Krieg geht viral: Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg 9783839467183

Schon seit Beginn des Ukraine-Krieges ging dieser als mediales und auch künstlerisches Ereignis viral. Zeitgleich setze

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Krieg geht viral: Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg
 9783839467183

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Wenn Ares singt, dann schweigen die Musen…
2. Tagebücher
3. Ukrainische Kunst
4. Bilder des Krieges
5. Memes
6. NFTs
7. Street Art
8. Mutismus und Widerstand
9. Agency der Toten
Schlusswort
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis

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Elena Korowin Krieg geht viral

Image Band 227

Elena Korowin (Dr. phil.) vertritt die Professur Kunstwissenschaft mit dem Schwerpunkt Kunst der Gegenwart an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Für ihre Dissertation »Der Russen-Boom. Kunstausstellungen als Mittel der Diplomatie zwischen Sowjetunion und Bundesrepublik Deutschland 1970-1990« wurde sie mit dem ifa-Forschungspreis ausgezeichnet. Neben vielen kuratierten Ausstellungen und aktiver Tätigkeit als Kunstkritikerin für verschiedene Zeitungen und Magazine widmet sie sich u.a. den Forschungsschwerpunkten Kunst und Politik, Kunstautonomie, Feminismus und Gender sowie Postcolonial Studies.

Elena Korowin

Krieg geht viral Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 233745993.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »Stop Lying!« März 2022, MAKE, Moskau Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839467183 Print-ISBN: 978-3-8376-6718-9 PDF-ISBN: 978-3-8394-6718-3 Buchreihen-ISSN: 2365-1806 Buchreihen-eISSN: 2702-9557 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Vorwort .............................................................................9 Viral gehen und vergehen ........................................................... 11 Boykott und Einfühlung.............................................................. 12 Dank................................................................................ 15 1. Wenn Ares singt, dann schweigen die Musen… ................................. 17 Ausstellungen 2022 ................................................................ 23 Ein Brief von der Front ............................................................. 35 2. Tagebücher.................................................................... Yevgenia Belorusets ................................................................ Alevtina Kakhidze .................................................................. Angriff auf Viktoria Lomasko ....................................................... Vlada Ralko ........................................................................

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3. Ukrainische Kunst ............................................................. 73 R.E.P.-Gruppe ...................................................................... 73 HUDRADA .......................................................................... 75 SOSKA ..............................................................................77 Women at War...................................................................... 79 Dana Kavelina (*1995) .............................................................. 80 Olia Fedorova (*1994) ............................................................... 83 4. Bilder des Krieges .............................................................. 91 Krieg ist nicht darstellbar ........................................................... 91 Ästhetiken der Kriege .............................................................. 92 Bilder zu Waffen ................................................................... 94

Der Schmerz und Tod von anderen.................................................. 96 Authentizität im Digitalen .......................................................... 98 Wahrnehmungskrise ............................................................... 99 Schrecken des Krieges ............................................................. 101 Was zeichnet diesen Krieg aus? ....................................................105 5. Memes .........................................................................109 Putin-Memes .......................................................................109 Selenskyj-Memes................................................................... 114 Russisches Kriegsschiff f*** dich! .................................................. 119 Die Kosaken .......................................................................122 Traktoren und Ukrainian Meme Force ...............................................124 NAFO ............................................................................. 128 Russische Memes .................................................................. 131 Mogilisazia ........................................................................ 135 Nein zum Trockenfisch .............................................................137 6. NFTs .......................................................................... 141 NFT – was ist das? ................................................................ 143 Berühmte NFTs ....................................................................144 NFT-Kontroversen.................................................................. 145 The Currency ......................................................................147 NFTs for Ukraine ...................................................................149 Ukraine DAO .......................................................................150 Artists for Peace ................................................................... 151 Can Art Change the War? ...........................................................154 Lighthouse Ukraine ................................................................155 Meta History Museum of War........................................................156 Avatars for Ukraine ................................................................ 161 7. Street Art ......................................................................165 Internationale Reaktionen .......................................................... 167 Ukraine ............................................................................ 169 Russland ...........................................................................172 8. Mutismus und Widerstand .................................................... 183 Feminist Anti–War Resistance ..................................................... 184 # 2016–2018....................................................................... 184

Zum Manifest von FAR ............................................................. 189 Erste Aktionen ..................................................................... 192 9. Agency der Toten............................................................. 203 Partija Mjortwych (Party of the Dead) .............................................. 204 Alte und neue Aktionen.............................................................210 ROAR ..............................................................................213 Heterotopien im Metaverse und Spatial .............................................214 Schlusswort ....................................................................... 217 Literaturverzeichnis ............................................................. 225 Abbildungsverzeichnis ........................................................... 249

Vorwort

Dieses Buch veraltete schon in dem Moment, in dem es geschrieben wurde und dennoch musste es geschrieben werden. Vieles, das hier angesprochen wird, war kurzlebig und ist mittlerweile wieder vergessen worden, wie das StreetArt-Werk, welches das Cover des Buches ziert. Andere Kunstwerke und visuelle Zeichen, die in diesem Buch angesprochen werden, spiegeln postsowjetische Topoi sowie die Beziehung zwischen Russland und den übrigen ehemaligen sowjetischen Teilstaaten wider. Im Zentrum steht die Ukraine, die sich seit Jahren mit dem russischen Imperialismus konfrontiert sieht. Es geht hier also weiter zurück als 2022 – in den Kapiteln dieses Buches geht es um die letzten Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte. Das Coverbild zeigt eine Arbeit des russischen Street-Art-Künstlers MAKE (Anton Polsky1 , *1982) mit dem Titel Stop Lying. Er postete dieses Bild am 31. März 2022 auf Instagram als Zeichen gegen die russische Propaganda und als Hommage an seine ukrainischen Kolleg:innen. Das Flugzeug Antonow An-225 »MPIЯ« (Traum) war ein in der Ukraine gebauter Jumbojet, der 1989 ursprünglich für den Transport der Raumfähre Buran vorgesehen war. Am 27. Februar 2022 wurde das Einzelstück durch einen russischen Angriff zerstört. MAKE bezieht sich mit der Abbildung der »MPIЯ« auf ein Projekt von ukrainischen

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In diesem Band wird für Eigennamen die Duden-Transkription verwendet, um die Lesbarkeit zu erleichtern. Ausnahme sind Namen von Künstler:innen, die sich bereits international etabliert haben, wie etwa »Dmitry Vilensky« statt »Dmitri Wilenski«; dies soll die Wiedererkennbarkeit der jeweiligen Person erleichtern. Auch für Ortsnamen wie Butscha wird nach demselben Prinzip verfahren. Dabei werden auch von der ukrainischen Seite geforderte Schreibweisen berücksichtigt, wie beispielsweise »Kyiv« statt »Kiew«. Sofern bekannt, wird das jeweilige Geburtsjahr der Künstler:innen bei der Ersterwähnung angegeben. Alle Übersetzungen aus dem Russischen und Ukrainischen sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, von der Autorin vorgenommen worden.

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Künstler:innen für die Biennale Venedig, das nie stattgefunden hat: Das berühmte Transportflugzeug sollte mit ukrainischer Kunst beladen werden und während der Biennale über Venedig kreisen, damit endlich einmal die ukrainische Kunst auf der internationalen Prestigeausstellung sichtbar würde. Es kam nie dazu. Aber als das abgebrannte Wrack der »MPIЯ« am 8. April 2022 auf dem Flughafen Kyiv-Hostomel fotografiert wurde, bereitete das PinchukArtCentre gerade eine ukrainische Ausstellung für das Rahmenprogramm der Biennale in Venedig vor. Es wurde nicht so viel ukrainische Kunst präsentiert, wie ursprünglich im »MPIЯ«-Projekt vorgesehen, aber dafür wurde sie am Boden, im Zentrum der Stadt gezeigt und nicht in der Luft. Das zweite Schild am Zaun ist eine Erinnerung an ein Projekt, das der ukrainische Künstler Sasha Kurmaz (*1986) ursprünglich in Russland realisieren wollte. Auf den Schildern steht in russischer Sprache »Hört auf zu lügen«, sie sollten im öffentlichen Raum in Russland angebracht werden. Auch dieses Projekt ist nie verwirklicht worden und der Kontakt zwischen Kurmaz und Polsky ist mit der Ausweitung des russisch-ukrainischen Krieges 2022 abgebrochen. MAKE platzierte die zwei Elemente an einen Zaun in Ostankino. Im Hintergrund sind im Nebel der berühmte Ostankino-Fernsehturm und rechts das Hauptgebäude des russischen Staatsfernsehens zu erblicken. MAKEs Arrangement sieht aus, als ob das Flugzeug das Banner ziehe und auf den Turm zufliege, um ihn zu zerstören. »Hört auf zu lügen!« ist eine Aufforderung, die seit Februar 2022 immer lauter geworden ist und selbst das Nachrichtenprogramm des russischen Staatssenders Perwyi Kanal (Erster Kanal) kurzfristig erreichte. Als die Redakteurin Marina Owsjannikowa am 14. März 2022 mit einem Plakat mit der Aufschrift »Kein Krieg. Beenden Sie den Krieg. Glauben Sie der Propaganda nicht. Hier werden Sie belogen. Russen gegen den Krieg« die Live-Sendung »Wremja« (Zeit) stürmte, erreichte sie nicht nur große nationale und internationale Aufmerksamkeit, seit ihrer Aktion werden Livesendungen im russischen Staatsfernsehen um bis zu zwei Minuten zeitversetzt übertragen.2 Die oppositionelle Zeitung Nowaja Gaseta feierte Owsjannikowa als Nationalheldin, der Medienkonzern Axel Springer SE stellte sie für Die Welt im April 2022 ein und sorgte damit für Kritik aus der Ukraine. Die berechtigte Frage kam auf, warum Owsjannikowa wegen dieser

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Hebel, Christina: »TV-Journalistin Marina Owsjannikowa – »Ich bin jetzt der Feind Nummer eins hier«, in: Der Spiegel vom 16.03.2022, URL: https://www.spiegel.de/ausl and/russland-interview-mit-tv-journalistin-marina-owsjannikowa-ueber-ihren-prot est-a-b596557d-8302-4e34-a88e-5c00d4a91b44 [03.04.2022].

Vorwort

einen Aktion glaubhaft sein solle, obwohl sie jahrelang russische Propaganda für das Staatsfernsehen verbreitete.3 Held:innen können schnell erschaffen werden und genauso schnell werden sie diskreditiert oder zu Hofnärr:innen gemacht. Ukrainische Stimmen warfen der Journalistin vor, die Aktion für die russische Propaganda gemacht zu haben, um ein besseres Bild von Russland zu erschaffen. Owsjannikowas Auftritt ging viral – nur einen Tag nach seinem Erscheinen im Netz berichtete Delfi Nowosti aus Lettland, dass Owsjannikowas Name Platz 1 der russischsprachigen Twittertrends war. Innerhalb weniger Stunden breitete er sich genauso rasant in den deutschen, englischen, französischen und anderen Accounts aus. Auf YouTube verhielt es sich ähnlich, alleine auf dem Channel von The Guardian wurde das Video 200.000 mal innerhalb der ersten Stunden angeklickt. Dazu kommen die Erwähnungen auf den Kanälen von Alexej Nawalny, Bernie Sanders u.a.4 Emmanuel Macron zeigte sich beeindruckt von Owsjannikowas Mut und bot ihr Asyl in Frankreich an.5

Viral gehen und vergehen In den ersten Monaten nach dem Beginn der großflächigen Invasion ging vieles viral – Memes, Sprüche, Personen. Manches, das in den ersten Kriegsmonaten viel Anklang fand, ist schnell wieder aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden. Auch Owsjanikowa ist nicht mehr präsent. Es kann auch keine Gesetzmäßigkeit zwischen Agency im digitalen und Agency im realen Raum ausgemacht werden, d.h. ob mehr Protest, Widerstand oder Aktionen online oder offline stattfinden. Jeder Tag bringt Veränderungen. Der Bildpolitik der Ukraine diente seit dem 24. Februar 2022 eine Davidgegen-Goliath-Inszenierung. Diese war international leicht zu verstehen

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Anonym: »›Welt‹ engagiert Owsjannikowa – Ukrainer empört«, in: T-Online vom 12.04.2022, URL: https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_92002214/-welt-e ngagiert-marina-owsyannikowa-ukrainer-empoert-euer-ernst-.html [03.04.2023]. Anonym: »Set burno otreagirowala na protestnuju akziju Mariny Owsjannikovoi«, in: Delfi Nowosti vom 15.03.2022, URL: https://rus.delfi.lv/news/daily/abroad/set-b urno-otreagirovala-na-protestnuyu-akciyu-mariny-ovsyannikovoj.d?id=54150058 [03.04.2023]. Anonym: »Die Frau, die live im Staatsfernsehen protestierte«, in: Der Spiegel vom 15.03.2022, URL: https://www.spiegel.de/ausland/russlands-ukraine-krieg-marina-o wsjannikowa-die-frau-die-live-im-staatsfernsehen-protestierte-a-e04fc20b-f4a8-47 bb-b8e7-fd520f08b208 [03.04.2023].

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und in vielen Teilen der Welt digital anschlussfähig. In den ersten Tagen des russischen Angriffs war der digitale Raum in der Ukraine lebendig, während die Menschen im realen Raum vielerorts wegen russischen Militärangriffen in Bunkern saßen und nicht auf die Straßen gehen konnten. Für Russland galt das Umgekehrte, partisanenartiger Protest auf den Straßen und an den Wänden war in den ersten Wochen scheinbar ungefährlicher als Äußerungen im Internet. Diese Situation änderte sich permanent, bis die meisten Künstler:innen der russischen Opposition keine andere Möglichkeit mehr sahen, als das Land zu verlassen. Sie gingen nach Tiflis, Jerewan, Istanbul oder Berlin. Viele von ihnen existieren im urbanen russischen Raum nicht mehr, dafür bleiben sie über soziale Medien aktiv und in sicherem Abstand zur russischen Regierung. Im virtuellen Raum ist allerdings auch der Staat überaus aktiv. Wie ausgefeilt der russische Cyberkrieg seit Jahren geführt wurde, haben im März 2023 die »Vulkan Leaks« gezeigt.6

Boykott und Einfühlung Am 19. September 2022 veröffentlichte Dmitry Vilensky (*1964) vom Künstlerkollektiv Chto Delat? einen offenen Brief an seinen ukrainischen Kollegen Nikita Kadan (*1982), der seine Teilnahme am gemeinsamen Panel mit Vilensky (Russland) und Marina Napruschkina (*1982, Belarus) – »Artists in Time of Emergency« – auf der »Jerusalem Art Conference #7« kurzfristig zurückgezogen hatte.7 Vilensky erinnert sich in diesem Brief an die gemeinsame Zeit seit 2005, als die R.E.P.-Group in der Ukraine erstmals aktiv wurde und die beiden Kollektive zusammen ausstellten und sich miteinander im Gespräch befanden. Der Brief ist durchzogen von rhetorischen Fragen. Vilensky will wissen, was sein ukrainischer Kollege von ihm als oppositionellem russischen Künstler erwarte. Er zitiert Kadan, der davon spricht, dass sich Künstler:innen aktuell durch ein Minenfeld von Bedeutungen bewegen würden, da sie im Zentrum der Aufmerksamkeit stünden. Vilensky rekapituliert gemeinsame Über6

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Baumann, Sophia et al.: »Massiver Leak legt erstmals Russlands Krieg im Netz offen«, in: Der Standard vom 30.03.2023, URL: https://www.derstandard.at/story/2000145052 847/massiver-leak-legt-erstmals-russlands-krieg-im-netz-offen?utm_source=pocket -newtab-global-de-DE [06.04.2023]. Vilensky, Dmitry: »Letter to Nikita«, in: syg.ma vom 19.09.2022, URL: https://syg.ma/@ dmitry-vilensky/letter-to-nikita?fbclid=IwAR3suWhOUqcK_WHz-ij_1G44CbTcL-7DqF ttUiAj0KZG4YZotDOWHKj0RV0 [07.04.2023].

Vorwort

legungen zum Ausbruch des Krieges zwischen der School of Kyiv und der School of Engaged Art, zwei progressiven Initiativen mit Beteiligung beider Künstler. 2014 wurden Personen aus dem kulturellen Bereich noch als grenzüberschreitende Agent:innen betrachtet, welche die Fähigkeit besäßen, Kommunikation auch in Konfliktsituationen fortzusetzen. Obwohl er sich bewusst ist, dass die Zeiten sich geändert haben, versucht Vilensky in diesem Brief mit Kadan wieder eine Kommunikation aufleben zu lassen. Auf Facebook löste der Brief eine Diskussion zwischen ukrainischen und russischen Künstler:innen und Aktivist:innen aus. Die Fronten blieben verhärtet, viral ging er nicht. Kadan antwortete am 03. Oktober 2022 unter dem Titel »On words that do not save lives«. Er beginnt mit den Gründen für seine Absage – die Organisator:innen des Panels hätten ihn im Vorfeld nicht über die Teilnahme von russischen und belarussischen Personen informiert. Das sei ihm in den letzten Monaten mehrfach passiert und es fühle sich wie eine bewusste Irreführung an. Er wirft Vilensky vor, dass er ihn nicht persönlich kontaktierte und damit gar nicht mit ihm kommunizieren wolle, sondern mit dem internationalen Publikum darüber, wie sehr die russischen Künstler:innen Dialog suchen und die Ukrainer:innen ihn verweigerten. Als drittes Problem bezeichnet Kadan, dass er als Ukrainer in der Konferenz über seine aktuelle Situation in Kyiv und seine Erfahrungen sprechen, wohingegen Vilensky eine Metaposition einnehmen sollte: Apart from the constantly repeating story of being invited to blindly step on ›a common platform‹, I also find it unacceptable that a Russian intellectual speaks about ›the situation as it has developed‹ from a meta point of view instead of choosing the issue of personal responsibility as the point of departure. Essentially, I do not understand what issue other than the responsibility of Russia could be the focus of attention for any ›progressive and thinking‹ Russian. It is certainly incomparably much more convenient in every sense to identify just with the ›transnational networks against Putinism and the war‹ right now. But the thing is, we are still to an enormous extent shaped by the places that we are most strongly linked with biographically. And the recent years, including the eight years of this war, were a time when the Russian artistic and intellectual milieu positioned itself as a façade attribute to the Russian-Putinist ›civilised‹ way of life, holding on to a ›critical‹ role while

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simultaneously developing a regime of ever so gracefully evasive self-censorship.8 Kadan schließt mit der Aussage, dass er keine Zeit für leere Worte habe, für Worte, die keine Leben retten. Seine Gedanken sind nicht beim Wiederaufleben des Dialogs, sondern beim Wiederaufleben der besetzten Gebiete. Dieser Schlagabtausch wurde nicht breit rezipiert, sondern interessierte hauptsächlich Kunst- und Kulturkreise. Die Argumentationen dieser beiden Briefe beinhalten allerdings viele wichtige Punkte, die aufzeigen, warum eine Kommunikation im Moment nahezu unmöglich ist. Viele Posts auf Facebook und Berichte auf Seiten wie e-flux, Arterritory, Meduza, dekoder u.a. analysierten die Situation. Unzählige alte und neue Russland- und Ukraine-Expert:innen weltweit kommentierten sie. Alle hatten etwas zu sagen, analysierten und erteilten Ratschläge. Irgendwann postete jemand auf Facebook: »Alles ist gesagt worden, lasst uns in Ruhe!« Im vorliegenden Band geht es um eine vorläufige Bilanz. Wenn hier von »Krieg« gesprochen wird, dann ist damit der Krieg seit 2014 gemeint. Die Ereignisse seit dem 24. Februar 2022 werden hier als »großflächige Invasion« bezeichnet, eine sperrige Formulierung, die deutlich signalisiert, dass der Krieg nicht erst 2022 anfing. Es werden Meinungen und Positionen vorgestellt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. In der Zeit, als dieser Band verfasst wurde, waren nur minimale Wertungen möglich, denn es ist ein Stück Zeitgeschichte, von dem vieles heute noch nicht überblickt und verstanden werden kann – es fehlt an Information und Kontext. Eine Zwischenbilanz kann gezogen werden und viele Quellen, die hier zitiert werden, können schnell versickern – so etwa oppositionelle Meinungen, Zeitungsartikel, Berichte, die plötzlich nicht mehr online auffindbar sind. Die Geschichte von Owsjannikowa zeigt die Schwierigkeiten des Protests, der Propaganda und der Zeichen, die unterschiedlich gedeutet werden können. Ein wichtiges Ziel dieses Bandes besteht deshalb im Abbilden der Vielstimmigkeit im Wissen, dass es sich um flüchtige Momentaufnahmen handelt, weil so viele Menschen weltweit protestieren und sich beteiligen. Die tiefe Hoffnung ist, mit dieser Publikation einen kleinen Beitrag für die Aufarbeitung dieses Krieges und seiner Repräsentation in Kunst und visuellen Kulturen zu leisten.

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Kadan, Nikita: »On words that do not save lives«, in: Arterritory vom 03.10.2022, URL: https://arterritory.com/en/visual_arts/topical_qa/26363-on_words_that_do_not _save_lives/ [07.04.2023].

Vorwort

Dank An dieser Stelle möchte ich meinen Dank an die Menschen richten, die mich bei diesem Projekt unterstützt haben. Ohne ihre Hilfe wäre dieses Buch nie geschrieben worden. Ich danke Elisabeth Cheauré, Ksenija Cockova, Stefan Giese, Wolfgang Ullrich, Viktor Kempf, Elena Bozhikova, Anton Polsky, Jil und Timur Korowin, Annette Tietenberg, Burkhard Krüger, René Waßmer, Katharina Bauer, Katrin Weleda, Margarita Augustin und besonders allen Künstler:innen und kreativen Personen, die hier erwähnt werden für die Inspiration, ihre Stärke, ihren Mut und ihre unerschöpfliche Kreativität. Elena Korowin April 2023

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1. Wenn Ares singt, dann schweigen die Musen…

»Wenn Ares singt, dann schweigen die Musen« – dieses geflügelte Wort aus der Antike begegnete mir in den letzten Monaten häufig. Einmal zitierte es im Sommer 2022 ein Kollege in einer öffentlichen Debatte über den Krieg und den Humanismus. Sofort musste ich entgegnen: »Nein, das tun sie nicht«. Die Kunst hat sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten emanzipiert, vom puren Fetischcharakter entfernt und neue Möglichkeitsräume geschaffen. Die Musen lassen sich vom Kriegsgott nicht mehr einschüchtern, sie schweigen nicht, sie tragen heute Schutzwesten, Totenschädel, Balaklavas und kämpfen mit unterschiedlichen Waffen und Techniken. Die Erscheinungsformen heutiger Kunst sind umfangreich: Objekte, Aktionen oder Statements können als Kunstwerk, jeder Mensch als eine kunstschaffende Person betrachtet werden. Diese Selbstermächtigung verbindet kreatives Potential mit Handlungsspielraum, so wie es Joseph Beuys bereits in den 1960er Jahren antizipierte, indem er jedem Menschen kreatives Potential zusprach und soziale Plastiken forderte. Heute wird ebenjenes Potential auf eindrückliche Weise von ukrainischen sowie oppositionellen belarussischen und russischen Künstler:innen unter Beweis gestellt. Nikita Kadan aus Kyiv beschäftigt sich mit der russischen Aggression gegen die Ukraine seit vielen Jahren und betont: War has been going on in Ukraine for eight years now; it did not start on 24 February. On 24 February, the Russian troops simply crossed the demarcation line and finally openly confessed to the rest of the world that it is they who are waging this war. So in a way I have grown used to these things that are happening over here. For instance, when I was interviewed in Lviv by Galya Rymby for Arterritory, there was already a war going on. And I frequently travelled to East Ukraine, I worked with history museums over there, did research for my projects. I do not feel right now that a fundamental watershed has been reached, either regarding the past or any kind of safer places. There

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is this fluidity of danger all the time ‒ attacks alternating with retreats, constant movement of troops around the map, war alternating with peace.1 Kadan und seine Kolleg:innen, Yevgenia Belorusets (*1980), Mykola Ridnyi (*1985), Alevtina Kakhidze (*1973) u.v.a. beschäftigen sich seit Jahren mit der vielfältig artikulierten Aggression russischer Politik gegenüber der Ukraine. Die heutige ukrainische Kunst wird von denjenigen bestimmt, die durch die Orangene Revolution 2004 als kreativ Arbeitende politisiert wurden. Die Ostukraine war seit 2014 im Fokus von vielen Künstler:innen und als im Februar 2022 Russland die großflächige Invasion auf ukrainischem Gebiet begann, konnten diese Künstler:innen auf ein beträchtliches »Body of Work« zurückblicken, das sich mit Krieg und Emanzipation der Ukraine beschäftigte. Im März 2022 betonte Kadan, dass der einzige Unterschied für ihn war, dass der Krieg nun bei ihm in Kyiv »zu Besuch« kam, davor stattete er selbst dem Krieg regelmäßig Besuch ab.2 In den verwüsteten Orten des Donezker Gebiets wie Vuhlehirsk und Debaltseve sammelte er seit 2014 Objekte als Beweisstücke der Kriegshandlungen und integrierte sie in seine Installationen. Kakhidze zeichnete die Barrikaden auf dem Maidan und konfrontierte das Kunstpublikum auf der Manifesta 10 (2014) in St. Petersburg in ihrer Performance Where The Wild Things Are/Ukraine within the Russian Law mit Fragen zu den militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine. Ridnyi schuf eindrucksvolle Videoarbeiten mit »Found Footage« und eigenen Aufnahmen seiner Heimatstadt Kharkiv in Regular Places (2014–2015). Seit dem 24.02.2022, als in Europa der Krieg erstmals erschreckend nahe kam und die Namen der ukrainischen Städte und Dörfer plötzlich allgegenwärtig wurden, setzten die Künstler:innen ihre Arbeit unterschiedlich fort. Viele waren und sind im aktiven und militärischen Dienst tätig, wie Bohdan Sokur (*1994) oder der Schriftsteller Serhij Zhadan (*1974). Andere schufen neue Werke, kuratierten Ausstellungen, organisierten Zufluchtsorte und residencies in westlichen Grenzgebieten des Landes unter erschwerten Bedingungen des Krieges, die sich häufig in materiellen Problemen zeigen, wie etwa Arbeitsmaterialbeschaffung etc.3 Eine Notwendigkeit der künstlerischen Arbeit verdeutlichte sich im Drang, das Erlebte und Erfahrene zu verarbeiten, was aber keineswegs mit einer Dokumentation gleichgesetzt 1

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Timofejew, Sergej »War Has Come to Visit Me«, Gespräch mit Nikita Kadan am 22.03.2022 für Arterritory, URL: https://arterritory.com/en/visual_arts/interviews/260 47-war_has_come_to_visit_me [21.09.2022]. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

1. Wenn Ares singt, dann schweigen die Musen…

werden sollte. Dieser Einwand räumt der Kunst keine romantisch-überhöhte Sonderstellung ein, vielmehr wollen Kunstschaffende aus der Ukraine nicht in die Nähe des Journalismus gerückt werden. Der Künstler Ridnyj formuliert es folgendermaßen: A thought from the Ukrainian journalist Natalia Gumenyuk, who talked at our panel in Austria, got stuck in my mind: She argued that art has a privilege not afraid to be boring and unclear. It also stands in contrast to the journalism of the last decades, which is directly connected to the sensation of watching. Breaking news implies the use of violence. The contents and visual character of TV news are related to violence, sometimes attempting to overscore the images circulating on the internet, where you can place much more shocking images than on television. So, how to work with this is still an open question for me. What I am particularly interested in is the phenomena about the »after« images: What kind of memories we have, after we saw something and how it influences us. So that is more interesting for me to work with than to analyse violent visual content, even if it contains important information. Nowadays, people share a lot of images of the corpses of Russian soldiers, whereas in Russia, people do not really see the disasters of this war so much. That’s why most of the Russian population supports this invasion. In their media space it is covered completely different. Nonetheless, the violent images create negative emotions and hatred. People also use these images to show their anger, creating a toxic situation in the media space.4 Die internationale Kultur- und Wissenschaftsgemeinschaft reagierte sogleich auf den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Das Jahr 2022 war gekennzeichnet durch Aufklärungsarbeit über das Land, die Sprache, Kultur und Kunst. Dabei wurden den Künstler:innen aus der Ukraine etwa in westeuropäischen und amerikanischen wissenschaftlichen Konferenzen mit den besten Absichten unterschiedlichste Rollen auferlegt, die meisten wollten diese aber direkt wieder abstreifen. In einer Lesung im Rahmen des »22. internationalen literaturfestival berlin« im September 2022 wurde etwa Belorusets gefragt, ob sie sich angesichts ihrer Präsenz in den deutschen Medien als eine inoffizielle Botschafterin des Landes betrachte, worauf sie antwortete, dass sie das auf keinen Fall sein möchte. Sie brauche die Freiheit der Kunst, um auf ihre 4

Werner, Anna-Lena: »Interview: Mykola Ridnyi«, in: Artfridge vom 08.11.2022, URL: htt ps://www.artfridge.de/2022/11/interview-mykola-ridnyi.html [04.05.2023].

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Weise mit der Situation fertig zu werden, ohne ein auferlegtes Programm und Erwartungshaltungen.5 Es zeigte sich immer wieder, dass diese Erwartungshaltungen im Westen recht hoch waren. Auf dem internationalen Symposium mit dem Titel »The Reconstruction of Ukraine. Ruination/Representation/ Solidarity« (09.09.-11.09.2022) betonten die Diskutant:innen u.a. Kadan, Ridnyi, Kakhidze, Oleksiy Radynski (*1984), Marianne Hirsch (*1949) und Iryna Tsilyk (*1982), dass künstlerische Dokumentation nicht mit Journalismus verwechselt werden dürfe. Ridnyi stellte fest, dass der internationale Druck aus dem Kunstbetrieb groß sei und Künstler:innen permanent an ihre Verantwortung vor der Zivilgesellschaft erinnert würden.6 Viele Künstler:innen schämen sich für den Luxus, Kunst machen zu können und aus der Ukraine ausreisen zu dürfen. Kadan beispielsweise durfte als Person männlichen Geschlechts zum Ausstellungsaufbau nach Venedig reisen und konnte seine Familie in Amsterdam besuchen – ein Privileg, das ihm als Künstler zukomme, aber nicht für alle gleich sei.7 Gleichzeitig sei der internationale Druck, »Bedeutung« schaffen zu müssen, allgegenwärtig: Künstler:innen werde eine Verantwortung auferlegt, die schwer zu verkraften sei. Kadan sprach in diesem Zusammenhang über seine frühen Reisen in die Ostukraine als Versuch, die unmittelbare Musealisierung des Gefundenen zu betreiben. Sein Ziel war es, Geschichte zu konservieren – nach 2022 gehe es ihm vielmehr um Beweise und um das Urteil der Geschichte.8 Genozid und Kriegsverbrechen sollen über alle möglichen Kanäle sichtbar werden – es gehe um das Hier und Jetzt. Während es früher in der Geschichte der Kunst, die sich mit dem Krieg auseinandersetzte, teilweise enorme zeitliche Verzögerungen gab, ist heute durch den Einsatz neuer Medien, Zugänglichkeit zu Kameras, einer neuen Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihnen sowie der allgegenwärtigen Kultur der Bildberichte in den sozialen Medien die Unmittelbarkeit gewährleistet. Die Distanz scheint verloren, für Reflexion ist häufig keine Zeit, gleichzeitig können Künstler:innen nicht so arbeiten wie Journalist:innen. In diesem Krieg dominiert eine Kunst des Präsentseins und gleichzeitig eines Nicht-Beobachten-Wollens. 5

6 7 8

Belorusets; Yevgenia: »Postsoviet Cosmopolis – Yevgenia Belorusets: Anfang des Krieges. Tagebücher aus Kiew«, im Rahmen des 22. internationalen literaturfestival berlin, URL: https://www.youtube.com/watch?v=H0cCC06WUro [05.10.2022]. »The Reconstruction of Ukraine. Ruination/Representation/Solidarity«, 09.-11.09.2022, [Online-Symposium], URL: https://reconstruct.in.ua/ [26.09.2022]. Kadans Vortrag im Rahmen des Symposiums »Reconstruction of Ukraine«, 2nd Panel am 10.09.2022, in: https://reconstruct.in.ua/ [26.09.2022]. Vgl. ebd.

1. Wenn Ares singt, dann schweigen die Musen…

Als eine Antwort auf diese Herausforderung haben einige die Form der Berichterstattung oder des Tagebuchs gewählt: Belorusets wurde in Der Spiegel und anderen Printmedien publiziert, auf der Biennale in Venedig (2022) ausgestellt und schließlich wurde ihr Tagebuch als Monografie in mehreren Sprachen veröffentlicht. Vlada Ralko (*1969) und Kakhidze zeichneten ihre Tagebücher und posteten diese in verschiedenen sozialen Medien. Wieder andere posten aus der Ukraine oder aus dem Exil. Viele haben ihre kreative Arbeit auf künstlerische Zeugenschaft ausgerichtet und in den digitalen Raum verlegt bzw. dort fortgesetzt. Einerseits hat der Krieg seit 2022 viele andere Themen obsolet werden lassen und andererseits wurde Kunst zu einem therapeutischen Mittel. Der Krieg erzwingt die Dokumentation in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen.9 Die Regisseurin Tsilyk beschrieb, wie sie sich aus der traumatischen Starre erst lösen konnte, als sie anfing Essays für das ausländische Publikum zu verfassen – sie empfand es als eine Art Therapie.10 Die Psychotherapie hat vielfältige Arten kreativer Behandlungspraxis etabliert, genauso etwa »Creative Writing« und andere introspektive praktische Verfahren. Eine Traumatherapie braucht Distanz und Zeit, dabei kann die Kunst auf das Publikum heilend wirken, aber auch auf den/die Künstler:in. In der Denktradition der Psychoanalyse nach Melanie Klein wird dem freien Assoziieren im Spiel und Zeichnen als Ausdruck innerer Konflikte große Bedeutung beigemessen.11 Eindrücklich wurde eine Art künstlerischer Traumaverarbeitung in der berühmtesten Performance von Marina Abramović (*1946), Balkan Baroque, auf der Biennale in Venedig 1997 gezeigt. Die Künstlerin saß auf einem Berg blutiger Rinderknochen und reinigte sie von Fleischresten in einem Zeitraum von vier Tagen. Dabei sang sie durchgehend jugoslawische Volkslieder aus verschiedenen Teilrepubliken, die traditionell von Klageweibern auf Beerdigungen gesungen werden. Eine Videoinstallation zeigte im Hintergrund Abramović zwischen ihren Eltern als Wissenschaftlerin 9

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Ihre Auseinandersetzung mit dem Krieg wurde 2022 in verschiedensten Veranstaltungen vorgestellt, wie etwa der Ringvorlesung [online] der Universität Zürich im Fachbereich Slavistik, die sich insbesondere mit dem Dokumentieren im Krieg befasste: »Den Krieg dokumentieren. Ukraine 2014–2022«, URL: https://www.uzh.ch/cmsssl/de/outre ach/events/rv/2022hs/ukraine.html, [26.09.2022]. »Reconstruction of Ukraine«, 2nd Panel am 10.09.2022. Kohrs, Matthias/Bloll-Klatt, Annegret: Melanie Klein: Innere Welten zwischen Mythos und Beobachtung. Psychodynamik Kompakt, Göttingen: V&R 2019, S. 17; Kadan, Nikita in conversation with Carolyn Cristov-Bakargiev: Ausstellung: Letter from the Front, URL: https ://www.castellodirivoli.org/en/evento/letter-from-the-front/ [22.09.2022].

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

im Laborkittel und schwarz gekleidet beim Tanzen zu ungarischen Czardas. Diese Performance entstand vor dem Hintergrund der militärischen Auseinandersetzungen in Jugoslawien, die 1991 eskalierten und bis 2003 andauerten. Abramović erinnert sich: When the war start [sic!] in Bosnia, it was so difficult time for me. I was not there. I was living since long time outside of the country. And I remember so many artists immediately react and make the work and protests on the horrors of that war. And I remember that I could not do anything. It was too close to me. The whole idea that by washing bones and trying to scrub the blood, is impossible. You can’t wash the blood from your hands as you can’t wash the shame from the war. But also it was important to transcend it, that can be used, this image, for any war, anywhere in the world. So to become from personal there can be universal.12 Die persönliche Verarbeitung in Abramovićs Performance hat einen Weg zum Universalen gefunden, zumindest im Kunstfeld. Die Arbeit wurde mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet und gehört zu den meistzitierten Werken im Zusammenhang mit den Jugoslawienkriegen. Die ukrainische Künstler:in AntiGonna (*1986) stützte sich in ihrer Arbeit Rave on the Bones von 2017 auf die Bilder von Balkan Baroque. Der Star der ukrainischen Queer-Szene entwickelte vor einigen Jahren das Genre des »Porn Horrors«, wo unterschiedlichste Traumata und mentale Gesundheit thematisiert werden.13 In Rave on the Bones besteigt die Künstlerin den Knochenberg zu lauter elektronischer Musik, tanzt, betet, räkelt sich in aufreizenden und gleichzeitig verstörenden Bewegungen. Während Abramovićs barockes Pathos mit religiösen Untertönen bedeutungsschwer ist, hat AntiGonnas Video in seiner »armen Ästhetik« der frühen RaveMusikvideos und ihre schamanistische Performance eine disruptiv klärende Wirkung. Die kurze Annotation zum Video für die Ausstellung im Castello di Rivoli verdeutlicht dies: »At the same time, when war continues in Ukraine till today, also the raves continue. Raves on the bones«.14

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Abramović, Marina: »The Artist Is Present« (14.03.-31.05.2010), Audioguide, in: MoMA New York, URL [22.09.2022]. Kadan/Cristov-Bakargiev 2022. »Letter from the Front«, Ausstellung im Castello di Rivoli (24.04.-25.09.2022), URL: ht tps://www.castellodirivoli.org/en/evento/letter-from-the-front/ [22.09.2022].

1. Wenn Ares singt, dann schweigen die Musen…

Ausstellungen 2022 Neben Konferenzen, öffentlichen Diskussionen und Lesungen wurden 2022 unzählige Ausstellungen ukrainischer Kunst in Europa und den USA gezeigt. Aus dieser langen Liste verschiedenster Projekte sollen hier die Initiativen des PinchukArtCentre (PAC) aus Kyiv (gegründet vom ukrainischen Oligarchen Viktor Pinchuk) hervorgehoben werden – da sie als Zeitzeugnis und kulturpolitisches Ereignis signifikant waren – und im nächsten Schritt mit der Initiative »A Letter from the Front« von Kadan und Carolyn ChristovBakargiev (*1957) für das Castello di Rivoli in Turin verglichen werden. Das Kyiver PAC organisierte im Jahr 2022 insgesamt drei hochoffizielle Projekte, die sich aufeinander bezogen. Das erste in der Reihe war ein sogenanntes »Collateral Event«15 , das während der 59. Biennale in Venedig unter dem Titel »This is Ukraine: Defending Freedom @ Venice 2022« (23.04-07.08.2022, Abk. »This is Ukraine«) gezeigt wurde. Die Hauptverantwortlichen für dieses Projekt waren die Pinchuk Foundation in Partnerschaft mit dem Büro des Präsidenten der Ukraine sowie dem Ministerium für Kultur und Informationspolitik.16 Das PAC war bereits seit 2005 in Venedig präsent, üblicherweise im Palazzo Papadopoli, bis auf das Jahr 2015, wo erstmals nach der Annexion der Krim und dem Krieg Russlands in der Ostukraine die Ausstellung »HOPE!« des ukrainischen Nationalpavillons vom PAC im Stadtraum an der Riva dei Setti Martiri in der Nähe des Arsenale organisiert wurde. Die Liste der Künstler:innen weist die gleichen Namen auf, die seit 2022 im Zusammenhang mit dem breitflächig entfachten Krieg überall sichtbar werden: Belorusets, Kadan, Zhanna Kadyrova (*1981), Ridnyi & Zhadan, Artem Volokitin (*1981), Anna Zvyagintseva (*1986) und Open Group. »This is Ukraine« hatte eine ähnliche Idee: Sichtbarkeit schaffen. Sie bestand aus zwei sogenannten Kapiteln, die in den zwei großzügigen Stockwerken der Grande Scuola della Misericordia gezeigt wurden. Historische Rahmung gaben die Arbeiten von Stefan Medytsky (?–1689), Tetyana Yablonska (1917–2005), und Maria Primachenko (1909–1997). Medytskys Ikone

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Üblicherweise werden während der Biennale in Venedig viele Parallelveranstaltungen und Ausstellungen gezeigt, die als »Collateral Events« bezeichnet werden. Seit 2005 ist auch das PAC dabei. »This is Ukraine: Defending Freedom @Venice 2022«, Ausstellung des PinchukArtCentre in Venedig (23.04.–07.08.2022), URL: https://new.pinchukartcentre.org/thisisukrai ne-en [26.01.2023].

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mit dem Titel Fürbitte der seligen Jungfrau, als Variation aller Trauer und Freude aus dem Andrey-Sheptysky-Nationalmuseum in Lviv wurde laut Saaltext als Schutzpatronin der Kosaken geschaffen und fungiere nun als Beschützerin der Armee sowie als Fürbitterin einer Luftraumsperrung über der Ukraine. Die barocke Ikone wurde als Kommentar zur aktuellen Situation verwendet: Over the centuries, the interpretation of sacred images has become increasingly diverse, transformed into visual archetypes, which are read both in terms of their original religious significance and in the context of recent historical processes. As such, in this crowd of believers we can see today’s tragic footage of the evacuation of Irpin, a city attacked near Kyiv. The people of Irpin hid from shelling under the ruins of a destroyed bridge. And, in the omophorion that the Mother of God uses to protect the faithful, we now see the protective dome of the No Fly Zone that Ukrainians are begging the international community to provide.17 Die weiteren zwei Pole der historischen Rahmung waren eine Arbeit von Yablonska im Stil des sozialistischen Realismus und Primachenkos autodidaktische farbenfrohe Malerei. Yablonskas Ölbild Jugend (1969) wurde hier als ein möglicher Ausbruch aus dem System des vorgeschriebenen Kunststils gewertet sowie als ein Möglichkeitsraum, in dem noch nichts entschieden, aber alles möglich sei.18 Hier ist es ebenfalls interessant zu beobachten, wie eine Malerei des sozialistischen Realismus für die Ausstellung bedeutsam gerahmt wurde. Primachenkos Bilder waren ein weiteres wichtiges Statement direkt im Eingangsbereich der Ausstellung, denn gerade einige Wochen zuvor waren mehr als 25 Werke der Künstlerin beim Angriff russischer Truppen auf das Iwankiw-

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Saaltexte der Pinchuk Art Foundation für die Ausstellung. Saaltexte der Pinchuk Art Foundation für die Ausstellung: »Although socialist realism was the only style authorized for Soviet artists, many of them invented individual ways to overcome its limitations. Tatyana Yablonska was a professor and a full member of the Academy of Arts of the USSR, as well as a recipient of numerous state awards and honored as People’s Artist of the USSR. Few artists were as respected and privileged by the Soviet government. At the same time, she was able to create her own unique visual world, full of vibrant light and crisp air, which transcended any ideological agenda. The narrative of »Youth« is abstract and poetic, and the style and color of the painting create a surreal sense. The bare, otherworldly landscape is a realm of potentiality, where nothing is decided yet and everything is possible.«

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Museum für Geschichte und Heimatgeschichte verbrannt.19 Die ausgestellten Gouachen Boxer und Alter Wolf (beide 1977 aus den Beständen des Andrey-Sheptysky-Museums in Lviv) gehörten zu der Serie Biester und wurden vom Kurator Björn Geldorf als Antwort der Künstlerin auf ihre Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges gewertet. Die ukrainische Gegenwartskunst repräsentierten Kadan, Khomenko, Belorusets und Boris Mikhailov (*1938). Die Arbeiten der drei jüngeren ukrainischen Künstler:innen sind von zeugenhaftem Charakter ihrer Arbeitspraxis im Krieg, während Mikhailovs Fotoserie aus den Jahren 2017–19 eine poetische Angleichung seines eigenen Lebens mit der vergangenen Sowjetrealität ist. Eine direkte künstlerische Verbindung und Verarbeitung der Kriegsalltags in Kyiv schuf Belorusets mit ihrem Kriegstagebuch. Im Februar 2022 wurde sie von mehreren Medien aus den USA und Deutschland mit der Bitte kontaktiert, analytische Texte zur Situation in der Ukraine beizutragen. In der Redaktionssitzung mit dem Magazin Der Spiegel wurde entschieden, dass sie sich der Veränderung des Alltags in der Ukraine widmen sollte und so wurde das Kriegstagebuch in Auftrag gegeben und regelmäßig bis Ende August 2022 publiziert. In Venedig wurde der erste Teil des Tagebuchs ausgestellt, der vom 24. Februar bis 10. April verfasst wurde. Das Tagebuch bestand aus ursprünglich deutschem Text und Fotos, die einzelne Einträge erweitert haben. Die Verbindung der Künstlerin zu Deutschland bestand schon lange. Das war ein Grund, das Tagebuch des aktuellen Krieges auf Anfrage eines deutschen Magazins auch auf Deutsch zu schreiben. Der andere Grund besaß eine emotionalere Prägung: Auf dem »22. internationalen literaturfestival berlin« hat Belorusets ihre Arbeiten vorgestellt und dieses Thema angesprochen.20 Sie schrieb ihre Einträge auf Deutsch, um sich einerseits zu distanzieren und andererseits, weil diese Sprache, die sie von 1996 bis 2002 in Kyiv und anschließend Wien studierte, für sie eine Sprache der Fehler war. Sie musste sich konzentrieren, um etwas zu beschreiben, für das sie keine richtigen Worte finden konnte. Durch Dokumentation (wieder)

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Anonym: »Ukrajina wtratyla ponad 20 robit Marji Prymachenko wnaslidok napadu Rosii – Litowchenko«, in: Radio Svoboda, am 28.02.2023, URL: https://www.radiosvobo da.org/a/news-ukrajina-vtratyla-ponad-20-robit-mariji-prymachenko/31727384.html [26.01.2023]. https://www.youtube.com/watch?v=H0cCC06WUro, 05.10.2022, [31.01.2023].

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zur Sprache zu finden, war eine ihrer Erfahrungen seit Februar 2022.21 Belorusets arbeitet interdisziplinär, ist studierte Dokumentarfotografin und hat ihrem Tagebuch stets mehrere Fotoabzüge hinzugefügt. Parallel zu den Einträgen machte Belorusets noch tägliche Radioberichte und hat somit in den ersten Tagen des Krieges eine vielgestaltige Rolle bekleidet – die der Zeugin, Berichterstatterin, Dokumentatorin und der Betroffenen gleichermaßen. Diese Aufgabe hat geholfen, die Situation besser erfassen zu können, weil sie dafür Worte finden, Bilder machen musste und damit auf Distanz zu ihrer Umgebung ging. Ihr Tagebuch wurde in Der Spiegel, ISOLARII und Artforum abgedruckt, später erschien es in englischer und deutscher Sprache als Monografie.22 In Venedig wurden im April 2022 die einzelnen Berichte eines Tages zusammen mit den Fotos auf einfachen Schreibtischen ausgelegt. Sie befanden sich im Erdgeschoss in der Nähe von Kadans Installation und den Bildern von Khomenko. Kadans Arbeit Difficulties of Profanation II (2015–2022) vereinte die Ideen von Zeugenschaft, Materialismus und Erinnerung, die den Künstler seit Jahren in seinen Werken begleiten. Die erste Version dieser Arbeit wurde im ersten Jahr der offenen militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine erschaffen. Die Vitrine, die 2015 im ukrainischen Nationalpavillon auf der 56. Biennale in Venedig unter dem Gesamtausstellungstitel »HOPE!« präsentiert worden war, gab es nun nicht mehr. Dafür benutzte Kadan eine Vitrine, wie sie häufig in Museen über den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine eingesetzt wird und befüllte sie mit Materialien, die er auf seinen Reisen in die zerstörten Städte der Ostukraine fand. In seiner Installation verband er kaputte Straßenschilder mit privaten Objekten, die als zertrümmerte Überbleibsel des Alltags in Erscheinung treten. Inmitten dieser Objekte platzierte der Künstler eine Bohnenpflanze als Hoffnungsträgerin und betitelte seine Installation als »Profanisierung«, was sich auf die Verwandlung der Museumsvitrine in ein Gewächshaus sowie auf die Anbringung dieser Vitrine im öffentlichen Raum statt in einem Museum bezog. Für die Neuauflage 2022 entfernte Kadan die Vitrine und die Pflanzen, bestückte die Installation mit gefundenen Objekten aus Kyiv und erweiterte das Display zusätzlich um Postkarten und

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»Den Krieg dokumentieren«, URL: https://uzh.mediaspace.cast.switch.ch/channel /22HS_Den%2BKrieg%2Bdokumentieren%253A%2BUkraine%2B2014-2022/21652 [05.10.2022]. Belorusets, Yevgenia: Anfang des Krieges, Berlin: Matthes & Seitz 2022.

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Fotografien, die sich auf das sowjetische Narrativ des »Großen Vaterländischen Krieges« (1941–1945) beziehen, um die Zerstörung der Ukraine mit der russischen Propaganda der »Entnazifizierung« zu kontextualisieren. Die Präsentationsform wurde gesprengt, damit die Installation sich öffnen und expandieren konnte. Dadurch zeige sich die Evidenz der Katastrophe oder wie es das Titelschild zur Arbeit bekundete: »The wound is open, the war is ongoing, the end unknown…«23 Die Arbeiten der ukrainischen Künstler:innen wurden im zweiten Kapitel der Ausstellung von international berühmten Positionen gerahmt: JR (*1983), Damien Hirst (*1965), Takashi Murakami (*1962), Olafur Eliasson (*1967) und Abramović. Das Video Count on Us (2003) von Abramović war eine weitere künstlerische Auseinandersetzung mit den Balkankriegen, die im Rahmen dieser Ausstellung in Vergleich mit den russischen Angriffen auf Butscha und Irpin gleichgesetzt wurden. Die Arbeit wurde mit einer ähnlichen Aussage der Künstlerin begleitet wie Balkan Baroque (s.o.): Personally, for me, it is very difficult to make an immediate response in a situation of war. I need time to process, and I am always interested in creating something that is not just about the war at that moment but is transcendental and that has a message which can be used for wars anywhere at any time.24 Der Präsident der Ukraine, Volodymyr Selenskyj, hat schließlich auch ein Bild beigetragen, das für Plakate und Flyer verwendet wurde. Über die ukrainische Flagge schrieb er: »We are Defending our Freedom.« In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung bezog er sich auf die Kraft der Kunst: […] Art can tell the world things that cannot be shared otherwise. It is art that conveys feelings. If you are free yourself, how can you understand other people who fight for their freedom? If you live in a country at peace, how will you empathise with those who can only dream of peace, and help them? How can you thank those who fought on their soil – for your freedom? Every single one of these questions is about art.25  23 24 25

Saaltext der Pinchuk Art Foundation zu Nikita Kadans Dificulites of Profanation II (2015–2022) für die Ausstellung. Abramović, Marina, in: This is Ukraine: Defending Freedom @ Venice 2022, URL: https://n ew.pinchukartcentre.org/thisisukraine-en [22.09.2022]. Postrelease »This is Ukraine Defending Freedom«, zur Verfügung gestellt vom PinchukArtCentre.

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Die Ansprache der Präsidentengattin Olena Selenska wurde vorgelesen. Sie drehte sich um die Zerstörung, den heldenhaften Schutz der Kulturgüter in der Ukraine und endete schließlich mit den Worten: »Because art is the victory of hope. And we, in Ukraine, live with this hope. So let there be art! And Ukraine will definitely win!«26

Abb. 1: Ausstellungsansicht »The Artist as a Witness« © Fotograf: Pat Verbuggen.

Das PAC arbeitete weiter an der Kunstoffensive und somit wurde ein Monat später »Imagine Ukraine« (05.05.-30.09.2022) eröffnet, das als »three-part project in support of Ukrainian cultural front« auf der Homepage des PAC betitelt wurde.27 Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Museum für Gegenwartskunst in Antwerpen (M HKA), dem Brüsseler Zentrum für Kunst Bozar und dem Europäischen Parlament realisiert sowie vom Büro des ukrainischen Präsidenten und der Flämischen Gemeinschaft unterstützt. Die drei Ausstellungen wurden am 06. Mai 2022 zeitgleich im M HKA (»Imagine Ukrai-

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Rede von Olena Selenska, zur Verfügung gestellt vom PinchukArtCentre. »Imagine Ukraine« (05.05.-30.09.2022), dreiteiliges Projekt des PAC, URL: https://new .pinchukartcentre.org/imagine-ukraine-en [30.01.2023].

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ne – Art as a Critical Attitude« bis 21.08.2022)28 , im Bozar (»Imagine Ukraine – Small and Big Stories« bis 21.06.2022)29 und im »Parlamentarium« des Europäischen Parlaments (»The Artist as a Witness« bis 30.09.2022) gezeigt30 . Viele Arbeiten, die in Belgien ausgestellt wurden, gehörten bereits zur Sammlung des M HKA (Kadan, Kakhidze u.a.), zu dem auch schon vorher enge Kontakte geknüpft worden waren. In den drei Ausstellungen wurden unterschiedliche Aspekte der Kunstpraxis beleuchtet: Kunst als kritische Einstellung, als Möglichkeit, große und kleine Geschichten zu vermitteln sowie als Zeugenschaft. Die Arbeiten umfassten unterschiedliche Zeiträume, von Kakhidzes The Most Commercial Project (2010) bis hin zu neueren Arbeiten wie Palianytsia (2022) von Kadyrova, die auch in Venedig eigens in einer individuellen Ausstellung in der Galleria Continua während der Biennale gezeigt wurde. Mit dieser Arbeit schuf Kadyrova eine künstlerische Manifestation des ukrainischen Widerstandes, des ukrainischen Selbstverständnisses und zudem ein FundraisingProjekt.31 Im Ort Berezovo in den Karpaten, 30 km von der ungarischen Grenze entfernt, realisierte Kadyrova das Projekt in den ersten Wochen der russischen Invasion 2022 zusammen mit Denis Ruban (*1982). In den Gebirgsflüssen fanden die beiden Steine, die wie die typischen ukrainischen Brotlaibe aussahen. Sie haben diese gesammelt, poliert und ähnlich wie Brot in Scheiben geschnitten. Palianytsia heißt das herkömmliche Weißbrot und dieses hat nach der russischen Invasion in der Ukraine eine neue Bedeutung bekommen, denn Russ:innen können dieses Wort nicht richtig aussprechen und daher wurde es zu »einem Shibboleth, an dem Freund:innen von Feind:innen unterschieden werden sollten«.32 Die Steinobjekte wurden wie Brot auf einem Tisch samt Tischtuch präsentiert, so auch im Parlamentarium des Europäischen Parlaments in Brüssel, wo Palianytsia zusammen mit Lesia Khnomenkos maleri-

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Ausgestellte Künstler:innen: Yana Bachynska, Sergey Bratkov, Davyd Chychkan, Nikita Kadan, Nikolay Karabinovych, Alevtina Kakhidze, Dana Kavelina, Roman Khimei, Yarema Malashchuk, Daniil Revkovskiy, Andriy Rachinskiy, Anna Scherbyna. Ausgestellte Künstler:innen: Sergey Bratkov, Nikita Kadan, Alevtina Kakhidze, Lesia Khomenko, Oksana Shachko, Anna Zvyagintseva. Ausgestellte Künstler:innen: Sergey Bratkov, Oleksandr Burlaka, Nikita Kadan, Zhanna Kadyrova, Alevtina Kakhidze, Nikolay Karabinovich, Lesia Khomenko. Kadyrova, Zhanna: Palianytsia (20.04.-30.06.2022), in: Galleria Continua Venedig, URL: https://www.galleriacontinua.com/special-projects/palianytsia-167 [31.01.2023]. Kadyrova, Zhanna: Text zu Palianytsia (20.04.-30.06.2022), in: Galleria Continua Venedig, URL: https://www.galleriacontinua.com/assets/website_attachment/zhka_ palianytsia_EN.pdf, [31.01.2023].

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schen Annäherungen an reale kämpfende Menschen des gegenwärtigen Krieges und Kadans Spectators (2016), Kohlezeichnungen von ehemaligen »Staatsfeinden« aus der Usbekischen Sozialistischen Sowjetrepublik der 1930er Jahre ausgestellt worden ist. Manche Arbeiten dieser Ausstellungen waren nur einige Jahre alt und schienen doch aus einer anderen Epoche zu stammen. In diesen kleinen Projekten, die im Zentrum der Europäischen Union gestreut wurden, sollten die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Ukraine als Teil von Europa reflektiert werden. Die letzte kulturpolitische Offensive für Sommer und Herbst 2022 wurde nur zwei Monate später (und parallel zu den Ausstellungen in Venedig, Brüssel und Antwerpen) im PAC in Kyiv gestartet. »When Faith Moves Mountains« (17.07.-09.10.2022) wurde ebenfalls in Partnerschaft mit dem Museum für Zeitgenössische Kunst Antwerpen (M HKA) eröffnet. Der Titel bezog sich auf die gleichnamige Arbeit von Francis Alÿs (*1959) aus dem Jahr 2002, die auch in der Ausstellung gezeigt wurde. Vervollständigt wurde diese Großausstellung durch das parallel laufende Projekt »Russian War Crimes«. Für »When Faith Moves Mountains« wurden hochkarätige Arbeiten von 45 Künstler:innen aus der Sammlung des M HKA nach Kyiv geliehen. Hier sollte in Solidarität einerseits die Verbindung zwischen der Ukraine und Europa auf symbolische Weise ausgedrückt und andererseits, mitten im Krieg, eine unerschütterliche Hoffnung auf die Zukunft manifestiert werden.33 Der flämische Ministerpräsident Jan Jambon betonte, dass das Risiko, die Werke zu verlieren, gerne eingegangen wurde, um Solidarität zu bekunden und die Beziehungen zur Ukraine zu vertiefen.34 Das Statement der Organisator:innen bezog sich auf die Kraft der Kunst: With this exhibition, PinchukArtCentre, M HKA and the Flemish Government, share a belief that we must allow art to empower, that we must allow 33

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Ausgestellte Künstler:innen aus der Sammlung des M HKA: Hüseyin Bahri Alpetkin, Francis Alÿs, Babi Badalov, Jan Cox, Berline De Bruyckere, Jan de Lauré, Marlene Dumas, Jan Fabre, Sheela Gowda, Hiwa K, Barbara Kruger, Mark Lewis, Kerry James Marshall, Amagul Menlibayeva, Nastio Mosquito, Otobong Nkanga, ORLAN, Wilhelm Sasnal, Allan Sekula, Adrien Tirtiaux und Luc Tuymans. Ukrainische Künstler:innen: Oleksandr Burlaka, Oksana Chepelyk, Danylo Galkin, Nikita Kadan, Alevtina Kakhidze, Roman Khimei, Lesia Khomenko, Kinder Album, Yarema Malaschuk, Vlada Ralko, Oleksii Sai, Andriy Sagaidakovsky, Yevchen Samborsky, Anna Zvyagintseva. »When Faith Moves Mountains« (17.07.-09.10.2022), Ausstellung im PinchukArtCentre in Kyiv, URL: https://new.pinchukartcentre.org/when-faith-moves-mountains-en [26.09.2022].

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art to exist and engage with people and places where this is needed the most. Art allows one to stay in touch with one’s humanity, it provides a space for vulnerability, imagination and dreams.35 In der Ausstellung wurde die berühmte Arbeit Flanders Fields (2000) von Berlinde De Bruyckere (*1964) hervorgehoben, die sich auf das Gedicht des kanadischen Sanitätsoffiziers John McCrae vom 03.05.1915 bezieht. Dieses Gedicht schrieb er während des Ersten Weltkrieges. Es avancierte im englischsprachigen Raum zu einem der meistzitierten Gedichte über den Krieg und die darin erwähnten roten Mohnblumen zum Symbol der Erinnerung. Zudem nehmen die Flandernschlachten des Ersten Weltkriegs einen besonderen Platz im kulturellen Gedächtnis vieler europäischer Staaten ein, da es dort besonders große Opferzahlen gab. Das »In Flanders Fields Museum« in Ypern, der Yserturm und das Friedenstor in Diksmuide sowie das »Memorial Museum Passchendaele 1917« in Zonnebeke sind nur einige Gedenkstätten, die an die Verwüstungen dieser Zeit erinnern.36 Im Rückblick auf die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs wird deutlich, dass auch vor über hundert Jahren schon Künstler:innen und Dichter:innen unmittelbar auf den Krieg reagierten. Man denke dabei an die Arbeiten von Otto Dix, Maurice Denis, Lovis Corinth, Marc Chagall, Max Beckmann, Käthe Kollwitz u.v.a. So ist die gegenwärtige Situation keineswegs eine neue, das Neue daran ist die Omnipräsenz verschiedenster Medien und Möglichkeiten, Geschehnisse und Ideen festzuhalten. Ein Ziel dieser Ausstellung war es, das Kunstzentrum am 144. Tag des Krieges in Kyiv wieder öffnen zu können und dem Publikum im Kriegszustand die Möglichkeit zu geben, Ausstellungen zu besuchen. Diese Ausstellung sollte helfen, im Sinne der Heilung, mithilfe der Kunst die Situation reflektieren zu können.37 Dafür wurden Arbeiten ausgewählt, die eine emanzipatorische und motivierende Botschaft vereinten.

