Konsumentenverhalten: Konsumenten verstehen – Marketingmaßnahmen gestalten [2. Aufl.] 978-3-658-23566-6;978-3-658-23567-3

Detailliertes Lehrbuch mit Schwerpunkt auf der Konsumentenverhaltensforschung Dieses Lehrbuch geht der zentralen Frage n

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German Pages XI, 209 [215] Year 2019

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Konsumentenverhalten: Konsumenten verstehen – Marketingmaßnahmen gestalten [2. Aufl.]
 978-3-658-23566-6;978-3-658-23567-3

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Konsumenten und Verhalten (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 1-14
Konsumentenverhaltensforschung (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 15-32
Motivation (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 33-52
Emotion (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 53-69
Kognition (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 71-88
Einstellung (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 89-103
Entscheidung (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 105-124
Interindividuelle Unterschiede (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 125-139
Soziale Umwelt (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 141-155
Physische Umwelt (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 157-176
Mediale Umwelt (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 177-189
Konsumentenverhalten im Wandel (Stefan Hoffmann, Payam Akbar)....Pages 191-204
Back Matter ....Pages 205-209

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Stefan Hoffmann Payam Akbar

Konsumentenverhalten Konsumenten verstehen – Marketingmaßnahmen gestalten 2. Auflage

Konsumentenverhalten

Stefan Hoffmann · Payam Akbar

Konsumentenverhalten Konsumenten verstehen – ­Marketingmaßnahmen gestalten 2., aktualisierte Auflage

Stefan Hoffmann Institut für Betriebswirtschaftslehre Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland

Payam Akbar Institut für Betriebswirtschaftslehre Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland

ISBN 978-3-658-23566-6 ISBN 978-3-658-23567-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2016, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort zur 2. Auflage

Konsumentenverhalten1 ist ein Thema, das jeder spannend findet. Denn auch diejenigen, die nicht im Marketing und Verkauf oder Verbraucherschutz arbeiten, interessiert das Thema meist persönlich. Warum ist der Einkaufswagen an der Kasse voller als ursprünglich geplant? Kann Werbung einen beeinflussen? Wieso will man unbedingt das neue iPhone? Weshalb ärgert es einen, dass der Nachbar einen größeren Vorgarten hat als man selbst? Die empirisch gut erforschte Disziplin Konsumentenverhalten ist alltagsnah und relevant für die Unternehmenspraxis. Zu allen Facetten des Konsumentenverhaltens – vom gewohnheitsmäßigen Kauf des Lieblingsjoghurts bis zur wohldurchdachten und langfristig geplanten Entscheidung, ein Eigenheim zu erwerben, und auch von der Preisbereitschaft bei Spendenaufrufen bis zur Nutzung des Like-Buttons auf Facebook – liegen geeignete Theorien und unzählige empirische Befunde vor. Die zwölf Kapitel dieses Buches werfen ein Schlaglicht auf die Schwerpunkte der Konsumentenverhaltensforschung. Wir beginnen mit dem Begriffsverständnis und umreißen den theoretischen und methodischen Ansatz knapp. Anschließend besprechen wir Einflüsse auf das Konsumentenverhalten, die sich voranging in unserem „Inneren“ abspielen: Motivation, Emotion und Kognition sowie Einstellung und Entscheidung. Danach weiten wir den Blick und zeigen auf, dass sich das Verhalten zwischen verschiedenen Konsumentengruppen systematisch unterscheidet und wir betrachten Einflüsse aus der sozialen, physischen und medialen Umwelt. Am Ende des Buches verdeutlichen wir, wie das Konsumentenverhalten in allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet ist und sich damit im Laufe der Zeit stetig wandelt. Dieses Buch richtet sich an Studierende in den Fachbereichen Betriebswirtschaftslehre, Psychologie, Kommunikationswissenschaften und angrenzenden Disziplinen. Es soll zur Nachbereitung von Vorlesungen zum Thema Konsumentenverhalten und zur

1Hinweis

zur Sprache: Dieses Buch ist nicht nur ein Überblick über das Konsumentenverhalten, sondern auch eines über das Konsumentinnenverhalten. Wir nutzen der einfachen Lesbarkeit halber meist nur die männliche Form. Selbstverständlich gelten alle Ausführungen gleichermaßen für Konsumentinnen und für Konsumenten. V

VI

Vorwort zur 2. Auflage

Vorbereitung auf die Prüfung dienen. Deshalb findet der Leser am Ende jedes K ­ apitels Fragen zur Selbstkontrolle und Literaturempfehlungen. Die vorgestellten Theorien und Modelle werden am Beispiel von zwei fiktiven Konsumenten, Lea und Ben, durchgespielt und somit lebendig und alltagsnah dargestellt. Zusätzlich binden wir OnlineContent in Form von Videos und Websites ein, um Inhalte anhand von Beispielen zu verdeutlichen. Scannen Sie hierzu einfach den QR-Code an entsprechender Stelle. Natürlich möchten wir allen danken, die uns bei der Anfertigung dieses Buches unterstützt haben. Unser besonderer Dank gilt Angela Meffert vom Springer-Verlag, die mit der Idee eines Lehrbuches zum Konsumentenverhalten an uns herangetreten ist und uns in allen Phasen unterstützt hat. Ein herzliches Dankeschön geht an unser Team am Lehrstuhl für Marketing der CAU Kiel, das die Texte Korrektur gelesen und uns mit Ideen, Diskussionen und Expertise unterstützt hat: Dr. Robert Mai, Tom Joerß und Wassili Lasarov. Unser besonderer Dank geht an Frau Almut Hahn-Mieth für die äußerst gewissenhafte Kontrolle des Manuskripts und die inhaltlichen Anregungen. Ferner danken wir Frau Prof. Dr. Katharina Klug für ihre Unterstützung in der Anfangsphase des Buchs. Wir danken auch allen studentischen Hilfskräften, die uns bei Literaturrecherchen und Formatierungen sowie mit Feedback unterstützt haben. Hier sind insb. Herr Philip Hutchinson und Herr Nils Hoffmann zu nennen. Frau Jacqueline Galow, unsere ehemalige studentische Hilfskraft am Marketing-Lehrstuhl, machte sich – wie schon im Buch Professionelles Guerilla-Marketing – als Fotomodel für den Prozess der klassischen Konditionierung verdient. Dem StoryTelling-Trainer Johannes Büchs verdanken wir eine zündende Idee für die Motor-Metapher der Mediator/Moderator-Unterscheidung. Wir bedanken uns auch bei den zahlreichen Studierenden, die mit ihrem Feedback zur ersten Auflage des Buches zu einer substantiellen Weiterentwicklung in der zweiten Auflage beigetragen haben. Insbesondere danken wir Prof. Dr. Susanne Liebermann und Dr. Katrin Liethmann. Sie waren für uns wertvolle Sparringspartner in allen Phasen des Projektes. Ihre Meinung ist uns wichtig Wir haben dieses Lehrbuch mit dem Ziel geschrieben, dass Sie damit erfolgreich arbeiten und lernen können. Darum ist uns Ihre Meinung wichtig. Scannen Sie den QR-Code und teilen Sie uns bitte Ihre Meinung mithilfe einer dreiminütigen Befragung mit. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!

Kiel, Deutschland im Sommer 2018

Stefan Hoffmann Payam Akbar

Inhaltsverzeichnis

1

Konsumenten und Verhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Was ist Konsumentenverhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Warum ist Wissen über Konsumentenverhalten wichtig? . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.3.1 Totalmodelle des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.3.2 Partialmodelle des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.4 Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . 11 1.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2 Konsumentenverhaltensforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1 Gegenstand und Aufgaben der Konsumentenverhaltensforschung. . . . . 16 2.2 Grundlegende Forschungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2.1 Quantitative Forschungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2.2 Qualitative Forschungsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.3 Mixed Methods als Verknüpfung der Forschungsansätze. . . . . 21 2.3 Primär- vs. Sekundärforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.4 Formen der Informationsgewinnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.4.1 Befragungen und Operationalisierung von Konstrukten. . . . . . 22 2.4.2 Beobachtung von Probanden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.4.3 Apparative Verfahren und Consumer Neuroscience . . . . . . . . . 25 2.4.4 Experimente und der Nachweis von Kausalität. . . . . . . . . . . . . 26 2.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3 Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.1 Merkmale motivierten Handelns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.1.1 Motiv und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

VII

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.1.2 Streben nach Wirksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.1.3 Zielengagement und Zieldistanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.2 Motivation als Produkt von Person und Situation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.2.1 Personenfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.2.2 Situationsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.3 Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären. . . . . . . . . . 39 3.3.1 Inhaltstheorien der Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.3.2 Prozesstheorien der Motivation: Die VIE-Theorie. . . . . . . . . . . 41 3.3.3 Theorie des regulatorischen Fokus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3.4 Lewins Feldtheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.4 Motive des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.4.1 Verhaltensübergreifende Konsumentenmotive. . . . . . . . . . . . . . 46 3.4.2 Verhaltensspezifische Konsumentenmotive. . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.5 Messung von Motiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4 Emotion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.1 Kennzeichen von Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4.1.1 Merkmale von Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4.1.2 Komponenten einer Emotion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.1.3 Von der Konsumenten-Emotion zur Konsumenten-Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.2 Emotionstheorien zur Erklärung des Konsumentenverhaltens . . . . . . . . 58 4.2.1 Biologische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.2.2 Kognitive Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4.3 Konsumenten-Emotionen messbar machen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.3.1 Verbale Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.3.2 Apparative Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.4 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5 Kognition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.1 Aufmerksamkeit und Informationsselektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5.1.1 Aufmerksamkeit als serieller Flaschenhals. . . . . . . . . . . . . . . . 73 5.1.2 Aufmerksamkeitsstarke Stimuli. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.1.3 Verarbeitung ohne Aufmerksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.2 Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5.2.1 Top-down- und Bottom-up-Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5.2.2 Gestaltprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Inhaltsverzeichnis

IX

5.3

Erlernen des Konsumentenverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.3.1 Konditionierung des Konsumentenverhaltens. . . . . . . . . . . . . . 80 5.3.2 Modelllernen – Von anderen Konsumenten lernen . . . . . . . . . . 81 5.4 Repräsentation des Konsumwissens im Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.4.1 Die klassische Dreiteilung des Gedächtnisses. . . . . . . . . . . . . . 82 5.4.2 Wissensrepräsentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

6 Einstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 6.1 Einstellung und Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.1.1 Drei-Komponenten-Modell der Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.1.2 Einstellungs-Verhaltens-Lücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 6.1.3 Kompatibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 6.1.4 Theorie des geplanten Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 6.2 Messung von Einstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.3 Einstellungsänderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6.4 Implizite Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6.4.1 Verbesserung der Verhaltensprognose durch implizite Einstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6.4.2 Messung impliziter Einstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 6.5 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 7 Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 7.1 Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung. . . . . . . . . . . . . . . . 106 7.1.1 Komponenten von Entscheidungsproblemen. . . . . . . . . . . . . . . 107 7.1.2 Eigenschaften der Entscheidungssituationen. . . . . . . . . . . . . . . 108 7.1.3 Modelle der Konsumentenentscheidungsfindung . . . . . . . . . . . 108 7.2 Entscheidungstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7.2.1 Normative Entscheidungstheorien – Die Rational-Choice-Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 7.2.2 Deskriptive Entscheidungstheorien – Die Prospect-Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 7.3 Heuristiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 7.3.1 Verfügbarkeitsheuristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7.3.2 Repräsentativitätsheuristik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 7.3.3 Ankerheuristik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 7.4 Framing- und Kontexteffekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

X

Inhaltsverzeichnis

7.5

Wie man Konsumentenentscheidungen beeinflusst. . . . . . . . . . . . . . . . . 120 7.5.1 Priming. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 7.5.2 Nudging. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 8

Interindividuelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 8.1 Marktsegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 8.2 Soziodemografische Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 8.2.1 Alter als Beispiel einer demografischen Variable . . . . . . . . . . . 128 8.2.2 Sozialer Status als Beispiel einer sozio-ökonomischen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 8.3 Psychografische Variablen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 8.3.1 Lebensstile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 8.3.2 Wertorientierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 8.3.3 Interkulturelle Unterschiede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 8.4 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

9

Soziale Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 9.1 Bezugsgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 9.1.1 Formen von Bezugsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 9.1.2 Einfluss von Bezugsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 9.1.3 Soziale Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 9.2 Konsumentensozialisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 9.3 Normen und Konformität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 9.4 Word-of-Mouth und Meinungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 9.5 Soziales Dilemma – Die Kehrseite des Bezugsgruppeneinflusses. . . . . . 151 9.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

10 Physische Umwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 10.1 Wechselwirkungen zwischen Konsumenten und physischer Umwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 10.2 Das umweltpsychologische Verhaltensmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 10.2.1 Stimulus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 10.2.2 Persönlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 10.2.3 Intervenierende Variable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 10.2.4 Reaktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Inhaltsverzeichnis

XI

10.3 Der Kaufkanal als physische Umwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 10.3.1 Atmosphäre des Kaufkanals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 10.3.2 Räumliche Aufteilung des Kaufkanals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 10.4 Das Produkt als Teil der physischen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 10.5 Verkäufer und andere Personen am Point of Sale. . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 10.5.1 Merkmale des Verkäufers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 10.5.2 An- und Abwesenheit anderer Konsumenten. . . . . . . . . . . . . . . 172 10.6 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 11 Mediale Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 11.1 Wie Medien zwischen Konsumenten und ihrer Umwelt vermitteln . . . . 178 11.1.1 Systematisierung der medialen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 11.1.2 Medien der Individual- und Massenkommunikation. . . . . . . . . 180 11.2 Erklärungsansätze der Medienwahl und -nutzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 11.2.1 Rationale Medienzuwendung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 11.2.2 Habitualisierte Medienzuwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 11.2.3 Emotional motivierte Medienzuwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 11.3 Die Wirkung der medialen Umwelt auf den Konsumenten. . . . . . . . . . . 184 11.3.1 Wissenskluft und Wissensillusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 11.3.2 Flow-Erleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 11.3.3 Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 11.4 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 12 Konsumentenverhalten im Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 12.1 Megatrends mit Einfluss auf das Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . 192 12.2 Postmaterialismus-Hypothese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 12.3 Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 12.4 Umweltbewusstes Konsumentenverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 12.5 Antikonsum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 12.6 Sharing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 12.7 Lernhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

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Konsumenten und Verhalten

u

Kennen Sie Lea?  Lea ist eine von über 2,6 Mio. Studierenden, die an einer deutschen Hochschule immatrikuliert sind, und mit 25 Jahren genauso alt wie der landestypische Durchschnittsstudent. Pünktlich um 07:30 Uhr meldet sich die Weckfunktion ihres Smartphones und zwei Stunden später sitzt sie in der BWL-Vorlesung. Ein kurzer Blick auf die Uni-App verrät, dass das MensaAngebot heute dürftig ausfällt. Und da Lea neuerdings auf tierische Erzeugnisse verzichtet, verabredet sie sich über Facebook mit ihrem Freund Ben zum Essen in dem neuen veganen Café, über das sie im Stadtmagazin gelesen hat. Auf dem Weg zu ihrem Date fährt sie noch schnell bei der Parteizentrale der Grünen Jugend vorbei, um einige organisatorische Punkte für die morgige Sitzung zu klären. Als sie sich vorbeugt, um ihr Fahrrad abzuschließen, passiert das Missgeschick. Ihr Smartphone fällt aus der Manteltasche, prallt auf den harten Asphalt und löst sich in seine Einzelteile auf. Nun muss ein neues Smartphone her. Sicherlich kann Ben sie beim Kauf beraten. Wir werden in diesem Buch Lea und Ben in zahlreichen Konsumsituationen beobachten. Dabei lernen wir Modelle und Theorien kennen, um das Verhalten von Lea und Ben in ihrer Rolle als Konsument zu verstehen und zu erklären. Diese Modelle nutzen auch Marketingmanager, Marktforscher und Verbraucherschützer, um das Verhalten von Konsumenten vorherzusagen und zu beeinflussen. Doch zunächst: Was ist Konsumentenverhalten überhaupt?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_1

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1  Konsumenten und Verhalten

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • was man unter Konsumentenverhalten versteht (Abschn. 1.1), • warum Wissen über das Konsumentenverhalten wichtig ist (Abschn. 1.2), • wie man das komplexe Konsumentenverhalten in Modellen abbildet (Abschn. 1.3) und • welche Themen das Konsumentenverhalten umfasst (Abschn. 1.4), … indem Sie das Konsumentenverhalten durch folgende Modelle betrachten: • Strukturmodelle, • Prozessmodelle und • Partialmodelle.

1.1 Was ist Konsumentenverhalten? An einem besseren Verständnis des Verhaltens von Konsumenten haben viele ein Interesse. Marketeer möchten ihre tatsächlichen und potenziellen Kunden verstehen und sie auch möglichst zum Kauf ihrer Produkte und Dienstleistungen bewegen. Aber auch der Gesetzgeber, Nicht-Regierungsorganisationen und andere interessiert, wie sie Konsumenten zu einem bestimmten Verhalten wie bspw. einer Spende oder einem weniger aggressiven Fahrstil bewegen können. Und nicht zuletzt möchten auch Konsumenten mehr über sich selbst erfahren, um bewusstere Konsumentscheidungen treffen zu können. Im Einstiegsbeispiel haben wir bereits einiges über Lea erfahren, das uns helfen kann, ihr Verhalten als Konsumentin zu verstehen und vorherzusagen. Wir wissen, dass Lea 25 Jahre alt, BWL-Studentin und in einer festen Beziehung ist. Wir kennen damit verschiedene soziodemografische Merkmale von Lea, d. h. Merkmale, welche auch in der Demografie (d. h. der Wissenschaft, die sich mit der Entwicklung von Bevölkerungen und ihren Strukturen befasst) genutzt werden, um Bevölkerungen zu beschreiben. Anhand dieser Merkmale können Marketingmanager die Zielgruppe ihrer Kampagnen bereits grob eingrenzen. Die Verhaltensvorhersage wird aber sehr viel genauer, wenn sie durch sog. psychografische Faktoren (wie z. B. Werte, Motive, Einstellungen etc.) ergänzt wird. Beispielsweise wissen wir auch, dass sich Lea durch ihre grüne politische Einstellung und einen veganen Lebensstil auszeichnet. Beides beeinflusst ihr Konsumverhalten, wie etwa die Auswahl des Cafés, in dem sie sich mit ihrem Freund Ben trifft. Wir kennen auch viele Verhaltensmerkmale von Lea, wie etwa ihr Mediennutzungsverhalten. So hat sie im Stadtmagazin über den neuen veganen Hotspot erfahren und sie nutzt intensiv ihr Smartphone. Dieses mobile Device ist das Erste, was sie morgens in

1.1  Was ist Konsumentenverhalten?

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die Hand nimmt, um die Weckfunktion auszuschalten, sie plant mit ihm ihren Alltag, wie bspw. das Date mit Ben, das sie über Facebook vereinbarte, und genau dieses Gerät muss sie nun entsorgen und ersetzen. Wie wird sie diese Entscheidung wohl treffen? Erkenntnisse der Konsumentenverhaltensforschung helfen, eine Vorhersage zu treffen. Laut MacInnis und Folkes (2010, S. 905) ist das Erkenntnisobjekt der Konsumentenverhaltensforschung der Mensch in seiner Rolle als Konsument beim Erwerb, dem Ge- bzw. Verbrauch und der Entsorgung von Gütern und Dienstleistungen. Wir verstehen also unter dem Konsumenten, dem ersten Teil des Begriffs Konsumentenverhalten, ganz allgemein den Menschen in einer bestimmten Rolle. Genau das macht die in diesem Buch behandelte akademische Disziplin so spannend: Sie beschäftigt sich mit uns selbst. Zu beachten ist, dass die Rolle des Konsumenten dabei deutlich breiter und vielschichtiger definiert ist als die eines Käufers (Foscht et al. 2017). Sie umfasst auch die Phase, die dem Kauf vorausgeht, in der wir bspw. Produkte im Geschäft oder bei anderen Konsumenten entdecken, uns dafür interessieren, darüber informieren usw. (Blackwell et al. 2001; Solomon et al. 2013). Genauso sind wir auch nach einem getätigten Kauf weiterhin Konsumenten, wenn wir das Produkt nutzen, zur Schau stellen, entsorgen oder uns über die mangelhafte Funktionalität beschweren. Schauen wir uns das Konsumentenverhalten im Zeitverlauf genauer an. u Merke  Von Konsumentenverhalten sprechen wir, wenn der Mensch in seinem Erleben und Verhalten die Rolle eines Konsumenten einnimmt und Güter und Dienstleistungen erwirbt, ge- bzw. verbraucht oder entsorgt. Mit Erwerb bzw. Beschaffung sind alle Handlungen des Konsumenten gemeint, die auf den Kauf eines Produktes abzielen, wie z. B. die Informationsrecherche zu Produkteigenschaften oder die Bewertung von Produktalternativen. Ferner zählen dazu die Wahl des Distributionskanals (z. B. offline im Ladengeschäft oder online im Webshop), der tatsächliche Kauf sowie die Entscheidung über die Zahlungsart (Barzahlung, Ratenzahlung, Paypal etc.) (Blackwell et al. 2001). Um ihr defektes Smartphone zu ersetzen, muss Lea u. a. Informationen über die für sie relevanten Produkteigenschaften, wie etwa Prozessorgeschwindigkeit, Displayauflösung und Preis, einholen. Daraufhin muss sie entscheiden, ob sie sich das Smartphone im Internet, wo es vielleicht 20 EUR günstiger ist, bestellt oder es sich lieber im Ladengeschäft kauft, wo sie es vorab testen kann. Mit Ge- bzw. Verbrauch sind alle Verhaltensweisen des Konsumenten gemeint, die mit der Nutzung des Produktes assoziiert sind (Blackwell et al. 2001). Dies stellt natürlich verschiedene Anforderungen an das Produkt. So könnte Lea ihr neues Smartphone zum Surfen, Skypen und Streamen sowie zum mobilen Einkaufen und Banking nutzen. Dann ist ein schneller Prozessor besonders relevant. Wenn sie es zum Fotografieren nutzt, ist die Auflösung der Kamera wichtig. Vielleicht möchte sie sich auch an der Optik und Haptik des Smartphones erfreuen, oder sie möchte es nutzen, um sich in ihrem sozialen Umfeld zu positionieren. Dann spielen die Marke und das Design eine besondere Rolle.

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1  Konsumenten und Verhalten

Die Entsorgung des Produktes fällt bei seiner Obsoleszenz an, sprich sobald das Produkt abgenutzt, zu alt oder aus der Mode gekommen ist bzw. an Ansehen oder Wert verloren hat. Dem Konsumenten stehen unterschiedliche Entsorgungsstrategien zur Verfügung. Er kann das Produkt wegwerfen bzw. dem Recycling-Zyklus zuführen (Blackwell et al. 2001). Er kann es aber auch auf dem Gebrauchtmarkt zum Wiederverkauf anbieten. Der Online-Händler Amazon bietet seinen Kunden bspw. an, Produkte über seinen Marktplatz zu vertreiben. Der Begriff Konsument basiert traditionell auf der Unterscheidung von Produktion und Konsumtion. Diese klare Trennung bricht allerdings mehr und mehr auf, da Konsumenten auch immer mehr in den Produktions- bzw. Produktentwicklungsprozess einbezogen sind. Die Schlagwörter Customer-Participation und Co-Creation bezeichnen, dass Produkte gemeinsam von Unternehmen und Kunden entwickelt werden. Die Rolle des Konsumenten wird damit erweitert und man spricht auch schon von Prosumenten als Kunstwort, das sich aus Produzent und Konsument zusammensetzt. Besonders deutlich wird dies im Bereich Web 2.0 und Social Media, wo die Nutzer selbst Content erstellen und bspw. Videoclips drehen und bei YouTube hochladen. Auch bei dem Social-Commerce-Unternehmen Spreadshirt übernimmt der Kunde Schritte der Wertschöpfung. Er entwirft nicht nur sein eigenes T-Shirt selbst. Er kann sogar als Designer auftreten und andere Kunden können das von ihm kreierte Kleidungsstück erwerben. Ferner gilt es zu beachten, dass die Rolle des Konsumenten in verschiedenen Settings jeweils spezifische Charakteristika aufweist. Im Business-to-Business-Bereich werden Entscheidungen häufig von mehreren Personen gemeinsam getroffen, die bestimmte Funktionen ausüben und sich entsprechend ihrer Funktion verhalten. Man modelliert das Konsumentenverhalten hier in Form von Buying-Centern (Webster und Wind 1972). In dem vorliegenden Buch widmen wir uns dem Endkonsumenten, d. h. den privaten Verbrauchern und damit dem Business-to-Consumer-Bereich. Den zweiten Teil des Begriffs Konsumentenverhalten bildet das Verhalten (Abb. 1.1). Die Konsumentenverhaltensforschung hat folglich viele Überschneidungen mit jenen wissenschaftlichen Disziplinen, die man als Verhaltenswissenschaften („behavioral science“) bezeichnet (Trommsdorff und Teichert 2011, S. 23). Besonders relevant sind Psychologie, (Verhaltens-)Ökonomie, Soziologie, Biologie und Physiologie. Auf die Gemeinsamkeiten werden wir im Kapitel Konsumentenverhaltensforschung (Kap. 2) näher eingehen. Bedeutsam ist hier zunächst, dass die Abgrenzung darin besteht, dass für Konsumentenforscher immer die Konsumentenrolle im Fokus steht (MacInnes und Folkes 2010, S. 905). Ein Experiment, bei dem die Probanden Markennamen erinnern sollen, um die Kapazität des menschlichen Gedächtnisses zu erforschen, ist keine Konsumentenverhaltensforschung, sondern kognitionspsychologische Forschung. Möchte der Forscher dagegen testen, auf welche Elemente man bei der Gestaltung eines Markenlogos achten sollte, damit Konsumenten dieses leichter wiedererkennen können, so handelt es sich um eine Fragestellung der Konsumentenverhaltensforschung. Nimmt man den Begriff Konsumentenverhalten zu wörtlich, so bezieht er sich zunächst nur auf das von außen beobachtbare Verhalten des Konsumenten (Kroeber-Riel

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1.2  Warum ist Wissen über Konsumentenverhalten wichtig?

Informieren potenzieller Passant Stöbern Kunde Probieren Käufer Nachfrager Vergleichen Kunde Klient Bezahlen Nutzer Besucher Shoppen Nutzen Entwickler KonsumentenRolle als Verhalten Verhalten verhalten Sharen Konsument Prosument Empfehlen Protzen Markenbotschafter Beschweren Fan Liken Beschwerdeführer Kommunikator Entsorger

ehemaliger Kunde

Boykottieren Reparieren

Entsorgen

Umtauschen

Abb. 1.1  Die Rolle als Konsument

und Gröppel-Klein 2013, S. 3). Dieses Verständnis entspricht dem psychologischen Behaviorismus und es lässt sich als S-R-Schema, d. h. als Stimulus-Response-Schema darstellen. Ein möglicher Stimulus wäre ein Werbeplakat, das ankündigt, dass eine neue Generation des iPhones im Handel erhältlich ist. Die beobachtbare Response wäre in diesem Beispiel, ob eine Person, die das Plakat gesehen hat, das beworbene Produkt kauft oder nicht. Mit dieser rein „äußerlichen“ Betrachtungsweise lässt sich das Konsumentenverhalten schwerlich umfassend erklären und verstehen. Der Begriff Konsumentenverhalten wird deshalb längst deutlich weiter gefasst, indem auch das Erleben des Konsumenten eingeschlossen wird. So betrachten Konsumentenforscher auch innere Prozesse wie die Wahrnehmung und Speicherung der Botschaft des Werbeplakats oder emotionale Reaktionen darauf. Als Rahmenmodell dient das ebenfalls aus der Psychologie entlehnte S-O-R-Schema, das neben Stimulus (z. B. Werbeplakat) und Response (Kauf) auch den Organismus, d. h. die im Konsumenten ablaufenden, vermittelnden Prozesse betrachtet. Dadurch soll die „Black Box“ zwischen Stimulus und Response geöffnet und erklärt werden, „warum“ und „wie“ sich Konsumenten verhalten (KroeberRiel und Gröppel-Klein 2013, S. 3). In diesem Buch wollen wir gemeinsam einen Blick in diese schwarze Kiste werfen.

1.2 Warum ist Wissen über Konsumentenverhalten wichtig? New Coke, Toshiba HD-DVD, VW Phaeton oder Microsoft Zune: Selbst große Konzerne scheitern regelmäßig bei der Einführung neuer Produkte. 60 bis 80 % der erstmalig eingeführten Artikel werden ein Jahr später nicht mehr im Handel angeboten (Müller und Schroiff 2013). Ein Grund hierfür ist die mangelnde Konsumentenorientierung der

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1  Konsumenten und Verhalten

Unternehmen. Dabei ist die positive Auswirkung einer Konsumentenorientierung auf Umsatz und Ertrag in zahlreichen Studien hinreichend belegt worden (Srinivasan und Hanssens 2009; Steiner 2009). Die strategische Ausrichtung des Geschäftsmodells auf die Bedürfnisse des Kunden sollte daher ein zentrales Ziel des Managements sein. Doch warum ist die Konsumentenorientierung so wichtig für den Unternehmenserfolg? Dies liegt vor allem daran, dass sich viele Märkte im Verlauf der letzten Jahrzehnte von Verkäufermärkten zu Käufermärkten entwickelt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Leistungserstellung der kritische Engpass. Verkäufermärkte, bei denen die Nachfrage das Angebot übersteigt, waren die Regel und Anbieter konnten ihre Produkte ohne zielgruppenspezifisches Marketing absetzen. In den heute zumeist vorherrschenden Käufermärkten können Konsumenten aus einer Vielzahl von gleichwertigen Angeboten auswählen (Trommsdorff und Teichert 2011). Die Ursachen für diesen Wandel sind u. a. der starke technische Fortschritt, die Marktsättigung in verschiedenen Branchen und der Markteintritt neuer ausländischer Konkurrenten im Zuge der Globalisierung. Während das Marketing Anfang der 1950er Jahre vor allem einer Distributionsorientierung folgte, wandelte sich der Fokus allmählich zu einer Produktions- und Verkaufsorientierung und schließlich zur Kundenorientierung (Gelbrich et al. 2018; Meffert et al. 2018). Um auch in Käufermärkten erfolgreich agieren zu können, müssen sich Unternehmen von ihrer Konkurrenz differenzieren und ihren Produkten Merkmale verleihen, die eine bestimmte Zielgruppe ansprechen. Dazu müssen sie ihre Zielgruppe und damit den Konsumenten kennen und verstehen. Die Vorteile, die das Wissen um das Konsumentenverhalten für das Marketing bringt, lassen sich anhand der sog. „4P“, d. h. der vier klassischen Marketingpolitiken, aufzeigen (Trommsdorff und Teichert 2011): So ermöglicht Wissen um das Konsumentenverhalten u. a. eine an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasste Produktentwicklung und -gestaltung (Produkt-Politik), das Abschöpfen der maximalen Preisbereitschaft des Konsumenten (Preis-Politik), einen an die Präferenzen des Konsumenten angepassten Vertrieb des Produkts (Distributions-Politik) und die gezielte Ansprache von Konsumentenbedürfnissen über verschiedene Kommunikationskanäle, wie z. B. TV-Werbung, Online-Advertising, Sponsoring etc. (Kommunikations-Politik).

1.3 Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens In der Literatur existieren zahlreiche Modelle, die das Verhalten von Konsumenten erklären sollen. Unter einem Modell versteht man ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit (Stachowiak 1973). Auch die Modelle des Konsumentenverhaltens reduzieren die komplexe Realität auf eine systematische Auswahl relevanter Variablen, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei lassen sich zwei Typen von Erklärungsmodellen abgrenzen, die unterschiedliche Abstraktionsgrade aufweisen (Meffert et al. 2018): Totalmodelle (hoher Abstraktionsgrad) und Partialmodelle (niedriger Abstraktionsgrad).

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1.3  Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens

1.3.1 Totalmodelle des Konsumentenverhaltens Totalmodelle versuchen, möglichst alle denkbaren Einflussfaktoren auf das Verhalten des Konsumenten abzubilden. Sie sind deshalb zwangsläufig sehr komplex und zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus. Totalmodelle lassen sich in Strukturund Prozessmodelle unterteilen. Strukturmodelle erklären die Beziehung zwischen den Variablen, die für das Konsumentenverhalten eine Rolle spielen, und geben einen Überblick aus der Vogelperspektive. Prozessmodelle unterteilen das Verhalten des Konsumenten im Zeitverlauf in mehrere Phasen.

1.3.1.1 Strukturmodelle Das Totalmodell von Blackwell, Miniard und Engel (2001) gehört zu den gängigsten Strukturmodellen des Konsumentenverhaltens. Wie in Abb. 1.2 dargestellt, umfasst das Modell den Entscheidungsprozess, das Informationsverhalten sowie verschiedene Einflussvariablen. Betrachten wir einmal Leas aktuelle Situation aus Sicht dieses Modells. Die Konsumentscheidung beginnt demnach mit der Problemerkennung als einer vom Konsumenten wahrgenommenen Abweichung des Status quo vom Idealzustand. Wie groß er diese Diskrepanz einschätzt, hängt dem Totalmodell zufolge von Umwelteinflüssen, den Erinnerungen an vergangene (Konsum-)Erfahrungen und von den individuellen Besonderheiten des Konsumenten ab. Dies könnte in Leas Fall wie folgt aussehen: Nachdem Leas Smartphone zu Bruch gegangen ist (Status quo), benötigt sie ein neues

Problemerkennung Exposure

Stimuli (Marketingoder Nicht-Marketingdominiert)

Interne Suche

Aufmerksamkeit Verständnis

Suche

Umwelteinflüsse • Kultur • Soziale Klasse • Persönliche Einflüsse • Familie • Situation

Alternativenbewertung Gedächtnis

Akzeptanz

Kauf

Gebrauch

Behalten

NachkaufBewertung

Externe Suche Unzufriedenheit

Desinvestment

Individuelle Unterschiede • Ressourcen des Konsumenten • Motivation und Involvement • Wissen • Einstellung • Persönlichkeit, Werte, Lebensstil

Zufriedenheit

Abb. 1.2  Totalmodell des Konsumentenverhaltens. (In Anlehnung an Blackwell et al. 2001)

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1  Konsumenten und Verhalten

mobiles Device, mit dem sie ihren Alltag organisieren kann (Idealzustand). Ein Kommilitone hat sich vor Kurzem das neueste iPhone gekauft und von dessen Usability und Haptik geschwärmt (Umwelteinflüsse). Bei seinen Schilderungen hat Lea seinerzeit aufgehorcht, hat sie doch – anders als ihre Eltern – ein Faible für schicke Devices und Apple-Produkte (individuelle Unterschiede). Außerdem hört sie beim Joggen immer über ihren alten iPod Musik, weshalb sie mit der Nutzung von Apple-Produkten bereits positive Erfahrungen gesammelt hat (Gedächtnis). Auf diese Weise könnte man das gesamte Totalmodell von Blackwell et al. (2001) weiter durchdeklinieren und würde dabei zu folgender Erkenntnis kommen: Strukturmodelle leisten eine gute Orientierungshilfe und zeigen auf, welche vielfältigen Variablen für das Konsumentenverhalten eine Rolle spielen. Sie helfen, Zusammenhänge zwischen Variablen zu erkennen und das Konsumentenverhalten ganzheitlich zu betrachten. Gleichzeitig sind sie aber sehr komplex. Das führt dazu, dass sie empirisch nicht überprüfbar sind und sie daher die konzeptionelle Ebene nicht verlassen. Auch eine konkrete Verhaltensvorhersage ist damit praktisch nicht möglich.

1.3.1.2 Prozessmodelle Prozessmodelle unterteilen das Verhalten des Konsumenten in mehrere Phasen. Viele Prozessmodelle widmen sich vor allem dem Kaufverhalten und unterscheiden dabei meist drei Phasen (Solomon et al. 2013): • Pre-Sales-Phase: In der Vorkaufphase erkennt der Konsument sein „Problem“ und er beginnt, Produkte und Dienstleistungen zu suchen, die ihm helfen, dieses zu lösen. So könnte er Informationen zum Produkt einholen, verschiedene Modelle im Ladengeschäft testen oder Testberichte lesen. • Sales-Phase: In der Kaufphase trifft der Konsument eine Kaufentscheidung, stellt seinen Warenkorb zusammen und zahlt den Kauf. • After-Sales-Phase: In der Nachkaufphase steht die Produktnutzung im Vordergrund. Der Konsument bewertet seine in der Kaufphase getroffene Entscheidung. Je nach Grad der Zufriedenheit kann es zur Retoure (unzufrieden) oder Weiternutzung (zufrieden) kommen. Einige Prozessmodelle kombinieren die Kaufphasen mit den Distributionskanälen von Händlern. Diese Modelle tragen der Erkenntnis Rechnung, dass Konsumenten im Rahmen ihrer Kaufentscheidung Channel-Hopping betreiben, d. h. zwischen verschiedenen Distributionskanälen (Ladengeschäft, Online-Shop, Mobile-Shop etc.) eines Händlers oder mehrerer Händler wechseln. Der Kanalwechsel kann sowohl sequenziell (z. B. erst im Ladengeschäft recherchieren und später von zu Hause im Internet) als auch parallel (z. B. im Ladengeschäft online recherchieren) verlaufen. In jüngster Zeit spricht das Marketing nicht nur von Distributionskanälen, sondern auch von Touchpoints, d. h. von Berührungspunkten zwischen Konsumenten und Unternehmen. Abb. 1.3 veranschaulicht, wie Konsumenten entlang ihrer sog. Customer Journey mit unterschiedlichen Touchpoints in

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1.3  Erklärungsmodelle des Konsumentenverhaltens

Touchpoints

Pre-Sales

Sales

After-Sales

Store Print/Katalog TV/Radio E-Mail Social Media Online-Shop Potenzieller Touchpoint

Möglicher Pfad der Customer Journey

Abb. 1.3  Beispiel einer Customer Journey

Berührung kommen (Schüller 2013). Unter Customer Journey ist dabei der Weg entlang der Kontaktpunkte zu verstehen, den ein potenzieller Kunde durchläuft, bevor er eine Kaufhandlung ausführt.

1.3.2 Partialmodelle des Konsumentenverhaltens Nochmals zur Erinnerung: Totalmodelle versuchen, alle relevanten Aspekte des Konsumentenverhaltens abzudecken. Sie geben einen guten Überblick darüber, wie sich Konsumenten i. d. R. verhalten, und helfen, das komplexe Verhalten des Konsumenten übersichtlich und in einem logischen Zusammenhang darzustellen. Partialmodelle betrachten dagegen bestimmte, enger definierte Verhaltensweisen des Konsumenten (Trommsdorff und Teichert 2011). Sie sind dadurch empirisch prüfbar und der Einfluss einiger unabhängiger Variablen (UV) auf die abhängige Variable (AV) ist quantifizierbar. Die aktuelle Forschung widmet sich vorrangig den Partialmodellen. Auch alle Modelle, die wir im weiteren Verlauf dieses Buches betrachten, sind Partialmodelle. Ein beispielhaftes Partialmodell zur Wirkung humorvoller Werbung (Schwarz und Hoffmann 2012) zeigt, wie sich das Betrachten eines humorvollen Spots (UV) auf die Einstellung des Konsumenten zur Marke (AV) auswirkt. Der Haupteffekt der UV auf die AV wird in den meisten Partialmodellen durch intervenierende Variablen genauer beschrieben. Dabei sind zwei Arten von intervenierenden Variablen zentral (Baron und Kenny 1986): • Mediatorvariable: Die Mediatorvariable vermittelt den Einfluss der UV auf die AV. Sie erklärt, wie die UV indirekt auf die AV wirkt. In unserem Beispiel würde der Rezipient nach dem Betrachten der humorvollen Werbeanzeige (UV) zunächst eine positive Einstellung zu dieser Anzeige (Mediatorvariable) entwickeln und diese wiederum bewirkt, dass sich eine positive Einstellung zur Marke (AV) ausbildet.

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1  Konsumenten und Verhalten

• Moderatorvariable: Die Moderatorvariable nimmt Einfluss auf die Stärke und Form des Zusammenhangs zwischen UV und AV. Auch in unserem Beispiel könnte die Produktkategorie eine Moderatorvariable sein: So könnte sich humorvolle Werbung (UV) in der Produktkategorie Lifestyle (Moderatorvariable) positiv auf die Einstellung zur Marke (AV) auswirken, bei Finanzprodukten dagegen negativ. Die Motor-Metapher zur Mediator/Moderator-Unterscheidung

Für das Verständnis der Partialmodelle des Konsumentenverhaltens ist die Unterscheidung von Mediator- und Moderatorvariablen grundlegend. Wenn man sich zum ersten Mal damit beschäftigt, bereitet die Abgrenzung aber auch bei angestrengtem Nachdenken Schwierigkeiten. Versuchen wir es also lieber spielerisch und lassen Manni, den Motor, sprechen: Als Autofahrer wissen Sie, dass sich die Räder umso schneller drehen, je stärker Sie auf das Gaspedal treten. Das liegt an mir. Ich bin Manni, der Motor. Ich vermittle zwischen Gaspedal und Rädern. Je stärker der Fahrer auf das Gaspedal tritt, desto schneller drehe ich mich. Und je schneller ich mich drehe, desto schneller drehen sich die Räder. Ich bin stolz darauf, sehr zuverlässig zu arbeiten. Trotzdem klappt die Übersetzung nicht immer gleich. Manchmal drehen sich die Räder besonders schnell im Vergleich zu mir, manchmal drehen sie sich gar nicht und manchmal drehen sie sich sogar rückwärts. Das ärgert mich sehr, weil ich Wert darauf lege, dass man sich auf mich verlassen kann. Wissen Sie, wer Schuld hat? Es ist Gabi, die Gangschaltung. Sie bestimmt, in welcher Stärke und Form meine Drehung auf die Räder übersetzt wird.

Wer in dieser Geschichte das Gaspedal mit der UV, die Räder mit der AV, den Motor mit der Mediatorvariable und die Gangschaltung mit der Moderatorvariable gleichsetzt und den Text nochmals liest, hat den Unterschied zwischen Mediator- und Moderatorvariable für immer verstanden! Schauen wir uns zur Vertiefung des Unterschieds zwischen Mediator- und Moderatorvariablen noch ein typisches Beispiel eines Partialmodells an (Abb. 1.4): Materialistische

Bedürfnis nach einzigartigen Produkten

Materialismus

SharingAbsicht

Teilnahme an SharingProgrammen

Abb. 1.4  Partialmodell der Sharing-Absicht. (In Anlehnung an Akbar et al. 2016)

1.4  Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens

11

Konsumenten legen Wert darauf, Produkte selbst zu besitzen. Je materialistischer ein Konsument eingestellt ist (UV), desto geringer ist folglich seine Absicht, an SharingProgrammen (Abschn. 12.6) zu partizipieren (Moderator), und je geringer diese Absicht ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er tatsächlich an einem bestimmten Sharing-Programm teilnimmt (AV). In diesem Partialmodell von Akbar et al. (2016) ist die Sharing-Absicht die Mediatorvariable. Sie vermittelt zwischen Materialismus und Partizipation. Die Studie zeigt nun aber, dass auch materialistische Konsumenten unter bestimmten Umständen an Sharing-Programmen teilnehmen. Nämlich dann, wenn sie einen starken Wunsch nach einzigartigen Produkten verspüren (Moderator). Sie betrachten dann Sharing als eine Möglichkeit, einzigartige Produkte zu nutzen. Das Bedürfnis nach einzigartigen Produkten moderiert also den Zusammenhang zwischen der materialistischen Einstellung und der Sharing-Absicht.

1.4 Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens Dieses Buch gliedert sich in zwölf eigenständige Kapitel, welche die zentralen Facetten des Konsumentenverhaltens beleuchten (Abb. 1.5). Wir umreißen im nächsten Kapitel den wissenschaftstheoretischen und methodischen Ansatz. Die darauffolgenden Kapitel widmen sich dann speziellen Einflussgrößen und stellen die einschlägigen Partialmodelle dazu vor. Wir behandeln zunächst Einflüsse auf das Konsumentenverhalten, die sich vorrangig im „Inneren“ des Konsumenten abspielen. Dazu zählen Motivation, Emotion

Interindividuelle Unterschiede und Umwelteinflüsse Intraindividuelle Prozesse Interindividuelle Unterschiede (Kap. 8)

Motivation (Kap. 3)

Emotion (Kap. 4)

Konsumentenverhalten (Kap. 1)

Entscheidung (Kap. 7)

Einstellung (Kap. 6)

Mediale Umwelt (Kap. 11)

Kognition (Kap. 5) Soziale Umwelt (Kap. 9)

Physische Umwelt (Kap. 10)

Konsumentenverhaltensforschung (Kap. 2)

Abb. 1.5  Überblick über die Themen des Konsumentenverhaltens

Konsumentenverhalten im Wandel (Kap. 12)

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1  Konsumenten und Verhalten

und Kognition sowie Einstellung und Entscheidung. Anschließend weiten wir den Blick und zeigen auf, dass sich das Verhalten zwischen verschiedenen Konsumentengruppen systematisch unterscheidet. Wir besprechen Einflüsse von außen – aus der sozialen, physischen und medialen Umwelt. Am Ende des Buches legen wir dar, wie das Konsumentenverhalten in allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet ist und sich damit im Laufe der Zeit stetig wandelt.

1.5 Lernhilfe Quintessenz

Von Konsumentenverhalten sprechen wir, wenn der Mensch in seinem Erleben und Verhalten die Rolle des Konsumenten einnimmt und Güter und Dienstleistungen erwirbt, ge- bzw. verbraucht oder entsorgt. Die Forschung zum Konsumentenverhalten befasst sich nicht nur mit dem von außen beobachtbaren Verhalten, sondern auch mit dem Erleben des Konsumenten, um das „Wie“ und „Warum“ des Konsumentenverhaltens beantworten zu können. Totalmodelle bilden alle Facetten des Konsumentenverhaltens gemeinsam ab und verschaffen einen guten Überblick. Sie sind jedoch empirisch nicht prüfbar, weshalb sich die Forschung auf Partialmodelle konzentriert. Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Von Konsumentenverhalten sprechen wir, wenn der Mensch in seinem Erleben und Verhalten die ____________ des Konsumenten einnimmt und Güter und Dienstleistungen ____________, ____________ oder __________. Richtig oder falsch? In den letzten Jahrzehnten haben sich die meisten Märkte zu Käufermärkten entwickelt. Das Angebot übersteigt die Nachfrage. Eine Orientierung des Angebots an den Bedürfnissen des Kunden ist deshalb nicht mehr nötig. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. O Die Forschung zum Konsumentenverhalten untersucht das Kaufverhalten von einzelnen Menschen. Das Untersuchungsobjekt beschränkt sich auf tatsächlich getätigte Käufe. O Die Forschung zum Konsumentenverhalten basiert auf dem S-R-Schema und analysiert nur das von außen beobachtbare Verhalten. O Die Forschung zum Konsumentenverhalten basiert auf dem S-O-R-Schema und analysiert auch das von außen nicht beobachtbare Innenleben des Konsumenten.

Literatur

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Vernetzende Fragestellung

Im Einstiegsbeispiel wurden verschiedene Dinge über Lea berichtet. Welche Aspekte davon können dem Konsumentenverhalten zugeordnet werden? Schauen Sie sich Abb. 1.5 an und überlegen Sie, in welchen der folgenden Kapitel Sie vermutlich noch mehr Hintergrundwissen und theoretische Erklärungen erfahren werden, um Lea in ihrer Rolle als Konsumentin besser zu verstehen.

Weiterführende Literatur Hoyer, W. D., MacInnis, D. J., & Pieters, R. (2012). Consumer Behavior (6. Aufl.). Boston: Cengage Learning Emea. Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen. MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914.

Literatur Akbar, P., Hoffmann, S., & Mai, R. (2016). When do materialistic consumers join commercial sharing systems? Journal of Business Research, 69(10), 4215–4224. Baron, R. M., & Kenny, D. A. (1986). The moderator-mediator variable distinction in social psychological research: Conceptual, strategic, and statistical considerations. Journal of Personality and Social Psychology, 51(6), 1173–1182. Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer Behavior (9. Aufl.). Orlando: Harcourt. Foscht, T., Swoboda, B., & Schramm-Klein, H. (2017). Käuferverhalten. Grundlagen – Perspektiven – Anwendungen (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Gelbrich, K., Wünschmann, S., & Müller, S. (2018). Erfolgsfaktoren des Marketing (2. Aufl.). München: Vahlen. Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen. MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914. Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Müller, T., & Schroiff, H. W. (2013). Warum Produkte floppen: Die 10 Todsünden des Marketings. Freiburg: Haufe-Lexware. Schüller, A. M. (2013). Touchpoints. Auf Tuchfühlung mit dem Kunden von heute (3. Aufl.). Offenbach: Gabal. Schwarz, U., & Hoffmann, S. (2012). Unter welchen Bedingungen ist humorvolle Werbung erfolgreich? Ein Überblick zu den Moderatoren der Humorwirkung. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 41(7), 344–349. Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour. A European perspective (5. Aufl.). London: Pearson.

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1  Konsumenten und Verhalten

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2

Konsumentenverhaltensforschung

u

Ben möchte ins Roboterhotel  „Da möchte ich hin“, ruft Ben plötzlich. Er hat sich gerade einen Artikel auf seiner News-App durchgelesen und entdeckt, dass am 17. Juli 2015 in Japan in der Nähe von Nagasaki das Henn-na Hotel eröffnet hat. Es ist das weltweit erste Hotel mit Robotern als Personal. So sitzt bspw. am Empfang eine Roboter-Dame. Sie ist höflich, freundlich und adrett geschminkt und frisiert. Auch andere Dienste, wie den Koffer auf das Zimmer zu bringen oder die Reinigung der Zimmer, erledigen Roboter. „Das Hotel schließt doch bald wieder“, erwidert Lea. „Kein Mensch geht freiwillig da hin.“ Zweifellos ist es ein riskantes Unterfangen, ein derartig ungewöhnliches Hotel zu eröffnen. Welche Gäste wird dieses Hotel anlocken? Werden sie zufrieden sein, wiederkehren und das Hotel weiterempfehlen? Welche Preise werden sie bereit sein zu bezahlen? Die Konsumentenverhaltensforschung kann helfen, hierauf eine Antwort zu geben.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_2

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2 Konsumentenverhaltensforschung

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • was die Konsumentenverhaltensforschung erforscht (Abschn. 2.1), • welche Forschungsansätze genutzt werden (Abschn. 2.2), • wann Forscher selbst Daten erheben und wann sie vorhandene nutzen (Abschn. 2.3) und • wie man empirische Daten gewinnen kann (Abschn. 2.4), … indem Sie die Konsumentenverhaltensforschung durch folgende Paradigmen betrachten: • qualitative und quantitative Ansätze, • Primär- und Sekundärforschung und • klassische Testtheorie.

2.1 Gegenstand und Aufgaben der Konsumentenverhaltensforschung Die Konsumentenverhaltensforschung dient dazu, das Verhalten von Menschen in ihrer Rolle als Konsument zu erforschen. Wie in Abschn. 1.1. beschrieben, interessiert dabei nicht nur das von außen beobachtbare Verhalten, sondern auch die inneren Prozesse, um auch das „Wie“ und „Warum“ des Konsumentenverhaltens beantworten zu können (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 3). Die Konsumentenverhaltensforschung ist eine Teildisziplin der Marketingforschung. Sie soll Informationen zum Konsumentenverhalten liefern, die als Grundlage für Marketingentscheidungen dienen (MacInnis und ­Folkes 2010). Sie entwickelt aber auch Modelle, die für vielfältige andere Entscheider wie Politiker oder Nicht-Regierungs- und Non-Profit-Organisationen nützlich sind, die sich mit dem Thema Verbraucherschutz beschäftigen. Unter dem Schlagwort „Transformative Consumer Research“ rückt die aktuelle Forschung den Konsumenten in den Mittelpunkt (Mick et al. 2011; Kap. 12). Dadurch entwickelt sie sich zur eigenständigen Disziplin. Es ist eine Herausforderung, das Konsumentenverhalten zu verstehen, zu erklären, zu prognostizieren oder gar zu verändern. Wie wir in den verschiedenen Kapiteln dieses Buchs zeigen, variiert das Verhalten von Konsumenten zwischen verschiedenen Persönlichkeiten und Lebensstilen und je nach kultureller Prägung, aber auch in Abhängigkeit von situativen Gegebenheiten wie dem Anlass eines Kaufes oder der zur Verfügung stehenden Zeit. Auch die Verpackung des Produktes, das Image des Anbieters und vieles mehr nehmen Einfluss auf das Konsumentenverhalten. Wie kann man unter diesen vielschichtigen Rahmenbedingungen das komplexe Verhalten von Konsumenten erforschen? Kein Zweifel, um all dies zu beachten, muss auch die Konsumentenverhaltensforschung sehr vielfältig sein. Der Rückgriff auf die Erkenntnisse und Methoden verschiedener

2.1  Gegenstand und Aufgaben …

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Forschungsdisziplinen kann helfen, das komplexe Verhalten von Konsumenten zu ergründen (Solomon et al. 2013, S. 25; MacInnes und Folkes 2010). Deshalb ist die Konsumentenverhaltensforschung interdisziplinär. Starke Einflüsse kommen aus der Psychologie, insb. aus der Emotions-, Motivations- und Kognitionspsychologie sowie aus der Sozialund der Experimentalpsychologie. Auch aus der Soziologie, der Ökonomie oder der Philosophie genauso wie aus der biologischen Verhaltensforschung werden Forschungsmethoden und Theorien adaptiert. Jede dieser Disziplinen hilft bei der Erforschung bestimmter Facetten des Konsumentenverhaltens. Die (allgemeine) Psychologie fokussiert auf das Individuum. Die Sozialpsychologie betrachtet auch soziale Interaktionen und die Soziologie bietet Theorien und Methoden, um das Verhalten von Konsumentengruppen zu analysieren. Die (Verhaltens-)Ökonomie liefert u. a. Modelle zum Entscheidungsverhalten. Aber auch verschiedene geisteswissenschaftliche Forschungszweige wie die Semiotik oder die Anthropologie bieten Hinweise auf das Konsumentenverhalten. Greifen wir unser Einstiegsbeispiel wieder auf und sehen uns den Beitrag einiger Nachbardisziplinen an (­Solomon et al. 2013, S. 25; MacInnes und Folkes 2010): • Die kognitive Psychologie untersucht u. a. Wahrnehmungs-, Lern- und Erinnerungsprozesse. Ihre Methoden könnten bspw. helfen herauszufinden, welche Aspekte des Berichts über das Roboterhotel Bens Aufmerksamkeit geweckt haben. • Die Sozialpsychologie betrachtet u. a. das Verhalten von Individuen als Mitglieder sozialer Gruppen. Ob Ben und Lea gemeinsam das Roboterhotel besuchen werden, hängt von einem Abstimmungsprozess ab und davon, wie ihr soziales Umfeld, zu dem etwa ihre Familie und Freunde gehören, diese Entscheidung bewertet. • Die Soziologie betrachtet bspw. Unterschiede im Konsumentenverhalten zwischen sozialen Schichten oder zwischen sog. sozialen Milieus. Sie könnte helfen zu verstehen, welche gesellschaftlichen Gruppen sich für ein derart avantgardistisches Angebot wie ein Roboterhotel interessieren. • Die Mikroökonomie betrachtet u. a. die Allokation finanzieller Ressourcen in Haushalten. Es stellt sich bspw. die Frage, ob Lea und Ben ihr gemeinsames Budget für das teure Roboterhotel oder doch lieber für zwei neue Fahrräder ausgeben. Welches Angebot wird für sie den höheren Nutzen stiften? • Die Semiotik beschäftigt sich u. a. mit der verbalen und visuellen Vermittlung von Inhalten. Welche tiefer gehende Bedeutung besitzt es für Ben, von einem Roboter bedient zu werden? Hat Lea als ökologisch denkende Frau dieselbe Interpretation dieses Vorgangs? Hintergrundinfo: Wo man die neuesten Befunde findet Forschungsergebnisse zum Konsumentenverhalten werden in Fachzeitschriften, den Journals, publiziert. Einschlägige Marketing-Zeitschriften enthalten einen Großteil der Studien zum Konsumentenverhalten. Da der Fachbereich interdisziplinär ausgerichtet ist, werden aktuelle Erkenntnisse auch in den Journals der Psychologie, Soziologie oder Mikroökonomie veröffentlicht. Die wichtigsten Fachzeitschriften, die ausschließlich Studien zum Konsumentenverhalten veröffentlichen, sind das Journal of Consumer Research (JCR), das Journal of Consumer Psychology (JCP) und das

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2 Konsumentenverhaltensforschung

Journal of Consumer Behaviour (JCB). Das Jourqual-Rankingsystem bewertet diese Zeitschriften von A+ bis D. Hier wird das JCR, das Flaggschiff der Konsumentenverhaltensforschung, mit „A+“, d. h. der Bestnote, bewertet. Scannen Sie den QR-Code, um zur Webseite des JCR zu gelangen.

2.2 Grundlegende Forschungsansätze Die stark interdisziplinäre Prägung der Konsumentenverhaltensforschung wirkt sich auch auf die grundlegende Wissenschaftsauffassung aus. So finden mehrere Orientierungen parallel Anwendung (Balderjahn und Scholderer 2007, S. 3 f.). Beim mikroökonomischen Ansatz schließt man von allgemeinen Regeln auf den Einzelfall, wobei ursprünglich der „Homo oeconomicus“ (Abschn. 7.2.1), d. h. der nutzenmaximierende und rational entscheidende Konsument, der über volle Markttransparenz verfügt, das grundlegende Menschenbild war. Die meisten Konsumentenverhaltensforscher folgen derzeit dem positivistischen Ansatz, dessen Ziel darin besteht, allgemeingültige Aussagen mithilfe empirischer Beobachtungen zu gewinnen. Im Regelfall werden Hypothesen aufgestellt, quantitative Daten erhoben und diese mit statistischen Analysemethoden ausgewertet. Immer mehr Forscher nutzen auch den interpretativen Ansatz. Nach dieser Wissenschaftsorientierung möchte man das Verhalten des Konsumenten nicht im Allgemeinen erklären, sondern in der Tiefe verstehen. Die Analysen basieren häufig auf Einzelfällen oder kleineren Stichproben, die meist ergebnisoffen ergründet werden. Wir gehen im Folgenden vor allem auf quantitative Forschungsmethoden ein, die mit dem positivistischen Ansatz verknüpft sind und die lange Zeit die Konsumentenverhaltensforschung klar dominierten. Wir geben aber auch einen kurzen Einblick in qualitative Forschungsmethoden, die dem interpretativen Ansatz folgen und die in den letzten Jahren an Bedeutung gewannen.

2.2.1 Quantitative Forschungsmethoden Quantitative Forschungsmethoden dienen meist dem Ziel, zuvor aufgestellte Hypothesen anhand empirischer Daten zu prüfen (Hoffmann et al. 2018). Zum Beispiel könnte eine Hypothese folgendermaßen lauten: Je zufriedener Gäste mit dem letzten Aufenthalt im Roboterhotel waren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wiederkehren werden. Um die in den Hypothesen enthaltenen Konstrukte (hier: Zufriedenheit und Wiederkehrwahrscheinlichkeit) zu quantifizieren, entwickeln Forscher Operationalisierungen, d. h. Messvorschriften. So lassen sich die Konstrukte in numerischen Daten ausdrücken. Hierzu kommen bspw. in Befragungen geschlossene Fragen zum Einsatz, bei denen

2.2  Grundlegende Forschungsansätze Wie zufrieden sind Sie mit ...

19 sehr unzufrieden

sehr zufrieden

Wert

… der Freundlichkeit des Personals?

6

… dem Zimmerservice?

5

… usw.



Abb. 2.1  Beispiel einer quantitativen Befragung

­ robanden aus vorgegebenen Antwortalternativen auswählen können (z. B. siebenstufig P von sehr unzufrieden bis sehr zufrieden, Abb. 2.1). Diese sind wiederum bestimmten Zahlen zugeordnet (z. B. „sehr unzufrieden“: 1; „sehr zufrieden“: 7). Diese numerischen Daten wertet der Forscher mithilfe statistischer Analyseverfahren aus. Um dabei verallgemeinerbare Aussagen treffen zu können, ist es nötig, relativ große Stichproben zu erheben. Ein typisches Ergebnis eines quantitativen Forschungsansatzes wäre bspw., dass zwischen der Zufriedenheit mit einer Dienstleistung und der Wahrscheinlichkeit des Wiederkehrens zum Dienstleister ein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht. Das Ergebnis ist stochastisch, d. h. Konsumenten, die zufrieden sind, besuchen das Hotel mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder. Der Zusammenhang ist (im Gegensatz zu manchen naturwissenschaftlichen Befunden) aber nicht deterministisch. Das heißt, man kann nicht mit Sicherheit vorhersagen, dass jeder zufriedene Konsument auch wiederkehrt.

2.2.2 Qualitative Forschungsmethoden Qualitative Forschungsmethoden werden häufig eingesetzt, um unbekannte Ursachen, Motive und Ideen aufzudecken, Sachverhalte zu verstehen und Hypothesen zu entwickeln (z. B. Berekoven et al. 2009; Döring und Bortz 2016, S. 184 ff.; Buber und Holzmüller 2009). Bezogen auf das Beispiel Roboterhotel könnte eine Forschungsfrage lauten, warum so wenige Gäste das Hotel ein zweites Mal besuchen. Häufig kann der Forscher zu Beginn der Untersuchung noch keine präzise formulierten Hypothesen aufstellen. Die Analyse ist vielmehr meist ergebnisoffen und die Erkenntnisse, die aus bestimmten Dokumenten gezogen werden, bzw. die Antworten, die der Proband geben kann, sind nicht vordefiniert. In Interviews bspw. kann der Forscher flexibel auf Aussagen des Probanden reagieren und spontane Gedanken vertiefen, die der Proband einbringt und die zu neuen Erkenntnissen führen können. Möglicherweise würde hier ein Interviewpartner, der das Hotel bereits besucht hat, äußern, dass sich der Handschlag des Empfangsroboters sehr kalt anfühlte und dass er von diesem Augenblick an den Aufenthalt als unbehaglich empfand. Die so erhobenen Daten sind nicht-numerisch. Der Forscher kann sie deshalb nicht einfach zusammenfassend auswerten, sondern muss sie zuvor in geeigneter Weise aufbereiten und anschließend interpretieren. Das Ziel der Untersuchung ist nicht die statistische Absicherung und Quantifizierung der Stärke eines Zusammenhangs, sondern das Verständnis für die Ursache des Zusammenhangs. Oftmals reichen hierfür kleinere

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2 Konsumentenverhaltensforschung

­ tichproben (häufig nur 20 bis 30 Interviews) aus. Ein typisches Ergebnis eines qualitatiS ven Forschungsansatzes wäre bspw., dass eine Hypothese aufgestellt oder gar eine Theorie entwickelt wird, wie die Authentizität des haptischen Erlebnisses (hier: die Echtheit des Handschlags des Roboters) das Empfinden des Konsumenten beeinflusst. In Tab. 2.1 sind ausgewählte qualitative Verfahren aufgelistet (zur Vertiefung siehe u. a. Buber und Holzmüller 2009; Kepper 2008; Kozinets 2015; Mayring 2016). Dabei Tab. 2.1  Ausgewählte qualitative Forschungsmethoden Forschungsmethode

Erläuterung

Interview

In der Regel führt ein Interviewer mit einem Probanden ein persönliches Gespräch. Mögliche Varianten sind das fokussierte Interview (das Gespräch kreist um ein vorausgewähltes Thema), das explorative Interview (der Interviewte berichtet Erlebnisse und schildert dabei seine Motive) und das psychologische Tiefeninterview (der Interviewer versucht verborgene, schwer erfassbare Motive und Einstellungen des Probanden aufzudecken). Eine wichtige Methode, die im Rahmen von Interviews eingesetzt wird, ist die Laddering-Technik, die wir in Abschn. 3.5 besprechen

Gruppendiskussion Bei einer Gruppendiskussion steuert ein Moderator die Kommunikation mehrerer Probanden. Dabei entsteht eine intensive Dynamik und dadurch, dass die Teilnehmer Aussagen anderer aufgreifen, lassen sich andere Inhalte aufdecken als bei Einzelinterviews. Sonderformen sind gelenkte Kreativgruppen (der Moderator nutzt gezielt Kreativitätstechniken) oder Delphi-Befragungen (Befragung von Experten in zunächst mehreren parallelen Einzelinterviews und spätere Ergebnisdiskussion unter allen Interviewteilnehmern) Projektive Verfahren

Projektive Verfahren kommen meist im Rahmen von Gruppendiskussionen und Interviews zum Einsatz. Bei projektiven bzw. indirekten Verfahren ist den Teilnehmern meist der Zweck des Verfahrens nicht bekannt, um möglichst freie und ungesteuerte Ergebnisse zu erzielen. Projektive Verfahren werden häufig eingesetzt, wenn Probanden nicht bereit oder nicht fähig sind, bestimmte Aussagen zu treffen. Mögliche Verfahren sind Wortassoziationen, Satzergänzungstests oder Dritte-Person-Techniken; aber auch Interpretationen mehrdeutiger Bilder, wie der klassische „Rorschach-Test“ („Tintenklekstest“) oder der thematische Apperzeptionstest

Inhaltsanalyse

Im Rahmen einer Inhaltsanalyse wird vorhandenes Datenmaterial in einem regelgeleiteten Prozess aufbereitet und interpretiert. Als Datenmaterial können Textdokumente, die Transkripte (d. h. Abschriften) von Tiefeninterviews oder Gruppendiskussion, Internetpostings etc. dienen. Man unterscheidet zwischen einer rein qualitativen und einer quantitativen Inhaltsanalyse. Bei Letzterer wird das Datenmaterial kategorisiert und die Kategorien werden statistisch ausgewertet

Netnografie

Netnografie ist ein Schachtelwort aus „Net“ (für Internet) und Ethnografie. Forscher beobachten und analysieren das Verhalten von Konsumenten im Internet und im Rahmen von Social Media (wie Facebook, Twitter, Blogs etc.). Die Methode hilft, relativ schnell und häufig kostengünstig unverfälschte Daten zu gewinnen

2.3  Primär- vs. Sekundärforschung

21

sind Interviews und Gruppendiskussionen als Datenerhebungsformen zu verstehen, während projektive Verfahren Techniken darstellen, die in beiden Datenerhebungsformen eingebettet sein können. Die Inhaltsanalyse ist dagegen eine Form der Datenauswertung und -interpretation.

