrikel der Universität Köln, Bd. 4, Düsseldorf 1981 – durch d. Verf. ergeben, dass zwischen den 1620er und 1640er Jahren in signifikanter Zahl gerade Studenten aus Westfalen wieder den Weg nach Köln gefunden haben, nachdem der Besuch aus dieser Region um 1600 erheblich nachgelassen hatte, vgl. dazu auch die Befunde bei Meuthen, Universitätsgeschichte (wie Anm. 129), S. 319–321. Dies lag freilich auch an der besonderen Situation der einzigen katholischen Universität in Westfalen in Paderborn, die wie kaum eine andere Universität mehrfache Besatzungswechsel erdulden musste. 135 Mathy, Universität (wie Anm. 101), S. 84. 136 Die Kölner Universitätsmatrikeln nennen etwa für das Jahr 1621 »Balth. Schoenagel, Silesius exul.« und für 1631 »Leon. Walther Vrahz, Silesius; iur.; remissa propter exilium ob religionem«, vgl. die Nachweise in den edierten Matrikeln von Keussen u. a., Matrikel (wie Anm. 134), S. 303 u. 373. Signifikant ist übrigens auch der im Gefolge des spanisch-niederländischen Waffenstillstandes von 1609 rapide ansteigende, während des gesamten Krieges konstant starke Besuch von Studenten aus Luxemburg in Köln, vgl. Hermann Keussen, Übersicht über die an der Universität Köln studierenden Luxemburger 1389–1798, in: Publications de la Section Historique de l’Institut G.-D. de Luxembourg 62 (1928), S. 159–230, hier Tabelle S. 161f. und die Namenslisten S. 171–185.

234

Matthias Asche et al.

Territorien und Städte des Heiligen Römischen Reiches im selben Umfang zerstört, verwüstet und entvölkert hat,137 gab es auch Universitäten, die mehr oder weniger stark – zudem zu unterschiedlichen Zeiten – vom Krieg betroffen waren. Das abschließende Urteil über die Folgen des Krieges für die deutschen Universitäten insgesamt, aber auch für diejenigen entlang des Rheins muss folglich wesentlich differenzierter ausfallen, als dies die ältere Forschung suggeriert hat. Obwohl der Dreißigjährige Krieg ganz zweifellos eine enorme Belastung und Herausforderung für das deutsche Universitätswesen dargestellt hatte, erlebte dieses – trotz zuweilen erheblicher Verringerung der Studentenzahlen und Beeinträchtigungen des Lehrbetriebs – keine mit der Reformationszeit in den 1520er und 1530er Jahren138 und der Umbruchszeit um 1800 vergleichbare Existenzkrise.139 Im Gegenteil erwies sich die Universität als ausgesprochen regenerationsfähige Institution, die aufgrund ihrer spezifischen Verfasstheit als akademischer Personenverband relativ flexibel auf Umbrüche reagieren konnte. Denn es wurde nicht nur die alte Universitätslandschaft durch die Wiedereröffnung Heidelbergs 1652 und der beiden hessischen Landeshochschulen Marburg und Gießen 1653 vollständig wiederhergestellt sowie durch Neugründungen im katholischen Bamberg 1648, im reformierten Duisburg 1655 und schließlich im lutherischen Kiel 1665 nochmals erweitert,140 sondern fast alle Universitäten hatten bereits im Laufe der 1650er Jahre wieder die Frequenzhöhe aus der Vorkriegszeit erreicht oder gar überschritten.

137 Dies ist das wichtigste Ergebnis der maßgeblichen, bis heute nur in Details korrigierten Studie von Franz, Krieg (wie Anm. 15). 138 Matthias Asche, Frequenzeinbrüche und Reformen. Die deutschen Universitäten in den 1520er bis 1560er Jahren zwischen Reformation und humanistischem Neuanfang, in: Walther Ludwig (Hrsg.), Die Musen im Reformationszeitalter, Leipzig 2001, S. 53–96; Beat Immenhauser, Universitätsbesuch zur Reformationszeit. Überlegungen zum Rückgang der Immatrikulationen nach 1521, in: Rainer C. Schwinges (Hrsg.), Universität im Mittelalter, Stuttgart 2003, S. 69–88, jeweils mit weiterführender Literatur. 139 Dieter J. Weiß, Das große Universitätssterben um 1800, in: Jens Bruning, Ulrike Gleixner (Hrsg.), Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576–1810, Wiesbaden 2010, S. 78–85; Matthias Asche, Das »große Universitätssterben« in den Jahrzehnten um 1800. Zu Reformbedürftigkeit und Reform(un)fähigkeit deutscher Universitäten im Zeichen von Aufklärung und Utilitarismus, in: Rainer Pöppinghege, Dietmar Klenke (Hrsg.), Hochschulreformen früher und heute. Zwischen Autonomie und gesellschaftlichem Gestaltungsanspruch, Köln 2011, S. 25–48, jeweils mit weiterführender Literatur. 140 Einen knappen vergleichenden Überblick gibt etwa Robert J. W. Evans, German universities after the Thirty Years War, in: History of Universities 1 (1981), S. 169–190.

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Besucherfrequenzen der Universitäten Köln, Mainz und Paderborn (1610 ̶ 1660)

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Matrikelverlust für die Universitäten Trier und Rinteln

Universität Paderborn (gegr. 1614; ImmatrikulaNonen ab 1637)

Universität Mainz

Universität Köln

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Architectura militaris im langen 17. Jahrhundert am Rhein. Die virtuelle Rekonstruktion der Bonner Heinrichbastion und ihr Kontext (mit DVD)

I.

Einleitung

Das nördliche Rheinland weist eine stattliche Anzahl von frühneuzeitlichen Festungen auf, deren teilweise erhaltene Reste heute noch beeindrucken.1 Hartwig Neumann kommt in seinem »Verzeichnis von Festungen und besonderen Einzelanlagen des XV.–XX. Jahrhunderts« für diesen Raum auf 20 Anlagen, wobei seine Aufstellung nicht vollständig ist.2 Die Massierung von Bauten der architectura militaris links und rechts des Rheins zwischen den Ausläufern der Mittelgebirgszone und der Grenze zu den Niederlanden hat zwei Gründe: Zum einen bot die weitgehend flache Landschaft des Niederrheins hervorragende Voraussetzungen für den Bau der großflächigen, auf den Einsatz von Feuerwaffen hin konzipierten Festungen, zum anderen war das »offen landt« Schauplatz zahlreicher kriegerischer Auseinandersetzungen, die den Schutz der Städte bzw. Territorien notwendig machte.3 Diesen Umstand zeigt deutlich eine 1 »Festungen sind neuzeitliche Wehranlangen, die auf die Schuss- und Sprengkraft von Feuerwaffen reagieren. Sie stellen in Ortswahl, Material, Formgebung, Ausrüstung und Besatzung zeitgemäße und optimierte Lösungen dar und sollten bestmögliche Verteidigungsfähigkeit garantieren«, Stefan Bürger, Architectura Militaris. Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts von Specklin bis Sturm, Berlin u. a. 2014, S. 109. Zur Nomenklatur festungskundlicher Begriffe vgl. Festungen. Der Wehrbau nach Einführung der Feuerwaffen. Systematisches Fachwörterbuch, hrsg. v. Comit¦ International d’Histoire de l’Art, 2. Aufl., München u. a. 1990. 2 Hartwig Neumann, Festungsbaukunst und Festungsbautechnik. Deutsche Wehrbauarchitektur vom XV. bis XX. Jahrhundert, Koblenz 1988, S. 39: Aachen, Bonn, Düsseldorf-Stadt, Düsseldorf-Kaiserswerth, Emmerich, Fossa Eugeniana, Geldern, Heinsberg, Jülich, KleveSchenkenschanz, Köln-Stadt, Köln-Deutz, Köln-Mülheim, Mönchengladbach-Rheydt, Neuss, Orsoy, Rees, Rheinberg, Wesel. 3 Schon 1538 hatte Jungherzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg auf dem in Jülich abgehaltenen Landtag angemerkt, »das villerley geschwynde leuff unnd geferlicheiden furhenden und zu besorgen und aver das furstendomb Gulich als eyn offen Landt mit wenich vestungen« versehen sei, sodass »für das irst die Stede Gulich, Eußkirchen und Sittard nachfolgender maß gebouwet unnd gefestigt sullenn werdenn«, zit. nach Joseph Kuhl, Geschichte der Stadt Jülich, Bd. 1, Jülich 1890, ND Jülich 1988, S. 234; der vollständige Landtagsabschied in: Georg von

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Guido von Büren und Marc Grellert

1614 edierte Panoramakarte des niederrheinisch-westfälischen Raumes, in dem lediglich die Flüsse größere geographische Hindernisse darstellen [Abb. 1]. Die folgenden Ausführungen gliedern sich in zwei Abschnitte: Der erste Teil gibt einen pointierten Überblick zur Entwicklung des frühneuzeitlichen Festungsbaus unter Berücksichtigung der Spezifika im nördlichen Rheinland zwischen der Mitte des 15. und dem Beginn des 18. Jahrhunderts. Der zweite Teil widmet sich der kurkölnischen Landesfestung Bonn, die in jüngster Zeit verstärkt erforscht und teilweise digital rekonstruiert wurde.4

II.

Die Entwicklung des frühneuzeitlichen Festungsbaus im Rheinland und in seinen Nachbarregionen

Der Einsatz von Feuerwaffen im europäischen Kriegswesen seit dem späten Mittelalter veränderte als Teil einer tiefgreifenden militärtechnischen Revolution der Zeit um 1500 die Befestigungstechnik grundlegend.5 Die schmalen und hohen Mauern der Burgen und Stadtbefestigungen konnten den mit Schwarzpulver betriebenen Geschützen nicht länger standhalten. So kam es schon im Laufe des 15. Jahrhunderts zu ersten Verstärkungen bestehender Fortifikationen. Ein frühes Beispiel ist in der Freien und Hansestadt Köln zu finden, die zwischen 1180 und 1250 mit einer beeindruckenden Stadtmauer befestigt worden war. Der nahezu halbkreisförmige Mauerring mit einer Höhe von siebeneinhalb und einer Stärke von bis zu drei Metern hatte eine Länge von etwa zehn Kilometern und verfügte über zwölf Stadttore und 52 Türme. »Mit Blick auf die Veränderung in der Waffentechnik und die gespannte politische Lage am Ende des 15. Jahrhunderts unternahm die Stadt Köln erhebliche Anstrengungen, Below (Hrsg.), Landtagsakten von Jülich-Berg. 1400–1600, Bd. 1: 1400–1562, Düsseldorf 1895, S. 252–256. 4 Der erste Teil wurde von Guido von Büren verfasst, der zweite gemeinsam mit Marc Grellert. Die 3D-Rekonstruktion von Teilen der Festung Bonn liegt der vorliegenden Publikation als DVD bei: »Bonn als Festungsstadt. Eine virtuelle Rekonstruktion des Zustandes um 1700«, Architectura Virtualis GmbH (Marc Grellert, Egon Heller, Hristo Kunchev); Auftraggeber : Sparkasse KölnBonn; wissenschaftliche Beratung: Guido von Büren u. Richard HedrichWinter sowie Andreas Kupka u. Franz-Josef Talbot; Grabung Friedensplatz: Stefanie Grohmann-Troll, Thomas Ibeling; Befunddokumentation Grabung Friedensplatz: Diplom-Ingenieure Walter u. Martin Pilhatsch, Unterstützung: Ingrid Bodsch, Sigrid Lange, Norbert Schloßmacher. Wir sind Herrn Richard Hedrich-Winter von der Sparkasse KölnBonn für die Initiierung und engagierte Begleitung des Projektes zu großem Dank verpflichtet. 5 Vgl. zur allgemeinen Entwicklung des frühneuzeitlichen Festungsbaus Guido von Büren, Der Festungsbau während der Türkenkriege in Ungarn als Teil der »Militärischen Revolution« im Europa der frühen Neuzeit, in: Volker Rödel (Hrsg.), Zwischen den Welten. Kriegsschauplätze des Donauraums im 17. Jahrhundert auf Karten und Plänen, Karlsruhe 2010, S. 28–48, insb. S. 28–34 mit der einschlägigen Literatur.

Abb. 1: Panoramakarte des Raumes zwischen Nijmegen im Norden, Köln im Süden, Aachen im Westen und Arnsberg im Osten mit dem spanischen Truppeneinfall unter Spinola in die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg 1614. Kupferstich, 39,4 Õ 14,1 cm, aus: Wilhelm Baudartius, Polemographiae Nassovicae Pars Secunda, Amsterdam 1621.

Architectura militaris im langen 17. Jahrhundert am Rhein

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Guido von Büren und Marc Grellert

um die Wehrfähigkeit ihrer Befestigung zu optimieren, u. a. durch den Bau feuerwaffengerechter Vorfeldbefestigungen wie dem Bollwerk vor der Severinstorburg.«6

Diese doppeltürmige Burg sicherte die wichtige Nord-Süd-Verbindung in Richtung Bonn im Kölner Süden. Der Bereich der Anlage hatte für die Reichsstadt Köln einen hohen symbolischen Wert: Der Stadt war es im Mittelalter gelungen, sich von ihrem Stadtherrn – dem Kurfürsten und Erzbischof von Köln – zu emanzipieren. In der Folge durfte dieser nicht mehr in Köln residieren. Um jede Anwesenheit des ehemaligen Stadtherrn wurde gerungen, was vor allem für den feierlichen Einzug nach der Wahl galt. Der Einzug erfolgte durch das Severinstor, sodass man hier besonderen Wert auf Wehrhaftigkeit und Repräsentation legte, um den eigenen Souveränitätsanspruch zu unterstreichen.7 Der Severinstorburg wurde um 1468 ein turmartiges Bollwerk vorgelagert. Sein Erscheinungsbild lässt sich durch ein Aufmaß des späten 19. Jahrhunderts und archäologische Untersuchungen gut rekonstruieren. »Beim Stadtbahnbau legten die Archäologen die Reste des 21 m hohen, u-förmigen Baus mit drei Geschossen in einem außergewöhnlich guten Erhaltungszustand frei. Das ursprünglich offene Obergeschoss diente als Plattform für vier ›Eiserne Schlangen‹. Die Länge des Baukörpers betrug 20 m bei einer ermittelten Breite von 16 m. Die Außenmauern des erhaltenen Kellergeschosses aus Basalten und Feldbrandziegeln hatten eine Stärke von bis zu 5 m. In der feldseitigen Südwand verarbeitete man großformatige Säulenbasalte, Tuffquader und Trachyte besonders sorgfältig zu einem Vorsprung als Zierelement, denn die Befestigung entstand auch zum Schmuck der reichen und mächtigen Stadt. In der Außenwand des Kellergeschosses befanden sich Schießscharten mit den unerlässlichen Öffnungen zum raschen Abzug der Pulverdämpfe. Von diesen Schießscharten aus konnte der vorgelagerte Graben mit Infanteriewaffen bestrichen werden. Archäologen fanden dort zwei Vollmetallkugeln mit 60 cm Durchmesser und etwa 60 kg Gewicht, wie sie aus einem leichten Geschütz verfeuert wurden. Typologisch ist das Bollwerk in die Reihe turmartiger Festungswerke einzuordnen, die im 15. und 16. Jahrhundert als bauliche Reaktion auf den zunehmenden Einsatz von Feuerwaffen vor allem in Städten sensible Bereiche wie Toranlagen zu sichern hatten. Diese Bauwerke zeigen noch deutlich mittelalterliche Befestigungsmerkmale, sind aber schon für den Einsatz eigener Feuerwaffen ausgelegt. Innovativ ist die klare Disposition als Artillerieturm mit Schießscharten für Feuerwaffen und nicht mehr für Armbrüste. Das Kölner Bauwerk ist ein sehr frühes Beispiel für einen Geschützturm als Element der Stadtbefestigung in der Übergangsphase des europäischen Festungsbaus vom mittel-

6 Andreas Kupka, Das wehrhafte Köln, in: Renaissance am Rhein, hrsg. v. Landschaftsverband Rheinland, Ostfildern 2010, S. 408f., hier S. 408. 7 Vgl. Andr¦ Krischer, »Ceremonialia Coloniense«. Zur symbolischen Konstitution kurfürstlicher Herrschafts- und reichsstädtischer Autonomieansprüche in Köln, in: Werner Paravicini, Jörg Wettlaufer (Hrsg.), Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Ostfildern 2006, S. 327–346.

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alterlichen Wehrturm zur neuzeitlichen Bastion und steht somit für den Wandel, der im 15./16. Jahrhundert im Bereich des Wehrbaus einsetzte.«8

Ein weiterer Schwachpunkt mittelalterlicher Befestigungen war die geringe Stärke der Mauern, die von den Geschossen der modernen Geschütze schwer beschädigt oder gar durchschlagen werden konnten. Zudem boten die Mauern selbst zu wenig Platz, um darauf Kanonen zur Verteidigung zu positionieren. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde deshalb der Bereich der Kölner Stadtmauer zwischen Severinstor und Bayenturm mit einem hinter der Mauer aufgeschütteten Wall und einer halbrunden Plattform verstärkt, die nun Platz für die Aufstellung von Geschützen bot. Anderenorts schuf man bereits um 1500 erste Verstärkungen mit runden Bollwerken, sogenannten Rondellen, aus denen sich im oberitalienischen Raum zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Bastionärsystem entwickelte [Abb. 2].

Abb. 2: Funktionserläuterung des Bastionärsystems bei Matthias Dögen, L’Architecture Militaire Moderne Ou Fortification, Amsterdam 1648.

Eine Bastion ist ein im Grundriss pfeilspitzenförmiges Verteidigungswerk mit fünf Ecken. Es diente zur Aufstellung von Geschützen, mit denen ein von mehreren Seiten anrückender Feind beschossen werden konnte. Im Bereich der 8 Kupka, Köln (wie Anm. 6), S. 408.

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Flanken einer Bastion bildete man Kanonenstellungen aus. Zu diesem Zweck wurde die Flanke zurückgezogen, so dass die Geschütze durch das sich bildende Bastionsohr vor dem Angreifer geschützt waren. Seit den 1530er Jahren gelangte der bastionierte Festungsbau verstärkt auch nördlich der Alpen zum Einsatz. Das Neuartige der für Angriff und Verteidigung mittels Artillerie eingerichteten Festungen war ihr polygonaler Grundriss, der auf vorausberechneten Schussbahnen beruhte und so angelegt war, dass tote Winkel weitgehend vermieden wurden. So konnte das gesamte Vorfeld der Festung bestrichen, das heißt mit Geschützen unter Beschuss genommen werden. Die mächtigen Wälle der Festungen, die aus Erde und Natursteinen oder Feldbrandziegeln errichtet wurden, boten dem Angreifer wenig Angriffsfläche, da sie meist in tiefen und breiten Gräben standen. Das Gelände um die Festung herum, das Glacis, wurde so gestaltet, dass es dem Angreifer keine bzw. möglichst wenig Gelegenheit zur Deckung bot. Mit der rasch fortschreitenden Entwicklung der Waffentechnik wurde es seit der Mitte des 16. Jahrhunderts notwendig, den Wallabschnitt zwischen zwei Bastionen, die Kurtine, durch dreieckige Vorwerke, Ravelins, zusätzlich zu schützen. Später kamen als Vorfeldbefestigungen zeitweilig Hornwerke und schließlich zum Flanken- und Facenschutz Contregarden hinzu. Die Errichtung neuzeitlicher Festungswerke war so kostspielig, dass nur ausgewählte, strategisch wichtige Plätze von den Landesherren auf diese Weise gesichert werden konnten. Eine Finanzierung der neuen Anlagen aus eigener Kraft blieb allein größeren, wirtschaftlich starken Städten wie Köln vorbehalten, während dem Niederadel das Befestigungsrecht generell versagt blieb.9 Die Verbreitung und Weiterentwicklung des Bastionärsystems nördlich der Alpen geschah durch aus Italien zugewanderte und herbeigerufene Spezialisten wie zum Beispiel Alessandro Pasqualini, die ab dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts vornehmlich im niederländisch-französischen und österreichischosmanischen bzw. venezianisch-osmanischen Grenzgebiet wirkten. Dort gab es jeweils ein großes Konfliktpotential, das die Anlage kostenintensiver Wehranlagen notwendig bzw. rentabel erscheinen ließ. Dabei setzte das habsburgische Kaiserhaus konsequent auf das Bastionärsystem, während sich durchaus auch die Rondelle, denen Albrecht Dürer 1527 einen Traktat gewidmet hatte, als praktikabel erwiesen bzw. entsprechend angesehen wurden, wie beispielsweise

9 Ausnahmen bestätigen hier die Regel: Otto von Bylandt ließ im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts Schloss Rheydt mit Bastionen fortifizieren. Rheydt bildete das Zentrum einer kleinen Unterherrschaft, für die Otto von Bylandt die Reichsunmittelbarkeit anstrebte. Der Festungsbau war hier also eine bewusste Regelverletzung; vgl. Guido von Büren, Der Adel und seine Burgen im »langen« 16. Jahrhundert, in: Die Burg zur Zeit der Renaissance, hrsg. v. Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern e.V., München u. a. 2010, S. 13–23, hier S. 16f.

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der Ausbau von Festungen unter Landgraf Philipp I. von Hessen zeigt.10 Die von den Habsburgern in ihren niederländischen Besitzungen in Angriff genommenen Befestigungsanlagen dienten dabei nicht nur der Verteidigung (etwa gegen den König von Frankreich oder bis 1543 gegen den Herzog von Geldern), sondern wirkten immer auch als Machtdemonstration gegenüber der Bevölkerung. Ein frühes Beispiel hierfür ist die mit dem programmatischen Namen »Vredenburg« (Friedensburg) belegte Zwingburg, die Kaiser Karl V. 1528 nach der Herrschaftsübernahme im Utrechter Erzstift in der Stadt Utrecht errichten ließ.11 Die erste vierbastionäre Zitadelle in den Niederlanden entstand zu Beginn der 1540er Jahre in Gent. Ein dortiger Aufstand gegen die habsburgische Zentralregierung wurde von Karl V. 1540 niedergeschlagen. Er statuierte daraufhin ein Exempel: Neben harten Disziplinierungsmaßnahmen gegen die Aufständischen befahl der Kaiser den Abbruch der wichtigsten Abtei der Stadt, an deren Stelle er nach Plänen seines Ingenieurs Donato de Bono eine Zitadelle errichten ließ. Diese beherrschte von nun an die Stadt. Noch bis Mitte der 1550er Jahre trug man sich mit dem Gedanken, innerhalb der Zitadelle ein repräsentatives Schloss erbauen zu lassen.12 Dass die Bauaufgabe palazzo in fortezza, also eines Schlosses in der Festung, zu dieser Zeit am kaiserlichen Hof und in dessen Umfeld diskutiert wurde, beweist auch ein Entwurf für eine um 1545 in Amsterdam geplante Zitadelle sowie das Modell für ein bastioniertes Schloss, das Alessandro Pasqualini 1545 angefertigt hat. Aber erst mit dem Bau von Schloss und Zitadelle Jülich für Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg durch eben diesen Architekten wurde eine solche Anlage ab 1547 tatsächlich im niederländisch-niederrheinischen Raum errichtet. Dabei plante Pasqualini in Jülich auch die Befestigung der Stadt und die weitgehende Neuanlage der innerstädtischen Bebauung, die nach einer verheerenden Brandkatastrophe zu Pfingsten 1547 notwendig bzw. möglich geworden war [Abb. 3]. Auch für diesen Teil der Idealstadtanlage Jülich13 gab es in den Niederlanden Parallelen; zu nennen sind hier beispielhaft die neu angelegten Städte Mariembourg und Philippeville. In den Vereinigten Herzogtü10 Vgl. Stephan Hoppe, Artilleriewall und Bastion. Deutscher Festungsbau der Renaissance im Spannungsfeld zwischen apparativer und medialer Funktion, in: Jülicher Geschichtsblätter 74/75 (2006/07) [2008], S. 35–63. 11 Vgl. Tarquinius Hoekstra, Vredenburg, de bouw van en het leven op een zestiende eeuwse citadel (1529–1532), in: Geeske Bakker u. a. (Red.), Het stenen geheugen. 25 jaar archeologie en bouwhistorie in Utrecht, Utrecht 1997, S. 113–143. 12 Vgl. Marie Christine Laleman, Le ›Castrum Novum‹ de Gand (Belgique), in: Gilles Blieck u. a. (Hrsg.), Le ch–teau de la ville. Conjonction, opposition, juxtraposition (XIe–XVIIIe siÀcle), Paris 2002, S. 335–353. 13 Vgl. Conrad Doose u. a. (Hrsg.), Das ›italienische‹ Jülich. Grundzüge im Konzept Alessandro Pasqualinis für die Stadtanlage, die Zitadelle und das Residenzschloss, Goch u. a. 2009.

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mern Jülich-Kleve-Berg entstanden unter der Bauleitung Alessandro Pasqualinis und seiner Söhne Maximilian und Johann zudem die Befestigungen von Düsseldorf (im Herzogtum Berg) und Orsoy (im Herzogtum Kleve). Die Stadt Köln baute ihre Stadtbefestigung erst im 17. Jahrhundert aus: »Zwischen 1632 und 1693 entstand mit der sogenannten ›Neuen Fortification‹ ein gewaltiger und immens kostspieliger bastionärer Befestigungsring mit 25 polygonalen Bastionen, Kurtinen, Gräben, einem gedeckten Weg sowie einem unbebauten Festungsvorfeld.«14

Abb. 3: »Verzeichnuß der weitberühmten Stadt und Vestung Gülich«, 1608, Federzeichnung auf Papier, 30 Õ 19,7 cm, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart. Der Grundriss des nahezu quadratischen Schlosses in der Zitadelle ist nicht wiedergegeben.

Kehren wir aber noch einmal zum 16. Jahrhundert zurück: Die Spannungen zwischen der Bevölkerung und der habsburgischen Landesherrschaft in den Niederlanden verstärkten sich, als König Philipp II. von Spanien im Jahr 1556 die Regentschaft übernahm. Die politisch-religiösen Auseinandersetzungen fanden ihr Ventil im Bildersturm des Jahres 1566.15 Schon im November dieses Jahres unterbreitete der Herzog von Alba, Fernando Ýlvarez de Toledo, dem Geheimen Rat in Madrid den Plan, wichtige Plätze in den Niederlanden mit Zitadellen zu 14 Kupka, Köln (wie Anm. 6), S. 408. 15 Vgl. zum Folgenden Guido von Büren, Die Schleifung von Festungsanlagen in den Niederlanden zu Beginn des 80-jährigen Krieges, in: Das Ende der Festungen. Aufgelassen – geschleift – vergessen, hrsg. v. Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung e.V., Regensburg 2009, S. 58–75.

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versehen. Im September 1567 begannen die Bauarbeiten in Antwerpen. Wie sehr die Zeitgenossen den Herzog von Alba mit dem Festungsbau verbanden, illustriert eines der sogenannten Geschichtsblätter aus der Offizin Hogenberg, das die Gefangennahme der Grafen Hoorn und Egmond am 10. September 1567 zeigt. Im Hintergrund erkennt man den Herzog, wie er mit seinen Räten über den Plan einer (vierbastionären) Zitadelle diskutiert.16 Der hohe symbolische Wert der rasch fertiggestellten fünfbastionären Zitadelle in Antwerpen wird unter anderem darin deutlich, dass in ihrem Zentrum 1571 ein fünf Meter hohes Standbild des Herzogs von Alba als Bezwinger von Ketzerei und Rebellion aufgestellt wurde. Neben der Zitadelle in Antwerpen entstanden nach dessen Vorbild um 1570 weitere Anlagen in Coevorden, Groningen und Vlissingen. Der Vorteil fünfbastionärer gegenüber vierbastionärer Zitadellen lag darin begründet, dass die Kurtinen im Bereich der Bastionen in einem stumpferen Winkel aufeinandertreffen als es bei vier Bastionen im Quadrat der Fall ist. Dadurch war einerseits das gegenseitige Bestreichen der Bastionen besser gewährleistet und andererseits boten die kürzeren Kurtinen weniger Angriffsfläche. Dass man noch viel später an vierbastionären Zitadellen festhielt, ist mit den geringeren Baukosten zu erklären. Unter der Führung Wilhelms I. von Oranien brach 1572 der offene Aufstand gegen die spanische Herrschaft aus. Mit einem hohen Blutzoll unter der Zivilbevölkerung konnte der Herzog von Alba die Niederlande bis auf die Städte in Holland und Seeland befrieden. Die vollständige Niederlage der aufständischen Niederländer schien nahe, als den Spaniern die Belagerung von Leiden im Jahr 1574 misslang und sich das spanische Heer auf die Linie Haarlem – Amsterdam – Utrecht zurückziehen musste. Für die Entwicklung des Festungsbaus hatte dieser Krieg eine ungeahnte katalysatorische Wirkung. Die Generalstaaten sahen sich gezwungen, ihre Städte innerhalb kürzester Zeit zu befestigen. Wegen der topografischen Gegebenheiten sowie Zeit- und Geldmangel warf man niedrige Erdwälle auf und verzichtete auf eine Bekleidung der Wälle mit Mauerwerk. Der hohe Grundwasserstand ermöglichte zudem die Anlage breiter Wassergräben. Die später sogenannte (Alt-)Niederländische Manier war effektiv, kostengünstig und damit zukunftsweisend [Abb. 4]. Die Spanier reagierten auf die Aufrüstung durch die Generalstaaten mit der Besetzung von Festungsstädten im Glacis der Niederlande, um diese von Nachschubwegen abzuschneiden [Abb. 5]. Durch den Überseehandel konnten sich die Generalstaaten jedoch von der Abhängigkeit von Landwegen befreien. Für den Niederrhein bedeutete diese Situation, dass über den Westfälischen Frieden von 1648 hinaus strategisch wichtige Städte von spanischen Truppen 16 Fritz Hellwig (Hrsg.), Franz Hogenberg – Abraham Hogenberg. Geschichtsblätter, Nördlingen 1983, Nr. 118.

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Abb. 4: Darstellung einer vierbastionären Zitadelle in: Adam Freitag, Architectura militaris nova, Amsterdam 1665 (Erstausgabe 1630). Der Traktat dokumentiert den Stand der Befestigungstechnik in den Niederlanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts.

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Abb. 5: Wichtigere spanisch und staatisch-niederländisch besetzte Plätze und Festungen an Niederrhein und Maas, ca. 1585–1673.

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besetzt blieben.17 Prominentes Beispiel hierfür ist Jülich: Die 1622 von den Spaniern eingenommene Stadt wurde erst nach Abschluss des Pyrenäenfriedens mit Frankreich (1659) im Jahr 1660 geräumt. Bis in diese Zeit hinein behielt auch die strategisch wichtige Festung Schenkenschanz bei Kleve ihre Bedeutung.18 Ihre Entstehung verdankte sie einerseits ihrer topografischen Schlüsselstellung im Hinblick auf die Sicherung der nördlichen Niederlande und andererseits den Mitte der 1580er Jahren aktuellen Auseinandersetzungen um das Erzstift Köln. Der Kölner oder Truchsessische Krieg, der 1583 durch den Versuch, das Erzstift Köln der Reformation zuzuführen und in eine weltliche Herrschaft umzuwandeln, ausgelöst wurde, war letztlich ein Stellvertreterkrieg im Konflikt der spanischen Krone mit den aufständischen niederländischen Provinzen. In diesem Krieg zeigte sich auch die weiterhin vorhandene Bedeutung mittelalterlicher Wehranlagen, so sie denn strategisch wichtige Punkte besetzten, wie beispielsweise die Godesburg auf dem Godesberg bei Bonn. Dieser »isolierte vulkanische Basaltkegel am Übergang des relativ engen Mittelrheintals zur Köln-Bonner Bucht überragt das umliegende Rheintal um 55–56 m.«19 Der Kölner Erzbischof Dietrich von Hengebach hatte hier 1210 eine Burg errichten lassen, die im 14. Jahrhundert zu einer der »bevorzugten Residenzburgen der Kölner Erzbischöfe zählte«20 und einen entsprechenden Ausbau erhielt. Die Godesburg wurde, wie die nahe gelegene Residenzstadt Bonn, von Truppen des Kölner Erzbischofs Gebhard Truchsess von Waldburg gehalten, der konvertiert war, aber an Bischofswürde und Herrschaftsanspruch festhielt. Herzog Ferdinand von Bayern übernahm im Herbst und Winter die Aufgabe, die Godesburg sowie Bonn für seinen Bruder Ernst von Bayern, der im Mai 1583 zum neuen Erzbischof von Köln gewählt worden war, einzunehmen. Aus waffentechnischer Sicht war die Godesburg im ausgehenden 16. Jahrhundert veraltet, dennoch war sie durch ihre Höhenlage schwer einzunehmen. Die Reichweite der Geschütze genügte nicht, um die Mauern der Hauptburg nachhaltig zu beschädigen. Deshalb stellte man bei der Belagerung die Geschütze um und bediente sich eines günstiger gelegenen Standorts. Und tatsächlich gelang es relativ rasch, in die Mauern der westlich gelegenen Vorburg eine Bresche zu schießen. Da die ei17 Vgl. Franz Petri, Im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1500–1648), in: ders., Georg Droege (Hrsg.), Rheinische Geschichte in drei Bänden, Bd. 2: Neuzeit, 3. Aufl., Düsseldorf 1980, S. 1–217, hier S. 96f. 18 Vgl. Schenkenschanz – »de sleutel van den hollandschen tuin«, hrsg. v. Städtisches Museum Haus Koekoek Kleve, Kleve 1986. 19 Tanja Potthoff, »…ein solches Nest, deme man wider alles verhoffen weder mit groben noch klainen geschütz nichts abgewynnen khann«. Die Belagerung und Zerstörung der Burg Godesberg im Jahre 1583, in: Olaf Wagener, Heiko Laß (Hrsg.), »…wurfen hin in steine / gúze und niht kleine…«. Belagerung und Belagerungsanlagen im Mittelalter, Frankfurt/M. u. a. 2006, S. 189–203, hier S. 190. 20 Potthoff, Nest (wie Anm. 19), S. 191.

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gentliche Burg aber nicht beschädigt worden war, schien ein Sturm auf die Anlage zu verlustreich zu sein. Deshalb änderte man die Taktik und begann sich an der Ostseite mit Laufgräben der Burg zu nähern. Ziel war es, die Wehrmauer zu unterminieren. Am 16. Dezember 1583 deponierte man 1.500 Pfund Schwarzpulver in der Mine unter der Mauer. Einen Tag später wurde die Mine gezündet. Ein Großteil des südöstlichen Mauerabschnitts wurde dabei zerstört [Abb. 6].

Abb. 6: Franz Hogenberg, Die Erstürmung der Godesburg durch die Bayern am 17. Dezember 1583, 1584, Kupferstich, ca. 20 Õ 26 cm (Bildmaß).

Der Einnahme der Burg auf dem Verhandlungsweg stand nun nichts mehr entgegen. In der Folge wurde auch Bonn bald eingenommen, da die Eroberung der Godesburg die Moral der Truppen, die die Stadt halten sollten, nachhaltig beeinträchtigt hatte. Zu diesem Zeitpunkt wies die Stadt Bonn noch keine bzw. lediglich geringe Modernisierungen ihrer Befestigung auf. In Bonn selbst hielten die Erzbischöfe und Kurfürsten von Köln Hof. Markanter Blickfang am Rheinufer war das Zollschloss, das nach 1575 unter Kurfürst Salentin von Isenburg errichtet worden war. Der repräsentative Bau zeigt deutlich, dass der Rhein als Handelsroute wichtig war und durch die Zollerhebung entsprechende Einnahmen versprach – wirklich wehrhaft war das Zollschloss trotz einzelner ent-

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sprechender Bauteile mit seinen großen Fenstern und dem turmartigen Erscheinungsbild jedoch nicht.21 Der Kölner Krieg ging nahezu nahtlos über in den Jülich-Klevischen Erbfolgestreit, der 1609 durch den Tod Herzog Johann Wilhelms I. von Jülich-KleveBerg ohne männlichen Nachkommen ausgelöst wurde. In diesem Konflikt, der sich militärisch vor allem auf die Landesfestung Jülich konzentrierte,22 setzten sich der Kurfürst von Brandenburg und der Herzog von Pfalz-Neuburg als Erbanwärter durch. Mit dem Vertrag von Xanten im Jahr 1614 einigte man sich darauf, dass der Herzog von Pfalz-Neuburg die südlichen Territorien Jülich und Berg übernahm, während der Kurfürst von Brandenburg nun Kleve, Mark und Ravensberg regierte. Mit Düsseldorf und Jülich verfügte der Herzog von PfalzNeuburg über zwei bedeutende Festungsstädte in seinem Territorium,23 wobei er auf Jülich aber erst seit 1660 uneingeschränkten Zugriff hatte, wie oben bereits angedeutet wurde. Aus dieser Zeit haben sich Inventare der in der Festung Jülich vorgehaltenen Geschütze und des zugehörigen Materials erhalten, die zeigen, wie aufwändig es war, eine Festung zu armieren.24 Im Herzogtum Kleve war nach 1565 unter der Bauleitung von Johann Pasqualini d. Ä. die Stadt Orsoy zur fünfbastionären Landesfestung ausgebaut worden,25 während die Stadt Wesel auf eigene Kosten 1568 eine Bastion hatte errichten lassen.26 Im 17. Jahrhundert waren die von den Generalstaaten gehaltenen Städte bzw. Orte Büderich, Emmerich, Orsoy, Rees, Rheinberg, Schenkenschanz und Wesel – die aus niederländischer Sicht sogenannte Kleefsche Barriere – aufwändig fortifiziert worden.27 21 Vgl. Nicole Riegel, Fragmente kirchenfürstlichen Mäzenatentums. Die rheinischen Erzbischöfe der Renaissance, in: Renaissance am Rhein (wie Anm. 6), S. 86–103, hier S. 102f. 22 Vgl. Guido von Büren, Die militärischen Auseinandersetzungen am Niederrhein infolge des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits aus der Perspektive von Stadt und Festung Jülich, in: Manfred Groten u. a. (Hrsg.), Der Jülich-Klevische Erbstreit 1609. Seine Voraussetzungen und Folgen, Düsseldorf 2011, S. 177–201. 23 Guido von Büren, Edmund Spohr, Die Festungsanlagen von Düsseldorf und Jülich in kurpfälzischer Zeit, in: Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Das Ideal der Schönheit. Rheinische Kunst in Barock und Rokoko, Köln 2000, S. 211–228 u. Taf. XIV. 24 Vgl. Leo Peters, Unbekannte Quellen zur Armierung der Festung Jülich im 16. und 17. Jahrhundert. Der Vollzug von Artikel 88 des Pyrenäenfriedens von 1659, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 216 (2013), S. 95–153. 25 Dieter Kastner, Bau und Entstehung der Festung Orsoy, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 187 (1984), S. 104–141. 26 Dieter Kastner, Johann Pasqualini und die Anfänge der Festung Wesel. Der Bau der Flesgentorbastion im Jahre 1568, in: Wesel. Beiträge zur Stadtgeschichte, Bd. 1, Wesel 1985, S. 83–121. 27 Vgl. Ursula Geisselbrecht-Capecki, Der Niederrhein. Zeichnungen, Druckgraphik und Bücher aus der Sammlung Robert Angerhausen. Eine Auswahl, Kleve 1993, S. 126–135: »D. Der Niederrhein in den Festungsbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts«. Die Generalstaaten hatten durch die Grafschaft Moers, die 1594 an Moritz von Oranien gefallen war, am Nie-

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Während des Dreißigjährigen Krieges wurde der Niederrhein durch den Hessenkrieg (1639–1641) stark in Mitleidenschaft gezogen. »Nachdem sich die Hessen mit Frankreich, Schweden und den Generalstaaten gegen den Kaiser verbündet hatten, verwüsteten kaiserliche […] und hessische Truppen […] die neutralen klevisch-jülichschen Länder.«28 Die Stadt Kalkar, die im Folgenden etwas genauer vorgestellt werden soll, wurde in den Jahren 1640 bis 1645 von hessischen Truppen besetzt, die einen Ausbau zur Festung nach niederländischem System vornahmen.29 In den später entstandenen Plänen zeigt vor allem die Befestigung vor dem nördlichen Stadtausgang eine konzeptionelle Nähe zu den von den Niederländern bevorzugten Hornwerken, wie ein Vergleich mit Jülich deutlich macht, wo der Ausbau infolge der Besetzung durch die Generalstaaten nach 1610 unter der Leitung von Johan van Valckenburgh entsprechend forciert wurde.30 Schon in der Zeit der hessischen Besatzung von Kalkar trug man sich mit dem Gedanken zur Errichtung einer Zitadelle, deren Nukleus die Schlüterei im Südosten der Stadt bilden sollte. Ein in Berlin erhaltener Situations- und Projektplan, der den Bereich der Schlüterei mit einem Zitadellenentwurf zeigt, dokumentiert die Ausbauüberlegungen dieser Zeit.31 Die gegen die Stadt gewandte Zitadelle sollte aus drei Halbbastionen bestehen, wobei die östliche Kurtine, für die keine Deckung durch eine Bastion geplant war, durch ein vorgelagertes Ravelin geschützt werden sollte. Der ebenfalls ungedeckte südliche Stadtausgang, der nun Teil der Zitadelle war, sollte durch ein Hornwerk zusätzlich befestigt werden. Mit dem Bau der Zitadelle hatte man begonnen, beim

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derrhein einen Fuß in der Tür. Sowohl der Kurfürst von Brandenburg (Kleve) wie der Herzog von Pfalz-Neuburg (Jülich-Berg) versuchten, sich in den spanisch-niederländischen Auseinandersetzungen neutral zu verhalten. Die Generalstaaten wurden teilweise erst 1672 durch die Truppen des französischen Königs Ludwig XIV. aus den Festungsstädten vertrieben, vgl. Jens Metzdorf, Faustpfand des Sonnenkönigs. Neuss, Kurköln und Frankreichs Angriff auf die Niederlande 1672, in: Neusser Jahrbuch 2001, S. 11–25. Geisselbrecht-Capecki, Niederrhein (wie Anm. 27), S. 64. Unter hessischer Besatzung musste für den Festungsbau in Kalkar 1640 das im westlichen Vorfeld gelegene Dorf Altkalkar weichen, Friedrich Gorissen (Bearb.), Niederrheinischer Städteatlas. Klevische Städte, Bd. 2: Kalkar, Kleve 1953, S. 72. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg gelang es 1644/45 die Hessen aus dem Herzogtum Kleve zu vertreiben. Karl-Klaus Weber, Johan van Valckenburgh. Das Wirken des niederländischen Festungsbaumeisters in Deutschland 1609–1625, Köln u. a. 1995, S. 105–110; vgl. hierzu die Rezension von Bernhard Dautzenberg, in: Jülicher Geschichtsblätter 69/70 (1999/2000), S. 931–939; ders., Der Ausbau der Festung Jülich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Festungsbaukunst in Europas Mitte. Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung, Regensburg 2011, S. 283–309. Nach hinten schmäler werdende Hornwerke wie in Kalkar zeigen z. B. die Pläne Nr. 112, 114f. u. 134f. bei Hartwig Neumann, Stadt und Festung Jülich auf bildlichen Darstellungen, Bonn 1991. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz X 21188/10; Margret Wensky (Bearb.), Rheinischer Städteatlas, Bd. 76: Kalkar, Köln u. a. 2001, Taf. 4.

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Abzug 1645 war sie aber noch unvollendet. Die hessische Besatzung hatte die mittelalterliche Stadtbefestigung weitgehend unangetastet gelassen, und es ist anzunehmen, dass, wenn überhaupt, nur an der Westfront die Anlage von Bastionen in regelmäßigen Abständen gelungen war. Vorstellbar ist aber auch, dass nur ein mit Palisaden befestigter Wall der Stadtmauer vorgelagert worden war. Eine Kontereskarpe mit gedecktem Weg schloss den Graben zum Glacis hin ab.32 Als der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Jahre 1645 wieder im Besitz Kalkars war, wurden die gerade errichteten Befestigungsanlagen modifiziert. Probleme hatten sich unter anderem mit der Bewässerung der Stadtgräben ergeben; Teile der Befestigung wurden sogar wieder niedergelegt.33 Vor diesem Hintergrund überrascht es auf den ersten Blick, dass der Kurfürst Mitte der 1650er Jahre wieder auf den Ausbau Kalkars zur Festung zurückkam. Traditionell waren im Herzogtum Kleve die Stände ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor, sodass das Verhältnis zwischen diesen und dem Landesherrn in der Regel angespannt war. In dem uns interessierenden Zeitraum hatte der Kurfürst als seinen Statthalter in Kleve Johann Moritz von Nassau-Siegen eingesetzt. Damit war der vor allem im Hinblick auf die jülich-klevische Erbfolgefrage gesuchte Schulterschluss des Kurfürsten mit den Generalstaaten auch personell noch einmal unterstrichen worden.34 Gegenüber den selbstbewusst auftretenden Ständen fehlte es dem Kurfürsten an geeigneten Druckmitteln. So kam, »nachdem 1654 der stärkste ständische Widerstand mit einem Gewaltakt, der Verhaftung des Freiherrn von Wilich zu Winnenthal, gebrochen worden war«,35 die Idee auf, die Stadt Kalkar zu befestigen und mit einer Zitadelle zu versehen. Einer der Urheber dieses Gedankens scheint der klevische Regierungsrat Daniel Weimann gewesen zu sein, der erkannt hatte, dass die brandenburgischen Festungen Hamm und Lippstadt nicht ausreichten, die Position des Kurfürsten gegenüber den Ständen nachhaltig zu stärken.36 Aus einem Schreiben vom 3. November 1656 wissen wir, dass er mit dem klevischen Statthalter entsprechende Überlegungen im Hinblick auf Kalkar diskutiert hatte. 32 Ed Taverne, Henrick Ruse und die »Verstärkte Festung« von Kalkar, in: Guido de Werd (Hrsg.), Soweit der Erdkreis reicht. Johann Moritz von Nassau-Siegen 1604–1679, Kleve 1979, S. 151–158, hier S. 151. 33 Gorissen, Kalkar (wie Anm. 29), S. 72. 34 Michael Rohrschneider, Johann Moritz von Nassau-Siegen als Scharnier zwischen niederländischer und kurbrandenburgischer Außenpolitik, in: Irmgard Hantsche (Hrsg.), Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604–1679) als Vermittler. Politik und Kultur am Niederrhein im 17. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, S. 187–205. 35 Bert Thissen, Der Statthalter und die Residenz – Johann Moritz von Nassau-Siegen und die Stadt Kleve, in: Hantsche, Johann Moritz (wie Anm. 34), S. 107–129, hier S. 115. 36 Manfred Luda, Kleve-Mark unter dem Großen Kurfürsten. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen, Iserlohn 1996, S. 83–85.

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Am 7. November schrieb er schließlich persönlich an den Kurfürsten, dass mit dem Ausbau Kalkars »dem Lande selbst wohl damit [geschehe], weil es dadurch von öffentlichen Invasionen und heimlichen Intriguen wird gerettet und befreit werden können.«37 Die in Kalkar zu stationierende Garnison sollte als Mahnung gegenüber den Ständen vor zu vielen Unbotmäßigkeiten dienen. Als die Stände von den Plänen des Kurfürsten erfuhren, durchschauten sie diese in ihrer Funktion und legten umgehend Protest ein, der jedoch erfolglos blieb. Johann Moritz von Nassau-Siegen kam in der Folgezeit die Aufgabe zu, einen geeigneten Festungsbaukundigen für die Arbeiten zu gewinnen. Was lag in seiner Doppelfunktion als brandenburgischer Statthalter und niederländischer Offizier näher, als einen Ingenieur in den Niederlanden ausfindig zu machen? Nach Abschluss des Westfälischen Friedens war die Bedeutung des Militärs und der kostenintensiven Festungsanlagen in den Niederlanden gesunken. Hierin sahen einige Zeitgenossen einen eklatanten Missstand. Zu diesen gehörte der 1624 geborene Hendrick Ruse. Ruse war mit 15 Jahren »aus natürlicher Lust und Neigung«, wie er selber sagt, in den Krieg gezogen.38 Nachdem er bis 1644 in niederländischen und für kurze Zeit in französischen Diensten gestanden hatte, ging er 1646 nach Venedig. Hier sammelte er Erfahrungen im Krieg gegen die Osmanen im Mittelmeerraum und wurde schließlich zum Ingenieur ernannt. Auf seiner Rückreise in die Niederlande 1651 nutzte er die Gelegenheit zur Besichtigung von Festungsanlagen im Kurfürstentum Bayern. 1652 wurde er Ingenieur der Stadt Amsterdam, die seine Dienste jedoch kaum in Anspruch nahm. Seine internationalen Erfahrungen hatten ihn gegenüber dem Stand der Befestigungstechnik in den Niederlanden kritisch werden lassen. 1654 gab er deshalb die Kampfschrift »Versterckte Vesting« heraus, die eine Weiterentwicklung der niederländischen Befestigungsmanier einforderte. So erkannte er das Problem der bisherigen Festungsanlagen in den zu langen Kurtinenabschnitten zwischen zwei Bastionen. Seiner Meinung nach ließ sich hier eine deutliche Verbesserung dadurch erreichen, dass man die Flanken einer Bastion nicht im rechten Winkel mit der Kurtine verbände. Zudem sah er im Bereich der Flanken die Anlage mehrerer Feueretagen vor, die für den Angreifer nicht einsehbar sein sollten.39 Ruses Bauweise wurde später als eigenständige Manier 37 August von Haeften (Hrsg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Ständische Verhandlungen: Cleve-Mark, Bd. 5, Berlin 1869, S. 880. 38 Björn Westerbeek Dahl, »Solch eine capable Person«. Der Ingenieur Hendrick Ruse in den Niederlanden, Brandenburg und Dänemark, in: Elmar Brohl (Hrsg.), Militärische Bedrohung und bauliche Reaktion. Festschrift für Volker Schmidtchen, Marburg 2000, S. 128–150 u. Taf. 16. Das Zitat ist dem Vorwort zu seinem Traktat »Versterckte Vesting« entnommen. 39 Einen entsprechenden Entwurf zeigen u. a. das Titelbild seines Traktates und Illustrationen im Innern. Sehr gut ist diese Modifikation des Bastionärsystems auf Ruses Planzeichnung für die Festung Spandau von 1659 zu erkennen, Taverne, Ruse (wie Anm. 32), S. 155, Abb. 6.

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gewertet, wie eine synoptische Darstellung von 20 Befestigungsmanieren des 18. Jahrhunderts belegt [Abb. 7].40

Abb. 7: Georg Matthäus Seutter, Architecturae Militaris Synopsis = Vollständiger Entwurf der Ingenieur Kunst, vor 1740, Kupferstich, 54,5 Õ 63 cm. Es handelt sich hierbei um einen exakten Nachstich des Blattes »Speculum Architecturae Militaris« von Peter Schenk d. Ä. aus dem frühen 18. Jahrhundert.

Während man in den Niederlanden auf die Kritik Ruses überwiegend ablehnend reagierte, wurden auswärtige Potentaten auf Ruse aufmerksam. So verwundert es wenig, den ambitionierten Ruse Ende 1656 bei dem nicht weniger ambitionierten Statthalter Johann Moritz in Kleve anzutreffen.41 Gemeinsam diskutierte man bei dieser Gelegenheit Pläne und Ansichten Kalkars; Ruse schien an dem Projekt interessiert. Und tatsächlich schloss der Amsterdamer Festungsbaumeister als Generalunternehmer mit Johann Moritz am 14. Juli 1657 40 Vgl. zusammenfassend Neumann, Stadt (wie Anm. 30), S. 858f. Ruse war vom dänischen König 1671 in den Adelsstand erhoben worden, Dahl, Person (wie Anm. 38), S. 148. Auf dem Stich firmiert er deshalb als Heinrich Baron von Rusenstein. 41 Auf die Einzelnachweise wird im Folgenden verzichtet; vgl. hierzu vor allem Taverne, Ruse (wie Anm. 32).

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einen Vertrag über den Bau einer Zitadelle in Kalkar für 40.000 Taler ab. Der Baubeginn verzögerte sich jedoch, da Geld und Material ausblieben. Nach direkten Verhandlungen mit Kurfürst Friedrich Wilhelm wurde am 27. August 1658 in Berlin ein neuer Vertrag ausgehandelt, der für 64.000 Taler den Bau eines »königlichen Vierecks« vorsah. Obgleich der Baugrund im Süden Kalkars problematisch erschien, begannen am 1. März 1659 die Grabenarbeiten. Ruses Plan sah vor, ausgehend von der Schlüterei eine vierbastionäre Zitadelle zu errichten. Hierfür mussten zahlreiche Häuser – es ist von 80 die Rede – und ein Teil der mittelalterlichen Stadtmauer niedergelegt werden. Wie schon in Jülich im 16. Jahrhundert richtete sich die autark angelegte Festungsanlage auch gegen die Einwohnerschaft. Entsprechend wenig Gegenliebe wird man den aufwändigen Bauarbeiten von Seiten der Bevölkerung entgegengebracht haben. Die Arbeiten gerieten rasch ins Stocken, da das vertraglich ausgehandelte Material und das Geld ausblieben. Dies lag nicht zuletzt daran, dass der Kurfürst zu sehr mit dem damals tobenden dänisch-schwedischen Krieg beschäftigt war. Im Sommer 1659 setzte sich Ruse deshalb nach Harburg ab, wo er seit 1657 für Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg den Ausbau der seit 1644 im Entstehen begriffenen Zitadelle leitete. Nach Kalkar zurückgekehrt, musste er feststellen, dass die Arbeiter wegen ausbleibender Zahlungen entlassen worden waren und Soldaten wichtiges Baumaterial entwendet hatten. Durch die fehlende Betreuung der Baustelle waren die teilweise schon angelegten Gräben voll Wasser gelaufen. Ruse griff auf sein eigenes Vermögen zurück, um die Bauarbeiten wieder in Gang zu bringen. 1661 war die Zitadelle noch nicht halb fertig, als Ruse im Mai nach Dänemark aufbrach. Hier trat er in königliche Dienste und wurde sofort mit der Anlage einer fünfbastionären Zitadelle in Kopenhagen betraut. Diese Festungsanlage ist bis heute erhalten und gibt einen ungefähren Eindruck von den Werken, wie sie in Kalkar vorstellbar sind, wenngleich hier kein ausschließliches Erdwerk wie in Kopenhagen errichtet wurde. Im Herbst 1661 war Ruse wieder in Kalkar. Erneut wurde ein Vertrag abgeschlossen, diesmal über 94.000 Taler. Die Kostenexplosion gegenüber dem ersten Vertrag erklärt sich aus dem Umstand, dass nun die ganze Stadt befestigt werden sollte. Die in Stockholm aufbewahrte Entwurfszeichnung für Kalkar, vermutlich eine zeitgenössische Kopie, dürfte mit dem dritten Vertrag vom 17. Oktober 1661 in Verbindung stehen [Abb. 8a].42 Der Entwurf Ruses ist in einer weiteren Kopie überliefert, die Georg Maximilian von Fürstenhoff, Leiter des sächsischen Ingenieurkorps, anfertigte und die auf der Berliner Fassung von späterer Hand

42 Königliches Kriegsarchiv Stockholm, SEP, Kalkar, Nr. 1 (keine weiteren Pläne vorhanden); erstmals publiziert von Peter H. Meurer, Die Festung Kalkar auf einem Plan des Stockholmer Kriegsarchivs, in: Kalender für das Klever Land auf das Jahr 1979, S. 120–122.