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Vgl. ebd. Vgl. dazu: Reeves, Keir u.a. (hg.): Battlefield Events: Landscape, commemoration and heritage (=Routledge advances in event research series), Oxfordshire 2016. Jeffreys, Tom mit Ksenia Malykh, in: Frieze Interviews vom 10.08.2022, URL: https://ww w.frieze.com/article/ksenia-malykh-interview-2022 [26.09.2022].

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Abb. 2: Ausstellungsansicht »When Faith Moves Mountains« © Fotograf: Sergey Illin.

The works from the collection of M HKA/The Flemish Community were selected based on various technical criteria as well as on their content. Conceptually, the main objective was to select the works that have healing, emancipatory and empowering potential, created by a broad international pool of artists. The Ukrainian side then estimated the extent to which this potential could be employed in today’s Kyiv and whether the works enter into a dialogue with the pieces by Ukrainian artists that were selected independently.38 Parallel dazu und integriert in den Kontext war die Ausstellung »Russian War Crimes«, die ebenfalls das PAC organisiert hatte, in einer lakonischen Version im PAC in Kyiv zeigte, als auch am 23.05.2022 während des Weltwirtschaftsforums in Davos. In Davos wurde die Ausstellung in der ehemaligen offiziellen russischen Residenz, dem »Russischen Haus« gezeigt, als eine symbolische Geste, um die russische Aggression gegen die Ukraine zu betonen. Sie bestand aus dokumentarischen Fotografien und einem Video von Oleksyj Sai (*1975), der etwa 4500 Fotografien, Karten und Statistiken miteinander vereinte, die von der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft und Amnesty International

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Kuratorischer Text zu »When Faith moves Mountains«, zur Verfügung gestellt vom PinchukArtCentre.

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zusammengestellt worden waren. Im Herbst sollte die Ausstellung im Europäischen Parlament in Brüssel gezeigt werden.39 Die Kuratorin des PAC betont den Unterschied zwischen den Ausstellungen in Davos und Kyiv: In Kyiv, however, we didn’t want to push people too much. Everyone in Ukraine knows these photographs, they know what is happening, so we selected only landscape images, without people: ruined buildings, infrastructure, destroyed schools, offices, shops, and homes across Ukraine. On the day of the opening, there was another terroristic attack in Vinnytsia, so we refreshed the exhibition in response. This is not historical material: the war is ongoing and this is a living archive of what is going on right now. In Kyiv, the exhibition provides a place for people to come, sometimes to cry, to feel. This is for us the most sensitive part of the exhibition. Sometimes you need the push to feel some emotions, not to hide them.40

Abb. 3: Ausstellungsansicht »Russian War Crimes« in Kyiv © Fotograf: Sergey Illin.

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»Russian War Crimes« (17.07.-09.10.2022), Ausstellung im PinchukArtCentre in Kyiv, URL: https://new.pinchukartcentre.org/russian-war-crimes-en [26.09.2022]. Jeffreys/Malykh 2022.

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In Kyiv vereinten die Kurator:innen beide Ausstellungen miteinander und präsentierten die ausgewählten Kunstwerke aus der Sammlung des M HKA auf drei Stockwerken unter Themen wie z.B. »Landnahme durch den Krieg«, »Globale historische Prozesse bzw. Möglichkeitsräume«. Der Parcours war darauf ausgelegt, in die dokumentarischen Abbildungen der russischen Kriegsverbrechen im nächsten Stockwerk zu münden. Bei diesem letzten Projekt waren neben den oben erwähnten Veranstaltenden für »Russian War Crimes« noch das ukrainische Außenministerium, die Online-Zeitung Ukrainska Prawda sowie die Vereinigung ukrainischer professioneller Fotograf:innen beteiligt.41 Diese drei Ausstellungsprojekte mit ihren unterschiedlichen Ausrichtungen zeigten, wie Kunst in den Dienst der Politik aufgenommen wurde. Diese kulturelle Front im Kunst- und Informationskrieg war breit gestreut. Die ukrainische Kunstoffensive umspannte alle Felder: eine der bedeutendsten internationalen Kunstausstellungen in Venedig, europäische Museen in Belgien (H MKA und Bozar) sowie die beiden großen Diskussionsforen Davos und das Parlament in Brüssel, wo sich die Vertreter:innen europäischer Politik regelmäßig treffen. Nicht zuletzt hatte die Wiedereröffnung des eigenen Kunstzentrums in Kyiv, in Zusammenarbeit mit dem H MKA, eine hoffnungsvolle Geste mit starker Symbolik vereint. Alle diese Projekte von Venedig über Davos bis nach Kyiv waren hochoffizieller Natur und von der Politik prominent unterstützt. Überall in den Ausstellungssälen waren Bildschirme mit den Reden von Selenskyj angebracht und die gesamte visuelle Kommunikation der Projekte war dominiert von den Farben der ukrainischen Flagge und einem strengen Design. Ausnahme war hier »Russian War Crimes«, wo die Wahl auf Grau, Schwarz und Rot gefallen war. Die Namen der Künstler:innen aus der Ukraine wiederholten sich, da vornehmlich junge Repräsentant:innen der ukrainischen Kunstszene eingeladen worden waren, die sich bereits seit Jahren mit dem Thema Krieg in der Ukraine befassten. Ungeachtet der qualitativ überzeugenden Arbeiten waren die Ausstellungsprojekte durch die politische Geste dominiert. Die sich wiederholenden Sentenzen zur Bedeutung von Kunst und Humanismus waren, wie üblich bei offiziellen kulturpolitischen Projekten, oberflächlich und gleichzeitig im höchsten Maß emotional aufgeladen. Die Kunst schien wie aus einem Baukasten heraus benutzt worden zu sein, um politische Botschaften und Narrative der ukrainischen Regierung zu unterstützen. Teilweise haben die erklärenden Saaltexte, wie im Fall der Ausstellung

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»Russian War Crimes« 2022.

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in Venedig, die Wirkung und Bedeutung einzelner Kunstwerke so zu beeinflussen versucht, dass das Gefühl entstand, der Kunst werde kein Wirkungsraum eingeräumt, dass sie genau so verstanden werden möchte, wie die Kurator:innen das geplant haben.

Ein Brief von der Front Diesen Projekten wird eine Ausstellungstournee gegenübergestellt, die eine ähnliche Mission erfüllen sollte: Von Zeugenschaft berichten und Sichtbarkeit der ukrainischen Kunst gewährleisten – und die dennoch etwas anders gefärbt war. Ein Grund dafür war, dass keine offizielle politische Institution involviert war, sondern sie von Künstler:innen und Kurator:innen selbst organisiert wurde. »A Letter from the Front« wurde im Moderna Museet in Stockholm (15.03.-31.03.2022), in der Kunsthalle Münster (10.07.-11.09.2022) und im Castello di Rivoli Turin (24.04.-25.09.2022) gezeigt. Die Überschneidung der Ausstellungszeiten hängt damit zusammen, dass die 19 ausgestellten Arbeiten ausschließlich Videoarbeiten im Digitalformat waren. Die involvierten Künstler:innen waren im März 2022 entweder in belagerten ukrainischen Städten von der Außenwelt abgeschnitten oder in Grenzgebiete und Nachbarländer geflüchtet. Viele konnten ihre Festplatten nicht mitnehmen, als sie ihre Häuser verließen, weshalb die Kurator:innen der Ausstellung, Kadan und Giulia Colletti, auf Arbeiten zurückgreifen mussten, die auf Servern, Clouds und anderen Webressourcen zugänglich waren. Eine weitere interessante Facette dieser Ausstellung war, dass sie sowohl im realen Raum als auch digital gezeigt wurde. In den jeweiligen Ausstellungsinstitutionen wurden die Filme auf Bildschirmen präsentiert, gleichzeitig konnte man sie auf der Homepage der Museen online anschauen. Der Titel der Ausstellung bezog sich auf ein ikonisches Werk des sozialistischen Realismus von Aleksandr Laktionow (1910–1972) aus dem Jahr 1947, das eine Menschengruppe beim Lesen eines Briefes von der Front zeigt. Die sonnig-fröhliche Szene drückt Hoffnung und Harmonie mitten im Krieg aus. Der Brief von der Front im Jahr 2022 ist weniger harmonisch, die gezeigten Arbeiten sollten ein Verständnis dafür generieren, was die Ukraine in den Augen der Künstler:innen ist und was sie einst war. Dabei war es ausschlaggebend, die Anwesenheit der russischen Militärmacht in der Ukraine seit 2014 zu betonen. Künstler:innen unterschiedlicher Generationen stellten dafür ihre Arbeiten aus den vergangenen 15 Jahren zur Verfügung und zeigten damit, wie weit

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der Krieg vor dem 24.02.2022 im Leben der Menschen in der Ukraine verankert war. In gewisser Weise sollten die Videos auch als eine Aufklärungsoffensive funktionieren, nach dem Motto: »Schaut her – wir haben es euch schon vor Jahren gesagt.«

Abb. 4: Aleksandr Laktionow, Ein Brief von der Front (1947), Öl auf Leinwand, 155 x 255 cm, Staatl. Tretjakow-Galerie Moskau

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The greater the distances are between all of us, the more united we feel in our demand to stop the Russian aggression in Ukraine. We could not be more solidary then we are now, while we face the fact that years of political struggles are in danger of dissolving and going up in smoke. The selection of filmic works and moving images presented on this occasion do not strictly speak of the new war. They are rather evidence of the work that has been done (or we thought we had done) to prevent the conflict. These works can be seen as a premonition of an evident and inevitable catastrophe, which too often in the history of Ukraine has been tangible. (participating artists)42 Die Kurator:innen haben in diesem Fall nicht auf unmittelbar entstandene kommentierende Werke gesetzt, sondern auf ein tieferes Verständnis der Situation und der Vergangenheit. Vor dem Hintergrund des Krieges ist dies auch eine Warnung, die zumindest viele Künstler:innen mit ihrer Erfahrung im Donbas seit 2014 mitbringen: Der Krieg ist unvorhersehbar und er wird nicht einfach aufhören. Er wird sich weiter ausbreiten. Im Gespräch mit der Direktorin des Castello di Rivoli und der Mitinitiatorin des Projektes, Carolyn Christov-Bakargiev, erklärte Nikita Kadan seine Beweggründe, diese Ausstellung zu machen. We make an artistic event, we get the attention of the cultural community and of the mass media, and the war in Ukraine becomes more widely known. But in the longer term, art works as an instrument of understanding. It uses the mechanisms of intuition and imagination to clarify the world. The Heraclitan darkness of art, its untransparency, makes the world more transparent. In 2014, during the start of the invasion in Donbas, Ukraine was in all the media and it was visible, well-represented. But a year later, it went out of fashion and this wound was rotting in silence. This gives no space, no room for art to do its work. But there’s a second level, which is working on a longer timeframe, and for our screening at Castello di Rivoli, I tried to choose works that can make the Ukrainian situation more transparent, more clear, more visible, but also to start our common work of understanding Ukraine in relation to the rest of the world. So I hope for a longer timeframe as well. I’m really grateful for all the possibilities of these projects in support of Ukraine,

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»Una lettera dal fronte« (24.04.-25.09.2022), Ausstellung im Castello di Rivoli in Rivoli, URL: https://www.castellodirivoli.org/en/evento/letter-from-the-front/ [01.02.2023].

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these acts of solidarity. It’s extremely important, but I also have a hope for the possibility to work at a longer distance.43 Kadan suchte zum Beispiel drei Arbeiten von AntiGonna aus, Lucid Skin (2019) und Rave on the Bones sowie Enter the War (Entra in Guerra) (beide 2017) aus, die für die offiziellen Projekte des PAC zu konfrontativ gewesen sein könnten, da die Künstlerin sich darin mit Queerness in einer nationalistischen Gesellschaft, sexualisierter Gewalt und unterschiedlichen Arten von Traumata auseinandersetzt. Diese Arbeiten reflektieren die Ukraine, die Rolle der Kunst in der zeitgenössischen Gesellschaft und zeigen die Sichtweise einer Künstlerin, die in der Ukraine und Polen zensiert wurde und Angriffen ausgesetzt war. Die Ausstellung erzählte eine komplexere und tiefere Geschichte der Ukraine. Sie versteckte keine unangenehmen Details und beschönigte nicht den Blick auf ein Land, dessen Kampf die ganze Welt beobachtete. Die Projekte des PAC hatten auf eine nicht beabsichtigte Weise die Art der sowjetischen Propaganda wiederverwendet, indem die tragisch-heroische Seite der kämpfenden Ukraine überbetont wurde. Die Ukraine wurde darin als zu perfekt und zu heroisch präsentiert, ohne weitere mögliche Facetten. Kadans Ausstellung war anders: Hier wurden viele Töne angeschlagen. Beobachtung, Humor, Kritik haben sich gegenseitig gestützt und vervollständigt. Die Auseinandersetzung mit traumatischen Ereignissen und kollektiver Amnesie zeigte Ridnyj mit Regular Places (2014–2015). Darin filmte er aus einer statischen Perspektive das alltägliche Treiben in fünf verschiedenen Orten in Kharkiv und unterlegte es mit Audioausschnitten aus Online-Videos, die gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen pro-ukrainischen und prorussischen Gruppierungen zeigten. Schreie, Drohungen, Beleidigungen und Hilferufe hallen in der Vergangenheit, während die Gegenwart gleichgültig weitergeht. Diese kollektive Verleugnung und das Vergessen sind typisch für die meisten postsowjetischen Situationen und in Regular Places besonders deutlich durch die Konfrontation zwischen beiden Zeitebenen spürbar. Viele Arbeiten waren nicht auf den ersten Blick zu verstehen oder einzuordnen und das machte diese Zusammenstellung so wertvoll – sie zwang zu eigenständiger multiperspektivischer Reflexion, anstatt klare Botschaften zu skandieren, die allgegenwärtig waren. Yes, these films were created in different years by artists of different generations, and I have a feeling that all together they tell quite a deep and complex 43

Kadan/Christov-Bakargiev 2022.

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story about Ukraine and the mode of survival and of life here, and of death. Most of these works could be considered openly political. All art is political, either being consciously politically engaged or being a product of political relations. And these works are politically engaged, but on very different levels of reflection, from journalism to philosophy, and they have a lot of different contexts. This screening isn’t deeply prepared; it’s an example of acting in a situation of urgency, but I believe the films will give a lot of new knowledge to the audience and that our project works both in the short term and the long term.44 Es geht genau um diese neue Art von Wissen, die in künstlerischen Arbeiten vermittelt wird, und nicht um eine Präsentation der Kunst als Illustration für die klaren Aussagen der ukrainischen Regierung gegenüber der russischen Aggression. »A Letter from the Front« war ein klares Statement gegen die russische Gewalt, ohne Kunst zu instrumentalisieren, ihr wurde Vertrauen entgegengebracht. Gleichzeitig zu diesen Ausstellungsbeispielen fanden permanente »Ausstellungen« in den sozialen Medien statt. Künstler:innen hielten ihre Gefühle und Erfahrungen in Bildern und kurzen tagebuchartigen Einträgen fest und teilten diese öffentlich. In der Unmittelbarkeit bietet die Kunst des Tagebuchs oder der Reportage eine Möglichkeit zu verarbeiten, zu fixieren und zu veröffentlichen. Auch hierin liegt ein Aspekt der Selbsttherapie. Dabei werden diese Arbeiten häufig mit Dokumentation im engeren Sinne verwechselt: Künstlerische Arbeiten sind immer Übersetzungen und Transformationen, aber die künstlerische Sprache bleibt in Kriegszeiten zumeist explizit bzw. sie wird es wegen der Umstände. So lässt sich eine Ähnlichkeit beobachten: Viele Künstler:innen tendierten im Laufe des Jahres 2022 wieder zum Figurativen, zum direkten Ausdruck ohne Abstraktion oder Verfremdung. »Der Krieg ist keine Metapher«, sagte Halyna Kruk (*1974) am 17.06.2022 in Berlin. Der Krieg reißt einen Graben auf zwischen denen, die ihn erlebt haben, und denen, die sich in sicherer Entfernung befinden. Ich sehe, dass es mit jedem Tag schwerer wird, Außenstehenden zu erklären, was wir, die wir mittendrin sind, empfinden. Und mein Bedürfnis, etwas zu erklären, schwindet.

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Kadan/Christov-Bakargiev 2022.

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Wir sprechen eine Sprache, die immer unverständlicher wird, uns ist nicht nach Dichtung.45 Hier soll keine Aktualisierung von Theodor Adornos umstrittener Aussage, »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch« (1949/1951 publiziert im Aufsatz »Kulturkritik und Gesellschaft«), vorgenommen werden. Die Analogie drängt sich nur oberflächlich auf, denn das Bild der schweigenden Musen angesichts des wütenden Ares scheint doch wieder passender. Die Kunst muss nichts erklären, sie kann aber helfen, das Unsagbare und Unfassbare zu verarbeiten. Ob es dokumentarisch, untersuchend (im Sinne von »research«), kommentierend oder abbildend ist, die Sichtbarkeit ist zentral und daher ist etwa Kadan federführend für die ukrainische Kunst. Er hat sich schon seit vielen Jahren mit Gewalt und Geschichte sowie der Gewalt der Geschichte auseinandergesetzt, hat sein Instrumentarium entwickelt und kann heute reflektiert und erfahren darüber berichten. Diese Aufgabe ist auch für die Wissenschaft zentral, unmittelbar zu kommentieren, Sichtbarkeit zu schaffen und unzugängliches Material (bspw. wegen Sprachbarrieren) zugänglich zu machen. In gewisser Weise möchte ich zusammen mit Kadan darüber nachdenken, was heute im Rahmen unserer Möglichkeiten die dringlichsten Aufgaben sind. Anyway, the question remains ‒ what does it mean to resonate today? Does it imply that the actual fact of you speaking has been noticed or the content of what you had to say? The recognition of the fact that there is art in Ukraine has taken place. And it goes hand in hand with the recognition that there is Ukraine itself and that a catastrophe is unfolding there. The goal is now to move from the bare recognition of the catastrophe to explanation of its logic ‒ and from there on, to predicting the perhaps fantastic ways in which life will inevitably prevail.46 Die Kunst wirkt auf unterschiedlichen Ebenen – die direkte Reaktion schafft Sichtbarkeit, die vielen Berichte, Bilder und Tagebücher zeigen die Tragödie unmittelbar durch die Augen der Kunstschaffenden. Wichtig ist jedoch auch, dass in der longue durée viele dieser Arbeiten bleiben und helfen, ein tieferes

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Kruk, Halyna: »Krieg ist keine Metapher«, in: Zeit Online vom 18.06.2022, URL: https:// www.zeit.de/kultur/literatur/2022-06/halyna-kruk-poesiefestival-berlin-ukraine-krie g [21.09.2022]. Timofejew, »War Has Come to Visit Me« 2022.

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Verständnis als das unmittelbare zu evozieren. Vielleicht ist es mittlerweile gelungen, durch die Sichtbarkeit der Arbeiten der vergangenen Jahre, die sich auf den Konflikt seit 2014 beziehen, einen Schritt in diese Richtung zu gehen. Neben Ausstellungen haben 2022 immer wieder Konferenzen und Vorträge stattgefunden, alle diese Veranstaltungen bieten eine Perspektive an – die ukrainische oder die russische. Das lässt sich aus der Situation heraus erklären, da die Gespräche zwischen den ukrainischen Vertreter:innen des Kunst- und Kulturbetriebs mit ihren russischen Kolleg:innen durch den Angriff Russlands auf die Ukraine überschattet wird. Häufig kommt es zu einem »Canceln« russischer Stimmen, wobei dies glücklicherweise meistens wohlüberlegt und -begründet stattfindet. Im Februar und März 2022 sprachen sich noch einige ukrainische Kulturschaffende und Künstler:innen gegen einen allgemeinen Boykott ihrer russischen Kolleg:innen aus. Sergej Losnitsa (*1964) etwa verließ die Europäische Filmakademie aus Protest, weil ihr Statement gegen den Krieg seiner Meinung nach zu schwach war. Gleichzeitig war er gegen einen Boykott russischer oppositioneller Regisseur:innen, was in seinem Ausschluss aus der Ukrainischen Filmakademie resultierte. Losnitsa thematisierte diese Ereignisse in einem offenen Brief am 20.03.2022: With amazement, I read the statement of the Ukrainian film academy that I was expelled from the academy for my cosmopolitanism. Translated from Greek, »cosmopolitan« means »citizen of the world.« The first person to proclaim himself a cosmopolitan was the ancient Greek philosopher Diogenes. The Stoic philosopher Zeno, the German philosopher Emmanuel Kant, the enlighteners Voltaire, Diderot, Hume and Jefferson called themselves cosmopolitans. Since the 18th century, a »cosmopolitan« has been called a person who is open to everything new and free from cultural, religious and political prejudices. Only in the era of late Stalinism, during the anti-Semitic campaign unleashed by Stalin in 1948–1953, did this word acquire a negative connotation in Soviet propaganda discourse. Speaking against »cosmopolitanism«, Ukrainian »academicians« use the Stalinist discourse, which is based on hatred, the denial of dissent, the assertion of collective guilt, and a ban on any manifestation of free individual choice. Or are they against the philosophical tradition of Diogenes, Zeno, Kant and Voltaire? Against the values that underlie the culture and society of modern Europe, which they say they long for? I am compelled to speak in detail about the semantics of the term »cosmopolitan« because,

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outside the former Soviet empire, the arguments given by »academicians« are intelligible only to Sovietologists. »Now, when Ukraine is struggling to defend its independence, the key concept in the rhetoric of every Ukrainian should be his national identity,« write Ukrainian »academicians«. Not a civil position, not a desire to unite all sane and freedom-loving people in the fight against Russian aggression, not an international effort of all democratic countries to win this war, but »national identity«. Unfortunately, this is Nazism. A gift to the Kremlin propaganda from the Ukrainian Film Academy. Ukrainian »film academicians« in their appeal demand from the world community »not to position me as a representative of the Ukrainian cultural sphere.« Never in my life have I represented any communities, groups, associations and spheres. Everything that I say and do was and is only my, individual, word and deed. I have always been and will remain a Ukrainian filmmaker. I hope that all of us will keep our common sense in this tragic time.47 Dies ist nur ein Beispiel, die Tendenz geht zur völligen Absonderung der ukrainischen Kultur- und Kunstsphäre von der russischen. Die oppositionellen russischen Künstler:innen werden damit in Sippenhaft genommen und ganze Netzwerke, die sich vorher im Schulterschluss gegen die politischen und gesellschaftlichen Probleme im osteuropäischen Raum befanden, brechen auseinander. Diese Entwicklung ist bedauerlich im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten, die Netzwerke eröffnen können, andererseits sind die Wut und Forderung nach Sichtbarkeit der ukrainischen Künstler:innen verständlich. In den unterschiedlichen Themenbereichen dieser Untersuchung wird nach bestem Wissen und Gewissen versucht, eine multiperspektivische Sicht auf die Geschehnisse des Jahres 2022 zu wahren und verschiedene Herangehensweisen und Argumentationslinien zu diskutieren. Es bleibt ein Blick von außen, aber ich hoffe, dennoch durch Solidarität und Empathie hier einen Schritt weiter zu kommen. Das Schweigen der Musen war nach dem Ersten Weltkrieg omnipräsent, viele Autor:innen thematisierten die Unfähigkeit, eine solche zivilisatorische

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Offener Brief von Sergei Loznitsa in: e-fux Announcements vom 20.03.2022, URL: https: //www.e-flux.com/announcements/456683/open-letter-from-sergei-loznitsa-on-hisexpulsion-from-the-ukrainian-film-academy/ [23.09.2022)].

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Katastrophe in Worte zu fassen.48 Gleichzeitig hat das Beispiel von »Flanders Fields« und der vielen Künstler:innen, die den Ersten Weltkrieg sofort in ihren Skizzen und Bildwerken einfingen, gezeigt, dass sehr wohl mitten im Krieg eine produktive Auseinandersetzung mit dem Geschehen stattfand. Heute blicken wir auf eine beträchtliche Tradition solcher Narrative der Kriegsliteratur zurück. Diese gibt, wie der Fall Abramović zeigt, der Gegenwartskunst einige Instrumente an die Hand. Auch die erwähnten Ausstellungen bezogen sich zum Teil auf kunsthistorische Vorbilder. Manche von ihnen haben sich fest etabliert und werden häufig eingesetzt, wenn nicht genug Zeit oder Material zu Verfügung steht.

Abb. 5 und 6 : Anti-Kriegs-Street Art in Ulan Ude im Februar 2022, via Partizaning (telegram); Wasilij Wereschtschagin, Apotheose des Krieges (1871), Öl auf Leinwand, 127 x 197 cm, Staatl. Tretjakow-Galerie Moskau

Für den postsowjetischen Raum ist so ein Motiv mitunter das Werk von Wasilij Wereschtschagin, Die Apotheose des Krieges (1871), das die Widmung trägt: »Allen großen Eroberern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«. Der russische Kriegsmaler war Augenzeuge vieler Auseinandersetzungen in Asien und hinterließ dieses Bild als ein Mahnmal gegen den Krieg. Im Februar und März 2022 gab es einige Beispiele der Wiederverwendung dieses Motivs in der russischen Street Art, die sich gegen den Krieg wandte. Traditionell ist Street Art eine nichtkommerzielle Form selbstautorisierter Kunst im öffentlichen Raum und damit bereits mit Guerilla-Taktiken vertraut. In Russland, wo 48

Vgl. beispielsweise: Benjamin, Walter: »Erfahrung und Armut« (1933), in: Uwe Steiner (hg.), Walter Benjamin, Stuttgart: J. B. Metzler 2004, S. 133.

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der öffentliche Raum in den letzten zehn Jahren noch stärker reglementiert wird, heißt eine der aktivsten Gruppen in Moskau seit 2011 nicht ohne Grund Partizaning. Oppositionelle Künstler:innen aller Sparten in Russland haben in den letzten Jahren neue Strategien entwickelt, um ihre Arbeiten machen und zeigen zu können. Die Möglichkeiten, im öffentlichen Raum zu agieren oder Statements zu publizieren, sind seit Februar 2022 noch beschränkter geworden. Innerhalb weniger Monate hat die öffentliche Transition vom autoritären zum totalitären Regime einer sozialen Kontrolle in Russland stattgefunden und Künstler:innen fragen sich, wie dieser Totalitarismus im digitalen Zeitalter funktionieren wird und wie es angesichts der relativen Dysfunktionalität des russischen Staates im Vergleich zu China annehmen würde.49 Sie studieren und geben vergangene Beispiele von Gegenöffentlichkeiten weiter, die in der Sowjetunion sowie Ost-Mitteleuropa bereits gut erforscht sind.50 Genauso gibt es Beispiele von alternativen Handlungsräumen in der Türkei, im Iran und in anderen Ländern. Dabei ist deutlich geworden, dass die Situation in Russland heute unvorhersehbar ist und eine permanente Veränderung von Regeln und Gesetzen stattfindet, die zu einem flexiblen und schnellen Handeln zwingt.51 Am 17.03.2022 veröffentlichte das Kollektiv Chto Delat52 (dt. Was tun?) aus St. Petersburg mit Canary Archives eine erste Reflexion des Krieges. Dmitry Vilensky bezieht sich darin ebenfalls auf die Musen: When cannons speak, the Muses are silent – this old rule has always been challenged by both art and thought, which retained the ability to speak, overcoming muteness. We therefore have a chance to remain human, despite the horror of violence and death, physical and symbolic.53 Vilensky bestätigt das bisher Geschilderte, an der altgriechischen Weisheit scheint aber auch etwas dran zu sein. Spätestens nach dem 24. Februar 2022 verfielen viele Vertreter:innen der Kunst, Kultur und Wissenschaft in ein

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Vilensky, Dmitry (Chto Delat collective): »A Dive into the Depths«, in: e-flux Notes vom 02.02.2022, URL: https://www.e-flux.com/notes/465781/a-dive-into-the-depths [28.02.2023]. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Hier wird die Schreibweise verwendet, welche die Mitglieder des Kollektivs wählten. Chto Delat, Homepage des Kollektivs, URL: https://chtodelat.org/category/b8-newsp apers/canary-archives-2022/ [28.02.2023].

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plötzliches Schweigen: Der russische Dichter und Kulturhistoriker Igor Gulin beschrieb es folgendermaßen: With the beginning of the war, muteness set in. I practically couldn’t write anything about these events, couldn’t comment on them, and it was even difficult to ›like‹ anything. It has now occurred to me that the only way out is to say something about this muteness.54 Der belarussische Philosoph Ihar Babkou beschrieb am 18.03.2022 die Sprachlosigkeit der Intellektuellen: Es mutet seltsam an, denn im gesamten 20. Jahrhundert war in Europa eine Überproduktion kritischer Theorie zu beobachten. Heute verstehen wir jedoch auch ohne weitere Argumente: die Hegemonie der Neomarxisten, die Frankfurter, die Baudrillardschen Simulacren, selbst Sloterdijks zynische Vernunft und Žižeks Glanznummern zu Lacan, sie alle sind nicht in der Lage, die neue Realität zu beschreiben, die der russisch-ukrainische Krieg und die belarussische Revolution freigelegt haben.55 Diese neue Realität wird in den kommenden Kapiteln in ihren verschiedenen Facetten bilanziert. Die Beschäftigung mit der unmittelbaren Gegenwart bringt viele Tücken mit sich – meine Hauptquellen werden Spuren aus dem digitalen Raum sein. Dabei sollen verschiedene Perspektiven aufgezeigt, aber kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, da die Fülle des Materials unüberschaubar ist. Alles, was hier bisher angerissen wurde, wird vertieft und kontextualisiert. Denn bei dieser Betrachtung werden nicht die letzten zehn Monate thematisiert, sondern mindestens die letzten zehn Jahre, manchmal auch die letzten 100 Jahre.

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Gulin, Igor: »On War, Violence, Power, and Russian Culture«, in: e-flux Notes vom 18.5.2022, URL: https://www.e-flux.com/notes/469328/on-war-violence-power-and-r ussian-culture [13.04.2023]. Babkou, Ihar: »Von Fischen und Menschen«, (aus dem Belarussischen von Tina Wünschmann), in: dekoder vom 18.03.2022, URL: https://www.dekoder.org/de/article/babk ou-von-fischen-und-menschen [03.02.2023].

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2. Tagebücher

Kriegstagebücher sind in den ersten Monaten des Krieges zu einem wichtigen Medium geworden. Auch Künstler:innen aller Sparten haben sich einer persönlichen Verarbeitung und Dokumentation der Ereignisse gewidmet. Es gibt verschiedene Wege, ein Kriegstagebuch zu führen und verschiedene Arten von Dokumentation. Das Tagebuch wird hier nicht wörtlich begriffen, denn es gibt geschriebene, fotografierte, skizzierte und andere Arten von Tagebüchern. Gemeinsam ist allen eine Unmittelbarkeit und Regelmäßigkeit in ihrer Produktion sowie häufig eine Vergleichbarkeit oder sogar Uniformität der Einträge. Tagebücher dokumentieren, kommentieren und illustrieren, sie sind aber auch immer ein Selbstzeugnis. Normalerweise sind Tagebücher privat und nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Die Kriegstagebücher ukrainischer Künstler:innen, die hier als Beispiel dienen, waren von Anfang an auf eine Öffentlichkeit hin ausgelegt – sie sind einerseits Instrumente eigener Verarbeitung des Erlebten und andererseits Kommunikationswerkzeuge mit dem (inter)nationalen Publikum. Subjektivität und Selbstvergewisserung werden hier auch zu einer Positionierung als Zeug:in. Diese Doppelrolle steht in den Kriegstagebüchern von bildenden Künstler:innen im Vordergrund, also von Menschen, deren Beruf es ist, auf die eine oder andere kreative/künstlerische Weise zu kommunizieren, was um sie herum geschieht und was sie empfinden. Das ist die heruntergebrochene Formulierung einer Idee davon, was Kunst ist: Kunst ist Kommunikation. Gleichzeitig hat das Tagebuch eine heilende, therapeutische Wirkung, indem eine Distanz zum Geschehen und zum Alltag eingenommen wird – darüber berichteten die meisten Künstler:innen, die in 2022 ihre kreative Zeugenschaft in Form eines Tagebuches verfasst haben.

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

Yevgenia Belorusets Das Kriegstagebuch, das hierzulande am breitesten rezipiert worden ist, verfasste seit dem 24.02.2022 Yevgenia Belorusets. Für ihr in deutscher Sprache geschriebenes Kriegstagebuch, das erstmals im Spiegel publiziert wurde, bekam sie 2022 den Horst-Bingel-Preis und 2023 den Sonderpreis für künstlerische Forschung der Schering-Stiftung. Sie schaffte es, mit der Verbindung von Fotografien und Texten aus den ersten Tagen des Krieges in Kyiv, Worte für eine Situation zu finden, die nahezu die gesamte westliche Welt ins Schockschweigen stürzte. Sie beschrieb auf eine feine, einfühlsame Art ihren Alltag und ihre Gedanken mitten in den Schrecken der russischen Angriffe auf die Ukraine. Es ist ein Tagebuch, das nicht fortgesetzt werden wollte und jeder neue Eintrag bedeutete das Scheitern der Hoffnung an der Realität. Belorusets setzte darin gekonnt fotografische Momentaufnahmen mit ihren Beschreibungen in Beziehung und diese künstlerische Auseinandersetzung mit der Realität wurde breit rezipiert: Das Tagebuch wurde neben dem Spiegel in ISOLARII in englischer Übersetzung und in Artforum publiziert und während der 59. Biennale Venedig in »This is Ukraine: Defending Freedom«1 (23.04-07.08.2022 mit 39 Tischen) und als identische Ausgabe parallel dazu im Tempel-Museum Etsdorf ausgestellt (15.05-25.09.2022 mit 27 Tischen). Im Bürgergarten des Europäischen Parlaments in Brüssel waren Einträge aus dem Kriegstagebuch in der Installation One Day More (06.09-29.10.2022) verarbeitet, deren Titel sich darauf bezieht, dass dieses Tagebuch eines war, das jeden Tag aufhören sollte. Die Installation bestand aus einem Tisch aus Metall, mit eingravierten Tagebucheinträgen von Belorusets auf dessen Oberfläche. Dieses Kunstwerk sollte gleichzeitig ein Symbol und Mahnmal sein, das vom EUNIC (EU National Institutes for Culture) Brüssel und dem Solidaritätsfonds für die Ukraine in Auftrag gegeben und von der Europäischen Union, Mission of Ukraine, PAC und M HKA unterstützt wurde. Called One Day More, this installation allows me to ponder the weight of a single day in the warzone. Words become one with things. In this war, the ruins of objects and cities will bear witness together with human beings. The

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Siehe Kap. 1.

2. Tagebücher

surface of this object becomes rusted over: memory grows less distinct, but it does not vanish.2 Im Dezember 2022 stand der Tisch im Rahmen des Internationalen Tags der Migrant:innen temporär im Museum der Migration in Brüssel. Zwischenzeitlich war die Autorin in Berlin und hat u.a. ihre Arbeiten auf dem »22. internationalen literaturfestival berlin« (07.–17.09.2022) vorgestellt sowie eine Ausstellung des Tagebuchs unter dem Titel »Nebenan/Close by. Das Kiewer Tagebuch« im Deutschen Bundestag eröffnet (19.10.2022-24.02.2023).3 Für die Installation im Kunstraum des Bundestags, die von der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas eröffnet wurde, entstand eine neue Form: die Ausstellung war als Landkarte von Erinnerungen gestaltet, die aus Fotos und Texten aus dem Kriegstagebuch zusammengesetzt wurde. Hierbei sollte auch einmal mehr das deutsche Publikum gemahnt werden: Der Krieg ist real.4 Das Tagebuch selbst erschien im Oktober 2022 bei Matthes & Seitz in Berlin als Monografie unter dem Titel Anfang des Krieges. Die Unvorstellbarkeit des Krieges für Menschen, die in Friedenszeiten geboren und aufgewachsen sind, beschäftigte die Kommentierenden und auch die Künstlerin immer wieder, deren erste Eintragungen um dieses Thema kreisen: Der Anfang (Donnerstag, 24. Februar) Vieles hat einen Anfang. Wenn ich über den Anfang nachdenke, stelle ich mir eine Linie vor, die ganz klar durch eine weiße Fläche gezogen wird. Das Auge beobachtet die Schlichtheit einer Spur der Bewegung, die ganz sicher irgendwo beginnt und auch irgendwo wieder enden wird. Ich habe mir aber noch nie den Anfang eines Krieges vorstellen können. Seltsam. Ich war im Donbas, als 2014 der Krieg mit Russland ausbrach. Aber ich war damals in den Krieg eingereist, in eine vernebelte unklare Zone der Gewalt. Ich erinnere mich noch an das sehr schlechte Gewissen, das ich hatte, als Gast in einer Katastrophe zu sein und die Katastrophe nach Belieben wieder verlassen zu dürfen, weil ich woanders lebte. 2 3

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Belorusets, Yevgenia: One Day More 2022, URL: https://belorusets.com/147-one-day-m ore-opening [06.02.2023]. »Postsoviet Cosmopolis – Yevgenia Belorusets: Anfang des Krieges. Tagebücher aus Kiew«, im Rahmen des 22. internationalen literaturfestival berlin, URL: https://www.yo utube.com/watch?v=H0cCC06WUro [05.10.2022]. »Bärbel Bas eröffnet die Ausstellung ›Nebenan. Das Kiewer Kriegstagebuch‹«, in: Deutscher Bundestag, URL: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw42-a usstellung-nebenan-916564 [06.02.2023].

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Der Krieg war bereits da, ein Eindringling, etwas Seltsames, Fremdes und Wahnsinniges, das keine Berechtigung hatte, an diesem Ort und zu dieser Zeit stattzufinden. Damals habe ich die Menschen im Donbas immer wieder gefragt, wie all das beginnen konnte, und immer unterschiedliche Antworten bekommen. […] Der Krieg hat begonnen. Es ist nach Mitternacht. Ich werde wohl kaum einschlafen können, und es hat keinen Sinn aufzuzählen, was sich für immer verändert hat.5 Belorusets arbeitet interdisziplinär, ist studierte Dokumentarfotografin und hat ihrem Tagebuch täglich mehrere Bilder hinzugefügt. Sie berichtete, dass sie in dieser Situation die Fotografie für sich neu entdeckte – es war für sie die einzige Fähigkeit, etwas zu archivieren. Dabei gab es viele Herausforderungen, einerseits im Versuch, bestimmte Blicke, Zustände und Emotionen wiederzugeben und gleichzeitig nicht etwas zu fotografieren, das gefährlich wäre. Vieles durfte nämlich in den ersten Tagen des russischen Angriffs nicht fotografiert werden, um den Angreifenden keinen Vorteil zu bieten und so ist auch wieder das Bewusstsein für die Gefahren und Möglichkeiten der Fotografie in dieser neuen Situation gewachsen. Belorusets erzählte in einem Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse 2022, wie sie Selbstzensur betrieb, nachdem ihr klar wurde, wie viel sie nicht fotografieren sollte. Später bekam sie eine offizielle Akkreditierung, doch dann begriff sie schnell, dass jedes Motiv, selbst wenn es eine leere Straße in Kyiv ist, wichtig für die Erinnerung an das Kriegsgeschehen ist. Für sie bedeutete das Fotografieren in Kyiv auch eine therapeutische Maßnahme, sie hatte das Gefühl, etwas bewirken zu können, die Verbrechen festhalten zu können.6 Parallel zu den Einträgen machte Belorusets tägliche Radioberichte (für rbbKultur »Nachrichten von Yevgenia«7 ) und hat somit in

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Belorusets, Yevgenia: »Ukraine: Tagebuch aus Kiew – Der Anfang«, in: Der Spiegel Ausland vom 27.02.2022, URL: https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-tagebuch-aus-kie w-der-anfang-a-2e1c17ca-b9e3-4a3f-b03e-97716ea901fc [05.10.2022]. »The Protoliterary: Women’s Voices at War«, in: Frankfurter Buchmesse 2022 vom 23.10.2022, URL: https://www.buchmesse.de/en/timetable/session/protoliterary-wo mens-voices-war [06.02.2023]. Belorusets, Yevgenia: »Kriegsalltag in Kyjiw, Nachrichten von Yevgenia«, in: rbb Kultur 2022, URL: https://www.rbb-online.de/rbbkultur/themen/leben/beitraege/2022/ukra ine/nachricht-von-yevgenia.html [06.02.2023].

2. Tagebücher

den ersten Tagen des Krieges eine seltsame Rolle bekleidet, die der Berichterstatterin, Dokumentarin und die der Betroffenen gleichermaßen. Diese offizielle Aufgabe sowie ihre Akkreditierung als Fotografin haben ihr geholfen, die Situation besser fassen zu können, weil sie dafür Worte finden, Bilder machen musste und damit eine automatische Distanz zu ihrer Umgebung aufnahm. Im Vorwort zu ihrem in Deutschland publizierten Buch Anfang des Krieges schrieb sie: Als der Krieg zum ersten Mal begann, im Jahr 2014, war tatsächlich nicht klar, dass er wirklich begonnen hat. Er kleidete sich in die Form einer Revolution, einer Protestaktion des neu erfundenen Volkes von Donbas. Er verkaufte sich als eine friedliche und höfliche Annexion der Krim, wie es hieß. Die Friedlichkeit sowie die Höflichkeit dieses Vorgangs sollten auf etwas Anderes hindeuten als den Krieg. Dieses andere besitzt bis heute keinen eigenen Namen.8 Während Kadan deutlich sagt, dass ihn der Krieg nicht überraschte, ist es bei Belorusets anders. Sie hat sich seit 2014 auf Reisen in den Donbas begeben und hat über ihre Erfahrungen dort 2018 ein Buch in ukrainischer Sprache herausgegeben. Auf Deutsch erschien es 2019 unter dem Titel Glückliche Fälle9 und wurde 2020 mit dem Preis des Hauses der Kulturen der Welt ausgezeichnet. Dieses Buch hatte mehr Vorlauf und unterscheidet sich vom Kriegstagebuch, da es vielmehr als Kunstwerk komponiert ist. Belorusets wollte darin eine Gegenwelt zu der schrecklichen Realität der Kriegshandlungen schaffen, beim Tagebuch war die Aufgabe 2022 völlig anders gestaltet. Es war eine Auftragsproduktion, sie wusste, wer ihr Publikum sein würde und dass es ein großes Publikum geben würde, da Der Spiegel ein auflagenstarkes Print- und Onlinemedium ist. Sie sagt, dass sie von den Ereignissen um sich herum zum zweiten Buch gezwungen wurde und versuchte im Kleinen das zu machen, was ihr möglich war, alles andere blieb im Bereich des Schweigens.10 Bezeichnend für Belorusets’ Umgang mit den Geschehnissen ist, dass er nie martialisch oder hassvermittelnd ist. Sie ist nicht laut, dafür präzise in ihren Beobachtungen und verortet die Schrecken im Alltäglichen, ohne in die drastischen Beschreibungen des Krieges einzutauchen. Ihre Fotos werden nicht für eine Präsentation in üblichen und offiziellen Räumen der Kunst gemacht – sie sucht nach 8 9 10

Belorusets, Yevgenia 2022. Belorusets, Yevgenia: Glückliche Fälle, Berlin: Matthes & Seitz, 2019. »Postsoviet Cosmopolis« 2022.

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Orten, die durch direkte menschliche Begegnungen charakterisiert sind oder Empathie einfordern. Belorusets orientiert sich üblicherweise am Menschen, an Geschichten, für das Kriegstagebuch hat sie weniger Menschen direkt fotografiert, da sie diese nicht gefährden wollte. Dennoch ist auch die Abwesenheit von Menschen eine Geschichte, die erzählt werden muss. Bevor die großflächige Invasion Russlands für leere Straßen in der Metropole Kyiv sorgte, hatte sich die Künstlerin bereits mit den östlichen Teilen der Ukraine beschäftigt und dort nach Antworten auf viele verschiedene Fragen gesucht. Im Donbas sprach Belorusets mit den Menschen, beobachtete, sammelte Spuren und Beweise. Für Victories of the Defeated (2014–2017) machte sie mehrere Reisen zu Bergwerken am Rande der Kriegshandlungen in der Ostukraine, etwa in den Städten Lisichyansk, Debaltseve, Vuhlehirsk u.a. und beobachtete dort, wie sich Arbeiter:innen gegen die Kriegsaktivitäten wehrten, indem sie ihre Arbeit fortsetzten. Diese Menschen wollten den Krieg nicht in ihr Leben lassen und arbeiteten weiter, über Monate unbezahlt, da die Verwaltung in der Region nicht mehr funktionierte. Sie blieben somit als eine Mauer des stillen Widerstandes in der Nähe der Frontlinie. Der Titel der Serie geht auf einen Essay von Walter Benjamin zurück: »Über den Begriff der Geschichte« (1940) handelt u.a. von der Idee, dass die Geschichte aus der Perspektive der Sieger [so bei Benjamin] geschrieben wird und Belorusets fragt sich, was wäre, wenn die Geschichte von den Besiegten geschrieben würde. In über 150 Fotografien und Texten hielt sie die Geschichten der Menschen und Gemeinschaften fest, die trotz Bedrohung bleiben, arbeiten und eine Gegenwehr zur Verbreitung von Gewalt bieten, indem sie ihr Leben weiter in gewohnten Bahnen fortsetzen.11 Irgendwann verloren sie diese Möglichkeit des Widerstandes, da aus Kyiv der Beschluss kam, die Bergwerke zu schließen. They say that history is written by the victorious. But might it be possible to read or listen to a history written by the defeated? How can we hear the unwritten stories of those, who for one reason or another are not ready to speak? Ludwig Wittgenstein finished his Tractatus Logico-Philosophicus, the ideas for which arose in the trenches of the First World War, with the thesis: »The unspeakable is that about which we must remain silent.« Silence is inherent in a document which presents a reality, yet does not interpret it.

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Belorusets, Yevgenia: Victories of the Defeated 2014–2017, URL: https://belorusets.com/ work/victories-of-the-defeated [06.02.2023].

2. Tagebücher

In conditions of the global and localised violence of war, and the divisiveness of any information, it is essential that we find a way back to the demands of the legal and ethical inviolability of human beings. Precisely thanks to a document, we can begin to see connections between authenticity and responsibility. The importance of these connections was written about by philosophers whose work is key to this exhibition – Hannah Arendt and Ludwig Wittgenstein.12 Auch dieses Projekt hatte einen direkten Bezug zu Deutschland, da es über das Auswärtige Amt finanziert wurde. Ein Teil wurde 2015 in der Ausstellung »HOPE!« des ukrainischen Pavillons in Venedig gezeigt und auch in der Berliner Kapelle der Versöhnung an der Gedenkstätte der Berliner Mauer.13 Dieses Verfahren, über Krieg zu sprechen, ohne ihn direkt zu zeigen, Leerstellen zu lassen, die auf das Schweigen und auf die Schockstarre verweisen, entwickelte Belorusets schon in dieser Serie. Sie zeigt diejenigen, die nicht mitmachen wollen, die sich verweigern und dadurch einen zumindest kurzen Sieg in der Situation erringen. Die üblichen Bilder von Kriegen, die zum Gegenstand politischer Agitation werden, gehören nicht in Belorusets’ Oeuvre, sie zeigt friedliche Momente während des Krieges in allen ihren Büchern, auch im Kriegstagebuch, wenn sie beschreibt, wie Menschen am Feiertag des 8. März in Kyiv beginnen, Blumen zu verteilen. Das omnipräsente Bedürfnis, alles, was den neu entfachten Krieg in der Ukraine betrifft, zu dokumentieren, rührt daher, dass es in den Jahren davor teilweise versäumt wurde. Nahezu jede Stadt der Ukraine hat seit 2022 einen eigenen Telegramkanal, wo minutiös jedes Kriegsopfer, jeder Bombeneinschlag und jedes zerstörte oder beschädigte Gebäude festgehalten wird. Über die Zeit davor gibt es weniger Dokumente und viele Teile der Geschichte sind verloren, das betont auch Belorusets.14 Niemand weiß genau oder kann derzeit rekonstruieren, was in vielen Orten der Ostukraine geschehen ist. Das liegt auch daran, dass dieser Krieg seit der Annexion der Krim nicht als Krieg benannt worden ist, so wie Belorusets es in ihrer Einführung zu Anfang des Krieges formulierte. Das, was im Osten der Ukraine seit 2014 geschah, hatte viele Namen und trotzdem keine richtige Bezeichnung. Für viele Menschen im Westen 12 13

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Ebd. Belorusets, Yevgenia: »Ausstellung ›Versöhnung, die wir verpasst haben‹ in Berlin zu sehen« (14.08.-11.11.2015), URL: https://belorusets.com/72-announcement-vers-hnung -die-wir-verpasst-haben [14.02.2023]. Vgl. ebd.

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der Ukraine wirkte alles wie ein Mythos, eine Legende – etwas, das weit weg zu sein schien. Nach der, so Belorusets, feindlichen Inkorporation des Donbas durch Russland 2014, wurden die Ansichten vieler Bürgerinnen und Bürger vor Ort umformuliert und umgedeutet. Die Menschen in der Ostukraine wurden zermürbt, müde und konnten irgendwann nicht mehr nach der wahren Bedeutung der Geschehnisse um sich herum suchen. In den russischen Medien wurden unzählige sich widersprechende Erklärungen von einem Ereignis erstellt und seine Bedeutung allmählich in einer Deutungskakophonie aufgelöst. Das ist Teil der russischen Propaganda. Belorusets verurteilt nicht diejenigen, die sich für Putin aussprechen – die Gespräche mit den Menschen im Donbas hätten ihr gezeigt, dass es viele graue Facetten zwischen schwarz und weiß gebe.15 Der russische Politikwissenschaftler und Journalist Sergej Medwedew (*1958) beschreibt es in seinem Kommentar »Den Krieg in Donbas gab es nicht« genauso wie Belorusets: Für die Wissenschaft und das Kino ist der Krieg im Donbas mit seinen zahlreichen Narrativen zu einer Goldmine geworden, dabei ist der Hauptheld in dieser Situation das russische Fernsehen. Es erfand diesen Krieg mit all seinen Charakteren, wie eine endlose Serie, die de facto mit Ideen aus beliebten Serien und Kriegsspielen für den Computer unterfüttert wurden. Medwedew bescheinigt dem russischen Fernsehen, eine Hass- und Lügenmaschine zu sein, welche die sowjetische Propaganda bei Weitem übertrifft. Die Macht glaubt nunmehr selbst an die Fernsehbilder und reproduziert sie im realen Leben – ein geschlossener Kreis. Medwedew vergleicht weiter den Donbas mit Baudrillards Idee des Kriegs als Simulacrum, die er in seinen Essays zum Golfkrieg in den 1990er Jahren ausarbeitete. So hat sich in Russland das Simulacrum Donbas in Realität gewandelt: Das Krim-Donbas-Epos Russlands – ist kein Beispiel der Archaik, sondern der postmodernen Simulation, einer medialen Konstruktion, die eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die politische Klasse und selbst den Präsidenten als Geisel genommen hat.16 Diese treffsichere Analyse schrieb Medwedew 2016 und publizierte sie mit vielen anderen lesenswerten Texten 2017. Aus heutiger Sicht lesen sie sich mit besonderer Wehmut, denn es ist alles so lange im Voraus erkannt, analysiert und geschrieben worden – nur kaum jemand vernahm es. Ähnlich war es im Fall der Kunst: Während Belorusets ihre Serie über die Besiegten noch 2015–2016 15 16

Vgl. ebd. Medwedew 2017, S. 56.

2. Tagebücher

häufig ausstellte, wurde es in den nachfolgenden Jahren etwas ruhiger um die Geschehnisse im Donbas. Die Aufmerksamkeit des Westens wandte sich bald von der Ostukraine ab, sie wurde zu einem Ort der »Boring Catastrophy«17 , bis sie Ende Februar 2022 als die größte ukrainische Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg wieder benennbar und spürbar wurde. Auch in der Ukraine ist vielen schwergefallen, sich vorzustellen, dass ein großflächiger Kriegsausbruch möglich ist. Belorusets selbst gibt zu, dass sie überrascht war und den Krieg, nachdem sie den Donbas gesehen hatte, für unmöglich hielt. In der Ostukraine entstand nichts Gutes, es gab lediglich sinnlose und erfolglose militärische Gewalt.18 Belorusets sammelte Spuren und Beweise fotografisch und in Gesprächen, ähnlich wie Nikita Kadan, der sich jedoch vielmehr dem Materiellen, den vorgefundenen Objekten in seiner Kunst widmet. Beide sollen und wollen aber keineswegs als Archivar:innen oder Dokumentator:innen bezeichnet werden, denn sie sind sich bewusst, dass ein Dokument lediglich einen kleinen Teil des großen Bildes zeichnet, eine Spur der eigenen Erfahrung illustriert. Als Belorusets auf den Literaturtagen in Berlin gefragt wurde, ob sie wegen ihrer häufigen Präsenz in den deutschen Medien als eine inoffizielle Botschafterin der Ukraine fungiere, verneinte sie bestimmt und sagte, sie möchte sich unbedingt alle Freiheiten einer Künstlerin erhalten. Damit ist Belorusets’ Tagebuch eine bemerkenswerte hybride Form auf vielen Ebenen – zwischen offiziellem Auftrag, Dokumentation und künstlerischer Freiheit, formal zwischen Fotografie und Text und ideell zwischen Selbsttherapie und dem Versuch, durch Distanzierung eine größere Sichtbarkeit für die Ereignisse in der Ukraine zu schaffen. Im Dezember 2021 veröffentlichte sie ein Manifest auf Secondary Archives (einer Plattform für Künstler:innen aus Ostund Mitteleuropa), darin widmete sie sich dem persönlichen Scheitern in der Kunst als einem mentalen Vertrag mit sich selbst, nicht permanent innerhalb der Rahmen dogmatischer Konstruktionen rund um das künstlerische Werk bleiben zu müssen. An Agreement on Personal Failure An oral, written, mental agreement that the artist enters with herself so that various forms of defeat accompany her work and through these »failures« the work is protected, or the artist is protected from incorporation into the 17

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Cichosch, Katharina: »Nikita Kadan, Ich arbeite auch im Luftschutzbunker«, in: monopol vom 01.03.2022, URL: https://www.monopol-magazin.de/nikita-kadan-interview-ukr aine-russland-krieg [14.02.2022]. »Postsoviet Cosmopolis« 2022.

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»successful« and from absorption by sociological and ideological practices and narratives. […] Photography—when it searches for the historical, searches for an activist program of art it is a huge failure. Such photography needs someone else to use its raw material, a pitiful document for a true work of art. In search of the absurd, I often collide with the documentary, with the aspiration of photography to speak out and even call for justice. As if in the muteness and immobility of the photographic image could be concentrated in complaints, claims, reproaches, quiet voices. […] And I wanted, avoiding history, to talk about the present moment. Cross out history. Or to subject it, like a trap of reflections, to some kind of disaster so that it, with its catastrophe, would stop stepping on the heels of all that I see. But photography does not stand »outside of history.« It obsessively accumulates moments and places, events. […] It was as if I was searching for something forgotten in the space around me, something beloved and abandoned. Every time, when society invents itself anew, it is forced to give up something. The very gesture of turning forward, to the future, turns a part of reality into »the past.« If the past interests me, then it is precisely this »new past,« »the past« that arises as a name which is given to a part of reality. The branded mark that photography is in love with. In this sense, I was very lucky to work in Ukraine.19

Alevtina Kakhidze Ein anderes Tagebuch hat die Multimedia-Künstlerin Alevtina Kakhidze seit Beginn der großflächigen Invasion Russlands auf ihren Kanälen in den sozialen Medien veröffentlicht. Die Künstlerin stammt ursprünglich aus der Region Donezk, hat dementsprechend einen direkten Bezug zur Ostukraine und damit auch zur russischen Sprache und der Geschichte der Grenzregion. Seit 2009 führt sie im Dorf Muzychi, 26 km von Kyiv entfernt, ein Residenzprogramm, das »The Muzychi Expanded History«-Projekt. Bei einem Treffen vor 19

Belorusets, Yevgenia: »An Agreement on Personal Failure«, in: Secondary Archive 2022, URL: https://secondaryarchive.org/artists/yevgenia-belorusets/ [08.02.2023].

2. Tagebücher

zehn Jahren sprachen wir vor allem darüber, wie es ist, in einem kleinen Dorf zeitgenössische Kunst zu produzieren und ein Residenzprogramm auszurichten. Ein Jahr später war sie bei den Maidan-Protesten dabei, unterstützte die Demonstrierenden und zeichnete. »Der Maidan war unsere Revolution der Würde. Es war eine Schule, in der wir gelernt haben, wie man in einer Krise lebt und wie man gegen Apathie ankämpft.«20 Für sie war das Jahr der Proteste eine Wende in ihrem künstlerischen Schaffen, der »Euromaidan« prägte ihr Verständnis von Kunst und von der Notwendigkeit, das, was um sie herum geschieht, festzuhalten und zu verarbeiten. Sie dokumentierte in ihren Zeichnungen die Geschichten vom Maidan und der Protestteilnehmenden, auch um das Narrativ der russischen Propaganda zu brechen. Die Fehlinformationen und Verwirrungen, von denen Belorustets sprach, wollte Alevtina Kakhidze mit ihren Zeichnungen kommentieren und widerlegen. Etwa die Behauptung, dass die Demonstrierenden nur eine Handvoll Randgestalten aus der Westukraine wären. Zeichnen ist für mich ein Schlüssel zur Realität. Als ich die ersten Barrikaden auf dem Maidan sah, habe ich geweint. Mir war klar, dass es irgendwann zu Gewalt kommen wird. Ich fing an, Barrikaden zu zeichnen. Dadurch habe ich verstanden, dass das eine kollektive Sache ist. Ich ging jedes Detail durch. Aber andererseits ist meine Kunst konzeptuell – mich interessiert, wie man das Denken von jemandem über etwas verändert. Mein Heimatgebiet und selbst meine Mutter waren gegen den Protest.21 Außerdem hat sie im Nachgang in Zusammenarbeit mit den Journalist:innen von Hromadske 2017 ein Video über die Zahlen der Maidan-Verbrechen produziert, in dem sie die Illustration der Statistiken übernahm.22 Das Tagebuch zum Krieg begann viel früher als 2022 – die erste Etappe war eine gezeichnete Geschichte von Klubnika Andreevna (dt. Erdbeere Andreevna). In einer Geschichte über eine fiktive Person mit diesem Namen hielt Kakhidze die Erzäh20

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Kakhidze, Alevtina: »Testimony of a Ukrainian Artist«, in: Palais de Tokyo, URL: https:// palaisdetokyo.com/en/ressource/alevtina-kakhidze-temoignage-dune-artiste-ukrain ienne/ [06.10.2022]. Hindahl, Philipp: »Künstlerin Alevtina Kakhidze: ›Ich bleibe in der Ukraine, um zu verstehen, was passiert«, in: monopol vom 28.02.2022, URL: https://www.monopol-maga zin.de/kuenstlerin-alevtina-kakhidze-interview-ukraine-krieg?slide=3 [06.10.2022]. Hromadske/Kakhidze, Alevtina: »The Maidan Cases In Numbers And In Pictures«, in: YouTube vom 06.01.2017, URL: https://www.youtube.com/watch?v=CiLmCTxR4n0 [14.02.2023].