2.2.3 Mixed Methods als Verknüpfung der Forschungsansätze Die Gegenüberstellung des quantitativen und des qualitativen Ansatzes verdeutlicht, dass sich nicht nur die Methoden unterscheiden, sondern dass es große Unterschiede in der Zielsetzung, in den zu erwartenden Ergebnissen und der Güte der Daten gibt. Qualitative Methoden eignen sich insb. dafür, etwas Neues zu entdecken bzw. Phänomene in der Tiefe zu verstehen. Quantitative Methoden eignen sich dagegen besser, um die Stärke von Zusammenhängen abzusichern. Quantitative Methoden sollten sich durch eine hohe Objektivität auszeichnen, d. h., sie sollten möglichst unabhängig von den forschenden Personen Gültigkeit besitzen. Qualitative Methoden erfordern eine gewisse Interpretation der Daten. Inzwischen setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass beide Ansätze ihre Berechtigung besitzen und je nach Anwendungsfall gewählt werden sollten. Oftmals empfiehlt es sich, die beiden Herangehensweisen in Mixed-Methods-Ansätzen zu kombinieren (Srnka 2007). Unter anderem sind die folgenden Designs möglich: • Vorstudiendesign: Der Forscher setzt zunächst qualitative Methoden ein, um Phänomene zu verstehen und Hypothesen zu entwickeln, die er anschließend quantitativ absichert. Er würde bspw. zunächst eine Fokusgruppe zur Servicequalität des Roboterhotels durchführen und so identifizierte Problemfelder anschließend in einer quantitativen Befragung genau analysieren. • Triangulationsdesign: Der Forscher führt parallel qualitative und quantitative Studien zum selben Forschungsgegenstand durch, um das Thema vollständig zu erfassen. • Generalisierungsdesign: Zum Beispiel bei einer sog. quantitativen Inhaltsanalyse werden qualitative Daten durch Kategorisierungsprozesse in quantitative Daten umgewandelt und anschließend statistisch ausgewertet.

2.3 Primär- vs. Sekundärforschung Forscher können prinzipiell auf zwei verschiedenen Wegen Informationen gewinnen: Durch Primär- und durch Sekundärforschung (Meffert et al. 2018; Homburg 2017). • Bei der Primärerhebung wird der Informationsbedarf durch die Erhebung originär neuer Daten gedeckt. Der Forscher kann hypothesengeleitet vorgehen und die zu gewinnenden Daten auf die Zwecke der Untersuchung zuschneiden. Die Aussagekraft der Daten für die zu untersuchende Fragestellung ist damit besonders hoch. Ein Forscher könnte bspw. gezielt einen Fragebogen zur Servicequalität in Roboterhotels entwickeln.

22

2 Konsumentenverhaltensforschung

• Die Sekundärforschung, die auch als Desk Research bezeichnet wird, nutzt bereits vorhandenes Datenmaterial. Diese Daten wurden ursprünglich meist zu anderen Zwecken erhoben und der „Schreibtisch-Forscher“ wertet sie nun für die zu beantwortende Fragestellung erneut aus. In Frage kommen bspw. Daten des Statistischen Bundesamtes, Geschäftsberichte, Kundenstatistiken von Unternehmen oder Erhebungen von Marktforschungsinstituten. Beide Formen der Datenerhebung weisen gewisse Vor- und Nachteile auf (Döring und Bortz 2016; Meffert et al. 2018). Sekundärforschung verursacht meist geringere Kosten. Wenn die vorliegenden Daten nicht weiter aufbereitet werden müssen, können die Auswertungen auch relativ schnell durchgeführt werden. Allerdings sind die Daten häufig nicht aktuell und die Qualität ist oft schwer beurteilbar. Das größte Problem für die Konsumentenverhaltensforschung besteht aber darin, dass die Daten nicht auf die Fragestellung zugeschnitten sind. Es werden sich bspw. schwer Sekundärdaten finden lassen, die helfen, die Frage zu beantworten, ob die Zufriedenheit mit dem Servicepersonal in einem Roboterhotel einen anderen Einfluss auf die Wiederkehrwahrscheinlichkeit hat als in einem konventionellen Hotel. Mit der häufig aufwendigeren und kostspieligeren Primärforschung kann es besser gelingen, gezielt auf drängende Fragestellungen einzugehen. Sie setzt jedoch eine entsprechende Methodenkompetenz und Kostenaufwendungen voraus. Die Erkenntnisse, die in diesem Buch dargestellt werden, basieren vor allem auf Studien, die sich der Primärerhebung bedienten, da bei Fragen nach dem „Wie“ und „Warum“ des Verhaltens von Konsumenten bereits vorliegende Daten häufig zu unspezifisch für die interessierende Fragestellung sind. Deshalb gehen wir im Folgenden auch stärker auf Strategien der Primärforschung ein.

2.4 Formen der Informationsgewinnung Im Rahmen der Primärforschung lassen sich vor allem die folgenden Formen der Datengewinnung unterscheiden (z. B. Hoffmann et al. 2018; Meffert et al. 2018): Befragung, Beobachtung, apparative Verfahren und Experimente. Daneben gibt es noch zahlreiche Spezialformen wie computergestützte Erhebungen (z. B. Reaktionszeitmessungen wie bspw. der Implizite Assoziationstest), Webanalytics (inkl. Big Data), Panelerhebungen, Testmärkte und psychologische Testverfahren.

2.4.1 Befragungen und Operationalisierung von Konstrukten Bei Befragungen bittet man Probanden, zu bestimmten Sachverhalten Auskunft zu geben (Meffert et al. 2018). Befragungen sind zweifellos die in der Konsumentenverhaltensforschung am häufigsten eingesetzte Form der Informationsgewinnung. Es lassen sich mit der mündlichen, telefonischen, schriftlichen und der Online-Befragung verschiedene

2.4  Formen der Informationsgewinnung

23

Erhebungsformen unterscheiden, die verschiedene Vor- und Nachteile aufweisen (siehe Homburg 2017; Meffert et al. 2018). Eine Befragung sollte verschiedene Fragegruppen umfassen (vgl. Meffert et al. 2018). Sie beginnt i. d. R. mit Kontakt- oder Eisbrecherfragen, die eine möglicherweise ablehnende Grundhaltung des Befragten aufbrechen sollen (z. B. bei einer Befragung zum Roboterhotel: „Bald beginnt die Urlaubssession. Haben Sie schon eine Reise geplant?“). Der Hauptteil der Befragung besteht aus den Sachfragen, die sich auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand beziehen. Jede Befragung sollte verschiedene Kontrollfragen enthalten, um zu überprüfen, ob Verzerrungen die Aussagekraft der Befragung schmälern könnten. Als Beispiel sei die Tendenz, sozial erwünschte Antworten zu geben, genannt. Der Proband würde in diesem Fall nicht wahrheitsgemäß antworten, sondern entsprechend der gesellschaftlichen Normen. Sozial erwünschtes Antwortverhalten ist insb. bei sensiblen Themen wie bspw. dem Umweltschutz ein Problem. Um die Tendenzen zu sozial erwünschtem Antwortverhalten zu kontrollieren, setzt man Skalen ein, die aus Aussagen bestehen, die sozial erwünschtes Verhalten (z. B. „Ich vertusche niemals meine Fehler“) oder sozial unerwünschtes Verhalten (z. B. „Als ich jung war, habe ich manchmal Dinge gestohlen“) beschreiben (Steenkamp et al. 2010). Die Aussagen sind so konstruiert, dass es unwahrscheinlich ist, dass Probanden den sozial erwünschten Aussagen uneingeschränkt zustimmen und die unerwünschten uneingeschränkt ablehnen. Befragungen enden i. d. R. mit Fragen zu soziodemografischen und sozio-ökonomischen Merkmalen der Probanden. Ein zentraler Punkt der Fragebogenkonstruktion ist die Operationalisierung, d. h. die „Messbarmachung“ von latenten Konstrukten. Unter einem latenten Konstrukt versteht man ein Phänomen, das als existierend angenommen wird, das man aber nicht direkt beobachten kann. Hierzu zählen Intelligenz genauso wie Markenimages, Einstellungen, Kundenzufriedenheit und nahezu alle anderen Konstrukte, die in der Marketing- und Konsumentenforschung diskutiert werden. Die Operationalisierung erfordert Indikatoren, d. h. beobachtbare Größen, wie bspw. die Antwort auf einer fünfstufigen Antwortskala in einer Befragung. Bei latenten Konstrukten sollten in den meisten Fällen Multi-Item-Skalen eingesetzt werden, da es des Zusammenspiels mehrerer Indikatoren bedarf, um das Konstrukt zuverlässig in seiner vollen Breite zu erfassen. Wie gut diese Operationalisierung gelingt, wird vor allem anhand der drei Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität beurteilt (Churchill 1979; Homburg und Giering 1996). Die Entwicklung eines sinnvollen Fragebogens erfordert sehr viel Expertise in testtheoretischen Grundlagen (Moosbrugger und Kelava 2011). Bühner (2010) liefert eine gute Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion. Hintergrundinfo: Die Gütekriterien der klassischen Testtheorie Konstrukte in Fragebögen müssen den drei Hauptgütekriterien der klassischen Testtheorie genügen. Objektivität liegt vor, wenn unabhängig von der Person des Forschers bzw. Interviewers dasselbe Ergebnis zustande kommen würde. Reliabilität bezeichnet die Zuverlässigkeit bzw. die formale Genauigkeit, d. h. die Frage, ob das Messinstrument (die Multi-Item-Skala) immer und in jeder Situation dasselbe misst (und zwar unabhängig davon, was das Messinstrument inhaltlich

24

2 Konsumentenverhaltensforschung

misst bzw. messen sollte). Die Reliabilität erfasst damit, ob die Messung frei von zufälligen Fehlern ist. Validität ist schließlich die Gültigkeit der Messung, d. h., sie bewertet, ob die Messung frei von systematischen Fehlern ist. Es geht also um die Frage, ob ein Messinstrument inhaltlich tatsächlich das misst, was es zu messen vorgibt.

2.4.2 Beobachtung von Probanden Durch Beobachtung lassen sich sinnlich wahrnehmbare Sachverhalte erfassen (Kepper 2008; Meffert et al. 2018). Beobachtungen lassen sich u. a. danach abgrenzen, wer oder was die Daten registriert und wie transparent die Beobachtungssituation für den Probanden ist. • Wer oder was registriert die Daten? Meist werden Fremdbeobachtungen durch Dritte, d. h. einen Beobachter, oder durch Geräte (z. B. Videokameras) durchgeführt. Auf die technische Unterstützung zur Gewinnung objektiver Daten werden wir in Abschn. 2.4.3 genauer eingehen. Grundsätzlich stünde auch die Methode der Selbstbeobachtung zur Verfügung; in der Konsumentenverhaltensforschung kommt sie jedoch selten zum Einsatz. • Wie transparent ist die Beobachtungssituation für den Probanden? In nichtbiotischen Beobachtungsstudien weiß die Person, dass sie gerade beobachtet wird, und auch, welchen Zweck die Studie verfolgt. Oftmals ist es in Konsumentenverhaltensstudien aber notwendig, dass die Person keine vollständige Transparenz über die Beobachtungssituation hat. Man möchte einen „Beobachtungseffekt“ vermeiden, d. h., es soll verhindert werden, dass der Proband sein Verhalten bewusst anpasst oder gar verfälscht. Weiß der Proband, dass er Teilnehmer einer Untersuchung ist, kennt aber den Gegenstand der Untersuchung nicht, so spricht man von einer quasi-biotischen Situation. Beispielsweise könnte man den Probanden darüber aufklären, dass man sein Verhalten beim ersten Besuch im Roboterhotel beobachtet; man lässt ihn aber darüber im Unklaren, dass man insb. seine Reaktionen auf den Handschlag des Roboters erfassen möchte. Wenn sich die Person hingegen gar nicht bewusst ist, dass sie Teil der Untersuchung ist, so spricht man von einer biotischen Situation. Beobachtungen können im Rahmen von Laborexperimenten (siehe Abschn. 2.4.4) durchgeführt werden. Sie kommen aber auch bei Felduntersuchungen zum Einsatz. Ein Beispiel sind Kundenlaufstudien, die darauf abzielen zu ermitteln, wie sich Konsumenten in einem Ladengeschäft verhalten und durch welche Elemente (wie die Regalplatzierung) sie beeinflusst werden (Kap. 10). Eine besondere Form der Beobachtung sind Webanalytics, d. h. die Analyse des Nutzerverhaltens im Internet, die vor allem auf der Auswertung von Logfiles basieren.

2.4  Formen der Informationsgewinnung

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2.4.3 Apparative Verfahren und Consumer Neuroscience Mit apparativen Verfahren, d. h. technischen Hilfsmitteln, lassen sich objektive Messungen durchführen. Verschiedenste Verfahren helfen, physiologische Indikatoren zu erheben oder Muskelbewegungen und Mimik zu erfassen (Rampl et al. 2011). Mit diesen Informationen versucht der Forscher, Rückschlüsse auf innere Prozesse des Probanden zu ziehen. So zeichnet das Eye-Tracking die Blickbewegung auf und liefert damit einen Indikator für Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsprozesse. Das Elektrokardiogramm (EKG) erfasst die Herzfrequenz und ist ein Indikator für die Aktivierung der Person. Die Hautwiderstandsmessung basiert auf der Grundlage, dass die Haut elektrische Ströme mit geringerem Widerstand weiterleitet, wenn wir schwitzen. Bereits minimale Veränderungen der Leitfähigkeit der Haut werden registriert und geben Auskunft über den Grad der physiologischen Aktivierung. Mit dem Elektromyogramm (EMG) misst man Muskelspannungen, von denen man bspw. Rückschlüsse auf Emotionen ziehen kann. Eine Sonderform ist die Facial Electromyography, welche Veränderungen in der elektrischen Aktivität der Gesichtsmuskulatur erfasst, in der sich Gefühlsregungen sehr direkt widerspiegeln. Im Zusammenhang mit diesen apparativen Verfahren wird derzeit der Begriff Neuromarketing bzw. auch Consumer Neuroscience intensiv diskutiert (Kenning 2014). Erkenntnisse, Theorien und Methoden aus dem Gebiet der Neuropsychologie werden zunehmend auch zur Durchdringung verschiedener Problemstellungen der Konsumentenverhaltensforschung genutzt. Bisherige Studien beschäftigten sich bspw. mit der Emotionalisierung von Kaufentscheidungen (Deppe et al. 2005) oder der Wirkung von Zahlungsmitteln auf die Produktwahrnehmung der Konsumenten (Chatterjee und Rose 2012). Forscher auf dem Gebiet der Consumer Neuroscience bedienen sich zahlreicher Methoden der kognitiven Neurowissenschaften, mithilfe derer es möglich ist, spezifische Aktivitäten im menschlichen Nervensystem und in bestimmten Hirnregionen unter Einwirkung bestimmter Reize zu untersuchen. Wichtige Messgeräte, welche die Aktivitäten im Gehirn erfassen, sind die Elektroenzephalografie (EEG), die Magnetenzephalografie (MEG), die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) und die funktionelle transkranielle Doppler-Sonografie (fTCD). Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) ist das modernste und in der Anwendung beliebteste bildgebende Verfahren. Es misst Änderungen in der Blutoxygenierung, wodurch aktive Hirnareale ermittelt werden können. Gerade beanspruchte Hirnareale haben einen erhöhten Bedarf an Sauerstoff, was innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einer erhöhten Sauerstoffanreicherung führt. Sauerstoffreiches Blut hat im Vergleich zu sauerstoffarmem Blut andere magnetische Eigenschaften, die das von dem Magnetresonanztomografen aufgenommene Signal verursachen. Im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren besitzt die fMRT auch ohne Verabreichung von Kontrastmitteln oder radioaktiven Substanzen eine hohe räumliche Auflösung. Ebenso lassen sich zeitlich genaue Informationen über Reihenfolge und Zeitpunkt der Hirnaktivitäten ermitteln.

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2 Konsumentenverhaltensforschung Beispiel: Wenn sich das Gehirn über höhere Preise freut

Aus verhaltenspsychologischen Studien weiß man, dass – entgegen traditioneller ökonomischer Annahmen – ein erhöhter Preis unter bestimmten Bedingungen die Kaufabsicht steigern kann, da Konsumenten hochpreisigen Produkten eine höhere Qualität zuschreiben. Eine Studie von Hilke Plassmann et al. (2008) beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern eine Preiserhöhung das Konsumerlebnis verändert und inwiefern sich dies in neuronalen Repräsentationen widerspiegelt. In dem Experiment verkosteten Probanden kleinere Mengen von Cabernet Sauvignon, während die Forscher ihre Gehirnaktivitäten mithilfe eines fMRT aufzeichneten. Sie zeigten den Probanden zudem die Preise der Rotweine. Was diese nicht wussten: Zwei der Weine wurden doppelt angeboten; einmal zu einem hohen und einmal zu einem niedrigen Preis. Die Studie bestätigt, dass Konsumenten vom Preis auf die Qualität eines Produktes schließen und dass dies ihr Geschmackserlebnis und die erlebte Freude beeinflusst. Dies spiegelt sich in Aktivitäten im medialen orbitofrontalen Cortex wider; einer Hirnregion, die den Autoren zufolge verarbeitet, als wie angenehm der Konsument die Situation erlebt. Apparative Verfahren eignen sich sehr gut, um Informationen zu selbst minimalen Veränderungen im Erleben und Verhalten des Konsumenten zu messen. Zu beachten ist aber, dass die Stichproben meist sehr klein sind und die Generalisierbarkeit dadurch eingeschränkt ist (Plassmann et al. 2015). Die Studien finden normalerweise unter Laborbedingungen statt. Wie sehr bspw. die gemessenen Hirnaktivitäten beim Verzehr von Wein davon beeinflusst sind, dass sich die Probanden in einer medizinischen Umgebung befinden und innerhalb eines lauten fMRT Wein durch einen Schlauch zugeführt bekommen, ist unklar. Zudem besteht das Problem der „Reverse Inference“: Aus bestimmten Signalen im Gehirn wird auf die Verarbeitung einzelner mentaler Prozesse geschlossen. Reize werden aber in mehreren Gehirnarealen verarbeitet und umgekehrt ist ein Gehirnareal nicht ausschließlich für die Verarbeitung einzelner Emotionen und Kognitionen zuständig. Consumer Neuroscience kann derzeit noch nicht das Erleben des Konsumenten voll aufzeigen und bspw. nicht beantworten, ob ein Reiz vom Konsumenten als positiv oder negativ empfunden wird. Hierzu sind zusätzliche Befragungen notwendig, womit wir wieder bei den Vorteilen einer Triangulation wären (vgl. Abschn. 2.2.3).

2.4.4 Experimente und der Nachweis von Kausalität Eine zentrale Aufgabe der Konsumentenverhaltensforschung ist die Suche nach Kausalität, d. h. nach Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Der Königsweg, um Kausalität nachzuweisen, ist das Experiment. In einem Experiment wird die zuvor hypothetisch definierte Ursache unter kontrollierten und wiederholbaren Bedingungen gezielt variiert. Der Forscher beobachtet im Anschluss, ob sich die erwartete Wirkung

2.4  Formen der Informationsgewinnung

27

einstellt (Berekoven et al. 2009, S. 146 ff.; Döring und Bortz 2016; Shadish et al. 2001). Um Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge treffen zu können, müssen sozialwissenschaftliche Experimente so geplant werden, dass Störfaktoren und damit alternative Erklärungen ausgeschlossen werden können. Wir müssen uns also zunächst fragen, unter welchen Bedingungen wir auf Kausalität schließen können. Folgende Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt sein (Shadish et al. 2001): 1. Es sollte eine Korrelation (d. h. ein Zusammenhang) zwischen der angenommenen Ursache und der angenommenen Wirkung vorliegen. Die Ursache wird auch als unabhängige Variable (UV) und die angenommene Wirkung als abhängige Variable (AV) bezeichnet. In unserem Beispiel könnte die Schaltung einer Werbeanzeige die UV und die Buchung einer Übernachtung im Roboterhotel die AV sein. Bei sozialwissenschaftlichen Untersuchungen findet man nie deterministische, sondern immer statistische Zusammenhänge. Im Beispiel würde das bedeuten, dass Probanden, welche die Werbeanzeige für das Roboterhotel kennen, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch eine Reise ins Roboterhotel gebucht haben sollten. 2. Es dürfen keine Störeinflüsse vorliegen, die ebenfalls die Wirkung (d. h. die AV) beeinflussen können. Das heißt, es sollte keine andere Ursache für die Wirkung vorhanden sein, die zufälligerweise mit der gedachten Ursache zusammenhängt. Möglicherweise fand zufällig in der Woche, als die Werbeanzeigen geschaltet wurden, ein Unfall in irgendeiner mit Robotern betriebenen Fabrik statt, über den in den Medien intensiv berichtet wurde. Dies kann dazu geführt haben, dass Konsumenten die an sich positive Werbeanzeige negativ interpretiert haben und bewusst Abstand von einem Besuch im Roboterhotel genommen haben. 3. Die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung auftreten. Wenn die Probanden das Hotel bereits besucht hatten, bevor sie die Werbemaßnahme wahrnahmen, kann der Besuch nicht auf die Werbemaßnahme zurückgeführt werden. Experimente müssen so geplant werden, dass alle notwendigen Bedingungen der Kausalität erfüllt sind. Die Untersuchung sollte mit theoretischen Vorüberlegungen und der Ableitung zu prüfender Hypothesen beginnen. Der Forscher könnte bspw. annehmen, dass die Darstellung humanoider Roboter auf den Werbeplakaten die Akzeptanz der potenziellen Besucher erhöht. Der Forscher manipuliert nun auch die zeitliche Abfolge von Ursache und Wirkung selbst, indem er die Ursache (Treatment) selbst auslöst. Im einfachsten Fall wird dabei eine Gruppe von Probanden, die dem Treatment (hier: einem Plakat mit einem menschlich anmutenden Roboter) ausgesetzt sind (die Experimentalgruppe), mit einer Gruppe von Probanden, die dem Treatment nicht ausgesetzt sind (der Kontrollgruppe) verglichen. Der Einfluss von Störgrößen kann z. B. dadurch reduziert werden, dass das Experiment unter kontrollierten Bedingungen („im Labor“) durchgeführt wird und dass die Probanden randomisiert (d. h. zufällig) der Experimental- und der Kontrollgruppe zugewiesen werden. Dahinter steht die Annahme, dass sich nicht kontrollierbare Unterschiede zwischen Probanden (z. B. unterschiedliche Technikaffinität) durch die

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2 Konsumentenverhaltensforschung

Randomisierung so verteilen, dass sie keinen Einfluss auf das Ergebnis des Experiments nehmen. Wenn sich nun mit statistischen Auswertungsmethoden ein Zusammenhang (eine empirische Korrelation) zwischen den Experimentalbedingungen und der abhängigen Variablen zeigt, so kann auf Kausalität geschlossen werden. Wenn also im Beispiel die Gruppe, welche die Anzeige mit den humanoiden Robotern gesehen hat, eine höhere Bereitschaft zeigt, in diesem Hotel zu übernachten, als die Kontrollgruppe, so kann man auf einen kausalen Einfluss der Anzeige auf die Kaufbereitschaft schließen. Auch für Experimente existieren verschiedene Gütekriterien. Die wichtigsten sind die folgenden: • Die interne Validität gibt an, ob der kausale Schluss tatsächlich gültig ist, d. h. ob zwischen dem Treatment und der abhängigen Variablen wirklich eine UrsacheWirkungs-Beziehung besteht. Die interne Validität ist hoch, wenn alle potenziellen Störfaktoren ausgeschlossen werden können (siehe Shadish et al. 2001 für einen Überblick über die Gefahren der internen Validität). • Die externe Validität gibt an, ob die gefundenen Zusammenhänge auf andere Personen und Situationen übertragen werden können. Beispielsweise werden Experimente von Forschern an Universitäten häufig mit Studierenden durchgeführt. Humanoide Roboter auf dem Werbeplakat mögen auf junge, technikaffine Studierende eine positive Wirkung haben. Ob man diesen Befund auch auf wohlsituierte, ältere Konsumenten, die sich prinzipiell einen längeren, kostspieligen Aufenthalt in einem Roboterhotel leisten könnten, übertragen kann, ist nicht gesichert. • Ökologische Validität: Sie gibt an, ob das Ergebnis des Experiments auf ein für den Konsumenten natürliches bzw. realistisches Setting übertragbar ist. Man kann die ökologische Validität damit als Sonderform der externen Validität begreifen. Eine Beurteilung einer Werbeanzeige im Labor des Forschers muss nicht mit einer Situation in der Lebenswirklichkeit des Konsumenten (z. B. beim Surfen mit dem Smartphone) übereinstimmen. In Anbetracht dieser Gütekriterien lassen sich zwei grundsätzliche Formen von Experimenten unterscheiden: Ein Laborexperiment wird in einer künstlichen Umgebung durchgeführt. Der Forscher hat die Möglichkeit, alle Bedingungen selbst festzulegen, um Störfaktoren zu reduzieren oder zu kontrollieren. Dieses Setting hilft, eine hohe interne Validität zu erreichen. Feldexperimente werden in einem für den Probanden natürlichen bzw. normalen Setting durchgeführt (z. B. im Kaufhaus). Der Forscher kann dadurch nicht alle Störfaktoren ausschließen. Dafür zeichnen sich Feldexperimente durch eine hohe Realitätsnähe aus, d. h., sie weisen eine hohe ökologische Validität auf. Weiterhin kann zwischen echten und quasi-experimentellen Designs unterschieden werden. Während bei echten Experimenten die Versuchspersonen den unterschiedlichen Manipulationen (Treatments) zufällig zugeordnet werden, fehlt bei quasi-experimentellen Designs diese Randomisierung der Gruppenzugehörigkeit (Shadish et al. 2001). Insbesondere bei Feldexperimenten ist dies nicht möglich.

2.5 Lernhilfe

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Schließlich können Experimente ganz unterschiedlich aufgebaut sein. Man spricht hierbei von Versuchsdesigns. Die erste Unterscheidung ist dabei die zwischen BetweenSubject- und Within-Subject-Designs. Between-Subject-Designs ordnen jeder Versuchsperson genau ein Treatment zu, wohingegen Within-Subject-Designs mehrere Treatments für jede Versuchsperson zulassen, d. h., der Proband wird im Zeitverlauf mehrmals getestet. Beide Designs haben Stärken und Schwächen hinsichtlich der Möglichkeiten, Gefährdungen der internen Validität auszuschließen. Between-Subject-Designs erfüllen einen höheren methodischen Anspruch, da Übertragungseffekte zwischen verschiedenen Treatments (Spill-over) ausgeschlossen sind (Shadish et al. 2001). Ferner wird noch zwischen ein- und mehrfaktoriellen Designs unterschieden. In einfaktoriellen Experimenten wird nur eine Variable manipuliert (z. B. die Werbeanzeige für das Roboterhotel). Bei mehrfaktoriellen Experimenten werden gemeinsam und systematisch mehrere Variablen manipuliert (z. B. Inhalt und Darstellungsform der Werbeanzeige). So kann der Forscher Interaktionseffekte, d. h. Wechselwirkungen, zwischen den Variablen ermitteln. Beispielsweise könnte er testen, ob bestimmte Anzeigen für Roboterhotels besser wirken, wenn sie über soziale Medien vermittelt werden, als bei Schaltung einer klassischen Printanzeige.

2.5 Lernhilfe Quintessenz

Die empirische Konsumentenverhaltensforschung erforscht nicht nur das von außen beobachtbare Verhalten, sondern auch die inneren Prozesse, um auch das „Wie“ und „Warum“ des Konsumentenverhaltens beantworten zu können. Sie nutzt Methoden und Theorien aus einer Vielzahl anderer Fachbereiche und ist damit sehr interdisziplinär angelegt. Man unterscheidet quantitative und qualitative Forschungsansätze. Die wichtigsten Methoden zur Datengewinnung sind Beobachtung, Befragung, apparative Verfahren und Experimente. Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: __________________ Forschungsmethoden werden häufig eingesetzt, um unbekannte Ursachen, Motive und Ideen aufzudecken, um Sachverhalte zu verstehen und um Hypothesen zu entwickeln. Die Untersuchung ist häufig ergebnisoffen und es werden „weiche“ Daten interpretiert. _________________ Forschungsmethoden nutzen dagegen numerische Daten und dienen meist dem Ziel, zuvor aufgestellte Hypothesen anhand empirischer Daten zu prüfen. Richtig oder falsch? Die Konsumentenverhaltensforschung ist ein Teilbereich der Marketingforschung.

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2 Konsumentenverhaltensforschung

Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Welche der folgenden Bedingungen müssen erfüllt sein, damit man bei einer experimentellen Untersuchung auf Kausalität schließen kann? O Es muss eine Kovariation zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variablen vorliegen. O Die Ursache muss zeitlich vor der Wirkung auftreten. O Die Probanden müssen wissen, was der Zweck der Untersuchung ist. O Der Einfluss von Störvariablen muss ausgeschlossen werden können. O Es müssen mindestens drei verschiedene Experimentalgruppen verglichen werden. Vernetzende Fragestellung

Ben ist ganz begeistert davon, dass es ein Hotel gibt, in dem das Service-„Personal“ von Robotern gestellt wird. Er nimmt an, dass die meisten Menschen das genauso sehen, und er wagt die Prognose, dass es in einigen Jahren fast nur noch Roboterhotels geben wird. Lea findet die Idee des Roboterhotels dagegen schrecklich und sie kann sich nicht vorstellen, dass viele Menschen dieses Hotel besuchen werden. Die beiden beginnen, heftig zu diskutieren, ob sich das Hotel langfristig am Markt halten kann. Beide möchten ihre Annahmen mit Fakten untermauern. Überlegen Sie, welche Daten man im Sinne der Sekundärforschung beschaffen könnte, um abzuschätzen, ob das Roboterhotel von Konsumenten akzeptiert werden wird oder nicht. Seien Sie kreativ und überlegen Sie sich möglichst viele verschiedene Datenquellen. Denken Sie daran, dass nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Daten nützlich sein können, und suchen Sie Daten für möglichst viele Einflussfaktoren, die wir in den verschiedenen Kapiteln dieses Buches besprechen. Recherchieren Sie diese Daten tatsächlich. Was denken Sie nun, hat Ben Recht oder eher Lea?

Weiterführende Literatur Döring, N., & Bortz, J. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften, (5. Aufl.), Berlin: Springer. Hoffmann, S., Franck, A., Schwarz, U., Soyez, K., & Wünschmann, S. (2018). MarketingForschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenauswertung. München: Vahlen. Shadish, W. R., Cook, T. D., & Campbell, D. T. (2001). Experimental and quasi-experimental designs for generalized causal inference (2. Aufl.). Boston: Cengage.

Literatur Balderjahn, I., & Scholderer, J. (2007). Konsumentenverhalten und Marketing. Grundlagen für Strategien und Maßnahmen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Literatur

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Berekoven, L., Eckert, W., & Ellenrieder, P. (2009). Marktforschung. Methodische Grundlagen und praktische Anwendungen (12. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Buber, R., & Holzmüller, H. H. (2009). Qualitative Marktforschung. Konzepte, Methoden, Analysen (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Bühner, M. (2010). Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion (3. Aufl.). München: Pearson. Chatterjee, P., & Rose, R. L. (2012). Do payment mechanisms change the way consumers perceive products? Journal of Consumer Research, 38(6), 1129–1139. Churchill, G. (1979). A paradigm for developing better measures of marketing constructs. Journal of Marketing Research, 16(1), 64–73. Deppe, M., Schwindt, W., Kugel, H., Plassmann, H., & Kenning, P. (2005). Nonlinear responses within the medial prefrontal cortex reveal when specific implicit information influences economic decisionmaking. Journal of Neuroimaging, 15(2), 171–182. Döring, N., & Bortz, J. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften (5. Aufl.), Berlin: Springer. Hoffmann, S., Franck, A., Schwarz, U., Soyez, K., & Wünschmann, S. (2018). MarketingForschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenauswertung. München: Vahlen. Homburg, C. (2017). Marketingmanagement. Strategie – Instrumente – Umsetzung – Unternehmensführung (6. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Homburg, C., & Giering, A. (1996). Konzeptualisierung und Operationalisierung komplexer ­Konstrukte: Ein Leitfaden für die Marketingforschung. Marketing ZFP, 18(1), 5–24. Kenning, P. (2014). Consumer Neuroscience: Ein transdisziplinäres Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer. Kepper, G. (2008). Methoden der qualitativen Marktforschung. In A. Herrmann, C. Homburg, & M. Klarmann (Hrsg.), Handbuch Marktforschung: Methoden – Anwendungen – Praxisbeispiele (3. Aufl., S. 175–212). Wiesbaden: Springer Gabler. Kozinets, R. V. (2015). Netnography: Doing ethnographic research online. London: Sage. Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: ­Vahlen. MacInnis, D. J., & Folkes, V. S. (2010). The disciplinary status of consumer behavior: A sociology of science perspective on key controversies. Journal of Consumer Research, 36(6), 899–914. Mayring, P. (2016). Einführung in die qualitative Sozialforschung (6. Aufl.). Weinheim: Beltz. Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen ­marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Mick, D. G., Pettigrew, S., Pechmann, C., & Ozanne, J. L. (2011). Transformative consumer research for personal and collective well-being. New York: Routledge. Moosbrugger, H., & Kelava, A. (2011). Testtheorie und Fragebogenkonstruktion (2. Aufl.). ­Heidelberg: Springer. Plassmann, H., O’Doherty, J., Shiv, B., & Rangel, A. (2008). Marketing actions can modulate ­neural representations of experienced pleasantness. Proceedings of the National Academy of Sciences, 105(3), 1050–1054. Plassmann, H., Venkatraman, V., Huettel, S., & Yoon, C. (2015). Consumer neuroscience: Applications, challenges, and possible solutions. Journal of Marketing Research, 52(4), 427–435. Rampl, L. V., Plassmann, H., & Kenning, P. (2011). Worauf Praktiker achten sollten. Absatzwirtschaft, 5, 32–35. Shadish, W. R., Cook, T. D., & Campbell, D. T. (2001). Experimental and quasi-experimental designs for generalized causal inference (2. Aufl.). Boston: Cengage.

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2 Konsumentenverhaltensforschung

Solomon, M. R., Bamossy, G. J., Askegaard, S. T., & Hogg, M. K. (2013). Consumer behaviour. A European perspective (5. Aufl.). London: Pearson. Srnka, K. J. (2007). Integration qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden. Der Einsatz kombinierter Forschungsdesigns als Möglichkeit zur Förderung der Theorieentwicklung in der Marketingforschung als betriebswirtschaftliche Disziplin. Marketing ZFP, 29(4), 247–260. Steenkamp, J.-B. E. M., de Jong, M. G., & Baumgartner, H. (2010). Socially desirable tendencies in survey research. Journal of Marketing Research, 47(2), 199–214.

3

Motivation

u

Kapsel oder Filter? Ist das nur eine Frage des Geschmacks?  Lea und Ben sind sich einig: Zu einem guten Frühstück gehört ein guter Kaffee. Uneinig sind sich die beiden allerdings über die Art der Zubereitung. Während Lea ihren Kaffee am liebsten klassisch in einem Porzellanfilter aufbrüht, möchte Ben für die gemeinsame Wohnung eine Kaffeekapsel-Maschine anschaffen. „Überleg doch mal, Lea, wie oft du dich morgens nicht dazu aufraffen kannst, Kaffee aufzusetzen. In Zukunft genügt ein Knopfdruck und der Kaffee ist fertig. Außerdem kommen doch morgen Anna und Tim zum Frühstück vorbei. Was meinst du, was die für Augen machen, wenn sie unsere neue Kaffeemaschine sehen.“ „Mag zwar sein“, wirft Lea wenig begeistert ein, „aber für jeden Kaffee eine Kapsel Müll zu produzieren, finde ich nicht in Ordnung. Außerdem habe ich mal nachgerechnet. Eine kleine Kapsel kostet bis zu 39 Cent und damit ist der Kaffee-Kilopreis ungefähr sieben Mal so hoch wie bei Röstkaffee.“ „Egal, ich will so eine Kapselmaschine“. Ben und Lea bevorzugen unterschiedliche Formen der Kaffeezubereitung. Ben will unbedingt eine Kapselmaschine, aber er kann Lea nur schwer zum Kauf motivieren. Doch was ist Motivation genau und wie beeinflusst sie das Verhalten des Konsumenten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_3

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3 Motivation

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie … • die zentralen Merkmale der Motivation von Konsumenten kennen (Abschn. 3.1), • wie man Motivation als Produkt von Personen- und Situationsfaktoren deutet (Abschn. 3.2), • Konsumentenverhalten durch Inhalts- und Prozesstheorien zu erklären (Abschn. 3.3), • welche konsumspezifischen Motive sich abgrenzen lassen (Abschn. 3.4) und • wie man die Motive von Konsumenten messen kann (Abschn. 3.5), … indem Sie die Motivation des Konsumenten durch folgende Konzepte und Theorien betrachten: • Maslows Bedürfnispyramide, • VIE-Theorie, • Lewins Feldtheorie und • ultimate Konsumentenmotive.

3.1 Merkmale motivierten Handelns Zur Erinnerung: Konsumentenverhalten bezieht sich auf jene Aktivitäten, die man bei der Beschaffung, beim Verbrauch und bei der Entsorgung von Produkten und Dienstleistungen ausübt (Blackwell et al. 2001; Solomon et al. 2013). Die Motive und die Motivation des Konsumenten beeinflussen all diese Aktivitäten ganz wesentlich. Wir grenzen zunächst diese beiden Begriffe ab, bevor wir uns mit den Merkmalen der Motivation beschäftigen.

3.1.1 Motiv und Motivation Die Begriffe Motiv und Motivation stammen von dem lateinischen Verb „movere“ ab, was so viel bedeutet wie „sich bewegen“. Sie erfassen folglich, was den Konsumenten in Bewegung versetzt. Ein Motiv ist eine spezifische Wertungsdisposition. Als Veganerin geht es Lea bspw. nicht nur um eine Ernährung frei von tierischen Erzeugnissen. Vielmehr folgt sie dem Motiv, die Würde und das Leben von Tieren zu schützen. Anhand dieser spezifischen Wertungsdisposition wägt sie ihr Handeln ab. So sind an Tieren getestete Kosmetika

3.1  Merkmale motivierten Handelns

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für sie genauso tabu wie der Besuch von Zoos, wo ihrer Meinung nach Tiere nur zum Vergnügung der Besucher eingesperrt sind. Motive gehören zu den „Traits“ (engl.: ­ ­Merkmale, Charaktereigenschaften), die als latente Persönlichkeitsvariablen über weite Teile der Lebensspanne stabil bleiben (Heckhausen und Heckhausen 2018). Sie sind nicht immer „aktiv“, sondern werden durch geeignete situative Hinweise aktiviert. Die Motivation bezieht sich stärker als Motive auf spezielle Situationen und sie bereitet ganz bestimmte Handlungen vor (Rudolph 2013). Motivation zählt damit zu den „States“ (engl.: Zustände). Im Zusammenspiel mit Leas Motiv, die Würde und das Leben von Tieren zu schützen, entsteht in der Einkaufssituation die Motivation, vegane Produkte zu kaufen, auch wenn diese zum Teil teurer als konventionelle Produkte sind. Folgende Merkmale kennzeichnen die Motivation: • • • •

Aktivierung: Die Motivation setzt Verhalten in Bewegung. Richtung: Die Motivation steuert die Aktivität auf ein Ziel hin. Intensität: Die Motivation bestimmt, wie intensiv eine Aktivität ausgeführt wird. Ausdauer: Die Motivation beeinflusst, inwieweit die Aktivität aufrechterhalten wird, auch wenn sich Schwierigkeiten ergeben.

Das Konstrukt Motivation umfasst damit alle Prozesse, die körperliche sowie mentale Aktivitäten auslösen, steuern und aufrechterhalten (Gerrig 2014). Gewolltes Verhalten bezeichnet die Motivationspsychologie auch als Handeln (Rudolph 2013). Für eine Handlung entscheiden sich Individuen willentlich und sie führen sie absichtlich aus. Alle unwillkürlichen Verhaltensweisen sind keine Handlungen, sondern automatisierte oder biologisch kontrollierte Prozesse, wie etwa Reflexe. Zwei Charakteristika bestimmen motiviertes Handeln (Heckhausen und Heckhausen 2018): Das Streben nach Wirksamkeit sowie die Organisation von Zielengagement und Zieldistanzierung, die im folgenden Abschnitt erklärt werden. u Merke  Motive sind „Traits“ (engl.: Merkmale, Charaktereigenschaften), die als latente Persönlichkeitsvariablen über weite Teile der Lebensspanne stabil bleiben. Motivation zählt zu den „States“ (engl.: Zustände). Sie bereitet eine Handlung vor und bezieht sich auf spezielle Situationen.

3.1.2 Streben nach Wirksamkeit Das Streben nach Wirksamkeit bezeichnet den Wunsch des Individuums, eine bestimmte Wirkung oder ein bestimmtes Ergebnis in seiner physischen und sozialen Umwelt herbeizuführen. Die Motivationspsychologie spricht hierbei vom Herstellen und Aufsuchen von Verhaltens-Ergebnis-Kontingenzen (Heckhausen und Heckhausen 2018). Ben liebäugelt mit dem Kauf einer Kaffeekapsel-Maschine, da er sich davon ein bestimmtes Resultat verspricht. Dies kann der Duft von frischem Kaffee am Morgen

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3 Motivation

(physische Umwelt) oder die Anerkennung für das neue Gerät im Freundeskreis sein (soziale Umwelt). Sollte der Kauf (Verhalten) zu frisch duftendem Kaffee vor der Uni und einer positiven Rückmeldung aus dem Freundeskreis führen (Ergebnis), wurde eine Verhaltens-Ergebnis-Kontingenz hergestellt.

3.1.3 Zielengagement und Zieldistanzierung Zielengagement und Zieldistanzierung sind zwei motivationale Modi. Sie sorgen dafür, dass eine motivierte Person ihre Ressourcen effizient bündelt, um entweder ein Handlungsziel zu erreichen oder sich von einem unerreichbaren oder nicht lohnenden Ziel abzuwenden (Heckhausen und Heckhausen 2018). Beim Zielengagement („Go-Modus“) wird Wichtiges hervorgehoben und Unwichtiges ausgeblendet. Vor dem Kauf der Kaffeekapsel-Maschine stand Ben vor der Entscheidung, ob er weiterhin Leas Porzellanfilter nutzen oder für knapp 200 EUR einen Kaffeeautomaten kaufen soll. Nehmen wir an, dass Ben sich für den Kauf entschieden hat. Im Zielengagement-Modus hebt er die Vorteile seiner Entscheidung für den Kaffeeautomaten hervor. Dies kann bspw. die schnelle Zubereitung eines Kaffees sein. Gleichzeitig blendet er etwaige Nachteile seiner Kaufentscheidung aus, wie etwa den zusätzlich produzierten Müll in Form von verbrauchten Aluminiumkapseln. Bei der Zieldistanzierung („Stopp-Modus“) wird ein ursprünglich verfolgtes Handlungsziel zugunsten eines Alternativziels deaktiviert. Stellen wir uns in Bens Fall einmal vor, dass er kurzfristig über die weitere Nutzung von Leas Porzellanfilter nachdachte. Nachdem seine Entscheidung auf den Kauf der Maschine fiel, reduzierte er nicht einfach nur seine Bereitschaft, den Porzellanfilter weiter zu nutzen, d. h. sein Engagement für das ursprüngliche Handlungsziel. Vielmehr ist die Zieldistanzierung ein aktiver Prozess, der dem Engagement für das bisherige Ziel entgegenwirkt. Das bedeutet, dass Ben die ursprüngliche Absicht, den Porzellanfilter zu nutzen, abwertet („Filterkaffee schmeckt einfach nicht“) und Alternativziele wie der Kauf eines Kaffeeautomaten an Wert gewinnen („der Geschmack rechtfertigt den Preis“).

3.2 Motivation als Produkt von Person und Situation Was prägt Bens Motivation, eine Kaffeekapsel-Maschine zu kaufen und sogar das Siebenfache für eine Tasse Kaffee zu bezahlen? Motivationspsychologen nehmen an, dass personenbezogene und situationsbezogene Faktoren zielgerichtetes und somit motiviertes Handeln auslösen (Heckhausen und Heckhausen 2018). Abb. 3.1 gibt einen Überblick zu diesem Wirkzusammenhang.

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3.2  Motivation als Produkt von Person und Situation

Person Bedürfnisse, Motive, Ziele

Person X Situation Interaktion

Handlung

Ergebnis

Folgen

Situation Gelegenheiten, mögliche Anreize

Abb. 3.1  Überblicksmodell zum Verlauf motivierten Verhaltens. (In Anlehnung an Heckhausen und Heckhausen 2018)

3.2.1 Personenfaktoren Die Motivationsforschung unterscheidet drei personenbezogene Faktoren: • Bedürfnisse ergeben sich aus dem aktuellen Zustand eines Organismus. Elementare physiologische Bedürfnisse, wie etwa Durst oder Schlaf, sind bei allen Menschen gleich ausgeprägt (alle Menschen verspüren Durst). Sie variieren nach dem Deprivationszustand (d. h. dem Zustand der Entbehrung bzw. des Entzugs) und sie beeinflussen damit die Motivation eines Individuums, in eine bestimmte Richtung zu handeln. Wenn Ben und Lea Durst verspüren, könnten sie diesen mit einem Glas Wasser löschen. Falls sie aber nicht nur durstig, sondern auch müde sind, weil sie bspw. abends noch für eine Klausur lernen mussten, entscheiden sie sich wahrscheinlich eher für einen großen Becher Kaffee und befriedigen mit einer Handlung zwei Bedürfnisse. • Motivdispositionen erklären, warum zwei Personen in ein und derselben Situation unterschiedlich reagieren. Motivdispositionen sind zeitlich und situativ stabil. Unterschiede im Handeln werden auf individuelle Dispositionen (Traits) zurückgeführt, d. h. auf Eigenschaften der Person, kurz: auf die Persönlichkeit. Worin unterscheidet sich Ben, der Kaffeekapsel-Fan, von Lea, der Filterkaffee-Befürworterin? Bezieht man Motivdispositionen in die Überlegung mit ein, könnte bei Ben die Disposition, einzigartig und exklusiv handeln zu wollen, besonders stark ausgeprägt sein. Leas Umweltbewusstsein erlaubt es ihr hingegen nicht, für jede Tasse Kaffee Müll in Form von verbrauchten Kapseln zu produzieren. Im Ergebnis befriedigen sie dasselbe Bedürfnis, nämlich das nach Koffein, aufgrund individueller Motivdispositionen, unterschiedlich.

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3 Motivation

• Zielsetzungen (auch als explizite Motive bezeichnet) sind sprachlich repräsentierte Selbstbilder, Werte oder Ziele, die sich eine Person selbst zuschreibt. Wie wir wissen, ist Lea bei der Grünen Jugend aktiv. Ein mögliches sprachlich repräsentiertes Selbstbild von ihr könnte demnach sein, nachhaltig und ökologisch zu handeln. Für dieses Ziel ist sie auch bereit, auf einige Dinge wie die Kaffeekapsel-Maschine zu verzichten, da die Kapseln als nicht besonders umweltschonend gelten, selbst wenn die Nutzung der Maschine eine morgendliche Zeitersparnis bedeuten würde.

3.2.2 Situationsfaktoren Personenfaktoren alleine können motiviertes Verhalten nicht vollständig erklären. Schließlich handeln Individuen trotz zeitlich stabiler Persönlichkeit nicht in jeder Situation gleich. Vielmehr sind häufig intraindividuelle Unterschiede im Verhalten beobachtbar. Diese Verhaltensvariationen führen Motivationsforscher auf Situationsfaktoren zurück, d. h. auf Einflussfaktoren, die sich aus der jeweiligen Situation ergeben. Solche Situationsfaktoren sind etwa Anreize. Alles Positive und Negative einer Situation, das auf ein Individuum wirkt, bezeichnet man als Anreiz (Heckhausen und Heckhausen 2018). Einem Anreiz wohnt ein Aufforderungscharakter zu einem bestimmten Handeln inne. Situative Anreize kann man somit auch als Bindeglied zwischen dem Motiv und der Motivation eines Individuums verstehen (Schmalt und Langens 2009). Dabei unterscheidet man zwischen intrinsischen und extrinsischen Anreizen (Heckhausen und Heckhausen 2018). • Intrinsische Anreize rühren aus dem Ergebnis oder der Tätigkeit selbst. Der Getränkehersteller Red Bull veranstaltet bspw. jedes Jahr die sog. Red Bull Flugtage und begeistert damit Fans und potenzielle Kunden der Marke. Teilnehmer gleiten mit selbst gebauten Fluggeräten von einer Rampe über das darunter liegende Wasser. Bewertet werden die Flugweite sowie die Originalität des Fluggeräts. Dabei geht es den Teilnehmern um Spaß und Erlebnisorientierung, sprich um die Tätigkeit selbst (intrinsischer Anreiz). Der Sachpreis – u. a. das eigene Körpergewicht aufgewogen in Red-Bull-Dosen – dürfte nur für die wenigsten ein Anreiz für die Teilnahme sein. • Extrinsische Anreize liegen in einem erwarteten äußeren Nutzen des Handelns. Das Bonussystem Payback bspw. belohnt Konsumenten für jeden Einkauf mit sog. Payback-Punkten (extrinsischer Anreiz), die sie später gegen Sachgüter eintauschen können (erwarteter Nutzen des Handelns). Sollte es ein Teilnehmer der Red Bull Flugtage wirklich auf die Dosen des Veranstalters abgesehen haben und deswegen mitmachen, wären auch sie ein extrinsischer Anreiz.

3.3  Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären

39

3.3 Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären Die Motivationspsychologie entwickelte verschiedene Theorien, die willentlich gewählte Handlungen beschreiben, erklären und vorhersagen sollen (Rudolph 2013). Diese lassen sich in Inhalts- (z. B. Maslows Bedürfnispyramide, Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie) und Prozesstheorien (z. B. VIE-Theorie) unterteilen (Rothermund und Eder 2011). Daneben gibt es Motivationstheorien, die keinem der beiden Ansätze eindeutig zugeordnet werden können (z. B. Theorie des regulatorischen Fokus, Lewins Feldtheorie). Hintergrundinfo: Trennscharfe Begrifflichkeiten Die in Abschn. 3.1 voneinander abgegrenzten Merkmale motivierten Handelns sind zwischen den Theorien nicht immer trennscharf. Maslow und Heckhausen/Heckhausen bspw. definieren Bedürfnisse unterschiedlich; Vroom und Lewin definieren Valenz in Nuancen verschieden. Dies liegt u. a. daran, dass die Forscher unterschiedliche Theorieschulen vertreten.

3.3.1 Inhaltstheorien der Motivation Was motiviert Menschen? Inhaltstheorien der Motivationsforschung versuchen, die scheinbar unbegrenzte Anzahl an menschlichen Motiven, Bedürfnissen und Zielen zu systematisieren und zu einer überschaubaren Menge grundlegender Antriebskräfte des Handelns zusammenzufassen. Frühere Arbeiten der Motivationsforschung unternahmen den Versuch, Gesamtübersichten menschlicher Motive zusammenzutragen (Rothermund und Eder 2011). Die heutigen Arbeiten befassen sich vor allem mit den folgenden Motiven (Brandstätter et al. 2013): • Macht: Andere kontrollieren und beeinflussen sowie Kontrollverlust vermeiden. • Leistung: Erfolg bei Zielerreichung herbeiführen und Misserfolg vermeiden. • Anschluss: Wechselseitig positive Beziehung herstellen und Zurückweisung vermeiden. Die Konstellation eines starken Leistungsmotivs bei gleichzeitig starkem Anschlussmotiv könnte bspw. erklären, warum einige Konsumenten ihre Produkterfahrungen über Social-Media-Kanäle wie YouTube oder Facebook mit anderen teilen. Die Herausforderung, selbst ein Video zu drehen und zu schneiden (Leistungsmotiv) und darüber mit anderen in Kontakt zu treten (Anschlussmotiv), mündet in dem SocialMedia-Verhalten. In den letzten zwei Jahrzehnten rückten zudem individuelle Ziele und Zielhierarchien in den Fokus der Motivationsforschung. Sie geben Einblick in die ­Vorstellungen des Individuums, wie es sein will und sein Leben gestalten möchte; was wiederum auch sein Verhalten als Konsument beeinflusst. Wer das Ziel hat, in der Zukunft reich und berühmt zu sein, wird sich schon heute mit den entsprechenden Statussymbolen schmücken. Im Folgenden widmen wir uns den in der Konsumentenforschung gängigsten Inhaltstheorien.

40

3 Motivation

3.3.1.1 Maslows Bedürfnispyramide Abraham Maslows Motivationstheorie bringt die Bedürfnisse von Individuen mithilfe einer fünfstufigen Pyramide in eine hierarchische Struktur (Abb. 3.2). Dabei kann die nächsthöhere Stufe laut Maslow (1970) erst dann erreicht werden, wenn die Bedürfnisse auf der darunterliegenden Stufe befriedigt sind. Individuen befriedigen zuerst ihre Grundbedürfnisse. Wer bspw. tagelang durch die Wüste irrt und plötzlich auf eine Oase stößt, will direkt seinen Durst löschen (physiologisches Bedürfnis). Erst danach kommt der Gedanke auf, ob das Wasser überhaupt keimfrei und genießbar ist (Sicherheitsbedürfnis). Sind diese niedrigen Bedürfnisse befriedigt, bewegen motivationale Kräfte das Individuum zu den nächsthöheren Stufen und das Bedürfnis bspw. nach Zugehörigkeit und nach Selbstverwirklichung leitet das Handeln. Die ersten vier Stufen der Pyramide sind sog. Defizitbedürfnisse, d. h. die Nicht-Befriedigung dieser Bedürfnisse kann zu physischen und psychischen Störungen führen (Untergewicht, Depression etc.). Die oberste Stufe bezeichnet Maslow als Wachstumsziel. Sie kann nicht vollständig befriedigt werden, da sie mit voranschreitender Bedürfnisbefriedigung mitwächst. Die Bedürfnispyramide von Maslow ist die bekannteste Klassifikation von Bedürfnissen. Die aktuelle Forschung kritisiert allerdings die mangelnde theoretische Fundierung und empirische Überprüfbarkeit. Aus zwei Gründen ist sie dennoch für die Konsumentenverhaltensforschung bedeutsam: Zum einen bringt sie aufgrund ihrer reduktionistischen Sichtweise eine gewisse Übersicht und Ordnung in das motivationale Erleben von Konsumenten. Zum anderen sensibilisiert sie dafür, dass Konsumenten zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Prioritäten setzen (Solomon et al. 2013). Je nach Stufe in der Bedürfnishierarchie beeinflussen andere motivationale Kräfte das Konsumverhalten.

Selbstverwirklichung Individualbedürfnisse Soziale Bedürfnisse

Sicherheitsbedürfnisse

Physiologische Bedürfnisse

Abb. 3.2  Maslows Bedürfnispyramide. (In Anlehnung an Maslow 1970)

3.3  Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären

41

3.3.1.2 Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie Frederick Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie ist ursprünglich eine Inhaltstheorie zur Arbeitsmotivation. Wir stellen im ersten Schritt die Theorie in ihren Grundzügen vor und zeigen im zweiten Schritt ihre Relevanz für das Konsumentenverhalten auf. Herzberg et al. (1993) unterscheiden zwei voneinander unabhängige Einflussfaktoren: • Hygienefaktoren verhindern Arbeitsunzufriedenheit. Sie führen aber nicht zu Zufriedenheit. Dies liegt daran, dass Menschen diese Faktoren als selbstverständlich betrachten. Daher fällt ihre Abwesenheit negativ ins Gewicht, ihr Vorhandensein aber nicht positiv auf. Laut Herzberg sind das Gehalt sowie Beziehungen zu Führungskräften und Kollegen typische Hygienefaktoren. • Motivatoren beeinflussen die Motivation zur Leistung. Anerkennung oder Übertragung von Verantwortung – als Beispiele für Motivatoren – motivieren Menschen und führen zur Leistungssteigerung. Nach Herzberg erzeugen Motivatoren Zufriedenheit; ihr Fehlen führt aber nicht automatisch zu Unzufriedenheit. Grundlage der Zwei-Faktoren-Theorie ist der Wunsch von Individuen nach Selbstverwirklichung (Herzberg et al. 1993), was auch für die Motivation und das Verhalten von Konsumenten relevant ist. Viele Konsumenten kaufen bspw. Produkte, um sich selbst zu verwirklichen. Dabei stehen diejenigen Produkte hoch im Kurs, die diesem Ziel zweckdienlich sind. Warum ist bspw. Apples iPhone nach wie vor so erfolgreich? Liegt es etwa am hochauflösenden Display oder an der hohen Akkuleistung? Laut Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie lautet die Antwort: nein. Schließlich zeichnen sich mittlerweile fast alle Smartphones am Markt durch diese und ähnliche Attribute aus, sodass sie allenfalls als Hygienefaktoren bezeichnet werden können. Sprich: Ein schwacher Akku macht unzufrieden; ein starker Akku erzeugt aber keine Zufriedenheit und damit Kaufabsicht. Es sind Apples Motivatoren, wie etwa das einzigartige Design oder der Kult um Steve Jobs und die Community, die Zufriedenheit erzeugen und aus Kunden Fans machen.

3.3.2 Prozesstheorien der Motivation: Die VIE-Theorie Während Inhaltstheorien die Frage beantworten, was menschliches Verhalten antreibt (z. B. das Machtmotiv, Streben nach Status), zeigen Prozesstheorien auf, wie psychische Prozesse die Handlungsintention des Menschen in Verhalten überführen und nach welchen Regeln motivationale Prozesse ablaufen. Die bekannteste Prozesstheorie der Motivationsforschung ist die ValenzInstrumentalitäts-Erwartungstheorie (VIE-Theorie) von Victor Vroom. Für motiviertes Handeln spielt die Zielsetzung des Individuums eine wichtige Rolle. Den Prozess, wie Menschen Handlungen auswählen und umsetzen, um ein Ziel zu erreichen, erklärt Vroom (1964) mithilfe der von ihm entwickelten VIE-Theorie (Abb. 3.3). Demnach ergeben sich aus einer Handlung (H) zwei Konsequenzen.

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3 Motivation Handlung H

Handlungsergebnis HE

Handlungsfolgen HF a-c

a H

HE

b c

Erwartung E, dass H zu HE führt

Instrumentalität I zw. HE u. HF a-c

Abb. 3.3  VIE-Theorie. (In Anlehnung an Nerdinger et al. 2013)

• Handlungsergebnisse (HE) sind direkte Ergebnisse einer Handlung oder Nicht-Handlung. • Handlungsfolgen (HF) sind Auswirkungen (a–c), die das Handlungsergebnis auf andere Bereiche des Lebens hat. Mithilfe von drei Größen trifft die VIE-Theorie eine Aussage, ob der Konsument eine motivationale Handlung (H) – wie bspw. den Kauf eines Produkts – ausführt. • Die Valenz (V) drückt den subjektiven Wert (sprich die Attraktivität) aus, den das Ziel einer Handlung für den Konsumenten hat. • Die Instrumentalität (I) definiert die Beziehung zwischen Handlungsergebnis und Handlungsfolge; sie kann positiv oder negativ sein. • Die Erwartung (E) beschreibt die subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit, das Handlungsergebnis zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit nimmt einen Wert von 0 bis 1 an. Die Erwartung hängt stark von den Eigenschaften der Person ab (Nerdinger et al. 2013). Am Eingangsbeispiel lässt sich das Zusammenspiel dieser Größen verdeutlichen: Wird Ben sich trotz Leas Bedenken für den Kauf (Handlung H) einer Kaffeekapsel-Maschine entscheiden, sodass im Handlungsergebnis (HE) ein neues Gerät in der gemeinsamen Küche steht? • Die Handlungsfolgen (HF) wären z. B. die Zeitersparnis am Morgen (a), die Anerkennung im Freundeskreis (b), aber auch der mögliche Beziehungsstress durch Leas Missmut über den Kauf (c). • Die Instrumentalität (I) wäre positiv bzgl. der Zeitersparnis (Ia) sowie der Anerkennung im Freundeskreis (Ib) und negativ bzgl. seiner Beziehung zu Lea (Ic).

3.3  Konsumentenverhalten durch Motivationstheorien erklären

43

• Die Valenz des Handlungsergebnisses (Kaffeemaschine in der Küche) ist die Summe der Produkte von Handlungsfolgen und Instrumentalität (HF × I). Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Die Produkte der Handlungsfolge und Instrumentalität sind, vereinfacht betrachtet, zweimal positiv (Zeitersparnis: Va = HFa × Ia = +1; Anerkennung: Vb = HFb × Ib = +1) und einmal negativ (Beziehungsstress: Vc = HFc × Ic = −1). Die Summe der Produkte ergibt eine positive Valenz (Vsum = Va + Vb + Vc = 1 + 1 − 1 = +1). • Die Erwartung (E), dass in Zukunft eine Kaffeekapsel-Maschine in der Küche steht, schätzt Ben hoch ein (z. B. subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit von 0,8), da er auf seine Überredungskünste vertraut (Eigenschaften der Person). Die Entscheidung des Konsumenten, ob er eine Handlung auswählt und umsetzt, ergibt sich aus dem Produkt seiner Erwartung und der Valenz des Handlungsergebnisses, sprich Entscheidung = Valenz (Vsum) × Erwartung (E). Die Handlungsalternative mit dem höchsten Gesamtwert wird gewählt, im Beispiel +1 × 0,8. Laut VIE-Theorie stehen also die Zeichen nicht schlecht, dass die gemeinsame Wohnung von Ben und Lea demnächst um eine Kaffeemaschine bereichert wird.

3.3.3 Theorie des regulatorischen Fokus Ausgangspunkt der von Tory Higgins entwickelten Theorie des regulatorischen Fokus (RFT) ist das hedonische Prinzip. Demnach streben Menschen nach Wohlbefinden und sie sind darauf ausgerichtet, unangenehme Zustände zu vermeiden. Die RFT erklärt, auf welche Weise Individuen bestimmte Ziele erreichen und welche unterschiedlichen Strategien sie hierzu verfolgen (Higgins 1997). Dabei versteht man unter Selbstregulation den bewussten Einsatz von Strategien der Zielsetzung, -verfolgung und -erreichung (Holler et al. 2005). Higgins (1997) unterscheidet mit dem Promotions- und dem Präventionsfokus zwei selbstregulatorische Systeme, welche die grundsätzliche motivationale Einstellung eines Individuums bei der Zielverfolgung und -erreichung erklären. • Individuen mit einem Promotionsfokus versuchen mit großem Eifer, positive Ergebnisse zu erzielen. Sie vertrauen auf ihre eigenen Fähigkeiten und sind bestrebt, Idealzustände zu erreichen. Dabei wählen sie aus vielen verschiedenen Handlungsalternativen die für sie bestmögliche aus und scheuen dabei auch nicht das Risiko. • Das Handeln von Individuen mit einem Präventionsfokus ist dadurch motiviert, Verluste zu vermeiden und Verpflichtungen zu erfüllen. Das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz ist im Vergleich zu Personen mit einem Promotionsfokus besonders stark ausgeprägt. Bei der Auswahl von Handlungsmöglichkeiten betrachten sie nur eine begrenzte Anzahl von Alternativen. Auf diese Weise versuchen sie, Fehler im Handeln, sog. Aktionsfehler, zu reduzieren.

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3 Motivation

Beide Systeme, Promotions- wie auch Präventionsfokus, können zur Zielerreichung ­führen. Laut Theorie bildet sich die Neigung zu einer Form des regulatorischen Fokus schon in jungen Jahren aus und entwickelt sich im Erwachsenenalter weiter. Sie gilt daher auch als Persönlichkeitsmerkmal, da sie im Laufe des Lebens relativ konstant bleibt (Higgins 2000). Die RFT hilft, wie das folgende Beispiel illustriert, verschiedene Verhaltensweisen von Konsumenten zu erklären (Higgins und Scholer 2009). Beispiel: Welche Zahnpasta darf es sein?

Auch Produkteigenschaften können helfen, Promotions- oder Präventions-Ziele zu erreichen. Stellen wir uns zwei verschiedene Zahnpasta-Sorten vor. Zahnpasta A wirbt mit dem Slogan: „Für ein strahlendes Weiß“, Zahnpasta B mit „100 % Schutz gegen Karies“. Konsumenten mit einem Promotionsfokus würden wohl eher Zahnpasta A wählen (Idealzustand weiße Zähne), Konsumenten mit Präventionsfokus wohl eher Zahnpasta B (Schutz gegen Karies).