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»um 1740« bezeichnet wurde, tatsächlich wohl aber auf 1732 datiert [Abb. 8b].43 Als Einzelblatt findet sich die Kopie in Berlin sowie in der vollständig erhaltenen dreibändigen Plansammlung von Fürstenhoff in Dresden. Bemerkenswert ist ein weiterer in Berlin erhaltener Plan der Stadt Kalkar, der von späterer Hand auf um 1700 datiert wurde [Abb. 8c].44 Im Gegensatz zu dem Stockholmer Plan zeigt er die Straßenzüge und die Umrisse der wichtigsten Gebäude in der Stadt. Die Zitadelle ist dagegen ohne innere Bebauung wiedergegeben. Die Festungsanlagen um die Stadt, die ein deutlich anderes Aussehen als im Stockholmer Plan zeigen, sind nur gestrichelt dargestellt, so als seien sie zum Zeitpunkt der Planverfassung erst projektiert gewesen. Der Plan bzw. seine Vorlage stammt vermutlich aus der Ruse-Zeit und dokumentiert die Entwurfsdiskussion um die Stadtbefestigung. Tatsächlich wurde die Westfront auf diese Weise befestigt, wie der Abgleich mit der Urkarte aus dem 19. Jahrhundert zeigt.45

Abb. 8a: Hendrik Ruse (zugeschrieben), Plan der Festung Kalkar, nach 1660.

43 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, X 2189/10; Wensky, Kalkar (wie Anm. 31), Taf. 4. Vgl. Neumann, Festungsbaukunst (wie Anm. 2), S. 173–175. Zur Urfassung der dreibändigen Plansammlung Fürstenhoffs in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden vgl. Perk Loesch, L’art de la fortification. Festungsbau und Festungskrieg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Dresden 2001, S. 126. 44 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, X 2189/1; Wensky, Kalkar (wie Anm. 31), Taf. 4. 45 Wensky, Kalkar (wie Anm. 31), Taf. 1.

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Abb. 8b: Johann Georg Maximilian Fürstenhoff, Plan der Festung Kalkar, vor 1732.

Abb. 8c: Unbekannter Verfasser, Plan der Festung Kalkar, um 1657.

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Vergleicht man den Stockholmer Plan und seine Berliner Variante genauer, ergibt sich folgendes Bild von den Festungsanlagen: Die Bastionärfestung um die Stadt war der mittelalterlichen Stadtmauer vorgelagert und an keiner Stelle mit ihr verbunden. Die Ostseite bestand nur aus einem Wall mit zwei vorgelagerten kleineren Werken. Im Westen und Norden befand sich vor dem gedeckten Weg hinter der Kontereskarpe ein weiterer wassergefüllter Graben. Die vierbastionäre Zitadelle stand in einem Graben, der im Stockholmer Plan trocken dargestellt ist. Die Kurtinen wurden durch Ravelins geschützt. Die Westseite war zusätzlich mit Contregarden versehen. Davor war nochmals ein Wall mit kleinen Waffenplätzen gesetzt. Im Innern der Zitadelle ist die alte Schlüterei zu erkennen, die zusammen mit dem alten Stadttor baulich zu einem Eingangsgebäude ergänzt wurde. Zudem befinden sich im Zitadellenhof zwei quadratische Vierflügelbauten. Zwischen diesen und dem Eingangsgebäude sind zwei einflügelige Bauten gesetzt. Die Innenbebauung der Zitadelle diente offensichtlich zur Aufnahme einer Garnison und als Lagerraum in Krisenzeiten, etwa für Getreide. Der Schleifungsbefehl von 1674 zeigt, dass immerhin das projektierte Gebäude zwischen Schlüterei und der Monpforte errichtet worden war. Die Zitadelle maß von Bastionsspitze zu Bastionsspitze etwa 300 Meter, was der Größe der Jülicher Zitadelle aus dem 16. Jahrhundert entsprach.46 Anscheinend verzichtete man jedoch auf eine in ihrer gesamten Höhe aufsteigende und schräg gestellte, das heißt dossierte Mauer, sondern errichtete einen Wall mit einem deutlichen Rücksprung nach etwa einem Drittel, zumindest im Bereich der Kurtinen und der Flanken. Die Ostansicht Kalkars von Henrik Feltman aus dem Jahr 1660 lässt für die Zitadelle eine solche Wallkonstruktion vermuten.47 Schnitt und Isometrie aus Christoph Heidemanns Traktat Architectura Militaris von 1664 können beispielhaft einen ungefähren Eindruck davon geben, wie die Festungsanlagen von Kalkar konstruiert gewesen sein dürften [Abb. 9].48 Dass die Zitadelle in der Grundstruktur entsprechend des 46 Vgl. zum Aufbau der Wallanlagen der Zitadelle Jülich Guido von Büren, Andreas Kupka, Schloss und Zitadelle Jülich, Regensburg 2005, insb. S. 19 u. 24. 47 Gerard Lemmens, Leben und Werk von Hendrick Feltman, in: Wilhelm Diedenhofen, Bert Thissen (Hrsg.), CLIVIO-POLIS. Die Stadt Kleve im Jahre 1653, gezeichnet von Hendrick Feltman, beschrieben von Hermann Ewisch, gedruckt von Jacob van Biesen, Kleve 2005, S. 11–25, hier S. 23–25. 48 Unter der Aktivitätsnummer Ni 99/1017 fanden archäologische Sondagen im Bereich vor der Südface der südöstlichen Zitadellenbastion statt. Dabei gelang es der Grabungsfirma W. S. van der Graaf Archäologie u. a. mit Hilfe von zwei Bohrreihen den ehemaligen Festungsgraben zu dokumentieren, wobei die stadtseitige Grabenkante außerhalb des eng umgrenzten Untersuchungsbereichs lag. Feldseitig zeigte der noch zwei Meter tiefe Graben eine steile Kante. Dokumentiert werden konnte auch der Abzweig des Grabens, der um das Ravelin vor der Südkurtine der Zitadelle führte; vgl. hierzu den Grabungsbericht von H. Heinrichs im Ortsarchiv des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege, Bonn. Eine kurze Notiz zu der Grabung findet sich bei Ulrich Ocklenburg, Ausgrabungen, Funde und Befunde

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erhaltenen Planmaterials errichtet wurde, erkennt man an den später noch sichtbaren Geländestrukturen, wie sie die Kartenaufnahme von Jean Joseph Tranchot von 1803/1804 und die Urkarte von 1831 überliefern.49

Abb. 9: Isometrische Ansicht eines Festungswalles in: Christoph Heidemann, Architectura Militaris, München 1664.

Wenige Jahre nachdem der Kurfürst 1667 festgestellt hatte, dass die Zitadelle nun fertig sei – 1661 war sie mit niederländischen Geschützen in Verteidigungsbereitschaft gesetzt worden, von denen sich eines sogar erhalten hat50 – und man sich nun verstärkt der Stadtbefestigung zuwenden müsse, änderten sich die politischen Rahmenbedingungen grundlegend. Nachdem die Spanier 1660 den Niederrhein endgültig geräumt und die Landesherren sich nun handlungsfreier gefühlt hatten, griff der französische König Ludwig XIV. nach den linksrheinischen Gebieten. 1672 standen er und seine Truppen am Rhein. Mit Schrecken musste der brandenburgische Kurfürst verfolgen, wie rücksichtslos der französische König mit befestigten Plätzen umging, die nach erfolgreicher Einnahme nun seinen Machtinteressen dienten. So befahl Ludwig XIV. die Festungsanlagen der klevischen Stadt Orsoy zu schleifen, während er nach entsprechender vertraglicher Vereinbarung mit dem Kölner Kurfürsten in Neuss seit 1672 eine vierbastionäre Zitadelle errichten ließ.51 Der Kurfürst von Brandenburg beschloss daraufhin, nur die rechtsrheinisch gelegenen, strate2000. Kalkar, Kr. Kleve, in: Bonner Jahrbücher 202/203 (2002/03) [2005], S. 498. Ich danke Claus Weber (Bonn) für seinen Hinweis. 49 Wensky, Kalkar (wie Anm. 31), Taf. 1 (Urkarte) u. Taf. 2 (Tranchot). 50 Taverne, Ruse (wie Anm. 32), S. 156, Abb. 8: Gerard Koster, Amsterdam 1660 (Deutsches Historisches Museum, Berlin). 51 Metzdorf, Faustpfand (wie Anm. 27); vgl. auch Christian Henke, Neuss im Banne des Sonnenkönigs. Französische Besatzungen in der Stadt Neuss im Zeitalter Ludwigs XIV., in: Christiane Zangs (Hrsg.), Spurensuche im Barock. Archäologie des 17. Jahrhunderts am Niederrhein, Neuss 2005, S. 13–18.

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gisch wichtigen Plätze befestigt zu lassen bzw. sie stärker auszubauen. Von dieser Entscheidung profitierte vor allem Wesel. Für Kalkar kam 1674 und nochmals 1680 der vollständige Schleifungsbefehl. Die unter großen Mühen errichteten Festungsanlagen, die die weitere Entwicklung der Stadt Kalkar nachhaltig geschädigt hatten,52 verschwanden, wenngleich sie in Umrissen noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein erkennbar blieben und bis heute Spuren im Gelände hinterlassen haben.53 Für die Zeit um 1700 kann man generell eine Modernisierungswelle bestehender Festungsanlagen beobachten. Dies hat damit zu tun, dass sich Ende des 17. Jahrhunderts neue Konzepte in der architectura militaris durchsetzten. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dominierten immer mehr Franzosen die Militärwissenschaften in Europa und insbesondere den Festungsbau, was der qualitativ hochwertigen Ausbildung im militärischen Bereich geschuldet war. Eine zentrale Gestalt in diesem Zusammenhang war S¦bastian Le PrÞstre, Marquis de Vauban, der in einer bis dahin nie geahnten Art und Weise die Verwissenschaftlichung des Festungsbaus und des Belagerungswesens vorantrieb. Sein Gegenspieler auf niederländischer Seite war Menno van Coehoorn. So bildeten sich immer neue »Manieren« aus, die aber durchgehend am Bastionärsystem festhielten [s. o. Abb. 7]. Im Spanischen Erbfolgekrieg erlebte der Niederrhein noch einmal spektakuläre Belagerungen und Bombardierungen von Städten. Die Auseinandersetzung bot dem Kurfürsten von Brandenburg, seit 1701 als Friedrich I. König in Preußen, die Gelegenheit zur Gebietserweiterung seiner niederrheinischen Besitzungen. Sein Augenmerk richtete sich auf das Oberquartier des Herzogtums Geldern mit der Stadt Geldern als seiner Hauptstadt. Geldern war im späten 16. Jahrhundert mit neun Bastionen und Ravelins sowie zwei wasserführenden Gräben befestigt worden. Im Laufe des 17. Jahrhunderts waren einzelne Vorwerke hinzugekommen, die bei einem Angriff den Feind von der Kernfestung fernhalten sollten.54 Bei Ausbruch des Krieges war die Festung Geldern mit einer 52 Vgl. hierzu Wensky, Kalkar (wie Anm. 31), S. 4f., die nachdrücklich auf die allgemeine Problemlage der Stadt Kalkar im 17. Jahrhundert hinweist, die sich durch den Festungsbau noch verschärfte. 53 Zur heutigen Situation im Gelände vgl. Wolfgang Wegener, Ausgrabungen, Funde und Befunde 1988. Kalkar, Kr. Kleve, in: Bonner Jahrbücher 190 (1990), S. 524–526: »Als markante Geländekante zeichnen sich die neuzeitlichen Befestigungswerke an der Südseite ab. Trotz einer weitläufigen modernen Bebauung sind die Bereiche der einzelnen Bastionen, Kurtinen und Ravelins gut zu erkennen. An der Ostbastion treten im Bereich der Südflanke Ziegelfundamente hervor. Wallreste eines Ravelins befinden sich nördlich dieser Bastion. Das umfangreiche Grabensystem, das die Zitadelle umschloß, liegt trocken und ist mit Gras bewachsen.« 54 Vgl. Stefan Frankewitz, Entwicklung der Festung Geldern und Glossar zur Festungsgeschichte, in: ders. (Hrsg.), Preußen an Peel, Maas und Niers. Das preußische Herzogtum Geldern im 18. Jahrhundert, Kleve 2003, S. 141–155.

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Besatzung von 1.200 Mann armiert worden, die sich aus spanischen und französischen Kontingenten zusammensetzte. Obgleich Friedrich I. die Einnahme von Geldern priorisierte, konnte er sich wegen der allgemeinen Kriegslage nicht zu einer förmlichen Belagerung entscheiden. Schließlich befahl er im Jahr 1703 eine Bombardierung der Stadt, um die Bevölkerung und die Besatzung zu demoralisieren und zur Aufgabe zu zwingen. Dieses Bombardement vom 3. bis 15. Oktober hatte den gewünschten Erfolg, wenngleich dadurch die innerstädtische Bebauung Gelderns nahezu vollständig zerstört wurde. Das preußische Heer hatte 40 Kanonen und 29 Mörser vor Geldern zusammengezogen, die auf vier Schanzen verteilt wurden. Insgesamt schoss man 6.000 Bomben, 600 Brandtöpfe und 12.000 Kanonenkugeln auf die Stadt. Eine Abrechnung von 1707 listet Gesamtkosten von 2.163.612 Talern und 18 Stübern auf, die die Eroberung der Festung Geldern gekostet hat.55 Wie erhofft, bildete die Stadt bei den Friedensverhandlungen in Utrecht 1713 das Faustpfand, um das Gebiet des geldrischen Oberquartiers für Preußen dauerhaft zu gewinnen. 1729 erschien eine repräsentative Radierung, die – auf ein Gemälde von Jan van Huchtenburgh zurückgehend – die Beschießung Gelderns zeigt [Abb. 10]. Dargestellt ist im Vordergrund die Stellung bei Pannofen, während man im Hintergrund die in Flammen stehende Stadt Geldern erkennt. Geschütze werden geladen, ausgerichtet und abgefeuert. Daneben werden Lafetten zusammengesetzt und repariert sowie die rasch aufgeworfene Stellung mit Erde und Reisigbündeln ausgebessert. Kanonenkugeln werden erhitzt bis sie glühend heiß sind und als Brandbomben eingesetzt werden können. Zwischen den Batterien stehen Offiziere, die diskutieren bzw. Anweisungen geben. Obgleich die Darstellung in Details unvollständig ist, vermittelt sie einen anschaulichen Eindruck von einer zeitgenössischen Beschießung. Zwei Aspekte seien abschließend zum bisher Gesagten hervorgehoben: Betrachtet man den Verlauf kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert wird deutlich, dass sich die Kriegsführung vorwiegend auf die Belagerung von befestigten Plätzen konzentrierte. Die offene Feldschlacht wurde meist vermieden bzw. trat als Mittel der Kriegsführung deshalb in den Hintergrund, da Festungsstädte mit ihren Garnisonen von feindlichen Heeren nicht einfach ignoriert werden konnten. Viel zu groß war die Gefahr, dass eine feindliche Festungsstadt im Rücken Nachschubwege und Kommunikationsmöglichkeiten behinderte. Umgekehrt hatte das zur Folge, dass befestigte Städte von strategischer Bedeutung fortwährend modernisiert wurden, um der sich weiterentwickelnden Waffentechnik und deren immer effektiverem Einsatz etwas entgegenhalten zu können. Damit kommen wir zum zweiten Aspekt, der 55 Vgl. Stefan Frankewitz, Belagerung, Beschießung und Kapitulation 1703, in: ders., Preußen (wie Anm. 54), S. 37–60.

Abb. 10: Jan van Huchtenburgh, Bombardierung der Stadt Geldern 1703, 1729, Radierung, 46,5 Õ 145,5 cm.

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sich bei der Beschäftigung mit der architectura militaris der Frühen Neuzeit ergibt: Die Festungsbauten waren aufwändige und materialintensive Anlagen, die nur unter großem personellen und finanziellen Einsatz ihrer Erbauer möglich wurden. Es handelte sich um Großbaustellen, die allenfalls mit den Kathedralbaustellen des Mittelalters vergleichbar waren. Ein Heer von Spezialisten und Handlangern war vonnöten, um die großflächigen Bauten errichten zu können. Die Quellenlage zu diesem Thema ist nicht besonders dicht. Nur in Einzelfällen haben sich Rechnungslegungen erhalten, die einen Einblick in eine Festungsbaustelle ermöglichen. Ein gut dokumentiertes Beispiel ist der Bau der Flesgentorbastion in Wesel, den der Rat der Stadt im Jahr 1568 beauftragte, um die Stadt vor den Auswirkungen des spanisch-niederländischen Krieges zu schützen.56 Den Entwurf für das »Bolwerck« lieferte der herzogliche Baumeister Johann Pasqualini d. Ä. Dafür erhielt er 13 Goldgulden; der vorausgegangene Beratungsbesuch hatte die Stadt Wesel zwölf Goldgulden und 19 Albus gekostet. Die Bauleitung lag in den Händen des Stadtmaurermeisters Peter und des Werkmeisters Derich Hertogs. Jeder weitere Besuch Pasqualinis wurde mit fünf Talern vergütet. Für diesen Betrag musste ein Tagelöhner 41,5 Tage auf der Baustelle arbeiten. Aus den Rechnungen ist zu entnehmen, dass an der Errichtung der Bastion im Durchschnitt vier Meister, 14 Maurer und 80 Tagelöhner arbeiteten. Hinzu kamen Hand- und Spanndienste der Weseler Bürger und von Dienstpflichtigen aus den umliegenden Dörfern, die mit fünf bis sechs Albus pro Tag vergütet wurden. Um eine Vorstellung von einer Festungsbaustelle zu erhalten, lohnt der Blick nach Düsseldorf. Die bergische Haupt- und Residenzstadt erfuhr unter den Herzögen aus dem Hause Pfalz-Neuburg einen beständigen Ausbau, da die Auseinandersetzung mit den Brandenburgern um das jülich-klevische Erbe immer wieder aufflammte. Das gilt auch für die Jahre um 1730, die eigentlich außerhalb des hier zu betrachtenden Zeitraums liegen, aber ein bemerkenswertes Zeugnis hinterlassen haben: 1735 malte der ansonsten unbekannte Künstler H. E. Beckers die Festungsbaustelle in Düsseldorf zwischen MühlenBastion und Flinger-Ravelin [Abb. 11]. »Von einem erhöhten Standpunkt des Walls führt der Blick in die Landschaft. Der breite Festungsgraben trennt den Vordergrund scharf von dem Mittelgrund, in dem zahlreiche Menschen mit dem Bau der Festungsanlagen beschäftigt sind. Gezeigt wird die Arbeit an den Fundamenten der rechten Ratinger Lunette. Die Arbeiter schachten den Boden für die Fundamente aus, legen die Fundamente und errichten die Futtermauern, transportieren die Steine auf Karren und Fuhrwerken. Aufsichtspersonen scheinen jeden Vorgang zu beobachten und zu überwachen. […] Das Gelände außerhalb der Lunette ist durch einen Palisadenverbau abgesichert. Auf der Berme sind 56 Zum Folgenden vgl. Kastner, Pasqualini (wie Anm. 26).

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Abb. 11: H. E. Beckers, Ausbau der Festung Düsseldorf, 1735, Öl auf Leinwand, 68 Õ 87 cm, Stadtmuseum Düsseldorf, Inv.-Nr. B 1001.

Arbeiter mit Kalklöschen beschäftigt. […] In der Bildmitte […] befinden sich mehrere Ziegelmeiler und Ziegelöfen […] Auf dem Gemälde erkennt man, dass die in riesigen Mengen benötigten Ziegel vor Ort aus dem dort anstehenden Lehm in der Baugrube gebrannt wurden.«57

Der Festungsbau prägte in erheblichem Maße den Alltag der Menschen und ist deshalb kein randständiges Thema, das allein für Militärhistoriker von Relevanz ist, sondern gehört unmittelbar zur (Kultur-)Geschichte der Frühen Neuzeit.58

57 Hatto Küffner, Edmund Spohr, Das Gemälde »Ausbau der Festung Düsseldorf 1735« von H. E. Beckers. Historische und kunsthistorische Voraussetzungen, in: Jülicher Geschichtsblätter 67/68 (1999/2000), S. 751–774, hier S. 755–760. 58 Ein gelungenes Beispiel für diesen Ansatz ist die Überblicksdarstellung von Bernd Wunder, Kleine Geschichte der Kriege und Festungen am Oberrhein 1630–1945, Karlsruhe 2013; vgl. hierzu die Besprechung des Verfassers, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 162 (2014), S. 549–551.

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III.

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Die kurkölnische Landesfestung Bonn und ihre virtuelle Rekonstruktion

Im Jahr 1990 rief William Chu angesichts der neuartigen Möglichkeiten der 3DVisualisierung von Festungsanlagen durch Computersimulationen aus: »One wonders what Speckle would have done if he had had a computer!«59 An einem Apple Macintosh IICX hatte Chu die idealisierte Darstellung der Zitadelle Jülich aus der »Architectura von Vestungen« (1589) von Daniel Specklin (Speckle) nachgebaut.60 Er hatte damit einen spezifischen, frühneuzeitlichen Darstellungsmodus für Festungsanlagen in das neue Medium der Computergrafik transferiert. Die diesbezüglichen Möglichkeiten hatte Manfred Koob 1989 durch die Computer-Rekonstruktion der Klosterkirche von Cluny sowohl einer breiteren Öffentlichkeit als auch der Wissenschaft erstmals ins Bewusstsein gebracht. Genauso wie die Computer-Simulation Ende des 20. Jahrhunderts ein neues Mittel der Architekturdarstellung wurde, war der bastionierte Festungsbau eine neuartige Bauaufgabe. Und ebenso neu waren die Darstellungsmethoden, die sich im Kontext dieser Bauaufgabe entwickelten. So standen die Architekten vor ganz neuen Herausforderungen der Entwurfspraxis, galt es doch die auf geometrischen Figuren beruhenden, großflächigen Festungsanlagen so zu visualisieren, dass der Auftraggeber ihre Konzeption und Funktionsfähigkeit nachvollziehen konnte. Aus Schriftquellen und einigen erhaltenen Beispielen wissen wir, dass der Entwurf nicht selten mit Hilfe eines Modells vorgestellt wurde. Dieses diente unter anderem den Ausführenden als willkommene Hilfestellung bei der Errichtung der Festungswerke, waren doch die Entwerfer viel beschäftigte Spezialisten, die selten selbst die Bauüberwachung übernahmen.61 In der rasch aufkommenden Traktatliteratur zum bastionierten Festungsbau »bevorzugten Autoren modellhaft schematisierte Perspektivdarstellungen – wie Abbilder von Modellen«.62 Im Gegensatz zum tatsächlichen Modell waren diese in der Betrachterperspektive jedoch statisch. Dennoch blieben sie bis zum Aufkommen der Computer-Simulation das zentrale Medium der Visualisierung von 59 William Chu, Computer graphics, in: Fort. The international journal of fortification and military architecture 18 (1990), S. 3–5, hier S. 5. 60 Vgl. Guido von Büren, Bollwerke aus Papier. Daniel Specklins Ansichten und Pläne niederrheinischer Festungen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Insitu 3 (2011), S. 55–72, hier S. 68, Abb. 16. 61 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Biographie und das Schaffen Alessandro Pasqualinis als Festungsbaukundiger in den Niederlanden und am Niederrhein, vgl. Guido von Büren, Schlösser und Bastionen – Importierte Renaissance. Alessandro Pasqualini (1493–1559), Architekt und Festungsbaukundiger in Nord-Westeuropa. Stand der Forschung, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 34 (1995), S. 57–79. 62 Stefan Bürger, Idee – Ideal – Idiom. Visuelle und verbale Modelle in der frühneuzeitlichen Fortifikation, in: Rheinsprung 11. Zeitschrift für Bildkritik 2 (2011), S. 29–53, hier S. 39.

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bastionären Festungsanlagen. Mit dem Computer sind nun beliebige Perspektiven und virtuelle Kamerafahrten zu generieren, die auch neue Möglichkeiten der Verdeutlichung bieten.63 Verschiedene Ausgangssituationen sind hierbei zu unterscheiden: Chu hatte es bei der Übertragung der Specklinschen Jülich-Ansicht auf den Computer insoweit einfach, als die Vorlage bereits eine modellhaft schematisierte Perspektivdarstellung war. Die Rekonstruktion anhand bauhistorischer und archäologischer Untersuchungsergebnisse stellt hier eine größere Herausforderung dar, ist aber ein besonders fruchtbares Arbeitsfeld. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Befestigungen lassen sich durch historisches Planmaterial in Kombination mit Grabungsbefunden und Bauaufnahmen sehr gut dreidimensional visualisieren, wie die in den letzten Jahren entstandene Referenzbeispiele Düsseldorf (Flinger Bastion – Flinger Ravelin – Mühlenbastion 1549 / 1801), Köln (Severinstorburg 1400 / 1470 / 1585 / 1640) und Bonn (um 1700) zeigen.64 Anders sieht es dagegen bei Festungen aus, die nur über Grundrisszeichnungen bekannt sind. Ohne entsprechende Profilschnitte stößt ein Rekonstruktionsversuch rasch an seine Grenzen, wenn man nicht die Höhe der einzelnen Bauteile anhand von Vergleichsbeispielen interpoliert. Diese Methodik ist aber vor allem für den späteren Festungsbau problemlos möglich, da beispielweise der für die Jahrzehnte um 1700 stilbildende Festungsbau eines Vauban mit nahezu normierten Elementen arbeitet. Aus den erhaltenen, von Vauban konstruierten Festungsanlagen, wie NeuBreisach,65 lässt sich leicht ein Idealmodell destillieren, das den fehlenden Traktat Vaubans zu diesem Thema nahezu zu ersetzen scheint.66 Beim Neubau der Sparkasse KölnBonn am Bonner Friedensplatz traten im Jahr 2011 Teile der barocken Heinrichbastion zu Tage. Sie wurden archäologisch untersucht, exakt vermessen und durch einen dreidimensionalen Scan dokumentiert. Bauhistorisch aussagekräftige Teile des Befundes konnten in der Tiefgarage des Neubaus erhalten werden. Zusammen mit der Maximilian- und der Sterntorbastion gehörte die Heinrichbastion zur nordwestlichen Front der Festung Bonn, die zwischen 1644 und 1664 angelegt wurde. Ausgehend von den erhaltenen Resten der barocken Festungsanlagen, dem Grabungsbefund im 63 Vgl. die Darstellung der Potenziale von digitalen Rekonstruktionen bei Marc Grellert, Immaterielle Zeugnisse. Synagogen in Deutschland. Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur, Bielefeld 2007, S. 175–224 u. 335–356; außerdem Anita Rieche, Beate Schneider (Hrsg.), Archäologie virtuell. Projekte, Entwicklungen, Tendenzen seit 1995, Bonn 2002. 64 Vgl. www.architectura-virtualis.de. 65 Jean-Marie Balliet, Neuf-Brisach 1698 bis 1870. Vom Vauban’schen Meisterwerk zur unbekannten Festung, in: Festungsbaukunst (wie Anm. 30), S. 151–170 u. 320f., Taf. VIII u. IX. 66 Nicolas Faucherre (Hrsg.), Vauban, la forteresse id¦ale, Brüssel 2007. Die Forschung hat für Vauban drei Manieren herausgearbeitet, ohne dass dieser selbst sein Schaffen mit Hilfe eines solchen Modells strukturiert hätte.

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Bereich der Heinrichbastion und historischen Plänen erarbeitete die Architectura Virtualis GmbH (Kooperationspartner der TU Darmstadt) im Auftrag der Sparkasse KölnBonn eine virtuelle Rekonstruktion dieses Festungsabschnitts.

Abb. 12: Peter Pannensmit, Schrägaufsicht auf die Stadt Bonn von Osten. Einnahme der Stadt durch Martin Schenk von Nideggen 1587, 1588, Kupferstich.

Die Geschichte der Befestigung der Stadt Bonn begann im Jahr 1244.67 In diesem Jahr befahl der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden der Stadt den Bau einer Stadtmauer. Diese sollte die bereits gesicherte Stiftsimmunität und die Marktsiedlung umschließen. Ein zuerst mit Palisaden versehener Wall wurde schließlich abschnittsweise vom 13. bis zum 15. Jahrhundert durch eine zehn Meter hohe und eineinhalb Meter starke Mauer mit Türmen und drei Torburgen (Sterntor, Kölntor und Stockentor) gesichert. Die im Kontext des Kölner bzw. Truchsessischen Krieges im ausgehenden 16. Jahrhundert entstandenen Stadtansichten zeigen, dass die mittelalterliche Befestigung bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige Ausbauten erfahren hatte, um sie den Erfordernissen der pulverbetriebenen Angriffswaffen anzupassen [Abb. 12]. Erst die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges zwangen den Kölner Kurfürsten und Erzbischof dazu, den entsprechenden Ausbau seiner Haupt- und Residenzstadt anzugehen. An67 Vgl. Gebhard Aders, Bonn als Festung. Ein Beitrag zur Topographie der Stadt und zur Geschichte ihrer Belagerungen, Bonn 1973; außerdem Dietrich Höroldt (Hrsg.), Bonn als kurkölnische Haupt- und Residenzstadt 1597–1794, Bonn 1989; Ingrid Bodsch (Hrsg.), Die Bombardierung Bonns 1689. Bonn als Festungsstadt, Bonn 2014.

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lass hierfür war die zeitweilige Präsenz von Truppen der niederländischen Generalstaaten in unmittelbarer Nachbarschaft zu Köln. Vor der Mündung der Sieg in den Rhein hatten die Generalstaaten auf einer Rheininsel 1619 eine Schanze errichten lassen, die wegen ihrer Form »Pfaffenmütze« genannt wurde. Zwar wurden die Niederländer nach einer mehrmonatigen Belagerung durch die Spanier 1622 vertrieben, die Kriegsgefahr blieb jedoch. Unter Kurfürst Ferdinand begann die Modernisierung der Bonner Stadtbefestigung, wobei sich diese auf die Südwestecke der Stadt konzentrierte, wohl vor allem um das kurfürstliche Schloss zu schützen. Der hier nun in den 1630er und 1640er Jahren entstehende bastionierte Wall vom Alten Zoll am Rhein bis zur Maximilianbastion wurde der mittelalterlichen Stadtmauer vorgelagert. Zwischen 1658 und 1664 entstanden unter Kurfürst Maximilian Heinrich im Bereich vor dem mittelalterlichen Sterntor68 die Bastionen Heinrich und Sterntor.69 Der Lückenschluss zwischen Sterntorbastion und dem Rhein erfolgte erst in den Jahren 1673 und 1674, nachdem sich französische und kaiserliche Besatzungen abgewechselt hatten.70 Infolge des Pfälzischen Erbfolgekrieges besetzten im September 1688 französische Truppen die Stadt Bonn, die sofort mit dem Ausbau der Festungsanlagen durch die Errichtung von Vorwerken (Ravelins und Lunetten) begannen. Vom 24. bis zum 29. Juli 1689 wurde Bonn von der Beueler Seite aus von kaiserlichen Truppen beschossen. Die innerstädtische Bebauung wurde weitgehend zerstört,71 dennoch wurde die Kapitulation erst am 12. Oktober 1689 unterzeichnet. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts geriet die Festung Bonn ein letztes Mal in den Fokus einer militärischen Auseinandersetzung. Im Spanischen Erbfolgekrieg besetzten 1702 französische Truppen die Stadt. Der Zustand der Festungsanlagen war schlecht und so begann man umgehend mit Reparaturarbeiten. Diese reichten jedoch nicht aus. Im Mai 1703 wurde die Stadt von den Alliierten innerhalb weniger Tage eingenommen. Da die Leitung der Belagerung in den Händen des erfahrenen und bekannten Ingenieurs und Generals Menno van Coehoorn lag, ist dies nicht weiter verwunderlich. Bis 1717 blieb eine niederländische Garnison in der Stadt. Im Frieden von Utrecht 1713 war die 68 Vgl. Busso von der Dollen, Der Kampf um das Sterntor. Die Auseinandersetzungen um Abriss oder Erhalt der letzten mittelalterlichen Torburg Bonns im 19. Jahrhundert, in: Bonner Geschichtsblätter 31 (1979), S. 83–117. 69 Vgl. Marion Euskirchen, Die Geschichte der Sterntorbastion in Bonn, in: Bonner Geschichtsblätter 43/44 (1993/94) [1996], S. 179–195; Klaus Frank, Zum Abschluss der Ausgrabungen unter der Bastion Sterntor in Bonn, in: Archäologie im Rheinland 2002 [2003], S. 74–76. 70 Vgl. Yasmin-Sybille Rescher, Die Belagerung der Stadt Bonn im Jahre 1673 durch die Kaiserlichen, in: Bonner Geschichtsblätter 59 (2009), S. 51–64. 71 Vgl. Bernd Klesmann, Die Stadt in Flammen. Krieg und Zerstörung als Sujet frühneuzeitlicher Ansichten der Residenzstadt Bonn, in: Bernd Roeck (Hrsg.), Stadtbilder der Neuzeit, Ostfildern 2006, S. 189–210.

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Schleifung der Bonner Festungsanlagen festgelegt worden. Als der Kölner Kurfürst 1717 seine Stadt wieder in Besitz nehmen konnte, begann man dann auch umgehend mit der Niederlegung der Vorwerke, während der Bastionswall nicht planmäßig niedergelegt wurde, sondern nach und nach mit dem weiteren Ausbau der Stadt verschwand bzw. überformt wurde.72 Die Festungswerke im Westen und Norden der Stadt blieben lange Zeit erhalten, einige Reste, zum Beispiel der Sterntorbastion, bis heute. In den Gräben wurden Gärten angelegt und kleinere Handwerksbetriebe siedelten sich an. Der heutige Florentiusgraben vor der ehemaligen Heinrichbastion folgt dem Verlauf des barocken Festungsgrabens. Die Wälle bestanden überwiegend aus Erde und erreichten eine Höhe von insgesamt etwa zwölf Metern. Die circa sechs Meter hohen Mauern, die den Unterbau bildeten, bestehen aus Säulenbasalt und Ziegeln. Aus statischen Gründen sind sie leicht schräg gestellt. Ziegelstein war ein preisgünstiges, aber nicht sehr widerstandsfähiges Baumaterial. Deshalb sollten die Säulenbasalte die Festigkeit des Walls gegen feindlichen Beschuss erhöhen. Für die virtuelle Rekonstruktion der Bonner Heinrichbastion wurde ein Plan der Festung Bonn aus dem Jahr 1702 als Grundlage ausgewählt [Abb. 13]. Mit Hilfe des sehr genauen Stadtaufmaßes von Helfrich Bernhard Hundeshagen aus dem frühen 19. Jahrhundert und der aktuellen Deutschen Grundkarte wurde der Plan von 1702 entzerrt und in Deckung gebracht mit den erhaltenen Resten der Stadtbefestigung. Eine historische Schnittzeichnung durch den Wall im Bereich der Sterntorbrücke erlaubte die Rekonstruktion des Wallprofils.73 Weitere Baudetails konnten durch den Vergleich mit anderen Festungsanlagen der Zeit geklärt werden. Auf diese Weise war auch die Funktion einer kleinen Ausfallpforte in den Graben zu rekonstruieren, wo der entsprechende Grabungsbefund anfangs schwer zu interpretieren war. Eine solche Rekonstruktion kann selbstredend nur eine Annäherung an die Wirklichkeit sein, auch wenn sie den Anspruch erhebt, den aktuell erreichten Forschungsstand wiederzugeben. Ein gewisses Korrektiv können historische Ansichten bieten. Im Fall der Bonner Stadtbefestigung existieren Zeichnungen des wallonischen Künstlers Renier Roidkin.74 Um 1725 zeichnete er eine Innenansicht der Maximilianbastion, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr militärisch genutzt wurde [Abb. 14a]. Roidkin stand auf der Westface der Bastion und blickte in Richtung Südosten. Rechts 72 Vgl. Hermann Mittelsten Schee, Das Ende der Festung Bonn, in: Bonner Geschichtsblätter 2 (1938), S. 1–112; Busso von der Dollen, Residenzstadt und Entfestigung an Beispielen aus dem Rheinland, in: Hans-Walter Herrmann, Franz Irsigler (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt, Saarbrücken 1983, S. 160–172. 73 Umzeichnung bei Aders, Bonn (wie Anm. 67), S. 42, Abb. 11. Das Original des Plans in Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Kurköln II, 1650, ist nicht mehr nachweisbar. 74 Aders, Bonn (wie Anm. 67), S. 39, Abb. 10.

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Abb. 13: Überblendung des schematisierten Festungsgrundrisses auf einen aktuellen Luftbildplan von Bonn. Standbild aus dem Film »Bonn als Festungsstadt. Eine virtuelle Rekonstruktion des Zustandes um 1700« (DVD).

erkennt man das Bonner Münster. Die Bastion wurde zu diesem Zeitpunkt als Garten genutzt. So war im Bereich der östlichen Flanke ein Pavillon entstanden. Rechts neben diesem erkennt man den Eingang zu einer Poterne durch den Wall. Der Raum zwischen dem barocken Festungswall und dem mittelalterlichen Stadtgraben reichte nicht aus, um einen Weg dazwischen anzulegen. Schon die zeitgenössischen Pläne der Festung Bonn ließen vermuten, dass man den Durchgang an dieser Stelle entsprechend mit einer Poterne gelöst hat, was sich im Abgleich mit der Zeichnung Roidkins bestätigte [Abb. 14b]. Der Film dauert etwa zehn Minuten; er zeigt die Genese der Bonner Stadtbefestigung im Bereich des Sterntors und erläutert die Funktion der bastionären Front [Abb. 15].75

75 Vgl. die beiliegende DVD.

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Abb. 14a: Renier Roidkin, Ansicht der Bastion Maximilian, um 1725.

Abb. 14b: Blick über die Bastion Maximilian in der virtuellen Rekonstruktion in der Perspektive von Renier Roidkin.

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Abb. 15: 3D-Rekonstruktion der Bonner Stadtbefestigung im Norden, Zustand 1702.

Abbildungsnachweis Museum Zitadelle Jülich, Bildarchiv : Abb. 1–4, 7 u. 9–10; Reproduktionen aus Petri, Zeitalter (wie Anm. 17): Abb. 5; Renaissance am Rhein (wie Anm. 6): Abb. 6; Wensky, Kalkar (wie Anm. 31): Abb. 8a–c; Küffner, Spohr, Gemälde (wie Anm. 57): Abb. 11; Aders, Bonn (wie Anm. 67): Abb. 14a; Stadtarchiv Bonn: Abb. 12; Architectura Virtualis Darmstadt: Abb. 13, 14b u. 15.

III. Kriegswahrnehmung und -darstellung

Astrid Ackermann

Die Versorgung als kriegsentscheidendes Machtmittel und die publizistische Wahrnehmung des Krieges. Der Dreißigjährige Krieg am Oberrhein

I.

Die Eroberung Breisachs

Im Dezember 1638 eroberte Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar die Festung Breisach im Breisgau. Zahlreiche Flugschriften feierten die Einnahme und bejubelten die Revanche für Magdeburg. Hier war nun Breisach die vielumworbene Braut, die der Bräutigam Bernhard gegen den Willen des »Vaters«, des Kaisers, errungen hatte. Diesmal habe es in Wien und München »kein frewdenfest / […] kein jubelgang / wie wegen Magdeburg« gegeben, erklärte Samuel Gloner.1 Thema der Schriften waren auch die vorangegangene Belagerung und die Entsatzversuche. Zwey schöne HochzeitLieder präsentierten den Schanzenbau, das Anlegen von Schiffsbrücken, die Gefechte und anderes mehr als spannendes, die Sänger und Zuhörer im ›Wir‹ einschließendes Erlebnis: »Soldaten und Baueren / nehmt schauffel und hawen / wir müssen fein / uns schanzen eyn. […] Man fing an zu bawen / den Wald zu verhawen / […] ein schiffbruck macht / […] zu tag und nacht / das pulver kracht«. Die weimarischen Truppen erscheinen dabei gut ausgerüstet, mit Munition, Wagen, »Wein und Brot«, während in Breisach die »groß Hungers=noth« geherrscht habe.2 Dem 1 Samuel Gloner, Klagschrift Uber den hochbetrawerlichen frühezeitigen todtfall Deß Durchleuchtigsten […] Herren Bernhardten / Hertzogen zu Sachsen […] Der Konfoederirten Koenigreichen und Evangelische Ständt Generalissimi; Welcher zu Newenburg am Rhein sanfft und selig im Herzen entschlaffen / den 8. Julii im jahr Christi MDCXXXIX. Ihr Fürstl. Gnaden alters im 35., o. O. 1640. Zu Gloner vgl. Rudolf Reuss, M. Samuel Gloner, Ein Strassburger Lehrerbild aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, in: Lehrerschaft des Protestantischen Gymnasiums (Hrsg.), Festschrift zur Feier des 350jährigen Bestehens des Protestantischen Gymnasiums zu Straßburg, Bd. 1, Straßburg 1888, S. 143–226. 2 Zwey schöne HochzeitLieder / Uber der Festung Brysach / Wie J. F. Gn. Herzog Bernhard von Weymar nach Ihr lange Zeit gefreyet / und endlich Sie zur Braut bekommen […], Frankfurt 1640; Ein hüpsch new Lied / von der Belägerung unnd Eroberung der Statt Breysach / im Elsaß gelegen: Durch Ihr Fürstliche Durchleucht Hertzog Bernharden von Sachsen Weinmar […] Geschehen den 8. Tag Decembris deß 1639. Jahrs; im Thon: Wie man den Graff Niclausen von Serin singet, o. O. 1639. Mit dem Einverständnis der Braut erfolgt die Eroberung in OberRheinische Werbung oder Buhlschafft: Welcher gestallt ein vornehmer Cavalier von hohem

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Herzog sei es schließlich gelungen, die Getreidelieferungen dahin zu unterbrechen, er habe alle Pläne des Gegners »vernichtet / Stük / fahnen / proviand und beuthen abgejaget«, so wiederum Samuel Gloner.3 Die Hochzeitslieder feierten schlussendlich die Befreiung der Festung von den Spaniern. Dank des Weimarer Herzogs könne Breisach jetzt »die edle Freyheit Teutscher hertzen« annehmen. Von Frankreich war in diesem Zusammenhang keine Rede, Breisach kommt in deutschen Besitz. Allerdings wurden diese Lieder 1640 publiziert und somit nach dem Tod Bernhards von Weimar, der im Juli 1639 verstorben war. Damit wird es zu einer Anklage gegen die französische Inbesitznahme der Festung und der vom Herzog eroberten Lande. Hier zeigen sich bereits einige Facetten, die für die Publizistik des Dreißigjährigen Krieges am Oberrhein in diesen Jahren typisch sind: Der hohe Stellenwert von Breisach, der dem militärischen und politischen Gewicht des Ereignisses entspringt, die aufkommende Frage nach der politischen Zugehörigkeit dieser Gebiete sowie die Thematisierung der Versorgungssituation als kriegsentscheidendem Mittel. Am Oberrhein wurde das Versorgungsproblem früh besonders deutlich. Die Region war bereits vom Achtzigjährigen Krieg betroffen und stellte dann einen der zentralen Schauplätze des Dreißigjährigen Krieges dar. Im Folgenden soll der Krieg am Oberrhein auf zwei Ebenen in den Blick genommen werden: zum einen der des Kriegsgeschehens in den späten 1630er Jahren, insbesondere im Vorfeld der Breisach’schen Eroberung, zum anderen der seiner Wahrnehmung. Wie wurde das militärische Geschehen in zeitgenössischen deutschsprachigen und französischen Medien präsentiert? Der Krieg, so soll an diesem Beispiel gezeigt werden, wurde wesentlich über die Versorgung der Armeen geführt. Dies wurde auch in der zeitgenössischen Publizistik reflektiert. Zugleich kam »Breisach« eine herausgehobene politische Bedeutung zu, weswegen sich die französische und die deutschsprachige Publizistik unterschiedlicher Couleur um eine jeweils argumentativ zwingende Einordnung bemühten. Die Flugschriften und Zeitungen waren nicht nur eine Begleiterscheinung der Auseinandersetzung, sondern erfüllten weit verbreitete Informationsbedürfnisse und sollten die Öffentlichkeit für bestimmte PositioStammen / sich in Lieb gegen einer Praven / und am Rheinstrom weitberühmten Dama eingelassen / selbige auch endlich / wider vielmals gegebene abschlägige antwort / in seine Huld und Devotion gebracht, o. O. 1638. Als »Breysachische Buhlschaft« (o. ä.) erschien der Text in verschiedenen Auflagen bis 1695. Der Begriff der »Braut« auch in: Extract Schreiben eines vornehmen Keyserl. Obristen / aus Offenburg / somit vom Anfang biß zum Ende im treffen gewesen / an eine Fürstliche Persohn vom 10.20. August 1638, o. O. o. J. Zur (Flugschriften-)Publizistik im Dreißigjährigen Krieg vgl. u. a. Johannes Arndt, Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648, Stuttgart 2009, S. 208–227; Esther-Beate Körber, Deutschsprachige Flugschriften des Dreißigjährigen Kriegs, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 3 (2001), S. 1–47. 3 Gloner, Klagschrift (wie Anm. 1).

Die Versorgung als kriegsentscheidendes Machtmittel

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nen einnehmen. Sie konnten nicht zuletzt politisch-militärische Kontrolle bzw. die Schwäche des Gegners suggerieren, um den Druck auf diesen zu erhöhen, und dienten somit selbst als Mittel der Auseinandersetzung.

II.

Ein Krieg der Belagerungen

Die Kontrolle des Rheingebietes, einer Grenzregion und zentralen Route für Waren- und Truppentransporte, war schon seit Beginn des Achtzigjährigen Krieges maßgeblich für die spanische Kriegsführung wie für die französischen Interessen. In den 1630er Jahren spitzten sich die kriegerischen Ereignisse zu. Frankreich baute seit Anfang der 1630er Jahre zügig seine Position in Lothringen, dann im Elsass, in der Rheinpfalz und am mittleren Rhein aus.4 Schweden drang zunächst bis zur Schlacht von Nördlingen 1634 in den süddeutschen Raum vor. Bayern verfolgte das Geschehen an Oberrhein und Bodensee aufgrund seiner möglichen eigenen Gefährdung intensiv.5 Rasch betroffen sein konnten auch badische, schwäbische und württembergische Gebiete. Aus Habsburger Sicht waren insbesondere die Gebiete im Elsass und Breisgau bedroht sowie die österreichischen Vorlande. Eine entscheidende Rolle für die französische Kriegsführung kam Herzog Bernhard von Weimar zu, der schon für die Schweden am Rhein operiert hatte.6 Für die französische Regierung war er interessant, um ihre Einflusssphäre gegen Habsburg auszubauen und um – auch mittels seines Ansehens in Deutschland – mehr Soldaten unter Vertrag zu bekommen, zugleich dem Kaiser Truppen zu entziehen und Lothringen und das Elsass kontrollieren zu können.7 Frankreich hatte eine, wie die Zeitgenossen wussten, schlecht funktionierende Armee, Probleme mit einer großen Zahl an Deserteuren – vor allem wegen Versorgungsproblemen8 –, mit Adligen, die die Armee selbständig verließen,9 und Offizieren mit mangelnder Erfahrung. Nachdem die schwedische Position infolge der Schlacht von Nördlingen 1634 zusammengebrochen war, versuchte die kaiserliche Seite, den Herzog zu einem 4 Vgl. Wolfgang Stein, Protection Royale. Eine Untersuchung zu den Protektionsverhältnissen im Elsaß zur Zeit Richelieus. 1622–1643, Münster 1978; Hermann Weber, Frankreich, Kurtrier und das Reich 1623–1635, Bonn 1969. 5 Vgl. Cordula Kapser, Die bayerische Kriegsorganisation in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges 1635–1648/49, Münster 1997, S. 168f. u. 198f. 6 Zum Herzog vgl. Gustav Droysen, Bernhard von Weimar, 2 Bde, Leipzig 1885; Bernhard Röse, Herzog Bernhard der Große, 2 Bde, Weimar 1828/29; Ariane Jendre, Diplomatie und Feldherrnkunst im Dreißigjährigen Krieg. Herzog Bernhard von Weimar im Spannungsfeld der französischen Reichspolitik 1633–1639, Diss. Berlin 1998. 7 Vgl. Droysen, Bernhard (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 178. 8 Vgl. Peter H. Wilson, The Thirty Years War. Europe’s tragedy, Cambridge 2011, S. 562. 9 Vgl. die wiederholten Aufrufe in der Gazette, bspw. Nr. 77 (1637), S. 312.

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Seitenwechsel zu bewegen.10 Dem musste Frankreich vorbauen. Im Oktober 1635 wurde das weimarisch-französische Bündnis von Saint Germain abgeschlossen, in dem sich Bernhard verpflichtete, gegen eine Zahlung von vier Millionen Livres jährlich eine einsatzbereite Armee von 18.000 Mann zu unterhalten. Die Geheimartikel versprachen ihm eine Pension und den österreichischen Teil des Elsasses als französisches Lehen, wenn das Elsass ganz gesichert sei.11 Der Herzog selbst erklärte, damit der protestantischen Sache im Reich und der deutschen Libertät zu dienen.12 Das war ein Argument, das auch die zeitgenössische Publizistik aufgriff.13 Nachdem er sein durch Schweden verliehenes Herzogtum Franken (1633/34) verloren hatte, bot sich Bernhard nun jedoch auch die Möglichkeit, am Oberrhein und im Elsass ein neues, eigenes Territorium zu erwerben. Der Kriegseintritt war für Frankreich von einer Reihe von Misserfolgen geprägt.14 Sie waren unter anderem durch die Verstärkung der habsburgischen Truppen nach dem Prager Frieden wie die französischen Probleme der Ar10 Vgl. Wilson, War (wie Anm. 8), S. 561. 11 Vgl. Vertrag zwischen König Ludwig XIII. von Frankreich und Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar (27. 10. 1635) sowie Geheimer Vertrag zwischen König Ludwig XIII. von Frankreich und Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar (27. 10.1635), in: Röse, Herzog (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 469–476; Wilhelm Mommsen, Richelieu, Elsaß und Lothringen. Ein Beitrag zur elsaß-lothringischen Frage, Berlin 1922, v. a. S. 233–286; zur französischen juristischen Position zum Elsass Wolfgang Hans Stein, Das französische Elsaßbild im Dreißigjährigen Krieg, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5 (1979), S. 131–153, hier S. 140–142. 12 Vgl. bspw. Bernhard von Weimar an seine Brüder, 18. August 1638, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar [im Folgenden: ThHStAW], Fürstenhaus, A 346, fol. 27r–31v. 13 Vgl. bspw. von prokaiserlicher Seite: Kurtzer Inhalt vnd Beschreibung / Als massen Hertzog Bernhardt von Weynmar / vnd des Königs in Franckreich Kriegsvolck zu Pferd vnd Fueß / zu Frühlings Zeiten des 1637. Jahrs / in das Elsäß gesetzt / des Landtes sich bemächtiget / vil Stättel erobert / vnd verbrennet / vnd dann bey Rheinaw ein Brucken vber Rhein geschlagen / vber dieselbe gesetzt. Auch was massen Ihme Hertzog mit der Kays: vnd Bayrischen Arme¦ begegnet / vnderschidlich mahl getroffen / gescharmütziert / vnd er letzlich widerumb samtp der Frantzösischen Macht vber Rhein getriben / die Schantzen erobert / die Schiffbrucken ruinirt, vnd alle vornemme Frantzösischen Kriegs Officier gefangen wroden. Sampt einem Abriß auff Kupffer gestochen / wie die Schantzen vnd Brucken an dem Rhein gebawen / vnd angegriffen worden, o. O. 1638, A 2: »Es hat […] Herzog Bernhard von Weynmar mit aller seiner vnd der Französischen Macht in das Elsaß an den Rhein sich begeben […] vnd dann sein Kriegsheer weitters in Teutschlandt / zu gutem der Lutherischen Ständen / vnd Nuzen der verlossenen / allerhandt Religion zugethanen Fürsten / zuführen«. 14 Zum Kriegsgeschehen dieser Jahre vgl. Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600–1715, München 1991, S. 228–242; Wilson, War (wie Anm. 8); Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, 8. durchges. u. aktual. Aufl., München 2010; August Scherlen (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg im Elsaß 1618–1648. Nach archivalischen Quellen dargestellt und mit zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen versehen. Fortsetzung des Geschichtswerkes von J. B. Ellerbach, Bd. 3: Die Schweden und Franzosen als Herren und Meister im Elsaß bis zum westfälischen Frieden (1633–1648), Mühlhausen/Elsass 1929.

Die Versorgung als kriegsentscheidendes Machtmittel

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meeversorgung bedingt. Matthias Gallas, der kaiserliche General, kam 1636 mit seinen Truppen bis nach Dijon, andere kaiserliche und spanische Kontingente drangen an der Nordgrenze Frankreichs vor. Die Armee Bernhards von Weimar musste im Herbst 1635 vor den kaiserlichen Truppen nach Lothringen ausweichen; auch der Feldzug ins Elsass von 1636 missglückte. Trotz einer gewissen Entspannung im Jahr 1637 war doch erst die Rheinkampagne des Folgejahres insgesamt erfolgreich für die französisch-weimarische Seite. Die massiven Schwierigkeiten allerdings, die Armeen zu unterhalten, sie schlagkräftig und auf den Märschen sicher zu führen, hielten an. Die Verluste an Soldaten blieben hoch.15 Bernhard von Weimar ging es darum, den Rhein zu überwinden. 1637 hatte er, über den Schwarzwald kommend, den Fluss bei Freiburg überquert, 1638 zog er den Rhein entlang der Schweizer Grenze bis zum Bodensee. Insbesondere musste er die kaiserlichen Garnisonen in Rheinfelden, Waldshut, Philippsburg, Freiburg und Breisach gewinnen, um die Rheinregion zu beherrschen. Er siegte im Frühjahr desselben Jahres bei Rheinfelden und setzte danach seinen Kriegszug in den Breisgau fort. Nach der Eroberung Freiburgs im April stand er Mitte Juni 1638 vor Breisach und begann die Belagerung der Festung, die dem Kommando Hans Heinrich von Reinach unterstand. Kurze Zeit nach Weimar erreichte auch der kaiserliche General Johann Graf von Götz Breisach. Breisach, das zu Vorderösterreich gehörte, kam aufgrund seiner geographischen Lage eine strategische Schlüsselfunktion zu: Es war Umschlagplatz für die Waren, die auf dem Rhein für die Städte der Region und die hier befindlichen Truppen transportiert wurden, und Teil der spanischen Straße, der Achse in die Niederlande. Früh wurde es zu einem Teil im »Brettspiel« der Mächte, so der vorderösterreichische Kanzler Isaak Volmar.16 Schon 1610 hatte es aufgrund des Konfliktes um Jülich, in dem Erzherzog Leopold V. mit seinen Truppen aktiv wurde, vermehrte Truppenbewegungen in diesem Raum gegeben und es wurde die Besatzung in Breisach selbst verstärkt. Seit Anfang der 1620er Jahre galt die Gefahr eines Krieges als akut. Nun operierten Ernst II. Graf von Mansfeld und Herzog Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel in Diensten des Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. in der Region. Breisach wurde bereits 1633 von der schwedischen Armee belagert, die sich jedoch wegen des anrückenden kaiserlichspanischen Heeres unter Gûmez Su‚rez de Figueroa, dem Herzog von Feria und

15 Vgl. Bernhard R. Kroener, Die Entwicklung der Truppenstärken in den französischen Armeen zwischen 1635 und 1661, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Forschungen und Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Münster 1981, S. 163–221; Zahlen zur kaiserlichligistischen Seite bei Wilson, War (wie Anm. 8), S. 599f. 16 Zit. nach Günther Haselier, Geschichte der Stadt Breisach am Rhein, Halbbd. 1: Von den Anfängen bis zum Jahr 1700, Breisach am Rhein 1969, S. 328.

