Kommunale Kulturpolitik: Strukturen, Prozesse, Netzwerke 9783839439142

How do cultural politics work on the local level? Actors and networks of cultural politics, management and administratio

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German Pages 244 [242] Year 2017

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Kommunale Kulturpolitik: Strukturen, Prozesse, Netzwerke
 9783839439142

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
2. Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt
3. Theorie- und Methodenkonzeption zur Mikro-Policy-Analyse kommunaler Kulturpolitik
4. Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik
5. Das kulturpolitische Netzwerk Norderstedts
6. Schlussbetrachtungen
Literatur
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Anhang

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Kilian H. Lembke Kommunale Kulturpolitik

Edition Umbruch Texte zur Kulturpolitik Herausgegeben für die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. von Dr. Tobias J. Knoblich und Dr. Norbert Sievers Band 33

Kilian H. Lembke, geb. 1980, studierte Politikwissenschaft, Neuere Deutsche Literaturund Medienwissenschaften und Germanistik und wurde über kommunale Kulturpolitik promoviert. Er war Koordinator beim Kulturbetriebsprojekt »Kulturwerk am See« (Norderstedt), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und ist Studienleiter der Gustav-Heinemann-Bildungsstätte. Er publiziert zu Kulturpolitik, Kulturmanagement und -verwaltung. www.kilianlembke.de

Kilian H. Lembke

Kommunale Kulturpolitik Strukturen, Prozesse, Netzwerke

Der vorliegende Band ist zugleich die Veröffentlichung der durchgesehenen Universitätsdissertation »Strukturen, Prozesse, Netzwerke kommunaler Kulturpolitik. Eine politikethnographische Mikro-Policy-Analyse am Fallbeispiel Norderstedt«.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3914-8 PDF-ISBN 978-3-8394-3914-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorwort  | 9 1 Einleitung  | 11 1.1 Die kommunale Ebene der Kulturpolitik | 12 1.2 Die Mikroebene von Politik | 14 1.3 Auf bau der Forschungsarbeit | 16

2 Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt  | 19 2.1 Begriffliche Dimensionen von Kultur und Politik | 20 2.2 Fünf Ebenen von Kulturpolitik | 27 2.2.1 Globale Ebene | 27 2.2.2 Europäische Ebene | 28 2.2.3 Kulturpolitik in Deutschland | 30 2.3 Kurzportrait des Fallbeispiels Norderstedt | 37 2.3.1 Infrastruktur und Wirtschaft | 37 2.3.2 Kultur | 38 2.3.3 Politik und Verwaltung | 40

3 Theorie- und Methodenkonzeption zur Mikro-Policy-Analyse kommunaler Kulturpolitik  | 43 3.1 Zur Genese mikropolitologischer Policy-Forschung | 44 3.2 Akteurzentrierter Institutionalismus | 47 3.2.1 Akteurtypen und -konstellationen | 49 3.2.2 Individuen und Aggregationen von Akteuren | 49 3.2.3 Konstellationen kulturpolitischer Akteure | 54 3.3 Mikropolitologische Policy-Forschung | 59 3.3.1 Historischer Exkurs zur Mikropolitologie | 60 3.3.2 Elemente der Mikro-Policy-Analyse | 62 3.3.3 Methodologische Verknüpfung in der Akteurorientierung | 65 3.3.4 Politikethnographie als Policy-Zugang | 66 3.4 Netzwerkanalyse durch Experteninterviews und visuelle Netzwerkforschung | 68

3.4.1 Experteninterviews | 70 3.4.2 Net-Mapping-Verfahren als Instrument der visuellen Netzwerkforschung | 72 3.5 Triangulation aus qualitativen, quantitativen und partizipativen Zugängen | 73

4 Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik  | 77 4.1 Experteninterviews zur kommunalen Kulturpolitik: Erhebung von Policy-Wissen und politischer Praktik | 77 4.1.1 Zielsetzung der Experteninterviews | 78 4.1.2 Leitfragenentwicklung für die Experteninterviews | 79 4.1.3 Akteure in Interviews als Experten kommunaler Kulturpolitik | 82 4.1.4 Hinweise zu den Ausführungen und Darstellungen der Experteninterviews | 84 4.2 Wahrnehmungen und Selbstverständnisse zur Policy Kultur | 84 4.2.1 Definitionsprobleme von Kulturpolitik und die Erfassung als Policy | 85 4.2.2 Kulturentwicklungsplanung im Politikzyklus | 87 4.2.3 Verständnisse und Verwendungen des/eines Kulturbegriffs | 90 4.2.4 Bedeutung von Kulturpolitik unter den kommunalen Politikfeldern | 94 4.3 Zur Kommunikation im kulturpolitischen Netzwerk Norderstedts | 99 4.3.1 Akteure als Informationsquellen | 99 4.3.2 Orte informeller Kommunikation | 102 4.4 A kteure und Akteurtypen in der Kulturpolitik Norderstedts | 107 4.4.1 Der kollektive Akteur Kulturausschuss | 107 4.4.2 Der kollektive Akteur Kulturträger | 109 4.4.3 Der korporative Akteur Kulturverwaltung | 117 4.4.4 Zwischenfazit | 118 4.5 Dokumentenanalysen von Niederschriften der Kulturausschusssitzungen | 119 4.5.1 Vorgehen der Auswertungen | 119 4.5.2 Auswertung der eingebrachten Vorlagen | 120 4.5.3 Urheberschaften der Berichte und Anfragen | 124 4.5.4 Entwicklungen der Berichte und Anfragen | 130 4.6 Policy-Exkurs I: Fiskalische Aspekte der Kulturpolitik Norderstedts | 133 4.6.1 Partei- & Fraktionsräson als Einflussfaktor auf kulturpolitische Prozesse | 133 4.6.2 Zur Frage der Meritorik in der kommunalen Kulturpolitik | 137

4.7 Policy-Exkurs II: Kulturbetriebsprojekt „Kulturwerk am See“ | 151 4.7.1 Problemstellung und Lösungsansatz der Raummangelsituation für Kulturvereine | 152 4.7.2 Rekonstruktion der Politikformulierung und des Agenda-Settings | 153 4.7.3 Chronologische Rekonstruktion des Zeitraums 2007-2010 | 154 4.7.4 Erkenntnisse aus teilnehmender Beobachtung und Experteninterviews | 157

5 Das kulturpolitische Netzwerk Norderstedts  | 163 5.1 Net-Mapping: Methodologische Einordnung und Gang der Erhebung | 163 5.1.1 Net-Maps als Instrument der visuellen Netzwerkforschung | 164 5.1.2 Gang der visuellen Erhebung kulturpolitischer Netzwerkstrukturen | 167 5.1.3 Die kulturpolitischen Akteure und ihre Beziehungsstrukturen | 169 5.2 Vergleichende Analyse der Einzel-Net-Maps | 171 5.3 Der Auf bau des kulturpolitischen Netzwerks | 182 5.3.1 Die Zusammenführung der Einzel-Net-Maps | 183 5.3.2 Das kulturpolitische Gesamt-Netzwerk | 183 5.4 Globale Einflusswerte der Akteure auf das kulturpolitische Netzwerk | 196 5.5 Fazit | 202

6 Schlussbetrachtungen  | 205 6.1 Fazit zur Forschungsarbeit | 205 6.2 Methodologischer Ausblick | 209 6.3 Zur Situation kommunaler Kulturpolitik | 211

Literatur  | 217 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis  | 225 Abbildungen | 225 Tabellen | 226

Anhang  | 229 A1 Kulturförderrichtlinien der Stadt Norderstedt 2012 | 230 A2 Online-Fragebogen zur Befragung der anerkannten Kulturträger | 235 A3 Auszüge aus den Niederschriften zu Spartengesprächen | 239 A4 Fragenkatalog zur Befragung der privaten Musikschulen in Norderstedt | 241

Vorwort Für eine Stadt wie Essen war das Jahr 2010 als Kulturhauptstadt Europas ein Glücksfall. Bedeutete dieser befristete Status doch ein Restrukturierungsprogramm für die Stadt und die Region, durch die eine Reihe alter Fabriken und Industriestandorte einer neuen Bestimmung zugeführt werden konnte. Ohne den Zuschlag als Europäische Kulturhauptstadt hätte dies so nicht stattgefunden. Für die Stadt Norderstedt erwies sich eine vergleichbare Begebenheit ebenfalls als besondere und einmalige Chance, eine Industrieruine einer neuen Funktion zuzuführen – wenn auch in wesentlich kleinerem Maßstab. Norderstedt erhielt den Zuschlag zur Ausrichtung der Landesgartenschau 2011 auf dem Gelände einer ehemaligen Kalksandsteinfabrik. Dessen Ruine wurde zunächst als Blumenhalle hergerichtet und in der Nachnutzung ab 2012 zum Veranstaltungshaus Kulturwerk am See nebst Musikschulkubus ausgebaut. Bei diesem Kulturbetriebsprojekt erhielt ich die Gelegenheit, den Implementationsprozess durch teilnehmende Beobachtung unmittelbar begleiten zu dürfen. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung sind Teil dieser Forschungsarbeit über die Strukturen, Prozesse und Netzwerke kommunaler Kulturpolitik in Norderstedt. Für diese Gelegenheit danke ich Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote und Rajas Thiele, Geschäftsführer der Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH. Für die vertrauensvolle Unterstützung bei der Erhebung von Daten gilt mein Dank der Leiterin des Kulturbüros, Gabriele Richter und dem Leiter der Musikschule Norderstedt, Rüdiger George. Besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Stephan Opitz, der mir als seinem ersten Doktoranden stets mit Rat, Diskussionen und viel Vertrauen zur Seite stand. Ebenso danke ich Prof. Dr. Christian Martin, der mir als Zweitgutachter besonders in Fragen des politikwissenschaftlichen Forschungsdesigns und der methodologischen Konzeption eine große Hilfe war. Der Kulturpolitischen Gesellschaft danke ich für Chance, diese Arbeit in der Reihe Edition Umbruch als 33. Band veröffentlichen zu dürfen. Für die kritische Lektüre danke ich Heinrich Wolf. Meine tief empfundene Dankbarkeit gilt auch meiner Mutter, Heike Linde-Lembke, die mir ebenso jede mögliche Unterstützung zuteilwerden ließ, wie auch mein Mann, Daniel Lembke-Peters, es tat.

1 Einleitung

Struktur ist die Ordnung der Dinge. Sie ist gefügt aus Elementen, Linien, Flächen, die an Punkten zusammentreffen, Mengen bilden, Konstrukte sind. Von Teilstücken oder Einzel-Strukturen bis zum vermeintlichen Chaos sind Strukturen in verschiedener Form das Innere eines Netzwerks, eines Systems. Prozesse sind das Innenleben von Strukturen. Sie fügen aus Ereignissen, Begebenheiten, Situationen, die aufeinander, parallel oder überlappend erfolgen, Ketten von Vorgängen zu Mustern oder Schemata zusammen. Von Intentionen und Absichten motiviert, von Interessen und Agenden geleitet, bilden Prozesse die Elemente, Linien, Flächen oder Punkte von Strukturen heraus. Netzwerke sind das Geflecht aus Strukturen und ihren Prozessen, deren Ordnungen heterogene Ausprägungen erfahren können und von Akteuren kommunizierend gestaltet werden. Als Elemente des Netzwerks initiieren Akteure Prozesse oder nehmen an ihnen Teil und lassen durch Taktiken und Strategien Strukturen entstehen, die sich in politischen Systemen als Netzwerke konstituieren.

Strukturen, Prozesse und Netzwerke von Kulturpolitik sind ein bisher kaum beachteter Bereich in der politikwissenschaftlichen und insbesondere in der Policy-Forschung. Es fehlt an Erkenntnissen über die strukturellen Dimensionen von Kulturpolitik, über die Akteure und ihre Netzwerke kulturpolitischer Prozesse. Dies gilt in besonderem Maße für die kommunale Ebene. Dabei ge-

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stalten gerade Akteure auf kommunaler Ebene in wesentlichem Umfang die Inhalte gesellschaftlichen Zusammenlebens und verhandeln die Bedingungen und Ressourcen kulturpolitischer Institutionen und Einrichtungen. Als Teil der freiwilligen Aufgaben beim Recht auf kommunale Selbstverwaltung nach Grundgesetzartikel 28 ist die Policy Kultur ein wichtiger Gestaltungsbereich kommunaler Akteure. Über die Bedingungen und Abläufe kommunaler Policies und Politics ist aber vergleichsweise wenig bekannt. Die politikwissenschaftliche Forschung zur Kulturpolitik steht nahezu gänzlich aus, obwohl das entsprechende Instrumentarium dafür vorhanden ist, um die Strukturen, Prozesse und Reichweiten – mithin also kulturpolitische Netzwerke und Systeme – zu erforschen. Dazu sind Fragen zu stellen: Welche Akteure gestalten wie die Policy Kultur im Zyklus von Problemdefinition, Agenda Setting und Implementation. Werden Problemlösungsansätze erarbeitet, wie werden Projekte durchgeführt und begleitet, und münden die Prozesse in Evaluationen? Das weist auf Fragen zu kleinteiligen Zusammenhängen hin. Doch für die Perspektive auf die Mikroebene von Politik und deren Untersuchung existieren in der Politikwissenschaft bisher kaum Methoden. Damit treffen zwei Aspekte von Kulturpolitik aufeinander, die bis dato wenig Beachtung in der Politikwissenschaft finden: die kommunale Ebene und die Mikroebene von Policy und Politics. Es ist das Ziel, einen Beitrag zur analytischen Untersuchung von Kulturpolitik zu leisten, für den auch ein spezifisches Forschungsdesign entwickelt werden soll.

1.1 D ie kommunale E bene der K ulturpolitik Die kommunalpolitische Ebene ist ein veritabler Forschungs- und Entwicklungsbereich für die Policy-Forschung, stellt sie doch einen wesentlichen Teil des politischen Systems dar. In der Politikwissenschaft interessieren sich jedoch nur wenige für Forschungen in diesem Bereich. Hiltrud Naßmacher verweist hierzu vor allem auf einen „Mangel an Gesamtdarstellungen“ und „Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit kommunaler Institutionen“.1 Für das Politikfeld der Kulturpolitik finden sich Forschungen in erster Linie in der Soziologie und in klassischen kultur- bzw. geisteswissenschaftlichen Fächern bis hin zu Fachbereichen für Kulturmanagement. Dabei werden zumeist die Bedingungen behandelt, unter denen Kulturarbeit und Kulturpolitik stehen. So stehen bei der Betrachtung von (kommunaler) Kulturpolitik Fragen der Zuständigkeit und fiskalische Bedingungen im Fokus. In dieser Weise illustriert Thorben Winter am Beispiel der Stadt Rheine die

1 | Naßmacher, Hiltrud: Kommunalpolitik in Deutschland, Opladen 1999, S. 24.

Einleitung

Kulturpolitik in Mittelstädten.2 Dabei ist Winter gleichzeitig Mitarbeiter der Stadt Rheine, womit hier auf das Phänomen hingewiesen sei, dass kulturpolitische Forschungen nicht selten von akademisch ausgebildeten Akteuren des Untersuchungsgegenstands erfolgen. In vergleichbarer Weise haben in vorhergehenden Jahrzehnten Praktiker des Kulturbetriebs wie Dezernenten, Kulturamts- und Akademieleiter für Fachliteratur zum Gegenstand Kulturpolitik gesorgt.3 Als prägende Autoren und Herausgeber seien hier stellvertretend drei genannt: Hilmar Hoffmann4 (1970 bis 1990 Kulturstadtrat in Frankfurt am Main), Hermann Glaser5 (1964-1990 Kulturdezernent der Stadt Nürnberg) und Olaf Schwencke6 (Präsident der Deutschen Vereinigung der Europäischen Kulturstiftung). Armin Klein führt als bemerkenswert aus, „dass das Politikfeld ‚Kulturpolitik‘ in der universitären Forschung und Lehre speziell der dafür zuständigen, etablierten Politikwissenschaften kaum eine Rolle spielt“7. Ausgehend von der internationalen Ebene bis zu den Kommunen führt Klein in das Thema Kulturpolitik ein.8 In einem knappen Überblick stellt auch Max Fuchs Kulturpolitik vor, wobei er vermutet, „dass unter allen Politikfeldern der Bereich Kulturpolitik derjenige [ist], der am wenigsten über eine (politik-)wissenschaftliche Theorienbildung verfügt“9. Mit der eindringlichen Warnung vor einem „Kulturinfarkt“10 erschien 2012 der bis dato letzte größereBeitrag zur Diskussion über Kulturpolitik, mit dem die vier Autoren für viel Unruhe im arrivierten Kulturbetrieb sorgten.11 2 | Vgl. Winter, Thorben: Kulturpolitik in Mittelstädten. Beispiel: Stadt Rheine, in: Morr, Markus: Kultur & Politik. Aspekte kulturwissenschaftlicher und kulturpolitischer Spannungsfelder, Marburg 2011, S. 129ff. 3 | Zur Wahrung der Lesbarkeit und Vertsändlichkeit wird an einigen Stellen in diesem Band das generische Maskulinum verwendet. 4 | Hoffmann, Hilmar et al.: Perspektiven der kommunalen Kulturpolitik. Beschreibungen und Entwürfe, Frankfurt am Main 1974; Kulturpolitik in der Berliner Republik, Köln 2002. 5 | Glaser, Hermann/Stahl, Karl Heinz: Bürgerrecht Kultur, Frankfurt am Main 1983; Glaser, Hermann: Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, München 1990. 6 | Schwencke, Olaf/Revermann, Klaus H./Spielhoff, Alfons (Hrsg.): Plädoyers für eine neue Kulturpolitik. München 1974. 7 | Klein, Armin: Kulturpolitik. Eine Einführung, Wiesbaden 2009, S. 9 [H.i.O.]. 8 | Vgl. Klein 2009. 9 | Fuchs, Max: Kulturpolitik. Wiesbaden 2007, S. 22. 10 | Haselbach, Dieter/Klein, Armin/Knüsel, Pius/Opitz, Stephan: Der Kulturinfarkt. Von allem zu viel und überall das Gleiche, München 2012. 11 | Die Polemik von Haselbach et al. erreichte eine vergleichsweise hohe mediale Resonanz, sodass die Kulturpolitische Gesellschaft ein Sonderheft zur Diskussion herausbrachte. Vgl. Kulturpolitische Mitteilungen. Zeitschrift für Kulturpolitik der Kultur-

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Es kann mit Klaus von Beyme festgehalten werden: Kulturpolitik „spielt im Rahmen der Politikwissenschaft eine völlig marginaIe Rolle“ und „wird zudem fern von dem in der Politikwissenschaft entwickelten Instrumentarium der Policy-Forschung abgehandelt“.12 Dies ist insofern erstaunlich, da es zunächst recht schlicht um die Frage geht, „‚wie Politik funktioniert‘“13 und damit um die inneren Mechanismen und Elemente von Politik. Dieser gedankliche Ansatz bringt das Interesse, (kommunale) Kulturpolitik zu erforschen mit der Mikroperspektive auf Politik zusammen.

1.2 D ie M ikroebene von P olitik Die Mikroebene von Politik zu erforschen, ermöglicht Einblicke in die Zusammenhänge und Abläufe einer Policy wie der Kultur, die sich ganz bestimmten inhaltlichen Fragen zu stellen hat. Das bedeutet aber auch, sich methodologisch auf den Untersuchungsgegenstand einzustellen. Genuine politikwissenschaftliche Ansätze sind dazu durch sozialwissenschaftliche, ethnographische und kulturwissenschaftliche Methoden zu ergänzen. Das erfordert ein Mixed-Method-Design, welches sowohl das politikwissenschaftliche Erkenntnisinteresse als auch die normativen und empirisch-analytischen Bedingungen des Untersuchungsgegenstandes berücksichtigt. Da die Kleinteiligkeit in den Politics von den Akteuren der Policies bestimmt wird, ist eine akteurzentrierte Perspektive notwendig. Denn bei der Vielzahl möglicher regionaler und lokaler Akteure von Kulturpolitik sowie des politikwissenschaftlichen Forschungsstandes von Kulturpolitik ist es die Aufgabe, auf diese Akteure zu fokussieren bzw. über sie überhaupt Kenntnis und Wissen zu erlangen. Das Forschungsinteresse dieser Arbeit liegt dabei nicht nur auf den Akteuren und ihren Netzwerken, sondern auch auf den Akteuren als Träger von kulturbezogenen Wahrnehmungen und Verständnissen von Kultur und Politik. Denn diese stehen wissenspolitologisch mit den Policies und Politics von Kultur in direktem Zusammenhang. Diese Ausgangslage führt zu Überlegungen, wie Akteure, Strukturen und Netzwerke kommunaler Kulturpolitik erforscht werden können. Die föderale Ebene der Kommunen allein erfordert nicht zwingend eine mikropolitologipolitischen Gesellschaft: Von allem zu viel und überall das Gleiche? – Positionen zum „Kulturinfarkt“. Beiheft 5, Juli 2012. 12 | von Beyme, Klaus: Kulturpolitik in Deutschland. Von der Staatsförderung zur Kreativwirtschaft, Wiesbaden 2012, S. 24f. 13 | Nullmeier, Frank/Pritzlaff, Tanja/Wiesner, Achim: Mikro-Policy-Analyse. Ethnographische Politikforschung am Beispiel Hochschulpolitik, Frankfurt/Main 2003, S. 9 [H.i.O].

Einleitung

sche Betrachtung. Doch bevor vergleichende Untersuchungen durchgeführt werden können, ist der Gegenstandsbereich kommunaler Kulturpolitik an sich zu erfassen. Anhand der Mikrostrukturen der Policy Kultur soll daher mit dieser Forschungsarbeit das Gefüge kommunaler Kulturpolitik und die Konstitution eines kulturpolitischen Systems untersucht werden. Diese Micropolitics stellen die Eingespieltheiten und das Innenleben eines Politikfeldes und deren (politischer) Akteure dar. Als wissenschaftlicher Ansatz ist Mikropolitologie in der Politikwissenschaft noch weitgehend ohne eigene Forschungstradition, findet aber Anwendung in den Literatur-, Erziehungs- und Verwaltungswissenschaften, in der Soziologie und besonders in der Organisationsforschung.14 Konkret werden die Mikrostrukturen und -prozesse durch Methoden der Expertenbefragung und der Netzwerkanalyse untersucht. Dies umfasst quantitative, aber besonders qualitative Methoden und interpretative Ansätze. Dazu gehören Dokumentenanalysen, Leitfaden- und Fragebogeninterviews und die Analyse von visuellen Netzwerkkarten, deren Erstellung auf einem partizipativen Verfahren beruht. In der Erarbeitung des Methoden-Designs zeigt sich auch hier, dass die Anwendung von Netzwerkanalysen für die Forschung zur Kulturpolitik und auch als Instrument bei Kulturentwicklungsplanungen weitgehend ungenutzt ist.15 Als quantitativer Baustein werden öffentliche Dokumente wie Ausschuss-Protokolle untersucht und ausgewertet. Dies dient unter anderem zur Vorbereitung von Experteninterviews, die aufgrund der spärlichen Datenlage kulturbezogener Angebots- und Nachfrageevaluationen und der inhaltlichen Dokumentation von Protokollen und Verwaltungsvorgängen durchgeführt werden. Ermittelt werden hierzu die Akteure eines kulturpolitischen Systems, die zu ihrem Wissen, ihren Erfahrungen, ihren Einschätzungen und Handlungsweisen befragt werden. Zudem erstellen die befragten Experten sogenannte Net-Maps (Visualisierungsmethode von Netzwerken), die Hinweise auf die Zusammensetzung, Beziehungen und Einflussgrößen von Akteuren des kulturpolitischen Systems geben können.16 Die Instrumente und Methoden werden basierend auf dem Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus 14 | Neben einigen wenigen Arbeiten aus der US-amerikanischen Sozial- und Politikwissenschaft (z.B. Kessel/Cole/Seddig: Micropolitics, New York 1970) hat sich im deutschsprachigen Raum nur Frank Nullmeier mit mikropolitologischen Ansätzen beschäftigt (Nullmeier, et al.: Mikro-Policy-Analyse, Frankfurt 2003). 15 | Vgl. Föhl, Patrick S./Peper Robert: Transformationsprozesse benötigen neue methodische Ansätze. Einsatz einer Netzwerkanalyse bei der Erarbeitung einer Kulturentwicklungskonzeption, in: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 147, Essen 2014, S. 54–56. 16 | Dieser Methodenmix orientiert sich an der Forschung von Jochen Gläser und Grit Laudel (Experteninterviews, Wiesbaden 2010) und Eva Schiffer (netmap.wordpress. com. Vgl. auch Schönhuth et al.: Visuelle Netzwerkforschung, Bielefeld 2013).

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von Fritz W. Scharpf und Renate Mayntz angewendet. Die Forschungsarbeit folgt dabei dem Interesse, einen Beitrag zur kulturpolitischen und zur Policy-Forschung zu leisten und dabei Politikwissenschaft mit Disziplinen der Geisteswissenschaften zu verbinden. Eine Besonderheit, die die Policy Kultur als veritablen Forschungsbereich mit einem gewissen Alleinstellungsmerkmal versieht, ist der Umstand der weitgehenden Definitionslosigkeit von Kultur. Dies wirft Fragen nach den Wahrnehmungen, Verständnissen und Handlungsoptionen von Akteuren der Kulturpolitik auf, die mit politikwissenschaftlichen Forschungsdesigns und sozialwissenschaftlichen Methoden untersucht werden können. Daher wird nach einem Überblick des Auf baus der Forschungsarbeit als erstes auf die komplexen Umstände der Begriffe Kultur und Politik und die Bezüge zur Policy Kultur bzw. zur Kulturpolitik eingegangen.

1.3 A ufbau der F orschungsarbeit Mit einer Skizze über Kultur und Politik als Bestandteilen von Kulturpolitik, deren begriffliche Bestimmung als fortlaufende Herausforderung beschrieben wird, beginnt das zweite Kapitel. Nach einer kurzen Übersicht zu den fünf Ebenen der Kulturpolitik, von der globalen, über die europäische, bundesdeutsche, Länder- und Kommunalebene (Kapitel 2.2), wird ein Kurzportrait des Fallbeispiels für kommunale Kulturpolitik der Stadt Norderstedt gegeben (Kap. 2.3). Die Theorien, Methoden und die zur Anwendung kommenden Instrumente sind Gegenstand des dritten Kapitels, in dem die Überlegungen aus der Akteurzentrierung nach Fritz Scharpf mit den mikropolitologischen Forschungsansätzen Frank Nullmeiers et al. zusammengeführt werden (Kapitel 3.1 bis 3.3). Das Kapitel wird mit der Vorstellung der Untersuchungsinstrumente und Methodologie abgeschlossen. Zu diesen gehören vor allem die Netzwerkanalyse auf Basis von Experteninterviews und die politikethnographischen Zugänge (3.4). Dies wird mit Hinweise zur Triangulationen von qualitativen, quantativen und partizipativen Ansätzen ergänzt (3.5). Den Hauptteil umfassen die Analysen der Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik in Kapitel vier und die Netzwerkanalyse im Kapitel fünf, wobei zu Beginn beider Kapitel zunächst die Methoden und deren Anwendungen am Fallbeispiel erläutert werden (4.1 und 5.1). In Kapitel vier werden dann die Wahrnehmungen und Selbstverständnisse der Policy Kultur am Fallbeispiel Norderstedt (4.2) und die Kommunikation der verschiedenen Akteure untersucht (4.3). Darauf folgen die Fallanalysen von Akteurtypen (4.4) und die Dokumentenanalysen (4.5) sowie zwei Policy-Exkurse. Im Zusammenhang mit finanziellen Ressourcen wird zur Frage der Meritorik auf die Musikschulen eingegangen (4.6). Als Kulturbetriebsprojekts

Einleitung

werden die Strukturen und Prozesse zum Bau und Betrieb des Kulturwerks am See untersucht (4.7). In Kapitel fünf folgt auf die Methodenerläuterung zu diesem Abschnitt die Analyse der visuellen Einzel-Netzwerkkarten (5.2), die im Zusammenhang mit den Experteninterviews erstellt wurden. Aus diesen ist ein kulturpolitisches Gesamt-Netzwerk erstellt und analysiert worden (5.3). Aus diesen werden danach Erkenntnisse über die Beziehung und Einflüsse der Akteure im und auf das Netzwerk gegeben (5.4 und 5.5). In Kapitel sechs stehen nach einem Fazit zur Untersuchung (6.1) Ausblicke zur weiterführenden Anwendung des Forschungsdesigns an (6.2). Diesen werden mit Schlussbetrachtungen zum Untersuchungsgegenstand kommunaler Kulturpolitik (6.3) beschlossen.

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2 Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt Kulturpolitik sieht sich nicht nur einer marginalen Stellung unter den Politikfeldern ausgesetzt, sondern auch einer begrifflichen Unbestimmtheit. Die lexikalischen Dimensionen ihrer Lexeme selbst evozieren bereits ein definitorisches Problemfeld, welches zu lösen wenig erfolgversprechend ist. Das Lexem politik ist noch vergleichsweise leicht in ein Schema zu fügen. In der Politikwissenschaft ist der Begriff in „der etablierten Einteilung polity, politics und policy“1 in seiner Dreiteilung etabliert.2 Parallel zu dieser systemischen Begriffsdimension ist aber auf das Verständnis von Politik hinzuweisen, das sich in der Reichweite des Politischen äußert. Dazu sei hier der Hinweis gegeben, dass der theoretische Raum des Politischen eine äußerst plurale Bandbreite mit fließenden Übergängen in seiner Theorie- und Ideengeschichte aufweist. Er reicht von der Konzentration auf eine enge, hegemoniale Ausrichtung wie zum Beispiel in Form des Machiavellismus bis zur Auflösung von Abgrenzungsvorstellungen zwischen Politischem und Unpolitischem – beispielsweise in Form des Theorems das Private ist politisch der zweiten Frauenbewegung in den 1970er-Jahren. Die Bandbreite dessen, was als Politisch betrachtet wird, berührt dabei stets Fragen von Repräsentation und Partizipation, deren Verhandlung für politische Systeme konstituierend sind. Die Möglichkeiten und Formen von Partizipation an politischen Prozessen und damit die Mitgestaltung von politischen Feldern und Ordnungen sind für deren Akteure zu klärende Fragen. Diese Andeutung davon, was das Politische ist, betrifft das Verständnis dessen, was als Politik bezeichnet wird und was Politik ist bzw. sein soll. Der Begriff Politik hängt dabei vom jeweiligen Verständnis eines Akteurs ab – sei er sozial, liberal, konservativ oder in anderer Form prägend besetzt. In Kombination mit einem zu definierenden Kulturbegriff ergeben sich für 1 | Jahn, Detlef: Einführung in die vergleichende Politikwissenschaft, Wiesbaden 2013, S. 38. 2 | Vgl. hierzu u. a. die Standardwerke von Hans-Joachim Lauth und Christian Wagner (Politikwissenschaft: Eine Einführung, Paderborn 2016) oder von Dirk Berg-Schlosser und Theo Stammen (Politikwissenschaft. Eine grundlegende Einführung, Baden-Baden 2013).

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Akteure politischer oder gesellschaftlicher Prozesse entsprechende Wahrnehmungen, Auffassungen und Deutungen von dem, was Kulturpolitik sein soll. Aus den Lexemen kultur und politik allein kann für den Begriff Kulturpolitik keine Definition gezogen werden. Neben dem Politikbegriff, der hier angedeutet wurde, geht es im Folgenden um den Kulturbegriff, der ungleich schwerer zu fassen ist. Dies werden auch die Ausführungen über die Wahrnehmungen und Handlungen der Akteure des Untersuchungsgegenstandes dieser Forschungsarbeit zeigen.

2.1 B egriffliche D imensionen von K ultur und P olitik Der Gedanke der Beliebigkeit drängt sich bei der Verwendung des Wortes Kultur unweigerlich auf. Die Reichweite des Wortes Kultur lässt sich zunächst einmal an dessen vielfältigem Vorkommen aufzeigen. Affixe zum Lexem kultur wie Leitkultur, Esskultur, Heimatkultur, Streitkultur, Friedhofskultur, Baukultur, Schreibkultur, Soziokultur, Hochkultur oder Unternehmenskultur sind ebenso nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gebrauchsspektrum wie Kulturnation, Kulturlandschaft, Kulturmarketing, Kulturgut, Kulturbetrieb, Kulturpolitik, Kulturraum, Kulturförderung, Kulturverein oder Kulturleben. Darüber hinaus erweitern linksattributive Konstruktionen mit kultur als Adjektiv das Begriffsspektrum: kulturelle Bildung, Zugänge, Distinktionen, Entwicklung, Partizipation, Norm, Dimension, Rahmenbedingungen, Ära, kulturelles Erbe oder kulturpolitische Leitlinien. Die Flut dieser endlos wirkenden Zahl an möglichen Konstruktionen nötigt zum Versuch der schematischen Eingrenzung. Eine Unternehmung, die wenig Erfolg verspricht, wenn dem Wunsch nach Ordnung eine so unübersehbare Pluralität an Ausprägungen gegenüber steht. Versuche werden getätigt, wie die drei folgende Beispiele von Bühl, Klein und Fuchs zeigen. Eine Kategorisierung des Kulturbegriffs bietet Walter Ludwig Bühl mit seiner Mehrebenen-Einteilung der Kultur an, mit der er sich für einen systemtheoretischen Kulturbegriff ausspricht. Die „irreführende Darstellung des Kulturauf baus Talcott Parsons, in der Kultur als ein im Prinzip monostabiles und fein säuberlich hierarchisch geordnetes System erscheint“3, hält Bühl nicht für angebracht. Es sei besser „von einem Mehrebenen-System zu sprechen“, das „nach dem Prinzip der Subsidiarität organisiert ist“.4 Anhand dieses Mehrebenen-Systems lässt sich ohne weiteres nahezu jeder mit dem Wortbestandteil kultur gebildeter Begriff einer der vier Ebenen Trivialkultur, Lebenskultur, Hochkultur oder Weltkultur zuordnen. 3  |  Bühl, Walter Ludwig: Kulturwandel. Für eine dynamische Kultursoziologie, Darmstadt 1987, S. 59f. 4 | Bühl 1987, S. 61.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

Tabelle 2.1: Bühls Mehrebenen-Einteilung der Kultur 5 Trivialkultur Ausdruck des Gebrauchs und Wertschätzung des zivilisatorischen Grundbedarfs im Alltag • wert- und emotionsfrei Kennzeichen

• international leicht transferierbar • ähnlich bei Gesellschaften mit gleichen technischen Standards

Lebenskultur Ausdruck der Lebensgestaltung (durch Landschaft, Religion und Sitte), aber auch funktional geprägte Gruppen (Bauerntum, Mittelstand, Akademiker) Kennzeichen

• betrifft die kulturell geprägten Lebensfunktionen

Hochkultur Ausdruck durch literarische, philosophische, bildnerische und musikalische Werke, die in der Regel bestimmte Kunststile oder kognitive Stile prägen und überzeitlichen Anspruch geltend machen • sog. Feierkultur Kennzeichen

• sog. Dekor des Alltäglichen • Konsum zur seelischen Erhebung trivialisierbar

Weltkultur Ausdruck durch massenmediale Popularkultur und Massenkommunikation Kennzeichen

• international vergleichbare Austauschbarkeit

Eine Mehrebenen-Einteilung zur systematischen Strukturierung, auch um den Begriff Kultur einer Operationalisierung zuzuführen, erscheint zunächst zweckmäßig. Hinsichtlich der vorherrschenden Belange von Kulturpolitik in Gestalt der Befassung mit bildender Kunst, Musik, Literatur, Theater, Film, etc. auch hinreichend praktikabel. Diese Belange zielen alle auf Bühls Ebene der Hochkultur ab, womit die Kategorisierung von Kultur als Policy bereits abgeschlossen wäre. Als Zielbereiche von Kulturpolitik lassen sich diese Beispiele vor allem anhand des Kriteriums Kulturförderung identifizieren. Was Kulturpolitik ist, kann damit zumindest annährend aufgezeigt werden. Für

5 | Eigene Darstellung nach Endreß, Alexander: Die Kulturpolitik des Bundes. Strukturelle und inhaltliche Neuorientierung zur Jahrtausendwende? Berlin 2005, S. 70.

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Kommunale Kulturpolitik

eine Definition greift dies jedoch zu kurz, da es sich auf den fiskalischen Aspekt der Förderung beschränkt. In Bezug auf die Mehrebenen-Einteilung von Bühl ist außerdem festzuhalten: Jeder Versuch der Strukturierung des Gegenstandes Kultur gerät mitunter in Gefahr, die Pluralität und Heterogenität von Kultur als Begriff durch den Wunsch nach strukturierender Einordnung zu unterschätzen. Denn Kultur kann nicht als allein existierendes Faktum gedacht werden, sondern wird erst durch die Ausdrucksformen des Menschen gebildet. Eine auf die Ebene Hochkultur abzielende Zuordnung von Kultur als Kulturpolitik scheint daher dessen Möglichkeiten zu stark einzuschränken. Die schematische Einteilung des Kulturbegriffs wirkt – im Gegensatz zur Dreiteilung des Politikbegriffs – als unzureichend. Daraus lässt sich die Einsicht ableiten, dass von einer schematischen Fassung des Kulturbegriffs abzusehen ist, auch um diesen nicht durch kategorisierende Abgrenzungen unflexibel werden zu lassen. Dies ändert allerdings nichts an dem Wunsch nach einer bestimmenden Formel oder eines Theorems, mit dem der Begriff Kultur gefasst werden könnte. Dies vor allem, um ihn zur Übereinkunft in politischen Prozessen als operationalisiertes Objekt von Policy verwenden zu können. Daher rückt ein umschreibender Ansatz in den Fokus, der jedoch weit gefasst werden muss, damit er konsensfähig sein kann. Mit der Konvention zur kulturellen Vielfalt scheint dies gelungen zu sein. Die UNESCO bekräftigt, „that cultural diversity forms a common heritage of humanity and should be cherished and preserved for the benefit of all“6. Die Eingebundenheit des Menschen in eine oder mehrere Gesellschaftsformen ist es demzufolge, die die damit in Zusammenhang stehenden Gegenstände von Kultur begründen. Zum Ausdruck einer Gesellschaftsform gehört auch die Beschaffenheit des Regierungssystems, in dem Kultur stattfindet. In dieser Definitionslogik geht es weniger darum, zu sagen, was Kultur ist, als darum, Kultur als Attribut menschlichen Ausdrucks zu begreifen. Damit wäre Kultur als Policy von weit umfassenderer Reichweite, als es aus der Logik messbarer Bestandteile von Kulturpolitik – wie zum Beispiel Kulturförderung – hervorgeht. Trifft der Kulturbegriff auf den eingangs angedeuteten Politikbegriff, so wird der Kulturbegriff auf eine Handlungsebene überführt, indem ihm Fragen zu seiner definitorischen Aushandlung gegenüber gestellt werden. Wer, wie, mit wem, wann über den Begriff Kultur spricht, betrifft alle Akteure, die an kulturbezogenen Prozessen teilnehmen; also jeden, wenn von Kultur in der Dimension und Weite des UNESCO-Verständnisses gesprochen wird. Der Politikbegriff im Sinne dessen, was politisch ist, fügt diesem weiten Kulturbegriff vor allem die Frage nach dem Wer hinzu und zielt damit auf die Akteu6 | General Conference of the UNESCO: Convention on the protection and promotion of the diversity of cultural expressions. Paris 2005, S. 2.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

re, deren Auswahl und deren mögliche Konstellationen ab. Der Politikbegriff zwingt aber nicht nur zur Frage, wer Kultur in seiner begrifflichen Dimension verhandelt, sondern wer sich wie mit dessen Ausdrucksformen befasst. Damit steht neben dem Politischen auch die Dreiteilung des Politikbegriffs im Fokus. Die Dimensionen von Kultur- und Politikbegriffen sind von Armin Klein in einem Schema zusammengefasst worden. Die Vier-Felder-Matrix zeigt die Extrema des gedanklichen Raums, in dem sich die Begriffsauffassungen unterschiedlicher Konzepte konkreter Kulturpolitik verorten lassen können. In der angehängten dritten Zeile der Tabelle 2.2 sind der Vier-Felder-Matrix von Klein vier Kombinationsmöglichkeiten hinzugefügt worden. Tabelle 2.2: Kultur- und Politikbegriff-Matrix nach Klein7 A Weiter Kulturbegriff: Kultur im Plural als Sitten, Gebräuche, Lebensweisen der Menschen

B Enger Kulturbegriff: Kultur als bildende und darstellende Kunst, Musik, Literatur, Film

X Weiter Politikbegriff: Politik umfasst sowohl staatliches als auch gesellschaftliches Handeln

Y Enger Politikbegriff: Politik ist ausschließlich staatliches Handeln

AX kooperative Kulturpolitik AY administrative Kulturpolitik

BX kooperative Kunstpolitik BY administrative Kunstpolitik

Anhand der Matrix kann zum Beispiel aus der Kombination des weiten Kulturbegriffs und des engen Politikbegriffs (AY) ein kulturpolitisches Konzept abgeleitet oder identifiziert werden, bei dem ausschließlich staatliches Handeln für die Umsetzung aller kulturellen Belange zuständig ist. Diese einseitige Regulierung von Kultur, die den engen Kulturbegriff mit einschließt, ist am ehesten in autokratischen Regierungssystemen vorzufinden. So hat beispielsweise die Herrschaft des kubanischen Diktators Fidel Castro eine charakteristische kubanische Kultur hervorgebracht. Auch die so genannte DDR-Kultur konn7 | Eigene, erweiterte Darstellung nach: Klein 2009, S. 65.