3.3.4 Lewins Feldtheorie Nach Kurt Lewins Feldtheoriekann ein Objekt für das Individuum entweder einen positiven oder einen negativen Wert annehmen (Brandstätter et al. 2013). Der Wert des Objekts für das Individuum wird auch als Valenz bezeichnet. Die Valenz hängt von den Bedürfnissen des Individuums ab. Objekte, die der Bedürfnisbefriedigung dienlich sind, nehmen eine positive Valenz an. Objekte, die der Bedürfnisbefriedigung nicht dienlich sind, nehmen eine negative Valenz an. Bedürfnisse erzeugen eine Spannung in der Person. Nachdem das Bedürfnis befriedigt ist, nimmt die Spannung ab und die positive Valenz des Objekts erlischt. Durch die Valenz des Objekts entsteht im Konsumenten ein Kräftefeld. Konsumenten wenden sich demjenigen Objekt zu, bei dem zu einem gegebenen Zeitpunkt die resultierende Kraft am größten ist. Wie stark diese Kraft ist, hängt von der Stärke der Valenz und der Entfernung zum Zielobjekt ab. So weit die abstrakte Beschreibung der Feldtheorie, schauen wir sie uns nun an einem Beispiel an: Für viele Konsumenten gehört zu einem guten Kinofilm auch ein entsprechender Snack, so auch für Lea. Da sie Lust auf etwas Süßes hat (physiologisches Bedürfnis nach Zucker), entscheidet sie sich für eine Jumbo-Portion karamellisiertes Popcorn (positive Valenz) und gegen die salzigen Nachos (negative Valenz). Nach den ersten Happen (Bedürfnisbefriedigung) nimmt ihr Appetit ab (Abnahme der Spannung) und sie denkt sich: „Vielleicht hätte eine Kinderportion auch gereicht.“, (positive Valenz erlischt). Nach dem Film plant Lea, den Abend bei einem Cocktail ausklingen zu lassen. Zwei Bars (A und B) befinden sich in unmittelbarer Nähe. Welche Cocktailbar wird Lea aufsuchen? Die Analyse des Kräftefeldes, in dem sich Lea befindet, gibt die Antwort: Die Entfernung zum Zielobjekt (Cocktailbar A und B) ist bei beiden Alternativen in etwa gleich groß. Ein Blick auf das Smartphone verrät Lea aber, dass es nur in Bar A ihren Lieblingscocktail Cosmopolitan gibt (stärkere positive Valenz gegenüber Bar A).

3.4  Motive des Konsumentenverhaltens

45

Die Kraft, die Lea zur Bar A zieht, ist stärker als die Kraft, die von Bar B ausgeht, und somit ist die Entscheidung zugunsten Bar A gefallen. Oftmals wirken mehrere Kräfte gleichzeitig auf den Konsumenten. Wenn diese Kräfte im Widerspruch zueinander stehen, kommt es zu Konflikten. Lewin unterscheidet drei Arten von Konflikten: • Annäherungs-Annäherungs-Konflikte: Mindestens zwei Objekte haben eine positive Valenz. Warum fällt es Konsumenten im Restaurant manchmal so schwer, eine Entscheidung zu treffen? Lewin würde argumentieren, dass mehrere Speisen eine positive Valenz haben und man sich daher in einem Annäherungs-Annäherungs-Konflikt befindet. • Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikte: Zwei Handlungsalternativen mit negativer Valenz. Erst die Seminararbeit zu Ende schreiben oder doch schon für die Klausur lernen? Von beiden Alternativen geht eine negative Valenz aus. Kein Wunder also, dass man sich als Student oftmals in einem Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt befindet. • Annäherungs-Vermeidungs-Konflikte: Ein Objekt nimmt sowohl positive als auch negative Valenz an. Von einem leckeren Stück Torte geht sowohl eine positive Valenz aus („Ich habe Lust auf etwas Süßes.“) als auch eine negative Valenz („Torte macht dick, aber ich will dünn sein.“). Beispiel: Lewins Feldtheorie in der Marketing-Praxis

Konsumenten befinden sich oftmals in Annäherungs-Vermeidungs-Konflikten. Das Marketing versucht, diese Konflikte durch entsprechende produkt- und kommunikationspolitische Maßnahmen zu lösen. Auf der einen Seite möchten viele Konsumenten eine schlanke Figur haben. Schokolade ist demnach tabu (negative Valenz). Auf der anderen Seite schmeckt sie aber so gut (positive Valenz). Das Unternehmen Ferrero löst diesen Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt und positioniert Yogurette nicht als SchokoRiegel, sondern mit dem Slogan „Geschmack von Erdbeeren und Joghurt“ als Snack für ­Figurbewusste. Scannen Sie den QR-Code, um sich den Spot anzusehen.

3.4 Motive des Konsumentenverhaltens Warum kaufen manche Konsumenten einen Porsche, während andere bewusst auf den Erwerb eines Sportwagens verzichten und stattdessen ein Elektroauto fahren? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, entwickelten sich in der Konsumentenverhaltensforschung eigenständige Motivklassifikationen, die in ihrer Logik den Inhaltstheorien der

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3 Motivation

Motivationspsychologie gleichen. Man kann diese Klassifikationen in zwei Gruppen aufteilen: Verhaltensübergreifende und verhaltensspezifische Konsumentenmotive.

3.4.1 Verhaltensübergreifende Konsumentenmotive Verhaltensübergreifende Klassifikationen sollen das vielfältige Verhalten von Konsumenten auf einige wenige zentrale konsumrelevante Motive zurückführen. Ein Beispiel ist Griskevicius und Kenricks (2013) Klassifikation der fundamentalen Motive. Die Forscher nehmen auf Basis der Evolutionsbiologie und -psychologie an, dass sich im Laufe der Menschheitsgeschichte ein Set an Motiven herausgebildet hat, das dem Menschen einen Vorteil in der Reproduktion und im Überleben verschaffte (Survival of the Fittest). Nochmals zur Erinnerung: Die Motivationsforschung untersucht die Ursachen und Gründe menschlichen Verhaltens. Griskevicius und Kenrick (2013) unterscheiden ultimate und proximate Ursachen menschlichen Verhaltens. • Proximate Ursachen sind die unmittelbaren Gründe und Ursachen für ein bestimmtes Verhalten. • Ultimate Ursachen sind tiefer liegende Gründe und Ursachen, die Menschen einen evolutionären Vorteil verschaffen. Warum kauft Ben nun eine Kaffeekapsel-Maschine? Könnten wir ihn fragen, würde er vermutlich antworten, dass er morgens erst nach einem Becher Kaffee richtig wach wird. Das klingt plausibel, denn schließlich liegen sein Verhalten – der Kauf der Kaffeekapsel-Maschine – und der Grund – die Koffein-Quelle – unmittelbar beieinander. Dies wäre eine proximate Ursache. Doch ist sie tatsächlich der Auslöser für den Kauf der Kapsel-Maschine? Die Identifikation ultimater Ursachen des Verhaltens geht einen Schritt weiter. Neben dem Koffein-Kick (proximater Grund) könnte auch das im Folgenden beschriebene Status-Motiv (ultimater Grund) Ben zum Kauf der Kaffeekapsel-Maschine bewegt haben („Seht her, ich kann es mir leisten, für eine Tasse Kaffee das Siebenfache auszugeben“). Die Klassifikation von Griskevicius und Kenrick (2013) zeigt sieben dieser ultimaten Ursachen und Gründe auf, die das Verhalten von Konsumenten beeinflussen: • Selbstschutz: Das Selbstschutz-Motiv treibt Konsumenten an, Sicherheit herzustellen und sichere Entscheidungen zu treffen. Wenn es aktiviert ist, gehen Konsumenten weniger Risiken ein, versuchen Verluste zu vermeiden und präferieren den Status quo. Selbstschutz-motivierte Konsumenten greifen eher zu etablierten Marken oder zu Marken, die besonders mit Sicherheit assoziiert sind. • Krankheitsvermeidung: Konsumenten wollen Erkrankungen entgegenwirken und Ansteckungen vermeiden. Die Auswahl von Nahrungsmitteln kann bspw. unter dem Einfluss des Krankheitsvermeidungs-Motivs stehen; etwa dann, wenn Konsumenten

3.4  Motive des Konsumentenverhaltens











47

Bio-Produkte kaufen, weil sie davon ausgehen, dass diese mit weniger Schadstoffen belastet sind und daher ihre Gesundheit nicht gefährden. Zugehörigkeit: Das Zugehörigkeits-Motiv aktiviert Verhalten zur Vertiefung bestehender Freundschaften und zur Aufnahme neuer Freundschaften. Der Erfolg von Social-Media-Services wie Facebook ist Ausdruck des Zugehörigkeits-Motivs. Das Zugehörigkeits-Motiv erklärt auch den Kauf bestimmter Kleidung (z. B. Gothic-Look) als Symbol der Identifikation mit einer bestimmten sozialen Gruppe. Status: Konsumenten wollen Status innerhalb der Gruppe erlangen, der sie sich zugehörig fühlen, indem sie bspw. Markenkleidung tragen oder Luxus- und Prestigeprodukte kaufen. Bei aktivem Status-Motiv handeln Konsumenten nicht zwangsläufig egoistisch, sondern zeigen Verhaltensweisen wie kompetitiven Altruismus („Hast du auch für die Flutopfer gespendet?“) oder Umweltbewusstsein („Ich fahre ein Elektroauto.“), um die eigene Reputation zu verbessern. Partner-Anwerbung: Das Motiv der Partner-Anwerbung mündet in einem Verhalten, das Aufmerksamkeit beim Gegenüber erzeugen soll. Ein aufmerksamkeitswirksames Verhalten ist bspw. das Tragen auffälliger und hochpreisiger Marken sowie Großzügigkeit und Spendierfreudigkeit. Auch Kosmetika und Pflegeprodukte sollen die Aufmerksamkeit des Gegenübers wecken, indem die eigene Schönheit und Jugendlichkeit betont wird. Pflege der Partnerschaft: Menschen halten Partnerschaften aufrecht, indem sie bspw. Zeit und Mühe in die Bewältigung potenzieller Konflikte bei der Nutzung gemeinsamer Ressourcen aufwenden. Oder sie investieren Zeit und Geld für Geschenke zum Jahrestag, um Partnerschaften zu intensivieren. Und selbst der Kauf von Produkten für einen selbst wird – bewusst und unbewusst – von der Beziehung zum Partner bestimmt. Familienwohl: Konsumenten investieren für das Familienwohl Zeit, Energie und finanzielle Ressourcen. Das Familienwohl-Motiv regt Verhalten an, das sicherstellt, dass bspw. Hilfsbedürftige eine adäquate Versorgung erfahren (Betreuung von Kindern, Pflege von Älteren). Das Motiv bezieht sich nicht nur auf Mitglieder der eigenen Familie, sondern auch auf Mitbewohner, Personen mit ähnlichen Zielen oder Arbeitskollegen.

3.4.2 Verhaltensspezifische Konsumentenmotive So facettenreich das Konsumentenverhalten ist, so umfangreich sind auch die verhaltensspezifischen Konsumentenmotive. Viele empirische Studien, die konsumrelevante Motive erforschen, widmen sich speziellen Konsumbereichen. Als Folge wurden verschiedene Klassifikationen von Motiven vorgeschlagen, die sich auf spezifische Bereiche beziehen. Ein Beispiel ist das umweltbewusste Konsumverhalten. Nehmen wir als Anschauungsobjekt die Tatsache, dass sich immer mehr Konsumenten bewusst gegen einen Verbrennungsmotor entscheiden und ein Elektroauto fahren, um die Umwelt zu schützen.

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3 Motivation

Motiv Egozentrisch

Indikatoren Draußen in der Natur kann ich sehr gut Stress abbauen. Ich brauche Zeit in der Natur, um glücklich zu sein. Die Natur ist um ihrer selbst willen wertvoll.

Ökozentrisch

Anthropozentrisch

Es macht mich traurig, dass die natürliche Umwelt zerstört wird. Wir müssen die natürlichen Ressourcen bewahren, um eine hohe Lebensqualität aufrechterhalten zu können. Eines der wichtigsten Motive für den Schutz der Umwelt ist das Überleben der Menschheit.

Abb. 3.4  Motive umweltschützenden Verhaltens. (In Anlehnung an Soyez et al. 2009)

Doch warum ist diesen Konsumenten der Umweltschutz wichtig? Soyez et al. (2009) nennen drei Motive, die umweltschützendes Verhalten erklären können (Abb. 3.4): • Egozentrisch motivierte Konsumenten schützen die Umwelt, weil sie Kraft und Energie aus der Natur ziehen und gerne ihre Freizeit in der Natur verbringen. • Ökozentrisch motivierte Konsumenten fühlen eine tiefe Verbundenheit zur Natur. Für sie erfüllt umweltschützendes Verhalten einen Selbstzweck. • Anthropozentrisch motivierte Menschen verstehen die Natur als lebensnotwendige Ressource, die es durch umweltschützendes Konsumverhalten für künftige Generationen zu schützen gilt (Thompson und Barton 1994). Der Kauf eines Elektroautos, um damit die Umwelt zu schützen, kann demnach egozentrisch, ökozentrisch oder anthropozentrisch motiviert sein. Es existieren noch zahlreiche weitere verhaltensspezifische Konsumentenmotive. Warum fühlen sich bspw. manche Menschen von einzigartigen oder seltenen Produkten regelrecht angezogen? Das sog. „Desire for Unique Consumer Products“-Motiv (DUCP) erklärt dieses spezifische Konsumentenverhalten (Lynn und Harris 1997). Es erklärt aber nicht – so wie etwa die egozentrischen, ökozentrischen und anthropozentrischen Motive –, warum einigen Menschen der Umweltschutz am Herzen liegt, sodass wir auch hier von einem verhaltensspezifischen Motiv sprechen.

3.5 Messung von Motiven Die Motive von Konsumenten werden in den meisten Fällen mithilfe von Ratingskalen in einem Fragebogen gemessen. Das Handbook of Marketing Scales (Bearden et al. 2011) bietet eine sehr gute Übersicht über eine Vielzahl an Skalen, um Konsumentenmotive zu

3.5  Messung von Motiven

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erheben. Ratingskalen in Fragebögen erfassen allerdings nur Motive, die dem Probanden bewusst sind. Um unbewusste und schwer verbalisierbare Motive zu messen, bedient man sich sog. projektiver Verfahren (Abschn. 2.2.2), wie etwa des thematischen Apperzeptionstests (TAT) und der Means-End-Chain (Ziel-Mittel-Kette). Beim TAT sollen Probanden zu Bildvorlagen Geschichten erzählen. Der Interviewer stellt dabei Fragen, um den Redefluss zu stimulieren (z. B. „Was passiert gerade?“, „Wer ist die Person?“, „Was fühlt und denkt sie?“, „Welche Absichten verfolgt sie?“, „Was passiert als Nächstes?“). Grundidee des Tests ist es, dass der Proband seine mit dem Bild assoziierten und in das Bild projizierten Gedanken versprachlicht und dabei seine unbewussten Wünsche, Bedürfnisse und Motive offenbart (Brandstätter et al. 2013). Die Means-End-Chain-Theorie nimmt an, dass das Wissen in einer hierarchischen Struktur nach dem Bottom-up-Prinzip (von unten nach oben) organisiert ist (Gutman 1997). Demnach ist die Bedeutung, die Konsumenten mit bestimmten Produkten, Dienstleistungen oder Marken assoziieren, in sechs Ebenen hierarchisch repräsentiert (Woodside 2004). Auf unterster Ebene befinden sich funktionale und abstrakte Objekt-Attribute, gefolgt von funktionalen und psychosozialen Konsequenzen, die sich aus den Objekt-Attributen ergeben. Auf oberster Ebene befinden sich die instrumentalen und terminalen Werte, für die das Objekt steht (Gutman 1997). Terminale Werte geben an, was ein Mensch in seinem Leben erreichen will (Weisheit, Freundschaft, innere Harmonie etc.). Instrumentale Werte sind sprachlich repräsentierte, bevorzugte Verhaltensweisen, die der Mensch zeigt, um die terminalen Werte zu erreichen (­Rokeach 1973). Zum Frühstück gönnt sich Lea bspw. gerne einen fettarmen (funktionales Objekt-Attribut) und dadurch kalorienreduzierten (abstraktes Objekt-Attribut) Joghurt. Beides ist Lea wichtig, da sie schlank sein will (funktionale Konsequenz der ObjektAttribute). Schlank zu sein, bedeutet für Lea, attraktiv zu sein (psychosoziale Konsequenz), und darauf achtet sie; nicht zuletzt auch wegen Ben. Damit sie schlank bleibt, muss sie sich manchmal in Selbstkontrolle (instrumentaler Wert) üben und darf nicht allzu oft Schokolade essen. Die schlanke Figur, die sie erreicht, stärkt ihr Selbstbewusstsein (terminaler Nutzen). Die sog. Laddering-Technik ist ein etabliertes Verfahren, um im Rahmen qualitativer Interviews die Bedeutungsassoziation des Konsumenten mit bestimmten Produkten, Dienstleistungen oder Marken zu erheben und dadurch eine Means-End-Kette zu entwickeln (Reynolds und Gutman 1988). Mittels „Warum“-Fragen bringt man Konsumenten dazu, ihre Ziel-Mittel-Vorstellungen zu äußern. Man könnte bspw. wie im Folgenden dargestellt die Laddering-Technik anwenden, um die Bedeutung einer Kaffeekapsel-Maschine für Ben zu ergründen. In Abb. 3.5 ist das Ergebnis dieser fiktiven Befragung als Means-End-Kette dargestellt. • Interviewer: Warum ist es dir wichtig, eine Kaffeekapsel-Maschine zu besitzen, die im Vergleich zu Leas Porzellanfilter doch recht teuer ist? • Ben: Weil teure Produkte i. d. R. auch qualitativ hochwertiger sind.

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3 Motivation

Kettenglieder

Means-End-Chain

Terminal

Selbststärkung

Instrumentell

Status

Psychosozial

Bewunderung

Funktional

Schick

Abstrakt

Hochwertig

Funktional

Teuer

Werte

Konsequenzen

Attribute

Abb. 3.5  Beispiel einer Means-End-Chain

• Interviewer: Warum ist dir hochwertige Qualität wichtig? • Ben: Nun ja, hochwertige Qualität entsteht durch hochwertige Materialien und die sehen immer schick aus. • Interviewer: Warum müssen Dinge schick sein? • Ben: Die bewundernden Blicke von Freunden fühlen sich irgendwie gut an. • Interviewer: Warum ist die Bewunderung wichtig? • Ben: Na ja, man will im Leben ja was erreichen und wenn man es geschafft hat, schauen die Leute zu einem auf.

3.6 Lernhilfe Quintessenz

Die Motive und die Motivation des Konsumenten beeinflussen sein Verhalten bei der Beschaffung, beim Verbrauch und bei der Entsorgung von Produkten und Dienstleistungen. Dabei hängt seine Motivation sowohl von Personenfaktoren als auch von Situationsfaktoren ab. Mithilfe von Inhaltstheorien, wie bspw. Maslows Bedürfnispyramide, und Prozesstheorien, wie bspw. der VIE-Theorie, lässt sich motiviertes Verhalten erklären. Verhaltensübergreifende Konsumentenmotive führen dabei das vielfältige Verhalten von Konsumenten auf wenige zentrale konsumrelevante Motive zurück. Verhaltensspezifische Konsumentenmotive widmen sich speziellen Konsumbereichen, wie etwa dem umweltbewussten Konsum.

Literatur

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Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Heckhausen und Heckhausen (2018) postulieren, dass ____________ und ____________ Faktoren zielgerichtetes und somit motiviertes Handeln erklären. Richtig oder falsch? Motive sind „Traits“ und beziehen sich auf eine spezielle Situation. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Welche dieser Motive lassen sich der Klassifikation „fundamentaler Motive“ von Griskevicius und Kenrick (2013) zuordnen? O Selbstschutz O Zugehörigkeit O Status O Ökozentrismus O Familienwohl Vernetzende Fragestellung

Entwickeln Sie eine beispielhafte Means-End-Chain, die die Bedeutungsassoziation von Lea zum Thema Kaffeekapsel-Maschine darstellt.

Weiterführende Literatur Griskevicius, V., & Kenrick, D. T. (2013). Fundamental motives: How evolutionary needs influence consumer behavior. Journal of Consumer Psychology, 23(3), 372–386. Gutman, J. (1997). Means-end chains as goal hierarchies. Psychology & Marketing, 14(6), ­545–560. Heckhausen, H., & Heckhausen, J. (2018). Motivation und Handeln (5. Aufl.). Berlin: Springer.

Literatur Bearden, W. O., Netemeyer, R. G., & Haws, K. L. (2011). Handbook of marketing scales: ­Multi-item measures for marketing and consumer behavior research. London: Sage. Blackwell, R. D., Miniard, P. W., & Engel, J. F. (2001). Consumer behavior (9. Aufl.). Orlando: Harcourt. Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R. M., & Lozo, L. (2018). Motivation und Emotion: Allgemeine Psychologie für Bachelor (2. Aufl.). Berlin: Springer. Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson. Griskevicius, V., & Kenrick, D. T. (2013). Fundamental motives: How evolutionary needs influence consumer behavior. Journal of Consumer Psychology, 23(3), 372–386.

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3 Motivation

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4

Emotion

u

Brand Love: Warten auf das brandneue iPhone  „Wie kommst du denn auf die Idee?“, Ben reagiert skeptisch, als ihm Lea vorschlägt, zum Release des neuen iPhones gemeinsam vor dem Apple-Store zu kampieren. Zwar freut auch er sich auf das neue Modell. Doch so intensiv ist seine Vorfreude nicht, dass er für ein neues Smartphone stundenlang anstehen würde. Lea versucht, Ben doch noch zum Mitkommen zu motivieren. „Stell Dir mal das tolle Gefühl vor, wenn wir das neue iPhone endlich selbst ausprobieren können. Ich werde schon ganz hibbelig vor Freude. Und die Stimmung vor dem Store wird sicher auch wieder super.“ Neckisch fügt sie hinzu: „Wenn Du nicht mitkommen möchtest, geh ich eben alleine.“ Sowohl Ben als auch Lea freuen sich auf das neue iPhone. Doch während Lea dem Release des neuen Modells voller Freude entgegenfiebert, reagiert Ben eher gelassen. Es scheint, dass ihre Emotionen ihr Verhalten unterschiedlich beeinflussen. Doch was sind Emotionen genau und warum beeinflussen sie das Konsumverhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_4

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54

4 Emotion

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • wie man Emotionen beschreiben und bestimmen kann (Abschn. 4.1), • wie Emotionen das Konsumentenverhalten beeinflussen (Abschn. 4.2) und • wie man Emotionen mithilfe von verbalen und apparativen Verfahren misst (Abschn. 4.3), … indem Sie die Emotionen des Konsumenten durch folgende Konzepte und Theorien betrachten: • biologische und kognitive Emotionstheorien, • Zwei-Faktoren-Theorie und • Theorie der Schutzmotivation.

4.1 Kennzeichen von Emotionen Praktisch jeder weiß, was eine Emotion ist – bis er um eine Definition gebeten wird. So haben Fehr und Russel (1984) die Problematik, Emotionen zu definieren, treffend beschrieben. Während wir im Alltag Emotionen wie Freude, Überraschung oder Angst intuitiv fühlen, erkennen und benennen können, ist es der Forschung bisher noch nicht gelungen ein einheitliches Verständnis des Emotionsbegriffs zu entwickeln. Bereits vor 25 Jahren identifizierte Plutchik (1991) über 150 unterschiedliche Definitionen des Begriffs Emotion. So vielfältig wie die Definitionsversuche sind auch die vorgeschlagenen Theorien, die erklären sollen, wie Emotionen entstehen und ablaufen (Izard 2010). Viele dieser Ansätze schreiben Emotionen bestimmte Merkmale zu, denen wir uns im folgenden Abschnitt widmen.

4.1.1 Merkmale von Emotionen Meyer et al. (2001) identifizieren sieben zentrale Merkmale von Emotionen. Diese lassen sich anhand des Einstiegsbeispiels illustrieren. Das Kampieren vor dem Apple-Store zum Verkaufsstart eines neuen iPhones ist unter Fans Kult. Bereits Tage vor dem Release warten zahlreiche Konsumenten auf das begehrte Device. So auch Lea im Einstiegsbeispiel. Tab. 4.1 demonstriert, inwiefern Emotionen für dieses Verhalten mitverantwortlich sind. Die folgende Arbeitsdefinition greift die sieben Merkmale von Emotionen auf. Arbeitsdefinitionen sind vorläufige Erläuterungen eines Sachverhalts und Arbeitsgrundlage für weitere Untersuchungen. Sie erheben aber nicht den Anspruch, einen Sachverhalt erschöpfend zu definieren.

4.1  Kennzeichen von Emotionen

55

Tab. 4.1  Merkmale von Emotionen im Konsumkontext Merkmal

Erläuterung

Qualität

Art der Emotion (z. B. Freude, Wut „Ich freue mich.“ etc.)

Intensität

Stärke der Ausprägung des psychi- „Ich freue mich sehr.“ schen Zustands

Dauer

Dauer des psychischen Zustands, meist kurz- bis mittelfristig (längerfristige Zustände sind Stimmungen)

„Ich freue mich seit meiner Ankunft vor 5 min. sehr.“

Objektgerichtetheit

Objekt, das die Emotionen auslöst (z. B. hat man Angst vor etwas, freut sich über etwas etc.)

„Ich freue mich seit meiner Ankunft vor 5 min. sehr auf das iPhone.“

Charakteristisches Erleben

Subjektive Komponente bzw. Gefühl, das mit der Emotion verbunden ist

„Ich freue mich seit meiner Ankunft vor 5 min. sehr auf das iPhone. Das fühlt sich richtig toll an.“

Physiologische Veränderung

Messbare körperliche Veränderung „Ich freue mich (…). Schau, ich zittere schon am ganzen Körper.“

Verhaltensaspekt

Emotionsspezifische, zielgerichtete „Ich freue mich (…). Daher kamVerhaltensweise piere ich vor dem Apple Store.“

Beispiel: Apple-Fan Lea

u Arbeitsdefinition:  Emotionen sind aktuelle psychische Zustände einer Person, die

sich durch eine bestimmte Qualität, Intensität und Dauer auszeichnen und objektgerichtet sind. Jede Emotion geht mit einem charakteristischen Erleben, einer spezifischen physiologischen Veränderung und typischen Verhaltensweisen einher (Meyer et al. 2001). Die Begriffe Emotion, Stimmung, Affekt und Gefühl beschreiben verwandte Konstrukte. Der Unterschied liegt im Detail (Atzert et al. 2014). Mithilfe der Arbeitsdefinition lassen sie sich voneinander abgrenzen: • Stimmung: Im Vergleich zu Emotionen länger andauernd, weniger intensiv und weniger objektbezogen – und daher oftmals diffus positiv oder negativ. • Affekt: Sehr intensiv, entzieht sich der kognitiven Kontrolle und läuft scheinbar automatisch ab. • Gefühl: Kognitive Interpretation einer psychischen Erfahrung. Bezieht sich auf das subjektive Erleben einer Emotion, die sich auch versprachlichen lässt („Ich fühle mich gut“). Hintergrundinfo: In English please Im englischen Sprachraum wird nicht so deutlich zwischen affect, emotion und mood unterschieden wie im Deutschen zwischen Affekt, Emotion und Stimmung. Dies sollte beim Lesen englischsprachiger Fachliteratur und Forschungsbeiträge beachtet werden.

56

4 Emotion

4.1.2 Komponenten einer Emotion Emotionen sind immer mit einer Veränderung des Erlebens und Verhaltens von Konsumenten verbunden. So ärgert es Lea normalerweise, wenn sie länger als fünf Minuten in einer Schlange anstehen muss. Durch die Vorfreude auf das neue iPhone erlebt sie aber das stundenlange Warten vor dem Apple-Store als positiv. Dieses positive Erleben führt zu einer Verhaltensänderung: Während sie sonst genervt die Schlange verlassen würde, wartet sie nun geduldig weiter. Veränderungen im Erleben und Verhalten sind Gegenstand vieler Studien zum Konsumentenverhalten, die Emotionen fokussieren. Zur Erfassung dieser Veränderungen erweist es sich als hilfreich, Emotionen als multidimensionales, sprich vielschichtiges Konstrukt zu verstehen (Rothermund und Eder 2011), das Reaktionen in mehreren Komponenten auslöst. Jede Komponente lässt sich durch ein bestimmtes Verfahren (z. B. Befragung, Beobachtung oder apparative Verfahren) messen (Abschn. 4.3). • Erlebenskomponente: Emotionen wie Wut, Freude oder Trauer gehen mit einer Veränderung des subjektiven Erlebens einher und fühlen sich daher unterschiedlich an. • Kognitive Komponente: Das Erleben von Emotionen wird durch Bewertungen, Gedanken und Kognitionen geformt. Je nachdem, ob der Konsument ein Erlebnis als positiv oder negativ bewertet, entstehen unterschiedliche Emotionen. • Neurophysiologische Komponente: Ein emotionaler Zustand drückt sich auch in einer Veränderung aus, die durch das autonome Nervensystems ausgelöst wird, wie bspw. einem erhöhten Herzschlag, Schweißausbruch oder einer beschleunigten Atmung. Bildgebende Verfahren (z. B. fMRT; Abschn. 2.4.3) zeigen, dass Emotionen netzwerkartig weite Teile des Gehirns umspannen. • Ausdruckskomponente: Jede Emotion äußert sich in einer bestimmten Mimik, Haltung und Stimme. Allein der Gesichtsausdruck einer Person reicht aus, um zu erkennen, ob sie Ekel (angezogene Oberlippe, gerümpfte Nase und leicht verengte Augen) oder Freude (hochgeschobene Wangen, Lächeln) empfindet (Ekman 2016). • Motivationale Komponente: Eine Emotion kann eine bestimmte, zielgerichtete Handlung in Bewegung setzen. So motiviert Angst bspw. zur Vermeidung einer Situation und mündet im Extremfall in Flucht. Im Einstiegsbeispiel kampiert Lea für den Kauf des aktuellen iPhones vor dem AppleStore. Die Freude (Erlebenskomponente) über den bevorstehenden Kauf bewertet sie positiv (kognitive Komponente). Fünf Minuten vor Öffnung des Ladengeschäfts ist die Freude am größten und ihr Herz pocht (neurophysiologische Komponente). Das Lachen in ihrem Gesicht (Ausdruckskomponente), als sie in den Laden stürmt, um endlich das neue iPhone in den Händen zu halten (motivationale Komponente), ist nicht zu übersehen. Die Emotionsforschung hat noch ein weiteres Konzept zur Beschreibung von Emotionen hervorgebracht: Die Reaktionstrias der Emotion (Lazarus et al. 1970). Es ist dem Komponentenmodell der Emotion ähnlich. Es nimmt an, dass sich Emotionen durch behaviorale (verhaltensbasierte), physiologische (körperliche) und subjektive Aspekte ausdrücken und dass auch diese drei Aspekte jeweils mit unterschiedlichen Methoden

4.1  Kennzeichen von Emotionen

57

messbar sind. Betrachten wir die Konzeption am Beispiel der Emotion Freude, die bei einem Konzertbesuch entsteht. • Der behaviorale Aspekt der Freude kann ein Lachen oder das Tanzen eines Konzertbesuchers sein, weil ihm die Musik gefällt. • Der physiologische Aspekt beschreibt körperliche Reaktionen wie, dass das Herz viel intensiver schlägt. Gerade hier kann Musik sehr direkt wirken, indem bspw. der Beat die Frequenz des Herzschlags vorgibt. • Der subjektive Aspekt der Emotion Freude während des Konzerts ist das positive Gefühl, das auch noch lange nach dem Konzert anhalten kann. Hintergrundinfo: Merkmale, Komponenten und Aspekte einer Emotion Die unterschiedlichen Konzeptualisierungen der Kennzeichen von Emotionen – ob durch sieben Merkmale, fünf Komponenten oder die drei Aspekte der Trias – sind nicht ganz trennscharf. Dass mehrere, überlappende Ansätze vorliegen, lässt sich darauf zurückführen, dass es bisher keine einheitliche Definition des Emotionsbegriffs gibt und dass sich verschiedene theoretische Ansätze in der Emotionsforschung etabliert haben.

4.1.3 Von der Konsumenten-Emotion zur KonsumentenMotivation Die Motivationen und Emotionen des Konsumenten sind eng miteinander verknüpft und eine konzeptionelle Unterscheidung ist schwierig (Atzert et al. 2014). Die Arbeitsdefinition der Emotion hilft, den Zusammenhang zwischen Emotion und Motivation besser zu verstehen und ihre Bedeutung für das Konsumentenverhalten herauszuarbeiten. Sowohl Emotionen als auch Motive energetisieren und organisieren das Verhalten des Konsumenten (Frijda und Parrott 2011). Im Einstiegsbeispiel mündeten Leas Freude über das iPhone-Release (Emotion Freude) und ihr Wunsch, positive Beziehungen zu anderen aufzunehmen und aufrechtzuerhalten (Anschlussmotiv) darin, gemeinsam mit anderen vor dem Apple-Store zu kampieren (Verhalten). Emotionen begleiten auch motivationale Zustände. Sie signalisieren den Fortschritt in der Zielerreichung und unterstützen den Konsumenten bei der Ausführung und Bewältigung eines bestimmten Verhaltens (Oatley und Jenkins 1992). Positive Emotionen motivieren etwa zum Verfolgen, negative Emotionen zum Abbruch des aktuellen Verhaltens. Die Freude auf den baldigen Besitz des neuen Smartphones motiviert Lea, auch nach mehreren Stunden weiter in der Schlange auszuharren und nicht genervt nach Hause zu gehen. Beispiel: Wie Unternehmen mit Event-Marketing emotionale Erlebnisse schaffen

Unternehmen nutzen das sog. Event-Marketing, um Konsumenten direkt zu erreichen und sie emotional zu berühren (Meffert et al. 2018). Der Getränkehersteller Coca-Cola bspw. schickt jedes Jahr seine Weihnachtstrucks auf Tour. Das besondere Erlebnis soll beim Konsumenten positive Emotionen (z. B. Freude) auslösen, was ihn beim nächsten Besuch beim Getränkehändler zum Kauf einer Coke (Verhalten) motivieren soll.

58

4 Emotion

4.2 Emotionstheorien zur Erklärung des Konsumentenverhaltens Emotionstheorien beschreiben und erklären die Entstehung unterschiedlicher Emotionen. Die Theorien lassen sich dabei drei Ansätzen bzw. Theoriefamilien zuordnen: Den biologischen, den kognitiven sowie den konstruktivistischen Ansätzen. Wir widmen uns in den folgenden beiden Abschnitten dem biologischen und dem kognitiven Ansatz, die beide zur Erklärung des Verhaltens von Konsumenten beitragen. Den konstruktivistischen Ansatz vertiefen wir nicht, da er für das Konsumentenverhalten eine nur untergeordnete Rolle spielt.

4.2.1 Biologische Ansätze Den biologischen Emotionstheorien zufolge haben sich verschiedene Emotionen und ihre spezifischen Ausdrücke evolutionär herausgebildet (Rothermund und Eder 2011). Demnach sind Emotionen angeboren, genetisch verankert und verlaufen bei allen Menschen gleich. Wie in Abschn. 4.2.2 beschrieben, gehen andere Ansätze allerdings davon aus, dass dieselben Situationen aufgrund kognitiver und sozialer Faktoren bei verschiedenen Personen zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen führen. Folgt man den biologischen Emotionstheorien, so löst bspw. die Emotion Angst in Anbetracht einer lebensbedrohlichen Situation Fluchtverhalten aus, da diese Verhaltensreaktion unseren Vorfahren das Überleben sicherte. Unsere heutigen Emotionen sind als Ergebnis der natürlichen Selektion im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden. Bezug nehmend auf Charles Darwins Evolutionstheorie nehmen biologische Ansätze also an, dass Umweltereignisse (z. B. physische Gefahr aufgrund eines Gewitters) zur Entwicklung bestimmter Emotionen (z. B. Angst) führen, die spezifische Verhaltensweisen auslösen (z. B. Vermeidung) und das Überleben sichern (Rothermund und Eder 2011). Nach dem biologischen Ansatz läuft die Verhaltensreaktion auf Umweltereignisse aufgrund von Emotionen bei allen Menschen ähnlich ab und ist damit gut prognostizierbar, sodass Werbedesigner Emotionen gezielt adressieren. Beispiel: Was haben Blitze mit Zahnpasta zu tun? Biologische Ansätze in der Werbewirkung

Oftmals nutzt Werbung archaische Bilder von bedrohlichen Umweltereignissen und positioniert das eigene Produkt als Bewältigungsstrategie, um Konsumenten zum Kauf zu animieren. Das Unternehmen GlaxoSmithKline bewirbt etwa seine Zahnpasta Sensodyne, indem es Blitze auf die Zähne der Werbefigur abfeuert. Aus der Perspektive der biologischen Emotionstheorie könnte man die Wirkung der Werbung auf den Konsumenten wie folgt erklären: Blitz und Donner sind Umweltereignisse, von denen eine Gefahr ausgeht und die entsprechend die Emotion Angst auslösen. Mit dem Kauf

59

4.2  Emotionstheorien zur Erklärung …

und Gebrauch der Zahnpasta kann der Konsument – zumindest der Logik der Theorie folgend – die Gefahr des Umweltereignisses auf den Zahn bannen und sich somit schützen. Scannen Sie den QR-Code, um sich den Spot anzusehen.

Zwei bedeutende biologische Emotionstheorien sind die Ansätze von Robert Plutchik (1991, 2003) sowie von Paul Ekman und Wally Friesen (1971). Plutchiks Modell geht von acht Basis- bzw. Primäremotionen aus (Abb. 4.1). Sie bilden den mittleren Ring seines Modells. Die Anordnung der Emotionen im Modell gibt Auskunft über die Beziehung der Emotionen zueinander. Nebeneinander liegende Emotionen sind sich ähnlich. Gegenüberliegende Emotionen sind sehr gegensätzlich: Freude vs. Traurigkeit,

Ehrfurcht

Aggressivität

Liebe

Reue

Abb. 4.1  Rad der Emotion. (In Anlehnung an Plutchik 1991)

60

4 Emotion

Vertrauen vs. Ekel, Erwartung vs. Überraschung, Angst vs. Ärger. Die Intensität einer Emotion nimmt vom inneren Ring (z. B. Ekstase) über den mittleren Ring (z. B. Freude) zum äußeren Ring (z. B. Gelassenheit) sukzessive ab. Zwischen den Basisemotionen liegen die Sekundäremotionen, die sich dem Modell zufolge aus einer Dyade, sprich aus einer Zweierbeziehung von Basisemotionen, ergeben. Die Emotion Liebe ist etwa eine Dyade aus Freude und Vertrauen. Beispiel: Sind Sie treu? Monogame Markenbeziehungen erwünscht

„Du liebst mich nicht.“ Wer es mit der Treue nicht so hat, wird diesen Satz sicher schon mal von seiner besseren Hälfte gehört haben. Auch das Marketing befasst sich mit Treue. Empirische Studien belegen, dass die Zufriedenheit mit dem Produkt allein nicht reicht, damit Kunden einer Marke treu bleiben. Erst wenn sie „Brand Love“ für die Marke empfinden, gehen sie auch nach langer Zeit nicht mit einer Konkurrenzmarke „fremd“. Konsumenten, die ihre Lieblingsmarke in diesem Sinne tatsächlich „lieben“, zeigen u. a. leidenschaftliches Verhalten gegenüber der Marke und fühlen sich ihr emotional verbunden (Batra et al. 2012). Warum sonst sollte man stundenlang in der Kälte stehen und auf das neueste Apple-Produkt warten, wenn nicht aus Liebe? Wenn Konsumenten ihre Marke lieben, überstehen sie auch gemeinsam Krisen. Die Konsumforscher Cova und D’Antone (2016) illustrieren am Fallbeispiel Nutella, dass französische Konsumenten trotz negativer Schlagzeilen zum unverantwortlichen Einsatz von Palmöl ihre Lieblingsmarke weiter konsumieren und dieses Verhalten mit verschiedenen argumentativen Strategien rechtfertigen. Paul Ekman ist einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der nonverbalen Kommunikation und der physiologischen Klassifikation von emotionalen Gesichtsausdrücken. Er identifizierte sieben – zum Teil mit Plutchiks Arbeiten übereinstimmende – Basisemotionen: Freude, Überraschung, Ärger, Ekel, Furcht, Trauer und Verachtung. Ekman kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen grundlegende Emotionen weltweit in nahezu gleicher Weise über Mimik zum Ausdruck bringen. Ebenso lassen sich überall auf der Welt dieselben Basisemotionen identifizieren; und zwar unabhängig vom Geschlecht und von der Erziehung sowie vom kulturellen Hintergrund und der ethnischen Zugehörigkeit (Ekman und Friesen 1971). Beispiel: Steckt Lachen an? Warum Werbung gerne glückliche Menschen zeigt

Paul Ekmans Forschungsergebnisse zur Universalität von Gesichtsausdrücken verweisen darauf, dass man Emotionen auch ohne Worte über Gestik und Mimik transportieren kann. Studien belegen zudem, dass beobachtete Emotionen förmlich ansteckend sind. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Werbedesigner gerne Bilder von Personen einsetzen, die im Kontext der Produktnutzung starke Emotionen zeigen und diese auch mimisch zum Ausdruck bringen, um dadurch das eigene Produkt emotional aufzuladen. Wer den QR-Code scannt, sieht einen Werbefilm von Coca-Cola,

4.2  Emotionstheorien zur Erklärung …

61

der diesen Effekt gezielt nutzt. Ähnlich wie die Protagonisten in dem Werbefilm muss der Zuschauer automatisch mitlachen, wodurch die Marke emotional positiv aufgeladen wird.

4.2.2 Kognitive Ansätze Kognitive Emotionstheorien gehen davon aus, dass eine Emotion das Ergebnis der kognitiven Bewertung und Einschätzung einer Situation ist (Gerrig 2014; Kap. 5). Wer sich kurz vor einer Prüfung befindet, bewertet die Situation im ersten Schritt vielleicht als gefährlich („Wenn ich durchfalle, ist der Abschluss in Gefahr.“), sodass im zweiten Schritt die Emotion Angst entsteht. Die Einschätzung findet aber immer subjektiv unter Berücksichtigung eigener Erfahrungen, Werte, Ziele und Normen statt. Daher reagieren Menschen auf objektiv ähnliche Situationen (Prüfung) subjektiv unterschiedlich. Während ein Studierender im fünften Semester aufgrund seiner Erfahrung vielleicht nur Besorgnis (schwache Ausprägung der Emotion Angst) empfindet, fühlt jemand, der gerade mit dem Studium angefangen hat, regelrecht Panik (starke Ausprägung der Emotion Angst). Voraussetzung für das Entstehen von Emotionen ist also die kognitive Einschätzung (englisch: appraisal), weshalb diese Theorien im Englischen auch Appraisal-Theorien genannt werden. Appraisal-Theorien erklären Emotionen als Ergebnis einer kognitiven Interpretation eines subjektiven Erlebens (Lazarus 1991). Erst wenn das Individuum ein bestimmtes Ereignis bewertet und interpretiert, entstehen Emotionen. Was löst bspw. der Anblick eines Pelzmantels im Schaufenster des Einzelhändlers beim Konsumenten aus (subjektives Erleben)? Dazu muss man bedenken, dass persönliche Werte, Normen und Überzeugungen des Konsumenten den Prozess der kognitiven Bewertung und Interpretation sowie sein subjektives Erleben färben. Fashion-affine Konsumenten bewerten das ­Ereignis vielleicht als positiv und die Emotion Freude entsteht („Was für ein toller Mantel. Den muss ich unbedingt haben“.). Besonders umweltbewusste Konsumenten bewerten das Ereignis als negativ und Wut entsteht („Für diesen Mantel mussten unschuldige Tiere sterben. Wie kann man nur so etwas kaufen?“).

62

4 Emotion

4.2.2.1 Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion Stanley Schachter postuliert in seiner Zwei-Faktoren-Theorie, dass die emotionale Reaktion eines Menschen nicht direkt vom Ereignis (Stimulus) abhängt, sondern davon, wie dieser das Ereignis bewertet. Emotionen entstehen aus dem Zusammenspiel eines physiologischen Faktors und eines kognitiven Faktors (daher auch der Name ZweiFaktoren-Theorie). Der kognitive Faktor ist das Ergebnis der Suche nach einer Erklärung für die wahrgenommene physiologische Veränderung (Schachter 1964). Demzufolge ist das Erleben einer Emotion eine gemeinsame Reaktion von physiologischer Erregung und kognitiver Bewertung (Gerrig 2014, S. 466). Beispiel: Erdanziehungskraft oder weibliche Anziehungskraft?

Das viel beachtete Experiment von Dutton und Aron (1974) illustriert auf amüsante Weise das in der Zwei-Faktoren-Theorie beschriebene Zusammenspiel des physiologischen und kognitiven Faktors. Die Forscher baten mehrere Männer, über eine von zwei Brücken zu gehen. Eine Brücke war unsicher und wackelig, die andere sicher und stabil. Am anderen Ende der Brücke stand entweder ein junger Mann oder eine junge Frau, die Eingeweihte des Versuchsleiters waren. Beide gaben vor, eine Studie durchzuführen, und baten die Männer, an einer Umfrage teilzunehmen. Sie teilten den Männern ihre Telefonnummer für eventuelle Rückfragen mit. Im Anschluss an das Experiment maßen die Forscher die Häufigkeit, mit der die Teilnehmer Kontakt mit dem Mann bzw. der Frau aufnahmen. Das Ergebnis: Während die Teilnehmer den jungen Mann nur selten kontaktierten, meldeten sich viele bei der jungen Frau. Am häufigsten suchten jene Probanden Kontakt, die zuvor die wacklige, unsichere Brücke überquert hatten. Dutton und Aron erklären das Verhalten der Teilnehmer unter Bezugnahme der Zwei-Faktoren-Theorie wie folgt: Das Überqueren der abenteuerlichen Brücke erzeugte einen physiologischen Erregungszustand. In Abhängigkeit davon, auf wen die Teilnehmer auf der anderen Seite trafen, führten sie diesen Erregungszustand – wie in Abb. 4.2 zusammengefasst – auf ihre Höhenangst oder die Attraktivität der Frau zurück. Die Zwei-Faktoren-Theorie zeigt, dass Personen einen physiologischen Zustand je nach Situation verschieden erklären und in Abhängigkeit dieses Attributionsprozesses (d. h. des Prozesses der Ursachenzuschreibung) unterschiedliche emotionale Reaktionen folgen. Dieser Prozess ist auch für das Verständnis von Konsumentenverhalten wichtig. Welche Emotionen empfinden etwa Konsumenten beim Besuch eines Freizeitparks? Kurz bevor die Achterbahn nach unten rast (Stimulus), schlägt das Herz ganz schnell (physiologischer Faktor). Je nach kognitiver Interpretation können folgende Emotionen entstehen.

4.2  Emotionstheorien zur Erklärung …

63

Mann

Frau

Brücke wackelig & unsicher „Kein Wunder, dass mein Herz pocht, …

… die Brücke ist recht wackelig“

… bei der attraktiven Frau“

Brücke stabil & sicher „Mein Herz schlägt ganz normal, …

… ganz schön langweilig hier“

… ist ganz nett die Frau“

Anzahl

drückt relative Häufigkeit der Kontaktaufnahme aus.

Abb. 4.2  Das Brückenexperiment von Dutton and Aron (1974)

• Freude: Wenn der Besucher annimmt, dass das Sicherheitspersonal alles überprüft hat, könnte seine Attribution des stark erregten physiologischen Zustands folgendermaßen aussehen: „Mein Herz rast, weil ich die tolle Fahrt kaum abwarten kann.“ Dies führt ggf. dazu, dass sich die Emotion noch verstärkt und aus Freude Ekstase wird. • Angst: Fragt sich der Besucher dagegen, ob die Achterbahn überhaupt sicher ist, interpretiert er denselben physiologischen Zustand folgendermaßen: „Mein Herz rast, weil die Fahrt gefährlich ist.“ Auch dies führt ggf. dazu, dass sich die Emotion verstärkt und in diesem Fall aus Angst Panik wird. Im Konsumprozess kann es auch zu Fehlattributionen kommen, was sich einige findige Verkäufer zunutze machen. Auf sog. Tupperware-Partys ist es üblich, dass die Gastgeberin vor der Produktpräsentation ein Glas Sekt serviert. Bei einigen Gästen könnte nun folgender Prozess ablaufen: Der Alkohol im Sekt führt zu einer stärkeren Durchblutung des Körpers und einem erhöhten Puls (physiologischer Faktor). Je nachdem, worauf die Gäste ihren physiologischen Erregungszustand zurückführen, ist es möglich, dass sie einer Fehlattribution unterliegen („Ich bin ganz aufgeregt, weil ich die Tupper-Produkte so toll finde. Ich sollte einige Dosen kaufen.“).

4.2.2.2 Theorie der Schutzmotivation „Rauchen kann tödlich sein. Rauchen verursacht Krebs. Rauchen lässt Ihre Haut altern.“ Seit 2003 finden sich diese und ähnliche Warnhinweise auf allen Zigarettenschachteln, die in der EU verkauft werden. Die Forschung spricht von Furchtappellen. Ziel eines Furchtappells ist es, die Einstellungen oder das Verhalten des Konsumenten zu verändern. Der Appell vermittelt, dass durch ein bestimmtes Verhalten (Rauchen) relevante Werte des Konsumenten – wie etwa sein Leben oder seine Gesundheit – bedroht sind. Furchtappelle finden sich meist im sozialen Marketing, insb. im Gesundheitsmarketing (Hoffmann et al. 2012).

64

4 Emotion

Die Theorie der Schutzmotivation von Rogers (1975, 1983) hilft, die Wirkung von Furchtappellen auf den Konsumenten zu verstehen. Ziel der Theorie ist nicht, die Entstehung der Emotion Furcht zu erklären, sondern zu beschreiben, wann Einstellungsbzw. Verhaltensänderungen eintreten. Zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse bestimmen, ob es zu einer Veränderung kommt: die Bedrohungseinschätzung und die Bewältigungseinschätzung. Im Rahmen der Bedrohungseinschätzung bewertet der Konsument Kosten und Nutzen der Aufnahme und Fortsetzung eines Risikoverhaltens. • Die Kosten drücken sich im Schweregrad der Gesundheitsbedrohung und der wahrgenommenen Vulnerabilität aus. Der Schweregrad wird i. d. R. von vielen Menschen ähnlich bewertet. So stimmt sicherlich die überwiegende Mehrheit der Menschen zu, dass Krebs infolge von Rauchen eine schwerwiegende Bedrohung ist. Die wahrgenommene Vulnerabilität gibt an, als wie stark gefährdet sich eine Person durch ein Risikoverhalten einschätzt. Personen, die täglich nur eine Zigarette rauchen, schätzen sich vermutlich als weniger gefährdet ein als Kettenraucher. • Der Nutzen der Aufnahme oder Fortsetzung eines Risikoverhaltens ergibt sich aus der intrinsischen und extrinsischen Belohnung. Beim Rauchen könnte die einsetzende Entspannung eine intrinsische Belohnung sein. Eine extrinsische Belohnung wäre – gerade bei Jugendlichen – die erhoffte Anerkennung in der Peer-Group. Die Bedrohungseinschätzung eines Risikoverhaltens ist das Ergebnis der Differenz aus Gesundheitsbedrohung und Vulnerabilität auf der einen Seite (Kosten) und intrinsischer und extrinsischer Belohnung auf der anderen Seite (Nutzen). Parallel zur Bedrohungseinschätzung führen Konsumenten eine Bewältigungseinschätzung durch. Diese hängt von der Handlungswirksamkeit, der Selbstwirksamkeitserwartung und den antizipierten Handlungskosten ab. • Die Handlungswirksamkeit gibt an, inwieweit eine Person davon ausgeht, dass ein bestimmtes Verhalten die Bedrohung abschwächen kann. Ob sie bspw. mit dem Rauchen aufhört, hängt auch davon ab, ob sie annimmt, dass das Aufhören das Risiko, an Krebs zu erkranken, abschwächt („Ich glaube nicht, dass es etwas bringt aufzuhören. Schließlich gibt es genug Menschen, die an Krebs sterben, ohne je eine Zigarette geraucht zu haben.“). • Die Selbstwirksamkeitserwartung gibt an, inwiefern eine Person annimmt, dass sie in der Lage ist, dieses Verhalten auch auszuführen („Außerdem glaube ich nicht, dass ich es länger als eine Woche ohne Zigaretten aushalten könnte.“). • Die Handlungskosten sind negative Auswirkungen in Folge der Verhaltensänderung („Eine Freundin von mir hat mit dem Rauchen aufgehört und danach 10 kg zugenommen. Darauf habe ich keine Lust.“).

4.3  Konsumenten-Emotionen messbar machen

65

Die Beziehung zwischen Bedrohungs- und Bewältigungseinschätzung ist negativ proportional. Das heißt, je höher eine Person die Bedrohung einschätzt, desto geringer fällt ihre Bewältigungseinschätzung aus. Präventivmaßnahmen des Gesundheitsmarketings versuchen oftmals, durch Werbebotschaften die Bewältigungseinschätzung des Konsumenten positiv zu beeinflussen.

4.3 Konsumenten-Emotionen messbar machen Wie Emotionen gemessen werden, hängt maßgeblich davon ab, durch welche theoretische Brille man sie betrachtet. Die Messung sollte immer in Abhängigkeit von der Emotionstheorie erfolgen, die der Forscher zugrunde legt. Dabei kann eine Kombination unterschiedlicher Messverfahren sinnvoll oder gar erforderlich sein. Im Folgenden diskutieren wir gängige Messmethoden der Emotionsforschung und benennen ihre Vor- und Nachteile.

4.3.1 Verbale Verfahren Die Messung von Emotionen über verbale Verfahren ist die dominierende Methode innerhalb der Konsumentenverhaltensforschung. Dabei unterscheiden sich verbale ­Messverfahren in Abhängigkeit davon, ob man einen quantitativen (Abschn. 2.2.1) oder qualitativen (Abschn. 2.2.2) Forschungsansatz verfolgt. Quantitative Verfahren machen den Großteil der Forschung aus und gehören zum Repertoire eines jeden Konsumentenverhaltensforschers. Üblicherweise setzt man in der quantitativen Forschung Fragebögen mit standardisierten Ratingskalen ein, um Emotionen verbal zu messen. In der Regel sollen Konsumenten Aussagen auf einer zumeist fünf- oder siebenstufigen Skala bewerten (Raab et al. 2018). Neben quantitativen Verfahren bedient sich die Konsumentenverhaltensforschung auch qualitativer Verfahren. Häufig eingesetzt werden Tagebücher und Protokolle ­lauten Denkens. • In Tagebüchern halten Konsumenten ihr subjektives Erleben zum Untersuchungsgegenstand fest. Typischerweise sollen sie ein bestimmtes Produkt nutzen, wie etwa einen neuen Laufschuh, und ihre Erfahrungen mit dem Produkt im Tagebuch festhalten. Forscher nutzen die vom Konsumenten verschriftlichten Angaben, um auf seine Emotionen zu schließen. Im Gegensatz zur klassischen Papierform können Konsumenten bei Online-Tagebüchern auch von unterwegs über das Smartphone oder das Tablet Tagebucheinträge schreiben. Dadurch können sie direkt aus ihrer Lebenswirklichkeit, in der sie den Untersuchungsgegenstand nutzen, Rückmeldung geben und die Daten in Echtzeit an den Forscher senden (Naderer und Balzer 2011).

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4 Emotion

• Bei der Methode der Protokolle lauten Denkens verbalisieren Konsumenten ihre Emotionen zum Untersuchungsgegenstand in Gegenwart eines Interviewers. Durch das gezielte Nachfragen des Interviewers können auch latente, d. h. nicht unmittelbar ersichtliche Emotionen erfasst werden. Die Methode lauten Denkens kommt bspw. bei der sog. Usability-Testung von Apps zum Einsatz. Konsumenten verbalisieren ihre Emotionen während der Nutzung der App. Dadurch können Benefits (z. B. Freude: „Wow, die App macht richtig Spaß!“) und Barriers (z. B. Ärger: „Oh man, wo ist denn bloß der Zurückbutton?“) identifiziert und zur Optimierung der App eingearbeitet werden (Naderer und Balzer 2011). Verbale Verfahren der Emotionsmessung gehen meist von einer kognitiven Emotionstheorie aus. Schließlich sollen Konsumenten eine für sie relevante Situation einschätzen und bewerten und die entstehenden Emotionen frei verbalisieren (qualitativer Ansatz) oder vorformulierte verbale Skalen zur Angabe ihrer Emotion nutzen (quantitativer Ansatz). Vorteile verbaler Verfahren sind die hohe Bandbreite an etablierten Skalen und Messverfahren. Nachteilig ist, dass man nur Emotionen des Konsumenten messen kann, die über kognitive Prozesse zugänglich sind. Etwaige unbewusste Emotionen bleiben unerforscht. Weiterhin besteht bei diesen Messverfahren die Gefahr, dass sozial erwünschtes Antwortverhalten die Ergebnisse verzerrt.

4.3.2 Apparative Verfahren Im Kapitel Konsumentenverhaltensforschung (Abschn. 2.4.3) haben wir bereits eine Reihe an apparativen Verfahren zur Messung von Emotionen kennengelernt, wie bspw. die Hautwiderstandsmessung, das fMRT und das EEG. Apparative Verfahren eignen sich, um die physiologische Veränderung, die Dauer dieser Veränderung sowie ihre Intensität zu identifizieren. Um eine Aussage bzgl. der Qualität und Objektgerichtetheit zu treffen, sind aber zusätzliche verbale Verfahren und Beobachtungen notwendig. Wendet ein Forscher nur apparative Verfahren zur Emotionsmessung an, basieren seine Vorüberlegungen vermutlich auf biologischen Emotionstheorien. Er nimmt an, dass sich die emotionale Reaktion auf einen Umweltstimulus in der Physiologie des Individuums ausdrückt, die er über apparative Verfahren messen kann. Ein Vorteil apparativer Verfahren ist die Möglichkeit, verbale Verfahren zu validieren, sprich abzusichern, und durch physiologische Messgrößen zu verbessern. Nachteilig sind die damit einhergehenden hohen Kosten. Zudem können die Messwerte oftmals nur unter Laborbedingungen erhoben werden.

4.4 Lernhilfe

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4.4 Lernhilfe Quintessenz

Konsumentenverhalten und Emotionen stehen in einer interdependenten, d. h. wechselseitigen Beziehung zueinander. Zum einen sind der Erwerb, Gebrauch, Verbrauch und die Entsorgung von Produkten häufig mit Emotionen verbunden. Zum anderen beeinflussen Emotionen auch das Verhalten des Konsumenten. Emotionen lassen sich als aktuelle psychische Zustände, die sich durch eine bestimmte Qualität, Intensität und Dauer auszeichnen, objektgerichtet sind, mit einem charakteristischen Erleben und einer physiologischen Veränderung einhergehen und sich in einer emotionsspezifischen Verhaltensweise ausdrücken, beschreiben. Die vielfältigen Emotionstheorien lassen sich einem biologischen, einem kognitiven und einem konstruktivistischen Ansatz zuordnen. Für die Konsumentenverhaltensforschung spielen u. a. die Zwei-Faktoren-Theorie nach Schachter sowie die Schutzmotivations-Theorie nach Rogers eine wichtige Rolle. Let’s check!

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Nach der Reaktionstrias der Emotion drücken sich Emotionen in einem ___________, einem ___________ und einem ___________ Aspekt aus. Richtig oder falsch? Die Schutzmotivations-Theorie gehört zu den etablierten Theorien, die Konsumentenemotionen mithilfe eines biologischen Ansatzes erklären. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an: O Stimmungen sind intensiver und somit länger andauernd als Emotionen. O Gemäß Plutchiks Rad der Emotionen nimmt die Intensität einer Emotion vom inneren Ring zum äußeren Ring sukzessive zu. O Die Bewältigungseinschätzung der Schutzmotivationstheorie umfasst die Handlungswirksamkeit, die Selbstwirksamkeit und die wahrgenommene Vulnerabilität. O Die Methode des lauten Denkens ist für das Usability-Testing einer App empfehlenswert. O Apparative Verfahren sind zumeist einfach durchführbar und kostengünstig. Vernetzende Fragestellung

Entwickeln Sie auf Basis der Erkenntnisse der Zwei-Faktoren Theorie einen Werbeslogan, der Konsumenten motiviert, mit dem Rauchen aufzuhören.

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4 Emotion

Weiterführende Literatur Batra, R., Ahuvia, A., & Bagozzi, R. P. (2012). Brand love. Journal of Marketing, 76(2), 1–16. Ekman, P. (2016). Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren (2. Aufl.). Heidelberg: Spektrum. Meyer, W. U., Reisenzein, R., & Schützwohl, A. (2001). Einführung in die Emotionspsychologie. Band I: Die Emotionstheorien von Watson, James und Schachter (2. Aufl.). Bern: Huber.

Literatur Atzert, L. S., Peper, M., & Stemmler, G. (2014). Emotionspsychologie (2. Aufl.). Stuttgart: ­Kohlhammer. Batra, R., Ahuvia, A., & Bagozzi, R. P. (2012). Brand love. Journal of Marketing, 76(2), 1–16. Cova, B., & D’Antone, S. (2016). Brand iconicity vs. anti-consumption well-being concerns: The Nutella palm oil conflict. Journal of Consumer Affairs, 50(1), 166–192. Dutton, D. G., & Aron, A. P. (1974). Some evidence for heightened sexual attraction under conditions of high anxiety. Journal of Personality and Social Psychology, 30(4), 510. Ekman, P. (2016). Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren (2. Aufl.). Heidelberg: Spektrum. Ekman, P., & Friesen, W. V. (1971). Constants across cultures in the face and emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 17(2), 124–129. Fehr, B., & Russell, J. A. (1984). Concept of emotion viewed from a prototype perspective. ­Journal of Experimental Psychology, 113(3), 464–486. Frijda, N. H., & Parrott, W. G. (2011). Basic emotions or ur-emotions. Emotion Review, 3(4), ­406–415. Gerrig, R. J. (2014). Psychologie (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson. Hoffmann, S., Schwarz, U., & Mai, R. (2012). Angewandtes Gesundheitsmarketing. Wiesbaden: Springer Gabler. Izard, C. E. (2010). The many meanings/aspects of emotion: Definitions, functions, activation, and regulation. Emotion Review, 2(4), 363–370. Lazarus, R. S. (1991). Progress on a cognitive-motivational-relational theory of emotion. American Psychologist, 46(8), 819–834. Lazarus, R. S., Averill, J. R., & Opton, E. M. (1970). Toward a cognitive theory of emotion. In M. B. Arnold (Hrsg.), Feelings and emotions (S. 207–232). New York: Academic Press. Meffert, H., Burmann, C., Kirchgeorg, M., Eisenbeiß, M. (2018). Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele (13. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Meyer, W. U., Reisenzein, R., & Schützwohl, A. (2001). Einführung in die Emotionspsychologie. Band I: Die Emotionstheorien von Watson, James und Schachter (2. Aufl.). Bern: Huber. Naderer, G., & Balzer, E. (2011). Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis: Grundlagen. Methoden und Anwendungen (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer. Oatley, K., & Jenkins, J. M. (1992). Human emotions: Function and dysfunction. Annual Review of Psychology, 43(1), 55–85. Plutchik, R. (1991). The emotions. Maryland: University Press of America. Plutchik, R. (2003). Emotions and life: Perspectives from psychology, biology, and evolution. Washington: American Psychological Association.

Literatur

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5

Kognition

u

Ich sehe was, was Du nicht siehst!  „Sieh mal einer an! Das ist ja ein heißes Model“, grinst Ben, als er gemeinsam mit Lea in der Straßenbahn an einem City-Light-Poster vorbeifährt. „Mensch Ben, schau doch nicht immer nach anderen Frauen. Aber in das neu eröffnete Bekleidungsgeschäft im Stadtzentrum müssen wir unbedingt mal gehen“, erwidert Lea. „Welches neue Bekleidungsgeschäft?“, wundert sich Ben. „Na, wir haben doch eben über die Werbung gesprochen.“ „Welche Werbung?“ „Die mit dem Model, Ben! Du hast mich doch gerade darauf hingewiesen.“ „Ach so. Ich wusste gar nicht, dass das Werbung für ein Bekleidungsgeschäft ist.“ Ganz offensichtlich nehmen Lea und Ben unterschiedliche Dinge wahr und sie erinnern sich an unterschiedliche Details, obwohl sie dasselbe Poster betrachtet haben. Wovon hängt das ab? Was beeinflusst die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung und wie lassen sie sich steuern? Wenn wir diese Fragen beantworten möchten, müssen wir uns mit dem Prozess der Informationsverarbeitung, d. h. mit Kognition, beschäftigen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_5

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72

5 Kognition

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • wie Aufmerksamkeit die Informationsverarbeitung steuert (Abschn. 5.1), • wie sich steuern lässt, wie Konsumenten einströmende Reize wahrnehmen (Abschn. 5.2), • wie das Konsumentenverhalten erlernt wird (Abschn. 5.3) und • wie das Konsumwissen organisiert und abgespeichert wird (Abschn. 5.4), … indem Sie die Kognitionen des Konsumenten durch folgende Theorien und Modelle betrachten: • AIDA-Modell, • Gestalt-Psychologie, • Konditionierung, • Drei-Speicher-Modell und • Schemata-Theorie.