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Graf Johann von Aldringen wieder zurückzog.17 Die Kapitulation Breisachs bedeutete mittelfristig einen tiefgreifenden politischen Bruch für das Oberelsass.18 Zunächst einmal schien für Habsburg aber nun auch die Route von Spanien über Mailand in das Reich bedroht.19 Belagerungen wurden in diesem Krieg wichtiger als Schlachten, so auch eine Feststellung des Herzogs von Rohan Henri II.: »Maintenant en fait la geurre plus en renard, qu’en lion, & elle est plustost fond¦e sur les sieges, que sur les combats«.20 Für Frankreich schien es im Hinblick auf die Rheinfestungen Ehrenbreitstein und Philippsburg der militärisch aussichtsreichere Weg zu sein, die festen Plätze zu erobern und zu halten, als offene Schlachten zu riskieren.21 Georg Engelsüß, der Feldprediger im Heer Bernhards, zog daraus später die militärische Lehre, der Hunger gewinne jede Festung besser als jedes andere Mittel.22 Die Belagerungen brachten jedoch eigene Probleme mit sich. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die Belagerer selbst zu versorgen, verstärkten sie, wenn die Soldaten längere Zeiten des Wartens hinter sich bringen mussten, aus zeitgenössischer Wahrnehmung das Risiko von Unruhen und Überfällen. Der schottische Söldnerführer Oberst Robert Monro mahnte, in seinem Regiment sei es »aus Mangel an Beschäftigung unter unseren Truppen manchmal zu Übel17 Vgl. Haselier, Geschichte (wie Anm. 16), S. 317–320; Johann Baptist Ellerbach (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg im Elsaß (1618–1648). Nach archivalischen Quellen dargestellt und mit zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen versehen, Bd. 2: Vom Abzug Mansfelds bis zur Aufhebung der ersten Belagerung von Breisach (1623–1633), Carspach 1925, S. 602–611; Scherlen, Krieg (wie Anm. 14), S. 329. 18 Auch im Hinblick auf seine Institutionen, vgl. Karl J. Seidel, Das Oberelsaß vor dem Übergang an Frankreich. Landesherrschaft, Landstände und fürstliche Verwaltung in Alt-Vorderösterreich (1602–1638), Bonn 1980. 19 Vgl. Frieda Gallati, Die Eidgenossenschaft und der Kaiserhof zur Zeit Ferdinands II. und Ferdinands III. 1619–1657. Geschichte der formellen Lostrennung der Schweiz vom Deutschen Reich im Westfälischen Frieden, Zürich u. a. 1932, S. 90. 20 Henri de Rohan, Le parfait capitaine, autrement l’abr¦g¦ des guerres des Commentaires de Cesar, Paris 1648, Textteil »Traict¦ de la Guerre«, Kap. VII: Des Batailles, S. 166. Anleitungen dazu gaben Bände wie La Fortification demonstr¦e et deuicte en art par fev I. Errard de Bar le Duc Ingenieur du Treschrestien Roy de france et de Navarr. Reveue corrigee & augmentee par A. Errand on nepveu aussi Ingenier ordinair du Roy suivant les memoires de l’Autheur Conre les grandes Erreurs de l’Impreßion contrefaicte en Allemaigne, Paris 1620. 21 Vgl. auch Arndt, Krieg (wie Anm. 2), S. 132. 22 Vgl. Georg Engelsüß, Weymarischer Feld=Zug / Oder Von Zug und Verrichtung der Fürstl. Weymarischen Armee, Kurtze Beschreibung […] Von Anno 1633 biß 1648 […], Frankfurt/ M. 1648, S. 10. Der Teutsche Brutus. Das ist: Ein abgeworffenes Schreiben / Worauß zusehen / was die Schwedisch affectionirten an jetzo von dem Schwedischen Kriegswesen halten / vnd ein gewissen Anzeigung / wo es endlich hinauß werde […], o. O. 1636, 2. Ausg. 1637, beklagte die mangelnde Versorgung von Festungen durch die Schweden, die dadurch die protestantische Sache massiv gefährdet hätten. Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998, S. 109, erklärt diese Argumentationsfigur mit der Erfahrung der schwedischen Kriegsgreuel.

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taten […], zu unnötigem Streit unter uns selbst und ohne Grund zu Misshandlungen der Bürger und Bauern« gekommen. Dabei bezog er sich freilich auf eine Situation, in der die Soldaten untätig und gut mit Nahrungsmitteln versorgt gewesen seien23 – im Falle Breisachs war die weimarische Armee, wie die Entsatzarmeen, kontinuierlich in militärische Aktionen und Gefechte verwickelt. Entscheidend war nun die Frage, ob Breisach von der weimarischen Armee erfolgreich von der Belieferung mit Nahrungsmitteln abgeschnitten werden konnte und für welche Zeit. Die Versorgung der Region insgesamt war schon spätestens Mitte der 1630er Jahre durch die verschiedenen Truppendurchzüge schwierig geworden, darunter auch jene Wallensteins.24 Die Bevölkerung hatte zudem stark unter dem wiederholten Auftreten der Pest gelitten.25 Der Weimarer Herzog suchte nicht nur die eigene Versorgung zu sichern und die Festung von der Zufuhr von Nahrungsmitteln und Waffen abzuschneiden, sondern auch dafür vorzusorgen, sie nach ihrer Eroberung selbst verproviantieren zu können.26 Wichtig für ihn war es zudem, die rückliegenden Nahrungsmittelmagazine der kaiserlichen Truppen zu erobern sowie die Entsatzarmeen bereits weit vor dem Belagerungsring abzufangen. Das gelang zweimal: Ende Juli 1638 vermochte er bei dem gegenüber Rheinau gelegenen Dorf Wittenweier zusammen mit Marschall Gu¦briant das Entsatzheer unter dem die kaiserliche Armee kommandierenden Herzog Federico di Savelli am weiteren Vordringen zu hindern. Gu¦briant hatte die weimarische Armee im Frühjahr durch ein Kontingent französischer Soldaten verstärkt, im Sommer folgte eine zweite Gruppe unter 23 Zit. nach Helmut Mahr (Hrsg.), Oberst Robert Monro. Kriegserlebnisse eines schottischen Söldnerführers in Deutschland 1626–1633, Neustadt/Aisch 1995, S. 60. Monro bezieht sich hier auf Ereignisse im Frühjahr 1628; seine Referenz ist Scipio. 24 Vgl. Rudolf Reuss (Hrsg.), Strassburg im dreißigjährigen Krieg (1618–1648). Fragment aus der Strassburgischen Chronik des Malers Johann Jakob Walther nebst Einleitung und biographischer Notiz, in: Protestantisches Gymnasium zu Straßburg (Hrsg.), Programm auf das Schuljahr 1879–1880, Straßburg 1879, S. 3–41, hier S. 17–19; Reuss erwähnt auch mehrfach die schlechten Ernten durch ungünstige Witterungsverhältnisse; vgl. auch Sebastian Burkart, Geschichte der Stadt Rheinfelden bis zu ihrer Vereinigung mit dem Kanton Aargau, Aarau 1909, S. 410. 25 Vgl. Volker Press, Die territoriale Welt Südwestdeutschland, in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.), Die Renaissance im deutschen Südwesten zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg, Bd. 1, Karlsruhe 1986, S. 17–61, hier S. 57; vor allem zu Straßburg Erich Berneker, Matthias Bernegger. Der Straßburger Historiker, in: Friedrich Merzbacher (Hrsg.), Julius Echter und seine Zeit. Gedenkschrift aus Anlaß des 400. Jahrestages der Wahl des Stifters der Alma Julia zum Fürstbischof von Würzburg am 1. Dezember 1573, Würzburg 1973, S. 283–314, hier S. 303f. 26 Vgl. Bernhard von Weimar an Hans Ludwig von Erlach, 24. November 1638, August Gonzenbach, Der General Hans Ludwig von Erlach von Castelen. Ein Lebens- und Charakterbild aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, 3 Bde, Bern 1880–1882, hier Bd. 1, Quellenanhang, S. 118f., Urkunde Nr. 58, hier S. 118; Rehlingen an Bernhard von Weimar, Basel 7. Oktober 1638, ThHStAW, Fürstenhaus, A 343.

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Herzog Henri de Turenne. Im Oktober kam es zu der für Weimar ebenfalls erfolgreichen Schlacht bei Thann bzw. Sennen im Elsass gegen die Truppen Herzogs Karl IV. von Lothringen. Hugo Grotius, zu dieser Zeit schwedischer Botschafter bei der französischen Krone und durchweg einer der entschiedensten Fürsprecher Weimars, schrieb im Juli 1638 an seinen Schwager Nicolaas van Reigersberch, der Herzog hoffe dann die Belagerung fortsetzen und General Götz durch Hunger – »soo van menschen, als van paerden« – niederzuzwingen.27 Für Schweden hatte sich die Kriegssituation in dieser Zeit wieder günstiger entwickelt. Die schwedischen Truppen drangen, nicht zuletzt mittels französischer Gelder, Richtung Sachsen vor. Das Ziel waren, wie im Hamburger Vertrag vom März 1638 mit Frankreich vereinbart, die österreichischen Erblande. Aus verschiedensten Quellen, durch Überläufer, Kundschafter, Informanten und gefangene Soldaten, war in der Umgebung Bernhards bekannt, dass die Festung Breisach über immer weniger Lebensmittel verfügte. In Frankreich war man schon im Juni 1638 von der baldigen Übergabe ausgegangen.28 Das von einem Mitglied der weimarischen Armee verfasste Armeejournal, das regelmäßig die Ausstattung der Soldaten mit Lebensmitteln, beispielsweise durch eroberten Proviant, und mit Futter für ihre Pferde anspricht, hält für den August 1638 fest, ein gefangen genommener Breisacher Kundschafter habe ausgesagt, »in zweyen Tagen [werde] das lezte Brot auß der Magazin außgetheilet«.29 Allerdings ließen die erwarteten Fortschritte auf sich warten. Der kaiserlich-spanischen Seite gelangen immer wieder Belieferungen, auf dem Land- wie dem Wasserweg. General Götz ließ zur Versorgung der Festung Lastschiffe in Rheinau beladen, später in Philippsburg, wohin er sich wegen Hungers in seiner Armee zurückgezogen hatte. In französischen Regierungskreisen führte dies zwischenzeitlich zu Überlegungen, ob Bernhard von der Gegenseite abgeworben worden sein könnte. Das wurde allerdings mit dem Argument wieder verworfen, 27 Vgl. Hugo Grotius an Nicolaas van Reigersberch, 10. Juli 1638, Bernardus Lambertus Meulenbroek (Hrsg.), Briefwisseling van Hugo Grotius, Bd. 9, ’s-Gravenhage 1973, S. 443–445, hier S. 444. Grotius thematisiert in seinen Briefen im Sommer und Herbst 1638 vielfach die bedrängte Lage Weimars und seine Einbußen an Soldaten, um Unterstützung für ihn zu mobilisieren. 28 Vgl. Jean de la Barde an Claude de Mesmes, Comte d’Avaux, Paris, 19. Juni 1638, Anja Victorine Hartmann (Hrsg.), Les Papiers de Richelieu. Section politique ext¦rieure: correspondances et papiers d’¦tat: Empire Allemand, Bd. 3: 1636–42, Paris 1999/2000, S. 225–228, hier S. 227. Die schwankende Nachrichtenlage zur Versorgungssituation der Festung Breisach wird u. a. deutlich in den Berichten des schwedischen »nieuwsagenten« für die Schweiz und die umliegenden Lande, Charles Marin(i), an Grotius; vgl. bspw. seine Briefe vom 27. September, 6. Oktober und 14. Oktober 1638, Meulenbroek, Briefwisseling (wie Anm. 27), S. 595, 611f. u. 623. 29 Edward Leupold (Hrsg.), Journal der Armee des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar aus den Jahren 1637 und 1638, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 11 (1912), S. 253–362, hier S. 339.

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eine solche Politik lohne sich für den Herzog nicht – »nous ne voyons pas quel avantage il [Bernhard von Weimar] trouveroit du cost¦ des ennemis«, erklärte L¦on Le Bouthillier, der Herzog von Chavigny.30 Nicht erwartet worden war auch das lange Zögern des Breisacher Kommandanten. Als der Weimarer Herzog diesem Mitte November ein erneutes Übergabeangebot machte, ging er davon aus, dass es keine Lebensmittel mehr in Breisach gebe, was zutraf, von Reinach jedoch bestritten wurde.31 Die Kapitulation erfolgte schließlich im Dezember 1638.32

III.

Publizistik

In der Publizistik war das militärische Geschehen am Oberrhein und rund um Breisach intensiv verfolgt worden.33 Freilich waren schon vorangegangene Ereignisse aufgegriffen worden. 1634 hatte beispielsweise die Post Zeitung über die französischen Pläne spekuliert: »Allem ansehen nach werden sich die Frantzosen des Spiels recht annehmen / vnd iren Vortheil dabey in obacht nehmen / ehr aber per indirectum, als daß sie mit dem Hauß Oesterreich werden brechen wollen«. Sie »versichern sich […] mit gemach vieler Oerter desseits Rheins / das Ober Elsaß ist ihnen auch cedirt, vnd werden in kurtzem mehr andere Stücken folgen«; sie würben in großem Umfang Soldaten an. Auch von einer möglichen Vereinigung der Armee des Herzogs von Rohan mit der Weimars, die 1638 erfolgen sollte, war die Rede.34 Es gab ein wachsendes Bedürfnis, über die militärischen und politischen Ereignisse auf dem Laufenden zu sein.35 Die Neuig30 Vgl. L¦on Bouthillier, Comte de Chavigny, an Claude de Mesmes, Comte d’Avaux, Paris, 10. Juli 1638, Hartmann, Papiers (wie Anm. 28), S. 232–234, hier S. 234. Camerarius, der schwedische Resident im Haag, habe diesen Hinweis Monsieur d’Estempes gegeben. 31 Vgl. Droysen, Bernhard (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 476f. 32 Zu Regelungen zur Proviantierung und Mitnahme von Waffen vgl. auch die umgehend veröffentlichten Vereinbarungen zur Kapitulation: Breysachische Accords=Puncten zwischen dem […] Herren Bernharden / Hertzogen zu Sachsen […] Und […] Herrn General Feldtzeugmeister / Freyherren von Rheinach / als Gubernatorn der Stadt und Festung Brysach. Nebst einer kurzen Relation des von den Keyserischen beschehenen Außzugs / und der in Brysach gewesenen Hungersnoth. Den 9./19. December 1638. 33 Vgl. bspw. Continuatio Relationis, Was sich im Elsaß und am Rheinstrom / im Monat Januario und Februario Anno 1636. Zwischen den Kriegenden Theilen ferner verlauffen und zugetragen, o. O. 1636; Copia Schreibens / an Ihr Churfürstl. Gn. Zu Mayntz / wegen Deß glücklichen und herzlichen Sigs / so Ihr Excel. Herr Johann Freyherr von Wörth / im Obern Elsaß / wider Hertzog Bernhardts Armee erhalten / […] die Frantzosen Thails ins Wasser gesprengt / Thails auff Gnad und Ungnad angenommen […] und also den Edlen Rhein= strom / wider mit Gottes Gnad unnd Hülff Frey gemacht, o. O. 1637. 34 Post Zeitung 1634, Nr. 113: Auß Cölln vom 8. Novemb. 35 Vgl. Anuschka Tischer, Obrigkeitliche Instrumentalisierung der Zeitung im 17. Jahrhundert. Die Gazette de France und die französische Politik, in: Volker Bauer, Holger Böning (Hrsg.),

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keiten ermöglichten tendenziell Prognosen über die weitere Entwicklung des Geschehens, sie mochten orientierend und warnend für Händler und Einwohner angrenzender Gebiete sein. Dabei wurde die oft unsichere Informationslage, die die politischen und militärischen Entscheidungsträger gleichfalls betraf, wiederholt angesprochen. Viele Autoren betonten ihre Bemühungen, die Informationen abzusichern, ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen, beispielsweise durch weitere Quellen oder Plausibilitätsbeweise.36 Die Herkunft der Flugschriften ist – wie zumeist – nicht eindeutig. Sie stammten überwiegend nicht von der kaiserlichen Seite, sondern sind pro-weimarisch, pro-französisch, teils proschwedisch ausgerichtet. Dies musste Bernhard von Weimar entgegenkommen, dem zwar daran gelegen war, ein generelles Einvernehmen mit dem französischen König herzustellen, der aber zugleich darauf angewiesen war, Unterstützer im Reich, auf das sein Handeln in erster Linie hin ausgerichtet war, zu gewinnen und zu halten. Teilweise ist auch direkt zu erkennen, dass die Medien Papiere aus dem weimarischen Hauptquartier übernahmen.37 In den Flugschriften dominierten die üblichen Themen der zeitgenössischen Kriegsberichterstattung: die Anwerbung, Musterung und Ausrüstung der Soldaten, der Ablauf von Gefechten, Fluchten oder Einquartierungen, Überläufer, der Verlust von Tieren, Zahlen von Verletzten, Gefangenen und Toten. Das alles wurde zumeist im üblichen lakonischen Tonfall aufgelistet.38 Verstärkte Wertungen finden sich, wenn es um das Schicksal oder grundlegende Entscheidungen des Führungspersonals geht.39 Militärische Fehlentscheidungen mochten diskutiert werden, so wie bei der schwedischen Niederlage in Nördlingen. Schlecht weg kam Savelli, der auch postum keine größere Wertschätzung erfuhr.40 So wurde die Niederlage der Kaiserlichen bei Wittenweier mit Pflicht-

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Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2001, S. 455–466, hier S. 456; St¦phane Haffemayer, Information et espace public. La presse p¦riodique en France au XVIIe siÀcle, in: Revue de synthÀse 126 (2005), S. 109–137. Freilich gab es auch gezielte Versuche der Desinformation und die Autoren versuchten stets, einen bestimmten Parteistandpunkt zu befördern. Vgl. Leupold, Journal (wie Anm. 29), S. 349–353. Dies konnte sich aber auch mit der Mahnung zum Frieden verbinden, vgl. bspw. Welcher gestalt der Königlichen Mayest. und Cron Schwed. Gen. und Feldmarschalls / Herrn Johann Baniers / etc. Ritters / […] am 20. Novembr. Dieses 1638. Jahrs / in der Gegend Perleberg den ganzen Chur=Sächsischen Succurß zu Pferd […] zu Grund ruinirt / auch sonsten 100. Keyserl. Cürasier und bey 2. in 300. Zu Fuß niedergehawen und vernichtet / und dem Feind vor etliche Regimenter Proviant abgenommen. Darbey auch ein Bericht / wegen Einnemung Prysach, o. O. 1638. Vgl. Ausführlichere Relation Von denen scharffen Treffen / so zwischen den Kayserl. Und Bayerischen Generalen / Duca de Savelli, und Jean de Werthen / und dann Ihr. Fürstl. Gn. Hertzog Bernharden von Weymar / [et]c. den 18. 28. Februarij / und dann den 21. Februar. Oder 3. Martij / bey Picken und Rheinfelden vorgegangen, o. O. 1638. Negativ zu ihm nicht nur Onno Klopp, Tilly im Dreißigjährigen Kriege, Bd. 2, Stuttgart 1861,

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verletzungen der Heerführer Savelli und Götz erklärt und nicht etwa mit dem gängigen Schema der göttlichen Sündenstrafe. Beide werden als mit ihrer Aufgabe überfordert dargestellt. Trotz anstehender wichtiger Entscheidungen hätten sie geschlafen und gemeinsam getroffene Entscheidungen missachtet, zudem scheinen ihre Befehle inkonsistent.41 Die Informationen stammten angeblich von einem Boten, der Zugang zum innersten Zirkel habe. Insbesondere Savelli wird als fahrlässig und unbedacht handelnd präsentiert; er habe seine Kroaten nicht im Griff und seine Soldaten unnötig in Gefahr gebracht.42 Den Nachvollzug des Geschehens ermöglichten beigefügte Vogelschaubilder.43 Die Versorgungslage gehörte gleichfalls zu den häufigen Themen. Auch diesbezügliche Hinweise konnten einer politischen Seite dienen, die auf diese Weise die erfolgreiche Wahrung bzw. den Ausbau der eigenen Position darstellen konnte und eine Kontrolle der Geschehnisse im Sinne einer guten, geordneten Regierung suggerierte. Ebenso ließ sich dergestalt die Schwäche der gegnerischen Partei betonen. Für eine thüringische Flugschrift war es 1634 sogar der Beweis für einen Sieg schwedischer Truppen unter Bernhard gewesen, dass diese »die Proviant nicht mehr so starck begehret / sondern das Commißbrod etlicher Orten öffentlich verkaufft wird«. Die Armee müsse also »keine Noth leiden«, sondern tatsächlich eine große Zahl von »Wagen mit Proviant und Munition« erobert haben.44

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S. 154: Savelli sei »von allen Geldschindern und Räubern des einst Wallensteinischen Heeres einer der schmutzigsten«; vgl. Gerhard Schormann, Der Dreißigjährige Krieg, 3. Aufl., Göttingen 2004, S. 53. Vgl. Apologia Deß Hertzogen von Savello Oder Wahrhaffte Abbildung und Unpartheyischer Verlauff des / den 9. Augusti nechst Wittenweyer / zwischen den Kayserisch: und Schwedischen vorüber gegangenen Treffens, o. O. 1639, S. 24 u. 27. Es handelt sich um verschiedene zusammengefügte Texte und Dokumente, die nach dem Verlust Breisachs für die kaiserliche Seite veröffentlicht wurden. Vgl. Extract Schreiben / vom Zustand des Kriegs am Rheinstrom, 1638, Textteil »GeneralQuartier-Meister / und General Auditor«, Paris, BibliothÀque nationale de France, Sign. M 3756. Vgl. bspw. Eigentlicher Abriß und Entwerffung desz Weinmarischen Lagers vor der weitberühmten Vestung Brisach. Welche Ihr Fürstl. Gn. Bernhard zu Sachsen Weinmar nach gehaltenen Treffen den 4. Novemb. Deß 1638. Jahrs recognoscirt, und darauff völlig belagert / neben Andeutung der Schantzen und Aussenwercken / so nun allbereit erobert worden, o. O. 1638. Eine Karte enthielt offensichtlich ursprünglich auch Kurtzer Inhalt vnd Beschreibung / Als massen Hertzog Bernhardt von Weynmar / vnd des Königs in Franckreich Kriegsvolck zu Pferd vnd Fueß / zu Frühlings Zeiten des 1637. Jahrs / in das Elsäß gesetzt […] vnd dann bey Rheinaw ein Brucken vber Rhein geschlagen / vber dieselbe gesetzt. […] Sampt einem Abriß auff Kupffer gestochen / wie die Schantzen vnd Brucken an dem Rhein gebawen / vnd angegriffen worden, o. O. 1638; die Karte ist jedoch im Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek in München nicht vorhanden. Gewisse Avisen Wie Ihre Fürstliche Durchl. Herztog Bernhard wider die Keys. eine herrliche Victori erhalten […] den Feind in die Flucht geschlagen / und in der Verfolg Straubingen recuperiret. Item / Aus Francken / Wie die Schwedischen in 1500 Pferd starck / in die 400.

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Der Stellenwert der Versorgungsprobleme für die militärische Lage in Breisach musste einem Leser auch nur einer oder weniger dieser Schriften spätestens im Herbst 1638 deutlich sein.45 In pro-weimarischen wie pro-kaiserlich-ligistischen Schriften war unter anderem zu lesen, dass es dem Herzog von Weimar im August gelungen war, einen von Götz geplanten zentralen Transport nach Breisach zu verhindern. Über Rheinau sollten eine große Menge Getreide und Ochsen zu Wasser in die Festung gebracht werden. Die Weimarischen erbeuteten darüber hinaus auch »die Canzley« und den »Cass— Wagen« für die Bezahlung der Breisacher Garnison.46 Bekannt war auch, dass Breisach weiter aus Basel versorgt wurde und Bauern aus dem Schwarzwald Lebensmittel hineinbrachten,47 ebenso, dass es Kroaten im September in einer schnellen Aktion gelungen war, Korn nach Breisach zu bringen. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass der Herzog zum »Beichten vnd Communiciren« und zum »KriegsRaht« in Colmar gewesen sei.48 Die Vorgänge wurden durchaus plastisch geschildert. Den Kaiserlichen, so ein Bericht vom Oktober, sei die Ortskenntnis von Bauern aus der Umgebung zugutegekommen. Sie hätten ihnen eine Furt durch die Nebenarme des Rheins, der zu dieser Zeit Niedrigwasser geführt habe, und hier zudem eine durch »dicke Büsche« geschützte Stelle gewiesen, sodass sie eine entscheidende Schanze erobern konnten, fast die Hauptschiffsbrücke eingenommen hätten und damit den Rhein insgesamt hätten kontrollieren können. Ebenso sei es ihnen beinahe gelungen, das Proviantschiff Bernhards zu erobern, was ihnen ermöglicht hätte »mit I. F. Gn. eygenem Brot und Früchten / die Festung Brysach [zu] versehen« und die weimarische Armee »von Colmar und den ganzen Elsass / mit höchstem Schaden / und fast zu endlicher ruin der Armee, […] ab[zu]schneiden«. Das habe aber verhindert werden können.49 Während diese Berichte suggerierten, die weimarische Armee sei bestens versorgt, sollte Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen seinen Simplicissimus klagen lassen, er habe vor Breisach »Tag und Nacht wachen und schantzen« müssen, wobei sein »Beutel […] laer / Wein /

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Wägen mit Proviant und Munition / so der Keys. Und Bayerischen Armee aus Bayern hat zugeführet werden sollen / abgenommen / und die Convoy geschlagen, o. O. 1634, o. S. Im genannten Beispiel von Savelli und Götz ist deren Ziel klar ist, Breisach zu proviantieren. Vgl. auch Gazette, Extraordinaire, Nr. 114 (1638), S. 465f. Extract Schreiben eines vornehmen Keyserl. Obristen / aus Offenburg (wie Anm. 2). Vgl. Wochentlichen Zeitungen, Nr. 58 (1638), Meldung aus »Straßburg 17. Sept.«. Wochentlichen Zeitungen, Nr. 58 (1638), Meldung »Außm FeldLager vor Brysach, 26. Sept.«. Warhafftige / Unparteyische Erzehlung was sich von dem 14 / 24 Octobr. biß den 23 Octobr. / 2 Novembr. an. 1638 vor: und umb die Vestung Brysach begeben und zugetragen / unnd wie es nunmehr mit derselben auffs eusserste kommen, o. O. 1638; vgl. zu Wittenweier auch Relation oder gründliche Erzehlung / Wie die Ernstliche Feldt=Schlacht / so den 30. July Alten Calenders / dieses 1638. Jahrs / nahend dem Dorff Wittenweyer in dem Preißgaw am Rheinstrom / vorgegangen / sich Erstlich zugetragen / und endlich nach Gottes willen geendet, o. O. 1638.

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Bier und Fleisch ein Raritaet / Aepffel und halb Brod genug mein bestes Wildpret« gewesen seien.50 Hintergrundinformationen zu bestimmten Vorgängen gab es also. Es ging auch um die Herkunft des Breisacher Viehs, das Bernhards Soldaten auf der Weide erbeuten konnten.51 Andere Beiträge brachten scheinbar genaue Mengenoder Preisangaben, so zu der exorbitanten Steigerung des Preises für Mehl und andere Nahrungsmittel.52 Diese Größen waren im Detail nicht unbedingt verlässlich; sie zeigten aber in ihrer Mehrheit recht zuverlässig eine Tendenz an. Laut einer Flugschrift vom Herbst berichteten die täglich im weimarischen Lager eintreffenden Überläufer, dass das Brot in Breisach wohl nur noch für zwei Wochen reichen werde. Aufgrund der schlechten Verpflegung und den Wachanstrengungen erkrankten und stürben viele Soldaten. Die Übergabe stehe wohl bald bevor.53 Direkt nach der Übergabe der Festung an den Herzog von Weimar wurden Berichte von Kannibalismus unter den Belagerten publik.54 Der Wahrheitsgehalt solcher Schilderungen ist generell umstritten, in diesem Fall können sie jedoch als glaubwürdig gelten.55 Diese Vorwürfe unterstrichen jedenfalls nochmals die Dramatik der Lage, ebenso wie ausführliche Listen, die die Preissteigerungen selbst für minderwertigste Waren, für kaum Essbares in der Festung doku50 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch, in: ders., Werke in drei Bänden, hrsg. v. Dieter Breuer. Bd. I/1: Simplicissimus Teutsch, Frankfurt/M. 1989, S. 10–551, hier IV. Buch, 14. Kapitel, S. 401. 51 Von dem zahlreichen Vieh, das sie selbst »denen von Colmar und andern hiebevor abgenommen« und das ihnen aus Burgund und Lothringen mit Hauffen zugeführt worden« sei, hätten sie nur noch 300 Stück, vgl. Extract Schreiben / vom Zustand des Kriegs am Rheinstrom (wie Anm. 42). 52 Vgl. Extract Schreiben aus Basel (3./13. August 1638); Kurtze Summarische Verzeichnuß / etlicher denckwürdiger / und zum theil sonst in Historien nicht viel erhörter Sachen / so sich in der Belagerung Breysach / vom 18. Augusti biß auff den 19. Decemb. New. Kalend. begeben. Von einem hohen und vornehmen Officir darinnen / zur Gedächtnuß / auffgeschrieben worden. Benebens absonderliche Specification dessen / was an Kriegsbereitschafften in ermeltem Breysach gefunden worden, o. O. 1638. 53 Vgl. Extract Schreiben / vom Zustand des Kriegs am Rheinstrom (wie Anm. 42). 54 Vgl. bspw. Breysachische Hungers-noth / Und umbständtliche Verzeichnuzß aller denkwürdigen Sachen / so sich in wärender 18. Wochentlicher Belägerung diser weit berühmten und starken Vestung / etliche Wochen vor übergebung deroselibigen […] zugetragen / und auß beygewesener Glaubwürdiger Personen erbärmlicher Relation / zu einer erschrocklichen / und in der Christenheit unerhörten Thewrungs Gedächtnuß / fleissigest auffgeschrieben worden, o. O. 1639. 55 Vgl. Daniel Fulda, Gewalt gegen Gott und die Natur. Ästhetik und Metaphorizität von Anthropophagieberichten aus dem Dreißigjährigen Krieg, in: Markus Meumann, Dirk Niefanger (Hrsg.), Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 240–269; Andreas Klinger, Formen der Gewalt im Dreißigjährigen Krieg, in: Gerhard Armanski, Jens Warburg (Hrsg.), Der gemeine Unfrieden der Kultur. Europäische Gewaltgeschichten, Würzburg 2001, S. 107–123, hier v. a. S. 116f.

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mentieren sollten.56 Die Schriften zur Übergabe Breisachs bezogen alle eindeutig für die weimarische Seite Position. Es fehlt die ansonsten geübte Praxis, Misserfolge zu verbrämen.57 Als weimarische Truppen zuvor in der Schlacht von Wittenweier zahlreiche Standarten des Gegners erbeutet hatten – ein Zeichen für einen militärischen Sieg –, hatte die habsburgisch-bayerische Publizistik dies mit dem Hinweis herunterzuspielen versucht, es handele sich nur um zurückgelassene, weil in früheren Gefechten selbst erbeutete Fahnen.58 Eine vergleichbare Argumentation war hier nicht mehr möglich. Insbesondere der Festungskommandant Reinach rückte in ein negatives Licht. Ihm wurde vorgeworfen, die Situation der Eingeschlossenen ohne Not auf das Schlimmste gesteigert zu haben, indem er weder mögliche Nahrungsmittel freigab noch kapitulierte. Der Weimarer Herzog erstrahlte dagegen umso positiver. Tatsächlich war der Zustand der ehemals Belagerten auch für die Umgebung sichtbar geworden. Der Straßburger Maler Johann Jakob Walther hielt in seiner Chronik fest, nach der Kapitulation seien die kaiserlichen Truppen aus Breisach, die dem Kapitulationsvertrag gemäß über Straßburg abziehen durften, am »11. Decembris […] inn 9 schiffen allhier bey der Reyhnbrucken [= in Straßburg] annkommen. Es war ein ellender ahnblick, diesse arme, ellende, verhungerte menschen ahnzusehen, die mehr geystern und gespenstern alss lebendigen menschen gleich sahen. Der obriste von Reyhnach kam in die statt, die anderen mußten auff den schiffen bleiben, denen man proviandt auss der statt hinaussschickte, deren noch viel draussen sturben. Die gantze statt lieffe hinauss diesse ellende menschen zu sehen«.59

Straßburg selbst hatte in den Jahren zuvor stark unter den ökonomischen und politischen Auswirkungen des Krieges gelitten.60

56 Vgl. Warhaffter Bericht / unnd Beschreibung: Was Nach deme durch sonderbare Vorsehung und Schickung Gottes / der fast unüberwindliche Platz Brysach / in dem OberRhein=Strom gelegen / von Ihre Fürstl. Gn. Hertzog Bernhard von Sachsen Weymar […] den 7. Decembris Anno 1638. eingenommen: Darinnen an vorhandenem Schatz: Als paarem Geld / Gold und Silber / Kleinodien / Perlein und andern / so fast unglaublich und unerhört / inventiret unnd gefunden worden, o. O. 1639. 57 Einige Jahrzehnte später riet Kaspar Stieler, Zeitungs Nutz und Lust, Hamburg 1695, ND Bremen 1969, S. 32f., »verfängliche« Nachrichten gar nicht erst zu drucken. 58 Vgl. Wahrhaffte Abbildung und Unpartheyischer Verlauff deß / den 9. Augusti / nächst Wittenweyer / zwischen den Kayser : und Schwedischen / vorübergangenen Treffens [… ], in: Apologia Deß Hertzogen von Savello (wie Anm. 41), S. 46–48, hier S. 48. 59 Reuss, Strassburg (wie Anm. 24), S. 35. 60 Vgl. knapp zusammenfassend Walter Ernst Schäfer, Straßburg und die Tannengesellschaft, in: ders., Wilhelm Kühlmann (Hrsg.), Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien, Tübingen 2001, S. 97–109, hier S. 100f.

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IV.

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Heeresversorgung

Nach der Kapitulation bezog die weimarische Armee Winterquartiere in der Franche Comt¦, da sie kaum in und aus der Gegend verpflegt werden konnte; in der Festung verblieb eine größere deutsche Besatzung. Die Versorgung der weimarischen Armee am Rhein selbst, die nominell bis zu 18.000 Mann umfasste, war gerade auch im Vorfeld ›Breisachs‹ wesentlich aus der Schweiz heraus organisiert worden. Angesichts der fortschreitenden Erschöpfung zahlreicher Landstriche gerade in der zweiten Hälfte des Krieges konnte der Krieg sich nicht mehr selbst ernähren. Wie die kaiserliche Seite profitierte die Armee Weimars vom Prosperieren großer Teile der Schweiz in diesen Jahren. Deren uneinheitliche und schwankende Neutralitätspolitik ermöglichte teilweise den Ankauf notwendiger Güter und erschwerte ihn in anderen Situationen. Hinzu kamen Schwierigkeiten, Wechsel in der Schweiz einzulösen, obwohl der Geld- und Kapitalverkehr in Europa insgesamt im Krieg recht gut weiterlief.61 Das Agieren des Weimarer Herzogs gegenüber Schweizer Territorien stieß in der Eidgenossenschaft jedoch durchaus auf Widerstand: Dass er seit dem Jahresausgang 1637 mit seinen Soldaten im Gebiet des Fürstbistums Basel lag und von dort aus Anfang des Folgejahres gegen die sogenannten Waldstädte Waldshut, Laufenburg, Säckingen und Rheinfelden zog, führte nicht nur zu Diskussionen in den katholischen Orten,62 sondern stärkte auch bei den evangelischen Sorgen vor dem Wachstum der französischen Macht.63 Im Februar 1638 beschloss die Tagsatzung, die Versammlung der Gesandten der eidgenössischen Orte, keiner Partei den Pass durch die Eidgenossenschaft zu erlauben,64 ein Beschluss, der allerdings nur eingeschränkt umgesetzt wurde. Die Finanzierung und Versorgung der weimarischen Armee organisierten unter anderem Joachim von Wicquefort, der den Transfer der französischen Subsidien an Bernhard von Weimar wie auch an Schweden und Hessen-Kassel betreute,65 die aus Augsburg stammenden Gebrüder Herwart, die Kontakte zu

61 Vgl. Reinhard Hildebrandt, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger 1539–1642. Wirtschaft und Politik im 16./ 17. Jahrhundert, Bd. 2: 1624–1642, Stuttgart 2004, S. 15–40, hier S. 18. 62 Vgl. Sebastian Burkart, Geschichte der Stadt Rheinfelden bis zu ihrer Vereinigung mit dem Kanton Aargau, Aarau 1909, S. 411f. u. 416. 63 Vgl. Gallati, Eidgenossenschaft (wie Anm. 19), S. 81–95. 64 Peter Stadtler, Das Zeitalter der Gegenreformation, in: Handbuch der Schweizer Geschichte, Bd. 1, 2. Aufl., Zürich 1980, S. 571–670, hier S. 637. 65 Vgl. auch Gonzenbach, General (wie Anm. 26), Bd. 1, S. 262. Wicquefort war vor allem auch diplomatischer Agent der hessischen Landgräfin Amalia Elisabeth in Den Haag, vgl. dazu Tryntje Helfferich, The iron princess. Amalia Elisabeth and the Thirty Years War [Herv. i. Orig.], Cambridge u. a. 2013, vgl. u. a. S. 129 u. 151.

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Bankiers in Frankreich, insbesondere in Paris und Lyon, vermittelten66 – so betreute Jan Hoeufft als Finanzagent in Paris die französischen Subsidienzahlungen –, und Hans Ludwig von Erlach von Castelen, der für die Beschaffung von Gütern aus der Schweiz sorgte.67 Maßgeblich wurde seit 1638 insbesondere auch Marx Conrad von Rehlingen.68 Diese »mercantile emissaries«, die von den offiziellen Diplomaten kritisch beäugt wurden, spielten im Krieg vielfach eine zentrale Rolle.69 Rehlingen hatte zuvor Darlehen an den Heilbronner Bund gegeben und schwedische Truppenwerbungen finanziert. Beim Rat Basels erreichte er nun wiederholt, dass in der Stadt Brot aus in der Umgebung eingekauftem Getreide für die Bernhard’sche Armee gebacken werden durfte, was auch Flugschriften vermeldeten.70 Per Schiff konnten die Brote dann weiter befördert werden. Im Oktober 1638 stimmte der Rat einem solchen Vorgehen noch einmal zu. Ein paar Tage später untersagte er jedoch weitere Lieferungen, mit der Begründung, man wolle die »schwedischen und weimarischen Commissari« nicht gerne bevorzugen (»fauorirn«).71 Aus der Stadt hatte auch Breisach Lebensmittel bezogen72 und ebenso war sie für die kaiserlichen Truppen interessant. Dazu trug bei, dass hier der Rhein noch schiffbar war, sich ver66 Vgl. Gonzenbach, General (wie Anm. 26), Bd. 1, S. 262; Hans Herwarth von Bittenfeld, Die Brüder Bartholomäus und Johann Heinrich Herwarth, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 1 (1874), S. 183–204, v. a. S. 183–188; Guillaume Depping, Un banquier protestant en France au XVIIe siÀcle. Barthelemy Herwarth, controleur g¦n¦ral des finances (1607–1676), in: Revue Historique 10 (1879), S. 285–338. 67 Vgl. bspw. Röse, Herzog (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 212f.; Wilson, War (wie Anm. 8), S. 600f. 68 Zu Rehlingen vgl. Franz Josef Schöningh, Die Rehlinger von Augsburg. Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts, Paderborn 1927, v. a. S. 29–54; Reinhard Hildebrandt, Verräter oder Opfer? Marx Conrad von Rehlingen und die Konfiskation seines Vermögens 1630, in: Horst Kranz, Ludwig Falkenstein (Hrsg.), Inquirens subtilia diversa. Dietrich Lohrmann zum 65. Geburtstag, Aachen 2002, S. 501–514, v. a. S. 504–506. Vgl. bspw. zur Versorgung des Wallenstein’schen Heeres, v. a. jedoch bezogen auf Rüstungsgüter Anton Ernstberger, Hans de Witte. Finanzmann Wallensteins, Wiesbaden 1954, S. 226–267. 69 Erik Thomson, Jan Hoeufft and the Thirty Years War. An essay on diplomatic history’s limits, Vortrag gehalten am 16. 5. 2013 an der Universität Ume”, Schweden, als pdf verfügbar : http:// www.ddb.umu.se/digitalAssets/120/120438_joint-seminar-with-guest-researchers.pdf (27. 03. 2014), S. 3f., das Zitat S. 4. Vgl. auch, mit Blick auf die Netzwerke eines Kriegsunternehmers selbst, Michael Kaiser, Jan von Werth zwischen Wittelsbach und Habsburg. Kriegsunternehmertum und Patronage im Dreißigjährigen Krieg, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 75 (2012), S. 135–166. 70 Extract Schreiben / aus Basel vom 3./13. Aug. 1638. Es geht um nach Mömpelgart ankommende und ins Delsperger Tal marschierende 2000 Franzosen. Zum Getreideeinkauf bspw. Rehlingen an Bernhard von Weimar, 13. Juni 1638, Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 725, fol. 83r–84v, hier fol. 84r. 71 Marx Conrad von Rehlingen an Bernhard von Weimar, Basel, 10. Oktober 1638, zit. nach Hildebrandt, Quellen (wie Anm. 61), S. 232. 72 Um dies zu verhindern, hatte der Herzog von Weimar im Mai 1638 selbst mit dem Basler Stadtrat verhandelt, vgl. Röse, Herzog (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 229–231.

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schiedene europäische Handelswege kreuzten und sich, nicht zuletzt durch den Krieg, eine Reihe von Großkaufleuten und Kreditgebern angesiedelt hatten.73 Im Oktober verbot Basel ebenso die Herausgabe von Pferden für Kriegszwecke. Rehlingen organisierte daher die Tiere im Bistum Basel und in der Markgrafschaft Baden, wo er auch Heu und Getreide einkaufte.74 Getreide beschaffte er zudem in Schaffhausen,75 wohl in Savoyen sowie in Genf. In Genf hoffte er darüber hinaus Waffen und Munition besorgen zu können, die in Bern nicht verkauft werden durften.76 Waffen bezog Bernhard auch über Lyon.77 Da Solothurn immer häufiger die Durchfuhr von Rüstungsgütern verweigerte, schaltete sich wiederholt erfolgreich der dortige französische Botschafter, Blaise M¦liand, ein. Teilweise gelangen Ankäufe vermutlich durch Mittelsmänner oder wurden die Transporte bewusst falsch deklariert. Angesichts der aus seiner Sicht vielfältigen Schwierigkeiten schien es Rehlingen jedoch geraten, die Schweizer durch einen Boykott ihrer Salzimporte zum Einlenken zu zwingen.78 Bernhard versuchte hier offensichtlich, unter eigener Ägide handelnd, eine stärker planmäßige Heeresversorgung zu betreiben und nicht nur kurzfristig zu reagieren. Das war anders als in den von der französischen Krone geleiteten Feldzügen des Sommers 1635, an denen er ebenfalls teilgenommen hatte. Weil die französischen Heereslieferanten nicht lieferten, war er damals gezwungen gewesen, Regimenter aus Vorräten der Festungsmagazine von Metz zu versorgen, die für den Belagerungsfall vorgesehen waren.79 Gleichwohl überstand seine Armee die Winterquartiere im Bistum Basel 1637 mehr schlecht als recht.80 Und es gab weiter andauernde und stets neu auftretende Schwierigkeiten. So warb die kaiserliche Seite nicht nur Soldaten ab, sondern kaufte, ebenso wie katholische 73 Vgl. Susanna Burghartz, Das »Ancien R¦gime«, in: Georg Kreis, Beat von Wartburg (Hrsg.), Basel – Geschichte einer städtischen Gesellschaft, Basel 2000, S. 116–148, hier S. 122f. 74 Den Ankauf von Pferden in der Schweiz im November 1637 spricht auch das Armeejournal an, vgl. Leupold, Journal (wie Anm. 29), S. 294. 75 Vgl. Marx Conrad von Rehlingen an Bernhard von Weimar, Bern, 7. Juni 1638, Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 725, fol. 73r–75v, hier fol. 75v. 76 Vgl. Marx Conrad von Rehlingen an Bernhard von Weimar, Bern, 21. Februar 1638, Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 725, fol. 28r–29v. 77 Vgl. Mr. Dulieu an Bernhard von Weimar, Lyon, 15. Januar 1639, ThHStA, Fürstenhaus, A 344, fol. 53r–53v. 78 Vgl. Hildebrandt, Quellen (wie Anm. 61), S. 222f. Salz, das als Konservierungs-, Würzmittel und Baustoff verwendet wurde, sollte weder aus Frankreich noch – über den Bodensee und die Schaffhausener Gegend – aus Österreich eingeführt werden. 79 Vgl. Bernhard von Weimar an Richelieu, 21. Juli 1635, zit. nach Bernhard Kroener, Les routes et les ¦tapes. Die Versorgung der französischen Armeen in Nordostfrankreich (1635–1661). Ein Beitrag zur Verwaltungsgeschichte des Ancien R¦gime, Münster 1980, S. 84, vgl. auch ebd., S. 83–86. 80 Wilson, War (wie Anm. 8), S. 591.

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Kantone,81 gezielt Weizen in der Region auf. Der Herzog klagte daraufhin bitter darüber, er müsse sein eigenes Getreide an die Kavallerie ausgeben. Das ruiniere ihn gänzlich und könne nicht mehr lange andauern.82 Zu den Problemen trug wesentlich bei, dass die französischen Subsidien nur eingeschränkt geleistet wurden. Sie hätten allerdings auch in voller Höhe die Kosten der Armee nicht decken können.83 Weimar führte um sie andauernde Auseinandersetzungen mit der französischen Krone. Schriften, die klar einer Seite zuzuordnen sind, thematisieren kaum, dass die Knappheit an Lebensmitteln auch Alltag in den ›eigenen‹ Armeen war. Angesprochen findet sich dies einmal in einer Danksagungspredigt auf den Sieg der Weimarischen bei Rheinfelden: Darin ist die Rede vom vielfachen »Hunger vnd Kummer« der Soldaten, die »mit [ihren] […] Rossen mangel an Wasser« haben, aber auch von den Nöten der Gefangenschaft, Erkrankungen, besonderen Gefahren sowohl bei der Schildwache und Erkundungsritten als auch im Kampf.84 Auch die Leser der quasi regierungsamtlichen, vom Ersten Minister Richelieu gesteuerten französischen Gazette waren seit dem Vertrag Bernhards mit der französischen Krone über die Fortschritte der weimarischen Armee informiert worden. Über Misserfolge berichtete das Blatt zumeist einfach nicht. Seit Anfang 1637 ging es, abgesehen von den Rheinpassagen, regelmäßig um Breisach.85 Die Artikel beschäftigten sich vielfach mit Fragen der Truppenversorgung. Der Gegner leide unter Lebensmittelknappheit,86 die für Frankreich kämpfenden Truppen hingegen seien gut versorgt und Unruhen unter ihnen nicht zu erwarten, so die Botschaft.87 Konkurrierende Schriften, die andere Informationen lieferten, waren, wie es scheint, nicht leicht und in größerem Umfang verfügbar. Die Gazette brachte nun Meldungen über den Ankauf von Wein und Weizen oder

81 Vgl. Bernhard von Weimar an von Erlach, Rötelen, 25. Mai 1638, Gonzenbach, General (wie Anm. 26), Bd. 1, Quellenanhang, S. 30–33, Urkunde 22, hier S. 32. 82 Vgl. Bernhard von Weimar an von Erlach, Neuenburg, 2. Juni 1638, Gonzenbach, General (wie Anm. 26), Bd. 1, Quellenanhang, S. 33–35, Urkunde 23, hier S. 34. 83 Vgl. Wilson, War (wie Anm. 8), S. 563. 84 Freilich wird all dies im üblichen Tugendkanon aufgehoben, vgl. Fabian Schaffart, Christliche Dancksagungs-Predigt / Wegen des Sieges / welchen […] Herr Bernhard / Herzog zu Sachsen […] Mittwochen den 21. Februarii alten Calenders’ Anno 1638. Wider den Kax. Chur Bayerischen General Feld Marschalckh Duca di Savelli, und General Feld Marschalckh Leutenant Jean de Werth, bey Rheinfelden glücklich erhalten hat, o. O. 1638. 85 Vgl. bspw. Gazette, Nr. 25 (1637), S. 102f.; später bspw. ebd., Extraordinaire, Nr. 140 (1637), S. 581f.: La d¦faite de six r¦gimes ennemis, par les Troupes du Duc de Weimar, devant Brisac, S. 581f. 86 Vgl. Gazette, Nr. 158 (1638), S. 665–668. 87 Auch nachdem Bernhard die Festung erobert hatte, war zu lesen, in Breisach und Umgebung herrschten Ordnung, eine gute Versorgung und diejenigen, die zuvor aus den Städten weggegangen seien, »joussent paissiblement de leurs biens«, Gazette, Nr. 14 (1639), S. 53.

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Pferden88 durch Herzog Bernhard, berichtete über seine Aufträge zum Brotbacken an Orte, denen er im Gegenzug Getreide gebe,89 über die Verladung von Brot und Mehl für das Lager auf Schiffe90 oder die Ausstattung Rheinfeldens mit Mehl für ein Jahr.91 Sie versuchte ebenso glaubwürdig zu machen, dass Weimar zuverlässig über die Nahrungsmittelversorgung des Gegners informiert sei.92 Detailreichtum und Anschaulichkeit waren auch für die französische Zeitung ein bewusst eingesetztes Stilmittel, sollten sie doch Triumphe der weimarischfranzösischen Truppen nacherlebbar und einprägbar machen. Der Artikel zum Sieg über den Herzog von Lothringen im Oktober 1638 ließ die Leser zunächst an Gedanken des Gegners teilhaben. Der Herzog von Lothringen unterschätzt hier die Situation. Es ist die Suche nach Ruhm, die ihn antreibt und den er durch den Sieg über einen so herausragenden Gegner und eine besondere militärische Gelegenheit zu erlangen hofft. Mit Breisach könne zugleich »ganz Deutschland« gerettet werden. Es folgte im Artikel die Ansprache des Heerführers Weimar an seine schließlich begeistert jubelnden Truppen. Der präsentierte Wortlaut ist ganz auf das heimische Publikum ausgerichtet: Breisach, ruft Bernhard hier, sei von größter Wichtigkeit im Dienst für den König und für die Freiheit Deutschlands – »au service du Roy — la libert¦ de l’Allemagne«. Dieser Platz habe für den ersehnten Frieden eine größere Bedeutung als alle anderen zuvor. Von dort aus nämlich sei es möglich, die Ambitionen der Feinde Frankreichs am Rhein zu stoppen.93 Als die Einnahme Breisachs geglückt war, berichtete die Gazette ausführlich von den Feiern am Hof und in Paris. Für Frankreich bündelten sich jetzt die glücklichen Wendungen: Im Februar 1637 schon war Kaiser Ferdinand II. gestorben und an verschiedenen Fronten gab es 1638 die erhofften Siege.94 Mit Breisach sollte es möglich sein, den Krieg – dem allgemeinen Ziel entsprechend – in den Ländern des Gegners zu führen.95 Vor allem schien mit der Geburt des Dauphin nach 23 kinderlosen Ehejahren seiner Eltern die befürchtete Staatskrise abgewehrt. Alexandre Boudan verband in einem Kupferstich sogar den Gewinn Breisachs mit diesem Ereignis, indem der Herzog dem neugeborenen Ludwig 88 89 90 91 92 93

Vgl. Gazette, Nr. 88 (1639), S. 385. Gazette, Nr. 123 (1637), S. 499f. Gazette, Nr. 2 (1639), S. 6. Gazette, Nr. 10 (1639), S. 38. Vgl. Gazette, Nr. 158 (1638), S. 665–668. Gazette, Nr. 155 (1638), S. 649–656, Zitate S. 651f. Die Zeitung brachte auch detaillierte Berichte zu der Zahl der Boote, die der Herzog habe bauen und heranbringen lassen, ebd., Nr. 123 (1637), Ausgabe vom 22. August 1637, S. 499, oder zu den Versuchen Savellis und Werths, die weimarischen Schiffsbrücken zu zerstören, ebd., Nr. 155 (1637), S. 625. 94 So bei Saint-Omer in den Spanischen Niederlanden gegen Spanien im Sommer 1638. 95 Vgl. bspw. Hugo Grotius an Le Bouthillier de Chavigny, 5. September [1638], Meulenbroek, Briefwisseling (wie Anm. 27), S. 563.