23

24

Kommunale Kulturpolitik

te nur unter dem Einfluss der zentral gesteuerten, sozialistisch begründeten SED-Diktatur entstehen. In vergleichbarer Form hat Max Fuchs aus den Dimensionen der Begriffe Politik und Kultur „ein systematisches Raster“ erstellt, „dem man jedes Verständnis von Politik mit jedem Kulturbegriff in Beziehung“ setzen könne, um zu überprüfen, „ob sich sinnvolle Fragestellungen daraus ergeben“.8 Tabelle 2.3: Kulturpolitik zwischen Politik und Kultur 9 Politik als (u. a.): • Klassenkampf

• polity

• Herrschaft

• politics

• goal attainment (Parsons)

• Politikstrategien diverser Akteure: – Bund (Staat, Markt, Zivilges.) – Länder (Staat, Markt, Zivilges.) – Kommunen (Staat, Markt, Zivilges.)

• authoritative allocation of values (Easton) • spezifische Kommunikationsmuster von Gesellschaft mit Ziel verbindlicher Entscheidungen (Luhmann) • Aushandlungsprozess (Habermas)

• EU • Weltorganisationen

• Gestaltung des Gemeinwesens

Jedes Konzept von Kultur kann sinnvoll mit jedem Verständnis von Politik kombiniert werden, sodass eine großes Zahl diskutabler Verständnisweisen von Kulturpolitik entsteht. Kultur als (u. a.): • materielle Kultur

• anthropologischer Kulturbegriff

• geistige Kultur: Religion, Sprache, etc.

• ethnologischer Kulturbegriff

• Wertespeicher

• soziologischer Kulturbegriff

• Gesamtheit sozialer Praktiken • symbolische Ordnung • Lebensweise • Kommunikation • Angabe des Maßes der Menschlichkeit

Mit diesen beiden Schemata, der Matrix von Klein und dem Raster von Fuchs, lassen sich zwar kulturpolitische Konzepte erfassen und für Kulturpolitik kategorisieren. Allerdings wird allein die nur zweiteilige Unterscheidung zwischen einem engen und einem weiten Kulturbegriff nach Klein den Aufgaben und Herausforderungen von Kulturpolitik nur unzureichend gerecht. Und auch 8 | Fuchs 2007, S. 28. 9 | Eigene Darstellung nach: Fuchs 2007, S. 29.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

mit dem Raster nach Fuchs wird nur versucht, Ansätze, Theorien, Akteure, Begrifflichkeiten zu ordnen, ohne auf die Nuancen näher einzugehen. Zudem steht Kulturpolitik vor der Herausforderung, sich Aufgaben von Transformationen zu stellen wie beispielsweise dem demografischen Wandel, der Migration oder der Digitalisierung. Diese haben nicht nur mittelbare Implikationen für die klassischen, hochkulturellen Kultursparten und deren Administration und Management, was dem engen Kulturbegriff entspricht. Auch der Kulturbegriff selbst ist und wird unter anderen von den drei Beispielaufgaben betroffen sein und deren Verständnis verändern. Konkret: Der demografische Wandel wird die kulturelle Infrastruktur, die Migration die gesellschaftlichen Ausdrucksformen, und die Digitalisierung juristische wie (im-)materielle Situationen erweitern oder verändern. Den daraus resultierenden Fragen und Aufgaben stellen sich mit der Policy Kultur betraute Akteure als Kulturverwalter, -manager, -politiker sowie Künstler und zumeist ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger durchaus und in unterschiedlicher Weise. Die dazu oben angedeutete Frage nach den Operationalisierungsmöglichkeiten von Kultur und den darauf bezogenen Gegenstandsbereichen von Kulturpolitik erfordert Erkenntnisse darüber, als was Kulturpolitik von ihren Akteuren verstanden wird. Diese Erkenntnisse sollen schematisch eingeordnet werden können, wofür die Vier-Felder-Matrix von Klein eine gute Basis bietet. Versteht man die Felder der Matrix als Achsen skalierbarer Ausprägungsmöglichkeiten von Kultur und Politik, so soll hier der Versuch unternommen werden, die Zwischenstufen erfassbar zu machen. Denn so wenig wie sich der eine Kulturbegriff definieren wird lassen können, so sehr bedarf es, sich der fließenden Übergänge im Verhältnis von Kultur und Politik bewusst zu werden. Dementsprechend ist aus dem Antrieb, die Erkenntnisse über die zur Anwendung kommenden Kulturpolitik-Verständnisse in einer funktionalen Abbildung darzustellen, die Weiterentwicklung der Vier-Felder-Matrix in Abbildung 2.1 entstanden. Die Motivation zur Weiterentwicklung der Matrix liegt auch darin, nicht nur die Wahrnehmung und das Verständnis eines Akteurs abzubilden, sondern diese von mehreren Akteuren in einem Schaubild zusammenfassen zu können. Aus den Schnittflächen ergeben sich Hinweise auf das Übereinstimmungspotential hinsichtlich des Verständnisses von Kulturpolitik.

25

Kommunale Kulturpolitik

Abbildung 2.1: Schnittmengentableau des Kultur- und Politikverständnisses kulturpolitischer Akteure 10 Enger Kulturbegriff

Weiter Kulturbegriff

A

erte A2 Weiter Politikbegriff

eher weit

K1 rte pe ExExp Experte A6

Exp weit

X

sehr eng

A4

A1

sehr weit

eng

eher eng

Experte A3

A5

rte

rte

eher eng

3 eK ert Exp Experte K2

pe

B eher weit

e Exp

Ex

weit

Exp ert e

sehr weit

Exp erte K4

26

eng

sehr eng

Y

Enger Politikbegriff

Die Verbindungsbalken von Kultur und Politik sind mit ihren Enden an den beiden Achsen des Kulturbegriffs und des Politikbegriffs gebunden. Diese Achsen spiegeln dabei den Grad des jeweiligen Verständnisses bzw. der Auffassung von Kultur und Politik eines Akteurs wider. In den sechs Abstufungen von sehr weit bis sehr eng werden die Balken entsprechend verankert. Durch die Überschneidungen werden so übereinstimmende Positionen der Akteure sichtbar, die hier als Beispiel mit den Positionen der befragten Experten illustriert sind. Im Beispiel der Abbildung 2.1 zeigen sich zwei Auffälligkeiten. Erstens: Bei der Mehrheit der befragten Experten kann ein eher weiter Politikbegriff erkannt werden, was aber keinen Einfluss auf deren Kulturbegriffe zu haben scheint, da diese breit gefächert voneinander abweichen. Zweitens: Der Kulturbegriff ist in fast allen Ausprägungen und gleich verteilt anzutreffen. Dabei kann kein parteipolitisches Muster erkannt werden – ein CDU-Vertreter (Experte A3) und ein Vertreterin der GALiN11 (A4) stimmen in ihrem engen Kulturbegriff überein, jedoch weichen sie im Politikbegriff-Verständnis deutlich voneinander ab. Ein weiterer CDU-Vertreter (A1) und ein Vertreter der Partei 10 | Eigene Darstellung in Anlehnung an die Kultur- und Politikbegriff-Matrix nach Klein (Vgl. Tab. 2.2). 11 | Grün Alternative Liste in Norderstedt, existierte in den Jahren 2002 bis 2014.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

DIE LINKE (A2) haben hingegen sowohl einen weiten Kulturbegriff als auch einen eher weiten Politikbegriff. Als eher weit oder eher eng finden sich die Haltungen der Kulturverwaltung (K1, K3 und K4), eines Kulturereins-Vertreters (K2) und eines SPD-Vertreters (A6) in der Abbildung wieder. Insgesamt zeigt die Abbildung auch auf, dass eine gemeinsame Auffassung von Politik für ein Kulturpolitik-Verständnis zur Übereinkunft möglich ist. Die Varianz reicht über maximal drei Stufen von eng bis eher weit. Der Kulturbegriff bleibt in dieser Akteurkonstellation jedoch offenbar unverhandelt. Dessen Verteilung umfaßt bis auf sehr eng alle Ausprägungen.

2.2 F ünf E benen von K ulturpolitik Kulturpolitik ist als Policy auf allen föderalen wie internationalen Ebenen vertreten. Deren Unterschiede liegen vor allem in der Zahl und Konstellation ihrer Akteure, sie einen aber zwei Merkmale. Zum einen ist der Stellenwert von Kulturpolitik in Relation zu anderen Politikfeldern gering ausgeprägt. Zum anderen ist Kulturpolitik sehr eng mit dem fiskalischen Aspekt der Förderung von Einrichtungen und der Zuwendung durch Dritte verknüpft. Die sich daraus ergebenden Verflechtungen sind in der Regel horizontal und seltener vertikal festzustellen. Dies gilt mit Abstufungen für alle Ebenen und wirkt sich indirekt auch auf deren Forschungsstand aus. Gerade für die kommunale Kulturpolitik gilt, dass ihre vermeintlich geringe Bedeutung zu einer weitgehenden Nichtbeachtung in der Forschung führt. Zur einleitenden Betrachtung von Kultur als Policy seien daher einige kurze Hinweise auf die höheren Ebenen gegeben.

2.2.1 Globale Ebene International ist Kulturpolitik auf zwei Ebenen festzustellen, die nicht trennscharf voneinander unterschieden werden können, jedoch institutionell divergieren. In den internationalen Beziehungen erfolgt kulturpolitisches Handeln im Wesentlichen durch die United Nations Educational Scientific and Cultural Organization (UNESCO), die als Unterorganisation der Vereinten Nationen vor allem ideelle Unterstützung leistet. Sichtbar ist dies durch die Welterbe-Liste, in die Kultur- und Naturdenkmäler aufgenommen werden, die dadurch eine Art Gütesiegel internationalen Ranges erhalten. Als supranationale Organisation stellt die UNESCO in diesem Zusammenhang jedoch keine Fördermittel bereit. Mit der Verabschiedung der „Convention on the protection and promo-

27

28

Kommunale Kulturpolitik

tion of the diversity of cultural expressions“12 hat die UNESCO-Generalkonferenz am 20. Oktober 2005 ein völkerrechtlich verbindliches Grundlagen-Übereinkommen geschaffen, welches „das Recht aller Staaten auf eigenständige Kulturpolitik“13 sichern will. Dadurch ist es der UNESCO möglich, Mitglieder aufzunehmen, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Diese Sonderregelung der Aufnahme von Mitgliedern sieht vor, dass die Generalkonferenz über die Mitgliedschaft mit Zweidrittelmehrheit entscheidet. Folglich ist die UNESCO ein unabhängig agierender intergouvernementaler, korporativer Akteur. Dieses Beispiel eines globalen kulturpolitischen Akteurs zeigt nur einen Bereich, in dem Kulturpolitik vorkommt, allerdings mit einer umfassend institutionalisierten Reichweite. Die Akteure sind dabei im Wesentlichen gouvernementalistisch, wenngleich es durchaus Kulturorganisation gibt, die auf dem Gebiet des Dritten Sektors aktiv sind. Dazu zählen International Non-Governemental Organizations (INGOs) wie etwa der International Council of Museums (ICOM) als ein internationaler Museumsdachverband oder die Association Internationale du Théâtre pour l’Enfance et la Jeunesse (ASSITEJ), die im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters aktiv sind. Sie nehmen Einfluss auf internationale Kulturinstitutionen und fungieren als Vertreter ihrer nationalen und regionalen Mitglieder. Neben den bis hier aufgezeigten kulturpolitischen Sektoren gibt es im Bereich der Kreativ- und Kulturwirtschaft Anknüpfungspunkte an den Wirtschaftssektor. Der Bedeutungszuwachs des Wirtschaftsfeldes der Kultur und der kreativen Industrien lässt sich auch daran erkennen, dass sich auch OECD (Wirtschaft, Entwicklung), Weltbank (Finanzen), WIPO (Geistiges Eigentum) und ILO (Arbeit) neben der UNESCO zunehmend damit befassen.

2.2.2 Europäische Ebene Auf der Europa-Ebene gibt es zwei institutionelle Akteure, die sich um europäische Kulturbelange bemühen: die Europäische Union (EU) und der Europarat. Die EU bemüht sich um kulturelle Zusammenarbeit in Europa, Partnerschaften mit Drittländern und Organisationen, um einen breiten Zugang zu Kultur, den Auf bau kultureller Infrastrukturen, den rechtlichen Rahmen, die sprachliche Vielfalt, den interkulturellen Dialog, Ausbildung und Beschäftigung im Kulturbereich und in der Kulturindustrie. So vielfältig wie sich die Europäische Gemeinschaft als pluralistische Gesellschaft von Europäern mit 12 | Vgl. General Conference of the UNESCO: Convention on the protection and promotion of the diversity of cultural expressions. Paris 2005. 13 | UNESCO: „Schutz und Förderung der kulturellen Vielfalt“, URL: http://www. unesco.de/kulturelle-vielfalt.html?&L=0.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

nationalen und regionalen Identitäten begreifen soll, wie es in Artikel 151 des Vertrags von Amsterdam heißt, so komplex sind auch die Aufgaben bei der EU verteilt. Die Europäische Kommission führt eine Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien sowie eine Generaldirektion Bildung und Kultur und betreibt zudem eine Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA). Das Europäische Parlament unterhält einen Ausschuss für Kultur und Bildung und der Rat der Europäischen Union einen Rat für Bildung, Jugend und Kultur. Europäische Kulturpolitik sei, so Gottfried Wagner, „vor allem lobbying“ durch den „wesentlichsten Player“, welcher „der private Sektor, die Wirtschaft, der Markt“ sei, welcher „mehr als vier Fünftel des realen ‚Kulturbruttoprodukts‘ (in Europa) bestimmen“ würde.14 Trotzdem bezeugen eine Vielzahl von Förderprogrammen und Netzwerken15 die vielfältigen Bemühungen um europäische Kulturpolitik. Was genau die europäische Identität aber ist, können die unterschiedlichen Förderprogramme wie Kultur 2000 oder CULTURE (20072013) der EU ebenso wenig beantworten wie der Artikel 151 des Amsterdamer Vertrags. Spätestens seit den negativen Referenden Frankreichs und in den Niederlanden über eine europäische Verfassung muss eine Antwort auf die Frage gefunden werden, „was Europa eigentlich ist, wo seine Grenzen liegen und wie die wahrgenommenen Auswirkungen der EU-Politiken auf das Leben der Europäer legitimiert werden können“16. Dabei sind die Themen auf der kulturpolitischen Agenda so vielfältig, wie man es sich bei einem weiten Kulturbegriff nur vorstellen kann. Denn die Agenda umfasst nicht nur „Anliegen aus dem unmittelbaren Gebiet von Kunst und Kultur, sondern erstreckt ihr Handlungsfeld auch auf das Feld des Sozialen, des Ökonomischen, der Technik und der Bildung“17. 1954 schuf der Europarat die Europäische Kulturkonvention. Ähnlich wie bei der EU sieht diese Zusammenarbeit neben den Aktivitäten im Bereich der Kulturkooperation auch die „gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen, europäische Kunstausstellungen oder den Kulturerbeschutz“18 vor. Seit seiner Einrichtung haben bis heute 50 Staaten diese Konvention unter14 | Wagner, Gottfried: Europäische Kulturpolitik – mein Gott, was soll das denn sein?, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2007, S. 64, [H.i.O.]. 15 | Vgl. Europäische Verbände und Netzwerke, in: Sievers, Norbert/Wagner, Bernd (Hrsg.): Europäische Kulturpolitik. Jahrbuch für Kulturpolitik 2007, Essen 2007, S. 371ff. 16 | Singer, Otto: Vielfalt als Programm – Einheit als Ziel. Paradoxien kultureller Identitätspolitik in Europa, in: Sievers/Wagner 2007, S. 42. 17 | Singer 2007, S. 47. 18 | Merkle, Kathrin/Palmer, Robert: Der Europarat und seine kulturpolitischen Aktivitäten, in: Sievers/Wagner 2007, S. 158.

29

30

Kommunale Kulturpolitik

zeichnet, darunter mit Weißrussland und Kasachstan zwei Nichtmitglieder des Europarates.19 Als „einzige gesamteuropäische Organisation“ ist es dem Europarat dabei gelungen, „rechtsverbindliche Abkommen im Kultur-, Bildungs- und Sportbereich“ zu schaffen.20 Diese reichen vom „Schutz des audiovisuellen Kulturerbes und der Gemeinschaftsproduktion von Kinofilmen bis zum Schutz des architektonischen und archäologischen Kulturguts“21.

2.2.3 Kulturpolitik in Deutschland Die Kulturpolitik-Geschichte Deutschlands weist drei Entwicklungsstufen begrifflicher Konzeptionen und deren Verständnisse vom Verhältnis von Kultur und Politik auf. Die Formen von Kulturpolitik erfuhren Prägungen, die bis in heutige Konzepte hineinreichen, derer sich kulturpolitische Akteure annehmen. Die Zielsetzung kulturpolitischer Interessen hatte in der unmittelbaren Zeit nach dem Ende des II. Weltkrieg und des auch kulturpolitischen Totalitarismus der Nationalsozialisten zweckdienlichen Charakter. Der Wiederauf bau zerstörter Kulturgüter, die Erhaltung von Bestehendem und die Pflege kultureller Werte wurden in den Mittelpunkt gerückt. Dies bedeutete konkret, die sichtbaren Elemente der Kultur des Landes in Form von Theater- und Opernhäusern, Konzert- und Musikhäusern, Museen etc. wiederaufzubauen. Auch die Wiedererrichtung des Bücherwesens und die Ausstattung von Bibliotheken wurde – mit den hohen Verlusten an Buchbeständen begründet – vorangetrieben. Dem Konzept der Kulturpflege war damit der Weg bereitet. Bereits an diesem Punkt war es jedoch nach Gründung der Bundesrepublik zu Beginn der 1950er-Jahre nicht etwa die erste gewählte Bundesregierung unter Konrad Adenauer, die Kulturkonzepte und Richtlinien gemäß ihrer Kompetenzen entwickelte. Vielmehr war schon zu diesem Zeitpunkt die kommunale Ebene treibende Kraft für die Kulturpflege, obwohl der Wiederauf bau kultureller Infrastrukturen im Sinne des Grundgesetzes als Aufgabe von gesamtstaatlichem Interesse hätte gesehen werden können. Der einflussreichste kulturpolitische Akteur in der Kommunalpolitik ist bis heute der in den Jahren 1946/47 gegründete Deutsche Städtetag. Dieser kommunale Dachverband formulierte 1952 seine Leitsätze zur kommunalen Kulturarbeit, den so genannten Stuttgarter Richtlinien:

19 | Vgl. Europäisches Kulturabkommen: Unterschriften und Ratifikationsstand des​ Vertrags 018, http://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/​ 018signatures?p_auth=QWPytCwk. 20 | Merkle/Palmer 2007, S. 157. 21 | Merkle/Palmer 2007, S. 158.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt „Die Pflege der Kultur ist für die Städte eine wichtige und dringliche Aufgabe sowohl um der kulturellen Werte willen, die es zu pflegen gilt, und der in dieser Pflege sich zeigenden geistigen Haltung, als auch wegen der Bedeutung, die dieser Pflege für das Gemeinschaftswesen zukommt.“22

Im Sinne des Deutschen Städtetages war die Kulturpolitik „vom Wiederauf bau und der Bewahrung traditioneller bürgerlicher Kulturinstitutionen“23 für das Gemeinschaftswesen von höchster Bedeutung. Der Auszug aus den Stuttgarter Richtlinien weist die Bewältigung und Umsetzung des Kulturpflege-Konzepts den Kommunen in Deutschland zu. Ab Mitte der 1960er-Jahre ist das Konzept der Kulturpflege von der Idee der Kulturarbeit abgelöst worden. Mit der Bildungsreform des Hamburger Abkommens zur Vereinheitlichung des Systems des allgemeinen Schulwesens und der sich wandelnden Bildungspolitik schlug sich auch inhaltlich im Konzept der Kulturarbeit nieder, was einen Wandel im Kulturpolitik-Verständnis zur Folge hatte. Zentrales Merkmal dieser Neuen Kulturpolitik war, dass sich Kulturpolitik besonders als Bildungspolitik begreifen sollte. Demnach wurde Bildung als Teilbereich der Kulturpolitik verstanden, mit der auch das Ziel verfolgt wurde, „einen erweiterten Kulturbegriff (anthropologische Prägung) zu etablieren und Kultur- und Gesellschaftspolitik miteinander zu verknüpfen“24. Zudem sollte nun schwerpunktmäßig die Soziokultur gefördert werden, wobei diese Neue Kulturpolitik auch weiterhin als „in erster Linie kommunale Kulturpolitik“25 zu verstehen war. Die Zielsetzung der Entfaltung und Entwicklung der sozialen, kommunikativen und ästhetischen kulturellen Bildung aller Bürger beinhaltete auch die Losung Kultur für alle und Kultur von allen, womit sich die kulturpolitischen Vertreter „gegen eine Trennung von bürgerlicher (Hoch-)Kultur […] und Alltagskultur und alternativer Kultur“26 wandten. In den kulturpolitischen Diskurs sollten aktuelle gesellschaftliche und politische Fragestellungen einfließen.27 22 | Deutscher Städtetag (Hrsg.): Städtische Kulturpolitik. Empfehlungen, Richtlinien und Hinweise des Deutschen Städtetages zur Praxis städtischer Kulturpolitik 1946 bis 1970, Stuttgart 1971, S. 104. 23 | Glogner, Patrick: Kulturelle Einstellungen leitender Mitarbeiter kommunaler Kulturverwaltungen. Empirisch-kultursoziologische Untersuchungen, Wiesbaden 2006, S. 18. 24 | Glogner 2006, S. 20. 25 | Heinrichs, Werner/Klein Armin: Kulturmanagement von A – Z. Wegweiser für Kulturund Medienberufe, München 1996, S. 164. 26 | Glogner 2006, S. 19. 27 | Vgl. Glogner 2006, S. 19.

31

32

Kommunale Kulturpolitik

Dem dritten zeitlichen Abschnitt in der bundesrepublikanischen Kulturpolitik liegt kein so gravierender programmatischer Umbruch zugrunde wie durch die Bildungsreformen und die Diskussion um die kulturpolitische Praxis der 1960er-Jahre. Die Neuorientierung ab Ende der 1980er-Jahre von der Neuen zur Aktivierenden Kulturpolitik ist verbunden mit dem Zerfall der Sowjetunion, dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung. Diese Zäsur hatte neben der politischen Bedeutung auch entscheidenden Einfluss auf die Kulturpolitik des wiedervereinigten Deutschlands. Die andauernden Anstrengungen in der Anpassung der Lebensverhältnisse in West- und Ostdeutschland berührte besonders in den 1990er-Jahren die Kulturpolitik. Da die neuen Bundesländer jedoch nicht in der Lage waren, die heruntergewirtschaftete kulturelle Infrastruktur aus eigenen Kräften wiederaufzubauen, musste der Bund – wie in allen Bereichen im Zusammenhang des Auf bau Ost – auch hier mit finanziellen Mitteln unterstützen. Durch die Wiedervereinigung erfolgte damit eine Stärkung der Bundeskulturpolitik, mit der die Herausforderungen der Wiedervereinigung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe bewältigt werden sollten. Dies sollte durch eine Einbindung bürgerschaftlichen Engagements erreicht werden, die zum festen Bestandteil der Aktivierenden Kulturpolitik wurde. Die steigenden finanziellen und administrativen Anforderungen an die öffentlichen Haushalte führten zu der Erkenntnis, dass stetig weniger finanzielle Mittel und personelle Ressourcen für die Kulturförderung bereitgestellt werden konnten. Der Aktivierende Staat entdeckte renaissanceartig die Begrenzung seiner Tätigkeit auf öffentliche Verwaltung wieder und begann, sich von der direkten Trägerschaft von Kultureinrichtung zu trennen. Ein Mittel war dabei die Überführung landeseigener Kultureinrichtungen in Stiftungen des öffentlichen oder bürgerlichen Rechts. Dies führte zwar nicht zu einer vollständigen Streichung der finanziellen Zuwendungen an die Kulturbetriebe, jedoch konnten die Einrichtungen auf diese Weise Drittmittel für ihre Finanzierung einwerben. Kulturpolitik ist in Deutschland neben der Bildungspolitik auch nach den Föderalismusreformen von 2006 und 2009 weiterhin eine der wenigen Aufgaben, die hauptsächlich in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt. Dies führt unter Rückgriff auf einzelne Grundgesetzartikel und Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Postulat von der sogenannten Kulturhoheit der Länder.28 Dabei ist die Zuordnung von Kulturpolitik vielschichtiger, da sich die Zuständigkeiten für Kultur am jeweiligen Gegenstand und den länderspezifischen Aufgabenverteilungen bemessen. Zum Ausdruck kommt die föderale Kulturpolitik auch im rechtlichen Sinne, da kulturbezogene Aufgaben rechtlichen Rahmenbedingungen unterworfen sind wie etwa der Besteuerung von Produkten (Bücher, Kunstwerke, Filme, etc.) oder dem Urheberrecht – beide 28 | Vgl. von Beyme 2012, S. 131.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

Beispiele sind bundestaatliche Angelegenheiten. Für Aufgaben der Kulturförderung, die lokal, regional oder bundesländlich verortet sind, liegt die Zuständigkeit beim jeweiligen Bundesland, welches dazu entsprechende Gesetze erlassen kann. Die Ableitung hierfür ergibt sich aus den Grundgesetzartikeln 30 und 70, nach denen die Kulturhoheit grundsätzlich den Ländern zusteht, wobei Christopher Wolf dazu feststellt, dass das Bundesverfassungsgericht „einen engen Kulturbegriff“29 anwende. Die Formulierung von der Kulturhoheit der Länder ist in dieser Sichtweise nachvollziehbar, wird aber auch durch den Grundgesetzartikel 28 beeinflusst. Denn von den Kommunen sind „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“30. Da das Grundgesetz keine Zuständigkeiten für Kultur vorgibt, sind die Länder befugt, eigene Gesetze zu erlassen, wie beispielsweise das seit 1994 geltende „Sächsische Kulturraumgesetz“31 oder das 2014 in Kraft getretene „Kulturfördergesetz NRW“32 . Weitere kulturbezogene Gesetze beziehen sich in der Regel auf bestimmte Sparten oder Aufgabenfelder wie den Bereich der Musikschulen. Diese diversen Zuständigkeiten in Bezug auf die Policy Kultur führen zu der Frage nach den Akteuren, die im Rahmen dieser Gesetze und Ordnungen die kulturellen Angelegenheiten von Gemeinschaften regeln sollen. Denn „eine Vielzahl von Kulturträgern wie Staat, Kommunen, Rundfunkanstalten, Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden, Parteien etc. bringt sich mit je eigener Gestaltungsmacht und Verantwortlichkeit in die Gemeinschaftsaufgabe ‚Kultur‘ ein“33, womit Oliver Scheytt den Begriff des „kulturellen Trägerpluralismus“34 von Peter Häberle aufgreift. Scheytts Aufzählung macht deutlich, dass es die einzelnen Akteure sind, die als Zuständige kulturbezogener Aufgaben vor allem auf kommunaler Ebene als Gestalter des kulturellen Lebens in Erscheinung treten. Sichtbar wird dies in Fragen der Kulturfinanzierung und ihrer Aufteilung in Form der öffentlichen Kulturausgaben zwischen einem Bundesland und seinen Kommunen.

29 | Wolf, Christopher: Der Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Mainz 2009, S. 93. 30 | Grundgesetz, Artikel 28, Satz 2. 31 | Vgl. SächsKGR, http://www.smwk.sachsen.de/1306.html. 32 | Vgl. Kulturfördergesetz NRW, https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_ id=10000000000000000530#det325445. 33 | Scheytt, Oliver: Kulturstaat Deutschland. Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik, Bielefeld 2008, S. 116 [H.i.O]. 34 | Häberle, Peter: Das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (28), Bonn 1985, S. 26f.

33

43,5

49,2

43,9

44,3

28,1

Mecklenburg-Vorp.

9

10 Schleswig-Holstein

11 Thüringen

12 Sachsen

13 Saarland

59,3

53,2

59,0

30,6

50,6

56,1

53,7

58,4

39,1

43,3

44,2

48,7

53,7

52,4

52,9

49,8

55,0

53,5

57,5

62,4

79,1

2007

58,7

43,7

44,3

46,9

53,0

58,6

38,2

45,2

51,3

50,9

51,4

51,1

52,8 51,4

52,2

54,5

51,2

55,9

59,9

64,1

76,7

2009

53,5

51,0

55,5

55,0

60,1

62,3

76,8

2008

58,3

32,2

43,9

47,5

51,0

48,1

52,6

53,9

51,8

51,6

54,7

56,7

66,0

77,0

2010

58,9

35,5

46,6

48,5

50,4

48,2

53,5

56,4

52,0

53,6

56,0

55,7

65,0

76,3

2011

60,5

34,4

47,8

47,0

51,0

57,4

55,6

54,6

58,2

56,0

57,8

57,4

66,9

78,4

 vorl. 2012

59,9

38,6

51,8

44,9

47,6

55,5

54,4

54,7

58,6

56,3

57,3

59,1

64,6

76,3

vorl. 2013

35,6

45,6

46,4

50,3

52,6

53,2

53,7

54,1

54,2

55,7

57,8

63,7

78,1

Mittelwert

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43,3

43,5

48,7

48,1

51,1

52,2

49,8

51,2

53,5

55,7

60,6

76,3

43,7

47,8

51,3

53,0

57,4

55,6

56,4

58,2

56,0

57,8

60,1

66,9

81,7

Max.

15,6

4,5

7,8

4,4

9,3

4,5

4,2

8,4

4,7

4,3

4,4

6,3

5,4

Diff.

Schwankungsbreite Min.

Anm.: 1 Gegenüber der alphabetischen Sortierung im Kulturfinanzbericht 2014 ist die Rangfolge nach dem höchsten Kommunalisierungsgrad gewählt worden. 2 Werte ergeben sich aus der Summe der Kulturausgaben der kommunalen Ebene aller Flächenländer (inkl. Gemeindeverbände) dividiert durch die Summe der Kulturausgaben aller Flächenländer (Landes- und Kommunalebene x 100).

Flächenländer insgesamt2

43,5

52,2

Bayern

54,6 52,3

8

56,9

52,9

Sachsen-Anhalt

54,1

Niedersachsen

54,6

55,6

56,8

61,3

80,3

2006

6

Rheinland-Pfalz

5

55,5

57,1

60,6

81,7

2005

7

Baden-Württembg.

Brandenburg

3

Hessen

2

4

Nordrhein-Westf.

Flächenland

1

Pl.

Kommunalisierungsgrad der öffentlichen Kulturausgaben der Flächenländer 2005 bis 2013 in %1

34 Kommunale Kulturpolitik

Tabelle 2.4: Kommunalisierungsgrade der öffentlichen Kulturausgaben35

35 | Eigene Darstellung mit Hervorhebungen nach Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder des Kulturfinanzberichts 2016, S. 37.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

Die Rangfolge in Tabelle 2.4 verdeutlicht das länderspezifisch stark abweichende Verhältnis im Kommunalisierungsgrad der Kulturausgaben. Für Schleswig-Holstein gilt dabei eine nahezu ausgeglichene Ausgabenlast zwischen dem Land und den Kommunen. Entsprechend der geringen Schwankungsbreiten (mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und dem Saarland) zeigen sich kaum Veränderungen im Verhältnis der Kulturausgaben zwischen Land und Kommune im Verlauf der Jahre. Als Indikator für die Zuständigkeiten in der Policy Kultur verdeutlicht der Kommunalisierungsgrad, dass bei der sogenannten Kulturhoheit der Länder, deren Kommunen ein teilweise sehr hohes Gewicht zukommt. Dem Indiz folgend, liegt der Kommunalisierungsgrad von Kulturadministration aller Flächenländer mit Ausnahme des Saarlandes über oder zumindest sehr nah um die 50%. Je größer der Anteil der kommunalen Aufgaben gegenüber den Ländern damit ausfällt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass in den Kommunen entsprechend viele kulturpolitische Akteure vorzufinden sind, die sich um die Belange der Policy Kultur bemühen. Die Verflechtungen der Policy Kultur – zum einen vertikal (föderale Dimension) und zum anderen horizontal (Policy- und Akteur-Dimension) – stellt die Abbildung zum kooperativen Kulturföderalismus dar (Abb. 2.2). Die in der Abbildung links unten verorteten Kommunen sind tragender Teil im Verbund mit Kooperationsgremien und ihren Bundesländern. Sie betreiben eigene Kultureinrichtungen und weisen viele Vernetzungen mit Akteuren aus den Bereichen der rechten Spalte auf.

35

36

Kommunale Kulturpolitik

Abbildung 2.2: Kooperativer Kulturföderalismus in Deutschland36

Heutige Kulturpolitik befindet sich auf der stetigen Suche danach, ihre Ausrichtung und Zielsetzung zu finden. Dabei stehen sowohl die Kulturadministrationen von Bund, Ländern und Kommunen als auch Kultureinrichtungen und die Interessenverbände unter der Last, mit den fiskalischen Rahmenbedingungen zurechtkommen zu müssen. Die Vielzahl an Bemühungen, sich an einer strategischen Kulturpolitik zu versuchen, die vor allem in strategischem Kulturmanagement bzw. zumeist in taktischer Kulturadministration besteht, zeugt von der Drucksituation, sich selbst neu erfinden zu wollen. Die Bemühungen dazu bringen Prozesse von Kulturentwicklungsplanungen und ähnlich benannte projektartige Verfahren hervor, an deren Ende unterschiedliche Formen von zu implementierenden Programmen oder zumindest Leitlinien stehen. Mit diesen sollen kulturbezogene Vorstellungen zusammengefasst und Aufgaben geregelt werden. Neben den kulturpolitischen und kulturadmi-

36 | Abbildung in: Wiesand, Andreas: Kulturpolitik, in: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 7., vollständig aktualisierte Auflage, Wiesebaden 2013, S. 337.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

nistrativen Politics bestimmen Planungsbestrebungen die kulturpolitischen Agenden auf Länder- und Kommunalebene.37

2.3 K urzportr ait des F allbeispiels N orderstedt Kunst und Kultur zu fördern, ist Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Dies sieht die Landesverfassung des Landes Schleswig-Holstein in der Fassung vom 2. Dezember 2014 in Artikel 13 „Schutz und Förderung der Kultur“ vor. Norderstedt zählt in Schleswig-Holstein mit 79.400 Einwohnern38, im Gegensatz zu den kreisfreien Städten Flensburg und Neumünster mit ähnlich hohen Einwohnerzahlen, noch zu den nicht kreisfreien Gemeinden des Landes. Derzeit ist Norderstedt als einzige Gemeinde kommunalrechtlich als große kreisangehörige Stadt eingeordnet, wodurch ihr vom Kreis Segeberg öffentlich-rechtliche Aufgaben übertragen werden können.39

2.3.1 Infrastruktur und Wirtschaft Norderstedt ist eine sogenannte Speckgürtelgemeinde und liegt am nördlichen Rand des Stadtstaates Hamburg, wodurch sie Teil dessen Metropolregion ist. Daraus ergeben sich infrastrukturelle Vorteile unter anderem durch die Einbindung in den ÖPNV Hamburgs mit einem ZOB, von dem auch eine Untergrund- (U1 zum Hamburger Hauptbahnhof) und eine Nahverkehrsbahn (A2 nach Norden Richtung Henstedt-Ulzburg) ausgehen, zwei Anschlüssen an die Bundesautobahn 7 und die Erreichbarkeit des Hamburg Airport innerhalb von 20 Minuten von jedem der fünf Gewerbegebiete. Dadurch ist Norderstedt als Unternehmensstandort in der Region attraktiv und beheimatet große Firmen wie Casio Europe, Ethicon, Jungheinrich und Tesa. Damit kommt Norderstedt eine herausgehobene wirtschaftsgeographische Stellung zu, die konkrete Auswirkungen auf die finanziellen Möglichkeiten durch Grund- und Gewerbe-

37 | Morr, Markus: Die Kulturentwicklungsplanung. Ein kulturpolitisches Instrument, in: Morr, Markus: Kultur & Politik. Aspekte kulturwissenschaftlicher und kulturpolitischer Spannungsfelder, Marburg 2011, S. 157ff. 38 | Einwohnerzahl zum 31.12.2016 laut Internetauftritt der Stadt Norderstedt (https://www.norderstedt.de/Verwaltung-Politik/Verwaltung/Bürgerservice-von-A-Z/ Zahlen-Daten-Fakten) und damit viertgrößte Stadt Schleswig-Holsteins. Das StatistikAmt Nord gibt auf Basis des Zensus 2011 die Zahl von 76.000 Einwohner an, wonach Norderstedt hinter Neumünster nur fünftgrößte Stadt wäre. (Vgl. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein: Statistischer Bericht A I 1 - vj 1/15 SH, S. 6.). 39 | Vgl. § 135a Gemeindeordnung Schleswig-Holstein.

37

38

Kommunale Kulturpolitik

steuereinnahmen haben. Andererseits leistet Norderstedt als einzige Gebergemeinde eine Kreisumlage an die anderen Gemeinden des Kreises Segeberg. Abbildung 2.3: Geographische Lage Norderstedts 40

2.3.2 Kultur Unter diesen Rahmenbedingungen kommt die Stadt Norderstedt auch ihrer Aufgabe der Kulturpflege und -förderung nach. Die Kulturausgaben der Stadt Norderstedt betrugen im Jahr 2012 rund 2,36 Mio. Euro, bei Aufwendungen von 8,15 Mio. und Erträgen von 5,78 Mio. Euro. Im Verhältnis zum Gesamtvolumen von 167 Mio. Euro sind dies 1,4% des Haushalts. Aus diesen Mitteln werden mehrheitlich die Musikschule Norderstedt und die Arbeit des Kulturbüros finanziert, die zusammen mit dem Stadtmuseum und dem Stadtarchiv zum Kulturamt gehören, sowie die Bildungswerke Norderstedt als Träger der Volkshochschule, der Stadtbücherei und der Stadtbildstelle. Das Kulturbüro hat neben der Organisation der vier Städtepartnerschaften mit Oadby & Wigston (GB), Zwijndrecht (NL), Maromme (FR) und Kothla-Järve 40 | Abbildung: Wikimedia Commons, gemeinfrei, editiert.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

(EE) als Kernaufgabe die Betreuung der anerkannten Kulturträger der Stadt Norderstedt.41 Als anerkannte Kulturträger gelten Vereine aus den Bereichen Darstellende und Bildende Kunst, Musik, Literatur, Medien und Länderkultur, die auf Antrag durch den Kulturausschuss der Stadt Norderstedt aufgrund bestimmter Bedingungen und bei regelmäßiger Rechenschaft gemäß der Kulturförderrichtlinie42 von der Gemeinde finanziell unterstützt werden können. Im Jahr 2013 waren 34 Vereine als Kulturträger anerkannt, die wesentlich zum kulturellen und gesellschaftlichen Leben in Norderstedt beitragen.43 Dabei unterstützt das Kulturbüro die Kulturträger durch Bereitstellung von begrenzt kostenlosen Räumlichkeiten für Proben und Veranstaltungen, beim Veranstaltungsmarketing und durch Zuschüsse aus dem Kulturhaushalt der Stadt. Als gesellschaftspolitischer Effekt wird ein lebendiges und vielfältiges kulturelles Stadtbild verfolgt, wobei den Kulturschaffenden des Amateurbereichs eine zentrale Rolle zukommt. Die dazu genutzten Räumlichkeiten befinden sich vor allem in den 24 Schulen öffentlicher Trägerschaft und im Rathaus. In den Schulgebäuden werden die Aulen sowohl zu schulischen Zwecken als auch durch die Kulturträger genutzt. Darüber hinaus stehen für kulturelle und privatwirtschaftliche Veranstaltungen die Veranstaltungshäuser Kulturwerk am See mit einer Kapazität von bis zu 600 und die TriBühne Norderstedt mit einer Kapazität von bis 1200 Besuchern zur Verfügung. Im Kulturwerk am See haben die anerkannten Kulturträger ein Vorbuchungsrecht zur Belegung des Veranstaltungssaals, welcher aufgrund der Kulturförderrichtlinie in begrenztem Umfang kostenfrei genutzt werden kann.44 Die Musikschule Norderstedt bietet dezentral an verschiedenen Standorten in der Stadt Einzel- und Gruppenunterricht für zahlreiche Musikinstrumente und Ensembles an. Dazu werden 45 Lehrkräfte45 beschäftigt, von denen sieben eine Vollzeitstelle innehaben.46 Über den Bereich der öffentlich finanzierten Kultur hinaus, finden sich in Norderstedt unter anderem ein Kino mit drei Sälen, mehrere Kirchengemeinden mit eigenen kulturellen Aktivitäten, das Feuerwehrmuseum Schleswig-Holstein und eine Vielzahl an Sportvereinen.

41 | Vgl. Kapitel 4.4.2 über die Kulturträger als kollektiver Akteur. 42 | Siehe: Kulturförderrichtlinien der Stadt Norderstedt von 2012 im Anhang. 43 | Die Zahl der anerkannten Vereine schwankt geringfügig, liegt aber stets über 30. Die Fluktuation liegt in Neugründungen und Auflösungen von Vereinen begründet. 44 | Auf das Kulturwerk am See als Kulturbetriebsprojekt wird in Kapitel 4.7. näher eingegangen. 45 | Vgl. Stellenplan der Stadt Norderstedt: https://www.norderstedt.de/media/cus​ tom/1087_6432_1.PDF?1455724627. 46 | Vgl. zur Musikschule Norderstedt das Kapitel 4.6.