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lungen ihrer Mutter fest, die in ihrer Heimatstadt Zhdanivka in der Ostukraine geblieben war. In dieser nordöstlich von Donezk gelegenen Region fanden 2014 schwere Kämpfe statt. Kakhidze telefonierte mit ihrer Mutter nahezu täglich und dokumentierte alles, was sie ihr erzählte. Liudmila Kakhidze ist wegen ihres Gartens geblieben, pflegte ihn jeden Tag und verkaufte Obst auf einem lokalen Markt. Nachdem der Konflikt in der Ostukraine 2014 eskalierte, wurden Gehaltsund Rentenzahlungen in den von Separatisten besetzten Gebieten eingestellt. Das zwang viele Menschen dazu, regelmäßig einen Kontrollpunkt in der Region Donezk zu passieren, um ins ukrainische Gebiet einzureisen und die Rentenansprüche geltend zu machen. Diese Prozedur erforderte viele Stunden bei jedem Wetter und endete für Kakhidzes Mutter eines Tages tödlich: Im Januar 2019 starb sie an einem Checkpoint an Herzstillstand. Im August 2014 startete Kakhidze mit dem Posten von Zeichnungen auf einer speziell dafür eingerichteten Facebook-Seite (#КлубникаАндреевна).23 In ganz persönlichen kleinen Skizzen schilderte Kakhidze die Themen ihrer Unterhaltungen, zeichnete ihre Mutter im Keller beim Verstecken während der Kampfhandlungen, im Garten bei der Pflege ihrer Pflanzen sowie beim Anstehen am Checkpoint. Während die Zeichnungen am Maidan situative Beobachtungen waren, ist die Serie Strawberry Andreevna eine ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem Schicksal der eigenen Mutter sowie der eigenen Region. Für die von Kasper König kuratierte manifesta 10 in St. Petersburg (2014) und die von Bart De Baere, Defne Ayas und Nicolaus Schaffhausen kuratierte 6. Moskau-Biennale (2015) konzipierte Kakhidze Arbeiten, die das Publikum mit unangenehmen Fragen konfrontierten. Das geschah genau in der Zeit, als Russland die Krim-Halbinsel annektierte und russlandweit die PropagandaPlakate »Krim nasch!« (»Die Krim gehört uns«) hingen. Auf der manifesta zeigte sie die Installation und Performance Method of constructing a political truth, die von der angeblichen objektiven Wahrheit der Politik und dem Informationskrieg der russischen Regierung handelte. Kakhidze schrieb einen performativen Dialog für die Bühne, wo ihr kontroverse Fragen gestellt wurden: Wem gehört die Krim? Warum sprichst du so schlecht Ukrainisch? usw. Sie beantwortete die Fragen auf der Bühne aus vier Perspektiven: als Touristin, Kämpferin, Mediatorin und Gärtnerin. Im September 2022 wiederholte sie diese Perfor-

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Kakhidze, Alevtina, URL: https://www.alevtinakakhidze.com/maidan.html [13.02. 2023].

2. Tagebücher

mance mit Fragen zum Ukrainekrieg im Centre Pompidou in Paris.24 2015 bis 2020 entwickelte sie weitere Fragen zur politischen Situation und zur ukrainischen Dekommunisierung und setzte sie in Workshops in der Ostukraine ein. Sie machte Illustrationen zu Umfragen in den besetzten Gebieten, alle interviewten Personen antworteten gleich: Der Krieg solle enden. Im Februar 2022 hat für Kakhidze ein neues Kapitel ihrer Zeichnungen begonnen. Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat ihre Serie über die eigene Mutter eine Fortsetzung bekommen. Kakhidze ist in Muzychi geblieben, um die Situation zu verstehen und ihre Sicht in Zeichnungen festzuhalten: Als ich auf dem Maidan war, waren dort auch Künstlerinnen und Künstler. Einige von ihnen fingen an, mit Steinen zu werfen. Ich nicht. Aber am nächsten Morgen, als Wiktor Janukowytsch das Land verlassen hatte, wusste ich: Wenn alle so gewesen wären wie ich, wäre er nicht geflohen. Zu welcher Zeit kann man sich erlauben, Pazifist zu sein? Die Ukraine befindet sich in der interessanten Situation, in der man diese Konzepte überprüfen kann. Aber jetzt sitze ich in meinem Studio und wir reden über Philosophie, obwohl ich den Beschuss höre. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.25 So wie das Tagebuch von Belorusets nur ein Ausschnitt der Realität im Krieg ist, sind es Alevtina Kakhidzes Zeichnungen ebenfalls. Sie sind sehr persönlich, zeugen von Angst, Wut und Verwirrung. Sie zeichnet sich häufig selbst in ihrem Haus, ihrem Keller in Muzychi, bei Zwiegesprächen mit sich und der Kommunikation mit Freunden, die außerhalb der Ukraine sind. Nach den Maidan-Protesten hat sie diese Art der Zeichnung für sich als ein Instrument der Kanalisierung von Gefühlen und Erfahrungen verstanden. Sie bezeichnet die Reihe als Visual Diary on Wartime.26 Die Erfahrung dieses Krieges kann man nicht einer außenstehenden Person mitteilen, aber sie kann für sich selbst festgehalten werden. Alevtina Kakhidze hat eine Verbindung zur Ostukraine und zu Russland, ihre Zeichnungen zeigen mit zunehmender Dauer des Krieges aber auch deutlich, wie der Hass auf alles Russische immer virulenter wird. Wie viel dabei ihre eigenen Überzeugungen ausmachen und wie viel

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Kakhidze, Alevtina: »La Méthode de construction de la vérité politique«, in: Centre Pompidou vom 18.09.2022, URL: https://www.centrepompidou.fr/fr/ressources/media/zbX p85P [14.02.2023]. Hindahl 2022. Homepage Kakhidze.

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davon in den Zeichnungen ist, was um sie geschieht und die Meinungen, die sie hört, das lässt die Künstlerin offen. Ihre Zeichnungen sind mentale Notizen, Fragmente von Überlegungen und Feststellungen, die sie während der Kriegshandlungen festhält. Beim Betrachten dieser Zeichnungen kann mensch Kakhidzes Denken folgen. Ihre Zeichnungen helfen ihr, Gedanken zu formulieren und Position zu beziehen, dabei scheut sie keineswegs, radikal zu sein und zum Canceln russischer Kultur und aller russischen kolonialistischen Aktivitäten aufzurufen. Sie ist keine Politikerin und darf sich erlauben, ihre Meinungen ungeschönt und nicht politisch korrekt zu äußern, insbesondere in den Momenten, in denen sie sich als Betroffene mitten in einem sinnlosen Krieg befindet. Häufig diskutiert sie in ihren Zeichnungen auch mit westlichen Intellektuellen, mit lebenden und längst verstorbenen. In einer Arbeit spricht sie mit Bruno Latour. Sie basiert auf dem Tagebuch, aber auch auf der Beobachtung von Pflanzen, die sie in Muzychi seit Jahren betrieben hat. In einer der Zeichnungen geht sie ein imaginiertes Gespräch mit dem Soziologen ein, der sich in einem Interview mit der Entscheidung schwergetan hat, ob die Klimakrise oder der Ukrainekrieg die größere Katastrophe sei. Kakhidze versucht ihn zu überzeugen, dass in der Ukraine nicht nur Menschen, sondern auch Klima und Tierwelt enorm leiden und es deshalb die schlimmere Katastrophe sei. Im Video Follow the Plants (2022) lädt die Künstlerin Menschen ein, wie Pflanzen zu werden. Es ist eine philosophische Untersuchung, die sie in ihrer Umgebung anhand von heimischen und eingewanderten Pflanzen macht – sie beobachtet ihre Entwicklungen und sagt: Sie töten sich normalerweise nicht gegenseitig, sie laufen nicht weg, sogar in Gefahrsituationen.27 Damit meint die Künstlerin auch sich selbst. In der Zeichnung Plants (2022) aus der Sammlung des M HKA ist neben ihrer typischen Selbstdarstellung mit Text durch die helle beige Farbe ein Verweis auf die Zeichnungen von Joseph Beuys erkennbar. Diese Bezugnahme liegt nahe, da die Künstlerin sich selbst auf Beuys’ Vorstellungen des Künstler:innentums und der Pädagogik berufen hat. In Muzychi hat sie in Workshops mit Kindern die Vorschläge Beuys’ für kreative Förderung umgesetzt.28 Jede:r Gärtner:in ist ein:e Politiker:in, denn sie entscheidet was, wo und wann gepflanzt wird. Gärtnern und Pflanzen

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Kakhidze, Alvetina: »Follow the Plants«, in: Art Collection Telekom 2022, URL: https ://www.art-collection-telekom.com/de/news/follow-the-plants-alevtina-kakhidze [06.10.2022]. Hindahl 2022.

2. Tagebücher

wurden für Kakhidze zu Metaphern. In ihrem Text Frames of War: When Is Life Grievable? (2009) fragt Judith Butler: Um wessen Leben trauern wir? Erhalten alle Toten die gleiche Menge an Kummer und Elend? Gibt es Menschen, die uns nicht leidtun können? In ihren Forschungsarbeiten entwickelte Butler durch Kriegsontologien ein Verständnis für visuelle und textliche Dominanzen in der gegenwärtigen Medienkultur.29 Im Gegensatz zu Butler wirft Kakhidze eine andere Frage auf: Was ist Toleranz in der Flora, warum werden manche Pflanzen als Unkraut bezeichnet, wenn tatsächlich einige Pflanzen nicht mit anderen koexistieren können, weil sie das gesamte Territorium einnehmen können? Ausgehend von ihrer eigenen gärtnerischen Praxis sucht sie seit 2019 nach Antworten auf die Sorgen der Ukrainer:innen mit der Frage: Wenn der Garten auch seine Politik hat, wie kann ein Krieg im Garten verhindert werden?30 All diese Fragen sind ungelöst und unbeantwortet geblieben. Für die manifesta 14 in Prishtina (Kosovo) hat sie ein VR-Video und neue Zeichnungen geschaffen. Zu sehen war sie im Rahmen der Ausstellung »Good as Hell: Voicing Resistance« in der Kosovo National Gallery, die sich auf dem Campus der Universität befindet. Der Titel dieser Arbeit, Invasions (2022), bezog sich auf den russischen Angriff und auch auf eine Spezifik invasiver Pflanzenarten, von denen sie zwei ausstellte. In den Zeichnungen dazu hieß es: »The invasive species easily move across space and time, entering new territories; these intruders cause some local species to suffer, and others to disappear forever.«31 Eine Seidenpflanze, die sie ausstellte, kam aus ihrem Garten und ist ursprünglich eine invasive Pflanze, die aus den USA (Kansas) in die Ukraine gekommen ist. Kakhidze reflektiert darüber, dass ihre Nachbarn sie 2014 baten, diese Pflanze (Watotschnik) abzuschneiden, weil sie andere verdrängte, in Kansas hingegen wird sie als Brutpflanze verschiedener Schmetterlingsarten (Milkweed) geschätzt. So verbanden sich die Ideen der Tagebücher, der Beschäftigung mit den Pflanzen und Gärten zu einem gemeinsamen System, über Invasionen und Widerstand nachzudenken. Kakhidze bietet mit ihren Zeichnungen ein persönliches Narrativ, das keine Objektivität oder Distanz vortäuschen soll. Es sind gezeich-

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Vgl. Butler, Judith: Frames of War. When Is Life Grievable?, London/New York 2009. Kakhidze; Alevtina: »Vistavka ›Buv Bi Sad…‹ Alevitni Kakhidze«, in: America House Kyiv [o.D.], URL: https://www.americahousekyiv.org/events/2019/6/12/- [06.10.2022]. Kakhidze, Alevtina: Invasions 2022, in: Ausstellung »Good as Hell: Voicing Resistance«, National Gallery of Kosovo im Rahmen der manifesta 14 (22.07-30.10.2022), URL: http s://manifesta14.org/participant/alevtina-kakhidze/ [13.02.2023].

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nete Gedanken aus dem Auge des Sturms in Form von Zeichnung und Text, auch bei Kakhidze gehört beides zusammen. Die unterschiedlichen Sprachen, die sie benutzt, sollen auf das Zielpublikum deuten. Vieles aus der Zeit nach dem 24.02.2022 ist auf Englisch und damit für ein internationales Publikum geschaffen worden. Alevtina Kakhidze kämpft seit 2014 verstärkt gegen russische Narrative, egal ob sie aus der Politik, aus den konformistischen Lagern oder aus der Opposition kommen. Kakhidzes Konsequenz reicht dabei so weit, dass sie sich auch von ehemaligen Kolleg:innen abwendet.

Angriff auf Viktoria Lomasko Eine dieser Kolleg:innen ist Viktoria Lomasko (*1978) – eine russische Künstlerin, die mit ihren gezeichneten Berichten über politisch-motivierte Prozesse gegen russische Kurator:innen und Künstler:innen international bekannt geworden ist.32 Sie arbeitete lange in der Tradition der graphischen Reportage. Dies ist eine Gattung, die im vorrevolutionären Russland und in der Sowjetunion ein wichtiges Mittel der Berichterstattung war. Wegen Zensur und Beschränkungen im Gerichtssaal bleibt eine gezeichnete Reportage bis heute oft die einzige Form, um Ereignisse innerhalb von Gerichtsprozessen festhalten zu können. Die Charakteristiken der graphischen Reportage sind folgende: Es handelt sich hierbei um Zeichnungen, die eine Geschichte erzählen und sich gegenseitig ergänzen. Sie bilden eine Synthese aus Bild und Text, wobei der Text ein kurzer Kommentar sein kann oder auch zu einem wesentlichen Element wird – zu einem eigenständigen Kunstwerk. In Lomaskos ersten Arbeiten ergänzten beispielsweise kurze Bildunterschriften die detaillierten Zeichnungen. Nach und nach wurden die Zeichnungen dann einfacher und allgemeiner, der Text aber verwandelte sich in eine echte Reportage. Drittens entstehen die fertigen Kompositionen im Gegensatz zu dokumentarischen Comics nicht mit Skizzen, die zu Hause nach einem Foto angefertigt werden, sondern direkt am Ort des Geschehens. Der Rhythmus der Zeichnung ist extrem wichtig – er muss die Energie des Ereignisses vermitteln. Wichtig ist ebenso, dass es sich bei den Originalen nicht um in Rahmen zerteilte und in der Werkstatt gezeichnete Comics handelt, sondern um Albumblätter, even-

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Lomasko, Viktoria/Nikolaev, Anton: Verbotene Kunst. Eine Moskauer Ausstellung. Gerichtsreportage, Berlin: Matthes & Seitz 2013.

2. Tagebücher

tuell mit Spuren von Regen, Schnee und Feldaufzeichnungen. Sie sind ein unmittelbares Zeugnis und dürfen auch so aussehen. Lomasko zeichnete häufig an den Rändern der Gesellschaft: bei Arbeitssklavinnen, in Jugendstraflagern und auch während der Proteste seit 2012. Ihre Bücher Verbotene Kunst (2010) und Die Unsichtbaren und die Zornigen (2018 bei diaphanes in Zürich) bildeten die Schattenseiten der russischen Gesellschaft ab. Sie gehörte zur künstlerischen Opposition in Russland, die im Westen mit Interesse und in Russland mit Argwohn betrachtet wurde. Sie selbst zeichnete ein Tagebuch während der Pandemie und der Proteste rund um die Verhaftung von Alexej Nawalny. In den letzten Jahren fing sie an, sich der Wandmalerei zuzuwenden. Im März 2022 floh sie aus Russland und hat im August desselben Jahres im Auftrag der documenta 15 in Kassel gezeichnet. Sie war dabei Teil des sogenannten »Harvest«-Prozesses, bei dem sie die Gespräche unter den teilnehmenden Künstler:innen zeichnerisch festhielt.33 Seit April 2022 ist sie in Westeuropa als Exil-Künstlerin unterwegs und hat ein neues Buch mit Zeichnungen herausgegeben, das in deutscher Sprache Anfang 2023 unter dem Titel Die letzte sowjetische Künstlerin bei diaphanes in Zürich erschienen ist. In der Verlagsankündigung wird das Buch folgendermaßen zusammengefasst: In Armenien, Georgien und Kirgistan, in den russischen Teilrepubliken Dagestan und Inguschetien, in Belarus und Russland begibt sich Victoria Lomasko mit ihren Reisereportagen auf die Suche danach, was aus dem sowjetischen Erbe geworden ist. Sie verbindet dabei äußere Ereignisse mit persönlichen Empfindungen und Kommentaren und beschreibt die gesellschaftlichen Transformationsprozesse in den ehemaligen Sowjetrepubliken: den Kampf für die Rechte von Frauen und LGBTQ-Personen in zutiefst patriarchalen Gesellschaften, die schmerzhaften Nachwirkungen ethnischer Zwangsumsiedlungen unter Stalin, den finalen Wandel von Putins totalitärem Regime zu einer Diktatur. Durch ihre einzigartige künstlerische Form des Dokumentierens führt Lomasko Wahrnehmung und Erfahrung zusammen und erzeugt so Bilder für eine ungesehene Gegenwart, über die derzeit vielleicht 33

Lomasko, Viktoria: »documenta 15 in the Shadow of the Russia-Ukraine-War«, in: Hyperallergic vom 28.02.2022, URL: https://hyperallergic.com/764931/documenta-15-i n-the-shadow-of-the-russia-ukraine-war/?fbclid=IwAR2So7qMR_Kdqg0BLeGfHh6m TG5AqljsLXivTDF5ClubKJrNdF46NCkGRU0 [14.02.2023]; Wagner, Ekaterina: »Victoria Lomasko: Documenting Documenta Fifteen«, in: Art Focus Now vom 21.07.2022, URL: https://artfocusnow.com/news/victoria-lomasko-documenting-documenta-fifteen/ [14.02.2023].

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nur im anonymisierenden Medium der Zeichnung adäquat berichtet werden kann.34

Abb. 7: Erste Seite des gemeinsamen Comics von Lomasko und Sacco, The New Yorker am 11. April 2022

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Lomasko, Viktoria: Die letzte Sowjetische Künstlerin, URL: https://www.diaphanes.net/ti tel/die-letzte-sowjetische-kuenstlerin-7517 [14.02.2023].

2. Tagebücher

Abb. 8: Antwort von Alevtina Kakhidze, siehe @truealevtina (Instagram) vom 19. April 2022

Vor zehn Jahren hat Lomasko in Russland noch aktiv feministische und LGBTQIA+-Agenden vertreten. Zusammen mit Nadia Plungian (*1983) organisierte sie vom 23.10. bis 06.11.2013 in Moskau die Ausstellung »The Feminist Pencil – 2«. Diese war eingebettet in das Media Impact Festival als Teil der 5. Moskau Biennale. »The Feminist Pencil – 2« vereinte soziale Grafik und feministische Kunst aus Russland, Frankreich, Deutschland, Ukraine, Belarus und Schweden mit Themen wie Gewalt gegen Frauen, Geschlechterrollen, Ausbeutung, Missbrauch, Familie und viele weitere dringende Themen der sozialen

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Ungerechtigkeit.35 Auch Alevtina Kakhidze war Teil der Ausstellung. Zwei Tage nach der Eröffnung wurde die Ausstellungsfläche mit Phallussymbolen beschmiert – eine Erfahrung, die Lomasko und mit ihren Reportagen etwa zur Ausstellung »Verbotene Kunst« (2010), die von fundamentalistischen Orthodoxen angegriffen wurde, bereits erleben musste. In den feministischen Themen waren Lomasko und Kakhidze sich damals nahe. Im April 2022, einen Monat nach ihrer Ankunft aus Moskau in Brüssel, erschien im US-Magazin New Yorker Lomaskos Comic Collective Shame.36 Darin zeigte sie den Leser:innen die Panik der Menschen an russischen Flughäfen in den ersten Kriegstagen, die Scham über die russische Invasion in der Ukraine und ihre Ankunft in Europa, wo sie selbst als Regimekritikerin mit Sanktionen und Vorurteilen gegenüber Russ:innen konfrontiert war. »Ich bin bereit, diese Strafen zu akzeptieren, aber als Künstlerin ringe ich darum, meine Stimme zu finden«, schrieb sie dazu. Den Text in den Sprechblasen schrieb sie selbst, die Zeichnungen stammen von Joe Sacco, dem berühmten US-Comic-Reportagezeichner. Weil Lomasko überstürzt geflüchtet war und ihre Arbeitsutensilien zurückließ, hat er sich als ihr »Stift« angeboten und zeichnete die Szenen für sie. Abgedruckt wurde der Comic wenige Tage, nachdem die Bilder aus Butscha um die Welt gingen. In sozialen Medien waren die Reaktionen auf Lomaskos Veröffentlichung heftig: Wehleidigkeit, Selbstmitleid und Beschwerden über Sanktionen seien vor dem Hintergrund des ukrainischen Leids unangebracht.37 Alevtina Kakhidze kritisierte Lomasko öffentlich und harsch: »Sie benutzt den ganzen Comic dazu, sich über Sanktionen zu beschweren und sich selbst zu bemitleiden!«, urteilt Kakhidze. Bereut Lomasko die Veröffentlichung? »Nein. Als Comicreporterin ist es meine Aufgabe, das abzubilden, wessen ich Zeugin geworden bin«, sagt sie. Ihr Schicksal, das Joe Sacco in dem Comic illustriert, gebe stellvertretend die Realität von Millionen

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Steiner, Elke: »Feministische Ausstellung in Moskau. Kunst im Gegenwind«, in: Tagesspiegel vom 04.11.2013, URL: https://www.tagesspiegel.de/kultur/comics/kunst-im-ge genwind-6930715.html [14.02.2023]. Lomasko, Viktoria/Sacco, Joe: »Collective Shame«, in: The New Yorker vom 11.04.2022, URL: https://www.newyorker.com/magazine/2022/04/18/the-collective-shame-of-pu tins-war [14.02.2023]. Klimchuk, Marina: »Wie der Krieg einen Keil zwischen zwei Künstlerinnen treibt«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.06.2022, URL: https://www.faz.net/aktuell/feuil leton/debatten/der-streit-zwischen-den-comic-kuenstlerinnen-viktoria-lomasko-un d-alewtyna-kachidse-18118246-p2.html [06.10.2022].

2. Tagebücher

Menschen wieder, die in einem faschistischen Land lebten – soll das ausgeblendet werden?38 Die Angst vor der Diktatur und die Unfähigkeit, die eigenen Privilegien zu sehen, hätten Lomasko ihre Fähigkeit zur Empathie genommen, sagt Kakhidze. Sie startete einen Angriff auf Lomasko, indem sie ihre Zeichnungen übermalte und sie statt »Kollektive Scham« in »Kollektive Blindheit« umbenannte. Auf Lomaskos Aussage, »Einst fühlte ich mich wie eine Künstlerin von Welt, jetzt bin ich eine Geflüchtete mit nur einem Koffer und meiner Katze«, lässt sie ironisch ihren Hund sprechen: »Einst war ich ein glücklicher Hund. Aber seit dem 24. Februar führt mich niemand mehr spazieren.«39 In ihren Kriegstagebuch-Zeichnungen thematisiert sie immer wieder die imperialen kolonialistischen Denkmuster der Russ:innen, die so tief verwurzelt sind, dass die meisten Russ:innen das nicht einmal verstehen können. In einer Ringvorlesung an der Universität Zürich brachte Kakhidze das Beispiel von Nikita Kadan ein, der in den sozialen Medien den russischen Angriff auf Babyn Jar postete, worauf die Kuratorin Ekaterina Dyogot antwortete: Putin habe die Gedenkstätte bombardiert, nicht die Russ:innen. Für Alevtina Kakhidze, wie für die meisten ukrainischen Künstler:innen steht fest: Die Russ:innen haben Putin geschaffen, nicht andersherum. Deshalb seien diese Bekenntnisse und Entschuldigungen heute nicht mehr ausreichend und dies thematisiert sie immer wieder in ihren Zeichnungen. Zum Beispiel, wenn sie sich bei einem Dialog mit Olaf Scholz zeigt, der die russische Bevölkerung ebenfalls in Schutz nimmt. Kakhidze erwidert ihm, dass dadurch die Russ:innen »entmündigt« würden wie Haustiere oder Pflanzen, sie aber keineswegs passive Opfer seien. Dazu ist es Kakhidze wichtig zu betonen, dass die Ukrainer:innen den Preis der Freiheit kennen, ein Beispiel sind die vielen Toten des »Euromaidan«. Doch Russ:innen, mit denen sie in Kontakt stand, fragten nie danach, wie es ermöglicht wurde, dass die Ukrainer:innen sich befreien konnten.40 Kakhidze berichtet von ihrer Erfahrung während der manifesta in Sankt Petersburg oder der Moskau Biennale 2015:

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Ebd. Ebd. »Den Krieg dokumentieren: Ukraine 2014–2022«: (Im) Krieg zeichnen: Gespräch mit der Künstlerin Alevtina Kakhidze (Moderation: Sandra Frimmel), URL: https://www.u zh.ch/cmsssl/slav/de/forschung/Ringvorlesung-Ukraine.html [14.02.2023].

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Nach dem Erfolg von The Feminist Pencil 2 erhielt Kakhidse eine Einladung zur Manifesta, die 2014 ausgerechnet in Sankt Petersburg stattfand. Russland hatte die Krim annektiert, in der Ukraine gab es Boykottbestrebungen gegen russische Kulturschaffende. Kakhidse fuhr trotzdem. Damals begriff sie schmerzlich, was Russland wirklich war. Lomasko habe damals gefragt, ob sie meine, dass sie als Russin sich bei den Ukrainern für die Krim entschuldigen müsse. Vielleicht nicht bei allen, aber bei jedem vierten, antwortete Kakhidse sarkastisch: Schließlich gebe es viermal so viele Russen wie Ukrainer. Lomasko habe nie verstanden, dass, selbst wenn sie keine Schuld trug, ihr Unwille, sich zu entschuldigen, für Ukrainer ein noch größeres Verbrechen war. Eine andere Russin habe gesagt: Habt ihr wirklich geglaubt, Russland werde auf euren Maidan nicht mit der Krim reagieren?41 Liest man Zeitungsinterviews beider Künstler:innen, dann erkennt mensch schnell, dass sie in vielem gleicher Meinung sind. Auch wenn viele russische Intellektuelle Putin ablehnen, hätten etliche von ihnen eine latent imperialistische Weltanschauung, zumal bezüglich der Ukraine, glaubt Kakhidze. Ähnlich äußerte sich Lomasko in der taz.42 Die Ukrainer:innen hätten viel geleistet, doch ihre Stimmen seien in Russland und Europa nur als solche der kolonialisierten Peripherie wahrgenommen worden. Dagegen zeichnet Kakhidze an, sie rekonstruiert Situationen, die nicht in den üblichen Berichterstattungen der Medien zu finden sind. Genauso wie die Erzählungen ihrer Mutter aus dem besetzten ostukrainischen Randgebiet, die sie akribisch rekonstruierte und illustrierte, ist dies eine Möglichkeit gewesen, Geschichten zu fixieren, die sonst nirgendwo auftauchen würden. Bilder der Gegenwart und Vergangenheit werden in ihren Zeichnungen festgehalten, genauso aber auch eine konstruierte Welt, in der Kakhidze mit Kant über sein Traktat zum ewigen Frieden diskutieren kann oder mit anderen Größen der Geistesgeschichte in Diskussion tritt. Gleichzeitig dokumentiert sie die Gefühlslage ihrer Umgebung, so wie die ihrer Nachbar:innen und Freunde, sie findet sich plötzlich umgeben von Hass gegenüber Russland. Oft distanziert sie sich in ihren Zeichnungen durch Ironie oder Zynismus, durch Kommentieren von Situationen, Gesprächen oder politischen Ereignissen. Dieses Tagebuch ist die Selbstermächtigung einer Künst-

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Klimchuk 2022. Hubernagel, Julia im Interview mit Victoria Lomasko: »Ich zeichne gegen Putin an«, in: taz vom 27.3.2022, URL: https://taz.de/Russische-Comic-Kuenstlerin-ueber-ihr-Exi l/!5841110/ [06.10.2022].

2. Tagebücher

lerin, die sich mitten im Geschehen befindet und nicht neutral und objektiv sein will – diese Zeiten sind für sie vorbei. Die großflächige Invasion, der Krieg Russlands gegen die Ukraine seit Februar 2022, hat viele Verbindungen zwischen ukrainischen und russischen Künstler:innen (etwa Kadan/Chto Delat, Kurmaz/Polsky) gekappt. Viele zuvor bestehenden Netzwerke haben sich selbst zerschlagen. Wie viele andere Kunstschaffende aus der Ukraine wollen Kadan und Kahidze endlich aus dem Schatten russischer Künstler:innen heraustreten und verweigern sich einer gemeinsamen Arbeit oder der direkten Kommunikation.43 2022 gab es keine Veranstaltungen mehr, die beide Seiten zu Wort kommen lassen konnten – es gab nur noch Ukraine oder Russland – wahrscheinlich ist es eine notwendige Distanz und Pause, um die gegenseitigen Beziehungen und Verbindungen in der Zukunft noch einmal neu denken zu können. Dazu sagen viele russische Künstler:innen selbst, dass sie an sich und der eigenen Wahrnehmung arbeiten müssen, um das eigene kolonialistische Denken zu reflektieren und vorsichtig mit den Gefühlen des ukrainischen Publikums umzugehen.44 Es besteht Hoffnung, dass in Zukunft wieder ein gemeinsames Gespräch möglich sein wird, denn Osteuropa benötigt alle oppositionellen, intellektuellen, scharf denkenden und kreativarbeitenden Stimmen für Auseinandersetzungen und Neuverhandlungen.

Vlada Ralko Ein weiteres Tagebuch, das von den Schrecken der ukrainischen Situation zeugt, wird seit Jahren von einer der berühmtesten Maler:innen der Ukraine produziert. Von 2013 bis 2016 führte Vlada Ralko ein Kyiv Diary, eine tägliche Aufzeichnung der Euro-Maidan-Ereignisse, der Krim-Annexion und des Kriegsausbruchs im Donbas, die sich zu einer allgemeinen Reflexion über die menschliche Natur und das ihr inhärente Böse entwickelte. Mit den Zeichnungen in Wasserfarben und mit Kugelschreiber versuchte die Künstlerin, sich auch der seltsamen Atmosphäre Kyivs während der Proteste anzunähern und die Momente festzuhalten, die ihr wichtig erschienen.45 Ihre

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Vgl. »Recostruktion of Ukraine« 2022. Diese Information stammt aus privat geführten Gesprächen mit Anton Polsky u.a. Ralko, Vlada: Kiev Diary [sic!], in: Museum of Modern Art Warschau, URL: http://barzakh .artmuseum.kunstu.com/en/artist/vlada-ralko [14.02.2023].

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persönliche Dokumentation der Ereignisse ist bunt, expressiv und zeugt von einer massiven emotionalen Resonanz der Künstlerin auf das Geschehen. Durch explizite Darstellungen von Schmerz oder Verstümmelung werden die einzelnen Blätter des Kyiv Diary zu einem ambivalenten Ereignis für die betrachtende Person. Es hat ein Narrativ und ist gleichzeitig von surrealen Zügen gezeichnet, die sich aus der erlebten Situation heraus speisen. Seit 2022 führt Ralko ein tägliches Lviv Diary auf Instagram (@ralkovlada). Während das malerische Kyiv Diary mit leuchtenden Farben vor tiefschwarzem Hintergrund realistisch und erzählerisch erschien, hat sich im Lviv Diary die Horizontlinie aufgelöst. Die düsteren Figuren scheinen in einem luftleeren Raum zu existieren, sie werden monumentaler und schrecklicher. Der Strich des Kugelschreibers ist aggressiv, scheint hier und da manisch zu sein. Die Farbpalette reduziert sich auf Schwarz, Grau mit eingesprenkeltem Rot oder Rosa, um die Fleischlichkeit der Körper oder Körperöffnungen zu betonen. Im Lviv Diary hört das Narrativ auf, der Tod, die Grausamkeit treten in den Bildmittelpunkt – gequälte Massen, verdreht und versehrt, nicht immer an Körper erinnernd, winden sich durch die Bildfläche. Ralkos Zeichnungen sind eine zeitgenössische Version der Apokalypse in der Tradition altmeisterlicher Darstellungen eines Albrecht Dürers oder Lucas Cranachs. Statt Narrativen treten Symbole auf, der doppelköpfige Adler samt Krone und Zepter, Hammer und Sichel, Raketen, Waffen aller Art. Monica Fabijanska schreibt dazu: In many drawings created in the first weeks of Russia’s 2022 aggression on Ukraine, Ralko used the imagery of the two-headed eagle of Russia’s coat of arms, which dates back to the 15th century. The crowns, and the orb and scepter in the eagle’s talons (in one of the drawings replaced by the hammer and sickle) are symbols of Russia’s centuries-old imperial ambition ever since Ivan III (the Great) adopted the Byzantine double-headed eagle in his seal after the fall of Constantinople, giving the impetus to the idea of Moscow as the Third Rome. In Ralko’s Lviv Diary, the heraldic eagle is often equipped with a monstrous missile-like penis, bringing to mind both the expressive line and the iconography of drawings and paintings by the U.S. feminist artist Judith Bernstein (b. 1942), wherein the penis morphs into a screw or a drill bit, and represents the patriarchal aggression of world leaders. Bernstein used the U.S. eagle to condemn the monstrosity of Donald Trump’s presidency (Seal of Disbelief , 2017).46

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Fabijanska 2022.

2. Tagebücher

Die Symbole der Macht werden mit den Opfern verwoben. In Ralkos Zeichnungen ist durch den Duktus ihres Stiftes, die Heftigkeit der Linie, eine spürbare Gewalt inbegriffen. Manchmal drückt sie diese ganz explizit aus, wenn sie etwa die Bombardierung des Theaters in Mariupol am 16.03.2022 thematisiert und die Straßenaufschrift vor dem Theater, die darauf verwies, dass sich darin Kinder verstecken. Die Körper Ralkos sind nicht nur versehrt, sie sind monströs entstellt, sie winden sich wie Würmer in einem scheinbar ewigen Alptraum. Deshalb wurde die gemeinsame Ausstellung mit dem Künstler Volodymyr Budnikov (20.10.2022-27.01.2023) in der Art East Gallery Berlin »Not A Dream« betitelt. Während Belorusets’ Tagebuch eines war, das jeden Tag aufhören sollte, ist Ralkos Tagebuch eines, das einem Alptraum zu entspringen scheint, aber lediglich eine Übersetzung der sie umgebenden Realität ist: Gewalttätige Adler, Hunde, Totenschädel, aufgespießte Kinderkörper und Leichenteile verweisen auf all die Nachrichten über systematische Tötungen und Vergewaltigungen ukrainischer Zivilist:innen durch die russische Armee. Altmeisterlich erscheinen Ralkos Zeichnungen nicht nur wegen ihrer Linienführung, sondern auch wegen der christlichen Ikonographie, die sie immer wieder einsetzt: Kreuzigungen, Lustmorde, gequälte Putti sind nur einige ihrer Themen in diesem Alptraum-Tagebuch. Während Ralko sich täglich mit diesen Gräueln auseinandersetzte, wurde eine kleine Geste der Annäherung zwischen der russischen Künstler:innengruppe Chto Delat? und Ralko manifestiert. In der Ausgabe der gleichnamigen Künstler:innenzeitung zum Thema »Canary Archives«, die am 22. Tag des Krieges in Druck gegangen ist, veröffentlichen die Künstler:innen aus Sankt Petersburg Screenshots von Ralkos Facebook-Posts. Dmitry Vilensky beschreibt, wie es dazu gekommen ist: I really wanted to include in the publication the graphic war works of Vlada Ralko, an artist from Kyiv – her images give faith that art can show us the horror of war without subjecting us to the journalistic normalization of displays of violence. Vlada refused to publish them, saying that now is not the time and for now they can circulate only in the context of social networks. Instead, she asked to publish a screenshot of a text from FB describing the catastrophe of the blockade of Mariupol. I answered her that reports of these monstrous crimes are now being published by all the leading mass media, while her works are available only to a narrow circle of friends. But now her

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

FB feed** is an honest archive of the history of war, media and art, on a par with Brecht’s Kriegsfibel.47 In den ersten Monaten des Krieges sind viele Tagebücher enstanden, die an die »Kriegsfibel« (1955) erinnern. Mittlerweile sind die Werke der ukrainischen Künstler:innen international etwas sichtbarer geworden. Dafür sorgten viele spontan organisierte Ausstellungen im Jahr 2022, die im ersten Kapitel teilweise betrachtet wurden. Eine weitere Ausstellung, die der Kunst von Frauen gewidmet war, greife ich im nächsten Kapitel über ukrainische Kunst auf.

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Vilensky, Dmitry: Canary Archives. The Emergency Issue of Chto Delat Newspaper March 2022, URL: https://chtodelat.org/category/b8-newspapers/canary-archives-2022/ [14. 02.2023].

3. Ukrainische Kunst

Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass es eine Reihe von Namen gibt, die in den vergangenen Jahren die ukrainische Kunstszene international repräsentierten, dazu zählen Zhanna Kadyrova, Vlada Ralko, Mykola Ridnyi, Lesia Khomenko, Nikita Kadan, Yevgenia Belorusets, Alevtina Kakhidze, Sasha Kurmaz u.a. Diese Künstler:innen kommen aus einer besonderen Generation, die erstmals prononciert politische Kunst machte und sich gleichzeitig politisch engagierte. Die Entwicklung kann grob in der Zeit der Orangenen Revolution 2004 verortet werden, als sich Gruppen wie R.E.P. und SOSka formierten.

R.E.P.-Gruppe Revolutionary Experimental Space (R. E. P.) wurde Ende 2004 während der Orangenen Revolution in der Ukraine gegründet und umfasste zunächst zwanzig Künstler:innen. Seit 2006 gehören der Gruppe Ksenia Hnylytska, Nikita Kadan, Lesia Khomenko, Volodymyr Kuznetsov, Zhanna Kadyrova und Lada Nakonechna an. Sie machten in den ersten Jahren Performances und Videoarbeiten, die sich mit dem damaligen Zustand der ukrainischen Gesellschaft befassten. Dabei präsentierten sie sich als Partei unter anderen realen politischen Parteien und verbreiteten ihre Slogans in den Performances We Will R.E.P. You (2005) und R.E.P. Party (2006). Beide Aktionen wurden auf dem Maidan abgehalten. In der ersten Performance präsentierte sich die Gruppe mit Spruchbändern und Zitaten von Beuys und Warhol als Opposition zu den erstarkenden reaktionären Kräften in Kyiv. Während des Parlamentswahlkampfs 2006 stellten R.E.P. ihr Zelt zwischen den Zelten von verschiedenen ukrainischen politischen Parteien auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kyiv auf und präsentierten ihre künstlerische Agenda. Sie trugen ausschließlich Schwarz und Weiß und setzten sich damit von den Farben anderer Parteien

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ab. Für die Mitglieder von R.E.P. war die Organisation dieser Gruppe und ihre Aktionen besonders als Ermöglichung von sozialer Kommunikation wichtig. R.E.P. hat nicht nur die Wahlsprüche anderer Parteien persifliert, sondern auch sich selbst behauptet. Die Künstler:innen machten deutlich, dass sie nun auch da sind und nicht leise sein werden. Ihre Aktionen stießen auf Unverständnis und irritierten das Publikum, gleichzeitig prägte ihre Präsenz die ukrainische Kunstszene. R.E.P gelang der Aufbau von neuen Institutionen, Kooperationsplattformen und Foren für Kommunikation, die zuvor für die Künstler:innen abseits etablierter postsowjetischer Institutionen nicht bestanden. Sie schufen neue Formate, Plattformen und inspirierten jüngere Generationen. Die künstlerische Praxis der einzelnen Mitglieder der Gruppe unterschied sich zwar stark, sie konnten aber auch im Kollektiv eine gemeinsame Sprache finden. R.E.P. war eine erste erfolgreiche Alternative zur offiziellen künstlerischen Ausbildung in der Ukraine und zu den etablierten Institutionen.1

Abb. 9: R.E.P. Party/Р. Е. П. Партія (2006), Videostill, 3:43 min, Kontakt Sammlung, Wien

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Anna Lazar, »R.E.P.:10 YEARS.ON METHOD«, in: The Green Box (hg.) R.E.P. Revolutionary Experimental Space, Berlin 2015; Eine Kurzbeschreibung und Dokumentation der beiden Performances auf der Homepage der Kontakt Collection, URL: https://www.kontakt-collection.org/people/430/rep-group?ctx=88156febd8 b02dd7356eb6639b842ea4aa12efcc&idx=0 [27.02.2023].

3. Ukrainische Kunst

HUDRADA Hudrada (ukr.: Künstlerkomitee) ist als kuratorische und aktivistische interdisziplinäre Gruppe seit 2008 aktiv. Die Mitglieder von Hudrada sind Architekt:innen, politische Aktivist:innen, Übersetzer:innen, Schriftsteller:innen, Designer:innen und Künstler:innen. Von Hudrada organisierte Projekte basieren auf Diskussionen, in denen die Erfahrungen der Teilnehmer:innen zusammengebracht werden. Mitglieder von Hudrada sind u.a.: Kateryna Badianova, Yevgenia Belorusets, Oleksandr Burlaka, Nikita Kadan, Anna Lazar, Vasyl Lozynskiy, Lada Nakonechna, Nataliya Tchermalykh und Lesia Khomenko. Hier sieht man Überschneidungen zwischen der R.E.P.-Gruppe und Hudrada, wobei letztere vor allem mit der Organisation von Ausstellungsprojekten und Protesten von sich reden gemacht hat. Ein erstes großes Projekt war »Pohlyady« (Blicke, 2009), eine Ausstellung im Zentrum für zeitgenössische Kunst in Kyiv, die sich mit politischer und aktivistischer Kunst beschäftigte. Indem die Ausstellung bewusst kollaborativ ohne Kurator:in erstellt wurde, setzte die Gruppe ihr politisches Statement. Ein Wandtext verkündete: »Zu den Grundprinzipien von Hudrada gehört die Einführung direkter demokratischer Methoden in die Organisation des künstlerischen Prozesses und damit ein Widersetzen gegen die autoritäre Situation, die die ukrainische Kunstszene infiziert hat.«2 Ausgestellt wurden künstlerische Standpunkte, die in begleitenden Diskussionen reflektiert wurden. Hier wurde vor allem die Rolle der Kunstschaffenden, des politischen Aktivismus und linker Ideale angesprochen, die sich in der Ukraine in dieser Zeit entwickelten. Hudrada bot Raum für kreatives Denken, das sich mit neuen Formen politischer und sozialer Beziehungen auseinandersetzte, und wollte insbesondere das Publikum aktivieren. Das nächste Projekt fand 2010 als Reaktion auf die Verfolgung von Aktivist:innen, Künstler:innen und Theoretiker:innen aufgrund ihrer Ablehnung der damaligen ukrainischen Politik statt. »Court Experiment« dokumentierte Gerichtsprozesse mit dem Ziel, Widerstand gegen die Strafverfolgung ukrainischer Aktivist:innen zu signalisieren, die ihre Opposition zu den bestehenden Ungerechtigkeiten zum Ausdruck brachten. Dies war eine Solidaritätsaktion mit Angeklagten, deren Prozesse zum Teil seit Jahren andauerten. Mit Werken von Belorusets, David Chichkan, Ksenia Hnylytska, Kadan, Yulia Koster, Yuriy 2

Alle Informationen sowie Dokumentationen auf dem Blog von Hudrada, URL: https:// hudrada.tumblr.com/ [27.02.2023].

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Kruchak, Vasyl Lozynskiy, Nakonechna, Ridniy, Oleksiy Salmanov, Oleksandr Wolodarsky und Anna Zvyagintseva sowie Dokumentationen von Gerichtsprozessen sollte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einzelne Fälle und Verfahrensweisen der Justiz gelenkt werden. Zudem auf die Probleme hinweisen, welche die Aktivist:innen im Vorfeld beschäftigten.3 Auch wenn R.E.P. und Hudrada in den letzten Jahren nicht mehr so aktiv waren wie in ihrer Anfangszeit, so haben ihre Mitglieder weiterhin starke künstlerische Positionen bezogen. Khomenko, die an der Nationalen Akademie für Kunst und Architektur in Kyiv studierte, gründete einen eigenen Kurs für zeitgenössische Kunst an der Kyiver Akademie für Medienkunst, um ein Gegengewicht zur klassischen Ausbildung an den ukrainischen Kunstakademien anzubieten. Die jüngere Künstlerin Anna Scherbyna (*1988) betont in einem Gespräch, wie wichtig diese Initiative für Künstler:innen ihrer Generation gewesen ist.4 Auch Kadan beschreibt, wie sich die ukrainische Kunst erst einmal neu formieren und ausrichten musste, um vor allem auch die Sichtbarkeit zu bekommen, die dem gesamten postsowjetischen Raum in der Kunstwelt weitgehend fehlte. Wir befanden uns in der Ukraine viele Jahre in einem Zustand der permanenten Krise. Erst die Krim, dann der Donbas. Diese Kriege waren nie weg. Aber sie verschwanden bald von der Bildfläche. Der Donbas war, um es mal so zu sagen, aufmerksamkeitsökonomisch nicht wettbewerbsfähig mit den anderen Konflikten. Aber Menschen wurden immer noch getötet. Wir wurden zu einem Land der boring catastrophy. Trotzdem haben wir natürlich unsere eigenen Reflexionen über das entwickelt, was mit uns passiert. Wir haben uns intellektuelle Techniken der westlichen Kunstwelt angeeignet, um Anschluss zu finden – an den Post-Konzeptualismus, beispielsweise. Wir haben gelernt, als internationale Künstlerinnen und Künstler sichtbar zu werden […] Jetzt leiden wir ziemlich viel, daraufhin gibt es wieder ein bisschen Aufmerksamkeit.5

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Vgl. ebd. Fridman Gallery: »Conversation with the Artists (Virtual): Lesia Khomenko, Anna Scherbyna and Ksenia Nouril« (Print Center Philadelphia) vom 27.07.2022, URL: https://vim eo.com/735813439 [01.03.2023]. Cichosch 2022.

3. Ukrainische Kunst

Khomenko und Kadan haben 2022 in der Westukraine in Iwano-Frankiewsk unterstützend in einer Artist-Residency gearbeitet.6 Die Kuratorin Alona Karavai besitzt dort das Residenzhaus Khata-Maysternya und die Galerie Asortymentna Kimnata, sie kümmerte sich seit Februar 2022 auch um Evakuierungen und Restaurierungen von Kunstwerken.7

SOSKA SOSka ist ein weiteres Künstler:innenkollektiv, das 2005 von Mykola Ridniy, Serhiy Popov (* 1978), Zhanna Kriventsova (*1985) in Kharkiv gegründet wurde. Die SOSka Group hat eine große Anzahl von Projekten in Kharkiv kuratiert und organisiert, wie z.B. »SOSka Gallery-Lab« (2005–2012), die internationale Ausstellung »The New History« im Staatlichen Kunstmuseum Kharkiv (2009) und die gemeinsam mit anderen Künstler:innen organisierte Ausstellung »Days of apartment« (2011–2013). Das »SOSka Gallery-Lab« wurde nach der erfolgreichen Besetzung eines einstöckigen Hauses in Kharkiv als von Künstler:innen betriebener Raum gegründet. Die Galerie funktionierte als DIYPlattform, indem sie die Idee eines Ausstellungsraums, eines experimentellen Labors und eines Kommunikationszentrums kombinierte. Wie von den Gründer:innen angegeben, bestand die zentrale Aufgabe der Galerie darin, lokale junge Talente in der Kunstszene zu fördern, denen es an institutioneller Unterstützung mangelte. Im Laufe seines Bestehens wurde das Galerie-Labor zu einem Hotspot für künstlerische Aktivitäten, es gab ein regelmäßiges Veranstaltungsprogramm mit Ausstellungen, Screenings, Vorträgen und Musikkonzerten. Eine wichtige Inspirationsquelle für die Mitglieder der Gruppe war der in Berlin lebende Fotograf Boris Mikhailov.8 Ridnyj war ein Mitbegründer der Gruppe und hat sich in seinen Videoarbeiten mit Montage und Collage beschäftigt. Seine non-linearen Erzählweisen zwischen Realität und Fiktion haben ein großes Potential, die Zerbrechlichkeit einzelner Geschichten vor dem Hintergrund kollektiver Narrative zu 6 7

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von Horn, Maja: »Lesia Khomenko«, in: Zurnal vom 22.06.2022, URL: https://chylak.co m/us/en/zurnal/lesia-khomenko [01.03.2023]. Vgl. dazu Hindahl, Philipp: »Ukrainische Kunst muss zeitgenössisch bleiben und Kontakt mit ihrer Vergangenheit halten«, in: monopol vom 25.02.2023, URL: https://www. monopol-magazin.de/cafe-kyiv-alona-karavai [01.03.2023]. Vlg. Kharkiv School of Photography: SOSka Group, URL: https://ksp.ui.org.ua/artists/so ska-lab/ [01.03.2023].

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sehen. Ähnlich wie Kadan und andere Künstler:innen der Generation beschäftigte er sich seit 2014 mit dem Krieg und mit Monumenten der Sowjetepoche. Schon vor dem Inkrafttreten des Dekommunisierungsgesetzes in der Ukraine im Jahr 2015, das wesentlich durch das Ukrainische Institut für Nationale Erinnerung vorangetrieben wurde, sind immer mehr sowjetische Monumente demontiert worden.9 Ridnyi beobachtete in seinem Dokumentarfilm Monument (2011–2013) die Demontage eines sowjetischen Denkmals in Kharkiv und hinterfragte dabei auch die Rolle sowie das Bild der Arbeitenden, die nun auch noch im kapitalistischem Verwertungssystem ihre eigenen Held:innenbilder dekonstruieren sollten. Die Idee des Sockels wird in den korrespondierenden Skulpturen unter dem Titel Plattform aufgegriffen. Auch in Kadans Praxis tauchen neben der Beschäftigung mit vorgefundenen Objekten der Alltagskultur Monumente in ihren verschiedenen Erscheinungsformen auf. In Anonymous, Tarred (2021) bezieht sich Kadan formal auf die Übungen von VChUTEMAS-Studierenden der 1920er Jahre, die unter der Leitung von Anton Lawinskij in Moskau stattfanden. Kadans Praxis des Teerens erinnert an eine Methode der Selbstjustiz, um Verbrecher:innen zu kennzeichnen und bloßzustellen. Der Künstler schüttete schwarzen Teer über das weiße Objekt, um zu verdeutlichen, dass die Ideale der sowjetischen Avantgarde und ihre Utopien genauso geschändet wurden wie gerade die Erinnerungspolitik und das Erbe der Ukraine. Gleichsam platziert er das Monument auf einem Marmorsockel, um die Bedeutung dieser ehemaligen Utopie angesichts einer impliziten dystopischen Zukunft als Erinnerung zu bewahren.10 Eine weitere beeindruckende Auseinandersetzung mit Denkmälern bietet die Videoarbeit Why There Are No Monuments to Monuments (2021) von Dana Kavelina, die zu einer Reihe von Künstler:innen gehört, die in einer besonderen Ausstellung in der Fridman Gallery in New York ausgestellt worden waren.

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Simon, Gerhard: »Good Bye, Lenin! Die Ukraine verbietet kommunistische Symbole«, in: Osteuropa 66/3 (2016), S. 79–94. Annotation des Werkes auf der Homepage von Nikita Kadan, URL: http://nikitakadan .com/the-chronicle/anonimous-tarredanonimnij-osmolenij/ [01.03.2023].

3. Ukrainische Kunst

Abb. 10: Nikita Kadan, Anonymous, Tarred (2021), Marmor, Holz, Plastik, Teer. Sammlung PinchukArtCentre Kyiv

Women at War In Kollaboration mit der wichtigsten ukrainischen Galerie für zeitgenössische Kunst, der Voloshyn Gallery in Kyiv, konnte die Fridman Gallery in New York unter der Leitung der Kuratorin Monika Fabijanska die Ausstellung »Women at War« (06.07-26.08.2022) realisieren. Diese Ausstellung vereinte starke feministische Positionen, von denen hier bereits die Rede war: Kadyrova zeigte Palianytsia, Belorusets zeigte Victory of the Defeated, Kakhidze Strawberry Andreevna

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und Ralko ihr Lviv Diary. Weitere Künstlerinnen dieser Ausstellung sollen an dieser Stelle vorgestellt werden:

Dana Kavelina (*1995) Dana Kavelina (*1995) gehört zu den jüngsten und gleichzeitig eindrucksvollsten ukrainischen Künstler:innen, die überwiegend mit Video und Animation arbeiten. In ihrer Praxis verlässt sie etablierte Narrative und sucht nach dem Unausgesprochenen, Verdrängten und Vergessenen. Ähnlich wie Belorusets’ Idee von den Besiegten, wird auch Kavelina von der Suche nach dem Verschwiegenen getrieben. Ihr junges Oeuvre durchzieht eine feministische Herangehensweise, die sich von der konstruierten Erzählung abwendet und nach neuer Erkenntnis sucht: Art can suggest other ways of recording. In the field of history it produces a [sic!] utopia and outlines alternative ways of construction. Any historical moment can be considered as »sacred« in the sense that it is able to unfold some truth of the era. In art, every moment of time can shine through.11 Kavelina betont, dass sie der Krieg in der Ukraine als Künstlerin aufmerksamer gemacht hat – sie spricht von ihrer politischen Position, welche durch die unerwartete Nähe eines Krieges geformt wurde.12 Sie konzentrierte sich in einem Langzeitprojekt auf die Stimmen von Frauen und betitelte es Mother Srebrenica Mother Donbas. Dabei untersuchte sie die Lebenswege von Frauen in verschiedenen Konfliktsituationen, wie dem Pogrom in Lviv (1941–42), die Deportationen von Tschetschenier:innen (1944), die Kriege in Bosnien (1990er) sowie im Donbas (seit 2014). Im Zentrum ihrer Untersuchungen steht die weibliche Perspektive auf Kriege und Gewalt, die Stimmen, die in den Wirren der Geschehnisse untergehen mussten. In reproducing the facts and creating a different fabric of historical narratives, I aim to free a victim from the dark seal of violence. She [victim] is usually perceived as devoid of subjectivity, she is understood as an object. I sug-

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Kavelina, Dana, in: Secondary Archive, URL: https://secondaryarchive.org/artists/danakavelina/ [15.02.2023]. Vgl. ebd.

3. Ukrainische Kunst

gest to think of a victim as a certain subjective agency who is not involved in the reproduction of violence yet absorbs it.13 In der Ausstellung der Fridman Gallery wurde der Experimentalfilm Letter to a turtledove (2020) ausgestellt, der auf Erfahrungen von Frauen während des Krieges im Donbas basiert. Als Quelle diente der Künstlerin der anonyme fünfstündige Dokumentarfilm To Watch the War (2018), der aus Found-Footage besteht. Kavelina machte sich das Material zu eigen und kombinierte es zu einem surrealistischen Gedicht gegen den Krieg und die Gewalt gegenüber Frauen. Sie vermischte Archivaufnahmen aus den 1930er Jahren, als die DonbasRegion zum wichtigen Zentrum stalinistischer Industrialisierung und hitziger Klassenkämpfe wurde, mit Animationen ihres eigenen Gesichtes, Inszenierungen des vorgefundenen Materials und Gedichtrezitationen. Der Monolog wurde von Kavelina selbst verfasst und beinhaltet Erzählungen von Traumata, Schrecken, Halluzinationen und Träumen, die seit 2014 die Region bestimmen. Viele Elemente im Film stammen aus Archiven und beziehen sich nicht ausschließlich auf die Zeit nach 2014. Kavelina betont, wie konfliktreich und dicht die Geschichte der Region Donbas ist, sodass es umso wichtiger wurde, in dieser surrealen Arbeit die Vergangenheit mit der Gegenwart und das Intime mit dem Politischen zu verbinden. Because now, as always, there is a struggle over interpretations of the past. Sometimes this is referred to as »rewriting history«—for example, rewriting the history of the Lviv pogrom, or rewriting the history of collaboration with the Nazis. But I think that history is always being rewritten—always reconfiguring whose particular optics is relevant, whose narrative is dominant. The prevailing nationalist historical narrative seems to be very dangerous, so I think that the aim of my work as an artist is to produce other points of view, to offer an alternative interpretation, or to at least create a space for the appearance of something else—by revealing the most uncomfortable blind spots, or by exposing wounds. I think we should let the dead witness for themselves.14 Als weiteres Ausstellungsstück wurden in der Fridman Gallery Kavelinas Zeichnungen aus der Serie Communications. Exit to the Blind Spot gezeigt (2019),

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Ebd. »Dana Kavelina in Conversation with Oleksiy Kuchanskyi«, in: e-flux Film Juli 2020, URL: https://www.e-flux.com/video/339843/letter-to-a-turtledove/ [15.02.2023].

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die ihren Forschungsprozess begleiteten. Die Künstlerin nimmt nicht einzelne Geschichten heraus, sondern kombiniert sie zu einer gemeinsamen Erzählung von Gewalt gegenüber Frauen während Kriegen und bewaffneter Konflikte. Kavelina beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, nicht nur Gewalt zu erfahren, sondern sie durch den eigenen Körper gehen zu lassen und schließlich als Kind eines Gewalttäters materialisiert zu erleben.15 Die Zeichnungen wurden erstmals im Kmytiv Museum (bis 1991 hieß es Museum für sowjetische Kunst) 2019 ausgestellt. Zu dieser Zeit waren Kadan und Yevhenia Molyar Kurator:innen des neuen Programms und der Ausstellung »War in Museum«.16 Kavelinas Zeichnungen wurden im Kontrast zu den heroischen Darstellungen des Sieges im Zweiten Weltkrieg im Stil des sowjetischen Realismus gezeigt. Im begleitenden Text dazu schrieb Kavelina: »Every war is a war against women. […] Any ›Winner’s Story‹ is glued together by woman’s bloody lingerie.«17 Dieser Gedanke begleitet Kavelinas Arbeit weiterhin, so in der Videoarbeit Why are there no Monuments to Monuments (2021), deren Thema Denkmäler und ihre Bedeutung in der Ukraine sind. Denkmäler beschäftigten viele zeitgenössische Künstler:innen seit den Gesetzen der Dekommunisierung in der Ukraine, z.B. Kadan, Ridnyj, Kadyrova u.v.m. Kavelinas Idee ist, dass sich im Schatten der riesigen Statuen für die Sieger:innen Millionen von Opfern befinden.18 Diese will Kavelina zum Sprechen bringen, denn nur durch das Aussprechen können die Wunden der Vergangenheit allmählich behandelt werden. Die Künstlerin zerstört Heroisierungen und bietet eine neue Dichotomie bei der Betrachtung von Geschichte an (»Herstory« statt »History«), die der Vergewaltigenden und die der Opfer, denn im Grunde scheint jede Auseinandersetzung damit anzufangen, so Kavelina. Sie möchte alle Stimmen einfangen und sie zusammenbringen, neue Monumente errichten und die Opfer aus dem Schatten der alten hervorholen. Ihre Nähe zum utopischen Denken lässt sie das als mögliche Zukunft sehen. Diese Hoffnung vereint die feministischen Theoretiker:innen, die über Möglichkei-

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Vgl. ebd. Vortrag KMYTIV PHENOMENON. THE WAR IN MUSEUM von Nikita Kadan, in: Berlin Art Institute vom 27.09.2019, URL: https://berlinartinstitute.com/de/vortrag-kmytiv-p henomenon-the-war-in-museum-von-nikita-kadan/ [16.02.2023]. Dana Kavelina, zit.n.: Fabijanska 2022. »Conversation with the Artists (Virtual): Olia Fedorova and Dana Kavelina«, Fridman Gallery am 13.07.2022, URL: https://vimeo.com/732219681 [16.02.2023].

3. Ukrainische Kunst

ten nachdenken, wie Kriege in der Zukunft vermieden werden können. Eine wichtige Vordenkerin war bell hooks.19

Olia Fedorova (*1994) Während Kavelina den Opfern Agency geben möchte, hat Olia Fedorova seit Beginn der großflächigen Invasion Russlands 2022 in ihrer Heimatstadt Kharkiv daran gearbeitet, kein Opfer zu sein. Die Konzeptkünstlerin hat im Bunker, der im Keller ihres Wohnhauses eingerichtet wurde, ihre Tablets of Rage (2022) angefertigt. Auf sich selbst und die eigene Wut gegenüber Russland zurückgeworfen, ohne Auswahl an Arbeitsmaterialien, hat sie begonnen, ihre Gefühle in Form von Gedichten, Gebeten und Flüchen auf Stoffe zu übertragen. Das erste Stück dieser Serie hat sie am 24. März 2022 erstellt – einen Monat, nachdem Russland die großflächige Invasion der Ukraine begonnen hatte. Fedorova schreibt auf ihrer Homepage über die Wut, die sie gegenüber Russland empfindet – angesichts der Vergewaltigungen, Zerstörungen und Tötungen, die in ihrer Heimat stattfinden. In ihren Tablets of Rage konzentrierte die in Kharkiv gebliebene Künstlerin ihre Gefühle.20 Den ersten Monat verbrachte sie mit dem Aufbau des Bunkers und der Unterstützung von Soldat:innen, währenddessen kam sie, wie viele ihrer Kolleg:innen, in eine Sinnkrise. Sie fragte sich, was sie als Konzeptkünstlerin überhaupt als Unterstützung anbieten kann. Andere Menschen um sie herum konnten Waffen zusammenbauen und benutzen, anderen medizinisch helfen. Sie wusste nicht, was ihr Beitrag sein könnte.21 Sie fing mit dem Schreiben als einer Art Selbsttherapie an, aus der Notwendigkeit heraus, ihre Gefühle zu verarbeiten. Zunehmend bemerkte sie dabei unter den Bewohner:innen des Bunkers das Bedürfnis, die von ihr geschriebenen Gebete und Flüche mitzusprechen. Sie funktionierten 19

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»In keeping with sexist thinking, women are described as objects rather than subjects. We are depicted not as laborers and activists who, like men, make political choices, but as passive observers who have taken no responsibility for actively maintaining and perpetuating the current value system of our society which privileges violence and domination as the most effective tool of coercive control in human interaction, a society whose value systems advocate and promote war.«, hooks, bell: »Feminism and militarism: A comment«, in: Women’s Studies Quarterly 23/3,4 (1995), S. 58–64, hier S. 60. Fedorova, Olia: Tablets of Rage 2022, URL: https://www.oliafedorova.com/works/tablet s-of-rage [05.03.2023]. Fedorova/Kavelina 2022.