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XIV. die Festung darbietet.96 Bernhard wird damit zwar aufgewertet, aber gleichzeitig klar in das französische Macht- und Politiksystem eingeordnet. Ebenso hob der Schriftsteller FranÅois de Grenaille in seinen Nachrufen auf Bernhard nicht nur den Breisacher Sieg hervor, sondern betonte den Dienst des Herzogs für Frankreich und seine Abhängigkeit von diesem.97 Er erklärte es jedoch zugleich für legitim, dass der Ernestiner gewaltsam jene Rechte und Güter – gemeint war insbesondere die Kurwürde – wiederzugewinnen getrachtet habe, die die Ungerechtigkeit Kaiser Karls V. seinen Ahnen geraubt habe.98 In diesem Sinne hob die Gazette die Bindung des Herzogs an die Krone hervor. Er sei ein General Frankreichs, seine Armee diejenige des Königs.99 Gern wiederholte sie, ganz der Argumentation Richelieus entsprechend und Differenzen einebnend,100 Frankreich und den Herzog eine der Kampf für die »cause commune« und die Wiederherstellung der »ancient libert¦ Germanique«. Sie bezog diesen Begriff durchaus auf die Bevölkerung insgesamt und nicht nur auf die ständische Freiheit des Adels.101 Der französische Kriegseinsatz diene dazu, die Freiheit Europas vor der Sklaverei zu sichern, die – so konnte der Leser für sich ergänzen – durch Habsburg bedroht sei.102 Was Breisach betraf, so sprach Bernhard von Weimar davon, die Eroberung diene »unsirn betrübten Vatterland«, also dem deutschen.103 Die Gazette hingegen stellte sie als zentralen Po96 Vgl. Alexandre Boudan, Le vray pourtraict de Monseigneur le Dauphin nay le 5e jour de septembre 1638 au Chasteau Royal de St Germain-en-Laye«, veröffentlicht mit dem »privilÀge du Roi«; dazu auch H¦lÀne Duccini, Le Dauphin du miracle (5 septembre 1638), in: Bernard Barbiche u. a. (Hrsg.), Pouvoirs, contestations et comportements dans l’Europe moderne. M¦langes — l’honneur du professeur Yves-Marie Berc¦, Paris 2005, S. 209–225, hier S. 218–222. Vgl. auch Mercure francois ou suite de l’histoire de nostre Temps, sous le regne auguste du Tres-Chrestien Roy de France et de Navarre Lovys XIII, Bd. 22 (1638), S. 47, der mit einer Aufzählung der verschiedenen französischen Siege des Jahres 1638 (als eines besonders glücklichen Jahres) zur Geburt des Thronfolgers hinleitet. 97 FranÅois de Grenaille, Discours funebre sur la mort du duc Bernhard de VVeimar. Deced¦ en la Ville de Neubourg, & d¦pos¦ — Brisac, Paris 1639. 98 Êloge du duc Bernard de Weimar, als einzige Schrift enthalten im Exemplar von FranÅois de Grenaille, Mars sepultus, seu Weimarius elatus, epicedium […] Elegiae de obitu Wimarii ducis, ejusdem epitaphium et suepulchralis inscriptio, Paris 1639, in Paris, BibliothÀque nationale de France. 99 Vgl. bspw. Gazette, Nr. 148 (1637), S. 597. 100 Vgl. Bertold Baustaedt, Richelieu und Deutschland. Von der Schlacht bei Breitenfeld bis zum Tode Bernhards von Weimar, Berlin 1936, S. 176. 101 Vgl. Gazette, Nr. 20 (1638), S. 80. 102 Vgl. Gazette, Nr. 78 (1636), S. 324. 103 Bernhard von Weimar an Pfalzgraf Johann Kasimir, Chavaly, 5 Januar 1639, Hans Tümmler, Briefe des Herzogs Bernhard von Weimar aus dem Stockholmer Reichsarchiv. Anhang 3: Thüringer Briefe aus dem Dreißigjährigen Kriege, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde N. F. 29 (1931), S. 307–332, hier S. 326–328, das Zitat S. 327; vgl. Bernhard zum Gewinn bei Rheinfelden: Der Sieg helfe »dem unsrigen betrübten Vatterland zu etwas Erleuchterung seiner schwehren bürde«, Bernhard von

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sitionsgewinn für Frankreich dar. Der Rhein sei nun nicht mehr Grenze für Frankreich: »la Iustice des armes du Roy ont triomph¦ par son [Bernhards] moyen de nos ennemis, & fait que le Rhin ne nous est plus frontiÀre.«104 Der Begriff der frontiÀre – statt der limites – verweist darauf, dass es hier um die militärische Grenze ging, nicht um Territorialgrenzen.105 Allerdings wurden die Ansprüche mit dem Hinweis legitimiert, die Stadt sei Patrimonium der alten Könige der Gallier gewesen.106 Die Argumentation entsprach somit der von Richelieu »entwickelte[n] Vorstellung vom Rhein als Ostgrenze des Königreichs«, die im Laufe des Krieges zunehmend einflussreicher wurde.107 1639 kam es zu den andauernden Konflikten um Breisach zwischen der Krone, die die Übergabe der Festung verlangte, und dem Herzog, der dem nicht nachkam. Er verstand sich als eigenständiger Bündnispartner, nicht als Befehlsempfänger Frankreichs. Mit seinem Tod im Juli 1639 verlor Frankreich daher einen wichtigen Feldherrn, einen sehr schwierigen Bündnispartner wie einen »possible ennemi — longterme«.108 Deutschsprachige Flugschriften warnten nun davor, die vom Herzog eroberten Lande im Breisgau und in Frankreich auszuliefern. So erklärte ein Autor, der sich als Offizier der weimarischen Armee ausgab, Bernhard habe verhindern wollen, dass Reichsgebiete an Frankreich fielen: Breisach und andere »dem Römischen Reich zuständig Orth« sollten nicht wie zuvor Metz, Toul und Verdun, »abgezwackt / unnd in fremdder Potentaten Hände kommen«. Zugleich habe der Besitz der Festung Breisach bei Friedensverhandlungen als Faustpfand dienen und die eigene Position merklich verbessern sollen.109

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Weimar an Pfalzgraf Johann Kasimir, Neuenburg, 26. Juni 1638, ebd., S. 325f., das Zitat S. 326. Gazette, Nr. 180 (1638), S. 757–760, hier S. 758. Vgl. Wolfgang Hans Stein, »Rubicon de l’Allemagne« und »anciennes limites des Gaules«. Eine humanistische Interpretation der französischen Wahrnehmung des Westens des Reiches in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Sven Externbrink, Jörg Ulbert (Hrsg.), Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem. Festschrift für Klaus Malettke zum 65. Geburtstag, Berlin 2001, S. 107–119. Der Fluss habe seinen Lauf geändert, sodass die Stadt an die Habsburger gefallen sei. Frank Kleinehagenbrock, Das Alte Reich als europäisches Schlachtfeld. Der SchwedischFranzösische Krieg (1635–1648), in: Peter Claus Hartmann, Florian Schuller (Hrsg.), Der Dreißigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche, München 2009, S. 128–145, hier S. 136. Zur Gleichsetzung Frankreichs mit Gallien vgl. Stein, Rubicon (wie Anm. 105), S. 114–119. Jean Meyer, La naissance de Louis XIV, Brüssel 1989, S. 183. Abtruck Schreibens Von einem fürnemen Officier under der von Herzog Bernhard von Sachsen Weinmar / hinterlassenen Armee / wegen Einnehmung Frantzösischer Guarnison in Breysach / an seinen vertrawten Brudern / Darauß zuersehen was für Wetter an dem Himmel / und weme am maisten zu wachen obgelegen sey. Zu jedermänniglich Nachricht in

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Dass Bernhards Armee wesentlich von Frankreich finanziert und er mit französischen Truppenteilen unterstützt wurde, war dem deutschen Flugschriftenpublikum bekannt gewesen.110 Es hatte lesen können, dass Frankreich wiederholt »newer Succurs und ein groß Gelt zu[schicke]« oder erbeutete Fahnen dem französischen König »praesentir[t]« werden sollten.111 Das aktive französische Engagement im Krieg war durchaus begrüßt worden.112 Mit dem Prager Frieden wandte sich dann eine publizistische und politische Strömung gegen das Wirken fremder Mächte im Reich, die dieses zum Kriegsschauplatz machten.113 Diese Kritik war auch eine Mahnung nach innen bzw. galt nicht selten dem innenpolitischen Gegner.114 Die Folge einer weiteren Uneinigkeit der Deutschen und des Engagements auswärtiger Staaten werde sein, so eine Schrift von 1637, dass letztere »das Teutsche Reich unter sich […] theilen / in ihre Dienstbarkeit […] bringen / von der Ehre und Hoheit des Römischen Keyserthumbs […] stossen / und sich desselben völlig […] bemächtigen« könnten.115 Deutschland werde nur geschwächt, klagte Jean Petage oder Frantzösischer Brillenreisser später.116 Die französische Übernahme Breisachs und der umliegenden Plätze mag die gegen Frankreich gerichtete Stimmung noch einmal verstärkt haben.

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Truck gegeben. Germanum in tanto Regno qui vix tuli VNUM VNA GERMANOS an tot in urbe seret? o. O. 1639. Die Schrift erschien in mehreren Ausgaben. Vgl. Extract Schreiben / vom Zustand des Kriegs am Rheinstrom (wie Anm. 42). Extract Schreibens aus Straßburg vom 3./13. August [1638], hinter Extract Schreiben eines vornehmen Keyserl. Obristen / aus Offenburg (wie Anm. 2). Post Zeitung 1634, Nr. 113, Auß Cölln vom 8. Novemb. Vgl. Georg Schmidt, »Absolutes Dominat« oder »deutsche Freiheit«. Der Kampf um die Reichsverfassung zwischen Prager und Westfälischem Frieden, in: Robert von Friedeburg (Hrsg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich, Berlin 2001, S. 265–284, hier S. 278f. Vgl. Alexander Schmidt, Vaterlandsliebe und Religionskonflikt. Politische Diskurse im Alten Reich (1555–1648), Leiden u. a. 2007, S. 363–369; Johannes Burkhardt, Geschichte als Argument in der habsburgisch-französischen Diplomatie. Der Wandel des frühneuzeitlichen Geschichtsbewußtseins in seiner Bedeutung für die diplomatische Revolution von 1756, in: Rainer Babel (Hrsg.), Frankreich im europäischen Staatensystem der frühen Neuzeit, Sigmaringen 1995, S. 191–218, hier S. 200. Danckbarkeit Des Churfürsten zu Sachsen gegen Schweden. Darinnen Vier Fragen erlediget werden: I. Ob der Churfürst Undanck begangen / daß er seinem Vater=Lande Teutscher Nation Friede zu wegen bringen helffen / in abwesen des Schwedischen ReichsCantzlers Herrn Axel Oxenstirns? II. Ob er im Pragischen Frieden-Schluß der Cron Schweden zum besten nichts bedinget und also Undancks schuldig? III. Ob er dadurch undanckbar / daß er den Schwedischen Bedienten und Ihren Volck in Teutschland Widerstand thut? V. Ob er hierinn wider sein Christenthumb handele? Zusammen getragen: Durch Christoph Siegfrieden von Grünenwalde in SiebenBürgen, 1637. Wunefried Alman von Warendorff, Jean Petage oder Frantzösischer Brillenreisser : das ist: die heut zu Tage verübte Frantzösische Kriegs-Actiones in Teutschland […] / allen Religionsverwandten […] dargestellt, o. O. 1642.

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In der deutschen Publizistik wurden freilich schon zu Lebzeiten des Herzogs Zweifel artikuliert, was er angesichts seines französischen Bündnisses mit seinen Eroberungen vorhabe. Die 1638 erschienene Flugschrift Vertrawlich / Freundlich Gespräch brachte ein fiktives Gespräch zwischen Richelieu und PÀre Joseph. Der Pater fragt darin, ob denn sicher sei, dass Bernhard von Weimar die Festung Breisach nach ihrer Einnahme »vnserm König geben / vnd nicht für sich selber behalten« werde. Die Antwort Richelieus ist vielschichtig: Der Herzog ziehe »Ehr vnd Glory allem Nutzen vor«, der König könne ihn »anderer Orten besser recompensiren«. Zudem werde er die Festung »wider vnsern Willen schwärlich behäupten« können; mit anderen Worten: Ihr Übergang an Frankreich sei sicher. Und schließlich: Habe man Breisach endlich, so könne Frankreich seine »Impresen« am Rhein fortsetzen, »Spania vnd Teutschland separir[en]« und nach dem Kaisertum greifen.117

V.

Fazit

Die Übernahme Breisachs und der umliegenden Plätze, die politische Zugehörigkeit der Gebiete am Rhein wurde selbstredend letztlich machtpolitisch entschieden. Ihre Grundlage, die militärischen Entscheidungen, waren in einem wesentlichen Umfang vom Erfolg oder Misserfolg der Militärversorgung bestimmt. Sie vermochte über das Gelingen eines Feldzuges wie das Überleben von Heereseinheiten insgesamt den Ausschlag zu geben. Es konnte bei Militäraktionen das erfolgversprechendste Mittel sein, den Gegner von seinen geplanten Marschrouten und den damit verbundenen Stützpunkten zur Heeresversorgung zu entfernen.118 Im Falle Breisachs war die Belagerung das Mittel zum Zweck. Dass die Weimarer Truppen sie monatelang aufrechterhalten konnten, spricht dafür, dass in diesem Fall ihre Verproviantierung und Belieferung mit Kriegsmaterial letztlich verhältnismäßig gut funktionierte. Die Katastrophe innerhalb der Festung, die selbst bei den inzwischen kriegsgewohnten Zeitgenossen zu Entsetzen führte, war nicht angestrebt – der Weimarer Herzog kalkulierte mit einer früheren Aufgabe des Kommandanten –, wurde aber in Kauf genommen. Die Bedeutung der Heeresversorgung als essenzieller Bestandteil der Kriegsführung war den Zeitgenossen selbstverständlich. Das Interesse an ›Breisach‹, die Diskussion in der Publizistik wie die ihrer Vorgeschichte der langen Belagerung bzw. Gegenwehr und der immer neuen Verlängerungen des 117 Vgl. Vertrawlich / Freundlich Gespräch / zwischen Herrn Cardinal Richelieu, und P. Joseph seinem Beichtvattern. Von den fürnembsten Kriegsgeschichten / diese zu End lauffenden 1638. Jahres. Allen und jeden bey diesem Krieg interessierten, oder sich interessiert Vermeinenden / zum Bericht und Nachdenken, o. O. 1639. 118 Vgl. Kroener, Routes (wie Anm. 79), S. 91.

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Krieges zeigen somit ein breites Interesse auch an Details der militärischen Auseinandersetzungen und ihren Strukturen. Während das Vertrawlich / Freundlich Gespräch mit der Fiktion spielt und hinter ihr eine tiefere Wahrheit zu enthüllen sucht, beanspruchte die gängige Kriegsberichterstattung, möglichst wahrheitsgetreue Einblicke und Informationen liefern zu wollen. Damit rückte das elementare Problem der Heeresversorgung in den Fokus. Zugleich waren die Berichte von regelmäßig wiederkehrenden Topoi und Deutungsmustern geprägt und dienten wesentlich der Propaganda – und auch darin konnte die Versorgung der Kriegsparteien von Belang sein. Gleichwohl ist dies nicht zu trennen vom Willen, meinungsbildend zu wirken und politisch zu steuern. Vertreten wurden immer Parteistandpunkte. Dabei ist davon auszugehen, dass beim unterschiedlichen Bild, das sich in der deutschen und der französischen Publizistik, hier am Beispiel Breisach, zeigt, auch die unterschiedlichen Vorstellungen von staatlicher Herrschaft, die differenten Verfassungsvorstellungen eine Rolle spielen. Während deutsche Fürsten an Kaiser und Reich gebunden waren, zugleich aber selbständig in ihrer Herrschaft waren – bzw. sein konnten –, war für Frankreich maßgeblich, ob jemand dem König unterstand oder nicht. Diese Unterschiede in der politischen Kultur und Verfasstheit prägten auch die publizistische Verarbeitung des Kriegs am Rhein.

Stephan Kraft

Grimmelshausens Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch, der Krieg am Oberrhein und die Wiederkehr des Ewiggleichen

Denkt man an die Überführung von Kriegserfahrung in die Literatur des deutschen 17. Jahrhunderts, so fällt einem natürlich – und dies nicht zu Unrecht – zuallererst Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen und sein Roman Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch ein. Denkt man aber an eben jenen Simplicissimus, so fallen einem nicht unbedingt auch gleich als Erstes die Landschaften des Oberrheins ein. Gleichwohl spielen diese eine konstitutive Rolle, sowohl für die Handlung als auch für die im Roman vermittelte Sicht auf den Dreißigjährigen Krieg. Letztere herauszuarbeiten, soll mein Ziel sein.

I. Aber was fällt einem denn nun ein, wenn man an den Roman und an die in ihm enthaltene Darstellung des großen Krieges denkt?1 Da wäre an erster Stelle natürlich sein Anfang mit der ebenso eindrucksvollen wie schreckenerregenden Beschreibung der Zerstörung des Bauernhofs im Spessart durch plündernde Soldaten zu nennen. Hier ist der kleine, scheinbar noch namenlose »Bub«, aus dem später Simplicius Simplicissimus werden soll, aufgewachsen und soll – so sagt ihm sein Knan – aufpassen, »daß der Wolff nit kom / und Schada dau / denn he yß a solcher feyerboinigter Schelm und Dieb / der Menscha und Vieha frisst«.2 Das naive Kind, dem sein Ziehvater auch auf Nachfrage nicht weiter erklärt, wie 1 Vgl. allgemein zur Kriegsdarstellung im Roman Italo Michele Battafarano, Simpliciana Bellica. Grimmelshausens Kriegsdarstellung und ihre Rezeption 1667–2006, Bern u. a. 2011; Dieter Breuer, Krieg und Frieden in Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch, in: Der Deutschunterricht 37 (1985), S. 79–101. Als allgemeineren Aufriss vgl. Ferdinand van Ingen, Der Dreißigjährige Krieg in der Literatur, in: Harald Steinhagen (Hrsg.), Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 3: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock. 1572–1740, Reinbek 1985, S. 237–256. 2 ST I, 3, S. 23. Zitiert wird unter der Verwendung der Sigle ST nach Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch, in: ders., Werke in drei Bänden, hrsg. v. Dieter Breuer. Bd. I/1: Simplicissimus Teutsch, Frankfurt/M. 1989, S. 10–551.

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solch ein Wolf wohl konkret aussehen mag, identifiziert nun prompt die reitenden, eisernen Gestalten, die bald darauf auftauchen – diese sowohl ver- als auch im eigentlichen Sinne erkennend – als diejenigen, die für ihn und die Seinen die Rolle der gefürchteten Wölfe einnehmen werden – homo homini lupus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf (Thomas Hobbes).3 Damit ist das erste große Thema des Romans angeschlagen: Der Krieg ruft ein mental nicht zu bewältigendes, die Grenzen des Humanen sprengendes Grauen hervor. Das Kind flüchtet sich davor in ein blankes Nicht- oder groteskes Missverstehen, das bei genauem Hinsehen aber gar nicht so inadäquat ist: Dort, wo Gewalt sinnlos ist, ist auch jeder Versuch vergeblich, ihr eine tiefere Bedeutung abzunötigen. Sie als ein sinnfreies Spiel zu begreifen, ist ebenso adäquat oder besser : inadäquat, wie ihr etwa ein providenzielles oder didaktisches Ziel unterzuschieben. Der Krieg ist demnach weder Strafe noch Prüfung, noch Zeichen der Apokalypse, noch Gelegenheit, seinen Heldenmut zu beweisen, sondern eben einfach nur ›der Krieg‹.4 Fortgeführt wird dieser Modus des radikalen Blicks von außen auf eine von Grund auf unverständliche, von Gewalt getränkte Welt in der hessischen Festung Hanau, in der Simplicissimus zum Hofnarren im Kalbskostüm wird, bei den kroatischen Söldnertruppen, in deren Hände er anschließend fällt, und schließlich im kaiserlichen Heerlager des Jahres 1636 vor Magdeburg. Eine gewisse Wende tritt ein, als es die Titelfigur des Romans bald darauf nach Westfalen verschlägt. Hier wird Simplicissimus Schritt für Schritt vom reinen Opfer und Beobachter zum Akteur eines allerdings höchst seltsamen Krieges an der Peripherie der großen Ereignisse: Als »Jäger von Soest«, wie er im Roman genannt wird, bewegt er sich in einer als weitgehend friedlich und prosperierend gezeichneten Landschaft, fängt gegnerische Konvois ab, zieht auf Fourage und macht seine Beute wundersamerweise, ohne dafür besonders zur Gewalt gegen die Zivilbevölkerung greifen zu müssen.5 Insgesamt erscheint der westfälische Schauplatz als ein leicht surrealer Abenteuerspielplatz des Krieges, auf dem vor 3 Thomas Kossert weist zudem darauf hin, dass kroatische Truppen, die den Ruf hatten, besonders grausame Fouragierer zu sein, häufig einen Wolf auf ihrem Banner abgebildet hätten. Dieser Zusammenhang könnte Lesern bei Erscheinen des Romans durchaus noch präsent gewesen sein. Vgl. Thomas Kossert, »daß der rothe Safft hernach gienge«. Die Darstellung von Gewalt bei Grimmelshausen und in Selbstzeugnissen des Dreißigjährigen Krieges, in: Simpliciana 31 (2009), S. 75–84, hier S. 84. 4 Zum Tun der Soldaten als einem sinnfreien ›Spiel‹ vgl. Andreas Merzhäuser, Über die Schwelle geführt. Anmerkungen zur Gewaltdarstellung in Grimmelshausens Simplicissimus, in: Markus Meumann, Dirk Niefanger (Hrsg.), Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 65–82, hier S. 78. Vgl. allgemeiner zur mehrfachen Perspektivierung des Romaneingangs auch Battafarano, Bellica (wie Anm. 1), S. 45–57. 5 Vgl. hierzu bereits Michael Kaiser, Der Jäger von Soest. Historische Anmerkungen zur Darstellung des Militärs bei Grimmelshausen, in: Peter Heßelmann (Hrsg.), Grimmelshausen und Simplicissimus in Westfalen, Bern u. a. 2006, S. 93–118, hier S. 105–107.

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allem Anekdoten produziert, Goldschätze gefunden und junge Männer durch List mit Offizierstöchtern verkuppelt werden. Mit der historischen Realität der Gegend um Soest und Dortmund, in die es den historischen Grimmelshausen in den Jahren 1636 bis 1638 im Alter von etwa 14 bis 16 Jahren als Pferdejunge in der kaiserlichen Armee des Grafen Johann von Götzen verschlagen hat, hat dies alles kaum etwas zu tun. Das idyllische Soest des Romans ist in der geschichtlichen Wirklichkeit eine Stadt, in der gehungert und gefroren wird.6 Deutlich wird spätestens hier, dass der Roman in seiner Chronologie zumindest grob den realen Bewegungen des jungen Grimmelshausen durch Deutschland folgt und auch immer wieder eine recht genaue Kenntnis der jeweiligen Lokalitäten erkennen lässt. Die positivistische Forschung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat sich auf diese Angaben gestürzt und buchstäblich jeden im Roman erwähnten Stein umgedreht.7 Das so zuerst gar nicht erwartete Ergebnis bestand nun allerdings darin, dass es sich beim Simplicissimus Teutsch mitnichten um einen schlichten Erlebnisbericht eines naiven ›Bauernpoeten‹ handelt. Auf der einen Seite konnte Grimmelshausen immer wieder nachgewiesen werden, dass er bestimmte Dinge, die er seinem Romanhelden zugeschrieben hat, de facto selbst gar nicht erlebt haben konnte. Auf der anderen Seite wurden zahlreiche Bücher identifiziert, aus denen er die verschiedensten Details und manchmal auch ganze Passagen ›übernommen‹ (das heißt oft einfach: wörtlich abgeschrieben) hat. Viel stammt aus der Piazza Universale von Tommaso Garzoni,8 mehr noch aus zahlreichen anderen Quellen. Berühmt geworden ist die höchst eindrückliche Beschreibung der Schlacht von Wittstock,9 die Grimmelshausen, obwohl er möglicherweise sogar selbst an ihr teilnahm, weitestgehend aus Martin Opitz’ Übersetzung von Philip Sidneys Renaissanceroman Arcadia montiert hat.10

6 Vgl. Gerhard Köhn, Soest und die Soester Boerde in den kriegerischen Auseinandersetzungen 1543–1648, in: Ellen Widder (Hrsg.), Soest. Geschichte der Stadt, Bd. 3: Zwischen Bürgerstolz und Fürstenstaat. Soest in der Frühen Neuzeit, Soest 1995, S. 687–864. 7 Zentral steht hierfür Gustav Könnecke, Quellen und Forschungen zur Lebensgeschichte Grimmelshausens. Bd. 1: Grimmelshausens Leben bis zum Schauenburgischen Schaffnerdienst, Weimar 1926. 8 Vgl. Thomas Garzoni, Piazza Universale. Teilfaksimile der dt. Ausgabe Frankfurt/M. 1659, Nürnberg 1962. 9 Vgl. ST II, 27, S. 215f. 10 Vgl. dazu Hans Geulen, Arcadische Simpliciana. Zu einer Quelle Grimmelshausens und ihrer strukturellen Bedeutung für seinen Roman, in: Euphorion 63 (1969), S. 426–437.

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II. Dieses Vorgehen steht nun insgesamt in einem gewissen Spannungsverhältnis zu einer Reihe von innerfiktionalen Ankündigungen und Kommentaren zur Erzählweise, in denen ausgerechnet die Kategorie der eigenen Erfahrung und des singulären Erlebnisses hervorgehoben wird. In Grimmelshausens Erstlingswerk, einem moralistischen Traktat mit dem Titel Der satyrische Pilgram aus dem Jahr 1666, heißt es etwa: »Ich gestehe gern / daß ich den hundersten Theil nicht erzehlet / was Krieg vor ein erschreckliches und grausames Monstrum seye / dann solches erfordert mehr als ein gantz Buch Papier / so aber in diesem kurtzen Wercklein nicht wohl einzubringen wäre / Mein Simplicissimus wird dem günstigen Leser mit einer andern und zwar lustigern Manier viel Particularitäten von ihm erzehlen«.11

Zentral erscheint hier, dass der Krieg nun gerade nicht in Allgemeinaussagen zu fassen und zu resümieren sei. Es sind also keine Überblicke über Kriegszüge, Eroberungen, Opferzahlen oder sonstige Hinweise entscheidend, die möglichst viele Personen zugleich betreffen. Stattdessen ist es die eigene, persönliche Erfahrung mit »viel Particularitäten«, die im Mittelpunkt stehen soll und die für die entscheidende Legitimation sorgt. So schreibt Grimmelshausen in seinem Traktat auch ganz ausdrücklich: »Ohne Ruhm zu melden / ich bin ehemalen auch darbey gewesen / da man einander das weisse in den Augen beschaute / kan derowegen wohl Zeugnis geben.«12 Mit derselben Stoßrichtung äußert sich die Figur des alten und weise gewordenen Simplicissimus gegenüber einem Kriegskameraden, dem ebenfalls alten, aber unbelehrbaren Soldaten Springinsfeld, der ihm im achten Teil der simplicianischen Schriften nun seinerseits die Geschichte seines verpfuschten Lebens erzählt. Dabei gleitet dieser, statt sein individuelles Schicksal eng an den Realien nachzuvollziehen, immer wieder in Allgemeinheiten ab, was Simplicissimus als Zuhörer gehörig protestieren lässt: »Simp: fiele ihm in die Rede und sagte / entweder redestu im Schlaf oder wilst wieder aus dem Weg tretten [vom Thema abkommen] / du wilst den Krieg underscheiden [nach allgemeinen Kategorien beurteilen] und vergist abermal deiner eignen Person / sage darvor wie es dir selbst gangen?«13 11 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Satyrischer Pilgram, hrsg. v. Wolfgang Bender, Tübingen 1970, S. 160. Vgl. zur Thematisierung des Krieges in diesem Traktat Breuer, Krieg (wie Anm. 1), S. 81–85. 12 Grimmelshausen, Pilgram (wie Anm. 11), S. 158. 13 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Der seltzame Springinsfeld, in: ders., Werke in drei Bänden, hrsg. v. Dieter Breuer, Bd. I/2: Courasche, Springinsfeld, Frankfurt/M. 1992, S. 154–295, hier Kap. 12, S. 223. Vgl. zu diesem Kontext auch Andreas Merzhäuser, Gestaute Bewegung. Der Krieg als Medium der Erkenntnis in Grimmelshausens Simplicissimus, in:

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Die hier von seinem Gegenüber eingeforderte individuelle Perspektive, die das politische und militärische Ganze und dessen Beurteilung weitgehend außen vor lässt, hat Simplicissimus als Ich-Erzähler seiner eigenen Lebensgeschichte tatsächlich über weite Strecken eingehalten, wenn diese auch oftmals eine erfundene ist, die mit der seines Autors nur in einem losen Zusammenhang steht. Doch ist es ja gerade nicht die Frage nach der Differenz zwischen dem Autor auf der einen und dem Ich-Erzähler auf der anderen Seite, die über die Vertrauenswürdigkeit des Letzteren entscheidet. Das gilt natürlich erst recht für den weitergefassten simplicianischen Romanzyklus insgesamt. Zusätzlich zu den ersten sechs Teilen, in denen Simplicius Simplicissimus selbst vom Lauf seines Lebens berichtet, gehören dazu noch vier weitere mit anderen Ich-Erzählern.14 Ins Zentrum rückt dabei stets die Frage nach der inneren Stimmigkeit der Darlegungen – also dem Verhältnis zwischen dem fiktionsintern rekonstruierbaren Erleben der Ich-Erzähler und dem, was sie davon berichten. Doch auch um eine solche innere Kohärenz, die man hierbei erhoffen mag, steht es keinesfalls immer gut. Am deutlichsten werden die Verformungen bei den Ich-Erzählern des siebten Teils, der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche,15 sowie des achten Teils, des bereits erwähnten Seltzamen Springinsfeld.16 Beide stecken innerlich noch mitten in der Welt des Krieges, als sie von ihm erzählen. Ihren faktischen Erlebnisberichten ist – mit Einschränkungen – zu folgen, ihren Wertungen und ihren persönlichen Schlussfolgerungen daraus, die entweder von Groll und Rachsucht geprägt sind oder die Hoffnung weiterschleppen, dass der Krieg sich in welcher Erscheinungsform auch immer irgendwann doch noch für sie selbst auszahlen wird, hingegen ganz und gar nicht. Sie erweisen sich vor allem in dieser Hinsicht schnell als höchst unzuverlässige Deuter ihres eigenen Seins. Komplexer ist die Lage beim Ich-Erzähler der ersten sechs Teile – also des Hauptromans Simplicissimus Teutsch selbst –, dem ehemaligen »Bub« aus dem Spessart. Er scheint erst einmal aus der Position eines Geläuterten heraus zu berichten, der sich aus der bösen Welt des Krieges zurückgezogen hat. In den ersten fünf Teilen, um die es hier vor allem gehen soll, weil in ihnen der große Hans Petese (Hrsg.), Süß scheint der Krieg des Unerfahrenen. Das Bild vom Krieg und die Utopie des Friedens in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2006, S. 35–50, hier v. a. S. 37f. 14 Vgl. die Ausfaltung dieses Perspektivenpanoramas in Battafarano, Bellica (wie Anm. 1), S. 58–99. Vgl. zum inneren Zusammenhang des Zyklus auch Jörg Jochen Berns, Die ›Zusammenfügung‹ der Simplicianischen Schriften. Bemerkungen zum Zyklus-Problem, in: Simpliciana 10 (1988), S. 301–325. 15 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Trutz Simplex: Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche, in: ders., Werke in drei Bänden, hrsg. v. Dieter Breuer Bd. I/2: Courasche, Springinsfeld, Frankfurt/M. 1992, S. 9–151. 16 Vgl. Grimmelshausen, Springinsfeld (wie Anm. 13).

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deutsche Krieg thematisch im Vordergrund steht, berichtet er aus der Perspektive eines Eremiten auf dem Mooskopf in der Nähe von Offenburg im nördlichen Schwarzwald.17 Eine erste Schlussfolgerung hieraus betrifft schlicht den Ort, von dem aus auf das Geschehene zurückgeblickt wird. Denn es wird deutlich, dass man damit letztlich, ohne dessen zu Beginn der Lektüre gewahr sein zu können, vom ersten Satz des Roman an immer schon am Oberrhein war. Hier ertönt die Stimme, die wir vom ersten Kapitel an hören. Dass dies nicht ohne Bedeutung ist, wird sich zeigen. Eine zweite Schlussfolgerung zielt wieder auf die innere Verfasstheit des Erzählers, zu dem diese Stimme gehört. 1668 erschienen in Nürnberg im Verlag Felßecker die ersten fünf Bücher des Romans, die in die beschriebene Situation auf dem Mooskopf einmünden. Bereits knapp ein Jahr später folgt aber mit der sogenannten Continuatio noch ein sechster Teil, nach dem es die Hauptfigur in ihrer Waldeinsamkeit bald nicht mehr ausgehalten, sie diese wieder verlassen und neue Abenteuer erlebt hat. Hier zeigt sich, dass das am Ende der ersten fünf Bücher vorgeführte Gefühl einer Diesseitsverachtung, das sich vor allem im mehrere Druckseiten umfassenden »Adieu Welt«18 ausdrückt, nicht zuletzt das Ergebnis eines Selbstbetrugs darstellte. Dass es sich gerade bei dieser Stelle wiederum um breit angelegte und fast wörtliche Textübernahmen aus einem Traktat von Antonio de Guevara in der Übersetzung von Aegidius Albertinus handelt,19 macht die Sache nicht glaubwürdiger. Auch Simplicissimus als Erzähler ist also zu misstrauen: Auf den ersten Blick scheint er von der Welt und von dem in ihr herrschenden Krieg bekehrt. Doch ist diese Umkehr eben keine endgültige – und auch er bildet sich eine sehr eigene Sicht der Dinge, konstruiert Teleologien etc. pp. Bekannt ist vor allem die Schlussfolgerung des alten und scheinbar bekehrten Simplicissimus, nach der er 17 Ganz am Ende des fünften Teils wechselt der Erzähler von der Vergangenheitsform ins Präsens: »Begab mich derhalben in eine andere Wildnus / und fienge mein Spesserter Leben wieder an; ob ich aber wie mein Vater seel. biß an mein End darin verharren werde / stehet dahin, ST V, 24, S. 551. In Spannung dazu steht am Ende der ein Jahr später nachgereichten Fortsetzung, der Continuatio, der Hinweis, Simplicissimus habe auf der Kreuzinsel nun seinen Lebensbericht auf Palmblättern niedergeschrieben. Vgl. dazu Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi, in: ders., Werke in drei Bänden, hrsg. v. Dieter Breuer, Bd. I/1: Simplicissimus Teutsch, Frankfurt/M. 1989, S. 553–699, hier S. 677f. Da der Kriegsroman im engeren Sinne mit dem fünften Band endet, nachdem in dessen 22. Kapitel auch bereits der Friedensschluss vermeldet worden ist, will ich mich hier an die erste der beiden möglichen Positionierungen des Erzählers halten. Dass auch der Erzählschluss der Ergänzung keineswegs unproblematisch und einsinnig ist, zeigt eindrücklich Andreas Merzhäuser, Satyrische Selbstbehauptung. Innovation und Tradition in Grimmelshausens Abentheurlichem Simplicissimus Teutsch, Göttingen 2002, S. 220–223. 18 ST V, 24, S. 544–551. 19 Vgl. Antonio de Guevara, Verachtung dess Hoflebens, / vnd Lob des Landtlebens, übers. v. Aegidius Albertinus, 2. Aufl., München: Henricus 1601, Bl. 138–144.

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den Überfall auf den heimatlichen Bauernhof mit all den unschuldig Gequälten geradezu als eine göttliche Notwendigkeit zu rechtfertigen sucht: »Dann lieber Leser / wer hätte mir gesagt / daß ein GOtt im Himmel wäre / wann keine Krieger meines Knans Hauß zernichtet / und mich durch solche Fahung unter die Leut gezwungen hätten […]?«20

Andere – und zwar sowohl Schuldige als auch Unschuldige – wurden demnach malträtiert, damit er selbst schließlich zu Gott findet: eine höchst bemerkenswerte Konstruktion!21 Es ist zu unterstreichen, dass sich der Erzähler hier als eine erkennbar interessengeleitete Figur zeigt, der es vor allem daran gelegen ist, seinen Jetztzustand einer fragilen Bekehrung nachträglich zu legitimieren und zu stützen. Der eigene Lebenslauf soll nach dem Wunsch des Autobiographen auf diesen einen Punkt zulaufen. Ein ähnliches grundsätzliches Bezogensein auf die Erzählsituation auf dem Mooskopf findet sich auch bei den westfälischen Passagen: Obwohl Simplicissimus als der »Jäger von Soest« immer wieder reiche Beute macht, bleibt ihm der Aufstieg in der Hierarchie der Armee konsequent verwehrt. Zwar wird ihm für seine Leistungen wiederholt ein Kommando, also ein »Fähnlein« angekündigt, doch werden diese Zusagen nie eingehalten. Er hat keine förderlichen Beziehungen zu Höhergestellten, wird von seiner Umgebung kontinuierlich ausgenutzt und mit Versprechungen bei der Stange gehalten.22 Nach dem Blick von außen durch die Augen des Kindes und des Narren auf den Schrecken des Krieges ist das große Thema dieser westfälischen Passagen die vergebliche Hoffnung, sich den Krieg selbst dienstbar zu machen. Jeder temporäre Erfolg, der weitere Bemühungen anstachelt, verbleibt allerdings im Anekdotischen. Die Beförderung findet nicht statt, ein gefundener Schatz zerrinnt im Nichts, und die geheiratete Offizierstochter stirbt gleich im ersten Kindbett. Der Erzähler – so ließe sich hier zusammenfassen – erzählt zwar durchaus von seiner schrittweisen Wandlung zum Täter, inszeniert sich dabei aber auch weiterhin vor allem als ein Opfer der Verhältnisse.

III. Dies etwa ist die Situation, als sich der Erzählschwerpunkt erneut verlagert. Der erste Teil spielt im hessisch-mitteldeutschen Raum, der zweite in Westfalen, der dritte Teil, der die Bekehrung von Simplicissimus zu einem so nicht ganz rich20 ST I, 4, S. 27. 21 Pointiert zur ausgestellten Unangemessenheit solcher Schlussfolgerungen des Erzählers äußert sich Merzhäuser, Schwelle (wie Anm. 4), v. a. S. 71f. 22 Vgl. Kaiser, Jäger (wie Anm. 5), S. 96.

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tigen Eremiten vorbereitet, hat nun endlich den Oberrhein, etwa zwischen Philippsburg bei Karlsruhe und der Schweizer Grenze, zum Schauplatz. Auch die Handlung kommt jetzt also am Ort des Erzählens an – der Oberrhein ist damit von nun an im Text gleich doppelt präsent: ein Anlass, die Linse noch einmal schärfer zu stellen. Dafür sollen zuallererst die Orte, die in der Folge in Realität und Fiktion zu durchmessen sind, konkreter bezeichnet werden. Wiederum entspricht die Verlagerung des Schauplatzes grosso modo der Bewegung des historischen Grimmelshausen durch Deutschland, und wiederum ist dies nur sehr eingeschränkt auf die konkrete Handlungsebene des Romans herunterzubrechen. Grimmelshausen zieht 1638 mit dem Leibdragonerregiment von Graf Johann von Götzen von Westfalen aus an den Oberrhein. Hier soll für die Kaiserlichen der Vormarsch von Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar gestoppt werden, der im März und im April dieses Jahres bereits Rheinfelden und Freiburg erobert hatte. Von Götzen soll das nun ebenfalls bedrohte Breisach entsetzen, was ihm allerdings nicht gelingt. Grimmelshausen wechselt nach der daraufhin erfolgten Absetzung seines erfolglosen Befehlshabers 1639 zum Regiment des Reichsfreiherrn Hans Reinhard von Schauenburg und wird in Offenburg in Garnison gelegt. Hier bleibt er dauerhaft und arbeitet sich vom einfachen Musketier zum Schreiber in der Regimentskanzlei und schließlich zum Regimentssekretär hoch, nimmt kurz vor Kriegsende noch an einem Feldzug in Bayern und in der Oberpfalz teil, geht dann im Zuge des Friedensschlusses in der Gegend um Offenburg in die Zivilverwaltung und arbeitet bis zu seinem Tod 1676 unter anderem an verschiedenen Orten als Schaffner und schließlich als Schultheiß von Renchen. Immerhin 38 seiner rund 55 Lebensjahre verbringt Grimmelshausen also am Oberrhein etwa auf der Höhe von Straßburg – von seinem Eremiten auf dem Mooskopf kaum ein Dutzend Kilometer Luftlinie entfernt. Der Autor kennt sich also in der Gegend bestens aus, in der er den nun folgenden Teil seines Romans ansiedelt. Allerdings gelangt Simplicius Simplicissimus als sein Schatten wieder einmal auf ganz anderen Wegen dorthin. Noch in Westfalen war er als Kaiserlicher von den Protestanten gefangen genommen und im von diesen besetzten »L.«, hinter dem sich wohl Lippstadt verbirgt, interniert worden. Dort wird er mit einer Offizierstochter verkuppelt. Damit er an sein Geld gelangen kann, um seine gerade gegründete Familie zu versorgen, wird ihm in der Folge eine Fahrt nach Köln gestattet, wo er seinen zuvor gefundenen Schatz deponiert hat.23 Dieser ist aber inzwischen veruntreut worden, und der anstehende Prozess zieht sich in eine 23 Leider bleibt dabei die Stadt Köln selbst blass und unspezifisch – es ist einfach nur eine größere Stadt, die Simplicissimus besonders geeignet erschien, um hier Geld in Sicherheit zu bringen.

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nicht absehbare Länge. Um nicht tatenlos herumzusitzen, begleitet Simplicissimus zwei Kavaliere nach Paris, wo er als Opernsänger reüssiert und wo – der Fama der Stadt entsprechend – allerlei erotische Abenteuer auf ihn warten.24 Auf der Rückkehr verliert er wiederum sein in der französischen Hauptstadt mit allerlei Liebesdiensten verdientes Geld – und durch eine Ansteckung mit den Pocken gleich auch seine jugendliche Schönheit dazu. Auf das falsche erotische Paradies Paris folgt die angemessene Bestrafung stehenden Fußes. Nach Deutschland zurückgekehrt, wohin er sich als Quacksalber durchschlägt, gerät Simplicissimus unversehens wieder unter die Soldaten. In Philippsburg nördlich von Karlsruhe wird er zum Militärdienst gezwungen. Das Garnisonsleben ist elend, und vor allem die einfachen Musketiere müssen sich mit allerlei legalen und illegalen Nebentätigkeiten und kleinen Geschäften durchschlagen. Zuerst darf der neue Soldat die Festung nicht verlassen, doch bald erlangt Simplicissimus die Erlaubnis, vor dem Tor Kräuter zu sammeln, die er für seine angeblichen Heilkünste brauchen kann. Was er dort dann aber tatsächlich ›sammelt‹, sind Hasen, die er seinem Obersten bringt, was ihn aus seiner misslichen Lage befreit. Schließlich darf er auch wieder »auf Partey« reiten. Es folgen zwei knappe Anekdoten, die unter anderem zeigen, dass Grimmelshausen die Gegend mitsamt den speziellen Fährnissen des Rheinstroms offenbar sehr genau kennt. So berichtet Simplicissimus von einem Beutezug, bei dem er in den Fluss stürzt und fast den an der entsprechenden Stelle auch tatsächlich vorhandenen Wasserwirbeln zum Opfer gefallen wäre.25 Doch schon bald ist die Zeit in Philippsburg wieder vorbei. Sein alter Freund Hertzbruder, mit dem er vor Magdeburg Bekanntschaft geschlossen hat, trifft überraschend ein, löst ihn aus seiner misslichen Lage aus und versorgt ihn mit Ausrüstung und Pferd. Das ist aber bald zuschanden geritten, woraufhin sich Simplicissimus unter die sogenannten Merode-Brüder begibt, zu denen später noch mehr anzumerken sein wird. Wie auf einer beschleunigten Fahrt auf dem Rad der Fortuna, der diese oberrheinischen Passagen insgesamt gleichen, landet Simplicissimus nach jedem schnellen Aufstieg auch ebenso schnell wieder ganz unten. Alles das, was der Leser aus dem Auf und Ab der bisherigen Kriegsschilderung bereits kennt, wird hier in einer Serie von Wiederholungsschleifen immer nur ganz schnell angerissen und angedeutet. Hier wird nun das erzählerische Grundproblem deutlich, vor dem Grimmelshausen angesichts des Wiedereintritts seines Helden in den Krieg steht und 24 Vgl. hierzu näher Jean Schillinger, Simplicissimi erotische Abenteuer in Paris, in: Simpliciana 31 (2009), S. 161–181; Maximilian Bergengruen, Lässliche Todsünde oder Männerphantasie? Zur Funktion der Luxuria in der Venusberg-Episode des Simplicissimus, in: Simpliciana 32 (2010), S. 83–100. 25 Zu dem von den Rheinwirbeln bedrohten Simplicissimus gibt es in der späteren Ausgabe von 1670 eine Illustration. Vgl. dazu den Bildteil im Apparat zu ST, S. XIII.

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das einen nicht geringen Teil der Schuld an der seltsam und auf den ersten Blick unglücklich anmutenden Struktur einer Antiklimax im Roman trägt. Die sinnlose Grausamkeit des Krieges ist gleich zu Beginn in einer Intensität beschworen worden, die letztlich keinerlei Steigerung mehr zulässt. Die Frage, ob die Geschichte vielleicht doch noch in eine Helden- und Aufstiegserzählung münden könnte, ist im zweiten, westfälischen Teil klar negativ beschieden worden. Was bleibt nun noch, als das Fass immer weiter anzufüllen, bis es endlich wie von selbst überläuft? In der Ökonomie des Romanganzen wäre es dann die Funktion der Präsentation eines langsam anwachsenden Überdrusses, die den Berichten vom Kriegsschauplatz Oberrhein zuzuordnen wäre. Der Dreißigjährige Krieg wird im Abentheurlichen Simplicissimus als ein Zivilisationsbruch dargestellt, dem mit den üblichen Mitteln des historischen oder typologischen Vergleichs nicht beizukommen ist. Er erscheint hier – und darin ist sich die neuere Forschung zum Roman weitgehend einig – insofern als neuartig, als es nicht gelingen mag, seine Schrecken in übergreifende Muster von Verfehlung und Buße, sowie Prüfung und Belohnung einzuordnen. Er bekommt das Signum des Unvergleichbaren und fordert damit natürlich auch ein Denken in Epistemen der Ähnlichkeit ganz grundsätzlich heraus.26 Eine solche Singularität des Erlebens, wie sie sich vor allem in den frühen Partien des Romans ausdrückt, in denen all diese Schrecken erstmals und damit mit einer ganz besonderen Dringlichkeit auftauchen, gerät notwendigerweise in ein Spannungsverhältnis zu den Kategorien der Dauer und der Wiederholung. Die Gefahr eines Rückfalls in eine summarische und damit tendenziell vom konkreten eigenen Erleben und Tun wiederum ablenkende Darstellung, vor der ja schon im Satyrischen Pilgram ausdrücklich gewarnt wurde, liegt hier natürlich besonders nahe. Und tatsächlich entgeht der Roman ihr nicht. Wie vollzieht sich dies nun konkret? Simplicissimus befindet sich unter den bereits erwähnten Merode-Brüdern auf einem absoluten Tiefpunkt seiner Täterkarriere. Jene werden im Roman als eine paramilitärische, strukturell unabhängige Formation präsentiert, die den regulären Truppen und dem Kriegslauf folgen und in diesem Umfeld vor allem rauben, morden und brandschatzen.27 Der Titelheld ist also genau an dem Punkt wieder angekommen, an dem er ganz zu Anfang des Romans in das Kriegsgeschehen hineingeschleudert worden war. Jetzt befindet er sich allerdings auf der anderen Seite. Er ist es nun, der die Position des räuberischen Wolfes einnimmt. Allerdings wird die daraus resultierende erzählerische Möglichkeit, die beiden Passagen zu Beginn und im bereits fortgeschrittenen Roman intensiv aufeinander zu beziehen, keinesfalls ergriffen. Vielmehr bleibt das ›wölfische‹ 26 Vgl. dazu Merzhäuser, Schwelle (wie Anm. 4), S. 65–67. 27 Vgl. ST IV, 13, S. 396–400.

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Dasein, das der Bekehrung zum Eremiten als sein extremer Gegenpol vorausgeht, in Simplicissimus’ Selbstdarstellung recht fragmentarisch. Zudem wird es in einem Modus dargestellt, das der romaninternen Anweisung, vor allem vom persönlichen Erleben im Krieg zu berichten, eigentlich genau entgegensteht. Wir erfahren zwar einiges über das allgemeine Wesen und Treiben der MerodeBrüder, aber fast nichts über das individuelle Tun der Hauptfigur. Fast ein ganzes Kapitel lang werden deren ruchlose Verbrechen aufgefaltet, bevor es – bezogen auf das konkrete Ich des Erzählers – lediglich so lapidar wie ironisch heißt: »Ein solcher ehrbarer Bruder nun war ich damals auch / und verbliebs biß den Tag vor der Wittenweyrer Schlacht […] / denn als ich damals mit meinen Cameraden in das Geroltzeckische gieng / Kühe oder Ochsen zu stehlen / wie unser Gewonheit war / wurde ich von den Weymarischen gefangen / die uns viel besser zu tractiren wusten / denn sie luden uns Mußqueten auff / und stiessen uns hin und wieder unter die Regimenter«.28

Kaum ist er unter den Merode-Brüdern als den ruchlosen Tätern par excellence angekommen, wechselt Simplicissimus gleich wieder auf eine eindeutig zu identifizierende Opferseite und wird erneut zum Militärdienst gepresst. Seine doppelte Existenz – nicht nur als ein kaiserlicher Soldat aus Soest, sondern auch als ein protestantischer Ehemann aus Lippstadt – hilft ihm aber immerhin, den nun anstehenden Schanzarbeiten bei der Belagerung von Breisach zu entkommen. Er erhält durch Fürsprache seines Schwiegervaters einen Pass für eine Reise zurück nach Westfalen. Das steile Auf und Ab – häufig auf kaum einer Druckseite zusammengedrängt – geht also weiter. Auf seiner Wanderung gen Norden trifft er – immer noch im Schwarzwald – auf einen weiteren alten Bekannten aus dem Lager vor Magdeburg: Olivier, der hier wie schon bei seinem ersten Auftreten im Roman als ein ins absolut Negative verzerrtes Spiegelbild von Simplicissimus gezeichnet ist. Aus seiner Waldeinsamkeit heraus führt er einen Kleinkrieg auf eigene Rechnung, mit dem er seine Umgebung terrorisiert, gleichsam als ein Merode-Bruder ganz für sich allein. Simplicissimus, der prompt in seine Hände fällt, verschont er allerdings, weil ihm früher einmal eine Weissagung diesen als den Rächer seines eigenen Mörders bestimmt hat. Statt ihn auszurauben und zu töten versucht er, ihn zu seinem Komplizen zu machen. Hier findet sich nun ein weiterer Modus, mit dem der zurückblickende Eremit auf dem Mooskopf das eigene Fehlverhalten zwar keineswegs rundheraus leugnet und noch nicht einmal wirklich beschönigt, so aber doch durch eine Perspektivverschiebung merklich relativiert. Denn der wirklich Böse ist hier der seine ruchlose Lebensgeschichte in einer sich über mehrere Kapitel erstreckenden Binnenerzählung entfaltende Olivier. Pointiert 28 ST IV, 13, S. 400.

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findet sich dies bereits in der Überschrift des 17. Kapitels des vierten Romanteils: »Simplicii Gedancken sind andächtiger / wenn er auff die Rauberey gehet / als deß Oliviers in der Kirchen.«29 In dem Moment, in dem er selbst auf einem Tiefpunkt ankommt, zeigt der Erzähler also mit einem Finger auf einen noch tiefer in der Sünde Steckenden. Olivier stirbt bald darauf im Kampf mit einigen Soldaten. Simplicissimus hingegen kann mit dem Geld, das jener bei seinen Raubzügen zusammengerafft hat, nach Villingen entkommen. Dort trifft er erneut auf Hertzbruder – sein weiter oben bereits angeführtes anderes Double im Roman –, der bei der vergeblichen Verteidigung Breisachs tatsächlich mitgemacht und eine Verletzung davongetragen hat. Und weil dieser ein entsprechendes Gelübde abgelegt hat, unternehmen beide zusammen eine Wallfahrt nach Einsiedeln in der Schweiz, die hier – und dies in zeitgenössisch durchaus origineller Form – nicht so sehr als ein raues und von wilden Bergbewohnern bevölkertes Land, sondern vielmehr als ein friedlicher und prosperierender Kontrast zum verwüsteten Reich präsentiert wird: »Das Land kame mir so frembd vor gegen andern Teutschen Ländern / als wenn ich in Brasilia oder in China gewesen wäre / da sahe ich die Leute in dem Frieden handlen und wandlen / die Ställe stunden voll Viehe / die Baurn-Höf lieffen voll Hüner / Gäns und Endten / die Strassen wurden sicher von den Räisenden gebraucht / die Wirthshäuser sassen voll Leute die sich lustig machten / da war gantz keine Forcht vor dem Feind / keine Sorg vor der Plünderung / und keine Angst / sein Gut / Leib noch Leben zu verlieren / […] also daß ich dieses Land for ein irdisch Paradis hielte / wiewoln es von Art rauch genug zu seyn schiene. Das machte / daß ich auff dem gantzen Weg nur hin und her gaffte / wenn hingegen Hertzbruder an seinem Rosenkrantz betete«.30

Simplicissimus’ Andacht hält sich, wie sich hier bereits andeutet, in Grenzen: Als Hertzbruder darauf besteht, die Pilgerreise zu Fuß und mit Erbsen in den Schuhen zu unternehmen, kocht er diese zuvor. Eine Teufelsbeschwörung, der er beiwohnt, jagt ihm zwar einen gehörigen Schrecken ein, doch auch dies führt zu keiner wirklichen, dauerhaften Wende in seinem Verhalten. Die konkrete Verstrickung des Protagonisten in die zeitgenössischen Kriegsereignisse am Oberrhein endet mit dieser kurzen Reise in die angrenzende Schweiz. Ein erneuter, nur knapp angerissener Kriegseinsatz findet weiter im Osten statt und schließt entgegen der Romanchronologie, nach der man sich 29 ST IV, 17, S. 410. 30 ST V, 1, S. 449; vgl. dazu und zu den Differenzen zum zeitgenössisch verbreiteten Bild von der Schweiz Rosmarie Zeller, Die Schweiz ein »irdisch Paradies« oder eine närrische Welt? Schweiz und Schweizer im Simplicissimus und den Simplicianischen Schriften, in: Simpliciana 18 (1996), S. 165–180, hier v. a. S. 171–173. Vgl. auch Rosmarie Zeller, Dokumentation zur Ausstellung in der Universitätsbibliothek Basel: »als dass ich dieses Land für ein irdisch Paradies hielte«. Grimmelshausen, der Krieg am Oberrhein und die Schweiz, Basel 2012.

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erst im Jahr 1640 befindet, mit der Schlacht bei Jankau im Jahr 1645. Simplicissimus kehrt bald darauf an den Oberrhein zurück, erlebt einige Possen an einem Saurbrunnen genannten Kurort, erfährt, wer seine wirklichen Eltern waren, unternimmt eine lange Reise ins Ausland und zieht sich nach seiner Rückkehr schließlich in derselben Gegend in die Einsamkeit zurück.

IV. Doch ist mit diesem Ende der Thematisierung konkreter, hier zu lokalisierender Kampfereignisse die Verbindung von Oberrhein und Krieg im Simplicissimus und in seinen Sprossgeschichten noch keinesfalls endgültig gelöst – sie transformiert sich vielmehr. Der Oberrhein erscheint jetzt und in der Folge weniger als diejenige Gegend, in der die Ereignisse selbst stattfinden, sondern vielmehr als der privilegierte Ort, an dem Geschichten vom Krieg erzählt werden. Dies gilt nicht nur für Simplicius selbst, der seine Erlebnisse als Eremit auf dem Mooskopf Revue passieren lässt, sondern eben auch für die anderen Binnenerzähler und die Ich-Erzähler der eingelassenen und der auf den Hauptroman folgenden Berichte. Simplicissimus’ Judasbruder Olivier, der zum Straßenräuber geworden ist, erzählt ihm die Geschichte seines durch und durch verruchten Lebens auf dem Turm einer verlassenen Kirche im Südschwarzwald. Ebenfalls im Schwarzwald diktiert die verstockte Sünderin Courasche ihren Bericht, demzufolge sie nach einem Leben im Tross verschiedenster Heere am Ende unter die Zigeuner gefallen ist. Und auch der unverbesserlich auf seinen Gewinn hoffende Kriegskrüppel Springinsfeld berichtet von seinen Erlebnissen in einer Herberge in Straßburg.31 Der Oberrhein ist im Abentheurlichen Simplicissimus Teutsch und in den sich daran anschließenden weiteren simplicianischen Schriften also nicht nur und ganz allgemein einer der zahlreichen Orte des Krieges selbst, sondern darüber hinaus und sehr spezifisch derjenige Ort, von dem aus man auf sein Leben im Krieg zurückblickt. Und dieser Krieg findet vor allem in den Figuren selbst nicht zum Ende. Sowohl bei Courasche als auch bei Springinsfeld ist dies ganz offensichtlich der Fall. Sie kommen aus dem Krieg nicht heraus und bleiben als Personen auch nach seinem faktischen Ende noch in ihn verstrickt. All ihr aktuelles Tun und Trachten richtet sich auf das im Krieg Erlittene hin aus. Dies scheint beim Simplicissimus in seiner Rolle als Eremit auf dem Mooskopf – der ja aus einer Position der Läuterung zurückzublicken und eine Art Beichte abzulegen scheint – erst einmal nicht der Fall. Aber auch bei ihm ist der 31 Vgl. zu diesem Setting Dieter Breuer, Grimmelshausen und Straßburg, in: Simpliciana 22 (2000), S. 313–329, hier S. 315f.

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Krieg bei näherem Hinsehen, wie gezeigt wurde, ein persönlich dann doch noch längst nicht verarbeitetes Ereignis. Besonders deutlich wird dies in den Schwierigkeiten, die ausgerechnet dann auftreten, wenn der Ort des Berichts und der Ort des Berichteten eben im oberen Rheinland zur Deckung kommen. Hier soll er von einem Immer-Weiter eines Krieges erzählen, der auch in ihm selbst immer weiter geht: Dass die Darstellung auf die oben beschriebenen Probleme stößt, dass der Erzähler ausweicht, ablenkt und sein Bericht dabei die Prägnanz des Konkreten verliert, die von Grimmelshausen selbst eingefordert wird und die er zu Beginn ja durchaus gehabt hat, ist vor diesem Hintergrund kaum verwunderlich. Dieses Negativergebnis, das erst einmal dazu geeignet erscheint, dem hier fokussierten Teil des Romans ein nicht ganz so gutes Zeugnis auszustellen, steht aber nicht für sich allein. Denn zugleich hat die Darstellung genau hieraus – also aus einem nicht zu einem Ende findenden Erleben – ja zuallererst ihre Motivation gewonnen. Die Kriegs- und Nachkriegssituation am Oberrhein ist hier also paradoxerweise erster Anlass und zentrales Hindernis des Romans zugleich. Und dass das Eremitendasein auf dem Mooskopf dann im sechsten, separat veröffentlichten Teil des Romans bald wieder brüchig und dann auch vollständig aufgehoben wird, ist auf dieser Grundlage ebenfalls nur konsequent. Gleichwohl liegt gerade hier aber auch die Andeutung eines Auswegs aus dem Dilemma: Nach einem Umweg über das Exil auf der Kreuzinsel mitsamt einem dort lokalisierten weiteren Versuch, der bösen Welt und ihrer Gesellschaft ein solipsistisches Alternativmodell entgegenzuhalten, kehrt Simplicissimus erneut nach Deutschland und konkret auch wieder an den Oberrhein zurück. Dabei sucht er den Umgang mit der Vergangenheit fortan nicht mehr in retrospektiven Monologen, sondern vielmehr in offenen, dialogischen Gesprächsrunden, wie sie etwa ansatzweise bereits im Seltzamen Springinsfeld, angedeutet und im späteren Dialogessay Rathstübel Plutonis32 aus dem Jahr 1672 in weiterer Ausprägung vorgeführt werden.