39

40

Kommunale Kulturpolitik

2.3.3 Politik und Ver waltung Als Mittelstadt47 existiert Norderstedt erst seit dem 1. Januar 1970 (55.000 Einwohner), als es aus den vier Ursprungsgemeinden Friedrichsgabe, Garstedt, Glashütte und Harksheide gegründet wurde. Durch das Zusammenwachsen entstand der fünfte Stadtteil Norderstedt-Mitte, ein zentral gelegener Stadtkern entwickelte sich jedoch nicht. Verwaltet wird Norderstedt durch drei Dezernate, die zusammen vom Oberbürgermeister geleitet werden – nach drei SPD-Bürgermeistern wird der aktuelle Amtsinhaber seit 1998 von der CDU gestellt. Die gewählte Vertretung der Gemeinde heißt Stadtvertretung und verfügt über 39 Sitze gemäß Gemeinde- und Kreiswahlgesetz, wobei 20 Direkt- und 19 Listenmandate vorgesehen sind.48 Für den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Forschungsarbeit sind die Sitzverteilungen in der Stadtvertretung der Wahlperiode IX (2003-2008) und X (2008-2013) wichtig. Dabei gab es in beiden Wahlperioden mehr als 39 Sitze durch Ausgleichs- und Überhangmandate (Wahlperiode IX: +10, Wahlperiode X: +7) und mehrfache Fraktionswechsel, die zum Teil zur Veränderung der Mehrheitsverhältnisse führten. Die Stadtvertretung bildet gemäß ihrer Hauptsatzung zehn Ausschüsse49, von denen sich einer mit den Belangen von Kunst und Kultur zu befassen hat.50 Abbildung 2.4: Sitzverteilungen in der Stadtvertretung,Wahlperiode IX, 2003-200851 Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode IX bis 9.02.2007

CDU 27

SPD 16

Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode IX ab 10.02.2007

GALIN 4

FDP 2

CDU 25

SPD 16

GALIN 4

FDP 4

Aus der Sitzverteilung zur Stadtvertretung nach der Kommunalwahl 2003 ergab sich in der Wahlperiode IX eine Sitzverteilung mit absoluter Mehrheit im Kulturausschuss von sechs Mitglieder der CDU, vier von der SPD und einem 47 | Mittelstadt-Definition (20.000 bis 100.000 Einwohner) nach: Gabler Wirtschafts­ lexikon, Stichwort: Stadt, http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/9180/stadt-v11. html. 48 | Vgl. §8 Gemeinde- und Kreiswahlgesetz (GKWG) in Schleswig-Holstein. 49 | Vgl. §7 Ständige Ausschüsse, Hauptsatzung der Stadt Norderstedt. 50 | Vgl. Zuständigkeitsordnung, Anlage zu § 11 Abs. 1 der Hauptsatzung. 51 | Eigene Darstellungen.

Kultur – Kulturpolitik – Norderstedt

von der GALiN. Durch den Fraktionswechsel von zwei CDU-Vertretern zur FDP verlor die CDU einen Sitz im Ausschuss für Kultur- und Städtepartnerschaften an die FDP, die zuvor nur mit einem beratenden statt stimmberechtigten Mitglied teilnehmen konnte. Abbildung 2.5: Sitzverteilungen in der Stadtvertretung,Wahlperiode X, 2008-2013 52 Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 11.05.2009

FDP 5

FDP 5

SPD 15

CDU 19

GALIN 6 LINKE 4

Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 25.10.2010

FDP 4 CDU 20

Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 07.09.2009

CDU 20

GALIN 6 LINKE 4

Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 31.05.2013

FDP 4

SPD 15

GALIN 6 LINKE 4

SPD 14

CDU 21

SPD 14 GALIN 6 LINKE 4

In der Wahlperiode X wechselte die Zusammensetzung der Stadtvertretung nach dessen Konstituierung dreimal, was zu veränderten Mehrheiten führte, die auch auf kulturpolitische Projekte Einfluss hatte. Die Entwicklungen im Projektprozess zum Ausbau der ehemaligen Kalksandsteinfabrik der Firma Potenberg zum Kulturwerk am See wurden von den Partei- bzw. Fraktionswechseln beeinflusst. So geben mehrere Experten im Verlauf der Interviews an, dass die wechselnden Mehrheiten in den Ausschüssen und der Stadtvertretung die Ausgestaltung des Projektes besonders in Bezug auf die Musikschule veränderte. Hierbei spielten vor allem Fragen der Finanzierung eine Rolle.53 52 | Eigene Darstellungen. Die weißen Striche in den Sitzverteilungsdiagrammen markieren die Grenze zur absoluten Mehrheit. 53 | Vgl. hierzu die näheren Ausführungen in Kapitel 4.6 und 4.7.

41

3 Theorie- und Methodenkonzeption zur Mikro-Policy-Analyse kommunaler Kulturpolitik Politikwissenschaftliche Forschung ist heute keine reine Staatstätigkeitsforschung mehr. Erklärungsversuche, die von einem dichotomen Verständnis der Zweiteilung von Staat und Gesellschaft ausgehen, greifen zu kurz. Denn klassische Fragestellungen, die sich „an der Ermittlung der richtigen, gerechten oder guten politischen Ordnung“ orientieren und von der „Idee eines wohlgeordneten politischen Gemeinwesens ausgehen“, können „das konkrete politische Verhalten als Gegenstand der Analyse“ nicht erklären.1 Es ist daher erforderlich, die Makroebene für eine politikwissenschaftliche Analyse zugunsten der kleinteiligeren Ebenen der Meso- bis hin zur Mikroebene zu verlassen. Dieser Weg bedeutet nicht, die Makroebene außer Acht zu lassen, sondern vielmehr einen Perspektivwechsel von einer top-down- zu einer bottom-up-Sicht, der eine Fokussierung auf verschiedene Akteure ermöglicht. Dabei wird die Frage nach und die Erreichung von guter, gerechter Politik nicht aufgegeben. Dies kann gelingen, wenn als Grundannahme positiv unterstellt wird, dass der politisch handelnde Akteur mit wohlmeinendem Vorsatz in einem oder mehreren Politikfeldern und in verschiedenen Policies zu agieren bestrebt ist. Ob dies wirklich der Fall ist, kann ohne eine gewisse Akteurzentrierung nicht gelingen. Es ist also stets nach den Motiven von Policies zu fragen. Dahinter steckt die leitende Idee, dass die ausschließliche Analyse von dokumentierten Policy-Ergebnissen ihre Entstehung nicht hinreichend zu erklären vermag, sondern im Kontext von Wissen und Erfahrungen der Policy-Akteure betrachtet werden muss.

1 | Schneider, Volker/Janning, Frank: Politikfeldanalyse. Akteure, Diskurse und Netzwerke in der öffentlichen Politik, Wiesbaden 2006, S. 17.

44

Kommunale Kulturpolitik

3.1 Z ur G enese mikropolitologischer P olicy -F orschung Die Erforschung kommunaler Kulturpolitik wird in der Policy-Forschung und damit auch in der Politikwissenschaft bisher nicht als nennenswerter Gegenstandsbereich behandelt. Für die Policy-Forschung haben Achim Lang und Philip Leifeld gezeigt, wie die „relativen Häufigkeiten der quantitativen und der qualitativen Politiknetzwerkanalysen nach untersuchten Politiksektoren“ verteilt sind. Unter diesen 24 verschiedenen Sektoren finden sich die Sektoren mit Kulturbezug (Medien, Kultur, Tourismus und Religion) auf den letzten Plätzen – dahinter steht an letzter Stelle nur noch der Bereich der Menschenrechte.2 Diese Forschungslage gilt noch mehr hinsichtlich der Mikrostrukturen und -prozesse auf kommunaler Ebene, die ein bisher unbeachteter Bereich auch der Kulturpolitik sind. Es fehlt an Erkenntnissen über die Strukturen von Kulturpolitik auf kommunaler Ebene und wie die Akteure die Institutionen und Organe (Polity) in kulturpolitischen Prozessen (Politics) ausgestalten. Den normativ verfassten (staatlichen) Institutionen und den Akteuren als Handelnde und Gestalter sollte jedoch Beachtung geschenkt werden. Nicht zuletzt, um die Entwicklungen im Politics-Wandel von Government zu Governance – sofern sie für die kommunale Ebene feststellbar sind, in der Policy-Forschung nicht unbeachtet zu lassen.3 Die vorliegende Forschungsarbeit soll jedoch nicht einfach den Wandel im Sinne from government to governance deskriptiv nachzeichnen. Vielmehr geht es darum, das Policy-Making kommunaler Kulturpolitik zu diesem politikwissenschaftlichen Theorem zu untersuchen. Die Fragestellung für diese Forschung zielt darauf ab, Muster oder Schemata kulturpolitischer Arbeit verschiedener Akteure zu erkennen und abzubilden. Sie sollen Aufschluss über die kulturpolitischen Politics geben und wie mit oder durch diese die Policy Kultur gestaltet wird. Nur über diesen Weg mag die Frage nach dem Institutionalisierungsgrad eines Policy-Netzwerks Kultur gelingen, der natürlicherweise aus – mitunter wechselnden – Akteuren, Strukturen und deren Prozessen besteht. Es sind also vor allem die Akteure, die im Fokus dieser empirisch-analytischen Arbeit stehen. Dies betrifft zum einen die durch die Polity vorgesehenen (staatlichen) Akteure. Zu ihnen gehören Verwaltungsmitarbeiter, Dezernen2 | Vgl. Lang, Achim/Leifeld, Philip: Die Netzwerkanalyse in der Policy-Forschung: Eine theoretische und methodische Bestandsaufnahme, in: Janning, Frank/Toens, Katrin: Die Zukunft der Policy-Forschung. Theorien, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2008, S. 223f. 3 | Vgl. zum Government-Change beispielsweise Bröchler, Stephan/Lauth, Hans-Joachim: Von Government zu Governance. Informales Regieren im Vergleich, Comparative Governance and Politics, Special Issue 4/2014, Wiesbaden 2015.

Theorie- und Methodenkonzeption zur Mikro-Policy-Analyse komm. Kulturpolitik

ten, Oberbürgermeister und gewählte Bürgervertreter, soweit sie die kommunalrechtliche Ordnung vorsieht – mithin gouvernementale Akteure. In Policy-Netzwerken sind zum anderen aber auch nicht-gouvernementale Akteure eingebunden, die vermeintlich extern, selbstorganisierend bzw. privatrechtlich bezeichnete Gestalter von Politik sind. Dadurch gehören sie, und in verschiedener zeitlicher Zugehörigkeit, zu Policy-Netzwerken. Die Akteure treten zudem im Verlauf des Policy-Cycle und auf Policy-Ebenen oft in mehrfacher oder einander zeitlich überlappender Funktion, Teilhabe und Mitgliedschaft auf. Die angedeutete Komplexität der Politikfeldanalyse bot in den vergangenen Jahrzehnten vielfältige Diskussionen bis zum Streit in der deutschen Politikwissenschaft. Die Kontroversen und Schwierigkeiten bei der Entwicklung und Etablierung von Policy-Analysen haben unter anderen Winand Gellner und Eva-Maria Hammer4 sowie Volker Schneider und Frank Janning geführt. Letztere bezogen dabei akteurzentrierte Ansätze wesentlich in ihren Überblick mit ein.5 Bereits zuvor erschien ein Lehrbuch von Klaus Schubert und Nils Bandelow6 zur Politikfeldanalyse, das als Standardwerk gilt. Zu Theorie- und Methodenentwicklungen, besonders aber zu Anwendungsaspekten und Forschungsperspektiven, trugen Frank Janning und Katrin Toens wichtige Aspekte zusammen.7 Hervorzuheben ist der Diskussionsband „Policy-Forschung. Kritik und Neuorientierung“8, der für die Entwicklung der Politikfeldforschung als zentrale Bestandsaufnahme in der politikwissenschaftlichen Diskussion angesehen werden kann. In diesem Sonderheft der Politischen Vierteljahresschrift, herausgegeben von Adrienne Héritier, sind auch Beiträge der Autoren vorhanden, deren weitergeführte Ansätze, Methoden und Instrumente bei der vorliegenden Untersuchung relevant sind, so etwa von Renate Mayntz und Fritz Scharpf über Policy-Netzwerke und Verhandlungssysteme sowie von Frank Nullmeier zur Wissenspolitologie. Der Theorieansatz von Scharpf, der den Akteur in seinen unterschiedlichen Aggregationsformen zum zentralen Faktor in der Untersuchung von Policies macht, stellt eine der Grundlagen der hier zu entwickelnden Theoriekonzeption dar, welche für die Anwendung auf das Feld

4 | Gellner, Winand/Hammer, Eva-Maria: Policyforschung, München 2010. 5 | Vgl. Schneider/Janning 2006, S. 116ff. 6 | Schubert/Bandelow: Lehrbuch der Politikfeldanalyse, München 2003. 7 | Janning, Frank/Toens, Katrin (Hrsg.): Die Zukunft der Policy-Forschung. Theorien, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2008. 8 | Héritier, Adrienne (Hrsg.): Policy-Forschung. Kritik und Neuorientierung, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 24/1993, Wiesbaden 1993.

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Kommunale Kulturpolitik

der kommunalen Kulturpolitik mit Nullmeiers et al. mikropolitologischen Ansatz ergänzt wird.9 Ein Politikfeld besteht nicht nur aus einer Ansammlung von Institutionen und Akteuren. Diese haben auch eine Interaktionskomponente durch ihre Konstellationen in Form von „Interessenpositionen, Konflikt- und Kooperationsbeziehungen“10, die mit den Interaktionsformen in verschiedenen Netzwerken, die Strukturen eines Politikfeldes und dessen Prozesse darstellen. Folglich ist die empirische Herausforderung eine netzwerkanalytische, um die Entwicklungen in den Politics zu untersuchen und Erkenntnisse über spezifische Policy-Netzwerke zu erhalten. Dazu kommen Instrumente der empirischen Sozialforschung zum Einsatz, die auf eine Zusammenstellung triangulierender Komponenten von qualitativen und quantitativen Methoden sowie partizipativen Zugängen der Netzwerkanalyse ausgerichtet sind. Dazu gehören quantitative Auswertungen von Sitzungsprotokollen und statistische Erhebungen aus Online-Befragungen verschiedener Akteurgruppen. Ebenso sind Experteninterviews und das Net-Mapping, eine Methode der visuellen Netzwerkforschung, aus der heraus auch Soziomatrizen erstellt werden können, Bestandteil der Theorie- und Methodenkonzeption. Ergänzt wird dies durch partizipative und mikropolitologische Zugänge. Für die Theorie- und Methodenkonzeption ist auch die weitgehende Forschungslücke über die kommunale Ebene in der Policy-Forschung mit ausschlaggebend. Diese Forschungslage stellt die Bedingungen für eine Annäherung an und Erfassung des Untersuchungsgegenstandes kommunaler Kulturpolitik. Dazu gehört, dass eine unzureichende Datenlage vorliegt, die für eine (vergleichende) Untersuchung herangezogen werden könnte. Statistische Daten und Kennzahlen zur Policy Kultur sind nur in aggregierter Form für Gemeinden und Zweckverbände in ihrer Gesamtheit verfügbar, jedoch nicht für einzelne Kommunen, die als Fallbeispiele oder für vergleichende Analysen genutzt werden könnten. Daher beinhaltet die Konzeption dieser Forschungsarbeit die vorgenannten Ansätze, Methoden und Instrumente, die auch Elemente interpretativer Sozialforschung sind. Diese Aufrisse zusammengenommen, steht die theoretische und methodologische Konzeption unter der Determinante vieler offener Fragen und unerforschtem Terrain. Die Konsequenz daraus ist, „dass der Forschungsprozess grundsätzlich als offene und flexible Vorgangsweise konzipiert“11 sein muss. Etablierte Ansätze und Methoden werden um neue Instrumente der Policy-Forschung und deren flexiblen Einsatz am Untersuchungsgegenstand erweitert. 9 | Nullmeier, Pritzlaff und Wiesner bezeichnen die Mikro-Policy-Analyse als Forschungsinteresse, nicht als Forschungsansatz. Vgl.: Nullmeier 2003, S. 10. 10 | Schneider/Janning 2006, S. 68. 11 | Lueger, Manfred: Interpretative Sozialforschung. Die Methoden, Wien 2010, S. 29.

Theorie- und Methodenkonzeption zur Mikro-Policy-Analyse komm. Kulturpolitik

Die Komponenten der Theorie- und Methodenkonzeption werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt und ihre Verwendungsweise für das Forschungsprojekt erläutert. Dazu wird mit einer Einführung in den akteurzentrierten Institutionalismus mit Betonung der Akteurperspektive nach Fritz Scharpf und seinen Anknüpfungspunkten zur Mikro-Policy-Analyse Frank Nullmeiers begonnen. Es folgen einführende Überblicke über die quantitativen und qualitativen Methoden und Instrumente hinsichtlich ihrer Zuordnung als Erweiterungen mikropolitologischer Analysen. Methodische Details, die die Anwendungen in dieser Forschungsarbeit betreffen, werden direkt bei den Ausführungen der jeweiligen analytischen Teile gegeben.

3.2 A k teurzentrierter I nstitutionalismus Der politikwissenschaftliche Ansatz von Fritz Scharpf, den dieser zusammen mit Renate Mayntz entwickelte, ermöglicht die Kategorisierung unterschiedlicher Typen von Akteuren und die Feststellung, welche Akteurkonstellationen und Interaktionsformen vorhanden sind. Damit steht „ein Analysewerkzeug“ zur Verfügung, „mit dem es möglich [ist], das Zustandekommen politischer Entscheidungen aus dem komplexen sowie ebenenübergreifenden Zusammenwirken einzelner Akteure zu erklären“.12 Es wird vor allem das Handeln von Akteuren im Kontext von Organisationen und Institutionen analysiert. Hierbei sind Institutionen als Systeme zu verstehen, die die Handlungsverläufe von deren Akteure oder Gruppen von Akteuren (individuelle und kollektive Akteure) strukturieren. Bei Handlungsprozessen handelt es sich um Interaktionen. Diese wiederum erfahren verschiedene Ausprägungen. Feststellen lassen sich darunter Interaktionsformen, die von losen, unregelmäßigen Einzelkommunikationsakten bis zu komplexen oder – so die These zu dieser Forschungsarbeit – gar institutionalisierten Formen von Akteurbeziehungen reichen. Der Grad einer möglichen Institutionalisierung bemisst sich an dessen Formalisierung. Ausgehend von einer informellen Kommunikation der Akteure können sich formale Akte herausbilden, die, unter anderen durch Wiederholung in gleichen oder vergleichbaren Akteurkonstellationen, Interaktionsformen konstituieren, welche sich als Quasi-Institutionen etablieren. Damit entsteht eine Form der Organisation, die einer politischen Institution gleichkommen kann, aber nicht normativ legitimiert ist. Die wissenschaftliche Aufgabenstellung ergibt sich aus dieser „Akteurorientierung“ insofern, als dass „öffentliche Politik nicht mehr aus den Entscheidungen und Handlungen eines singulären Akteurs resultiert, sondern aus den

12 | Gellner/Hammer 2010, S. 82.

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Kommunale Kulturpolitik

Interaktionen vieler Akteure rekonstruiert werden muss“.13 Diese Interaktionen erfolgen in mehr oder weniger festen Akteurkonstellationen. Sie sind institutionell konditioniert, also von Institutionen abhängig, da sie von diesen normative Vorgaben als Regelungssystem erhalten. Trotzdem schreiben Scharpf und Mayntz mit dem akteurzentrierten Institutionalismus den Institutionen „keine determinierende Wirkung“ zu, da sie „von Akteuren gestaltet und verändert“ werden können.14 Damit verwenden sie in ihrem Ansatz einen „engen Institutionenbegriff“, wodurch die „Konzentration auf Regelungsaspekte für soziale Interaktionen“ liegt.15 Einem der Ziele dieser Forschungsarbeit, die Interaktionsformen der Akteure auf ihren möglichen Institutionalisierungsgrad zu prüfen, widerspricht dies nicht. Zwar ziehen es Mayntz und Scharpf vor, „das Konzept der Institution auf Regelsysteme zu beschränken“, jedoch soll die Definition „nicht nur formale rechtliche Regeln umfassen, die durch das Rechtssystem und den Staatsapparat sanktioniert sind, sondern auch soziale Normen, die von den Akteuren im allgemeinen [sic!] beachtet werden“.16 Weisen diese sozialen Normen nicht nur auf allgemeine Verhaltensweisen zwischen Akteuren hin, sondern definieren die Normen die jeweiligen Akteurbeziehungen in einer fest gefügten Weise, lässt dies auf institutionalisierte Interaktionsformen schließen. Wichtigster Indikator zur Identifikation solcher Akteurbeziehungen ist das Wiederkehrende, also die Häufigkeit gleicher Policies. Werden bestimmte Interaktionsformen zum Beispiel zur Verhandlung von Sachfragen regelmäßig genutzt, um Entscheidungen vorzubereiten, so entsteht aus einer Akteurbeziehung ein Verhandlungssystem. Ein solches wäre außerhalb der von der Polity vorgesehenen Verhandlungsräume politischer Auseinandersetzungen wie zum Beispiel Ausschusssitzungen angesiedelt und entkoppelt damit den Ort von Policy-Debatten und Entscheidungsfindungen von dem dafür vorgesehenen Ort. Dennoch bleiben die staatlichen Institutionen und ihre Regelsysteme „die wichtigsten Einflussgrößen auf […] die Akteure und Interaktionen, weil […] die Akteure selbst auf sozial konstruierte Regeln angewiesen sind“17. Zudem können nur sie den politischen Entscheidungen den notwendigen Legitimationsrahmen verleihen. In diesem Wechselspiel zwischen institutionellen Verfasstheiten staatlicher und akteurzentrierter Ordnungen erfolgen vielschichtige politische Prozesse, die ein Politikfeld determinieren.

13 | Schneider/Janning, 2006, S. 85, [H.i.O.]. 14 | Schneider/Janning, 2006, S. 92. 15 | Schneider/Janning, 2006, S. 92. 16 | Scharpf, Fritz W.: Interaktionsformen. Akteurzentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Wiesbaden 2000, S. 77. 17 | Scharpf 2000, S. 78.

Theorie- und Methodenkonzeption zur Mikro-Policy-Analyse komm. Kulturpolitik

3.2.1 Akteurtypen und -konstellationen Der akteurzentrierte Institutionalismus bietet als Ansatz nicht nur die Deskription und Analyse von Akteuren, Akteurtypen und Akteurkonstellationen. In seiner Ausgestaltung liefert Fritz Scharpf auch umfängliche konzeptionelle Instrumente hinsichtlich der Interaktionsformen, die die zweite Hälfte des gleichnamigen Werks ausmachen. Für die vorliegende Forschung interessieren vor allem die kategoriale Konzeptionierung der Akteurtypen und ihre Konstellationsmöglichkeiten. Für eine weitergehende Analyse von Interaktionsformen zwischen den verschiedenen Akteurtypen in Bezug auf Verhandlungssysteme, hierarchischer Steuerungen und Mehrheitsentscheidungen fehlen schlicht die Hinweise auf mögliche analysierbare Strukturen auf der kommunalen Ebene der Kulturpolitik. Daher wird der Ansatz nach Scharpf auf die erste Hälfte der Interaktionsformen beschränkt, die aber bereits kategoriale Elemente der Formen von Interaktionen beinhalten. Darüber hinaus bietet es sich an, den Fokus auf Grundlage der Akteurtypen und -konstellationen auf mikropolitologische Ansätze umzulenken. Die Ausführungen werden insgesamt zeigen, dass sich komplexere Interaktionsformen im Sinne Scharpfs zwar andeuten, sich Institutionalisierungen entsprechend seines engen Institutionenbegriffs aber nicht ohne weiteres erkennen lassen. Dazu müssten die politikethnographischen Bemühungen – also die umfassende Beobachtung und Begleitung kommunaler Politik – in einem wesentlich umfassenderen Forschungsprojekt angelegt werden. Die folgenden Erläuterungen von Akteurtypen und -konstellationen geben eine entsprechend kurze Einführung in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand und anhand weiterer kulturpolitischer Beispiele.

3.2.2 Individuen und Aggregationen von Akteuren Zur Kategorisierung hat Fritz Scharpf verschiedene Typen von Akteuren systematisierend beschrieben. Dazu werden auf oberster Ebene Individuen und komplexe Akteure voneinander getrennt. Individuen zeichnen sich als grundsätzlich autarke Personen aus, die im Folgenden auch als Einzelakteure benannt werden. Zwischen den Individuen und den komplexen Akteuren siedelt Scharpf aggregierte Akteure an, die zunächst nicht mehr sind als eine Mehrzahl von Einzelakteuren, die aufgrund von vergleichbaren Handlungsvoraussetzungen und Interessen sich erkennbar gleichgerichtet verhalten. Ihnen wird von Scharpf eine gewisse Vorhersagbarkeit in ihren Handlungsweisen zugesprochen. Komplexe Akteure sind allgemein Gruppen von Einzelakteuren, die zunächst nichts weiter als „Ansammlungen von Individuen“18 sind. Damit fehlt 18 | Scharpf 2000, S. 96.

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ihnen aber noch jegliche Charakterisierung, aufgrund derer sie Merkmale aufweisen, sodass sie als Akteur mehr ausmachen als nur Aggregation. Das simpelste Merkmal dafür äußert sich in „homogenen Präferenzen oder ähnlichen Entscheidungsprämissen“, nach denen die Gruppe als „Handlungsaggregat“ mit seinen „Handlungsbedingungen gleichgerichtet“ handelt.19 Knapper als von Schneider und Janning formuliert: Eine Gruppe von Einzelakteuren bildet einen komplexen Akteur aufgrund von Gemeinsamkeiten. Doch das allein rechtfertigte die Begrifflichkeit des komplexen Akteurs wohl kaum. Denn wie die folgenden Erläuterungen zeigen werden, bilden Akteure, orientiert an sich wandelnden Interessenlagen und wechselnden Anforderungen, unterschiedliche Aggregatzustände. Dabei entstehen zum Beispiel dauerhafte Partnerschaften, für die Oliver Scheytts Bezeichnung „kooperatives Arrangement“20 aber zu undifferenziert ist. Oliver Scheytt zählt „Verbände, Beiräte, Dialogstrukturen und Netzwerke“21 auf, welche jedoch nicht nur verschiedene Akteurtypen sind oder sie selbst beinhalten. Scheytt vermischt hier mehr oder weniger stabile Zusammenschlüsse oder Gruppierungen mit Akteuren, die eine Rechtsform aufweisen können. Dies sind vielmehr kollektive Akteure, die als „Akteure selbst handeln, jedoch in unterschiedlicher Weise koordiniert werden“22 . Damit bilden sie die erste Untereinheit der komplexen Akteure. Mit diesen kurzen Skizzen von Verständnissen von Akteurtypen sei angedeutet, wie diffizil die Abgrenzung von entsprechenden Kategorien ist und die Einordnung von Beispielen sein kann. Dies gilt umso mehr für Akteure der Policy Kultur. Illustrierendes Beispiel ist das sogenannte Kulturpublikum, welches nach dem Verständnis der allermeisten Kulturverwalter und Kultureinrichtungen die aggregierbare Mehrzahl an Individuen ist, die ihre Veranstaltungen wie Konzerte, Theateraufführungen oder Lesungen besucht. Es eröffnet sich aber ein normatives Problem, das im Kompositum des Begriffs liegt. Denn „während eine Person einem Konzert- oder Filmpublikum angehören kann, kann es nicht keinem ‚Kulturpublikum‘ angehören“, da es falsch wäre zu sagen, „dass eine Person über keine Kultur verfügt und also keinem Kulturpublikum angehört: Personen verfügen über Kultur wie über Menschenrechte, weshalb Publika, die notwendig aus Personen bestehen, auch notwendig über Kultur verfügen“.23 Für die Erfassung von Individuen zu einem komplexen Akteur Kulturpublikum bedeutet dies, dass ohne weite19 | Schneider/Janning 2006, S. 65. 20 | Scheytt 2008, S. 264. 21 | Scheytt 2008, S. 264. 22 | Schneider/Janning 2006, S. 65. 23 | Glogner-Pilz, Patrick/Föhl, Patrick S.: Handbuch Kulturpublikum. Forschungsfragen und -befunde, Wiesbaden 2016, S. 37.

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re Merkmale der Zugehörigkeit keine Zuordnung möglich ist. Es bliebe nur die Zuschreibung als aggregierter Akteur, über den aber wegen seiner Undefiniertheit kaum verlässliche Aussagen getroffen werden können.

3.2.2.1 Kollektive Akteure Die kollektiven Akteure separiert Scharpf in die Typen Koalition, Club, Soziale Bewegung und Verband. Diese kollektiven Akteurtypen werden hier kurz charakterisiert, wobei danach der Versuch unternommen wird, kulturpolitische Beispiele zu geben. Grundsätzlich unterscheiden sich die vier Akteurtypen bezüglich ihrer Handlungsorientierung durch separate oder kollektive Ziele und in der Kontrolle separater oder kollektiver Handlungsressourcen. Koalitionen zeichnen sich als „relativ dauerhafte Arrangements zwischen Akteuren“ durch eine Handlungsorientierung aus, die auf einer Grundsatzvereinbarung beruht, die Ausdruck in einer Vereinbarung oder auch einem Vertrag finden kann. Diese ermöglicht ein gemeinsames strategisches Vorgehen, bei dem „alle Mitglieder glauben, daß sie ihren separaten Eigeninteressen förderlich sind“. Es werden aber mitunter auch Ziele angestrebt, die „den Interessen einzelner Mitglieder zuwiderlaufen“ können. Die „Implementation [ist] in jedem Fall von den Entscheidungen der einzelnen Mitglieder“ abhängig. Damit bleiben die Handlungsressourcen der Akteure separat, ebenso wie es die Ziele der einzelnen Akteure sind.24 Ein allgemeines Beispiel hierfür sind Regierungskoalitionen. Kulturpolitisch betrachtet kann eine freie Künstlergruppe wie die Expressionisten der Brücke (Vereinbarungsschrift: Stammbuch Odi profanum) oder die niederländische Künstlervereinigung De Stijl (Vereinbarungsschrift: Manifest I of ‚The Style‘, 1918) als Koalition angesehen werden. Sie verfolgen gemeinsame Interessen und vereinbaren diese (schriftlich). Sie gründen jedoch keine juristische Person in Form eines Vereins, in dem Ressourcen kollektiv gebunden werden. Die einzelnen Akteure von sozialen Bewegungen halten ihre Handlungsressourcen ebenfalls selbstbestimmt. Im Gegensatz zu den Koalitionen wird aber keine Grundsatzvereinbarung erstellt, sondern nur auf konsensuales Vorgehen geachtet. Die Akteure eint zu großen Teilen ein oder mehrere kollektive Ziele, gestützt „durch das moralische oder ideologische Engagement“25 ihrer Mitglieder. Die kollektive Handlungsorientierung besteht damit in Form von empathischer wie ideeller Übereinkunft, die identitätsstiftend wirken kann. Damit weist dieser Akteurtyp einen aggregierenden Charakter auf, der auf eine größere Zahl an Akteure schließen lässt. Im Fallbeispiel dieser Forschungsarbeit ist die aggregierte Akteurgruppe der anerkannten Kulturträger als Soziale Bewegung eingeordnet worden. Diese Gruppen von Kulturvereinen haben 24 | Alle in diesem Absatz: Scharpf 2000, S. 102f. 25 | Scharpf 2000, S. 103.

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keine kollektiven Ressourcen, handeln aber Sinne des kollektiven Ziels, in der Stadt Norderstedt das kulturelle Leben zu gestalten, gemeinsam.26 Die sogenannten Clubs weisen gegenüber den beiden vorhergehenden Akteurtypen ein klares Unterscheidungsmerkmal auf. Clubmitglieder verpflichten sich zumeist, „regelmäßige Beiträge zu den kollektiven Ressourcen zu leisten“. Dies führt zu einer kollektiven Handlungsressource, da der Club als Akteur in der Lage ist, Ziele der einzelnen Mitglieder stellvertretend zu erreichen und die Ressourcen selbst zu verwalten. Dazu gehört eine „formalisierte Entscheidungsstruktur“, die über die kollektiven Ressourcen wacht. Beispiele hierfür sind Vorstände oder Vertretungen anderer Akteure wie beispielsweise ein Ausschuss.27 Der Aspekt der kollektiven Ressourcen wird in der Hinsicht weit ausgelegt, als dass die Leistung von „regelmäßigen Beiträgen“, wie Scharpf sie beschreibt, nicht zwingend von den Clubmitgliedern selbst stammen muss. Es wird hier mit einbezogen, dass die Mitglieder über Ressourcen verfügen, für die sie stellvertretend verantwortlich sind wie etwa Steuern.28 Die Verbände unterscheiden sich gegenüber den Clubs im Grunde nur in einem stärkeren Ausmaß der kollektiven Ziele. Scharpf geht hier davon aus, dass die Mitglieder von Verbänden bestimmte Handlungsorientierungen an die Führung des Verbandes übertragen. Es wird also eine formalisierte Hierarchie eingesetzt, die auch hinsichtlich der kollektiven Ziele autark handlungsberechtigt ist. Diese Hierarchie kann durch den Vorstand eines Vereins realisiert sein, der das kollektive Ziel in Form einer Satzung von festgeschriebenen Vereinsinteressen verfolgt und über die kollektiven Ressourcen als juristische Person verfügt. Entsprechend dieser Charakterisierung kann zum Beispiel ein Kulturverein als kollektiver Akteurtyp Verband angesehen werden. Die Begriffsüberschneidung mit der Bezeichnung (Dach)-Verband ist hier leider missverständlich, zumal Verbände wie ein Landesverband der Amateurtheater oder eine Landesmusikrat juristisch betrachtet ebenfalls Vereine sind. Die vier kollektiven Akteurtypen weisen zwei unterschiedlich starke Richtungen von Divergenz auf. Zum einen sind Koalition und Club durch ihre separatere Handlungsorientierung von den Sozialen Bewegungen und dem Verband verschieden, welche als gemeinsame Basis vor allem kollektive Zielformulierungen haben. Wobei hier festgestellt werden kann, dass durch den höheren Formalisierungsgrad des Verbandes eine engere Bindung an ein kollektiveres Ziel erkennbar sein kann als bei der Sozialen Bewegung. Zum anderen trennen sich Club und Verband durch ihre je gemeinsame Kontrolle über Handlungsressourcen deutlich von Koalition und Sozialer Bewegung ab. Diese in Scharpfs Schema horizontal verlaufende Trennung scheint die bedeutendere Unter26 | Vgl. zu diesem Akteurtyp das Kapitel 4.4.2. 27 | Vgl. zu diesem Akteurtyp das Kapitel 4.4.1. 28 | Alle in diesem Absatz: Scharpf 2000, S. 103f.

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scheidungslinie auszumachen. Denn neben der Vereinbarung von gemeinsamen Zielen – besonders beim Verband – ist vor allem die Institutionalisierung durch Übertragung von Ressourcen und Entscheidungskompetenzen wesentliches Merkmal dieser kollektiven Akteure. In eine Rangfolge lassen sich alle vier Typen jedoch kaum setzen. Dies erscheint zudem wenig sinnvoll, wenn ein bestimmter Akteur in das Schema Scharpfs eingeordnet werden soll. Dazu ist es notwendig, ein entsprechendes Akteurprofil zu beschreiben, aus dem die Eigenschaften des Akteurs in Bezug auf dessen Ziele und Ressourcen hervorgehen. Denn es ist zu erwarten, dass ein Akteur nicht automatisch nur einem Akteurtypus entspricht. Inhaltlich, vor allem aber zeitlich bedingt, treten Akteure als Mischtypen auf. Seinen spezifischen Anforderung geschuldet, wird ein Akteur seine Handlungsressourcen den Handlungsoptionen anzupassen versuchen oder sogar dazu gezwungen sein. Folglich trennen die vier Akteurtypen weniger voneinander, als sie in fließenden Übergängen miteinander gemein haben. Die grafisch verdeutlichte Version (graue Balken) von Scharpfs Darstellung der „Arten kollektiver Akteure“29 zeigt die Abbildung 3.1. Abbildung 3.1: Arten kollektiver Akteure30 Bezug der Handlungsorientierung

Kontrolle der Handlungsressourcen

separate Ziele

kollektive Ziele

separat

Koalition

Soziale Bewegung

kollektiv

Club

Verband

3.2.2.2 Korporative Akteure Die Unterscheidung von kollektiven und korporativen Akteuren liegt in ihrer Institutionalisierung. Konnte unter den Subtypen der kollektiven Akteure schon Abweichungen in ihrer formalen Struktur festgestellt werden, so ist dies bei den korporativen Akteuren noch stärker der Fall. Korporative Akteure stellen im engen Wortsinne Körperschaften dar, die nach Scharpf „typischerweise ‚Top-down‘-Organisationen sind, die von einem ‚Eigentümer‘ oder, an dessen Stelle, von einer hierarchischen Führung kontrolliert werden“31. Sie sind neben den kollektiven Akteurtypen die zweite komplexe Aggregation von Akteuren, „die entstehen, wenn Akteure Ressourcen zu-

29 | Abbildung 3.1 in: Scharpf 2000, S. 102. 30 | Eigene, erweiterte Darstellung nach: Scharpf 2000, S. 102. 31 | Scharpf 2000, S. 105.

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sammenlegen, um als Handlungseinheit eine überindividuelle Rechtsperson zu erschaffen“32 . Mit der losen Aufreihung von Beispielen, wie der „Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Aktiengesellschaften, Parteien und natürlich auch Organisationen des öffentlichen Bereichs“33, eröffnen Volker Schneider und Frank Janning allerdings ein Zuordnungsproblem. Denn in den zitierten Handlungseinheiten können sowohl Individuen (Privatpersonen) als auch komplexe Akteure (z. B. Vereine) Mitglied sein. Die Art der Mitgliedschaft ist für Scharpf jedoch keine die Akteure definierende Kategorie. Als Kategorien zur Einordnung von Akteuren dienen vielmehr Fragen nach deren Handlungsformen, Zielen, Ressourcen und Entscheidungsweisen. So weist er auch darauf hin, dass die Mitglieder eines korporativen Akteurs sowohl Individuen als auch untergeordnete korporative Akteure sein können.34 Zudem betreiben neben korporativen auch kollektive Akteure die Schonung von Ressourcen durch deren rationalisierende Zusammenführung. Die verschiedenen Akteure treten in politischen Prozessen in Interaktionen auf, bei denen sie als Akteurkonstellationen erfasst und analysiert werden können. Die Zusammenhänge, in denen Akteurkonstellation auftreten, werden im folgenden Abschnitt erläutert.

3.2.3 Konstellationen kulturpolitischer Akteure Die Zuordnung eines Akteurs – gleich welcher Form der Aggregation – zu einem der Akteurtypen nach Scharpf stellt jedoch gerade mit Blick auf Kulturpolitik eine große Herausforderung dar. Auch aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten von Mitgliedschaften (private, institutionelle, passive etc.), aber besonders an ihrer Struktur lassen sich die meisten Akteure nicht hundertprozentig einem einzelnen Akteurtyp zuschreiben. So finden sich als Kulturvereine und -verbände erkennbare Akteure in einer fast endlosen Vielfalt und Zahl, die neben den Mitgliedsformen auch viele verschiedene Formen in ihrer Zusammensetzung aufweisen können. An dieser Stelle seien dazu nur eine Reihe von Organen genannt, die allein oder zusammen auftreten können, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Präsidium, (geschäftsführender/erweiterter) Vorstand, Beirat, Mitgliederversammlung, Geschäftsführung, festangestellte Mitarbeiter und ehrenamtliche Gruppen, die nach Aufgaben, Interessen oder auch geographischer Verortung zusammengesetzt sein können. Von der Ausgestaltung der Kompetenzen und Bedingungen dieser Organe hinsichtlich

32 | Schneider/Janning 2006, S. 66. 33 | Schneider/Janning 2006, S. 66. 34 | Vgl. Scharpf 2000, S. 97.

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der Kategorien Handlung, Ziel, Ressource und Entscheidungen hängt die Zuschreibung zu einem der Akteurtypen nach Scharpf ab. Hinzu kommt neben dieser normativen Dimension noch eine prozessuale bzw. zeitliche, da sich die Zusammensetzung eines Akteurs hinsichtlich seiner Organe oder den Kompetenzen und Bedingungen der Organe selbst verändern kann. Beide Dimensionen, die der normativen Verfasstheit und die prozessuale, soll die nachstehende Abbildung veranschaulichen. Abbildung 3.2: Ei-Schema der Akteurtypen35

K orp

orative Akteur

e

Verbänd e

Clubs

Bew

egung e n

K o a l i ti o n e n

Kolle ktive Akteure K o m p l e xe A k t e u re A g g re g i erte Akteure

I n divid

u e n / E i n ze l a k te u r

e

Das Ei-Schema der Akteurtypen zeigt das Verhältnis von Akteuren mit unterschiedlich starker Komplexität. Grundsätzlich bestehen alle Akteurtypen immer aus Individuen, auch dann, wenn sie eine überindividuelle Rechtsperson bilden wie beispielsweise die korporativen Akteure. Alle komplexen Akteurtypen unterscheiden sich grundsätzlich von den aggregierten und Einzelakteuren in der gemeinschaftlichen bzw. individuellen Handlungsweise. Entlang einer gedachten Steigerungslinie von außen nach innen erhöht sich die Komplexität von einem aggregierten Akteur über mögliche Entwicklungsschritte der Akteurtypen Koalition, Soziale Bewegung, Club und Verband bis zum korporativen Akteur. Diese Entwicklungsrichtung, die parallel zur Komplexität auch ein Indikator von Institutionalisierungen sein kann, muss nicht zwangs35 | Eigene Darstellung der Akteurtypen nach: Scharpf 2000, S. 96ff.