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wie Meditationen und entwickelten sich zu einer neuen Art von Kommunikation mit ihrem Publikum. Der Ausdruck von Ärger und Wut als eine produktive Emotion wurde für die Bewohner:innen des Bunkers in einer unter permanenten Bombenangriffen leidenden Stadt zur wichtigen Praxis. Die Menschen fühlten sich von Fedorovas Arbeiten angesprochen, weil sie leicht zu verstehen waren und sie ihre extremen Gefühle in Worte fassen konnte. Fedorova schrieb vornehmlich mit Filzstift auf weißer Bettwäsche, T-Shirts oder anderen Stoffen, die sie finden konnte. Aus größerer Entfernung ähneln ihre Tablets of Rage Stickarbeiten und erinnern somit an eine hauptsächlich Frauen zugeschriebene Arbeitsform, die bereits früh von feministischen Künstler:innen als Ausdruck von Wut und Protest umfunktioniert wurde. Stoff- und Strickarbeit wurde in diesem Zusammenhang nicht nur als Form eines kreativen Ausdrucks betrachtet, sondern auch als wichtige Heil- und Meditationspraxis.22 Kharkiv wurde vom 24. Februar bis zum 13. Mai 2022 täglich beschossen. Das erste Gedicht hat Fedorova am 24. März geschrieben, das letzte am 11. Mai. Das in der New Yorker Ausstellung »Women at War« präsentierte Gedicht entstand am 29. März: May you choke on my soil. May you poison yourself with my air. May you drown in my waters. May you burn in my sunlight. May you stay restless all day and all night long. And may you be afraid every second.23 Ihre »Wuttafeln« sind alle auf Ukrainisch geschrieben und lesen sich häufig wie archaische Flüche. Die vorerst letzte »Tafel« beschrieb sie am 11. Mai 2022, bevor sie aus der Ukraine nach Graz geflüchtet ist. Sie hat einen anderen Charakter, denn hier wendet sich Fedorova direkt an Gott: My Lord Please give me strength to always remember who I am, And to resist those who want to force me to become who I am not. Don’t let me ever forget my roots, But also don’t let the past engulf me.

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Vgl. dazu: Fabijanska 2022. Ebd.

3. Ukrainische Kunst

Give me enough rage to keep fighting, And may pain and anger not poison my soul anymore. Come to me and do not leave me when I am vulnerable. Give me the merciful dreams and save me from horrible nightmares. Amen.24

Abb. 11: Olia Fedorova, Tablets of Rage (2022), Handschrift auf Textilien

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Fedorova, Tablets of Rage 2022.

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Fedorova hat auf ihrer Homepage ein Video veröffentlicht, in dem sie zusammen mit ihrem damaligen Partner eine Führung durch den Bunker machte und ihre Nachbar:innen interviewte. Zudem veröffentlichte Fedorova ihre Briefe aus Kharkiv und Graz, die sie mit Unterstützung von Anton Lederer, dem Kurator des Kunstvereins Rotor in Graz, in der Kleinen Zeitung publizieren konnte. Auf ihrer Homepage befinden sich dreizehn Briefe aus Kharkiv und drei aus Graz, in denen sie ihre eigene Situation und emotionale Verfassung beschreibt, genauso wie die Umgebung und die Menschen um sie herum. Der letzte Brief aus Graz ist mit »Women at war« betitelt, darin widmet sich die Künstlerin Überlegungen zur Rolle von Frauen im Verteidigungskrieg der Ukraine gegen Russland.25 Sie spricht darin vom Empowerment der ukrainischen Frauen, die nicht mehr Opfer des Krieges sein wollen und in den aktiven Militärdienst gehen. Für sie ist der Krieg gegen Russland gleichbedeutend mit einem Krieg gegen toxische Maskulinität und imperiales Patriarchat.26 Ein weiteres Projekt war die Korrespondenz mit dem japanischen Dichter Ryoichi Wago (*1968), die ebenfalls nach dem 24. Februar 2022 durch die Vermittlung der japanischen Kuratorin Yoko Negami begann. Wago kommt aus der Präfektur Fukushima und war Zeuge der Atomkatastrophe 2011, die ihn dazu veranlasste, sein Projekt Twitter poetry zu beginnen, in dem er seine Erfahrungen verarbeitete. In einem der Briefe an Wago spricht Fedorova von der Wut, die sich durch ihre Praxis ziehe, auch wenn sie sich bereits in Graz und somit in Sicherheit befinde. I am reading your words quoting what Mr Hasegawa had said – »I’m tired of being angry, but I still have to stay angry. I will continue to be angry in my own way.« This is exactly what I feel after evacuating from Ukraine, being under the sky from where I don’t need to expect any danger. Anger is like a fuel, it fills you and makes all your mechanisms work with great productivity and effectiveness. But this kind of fuel is not for very long trips, it is rather for sprints than for marathons. And I decided to leave Ukraine just when I felt that my inner resources had started exhausting, that my fuel came to an end, while my engine began to overheat. A personal tragedy that I’ve experienced – a painful break up with a person who has been my partner for more than 10 years – completely knocked the ground out from under my feet.

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Fedorova, Olia: »Letters from Kharkiv«, URL: https://www.oliafedorova.com/letters-fr om-kharkiv [27.02.2023]. Vgl. ebd.

3. Ukrainische Kunst

I couldn’t stay in Ukraine with the overheated engine and empty fuel tank (which is quite a funny metaphor, because at the time we were leaving there was a terrible shortage of fuel in Ukraine and we had to queue for hours to get our car filled). Anger was a matter of survival in Ukraine – not just mentally, but physically as well, and without the sufficient amount of it I’d risk my own life and the life of my closest people.27 In Österreich widmete Fedorova sich einem weiteren Projekt, das sich mit Wut auseinandersetzte. In Anger Exercises (2022) hat die Künstlerin fortgesetzt, was sie in den Bunkerarbeiten angefangen hatte. In dieser neuen Serie sind es keine Gedichte, Gebete oder Beschwörungen mehr, sondern Statements. Das Thema des Schweigens und Verschweigens wird hier genauso wichtig wie in den Arbeiten von Kavelina. Es geht um die Unterdrückung der Emotionen, insbesondere von Wut, die als unhöflich und unangebracht betrachtet wurde, besonders bei Frauen. Diese Welt existiert für sie nicht mehr, sie hat es gelernt, ihre Wut, den Ärger und den Hass produktiv zu machen, um kämpfen zu können. Viele dieser Wutübungen hat Fedorova in englischer Sprache produziert. Auf den Papierbögen steht: »My Rage is My Armour«, »My Love is My Sword«, »My Rage is my Sword«, »My Love is My Armour«. Es geht also auch um Liebe und hier ist für Fedorova deutlich geworden, dass Liebe nur möglich ist, wenn Wut verarbeitet wird. Dann kann mensch sich aus den Zwängen befreien. Durch diese Übungen hat die Künstlerin sich selbst und vielen, die sie umgeben, Kraft gegeben und sie sagt selbst, dass sie sich noch nie so mächtig gefühlt habe wie damals.28 Diese Entwicklung zeichnete sich in Fedorovas Praxis ab, die älteste Arbeit in ihrer Präsentation auf der Homepage ist Defense (2017), die ebenso das Thema Krieg behandelt, aber einen anderen Charakter hat. Es sind Papierskulpturen in der Landschaft, die nur noch als Fotoserie von einem ukrainischen Winter-Land Art Festival »Mythogenesis« in Nemyriv in einer skythischen Festung existieren. Das Thema ist die Omnipräsenz von Panzersperren in der Ukraine und ein Nachdenken über die Fragilität der Gesellschaft sowie des Landes.29 Ihre Panzerabwehrigel hat Fedorova aus Papier 27 28 29

Fedorova, Olia: »Correspodence with Ryoichi Wago«, URL: https://www.oliafedorova.c om/correspondence-with-ryoichi-wago [27.02.2023]. Fedorova, Olia: Anger Exercises, URL: https://www.oliafedorova.com/works/anger-exer cises [27.02.2023]. Fabijanska, Monika, »Olia Fedorova and Dana Kavelina«, in: BOMB magazine am 15.09.2022, URL: https://bombmagazine.org/articles/olia-fedorova-and-dana-kavelin a/ [05.03.2023].

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errichtet und betont, dass hier sowohl die Hoffnung als auch die Sinnlosigkeit des Krieges deutlich würden. Die übliche Kette von Panzerabwehrigeln ist als praktischste Methode gegen schwere militärische Ausrüstung auch im symbolischen Sinn ein Wunsch, das Eindringen des Krieges ins Leben zu verhindern. Fedorova schreibt dazu: The war is not limited to the zones of military operations, and even being from it in hundreds, thousands of kilometers, we feel its painful closeness, the pressure of the air poisoned by it. War penetrates into everyday conversations, into thoughts and dreams, into relationships and work, into the soul, gradually becomes their integral part. We try to protect our microcosm from the war virus, but all our attempts to defend ourselves against it are just as naive and ephemeral as anti-tank hedgehogs made of paper under the caterpillars of armored vehicles.30 Fedorova sieht den Krieg wie ein Virus, das zu ignorieren naiv und hilflos ist – ähnlich, wie sich mit Papier vor Panzern schützen zu wollen. Die Hilflosigkeit des Jahres 2017 hat Fedorova mit dem Ausbruch der großflächigen Invasion 2022 überwunden und durch die Katastrophe ihre Stimme gefunden. Viele Künstler:innen haben seit dem 24. Februar 2022 diese Erfahrung gemacht, leider wurden viele von ihnen erst ab diesem Datum international wahrgenommen. Das betrifft aber nicht nur die Kunst- und Kulturschaffenden der Ukraine, die plötzlich ins Rampenlicht der internationalen Berichterstattung rückten, sondern das ganze Land. Es schien schlagartig ein Riesenprojektor auf das Land – Monika Fabijanska, die Kuratorin von Women at War, betont selbst immer wieder, dass sie keine Ahnung von der Ukraine und der ukrainischen Kunst gehabt hätte, bevor sie das Projekt mit der Voloshin Galerie aus Kyiv startete. Fabijanska machte in enger Zusammenarbeit mit der Kyiver Galerie eine bedeutende Ausstellung unter Beteiligung von zwölf Künstler:innen31 – es war ein wichtiges Projekt, um die feministische Sicht auf das Kriegsgeschehen seit 2014 zu betonen. In ihrem Essay zur Ausstellung versucht sie, die ukrainische Situation in einigen Absätzen in Worte zu fassen.

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Fedorova, Olia: Defense 2017, URL: https://www.oliafedorova.com/works/defense [27.02.2023]. Ausgestellte Künstler:innen: Yevgenia Belorusets, Oksana Chepelyk, Olia Fedorova, Alena Grom, Zhanna Kadyrova, Alevtina Kakhidze, Dana Kavelina, Lesia Khomenko, Vlada Ralko, Anna Scherbyna, Kateryna Yermolaeva und Alla Horska (1929–1970).

3. Ukrainische Kunst

Aber kann man die Geschichte eines Landes, eines Raums, einer um Unabhängigkeit kämpfenden Gesellschaft in ein paar Zeilen pressen? Die Schlagworte sind mittlerweile bekannt: Wunden des 20. Jahrhunderts, Holodomor der 1930er Jahre, zwei Weltkriege und der Holocaust, Orientierung nach Westen und Bedrohung aus Russland, Unbehagen gegenüber Belarus im Norden. Die ukrainischen Künstler:innen haben über Jahrzehnte versucht, das auszudrücken. Die Sowjetunion ist historisch betrachtet nicht so weit von uns entfernt, wie es scheinen mag. Wie Rhizome durchziehen ihr Erbe, ihre Gewalt und ihre Erinnerung die unterschiedlichen Böden ihrer Wirkungsfelder. Die Künstler:innengruppen, deren Mitglieder heute international sichtbar werden, formten sich nach der Orangenen Revolution 2004. R.E.P, Hundrada, SOSka u.a. haben im Zuge gesellschaftlicher Bewegung neue künstlerische Praktiken adaptiert und sich mit Themen der eigenen Identität, Geschichte und ihrer Narrative auseinandergesetzt. Heute gehören diese Künstler:innen zu den wichtigsten im Land. Dabei könnte die Übersicht über die ukrainische Kunst noch viel weiter in der Vergangenheit angesetzt werden, aber da hier der Krieg mit Russland im Fokus steht, ist der Beginn 2004 legitim. Die Orangene Revolution aktivierte nämlich erneut die traditionelle russische »Einkreisungsphobie«, die sich schließlich in der Annexion der Krim und ersten militärischen Handlungen in der Donbas-Region äußerte.

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4. Bilder des Krieges

Die Diskussion um Kriegsbilder spaltet sich üblicherweise in zwei Stränge: Hinsehen und Wegsehen. Bei vielen jungen Menschen, die in Europa geboren wurden, basieren die Vorstellungen vom Krieg nicht auf eigenem Erleben, sondern auf Bildern. Diese substituieren gewissermaßen die nicht vorhandendene Erfahrung. Bei der Rezeption von Bildern gilt es, aus bildwissenschaftlicher Perspektive eine wichtige Unterscheidung zu machen. Es geht dabei um die fundamentale Differenz zwischen picture (Abbild) und image (mentales Bild). Zudem argumentieren Vertreter:innen der Bildwissenschaften, dass Bilder nie nur abbilden, sondern das erzeugen, was sie zeigen. Horst Bredekamp verweist mit dem »Eigensinn der Bilder« auf ihren prägenden Charakter.1 Ihre Bedeutung als Waffen haben Bilder spätestens im 20. Jahrhundert mit der Entwicklung der bildgebenden Verfahren bekommen. Der Historiker Gerhard Paul hat systematisch die Wirkungsmacht von Kriegsbildern untersucht. Er stellte dabei mehrere Thesen auf, die er anhand der medial vermittelten Kriege seit Mitte des 19. Jahrhunderts erarbeitete. Auf bisherige Kriege haben sich diese Thesen problemlos anwenden lassen, die Bilderströme aus der Ukraine erschüttern sie jedoch grundlegend. Auch die bisherigen Standards der Kriegsberichterstattung wurden seit dem 24. Februar 2022 verändert.

Krieg ist nicht darstellbar Unser medial vermitteltes Bild des Krieges ist eine Mischung aus Abstraktionen, Projektionen, Fiktionen sowie bewussten Inszenierungen und Manipulationen, hinter denen das Realgesicht des Krieges verschwindet.2 1 2

Vgl. dazu: Bredekamp, Horst: Theorie des Bildakts, Berlin: Suhrkamp 2010. Paul, Gerhard: »Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Kommunikation des Krieges«, Vortrag für die Konrad Adenauer Stiftung, 03/2009, URL: https://www.kas.de/c/docu

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

Eine These von Gerhard Paul besagt, dass der Krieg nicht darstellbar ist. Kriegsbilder sind Manipulationen, die immer parteiisch sind. Der Fortschritt der bildgebenden Verfahren wie Fotografie, Film und Fernsehen hat die Kriegsberichterstattung professionalisiert. Die Geschichte der Kriegsfotografie hält viele Beispiele für nachträgliche, aber auch für vorausgehende Eingriffe in das fotografische Bild bereit, hervorgerufen nicht zuletzt durch die technischen Bedingungen des Mediums. Eine wichtige Rolle kommt hier dem britischen Fotografen Roger Fenton (1819–1869) zu, der als einer der Ersten den Auftrag bekommen hatte, den Krimkrieg 1855 zu dokumentieren. Seine Apparatur war für Kampfaufnahmen unbrauchbar, weil sie eine zu lange Belichtungszeit hatte und auch in ihren Ausmaßen nicht handlich war. Zudem durfte er keine toten Körper fotografieren. Seine Aufnahmen reduzierten sich auf Gruppenporträts ruhender Offiziere u.ä., was diesem Krieg die Bezeichnung »Picknick-war« bescherte.3 Seit ihrer Entstehung haftet den visuellen Medien der Mythos an, das reale Geschehen abzubilden, wodurch sie somit immer auch für Propagandazwecke einsetzbar waren. Gerhard Paul betont, dass alle diese Zeugnisse nie frei und voraussetzungslos waren, sondern durch technische Konventionen der Genres und der Bildsprachen, durch Plots und Programmstrukturen sowie schließlich durch politische Vorgaben vorgeprägt und in technische, redaktionelle, kulturelle und politische Rahmen eingebettet waren.4

Ästhetiken der Kriege Die besondere Ästhetik eines jeden Krieges wurde durch die zur Verfügung stehende Technik geprägt: Im Krimkrieg wurde die Bildtradition des ruhenden Kämpfers fotografisch begründet.5 Die Kameras wurden kleiner und so konnten im Ersten und im Zweiten Weltkrieg große Fotoreportagen entstehen. Das Gefühl des »Dabeiseins« sollte schon im Ersten Weltkrieg mithilfe

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ment_library/get_file?uuid=dc0a4c9e-c8f2-e873-1da3-c30bf730a030&groupId=2520 38 [06.03.2023]. Daniel, Ute: »Der Krimkrieg 1853–1856 und die Entstehungskontexte medialer Kriegsberichterstattung«, in: Ute Daniel (hg.), Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, S. 40–67. Vgl. Paul 2009. Ich beziehe mich hier explizit nicht auf Beispiele aus der älteren Kunstgeschichte und die reiche Tradition der Kriegsmalerei, da es primär um das technische Bild gehen soll.

4. Bilder des Krieges

der Fotografie vermittelt werden – so begründete das US-amerikanische Magazin Life mitunter seinen Erfolg. Seit dem Vietnamkrieg kann mensch von sogenannten »Echtzeitkriegen« sprechen, die teilweise im Fernsehen übertragen wurden. Im Zweiten Golfkrieg (1990– 1991) wurde die Perspektive von Kampfpiloten (Gun-Kameras, Satelliten) abgebildet und damit eine grobkörnige, abstrakte Ästhetik eingeführt. Der Mensch als Sujet verschwand zunehmend aus dieser Berichterstattung, vielmehr wurde der Krieg als technisch-taktische Meisterleistung gezeigt, bei der sich insbesondere die USA als Wegbereiter einer modernen Kriegsästhetik hervortaten.6 Weiter markierte die Figur des »embedded reporter«, als Teil der amerikanischen Truppen im Irak-Krieg 2003, den Übergang von »klassischer« Berichterstattung hin zu ihrer Personalisierung. Die verpixelten Bilder markierten durch ihre Unschärfe einen neuen Grad von Authentizität. »Ihre Aura der Authentizität entsteht gerade dadurch«, schreibt Hito Steyerl, »dass nichts auf ihnen zu erkennen ist.«7 Den größten Sprung in dieser Geschichte brachten das Smartphone und daran anknüpfend die sozialen Medien. Kerstin Schankweiler bilanziert in ihrem Buch über Bildproteste, dass die Ägyptische Revolution 2011 auch als Facebook-Revolution und der Syrienkrieg als erster YouTube-Krieg bezeichnet werden.8 Gerhard Paul bezeichnet den Ukrainekrieg in demselben Gestus wahlweise als »Handykrieg« oder »TikTok-Krieg« und Charlotte Klonk sieht die omnipräsenten Bilder aus der Ukraine in der Funktion von »Mitmachfotos«.9 So entwickelte sich im Laufe von einem Jahrhundert die Idee des Dabeiseins hin zum Mitmachen. Mit dem Turn zum Smartphone und den sozialen Medien verlor die professionelle Kriegsberichterstattung ihr Monopol der Bilder. Wir sind im Zeitalter des »Citizen Camera-Witnessing«10 angekommen, das vielen die Möglichkeit bietet, jederzeit und überall die 6

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Vgl. dazu: Wolfram Eilenberger im Gespräch mit Charlotte Klonk und Wolfgang Ullrich: »Bilderkrieg und Bilderkrise« in: Deutschlandfunk Kultur vom 06.03.2022, URL: ht tps://www.deutschlandfunkkultur.de/bilderkrieg-ukraine-100.html [09.03.2023]. Steyerl, Hito: Die Farbe der Wahrheit. Dokumentarismen im Kunstfeld, Wien/Berlin: Turia + Kant 2008, S. 7. Vgl. Schankweiler, Kerstin: Bild-Proteste, Berlin: Klaus Wagenbach 2019, S. 12. Lörchner, Jasmin: Jasmin Lörchner im Interview mit Gerhard Paul: »Das ist der erste Handykrieg«, in: Der Spiegel Geschichte vom 20.04.2022, URL: https://www.spiegel.de/ geschichte/gerhard-paul-zum-ukraine-krieg-das-ist-der-erste-handykrieg-a-641b1e7 5-2b15-4cff-8915-b9ee22e62d3e [06.03.2023]. Kari Andén-Papadopoulos, zit.n.: Schankweiler 2019, S. 13.

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

Kamera zu bedienen und Zeugenschaft abzulegen. Damit änderte sich auch die traditionelle Ikonografie des Krieges, die zuvor redaktionell geprägt war. Die Flut der Bilder aus dem Ukrainekrieg lässt sich kaum noch in die einzelnen Bildtraditionen unterteilen, sie alle werden gleichzeitig und in enormen Mengen produziert, von Profis und Amateur:innen. Das ermöglicht heute eine nie zuvor dagewesene Multiperspektivität auf den Krieg. Er wird somit darstellbarer als von Paul behauptet. Mittlerweile können Bilder von Drohnen, Satelliten, sozialen Medien, Geolokalisierungen, Smartphones u.a. miteinander kombiniert werden und ein völlig neues, umfassendes Bild bieten. Voraussetzung dafür ist eine gewisse Routine im Umgang mit Bildformaten und ein professionelles Interesse daran, wie etwa bei Forensic Architecture, zu deren Praxis diese Art von Bilddateienanalyse gehört. Auf der 12. Berlin Biennale (2022) präsentierten sie mit der Arbeit Russian Strike on the Kyiv TV Tower (2022) im Hamburger Bahnhof die Möglichkeiten der Erforschung von Kriegsvorgängen anhand verschiedener bildgebender Verfahren.11

Bilder zu Waffen Der Topos des Krieges als nahezu hygienische Angelegenheit, wie von den USA mit den technikfokussierten Bildern des Zweiten Irakkrieges etabliert, wurde in den ersten Monaten der Invasion auch von Russland gepflegt, was sich auch in der russischen Amtssprache äußerte, die es 2022 verbot, das Wort »Krieg« zu benutzen und stattdessen die Beschreibung »Militärische Spezialoperation« verwendete. Gleichzeitig wurden dennoch schon seit 2014 drastische Bilder im Staatsfernsehen (Erster Kanal) verbreitet, die die russische Propaganda befeuern sollten.12 Die ukrainischen Medien reagierten darauf mit ihren Bildern und Narrativen. Im Krieg der global zirkulierenden, schnellen elektronischen Bilder findet der Bilderkrieg nach dem Schnittmuster Schuss/Gegenschuss statt. Die sauberen High-Tech-Bilder der Alliierten im Golf-Krieg von 1991 aus der Aufsicht oder der Totalen konterte das Regime in Bagdad zeitnah mit Nahaufnahmen 11 12

Forensic Architecture auf der 12 Berlin Biennale [2022], Homepage, URL: https://12.berl inbiennale.de/artists/forensic-architecture/ [08.03.2023]. Vgl. Adler, Sabine: »Der russische Kampf um die Informationshoheit«, in: Deutschlandfunk vom 17.07.2014, URL https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-konflikt-der-russ ische-kampf-um-die-100.html [07.03.2023]; Medwedew 2017, S. 292.

4. Bilder des Krieges

der bei den Angriffen ums Leben gekommenen Zivilisten. Die NATO-Bilder der Gun-Kameras vom Angriff auf die Brücke von Grdelica beantwortete Belgrad auf einer Internetseite unmittelbar mit Detailaufnahmen der getöteten Opfer. In dem Maße wie Bilder zu Waffen wurden, gerieten schließlich auch deren Produzenten – die Fotograf:innen und Kameraleute – selbst ins Visier. Auf diese Weise hat sich in den letzten Jahren eine visuelle Rüstungsspirale herausgebildet, in der immer grausamere Bilder die Funktion erfüllen, auf die Gewaltbilder der Gegenseite zu antworten. Irak-Krieg: Mit beeindruckenden Bildern vom Angriff auf Bagdad und Live-Inszenierungen ihrer »embeddeds« [embedded journalists] hofften die USA, zu Beginn des Krieges die zeitweise verloren gegangene Bilderhoheit zurück zu gewinnen und zugleich das Trauma des 11. September zu bewältigen. Es folgten die Bilder der gefangenen und gefallenen US-Soldaten, die mit den Aufnahmen der für das Publikum hergerichteten getöteten Söhnen Saddam Husseins beantwortet wurden. Mit den Bildern der verkohlten Leichen aus Falludscha und den Aufnahmen der folternden US-Soldaten von Abu Ghraib war die nächst höhere Ebene im Bilderkrieg erreicht, die von den Enthauptungs-Videos islamistischer Kommandos getoppt wurden. Der Endpunkt der Entwicklung: Leichenbilder getöteter irakischer Freischärler im Internet als Zugang zu Pornoseiten, auf die der irakische Widerstand wiederum mit Leichenteilen getöteter US-Soldaten reagierte. Jedes Bild provozierte ein Gegenbild mit immer brutaleren Szenen.13 In den »neuen Kriegen« ergänzt der mediale Krieg der Bilder (Informationskrieg) den materiellen Krieg der Waffen. Medien kompensieren im asymmetrischen Krieg militärische Unterlegenheit und nicht nur im digitalen Zeitalter kommunizieren die Konfliktparteien über Gewaltbilder. Die Folge ist eine visuelle Rüstungsspirale, deren Ende nicht in Sicht ist.14 Der Informationskrieg zwischen der Ukraine und Russland war seit 2014 und spätestens seit dem Aufmarsch 2021 in vollem Gange. Bis heute wird die Ukraine auf diesem Feld als die eindeutige Gewinnerin beschrieben.15

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Vgl. Paul 2009. Vgl. ebd. Schiffer, Christian: »Wie die Ukraine den Informationskrieg im Netz gewann«, in: BR24 vom 24.02.2023, URL: https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/wie-die-ukraine-den -informationskrieg-im-netz-gewann,TWlg9nK [07.03.2023], MDR Osteuroparedaktion: »Russland hat den Informations-Krieg um die Ukraine im Westen schon verloren«,

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Der Schmerz und Tod von anderen Angesichts der expliziten Videos und Fotoaufnahmen von Terroranschlägen seit 2001 ist seit Jahren die Frage, wie viel Gräueltaten dem Massenpublikum zugemutet werden können, bis es abstumpft, strittig. Eine weitere Frage betraf die Menschenwürde der dargestellten Personen sowie ihrer Angehörigen. Sowohl Susan Sontag als auch Jean Baudrillard thematisierten diese Entwicklungen ausführlich. In War Porn (2006) nimmt Baudrillard explizit auf die Bilder aus Abu Graib und der Terroranschläge auf das World Trade Center Bezug. The worst is that it all becomes a parody of violence, a parody of the war itself, pornography becoming the ultimate form of the abjection of war which is unable to be simply war, to be simply about killing, and instead turns itself into a grotesque infantile reality-show, in a desperate simulacrum of power.16 Das Simulakrum der Macht, von dem Baudrillard hier spricht, ist ein Kippmoment an ihrem extremen Punkt. Die Macht ist außer Kontrolle, ohne einen plausiblen Feind und muss sich im Krieg ergießen. Dies ist eine Beschreibung, die meines Erachtens auch auf den gesamten Krieg Russlands gegen die Ukraine seit 2014 anwendbar ist. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Susan Sontags Überlegungen in ihrer Essaysammlung Über Fotografie (1978). Darin verurteilt sie Kriegsfotografie als voyeuristisch und passiv, bezichtigte sie sogar der Komplizenschaft und beklagt die Gewaltbilder, die passiv im heimischen Wohnzimmer zur Erschlaffung der Betrachtenden führten. Eine weitere These Sontags ist, dass Fotos einprägsamer seien als Fernsehbilder, da sie statisch seien.17 Sontags Text wurde sechs Jahre nach dem paradigmatischen Kriegsbild von Nick Út veröffentlicht. Das sogenannte Napalm-Mädchen (1972), das eigentlich Kim Phúc hieß, wurde zu einer Bildikone des Vietnamkrieges

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in: MDR vom 21.03.2022, URL: https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/polit ik/russland-verliert-informationskrieg-ukraine-interview-100.html [07.03.2023]. Baudrillard, Jean: »War Porn«, in: Journal of Visual Culture 5/1, 2006, S. 86–88, hier S. 86. Vgl. für Sontag dazu: Sontag, Susan: Das Leiden anderer betrachten, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2005 (orig. New York 2003); Sontag, Susan: »Das Foltern anderer betrachten«, in: dies., Zur gleichen Zeit. Aufsätze und Reden, Paolo Dilonardo u. Anne Jump (hg.), Frankfurt a.M.: S. Fischer 2010, S. 168–185. Sontag, Susan: »In Platons Höhle«, in: Über Fotografie, Frankfurt: S. Fischer 1980, S. 9–30, hier S. 19; S. 23f.

4. Bilder des Krieges

und zu einem »historischem Referenzbild«.18 Zu solchen Kriegsbildern, die zu Referenzen werden, gibt es eine Reihe von Beispielen: Robert Capas Fallender Soldat (1936) oder Eddie Adams Hinrichtung (1968). In den Bildikonen einzelner Kriege verdichten sich alle Merkmale, die dem jeweiligen Krieg zugeschrieben werden, auch in ihrer späteren Hinterfragung: Capas Foto war gestellt und das von Út stark beschnitten. Bei Út erlangte das Bild sogar noch eine tiefere Bedeutungsebene durch die Tatsache, dass der redaktionelle Eingriff das Bild dramatischer machte und die Personen, die am Schicksal der durch Napalm verbrannten Kinder keinen Anteil nahmen, einfach weggeschnitten wurden. Dass diese Bilder manipuliert und/oder gestellt waren, hat das Publikum enttäuscht und das Vertrauen in die fotografische Berichterstattung langfristig erschüttert.19 In der sowjetischen Geschichte ist ein berühmtes Beispiel das Hissen der sowjetischen Fahne auf dem Berliner Reichstag am 2. Mai 1945, aufgenommen vom ukrainischen Kriegsfotografen Evgenij Chaldej. Die Szene wurde zwei Tage später als datiert für den Fotografen nachgestellt; dann wurde das Bild auch noch retuschiert, da sich am linken Arm des Soldaten gleich zwei Armbanduhren befanden und sich der Rotarmist somit als Plünderer zu erkennen gegeben hätte. Chaldej hat nie ein Geheimnis um die fehlende Authentizität seiner Aufnahme gemacht.20 Eine Inszenierung historischer Ereignisse gehört seit Sowjetzeiten zum üblichen Repertoire russischer politischer Instrumente. Schon früh wurde in der Sowjetunion das Credo vermittelt, dass die Geschichte vor allem mit der Kamera geschrieben werden solle – das bezeugen u.a. Meilensteine des Kinos und der Fotografie von Dziga Vertov, Sergej Eizenstein, Aleksander Rodchenko u.a.21 Bis heute hält sich in Russland die Tendenz, uner-

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Vgl. Paul, Gerhard: »Die Geschichte hinter dem Foto. Authentizität, Ikonisierung und Überschreibung eines Bildes aus dem Vietnamkrieg«, in: Zeithistorische Forschungen 2 (2005), URL: https://zeithistorische-forschungen.de/2-2005/4632 [26.09.2022]. Vgl. Paul 2005; Pingee, Geoff: »What Spain Sees in Robert Capa’s Civil War Photo«, in: Time Magazine vom 25.07.2009, URL: http://content.time.com/time/world/article/0,85 99,1912110,00.html [29.10.2022]. Holzberger: »Den sowjetischen Sieg in der Linse der Kamera – der Fotojournalist Evgenij Chaldej«, in: Erinnerungskulturen, Erinnerung und Geschichtspolitik im östlichen und südöstlichen Europa, 04.06.2018, URL: https://erinnerung.hypotheses.org/1762 [27.09.2022]. Siehe dazu beispielsweise: Arns, Inke et.al.: Sturm auf den Winterpalast, Zürich/Berlin: Diaphanes 2017.

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wünschte Inhalte zu verstecken und lediglich propagandistisches Material für die Bevölkerung medial aufzubereiten.22

Authentizität im Digitalen Trotz der offensichtlichen Manipulation von Kriegsfotografien ist die grundsätzliche Erwartungshaltung, das Dargestellte sei authentisch, nie völlig vergangen. Vielmehr wurde eben jene Authentizität in den zurückliegenden Jahren durch Amateuraufnahmen von Handykameras übernommen. Mit den Smartphones wurde neben der Möglichkeit, situativ Bilder zu machen, auch das Recht etabliert, jene Bilder verbreiten zu können. Bei Bild-Protesten, über die Kerstin Schankweiler schreibt, ging es neben der Sichtbarmachung auch um die Deutungshoheit. Sie spricht von den verwackelten, unscharfen und uneindeutigen Bildern, deren Authentizität eng an die emotionale Wirkung geknüpft war. Damit entstanden »Affektgemeinschaften von Augenzeug:innen« im analogen und digitalen Raum.23 Parallel dazu entwickelten sich digitale Bilderschwärme und prägten eine neue Ästhetik der Zeugenschaft, die sich von professioneller Fotografie unterschied und sich dadurch als authentischer sowie näher am Geschehen positionierte. Im digitalen Zeitalter sieht man den Bildern in aller Regel ihren Inszenierungs- und Manipulationscharakter nicht mehr an. Selbst Körnungen und Unschärfe können über Filterfunktionen vorgenommen werden, um Bilder oder Videos authentischer erscheinen zu lassen. Durch soziale Medien als Bildquelle verlieren Bilder allerdings auch ihre Orientierungskraft. Denn um sich mit solchen Aufnahmen ein Bild der Lage machen zu können, müsse man erst einmal einschätzen, wer den jeweiligen Account betreibe und welche Interessen dahinter stünden, meint Wolfgang Ullrich und führt weiter aus, dass der alte Satz, »Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte«, für solche Bilder insofern nicht mehr gelte: »[M]an braucht die 1000 Worte unbedingt noch dazu, um vielleicht überhaupt ermessen zu können, was das Bild für eine Aussagekraft hat«.24 Ullrich fordert zum Misstrauen gegenüber Bildern auf und Gerhard

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Vgl. dazu bspw. Albert, Gleb et.al.: Im Krieg. Ukraine, Belarus, Russland, Leipzig: Spector 2022. Schankweiler 2019, S. 25. Eilenberger/Klonk/Ullrich 2022.

4. Bilder des Krieges

Paul ist mittlerweile der Meinung, dass wir drastische Bilder nicht brauchen, weil wir so der Propagandaverbreitung entgegenwirken könnten.25

Wahrnehmungskrise Im Februar 2022 kamen verschiedene Falschmeldungen aus der Ukraine, die entweder aus Computerspielen stammten, ältere Aufnahmen waren oder während anderer Kriege aufgenommen wurden. Diese Bilder und Nachrichten waren nicht sonderlich akkurat manipuliert und dienten der gezielten Provokation.26 . Problematisch dabei ist deren Verbreitung durch soziale Medien, die ihnen den Weg in etablierte Medien ebnen. So haben am 25. Februar 2022 Videos aus dem military tactic shooter Arma 3 bei Facebook für Aufsehen gesorgt und Meta dazu veranlasst, ein »Special Operations Center« gegen Kriegspropaganda und Fälschungen einzurichten.27 Die Verbreitung von Game-Content kann dabei auf eine kurze aber wirkungsvolle Geschichte zurückblicken: 2018 wurden Szenen aus Arma 3 im russischen TV für einen Beitrag über Syrien verwendet und 2021 von einem indischen Sender über die Taliban in Pakistan.28 Mittlerweile gibt es vermehrt Leitfäden zum Erkennen von Fake-News aus dem Ukrainekrieg.29 Simon Sahner spricht von einer Krise der Wahrnehmung nicht nur wegen der Menge der Bilder, sondern vor allem wegen ihrer fehlenden Verifizierung. In den letzten zwanzig Jahren haben 25 26

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Lörchner/Paul 2022. Becker, Lothar: »Informationskrieg 2.0. Ukraine: Die Wahrheit ist das erste Opfer«, in: ZDF vom 18.02.2022, URL: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-konflikt-i nformationskrieg-100.html [07.03.2023]. Anonym: »Vermeintliche Kriegsvideos aus der Ukraine sind eigentlich ein Videospiel«, in: Der Standard vom 25.02.2022, URL: https://www.derstandard.de/story/2000133 671349/vermeintliche-kriegsvideos-aus-der-ukraine-sind-eigentlich-ein-videospiel [07.03.2023]. Park, Enno: »Ukraine-Krieg: Videos aus der Game-Engine zeigen gefälschte Kriegsszenen«, in: heise vom 02.03.2023, URL: https://www.heise.de/hintergrund/Ukraine-Krieg -Videos-aus-der-Game-Engine-faelschen-Kriegsszenen-6531374.html [07.03.2023]. Böhm, Markus: »So unterscheiden Sie Krieg und Kriegsspiel«, in: Der Spiegel vom 30.11.2022, URL: https://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/fakes-zum-thema-ukrain e-das-ist-kein-krieg-sondern-nur-ein-spiel-a-b51c1ea9-db67-41a5-9449-49201affcd9 0 [07.03.2023]; Kalinowsky, Anna: »Ukraine-Krieg: Fake-News erkennen und bekämpfen – ein Leitfaden«, in: heise vom 02.03.2022, URL: https://www.heise.de/ratgeber/U kraine-Krieg-Fake-News-erkennen-und-bekaempfen-6529271.html [07.03.2023].

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sich die Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung und Verbreitung so rasant weiterentwickelt, dass sich unweigerlich eine kognitive Dissonanz einstelle. Und mehr noch – die Furcht der Menschen beim Betrachten der Bilder sei durchaus real. Diese Spannung lässt sich auf das zurückführen, was Jean Baudrillard bereits Ende der 1970er Jahre als Hyperrealität bezeichnete. Hyperrealität entsteht, wenn die Zeichen referenzlos werden, wenn also – vereinfacht gesagt – zum Beispiel Videoaufnahmen, die Kriegsgeschehen zeigen, nicht auf eine Realität verweisen, die unabhängig von diesen Aufnahmen besteht. Wir sehen Bilder aus einem Krieg, den es nicht gibt oder der längst vergangen ist, und halten sie für die Darstellung eines Krieges, der gleichzeitig stattfindet. Dadurch geraten selbst die Bilder, die den Krieg in der Ukraine tatsächlich zeigen, in eine Authentizitätskrise. Baudrillard bezeichnet das als Simulakrum, Materielles oder Imaginiertes, das etwas Anderem ähnlich ist. Laut Baudrillard befinden wir uns in der dritten Ordnung des Simulakrums, im Zeitalter der Simulation.30 Die Möglichkeiten der Visualisierung lassen die Realität des Krieges für Unbeteiligte verschwinden, das ist Gerhard Pauls Überzeugung.31 Eine weitere interessante Wendung bekommt die »Rückkopplung der Hyperrealität« des Ukrainekrieges, wenn die Realität in Erzählmuster gedrängt wird.32 Sahner nimmt ein Twitter-Video als Beispiel, in dem ein Ausschnitt des Endkampfes aus Avengers: Endgame (2019) mit Untertiteln versehen wird.33 Dabei werden die einzelnen Kriegsparteien durch die Untertitel den kämpfenden Charakteren des Films zugeordnet: Captain America ist Selenskyi, Thanos mit seiner Armee Putin, die sukzessive auftauchenden Superheld:innen sind weitere Handelnde im Ukrainekrieg wie die Klitschkos oder die Bevölkerung Kyivs. Hier wird eine emotionale Distanz erzeugt und eine Art kollektives Empowerment in Anbetracht einer real stattfindenden Katastrophe gesucht. Dabei wird die

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Sahner, Simon: »Echter Krieg, unsichere Bilder – Wahrnehmung und Erzählungen in Sozialen Medien«, in: 54books vom 03.03.2022, URL: https://www.54books.de/unsich ere-bilder-echter-krieg-von-wahrnehmung-und-erzaehlungen-in-sozialen-medien/ [28.09.2022]. Vgl. Paul 2004. Sahner 2022. Anders, Rayk: Post vom 26.02.2022, URL: https://twitter.com/RaykAnders/status/1497 608776513466371?s=20&t=N-XXXz6fQq-8cCzZDoPLvQ [09.02.2023].

4. Bilder des Krieges

Realität in ein vereinfachtes Gut-Böse-Schema von amerikanischen Blockbustern gedrängt, die in ihren Narrativen teilweise gefährlich einfach gebaut sind. Sahner sieht die Problematik auch in der Unübersichtlichkeit der Narrative auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und der Orientierungslosigkeit der Rezepient:innen.34 Die Bilder von mutigen Ukrainer*innen, die symbolisch von David gegen Goliath erzählen, machen unweigerlich Hoffnung, sie lassen auch in mir eine ungewohnte und beinahe unheimliche Emotion für eine Kriegspartei entstehen, die gegen einen übermächtigen Feind steht. Hingegen abstrahieren die Übertragungen auf Fiktionen wie die Avengers-Filme und die Personalisierungen ein Kriegsgeschehen, das erschreckend konkret ist. Nüchterne Zahlen, veröffentlicht durch den Kyiv Independent, die detailliert auflisten, wie viele russische Soldaten entweder verletzt, gefangen oder gefallen sind, wie viele russische Panzer, Raketenwerfer und anderes Kriegsgerät zerstört wurde, sind unangenehm nahe an Body-Count-Statistiken in Videospielen mit Kriegsszenario. Spielfilme, digitale Spiele, die Gamifizierung der Realität und der Rezeptions-Produktionskreislauf in den Sozialen Medien haben eine Form der digitalen Medienrealität erschaffen, die mit der analogen Hyperrealität des Fernsehzeitalters fast nicht mehr greifbar ist und die auch einen Krieg in die Erzählspiralen einspeist, die sich Tag für Tag durchs Internet drehen.35

Schrecken des Krieges Zu einer dieser Erzählspiralen gehören die Schrecken des Krieges in der Tradition von Francisco de Goyas Antikriegs-Zyklus Los Desastres de la Guerra (1810–1815). Dieser Zyklus ist ein Referenzrahmen für das Nachdenken über Kriegsgräuel seit der Moderne. Sontag hat es in ihre Überlegungen zur Kriegsfotografie einbezogen und in vielen Ausstellungen bleibt Goya eine Blaupause für den Umgang mit Kriegsverbrechen.36 Die Wiener Albertina hat vom 24. Mai bis 21. August 2022 in der Ausstellung »Die Schrecken des Kriegs. Goya 34 35 36

Vgl. Sahner 2022. Ebd. Vgl. Sontag, Susan: Regarding the Pain of Others, 2003, open access in: monoskop, URL: https://monoskop.org/images/a/a6/Sontag_Susan_2003_Regarding_the_Pain_ of_Others.pdf [08.03.2023]. Neben der Wiener Albertina zeigte die Galerie Transit

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und die Gegenwart« ganz ohne Worte und begleitenden Katalog Bilder des Fotografen Mykhailo Palintschak (*1985) aus den ukrainischen Kampfgebieten neben Goyas Radierungen ausgestellt.37 Paul Jandl kommentierte diese Ausstellung in der Neuen Zürcher Zeitung: Der Krieg ist archaisch, der Krieg ist Wiederholung. Es gehört zu seinen Wirkungen, dass man ihn als das Äusserste, das Menschen einander antun können, seit Jahrhunderten wiedererkennt. Francisco de Goya hat seine Radierungen unter dem Eindruck der Napoleonischen Kriege auf der Iberischen Halbinsel geschaffen, aber er muss den Bildern keine Titel geben, die die Zusammenhänge erklären. Man sieht den Kampf um Leben und Tod.38 Palintschak wurde auch in der Wanderausstellung »Russian War Crimes« gezeigt, die nach Stationen in Kyiv, Davos (2022 und 2023) und Brüssel weitere Stationen im Ukrainian Institute of America in New York (September/Oktober 2022), in Köln, im britischen Parlament in London (November 2022) sowie während der Sicherheitskonferenz in München (Februar 2023) hatte. Die Ausstellungsorte zeigen, dass »Russian War Crimes« keine Ausstellung im herkömmlichen Sinne war, sondern ein Instrument der Meinungsbildung. Die Co-Kuratorin Ksenia Malykh sagte, dass durch die Bilder Druck aufgebaut werden müsse, um zu fühlen.39 In Kyiv wurden weniger Menschen auf den Bildern gezeigt, um das Publikum zu schonen, in Davos und in Brüssel, wo die Ausstellung zuerst im NATO-Hauptquartier und im Europäischen Parlament ausgestellt wurde, sind die Fotografien anders ausgewählt worden: Es wurde eine Bilanz des Schreckens gezogen, um die Dringlichkeit und Unausweichlichkeit des europäischen Eingreifens zu betonen. Die Fotografien stammen aus allen Regionen der Ukraine seit Beginn des Krieges und wurden auf der Homepage der Ausstellung folgendermaßen beschrieben: The photos become a collective image created by photographers who have been a part of an evidence-gathering effort to document and register the

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in Belgien eine Ausstellung von Goyas Werken neben Werken von Nikita Kadan und Rahraw Omarzad in »Artists in a Time of War« (15.03.-19.11.2023). Jandl, Paul: »Das Antlitz des Krieges ist universell: Fotografien aus der Ukraine und Goyas Bilder zeigen beklemmend die Schrecken der Gewalt«, in: Neue Zürcher Zeitung vom 09.07.2022, URL: https://www.nzz.ch/feuilleton/kriegsbilder-fotografien-aus-de r-ukraine-und-goyas-radierungen-ld.1692083 [27.09.2022]. Ebd. Vgl. Jeffreys/Malykh 2022.

4. Bilder des Krieges

Russians’ war crimes against the Ukrainians. Its imagery is a key reference for thoughts and minds through the When Faith Moves Mountains. This deliberate inclusion focuses on reality, addressing its urgency and its inescapability. […] The Russian War Crimes House is culminating in a film work by Oleksiy Sai who brought together 6400 different verified images of war crimes committed by Russians in Ukraine. The massive scale of this work combined with the aggressive editing and sound forces a state of permanent shock.40 Das Ziel des Projektes ist klar formuliert: bewegen, schockieren, aufrütteln. Doch was passiert eigentlich bei der Konfrontation mit einer solchen Menge an Kriegsbildern? Was geschieht, wenn alle diese Bilder miteinander verschmelzen? Das hat Oleksiy Sai beantwortet, indem er für diese Ausstellung aus den etwa mehrere Tausend Aufnahmen von Kriegsverwüstungen, das Doom-Scrolling zu einem ganzen Film konstruiert hat.41 Susan Sontag hat einige ihrer Thesen aus den 1970er Jahren in Regarding the Pain of Others (2003) revidiert und sich auf die Frage konzentriert, was Bildzeugnisse von getöteten und gefolterten Menschen beim Publikum bewirken. Sie spricht von Fotografie als Schocktherapie, die ein Verfallsdatum hat. Die emotionale Mobilisierung der Menschen sieht sie problematisch: »No ›we‹ should be taken for granted when the subject is looking at other people’s pain.«42 Drastische Fotos können zu einer kollektiven Ablehnung des Krieges führen, aber nur, wenn die Personen auf den Fotos anonym bleiben. To those who are sure that right is on one side, oppression and injustice on the other, and that the fighting must go on, what matters is precisely who is killed and by whom.43 Die vielen Bildbände und die lange Tradition der Kriegsfotografie haben keine weiteren Kriege verhindert und in den seltensten Fällen für Truppenabzüge gesorgt. Das Doom-Scrolling ist in den letzten Jahren zu einem omnipräsenten Begriff geworden und spiegelt das Verlangen nach solchen Bildern wider. Sontag glaubt an die Kraft der Bilder, die etwa Proteste gegen den Vietnam-

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https://new.pinchukartcentre.org/russian-war-crimes-en; (26.09.2022). Sai Oleksiy: Russian War Crimes House Davos vom 22.05.2022, in: YouTube, URL: https://w ww.youtube.com/watch?v=EiE3qERPB2M [29.09.2022]. Sontag 2003, S. 11. Ebd., S. 15.

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Krieg evozierten. Dennoch ist das Gefühl, das sie erzeugen, flüchtig.44 Wolfgang Ullrich teilt diese Meinung: Drastische Bilder des Todes sind seit Februar 2022 omnipräsent und verändern die Standards der Kriegsfotografie. Auch die Standards, die die Würde des Menschen betreffen, verändern sich gerade. Viele Angehörige der Opfer bestehen auf die Veröffentlichung der Fotos.45 Für die ukrainische Bevölkerung haben diese Bilder eine andere Funktion: Sie sind gemeinschafts- und identitätsstiftend. Sie mobilisieren und sie dokumentieren. Die Dokumentation hat einen besonderen Wert und wird in der Ukraine etwa über den Messenger-Dienst Telegram von jeder einzelnen Stadt aus betrieben. Man möchte das Versäumte aufholen, denn nach den ersten militärischen Auseinandersetzungen im Donbas 2014 wurde nicht so penibel dokumentiert und viele wichtige Informationen sind verloren gegangen.46 So sind die Fluten an Fotografien nicht nur Propagandamaterial, es ist Archivierung, wie es Nikita Kadan oder Yevgenia Belorusets bereits feststellten. Heute sind die Handys besser ausgestattet und die Social-Media-Kanäle werden viel routinierter genutzt als 2014. Zwar gibt es Telegram seit 2013, aber die Bedeutung dieser Plattform ist erst in den vergangenen Jahren gestiegen. So wurden beispielsweise nach dem Sturm auf das US-Kapitol im Januar 2021 Server von Parler (eine US-amerikanische Plattform für Mikroblogging) und anderen Diensten gesperrt, was Telegram einen Zuwachs brachte (Okt. 2021: 550 Millionen aktive Nutzer:innen).47 Mit drastischen Inhalten sollte jedoch insbesondere in den sozialen Medien vorsichtig umgegangen werden, da sie wahllos vervielfältigt und mit Text versehen werden können – für empfindliche Inhalte ist es ein gefährlicher Ort.48 Wolfgang Ullrich betont, dass abgesehen von Würde und Abstumpfung die Darstellungen von besonderen Momenten mitunter wirksamer sein können, wie etwa TikTok-Videos eines kleinen Mädchens, das im Bunker das Lied

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Ebd., S. 81. Ullrich, Wolfgang: »Zum Krieg und den Bildern Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich: ›Selenskij schreibt Mediengeschichte‹«, in: Deutschlandfunk vom 18.03.2022, URL: https://www.deutschlandfunk.de/koennen-bilder-einen-krieg-beenden-kultur wissenschaftler-wolfgang-ullrich-dlf-54046f5f-100.html [28.09.2022]. Siehe Kap. 2. Brien, Jörn: »Telegram hat jetzt 400 Millionen Nutzer«, in: t3n, URL: https://t3n.de/ne ws/telegram-hat-400-millionen-nutzer-1273555/ [18.03.2023]. Ullrich 2022.

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aus Disneys Eiskönigin singt.49 Heute ist die These von Sontag über das bewegte und das stehende Bild von den sozialen Medien widerlegt worden. Die kurzen Videos in TikTok mit Ton können sehr wohl mehr Wirkung entfalten als ein Foto, sie haben aber auch nichts mehr mit der Kriegsberichterstattung des Fernsehens gemein. Hier geht es nicht um die explizite Darstellung des Todes, aber seine Anwesenheit ist spürbar. Zwar gab es solche Bilder auch schon vorher aus dem Jemen, aus Syrien und anderen Orten, sie fanden beim europäischen Publikum aber weniger Aufmerksamkeit. Anders die Bilder aus der Ukraine, die geografisch so viel näher an Europa liegt, als die anderen Beispiele. Jeder Krieg des 20. Jahrhunderts wurde durch seine fotografischen Relikte interpretiert, mit neuen Narrativen versehen und manche Ereignisse wurden in neue Zusammenhänge gestellt.50 Für die zukünftigen Forschenden wird die größte Herausforderung sein, sich in der Menge des Materials zurechtzufinden und auch die Sicherung der Bildquellen ist bis jetzt unklar. Professionelle Fotograf:innen sind stets um eine akkurate Sicherung bemüht, das gilt jedoch nicht für die nicht weniger wichtigen Dokumente, die seit Monaten die SocialMedia-Plattformen überströmen.

Was zeichnet diesen Krieg aus? Kerstin Schankweiler stellt die These auf, dass die Bilderschwärme das Ende der Bildikonen bedeuten, weil signifikante Bilder wiederholbar und recyclebar werden. Somit entstehen immer seltener singuläre Ikonen.51 Auch Charlotte Klonk ist skeptisch. Nicht nur weil es in der heutigen Bilderflut schwieriger ist, das Foto zu finden, das als Referenz für den gesamten Krieg funktionieren kann – sondern vor allem deshalb, weil die ikonischen Bilder früherer Kriege alle in einer bestimmten Konstellation standen – sie seien an die Bevölkerung der Militärmacht, die den Krieg führt, gerichtet und hätten dort Protest ausgelöst. Solche Bilder gebe es wegen der Zensur in Russland derzeit aber nicht. Die Bilder, die wir aus der Ukraine zu sehen bekommen, haben eine andere

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»Young girl sings ›Let it Go‹ inside Ukrainian bomb shelter«, in: The Independent auf YouTube vom 07.03.2022, URL: https://www.youtube.com/watch?v=P_zHOBaWfrg [29.09.2022]; Ullrich 2022. Paul 2005. Vgl. Schankweiler 2019, S. 61–64.

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Botschaft: Sie sollen mobilisieren – nach innen wie nach außen. So seien etwa die Bilder auf den Twitter-Accounts der ukrainischen Regierung »ein Appell an die internationale Bevölkerung zur Unterstützung«, unterstreicht Klonk. Diese Aufrufe machen den Ukraine-Krieg zu einem »Mitmach-Krieg« und erreichen damit »eine neue Dimension« der Kriegsführung.52 Kriegsbilder sollen in unterschiedliche Richtungen wirken und dienen vier Funktionen: Information, Dokumentation, Mobilisation und Suggestion. Das zeigte nicht zuletzt die Ausstellung »Russian War Crimes« – sie sollte einerseits die ukrainische Bevölkerung motivieren, weiter zu kämpfen und ein Gemeinschaftsgefühl stärken, andererseits wurde sie in den hochoffiziellen Orten der europäischen Politikelite präsentiert, um ebenso zu mobilisieren. Was die Bildikonen betrifft, so möchte ich eine andere Betrachtung vorschlagen – es mag sein, dass es keine singuläre Aufnahme geben wird, die als Bildikone dieses Krieges bleiben wird. Die Bilderströme des Internets lösen einen aufschlussreichen Prozess aus, der durch die Funktionen unserer Gehirne mitverursacht wird. Es ist unmöglich, sich alle diese Bilder zu merken und kaum ein Bild sticht hervor, denn sie bedienen zudem altbekannte Ikonografien des Krieges. Es gibt ebenso viele Produzent:innen wie Distributor:innen dieser Bilder, viele Perspektiven, Narrative usw. Diese vielen Bilder laufen wie ein Endlosstrom durch die Rezeptoren und fügen sich in unserer Erinnerung zu einem Metabild zusammen ähnlich wie die aufeinanderfolgenden Fotos in Sais Videoarbeit. Eine Befragung im erweiterten Bekanntenkreis und unter Studierenden ergab, dass es 2022 zwei Metabilder oder Referenzbilder gab, die als repräsentativ für den Ukraine-Krieg stehen können. Dabei ist es eben nicht genau die eine Abbildung im Sinne von picture, sondern ein image, ein mentales Bild, das aus vielen hunderten oder tausenden ähnlichen Bildern geformt wird. Das erste Bild waren die Körper toter Zivilist:innen, die bäuchlings in den Straßen von Butscha liegen. Das zweite Bild war das Porträt des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in einem grünen Militär-T-Shirt. So kristallisieren sich die einzelnen Motive heraus und wenn mensch einmal mehr Selenskyjs Fotos im Shirt sieht, dann wird diese Wiedererkennungsmaschinerie bedient. Für die zukünftige Forschung werden das interessante Motive sein, denn wie die Neurowissenschaft bewiesen hat, vermischen sich in unserem Gedächtnis faktuale und fiktionale Bilder des Krieges: Die Realität der Bilder kann unsere Erinnerungen überspielen. Das ergaben Gespräche mit 52

Eilenberger/Klonk/Ullrich 2022.

4. Bilder des Krieges

Kriegsteilnehmer:innen, die sich etwa an den Zweiten Weltkrieg in den Darstellungen und Sprachweisen der Nachkriegsfilme erinnerten.53 Wieviel hiervon Verdrängung und traumatische Gedächtnislücken sind, ist schwer nachzuweisen. Was alle Bilder vereint, über die gesprochen wurde: Sie helfen, nicht zu vergessen. In der bildenden Kunst wurden ebenso Bilder produziert, die als Mahnmale gegen das Vergessen dienten. Die propagandistischen Bilder des sozialistischen Realismus der Stalinzeit waren insbesondere auf ihre Erinnerungs- und Propagandafunktion ausgerichtet. Die schockierenden Bilder aus Butscha haben eine Assoziation mit der sowjetischen Kunstgeschichte hervorgerufen. Arkadij Plastow malte mit Ein Faschist ist vorbeigeflogen (1942) ein kanonisches Bild des stalinistischen sozialistischen Realismus, das die Gräueltaten der »Faschisten« auf sowjetischer Erde betonen sollte. Hier sieht man kein Stadtbild, sondern eine friedliche weite Landschaft mit Birken und verschiedensten Tieren. Plastow lebte abseits der Metropolen und erinnerte sich an die Motive dieses Werks, er sprach von einem ruhigen, goldenen Herbst, als plötzlich der Krieg ausbrach. Man musste sich wehren, so laut schreien, dass selbst die Toten aufwachten. Man musste allen dieses Ungeheuer in seiner Gesamtheit zeigen. Nach dem Erfolg des Bildes hat Plastov diese ideologische Form für seine Erzählung der Entstehung gewählt. Die Verzweiflung angesichts des Unglücks, die er darin verdeutlicht, erfasste damals die gesamte Bevölkerung.54 Der Historiker Jewgenij Anisimow schreibt, dass der Zweite Weltkrieg ein Krieg für Unabhängigkeit und Freiheit war. Gleichzeitig hatten die Menschen das Gefühl, einer anderen, monströsen, wie fabelhaften, feindlichen Macht gegenüberzustehen, die mit unmenschlicher Grausamkeit und erstaunlicher Maschinengefühllosigkeit über sie herfiel. Es gibt die Legende, dass wegen dieses Bildes 1944 die zweite Front eröffnet wurde: 1943 war es nämlich in die sowjetische Botschaft nach Teheran gebracht worden, wo die Treffen der Alliierten stattfanden und der Beschluss über die zweite Front und Landung der

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Paul, Gerhard: Die Macht der Bilder – Der Zweite Weltkrieg und seine Visualisierung, in: Kultur Punkt Onlinejournal vom 08.05.2005, URL: https://www.kultur-punkt.ch/swr 2-kooperation/swr2-kooperation-suchworte-a-z/swr2-suchworte-k/krieg-visualisieru ng-paul.html [04.05.2023]. Vgl. Anisimow, Jewgenij: Pis’mo turezkomy sultany. Obrasy Rossii glasami istorika, St. Petersburg: Arka 2013.

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Truppen in Frankreich getroffen wurden. Plastovs Gemälde soll die Arbeitsräume des britischen Premierministers Churchill und des US-Präsidenten Roosevelt geschmückt haben. Sie sollen sich von seiner Einfachheit und Tragik beeindruckt gezeigt haben. Die Legende wurde von Josef Stalin in die Welt gesetzt und hält sich als Beweis dafür, dass solche Bilder eine politische Wirkungsmacht besitzen. Die tragischen Tode von Millionen von Zivilist:innen im »Großen Vaterländischen Krieg« wurden durch dieses Bild symbolisch repräsentiert. Heute haben wir die Opfer aus Butscha und andernorts auf Fotografien, aus verschiedensten Perspektiven aufgenommen, vor Augen. Die russischen Nachkommen der einstigen Opfer des faschistischen Machtstrebens haben sich als Täter:innen erwiesen. Dass diese Bilder sein müssen, steht außer Frage. Wer diese Bilder betrachten sollte und wie oft, bleibt auch in der Zukunft eine umstrittene Frage.