V. Die Probleme, um die meine Ausführungen kreisten, haben nur sehr bedingt mit möglichen Besonderheiten des realen Dreißigjährigen Krieges am Oberrhein selbst zu schaffen. Sie hätten auch in zahlreichen anderen Regionen lokalisiert 32 Vgl. Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Rathstübel Plutonis, in: ders., Werke in drei Bänden, hrsg. v. Dieter Breuer, Bd. I/2: Courasche, Springinsfeld, Frankfurt/M. 1992, S. 651–742. Vgl. zur These, dass dieser Text den Nukleus eines positiven Gegenentwurfs bildet, v. a. den Schluss von Conrad Wiedemann, Zur Schreibsituation Grimmelshausens, in: Daphnis 5 (1976), S. 707–732.

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werden können. Um den Kreis gleichwohl versuchsweise zu schließen, will ich hier etwas tun, womit Literaturwissenschaftler zu Recht immer sehr zurückhaltend sind, und diesen Umstand auf die spezielle Situation des Verfassers dieser Romane zurückbeziehen. Denn auch Grimmelshausen hat in Analogie zu seinen Romanfiguren schließlich am Oberrhein erzählt. Hier lebte er, als er rund 20 Jahre nach Kriegsende seine Bücher zu schreiben begann. Und auch er hat – wenn man seiner Biographie folgt – seine grellsten Kriegserfahrungen wohl eher an anderen Orten gemacht und sich schließlich im oberen Rheinland in einer Situation etabliert, in der der Krieg nicht mehr die permanente, Leib und Leben unmittelbar bedrohende Katastrophe darstellte, in der er aber doch stets präsent blieb. In dieser Situation wird von einem Krieg erzählt, der de facto ein vergangener zu sein scheint, dies aber für die Betroffenen selbst noch keinesfalls ist. Ähnliches hätte man, wie bereits angedeutet, im deutschen 17. Jahrhundert auch an vielen anderen Orten erleben können. Grimmelshausen hat diese Erfahrungen aber nun einmal in diesem Teil des Reiches gemacht und diese Grundsituation des nicht Endens und des steten Weiterköchelns in seinen deformierten Erzählerfiguren dann auch immer wieder gerade hier angesiedelt. Ob man deswegen nun vom Versuch einer Art Selbsttherapie über das Mittel der Literatur sprechen kann, sei dahingestellt. Aber auch der Verfasser selbst löst sich mit seinem Vorgehen, bei dem immer neue Sprossgeschichten der großen Erzählung vom Krieg immer neuen Erzählern zugeordnet werden, wie seine Figur Simplicissimus sukzessive vom Monolog als der zunächst privilegiert erscheinenden Form, in der der Krieg uns entgegentritt.33 In diesem Fall geschieht dies dadurch, dass im Zyklus selbst nach und nach ein vielstimmiges Konzert von Erzählern inszeniert wird, in dem die Sache des Krieges aus verschiedensten Blickpunkten zur Verhandlung kommt.34 Im zweiten Abschnitt wurde darauf hingewiesen, dass Grimmelshausen die Kategorie der eigenen Erfahrung als Grundlage eines adäquateren Bildes vom Krieg stark gemacht hat. Hier könne man auf Resonanz hoffen, wie es im Satyrischen Pilgram heißt, »dieweil im verwichenen Teutschen Kriege ein ieder genugsam / und zwar mit unwiederbringlichem Schaden / erfahren haben wird / was der Krieg sey.«35 Nach dem erfolgten Durchgang durch die Texte wäre nun in diesem Sinne zu ergänzen, dass das Ganze seine Qualität am Ende weniger dadurch gewinnt, dass nun jeder dieser Erfahrungsberichte für sich genommen Authentizität beanspruchen kann, sondern eher dadurch, dass das Erzählen – so fraglich das Erzählte im jeweils konkreten Einzelnen ausfallen mag – doch im33 Zur Brüchigkeit dieses Modells vgl. bereits den zweiten Abschnitt des vorliegenden Beitrags und grundlegend nochmals Merzhäuser, Schwelle (wie Anm. 4). 34 Vgl. dazu Battafarano, Bellica (wie Anm. 1), S. 58–99; Merzhäuser, Selbstbehauptung (wie Anm. 17), S. 228–230. 35 Grimmelshausen, Pilgram (wie Anm. 11), S. 156.

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merhin weiteres Erzählen anregt und damit die entscheidende, dialogische Ebene des Sprechens über das individuell nicht zu Verarbeitende initiiert wird. Aber wie kommt – so soll abschließend gefragt werden – eigentlich ein solcher Krieg, der in den hier in den Blick genommenen simplicianischen Schriften so deutlich unter dem Signum des Nicht-Endens steht, selbst zu seinem Ende? Die Antwort hierauf ist mindestens eine doppelte. Erst einmal ist unklar, ob ein solches Ende überhaupt noch angestrebt wird – und wenn ja, von wem. Zu Beginn des fünften Buches kommt Simplicissimus auf dem Weg vom Oberrhein nach Lippstadt durch Köln und trifft dort auf einen alten Bekannten. Schon in seiner Zeit in Westfalen war ihm eine halb reale, halb mythische Figur begegnet, die sich selbst als Jupiter bezeichnete und ankündigte, bald über einen »Teutschen Helden« eine große Ratsversammlung einzuberufen, in der die Regeln für das zukünftige friedliche Zusammenleben der Menschen festgelegt werden sollten.36 Diese Regeln würden dann anschließend zum Nutzen aller mit diktatorischer Gewalt umgesetzt. Wer sich verweigerte, würde unbarmherzig niedergemacht und müsste sterben. Jupiter hat nun tatsächlich angefangen, sich bei den Menschen selbst nach ihren Vorstellungen von einer friedlicheren Zukunft umzuhören. Die Ergebnisse sind ernüchternd: »Weil ich [Simplicissimus] nun wuste / wie man diesem Gott lausen muste / wann man ihn recht stimmen wolte/ sagte ich: Ach grosser Gott / es seuffzet aber alle Welt nach dem Frieden / und versprechen ein grosse Besserung / warumb woltest du ihnen dann solchen noch länger verweigern können? Ja / antwortete Jupiter, sie seuffzen wol / aber nit meinet- sondern ihrentwillen; Nicht / daß jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum Gott loben / sondern daß sie deren edle Früchten mit guter Ruhe / und in allem Wollust geniessen möchten; Jch fragte neulich einen grindigen Schneider / ob ich den Frieden geben solte? Aber er antwortet mir / was er sich drumb geheye / er müsse so wol zu Kriegs- als Friedenszeiten mit der stählernen Stange fechten: Ein solche Antwort kriegte ich auch von einem Rothgiesser / der sagte / wenn er im Frieden keine Glocken zu giessen hätte / so hätte er im Krieg genug mit Stücken und Feuermörseln zu thun. Also antwortet mir auch ein Schmid / und sagte / habe ich keine Pflüg und Bauren-Wägen im Krieg zu beschlagen / so kommen mir jedoch genug Reuter-Pferd und Heer-Wägen unter die Händ / also daß ich deß Friedens wol entberen kan. Sihe nun lieber Mercuri, warumb solte ich ihnen dann den Frieden verleyhen? Ja / es sind zwar etliche die ihn wünschen / aber nur wie gesagt / umb ihres Bauchs und Wollust willen; hingegen aber sind auch andere / die den Krieg behalten wollen / nicht zwar weil es mein Will ist / sondern weil er ihnen einträgt; Und gleich wie die Mäurer und Zimmerleut den Frieden wünschen / damit sie in Aufferbauung der eingeäscherten Häuser Geld verdienen / also verlangen andere / die sich im Frieden mit ihrer Hand-Arbeit nicht zu ernehren getrauen / die Continuation deß Kriegs / in selbigem zu stehlen.«37

36 Vgl. v. a. ST III, 3–5, S. 252–263. 37 ST V, 5, S. 463f.

Grimmelshausens Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch

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Die große Frage nach dem Frieden in der Welt geht hier im Durcheinander kleiner und kleinster Partikularinteressen verloren. Die Menschen haben sich im Krieg eingerichtet, so wie sie sich in den allermeisten denkbaren Umständen analog eingerichtet hätten. Die letzte Strafe, die Jupiter verbleibe, nachdem er ihnen zur Warnung Teuerung, Krankheit und Tod geschickt habe, sei nun nur noch, dass er sie einfach »im Krieg hocken lasse[]«.38 Aber irgendwann – und hier folgt nun der zweite Teil der Antwort – geht jeder Krieg einmal zu Ende. Nur merkt man es im Roman erst einmal nicht, denn Simplicissimus befindet sich zu diesem Zeitpunkt gar nicht in Deutschland, sondern auf einer großen Reise durch Russland und Asien. Nachdem man längst aufgegeben hat, in ein Ende des Krieges wirkliche Hoffnung zu setzen, wird dessen reales Eintreten nachträglich und dabei so beiläufig wie irgend denkbar registriert: »Jch war drey Jahr und etlich Monat auß gewesen / in welcher Zeit ich etliche unterschiedliche Meer überfahren / und vielerley Völcker gesehen […]; Jn dessen war der Teutsche Fried geschlossen worden / also daß ich bey meinem Knan in sicherer Ruhe leben konte«.39

Das Kriegsende selbst bleibt im Roman also fast unbemerkt; es gibt keine Freudenbekundungen, keine Friedensfeiern und keine neuen großen Pläne, wie nun alles anders und besser zu machen wäre. Simplicissimus bleibt seinem fundamentalen Pessimismus treu, den er im Zuge seiner Erlebnisse erworben hat. Folgerichtig verlässt er die Welt und die Menschen kaum ein Kapitel später und zieht sich resigniert in die Einsamkeit des Waldes auf dem Mooskopf am Oberrhein zurück – zumindest vorläufig.

38 ST V, 5, S. 463. 39 ST V, 22, S. 542.

Guillaume van Gemert

Das Dutch miracle und sein publizistisches Umfeld. Zum Widerhall der niederländischen Kriege des langen 17. Jahrhunderts in deutschen und niederländischen Flugschriften der Zeit

I.

Einleitung: Das Dutch miracle

Mit dem Utrechter Frieden gingen für die nordniederländische Republik nahezu anderthalb Jahrhunderte dicht gehäufter kriegerischer Auseinandersetzungen zu Ende:1 Von 1568 an war in einem achtzigjährigen Ringen, wenn auch mit wechselnder Intensität, die Loslösung von der spanischen Krone erkämpft und die Eigenstaatlichkeit realisiert worden, die letztendlich 1648 auch völkerrechtlich anerkannt wurde. Auf vier Jahrzehnte erstreckte sich dann das kontinuierliche Gerangel mit dem Frankreich Ludwigs XIV., das 1672 mit dessen Einfall in die Republik einsetzte und im Grunde erst im Friedensjahr 1713 endete. In die statthalterlose Zeit dazwischen, nach dem frühen Tode Wilhelms II., 1650, und vor der Einsetzung Wilhelms III. zum Oberbefehlshaber der staatischen Truppen, 1672, fallen, 1652 bis 1654 und 1665 bis 1667, zwei Kriege gegen das England Cromwells bzw. Charles’ II. Paradoxerweise markiert diese Zeit der extremen Kriegsdichte auch die Epoche der höchsten Kulturblüte sowie des größten politischen Gewichts der jungen Republik: Mit dem Ende des zwölfjährigen Waffenstillstands, 1621, setzte der Aufstieg zum Weltmachtstatus, den sich die expandierende Kolonialmacht zu sichern wusste, ein.2 Mit dem Katastrophenjahr (»rampjaar«) 1672 begann der Niedergang sich abzuzeichnen, der mit dem Utrechter Frieden endgültig besiegelt wurde. Ein knappes halbes Jahrhundert hält sich das sogenannte Wunder des niederländischen Goldenen Zeitalters, das Dutch miracle, das Koenraad Swart 1967 in seiner Antrittsrede am Londoner University College hinterfragte.3 1 Zur niederländischen Geschichte der Frühen Neuzeit vgl. Jonathan Israel, The Dutch Republic. Its rise, greatness, and fall 1477–1806, Oxford 1998; Horst Lademacher, Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung, Berlin 1993. 2 Vgl. Arie Theodorus van Deursen, De last van veel geluk. De geschiedenis van Nederland 1555–1702, Amsterdam 2006, hier S. 223–274. 3 Koenraad W. Swart, The miracle of the Dutch Republic as seen in the seventeenth century. An inaugural lecture delivered at University College London 6 November 1967, London 1969.

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Vielleicht sollte man nicht so sehr vom Dutch miracle sprechen, sondern eher vom ›Rätsel‹ der niederländischen Republik, wie Maarten Prak es neulich im Titel seiner Darstellung der Glanzzeit des Gefüges der vereinigten niederländischen Provinzen ansprach.4 Wunder lassen ja den Betrachter in Ehrfurcht erstarren, der Sinn von Rätseln liegt darin, dass sie zur Lösung herausfordern: Wie konnte es sein, dass das kleine Gefüge aus sieben Provinzen, das noch im 15. Jahrhundert vorwiegend agrarisch geprägt war, als die südlichen Niederlande schon blühende Handelszentren kannten, sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten erfolgreich gegen die Weltmacht Spanien durchzusetzen wusste, auf der Grundlage einer rückwärtsgewandten, da um den Erhalt der alten Privilegien bemühten Revolution, und, gleichsam aus dem Nichts, zur finanzmächtigsten sowie kosmopolitischsten Handelsnation der Zeit aufrückte, und zwar als Republik in einer Zeit des fürstlichen Absolutismus, als Hochburg des Partikularismus, während andernorts der Zentralismus groß geschrieben wurde, mit Konsensus als ultima ratio der politischen Kultur und dazu mit einer Verwaltungsstruktur, die geprägt war vom Dualismus, wie er sich aus der Doppelspitze von Statthalter und Landesadvokaten bzw. Ratspensionär ergab; dies alles zudem noch in einer Zeit, dass es – dieses Staatsgefüge der niederländischen Republik – unentwegt von Kriegführung in aller Welt in Anspruch genommen wurde? Gewiss greifen zum Teil immer noch Johan Huizingas Argumente, dass zum einen der immerwährende Kampf gegen das Wasser und die daraus hervorgegangene Vertrautheit mit dem Seemannswesen, das als Handelsfahrt innerhalb oder außerhalb des Hanseverbandes schon in früheren Jahrhunderten einigen Wohlstand gebracht hatte, die erstaunliche Blütezeit der Republik in Zeiten fortwährender Kriegswirren teilweise zu erklären vermag; zum anderen aber auch, dass die Kriege lokal begrenzt waren, sich schwerpunktmäßig verlagerten und vor allem weitestgehend außerhalb des Kernterritoriums der Republik abliefen, drittens der Partikularismus und schließlich das Fehlen einer ernsthaften Konkurrenz in Nord- und Westeuropa.5 Sogar seine Behauptung, dass die Größe der niederländischen Republik im 17. Jahrhundert der Kraft, dem Tatendrang, dem Rechts- und Gerechtigkeitsbewusstsein, der Barmherzigkeit, der Frömmigkeit und dem Gottvertrauen seiner damaligen Bewohner zu verdanken gewesen sei,6 trifft, wie sehr sie auch dem Zeitgeist des Jahres 1941 geschuldet war, 4 Maarten Prak, Gouden Eeuw. Het raadsel van de Republiek, Nijmegen u. a. 2002. 5 Johan Huizinga, Nederland’s beschaving in de zeventiende eeuw. Een schets, in: ders., Verzamelde werken, Bd. 2, Haarlem 1948, S. 412–507, insb. S. 419–421 u. 424–427. Vgl. auch Johan Huizinga, Holländische Kultur im siebzehnten Jahrhundert. Eine Skizze. Fassung letzter Hand mit Fragmenten von 1932, mit einem Nachwort von Bernd Roeck, München 2007. 6 Huizinga, Nederland’s beschaving (wie Anm. 5), S. 507: »Wij Nederlanders weten, dat van het beste wat onzen Staat en ons volk in de zeventiende eeuw groot heeft gemaakt, de kracht, de

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gewissermaßen schon noch zu.7 Allerdings wäre sie dann dahin zu verstehen, dass das damalige kollektive Selbstbild hier förderlich gewesen wäre. Tatsächlich dürften das missionarische Sendungsbewusstsein, zu dem der eine Gründungsmythos der niederländischen Republik, der des zweiten Israel, angeblich verpflichtete, und das Selbstvertrauen, das sich aus dem zweiten, dem der Bataver-Nachfolge, ergab, den Kosmopolitismus, den Handelsgeist und die Freude am Wirtschaftsexperiment, mit in die Wege geleitet haben, die allesamt Anteil an der Blüte der Republik gehabt haben müssen.8 Bei all dem wird der positive Beitrag, den die Kriege, in die die niederländische Republik im langen 17. Jahrhundert verwickelt war, zur Entstehung von deren wirtschaftlicher wie kultureller Hochblüte leisteten, allzu leicht übersehen. Nicht nur das Fernhalten der Kriege vom eigenen Territorium dürfte, wie Huizinga glaubte, den Aufstieg der niederländischen Republik im 17. Jahrhundert mit herbeigeführt haben, der strategische Einsatz des Krieges als solches vermutlich noch weit mehr. Kriege schafften Verbündete und schalteten konkurrierende Mächte aus. Sie lieferten Gebietszuwachs, in Europa wie in Übersee, mit dem dazugehörigen Wirtschaftspotenzial, kurbelten den Handel an und warfen nicht selten riesige Gewinne ab, die auch der Kultur zugute kamen. Kriege konsolidierten, schlossen ein und grenzten ab. Die Republik der Vereinigten Provinzen scheint im Anlauf zum Großmachtstatus, aber auch im Nachklang der Blütezeit, eine ausgeprägte Kriegspolitik betrieben zu haben, die ihr zustatten kam; das machte sie nicht nur mit dem Einsatz von Waffen und durch eine geschickte Wahl von Verbündeten, ohne sich dabei durch Schranken der Konfessionalität behindern zu lassen; sie betrieb ihre Kriegspolitik vor allem wil tot daden, het besef van recht en redelijkheid, de barmhartigheid, de vroomheid en het Godsvertrouwen, ook nu en voor de komende tijden nog niets verloren is«. 7 Huizinga überarbeitete die Schrift, die ursprünglich den Niederschlag darstellte von drei Vorträgen, die im Januar 1932 am Deutsch-Niederländischen Institut in Köln gehalten worden waren, und seitdem in deutscher Sprache – Johan Huizinga, Holländische Kultur des siebzehnten Jahrhunderts. Ihre sozialen Grundlagen und nationale Eigenart, Jena 1933 – vorlag, im Jahre 1941 gründlich und funktionierte sie gewissermaßen zum »Manifest des Widerstandes« gegen die deutsche Besetzung der Niederlande um. Vgl. dazu u. a. Bernd Roecks Nachwort in Huizinga, Kultur (wie Anm. 5), S. 203–205; außerdem Anton van der Lem, Het eeuwige verbeeld in een afgehaald bed. Huizinga en de Nederlandse beschaving, Amsterdam 1997, insb. S. 213–220; Christian Krumm, Johan Huizinga, Deutschland und die Deutschen. Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Nachbarn, Münster u. a. 2011, insb. S. 192–194 u. S. 236. 8 Zu den Gründungsmythen der niederländischen Republik vgl. Joost Kloek, Wijnand Mijnhardt, 1800. Blauwdrukken voor een samenleving, Den Haag 2001, S. 213–242; Horst Lademacher, Phönix aus der Asche? Politik und Kultur der niederländischen Republik im Europa des 17. Jahrhunderts, Münster u. a. 2007, S. 114–126; Ivo Schöffer, The Batavian myth during the sixteenth and seventeenth centuries, in: John Selwyn Bromley, Ernst Heinrich Kossmann (Hrsg.), Some political mythologies. Papers delivered to the fifth Anglo-Dutch Historical Conference, Den Haag 1975, S. 78–101.

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auch durch gezielte publizistische Offensiven, die nach innen die Kriegshandlungen rechtfertigen sowie die Reihen festigen sollten, während sie nach außen um Sympathie warben. Auch diese zweifach ausgerichtete Kriegspropaganda dürfte – wohl in erster Linie mittelbar – einen Beitrag zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg der Republik geleistet haben und mag, insofern in ihr das Moment der Selbstprofilierung der Republik über deren Kriegstaten zum Tragen kam, unmittelbar an deren Renommee im europäischen Ausland gestrickt haben.

II.

Kriegspublizistik: Flugblatt und Flugschrift als Kampfmittel

Zum Zwecke der Rechtfertigung von Kriegen und zur kollektiven Selbstprofilierung von Staatsgefügen mittels dieser wurden vom frühen 16. Jahrhundert bis weit ins 18. hinein namentlich die Massenmedien der Aktualität in der Frühen Neuzeit schlechthin, Flugblatt und Flugschrift, eingesetzt.9 Sie ließen sich preiswert und rasch herstellen, konnten somit unmittelbar auf Ereignisse der Zeit Bezug nehmen, verbanden häufig Wort und Bild, waren zumeist in eingängiger Sprache, häufig auch in Reimversen abgefasst, wodurch sie breiten Kreisen zugänglich waren, ließen sich – zumal die Flugblätter, die ja überdimensionierte Handzettel waren, – leicht verbreiten und brauchten mit parteiischen Standpunkten nicht zurückzuhalten, da Parteinahme in ihrem Fall dem Erwartungshorizont der Leserschaft entsprach. Sie waren Tendenzschrifttum und hatten auf lange Zeit in etwa den Stellenwert inne, der heute Rundfunk und Fernsehen, ja Twitter und Facebook, eignet, das heißt: zu informieren, zu werben, Öffentlichkeit herzustellen oder grundsätzlich über das Prinzip der Diskursivität zur Meinungsbildung beizutragen, bis ihre Aufgaben dann im Laufe des späteren 18. Jahrhunderts zunehmend von den regulären Wochen- und Tageszeitungen übernommen wurden. Flugblatt und Flugschrift unterscheiden sich insofern, als ersteres ein – häufig auch illustrierter – Einblattdruck ist, während die Flugschrift in Heftform, somit als Büchlein geringeren Umfangs – zumeist ohne Illustrationen – erscheint. Gemeinhin wird – wie hier auch –

9 Vgl. Gustav Bebermeyer, Flugschrift, in: Werner Kohlschmidt, Wolfgang Mohr (Hrsg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 1, Berlin 1958, S. 464–468; Wolfgang Harms, Flugblatt, in: Walther Killy (Hrsg.), Literaturlexikon, Bd. 13: Begriffe, Realien, Methoden, hrsg. v. Volker Meid, Gütersloh u. a. 1992, S. 306f.; Silvia S. Tschopp, Flugschrift, in: ebd., S. 307–309; Michael Schilling, Flugblatt, in: Klaus Weimar u. a. (Hrsg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, Berlin u. a. 1997, S. 607–609; Wolfgang Harms, Michael Schilling, Das illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit. Traditionen, Wirkungen, Kontexte, Stuttgart 2008, insb. S. 38–40.

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›Flugschrift‹ als Oberbegriff gebraucht, der als solcher das Flugblatt mit einschließt. Im Folgenden sollen kursorisch Tendenzen der Flugschriftproduktion zu den niederländischen Kriegen des langen 17. Jahrhunderts herausgearbeitet werden, und zwar aus der vergleichenden deutsch-niederländischen Perspektive. In Flugschriften kommen nahezu immer Selbstbilder und Fremdbilder zum Tragen. Insofern sie aus unterschiedlichen Kulturbereichen zu ein und demselben Zeitereignis Stellung nehmen, macht sich zusätzlich Kulturtransfer im weiteren Sinne bemerkbar.10 Flugschriften ermöglichen so die vergleichende Wahrnehmung der Geschehnisse aus unterschiedlicher Perspektive. Sympathien und Abneigungen lassen sich aus ihnen ablesen, gemeinsame oder eben gegensätzliche Freund- und Feindbilder bekunden sich hier, und immer auch lässt sich die Intensität des jeweiligen Engagements erkennen. In der deutschen Fremdwahrnehmung der niederländischen Ereignisse der fraglichen Epoche artikuliert sich der nächstverwandte Blick von außen, gehörten doch die Niederlande noch bis 1648 formal zum Reich, während sich aus dem Pangermanismus-Denken lange Zeit zudem ein Gefühl der natürlichen Verbundenheit ergab, zumal wenn das Reich oder einzelne deutsche Territorien in dieselben Kriegshandlungen wie die niederländische Republik involviert waren. Die deutschen Flugschriften zu den niederländischen Geschehnissen im Gefolge der Kriege der Zeit müssten so, gleichsam in der Mikrostruktur, erkennen lassen, wie die deutsche Öffentlichkeit die Kriegsereignisse, die die niederländische Republik betrafen, verfolgte, wie sich die Sympathien verlagerten, aber auch sollte sich aus dem Vergleich mit niederländischen Flugschriften ergeben, welche unterschiedlichen Akzente gesetzt wurden bzw. wie niederländische Positionen gezielt, durch eigens in deutscher Sprache in den Niederlanden gedruckte Flugschriften, oder, eher indirekt, durch deutsche Übersetzungen von niederländischen Vorlagen, einer deutschen Leserschaft vermittelt wurden. Dies alles in extenso herausarbeiten zu wollen, erforderte eine eigene Monographie. Deshalb sollen hier anhand von Eckdaten aus der Kriegsgeschichte der niederländischen Republik, die zugleich entscheidende Aspekte auf dem Wege ihrer Staatswerdung, ihres Aufstiegs zur Großmacht und ihres Niedergangs als solche markieren, die Hauptlinien der deutschen Bildnismacherei über die Niederlande mitsamt der mittelbaren oder unmittelbaren Einflussnahme seitens der Republik darauf an einer kursorischen Auswertung spezifischer

10 Zum Kulturtransfer vgl. u. a. Wolfgang Schmale, Kulturaustausch und kulturelle Transfers in der Frühen Neuzeit, in: Michael North (Hrsg.), Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln u. a. 2009, S. 11–14; Michael Werner, Zum theoretischen Rahmen und historischen Ort der Kulturtransferforschung, in: ebd., S. 15–23.

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Exponenten der einschlägigen Publizistik aufgezeigt werden.11 Als solche Eckdaten fungieren für die Zeit des Aufstandes gegen Spanien die Schlüsseljahre 1568, als die Erhebung begann, 1581, als am 26. Juli im sogenannten »Plakkaat van Verlatinghe« die Generalstaaten dem spanischen König Philipp II. als Landesherrn abschworen, 1584, als Wilhelm von Oranien ermordet wurde, und damit der Gründervater der Republik wegfiel, 1588, als mit der Lösung der Souveränitätsfrage im Grunde die Provinzen zur Eigenstaatlichkeit fanden, 1609, welches Jahr den Beginn des zwölfjährigen Waffenstillstandes markiert, sowie 1621 als dessen Ende, und schließlich das Friedensjahr 1648. Für die vier Jahrzehnte, auf die sich die Auseinandersetzungen mit dem Frankreich Ludwigs XIV. erstrecken, werden exemplarisch berücksichtigt 1672, als die französischen Heere in die Niederlande einfielen, 1678/79, als der Frieden von Nijmegen die Besatzung der Republik beendete, 1697, das Jahr, in dem mit dem Frieden von Rijswijk der Neunjährige Krieg endete, 1702, das Todesjahr Wilhelms III., mit dem die zweite statthalterlose Zeit einsetzte, aber auch der Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges, und schließlich 1713, als der Utrechter Frieden eben diesen Krieg beendete. Die erste statthalterlose Zeit wird hier ausgespart, da die beiden englisch-niederländischen Kriege, die damals abliefen und vorwiegend die Prädominanz im Welthandel zum Gegenstand hatten, kaum einen bemerkbaren Umschlag im damaligen niederländischen kollektiven Selbstverständnis, und genauso wenig im deutschen Niederlandebild, nach sich gezogen haben dürften. Insgesamt bestätigen die summarischen Auswertungen sämtlicher zur Debatte stehender Entscheidungsjahre, so sei bereits hier vorweggenommen, deutscherseits eine Entwicklung von fragloser Verbundenheit und vorbehaltloser Sympathie am Anfang bis hin zu wachsender Entfremdung und berechnender Solidarität im Bewusstsein der eigenen sich anbahnenden Überlegenheit am Schluss, während niederländischerseits am Anfang um deutsche Sympathie geworben wird, dann lange stolze Selbstzufriedenheit vorherrscht, während in den letzten Jahrzehnten des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts 11 Für die entsprechende niederländische Publizistik wird dabei Knuttels Katalog der Flugschriftensammlung der Königlichen Bibliothek in Den Haag zugrunde gelegt: Willem P. C. Knuttel, Catalogus van de pamflettenverzameling berustende in de Koninklijke Bibliotheek. Herdruk, met handgeschreven verbeteringen, aanvullingen en varianten. Met een inleidend essay en een handleiding voor de gebruiker door Hans van der Hoeven, 10 Bde, Den Haag 1889–1920, ND Utrecht 1978, sowie die Digitalisierung eben dieser Flugschriften im Rahmen des Projekts »The Early Modern Pamphlets Online« (TEMPO) durch den Leidener Verlag Brill in Zusammenarbeit mit der Königlichen Bibliothek Den Haag, abrufbar über die Katalogplattform der Haager KB (http://tempo.idcpublishers.info.access.authkb.kb.nl/protected/search.php). Hier sind auch zahlreiche in den deutschen Landen gedruckte und deutschsprachige Flugschriften verzeichnet bzw. enthalten. Für weitere einschlägige deutsche Flugschriften wurde zudem zurückgegriffen auf die digitalen Kataloge VD 16 (www.vd16.de), VD 17 (www.vd17.de) und VD 18 (www.vd18.de), die sich allerdings weitgehend noch im Aufbau befinden.

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verstärkt um die deutsche Gunst geworben wird, bis hin zur Bitte um tatkräftige Schützenhilfe aus dem Reich, im klaren Bewusstsein der schrumpfenden eigenen Macht.

III.

Vom Beginn des Niederländischen Aufstandes bis zum ›Katastrophenjahr‹ 1672

Zur deutschen Fremdwahrnehmung der niederländischen Gegebenheiten während der sich über acht Jahrzehnte hinziehenden Loslösung von der spanischen Herrschaft liegt mittlerweile die reichhaltige Untersuchung von Johannes Arndt vor.12 Er unterscheidet die von ihm ausgewerteten Flugschriften jedoch in erster Linie nach inhaltlichen Kategorien, etwa solche zugunsten der Aufständischen, solche in der Tradition der leyenda negra und solche spanischkatholischer Provenienz, verbindet sie jedoch nicht spezifisch mit den zentralen Ereignissen des Aufstandes, wodurch der Wandel des deutschen Niederlandebildes im Einzelnen sowie eine etwaige unterschiedliche Gewichtung einzelner Begebenheiten im Reich wie in den Niederlanden selber weniger leicht ersichtlich werden, wenn auch seine Erkenntnisse für die fragliche Epoche sich im Großen und Ganzen mit den hier vorzustellenden decken.13 Für die Zeit um 1568 häufen sich in den deutschen Landen die Flugschriften, die das grausame Vorgehen des Herzogs von Alba in den Niederlanden und die von ihm dort etablierte Schreckensherrschaft anprangern, und sich damit in die Tradition der leyenda negra einreihen,14 wie auch Arndt hervorhebt.15 Desgleichen stellen sie in »Kriegs-Zeitungen« aus den Niederlanden oder Schlachtenbeschreibungen, aber auch in Selbstdarstellungen Wilhelms von Oranien bereits dessen Vorreiterrolle unter den Aufständischen heraus. Für die Niederlande ergibt sich anhand des Flugschriftenkatalogs von Knuttel für dasselbe Jahr ein weitgehend ähnliches Bild, nur dass die Rechtfertigungen des Oraniers hier zahlreicher vertreten sind und dass einzelne Schlachtenbeschreibungen in den Niederlanden auf Deutsch, somit wohl ausdrücklich zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Reich, herausgebracht wurden, während Beschreibungen 12 Johannes Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566–1648. Politischkonfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg, Köln 1998. 13 Arndt, Reich (wie Anm. 12), insb. S. 213–293. 14 Zur leyenda negra vgl. u. a. Gerhart Hoffmeister, Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation der literarischen Beziehungen, Berlin 1976, S. 33–38; Dirk Maczkiewitz, Der niederländische Aufstand gegen Spanien (1568–1609). Eine kommunikationswissenschaftliche Analyse, Münster u. a. 2005, S. 256–264. 15 Arndt, Reich (wie Anm. 12), S. 303.

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der von den Spaniern verübten Grausamkeiten fehlen.16 Offensichtlich kam es somit im Reich von sich aus zu Sympathiebekundungen für die bedrängten Niederländer. Die Unabhängigkeitserklärung von 1581, das sogenannte »Plakkaat van Verlatinghe«, in dem dem spanischen König abgeschworen wurde, wird im Jahr der Ausfertigung im Reich nicht wahrgenommen, unter den zeitgenössischen niederländischen Flugschriften ist jedoch ebenfalls keine Ausgabe anzutreffen;17 ob sich hier das Reich bewusst für »so weitgehende Angriffe auf die gesellschaftspolitische Ordnung« verschlossen hätte, wie Arndt vermutet, dürfte daher fraglich sein.18 Der große Renner unter den in den Niederlanden erschienenen Flugschriften des Jahres 1581 war die Verteidigungsschrift, die Wilhelm von Oranien gegen die über ihn seitens des spanischen Königs verhängte Acht ans Licht gab; sie ist in mehreren Ausgaben und in unterschiedlichen Sprachen anzutreffen, vielsagend genug aber nicht in der deutschen.19 Ein ähnliches Muster lässt sich beobachten bei der Lösung des Problems der Souveränität, die ja 1588 durch Beschluss der Generalstaaten den einzelnen Provinzen übertragen wurde. Auch sie findet keinen Widerhall in den Flugschriften des betreffenden Jahres, weder in den niederländischen, noch in den deutschen. Stattdessen wird auf beiden Seiten große Aufmerksamkeit den Geschicken der spanischen Armada gewidmet, die in eben diesem Jahr in einer Seeschlacht mit einer englisch-niederländischen Flotte kläglich zugrunde ging.20 Das lässt die Frage aufkommen, ob nicht generell – gerade in der Frühzeit des niederländischen Aufstandes – Beschlüsse der Generalstaaten, sogar wenn sie unmittelbare Kriegsziele umsetzten, ohne sonderliche Beachtung hingenommen wurden, während gerade spektakuläre Kriegsereignisse rege Anteilnahme hervorriefen. Für die deutsche Seite würde das implizieren, dass in dieser Frühzeit die spontane Sympathie für das niederländische Anliegen vor dem Bedürfnis nach objektiver Information rangierte. Dass Sympathiewerte deutscherseits zunächst einmal vorherrschten, zeigt 16 Knuttel, Catalogus (wie Anm. 11), Bd. 1,1, S. 33–36, Nr. 155–178; Bd. 8: Supplement, S. 12f. 17 Knuttel, Catalogus (wie Anm. 11), Bd. 1,1, S. 108–114, Nr. 553–580; Bd. 8: Supplement, S. 21f. 18 Arndt, Reich (wie Anm. 12), S. 248. 19 Knuttel, Catalogus (wie Anm. 11), Bd. 1,1, S. 109f., Nr. 554–563: Apologie ou Deffense de tres illvstre Prince Gvillaume […] Prince d’Orange, Conte de Nassau […] Contre le Ban & Edict publi¦ par le Roy d’Espaigne […]. Delft 1581 (Knuttel, Nr. 554). 20 Knuttel, Catalogus (wie Anm. 11), Bd. 1,1, S. 161–166, Nr. 832–850; Bd. 8: Supplement, S. 27f. Für die deutsche Seite wäre zu verweisen auf Johann Fischarts unter dem Pseudonym »Engelprecht Mörewinder von Fredewart« erschienenes Verzeichnuß/ wie die […] Spanische Armada […] zu grund gerichtet worden (1588) (Knuttel, Nr. 849a), auf Michael von Aitzings Spanischer Armada […] Relation (1588) sowie auf Schriften wie die Warhafftige Zeytung […] von der Gewaltigen Armada [1588] (Knuttel, Nr. 844b) oder die Hispanische vnd Englische Meerschlacht (1588) (Knuttel, Nr. 844a).

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sich ebenfalls, als 1584 Wilhelm von Oranien ermordet wird; da werden die Schilderungen der Mordtat sowie der schauerlichen Hinrichtung des Attentäters zu einem der großen Themen der niederländischen wie der deutschen Flugschriftproduktion gleichermaßen.21 Damit erreicht eine bereits vorher angelaufene Tendenz auf beiden Seiten, den Oranier zur Symbolfigur patriotischen Hochgefühls und gottesfürchtiger Frömmigkeit emporzustilisieren, ihren einstweiligen Höhepunkt; ein Status, der auf seine beiden Söhne Moritz und Friedrich Heinrich, die ja seine unmittelbaren Nachfolger waren, abstrahlte. Eine solche Überhöhung hatte bereits das Wilhelmus-Lied,22 das 1932 zur niederländischen Nationalhymne erhoben wurde,23 das aber in der Originalfassung Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts als Flugblatt in niederländischer wie in deutscher Sprache erschienen sein muss und womöglich gar deutschen Ursprungs ist,24 angebahnt, indem es Wilhelm zum Vater des Vaterlandes machte. Der Oranier erscheint hier als sprechender Held, der auch in Zeiten der Not seine Treue zum niederländischen Vaterland beschwört, daneben aber auch unerschütterliches Gottvertrauen und heroische Opferbereitschaft versprüht.25 Vielsagend ist, dass sowohl im Reich als auch in den Niederlanden Kontrafakturen kursierten, die Moritz und Friedrich Heinrich 21 Knuttel, Catalogus (wie Anm. 11), Bd. 1, 1, S. 133–136, Nr. 688f.; Bd. 8: Supplement, S. 23f. Dort wird auch verwiesen auf die deutsche, 1584 in Köln gedruckte Flugschrift Warhafftige vnd Eigentliche beschreibung / Von der Geburt / Leben vnd Sterben deß Printzen von Orangien (Knuttel, Nr. 696); des Weiteren auf Warhafftige Vnnd eigentliche beschreibu[n]g / was gestalt Graff Wilhelm von Nassauw / Printz von Arangien vmbkommen (1584) (Knuttel, Nr. 695b). 22 Abraham Maljaars, Het Wilhelmus. Auteurschap, datering en strekking. Een kritische toetsing en nieuwe interpretatie, Kampen 1996, insb. S. 151–245. Zum Lied insg. vgl. auch Florimond van Duyse, Het oude Nederlandsche lied. Wereldlijke en geestelijke liederen uit vroegeren tijd. Teksten en melodieÚn, Bd. 2, ’s-Gravenhage u. a. 1905, Nr. 433, S. 1620–1663. 23 Vgl. dazu Martine de Bruin, Het Wilhelmus tijdens de Republiek, in: Louis Peter Grijp (Hrsg.), Nationale hymnen. Het Wilhelmus en zijn buren, Nijmegen u. a. 1998, S. 16–42, hier S. 18; Louis Peter Grijp, Nationale hymnen in het Koninkrijk der Nederlanden, I: 1813–1939, in: ebd., S. 44–73, insb. S. 68. 24 Zu den Geschicken des Wilhelmus-Liedes in Deutschland und zu den deutschen Fassungen vgl. Eberhard Nehlsen, Wilhelmus van Nassauen. Studien zur Rezeption eines niederländischen Liedes im deutschsprachigen Raum vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, Münster u. a. 1993. Eine deutsche Fassung des Wilhelmus-Liedes ist abgedruckt bei Wolfgang Harms, Cornelia Kemp (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 4: Die Sammlungen der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Tübingen 1987, S. 120f.: Ein Christlich HeldenLiedt, o. O. [Heidelberg] o. J. [1608]. 25 Vgl. Guillaume van Gemert, Der sprechende Held. Darstellungsstrategien des frühneuzeitlichen politischen Gedichts am Beispiel der Auseinandersetzungen um Heinrich den Jüngeren von Braunschweig und Wilhelm von Oranien. Der Beitrag erscheint vorauss. 2015 in einem Sammelband mit den Erträgen der 2009 an der Christian-Albrechts-Universität Kiel abgehaltenen Tagung »Warum Lyrik? Gedichte und Lieder als bevorzugte Ausdrucksformen in den Kontroversen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (1400–1600)«.

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besangen.26 Nach dem Tode des Letzteren scheint es mit der deutschen Idealisierung der Oranier vorbei gewesen zu sein. Wilhelm II. und Wilhelm III. sind im Reich nach Ausweis der Flugschriften nie derart auf den Schild gehoben worden, wie der erste Wilhelm und seine beiden Söhne.27 Das mag mit dem politischen Ungeschick Wilhelms II., dessen frühem Tod und der anschließenden ersten statthalterlosen Zeit zu tun gehabt haben, und – im Falle Wilhelms III. – mit dessen Machtanhäufung, seitdem er neben der Statthalterschaft auch das englische Königtum innehatte. Mittlerweile aber waren die Deutschen schon verstärkt zu den Niederlanden auf Distanz gegangen; die Bewunderung für den niederländischen wirtschaftlichen und kulturellen Höhenflug hielt zwar, auch nach dem Tode Friedrich Heinrichs, noch lange an, aber die vorbehaltlose Sympathie, die sie in den ersten Jahrzehnten den niederländischen Aufständischen entgegenbrachten, war – so belegen auch die Flugschriften – unverkennbar geschrumpft. Erste Ansätze einer deutschen Distanzierung sind wohl schon für die Zeit um den Beginn des zwölfjährigen Waffenstillstandes festzumachen.28 Während zunächst die Geschehnisse im Vorlauf des Treves, wie die Zeit der Waffenruhe genannt wurde, auf deutscher Seite aus zweiter Hand – anhand von Überset26 Das niederländische Mauricius-Lied ist überliefert in einem Einblattdruck in der Leidener Universitätsbibliothek, Thys. pfl. 1151: Mauricius van Nassouwen ben ick van Duytschen bloet, o. O. o. J. [um 1600]. Vgl. auch http://www.liederenbank.nl/text.php?recordid=22782& lan= nl, 20. 02. 2015. Ein weiteres niederländisches Mauricius-Lied, ebenfalls in der Nachfolge des Wilhelmus-Liedes, erschien 1618 unter dem Titel: Liedt Ter eeren van den doorluchtighen Prince van Orangien / Mauritius Grave van Nassau / etc., o. O. 1618 (Knuttel, Nr. 2751). Zu den deutschen Fassungen des Mauricius-Liedes vgl. Nehlsen, Wilhelmus (wie Anm. 24), S. 431–433. Es erschien ebenfalls als Einblattdruck und war als Pendant zu dem des Wilhelmus-Liedes angelegt, vgl. Harms, Kemp, Flugblätter (wie Anm. 24), S. 122f. Es unterscheidet sich grundlegend von dem vorliegenden und wird hier nicht weiter berücksichtigt. Zu der deutschen Kontrafaktur, die sich auf Friedrich Heinrich bezog, vgl. Nehlsen, Wilhelmus (wie Anm. 24), S. 457f. Der Titel der gedruckten Fassung lautet: Ein Schön Lied. Von des Durchlauchtigen Printz Heinrich Friedrichs von Vraniens Werbung / an die Vornehme vnd feste Stadt Hertzogenpusch. Im Thon: Wilhelmus von Naßaw bin ich von Deutschem Blut, o. O. 1630. Eine niederländische Kontrafaktur des Wilhelmus-Liedes, die sich auf Friedrich Heinrich bezog, verfasste der Dichter Joost van den Vondel im Jahre 1625: Joost van den Vondel, Princelied, in: ders., De werken van Vondel. Volledige en gellustreerde tekstuitgave in tien deelen, Bd. 2, Amsterdam 1928, S. 505f. 27 Das VD 17 verzeichnet zu Wilhelm II. von Oranien keine Einträge, zu Wilhelm III. vorwiegend zu seiner Ernennung zum Kapitän-General im Jahre 1672, zu seiner Einsetzung als König Großbritanniens nach der Glorious Revolution (1688) und seiner Herrschaft als solcher sowie zu seinem Tod; als Statthalter der niederländischen Republik tritt er hier kaum in Erscheinung. 28 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Guillaume van Gemert, 1609 und die Folgen in den Niederlanden aus deutscher Sicht. Eine Auswertung zeitgenössischer politischer Publizistik, in: Rhein-Maas. Studien zur Geschichte, Sprache und Kultur 3 (2012), S. 78–98; außerdem Martina Dlugaiczyk, Der Waffenstillstand (1609–1621) als Medienereignis. Politische Bildpropaganda in den Niederlanden, Münster u. a. 2005.

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zungen niederländischer Flugschriften – verfolgt wurden, ohne dass es zu einer eigenständig deutschen Flugschriftenproduktion gekommen wäre, mischten sich, als über den Jülich-Klevischen Erbfolgestreit das Reich bzw. der Niederrheinisch-Westfälische Kreis verstärkt involviert wurden, in deutschen Stellungnahmen zunehmend Skepsis bis hin zur Ironie ein. Moritz wird in der Regel schon noch positiv dargestellt.29 Die Hinrichtung des alten Landesadvokaten Johan van Oldenbarnevelt auf Moritz’ Betreiben wurde in den deutschen Landen zwar zur Kenntnis genommen und muss auch Moritz’ Ruf geschadet haben, wirkte sich aber insgesamt weniger nachhaltig aus als die Dordrechter Synode insgesamt.30 Sie führte in dem mittlerweile ausgebrochenen Dreißigjährigen Krieg innerhalb des deutschen Protestantismus zur Polarisierung, was durch die Zuflucht, die der Winterkönig in den Niederlanden fand, wohl noch offenkundiger wurde. Als der Treves in den Niederlanden zu Ende ging, wurde das im Reich in den Flugschriften kaum noch angesprochen. Das hatte zweifellos damit zu tun, dass man durch die Ereignisse im Niederrheinisch-Westfälischen Kreis das Ende hatte kommen sehen und dass man mittlerweile vollauf in den eigenen Krieg, den Dreißigjährigen, verwickelt war. Diese Inanspruchnahme durch die eigene Kriegführung und anschließend durch die eigenen Friedensbemühungen führte am Ende wohl auch dazu, dass 1648 der spanisch-staatische Friedensschluss zu Münster in der deutschen Flugschriftenproduktion kaum Beachtung findet, und wenn dies schon der Fall ist, so werden bloß die Friedensartikel aufgelistet, ohne eigene Stellungnahme, etwa im Prodromus Des Spanisch-Holländischen Friedens.31

29 So etwa in einem Flugblatt, in dem er als edler Retter der Bedrängten erscheint, das aber vermutlich auf eine niederländische Vorlage zurückgriff: Abconterfeytung vnd Erklerung des Cleuischen Ritters S. Jörgens, o. O. o. J. [1615], in: Wolfgang Harms (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 2: Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Kommentierte Ausgabe, Bd. 2: Historica, 2. Aufl., Tübingen 1997, S. 186f. Zur niederländischen Vorlage Verthooninghe ende verclaringhe van den Cleefschen S. Joris, o. O. o. J. [1615] vgl. ebd., S. 184f. 30 Vgl. van Gemert, 1609 (wie Anm. 28), S. 86–90. 31 Prodromus Des Spanisch-Holländischen Friedens / Oder Kurtz und summarischer Begriff der Friedens-Puncten / so zwischen Ihrer Königlichen Majestet in Hispanien eins: und der Hochmögenden Herren Staten General der vereinigten Niederlanden andern Theils / durch dero beyderseits Herren Plenipotentiarien den 8. Januarii biß auff die Ratification theils beschlossen theils aber den 15. Novembris jüngst in dem Haag concludirter Resolution zu folge / durch die nach Münster abgegangene Statische Herren Abgesanden / noch abgehandelt / und ferner inter Conclusa gesetzet werden sollen, o. O. 1647.

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IV.

Guillaume van Gemert

Das Wendejahr 1672 und das allmähliche Ende des ›Dutch miracle‹

Die Niederländer mögen um diese Zeit aus deutscher Sicht nicht mehr unbedingt Sympathieträger gewesen sein, was im Nachbarstaat geschah, wurde aber nach wie vor genauestens verfolgt. Das wird spätestens erkennbar, als der französische Einfall 1672 die niederländische Republik als einen Riesen auf tönernen Füßen entlarvte.32 Die Mehrheit der im Reich erscheinenden Flugschriften zu den damaligen Ereignissen in den Niederlanden sind Übersetzungen nach niederländischen Vorlagen, die die unterschiedlichen dortigen Auffassungen über den Einfall, die dürftige Verteidigung des Landes, die Schuldfrage und das Schicksal der Brüder Johan und Cornelis de Witt referieren; in den eigenständigen deutschen Flugschriften bekundet sich aber ein radikaler Umschlag im bisherigen Niederlandebild, das in seinen neuen Abstufungen von offener Feindschaft über Schadenfreude nach dem Motto, dass Hochmut vor dem Falle komme, und unverhohlenem Spott bis hin zur verhaltenen Solidarität reicht, wenngleich letztere eher selten ist. Ludwig XIV. wird nunmehr als Triumphator Batavicus gelobt,33 und es werden Grabschriften auf die Republik verfasst, die als neunzigjährige Gräfin von Holland am morbus gallicus – was bekanntlich die Syphilis ist – krepiert sei.34 Neu auf dem deutschen Markt sind jetzt Flugschriften, die in den Niederlanden abgefasst wurden und in deutscher Sprache mehr oder weniger offen um Unterstützung werben.35 Sie belegen vielleicht am eindringlichsten, wie sich die Verhältnisse mittlerweile geändert hatten. Die Friedensschlüsse von 1678/79 in Nijmegen, 1697 in Rijswijk und 1713 in Utrecht beendeten im Grunde europäische Kriege, also nicht mehr solche, in denen die niederländische Republik die zentrale Rolle schlechthin bekleidete; 32 Zum Folgenden vgl. Guillaume van Gemert, »Ein Land das wohl ehemahls die alles überwindende Macht der Römer aufgehalten hat …« Die Konstruktion des deutschen Niederlandebildes im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jan Konst u. a. (Hrsg.), Niederländisch-deutsche Kulturbeziehungen 1600–1830, Göttingen 2009, S. 33–60; außerdem Donald Haks, Vaderland en vrede 1672–1713. Publiciteit over de Nederlandse Republiek in oorlog, Hilversum 2013. 33 Vgl. u. a. Triumphator Batavicus. Anno, Quo LVDoVICVs trIVMphat, o. O. o. J. [1672] (Knuttel, Nr. 10238c) und Batavia Triumphata. Anno Quo summus humanarum Arbiter rerum DeposVIt potentes De seDe, et eXaLtaVIt FranCos, o. O. o. J. [1672] (Knuttel, Nr. 10238b). 34 Vgl. u. a. Hollands Grabschrifft, o. O. o. J. [1672] (Knuttel, Nr. 10238a) oder Cur Der von Morbo Gallico inficirten und fast tödtlich darniederliegenden Damen von Holland, o. O. 1672. 35 So etwa: Streit-Gespräche Zwischen Einem Holländer / Frantzosen / Engländer und Hochteutschen oder Copia Eines Briefes / Geschrieben aus Rotterdam an N. N. der rechten Licentiaten in Dantzig, o. O. o. J. [1672].

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die Republik gab hier nur noch den Friedensschauplatz ab. Während die niederländischen Flugschriften vor allem den Frieden als eine nationale Errungenschaft und gelegentlich auch als Gottesgeschenk feierten,36 interessierten die deutschen sich mehr für die objektiven Details der Verträge und berücksichtigten stärker den europäischen Rahmen, in dem Krieg und Frieden abliefen, statt dass sie einen herausragenden Stellenwert der niederländischen Republik angesprochen hätten. Ausnahmen sind selten; zu ihnen zählt etwa der Batavische Wechsel-Reihen von 1678, der offensichtlich aus der Perspektive des Reiches oder des Hauses Habsburg nach der Schuld der Niederländer am Krieg mit Frankreich fragt, der aber genauso gut eine kaschierte niederländische Rechtfertigung darstellen könnte.37 Erstaunlich ist allerdings, dass niederländische Flugschriften, die eigens für die deutschen Lande gedacht waren, die europäische Perspektive durchaus einbeziehen. Die Tendenz kündigt sich schon 1672 an, wie am Holländischen Perspectiv Oder Ferne-Gücker abzulesen ist,38 in dem, ganz in der Tradition der sogenannten »Praetjes«,39 ein Gespräch zwischen einem Engländer, einem Franzosen und einem Niederländer inszeniert wird, allerdings vorwiegend noch zur Ermunterung der Niederländer im Geiste des altvertrauten Bataver-Mythos. Viel ausgeprägter noch kommt die europäische Perspektive zum Tragen in in den Niederlanden verfassten Flugschriften zum Tode Wilhelms III., mit Titeln wie Das Bestürtzte Europa40 oder NachdencklichEmpfindliches Trauren Europens.41 Sie sind vor allem auch ein Appell an po36 Zu den niederländischen Flugschriften betr. die einzelnen Friedensschlüsse vgl. zu 1678/79 Knuttel, Catalogus (wie Anm. 11), Bd. 2, 2, S. 271–277, Nr. 11569–11624 u. Bd. 8: Supplement, S. 125; zu 1697 ebd., Bd. 3, S. 194–201, Nr. 14306–14354 u. Bd. 8: Supplement, S. 150f.; zu 1713 ebd., Bd. 3, S. 462–467, Nr. 16155–16192 u. Bd. 8: Supplement, S. 167f. Besonders hingewiesen sei auf Katharina Lescailje, Zeegepraalende Vreede, Amsterdam 1678 (Knuttel, Nr. 11599), Johannes Brandt, Vredezang, ’s-Gravenhage 1697 (Knuttel, Nr. 14340), Barend Warnaar, Floriaan en Silvia, Herders-zang Op het teekenen der Vreede Binnen Vtrecht, den 11. April 1713, Haarlem 1713 (Knuttel, Nr. 16189) u. Frans van Oort, Vreede-Toorts, met vreugd ontstoken op Rots-oort, Utrecht 1713 (Knuttel, Nr. 16185, 16185a). 37 Batavischer Wechsel-Reihen / Das ist: Kurtze Vorstellung Der Grund-Vrsachen / Wodurch sich das Frantzösisch-Holländische Kriegs-Feuer / so von dar aus nunmehr durch gantz Europa aufgeflammet / entzündet / und um derent willen so urplötzliche Zerrütt- und Abwechslung in den vereinigten Provintzen erfolget, o. O. 1678 (Knuttel, Nr. 11617). 38 Holländisches Perspectiv. Oder Ferne-Gücker Worinnen Erzehlt wird der itzige Zustand unsers Lieben Vaterlandes Nebst einer recht Hertz-gründlichen Warnung An alle Holländische Einwohner / daß sie sich durch keinerley Heuchel-Freundschafft verleiten / noch bey offenbahren Kriegen den Muth sincken lassen / Sondern auff beyde Recht seyn und bleiben Alte Batavier. Also entworffen durch B.I.R., Utrecht 1672 (Knuttel, Nr. 9998). 39 Vgl. dazu Clazina Dingemanse, Rap van tong, scherp van pen. Literaire discussiecultuur in Nederlandse praatjespamfletten (circa 1600–1750), Hilversum 2008. 40 Das Bestürtzte Europa über den unvermutheten Todt Wilhelmi des Grossen Königs in GroßBritannien darinnen Wunderbahre Fata und große Thaten den Staats-begierigen Leser frey entdecket werden, Freystadt 1702 (Knuttel, Nr. 14676). 41 Nachdencklich-Empfindliches Trauren Europens / Uber den bekläglichen Hintritt Seiner

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Guillaume van Gemert

tenzielle Verbündete, weiterhin zu den Niederlanden zu stehen, gerade auch im angehenden Spanischen Erbfolgekrieg. Solche Appelle lassen das niederländische Bewusstsein des eigenen Prestigeverlustes unter den europäischen Völkern erkennen und das Bedürfnis, gerade auf das Reich zurückzugreifen. Noch offenkundiger wird das niederländische Bewusstsein der eigenen Schwäche im Umfeld des Utrechter Friedens,42 als eine deutsche Flugschrift erscheint, die einen Brief enthält, in dem die Generalstaaten das Reich ausdrücklich um militärische Schützenhilfe bitten,43 und in der offensichtlich recht beliebten niederländischen Flugschriften-Serie vom französischen Harlekin mit seinem Guckkasten in Großbritannien, in der der niederländische Kontrahent des Harlekins offen um die britische Gunst buhlt.44 Spätestens jetzt spürte auch der Niederländer selber, dass die Zeit des Dutch miracle unwiederbringlich der Vergangenheit angehörte.