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läufig linear verlaufen. Entsprechende prozessuale Entwicklungsschritte, zum Beispiel durch Fusion von Akteuren, können umgangen oder übersprungen werden. Ebenso können durch Neuausrichtung, Abspaltung oder Auflösung rückläufige Entwicklungen eintreten. Diese Übergangsoptionen deuten die gestrichelten Begrenzungen der Akteurtypen an. Wie sich im Weiteren zeigen wird, hat die prozessual-zeitliche Dimension auch Auswirkungen auf die Entwicklung von Prozessen und mittelbar auf die Strukturen, wenn die Organe verändert werden oder deren (individuelle) Akteure ihre Zugehörigkeit wechseln. Dieses Wechseln wiederum kann auch im Tausch von Rollen bestehen, wenn ein (individueller) Akteur gleichzeitig Teil mehrere Akteure ist. Mehrfachzugehörigkeiten sind zudem eher die Regel als die Ausnahme. Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand trifft dies beispielsweise auf viele Kulturpolitiker von kommunalen Kulturausschüssen zu. So sind sie als individuelle Akteure (mit ihren beruflich-privaten Bedingungen ausgestattet) zunächst Mitglied einer Partei, die in der Stadtvertretung eine Fraktion bildet, und die ihrerseits Arbeitskreise zum Beispiel für Umwelt oder Kultur einrichten kann. Als Mitglieder der Stadt- oder Gemeindevertretung sind sie auch Mitglieder in Ausschüssen. Diese Reihung ist, da normativ durch Gemeindeordnung und Satzung vorgegeben, institutionell gefügt und damit vorhersehbar. Aufgrund ihrer persönlichen Interessenlagen sind einige Kulturausschussmitglieder aber auch Mitglied in Kulturvereinen oder Kreistag. Hier ließen sich beliebig weitere Mehrfachzugehörigkeiten aufzeigen, wie beispielsweise Mitgliedschaften in Sport- oder Umwelt-Vereinen, die ein vielfältiges Netz ergeben. Die Mitglieder von kollektiven Akteuren handeln in erster Linie stets selbsttätig und eigenverantwortlich bei abweichender Koordinierung ihrer Interessen. Gemeinsames Handeln erfordert Abstimmung durch Interessenabgleich und Informationsaustausch. Merkmale kollektiver Akteure sind eine kleine Anzahl von Individuen, die dezentral organisiert und deren Beteiligte weitgehend eigenständig sind. Es sind Allianzen, denen gegenüber ihre Mitglieder zwar definierte Pflichten eingehen, aber keine Stellvertretungsfunktionen mit rechtlichen Implikationen innehaben. Korporative Akteure hingegen binden Ressourcen, „um als Handlungseinheit eine überindividuelle Rechtsperson zu erschaffen“36, so dass für die Wahrung gemeinsamer Ziele vertretungsberechtigte Personen gewählt werden können. Als Merkmale weisen korporative Akteure eine hohe Anzahl an Mitgliedern auf, die zentral und zweckorientiert organisiert sind. Korporative Akteure können Unternehmer- oder Kulturverbände, Gewerkschaften oder Parteien sein, aber auch Organisationen der öffentlichen Hand, Regierungen, Parlament und Verwaltung zählen dazu. Sie

36 | Schneider/Janning 2006, S. 65.

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alle eint, dass sie in der Regel über einen eigenen Mehrebenenauf bau verfügen, der in dezentralen Teilorganisationen mündet. Ob ein einzelner bestimmter Akteurtyp bei einem Akteur erkannt werden kann, hängt auch vom situativen Zustand des Akteurs ab. Situativ meint hier die zuvor schon eingebrachte zeitliche Dimension der Akteur-Charakterisierung. Denn die jeweils aktuelle inhaltliche Ausrichtung und formale Struktur des Akteurs bedingt, welchem Typus er zugeordnet werden kann. Ein Verein, der die Interessen seiner Mitglieder bündelt, kann sich strukturell vergrößern, seine Rechtsform wechseln oder aber die Organisationsstruktur dahingehend verändern, dass vertretungsberechtigte Personen ernannt werden, die die Interessen stellvertretend wahrnehmen. So können die satzungsgemäßen Organe neben einem (ehrenamtlich tätigen) Vorstand und der Mitgliederversammlung auch eine Geschäftsführung und einen Aufsichtsrat einführen. Die Grenzen zwischen kollektiven und korporativen Akteuren sind somit ebenso fließend wie zwischen den Arten kollektiver Akteure, bei denen das Einordnen häufig nicht eindeutig zu leisten ist. Denn der Überblick über die Aggregationsformen wie sie Scharpf vorsieht, folgt dem Ziel, ein Gesamtmuster vorhalten zu können, in dem ein bestimmter Akteur kategorisierend eingeordnet werden kann. Dabei kann es sein, dass der Akteur nicht eindeutig einem bestimmten Akteurtyp zuzuordnen ist, da er Merkmale anderer Akteurtypen aufweist. Auf diese Weise können Akteurtyp-Zuordnungen mitunter nur nach mehrheitlichen Übereinstimmungen mit den Merkmalen der Akteurtypen gelingen oder sich auch als Mischformen darstellen. Dies gilt besonders in Bezug auf die vier kollektiven Akteurtypen. So gründet sich als Beispiel ein Sportverein, um gemeinsam das kollektive Ziel zu erreichen, eine Meisterschaft zu gewinnen. Und bei einem Musikverein kann das Ziel der Gewinn eines Gesangwettbewerbs sein. Dafür legen die Mitglieder des Vereins Ressourcen zusammen, die kollektiviert vom Vorstand verwaltet werden, wie die Mitgliedsbeiträge, von denen Materialien oder Equipment als Vereinsvermögen erworben wird. Entscheidungen über die Handlungen, Ziele und Ressourcen werden durch mehrheitliche Abstimmungen herbeigeführt. Dies entspricht eindeutig der Einordnung als kollektiver Akteurtyp Verband. Diese Betrachtung ist logisch linear, ignoriert aber Variationen und damit nichtlineare Verläufe im gemeinsamen Handeln. Denn der Sportverein kann gleichzeitig auch gemeinsam handeln, indem er individuelle Zielsetzungen seiner Mitglieder durch Einzelförderungen zu einer Maxime macht, was dem Akteurtyp Club entspricht, bei dem die Ziele individuell sind, die Ressourcen zu ihrer Erreichung aber kollektiviert werden. Gleiches gilt für den Musikverein. Da kollektive Akteure wie Vereine in der Regel über mehrere Zielsetzungen verfügen, können durchaus Mischformen mit unterschiedlicher Gewichtung aus den kollektiven Akteurtypen vorkommen. Für die Erforschung kommunaler Kulturpolitik werden die Akteure des kulturpolitischen

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Systems und Netzwerks einem Akteurtyp nach Scharpfs Gesamtmuster der Eigenschaften nach den mehrheitlich zutreffenden Merkmalen zugeordnet. Tabelle 3.1: Gesamtmuster der Eigenschaften aggregierter, kollektiver und korporativer Akteure37 Kollektive Akteure

Agg. Akteure

Koalition

Club

Soziale Beweg.

Verband

Korp. Akteure

Handlung

individuell

gemeinsam

gemeinsam

gemeinsam

gemeinsam

Org.

Ziel

individuell

individuell

individuell

kollektiv

kollektiv

Org.

Ressourcen

individuell

individuell

kollektiv

individuell

kollektiv

Org.

Entscheidungen

individuell

Vereinbar.

Abst.

Konsens

Abst.

hierar.

Als kulturpolitische Individuen gelten ohne Frage Einzelpersonen, die einen künstlerischen Beruf ausüben wie Pianisten, Comiczeichner, Schauspieler oder Autoren unterschiedlicher Medien. Als Einzelakteure können sie sich mit Berufskollegen zu Interessengruppen zusammenschließen, was dem Akteurtyp Club oder Soziale Bewegung entsprechen kann. Sie können auch Mitglied in einem Verein, der dem kollektiven Akteurtyp Verband entspricht, aber auch ein individuelles Mitglied in einem Verband sein, der neben seinen institutionellen Mitgliedern auch Privatpersonen aufnimmt. Als Beispiel kann der Bundesverband Bildender Künstler Landesverband Schleswig-Holstein (BBK SH) genannt werden. Der BBK SH ist als kollektiver Akteur Mitglied des korporativen Akteurs auf Bundesebene. Dem offiziellen Verbandsnamen zufolge ist jeder Landesverband die entsprechende Gebietsvertretung des Bundesverbandes38. Derartige Dachverbände treten auf der entsprechenden Ebene für die Interessen ihrer Mitglieder auf Bundesebene ein. Ein weiteres Beispiel ist der Landesverband der Amateurtheater Schleswig-Holstein e. V., der auf der gleichen föderalen Ebene tätig, dabei aber selbst schon ein korporativer Akteur ist, da er die Interessen seiner Amateurtheater-Gruppen vertritt. Diese wiederum sind meist selbst als Vereine aufgestellt und damit kollektive Akteure. Die Vielzahl von derartigen Beziehungsstrukturen bilden Netzwerke heraus, in denen die Akteure eingebunden sind. Die Netzwerkstruktur zeugt davon, dass sich in ihr nicht nur die hierarchischen Beziehungen der Akteure abzeichnen, sondern vor allem durch Prozesse hervorgebrachte, sich situativ wandelnde Akteurkonstellationen. Davon ist die Zusammenarbeit kulturpoli37 | Eigene Darstellung nach: Scharpf 2000, S. 105. 38 | Vgl. BBK- Landesverbände auf der Homepage des BBK: http://www.bbk-bundesverband.de/index.php?id=941.

Theorie- und Methodenkonzeption zur Mikro-Policy-Analyse komm. Kulturpolitik

tischer Akteure nicht ausgenommen. Die Qualität der Netzwerke besteht darin, dass ihre Existenz meist über den einfachen Kooperationsgedanken hinausgeht. So sind Akteure in verschiedene Netzwerke (strukturelle Einheiten) eingebunden und agieren dabei in unterschiedlichen Arenen (thematische Einheiten).

3.3 M ikropolitologische P olicy -F orschung Hinter der Idee einer Mikro-Policy-Analyse steht das Forschungsinteresse, die „Eingespieltheiten, […] die das Innenleben eines Politikfeldes prägen“39, zu untersuchen. Diese Eingespieltheiten aus „elementaren Routinen und Strategien“ prägen die „Mikrostrukturen und Mikroprozesse eines Politikfeldes“.40 Damit wirken sie sich auf die Akteurkonstellationen und Interaktionsformen von Akteuren und somit auf Policy- oder Projekt-Prozesse aus. Trachtet man danach, die Ergebnisse politischer Agenden und Implementierungen nicht nur quantitativ messen zu wollen, sondern ihre Entstehungen reliabel erklären zu können, so sind mikroanalytische Ansätze und Methoden hilfreich. Denn ohne Kenntnisse vom Innenleben eines Politikfeldes und dessen Politics laufen Erklärungsbemühungen und Interpretationen von gemessenen Zusammenhängen stets Gefahr, fehlerhafte Annahmen nicht widerlegen zu können. Zumal dann, wenn über die Akteurkonstellationen und Interaktionsformen keine Kenntnisse bestehen. Daher gilt, je weniger Daten über einen Policy-Prozess schon während dessen Verlauf in Form zum Beispiel von Protokollen dokumentiert werden, desto mehr müssen die Informationslücken über die Politics eines Politikfeldes oder auch von Projektprozessen ex post rekonstruiert werden. Rückschlüsse auf den Verlauf schließen zu wollen, die allein von den Ergebnissen eines Policy-Prozesses ausgehen, vermögen kaum reliable Erkenntnisse hervorzubringen. Der von Frank Nullmeier als Mikropolitologie bezeichnete Ansatz richtet sich mit seiner Forschungsmethodik „auf die subinstitutionelle Ebene des politischen Geschehens“.41 Auf dieser untersten Ebene in der Policy-Forschung spielen „die analytischen Begriffe von Wissen, Praktiken und Positionierungen“42 wesentliche Rollen. Zur Mikro-Policy-Analyse Nullmeiers et al. gehören ganz wesentlich Elemente der Ethnographie, wodurch sie den Weg zur ethnographischen Politikfeldforschung eröffnet haben. Wesentliches Merkmal dabei ist die Idee der teilnehmenden Beobachtung, mit der „die Innenwelt eines 39 | Nullmeier et al. 2003, S. 9. 40 | Nullmeier et al. 2003, S. 9. 41 | Nullmeier et al. 2003, S. 10f. 42 | Nullmeier et al. 2003, S. 11.

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Politikfeldes, seine inneren Strukturen und alltäglichen Prozesse, sprich die Mikroebene erschlossen“43 werden soll. Das entsprechende Instrumentarium bedeutet im Kern, „das Funktionieren von Politik anhand ihres Alltags zu untersuchen“44. Konkret lautet der Arbeitsauftrag dabei nicht nur, die Politics passiv zu begleiten, sondern die beobachtende Teilnahme am kommunalpolitischen Geschehen. Dazu muss die wissenschaftliche Distanz zum Untersuchungsgegenstand reduziert werden. Die teilnehmende Beobachtung bedeutet also, was berechtigter Weise kritisiert werden kann, die Gefahr der Beeinflussung von Prozessen. Das Erfordernis, diese Gefahr in Kauf zu nehmen, liegt im Erkenntnisinteresse über prozessuale Faktoren von Policies begründet und hat in Bezug auf kommunale Policy-Forschung noch einen weiteren Grund. Die Dokumentenlage über den Verlauf politischer Prozesse auf kommunaler Ebene ist stark eingeschränkt, sodass über direkte Eindrücke aus den Politics, Daten erhoben und Rückbezüge zur Policy hergestellt werden müssen. Mikro-Policy-Analyse ist als Idee bereits in den 1950er Jahren zu finden. Dazu wird ein historischer Exkurs und nähere Erläuterungen zur ethnographischen Politikfeldforschung gegeben.

3.3.1 Historischer E xkurs zur Mikropolitologie Die Entwicklung des mikropolitologischen Analyseansatzes Nullmeiers et al. findet ihre Ursprünge in der behavioralistischen Idee, „eine Art gesellschaftliche Problemlösungswissenschaft zu begründen“45. Dessen Ansinnen ist, sich nicht „um die existierenden disziplinären Schranken zu scheren“, sondern „das gesamte in den Sozialwissenschaften bislang vorliegende Spektrum von Theorieansätzen“ als Potential zur Analyse auszuschöpfen.46 Diese Überlegungen und Strömungen finden breiteren Raum in der amerikanischen, politikwissenschaftlichen Debatte der 1950er- und 1960er-Jahre. Die fast ausschließlich quantitativen Untersuchungen vor allem von Wählerverhalten mündeten im Forschungsbereich Politische Soziologie, in dem in Deutschland seit den 1970er-Jahren vor allem Forschungen zu politischen Einstellungen, politischer Kultur und politischer Partizipation und Kommunikation zu verzeichnen sind.47 43 | Hülse, Rainer: Besprechung von: Frank Nullmeier, Tanja Pritzlaff, Achim Wiesner: Mikro-Policy-Analyse. Ethnographische Politikforschung am Beispiel Hochschulpolitik, in: Politische Vierteljahresschrift (4) 2003, S. 626. 44 | Hülse 2003, S. 626. 45 | Schneider/Janning 2006, S. 19. 46 | Schneider/Janning 2006, S. 19. 47 | Vgl. Gabriel, Oscar/Maier, Jürgen: Politische Soziologie in Deutschland – Forschungsfelder, Analyseperspektiven, ausgewählte empirische Befunde, in: Politische

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Äußerungen über mikropolitologische Aspekte sind aber bereits früher zu finden. Ein Hinweis lässt sich in den 1930er-Jahren entdecken. So sieht der schwedische Politikwissenschaftler Herbert Tingsten offenbar Potential in „comparative microanalysis in the exploration of general propositions about factors in political behavior“48. Mehr Beachtung fand der Gedanke erst nach dem II. Weltkrieg durch den norwegischen Soziologen Stein Rokkan, der 1962 den Begriff Micropolitics in einem Essay erstmalig definiert. Demnach ist für ihn „the spectacular expansion of empirical research in the social sciences“ der Grund, weshalb nun von „‚micropolitics‘ – the analysis of the individual citizens‘ reactions to the political events and alternatives in their communities“ gesprochen wird.49 Weiter fordert er dazu auf, die Notwendigkeit der Entwicklung und der Herausforderungen an mikropolitische und vergleichende Mikroforschung für die Politikwissenschaft zu erkennen und zwar für „all scholars concerned to advance the codification of the procedures of observation, analysis and inference in the study of politics“50. Nullmeier et al. erwähnen noch einen Hinweis von Kessel, Cole und Seddig, die Stephen K. Bailey zuschreiben, „den Begriff 1961 auf einem Treffen der American Political Science Association in einer Diskussion“ verwendet zu haben.51 Kessel, Cole und Seddig sind es auch, die 1970 mit „Micropolitics. Individual and Group Level Concepts“52 erstmals einen Sammelband mit dem Schlagwort betiteln. Darin vereinen sie eine Reihe von Beiträgen, die sie nach akteurbezogenen Schlagworten wie Führung, Gruppen oder Kommunikation ordnen. Gleich zu Beginn der Einführung verdeutlichen sie in Abgrenzung zum Begriff „Macropolitics“, den Ebenenbezug: „Micropolitics is an approach to political analysis using individual and group level concepts to study political phenomena“.53 Seitdem sind nur sehr wenige nennenswerte Bemühungen um eine Methoden- oder gar Theoriebildung in der Politikwissenschaft zu verzeichnen. Neben Nullmeier et al. widmeten Karl-Rudolf Korte und Timo Grunden in ihrem „Handbuch Regierungsforschung“ der mikropolitologischen Perspek-

Vierteljahresschrift (4) 2009, S. 508f. 48 | Rokkan, Stein: The Comparative Study of Political Participation: Notes Toward A Perspective on Current Research, in: Ranney, Austin: Essays on the Behavioral Study of Politics, Urbana 1962, S. 49. 49 | Rokkan 1962, S. 48. 50 | Rokkan 1962, S. 55. 51 | Vgl. Fußnote in: Nullmeier et al. 2003, S. 14f. 52 | Kessel, Hohn H./Cole, George F./Seddig, Robert G.: Micropolitics. Individual and Group Level Concepts, New York 1970. 53 | Kessel/Cole/Seddig 1970, S. 1.

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tive einen Abschnitt.54 Im einleitenden Beitrag des Abschnitts stellt Friedbert Rüb fest, dass man „mit mikropolitologischen Konzepten […] selbstverständlich auch Makrophänomene untersuchen“ kann, die ebenso „das Resultat mikropolitischer Interaktionen sind“.55 Doch „obwohl diese Überlegungen die Anwendung mikropolitologischer Konzepte nahe legen, wurden sie in der Politikwissenschaft bisher kaum erprobt“56. Breiteren Eingang fanden Mikropolitik-Konzepte aber in die Organisationsforschung57, aus der heraus Ansätze zu verzeichnen sind, die Mikropolitik als Forschungsdesiderat wieder mit der Politikwissenschaft zu verbinden. Fest steht aber, dass eine genuine politikwissenschaftliche Forschungstradition bisher nicht etabliert wurde. Das dies für die Policy-Forschung einer vertanen Chance gleichkommt, stellt auch Roland Willner fest und plädiert „for more micro-analyses and, as a consequence, for more qualitative research in political science“58.

3.3.2 Elemente der Mikro-Policy-Analyse Akteure, ihre Beziehungen und Konstellationen, wie sie nach Fritz Scharpf vorgestellt wurden, lassen sich gut mit den analytischen Kategorien Nullmeiers in Einklang bringen. Die Kategorien „der politischen Praktiken, des Wissens und der Positionierungen“ stehen dabei „zueinander in einem Wechselverhältnis“ und finden sich entsprechend unterhalb bzw. innerhalb der Akteurbeziehungen und -konstellationen.59 Der kategoriale Begriff des Wissens umfasst dabei mehr „als allein das deskriptive Weltwissen“60. Die „normativen Orientierungen und das jeweilige Identitätsverständnis“ kennzeichnen hier einen weiten Wissensbegriff, den Nullmeier et al. in Analogie zur Sinndeutung bringen.61 Dabei werden ver-

54 | Vgl. Korte, Karl-Rudolf/Grunden, Timo (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden 2013, S. 339ff. 55 | Rüb, Friedbert W.: Mikropolitik. Auf dem Weg zu einem einheitlichen Konzept?, in: Korte, Karl-Rudolf/Grunden, Timo (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung, Wiesbaden 2013, S. 340. 56 | Rüb 2013, S. 343. 57 | Vgl. z. B. Küpper, Willi/Ortmann, Günther: Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen, Opladen 1988; oder Neuberger, Oswald: Mikropolitik. Der alltägliche Aufbau und Einsatz von Macht in Organisationen, Stuttgart 1995. 58 | Willner, Roland: Micro-politics. An Underestimated Field of Qualitative Research in Political Science, in: German Policy Studies 7(3) 2011, S. 176. 59 | Nullmeier et al. 2003, S. 16. 60 | Nullmeier et al. 2003, S. 17. 61 | Nullmeier et al. 2003, S. 17.

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schiedene Ebenen von Wissensarten genannt62: In einer Globalkategorie finden sich allgemeingültige Kategorien wie Alltagswissen, politisches Wissen oder Expertenwissen. Auf der analytischen Ebene darunter geht es um Wissensstrukturen über Policy-Prinzipien oder Ordnungsprinzipien sowie Policy-Identitäten. Die kleinteiligste Ebene betrifft Sinnelemente und Metaphern wie Repräsentationen, Argumentationsweisen und Handlungsoptionen bzw. Narrationen oder gar Mythen, die der jeweiligen Policy eigen sind. Dieser weit gefasste Wissensbegriff ist abhängig von den „am politischen Prozess beteiligten Akteuren“, da sie die „Träger des Wissens sind“.63 Die Anwendung des Wissens durch Akteure – zum Beispiel bei der Wahl von Handlungsoptionen – lässt sich als politische Praktik beobachten. Politische Praktiken können als Elemente der Politics angesehen werden, „die den politischen Raum konstituieren und strukturieren“ und „eine, zwei oder mehrere Personen umfassen“.64 Dabei ist es möglich, dass „für ein Politikfeld typische Praktiken identifiziert und detailliert untersucht werden“65. Informationen über politische Praktiken sind nicht immer eindeutig identifizierbar, weshalb sie als „Praktikenrepertoires“ „den Raum des politisch Möglichen“ zu skizzieren helfen.66 Für diese Untersuchung kommunaler Kulturpolitik folgt daraus, dass die politischen Praktiken an jenen Stellen betont werden, an denen sich Muster oder Schemata andeuten, die auf Handlungsintentionen und -orientierungen schließen lassen, die policy-spezifische Merkmale aufweisen. Positionierungen erfolgen basierend auf unterschiedlichen Wissensbeständen und konstituieren sich durch politische Praktiken. Sie sind „interpretierte, mit Sinn und Werthaftigkeit aufgeladene Verteilungs- und Gruppierungsstrukturen, mögliche Formen der Nähe und Ferne, Höherschätzung und Unterlegenheit, Verbindung und Trennung zwischen den Akteuren eines Policy-Feldes“67. Die Kommunikation und damit die Handlungen der Akteure stehen daher im Fokus der mikropolitologischen Analyse. Es sind folglich die Interaktionen der Akteure in unterschiedlichen Konstellationen, die in einer Mikro-Policy-Analyse zu identifizieren sind.68 Ein deskriptives Auffassen dieses methodischen Gedankens reicht jedoch nicht aus. Es sind kategoriale Einordnungen der beobachteten Interaktionen erforderlich.

62 | Vgl. Nullmeier et al. 2003, S. 17. 63 | Nullmeier et al. 2003, S. 17. 64 | Vgl. Nullmeier et al. 2003, S. 18. 65 | Nullmeier et al. 2003, S. 18, [H.i.O.]. 66 | Nullmeier et al. 2003, S. 18f. 67 | Nullmeier et al. 2003, S. 19. 68 | Vgl. Nullmeier et al. 2003, S. 18.

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Dabei kommen Scharpfs spieltheoretische Instrumente der Spielmatrizen, die „von den üblichen spieltheoretischen Konventionen“69 abweichen, in dieser Forschungsarbeit nicht zur Anwendung. Denn Scharpfs Ziel, spieltheoretische Instrumente zur empirischen Analyse von Konflikt, Verhandlung oder Koordination einzusetzen, erscheint für diese Untersuchung kommunaler Policy-Strukturen und -prozesse in Teilen ungeeignet zu sein. Dies betrifft den Übergang von der Erfassung der Akteurkonstellationen zur Beschreibung und Analyse der Interaktionsformen. An dieser methodischen Schwelle trennt Scharpf, um „die analytische Leistungsfähigkeit von Spielmatrizen“70 möglichst uneingeschränkt nutzen zu können. Denn Akteurkonstellationen „sollen das repräsentieren, was wir über die an bestimmten politischen Interaktionen beteiligten Akteure wissen – ihre Fähigkeiten […], ihre Wahrnehmungen und Bewertungen der erreichbaren Ergebnisse“71. Das Erkenntnisinteresse Scharpfs hinter den Interaktionsformen besteht dabei in den Interaktionsmodi, durch die „Konflikte verarbeitet werden sollen – durch einseitiges Handeln, Verhandlung, Abstimmung oder hierarchische Steuerung“72 . Im Verlauf der Beobachtungen, Erhebungen und Befragungen der vorliegenden Forschungsarbeit wurde festgestellt, dass die Erkenntnisse aus den Akteurkonstellationen einer weitergehenden Analyse von Interaktionsmodi durch Spielmatrizen zu unterziehen, nur in Ansätzen lohnen würde. Wie die Ausführungen zeigen werden, besteht die Herausforderung der Akteure bereits darin, sich vor dem Hintergrund ihrer normativen wie themenbezogenen Wissensbestände in ihren Netzwerken zurechtzufinden. Die Konstellationen, in die sie als Akteure bewusst oder unbewusst eintreten, sind im Sinne von Beziehungsstrukturen und damit netzwerkanalytisch relativ stabil. Zur „interaktionsorientierten Policy-Forschung“73 durch Spielmatrizen sind die analytischen Phänomene wie einseitiges Handeln, Verhandlung, Abstimmung oder hierarchische Steuerung jedoch eher schwach ausgeprägt. Die Interaktionsmodi deuten sich zwar auch beim Untersuchungsgegenstand an, erweisen sich jedoch als eher unterkomplex und damit auch nicht als wesentlicher Bestandteil kommunaler Politics stark ausgeprägt. Daher erfolgt eine Beschränkung auf Scharpfs Systematisierung von Akteuren, Akteurtypen und Akteurkonstellationen mit dem Ziel, die Auswirkungen von Fähigkeiten, Wahrnehmungen und Präferenzen zu analysieren, die die Policy Kultur auf kommunaler Ebene beeinflussen.

69 | Scharpf 2000, S. 87. 70 | Scharpf 2000, S. 128. 71 | Scharpf 2000, S. 128. 72 | Scharpf 2000, S. 129. 73 | Scharpf 2000, S. 123.

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Dieser Umstand resultiert aber auch aus methodologischen Gründen der spieltheoretischen Überlegungen Scharpfs. Anhand der von ihm angeführten Beispiele von Regierungen und Ministerien oder Zentralbanken oder Ärztevereinigungen74 wird ersichtlich, dass das Analysekonzept auf Policies oberhalb kommunaler Ebenen ausgerichtet ist und die Mikroebene zur Analyse von Meso- oder Makroebenen herangezogen wird. Grundsätzlich ist eine Anwendung je nach Umfang der Untersuchungseinheit und damit eines Forschungsvorhabens denkbar. Für die vorliegende Untersuchung bieten sich aber andere Instrumente an, die die strukturelle und prozessuale Analyse kommunaler (Kultur-)Politik leisten können. Die Reichweite des Forschungsansatzes von Scharpf und Mayntz über mehrere Politikebenen bis hinunter auf die Mikro-Ebene legt eine Kombination mit der Mikro-Policy-Analyse nahe, wie sie Frank Nullmeier, Achim Wiesner und Tanja Pritzlaff entwickelt haben. Die beiden Ansätze werden zudem um empirisch-analytische Methoden der qualitativen Sozialforschung und quantitativer Erhebungen ergänzt. Auf diese Weise eröffnet die Kombination von politikethnographischen Methoden Nullmeiers et al. auf Grundlage des akteurzentrierten Institutionalismus Scharpfs und Mayntz auch die Analyse von Konfliktlösungskapazitäten beteiligter Akteure und die Problemlösungsfähigkeit des kulturpolitischen Systems. Damit versetzt die Mikro-Policy-Analyse den Politikwissenschaftler in die Lage, auch auf der untersten (föderalen) Ebene nach Stabilität, Flexibilität und damit politischer Gestaltungsformen und -weisen in ihren ordnungspolitischen Strukturen (Polity-Aspekt) zu fragen.

3.3.3 Methodologische Verknüpfung in der Akteurorientierung Die Akteurorientierung in den Ansätzen von Scharpf und Nullmeier et al. eröffnet den Blick auf die Konstellationen von Akteuren, die jedoch ohne Inbezugstellung mit ihren Interaktionen lediglich ein statisches Bild, eine Momentaufnahme ergibt. An diesem oben als Schnittstelle beschriebenen Punkt der Methodenkombination kommen die mikropolitologischen Überlegungen zum Tragen. In der Mikro-Policy-Analyse finden sich neben der Kategorie Wissen die Analysekategorien der (politischen) Praktiken und der Positionierungen, mit denen die Interaktionen der Akteure erfasst werden können. Scharpf bezeichnet im akteurzentrierten Institutionalismus die Kategorien von Interaktionsformen als „Einseitiges Handeln“, „Verhandlung“, „Mehrheitsentscheidung“ und „hierarchische Steuerung“.75 Diese können auch auf der Mikro-Ebene 74 | Scharpf 2000, S. 127f. 75 | Scharpf 2000, S. 90ff.

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einer Policy festgestellt werden. Somit ergänzen sich die Kategoriensysteme Scharpfs und Nullmeiers zur Analyse von kleinteiligen Akteurkonstellationen und Interaktionen auf kommunaler Ebene. Dabei werden die Analysen des Untersuchungsgegenstandes kommunaler Kulturpolitik am Fallbeispiel zeigen, dass die Interaktionen vor allem in Mikroprozessen bestehen, die an die individuellen Vorbedingungen der Akteure geknüpft sind. Unterschiedliche Wissensbestände der Einzelakteure führen hier zu Handlungsorientierungen, die ungleiche Prozesse und Überschneidungen in den kategorialen Interaktionsformen zur Folge haben. Hierzu kann grundsätzlich erkannt werden, dass beispielsweise einem Akteur mit nur geringem Wissen um normative und ordnungspolitische Regeln lediglich die Interaktionsform des anarchischen Feldes und damit auch nur einseitiges Handeln zur Verfügung steht. In der Interaktion mit einem Akteur, der über weitreichende Kenntnisse seiner Polity verfügt, besteht dann nur eine geringe Chance, eine Agenda zur Implementierung zu bringen. Entsprechende Situationen und Diskurse konnten beobachtet und zum Teil auch in den Ergebnisprotokollen von Ausschusssitzungen erkannt werden. Exemplarische Situationen und Diskurse werden in den Analysen in Kapitel vier ausgeführt.

3.3.4 Politikethnographie als Policy-Zugang Die Idee der ethnographischen Politikforschung folgt der Voraussetzung, dass der Wissenschaftler für die Mikroanalyse einer Policy und ihrer Politics „am politischen Prozess und seinen einzelnen Situationen teilhaben muss“76. Nullmeier et al. charakterisieren dieses erlebende Erforschen eines Untersuchungsgegenstandes mit einem Zitat von Erving Goffman als eine Art atmosphärischen Zugang. Dementsprechend lasse man „sich auf das ein, was man als Zeuge beobachtet, […] wie auf das reagiert wird, was geschieht, und was um die Leute herum vor sich geht‘“77. Diese Skizze zielt auf das Kernelement der teilnehmenden Beobachtung ab, die Zeit beansprucht, sodass Goffman rät, „mindestens ein Jahr im Feld [zu] verbringen“78. Dies sei auch deshalb erforderlich, da eine „tiefe Vertrautheit […] das Ziel“79 ist, wenn mit Instrumenten wie Experteninterviews und partizipativen Methoden der Netzwerkforschung, Strukturen und Prozesse einer Policy erfasst und analysiert werden sollen. Für diese Forschungsarbeit wurden daher unter anderem die Sitzungen des 76 | Nullmeier et al. 2003, S. 35. 77 | Nullmeier et al. 2003, S. 35. 78 | Goffman, Erving: Über Feldforschung, in: Knoblauch, Hubert: Kommunikative Lebenswelten. Zur Ethnographie einer geschwätzigen Gesellschaft, Konstanz 1996, S. 267. 79 | Goffman 1996, S. 267.

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Kulturausschusses der Stadtvertretung Norderstedt über ein Jahr teilnehmend beobachtet. Teilnahme bedeutete hierbei, dass der Autor mit an den Tischen des Sitzungsraumes saß und damit über die Dauer zu einem natürlichen, weil regelmäßigen Begleiter des Ausschussgeschehens wurde. Der Auf bau eines Vertrauensverhältnisses ist das zentrale Ziel des politikethnographischen Zugangs zum Untersuchungsgegenstand dieser Forschungsarbeit. Nur über diesen Weg kann sichergestellt werden, dass Informationen und Daten über die Policy kommunaler Kulturpolitik zu erlangen sind. Ohne eine gewisse Vertrautheit mit den kommunalen Akteuren wäre der Zugang zu nichtöffentlichen Unterlagen wesentlich schwerer zu erreichen. Dies gilt, wie die Felderfahrungen zu dieser Forschungsarbeit zeigen, aber auch für Dokumente, die der Öffentlichkeit normalerweise stets frei zugänglich gemacht werden sollten. Dies betrifft unter anderem den Zugang zu Haushaltsplänen in Kopie, Anhängen zu Niederschriften und Ausschussvorlagen sowie statistisches Material der Verwaltung. Die Vertrauensverhältnisse dienen aber nicht nur der Erleichterung oder überhaupt Ermöglichung des Datenzugangs, sondern eröffnen „durch die Teilhabe an der Intimität politischer Situationen im Zuge der Feldarbeit“ einen unmittelbaren Zugang zum „komplexeren Verständnis ihres Gegenstandes“.80 Dieses Verständnis ermöglicht erst eine verlässliche Einordnung von erhobenen Daten – bei der vorliegenden Forschungsarbeit besonders die aus den Experteninterviews und der visuellen Netzwerkanalyse. Dabei ist die mikroanalytische Politikforschung „ein interpretatives Verfahren auf der Suche nach politischem Sinn, den Orten seiner Produktion und seines Einsatzes“81, um zu erkennen, was „die Routinen jenseits dessen sind, was darüber von den Akteuren erzählt wird“82 . Zusammengefasst geht es bei der Politikethnographie der Mikro-Policy-Analyse um zwei grundlegende Aspekte: „nämlich erstens den Zugang zum Feld, durch den man erst in die Lage versetzt wird, Daten erheben zu können; und zweitens die Erhebung des Feldes“83. Für diese Forschungsarbeit ist ein Vorgehen gewählt worden, „das von anfänglicher Offenheit und geringer Strukturierung des Forschungsprozesses geprägt ist“84. Daher ist eine Engführung beim Erkenntnisinteresse durch die teilnehmende Beobachtung notwendig, sodass „entlang der Probleme des Feldes, im Aufgreifen von Begriffen und Selbstbeschreibungen des Feldes und in deren Analysen“85 orientiert zu forschen ist. Die Fragestellungen lauten 80 | Nullmeier et al. 2003, S. 35. 81 | Nullmeier et al. 2003, S. 36. 82 | Nullmeier et al. 2003, S. 37. 83 | Goffman 1996, S. 263. 84 | Nullmeier et al. 2003, S. 37. 85 | Nullmeier et al. 2003, S. 38.

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diesbezüglich, welche Probleme von den Akteuren in welcher Weise erkannt, benannt und verhandelt werden. Im Fokus der Beobachtungen stehen dabei weniger diskursanalytische Aspekte als die Begriffe und Selbstverständnisse, die Hinweise auf Problemlösungskompetenzen geben. Eine weitgehende Freiheit von „vorab festzulegenden Beobachtungskategorien“ geht zwar auf Kosten „maximaler Reliabilität der Beobachtung“86, sichert durch einen sehr geringen Abstraktionsgrad aber die Validität der Ergebnisse. Dies ist im Sinne eines schlüssigen Forschungsdesigns von hoher Wichtigkeit, um kategorial bedingte Verzerrung zu vermeiden.

3.4 N e t z werk analyse durch E xpertenintervie ws und visuelle N e t z werkforschung Die Netzwerkanalyse hat sich als sozialwissenschaftlicher Ansatz zur Untersuchung von Strukturen und Netzwerken vor allem in der quantitativen Forschung bewährt. Wie eine Reihe von Veröffentlichungen87 gezeigt hat, widersprechen sich qualitative Methoden und die Netzwerkanalyse nicht. Es geht „eher um Spannungen zwischen Polen, die durchaus konstruktiv und mit Gewinn für die Netzwerkforschung genutzt werden können“88. Dabei muss bedacht werden, dass der Begriff Netzwerk zunächst nichts weiter aussagt, als dass einzelne Elemente von etwas miteinander verbunden sind. Die klassischen W-Fragen des Wer, Wie und Wann eröffnen erst die Dimensionen, die dem Begriff zuteilwerden können. Was ein Netzwerk im Endeffekt ist, „ist stets eine Frage der Definition“89, und bei einer globalen Überlegung trennen sich hier zunächst Netzwerke sozialer Dimension von technologischen Netzwerken. Unter der sozialen Dimension schließt sich bei deren Betrachtung dann die Frage nach der Perspektive auf das Netzwerk an. Damit einher geht auch unmittelbar die Frage, wie das Netzwerk untersucht werden soll. Beide Fragen sind zur Abgrenzung des zu wählenden Untersuchungsgegenstandes zu beantworten, wobei sich die tatsächliche Methodenwahl an den Erfordernissen des Gegenstandes orientieren muss. Die Bandbreite an quantitativen wie qualitativen Methoden in der Netzwerkforschung ist umfangreich. Grundsätzlich bieten qualitative Verfahren 86 | Nullmeier et al. 2003, S. 39. 87 | Vgl. z. B. Stegbauer, Christian/Häußling, Roger (Hrsg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden 2010; Stegbauer, Christian (Hrsg.): Netzwerkforschung und Netzwerktheorie, Wiesbaden 2010 und Hollstein, Betina/Straus, Florian (Hrsg.): Qualitative Netzwerkanalyse, Wiesbaden 2006. 88 | Hollstein/Straus 2006, S. 13. 89 | Hollstein/Straus 2006, S. 14.

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für die Politikwissenschaft wichtige Instrumente, um sich mit Forschungsbereichen auseinandersetzen zu können, die in der Policy-Forschung noch wenig oder gar keine Beachtung finden. Dazu zählt auch die (kommunale) Kulturpolitik, die allenfalls im Bereich der Auswärtigen Kulturpolitik in den Fokus rückt. Kulturpolitik ist bisher weitgehend unbeachtet geblieben, was umso erstaunlicher ist, als doch ein wesentlicher Anteil öffentlicher Kulturförderung von den Städten und Kommunen geleistet wird, wie die nachstehende Abbildung zeigt. Abbildung 3.3: Verteilung der öffentlichen Kulturausgaben (2013) nach föderalen Ebenen nach Körperschaftsgruppen in Mill. Euro 90

1 889 ,1 16%

4 881,4 41%

Bund

L ä nder

5 0 31,6 43%

Gemeinden/ Z w eckv erbä nde

Für eine entsprechende „Annäherung an die Realität, den Forschungsgegenstand“91, bieten sich verschiedene Aspekte an, um den jeweiligen Untersuchungsgegenstand aufzufassen, die auch in dieser Forschungsarbeit leitenden Charakter haben. Drei davon sollen hier kurz umrissen werden. Erstens: Die qualitative Untersuchung „dient hier der Exploration“ des Untersuchungsgegenstandes, besonders wenn die Policy weitgehend unerforscht ist. Ein exploratives Vorgehen hilft „bei einer Analyse von Politiknetzwerken oder Kooperationsnetzwerken in der Forschung, [wenn] zunächst einmal wichtige Themen, Ereignisse, relevante Akteure und Arten der Zusammenarbeit eruiert werden müssen“. Die „Mittel der Wahl“, die ganz wesentlich als Metho-

90 | Eigene Darstellung nach: Kulturfinanzbericht 2016, S. 29. 91 | Hollstein/Straus 2006, S. 20.

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den zur Untersuchung der kommunalen Kulturpolitik zur Anwendung kommen, sind „neben Dokumentenanalysen, insbesondere Experteninterviews“.92 Zweitens: Besondere Eignung als qualitatives Verfahren wird den „Deutungen der Akteure“ zugeschrieben, um „subjektive Wahrnehmungen, individuelle Relevanzsetzungen und handlungsleitende Orientierungen zu erfassen“.93 Diese Aspekte betreffen besonders auch das Wissen und die politischen Praktiken der Akteure, wie sie von Nullmeier et al. beschrieben werden, die zu jeweiligen Positionierungen führen können. Drittens: Zur Annäherung an die „Handlungsvollzüge der Subjekte“ sieht Hollstein „offene Beobachtungs- und Interviewverfahren“, um zum Beispiel die Verhältnisse von „formellen und informellen Netzwerken“ zu erfassen.94 Hinsichtlich der Beobachtungsverfahren liegt das politikethnographische Verfahren der teilnehmenden Beobachtung nahe, bei dem auch eher unwissenschaftlich wirkende Elemente des Smalltalks mit den Akteuren des Untersuchungsgegenstandes eine Rolle spielen. Der Auf bau von Vertrauen, um auch einen möglichen verzerrenden Einfluss durch die Gegenwart des Forschers zu minimieren, ist unablässig, um Zugang zu internen Dokumenten, aber besonders auch zu nicht schriftlichen Zeugnissen zu erhalten. Eine Beschränkung auf rein qualitative Methoden wäre aber gerade auch bei wenig erforschten Policy-Bereichen nicht angeraten. Einfache quantitative Auswertungen von Dokumenten und Netzwerken sowie Erhebungen von statistischen Werten der verschiedenen Akteure sind zumindest für die Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes insgesamt wichtig. Für diese Forschungsarbeit sind die qualitativen Methoden in diesem Sinne um quantitative in Form von vollstandardisierten Fragebogeninterviews und den Dokumentenanalysen von Protokollen ergänzt worden. Nachfolgend werden die Methoden, die zur Anwendung kommen, kurz vorgestellt. Die Verfahrensdetails der Methoden sind den entsprechenden Abschnitten der Kapitel vier und fünf vorangestellt, um den direkten Bezug zur Anwendung zu halten.