Der Begriff Kognition subsummiert alle Formen des Wissens und Denkens (­Gerrig 2014, S. 286). Kognitive Prozesse beziehen sich auf die Informationsverarbeitung oder einfach ausgedrückt auf gedankliche Vorgänge. Im Einstiegsbeispiel warb ein Bekleidungsgeschäft auf einem City-Light-Poster mit Eröffnungsangeboten, um mehr Kunden in das Geschäft zu locken. Bevor diese Verhaltensreaktion eintritt, laufen im Konsumenten zahlreiche kognitive Prozesse ab. Passanten wie Lea und Ben müssen dem Plakat ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie müssen die darauf abgebildeten Informationen verarbeiten, interessant finden und sie positiv beurteilen. Sie müssen sich auch den Namen des Geschäfts, seinen Standort und seine besonderen Angebote merken. Und sie müssen sie später auch wieder abrufen, wenn sie planen, in die Stadt zu fahren, um neue Kleider zu kaufen. Wir sprechen in diesem Kapitel also über Funktionen wie Aufmerksamkeit (Abschn. 5.1), Wahrnehmung (Abschn. 5.2), Lernen (Abschn. 5.3) und Erinnern (Abschn. 5.4). Die Kognitionspsychologie und die kognitiven Neurowissenschaften analysieren diese Prozesse, weshalb deren Erkenntnisse ein zentraler Baustein der Konsumentenverhaltensforschung sind. Wir stellen in diesem Kapitel immer wieder den Bezug zur Werbewirkungsforschung her, da sie ein wichtiges Anwendungsfeld dieser Befunde im Rahmen des Marketings ist.

5.1  Aufmerksamkeit und Informationsselektion

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5.1 Aufmerksamkeit und Informationsselektion 5.1.1 Aufmerksamkeit als serieller Flaschenhals Im Einstiegsbeispiel betrachtete Lea das Plakat erst, nachdem Ben sie darauf hingewiesen hatte. Weil nicht alle Reize aus der Umwelt in das Bewusstsein des Konsumenten vordringen, sprechen Kognitionspsychologen metaphorisch vom seriellen Flaschenhals, da an einem gewissen Punkt Informationen nicht parallel, sondern nacheinander verarbeitet werden (Anderson 2013, S. 54 ff.): Die Aufmerksamkeit hat eine Filterfunktion; sie ist für die Selektion der zu verarbeitenden Informationen verantwortlich. Sie wählt bestimmte Stimuli aus und verwirft andere, die nicht beachtet werden. Nur diejenigen Reize, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken, verarbeiten wir auch bewusst (Simons und Chabris 1999). Beispiel: Kein Gorilla und auch kein Banner in Sicht

Von Inattentional Blindness spricht man, wenn Individuen Reize nicht bemerken, die direkt vor ihren Augen ablaufen, weil ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet ist. Simons und Chabris (1999) konnten in ihren Untersuchungen zeigen, dass viele Probanden, die bei der Betrachtung eines Videoclips darauf konzentriert waren, die Ballkontakte von Basketball-Spielern zu zählen, nicht bemerkten, dass ein Mensch in einem Gorillakostüm mitten im Bild auftauchte. Ein ähnliches Phänomen ist die Banner-Blindness, die bspw. eintritt, wenn auf Internetseiten die Werbebanner auf der rechten Seite abgebildet werden (Hoffmann und Schwarz 2008). Viele Nutzer haben gelernt, dass hier Werbung geschaltet ist, und blenden diesen Bereich des Bildschirms bewusst aus. Werbetreibende sind deshalb daran interessiert, die Platzierung und das Format von Werbebannern zu variieren. Scannen Sie den QR-Code, um sich den Videoclip anzusehen.

Auf ihrem Weg mit der Straßenbahn in das Stadtzentrum unterhalten sich Lea und Ben, das Smartphone klingelt und SMS treffen ein, die Sitznachbarn unterhalten sich, durch die Lautsprecher ertönen Durchsagen, draußen fahren Autos, Fahrräder, Busse vorbei und unzählige Passanten flanieren über die Bürgersteige, zahlreiche Schriftzüge und Plakate sind auf den Häuserwänden und Litfaßsäulen zu sehen. Kein Wunder, dass Lea das Plakat des neuen Bekleidungsgeschäfts zunächst übersah. Wenn zu viele Reize auf den Konsumenten einströmen, ist er kognitiv überlastet. Wie bei einem Filter blendet er unbewusst überflüssige Reize aus. Dies ist eine sehr sinnvolle (informationsökonomische) Funktion, um effizient mit all den Reizen umgehen zu können. Für Werbetreibende ergibt sich

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5 Kognition

a­llerdings die Herausforderung, dass Konsumenten nur jene Reize verarbeiten, denen sie auch ihre Aufmerksamkeit schenken. Denn: Werbung zu schalten, ist kostspielig und wenn eine Maßnahme keine Aufmerksamkeit auf sich zieht, so kann sie auch nicht wirken. Diesen Schluss legt zumindest das AIDA-Modell, eines der bekanntesten Modelle der Werbewirkungsforschung, nahe. Es postuliert, dass Konsumenten in ihrer Reaktion auf einen werblichen Reiz folgende vier Stufen durchlaufen müssen: • • • •

Attention (Aufmerksamkeit auf die Werbemaßnahme) Interest (Interesse am Produkt) Desire (Wunsch, das Produkt zu kaufen) Action (Kauf des Produkts)

Im Einstiegsbeispiel konnte das Werbeplakat zweifellos Bens Aufmerksamkeit erlangen. Doch schon der Übergang auf die zweite Stufe, bei dem es darum ging, das Interesse am beworbenen Bekleidungsgeschäft zu wecken, ist hier nicht geglückt. Lea hat das Plakat zwar zunächst nicht beachtet; aber nachdem sie von Ben darauf hingewiesen wurde, ist bei ihr immerhin der Wunsch entstanden, das beworbene Geschäft aufzusuchen. Kritiker des AIDA-Modells führen zu Recht an, dass es zu simplifizierend sei. Zahlreiche Folgemodelle haben die verschiedensten Aspekte verfeinert und/oder angepasst. Die zentrale Botschaft des AIDA-Modells gilt aber weiterhin: Zunächst muss die Aufmerksamkeit des Konsumenten geweckt werden. Erst dann kann man in die nächsthöheren Stufen gelangen, d. h., nur dann kann der Konsument Interesse für das beworbene Produkt zeigen, den Wunsch entwickeln, das Produkt zu besitzen, und es schließlich kaufen. Die zentrale Frage ist also, wie man Aufmerksamkeit wecken kann (Hutter und Hoffmann 2014a).

5.1.2 Aufmerksamkeitsstarke Stimuli Es gibt einige Reize, die uns mit relativ hoher Sicherheit aktivieren und denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Das Marketing und insb. die Werbung nutzen dies gezielt. Die Konsumentenverhaltensforschung unterscheidet folgende drei Kategorien (Berlyne 1974; Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 81 ff.): • Intensive Stimuli: Bestimmte Reize können aufgrund ihrer physischen Beschaffenheit Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Zu diesen intensiven Stimuli zählen laute Töne genauso wie starke Gerüche. Hinsichtlich visueller Reize wirken bspw. Signalfarben stärker aktivierend und mehrere Farben aktivieren ebenfalls stärker als einzelne. Beispiele sind die Farbkombinationen bei Microsoft Windows oder Google. Im Einstiegsbeispiel hätte sich das Bekleidungsgeschäft diese Wirkung durch ein großes, leuchtendes Plakat mit kräftigen Farben zunutze machen können. Wenn sich eine Person plötzlich und fast schon reflexartig einem neu auftretenden Reiz zuwendet, so spricht man von einer Orientierungsreaktion (Posner 1980). Dies drückt sich auch

5.1  Aufmerksamkeit und Informationsselektion

75

in beobachtbarem Verhalten aus. Zum Beispiel wird der Kopf diesem Reiz zugewandt. Sie äußert sich auch in physiologischen Parametern, wie z. B. dem Weiten der Pupillen. Schließlich beeinflusst die Orientierungsreaktion auch das Erleben. Die Person wird für die Verarbeitung des Reizes sensibilisiert. Sie schenkt dem Reiz mehr Aufmerksamkeit und verarbeitet ihn tiefer. • Affektive Stimuli: Manche Reize rufen unwillkürlich intensive Emotionen hervor, die als angenehm oder unangenehm erlebt werden. Diese affektiven Stimuli eignen sich, um die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu gewinnen. Häufig sind diese Reaktionen biologisch vorprogrammiert (Abschn. 4.2.1) oder sie basieren auf Konditionierungen (Abschn. 5.3). Zu den Reizen, die unweigerlich positive Emotionen hervorrufen und denen man sich nur schwer entziehen kann, zählt bspw. das sog. Kindchenschema. Kindliche Proportionen zeichnen sich u. a. durch einen vergleichsweise großen Kopf, eine hohe Stirn, große Augen und eine kleine Nase aus. Reaktionen auf das Kindchenschema sind relativ sicher vorherzusagen und es wundert nicht, dass Werbetreibende deshalb Babys, Kleinkinder oder kleine Tiere häufig als Motiv nutzen. Auch erotische Reize können ein biologisch determiniertes Programm auslösen, weshalb die Werbebranche von „sex sells“ spricht. Übertreiben es die Werber und ist der Einsatz dieser Reize zu plump, kann es aber auch zu Ablehnungsreaktionen, der sog. Reaktanz, kommen. Ebenso kann es sein, dass der aufmerksamkeitsstarke Reiz die Aufmerksamkeit des Betrachters von der eigentlichen Botschaft ablenkt. Genauso ist es Ben im Einstiegsbeispiel ergangen. In der Werbebranche spricht man von einem Vampireffekt (bzw. wissenschaftlich von einem Overshadowing-Effekt; Erfgen et al. 2015), wenn der Rezipient einer Werbemaßnahme zwar seine Aufmerksamkeit schenkt, sie jedoch auf jene Elemente der Maßnahme richtet, die aus Sicht des Werbetreibenden die falschen sind. Typischerweise tritt dies bei erotischer Werbung auf, bei der der Rezipient bspw. das leicht bekleidete Model intensiv beäugt, aber hinterher nicht weiß, ob mit dem Plakat ein Bekleidungsgeschäft, ein Duschbad oder eine elektrische Zahnbürste beworben wurde. • Kollative Stimuli: Kollative Stimuli erzeugen dadurch Aufmerksamkeit, dass der Rezipient die Botschaft schwer einordnen und verarbeiten kann. Es entsteht eine Inkonsistenz, d. h., der Reiz passt nicht in das gewohnte Schema des Rezipienten (z. B. eine Werbeanzeige, die eine blaue Banane zeigt). Ein möglicher kollativer Stimulus in unserem Einstiegsbeispiel wäre, wenn auf dem Werbeplakat des Bekleidungsgeschäfts ein Model dargestellt wäre, das einen großen Magneten in der Hand hält, und als Slogan dabei stünde: „Sie werden unsere Kleidung anziehen“. Insbesondere durch neuartige, überraschende und widersprüchliche Reize wird der Konsument kognitiv herausgefordert. Widersprüchliche Reize werden gezielt in absurder (Arias-Bolzmann et al. 2000) oder humorvoller Werbung (Schwarz et al. 2015) eingesetzt. In der Regel verspürt der Betrachter den starken Wunsch, die Inkonsistenz aufzulösen, weshalb er sich intensiv mit dem Reiz auseinandersetzt. Der Werbetreibende hat folglich sein Ziel erreicht: Der Rezipient denkt über seine ­Botschaft nach. Auch das Guerilla-Marketing (Hutter und Hoffmann 2014a) basiert

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5 Kognition

darauf, dass Inkonsistenzen den Konsumenten überraschen und er der Werbemaßnahme seine volle Aufmerksamkeit schenkt. Hierbei ist es häufig nicht die Botschaft, die kognitiv herausfordernd ist, sondern bspw. beim Ambient-Marketing die Platzierung. Ein typisches Beispiel ist der 2007 von The Folgers Coffee Company mit einer Kaffeetasse bemalte Schachtdeckel in New York, bei dem der aufsteigende Dampf den Kaffeeduft versinnbildlichte. Beispiel: Warum stehen die Schuhe da rum?

In einer Studie zum Guerilla-Marketing wurde getestet, ob ein Schuhgeschäft seinen Tagesumsatz auf einfache und kostengünstige Weise steigern kann, wenn es einen Pfad aus Schuhen auf dem Bürgersteig aufstellt (Hutter und Hoffmann 2014b). Die Annahme war, dass diese ungewöhnliche Aktion zunächst eine Orientierungsreaktion auslöste und so Passanten, die sonst vorbeigehen würden, auf das Geschäft aufmerksam machen könne. Über 80 % der Passanten zeigten eine Orientierungsreaktion. 43,4 % zeigten daraufhin ein tieferes Interesse für den Schuhpfad und immerhin 5,3 % betraten das Schuhgeschäft. Als Vergleichsmaßstab wurde beobachtet, welcher Anteil der Passanten an gewöhnlichen Tagen (d. h. ohne Schuhpfad) das Geschäft betrat: Es waren nur 2,7 %. Die größere Kundenzahl machte sich auch in den Abverkäufen bemerkbar, die 23 % höher waren als im Vergleichszeitraum im Vorjahr.

5.1.3 Verarbeitung ohne Aufmerksamkeit Bisher sind wir davon ausgegangen, dass Maßnahmen des Marketings (z. B. eine Werbebotschaft) nur wirken, wenn der Konsument ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Hätte Ben im Einstiegsbeispiel Lea nicht auf das Plakat hingewiesen, wäre Lea an diesem Nachmittag wohl nicht in das neue Bekleidungsgeschäft gegangen. Nichtsdestotrotz sollte darauf hingewiesen werden, dass viele Prozesse auch ohne oder mit sehr wenig Aufmerksamkeit ablaufen können. Man unterscheidet deshalb kontrollierte und automatisierte Prozesse (Shriffin und Schneider 1977). Zu den automatisierten Prozessen zählt bspw. das Autofahren (nach etwas Übung bedienen Autofahrer die Kupplung und Gangschaltung ohne bewusste kognitive Kontrolle). Aber auch im Kaufverhalten verlaufen viele Prozesse spontan und automatisiert. So greifen viele Konsumenten im Supermarkt häufig automatisiert nach ihren bevorzugten Marken. Man findet in der Literatur immer wieder die Aussage, dass Werbebotschaften auch dann auf den Rezipienten wirken, wenn er diesen keine Aufmerksamkeit schenkt bzw. wenn er sie nicht bewusst wahrnimmt. Für viele Konsumenten ist dies eine beängstigende Vorstellung, da sie befürchten, vom Marketing unmerklich beeinflusst zu werden. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein (2013, S. 184) unterscheiden bei dieser unbewussten Reizverarbeitung zwei Formen. • Bewusste Wahrnehmung ist prinzipiell möglich: Unbewusste Wahrnehmung kann auftreten, wenn der Stimulus zwar wahrgenommenen werden könnte, der Konsument aber aufgrund der Filterfunktion der Aufmerksamkeit andere Aspekte fokussiert.

5.2  Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten

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Viele Reize, die nur beiläufig wahrgenommen werden, haben aber eine Verhaltenswirkung. Beispiele sind visuelle Reize im peripheren Blickfeld oder akustische Eindrücke wie Radiowerbung, die im Hintergrund abläuft. Die Werbeindustrie macht sich dies beim Product Placement zunutze, bei dem bestimmte Marken (z. B. das AppleLogo auf dem aufgeklappten Laptop) im neuesten Hollywood-Blockbuster oder beim In-Game-Advertising in einem Video-Spiel dargestellt werden. • Bewusste Wahrnehmung ist nicht möglich: Reize können auch automatisiert verarbeitet werden, wenn der Rezipient den Reiz – selbst bei voller Aufmerksamkeit – gar nicht bewusst wahrnehmen kann. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn der Rezipient dem Reiz zu kurz ausgesetzt wird. Lea sieht das Werbeplakat beispielsweise nur sehr kurz beim Vorbeifahren, da ein entgegenkommendes Fahrzeug das Plakat verdeckt. Zahlreiche Studien (siehe Janiszewski und Wyer 2014; Veltkamp et al. 2011) beschäftigen sich mit diesem als „subliminales Priming“ bezeichneten Phänomen und finden erkennbare Auswirkungen auf das Verhalten. Wie ist dies erklärbar? Die Interpretation eines Reizes beinhaltet, dass man diesen Reiz einem Schema (Abschn. 5.4.2) zuordnet. Wer ein gelbes, rotes oder grünes, rundliches Objekt der Größe eines Tennisballs mit einer Vertiefung unten sowie einer Vertiefung und einem Stiel oben sieht, der wird dieses Objekt dem Schema Apfel zuordnen. Unter Priming (Bahnung) versteht man eine Aktivierung und Sensibilisierung für ein bestimmtes Schema, sodass ein Reiz leichter identifiziert und diesem Schema zugeordnet werden kann. In sozialpsychologischen Experimenten wird häufig eine Untersuchungsgruppe einem Prime, d. h. einem Bahnungsstimulus (z. B. Bild eines Apfels), ausgesetzt und es wird geprüft, ob sich dies im Verhalten oder in den Präferenzen des Konsumenten (z. B. für ein iPhone) bemerkbar macht. Beim subliminalen Priming nehmen die Probanden den Priming-Stimulus nicht bewusst wahr, da er nur wenige Millisekunden andauert (Bargh und Chartrand 2000). Es zeigt sich, dass diese Bahnung trotzdem ihr Verhalten beeinflussen kann.

5.2 Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten Unter Wahrnehmung versteht man bewusste sensorische Erfahrungen (Goldstein 2014). Sie umfasst alle fünf Sinne (Seh-, Hör-, Berührungs-, Geruchs- und Geschmackssinn). Die über die Sinnesorgane aufgenommenen Eindrücke werden im Rahmen des Wahrnehmungsprozesses geordnet und interpretiert.

5.2.1 Top-down- und Bottom-up-Wahrnehmung Wie wir bereits besprochen haben, kann der Rezipient nicht alle auf ihn einströmenden Eindrücke verarbeiten. Die sog. selektive Wahrnehmung schützt vor einer Reizüberflutung. Stimuli aus der Umwelt, die nicht zur aktuellen Bedürfnislage passen, werden ausgeblendet und man achtet auf jene Umweltreize, die momentan relevant sind.

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5 Kognition

Wer wie Lea gerade plant, ein neues Smartphone zu erwerben, der wird einem Werbeplakat des Elektroeinzelhandels mehr Aufmerksamkeit schenken, als er es gewöhnlich tun würde. Genauso können persönliche Faktoren aber auch dazu führen, dass gewisse Reize nicht wahrgenommen werden. Informationen, die momentan nicht relevant sind, werden ausgeblendet. Hätte Ben im Einstiegsbeispiel geplant, sich eine neue Jeans zu kaufen, so wäre ihm wohl aufgefallen, dass das Plakat für ein neues Bekleidungsgeschäft warb. So aber blendete er diese Information aus. Ob ein Konsument einen Reiz wahrnimmt, hängt auch davon ab, wie häufig und intensiv er diesem Reiz zuvor schon Beachtung geschenkt hat. Unter Adaption versteht man, dass sich Rezipienten an einen Reiz gewöhnen und sie diesen dann nicht mehr sonderlich beachten, da er ihnen vertraut ist. So nimmt man ein neues Plakat auf dem täglichen Weg zur Arbeit zunächst wahr. Ebenso könnte es auch Ben im Einstiegsbeispiel ergehen. Das Model auf dem Plakat weckte seine Aufmerksamkeit und er betrachtete das Plakat zunächst intensiv. Nach wenigen Tagen ist dieses Motiv aber nichts Besonderes mehr und das Plakat setzt sich nicht mehr vom „Hintergrund“ ab. Wie schnell diese Gewöhnung abläuft, hängt nach Solomon et al. (2013, S. 136) von folgenden Faktoren ab. Man gewöhnt sich schneller an Reize, • • • • •

die weniger intensiv sind (z. B. dezente Farben), mit denen man sich länger beschäftigen musste, bevor man sie weiterverarbeitet, die einfach gestaltet sind und sich leicht unterscheiden lassen, die man schon häufiger gesehen hat und die für einen persönlich weniger relevant sind.

In der Werbewirkungsforschung spricht man von einem Abnutzungseffekt oder Wearout-Effekt. Die Werbemaßnahme verliert dann an Wirkungskraft, weil der Konsument sich an sie gewöhnt hat und sie keine neuen Informationen bietet. Aus den vorangegangenen Ausführungen lässt sich schon erahnen, dass zwei Prozesse daran beteiligt sind, wie die Aufmerksamkeit gesteuert wird und wie intensiv demzufolge Reize verarbeitet werden (Egeth und Yantis 1997). Der Bottom-up-Prozess beginnt bei den Eigenschaften des Reizes; er ist stimulusinduziert. Bei einem visuellen Reiz sind das u. a. die Größe, die Farbe, die Form etc. Über die stimulusinduzierten Prozesse hatten wir schon im Abschn. 5.1.1 gesprochen (Stichwort: intensive, affektive und kollative Stimuli). Die kognitive Verarbeitung des Werbeplakats für das Bekleidungsgeschäft würde in diesem Fall nur von den Gestaltungsmerkmalen des Plakats abhängen. Gleichzeitig läuft aber auch ein Top-down-Prozess ab, bei dem das Vorwissen und die Erfahrungen des Betrachters in die Verarbeitung des Reizes einfließen, d. h., der Prozess ist zielgesteuert. Die beiden Prozesse arbeiten zusammen und es wird deutlich, dass sich die Wahrnehmung nicht nur aus Eigenschaften des Reizes ergibt. Die kognitive Verarbeitung des Plakats hängt damit auch vom Vorwissen und der Einstellung des Betrachters ab. Wenn es Lea prinzipiell ablehnt, dass Modells leicht bekleidet auf Plakaten dargestelllt werden, so steuert dies die Art, wie sie das Plakat wahrnimmt und verarbeitet.

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5.2  Steuerung der Wahrnehmung des Konsumenten

5.2.2 Gestaltprinzipien Die Gestaltpsychologie liefert zusätzliche Erklärungen zum Einfluss der Top-downProzesse, die sich auf die visuelle Wahrnehmung beziehen und die auch für die Marketing-Kommunikation von Bedeutung sind. Sie basiert auf der schon von dem klassischen griechischen Philosophen Aristoteles geäußerten Erkenntnis: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Es gilt also, Wahrnehmungsobjekte ganzheitlich zu betrachten, da sie nach dem Prinzip der Übersummativität auch Eigenschaften besitzen, die in keinem ihrer Elemente enthalten sind. Eine ganzheitliche Betrachtung schließt neben den Einzelelementen auch die Struktur ein. Die Gestaltpsychologie hat eine Vielzahl von Prinzipien identifiziert, die unsere Wahrnehmung leitet (Goldstein 2014, S. 95 ff.). Diese Prinzipien sind u. a. für die Gestaltung von Werbeanzeigen, Webseiten oder Markenlogos wichtig, um die Wahrnehmung zu vereinfachen und zu steuern. Einige wichtige sind in Abb. 5.1 dargestellt: • Prinzip der Geschlossenheit: Dem Gesetz der Übersummativität folgend nehmen Rezipienten Elemente als Einheit wahr, wenn sie geschlossen wirken. Der Betrachter ergänzt auch nicht dargestellte Elemente entsprechend seiner Vorstellung, um die Elemente zu einem Ganzen zu vervollständigen. Aufgrund dieses Prinzips „sieht“ man auf der linken Darstellung in Abb. 5.1 ein Dreieck, das eigentlich gar nicht eingezeichnet ist. • Prinzip der Ähnlichkeit:Auch mehrere gleichartige Elemente fügen Rezipienten in ihrer Vorstellung zu einem größeren Ganzen zusammen. Dies kann auf Basis der Größe, Farbe, Form etc. geschehen. In der zweiten Darstellung von links in Abb. 5.1 meint man, vier Spalten zu erkennen, da man die Dreiecke und Rauten jeweils zu Gruppen ordnet. Tatsächlich sind aber die 16 Elemente im gleichen Abstand zueinander dargestellt. • Prinzips der Nähe: Nach derselben Logik ordnet man auch Elemente, die nahe beieinanderstehen, zu Gruppen und grenzt Elemente, die weiter entfernt davon sind, ab. Dies ist in Abb. 5.1 in der zweiten Darstellung von rechts veranschaulicht. • Prinzip von Figur und Grund: Bei optischen Sinneseindrücken nimmt man eine Kategorisierung in Figur und Grund vor. Die Figur ist das (meist kleinere und z­ entrale)

Prinzip der Geschlossenheit

Prinzip der Ähnlichkeit

Prinzip der Nähe

Figur und Grund

Abb. 5.1  Gestaltprinzipien. (In Anlehnung an Goldstein 2014; Rubin 1921)

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5 Kognition

Objekt, das im Fokus der Wahrnehmung steht. Davon abgegrenzt wird der Grund, der als diffuser Hintergrund wahrgenommen wird. Die Rubinsche Vase, die Darstellung auf der rechten Seite von Abb. 5.1, ist ein besonders schönes und häufig zitiertes Beispiel dafür, dass Informationen simultan top-down und bottom-up verarbeitet werden (Rubin 1921). Die Eigenschaften dieses Kippbildes sind ambivalent. Je nach Top-downErklärung nimmt der Betrachter eine andere Figur wahr: Eine Vase (weiße Fläche = Figur) oder zwei einander zugewandte Gesichter (schwarze Flächen = Figur). Eine stabile Relation von Figur und Grund bietet den Vorteil, dass sich die Figur klar absetzt, dass ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und dass sie damit besser memoriert wird.

5.3 Erlernen des Konsumentenverhaltens So wie anderes Verhalten auch ist das Konsumentenverhalten erlernt. Viele Lerntheorien entstammen dem sog. Behaviorismus, wobei man hier unter Lernen eine Verhaltensänderung auf Basis von Erfahrungen versteht. Der Behaviorismus basiert auf dem S-R-Schema (dem Stimulus-Response-Modell; Abschn. 1.1) und es werden beobachtbare Reize und beobachtbare Veränderungen im Verhalten betrachtet. Das heißt, in den behavioristischen Lerntheorien wird die Organismusvariable (das „O“ im S-O-R-Schema) nicht modelliert, oder anders ausgedrückt, die „Black Box“ bleibt geschlossen. Die zwei wichtigsten Ansätze sind die klassische Konditionierung und die operante Konditionierung, die wir hier vorstellen. Eine weitere Lerntheorie, die ebenfalls sehr einflussreich ist und die kognitive Bestandteile enthält, ist das Modelllernen.

5.3.1 Konditionierung des Konsumentenverhaltens Das Prinzip der klassischen Konditionierung geht auf Iwan Pawlow (1928) zurück. Der russische Physiologe entdeckte dieses Prinzip zufällig bei Experimenten mit Hunden. Abb. 5.2 veranschaulicht den idealtypischen Ablauf der klassischen Konditionierung, bei dem es darum geht, einen zunächst neutralen Reiz „aufzuladen“. Im klassischen Experiment von Pawlow ist dieser neutrale Reiz ein Glöckchen. Im Marketing-Kontext könnte es der Schriftzug einer Marke sein. Zusätzlich existiert ein unkonditionierter Reiz, der eine positive Reaktion hervorruft. Dies war im klassischen Experiment die Futterschüssel, die den Speichelfluss des Hundes auslöste. Im Konsumentenverhalten könnte dies bspw. das Schauen der Lieblingsfernsehsendung sein, die ein wohliges Gefühl der Geborgenheit auslöst. Nun wird der zunächst neutrale Reiz wiederholt mit dem unkonditionierten Reiz gemeinsam dargeboten. Dabei kommt es auf Kontiguität, d. h. räumliche und zeitliche Nähe der beiden Reize an. Im klassischen Experiment wurde das Glöckchen immer geläutet, wenn dem Hund der Futternapf vorgesetzt wurde. In unserem Beispiel wird der Schriftzug der Marke eingeblendet, während der Konsument fern sieht. Nach einer gewissen Zeit reicht der zunächst neutrale Reiz aus, um die Reaktion

5.3  Erlernen des Konsumentenverhaltens Reiz 1

81 Reaktion

Unkonditionierter Reiz Lieblingsserie im TV Unkonditionierte Reaktion

2 Neutraler Reiz

Schriftzug der Marke

3 Unkonditionierter Reiz Lieblingsserie im TV + Schriftzug der Marke Neutraler Reiz

Keine spezifische Reaktion

Unkonditionierte Reaktion

4 Konditionierter Reiz

Schriftzug der Marke

Konditionierte Reaktion

Abb. 5.2  Klassische Konditionierung

auszulösen. Der Reiz ist nun konditioniert. Auf diese Weise lassen sich Marken emotional aufladen. Erdinger Weißbier nehmen Konsumenten aufgrund der typisch bayerischen Werbung als urig und gemütlich etc. wahr, während das nahezu identische Produkt von Schöfferhofer aufgrund der Werbung mit einem flachen Frauenbauch und dem französischen Akzent der Werbesprecherin mit Erotik assoziiert wird. Die operante Konditionierung geht insb. auf den US-amerikanischen Psychologen Burrhus Skinner (1965) zurück. Die Grundidee besteht darin, dass man Verhaltensweisen, die mit positiven Folgen verbunden sind, häufiger ausführt und jene Verhaltensweisen, die negative Folgen nach sich ziehen, meidet. Skinner konnte experimentell nachweisen, dass Tiere eine Verhaltensweise wahrscheinlicher wieder zeigen, wenn sie nach der Ausführung des Verhaltens mit Futter belohnt bzw. verstärkt wurden. Dagegen sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Tiere die Verhaltensweise nochmals ausüben, wenn sie bestraft wurden. Dies wird als Verstärkungsprinzip bezeichnet: Die Auftretenswahrscheinlichkeit ist von den Konsequenzen des Verhaltens abhängig. Das US-amerikanische Unternehmen Shopkick verstärkt das Verhalten der Konsumenten per App. Wer die Shopping-App besitzt und durch bestimmte teilnehmende Geschäfte bummelt, erhält von kleinen ­Bluetooth-Sendern im Eingangsbereich als Belohnung für das Betreten des Geschäfts sog. Kicks, die er später in Gutscheine eintauschen kann.

5.3.2 Modelllernen – Von anderen Konsumenten lernen Klassisches und operantes Konditionieren sind behavioristische Lerntheorien. Lernen entsteht über wiederholte Reiz-Reaktions-Schemata, die in Automatismen übergehen. Um einen typischen Wissenserwerb zu erklären, wie er bspw. entsteht, wenn wir für eine

82

5 Kognition

Prüfung lernen, reichen diese behavioristischen Theorien alleine nicht aus. Kognitive Lerntheorien betrachten auch mentale Aktivitäten während des Lernprozesses. Sie verstehen Individuen als Problemlöser und fokussieren deshalb nicht nur darauf, wie häufig diese Reiz-Reaktions-Schemata verarbeiten. Vielmehr geht es auch um die Tiefe der Verarbeitung, d. h. die Elaboration, sowie die Einsichten während des Lernprozesses. Diese Theorien können erklären, dass in manchen Fällen auch einzelne Expositionen von Informationen ausreichen, um neues Wissen zu erwerben. Auf diesen kognitiven Lerntheorien baut eine dritte wichtige Form des Lernens auf, die wir hier betrachten wollen: das Lernen am Modell bzw. das Imitationslernen, das auf Banduras (1977) sozial-kognitiver Lerntheorie beruht. Hierbei geht man davon aus, dass der Konsument nicht unbedingt selbst Erfahrungen sammeln muss und für seine Verhaltensweisen nicht selbst belohnt oder bestraft werden muss. Er kann auch dadurch lernen, dass er bei einem anderen Konsumenten (d. h. dem Modell) beobachtet, welche Verstärkung dieser für sein Verhalten erfährt. Als Voraussetzung für diese Form des Lernens müssen Individuen zunächst ihre Beobachtungen memorieren und dieses Wissen zu einem späteren Zeitpunkt abrufen. Im Marketingkontext sind sog. Referenzkunden relevant. Diese Kunden haben das Produkt bereits getestet und berichten positiv darüber oder sie dienen als Vorbild in der Produktnutzung. Wer bspw. bei einem anderem beobachtet, dass dieser immer gute „Locations“ kennt, weil er die richtige App nutzt, wird selbst auch diese App nutzen wollen, um die gleiche soziale Anerkennung zu genießen. Auch in der Werbung nutzt man dieses Prinzip gezielt aus, indem die Werbefiguren auf bestimmte Produkte hinweisen und berichten, welche positiven Erlebnisse sie hatten, nachdem sie das Produkt genutzt hatten. Viele junge Mädchen lernen sprichwörtlich am Modell, indem sie die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ anschauen und im Anschluss denselben Look wie die Teilnehmerinnen tragen wollen. Auch die teilweise von Unternehmen bezahlten Produkttester auf YouTube oder Instagram können Konsumenten als Modell dienen. Blogger und Social Media Influencer wie Bianca Heinicke von BibisBeautyPalace sind heute typische Modelle für viele Jugendliche.

5.4 Repräsentation des Konsumwissens im Gedächtnis Wissen spielt eine zentrale Rolle für das Konsumentenverhalten. Es beeinflusst bspw., wie Konsumenten verschiedene Produktalternativen abwägen können. Doch wie ist Wissen über Produkte und Dienstleistungen und wie sind bisherige Konsumerfahrungen abgespeichert?

5.4.1 Die klassische Dreiteilung des Gedächtnisses Ein bekanntes Modell des Gedächtnisses ist das „Drei-Speicher-Modell“ (Atkinson und Shiffrin 1968). Die simplifizierende Dreiteilung gilt inzwischen als überholt;

5.4  Repräsentation des Konsumwissens im Gedächtnis

83

n­ ichtsdestotrotz bietet das Modell einen guten ersten Zugang, um die komplexe Gedächtnisleistung des menschlichen Gehirns zu verstehen. Es unterscheidet idealtypisch zwischen drei verschiedenen Gedächtnissystemen, die miteinander in Wechselwirkung stehen: • Sensorisches Gedächtnis: Es wird auch als Ultrakurzzeitspeicher bezeichnet und bildet Sinneseindrücke ab, d. h. zum Beispiel das, was die Person sieht oder hört. Diese sensorischen Informationen werden zwar mit einer sehr hohen Kapazität festgehalten; dafür aber zeitlich sehr begrenzt (Gerrig 2014, S. 243 ff.). Visuelle Eindrücke verblassen in weniger als einer Sekunde und auch akustische Eindrücke bleiben nur wenige Sekunden bestehen. Nur jene Reize, denen der Rezipient seine Aufmerksamkeit schenkt, werden weiter verarbeitet und interpretiert. • Kurzzeitgedächtnis: In Analogie zu Computern lässt sich das Kurzzeitgedächtnis auch als Arbeitsspeicher verstehen (Baddeley 1992). Das Kurzzeitgedächtnis kann Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abrufen. Auch Reize aus dem sensorischen Speicher werden im Kurzzeitgedächtnis verarbeitet. Damit die Information nicht in Vergessenheit gerät, muss sie ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Wer sich an das Lernen auf die letzte Prüfung erinnert, weiß, dass dies nicht immer ein einfaches Unterfangen ist und dass die Vergessensrate groß ist. Denn die Kapazität des Kurzeitgedächtnisses ist sehr eingeschränkt: Nach der Chunking-Hypothese von George Miller (1956) können nur ca. sieben (plus/minus zwei) Informationseinheiten gleichzeitig bearbeitet werden. Ein simples Wort oder eine einfache Ziffer, aber auch größere Gebilde wie Namen von Personen, Ländern oder Marken können einen Chunk, d. h. eine bedeutungsvolle Informationseinheit, bilden. Um die Kapazität zu steigern, sollten Informationen deshalb zu Chunks gebündelt werden. Sich die folgende Einkaufsliste zu merken, wird den meisten schwer fallen: Eier, Limetten, Erdnüsse, Rum, Milch, Star-Wars-DVD, Cola, Apfelmus, Bier, Butter, Chips und Zucker. Wer dagegen zwei Chunks bildet und sich einprägt, dass er Zutaten zum Pfannkuchenbacken und das Übliche für den Männerabend braucht, der muss sich keine Einkaufsliste schreiben. • Langzeitgedächtnis: Da seine Kapazität praktisch unbegrenzt ist, werden alle Informationen, seien es Erfahrungen, Wissen, Emotionen etc., dauerhaft im Langzeitgedächtnis abgelegt. Was man umgangssprachlich als Vergessen bezeichnet, beschreibt häufig das Problem, dass man Informationen nicht mehr abrufen kann. Ganz so, als wüsste man nicht mehr, unter welchem Ordner der Festplatte man eine bestimmte Datei abgespeichert hat. Einen Erinnerungsverlust, der dadurch zustande kommt, dass neu erworbene Informationen die früheren überschreiben, bezeichnet man als Interferenz (Anderson 2013, S. 142 ff.).

84

5 Kognition

5.4.2 Wissensrepräsentation Es lassen sich zwei Formen des gespeicherten Wissens unterscheiden (Rolls 2000; Schacter und Tulving 1994). • Das deklaratorische Gedächtnis umfasst Wissen über Fakten und Ereignisse (­Gerrig 2014, S. 240 ff.), wobei man zwei Untergruppen abgrenzen kann. Das semantische Gedächtnis bezieht sich auf Fakten (z. B. Leas Wissen über die Marke und die Produkte der Firma Apple). Das episodische Gedächtnis umfasst dagegen persönliche Erfahrungen (z. B. wie freundlich der Verkäufer beim letzten Besuch im AppleStore zu Lea war). Evolutionär bedingt, können sich Menschen Geschichten häufig besser einprägen als abstrakte Konzepte. Dies hat auch die Marketingpraxis erkannt und sie versucht derzeit im Rahmen von Trends wie dem Content-Marketing und der Methode des Storytellings – ähnlich wie unsere Vorfahren am Lagerfeuer –, Marken mit Geschichten im Gedächtnis des Konsumenten zu verankern (Sammer 2014). Das vorliegende Buch möchte das Erinnerungsvermögen mithilfe der Fallbeispiele von Lea und Ben stärken. • Das prozedurale Gedächtnis enthält dagegen die mentale Abbildung von Handlungen, wie z. B. das Gangschalten beim Autofahren oder das Wischen über ein Smartphone. Es wird häufig angenommen, dass sich das im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wissen als assoziatives Netzwerk darstellen lässt (Collins und Loftus 1975). Assoziative Netzwerke werden durch Knoten und Kanten charakterisiert. Die Knoten stehen für eine Informationseinheit. Sie können u. a. ein Produkt (z. B. Sportschuhe), eine Eigenschaft (z. B. Haltbarkeit) oder auch – für den Marketingkontext besonders relevant – eine Marke repräsentieren (z. B. Nike) (vgl. Krishnan 1996). Die Verbindungen bzw. Kanten zwischen den Knoten repräsentieren die Assoziationen zwischen den Informationseinheiten (Anderson 2013, S. 100 f.). Wie stark diese Verbindungen sind, ist davon abhängig, wie häufig diese beiden Informationen gemeinsam abgerufen werden oder wie viel Aufwand eine Person benötigte, um die Informationen gemeinsam abzuspeichern. Dies kennt jeder vom Vokabeln-Lernen. Wenn nun später ein Knoten aktiviert wird, wird durch die assoziative Verbindung auch der andere Knoten aktiviert. Dies ist in der Marketing-Wissenschaft insb. relevant, um Markenwissen abzubilden (Keller 1993). Das Marketing möchte selbstverständlich die assoziativen Netzwerke der Konsumenten kennen und diese auch möglichst durch Marketingkommunikation mitgestalten. Abb. 5.3 zeigt ein assoziatives Netzwerk der Marke Nike. Menschen bilden semantisches (d. h. bedeutungsmäßiges) Wissen sowohl über konkrete Objekte (z. B. ein Mobiltelefon) als auch über abstrakte Konzepte (z. B. Mobilität) in Form von Schemata ab (Rumelhart 1980). Schemata dienen der Strukturierung und Kategorisierung des Wissens. Sie enthalten Annahmen darüber, welche Attribute einem Objekt normalerweise zugeordnet sind und wie diese Attribute üblicherweise

5.5 Lernhilfe

85

Training Haltbarkeit

Laufen Sportschuhe

Swoosh

Nike Michael Jordan

Reebok

teuer

AerobicSchuhe

Griechische Göttin

Abb. 5.3  Assoziative Netzwerke. (In Anlehnung an Krishnan 1996)

ausgeprägt sind (Anderson 2013, S. 106 ff.). Neue Objekte werden anhand dessen kategorisiert. Eine Person könnte bspw. in ihrem Smartphone-Schema abgespeichert haben, dass diese beim Attribut Displaygröße zwischen 3,5 und 6,3 Zoll variieren. Ein Objekt mit einer Bildschirmdiagonale von zehn Zoll würde sie deshalb nicht dem Schema Smartphone, sondern dem Schema Tablet-PC zuordnen. Sobald ein Schema aktiviert ist, können auch unvollständige Informationen interpretiert werden. Wenn man das Objekt Tablet identifiziert hat, geht man davon aus, dass eine Bedienung per Wischen möglich ist – auch wenn man diese Information noch nicht erhalten hat. Marken werden ebenfalls als Schema abgespeichert. Ein Skript (bzw. ein Ereigniskonzept) ist ein spezifisches Schema, das prozedurales Wissen, d. h. stereotypische Sequenzen von Handlungen, abbildet (z. B. per EC-Karte bezahlen, Bestellungen beim Online-Händler aufgeben etc.). Schemata betreffen dabei eher das „Was“ und Skripte das „Wie“.

5.5 Lernhilfe Quintessenz

Zu den kognitiven Prozessen zählen u. a. Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Lernen und Wissensrepräsentation. Aufmerksamkeit gilt als wichtige Voraussetzung für die weitere Verarbeitung von Informationen. Sie kann durch affektive, kollative und intensive Stimuli gesteigert werden. Die Wahrnehmung ist ein selektiver Prozess. Lernen erfolgt u. a. durch klassische und operante Konditionierung oder durch Lernen am Modell. Das Drei-Speicher-Modell unterscheidet das sensorische, das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis. Das im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wissen lässt sich anhand von assoziativen Netzwerken und Schemata darstellen.

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5 Kognition Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Von ____________ spricht man, wenn Konsumenten Reize nicht bemerken, die direkt vor ihren Augen ablaufen, weil ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet ist. Richtig oder falsch? Menschen können nur einen Bruchteil der auf sie einströmenden Reize verarbeiten. Gemäß dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung schützt man sich vor einer ­Reizüberflutung, indem man jene Umweltreize fokussiert, die momentan für einen relevant sind, und diejenigen Reize aus der Umwelt ausblenden, die nicht zur aktuellen Bedürfnislage passen. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Der Wahrnehmungsprozess … O … ist auf maximal vier Chunks beschränkt. O … wird sowohl bottom-up (vom Reiz ausgehend) als auch top-down (vom Individuum ausgehend) gesteuert. O … folgt nach der Gestaltpsychologie dem Gesetz der Übersummativität. O … wird durch operantes Konditionieren gesteuert. Vernetzende Fragestellung

Lea und Ben haben im Einstiegsbeispiel unterschiedliche Facetten derselben Werbemaßnahme wahrgenommen. Überlegen Sie auf Basis des in diesem Kapitel vermittelten Wissens, woran dies liegen könnte. Schauen Sie sich in den nächsten Tagen alle Werbemaßnahmen, die Ihnen begegnen, kritisch an. Achten Sie auf Maßnahmen verschiedener Hersteller und für verschiedene Produktkategorien. Schauen Sie sich Maßnahmen in verschiedenen Medien und Werbeträgern an wie bspw. im Fernsehen, auf YouTube, im Radio, im Kino, auf Plakaten, in Zeitungen, auf Facebook etc. Überlegen Sie, welche dieser Maßnahmen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen können. Durch welche Elemente der Werbemaßnahmen wird dies erreicht? An welche Elemente der Werbemaßnahmen werden sich die Rezipienten wohl später erinnern können? Durch welchen Lernmechanismus wird dies erreicht?

Weiterführende Literatur Anderson, J. R. (2013). Kognitive Psychologie (7. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS. Goldstein, E. B. (2014). Wahrnehmungspsychologie. Der Grundkurs (9. Aufl.). Heidelberg: ­Springer. Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen.

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6

Einstellung

u

Mein Lieblingsauto ist ein Fahrrad  „Zum Glück komme ich mit dem Fahrrad und der Bahn überall hin“, antwortet Lea auf die Frage nach ihrem Lieblingsauto. „Aber wenn ich mir mal ein Auto kaufen sollte, dann ein Elektroauto. Die stoßen weniger CO2 aus als Benziner. Und das ist mir wichtig.“ „Also ich finde Elektroautos zu fahren, ziemlich uncool. Das sehen übrigens fast alle so“, erwidert Ben. „Sie sind viel zu lahm. Man kommt nicht weit, weil man die Batterie ständig aufladen muss. Und das dauert dann auch. Außerdem sind sie zu teuer.“ „Im Moment vielleicht noch. Aber das ändert sich. Die Verbreitung der Ladestationen wird ausgebaut und ich habe vor Kurzem in der Zeitung gelesen, dass die Bundesregierung bei der Anschaffung eines Elektroautos eine Prämie von mehreren tausend Euro zahlen möchte.“ Wie wird sich Lea wohl verhalten, wenn tatsächlich mal der Kauf eines eigenen Pkws ansteht? Welchen Einfluss hat ihre Einstellung auf ihr Kaufverhalten? Wie wirkt sich die Meinung ihres sozialen Umfelds und insb. die von Ben auf sie aus? Und welche weiteren Faktoren sollte man beachten, wenn man vorhersagen möchte, wie sich Lea verhalten wird?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_6

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90

6 Einstellung

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • welcher Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten besteht (Abschn. 6.1), • wie man Einstellungen misst (Abschn. 6.2), • wie man Einstellungen ändern kann (Abschn. 6.3) und • was implizite Einstellungen sind und wie man sie misst (Abschn. 6.4), … indem Sie die Einstellung des Konsumenten durch folgende Theorien und Modelle betrachten: • Drei-Komponenten-Modell, • Theorie des geplanten Verhaltens, • Fishbein-Modell, • Elaboration-Likelihood-Modell und • MODE-Modell.

6.1 Einstellung und Verhalten Einstellung ist ein zentrales Konstrukt in der Marketing- und Konsumentenverhaltensforschung, da man davon ausgeht, dass Einstellungen einen starken Einfluss auf das (Konsum-)Verhalten haben. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten nicht ganz einfach und eindeutig, wie wir noch sehen werden. Doch zunächst: Was sind Einstellungen eigentlich?

6.1.1 Drei-Komponenten-Modell der Einstellung Eine Einstellung lässt sich als psychologische Tendenz beschreiben, die sich darin äußert, dass man Gegenstände, Personen, Ideen, Marken, Unternehmen oder Verhaltensweisen mehr oder weniger positiv oder negativ bewertet (Eagly und Chaiken 1993, S. 1). Eine Einstellung ist demzufolge wertend und (anders als Werte) immer auf ein Objekt oder Verhalten bezogen. Zudem sind Einstellungen gelernt (d. h. nicht angeboren) und relativ dauerhaft (Trommsdorff und Teichert 2011, S. 126). uMerke  Einstellungen sind wertend, objektbezogen, gelernt und relativ dauerhaft.

6.1  Einstellung und Verhalten

91

Ein weit verbreiteter Ansatz, um Einstellungen zu konzeptualisieren, ist das DreiKomponenten-Modell (Rosenberg und Hovland 1960). Es besteht aus folgenden Komponenten: • Die kognitive Komponente umfasst das Wissen über das Einstellungsobjekt und die Gedanken zum Einstellungsobjekt. So könnte ein Konsument wissen, dass Elektroautos vergleichsweise gut für die Umwelt sind, da sie weniger CO2 ausstoßen als konventionelle Automobile mit Verbrennungsmotor. • Die affektive Komponente bezieht sich darauf, wie der Konsument das Einstellungsobjekt emotional bewertet, d. h. bspw. inwiefern er Elektroautos gut findet. • Die konative Komponente betrifft schließlich die Handlungen, die mit diesem Objekt zusammenhängen. Besonders relevant ist im Kontext des Konsumentenverhaltens die Kaufbereitschaft. Die konative Komponente resultiert aus dem Zusammenspiel der eng miteinander verknüpften kognitiven und affektiven Komponente. In unserem Beispiel könnte das bedeuten, dass die Person weiß, dass Elektroautos einen vergleichsweise geringen CO2-Ausstoß aufweisen, und dass sie dies gut findet und deshalb plant, ein Elektroauto zu erwerben und zu nutzen.

6.1.2 Einstellungs-Verhaltens-Lücke Nach der Einstellungs-Verhaltens-Hypothese ist die Einstellung gegenüber einem Objekt ein verlässlicher Prädiktor dafür, welches Verhalten die Person in Bezug auf das Objekt zeigen wird. Wir alle wissen jedoch aus unserem Alltag, dass wir nicht immer einstellungskonform handeln. Wer eine positive Einstellung gegenüber ökologischen Produkten aufweist, entscheidet sich dennoch nicht immer am Point-of-Sale für ökologische Produkte. Neben dieser Alltagsbeobachtung belegen auch zahlreiche empirische Studien, dass die an sich plausible Einstellungs-Verhaltens-Hypothese relativiert werden muss. Zwar besteht zwischen der Einstellung bzw. der Verhaltensabsicht und dem tatsächlichen Verhalten oft ein statistisch signifikanter Zusammenhang; dieser ist aber relativ schwach und das Verhalten lässt sich nur in Ansätzen erklären (Armitage und Conner 2001; Webb und Sheeran 2006). Die Frage, die sich aufdrängt und die die Einstellungsforschung bis heute beschäftigt, ist, welche weiteren Faktoren beachtet werden müssen, damit Verhaltensprognosen, die auf Einstellungen basieren, verbessert werden können.

6.1.3 Kompatibilität Ein wichtiges Prinzip, um die Vorhersagevalidität von Einstellungen zu verbessern, ist das der Kompatibilität (Ajzen 1988; Fishbein und Ajzen 1975). Dementsprechend sollte das Niveau der Messung von Einstellungen und Verhalten übereinstimmen. Sowohl Einstellungen als auch Verhalten lassen sich anhand der Kriterien Zielobjekt, ­Handlung,

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6 Einstellung

Kontext und Zeit spezifizieren. Je höher der Grad der Übereinstimmung ist, desto genauer lässt sich Verhalten auf Basis von Einstellungen prognostizieren. Eine relativ unspezifische Aussage zum Umweltschutz wäre bspw.: „Ich fände es gut, wenn die Umweltverschmutzung reduziert wird.“ Wer dieser Aussage generell zustimmt, wird sich in einem spezifischen Kontext evtl. doch nicht ökologisch verhalten. Wird diese Person bspw. mit Sicherheit auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit auf das eigene Auto verzichten? Es ist zu erwarten, dass jemand, der dieser unspezifischen Aussage zustimmt, beim konkreten Zielobjekt „Auto“ und der Handlung „als alleiniger Insasse fahren“ im Kontext „es rechtzeitig zur Arbeit zu schaffen“ zu der Zeit „morgens kurz vor 8 Uhr“ weniger auf die umweltbewusste Alternative schauen wird als jemand, der die folgende sehr spezifische Einstellung äußert: „Ich finde es gut, jeden Tag auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit auf das eigene Auto zu verzichten und stattdessen den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen.“

6.1.4 Theorie des geplanten Verhaltens Neben der Kompatibilität sollten aber noch weitere Faktoren beachtet werden, wenn man anhand von Einstellungen Verhalten vorhersagen möchte. Im Folgenden stellen wir die wohl bekannteste Theorie zur Erklärung des Einstellungs-Verhaltens-Zusammenhangs vor: die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior, TPB, Ajzen 1991; Abb. 6.1). Sie postuliert, dass die Verhaltensabsicht als Mediatorvariable (Abschn. 1.3.2) den Einfluss der Einstellung auf das Verhalten vermittelt. Das heißt, eine positive Einstellung führt zunächst zu einer höheren Verhaltensabsicht und diese erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Person das Verhalten zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich ausführt. Neben der persönlichen Einstellung sollte der Einfluss der subjektiven Norm und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle auf die Verhaltensabsicht betrachtet werden: • Die Einstellung gegenüber dem Verhalten ist das Produkt von zwei Größen: Zunächst sind die erwarteten Verhaltenskonsequenzen zu nennen, d. h. die Frage, Einstellung gegenüber dem Verhalten

Subjektive Norm

Verhaltensabsicht

Verhalten

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

Abb. 6.1  Theorie des geplanten Verhaltens. (In Anlehnung an Ajzen 1991)

6.2  Messung von Einstellungen

93

welcher Zielzustand sich durch die Ausführung des Verhaltens wohl ergeben wird. So nimmt Lea in unserem Einstiegsbeispiel an, dass durch den Kauf eines Elektroautos der CO2-Ausstoß pro gefahrenem Kilometer reduziert wird. Zweitens die Bewertung der Verhaltenskonsequenzen, die erfasst, ob man den erwarteten Zielzustand als wünschenswert beurteilt. Zweifellos hält Lea als ökologisch denkende Konsumentin eine Reduktion des CO2-Ausstoßes für erstrebenswert. Diese beiden Größen werden in einem sog. Erwartungs-X-Wert-Produkt zusammengeführt (vgl. Abschn. 6.2). Daraus ergibt sich die Einstellung gegenüber der Verhaltensweise. Wenn wir uns nochmals das Drei-Komponenten-Modell (Abschn. 6.1.1) vergegenwärtigen, sehen wir, dass die erwarteten Verhaltenskonsequenzen die kognitive Komponente und die Bewertung die affektive Komponente widerspiegeln (vgl. Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 273). • Auch die subjektive Norm lässt sich als Resultat aus dem Produkt von zwei Größen verstehen: Erstens schätzt das Individuum die Erwartungen wichtiger Bezugspersonen hinsichtlich des Verhaltens ein. Wie würden es bspw. Freunde oder Verwandte beurteilen, wenn sich Lea ein Elektroauto kaufen würde? Im Einstiegsbeispiel hat Ben eine eindeutig ablehnende Haltung geäußert. Doch das alleine muss noch nicht zu einer Änderung in Leas Verhalten führen. Es ist nämlich zweitens auch entscheidend, ob man den Erwartungen anderer überhaupt entsprechen möchte. Die subjektive Norm ergibt sich aus dem Produkt dieser beiden Komponenten. • Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle umfasst, inwiefern man sich in der Lage sieht, in der gewünschten Weise zu handeln. Die Verhaltensabsicht ist umso schwächer und das tatsächliche Verhalten umso unwahrscheinlicher, je mehr Hindernisse auftreten. Mögliche Barrieren können fehlende zeitliche oder finanzielle Ressourcen sein. In unserem Einstiegsbeispiel nannte Ben als Hinderungsgrund, dass bislang zu wenige Ladestationen für Elektroautos vorhanden sind. Anders als die persönliche Einstellung und die subjektive Norm kann die wahrgenommene Verhaltenskontrolle sich auch direkt auf das Verhalten auswirken. Wer z. B. nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, kann sich kein Elektroauto kaufen, auch wenn er eine positive Einstellung gegenüber Elektroautos aufweist.

6.2 Messung von Einstellungen Es gibt viele Möglichkeiten, Einstellungen zu messen (siehe z. B. Trommsdorff und Teichert 2011, S. 145 ff.). Die einfachste Variante der Einstellungsmessung sind eindimensionale Messmethoden, bei denen lediglich eine zusammenfassende Bewertung abgefragt wird. Die Frage wäre also bspw., ob eine Person Elektroautos generell gut oder schlecht beurteilt. Häufig werden sog. Likert-Skalen eingesetzt, bei denen der Proband mehrere Aussagen jeweils auf einer mehrstufigen Antwortskala (z. B. von -3 „lehne ab“ bis +3 „stimme zu“) einstufen muss. Der Forscher summiert alle Angaben anschließend zu einem Gesamtwert.

94

6 Einstellung

Bei mehrdimensionalen Messmethoden wird eine komplexere Struktur der Einstellung erfasst. Dahinter steht die Annahme, dass sich die Gesamteinstellung aus mehreren Bewertungsdimensionen ergeben kann. Elektroautos könnte man bspw. hinsichtlich Funktionalität, Design, sozialem Ansehen, Lebensdauer, Reichweite der Akkus, CO2-Emissionen etc. bewerten. Bei mehrdimensionalen Messmethoden kann man wiederum komponierende und dekomponierende Methoden abgrenzen (Trommsdorff und Teichert 2011, S. 147 ff.). Bei den komponierenden Methoden bildet man aus Einzelurteilen ein Gesamturteil. Besonders weite Verbreitung fand das Fishbein-Modell (Fishbein und Ajzen 1975). Wie bei der Vorstellung der Theorie des geplanten Verhaltens beschrieben (Abschn. 6.1.4), basiert es auf Erwartungs-X-Wert-Produkten (vgl. Abb. 6.2). Der Proband bewertet mehrere Eigenschaften (i) eines Einstellungsobjekts getrennt voneinander. Jede Eigenschaft wird dabei zweimal eingestuft. Zunächst wird die Überzeugung des Probanden erfasst, ob das Einstellungsobjekt eine bestimmte Eigenschaft aufweist bzw. ob das Zielverhalten (z. B. ein Elektroauto fahren) zu einer bestimmten Konsequenz (z. B. einer Reduktion der CO2-Emission pro gefahrenem Kilometer) führt (Komponente b, Überzeugung bzw. „belief“). Zusätzlich erfasst man die subjektive Bewertung (e, „evaluation“) dieses Verhaltensergebnisses. Diese beiden Angaben werden miteinander multipliziert. Weitere Eigenschaften werden auf dieselbe Art zweistufig erfasst. Zum Beispiel könnte man nach dem Design, der Sportlichkeit, dem Statuswert und dem CO2-Ausstoß des Autos fragen. Die Produkte jeder Eigenschaftsdimension werden aufsummiert und so wird ein Gesamtwert der Einstellung (A, „attitude“) ermittelt. Leas Überzeugungen hinsichtlich eines Elektroautos könnten auf einer Skala von 0 bis 5 evtl. folgendermaßen aussehen: bDesign = 3, bSportlichkeit = 0, bStatus = 2, bCO2-Emission = 5. Bei einem Benziner aus der unteren Mittelklasse käme sie evtl. zu folgender Einstufung: bDesign = 4, bSportlichkeit = 3, bStatus = 3, bCO2-Emission = 1. Zieht man nun ihre subjektive Bewertung der vier Dimensionen heran (eDesign = 1, eSportlichkeit = 1, eStatus = 2, eCO2-Emission = 5), ergibt sich eine Einstellung von A = 3 + 0 + 4 + 25 = 32 für das Elektroauto und A = 4 + 3 + 6 + 5 = 18 für den Benziner. Eine klare Entscheidung für das Elektroauto bei der ökologisch denkenden Lea. Bei dekomponierenden Methoden werden Einstellungsobjekte als Ganzes beurteilt und über geeignete Methoden wird versucht, die Bewertung und Bedeutung einzelner Eigenschaften abzuleiten. Ein Beispiel ist die Conjoint-Analyse. Hierbei müssen die Probanden Präferenzen für gesamte Objekte (bzw. Produkte), die als Eigenschaftsbündel

=

× =

1

Abb. 6.2  Erwartungs-X-Wert-Modell

A b e i

- Einstellung (attitude) - Überzeugung (belief) - Bewertung (evaluation) - Eigenschaft

95

6.3 Einstellungsänderung

beschrieben werden, abgeben. Beispielsweise müsste sich ein Proband entscheiden, ob er ein teureres Elektroauto mit hoher Akkulaufzeit einem günstigen Elektroauto mit geringer Akkulaufzeit vorzieht. Durch eine systematische Variation mehrerer solcher Eigenschaften lässt sich dann ableiten, welchen Nutzen Probanden den einzelnen Produkteigenschaften zuschreiben.

6.3 Einstellungsänderung Gerade die Marketingkommunikation, insb. die klassische Werbung, zielt darauf ab, Einstellungen zu ändern. In Abschn. 6.1 hatten wir Einstellungen als relativ überdauernd beschrieben; sie lassen sich also nicht einfach ändern. Modelle zur Einstellungsänderung unterscheiden meist idealtypisch zwei Wege der Verarbeitung. Das bekannteste dieser Modelle ist das Elaboration-Likelihood-Model (ELM) von Petty und Cacioppo (1986). Nach diesem Modell hängt die Einstellungsänderung davon ab, wie tief der Rezipient eine Botschaft verarbeitet (Abb. 6.3). Eine Grundannahme des Modells ist, dass sich die Tiefe der Verarbeitung zwischen verschiedenen Personen und in verschiedenen Situationen unterscheidet. Es werden zwei Wege beschrieben, die sich durch einen unterschiedlichen Grad der Elaboration, d. h. der Verarbeitungstiefe, charakterisieren lassen. Diese beiden Wege sind als idealtypische Extrempunkte eines Kontinuums zu verstehen.

Zentrale Route

Persuasive Kommunikation

Motivation zur Verarbeitung

Periphere Route

gering

hoch

hoch

Fähigkeit zur Verarbeitung

Tiefe Elaboration ist wahrscheinlich, Qualität der Argumente wichtig

Einstellungsänderung ist stabil und dauerhaft, hohe Prognosekraft für Verhalten

gering

Geringe Elaboration ist wahrscheinlich, periphere Cues ausschlaggebend

Einstellungsänderung ist fragil und temporär, geringe Prognosekraft für Verhalten

Abb. 6.3  Elaboration-Likelihood-Modell. (In Anlehnung an Petty und Cacioppo 1986)

96

6 Einstellung

• Auf der zentralen Route verarbeitet der Rezipient eine Botschaft sehr tief. Da er sich intensiv und sorgfältig mit ihr auseinandersetzt, kann die Botschaft nur dann überzeugend wirken und zu einer Einstellungsänderung führen, wenn sie auf starken Argumenten beruht. Ein Konsument, der eine Werbeanzeige für Elektroautos auf der zentralen Route verarbeitet, wird anschließend nur dann eine positivere Einstellung zu diesem Produkt haben, wenn die Vorzüge wie eine geringe CO2-Emission überzeugend dargelegt wurden. Wenn tatsächlich Einstellungsänderungen über die zentrale Route erreicht werden, so sind diese i. d. R. relativ stabil und dauerhaft. • Auf der peripheren Route verarbeitet der Rezipient die Botschaft weniger tief. Wichtiger als Inhalte sind periphere Cues, d. h. Hinweisreize, die nicht im direkten Zusammenhang mit der Botschaft stehen. Bedeutsam kann bspw. sein, ob der Rezipient den Kommunikator einer Werbebotschaft sympathisch findet, ob er ein ausgewiesener Experte ist („Wenn der Experte das sagt, wird es schon stimmen.“) und welche nonverbalen Botschaften er aussendet. Da auch emotionale Aspekte wirken, werden in Werbemaßnahmen, die auf der peripheren Route überzeugen sollen, häufig Humor, Musik, Erotik etc. eingesetzt. Weil Konsumenten der Vielzahl der auf sie einströmenden Werbemaßnahmen nicht ihre volle Aufmerksamkeit schenken können, wählen viele Werbetreibende gezielt den Weg der peripheren Einstellungsänderung (Bak 2014, S. 70). Wie könnte ein Versuch, die Einstellung des Konsumenten auf peripherem Weg zu ändern, bezogen auf unser Beispiel Elektroauto aussehen? Beispielsweise könnte die Werbemaßnahme veranschaulichen, wie ein Elektroauto mit einem sportlichen Design dynamisch auf einer Straße fährt, die durch eine schöne und ansonsten unberührte Landschaft führt. Einstellungsänderungen, die über die periphere Route erreicht werden, sind i. d. R. eher fragil und temporär. Die entscheidende Frage ist, wann die Wahrscheinlichkeit (Likelihood) höher ist, dass der Konsument eine Botschaft zentral verarbeitet (d. h. elaboriert), und wann sie höher ist, dass er die Botschaft oberflächlich und peripher verarbeitet. Dem Elaboration Likelihood Model zufolge hängt dies von zwei Variablen ab. Zum einen muss die Motivation vorhanden sein, die Botschaft zu verarbeiten. Die Motivation hängt u. a. vom Involvement des Konsumenten ab, d. h. davon, wie wichtig und interessant er den Gegenstand findet. So kann es schwerfallen, Personen, die nicht technikaffin sind, dazu zu bringen, dass sie sich mit Informationen zu Elektroautos auseinandersetzen. Zum anderen muss die Person auch die Fähigkeit aufweisen, die Botschaft zu verarbeiten. Inwiefern die Person dazu fähig ist, hängt von kognitiven Fähigkeiten und vom Vorwissen ab; aber auch davon, ob die Informationen verständlich aufbereitet sind und ob die Person abgelenkt wird oder nicht. So sind Informationen zum Vergleichen von Elektroautos anhand technischer Details für manche Konsumenten unverständlich. Nach dem ELM müssen für eine zentrale Verarbeitung zwingend die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sein: Die Motivation muss ausgeprägt sein und die notwendigen Fähigkeiten müssen vorhanden sein.

6.4  Implizite Einstellungen

97

Beispiel: Berieselung oder Elaboration?