5. Memes

Memes wurden ab 2022 zu einer der stärksten Waffen des Informationskrieges gegen Russland. Dirk von Gehlen bezeichnet Memes als »Ohrwürmer und Aufmerksamkeitsmaschinen des Internets«, die auf dem banalen Prinzip kopieren, adaptieren, referenzieren beruhen.1 Ein weiteres Charakteristikum von Memes ist eine Selbstermächtigung durch Humor – meistens sind sie leicht rezipierbar und publikumsnah, sie sind vital und demokratisch.2 Das macht sie für politische Zwecke interessant und so konnte in der jüngerenVergangenheit ein verstärktes Aufkommen politischer Memes beobachtet werden. Sie funktionieren wie Schilder, die bei Demonstrationen hochgehalten werden, nur, dass ihre Reichweite und Verbreitung viel effektiver sein kann.3

Putin-Memes Wir erinnern uns: In den frühen 2010er Jahren war Vladimir Putin ein MemeStar. Er flog mit Kranichen, zeigte sich als erfahrener Judokämpfer, ritt mit nacktem Oberkörper auf Pferden, watete mit einem Gewehr in der Hand durch hohes Gras, tauchte nach antiken Amphoren und knuddelte niedliche Hundewelpen.

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von Gehlen, Dirk: Memes, Berlin: Wagenbach 2020, S. 16. Ebd., S. 7. Vgl. Sommavilla, Fabian: »Memes für die Propagandaschlacht: Die unterschätzte Waffe im Arsenal der Ukraine«, in: Der Standard vom 21.10.2022, URL: https://www.de rstandard.de/story/2000140121857/memes-fuer-die-propagandaschlacht-die-unters chaetzte-waffe-im-arsenal-der [12.03.2023].

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Abb. 12: Beispiel für Putin Memes aus den frühen 2010er Jahren

Abb. 13: Beispiel für Putin Memes aus den frühen 2010er Jahren

Die trashig anmutende offizielle Selbstdarstellung des russischen Präsidenten in den Medien war eine perfekte Vorlage für Memeisierung und wurde

5. Memes

im Internet begeistert vervielfacht.4 Während im Westen die Putin-Memes zur sarkastischen Belustigung dienten und zeitweise einen regelrechten Kultstatus erreichten, wurden sie in Russland trotz ihrer Überzeichnung auch dafür benutzt, um die Begeisterung für Putin als »Macher« und als Actionheld auszudrücken. Die Vorstellung vom starken Politiker, von einem »richtigen« Mann an der Macht wurde von Putins PR-Strategien erfolgreich bedient. Merchandising-Produkte verkauften sich überall in Russland und bedienten beide Lager: diejenigen, die sich mit einem Augenzwinkern über Putin lustig machen wollten, wenn sie ein T-Shirt mit seinem Konterfei trugen und diejenigen, die ihn wahrhaftig als Retter Russlands verehrten.5 Seit den Protesten nach Putins erneuter Amtseinführung 2012 veränderten sich die Memes, sie wurden kritischer und verloren ihre Leichtigkeit. Das »Chuck-Norris-Image« des unbesiegbaren, allwissenden und allmächtigen Präsidenten blieb Putin jedoch erhalten. Seine Internetpräsenz schien gigantisch, zwischen 2013 und 2016 zeichnete ihn das Forbes Magazine drei Mal in Folge als mächtigsten Mann der Welt aus.6 Die meisten in Russland und außerhalb lachten oder waren gleichgültig. Dabei wurde übersehen, dass die ironische Überhöhung die Macht Putins und den Kult um ihn verstärkt hat und nicht alle Ironie verstehen können. Nach der Annexion der Krim 2014 gingen die Witze in der russischen Propaganda weiter, sie wurden teilweise zu Legenden über die Ukraine und die Bevölkerung im Donbas entwickelt. Die skrupellose Verdrehung der Tatsachen schien fast niemanden in Russland zu kümmern. Mehr noch, ein großer Teil der Bevölkerung glaubte, was ihnen über die Ukraine berichtet wurde.7 Diese Entwicklung wurde auf beiden Seiten kritisch betrachtet. Der ukrainische Autor Georgij G. Potschepzov hat schon früh in Psichologitscheskije Woiny (Psychologische Kriege, 2001) den Begriff »War of Perception« geprägt, der auf den

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Schomowa, Swetlana: »Ein Putin – Viele Memes«, in: dekoder vom 05.05.2020, URL: https://www.dekoder.org/de/article/putin-memes-propaganda-populaerkultur [03.10.2022]. Vgl. dazu Bidder, Benjamin: Generation Putin, Hamburg: DVA 2016. Vollmer, Jan: »Wladimir Putin ist der neue Chuck Norris«, in: Welt vom 25.03.2014, URL: https://www.welt.de/vermischtes/article126167791/Wladimir-Putin-ist-der-neu e-Chuck-Norris.html [04.10.2022]. Siehe dazu Medwedew, Sergej: »Krieg im Namen des Sieges von 1945«, in: dekoder vom 27.04.2022, URL: https://www.dekoder.org/de/article/krieg-ukraine-9-mai-tag-sieges [09.03.2023].

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Deutungskampf um die ukrainische Geschichte und Zugehörigkeit anwendbar ist.8 Im Grunde ist er mit dem Begriff des Informationskrieges vergleichbar. Der russische Politologe Sergej Medwedew weist in seinen scharfen Analysen mit einem Hauch Ironie nach, wie etwa die Propaganda des russischen Fernsehens selbst auf Putin einwirkt. Der Präsident und die Bevölkerung beginnen das zu glauben, was vorher von den Redaktionen als Lügen produziert worden ist.9

Abb. 14: Putin: Weißt du, wie ich jetzt Alaska nenne? Obama: Und wie? Putin: Ice-Krim

2017 wurde anlässlich Putins 65. Geburtstags die Ausstellung »Putin – ein Meme« in Moskau gezeigt. Organisiert wurde die Ausstellung von drei Telegram-Kanälen. Sie zeigte die 50 beliebtesten Memes von 2008 bis 2017.10 Im selben Jahr eröffnete Trevor Noah in New York eine satirische Bibliothek mit Trumps ausgewählten Tweets. Nicht zu vergessen ist außerdem die Aussage

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Vgl. Potschepzov, Georgij G., Psichologitscheskije woiny, Moskau: Refl-buk 2000. Vgl. Medwedew 2017. Masalzeva, Maria: »Wystawka Memow s Putinym proidet w Moskwe nakanune jego dnja roshdenija«, in: Afisha Daily vom 05.10.2017, URL: https://daily.afisha.ru/news/11 562-vystavka-memov-s-putinym-proydet-v-moskve-nakanune-ego-dnya-rozhdeniya / [03.10.2022].

5. Memes

eines 4Chan-Teilnehmers nach Trumps Wahlsieg im November 2016: »Wir haben ein Meme zum Präsidenten gemacht.«11 Eine größere Zäsur bei den PutinMemes sieht Schomowa erst 2018, als Putins Rhetorik aggressiver wurde, seine Wiederwahl als Präsident, Alternativlosigkeit und Unabsetzbarkeit in den Vordergrund traten. Interessanterweise werden in ihrem Bericht die Annexion der Krim und die Ereignisse im Donbas seit 2014 mit keinem Wort erwähnt. Auch nicht das Verbot von Memes, die berühmte russische Persönlichkeiten zeigen, das im April 2015 von der Aufsichtsbehörde Roskomnadsor ausgesprochen wurde.12 Damit bekannte sich die russische Staatsführung offiziell zu der Wirkungsmacht der Meme-Kultur.

Abb. 15: DIE RUSSEN VERTRAUEN: dem Präsidenten, der Armee, der Kirche

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Zit. nach von Gehlen, S. 52. Anonym: »Russland verbietet Memes. Spaßbremse des Internets«, in: Stern vom 15.04.2015, URL: https://www.stern.de/russland-verbietet-memes--die-spassbremsedes-internets-6963712.html, 04.10.2022 [12.03.2023].

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Selenskyj-Memes Putin als Meme verspielte spätestens ab 2018 die Sympathie des Internets und manche Beobachter:innen auch außerhalb Russlands konnten wahrnehmen, wie alle Putin-Topoi aus der Satire in die Wirklichkeit überführt wurden.13 Seit der COVID-19-Pandemie verschwand der russische Präsident sukzessive aus der Öffentlichkeit, es wurden Gerüchte über seinen Gesundheitszustand verbreitet und schließlich wurde er 2022 innerhalb weniger Tage endgültig von seinem Meme-Thron gestürzt. Volodymyr Selenskyj, der ehemals umstrittene Präsident der Ukraine wurde zum neuen Superhelden der Meme-Kultur. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 übernahm Selenskyj viele Merkmale, die früher von Putin bedient wurden, überführte sie jedoch aus der angestaubten imperialen Herrschaftsrhetorik in eine demokratische, »woke« Gegenwart. Ein paar Beispiele: Auch Selenskyj zeigt sich als Macher, als »richtiger Mann« – nur muss er dazu kein spezielles Setting künstlich erschaffen – Stichwort: Putin und Amphoren, die speziell für ihn im Wasser versenkt wurden. Der russische Präsident hat die besten Bedingungen für Selenskyjs Memeisierung geschaffen. Der ukrainische Präsident reagiert auf die Ereignisse, die um ihn herum stattfinden. Als Russland Falschinformationen über seine Flucht aus der Hauptstadt verbreitete, zeigte er sich prompt vor dem Regierungspalast in Kyiv. Seine gesamte Machtinszenierung basiert auf Sichtbarkeit, was in Kriegszeiten ausschlaggebend sein kann. Sein Twitter-Account lässt die Follower:innen nachverfolgen, wo er ist, mit wem er sich trifft und dies ist in den ersten Monaten des Krieges für die ukrainische Bevölkerung ein wichtiger stabilisierender Faktor gewesen. Die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout bezeichnet Bilder in den Social Media als »affordant«, sie fordern eine Reaktion, das heißt die User:innen müssen sich zu ihnen verhalten, indem sie sie liken, teilen oder wegklicken14 – so ist auch Selenskyj selbst »affordant«.

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Eine umfassende Analyse dazu bei Medwedew 2017. Vgl. Kohout, Annekathrin: »Katzen, Pop und Kriegsschiffe«, in: Zeit Online vom 04.06.2022, URL: https://www.zeit.de/kultur/2022-06/memes-russland-ukraine-krie g-social-media?wt_zmc=sm.int.zonaudev.twitter.ref.zeitde.redpost.link.x&utm_me dium=sm&utm_source=twitter_zonaudev_int&utm_campaign=ref&utm_content=z eitde_redpost_link_x [10.05.2023].

5. Memes

Abb. 16: Volodymyr Selenskyj als Captain Ukraine

Er bedient zudem perfekt das Bild eines bescheidenen Helden – in seinem zu Kult gewordenen Militär-T-Shirt zeigt er sich kampfbereit, agil, jugendlich, stark und bildet einen Kontrast zum entrückten und mittlerweile formlosen Putin mit durch Botox und Hyaluron aufgequollenem Gesicht.15 Für die Memefizierung ist dieser Gegensatz eine perfekte Ausgangssituation – es gibt unzählige Vergleich-Memes beider Staatsführer, die häufig in bestehende Narrative eingespeist werden: Selenskyj als Superheld und Putin als Bösewicht, und das in jeder beliebigen Superheld:innensaga. Selenskyjs Erfolg beruht auf dem Bedürfnis der Menschen nach realen Held:innen. Damit weiß der professionelle Entertainer umzugehen – er hat sich mit seiner Fernsehserie Sluha narodu (Diener des Volkes 2015–2016) bereits in die positive Heldenfigur eingeschrieben. Der ukrainische Präsident ist Medienprofi und weiß um die Bedeutung des Publikums und der Aufmerksamkeit der Massen. Er

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Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Eilenberger/Klonk/Ullrich 2022.

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wird zum Influencer, sodass sich der sonst adrette Emmanuel Macron plötzlich im Hoodie im Elysée-Palast zeigt, meint Ullrich.16 Hier erscheint die politische Zukunft, während sich Putin, der eindeutig für die Vergangenheit steht, unsichtbar macht. Nach vielen Jahren der Selbstrepräsentation scheint Putin wieder zu seinen Wurzeln als KGB-Mann der besonders strengen Leningrader Schule zurückgefunden zu haben. Er ist ein Erbe des sowjetischen Panoptikons, einer Idee der unsichtbaren Macht. Bei Selenskyj und Putin öffnet sich die Schere des Populismus: Mann des Volkes gegen Führer des Volkes. Die Memes bilden das in allen Facetten ab: Putin an seinem langen neoklassizistischen Tisch im Empirestil scheint das Schicksal Napoleons nachzustellen und Selenskyj, der als Kämpfer in legerer Kleidung Putins alte Selbstinszenierung übernimmt und perfektioniert. Selenskyj ist eindeutig der neue Chuck Norris unter den Politiker:innen, er hat diesen Staffelstab direkt von Putin übernommen. Kohout ist überzeugt, dass Selenskyj mit seiner Medienpräsenz und Inszenierung Mediengeschichte schreibt, seine Botschaften bedienen sich klassischer professioneller Kinoästhetik – sind genau durchdacht.17 Er setzt unter Druck – er ist »affordant« wie ein Social-Media-Bild. Nach seinen Posts und Videonachrichten müssen wir handeln. Es ist jedoch nicht immer angebracht, anhand von Affekten, die durch Bilder ausgelöst werden, zu reagieren. Auch Bildprofis können das gerade nicht einschätzen. Im Syrienkrieg wurde die Affektzeugenschaft durch das verwackelte Bild geschaffen, mensch war überzeugt, dass diese Bilder authentischer sind. Gerade gibt es solche Bilder selten oder gar nicht. Bilder aus der Ukraine sind sehr professionell und auch die Handyaufnahmen sind in der Qualität nicht mit früheren vergleichbar. Auf Selenskyjs Account erinnern die Bilder an Filmtrailer – es fand hier eine enorme Professionalisierung statt und diese kann eine kognitive Dissonanz auslösen, die vor allem Zuschauende aus Europa anfällig macht. In der Ukraine gab es schon in den ersten Monaten des Krieges 2022 andere Superheld:innen, die Selenskyj mediale Konkurrenz machten, wie etwa Vitalii Kim, der Gouverneur der Oblast Mykolaiv.

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Ullrich 2022. Kohout, Annekathrin: »Visuelle Eskalationsspiralen: ›Die Bilder der ukrainischen Regierung sind extrem cineastisch«, in: br KulturBühne vom 02.05.2022, URL: https:// www.br.de/kultur/annekathrin-kohout-ukraine-krieg-der-bilder-interview-100.html [01.06.2023].

5. Memes

Abb. 17: Chuck Norris bittet den ukrainischen Präsidenten um Hilfe

Abb. 18: »Die Welt in den ersten Tagen des Krieges«/»Ukrainer 10 Tage Krieg«/»Das ist er«

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Abb. 19: Vitalii Kim zu Gast in Moskau

Kim hat während der russischen Angriffe auf sein Gebiet täglich VideoUpdates und Spot über die russische Armee verbreitet. Er wurde schließlich zum populären Meme. Es basierte auf einem Foto, das Kim in legerer Kleidung, mit Füßen in bunten Socken auf dem Tisch beim Telefonieren in seinem Büro zeigte. Kim wurde zum Inbegriff ukrainischer Gelassenheit in Anbetracht russischer Bedrohung. Ein weiterer Held ist sicherlich der Verteidigungsminister der Ukraine, Oleksiy Resnikow, vor allem aber der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walery Saluschnyj, der noch viel mehr als Selenskyj das Image eines Kriegers und Actionhelden bedient. Alle diese Held:innen und Memes sind für die ukrainische Bevölkerung ausnehmend wichtig als Motivation zum Durchhalten. Sie haben die gleiche Funktion wie Agitprop des 20. Jahrhunderts, wie Plakate und Flyer, in den osteuropäischen Ländern auch Lubki und Rosta-Fenster. Eine umfassende Analyse dieses reichen Meme-Materials, seiner Bedeutung und Hintergründe muss noch folgen.

5. Memes

Abb. 20: »Ich brauche deine Schuhe, deine Kleidung und dein Motorrad«

Russisches Kriegsschiff f*** dich! Im Februar 2022 hat sich die Lage radikal verändert. Während die Menschen in der Ukraine seit 2014 mit der Skrupellosigkeit der russischen Regierung konfrontiert waren und diese weiterhin mit dem Galgenhumor der Memes illustrierten, schien weltweit angesichts des Einmarsches der russischen Truppen ab dem 24. Februar 2022 eine Memeisierung unangebracht. Es entstand die Frage: Wer darf eigentlich Memes machen?18

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Eilenberger/Klonk/Ullrich 2022.

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Abb.21: Erstentwurf der Briefmarke von Boris Grokh mit dem Kriegsschiff »Moskwa« und zweiter Entwurf mit dem versunkenen Schiff unter dem Titel »Done«.

Der erste Tag des Krieges brachte der Ukraine ein erstes wirksames Meme der Selbstermächtigung und eine Waffe im Informationskrieg. Am 24. Februar 2022 näherte sich ein russisches Kriegsschiff Smeinyj Ostrow (der Schlangeninsel) im Schwarzen Meer, die 17 ha Fläche und 30 Einwohner:innen hat. Die 13 Grenzsoldaten, die auf der Insel stationiert waren, wurden zwei Mal aufgefordert, sich zu ergeben: »Ich bin ein russisches Kriegsschiff. Schlage vor, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, um Blutvergießen und ungerechtfertigte Opfer zu vermeiden. Andernfalls werden Sie bombardiert.« Diese Aufforderung, die je nach Berichterstatter auch anders zitiert wird, führte zu der eindeutigen Antwort des Soldaten Roman Hrybow, die binnen Stunden viral gegangen ist.19 19

Vgl. dazu: Balforth, Tom/Trevelyan, Mark/Jones, Gareth (hg.): »›Russian warship, go fuck yourself‹: Kyiv to honour troops killed on island«, in: Reuters vom 25.02.2023, URL: https://www.reuters.com/world/europe/russian-warship-go-fuck-yourself-kyiv-hono ur-troops-killed-island-2022-02-25/, [24.03.2022]; Visontay, Elias: »Ukraine soldiers told Russians to ›go fuck yourself‹ before Black Sea island death«, in: The Guardian vom 25.02.2022, URL: https://web.archive.org/web/20220225102114/https://www.theguar dian.com/world/2022/feb/25/ukraine-soldiers-told-russians-to-go-fuck-yourself-bef

5. Memes

Sie wurde zu einem Slogan gegen die russische Aggression – auf Tassen, T-Shirts, Handyhüllen, Murals, Graffiti, Straßenschildern und Werbetafeln. Die gemeinschaftsstiftende Wirkung dieses Slogans führte über InternetMemes zu improvisierten Flashmobs und tauchte auch auf Plakaten weltweit auf. Die ukrainische Bahn hat sich eingebracht und sprengte demonstrativ viele Verbindungen nach Russland mit den Worten »Russischer Zug fick dich«20 . Hrybows Spruch wurde zu einem einenden Slogan gegen die russische Z-Propaganda, die sich auf ähnlich schnelle Weise im Internet, auf den Straßen Russlands sowie innerhalb der russischsprachigen Diaspora weltweit verbreitete. Am 12. März 2022 wurde von Ukrpochta, der Ukrainischen Post, die von Borys Grokh gestaltete Briefmarke in Auftrag gegeben, die mittlerweile zu einem Sammelstück geworden ist.21 Zum Jahrestag des russischen Angriffs 2023 gab Ukrpochta eine weitere Briefmarke heraus – diesmal mit einem Motiv des Street-Art-Künstlers Banksy. Dieser hatte im November 2022 in mehreren zerstörten Städten der Ukraine seine Werke hinterlassen. In Borodjanka zeigte ein Werk einen Jungen, der einen erwachsenen Judo-Kämpfer zu Boden wirft, eine klare Anspielung auf den russischen Präsidenten. Mit der Unterschrift »ПТН ПНХ« (FCK PTN: kurz für »Putin, fick dich«) wurde das Motiv als Briefmarke gedruckt.22 Neben der eindeutigen Betonung der Narrative von David gegen Goliath und Gut gegen Böse lieferte das Meme zum russischen Kriegsschiff eine Metapher für die Situation der russischen Bevölkerung. Die Monate seit der Invasion 2022 haben gezeigt, dass die Russ:innen (freiwillig und unfreiwillig) wahrlich wie in

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ore-black-sea-island-death [24.03.2023]; Sauer, Pjotr: »Ukraine gives medal to soldier who told Russian officer to ›go fuck yourself‹«, in: The Guardian vom 29.03.2022, URL: https://www.theguardian.com/world/2022/mar/29/ukrainian-soldier-russian-warshi p-medal-snake-island [09.03.2023]. Petrenko, Roman: »›Rosijskij poizd, idi na khui!‹: usi zaliznichni vuzli z Rosieiu znisheni«, in: Ukrainska Pravda vom 26. Februar 2022, URL: https://www.pravda.com. ua/news/2022/02/26/7326208/ [09.03.2023]. Mishchenko, Taras: »Ukrposhta announces new ›Russian Warship…DONE‹ military stamp«, in: Mezha.Media vom 22.04.2022, URL: https://mezha.media/en/2022/04/22/ russian-warship-done-military-stamp/ [09.03.2023]. Anonym: »Da legt der Knirps den großen Putin aufs Kreuz«, in: Der Spiegel vom 25.02.2023, URL: https://www.spiegel.de/kultur/banksy-briefmarke-in-der-ukraine-d ie-kleine-ukraine-legt-das-grosse-russland-aufs-kreuz-a-12a22dc6-1c62-4937-8556-cf 66366f3663 [09.03.2023].

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einem riesigen Kriegsschiff sitzen, das von einem diktatorischen Kapitän geführt wird. Viele sind mittlerweile über Bord gesprungen.

Die Kosaken In Russland, der Ukraine und vielen anderen ehemaligen Sowjetstaaten, die eine zentralisierte gemeinsame »Kulturgeschichte« aufgezwungen bekamen, gibt es ein bildliches Pendant zum biblischen David-Goliath-Narrativ. Es handelt sich um ein Bild des ukrainischen Malers Ilja Repin, der zu den wichtigsten Vertreter:innen des Realismus des 19. Jahrhunderts gehörte und damit zu den unfreiwilligen Vorfahren des Sozialistischen Realismus, der in den 1930er Jahren von Stalins Politik diktiert wurde. Saporosher Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief (1880–1891, Staatliches Russisches Museum St. Petersburg) stellt eine legendäre Szene aus dem Jahr 1676 nach. Die Kosaken, die sich am Unterlauf des Fluss Dnepr angesiedelt hatten, kämpften im 17. Jahrhundert für ihre Unabhängigkeit. Ihr Staat entstand, nachdem am Übergang des 15. zum 16. Jahrhundert leibeigene Bauern aus Ostmittel- und Osteuropa geflohen waren und sich in der heutigen Ostukraine in den Regionen Kirowohrad, Dnipropetrovsk und Donezk ansiedelten. Am Anfang des Osmanisch-Russischen Krieges (1676–1681) verlangte Sultan Mehmed IV. die Unterwerfung der Saporosher Kosaken mit einem Brief an ihren Anführer. Die Legende besagt, dass die Kosaken auf diese Nachricht ebenfalls mit einem Schreiben reagierten, was für ihre Gepflogenheiten unüblich war. Der Brief soll hauptsächlich aus wüsten Beschimpfungen bestanden haben und gipfelte in der Aufforderung, der Sultan solle ihnen den Hintern küssen.23 Zur Zeit Repins waren die Kosaken ein Vorbild für Freiheit und wurden von vielen bewundert, so hat beispielsweise der ukrainischstämmige Nikolai Gogol mit seinem berühmten Werk Taras Bulba (1835) die Erzählungen über die Kosaken festgehalten. Diese wurden seit dem 19. Jahrhundert als Oper und Theaterstücke adaptiert und seit 1909 mehrfach verfilmt. Obwohl die Legende über den Brief und seinen genauen Wortlaut nach wie vor umstritten ist, hat sie eine starke Wirkung auf die ukrainische Geschichte gehabt. Aus dem Ungehorsam und der Freiheitsliebe der Saporosher Kosaken speisen sich viele Narrative in

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Friedman, Victor A.: »The Zaporozhian Letter to the Turkish Sultan: Historical Commentary and Linguistic Analysis«, in: Slavica Hierosolymitana 2, 1978, S. 25–38, hier S. 29.

5. Memes

der Ukraine und auch das Meme zum russischen Kriegsschiff kann damit in Verbindung gesetzt werden.

Abb. 22: Der ukrainische Traktor ist auch im Wasser gefährlich

Die Information, was mit den Grenzsoldaten geschah, war bis Ende März 2022 widersprüchlich, aber bei einem Meme oder Flashmob verliert die Ursprunginformation schnell ihre Bedeutung. Wenn wir uns die Ikonographie der Briefmarke genauer anschauen, dann erinnert sie uns an die berühmte Serie Study of Perspective (1995–2010) des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, die er erstmals auf dem Tian’anmen-Platz in Beijing anfing. Seine erhobene Hand mit dem ausgestreckten Mittelfinger zeigt zum Tor des Himmlischen Friedens. Diese Reihe wurde politisch interpretiert als eine Geste des Aufbegehrens gegen die Mächtigen und auch als eine ironische Geste eines unangepassten Künstlers, da der Titel auf den Prozess der Schärfeeinstellung verweist. Dafür streckt mensch gewöhnlich den Daumen aus, um die Entfernungen bei Kameras schätzen zu können, die keine automatische Vorrichtung für die Ermittlung der Schärfe haben. Auf Ai Weiweis Fotos verweist die Geste auf eine rebellische Distanzierung des fotografierenden Künstlers zum dargestellten Machtsymbol.24 24

Am 16. März 2023 veröffentlichte Ai Weiwei ein interaktives Online-Werk, das Benutzer:innen dazu einlädt ihr Hintergrundbild für den gestreckten Mittelfinger auszusuchen. In der ersten Woche wurden 10.000 Beiträge verzeichnet. Anonym: »Middle Finger, Ai Weiwei’s new interactive online work surpasses 10,000 global

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Traktoren und Ukrainian Meme Force Der Bezug zu den Kosaken und damit zum Ursprünglichen und Ländlichen kann in einem weiteren viralen Symbol gesehen werden, das auf ein Video zurückgeht, welches ab dem 27. Februar 2022 auf YouTube und Twitter gepostet wurde. Es zeigte einen Traktor, der einen russischen Panzer zieht, während jemand hinterherläuft und versucht aufzuholen.25 »Ukrainian farmer steals Russian tank from right under the nose of the Russians who occupied it«, besagt der Untertitel.

Abb. 23: Memeisierung des ukrainischen Traktorfahrers

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submissions in first week«, in: Artdaily.com vom 28.03.2023, URL: https://artdaily.com/ news/155729/Middle-Finger--Ai-Weiwei-s-new-interactive-online-work-surpasses-10 -000-global-submissions-in-first-week- [05.05.2023]. »Russia-Ukraine War/Ukrainian Farmer ›Steals‹ Huge Russian Tank, in: NDTV auf YouTube vom 01.03.2022, URL: https://www.youtube.com/watch?v=yIB7QPsNA_w [09.03.2023].

5. Memes

Ein weiteres Video zeigte einen Ukrainer aus Berdjansk in der Saporoshyja-Region, der mit seinen Händen eine Landmine aufhob und von der Straße wegtrug.26 Zwar sahen sich etablierte Medien genötigt, die Faktualität dieser Beiträge zu eruieren, doch sie war völlig uninteressant für die Memefizierungsprozesse solcher Aufnahmen. Im nächsten Schritt wurden sie zu Merchandising-Produkten, Plakaten und Resistance-Werbung umfunktioniert. Im Meme-Universum ist die Frage nach »real or fake« eher zweitrangig, die Viralität entscheidet. Nach der David-Goliath-Formel wurde mit Traktorfahrer:innen und Landwirt:innen ein weiterer Topos für die ukrainische Bevölkerung aktiviert: der des einfachen Menschen vom Land, der mit Witz und Hinterhalt die vermeintlich besser ausgerüsteten Invasor:innen vorführt. Memes sind für die Ukraine zu einem wichtigen Instrument der Kriegsführung geworden. Im Februar 2022 wurde ein anonym geführter Twitter-Account »Ukrainian Memes Forces« (UKM) eingerichtet, der über 365.000 Follower:innen hat (Stand März 2023). Hier wird der proukrainische Inhalt in bereits viral gegangene Memes eingesetzt oder es werden neue Memes gepostet, die in der Ukraine entstanden sind. Die Inhalte können grob in vier Kategorien eingeteilt werden: Held:innentum und Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Bevölkerung, Verspottung russischer Truppen und von Vladimir Putin, Kritik an der mangelnden Unterstützung des Westens sowie die Aufdeckung russischer Fake-News.27 Diese Themen entwickelten sich u.a. aus verschiedenen russischen Narrativen, die als Rechtfertigung für den Angriff dienten. Die russische Regierung blieb in der gewohnten Tatsachenverdrehung etwa im Narrativ der »Entnazifizierung« der Ukraine, worauf die ukrainische Seite mit der Bezeichnung der Russ:innen als »Raschisten« (Pendant zu Faschisten) antwortete. Diese Narrationen fanden in den Memes ein geeignetes Transportmedium und wurden damit, ähnlich wie Kriegsbilder, zum wirksamen Instrument des Informationskrieges. 26

27

Ursprüngliche Twitter-Links hier: Suciu, Peter: »Real or Fake: Video Of Farmer Stealing Russian Tank, Landmine Removed With Bare Hands, And Comparisons Of Putin To Hitler Trading«, in: Forbes vom 02.03.2022, URL: https://www.forbes.com/sites/peters uciu/2022/03/02/real-or-fake-video-of-farmer-stealing-russian-tank-landmine-remo ved-with-bare-hands-and-comparisons-of-putin-to-hitler-trending/?sh=15a875cb43e c [04.10.2022]. Vgl. dazu: Langschwager, Marit: »Zwischen Superhelden und Schurken: Die Macht der Memes im Ukraine-Krieg«, in: Neue Zürcher Zeitung vom 25.06.2022, URL: https://ww w.nzz.ch/technologie/humor-spott-und-zynismus-die-macht-der-memes-im-ukrain e-krieg-ld.1690064 [09.03.2023].

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat den Begriff Mem 1976 in seinem Buch »The Selfish Gene« eingeführt. Darin definiert er es als kulturelles Analogon zum Gen in der biologischen Evolution und prägt die Vorstellung, dass Memes sich auf natürliche Weise entwickeln und verbreiten und dass die User:innen lediglich ihren Transport gewährleisten. Bei der Verbreitung der Memes gibt es zwei Varianten: einerseits die Menschen, die sich nicht im Klaren darüber sind, dass sie mit der Verbreitung von Bildern oder Memes zum Teil einer Kette werden bzw. sich nicht dafür interessieren. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die sich das »Viral«-werden eines Memes zur Aufgabe machen. Schließlich können sie aber auch von Bots gesteuert werden. Während sich witzige Memes im Netz ungesteuert verbreiten, werden Meinungen und Kritik in Meme-Form häufig bewusst und taktisch eingesetzt – egal ob durch Erstellen oder Teilen von Inhalten. Memes vereinen nicht nur, sie können auch ausgrenzend wirken, wenn sie auf einem bestimmten Wissen basieren, das nicht jeder Person zugänglich ist. Die ukrainischen Memes bedienen sich dieser Taktik, um ihren »War of Perception« für sich zu entscheiden. Kohout sieht in den ukrainischen Memes eine auffällige Rezitation der westlichen Popkultur. Als Beispiel nennt sie Bart Simpson, der »Russia is a Terrorist State« auf die Schultafel schreibt, oder ein Meme von Fred aus der Trickfilmserie Scooby-Doo, der den Bösewicht Putin enthüllt.28 Es gibt unzählige weitere Beispiele, wie Narrative aus Game of Thrones, Star Wars und weiteren bekannten Filmen und Serien. Diese Feststellung machte Bradley Wiggins von der Webster University in Wien schon 2016: Seine Untersuchungen ergaben, dass der Kampf der Ukraine und Russlands mithilfe der Memes genauso beschaffen ist, wie es Kohout für die Situation 2022 beschreibt. Wiggins beschäftigte sich qualitativ mit den Aussagen der Memes und stellte fest, dass prorussische Memes vor allem Fäkalsprache benutzten, um die Ukraine und die Europäische Union zu kennzeichnen.29 Außerdem wurden proeuropäische und westliche Politiker:innen als Zombies, Nazis und Vampire dargestellt. Ukrainische Memes griffen selbstverständlich den Putin-Kult an und die Idee des Einigen Russlands. Schon 2016 wurde die häufige Verwendung der westlichen Pop-Phänomene auffällig, wie etwa der

28 29

Vgl. Kohout in: Zeit Online 2022. Anonym: »Obsor InoSMI: woina Memow Ukrainy i Rossii«, in: Korrespondent vom 08.03.2016, URL: https://korrespondent.net/ukraine/3639481-obzor-ynosmy-voina-m emov-ukrayny-y-rossyy [04.10.2022]; Sommavilla 2022.

5. Memes

Protagonist:innen aus den Filmen Matrix und Austin Powers.30 Die ukrainische Hinwendung zur westlichen Populärkultur hat neben dem Signal der Zugehörigkeit weitere Gründe: Die Verwendung universaler westlicher Bildersprache und englische Beschriftungen garantieren der Ukraine mehr Sichtbarkeit im Westen und auch ein generelleres Verständnis der Memes, da sie nicht erklärt werden müssen. Genuin ukrainische Motive gibt es auch. Die heilige Javelin (Saint Javelin), eine Madonna mit einer US-Panzerabwehrlenkwaffe Javelin in den Händen, wurde 2022 zur Schutzpatronin der ukrainischen Armee erhoben.31 Dieses Bild wurde schon vor Beginn der russischen Invasion von Christian Borys entwickelt, verbreitete sich aber erst später viral.32 Viele Memes in ukrainischer (Bild-)Sprache gibt es ebenfalls, sie wurden allerdings im Westen kaum rezipiert, da dafür die Hintergrundinformationen fehlen. Beispielsweise können Gänse jetzt als »biologische Waffen« interpretiert werden, und das Wort »Deadline« bedeutet eine Kolonne russischen Kriegsgeräts. Außerdem war die Ukraine bis vor einigen Jahren, wie alle Länder des ehemaligen Sowjetblocks, stark mit sowjetischen Bildern angereichert und musste die eigenen Bilder, Zeichen und Texte wieder stärker in den Vordergrund rücken.

Abb. 24: NAFO-Avatar des ukrainischen Verteidigungsministers Oleksyj Resnikow

30 31

32

Vgl. ebd. Straub, Verena: »Die pro-ukrainischen Memes liegen eindeutig in Führung«, Interview von Ekaterina Bodyagina, in: Süddeutsche Zeitung vom 27.01.2023, URL: https://w ww.jetzt.de/ukraine-krieg/krieg-gegen-die-ukraine-welche-rolle-memes-spielen [10.03.2023]. Sommavilla 2022.

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

NAFO Eine große Bekanntheit erlangte die North Atlantic Fella Organization (NAFO, mit Anspielung auf NATO), die seit Mai 2022 aktiv russische Propaganda und Fehlinformationen bekämpft. Ihr Wiedererkennungsmerkmal ist der japanische Shiba-Inu-Hund, mit dem Propagandamaterial zu Memes umgearbeitet wurde und der ebenso als Profilbild der Fellas benutzt wird.33 Benjamin Tallis (Sicherheitsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik) lobte die NAFO für ihre kreative und witzige Strategie im Kampf gegen russische Desinformation und Oleksyj Resnikow (ukrainischer Verteidigungsminister) dankte der Gruppe.34 Diese Bewegung zog Tausende von Menschen an, die nicht wussten, wie sie sich gegen den Krieg einbringen konnten. Die Angriffe der NAFO sind gezielt gegen russische Propaganda und Trolle gerichtet. Ihr Humor ist ansteckend, ähnlich wie im Kriegsschiff-Meme. Dabei sind ihre Aktionen durchaus von Erfolg gekrönt, so der Spott über den russischen UN-Botschafter Michail Uljanow: Die Fellas hatten den Mann für seine Propaganda-Tweets in schlechtem Englisch hochgenommen. Uljanow antwortete mit »You pronounced this nonsense, not me« (Sie sprachen diesen Unsinn aus, nicht ich), was daraufhin zu einem vielbenutzten Zitat unter den Fellas wurde. »Die Aktion hat sogar dazu geführt, dass Uljanow für eine Woche nichts mehr auf Twitter gepostet hat«, so Benjamin Tallis.35 Die NAFO betreibt einen Fanshop mit Sweatshirts, Stickern, Eintrittskarten für eine fiktive Beachparty auf der Krim und sammelt Spenden für die Georgische Legion (eine georgische Armee in der Ukraine) und das Projekt »Saint Javelin«. Alle Spender:innen der NAFO bekommen einen Shiba-Inu-Avatar. Auch der Ukrainische Verteidigungsminister Oleksiy Resnikow bekam einen personalisierten Fella, nachdem er der NAFO auf seinem Twitter-Account gedankt hatte. Einige Zeit später machte er ein Posting von sich in einem T-Shirt der

33

34 35

Vgl. dazu: Althaus, Peter: »Russische Desinformation. NAFO Fellas: Bewegung von Meme-Hunden zerstört die Putin-Propaganda«, in: Berliner Kurier vom 06.09.2022, URL: https://www.berliner-kurier.de/politik-wirtschaft/ukraine-krieg/ukraine-russla nd-nafo-fellas-bewegung-von-meme-hunde-zerstoert-die-putin-propaganda-li.263 925 [09.03.2023]. Vgl. ebd. Ebd.

5. Memes

Fellas.36 Ihre Anlehnung an die NATO geht über den Namen hinaus, so gibt es #NAFOarticle5, angelehnt an einen ähnlichen Artikel des NATO-Vertages, der jedem einzelnem Fella in einer Angriffssituation Schutz durch die anderen Fellas bietet.37 Sie bewirken in ihrem Feld der Social Media viel und lassen die Frage aufkommen: Sind ihre Aktionen in ihrem Feld wirksamer als die der NATO? Sie unterstützen zudem noch andere Initiativen wie »signmyrocket.com«, ein Projekt des ukrainischen IT-Studenten Anton Sokolenko, bei dem mensch sich ein Artilleriegeschoss kaufen kann, um darauf eine persönliche Botschaft an Russland anzubringen.38 Je nach Größe werden zwischen ein paar Hundert und Tausenden von Dollar gezahlt. So haben sich die Fellas für eine unbekannte Summe einen Panzer ersteigert, an dem die Shiba-Inu-Fellas sowie ein Avatar des Mitbegründers Kamil Dyszewski (Kama_Kamilia) angebracht wurden. Aber auch die Fellas sind immer wieder mit Problemen konfrontiert – Dyszewski fiel 2022 wegen antisemitischer Tweets auf, die er noch vor der russischen Invasion in der Ukraine postete. Für die russische Seite war das ein Glücksfall, den sie propagandistisch ausschlachten konnte. Dyszewski löschte daraufhin viele Tweets und spendete 50 Dollar an das Museum Auschwitz-Birkenau.39 Das Erfolgsrezept der Fellas ist die Logik von viralen Memes: Sie benutzen ein flauschiges Haustier, das schon seit Jahren als »Doge«-Meme bekannt ist und seit 2013 als »Dogecoin« auch in Form einer Kryptowährung existiert.40 Sie schrieben sich also in ein bereits erfolgreiches System ein, um so mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie führen mit dem niedlichen Meme die ohnehin plumpe russische Propaganda vor und lassen das karnevaleske Lachen nach Michail Bachtin durch das Internet schallen. Ein weiterer Faktor ist ihre Masse, durch die vielen Postings können sie sich der russischen Propagandamaschine entgegenstellen. Da sich jede:r beteiligen kann, entsteht ein ganz neues Gefühl

36 37 38

39 40

Sommavilla 2022. Althaus 2022. Gault, Matthew: »NAFO Memesters Paid Ukraine to Paint Their Memes on a Tank«, in: Vice vom 30.04.2022, URL: https://web.archive.org/web/20220904210156/https://ww w.vice.com/en/article/epzp7n/nafo-memesters-paid-ukraine-to-paint-their-memeson-a-tank [09.03.2023]. Sommavilla 2022. Neuhaus, Andreas: »Dogecoin. Spaßwährung legt 8000 Prozent zu – Experten ratlos: ›Was sich da abspielt, ist komplett irrational‹«, in: Handelsblatt vom 20.04.2021, URL: https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/devisen-rohstoffe/dogecoin-spass waehrung-legt-8000-prozent-zu-experten-ratlos-was-sich-da-abspielt-ist-komplettirrational/27111594.html [10.03.2023].

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von Gemeinschaft, das diese Bewegung antreibt. Mit ihren Aktionen widerlegen die Fellas die Idee, dass in den Social Media lediglich »Klickaktivismus« herrsche, also Reaktionen auf Postings, die keinen Nutzen für die reale Welt erhalten, meint die Dozentin für digitale Kulturen an der University of Sydney, Olga Boichak. Sie sieht in der NAFO ein Beispiel der »partizipativen Kriegsführung«, die »direkt oder indirekt den Ausgang eines militärischen Konflikts vor Ort beeinflussen kann.«41 Es ist eine spannende Frage, was die Zukunft mit der NAFO macht, wie sie sich als Gruppe weiterentwickelt und mit äußeren Einflüssen umgehen wird.

Abb. 25: Superbunker 9000

41

zit.n.: Oertli, Sandro: »Die Nafo – eine »Meme-Armee« in Kampf gegen russische Propaganda«, in: Tagesanzeiger vom 01.09.2022, URL: https://www.tagesanzeiger.ch/ die-nafo-eine-meme-armee-im-kampf-gegen-russische-propaganda-286788953636 [09.03.2023].

5. Memes

Russische Memes Dass die Ukraine den Krieg der Memes längst für sich entschieden hat, darüber sind sich alle Expert:innen einig. Die pro-ukrainischen Memes liegen eindeutig in Führung. Nicht nur, weil es unter den pro-ukrainischen Memes mehr erfolgreiche, lustige Memes gibt. Sie haben auch mehr Plattformen und Vertriebskanäle. Und das ist ein sehr wichtiger Aspekt der Meme-Kultur und des Internets im Allgemeinen. Tiktok zum Beispiel hat seit Anfang März alle Uploads für russische Nutzer:innen blockiert. Daher können diese ihre Inhalte viel schwieriger verbreiten. Russland selbst sperrt soziale Netzwerke für seine Bürger:innen. Natürlich können die Sperren umgangen werden, aber die Zahl der aktiven Nutzer:innen ist rückläufig.42 Welche Memes werden in Russland produziert und wie steht es um ihre Viralität? Die Z-Propaganda, die seit Februar 2022 auf allen Social-Media-Kanälen auftauchte und perfide Nachrichten verbreitete, ist immer noch unter Hashtags wie #russianlivesmatter oder kürzer #rlm im Netz vorhanden. Auf TikTok gibt es viel Z-Content, wie Memes und Videos, die zumeist in russischer Sprache und mit entsprechender Popmusik unterlegt sind, oder gar mit patriotischen Volksliedern und Hymnen. Sie verfährt nach den bewährten Prinzipien des Patriotismus, Nationalismus, Überzeichnung der Feindbilder und Verharmlosung oder Rechtfertigung der »militärischen Spezialoperation«. Diese Memes werden in Europa kaum rezipiert, bedienen sich aber genauso oft wie die ukrainischen aus dem bestehenden Meme-Arsenal, wie zum Beispiel der Collage, die schon seit Jahren als Meme dazu dient, verschiedene Vergleiche aufzuzeigen. Hier werden Reaktionen auf diverse Kriege gezeigt: Während bei den Angriffen der USA auf Libyen, Pakistan oder Syrien die Familie vor dem Bildschirm sagt »We must stop them«, wird beim Angriff Russlands auf die Ukraine plötzlich protestiert. Damit wird der Westen als heuchlerisch dargestellt.43

42 43

Straub 2023. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Kohout in: Zeit Online 2022.

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Abb. 26: »Lasst uns Kriege beenden«, Meme des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation vom 05.03.2022.44

Die russischen Memes gegen den Krieg sind ebenfalls russischsprachig und benutzen häufig auch fertiges Material von den Simpsons, der beliebten Serie Friends, aber auch viele Fotografien von russischen Politiker:innen. Außerhalb Russlands können sie nur vom russischsprachigen Publikum rezipiert werden und referieren häufig auf genuin russische Cartooncharaktere oder Stars. Hier greift der Abgrenzungsmechanismus stärker als bei den ukrainischsprachigen Memes – gleichzeitig soll die russischsprachige Bevölkerung, die häufig keine weitere Sprache beherrscht, adressiert und aktiviert werden.

44

Hier wird der kyrillische Buchstabe »з« durch den lateinischen Buchstaben »z« betont, aber noch nicht ersetzt. Diese Praxis verbreitete sich 2022 russlandweit. In der Region Kusbas wurde seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine von offizieller Seite die Schreibweise verändert. Seit dem 02.03.2022 wird »Kusbas« vermehrt mit einem großen »Z« geschrieben: »KuZbas«. Vgl. dazu: Iljina; Anastasia: »Wlasti Kemerowskoi oblasti stali nasywat region KuZbassom w snak poddershki spezoperazii na Ukraine«, in: NGS.ru vom 02.03.2022, URL: https://ngs.ru/text/gorod/2022/03/02/704 80919/ [10.05.2023].

5. Memes

Ein Meme oder besser gesagt ein Comic zeigt Kater Leopold aus der gleichnamigen sowjetisch-russischen Zeichentrickserie. Er trägt seit seiner Entstehung in den 1970er Jahren ein gelbes Shirt und eine blaue Hose – die Farben der ukrainischen Flagge. Um die Absurdität der aktuellen Maßnahmen vor Augen zu führen, wird der Kater im Meme von drei Polizisten zusammengeschlagen. Denn Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine gelten in Russland als »Diskreditierung der russischen Armee«.45 Dabei muss mensch wissen, dass der Kater Leopold seit jeher von zwei Mäusen gepiesackt wird und sein immer wiederkehrender Aufruf, den er in jeder Folge wiederholt – »Leute, lasst uns friedlich leben.« – immer zum gleichen Ergebnis führt: Er wird von den Mäusen zusammengeschlagen. Dieses Meme ist aus der Feder des belorussischen Künstlers CHILIK (@chiliktol), der auf seinem Instagram-Account Comics gegen den Krieg postet.

Abb. 27: Meme zu unterschiedlichen Kriegen

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Vgl. Kohout in: Zeit Online 2022.

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Abb. 28: @chiliktol

Kohout verweist u.a. auf das Meme »Хуй войне!«, das in Europa noch auf eine Referenz der frühen 2000er stößt. Der Slogan heißt übersetzt »Krieg fick dich« oder »Fuck War« und wurde durch die russische Mädchenband t.A.T.u. bekannt. Sie trugen ihn bei einem Auftritt in der Tonight Show auf T-Shirts, obwohl ihnen untersagt worden war, den Irakkrieg zu kommentieren. Dabei war die Situation 2003 ähnlich, die Bush-Regierung untersagte es auch während der Grammy-Verleihung, gegen den Krieg zu protestieren. Es geschah trotzdem, denn als populäre Persönlichkeit in den USA konnte mensch sicher sein, dass bei Zuwiderhandlung nichts geschehen wird. Anders als in Russland, weshalb von dort weniger Memes gegen den Krieg zu finden sind. Seit 2015 ist es verboten, Memes von Berühmtheiten zu produzieren und auch die Verbreitung von sogenannter Verunglimpfung der Streitkräfte und des Vaterlandes ist strafbar.46 Der Slogan »Хуй«-Irgendwas wurde nicht von t.A.T.u. erfunden und hat in der russischsprachigen Protestkultur schon immer in der einen oder anderen Form existiert. Hier sei beispielsweise an Aktionen von Moskauer Künstler:innen der 1990er Jahre erinnert. Die Gruppe E.T.I. legte das Wort aus den drei Buchstaben auf dem roten Platz aus, als Buchstaben dienten die Körper der Gruppenmitglieder und von Menschen, die sie auf der Straße überredeten, mitzumachen. Die Idee dahinter war, endlich in den direkten Konflikt mit der Regierung zu treten, Kritik an der wirtschaftlichen und politischen Situation zu üben. Gerichtet war sie auch gegen das sogenannte »Sittlichkeitsgesetz«, 46

Vgl. dazu: Kohout, in: Zeit Online 2022.

5. Memes

das bis zu zwei Wochen Inhaftierung bedeutete, wenn jemand sich an öffentlichen Orten der Vulgärsprache bediente (es trat am 15.04.1991 in Kraft). Anatolij Osmolowskij erinnert sich: Wir lagen lediglich dreißig Sekunden da, weil die Polizei sofort zu uns rannte und anfing, uns an den Haaren zu ziehen; sie meinten dann es sei sogar lustig, den »x **« an den Haaren heraufzuziehen. Sie schleppten uns zur Polizeiwache und fingen an zu fragen, was wir getan hätten. Ich sagte, dass wir verschiedene geometrische Formen ausgelegt haben – Dreiecke, Quadrate, Suprematismus im Allgemeinen. Die Polizei notierte unsere Adressen und ließ uns gehen.47

Mogilisazia

Abb. 29: »Hier können sie schreiben, ob Bodentruppen oder Lufttruppen.« – »Kann ich sofort Gefangenschaft schreiben?«

Viele Memes wurden seit der Mobilisierung im September 2022 produziert. Aus dem russischen Wort »Mobilisazia« wurde »Mogilisazia« [für mogila: Grabmal], damit wurde auf die Sinnlosigkeit dieses Krieges einerseits und auf den drohenden Tod andererseits angespielt – beide Faktoren sind eine Kritik an der russischen Führung und am Militär. Diese und viele andere Memes sind in Deutschland kaum sichtbar, während die ukrainischen Memes, Videos, 47

Osmolowskij, Anatolij: »Akzii ›E.T.I. – tekst‹ – 25 let!«, in: Artgid vom 18.04.2016, URL: h ttps://artguide.com/posts/1019 [04.10.2022].

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Tweets und Bilder aller Art omnipräsent sind. Sie sollen gegen den Krieg aufrütteln und mobilisieren. Russische Propaganda richtet sich an die russischsprachige Welt und will alle anderen ausgrenzen, sodass sie sich bestenfalls raushalten. Die russischsprachige Opposition ist zwischen diesen beiden Seiten in einer schwierigen Lage – wir kommen hier zurück zu der Frage: Wer darf Witze machen? Wer darf lachen? In deutsch- und englischsprachigen Medien wird diese Frage oft diskutiert. Wie relevant ist Humor in einer Situation echten menschlichen Leids? Ich denke, es hängt viel von der Position der Akteure ab. Denn es ist eine Sache, wenn Ukrainer:innen lustige Memes über die Invasion ihres Landes posten, und eine ganz andere, wenn sich die postenden Menschen in den Vereinigten Staaten in Sicherheit befinden. Selbst wenn sie es als Geste der Solidarität mit der Ukraine tun.48 Auch das Fehlen von Memes aus dem oppositionellen Russland ist als eine Solidaritätsbekundung mit der Ukraine zu verstehen. So hat der Nachrichtenkanal Meduza Memes erstmals am 04. Oktober 2022 veröffentlicht, und zwar um die Reaktionen auf die Äußerungen von Elon Musk zum Krieg zu zeigen. Der reichste Mann der Welt hat eine Liste mit Bedingungen getwittert, unter denen die beiden Kriegsparteien seiner Meinung nach Frieden schließen können. Musk schlug vor, die 2014 annektierte Krim als Teil der Russischen Föderation zu »belassen«, eine neue Abstimmung in den besetzten Gebieten abzuhalten und die Ukraine als »neutralen« Staat anzuerkennen. Die von Meduza publizierten Memes standen unter folgender Überschrift: »Während des Krieges veröffentlichen wir (fast) keine Memes. Aber jetzt sind wir gezwungen, eine Ausnahme zu machen. Elon Musk ist in großen Schwierigkeiten: er hat sich entschlossen, etwas zum Krieg zu sagen. Die Reaktion des Internets«.49

48 49

Straub 2023. Anonym: »Wo wremja woiny my (praktitscheski) ne publikujem memy. No sejtschas wynushdeny sdelat iskljutschenije. U Ilona Maska bolschije problemy: on reschil wyskazatsja po powodu woiny. Reakzia interneta«, in: Meduza vom 04.10.2022, URL: https://meduza.io/feature/2022/10/04/vo-vremya-voyny-my-prakticheski-ne-pu blikuem-memy-no-seychas-vynuzhdeny-sdelat-isklyuchenie [04.10.2022].

5. Memes

Abb. 30: Meme über Tesla, Elon Musk und seinen Ideen zum Ukraine-Krieg

Nein zum Trockenfisch Dass die russische Opposition immer noch existiert und auch Humor hat, beweist die Geschichte um »Net Woble«.50 In Tjumen befasste sich das Gericht am 12. Oktober 2022 mit dem Fall der 30-jährigen Alisa Klimentowa, die auf einem Platz der Stadt mit Kreide »Net ****e« auf den Bürgersteig geschrieben hatte, das üblicherweise für »Net woine« (Nein zum Krieg) steht. Die Angeklagte konnte nachweisen, dass sie »Nein zu Wobla« [getrockneter Fisch, der traditionell zu Bier und Vodka gegessen wird] und nicht »Nein zum Krieg« meinte, da sie eine starke Abneigung gegen diesen Fischtyp empfinde. Der Fall ging in sozialen Netzwerken viral, der getrocknete Fisch wurde zu einem Antikriegs-Meme. Internetnutzer ersetzten das Wort »Krieg« durch »wobla« in 50

Anonym: »Wobla i mir. Sud rassmotrel delo o nadpisi ›net w***e‹«, in: Sibir Realii vom 25.10.2022, URL: https://www.sibreal.org/a/vobla-i-mir-sud-rassmotrel-delo -o-nadpisi-net-v-e-/32080826.html [01.11.2022]; Anonym: »Net woble! W tjumeni shenschtschina oprawdalas sa antiwojennyj losung i porodila mem«, in: memepedia vom 14.10.2022, URL: https://memepedia.ru/net-voble-v-tyumeni/ [12.03.2023].

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Buch-, Film- und Songtiteln. Der berühmte russische Sänger und Songwriter Semjon Slepakow schrieb ein Lied über »Net woble« mit eindeutigen Aussagen gegen den Krieg in der Ukraine und Ksenia Sobtschak kreierte eine Capsule-Collection mit dem Slogan. So löste in Russland der Fisch für einige Wochen die Friedenstaube als Symbol einer Anti-Kriegsbewegung ab. Bereits einen Monat nach der ersten Verhandlung wurde die Strafsache von Klimentowa erneut vor Gericht gebracht, nachdem die Polizisten, die sie verhaftet hatten, in Berufung gegangen waren.51 Klimentowa wurde schließlich zu einer Strafe von 30.000 Rubel verurteilt – diese Summe wurde durch Crowdfunding für sie gesammelt.52

Abb. 31: Leo Tolstoi, »Wobla und Frieden«

51 52

Anonym: »Sud otmenil reschenije po delu ›Net woble‹«, in: Lenta.ru vom 21.11.2022, URL: https://lenta.ru/news/2022/11/21/net/ [10.03.2023]. Anonym: »Tjumenzy za sutki sobrali 30 tysjatsch rublej, tschtoby pogasit schtraf figurantke ›dela o woble‹«, in: fontanka.ru vom 21.12.2022, URL: https://www.fontanka.ru/ 2022/12/21/71918045/ [10.03.2023].

5. Memes

Diese Geschichten machen deutlich, dass in Russland sehr wohl viele Memes gegen den Krieg produziert werden, ob nun aus bestehendem Meme-Material oder neu geschaffen, wie der Fisch. Für nicht-russischsprachige Menschen sind diese Memes nicht zugänglich und auch die Kanäle, auf denen sie verteilt werden, sind eher russische, wie etwa via vKontakte, Odnoklassniki, Telegram u.a. Die Entwicklungen des Informationskrieges zeigen, wie die Ukraine und auch die restliche Welt (siehe NAFO) von Russlands ehemals scheinbar unbesiegbaren Propaganda-, Troll- und Hackmaschinerie gelernt hat. Die Zukunft wird sicherlich viele gegenwärtig noch versteckte Versuche ans Licht kommen lassen, oppositionelle Meinungen in Russland kund zu tun sowie die ukrainischsprachigen Memes mit eindeutig nationalistischem Charakter, die auch existieren, aber aktuell nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Derweil wurde im Berlin Story Bunker, wo sonst das Thema deutsche Hauptstadt im Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg und in der Zeit danach behandelt wird, eine Ausstellung der Memes zum Ukraine-Krieg veranstaltet. Kuratiert wurde die Ausstellung gemeinsam von den Museumsdirektoren Wieland Giebel und Enno Lenze. Sie zeigen die NAFO, Selenskyj als Captain America und behaupten, dass dies die erste Meme-Ausstellung der Welt sei.53 Vergessen ist Putin als Meme, wie mensch ihn 2015 noch kannte und ausstellte.

53

Rushton, Elizabeth: »Diese Ausstellung zeigt, wie die Ukraine russische Aggression mit Memes bekämpft«, in: Berliner Zeitung vom 19.11.2022, URL: https://www.berline r-zeitung.de/kultur-vergnuegen/diese-ausstellung-zeigt-wie-die-ukraine-den-kriegmit-memes-gewinnen-will-li.288438 [12.03.2023].

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6. NFTs

Neben Bezeichnungen als »Handy-Krieg« oder »TikTok-Krieg« in Bezug auf den Umgang mit Bildern, hat der Ukraine-Krieg als viralster Krieg der Geschichte eine weitere Charakterisierung erfahren: Am 25.02.2022 wurde in einem Tweet der Washington Post vom »ersten Kryptokrieg der Welt« gesprochen.1 Das lag vor allem daran, dass sowohl die ukrainische als auch die russische Regierung auf Kryptowährungen zurückgriffen, da die traditionellen finanziellen Ressourcen zeitweise nicht zugänglich waren. In Russland wurden so westliche Sanktionen durch Legalisierung von Kryptowährungen umgangen. Das ist keine neue Taktik, denn schon seit Langem haben Staaten wie der Iran oder Nordkorea diesen Nutzen aus alternativen Finanzformen gezogen. Für die Ukraine hingegen wurden insgesamt große Summen über Kryptowährungen an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gespendet und viele Ukrainer:innen haben sich etwa Bitcoin zugewandt, da Geldautomaten wegen allgemeiner Panik überrannt wurden oder kaputtgegangen waren.2 Alex Gladstein von der New Yorker Menschenrechtsorganisation »Human Rights Foundation« sieht die Bezeichnung »Krypto-Krieg« hingegen kritisch. Er schlägt vor, die Möglichkeiten der Kryptowährungen als einen Schutzschild für Menschen zu betrachten. Sein Spendenaufruf für die Ukraine brachte in der ersten Kriegswoche umgerechnet knapp 60 Millionen US-Dollar in unterschiedlichen Kryptowährungen für die Kriegskasse zusammen. »Die ukrainische Regierung hat mit dem Geld Militärausrüstung zur Verteidigung

1

2

Schleuning, Raphael: »Kryptowährungen als Ausweg für Russland und Ukraine: der ›erste Kryptokrieg der Welt‹«, in: Handelskontor vom 02.03.2022, URL: https://handels kontor-news.de/news/kryptowaehrungen-als-ausweg-fuer-russland-und-ukraine-de r-erste-kryptokrieg-der-welt/ [07.10.2022]. Vgl. ebd.

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des Landes gekauft«3 , erläuterte Gladstein. Aber das sei nicht alles: »Die Krypto-Technologie leistet auch friedliche humanitäre Hilfe für hunderttausende Menschen, die geflohen sind, vertrieben wurden oder unter schrecklichen wirtschaftlichen Verhältnissen leiden müssen.«4 So gebe es spezielle Fonds, um Zivilist:innen bei der Flucht zu helfen und sie mit Lebensmitteln und Treibstoff zu versorgen. Im Januar 2022 verkündete Ji-Hun Kim, der Mitbegründer und Chefredakteur des Online-Magazins Das Filter, eine überraschende Renaissance der Science-Fiction im Mainstream. Überraschend, weil der Autor (bis dato) überzeugt war, dass die Komplexität unserer technologischen Fortschritte der Gegenwart die Imaginationsräume der Science-Fiction überwunden hätte.5 Stattdessen stellt er mit Blick auf Jeff Bezos’ Blue Origin oder Elon Musks SpaceX fest, dass dem nicht so ist und selbst die NASA mit neuen Projekten (James-Webb-Weltraumteleskop, Asteroiden-Abwehrprojekt) einen neuen Aufschwung erlebt. In der heutigen Zeit glaubte kaum jemand noch daran, dass (kommerzielle) Technologien die Welt verbessern könnten, meinte Kim. Auch für den Kunstbetrieb konnte in den zurückliegenden Jahren (bis zum Aufschwung der KI 2023) eher eine Rezession der Technologiegläubigkeit festgestellt werden. Während noch in den frühen 2000er Jahren auch hierzulande Internet- und Media-Art boomte, verlagerte sich danach die Vorliebe für digitale Kunstformen vor allem in den asiatischen Raum, was immer wieder auf internationalen Ausstellungen sichtbar wurde. In den USA und Europa haben ein paar Gatekeeper weiterhin die Möglichkeiten des Digitalen ausgelotet, waren aber im Kunstbetrieb eher Einzelgänger:innen, wenn auch vielbeachtete so wie etwa Hito Steyerl. Zu einem großen Turn weg von traditionellen Kunstgattungen hin zum Digitalen war es bis 2021 nicht großflächig gekommen. Umso plötzlicher schien für den einen oder anderen etablierten Kunstmenschen der Einschlag der NFTs auf dem Kunstmarkt. 2021 haben NFTs eine erneute, recht kurze Welle der Technologiebegeisterung ausgelöst, die 2022 wieder abflachte, um schließlich 2023 erneut einen Hype, diesmal um KI-generierte Kunst, zu entfachen.