3.4.1 E xperteninter views Das Experteninterview als qualitative Methode liefert Einblicke in interne Zusammenhänge, über die zumeist nur die befragten Akteure als Träger des entsprechenden Wissens Auskunft geben können. Das Ziel der Befragung liegt aber nicht allein in der Ermittlung von Fakten oder der Rekonstruktion von Prozessen, sondern auch in der Erforschung von Strukturen, die besonders 92 | Hollstein/Straus 2006, S. 21. 93 | Hollstein/Straus 2006, S. 21. 94 | Hollstein/Straus 2006, S. 21.

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die informellen Netzwerke aufweisen. Zur Anwendung bei dieser Forschungsarbeit kommen praxisnahe Erkenntnisse von Jochen Gläser und Grit Laudel, die anhand von Forschungsbereichen und Sportlerbiografien die Verfahrensschritte von Experteninterviews darlegen.95 Zunächst ist eine Einordnung des Experten-Begriffs notwendig. Grundsätzlich unterscheidet sich der Experte vom Nicht-Experten durch sein Wissen über bestimmte Gegenstandsbereiche, die meistens mit einem entsprechenden Erfahrungsschatz einhergehen. Dies hebt ihn von der Masse ab, sodass er auf seinem Spezialgebiet zur Elite gezählt werden kann, da er „über ein besonderes Wissen verfügt“96. Die Perspektive, aus der heraus ein Erkenntnisinteresse an einem Gegenstandsbereich als Untersuchungsgegenstand besteht, kann dazu führen, bestimmte Akteure zu Experten zu erklären, ohne dass diese sich selbst in der Position dazu wähnen. Aus Sicht des Interesses an kommunaler Kulturpolitik rücken so deren Akteure in den Fokus. Die Experten sind dabei in einem vorbereitenden Verfahren zu ermitteln, sofern sie nicht per se als solche anerkannt sind. Auch bei der vorliegenden Forschungsarbeit steht zunächst die Ermittlung der zu befragenden Experten an. Dabei wird angenommen, dass diejenigen Akteure erkenntnisfördernde Angaben machen können, die in kulturpolitischen Prozessen in hervorhebbarer Weise identifizierbar sind. Die Identifizierung erfolgt dabei über deren dokumentierte Präsenz, wie sie durch Dokumentenanalysen recherchiert, aber auch durch Feldbeobachtungen erkannt werden kann. Dazu wurde der Frage nachgegangen, welche Einzelakteure als Wortführer quantitativ und qualitativ in Erscheinung treten. Die Vorgehensweise und eine entsprechende Analyse der Wortführerschaft werden in den Kapiteln 3.4.1 und 4.1.3 zur Analyse der Experteninterviews gegeben. Für die daraufhin mit den Experten durchzuführenden Interviews kommt ein einheitlicher Leitfaden zur Beantwortung von operationalisierten Forschungsfragen zum Einsatz. Die forschungsleitenden Fragen sind auf die Ziele und Interessen der Akteure, auf deren Situationen und Prozesse ausgerichtet, um Erkenntnisse über Handlungen und Handlungsbedingungen sowie Konflikte und Beziehungsstrukturen zu erfahren. Konkret standen die Forschungsfragen zur Klärung an, wie Akteure und Projekte kulturpolitische Entscheidungsprozesse beeinflussen.97

95 | Vgl. Gläser, Jochen/Laudel, Grit: Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse, Wiesbaden 2010, S. 17ff. 96 | Gläser/Laudel 2010, S. 11. 97 | Der Leitfaden der Experteninterviews wird in Kapitel 4.1.2 erläutert.

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3.4.2 Net-Mapping-Verfahren als Instrument der visuellen Netzwerkforschung Der Vorteil von grafischer Veranschaulichung von Zusammenhängen und Abgrenzungen oder Modellen und Abläufen liegt nicht nur in der Visualisierung, sondern ist selbst ein Instrument der Datenerhebung. Für die Netzwerkanalyse „spielte die Visualisierung schon in ihrer Entstehungsphase eine wichtige Rolle“. Dabei „dient die Visualisierung von Netzwerken nicht nur der (Re-) Präsentation quantitativ erhobener Netzwerkdaten“, sondern kann selbst „den Erkenntnisprozess durch das ‚Veranschaulichen‘ komplexer Netzwerkstrukturen“, die von Akteuren gebildet werden, sichtbar machen. Darüber hinaus sind durch „heutige Visualisierungssoftware“, aber auch durch weiterentwickelte und verfeinerte Instrumente, Analysen durch das Visualisieren selbst möglich.98 Für diese Forschungsarbeit kommt das Net-Mapping-Verfahren als Instrument zur Anwendung. Durch die partizipative Form ist es besonders geeignet, informelle Netzwerke zu erfassen. In direkter Verfahrenskombination mit der Durchführung der Experteninterviews können die daraus resultierenden Erkenntnisse mit Netzwerkkarten verbunden werden, die die befragten Experten unter Anleitung selbst erstellen. Dieser partizipative Zugang hat den Vorteil, dass die Netzwerkkarten nicht aufgrund von (extra dafür erhobenen) quantitativen Daten beruhen, sondern direkt von denen stammen, über die die Netzwerkkarten Veranschaulichung bieten sollen: die Akteure und ihre Beziehungen. Der methodologische Vorteil liegt in einem geringeren Abstraktionsniveau und ist frei von Interpretations- oder Berechnungsschritten durch den Forscher. Da die Durchführung aber in eine Befragungssituation mit standardisiertem Ablauf gefasst ist, sind die Ergebnisse in jedem Fall für Vergleiche reliabel einsetzbar. Neben der Visualisierung von Netzwerken durch Karten können auch Netzwerk-Bilder erstellt werden, die sich hinsichtlich der Gestaltungs- und Vergleichbarkeit in Teilen unterscheiden. Die unterschiedlichen Entwicklungsschritte hat Michael Schönhuth in einem Beitrag über die „Landkarten sozialer Beziehungen“99 nachgezeichnet. In diesem weist er auch auf „Net-

98 | Alles: Schönhuth, Michael/Gamper, Markus: Visuelle Netzwerkforschung. Eine thematische Annährung, in: Schönhuth, Michael/Gamper, Markus/Kronewett, Michael/ Stark, Martin (Hrsg.): Visuelle Netzwerkforschung. Qualitative, quantitative und partizipative Zugänge, Bielefeld 2013, S. 10. 99 | Schönhuth, Michael: Landkarten sozialer Beziehungen. Partizipativ-visuelle Datenerhebung mit haptischen und elektronischen Werkzeugen: Entwicklung – Typen – Möglichkeiten – Grenzen, in: Schönhuth, Michael/Gamper, Markus/Kronewett, Michael/

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Map“100 zur Netzwerkvisualisierung hin. Dabei wird „mit Hilfe von Spielsteinen eine dritte Dimension in die Karte eingeführt“101. Diese Weiterentwicklung der Netzwerkkartierung hat Eva Schiffer 2007 für das International Food Policy Research Institut (IFPRI) entwickelt und verfolgt das Ziel, den Einfluss der jeweiligen Akteure auf das gesamte gezeichnete Netzwerk anzuzeigen. Damit lassen sich nicht nur die Positionen der Akteure und ihre Beziehungen – mithin Akteurkonstellation – ermitteln und darstellen. Auch deren globaler Einfluss auf das Gesamt-Netzwerk wird markiert. Zur Anwendung kam das Visualisierungsinstrument unter anderen, um die Frage zu beantworten, wie lokale und regionale Akteure die Steuerung von kleinen Agrareinheiten in Nord-Ghana gestalten.102 Die Anwendung des Net-Mapping auf den Policybereich kommunaler Kulturpolitik erscheint vordergründig davon weit entfernt. Bei der Durchführung zeigte sich aber, dass durch den niedrigschwelligen und partizipativen Zugang des Instruments inhaltliche Verständnisschwierigkeiten vermieden werden können. Auch der Aktivitätsaspekt des Partizipativen, also nicht nur passiv Fragen zu beantworten, sondern aktiv eine Karte zu zeichnen, stellte keine nennenswerte Hürde dar, wenngleich bei einigen befragten Experten zunächst leichte Verwunderung zu verzeichnen war – eine zudem ethnomethodologische Erkenntnis über das Instrument.

3.5 Triangul ation aus qualitativen , quantitativen und partizipativen Z ugängen Die bis hier vorgestellten Methoden und Instrumente vereinen alle das Ansinnen, möglichst reliable und valide Daten und Erkenntnisse über die noch weitgehend unerforschte Policy der (kommunalen) Kulturpolitik zu erreichen. Damit sind zwei zentrale Gütekriterien genannt, deren Gehalt im Design dieser Forschungsarbeit gewahrt werden soll. Dass die wissenschaftliche Vorgehensweise reliabel sein muss, um die Aussagefähigkeit der Ergebnisse und Stark, Martin (Hrsg.): Visuelle Netzwerkforschung. Qualitative, quantitative und partizipative Zugänge, Bielefeld 2013, S. 57ff. 100 | Schiffer, Eva/Hauck, Jennifer: Net-Map: Collecting Social Network Data and Facilitating Network Learning through Participatory Influence Network Mapping, in: Field Methods 22, Thousand Oaks 2010, S. 231ff. 101 | Schönhuth 2013, S. 65. 102 | Schiffer, Eva/Hauck, Jennifer/Abukari, Moses: Net-Map. A Tool to understand How Actors Shape the Governance of Small Reservoirs in Nothern Ghana, in: Schönhuth, Michael/Gamper, Markus/Kronewett, Michael/Stark, Martin: Visuelle Netzwerkforschung. Qualitative, quantitative und partizipative Zugänge, Bielefeld 2013, S. 277ff.

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Erkenntnisse überhaupt zu gewährleisten, bedarf keiner Diskussion. Mit den Ausführungen zur Kombination der Theorien und Ansätze sowie den Methoden und Instrumenten ist ein Mixed-Method-Design erarbeitet worden, dass der Validität Rechnung trägt. Wie Udo Kuckartz herausgearbeitet hat, sind Mix-Methods lediglich „die Kombination und Integration von qualitativen und quantitativen Methoden im Rahmen des gleichen Forschungsprojekts“103, die variantenreiche Forschungsdesigns hervorbringen. In der wissenschaftlichen Debatte über die Entwicklung von qualitativen wie quantitativen Methoden spielt aber auch die Triangulation von Methoden oder Theorien eine Rolle, wenngleich hier wesentlicher kritischer auf den Begriff im Kontext sozialwissenschaftlicher Forschung geblickt wird. In seinem Ursprung der Geodäsie entlehnt, wird Triangulation für die Sozialwissenschaften als „nicht unproblematisch“ bezeichnet, da sie als „Operation des naturwissenschaftlichen Messens“ diesem verhaftet sei.104 Die Übertragung des triangularischen Grundgedankens auf die problemzentrierte und erkenntnisorientierte Policy-Forschung sollte jedoch keine Verhinderung wegen dessen Herkunft aus der naturwissenschaftlichen Forschung evozieren. Der Vorteil der Triangulation nicht nur für die wissenschaftliche Reliabilität, sondern auch für die Validität liegt darin, „dass mehr als eine Perspektive zur Untersuchung einer Forschungsfrage eingesetzt wird“105. Dies trifft auch für diese Forschungsarbeit zu, denn die Annäherung an und die Analyse des kommunalen kulturpolitischen Systems erfordert, nicht nur die verschiedenen Akteure und Akteurgruppen spezifisch zu untersuchen. Auch die Berücksichtigung von deren Perspektiven und Deutungen ihrer Netzwerke ist für die Schärfung der Validität wichtig. Zu diesen Überlegungen ist noch hinzuzufügen, dass die Übertragung von Inhalten und Fakten „politischer Wirklichkeit und politischer Ordnung, also: politikbezogene ‚politics of reality‘“106 hin zur „Medien- und Dokumentenwirklichkeit“107 einen Interpretationsschritt impliziert, bei dem „vorgeschlagene Sinndeutungen anderer“108 prägend sind. Diese Surrogate können durch die teilnehmende Beobachtung, direkte Kommunikation mit den Akteuren des Untersuchungsgegenstandes sowie mittels Experteninterviews zum Teil umgangen werden. Verkürzungen, Auslassung oder gar Ausschweifungen, aber 103 | Kuckartz, Udo: Mixed Methods. Methodologie, Forschungsdesigns und Analyseverfahren, Wiesbaden 2014, S. 33. 104 | Kuckartz 2014, S. 46. 105 | Kuckartz 2014, S. 47. 106 | Patzelt, Werner J.: Grundlagen der Ethnomethodologie. Theorie, Empirie und politikwissenschaftlicher Nutzen einer Soziologie des Alltags, München 1987, S. 237. 107 | Patzelt 1987, S. 269. 108 | Patzelt 1987, S. 269, [H.i.O].

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auch (Um-)Formulierungen, (Um)-Deutungen bzw. Interpretationen in Medien und Dokumenten können so erkannt und eingeordnet werden. Für die kommunale Ebene, auf der die Dokumentenlage weniger ausführlich ist als auf anderen föderalen Ebenen, gilt, dass Ereignisse und Sachverhalte zudem auch rekonstruiert werden müssen, um politische Prozesse nachvollziehen und analysieren zu können. Derartige Rekonstruktionen erfolgen in der Regel ex post und werden aus den Erfahrungen und Erlebnissen der Akteure mit verschiedenen Erhebungsinstrumenten ermittelt. Da ex post gewonnene qualitative Daten bereits einer zeitlichen und einer subjektiven Filterung unterliegen, kann die Untersuchung einer Policy in Form teilnehmender Beobachtung und damit sozusagen ex inter, präzisierende und vor allem unmittelbare Erkenntnisse bringen. Denn Erkenntnisse hierfür können in der Regel nicht im Nachhinein aus schriftlichen Dokumenten von Verwaltungsvorgängen, Gremien-Protokollen, Satzungen, etc. gewonnen werden, da deren indirekte Form keine Rückschlüsse auf Intentionen oder detaillierte Wortbeiträge zulassen.109

109 | Vgl. Blum, Sonja/Schubert, Klaus: Politikfeldanalyse, Wiesbaden 2009, S. 44f.

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4 Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik Kulturpolitik findet sich in vielfältigen Formen und Entwicklungen vor allem auf der kommunalen Ebene. Deren Strukturen und Prozesse sind Gegenstand des Erkenntnisinteresses in diesem Kapitel. Zentrales Untersuchungsinstrument sind dabei Experteninterviews. Neben diesen stehen Dokumentenanalysen im Fokus. Im Detail werden dazu die Eingespieltheiten, politischen Praktiken und Interaktionen von zentralen Akteuren analysiert. Nach einer am Untersuchungsgegenstand orientierten Einführung in die Vorgehensweise bei den Experteninterviews (Kap. 4.1) schließen sich Analysen der Wahrnehmungen und Selbstverständnisse der Akteure über die Policy Kultur an (4.2). Darauf folgen Ausführungen zur Kommunikation im kulturpolitischen Netzwerk (4.3). Danach wird der Blick auf die Akteure und Akteurtypen des Untersuchungsgegenstandes gelegt (4.4), deren Rolle als Urheber bei den Dokumentenanalysen zum Tragen kommt (4.5). Im Policy-Exkurs I wird der fiskalische Aspekt der Meritorik kommunaler Kulturpolitik aufgezeigt (4.6), woraufhin im zweiten Exkurs auf die Wahrnehmungen und die Teilhabe an einem Kulturbetriebsprojekt eingegangen wird (4.7).

4.1 E xpertenintervie ws zur kommunalen K ulturpolitik : E rhebung von P olicy -W issen und politischer P r ak tik Die Pluralität der Ausdrucksformen und ihre Aushandlungen folgen ihren Diversitäten entsprechend eigenen Abläufen. In ihrer Gesamtheit sind diese Eigenheiten kommunaler Kulturpolitik und deren politische Praktiken nur kryptisch dokumentiert. Über einen längeren Zeitraum betrachtet kann diese Dokumentsweise kulturpolitischen Handelns als ein Hinweis dafür gelten, wie Kulturpolitik eigene Referenzen festschreibt – mithin eine kulturelle Ausdrucksform. Je weniger dokumentarische Materialien zur Verfügung stehen, desto umfänglichere Erhebungsmethoden sind erforderlich, die auf partizipative Vorgehensweisen mit den unmittelbaren Akteuren von Untersuchungsobjekten

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Kommunale Kulturpolitik

ausgerichtet sind. Experteninterviews und Netzwerkanalysen sind hierfür zentrale Bausteine methodologischer Konzeptionen von Untersuchungsdesigns. Für die Ermittlung von Policy-Wissen und politischer Praktiken kommunaler Kulturpolitik werden hier Kulturpolitiker und Kulturverwalter sowie Künstler und Kulturschaffende befragt.

4.1.1 Zielsetzung der E xperteninter views Mit der Durchführung von Experteninterviews sollen zunächst zweierlei Erkenntnisse erbracht werden. Als erstes spielen prozessuale Aspekte wie die persönlichen und politischen Einschätzungen über Kultur, Politik und Kulturpolitik der zu befragenden Akteure eine Rolle. Durch sie werden Rückschlüsse auf Motivationen, Vorgehensweisen und Ziele erkennbar. Als nächstes stehen das Ermitteln von kulturpolitischen Strukturen und Prozessen vor dem Hintergrund bestimmter Themen und Akteure und die Rekonstruktion von Ereignissen kulturpolitischer Prozesse an. Aus dem Zusammenspiel lassen sich die dokumentierten durch die erhobenen Fakten und deren Auswertung einordnen. Mit Experteninterviews erhält und gewinnt man bestimmte Informationen und Erkenntnisse, die weder im öffentlichen Diskurs beobachtet werden können noch durch Dokumentation zur Verfügung stehen. Bei diesen Informationen handelt es sich zumeist um Inhalte und Fakten, die in Situationen entstanden sind, die nicht verschriftlicht werden. Dies betrifft beispielsweise informelle Gespräche zwischen einzelnen Akteuren, die in einem „institutionenfreien Kontext, in dem die Akteure interagieren“1 stattfinden. Als Interaktionsform ist dies bei Fritz Scharpf das „Einseitige Handeln und wechselseitige Anpassung“2, die „ohne wechselseitige Verpflichtungen oder eine bereits existierende Beziehung zueinander“3 erfolgen kann. Im Sinne der Mikro-Policy-Analyse rekuriert dies auf die politischen Praktiken, „die unterhalb von Institutionen angesiedelte Abläufe auf der Ebene von einzelnen Interaktionen und Kommunikationen“4 evozieren. Neben dem informellen Charakter derartiger Gespräche besteht auch die Möglichkeit, dass bei diesen Gelegenheiten Verabredungen getroffen werden. Daher schließt der Bereich politischer Praktiken mitunter die Scharpfsche Interaktionsform der „Verhandlungen“5 mit ein, sofern diese auf subinstitutioneller Ebene durchgeführt werden. Bestandteile der Gespräche können Details 1 | Scharpf 2000, S. 169. 2 | Vgl. Scharpf 2000, S. 167ff. 3 | Scharpf 2000, S. 169. 4 | Nullmeier et al. 2003, S. 18. 5 | Scharpf 2000, S. 197ff.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

sein, die auf eine spätere Entscheidung oder Handlung eines Akteurs maßgeblichen Einfluss nehmen. Dadurch erhalten sie eine mögliche systemische Relevanz. Diese Form der Vorbereitung von Entscheidungen gehört beobachtbar auf den höheren föderalen Ebenen zu den üblichen Politics. Nebenabsprachen oder Give-And-Take-Policies sind hier zwei Beispiele für derartige Politics-Phänomene, die de facto institutionalisiert sind, aber zumindest in Teilen den parlamentarischen Gepflogenheiten bzw. den verfassungsgemäßen Ordnungsprinzipien widersprechen. Das Vorkommen derartiger Konstellationen und Prozesse in Interaktionen bildet Formen und Strukturen informeller Governance heraus, die ein oder mehrere Netzwerke ergeben. Für den Bereich der kommunalen Kulturpolitik gilt es daher, ein Netzwerk sichtbar zu machen und die Prozesse darin exemplarisch aufzuzeigen. Daher wird nach den Akteuren und Inhalten gefragt, über die aber per se nur wenig dokumentarisches Material vorliegt. Folglich sind Experteninterviews erforderlich, um die notwendigen Informationen und Erkenntnisse über Strukturen, Prozesse und Netzwerke erhalten zu können.

4.1.2 Leitfragenentwicklung für die E xperteninter views Leitfragen dienen zunächst einer strukturierten Gesprächsführung. Erst durch sie können die Aussagen der Befragten so eingeordnet werden, dass sie mit den Aussagen der anderen Befragten in Beziehung bzw. in Vergleich gesetzt werden können. Sie sind zugleich auch Operationalisierungen der Fragestellung(en) für die gesamte Untersuchung6 und stellen eine Konkretisierung des Erkenntnisziels dar. Daraus werden die Leitfragen für die einzelnen Experteninterviews entwickelt.

Fragestellungen zur Leitfragenentwicklung: Welche Interdependenzen von Kulturbegriff und Kulturpolitik können ermittelt werden, und inwiefern sind diese für das kulturpolitische System konstitutiv? Wie werden die Akteure und Akteurgruppen des kulturpolitischen Systems wahrgenommen, und in welcher Hinsicht determinieren diese das kulturpolitische Netzwerk? Inwiefern konstituieren sich Akteurkonstellationen, und lassen sich diese im Netzwerk verorten?

6 | Vgl. Gläser/Laudel 2010, S. 91.

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Kommunale Kulturpolitik

Ausgehend von diesen Fragestellungen geht es um die Formulierung von Leitfragen, welche die Interviews strukturieren und zielorientiert durchführbar machen. Zudem werden so die Antworten auf dieselben Fragen erst zu einer differenzierten Darstellung derselben Themen, Aspekte und Sachverhalte führen. Orientierung für die Entwicklung und die Abfolge von Leitfragen bieten Jochen Gläser und Grit Laudel. Ihr Auf bau „von typischen Elementen von Leitfragen“7, den sie als Checkliste bezeichnen, beinhaltet grob fünf Fragenkomplexe. Auf Basis dieser werden die Fragen hier zur Strukturierung und Erstellung des leitenden Frageablaufs in zwei Blöcke unterteilt. Im ersten Block werden Fragen zur eigenen Auffassung von Kultur allgemein, Kulturpolitik und nach kulturpolitischen Akteuren in Norderstedt gestellt. Dabei steht der verwendete Kulturbegriff, das Selbstverständnis über die Policy Kultur sowie die Ziele und Interessen der Akteure im Fokus. Im zweiten Block geht es um die Ermittlung von – und soweit möglich – Rekonstruktion bestimmter Prozesse und Situationen. Das Ziel ist, dass die Befragten aufgrund einfacher Fragen Prozesse und Strukturen von selbst benennen, damit ermittelt werden kann, was den Befragten wichtig erscheint. Zu rekonstruieren sind Daten und Inhalte eines Prozesses, die nicht in anderen dokumentierten Formen wie Protokollen, Schriftverkehren oder Aktenvermerken vorliegen. Dazu werden auch Fragen nach Problemen und Konflikten sowie deren Gründe und eventuellen Lösungen gestellt.8 Diese beiden Fragenblöcke sollen Einblicke in die Enge oder Ferne der Beziehungen der Akteure untereinander geben. Diese stehen im Zusammenhang mit der Erstellung von Netzwerkkarten, dem sogenannten Net-Mapping, aus denen ein präzises Netzwerkschaubild erarbeitet wird. Zusammen ergeben sich daraus auch Auskünfte über die Qualität der Beziehungskonstellationen und die globalen Einflüsse im Netzwerk.9 Konkret ergeben sich aus den leitenden Fragestellungen die nachstehenden Leitfragen, die sich in der Wortwahl und -formulierung deutlich von der wissenschaftlichen Fragestellung unterscheiden, um jedem Befragten angemessen und allgemeinverständlich begegnen zu können. Dies ist auch Voraussetzung, um vergleichbare Antworten und Ergebnisse zu erhalten. Sie stellen damit die eingangs angesprochene Operationalisierung der Fragenstellungen für die Durchführung der Experteninterviews dar.

7 | Gläser/Laudel 2010, S. 92. 8 | Vgl. Checkliste von Gläser/Laudel 2010, S. 93. 9 | Das Net-Mapping als letzter Teil der Experteninterviews wird in Kapitel fünf vorgestellt und die Ergebnisse ausgeführt.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Leitfragen für die E xperteninter views: Zur Einführung in das Gespräch werden allgemeine Fragen zum Kulturbegriff und zur Kulturpolitik gestellt. Diese werden je nach Interviewpartner in entsprechenden Varianten modifiziert: • Was ist für Sie Kulturpolitik? Wie definieren Sie Kulturpolitik? • Wie würden Sie die Bedeutung von Kulturpolitik allgemein einordnen? • Wie attraktiv ist es für einen Kommunalpolitiker, Teil des Kulturausschusses zu sein im Verhältnis zu anderen Politikbereichen/Themen bzw. Kulturpolitik zu machen? • Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Faktoren der Partei- oder Verwaltungszugehörigkeit bei kommunalpolitischen Themen? Es folgen Fragen zur Ermittlung der vom Befragten wahrgenommenen und mit ihm vernetzten Akteure und deren Interaktionen: • Wer oder was sind Ihre Informationsquellen bei der kulturpolitischen Arbeit? • Mit welchen Personen und Einrichtungen haben Sie dabei zu tun? • Mit wem (be-)sprechen Sie (sich) über kulturpolitische Themen? • Wie ist dabei das Verhältnis zwischen informellen und formellen Gesprächen? • Welche Akteure haben in der Kulturpolitik nach Ihrer Einschätzung welchen Einfluss? Zur Rekonstruktion von Wissenslücken über Prozesse und Situationen – unter anderem beim Ausbau des Kalksandsteinwerks zum Kulturwerk am See als ein Fallbeispiel10 – und dabei besonders zur Ermittlung des Kenntnisstandes der Befragten werden diese Fragen gestellt: • Wann, wie und durch wen haben Sie zuerst von dem Vorhaben, das ehemalige Kalksandsteinwerk in das Kulturwerk am See umzubauen, erfahren? • Wie hat sich für Sie der Verlauf des gesamten Projektes politisch und in der Umsetzung dargestellt? Wie bewerten Sie das Projekt und seine Umsetzung? • Welche Probleme und Konflikte (und evtl. deren Lösungen) haben Sie wahrgenommen? Durch die Experteninterviews soll vor allem das informelle kulturpolitische Netzwerk aufgefasst und visuell skizziert werden. Dabei sind auch die selbst vorgenommene Verortung der Befragten und ihre Wahrnehmungen des Netzwerks wichtig. Dazu gehört, Interdependenzen innerhalb des Netzwerks und 10 | Vgl. hierzu das Kurzportrait des Untersuchungsgegenstandes in Kapitel 2.3.

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von ordnungspolitischen Strukturen zu erschließen. Dieses muss ohne zu eindeutigem Frage-Vokabular zu erreichen sein, damit die Befragten möglichst klare und eindeutige Aussagen tätigen. Je komplexer und spezifischer eine Frage gestellt wird, desto komplexer würde die dann entsprechend spezifische Antwort eines Befragten ausfallen und damit die Vergleichbarkeit mit den Antworten der anderen Befragten verringern. Daher geht es bei den Fragen über Akteure und Interaktionen um die freie Darstellung und Bewertung der Beziehungen zu anderen Akteuren. Die Aufteilung der Fragenkomplexe ist nicht auf klare Abgrenzungen ­zueinander festgelegt. Vielmehr sind die Übergänge fließend, wenn nicht je nach Interviewverlauf und Themenführung sogar miteinander verwoben. Die Antworten auf die Leitfragen und die sich daraus ergebenden Gesprächsverläufe der Befragungen erweisen sich als komplexe Beschreibung und Erläuterung zum erfragten Thema. Von daher ist es aber gleichwohl sehr wichtig, konkrete Leitfragen für die Gesprächsführung zu haben und den unten stehenden Leitfaden weitgehend konsequent zu verfolgen. Dies gilt besonders für Situationen, in denen sich das Gespräch von den Fragestellungen und dem Erkenntnisinteresse entfernt.

4.1.3 Akteure in Inter views als E xperten kommunaler Kulturpolitik Weder auf Bundes-, Landes- noch auf Kommunalebene werden außerparlamentarische Gespräche standardmäßig dokumentiert, wodurch sich eine informationelle Lücke für die Untersuchung von Policy-Prozessen ergibt. Es bestehen also blinde Flecken, die jedoch Teil von politischen Systemen und Netzwerken sind und auf Entscheidungswege Einfluss haben können. Dies gibt Anlass zu Nachforschungen, die allerdings hinsichtlich der Erbringung von wissenschaftlich haltbaren Nachweisen diffizil sind. Zentrale Fragen zur wissenschaftlichen Motivation stellen die strukturellen Systemkomponenten der Situationen, Orte und Prozesse sowie der Taktiken, Strategien und Kommunikationsweisen von Akteuren dar. Die Akteure auf kommunaler Ebene stehen als politische Persönlichkeiten deutlich weniger im Fokus der Öffentlichkeit als dies auf Landes- oder Bundesebene der Fall ist. Diese geringere Sichtbarkeit führt zu weniger offiziellen bzw. öffentlichen Situationen, in denen die Akteure über politische Problemstellungen und Themen sprechen, Politikformulierungen geben und damit Agenda-Setting betreiben. Zudem gehen sie ihrem politischen Amt in aller Regel in ihrer Freizeit oder als Rentner/Privatier nach, wobei bei der vorliegenden Untersuchung nur zwei der zehn befragten Experten nicht mehr berufstätig sind. Damit steht ihnen eine Vielzahl an Stunden des Tages für umfangreichere politische Arbeiten wie beispielsweise eigene Recherchen zu Sachfragen und Gespräche kaum zur Verfügung. Der Zugang zu Kommunalpolitikern ist

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

daher eingeschränkter als bei Landes- oder Bundespolitikern. Um sich diesen Akteuren und ihren formellen Politics dennoch zu nähern, müssen Räume für Begegnungen gesucht und zum Teil geschaffen werden. Dies erfolgt angeleitet durch politikethnographische Methoden und Instrumente, mit denen Beobachtungen durchgeführt, Kontakte hergestellt und Vertrauen aufgebaut wird. Dadurch ergeben sich Hinweise und Eindrücke auf die in der Policy relevanten Akteure, die als Handlungseinheiten im Fokus einer Mikro-Policy-Analyse stehen. Die nachstehende Übersicht benennt die kulturpolitischen Akteure, die sich als zentrale Akteure des kulturpolitischen Netzwerks durch teilnehmende Beobachtung und einer Wortführeranalyse erweisen. Die Akteurprofile der befragten Experten sind in der nachstehenden Tabelle in der Reihenfolge der durchgeführten Interviews zusammengefasst. Da die Personennamen der Experten für die Untersuchung keine Relevanz haben, sind diese als Experten A1 bis A6 sowie K1 bis K4 anonymisiert. Tabelle 4.1: Befragte Experten des kulturpolitischen Netzwerks Experte/in

Funktion

Interview-Dauer in Std:Min:Sek

A1

01:43:34

A2

01:49:25

A3 A4

Mitglieder des Kulturausschusses

01:41:47 01:12:06

A5

01:39:05

A6

01:14:49

K1

Leitung Kulturbüro

01:11:08

K2

Leitung Kulturverein

01:45:37

K3

Leitung Musikschule

01:03:49

K4

Kulturdezernat

01:28:40

Die Auswahl der in Tabelle 4.1 genannten Akteure erfolgt in zwei Schritten. Durch die teilnehmende Beobachtung der Kulturausschusssitzungen sind erste Eindrücke und Hinweise auf Akteure gesammelt worden, die an den Prozessen der Policy Kultur im Ausschuss aktiv teilnehmen. Da diese Beobachtungen nur über den Zeitraum der Jahre ab 2011 in der Wahlperiode X erfolgten, der Untersuchungszeitraum aber auch die Wahlperiode IX ab Juni 2003 umfasst, wurde eine Analyse der Wortführerschaft auf Basis der Niederschriften des Ausschusses durchgeführt. Die Niederschriften der 76 Kulturausschusssitzungen sind dazu nach den Häufigkeiten der darin dokumentierten Namensnennungen der Kulturausschussmitglieder ausgezählt worden. Diese

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Auszählungen führen zu den in Tabelle  4.1 aufgeführten Akteuren, welche die meisten Nennungen in den Protokollen aufweisen. Unter diesen ist dann nach den bloßen Nennungen der Anwesenheit in den Teilnehmerlisten und der Zuordnung der Namen zu Wortbeiträgen, bei gestellten Anträgen oder zu Vorlagen unterschieden worden, die als Aktivitätsnachweise gelten können. Aus dieser dokumentierten Aktivität wird abgeleitet, dass diese Akteure über ausreichend Erfahrungen und Kenntnisse und somit das Policy-Wissen verfügen, um als Experten verwertbare Auskünfte zu den Untersuchungsfragen geben zu können.

4.1.4 Hinweise zu den Ausführungen und Darstellungen der E xperteninter views In diesem und dem darauffolgenden Kapitel bilden die Ergebnisse der Experteninterviews und die Erstellung von visuellen Netzwerkkarten (Kap. 5) die Grundlage für die Mikro-Policy-Analyse der kommunalen Kulturpolitik in Norderstedt. Zum formalen Vorgehen werden hier ein paar Hinweise gegeben. Die leitfadengestützten Experteninterviews wurden unter Zustimmung der Interviewpartner auditiv aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert. Da es „für die Transkription von Interviewprotokollen […] bislang keine allgemein akzeptierten Regeln“ gibt, sind deshalb „eigene Regeln“ gefasst worden, da das Transkriptionssystem „vom Untersuchungsziel ab[hängt]“. Die Experteninterviews sind daher zwar vollständig, jedoch nicht mit den für die Textform ungeeigneten Wortwiederholungen, lautmalerischen, nichtlexikalischen oder paraverbalen Äußerungen transkribiert worden. Damit entspricht das Vorgehen den Empfehlungen „für rekonstruierende Untersuchungen“, bei denen eine zu hohe „Detailtreue nicht notwendig“ ist. Dazu ist paraphrasierend transkribiert worden, sodass „paraverbale Äußerungen“ sowie Stottern, Lachen, Pausen etc. gestrichen wurden, die Äußerungen im Wortlautsinn des befragten Experten jedoch erhalten blieben. Bezugnehmend auf diese werden in den folgenden Abschnitten direkte und indirekte Zitate als Belege für Aussagen angeführt.11

4.2 W ahrnehmungen und S elbst verständnisse zur P olicy K ultur Die Interdependenzen von Kulturbegrifflichkeiten und kommunaler Kulturpolitik begründen sich in den Wahrnehmungen und Selbstverständnissen zur Policy Kultur. Daraus ergibt sich das Problem, dass den einen Kulturbegriff zu definieren kaum möglich ist, da dieser von den kulturpolitischen Akteu11 | Alle Gläser/Laudel 2010, S. 193.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

ren nicht verhandelt wird. Dennoch haben die Verwendung des Begriffs Kultur und seine vielgestaltigen Bedeutungszuschreibungen wesentliche Auswirkungen auf die Politics und die Policy Kultur. Dies betrifft definitorische Überlegungen der kulturpolitischen Akteure interdependierend mit ihren Wahrnehmungen und Handlungen in der Policy Kultur. Daraus resultieren das kulturpolitische Selbstverständnis und die Gestaltung kulturpolitischer Netzwerke. Sie sind mithin Ausdruck der politischen Kultur und damit von Kulturpolitik selbst.

4.2.1 Definitionsprobleme von Kulturpolitik und die Erfassung als Policy Von Kulturpolitik als einer mit einer klaren Definition ausgestatteten Policy zu sprechen, fällt den interviewten Kommunalpolitikern, Kulturverwaltern und -gestaltern erwartungsgemäß schwer. Dies liegt in der nicht eingrenzbaren Struktur und damit gleichermaßen in der weitreichenden Erweiterbarkeit eines hier sogenannten Gegenstandes Kultur begründet. Im Gegensatz zur Verkehrs- oder Verteidigungspolitik – die zudem Beispiele von verschiedenen Föderalebenen sind – fehlt beim Gegenstand Kultur das Objekthafte, mit dem sich nicht zuletzt visuell oder gar haptisch ermöglichen ließe, zu einer Definition im Sinne einer Abgrenzung zu anderen Policies gelangen zu können. Dies ist ein Ansatzpunkt, der der Definition von Kulturpolitik in zwei Dimensionen Schwierigkeiten bereitet. Sowohl hinsichtlich einer Abgrenzung zu anderen Policies als auch bei der Erfassung, was originäre Kulturpolitik ist oder sein könnte, sind die meisten Fragen unbeantwortet. Die beiden grundlegenden Ansätze, um zu einer Definition zu gelangen, sind die Ermittlung von Aufgaben und Fragestellungen an Kulturpolitik und ein kulturbegrifflicher Definitionsansatz. Letzteres Vorhaben gestaltet sich allein deshalb schon vage und komplex, da die lexikalische Betrachtung von Kultur und das Wort Kulturpolitik ihrerseits Fragen aufwirft12 . Erläuterungsversuche beginnen meist mit einem begriffsgeschichtlichen Einstieg, auf den jedoch die Frage folgen muss, welche Aussagefähigkeit derartige Erklärungsansätze für die Überlegungen zu einer aktuellen und künftigen Kulturpolitik haben können. Hegen, Pflegen und Bewahren sind mithin für Teilbereiche heutiger Kulturpolitik – Stichworte Kulturelles Erbe, Urheberrecht, Digitalisierung – nicht unwichtig, jedoch nicht hinreichend. Sie müssen bei der Fragestellung nach dem Selbstverständnis und der Zielvorstellung an eine flexibel zu fassende Definition von Kulturpolitik scheitern. Anhängig an die Frage nach einem die Kulturpolitik determinierenden Kulturbegriff ist dessen Weite. Im Sinne einer, zugegebener Maßen einge12 | Vgl. hierzu Kapitel 2.1.

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schränkten Messbarkeit stellt sich jedem Kulturpolitiker, gleich auf welcher föderalen Ebene, nichts weniger als die nicht endgültig beantwortbar erscheinende Frage danach, was Kultur denn sei oder nicht zu sein hat. Ausdruck kann dies in einer Kategorisierung von Kultursparten von eng bis weit finden, ohne dass diesen Maßzahlen zuzuordnen wären. Einigkeit herrscht hier lediglich darüber, dass sich die Kategorien zwischen den Extremwerten des absolut weiten und des absolut engen Kulturbegriffs befinden. Ein absolut weiter Kulturbegriff folgt in etwa dem Slogan „Alles ist Kultur“, dessen programmatisches Beispiel „Kultur für alle“ vor allem die Kulturpolitik der 1970er-Jahre13 bestimmte. Hingegen folgt ein absolut enger Kulturbegriff ausschließlich dem Kanon von klassischer Musik und bildenden, darstellenden Künsten sowie musealer Bewahrung; wobei hier im Grunde nur von Kunst-, aber nicht von Kulturpolitik gesprochen werden kann. Da es an den gewünschten Kriterien für eine etwaige Einordnung alsdann kulturpolitisch zu nennender Aufgaben zwar nicht mangelt, jedoch kaum Einigung darüber erzielt wird, fällt es besonders den kommunalen Kulturpolitikern und -verwaltern schwer, sowohl einen eigenen Kulturbegriff als auch eine Definition von Kulturpolitik zu erreichen. Diese zudem auf einen gemeinsam vereinbarungsfähigen Nenner in Form von Kulturentwicklungsplanungen und programmatischen Implementierungen zu bringen, erscheint nicht selten unmöglich. Indiz hierfür sind nicht etwa das Fehlen entsprechender Planungen, sondern vielmehr „ein rasanter Anstieg an kulturellen Planungsprozessen im gesamten Bundesgebiet“14 sowie deren Ausgestaltungen, die oftmals nicht viel mehr sind als Wirtschaftspläne, die die Erhaltung und Verstetigung von Bestehendem zum Ziel haben. Denn Pläne zur Gestaltung der Kulturentwicklung sollten mehr sein als Absichtserklärungen darüber, was erhalten und gepflegt, und was mit welchen Mitteln und Partnern zu stärken und zu fördern ist. Unstrittig ist dabei, das die Akteure von „Kulturentwicklungsplanungsverfahren“ kulturpolitische Zielstellungen formulieren, Schwerpunkte setzen und Maßnahmen definieren, wie diese Ziele erreicht werden können“.15 Die Frage nach den beteiligten bzw. federführenden Akteuren eines Planungsverfahrens ist da schon schwieriger, sodass Dieter Haselbach zu Recht die einfachen W-Fragen hierzu stellt: „Wer plant? Was sind die Ziele von Kulturpolitik? Was macht einen guten Plan aus?“ und

13 | Vgl. von Beyme 2012, S. 164. 14 | Föhl, Patrick S.: Kulturentwicklungsplanung. Instrument zeitgemäßer Kulturpolitik oder überladener Hoffnungsträger?, in: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 144, Essen 2014, S. 32–35. 15 | Föhl, Patrick S.: Kulturentwicklungsplanung. Zur Renaissance eines alten Themas der Neuen Kulturpolitik, in: Sievers et al.: Jahrbuch für Kulturpolitik 2013, Essen 2013, S. 70.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

allen voran „Was ist ‚Planen‘?“.16 Diese Fragen bedürfen zunächst der Klärung von Zuständigkeiten und Kompetenzen sowie Grundlagenwissen, damit „aufbauend auf Bestandsaufnahmen und Analysen“17 die gewünschten Ziele von den Akteuren überhaupt erreicht werden können.