Britannischen Majestät König Wilhelmi III. Unsterblichen Andenckens / etc. Und Uber den jetzigen Zustand und Beschaffenheit der Sachen; Mit angehengter Erinnerung und Warnung an die Hohe Alliirte / daß Selbige den Muth nicht sincken lassen / sondern der Göttlichen Providentz es anheim stellen sollen. Verfasst von einem Freund und Liebhaber deß Gemeinen Bestens, o. O. 1702. 42 Vgl. Guillaume van Gemert, Publizistik zum Utrechter Frieden. Niederländische und deutsche Flugschriften aus der Zeit um 1713, in: De Maasgouw 132 (2013), Nr. 4, S. 167–173. 43 Copia Schreibens Von Ihren Hoch-Mögenden an die Hochlöbliche Reichs-Versamblung zu Regenspurg, de dato Haag den 5. Januarii 1712 in materia Belli, o. O. o. J. [1712], S. [4]: »Umb welcher Ursachen dan Wir / zu des gemeinen Wesens Beförderung nicht umbhin gekont / unsere wohlmeinende Gedancken und gute intention dem Reich und dessen Gliedern vorzutragen / und nochmahlen auf das neue freundlich und inständig zu ersuchen / daß Euere Churfürstl. und Fürstl. Durchl. Durchl. und Dieselben in diesem delicaten und importanten Zustand der Sachen / das gemeine Beste mit der That behertzigen / und derowegen alle nöthige Mittel zur Hand nehmen / und dahin sehen / und auswürcken mögen / daß die Reichs-Arm¦e auf künfftigen Feldzug in gehörigen Stand gesetzet werde / umb nach der Gelegenheit und denen Conjuncturen der Zeit / sowohl offensivÀ als defensivÀ mit Krafft und Nachdruck agiren zu können; […] damit es nicht wiederumb / wie in vorigen Jahren geschehen / in des Feindes Vermögen sey / alle dessen Macht im Früh-Jahr von dem Obern Rhein weg- und in die Niederlande zu bringen / und damit man also an allen Seiten im Stand seyn möge / früh in dem Vor-Jahr / und mit vigeur den Krieg / wo es nöthig / fortzusetzen / als das rechte – wo nicht einzige Mittel / einen so sehr gewünschten guten Frieden durch Gottes Güte und Beystand zu erlangen / oder / wo derselbe nicht solte erhalten werden können / den Krieg mit vigueur zu prosequiren«. 44 De Eerste Franse Harlequin, Met zyn Rarikiek; In Groot Brittanjen. Verhaalende op een boertige wys, alles wat’er is gepasseert in de Maand van Juny, 1712, Amsterdam o. J. [1712] (Knuttel, Nr. 16084); De Tweede Franse Harlequin, Met zyn Rarikiek; In Groot Brittanjen. Verhaalende op een Boertige wys, al het geen dat’er is gepasseert in het Beleegeren, en Overgaan der Stad Quesnoy, en het aftrekken van het Leger des Hertog van Ormond, Amsterdam o. J. [1712] (Knuttel, Nr. 16085); De Derde Franse Harlequin, Met zyn Rarikiek; In Groot Brittanjen. Verhaalende op een boertige wys, de aftogt der Engelschen, en het over geven van Duynkerken, Amsterdam o. J. [1712] (Knuttel, Nr. 16086). Vgl. dazu auch van Gemert, Publizistik (wie Anm. 42), S. 170f.; Haks, Vaderland (wie Anm. 32), S. 196–205.

Das Dutch miracle und sein publizistisches Umfeld

V.

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Fazit

Vermag der Blick auf den Wechselbezug der deutschen und der niederländischen Flugschriften zu den Kriegen im langen 17. Jahrhundert das ›Rätsel der Republik‹ zu erklären, so wäre abschließend zu fragen. Gewiss nicht! Er erhellt aber Mehrfaches, was bisher weniger zur Geltung kam: Zum einen, wie wichtig immer wieder für die Republik in allen Stadien ihres Werdens und sogar in ihrem Niedergang der Rückhalt im Reich war, gleichviel ob sie dort als Sympathieträger oder als mitleidig belächelter Absteiger galt, zum anderen, wie entscheidend dabei die publizistischen Offensiven mit Hilfe der Flugschrift waren, und schließlich lassen sich hier aus nächster Nähe die Zweifel des Niederländers am eigenen kollektiven Selbstbild nachvollziehen, als das Dutch miracle endgültig am Ende war.

Emilie Dosquet

Die Verwüstung der Pfalz als (Medien-)Ereignis. Von der rheinländischen Kriegshandlung zum europäischen Skandal

I.

Einleitung »I cannot forbear, first of all, dwelling a little upon a very remarkable Thing that has newly happen’d, and which does but too solemnly refute all that can be alleadg’d, in favour of the Designs and Intentions of France. I speak of the late Desolation that has been made in the Cities of the Palatinate, and particularly at Heydelburgh, when that the French Troops departed thence on the 3d. of March, leaving there those Monuments of Fury and Barbarity, which former Wars were unacquainted withal. You may have seen in the publick Relations, that the Inhabitants of that Capital and Famous City, after having surrendred upon the Faith of a Capitulation, which they thought their Conquerour would make a Point of Honour of, have, nevertheless, been treated in the same manner, as if they had surrendred at Discretion; having been overwhelm’d with extraordinary and reiterated Contributions; and, in short, having seen themselves reduc’d to that Extremity, as rather still to wish the Continuation of the Abode of their Enemies than their Retreat; since that it was accompanied with Pillage, Burning, and the Destruction of all the publick Edifices; and that they have seen blown into the Air, and consum’d by Fire, the Palace of their Elector, one of the Finest in Europe, which the Furies of the Wars had till then respected, and which is now no more than a dismal Heap of Stones and Ashes: Insomuch, that the French seen to have undertaken to shew but this Action, that they have no more Regard for the Laws of War, than for the Treaties of Peace.«1

Mit diesem Bericht über die jüngsten Verwüstungen in den Städten der Pfalz beginnt die sechste Ausgabe des Londoner Periodikums The Dilucidator. Es handelt sich dabei um die wortwörtliche englische Übersetzung der sieben zwischen Januar und April 1689 in Amsterdam in französischer Sprache erschienenen Ausgaben der wichtigen historisch-politischen Zeitschrift Lettres sur les matiÀres du temps.2 Die zitierte Passage steht exemplarisch dafür, wie von 1 The Dilucidator 6 (1689), S. 127f. [London, British Library, T.1629.(4)]. 2 Lettres sur les matiÀres du temps 2 (31. 03. 1689), S. 97f. [Paris, BibliothÀque nationale de France (im Folgenden: BNF), G 4602]. Vgl. zu der Zeitschrift Madeleine Fabre, Lettres sur les matiÀres du temps, in: Jean Sgard (Hrsg.), Dictionnaire des journaux, Oxford u. a. 1991, URL:

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den deutschsprachigen ›veröffentlichten Relationen‹ bis zu den englischsprachigen aus dem Französischen übersetzten Drucknachrichten die Verwüstung der Pfalz in den Mittelpunkt der internationalen medialen Berichterstattung gerückt wurde. Am Anfang des Neunjährigen Krieges, auch Pfälzischer Erbfolgekrieg genannt,3 waren die mittel- und oberrheinischen Territorien Schauplatz einer systematischen Strategie der ›verbrannten Erde‹.4 Diese extreme Strategie fügt sich in den Rahmen der – um den euphemistischen Ausdruck Andr¦ Corvisiers zu benutzen – ›aggressiven Verteidigung‹ des Sonnenkönigs seit dem Holländischen Krieg (1672–1678) ein.5 In der Tat war es das Ziel König Ludwigs XIV. einerseits das Nachrücken der verbündeten Truppen zu erschweren und andererseits ein defensives Glacis zu schaffen, um sein Königreich abzusichern.6 In einer Zeit, als logistische Einsatzfragen wesentlich waren, bezweckte die Verheerung flächenhafter Gebiete, kombiniert mit Kontributionen, dem Feind seine Versorgungsmöglichkeiten und Einquartierungsstützpunkte zu entziehen und gleichzeitig den Unterhalt der eigenen Truppen zu sichern.7 Nachdem Phil-

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http://c18.net/dp/index.php (04. 06. 2015); außerdem Marion Br¦t¦ch¦, Les compagnons de Mercure. Journalisme et politique dans l’Europe de Louis XIV, Ceyz¦rieu 2015, insb. S. 32–36, 188f., 243–256, 272f. u. 308f. Geoffrey Symcox, Louis XIV and the outbreak of the Nine Years War, in: Ragnhild Hatton (Hrsg.), Louis XIV and Europe, London 1976, S. 179–212; Walter G. Rödel, Der Pfälzische Krieg (1688–1697) und seine Folgen, in: Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 56 (1989), S. 183–197; Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 2: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684–1745), Stuttgart 1993, S. 15–51; John A. Lynn, The wars of Louis XIV., 1667–1714, London u. a. 1999, S. 191–265. Camille Rousset, Histoire de Louvois et de son administration politique et militaire, Bd. 4: Depuis la paix de NimÀgue, Paris 1863, S. 58–260; Hans B. Prutz, Louvois und die Verwüstung der Pfalz 1688–1689, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 4 (1890), S. 239–274; Kurt von Raumer, Die Zerstörung der Pfalz von 1689 im Zusammenhang der französischen Rheinpolitik, 2. Aufl., Bad Neustadt 1982; Fritz Textor, Entfestigungen und Zerstörungen im Rheingebiet während des 17. Jahrhunderts als Mittel der französischen Rheinpolitik, Bonn 1937, S. 159–278; MichÀle Fogel, La d¦solation du Palatinat ou les al¦as de la violence r¦gl¦e (septembre 1688 – juin 1689), in: Jean-Cl¦ment Martin (Hrsg.), Guerre et r¦pression. La Vend¦e et le monde, Nantes 1993, S. 111–117; Hermann Weber, La strat¦gie de la terre br˜l¦e. Le cas du Palatinat en 1689, in: Alain G¦rard, Thierry Heckmann (Hrsg.), La Vend¦e dans l’histoire, Paris 1994, S. 193–208; John A. Lynn, A brutal necessity? The devastation of the Palatinate, 1688–1689, in: Mark Grimsley, Clifford Rogers (Hrsg.), Civilians in the path of war, Lincoln 2002, S. 79–110; Jean-Philippe C¦nat, Le ravage du Palatinat. Politique de destruction, strat¦gie de cabinet et propagande au d¦but de la guerre de la Ligue d’Augsbourg, in: Revue historique 631 (2005), S. 97–132. Andr¦ Corvisier, Louis XIVet la guerre. De la politique de grandeur — la d¦fense nationale, in: Henry M¦choulan, JoÚl Cornette (Hrsg.), L’¦tat classique 1652–1715, Paris 1996, S. 261–280. Raumer, Zerstörung (wie Anm. 4), S. 98–113. Martin van Creveld, Supplying war. Logistics from Wallenstein to Patton, Cambridge 1997; John A. Lynn, Food, funds, and fortresses. Resource mobilization and positional warfare in the

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335

ippsburg belagert und die ober- und mittelrheinischen Hauptfestungen und Städte eingenommen worden waren, setzten die Truppen des Sonnenkönigs die drei bekannten Taktiken der Zeit ein: Brandschatzung, Verheerung und Entfestigung. Seit Oktober 1688 wurden die Gebiete der Neckar-Rhein-Ebene unter Strafe von Brandschatzung und Geiselnahme mit hohen Kontributionen belastet.8 Darüber hinaus dehnten die französischen Dragonereinheiten ihre Kontributionszüge bis weit nach Schwaben und Franken aus. Im Zusammenhang mit dem Rückzug an die französische Festungslinie des linken Rheinufers, die wegen der Offensive der Verbündeten notwendig geworden war, entschloss sich Ludwig XIV. – beraten von Kriegsminister Marquis de Louvois, FranÅois Michel Le Tellier und Generalstabschef Jules Louis Bol¦ de Chamlay – seit Herbst 1688 zu einer radikalen Kriegsführung am Oberrhein. Im Frühjahr 1689 wurden in der Rheinebene weite Landstriche verheert und zahlreiche Dörfer systematisch niedergebrannt. Vor allem aber wurde die präventive Entfestigung von Städten wie Heilbronn, Pforzheim,9 Frankenthal,10 Mannheim,11 Heidelberg,12 Speyer,13 Worms14 und Oppenheim,15 die eine strategische Schlüsselposition hatten, be-

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wars of Louis XIV, in: John A. Lynn (Hrsg.), Feeding Mars. Logistics in western warfare from the middle ages to the present, Boulder, CO 1993, S. 137–159. Fritz Redlich, De praeda militari. Looting and booty 1500–1815, Wiesbaden 1956; Ronald Th. Ferguson, Blood and fire. Contribution policy of the French armies in Germany (1668–1715), Diss. Minneapolis – St. Paul (University of Minnesota) 1970, S. 56–122; John A. Lynn, How war fed war. The tax of violence and contributions during the Grand SiÀcle, in: Journal of Modern History 65 (1993), S. 286–310. Hans-Peter Becht, Gerhard Fouquet, Pforzheim im Pfälzischen Krieg in den Jahren 1689 und 1690, in: Zeitschrift für Festungsforschung 1 (1982), S. 37–51. Heinrich Herzog, Frankenthals Untergang im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688–1697, in: Pfälzisch-Rheinische Familienkunde 11/10 (1989), S. 434–437. Roland Vetter, »Kein Stein soll auf dem andern bleiben«. Mannheims Untergang während des Pfälzischen Erbfolgekrieges im Spiegel französischer Kriegsberichte, Heidelberg 2002; ders., 1685–1689. Zwischen Krise und Krieg, in: Ulrich Nieß, Michael Caroli (Hrsg.), Geschichte der Stadt Mannheim, Bd. 1, Mannheim 2007, S. 238–266. Robert Salzer, Das Schloss gesprengt, die Stadt verbrannt. Zur Geschichte Heidelbergs in den Jahren 1688 und 1689 und von dem Jahre 1689 bis 1693. Nachdruck der Ausgabe von 1878 und 1879, kommentiert v. Roland Vetter, Heidelberg 1993; Roland Vetter, »Ein anderes Mal werden wir es besser machen«. Aus der Korrespondenz des französischen Kriegsministeriums über die Zerstörung Heidelbergs im Jahre 1689, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 150 (2002), S. 571–580. Wilhelm Harster, Materialen zur Geschichte der Zerstörung der Stadt Speyer 1689, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 14 (1889), S. 1–58; Kurt von Raumer, Die Pfalzzerstörung von 1689. Quellenproblem und Forschungsaufgabe mit besonderem Blick auf die Zerstörung von Speyer, in: Historische Zeitschrift 139 (1929), S. 510–533; Hartmut Harthausen, Der Speyerer Stadtbrand von 1689 im Jahrhundertgedenken, in: Schriftenreihe der Stadt Speyer 5 (1990), S. 19–40. Friedrich Soldan, Die Zerstörung der Stadt Worms im Jahre 1689, Worms 1889; Fritz Reuter, Der Pfälzische Erbfolgekrieg und die Freie Stadt Worms, in: Gerhard Fritz, Roland Schurig

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fohlen und zum Teil umgesetzt. Diese Strategie fand insbesondere in den Erzbistümern Trier, Köln und Mainz im Norden, dem Herzogtum Württemberg16 und der Markgrafschaft Baden im Süden, vor allem aber in der Kurpfalz und ihren Nebenländern sowie den Bistümern Worms und Speyer statt. Die genaue Verbreitung und zeitliche Abfolge dieser Kriegshandlungen ist gleichwohl schwer zu rekonstruieren. Trotz einem überstürzten Abzug dauerten die französischen Brandschatzungen und Plünderungen in der Rheinebene auch im Herbst an. Bis zum Franzoseneinfall 169317 fanden außerdem regelmäßig französische Dragonerüberfälle statt. Obwohl dieser zweite Einfall nicht der gleichen strategischen Logik folgte, ist Heidelbergs zweite Zerstörung 169318 paradoxerweise zum Symbol dieser »extreme application of standard military practices« der Jahre 1688/89 geworden.19 Diese französischen Kriegshandlungen, heute bekannt als die ›Verwüstung der Pfalz‹, schockierten nämlich die Zeitgenossen des Sonnenkönigs. Die Aufmerksamkeit des europäischen Publikums wurde hauptsächlich durch englisch-, französisch- und deutschsprachige Druckerzeugnisse auf diese Kriegshandlungen gelenkt, unter anderem Periodika, Berichte, Flugblätter und Flugschriften. In den Medien lösten sie einen richtigen Skandal aus und wurden zu einer historischen Einheit, einem Ereignis zusammengeführt, das sich aus der alltäglichen Kontinuität des Kriegsgewöhnlichen heraushob.20 Das Ereignis ›Verwüstung der Pfalz‹ ergibt sich aus einem Singularisierungsprozess, bei dem eine Reihe von geographisch verstreuten und chronologisch nicht genauer bestimmten Kriegshandlungen unter eine gemeinsame und vereinfachende Bezeichnung subsumiert wurde. Um die Konstruktion dieses Ereignisses in ihrer Komplexität zu erfassen, soll dieser entscheidend von Druckerzeugnissen geprägte Prozess im Folgenden systematisch zergliedert werden. Innerhalb der

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(Hrsg.), Der Franzoseneinfall 1693 in Südwestdeutschland. Ursachen, Folgen, Probleme, Remshalden-Buoch 1994, S. 27–37. Ernst Jungkenn, Die Entfestigung und Zerstörung Oppenheims 1689 im Zusammenhang mit der französischen Rheinpolitik, in: ders. (Hrsg.), Neue Forschungen zur Geschichte Oppenheims und seiner Kirchen, Darmstadt 1938, S. 135–168. Bernd Wunder, Frankreich, Württemberg und der Schwäbische Kreis während der Auseinandersetzungen über die Reunionen (1679–1697). Ein Beitrag zur Deutschlandpolitik Ludwigs XIV., Stuttgart 1971, S. 81–154. Fritz, Schurig, Franzoseneinfall (wie Anm. 14); Gerhard Fritz, Südwestdeutschland und das Franzosenjahr 1693, in: Württembergisch Franken 79 (1995), S. 117–148. Roland Vetter, Heidelberga deleta. Heidelbergs zweite Zerstörung im Orl¦ansschen Kriege und die französische Kampagne von 1693, Heidelberg 1990; ders., »Toute la ville est brusl¦e«. Heidelbergs Zerstörung 1693. Militärische und politische Ziele Frankreichs im fünften Jahr des Pfälzischen Erbfolgekrieges, in: Badische Heimat 76 (1996), S. 359–375. Lynn, Necessity (wie Anm. 4), S. 100. Pierre R¦tat, Les gazettes. De l’¦v¦nement — l’histoire, in: Êtudes sur la presse au XVIIIe siÀcle 3 (1978), S. 23–38.

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frühneuzeitlichen Medienlandschaft, die auf einer interdependenten, intermedialen und intertextuellen Grunddynamik basierte, beruht diese Zergliederungsarbeit auf einer ›gekreuzten‹ Untersuchung der schriftlichen und bildlichen Verarbeitung der Fakten und der Informationsverbreitung auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Die Untersuchung soll insbesondere die Bedeutung des medialen Austausches bei der Entstehung eines Ereignisses aufzeigen, das als transnational bzw. ›europäisch‹ bezeichnet werden kann, da es sich aus zahlreichen Transfers zwischen den genannten Ebenen ergab.21 Vor dem Hintergrund der grenzüberschreitenden Medienlandschaft Europas und des wachsenden Widerspruchs gegen Ludwig XIV. seit den 1670er Jahren22 ermöglicht das europaweite Medienecho der französischen Kriegshandlungen, die ›europäische‹ Dimension des Ereignisses zu begreifen. Bei dieser histoire 21 Michael Werner, B¦n¦dicte Zimmermann, Penser l’histoire crois¦e. Entre empirie et r¦flexivit¦, in: Annales. Histoire, Scienes Sociales 58 (2003), S. 7–36, hier insb. S. 22f. 22 Zur wachsenden anti-französischen Opposition während der Herrschaft Ludwigs XIV. und insb. der diesbezüglichen Druckproduktion vgl. Johann Alois Zwiedineck-Südenhorst, Die öffentliche Meinung in Deutschland im Zeitalter Ludwigs XIV., 1650–1700. Ein Beitrag zur Kenntnis der deutschen Flugschriften-Litteratur, Stuttgart 1888; Hubert Gillot, Le rÀgne de Louis XIV et l’opinion publique en Allemagne, Paris 1914; Pieter J. W. Van Malssen, Louis XIV d’aprÀs les pamphlets r¦pandus en Hollande, Paris u. a. 1937; Rudolf Meyer, Die Flugschriften der Epoche Ludwigs XIV. Eine Untersuchung der in schweizerischen Bibliotheken enthaltenen Broschüren (1661–1679), Basel 1955; Joseph Klaits, Printed propaganda under Louis XIV. Absolute Monarchy and Public Opinion, Princeton, NJ 1976; Ragnhild Hatton, Louis XIV et l’Europe. Êl¦ments d’une r¦vision historiographique, in: XVIIe siÀcle 123 (1979), S. 109–135; Franz Bosbach, Der französische Erbfeind. Zu einem deutschen Feindbild im Zeitalter Ludwigs XIV., in: ders. (Hrsg.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, Köln u. a. 1992, S. 117–139; Peter Burke, Louis XIV. Les strat¦gies de la gloire, Paris 1995, S. 157–175; Steven C. A. Pincus, From butterboxes to wooden shoes. The shift in English popular sentiment from Anti-Dutch to Anti-French in the 1670s, in: The Historical Journal 38 (1995), S. 333–361; Hans Bots, L’image de la France dans les Provinces-Unies, in: Henry M¦choulan, JoÚl Cornette (Hrsg.), L’Êtat classique, 1652–1715, Paris 1996, S. 341–353; Wolfgang Cilleßen (Hrsg.), Krieg der Bilder. Druckgraphik als Medium politischer Auseinandersetzung im Europa des Absolutismus, Berlin 1997, insb. S. 95–206 u. S. 317–341; Jean Schillinger, Les pamphl¦taires allemands et la France de Louis XIV, Bern 1999; Annie Duprat, Le soleil ¦clips¦. Louis XIV sous le burin des Hollandais, in: L’information — l’¦poque moderne, Paris 2001, S. 91–118; Martin Wrede, Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg, Mainz 2004, S. 324–483; Tony Claydon, Europe and the making of England 1660–1760, Cambridge 2007, S. 152–192; Isaure Boitel, Du barbare — l’oppresseur d¦cr¦pi. L’image de Louis XIV guerrier dans les satires anglaises et hollandaises, in: Cahiers de la M¦diterran¦e 83 (2011), S. 125–134; Charles-Êdouard Levillain, Vaincre Louis XIV. Angleterre – Hollande – France, Paris 2010; Hendrik Ziegler, Der Sonnenkönig und seine Feinde. Die Bildpropaganda Ludwigs XIV. in der Kritik, Petersberg 2010; Donald Haks, Vaderland en vrede, 1672–1713. Publiciteit over de Nederlandse republiek in oorlog, Hilversum 2013, insb. S. 21–57; Isaure Boitel-Devauchelle, L’image noire de Louis XIV. Provinces-Unies, Angleterre, France (1668–1715), Diss. Paris (Paris VIII) 2014.

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crois¦e23 eines Ereignisses mitten im »medialen Tetraeder«24 des frühneuzeitlichen Europa (Altes Reich, Frankreich, England und Vereinigte Niederlande) geht es darum, die Entstehung eines Ereignisses nachzuvollziehen, das seinem Wesen nach ein Medienereignis ist,25 zugleich aber auch sein europäisches Wesen zu hinterfragen.

II.

Periodizität und Textstruktur

In einer Zeit, als sich Informationsflut und -dichte steigerten,26 spielten die Periodizität und die Textstruktur der politischen Informationspresse eine entscheidende Rolle bei der medialen Verarbeitung der französischen Kriegshandlungen. Die Zeitungsnachrichten berichteten als erste mit einer gewissen Regelmäßigkeit – zwischen ein- und sechsmal pro Woche, je nach Erscheinungsfrequenz der Zeitung – über die französischen Militäroperationen. In dieser Hinsicht sind die in den Vereinigten Niederlanden veröffentlichten französischsprachigen Gazetten,27 die sogenannten gazettes de Hollande sowohl aufgrund der Dynamik des niederländischen Buchhandels28 als auch der verwendeten Sprache29 die weltpolitischsten Periodika der Zeit. Hervorzuheben ist,

23 Werner, Zimmermann, Histoire crois¦e (wie Anm. 21). 24 Johannes Arndt, Die europäische Medienlandschaft im Barockzeitalter, in: Irene Dingel (Hrsg.), Auf dem Weg nach Europa. Deutungen, Visionen, Wirklichkeiten, Göttingen 2010, S. 25–40. 25 Thomas Weißbrich, Horst Carl, Präsenz und Information. Frühneuzeitliche Konzeptionen von Medienereignissen, in: Horst Carl, Joachim Eibach (Hrsg.), Europäische Wahrnehmungen 1650–1850. Interkulturelle Kommunikation und Medienereignisse, Hannover 2008, S. 75–98. 26 Daniel Woolf, News, history and the construction of the present in early modern England, in: Brendan Dooley, Sabrina A. Baron (Hrsg.), The politics of information in early modern Europe, London 2001, S. 80–118. 27 Henri Duranton u. a. (Hrsg.), Les gazettes europ¦ennes de langue franÅaise (XVIIe–XVIIIe siÀcles), Saint-Êtienne 1992; Henri Duranton, Pierre R¦tat (Hrsg.), Gazettes et information politique sous l’Ancien R¦gime, Saint-Êtienne 1999; Daniel Reynaud, Chantal Thomas (Hrsg.), La suite — l’ordinaire prochain. La repr¦sentation du monde dans les gazettes, Lyon 1999; Pierre R¦tat, La Gazette d’Amsterdam. Miroir de l’Europe au XVIIIe siÀcle, Oxford 2001. 28 Graham C. Gibbs, The role of the Dutch Republic as the intellectual entrepot of Europe in the seventeenth and eighteenth centuries, in: Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden 86 (1971), S. 323–349; Christine Berkvens-Stevelink u. a. (Hrsg.), Le magasin de l’univers. The Dutch Republic as the center of the European book trade, Leiden 1992. 29 Christine Berkvens-Stevelink, L’¦dition franÅaise en Hollande, in: Roger Chartier u. a. (Hrsg.), Histoire de l’¦dition franÅaise, Bd. 2: Le livre triomphant, 1660–1830, Paris 1990, S. 403–417; Laura Cruz, The geographic extent of the Dutch book trade in the 17th century.

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dass das Schreiben, Drucken und Übersetzen auf Französisch, der langue en partage in Europa,30 einen europäischen Horizont beweisen. Nicht umsonst gelten die Vereinigten Niederlande in dieser Zeit als ›Zentrum der europäischen Information‹.31 Das Nouveau Journal Universel32 ist eine der wichtigsten und zudem die einzige französischsprachige Gazette, die in den Vereinigten Niederlanden am Anfang des Neunjährigen Krieges veröffentlich wurde.33 Der Urahn der bekannten Gazette d’Amsterdam wurde zweimal pro Woche in Amsterdam von zwei geflüchteten Hugenotten, und zwar Claude Jordan34 und Jean Tronchin du Breuil,35 aufgelegt. Abgesehen von den Unterschieden und Besonderheiten in Format und Inhalt bestehen diese Gazetten, wie auch die englisch-36 und deutschsprachigen37 Zeitungen der Zeit, aus scheinbar unbear-

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An old question revisited, in: dies. u. a. (Hrsg.), Boundaries and their meanings in the history of the Netherlands, Leiden 2009, S. 119–138. Pierre-Yves Beaurepaire, Le mythe de l’Europe franÅaise au XVIIIe siÀcle. Diplomatie, culture et sociabilit¦s au temps des LumiÀres, Paris 2007, S. 120; Ferdinand Brunot, Histoire de langue franÅaise des origines — 1900, Paris 1966, Bd. 5, S. 135–145 u. 219–274. Hans Bots, Provinces-Unies, centre de l’information europ¦enne au XVIIe siÀcle, in: Quaderni del Seicento Francese 5 (1983), S. 283–306. Jean Sgard, Gazette d’Amsterdam 2, in: Sgard, Dictionnaire (wie Anm. 2); Hans Bots, La Gazette d’Amsterdam entre 1688 et 1689. Titres, ¦diteurs, privilÀges et interdictions, in: Duranton u. a., Gazettes (wie Anm. 27), S. 31–39; R¦tat, Gazette (wie Anm. 27), insb. S. 15–30. Auch Bots, Gazette (wie Anm. 32), S. 34, schreibt, dass das Nouveau Journal Universel die einzige Gazette war, die 1689 erschienen ist. Allerdings scheinen auch die Nouvelles extraordinaire de divers endroits, die auch unter dem Titel Gazette de Leyde firmierten, ebenfalls zu dieser Zeit erschienen zu sein, wenngleich keine Ausgabe für das Jahr 1689 überliefert ist. Isabella H. van Eeghen, De Amsterdamse boekhandel 1680–1725, Bd. 1: Jean Louis de Lorme en zijn copieboek, Amsterdam 1960, S. 14–23; Bd. 2: Uitgaven van Jean Louis de Lorme en familieleden, Amsterdam 1963, S. 26–42; Klaits, Propaganda (wie Anm. 22), S. 77–85; Marianne Couperus, Claude Jordan, in: Jean Sgard (Hrsg.), Dictionnaire des journalistes, Oxford u. a. 1999, URL: http://dictionnaire-journalistes.gazettes18e.fr/ (04. 06. 2015); Br¦t¦ch¦, Compagnons (wie Anm. 2), insb. S. 63, 75f., 81f., 90f., 187f., 192f., 277–287 u. 297f. Jean Sgard, La dynastie des Tronchin-Dubreuil, in: Roger Durand (Hrsg.), C’est la faute — Voltaire, c’est la faute — Rousseau. Recueil anniversaire pour Jean-Daniel Candaux, Genf 1997, S. 13–21; Jean Sgard, Jean Tronchin du Breuil, in: Sgard, Dictionnaire (wie Anm. 34); Êric Briggs, La famille Tronchin et Jean Tronchin du Breuil, gazetier, in: Gazettes et information politique sous l’Ancien R¦gime, Saint-Êtienne 1999, S. 87–96; Br¦t¦ch¦, Compagnons (wie Anm. 2), insb. S. 64f., 75f., 88–94, 152–167, 185f., 191–197 u. 272f. Robin B. Walker, The newspaper press in the reign of William III., in: The Historical Journal 17 (1974), S. 691–709; James R. Sutherland, The restoration newspaper and its development, Cambridge 1986; Joad Raymond, The invention of newspaper. English newsbooks, 1641–1649, Oxford 1996; Carolyn Nelson, Matthew Seccombe, The creation of the periodical press 1620–1695, in: John Branard u. a. (Hrsg), The Cambridge history of the book in Britain, Bd. 4, Cambridge 2002, S. 533–550. Gerd Fritz, Erich Straßner (Hrsg.), Die Sprache der ersten deutschen Wochenzeitungen im 17. Jahrhundert, Tübingen 1996; Johannes Weber, Der große Krieg und die frühe Zeitung. Gestalt und Entwicklung der deutschen Nachrichtenpresse in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 1 (1999), S. 23–61; Thomas

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beiteten Informationen. Sie bieten eine Aufeinanderfolge von ziemlich rudimentären Texten, die zeitlich und geographisch geordnet sowie gelegentlich minimalistisch kommentiert sind. In seiner Arbeit über die Ereignisse in europäischen französischsprachigen Zeitungen und insbesondere in seinem Buch über Damiens Königsmordversuch an Ludwig XV., zeigt Pierre R¦tat, dass eine solche synchrone und diachrone Aufeinanderfolge eine ›primäre Erzählung‹ (r¦cit primaire) darstellt.38 Seit Oktober 1688 nehmen die Zeitungsnachrichten, die über den französischen Überfall auf den Westen des Reiches berichten, eine narrative Form an und bieten eine vielfach unterbrochene, aber insgesamt kohärente Erzählung der französischen Kriegshandlungen. Das folgende Beispiel stammt vom 13. Januar 1689 aus den Frankfurter Briefen des Nouveau Journal Universel: »On a nouvelle qu’— l’approche des Saxons, les FranÅois avoient abandonn¦ Heilbron et tout le Pas de Wirtemberg: On en attend les particularitez avec la confirmation: cependant la voix publique est, que les FranÅois avoient fait sauter les portes et parties des fortifications de Heilbron, qu’ils avoient pill¦ la Ville, et mis le feu aux quatre coins avant de l’abandonner, et il ya des Passagers qui disent voir vu les flammes des Eglises de plus de deux lieuÚs et demie. […] M. de Montclar arriva le 26. du pass¦ — Spire: Il a fait confisquer & vendre tout le vin de l’EvÞch¦: M. Bel Croy a fait un ¦tat exact de tout le revenu du Lazaret de Spire: M. de la Grange fait visiter tous les papiers de la Chambre de Spire qui ont ¦t¦ portez — Strasbourg, pour voir si l’on n’y trouvera rien qui concerne les affaires de Bourgogne, ou autres, qui puissent servir — la Couronne de France dans l’occasion. On fait la mÞme perquisition dans mes Archives de l’EvÞch¦ de la Ville, & comme le Chancelier y ¦toit en obstacle, les FranÅois lui ont fait d¦fense de faire aucune fonction de sa Charge, que cette recherche n’ait ¦t¦ faite. […] Les Troupes qui nous avons dit dans le Journal pr¦c¦dent avoir pass¦ le Rhin sous le commandement de M. de la Breteche, ont ¦t¦ dans le Pas de Nassau et de Solms, o¾ ils ont br˜l¦ et pill¦ plusieurs Villages; et non contens de cette cruaut¦, Ils ont pris les danr¦es des Pasans, comme leur bled, leur farine, leurs grains, etc. et l’ont jette dans la ruÚ pÞle mÞle, et ont mÞl¦ de la cendre avec la farine, de peur que ces bonnes gens n’en r¦chapassent quelque chose: il est facile de juger du d¦sespoir, v˜ que ce traitement rend leur condition plus mis¦rable que celle des Gal¦riens. Les Soldats ont amen¦ le b¦tail, & charg¦ sur leurs chevaux jusqu’aux cochons salez de ces mis¦rables.«39

Schröder, The origins of the German press, in: Dooley, Baron, Politics (wie Anm. 26), S. 123–150; Rudolf Stöber, Deutsche Pressegeschichte. Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000, S. 58–112; Volker Bauer, Holger Böning (Hrsg.), Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2011. 38 Pierre R¦tat, L’attentat de Damiens. Discours sur l’¦v¦nement au XVIIIe siÀcle, Lyon 1979, S. 15–45. 39 Nouveau Journal Universel 17 (13. 01. 1689) [BNF, M 11707].

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Die gebotenen Nachrichten schwanken zwischen Banalität und bemerkenswertem Detail,40 die französischen Kriegshandlungen werden so als Dialektik zwischen dem Gewöhnlichen und dem Ungewöhnlichen des Krieges und seiner Gewalt präsentiert. Ein großer Teil der in der periodischen Presse gebotenen Informationen betreffen den Krieg,41 und die Kriegszeiten steigern die Nachrichtenproduktion.42 Neben Truppenbewegungen, Aufstellungen der Armeen, Schlachten und Belagerungen, Kontributions- und Brandschatzungsüberfällen, Einquartierungen, Ausschreitungen von Soldaten und Plünderungen sprechen die Nachrichten auch von angeordneten Stadtentfestigungen und -bränden. Die Vorkommnisse gleichen sich, was in der periodischen Presse zu vielfachen Wiederholungen führt. Zugleich dient das Berichten von neuen, aber ähnlichen Vorkommnissen der Bestätigung früherer Nachrichten und kann so einer gewissen Unsicherheit über die tatsächliche Faktenlage entgegenwirken.43 Insgesamt verstärken die sich wiederholenden Berichte in der Publizistik die tatsächlichen Wiederholungen und die Dauerhaftigkeit der französischen Militäroperationen. Aus der geschilderten Dialektik zwischen Gewöhnlichem und Außergewöhnlichem des Krieges schält sich sukzessive ein wahrnehmbares einheitliches Ganzes, das heißt ein Ereignis heraus. Wie Reinhart Koselleck konstatiert hat, ist tatsächlich »ein Minimum von Vorher und Nachher« erforderlich, um »die Sinneinheit, die aus Begebenheit ein Ereignis macht«, zu konstituieren.44 Die Zeitungen berichten dementsprechend ab einem bestimmten Zeitpunkt von den französischen Kriegshandlungen als Teil eines laufenden Ereignisses, das sie 40 R¦tat, Gazettes (wie Anm. 20). 41 Pierre R¦tat, Batailles, in: Daniel Reynaud, Chantal Thomas (Hrsg.), La suite — l’ordinaire prochain. La repr¦sentation du monde dans les gazettes, Lyon 1999, S. 111–122; St¦phane Haffemayer, L’information dans la France du XVIIe siÀcle. La Gazette de Renaudot de 1647 — 1663, Paris 2002, S. 467–499; Sonja Schultheiß-Heinz, Politik in der europäischen Publizistik. Eine historische Inhaltsanalyse von Zeitungen des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 2004, S. 94–96. Für den Zeitraum des Holländischen Krieges schätzt Schultheiß-Heinz, dass sich ca. 70 Prozent aller Nachrichten der von ihr untersuchten Zeitungen – Renaudots französische Gazette, die englischsprachige London Gazette und der Teutsche Kriegs-Kurier – mit Militäroperationen sowie im Zusammenhang von militärischen Konflikten stehenden diplomatischen Aktivitäten befassten. Vgl. jüngst Andrew Pettegree, The invention of news. How the world came to know about itself, New Haven u. a. 2014, insb. S. 208–229. 42 Vgl. z. B. Mario Infelise, The war, the news and the curious. Military gazettes in Italy, in: Dooley, Baron, Politics (wie Anm. 26), S. 216–236. 43 Claude Labrosse, L’incertain et le virtuel. L’¦v¦nement en perspective dans les gazettes du 18e siÀcle, in: Hans-Jürgen Lüsebrink, Jean-Yves Mollier (Hrsg.), Presse et ¦v¦nement. Journaux, gazettes, almanachs (XVIIIe–XIXe siÀcles), Bern 2000, S. 7–25; Charlotte Burel, Le futur, in: Daniel Reynaud, Chantal Thomas (Hrsg.), La suite — l’ordinaire prochain. La repr¦sentation du monde dans les gazettes, Lyon 1999, S. 53–62. 44 Reinhart Koselleck, Darstellung, Ereignis, Struktur, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 1979, S. 144–157, hier S. 145.

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selbst mitgestalten, indem sie es als solches charakterisieren. Am 21. März 1689 konstatieren etwa die Frankfurter Nachrichten des Nouveau Journal Universel: »La d¦solation des Peuples du Palatinat continuÚ, & on auroit de la peine de donner ici une juste id¦e de leur mis¦re.«45 Die historisch-politischen Zeitschriften haben aufgrund ihrer monatlichen Erscheinungsweise einen noch größeren Abstand zum Geschehen.46 Im eingangs zitierten Dilucidator und ebenso in seiner Vorlage, den Lettres sur les matiÀres du temps, benutzt der Redakteur dieselbe Bezeichnung für das Ereignis wie die Zeitungen, nämlich ›desolation‹. Vor allem verkündet er aber den Ausnahmecharakter der französischen Militäroperationen und bekräftigt auf diese Weise ihre Ereignishaftigkeit. In der Tat entstehen die Periodika-Nachrichten aus Konzentrations- und Selektionsprozessen der medialen Bearbeitung der Fakten, durch die die französischen Kriegshandlungen zum Ereignis verdichtet werden.47 Es sei darauf hingewiesen, dass der Verdichtungsprozess zum Ereignis und erst recht der Bezeichnungsprozess eine geographische Vereinfachung mit sich bringen: Die Fokussierung richtet sich auf die Pfalz,48 die auch in der französischen Militärstrategie im Mittelpunkt steht, und überschattet in den Nachrichten die Zerstörungen in anderen Territorien. Die periodischen Nachrichten fügten sich in ein grenzüberschreitendes Informationssystem ein, das auf dem transnationalen Austausch von Nachrichten basierte.49 Die politischen Periodika – Zeitungen und Zeitschriften – trugen aus vielfältigen Quellen Nachrichten zusammen, verbreiteten diese wiederum in kompilierter Form und beteiligten sich so an der Ausarbeitung der ›primären Erzählung‹. Gestützt auf Briefwechsel und geschriebene Zeitungen europäischer Korrespondentennetze50 sind die Periodika ihrem Wesen nach transnational. Sie 45 Nouveau Journal Universel 37 (21. 03. 1689). 46 Myriam Yardeni, Journalisme et histoire contemporaine — l’¦poque de Bayle, in: History and Theory 12 (1973), S. 208–221, hier insb. S. 210–220. 47 Jürgen Wilke, Choix et repr¦sentation d’¦v¦nements dans la presse allemande du 18e siÀcle, in: Hans-Jürgen Lüsebrink, Jean-Yves Mollier (Hrsg.), Presse et ¦v¦nement. Journaux, gazettes, almanachs (XVIIIe–XIXe siÀcles), Bern 2000, S. 65–77; Nina Burkhardt, Wie machen Medien ein Ereignis?, in: Unvergessliche Augenblicke. Die Inszenierung von Medienereignissen, hrsg. v. DFG-Graduiertenkolleg Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Frankfurt/M. 2006, S. 16–21. 48 Hervorzuheben ist die Vieldeutigkeit des Wortes ›Pfalz‹, das sich zugleich auf einen dynastischen, territorialen und geographischen Raum bezieht, drei Bedeutungen, die nicht vollkommen gleichbedeutend sind; vgl. Hansjörg Probst, Die Pfalz als historischer Begriff, Mannheim 1984. 49 Brendan Dooley, Introduction, in: ders. (Hrsg.), The dissemination of news and the emergence of contemporaneity in early modern Europe, Farnham 2010, S. 1–19; St¦phane Haffemayer, Transferts culturels dans la presse europ¦enne au XVIIe siÀcle, in: Le Temps des M¦dias. Revue d’histoire 11 (2008), Heft 2, S. 25–43. 50 Wegen der nur selten erhaltenen Journalistenarchive, ihrer Zerstreuung und der Analyseschwierigkeiten wissen wir wenig über die Erstellung und das Schreiben der Periodika, die

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gehören zu intertextuellen Netzen über Sprachen und Räume und beziehen hieraus durch Austausch und Übersetzung Begrifflichkeiten, Zitate, Umschreibungen usw.: »The vagaries of news transmission across time and space [was] almost infinite«.51 Folglich wurden die Nachrichten über zahlreiche, nur schwer nachvollziehbare Verbreitungsetappen selektiert, umgeschrieben und konzentriert. Das Beispiel des Dilucidator als wortwörtliche Übersetzung der Lettres sur les matiÀres du temps illustriert diesen Mechanismus der Nachrichtenverbreitung. Ein weiteres Beispiel ist die Mikro-Erzählung der Zerstörung Heidelbergs in der Februar-Ausgabe 168952 der deutschsprachigen historisch-politischen Zeitschrift Europäischer Mercurius,53 die jener der 35. Ausgabe des Nouveau Journal Universel vom 14. März54 sehr ähnlich ist. Ebenso gleichen mehrere Nachrichten der London Gazette55 – des offiziellen Organs der englischen Monarchie – und der Relations V¦ritables – der wichtigsten französischsprachigen Gazette der Spanischen Niederlande, die als offizielles Organ angesehen werden kann,56 – einander stark. Ob diese Übereinstimmungen daraus resultieren, dass man dieselben Quellen nutzte oder aber voneinander abschrieb, ist schwer zu sagen. Trotz nicht übersehbarer Unterschiede in der Nachrichtenverarbeitung aufgrund andersartiger ideologischer und verlagsabhängiger Paradigmen, ist allen diesen Periodika das Interesse an den zeitgenössischen Ge-

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Arbeit der Journalisten und ihre Quellen, insb. ihre Gewährsleute und Korrespondentennetze; vgl. Peter Fraser, The intelligence of the secretaries of state and their monopoly of licensed news, 1660–1688, Cambridge 1956; Jens Gieseler, Thomas Schröder, Bestandsaufnahme zum Untersuchungsbereich »Textstruktur, Darstellungsfomen und Nachrichtenauswahl«, in: Gerd Fritz, Erich Straßner (Hrsg.), Die Sprache der ersten deutschen Wochenzeitungen im 17. Jahrhundert, Tübingen 1996, S. 29–69; Gilles Feyel, L’annonce et la nouvelle. La presse d’information en France sous l’Ancien R¦gime (1630–1788), Oxford 2000, S. 172–191; Haffemayer, Information (wie Anm. 41), S. 467–499; Andr¦ Belo, Nouvelles d’Ancien R¦gime. La Gazette de Lisbonne et l’information manuscrite au Portugal (1715–1760), Diss. Paris (EHESS) 2005; FranÅois Moureau, La plume et le plomb. Espaces de l’imprim¦ et du manuscript au siÀcle des LumiÀres, Paris 2006, insb. S. 259–276 u. 459–476; Br¦t¦ch¦, Compagnons (wie Anm. 2), insb. S. 152–197. Dooley, Introduction (wie Anm. 49), S. 15. Europäischer Mercurius (Februar 1689), S. 34 [München, Bayerische Staatsbibliothek (im Folgenden: BSB), Res 4 Eur. 185 m]. Johannes Weber, Götter-Both Mercurius: Die Urgeschichte der Politischen Zeitschrift in Deutschland, Bremen 1994, S. 125–133. Nouveau Journal Universel 35 (14. 03. 1689). Phillys M. Handover, History of the London Gazette, 1665–1965, London 1965; Fraser, Intelligence (wie Anm. 50), insb. S. 46–56. [N.N.], Relations V¦ritables, in: Sgard, Dictionnaire (wie Anm. 2); Jacques Hellemans, L’apparition des gazettes en Belgique. Le Postillon ordinaire, la R¦cite et le Cour(r)ier v¦ritables des Pays-Bas, in: Duranton u. a., Gazettes (wie Anm. 27), S. 13–21; und insb. Paul Arblaster, Policy und publishing in the Habsburg Netherlands, 1585–1690, in: Dooley, Baron, Politics (wie Anm. 26), S. 179–198; ders., From Ghent to Aix. How they brought the news in the Habsburg Netherlands, 1550–1700, Leiden 2014, S. 220–255.

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schehnissen gemeinsam.57 In einer Zeit, in der »the number of people simultaneously reading or discussing variants of the same news«58 und dadurch auch das »potential for contemporaneity«59 stiegen, bildeten die auf Französisch, Deutsch und Englisch berichteten Kriegshandlungen eine Art transnational geteilter Aktualität. Trotz Unterschieden bei den publizistischen Merkmalen zeigen sich nämlich wesentliche Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen in der Behandlung der Nachrichten.60

III.

Erzählsequenzen und Deutungsmuster

Ferner bestimmten die Druckerzeugnisse die Struktur des Ereignisses, indem sie seine grundlegenden Erzählkomponenten festlegten. Tatsächlich sind Ereignisse nach einem erzählenden Bezugsgerüst gegliedert.61 Als ein sich entfaltendes Ereignis organisierte sich die Erzählung der französischen Kriegshandlungen insbesondere nach Stadtzerstörungen, die sich zu den grundlegenden Erzählsequenzen entwickelten. Das erzählende Bezugsgerüst konzentriert sich auf einige der Städte, die durch die Armeen Ludwigs XIV. entfestigt und niedergebrannt wurden, und zwar in erster Linie Mannheim, Heidelberg, Speyer, Worms und Oppenheim. Manchmal hebt die Typografie der Periodika diese Sequenzierung der Ereignisse hervor. In den englischen Periodika werden die Namen üblicherweise in Kursivschrift gedruckt. In ähnlicher Weise akzentuieren die fett und mittig geschriebenen Namen der von den französischen Zerstörungen betroffenen Städte die Erzählung der deutschsprachigen Zeitschrift Europäischer Mercurius. In Folge des Verlaufs der französischen Militäroperationen organisierte sich diese Sequenzierung außerdem durch die Gruppierung von Städten. 57 Vgl. u. a. Schultheiß-Heinz, Politik (wie Anm. 41); dies., Contemporaneity in 1672–1679. The Paris »Gazette«, the »London Gazette«, and the »Teutsche Kriegs-Kurier«, in: Brendan Dooley (Hrsg.), The dissemination of news and the emergence of contemporaneity in early modern Europe, Farnham 2010, S. 115–135. 58 Woolf, News (wie Anm. 26), S. 83. 59 Dooley, Introduction (wie Anm. 49), S. 2. 60 Es ist nicht verwunderlich, dass die Gazette von Renaudot, das offizielle Organ der französischen Monarchie, kaum über die französischen Militäroperationen berichtet. Wenn sie es doch tut, ist davon auszugehen, dass die Autoren das Vorgehen nicht als außergewöhnlich, sondern als im Rahmen des Krieges legitim einstuften. Zur Gazette vgl. Gilles Feyel, Gazette [de France], in: Sgard, Dictionnaire (wie Anm. 2); Feyel, Annonce (wie Anm. 50); Haffemayer, Information (wie Anm. 41). 61 Meine Analyse basiert auf den Überlegungen zum Ereignisbegriff von Hans-Jürgen Lüsebrink, Rolf Reichardt, Die Bastille. Zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit, Frankfurt/M. 1990, S. 59–92, am Beispiel der Erstürmung der Bastille; vgl. auch Hans-Jürgen Lüsebrink, Le tremblement de terre de Lisbonne dans des p¦riodiques franÅais et allemands du XVIIIe siÀcle, in: Duranton, R¦tat, Gazettes (wie Anm. 27), S. 302–311.

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Zuerst berichten die Drucknachrichten über die aufeinander folgenden Zerstörungen von Mannheim und Heidelberg, die von Anfang an mit der französischen Militärstrategie verbunden werden. Dann kündigen sie die Zerstörungen von Speyer, Worms und Oppenheim an, die gleichzeitig Ende Mai 1689 stattfanden. Am 3. Juni notiert der Marquis de Dangeau, Philippe de Courcillon, ein Höfling Ludwigs XIV., in seinem Tagebuch: »On a fait br˜ler Spire, Worms et Oppenheim«.62 In ihrer Ausgabe vom 30. Mai [8. Juni]63 berichtet eine der wichtigen deutschsprachigen Zeitungen, und zwar der in Hamburg von Friedrich Conrad Greflinger64 publizierte Nordische Mercurius:65 »Vergangenen Dienstag haben die Frantzosen die Städte Speyer / Wormbs und Oppenheim angezündet«.66 Frankfurter Nachrichten der Ausgabe vom 8. Juni der Relations V¦ritables avisieren: »L’on a v¾ en flames Openheim, Vorms, Spire, & autres Places«.67 Auch die Kölner Nachrichten der London Gazette derselben Woche melden, dass die Franzosen »have now lately reduced to ashes the Cities of Spire, Worms and Oppenheim, there not being left in these famous Places one House standing«.68 Die Lettres sur les matiÀres du temps beziehen sich in der 11. Ausgabe vom 15. Juni auf dieselbe Städtesequenz.69 Es ist daher kein Zufall, dass sich die Mai-Ausgabe des Europäischen Mercurius mit den Zerstörungen in ein und derselben Nachrichtensequenz mit »Speyer / Worms und Oppenheim« befasst.70 Parallel berichtet eine gemeinsame deutschsprachige Relation von der gleichzeitigen Zerstörung dieser drei Städte.71 In ihrer Reihe von elf Sepiazeichnungen 62 Philippe de Courcillon (marquis de Dangeau), Journal du Marquis de Dangeau, Bd. 2, Paris 1854, S. 406. 63 Sofern nicht anders in Klammern angegeben, folgen die Daten dem Gregorianischen Kalender. 64 Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, Wiesbaden 2007, S. 343. 65 Else Bogel, Elger Blühm, Die deutsche Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Ein Bestandsverzeichnis mit historischen und bibliographischen Angaben, Bd. 1, Bremen u. a. 1971, S. 180–185; Elger Blühm, Nordischer Mercurius (1665–1730), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, München 1972, S. 91–102; Carsten Prange, Die Zeitungen und Zeitschriften des 17. Jahrhunderts in Hamburg und Altona, Hamburg 1978, insb. S. 125–177; Holger Böning, Emmy Moepps, Deutsche Presse. Bibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815, Bd. 1, Stuttgart u. a. 1996, S. 19–30; Holger Böning, Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel, Bremen 2002, insb. S. 40–52. 66 Nordischer Mercurius 84 (30. 05. 1689) [Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, FX 219]. 67 Relations V¦ritables (08. 06. 1689) [Brüssel, BibliothÀque royale de Belgique, VB 7.845 A]. 68 London Gazette 2458 (30.05.–03. 06. 1689) [London, British Library, Burney Collection]. 69 Lettres sur les matiÀres du temps 2 (15. 06. 1689), S. 178f. 70 Europäischer Mercurius (Mai 1689), S. 78. 71 Gründliche und eigentliche Beschreibung Derer Weyland schönen Nun aber Durch unerhörte Grausamkeit der überbarbarischen Franzosen gäntzlich ruinirt- verbrannts- und de-

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über die Zerstörung von Worms, die sie dem dortigen Rat im Mai 1690 vorlegten, stellen der Schreinermeister und Ratsherr Peter Hamman und sein Sohn Johann Friedrich die drei Zerstörungen als ein untrennbares Ganzes dar [Abb. 1].72 Auch in späteren Berichten73 und Flugschriften74 stellt die Sequenzierung bei Städtezerstörungen das grundlegende erzählende Bezugsgerüst des Ereignisses dar. Die Gruppierung der Städte wird also typisch für die ikonographische und erzählerische Verarbeitung der drei Zerstörungen. Ein wesentliches Charakteristikum des frühneuzeitlichen Medienereignisses ist seine »Plurimedialität«.75 Die mediale Aufbereitung eines Ereignisses beruhte, wie bereits angedeutet, auf einem intermedialen Austausch, der zudem transnational war. Wie anhand der Berichte über die Zerstörung von Städten und Territorien im Rheinland und in der Pfalz gezeigt wurde, haben diese Texte einen wesentlichen Anteil an der Entstehung einer primären Erzählung der französischen Kriegshandlungen und insbesondere auch an der Fixierung einer Ereignissequenz. Im Westen des Reiches sind Druck und Verbreitung dieser Berichte nicht zuletzt auf unterschiedliche politische und diplomatische Entscheidungen zurückzuführen, die den französischen Kriegshandlungen eine differenzierte mediale Sichtbarkeit ermöglichten. Während etwa das Herzogtum

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solirten Städten Speyer / Worms Und Oppenheim / Welche Wider alle gegebene Parolen / und theuer geschehene Versicherung / Den 23. May dises 1689. Jahrs erfolget. Deme beygefüget der warhafte Bericht von deß Melacs Hund und einem Evangelischen Pfarrern, o. O. 1689 [Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Nd 1121 (2)]. Fritz Reuter, Peter und Friedrich Hamman. Handzeichnungen von Worms aus der Zeit vor und nach der Stadtzerstörung 1689 im »Pfälzischen Erbfolgekrieg«, Worms 1989. Vgl. u. a. Die Betrübte und Zerstörte Chur-Pfaltz / welche Die Barbarischen und Tyrannischen Frantzozen an Heydelberg / Mannheim / Speyer / Worms / Franckenthal und Landau, Mord-brennerisch und unchristlich in die Asche geleget und alles Volck erbärmlich daraus verjaget. Welches mit Schrecken und nicht ohne Thränen allhie kan gelesen werden, o. O 1689 [Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek (im Folgenden: HAB), Gl Kapsel 3 (39)]. Vgl. z. B. die folgende französischsprachige Flugschrift, die 1689 wahrscheinlich in Amsterdam veröffentlicht wurde, und ein Verlagserfolg gewesen ist. Bekannt sind drei Ausgaben auf Französisch – angegeben wird nur die zitierte – sowie eine auf Englisch, eine auf Niederländisch und eine auf Deutsch: La Verite Chrestienne a l’Audiace du Roy Tres-Chrestien, Donn¦e — Versailles, le 15. de Juillet 1689, [Amsterdam?] 1689 [Den Haag, Koninklijke Bibliotheek (im Folgenden: KB), 13138]; A New Declaration of the Confederate Princes and States, against Lewis the Fourteenth, King of France, and Navarr. Delivered in a Late Audience at Versailles, July the 15th, 1689. Trisid– fumantia flamm– Corpora dant tumulo signantq; hoc Carmine Saxum Hic Situs est Phaeton, currus auriga Patern Quem si non tenuit, magnis tamen exidit ausis – Ovid. Metam. Lib. 2, London 1689 [Early English Books Online (im Folgenden: EEBO), Wing N611]; De Christelyke Waerheyt, Getoont ter audientie van den Alder-Christelycksten Koning tot Versailles den 15 July 1689, Amsterdam 1689 [KB, 13139]; Der Christlichen Warheit gehabte Audiens Bey dem Allerchristlichsten König Ludwig dem XIV. zu Versailles. Am Neuen Jahrs-Tag 1690. Worinnen im Namen dess gantzen Christlichen Europae, dem König sein bis anhero Un-Christliches Verfahren zu Gemüth geführst / und von ihm derowegen Rechenschafft begehret wird, o. O. [1690] [BSB, Res 4 Eur. 383,54]. Weißbrich, Carl, Präsenz (wie Anm. 25), S. 96.