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Mücke, Peter: »Die Doppelrolle der Kryptowährungen«, in: Tagesschau vom 08.03.2022, URL: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/kryptowaehrungen-ukrainekri eg-101.html [07.10.2022]. Ebd. Kim, Ji-Hun: »On:Off«, in: monopol vom 28.01.2022, URL: https://www.monopol-maga zin.de/das-ueberraschende-comeback-der-science-fiction [07.10.2022].

6. NFTs

NFT – was ist das? NFT steht für »Non-Fungible Token«, zu Deutsch »nicht ersetzbares Token«. Ein NFT ist ein Gut, das ausschließlich im digitalen Raum existiert und das man besitzen kann. Es handelt sich um einen Eintrag in einer Blockchain, einen Code und kein Kunstwerk, wie viele denken. Ein NFT kann jede digitale Datei sein: ein Kunstwerk, ein Artikel, Musik oder sogar ein Meme wie »Disaster Girl«, von dem das Originalfoto Anfang des Jahres 2022 für 500.000 Dollar verkauft wurde. Wie alle Phänomene der digitalen Bildkulturen – wie Gifs, Memes und Emojis – gibt es auch NFTs länger als vermutet. Im Februar 2021, nach mehreren Corona-Lockdowns, schien diese Art von Kunstwerken wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein und die Nachfrage bzw. der Markt dafür waren ebenso plötzlich da. Walter Gehlen sieht die Pandemie als einen zentralen Grund für die beschleunigte Akzeptanz neuer Technologien. Ein weiteres Charakteristikum des NFT-Erfolgs war, dass sie neue (vor allem jüngere) Zielgruppen ansprachen, die üblicherweise selten Kunstgalerien aufsuchten.6 Am 25. Februar 2021, ein Jahr vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges, versteigerte Christie’s erstmals ein digitales Kunstwerk von Beeple, das auch noch in Ether bezahlt werden konnte. »Everydays: The First 5.000 Days« wurde für 69,3 Mio. US-Dollar versteigert, 22 Mio. Menschen haben die Auktion online verfolgt und über 50 Prozent der Bietenden waren Millenials oder jünger.7 Gekauft wurde es von Vignesh Sundaresan (Pseudonym MetaKovan) aus Singapur, einem Programmierer, Krypto-Investor und Gründer von »Metapurse NFT Project«.8 Wenn solche Phänomene ins Bewusstsein des nichttechnikaffinen Publikums drängen, haben sie schon eine längere Phase der Entwicklung und Vermarktung in etwaigen Nischen hinter sich. Das erste NFT Quantum wurde von Kevin McCoy auf Namecoin 2014 publiziert.9 So war das auch im Fall von Beeple, dessen Auktion bei Christie’s von manchen als 6

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Vgl. Luckwaldt, Siems: »Der NFT-Hype muss sich legen«, Interview mit Walter Gehlen in: Capital vom 04.02.2023, URL: https://www.capital.de/leben/kunstmarkt---der-nfthype-muss-sich-legen--33130550.html [13.03.2023]. Vgl. ebd. Villa, Angelica: »A Collecting Category Emerges: How NFTs Took the Art World by Storm«, in: ARTnew.com vom 09.11.2021, URL: https://www.artnews.com/art-news/ma rket/nfts-collecting-category-1234605598/ [07.10.2022]. Zur Genese von NFTs: Creighton, Jolene: »NFT Timeline: The Beginnings and History of NFTs«, in: nft now vom 15.12.2022, URL: https://nftnow.com/guides/nft-timeline-th e-beginnings-and-history-of-nfts/ [06.05.2023].

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Werbegag und Betrug bezeichnet wurde.10 Sundaresan zahlte 42.329 Ether für das Werk – der Käufer und der Produzent hatten ein gemeinsames Interesse, den Preis nach oben zu schrauben, um die Aufmerksamkeit auf den Verkauf von anderen Werken von Beeple, den sogenannten »B20 Tokens«, von denen Sundaresan 59 Prozent besaß, zu lenken.11 Der Käufer bekam die Rechte, »Everydays« ausstellen zu dürfen, aber kein Copyright. Ausgestellt wurde es in einem digitalen Museum im Metaverse.12 Mit dieser Auktion wurde die Kunstwelt unerwartet in traditionell oder hip unterteilt – in »Crypto Bros« und »Boomer« – die Spaltung schien existenziell zu sein. Die Positionen für und gegen Kryptokunst waren verhärtet: Zukunft des Kunstmarkts für Visionär:innen gegen viel zu hohe Preise für viel zu schlechte Hypes. Chris Torres’ zehn Jahre alte Nyan Cat war ein weiteres NFT, das für 600.000 US-Dollar verkauft wurde. Schnell wurde klar, dass alles als NFT verkauft werden kann: Der Twitter-Gründer Jack Dorsey versteigerte seinen ersten Tweet für 2,9 Mio. US-Dollar. Ein Redakteur der New York Times versteigerte seinen Kommentar über NFTs als NFT.13 Die NFT-Manie hat sich auch im Sportbereich ausgebreitet: Die NBA hat mit Top Shot eine Plattform für Krypto-Sammlungen eröffnet, wo Investor:innen Spielhighlights als kurze Videoclips kaufen, sammeln und verkaufen können, so wie früher analoge Sammelkarten. Eine andere Art von Sammelkarten wurde im NFT-Bereich ebenfalls etabliert: CryptoPunks, die eigentlich die Urahnen des NFT-Hypes waren.

Berühmte NFTs Das Besondere an NFTs ist, dass sie durch eine Nummer eindeutig identifizierbar sind. Im Falle von CryptoPunks, die 2017 von Matt Hall und John Watkins entwickelt wurden, handelte es sich um so etwas wie digitale Sammel10

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Schneider, Tim: »This Was a $69 Million Marketing Stunt«, in: Artnet News am 18.03.2021, URL: https://news.artnet.com/market/beeple-everydays-controversy-nftor-not-1952124 [09.10.2022]. Vgl. ebd. Stoilas, Helen: »Virtual museum to be built to house Beeple’s record-breaking digital work«, in: The Art Newspaper vom 13.03.2021, URL: https://www.theartnewspaper.com /2021/03/13/virtual-museum-to-be-built-to-house-beeples-record-breaking-digitalwork [09.10.2022]. Vgl. Reichelt, Kolja: Kryptokunst, Berlin: Wagenbach 2021, S. 8.

6. NFTs

karten. Die Darstellungen selbst waren jederzeit kopierbar und teilbar, nicht aber der Eintrag ins Register, in dem der Zahlenschlüssel der Ethereum-Wallet der Eigentümer:in verzeichnet ist – und die Nummern aller vorangegangenen Eigentümer:innen.14 Larva Labs haben die CryptoPunks (es gibt insgesamt 10.000) in den vergangenen Jahren gut als Klassiker des NFT-Genres absetzen können, sie schenkten dem Centre Pompidou den CryptoPunk#10. Eine anonyme Spende des CryptoPunk#5364 erhielt die ukrainische Regierung nach der russischen Invasion.15 Weitere begehrte Sammelkarten waren CryptoKitties von Dapper Labs, die auch noch miteinander gepaart werden konnten, sowie die Bored Ape Yacht Club (BAYC) von Yuga Labs LLC. Die Affenbilder wurden prominent durch Stars wie Eminem, der seinen Affen als Profilbild bei Twitter benutzte, Madonna, Justin Bieber, Shaquille O’Neal, Stephen Curry, Steve Aoki, Jimmy Fallon u.a. Um das BAYC erhärteten sich Ende 2022 Verdächtigungen von rechtsextremen Inhalten, die über die Affendarstellungen vermittelt worden sein sollten. Scheinbar waren dabei Trolle und AltRight-Macher im Spiel.16

NFT-Kontroversen John Hawkins von der University of Canberra leitet seinen Artikel über NFTs wie folgt ein: Comedian Robin Williams once called cocaine »God’s way of telling you are making too much money«. This role may now have been overtaken by nonfungible tokens, the blockchain-based means to claim unique ownership of easily copied digital assets.17

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Reichelt 2021, S. 22. Milmo, Dan: »Ukraine to issue non-fungible tokens to fund armed forces«, in: The Guardian vom 03.03.2022, URL: https://www.theguardian.com/world/2022/mar/03/uk raine-to-issue-non-fungible-tokens-to-fund-armed-forces [13.03.2023]. Kim, Ji-Hun: »Kontroverse um Bored-Ape-NFTs. Teure Affen als rechte Trolls«, in: monopol vom 21.06.2022, URL: https://www.monopol-magazin.de/bored-ape-yacht-club -teure-affen-als-rechte-trolls [13.03.2023]. Hawkins, John: »NFT’s, an overblown speculative bubble inflated by pop culture and crypto mania«, in: The conversation vom 13.01.2022, URL: https://theconversation.com/ nfts-an-overblown-speculative-bubble-inflated-by-pop-culture-and-crypto-mania-1 74462 [10.10.2022].

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Neben hohen Preisen und der Fragwürdigkeit des Besitzes eines Codes war es auch die häufige 8-Bit-Ästhetik (1 Byte oder 256 gleichzeitig darstellbar) der NFTs, die viele alt eingesessene Kunstprofis düpierte: Animationen, die an frühe Computerspiele erinnerten, und Farbverläufe, die wiederum an WindowsBildschirmschoner denken ließen. Also eine Ästhetik, die in den zurückliegenden Jahren mit dem Y2K- und 90er Jahren-Trends einherging. Die etablierte Kunstszene zeigte sich teilweise elitär: Kryptokunst hätte nichts mit Qualität zu tun, sie sei nur ein Weg sich schnell zu bereichern, ohne irgendetwas Relevantes produziert zu haben. Kunstkritiker:innen gingen verbal aufeinander los und alte Konzepte wie Avantgarde und Kitsch wurden plötzlich wieder relevant.18 Dies waren jedoch einzelne Meinungen, die dem Hype nichts anhaben konnten. Allgemein kann gesagt werden, dass der Hype um NFTs mit dem allgemeinen Krypto-Hype verwoben war und die wirklich erfolgreichen NFTs von Menschen stammten, die bereits berühmt waren. So haben etwa viele Künstler:innen und Musiker:innen ihre alten Produktionen recycelt und als Sondereditionen im Digitalformat herausgegeben. Grimes hat mit Variationen des Artworks von ihrem letzten Album innerhalb von wenigen Stunden 5,8 Millionen US-Dollar verdient. Azalea Banks verkaufte ein Audio-Sextape als NFT.19 Auch Museen zeigten sich am Puls der Zeit und kauften seit 2021 NFTs für ihre Sammlungen: Das Joanneum in Graz kaufte NFTs regionaler Künstler, das Guggenheim Museum schuf eine Arbeitsgruppe zur Prüfung der Zukunftsträchtigkeit von NFTs, die Uffizien verkauften digitale Scans von Werken Alter Meister. Das Centre Pompidou erwarb 2023 ganze 18 NFTs, das Los

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Vgl. beispielsweise: Blue, Max: »Opinion: Why NFTs Are kitsch, not art«, in: San Francisco Examiner vom 06.03.2022, URL: https://www.sfexaminer.com/culture/opini on-why-nfts-are-kitsch-not-art/article_3cbe3c33-b323-540b-adec-27f9cebf4be8.html [13.03.2023]; Luerweg, Susanne/Oelze, Sabine: »NFTs – Das Geschäft mit der digitalen Kunst. Hype, Hybris oder Hochkultur«, in: Hörspiel und Feature vom 05.02.2023, URL: h ttps://www.hoerspielundfeature.de/freistil-nfts-geschaeft-mit-der-digitalen-kunst-1 00.html [13.03.2023]; Bovermann, Philipp: »Digitale Wertgegenstände schaffen ein neues Bürgertum im Netz«, in: Süddeutsche Zeitung vom 10.02.2022, URL: https://ww w.sueddeutsche.de/wirtschaft/metaverse-blockchain-web3-krypto-kryptowaehrung en-1.5526034 [13.03.2023]. Reichelt 2021, S. 7; Ball, James: »How non-fungible tokens became the latest tech speculation bubble«, in: The Guardian vom 13.03.2023, URL: https://www.theguardian. com/technology/2021/mar/13/how-non-fungible-tokens-became-the-latest-tech-spe culation-bubble [15.03.2023].

6. NFTs

Angeles Museum of Art bekam eine Schenkung von 22 NFTs von bedeutenden Künstler:innen. Die Kunstmessen und Galerie stiegen ebenso ins NFTGeschäft ein.20 Der Hype und die Streitigkeiten um die NFTs schwelten gegen Ende 2021 wieder ab. Es wurde deutlich, dass die NFTs das traditionelle Kunstestablishment nicht gefährden und nicht wie die Avantgarde am Anfang des 20. Jahrhunderts gänzlich zerstören wollen, sondern beide Stränge friedlich koexistieren können.

The Currency Einen ironischen Kommentar dazu hinterließ der routinierte Spekulant des Kunstmarkts Damien Hirst mit seinem Projekt The Currency. 2021 brachte er 10.000 seiner Spotpaintings mit Beipackzettel in Umlauf. Jeder Käufer hatte ein Jahr Zeit, sich zu entscheiden, ob er das für 2000 Dollar erworbene Kunstwerk in Papierform behalten wollte oder lieber gegen ein digitales Zertifikat auf dieses Kunstwerk, ein NFT eintauschte.21 Nach abgelaufener Zeit würde er die Werke, deren Besitzer:innen sich für NFTs entschieden haben, in seiner Londoner Newport Street Gallery verbrennen.22 Neben dem versprochenen Scheiterhaufen zeigte das Projekt auch die Marktentwicklung der Kryptowelt auf. Mit dem Crash der Kryptowährungen haben auch die Currency-NFTs auf dem Sekundärmarkt an Wert verloren, während der Widerverkaufswert der physischen Werke stabiler blieb. Diese Daten sind es, die »The Currency« weit mehr definieren als die Pünktchenbilder, ganz gleich, ob man sie sich nun auf dem Smartphone ansieht oder an die Wand hängt. Sie verlieren nicht an Bedeutung, wenn man sich stattdessen an der Glut ihrer rauchenden Überreste wärmt. Hirst hat das Projekt als sein »bei Weitem aufregendstes« bezeichnet, weil es dabei, so

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Vgl. Reichelt 2021, S. 10; Komarek, Eva: »Kryptokunst«, in: Die Presse vom 18.02.2023; h ttps://www.diepresse.com/6253326/kryptokunst [14.03.2023]. Ruth Polleit Riechert im Gespräch mit Stephan Karkowsky: »Damien Hirst ›Currency‹ in London‹. NFT-Bilder verändern die Kunstwelt«, in: Deutschlandfunk Kultur vom 23.09.2022, URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/nft-kunst-damien-hirst-100 .html [14.03.2023]. Menden, Alexander: »Damian Hirst will Tausende seiner Gemälde verbrennen«, in: Süddeutsche Zeitung vom 27.07.2022, URL: https://www.sueddeutsche.de/kultur/dam ien-hirst-nfts-verbrennen-1.5628897 [07.10.2022].

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zitiert The Art Newspaper ihn, um »die Idee von Kunst als Speicher von Reichtum« gehe. So betrachtet ist »Currency« ein Monument der Kunst als Währung, und damit die Apotheose der Hirst’schen Kunst schlechthin.23 Mittlerweile hat Hirst seine Bilder im Wert von über 10 Millionen US-Dollar medienwirksam bei der Frieze Art Fair in London im Oktober 2022 verbrannt. 4851 Menschen haben sich für die NFT-Version entschieden, und damit trotz sinkender Preise auf dem Kryptokunstmarkt nur etwas weniger als die Hälfte der 10.000 Besitzer:innen. » […] Es ist schon verrückt, Kunst zu verbrennen«,[…] »Aber ich denke, es ist eher eine Transformation, weil es das physische Kunstwerk zum NFT macht.« Hirst ist nicht der Erste, der materiell existente Bilder zerstört, um non-fungible tokens zu schaffen. So hatte kürzlich ein Kryptowährungs-Unternehmer und Sammler eine Zeichnung von Frida Kahlo verbrannt und diese in ein NFT verwandelt. Dabei könnte es sich allerdings um eine Straftat, nämlich die vorsätzliche Zerstörung eines Kunstdenkmals, handeln. Damien Hirst hat immerhin nur Werke verbrannt, die in seinem eigenen Studio hergestellt wurden und für die er die Urheberrechte besitzt.24 Das Jahr 2021 zeichnete sich durch kunstbetriebsimmanente Debatten über Qualität, Wert, Bedeutung und Formalismus aus. Während Memes die Einzigartigkeit des Dargestellten relativieren und in neue Kontexte setzen, spalten sie auch Identitäten, lösen Zeichen aus ihrer vorigen Bedeutung und öffnen kollektive, tendenziell unabschließbare Verknüpfungen mit neuen Bedeutungen. »Memes sind semiotische Lockerungsübungen«, schreibt Reichelt, sie lassen die Internetöffentlichkeit sich als lebendig fühlen. CryptoPunks und CryptoKitties sind das Ergebnis einer Software-Operation, der Code ist das einzige, das sich noch auf menschliches Handeln zurückführen lassen würde.25

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Menden 2022. Anonym: »NFT-Projekt »Currency«. Damien Hirst verbrennt tausende seiner Werke in London«, in: monopol vom 12.10.2022, URL: https://www.monopol-magazin.de/damie n-hirst-verbrennt-tausende-seiner-werke-london [13.10.2022]. Vgl. Reichelt 2021, S. 30.

6. NFTs

NFTs for Ukraine Ein Jahr nach der Versteigerung von Everydays: The First 5.000 Days hat der großflächige Krieg in der Ukraine begonnen. Nach dem Einbruch der Preise und dem Abflachen der kunstkritischen Diskussionen haben NFTs einen neuen Aufschwung erfahren und sich anders als nützlich erwiesen. Während sich auf der ersten NFT-Messe in Berlin 2021 die Fachpersonen einig waren, dass NFTs als kulturelle statt nur als finanzielle Assets begriffen werden müssten26 , hat sich im Fall von Charity- und Solidaritätsaktionen für die Ukraine beides ineinander gefügt. Mit dem Tweet des ukrainischen Vize-Premierministers Mykhailo Fedorow am 26. Februar 2022 wurde verkündet, dass die Regierung nun Kryptospenden ermögliche. Der Post enthielt die jeweiligen WalletAdressen für die Währungen BTC, ETH sowie USDT und rief dazu auf, das vom Krieg gebeutelte Land zu unterstützen. Laut der ukrainischen Regierung wurden Anfang März 2022 bereits 40–60 Millionen US-Dollar an Kryptospenden gesammelt (diese Angaben schwankten je nach Berichterstatter:in27 ) und davon waren 7 Mio. allein durch NFTs eingenommen worden. Das ist das erste Mal, dass so viel Kryptospenden als Antwort auf eine Krise eingenommen wurden. Allein der Ethereum-Gründer Witalik Buterin spendete 1.500 Ether (etwa 5 Mio. US-Dollar) an die ukrainische Regierung und lokale Hilfsorganisationen.28

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von Taube, Annika: »nft-Konferenz in Berlin. Irgendwann gibt es nur noch Kunst«, in: monopol vom 03.06.2022, URL: https://www.monopol-magazin.de/nft-konferenz-berl in-irgendwann-wird-es-nur-noch-kunst-geben [10.10.2022]. Vgl. Anonym: »Ukraine erhält über Nacht Krypto-Spenden im Wert von knapp 50 Millionen Dollar«, in: stern vom 15.03.2023, URL: https://www.stern.de/panorama/ ukraine-erhaelt-ueber-nacht-krypto-spenden-im-wert-von-fast-50-millionen-doll ar--31701726.html [14.03.2023]; Steinschaden, Jakob: »Krypto-Spenden an Ukraine steigen auf 64 Millionen Dollar«, in: Trending Topics vom 07.03.2022, URL: https://w ww.trendingtopics.eu/krypto-spenden-an-ukraine-steigen-auf-64-millionen-dollar/ [14.03.2023]. Levinson, Eliza: »How a Radical NFT Project Is Fighting to Save Ukraine«, in: Vice vom 19.05.2022, URL: https://www.vice.com/en/article/dypn5x/how-a-radical-nft-project-i s-fighting-to-save-ukraine [10.10.2022].

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Ukraine DAO Für regierungskritische Personen bot sich eine weitere Möglichkeit an, um zu helfen. So formierte sich eine private Bewegung, auf die der Ethereum-Gründer Buterin in seinem Tweet am 26. Februar 2022 hinwies. Unter der Bezeichnung »Ukraine DAO« bildete sich eine dezentrale und autonome Organisation mit Privatpersonen aus verschiedensten Bereichen (z.B. Künstler:innen, Aktivist:innen, Influencer:innen). Nadezhda Tolokonnikova (*1989), das berühmteste Mitglied von Pussy Riot, gehörte am 21. Februar 2022 zu den Mitbegründer:innen, ebenso wie Aljona Schewtschenko (*1992), eine ukrainische Aktivistin aus London. Sie werben damit, dass 100% der Spendengelder an die ukrainischen Bürger:innen gehen und nutzen die Transparenz von Kryptowährungen, um dies sicherzustellen. Auf der eigenen Homepage wird ferner angeführt, dass traditionelles Fiat-Geld29 von zentralen Institutionen kontrolliert und bewusst zu Ungunsten der Bürger:innen verschoben werden könnte. Als Vertrauensnachweis (oder »Proof of Authenticity«) wird z.B. auf die öffentlich einsehbaren Transaktionen auf den Plattformen Etherscan und Zora hingewiesen.30 Nach eigener Auskunft hat »Ukraine DAO« über 7 Mio. US-Dollar an die ukrainische Regierung, »Come Back Alive« und »OutRight Ukraine Fund« gespendet.31 Die »Ukraine DAO« bot den Kauf von NFTs zu Beginn über die spezialisierte Plattform »PartyBid« an. Die Plattform selbst wurde wiederum von einer dezentralisierten Software-Organisation mit der Bezeichnung »Party DAO« entwickelt und bündelt Gelder verschiedener Anleger, um ein gemeinsames NFT-Projekt zu finanzieren. Im vorliegenden Fall sind die Anleger diejenigen, die Spenden für die Opfer des Ukraine-Kriegs tätigen. Das erste NFT der Ukraine-Flagge wurde am 03. März 2022 für 2.174 ETH ersteigert. Als Zeichen der Dankbarkeit erhielten die Spender im Gegenzug sog. »$LOVE Token«, 29 30

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Fiat Money von lat. Fiat »Es geschehe!«, ein Wirtschaftsobjekt ohne inneren Wert, das als Tauschmittel dient. Reuse, Svend: »Dezentrale Autonome Organisationen (DAO): Die Macht der globalen Community am Beispiel der UkraineDAO«, in: IT-Finanzmagazin vom 24.03.2022, URL: https://www.it-finanzmagazin.de/dezentrale-autonome-organisationen-dao-di e-macht-der-globalen-community-am-beispiel-der-ukrainedao-137543/ [10.10.2022]; Roberts, Daniel: »What DAOs Can Do: $6.75M in Ethereum for Ukraine«, in: Decrypt vom 05.03.2022, URL: https://decrypt.co/94386/ukraine-dao-millions-in-ethereum-sh ows-what-dao-can-do [10.10.2022]; Milmo 2022. Homepage von Ukraine DAO, URL: https://ukrainedao.love/ [14.03.2023].

6. NFTs

die einen symbolischen Wert besitzen und als positives Signal der Unterstützungsleistung im Ukraine-Krieg dienen sollen. Das NFT der ukrainischen Flagge wurde für umgerechnet 6,75 Millionen US-Dollar an einen Pool von Spender:innen vertrieben. Die eingenommenen Spenden wurden an »Come Back Alive« weitergeleitet, eine Organisation, die 2014 während des Krieges im Donbas gegründet worden ist. Diese schnellen Reaktionen und millionenschweren Spenden veranlassten die ukrainische Regierung, eine zentrale Plattform für Spenden zu erschaffen – »UNITED24«.32 Ein 2023 lanciertes NFT-Projekt wird sowohl von »UkraineDAO« als auch »UNITED24« unterstützt und läuft unter der Bezeichnung »UA Cats Division«. Nach dem Prinzip von Cryptopunks, BAYC und nicht zuletzt CryptoKitties wurde eine Sammlung von 10.000 Katzen-NFTs veröffentlicht. Die Katzen sind in verschiedener Militärkleidung dargestellt und sollen all diejenigen präsentieren, die für die Freiheit der Ukraine kämpfen. Jede dieser Katzen soll einzigartig und mit verschiedener Kleidung und Emotionen darstellbar sein.33 Ihr künstlerischer Wert oder gar die Bedeutung für die Kunstgeschichte der NFTs ist unwichtig – sie sind das, was Reichelt als Kitsch des Internets bezeichnet.34 Hier geht es nicht um künstlerische Ansprüche, sondern um die Masse. Verkauft werden die einzelnen Katzen für 0,065 ETH (etwa 103 Euro, Stand: 14. März 2023, 2.585 Katzen verkauft), um vier Wasserdrohnen für die Ukraine zu finanzieren. So haben sich NFTs als probates Mittel erwiesen, um im Krieg das Militär und die Bevölkerung zu unterstützen.

Artists for Peace Am 28. Februar 2022 riefen das Time Magazine und der »OpenSea NFT Marketplace« zu einer Spendenaktion der Artists for Peace auf, an der sich über 60 internationale Künstler:innen beteiligten. Viele von Ihnen waren ohnehin schon für das Time Magazine tätig.35 Manche dieser Künstler:innen produzierten in der Aktion ihre ersten NFTs, andere waren routinierter, so wie die rus32 33 34 35

Homepage von »United24«, URL: https://u24.gov.ua/about [14.03.2023]. Homepage von »Ukrainian Cats Devision«, URL: https://uacatsdivision.com/ [15.03.2023]. Vgl. Luerweg/Oelze 2023. Vgl. hier auch mit Künstler:innenliste: Time PR: »TIMEPieces Launches Artists for Peace, a Collection of Unique 1of 1 NFTs from Over 60 Global Artists in Support of Humanitarian and Relief Efforts in Ukraine«, in: Time vom 28.02.2023, URL: https://ti

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sischstämmige New Yorker Künstlerin Olive Allen. Die Ästhetik der jeweiligen NFTs zeigt häufig, wer bereits in diesem Format gearbeitet hatte. Mit ihrer Arbeit НЕТ ВОЙНЕ (dt. NEIN zum KRIEG, 2022) hat Olive Allen eines ihrer üblichen Motive – zum Leben erweckte Gummibärchen – auf eine Antikriegsdemonstration geschickt. Andere Künstler:innen dieser Plattform haben ähnlich direkte Friedensbotschaften beigesteuert, wie die New Yorker Illustratoren Peter Arkle und Brian Stauffer (*1966).

Abb. 32: Olive Allen, НЕТ ВОЙНЕ. Edition 1 of 1 (2022)

me.com/6152869/timepieces-launches-artists-for-peace/ [10.10.2022]; die Sammlung selbst unter: https://opensea.io/collection/timepieces-peace [14.03.2023].

6. NFTs

Abb. 33: Brian Stauffer, Putin Keeps Peace. Edition 1 of 1 (2022)

Allison Dayka, die passenderweise mit Bärenmotiven arbeitet oder JN Silva hatten schon vor dieser Aktion NFTs produziert. Neben Friedenstauben, Militärausrüstung und Fäusten taucht das Gelb und Blau der ukrainischen Fahne in vielen dieser Arbeiten auf, aber auch scheinbar Zusammenhangsloses sah man in der Spenden-Auktion. So haben einige Künstler:innen aus ihren vorhandenen Arbeiten Motive ausgesucht und sie geminted, d.h. in ein digitales Sammelobjekt überführt, anstatt neue themenbezogene zu schaffen. In dieser großangelegten Aktion wurde Solidarität und Hilfsbereitschaft mit NFTs und Kryptowährungen ausgedrückt. Allen hat ein weiteres NFT produziert, ein Video und Foto, in dem sie ihren russischen Pass verbrennt, so wie es viele andere russische Staatsbürger:innen gemacht und in sozialen Netzwerken veröffentlicht haben.36 Einer von ihnen war der Fotograf Nikita Teryoshin (*1986), 36

Wright, Turner: »Russian national will use sales of her burning passport NFT to support Ukraine«, in: Cointepegraph vom 04.03.2021, URL: https://cointelegraph.com /news/russian-national-will-use-sales-of-her-burning-passport-nft-to-support-ukrai ne [14.03.2023]; Manning, Joshua: »Russian citizens burn their passports in protest to war in Ukraine«, in: Euro Weekly News vom 10.06.2022, URL: https://euroweeklynews.

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der seine Passverbrennung wiederum als Poster für die »Ukraine-Hilfe Berlin« verkaufte.37 Einige ukrainische Künstler:innen haben außerdem über ihre eigenen Netzwerke und Kanäle NFTs für die Ukrainehilfe verkauft, wie etwa Artem Humilevskyi (*1986), der seine Selbstportraits aus der Serie Giant (2020–2022) für humanitäre Hilfe veräußerte.38

Can Art Change the War? Eine Regel für erfolgreiche NFT-Aktionen ist, dass sie von einer bereits prominenten Person lanciert werden sollten, dann ist der Erfolg meist garantiert. Beweise dafür sind die Aktionen von Grimes, Azalea Banks oder Damien Hirst. So war auch die Aktion des französischen Street Art Künstlers und Fotografen JR (*1983) in und für die Ukraine erfolgreich. Unter dem Titel Can Art Change the War?, A Solidarity NFT Project for Ukraine verkaufte JR vom 22. bis 28. März 2022 über seine Homepage Videos und Fotos seiner Aktion Valeriia (2022) in der Ukraine. Diese entstand ursprünglich aufgrund von Fotos, die der ukrainische Fotograf Artem Iurchenko JR gesendet hatte. Das waren Aufnahmen von Frauen und Kindern an der polnischen Grenze, die er Anfang März dort aufgenommen hatte. Ein Foto zeigte das 5-jährige Mädchen Valeriia aus Kryvyj Rih in der Zentralukraine. JR ließ dieses Bild in seiner üblichen körnigen SchwarzWeiß-Ästhetik in 45 m Länge drucken und trug es aus Lviv zusammen mit seinem Team und hunderten Freiwilligen über die polnische Grenze.39 Die russischen Kampfpiloten, die über die Ukraine flogen, sollten daran erinnert werden, dass dort unten Menschen leben, die ihren Angriffen schutzlos ausgeliefert sind. So wurde Valeriia als Sinnbild für die 7,5 Millionen Kinder in der Ukraine ausgewählt. Das ursprüngliche Banner von Valeriia wurde in der Pinchuk-Ausstellung in Venedig gezeigt40 und die NFTs sollten helfen, ein lo-

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com/2022/06/10/russian-citizens-burn-their-passports-in-protest-to-war-in-ukraine/ [14.03.2023]. Vgl. DFA-Podcast #4: »Ukraine Spezial: Krieg und Fotografie« vom 19.03.2022, URL: https://dfa.photography/post/dfa-podcast-4-ukraine-spezial-krieg-und-fotogra fie [14.03.2023]. Siehe dazu: https://foundation.app/@humilevskiy; und Homepage des Künstlers: htt ps://humilevskiy.com/#rec545793128 [10.10.2022]. Beschreibung auf der Homepage des Künstlers: https://www.jr-art.net/news/valeriia [14.03.2023]. Siehe Kap. 1.

6. NFTs

gistisches Netzwerk zu organisieren, mit dem Ziel Lebensmittel, warme Kleidung und allgemeinen Komfort für Kinder und Frauen in den Warteschlangen an den Grenzen zu organisieren.41 Die Aktion wurde seit März 2022 in mehreren europäischen Städten wiederholt: Paris, Berlin, Düsseldorf, Venedig und im August in München.42

Lighthouse Ukraine Eine weitere Aktion hatte Lika Spivakovska, eine Galeristin (»Spivakovska Art: Ego«) aus Kyiv, initiiert. Im Februar 2022 befand sie sich bereits auf der Flucht und suchte jemanden, der ihr mit NFTs helfen konnte, da sie zuvor nur konventionelle Verkäufe tätigte. Sie bekam immer mehr Bilder von Künstler:innen aus der Ukraine mit der Bitte, sie zu bewahren, zu veröffentlichen und zu verkaufen. Schließlich kooperierte sie mit Crystal Rose Pierce, Gründerin der NFTGalerie Lighthouse in Puerto Rico. Sie verkauften im März 2022 Bilder, die Künstler:innen und Kinder in Bunkern auf iPads gezeichnet hatten. Das NFT eines Bildes, das teilweise durch Bombenanschläge zerstört wurde, brachte während der Ausstellung »Lighthouse for Ukraine« 30.000 US-Dollar ein. Anschließend bekam Spivakovska an die 450 weitere Werke, die meisten davon digitale Malereien, die sie auf OpenSea veröffentlichte.43 Einige Zeichnungen stammen von Kindern. Die Motive dieser NFTs sind emotional und drastisch. Man merkt ihnen eine ganz andere kreative Verarbeitung des Krieges an, als diejenigen der New Yorker NFTs des Time Magazine. Die Bilder stammen von Menschen, die sich direkt in der Kriegszone befanden. Die NFTs sind von verschiedenen Autor:innen gestaltet, ihre Qualität schwankt stark, die Emotionen, die darin ausgedrückt werden, erinnern jedoch an die Tablets of Rage von Olia Fedorova.

41 42

43

Vgl. Homepage des Künstlers; https://www.jr-art.net/news/valeriia; (14.03.2023). Vogel, Evelyn: »Sichtbare Solidarität«, in: Süddeutsche Zeitung vom 21.08.2022, URL: ht tps://www.sueddeutsche.de/muenchen/jr-valeriia-ukraine-kunsthalle-odeonsplatz-1 .5642554 [14.03.2023]. Medina, Eduardo: »Saving Ukranian Art, and Helping Artists, One NFT at a Time«, in: The New York Times vom 04.05.2022, URL: https://www.nytimes.com/2022/05/04/wo rld/europe/ukraine-nft-art.html [10.10.2022]; Seite von »Lighthouse for Ukraine« auf OpenSea, URL: https://opensea.io/collection/lighthouseukraine [14.03.2023].

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Abb. 34: Meltdownlove, Putin’s Recipe for Borscht – Ukraine (2022)

Meta History Museum of War Eine ukrainische zentral organisierte NFT-Plattform wurde am 28. Februar 2022 direkt mit der Unterstützung der ukrainischen Regierung (u.a. UNITED24) lanciert: das »Meta History Museum of War«, das den Kriegsverlauf in Form digitaler Kunst abbilden und damit zugleich Spendengelder einsammeln soll. Die bisher erhaltenen 1,4 Mio. US-Dollar (Stand März 2023) gingen zunächst an das von der Regierung initiierte Hilfsprojekt »Aid For Ukraine«, allerdings sollen die Gelder explizit für den Wiederaufbau der Kultur verwendet werden, und nicht für militärische Zwecke.44 Der stellvertretende Minister für Digitalen Wandel und Informationstechnologie, Oleksandr Borniakow, sieht in NFTs die Möglichkeit, die Ukraine zu einem innovativen Land zu machen, die Wirtschaft neu aufzustellen und die Verluste des Krieges

44

Wright 2022.

6. NFTs

zumindest zum Teil zu kompensieren.45 Eine andere Webseite zitiert den ukrainischen Minister für Digitale Transformation, Mykhailo Fedorow, mit der Aussage, dass der Verkauf der NFTs der Armee und Zivilist:innen zugutekommen soll. Die Positionierung der Ukraine ist hier klar: »While Russia uses tanks to destroy Ukraine, we rely on revolutionary blockchain tech«, verkündete Fedorow über Twitter.46 Auf der Seite sind Tweets, Illustrationen und Stories zum Verlauf des Krieges versammelt. Ihre Verfahrensweise beschreibt das »Meta History Museum of War« selbst wie folgt: 1. We pick news pieces of important events of the war in Ukraine 2. Topnotch artists create artworks – their interpretations of the news content & meaning 3. We do some smart contract magic to place these artworks as NFTs on the Ethereum blockchain 4. We release NFT to the world in parts, so-called drops. First one has happened on March 30. 5. Art lovers, Ukraine’s supporters, NFT communities come along and buy them, transferring cryptocurrency 6. The proceeds are transferred to official wallets of Ukrainian ministries and volunteers funds47 Das Hauptprojekt »Warline« dokumentiert die russische Invasion seit dem 24. Februar 2022 täglich. Jedes NFT in »Warline » ist eine Collage, die Tweets von Persönlichkeiten wie dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, BBC News, der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, dem Weißen Haus u.v.m. mit dunklen, emotionalen digitalen Kunstwerken von Künstler:innen aus der ganzen Welt kombiniert. An jedem Tag des Krieges werden so die von Künstler:innen illustrierten oder in Kunstwerke eingebetteten TwitterPostings oder Nachrichtenzeilen als NFTs archiviert. Ein Beispiel gibt die Illustratorin Anna Sarvira (*1986), die bereits vor dem Ausbruch des großflächigen Krieges 2022 mit Illustrationen für das MoMA in New York für Aufsehen sorgte.48 Für den Tag 189 (Uhrzeit 20:13) illustrierte Sarvira den Tweet von Justin

45 46

47 48

Vgl. ebd. Tran, Tony Ho: »Ukraine is selling NFTs to finance its Military«, in: The Byte vom 25.03.2022, URL: https://futurism.com/the-byte/ukraine-selling-nft-military [10. 10.2022]. Homepage des Museums : https ://metahistory.gallery/about-us [14.03.2023]. Anonym: »Künstlerin malt für die Ukraine. Den toten Putin stellen wir später in Moskau aus«, in: ntv vom 30.12.2022, URL: https://www.n-tv.de/politik/Anna-Sarviramalt-fuer-die-Ukraine-Den-toten-Putin-stellen-wir-spaeter-in-Moskau-aus-article23 812671.html [15.03.2023].

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Trudeau über ein Treffen mit Bill Clinton. Das NFT wurde in einer Auflage von 2 für 0,3 ETH verkauft.

Abb. 35: Anna Sarvira, Canadian Prime Minister Justin Trudeau held talks with former US President Bill Clinton. Famous political figures reached a full consensus on supporting Ukraine in the war (2022)

Der entsprechende Tweet ist sowohl im NFT selbst verbaut als auch im kommentierenden Text vollständig zitiert. So werden hier in der »Warline« nicht nur die professionellen Illustrator:innen, sondern auch Künstler:innen zu Illustrator:innen, indem sie vorgegebene Themen oder selbst gewählte Themen bebildern und ihre Werke damit einer Sache der Regierung zu Verfügung stellen. Für viele Künstler:innen ist es eine Möglichkeit, sich einzubringen und

6. NFTs

helfen zu können. Neben diesen neu geschaffenen Arbeiten sollen vor allem Bemühungen zur Konservierung und Archivierung von Kunst mit dem Projekt finanziert werden. Michail Chobanian, Präsident der »Blockchain Association« der Ukraine, betonte, dass jedes Kunstwerk digitalisiert werden solle, bevor es zerstört werde: Right now, they are bombing museums, churches, and cultural sites. So before they are destroyed…we’re going to digitize every single piece of art or history that we have in museums. We’re going to NFT it and put it on the blockchain.49 Bis Mai 2022 hat das Meta History Museum bereits zwei Sammlungen mit jeweils knapp 1.700 NFTs und eine dritte kollaborative Serie herausgebracht. Erstmals hat ein Land seine eigene NFT-Sammlung online gestellt, dennoch sind die Verkäufe seit März 2022 schleppend gewesen.50 Einige haben sich dafür entschieden, ihren zugewiesenen Tweet wörtlich darzustellen, indem sie händeschüttelnde Politiker:innen zeigen, während Sanktionen verhängt werden, oder glimmende Gebäude, wenn Raketen in Stadtzentren einschlagen. Andere spielen mit Symbolen wie Ratten, Monstern, schattenhaften Figuren und Männern in blutbefleckten Anzügen, um Russland darzustellen, die Ukraine symbolisieren etwa Sonnenblumen, Kinderzeichnungen, Spielplätze und Vögel. Der anonyme Gründer des Museums V K sagte im Gespräch mit Vice: »Before the Meta History Museum, […] NFTs were meaningless. Now, for the first time, there’s valuable art on the blockchain.«51 Aus kunstwissenschaftlicher Sicht ist dies jedoch fraglich, viele Werke auf der Seite des »Meta History Museums of War« sind gute Illustrationen, aber nicht mehr als das. Die ideelle Komponente soll dem Verkauf dieser NFTs keineswegs abgesprochen werden, aber ihre Bedeutung als Kunstwerke, die Zeiten überdauern könnten, ist stark zu bezweifeln. Allenfalls werden diese NFTs als Zeitzeugnis und Archiv eine Bedeutung erlangen.

49

50

51

Singh, Amitoj: »Ukraine to Use NFTs to Save Its Cultural ›DNA‹ Amid Russian Invasion«, in: CoinDesk vom 11.06.2022, URL: https://www.coindesk.com/policy/2022/06/1 1/ukraine-to-use-nfts-to-save-its-cultural-dna-amid-russian-invasion/ [10.10.2022]. Moura, Catarina: »Ukraine’s NFT collection is still far from selling out after a week«, in: The Block vom 07.04.2022, URL: https://www.theblock.co/post/140608/ukraines-n ft-collection-is-still-far-from-selling-out-after-a-week [15.03.2023]. Levinson 2022.

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Wie vieles im Krypto-Bereich lebt das »Meta History Museum of War« von V Ks leidenschaftlichem Engagement. Entscheidend ist, dass außer der ukrainischen Regierung niemand im Projekt einen Gewinn erzielt. Dennoch stößt das Projekt auf Misstrauen und daher kommt wohl u.a. der mäßige Absatz. Ein Benutzer im Discord-Chatroom des Projekts wies auf die fehlende Verifizierung des Projekts auf dem NFT-Marktplatz OpenSea hin und bedauerte, dass »viele Leute in der Krypto-Community sagen, es sei ein Betrug«. (Als Beweis dafür, dass dies nicht der Fall ist, bietet das Museum an, dass die EthereumWallet-Adresse der ukrainischen Regierung als Zieladresse im Code des Projekts sichtbar ist, der öffentlich verfügbar ist.)52 Im Bericht über das Projekt stellt Eliza Levinson einige unbequeme Fragen: But in the cryptosphere, they’re not wrong to wonder. After all, isn’t a »scam« one where only the original seller cashes out, at the expense of the buyer? How does that look in the context of charity? The project organizers say that the money will go from Ukraine’s crypto wallet to rebuilding cultural landmarks, but how could anyone prove that?53 Weitere Probleme taten sich im Sommer 2022 auf, während die Arbeiten an den nächsten Drops in vollem Gange waren. Während das »Meta History Museum of War« an seiner nächsten Reihe arbeitete – eine Reihe von NFTs, die in Zusammenarbeit mit beliebten lokalen Videospielentwicklern (»Avatars for Ukraine«) erstellt wurden –, hatten die Organisator:innen vieles zu beheben. Die erste Kollektion war nicht ausverkauft und die zweite hatte neben technischen Problemen bei der Erstveröffentlichung eine noch schlechtere Verkaufsbilanz. Dabei wundern sich immer mehr Nutzer:innen darüber, dass das Projekt so wenig bekannt ist. »Ist sonst noch jemand verblüfft darüber, wie wenige Leute von diesem Projekt wissen?«, fragte sich ein NFT-Inhaber, »Es sollte huuuge sein!«54 Mittlerweile gibt es noch mehr Seiten mit NFTs, die scheinbar die Ukraine unterstützen sollen bzw. NFTs aus der Ukraine verkaufen.55

52 53 54 55

Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Siehe beispielsweise NFT ART Ukraine, URL: https://nftartua.com/ [15.03.2023].

6. NFTs

Avatars for Ukraine Avatar – अवतार             – ›incarnation‹. Avatars for Ukraine is a charity NFT collection of the iconic digital art created in response to the largest war since WWII. The incarnations of the spirit of Ukraine in its fight for existence. The avatars for the free nation. Created by the top digital Ukrainian artists and produced by the video game hit makers, this collection is a historic event for the NFT. 100% of the proceeds will support the humanitarian and defence efforts of Ukraine. The official collection approved by the Ministry of Digital Transformation of Ukraine.56 Der dritte und vorerst letzte Drop des Projektes waren die »Avatars for Ukraine«, die einen Link auf der Seite des NFT-Museums haben, aber auch eine eigene Homepage.57 Im März 2023 ziert die Startseite Saint Javelin, deren Mantel aus Camouflage-Stoff mit typischen Faltenwürfen im Stil der Renaissance besteht. Mit einem leidenden Blick gen Himmel gewandt, hält sie in der rechten Hand die Javelin-Abwehrwaffe mit ukrainischer Flagge. Die Sequenz beginnt mit dem Gesicht der neuen ukrainischen Heiligen, wird langsam rausgezoomt, bis man ihre gesamte Figur sieht und endet schließlich in einem donnerartigen verdunkelten Setting, das blutrot unterlaufen ist. Betitelt ist dieses Intro mit »Ukrainian Art Collection« und zählt auf, welche Projekte die Künstler:innen der Homepage bereits gemacht haben: »Blade Runner 2049«, »Fantastic Beasts«, »Star Trek«, »Marvel Movies« sowie die Videospielhits »Rainbow Six«, »League of Legends«, »Mortal Combat« und »Halo«.58 Die Entwickler:innen dieser NFTs kommen aus der Computerspiel- und Simulationsbranche und das sieht man eindeutig an der Ästhetik der Avatare. Hier schließt sich der Kreis zum Avengers-Video, das auf Twitter den UkraineKrieg kommentierte.59 Die Ukraine muss den Krieg nicht in bestehende Narrative einschreiben, mithilfe von Videospielentwickler:innen kann die Ukraine ihr eigenes Narrativ erschaffen. Davon zeugt der Trailer »Eye-Opening. LifeSaving« zu »Avatars for Ukraine«, der innerhalb von zwei Minuten alle klassischen Formeln eines Game-Trailers bedient: Das Gute steht auf, um gegen

56 57 58 59

»Avatars for Ukraine«, URL: https://www.avatarsforukraine.com/ [15.03.2023]. »Avatars for Ukraine«, URL: https://www.avatarsforukraine.com/ [15.03.2023]. Vgl. ebd. Siehe Kap. 4.

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das ultimative Böse zu kämpfen. Eine Frau inmitten eines Sonnenblumenfeldes in der typischen ukrainischen Tracht sieht sich plötzlich mehreren riesigen Kampfschiffen gegenüber. Technik gegen Natur und Liebe – inmitten von Trümmern umarmt der Soldat schützend eine Frau (ganz in unschuldigem Weiß) und das alles ist mit entsprechendem sphärischen Soundtrack untermalt. Es sind aneinandergereihte Sequenzen der NFT-Avatare bzw. Kunstwerke, die dadurch an einen Trailer für ein Videospiel erinnern. Videospiele und Filme haben eine enge Verbindung zueinander und seit dem Fortschritt der Animationstechniken sind sie häufig nicht mehr auseinander zu halten. Zudem wurde die spezifische Bildsprache, derer sich »Avatars for Ukraine« bedienen, verstärkt in den beliebten Online-Multiplayer-Rollengames entwickelt, wie etwa bei Fortnite und Final Fantasy. Mit diesem Drop sollte eine weitere Käufer:innensparte bedient werden, die große Community der Gamer:innen. Obwohl Jacob Birken mit Verweis auf Konzerte von Ariana Grande und Travis Scott in Fortnite von einem zweistelligen Millionenpublikum spricht, sind es doch spezielle Events, die der Popularität von Berühmtheiten geschuldet sind. Die Gaming-Community wächst seit Jahrzehnten beständig und die »Avatars for Ukraine« knüpfen an die beliebten Skins an, die für Videospiele wie Overwatch entwickelt wurden bzw. an begehrte Charaktere der Gacha-Games wie Granblue Fantasy.60 Die Käufer:innen der ukrainischen NFTs sind nicht unbedingt klassische NFT-Sammler:innen, sondern vor allem solidarisch mit dem kriegsgebeutelten Land und kaufen die NFTs aus solidarischen und humanitären Überzeugungen. Deshalb ist der Wertverlust der Token nicht problematisch. Allerdings sorgte die Art des Managements der Drops bei einigen User:innen für Unmut, da in der ersten Veröffentlichung mehrere Editionen eines NFTs zu kaufen waren und in der darauffolgenden bereits exklusive einzelne NFTs. So ärgerten sich einige Nutzer:innen, dass sie von dieser Strategie bei ihrem ersten Kauf noch nichts gewusst hätten.61 Die Problematik liegt im zusätzlichen Wertverlust, wenn es keine Obergrenze für NFTs auf dieser Seite gibt und bereits 2023 war die Menge unüberschaubar. Laut DappRadar, einem Unternehmen, das Verkäufe verfolgt, erreichte der globale NFT-Markt im Jahr 2021 25,5 Milliarden US-Dollar, was einen kometenhaften Anstieg gegenüber nur 100 Millionen US-Dollar im Jahr 2020 bedeutete. Der steigende Wert von NFTs hat Skeptiker:innen zu Warnungen veranlasst, dass die Begeisterung 60 61

Birken, Jakob: Videospiele, Berlin: Wagenbach 2022, S. 63f. Vgl. Levinson 2022.

6. NFTs

für die Token Kennzeichen einer Spekulationsblase trägt.62 Der Finanz- und Forschungsleiter von DappRadar, Modesta Masoit, äußerte, dass der »Umzug« in die Ukraine ein »Wendepunkt« für Kryptowährungen und BlockchainTechnologie sei. Nach dem großen Einsatz von Kryptospenden am Anfang des Krieges sind die NFT-Verkäufe, wie die Analyse der offiziellen Plattformen zeigte, doch wieder ins Stocken geraten. Auch auf DappRadar sieht man bei den allgemeinen Verkäufen von NFTs einen Rückgang. Die ersten Plätze sind immer noch vom Bored Ape Yacht Club besetzt. Die vielen Versuche, internationale Prominenz, wie Elon Musk, mit den NFTs des Meta History Museum zu versorgen, sind bisher gescheitert.63 Das »Avatars for Ukraine«-Projekt hat bis März 2023 lediglich ein Drittel der Avatare verkaufen können (23 Stück für insgesamt 25.403,25 US-Dollar). Das lag mitunter am besagten Wertverlust der Kryptowährungen und einem dementsprechenden Rückgang von NFTKäufen. Zwei Jahre nach dem Boom ist der Hype um NFTs vorerst wieder vergangen oder wurde von KI-Kunst abgelöst.64

62 63 64

Milmo 2022. Levinson 2022. Vgl. Komarek 2022; Adam, Georgina: »From ›wet painting‹ to NFTs: the art market is moving on faster and faster«, in: The Art Newspaper vom 02.03.2023, URL: https://w ww.theartnewspaper.com/2023/03/02/from-wet-painting-to-nfts-the-art-market-ismoving-on-faster-and-faster [15.03.2023]; Anonym: »Cryptoverse: Punk apes and a resurrection of NFTs«, in: The Economic Times vom 14.02.2023, URL: https://economicti mes.indiatimes.com/markets/cryptocurrency/cryptoverse-punk-apes-and-a-resurrec tion-of-nfts/articleshow/97907335.cms?from=mdr [15.03.2023].

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7. Street Art

Genauso schnell wie Memes im digitalen Raum, tauchten weltweit im Februar 2022 Graffiti und andere Arten der Street Art auf, die eine Botschaft zur angespannten Situation zwischen der Ukraine und Russland enthielten. Interessanterweise hat sich das Verhältnis zwischen Straße und digitalem Raum gar nicht als so gegensätzlich erwiesen, wie mensch annehmen könnte. Die Charakteristik von Memes als einer neuen Art von Demonstrationsplakaten und Aufmerksamkeitsmaschinen kann genauso auf Murals, Graffiti, Stencils, Sticker und andere Varianten von Kunst übertragen werden, die im öffentlichen Raum selbstauthorisiert angebracht wird.1 Ähnlich wie bei Memes sind die Street-Art-Varianten, die im Zusammenhang mit dem UkraineKrieg seit 2022 auf Wänden und anderen Oberflächen erscheinen, dazu gedacht, einfache Botschaften zu vermitteln, die leicht zu verstehen sind. Zudem wurden einige Themen, die in Memes gerne benutzt wurden, auch auf der Straße aufgegriffen. Hier ein Beispiel der Narrativverwendung, die bereits in Videos und Memes zu verschiedenen Superheldencharakteren angewendet worden sind: In Poznan hat KAWU die beiden Präsidenten Selenskyj und Putin in Murals als Harry Potter und Lord Voldemort dargestellt. Damit betonte er nicht nur das Prinzip Gut und Böse, Held gegen Antiheld – er unterstreicht zudem die Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit beider Präsidenten. Lord Voldemort ist der, dessen Namen nicht ausgesprochen werden darf, er bleibt unsichtbar, bis er plötzlich auftaucht und die Welt in die Dunkelheit reißen will. Selenskyj als Harry-Potter-Äquivalent hat das rote Z-Mal anstelle eines Blitzes auf der Stirn, das ihn als ewigen Widersacher des Bösen und Hoffnungsträger

1

Zu verschiedenen Definitionen von Street Art vgl. Blanché, Ulrich: »Street Art and related terms – discussion and working definition«, in: Street Art & Urban Creativity Scientific Journal, Methodologies for Research 1/1 (2015), S. 32–39.

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des Guten kennzeichnet. Hinter ihm sieht mensch die Umrisse von Kyiv unter blauem Himme l, während hinter Putin alles brennt.

Abb. 36: Murals von KAWU (@kawu) in Poznan

In den ersten Wochen nach der großflächigen Invasion Russlands in der Ukraine sind international viele Graffiti mit Friedenszeichen und Aufrufen gegen den Krieg aufgetaucht. Im Internet und in den Social Media wurden diese Werke von den Straßen in die digitalen Räume übertragen, zusammengestellt als Slideshows oder Bildberichte.2 Hierbei handelte es sich um Kompilatio2

Vgl. P., Audrius/Adomaite, Liucija/Akavickaitė, Austėja: »50 Of The Most Powerful Street Art Pieces Made In Support For Ukraine All Around The World«, in: boredpanda vom 18.03.2022, URL: https://www.boredpanda.com/ukraine-russia-war-street-art/

7. Street Art

nen von zumeist aufwendig ausgeführten Pieces, die allesamt nicht aus Russland stammen. Es konnte der Eindruck entstehen, dass die Solidarität mit der Ukraine nur außerhalb Russlands im öffentlichen Raum sichtbar wurde. Nur selten gab es Ausnahmen, wie das Foto eines Piece des 84-jährigen Vladimir Ovchinnikov (*1938) aus Borovsk, der in seinem kleinen Ort bereits für seine Wandbilder bekannt war. Ovchinnikov wurde auch in Berichterstattungen als eine Ausnahmeerscheinung dargestellt.3 Nachfolgend wird gezeigt, dass Ovchinnikov durchaus kein Einzelfall in Russland war. Um die russischen Street-Art-Werke war es nämlich ähnlich bestellt wie um die russischen Memes – sie sind in Russland und außerhalb weitgehend unsichtbar geblieben.

Internationale Reaktionen Viele Street-Art-Pieces stellten das Thema Frieden in den Vordergrund und waren aufwendig gearbeitet, wie etwa die 13 x 13 Meter große Friedenstaube, die Justus Becker in Frankfurt a.M. an einer Hausfassade anbrachte. Diese Arbeit nahm mehrere Tage in Anspruch und ist somit kein Beispiel für eine illegale bzw. eine Guerilla-Taktik. Auch in Vilnius wurde mit Unterstützung des Bürgermeisters eine weniger aufwendige, aber umso deutlichere Aufschrift, »Putin The Hague Is Waiting For You«, mit weißer Farbe auf der Straße gegenüber der Russischen Botschaft angebracht.4 Viele Murals und Graffiti waren eine Hommage an den ukrainischen Widerstand und in einigen tauchten

3

4

?utm_source=google&utm_medium=organic&utm_campaign=organic [18.03.2023]; Anonym: »Street art in Ukraine: A different side to war«, in: The Game Magazine vom 01.12.2022, URL: https://www.thegame.photos/en/culture/street-art-ukrain e/ [18.03.2023]; Hencz, Adam: »10 Poignant Works of Street Art Around The World in Support of Ukraine«, in: Artland Magazine (o.D.), URL: https://magazine.artland.com/ ukraine-street-art/ [18.03.2023]. Vgl. Anonym: »Anti-War Art: Graffiti Artists Around The Globe Show Support For Ukraine«, in: Radio Free Europe/Radio Liberty vom 13.05.2022, URL: https://www.rferl.org /a/anti-ukraine-war-street-art/31844250.html [18.03.2023]; Hopkins schreibt beispielsweise: »Vladimir A. Ovchinnikov is a rare dissident in Russia«, Hopkins, Valerie: »Paintbrush in Hand, a Russian Muralist Wages His Own War«, in: The New York Times vom 19.12.2022, URL: https://www.nytimes.com/2022/12/14/world/europe/ukraine-ru ssia-war-art-dissent.html [20.03.2023]. Vgl. P./Adomaite/Akavickaitė 2022.

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auch wieder die Meme-Themen des russischen Kriegsschiffs und der ukrainischen Traktoren auf. So entstand eine direkte Verbindung zwischen Memes und Street Art.

Abb. 37: Piece in Vilnius in März 2022

Neben Aufrufen zum Frieden und Solidaritätsbekundungen wurden viele Pieces zu Putin und Selenskyj produziert, die nach dem gleichen Prinzip wie das KAWU-Mural funktionierten. In Amsterdam hat eine Künstlerin, die hauptsächlich mit Portraits und realistischen Murals arbeitet (@anopsy_amsterdam), zwei überlebensgroße Portraits von Personen gemacht, die im Krieg verstorben sind. Dies war eine ähnliche Geste der Mahnung und Erinnerung,

7. Street Art

wie sie JR mit Valeriia in Lviv ausführte.5 Allen diesen Pieces ist gemeinsam, dass sie fertig ausgearbeitet sind, weil sie nicht unter Lebens- oder Freiheitsgefahr ausgeführt wurden.

Ukraine Abb. 38: Alle Wege führen nach Den Haag, Straßenschild in der Ukraine 2022

In den ersten Tagen nach der Invasion 2022 haben Engagierte in der Ukraine Graffiti und Street-Art-Taktiken als Guerillamaßnahmen benutzt, so wie sie Baudrillard in seinem berühmten Aufsatz von 1975 beschrieb: Insurrection and eruption in the urban landscape as the site of the reproduction of the code. At this level, relations of forces no longer count, since signs don’t operate on the basis of force, but on the basis of difference. We must 5

Siehe Kap. 6.

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therefore attack by means of difference, dismantling the network of codes, attacking coded differences by means of an uncodable absolute difference, over which the system will stumble and disintegrate. There is no need for organised masses, nor for a political consciousness to do this – a thousand youths armed with marker pens and cans of spray-paint are enough to scramble the signals of urbania and dismantle the order of signs. Graffiti covers every subway map in New York, just as the Czechs changed the names of the streets in Prague to disconcert the Russians: guerilla action.6 Während die Zeichen, die Baudrillard in New York der 1970er Jahre entdeckte, keine genauen Aussagen sind, ist es in der Ukraine 2022 anders. Der russische Soldat, das russische Kriegsschiff und der russische Panzer wurden von allen Wänden, Straßenschildern und Plakaten zum Teufel gejagt. Auch der symbolische Weg zum internationalen Gerichtshof in Den Haag wurde oft an die Verkehrswege gezeichnet. Es kursieren Aufnahmen von Menschen, die Farbdosen dazu nutzten, öffentliche Stadtkarten in Kyiv zu besprühen, um den Invasoren die Orientierung zu erschweren. Mit der Zeit tauchten erste Graffiti und Murals auf, die zum Durchhalten und stark sein aufforderten sowie die Held:innen der Ukraine feierten. Das Kollektiv LBWS (@LBWS_186) fingen Ende Februar an, einen Kater als Protagonist ihrer Pieces einzusetzen. Dabei geht es um die Themen der ukrainischen Held:innen und Beschützer:innen. Eine Arbeit von LBWS schaffte es zum Meme im Zuge der Begeisterung für Walerij Salushnyj. Auch Saint Javelin tauchte als Mural in Kyiv auf.7 Je weiter die russische Armee zurückgedrängt wurde, desto aufwendiger und ausgearbeiteter wurden die Pieces und Murals, die mensch in der Ukraine oder auch in den Zusammenstellungen des Internets bewundern konnte. Sasha Korban (@sasha.korban) hat sein Mural, das zwei Hände in Militärhandschuhen zeigt, die die kaputte ukrainische Flagge zusammennähen, bereits im April in Kyiv gemacht. In dieser Zeit waren die Befreiungskämpfe dort noch in vollem Gange.8 Viele neue Murals, die als Auftragsarbeiten in den vergangenen Monaten entstanden sind, dienen als Motivation und Mobilisation

6

7 8

Baudrillard, Jean: »Kool Killer or the Insurection of Signs« [1978], in: lpdme.org (Open Access), URL: https://lpdme.org/projects/jeanbaudrillard/koolkiller.pdf [20.03.2023], S. 33. »Street Art in Ukraine: A different side to war«, 2022. Hencz 2022.