Konsumenten verarbeiten TV-Werbung meist nicht auf der zentralen Route, sondern lassen sich berieseln. Werbespots sind häufig an diesen Verarbeitungsmodus angepasst, indem sie das beworbene Produkt z. B. über den Einsatz von Humor und Prominenten oder das Zeigen schöner Landschaften mit positiven Assoziationen verknüpfen sollen. Manche Spots sollen aber auch gezielt die Aufmerksamkeit des Konsumenten erlangen und ihn zum Mitdenken, d. h. zur zentralen Verarbeitung, animieren. Scannen Sie den QR-Code und schauen Sie sich den folgenden Spot an. Überlegen Sie dann, welche Intention die Werber verfolgen.

6.4 Implizite Einstellungen In den vorangegangenen Kapiteln haben wir uns mit expliziten Einstellungen beschäftigt. Dies sind Beurteilungen und Bewertungen des Einstellungsobjekts, die der Proband überdacht hat und derer er sich bewusst ist. Die neuere Forschung betrachtet daneben aber auch noch implizite Einstellungen (Greenwald und Banaji 1995). Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass manche Forscher den Begriff „implizite Einstellungen“ ablehnen, da es sich streng genommen „nur“ um „implizite Assoziationen“ zwischen Einstellungsobjekt und wertenden Kategorien handelt. Wir betrachten zunächst, inwiefern implizite Einstellungen sich auf unser Verhalten auswirken können, und sodann, wie man sie messen kann.

6.4.1 Verbesserung der Verhaltensprognose durch implizite Einstellungen Implizite Einstellungen sind der Person (meist) nicht bewusst. Sie werden spontan aktiviert, laufen automatisiert ab und sind nicht willentlich kontrollierbar. Man kann diese impliziten Einstellungen nicht verbalisieren. Die Betrachtung impliziter Einstellungen ist aber von Belang, da sie Verhaltensweisen erklären können, die sich über explizite Einstellungen nicht erklären lassen (Greenwald et al. 2009). Zu einem Einstellungsobjekt können gleichzeitig explizite und implizite Einstellungen vorliegen. Beispielsweise könnte eine Person Rosenkohl explizit gut bewerten, weil er kalorienarm, vitamin- und mineralstoffreich ist. Implizit assoziiert

98

6 Einstellung

sie das bittere Wintergemüse automatisch mit schlechtem Geschmack. Eine interessante Frage ist nun, unter welchen Umständen ihr Verhalten mehr von impliziten und wann es mehr von expliziten Einstellungen gesteuert wird. Um dies zu erklären, wurden sog. duale Prozesstheorien vorgeschlagen, die postulieren, dass beide Komponenten unabhängig voneinander aktiviert werden können und dass sich jede Komponente entsprechend ihrer Aktivierung auf das Verhalten auswirken kann. Ein Beispiel ist das MODE-Modell (Motivation and Opportunity as DEterminants; Fazio 1990). Ob sich implizite oder explizite Einstellungen maßgeblich auf das Verhalten auswirken, hängt diesem Modell zufolge von der Motivation und Fähigkeit des Konsumenten ab, Konsequenzen seines Verhaltens zu überdenken. Das Modell ähnelt in seiner Struktur dem in Abschn. 6.3 eingeführten ELM. Letzteres erklärt den Prozess der Einstellungsbildung bzw. -änderung; das MODE-Modell dagegen, wie Einstellungen auf das Verhalten ­wirken. • Eine Person wechselt in den deliberativen Modus, d. h. in den überlegten Prozessmodus, der hohen kognitiven Aufwand bedeutet, wenn die Motivation hoch ist und auch die notwendigen Fähigkeiten und Möglichkeiten gegeben sind, um Informationen zu verarbeiten. Befindet sich die Person in diesem Modus, so nehmen vor allem explizite Einstellungen Einfluss auf ihr Verhalten. Die in Abschn. 6.1 diskutierten Einstellungs-Verhaltens-Modelle, wie die Theorie des geplanten Verhaltens, können nun zur Verhaltenserklärung genutzt werden. Ob sich eine Person für einen Apfel oder einen Schokoriegel entscheidet, hängt damit unter anderem von ihrer Gesundheitseinstellung und von den Erwartungen des sozialen Umfelds ab. • Ist die Person dagegen nicht motiviert oder besitzt sie nicht die Möglichkeit zu reflektieren, so befindet sie sich im spontanen Modus. Nun wirken sich vor allem die impliziten, d. h. die spontan und automatisiert hervorgerufenen Assoziationen, auf das Verhalten aus. Ob sich die Person für den Apfel oder den Schokoriegel entscheidet, hängt damit beispielsweise von der spontanen und automatisch aktivierten Einschätzung des Lustgewinns beim Essen ab (Mai et al. 2015). Andere Modelle wie das Reflective-Impulsive-Model (RIM, Strack und Deutsch 2004) oder das Associative-Propositional-Evaluation-Modell (APE, Gawronski und ­Bodenhausen 2006) veranschaulichen, dass implizite und explizite Einstellungen auch interagieren und somit gemeinsam das Verhalten beeinflussen können. Beispiel: Ich nehme das Ungesunde, das schmeckt besser!

Dass sich die meisten Menschen gerne gesünder ernähren würden, ist keine Frage. Es ist aber allzu oft zu beobachten, dass Konsumenten lieber zum Schnitzel als zum Salat greifen. Eine Erklärung für diese Diskrepanz gaben die US-amerikanischen Konsumentenforscher Raghunathan et al. (2006). Sie deckten auf, dass viele Konsumenten implizit, d. h. unbewusst, spontan und automatisch, ungesunde Lebensmittel mit gutem Geschmack assoziieren. Diese „Unhealthy = Tasty“-Intuition lässt sich

6.4  Implizite Einstellungen

99

u. a. auf die Evolution zurückführen. Um zu überleben, war es für unsere Vorfahren wichtig, möglichst viele Kalorien zu konsumieren. Auch wenn sich das Lebensmittelangebot zwischenzeitlich verändert hat, ist eine positive Bewertung kalorienreicher Nahrung noch immer die automatische Reaktion. Wer also nicht explizit über seine Lebensmittelentscheidung nachdenkt und sich im spontanen Modus befindet, der greift zu ungesunden Lebensmitteln, selbst wenn er explizit gesunden Lebensmitteln gegenüber positiv eingestellt ist. Für eine gesunde Ernährung sollte beides zusammenkommen: eine positive explizite und auch eine möglichst positive implizite Assoziation gegenüber gesunden Nahrungsmitteln (Mai et al. 2015). Die gute Nachricht für alle Gesundheitsfans: Neuere Studien aus Europa zeigen, dass viele Konsumenten durchaus auch gesunde Lebensmittel implizit mit Geschmack assoziieren (Werle et al. 2013; Mai 2016).

6.4.2 Messung impliziter Einstellungen Um explizite Einstellungen zu messen, befragen Konsumentenforscher ihre Probanden meist direkt mithilfe von Selbsteinstufungs-Skalen. Implizite Einstellungen sind den Probanden aber häufig nicht bewusst und sie können sie nicht verbalisieren. Methoden der impliziten Einstellungsmessung analysieren meist Assoziationsstärken, d. h. wie stark ein Einstellungsobjekt mit wertenden Kategorien assoziiert ist. Das am häufigsten eingesetzte Verfahren ist der Implizite Assoziationstest (IAT) (Greenwald et al. 1998, 2009; siehe auch Niemand et al. 2014). Er beruht auf der in Abschn. 5.4.2 beschriebenen Organisation des semantischen Wissens als assoziatives Netzwerk. Der Test misst Reaktionszeiten, denn je stärker ein Einstellungsobjekt mit anderen relevanten Objekten in einem assoziativen Netzwerk des Konsumenten verknüpft ist, desto schneller kann eine Kategorie abgerufen werden, wenn zuvor die andere aktiviert war. Kurze Reaktionszeiten dienen als Indikator einer starken Assoziation, die wiederum als implizite Einstellung interpretiert wird (Brunel et al. 2004, S. 389 f.). Der IAT wird computergestützt durchgeführt und läuft folgendermaßen ab: Probanden werden gebeten, mehrmals nacheinander einen Stimulus, der in der Mitte des Bildschirms erscheint, schnellstmöglich vorgegebenen Kategorien zuzuordnen. Um die in Abschn. 6.4.1 beschriebene „Unhealthy = Tasty“-Intuition zu messen, sollen Probanden verschiedene Lebensmittel (wie Pizza, Salat) sowie Begriffe, die Geschmack ausdrücken (wie lecker), einander zuordnen. Die Kategorien werden dabei am linken und rechten oberen Bildschirmrand angezeigt. Die Zuordnung erfolgt mit einer Taste auf der linken Seite und einer auf der rechten Seite der Tastatur. Je länger die Probanden für diese Zuordnung benötigen, desto geringer ist die Assoziationsstärke. Durch einen gut geplanten Ablauf der Zuordnungsaufgaben kann auf implizite Einstellungen geschlossen werden. Der IAT wird in mehreren Blöcken durchgeführt, in denen der Proband jeweils mehrere Zuordnungsaufgaben lösen muss. Zwischen den Blöcken ändert sich die Art der

100

6 Einstellung

Zuordnungsaufgaben. In den beiden kritischen Blöcken werden am oberen Bildschirmrand gleichzeitig Zielkonzepte und Attribute als Kategorien vorgegeben. Zielkonzepte könnten dabei z. B. die Kategorien „gesunde Lebensmittel“ und „ungesunde Lebensmittel“ sein. Als Attribute könnten die Kategorien „schmeckt“ und „schmeckt nicht“ ausgewählt werden. Der Kniff des IATs besteht an diesem Beispiel dargestellt nun darin, dass in einem Block „ungesunde Lebensmittel“ und „schmeckt“ auf der einen Seite positioniert sind und auf der anderen „gesunde Lebensmittel“ und „schmeckt nicht“. Wer davon ausgeht, dass ungesunde Lebensmittel besser schmecken als gesunde Lebensmittel, dem fällt die Zuordnung von Lebensmitteln wie Pizza und auch von Wörtern wie lecker leicht. Im zweiten kritischen Block ändert sich die Kombination. Jetzt sind „gesunde Lebensmittel“ mit „schmeckt“ gepaart. Wer ungesunde Lebensmittel für geschmackvoller hält, dem fällt die Zuordnungsaufgabe nun etwas schwerer. Die Reaktionszeit verlängert sich um einige Millisekunden. Aus der Differenz der mittleren Reaktionszeit der beiden kritischen Blöcke lässt sich die Assoziationsstärke und damit die implizite Einstellung ablesen. Hintergrundinfo: Testen Sie Ihre impliziten Einstellungen Das „Project Implicit“ der Harvard Universität stellt zahlreiche vorgefertigte IATs im Internet bereit. Wer seine eigene implizite Einstellung zu Themen wie Ausländer, Behinderte, Genderfragen etc. testen möchte, kann dies hier online tun. Mit dem QR-Code gelangen Sie zur Website.

6.5 Lernhilfe Quintessenz

Einstellungen sind wertend und objektbezogen. Nach dem Drei-Komponenten-Modell bestehen sie aus einer kognitiven, einer affektiven und einer konativen Komponente. Zur Messung von Einstellungen nutzt man häufig das Erwartungs-X-Wert-Modell. Nach der Einstellungs-Verhaltens-Hypothese haben Einstellungen großen Einfluss auf das Kaufverhalten des Konsumenten. Gemäß der Theorie des geplanten Verhaltens sollten jedoch auch die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beachtet werden, um die Verhaltensvorhersage zu verbessern und die etwaige Lücke zwischen Einstellung und tatsächlichem Verhalten zu erklären. Neuere Untersuchungen zeigen, dass neben expliziten Einstellungen auch implizite Assoziationen für das Verhalten des Konsumenten relevant sind. Letztere lassen sich mithilfe des Impliziten Assoziationstests (IAT) erfassen.

6.5 Lernhilfe

101

Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Kompatibilität ist ein wichtiges Prinzip, um die Vorhersagevalidität von Einstellungen zu verbessern. Wenn die Spezifikationen von Einstellungen und Verhalten hinsichtlich der Kriterien ____________, ____________, ____________ und ____________ übereinstimmen, dann lässt sich Verhalten anhand von Einstellungen relativ gut prognostizieren. Richtig oder falsch? Implizite Assoziationen werden spontan und automatisch aktiviert. Man ist sich dieser Assoziationen häufig nicht bewusst und kann sie auch nicht beschreiben. Dennoch wirken sie sich auf das (Kauf–)Verhalten aus. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Einstellungen … O… sind objektbezogen. O… sind wertend. O… sind von der jeweiligen Situation abhängig. O… bestehen nach dem Drei-Komponenten-Modell aus einer affektiven, einer kognitiven und einer konativen Komponente. O… sind immer implizit. O… lassen sich von außen beobachten. Vernetzende Fragestellung

Ordnen Sie die verschiedenen Aspekte des folgenden Dialogs zwischen Lea und Ben in die Theorie des geplanten Verhaltens ein: „Wow!“, ruft Ben, „Schau mal, der XXL-Burger kostet hier nur 2,90 EUR. Außerdem sieht er super lecker aus und der Geschmack ist bei einem Burger ja schließlich das Wichtigste. Ich denke, ich kaufe mir einen, wenn wir mit dem Shoppen fertig sind.“ „Du solltest diesen Burger besser nicht kaufen. In einem XXL-Burger für 2,90 EUR ist sicher kein Fleisch von glücklichen Rindern“, gibt Lea zu bedenken. „Und überhaupt: Rindfleisch ist sowieso schlecht für die Umwelt.“ „Das ist deine Meinung. Wieso sollte ich mich danach richten? Ich kaufe, was mir schmeckt. – Oh nein, ich habe ja gar kein Geld dabei. Kannst du mir etwas leihen?“ Nutzen Sie die Theorie des geplanten Verhaltens auch, um fünf Ihrer typischen Konsumverhaltensweisen zu analysieren. Warum kaufen Sie bspw. Bio-Gurken? Wieso haben Sie keine Zeitung abonniert? Warum gehen Sie ins Fitnessstudio? Weshalb spenden Sie nicht mehr Geld für einen guten Zweck? Wieso kaufen Sie Ihrer Mutter Blumen zum Muttertag? Etc.

102

6 Einstellung

Weiterführende Literatur Eagly, A. H., & Chaiken, S. (1993). The psychology of attitudes. Forth Worth: Harcourt. Mai, R., & Hoffmann, S. (2015). How to combat the unhealthy= tasty intuition: The influencing role of health consciousness. Journal of Public Policy & Marketing, 34(1), 63–83. Niemand, T., Hoffmann, S., & Mai, R. (2014). Einsatzpotenziale und Grenzen bei der Anwendung des Impliziten Assoziationstests (IAT) in der Marketing-Forschung. Marketing ZFP – Journal of Research and Management, 36(3), 187–202.

Literatur Ajzen, I. (1988). Attitudes, personality and behavior. Stony Stratford: Open University Press. Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50(2), 179–211. Armitage, C. J., & Conner, M. (2001). Efficacy of the theory of planned behavior: A meta-analytic review. British Journal of Social Psychology, 40(4), 471–500. Bak, P. M. (2014). Werbe- und Konsumentenpsychologie. Eine Einführung. Stuttgart: Schäffer ­Poeschel. Brunel, F. F., Tietje, B. C., & Greenwald, A. G. (2004). Is the implicit association test a valid and valuable measure of implicit consumer social cognition? Journal of Consumer Psychology, 14(4), 385–404. Eagly, A. H., & Chaiken, S. (1993). The psychology of attitudes. Forth Worth: Harcourt. Fazio, R. H. (1990). Multiple processes by which attitudes guide behavior: The MODE model as an integrative framework. In M. P. Zanna (Hrsg.), Advances in experimental social psychology (S. 75–109). New York: Academic Press. Fishbein, M., & Ajzen, I. (1975). Belief, attitude, intention, and behavior. New York: Wiley. Gawronski, B., & Bodenhausen, G. V. (2006). Associative and propositional processes in evaluation: An integrative review of implicit and explicit attitude change. Psychological Bulletin, 132(5), 692–731. Greenwald, A. G., & Banaji, M. R. (1995). Implicit social cognition: Attitudes self-esteem and stereotypes. Psychological Review, 102(1), 4–27. Greenwald, A. G., McGhee, D. E., & Schwartz, J. L. K. (1998). Measuring individual differences in implicit cognition: The implicit association test. Journal of Personality and Social Psychology, 74(1), 1464–1480. Greenwald, A. G., Poehlmann, A. T., Uhlmann, E. L., & Banaji, M. R. (2009). Understanding and using the implicit association test: III. Meta-analysis of predictive validity. Journal of Personality and Social Psychology, 97(1), 17–41. Kroeber-Riel, W., & Gröppel-Klein, A. (2013). Konsumentenverhalten (10. Aufl.). München: Vahlen. Mai, R. (2016). Unveröffentlichtes Manuskript zur Unhealthy = Tasty-Intuition. Mai, R., Hoffmann, S., Hoppert, K., Schwarz, P., & Rohm, H. (2015). The spirit is willing, but the flesh is weak: The moderating effect of implicit associations on healthy eating behaviors. Food Quality and Preference, 39(1), 62–72. Niemand, T., Hoffmann, S., & Mai, R. (2014). Einsatzpotenziale und Grenzen bei der Anwendung des Impliziten Assoziationstests (IAT) in der Marketing-Forschung. Marketing ZFP – Journal of Research and Management, 36(3), 187–202. Petty, R. E., & Cacioppo, J. T. (1986). The elaboration likelihood model of persuasion. Advances in Experimental Social Psychology, 19, 123–205.

Literatur

103

Raghunathan, R., Walker, R., & Hoyer, W. D. (2006). The unhealthy = tasty intuition and its effects on taste inferences, enjoyment, and choice of food products. Journal of Marketing, 70(4), 170–184. Rosenberg, M. J., & Hovland, C. I. (1960). Cognitive, affective, and behavioural components of attitudes. In C. I. Hovland & M. J. Rosenberg (Hrsg.), Attitude organization and change: An analysis of consistency among attitude components (S. 1–14). New Haven: Yale University Press. Strack, F., & Deutsch, R. (2004). Reflective and impulsive determinants of social behavior. Personality and Social Psychology Review, 8(3), 220–247. Trommsdorff, V., & Teichert, T. (2011). Konsumentenverhalten (8. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Webb, T., & Sheeran, P. (2006). Does changing behavioral intentions engender behavior change? A meta-analysis of the experimental evidence. Psychological Bulletin, 132(2), 249–268. Werle, C. O. C., Trendel, O., & Ardito, G. (2013). Unhealthy food is not tastier for everybody: The „healthy = tasty“ French intuition. Food Quality and Preference, 28(1), 116–121.

7

Entscheidung

u

Die Wurzel allen Übels  Seit Wochen wird Lea von Zahnschmerzen geplagt. Nachdem die Beschwerden auch mit Tabletten nicht abklingen, wagt sie den Gang zum Zahnarzt. Dort erfährt sie, dass die Wurzel eines Backenzahns entzündet ist. Der Arzt erklärt Lea, dass die Krankenkasse nur die Kosten einer konventionellen Wurzelbehandlung übernimmt. In ihrem Fall – die Entzündung ist weit fortgeschritten – empfiehlt er eine sog. Mikroendodontie; ein Verfahren, bei dem die Wurzelbehandlung mit einem OP-Mikroskop durchgeführt wird. Die Kosten von knapp 1000 EUR müsste Lea selbst tragen. Zwar kann ihr der Zahnarzt für beide Behandlungsalternativen keine Garantie auf Erfolg geben; mit der kostenpflichtigen Methode ist die Heilungswahrscheinlichkeit aber höher. Lea ist überfordert. Wie soll sie sich nur entscheiden? Konsumenten müssen häufig Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. In Leas Fall entsteht die Unsicherheit dadurch, dass sie aufgrund ihrer Laienrolle die Notwendigkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit einer Behandlung nicht antizipieren kann. Doch wie treffen Konsumenten trotz Unsicherheit Entscheidungen und wie kann man Konsumentenentscheidungen beeinflussen?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_7

105

106

7 Entscheidung

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • • • • •

wie sich Entscheidungssituationen beschreiben lassen (Abschn. 7.1), wie man Konsumentenentscheidungen erklären kann (Abschn. 7.2), verschiedene Heuristiken kennen (Abschn. 7.3), wie der Kontext die Entscheidung beeinflussen kann (Abschn. 7.4) und wodurch Konsumentenentscheidungen beeinflusst werden (Abschn. 7.5),

… indem Sie die Entscheidung des Konsumenten durch folgende Theorien und Modelle betrachten: • Rational-Choice-Theorie, • Bounded Rationality, • Prospect-Theorie, • Nudging und • Framing.

7.1 Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung Konsumenten treffen jeden Tag zahlreiche Entscheidungen. Eine Entscheidungssituation liegt dann vor, wenn man mindestens zwei Optionen sieht. Der Prozess der Entscheidungsfindung umfasst folgende zwei Phasen (Jungermann et al. 2016): • Urteilen: Es werden Meinungen gebildet, Schlussfolgerungen gezogen und Ereignisse, Produkte oder Dienstleistungen kritisch bewertet. • Wählen: Es wird eine Option ausgewählt. Die Prozesse des Urteilens und Wählens sind miteinander verbunden und machen gemeinsam den Entscheidungsprozess aus (Gerrig 2014). Möchte man etwa ein neues Smartphone kaufen, beurteilt man i. d. R. zunächst einige Modelle. Nehmen wir bspw. an, dass Modell A eine lange Akkulaufzeit aufweist, während sich Modell B durch eine hohe Displayauflösung auszeichnet. Wer die Akkulaufzeit als wichtiger einstuft als die Displayauflösung, entscheidet sich in diesem Beispiel für Smartphone A. Meist sind Entscheidungssituationen jedoch deutlich komplexer.

7.1  Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung

107

7.1.1 Komponenten von Entscheidungsproblemen Das Entscheidungsproblem eines Konsumenten lässt sich anhand der fünf in Tab. 7.1 dargestellten Komponenten beschreiben. Optionen, Ereignisse und Konsequenzen sind externe Komponenten eines Entscheidungsproblems. Das heißt, sie wirken wie ein Reiz von außen auf den Konsumenten ein und beeinflussen seinen Entscheidungsprozess. Gründe und Ziele sind interne Komponenten und steuern die Sicht des Konsumenten auf das und seinen Umgang mit dem Entscheidungsproblem (Jungermann et al. 2016). Kommen wir zurück zu Lea und betrachten wir die Komponenten ihres Entscheidungsproblems. Leas Zahnarzt nennt ihr zwei Handlungs-Optionen für eine Wurzelbehandlung: die konventionelle Wurzelbehandlung und die Mikroendodontie (Wurzelbehandlung mit einem OP-Mikroskop). Die Konsequenz einer Nicht-Behandlung, was die mögliche dritte Handlungs-Option darstellen würde, wäre in jedem Fall der Verlust des Zahns. Die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Konsequenz ist nach Angaben des Zahnarztes bei einer Mikroendodontie geringer als bei der Kassenleistung. Auf das Ereignis, dass die Krankenkassen

Tab. 7.1  Komponenten des Entscheidungsproblems Komponente

Erläuterung

Konsumentenverhalten

Externe Komponenten Optionen

Produkte/Dienstleistungen, zwischen „Kaufe ich einen Laptop oder ein denen der Konsument wählen kann Tablet?“ Handlungen, zwischen denen der Konsument wählen kann

„Gehe ich ins Kino oder mache ich einen Netflix-Abend?“

Strategien, zwischen denen der Konsument wählen kann

„Spare ich oder konsumiere ich?“

Konsequenzen Antizipierte Zustände, die sich als „Ich kaufe Bio-Gemüse, um die Umwelt Folge der Wahl einer Option ergeben zu schützen“ können, beeinflussen die Wahl Geschehnisse und Sachverhalte, auf die der Konsument keinen Einfluss hat, die den Ausgang der Entscheidung aber beeinflussen können Interne Komponenten

„Weil alle Flüge ausgebucht sind, fahre ich mit dem Zug.“

Ziele

Schränken die grundsätzlich unendliche Menge an Optionen ein, die in Betracht kommen

„Ich gehe in ein veganes Restaurant.“

Gründe

Lenken eine Entscheidung in eine Richtung, die allein aus den Zielen und Konsequenzen einer Option nicht ersichtlich ist (z. B. moralische Bedenken, Begründbarkeit gegenüber Dritten)

„Beim Auspacken habe ich das Produkt kaputt gemacht. Ich könnte es retournieren und behaupten, dass es bereits defekt geliefert wurde. Dafür müsste ich lügen, was ich eigentlich nicht gut finde.“

Ereignisse

108

7 Entscheidung

mikroendodontische Behandlungen nicht zahlen, kann Lea nicht einwirken. Gleichwohl beeinflusst es ihre Entscheidung. Leas Ziel, ihre Gesundheit – ungeachtet der Kosten – zu schützen, spricht für die zahlungspflichtige Option. Allerdings sind 1000 EUR viel Geld und Lea müsste ihre Eltern um Unterstützung bitten, was sie nicht will. Der Grund: Da ihre Eltern bereits ihr Studium finanziell unterstützen, hätte sie Gewissensbisse, wenn sie ihnen noch mehr zur Last fallen würde.

7.1.2 Eigenschaften der Entscheidungssituationen Entscheidungssituationen sind u. a. anhand von drei Eigenschaften unterscheidbar: Die Menge an Optionen, die den Konsumenten zur Auswahl stehen, die Anzahl der Entscheidungsstufen und die Entscheidungsfrequenz (Jungermann et al. 2016). • Menge an Optionen: Die zur Verfügung stehende Menge an Optionen kann entweder offen oder vorgegeben sein. In vielen Fällen wählen Konsumenten aus vorgegebenen Optionsmengen. Das kann die Auswahl einer Marmelade im Supermarkt sein oder die Auswahl eines Films an der Kinokasse. In beiden Fällen ist die Menge an Optionen durch den Anbieter vorgegeben und damit bekannt. Anders verhält es sich bspw. bei dem Unternehmen Spreadshirt. Es bietet seinen Kunden die Möglichkeit, ihr eigenes T-Shirt zu designen und es im Anschluss online zu bestellen. Die Anzahl möglicher Designs ist zu Beginn der Entscheidungssituation offen und unbekannt. Sie verändert sich im Laufe des Design- und Entscheidungsprozesses. • Anzahl der Entscheidungsstufen: Entscheidungen können einstufig oder mehrstufig erfolgen. Bei einstufigen Entscheidungen vollziehen Konsumenten die Entscheidung in einem einzigen Schritt. Die Überlegung, ob man abends auf ein bestimmtes Konzert möchte, ist einstufig und mit dem Kauf des Tickets abgeschlossen. Bei mehrstufigen Entscheidungen ist jeder Schritt vom Ergebnis des vorherigen abhängig. Leas Entscheidung, zum Zahnarzt zu gehen, erfolgte in zwei Schritten. Zuerst beschloss sie, abzuwarten und Medikamente zu nehmen. Die Konsequenz dieser Entscheidung waren noch mehr Schmerzen, sodass sie im zweiten Schritt einen Termin beim Arzt vereinbarte. • Entscheidungsfrequenz: Man unterscheidet zwischen Entscheidungssituationen, die einmalig oder wiederholt auftreten. Der Abschluss einer Lebensversicherung ist eine einmalige Entscheidung. Der Lebensmitteleinkauf im Supermarkt wiederholt sich dagegen.

7.1.3 Modelle der Konsumentenentscheidungsfindung 7.1.3.1 Kaufentscheidungsprozess In Kap. 2 befassten wir uns mit dem Totalmodell des Konsumentenverhaltens von Blackwell et al. (2001). Diesem Modell zufolge durchlaufen Konsumenten bei der Entscheidungsfindung für ein Produkt oder eine Dienstleistung mehrere Phasen. Die Realität

7.1  Grundlagen der Konsumentenentscheidungsfindung

109

des Konsumenten ist zwar weitaus komplexer und verschiedenste Komponenten des Entscheidungsproblems sowie die Eigenschaften der Entscheidungssituation nehmen Einfluss auf diesen Prozess. Dennoch ist es sinnvoll, dies einmal auszublenden, um den zentralen Pfad des Entscheidungsprozesses nach Blackwell et al. (2001) isoliert zu betrachten. • Problemerkennung: Konsumenten erkennen ein Problem oder nehmen ein Bedürfnis wahr, wenn ihr Istzustand von ihrem Idealzustand abweicht. Diese Abweichung kann zwei Gründe haben: Entweder sinkt der Istzustand oder der angestrebte Idealzustand steigt. Ein plötzlich defektes Smartphone (Istzustand sinkt) oder der Release eines neuen Modells (Idealzustand steigt) kann das Bedürfnis nach einem neuen Device erzeugen. • Informationsrecherche: Konsumenten rufen die für den Entscheidungsprozess relevanten Informationen entweder internal oder external ab. Wissen und Erinnerungen sind internale Informationsquellen. Als externale Informationsquellen dienen u. a. Medien, das Internet, Familie oder Freunde sowie die Recherche im Ladengeschäft. Bevor man bspw. ein Smartphone kauft, liest man in Fachmagazinen Produkttests zu aktuellen Modellen, fragt Freunde nach ihren Erfahrungen und lässt sich im Einzelhandel unterschiedliche Devices zeigen und erklären. Das Ergebnis der Informationsrecherche ist eine Vorauswahl möglicher Produkte zur Problembehebung bzw. Bedürfnisbefriedigung. • Bewertung von Alternativen: In dieser Phase der Entscheidungsfindung bewerten Konsumenten ihre Vorauswahl anhand entscheidungsrelevanter Attribute. Zu beachtende Attribute beim Kauf eines Smartphones könnten die Displaygröße, Akkulaufzeit, Kameraauflösung und natürlich der Preis sein. • Kauf: Die Kaufentscheidung umfasst die Auswahl des Produkts sowie die Auswahl des Kaufkanals. Nach dem Kauf kann der Konsument das Produkt oder die Dienstleistung nutzen bzw. in Anspruch nehmen. Nun findet auch eine Nach-Kauf-Evaluation statt. Dem Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (Anderson und Sullivan 1993; ­Oliver 1980) zufolge entsteht Zufriedenheit, wenn das Produkt oder die Dienstleistung die Erwartungen des Konsumenten (Sollzustand) erfüllt (Confirmation) oder übertrifft (positive Disconfirmation). Unzufriedenheit ist das Ergebnis einer Nicht-Erfüllung von Erwartungen (negative Disconfirmation).

7.1.3.2 Kaufentscheidungstypologie Das Entscheidungsverhalten des Konsumenten lässt sich auch in Abhängigkeit seines Involvements strukturieren (Abb. 7.1). Bei extensiven Kaufentscheidungen recherchieren Konsumenten aufwendig Informationen und werten alle Optionen sorgfältig aus. Diesen Kaufentscheidungstypus findet man insb. in Entscheidungssituationen, die mit einem großen sozialen, funktionalen oder finanziellen Risiko verbunden sind (z. B. beim Kauf eines Pkws oder eines Eigenheims). Bei limitierten Kaufentscheidungen durchläuft der Konsument nicht alle Phasen des Kaufentscheidungsprozesses, da er schon Erfahrungen mit dem Produkt gesammelt hat. Seine Entscheidungen basieren

110

7 Entscheidung

Abhängig von …

Kaufentscheidungstypologie Extensiv

Limitiert

Habitualisiert

Involvement

hoch

niedrig

Preis

hoch

niedrig

Kauffrequenz

niedrig

hoch

Produkt-/Markengering vertrautheit

hoch

Abb. 7.1  Typen von Kaufentscheidungen. (In Anlehnung an Solomon et al. 2013)

auf einfachen, unkomplizierten Entscheidungsregeln („Ich kaufe das Günstigste.“) und kommen häufig bei geringer Motivation zum Einsatz. Habitualisierte Kaufentscheidungen laufen routiniert und scheinbar automatisiert ab. So legen viele Konsumenten bspw. im Supermarkt bei jedem wöchentlichen Einkauf den Lieblingsjoghurt in den Einkaufswagen, ohne darüber nachzudenken. Meist grenzt man hiervon auch noch die spontane bzw. impulsive Kaufentscheidung ab, die durch situative Reize ausgelöst wird. Gerade in der Kassenzone sollen Kunden zum ungeplanten Kauf von Artikeln wie Kaugummis oder Schokolade stimuliert werden.

7.2 Entscheidungstheorien Das Verhalten des Konsumenten ist häufig das Ergebnis von Entscheidungsprozessen. Einem Kinobesuch gehen die Beurteilung von möglichen Freizeitoptionen (Kino, Theater, Bar) und die entsprechende Wahl einer Option (Kino) voraus. Entscheidungstheorien beschreiben, erklären und prognostizieren, wie Konsumenten Entscheidungen treffen. Wir widmen uns in diesem Abschnitt zwei Teilgebieten der Entscheidungstheorie, die für die Konsumentenverhaltensforschung wichtig sind (Trommsdorff und Teichert 2011): Die normative Entscheidungstheorie gibt vor, wie Konsumenten idealerweise ihre Entscheidungen treffen sollten, und die deskriptive Entscheidungstheorie beschreibt, wie Konsumenten Entscheidungen tatsächlich fällen.

7.2 Entscheidungstheorien

111

7.2.1 Normative Entscheidungstheorien – Die Rational-ChoiceTheorie Die normative Entscheidungstheorie ist ein System aus Axiomen (Eisenführ et al. 2010). Axiome sind Feststellungen oder Grundannahmen, die nicht bewiesen, sondern beweislos vorausgesetzt werden. Etwas formaler ausgedrückt ist ein Axiom nicht beweisbar, aber in sich und innerhalb einer Theorie wahr. Innerhalb der Mathematik nehmen wir etwa an, dass 0 eine Zahl ist. Die Urknalltheorie und die Entstehung unseres Sonnensystems beruhen bspw. auf dem Axiom, dass die heute bekannten physikalischen Gesetze schon zum Zeitpunkt des Urknalls galten. Die normative Entscheidungstheorie geht vom Menschenbild des Homo oeconomicus aus, sprich von einem rationalen Nutzenmaximierer, der über volle Markttransparenz verfügt. Nach den Axiomen der normativen Entscheidungstheorie (Simon et al. 2007; Simon 1982) • treffen Konsumenten Entscheidungen immer im Einklang mit ihren Zielen. • verarbeiten Konsumenten alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen stets korrekt. • entscheiden Konsumenten so, dass sie ihren Nutzen maximieren. Nutzen ist in der normativen Entscheidungstheorie ein ökonomisches Konstrukt. Je höher die Befriedigung der individuellen Bedürfnisse des Konsumenten durch ein Produkt oder eine Dienstleistung ist, desto höher fällt sein Nutzen aus (Trommsdorff und Teichert 2011). Innerhalb der normativen Entscheidungstheorie sind sog. multiattributive Verfahren von Bedeutung (Solomon et al. 2013). Dabei wird der Nutzen nicht als Ganzes bewertet. Vielmehr ergibt er sich aus dem Zusammenspiel der Eigenschaften eines Produktes. Bevor man sich etwa für ein neues Smartphone entscheidet, informiert man sich über die Eigenschaften der unterschiedlichen Modelle, wie etwa die Akkulaufzeit, Displayauflösung und Kameraqualität. Einfache multiattributive Verfahren berechnen den Gesamtnutzen einer Alternative aus der gewichteten Summe der Einzelnutzen der Attribute. Abb. 7.2 veranschaulicht, wie Konsumenten mithilfe eines multiattributiven Verfahrens zu einer Entscheidung zwischen zwei Smartphone-Modellen A und B kommen. Die Rational-Choice-Theorie wird der normativen Entscheidungstheorie zugeordnet (Simon et al. 2007). Diese ist eine Sammelbezeichnung für Handlungstheorien, die von einem rationalen Entscheider ausgehen. In der Ökonomie ist dieser Denkansatz weit verbreitet. Allerdings zeigt die Konsumentenverhaltensforschung, dass Konsumenten in den seltensten Fällen ausschließlich rational handeln. Rational-Choice-Theorien bilden damit die Lebenswirklichkeit von Konsumenten nicht hinreichend ab. Sie helfen dennoch bei der Analyse von Konsumentenentscheidungen. Denn erst wenn man weiß, wie sich der Konsument aus rationaler Sicht verhalten sollte (normative Entscheidungstheorien), kann man

112

7 Entscheidung

Kriterien

Gewichtung von 0 bis 1 (∑= 1)

Bewertung von 0 bis 100

Gewichtete Bewertung

A

B

A

B

Akku

0,2

80

70

16

14

Multimedia

0,1

90

100

9

10

Display

0,3

90

80

27

24

Design

0,4

80

85

32

34

84

82

Summe

Abb. 7.2  Multiattributives Verfahren bei der Auswahl eines Smartphones

ergründen, warum er es in bestimmten Situationen nicht tut. Einige dieser vorhersehbaren „irrationalen“ Entscheidungen werden im Abschnitt Heuristiken (Abschn. 7.3) dargestellt. Hintergrundinfo: Mr. Spock vs. Homer Simpson. Oder: Was ist Bounded Rationality? Konsumenten sind oft weit davon entfernt, die Axiome der normativen Entscheidungstheorie zu befolgen und damit optimierte Entscheidungen zu treffen. Zwar wollen sich viele rational entscheiden (so wie Mr. Spock); sie scheitern aber regelmäßig aufgrund begrenzter (engl.: bounded) Aufmerksamkeit, Energie, Motivation oder Informationsverarbeitungskapazität (so wie Homer Simpson). Ökonomen bezeichnen dies als Bounded Rationality (Simon 1982) und relativieren dadurch immer mehr die Axiome des Rational-Choice-Ansatzes (Göbel 2014). Gemäß der Bounded Rationality streben Menschen häufig nicht nach Optimierung, sondern nach Satisficing; einem Schachtelwort aus satisfying (eng.: befriedigend) und suffice (engl.: genügen). Es beschreibt die Strategie, nicht die optimale Option, sondern die erstbeste Option, die den angestrebten Zweck erfüllt, zu wählen. Wenn Homer Simpson also Lust auf einen Donut hat, vergleicht er nicht erst alle infrage kommenden Angebote. Mr. Spock würde dies tun. Homer Simpson sucht einfach den nächstbesten Supermarkt auf.

7.2.2 Deskriptive Entscheidungstheorien – Die Prospect-Theorie Deskriptive Entscheidungstheorien erklären, wie Konsumentenentscheidungen tatsächlich ablaufen. Sie berücksichtigen, dass der Konsument kein Homo oeconomicus ist und dass niemand stets rationale Entscheidungen trifft. Die wichtigste deskriptive Theorie zur Erklärung und Vorhersage von Entscheidungen ist die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Prospect-Theorie (Theorie des Erwartungsnutzens) von Daniel Kahneman und Amos Tversky (1979). Im Fokus steht die Entscheidungsfindung von Individuen unter Unsicherheit. Die Prospect-Theorie nimmt an, dass Entscheidungen unter Unsicherheit in zwei Phasen ablaufen: der Editierphase und der Evaluationsphase.

7.2 Entscheidungstheorien

113

Hintergrundinfo: Ungewissheit oder Risiko? Zur Erinnerung: Konsumenten beurteilen und wählen im Entscheidungsprozess Optionen aus. Bei sicheren Entscheidungen ist jede Option mit einer vorab bekannten Konsequenz verbunden. Dagegen spricht man von Entscheidungen unter Unsicherheit, wenn nach Auswahl einer Option mehrere mögliche Konsequenzen eintreten können. Die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Autoren (z. B. Bamberg et al. 2012; Laux et al. 2014) betrachten Unsicherheit als Oberbegriff für Risiko und Ungewissheit (für eine kritische Diskussion siehe Eisenführ et al. 2010, S. 23). Bei einer Entscheidung unter Risiko sind Optionen, Konsequenzen und Eintrittswahrscheinlichkeiten bekannt. Bei Entscheidungen unter Ungewissheit kennt der Entscheidungsträger zwar auch die Optionen und deren Konsequenzen. Wie hoch die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten sind, ist ihm aber nicht bekannt. Diese Unterform von Unsicherheit wird auch als Knight’sche Unsicherheit bezeichnet. Lea besuchte im Einstiegsbeispiel einen kompetenten Arzt, der aktuelle Studien kennt und Lea damit erläutern kann, dass ihr Zahn bei der Option Mikroendodontie mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 % erhalten bleibt und zu 30 % abstirbt. In diesem Fall besteht folglich ein Risiko. Hätte der Arzt Lea lediglich mitgeteilt, dass es zwei Behandlungsoptionen gibt, die beide evtl. zum Erfolg führen, und ihr aber keine Wahrscheinlichkeiten mitgeteilt, so würde es sich um eine Entscheidung unter Ungewissheit handeln (Knight’sche Unsicherheit). Einige Forscher aus der Psychologie vertreten eine andere Auffassung von Unsicherheit und Ungewissheit. Sie argumentieren, dass selbst bei bekanntem statistischem Risiko Konsumenten subjektiv Ungewissheit verspüren können, da die Statistik für den Einzelfall keine Vorhersage treffen kann (Statistiken treffen Aussagen über Gruppen). Das Erleben von Ungewissheit ist demnach rein subjektiv zu verstehen, sodass Person A in einer Situation Ungewissheit erleben kann, Person B in derselben Situation aber nicht (Brashers 2001). In dieser Taxonomie ist Ungewissheit demnach ein kognitives Konstrukt und valenzfrei, Unsicherheit wiederum eine mögliche emotionale Bewertung einer ungewissen Situation (Geiger 2007). Das heißt, die Bewertung einer ungewissen Situation kann zu Unsicherheit führen, aber auch bspw. zu Neugier („Ich bin neugierig, wie der Film weitergeht. Das Ende ist nach wie vor ungewiss.“). Leas antizipierte Konsequenz in der Zukunft („Bleibt mein Zahn erhalten?“) ist nach dieser Klassifikation für sie weiterhin ungewiss (obwohl es sich statistisch um eine Entscheidung unter Risiko handelt), was ihr Angst macht (emotionale Bewertung der Ungewissheit). In diesem Kapitel verfolgen wir eine betriebswirtschaftliche Auffassung von Unsicherheit.

7.2.2.1 Editierphase In der Editierphase strukturiert und vereinfacht der Konsument das Entscheidungsproblem. Sein Ziel lautet, die Auswahl zwischen den Optionen zu erleichtern, indem er die Komplexität des Entscheidungsproblems reduziert. Die gewünschte Komplexitätsreduktion erreicht er u. a. durch das sog. Coding. Die Prospect-Theorie nimmt an, dass Individuen die Konsequenzen einer Option nicht absolut wahrnehmen, sondern immer relativ zu einem Referenzpunkt codieren und somit vereinfachen. Beim Coding werden Optionen entsprechend ihrer Abweichung von einem Referenzpunkt eingeordnet. Konsequenzen, die oberhalb des Referenzpunktes liegen, werden als Gewinne wahrgenommen, Konsequenzen, die unterhalb des Referenzpunktes liegen, als Verluste. Wenn man bspw. nach einer Klausur mit der Note 3 rechnet (Referenzpunkt), dann ist die Freude über die Note 2 sehr groß. Man gewinnt sozusagen eine Note. Wer allerdings nach der Klausur ein sehr gutes Gefühl hat und eine 1 erwartet (Referenzpunkt), dem wird eine 2 schon mal die Stimmung trüben (Verlust). Neben dem Coding gibt es in der Editierphase noch

114

7 Entscheidung

fünf weitere Schritte: Combination, Segregation, Cancellation, Simplification und Detection of Dominance. Sie alle haben das Ziel, die Komplexität der Entscheidungssituation zu reduzieren und damit die Entscheidung zu vereinfachen.

7.2.2.2 Evaluationsphase In der Evaluationsphase bewerten und gewichten Konsumenten die zuvor editierten Optionen, um anschließend die Option mit dem für sie höchsten subjektiven Wert auszuwählen. Die Auswahl einer Option wird durch die Gewichtungsfunktion und die Wertefunktion des Konsumenten bestimmt. Die Gewichtungsfunktion verweist darauf, dass Konsumenten sowohl im Gewinn- als auch im Verlustbereich unwahrscheinliche Ergebnisse übergewichten und mittel- bis hochwahrscheinliche Ergebnisse untergewichten. Die Wertefunktion ist durch drei Eigenschaften gekennzeichnet: • Konsumenten bewerten Optionen auf Basis von Abweichungen zum Referenzpunkt. Die Veränderung in Abhängigkeit vom Referenzpunkt ist dabei wichtiger als der tatsächliche Endzustand nach der Veränderung. • Ergebnisse oberhalb des Referenzpunktes klassifizieren Konsumenten als Gewinn; Ergebnisse unterhalb als Verlust. Dabei bewerten sie den subjektiven Wert einer Option – und den damit verbundenen Gewinn („Ich bekomme etwas“) und Verlust („Ich muss etwas geben“) – nicht linear, sondern gekrümmt. Die Krümmung ist bei Gewinnen konkav, sprich nach innen gewölbt, und bei Verlusten konvex, sprich nach außen gewölbt. • Diese Krümmung ist im Verlustbereich steiler als im Gewinnbereich. Was bedeuten diese Eigenschaften der Wertefunktion für das Konsumentenverhalten? Nehmen wir einmal an, die Wertefunktion verliefe nicht gekrümmt, sondern wäre eine lineare Nutzenfunktion (Abb. 7.3). Beim Gewinn G1 entsteht für den Konsumenten der Nutzen N1. Nimmt der Gewinn zu (G2), steigt der entsprechende Nutzen aus dem Gewinn (N2) um den gleichen Faktor wie der Gewinn (N2/N1 = G2/G1). Gleichsam erzeugt der Verlust V1 (der im Betrag so groß ist wie G1) einen negativen Nutzen N3, der im Betrag so groß ist wie N1. Nimmt der Verlust zu (V2), steigt auch der negative Nutzen (N4) proportional zum Verlust an (N4/N3 = V2/V1). Gemäß der Prospect-Theorie weist die Wertefunktion dagegen folgende Eigenschaften auf (Abb. 7.4). Der Wertezuwachs von W1 zu W2 ist nicht proportional zur Zunahme des Gewinns G1 zu G2. Im Verlustbereich verhält es sich genauso. Die Wertefunktion verläuft gekrümmt. Diese gekrümmte Wertefunktion der Prospect-Theorie visualisiert drei typische Entscheidungsmuster des Konsumenten, die als Standbeine der Theorie gelten (Kahneman und Tversky 1979) und die wir im Folgenden erläutern. • Sicherheitseffekt: Sichere Ergebnisse mit niedrigerem Erwartungswert werden gegenüber wahrscheinlichen Ergebnissen mit hohem Erwartungswert öfter gewählt und somit überbewertet. Folgendes Gedankenexperiment veranschaulicht dies: Was

7.2 Entscheidungstheorien

115 Nutzen (+)

N2 N1 V2

Verlust

V1 G1

Gewinn

G2

N3 N4

Nutzen (-)

Abb. 7.3  Gewinne und Verluste bei linearer Nutzenfunktion

subjektiver Wert (+) W2 W1

Relativer Verlust

V2

V1 G1 Referenzpunkt

W3 W4 subjektiver Wert (-)

Abb. 7.4  Grundmodell der Prospect-Theorie

G2

Relativer Gewinn

116

7 Entscheidung

sollte man wählen? a) Einen sicheren Gewinn von 3000 EUR oder b) einen Gewinn von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 %? Kahneman und Tversky (1979) zeigen empirisch, dass sich die meisten Personen für a) entscheiden. Dabei ist der Erwartungswert der Option b) (4000 EUR * 0,8 = 3200 EUR) höher und sollte aus normativer Sicht eher gewählt werden. • Reflexionseffekt: Menschen verhalten sich bei zu erwartenden Gewinnen risikovermeidend, bei drohenden Verlusten risikosuchend. Was sollte man wählen? a) Einen Gewinn von 6000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 45 % oder b) einen Gewinn von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 %? Die meisten entscheiden sich für Option b), obwohl der Erwartungswert in beiden Fällen identisch ist (6000 EUR * 0,45 = 2700 EUR vs. 3000 EUR * 0,90 = 2700 EUR). Sie verhalten sich somit im Gewinnbereich risikovermeidend. Noch eine Frage: Wie sollte man sich entscheiden? a) Für einen Verlust von 6000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 45 % oder b) für einen Verlust von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 %? Hier votieren die meisten Personen für Option a), obwohl der Erwartungswert wieder identisch ist (−2700 EUR). Dieses Beispiel illustriert, dass Konsumenten im Verlustbereich risikosuchend handeln. • Isolationseffekt:Um die Entscheidung zu erleichtern, fokussieren Konsumenten bei der Wahl zwischen mehreren Optionen auf die Unterschiede der Optionen und ignorieren deren Gemeinsamkeiten. Die Zerlegung in Gemeinsamkeiten und Unterschiede kann zu Inkonsistenzen führen. Stellen wir uns zur Veranschaulichung ein einstufiges und ein zweistufiges Glücksspiel vor. – Einstufiges Glücksspiel: Wie sollte man sich entscheiden? a) Für einen Gewinn von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % oder b) für einen Gewinn von 3000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 %. Die Mehrheit entscheidet sich für Option a), da hier der Erwartungswert höher ausfällt (4000 EUR * 0,20 = 800 EUR vs. 3000 EUR * 0,25 = 750 EUR). – Zweistufiges Glückspiel: In Stufe 1 endet das Spiel zu 75 % direkt, zu 25 % geht es weiter zu Stufe 2. Hat man Stufe 2 erreicht, kann man wählen zwischen a) einem Gewinn von 4000 EUR mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % oder b) einem direkten Gewinn von 3000 EUR. Fasst man die zwei Stufen zusammen, ergeben sich folgende Eintrittswahrscheinlichkeiten (EW Stufe 1 * EW Stufe 2) für a) 0,25 * 0,80 = 0,20 und für b) 0,25 * 1,0 = 0,25. Der Erwartungswert für a) entspricht 4000 EUR * 0,20 = 800 EUR und für b) 3000 EUR * 0,25 = 750 EUR. Das Entscheidungsproblem ist somit identisch zum einstufigen Glücksspiel. Doch dieses Mal entscheiden sich die meisten Probanden für Option b) mit dem niedrigeren Erwartungswert. Offensichtlich ignorieren sie die erste Stufe der Entscheidung, die für beide Optionen identisch ist. Das Marketing nutzt die Erkenntnisse der Prospect-Theorie, um Konsumentenverhalten zu beeinflussen (Trommsdorff und Teichert 2011). Beim Autokauf können Konsumenten bspw. eine Basisausstattung additiv um weitere Optionen ergänzen oder eine

7.3 Heuristiken

117

Vollausstattung subtraktiv um Optionen reduzieren. Da Verluste („Bitte nehmen Sie die Xenon-Lichter aus dem Angebot raus“) stärker wahrgenommen werden als Gewinne („Ich wähle Xenon-Lichter hinzu“), geben Konsumenten bei subtraktiven Angeboten mehr aus (Nitzsch 1998), da der Verlust bei einem Downgrade stärker ins Gewicht fällt als der Gewinn bei einem Upgrade. Autohändler nutzen diesen Effekt und zeigen Kunden gerne Komplettangebote.

7.3 Heuristiken Nur selten stehen Konsumenten hinreichend Zeit und genügend Informationen zur Verfügung, um alle Optionen umfassend beurteilen zu können. Anstelle eines systematischen Entscheidungsprozesses wenden sie dann sog. Heuristiken an (Hertwig et al. 2008). Dies sind einfache, effiziente Faustregeln, die die Komplexität des Urteilens und Wählens reduzieren und damit schnelle Lösungen ermöglichen (Gerrig 2014). Sie sind durch evolutionäre Prozesse gefestigt oder durch Erfahrungen erlernt worden. Konsumenten wenden permanent Heuristiken an, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die Anwendung von Heuristiken ist oft nützlich und in dem Sinne effizient, dass mit vertretbarem Ressourceneinsatz eine tragbare Entscheidung getroffen werden kann (Gigerenzer und Gaissmaier 2011). u Merke  Heuristiken sind informelle Faustregeln, die die Komplexität der Urteils-

findung reduzieren und zu einer schnellen Entscheidung führen. Sie einzusetzen, ist nicht unvernünftig, denn eine detaillierte Abwägung kostet häufig unverhältnismäßig viel Zeit und Energie. Heuristiken können aber unter bestimmten Bedingungen zu systematischen Fehlurteilen führen. Man spricht dann von einem Bias, also einer Verzerrung. Diese – aus Sicht der normativen Entscheidungstheorie – irrationalen Prozesse der Entscheidungsfindung werden auch als Entscheidungsanomalien bezeichnet. Die Prospect-Theorie hilft, diese Anomalien zu verstehen. Sie entstehen insb. durch die Anwendung von Heuristiken in der Editierphase. Der Begriff Anomalie klingt deutlich negativer als gemeint. Konsumenten treffen täglich eine Vielzahl an Entscheidungen. Dies tun sie nicht streng rational nach den Axiomen der normativen Entscheidungstheorie und sie kommen dennoch in den meisten Fällen zu robusten Urteilen (Gigerenzer und Gaissmaier 2011). Die Erforschung dieser Entscheidungsprozesse schließt allerdings ein, dass man auch untersucht, wann es zu verzerrten Urteilen kommt. Nur wenn man sich diesen Entscheidungsanomalien widmet, kann man die beim Urteilen ablaufenden Prozesse besser verstehen (Gerrig 2014). Für das Konsumentenverhalten sind die Verfügbarkeitsheuristik, die Repräsentativheuristik und die Ankerheuristik besonders relevant.

118

7 Entscheidung

7.3.1 Verfügbarkeitsheuristik Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt die Tendenz, Entscheidungen auf Informationen zu gründen, die mental leicht verfügbar sind. In den meisten Fällen kommen Menschen dadurch zu guten Entscheidungen. Die implizite Logik, der sie sich dabei bedienen, lautet: „Wenn es mir leicht fällt, die Information abzurufen, dann wird sie wohl richtig sein.“ Allerdings kommt es durch die Verfügbarkeitsheuristik auch zu Fehlurteilen, wie Experimente zu Entscheidungsanomalien zeigen (Tversky und Kahneman 1974). Hier ein Beispiel: Enthält die englische Sprache mehr Wörter, die mit einem „r“ anfangen, oder mehr Wörter mit einem „r“ an dritter Stelle? Die meisten Befragten entscheiden sich für die erste Option. Schließlich fallen einem spontan Wörter wie rabbit, rock oder rainbow deutlich schneller ein als etwa strength. Tatsächlich ist aber die zweite Antwort richtig. Die Verfügbarkeitsheuristik spielt für das Konsumentenverhalten eine wichtige Rolle. Wer etwa im Supermarkt schnell noch Waschmittel kaufen möchte und aus einer schwer überschaubaren Vielzahl von Angeboten auswählen muss, tendiert dazu, dasjenige Produkt zu nehmen, das mental leicht verfügbar ist, sprich eine bekannte Marke. Marketeer machen sich diesen Effekt zunutze und schalten Werbung in der Hoffnung, dass Konsumenten sich am Point of Sale an ihre Marke erinnern und die entsprechende Entscheidung treffen.

7.3.2 Repräsentativitätsheuristik Wenn sich Individuen der Repräsentativitätsheuristik bedienen, dann schätzen sie die subjektive Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis danach ein, ob das Ereignis eine Eigenschaft besitzt, die typisch für die Kategorie ist, zu der das Ereignis gehört. Wenn man auf der Straße bspw. einer Frau mit Aktenkoffer und Hosenanzug begegnet, hält man sie eher für eine Geschäftsfrau als für eine Kindergärtnerin. Dies liegt daran, dass die bei den meisten Menschen im Gedächtnis abgespeicherte mentale Repräsentation einer Geschäftsfrau besser zu der Erscheinung der Frau passt als die mentale Repräsentation einer Kindergärtnerin. Repräsentativitätsheuristiken ermöglichen häufig eine schnelle und gute Entscheidung, gelegentlich kommt es aber auch zu Fehlurteilen. Dies ist insb. dann der Fall, wenn der Entscheider • die Basisrate außer Acht lässt. • die Wahrscheinlichkeiten von Konjunktionen überschätzt. Als Basisrate bezeichnet man die Häufigkeit eines Merkmals in der Grundgesamtheit. Ein Beispiel: Auf dem Universitätsgelände begegnet uns ein junger Mann mit Rasta-Zöpfen. Studiert er a) BWL oder b) Ethnologie? Viele würden die zweite Antwortoption als die vermeintlich richtige auswählen. Dabei ist der Anteil an

7.4  Framing- und Kontexteffekte

119

BWL-Studierenden an Universitäten i. d. R. deutlich höher als der Anteil an Ethnologie-Studierenden und damit ist auch die Wahrscheinlichkeit für Antwort a) a priori höher. Konjunktion bezeichnet das Verknüpfen von zwei Aussagen. Stellen wir uns hierzu folgendes Beispiel vor. Linda ist eine junge Frau Anfang 30. Sie wohnt in einer Großstadt und setzt sich sehr für Frauenrechte ein. Was ist wohl wahrscheinlicher: a) Linda ist Angestellte in einer Bank, oder b) Linda ist Angestellte in einer Bank und Feministin? Die meisten entscheiden sich für Antwort b), was aber falsch ist (Tversky und Kahneman 1983). Schließlich kann die Wahrscheinlichkeit einer Konjunktion – Bankangestellte und Feministin – nicht größer sein als die Wahrscheinlichkeit eines Einzelereignisses, sprich Bankangestellte oder Feministin.

7.3.3 Ankerheuristik Wissenschaftler sprechen von einer Ankerheuristik, wenn sich Individuen bei der Nennung eines Zahlenwertes durch eine zuvor genannte Kontextinformation – i. d. R. eine andere Zahl – beeinflussen lassen (Tversky und Kahneman 1974). Das Marketing nutzt diesen Ankereffekt, um Konsumenten zum Kauf hochpreisiger Produkte zu bewegen. Wer bspw. ein Smartphone für über 750 EUR verkaufen möchte, kann zusätzlich ein weiteres Modell mit leichter Modifikation (z. B. größerer Speicher) für 100 EUR mehr anbieten und dadurch den Anker auf 850 EUR hochsetzen, sodass das Smartphone für 750 EUR plötzlich vergleichsweise günstig wirkt.

7.4 Framing- und Kontexteffekte Die Prospect-Theorie postuliert neben den bereits besprochenen Annahmen, dass die Präsentation eines Entscheidungsproblems die mentale Repräsentation des Problems formt. Diese mentale Repräsentation des Entscheidungsproblems wird als Decision Frame bezeichnet. Dieser entsteht durch • die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt des Entscheiders. • durch die Aktivierung vorhandenen Wissens. Entscheidungsanomalien aufgrund von Framingeffekten setzen dann ein, wenn zwei identische Entscheidungsoptionen aufgrund unterschiedlicher Darstellung oder Formulierung das Entscheidungsverhalten des Konsumenten unterschiedlich beeinflussen (Tversky und Kahneman 1981).

120

7 Entscheidung

Tab. 7.2  Das Asian-Disease-Problem Gewinn-Frame

Verlust-Frame

Option A 200 Personen werden gerettet

400 Personen werden sterben

Option B Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 werden alle 600 Personen gerettet; zu 2/3 wird keiner gerettet

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 wird niemand sterben; zu 2/3 werden alle 600 sterben

Eine asiatische Krankheit könnte 600 Menschen das Leben kosten. Es stehen zwei Programme zur Bekämpfung der Krankheit zur Verfügung. Sie haben unterschiedliche Konsequenzen

Beispiel: Live and let die: Das Asian-Disease-Problem

Kahneman und Tversky (1981) untersuchten den Einfluss unterschiedlicher Frames und präsentierten Probanden hierzu das in Tab. 7.2 dargestellte Szenario entweder mit einem Gewinn- oder mit einem Verlust-Frame. Die überwiegende Mehrzahl der Probanden entscheidet sich beim Gewinn-Frame für die sichere Option A (72 %); beim Verlust-Frame hingegen für die risikoreiche Option B (78 %). Aus Sicht der Prospect-Theorie ist dieser Befund nicht verwunderlich. Schließlich verhalten sich Menschen im Gewinnbereich risikovermeidend, im Verlustbereich risikosuchend. Framings werden auch bei Produktbeschreibungen eingesetzt. Levin und Geath (1988) zeigten bspw. den Einfluss von Framingeffekten beim Lebensmittelkauf. Konsumenten sollten zwei identische Angebote für Rinderhackfleisch bewerten: a) 75 % mager (positiver Frame) und b) 25 % Fettgehalt (negativer Frame). Die Ergebnisse zeigen, dass Konsumenten das Angebot mit dem positiven Frame besser beurteilen.

7.5 Wie man Konsumentenentscheidungen beeinflusst Ob Marketeer („Kauf mein Produkt!“), Politiker („Wähle mich!“) oder Nicht-Regierungs- und Non-Profit-Organisationen („Spende 50 Euro für den Regenwald!“): Sie alle wollen den Konsumenten zu einem bestimmten Verhalten bewegen. Typischerweise nutzen sie Werbebanner, Radiospots oder die Direktansprache, um das Entscheidungsverhalten des Konsumenten zu beeinflussen. Neben diesen vom Konsumenten bewusst wahrgenommenen Maßnahmen gibt es auch Techniken der unbewussten Entscheidungsbeeinflussung: Priming und Nudging.

7.5.1 Priming Unter Priming (engl. Bahnung, Vorbereitung) versteht man, dass das Auftreten eines bestimmten Ereignisses die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten ­Folgeereignisses vergrößert (Gerrig 2014; Abschn. 5.1.3). Wer bspw. wie Lea gerade

7.5  Wie man Konsumentenentscheidungen beeinflusst

121

aus einer schmerzhaften Wurzelbehandlung kommt, bei dem ist das Konzept Zahnpflege aktiviert. Er wird sich beim Bäcker eher für ein gesundes Brötchen als für ein potenziell Karies verursachendes süßes Gebäck entscheiden. In den vergangenen Jahren prüften Sozialpsychologen in einer Vielzahl experimenteller Untersuchungen, ob sie mithilfe von Primes unbewusste Prozesse in Gang setzen können, die dann das Verhalten in eine bestimmte Richtung beeinflussen (Bargh 2002; Yi 1990). Beispiel: Kann man Kaufverhalten unbewusst aktivieren? Das Socken-Priming

Chartrand et al. (2008) zeigten, dass verschiedene Primes beim Konsumenten unterschiedliche Einkaufsziele aktivieren können. Im Rahmen einer Satzkonstruktionsaufgabe setzten sie Probanden entweder Synonymen zu Prestige oder zu Sparsamkeit aus. Dies war das Priming. Im Anschluss sollten die Versuchsteilnehmer eine hypothetische Kaufentscheidung zwischen zwei Angeboten treffen: „Nike at $ 5.25 a pair and Hanes at $ 6 for two pairs.“ Probanden der Prestige-Bedingung wählten signifikant öfter die Nike-Socken als Probanden der Sparsamkeits-Bedingung, welche öfter die Hanes-Socken wählten. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Aktivierung unbewusster Zielrepräsentationen durch Primings individuelles Einkaufsverhalten beeinflussen kann.

7.5.2 Nudging Thaler und Sunstein (2008, S. 15) verstehen unter einem Nudge „alle Maßnahmen, mit denen Entscheidungsarchitekten das Verhalten von Menschen in vorhersagbarer Weise verändern können, ohne irgendwelche Optionen auszuschließen oder wirtschaftliche Anreize stark zu verändern“. Wer Nudges einsetzt, gestaltet die Entscheidungssituation des Konsumenten nach dem Prinzip des libertären Paternalismus. Das heißt, man stellt dem Konsumenten alle Handlungsoptionen zur Verfügung (Liberalismus-Komponente), schubst (engl.: to nudge) ihn aber durch die Entscheidungsarchitektur in eine bestimmte Richtung, die das Wohl des Einzelnen verbessern soll (Paternalismus-Komponente). Currywurst mit Pommes gehört zu den beliebtesten Speisen deutscher Kantinengänger. Doch die Schlange ist meist sehr lang. Eine „Fast lane“ für Konsumenten mit einem Salat auf dem Tablett könnte bspw. ein Nudge sein, der ein gesünderes Essverhalten anschubst. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Nudges umzusetzen. Das Setzen sog. Defaults (dt. = Standards) ist dabei eine im Marketing häufig angewendete Methode und bedeutet, dass der Marketeer eine Voreinstellung vornimmt und damit das Entscheidungsverhalten des Konsumenten in eine vorhersagbare Richtung verändert (Goldstein et al. 2008). Unternehmen nutzen Defaults, um ihre kommerziellen Ziele zu erreichen. Wer bspw. bei einem Online-Händler etwas bestellt, wird beim Check-out oftmals gefragt, ob er einen Newsletter abonnieren möchte. Das gesetzte Häkchen, gegen das man sich bewusst entscheiden muss, ist ein Nudge.

122

7 Entscheidung

Beispiel: Einblick in die Nudging-Welt

In dem dreiminütigen Interview erklärt Prof. Richard Thaler mithilfe von Beispielen, was Nudges sind und wie sie im Alltag nützlich sein können. Scannen Sie den QR-Code, um das Video zu starten.

7.6 Lernhilfe Quintessenz

Die normative Entscheidungstheorie geht vom Homo oeconomicus aus. Sie trifft Aussagen darüber, wie sich der Konsument optimalerweise entscheiden sollte. Die deskriptive Entscheidungstheorie untersucht empirisch, wie sich der Konsument tatsächlich entscheidet. Die Prospect-Theorie ist die einflussreichste deskriptive Entscheidungstheorie. Sie verweist u. a. darauf, dass sich Konsumenten bei einer Entscheidung Heuristiken bedienen, sprich informeller Faustregeln, die die Komplexität der Urteilsfindung reduzieren. Sie verdeutlicht unter dem Begriff Framing- und Kontexteffekte auch, dass die Darstellung oder Formulierung eines Entscheidungsproblems das Entscheidungsverhalten des Konsumenten ebenfalls beeinflusst. Primes und Nudges sind Techniken, um das Konsumentenverhalten auf subtile Weise zu beeinflussen.

Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Die Prospect-Theorie nimmt an, dass Entscheidungen unter Unsicherheit in zwei ­Phasen ablaufen: der ____________ und der ____________. Richtig oder falsch? Das Coding in der Editierphase hat das Ziel, die Komplexität der Entscheidungssituation zu reduzieren und damit die Entscheidung zu vereinfachen. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Welche dieser Komponenten eines Entscheidungsproblems gehört/gehören zu den externen Komponenten?

Literatur

123

O Option O Ziele O Gründe O Ereignis O Konsequenz Vernetzende Fragestellung

Wenn wir eine Freeware aus dem Internet herunterladen und installieren, so sind im Installationsmenü häufig schon Häkchen für den Download weiterer Pakete gesetzt. Der Anbieter „nudged“ uns zu weiteren Installationen. Welche weiteren Nudges begegnen Konsumenten im Alltag? Benennen und erläutern Sie drei. Wählen Sie dabei drei möglichst unterschiedliche Lebensbereiche, z. B. im Supermarkt, im Fitnessstudio, beim Internetsurfen, im Café, bei der Wohnungssuche, am Kiosk etc.

Weiterführende Literatur Hastie, R., & Dawes, R. M. (Hrsg.). (2010). Rational choice in an uncertain world: The psychology of judgment and decision making. Washington: Sage. Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. London: Penguin. Thaler, R. C., & Sunstein, C. R. (2008). Nudge. Improving decisions about health, wealth and happiness. London: Penguin.

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7 Entscheidung

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8

Interindividuelle Unterschiede

u

Konsumentenzwillinge mit zwei ungleichen Hunden Gestern hat sich Lea beim Hundezüchter einen eigenen Hund ausgesucht und sich für einen Golden Retriever entschieden. Sie freut sich schon auf ausgiebige Spaziergänge am Flussufer mit dem aufgeweckten Racker. Endlich wieder öfter raus in die Natur und etwas für die Fitness tun. Als sie sich diesen Gedanken hingibt, trifft sie Bea, die sie noch aus ihrer Schulzeit kennt. Beide sind 25 Jahre alt, beide sind in derselben Stadt groß geworden, beide sind in einer festen Beziehung. Und auch Bea besitzt jetzt einen Hund. „Ja, das gibt’s doch nicht. Die Lea! Schau mal, das ist mein Schnuffi. Den habe ich erst seit gestern. Ist der nicht süß?“ „Oh mein Gott“, denkt sich Lea, „was hat Bea da nur für einen Schickimicki-Köter. Dieses kleine Etwas wird Bea wohl eher in der Handtasche mit sich herumtragen als bei gemeinsamen Spaziergängen ins Schwitzen zu kommen. Der Chihuahua wird vermutlich genauso oft und gewissenhaft frisiert wie sein Frauchen“. Wie kommt es, dass sich Lea und Bea in der Auswahl ihres neuen Begleiters so stark unterscheiden? Ihre Profile sind fast identisch: gleiches Alter, gleiches Geschlecht, gleiche Herkunft, gleiche Schule, gleiche Familienverhältnisse. Wie kommen Unterschiede zwischen Konsumenten zustande, wenn es nicht an diesen Merkmalen liegt?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_8

125

126

8  Interindividuelle Unterschiede

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • was man unter Marktsegmentierung versteht (Abschn. 8.1), • wie sich das Konsumverhalten mit steigendem Alter ändert (Abschn. 8.2) und • wie Lebensstile, Werte und Kultur das Konsumverhalten beeinflussen (Abschn. 8.3), … indem Sie Unterschiede zwischen Konsumenten durch folgende Modelle betrachten: • AIO-Ansatz, • Lebensstil-Typologien, • Wertekonzeption von Schwartz und • Hofstedes Kulturkonzeption.

8.1 Marktsegmentierung Bislang haben wir uns in diesem Buch vor allem mit psychologischen Prozessen beschäftigt, die bei allen Konsumenten mehr oder weniger ähnlich ablaufen. Es gibt aber auch interindividuelle Unterschiede, d. h. Differenzen zwischen verschiedenen Konsumenten. Im Einstiegsbeispiel haben wir gesehen, dass Lea und Bea nahezu identische soziodemografische Profile aufweisen. Man bezeichnet Konsumenten mit solchen Übereinstimmungen auch als soziodemografische Zwillinge (Halfmann 2014; Sinus-Institut 2015). Dennoch entscheiden sich Lea und Bea für verschiedene Hunderassen. Marketingverantwortliche sind stark daran interessiert, Unterschiede zwischen Konsumenten zu kennen und zu verstehen, da sie ihre Angebote auf bestimmte Zielgruppen zuschneiden möchten. Marktsegmentierung bezeichnet die Aufteilung eines heterogenen Gesamtmarktes in Untergruppen bei der gleichzeitigen Beachtung der folgenden beiden Prinzipien (Wedel und Kamakura 2000; Meffert et al. 2018): • Innerhalb der Untergruppen sollten die Bedürfnisse und Präferenzen der Konsumenten relativ homogen sein und • zwischen den Untergruppen sollten sie sich möglichst stark unterscheiden. Um einen Markt anhand empirischer Daten zu segmentieren, nutzen Marktforscher die Clusteranalyse. Diese Analyse betrachtet mehrere Merkmale der Konsumenten gleichzeitig und sie identifiziert Gruppen von Personen, die anhand dieser Merkmale relativ ähnlich sind.

8.2  Soziodemografische Merkmale

127

Als Kriterien für eine Marktsegmentierung werden häufig geografische, soziodemografische, psychografische und verhaltensorientierte Merkmale genutzt. Damit eine Einteilung von Konsumenten in verschiedene Segmente für die praktische Umsetzung im Marketing sinnvoll ist, sollten die Segmentierungskriterien verschiedenen Anforderungen standhalten. Dazu zählen die Kaufverhaltensrelevanz, die Eignung für den Einsatz der Marketing-Instrumente, die Erreichbarkeit der Zielgruppe, die Messbarkeit des Kriteriums, die zeitliche Stabilität und die Wirtschaftlichkeit der Segmentierung (Freter 1983, S. 45 ff.; Meffert et al. 2018). Nehmen wir z. B. die Unterscheidung, ob ein Konsument Hundebesitzer ist oder nicht, als Segmentierungskriterium. Die Kaufverhaltensrelevanz dieses Kriteriums ist zweifellos gegeben: Der Besitz eines Hundes hat großen Einfluss darauf, ob der Konsument Hundefutter kauft oder nicht. Das Segmentierungskriterium sollte aber auch mit Forschungsmethoden messbar und mit den Methoden des Marketings erreichbar und bearbeitbar sein. Hundebesitzer könnte man z. B. kommunikativ gezielt über Werbeanzeigen in Tierzeitschriften erreichen. Wir werden im Folgenden diskutieren, inwiefern soziodemografische (Abschn. 8.2) und psychografische (Abschn. 8.3) Merkmale die genannten Kriterien erfüllen. Hintergrundinfo: Identifizieren Sie selbst interessante Konsumentensegmente „B4P“ bzw. Best for Planning ist eine gemeinsame Markt-Media-Studie der vier Medienhäuser Axel Springer, Bauer Media Group, Gruner + Jahr und Hubert Burda Media. Die Studie erfasst das Konsum- und Mediennutzungsverhalten und basiert auf den Angaben von mehr als 30.000 Befragten, die repräsentativ für die deutsche Bevölkerung sind. Es finden sich Daten zu mehreren tausend Marken in über 100 Produktbereichen und zu vielen verschiedenen Medien. Die Studie kann für Zielgruppenanalysen genutzt werden. Das Beste: Die Daten sind online verfügbar. Scannen Sie den QR-Code und führen Sie eigene Analysen durch!

8.2 Soziodemografische Merkmale Soziodemografische Merkmale sind Bevölkerungsmerkmale, anhand derer man Konsumenten bzw. die Mitglieder einer Zielgruppe oder eines Marktsegments beschreiben kann. Sie lassen sich in demografische und in sozio-ökonomische Variablen untergliedern. Zu Ersteren zählen Alter, Geschlecht und Familienstatus; zu Letzteren zählen u. a. Bildungsstand, Beruf, Gehalt, Haushaltseinkommen und die soziale Lage.

128

8  Interindividuelle Unterschiede

8.2.1 Alter als Beispiel einer demografischen Variable Das Alter und das Geschlecht werden in der Praxis besonders häufig verwendet, um Märkte zu segmentieren. Das liegt vor allem daran, dass sie die beiden genannten Anforderungen Messbarkeit und Eignung für den Einsatz der Marketing-Instrumente erfüllen. Sie lassen sich leicht bestimmen – sogar von außen und ohne Messinstrument – und Unternehmen können sehr einfach ihre Preise, Produktgestaltung, Werbemaßnahmen etc. auf die anhand von Alter und Geschlecht definierten Zielgruppen ausrichten. Doch während bspw. unterschiedliche Bekleidungssortimente für Männer und Frauen sicherlich sinnvoll sind, sind Unterschiede in vielen Konsumbereichen gar nicht so groß, wie stereotypisch angenommen. Die Kaufverhaltensrelevanz der demografischen Variablen ist häufig gering. Psychografische Segmentierungskriterien können das Konsumentenverhalten häufig viel besser vorhersagen; sie sind aber schwerer erfassbar. Das Einstiegsbeispiel zur Auswahl des Haustiers illustriert dies. Lea und Bea sind beide weiblich, gleich alt, kommen aus der gleichen Stadt, gingen in die gleiche Schule; aber sie besitzen unterschiedliche Hunde, weil sie unterschiedliche Lebensstile pflegen. Bea betrachtet sich als Teil der „Szene“ der Stadt und sie übernimmt die typischen Konsummuster; Lea legt dagegen Wert auf Natürlichkeit und einen Bezug zur Natur. Nichtsdestotrotz kann man empirisch auch relevante Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen feststellen. Gerade ältere Konsumenten geraten derzeit immer mehr ins Blickfeld der Unternehmen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens verschiebt sich die Altersverteilung in den Industrienationen aufgrund der steigenden Lebenserwartung und sinkender Geburtenraten dramatisch. Dieser demografische Wandel führt dazu, dass der Anteil älterer Konsumenten im Vergleich zu jüngeren immer größer wird und damit das Marktpotenzial steigt. Zweitens ist die ältere Generation im Berufsleben schon etablierter und besitzt damit im Durchschnitt eine viel höhere Kaufkraft als Jugendliche oder junge Erwachsene. Jahrzehntelang waren die 14- bis 49-Jährigen die sog. „werberelevante Zielgruppe“ in den Massenmedien. Agenturen und Marketingmanager planten ihre Werbemaßnahmen so und gestalteten die Medieninhalte so, dass sich diese Zielgruppe angesprochen fühlte. Man hat zwischenzeitlich erkannt, dass ältere Konsumenten ein nicht zu unterschätzendes Kaufpotenzial aufweisen, und möchte auch diese gezielt ansprechen. Doch wie unterscheidet sich diese Gruppe von den Jüngeren? Zweifellos können wir im Alltag Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Konsumenten beobachten. Kleinkinder mögen Prinzessin Lillifee, Teenager bewundern LeFloid und ältere Konsumenten schätzen Günther Jauch. Liegt das wirklich am Alter? Und wenn ja, wird der heutige LeFloid-Fan dann in 40 Jahren auch „Wer wird Millionär“ schauen? Verschiedene Altersgruppen unterscheiden sich auch deutlich hinsichtlich Einkommen, Lebensstil und ihrer Ansprüche an Produkte und Dienstleistungen. Unser erster Impuls wird sein, diese Unterschiede über das Alter der Konsumenten zu erklären. Als Konsumentenverhaltensforscher muss man sich aber fragen, ob das Lebensalter tatsächlich die Ursache eines bestimmten Konsummusters ist. Um diese Frage zu beantworten, sollte man Alters- und Kohorteneffekte voneinander abgrenzen. Alterseffekte hängen vom

8.2  Soziodemografische Merkmale

129

Lebensalter ab. Bei Kohorteneffekten gibt es dagegen nur scheinbar einen Zusammenhang mit dem Lebensalter, wenn man zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Altersgruppen miteinander vergleicht. Die Unterschiede können auf die zu einer bestimmten Zeit vorherrschende Sozialisation (Abschn. 9.2) zurückzuführen sein und sie verschieben sich im Laufe der Zeit. Zunächst zum Alterseffekt, den man mit Theorien des Alterns erklären kann (vgl. Hoffmann et al. 2012, S. 62). Der biologisch-physiologische Ansatz beschreibt das alternsbedingte „Nachlassen“ verschiedener körperlicher Funktionen. Folgt man diesem „Defizitmodell“, so müsste man bspw. Lupen an Einkaufswagen montieren, Smartphones mit größeren Tastaturen konzipieren etc., um Barrieren für ältere Konsumenten abzubauen. Das Defizitmodell ist allerdings eher für sehr alte Senioren relevant und eignet sich weniger, um Konsumenten nach dem 50. Lebensjahr von jüngeren abzugrenzen. Während das Defizitmodell für alle älteren Konsumenten eine ähnliche Prognose trifft, sieht man in der Realität jedoch sehr viele Facetten und verschiedene Lebensstile in der Generation 50plus. Der psychologisch-soziologische Ansatz trägt dem Rechnung, indem er individuell unterschiedliche Entwicklungen im Alter aufgrund von Interessen, Lebensstilen etc. vorsieht. Zudem sollte das subjektive Alter beachtet werden, d. h. die Frage, wie alt sich der Konsument fühlt. Es ist häufig deutlich niedriger als das tatsächliche Alter und die Diskrepanz nimmt mit steigendem Alter zu. Außerdem spielt es für das Kaufverhalten häufig eine größere Rolle als das biologische Alter. Zusammenfassend kann man feststellen, dass Konsumenten individuell altern und dass die Heterogenität älterer Konsumenten groß ist. Unternehmen nehmen deshalb auch zunehmend innerhalb der älteren Konsumenten Segmentierungen vor. Trotz dieser Heterogenität im Alter wird man selten ältere Konsumenten finden, die den YouTube-Channel von LeFloid verfolgen. Heißt das nun, dass die jetzigen LeFloidFans sich später auch abwenden werden? Nicht unbedingt. Die Erklärung wird in diesem Fall ein Kohorteneffekt sein. Auch die häufig getroffene Aussage, dass ältere Menschen schlechter mit einem Tablet umgehen können, ist vermutlich kein Alterseffekt, sondern eine Frage des Geburtsjahrs. Unter einer Alterskohorte versteht man eine Gruppe von Personen, die im selben Zeitraum geboren wurden. Sie wuchsen damit unter ähnlichen allgemeinen Rahmenbedingungen auf (z. B. Nachkriegszeit, neue technische Entwicklungen, Ölkrise, Finanzkrise). Angehörige einer Alterskohorte bilden ähnliche Interessen, Einstellungen und Verhaltensmuster aus, die sich von früheren oder späteren Gruppen unterscheiden. Für das Marketing sind vor allem die Einflüsse der Kohortenzugehörigkeit auf das Kaufverhalten interessant. Man unterscheidet momentan insb. die Kohorten Baby Boomer und die sog. Generationen X, Y und Z, die in Tab. 8.1 kurz charakterisiert sind (Scholz 2014). Es ist deshalb beim Vergleich verschiedener Altersgruppen immer darauf zu achten, ob Unterschiede tatsächlich auf das Alter oder vielleicht auch auf die Kohorte zurückzuführen sind.

Idealismus

Selbsterfüllung

Grundhaltung

Hauptmerkmal

Einkaufsverhalten Höchste jährliche Ausgaben aller Gruppen, bevorzugen lokale Geschäfte

Ab 1950

Geburtsjahr

Baby Boomer

Hoher subjektiver Zeitdruck, eher geplante Einkäufe

Perspektivenlosigkeit

Skeptizismus

Ab 1965

Gen X

Hohe Wahrscheinlichkeit für Impulskäufe, OnlineShopping, geben OnlineReferenzen ab

Leistungsbereitschaft

Optimismus

Ab 1980

Gen Y (Millennials)

Tab. 8.1  Generationskonzepte. (Auf Basis von Belch und Belch 2011, S. 137; Scholz 2014)

Noch recht unbekannt und schwer vorherzusagen, Smartphone, Social Media

„Flatterhaftigkeit“

Realismus

Ab 1995

Gen Z

130 8  Interindividuelle Unterschiede

8.3  Psychografische Variablen

131

8.2.2 Sozialer Status als Beispiel einer sozio-ökonomischen Variablen Der soziale Status einer Person leitet sich daraus ab, wie die Position bzw. funktionale Einordnung der Person in ein soziales System bewertet wird und welche Wertschätzung sie erfährt (Foscht et al. 2017, S. 152 ff.). So erfährt bspw. die Berufsgruppe der Ärzte traditionell eine hohe Wertschätzung, während Versicherungsvermittler eher skeptisch betrachtet werden. Blackwell et al. (2001, S. 347 f.) zufolge bestimmt sich der soziale Status anhand folgender Kriterien: erstens ökonomische Variablen wie der Beruf, das Einkommen und das Vermögen; zweitens interaktionale Variablen wie das persönliche Prestige, die Vernetzung und die Sozialisation und drittens politische Variablen wie Macht, Klassenbewusstsein und Mobilität. Eine soziale Schicht besteht aus Personen, die einen ähnlich hohen sozialen Status aufweisen. Für das Marketing ist die soziale Schicht relevant, da sie eine große Vorhersagekraft für das Kaufverhalten besitzt.

8.3 Psychografische Variablen Psychografische Variablen weisen häufig eine größere Kaufverhaltensrelevanz auf als soziodemografische Variablen. Zu den psychografischen Variablen zählen u. a. Lebensstile, Werte und kulturelle Prägung.

8.3.1 Lebensstile Der Lebensstil umfasst die Persönlichkeit, Werte und Verhaltensweisen einer Person und ist assoziiert mit verschiedenen psychologischen Zuständen, Eigenschaften und Dispositionen (Holt 1997). Anders als Werte beziehen sich Lebensstile nicht nur auf innere Zustände, sondern manifestieren sich im beobachtbaren (Konsum-)Verhalten (Hoyer et al. 2012, S. 401). Ein Lebensstil beinhaltet bspw. auch, was einer Person wichtig ist und womit sie ihre Zeit verbringt. Lebensstile hängen auch damit zusammen, wie Konsumenten das ihnen zur Verfügung stehende Einkommen zwischen verschiedenen Produkten und Dienstleistungen aufteilen und welche Produkte sie innerhalb einer Kategorie auswählen. Lebensstile sind damit ein relativ breites Konstrukt. Ein weit verbreiteter Ansatz, sie zu konkretisieren und messbar zu machen (d. h. zu „operationalisieren“), ist der AIO-Ansatz (Wells und Tigert 1971, S. 27 ff.; Plummer 1974). Das Akronym steht für die folgenden drei Begriffe: • Activities (Aktivitäten): z. B. bzgl. Arbeit, Einkaufen, Freizeit, Urlaub, Sport, Mitgliedschaften • Interests (Interessen): z. B. bzgl. Beruf, Familie, Mode, Heim, Ernährung • Opinions (Meinungen): z. B. bzgl. Wirtschaft, Politik, Soziales, Bildung, Zukunft

132

8  Interindividuelle Unterschiede

Häufig werden auch noch demographische Variablen hinzugenommen, um Konsumenten bestimmten Lebensstilen zuzuordnen. Lebensstile eignen sich deshalb dazu, bestimmte soziale Gruppen abzugrenzen. Sie bieten damit einen ganzheitlichen Ansatz, um Konsumenten für Marketingmaßnahmen zu segmentieren (Lastovicka 1982). Lebensstiltypologien sind weit verbreitet und werden von vielen großen Marktforschungsinstitutionen bereitgestellt. Typische Beispiele sind die Sinus-Milieus des Sinus Instituts, die Roper Consumer Styles der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) oder die „Values and Lifestyles“-Typologie (VALS) (z. B. Kahle et al. 1986) von Strategic Business Insights (SBI) (Tab. 8.2). Unter einem sozialen Milieu versteht man eine Gruppe gleicher Gesinnung, die sich durch ähnliche Werte, Einstellungen und Meinungen ausdrückt (Hradil 2010, S. 230). Die Milieu-Studien des Markt- und Sozialforschungsinstituts Sinus Sociovision bspw. nutzen u. a. die soziale Lage zur Segmentierung von Konsumenten (Sinus-Institut 2015): Sie teilen die Bevölkerung in Ober-, Mittel- und Unterschicht ein. Um Milieus zu definieren, nutzt dieser Ansatz neben der sozialen Lage die Grundorientierung als zweites Kriterium. Demnach richten sich manche Konsumenten an traditionellen Werten wie Pflichterfüllung und Ordnung aus. Andere streben nach Modernisierung (inkl. Individualisierung, Selbstverwirklichung und Genuss). Eine dritte Gruppe verfolgt eine Neuorientierung im Sinne von Multioptionalität, Experimentierfreude oder einem Leben in Paradoxien. Anhand der zwei Dimensionen soziale Lage und Grundorientierung lassen sich zahlreiche Segmente definieren. So ist bspw. das Milieu der Konservativ-Etablierten hauptsächlich in der Oberschicht zu verorten. Es zeichnet sich zudem durch traditionelle Werte aus. Im Gegensatz dazu gehören Hedonisten der Unter- oder Mittelschicht an und befürworten eine Neuorientierung. Derartige Milieu-Studien helfen, Konsumenten ganzheitlich wahrzunehmen und viele für das Konsumentenverhalten bedeutende Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen. Markenartikelhersteller und Dienstleister aller Branchen ebenso wie Politiker, Medien und Verbände sowie Werbe- und Mediaagenturen ziehen Befunde der Milieu-Studien für die strategische Planung ihrer Marketingmaßnahmen heran. Tab. 8.2  Etablierte Lebensstiltypologien Typologie

Organisation

Dimensionen

Typen

Sinus-Milieus

Sinus Institut

Soziale Lage Grundorientierung

Konservativ-Etablierte, LiberalIntellektuelle, Performer, Expeditive, Sozial-ökologische, AdaptivPragmatische, Bürgerliche Mitte, Traditionelle, Hedonisten, Prekäre

Roper Consumer Styles

GfK

Haben vs. Sein Träumer, Abenteurer, Weltoffene, Frieden/Sicherheit vs. Häusliche, Realisten, Kritische, Leidenschaft leben Bodenständige, Anspruchsvolle

Values and SRI Consulting Lifestyle Business Survey (VALS) Intelligence

Ressourcen Primäre Motivation

Innovatoren, Denker, Glaubende, Erfolgreiche, Nacheifernde, Austester, Macher, Überlebende

8.3  Psychografische Variablen

133

8.3.2 Wertorientierungen Werte beziehen sich gemäß Rokeach (1969) auf allgemeine Lebensziele und Verhaltensregeln. Sie verkörpern, was der Einzelne oder eine soziale Gruppe als wünschenswert erachtet. Werte sind relativ stabil und dauerhaft und sie adressieren – anders als Einstellungen – mehrere Objektbereiche. Wer bspw. dem Wert „gesund leben“ folgt, der wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit gesund ernähren, nicht rauchen, viel Sport treiben, viel schlafen, häufig zur Vorsorge gehen etc. Allerdings lassen sich globale und bereichsspezifische Werte unterscheiden (Vinson et al. 1977). Globale Werte sind zentral für die Person. Sie sind zeitlich überdauernd und dienen als Richtlinie für Verhalten in verschiedenen Kontexten (z. B. Freiheit, Fairness, Selbstverwirklichung). Bereichsspezifische Werte beziehen sich nur auf bestimmte Aspekte des Lebens wie das Arbeitsleben, das Verhalten als Konsument oder als Familienmitglied. Jede Person verfügt über deutlich mehr bereichsspezifische Werte als globale Werte. Sie sind weniger abstrakt und haben stärkeren Einfluss auf das Konsumverhalten. Werte dienen einer Person als Richtlinie dafür, wie sie sich in bestimmten Situationen verhält, und als Bewertungsmaßstab dafür, wie sie eigene und fremde Verhaltensweisen bewertet. Werte besitzen große Bedeutung für das Konsumentenverhalten, denn Konsumenten sind prinzipiell daran interessiert, Produkte zu kaufen, die ihren Werten entsprechen. Dadurch kann der eigenen Grundhaltung und Identität Ausdruck verliehen werden. Lea hätte sich im Einstiegsbeispiel nicht für dieselbe Hunderasse entschieden wie Bea, da sie über ihren tierischen Gefährten andere Werte ausdrücken möchte als ihre ehemalige Klassenkameradin. Auch Marken stehen häufig für bestimmte Werte und können Konsumenten deshalb helfen, sie zu verkörpern. Wer auf Apple-Produkte setzt, möchte bspw. ausdrücken, welche Bedeutung technologische Überlegenheit, Design und Status für ihn besitzen. Die Wertkonzeption von Schwartz (1999, S. 26 ff.) baut auf den Vorarbeiten von Rokeach (1969, 1986) auf. Sie unterscheidet die folgenden sieben Werte, die sich anhand von drei Dimensionen anordnen lassen. Die diametral entgegengesetzten Endpunkte treten nicht gemeinsam auf. • Hierarchie vs. Gleichheit. Die Wertorientierung Hierarchie legitimiert die ungleiche Verteilung von Macht, Rollen und Ressourcen (z. B. soziale Macht, Autorität, Wohlstand). Bei der Fokussierung auf Gleichheit überwindet man dagegen eigennützige Interessen und setzt sich für die Bedürfnisse anderer ein (z. B. soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Verantwortung). Beispielsweise würde ein hierarchiebewusster Konsument im Gegensatz zu einem gleichheitsorientierten bei einer Bahnfahrt Wert darauf legen, erster Klasse zu fahren und sonstige Sonderbehandlungen zu erhalten. • Harmonie vs. Herrschaft: Der Wert Harmonie drückt sich darin aus, dass man im Einklang mit der natürlichen Umwelt lebt (z. B. Umweltschutz). Wer sich am Wert Herrschaft orientiert, betrachtet hingegen Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein

134

8  Interindividuelle Unterschiede

als Zeichen von Erfolg (z. B. Ehrgeiz, Leistung, Kompetenz). Ein herrschaftsorientierter Konsument wird stärker als ein harmonieorientierter dazu neigen, sich bei einer ­Verspätung des Zuges zu beschweren. • Konservatismus vs. intellektuelle bzw. affektive Autonomie: Konservatismus zeigt sich darin, dass man am Status quo festhält und Handlungen beschränkt, welche die traditionelle Ordnung in Gefahr bringen könnten (z. B. soziale Ordnung, Respekt vor Traditionen, Weisheit). Der Gegenpol lässt sich in zwei Aspekte unterteilen. Der Wert intellektuelle Autonomie führt dazu, dass man individuelle Ziele und intellektuelle Interessen verfolgt (z. B. Neugierde, Offenheit, Kreativität). Affektive Autonomie bezeichnet die Suche nach positiven emotionalen Erlebnissen (z. B. Vergnügen, Erlebnisse, Abwechslung). So sucht der konservative Bahnfahrer das saubere Zugabteil, während sich der intellektuell Autonome auf die potenzielle Bekanntschaft mit einem noch unbekannten Reisenden freut, der anregende Geschichten zu erzählen weiß. Neben der Wertekonzeption von Schwartz (1999) unterscheidet man auch zwischen persönlichen bzw. individuellen Werten und kollektiven Werten, d. h. Werten, die in einer sozialen Gruppe verbreitet sind. Viele Werte werden sozial erworben und sozial geteilt. So könnte Leas ausgeprägtes Umweltbewusstsein evtl. darauf zurückzuführen sein, dass viele ihrer Lehrerinnen und Lehrer diesen Wert hochhielten und auch viele ihrer Freunde den Schutz der Umwelt befürworten. Häufig werden Werte bereits im Kindesalter erworben; sie unterscheiden sich auch zwischen Familien, verschiedenen Altersgruppen und sozialen Schichten. Deshalb stehen Werte im Kern der Betrachtung von kulturellen Unterschieden (Müller und Gelbrich 2015), wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden. Da sich Werte innerhalb einer sozialen Gruppe ähneln und sich zwischen verschiedenen Gruppen unterscheiden, dienen sie dem Marketing zur Zielgruppendefinition und als Segmentierungsansatz.

8.3.3 Interkulturelle Unterschiede Das breiteste und abstrakteste Konzept, das Einfluss auf das Konsumentenverhalten nimmt, ist die Kultur. Sie wird häufig auf der Ebene von Nationen betrachtet. Das heißt, Landesgrenzen werden häufig als sog. Proxy-Variablen (Hilfsvariable) für Kulturen eingesetzt. Allerdings dürfen kulturelle Räume nicht mit nationalen Grenzen gleichgesetzt werden. Ein Hamburger, der sich unvorbereitet auf einem niederbayerischen Volksfest wiederfindet, mag dies bestätigen. Kulturelle Räume können sich auf Länder, aber auch auf Regionen, gesellschaftliche Gruppen (sog. Subkulturen) etc. beziehen. Sie enden aber nicht zwangsläufig an nationalen Grenzen. Nach Müller und Gelbrich (2015, S. 25) ist Kultur ein verbindendes Element für größere Gemeinschaften und sie dient gleichzeitig der Abgrenzung von anderen Gemeinschaften. Es bilden sich kulturspezifische Normen, Tabus, Werte und Gewohnheiten aus, die nicht angeboren sind, sondern von

8.3  Psychografische Variablen

Westliche Industriena onen

135

Individualismus Ist der Einzelne stärker für sich selbst verantwortlich, …

Osteuropa, Asien, Lateinamerika, Afrika

Japan, deutschsprachige Länder

hoch

Kollektivismus … oder ist er in eine Gemeinschaft eingebunden und zu Loyalität verpflichtet?

Akzeptanz von Machtdistanz gering

Erwarten und akzeptieren weniger einflussreiche Mitglieder eine ungleiche Verteilung von Macht, …

… oder akzeptieren sie die ungleiche Verteilung von Macht nicht?

Maskulinität

Femininität

Unterscheiden sich die geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen stark, …

hoch

Unsicherheitsvermeidung

Nord-/Südamerika, Westeuropa, teils Subsahara

langfristig

Englisch- und deutschsprachige, westliche Länder

Skandinavien, Niederlande

… oder unterscheiden sie sich kaum?

Ost-/Mi­eleuropa, Lateinamerika, Japan, deutschsprachige Fühlen sich Personen in Länder ungewissen und unbekannten Situationen bedroht, …

Ostasien, Ost- und Mi­eleuropa

Östliche und weniger entwickelte Länder

Orientierung

gering

Englischsprachige Länder, Skandinavien, China … oder können sie damit gut umgehen?

kurzfristig

USA, Australien, Lateinamerika, Afrika, Berücksichtigen Personen, … oder handeln sie muslimische Länder welche Konsequenzen aufgrund ihres Traditionsihr Verhalten langfristig bewusstseins und sozialer haben könnte, … Verpflichtungen?

Genussorientierung

Selbstbeherrschung

Wird es als wünschenswert erachtet, dass Bedürfnisse ungehindert befriedigt werden, …

… oder sollte das Bedürfnis nach Kontrolle über das eigene Leben überwiegen?

Osteuropa, Asien, muslimische Länder

Abb. 8.1  Hofstedes Kulturdimensionen. (In Anlehnung an Hofstede et al. 2010; Müller und Gelbrich 2015)

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8  Interindividuelle Unterschiede

den Mitgliedern der jeweiligen Kultur erlernt werden. Kultur ist damit ein Orientierungssystem, das starken Einfluss auf das Verhalten der Kulturangehörigen ausübt. Verschiedene Kulturen weisen unterschiedliche Wertesysteme auf. Werte lassen sich also nicht nur individuell verorten, sondern auch auf der Gruppen- oder gesellschaftlichen Ebene. Um Kultur messbar zu machen, verwendet man in der Konsumentenforschung meist sog. dimensionale Ansätze. Das heißt, man beschreibt nicht einzelne Kulturen, sondern sucht mehrere voneinander unabhängige Dimensionen, anhand derer man die kulturelle Ausprägung verschiedener Gruppen systematisch einordnen kann. Die bekannteste Kulturkonzeption stammt von dem niederländischen Organisationsforscher Geert Hofstede. Diese Konzeption unterscheidet in der aktuellen Fassung die sechs in Abb. 8.1 dargestellten Dimensionen (Hofstede et al. 2010). Die wichtigste Dimension mit der höchsten Trennschärfe und Erklärungskraft ist die Dimension Individualismus/ Kollektivismus. Insbesondere angelsächsische Länder gelten gemeinhin als stark individualistisch, während asiatische Länder eher dafür bekannt sind, kollektivistisch orientiert zu sein; d. h., der Einzelne richtet sein Verhalten an der für ihn relevanten Gruppe (z. B. der Familie) aus und ordnet persönliche Ziele unter. Neben dem Ansatz von Hofstede beschreibt das GLOBE-Projekt (House et al. 2004), bei dem mehr als 170 Forscher bei der weltweiten Datenerhebung mitwirkten, neun kulturelle Dimensionen, die jeweils als vorherrschende Praxis („as it is“), aber auch als Werte („as it should be“) verstanden werden können. Hintergrundinfo: Vergleichen Sie die kulturellen Profile verschiedener Länder Daten und Befunde von Geert Hofstede sind auf der Website „The Hofstede Centre©“ dokumentiert. Wenn Sie den QR-Code scannen, können Sie eigene Ländervergleiche durchführen.

8.4 Lernhilfe Quintessenz

Zwischen Konsumenten bestehen große interindividuelle Unterschiede. Diese Heterogenität spiegelt sich in Konsumpräferenzen und Marktreaktionen wider. Die Marktsegmentierung zielt darauf ab, Cluster zu bilden, die intern homogen und untereinander relativ heterogen sind. Soziodemografische Segmentierungskriterien besitzen meist geringe Verhaltensrelevanz. Höhere Prognosekraft besitzen psychografische Kriterien wie Werte oder Lebensstile. Auch zwischen Angehörigen verschiedener Kulturräume zeigen sich große Unterschiede im Konsumverhalten.

8.4 Lernhilfe

137

Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Zwischen Konsumenten bestehen große interindividuelle Unterschiede. Die Marktsegmentierung zielt darauf ab, Cluster von Konsumenten zu bilden, die intern ____________ und untereinander relativ ____________ sind. Die ____________ wird als Methode eingesetzt, um die Segmente zu identifizieren. Richtig oder falsch? Soziodemografische Variablen wie das Alter und das Geschlecht werden in der Praxis häufig als Segmentierungskriterien genutzt, da sie eine hohe Kaufverhaltensrelevanz besitzen. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Welche der folgenden Konzepte nutzen das Konzept Lebensstil, um Konsumenten zu segmentieren? O Sinus-Milieus O Generation X, Y, Z O Hofstede-Ansatz O Roper Consumer Styles O VALS O GLOBE-Projekt Vernetzende Fragestellung

Lea und Ben beobachten, dass es immer mehr verschiedene Kaffeevariationen gibt und dass die Kaffeetrinker in ihrem Bekanntenkreis ganz bestimmte Arten bevorzugen. Einige pragmatische Bekannte trinken hauptsächlich Instant-Kaffee, während manche Kaffeeliebhaber auf Espresso schwören. Wieder andere bestellen immer Latte macchiato und bestimmte Personen brühen sich immer noch oder wieder Filterkaffee auf. Die Liste ist bei Weitem noch nicht vollständig. Sicherlich kennen Sie diese verschiedenen Kaffeetrinker-Typen auch aus Ihrem Bekanntenkreis. Fertigen Sie eine Liste an. Überlegen Sie dann, welche Eigenschaften die verschiedenen Kaffeetrinker-Typen auszeichnen. Lassen sich die verschiedenen Typen evtl. den Clustern einer Lebensstiltypologie zuordnen? Überlegen Sie, welche Werte und Motive die verschiedenen Typen wohl haben. Wenden Sie beim nächsten Mal, wenn Sie Ihre Bekannten treffen, vorsichtig die in Abschn. 3.5 beschriebene Laddering-Technik an, um herauszufinden, welche Motive und Werte tatsächlich hinter der Kaffeewahl stehen. Überlegen Sie, wie ein Kaffeeröster dieses Wissen nutzen könnte, um seine Produkte zielgruppenspezifisch zu vermarkten.

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8  Interindividuelle Unterschiede

Weiterführende Literatur Halfmann, M. (Hrsg.). (2014). Zielgruppen im Konsumentenmarketing: Segmentierungsansätze – Trends – Umsetzung, Wiesbaden: Springer Gabler. Müller, S., & Gelbrich, K. (2015). Interkulturelles Marketing (2. Aufl.). München: Vahlen. Wedel, M., & Kamakura, W. A. (2000). Market segmentation. Conceptual and methodological foundations (2. Aufl.). Heidelberg: Springer.

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9

Soziale Umwelt

u

Lea will nicht mit ins neue Burgerrestaurant  „Lea, nun komm doch mit!“, Ben ist verzweifelt. Sein Schulfreund Jan ist zu Besuch in der Stadt und sie wollen wie in alten Zeiten einen Burger essen, bevor sie ausgehen. Da kommt das neue Restaurant um die Ecke gerade recht. Allerdings weigert sich Lea mitzukommen. „Was, wenn mich dort jemand sieht? Ich bin seit zwei Monaten Veganerin und da kann ich mich doch nicht in einem Burgerrestaurant blicken lassen.“ „Komm doch mir zuliebe mit“, bittet Ben. „Übrigens, Vanessa, die ja immer alle neuen Läden zuerst kennt, hat mir erzählt, dass es dort ganz hervorragende vegane Burger gibt. Sie weiß, was hip ist, und wenn sie das Burgerrestaurant empfiehlt, dann kannst du dort auf jeden Fall aufschlagen.“ Wie wird sich Lea entscheiden? Zweifellos trifft man Konsumentscheidungen selten alleine. Sehr oft erfolgt eine Absprache mit dem sozialen Umfeld oder man nimmt zumindest gedanklich die Reaktionen des sozialen Umfelds vorweg. Doch unter welchen Umständen ist das soziale Umfeld besonders relevant und nach wem richten sich Konsumenten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_9

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142

9  Soziale Umwelt

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • • • • •

wie Bezugsgruppen das Konsumverhalten beeinflussen (Abschn. 9.1), wie Menschen in die Rolle des Konsumenten hineinwachsen (Abschn. 9.2), wann der Einzelne seine Entscheidungen an andere anpasst (Abschn. 9.3), was Meinungsführer auszeichnet (Abschn. 9.4) und wann Konsumenten nichts tun, weil andere das schon erledigen (Abschn. 9.5),

… indem Sie die soziale Umwelt durch folgende Theorien und Modelle betrachten: • • • •

Theorie des sozialen Vergleichs, Theorie der sozialen Identität, Rollentheorie und soziales Dilemma.

Die Meinungen und das Verhalten von Freunden und Bekannten, von Nachbarn und Arbeitskollegen, aber auch von Feinden und Neidern beeinflussen in starkem Maße die Entscheidungen und das Verhalten von Konsumenten. Dass Konsumenten soziale Wesen sind, wird auch daran deutlich, dass viele häufig gemeinsam shoppen, sich von anderen beraten lassen oder sich von deren Konsumerfahrungen inspirieren lassen. Wie kommt es, dass man einen gemeinsamen Kinoabend anders wahrnimmt, als wenn man alleine im Kino gewesen wäre (Raghunathan und Corfman 2006) und warum ähneln sich der Kleidungsstil, die Frisuren etc. innerhalb eines Freundeskreises (Reingen et al. 1984)? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir uns zunächst mit dem Konstrukt der Bezugsgruppen beschäftigen (Abschn. 9.1). Anschließend betrachten wir, wie Menschen in die Rolle des Konsumenten hineinwachsen und nach und nach die in ihrer relevanten Gruppe üblichen Konsummuster übernehmen (Abschn. 9.2) sowie wie das soziale Umfeld die Einhaltung dieser Muster kontrolliert (Abschn. 9.3). Daraufhin werden wir uns ansehen, wie einzelne Personen, die sog. Meinungsführer, besonders starken Einfluss auf die Konsummuster anderer ausüben (Abschn. 9.4). Schließlich betrachten wir Konflikte in Situationen, bei denen es darauf ankommt, dass Konsumenten ihr Konsumverhalten aufeinander abstimmen (Abschn. 9.5).

9.1 Bezugsgruppen

143

9.1 Bezugsgruppen 9.1.1 Formen von Bezugsgruppen Bezugsgruppen sind Gruppen (oder manchmal auch nur einzelne Personen), die Einfluss darauf nehmen, wie Konsumenten ihre Umwelt wahrnehmen, welche Einstellungen und welches Wissen sie ausbilden und vor allem welches Verhalten sie ausüben (Bearden und Etzel 1982, S. 184). Es lassen sich drei Typen von Bezugsgruppen unterscheiden (Hoyer et al. 2012, S. 305): • Assoziative Bezugsgruppen sind jene Gruppen, denen man momentan angehört. Das kann bspw. der Freundeskreis, die Familie oder die Arbeitsgruppe sein. Im Einstiegsbeispiel gehört Lea der Gruppe ihrer vegan lebenden Freundinnen an. Für das Marketing interessant sind auch sog. „Brand Communities“, d. h. Gruppen von Konsumenten, die eine besondere Verbundenheit zu einer bestimmten Marke aufweisen. • Aspiratorische Bezugsgruppen sind jene Gruppen, die man bewundert. Man wünscht sich, so zu sein wie diese idealisierten Figuren. Hierzu zählen bspw. berühmte Schauspieler, Sportler, Musiker oder ähnliches. • Disassoziative Bezugsgruppen sind Gruppen, deren Werte und Einstellungen man bewusst ablehnt. Um sich abzugrenzen, verhält man sich gezielt anders als diese Gruppe. Für viele Apple-Jünger sind gewöhnliche PC-Nutzer eine Gruppe, von der sie sich möglichst abgrenzen möchten. Und Lea möchte im Einstiegsbeispiel auf keinen Fall mit Personen in Verbindung gebracht werden, die aus ihrer Sicht verantwortungslos in einem Burgerrestaurant konsumieren. Bezugsgruppen lassen sich ferner nach den folgenden Kriterien unterscheiden (Hoyer et al. 2012, S. 306 ff.; Solomon et al. 2013, S. 395 ff.): • Formelle vs. informelle Bezugsgruppen: Eine Bezugsgruppe kann eine formelle Gruppe wie bspw. eine Schulklasse, aber auch eine informelle Gruppe wie das Treffen von Freunden sein (so wie Lea, Ben und Jan im Einstiegsbeispiel). Kleine informelle Gruppen sind für das Marketing weniger leicht greifbar; sie sind aber besonders relevant, da sie starken normativen Einfluss ausüben. Mit normativem Einfluss ist dabei gemeint, dass der Einzelne sich verpflichtet fühlt, soziale Normen der Gruppe einzuhalten, und dass er bei Missachtung gegebenenfalls mit negativen Konsequenzen rechnen muss. • Primäre vs. sekundäre Bezugsgruppen: Zu primären Bezugsgruppen hat man häufig persönlichen Kontakt (z. B. Familie und Freunde), während dies bei sekundären Bezugsgruppen nicht der Fall ist. Im Einstiegsbeispiel wäre dies die Gruppe der urbanen Veganerinnen, denen sich Lea verpflichtet fühlt. Im Zuge von Social Media mit

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9  Soziale Umwelt

Plattformen wie Facebook, Twitter, Pinterest, XING etc. nimmt der Einfluss von Personen, zu denen man keinen direkten Kontakt hat, auf das Konsumverhalten immer mehr zu. Weitere Kriterien zur Klassifizierung von Bezugsgruppen sind die Ähnlichkeit der Gruppenmitglieder, die Attraktivität der Gruppe, die Stärke der Identifikation der Mitglieder mit der Gruppe und die Intensität der Verbindungen untereinander (Hoyer et al. 2012, S. 306 ff.).

9.1.2 Einfluss von Bezugsgruppen Bezugsgruppen können direkten Einfluss auf das Konsumverhalten nehmen; bspw. wenn Kinder mitbestimmen möchten, welchen Urlaub die Eltern buchen. Bezugsgruppen können aber auch Normen und Erwartungen etablieren, die das Konsumverhalten indirekt beeinflussen. Bearden und Etzel (1982, S. 184) identifizieren drei Arten des Bezugsgruppeneinflusses: • Informatorischer Einfluss: Konsumenten möchten in vielen Fällen gut informierte Entscheidungen treffen. Bei Unsicherheit bestehen verschiedene Möglichkeiten, die erforderlichen Informationen einzuholen, wobei die Glaubwürdigkeit der Quelle als Schlüsselfaktor gilt. So können Ratsuchende bspw. bei Experten und Fachleuten Informationen einholen. Oder sie bitten Mitmenschen im persönlichen Umfeld um Rat, wie Familienangehörige, Freunde, Bekannte oder Kollegen. Die Beobachtung des Konsumverhaltens dieser Personen kann ebenfalls informatorischen Wert besitzen. Lea könnte sich bspw. bei einem Arzt oder einem befreundeten Veganer informieren, wenn sie unsicher ist, ob der Verzicht auf tierische Produkte gesundheitsgefährdend sein könnte. • Utilitaristischer Einfluss: Um positive Verstärkungen zu erhalten oder soziale Sanktionen bzw. Missbilligung zu vermeiden, passen sich Konsumenten häufig den Wünschen und Vorstellungen anderer an. Es ist also relevant, welche Präferenzen das soziale Umfeld (wie etwa Freunde, Kollegen, Verwandte etc.) aufweist und inwieweit der Einzelne gewillt ist, diese Erwartungen zu erfüllen. Lea versucht im Einstiegsbeispiel unbedingt, die Ächtung ihrer veganen Freundinnen zu vermeiden. • Wertexpressiver Einfluss: Konsumenten möchten häufig durch ihr Konsumverhalten das Bild, das andere von ihnen haben, verbessern. Man nutzt bspw. bestimmte Produkte und Marken öffentlich (z. B. Smartphones, teure Markenkleidung), um von anderen bewundert zu werden oder um zu demonstrieren, dass man so ist wie andere, die diese Produkte und Marken ebenfalls benutzen. Lea möchte im Einstiegsbeispiel unbedingt als Teil der Veganer-Community wahrgenommen werden und sich deren Wertorientierungen zu eigen machen. Dies lässt sich anhand der Theorie der sozialen Identität von Tajfel und Turner (1986) erklären, die besagt, dass Individuen neben

9.1 Bezugsgruppen

145

einer persönlichen Identität über eine soziale Identität verfügen, welche sich wiederum aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe („ingroup“) und der Abgrenzung von anderen Gruppen („outgroup“) ergibt. Beispiel: Bezugsgruppeneinfluss? Eine Frage der Öffentlichkeit und des Luxus?

Ob und wie stark die Bezugsgruppe Einfluss auf unser Konsumverhalten nimmt, hängt auch von der Produktkategorie ab. Die klassische Untersuchung hierzu stammt von Bearden und Etzel (1982). Wie Abb. 9.1 veranschaulicht, nimmt die Bezugsgruppe insb. bei Luxusgütern Einfluss darauf, ob man ein bestimmtes Produkt überhaupt konsumiert oder nicht. Die Markenwahl hängt dagegen nur dann von der Bezugsgruppe ab, wenn es sich um ein öffentlich konsumiertes Gut handelt.

9.1.3 Soziale Vergleiche Gruppeneinflüsse können nicht nur normativ, sondern auch komparativ wirken (vgl. Kelley 1968). Von normativem Einfluss sprechen wir, wenn sich der Konsument an soziale Normen hält, um nicht negativ aufzufallen oder gar sozial sanktioniert zu werden. Bei einem komparativen Einfluss findet dagegen ein Vergleich mit anderen statt. Die Bedeutung von Vergleichen liegt insb. auch darin, dass jeder sich selbst gerne einschätzen möchte und dass insb. bei sozialen Aspekten oft keine objektiven Normwerte existieren. Anders ausgedrückt: Warum ist jemand über sein ein Jahr altes und voll funktionsfähiges Smartphone unglücklich, wenn er sieht, dass sich sein WG-Mitbewohner das iPhone der neuesten Generation leisten konnte? Offensichtlich ist häufig nicht der absolute Besitz, das absolute Können oder das absolute Wissen relevant, sondern vielmehr die Relation zu anderen („Bin ich besser als der andere?“). Festinger (1954) postuliert in seiner Theorie des sozialen Vergleichs, dass Menschen den Vergleich mit anderen suchen, um Informationen über sich selbst zu erlangen.

Alltagsgüter

Luxusgüter

Einfluss auf die Produktwahl schwach stark Öffentlicher Konsum

Privater Konsum

Einfluss auf die Markenwahl

stark

z.B. Armbanduhr

z.B. SmartWatch

schwach

z.B. Küchenuhr

z.B. antike Standuhr

Abb. 9.1  Bezugsgruppeneinfluss. (In Anlehnung an Bearden und Etzel 1982)

146

9  Soziale Umwelt

Soziale Vergleiche haben mehrere wichtige Funktionen. Je nachdem, welche Funktion erfüllt werden soll, wählt man andere Vergleichspersonen: • Um ein realistisches Bild von sich selbst zu erhalten, vergleicht man sich mit Personen, die einem ähneln oder gleichgestellt sind (horizontaler Vergleich). Dies sind häufig die sog. „Peers“, d. h. die Gleichaltrigen. • Möchte man sein eigenes Selbst schützen, führt man einen abwärtsgerichteten Vergleich durch. Das heißt, man vergleicht sich mit sozial Schwächeren, weniger Gebildeten, weniger Sportlichen etc. Dies führt zum sog. Self-Enhancement, d. h. dem Versuch, den eigenen Selbstwert zu steigern. • Möchte man dagegen erfahren, welche Selbstoptimierung möglich ist, führt man einen aufwärtsgerichteten Vergleich durch. So vergleicht sich Lea im Einstiegsbeispiel mit der Gruppe der von ihr bewunderten urbanen Veganerinnen. Sie ist bestrebt, sich so zu verhalten wie diese. Beispiel: Mein Haus, mein Auto, mein Boot

Dieses Zitat stammt aus einem Werbespot der Sparkasse aus den 1990er Jahren, der die soziale Vergleichstheorie aufgreift. Zwei Schulfreunde treffen sich nach Jahren wieder und vergleichen, wer welche Besitztümer anhäufen konnte. Scannen Sie den QR-Code, um sich den Spot anzusehen.

9.2 Konsumentensozialisation Sozialisation bezeichnet die Vermittlung sozialer Normen und Wertvorstellungen (Henecka 2015, S. 88). Die Person passt sich nach und nach an die Rolle an, die von ihr vom sozialen Umfeld, d. h. von der Gesellschaft oder von ihrer relevanten sozialen Gruppe, erwartet wird. Sie bildet typische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns aus. Die Sozialisation beginnt innerhalb der Familie und wird in verschiedenen Kontexten wie Schule oder Arbeitsplatz fortgeführt. Von Konsumentensozialisation spricht man, wenn eine Person ihre Rolle als Konsument erlernt und die in ihrer Gesellschaft vorherrschenden Konsummuster übernimmt (Hoyer et al. 2012, S. 309). Die Person entwickelt u. a. ein Verständnis dafür, welchen Wert Geld besitzt, und sie adaptiert die entsprechenden konsumrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 728). Im Prozess der

9.3  Normen und Konformität

147

Konsumentensozialisation ist das in Abschn. 5.3.2 vorgestellte Modelllernen besonders relevant. Das heißt, Konsumenten beobachten auch, wie sich andere um sie herum verhalten und welche Belohnung und Bestrafung diese dafür erhalten. Der Einfluss des sozialen Umfelds auf einen Konsumenten erfolgt nach der Rollentheorie (Dahrendorf 1967) auch über Rollen. Eine soziale Rolle beschreibt, welches Verhaltensmuster das soziale Umfeld von einer Person erwartet, wenn sie in einem bestimmten Kontext agiert (Gerrig 2014, S. 651). Je nach Kontext nimmt ein und dieselbe Person unterschiedliche Rollen ein: als Ehemann, Bruder oder Freund, als Studierender, Praktikant oder Berufstätiger, als Fußballfan oder Hobbygärtner. Jede Rolle erfordert ein anderes Verhalten. Lea nimmt im Einstiegsbeispiel zunächst an, dass die Rolle der Veganerin erfordert, dass sie einen Besuch im Burgerrestaurant missbilligt. Die Konsumentensozialisation erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, wobei sich die ersten Lebensphasen als besonders relevant herausstellten. Während dieser Zeit nehmen verschiedene Personen und Institutionen auf die Sozialisation des Konsumenten Einfluss. Man spricht hierbei von Sozialisationsagenten (Hoyer et al. 2012, S. 309). Besonders relevant sind hierbei natürlich die Eltern und auch andere Familienmitglieder. Vom Kindes- zum Jugendlichenalter reduziert sich die Prägung durch die Eltern und der Einfluss der Gleichaltrigen, der sog. Peers, nimmt zu (z. B. Wooten 2006). Im Einstiegsbeispiel richtet sich Lea nach der angenommenen Meinung ihrer Freundinnen und insb. jener von Vanessa. Aber auch die Medien, inklusive Fernsehsendungen, Werbung, YouTube etc. wirken als Sozialisationsagenten. Dies gilt heute durch Social Media noch mehr als früher.

9.3 Normen und Konformität Soziale Normen sind implizite oder explizite Regeln, die beinhalten, welche Erwartungen das soziale Umfeld an das eigene Verhalten in bestimmten Situationen hat (Gerrig 2014, S. 655). Ein Beispiel einer solchen Regel ist die regional übliche Höhe des zu entrichtenden Trinkgelds in Restaurants. Soziale Normen haben verpflichtenden Charakter für das Verhalten der Person. Sie koordinieren damit unser Zusammenleben. Aus individueller Sicht sind Normen insofern positiv, als sie uns einen Rahmen vorgeben, wie man sich zu verhalten hat (z. B. beim Kennenlernen einer neuen Person) und sie damit Unsicherheit reduzieren. Sie haben aber auch die negative Eigenschaft, dass sie vorschreibend sind und damit die Freiheit einschränken. Denn: Das soziale Umfeld erwartet und kontrolliert die Einhaltung von Normen. Wer sie bricht, wird sozial bestraft (z. B. indem man ausgegrenzt oder lächerlich gemacht wird). Beispiel: Nachhaltige Produkte werden nur unter Beobachtung konsumiert

Luchs et al. (2010) wiesen nach, dass Konsumenten Produkten, die als nachhaltig positioniert sind, unbewusst weniger Qualität, Geschmack etc. zuschreiben. Ironischerweise hat damit die eigentlich positive Eigenschaft Nachhaltigkeit eine

148

9  Soziale Umwelt

negative Auswirkung auf das Konsumentenurteil. Die Forscher führten ein Feldexperiment (Abschn. 2.4.4) durch, bei dem sie ihre Probanden in der Mensa einer Universität beobachteten. Dabei war für einen Teil der Probanden der Beobachter klar erkennbar. Sie befanden sich also in einer sozialen Situation, in der sie vermutlich ihr Verhalten an sozialen Normen ausrichteten. Für einen anderen Teil der Probanden war der Beobachter nicht sichtbar. Es gab folglich keinen äußeren Zwang, soziale Normen zu beachten. Die Untersuchung belegt, dass die Probanden eine als nachhaltig gekennzeichnete Flüssighandseife nur dann nutzten, wenn eine weitere Person anwesend war, die sie beobachtete. War keine andere Person anwesend, griffen sie zur konventionellen Variante. Das nachhaltige Verhalten wurde also nur gezeigt, wenn soziale Normen relevant waren. Wir passen unsere Konsumentscheidungen häufig an andere Personen an, die in der jeweiligen Situation anwesend sind. Wir verhalten uns konform. Konformität bezeichnet die Tendenz, Meinungen anderer Gruppenmitglieder zu übernehmen und ein ähnliches Verhalten zu zeigen (Gerrig 2014, S. 655). Lea wollte im Einstiegsbeispiel das Burgerrestaurant nicht betreten, da sie annahm, dass andere Veganer dies auch nicht tun würden. Beispiel: Geometrie ist ein soziales Phänomen

Die Forschung zur Konformität hat ihre Ursprünge in einem klassischen Experiment des polnisch-amerikanischen Sozialpsychologen Solomon Asch (1955). Die Studie offenbart auf eindrucksvolle Weise, dass in einem sozialen Kontext Konformitätsdruck entsteht, der die Entscheidungen des Einzelnen beeinflusst. Obwohl die objektiv korrekte Antwort in diesem Experiment offensichtlich war, beugten sich zahlreiche Versuchsteilnehmer bei der Einschätzung der Länge einer Linie der Gruppenmeinung. Sie passten ihre Einschätzung an die offenkundig verzerrte Einschätzung anderer Personen an, die sie für Versuchsteilnehmer hielten, die aber von den Forschern instruiert waren. Scannen Sie den QR-Code, um mehr über das Experiment zu erfahren.

Die Neigung zur Konformität zeigt sich auch bei Konsumentscheidungen. Es liegen aber auch zahlreiche Studien vor, die belegen, dass sich Konsumenten oft bewusst anders als ihr soziales Umfeld verhalten, um sich abzugrenzen und zu zeigen, wie einzigartig oder besonders sie wahrgenommen werden wollen. Interessant ist der Fall, wenn sich der Wunsch nach Einzigartigkeit (Need for Uniqueness; Tian et al. 2001) und das Bedürfnis, sich konform zu verhalten, diametral entgegenstehen.

9.4  Word-of-Mouth und Meinungsführer

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Beispiel: Ich esse was, was Du nicht isst.

Ariely und Levav (2000) entwickelten ein Modell, das zeigt, wie Konsumenten Entscheidungen in Gruppensituationen fällen. In der Studie wird als Beispiel von einem gemeinsamen Abendessen im Restaurant ausgegangen, bei dem der Reihe nach jeder seine Bestellung aufgibt. Die Forscher nahmen an, dass jeder Teilnehmer sein individuelles Ziel verfolgen möchte, d. h., dass er das Gericht auswählen möchte, das ihm am besten schmeckt. Gleichzeitig sind aber auch Ziele im Zusammenspiel zwischen Individuum und Gruppe zu beachten, die zwischen Anpassung und Ausdruck der eigenen Individualität schwanken können. So kann es zu Gruppenkonformität und damit einheitlichen Wahlentscheidungen oder zur Variation der Entscheidungen innerhalb der Gruppe kommen. Das Experiment deckt auf, dass jeder Einzelne versucht, zwischen seinen individuellen Zielen und den folgenden drei möglichen Zielen im Kontext der Gruppe zu entscheiden: • Minimierung von Bedauern: Wer Fehlentscheidungen vermeiden möchte und nicht zuschauen möchte, wie andere später ein besseres Menü verspeisen, der orientiert sich an der Entscheidung anderer. Das führt zu einheitlichen Entscheidungen innerhalb der Gruppe. • Informationssammlung: Wenn das Ziel ist, als Gruppe möglichst viele Eindrücke zu sammeln und auszutauschen, werden Konsumenten eher unterschiedliche Angebote auswählen. • Selbstdarstellung: Individuen möchten ein bestimmtes Bild von sich präsentieren. Das kann bspw. bedeuten, dass sie zeigen möchten, dass sie einzigartig oder zumindest nicht konformistisch sind. Um eine einzigartige Entscheidung zu treffen, müssen sie unter Umständen ein Angebot wählen, das bislang noch keiner gewählt hat und das gar nicht optimal ihren individuellen Bedürfnissen entspricht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Einzelne in dynamischen Gruppenentscheidungen häufig eine Entscheidung trifft, welche nicht den maximalen individuellen Nutzen stiftet. Dies kann daran liegen, dass man entweder gemeinsam möglichst viele Informationen sammeln oder sich selbst nach außen in einem möglichst guten Licht präsentieren möchte.

9.4 Word-of-Mouth und Meinungsführer Ob eine Kommunikation erfolgreich verläuft oder nicht, hängt insb. davon ab, für wie glaubwürdig der Empfänger den Sender erachtet (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 590 ff.). Zwei Kriterien beeinflussen die Glaubwürdigkeit besonders: ob der Kommunikator als Experte gilt und ob er als vertrauenswürdig beurteilt wird. Für Letzteres ist eine wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen Kommunikator und Empfänger förderlich.

150

9  Soziale Umwelt

Word-of-Mouth (WoM) ist die (nicht-massenmediale) Kommunikation zwischen Konsumenten. Dieser Mund-zu-Mund-Propaganda wird ein sehr großes Beeinflussungspotenzial zugeschrieben, da Rezipienten eine Botschaft i. d. R. als glaubwürdiger erachten, wenn sie von einem Freund, Bekannten oder einem sonstigen nicht-kommerziellen Sender ausgeht als wenn ein kommerzielles Unternehmen Urheber und Sender der Botschaft ist (Herr et al. 1991; Duhan et al. 1997). Als Meinungsführer bezeichnet man Personen, die im Rahmen der interpersonellen Kommunikation einen besonders starken Einfluss auf die konsumrelevanten Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen anderer Personen ausüben (bspw. Flynn et al. 1996; Rogers 2003). Im Einstiegsbeispiel wurde Vanessa von Ben als Meinungsführerin beschrieben. Meinungsführer werden von anderen Personen als glaubwürdige und verlässliche Quelle für Informationen und Ratschläge angesehen. Häufig ist der Einfluss von Meinungsführern auf bestimmte Produktkategorien beschränkt. Wer den Status eines Meinungsführers im Bereich Fashion und Beauty genießt, muss nicht zwangsläufig auch als kompetente Informationsquelle für Computerhardware gelten. Meinungsführer zeichnen sich im Regelfall dadurch aus, dass sie eine soziale Schlüsselstellung einnehmen und gut vernetzt sind sowie dass sie Experten in einem bestimmten Gebiet sind. Meist weisen Meinungsführer ein hohes Produktinvolvement auf, sie wissen sehr viel über bestimmte Produkte und sie nutzen Massenmedien. Oftmals sind sie auch gleichzeitig Innovatoren, d. h., sie kaufen neue Produkte früher als andere und können dadurch ein bestimmtes produktspezifisches Wissen aufbauen (Childers 1986; Hoffmann und Soyez 2010). Meinungsführer spielen auch in der digitalen Kommunikation eine große Rolle. Insbesondere durch den Siegeszug von Social Media gewinnt WoM (in diesem Kontext Word-of-Mouse) immer mehr an Bedeutung, da Informationen nun nicht mehr nur zwischen Bekannten, sondern auch zwischen Unbekannten im großen Stil geteilt werden können. So werden bspw. Blogger als glaubwürdig wahrgenommen und sie besitzen einen großen Einfluss auf Konsumentscheidungen (Colliander und Dahlen 2011). Die persönliche Kommunikation zwischen Konsumenten und insb. auch Meinungsführern ist äußerst wichtig, um Informationen (z. B. Werbebotschaften eines Unternehmens) schnell und glaubwürdig zu verbreiten. Man spricht hierbei von Diffusion, d. h. der Ausbreitung der Idee, des Gedankens oder der Botschaft des Unternehmens in einem sozialen System. Diesen Prozess machen sich Unternehmen im Rahmen ihrer Kommunikationsstrategie zunutze. Das sog. Word-of-Mouth-Marketing versucht, den Diffusionseffekt bewusst zu initiieren (Kozinets et al. 2010), sodass Konsumenten die Botschaft ohne weiteres Zutun des Unternehmens weiter verbreiten (Hutter und Hoffmann 2014, S. 29). Wenn jeder Rezipient die Werbebotschaft an mehrere andere weiterleitet, verbreitet sie sich ähnlich wie ein Virus. Man spricht deshalb von viralem Marketing, dessen Erfolg vor allem von zwei Faktoren abhängt: Erstens muss das Seeding, d. h. die Erstplatzierung, gelingen. Häufig sind Botschaften in Videoclips (z. B. bei YouTube) platziert, die Nutzer über Social Media „liken“ und „sharen“ können.

9.5  Soziales Dilemma – Die Kehrseite …

151

Zweitens muss für den Konsumenten ein gewisses Interesse bestehen, die Botschaft weiterzuleiten. Dies gelingt durch ungewöhnliche, aktivierende, lustige, erotische oder auch abschreckende Inhalte.