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Abb. 1: Peter und Johann Friedrich Hamman, Die drei brennenden Städte Worms, Speyer und Oppenheim am Pfingstdienstag 1689, 1689/90, Sepiazeichnung, Stadtarchiv Worms.

Württemberg Daniel Speers Flugschrift über die französischen Militäroperationen in Schorndorf und Göppingen zensierte,76 förderten die verschiedenen pfälzischen Verwaltungen eine entsprechende Berichterstattung. So zeigen etwa die Mannheimer Stadtrechnungen, dass der Stadtrat die Veröffentlichung einer sogenannten Zerstörungsrelation bei einem Hanauer Buchdrucker finanzierte,77 die auf Deutsch und auf Französisch in je 500 Exemplaren gedruckt wurde.78 Obwohl sie nicht die am stärksten zerstörte Stadt war, stand die Residenzstadt 76 Manfred Koschlig, Daniel Speer und die Ulmer Bücherzensur. Dokumente zur Bibliographie seiner politisch-satirischen Schriften, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 15 (1975), S. 1201–1288. 77 Die Stadtrechnungen sind leider während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen, Miscellanea. Berichte über die Zerstörung Mannheims durch die Franzosen 1689, in: Mannheimer Geschichtsblätter 2 (1901), Sp. 165f. 78 Wahrscheinlich handelt es sich um diese zwei Berichte: Relation Und Gründliche Beschreibung der von denen Frantzosen in der Churfürstlichen Pfaltz schön- vor wenig Jahren neu- und durchauß regular gebauten Stadt Mannheim verübter un-Christlicher Proceduren und erbärmlicher Verwüstung / im Jahr 1689, o. O. 1689 [Heidelberg, Universitätsbibliothek, B 5258]; La Desolation de la Ville Electorale de Manheim par les FranÅois, o. O. [1689] [Heidelberg, Universitätsbibliothek, MAYS MISC B 20 RES].

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Abb. 2: Umständliche Beschreibung Der Französ. Grausamkeit in Heydelberg / Welche vom verwichenen Octobris 1688. Bis in das Monat Februarii 1689. verübet worden, Nürnberg [1689].

Heidelberg im Mittelpunkt aller Interessen der kurpfälzischen Behörden. Diese bestellten anonym den Druck einer Relation, die der Regierungsrat Riesmann dem Kurfürsten von der Pfalz Philipp Wilhelm im März 1689 geschickt hatte.79

79 Bericht, was die Königl. französische garnison zu Heidelberg unterm commando des Brigadiers Comte de Melac, in denen umb selbige Churfürstliche Residenzstatt gelegenen

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Im deutschsprachigen Raum wurde diese Relation mindestens dreimal nachgedruckt.80 Sie wurde mit unterschiedlichen Titeln81 und zum Teil mit einer anonymen Zerstörungsradierung in einem Flugblatt82 wieder aufgelegt [Abb. 2]. Eine Version der Relation erschien auch in den Neuauflagen von zwei Flugschriften über die französischen Kriegshandlungen in Schwaben und Speyer83 und zugleich in einer Speyerer Zerstörungsrelation.84 Sie wurde danach aus-

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Stättlein, Flecken und Dorfschafften vom 28ten Jan. biß 3ten Febr. Verübet, Generallandesarchiv Karlsruhe, 77/3701, fol. 94–97. Bericht / Was Die Königl. Frantzösische Guarnison zu Heydelberg / unterm Commando deß Brigadiers / Comte de Melac, in denen um selbige Churfürstl. Residentz-Stadt gelegene Städtlein / Flecken und Dorffschafften / vom 28. Januar. bis den 3. Feb. 1689. vor erschröckliche Grausamkeiten verübet, o. O. [1689] [BSB, Res 4 Eur. 381,34]; Bericht / Was Die Königl. Frantzösische Guarnison zu Heydelberg / unterm Commando deß Brigadiers / Comte de Melac, in denen um selbige Churfürstl. Residentz-Stadt gelegene Städtlein / Flecken und Dorffschafften / vom 28. Januar. bis den 3. Feb. 1689. vor erschröckliche Grausamkeiten verübet, o. O. [1689] [HAB, Gl Kapsel 1 (33)]; Bericht / Was Die Königl. Frantzösische Guarnison zu Heydelberg / unterm Commando des Brigadiers / Comte de Melac in denen um selbige Churfürstl. Residentz-Stadt gelegene Städtlein Flecken und Dorffschafften / vom 28. Januar. bis den 3. Feb. 1689. vor erschröckliche Grausamkeiten verübet, o. O. [1689] [Staats- und Landesbibliothek Dresden (im Folgenden : SLUB), Hist. Rhen. inf. 206,42]. Das Ehmahlig Pracht-gezierte / Nunmehro Elendig-ruinirte Churfürstliche Residenz-Schloß Heidelberg / Gantz eigentlich in Kupffer abgebildet / Nebst einer Relation Von den grausamen Proceduren / mit welchen die Stadt und umgelegene Landschafft zu Heydelberg von dem Frantzösischen Mord-Brenner Melac, seit dem Friedbrüchigen Einfall jämerlich gequälet / und durch Plündern / Sengen und Brennen erbärmlich ruiniret worden, Augsburg 1689 [BSB, 4 Germ.sp. 160 m]. Umständliche Beschreibung Der Französ. Grausamkeit in Heydelberg / Welche vom verwichenen Octobris 1688. Bis in das Monat Februarii 1689. verübet worden, Nürnberg [1689]. Vgl. Sigrid Wechssler, Flugblätter. Aus der Frühzeit der Zeitung. Gesamtverzeichnis der Flugblatt-Sammlung des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg, Heidelberg 1980, Nr. 165; Frieder Hepp, »Weh dir Pfalz«. Erfahrungen wiederholter Kriegszerstörungen an Rhein und Neckar, in: Volker Gall¦ u. a. (Hrsg.), Kurpfalz und Rhein-Neckar. Kollektive Identitäten im Wandel, Heidelberg 2008, S. 135f.; ders., Heidelberg deleta: die Zerstörung Heidelbergs im Bild, in: Susan Richter, Heidrun Rosenberg (Hrsg.), Heidelberg nach 1693. Bewältigungsstrategien einer zerstörten Stadt, Weimar 2010, S. 53–76, hier S. 65f. Zwey besondere Neuigkeiten vorstellend Der Neu-aufgewachte Mordbrenner / La Broche: Worinnen der Franzosen March / und Brand in Schwaben / und Francken enthalten: Ferner der durch das Schorndorffische Und Göppingische Weiber-Volck Geschüchterte Hahn; Sambt einem Anhang Eines Copia Schreiben aus Stuttgart / Vom 20. 30. Januar. An. 1689. an Einen vornehmen Ministrum zu N. N. Betreffend die letzte Frantzösische Begegnus daselbsten; Und dann mit einem Kupffer und einer Land-Charten gezieret, o. O. 1689 [Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, O 4: 19 m]. Eigentliche Beschreibung Der Stadt Speyer Wie tyrannisch und unchristlich die Barbarischen Franzosen mit derselben Stadt und Inwohnern verfahren sind. Inngleichen Kurtzer Bericht / Was die Königl. Frantzös. Guarnison in Heydelberg / unterm Commando des Brigadiers Comte de Melac in denen um selbigen Churfürstl. Residenz-Stadt gelegenen Städlein / Flecken und Dörffschafften von 28. Aprilis biß den 5ten Maij vor schreckliche Grausamkeiten verübet, Frankfurt/M. 1689 [ULB Halle, AB 44 1/k, 5 (9)].

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zugsweise in verschiedenen, eher allgemeinen deutschsprachigen Flugschriften gegen Frankreich wiederverwendet.85 Auf diese Weise wurde die Relation Teil einer umfassenderen Erzählung der französischen Kriegshandlungen in der Rheinebene, die das Ereignis gestaltete. Obwohl sie jeweils umgeschrieben wird, diente die originale Version bei dieser Überarbeitung als Muster. Von nun an erhielt die Relation im deutschsprachigen Raum eine Schlüsselposition in der narrativen Fixierung der Ereignissequenz ›Heidelberg‹. Darüber hinaus wirkte die Relation auch international: Sie wurde ins Niederländische86 und Englische87 übersetzt. Die Wirkung war vergleichbar. Die Verfasser der Periodika stützten sich auf diese Zerstörungsberichte, um ihre Nachrichten zu schreiben. So beginnen die Lettres sur les matiÀres du temps und deren englische Übersetzung im Dilucidator ihre kommentierte Nacherzählung mit der Vermutung, dass der fiktive Korrespondent und damit auch der Leser selbst die Heidelberger Berichte gelesen habe. Letztere sind sicherlich das Bindeglied, um die vorher vermerkte Ähnlichkeit der Heidelberger Nachrichten des Nouveau Journal Universel und des Europäischen Mercurius zu verstehen. Dieselben Mechanismen existieren für andere Städte, von deren Zerstörung die Nachrichten berichten. Allerdings ist bemerkenswert, dass die Zerstörung Heidelbergs für alle rheinischen Städtezerstörungen, und sogar für die französischen Militäroperationen insgesamt repräsentativ wird. Die Lettres sur les matiÀres du temps und ihre englische Übersetzung berichten über sie auf eben diese Weise. Auch die englische Übersetzung der originalen Relation, die laut Titel die Pfalz insgesamt betrifft, obwohl der Inhalt sich nur mit Heidelberg und seiner Umgebung befasst, be-

85 Zwei Beispiele: Des Grossen Gottes gerechte und schwere Gerichte über Teutschland / Durch den König in Franckreich / Ludwig den XIV. und dessen Kriegs-Heer ausgeübet. Heraus gegeben von Christiano Germano Psal. 119. Herr / du bist gerecht / und deine Gerichte über uns sind auch recht, Dresden 1689 [SLUB, Hist.Germ.D.214,24]; Die Waagschale der Frantzosen / Oder Das auff die Schaubühne gestellte Franckreich / Darinne nicht nur desselben Königreichs itzige Beschaffenheit / sondern auch dieser beschriebenen Nation grosse Untreue / erschröckliche Gottlosigkeit / Höchststraffbarer Meineyd / Hochmuth / Tyranney / und andere dergleichen abscheuliche Haupt-Laster / mit vielen glaubwürdigen und unverwerfflichen Exempeln dargeleget werden Woraus der bevorstehende Untergang Ludewigs des XIV. oder Bösen gantz leichte zu vermuthen / Wohin dann auch die beygefügte Vorsagung / des Berühmten Astrologi, Hn. Gottfried Güttners / von dem Anno 1680. erschienenen großen Wunder-Cometens gantz deut-lich zielet. Allen auffrichtigen Teutschen Patrioten / zu Liebe und Nachricht in den Druck gegeben. Dan. V. 28. Man hat dich in einer Waage gewogen / und zu leichte funden., o. O 1689 [HAB, QuN 127 (21)]. 86 Bericht der Gruweldaden Die door de Besetting, of het Garnisoen van de Keur-Paltse Hofstadt Heydelbergh in dezelve, en de daer onder hoorende Vlecken en Dorpen, onder het commando van den Brigadier den Grave van Melac, zedert den 28 January tot den 3 February 1689. is bedreven, Amsterdam [1689] [KB. K 13087]. 87 A True Account of the Barbarous Cruelties Committed by the French in the Palatinate, in January and February last, London 1689 [EEBO, Wing T2342].

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zeugt beispielhaft diese Fokussierung.88 Diese gedruckte Sichtbarkeit der Zerstörung einer der wichtigsten und schönsten rheinischen Städte – der kurpfälzischen Residenz und Heimat der ältesten deutschen Universität – trägt somit zur Herausbildung des Exemplums Heidelberg maßgeblich bei. Bezüglich der ikonografischen Verarbeitung der Ereignisse ist anzumerken, dass die deutschen Radierer die aus dem Dreißigjährigen Krieg geerbten figuralen Darstellungen der Kriegsgewalt aufgeben, um eher Panoramen von brennenden Städten darzustellen [Abb. 3].89 Die ikonografische Sichtbarkeit von Heidelberg ist in diesem Zusammenhang beträchtlich [Abb. 2 u. 4].90

Abb. 3: Oppenheim in Brand, Kupferstich im Europäischen Mercurius, 1689.

88 Vgl. Anm. 87. 89 Europäischer Mercurius (Mai 1689), S. 78f. Es handelt sich um eines der vier Panoramen von zerstörten Städten, die in den Ausgaben des Europäischen Mercurius im Jahr 1689 veröffentlicht wurden, vgl. die Angaben in Anm. 90. Ähnliche Kupferstiche wurden im zweiten Band eines deutschen Berichts der französischen Militäroperationen in den rheinischen Territorien veröffentlicht: Des jetzt-regirenden / Französischen Königs / allergrausamste / Tyranney / und kaum erhörte j Mord-Brennerey Erste Fortsetzung; … / Mit schönen Kupffern gezieret. / Gedruckt im Jahr Christi 1689., o. O. 1689 [BSB Res Eur. 824–2]. 90 Diese Radierung war ebenfalls ein Verlagserfolg. Sie wurde mehrmals wiederaufgelegt und auch in anderen Druckerzeugnissen wie der Februar-Ausgabe 1689 des Europäischen Mercurius veröffentlicht, Wechssler, Flugblätter (wie Anm. 82), Nr. 166; Hepp, Pfalz (wie Anm. 82), S. 137; ders., Heidelberg (wie Anm. 82), S. 67.

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Abb. 4: Die von den Barbarischen Frantzosen erbärmlich-zugerichtete und Chur-Fürstl. Residentz-Stadt Heidelberg, o. O. [1689].

Die Sequenzierung der Ereignisse besteht aber auch aus Topoi, die andere elementare Erzählsequenzen darstellen. Als beispielhaft dafür kann der Fall der Plünderung der Kaisergräber in Speyer dienen, über den die Drucknachrichten berichten91 und der dann in verschiedenen Flugschriften aufgegriffen wird,92 um 91 Vgl. z. B. Relations V¦ritables (16. 07. 1689); Nordischer Mercurius 88 (06. 06. 1689) u. 97

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längerfristig einer der sinnbildlichen Topoi der Franzosen zu werden.93 So verwundert es nicht, dass Theobald von Oer diese Sequenz um 1860 wählt, um die Verwüstung von Speyer und umso mehr die französischen Kriegshandlungen darzustellen [Abb. 5]. Der Topos von den streunenden Flüchtlingen, die bei den französischen Militäroperationen vertrieben wurden, ist ein anderes interessantes Beispiel. Abgesehen von den Leuten, die vor den gewöhnlichen Kriegsgewalttätigkeiten flohen, war die Anzahl von Flüchtlingen wegen der Zerstörung von größeren und kleineren Städten sowie Dörfern groß. Seit Januar 1689 erhielten die 6.000 Mannheimer Einwohner den Befehl, ihre Häuser mit ihren Gütern zu verlassen, bevor die Stadt Anfang März in Brand gelegt wurde, um die Entfestigung zu vervollkommnen. Große Gemeinschaften von Flüchtlingen bildeten sich insbesondere in Frankfurt, wohin zahlreiche Magistrate und Stadträte geflohen waren.94 Am 25. Februar [7. März] erklären die Frankfurter Nachrichten des Nordischen Mercurius: »Jüngst gemelte Evacuation der Stadt und Schlosses Heydelberg / so einige Passagiers aus der Pfaltz gewiß ausgesaget / continuiret nicht / wohl aber / daß alles darzu parat stehe«.95 Die Zeitung gibt hier einen Hinweis auf die Bedeutung der mündlichen Weitergabe von Informationen für die Nachrichtenverbreitung und, in diesem Fall, für den vermutlich bedeutenden Beitrag der Flüchtlinge zur Streuung der Nachrichten über die französischen Militäroperationen. Am 9. Juni vermerken die Frankfurter Nachrichten des Nouveau Journal Universel: »Il est venu quelques passagers de Spire.«96 Am 11. Juni berichten die Baseler Nachrichten der Relations V¦ritables, dass »plusieurs centaines de charettes & de chariots [ont] d¦ja pass¦ par ces endroits, sans conter plus grand nombre qui passent encore de l’autre cút¦ du Rhin«.97 Am 16. Juni zeigen die Frankfurter Nachrichten des Nouveau Journal Universel an: »Ces familles desol¦es sont d¦ja r¦panduÚs dans plusieurs endroits de l’Europe, o¾ elles sont errantes«.98 Die elenden Flüchtlinge werden zur Hauptfigur des Ereignisses. So behauptet eine Flugschrift: »Plusieurs milliers d’ames de tout Sexe & –ge qui courent par le monde, font des Trompettes qui (21. 06. 1689). 92 Vgl. z. B. Verite (wie Anm. 74), S. 44, sowie die Übersetzungen Waerheyt (wie Anm. 74), S. 28; Warheit (wie Anm. 74), S. 35; Declaration (wie Anm. 74), S. 15. 93 Vgl. z. B. Victor Hugo, Lettre XXVII, in: Le Rhin, lettres — un ami, Bd. 2, Paris 1845, S. 317–319. 94 Karl Zinkgräf, Mannheimer Flüchtlinge in Weinheim während der Jahre 1689 bis 1697, in: Mannheimer Geschichtsblätter 26 (1925), S. 255–259; 27 (1926), S. 13–16; Wolfgang Hartwich, Speyer vom 30jährigen Krieg bis zum Ende der Napoleonischen Zeit (1620 bis 1814), in: Wolfgang Eger (Red.), Geschichte der Stadt Speyer, 2. Aufl., Stuttgart 1983, S. 30; Reuter, Erbfolgekrieg (wie Anm. 14), S. 31. 95 Nordischer Mercurius 32 (25. 02. 1689). 96 Nouveau Journal Universel 60 (09. 06. 1689). 97 Relations V¦ritables (11. 06. 1689). 98 Nouveau Journal Universel 62 (16. 06. 1689).

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publient sans deguisement ni exaggeration, les barbaries, les cruaut¦s, les incendies, & les impiet¦s que les FranÅois ont commis dans le Palatinat.«99

Abb. 5: Die Franzosen in der Pfalz, Holzstich nach einer Zeichnung von Theobald von Oer, um 1860.

Das Aufschreiben der Nachrichten, das sich selbst notwendigerweise auf den Prozess der Ereigniskonstruktion auswirkt, stützt sich auf ein Repertoire von ständig nacherzählten und wieder angeeigneten Bildstereotypen und Deutungsmustern. Unter diesen verschiedenen Deutungsmustern ist das biblische allgegenwärtig. Obwohl der gegenüber der Sünde unversöhnliche Gott des Alten Testaments zum einen implizit durch den Wortschatz der Stadtzerstörungen100 und zum anderen explizit in gewissen Flugschriften101 und protestantischen Predig99 La Campagne des Allemans de l’Ann¦e 1690. Oppos¦e — leur InterÞt particulier, & — celuy des Alliez, Köln 1691, S. 57 [HAB, Gl 738]. 100 Außer Episoden aus dem Buch Genesis, wie der Zerstörung von Sodom und Gomorra, und Levitikus sind die hauptsächlichen biblischen Bezugnahmen die großen hinteren Propheten Jesaja, Ezechiel, Jeremia und Daniel sowie die kleinen Amos und Hosea. 101 Der traurige Pfingst-Tag der Edlen und hochberühmten freyen Reichsstadt Speyr / Als sie durch die Barbarische Tyranney der Frantzosen angezündet / verbrannt und kein Stein auf dem andern gelassen worden / Geschehen den 20. (30.), 21. (31.). Mäy. Im Jahr 1689. Wird

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ten102 präsent ist, spielt insbesondere das eschatologische Deutungsmuster – gegründet auf das Buch Daniel und die Offenbarung des Johannes – eine wesentliche Rolle in der narrativen Fixierung des Ereignisses. Dieses Deutungsmuster ist durch typische Wendungen präsent. So lässt sich etwa die Formulierung »keinen Stein auf dem anderen lassen« auf die erste Rede über die Endzeit, also auf die Prophezeiung der Tempelzerstörung durch Jesus zurückführen: »Wahrlich, sag ich euch, es wird hie kein Stein auf dem andern gelassen werden, der nicht zerbrochen werde« (Matthäus 24,2).103 Die Formulierung ist eng mit der Zerstörung Mannheims verknüpft und wird bereits in den diesbezüglichen Anweisungen für das französische Militär verwendet. So kündigt Kriegsminister Louvois dem Elsässer Intendanten Jacques de La Grange am 17. November 1688 an: »Je vois le roi assez dispos¦ — faire razer entiÀrement la ville et la citadelle de Manheim, et en ce cas, d’en faire d¦truire entiÀrement les habitations, de maniÀre qu’il n’y reste pas pierre sur pierre qui puisse tenter un ¦lecteur«.104 Im Februar benutzt er die gleiche Formulierung, um die Entfestigung zu beschleunigen.105 Am 12. März notiert der Marquis de Dangeau bezüglich Mannheim: »on n’y laissera pas pierre sur pierre non plus qu’— la citadelle«.106 Die Drucknachrichten benutzen interessanterweise dieselbe Formulierung, um über die Zerstörung der Stadt zu berichten. Am

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beklagt in nachfolgendem Liede. Im Thon: Ach Amarillis hastu dann / u., o. O. 1689 [BSB, Res P.o.germ. 1687,27]. Das höchst-bedrängte / und fast gantz verwüstete Pfältzische Zion / Einiger massen vorgestellt In einer Christlichen Predigt / über Das Sonntägliche Evangelium von Verwüstung der Stadt Jerusalem und des Tempels / wie auch des gantzen Lands / Auß dem Evangelio Matthaei am XXIV. vers. 15–28. Gehalten zu Heydelberg in der Klosterkirch / Morgens den 2/12 Wintermonath / 1690. Nunmehr auff frommer und über den Schaden Josephs seuffzender Christen Begehren zum Truck verfertigt. Von Philipp Jacob Salathe / Reformirten Pfarrern in Chur-Pfaltz p.t. zu Rohrbach und Kirchheim, Basel 1690 [BSB, Hom. 2099 1]; vgl. Susan Richter, »Zeuch hinauff in diß Land und verderbe es«. Zeitgenössische Erklärungsmodelle für Erbfolgekriege am Beispiel der Zerstörung Heidelbergs 1689/93, in: dies., Rosenberg, Heidelberg (wie Anm. 82), S. 29–52, hier insb. S. 31–33. Es handelt sich hier um die Formulierung, die sich in der wichtigsten deutschsprachigen katholischen Bibel der Zeit von Johannes Dietenberger, Johannes Eck und Caspar Ulenberg findet. Dennoch benutzen die reformierten Bibeln, die sich auf die ursprüngliche Übersetzung von Martin Luther stützen, eine sehr ähnliche Formulierung: »es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben«. Auf Englisch heißt es in der King James Bibel entsprechend »not be left one stone upon another«. Auf Französisch benutzen die katholischen sowie protestantischen Bibelversionen die Formulierung »ne pas demeurer / laisser pierre sur pierre«. Service Historique de la D¦fense (im Folgenden: SHD), GR A1 871, Nr. 45, Louvois an La Grange, 17. November 1688. SHD, GR, A1 871, Nr. 344, Louvois an Montclart, 8. Februar 1689: »Presentement que le razement de la ville de Manheim avance, je vous prie d’obliger les habitans — retirer de leurs maisons tout ce qu’ils y ont, et — passer en Alsace, sa mat¦ desirant que vous fassiez au plus tost abattre tous les bastimens de la dite ville sans qu’il y reste pierre sur pierre.« Dangeau, Journal (wie Anm. 62), S. 351.

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8. März [18. März] avisieren die Briefe »auß der Pfaltz« des Nordischen Mercurius: »zumahlen [die Frantzosen] Befehl haben / in Mannheim und Friedrichsburg keinen Stein auff den andern zu lassen«.107 Am 2. April melden die Relations V¦ritables: »il ne reste pierre sur pierre de tant de belles Eglises & Edifices qu’il y avoit«.108 Eine Woche später meldet das Nouveau Journal Universel, dass die französischen Truppen nach Mannheim zurückgegangen seien und präzisiert: »Ils ont ordre de ne pas laisser pierre sur pierre«.109 Diese Formulierung verbreitet sich in der zeitgenössischen Publizistik110 und verbindet sich schließlich untrennbar mit dem Ereignis.111 Darüber hinaus wird das lexikalische Feld des Feuers – ›brennen‹, ›einäschern‹, ›niederbrennen‹, ›verbrennen‹, ›anzünden‹ usw. – in den Druckerzeugnissen vorherrschend, um die französischen Kriegshandlungen zu beschreiben: ›Fran107 108 109 110

Nordischer Mercurius 39 (08. 03. 1689). Relations V¦ritables (02. 04. 1689). Nouveau Journal Universel 42 (07. 04. 1689). Vgl. etwa Chur-Pfaltz (wie Anm. 73), S. 8; Verite (wie Anm. 74), S. 38, und die Übersetzungen Waerheyt (wie Anm. 74), S. 25; Warheit (wie Anm. 74), S. 35; vgl. auch eine andere französischsprachige Flugschrift, die ebenfalls ein Verlagserfolg gewesen ist und die in mindestens drei Ausgaben auf Französisch – angegeben wird nur die zitierte – sowie in je einer auf Englisch, auf Niederländisch, auf Deutsch, und zweisprachig auf Französisch und Deutsch erschienen ist: Les veritables Interets des Princes de L’Europe, Dans les affaires presentes, ou Reflexions Sur un Escrit venu de France, Sous le titre de »Lettre de Monsieur — Monsieur sur les affaires du temps«, Köln 1689, S. 14 [KB, 13125]; The True Interests of the Princes of Europe In the Present State of Affairs: or Reflections Upon A Pamphlet written in French, Entituled »A Letter from Monsieur, to Monsieur, concerning the Transactions of the Time«, London 1689, S. 13 [Oxford, Bodleian Library, Ms. Ashmole 1039 (6)], S. 13; De Ware Belangen der Vorsten van Europa, In de tegenwoordige toestant van Saken. Of Aenmerkingen op een Geschrift uyt Vankrijk, Onder de naem van »Brief van Monsr…. aen Monsr. over de zaken van dezen tijt«, Amsterdam 1689, S. 17 [KB, 13126]; Wahres Interesse Der Europäischen Printzen bey gegenwärtigen Welt-Händeln / Oder Bedencken Uber die aus Franckreich kurtz verwichener Zeit heim-tückischer Weise ausgesprengte / an unterschiedenen Orten aber Teutsch lands durch des Henckers Hand vertraudte Läster-Schrifft Unter dem Titel: »Lettre de Monsieur — Monsieur sur les Affaires du temps«. Oder Sendschreiben vom Herrn an Herrn gegenwärtige Zeiten betreffend, Köln 1689, S. 17 [BSB, 4 Gall.g. 261]; Les veritables Interets des Princes de L’Europe, Dans les affaires presentes, ou Reflexions Sur un Escrit venu de France, Sous le titre de »Lettre de Monsieur — Monsieur sur les affaires du temps«. Wahres Interesse Der Europäischen Printzen bey gegenwärtigen Welt-Händeln / Oder Bedencken Uber die aus Franckreich kurtz verwichener Zeit heimtückischer Weise ausgesprengte / an unterschiedenen Orten aber Teutsch lands durch des Henckers Hand vertraudte Läster-Schrifft Unter dem Titel: Lettre de Monsieur — Monsieur Oder Sendschreiben vom Herrn an Herrn, Köln 1689, S. 35 [BSB, Res 4 Eur. 382,30]. 111 Noch Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb der berühmte französische Historiker Ernest Lavisse über Mannheim: »On n’y laissa pas pierre sur pierre«, Ernest Lavisse (Hrsg.), Histoire de France depuis les origines jusqu’— la R¦volution, Bd. 8: Louis XIV. La fin du rÀgne (1685–1715), Paris 1908, S. 20. Vor Kurzem hat Roland Vetter übrigens sein Buch über den Untergang Mannheims mit diesem bemerkenswerten Ausdruck betitelt, Vetter, Stein (wie Anm. 11).

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zose‹ wird ein Synonym für ›Mordbrenner‹.112 In der deutschsprachigen Publizistik wird der Brigadier Êzechiel de M¦lac, einer der Offiziere, die die französischen Militäroperationen umsetzten, als Verkörperung des ›Französischen Mordbrenners‹ angeprangert. Von nun an wird er immer vor brennenden Dörfern oder Städten und allgemein mit einer Brandfackel in der Hand dargestellt [Abb. 6].113 Wie die ähnlichen Frontispizdarstellungen einer deutschen114 und einer englischen115 anti-französischen Flugschrift von 1690 beweisen, tauchen in der Folgezeit Darstellungen von Ludwig XIV. auf, die ihn ebenfalls mit Brandfackel zeigen [Abb. 7 u. 8]. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Feuer auch als ein Zeichen für die Ankunft des Antichristen, also wiederum als Hinweis auf die Endzeit interpretiert werden kann. In der Ausgabe vom 20. September 1689 der Relations v¦ritables ist die Analogie offensichtlich: »Jamais on a oüi parler de tant d’incendies & de desolation. Il semble que tous ces boutefeux soient les pr¦curseurs du dernier Jugement, ou qu’ils prennent — tache de faire consommer avant le tems, les matiÀres qui pourront servir d’aliment au feu qui viendra purifier le monde.«116 112 Im deutschsprachigen Raum wurde diese Terminologie erstmals in der Publizistik zum Holländischen Krieg mit den Franzosen verbunden, einerseits während der französischen Besetzung der Niederlande (1672/73) und andererseits im Zuge der Operationen im Reich, namentlich im Elsass und im Saarland (1676/77); vgl. etwa Deß Weit-bekandten Mordbrenners De la Brosse Grausamme Thaten / Welche er in diesem 1677.sten Jahr in dem Elsaß verübet, o. O. 1677 [Gotha, Forschungsbibliothek, Pol 88 03087–3096 (23)]. Die französischen Militäroperationen der Jahre 1688/89 boten so die Gelegenheit, das an die Figur des französischen Offiziers La Brosse gebundene Bild zu aktualisieren; vgl. etwa Der Neuaufgewachte Mord-Brenner La Broche, Oder : Eine außführliche Beschreibung / Alles dessen / was Zeit währenden Frieden-Bruches die Frantzosen in Francken / besonders aber in Schwaben / tentiret und vorgenommen; Mit Einem Land-Chärtlein / worinnen der Frantzosen Marsch und Brandt enthalten; Entworffen Von Einer unpartheyischen Feder, o. O. 1689 [HAB, Xb 5881]. Die Allgegenwart des Feuers wird auch durch das PhaetonMotiv polemisch thematisiert, das während des Holländischen Krieges erscheint. Das Zitat auf dem Umschlag der englischen Flugschrift Declaration (wie Anm. 74) und eine Nürnberger Medaille auf die Verwüstung der Pfalz [Abb. 9] nehmen Bezug auf dieses Motiv ; vgl. Ziegler, Sonnenkönig (wie Anm. 22), S. 30–34. 113 Wechssler, Flugblätter (wie Anm. 82), Nr. 167; Hepp, Pfalz (wie Anm. 82), S. 138f.; ders., Heidelberg (wie Anm. 82), S. 67. 114 Der Frantzösische Attila, Ludovicus XIV. Und dessen Aller-Unchristlichste Schand- BrandGreul- und Mord-Thaten / Durch seine ungerechte Waffen ausgeübet / An denen Ur-alt berühmtesten herrlichen Rhein- Necker- Saar- und Mosel-Städten Gegen alle gegebene Treu / Glauben / Promessen und Accord / vorgestellet In Ihren erbärmlichen Ruinen und jämmerlichen Verwüstungen / und der teutschen Christenheit / zu einem Abscheu dieses verführischen Hanen-Geschreys / samt einer accuraten Land-Charte und denckwürdigen Anhang / aller ruinirten Oerter / herausgegeben / Durch Christian Teutschmuth, o. O. 1690 [HAB, Xb 1743]. 115 The most Christian Turk: Or, a view of the Life and Bloody Reign of Lewis XIV. Present King of France, London 1690 [EEBO, Wing M2870 A]. 116 Relations V¦ritables (28. 09. 1689).

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Abb. 6: Warhaffte Contrafactur und kurze Vorstellung der abscheulichen Mord-Brennereyen des Französischen Brigadiers Melac / welche er in diesem 1689. Jahr als ein grausamer Bluthund / samt seiner verfluchten Französischen Rott an unterschiedlichen Orten des Neckars und Rheins ausgeübet, Nürnberg [1689].

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Abb. 7: Der Französische Attila, Kupferstich in einer deutschen Flugschrift, 1690.

Vor allem wird bei der Aufzeichnung das lexikalische Feld des Feuers mit dem der Verwüstung – ›vernichten‹, ›Wüste‹, ›verheeren‹, ›verwüsten‹ usw. – verknüpft. Nun wird der Antichrist »Greuel der Verwüstung« genannt (Daniel 11,31 u. 12,11; Matthäus 24,15). Im Januar kündigen die Frankfurter Nachrichten des Nouveau Journal Universel an: »On a jamais v˜ une plus grande d¦solation que celle que les FranÅois causent dans tout nútre Voisinage«.117 Im Februar stellen die Mannheimer Nachrichten des Nordischen Mercurius fest: »Das Verwüsten hat leyder hier noch kein Ende«.118 Im August berichten die Frankfurter Nachrichten der Relations V¦ritables: »On vient de recevoir –vis que les FranÅois portent par tout la desolation«.119 Die bereits zitierten Lettres sur les matiÀres du temps und deren englische Übersetzung im Dilucidator benutzen dasselbe Wort. Es ist schwer zu beurteilen, ob die Wahl dieses Vokabulars absichtlich oder unbewusst erfolgte. Aber erstens ist sicher, dass es in allen englisch-, deutsch117 Nouveau Journal Universel 19 (20. 01. 1689). 118 Nordischer Mercurius 27 (15. 02. 1689). 119 Relations V¦ritables (24. 08. 1689).

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Abb. 8: The most Christian Turk, Kupferstich in einer englischen Flugschrift, London 1690.

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und französischsprachigen Periodika, und zwar reformierten wie katholischen, benutzt wurde, um über Krieg und militärische Gewalt zu berichten. Dabei sind die Begrifflichkeiten nicht neu, werden aber schrittweise untrennbar mit den französischen Kriegshandlungen verknüpft. Und zweitens scheint die Benutzung eines einheitlichen Vokabulars für die Zeitgenossen sinnvoll gewesen zu sein. Die Nachrichten folgten einem eschatologischen Deutungsmuster, das den Feind als Antichristen auffasst. Dieses alte rhetorische Motiv des Feinbildes wurde während der Herrschaft des Sonnenkönigs wiederbelebt und erreichte während des Neunjährigen Krieges seine weiteste Verbreitung. Ludwig XIV. wird gleichzeitig in England und im Alten Reich mit dem Antichristen identifiziert.120 Dieses eschatologische Feindbild bot den Vorteil, dass es die sehr heterogene anti-französische Opposition gegen den Sonnenkönig – und umso mehr noch die Alliierten in Kriegszeiten – mit einem potenziell nicht-konfessionellen rhetorischen Standpunkt versorgte. In der Tat ist der Antichrist jenseits aller Dogmatik an seiner Grausamkeit erkennbar. Obwohl die konfessionellen Kriegsreferenzen in den Debatten im Reich ihre große Bedeutung behielten, vermochte das antichristliche Deutungsmuster dank konfessioneller Unbestimmtheit auf internationaler Ebene die dogmatischen Diskrepanzen zu überwinden, und wurde zum gemeinsamen Deutungsmuster, mit welchem die französischen Militäroperationen erzählt und angeprangert werden konnten.

IV.

Völkerrecht und Ideal des iustum bellum

Die mediale Verurteilung der französischen Kriegshandlungen stützt sich noch auf ein weiteres, ebenfalls nicht-konfessionelles Deutungsmuster, und zwar das Ideal des iustum bellum.121 Die Kriegsführung ist tatsächlich der Kernpunkt der publizistischen Empörung, die die französischen Militäroperationen im Rheinland und in der Pfalz auslöste. Dieses Ideal, das sich aus alten theologischen und juristischen Debatten entwickelte, stützt sich auf das Prinzip, dass der Krieg christlichen und menschlichen Gesetzen, die ein Völkerrecht begründen, untergeordnet wird.122 Die französischen Kriegs120 Vgl. für England Claydon, Europe (wie Anm. 22); für das Reich Bosbach, Erbfeind (wie Anm. 22); Wrede, Reich (wie Anm. 22). 121 Vgl. Êmilie Dosquet, »Tout est permis dans la Guerre, mais tout ce qui est permis ne se doit pas faire«: la »d¦solation du Palatinat« (1688–1689) — l’¦preuve du iustum bellum, in: Benjamin Deruelle und Êmilie Dosquet (Hrsg.), Argumenter en guerre, Paris u. a. [im Druck]. 122 Jean Rouvier, Naissance du droit international au XVIIe siÀcle, in: Dix-septiÀme siÀcle 58/59 (1963), S. 40–56; Maurice H. Keen, The laws of war in the late middle ages, London 1965;

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handlungen werden als Übertretung dieses Völkerrechts angeprangert. So formuliert der Verfasser einer im Reich gedruckten lateinischen Flugschrift, die ins Französische übersetzt wurde, treffend: »Tout est permis dans la Guerre, mais tout ce qui est permis ne se doit pas faire.«123 Indem er »die letzte Verwüstung« kommentiert, behauptet der Verfasser des Dilucidator entsprechend der französischsprachigen Vorlage der Lettres sur les matiÀres du temps: »there is no subverting the Laws established in Military Executions, without making War a perpetual Theatre of Confusion and Horror«.124 Die praktische Benutzung des iustum bellum durch die Autoren von Druckerzeugnissen ist einerseits durch die Prägnanz der mittelalterlichen Theorie gekennzeichnet, welche sich auf den gerechten Grund (causa) stützt und ein ius ad bellum (Recht, Krieg zu führen) definiert. Andererseits werden moderne Theorien – in erster Linie jene maßgebliche von Hugo Grotius – rezipiert, die sich auf die Kriegsführung konzentrieren und ein ius in bello (Recht im Krieg) definieren.125 Obwohl die zeitgenössische Publizistik die französische Kriegsführung unter Ludwig XIV. insbesondere seit dem Holländischen Krieg regelmäßig verurteilt hatte, bedeutete die mediale Aufmerksamkeit, die die präventive Totalzerstörung von wichtigen Städten erhielt, eine neue Dimension. Das Ideal Frederik Russell, The just war in the middle ages, Cambridge 1975; Philippe Contamine, L’id¦e de guerre — la fin du moyen –ge. Aspects juridiques et ¦thiques, in: Comptes rendus des s¦ances de l’Acad¦mie des Inscription et Belles-Lettres 123 (1979), S. 70–86; Peter Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste, Paris 1983; ders., Mutations du concept de guerre juste de Grotius — Kant, in: Cahiers de philosophie politique et juridique 10 (1986), S. 105–125; Andr¦ Vauchez, La notion de guerre juste au moyen –ge, in: Les Quatre Fleuves 19 (1984), S. 9–22; Bacot Guillaume, La doctrine de la guerre juste, Paris 1989; Heinz Duchhardt, La guerre et le droit des gens dans l’Europe du XVIe au XVIIIe siÀcle, in: Philippe Contamine (Hrsg.), Guerre et concurrence entre ¦tats europ¦ens du XIVe au XVIIIe siÀcle, Paris 1998, S. 339–364; Heinhard Steiger, »Ius bändigt Mars«. Das klassische Völkerrecht und seine Wissenschaft als frühneuzeitliche Kulturerscheinung, in: Ronald G. Asch u. a. (Hrsg.), Krieg und Frieden in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatsordnung und die außereuropäische Welt, München 2001, S. 59–85; Geoffrey Parker, Success is never final. Empire, war and faith in early modern Europe, New York 2002, S. 143–168; Stephen C. Neff, War and the law of nations. A general history, Cambridge 2005, insb. S. 83–158; Ralf Pröve, Vom ius ad bellum zum ius in bello. Legitimation militärischer Gewalt in der Frühen Neuzeit, in: Claudia Ulbrich u. a. (Hrsg), Gewalt in der Frühen Neuzeit, Berlin 2005, S. 261–270; Randall Lesaffer, War, peace, interstate friendship and the emergence of the ius publicum Europaeum, in: ebd., S. 87–113; Jean-Matthieu Mattei, Histoire du droit de la guerre. Introduction — l’histoire du droit de la guerre (1700–1819), 2 Bde, Aix-en-Provence 2006. 123 La France toujours ambitieuse et toujours perfide, Regensburg 1689, S. 219. 124 Lettres sur les matiÀres du temps 2 (31. 03. 1689), S. 98. 125 Solange Rameix, Justifier la guerre. Censure et propagande dans l’Europe du XVIIe siÀcle (France – Angleterre), Rennes 2014, S. 184–206; ders., Guerre juste et litt¦rature clandestine en France (1688–1714), in: Pierre Bonnet (Hrsg.), Litt¦rature de contestation. Pamphlets et pol¦miques du rÀgne de Louis XIV aux LumiÀres, Paris 2011, S. 163–182.

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des iustum bellum bildet unabhängig von Sprache und Adressenkreis der Schriften ein gemeinsames Deutungsmuster, und trotz seiner unvollendeten Formalisierung wird das Völkerrecht als eine praktische Norm herangezogen, um Konflikte zu beurteilen. Wenngleich die Druckschriften nicht explizit auf eine weitergehende Theoriebildung zielen, beweist die stete Wiederholung der Argumente doch einen »Anspruch auf Normativität« mit Blick auf ein ius in bello.126 Dieses sollte freilich erst im 18. Jahrhundert theoretisch ausgearbeitet werden und fortan ein ius gentium oder Völkerrecht darstellen.127 Dass das Ideal des iustum bellum bemüht wurde, um die französischen Kriegshandlungen zu verurteilen, wirkte bei deren Skandalisierung mit.128 Die Kriegshandlungen wurden als Beleidigung der Gerechtigkeit und zwar insbesondere der vom Völkerrecht verkörperten Gerechtigkeit des Krieges empfunden, was allenthalben zu Empörung führte. Dabei bestand der Skandal weniger in den Kriegshandlungen als solchen, als vielmehr in den Reaktionen, die durch diese ausgelöst wurden und ihnen einen bestimmten Schweregrad zuwiesen. Als verwirrende Übertretung einer Norm bekräftigt der Skandal die soziale Ordnung und die Gemeinschaft, indem er eben diese gefährdet. Er begründet die Empörung der Gemeinschaft, indem er deren Einheit in Frage stellt und inszeniert. Das publizistische Skandalisierung der französischen Kriegshandlungen bot eine Möglichkeit zur Identitätsstiftung, indem die einmütige Ablehnung derselben betont und als gemeinschaftsstiftend begriffen wurde. Im deutschen Fall waren die französischen Kriegshandlungen ein Höhepunkt des langfristigen Prozesses, durch den Frankreich zu einem deutschen Feindbild geworden ist.129 In der Tat erscheint Frankreich zum ersten Mal im März 1689 in einem Memorandum über die militärische Reichsabwehr als deutscher »Erbfeind«, und dann im April in der kaiserlichen Kriegserklärung als »Reichsfeind«.130 In beiden Dokumenten werden die französischen Militäroperationen als direkte Ursache für diese Beurteilung angegeben. Im Kontext des Krieges, der identitätsstiftend wirkt, bietet das 126 Pierre Bonnet, Pr¦face. Figures et configurations de la litt¦rature politique de contestation du rÀgne personnel de Louis XIV au premier XVIIIe siÀcle, in: ders., Guerre juste (wie Anm. 125), S. 13–71, hier S. 37. 127 Mattei, Histoire (wie Anm. 122). 128 Zum Begriff vgl. Êric de Dampierre, ThÀmes pour l’¦tude du scandale, in: Annales. Êconomies, soci¦t¦s, civilisations 9 (1954), S. 328–336; John B. Thompson, Political scandal. power and visibility in the Media Age, Cambridge 2000; Damien de Blic, Cyril Lemieux, Le scandale comme ¦preuve. Êl¦ments de sociologie pragmatique, in: Politix 71 (2005), S. 9–38; Êmilie Dosquet, FranÅois-Xavier Petit, Faire scandale. Enjeux m¦thodologiques et approches historiographiques, in: HypothÀse 2012, S. 149–158; Êmilie Dosquet, Le ravage du Palatinat au prisme du scandale, in: ebd., S. 217–226. 129 Bosbach, Erbfeind (wie Anm. 22); Schillinger, Pamphl¦taires (wie Anm. 22); Wrede, Reich (wie Anm. 22). 130 Bosbach, Erbfeind (wie Anm. 22), S. 134–138.

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Skandalisieren der Publizisten die Möglichkeit, die Einheit der deutschen Nation und des Reiches auszurufen.131 Die französischen Kriegshandlungen 1688/89 trugen besonders zur Politisierung der Rheinlande und damit zur Perzeption des Reiches als staatlichem Raum entsprechend dem Westfälischen Frieden bei.132 Zum Garanten der deutschen Identität wird der mit Feuer und Schwert verwüstete Rhein, der nach und nach eine richtige Grenze bildet. Die Darstellung ist nicht neu, wird nun aber durch die zeitgenössische Publizistik zum Krieg weit verbreitet. So bilden zum Beispiel das Frontispiz des Frantzösischen Attila [Abb. 7] sowie eine Nürnberger Medaille auf die französischen Kriegshandlungen133 [Abb. 9] die brandgeschatzten Ufer des Rheines und die brennenden rheinischen Städte ab. Gleichzeitig werden Berichte über Stadtzerstörungen, wie jener zuvor zitierte über Heidelberg, ein Teil von Rheinstrom-Topographien.134 In der Reversinschrift appelliert die Nürnberger Medaille an das herausragende Nationalgefühl im ganzen Reich und nicht etwa nur in den verwüsteten Territorien.135 So haben die französischen Militäroperationen am Rhein und deren Anprangerung in der Publizistik am längerfristigen Prozess der deutschen Identitätsbildung teil. In einer Zeit, da Europa immer mehr als Einheit begriffen wird136 und als 131 Georg Schmidt, Reich und Nation. Krieg und Nationsbildung in Deutschland, in: Horst Lademacher, Simon Groenveld (Hrsg.), Krieg und Kultur. Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederländischen Republik und im Deutschen Reich 1568–1648, Münster 1998, S. 57–75; Wrede, Reich (wie Anm. 22); Elisabeth Müller-Luckner, Georg Schmidt (Hrsg.), Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa. Politische Ordnung und kulturelle Identität?, München 2010; Georg Schmidt, The Old Reich. The state and nation of the Germans, in: Robert J. W. Evans u. a. (Hrsg.), The Holy Roman Empire, 1495–1806, Oxford u. a. 2011, S. 43–62. 132 Jean Schillinger, Le thÀme du Rhin chez les publicistes allemands du XVIIe siÀcle, in: Êtudes germaniques 54 (1999), S. 365–389; Claire Gantet, Construction d’un espace ¦tatique. Perceptions et repr¦sentations des frontiÀres ext¦rieures du Saint Empire au XVIIe siÀcle, in: Christine Lebeau (Hrsg.), L’espace du Saint-Empire du moyen –ge — l’¦poque moderne, Straßburg 2004, S. 33–49. 133 Anneliese Stemper, Die Medaillen der Pfalzgrafen und Kurfürsten bei Rhein. Pfälzische Geschichte im Spiegel der Medaillen, Bd. 1, Nr. 292; Hepp, Pfalz (wie Anm. 82), S. 134f.; ders., Heidelberg (wie Anm. 82), S. 64. Bemerkenswert ist, dass die Namen der Städte, die die Erzählsequenz des Ereignisses ausmachen (Heidelberg, Mannheim, Worms und Speyer), auf der Medaille lesbar sind. 134 Ausführliche und Grundrichtige Beschreibung Des ganzen Rheinstroms, Nürnberg 1689, zur Zerstörung Heidelbergs S. 830–848. 135 »Denk daran Deutschland, damit es nicht vorkommt, dass die durch solche Feuersglut entzündeten Gemüter der Getreuen darin erkalten, Kaiser, Vaterland und die Freiheit zu schützen.«, Hepp, Pfalz (wie Anm. 82), S. 134; ders., Heidelberg (wie Anm. 82), S. 67. 136 Klaus Bußmann, Elke Anna Werner (Hrsg.), Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder, Stuttgart 2004; Wolfgang Schmale u. a. (Hrsg.), Studien zur europäischen Identität im 17. Jahrhundert, Bochum 2004; Olaf Asbach, Europa – vom Mythos zur Imagined Community? Zur historischen Semantik »Europa« von der Antike bis ins 17. Jahrhundert, Hannover 2011.

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Abb. 9: Die Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen, Medaille von Martin Brunner, Nürnberg 1689.

Legitimationsfigur auftritt,137 nehmen zahlreiche Verfasser darüber hinaus eine europäische Haltung ein. Über die französischen Kriegshandlungen zu berichten und sie anzuprangern, bietet tatsächlich auch die Gelegenheit, Europa als Ganzes zu begreifen, das sich auf dem ausgerufenen gemeinsamen Ideal des iustum bellum und damit auf dem bestehenden Völkerrecht gründet. Publizisten inszenieren und verkörpern Europa als eine Gemeinschaft, die ihre Einheit in der einmütigen Empörung und Verurteilung der französischen Kriegshandlungen findet. Lauthals äußert etwa die sehr erfolgreiche Flugschrift V¦ritables Int¦rÞts: »Mit kurtzem die Verheer- und Verwüstung des gantzen Rhein-Stroms / derer Städte Manheim und Heydelberg / wie auch aller Flecken und Dörffer von Strasburg biß nacher Mäyntz / als welche Oerter alle sie gäntzlich ruiniret und zu Stein-Hauffen gemacht / hat das übrige Europa so sehr entrustet / so daß alle Partheyen nur vor Rache schnauben«.138

Ebenso schildert eine andere erfolgreiche Flugschrift mit dem Titel V¦rit¦ chrestienne die Anklagerede der Wahrheit, die sich im Namen Europas für die Gerechtigkeit einsetzt: »Das ganze Christliche Europa sag ich / Großmächtigster König / verlangt von Euch due Ursach zu wissen / so viler durch die Ungestümme Eu. Majest. Waffen gemachter armen 137 Heinz Duchhardt, »Europa« als Begründungs- und Legitimationsformel in völkerrechtlichen Verträgen der Frühen Neuzeit, in: Wolfgang E. J. Weber, Regina Dauser (Hrsg.), Faszinierende Frühneuzeit. Reich, Frieden, Kultur und Kommunikation 1500–1800. Festschrift für Johannes Burkhardt zum 65. Geburtstag, Berlin 2008, S. 51–60. 138 Interesse (wie Anm. 110), S. 17; vgl. auch die anderen Versionen: Interets (wie Anm. 110), S. 14; Interests (wie Anm. 110), S. 13; Belangen (wie Anm. 110), S. 16f.

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Wäisen / so viler unter den Steinhauffen zerquetschter / oder vor Hunger verschmachter / oder in dem Schrecken und Entflihen verlohrner / oder in der grossen / von der Todforcht verursachten Verstörung von den Flammen verzehrter unschuldiger Kinder.«139

So ist es nun Europa, das verallgemeinernd als schockiert und empört dargestellt wird, und diese europäische Perspektive entwickelt sich zu einem wesentlichen Bestandteil des Ereignisses. So wie Madame Palatine am 20. März 1689 an ihre Tante, die Kurfürstin Sophie von Hannover, über ihre »abschew vor alles so man abgesprengt hatt«140 schreibt, betont die berühmteste Zeitschrift Mercure historique et politique141 zur selben Zeit: »Qu’elle douleur pour [les honÞtes gens FranÅois] de voir le nom FranÅois devenir l’horreur de toute l’Europe«.142 50 Jahre später fasst Voltaire in Le SiÀcle de Louis XIV die Stimmung noch einmal treffend zusammen: »L’Europe en eut horreur«.143

V.

Klio und Mnemosyne

Neben ihrer tagesaktuellen Bedeutung beeinflussten die Drucknachrichten unmittelbar die zeitgenössische Geschichtsschreibung. Die Periodika stellten hinsichtlich der jüngeren Vergangenheit die Hauptquellen historiographischer Werke dar. So betont Voltaire in seiner Histoire de la guerre de 1741: »Des compilations de gazettes et des journaux sous cent titres diff¦rents forment presque la seule histoire des changements arriv¦s de nos jours.«144 Obwohl manche Zeitungen fortlaufend paginiert und somit darauf angelegt waren, zu Bänden zusammengebunden und längerfristig aufbewahrt zu werden, war ihre Verwendung in historiographischen Arbeiten nicht intendiert. Die Verfasser historisch-politischer Zeitschriften gingen in ihrem Anspruch dagegen weiter : Sie strebten danach, das kurzlebige Wesen von periodischer Druckaktualität zu überwinden, und durch die ›Erzählung der laufenden Geschehnisse‹ eine ›Geschichte der europäischen gegenwärtigen Zeit‹ zu schaffen.145 Diese Periodika 139 Warheit (wie Anm. 74), S. 2; vgl. auch die anderen Versionen: Verite (wie Anm. 74), S. 4; Waerheyt (wie Anm. 74), S. 4; Declaration (wie Anm. 74), S. 1f. 140 Aus den Briefen der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orl¦ans an die Kurfürstin Sophie von Hannover, Bd. 1, Hildesheim 1891, S. 102f. 141 Jean Lombard, Mercure historique et politique 1, in: Sgard, Dictionnaire (wie Anm. 2); Br¦t¦ch¦, Compagnons (wie Anm. 2), insb. S. 28–32, 37f., 50–56, 243–260, 297–300, 305–309 u. 321f. 142 Mercure historique et politique (April 1689), Bd. 6, S. 361 [BNF, 8 H 26353]. 143 Voltaire, Le SiÀcle de Louis XIV, in: Voltaire, Œuvres historiques, hrsg. v. Ren¦ Pomeau, Paris 1957, S. 605–1274, hier S. 772. 144 Zit. nach R¦tat, Gazettes (wie Anm. 20), S. 25. 145 Br¦t¦ch¦, Compagnons (wie Anm. 2), insb. die Einführung.