7. Street Art

der ukrainischen Bevölkerung, ähnlich wie andere visuelle Elemente der politischen Agitation.

Abb. 39: LBWS (rechts) und Salushnyj

Die berühmtesten Street-Art-Arbeiten in der Ukraine sind die sieben Pieces des britischen Künstlers Banksy in der Region Kyiv. Im November 2022 tauchten die Werke plötzlich auf und einige Tage später autorisierte Banksy sie als seine eigenen. Dazu zählen u.a. die Darstellung einer Gymnastin, einer Frau im Bademantel mit Feuerlöscher und Gasmaske, ein Mann in der Badewanne und ein Junge, der einen Erwachsenen im Kampf auf den Rücken wirft. Diese Stencils sind an Wänden von zerstörten Häusern in Borodyanka, Hostomel und Horenka angebracht worden, was Diskussionen in der ukrainischen Öffentlichkeit auslöste, wie mit diesen Arbeiten nun zu verfahren sei – vor allem, weil am 02. Dezember 2022 mehrere Männer versuchten, die Frau im Bademantel von einer Hauswand in Hostomel zu stehlen.9 Im Februar 2023 wurden Banksys Arbeiten mit einem High-Tech-Sicherheitssystem der ukrainini-

9

Harding, Luke: »›A volatile canvas‹: Banksy bequest in Ukraine’s rubble leaves dilemma for preservers«, in: The Guardian vom 05.01.2023, URL: https://www.theguar dian.com/world/2023/jan/05/a-volatile-canvas-banksy-bequest-in-ukraines-rubble-l eaves-dilemma-for-preservers [20.03.2023].

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schen Firma Ajax gesichert.10 Dies zeigte die starke symbolische Bedeutung dieser Werke für die Ukraine. Durch seine Arbeiten brachte Banksy wieder vermehrt Aufmerksamkeit für das Land und wurde ein Jahr nach dem Ausbruch des Krieges mit einer Briefmarke verewigt, die sein Piece in Borodyanka zeigte.11 Außer Banksy waren der französische Künstler Christian Guemy (C214) in Kyiv und der Italiener TVBoy in Butscha. Beide hinterließen Street Art an den Wänden, die von der Ästhetik her mit Banksys vergleichbar ist. Sie zeigen in realistischer Manier friedliche Zivilbevölkerung, vor allem Kinder in Situationen, die vom Überleben und Empowerment berichten. Während sich die ukrainischen Street Artists stärker auf das Militär, auf mythologische Figuren und Held:innen konzentrieren, zeigen die genannten europäischen Künstler in der Ukraine scheinbar alltägliche Szenen, die von Einfühlung und Solidarität zeugen. Ästhetisch bewegen sich die Arbeiten in der Ukraine, abgesehen von Banksys Stencils, im Genre klassischer Murals in realistischer Manier, mitunter mit surrealistischen Elementen oder wie bei LBWS mit an Pop-Art angelehnten Figuren.

Russland Die meisten Street-Art- und Graffiti-Pieces, die in den ersten Tagen und Wochen nach der Invasion entstanden sind, existieren nur noch als Erinnerung in den Social Media. Mit dem Verbot des Wortes »Krieg« (woina) und dem bereits bestehenden Demonstrationsverbot wurde den Menschen in Russland die Möglichkeit genommen, sich öffentlich gegen den Krieg auszusprechen. In den russischen Protesten seit Beginn der »militärischen Spezialoperation« im Februar 2022 war das Hauptanliegen der Demonstrant:innen, auf die »Wahrheit« im Gegensatz zur staatlichen »Lüge« und Sprachverzerrung hinzuweisen.

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Kishkovsky, Sophia: »High-tech security systems installed on Banksy’s Ukraine murals«, in: The Art Newspaper vom 24.02.2023, URL: https://www.theartnewspaper.com /2023/02/24/ukraine-security-company-banksy-murals-kyiv [16.05.2023]. Anonym: »Ukraine gibt Banksy-Briefmarke heraus«, in: NDR vom 27.02.2023, URL: https://www.ndr.de/kultur/kunst/Ukraine-gibt-Banksy-Briefmarke-heraus ,banksy220.html [20.03.2023].

7. Street Art

Das russische Parlament hat Anfang März 2022 ein Gesetz verabschiedet, das lange Haftstrafen (bis zu 15 Jahre) und hohe Geldbußen für die Veröffentlichung von »Falschnachrichten« über die russischen Streitkräfte vorsieht. Seitdem ist es verboten, Begriffe wie »Angriff«, »Invasion«, »Krieg« und »Kriegserklärung« im Zusammenhang mit der sogenannten »Militärischen Sonderoperation/Spezialoperation« zu verwenden.12 Das ist keine neue Strategie der russischen Regierung, schon vor längerer Zeit wurden »politisch korrekte Sprache« und Euphemismen in den Nachrichten eingeführt. Statt »Explosion« (wsryw), »Brand« (poshar) und »Quarantäne« (karantin) wurden die Worte »Knall« (chlopok), »Entflammung/Entzündung« (wosgoranie), und »arbeitsfreie Tage« (nerabotschie dni) benutzt. Diese Sprachkontrolle wurde unmittelbar vor dem Krieg noch subversiver genutzt und ist damit auch vielfach unbemerkt geblieben.13 Als erste Reaktion darauf wurde das Wort »война« (Krieg) bzw. »нет войне« (Nein zum Krieg) auf Wände gesprüht, in den Schnee oder ins Eis der zugefrorenen Flüsse geschrieben. Die drohende Bestrafung zwang die Protestierenden in Russland zu schnellen Handlungen, weshalb die gesetzten Zeichen weniger ausgearbeitet waren. Es war eine Zeit schneller Aktionen – diese wurden fotografisch festgehalten und in den Social Media verbreitet, da sie innerhalb nur weniger Stunden wieder verschwanden. Die Stadtreinigungen und Ordnungshütenden entfernten alle Zeichen sofort, wobei das Überstreichen häufig die ursprüngliche Wirkung der Protestzeichen noch verstärkte. So haben die Protestierenden in gewisser Weise den Staat bei ihrem Protest als Teil der Arbeit involviert, so wie es zuvor die Künstler:innen von Pussy Riot oder Pjotr Pawlenskij taten. Es ist ein Aufruhr der Zeichen, wie ihn Baudrillard in den 1970er Jahren sah: eine Möglichkeit das System der Stadt zu stören und zu unterwandern, als eine Art visueller Lärm. Mit Aterisken und Leerzeichen kommentierten die Protestierenden das Verbot des Wortes »Krieg«. Es wurde nach neuen und alten Wegen gesucht, den Dissens sichtbar zu machen. Viele neue Telegram-Gruppen sind entstanden und viele Künstler:innen, die sich schon vor 2022 mit Street

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Anonym: »Haftstrafen für »Fake News« über Armee«, in: Tagesschau vom 04.03.2022, URL: https://www.tagesschau.de/ausland/russland-gesetz-fakenews-strafen-101.htm l [12.10.2022]. Boris Groys im Gespräch mit Liza Lazerson: »Putin: Restoration of Destruction«, in: e-flux journal 126 (2022), URL: https://www.e-flux.com/journal/126/460518/putin-rest oration-of-destruction/ [12.10.2022].

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Art in den russischen Städten zeigten, haben ihre Zeichen gegen den Krieg hinterlassen.

Abb. 40: Angestellter der kommunalen Dienste überstreicht ein Graffito in Moskau im März 2022

Partizaning und andere Eine Dokumentation der Proteste in Russland legte die »Partizaning Group« auf ihrem Kanal in Telegram an. Die Homepage der Gruppe (partizaning.org) ist abgeschaltet, aber über den Kanal sowie die Homepage von Igor Ponosov (igor-ponosov.ru) ist Material der Gruppe erreichbar. Partizaning gehört neben vielen anderen Protagonist:innen zur Renaissance der Street Art in Russland, die sich in Protestbewegungen der Jahre 2011–2015 und einem allgemeinen »Social Turn« äußerte. Diese Periode zeichnete sich anfangs durch eine Hoffnung auf Veränderungen aus – das waren die Zeiten der Proteste in Russland und viele Künstler:innen unterstützten die allgemeine Stimmung. Partizaning spezialisierten sich auf urbane Interventionen in Moskau, wie dem

7. Street Art

eigenhändigen Aufmalen von Zebrastreifen auf vielbefahrenen Straßen oder selbstautorisierter Beschilderung und Einrichtung von Fahrradwegen.14

Abb. 41: Partizaning, Urbane Interventionen zur Verbesserung des Stadtraums, Moskau 2012

Viele andere Positionen sind seit dieser Zeit bekannt: Timofej Radja (Tima) machte mit großen politischen Arbeiten 2012 in Jekaterinburg auf sich aufmerksam. Das Thema war die Wiederwahl Putins.15 Kirill Kto und Sinij Karandasch (Blauer Holzstift) spezialisierten sich auf logozentristische Street Art. Ihr Protest wurde schon in den ersten Tagen des russischen Angriffs auf die Ukraine dokumentiert. Viele andere haben starke Arbeiten hinterlassen: Phillippenzo (@philippenzo) etwa bringt Graffiti und Aktivismus zusammen: Zink nasch (Zink ist unser) ist eine zynische Antwort auf den Slogan der Regierung seit 2014, »Krim

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Eine komprimierte Übersicht der wichtigsten Street Art Positionen in Russland bietet: Ponosov, Igor: Russian Urban Art: History and Conflicts, Moskau 2018. Zu Partizaning: S. 56–66. Ebd., S. 58.

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nasch« (Die Krim gehört uns), die sich auf die vielen Zinksärge bezieht, in denen die toten Soldaten zurück in die Heimat gebracht werden. Zudem verteilte er in Moskau seine Objekte Gruz 200, die an Leichensäcke erinnern. Bei der Aufschrift »Gruz 200« beginnt die 200 mit einem »z« statt einer »2« und ist damit an die aktuelle Propaganda Russlands angelehnt. »Gruz 200« ist Armeejargon und ein Luftfrachtcode aus dem Afghanistankrieg der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Er bedeutet: ein Toter, ein getöteter Soldat.16

Abb. 42: Sinij Karandasch, »Die Kraft ist in der Wahrheit*/*auf dem Territorium der RF verboten« in St. Petersburg

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Aleksej Balabanovs gleichnamiger Film Gruz 200 (2007) zeigt seine Erfahrungen im Afghanistankrieg und die Deformationen der spätsowjetischen Gesellschaft.

7. Street Art

Viele greifen das »Z« der offiziellen russischen Propaganda auf und übermalen pro-putinistische Murals bzw. von der Regierung in Auftrag gegebene Propaganda-Street-Art. Es ist nicht nur ein Aufruhr, sondern ein Kampf der Zeichen. Seitdem der Buchstabe »Z« auf Militärfahrzeugen in der Ukraine auftauchte, breitet er sich in der Propaganda rasant aus. Wie an der Abb. 43 erkennbar, wird das russische »З« immer häufiger durch »Z« ersetzt, was wiederum zu einer seltsamen Veränderung der russischen Sprache führt, die an Verwestlichung denken lässt, weil kyrillische Buchstaben durch lateinische ersetzt werden.

Abb. 43: Yekaterinburg, Mural mit der Aufschrift »Für Entschlossenheit, Mut, Dich« wurde übermalt mit den Worten »Tribunal« und roten Hörnern auf dem Kopf des überstrichenen Putin

Natürlich soll die Wirkung eine andere sein, das zeigten die Z-Memes in den russischen sozialen Medien sowie die vielen Wege, auf denen diese Propaganda unter den Putin-Unterstützer:innen verbreitet wird. Die Opposition hingegen dekonstruiert das »Z« und verweist zudem auf die Ähnlichkeit mit der nationalsozialistischen Swastika.17 Die Zusammenstellungen der frühen Anti-Kriegs-Graffiti zeigen schnell gesprühte Schriftzüge und Stencils, die wegen der Gefahr verhaftet zu werden, nicht aufwendiger gestaltet werden konnten. Im Laufe des Jahres 2022

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Kap. 5.; Anonym: »Bukwa Z – offizialnyj (i sloweschtschij) simwol rossijskogo wtorshenija w Ukrainu. My popytalis wyjasnit, kto eto pridumal, – I wot tschto polutschilos«, in: Meduza vom 15.03.2022, URL: https://meduza.io/feature/2022/03/15/bukva-z-ofitsi alnyy-i-zloveschiy-simvol-rossiyskogo-vtorzheniya-v-ukrainu-my-popytalis-vyyasnitkto-eto-pridumal-i-vot-chto-iz-etogo-poluchilos [21.03.2023].

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mussten viele Künstler:innen aus Russland fliehen, so wie etwa Anastasia Vladychkina von der Street Art Gruppe Yav.

Yav und AR Hunter App Die Gruppe Yav (dt. Realität) wurde von Anastasia Vladychkina und Alexander Voronin 2015 gegründet (@yav_group). Ihre Arbeiten reflektieren politische und soziale Fragen in Russland. Vladychkina studierte Jura und hat eine Zeit lang als Anwältin gearbeitet, was der Gruppe von Beginn an half, zu wissen, wo ihre legalen Grenzen und Möglichkeiten liegen.18 Sie thematisieren in ihren Pieces Gewalt gegen Frauen (Schrei 2019), die Rechte von LGBTQAI+Personen in Russland (Stress 2021) und schließlich den Krieg in der Ukraine. Bis 2022 haben sie ihre Arbeiten noch auf großen Straßen und an Orten mit größtmöglicher Sichtbarkeit platziert. Seit März 2022 haben sie sich mehr in Hinterhöfe und industrielle Zonen zurückgezogen, wo die Überwachung weniger aktiv ist.19 Dennoch wurden die beteiligten Personen bei der Ausführung des Pieces Goolag im August 2022 vorübergehend verhaftet und mit Verhängen einer Strafe einige Stunden später freigelassen. Dies führte dazu, dass Voronin die Art Gruppe Yav verlassen musste.20 Da die Werke von Yav und die vieler anderer kritischer Künstler:innen bereits seit den 2010er Jahren immer wieder überstrichen wurden, haben sie im Oktober die App »AR Hunter« veröffentlicht.21 Mithilfe dieser App kann mensch auf einer Karte verschwundene Street Art-Werke finden und zu ihnen navigieren. Durch Aktivierung der App-Kamera am ausgewählten Ort werden die ursprünglich dort angebrachten Pieces sichtbar. Die Städte, in denen die App benutzt werden kann, sind Moskau, St. Petersburg, Nowosibirsk, Jekaterinburg, Nishnij Nowgorod, Samara und Wolgograd (Stand März 2023). Ihre eigenen Arbeiten haben Yav seit 2022 sowohl auf der Straße als auch in Form von Videos auf Instagram angefertigt. Eine Arbeit, die sie am 01. März 2022 auf Instagram veröffentlichten, bezieht sich auf Ilja Kavakovs Diagramm 18

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Marik, Tomas: »Street Art against fear, rage and despair – Russian activist Anastasiia Vladychkina fights Putin for democracy«, in: Jetzt Zeit Blog vom 10.08.2022, URL: http s://jetztzeit.blog/2022/08/10/street-art-russian-activist-vladychina/ [21.03.2023]. Aaron, Jane: »7 Anti-War Street Artists Still Working Inside Russia«, in: The Moscow Times vom 02.01.2023, URL: https://www.themoscowtimes.com/2023/01/02/7-anti-w ar-street-artists-still-working-inside-russia-a79835 [21.03.2023]. Vgl. Instagram: @yav_zone vom 18.08.2022 und 23.08.2022. Mehr Informationen: @arhunter_org; [21.03.2023].

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der Hoffnung und Angst (1983), das die Situation des Moskauer Undergrounds von 1957 bis 1983 nachzeichnet. Yav aktualisierten dieses Diagramm von 1983 bis 2022 mithilfe des Kunstkritikers Pavel Gerasimenko und brachten das Plakat in der Zwenigorodskaja uliza 9. im Zentrum von St. Petersburg an einer Reklametafel an. In ihrem Post schrieben Yav, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr so hoffnungslos und beängstigend gewesen sei.22

Abb. 44: Yav, Diagramm der »Hoffnung« und »Angst« (2022)

In einem Video, das sie zu ihrer Arbeit Nukleare Schatten am 11. Juli 2022 veröffentlicht haben, sind zunächst unterschiedliche Menschen in einem Hinterhof zu sehen. Sie blicken erschrocken nach oben und beginnen sich zu bewe-

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Anonym: »Grafik »Nadezhdy« i »Stracha«: nowaja rabota art-gruppy »Yav«, in: MR7.ru vom 01.03.2022, URL: https://mr-7.ru/articles/2022/03/01/grafik-nadezhdy-istrakha-novaia-rabota-art-gruppy-iav [21.03.2023]; sowie Instagram @yav_zone vom 01.03.2022.

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gen, bis sie in der Bewegung verschwinden. Dort wo sie vorher standen, bleiben schwarze Schatten zurück. Im Post dazu schreiben Yav: Nukleare Schatten sind ein Effekt, der infolge der Lichteinwirkung einer nuklearen Explosion erfolgt. Die Schatten entstehen als Silhouetten an den Stellen, wo der Ausbreitung der Strahlung ein menschlicher oder tierischer Körper oder ein beliebiges anderes Objekt im Wege stand.23

Abb. 45: Zoom, Repka (dt. Rübe), basierend auf einem russischen Märchen über eine großgewachsene Rübe, die die Kraft der ganzen Familie, samt Haustiere und Maus erfordert, um aus dem Boden gezogen zu werden. Der Künstler brachte dieses Piece in St. Petersburg an der Uliza Chersona (Kherson Str.) an und postete es am 21. Oktober 2022 auf Instagram

Das Video muss unmittelbar nach der Anbringung der Pieces gedreht worden sein, denn auch Nukleare Schatten wurde überstrichen. Neben der allgegenwärtigen Befürchtung einer atomaren Katastrophe, wie sie auch in den Arbeiten von Zoom deutlich wird, hat dieses Werk von Yav eine andere Dimension. Die Schatten der verschwundenen Menschen stehen genauso für die vielen

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Instagram: @yav_zone vom 11.07.2022.

7. Street Art

Personen, die Russland verlassen mussten oder inhaftiert sind. Mit der Überstreichung dieses Pieces wurden auch hier die Ordnungsdienste einmal mehr zu Mitwirkenden dieses künstlerischen Palimpsestes, indem sie direkt darauf verwiesen, wie die russische Regierung seit Jahren bzw. Jahrzehnten Personen verschwinden lässt und aus dem Gedächtnis zu radieren versucht.

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8. Mutismus und Widerstand

Während der Schock des 24. Februar 2022 im Westen bei vielen zu einer Starre und Schweigen führte, wurde das Schweigen der russischen Bevölkerung legislativ auferlegt. Die Proteste der ersten Kriegstage im Februar sollten schnellstmöglich durch neue Gesetze unterbunden werden. Protests, although suppressed, continued in the cities until the passage of a repressive law on 4th of March. The Law on Fakes, also known as the Law on Military Censorship, has paralyzed spontaneous rallies and independent media, almost eliminating the space for free public speech. I noted that many friends and acquaintances wrote the following phrases on social media: »My words are in prison«, »my speech was canceled«, »I can no longer speak and I am suffocating«, and »they took away my language«.1 Auf der Internetseite Spectate wurden im Februar 2022 innerhalb einer Woche 18.000 Unterschriften aus dem Kulturbereich gegen den Krieg gesammelt. Anfang März mussten die Namen verdeckt werden, um die Personen zu schützen. Beim Aufrufen der Seite taucht seitdem ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund auf, dort, wo vorher die Namen der Beteiligten standen.2 Die russische Bevölkerung teilte sich auf in diejenigen, die von einer »militärischen Spezialoperation« sprechen und diejenigen, die entweder schweigen, von »Krieg« oder »Wobla«3 sprechen, bzw. mithilfe von Asterisken die Si-

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2 3

Ivasenko, Masha: »Strategies of anti-war movements in Russia«, in: Cultures of Remembrance (o.D.), URL: https://cultures-of-remembrance.com/en/essays/strategies-of-ant i-war-movements-in-russia/ [23.03.2023]. Anonym: »Otkrytoe pismo rossijskich rabotnikov kultury i iskusstva«, in: Spectate vom 25.02.2022, URL: https://spectate.ru/art-worker-public-letter/ [23.03.2023]. Siehe Kap. 5.

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tuation umschreiben.4 Die Versuche der russischen Regierung, einen großflächigen Mutismus in Russland zu etablieren, werden weiterhin unterwandert. Neben anderen Initiativen ist die Feminist Anti–War Resistance dabei am erfolgreichsten.

Feminist Anti–War Resistance Neben vielfältigen Protestaktionen und Solidaritätsbekundungen gründeten Daria Serenko (*1993) und Ella Rossman (*1994) am 25. Februar 2022 die Feminist Anti–War Resistance (FAR). Die wichtigste Aufgabe besteht für die FAR darin, die Kräfte des feministischen Widerstands zu bündeln und nicht als Individuen gegen den Staatsapparat agieren zu müssen.5 Ihre Hauptziele sind der Kampf gegen Kriegstreiberei und das Verbreiten von Fakten über die Kriegsgeschehnisse in der Ukraine, die in den offiziellen Berichten des Staatsfernsehens nicht gezeigt oder verzerrt wiedergegeben werden. Die FAR versteht sich als eine horizontale Organisation, die ihre Symbolik allen offen zur Verfügung stellt, die die Werte der Organisation vertreten. FAR zählte in den ersten Monaten des Krieges zu den am schnellsten wachsenden Widerstandsgemeinschaften in den Social Media.6

# 2016–2018 Serenko wurde zu Beginn der Invasion gerade aus ihrer 15 Tage andauernden Inhaftierung entlassen. Sie ist zuvor für einen Instagram-Post verhaftet wor-

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Viele verfassten Texte über ihren Mutismus, so etwa der Dichter, Kritiker und Kulturtheoretiker Igor Gulin: »On War, Violence, Power and Russian Culture«, in: e-flux Notes vom 18.05.2022, URL: https://www.e-flux.com/notes/469328/on-war-violence-powerand-russian-culture [07.04.2023]. Rossman, Ella: »How Russian feminists are opposing the war on Ukraine«, in: openDemocracy vom 10.03.2022, URL: https://www.opendemocracy.net/en/5050/how-russ ian-feminists-are-opposing-the-war-on-ukraine/ [26.11.2022]. Auf der Seite https://partisan.super.site werden verschiedene Protestgruppen aufgeführt u.a. »seljonaja lenta« (Das Grüne Band), »Media Partisany«, »Vesna«.

8. Mutismus und Widerstand

den, den sie 2021 zur Unterstützung der Anti-Korruptionskampagne »Umnoje Golosowanie« (Kluges Wählen) von Alexei Nawalny gemacht hatte.7

Abb. 46: Eines der ersten Plakate, mit denen Serenko in Moskau unterwegs war. »9 Mai 2016 führte ich ein Gespräch mit einem Veteranen des Vaterländischen Krieges: Ich habe nicht dafür gekämpft. Viele von uns mögen den Tag des Sieges nicht. Einmal im Jahr erinnert man sich an uns und zeigt uns wie Äffchen. Aber am schwierigsten ist es, die Waffen und eure Begeisterung für sie zu sehen. Und die Kinder in Armeekappen. Und die Betrunkenen abends.« #tichijpiket

Die feministische Aktivistin, Künstlerin und Dichterin hat seit 2016 das Protestformat des »Tichij Piket« (#тихийпикет, stille Mahnwache) in Moskau begründet. Sie startete diese Aktion mit der Ankündigung, mit Unbekannten 7

Anonym: »The Feminist Face of Russian Protests«, in: The Moscow Times vom 29.03.2022; https://www.themoscowtimes.com/2022/03/29/the-feminist-face-of-rus sian-protests-a77106 [26.11.2022]; Chikov, Pavel: »Povodom dlja zaderžanija femaktivistki Darii Serenko stal post s simvolikoj »Umnogo golosovania«, in: Meduza vom 08.02.2022; https://meduza.io/news/2022/02/08/povodom-dlya-zaderzhaniya-f emaktivistki-dari-serenko-stal-post-s-simvolikoy-umnogo-golosovaniya [28.11.2022].

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über schwierige Themen sprechen zu wollen und dadurch die Barrieren zwischen Menschen niederzureißen. Um das zu erreichen, nahm sie jeden Tag selbstgestaltete Plakate mit politischen Statements mit auf ihren Arbeitsweg in die Metro. Sie hielt diese Plakate schweigend vor sich als Aufforderung zur Reaktion. Auf die Plakate schrieb sie unterschiedliche Aussagen, manchmal notierte Serenko Fakten über politische Gefangene in russischen Gefängnissen oder stellte Fragen nach Gerechtigkeit. Manchmal berichtete sie von ihrer eigenen überwundenen Homophobie mit dem Aufruf gegen Hass, manche Inhalte ihrer Plakate waren Gedichte von Wsewolod Nekrasow, Georgij Iwanow oder Ossip Mandelstam.8 Sie veröffentlichte Berichte über einzelne Begegnungen im russischen Netzwerk VKontakte und bekam größere Aufmerksamkeit, nachdem der Fotograf Sergej Maksimischin (*1964) sie während einer ihrer Aktionen in der Metro fotografierte und die Aufnahmen veröffentlichte.9 Gleichgesinnte begannen danach, ihre Aktionen in fünfzig anderen Städten Russlands sowie dreißig unterschiedlichen Ländern nachzuahmen und erweiterten diese, indem sie nicht nur Plakate, sondern auch Botschaften auf ihren Rucksäcken und Kleidung trugen.10 Alle Berichte wurden von den jeweiligen Aktivist:innen veröffentlicht und es entstand schließlich das 2018 im ACT Verlag erschienene Buch Tichij Piket. Die Aktion hatte keine direkten Adressat:innen, jede Person konnte sich beteiligen und so wurde das Buch zu einer Manifestation und Fortsetzung dieser freien Kommunikation, die aus politischer Verzweiflung geboren wurde.11 […] eine Geschichte darüber, wie unbekannte Menschen mit unterschiedlichen (und oft auch gegensätzlichen) Ansichten auf den Straßen der Stadt miteinander freundlich sprechen können, gemeinsam einen zeitgenössischen politischen Raum formen, streiten und offen gesellschaftliche Probleme und Klischees diskutieren. #тихийпикет – ist ein zweijähriger

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10 11

Volchek, Dmitrij: »Dewuschka s plakatom«, in: Radio Svoboda vom 05.05.2016, URL: htt ps://www.svoboda.org/a/27717761.html [27.11.2022]. Safonowa, Kristina: »Akzionistka Daria Serenko – o »#tichompikete« i reakzii passashirow metro«, in: The Village vom 12.05.2016, URL: https://www.the-village.ru/city/situ ation-comment/236713-tihiy-piket [27.11.2022]. »Eto beZumie!« 2022. Merkurjewa, Karina: »Wychod jest: shenskije knigi o domaschnem nasilii i aktiwisme«, in: Radio Svoboda vom 08.08.2020, URL: https://www.svoboda.org/a/30771159.html [27.11.2002].

8. Mutismus und Widerstand

täglicher Dialogversuch, es sind 3500 Plakate zu den unterschiedlichsten Themen – von Fremdenfeindlichkeit (aber auch Sexismus, Homophobie, Rassismus etc.) bis hin zu zeitgenössischer Kunst, das sind mehrere Tausende »Protokolle« von Aktivisti:innen über wichtige und schwierige Gespräche.12 In einem Interview erzählte Serenko, wie intensiv das Jahr war, das sie mit Plakaten in den U-Bahn-Waggons verbrachte. In Russland ist die Psychotherapie bis heute als Heilungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen bei einem Großteil der Bevölkerung verpönt. Viele können sie sich auch gar nicht leisten. In diesem Falle wurde die Aktivistin jedoch plötzlich zur Therapeutin, was sie selbst vollkommen überforderte. Denn sie besaß nicht das Handwerkszeug einer ausgebildeten Beraterin und konnte vielen Menschen, die Serenko ihr Herz ausschütteten, nicht wirklich helfen – außer damit, ihnen zuzuhören. Ich verteilte die Nummern von Krisenzentren, Anwälten oder Psychologen und heulte, weil ich keine Ressourcen hatte, allen zu helfen. Ich verstand, dass das Gespräch schon eine Hilfe war, aber ich wollte mehr […]. Fremde taten mir leid, ich tat mir selbst leid, die Aktivisten, die mit Plakaten in anderen Städten auftauchten. Trotzdem habe ich mir weiterhin jeden Tag neue Aussagen ausgedacht, habe es mir nicht erlaubt, mich zu ärgern oder mich auszuruhen. Ich hatte eine innere Vereinbarung mit mir selbst: Ein ganzes Jahr lang sollte ich mich aktiv daran beteiligen.13 Diese Aktion wurde zu einem neuen Weg des Widerstandes, der von vielen als eine feministische Form betrachtet wurde, als eine stille und friedliche Möglichkeit, Dissens auszudrücken. Hier soll diese Art des Artivismus nicht in eine Binarität von männlich und weiblich eingruppiert werden, denn diese Aufteilung ist unhaltbar, wenn mensch sich beispielsweise an die durchaus lauten und aggressiven Aktionen der Feminist:innen von Pussy Riot erinnert. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine andere Herangehensweise des Dissenses, einer milderen, unspektakulären Form, die sich analytisch und systematisch den jeweiligen Problemen annähert. Das Aufkommen dieser scheinbar »neuen Art« des Dissenses sieht Klavdia Smola in der Krise der radikalen Kunstschaffenden wie Voina, Pussy Riot oder Pavel Pavlenskij nach 2012 und untermauert die neueren Proteste (seit 2014) mit dem Konzept der Mikropolitik von Félix

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»Eto beZumie!« 2022. Merkurjeva 2020.

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Guattari und des »Eigen-Sinns« nach Alf Lüdtke.14 Das Konzept des »EigenSinns« entstand bei der Erforschung der Frage, wie sich Menschen aus einfachen Lebensverhältnissen mit illegitimer Herrschaft arrangieren. Er fand bei Fabrikarbeiter:innen heraus, dass die meisten ihre Autonomie in den kleinsten Handlungen des Alltags auslebten, indem sie etwa nach den Regeln weiterarbeiteten, sich aber kurze Momente der eigenen Agency gönnten, etwa in der Kaffee- oder Zigarettenpause. Indem die Arbeiter:innen nicht die Ordnung störten, aber auch nicht Instruktionen folgten, konnten sie sich das eigene Gefühl der Entscheidungsfreiheit wieder aneignen, während sie sich der äußeren Beherrschung und Disziplin unterwarfen.15 Eine ähnliche Theorie stellt der amerikanische Politologe James C. Scott bei der Beobachtung vietnamesischer Bauern während des Krieges auf und führt sie in Weapons of the Weak: Everyday Forms of Peasant Resistance (1985) und Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts (1990) aus. Er spricht von einer prosaischen alltäglichen Form von kaum sichtbarem Widerstand, der nach und nach seine Wirksamkeit erreicht. In den vergangenen zwanzig Jahren sind ähnliche Formen des Widerstandes in Kunst und Kultur von russischen oppositionellen Personen und Gruppierungen praktiziert worden, wie etwa vom Kollektiv Chto Delat? oder von Katrin Nenasheva (*1994)16 . Es ist eine Kunst, die Partizipation einfordert und sich mehr auf Langzeitprojekte konzentriert, als auf kurze und spektakuläre Aktionen wie es bei den Moskauer Aktionisten war. Eine Kunst als soziale Praxis wird bereits seit den späten 1990er Jahren etwa in Nicolas Bourriads Relational Aesthetics (1998) oder in den Konzepten der Participatory Art (2006) von Claire Bischop und der Idee des Collaborative Turn (2007) von Maria Lind verhandelt. Wichtig ist es jedoch, nicht dem Narrativ

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Lotringer, Sylvère (hg.), Félix Guattari, Soft Subversions, Cambridge 1996; Lüdtke, Alf: Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Münster: Westfälisches Dampfboot 2015; dokumentiert in der Summer School 2022 an der Technischen Universität Dresden; https://tu-dresden.de/gsw/slk/s lavistik/das-institut/professuren-und-lehrbereiche/litwi/forschungsprojekte/internat ional-summer-school-2022-eigensinn/summer-school-records [28.11.2002]. Lindenberger, Thomas: Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1999. Anonym: »›They define themselves through their experience of the war‹. Katrin Nenasheva on trying to build a safe environment for forcibly deported Ukrainian children«, in: Meduza vom 26.07.2022, URL: https://meduza.io/en/feature/2022/07/26/they-defi ne-themselves-through-their-experience-of-the-war [07.04.2023].

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der Minderheit solcher Ideen (im Gegensatz zum geeinten Volk) in Russland zu vertrauen, denn stillen Widerstand in den verschiedensten Formen gab es schon immer: im zaristischen Russland, während der Stalin-Ära, in den 1960ern bis 1980ern mit den Dissident:innen und auch heute. Das belegt etwa der Historiker Sergej Bondarenko, der mit seiner Forschungsgruppe »Mjortwyje duschi« (Tote Seelen) die Akten des Protests in den 1930er Jahren betrachtet.17 Die Besonderheit von Serenkos Protest-Plakaten war die öffentliche Thematisierung gesellschaftlicher Probleme, die in Russland in Schweigen gehüllt wurden. Alexander Markow fasst die wichtigsten allgemeinen Fragen Serenkos zusammen: »Warum sind Stereotypen stärker als der gesunde Menschenverstand? Warum hat die Strafe überhaupt nichts mit dem Verbrechen zu tun? Warum wird dem Opfer vorgeworfen, ein Opfer zu sein? Warum verstehen Eltern ihre Kinder nicht, wenn sie die Wahrheit über die sie umgebende Welt aussprechen?«18 Serenko klagte nicht an, sondern fragte. Sie gab denjenigen, die anderer Meinung waren, den Filzstift in die Hand und forderte sie auf, eigene Plakate zu schreiben. Es ging ihr um Veränderung durch Kommunikation. Durch »Tichij Piket« hat Serenko einen neuen Weg des Widerstands und der Kommunikation entwickelt, der fünf Jahre später, mit der Invasion Russlands in der Ukraine, zu einem wichtigen Instrument des feministischen Widerstands werden sollte.

Zum Manifest von FAR Am 27. Februar 2022 veröffentlichte FAR ein Manifest auf Telegram, das bald in etwa dreißig Sprachen übersetzt wurde. Jan Surman und Anastasia Kalk übersetzten es ins Englische und veröffentlichten es u.a. in der amerikanischen Politikzeitung Jacobin sowie bei transversal.at und Green Left Weekly, ferner im Specter Journal im März 2022. In ihrem Manifest beziehen sich die Organsator:innen auf die historisch existierende Verbindung der Frauenrechtsbewegung und der Anti-Kriegsbewegungen seit dem Ersten Weltkrieg.

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Bondarenko, Sergej: »Wnutrennaja potrebnost protestowat«, in: holod vom 20.04.2022, URL: https://holod.media/2022/04/20/protest-inside/ [29.11.2022]. Markow, Aleksandr: »Rawenstwo w boli«, in: Nowyi Mir 8 (2017), URL: https://magazin es.gorky.media/novyi_mi/2017/8/ravenstvo-v-boli.html [27.11.2022].

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Ella Rossman veröffentlichte einen Artikel, in dem sie die Tradition der feministischen Proteste im russischen Imperium der Zarenzeit aufgreift, die weit über die Grenzen von Moskau und St. Petersburg hinausreichten, wie etwa der »Allrussische Kongress muslimischer Frauen«, der 1917 organisiert wurde.19 Weiter erinnerte sie an den Zhenskij westnik, der von 1905 bis 1918 von Maria Pokrowskaja herausgegeben wurde und Geschichten von Frauen versammelte, deren Leben durch den Krieg verändert wurde, sowie das Pamphlet von Alexandra Kollontai, »Komu nuzhna woina« (Wer braucht den Krieg, 1916). Alle feministischen Bewegungen wurden um 1930 von Stalin aufgelöst, der verkündete, dass die Frauenfrage offiziell erledigt worden sei. Rossman zeichnet weitere Initiativen und einzelne Akteur:innen im Zweiten Weltkrieg sowie im Afghanistan- und in den Tschetschenien-Kriegen nach.20 Russische Aktivistinnen der Frauenbewegung diskutierten auch vor 100 Jahren den Zusammenhang zwischen Kriegen und dem System der männlichen Herrschaft. Viele hielten Frauen für die Kraft, die Frieden auf Erden schaffen könnte, und forderten sie auf, in den Lauf der Dinge einzugreifen. Einige Feministinnen sahen den Krieg jedoch auch als eine Quelle der Frauenbefreiung: die beste Zeit für die Aktivität und Freiheit von Frauen, um wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen. Heutige russische Feministinnen sagten mir dasselbe und nannten als Beispiel den Rückgang der Zahl der Männer auf dem Arbeitsmarkt, aber ich denke, das ist ein großer Fehler: die negativen Auswirkungen des Krieges auf Frauen, auf gefährdete Gruppen im Allgemeinen überwiegen alle zufälligen »positiven« Momente. Deshalb gehen Feminismus, queerer Aktivismus, der Kampf für die Rechte bestimmter Gruppen und für Menschenrechte im Allgemeinen für mich immer mit Antikriegshaltungen einher: Nur in einer friedlichen Gesellschaft kann dieser Kampf erfolgreich sein.21 Die rasante Verbreitung von FAR inner- und außerhalb Russlands lag an der seit Jahren aktiven feministischen Community, die jedoch nicht so ernst genommen wurde wie andere oppositionelle Organisationen. Das ermöglichte ihr zeitweise einen größeren Handlungsspielraum. Es gibt auch feministische

19

20 21

Prednamerennyj Tresk: »Na rasswete. K 101-letiju Wserossijskogo sjesda musulmanok«, in: syg.ma vom 06.03.2018, URL: https://syg.ma/@tresk/na-rassvietie-k-101-liet iiu-vsierossiiskogho-siezda-musulmanok [29.11.2022]. Rossman 2022. Ebd.

8. Mutismus und Widerstand

politische Gefangene in den russischen Gefängnissen, aber ihre Anzahl ist geringer als etwa die der Aktivist:innen, die sich für Nawalny ausgesprochen hatten.22 FAR vereinte innerhalb kürzester Zeit einzelne feministische Organisationen von Kaliningrad bis Wladiwostok und in der Diaspora zu einem breitflächigen, dezentralisierten und horizontalen Verband, um die bisher erfolgte feministische Praxis zu einer stärkeren Waffe gegen die russische Regierung und ihren Krieg zu machen.23 Im März 2022 schlossen sich international weitere Feminist:innen der Bewegung an, indem sie in der Zeitschrift Spectre ein Manifest zur Unterstützung der FAR publizierten. Das Thema des Manifestes ist Frieden und die Verdammung jedweder kriegerischer Handlung, wobei die Verfasser:innen nicht nur das Putin-Regime verurteilen, sondern auch die Verantwortung der NATO nicht außer Acht lassen wollen. With this manifesto we collect the call launched by Russian feminist groups and join the Feminist Resistance Against War! In this way, we recover the feminist thread of history that has participated in struggles against reactionary wars, from the movement led by Rosa Luxemburg in 1914, the Greenham Common anti-nuclear weapons camp of the 1980s, or the Women in Black movement against war, to name a few. That is why we say Feminist Resistance Against War. Behind the NO to War there is no naive position. The only real road to peace is the de-escalation of war. We demand a bold redirection of the situation to break the militaristic spiral initiated by Russia and supported by NATO. We demand the immediate cancellation of Ukraine’s foreign debt of 125 billion dollars as a concrete measure of support for the Ukrainian people and denounce the reforms and conditionality imposed by the IMF in recent years.24

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23

24

Anonym: »Feminism ne wosprinimali wserjoz, poetomu my ne tak rasgromleny«, in: holod vom 17.03.2022, URL: https://holod.media/2022/03/17/feminizm-ne-vosprinima li-vserez-poetomu-my-ne-tak-razgromleny/ [28.11.2022]. Kalk, Anastasia/Surman, Jan: »Russia’s Feminists Are in the Streets Protesting Putin’s War«, übers. v. Anastasia Kalk/Jan Surman, in: transversal texts vom Februar 2022, URL: https://transversal.at/transversal/0422/feminist-anti-war-resistance/en [26.11.2022]. Aus Gründen der Einfachheit wurde hier die übersetzte englische Variante verwendet, die mit der offiziellen russischen abgeglichen wurde. »Feminists Against War«, in: Spectre Journal vom 17.03.2022, URL: https://spectrejournal.com/feminist-resistance-a gainst-war/ [26.11.2022].

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Dieses Manifest wurde von 151 Personen unterschrieben, gegen Ende März 2022 wurden bereits 2500 Unterschriften dokumentiert.25

Erste Aktionen26 Die Aktionen von FAR bedienen sich verschiedener Instrumente, die seit Jahren von Street Art und Aktivismus in Russland sowie weltweit entwickelt wurden. Die Übergänge zwischen künstlerischen Aktionen, Artivismus, Aktivismus und Protest sind hierbei zunehmend fließend. Im Folgenden werden die größeren Protestaktionen von FAR vorgestellt.

Neuauflage von #тихийпикет Nach der Veröffentlichung ihres Manifestes hat FAR auf ihren Social-MediaKanälen verschiedene Anleitungen zu direkten Aktionen gepostet. Neben der Bekämpfung von Propaganda und Falschinformationen von Seiten der russischen Regierung haben die Aktivist:innen konkrete Ratschläge für sicheren Protest gegeben und riefen dazu auf, #тихийпикет wieder aufleben zu lassen. Im neuen Format des #тихийпикет haben daraufhin Aktivist:innen und Demonstrant:innen begonnen, Anti-Kriegs-Botschaften auf ihrer Kleidung, auf Rucksäcken und Taschen zu tragen. Es wurde zu einem alltäglichen Statement. Manche trugen ihre Botschaften beispielsweise offen auf dem Rücken ihrer Jacken in großen Buchstaben aufgemalt, andere machten kleine Aufnäher auf Taschen, die bei Gefahr mühelos mit einem Arm verdeckt werden können. Als eine einfache und sichere Art, sich gegen Krieg auszusprechen, gewann #тихийпикет immer mehr Bedeutung auf der Straße und in den sozialen Medien. Das wichtigste Element dieser Aktionen war die Information, die weitergegeben wurde sowie eine Aufforderung zur Kommunikation. Serenko rief auf ihrer Facebook-Seite am 24.Februar 2022 dazu auf, mit Menschen zu sprechen, die Wahrheit über den Angriff auf die Ukraine zu erzählen. Auch das Hashtag #тихийпикет war wichtig, so konnte sich online

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»Manifesto: Feminist Resistance Against War«, in: feministsagainstwar.org vom 31.03.2022 [28.11.2022]. Die Informationen zu den Aktionen stammen aus den sozialen Medien von FAR: Instagram: @fem_antiwar_resistance, Twitter: @femagainstwar, Facebook: Feminist AntiWar Resistance und Telegram: t.me/femagainstwar.

8. Mutismus und Widerstand

eine größere Community bilden. Es ging darum, Brücken zu bauen statt sich Feinde zu machen. Am 01. März 2022 gab es bereits 2500 solcher Aktionen.27

Frauen in Schwarz Diese Aktion orientierte sich am historischen Vorgänger in Israel 1988, als im Zeichen des Protestes gegen Menschenrechtsverletzungen israelischer Soldaten in den besetzten palästinensischen Gebieten Frauen jeden Freitag in schwarzer Kleidung durch das Zentrum von Jerusalem gingen, um der Toten zu gedenken. Dieser Trauermarsch breitete sich auf die zentralen Straßen und Plätze anderer Städte im ganzen Land aus. In den 1990er Jahren protestierten »Frauen in Schwarz« gegen den Krieg in Tschetschenien und nun rief FAR am 16. März 2022 dazu auf, dasselbe mit einer weißen Blume in der Hand weltweit zu tun, bis der Krieg beendet sei.

Abb. 47: Teilnehmerin der Aktion

Die weiße Rose in der Hand der Aktivist:innen erinnerte auch an die Vereinigung der Geschwister Scholl im nationalistischen Deutschland.28 Die ukrainische Philosophin Irina Zherebkina kommentierte diese Aktion mit der Fra27 28

»Eto beZumie!« 2022. Vgl. Ivasenko 2022.

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ge, wie wirksam sie sei, da sie sich von den Ursprungsaktionen dadurch unterscheide, dass die Frauen in Schwarz unter Beschuss und Lebensgefahr auf die Straßen gegangen seien, nicht in einer Distanz zum Krieg.29 Serenko schreibt, dass die Situation sich ständig verändere. Das, was gestern noch möglich gewesen sei, könnte heute schon als Affront gelten. Sobald die Behörden herausbekämen, dass eine Frau in Schwarz mit einer Rose mehr bedeute, handelten sie. So etwa in Jekaterinburg, wo Anna Loginowa für neun Tage inhaftiert wurde. Deshalb reagiert die Bewegung permanent auf Veränderungen und ruft zu neuen Aktionen auf.

8. März Der internationale Frauentag wird in Russland traditionell als Feiertag mit Geschenken und Blumen begangen. Den 08. März 2022 nahmen die Aktivist:innen von FAR zum Anlass, eine Aktion auszurufen, die in über 100 Städten stattfand. Die Protestierenden verkündeten, den internationalen Frauentag in diesem Jahr nicht feiern zu wollen. Das Statement der Organisation war: »Gebt uns keine Blumen, bringt sie lieber auf die Straßen und legt sie als Erinnerung an die toten Zivilist:innen der Ukraine nieder.«30 Der Protest, bei dem Chrysanthemen und Tulpen mit blauen und gelben Schleifen auf sowjetischen Kriegsdenkmälern abgelegt wurden, war eine Wiederaneignung der verzerrten Geschichte, die von der Putin-Regierung seit Jahrzehnten in der russischsprachigen Welt verbreitet wird. Zudem konnten sich protestierende Personen bei dieser Aktion gegenseitig erkennen. Diejenigen, die gegen den Krieg aktiv werden wollten, trafen sich bei den Denkmälern, lernten sich kennen und gründeten neue feministische Zellen in verschiedenen Städten. Die Kriegsdenkmäler, an denen die Aktionen stattfanden, wurden von den Aktivist:innen selbst ausgesucht, ohne dass im Vorfeld eine Liste veröffentlicht wurde. Deshalb war es für die Polizei schwierig, diese 29

30

Zherebkina, Irina: Anonym [Posle]: »Grieving for Others, Not for Ourselves: An Interview with Irina Zherebkina«, in: e-flux Notes vom 06.06.2022, URL: https://www. e-flux.com/notes/473291/grieving-for-others-not-for-ourselves-an-interview-with-iri na-zherebkina?fbclid=IwAR2UxybGgXFYy2TWNEaZmsGRK3NnKO6btciM3w-IAuCXS vzIpfXeZfs452c [07.04.2023]. Naylor, Aliide: »Amidst a Crackdown, Russia’s Anti-War Artists and Activists Try To Reclaim the Streets«, in: ArtReview vom 10.03.2022 URL: https://artreview.com/a midst-a-crackdown-russia-anti-war-artists-and-activists-try-to-reclaim-the-streets/ [28.11.2022].

8. Mutismus und Widerstand

dezentralisierte Aktion zu verfolgen. Das Format war wichtig, um den Menschen, die sich gegen den Krieg aussprechen wollten, eine Hoffnung zu geben und ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind.31

Online-Formate: Kettenbriefe, Postkarten, Berichte aus der Ukraine Zu den wichtigen Online-Aktionen zählt das Verschicken von digitalen Postkarten mit Anti-Kriegsbotschaften und Kettenbriefen, die FAR in WhatsApp und dem russischen Soziale-Medien-Netzwerk Odnoklassniki verbreiteten. Die besonders in Russland weit verbreitete Form der sogenannten »Glücksbriefe«, die man an weitere Personen seines Netzwerks senden muss, um Glück, Gesundheit, Liebe etc. zu bekommen, haben die Aktivist:innen in »Un-Glücksbriefe« umbenannt und dazu genutzt, um Informationen über den Krieg zu verbreiten, die für viele Menschen in Russland nicht zugänglich waren. Zudem stellte FAR Kontakt zu Ukrainer:innen her, die ihnen Berichte ihrer Situation lieferten. Schließlich wurden diese Berichte in einer gesonderten Rubrik an Russ:innen weitergeleitet.

MARIUPOL 5000 Nach der Bombardierung der ukrainischen Hafenstadt Mariupol startete FAR am 30. März 2022 den Aufruf MARIUPOL 5000. Am 2. und 3. April sollten Kreuze als Mahnmale für die Toten von Mariupol aufgestellt werden. FAR erklärten, dass die Körper der 5000 Toten in Mariupol nicht aus der Stadt auf die Friedhöfe herausgefahren werden dürften und Menschen deshalb direkt in den Hinterhöfen begraben würden. Wegen der Zensur der Medien bekam die russische Bevölkerung keine Fotos von toten und verwundeten Zivilist:innen und keine Bilder von Kreuzen und Gräbern in der Ukraine zu Gesicht.32 Russland leugne weiterhin die Verantwortung und beschuldigte die Ukraine des Luftangriffes. Die Aktion sollte diese Lüge und Beleidigung des Gedenkens an die Opfer unterwandern und ein Zeichen der Empathie und Solidarität setzen, welche die Führung der Russländischen Föderation zerstören will. Innerhalb von zwei Monaten standen etwa 1000 Kreuze in fünfzig Städten Russlands, obwohl auch dies, nach damaliger Gesetzeslage, strafbar war. Nach dem Bekanntwerden der Ereignisse von Butscha tauchten in vielen Städten Russlands Kreu31 32

»Feminism ne wosprinimali wserjos« 2022. Siehe: https://t.me/femagainstwar/1039; vom 30.03.2022 [29.11.2022].

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ze mit dieser Aufschrift auf. Die Organisation »Vesna« rief ebenfalls dazu auf, Kreuze für Butscha aufzustellen.33 Aktivist:innen von FAR öffneten die Aktion für alle Städte. Diese große Resonanz war auch eine Reaktion auf das in Russland erlassene Demonstrationsverbot. Viele Menschen hatten das Bedürfnis, sich zu äußern und konnten es nur durch stumme Zeichen.

Geld gegen den Krieg Bei vielen Aufrufen bietet FAR fertige Plakatentwürfe an, die nur noch ausgedruckt werden müssen und postet QR-Codes mit wichtigen Informationen zu Vorkehrungen, um nicht gefasst zu werden. Am 15. März 2022 kam der anonyme Vorschlag, Anti-Kriegsparolen und -informationen auf Geldscheinen und Münzen zu notieren. Ein Jahr später (25. März 2023) wurde ein Reminder dazu gepostet, mit einem erneuten Aufruf und Bildbeispielen. Diese Art des Widerstands war inspiriert vom Protest gegen die Regierung in Turkmenistan 2020.34 Die Aktion wurde als besonders effektiv betrachtet, da sie das Potential hatte, zu einem Massenphänomen zu werden. Durch die rasche Verbreitung und Unübersichtlichkeit des Geldflusses waren die beschrifteten Geldscheine eine größere Herausforderung für die Regierung als Posts in den Social Media, die viel einfacher zu verfolgen sind.35

Bücher statt Bomben FAR schloss sich bei vielen Aktionen mit anderen Initiativen zusammen, postete Aufrufe oder Aktionen von anderen Organisationen wie etwa »Vesna« oder der Bewegung »Studenten gegen den Krieg«. Diese haben in den Zügen und Stationen der Moskauer Metro verschiedene Bücher hinterlegt, deren Inhalt pazifistische oder Anti-Kriegs-Themen enthielt. Bei diesem Book-Crossing wurden in die einzelnen Bücher Lesezeichen oder lose Blätter mit Zitaten aus der Verfassung eingelegt. Auch diese Aktion breitete sich in anderen Städten aus und wurde nicht nur in der Metro ausgeübt.

33 34

35

Siehe: https://t.me/vesna_democrat/1394; vom 04.04.2022; (29.11.2022). Anonym: »W Turkmenistane pojawilis kupjury s antiprawitelstwennymi nadpisami«, in: Turkmen.News vom 12.06.2020; https://turkmen.news/anti-berdimuhamedov-pro test/ [29.11.2022]. Siehe: https://t.me/femagainstwar/499, vom 15.03.2022 [29.11.2022].

8. Mutismus und Widerstand

ANTI-KRIEG PREISSCHILDER Abb. 48: Preisschilder mit Informationen über Mariupol

Am 29. März 2022 wurde über FAR ein Post mit kleinen Zetteln gezeigt, die Informationen über den Krieg in der Ukraine enthielten und von Aktivist:innen in Hosen-, Jacken- oder andere Taschen in Bekleidungsgeschäften gelegt werden konnten. Eine weitere Möglichkeit war, die Preisschilder in den Geschäften auszutauschen, so wie es die Künstlerin Sascha Skochilenko machte. Sie platzierte anstelle der üblichen Preisschilder Informationen über das Vorgehen der russischen Armee in Mariupol im Supermarkt Perekrjostok in Petersburg. Dabei wurde sie von einer älteren Kundin beobachtet und der Polizei gemeldet, weshalb sie am 11. April verhaftet wurde. Nach dem neuen Artikel č.2 207.3 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation, der am 4. März 2022 in Kraft trat, wurde sie wegen »politischer Feindseligkeit« und Verbreitung von Falschinformation angeklagt und ihr drohten bis zu zehn Jahre Haft.36 36

Skochilenko befand sich im März 2023 weiterhin in Haft; Anonym: »Chudoshnizu w Peterburge otprawili w ISO sa samenu zennikow na listowki s nowostjami o Mariupo-

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Über diesen Fall berichtete FAR in regelmäßigen Abständen, genauso wie über andere Aktivist:innen, die wegen Protesten verhaftet wurden. Bekannt geworden ist die Künstlerin Skochilenko mit ihren Comics Knigi o depressii (Bücher über Depressionen, 2014), Menja nikogda nje ljubili (Ich wurde nie geliebt, 2015), in denen sie ihre bipolare Störung, Selbstzweifel und die damit einhergehenden Depressionen beschrieb. Sie verfasste diese Bücher, weil in Russland psychische Krankheiten nach wie vor tabuisiert werden und die Behandlungen nicht den europäischen Standards entsprechen.37 Im Frühjahr 2022 veröffentlichte sie Postkarten mit Friedensbotschaften auf ihren Social-Media-Kanälen.38

1. MAI: Wir füttern Tauben und nicht den Krieg Am 26. April 2022 rief FAR zum Taubenfüttern auf. Am 1. Mai sollten sich die Aktivist:innen auf den Plätzen, Straßen und Boulevards, die nach dem Frieden benannt sind, dieser Aufgabe widmen. Die Idee war, zusammen mit Gleichgesinnten über den Wert der eigenen Arbeit nachzudenken und Friedensvögel statt den Krieg zu füttern. Das Füttern von Tauben hatte als absurde Straßenaktion bereits 2019 während der Proteste zur Unterstützung unabhängiger Kandidaten bei den Wahlen in Russland stattgefunden. In vielen Städten gingen Menschen mit Hirse auf die Straßen und Plätze und trafen dort Gleichgesinnte.39 Der Telegram-Kanal von FAR hat über 39.000 Abonnent:innen und gehört neben »Vesna« (77.000) zu den größten und aktivsten (Stand März 2023). Neben FAR und »Vesna« gibt es einige andere Bewegungen, wie »Mjagkaja sila« (Soft Power), »Sojus Materej« (Müttervereinigung), »Ostanowi Wagony« (Stoppt die Waggons), »Antiwojennyj Bolnitschnyj« (Anti-Kriegs-Krankschreibung) sowie »AntiJob«, die zusammen mit FAR einen Anti-Kriegs-Fonds organisiert haben, um psychologische Hilfe zu gewähren. Die Kooperationen zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen finden oft statt.

37 38

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le«, in: BBC News vom 13.04.2022, URL: https://www.bbc.com/ruusian/news-61095879 [26.03.2023]. Anonym: »Sascha wsegda opereshajet swoje pokolenie«, in: holod vom 14.04.2022, URL: https://holod.media/2022/04/14/scochilenko/ [29.11.2022]. Anonym, «Ljubow silneje woiny«. Dewjat antiwoennych otkrytok Saschi Skotschilenko – jei grosit do 10 let po delu o feikach ob armii«, in: Bumaga vom 13.04.2022, URL: http s://paperpaper.ru/lyubov-silnee-vojny-devyat-antivo/ [29.11.2022]. Telegramkanal von FAR, https://t.me/femagainstwar/2017 [29.11.2022].

8. Mutismus und Widerstand

Darüber hinaus haben FAR auch mehrere Kooperationen mit der aufgelösten Organisation »Memorial« eingegangen, wie etwa am 09. Mai 2022, als sie das »Unsterbliche Regiment« mit Anti-Kriegs-Slogans unterwanderten und Bilder von Menschen online und auf der Straße verbreiteten, die den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust überlebt hatten, und 2022 in der Ukraine durch russische Angriffe verstorben sind.

Abb. 49: Boris Romanchenko, 1926–2022, Der 96-jährige Boris Romanchenko, der vier nationalsozialistische Konzentrationslager während des Zweiten Weltkrieges überlebte, wurde durch eine russische Rakete in seiner Wohnung in Kharkiv getötet

Die Widerstandsbewegung »seljonaja lenta« (Das Grüne Band) organisierte eine zentrale Plattform des Widerstands, partisan.super.site, wo die Möglichkeiten eines Protestes für die Zivilbevölkerung aufgezeigt, detailliert beschrieben und der Gefährlichkeit nach eingestuft werden.40 Allein in dieser

40

Siehe: https://partisan.super.site/ [26.03.2023].

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Liste wird deutlich, wie viele verschiedene Widerstandsformen im Jahr 2022 erprobt worden sind. Für das FAR wurden hier nur einige wenige Beispiele angeführt, ferner geben die Aktivist:innen eine Zeitung Shenskaja Prawda (Feminine/Weibliche Wahrheit) als Gegenentwurf zur Zeitung Prawda (Wahrheit) heraus, die bis 1991 das zentrale Organ der KPdSU gewesen ist. Die Zeitung soll u.a. die Teile der Bevölkerung erreichen, die die neuen Medien nicht aktiv nutzen und sich immer noch auf das gedruckte Wort verlassen. Die Zeitung wird kostenlos in der Metro, in Briefkästen und Geschäften verbreitet. Darin geben die Verfasser:innen auch Ratschläge, wie man die Mobilisierung umgehen kann. Es folgten 2022 viele FAR-Fundraising-Aktionen, um etwa einen Generator für ein ukrainisches Krankenhaus zu finanzieren oder um Menschen zu helfen, aus Russland auszureisen. Ein wichtiges Thema war auch die professionelle psychologische Unterstützung, die von FAR organisiert wurde. Hilfreich hierfür waren Serenkos Erfahrungen aus ihrer aktivistischen Vergangenheit. Am 8. März 2023 eröffnete in Paris eine Ausstellung zum feministischen Widerstand, die aktuell inhaftierte Frauen in Russland und ihre Geschichten vorstellt. Mitgearbeitet haben neben Vertreter:innen von FAR auch »Memorial« und die Mutter der immer noch inhaftierten Skochilenko. Serenko wurde 2022 als ausländische Agentin eingestuft und musste aus Russland fliehen, sofern sie nicht Gefahr laufen wollte, inhaftiert zu werden. Sie lebt derzeit in Tiflis und arbeitet von dort weiter. Wie die Ausstellung in Paris betonen sollte, gibt es über 100 Aktivist:innen, die entweder inhaftiert oder von der Polizei belästigt wurden. Diese Geschichten werden in den sozialen Medien von FAR erzählt und die Vereinigung bietet jedwede Art der Hilfe an, von juristischer Unterstützung, Publicity bis hin zu finanzieller Hilfe bei Verlust des Arbeitsplatzes.41 Der Erfolg von FAR liegt an den vielen feministischen Kleingruppen, die schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 in verschiedenen Städten operierten, sodass es nicht schwierig war, sie miteinander zu verbinden. Die FAR zeigte, wie einfallsreich Aktivist:innen auch unter Druck arbeiten können und wie viel Grasroot-Initiativen bewirken können. FAR kooperiert auch mit dem Komitee der Soldatenmütter, um in diesem Feld ihre Überzeugungen zu verkbreiten und vielleicht im Sinne von Serenkos Idee der Kommunikation, auf neue gemeinsame Nenner zu kommen.