4.2.2 Kulturentwicklungsplanung im Politikzyklus Diese komplexe Gemengelage soll anhand des Policy-Cycle entwirrt werden.18 Fakt ist, dass viele Kommunen, einige Länder und in Teilen der Bund Kulturentwicklungspläne oder -konzeptionen anstreben, erarbeiten oder bereits beschlossen haben. Der Beginn der zugehörigen Verfahren wird in aller Regel aus Problemlagen der Knappheit von Haushaltsmitteln, bei Prozessen demographischer Veränderungen oder durch kulturstrukturelle Erfordernisse gestartet. Dies stellt den Anfangs- respektive Einstiegpunkt in den Policy-Cycles dar: die Problemerkenntnis und -definition. Die Akteure dieses ersten Punktes können aus allen drei Bereichen kommen, sind zumeist aber Einzelpersonen aus der Kulturszene bzw. Kulturschaffende, seien sie privatwirtschaftlich orientiert, Amateure von Kulturvereinen oder hauptberufliche Kulturarbeiter oder -manager wie Intendanten oder Direktoren. Je nach Einbindungsgrad in das jeweilige kulturpolitische Netzwerk gelingt es früher oder später, das Agenda-Setting, zweiter Punkt im Policy-Cycle, zu starten. Spätestens an dieser Stelle wird das Problem zu einem kulturpolitischen Thema gemacht, von dem unter anderen auch Kultur- und andere Fachpolitiker das Erfordernis zur Lösung des Problems erkannt und für sich zur Befassung wichtig angenommen haben. Hier eröffnet sich erst die Möglichkeit einer breiter wirksamen Diskussion des Problems, die auch über den Kreis der Akteure des kulturpolitischen Netzwerks hinausreichen kann. Vom Agenda-Setting ausgehend kann dann beispielsweise von einem oder mehreren Akteuren der Vorschlag zu einer Kulturentwicklungsplanung gemacht werden, wodurch im Policy-Cycle der Weg zur Politikformulierung eröffnet ist. Politikformulierung umfasst dann sowohl das Vorhaben einer Kulturentwicklungsplanung als auch dessen Verfahren in all seinen Bestandteilen – dies betrifft auch die Klärung der oben angesprochenen W-Fragen. Für die Frage nach der Einordnung von Kulturentwicklungsplanungen ist auf dem Policy-Cycle ein vorläufiges Ende erreicht, indem der Plan oder die Konzeption 16 | Haselbach, Dieter: Kulturpolitik planen. Beobachtungen und Schlussfolgerungen aus der Planungspraxis, in: Sievers et al.: Jahrbuch für Kulturpolitik 2013, Essen 2013, S. 95 [H.i.O.]. 17 | Föhl 2013, S. 70. 18 | Vgl. für Darstellungen des Policy-Cycle den Beitrag von Werner Jann und Kai Wegerich im Lehrbuch der Politikfeldanalyse von Schubert/Bandelow 2014, S. 97ff.

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gefasst und seine Anwendung beschlossen wurde. Damit wird der Plan an die Implementierungsphase und damit in aller Regel an die zur Anwendung bestimmten Kulturverwalter oder -manager weitergereicht. Abbildung 4.1 zeigt eine entsprechende Modifikation des idealtypischen Policy-Cycle. In dieser Darstellung weisen die zusätzlichen Pfeilspitzen darauf hin, dass der prozessuale Ablauf nicht linear verlaufen muss. Die grauen Pfeile in der Mitte zeigen zudem exemplarisch mögliche Abkürzungen bzw. größere Rückschritte auf. Abbildung 4.1: Idealtypischer Policy-Cycle zu Kulturpolitik und -management19 Problemfeststellung

PolitikTerminierung: Abschluss des kulturpolitischen Prozesses

Kulturpolitischer Policy-Cycle

(Re)-definition kulturpolitischer Probleme

Kulturpolitische Evaluierung des Entwicklungsplans

Agenda Setting einer Kulturentwicklungsplanung

Politikformulierung: Beschluss zur Kulturentwicklung

Politikimplementierung: Umsetzung des Kulturentwicklungsplans

Es wird an dieser Abfolge ersichtlich, dass die genannten Akteurgruppen Kulturgestalter, Kulturpolitiker und Kulturverwalter/-manager durchaus nacheinander in einem Gesamtprozess auftreten können. Dieser Logik folgend wäre Haselbachs Frage nach dem „Wer plant?“ leicht zu beantworten – die Kulturpolitiker. Dies ignorierte dann allerdings das Erfordernis der Wissensbasis über den konkret zu beplanenden Kulturbereich oder –raum, auf den der Kulturentwicklungsplan abzielen soll. Detaillierte Kenntnisse über Vorkommen, Bedarfe, Zu- und Bestände, Beteiligte, materielle und finanzielle Ressourcen, etc. können in aller Regel nur die Kulturverwalter und -manager bieten, selten die Kulturpolitiker selbst – zumal auf kommunaler Ebene und damit von 19 | Eigene Darstellung nach Schneider/Janning 2006, S. 50.

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Akteuren, die in der Regel Ehrenamtliche sind. Idealiter wäre eine enge Zusammenarbeit der Akteurgruppen, um die kulturadministrative Faktenlage und die kulturpolitischen Zielvorstellungen in möglichst großen Einklang zu bringen. Eine „am besten überparteiliche und unter Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern erarbeitete Planung kann viele Aktivitäten und Initiativen in Gang setzen“20, um einen realistisch umsetzbaren Kulturentwicklungsplan erhalten zu können, der dann auch einem Evaluationsverfahren standhält. Dieser in der Theorie abschließende letzte Punkt des Policy-Cycle ist, und damit wird die Natur des Kreislaufgedankens erst richtig klar, im Idealfall eher nicht das Ende, sondern die Wiederholung eines besseren Beginns. Denn ein guter Beginn ist neben dem Erkennen eines Problems auch die umfassende Kenntnis über den Sachbereich des Problems selbst. Diese Kenntnis ist ohne die eingangs zitierten „Bestandsaufnahmen und Analysen“ jedoch nur sehr unzureichend möglich. Dieser von Föhl in seinem Beitrag mit Gedankenstrichen eingeschobene Punkt findet in der kommunalpolitischen Realität aber nur allzu selten statt. Die Frage nach Evaluationen in der Kulturpolitik des Untersuchungsgegenstandes Norderstedt fallen denn auch ernüchternd aus. Gleich fünf der zehn befragten Experten können auf die Frage, ob bestehende kulturpolitische Evaluationen bekannt sind, keine Auskunft geben. Mehr noch wird kulturadministrativ die Feststellung getätigt, dass es keinen Bedarf für (dauerhafte) evaluative Maßnahmen oder regelmäßige Fortbildungen gebe (K1). Zwar werden sie als sinnvoll erachtet, benötigten ihrerseits aber kulturpolitische Zielvorgaben oder Visionen (K4). So fehlt es offenbar an politischen Forderungen nach der Erhebung von Daten, was von einem befragten Kulturpolitiker auch bestätigt wird, dass Evaluationen nicht stattfindet, da sie von den Kulturpolitikern nicht eingefordert werden. (A1). Es habe Bestrebungen dazu gegeben, die jedoch von anderen Kulturpolitikern als „Kulturkontrolle“ (A1) abgestempelt worden seien. Zusätzliche Brisanz erfährt diese Erkenntnislage durch die Beobachtungen eines anderen Kulturpolitikers, das nur dann Evaluationen – erstellt durch die Kommunalverwaltung – erarbeitet würden, „wenn bei einem Projekt alles gut gegangen ist, eine positive Bilanz zu verzeichnen oder diese herbeizurechnen ist.“ (A2). Dies gelte für die gesamte Kommunalpolitik Norderstedts. Dieser Experte stellt allerdings auch fest, dass sich Kommunalpolitiker für die Details von erfolgten Implementierungen kaum interessierten, solange sich kein für sie auffällig negatives Bild ergebe (A2). Damit wird hier deutlich, dass entgegen der Zusammenfassung von Markus Morr, die Politik werde „vermehrt zum ‚Entscheider‘ und nicht mehr nur zum ‚Abnicker‘ bei kulturpolitischen Planung“ für den Untersuchungsgegenstand zunächst so nicht bestätigt werden kann. Dabei wäre die gemeinsame „Erarbeitung kultur20 | Morr 2011, S. 161.

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politischer Ziele“ durch Kulturpolitik und Kulturadministration hilfreich, um „einen möglichen Entwicklungshorizont in der jeweiligen kulturpolitischen Ausrichtung“ zu erreichen, „der öffentlich diskutiert werden kann“. Dazu bedarf es allerdings des Mutes, „um das Auf brechen bisheriger Förderschwerpunkte und Ausrichtung auf aktuelle und künftige Erfordernisse“ zu wagen. Dies wiederum kann nur gelingen, wenn regelmäßig umfassende Evaluationen zum Erhalt der „Übersicht über die kulturellen Aktivitäten in der Untersuchungsregion“ durchgeführt werden. Erst darauf können zuverlässig der „Prozess-Charakter und ein Sich-Auseinandersetzen mit kulturpolitischen Zielen“ erfolgen, um auch eine Verständigungsform über einen Kulturbegriff zu suchen.21

4.2.3 Verständnisse und Ver wendungen des/eines Kulturbegriffs Entsprechend dieser Eindrücke und Überlegungen aus den Experteninterviews stellen sich auch die Verwendung und das Verständnis des/eines Kulturbegriffs dar. So vermitteln die befragten Experten Eindrücke, die eher auf das Fehlen eines zur Übereinkunft fähigen Kulturbegriffs hindeuten. Der für die kulturpolitische Praxis zu Anwendung gelangende Kulturbegriff wird als „sinnstiftend“ (A2), „das gesellschaftliche Leben“ betreffend und in „Abhängigkeit von persönlichen Affinitäten“ (A5) beschrieben. Resümierend folgert ein anderer Experte, dass Kulturpolitiker einen schwammigen Kulturbegriff hätten (A1), was auch an deren passiver Einstellung liege, denn „Kulturpolitik handelt reaktiv ohne strategische Methoden“ (A1). Diese Aussagen lassen tendenziell auf einen eher weiten Kulturbegriff schließen, der nicht auf die klassischen Sparten der sogenannten Hochkultur beschränkt bleibt. Bezieht man Kulturpolitik als Handlungsraum bei der Betrachtung von Kulturbegriffen mit ein, so sind einerseits Aufgabenbereiche und andererseits daraus resultierende Beziehungen zwischen den Bedeutungen und (deren/ihren) Begriffen erkennbar, die aus Handlungsfeldern und Strukturen ableitend gebildet werden. Hier offenbart sich eine Kulturpolitik der Ermöglichung im Sinne von Bereitstellung, Förderung, freier Entfaltung. Das reicht weit über Aufgabenstellungen von Kulturpolitik hinaus, die sich mit Rahmenbedingungen bis zu Zukunftsinvestitionen zu befassen haben (K1, K2, K3, K4). Diese Zuschreibungen wurden hier hauptsächlich von den Kulturverwaltern so genannt, finden sich in allgemeinerer Diktion aber auch bei den Kulturpolitikern. Einig sind sich dabei alle, dass Kulturpolitik unter fiskalischem Druck, Einsparungen bei Kultureinrichtungen vorzunehmen, stehe (A1). Nicht zuletzt dadurch habe sich die (kommunale) Kulturpolitik in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert. Vor allem liege dies aber an einem veränderten 21 | Alle: Morr 2011, S. 160f.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Kulturbegriff, der grundsätzlich ein Problem für die Kulturpolitik sei, weil sie ihn für sich definieren müsse. Dieser Hinweis des Experten A1 intendiert, dass die Kulturpolitik dieser Aufgabe nicht nachkommt. Vielmehr würde mit diesem Problem, der auf einen Strukturwandel hindeutet, Politik gemacht. Als (bundespolitischen) Beleg, der aber anhand der Einzelfälle durchaus ins Kommunale hineinreicht, führt der Experte das Stichwort Rote Liste des Kulturrats (A1) an. Damit legt der Experte seine Erkenntnis dar, dass Klagen über institutionelle Bedrohungszustände und erschwerend deren Auflistung mit einhergehender Beklagungsrhetorik zwar Prozesse in strukturellen Umbrüchen dokumentieren würden, jedoch keine Überlegungen zu Lösungsansätzen erkennen lassen. Das Beispiel von der roten Liste des Deutschen Kulturrats zeigt auch die föderalen Interdependenzen der Policy Kultur an. Der Deutsche Kulturrat nutzt als reiner Dachverband die strukturellen und fiskalischen Auswirkungen kommunaler Kulturpolitik für seine bundespolitische Lobbyarbeit.22 In ihren Wirkungsbereichen ist diese Gemengelage prägend für die kulturpolitischen, kulturverwaltenden und kulturgestaltenden Akteure, die sich kulturpolitischen und vor allem deren fiskalischen Transformationsprozessen ausgesetzt sehen. Kulturpolitik ist hier also zunächst nur Ermöglichung, bei der Betonung der strikten Nichteinmischung in inhaltliche Belange, die unausgesprochen vor dem Wissen um den dritten Satz des fünften Grundgesetzartikels stehen: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“23 Zudem sei Kulturpolitik eine soziale Aufgabe bzw. ihr komme diese Funktion im Sinne einer „Kultur für alle“-Politik zu (K3). Darüber hinaus erfolgen in den Interviews keine Präzisierungen von Kulturpolitik, die ohne Bezüge zu konkreten Aufgabenstellungen auskommen, die im Wesentlichen aber Implementierungen von Kulturpolitik sind, was auch den vorgenannten sozialpolitischen Aspekt betrifft. Diese wiederum fielen dann aber in den Zuständigkeitsbereich der kommunalen Verwaltung, wie die Mehrheit der Experten meint; also ganz im Sinne des passiven Ermöglichens. Lediglich Bezugnahmen auf fiskalische Aspekte werden – zum Teil handlungsanleitend – genannt. Daher ist Kulturförderung der Hauptaspekt von Kulturpolitik, sei es „durch zur Verfügungstellung von [öffentlichen] Ressourcen“ (A2) wie Räume und Equipment auf Leihbasis und somit indirekter steuerlicher Finanzmittel oder begründet in der persönlichen, parteipolitisch geprägten Politik-Definition. Ein Experte sieht die Aufgabe als Mitglied des Kulturausschusses auch darin, „nicht jede ausgefallene Kulturszene komplett mitzutragen“ (A5). Zwar wird 22 | Vgl. hierzu die „Rote Liste Kultur“ des Deutschen Kulturrates in dessen Zeitung „Politik & Kultur“ und auf https://www.kulturrat.de/thema/rote-liste-kultur/. 23 | Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 5, Satz 3.

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Kommunale Kulturpolitik

„ausgefallen“ nicht weiter spezifiziert, jedoch kann dies als Hinweis darauf gewertet werden, dass der Kulturbegriff in Abhängigkeit fiskalischer Überlegungen enger gefasst wird, als er bedeutungszuschreibend verstanden werden kann. Hier zeigt sich: Der Kulturbegriff wird variabel gehalten, je nachdem, unter welchem Aspekt die Frage nach einer Definition aufgeworfen wird. Fiskalische Dimensionen haben aber offensichtlich determinierenden Charakter auf den zur Anwendung kommenden Kulturbegriff. Ohne Fragen nach Aufgaben oder finanziellen Aspekten ist also kein Profil oder Selbstverständnis der Policy Kultur identifizierbar, aus dem heraus Handlungsorientierungen gefolgert werden könnten. Die Befragten stellen aber auch fest: Der Kulturbegriff „lasse sich schwer abgrenzen, es sei aber ein kreativer Bezug zur Tätigkeit notwendig, folglich gehören zum Beispiel Sport und Politik nicht dazu“ (K2). Die Problematik zwischen Kulturbegriff und Kulturpolitik liegt für die befragten Experten also offenbar auch in der Art der Aktivität ihrer Akteure, die jedoch ebenso nicht eindeutig beschrieben wird, sondern durch Abgrenzungen zu anderen Bereichen erfasst werden kann. Der Begriff der Kreativität wird dazu als ­k ünstlerisch-schaffender Bezug gewählt. Eine theoretische Erörterung von Kreativität und Kulturbegriff ist insofern in einem kulturpolitischen Zusammenhang nicht möglich, als gegenwärtige Kulturpolitik genau diese Erörterung nicht leistet. Dennoch sind es Folgerungen und Implikationen kommunaler Kulturpolitik, die aus dem nicht verhandelten Begriff Kultur zu beobachten sind. Als pars pro toto sei daher Andreas Reckwitz zitiert, der zur Verwendung des Kreativitätsbegriffs feststellt, dass „Kreativität ein Modell des ›Schöpferischen‹, welches diese Tätigkeit des Neuen an die moderne Figur des Künstlers, an das Künstlerische und Ästhetische zurückbindet“24 impliziert. Dabei gehe es „um mehr als um eine rein technische Produktion von Neuartigem, vielmehr um die sinnliche und affektive Erregung durch dieses Neue in Permanenz. Es geht um eine entsprechende Modellierung des Individuums als schöpferisches Subjekt, die dem Künstler analog ist.“25 Die Frage danach, was Kultur ist, oder was es nicht sein soll, kann von den Experten nicht ohne synonymische Bezüge und auch nicht ohne Rückgriff auf Fragekonstellationen ermittelt werden, die mit klar umrissenen Aufgaben und Zuständigkeiten ausgestattet sind. Wobei dies zunächst als ein eher hilfloses Unterfangen wirkt, denn auf die Frage nach den Aufgaben von Kulturpolitik geben die befragten Experten klare Antworten, die die folgenden Vorstellungen beinhalten.

24 | Reckwitz, Andreas: Die Erfindung der Kreativität, in: Kulturpolitische Mitteilungen 141, Bonn 2013, S. 23. 25 | Reckwitz 2013, S. 23.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Tabelle 4.2: Aufgabenstellungen für Kulturpolitik Kulturpolitik als

Kulturpolitik ist (es/,)

erklärte Aufgabe

unter dem Aspekt

Verantwortung für die Kultur tragen.

Fürsorge

Kultur für viele zu ermöglichen.

Teilhabe

künstlerisches und kulturelles Erbe zu bewahren und zu pflegen.

Erhalt/Pflege

den Kulturvereinen Möglichkeiten zu eröffnen, Angebote zu machen.

Förderung

gesellschaftliches Leben zu gestalten.

Gestaltung

ein breites Spektrum an kulturellen Aktivitäten zur Verfügung zu stellen.

Vielfalt

Sorge dafür zu tragen, ein der Bedeutung und Größe der Stadt angemesse- Repräsentation nes Kulturangebot zu bieten. nur die Schaffung von Grundlagen und Definierung von Rahmenbedingungen für kulturelle Aktivitäten.

Freiheit

eine gerechte Verteilung von Kulturförderungen.

Teilhabe

die Förderung von kulturellen Nischenprodukten.

Förderung

die Festlegungen von Rahmenbedingungen für kulturelle Aktivitäten.

Regelung

die Subventionierung von Kulturveranstaltungen.

Förderung

der Betrieb öffentlicher KultureinrichAnbieter tungen. Diese nach Aspekten kategorisierte Auflistung verdeutlicht den breit angelegten und beanspruchten Bedeutungshorizont von Kulturpolitik, der als möglich angesehen wird – also nichts weniger, als das große Ganze der kulturellen Ausdrucksformen einer Gesellschaft und damit im Sinne der UNESCO-Kommission. Diese (kommunalpolitisch) zu betreuen und möglichst vielen Bürgern Teilhabe zu ermöglichen, dabei aber die Freiheit von Kunst und Künstlern nicht einzuschränken, ist ein konsensfähiger Zielbereich von Kulturpolitik. Die Liste offenbart aber auch das Problem des nicht verhandelten Kulturbegriffs einer Gesellschaft. Die erklärten Aufgaben in der Tabelle  4.2 bleiben zumeist so vage, dass an ihnen nur schwer konkrete Zielvorstellungen einer strategischen oder planvollen Kulturpolitik abzulesen sind. Durch diese Unbestimmtheit des Kulturbegriffs lässt sich Kulturpolitik leicht auf das Beaufsich-

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Kommunale Kulturpolitik

tigen der öffentlichen Kulturverwaltung in der Art eines Aufsichtsrats reduzieren, welcher für nicht viel mehr Interesse zu zeigen scheint, als die Einhaltung von fiskalischen Vorgaben, von Grundsätzen der Verteilungsgerechtigkeit und punktueller Messbarkeit von kulturpolitischen Implementationen in einfachen Maßen wie beispielsweise Besucherzahlen oder Kostendeckungsgraden. Diese sind dann auch die einzigen, regelmäßig zum Einsatz kommenden evaluatorischen Mittel, sofern diese überhaupt eingesetzt werden. Unter anderen Gründen führt die Unbestimmtheit des Kulturbegriffs zu einem konzeptionell vagen Aufgabenbild eines Kulturausschusses. Wollen deren Mitglieder und die Fraktionen bzw. Parteien, denen sie angehören, nicht mehr als ein Kontrollorgan der kommunalen Kulturverwaltung sein, so erschöpft sich ihre Bedeutung an dieser Stelle.

4.2.4 Bedeutung von Kulturpolitik unter den kommunalen Politikfeldern Dennoch treten in Kulturausschüssen Personen zusammen, die zumindest eine kolportierte Affinität an Kultur zu bekunden bereit sind. Die Frage nach der Motivation, Kulturpolitik zu machen, steht damit ebenso im Raum, wie die Klärung der Attraktivitäts- und Bedeutungszuschreibungen der Policy Kultur. Die Einordnung der Policy Kultur im Kanon der weiteren Politikfelder zielt im vorliegenden Fall auf die Frage ab, mit welchen Begründungen die befragten Experten den Stellenwert des Kulturausschusses einschätzen. Dabei wird die Attraktivität von Kulturpolitik von den meisten als gering betrachtet und damit auch dem Kulturausschuss eine eher schwache Bedeutung zugeschrieben. Für den Einzelnen sei die „Attraktivität von Kulturpolitik aber Einstellungssache“ (A5), sodass das Engagement in Abhängigkeit zur Affinität zu kulturellen Themen stehe. Darin liege „ausschließlich“ (A3) der Grund, an Kulturpolitik aktiv teilzunehmen und „sich als Kulturpolitiker zu engagieren“ (A6). Neben der Kultur-Affinität wird auch die hehre wie anspruchsvolle Motivation angegeben, „gesellschaftlich etwas gestalten“ (A2) zu wollen, wobei die „Auswahl der Tätigkeitsfelder definitiv interessengesteuert“ (A2) sei. Vor diesem Hintergrund habe Kulturpolitik einen hohen Stellenwert, der aber auch „abhängig vom Verwaltungschef“ (A2) sei. Die Motivation zu aktiver Kulturpolitik liegt folglich in partikularen Beweggründen, die sich nicht mit der Bedeutung auf einer breiteren Ebene decken. Dementsprechend ambivalent wird Kulturpolitik insgesamt von den befragten Experten eingeordnet/bewertet:

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Tabelle 4.3: Bedeutungszuschreibungen von Kulturpolitik nach Stellenwert Experte

Aussage: Kulturpolitik…

Stellenwert in der Kommunalpolitik1

A4

...hat keine hohe Wichtigkeit, die Attraktivität ist gering.

sehr gering

K3

...hat einen hohen Stellenwert nur für die Kulturausschussmitglieder.

gering

A3

...findet sich im letzten Drittel der politikfeldbezogenen Wahrnehmung.

gering

K4

...hat im Politikfeldvergleich eher eine geringe Attraktivität.

gering

K1

...hat keine Hauptpriorität in der Kommunalpolitik.

gering

A6

...hat eine geringe Bedeutung.

gering

A1

...ist attraktiv für politische Einzelkämpfer.

gering

A5

...ist in seiner Attraktivität Einstellungssache.

mittel

K2

...ist in ihrer Bedeutung höher, als sie gemacht und behandelt wird.

hoch

A2

...hat eigentlich einen hohen Stellenwert.

sehr hoch

Anm.: 1 Skala: sehr gering – gering – mittel – hoch – sehr hoch

Es lässt sich konstatieren, dass Kulturpolitik keine hohe Wichtigkeit hinsichtlich ihres Stellenwerts oder gar ihrer Bedeutung zugeschrieben wird, außer für die direkt mit kulturpolitischen oder zumindest kulturellen Themen befassten Mitglieder des Kulturausschusses und den zuständigen Verwaltungsmitarbeitern. Den Aussagen der befragten Experten ist übereinstimmend zu entnehmen, dass ohne die Affinität zu kulturellen Themen so gut wie keine Attraktion von Kulturpolitik und der Mitgliedschaft in einem Kulturausschuss ausgeht. Damit ist der Stellenwert von Kulturpolitik in Bezug auf ein kulturpolitisches Netzwerk nur für dieses selbst von Bedeutung. Dem folgend hat Kulturpolitik kaum Potential, über das eigene Netzwerk hinaus Wirkungen zu entfalten. Normativ betrachtet, ist der Stellenwert von Kulturpolitik neben der Preisung von Kultur als undefiniertem Wert an sich, nur „an zwei Indikatoren“ ablesbar: „an der Höhe der Kulturausgaben und der institutionellen Verankerung der Kulturpolitik“.26 Im Kulturausschuss teile es sich zwischen jenen Mitgliedern, die dort aus Affinität seien und jenen, bei denen es nicht so sei (K1). Dieser Einschätzung aus der Kulturverwaltung folgt auch die Leitung des Kulturamtes. Da die Ent26 | von Beyme 2012, S. 147.

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scheidungsspielräume bei kulturpolitischen Themen relativ gering seien, sei dieses Politikfeld eines, dem „die Fraktionen zunächst eher unerfahrene Kommunalpolitiker zuordnen würden“ (K4). Im Kulturausschuss können Fraktions- und bürgerliche Mitglieder demzufolge keinen oder nur geringen Schaden aufgrund ihrer mangelnden politischen Erfahrungen anrichten. Ein weiterer Hinweis scheint die Gefahrenlosigkeit der Policy Kultur auch für die erfahrenen Kommunalpolitiker anzuzeigen. In anderen Ausschüssen gebe es „viel mehr Lobbyarbeit, die aber von wirtschaftlichen Interessen ausgehen“ (A5). „In der Kulturpolitik bietet sich das nicht direkt an“, auch wenn diese davon sicher nicht vollkommen frei sei (A5). Diese vermeintliche Lücke wirtschaftspolitischer Relevanz scheint für die befragte Expertin den Stellenwert von Kulturpolitik gegenüber anderen Policies mit zu beeinflussen. Damit setzt sich der Kulturausschuss aus kulturaffinen Kommunalpolitikern und jenen zusammen, die in der politischen Rangfolge in den Fraktionen eine eher geringe Rolle spielen. Die Positionierungsfähigkeit der kulturpolitischen Akteure in der fraktionshierarchischen Ordnung ist somit niedrig einzuordnen. Offenbar führt die (eigene) Bedeutungszuschreibung der Policy Kultur dazu, dass „Unterschiede in der Beherrschung von Positionierungstechniken und damit auch in der Fähigkeit, selbst Positionierungen vorzunehmen“27, existieren. Für diese wiederum böten die Mitgliedschaft im Kulturausschuss und damit die Aufgaben als Kulturpolitiker vom Grundsatz her eine gute Ausgangslage, um den eigenen kommunalpolitischen Status zu verbessern. Denn obwohl „für die politische Reputation der Kulturausschuss uninteressant“ sei, bietet dieser doch „viele mögliche Repräsentationsmöglichkeiten [bei Konzerten, Vernissagen, etc.] wie bei keinem anderen Ausschuss“ (A4). Doch genutzt würde dies aufgrund der geringen kulturellen Affinität und teilweise wegen Zeitmangels der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker nur wenig. So ist es nicht verwunderlich, dass seitens des Kulturamtes der Wunsch besteht, dass es „mehr Kreativität und Experimentierfreude bei der Befassung mit Kulturpolitik“ (K4) gebe. Hierbei werden neben den Kulturpolitikern explizit auch die Kulturschaffenden miteinbezogen und auf einzelne Akteure wie das Soziale Zentrum Norderstedt und den Verein Music-Werkstatt hingewiesen. Jedoch sei man in Norderstedt insgesamt „noch nicht ausreichend strukturell aufgestellt“ (K4). Dazu passt auch die erklärte Wahrnehmung von der Kulturszene in Norderstedt, die der einer „sehr bewahrenden Haltung von Kultur“ (K4) sei. Demgemäß fallen die Antworten auf die Frage aus, welches die kulturpolitischen Themen sind, mit denen sich die befragten Experten befassen.

27 | Nullmeier et al. 2003, S. 19.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Tabelle 4.4: Kulturpolitische Themenstellungen der befragten Experten Experte

Kulturpolitische Themen

A1

Einwicklung Musikschule, Kulturstiftung, Kulturfinanzen, Kulturmarketing

A2

Bauprojekt Kulturwerk am See, Kulturförderung

A3

Kulturelles Erbe, Bürgerpreis/Bürgermedaille

A4

Musikschule und ihre Finanzierung, Kostendeckungsgrade

A5

Kostendeckungsgrade, Beschäftigungsformen von Lehrkräften der Musikschule

A6

Kulturpreis/Bürgermedaille (letzte kulturpolitische Initiative der Kommunalpolitik)

K1

Raummangelsituation, sonst keine Dauerthemen

K2

Raummangelsituation

K3

Musikschule in Kombination mit Schulpolitik

K4

Stadtmuseum, Entwicklung Musikschule in Kooperation mit Schulen, Raummangelsituation

Anm.: Fett gesetzte Themen sind von mehreren Experten und häufig genannt worden.

Tabellarisch aufgelistet fällt mit Abstand am häufigsten die Musikschule als kulturpolitischer Gegenstand auf. Diese wird hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Aspekt ihrer Finanzierung und ihren Entwicklungsmöglichkeiten genannt. Dazu gehören Fragen nach Kostendeckungsgraden und den Beschäftigungsformen der Lehrkräfte der Musikschule, welche den größten Kostenfaktor ausmachen, sowie die Aufgabe als Dienstleister für und in den allgemeinbildenden Schulen. Letzterer Punkt betrifft somit den Bereich der kulturellen (Kinder- und Jugend-)Bildung, wenn dies auch von keinem der Befragten explizit so genannt wird. Damit habe sich aber die Grundsatzdiskussion, ob man eine Musikschule in der Stadt brauche oder nicht (K3) zu einem Diskurs über schulpolitische Aspekte durch den Ausbau der (offenen) Ganztagsschulen und G8 sowie das veränderte pädagogische Bild der Kindertagesstätten gewandelt. Durch die damit entstandenen Aufgaben und Kooperationen wird die Notwendigkeit, eine städtische Musikschule zu betreiben, nicht mehr infrage gestellt (K3).28 Hier wird erkennbar, dass die Bereitschaft, Kulturpolitik auch in Verbindung mit anderen Politikfeldern zu betrachten, gegeben ist. Jedoch ist die Schul- und Bildungspolitik, mit denen sich die Kommunalpolitik inhaltlich nur in sehr begrenztem Maße befassen kann, aufgrund der thematischen 28 | Vgl. dazu den Exkurs über die kommunale Finanzierung der Musikschule Norderstedt und Meritorik in Kapitel 4.6.

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Kommunale Kulturpolitik

Nähe keine große Hürde. Vielmehr erwachsen aus den Betreuungsbedürfnissen und Anforderungen, die an die Angebotsgestaltung der Schulen auch in ihrem Wettbewerb um Schülerzahlen und Reputationen gestellt werden, neue Aufgaben und Herausforderungen, die zu einer breiteren Legitimierung genutzt werden können. Damit erschöpft sich der Blick abseits klassischer kulturpolitischer und kulturadministrativer Aufgaben jedoch, zumal die zuvor angedeuteten Entwicklungsrichtungen der Musikschule keine Implementationen kulturpolitischer Agenden aus dem Kreis der Kulturpolitiker, sondern nur von außen gestellte und damit von außen nach innen wirkende Mechanismen sind, die das Gegenteil eigener Steuerung kulturpolitischer Themen durch die Kulturpolitiker sind. Diese Passivität im kulturpolitischen Selbstverständnis wird von einem Experten in einer Art Dualität der Aufgabenverteilung beschrieben: Normalerweise sei es die Verwaltung, „die aktive Vorschläge und Projekte einbringe“ (A6). Die letzte kulturpolitische Eigeninitiative aus der Kommunalpolitik sei die Einführung des Kulturpreises und der Bürgermedaille der Stadt Norderstedt gewesen (A3). Damit liegt die programmatische und aktive Gestaltungsverantwortung von Kulturpolitik in der Hand der Kulturverwaltung. Dem Kulturausschuss kommt somit nur die Aufgabe des zustimmenden oder ablehnenden Beschlussfassungsorgans im Sinne einer passiven Aufsichtsrolle zu. Eigene Aktivitäten lassen sich nur hinsichtlich kontrollierender Prüfaufträge an die Kulturverwaltung feststellen wie beispielsweise zur Ermittlung der Auswirkungen von Kursusgebühren der Unterrichtsangebote der Musikschule. Auch die weiteren in Tabelle 4.4 aufgeführten kulturpolitischen Themen wie die Förderung der Kulturvereine, die Bewahrung des kulturellen Erbes mit dem Stichwort Stadtmuseum Norderstedt oder der Kulturhaushalt und die Öffentlichkeitsarbeit der Kulturverwaltung sind klassische Aufgaben eines Kulturausschusses, der seine Arbeit als Genehmigungs- und Kontrollorgan der Verwaltung auffasst. Ein initiierendes Agenda-Setting durch die Mitglieder des Kulturausschusses kann nicht festgestellt werden. Damit legen die Akteure in gewisser Weise ihre Positionierung im kulturpolitischen Netzwerk offen, in dem sich die Mitglieder des Kulturausschusses den Aktivitäten der Kulturverwaltung unterordnen. Das letzte singuläre kulturpolitische Thema, das Projekt „Bauvorhaben und Betrieb der Veranstaltungsstätte Kulturwerk am See“29, entstand ebenfalls nicht im engeren Kreis der Kulturpolitiker des Kulturausschusses. Initiator war der Verwaltungschef und Oberbürgermeister, von dessen kulturpolitischem Engagement der Stellenwert von Kulturpolitik abhängig ist, wie ein Experte, der Mitglied des Kulturausschusses ist, bekundet (A2). Die mögliche Einflussgröße eines gestaltenden Verwaltungschefs einer Kommune, der nicht 29 | Vgl. dazu Kapitel 4.7 über das Kulturbetriebsprojekt Kulturwerk am See.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

zwangsläufig die Politics kultureller Policies bestimmt, ist durch die schleswig-holsteinische Kommunalreform von 1998 gestiegen. Der sogenannte Wegfall des Magistrats und damit die Einführung der Direktwahl des (Ober)-Bürgermeisters hätten auch dazu geführt, dass der Norderstedter Kulturausschuss „in seiner Arbeit […] passiver geworden“ sei (A3), da es „weniger politisches Verantwortungs- und Verpflichtungsgefühl“ (A3) gebe. Durch Einführung der Direktwahl des (Ober)-Bürgermeisters erfolgt die sogenannte Politisierung des Verwaltungschefs, der zuvor zwar auch Politiker und gewählter Vertreter war, dies jedoch nicht in direkter Verantwortungslinie zu den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern. Jene wiederum hat der direkte Gewählte stärker im Blick als seine Vorgänger unter Magistratsverfassung.30

4.3 Z ur K ommunik ation im kulturpolitischen N e t z werk N orderstedts Vor dem Hintergrund des bisher skizzierten und eher gering ausfallenden ­Initiativgrades beim kulturpolitischen Agenda-Setting steht die Annahme, dass bestimmte Akteure von den befragten Kulturpolitikern als wesentliche Informations- und Themengeber genannt werden können. Um die Kommunikationsweisen rund um den Akteur Kulturausschuss und seiner Mitglieder zu untersuchen, die je nach Situation auch als Einzelakteure begriffen werden können, sind die befragten Experten daher nach Informationsquellen respektive (kulturpolitischen) Ansprechpartnern gefragt worden.

4.3.1 Akteure als Informationsquellen Von den befragten Mitgliedern des Kulturausschusses gibt es keine Hinweise auf konkrete Einzelakteure. Lediglich in Aggregationen werden als wichtige Akteure bei der Erörterung kulturpolitischer Themen zum Beispiel die Verwaltung oder die Kulturträger (A2) genannt. Weiterhin fielen schlagwortartig Personenkreise wie Familie, Freunde, Nachbarn oder Kulturschaffende sowie Medien und spartenspezifische Kontakte. Konkreter wurden die Aussagen nur hinsichtlich des Oberbürgermeisters und des Kulturdezernats und damit der logischen Ansprechpartner, die selbst Teil des kulturpolitischen Kernnetzwerkes sind. In der Logik tradierter kommunalpolitischer Verfahrensabläufe spielen auch die Besprechungen mit den Fraktionen, besonders mit den jeweiligen

30 | Vgl. zur Direktwahl des (Ober-)Bürgermeisters: Wollmann, Hellmut: Kommunalpolitik – zu neuen (direkt-)demokratischen Ufern?, in: Wollmann, Hellmut/Roth, Roland (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, Bonn 1998, S. 44f.

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Vorsitzenden und Arbeitskreisen eine Rolle, sofern diese zu einer Policy gehören und eine entsprechende Fraktionsstärke besitzen. Die Intention der Frage, dezidierte Akteure als feste Ansprechpartner der Experten, die evtl. sogar von mehreren Experten kontaktiert werden, identifizieren zu können, ließ sich an diesem Punkt der Interviews nicht erreichen. Präziser und umfassender ergaben sich Hinweise auf kulturpolitische Akteure erst durch das am Ende der Experteninterviews durchgeführte Net-Mapping-Verfahren, welches im Kapitel fünf ausführlich dargestellt wird. Durch dieses Verfahren konnte auch erst die Einteilung in abgrenzbare Netzwerkkreise erreicht werden. Offenbar sind die „Kommunikationspartner […] themenspezifisch sehr verschieden“ (K1), sodass bei der Frage nach Informationsquellen stets die jeweiligen Akteure eines kulturpolitischen Teilbereichs angesprochen werden. Dies gilt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kulturverwaltung und der Kulturvereine ebenso wie für die Kulturpolitiker. Die angedeutete kommunikative Trennung zeigt sich hier anhand der Aussagen der befragten Experten. Die wichtigen Kommunikationspartner sind die jeweiligen als intern benennbaren Akteure. Die Kulturpolitiker des Ausschusses besprechen sich zuerst mit ihren Fraktionen. Die Kulturverwaltung bespricht sich unter den Mitarbeitern und mit der Leitung des Dezernats und der Verwaltungsspitze. Es bleiben folglich diese institutionell gefassten Akteurgruppen unter sich und treffen mit ihren Haltungen, Stellungnahmen, Vorlagen, etc. im Kulturausschuss als Verhandlungsraum der Policy Kultur aufeinander. Diese banal wirkende Feststellung spiegelt nichts weiter wider, als die normativen Strukturen kommunaler Politik und Verwaltung. Daraus ergibt sich jedoch die Forschungsmotivation, diese Umstände zu hinterfragen. Es gilt also, der Vermutung nachzugehen, ob die diesbezüglichen Aussagen nur der formalen Idee von Kommunalverfassung und satzungsgemäßer Ordnung geschuldet sind – mithin eine laienhafte Beschreibung kommunaler Polity – in den Politics jedoch in Wirklichkeit anders stattfinden. Das Prozessuale kommunaler Politics divergiert, so die These, von den formal-rechtlichen Vorgaben der Polity. Konkreten Anlass hierzu bieten die Aussagen, die oftmals in Nebensätzen erwähnt werden und in Teilen erheblich variierende Kommunikationsverhaltensweisen und Handlungsverständnisse offenbaren. Denn die vorgenannten Angaben über die logischen Kommunikationspartner beziehen sich im Wesentlichen auf die formale Ordnung (Polity), in die die Befragten eingeordnet sind. Hinweise geben Aussagen wie, dass die informellen Kontakte grundsätzlich wesentlich sind (A4). „Das Wichtigste sei, gut über alles […] informiert zu sein.“ (K1), „besonders die Stimmungen und atmosphärischen Bedingungen der Mitglieder der Kulturausschusssitzungen [sind] wichtig“ (K2).

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Die Frage nach den kulturpolitischen Informationsquellen wurde in einigen Experteninterviews nicht unter der Nennung konkreter Einzelakteure oder Akteurgruppen beantwortet. In diesen Fällen wurden Akteure und damit auch die Informationsquellen als allgemeine Personenkreise aufgezählt, die keinen direkten kulturpolitischen Akteurbezug aufweisen. Die sich hieraus ergebende Unschärfe in den Antworten wurde durch die spezifischere Nachfrage ergänzt, mit welchen Akteuren sich der oder die Befragte informell, außerhalb des normativen Politikraums, austausche. Interessanterweise erfolgte im Verlauf des Interviews mit dem Leiter der Musikschule auf diese präzisierende Frage eine Erläuterung des formalen Verwaltungsablaufs hinsichtlich der Bearbeitungs- und Informationshierarchie von Themen, bevor diese als vorbereitete (Beschluss)-Vorlagen im zuständigen Fachausschuss beraten und ggf. beschlossen werden. Da die Frage in diesem Fall nicht intentionsgemäß beantwortet wurde, und um ein Missverstehen auszuschließen, ist zusätzlich die Frage angehängt worden, ob im Erarbeitungsprozess von Vorlagen neben den Verwaltungsmitarbeitern und -vorgesetzten auch andere Akteure des kulturpolitischen Netzwerks zu Rate gezogen werden. Diese Frage zur Beratung über Inhalte wurde verneint (K3). Der befragte Experte betont hier festgeschriebene Vorgänge und damit eine enge, verwaltungshierarchische Auffassung von Arbeitsabläufen. Dies hinterlässt zwei Eindrücke, die sich auch bei der partizipativen Visualisierung des kulturpolitischen Netzwerks wiederfinden.31 Einerseits entsteht der Eindruck, nur ungern Einzelakteure eines möglichen persönlichen Netzwerks zu nennen. Vielmehr aber zeigt sich hier die klare Trennung zwischen politischen Akteuren und der Verwaltung, denen ihre jeweiligen, festgeschriebenen Aufgaben zukommen. In vergleichbarer Form entstand dieser Eindruck bei allen Mitarbeitern der Kulturverwaltung bis zur Leitung des zuständigen Dezernats, wobei diese - wie bereits erwähnt den Wunsch nach mehr Gestaltungswillen von allen beteiligten Akteuren des kulturpolitischen Netzwerks äußerte. Der Wille zur Politikgestaltung „hängt immer mit den eigenen Einzelansprüchen“ zusammen, konstatiert hierzu ein Mitglied des Kulturausschusses – manchen Kommunalpolitikern reiche eben das, „was man ihnen freiwillig mitteile“ (beides A3). Die implizite Aussage ist hier, dass eine aktive Kulturpolitik von einem Teil der Kommunalpolitiker als nicht notwendig erachtet, zumindest aber kein Bedarf nach eigeninitiativer Mitgestaltung kulturbezogener Themen und kultureller Infrastruktur gesehen wird. Konkrete Ansätze, um Weiterentwicklungen kulturpolitischer Aushandlungen oder Debatten zu erreichen, im Sinne einer durch Kommunalpolitiker gestalteten Kulturpolitik, kamen in den Experteninterviews nicht zur Sprache. Damit festigt sich der Eindruck von der Binarität kulturpolitischen Denkens. Die kulturverwaltenden und hier auch zur Gestaltung angehaltenen 31 | Vgl. dazu das Kapitel 5 mit der visuellen Netzwerkanalyse.