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waren somit formal und inhaltlich von vornherein darauf angelegt, eine historische Kontinuität abzubilden.146 Die Erzählung der französischen Kriegshandlungen in Drucknachrichten spielte folglich eine entscheidende Rolle bei der historischen Einprägung des Ereignisses. Die französischsprachigen Geschichten der Herrschaft Ludwigs XIV., die im 18. Jahrhundert in Europa veröffentlicht wurden, belegen dies. Wie Voltaire erklärt, stützen sie sich tatsächlich auf die primäre Erzählung der Periodika. Henri de Limiers übernimmt zum Beispiel Wort für Wort einen Teil der Lettres sur les matiÀres du temps147 für die Schilderung bestimmter Aspekte des Ereignisses in seiner Histoire de Louis XIV.148 Nun beruht das Schreiben von Geschichte auf einem Austausch- und Ausleihsystem, das sich am Festhalten der Ereigniserzählung und daher auch des Ereignisses beteiligt. Die berühmte, zuvor zitierte Formulierung von Voltaire bezüglich der französischen Kriegshandlungen im Westen des Reiches – »L’Europe en eut horreur« – ergibt sich aus diesem Vorgang des Geschichtsschreibens: Fast 30 Jahre nach dem Verfasser des Mercure historique et politique hatte Charles-Auguste de La Fare in seinen M¦moires et r¦flexions sur les principaux ¦v¦nements du rÀgne de Louis XIV149 dieses Erzählbild eines entsetzten Europa erneut verwendet. Nach La Fare benutzt Limiers eine fast identische Formulierung in seiner Histoire de Louis XIV,150 die von Voltaire in den Randanmerkungen seines SiÀcle de Louis XIV immer wieder als eine seiner wichtigen Quellen genannt wird. In der deutschsprachigen Historiographie des Ereignisses wirken ähnliche Mechanismen. So enthält ein Historien-Kalender von 1691 eine Version des Heidelberger Berichts mit dem Titel »Unherhörte frantzösische Grausamkeit in der Pfaltz«. Desgleichen wird eine Version im 13. Band des berühmten Theatrum Europeaum des Jahres 1698 – unter dem Titel »Grausamkeit des Comte de Melac in der Pfalz«151 – sowie im nicht weniger berühmten, 1701 veröffentlichten Historischen Labyrinth der Zeit von Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausen – unter dem Titel »Der in der Pfalz mit Brand und Mord wütende Graf von Melac, Frantzösischer Brigadier, Anno 1689«152 – veröffent146 Br¦t¦ch¦, Compagnons (wie Anm. 2), insb. S. 25–54. 147 Lettres sur les matiÀres du temps 2 (15. 06. 1689), S. 178f. 148 [Henri de Limiers], Histoire de Louis XIV. Roi de France et de Navarre. O¾ l’on trouve une Recherche ¦xacte des Intrigues de cette Cour dans les principaux Etats de l’Europe. Par H. P. D. L. D. E. D., Bd. 4, Amsterdam 1717, S. 282. 149 [Charles-Auguste de La Fare], M¦moires et r¦flexions sur les principaux ¦v¦nements du rÀgne de Louis XIV, Et sur le caractÀre de ceux qui y ont eu la principale part. Par Mr. L. M. D. L. F., Rotterdam 1716, S. 246: »Quoi qu’il en soit, cette cruaut¦ inspira de l’horreur — toute l’Europe contre le Roi, & contre toute la Nation.« 150 De Limiers, Histoire (wie Anm. 148), S. 403: »Cette barbarie inspira de l’horreur — toute l’Europe, contre le Roi, & contre toute la Nation FranÅoise.« 151 Theatri Europaei Continuati Dreyzehender Theil, Frankfurt/M. 1698, S. 675–677. 152 Heinrich Anselms von Ziegler und Kliphausen, Historisches Labyrinth der Zeit, Bd. 2, Leipzig 1701, S. 1194–1196.

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licht. Durch die Verwendung des Heidelberger Berichts unterstreichen die Publikationen die Repräsentativität von Heidelberg und M¦lac und befördern wiederum die Verengung des publizistischen Diskurses auf die Pfalz. Durch vergleichbare mediale Transferprozesse entwickeln sich die lexikalischen Felder des Brennens und des Verwüstens zum Reservoir für die Benennung des Ereignisses: ›desolation of the Palatinate‹, ›incendie du Palatinat‹, ›Verwüstung der Pfalz‹. Bemerkenswert ist, dass, sobald die französischen Militäroperationen einsetzen, die Frage des Gedenkens aufgeworfen wird: In seinem Briefwechsel mit dem Kriegsminister Louvois ist der Marschall von Duras, Jacques-Henri de Durfort, am 21. Mai 1689 aufgrund der befohlenen Strategie um den Ruhm seines Königs besorgt.153 Dies geschieht mit Fug und Recht, weil der Skandal unabänderlich und nachhaltig dessen Ansehen verletzt. Wie die zuvor erwähnte Nürnberger Medaille die Deutschen dazu ermahnt, sich an die grausame Verwüstung von 1689 durch die Franzosen zu erinnern, fordert Apollo in einer Flugschrift desselben Jahres von den »gesamten Historicis im Parnasso«, »daß sie alles was bisher Lob-würdiges von Franckreich geschrieben / in das Buch der Vergessenheit zeichnen / indem durch so erschreckliche / barbarische / grausame / unerhörte Thaten / der bisher erhaltene Ruhm gantz verfinstert / und gleichsam überkleistert worden. Es sollte auch der König nicht mehr genant werden Ludovicus magnus, sondern Ludovicus Devastator, Ludewig der Verwüster«.154

VI.

Zusammenfassung und Ausblick

Sobald die französischen Militäroperationen einsetzten, wurden sie in den Druckmedien des frühneuzeitlichen Europa als Thema aufgegriffen. Die periodischen Nachrichten spielten eine entscheidende Rolle im Singularisierungsprozess, der das Ereignis ›Verwüstung der Pfalz‹ konstituierte. Im Laufe der Wochen und Monate verfassten die französisch-, englisch- und deutschsprachigen Periodika eine ›primäre Erzählung‹ über die Umsetzung der französischen Strategie: Eingegliedert in den medialen transnationalen Austausch der europäischen Presse, gehörten die französischen Kriegshandlungen von nun an zu einer gemeinsamen Aktualität. Der transnationale Austausch, auf den sich die 153 SHD, GR A1 882, Nr. 91, Duras an Louvois, 21. Mai 1689. 154 Concursus Creditorum, Wider den König von Franckreich Ludovicum XIV. als einen morosum debitorem Von Denen Vornehmsten Hohen Potentaten in Europa vor dem Thron des Appolinis im Parnasso erreget / In Welchen Dieses Königes grausames Verfahren / Eines ieden Jura, Praetensiones und Forderungen an Franckreich deutlich vor Augen gestellet werden / Nebst der Im Parnasso hierüber gesprochene Sententz und Executions-Process, o. O. 1689 [BSB, Res 4 Eur. 381,46].

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mediale Aufbereitung der Militäroperationen gründete, war ›plurimedial‹. Diese mediale Aufbereitung der französischen Kriegshandlungen konstituierte das Ereignis, indem sie seine Erzählsequenz festlegte. Dabei wurden nicht zuletzt alte bedeutungsvolle Vokabeln und Bezüge verwendet. Die europaweite mediale Verurteilung der französischen Militäroperationen ist nicht unabhängig von der zeitgleichen Herausbildung des Völkerrechts zu sehen. Allerdings ist zu betonen, dass die mediale Aufarbeitung der ›Verwüstung der Pfalz‹ nicht einförmig ist. Obwohl sicherlich eine transnationale, sogenannte ›europäische‹ Dimension daraus entsteht, stützt diese sich auf den systemischen Austausch zwischen verschiedenen politischen Räumen, welche die französischen Kriegshandlungen auf je eigene Weise und ihren Besonderheiten entsprechend behandeln. Wie die Worte des Revolutionärs Joseph Lavall¦e zeigen, der Ludwig XIV. als »celui dont les arm¦es embrasÀrent le Palatinat«155 bezeichnet, wurden Apollos Wünsche teilweise erfüllt. Längerfristig wird das Ereignis vielfach im politischen Diskurs instrumentalisiert – vom Prozess gegen die französische Monarchie während der Revolution bis hin zur identitären Gründung einer deutschen Nation von den Befreiungskriegen der napoleonischen Zeit bis zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Die mediale Berichterstattung wirkte also nicht nur an der Konstruktion der französischen Militäraktionen als zusammenhängendes Ereignis, sondern auch an der Entwicklung der ›Verwüstung der Pfalz‹ zum historischen Objekt mit. Sie wurde – als Ereignis und darüber hinaus als Medienereignis – zu einer »Erzählfigur«,156 die die Grausamkeit der Herrschaft des Sonnenkönigs beschreibt und außerdem als Symbol für das Kriegsgrauen steht.

Abbildungsnachweis Stadtarchiv Worms: Abb. 1; Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Kupferstichkabinett: Abb. 2, 4, 6; Bayerische Staatsbibliothek München: Abb. 3; akg-images (Archiv für Kunst und Geschichte): Abb. 6; Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Abb. 7; Bodleian Library Oxford: Abb. 8; Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Münzkabinett: Abb. 9.

155 Joseph de La Vall¦e, Tableau philosophique du rÀgne de Louis XIVou Louis XIV jug¦ par un FranÅois libre, Straßburg 1791, S. 88. 156 Herv¦ Dr¦villon, Batailles, Paris 2007, S. 14.

Autorinnen und Autoren

Dr. Astrid Ackermann Friedrich-Schiller-Universität Jena, Historisches Institut, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit [email protected] Prof. Dr. Matthias Asche Eberhard Karls Universität Tübingen, Fachbereich Geschichtswissenschaft, Seminar für Neuere Geschichte [email protected] Dr. Thomas P. Becker Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Universitätsarchiv [email protected] Guido von Büren, M.A. Museum Zitadelle Jülich [email protected] Emilie Dosquet, M.A. Universit¦ Paris I – Panth¦on-Sorbonne, Institut d’histoire moderne et contemporaine [email protected] Prof. Dr. Gerhard Fritz Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, Institut für Gesellschaftswissenschaften, Abteilung Geschichte [email protected]

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Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Guillaume van Gemert, LL.M. Radboud Universiteit Nijmegen, Afdeling Duitse Taal en Cultuur [email protected] Dr.-Ing. Marc Grellert Architectura Virtualis GmbH, Kooperationspartner der Technischen Universität Darmstadt [email protected] Susanne Häcker, M.A. Eberhard Karls Universität Tübingen, Fachbereich Geschichtswissenschaft, Seminar für Neuere Geschichte [email protected] Dr. Ren¦ Hanke Landeshauptarchiv Koblenz [email protected] Dr. Michael Kaiser Max Weber Stiftung, Bonn [email protected] Prof. Dr. Stephan Kraft Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Institut für deutsche Philologie [email protected] Prof. Dr. Claude Muller Universit¦ de Strasbourg, Institut d’histoire de l’Alsace [email protected] Dr. Magnus Ressel Goethe-Universität Frankfurt am Main, Historisches Seminar, Lehrstuhl für neuere allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Frühen Neuzeit [email protected] Priv.-Doz. Dr. Andreas Rutz Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Geschichtswissenschaft, Abt. für Rheinische Landesgeschichte [email protected]

Autorinnen und Autoren

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Patrick Schiele, M.A. Eberhard Karls Universität Tübingen, Fachbereich Geschichtswissenschaft, Seminar für Neuere Geschichte [email protected] Dr. Guy Thewes Mus¦e d’Histoire de la Ville de Luxembourg [email protected] Marlene Tomczyk, B.A. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Institut für Geschichtswissenschaft, Abt. für Rheinische Landesgeschichte [email protected]

Personenregister

Adolf von Neuenahr, Graf von Moers (reg. 1578–1584) 122f., 125f., 128f., 131f., 134 Agnes von Mansfeld (1551–1637) 124, 127, 139 Alba, Fernando Ýlvarez de Toledo y Pimentel, Herzog von (Statthalter der Niederlande 1567–1573) 33–64, 244f. Albertinus, Aegidius (1560–1620) 304 Albrecht V., Herzog von Bayern (reg. 1550–1579) 129 Aldringen, Johann Graf von (1588–1634) 280 Althen, Stephan von 92 Alting, Johann Heinrich (1583–1644) 217 Andenaul, Georges (Ch–teaufort) 197, 200 Anselm Casimir Wamboldt von Umbstadt, Kurfürst-Erzbischof von Mainz (reg. 1629–1647) 93, 99, 233 Antoine II. de Lalaing, Graf von Hoogstraten (reg. 1555–1568) 46 Arenberg, Karl (1550–1616) 128 August, Kurfürst von Sachsen (reg. 1553–1586) 126

Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar (1604–1639) 28, 210, 213, 275–297, 306 Berwick, Jacques Fitz-James, Herzog von (1670–1734) 111–113 Bezons, Jacques Bazin de (1646–1733) 114–117 Biden, Johannes 85 Blanchart, S¦bastien-FranÅois de (1674–1752) 187, 189, 191f., 195f., 201–203 Boeckler, Johann Heinrich (1611–1672) 214 Boessenburg 116 Bono, Donato de (gest. um 1555) 243 Boudan, Alexandre (um 1600–1671) 293 Bourg, du 110–115 Bourg, Eleonor du 118 Br¦ande, de 106 Brederode 97 Breuil, Jean Tronchin du (1641–1721) 339 Broich, Wilhelm 99 Bucer, Martin (1491–1551) 121 Buseck, Ulrich Eberhard von 85

Bachoven, Reinhard (Bachoffen von Echt; 1575–um 1640) 216–218 Bardili, Carl (1600–1647) 219 Bardili, Regina, geb. Burckhardt (1599–1669) 219 Beckers, H. E. 263 Behn, Johann Heinrich 150f. Bernegger, Matthias (1582–1640) 214

Camerarius, Joachim (1603–1687) 216 Carl Alexander, Herzog von Württemberg (reg. 1733–1737) 116 Catinat, Nicolas de (1637–1712) 106 Chamlay, Jules Louis Bol¦ de (1650–1719) 335 Charles de Brimeu, Graf von Megen (reg. 1547–1572) 55

376 Charles II., König von England (reg. 1660–1685) 317 Chavigny, L¦on Le Bouthillier, Graf von (1608–1652) 283 Christian Ludwig, Herzog von Braunschweig-Lüneburg (reg. 1648–1665) 255 Christian, Herzog von BraunschweigWolfenbüttel (1599–1626) 72, 84, 225, 279 Coehoorn, Menno van (1641–1704) 260, 268 Costa, Bartholomäus Graf von 199f. Courcillon, Philippe de, Marquis de Dangeau (1638–1720) 345, 355 Cr¦qui, FranÅois de (1624–1687) 141 Cromwell, Oliver (1599–1658) 317 Croy, Karl von (1560–1602) 136 Croy, Philipp-Franz von, Prinz von Arenberg und Chimay (1625–1675) 190 Damiens, Robert-FranÅois (1715–1757) 340 Dietrich I. von Hengebach, Erzbischof von Köln (reg. 1208–1212) 248 Dreubeler, Johannes 92 Dürer, Albrecht (1471–1528) 242 Durfort, Jacques-Henri de (1625–1704) 368 Eberhard III., Herzog von Württemberg (reg. 1628–1674) 212 Eberhard Ludwig, Herzog von Württemberg (reg. 1693–1733) 163f., 174 Eberstein, Graf von 49 Edzard II., Graf von Ostfriesland (reg. 1560–1599) 54 Egmond, Graf Lamoral von (1522–1568) 245 Eltz, Hans Peter 93 Engelsüß, Georg (tätig 1646–1648) 280 Eringer, Placidus (1664–1733) 186–189, 191f., 194–201 Erlach von Castelen, Hans Ludwig von (1595–1650) 290

Personenregister

Ernst II., Graf von Mansfeld (1580–1626) 213, 279 Ernst von Bayern, Kurfürst-Erzbischof von Köln (reg. 1583–1612) 129f., 132, 138f., 248 Ernst, Graf von Sayn-Wittgenstein (reg. 1623–1632) 155f. Eugen Franz, Prinz von Savoyen-Carignan (1663–1736) 108, 113, 117 Eyll, Gebhardt von 72 Feller, Antoine (1636–1717) 187, 190–193, 198, 201 Feltman, Henrik (ca. 1610–nach 1670) 258 Ferdinand II., Kaiser (reg. 1619–1637) 67, 143, 209, 213, 293 Ferdinand III., Kaiser (reg. 1637–1657) 143 Ferdinand von Bayern, Kurfürst-Erzbischof von Köln (1612–1650) 65f., 70, 73, 78, 80, 82, 84, 89–92, 97, 139, 248, 268 Feria, Gûmez Su‚rez de Figueroa, Herzog von (1587–1634) 279 Franz von Hatzfeld, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg (reg. 1631/ 33–1642) 233 Franz von Wartenberg, Fürstbischof von Osnabrück, Verden und Minden (reg. 1625–1661, 1630–1631, 1631–1648) 233 Friedrich Carl von Württemberg, HerzogAdministrator (reg. 1677–1698) 163, 166, 172 Friedrich Heinrich von Oranien (Statthalter der Niederlande 1625–1647) 95, 325f. Friedrich I., König in Preußen (reg. 1701–1713) 260f. Friedrich II., König von Preußen (reg. 1740–1786) 168 Friedrich IV. von Wied, Kurfürst-Erzbischof von Köln (reg. 1562–1567) 131 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz (reg. 1610–1623) 80, 206, 211, 228, 279

377

Personenregister

Friedrich von Sachsen-Lauenburg (1554–1586) 128f. Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg (reg. 1640–1688) 251f., 255 Friesen, Julius Heinrich Graf von (1657–1706) 107 Fürstenhoff, Georg Maximilian von (1686–1753) 255f. Gallas, Matthias (1588–1647) 279 Garzoni, Tommaso (1549–1589) 301 Gebhard Truchsess von Waldburg, Kurfürst-Erzbischof von Köln (reg. 1577–1583) 50f., 123–132, 139, 248 Gent, Baro de 74–76, 85, 92–95 Georg Anton von Rodenstein, Fürstbischof von Worms (reg. 1629–1652) 233 Georg I. Ludwig, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg (reg. 1698–1727) 111 Georg II., Graf zu Sayn und Wittgenstein (reg. 1605–1631) 88 Georg II., Landgraf von Hessen-Darmstadt (reg. 1626–1661) 83, 85 Georg Johann II. von Pfalz-Lützelstein (1586–1654) 148 Georg von Hessen-Darmstadt (1669–1705) 95f. Georg Wilhelm, Herzog von Pfalz-Birkenfeld (reg. 1600–1669) 149 Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg (reg. 1619–1640) 72f. Gloner, Samuel (1598–1642) 275f. Gonzaga, Ferrante I., Vizekönig von Sizilien (reg. 1536–1546) 121 Götz, Johann Graf von (1599–1645) 279, 282, 285, 301, 306 Greflinger, Friedrich Conrad (1677–1717) 345 Greiffenberg, Rudolf Sparr von 79 Grenaille, FranÅois de (1616–1680) 294 Griesheim, Heinrich Christoph (von) (1598–nach 1652) 230 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel

von (1622–1676) 29f., 286, 300–302, 306f., 312f. Grotius, Hugo (1583–1645) 282, 362 Gu¦briant, Jean Baptiste Budes de (1602–1643) 281 Guevara, Antonio de (1481–1545) 304 Guillin 102f. Güntzer, Augustin (1596–1657) 170 Gustav Adolf, König von Schweden (reg. 1611–1632) 210 Gustavsson, Gustav (1616–1653) 225 Haarsch 117 Hagen, Johann Ludwig von 60 Hamman, Johann Friedrich (1655–1718) 346 Hamman, Peter (1624–1692) 346 Harcourt, Henri d’ (1654–1718) 112–115, 117 Hatzel, Gaspard de (1669–1746) 115 Hatzfeld, Melchior von (1593–1658) 99 Heidemann, Christoph (tätig 1664–1673) 258 H¦nin-Li¦tard, Maximilien de (Statthalter der Niederlande 1567–1573) 51 Hermann von Wied, Kurfürst-Erzbischof von Köln (reg. 1515–1547) 121–123 Hertogs, Derich 263 Herwart (Gebrüder) 289 Hobbes, Thomas (1588–1679) 301 Hoeufft, Jan (1578–1651) 290 Hofer, Andreas (1767–1810) 167 Hoorn, Philippe II. de Montmorency, Graf von (gest. 1568) 245 Huchtenburgh, Jan van (1647–1733) 261 Hundeshagen, Helfrich Bernhard (1784–1858) 269 Inn- und Knyphausen, Dodo von (1583–1636) 225 Isselt, Michael von (ca. 1535–1597)

124

Jakob III. von Eltz, Kurfürst-Erzbischof von Trier (reg. 1567–1581) 58 Johann Adolf von Hoheneck, Fürstabt von Fulda (reg. 1633–1635) 233

378 Johann Bernhard Schenk von Schweinsberg, Fürstabt von Fulda (reg. 1623–1632) 233 Johann Casimir von Sachsen-Coburg (1543–1592) 130f., 135f. Johann Hugo von Orsbeck, Kurfürst-Erzbischof von Trier (reg. 1676–1711) 141 Johann I., Graf von Ostfriesland (reg. 1528–1572) 53 Johann II., Graf von Ostfriesland (reg. 1561–1591) 54 Johann Ludwig, Graf von Nassau-Hadamar (reg. 1606–1653) 78f., 86, 88 Johann Moritz von Nassau-Siegen (Statthalter in Kleve und Mark 1647–1679) 252–254 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg (reg. 1608–1619) 67f. Johann VI., Graf von Nassau-Dillenburg (reg. 1559–1606) 127, 131, 135 Johann VIII. Hugo von Orsbeck, KurfürstErzbischof von Trier (reg. 1676–1711) 147 Johann von Manderscheid, Fürstbischof von Straßburg (reg. 1569–1592) 214 Johann Wilhelm I., Herzog von JülichKleve-Berg (reg. 1592–1609) 67, 250 Jordan, Claude (1659–ca. 1718) 339 Joseph I., Kaiser (reg. 1705–1711) 201 Jung, Anton 154 Jungnitz, Christoph (gest. vor 1640) 216 Kanoffski von Langendorf, Friedrich Ludwig (1592–1645) 221 Karl II., König von Spanien (reg. 1665–1700) 185 Karl IV., Herzog von Lothringen (reg. 1625–1675) 282 Karl V., Kaiser (reg. 1519/30–1556) 34, 51, 62, 121, 123, 176, 243, 294 Karl VI., Kaiser (reg. 1711–1740) 185, 201 Karl, Landgraf von Hessen-Kassel (reg. 1670–1730) 148

Personenregister

Keess, Oswald (1673–1745) 186–188, 191f., 194, 197–201, 203 Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln (reg. 1238–1261) 267 Kriechingen, Peter Ernst von (um 1570–1633) 124 Kuckelmann van Aich, Johann 12f. La Fare, Charles-Auguste de (1644–1712) 367 La Grange, Jacques de (1643–1710) 104, 355 La Grange, Louis de 107 Laubanie 108 Lavall¦e, Joseph (1747–1816) 369 Le Pelletier de La Houssaye, F¦lix (1663–1723) 104, 111, 115, 118 Leopold I., Kaiser (reg. 1658–1705) 163, 201 Leopold V., Erzherzog von Österreich (1586–1632) 214, 279 Leporini von Göppingen 167 Lieck, Nikolaus 52 Lieselotte von der Pfalz, Herzogin von Orl¦ans (1652–1722) 366 Limiers, Henri de 367 Lorge, Guy Aldonce de Durfort, Herzog von (1638–1702) 163 Lothar von Metternich, Kurfürst-Erzbischof von Trier (reg. 1599–1623) 143 Lotichius, Johann Peter (1598–1668) 230 Louis de France, Herzog von Burgund (1682–1712) 107 Louvois, FranÅois Michel Le Tellier, Marquis de (1641–1691) 202, 335, 355, 368 Ludwig Heinrich, Graf von NassauKatzenelnbogen (1594–1662) 93, 98 Ludwig VI., Kurfürst von der Pfalz (reg. 1576–1583) 131 Ludwig Wilhelm, Markgraf von BadenBaden (reg. 1677–1707) 107f., 156, 163, 165 Ludwig XIII., König von Frankreich (reg. 1610–1643) 278 Ludwig XIV., König von Frankreich (reg. 1643–1715) 104, 107, 109–111,

379

Personenregister

116–118, 163, 167, 183–185, 201f., 251, 259, 293f., 317, 322, 328, 334f., 337, 357, 361f., 367–369 Ludwig XV., König von Frankreich (reg. 1715–1774) 340 Magdalena, Pfalzgräfin von Zweibrücken (1553–1633) 151 Maintenon, FranÅoise d’Aubign¦, Marquise de (1635–1719) 113 Marchin, Ferdinand de (1656–1706) 109f. Margarethe von Parma (Statthalterin der Niederlande 1559–1567) 58, 63 Maria von Mansfeld, Gräfin von Sayn (1567–vor 1635) 124 Marlborough, John Churchill, Herzog von (1650–1722) 108f., 113, 194, 196 Max Emanuel, Kurfürst von Bayern (reg. 1679–1726) 185, 195, 199, 203 Maximilian Heinrich von Bayern, Kurfürst-Erzbischof von Köln (reg. 1650–1688) 268 Maximilian I., Kurfürst von Bayern (reg. 1623–1651) 66, 77, 80–83, 91, 211, 217f., 228 M¦lac, Ez¦chiel de (um 1630–1704) 106f., 357f., 367f. Melander, Peter, Graf von Holzappel (1589–1646) 98f. M¦liand, Blaise (gest. 1661) 291 Mercy, Claudius Florimund Graf von (1666–1734) 112f. Merode, Floris von 72f. Michiels, Hieronymus (gest. 1588) 139 Monro, Robert (gest. ca. 1680) 280 Montmorency, El¦onore de (1525–1590) 46 Moritz von Oranien (Statthalter der Niederlande 1584–1625) 250, 325–327 Namur 167 Nesselrode, Bertram von (gest. 1678) Neumann, Peter 60 Nideggen, Martin Schenk von (1540–1589) 133, 136, 138

77

Northausen, Johann (um 1550–nach 1594) 132 Oer, Theobald von (1807–1885) 353 Oldenbarnevelt, Johan van (1547–1619) 327 Olevian, Caspar (1536–1587) 39 Opitz, Martin (1597–1639) 301 Otto Ludwig, Wild- und Rheingraf von Salm-Kyrburg-Mörchingen (reg. 1623–1634) 149 Otto Truchsess von Waldburg, Fürstbischof von Augsburg (reg. 1543–1573) 123 Otto von Bylandt, Herr zu Rheydt (1554–1608) 242 Ouren, Baron d’ 202 Palm, Johann Philipp (1766–1806) 167 Pappenheim, Gottfried Heinrich Graf zu (1594–1632) 84, 86 Pasqualini, Alessandro (1493–1559) 242–244, 250 Pasqualini, Johann d. Ä. (1535–1582) 244, 250, 263 Pasqualini, Maximilian 244 PÀre Joseph (FranÅois-Joseph Le Clerc du Tremblay de Maffliers) (1577–1638) 297 Pery, Comte de 114 Philipp Christoph von Sötern, KurfürstErzbischof von Trier (reg. 1623–1652) 78, 155f., 226 Philipp I., Graf von Schaumburg-Lippe (reg. 1647–1681) 224 Philipp I., Landgraf von Hessen (reg. 1518–1567) 243 Philipp II., König von Spanien (reg. 1556–1598) 36, 183, 244, 322 Philipp IV., König von Spanien (reg. 1621–1665) 184 Philipp V., König von Spanien (reg. 1700–1746) 185, 195 Philipp Wilhelm, Fürst von Oranien (reg. 1584–1618) 132

380 Philipp Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz (reg. 1685–1690) 348 Pistorius 167 Regemorte, Jean Baptiste de (1650–1724) 110 Rehlingen, Marx Conrad von (1576–1642) 290f. Reid, Balthasar (gest. 1630) 217 Reigersberch, Nicolaas van (1584–1654) 282 Reinach, Hans Heinrich von (1589–1645) 279, 283, 288 Requesens y ZfflÇiga, Luis de (Statthalter der Niederlande 1573–1576) 33 Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Herzog von (reg. 1624–1642) 294, 297 Riedesel zu Eisenbach, Georg 85 Riesmann 348 Rohan, Henri II. de (1579–1638) 280, 283 Roidkin, Renier (1684–1741) 269f. Ruse, Hendrick (1624–1679) 253–256 Salentin von Isenburg, Kurfürst-Erzbischof von Köln (reg. 1567–1577) 48, 50, 124, 128, 249 Sander von Kneißler, Johannes 225 Savelli, Frederigo, Herzog von (1595–1649) 281, 284f., 293 Scharberger, Urban 37 Schauenburg, Hans Reinhard von 306 Schickard, Wilhelm (1592–1635) 27, 219 Schill, Ferdinand von (1776–1809) 167 Schlee, Richard (gest. 1719) 105 Schober 167 Schwarzenberg, Adam Graf von (1583–1641) 69 Sidney, Philip (1554–1586) 301 Simons, Menno (1496–1561) 123 Solms, Hermann Adolf von (1545–1613) 126 Sophie von Hannover, Kurfürstin von Braunschweig-Lüneburg (1630–1714) 366 Spaur, Maria Clara von, Äbtissin von Essen (reg. 1614–1644) 80

Personenregister

Specklin, Daniel (1536–1589) 265 Spee zu Langenfeld, Friedrich (1591–1635) 223 Speer, Daniel (1636–1707) 166f., 347 Spiegel 152 Spinola, Ambrosio (1569–1630) 146, 239 Stackhausen, Friedrich von 98 Steinwick, Peter von 52 Steudlin 167 Stuart, Jacques FranÅois (1688–1766) 114 Sylva, Philippo de 79 Tallard 117 Tarade, Jacques (1640–1722) 103 Theren, Johann von 57 Tilly, Johann T’Serclaes Graf von (1559–1632) 81, 84, 86f., 146, 219 Tranchot, Jean Joseph (1752–1815) 259 Turenne, Henri de (1611–1675) 282 Valckenburgh, Johann van (1575–1625) 251 Vauban, S¦bastian Le PrÞstre, Marquis de (1633–1707) 103, 184, 260, 266 Veecken, Johann van der 76–78, 89–91 Villars, Claude-Louis-Hector de (1653–1734) 102, 108–111, 113, 115–117 Villemont 108 Vlieck, Peter van 56 Volmar, Isaak (1582–1662) 279 Voltaire (FranÅois-Marie Arouet) (1694–1778) 366f. Vosbergen, Caspar von 65, 71 Wahl, Joachim Christian von 98 Walch-Künkelin, Barbara 162 Wallenstein (Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein) (1583–1634) 146f., 281 Walther, Johann Jakob (vor 1610–um 1677) 288 Weiman, Daniel 252 Weinsberg, Hermann (1518–1597) 11–13, 19, 26, 30, 128

Personenregister

Werner, Graf von Salm-Reifferscheidt (1545–1629) 123 Werth, Jan van 98, 293 Wicquefort, Joachim von (um 1600–1642) 289 Wilhelm I. von Oranien (Statthalter der Niederlande 1572–1584) 45, 53f., 57, 245, 322, 324f. Wilhelm II. von Oranien (Statthalter der Niederlande 1647–1650) 326, 329 Wilhelm III. von Oranien (Statthalter der Niederlande 1672–1702) 317, 322, 326 Wilhelm Ludwig, Herzog von Württemberg (reg. 1674–1677) 160 Wilhelm V., Herzog von Jülich-Kleve-Berg (reg. 1539–1592) 121, 237, 243

381 Wilhelm V., Landgraf von Hessen (reg. 1627–1637) 225 Wilich zu Winnenthal, Freiherr von 252 Willemann, Thi¦baut (1671–1731) 115 Witt, Cornelis de (1623–1672) 328 Witt, Johan de (1625–1672) 328 Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, Herzog von Jülich-Berg (reg. 1614–1653) 67, 70, 80, 89, 230 Wolfgang, Herzog von Pfalz-Zweibrücken (reg. 1532–1569) 121 Zender, Benedikt 203 Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von (1663–1697) 367

Ortsregister

Aachen 33, 36, 38, 40, 42, 44, 53–57, 61–63, 129, 237, 239 Aalen 178 Aberchweiler 105 Allenbach, Amt 148 Alt-Breisach 105, 110, 117 Altdorf 207 Altenberg 85 Altenkirchen 98 Altkalkar 251 Amsterdam 51, 243, 245, 253, 339 Ansbach, Markgrafschaft 178 Antwerpen 34, 40–44, 49f., 55, 61f., 245 Arloncourt 189 Arnsberg 239 Arzheim 106 Asperg 162 Augsburg 214 Backnang 163, 178f. Baden, Markgrafschaft 291, 336 Baden-Baden, Markgrafschaft 18 Balbronn 103, 111 Bamberg 207, 234 Bartenheim 111 Basel 103, 112, 210, 215, 232, 286, 290f., 353 Basel, Fürstbistum 289, 291 Bayern, Kurfürstentum 253 Bedburg 122 Beilstein 163, 179 Belfort 104f. Belgien 23 Belvaux 189

Bentheim, Grafschaft 17 Berg, Herzogtum 16f., 51, 70, 130, 135, 244, 250 Bergisch Gladbach 136 Beringhausen 74 Berlin 255 Bern 291 Birkenfeld, Amt 147f. Birlenbach 111 Bitburg 194 Bitsch 108 Bixheim 111 Blaubeuren 178 Böckelheim, Amt 147–149, 153 Bockenheim (Bouquenom) 111 Böhmen 68 Bonn 28, 65, 121, 124, 127f., 130–133, 136–139, 237f., 240, 248f., 266–272 Bottrop 73 Brandenburg 189 Brandenburg, Kurfürstentum 24 Brandenburg-Preußen 261 Brasilien 310 Bredevoort 77 Breisach 28, 105, 107, 112, 275f., 279, 281–283, 286, 288f., 292–298, 306, 309f. Briel 49 Brilon 75 Brinke 20 Brügge 42f. Brühl 89, 97, 127 Brühl, Amt 89 Brüssel 24, 33, 37, 58 Büderich 75, 250

384 Bühl 110 Büren 21 Calw 163, 179 Cannstatt 162 Ch–lons 115 Ch–telet 189, 192 China 310 Coevorden 245 Colmar 286f. Corvey, Stift 18 Dambach 111 Dammerkirch (Dannemarie) 111 Damvillers 184 Dänemark 38, 255 Daun, Amt 154 Den Haag 69, 71, 89, 91f. Deutz 130, 136, 229, 237 Diedenhofen 109 Dietkirchen 121 Dijon 279 Dillingen 207 Dortmund 98, 301 Drusenheim 104f., 109, 117 Duisburg 53, 234 Düsseldorf 124, 230, 237, 244, 250, 264, 266 Echternach 186–188, 194–200 Eckartswiller 107 Ehingen an der Donau 162 Ehrenbreitstein 98, 229, 280 Einsiedeln 310 Emmerich 237, 250 England 41, 46, 338, 361 Enkirch 147, 149, 152 Epfig 111 Eppingen 179 Erfurt 207, 227 Essen, Stift 70 Euskirchen 237 Fellbach 163, 179 Fort-Louis 104f., 109f., 112, 114, 117 Fort-Mortier 105

Ortsregister

Fossa Eugeniana 237 Franeker 215, 231 Franken, Herzogtum 278 Frankenthal 335 Frankfurt am Main 34, 41, 342, 345, 353, 359 Frankfurt an der Oder 207 Frankreich 23, 25, 101, 184, 290, 295, 334, 338, 363 Freiburg 112, 116f., 175, 205, 207, 210, 212f., 218, 220f., 235, 279, 306 Freusburg, Amt 77, 87f., 154–156 Friedrichsburg 356 Friesland, Provinz 51, 215 Fritzlar 79 Gaildorf 178 Gebweiler 111 Geisberg 115 Geldern 237, 260–262 Geldern, Herzogtum 121, 260 Geldern, Provinz 132 Genf 291 Gent 243 Gerresheim 124 Gießen 207f., 234 Glehn 134f. Gnadenthal 138 Godesberg 121, 127, 132, 248 Godesburg 249 Göppingen 162, 166, 178, 347 Graz 207 Greifswald 207 Grevenmacher 194 Groenlo 77f. Groningen 13, 231, 245 Großbritannien 330 Guggenheim 103 Haarlem 52, 245 Habay-la-Neuve 189, 195 Hagenau 105, 109f., 112, 114–116 Hamburg 345 Hamm 252 Hanau 300, 347 Harburg 255

385

Ortsregister

Hatten 109 Hattstatt 105 Heidelberg 107, 162–164, 166, 179f., 205, 207–209, 211–213, 215–220, 223, 228, 231f., 234f., 336, 343–345, 347, 350–352, 364f., 368 Heilbronn 160, 163, 177, 216, 335, 340 Heinsberg 20f., 237 Helmstedt 207 Helzingen 189 Herrstein, Amt 148, 152 Herstelle, Amt 21 Herzogenbusch 71, 77 Hessen, Landgrafschaft 24 Hessisch Oldendorf 221, 225 Hirsau 163 Höchstedt 108 Hofen 111 Hohenlohe 161 Hohenlohe, Grafschaft 17, 169 Hohenneuffen 166 Hohentübingen 219f. Holland, Provinz 51, 215, 245 Holzappel, Herrschaft 152 Hördt 109 Hüls 131 Hüningen 103–105 Hunspach 111 Ilsfeld 163 Inden 153 Ingolstadt 207 Issenheim 111 Italien 47, 107, 109, 116, 242 Jankau 311 Jeckenbach 156 Jena 207 Jülich 28, 68, 153, 237, 243f., 248, 250f., 255, 258, 265f. Jülich, Herzogtum 35, 51, 70, 99, 250, 279 Jülich-Berg, Herzogtum 67, 251 Jülich-Kleve-Berg, Herzogtum 239, 244 Junkersdorf 138 Kaiserswerth

130, 237

Kalkar 28, 251–257, 260 Karlsruhe 306f. Kastellaun 153 Kastellaun, Amt 147, 151 Katzenelnbogen, Niedergrafschaft 153 Keffenach 111 Kehl 105, 112 Kerpen 52 Kestenholz (Ch–tenois) 111 Kiel 234 Kleve 248, 254, 263 Kleve, Herzogtum 45, 51, 68, 73, 77, 244, 250–252 Kleve-Mark, Herzogtum 67 Knittlingen 178f. Köln 11f., 16, 19, 24, 33f., 36, 38, 40–53, 57, 61f., 92, 128–130, 132, 135, 137, 139, 200, 206f., 225, 227, 229, 232f., 236–242, 244, 266, 268, 306, 314, 345 Köln, Kurfürstentum 51, 70, 91, 121–139, 229, 248, 336 Königsbrück 105 Königstein 93 Kopenhagen 255 Kotzenroth 156 Krefeld 134 Kreuznach 147f. Kröver Reich 143, 153 Kyrburg 150 Ladenburg 160, 177 Landau 104–110, 116 Landskron 104f. Langenschleithal 109, 115 Langres 115 Laufenburg 289 Lauterburg 104f., 107, 109f., 112, 117 Lechenich 78, 127 Lechenich, Amt 77, 88, 96 Leeuwarden 13 Leiden 215, 231 Leipzig 207, 227 Lichtenberg 105 Limburg, Amt 154 Linn 134 Lippstadt 252, 309, 314

386 London 334 Lothringen, Herzogtum 58, 61, 101 Löwenburg, Amt 136 Lünen 73 Lüttich 90, 92 Lüttich, Fürstbistum 51, 70, 90f., 130 Lützelstein 105 Luxemburg 23, 26, 111, 184f., 187–190, 192f., 195–197, 201–203, 233 Luxemburg, Herzogtum 58f., 183–204 Luxemburg, Provinz 183–185 Lyon 290 Maastricht 53, 55f. Madrid 244 Magdeburg 275, 300, 307, 309 Mainz 206f., 225, 228, 231, 233, 236, 365 Mainz, Kurfürstentum 24, 51, 336 Malplaquet 113, 118 Manderscheid, Amt 154 Manderscheid, Herrschaft 200 Mannheim 335, 344f., 347, 353, 355f., 359, 365 Marbach 163, 178f. Marburg 207, 224, 234 Mariembourg 243 Mark, Grafschaft 51, 63, 68f., 73, 76, 250 Maulbronn, Klosteramt 178 Maursmünster 111 Medard 148, 151 Meisenheim, Oberamt 144, 148f. Merxheim 111 Meschede 74 Mesenich 196 Messinghausen 75 Metz 114f., 174, 291, 295 Moers 124 Moers, Grafschaft 134, 250 Moersdorf 196 Molsheim 104, 206f., 210, 214f., 225, 235 Monheim 80 Mont Royal 152 Montm¦dy 184 Mühlacker 179 Mühlheim 130, 135f., 237 München 66, 275

Ortsregister

Münster 208, 223 Münster, Fürstbistum

17, 70, 77, 85, 92

Nambsheim 111 Namurs, Provinz 185 Nassau 340 Nastätten 152f. Neapel 47 Neckargemünd 179 Neckarsulm 107 Neu-Breisach 104f., 110, 117, 266 Neuburg 105, 108 Neuenburg 112, 175 Neuenbürg, Amt 178 Neuss 12, 132–134, 137–139, 237, 259 Niederlande 23, 25, 29, 33–36, 38–42, 44–50, 53–58, 63, 69, 99, 126, 132, 141, 160, 163, 176, 183–185, 199, 211, 215, 243–245, 248, 253f., 279, 293, 317–331, 338f., 343 Niederrödern 109 Nievenheim 135 Nimwegen 52, 57, 239, 322, 328 Nordheim 111 Nördlingen 210, 212, 221, 277, 284 Nürnberg 41, 167, 304, 364 Oberstein, Amt 148, 152 Oberstenfeld 163, 179 Odenkirchen 12 Offenburg 304, 306 Offenheim 103 Olmütz 207 Oppenheim 164, 335, 344f., 351 Orsoy 237, 244, 250, 259 Osnabrück 206, 208, 223, 225f. Osnabrück, Fürstbistum 18 Österreich 63 Otterthal 107 Ottmarsheim 111 Overijssel, Provinz 51, 132 Paderborn 207, 222f., 225, 230f., 233, 236 Paderborn, Fürstbistum 18, 21, 70, 84, 91, 225 Paris 115, 118, 163, 290, 293, 307

Ortsregister

Pavia 47 Perl 196 Pfaffenmütz 68 Pfalzburg 104 Pfalzgrafschaft bei Rhein, Kurfürstentum 59, 141, 209, 336, 342 Pforzheim 179, 335 Pforzheim, Oberamt 179 Philippeville 243 Philippsburg 105, 110, 279f., 282, 306f., 334f. Polen 38 Pontarlier 112 Poppelsdorf 127, 131 Porz, Amt 136 Prag 207, 211, 278, 296 Preuschdorf 108 Pyrmont 84–86 Pyrmont, Grafschaft 84 Raedersheim 111 Rastatt 18, 116, 118 Ravensberg, Amt 20 Ravensberg, Grafschaft 250 Recklinghausen, Vest 70, 73, 77 Rees 76, 237, 250 Regensburg 66 Renchen 306 Rheinau 282, 286 Rheinberg 76, 128–131, 133, 237, 250 Rheinfelden 279, 289, 292f., 306 Rheydt 242, 247 Riedeltz 107 Rijswijk 179, 185, 203, 322, 328 Rinteln 206–208, 222–224, 229f., 236 Roermond 57 Rom 47, 228 Romanswiller 103 Rösenbeck 75 Rosport 196 Rostock 207, 227 Rufach 111 Rumersheim 113, 118 Saarburg 152 Saarlouis 111 Säckingen 289

387 Saessolsheim 103 Saint-Germain en Laye 112, 278 Saint-Omer 293 Salmbach 114 Salzburg 207, 223 Sankt Pilt (Saint-Hippolyte) 111 Sankt Vith 194 Savoyen, Herzogtum 291 Sayn-Wittgenstein, Grafschaft 17, 155 Schaffhausen 291 Schaumburg, Grafschaft 224 Schenkenschanz 237, 248, 250 Scherweiler 111 Schleiden, Herrschaft 200 Schleithal 112 Schlettstadt 105, 112 Schlierbach 111 Schönenburg 107 Schorndorf 162, 347 Schwäbisch Hall 161, 178 Schweden 24, 38 Schweighausen 110 Schweiz 211, 282, 289f., 306, 310 Seeland, Provinz 51, 245 Selz 105, 109, 111, 116 Sennen 282 Siegen 78 Sierck 109, 196 Sierenz 111 Simmern 190 Sinsheim 160, 177 Sittard 237 Slankamen 163 Sobernheim 148, 150, 153 Soest 17, 72–77, 85, 92, 95, 154, 301, 309 Solms 340 Solothurn 291 Sötern, Herrschaft 148 Spandau 253 Spanien 47, 63 Speyer 60, 105, 164f., 180, 217, 335, 340, 344f., 349, 352 Speyer, Fürstbistum 336, 340 Sponheim, Grafschaft 143, 147, 152f. Stade 87 Stadthagen 206

388

Ortsregister

Steinfurt, Kreis 17 Sternenfels 179 Stollhofen 110 Stoltzheim 111 Straßburg 103–105, 107, 115, 174, 206–208, 210–214, 217, 227, 232, 235, 288, 306, 311, 340, 365 Straßburg, Fürstbistum 206, 213 Stuttgart 162, 165, 168, 171, 176, 178f. Sulz 104, 111 Thann 282 Thionville 184 Toul 295 Traben 149 Trarbach, Oberamt 149 Trier 33, 36, 38–40, 42, 44, 57–61, 63, 109, 141, 152, 190, 194, 206f., 226, 229f., 236 Trier, Kurfürstentum 24, 51, 155, 336 Tübingen 162, 178, 205, 207, 210, 212f., 216f., 219, 228, 235 Uerdingen 76, 131, 134 Ulm 214 Ungarn 112 Unkenbach 148 Unna 73 Uppsala 228 Utrecht 118, 231, 243, 245, 261, 268, 318, 322, 328, 330 Utrecht, Fürstbistum 243 Vaihingen an der Enz Venedig 253 Venlo 97, 129 Verdun 115, 295 Versailles 112, 118 Villingen 310

163, 166, 179

Vlissingen 50, 245 Volkringhausen 75 Wahlheim 111 Waldshut 279, 289 Wanzenau 105 Warendorf, Kreis 17 Wasserbillig 194 Weißenburg 104f., 107–109, 112, 114, 116f. Weißenstein 179 Werl, Amt 75 Wesel 71, 76f., 80, 237, 250, 260, 263 Westfalen, Herzogtum 17, 20, 70, 73, 91 Westhofen 111 Wetzlar 79, 83 Widensolen 105 Wien 207, 275 Winnenden 163, 179 Wittenberg 207 Wittenweier 281, 284, 288, 309 Wittstock 301 Wolf 149 Wolfisheim 103 Worms 164, 166, 335, 344–346 Worms, Fürstbistum 336 Worringen 138 Württemberg, Herzogtum 27, 159, 161, 163, 167f., 171, 174, 179f., 209, 336, 340, 346f. Würzburg 207, 228 Xanten

67, 250

Zabern 105, 107, 114f. Zavelstein 163 Zillisheim 111 Zons 128, 138

Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit«

herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve Legitimation, Praxis und Wirksamkeit von Herrschaft gehören zu den zentralen Themen der Geschichtswissenschaft. Insbesondere die Frühe Neuzeit war maßgeblich von einem Verdichtungsprozess von Herrschaft geprägt. Allerdings sind die bisher dominierenden Interpretationsmuster zur Beschreibung von Herrschaftspraxis und Staatsbildung in der letzten Zeit immer mehr in die Kritik geraten. Dies gilt schon seit längerem für den der Ideenwelt des 19. Jahrhunderts entlehnten, ursprünglich teleologisch fundierten Staatsbegriff im Allgemeinen sowie für das davon abgeleitete Konzept des Absolutismus. Aber auch jüngere, stärker auf sozialen und räumlichen Vorstellungen basierende Modelle wie Otto Brunners »Land und Herrschaft« oder Gerhard Oestreichs Konzept der Sozialdisziplinierung sind problematisch geworden. Ursächlich für dieses Unbehagen ist nicht zuletzt die idealtypische Begriffsbildung, die den Ergebnissen empirischer Forschung auf Dauer nicht standhalten konnte und so schließlich an erkenntnistheoretischem Nutzen verloren hat. Über die idealtypische Begriffsbildung hinaus scheint es deshalb notwendig, Herrschaft konkret, und zwar in ihren räumlichen wie in ihren sozialen Dimensionen und Reichweiten zu beschreiben. Herrschaft wird somit als soziale Praxis begriffen, die Herrschende und Beherrschte in einer kommunikativen

und sich wandelnden, allerdings durch obrigkeitlich gesetzte Normen einerseits sowie ungeschriebene Traditionen andererseits begrenzten Beziehung verband. Diese soziale Praxis entwickelte sich innerhalb der Grenzen eines Herrschaftsgebietes, oftmals aber zunächst innerhalb des kleineren Rahmens rechtlich, ökonomisch und sozial in sich geschlossener, voneinander abgegrenzter räumlicher und sozialer Einheiten. Um Herrschaft präzise beschreiben zu können, erscheint es daher ratsam, sie im Rahmen solcher Einheiten zu untersuchen, die oftmals zugleich Herrschaftsraum wie Herrschaftsinstrument sein konnten. Besonders gilt dies für Formationen, die sich aufgrund von Selbstbeschreibung und Sinnstiftung, aber auch ihrer funktionalen und kommunikativen Binnenstrukturen als »soziale Systeme« charakterisieren lassen. Zweifellos das herausragende Beispiel eines solchen sozialen Systems ist das Militär, also die Söldnerhaufen der aufziehenden Neuzeit und die Stehenden Heere des 17. und 18. Jahrhunderts. Gerade in diesen sich im und nach dem Dreißigjährigen Krieg immer stärker institutionalisierenden, mittels spezifischer Regeln und Symbole zusammenschließenden und zugleich nach außen abgrenzenden Armeen spiegelt sich die Herrschaftsproblematik der Frühen Neuzeit in besonders eindringlicher Weise wider. Zum einen war die militärische Gesellschaft der Frühen Neuzeit mit ihren Soldaten und deren Angehörigen in ihrer Binnenstruktur zugleich sozial wie auch rechtlich und hierarchisch, also herrschaftlich organisiert. Zum anderen war das Militär selbst Herrschaftsinstrument – im Krieg nach außen und im Frieden nach innen. Aber auch andere, weniger geschlossen auftretende Formationen und Institutionen kannten die doppelte Funktion als Objekt und Subjekt von Herrschaft, als deren Erprobungsfeld wie als deren Instrument. Dazu gehörten beispielsweise die übrigen Bereiche organisierter öffentlicher Herrschaftsausübung wie der sich immer weiter differenzierende Polizei- und Verwaltungsapparat oder die Justiz. Die in der vorliegenden Schriftenreihe erscheinenden Bände widmen sich der Geschichte dieser sozialen Systeme in unterschiedlichen thematischen und methodischen Zugängen, aus der Binnensicht ebenso wie aus der Außenperspektive. Immer aber steht dabei die doppelte Frage nach ihrer Herrschaftsfunktion wie nach ihrer Herrschaftsintensität im Vordergrund.

Veröffentlichungen des AMG Seit 2000 verfügt der Arbeitskreis über die Schriftenreihe Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit

Bände bei V& R unipress (ab Band 14): Bd. 20: Andreas Rutz (Hrsg.), Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568–1714, Göttingen 2015, 392 S. [ISBN 978-3-8471-0350-9]. Bd. 18: Marc Höchner, Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert, Göttingen 2015, 284 S. [ISBN 978-3-8471-0321-9]. Bd. 17: Jan Kili‚n (Hrsg.), Michel Stüelers Gedenkbuch (1629 – 1649). Alltagsleben in Böhmen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Göttingen 2014, 462 S. [ISBN 978-38471-0235-9]. Bd. 16: Ralf Pröve, Carmen Winkel (Hrsg.), Übergänge schaffen: Ritual und Performanz in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft, Göttingen 2012, 158 S. [ISBN 978-3-84710023-2]. Bd. 15: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, 384 S. [ISBN 978-3-89971-995-6]. Bd. 14: Jan Peters (Hrsg.), Peter Hagendorf – Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg, Göttingen 2012, 238 S. [ISBN 978-3-89971-993-2]. Ankündigung: Bd. 19: Jutta Nowosadtko, Diethelm Klippel (Hrsg.), Militär und Recht (16.–19. Jahrhundert). Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen, Göttingen 2015, ca. 332 S. [ISBN 978-3-8471-0338-7].

Ältere Bände: Bd. 13: Matthias Meinhardt, Markus Meumann (Hrsg.), Die Kapitalisierung des Krieges. Kriegsunternehmer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Münster u. a. 2015, 408 S. [ISBN 978-3-643-10108-2]. Bd. 12: Anuschka Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis, Münster u. a. 2012, 338 S. [ISBN 978-3-643-10666-7]. Bd. 11: Ralf Pröve, Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, Münster u. a. 2010, 222 S. [ISBN 3-643-10768-8]. Bd. 10: Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß. Militärische Beobachtung und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Münster u. a. 2008, 312 S. [ISBN 978-3-8258-0585-2]. Bd. 9: Matthias Asche, Michael Herrmann, Ulrike Ludwig, Anton Schindling (Hrsg.), Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 344 S. [ISBN 978-3-8258-9863-6].

Bd. 8: Ursula Löffler, Vermittlung und Durchsetzung von Herrschaft auf dem Lande. Dörfliche Amtsträger im Erzstift und Herzogtum Magdeburg, 17. – 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 256 S. [ISBN 3-8258-8077-X]. Bd. 7: Beate Engelen, Soldatenfrauen in Preußen. Eine Strukturanalyse der Garnisonsgesellschaft im späten 17. und 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 672 S. [ISBN 3-8258-8052-4]. Bd. 6: Sebastian Küster, Vier Monarchien – Vier Öffentlichkeiten. Kommunikation um die Schlacht bei Dettingen, Münster u. a. 2004, 560 S. [ISBN 3-8258-7773-6]. Bd. 5: Matthias Rogg, Jutta Nowosadtko (Hrsg.) unter Mitarbeit von Sascha Möbius, »Mars und die Musen«. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 408 S. [ISBN 978-3-8258-9809-1]. Bd. 4: Michael Kaiser, Stefan Kroll (Hrsg.), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2004, 352 S. [ISBN 3-8258-6030-2]. Bd. 3: Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2006, 416 S. [ISBN 3-8258-6346-8]. Bd. 2: Markus Meumann, Ralf Pröve (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster u. a. 2004, 256 S. [ISBN 3-82586000-0]. Bd. 1: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster u. a. 2000, 390 S. [ISBN 3-8258-4758-6]. Weitere Veröffentlichungen des AMG: Karen Hagemann, Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt am Main 1998 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), 368 S. [ISBN 3-593-36101-9]. Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, 356 S. [ISBN 3-506-74825-4].