41

Vgl. Ivasenko 2022.

8. Mutismus und Widerstand

Abb. 50: Ansicht der Ausstellung in Paris im März 2023

Im August 2022 publizierte Serenko ihre Schlussfolgerungen der ersten aktiven Monate des Widerstands. Sie schreibt darüber, dass die Anti-Kriegs-Bewegung nur bestehen könne, wenn sie weiterwachsen würde. Die zweite wichtige Aufgabe sei es, besonders die gesellschaftlichen Gruppen zu unterstützen, die wegen des Krieges einen Schaden nehmen, so wie die Soldatenmütter oder Demonstrant:innen, oder Menschen, die finanziell wegen der Kriegswirtschaft leiden, wie Alleinerziehende oder Rentner:innen. Sowohl die Information als auch die Unterstützung müssten auf die jeweilige Gruppe zugeschnitten sein. Auf das Argument, dass Anti-Kriegs-Aktivismus nichts bewirken könne, antwortete Serenko mit der Bedeutung der Geste. Antikriegsbewegungen alleine stoppen die Kriege nicht: Meistens liegt es an der Erschöpfung der Ressourcen einer der Parteien und nicht daran, dass jemand eine erfolgreiche Kriegsgeste gemacht hatte. Aber die Antikriegsbewegung kann sich an der Erschöpfung dieser Ressourcen beteiligen: Propaganda behindern, Streiks veranstalten, Arbeit für den Staat sabotieren. Darüber hinaus kann eine Antikriegskampagne den Pegel der öffentlichen Unzufriedenheit mit dem Krieg erhöhen und dazu führen, dass sich der Staat

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immer weniger auf die Ressource der Unterstützung durch die Bevölkerung verlassen kann.42 Sie verweist auf die gelungenen und misslungenen Aktionen von FAR und erinnert daran, dass es ausnehmend wichtig sei, die Aktivist:innen wissen zu lassen, dass sie nicht alleine sind. Für eine erfolgreiche Unterstützung der Bewegung müssten die Aktionen eine gewisse Programmatik haben – und einen längeren Effekt als die Anti-Kriegs-Geste allein. Weiter spricht sie über Menschen, die sich außerhalb Russlands aufhalten. Ihre Aufgaben sieht sie darin, die Bewegung weltweit bekannter und lauter werden zu lassen sowie Ressourcen an FAR in Russland weiterzuleiten. Außerdem thematisiert sie die Radikalisierung der Anti-Kriegs-Bewegung hin zum Partisanentum, die sie als eine Antwort auf die Radikalisierung des Staatsapparats begrüßt. Beispiele dafür sind Gruppen, die Zuggleise sabotieren oder Einberufungsämter anzünden. Die Gruppe »Boewaja Organisazija AnarchoKommunistow« (BOAK, Kriegerische Organisation von Anarcho-Kommunisten) veröffentlichte in Telegram Anleitungen, wie Eisenbahngleise zu sabotieren seien und erzählte von gelungenen Operationen.43 Die letzte Maßnahme ihrer Schlussfolgerungen besteht im Aufklären darüber, dass der Krieg unwirtschaftlich sei. Obwohl die FAR eine dezentrale und horizontale Vereinigung ist, steht Serenko als Gesicht der Bewegung im Mittelpunkt – das liegt einerseits an ihrer jahrelangen Erfahrung als Aktivistin und Künstlerin sowie andererseits an ihrem Bekanntheitsgrad wegen #тихийпикет.

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Serenko; Daria: »Sem wywodow is antiwojennogo protesta spustja polgoda«, in: holod vom 12.08.2022, URL: https://holod.media/2022/08/12/conclusions-russians-again st-war/ [29.11.2022]. Anonym: »W Rossii, kak i w Belarusi, pojawilis »relsowyje partisany«. Oni ustraiwajut diwersii na sheleznoi doroge (a jeschtscho podshigajut wojenkomaty), tschtoby priblisit konez woiny. The Insider s nimi pogoworil«, in: Meduza vom 05.06.2022, URL: https://meduza.io/feature/2022/07/05/v-rossii-kak-i-v-belarusi-poyavilis-relsov ye-partizany [29.11.2022].

9. Agency der Toten

Im Stück Die zweimal Gemordeten (2017) erzählt die ukrainische Schriftstellerin Marjana Gaponenko (*1981) von der Stadt Kolpaschewo in Westsibirien. Dort wurden 1979 vom Fluss Ob die Massengräber der Stalinzeit freigespült und die mumifizierten Leichen der Opfer trieben wochenlang auf dem Fluss herum, bis sie auf Befehl der Regierung von Schiffsschrauben zerstückelt und versenkt wurden.1 Die Protagonist:innen ihres Stücks sind so dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass sie auf absurde Weise nicht erkennen können, von getöteten Opfern des Terrors umgeben zu sein.2 Vor über 40 Jahren hat eine Naturgewalt stalinistische Verbrechen im wahrsten Sinne des Wortes an die Oberfläche gespült. Seit 2022 versuchen Künstler:innen und Oppositionelle in Russland, mit Guerillataktiken auf ebensolche Leichenberge in der Ukraine hinzuweisen. Sie fingen damit an, noch ehe Bilder aus Butscha und Irpin die internationale Öffentlichkeit erreichten. So hat die anonyme Künstler:innengruppe »Newoina« (Nichtkrieg) aus Samara die Aktion Слово мёртвым (Wort den Toten) auf der zugefrorenen Wolga durchgeführt. Am 01. März 2022 veröffentlichten sie ein Video mit Begleittext: Menschliche Körper in schwarzen Tüten auf weißem Schnee sind ein Bild des Todes, einer riesigen Zahl von Opfern, die der Krieg bringt. Das ist das Leben der Menschen, das sind kulturelle Bindungen, das ist die Zukunft von jedem von uns. Während die Protestbewegung in Russland unterdrückt wird, wird die Kunst zu einer der Formen schneller Reaktion auf die Situation. Wenn es

1

2

Augenzeug:innenberichte und Film dazu: Prokopewa, Swetlana: »Dwashdy ubityje«, in: Sibir Realii vom 22.09.2018, URL: https://www.sibreal.org/a/29490056.html [27.03.2023]. Gaponenko, Marjana: Eine Post-Sowjetische Dramolett Trilogie, Berlin: Suhrkamp Theater 2017.

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den Lebenden nicht erlaubt ist, sich gegen den Krieg auszusprechen, sollen es die Toten tun.3

Abb. 51: Newoina am 01. März 2022

Ähnliche Aktionen machte der Street-Art-Künstler Philippenzo in St. Petersburg, als er seine schwarzen Plastiksäcke 2022 in der Stadt auslegte.4 Auch FAR haben mit vielen ihrer Aktionen auf den Tod in der Ukraine hingewiesen. Aber eine Kunstgruppe in Russland beherrscht die Kommunikation mit und durch den Tod seit 2017 besonders gut.

Partija Mjortwych (Party of the Dead) Das Nekro-Imperium ist der Sammelpunkt unserer historischen Ära, eine Ansammlung komplexer Gewebe aus Hass, Angst und Ohnmacht der Verlassenen, die Gewalt hervorrufen. Anders als die Sowjetunion, die sich zur Trägerin der höchsten Formen der Zivilisation erklärte, hat das Nekro-Imperium in Sachen Effizienz nichts als Geschenk an unterentwickelte Gemeinschaften zu bieten. Es beginnt ohne eine funktionierende Alternative zu der von der Ukraine angestrebten Staatlichkeit. Die offizielle russische Propaganda bedient sich vieler zynischer Tricks, um den Krieg zu rechtfertigen.

3 4

Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=Er5K44NsTGc&feature=youtu.be [27.03. 2023]. Siehe Kap. 7.

9. Agency der Toten

Aber selbst die blutrünstigsten Redner behaupten nicht, dass Russland eine weiterentwickelte Infrastruktur oder Bürokratie bringen wird. »Die Ukraine existiert nicht«, behauptet das Nekro-Imperium durch den Mund eines seiner Präsidenten und beeilt sich, die Lüge durch Mord zu beweisen. Der Tod ist der einzige casus belli dieses Imperiums. Schweigen ist sein Hauptkapital, und unsere Beiträge sind niedergebrannt, moralisch und wirtschaftlich.5 Am 22. Februar 2022 versammelten sich Mitglieder der Gruppe Partija Mjortwych (Partei der Toten/Party of the Dead/PM) zu einer Aktion am PiskarjowFriedhof in St. Petersburg. Dort hielten sie Plakate mit Aufschriften wie »Tote brauchen keinen Krieg«, »Sie haben nicht genug Leichen« und »Die russländische Macht wird mit Gräbern wachsen«. Der Ort war bewusst gewählt. Nur kurz zuvor, am 27. Januar 2022, dem Jahrestag der Befreiung Leningrads von der Blockade im Zweiten Weltkrieg (1941–1944), hatte Putin diesen Friedhof aufgesucht, um der Opfer der Blockade zu gedenken, die dort in Massengräbern beerdigt sind. Wegen Putins ›Auftritt‹ wurde der Friedhof geschlossen – nur er durfte dort seinen Kranz ablegen, während die letzten Überlebenden der Blockade und ihre Angehörigen, die sich dort jedes Jahr an diesem Tag zum Gedenken an die Opfer versammeln, warten mussten. Ein Mitglied der PM sieht in diesem Akt einen Ausdruck von Putins Erinnerungspolitik: Putin beging dieses Ritual in einer vollkommenen Leere, in einem Vakuum. Das erschien uns als ein perverser Akt, der das historische Gedächtnis völlig falsch interpretiert. Darin kommt eine Privatisierung des historischen Gedächtnisses durch die russländische Führung zum Ausdruck. Wir haben beschlossen, dass wir darauf reagieren und sehr laut ›Nein!‹ sagen müssen. Deshalb gingen wir an denselben Ort, an dem Putin kurz zuvor gewesen war, um ihn von dort zu vertreiben und den Friedhof den Toten zurückzugeben.6 PM begriff die Performance also als eine Art rituelle Reinigung des Ortes. Der Philosoph und Mitbegründer der Vereinigung, Maxim Ewstropow (*1979),

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Djakonow, Valentin: »Iskusstwo nekroimperii«, in: Arterritory vom 29.04.2022, URL: https://arterritory.com/ru/vizualnoe_iskusstvo/stati/26123-iskusstvo_nekroimperii [27.03.2022]. Anonym: »Russkjie russkich ne choronjat. Kak art-protest w Rossii otwetschajet na wojnu s Ukrainoj«, in: BBC News vom 13.04.2022, URL: https://www.bbc.com/russian/fea tures-61095167 [29.03.2023].

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spricht von Zeugenschaft in Zeiten, in denen nichts anderes möglich ist.7 Die Künstler:innen kritisieren die militaristische Politik, die Aneignung und den Missbrauch der ursprünglich gesellschaftlichen Initiative des »Unsterblichen Regiments« durch den russischen Staat.8 Friedhöfe sind spätestens seit 2022 zu einem beliebten Ort für Kunstaktionen geworden, denn meistens gibt es dort keine Videoüberwachung und somit stellen sie einen sicheren Ort für oppositionelle Meinungen dar.

Abb. 52: Partija Mjortwych, z200 vom 07. März 2022

Mit Aktionen wie z200 kritisieren MP die offizielle Berichtserstattung über die sogenannte »Militärische Spezialoperation« in der Ukraine. Am 23. Februar 2022 fand eine Aktion in Tomsk in Westsibirien statt, bei der die Mitglieder der Partei mit Plakaten vor der Gedenkstätte des Großen Vaterländischen Krieges auftraten. Sie stellten sich vor die Skulpturengruppe der Mutter Heimat, die 7 8

Ewstropow, Maxim: »Malo im trupow«, in: TV2media, URL: https://www.youtube.com/ watch?v=t2P5wUl3Mf0 [29.03.2023]. Eine Gedenkaktion zum Tag des Sieges am 9. Mai 1945, die seit 2015 als Propagandainstrument für die Erinnerungs- und Geschichtspolitik der Regierung begangen wird. Dazu Fedor, Julie: »Russlands ›Unsterbliches Regiment‹. Der Staat, die Gesellschaft und die Mobilisierung der Toten«, in: Osteuropa 5 (2017), S. 61–87.

9. Agency der Toten

ihrem Sohn die Waffe zur Verteidigung übergibt, und zeigten Losungen wie »Die Toten kämpfen nicht«, »Die Toten sind für Frieden«, »Tote sind Blumen des Lebens«, »Tote haben keine Heimat« und »Die Partei der Toten ist gegen den Krieg«. Sie veröffentlichten die Aufnahmen der Aktion auf ihrer FacebookSeite mit dem Aufruf, dieses »alte Regierungsmonster« aufzuhalten.9

Abb. 53: Partija Mjortwych am 22.02.2022, Die Leichen reichen ihnen nicht, Die Toten brauchen keinen Krieg. Schriftzug im Hintergrund: Das brauchen nicht die Toten, das brauchen die Lebenden

Ideologie und Ursprünge In den Aktionen der PM werden unter der Führung von Ewtropow auf eindrückliche Weise der imperiale Phantomschmerz, die Ressentiments und die extraktive Ökonomie der aktuellen Regierung reflektiert. Die Partei bildete sich aus der ursprünglichen Künstler:innen-Gruppe {родина} (Heimat, 2014–2019), die sich mit ähnlichen Themen und Ausdrucksweisen befasste. Ein Motiv war das Vaterland sowie die Dekonstruktion des Patriotismus. Eine Dokumentation zeigt lethargische Performances zu Machtlosigkeit und

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»Eto beZumie!« 2022.

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Pessimismus, die sich seit 2014 ausbreiteten.10 Plakate mit den Aufschriften »Lasst es uns aushalten«, »Geboren, ausgehalten, gestorben« oder »Alle sind tot, aber manche töter« dienten als sarkastische Kommentare zur russischen Staatspropaganda und ihren sowjetischen Wurzeln. »Alle sind gleich, aber manche gleicher« war ein beliebter Spruch in der UdSSR, der sich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse von Politiker:innen bezog. Bei der Gründung von PM 2017 wurden die Sprüche auf den Schildern radikaler und die Toten als wichtigster gemeinsamer Nenner behalten. Eine kunsthistorische Linie kann von der russischen Bewegung des absurden Nekrorealismus von Jewgenij Jufit (1961–2016) zum Nekroaktivismus von Ewstropows Partei gezeichnet werden. Die Gründung von PM war eine Reaktion auf das »Unsterbliche Regiment«, das ursprünglich eine Initiative von Hinterbliebenen der Kriegsveteran:innen war. Am Tag des Sieges (9. Mai) sind Menschen mit Porträts ihrer Verwandten, die während des Zweiten Weltkriegs starben, auf die Straßen gegangen. Die Idee dieser Demonstration wurde schnell als Teil der offiziellen Feierlichkeiten zum Tag des Sieges in Moskau inkorporiert, zur Staatsideologie umfunktioniert und damit zu einem Versuch der Aneignung der Toten durch den Staat und seiner militaristischen Ideologie geworden. Der Tag des Sieges wandelte sich in Russland allmählich in ein militaristisches Ritual, anstatt Frieden zu stiften. Das »Unsterbliche Regiment«, eine von Journalisten aus Tomsk erfundene Basisinitiative, wurde vom PutinStaat angeeignet. Die Erinnerung an diejenigen, die gegen den Faschismus gekämpft hatten, hat sich in einen gewaltbereiten Siegerkult verwandelt, der nun wahrhaft blutig geworden ist und dessen rituelle Schlüsselformel seit langem der Satz »Wir können es wiederholen« lautet – aber statt den Faschismus zu bekämpfen, wiederholen sie jetzt den Faschismus selbst und säen Tod und Leid. Jetzt verschonen diejenigen, die einen Krieg in der Ukraine entfesselt haben, nicht einmal mehr die Toten. Es ist notwendig, diese Gewalt und das Töten der Lebenden zu stoppen, die sich hinter einem historischen Mythos verstecken. Aber es ist auch notwendig, die Toten zu schützen, deren Andenken das russische Imperium die ganze Zeit so gna-

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Vgl. dazu: Pawlowa, Swetlana: »›Shiwye ne wpolne shiwy‹. Partija mjortwych na puti k nekrointernazionalu«, in: Radio Svoboda vom 06.01.2019, URL: https://www.svoboda.o rg/a/29679508.html [28.03.2023].

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denlos ausbeutet. Die Anstifter und Unterstützer des schändlichen Krieges in der Ukraine haben kein Recht mehr, diese Erinnerung zu nutzen.11 Erstmals gab die PM im April 2017 ihre Existenz bekannt, als sie ein Wahlvideo im Internet veröffentlichten. »Indem Sie sich für die Partei der Toten entscheiden, entscheiden Sie sich für die Zukunft, denn Ihre Zukunft sind wir«, sagt Ewstropow im Video12 . Ein weiteres Thema für die Partei ist die allgemeine Nekrophilie in der kulturellen und politischen Situation in Russland: Ewstropow betont gerne, dass es viel mehr Tote gebe als Lebende und dass sie beschützt werden müssen, da ihre Stimme immer wieder von der russischen Politik missbraucht würde. Zudem entstand, seiner Meinung nach, in den Jahren seit den Protesten 2012 immer mehr das Gefühl, dass in Russland die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten durchbrochen und der Kulturraum mit Toten überschwemmt wurde. Die politische Situation ließ den Eindruck einer Totenstarre entstehen – so die Metaphern der Partei. In einem Interview mit Radio Svoboda sprach Ewstropow 2019 über die Scheinpolitik des Staates und die Nostalgie in Anbetracht des erbärmlichen Zustandes der Menschen und des Landes: eine Sehnsucht nach etwas, das nie passiert ist, getragen von lebenden Toten. Als Antwort auf diese nekrophile Situation wurde die PM gegründet.13 Aus ideologischer Sicht sind die Projektteilnehmer:innen Anarchist:innen – die Politologin Marina Sukhowa hat sich eigens mit der Partei beschäftigt, um zu eruieren, ob es sich um ein Kunstprojekt handle und sie sich nicht zur Wahl aufstellen wollen, ähnlich wie R.E.P. und andere.14

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Pawlowa 2019. Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=u8zY3qrJsJs [28.03.2023]. Pawlowa 2019. Es gab einige Vorgängerparteien, etwa die »Party of the Dead of Latvia« (1998), Eduard Limonows »Party of the Dead« und Lena Hades‹ gleichnamige Aktivität (2010), siehe dazu: Party of the Dead auf Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Pa rty_of_the_Dead [28.03.2023]. Kusnezowa, Anja: »Mjortwyje, slutschainyje i inoagenty: Gid po neobychnym opposizionnym partiam sowremennoi Rossii«, in: The Village vom 15.11.2021, URL: https://w eb.archive.org/web/20220213053022/https://www.the-village.ru/city/politika/neobyc hnye-partii [28.03.2023].

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Alte und neue Aktionen Erstmals bekamen Vertreter:innen von PM 2018 Schwierigkeiten mit dem Gesetz. Am 01. Mai 2018 führten sie die Aktion »Nekroperwomai« (Der NekroErste-Mai) durch, indem sie mit dem Bild von Ewstropows Arbeit 9 Stadien der Verwesung des Führers eine Demonstration begleiteten. Das Bild zeigte ein typisches offizielles Foto von Putin, das auf einem Blumenkasten lag und sukzessive von wachsendem Gras zerstört wurde. Diese Aktion führte zur Verhaftung der Aktivistin Warja Michailowa und einer Gerichtsverhandlung, bei der eine Strafe von 150.000 Rubel und die Zerstörung des Kunstwerks angeordnet wurden. Zu dieser Zeit hat sich das Bild jedoch schon auf den verschiedensten Merchandising-Artikeln der Gruppe in Russland verbreitet. Diese wurden zur Unterstützung für die verhaftete Aktivistin verkauft.15 Im Herbst 2018 protestierte Ewstropow mit dem Plakat »Das Leben ist schwierig, aber zum Glück kurz« gegen die Rentenreform in Russland und wurde wegen einer nicht angemeldeten Aktion mit einer Geldstrafe von 17.000 Rubel belegt.16 Im Allgemeinen sehen die grotesken Parodien der Partei aus heutiger Sicht wie kritischer Realismus aus, meint Walentin Dajkonow.17 Sie boten den Oppositionellen eine neue Art des Denkens an, durchzogen von zynischem Optimismus. Den Lebenden präsentierten sie ein positives Programm, das sie von Angst und Schweigen befreien sollte. Der Krieg in der Ukraine seit 2022 mit seinen zahlreichen Toten verhalf der Partei zum makabren Aufschwung, denn nun wurde vieles, was zuvor als absurdes Statement aufgefasst wurde, plötzlich zur bitteren Realität. Der Eintritt in die Partei der Toten ist auch bequem, weil die Scham und die Schuldgefühle der Bürger Russlands, die sich dem Krieg widersetzen, sie ihrer Kraft berauben. Diejenigen, die dachten, dass ihre Freuden und Aktivitäten in den Bereichen Wohltätigkeit, Bildung und Freiwilligenarbeit, Russland einer größeren Gerechtigkeit und Offenheit näherbrachten, fanden heraus, dass Abwesenheit von Angst die Wurzel aller Freuden ist. So zu tun, als wäre man schon da, bedeutet sich einer Million Möglichkeiten zu öffnen, wie beim Stoiker Epiktet: »Ich muss sterben. Wenn die Zeit reif ist, bin ich bereit. Wenn sie noch nicht gekommen ist, aber bald kommt, werde 15 16 17

Eine detaillierte Dokumentation: Kuznezova 2021 sowie im Video der NBC unter: http s://www.youtube.com/watch?v=F0dQsPD-eJc [28.03.2023]. Pawlowa 2019. Djakonow 2022.

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ich essen, denn es ist Zeit für Mittagessen. Danach sterbe ich. Wie? Wie ein Mensch, der aufgibt, was einem anderen gehört.18

Abb. 54: Maxim Ewstropow, 9 Stadien der Verwesung des Führers (2018)

Seit der Invasion 2022 wurden die Botschaften der Partei deutlicher gegen den Krieg gerichtet und die Mitgliederzahlen wuchsen rasant. Immer mehr Menschen gingen mit Totenkopf-Masken und Plakaten auf die Straßen und sendeten Fotos ihrer Aktionen an PM. Über ihre Kanäle in den sozialen Medien

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Ebd.

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verbreitete PM diese Aufnahmen und kommentierte sie. Die Gruppe etablierte zwar eine anonyme Art des Protestes, indem die Vertreter:innen ihre Gesichter versteckten und so ihre Anonymität wahren konnten, Ewstropow und einige weitere Aktivist:innen waren aber schon seit Jahren bekannt und mit dem Erfolg der Anti-Kriegs-Proteste der PM und einigen Berichten über die Gruppe in den Medien, wurden sie von der politischen Führung als Bedrohung wahrgenommen. Ewstropow und andere Mitglieder von PM mussten Russland unmittelbar nach Ausbruch des Krieges verlassen, um einer drohenden Inhaftierung zu entgehen. Im September 2022 wurden weitere Hausdurchsuchungen bei den Mitgliedern der Partei und Bekannten von Ewstropow durchgeführt. Auch Dmitry Vilensky und Olga Jegorowa (Zaplja) waren unter den Befragten. Die Begründer:innen der kollaborativen Plattform Chto Delat (seit 2003) und der »Schule für engagierte Kunst«, an der Ewstropow lehrte, sind kurz darauf ebenfalls ins Exil gegangen. Man kann feststellen, dass die kritische Gegenwartskunst und der Aktivismus in Russland zerschlagen sind, sagt Vilenskij. Es bleibt Raum für individuelle anonyme Online-Stellungnahmen und streng geschlossene Gruppen, die früher vertrauliche Zirkel genannt wurden. Nun, vielleicht kann noch etwas in äsopischer Sprache gemacht werden und durch Interpretation der Klassiker, aber das kann auch leicht zu Problemen führen.19 Chto Delat eröffneten am 20. Oktober 2022 eine gemeinsame Ausstellung mit PM im Kunstmuseum Skövde Kulturhus in Schweden. Vilensky postete auf Facebook die Informationen zur Ausstellung, die zuerst eine Retrospektive von Chto Delat werden sollte, nun aber auch die Relikte von Aktionen der PM enthielt und somit zu einer Präsentation von Beweismaterial von illegalen Aktivitäten wurde. Damit sollten Ewstropow und seine Partei unterstützt werden und außerhalb Russlands Sichtbarkeit erhalten. Die Ausstellungsstücke von PM vermittelten damit einen Eindruck davon, wie schnell kulturelle Artefakte neue Bedeutungen bekommen können.20

19

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Wasiljev, Pawel: »Sowerschenno trupnaja realnost. Tschto takoje Partija mjortwych i sa tschto presledujut jejo utschastnikow«, in: Mediazona vom 07.09.2022, URL: https:/ /zona.media/article/2022/09/07/deaddeaddead [28.03.2023]. Vilensky am 12. Oktober 2022: https://www.facebook.com/search/top/?q=party%20of %20the%20dead [28.03.2023].

9. Agency der Toten

Abb. 55: Ausstellungsstücke von Partija Mjortwych (2022) in Skövde Kulturhuis

ROAR Die zerschlagene russische künstlerische Opposition fand ein neues Zentrum in Tbilisi (Georgien) – dort sind Serenko, Ewstropow und viele andere seit dem Frühjahr 2022 beheimatet. Um die Stimmen der Exilant:innen einzufangen, wurde ein Projekt organisiert, das der russischen Opposition in Tbillisi, Jerewan oder Istanbul neue Möglichkeiten zur Äußerung bietet. Die Ukrainerin Linor Goralik (*1975), Schriftstellerin und Kuratorin, pendelte bis 2022 zwischen Russland und Israel. Sie begründete das Resistance and Oppositional Arts Review (ROAR) im März 2022. Die erste Ausgabe zum Krieg in der Ukraine wurde am 24. April 2022 in englischer und russischer Sprache veröffentlicht. Sie wurde von einem Open Call begleitet, um möglichst viele verschiedene Positionen zeigen zu können. Die Publikation sollte für alle Kunstgattungen Raum bieten: Literatur, Graffiti, Videokunst, Musik u.a. In der ersten Ausgabe schrieb Goralik, dass sie hoffe, es würde von ROAR so wenige Ausgaben wie nur möglich geben, weil kein Bedarf mehr bestehe.21 Die zweite Ausgabe hatte »Widerstand gegen Gewalt« zum Thema (24. Juni 2022, mit zusätzlicher französischer

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Timofejew, Sergej: »Gotowitsja oppositionnoje isdanie ROAR«, in: Arterritory vom 06.04.2022, URL: https://arterritory.com/ru/vizualnoe_iskusstvo/sut_dnja_qa/26071gotovitsja_oppozicionnoe_izdanie_roar [28.03.2023].

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Ausgabe)22 , die dritte ist mit dem Thema »Täglicher Widerstand« erschienen. Mittlerweile beinhaltet das Archiv von ROAR sechs Ausgaben in drei Sprachen (Stand März 2023).23

Heterotopien im Metaverse und Spatial

Abb. 56: Bildschirmaufnahme von redsquareprotest.org vom 29. März 2023.

Bereits am 11. März 2022 hat die Kunstgruppe Post Tribe im Metaverse die Ausstellung »ART NOT WAR« lanciert. Dafür bauten sie den Roten Platz im Metaverse nach und platzierten darin eine virtuelle Galerie, an der sich Künstler:innen mit ihren Werken beteiligen konnten. Es sollte ein sicherer Ort für Friedensbekundungen und gemeinsame Kommunikation sein. Eine ähnliche Aktion startete Memorial am 06. Mai 2022 – unter redsquareprotest.org kann man einen protestierenden Avatar auf den virtuellen Roten Platz in Moskau hinstellen, ohne Gefahr zu laufen, einen Schaden davon zu tragen. Für die Menschen, die von Russland aus an dem virtuellen Protest teilnehmen wollen,

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Anonym: »Gotowitsja tretij nomer ROAR«, in: Arterritory vom 27.07.2022, URL: http s://arterritory.com/ru/vizualnoe_iskusstvo/sut_dnja_qa/26260-gotovitsja_tretii_nom er_roar [28.03.2023]. Siehe Homepage des ROAR-Archivs: https://roar-review.com/ROAR-Archive-8800a3a 854ab4de6a8bb15cd023aee16 [29.03.2023].

9. Agency der Toten

gibt es spezielle Vorkehrungen. Die Organisator:innen wollten mindestens 1 Mio. virtuelle Teilnehmer:innen finden. Am 29. März 2023 waren 75.877 Menschen auf dem virtuellen Roten Platz.24 Am 01.März 2023 eröffnete auf Spatial die Ausstellung »ROAR//Всё однозначно« (ROAR//Alles ist klar), die in fünf Teile aufgeteilt war. Auch PM waren bei dieser virtuellen Ausstellung dabei, die knapp zwei Wochen auf der Plattform lief. In der Ausstellung wurden die Arbeiten von internationalen Positionen gezeigt, die in den ersten vier Ausgaben von ROAR veröffentlicht worden sind.

Abb. 57: Gruppe Pomidor, Stanzia Metro (2022), in der zweiten Ausgabe von ROAR

So haben sich oppositionelle Kunstwerke und Meinungen ihre Orte im digitalen Raum erkämpft. Vieles wird aus dem Exil gepostet und dokumentiert – einige Protestierende setzen die Ideen von PM und FAR innerhalb Russlands um und gehen auf die Straßen. Dennoch scheint die Stimmung der russischen

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Siehe: redsquareprotest.org [29.03.2023].

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Opposition lethargisch pessimistisch, nahezu apathisch zu sein. Es wird nicht gekämpft, es wird getrauert. Die Kunsthistorikerin Nadia Plungian postete am 10. April 2022 auf Facebook ein Statement, das von Vilensky ins Englische übertragen wurde: The wind of history is blowing in Russia, and all internal structures have obviously been devalued and cancelled. Yes, according to the old memory, they can still be used, but this does not solve anything, does not provide any guarantees or protection. In conditions when there is no »majority«, the strategies that make it possible to survive/live and work here are again the strategies of the author, a loner, a figure split off from any major movements. Constant monitoring of your choice. Not a search for »prospects,« but a dive into the depths.25 Vilensky widerspricht ihr und beteuert, dass sein »Überleben« nur im Kollektiv möglich sei – die Einsamen gehören der Vergangenheit an.26 Die Kollektive leben im digitalen Raum und im Exil weiter – ein Jahr nach ihrem Post hat Plungian im Hinblick auf die russische Kunst und Kultur Recht behalten.

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Vilensky 2022. Ebd.

Schlusswort

Aus dem ersten Jahr des durch die großflächige Invasion ausgedehnten Ukraine-Krieges ist vieles in Erinnerung geblieben. Die Bezeichnung »militärische Spezialoperation« wurde offiziell durch das Wort »Krieg« ersetzt.1 Auch in Russland wurde es damit zusehends schwieriger, den Krieg zu ignorieren und zu behaupten, dass Informationen über die Lage in der Ukraine aus dem Westen ›Fake News‹ seien. Dies zählte zu einer der vielen Überzeugungen und Verdrängungsstrategien der russischen Bevölkerung. Die ukrainische Journalistin Nastja Trawkina führt, wie so viele andere, ein Kriegstagebuch in Kyiv, darin schrieb sie am 90. Tag des Krieges folgende Zeilen: Zeichnen Sie drei Spalten: was zum Krieg beiträgt, was den Krieg behindert/oder den Opfern hilft, was neutral ist. Verteilen sie alles darin: Arbeitsorte, Kunden, Einkauf von Marken, Ihre Beiträge in den sozialen Netzwerken, was Sie lesen und sehen, wen Sie liken, Ihre Gespräche mit Bekannten, Ihre Freizeit, alles-alles. Denken Sie sorgfältig nach (seien Sie nicht zu faul zu googeln, wo der Hund begraben ist). Die dritte Spalte ist die gemeinste. (Zum Beispiel ist das Erstellen von »neutralen« Beiträgen in sozialen Netzwerken keine neutrale Aktion, sondern Lärm, der vom hauptsächlichen, blutenden Problem ablenkt, was bedeutet, dass es dazu beitragen kann, militärische Aggression zu unterstützen). Sie muss mit einem kreativen Ansatz nochmals sorgfältig überprüft und es muss darüber nachgedacht werden, wie sie geändert werden kann, damit sie eindeutiger in die gewünschte Richtung führt. Das bedeutet keineswegs, dass Sie sich in einen politischen Agitator verwandeln (müssen) und unter dem Stiefel 1

Munk, Stephanie: »Putin spricht vom ›Krieg‹ statt von der ›Spezialoperation‹ – Dieses Kalkül steckt wohl dahinter«, in: Frankfurter Rundschau vom 27.02.2023, URL: https://www.fr.de/politik/rede-jahrestag-konflikt-westen-lawrow-mkr-russland -ukraine-news-putin-aktuell-propaganda-92105036.html [08.04.2023].

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eines OMON-Polizisten sterben müssen. Hier geht es nicht um Heldentum, sondern darum, dass wir nicht mehr unseren kleinen Alltag leben und diese Frage ignorieren können. Es geht um eine heikle Arbeit in Bezug auf die Bedeutung der eigenen Tätigkeit. Mir persönlich scheint es, dass wenn Sie auf diese oder jene Weise mit dem Urheber dieser militärischen Aggression verbunden sind, es Ihr natürlicher moralischer Wunsch ist, sich zu verpflichten, dieser Aggression irgendetwas entgegen zu setzen.2 Diese Worte waren an die russische Bevölkerung gerichtet, gelten aber für alle. Es wurde deutlich, wie viele Deutungen in Bildern und Zeichen stecken, im Verhalten zu ihnen – in den sozialen Medien und anderswo. Der Informationskrieg funktioniert nur mit Publikum. In der Ukraine erleben wir einen Krieg um Diversität, um Werte, die alle Menschen angehen. Es ist ein Kampf gegen die »russische Welt«, die eine Chimäre ist und dennoch stark genug, um Prozesse der Dekolonialisierung und Öffnung zu blockieren. Den größten Schock löste Putins Reenactment des 20. Jahrhunderts aus, das bei vielen Menschen im Westen sicher in den Schubladen der Geschichte verstaut war und als verarbeitet galt. Die Annexion der Krim und der darauffolgende propagandistische Krieg um die Deutungshoheit der Geschichte (»War of Perception«) verdeutlichten, dass in Russland nie eine Verarbeitung des 20. Jahrhundert stattgefunden hat, dass die Traumata nach wie vor lebendig und gefährlich sind.3 Der »Putinismus« möchte Russland in die Vergangenheit zurückbefördern, und das mit allen Mitteln. Eines ist bereits seit 2014 gelungen: die Bevölkerung in eine apathische, depressive Stimmung zu versetzen, ähnlich wie in der späten Sowjetzeit. Damit erschafft die Regierung, um mit Maxim Ewstropows Worten zu sprechen, ein Land voller lebender Toter. Künstler:innen und Kulturschaffende reagieren, wie gezeigt wurde, schon seit Jahren mit ihren Arbeiten auf die Vorzeichen dieses Reenactments. Seit 2022 geht es ukrainischen Künstler:innen vordergründig darum, ihre Zeugenschaft abzulegen und hinzusehen, was um sie herum geschieht. Nikita Kadan spricht von der »Musealisierung des Krieges«.4 Die sozialen Medien der Künstler:innen und die Präsentationsformen der Kunst haben sich im Vergleich zur

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3 4

Zit. nach Gerasimenko, Pawel: »Ot wesny do leta«, in: Arterritory vom 28.05.2022, URL: https://arterritory.com/ru/vizualnoe_iskusstvo/stati/26167-ot_vesny_do_leta [09.04.2023]. Vgl. dazu: Babkou 2022; Medwedew 2017. Timofejew 2022.

Schlusswort

Friedenszeit verändert. Der Krieg wird nicht durch Kunst erklärt oder in Metaphern verkleidet. Die hier vorgestellte Kunst bietet kein Refugium, sondern soll eine Rolle im Krieg spielen, mobilisieren, bestärken und gleichzeitig Erinnerungen festhalten. Für die meisten Künstler:innen ist es ein selbstauferlegtes Programm, das von den staatlichen Institutionen subventioniert wird. Einige wurden zum offiziellen kulturellen Sprachrohr der Ukraine wie Nikita Kadan, Serhij Zhadan, Alevtina Kakhidze und Yevgenia Belorusets. Andere fangen ihre Erfahrungen im Krieg ein und dokumentieren sie, machen uns zu Zeug:innen und leisten dadurch einen Beitrag für die Zukunft. Wie stark die staatlichen Strukturen in die Kunstpraxis in der Ukraine eingreifen, können wir heute kaum einschätzen. In den vergangenen Jahren entstanden rund um das Thema Krieg bewegende wertvolle Arbeiten, die nicht nur für die Kunstwissenschaft, sondern auch für die Politik und die Erinnerungskulturen eine wichtige Rolle spielen werden. Wie die beschriebenen Auseinandersetzungen zwischen Künstler:innen gezeigt haben, geht es nicht um Befindlichkeiten einzelner Personen, sondern um eine gemeinsame Idee, die seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch dringlicher geworden ist. Der Filmemacher Oleksiy Radynski fasste diese in einem Interview am 10. Mai 2022 zusammen: Russian culture deserves a punishment much more severe than a boycott. It deserves a deconstruction. I think this is our mission, my mission, because I don’t know how to shoot, and even if I knew, there are already too many volunteers. Why wasn’t there a reckoning with the imperial tradition after the collapse of the Soviet Union? Why did fascism grow out of it? In order to deconstruct it, we need to get to know this culture.5 Radynski gibt damit genauso wie der belarussische Philosoph Ihar Babkou eine wichtige Stellungnahme zur versäumten Aufarbeitung des russischen und sowjetischen Imperialismus ab. Gleichzeitig muss auch einmal mehr an unverarbeitete Traumata der russischen Gesellschaft und das damit zusammenhängende fehlende Verständnis von zivilgesellschaftlichen Zielen erinnert werden. Sowohl Dekolonialisierung als auch eine gesamtgesellschaftliche

5

Radynski, Oleksiy/Dunin, Kinga: »Russian Culture Deserves a Punishment Much More Severe Than Boycott: A Conversation«, in: e-flux Notes vom 03.08.2022, URL: https://www.e-flux.com/notes/482186/russian-culture-deserves-a-punishmentmuch-more-severe-than-boycott-a-conversation [09.04.2023].

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Traumatherapie wären in Russland vonnöten.6 Auf der ukrainischen Seite wird eine Selbstreflexion und Artikulierung der eigenen persönlichen Verantwortung gefordert, die eine große Herausforderung darstellt. Radynski empfiehlt, die russische Literatur des 19. Jahrhunderts zu lesen, denn die Schriftsteller:innen und Intellektuellen dieser Zeit waren die größten Kritiker:innen Russlands. Jahrzehntelang wurden sie in Russland nicht kritisch gelesen. Alle diese Forderungen ergeben Sinn, gleichzeitig kann in der Ukraine in den letzten Jahren ein neu erstarkter Nationalismus beobachtet werden, den auch die Künstler:innen beklagten, die in dieser Untersuchung vorgestellt wurden. Dieser Nationalismus ist im Krieg leicht mit Nationalstolz und der kollektiven Kraft zu verwechseln, welche die ukrainische Bevölkerung seit 2022 aufbringt, um sich zu verteidigen. Der erstarkte Nationalismus wird häufig als eine Überlebensstrategie der Ukraine betrachtet; wie er de facto einzuschätzen ist, wird erst die zukünftige Forschung zeigen können. Die ukrainische Philosophin Irina Zherebkina aus Kharkiv ist überzeugt, der Krieg zeige, dass die Grenze zwischen der »ukrainischen Welt« und der »russischen Welt« nichts mit Literatur oder Sprache zu tun habe. Sie glaubt, dass die Ukraine sich nur vollständig aus der kolonialen Abhängigkeit befreien und unabhängig und demokratisch werden könne, wenn das Aufteilen der Bürger:innen in ›Bessere‹ und ›Schlechtere‹ anhand ihrer Sprache und ihres kulturellen Hintergrunds endlich aufhöre.7 Sie fordert auch die Ukraine dazu auf, den Weg der Selbstreflexion einzuschlagen und zitiert dabei Artemy Magun aus seinem neusten Buch »Ot Triggera k triksteru: Negatiwnost w Etike« (Von Trigger zu Trickster: Negativität in der Ethik« (2022). Magun ist überzeugt davon, dass die zeitgenössische Ethik eine dynamische Struktur habe, die dialektisch gedacht werden müsse. Gut und Böse stünden sich nicht einfach gegenüber, sondern stellten eine Einheit der Gegensätze dar (»sind in einer innigen Beziehung«), und daher sei die neue Aufgabe der Ethik nicht, die

6 7

Vgl. Babkou 2022. Vgl. Posle via e-flux Notes 2022.

Schlusswort

Frage nach dem Guten, der Pflicht und der Tugend zu stellen, sondern die nach dem eigenen Übel.8 Ukrainische Künstler:innen, wie etwa Nikita Kadan, stellen auch Forderungen an die Europäische Union – es gehe nicht mehr um Sichtbarkeit; die wurde 2022 durch viele Ausstellungen und Medienberichte garantiert. Es gehe vielmehr um materielle und politische Unterstützung. Es reiche nicht, ein ukrainisches Projekt gemacht zu haben. Kadan fordert längerfristige Projekte, welche die Erforschung und Analyse der ukrainischen Situation beinhalten. Es genüge mittlerweile nicht mehr, die Ukraine wahrzunehmen und ihre Existenz anzuerkennen – es brauche eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte und mit der Logik, die zur gegenwärtigen Lage geführt habe.9 Der/die Schriftsteller:in Olexii Kuchanskyi schrieb am 02. März 2022 in Kyiv einen Text mit dem Titel »It is not the ›Ukrainian issue‹«. Darin bilden sie lautmalerisch die Kriegssituation der Stadt ab und verdeutlicht gleichzeitig einen Gedanken, der bisher kaum von der internationalen Politik und von internationalen Kulturschaffenden aufgegriffen wurde. I mean not only Russian institutions, but all of those, who pretend that art and culture are not a global market and a giant network of practices with a long history of acting transversely as artistic, theoretic and political praxis. Those institutions pretend that art and culture are powerless entertainment, just as La Biennale di Venezia did. This type of domesticated actors discuss the »anthropocene« yet ignore Russian militants capturing the Chernobyl nuclear power plant. Yeah, it is unoriginal but this silence is our sirens, explosions, shots and cries. I can hardly see the difference between conformism and »decolonisation of imagination« isolated from its own political and social conditions. Probably, this isolation is the main ingredient of Putinist cultural production – it is generally fine but this is a crucial issue. It also seems to be the most effective way to keep critical discourses being…

8

9

Magun, Artemy: Ot Triggera k Tiksteru: Negativnost v etike, Moskau 2022, S. 174. Zit. nach: Zherebkina, Irina: »›Ethical Anastrophe‹ and Antinomies of the Ethical in the War in Ukraine«, in: e-flux Notes vom 03.09.2022, URL: https://www.e-flux.com/note s/490421/ethical-anastrophe-and-antinomies-of-the-ethical-in-the-war-in-ukraine [09.04.2023]. Timofejew 2022.

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*Vzhvzhvzhvzhvzhvzhvzh* – what is that? A car. Huh. … to keep critical discourses being useless fetishes.10 Kuchanskyi hat zusammen mit Oleksiy Radynski im Raum für Fotografie in Winterthur eine Ausstellung unter dem Titel »To Watch the War – The Moving Image Amidst the Invasion of Ukraine (2014–2022)« (19.09.-18.12.2022) gezeigt. Die beiden betonten einmal mehr, dass der Krieg bereits 2014 begonnen habe und maßgeblich von globalen und langfristigen Prozessen beeinflusst würde. Ihre Ausstellung sollte von der allgemeinen Sensationsgier ablenken und eine andere Betrachtungsweise anbieten. Die mediale Vermittlung des Krieges durch das Militär, mit Hilfe neuster Technologien und durch soziale Medien wurde von den beiden Kuratoren aufgegriffen, indem sie für die Besucher:innen eine neue Raumsituation erschaffen haben. Sie konfrontierten das Publikum mit unterschiedlichen Sichtweisen des Krieges, um eine experimentelle Rezeption zu ermöglichen und um die mediale Vermittlung des Krieges durch ihre Sichtbarmachung in Frage zu stellen.11 Dieser Krieg sei kein »ukrainisches Thema«, auch wenn beim Durchblättern von Zeitungen, Magazinen und beim Scrollen in den sozialen Medien ein anderes Bild gezeichnet werde. Viral gehen einfache Bilder und Formeln, die verständlich und »affordant« sind, Held:innenbilder und simple Gleichungen von Gut und Böse. Es gibt keine Viralitätsformel für abwägende, reflektierte Gedanken, für Relationen und Aufforderungen nach tiefergehenden Analysen und Untersuchungen. Die virale Welt ist die des Schusses und Gegenschusses, eine schnelle Verbreitung von lauten Meinungen, die Aufmerksamkeit generieren. So funktioniert auch der Informationskrieg. In der viralen Welt gibt es nur wenig Platz für abgeschottete, verborgene und einsame Projekte, wie eine Wohnungsausstellung in St. Petersburg, die seit Monaten Anti-Kriegs-Kunst in der besten Tradition der sowjetischen Dissidenz zeigt. Ihre Idee des Verborgenen würde der Aufmerksamkeitsmaschine der sozialen Medien widersprechen. Aber ohne diese

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Kuchanskyi, Olexii: »It is not the ›Ukrainian Issue‹. A letter from a civil body on activism and cultural production at war«, in: This is badland vom 02.03.2022, URL: http s://thisisbadland.com/it-is-not-the-ukrainian-issue/ [09.04.2023]. Vgl. Biberstein, Sandra: »To Watch the War. An Interview mit Olexii Kuhanskyi and Oleksiy Radynski«, in: Crisis and Communitas vom 24.10.2022, URL: https://crisisandc ommunitas.com/?crisis=to-watch-the-war-an-interview-mit-olexii-kuchkanskyi-andoleksiy-radynski [10.04.2023].

Schlusswort

ist sie quasi non-existent, außer für die Menschen, die direkten Zugang zu ihr haben: nur für Eingeweihte, wie ein Onlinebericht vermittelt.12 Auch Jelena Ossipowa (*1945), deren Spitzname »das Gewissen St. Petersburgs« lautet, war nur für kurze Zeit Thema des digitalen Raums. Ein Bild von ihr, umgeben von OMON-Polizisten, am 02. Februar 2022, hat zeitweise eine größere Resonanz in den sozialen Medien ausgelöst. Dabei geht die Künstlerin seit 2013 mit selbstgemalten Plakaten auf die Straßen, 2022 war sie besonders aktiv und wurde bereits mehrfach verhaftet.13 Ähnlich unbekannt ist das russische Projekt »Я остаюсь« (Ich bleibe) von Katrin Nenasheva, das zwar auf Instagram ab und an gepostet, aber kaum rezipiert wird. Es ist eine der wenigen Initiativen für Menschen, die mit einer oppositionellen Meinung in Russland bleiben und Zeichen setzen möchten. Viele russische Initiativen bleiben unsichtbar in der uns zugänglichen Berichterstattung, was sie quasi non-existent macht. Die russische oppositionelle Kunst ist wie zu Zeiten der Sowjetunion im Untergrund oder außerhalb der Landesgrenzen – nur ist gerade das Interesse an russischer Kunst viel geringer, als es im 20. Jahrhundert der Fall war, als sie noch sowjetische non-konformistische Kunst genannt wurde. Die Aufmerksamkeit für die Ukraine flachte im Laufe des Jahres 2022 immer wieder ab und die Vermutung von Nikita Kadan kann durchaus stimmen, dass die Kunst- und Kulturinstitutionen mit einem ukrainischen Projekt ihre Agenda erfüllten und nach und nach auch hier die Unterstützung weniger wird. Andere Krisen brauchen ebenso Aufmerksamkeit und Menschen in anderen Regionen der Welt benötigen auch moralische und finanzielle Unterstützung. Während dieses Schlusswort verfasst wird, gehen die Kämpfe in der Ukraine weiter, der Ausgang dieses Krieges bleibt ungewiss. Weltstars wie Bono, Orlando Bloom, Sean Penn und Ben Stiller besuchten Volodymyr Selenskyj in Kyiv. Ukrainische Kulturschaffende arbeiten unermüdlich weiter. In Russland werden nach wie vor Proteste organisiert, häufig aus dem Ausland. Russische und ukrainische Künstler:innen, die ausgewandert sind, realisieren Pro12

13

Motowilowa, Anna: »Pazifistskaja vystavka »tolko dlja swoich« w Peterburge derzhitsja bolsche polugoda«, in: MR7.ru vom 20.03.2023, URL: https://mr-7.ru/articles/202 3/03/20/patsifistskaia-vystavka-tolko-dlia-svoikh-v-peterburge-derzhitsia-bolshe-po lugoda [09.04.2023]. Anonym: »76-letnjaja cudoshniza Elena Osipowa 20 let protestuet protiw rossijskoi wlasti. Jejo zadershiwajut na mitingach, no ona wychodit na nich snowa I snowa«, in: Meduza vom 16.04.2022, URL: https://meduza.io/feature/2022/04/16/76-letnyayahudozhnitsa-elena-osipova-20-let-protestuet-protiv-rossiyskoy-vlasti-ee-zaderzhiva yut-na-mitingah-no-ona-vyhodit-na-nih-snova-i-snova [09.04.2023].

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jekte in Berlin, Zürich, Paris und vielen anderen Städten. Die Kunst ist es, die so vieles einfängt, das uns gerade noch unverständlich ist.

Literaturverzeichnis

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»When Faith Moves Mountains« (17.07-09.10.2022), Ausstellung im PinchukArtCentre in Kyiv, URL: https://new.pinchukartcentre.org/w hen-faith-moves-mountains-en [26.09.2022]. Woltschek, Dmitrij: »Dewuschka s plakatom«, in: Radio Swoboda vom 05.05.2016, URL: https://www.svoboda.org/a/27717761.html [27.11.2022]. Wright, Turner: »Russian national will use sales of her burning passport NFT to support Ukraine«, in: Cointelegraph vom 04.03.2021, URL: https://cointe legraph.com/news/russian-national-will-use-sales-of-her-burning-pass port-nft-to-support-ukraine [14.03.2023]. Wright, Turner: »NFT-Verkäufe sollen Ukraine beim Wiederaufbau von kulturellen Einrichtungen helfen«, in: Cointelegraph vom 24.07.2022, URL: https://de.cointelegraph.com/news/nft-sales-will-fund-the-restora tion-of-physical-monuments-in-ukraine [10.10.2022]. »Young girl sings ›Let it Go‹ inside Ukrainian bomb shelter«, in: The Independent auf YouTube vom 07.03.2022, URL: https://www.youtube.com/watch?v=P_ zHOBaWfrg [29.09.2022]. Zherebkina, Irina: Anonym [Posle]: »Grieving for Others, Not for Ourselves: An Interview with Irina Zherebkina«, in: e-flux Notes vom 06.06.2022, URL: https://www.e-flux.com/notes/473291/grieving-for-others-not-for-ours elves-an-interview-with-irina-zherebkina?fbclid=IwAR2UxybGgXFYy2T WNEaZmsGRK3NnKO6btciM3w-IAuCXSvzIpfXeZfs452c [07.04.2023]. Zherebkina, Irina: »›Ethical Anastrophe‹ and Antinomies of the Ethical in the War in Ukraine«, in: e-flux Notes vom 03.09.2022, URL: https://www.e-flux .com/notes/490421/ethical-anastrophe-and-antinomies-of-the-ethical-in -the-war-in-ukraine [09.04.2023].

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Ausstellungsansicht »The Artist as a Witness« Fotografien zur Verfügung gestellt von PinchukArtCentre © Fotograf: Pat Verbuggen. Abb. 2: Ausstellungsansicht »When Faith Moves Mountains« Fotografien zur Verfügung gestellt von PinchukArtCentre © Fotograf: Sergey Illin. Abb. 3: Ausstellungsansicht »Russian War Crimes« in Kyiv, Fotografien zur Verfügung gestellt von PinchukArtCentre © Fotograf: Sergey Illin. Abb. 4: Alexander Laktionov, Ein Brief von der Front (1947), Öl auf Leinwand, 155 x 255 cm, Staatl. Tretjakov-Galerie Moskau. https://rusmuseumvrm.ru /data/collections/painting/19_20/zh-7873/index.php [16.05.2023]. Abb. 5 und 6: Anti-Kriegs-Street Art in Ulan Ude im Februar 2022, via Partizaning (telegram); Vasilij Vereshagin, Apotheose des Krieges (1871), Öl auf Leinwand, 127 x 197 cm, Staatl. Tretjakov-Galerie Moskau. https://my.tret yakov.ru/app/masterpiece/8391 [16.05.2023]. Abb. 7: Erste Seite des gemeinsamen Comics von Lomasko und Sacco, The New Yorker am 11. April 2022; https://www.newyorker.com/magazine/2022/04 /18/the-collective-shame-of-putins-war [16.05.2023]. Abb. 8: Antwort von Alevtina Kakhidze, siehe @truealevtina (Instagram) vom 19. April 2022 © Alevtina Kakhidze. Abb. 9: R.E.P. Party/Р. Е. П. Партія (2006), Video, 3:43 min, © Kontakt Sammlung, Wien, https://www.kontakt-collection.org/objects/5022/rep-party;j sessionid=49B75511B95DA174FB535DB5E3F22990 [16.05.2023]. Abb. 10: Nikita Kadan, Anonymous, Tarred (2021), Marmor, Holz, Plastik, Teer. Sammlung PinchukArtCentre Kyiv © Nikita Kadan, https://www.artsy.ne t/artwork/nikita-kadan-anonimus-tarred [16.05.2023]. Abb. 11: Olia Fedorova, Tablets of Rage (2022), Handschrift auf Textilien, via: Instagram @olia_off © Olia Fedorova. Abb. 12: via quickmeme.com [16.05.2023]. Abb. 13: via 9GAG.com [16.05.2023].

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Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg

Abb. 14: via knowyourmemes.com [16.05.2023]. Abb. 15: via knowyourmemes.com [16.05.2023]. Abb. 16: via @seladadefruta [16.05.2023]. Abb. 17: via: knowyourmemes.com [16.05.2023]. Abb. 18 und 19: via salon24.pl [16.05.2023]. Abb. 20: via: 5.ua [16.05.2023]. Abb. 21: Erstentwurf der Briefmarke von Boris Grokh mit der Moskva und zweiter Entwurf mit dem versunkenen Schiff unter dem Titel »Done«; https://mezha.media/en/2022/04/22/russian-warship-done-military -stamp/ [09.03.2023]. Abb. 22: via: 9gag.com [16.05.2023]. Abb. 23: via: knowyourmeme.com [16.05.2023]. Abb. 24: NAFO-Avatar des ukrainischen Verteidigungsministers via: Twitter @oleksiireznikov vom 30.08.2023 [16.05.2023]. Abb. 25: Superbunker 9000 via: signmyrocket.com [16.05.2023]. Abb. 26: »Lasst uns Kriege beenden«, @mil_ru vom 05.03.2022 [16.05.2023]. Abb. 27: via: knowyourmeme.com [16.05.2023]. Abb. 28: via: Instagram @chiliktol [16.05.2023]. Abb. 29: »Hier können sie schreiben, ob Bodentruppen oder Lufttruppen.« – »Kann ich sofort Gefangenschaft schreiben?« via 9gag.com [16.05.2023]. Abb. 30: via: meduza.io vom 04. Oktober 2022; https://meduza.io/feature/202 2/10/04/vo-vremya-voyny-my-prakticheski-ne-publikuem-memy-no-sey chas-vynuzhdeny-sdelat-isklyuchenie [04.10.2022]. Abb. 31: Leo Tolstoi, »Vobla und Frieden« via: knowyourmeme.com [16. 05.2023]. Abb. 32: Olive Allen, НЕТ ВОЙНЕ. Edition 1 of 1 (2022), https://opensea.io/col lection/timepieces-peace [14.03.2023] © Olive Allen. Abb. 33: Brian Stauffer, Putin Keeps Peace. Edition 1 of 1 (2022), https://opense a.io/collection/timepieces-peace [14.03.2023] © Brian Stauffer. Abb. 34: Meltdownlove, Putin’s Recipe for Borscht – Ukraine (2022), via: Lighthouse for Ukraine, https://opensea.io/collection/lighthouseukraine [14.03.2023]. Abb. 35: Anna Sarvira, Canadian Prime Minister Justin Trudeau held talks with former US President Bill Clinton. Famous political figures reached a full consensus on supporting Ukraine in the war (2022), via: Meta History Gallery, https://metahistory.gallery/collection/warline [16.05.2023] © Anna Sarvira. Abb. 36: Murals von KAWU via: Instagram (@kawu) in Poznan.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 37: Piece in Vilnius in März 2022, via: boredpanda, https://www.boredpa nda.com/ukraine-russia-war-street-art/?utm_source=google&utm_medi um=organic&utm_campaign=organic [18.03.2023]. Abb. 38: Alle Wege führen nach Den Haag, Straßenschild in der Ukraine 2022, via: tg_partizaning. Abb. 39: LBWS (rechts) und Salushnyj, via: https://telegraf.com.ua/ukraina/2 022-07-08/5710075-trebuem-prazdnichnyy-salyut-po-krymskomu-most u-set-pozdravlyaet-zaluzhnogo-memami-i-shutkami [16.05.2023]. Abb. 40: Angestellter der kommunalen Dienste überstreicht ein Graffito in Moskau im März 2022, via: tg_partizaning. Abb. 41: Partizaning, Urbane Interventionen zur Verbesserung des Stadtraums, Moskau 2012, http://igor-ponosov.ru/english/?p=1000 [16.05. 2023] © Partizaning. Abb. 42: Sinij Karandasch, »Die Kraft ist in der Wahrheit*/*auf dem Territorium der RF verboten, via: Instagram @watch_blue-pencil. Abb. 43: Yekaterinburg, Mural mit der Aufschrift »Für Entschlossenheit, Mut, Dich« wurde übermalt mit den Worten »Tribunal« und roten Hörnern auf dem Kopf des überstrichenen Putin, via: streetartutopia.com, https://stre etartutopia.com/2022/03/27/in-novosibirsk-russia/ [21.03.2023]. Abb. 44: Yav, Diagramm der »Hoffnung« und »Angst« (2022), via und ©: yav_zone. Abb. 45: Zoom, Repka vom 21.10.2022 auf Instagram. Via: @zoomstreetart, © Zoom. Abb. 46: Plakat von Daria Serenko, URL: https://arterritory.com/ru/vizualnoe _iskusstvo/sut_dnja_qa/26019-eto_bezumie [23.03.2023]. Abb. 46: Teilnehmerin der Aktion, via: tg_femagainstwar. Abb. 47: Preisschilder von Sascha Skotschilenko, https://holod.media/2022/04 /14/scochilenko/ [29.11.2022]. Abb. 48: Boris Romanchenko, 1926–2022, Der 96-jährige Boris Romanchenko überlebte vier nationalsozialistische Konzentrationslager während des Zweiten Weltkrieges, wurde durch eine russische Rakete in seiner Wohnung in Kharkiev getötet. Via: tg_femagainstwar vom 09.05.2022. Abb. 49: Ansicht der Ausstellung in Paris im März 2023; via: reddit/facebook. Abb. 50: Newoina am 01. März 2022, https://arterritory.com/ru/vizualnoe_isk usstvo/stati/26123-iskusstvo_nekroimperii [27.03.2022]. Abb. 51: Patija Mjortwych, z200 vom 07. März 2022, via: t.me/partyofthedead. Abb. 52: Party of the Dead am 22.02.2022, Die Leichen reichen ihnen nicht, Die Toten brauchen keinen Krieg, via:t.me/partyofthedead.

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Abb.53: Maxim Ewstropow, 9 Stadien der Verwesung des Führers (2018), © Party of the Dead. Abb. 54: Ausstellungsstücke von Party of the Dead (2022) in Skövde Kulturhuis, via: Dmitry Vilensky facebook vom 12.10.2022. Abb. 55: Bildschirmaufnahme von redsquareprotest.org vom 29. März 2023. Abb. 56: Gruppe Pomidor, Stanzia Metro (2022), in der zweiten Ausgabe von ROAR, https://arterritory.com/ru/vizualnoe_iskusstvo/sut_dnja_qa/2626 0-gotovitsja_tretii_nomer_roar [28.03.2023] © Art Group Pomidor.