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Akteure der öffentlichen Hand und private Akteure werden von beaufsichtigenden und prüf berechtigten kommunalen Kulturpolitikern getrennt. Letztere jedoch beraten nur reaktiv über Berichte und stimmen über Vorlagen ab.32 Als ein Befund steht bis hier ein weitgehend passiver Kulturausschuss, obwohl ihm nicht unwesentliche Gestaltungsoptionen unter anderem qua Hauptsatzung der Stadt Norderstedt zur Verfügung stehen. So sieht die Zuweisung der Aufgabengebiete an den Kulturausschuss vor, dass dieser sich mit den Aufgaben des Kulturamtes und hier insbesondere mit „Kultur, Europäische Kontaktpflege, Musikschule, Museum, Stadtarchiv“33 zu befassen hat.

4.3.2 Orte informeller Kommunikation Die skizzierte Aufteilung von Aufgaben und Prozessen zwischen Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung hat auch eine ortsbezogene Dimension. Zu dieser wurden Fragen nach Orten und Rahmenbedingungen kulturpolitischer Diskussionen gestellt. Es wird dazu angenommen, dass als Ort von Debatten und Aushandlungen nicht die Kulturausschusssitzungen dienen, in denen die von den Kommunalpolitikern erarbeiteten Beschlüsse zu kulturpolitischer Relevanz führen. Die Mehrheit der Beschlussvorlagen stammt zudem nicht von den Kulturausschussmitgliedern oder ihren Fraktionen, sondern sind Eingaben der Verwaltung.34 Damit ist der Kulturausschuss zunächst mehrheitlich ein Ort von Beschluss und seltener ein Ort politischer Auseinandersetzung. Einen Hinweis darauf liefert eine Häufigkeitszählung des Wortes Diskussion in den Niederschriften der Ausschusssitzungen. In den Wahlperioden IX und X findet sich der Begriff 26 Mal. Diese Vorkommen betreffen Tagesordnungspunkte, deren Themen den Kulturausschussmitgliedern vor der Sitzung durch Zustellung der Einladung mindestens elf Tage vorher bekannt sind, auf die sie sich also potentiell vorbereiten können, um eine Diskussion inhaltlich zu bestreiten. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der entsprechenden 302 Tagesordnungspunkte sind bei 8,6% ein Vorkommen von Diskussionen protokolliert worden. Die Niederschriften zeugen dabei in 17 von 26 Fällen auch von der Art der Diskussionen durch vorangestellte Adjektive wie längere (2x), angeregte (1x), ausführliche (1x), lebhafte (12x) und sehr lebhafte (1x). Diskussionen, auch wenn sie vereinzelt dokumentiert nachgewiesen werden können, müssen allerdings zumindest in Teilen an anderen Orten vollzogen werden, wenn – gemäß der 32 | Vgl. dazu die Abschnitte des Kapitels 4.5 mit den Analysen der Vorlagen und Anträge. 33 | §7, Absatz 1, Nr. 3 der Hauptsatzung der Stadt Norderstedt in der Fassung 1.-15. Nachtrag, 10.06.2003, S. 4. 34 | Vgl. dazu den Abschnitt über die eingebrachten Vorlagen in Kapitel 4.5.2.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

obigen Häufigkeitszählung – mehr als 90% der Tagesordnungspunkte ohne Diskussion abgehandelt werden, die dem Schriftführer als zur Niederschrift erwähnenswert erscheinen. Selbstredend werden Beschlussfassungen im Vorwege von Kulturausschusssitzungen in Fraktionssitzungen oder, sofern vorhanden, in Fraktionsarbeitskreisen vorbereitet. Es wird daher angenommen, dass es informelle Abläufe in den Politics gibt, die bereits vor diesen eher formalen Besprechungssituationen stattfinden. Dieser Annahme folgend, dass kulturpolitische Entscheidungen nicht nur in normativ vorgesehenen Beschlusssituationen getroffen werden, sondern an anderen Orten und in bestimmten Akteurkonstellationen, steht die Frage nach dem Verhältnis zwischen formellen und informellen Situationen kulturpolitischer Gespräche an. Gefragt nach entsprechenden Situationen, bekundet ein Mitglied des Kulturausschusses, die in der Wahlperiode X den Vorsitz des Ausschusses innehatte, dass „für politische Vorhaben und Ideen die Chancen der Durchsetzungs- und Durchführbarkeit zunächst in informellen Gesprächen ausgelotet würden.“ (A3). Dann hänge es von den Themen einerseits und von der Qualität der Beziehungen der kulturpolitischen Einzelakteure andererseits ab, mit wem eine Sachlage als erstes besprochen werde. Dabei gebe es beispielsweise logische Wahlen, wie den Ausschussvorsitz oder den zuständigen Dezernenten, also gemäß der Polity vorgesehene Akteure. Werde aber vermutet, dass das Thema eher Anklang bis Zustimmung bei den Mitarbeitern anstelle beim Dezernenten selbst finden könnte, so würden diese als erstes zu Rate gezogen. Auf diese Weise bildeten sich strategische Themen-Koalitionen heraus, sodass man Fürsprecher auf dem Wege der Mehrheitsbeschaffung sammle. Damit wird eine politische Praxis als gängige Handlungsstrategie erläutert, die durch die Wahl bestimmter Akteure als Kommunikations- oder Verhandlungspartner eine Positionierung in einer Akteurkonstellation ermöglicht. Diese schon verhältnismäßig differenzierte Darstellung im Zuge eines Agenda-Settings fokussiert sich hier auf die Kulturverwaltung als Akteur, der damit als selbstverständlicher und damit zentraler Ansprechpartner kulturpolitischer Themen gesehen wird. Als aktive Gestalter von Kulturpolitik finden die kollektiven Akteurgruppen Kommunal-/Kulturpolitiker, Fraktionen, Parteien in diesem Zusammenhang keine Erwähnung. Eine Manifestation dieser strikten Aufgabenteilung gibt ein Experte der Kulturverwaltung als Erläuterung zur Handhabung informeller Kommunikation zwischen Kommunalpolitikern und der Verwaltung an. Demgemäß ist die informelle Kommunikation zwischen der Kulturverwaltung und den Kulturpolitikern klar geregelt, denn „für alle Kontakte mit der Politik ist die Dezernentin zuständig“ (K3). Direkte Anfragen an die Musikschule seitens der Kommunalpolitik würden an die Dezernentin verwiesen, und dies würde auch stets so gehandhabt. Damit erscheint dieser eigentlich informelle Kommuni-

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kationsweg als politische Praktik in Form von Dienstanweisungen institutionalisiert. Dabei besteht nicht nur seitens der Dezernentin der Wunsch nach mehr Gestaltungswillen, sondern auch bei den Kulturpolitikern. Aufgrund von Erfahrungen, dass im informellen Gespräch „viel mehr inhaltlich zu erreichen ist“, hätte man gern „viel mehr Gespräche im informellen Rahmen, z. B. mit der Verwaltung oder parteiübergreifend“ (A5). Dieses Ansinnen folgt auch dem Interesse, „nachfragen zu können, warum sich andere Kommunalpolitiker so und so verhalten oder entschieden hätten“ (A5). Hier offenbart sich auch ein Ausdruck weitgehenden Informations- bzw. Wissensmangels, wenn die „Kommunalpolitiker […] deutlich mehr Informationen einfordern und sich auch intensiver durch die gegebenen Unterlagen arbeiten“ sollen (A5). Derartiger Mangel verhindert eine „erfolgreiche Positionierung“ im politischen Prozess, denn nur „wenn die Beteiligten über einen gewissen gemeinsamen Wissensbestand verfügen“, entsteht erst der Rahmen, „der Raum für Positionierungen schafft“.35 Grundsätzlich unterscheidet sich die Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen formalen und informellen Gesprächs- und Aushandlungssituationen. Der „Ort des Fällens politischer Entscheidungen [ist] durchaus unterschiedlich“ (A6). Allerdings bestehe der Eindruck, dass „die Diskussionen mehrheitlich im Ausschuss fallen und der informelle Bereich keine so große Bedeutung habe“ (A6). Demgegenüber äußert der stellvertretende Vorsitzende, dass sich die „Positionierungen […] in der Regel immer in den informellen Situationen“ ergeben würden (A4). Über den Grund hierfür mache man sich normalerweise keine Gedanken.36 Folglich ist dieser Aspekt als politische Praktik in den Politics üblich. Der „informelle Rahmen“ wird im weiteren Verlauf der Interviews auch als „Testgelände der Politik“ bezeichnet (A4). Deren Nutzung dient der Vermeidung von Überraschungen und Blamagen in den formalen Situationen, da man dort nicht als Verlierer dastehen möchte. Die Formulierung vom „Testgelände der Politik“ zeugt von einer strategischen Handlungsorientierung, die den informellen Raum politischer Kommunikation als Arena für das Agenda-Setting konstituiert. Der informelle Rahmen sei zudem relativ frei von „politisch korrekten Gepflogenheiten“ (A4). Zu derartigen Erfahrungen in den Politics und der verwalterischen Haltung des Experten der Verwaltung wird festgestellt: „Das Einzelgespräch respektive die direkte Auseinandersetzung mit den Einzelakteuren sind wichtiger 35 | Nullmeier et al. 2003, S. 20. 36 | In diesem Zusammenhang stellt der befragte Experte fest, dass dies „eine gute Frage sei“, was in der Wahrnehmung durch die Interviewsituation bedeutete, dass man sich darüber sonst keine Gedanken mache.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

als die Befassung mit einer Fraktion bzw. den Einzelnen als Fraktionsteil zu betrachten.“ (K1). Dennoch seien die Diskussionen im Kulturausschuss sehr wichtig, da hier oft der erste Austausch interfraktioneller Art stattfinde. Zusammengenommen ist daraus zu schließen, dass politische Kommunikation und entsprechende Tests in der Arena des informellen politischen Raums eine Angelegenheit von Einzelakteuren ist. Die Kommunikation in den Ausschüssen ist dagegen eher der Raum für die komplexen Akteure der Fraktionen. Tabelle 4.5: Bedeutung informeller Kommunikation aus Sicht der Experten Exp.

Aussage: Informelle Gespräche…

Stellenwert im pol. Prozess

A1

Informationsquellen für kulturpolitische Arbeit seien keine bewertende hauptsächlich die Freunde im Rotary Club Aussage

A2

Im Vorfeld von Entscheidungen gebe es vor allem mit der Verwaltung informelle Gespräche, mit den Kulturträgern und mit anderen Politikern dagegen weniger, da diese meist die gleichen Wissensdefizite aufweisen würden.

hoch

A3

Für politische Vorhaben und Ideen würden die Chancen der Durchsetz- und -führbarkeit zunächst in informellen Gesprächen ausgelotet.

hoch

A4

Positionierungen erfolgten in der Regel immer in informellen Situationen, in denen es die richtigen bzw. die interessanten Informationen gebe.

hoch

A5

Die Gespräche davor, dazwischen [Ausschusssitzungen] seien viel wichtiger als in den normativen Situationen.

hoch

A6

Der informelle Bereich habe keine große Bedeutung.

niedrig

K1

Die Diskussionen im Kulturausschuss seien sehr wichtig, da hier oft der erste interfraktionelle Austausch stattfinde.

mittel

K2

Im informellen Rahmen erhalte man wesentlich mehr Informationen als in formalen Situationen.

hoch

K3

Die informelle Kommunikation zwischen der Musikschule und den Kulturpolitikern sei in der Verwaltung klar geregelt: Für alle Kontakte mit der Politik sei die Dezernentin zuständig.

keine bewertende Aussage

K4

In den politischen Diskussionen sei es ruhiger geworden.

keine bewertende Aussage

An den divergierenden Antworten auf die Frage nach den Aushandlungsorten kulturpolitischer Inhalte zeigt sich eine heterogene Wahrnehmung kulturpo-

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Kommunale Kulturpolitik

litischer Prozesse und unterschiedlicher Ansätze bezüglich ihrer kommunikativen Handlungsorientierungen. Dazu konstatiert die Leitung des Kulturbüros, dass es „in der Kommunalpolitik für die Zusammenarbeit immer auf den einzelnen Menschen“ ankomme (K1). Diese lapidar wirkende Aussage weist darauf hin, dass die Einschätzungen über und die Bedeutungszuschreibung an informelle Situationen von der Sicht des einzelnen Akteurs abhängen, die hier in Teilen stellvertretend für die jeweilige Fraktion befragt wurden, welche wiederum der diskursive Rückraum der Mitglieder des Kulturausschusses sind. Interessant ist dabei aber auch, dass sowohl unter den befragten Kulturpolitikern als auch den Verwaltungsmitarbeitern große Unterschiede im politischen Handlungsverständnis zu liegen scheinen. Spräche man hier von Hinweisen auf eine politische Kultur im Sinne von Austausch und einem Mit- oder gepflegten Gegeneinander unter den kulturpolitischen Akteuren, so deuten diese Befunde eher auf das Fehlen einer gemeinsamen kommunalpolitischen Kultur hin. Auch für ein quasi-institutionelles Denken, das der Handlungsweise eines kollektiven Akteurs entspräche, als welcher die Kommunalpolitik bezeichnet werden könnte bzw. von Bürgerinnen und Bürgern bezeichnet wird, fehlen Indizien. Entsprechend ist dies eine übliche Bezeichnung Dritter, wenn über die gewählten Vertreter einer Gemeinde oder höherer föderaler Ebenen gesprochen wird. Einen entsprechenden Erfahrungshinweis gab dazu ein befragter Experte zum Ende des Interviews an, der das Spannungsverhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern einer Gemeinde und den von ihnen gewählten Vertretern illustriert. „Die Abgrenzung Politik und Bürger“ habe selbst er im Kommunalwahlkampf in der Form erlebt, dass er „noch einer von uns war“ und ab dem Moment, wo er in der Stadtvertretung saß, sei er „auf einmal ein Teil von denen“ geworden (A2). Er musste feststellen, dass er in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger „tatsächlich die Seite gewechselt“ habe und „war für alles verantwortlich, was die anderen machten“ und es sei dabei egal gewesen, was er darauf entgegnet habe (A2). Zur Entwicklung einer informellen Kommunikation und damit politischen Kultur stellt die Kulturdezernentin fest, dass die „politischen Auseinandersetzungen […] nicht nur im Kulturausschuss weniger“ würden (K4). Dies ließe sich auch daran ablesen, dass weniger Anträge der Fraktionen und Kommunalpolitiker und mehr Vorlagen der Verwaltung eingebracht würden. Dies belegen die Dokumentenanalysen der Norderstedter Kulturausschusses in Kapitel 4.5.

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4.4 A k teure und A k teurt ypen in der K ulturpolitik N orderstedts Zur Vorbereitung der Dokumentenanalyse (Kap. 4.5) wird die Zuordnung von drei zentralen Akteuren des kulturpolitischen Systems zu den Akteurtypen nach Scharpf vorgestellt. Dabei stehen die Schwierigkeiten der genauen Zuordnung als kollektive Akteure für den Kulturausschuss (4.4.1) und die Kulturträger (4.4.2) sowie die Behandlung der Kulturverwaltung (4.4.3) als Teil des korporativen Akteurs der städtischen Verwaltung im Mittelpunkt.

4.4.1 Der kollektive Akteur Kulturausschuss Der Kulturausschuss als kollektiver Akteur, der sich aus demokratisch gewählten Einzelakteuren der Stadtvertretung zusammensetzt, findet in seiner Akteurkonstellation nicht freiwillig zusammen. Die Besetzung der Ausschüsse der Norderstedter Stadtvertretung erfolgt auf Grundlage von Vorschlagslisten der Fraktionen. Damit ist der Kulturausschuss ein Gremium, in dem sich die proportionale Zusammensetzung der gewählten Repräsentanten der Stadtvertretung den Aufgaben der Policy Kultur stellen sollen. Für das Schema der kollektiven Akteure nach Scharpf treffen in Bezug auf die Handlungsansätze, die Zielsetzungen, Ressourcen und Entscheidungen nur die kollektiven Akteurtypen Koalition oder Club zu. Dabei sei hier noch einmal erinnert, dass der Begriff Koalition – wie auch der des Verbandes – nach Scharpf nicht im engen Sinne einer Regierungs-Koalition zu verstehen ist, dies aber einen derartigen Akteur umfassen kann. Koalition meint hier in Bezug auf den Kulturausschuss, dass die Handlungsansätze und auch -ziele im Sinne kulturpolitischer Aufgabenstellungen gemeinsame sind. Die Handlungsziele und -ressourcen als Koalition sind aus Sicht als Mitglieder individuell, die Entscheidungen werden als Vereinbarung getroffen. Besser passt aber die Einordnung des Kulturausschusses als kollektiver Akteur Club, dessen Handlungen ebenfalls gemeinsam erfolgen und dessen Ziele der Mitglieder individuell angelegt bleiben. Die Ressourcen des Ausschusses sind hier kollektiv, da er unter anderem über Haushaltsmittel des Kulturetats befindet. Die zu treffenden Entscheidungen fallen dazu per Abstimmung. Dieser aus Sicht der Akteureigenschaften nach Scharpf charakterisierte Kulturausschuss wird von den befragten Experten der Kulturverwaltung (K1, K3, K4) und des Kulturvereins (K2) als passives Organ im kulturpolitischen Netzwerk wahrgenommen. Diese Einschätzung spiegeln die erhobenen Werte der Vorlagen und Anträge aus den Niederschriften des Ausschusses wider. Einen Begründungsansatz hierfür sehen die Experten hinsichtlich der fachlichen Kompetenzfrage der einzelnen Ausschussmitglieder. So gebe es „Kul-

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turausschussmitglieder, die viel Ahnung haben“ (K2). Demgegenüber gebe es durchaus Situationen, die Verwunderung bei den Mitarbeitern der Kulturverwaltung auslösen, „wenn eine Frage von einzelnen Mitgliedern immer wieder gestellt“ werde, obwohl die „Antworten lange bekannt sind“ (K1). Wie bei der allgemeinen Einordnung des Stellenwertes von Kulturpolitik, wird in Bezug auf den Kulturausschuss als Akteur die Erwartung wiederholt, dass von den Kulturpolitikern des Ausschusses „mehr Aktivität und Präsenz kommen könnte“ (K4). Hierzu wird festgestellt, dass diese Erkenntnis auf „ein allgemeines Politikproblem“ (K4) hindeute, da die Kommunalpolitiker sich „hauptsächlich an der Verwaltung und ihrer Arbeit [den Beschlussvorlagen] abarbeite“ (K4). Zwar würden zeitliche Ressourcen bei ehrenamtlichen Kommunalpolitikern eine Rolle spielen, jedoch sei die „Gestaltungsmotivation noch ausbaufähig“ (K4). Diese Gemengelage führt zu der Frage, ob die Sachkompetenz für die Wahrnehmung kommunalpolitischer Verantwortung hinreichend sein kann. Dabei wird angenommen, dass die Fachkompetenz der Verwaltungsmitarbeiter in der Regel ausreicht, um durch Erläuterungen und Informationsgaben die Mitglieder von Fachausschüssen zu entscheidungsbefähigten Akteuren zu machen. Zudem werden Lebenserfahrung, eine ausreichende Allgemeinbildung gepaart mit beruflichem Fachwissen und der sogenannte unverstellte Blick von außen auf zu verwaltende und zu planende Belange als Befähigungen angeführt. Allerdings zeigen die Ausführungen zu den in den vorherigen Abschnitten erläuterten Daten über die Urheberschaft der eingebrachten Vorlagen, Berichte und Anfragen eine Schiefe, die neben der offensichtlichen Passivität des Kulturausschusses auch ein Ungleichgewicht in der kulturpolitischen Steuerung vermuten lassen. Denn bei signifikanten Defiziten im Wissen um Sachverhalte sowie in Kenntnissen der Gemeindeordnung, Hauptsatzung und bestehender (Grundsatz)-Beschlüsse einzelner Kommunalpolitiker gegenüber den Verwaltungsmitarbeitern und der politischen Verwaltungsleitung liegen nicht nur unzureichende Entscheidungskompetenzen vor. So eröffnet diese Defizite Möglichkeiten verwaltungspolitischer Steuerung zur Erreichung erwünschter Policy-Ergebnisse, die im Sinne der Kommunalverwaltung sind. Fehlen grundlegende Kenntnisse für die Wahrnehmung der Aufgabe als gewähltes Ausschussmitglied, so kann ein Machtgefälle entstehen, da ein Wissensvorsprung eine determinierende Ressource bei der Verfolgung von Zielen darstellt. Am Beispiel der bestehenden Grundsatzbeschlüsse für die Beschäftigung von Lehrkräften in der Musikschule37 wird nicht nur ein Wissensdefizit deutlich, sondern auch der Wissensvorsprung der Musikschulleitung, 37 | Vgl. hierzu den Exkurs über die Meritorik und das dabei angeführte Beispiel über den Grundsatzbeschluss der Stadtvertretung zur Beschäftigungsform von Musikschullehrkräften in Kapitel 4.6.2.

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die auch in der Niederschrift der entsprechenden Kulturausschusssitzung Ausdruck findet. Bedenkt man, dass die Gemeindeordnung Schleswig-Holstein nur das Erfordernis der Abfassung eines Ergebnisprotokolls vorsieht, so sind die mehrseitigen Ausführungen zum Sachverhalt auch Zeugnis und Demonstration des Wissensvorsprungs. Mit den umfassenden Ausführungen über vier Seiten konnte der Leiter der Musikschule in der Ausschusssitzung die aus seiner Sicht unrealistische Umsetzbarkeit von Einsparungen im Personalbereich bzw. Kostendeckungen durch Erhöhung von Teilnehmerentgelten aufzeigen. Dabei setzte er eine politische Klimax, indem der Antragstellerin (FDP-Fraktion) kommunalpolitische Grundsatzbeschlüsse zitiert wurden, die eben jene Änderung von Beschäftigungsformen verhindern.

4.4.2 Der kollektive Akteur Kulturträger In Norderstedt können kulturell tätige Vereine durch Beschluss des Kulturausschusses als sogenannte Kulturträger anerkannt werden. Die Stadt Norderstedt fördert die anerkannten Kulturträger durch Beratung und Bezuschussung von Aufwendungen aus einem jährlich für den Zweck der allgemeinen Kulturförderung bereitgestellten Haushaltstitel. Diese Fördermittel wurden bis zum Ablauf des Kalenderjahres 2015 nicht pauschal mit einem festen jährlichen Betrag gewährt, sondern in Form einer Drittelfinanzierung von förderfähigen Aufwendungen, die die Kulturträger jährlich nachweisen mussten. In den Jahren 2004 bis 2014 betrugen die Zuschüsse an die Kulturträger für ihre allgemeine Vereinsarbeit durchschnittlich 110.000 Euro. Wesentlich größer fällt die Förderung in Form von teilweise oder ganz erlassenen Mietkosten für städtische Räume aus. Diese betrugen im gleichen Zeitraum durchschnittlich 156.000 Euro, wobei hier eine kontinuierliche Steigerung von 100.000 Euro im Jahr 2004 auf 199.000 Euro im Jahr 2009 festzustellen ist. Seitdem hat sich diese indirekte Form der finanziellen Kulturförderung bei durchschnittlich 200.000 Euro eingependelt. Damit ergibt sich eine Gesamtförderung von 270.000 Euro im Mittel zwischen 2004 und 2014, bei einer Erhöhung von 188.000 Euro (2004) auf 326.000 Euro (2014) um 58%. Die zugehörigen Aufwendungsarten umfassen regelmäßige Kosten für Öffentlichkeitsarbeit, Marketing oder Versicherungen. Davon losgelöst werden Honorarkosten und veranstaltungsbezogene Aufwendungen mit bis zu einem Drittel der Gesamtkosten abzüglich Einnahmen bezuschusst.38

38 | Die Förderfähigkeit der Aufwendungsarten waren durch die Kulturförderrichtlinien der Stadt Norderstedt geregelt, bis diese zu Beginn des Jahres 2016 novelliert und die Förderung von bestimmten Aufwendungsarten auf eine gestaffelte Kopfpauschale umgestellt wurden.

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Diese Form der Kulturförderung nehmen im Jahr 2013 von 34 Vereinen 33 in Anspruch, die die Mittel den Kriterien der Kulturförderrichtlinien entsprechend beantragt haben. Dabei müssen die Kulturvereine gemäß deren Satzungen eindeutig mindestens einem der förderfähigen Bereiche Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Musik, Literatur, Medien oder Länderkulturen zugeordnet werden können. Auf diese Weise vollzieht die Stadt Norderstedt eine Abgrenzung zur Sportförderung und folgt damit einem engen Kulturbegriff, dem der Kulturausschuss durch Beschluss indirekt zugestimmt hat. Gleichwohl finden sich unter den anerkannten Kulturträgern Vereine, die keinem der genannten Bereiche zuzuordnen sind. Als Beispiel sei hier der Verein Stichling Norderstedt genannt, der einen Zusammenschluss von Aquaristik-Freunden bildet. Dieser Verein kann im Sinne der Kulturförderrichtlinien nur mit weiter Dehnung des förderfähigen Bereichs Länderkulturen mit Hinweis auf Heimatkultur und –pflege als Kulturträger gelten. Eine Aberkennung des Kulturträgerstatus‘ des seit 1980 bestehenden Vereins wurde jedoch vom Kulturausschuss nicht gefordert. Hier zeigt sich die Pfadabhängigkeit langjährigen Bestehens einer normativ nicht haltbaren Förderung. Hingegen wurde der Antrag eines anderen Vereins auf Anerkennung als Kulturträger durch das Kulturbüro nicht zur Abstimmung in den Ausschuss eingebracht: Der Verein Cross Country Hoppers hatte einen Antrag auf Anerkennung gestellt. Die Kulturverwaltung teilte in einem Bericht den Ausschussmitgliedern mit, dass aus ihrer Sicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung nicht gegeben sei, da „Square Dance dem Tanzsport“ zuzuordnen sei und der Verein als Sportverein bei der Stadt Norderstedt geführt werde.39 Auf diese Weise gab die Kulturverwaltung den Antrag auf Anerkennung gar nicht erst als Beschlussvorlage mit Empfehlung der Zustimmung zur Abstimmung in den Ausschuss. Die Beispiele zeigen die Definition des vorherrschenden Kulturbegriffs mit seiner klaren Abgrenzung zu nicht eindeutig den klassischen Sparten zuzuordnenden kulturellen Betätigungsfeldern. Es wird in diesem Zusammenhang aber auch erkennbar, welches Rollenverständnis durch die Kriterien der vom Kulturausschuss beschlossenen Kulturförderrichtlinien den Kulturträgern zugewiesen wird. Durch Antrag und Anerkennung als Kulturträger akzeptieren diese den damit gesetzten Kulturbegriff. Zwar nehmen die Kulturverwaltung und der Kulturausschuss damit keinen direkten Einfluss auf die inhaltliche Arbeit der Vereine. Sie geben aber die grundlegende thematische Ausrichtung vor, wenn die Vereine finanzielle Förderung und kostenfreie Raumnutzungen in Anspruch nehmen möchten. 39 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/X/28 vom 26.01.2012, TOP 8.2: Antrag auf Anerkennung der Cross Country Hoppers auf Anerkennung als Kulturträger der Stadt Norderstedt, S. 7.

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Zudem bedeutet die Wortwahl des anerkannten Kulturträgers der Stadt Norderstedt in mehrerer Hinsicht eine Aufwertung des Vereins im kulturpolitischen System und in der öffentlichen Wahrnehmung. Den Status eines anerkannten Kulturträgers, den ein Kulturverein vom Kulturausschuss zuerkannt bekommen kann, versetzt den Verein in die Situation, institutionelle Fördermittel für seine Arbeit zu erhalten, wodurch dieser sich in eine teilweise finanzielle Abhängigkeit des Kulturamtes und in eine machtpolitische Abhängigkeit vom Kulturausschuss begibt, der über An- oder Aberkennung entscheidet. Das kulturpolitische Fördersystem des anerkannten Kulturträgers ist die Institutionalisierung von Kulturförderung, durch die ein zunächst als aggregiert zu bezeichnender Akteur mit rein individuellen Eigenschaften von Handlung, Ziel, Ressourcen und Entscheidungen entsteht. Aufgrund der in den Richtlinien aufgeführten Parameter zur Anerkennung als Kulturträger erweitert sich der Akteurtyp für die Gesamtheit aller als Kulturträger der Stadt Norderstedt anerkannten Kulturvereine in Richtung eines kollektiven Akteurs. Dadurch entsteht ein aggregierter Akteur, der sich aus den kollektiven Akteuren der Kulturvereine zusammensetzt. Die Prüfung der Akteur-Eigenschaften zur Zuordnung der Kulturträger-Gesamtheit zu einem der kollektiven Akteurtypen nach Scharpf zeigt, dass die Einordnung nur mit Einschränkungen möglich ist. Infrage kommen am ehesten die Akteurtypen Koalition und Soziale Bewegung, deren Ressourcen individuell verortet sind. Wie in Kapitel 3.2.2 ausgeführt, erscheint die Akteur-Eigenschaft der individuellen/kollektiven Ressource für die Einordnung zu einem Akteurtypus bindender als die des individuellen/ kollektiven Ziels. Interessanter wird die Frage hier dann bei der Prüfung der Eigenschaft des Akteur-Ziels. Aus Sicht der einzelnen Kulturträger bilden sie eine Koalition, da sie ihre Ziele separat („individuell“) voneinander vertreten; bei den zweijährlichen Spartengesprächen des Kulturbüros kommt dies zum Tragen, da hier jeder der Kulturvereine gemäß seinen Aufgaben und Zielsetzungen spezifische Wünsche und Bedürfnisse vorbringen kann. Sie können als Gesamtheit aber auch als Soziale Bewegung betrachtet werden, da sie die Gestaltung des kulturellen Lebens als Teil der Norderstedter Kulturszene eint. Der Konnotationsraum der Zuschreibung Anerkennung als Kulturträger der Stadt Norderstedt bewirkt, dass die Vereine besonderes Vertrauen und Ansehen genießen. Zudem erhält die Arbeit der Vereine eine höhere Wertschätzung, größere Reichweite und nicht zuletzt öffentliche Ressourcen. In weiterer Hinsicht stärkt der Status als Kulturträger auch das kulturpolitische Gewicht der Vereine. So finden sich unter den von den befragten Experten genannten Akteuren, die sie zu den relevanten kulturpolitischen Akteuren Norderstedts zählen, nur Vereine, die anerkannte Kulturträger sind. Für die Einordnung als kollektiver Akteur sind die Eigenschaften, Handlungsweisen und die Entscheidungen ausschlaggebend. Ohne Informationen von den einzelnen Kulturträgern (Kulturvereine) selbst wäre die Einordnung

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problematisch und damit zu einschränkend für eine verlässliche Aussage. Daher sind diese in einer Online-Befragung interviewt worden. Der Fragenkatalog umfasste 18 vollstandardisierte Fragen zu Kooperationen, Einschätzungen und Bewertungen von Akteurbeziehungen und Einflüssen im kulturpolitischen System Norderstedts, zu Problemen bei der Vereinsarbeit und mit anderen Akteuren, zu statistischen Informationen der Vereine (Gründungsjahr, Mitgliederzahlen und –gruppen) und zum Kulturbegriff.40 33 Vereine sind zur Teilnahme an der Befragung eingeladen worden, 24 folgten dem Aufruf. Die Ergebnisse werden in diesem Abschnitt in die Analyse mit einbezogen. In Kombination mit der verbesserten Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bilden die Kulturträger mit ihren 2.870 Mitgliedern41 eine nicht unerhebliche Gruppe an potentiellen Wählerinnen und Wählern. Von diesen sind 95% (2.730) im oder kurz vor dem wahlberechtigten Alter von 16 Jahren bei schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen, was 4,3% der 63.000 wahlberechtigten Norderstedterinnen und Norderstedter umfasst. Abbildung 4.2: Altersstruktur der Mitglieder der anerkannten Kulturträger42

9 1 5%

146 8% 39 1 22%

1150 65%

> 14

15 - 25

26 - 49

< 49

Diese „personelle Masse Volljähriger“ beschere den Kulturträgern „eine gute Lobby“ (K3). Damit schreiben die befragten Experten den Kulturträgern grundsätzlich Einfluss auf das kulturpolitische System zu, welches diese aber vor al40 | Vgl. Fragenkatalog der Online-Befragung im Anhang. 41 | Mitgliederzahl basiert auf Angaben der 24 an der Online-Befragung teilnehmenden Kulturträger und Auskünften des Kulturbüros der Stadt Norderstedt. 42 | Eigene Darstellung nach Ergebnissen aus der Online-Befragung der anerkannten Kulturträger.

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lem aus Sicht der befragten Mitglieder des Kulturausschusses nicht zu nutzen wüssten. So stellen drei Experten von der Fraktion DIE LINKE, der FDP und der CDU fest, dass die Kulturträger „ihre demokratischen Grundrechte nicht“ nutzen, da „kein Bewusstsein“ dafür herrsche, sodass die Kulturträger als kulturpolitische(r) Akteur(e) Politik nicht mitgestalten würde(n) (A2). Die Kulturträger kämen „auch dann nicht auf den Kulturausschuss zu, wenn es Schwierigkeiten mit dem Kulturbüro gibt“, (A5) was an mangelnder Aufklärung über deren Rechte läge. Warum die Kulturträger „ihre Mitbestimmungsrechte und Einflussmöglichkeiten nicht nutzen“ (A1), liegt in der Sicht der Experten im Verhältnis zwischen Kulturträgern und Kulturpolitikern. Gründe werden beschrieben mit vermeintlicher „Angst vor der Politik“ (A5) und schlechten Erfahrungen, die negatives Potential in Form dessen aufgebaut hätten, das man abgekanzelt oder schlecht behandelt“ (A2) wird. Diese Erklärungsansätze dieser drei Befragten des Kulturausschusses stellen allerdings nur Vermutungen dar. Konkrete Begründungen, die sie von den Kulturträgern selbst erfahren haben, können sie nicht geben. Auch geben die befragten Experten keine Details über die Situation oder zu bestimmten Problemen der Kulturträger an. Dies offenbart eine Distanz, die sich an dieser Wissenslücke seitens der Mitglieder des Kulturausschusses über die Kulturträger andeutet. Um diese Lücke ein Stück weit zu schließen, sind die Kulturträger für diese Forschungsarbeit befragt worden. Neben den oben bereits genannten Mitgliederzahlen und deren Altersstrukturen, sind Fragen, die Rückschlüsse auf die Akteurbeziehungen untereinander und zu anderen kulturpolitischen Akteure zulassen, gestellt worden. Von den 24 befragten Kulturträgern geben 14 an, sich regelmäßig in Fragen allgemeiner Vereinsarbeit mit mindestens einem anderen Kulturträger auszutauschen. Dabei sind insgesamt 20 verschiedene andere Kulturträger als Kommunikations- bzw. Kooperationspartner genannt worden.

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Abbildung 4.3: Anzahl der Kooperationsbeziehungen zu anderen Kulturträgern bei Vereinsarbeit (grau) und Veranstaltungern (schwarz) nach Sparten 43 Theater

Musik

Bild. Kunst

Länderkulturen

andere

Kirche

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0

Vereinsarbeit

Veranstaltungen

Entscheidungen als ein kollektiver Akteur treffen die Kulturträger in ihrer Gesamtheit aber im Grunde nicht, sofern dies nicht von außen moderiert wird. Beispielsweise wird die Verteilung der knappen Ressource von Auftrittsterminen und -orten nicht autark als Akteur verhandelt, sondern durch das Kulturbüro in Zusammenarbeit mit dem Team Räume und Organisation der Verwaltung organisiert. Dabei können die Kulturvereine im Vorwege ihre Bedarfe anmelden. Dieses Verfahren wird als Konsens von den Kulturvereinen akzeptiert, wodurch die Einordnung nach der Scharpfschen Eigenschaft Entscheidungen den kollektiven Akteurtyp Soziale Bewegung identifiziert. Erinnert an den Umstand, dass eine festschreibbare Einordnung zu einem Akteurtyp vor allem linear nicht dauerhaft ist, wird hier konstatiert, dass die Gemeinsamkeit der Handlungen nicht zwingend gegeben sein muss, um als einer der kollektiven Akteurtypen eingeordnet werden zu können. Daher wird hier die Gesamtheit der anerkannten Kulturträger als kollektiver Akteurtyp Soziale Bewegung angesehen.

43 | Eigene Darstellung nach Ergebnissen aus der Online-Befragung der anerkannten Kulturträger.

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Das Verhältnis zwischen den Kulturträgern und Kulturpolitikern des Kulturausschusses wird von den anderen Befragten des Kulturausschusses nicht explizit positiver dargestellt, sondern nur prozessual ohne Wertung beschrieben. So träten die „Kulturträger eher selten an die Kulturpolitik bei Problemen heran, sondern meist an das Kulturamt“ (A6). Dieses Vorgehen wird befürwortet, auch wenn es „durchaus legitim sei, dass sich die Kulturträger an die Kulturpolitik wenden, bei Routine-Angelegenheiten sei [aber] die Verwaltung der richtige Akteur“ (A6). Diese Angaben verstärken den Eindruck eines distanzierten Verhältnisses. Bei der Frage nach der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren bei Problemen geben in der Online-Umfrage sechs Kulturträger an, sich an die Mitglieder des Kulturausschusses zu wenden und neun an das Kulturbüro. Dabei liegt eine Überschneidung von vier Vereinen vor, die sich an beide Akteure wenden. Damit wählt nur ein Viertel der Kulturträger den Kulturausschuss als Ansprechpartner in Problemsituationen. Dies gilt auch für Fragen der allgemeinen Vereinsarbeit (7) und bei der Planung (5) und Durchführung (5) von Veranstaltungen. Das Kulturbüro erreicht hier deutliche höhere Werte (14, 16 und 15). Der befragte Experte einer der Kulturträger, der als einziger regelmäßiger Besucher der Kulturausschusssitzungen beobachtet werden konnte, führt einen weiteren Grund für die Ferne von der Kulturpolitik an: Kulturpolitik sei „für viele Kulturschaffende nicht wichtig“, „da sie hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt seien und sich wenn, dann nur über spezifische Probleme beschweren würden“ (K2). Die Vereine würden den „Engagement-Aufwand scheuen, da es viel Zeit kostet, oft sehr langweilig sei und auf den ersten Blick keinen direkten Nutzen“ bringe (K2). Der Mitteleinsatz, Überzeugungsarbeit zu leisten, wird als nicht lohnend angesehen (A1). Die Faktoren Zeit und Nutzenerwartung prägen hier das Bild der Aussagen der Befragten und legen nahe, dass eine intensivere Akteurbeziehung auch auf dieser Basis ausbleibt. Es kann hier der Schluss gezogen werden, dass aufgrund der ausgeprägten Passivität der Akteure Kulturausschuss und Kulturträger keine Akteurbeziehungen etabliert werden, die einen direkten Austausch im und über das kulturpolitische System ermöglichen würden. Die Passivität des Kulturausschusses zeigt sich in der Empfängerrolle von Informationen und Beschlussvorlagen von Seiten der Kulturverwaltung. Von dieser empfangen die Kulturträger Förderungen in Form von Finanzmitteln und städtischen Ressourcen, welche sie in die Nehmerrolle versetzt. Damit nehmen die Kulturträger die ihnen von den kommunalen Kulturpolitikern bescheinigte Lobbyfunktion nicht in dem erwarteten, gewünschten oder erhofften Maße wahr, um ihre Interessen vorzubringen oder durchzusetzen. Sie „orientieren sich in der Regel am Kulturbüro und wenden sich mit Anliegen fast immer dorthin und nicht an den Kulturausschuss“ (A4). Dar-

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auf weisen zum einen die Aussagen der befragten Experten hin, zum anderen zeigen dies auch die Beziehungen, die die Experten auf den visualisierenden Netzwerkkarten angegeben haben. Hier fehlt eine direkte Beziehung zwischen dem Kulturausschuss und den Kulturträgern. Zum Kulturbüro wird hingegen eine intensive und mehrheitlich positive Beziehungskonstellation angegeben.44 Das belegen auch die Angaben der Kulturträger in der Online-Umfrage. Danach ist das Kulturbüro der einzige Akteur, zu dem alle 24 teilnehmenden Umfrageteilnehmer ein Vertrauensverhältnis pflegen. Dieses wird von 14 zudem als hervorragend bewertet. Zum Kulturausschuss pflegt hingegen nur ein Akteur (Fotoclub Norderstedt) ein hervorragendes Vertrauensverhältnis. Neun weitere Kulturträger bewerten die Beziehung zumindest als eher oder sehr eng. Die nachstehende Abbildung zeigt den Stellenwert der Verbindung zwischen den Kulturträgern und dem Kulturbüro auch an den hohen Werten der Kategorie Vertrauensverhältnis. Nur zu den lokalen Medien haben die Kulturträger ein annähernd so positives Vertrauensverhältnis. Abbildung 4.4: Vertrauensverhältnisse der Kulturträger zu anderen Akteuren 45 24

21

18

15

12

9

6

3

0

44 | Vgl. Aussagen der Experten und Netzwerkschaubilder der Kerngruppe und der nächstgeordneten fünf Akteuren in Kapitel 5. 45 | Eigene Darstellung nach Angaben aus der Online-Befragung der anerkannten Kulturträger.