9.5 Soziales Dilemma – Die Kehrseite des Bezugsgruppeneinflusses Wie wir im letzten Kapitel (Kap. 12) noch diskutieren werden, wird heutzutage zunehmend kritisiert, dass Verbraucher durch ihr Konsumverhalten Einfluss auf ökologische und soziale Aspekte nehmen. Deshalb wird gefordert, dass sie bewusster konsumieren sollten. Man spricht hierbei auch von Konsumentenverantwortung (Consumer Social Responsibility; Devinney et al. 2006) in Anlehnung an die CSR (d. h. die Corporate Social Responsibility) aufseiten der Unternehmen. Verantwortlicher Konsum kann sich darin äußern, dass Konsumenten durch ihr Kaufverhalten eine gute Sache unterstützen (z. B. Wechsel zu Ökostrom), oder auch dadurch, dass sie bewusst auf bestimmte Produkte verzichten (z. B. Boykott von Smartphones, die mithilfe von Kinderarbeit hergestellt wurden). In vielen Fällen kann jedoch ein einzelner Konsument relativ wenig bewirken und es kommt vielmehr darauf an, dass viele Konsumenten das entsprechende Verhalten zeigen. Um den Klimawandel abzuschwächen, ist es nötig, dass die Mehrheit der Konsumenten ihr Verhalten ändert. Auch wenn es darum geht, bspw. in Form von Konsumentenboykotten (Abschn. 12.5) Einfluss auf Unternehmensentscheidungen zu nehmen, müssen die Handlungen mehrerer Konsumenten aufeinander abgestimmt sein (Hoffmann 2008). Diese Notwendigkeit des kollektiv gleichgerichteten Konsums schafft interessante Bezugsgruppen-Phänomene. Ob der Einzelne sich bspw. einem Boykott anschließt oder nicht, ist ein typisches Problem des kollektiven Handelns (Sen et al. 2001) und es entsteht häufig ein sog. soziales Dilemma. Darunter versteht man eine Entscheidungssituation, in der die individuellen Interessen im Widerspruch zu den Interessen eines größeren Kollektivs stehen. Zum Beispiel könnte der Einzelne es weiterhin bevorzugen, bei einem großen Online-Händler zu bestellen, da die Auswahl groß ist und die Lieferzeiten kurz sind. Aus kollektiver Sicht könnte es aber erwünscht sein, dass man dieses Unternehmen boykottiert, um es dazu zu bewegen, höhere Sozialstandards einzuführen. Der Einzelne müsste also ein subjektives Opfer bringen, damit das Kollektiv sein Ziel erreichen kann. Folglich muss er zwischen der Maximierung seines individuellen Nutzens und einem Beitrag zum Gemeinwohl abwägen (vgl. Dawes 1980). Lange et al. (1992)nennen drei Bedingungen, die dazu führen, dass eine Person in ein soziales Dilemma gerät: Nicht-kooperatives Verhalten (d. h. als Konsument z. B. die Verweigerung der Boykottunterstützung) • stiftet dem Individuum größeren individuellen Nutzen als kooperatives Verhalten, • ist mit einem Nachteil für andere verbunden, • mindert den aggregierten Nutzen der Gemeinschaft.

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9  Soziale Umwelt

Es werden insb. drei Effekte unterschieden, die erklären, wie sich Konsumenten in derartigen Situationen verhalten (Hoffmann 2008, S. 82). • Soziales Faulenzen: Die Motivation des Einzelnen, einen Beitrag zu leisten, nimmt mit zunehmender Gruppengröße ab, weil andere Gruppenmitglieder dann das Verhalten kaum mehr beobachten und bewerten können (z. B. Arnscheid et al. 1997). Dieser Effekt wird sogar noch dadurch intensiviert, dass der Einzelne annimmt, dass sein Beitrag bei großen Gruppen weniger bedeutsam ist, d. h., der Grenznutzen des individuellen Beitrags sinkt. Dies bezeichnet man auch als Small-Agent-Problem (John und Klein 2003). • Trittbrettfahren: Je größer die Gruppe wird, desto größer ist auch der Anreiz, von den Beiträgen der anderen Gruppenmitglieder zu profitieren (z. B. Kerr und Bruun 1983; Arnscheid et al. 1997). Dieser Effekt ist zwar ähnlich wie das soziale Faulenzen. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Einzelne zum sozialen Faulenzen neigt, wenn er annimmt, dass seine Verweigerung nicht aufgedeckt wird. Wer Trittbrett fährt, geht dagegen davon aus, dass sich bereits genügend andere Personen beteiligen und dass demzufolge der eigene Beitrag nicht mehr entscheidend dafür ist, ob das Kollektiv seine Ziele erreicht oder nicht. • Gimpeleffekt: Es kann auch sein, dass der Einzelne nicht bereit ist, das Ziel des Kollektivs zu unterstützen, nachdem er in Erfahrung gebracht hat, dass andere Gruppenmitglieder Trittbrett fahren. Er möchte sich nicht ausnutzen lassen und nicht als „Gimpel“ gelten.

9.6 Lernhilfe Quintessenz

Da Menschen soziale Wesen sind, wird das Verhalten jedes Konsumenten stark durch sein soziales Umfeld mitbestimmt. Im Verlauf der Konsumentensozialisation erlernen Menschen die in ihrer Gesellschaft vorherrschenden Konsummuster. Bezugsgruppen üben informatorischen, utilitaristischen und wertexpressiven Einfluss aus. Soziale Vergleiche bieten dem Einzelnen die Möglichkeit, sich trotz fehlender objektiver Normwerte einzuschätzen. Soziale Normen sind implizite oder explizite Regeln darüber, was von einem in bestimmten Situationen erwartet wird. Konformität führt dazu, dass man seine Entscheidungen in Gruppensituationen an die anderer anpasst. Meinungsführer sind Personen, die einen besonders starken Einfluss auf die Konsumentscheidungen anderer ausüben. Unter sozialen Dilemmata versteht man Entscheidungssituationen, in denen die individuellen Ziele mit den Interessen eines größeren Kollektivs im Widerspruch stehen.

9.6 Lernhilfe

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Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Bezugsgruppen nehmen Einfluss auf das Konsumverhalten. Es lassen sich folgende Arten unterscheiden: Diejenigen, von denen man sich bewusst abgrenzt und deren Werte und Einstellungen man explizit ablehnt, nennt man _________________________. Personen oder Gruppen, die man bewundert und deren Verhalten man gerne kopiert, bezeichnet man dagegen als _________________________. Der _________________________ gehört man an. Sie umfasst z. B. Familie und Freunde. Richtig oder falsch? Word-of-Mouth, d. h. die Kommunikation zwischen Konsumenten, hat ein deutlich geringeres Potenzial, den Empfänger der Botschaft zu überzeugen als kommerzielle Werbung, da der Kommunikator ein Laie ist. Kommerzielle Werbebotschaften werden von professionellen Agenturen, Marketing-Managern und Experten erstellt und diese Botschaften werden deshalb als vertrauenswürdiger erachtet. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Wenn man die Untersuchung von Bearden und Etzel (1982) zugrunde legt, hat die Bezugsgruppe dann bei folgenden Gütern einen Einfluss auf die Produkt- und/oder Markenwahl? O Smartphone: Bezugsgruppe beeinflusst Produkt- und Markenwahl O Flachbildfernseher: Bezugsgruppe beeinflusst Produktwahl O Butter: Bezugsgruppe beeinflusst Markenwahl O Dinieren in der Sterne-Gastronomie: Bezugsgruppe beeinflusst Produkt- und Markenwahl O Designerhandtasche: Bezugsgruppe beeinflusst Produktwahl O Rasenmäher: Bezugsgruppe beeinflusst Markenwahl Vernetzende Fragestellung

Rekapitulieren wir nochmals das Einstiegsbeispiel. Ben möchte ins Burger-Restaurant, weil sein Schulfreund in der Stadt ist. Er möchte seine Freundin Lea überreden mitzukommen. Lea weigert sich, weil ihre Freundinnen schlecht über sie reden würden, wenn sie als Veganerin ein Burger-Restaurant besuchen würde. Die Ansichten von Vanessa scheinen Lea umzustimmen. Eine komplexe, aber uns allen doch sehr vertraute und alltägliche soziale Gemengelage. Entschlüsseln Sie all die ablaufenden sozialen Prozesse in diesem Beispiel, indem Sie die in diesem Kapitel angesprochenen Konzepte anwenden.

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9  Soziale Umwelt

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Physische Umwelt

u

10

Da passt noch was in den Einkaufswagen  Ein Blick auf das Smartphone und Bens Laune trübt sich: „Kannst du bitte noch schnell einkaufen gehen? Hab es vorhin nicht mehr geschafft. LG Lea“. Widerwillig, aber vom Hunger getrieben, betritt Ben den Supermarkt. „Wo stand noch gleich der Aufschnitt?“ Einen Verkäufer findet Ben zwar nicht, dafür aber einen Stand mit einer Produktverkostung. „Auch nicht schlecht“, denkt sich Ben, bedient sich an den kleinen Snacks und führt seinen Einkauf fort. Zu Hause angekommen schaut Lea verwundert auf die Tüten. „Danke, aber du hättest doch nicht direkt den ganzen Wocheneinkauf machen müssen.“ Auch Ben ist überrascht, dass der Einkauf größer ausgefallen ist als ursprünglich vorgesehen. Häufig kaufen Konsumenten im Supermarkt mehr ein als ursprünglich geplant. Dies ist kein Zufall, sondern der Gestaltung des Supermarkts und damit einem Teil der physischen Umwelt geschuldet. Aber wodurch zeichnet sich die physische Umwelt des Konsumenten aus und wie beeinflusst sie sein Verhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_10

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158

10  Physische Umwelt

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • die Wechselwirkung zwischen Konsumverhalten und physischer Umwelt zu verstehen (Abschn. 10.1), • wie die physische Umwelt auf das Verhalten des Konsumenten wirkt (Abschn. 10.2), • wie die Gestaltung des Kaufkanals das Verhalten beeinflusst (Abschn. 10.3), • den Einfluss von Produktverpackungen auf das Kaufverhalten zu verstehen (Abschn. 10.4) und • welche Rolle der Verkäufer und andere Personen am Verkaufsort spielen (Abschn. 10.5), … indem Sie die physische Umwelt des Konsumenten durch folgendes Modell betrachten: umweltpsychologisches Verhaltensmodell

10.1 Wechselwirkungen zwischen Konsumenten und physischer Umwelt Das Verhalten von Konsumenten hängt von vielfältigen psychischen Prozessen ab, denen wir in diesem Buch je ein Kapitel widmeten. Sie alle (Emotionen, Motivation, Einstellungen etc.) stehen in wechselseitigen Beziehungen zueinander, auch wenn wir sie aus Gründen der Komplexitätsreduktion – ganz im Sinne der Partialmodelle – isoliert betrachten. Gemäß dem Totalmodell von Blackwell et al. (2001; Abschn. 1.3.1.1) beeinflusst auch die Umwelt das Verhalten des Konsumenten. Man kann drei Umwelten unterscheiden: Neben der medialen Umwelt (Kap. 11) und der sozialen Umwelt (Kap. 9) ist die physische Umwelt besonders relevant für das Konsumentenverhalten. Die physische Umwelt ist definiert als Ausschnitt aus der materiellen Welt, der für das Individuum Bedeutung besitzt (Hellbrück und Kals 2012). Dies können etwa Landschaften, Gebäude, Räume oder Einrichtungsgegenstände sein. Die physische Umwelt bezieht auch immer die Beschaffenheit der materiellen Welt mit ein. So wirkt eine Landschaft (physische Umwelt) je nach Klima, Wetter oder Jahreszeit (Beschaffenheit) unterschiedlich auf das Individuum. Auch im Shoppingcenter (physische Umwelt) fühlen sich Konsumenten mal mehr, mal weniger wohl, je nach Temperatur und Lichtverhältnissen (Beschaffenheit). Dabei stehen die physische Umwelt und das Konsumentenverhalten in einer wechselseitigen Beziehung zueinander (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Wenn man in der Konsumentenverhaltensforschung von einer wechselseitigen Beziehung zwischen zwei Variablen spricht, bedeutet dies, dass jede der beiden Variablen sowohl

10.2  Das umweltpsychologische Verhaltensmodell

159

Tab. 10.1  Wechselseitige Beziehung zwischen Konsumentenverhalten und physischer Umwelt Konsumentenverhalten Physische Umwelt als … Unabhängige Variable

Abhängige Variable

Erwerb

Wie beeinflusst die Ladengestaltung den Kaufprozess?

Reduziert die Teilnahme an BikeSharing-Angeboten den Autoverkehr in Großstädten?

Ge- und Verbrauch

Beeinflusst Hintergrundmusik die Verweildauer in Restaurants?

Wie wirkt sich der Skitourismus auf die Alpenregion aus?

Entsorgung

Trennen Konsumenten ihren Abfall in videoüberwachten Arealen gewissenhafter?

Führt der Kauf von Pfandflaschen zu weniger Müll auf den Straßen?

Die Aspekte der physischen Umwelt sind fett hervorgehoben

die unabhängige Variable (UV) als auch die abhängige Variable (AV) sein kann (Abschn. 1.3.2). Die physische Umwelt beeinflusst den Menschen in seiner Rolle als Konsument beim Erwerb, dem Ge- bzw. Verbrauch und der Entsorgung von Gütern und Dienstleistungen. So hatte der Verkostungsstand am Verkaufsort (man spricht auch vom Point of Sale bzw. PoS) einen starken Einfluss auf Bens Einkaufverhalten. Gleichzeitig wirkt sich das Verhalten des Konsumenten auf die physische Umwelt aus. Dies zeigt sich bspw. in dem Trend, dass mehr und mehr umweltbewusste Konsumenten, zu denen auch Lea zählt, beim Erwerb (z. B. Verzicht auf Plastiktüten), beim Gebrauch (z. B. Änderung des Fahrstils im privaten Pkw) und bei der Entsorgung (z. B. Recycling) auf Auswirkungen ihres Konsumverhaltens auf die natürliche Umwelt achten (Abschn. 12.4). Tab. 10.1 gibt einen beispielhaften Überblick zu typischen Fragen, die sich aus dieser wechselseitigen Beziehung ergeben. In diesem Kapitel widmen wir uns den in der Praxis wichtigsten Einflüssen der physischen Umwelt auf das Konsumentenverhalten. Hierzu zählt u. a. die Gestaltung des Kaufkanals oder die Verpackung von Produkten. Zuvor betrachten wir das umweltpsychologische Verhaltensmodell nach Mehrabian und Russell (1974), das die theoretische Grundlage bildet.

10.2 Das umweltpsychologische Verhaltensmodell Das umweltpsychologische Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell (1974) greift das S-O-R-Schema des Neo-Behaviorismus auf (Abschn. 1.1) und nimmt an, dass die physische Umwelt das Verhalten von Individuen über emotionale Reaktionen beeinflusst. Es besagt, dass ein Stimulus aus der physischen Umwelt (S) zunächst Emotionen auslöst. Diese sind im Sinne des S-O-R-Schemas Organismusvariablen, die als intervenierende Variablen (I) eine Verhaltensreaktion (R) hervorrufen. Aufgrund der Persönlichkeit (P) des Individuums führen allerdings objektiv gleiche Stimuli zu unterschiedlichem Verhalten.

160

10  Physische Umwelt

Stimulus

Persönlichkeit

Intervenierende Variable Emotionale Reaktion Pleasure Arousal Dominance

Reaktion Annäherung Vermeidung

Abb. 10.1  Das umweltpsychologische Verhaltensmodell. (In Anlehnung an Mehrabian und Russel 1974)

Die Persönlichkeit wirkt damit als Moderatorvariable (Abschn. 1.3.2). Einige Einzelhändler versuchen bspw. durch eine besonders edle Ladengestaltung (S), beim Konsumenten positive Emotionen (I) zu erzeugen, um dann mehr Verkäufe (R) zu generieren. In Abhängigkeit von der Persönlichkeit des Konsumenten (P) gelingt dies mal mehr, mal weniger gut. Schließlich lockt auch eine edle Atmosphäre einem sparsamen Menschen wahrscheinlich nicht die Kreditkarte aus der Tasche. Das Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell (1974) bildet die theoretische Grundlage für zahlreiche Studien zur Erklärung, wie die physische Umwelt auf das Verhalten des Konsumenten wirkt (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Daher erläutern wir die einzelnen Konstrukte des Modells im Folgenden im Detail (Abb. 10.1).

10.2.1 Stimulus Jeder Reiz aus der physischen Umwelt kann eine Stimulusvariable sein. Voraussetzung für den Einfluss auf das Konsumentenverhalten ist, dass der Konsument den Reiz wahrnimmt (Abschn. 5.2). Der Prozess der Wahrnehmung beginnt damit, dass man einen Reiz aus der physischen Umwelt mit den Sinnen aufnimmt (z. B. Geruch), ihn versteht („Es riecht würzig aromatisch.“) und ihm ein Label („Das ist Kaffee.“) gibt (Gerrig 2014). Sämtliche wahrgenommenen Reize bilden gemeinsam das Reizvolumen der physischen Umwelt, das Mehrabian und Russell anhand der Informationsrate zusammenfassen. Darunter verstehen sie die Menge an Informationen in der Umwelt pro Zeiteinheit. Sie unterscheiden zwischen objektiver und subjektiver Informationsrate. Erstere bezieht sich auf die gesamte Menge an Informationen, die pro Zeiteinheit in der Umwelt enthalten ist, Letztere auf die vom Individuum tatsächlich wahrgenommene Information. Eine hohe Informationsrate ist das Resultat einer reizstarken Umwelt, wohingegen eine niedrige Informationsrate aus einer reizarmen Umwelt resultiert. Neben der Quantität, d. h. der Menge an Informationen, spielt auch die Qualität der Information eine wesentliche Rolle. Neuartigkeit und Komplexität etwa sind qualitative Merkmale von Reizen, welche die Informationsrate erhöhen.

10.2  Das umweltpsychologische Verhaltensmodell

161

10.2.2 Persönlichkeit Objektiv gleiche Reize führen nicht bei allen Rezipienten zu identischen emotionalen Reaktionen. Die Wirkung des Umweltreizes auf das Individuum ist laut Mehrabian und Russell (1974) von der Persönlichkeit abhängig. Die Forscher unterscheiden Reizabschirmer, die eine physische Umwelt mit einem geringen Reizvolumen bevorzugen, und Nicht-Reizabschirmer, die gegenüber Reizen aus der Umwelt aufgeschlossen sind. Während sich Reizabschirmer wahrscheinlich in einem puristisch eingerichtetem Restaurant wohlfühlen, darf es für viele Nicht-Reizabschirmer gerne auch ein Teppanyaki-­ Restaurant sein, bei dem die Speisen vom Koch direkt am Tisch zubereitet werden.

10.2.3 Intervenierende Variable Der Umweltstimulus löst beim Konsumenten eine emotionale Reaktion aus, die als intervenierende Variable (I) – man kann auch Mediatorvariable sagen – das Verhalten beeinflusst. Mehrabian und Russell kategorisieren die emotionale Reaktion anhand von drei Dimensionen. Aufgrund der Anfangsbuchstaben der Dimensionen spricht man auch vom PAD-Modell: • Pleasure (engl.: Vergnügen) beschreibt, als wie angenehm bzw. unangenehm ein Umweltreiz vom Rezipienten wahrgenommen wird. • Arousal (engl.: Aktivierung) beschreibt, wie aktivierend oder beruhigend der Umweltreiz auf das Individuum wirkt. • Dominance (engl.: Kontrollierbarkeit) beschreibt, ob der Rezipient das Gefühl hat, seine Umgebung kontrollieren zu können, oder ob er sich ihr ausgeliefert fühlt. Bei Besuchern einer Wellnessoase (physische Umwelt) entsteht nur dann ein wohliges Gefühl (intervenierende Variable), wenn die Massage angenehm (Pleasure) und beruhigend (Arousal) ist und der Masseur nachfragt, ob der ausgeübte Druck in Ordnung ist (Dominance).

10.2.4 Reaktion Die emotionale Reaktion auf die Umwelt drückt sich in Anlehnung an Kurt Lewins Feldtheorie (Abschn. 3.3.4) in Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten aus. Konsumenten im Annäherungsverhaltens-Modus verweilen länger im Ladengeschäft, setzen sich intensiver mit den Produkten auseinander und treten ggf. auch lieber mit den Verkäufern in Kontakt. Konsumenten im Vermeidungsverhaltens-Modus wollen den Einkauf möglichst schnell hinter sich bringen und danach das Ladengeschäft direkt verlassen.

162

10  Physische Umwelt

Insbesondere die Wirkung der Gestaltung des stationären Einzelhandels (physische Umwelt) auf das Kaufverhalten ist mithilfe des Modells von Mehrabian und Russell vielfach untersucht worden (z. B. Bitner 1992; Baker et al. 2002; Donovan et al. 1994). Die im Folgenden beschriebene Studie von Donovan und Rossiter (1982) gehört dabei zu den bekanntesten. Beispiel: Was Einzelhändler von Mehrabian und Russell lernen können

Donovan und Rossiter (1982) untersuchten auf Basis des umweltpsychologischen Verhaltensmodells von Mehrabian und Russell, wie die Atmosphäre des Einzelhändlers auf das Verhalten des Konsumenten wirkt. Demnach treten folgende Effekte ein, wenn die Atmosphäre am PoS aktivierend ist und als angenehm empfunden wird: Die Kunden verweilen länger im Ladengeschäft, sie sind gewillter, mit dem Verkaufspersonal zu sprechen, sie geben mehr Geld aus als ursprünglich geplant und sie suchen den Händler eher ein weiteres Mal auf. Die Studie belegt damit eindrücklich, dass es sich für Einzelhändler finanziell lohnt, in eine angenehme und aktivierende Ladengestaltung zu investieren.

10.3 Der Kaufkanal als physische Umwelt Ein für das Konsumentenverhalten wichtiger Raum ist der physische Kaufkanal, d. h. das stationäre Ladengeschäft des Einzelhändlers. Die Wirkung des Kaufkanals auf den Konsumenten ist insb. von dessen Atmosphäre und räumlicher Aufteilung abhängig.

10.3.1 Atmosphäre des Kaufkanals Konsumenten nehmen die Atmosphäre im Ladengeschäft über ihre Sinnesorgane wahr. Fünf verschiedene Sinnesorgane nehmen entsprechende Reize aus der physischen Umwelt auf, die dann im Gehirn verarbeitet werden und in Summe den atmosphärischen Eindruck des Ladengeschäfts bilden.

10.3.1.1 Visuelle Reize Typische visuelle Eindrücke sind Farben (Leuchtkraft, Sättigung, Spektrum) und Lichtverhältnisse (Helligkeit, Beleuchtung, Tages- oder Kunstlicht). Sie können den emotionalen Zustand des Konsumenten beeinflussen und in Abhängigkeit von dessen Persönlichkeit ein bestimmtes Verhalten begünstigen. Empirische Untersuchungen belegen etwa, dass Farben die Zahlungsbereitschaft, die im Ladengeschäft verbrachte Zeit (Bellizzi und Hite 1992) oder den Aktivierungsgrad des Konsumenten (Crowley 1993) beeinflussen. Grundsätzlich gibt es aber keinen Königsweg der farblichen Gestaltung oder Beleuchtung des Ladengeschäfts. Simplifizierende Ratschläge wie „Streiche die Wände dunkelrot, damit deine Kunden mehr kaufen“ greifen zu kurz, denn

10.3  Der Kaufkanal als physische Umwelt

163

die Bewertung der Farbwahl und Beleuchtung durch den Konsumenten hängt von vielen weiteren Faktoren ab, wie bspw. seiner Persönlichkeit, aber auch von dem Image des Händlers (Baker et al. 1992). Edle Farben in einem Discounter wirken bspw. deplatziert, erzeugen somit beim Konsumenten Reaktanz und führen dadurch zu negativen Emotionen, wohingegen sie in einer edlen Boutique die erwünschte Wirkung erzielen können. Allgemein zeigen Studien zwar, dass Konsumenten tendenziell warme Farben bevorzugen. Bei Produkten, die meist mit einem hohem Involvement verbunden sind – wie etwa Autos – präferieren Konsumenten jedoch eine kältere Farbgebung (Bellizzi et al. 1983). Somit ist es nicht verwunderlich, dass Autohändler ihre Showrooms mit viel Chrom und Stahl gestalten.

10.3.1.2 Akustische Reize Musik ist ein typischer akustischer Reiz im Ladengeschäft. Sie beeinflusst den Aktivierungsgrad des Konsumenten am PoS und in der Folge sowohl die wahrgenommene als auch die tatsächliche im Ladengeschäft verbrachte Zeit (Milliman 1986; Hui et al. 1997). Hintergrundmusik kann sich je nach Genre, Tempo und Lautstärke unterschiedlich auswirken. So kann eine langsamere Hintergrundmusik dazu führen, dass Konsumenten ihre Laufgeschwindigkeit anpassen und sich entsprechend gemächlich durch den Laden bewegen. Die verlängerte Aufenthaltszeit wirkt sich wiederum positiv auf die Anzahl der gekauften Artikel und somit auf die Höhe des Kassenbons aus (Milliman 1982). Der Einfluss von Musik als akustischer Reiz am PoS hängt allerdings von mehreren Randbedingungen ab, u. a. vom Alter des Konsumenten (Gulas und Schewe 1994), der Lautstärke und dem Tempo (Milliman 1982) sowie dem Musikgeschmack (Herrington 1996). Musik wirkt auch – und teilweise sogar nur dann –, wenn Konsumenten sie nicht bewusst wahrnehmen (Gulas und Schewe 1994). Beispiel: Kann Musik die Wein-Wahl beeinflussen?

Im Rahmen eines zweiwöchigen Feldexperiments gingen North et al. (1999) genau dieser Frage nach. In der ersten Woche ließen sie typisch französische Musik über die Lautsprecher des Händlers erklingen, in der zweiten Woche typisch deutsche Musik. Parallel erfassten sie die Abverkäufe der Weinflaschen. Während in der ersten Woche deutlich mehr französische (40) als deutsche (8) Weinflaschen über die Ladentheke gingen, verkauften sich in der zweiten Woche mehr deutsche (22) als französische (12) Weine. Eine anschließende Befragung zeigte zudem, dass die Kunden ihre WeinWahl nicht mit der Musik in Verbindung brachten. Damit belegen die Forscher, dass Musik am PoS das Konsumentenverhalten beeinflussen kann und zwar ohne dass sich Kunden dessen bewusst sind.

10.3.1.3 Olfaktorische Reize Das sog. Duftmarketing versucht, das Konsumentenverhalten unter Zuhilfenahme von Duftstoffen zu beeinflussen, um so den Absatz von Produkten zu steigern. Einige Shoppingcenter oder Bahnhofs-Malls setzen bewusst Aromen ein, um Konsumenten zum

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10  Physische Umwelt

nächsten Café (Kaffeearoma) oder Teehändler (Beerenaromen) zu locken. Dabei können zum Händler passende Düfte die Einstellung und das Verhalten des Konsumenten beeinflussen (Mitchell et al. 1995). Ein frischer Duft kann etwa die wahrgenommene Kompetenz eines Sportgeschäfts positiv beeinflussen (Stöhr 1998). Die Dosierung von Düften ist dabei von besonderer Bedeutung. Sie dürfen nicht aufdringlich eingesetzt werden, da sie ansonsten beim Konsumenten Reaktanz erzeugen und sich negativ auf sein Verhalten auswirken. Allerdings gibt es auch hier Gegenbeispiele. Das US-amerikanische Modeunternehmen Abercrombie & Fitch bläst durch die Lüftungsanlagen seiner Filialen den süßlichen Geruch seines Parfüms „Fierce“ und markiert damit buchstäblich die Kleidung im Ladengeschäft.

10.3.1.4 Gustatorische Reize Für viele ist Essen Genuss und mit positiven Emotionen verbunden. Somit ist es einleuchtend, dass Einzelhändler über Produktverkostungen oder Live Cooking Events im Ladengeschäft beim Konsumenten geschmackliche Reize setzen möchten. Wir erinnern uns, dass sich auch Ben im Einstiegsbeispiel von einer dieser Aktionen attrahieren ließ. Empirische Studien belegen die Wirkung von Produktverkostungen am PoS (Phillips et al. 2015). Sie können Konsumenten, die den Kauf eines bestimmten Markenproduktes planen, zu einem Markenwechsel bewegen, aber auch den Kauf von Produkten fördern, die der Konsument vorher nicht auf seinem Einkaufszettel hatte (Heilman et al. 2011). Die Gründe, warum ein Konsument bei einer Produktverkostung zugreift, reichen von hedonischen Motiven („Produktverkostungen machen das Einkaufen angenehmer.“) über utilitaristische Motive („Ich möchte mehr über das Produkt erfahren.“) bis hin zu physiologischen Motiven („Ich habe Hunger.“). 10.3.1.5 Haptische Reize Im Ladengeschäft nehmen Konsumenten Informationen über haptische Reize auf, indem sie Produkte anfassen. Dabei ist das Bedürfnis nach haptischen Reizen für die Kaufentscheidung zwischen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die „Need for Touch“(NFT)-Skala misst dieses Bedürfnis anhand von zwei Dimensionen (Peck und Childers 2003a; vgl. Abb. 10.2): • Autotelic NFT ist intrinsisch motiviert. Das Anfassen von Produkten erfolgt aufgrund hedonischer Ziele, wie etwa Spaß oder Freude, und passiert oft automatisch und unbewusst. • Individuen mit einer hohen Instrumental-NFT-Ausprägung fassen Produkte an, um kaufrelevante Informationen zu weiteren Produkteigenschaften zu erhalten. Sie zeichnen sich durch eine höhere Zielorientierung im Kaufprozess aus. Personen mit einem hohen NFT bewerten Produkte besser, wenn sie diese vorab anfassen können (Peck und Childers 2003b; Nuszbaum et al. 2010). Der haptische Reiz kann zudem die Kaufwahrscheinlichkeit erhöhen. Dieser Einfluss des haptischen Reizes

10.3  Der Kaufkanal als physische Umwelt Item (Dimension)

165 Stimme zu

Lehne ab

Wenn ich einkaufen gehe, muss ich alle möglichen Artikel anfassen (A). Es macht Spaß, alle möglichen Artikel anzufassen (A). Beim Kauf eines Artikels fühle ich mich wohler, wenn ich diesen vorher durch Anfassen eingehend geprüft habe (A). Ich vertraue stärker auf Artikel, die man vor dem Kauf anfassen kann (I). Wenn ich einen Artikel im Geschäft nicht anfassen kann, möchte ich diesen nur ungern kaufen (I).

Abb. 10.2  Auszug aus der NFT-Skala

auf das Kaufverhalten des Konsumenten erfolgt unbewusst. Geschickte Verkäufer setzen daher haptische Reize, indem sie Konsumenten dazu ermuntern, Produkte auszuprobieren. Haptische Reize erfordern auch im Zeitalter der Digitalisierung eine physische Umwelt (stationärer Handel) und können ebenso wie geschmackliche und olfaktorische Reize nicht in die mediale Umwelt transferiert werden. Beispiel: Erlebnisorientierung im Ladengeschäft

Ob im Tauchbecken, im Klettertunnel oder in der Kältekammer: Die Ladengestaltung und Atmosphäre des Outdoor Händlers Globetrotter bietet Konsumenten eine Vielzahl an Möglichkeiten, Produkte direkt im Ladengeschäft auszuprobieren. Scannen Sie den QR-Code, um Einblick in die Dresdner Erlebnisfiliale zu erhalten.

10.3.2 Räumliche Aufteilung des Kaufkanals „Wo finde ich das Olivenöl? Haben Sie auch Sojamilch?“ Ein Großteil der Beratungsleistungen, die Konsumenten am PoS in Anspruch nehmen, dient der Orientierung. Für den Einzelhandel ist eine reibungslose Orientierung des Konsumenten erfolgskritisch. Schließlich zeigen Umfragen, dass Konsumenten jeden fünften geplanten Produktkauf verschieben oder gar verwerfen, weil sie das entsprechende Produkt nicht finden

166

10  Physische Umwelt

können (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Die Orientierung im Raum und das Bewegungsverhalten im Raum geben Aufschluss zur optimalen räumlichen Aufteilung des Kaufkanals.

10.3.2.1 Orientierung im Raum Wie orientieren sich Menschen in Shoppingcentern oder Ladengeschäften? Den Erkenntnissen der Sozialgeografie zufolge verwenden Menschen hierzu sog. kognitive Karten, sprich mentale Repräsentationen eines geografischen Raums. Bei Konsumenten bezieht sich dieser geografische Raum bspw. auf ein Ladengeschäft oder auf das gesamte Shoppingcenter. Kognitive Karten zeichnen sich durch die in Tab. 10.2 dargestellten Merkmale aus (Lynch 1960). Die kognitiven Karten von Konsumenten zu Shoppingcentern und Ladengeschäften sind meist verzerrt und spiegeln die Realität nicht maßstabsgetreu und proportional wider. Bekannte und markante Merkmale nehmen viel Raum ein, während andere Merkmale unterrepräsentiert sind. Dies wirkt sich auf die Orientierung des Konsumenten in Shoppingcentern und Ladengeschäften aus. Orientierung im Ladengeschäft Konsumenten orientieren sich in Ladengeschäften mithilfe räumlicher Bezüge zwischen Objekten („Das Olivenöl steht rechts unter dem Balsamico-Essig.“) und über bildliche Elemente („im Regal gegenüber der roten Säule“). Studien zeigen zudem, dass sich Konsumenten an markanten Merkmalen im Ladengeschäft orientieren, wie etwa an den Hauptwegen, großen Objekten wie Kühltheken oder Aufstellern sowie Farbflächen und Werbetafeln. Diese Objekte stehen i. d. R. in den Randflächen des Ladengeschäfts. Daher erinnern sich Konsumenten auch besser an den Standort von Produkten, die in Außenlage stehen. Produktpositionen in Innenlage des Ladengeschäfts werden weniger gut erinnert, da sie weniger Orientierungspunkte bieten und sich in Struktur und Aufteilung sehr ähnlich sind (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 509; Sommer und Aitkens 1982). Um Konsumenten die Orientierung im Raum zu erleichtern und Mitarbeiter zu entlasten, stellen einige Händler Touchscreens und elektronische Info-­ Terminals auf. Einige Händler haben auch Apps entwickelt, die den Kunden durch den Laden navigieren. Die Apps bieten je nach Händler zusätzliche Mehrwerte wie Tab. 10.2  Merkmale kognitiver Karten für Ladengeschäfte und Shoppingcenter. (In Anlehnung an Lynch 1960) Merkmal

Ladengeschäft

Shoppingcenter

Wege

Hauptgänge im Ladengeschäft

Hauptgänge im Center

Begrenzungen

Regale, Verkaufstische

Sitzreihen, Blumenkübel

Gebiete

Obstabteilung, Frischetheke

Areale wie Gastronomie

Knotenpunkte

Wegkreuzungen

Wegkreuzungen

Orientierungspunkte

Info-Terminals, Kassen

Rolltreppen, Aufzug

10.3  Der Kaufkanal als physische Umwelt

167

z. B. Rabatte, Coupons und Produktinfos. Zu den neueren Entwicklungen gehören sog. Beacons, kleine Bluetooth-Sender, die bspw. an Regalen, Schildern oder Türen angebracht sind und mit dem Smartphone des Kunden kommunizieren. Mithilfe der kleinen Sender können Händler sogar den Standort des Konsumenten im Ladengeschäft bestimmen, ihn durch den Laden zu einem speziellen Angebot navigieren oder ihm einen individuellen Rabatt gewähren und dadurch sein Konsumentenverhalten beeinflussen. Orientierung im Shoppingcenter In einem Einkaufszentrum finden Konsumenten Einzelhandelsgeschäfte und Dienstleister verschiedener Branchen räumlich unter einem Dach vereint. Die Orientierung des Konsumenten in Shoppingcentern folgt ebenfalls den Gesetzen der Umweltpsychologie und Sozialgeografie. In der kognitiven Karte sind architektonische Merkmale wie Einund Ausgänge, Wegkreuzungen, Rolltreppen oder Aufzüge besonders markant. Ankermieter und sekundäre Anziehungspunkte sind weitere besondere Orientierungspunkte der kognitiven Karte von Konsumenten. Von Ankermietern geht eine überdurchschnittliche Anziehungskraft auf den Konsumenten aus, sodass sie für eine höhere Frequentierung von Shoppingcentern sorgen. In der Regel handelt es sich dabei um große Warenhäuser (z. B. Galeria Kaufhof), Bekleidungsschäfte (z. B. H&M) oder Elektronikhändler (z. B. Saturn). Sekundäre Anziehungspunkte sind Restaurants, Banken oder Ruhe-Bereiche (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013).

10.3.2.2 Bewegungsverhalten im Raum Es gibt zwei Beobachtungen zur menschlichen Fortbewegung, die für die Konsumentenverhaltensforschung besonders interessant sind. Zum einen neigen Menschen dazu, auf der rechten Seite zu gehen. Dies hat mit der Sozialisation zu tun, wie etwa dem Rechtsfahrgebot in den meisten Ländern. Zum anderen tendieren Menschen dazu, beim Gehen nach links abzudriften. Verirren sich Menschen etwa in der Wildnis, laufen sie meistens links herum in einem sehr großen Kreis. Viele Einzelhändler machen sich dieses Wissen zunutze und leiten den Konsumenten gegen den Uhrzeigersinn durch das Ladengeschäft, indem sie den Eingang rechts positionieren und den Konsumenten dann mithilfe der Regalanordnung links durch den Laden führen. Weiterhin greifen Konsumenten tendenziell rechts nach Produkten, da die meisten Rechtshänder sind. Bedenkt man, dass Konsumenten eine wandbezogene Orientierung haben, wundert es nicht, dass sie Innengänge meiden und rechts liegende Verkaufsflächen stark frequentieren (Underhill 2009). Diese Grundtendenzen menschlichen Bewegungsverhaltens sowie die Erkenntnisse zur kognitiven Karte führen zu Top Spots und Flop Spots (Tab. 10.3) in Ladengeschäften (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Einzelhändler richten die räumliche Aufteilung des Kaufkanals stark an Erkenntnissen zur Orientierung des Konsumenten im Raum und seinem Bewegungsverhalten aus. Fasst man diese Erkenntnisse zusammen, lassen sich prinzipiell vier Ladenzonen mit typischen Verhaltensmustern von Konsumenten und entsprechenden verkaufsfördernden Maßnahmen durch den Handel identifizieren (Underhill 2009; Tab. 10.4).

168

10  Physische Umwelt

Tab. 10.3  Top Spots und Flop Spots in Ladengeschäften. (In Anlehnung an Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013) Top Spots

Flop Spots

Hauptwegea

Mittelgängeb

Rechts liegende Verkaufsflächenb

Links liegende Verkaufsflächenb

Lift, Treppen etc.a

Höhere und tiefere Etagenb

Gangkreuzungena

Sackgassena

Kassenzonena

Räume hinter den Kassenb

Begründung: aKognitive Karten bBewegungsverhalten

Tab. 10.4  Typische Ladenzonen im Einzelhandel. (Auf Basis von Underhill 2009) Bereich

Typisches Verhalten

Marketing-Maßnahmen

Hintere und obere Ladenbereiche

Kunden meiden hintere und obere Ladenbereiche

Durch attraktive Angebote und Architektur hintere und obere Areale einbinden

Übergangszone

Schnelles Überqueren der Parkplätze und Betreten des Geschäfts

„Landebahn“ zur Entschleunigung, bspw. durch persönliche Begrüßung im Eingangsbereich

Abstellflächen

Kunden benötigen beim Einkaufen beide Hände

Bereitstellen von Ablageflächen (Theken, Garderoben) und von Behältnissen (Einkaufskörbe, Tragetaschen)

Hinweistafeln und Plakate

Kunden beachten Plakate nur, wenn sie Zeit haben

Hinweistafeln und Plakate in der Nähe von Rolltreppen, Warteschlangen und Toiletten platzieren

Nicht nur die räumliche Aufteilung des Kaufkanals allgemein, sondern auch die Position des Produkts im Regal des Einzelhändlers formt die physische Umwelt des Konsumenten am PoS. Die Regalaufteilung erfolgt auf horizontaler Ebene und auf vertikaler Ebene. Auf vertikaler Ebene unterscheidet man vier Regalzonen. • Die Reckzone befindet sich auf einer Höhe von über 180 cm und somit außerhalb des direkten Blickfeldes der meisten Konsumenten. Dadurch werden Produkte in dieser Zone weniger stark wahrgenommen. • Die Sichtzone ist auf einer Höhe von 140–160 cm angesetzt. Konsumenten beziehen Produkte in diesem Bereich am stärksten in ihren Auswahlprozess ein, da sie sich im

10.4  Das Produkt als Teil der physischen Umwelt

169

direkten Blickfeld auf Augenhöhe befinden. Händler positionieren hier Premiumprodukte, bei denen die Gewinnmarge am höchsten ist. • Die Griffzone zwischen 60–140 cm eignet sich zur Positionierung des Normalsortiments, für Neuheiten und für Impulsartikel. • Die Bückzone unterhalb von 60 cm steht für sog. Schnelldreher (d. h. Waren, die schnell verkauft werden) und Handelswaren zur Verfügung. Auf horizontaler Ebene gilt es zu berücksichtigen, dass Konsumenten entlang der Leserichtung das Regal von links nach rechts wahrnehmen. Daher können bspw. verschiedene Sorten nebeneinander platziert werden, statt eine Sorte in einer Reihe zu positionieren. Das Facing drückt die Sichtbarkeit eines Produktes aus. Die Anzahl der Facings bestimmt den Absatz. Sie lässt sich steigern, indem man die in diesem Abschnitt besprochenen Hinweise zur vertikalen und horizontalen Regalaufteilung berücksichtigt. Daher sollten Produkte von ihrer Schokoladenseite gezeigt werden. Das Regal sollte Abwechslung bieten. Grifflücken und Out-of-Stock sollten vermieden und lange Kontaktstrecken (Präsentationsbreite von mindestens 30 cm) realisiert werden (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Beispiel: Kann ein ungeplanter Einkauf geplant sein? – In-Store-Slack

Stilley et al. (2010a) weisen nach, dass Konsumenten ungeplante Einkäufe vorab einplanen. Offensichtlich rechnen die meisten Konsumenten vor einem Einkauf ein, dass sie gewisse Produkte nicht auf ihrer Einkaufsliste aufgeführt haben, diese aber benötigen bzw. in der Einkaufssituation plötzlich erwerben möchten. Für diese geplanten Spontankäufe (In-Store-Slack) gibt es mehrere Gründe: Man kann einfach vergessen haben, dass man das Produkt möchte oder braucht, und wird daran erinnert, wenn man auf das Supermarktregal schaut. Auch die Impulsivität der Konsumenten spielt hier eine Rolle. Eine weitere Untersuchung von Stilley et al. (2010b) zeigt Folgendes: Konsumenten haben ein „mentales Budget“ und der geplante Umfang der Gesamteinkäufe (in der Studie im Durchschnitt 66,45 US$) stimmt ungefähr mit dem tatsächlichen Umfang der Gesamteinkäufe überein (69,84 US$). Die In-Store-Slacks fielen allerdings mit durchschnittlich 34,59 US $ deutlich höher aus als geplant (20,37 US$).

10.4 Das Produkt als Teil der physischen Umwelt Jedes Objekt der materiellen Umwelt, das für eine Person Bedeutung besitzt, kann Teil der physischen Umwelt sein (Hellbrück und Kals 2012). Als Informations- und Bedeutungsträger gehört somit das Produkt selbst und insb. die Verpackung des Produkts zur physischen Umwelt und zu den relevanten Einflussgrößen am PoS. Produktverpackungen erfüllen für den Konsumenten allgemein vier Funktionen (Meffert et al. 2018).

170

10  Physische Umwelt

1. Schutzfunktion: Die Verpackung schützt das Produkt vor Verunreinigung (z. B. eingeschweißter Käse) oder Beschädigung (z. B. TV in Karton und Styropor). 2. Distributionsfunktion: Die Verpackung ermöglicht und erleichtert es dem Konsumenten, das Produkt nach Hause zu transportieren (z. B. Tragehenkel am Waschpulverpaket). 3. Verwendungsfunktion: Verpackungen können die Verwendung des Produkts erleichtern (z. B. leichteres Öffnen oder Wiederverschließbarkeit). 4. Informationsfunktion: Die Verpackung kann genutzt werden, um über Produkteigenschaften aufzuklären. Die Informationsfunktion kann explizit, aber auch implizit sein. Explizite Produktinformationen bei Lebensmitteln sind bspw. Angaben zu den Nährwerten oder bei Haushaltsgeräten die Energieeffizienz. Implizite Produktinformationen werden durch die Verpackungsgestaltung kommuniziert und sollen den Konsumenten zum Kauf animieren. Konsumenten verarbeiten alle Reize (visuell, akustisch, olfaktorisch, haptisch), die von Produktverpackungen ausgehen – und das oftmals unbewusst – und sie bilden sich daraufhin ein Urteil. Die Verpackungen von Light-Lebensmitteln sind bspw. oftmals in hellen Pastelltönen gehalten (z. B. hellblau) und sollen damit implizit Assoziationen wie Leichtigkeit und Gesundheit kommunizieren. In Abhängigkeit von Farbe, Typografie, Form und Material der Verpackung wirken unterschiedliche Reize auf den Konsumenten (Ampuero und Vila 2006). Die Wirkung dieser Reize hängt allerdings auch vom Produkt selbst ab, sodass wir an dieser Stelle keine allgemeingültigen Faustregeln (im Stile von „rote Verpackungen animieren den Konsumenten zum Kauf“) formulieren können. Dafür ist das Wechselspiel zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten von Verpackungen und dem Produkt selbst zu komplex, wie folgende Beispielstudie verdeutlicht. Beispiel: Gesund und lecker? Das kann nicht sein! Die „Unhealthy = Tasty“-Intuition

Die „Unhealthy = Tasty“-Intuition (UTI)besagt, dass Konsumenten wenig schmackhafte Nahrungsmittel mit einer gesunden Lebensweise und schmackhafte Nahrungsmittel mit einer ungesunden Lebensweise verbinden (Raghunathan et al. 2006). Mai et al. (2016) zeigen, dass sich die UTI bei Light-Produkten, die in der Verpackungsgestaltung oft Pastelltöne verwenden, ebenfalls durchsetzt; und zwar in Abhängigkeit vom Gesundheitsbewusstsein. Gesundheitsbewusste Konsumenten haben eine positive Einstellung gegenüber pastellfarbenen Produktverpackungen. Konsumenten mit einem niedrigen Gesundheitsbewusstsein beurteilen hingegen das Produkt aufgrund der pastellfarbenen Verpackung unbewusst als nicht schmackhaft und entscheiden sich gegen den Kauf.

10.5  Verkäufer und andere Personen am Point of Sale

171

10.5 Verkäufer und andere Personen am Point of Sale Konsumenten begegnen am PoS dem Verkaufspersonal sowie anderen Konsumenten. Diese gehören zwar auch der sozialen Umwelt an. Sie sind jedoch an den speziellen Kontext der physischen Umwelt, d. h. an den Point of Sale, gebunden. Deshalb behandeln wir ihren Einfluss in diesem Kapitel.

10.5.1 Merkmale des Verkäufers Die Forschung zum Einfluss des Verkäufers auf das Verhalten von Konsumenten befasste sich lange Zeit mit den Eigenschaften des Verkaufspersonals. Der Erfolg im Verkauf galt als Ergebnis persönlicher Eigenschaften und Merkmale des Verkäufers (z. B. Alter, Geschlecht, Aussehen, Selbstsicherheit). Neuere Studien verstehen den Verkaufsvorgang als Interaktion zwischen Verkäufer und Konsument am PoS. Damit hängt der Erfolg oder auch Misserfolg vom Verhalten beider Akteure ab. Gleichwohl können Verkäufer über geeignete Techniken die Interaktionssituation steuern und damit versuchen, das Verhalten von Konsumenten – hin zu einem Kauf – zu beeinflussen (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Mehrabian und Ferris (1967) postulierten vor 50 Jahren, dass der Interaktionsprozess zu 7 % verbal, zu 38 % vokal und zu 55 % mimisch beeinflusst wird (7-38-55-Regel). Die Werte sollten aufgrund ihrer geringen externen Validität (Abschn. 2.4.4) nicht auf die Prozentzahl genau auf die Interaktion zwischen Verkäufer und Konsument übertragen werden. Die drei Elemente zeigen aber, auf welchen Ebenen das Verkäuferverhalten die Interaktion mit dem Kunden beeinflussen kann. • Verbal: Über das gesprochene Wort kann der Verkäufer mit dem Kunden in Interaktion treten, seine Fragen zum Produkt klären und Vertrauen schaffen. Vertrauen gilt als kritischer Erfolgsfaktor für eine gelungene Interaktion. Ob der Kunde dem Verkäufer vertraut, hängt davon ab, ob er ihn als kompetent beurteilt, ob er das Gefühl hat, dass der Verkäufer ihn nicht unter Kaufdruck setzt, sowie von der allgemeinen Service-Qualität des Händlers (Kennedy et al. 2001). • Vokal: Stimmqualität, Sprechmelodie und Sprechpausen werden unter vokalem Verhalten zusammengefasst. Studien zeigen, dass Verkäufer, die besonders schnell sprechen, mehr Überzeugungskraft besitzen. Allerdings wirkt ein gleichbleibendes Sprechtempo – egal ob schnell oder langsam – wenig aktivierend und somit weniger überzeugend (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013, S. 629). Selbst der Akzent des Verkäufers wirkt sich auf das Konsumentenverhalten aus. Haben Kunde und Verkäufer den gleichen Dialekt, ist der Konsument mit der Beratungsleistung zufriedener und die Kaufwahrscheinlichkeit steigt (Mai und Hoffmann 2011).

172

10  Physische Umwelt

• Mimik: Die Gestik und Mimik als Teil der nonverbalen Kommunikation können den Verkaufsvorgang stark beeinflussen. Grundsätzlich ist nur authentisches nonverbales Verhalten erfolgsversprechend (Kroeber-Riel und Gröppel-Klein 2013). Eine zugewandte Gestik und Mimik (zustimmendes Nicken, Blickkontakt, leichtes Lächeln etc.) erzeugt Sympathie und dadurch Annäherungsverhalten gegenüber dem Interaktionspartner. Verkäufer können die Interaktionssituation nicht nur verbal, vokal und mimisch steuern, sondern auch durch Verkaufstechniken. Ziel der Verkaufstechniken ist es, Compliance zu erzeugen. Compliance bedeutet allgemein, dass sich eine Person freiwillig an Regeln oder Abmachungen hält. Die Sozialpsychologie definiert Compliance etwas enger: Demnach handelt es sich um eine Verhaltensänderung aufgrund des Einflusses von außen (Gerrig 2014). Wie Verkäufer mithilfe von Verkaufstechniken Compliance erzeugen und wie diese zum Kauf führen, lässt sich mithilfe sozialpsychologischer Theorien erklären (Tab. 10.5).

10.5.2 An- und Abwesenheit anderer Konsumenten Während wir uns in einem gähnend leeren Club wahrscheinlich schnell langweilen und das Weite suchen, fühlen wir uns in einem vollen Bahnabteil schnell unwohl. Arco et al. (2005) ermittelten empirisch, dass Konsumenten beim Einkaufen weniger negative Emotionen erleben, wenn mindestens ein anderer Kunde anwesend ist. Eine direkte Interaktion mit dieser Person ist dafür nicht nötig. Steigt die Anzahl der anderen Kunden allerdings an, nimmt auch das Erleben negativer Emotionen wieder zu. Der Wunsch nach An- und Abwesenheit anderer Menschen beim Konsum von Produkten und Dienstleistungen lässt sich durch zwei unterschiedliche umweltpsychologische Erkenntnisse erklären (Hellbrück und Kals 2012): Crowding ist das Erleben von Beengung und Überfüllung. Studien zeigen, dass Crowding bei Menschen Stress und Belastung erzeugt. Wer schon einmal am 23.12. die letzten Weihnachtsgeschenke besorgen musste, dem dürfte dieses Phänomen nur allzu bekannt sein. Crowd Behavior zeigt, dass objektive Überfüllung nicht immer subjektiv Crowding-Gefühle erzeugen muss. Stark frequentierte Ladengeschäfte sind für Konsumenten auch eine Heuristik für Qualität („Wenn so viele in dem Laden sind, kann er ja nur gut sein.“). Konsumenten empfinden bspw. das enge Beieinandersein im Fußballstadion, auf Konzerten oder in Diskotheken als angenehm. Crowd Behavior bezieht sich auf das Verhalten und Erleben Einzelner in der Masse. Indem sie gleiche Gefühle und gleiches Verhalten zeigen, erleben Konsumenten eine starke soziale Verbundenheit.

Im Verkaufsgespräch bietet ein Verkäufer ein Produkt zu einem hohen Preis an („Der Gebrauchtwagen kostet 6000 EUR“) und rudert gleich zurück („Aber weil Sie es sind, mache ich 5800 EUR draus“). Nachdem der Verkäufer dem Kunden einen Gefallen getan hat (mit dem Preis runterging), fühlt sich dieser gemäß der Reziprozitätsnorm zum Kauf verpflichtet und die Kaufwahrscheinlichkeit steigt

Beispiel

bFestinger

(1972) (1957)

Reziprozitätsnorm: Wenn jemand etwas für einen anderen tut, so fühlt sich Letzterer im Gegenzug verpflichtet, auch etwas für ersteren zu tun

Compliance durch

aBem

A stellt zuerst eine große Bitte, die B ablehnt. Der anschließenden kleineren Bitte stimmt B dann wahrscheinlich zu

Erläuterung

Door in the face

Ein Fitnesstrainer macht dem potenziellen Kunden das Studio schmackhaft („Für nur 20 EUR im Monat kannst du so oft trainieren, wie du magst.“). Nachdem sich der Konsument von den Vorteilen des Studios überzeugt hat und den Vertrag unterschreiben will, eröffnet ihm der Trainer weitere Kosten (z. B. 90 EUR Aufnahmegebühr). Da der Kunde inzwischen selbst viele positive Argumente generiert hat („Der Besuch des Studios ist gut für meine Gesundheit.“), passt er die negative Information an, um Dissonanz zu vermeiden („Ich hatte mir sowieso einen höheren Monatsbeitrag vorgestellt und die modernen Trainingsgeräte rechtfertigen diese Aufnahmegebühr.“) und setzt seine Unterschrift unter den Vertrag

Konsistenztheorien: Gruppe von Theorien, die der Widerspruchsfreiheit (Konsistenz) eine motivierende Rolle zuteilen. Zum Beispiel Theorie der kognitiven Dissonanzb, wonach Menschen nach widerspruchsfreien Zielzuständen streben und sich widersprechende Kognitionen anpassen

Selbstwahrnehmungstheorie: Menschen schließen anhand ihres Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart auf ihre inneren Zustände wie Einstellungen, Motive und Gefühlea

Wer sich zuvor bereit erklärt hat, eine Petition gegen die Abholzung des Regenwaldes zu unterschreiben, der wird mit einer größeren Wahrscheinlichkeit im Anschluss auch eine Geldspende tätigen. Der innere Dialog könnte wie folgt lauten: „Bin ich bereit, monatlich 10 EUR zu spenden? Warum nicht, schließlich habe ich schon in der Vergangenheit umweltfreundliches Verhalten gezeigt, wie etwa die Teilnahme an der Unterschriftenkampagne“

A stellt eine Forderung, gibt aber nur einen Teil der Ausgangsbedingungen preis. Wenn B dieser Forderung zustimmt, gibt A weitere – meist negative – Informationen

Low Ball

A stellt eine kleine Bitte, der eine große Bitte folgt. Wenn B zuvor auch der kleinen Bitte zugestimmt hat, so stimmt er mit großer Wahrscheinlichkeit auch der großen Bitte zu

Foot in the door

Tab. 10.5  Typische Verkaufstechniken am Point of Sale. (In Anlehnung an Bem 1972 und Festinger 1957)

10.5  Verkäufer und andere Personen am Point of Sale 173

174

10  Physische Umwelt

10.6 Lernhilfe Quintessenz

Die physische Umwelt des Konsumenten beeinflusst sein Verhalten maßgeblich. Das umweltpsychologische Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell hilft, diese Wirkung zu erklären. Die Atmosphäre des Kaufkanals und die räumliche Aufteilung des Ladengeschäfts nehmen eine besondere Rolle ein. Neben dem Raum beeinflussen auch Objekte wie etwa Produkte und Produktplatzierungen sowie Subjekte wie etwa Verkäufer und andere Konsumenten am PoS den Konsumenten in seiner physischen Umwelt. Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Die Wirkung des Umweltreizes hängt dem umweltpsychologischen Verhaltensmodell zufolge auch von der Persönlichkeit des Rezipienten ab. Mehrabian und ­ Russell (1974) unterscheiden zwei Typen: ____________ sind gegenüber Reizen aus der Umwelt aufgeschlossen, während ____________ eine physische Umwelt mit einem geringen Reizvolumen bevorzugen. Richtig oder falsch? Das umweltpsychologische Verhaltensmodell von Mehrabian und Russell (1974) nimmt an, dass die physische Umwelt das Verhalten von Individuen über emotionale Reaktionen beeinflusst. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Im Ladengeschäft können folgende Umweltreize auf den Konsumenten wirken: O Visuelle Reize O Akustische Reize O Olfaktorische Reize O Geschmackliche Reize O Haptische Reize Vernetzende Fragestellung

Ob Mymuesli oder Notebooksbillige: Immer mehr Online Pure Player eröffnen zusätzlich zum Online-Shop ein Stationärgeschäft. Diskutieren Sie diese Entscheidung vor dem Hintergrund des umweltpsychologischen Verhaltensmodells von Mehrabian und Russell (1974).

Literatur

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Mediale Umwelt

u

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YouTube killed the Radio Star  Während im Hintergrund das Radio läuft, sitzen Lea und Ben mit ihren Tablets auf dem Sofa und schauen sich die neuesten Vlogs ihrer jeweiligen Lieblings-YouTuber an. „Ich denke, ich probiere das mit der veganen Ernährung auch mal aus.“ „Wie bitte?“, fragt Lea überrascht und schließt den Reise-Vlog, den sie sich soeben noch entspannt angeschaut hatte. „Du willst freiwillig auf Burger verzichten?“ „Naja, mein Lieblings-YouTuber ist Sportler und ernährt sich auch vegan. Und irgendwie hast du mit deinen Bedenken, dass die Tiere so leiden, ja auch Recht.“ „Ich finde das super, Ben. Ich suche uns direkt mal einige vegane Rezepte raus, die wir gemeinsam kochen können.“ Leas Antwort bekommt Ben allerdings nicht mehr mit. Er hat soeben den Link zu einem veganen Proteinshake angeklickt, den der Vlogger empfohlen hat. Konsumenten nutzen Medien aus vielerlei Gründen: Sie entspannen sich vor dem Fernseher, sie informieren sich über Produkte und Dienstleistungen im Internet oder sie tauschen sich über soziale Medien mit anderen Konsumenten aus. Doch wie wählt der Konsument aus dem vielfältigen medialen Angebot aus und wie beeinflusst die mediale Umwelt sein Verhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_11

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11  Mediale Umwelt

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, …. • wie Medien Informationen zwischen Unternehmen und Konsument vermitteln (Abschn. 11.1), • was Konsumenten mit Medien machen (Abschn. 11.2) und • was die Medien mit Konsumenten machen (Abschn. 11.3), … indem Sie die mediale Umwelt des Konsumenten durch folgende Modelle und Theorien betrachten: • Sender-Empfänger-Modell, • Uses-and-Gratification-Ansatz, • Mood-Management-Theorie und • Flow-Theorie.

11.1 Wie Medien zwischen Konsumenten und ihrer Umwelt vermitteln Wohnst du noch oder lebst du schon? Just do it! Mach dir Freude auf. Ob Ikea, Nike oder Coca-Cola, Unternehmen wollen mit Konsumenten kommunizieren. Dabei gilt: Es gibt keine unvermittelte Kommunikation, sondern Kommunikation bedarf immer eines Mediums (Batinic und Appel 2008). Das bekannteste Kommunikationsmodell, das die vermittelnde Rolle von Medien bei der Kommunikation integriert, ist das Sender-­ Empfänger-Modell von Shannon und Weaver (1949; vgl. Abb. 11.1). Ein Sender (z. B. Nike) übermittelt durch ein Übertragungsmedium (TV-Sendemast) eine Nachricht („Just do it!“), die über den Übertragungskanal (Atmosphäre) das Empfangsmedium (TV-­ Gerät) des Empfängers (Konsument) erreicht. Viele theoretische Ansätze zur medialen Umwelt lehnen sich an Shannon und Weavers Arbeit an. Darin nehmen Störquellen eine besondere Rolle ein. Sie führen zu einer

Sender

Übertragungsmedium

Übertragungskanal

Empfangsmedium

Empfänger

Störquelle

Abb. 11.1  Sender-Empfänger-Modell. (In Anlehnung an Shannon und Weaver 1949)

11.1  Wie Medien zwischen Konsumenten …

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Abweichung zwischen gesendeter und empfangener Information. Shannon und Weaver verstanden unter Störquellen ursprünglich technische Übertragungsprobleme, wie etwa ein Rauschen in der Leitung. Übertragungsstörungen können aber auch dadurch entstehen, dass Sender und Empfänger die Informationen unterschiedlich en- und decodieren, weil sie bspw. unterschiedliche Motive und Erwartungen haben oder aus unterschiedlichen kulturellen Räumen stammen. Neuere Ansätze berücksichtigen deshalb alle Prozesse der Informationsverarbeitung (Abschn. 5.1) beim Empfänger und seine Motivation, sich mit medialen Inhalten auseinanderzusetzen. So werden Konsumenten, die der englischen Sprache nicht mächtig sind (Informationsverarbeitung) oder die mit Sport wenig anfangen können (geringe Motivation), für den von Nike gesendeten Slogan wohl nicht empfangsbereit sein und dem entsprechenden medialen Inhalt wenig Beachtung schenken.

11.1.1 Systematisierung der medialen Umwelt Medien übernehmen eine vermittelnde Funktion zwischen dem Sender und dem Empfänger einer Information. Dabei unterscheidet man vier Gruppen von Medien (Burkart 2002; Pross 1972). • Primäre Medien vermitteln Informationen ohne technische Hilfsmittel zwischen Sender und Empfänger. Konsumenten nutzen bspw. Sprache, Gestik und Mimik, um dem Kellner im Restaurant ihre Bestellung zu vermitteln. • Bei sekundären Medien nutzt der Sender ein technisches Hilfsmittel zur Hervorbringung der Information, die für das Gegenüber ohne Hilfsmittel empfangbar ist. Zur Produktion eines Print-Magazins als Medium benötigen Verlagshäuser etwa technische Geräte wie PCs und Drucker. Der Empfänger kann das Magazin aber ganz ohne technische Hilfsmittel lesen. • Tertiäre Medien setzen sowohl beim Sender als auch beim Empfänger technische Hilfsmittel voraus. Für einen gemütlichen Fernsehabend braucht der Konsument ein Empfangsgerät und das Fernsehstudio eine Sendestation. • Quartäre Medien tragen der digitalen Revolution Rechnung. Die Produktion, Übertragung und Konsumtion von Informationen finden über digitale Medien und digitale technische Hilfsmittel statt (z. B. Smartphone). Sie können auch als Mischform der ersten drei Medientypen verstanden werden. Quartäre Medien brechen mit der starren Rollenverteilung zwischen Sender und Empfänger, da im Zuge der Digitalisierung Menschen mediale Inhalte nicht mehr nur konsumieren, sondern auch produzieren. Über Social-Media-Angebote wie Facebook und YouTube können Konsumenten nicht nur Inhalte anderer nutzen, sondern auch selbst Content, sprich Inhalte, erstellen.

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11  Mediale Umwelt

11.1.2 Medien der Individual- und Massenkommunikation Verschiedene Formen der Kommunikation zwischen Unternehmen und Konsumenten unterteilt man in Abhängigkeit von der Zahl der Empfänger in Individualmedien und Massenmedien (Six et al. 2007). • Individualmedien wie bspw. Telefon, E-Mail oder Videokonferenz ermöglichen eine sog. One-to-one-Kommunikation zwischen Sender und Empfänger. Einige OnlineHändler bieten Konsumenten die Möglichkeit an, über eine Chatfunktion oder einen Messenger-Dienst wie WhatsApp direkt mit einem Mitarbeiter in Kontakt zu treten. • Massenmedien ermöglichen es, mehrere Empfänger zu erreichen. One-to-­manyKommunikation vermittelt bspw. über Print, TV oder Radio zwischen einem Sender und vielen Konsumenten (wie etwa das Unternehmen Redbull mit seinem Print-Magazin Redbull Bulletin). Many-to-many-Kommunikation vermittelt zwischen vielen Sendern und vielen Empfängern, was bspw. in Webforen der Fall ist. Kunden des Online-Retailers Amazon können sich in Diskussionsforen zu Produkten und Dienstleistungen des Händlers austauschen. Praktisch jeder kann sich am Diskussionsverlauf beteiligen oder diesen einsehen.

u Merke  Massenmedien sind technische Hilfsmittel zur Verbreitung von Inhalten an

eine Vielzahl von Rezipienten. Typische Massenmedien sind u. a. Printmedien (z. B. Zeitungen, Zeitschriften, Plakate) und elektronische Medien (z. B. Rundfunkmedien wie TV und Radio sowie Online-Dienste). Welches Medium das Unternehmen wählt, um mit dem Konsumenten in Kontakt zu treten, hängt von folgenden Faktoren ab (Bak 2014): Zielgruppenerreichbarkeit, Zielgruppengröße, Heterogenität/Homogenität der Zielgruppe, Schwierigkeit/Einfachheit der zu vermittelnden Botschaft und Ziel der Kommunikation. Die Unterscheidung zwischen Individualmedium und Massenmedium ist dabei fließend, wie das Beispiel der „individualisierten Massen-E-Mail“ zeigt. Für das Konsumentenverhalten spielen Massenmedien eine wichtige Rolle. Von Interesse ist dabei, wie Konsumenten mit diesen Medien umgehen, was wir in Abschn. 11.2 behandeln, und auch, wie sich die Mediennutzung auf den Konsumenten auswirkt, was wir in Abschn. 11.3 besprechen. Hintergrundinfo: Beobachten Sie die Massenmedien und den deutschen Werbemarkt Media Perspektiven ist eine monatlich erscheinende Fachzeitschrift für medienwissenschaftliche und medienpolitische Themen des Hessischen Rundfunks. Die Zeitschrift analysiert die Lage und Entwicklung der Massenmedien sowie ihre Rolle als Werbeträger. Über den QR-Code erhalten Sie Zugang zu allen seit 1970 erschienenen Ausgaben.

11.2  Erklärungsansätze der Medienwahl …

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11.2 Erklärungsansätze der Medienwahl und -nutzung Was machen Konsumenten mit Medien? Oder anders gefragt: Wie wählen Konsumenten Medien aus und wie nutzen sie diese? Aktuelle Theorien und Modelle der Mediennutzungsforschung gehen von einem aktiven Rezipienten (Benutzer, Empfänger von Medieninhalten) aus, der sich passend zu seinen Interessen, Bedürfnissen und Motiven bestimmten Medienangeboten zuwendet. Dabei geht man je nach Ansatz von einer rationalen, habitualisierten oder emotional motivierten Medienauswahl und -nutzung aus, die wir im Folgenden erklären.

11.2.1 Rationale Medienzuwendung Zwei Erklärungsansätze der Medienwahl und -nutzung, die auf rationalen Abwägungsund Entscheidungsprozessen beruhen, sind der Uses-and-Gratification-Ansatz (UGA) sowie das GS-GO-Modell (Batinic und Appel 2008).

11.2.1.1 Uses-and-Gratification-Ansatz Laut Uses-and-Gratification-Ansatz (UGA) ist die Medienwahl und -nutzung des Konsumenten eine problemlösungsorientierte und aktive Entscheidung (wir erinnern uns: Konsumenten sind Problemlöser). Gratifikation heißt Belohnung. Sie setzt ein, nachdem der Konsument durch die Nutzung der Medien seine Bedürfnisse befriedigen bzw. seine Motive verfolgen konnte. Der UGA stellt fünf Grundannahmen auf (Katz et al. 1974): • Menschen nutzen Medien aktiv und zielgerichtet. • Im Mediennutzungsprozess nehmen Rezipienten eine Schlüsselrolle ein. Sie entscheiden über Aufnahme und Abbruch des Kommunikationsprozesses. • Massenmedien konkurrieren mit alternativen Quellen bzw. Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung. • Rezipienten sind sich ihrer Bedürfnisse und Motive der Mediennutzung bewusst und sie können sie in Befragungen benennen. • Kategorien, anhand derer Menschen ihre Bedürfnisse und Motive der Mediennutzung beschreiben, sind für die Analyse der Zuwendung zu bestimmten Medien ausschlaggebend.

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11  Mediale Umwelt

Studien, die dem UGA folgen, identifizierten eine Reihe von Motiven, weshalb Konsumenten bestimmte Medien (z. B. TV, Printmagazin) oder Medieninhalte (z. B. Soaps, Reality-Dokus) rezipieren. Rubin (1983) benennt bspw. neun Motive der Fernsehnutzung, die man sich mit dem Akronym SIEGESZUG merken kann: Spannung, Information, Entspannung, Geselligkeit, Eskapismus, soziale Interaktion, Zeitvertreib, Unterhaltung, Gewohnheit. Während Lea bspw. auf YouTube Entspannung sucht, nutzt Ben das Medium, um sich über das Thema Fitness zu informieren. Mediennutzer konsumieren nicht nur Medien; sie generieren auch selbst Medieninhalte. Man spricht dabei vom User-generated Content. Wenn Konsumenten auf Spiegel-Online einen Artikel kommentieren oder auf YouTube ein Video hochladen, ist das User-generated Content. Mithilfe des UGA kann man den Umgang von Konsumenten mit nutzergeneriertem Inhalt erklären (Shao 2009). Menschen konsumieren User-generated Content, um sich zu informieren oder zu unterhalten. Sie interagieren mit Medieninhalten und mit anderen Nutzern, indem sie bspw. auf Kommentare antworten und dadurch ihr Bedürfnis nach sozialer Beziehung befriedigen. Durch das Produzieren von eigenem Content drückt sich ihr Motiv nach Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung aus. Hintergrundinfo: Auf der Flucht – Eskapismus Eskapismus ist ein wichtiges Motiv der Mediennutzung. Es beschreibt die Flucht des Rezipienten aus seinem Alltag. In modernen Gesellschaften bauen Menschen dadurch Spannungen auf, dass sie sich bei der Ausübung verschiedener Tätigkeiten (z. B. im Job, an der Uni) an gesellschaftlich definierten Rollenmustern orientieren müssen. Gemäß des UGA können Medienangebote helfen, in eine andere Wirklichkeit zu entfliehen und diese Zwänge hinter sich zu lassen und dadurch Spannungen abzubauen (Batinic und Appel 2008; Katz und Foulkes 1962).

11.2.1.2 GS-GO-Modell Das GS-GO-Modell ist eine Weiterentwicklung des UGA (Palmgreen et al. 1985, vgl. Abb. 11.2). Es betrachtet die gesuchte Gratifikation (engl.: GS: Gratification Sought) und die erhaltene Gratifikation (engl.: GO: Gratification Obtained), die Menschen durch

Vorstellungen, Erwartungen

Gesuchte Gratifikationen GS

Mediennutzung

Bewertungen

Abb. 11.2  GS-GO-Modell. (In Anlehnung an Palmgreen et al. 1985)

Erhaltene Gratifikationen GO

11.2  Erklärungsansätze der Medienwahl …

183

die Nutzung der Medienangebote erfahren. Medienangebote können das Medium selbst (TV), Genres, Programme oder Sendungen innerhalb des Mediums (Soap, Talkshow, Reality-Doku) sowie Inhalte innerhalb des Programms (Beitrag über beliebte Reiseziele in einem Boulevardmagazin) sein (Six et al. 2007). Konsumenten haben eine bestimmte Vorstellung und Erwartung, inwiefern ein Medienangebot aufgrund seiner Eigenschaften bestimmte Bedürfnisse befriedigen kann („Cicero ist ein Magazin für politische Kultur, das man lesen sollte, wenn man sich tiefgreifend informieren will.“). Gleichzeitig bewerten sie diese Eigenschaften des Medienangebots („Tiefgreifende Informationen zu politischen Themen sind gut.“). Diese Erwartungen und Bewertungen verknüpfen sie miteinander und entscheiden sich dann für die Nutzung des Medienangebots mit dem höchsten angenommenen Ertrag („Cicero bietet tiefgreifendere Informationen zu politischen Themen als bspw. der Spiegel.“). Der Rezipient vergleicht, inwiefern die durch die Nutzung des Medienangebots erhaltene Gratifikation dem erwarteten Ertrag entspricht („Konnte ich durch das Lesen des Cicero-Magazins mein Informationsbedürfnis befriedigen?“). Das Resultat dieses Vergleichs wirkt sich auf seine zukünftige Medienwahl aus („Was für eine tolle Ausgabe, ich werde mir auch das nächste Exemplar kaufen.“). Wenn Lea bspw. den Channel ihrer Lieblings-YouTuberin besucht, erwartet sie leicht verdauliche Kost, die ihr hilft, aus ihrem Alltag zu entfliehen (Eskapismus). Diese Eigenschaften bewertet sie positiv. Zwar läuft parallel auch das Radio, doch nach der stressigen Uni-Woche erwartet sie vom neuesten YouTube-Video mehr Entspannung. Die erhält sie dann auch und beschließt, länger auf dem Channel zu verweilen als ursprünglich geplant. Der UGA und das GS-GO-Modell basieren auf der Annahme, dass Menschen bei der Medienwahl hohe kognitive Ressourcen aufwenden und dabei sehr reflektiert vorgehen. Konsumenten wählen die genutzten Medien aber nicht immer bewusst und rational gesteuert aus. Vielmehr wendet sich der Konsument häufig habitualisiert oder emotional motiviert einem Medium zu.

11.2.2 Habitualisierte Medienzuwendung Rubin (1983) unterscheidet zwischen instrumenteller und ritualisierter Mediennutzung. Erstere beinhaltet die gezielte Suche nach Medieninhalten und eine hohe Aufmerksamkeit bei deren Rezeption, so wie es etwa der UGA oder das GS-GO-Modell annehmen. Unter ritualisierter Medienwahl und -nutzung versteht man dagegen ein habitualisiertes Verhalten, welchem der Konsument wenig Aufmerksamkeit schenkt und das er nicht zielgerichtet ausführt (vgl. Kaufentscheidungstypologie, Abschn. 7.1.3.2). Um kognitive Anstrengung zu vermeiden, bedienen sich Konsumenten bei der Auswahl von Medien verschiedener Heuristiken. Häufig verläuft die Medienwahl am Anfang instrumentell („Welche Serie schaue ich mir als nächstes auf Netflix an, um zu entspannen?“) und sie geht nach und nach in ein habitualisiertes Verhalten über („Ach, ich könnte mal wieder eine Folge schauen.“). Sollten sich die Rahmenbedingungen des habitualisierten Verhaltens ändern („Oh, das war die letzte Folge.“), laufen wieder bewusste Entscheidungsprozesse ab („Welche Serie schaue ich als nächstes?“).

184

11  Mediale Umwelt

11.2.3 Emotional motivierte Medienzuwendung Zillmann (1988) postuliert mit der Mood-Management-Theorie, dass es von der Stimmung des Rezipienten abhängt, welche Medieninhalte er auswählt. Als theoretische Begründung nennt er das hedonische Prinzip, wonach Menschen bestrebt sind, positive Emotionen zu erzeugen und negative Emotionen zu vermeiden. Für die Stimmung spielt das psychophysiologische Erregungsniveau (Abschn. 4.1.2) eine wichtige Rolle. Ist es zu niedrig (z. B. Langeweile) oder zu hoch (z. B. Stress), fühlt man sich unwohl. Indem sie Medieninhalte konsumieren, können Konsumenten diese unangenehmen Zustände ausgleichen und ihr Wohlbefinden wiederherstellen. Bei Langeweile wählt man abwechslungsreiche und anregende Medieninhalte und bei Stress beruhigende Inhalte, die nichts mit der Ursache des Stresses zu tun haben. Der Prozess des Stimmungsmanagements verläuft unbewusst, sodass laut Mood-Management-Theorie Fragebögen kein geeignetes Instrument zur Messung der Medienwahl sind. Forscher analysieren den Einfluss des Stimmungsmanagements auf die Wahl von Medieninhalten daher meist im Rahmen von Experimenten, bei denen sie bei den Probanden eine bestimmte Stimmung induzieren und im Anschluss deren Medienwahl beobachten. Derartige Untersuchungen belegen, dass die Stimmung des Rezipienten die Auswahl verschiedener Medieninhalte beeinflusst, wie bspw. von Fernsehsendungen (Bryant und Zillmann 1984), Zeitungsartikeln (Biswas et al. 1994) oder Musik (Knobloch und Zillmann 2002). Hintergrundinfo: Liebeskummer lohnt sich nicht, oder doch? Das Sad-Film-Paradoxon Mit knapp 19 Mio. Kinobesuchern in Deutschland und einem weltweiten Einspielergebnis von über zwei Mrd. US-Dollar gehört Titanic zu den erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. Ohne zu Spoilern: Viele Zuschauer dürften zum Ende des Films einen Kloß im Hals gespürt haben. Doch warum wählen Rezipienten traurige und tragische Medieninhalte? Gemäß der Mood-Management-Theorie wirkt diese Entscheidung auf den ersten Blick unlogisch. Das Sad-Film-Paradoxon offenbart jedoch, dass Rezipienten die durch Filme erzeugte negative Stimmung als positiv erleben, u. a. weil das Erleben von medialer Trauer unbewusst mit positiver Selbstattribution einhergeht („Ich bin ein mitfühlender und empathischer Mensch.“). Dadurch betreiben sie ebenfalls Stimmungsmanagement (Oliver 1993).

11.3 Die Wirkung der medialen Umwelt auf den Konsumenten Was machen Medien mit Menschen? Im Marketing interessiert diese Frage insb. im Rahmen der Kommunikationspolitik und der Werbewirkungsforschung. Zweifellos wirkt sich die über die Medien vermittelte Massenkommunikation auf das Erleben und Verhalten von Konsumenten aus. Wir widmen uns deshalb nun ausgewählten Effekten der medialen Umwelt auf den Konsumenten.

11.3  Die Wirkung der medialen Umwelt …

185

11.3.1 Wissenskluft und Wissensillusion Menschen nutzen Medien u. a., um ihr Informationsbedürfnis zu befriedigen. Studien belegen einen positiven Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Wissenszuwachs (Batinic und Appel 2008). Laut Wissensklufthypothese verläuft dieser Wissenszuwachs allerdings zwischen Menschen mit formal höherer Bildung und Menschen mit formal niedrigerer Bildung ungleich ab (Six et al. 2007). Bildungsaffine Menschen erfahren aus der Mediennutzung einen stärkeren Wissenszuwachs als bildungsferne Personen, weil sie • • • •

Wichtiges besser von Unwichtigem trennen können. mehr Vorwissen zu bestimmten Themen haben. Informationen schneller verarbeiten. mehrere unterschiedliche Medien (z. B. TV, Tageszeitung etc.) statt nur eines Mediums (z. B. nur TV) heranziehen.

Da der Informationsfluss stetig zunimmt und mehr und mehr Medienangebote vorliegen, verstärkt sich die Ungleichheit zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Die Wissenskluft vergrößert sich (Tichenor et al. 1970). Der Begriff Digital Divide (engl.: digitale Spaltung) führt Wissensklüfte auf Unterschiede im Zugang zum Internet sowie die Art und Weise der Nutzung des World Wide Web zurück. Beides hängt wiederum vom sozioökonomischen Status (Abschn. 8.2.2) ab (Wei und Hindman 2011). Unter Wissensillusion versteht man die Abweichung der subjektiven Einschätzung des eigenen Wissens („Ich fühle mich gut informiert.“) vom tatsächlichen, objektiv messbaren Wissen, das Konsumenten aus Medien beziehen. Insbesondere die Fernsehnutzung führt zur Wissensillusion, während Leser von Tageszeitungen ihr Wissen realistischer einschätzen können. Erklärt wird dieser Zusammenhang damit, dass das TV aufgrund seiner visuellen Komponente von der eigentlich zu übermittelnden Information ablenkt (Six et al. 2007).

11.3.2 Flow-Erleben Flow (engl.: Fließen) bezeichnet die völlige Vertiefung und das gänzliche Aufgehen in einer Tätigkeit. Der Psychologe Mihalyi Csikszentmihalyi (1975, 1996) beobachtete diesen Zustand zunächst u. a. bei Extremsportlern (z. B. Bergsteigern) und verschiedenen Berufsgruppen (z. B. Chirurgen). Später stellte man fest, dass Flow auch für das Konsumverhalten relevant ist und dass er insb. im Umgang mit elektronischen Medien (z. B. Internet, Computerspiele) auftritt (Hoffman und Novak 2009). Menschen, die einen Flow-Zustand erleben (Csikszentmihalyi 1975, 1996), • fühlen sich optimal beansprucht. • können eine Handlung trotz hoher Anforderungen kontrollieren.

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11  Mediale Umwelt

• empfinden die Anforderung und die Rückmeldung aus einer Handlung klar und verständlich. • wissen jederzeit und ohne darüber nachzudenken, was sie machen müssen. • berichten, dass die Zeit wie im Flug vergeht. Ob ein Konsument einen Flow-Zustand erlebt, hängt von seinen Fähigkeiten und den Anforderungen der Tätigkeit ab. Flow erfordert, dass beides hoch ausgeprägt und im Gleichgewicht ist (Csikszentmihalyi 1996, vgl. Abb. 11.3). Bei der Mediennutzung hängt der Flow-Zustand insb. von den Medieninhalten (Anforderungen) und der Fähigkeit des Nutzers, diese Medieninhalte zu interpretieren, ab. Letztere wird durch die Medienerfahrung und die kognitiven Fähigkeiten des Konsumenten beeinflusst (Sherry 2004). Im Online-Kontext tritt das Flow-Erleben durch das direkte Feedback („Das Klicken führte zur gewünschten Unterseite.“) besonders leicht ein. Es hängt aber stark von der Komplexität der Website ab, wie hoch die Anforderung an den Nutzer ist. Höhere Komplexität bedeutet allerdings häufig auch, dass die Website reichhaltiger und damit interessanter ist. Während Konsumenten bspw. bei der Navigation auf der Website eine niedrige strukturelle Komplexität präferieren („Wie komme ich schnell wieder auf die Hauptseite?“), fördert eine hohe gestalterische und inhaltliche Komplexität das empfundene Vergnügen beim Surfen („Toll, es gibt so viel zu entdecken.“) (Hoffmann et al. 2011; Mai et al. 2014).

11.3.3 Social Media Ob TV, Print oder Radio: Die meisten Medieninhalte finanzieren sich auch über Werbung. Daher rezipieren Konsumenten nicht nur Medien-, sondern – gewollt oder nicht – auch Werbeinhalte. Neue Werbeformate in den Sozialen Medien (engl. Social Media) ergänzen die klassische Werbung im TV, auf Litfaßsäulen oder in Zeitschriften.

hoch Herausforderungen

Abb. 11.3   FlowModell. (In Anlehnung an Csikszentmihalyi 1996)

Angst

Flow

Apathie

Langeweile

niedrig gering

Fähigkeiten

hoch

11.4 Lernhilfe

187

Das Besondere: Während klassische Werbung i. d. R. die Medienzuwendung unterbricht (z. B. Werbeblock) und damit oftmals von Rezipienten als störend empfunden wird, ermöglicht Social Media eine subtile und weniger aufdringliche Übertragung der Werbebotschaft vom Sender zum Empfänger. Beispiele hierfür sind etwa Blogs (z. B. Tumblr), Vlogs (z. B. YouTube), Mikroblogging-Dienste (z. B. Twitter) und natürlich soziale Netzwerke (z. B. Facebook). Durch Social Media entstehen für Unternehmen neue Werbeformate, die sie insb. auf den folgenden zwei Wegen nutzen. Beim Content Marketing informieren, beraten oder unterhalten Unternehmen ihre Zielgruppe über verschiedene Medien. Im Gegensatz zu Anzeigen oder Radiospots stehen redaktionelle Inhalte (Content) im Fokus, die dem Konsumenten einen Mehrwert bieten sollen (Heinemann 2014). Das Unternehmen Otto betreibt bspw. den Blog „Two for Fashion“ und informiert damit seine Zielgruppe rund um das Thema Mode und Lifestyle. User können Blogeinträge kommentieren und Inhalte auf Facebook oder Pinterest teilen. Sie tragen damit im Sinne des viralen Marketings kostenlos die Botschaft des Unternehmens an andere Konsumenten weiter (Hutter und Hoffmann 2014). Beim Affiliate-Marketing treten Unternehmen nicht direkt mit dem Konsumenten in Kontakt. Stattdessen vergüten sie einem Vertriebspartner (engl.: Affiliate) die Verkaufsanbahnung (Heinemann 2014). Viele YouTuber berichten in ihren Vlogs auch über Produkte und verlinken dann zu einem Online-Shop. Sie treten damit als Social Media Influencer in Erscheinung. Klickt der Rezipient auf den Link, erhält der YouTuber als Affiliate eine Provision vom Unternehmen. Im Social-Media-Kontext spielen aber auch weiterhin klassische Werbetechniken eine Rolle, die dem Konsumenten in neuem Gewand begegnen, wie bspw. Product Placement in YouTube-Videos, Werbeanzeigen auf Facebook oder „Radiowerbung“ auf Spotify. Auch Ben ließ sich im Einstiegsbeispiel von seinem Lieblings-Vlogger dazu verleiten, den angepriesenen veganen Proteinshake zu bestellen. u Merke  Social Media umfasst digitale Medien und Technologien, die Personen, Netz-

werke, Communities und Organisationen nutzen, um miteinander zu kommunizieren, zu kollaborieren sowie Content, Meinungen, Erfahrungen und Informationen zu teilen (Tuten und Solomon 2017).

11.4 Lernhilfe Quintessenz

Medien vermitteln zwischen dem Konsumenten und seiner Umwelt. Das Modell der Informationsübertragung von Shannon und Weaver beschreibt die vermittelnde Funktion. Erklärungsansätze wie der Uses-and-Gratification-Ansatz sowie das GS-GO-Modell zeigen, dass Konsumenten Medien zur Befriedigung vielfältiger Bedürfnisse und Motive nutzen. Bei der Mediennutzung können Konsumenten einen Flow-Zustand erleben.

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11  Mediale Umwelt

Let’s check

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Gemäß rationaler Erklärungsansätze der Mediennutzung sind u. a. __________ und ___________ Motive der Mediennutzung. Richtig oder falsch? Das Sad-Film-Paradoxon beschreibt die Flucht des Rezipienten aus seinem Alltag, indem er traurige und tragische Medieninhalte konsumiert. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Was ist keine Grundannahme des Uses-and-Gratification-Ansatzes? O Menschen nutzen Medien aktiv und zielgerichtet. O Im Mediennutzungsprozess nehmen Rezipienten eine Schlüsselrolle ein und entscheiden über Aufnahme und Abbruch des Kommunikationsprozesses. O Menschen treffen ihre Medienwahl oft unbewusst. O Massenmedien konkurrieren mit Alternativ-Quellen der Bedürfnisbefriedigung. Vernetzende Fragestellung

Erläutern Sie mithilfe der Flow-Theorie, warum sich Reise-Blogs bei Konsumenten großer Beliebtheit erfreuen, und diskutieren Sie mögliche Gefahren im Webdesign, indem Sie die Forschungsergebnisse zur Websitekomplexität berücksichtigen.

Weiterführende Literatur Batinic, B., & Appel, M. (2008). Medienpsychologie. Berlin: Springer. Heinemann, G. (2014). Der neue Online-Handel: Geschäftsmodell und Kanalexzellenz im Digital Commerce. Wiesbaden: Springer. Mai, R., Hoffmann, S., Schwarz, U., Niemand, T., & Seidel, J. (2014). The shifting range of optimal web site complexity. Journal of Interactive Marketing, 28(2), 101–116.

Literatur Bak, P. M. (2014). Werbe- und Konsumentenpsychologie. Eine Einführung. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Batinic, B., & Appel, M. (2008). Medienpsychologie. Berlin: Springer. Biswas, R., Riffe, D., & Zillmann, D. (1994). Mood influence on the appeal of bad news. Journalism & Mass Communication Quarterly, 71(3), 689–696. Bryant, J., & Zillmann, D. (1984). Using television to alleviate boredom and stress: Selective exposure as a function of induced excitational states. Journal of Broadcasting & Electronic Media, 28(1), 1–20.

Literatur

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Konsumentenverhalten im Wandel

u

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Lea is(s)t nicht so wie ihre Mutter  „Sag mal, Lea, welches Auto fährt dein neuer Freund Ben denn eigentlich?“ „Gar keins, Mama“, antwortet Lea genervt durchs Telefon. „Und er wird sich auch nach dem Studium keines kaufen. Wir fahren mit der Bahn. Der Umwelt zuliebe. Oder mit dem Fahrrad; das ist auch gut für die Fitness. Wenn wir mal ein Auto brauchen, dann nutzen wir ein CarSharing-Angebot.“ „Ach Lea, ohne eigenes Auto, das geht doch wirklich nicht. Du, was soll ich eigentlich kochen, wenn ihr uns besucht? Schnitzel und Pommes? Und danach gibt’s meine Spezialbowle, ja?“ „Kein Fleisch, kein Alkohol, Mama. Und bitte nur Bio-Produkte und Fair Trade, o. k.?“ „Wo soll das nur hinführen? Euch kann man ja gar nichts mehr anbieten“. Ganz offensichtlich unterscheiden sich die Konsummuster von Lea und ihrer Mutter. Das Konsumentenverhalten ändert sich stetig im Einklang mit verschiedenen gesellschaftlichen Trends. Doch auf welchen größeren Entwicklungen beruhen diese Trends? Lassen sich allgemeine Muster identifizieren? Und was sind derzeit die wichtigsten Verschiebungen im Konsumverhalten?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3_12

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12  Konsumentenverhalten im Wandel

Lernziele

In diesem Kapitel lernen Sie, … • welche Megatrends das Konsumverhalten verändern (Abschn. 12.1), • warum vielen Menschen materielle Güter immer weniger bedeuten (Abschn. 12.2), • wann man gesund konsumieren möchte (Abschn. 12.3), • welche Konsumenten die Umwelt schützen möchten (Abschn. 12.4), • warum manche Konsumenten freiwillig weniger konsumieren (Abschn. 12.5) und • warum immer mehr Konsumenten Sharing-Angebote nutzen (Abschn. 12.6), … indem Sie den Wandel des Konsumentenverhaltens durch folgende Modelle betrachten: • Postmaterialismus-Hypothese, • sozial-kognitive Modelle und • Norm-Aktivierungs-Theorie.

12.1 Megatrends mit Einfluss auf das Konsumentenverhalten Es finden derzeit zahlreiche gesellschaftliche Veränderungen statt, die ihre Spuren auch im Konsumentenverhalten zeigen. Ein besonders bedeutsamer Trend ist die zunehmende Digitalisierung, insb. die Verbreitung der Nutzung des mobilen Internets und die zunehmende Bedeutung von Social Media. Wir haben diese Entwicklung in Kap. 11 besprochen. Auch der demografische Wandel, der vor allem in den Industrienationen dazu führt, dass die Bevölkerung durchschnittlich immer älter wird, wirkt sich stark auf das Konsumentenverhalten aus. Durch gesündere Lebensstile und verbesserte medizinische Versorgung sind Konsumenten zudem auch im hohen Alter noch fit und aktiv. Ältere Zielgruppen werden deshalb für das Marketing interessanter – und auch, weil sie vergleichsweise viele finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Wir haben diese Zielgruppe in Kap. 8 gezielt beleuchtet. Ein weiterer gesellschaftlicher Trend mit Einfluss auf das Konsumverhalten ist der Wertewandel, der dazu führt, dass Konsumenten materiellen Gütern weniger Bedeutung beimessen und dass Themen wie individuelles Wohlbefinden, Glück, Lebenszufriedenheit, Selbstverwirklichung, aber auch Umweltschutz und Gesundheit an Relevanz gewinnen. Dieser Trend verändert unsere Konsumgewohnheiten so stark, dass sich innerhalb der Association of Consumer Research (dem zentralen internationalen ­Verband

12.2 Postmaterialismus-Hypothese

193

zur Konsumentenforschung) in den letzten Jahren eine Untergruppe zum Thema Transformative Consumer Research (TCR) gebildet hat. Anhänger dieser Forschungsströmung untersuchen das Konsumentenverhalten gezielt mit Blick darauf, wie sich das subjektive und kollektive Wohlbefinden steigern lässt (Mick et al. 2011). Forschungsfelder wie Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum (= „negatives“ oder dysfunktionales Konsumverhalten) werden ebenso beleuchtet wie umweltbewusstes und gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten (= „positives“ Konsumverhalten). In diesem Kapitel gehen wir auf einige ausgewählte Themen dieser spannenden, aufstrebenden Forschungsrichtung ein.

12.2 Postmaterialismus-Hypothese Schon in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieb der US-amerikanische Politologe Roland Inglehart mit der Postmaterialismus-Hypothese einen gesellschaftlichen Wertewandel, der sich kaum merklich, aber stetig vollzieht und den er deshalb als „stille Revolution“ bezeichnete (Inglehart 1997; Inglehart und Welzel 2005). Demnach sind Veränderungen in der Ökonomie, Politik und Kultur einer Nation eng miteinander verknüpft. Je wohlhabender eine Nation wird und je mehr der Wohlfahrtsstaat die großen Lebensrisiken absichert, desto stärker treten materielle Werte (des „Habens“) in den Hintergrund und desto mehr gewinnen postmaterielle Werte (des „Seins“) an Bedeutung. Aufgrund einer sich zunehmend verbessernden wirtschaftlich stabilen Situation rücken existenzielle Grundbedürfnisse (z. B. hinreichend Nahrung und ein Dach über dem Kopf zu haben) in den Hintergrund. Mangelerlebnisse, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland allgegenwärtig waren, werden seltener. In diesem materiell abgesicherten Zustand messen Menschen postmateriellen Werten wie der Selbstverwirklichung immer mehr Bedeutung bei. Hintergrundinfo: Die stille Revolution beobachten Die World Value Survey wird seit Jahrzehnten von einem weltweiten Netzwerk von Forschern betrieben. In zwischenzeitlich sechs abgeschlossenen Erhebungswellen wurden Konsumenten in zahlreichen Ländern zu soziokulturellen, moralischen, religiösen und politischen Werten befragt. Auch der Grad an Materialismus und Post-Materialismus wurde regelmäßig erhoben und so ist es möglich, den Wertewandel zu verfolgen. Wenn Sie den QR-Code scannen, erhalten Sie Zugang zu den Daten und zahlreichen Auswertungen.

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12  Konsumentenverhalten im Wandel

Die These der Wertesubstitution auf gesellschaftlicher Ebene ist eng mit der in Abschn. 3.3.1.1 beschriebenen individuellen Bedürfnishierarchie von Maslow (1987) und der ihr zugrunde liegenden Defizithypothese verbunden: Eine in materieller Hinsicht zufriedene Person wendet sich dennoch unbefriedigten postmateriellen Werten zu und Themen wie das individuelle Wohlbefinden, der Erhalt der eigenen Gesundheit und der Schutz der natürlichen Umwelt gewinnen an Bedeutung. Beispiel: Kann man Glück kaufen?

Die meisten Menschen halten das Anwachsen ihres Geldbeutels und die Anhäufung materieller Güter für erstrebenswerte Ziele. Doch macht dies wirklich glücklich? Zahlreiche ökonomische und psychologische Studien haben diesen Zusammenhang untersucht und zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass bei einem geringen Einkommen eine Gehaltssteigerung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Zunahme der Lebenszufriedenheit führt (Easterlin 1974, 1995; Tatzel 2014). Steigt das Grundniveau, dann nimmt der Grenznutzen weiterer Einkommenssteigerungen allerdings deutlich ab. Kahneman und Deaton (2010) wagen die konkrete Bezifferung eines Jahreseinkommens von 75.000 US$, das ihrer Ansicht nach ausreicht, um alle Dinge erwerben zu können, die man benötigt, um glücklich zu sein. Oberhalb dieser Schwelle ist der Effekt weiterer Einkommenszuwächse auf das emotionale Wohlbefinden gering. Begründet wird dies damit, dass ein gewisses Grundeinkommen nötig ist, um sich vor Unannehmlichkeiten zu schützen, die mit Armut verbunden sind und die das Lebensglück deutlich schmälern können. Ist allerdings genügend Geld vorhanden, um die grundlegenden Probleme zu lösen, so muss die Erhöhung der finanziellen Ressourcen nicht zwangsläufig und nicht bei allen Menschen mit mehr Glück verbunden sein. Zwei Prozesse sind für diese mögliche Entkoppelung von Geld und Glück verantwortlich (Chancellor und Lyubomirsky 2014): 1. Hedonische Adaption: Eine Neuerwerbung kann zunächst ein subjektives Glücksempfinden auslösen. Allerdings gewöhnen wir uns schnell an dieses neue Objekt und das Glücksgefühl schwindet. Nehmen wir an, wir stellen fest, dass unser Badezimmer etwas renovierungsbedürftig wirkt und wir entscheiden uns dafür, es neu zu gestalten. Der Anblick des neuen Badezimmers bereitet uns zunächst Freude; doch allzu schnell gewöhnen wir uns daran und das empfundene Glücksgefühl schwindet. 2. Wachsende Ansprüche: Die Befriedigung hoher Ziele hat häufig zur Folge, dass wir noch höhere Ziele anstreben. Wenn in unserem Beispiel nun das Badezimmer hübsch aussieht, hat dies zur Folge, dass das Wohnzimmer im Vergleich dazu veraltet wirkt. Wir sind also wieder am Ausgangspunkt: Ein Zimmer in unserem Haus gefällt uns nicht. Ein wichtiger Aspekt im Zuge des Wertewandels und der Zunahme postmaterialistischer Orientierungen sind die wachsende Konsumentenverantwortung (die Consumer Social

12.3  Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten

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Responsibility, ConSR; Devinney et al. 2006) und die zunehmende Bedeutung des ethischen Konsums. Der Begriff ethischer Konsum soll hier als Sammelbegriff dienen, der das nachhaltige, grüne, umweltbewusste und prosoziale Konsumverhalten vereint. All diese Konsumformen beschreiben in Nuancen unterschiedliche Dinge. Die gemeinsame Klammer besteht darin, dass Konsumenten neben ihren individuellen Vorteilen bei der Kaufentscheidung auch ethische und moralische Kriterien beachten (Balderjahn 2013, S. 199). Hierzu zählen bspw. Kriterien wie Gerechtigkeit und Fairness gegenüber anderen Menschen und nachfolgenden Generationen. Ethisches Konsumverhalten steht häufig im Spannungsverhältnis zwischen egoistischen Motiven (z. B. „Ich möchte schicke und günstige Kleidung beim Händler XY kaufen.“) und moralischen Verpflichtungen (z. B. „Ich kann kein Unternehmen unterstützen, das grundlegende soziale Standards im Produktionsprozess nicht erfüllt.“). Da sich häufig eher die egoistischen Motive durchsetzen und Konsumenten ihr Konsumverhalten nur nach außen oder vor sich selbst als ethisch darstellen möchten (Symmank und Hoffmann 2017), sprechen manche Kritiker auch vom „Mythos des ethischen Konsumenten“ (Devinney et al. 2010). Wir werden darauf noch genauer eingehen, wenn wir das umweltbewusste Konsumentenverhalten beleuchten (Abschn. 12.4).

12.3 Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten Die eigene Gesundheit zu erhalten, hat für immer mehr Menschen eine zunehmende Bedeutung. Dies hat Auswirkungen auf das Konsumverhalten und äußert sich u. a., aber nicht nur, im Ernährungsverhalten. Bioprodukte werden immer stärker nachgefragt und die Zahl der Vegetarier und Veganer nimmt kontinuierlich zu. Ein besseres Verständnis der Beweggründe der gesundheitsbewussten Konsumenten ist deshalb für Unternehmen, die gesundheitspositionierte Produkte vermarkten, von Interesse. Aber auch aus Sicht des Social Marketings ist dieses Wissen wichtig. Viele Erkrankungen wie Diabetes Mellitus Typ 2, Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch gesundheitsschädigende Verhaltensweisen wie Rauchen, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel (mit)verursacht und Änderungen im Lebens- und Konsumstil können hier entgegenwirken. Social-Marketing-Kampagnen können Konsumenten zu Verhaltensänderungen hin zu einem gesünderen Lebensstil anregen (Loss und Nagel 2010). Sie entfalten ihre Wirkung aber nur dann, wenn den Gestaltern der Kampagnen bewusst ist, was Konsumenten dazu bewegt, sich gesünder verhalten zu wollen, und unter welchen Bedingungen sie ihr Verhalten tatsächlich ändern. Um erklären und beeinflussen zu können, wann sich Konsumenten gesundheitsbewusst verhalten, sind insb. Modelle aus der gesundheitspsychologischen Forschung, die auf sozial-kognitiven Ansätzen beruhen, hilfreich (Faselt et al. 2010). Diese Modelle diskutieren Variablen, die sich – anders als sozio-ökonomische Variablen – durch die Person selbst oder durch Anstöße von außen verändern lassen. Es gibt zwei grundsätzliche Typen sozial-kognitiver Modelle.

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12  Konsumentenverhalten im Wandel

• Lineare Modelle wie das Modell der gesundheitlichen Überzeugungen (Becker 1974) oder die Schutzmotivationstheorie (Rogers 1975) postulieren, dass sich Gesundheitsverhalten durch die Veränderung bestimmter Einflussgrößen kontinuierlich ändern lässt. Die meisten Modelle messen den folgenden drei Einflussgrößen besondere Relevanz bei (Faselt et al. 2010): der Risikowahrnehmung sowie der Handlungsergebnis- und der Selbstwirksamkeitserwartung. Kampagnen des Social Marketings sollten deshalb dem Konsumenten aufzeigen, dass der bisherige Lebensstil Risiken birgt (Risikowahrnehmung), dass bestimmte Maßnahmen helfen, diese Risiken zu verringern (Handlungsergebniserwartungen) und dass der Konsument in der Lage ist, die notwendigen Handlungen auszuführen (Selbstwirksamkeitserwartung). • Stadienmodelle basieren dagegen auf der Annahme, dass Personen bei dem Vorhaben, sich gesundheitsbewusster zu verhalten, mehrere qualitativ unterschiedliche Stadien durchlaufen. Ein bekannter Ansatz ist das transtheoretische Modell (Prochaska und DiClemente 1984), das die folgenden Stadien abgrenzt: Absichtslosigkeit, Absichtsbildung, Vorbereitung, Handlung, Aufrechterhaltung und bei manchen Verhaltensbereichen wie der Rauchentwöhnung auch Stabilisierung. Mit Blick auf die Zielgruppensegmentierung bei gesundheitsbewussten Produkten und bei der Gestaltung maßgeschneiderter Social-Marketing-Kampagnen ist dabei die Erkenntnis wichtig, dass man Verhalten schrittweise verändern muss und dass in jeder Phase andere Faktoren darauf einwirken, ob die Person die nächste Stufe erreicht.

12.4 Umweltbewusstes Konsumentenverhalten Über Umweltverschmutzung und Klimawandel wurde in den letzten Jahrzehnten viel öffentlich diskutiert und es hat sich bei vielen Menschen allmählich das Bewusstsein herausgebildet, dass sie durch eine Veränderung ihres Konsumstils zu einer Reduktion dieser Problematik beitragen könnten und sollten. Umweltbewusstsein kann sich auf unterschiedliche Art im Konsumverhalten ausdrücken (Balderjahn 2013, S. 207): • Suffizienz-Option: Bewusster Verzicht auf bestimmte Produkte oder generelle Reduktion des Konsumlevels (siehe Antikonsum, Abschn. 12.5). • Effizienz-Option: Kauf der für die Umwelt unschädlichsten Produktalternative (z. B. ein Elektroauto statt eines Benziners) und nachhaltige Nutzung (z. B. ressourcenschonender Fahrstil; Aufladen des Akkus nur mit Solarenergie). • Recycling-Option: Wiederverwertung von Produkten bzw. Rückgabe in den wirtschaftlichen Kreislauf.

12.4  Umweltbewusstes Konsumentenverhalten

197

Weshalb besitzen Konsumenten ein Interesse daran, ökologisch zu konsumieren? Als Antwort auf diese Frage schlugen Stern und Kollegen die Value Belief Norm Theory vor, die drei Wertorientierungen unterscheidet (vgl. Stern 2000; Stern et al. 1993): • Egoistische Orientierung: Schutz der Umwelt um Nutzen für sich selbst daraus zu ziehen. • Altruistische Orientierung: Schutz der Umwelt, da die Umwelt dem Wohl der (Mit-)Menschen dient. • Biosphärische Orientierung: Schutz der Umwelt um ihrer selbst und der darin lebenden Arten willen. Viele empirische Studien belegen einen zunehmenden Trend, dass Verbraucher auf ökologische Aspekte Wert legen. So zeigt bspw. das durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebene Ökobarometer 2013 auf, dass die Einhaltung sozialer Standards (genannt von 44 % der 742 Befragten) und der Beitrag zum Klimaschutz (41 %) wichtige Motive des Kaufs ökologischer Lebensmittel sind (BMELV 2013). Auch andere aktuelle Umfragen wie die Otto-Trendstudie zum ethischen Konsum bestätigen dies, wobei Kriterien wie Regionalität und Saisonalität an Bedeutung gewinnen (Otto Group 2013). Nichtsdestotrotz sind die Verkaufszahlen von ökologischen Produkten noch immer auf niedrigem Niveau (Eyerund 2016), die Bereitschaft höhere Preise zu bezahlen, gering und die Bedeutung ökologischer Kriterien scheint auch nicht in allen Konsumbereichen gleich stark verbreitet zu sein. In Kap. 6 haben wir die Einstellungs-Verhaltens-Lücke anhand der Theorie des geplanten Verhaltens beleuchtet; das (nicht) umweltbewusste Konsumverhalten ist ein klassisches Beispiel für diese Lücke. Welche speziellen Theorien tragen dazu bei, die Lücke in diesem Bereich zu erklären? Das Norm-Aktivierungs-Modell von Schwartz (1977) ist ein Erklärungsansatz, der ursprünglich Hilfeverhalten erklären sollte und nun helfen kann, zu verstehen, wann die genannten Motive unser Konsumverhalten steuern. Der Ansatz unterscheidet mehrere Phasen eines kognitiven Verarbeitungsprozesses: • Der Entscheidungsprozess beginnt damit, dass die Person die zunehmende Umweltverschmutzung als Problem erkennt und zu der Erkenntnis gelangt, dass sie durch ihr eigenes Konsumverhalten zur Minderung des Problems beitragen kann. • Nun werden persönliche Normen salient. Diese umfassen internalisierte moralische Überzeugungen, welche die Ansprüche der Person an sich selbst ausdrücken. Sie sind von sozialen Normen abzugrenzen, die vom sozialen Umfeld vorgegeben werden. Die Aktivierung persönlicher Normen führt dazu, dass sich die Person moralisch dazu verpflichtet fühlt, zu intervenieren. • Umweltbewusstes Konsumverhalten verursacht häufig subjektive Kosten (z. B. Verzicht auf bevorzugte Produkte oder Aufpreise für ökologische Produktvarianten).

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12  Konsumentenverhalten im Wandel

Will die Person diese vermeiden, muss sie ihre moralische Verpflichtung leugnen oder die Situation in anderer Weise zu ihren Gunsten umdeuten. • Ob eine Person tatsächlich ökologisch handelt, hängt ab vom Zusammenspiel der aktivierten persönlichen Normen, der wahrgenommenen Verantwortung und den antizipierten Konsequenzen des Nichthandelns. Auch nach der Low-Cost-Hypothese verhalten sich Verbraucher vor allem dann umweltfreundlich, wenn dies keine Kosten verursacht (Diekmann und Preisendörfer 2003). Die erlebten Kosten dürfen jedoch nicht nur monetär verstanden werden, sondern beinhalten auch die benötigten zeitlichen Ressourcen. Ethisches Konsumentenverhalten (zu dem auch das umweltbewusste Konsumentenverhalten zählt) steht immer im Spannungsverhältnis zwischen Eigeninteressen (z. B. Spaß haben, die eigene Gesundheit schützen) und empfundenen moralischen Verpflichtungen (z. B. andere schützen, die Umwelt schützen) (Balderjahn 2013, S. 199). Umweltbewusster Konsum, der einer empfundenen moralischen Verpflichtung folgt, widerspricht häufig unseren Eigeninteressen. Wenn man sich selbst einschränkt (siehe Abschn. 12.5), reduziert dies die Möglichkeiten der utilitaristischen und hedonischen Bedürfnisbefriedigung. Entscheidet man sich bei der Wahl eines neuen Produktes für eine ökologische Alternative, so ist damit häufig ein Aufpreis, mehr Recherche- oder Beschaffungsaufwand oder eine geringe Produktqualität, eine schlechteres Design, eine eingeschränkte Funktionalität etc. verbunden. Interessanterweise überlappt nur die egoistische Orientierung der Value Belief Norm Theory mit den Eigeninteressen und es ist in diesem Fall am wenigsten wahrscheinlich, dass für den Konsumenten ein Entscheidungsdilemma entsteht. Die altruistische und biosphärische Orientierung widerspricht dagegen häufig den Eigeninteressen und erfordert damit Opfer vom Konsumenten. Nicht jeder ist bereit, diese Opfer zu bringen. Möchte man ökologische Produkte an breitere Bevölkerungsschichten vermarkten, ist es deshalb sinnvoll, auch egoistische Motive anzusprechen. Dies ist bspw. bei Bio-Lebensmitteln der Fall, die nicht nur zum Schutz der Umwelt gekauft werden. Für viele steht vielmehr das Motiv der eigenen Gesundheit oder ein stärkeres Geschmacksempfinden als Motiv im Vordergrund (Joerß et al. 2017).

12.5 Antikonsum Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst dagegen, bestimmte Dinge zu kaufen. Manche tun dies, um negative Auswirkungen auf die Umwelt oder andere Menschen zu reduzieren. So boykottieren viele Menschen Unternehmen, die nicht ethisch handeln. Auch Trends wie vegan zu leben, die sich immer weiter ausbreiten, sind Beispiele dafür. Andere, z. B. die Voluntary Simplifier (die „freiwilligen Vereinfacher“ oder „Genügsamen“) reduzieren ihren Konsum insgesamt, um ein erfüllteres und stressfreieres Leben zu führen, das weniger von materiellen Zwängen abhängt (Peyer et al. 2017). Die Antikonsum-Forschung analysiert all diese Trends, um gesellschaftliche Veränderungen zu

12.6 Sharing

199

beschreiben, aber auch um Handlungsempfehlungen für Unternehmen abzuleiten (z. B. Lee et al. 2009). Eine Antikonsumentscheidung ist allerdings nicht einfach das Gegenteil einer Konsumentscheidung („Ich kaufe Deo A nicht, weil Deo B besser ist.“), sondern basiert auf bestimmten Motiven, die sich fundamental von den Konsummotiven unterscheiden können. Wer sich vegan ernährt, möchte verhindern, dass Tiere getötet werden. Wer Fleisch isst, verfolgt vermutlich nicht das diametral entgegengesetzte Motiv (­Chatzidakis und Lee 2013). Oftmals wird „Antikonsum“ auch eingesetzt, um bestimmte politische, soziale, ökologische oder ökonomische Ziel zu erreichen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Konsumentenboykott (Hoffmann 2011; Hoffmann und Müller 2009; Friedman 1999). Konsumenten verzichten dabei bewusst auf einzelne Marken, Produkte oder Produktkategorien, um auszudrücken, dass sie mit dem Verhalten von Unternehmen nicht einverstanden sind. So boykottierten im Jahr 2008 zahlreiche deutsche Konsumenten Produkte des finnischen Konzerns Nokia, nachdem dieser angekündigt hatte, das Bochumer Werk nach Rumänien zu verlagern. Sie wollten mit ihrer Marktmacht Einfluss auf die Entscheidung der Unternehmensleitung nehmen. Gelegentlich werden auch Produkte aus bestimmten Ländern boykottiert, um Entscheidungen der Regierungen zu beeinflussen oder zumindest der Missbilligung Ausdruck zu verleihen. Den Boykotteuren ist oft bewusst, dass derartige Aktionen in vielen Fällen nicht die erwünschte Wirkung entfalten können. Viele fühlen sich dennoch moralisch verpflichtet, entsprechend zu handeln, oder sie möchten wenigstens ein Zeichen setzen. Insbesondere durch Social-Media-­ Plattformen wie Facebook und Twitter verbreiten sich Informationen über unverantwortliches Unternehmenshandeln und die entsprechenden Boykottaufrufe immer schneller. Konsumenten sind damit zwar immer besser informiert. Es ist aber auch zu beachten, dass Boykottieren Verzicht auf präferierte Produkte bedeutet. Aus diesem Grund versuchen Konsumenten häufig, vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen, weshalb sie bestimmte Produkte nicht boykottieren (Symmank und Hoffmann 2017). Die in diesem Buch beschriebenen Rationalisierungsprozesse und Aspekte des sozialen Dilemmas (Abschn. 9.5) treten deshalb im Zusammenhang mit Boykotten besonders häufig auf.

12.6 Sharing Teilen und nutzen statt kaufen und besitzen. Der gemeinschaftliche Konsum („Collaborative Consumption“) von Produkten gewinnt immer mehr an Bedeutung und wird als Sharing bezeichnet (Botsman und Rogers 2010; Belk 2007). Sharing bedeutet, ich gebe einem anderem etwas, das mir gehört, damit er es nutzen kann, und/oder erhalte etwas von einem anderem, damit ich es nutzen kann. Dabei unterscheidet man zwischen Sharing-in und Sharing-out (Belk 2010). Sharing-in bezeichnet das gemeinsame Nutzen von Dingen mit Familie und Freunden. Es geschieht oftmals intuitiv und automatisch. Wer bspw. im Restaurant eine Flasche Wein bestellt, teilt diese i. d. R. mit seiner Begleitung, ohne im Anschluss aufzurechnen, wer wie viel getrunken hat.

200

12  Konsumentenverhalten im Wandel

Sharing-out betrifft dagegen den gemeinschaftlichen Konsum von Produkten mit Fremden. Dies geschieht meist aus nützlichkeitsorientierten Gründen. Wer bspw. bei BlaBlaCar eine Fahrt inseriert und damit sein Auto teilt, tut dies hauptsächlich, um bei den Fahrtkosten zu sparen. Sharing-out findet heute in der sog. Share Economy statt. In ihr bieten Unternehmen Konsumenten den Zugang zu Ressourcen für eine Gebühr an. Gehört diese Ressource einem Unternehmen, spricht man von C2P-Sharing (Company to Person), gehört die Ressource einer Privatperson, spricht man von P2P-Sharing (Person to Person). Das Unternehmen ist in diesem Fall lediglich Vermittler zwischen Anbieter und Nachfrager und nimmt hierfür eine Provision. Der Unterschied zwischen C2P und P2P wird durch die beiden Car-Sharing-Anbieter DriveNow und Drivy deutlich. DriveNow stellt die Autoflotte (Ressource) selbst zur Verfügung. Hingegen ist Drivy eine Plattform, auf der Privatpersonen ihr Auto für eine Gebühr mit anderen Konsumenten teilen können. Damit nehmen Menschen in der Share Economy zwei Rollen ein. Zum einen sind sie Konsumenten, die Produkte nutzen, ohne sie kaufen zu müssen. Zum anderen stellen sie ihr Eigentum anderen zur Verfügung und treten damit als sog. Micro-Entrepreneure in Erscheinung. Die Sharingangebote, aus denen Konsumenten wählen können, sind vielfältig und reichen von Bekleidung (Kleiderei) und Luxushandtaschen (Bag Borrow or Steal) bis hin zu mittlerweile klassischen Leistungen wie Bike-Sharing (Call a Bike) und Car-Sharing (Car2Go). Zahlreiche Studien befassen sich mittlerweile mit dem Sharingverhalten des Konsumenten (Lamberton und Rose 2012; Ozanne und Ballantine 2010; Hellwig et al. 2015; Möhlmann 2015; Seegebarth et al. 2016; Akbar et al. 2016). Die Gründe, warum Konsumenten Sharingverhalten zeigen, sind verschieden und werden beispielhaft in Abb. 12.1 zusammengefasst.

12.7 Lernhilfe Quintessenz

Die Digitalisierung, der demografische Wandel und der Wertewandel sind Megatrends mit enormen Auswirkungen auf das Verhalten von Konsumenten. Die Postmaterialismus-Hypothese postuliert, dass die Relevanz materieller Werte (des „Habens“) dann schwindet und postmaterielle Werte (des „Seins“) an Bedeutung gewinnen, wenn eine Gesellschaft wohlhabender wird. In den reichen Industrienationen wird es für viele Menschen deshalb immer wichtiger, ihr Konsumverhalten so zu gestalten, dass sie dabei die eigene Gesundheit schützen und der natürlichen Umwelt möglichst wenig Schaden zufügen. Immer mehr Konsumenten praktizieren auch „Antikonsum“, d. h., sie schränken ihr Konsumverhalten bewusst und freiwillig ein. Ethisches Konsumverhalten steht allerdings häufig im Spannungsverhältnis zwischen egoistischen Motiven und moralischen Verpflichtungen. Die immer beliebter werdenden Sharing-Angebote bieten eine Möglichkeit, Produkte zu nutzen, ohne zu viele Ressourcen zu beanspruchen.

12.7 Lernhilfe

201

Treiber

Die Sharingtendenz ist höher, je höher:

• Besitzkosten2, 4

die Besitz- und Instandhaltungskosten sind.

• Sparsamkeit2, 4

die Neigung zur Sparsamkeit ist.

• Nachhaltigkeit5

die Nachhaltigkeitsorientierung ist.

• Anti-Konsum2, 6

die Anti-Konsum-Einstellung ist.

• Anti-Industrie4

die Anti-Industrie-Einstellung ist.

• Idealismus3

die Idealismusorientierung ist.

• Substituierbarkeit1

die Aussicht ist, dass Sharing den Kauf ersetzt.

• Sozialer Nutzen1, 2, 4

die Kontaktwahrscheinlichkeit mit anderen ist.

• Funktionaler Nutzen1

der wahrgenommene Nutzen durch Sharing ist.

• Vertrautheit2,5

die Vertrautheit mit dem Sharingsystem ist.

• Zufriedenheit5

die Zufriedenheit mit der Sharingoption ist.

• Einzigartigkeit6

der Wunsch nach einzigartigen Produkten ist.

Inhibitor

Die Sharingtendenz ist niedriger, je höher:

• Materialismus2, 6

die Relevanz von materiellen Gütern ist.

• Suchkosten2, 4

der Suchaufwand nach Anbietern ist.

• Produktknappheit1

die Produktknappheit für das Sharingangebot ist.

Quelle: 1Lamberton und Rose (2012); 2Ozanne und Ballantine (2010); 3Hellwig et al. (2015); 4Möhlmann (2015); 5Seegebarth et al. (2016); 6Akbar et al. (2016)

Abb. 12.1  Gründe des Sharingverhaltens von Konsumenten. (Akbar et al. 2016)

Übungsfragen und -aufgaben

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Der Postmaterialismus-Hypothese zufolge sind Veränderungen in der ____________, ____________ und ____________ einer Nation eng miteinander verknüpft. Je wohlhabender eine Nation wird und je mehr der Wohlfahrtsstaat die großen Lebensrisiken absichert, desto stärker treten ____________ Werte in den Hintergrund und desto mehr gewinnen ____________ Werte an Bedeutung. Richtig oder falsch? Sozial-kognitive Stadienmodelle des Gesundheitsverhaltens bieten vor allem die folgende Erkenntnis für die Gestaltung von Social-Marketing-Kampagnen: Verhalten muss schrittweise verändert werden und in jeder Phase wirken andere Faktoren darauf ein, ob die Person die nächste Stufe erreichen kann oder nicht. Kreuzen Sie die richtige(n) Antwort(en) an. Folgende Optionen können Konsumenten prinzipiell wählen, wenn sie ihrem Umweltbewusstsein Ausdruck verleihen möchten:

202

12  Konsumentenverhalten im Wandel

O Suffizienz-Option O Rehearsal-Option O Salienz-Option O Effizienz-Option O Recycling-Option Vernetzende Fragestellung

Im Einstiegsbeispiel wurde beschrieben, dass sich Leas Konsumgewohnheiten stark von denen ihrer Mutter unterscheiden. Welche Unterschiede im Konsumentenverhalten können Sie zwischen Angehörigen Ihrer Generation und älteren Konsumenten in Ihrem Umfeld beobachten? Rufen Sie sich die Unterscheidung von Alters- und Kohorten-Effekten, die wir in Kap. 8 diskutiert haben, in Erinnerung. Welche der beobachteten Unterschiede in Ihrem sozialen Umfeld sind Alterseffekte und welche Unterschiede können auf die Kohorten zurückgeführt werden? Welche Unterschiede sind auf die angesprochenen Megatrends Digitalisierung, demografischer Wandel und Wertewandel zurückzuführen? Wagen Sie eine Prognose, welche Trends zukünftig relevant sein werden und wie sich das Konsumentenverhalten in Zukunft ändern wird!

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Literatur

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204

12  Konsumentenverhalten im Wandel

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Stichwortverzeichnis

A Adaption, 78 Affekt, 55 Affiliate-Marketing, 187 AIDA-Modell, 74 AIO-Ansatz, 131 Alterseffekt, 129 Ankerheuristik, 119 Annäherungs-Annäherungs-Konflikt, 45 Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt, 45 Anreiz, 38 Antikonsum, 198 Apparative Verfahren, 25 Appraisal-Theorie, 61 Association of Consumer Research, 192 Assoziation, implizite, 97 Assoziatives Netzwerk, 84, 99 Atmosphäre, 162 Aufmerksamkeit, 73

B Banner-Blindness, 73 Basisemotion, 59 Basisrate, 118 Bedrohungseinschätzung, 64 Bedürfnispyramide, 40 Bedürfnisse, 37, 40 Befragung, 22 Beobachtung, 24 Bewältigungseinschätzung, 64 Bezugsgruppe, 143 aspiratorische, 143 assoziative, 143

disassoziative, 143 informelle, 143 Bezugsgruppeneinfluss informatorischer, 144 utilitaristischer, 144 wertexpressiver, 144 Bottom-up-Prozess, 78 Bounded Rationality, 112 Brand Love, 60

C Chunking-Hypothese, 83 Clusteranalyse, 126 Co-Creation, 4 Collaborative Consumption, 199 Compliance, 172 Consumer Neuroscience, 25 Content Marketing, 187 Crowd Behavior, 172 Crowding, 172 Customer Journey, 8 Customer-Participation, 4

D Default, 121 Deklaratorisches Gedächtnis, 84 Dekomponierende Methode, 94 Deliberativer Modus, 98 Demografischer Wandel, 128, 192 Digitalisierung, 192 Dilemma, soziales, 151 Door in the face, 173

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Hoffmann und P. Akbar, Konsumentenverhalten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23567-3

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206 Drei-Komponenten-Modell, 91 Drei-Speicher-Modell, 82 Duale Prozesstheorien, 98 Duftmarketing, 163

E Einstellung, 89, 92 implizite, 97 Einstellungsänderung, 95 Einstellungs-Verhaltens-Hypothese, 91 Elaboration Likelihood Model (ELM), 95 Emotion, 55 Emotionstheorie, 58 biologische, 58 kognitive, 61 Entscheidung, 106 Anomalien, 117 Eigenschaften, 108 Komponenten, 107 unter Unsicherheit, 112 Entscheidungsarchitektur, 121 Entscheidungstheorie deskriptive, 112 normative, 111 Entsorgung, 4 Eskapismus, 182 Ethischer Konsum, 195 Event-Marketing, 57 Experiment, 26 Extrinsischer Anreiz, 38

F Feldtheorie, 44 Fishbein-Modell, 94 Flow, 185 Foot in the door, 173 Forschungsmethode qualitative, 19 quantitative, 18 Framing, 119 Funktionelle Magnetresonanztomografie, 25 Furcht, 64

G Gedächtnis deklaratorisches, 84

Stichwortverzeichnis prozedurales, 84 Gefühl, 55 Generalisierungsdesign, 21 Generation, 129 Gesichtsausdrücke, Universalität, 60 Gestaltprinzipien, 79 Gestaltpsychologie, 79 Gesundheitsbewusstes Konsumentenverhalten, 195 Gimpeleffekt, 152 GLOBE-Projekt, 136 Gruppendiskussion, 20 GS-GO-Modell, 182 Guerilla-Marketing, 76

H Handeln, kollektives, 151 Handlung, 35 Hedonisches Prinzip, 43, 184 Heuristik, 117 Ankerheuristik, 119 Repräsentativitätsheuristik, 118 Verfügbarkeitsheuristik, 118 Hofstedes Kulturkonzeption, 136 Homo oeconomicus, 18, 111 Hygienefaktor, 41

I Imitationslernen, 82 Implizite Assoziation, 97 Implizite Einstellung, 97 Impliziter Assoziationstest (IAT), 99 Inattentional Blindness, 73 Individualmedien, 180 Informationsrate, 160 Informationsverarbeitung, 72 Inhaltsanalyse, 20 Inhaltstheorie, 39 Interkulturelle Unterschiede, 134 Interpretativer Ansatz, 18 Interview, 20 Intrinsischer Anreiz, 38 Isolationseffekt, 116

K Karte, kognitive, 166

Stichwortverzeichnis Kaufentscheidung extensive, 109 habitualisierte, 110 limitierte, 109 Kaufentscheidungsprozess, 108 Kaufentscheidungstypologie, 109 Käufermarkt, 6 Kausalität, 27 Klassische Konditionierung, 80 Kognition, 72 Kognitive Emotionstheorie, 61 Kognitive Karte, 166 Kohorteneffekt, 129 Kollektives Handeln, 151 Kompatibilität, 91 Komponierende Methoden, 94 Konditionierung klassische, 80 operante, 81 Konformität, 148 Konjunktion, 119 Konsum, ethischer, 195 Konsumentenboykott, 199 Konsumentenmotiv verhaltensspezifisches, 47 verhaltensübergreifendes, 46 Konsumentensozialisation, 146 Konsumentenverhalten, 3 gesundheitsbewusstes, 195 Konsumentenverhaltensforschung, 3, 16 Kultur, 134 Kurzzeitgedächtnis, 83

L Laddering-Technik, 49 Langzeitgedächtnis, 83 Lebensstil, 131 Lebensstiltypologie, 132 Lernen am Modell, 82 Low Ball, 173 Low-Cost-Hypothese, 198

M Magnetresonanztomografie, funktionelle, 25 Markenwissen, 84 Marketing, virales, 150 Marktsegmentierung, 126

207 Maslows Bedürfnispyramide, 40 Massenmedien, 180 Means End Chain, 49 Mediale Umwelt, 178 Mediatorvariable, 9 Medien, 179 Meinungsführer, 150 Mikroökonomischer Ansatz, 18 Mixed-Methods, 21 MODE-Modell, 98 Moderatorvariable, 10 Mood-Management-Theorie, 184 Motiv, 34 Motivation, 35 Motivator, 41 Motivdispositionen, 37 Multiattributive Verfahren, 111 Multi-Item-Skala, 23

N Need for Touch, 164 Netnografie, 20 Netzwerk, assoziatives, 84 Neuromarketing, 25 Norm-Aktivierungs-Modell, 197 Norm soziale, 147 subjektive, 93 Nudging, 121

O Objektivität, 23 Operante Konditionierung, 81 Operationalisierung, 23 Orientierung im Ladengeschäft, 166 im Shoppingcenter, 167 Orientierungsreaktion, 74

P Partialmodell, 9 Periphere Route, 96 Physische Umwelt, 158 Positivistischer Ansatz, 18 Präventionsfokus, 43 Primärerhebung, 21

208 Priming, 77, 120 Prinzip der Ähnlichkeit, 79 der Geschlossenheit, 79 der Nähe, 79 der Übersummativität, 79 von Figur und Grund, 79 Projektive Verfahren, 20 Promotionsfokus, 43 Prospect-Theorie, 112 Prosument, 4 Protokolle lauten Denkens, 66 Proximate Ursachen, 46 Prozedurales Gedächtnis, 84 Prozessmodell, 8 Prozesstheorie, 41 duale, 98 Psychografische Variablen, 131

Q Qualitative Forschungsmethoden, 19 Quantitative Forschungsmethoden, 18

R Rad der Emotion, 59 Rational-Choice-Theorie, 111 Reaktionstrias der Emotion, 56 Reflexionseffekt, 116 Reizverarbeitung, unbewusste, 76 Reliabilität, 23 Repräsentativitätsheuristik, 118 Rubinsche Vase, 80

S Sad-Film-Paradoxon, 184 Satisficing, 112 Schema, 84 Schutzmotivation, 64 Segmentierungskriterien, 127 Sekundärforschung, 22 Selbstwirksamkeitserwartung, 64 Selektive Wahrnehmung, 77 Sender-Empfänger-Modell, 178 Sensorisches Gedächtnis, 83 Serieller Flaschenhals, 73 Share Economy, 200

Stichwortverzeichnis Sharing, 11, 199 Sicherheitseffekt, 114 Skript, 85 Social Media, 186 S-O-R-Schema, 5, 159 Soziale Norm, 147 Soziale Rolle, 147 Soziale Schicht, 131 Soziale Umwelt, 35 Sozialer Status, 131 Sozialer Vergleich, 146 Soziales Dilemma, 151 Soziales Faulenzen, 152 Soziales Milieu, 132 Sozialisation, 146 Sozialisationsagent, 147 Sozial-kognitives Modell, 195 Soziodemografische Merkmale, 127 Spontaner Modus, 98 S-R-Schema, 5 States, 35 Stimmung, 55 Stimuli affektiv, 75 intensiv, 74 kollativ, 75 Storytelling, 84 Strukturmodell, 7 Subjektive Norm, 93 Suffizienz, 196

T Tagebuch, 65 Tasty-Intuition, 98, 170 Thematischer Apperzeptionstest (TAT), 49 Theorie der Schutzmotivation, 64 der sozialen Identität, 144 des geplanten Verhaltens, 92 des regulatorischen Fokus, 43 des sozialen Vergleichs, 145 Top-down-Prozess, 78 Totalmodell, 7 Touchpoint, 8 Traits, 35 Transformative Consumer Research, 16, 193 Triangulationsdesign, 21 Trittbrettfahren, 152

Stichwortverzeichnis U Ultimate Ursachen, 46 Umwelt mediale, 178 physische, 158 soziale, 142 Umweltbewusstes Konsumentenverhalten, 196 Umweltpsychologisches Verhaltensmodell, 159 Unbewusste Reizverarbeitung, 76 Unhealthy Intuition s. Tasty-Intuition, 99 Universalität von Gesichtsausdrücken, 60 User-generated Content, 182 Uses-and-Gratification-Ansatz, 181

V Valenz, 44 Validität, 24 externe, 28 interne, 28 ökologische, 28 Value Belief Norm Theory, 197 Vampireffekt, 75 Verbrauch, 3 Verfügbarkeitsheuristik, 118 Verhaltenskontrolle, wahrgenommene, 93 Verhaltenswissenschaften, 4 Verkäufer, 171 Verkäufermarkt, 6 Verkaufstechniken, 172 Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt, 45

209 Verpackung, 169 VIE-Theorie, 41 Virales Marketing, 150 Voluntary Simplifier, 198 Vorstudiendesign, 21

W Wahrgenommene Verhaltenskontrolle, 93 Wahrnehmung, 77 selektive, 77 Wear-out-Effekt, 78 Werte, 133 Wertefunktion, 114 Wertewandel, 192 Wertkonzeption von Schwartz, 133 Wissen prozedurales, 85 semantisches, 84 Wissensillusion, 185 Wissensklufthypothese, 185 Word-of-Mouth, 150

Z Zentrale Route, 96 Zieldistanzierung, 36 Zielengagement, 36 Zielsetzung, 38 Zwei-Faktoren-Theorie, 41, 62