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4.4.3 Der korporative Akteur Kultur ver waltung Die Kulturverwaltung ist im Untersuchungszeitraum als Amt 45 des Dezernats II Teil des korporativen Akteurs der kommunalen Stadtverwaltung Norderstedts, einer Organisation mit normativ gefassten Handlungen, Zielen und Ressourcen, deren Entscheidungen hierarchisch getroffen werden. Entsprechend dieser Kriterien ist die Kulturverwaltung als Teilorganisation der Stadtverwaltung ebenfalls als korporativer Akteur anzusehen.46 Das Kommunikationsverhältnis zur Politik sei „etwas distanzierter“ als zu den Kulturschaffenden, dabei greife „auch eine [Verwaltungs]-Hierarchie“ (K1). Gerade wenn es um politische Themen geht, läuft die Kommunikation zwischen Verwaltung und Politik auf der Dezernenteneben ab und weniger direkt zwischen den Kulturpolitikern und den Mitarbeitern des Kulturbüros. Damit wird bestätigt, dass die Einzelakteure des korporativen Akteurs Kulturverwaltung ihre Handlungsoption in Bezug auf Kommunikation und ggf. Aushandlung von Inhalten hinter die Hierarchie des Akteurtyps zurückstellen. Damit wird informelle Kommunikation nicht ausgeschlossen, jedoch wenn diese stattfinde, gehe es eher um Sach- und Verständnisfragen. Die Beziehung der Kulturträger zur Kulturverwaltung wird von der Leit des Kulturbüros hinsichtlich der Kommunikation zwischen der Verwaltung und den Kulturschaffenden als sehr eng bezeichnet (K1). In Bezug auf den Akteur Kulturbüro wird diese Arbeit als „sehr motiviert und engagiert“ (K2) beschrieben. Die Informationspolitik der Verwaltung insgesamt erscheint nicht immer als glücklich, was sich daran zeige, „dass die frühzeitige Einbindung der Kulturträger, wie beim Kulturwerk geschehen, nicht immer erfolgt. Das sei aber schlau, um gute Politik machen zu können“. (A2) Damit hebt der befragte Experte auf den Wert von informeller Kommunikation ab, der demzufolge ausbaufähig ist. Es wird aber auch wahrgenommen, dass die Handlungsoption der Informationsgabe im informellen Rahmen zum Vorteil der Kulturverwaltung gesteuert werde. So hat ein Experte „schon manchmal den Eindruck, dass die Verwaltung Sachlagen so präsentiert, dass ihr die Zustimmung der Politik gewiss ist“ (A5). Dazu stellt ein anderer Experte fest, dass aufgrund einer Menge Fachwissen und ausgeprägten Kontakten und Kenntnissen über die Kulturträger, dass Kulturbüro „eigene Vorstellungen versucht voranzubringen“, was aber für „so eine Arbeit“ normal sei (A4). Neben den Ressourcen sind für ehrenamtliche Kulturvereine auch immaterielle Unterstützung durch Beratung und Vernetzung wichtig, was von der Kulturverwaltung auch selbst neben der Kommunikation als „das wichtigste an der Arbeit“ (K1) angesehen wird. Da eine Kulturverwaltung nicht alle er46 | Mit Wirkung zum 1. Januar 2017 wechselte das Amt 45 in den Zuständigkeitsbereich des Dezernats I (Oberbürgermeister).

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Kommunale Kulturpolitik

denklichen Fachberatungen selbst tätigen kann (wie beispielsweise Rechtsberatung) ist dazu die Frage gestellt worden, ob die Kulturträger mit bestimmten Anfragen, die im Kulturbüro nicht geleistet werden können, an andere konkrete Stellen weitervermittelt werden würden. Dazu habe das Kulturbüro in verschiedensten Bereichen Beratungen durchgeführt oder Externe herangeholt (K1). Ebenfalls habe es dazu bereits Fortbildungen gegeben, zurzeit jedoch nicht, da man diese nur anbieten würde, wenn man Bedarfe sehe oder diese gemeldet würden, was derzeit nicht der Fall sei (K1). Selbst gehen die Kulturbüro-Mitarbeiter hingegen nicht auf Fortbildungen, da es für sie keine Weiterbildungsangebote gäbe, die infrage kämen (K1).

4.4.4 Zwischenfazit Bis hierhin offenbart sich das Bild von den drei Akteuren Kulturpolitiker (Kulturausschuss), Kulturschaffende (Kulturträger, Künstlergruppen, Einzelkünstler) und Kulturverwaltung (Kulturbüro, Musikschule) mit klar verteilten Aktivitätsmustern. Die meisten Aktivitäten sind für die Kulturverwaltung festzustellen, welche in regelmäßigem Austausch mit den Kulturpolitikern und intensiven Beziehungen zu den Kulturschaffenden steht. Damit befindet sich die Kulturverwaltung zwischen den Kulturpolitikern und den Kulturschaffenden in einer Art Vermittlungsposition, die jedoch im Wesentlichen nur in der Weitergabe von Informationen und statistischen Angaben der Kulturträger an die Mitglieder des Kulturausschusses besteht. Diese Informationen sind zudem auf das Nötigste beschränkt. Davon zeugen exemplarisch die Berichte der sogenannten Spartengespräche, bei denen die Kulturverwaltung zweijährlich die Bedarfe und Situationen der Kulturträger mit diesen bespricht. Dem Kulturausschuss wird das Stattfinden zur Kenntnis gegeben. Ein Bericht über die gesammelten Ergebnisse oder die Einladung zur Teilnahme erfolgt jedoch nicht. Lediglich zu den Spartengesprächen im Jahr 2013 sind in der Niederschrift der Kulturausschusssitzung zwei Sätze angegeben. Den Ausschussmitgliedern wird mit diesen mitgeteilt, dass das Resümee generell positiv ausfalle, Probleme würden „zum Teil in der Probenraumsituation und der terminlichen Verfügbarkeit des Kulturwerks am See gesehen“47. Alle anderen Spartengespräche seit 2005 wurden in den entsprechend vorhergehenden Sitzungen des Kulturausschuss nur angekündigt.48

47 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/X/35 vom 25.04.2013, TOP 9.5: Spartengespräche, S. 10. 48 | Vgl. Berichts-Übersicht mit Bezug zu den Spartengesprächen als Auszüge aus den Niederschriften der verschiedenen Kulturausschusssitzungen im Anhang.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

4.5 D okumentenanalysen von N iederschrif ten der K ultur ausschusssit zungen Die in den Experteninterviews gewonnenen Erkenntnisse über die Bedeutungen und Bedingungen informeller Auseinandersetzungen mit kulturpolitischen Themen erfordern einen Vergleich mit den formellen Aspekten der kulturpolitischen Politics. Diese bestehen in der formalisierten Kommunikation der kommunalpolitischen Beratungs- und Beschlussweise, die Ausdruck in Berichten, Anträgen und Vorlagen finden. Über diese wird in den Niederschriften der Ausschusssitzungen ein Ergebnisprotokoll durch die Verwaltung geführt. Als Elemente kommunalpolitischer Auseinandersetzungen geben diese Dokumente Auskunft über die Kommunikation der Akteure zu bestimmten Themen und Sachverhalten, aber auch über quantitative Verteilungen. Die detaillierte Betrachtung gibt zudem Hinweise auf informelle Kommunikationsakte von Akteurkonstellationen, da die Niederschriften der Kulturausschusssitzungen über das von der Gemeindeordnung Schleswig-Holstein vorgegebene Mindestmaß reiner Ergebnisprotokolle hinausgeht.

4.5.1 Vorgehen der Auswertungen Zur Analyse der formalisierten Kommunikation wurden die Niederschriften der Kulturausschüsse der neunten (IX) und der zehnten (X) Wahlperiode der Kommune Norderstedt quantitativ ausgewertet. Die Niederschriften sind die um die Sitzungsergebnisse ergänzten Tagesordnungen, welche einer festgelegten Struktur folgen. Diese ist prototypisch durch folgende Tagesordnungspunkte (TOP) aufgebaut.49

Prototypischer Aufbau der Tagesordnungen TOP 1:

Begrüßung und Feststellung der Beschlussfähigkeit,

TOP 2:

Beratung und Beschlussfassung zur Tagesordnung,

TOP 3:

Einwohnerfragestunde, 1. Teil,

TOP 4:

ein oder mehrere thematische Tagesordnungspunkte, ggf. als Dauerbesprechungspunkte, die auf Antrag der Ausschussmitglieder oder zur Beratung und/oder zur Beschlussfassung anstehen,

TOP 5:

Einwohnerfragestunde, 2. Teil,

TOP 6:

Berichte und Anfragen in der Reihenfolge ihres Eingangs bei der Verwaltung

49 | Vgl. hierzu §10 Tagesordnung der Geschäftsordnung der Stadtvertretung der Stadt Norderstedt, https://www.norderstedt.de/PDF/Gesch%C3%A4ftsordnung_Stadt ver t r e t ung .PDF ?O bjS v r ID =10 87&O bjID = 6 216&O bjL a=1&E x t= PDF&W T R=1& _ ts=1451891232.

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Kommunale Kulturpolitik

Diesem öffentlichen Teil kann bei Bedarf ein nichtöffentlicher folgen. Zu nichtöffentlichen Sitzungsteilen kam es nur in vier Sitzungen des Kulturausschusses der Wahlperiode IX (Sitzungen Nr. 28, 30, 34, 35). Die formalisierte Kommunikation findet ihren normativen Ausdruck zum einen in den Mitteilungs- (für Beratungen) oder Beschlussvorlagen (für Beschlüsse aller Art) zu den thematischen Tagesordnungspunkten. Dabei gibt es bei zwei von drei Besprechungspunkten eine entsprechende Vorlage, wohingegen der Rest reine Beratungsthemen ohne Vorlagen sind. Zum anderen liegen formalisierte Kommunikationsakte in Form der Berichte (der Verwaltung) und den Anfragen der Ausschussmitglieder vor. Damit sind besonders die Berichte und Anfragen gut für eine vergleichende statistische Auswertung geeignet. Die Berichte dienen in erster Linie der offiziellen Informationsgabe durch die Verwaltung, die keiner Beratung im Ausschuss bedürfen. Die Anfragen werden von den Ausschussmitgliedern in den Sitzungen nach Aufruf vorgebracht und gegebenenfalls schriftlich zu Protokoll gegeben oder vom Schriftführer erfasst. Für die statistische Auswertung sind die Häufigkeiten der Vorlagen, Berichte und Anfragen nach Urheberschaft (Verwaltungsbereiche, Ausschussmitglieder bzw. Parteien/Fraktionen) sowie nach Berichtsart erfasst worden. Als Berichtsarten können Sachstandsberichte und Veranstaltungshinweise sowie Kulturstatistiken (z. B. der Kulturvereine) und Ausschussorganisation (z. B. Sitzungstermine) voneinander unterschieden werden. Die vergleichende Auswertung der Niederschriften bestätigt dabei den Eindruck über das informelle Kommunikationsverhalten: Die Kulturverwaltung ist in den Sitzungen des Kulturausschusses der aktive und der Ausschuss mit seinen Mitgliedern der passive Akteur. In beiden Wahlperioden liegt das Aktivitätsverhältnis zwischen dem Kulturausschuss und der Verwaltung bei eins zu zehn. Nachgewiesen werden kann das anhand der eingebrachten Vorlagen und Anträge. Für beide Instrumente der formellen politischen Kommunikation zeigt sich anhand ihrer statistischen Auswertungen, wie das Verhältnis über den Zeitraum zweier Wahlperioden zwischen Kulturverwaltung und Kulturpolitikern ausgestaltet ist. Zunächst wird dazu die Auswertung der eingebrachten Beschluss- und Mitteilungsvorlagen vorgestellt. Im Anschluss daran folgt die Auswertung der Berichte und Anfragen, die in den Kulturausschusssitzungen gestellt wurden.

4.5.2 Auswertung der eingebrachten Vorlagen Die beiden Abbildungen 4.5 und 4.6 über die Urheberschafft der eingebrachten Vorlagen in den Wahlperioden IX und X zeigen die Anteile der Kulturverwaltung bzw. der Fraktionen an, die für die Vorlagenerstellung verantwortlich zeichneten. Dabei gehören die fünf größten Elemente des Kreisdiagramms (86,4%) alle zum Verantwortungsbereich der städtischen Kulturverwaltung.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Das Element Verwaltung vereint zudem einzelne Ämter, Dezernenten und den Oberbürgermeister. Bemerkenswert ist neben dem Verhältnis von Verwaltung und Politik, dass dieses in beiden Wahlperioden nahezu deckungsgleich ist. Zwar haben sich die jeweiligen Fachbereichsanteile verändert, eine grundsätzliche Veränderung der Gestaltungshoheit zwischen Verwaltung und Politik lässt sich aber nicht feststellen. Abbildung 4.5: Urheberschaft der eingebrachten Vorlagen in der Wahlperiode X Eingebrachte Vorlagen in der W ahlperiode X (20 0 8-20 13)

Musikschule 10 15,2%

CD U 3 4,5%

L I N KE 3 4,5%

Seniorenbeirat 3 4,5%

KulturW

erk N . 7 10 ,6%

Kulturbü ro 8 12,1%

Verw altung 26 39 ,4% Kulturamt 6 9 ,1%

Neben 15 Mitteilungsvorlagen verschiedener Abteilungen der Kulturverwaltung und einer des Seniorenbeirates wurden 42 Beschlussvorlagen im Kulturausschuss beraten und davon über 38 abgestimmt, vier Vorlagen wurden zurückgezogen bzw. vertagt. Demgegenüber wurden von den Mitgliedern des Ausschusses bzw. ihren Fraktionen nur sechs Abstimmungsvorlagen eingebracht. Hiervon stammten je drei von den Parteien CDU und DIE LINKE. Drei weitere Vorlagen stammten aus dem Seniorenbeirat. Damit gingen in der zehnten Wahlperiode in den Kulturausschuss 65 Vorlagen ein. Im vorhergehenden Zeitraum von Juni 2003 bis Mai 2008 (Wahlperiode IX) sind hingegen 109 Vorlagen zu verzeichnen. 32 Mitteilungsvorlagen sowie 65 Beschlussvorlagen verschiedener Abteilungen der Kulturverwaltung wurden im Kulturausschuss beraten. Demgegenüber brachten die Mitglieder des Ausschusses selbst bzw. ihre Fraktionen nur zwölf Abstimmungsvorlagen ein. Hiervon stammten je sieben von der CDU, drei von der SPD und zwei von der FDP (siehe Abb. 4.6).

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Abbildung 4.6: Urheberschaft der eingebrachten Vorlagen in der Wahlperiode IX Eingebrachte Vorlagen in der W ahlperiode I X (20 0 3-20 0 8)

CD U 7 6%

SPD 3 3%

FD P 2 2%

Volkshochschule 26 24% Verw altung 26 24%

Stadtbü cherei 9 8%

Musikschule 14 13%

FOR UM/ Kulturw erk 20 18%

Stadtarchiv / Stadtmuseum 2 2%

Diese Zahlen zu den eingebrachten Vorlagen sind zwar nur ein quantitativer Hinweis auf die Entwicklungsrichtung kulturpolitischer Aktivitäten. Dennoch sind die Abbildungen dahingehend eindeutig, dass Vorlagen von den Kulturpolitikern bzw. den ihnen angehörenden Fraktionen im Kulturausschuss quantitativ so gut wie keine Rolle spielen. Der Vergleich der Wahlperioden bestätigt zudem die Einschätzung der befragten Experten. Die kulturpolitische Aktivität in Gestalt eingebrachter Vorlagen reduzierte sich um 40 Prozent. Dies betrifft jedoch alle direkt mit dem Kulturausschuss verbundenen Akteure gleichermaßen, was wiederum auf keine Veränderungen im Verhältnis des Gestaltungsanspruches schließen lässt. Vielmehr scheinen sich die Akteure der Kulturverwaltung und der Kommunalpolitik gut mit dieser Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung zu arrangieren. Ein Blick auf die Themen der von den Mitgliedern des Kulturausschusses in der Wahlperiode X eingebrachten Abstimmungsvorlagen verstärkt diesen Eindruck noch. Jeweils drei der sechs eingebrachten Vorlagen stammen von der CDU und drei von DIE LINKE. Letztere beziehen sich alle auf dasselbe Thema in derselben Sitzung: der Einführung von ermäßigten Tarifen bzw.

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Entgelten für Sozialpassinhaber50 bei Kulturveranstaltungen der Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH und Angeboten der städtischen Musikschule. Diese drei Vorlagen der Partei DIE LINKE hätten formal auch als ein dreiteiliger Antrag eingebracht werden können, über deren Teile einzeln abgestimmt hätte werden können. Das relativiert den quantitativen Input. Die drei Anträge der CDU-Fraktion befassen sich hingegen mit verschiedenen Themen in den Jahren 2009, 2010 und 2011. In diesen ging es um Grundsatzfragen, die Einfluss auf die Ausrichtung und Gestaltung der Norderstedter Kulturpolitik haben: Berichte und Statistiken der geförderten Kulturvereine51 (keine Abstimmung, Verweisung zum TOP „Berichte und Anfragen“), Novellierung des Kultur- und Weiterbildungskonzeptes52 und die Überarbeitung der Kulturförderrichtlinien53. Diese letzten beiden Anträge formulieren jeweils den Auftrag an die Verwaltung, entsprechende Beratungs- und Beschlussvorlagen für den Kulturausschuss vorzubereiten. Die Initiative zu dem Novellierungs- und dem Überarbeitungsvorhaben erfolgte vorderhand von Seiten der CDU-Fraktion, jedoch kann deren Entstehung aus den Anträgen selbst nicht entnommen werden. Fest steht, dass die Neugestaltung der Inhalte an die Verwaltung übertragen wurde. Ob die Inhalte von den antragstellenden Kulturpolitikern oder von anderen Parteien oder Fraktionsmitgliedern stammen, ist hier nicht zu erkennen. Möglich ist, dass die Initiative zur Antragstellung durch Mitarbeiter der Kulturverwaltung oder von Dritten, wie etwa Akteuren der Kulturszene, erfolgte, welche ein Interesse an der Fortschreibung des Kulturkonzeptes und der Kulturförderrichtlinien hatten. Es ist hier zumindest belegt, dass es sich in den wenigen seitens der Kulturausschussmitglieder eingebrachten kulturpolitischen Gestaltungsvorhaben nur um Arbeitsaufträge 50 | Der Sozialpass der Stadt Norderstedt vereinfacht den Zugang zu Ermäßigungen für Bezieher von Leistungen zum Lebensunterhalt wie Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Grundsicherung, Sozialhilfe oder anderen Sozialleistungen, deren Höhe ähnlich ist. Für Kinder von Sozialpassinhabern beträgt das Unterrichtsentgelt 60,- Euro/Jahr. Vgl. Merkblatt zum Norderstedter Sozialpass, abrufbar unter http://www.norderstedt. de/loadDocument.phtml?ObjSvrID=1087&ObjID=10641&ObjLa=1&Ext=DOC&La=1 und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Musikschule Norderstedt, http://www. norder stedt.de/PDF/agb_musikschule_ab_08204.PDF?ObjSvrID=1087&ObjID= 6473&ObjLa=1&Ext=PDF&WTR=1&_ts=1401108171. 51 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KWA/008/X vom 23.04.2009 mit Antrag A 09/0178 „Tätigkeitsberichte und Finanzstatistik der Kulturträger 2008; hier Antrag der CDU-Fraktion vom 07.04.2009“. 52 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/019/X vom 25.11.2010 mit Antrag A 10/0506 „Kultur- und Weiterbildungskonzept: hier: Überarbeitung zum Kulturkonzept“. 53 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/023/X vom 26.05.2011 mit Antrag A 11/0139 „Überarbeitung der Kulturförderrichtlinien der Stadt Norderstedt“.

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an die Kulturverwaltung handelt. Somit bleibt vom Gestaltungswillen nur der Wunsch an Fortschreibung kulturpolitischer Themen übrig. Eine aktiv gestaltende Kulturpolitik basierend auf eigener Programmatik oder eigenen Konzepten kann diesbezüglich nicht festgestellt werden.

4.5.3 Urheberschaften der Berichte und Anfragen Einen nicht unwesentlichen Teil der Themen in den Kulturausschusssitzungen kommt dem Bereich „Berichte und Anfragen“ zu, der mit dem Punkt Verschiedenes bei anderen Tagesordnungen vergleichbar ist. Als eigener Tagesordnungspunkt finden sich Berichte und Anfragen in jeder Kulturausschusssitzung.54 Dieser TOP findet sich stets als letzter Besprechungspunkt auf der Tagesordnung, der wiederum den Themen entsprechend in Unterpunkten gegliedert wird.55 Die Mehrheit der dort besprochenen Unterpunkte bezieht sich auf Informationsgaben durch die Kulturverwaltung an die Ausschussmitglieder. Dabei handelt es sich um Veranstaltungshinweise, Neuigkeiten aus den Aktivitäten der Kulturvereine, Berichte zu Sachständen von Projekten und Vorgängen, die teilweise als Anlagen zu Protokoll gegeben werden. Zudem verteilen die Berichtenden auch Handzettel, Broschüren und anderes Informationsmaterial von allgemeinem Interesse mit kulturellen Bezügen. Für diese Untersuchung ist zunächst der Anteil der Anfragen von Interesse, den die Kulturausschussmitglieder an die Verwaltung richten. Diese sind zum Teil schriftlich vorbereitet, und die Verwaltung erhält in den Sitzungen die erste Kenntnis von diesen. Sie werden also nicht informell vorab an die Mitarbeiter der Verwaltung herangetragen, sondern erst in der Sitzung vorgetragen. Ein Experte der Kulturverwaltung stellte im Experteninterview fest, dass es „politisch ruhiger geworden sei“ (K4). Es habe die Bereitschaft abgenommen, sich inhaltlich länger mit einem Thema zu befassen. Diese Einschätzung trifft für die Art und Zahl der eingebrachten Vorlagen quantitativ zu, kann jedoch für den Bereich Berichte und Anfragen nicht festgestellt werden. Die Wahrnehmung scheint diesbezüglich vielmehr zu trügen. Betrachtet man dazu die Anzahl an Anfragen, die die Mitglieder des Kulturausschusses an die Verwaltung richtet, so sind in der neunten Wahlperiode in 41 Sitzungen 29 Anfragen gestellt worden. In der anschließenden zehnten Wahlperiode sind es jedoch 56 Anfragen (+27). Hinzu kommt, dass man in dieser Wahlperiode nur auf 35 Sitzungen kam, sodass der Unterschied noch stärker ins Gewicht

54 | Vgl. Tabelle 4.6: Prototypischer Aufbau der Tagesordnungen. 55 | Die Unterpunktregelung besteht seit der 6. Sitzung in der Wahlperiode IX (11/2003) und wird seit der 25. Sitzung des Kulturausschusses in der Wahlperiode X (09/2011) nach dem zweiten Teil der Einwohnerfragestunde aufgerufen.

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fällt: 0,7 Anfragen je Sitzung in der Wahlperiode IX und 1,6 Anfragen in der Wahlperiode X. Da zwischen den Wahlperioden IX und X die Zusammensetzung aus den Einzelakteuren des Ausschusses wechselte, ist ein Blick auf diese Konstellation wichtig. Dabei ist zu bedenken, dass nur vier der bis zu 14 regelmäßigen Mitglieder dem Ausschuss56 über die Grenze der Wahlperiode hinweg erhalten blieben. Dies lässt zunächst vermuten, dass die elf neuen Ausschussmitglieder ein deutlich höheres Wissens- und Informationsbedürfnis durch Anfragen an die Verwaltung erlangen wollten. Da die Gemeindeordnung neben regelmäßigen Mitgliedern auch stellvertretende Mitglieder vorsieht, muss deren Verbleib bzw. neue Zugehörigkeit in die Betrachtung mit einbezogen werden. So wurden fünf stellvertretende Mitglieder der Wahlperiode IX nach der Kommunalwahl 2008 zu regelmäßigen Mitgliedern (2x SPD, je 1x CDU, FDP, GALiN). Im Gegenzug wechselten vier regelmäßige Mitglieder zum Status des Stellvertreters (je 1x SPD, CDU, FDP, 1x mit Partei- und Fraktionswechsel von SPD zu FDP). Daraus folgt, dass in beiden Wahlperioden neun Mitglieder des Ausschusses zwar mit anderem Status, aber dennoch stimm- und antragsberechtigt dem Kulturausschuss angehörten. Damit ist die Fluktuation in der personellen Zusammensetzung der Akteurkonstellation des Ausschusses von geringerem Einfluss auf die Zahl der Anfragen, als es den vordergründigen Anschein hat. Darüber hinaus gab es auch in beiden Wahlperioden Umbesetzungen durch Fraktions- und Parteiwechsel einzelner Mitglieder der Stadtvertretung und damit neue Mehrheitsverhältnisse, die sich wiederum auf die Zusammensetzung des Kulturausschusses auswirkten. Die raschen Wechsel der Mehrheiten zeigen die vier Abbildungen 4.7.1-4 mit den Sitzverteilungen aus der Wahlperiode X: Bis zum 11. Mai 2009 bestand in der Stadtvertretung eine Ein-Stimmen-Mehrheit von SPD, GALiN und DIE LINKE mit zusammen 25 Sitzen gegenüber CDU und FDP mit 24 Sitzen (siehe Abb.  4.7.1). Dann wechselte ein Mitglied der SPD-Fraktion zur CDU und kehrte damit die Mehrheitsverhältnisse um (siehe Abb. 4.7.2). Diese Konstellation bestand aber nur bis zum 7. September desselben Jahres. Nun wechselte 56 | Der für kulturelle Angelegenheiten zuständige Ausschuss der Norderstedter Stadtvertretung hat sich zweimal in seiner Ausrichtung verändert. Der bis zum 31.12.2007 bestehende Ausschuss für Kultur und Städtepartnerschaften wurde mit der Auflösung des FORUMs und Gründung des Eigenbetriebs Kulturwerk Norderstedt zum Kulturwerkausschuss. Dieser war zuständig für die bisherigen Aufgaben des FORUMs und zusätzlich der Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH. Der Eigenbetrieb wurde jedoch zum 31.5.2009 aufgelöst und die Geschäftsbereiche der Mehrzwecksäle von der städtischen Kulturverwaltung (Kulturbüro und Musikschule) wieder getrennt. Seit Juni 2009 ist für letztere der Kulturausschuss zuständig.

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ein FDP-Mitglied zur SPD und stellte damit die ursprünglichen Mehrheitsverhältnisse seit der Kommunalwahl 2008 wieder her, wie sie Abbildung  4.7.3 zeigt. Diese Zusammensetzung ändert sich zum 26.10.2010, als erneut ein SPD-Mitglied zur CDU wechselte, wodurch abermals die Mehrheitsverhältnisse verändert wurden, die bis zum Ende der Wahlperiode bestand hatten (Vgl. Abb. 4.7.4). Abbildungen 4.7.1-2: Sitzverteilungen in der Stadtvertretung 2009 Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 11.05.2009

FDP 5

FDP 5

SPD 15

CDU 19

Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 07.09.2009

GALIN 6 LINKE 4

CDU 20

SPD 14 GALIN 6 LINKE 4

Abbildungen 4.7.3-4: Sitzverteilungen in der Stadtvertretung 2010 und 2013 Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 25.10.2010

FDP 4 CDU 20

Sitzverteilung in der Stadtvertretung Norderstedt Wahlperiode X bis 31.05.2013

FDP 4

SPD 15

GALIN 6 LINKE 4

CDU 21

SPD 14 GALIN 6 LINKE 4

Die personelle Zusammensetzung des Kulturausschusses schwankt in dieser Wahlperiode entsprechend. Dies hatte aber keine signifikanten Auswirkungen auf die Zahl der Anträge. Auch die Urheberschaft der eingebrachten Anfragen zeigt, dass die Zusammensetzung des Kulturausschusses sich nicht auf die quantitative Entwicklung der Anfragen auswirkte. Damit sind Partei- oder Fraktionszugehörigkeit kein determinierender Faktor für die Arbeit im Kulturausschuss. Dafür sind zudem die nachweisbaren Aktivitäten der Ausschussmitglieder auch über die Grenze einer Wahlperiode hinweg zu unterschiedlich. Der Vergleich der

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

beiden Wahlperioden IX und X gibt hierzu Aufschluss: Inklusive des Seniorenbeirats gaben 14 verschiedene Ausschussmitglieder in der Wahlperiode X Anfragen zu Protokoll. Acht dieser Mitglieder gehörten bereits in der vorhergehenden Wahlperiode dem Ausschuss an. Zwei von diesen waren zuvor zeitweilig nur stellvertretende Mitglieder, nahmen jedoch aktiv an den Sitzungen teil und waren zeitweilig dauerhaft in ihrer Vertretungsfunktion als teilnehmende Anwesende aktiv. Demgegenüber steht, dass in der Wahlperiode IX 14 der 29 Anfragen von vier Mitgliedern stammen, deren Mitgliedschaft auch in der Wahlperiode X fortbestand. Umgekehrt wurden 37 der 49 Anfragen der Wahlperiode X von acht Mitgliedern eingebracht, die bereits in der Wahlperiode IX zum Kulturausschuss gehörten. Von diesen acht Mitgliedern haben jedoch nur drei in beiden Wahlperioden Anfragen an die Verwaltung gestellt. Es kann also nachvollzogen werden, dass nur diese drei Mitglieder des Kulturausschusses ihre Aktivität in vergleichbarer Weise fortgeführt und zum Teil verstärkt haben: Zusammen stammten 13 aller 29 Anfragen in Wahlperiode IX und 16 aller 49 Anfragen in Wahlperiode X von diesen Mitgliedern (je ein Mitglied von SPD, GALiN57, FDP). In der Wahlperiode X entfielen somit zwei Drittel (33 von 49) auf fünf Mitglieder, die in der Wahlperiode IX keine Anfragen stellten und weitere sechs, die dem Ausschuss erst in der Wahlperiode X angehörten. Dies zeigt, dass die Anfragen seltener von denselben Mitgliedern eingebracht wurden: In der Wahlperiode IX stammte jede zweite Anfrage von demselben Mitglied, in der Wahlperiode X nur noch jede dritte. Und dies, obwohl es in beiden Wahlperioden Mitglieder gab, die deutlich mehr Anfragen stellten als der Durchschnitt. Dieser betrug in der Wahlperiode IX 2,6 Anfragen je stellendes Mitglied, in der Wahlperiode X jedoch 3,5. Dabei reicht die Skala von einer bis neun Anfragen in der Wahlperiode IX (31% aller 29 Anfragen stammten von demselben Mitglied) und von einer bis zwölf Anfragen in der Wahlperiode X (25% aller 49 Anfragen stammten von demselben Mitglied). Neben dieser personenbezogenen zeigt die fraktionsbezogene Entwicklung einen ähnlichen Trend. Die Verteilung der Anfragen nach Fraktions- bzw. Parteizugehörigkeit stellt sich in den Wahlperioden wie folgt dar.

57 | Grün Alternative Liste in Norderstedt, existierte in den Jahren von 2000 bis 2014.

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Kommunale Kulturpolitik

Abbildungen 4.8.1-2: Anfragen nach Partei-/Fraktionszugehörigkeiten W ahlperiode X

W ahlperiode I X

GR Ü N E 9 31%

FD P 2 7 %

CD U 14 48%

SPD 4 14%

GR Ü N E 8 17 %

L I N KE 4 9 % CD U 18 38%

FD P 4 8% SPD 13 28%

Durch die Erweiterung des in der Stadtvertretung Norderstedt vertretenen Parteienspektrums um die Partei DIE LINKE in der Wahlperiode X verteilten sich sowohl die Stimmenanteile als auch in der Folge die Zahl der eingebrachten Anfragen neu.58 Das Verhältnis der Verteilung der Anfragen zwischen den Fraktionen veränderte sich ebenso wie auch der jeweilige eigene Anteil der Anfragen. Den größten Sprung machte hier die SPD, die die Zahl ihrer Anfragen mehr als verdreifachte (von 4 auf 13) und damit ihren Anteil an den Anfragen verdoppelte. Die FDP verdoppelte zwar ihre Anfragenzahl ebenfalls (von 2 auf 4), blieb aber unter zehn Prozent aller Anfragen. Demgegenüber reduzierte sich die Zahl der Anfragen von den GALiN nur um eine von 9 auf 8. Die CDU steigerte die Zahl ihrer Anfragen von 14 auf 18. Diese Neuordnung der Anteile an den Anfragen zeigen, dass der Eintritt der Partei DIE LINKE die Mehrheitsverhältnisse offener und die Aktivitäten im Kulturausschuss auf mehr Akteure verbreiterte. Die Zusammenbetrachtung der personellen und der parteibezogenen Aktivitäten durch Anfragen im Kulturausschuss relativiert den Aspekt der Parteiperspektive und richtet den Fokus stärker auf die Einzelpersonen des Ausschusses. Der Grund hierfür liegt in der Fraktionsstärke, mit der die Parteien in den Ausschüssen vertreten sind und die sich an den Fraktionsgrößen der Stadtvertretung orientieren. Daraus resultiert für den elfköpfigen Kulturausschuss der Jahre 2003 bis 2013, dass die Parteien GALiN, FDP (erst ab April 2007), Bürgerpartei (bis 2008), LINKE (ab 2008) mit nur je einem Mitglied im 58 | In der Wahlperiode XI, die nicht zum Untersuchungszeitraum gehört, erhöhte sich die Zahl der Fraktionen in der Norderstedter Stadtvertretung von fünf auf sechs, da die Partei WIN (Wir in Norderstedt) in die Stadtvertretung einzog.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Ausschuss vertreten waren. Zudem war die FDP zeitweilig bis März 2007 nur beratend ohne Stimmrecht Mitglied. Die übrigen Sitze entfielen auf die CDU und die SPD. In der Wahlperiode IX erhielt die CDU sechs Sitze und die SPD drei Sitze, in der Wahlperiode X erhielten beide Fraktionen je vier Sitze. Dies zeigt, dass Parteien mit nur einem Sitz im Ausschuss dort gleichzeitig Einzelpersonen als auch einziges Fraktionsmitglied sind, das Anträge oder Anfragen stellen kann. Hinsichtlich der Zahl der Anfragen und Berichte stammen die Anfragen der Parteien GALiN, FDP und LINKE stets von demselben Ausschussmitglied, sofern sie nicht vom Stellvertreter eingebracht wurden, was nur in einem einzigen Fall vorkam. Dadurch sind diese Mitglieder gleichzeitig die kulturpolitischen Wortführer ihrer Fraktion und Partei im Ausschuss. CDU und SPD hatten hingegen zu jeder Zeit mindestens drei Mitglieder im Ausschuss, sodass die Anfragen von verschiedenen Mitgliedern gestellt werden konnten. Es lassen sich in beiden Wahlperioden und für beide Parteien Personen identifizieren, die die meisten Anfragen stellten und damit als Wortführer anzusehen sind. Wie im Abschnitt über die Wortführeranalyse erläutert, wurden diese daher für die Experteninterviews ausgewählt.59 Diese Wortführerschaft tritt in der Wahlperiode X jedoch deutlicher zutage als in der vorhergehenden. Am Beispiel der CDU zeigt sich dies wie folgt: In der Wahlperiode IX von 2003 bis 2008 wurden von sechs verschiedenen CDU-Mitgliedern 14 Anfragen gestellt (Maximum: sechs Anfragen von einem einzigen CDU-Mitglied). In der Wahlperiode X (2008 bis 2013) stammten bereits zwölf der 18 Anfragen von demselben Mitglied, die übrigen sechs verteilen sich auf vier weitere Mitglieder. Ein weiterer Blick in dieser Hinsicht auf die Urheberschaft der gestellten Anfragen zeigt, dass in der Wahlperiode X 27 der 49 Anfragen (55%) von nur drei verschiedenen Ausschussmitgliedern stammen: zwölf von einem CDU-Mitglied (25%), acht (16%) vom einzigen GALiN-Mitglied und sieben (14%) von einem SPD-Mitglied. Dieses Vorgehen beruht nach Angaben der befragten Experten (alle drei vorgenannten Mitglieder nahmen an den Experteninterviews teil) auf fraktionsinternen Absprachen, nach denen diese Mitglieder in der Regel zuständig für Anfragen sind, die im Vorwege der Kulturausschusssitzungen vorbereitet wurden. Diese Ausschussmitglieder können als kulturpolitische Sprecherinnen und Sprecher ihrer Fraktionen angesehen werden. Auch wenn es diese Funktionen als Ämter nicht offiziell gibt, so sind sie dennoch feste Ansprechpartner für kulturbezogene Belange. Nachgewiesen werden konnte in diesem Zusammenhang, dass diese Sprecherinnen und Sprecher ihrer Aufgabe durch das Stellen von Anfragen und das Einbringen von Anträgen auch quantitativ nachkommen.

59 | Vgl. Abschnitt 4.1.3.

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Diese Herleitung der Verteilung der Urheberschaft von Anfragen und Berichten zeugt von einer in Teilen planvollen politischen Praktik bei der Vorbereitung und Durchführung von Fraktions- und Ausschussarbeit bzw. -sitzungen. Damit kann festgehalten werden, dass Regelungen über die Arbeit und das Verhalten der Fraktionsmitglieder in den Ausschüssen und der Stadtvertretung getroffen werden, an die sich alle jeweiligen Mitglieder zu halten haben. Dies sind Einflussfaktoren für die taktische Planung einer Fraktion, da sie sich an den Wortführern der anderen Fraktionen orientieren kann, um einschätzen zu können, welche Einzelmeinungen sich aus den jeweils anderen Fraktionen heraus durchsetzen könnten. Es kann also in gewissem Umfang von einer formalen Partei- und/oder Fraktionsräson hinsichtlich Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten gesprochen werden. Dies hat insofern Einfluss auf kulturpolitische Prozesse, als dass die identifizierbaren Wortführer als logische Ansprechpartner für kulturpolitische Verhandlungen gelten können. Dies ist aber kein Spezifikum von Kulturpolitik, sondern eine kommunalpolitische Praktik, die der allgemeinen Arbeitsweise in Form von Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilungen in den Fraktionen und Parteien entspricht.

4.5.4 Entwicklungen der Berichte und Anfragen Die Anzahl der Berichte durch die Verwaltung sowie der Anfragen an die Verwaltung seitens der Ausschussmitglieder hängt von der aktuellen Themenlage ab und schwankt stark zwischen null bis zu 21 Berichten sowie null und maximal vier Anfragen in der Wahlperiode IX. Diese Werte gelten auch exakt für die Wahlperiode X. Abweichungen bestehen aber in der Gesamtzahl der Berichte in beiden Wahlperioden. Sind es in der Wahlperiode IX noch 362 Berichte der Verwaltung, so reduziert sich diese Zahl in der Wahlperiode X auf 271 Berichte. Es verhält sich hier also entgegengesetzt zu der Zahl der Anfragen der Ausschussmitglieder.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Abbildung 4.9: Entwicklung der Berichte und Anfragen in den Kulturausschusssitzungen der Wahlperioden IX und X, 2003-2013 7 0 65

Ausschuss für Kultur- & Städtepartnerschaften

Kulturwerkausschuss

Kulturausschuss

60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0

20 0 3 20 0 4 20 0 4 20 0 5 20 0 5 20 0 6 20 0 6 20 0 7

20 0 7

20 0 8 20 0 8 20 0 9

Berichte (dunkelgrau) und Anfragen (grau) in Sitz ungen (w eiß ) in der W ahlperiode I X

20 0 9

20 10

20 10

20 11 20 11 20 12 20 12 20 13

Berichte (dunkelgrau) und Anfragen (grau) in Sitz ungen (w eiß ) in der W ahlperiode X

Die Grafik verdeutlicht das quantitative Verhältnis zwischen Berichten (dunkelgrau) und Anfragen (hellgrau). Dabei geben die durchgehenden Linien den jeweiligen linearen Trend an, die weiße Punktlinie dokumentiert an den Markierungen die Anzahl der durchgeführten Sitzungen je Halbjahr. Im Verlauf zeigt dies eine Verdoppelung der Anfragen bei gleichzeitiger Halbierung der Berichte. Die Zahl der Sitzungen schwankt zwischen drei und fünf pro Halbjahr, wobei der Median 4,0 und der Mittelwert 3,75 beträgt – bedingt durch nur drei Sitzungen der letzten beiden Halbjahre. Realistisch durchführbar sind acht bis elf Sitzungen pro Kalenderjahr. Aufgrund von Ferien, Feiertagen und der Turnussetzung im Wochenlauf der Monate wurden in den Kalenderjahren 2004 bis 2012 zwischen sechs und neun Sitzungen tatsächlich durchgeführt. Weiterhin fallen angesetzte Sitzungen aus, wenn sowohl die Verwaltung als auch die Mitglieder des Ausschusses sich darüber verständigen, dass keine Tagungspunkte für eine Sitzung vorliegen. Eine derartige Situation trat in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres 2012 ein. In diesem Zeitraum fand nur im September eine von ursprünglich vier angesetzten Sitzungen des Halbjahres statt. Dieser Umstand bewirkt auch eine deutlich reduzierte Zahl von Berichten und Anfragen und trägt damit zum Ausreißerwert in der Abbildung 4.9 bei. Allerdings bleibt auch im folgenden ersten Halbjahr 2013 die Zahl der Anfragen bei zwei, die Zahl der Berichte liegt hingegen wieder über 30. Betrachtet man die Berichte im Detail, so findet sich die einseitig von der Kulturverwaltung ausgehende Aktivität wieder. Von den insgesamt 633 Berichten im Erhebungszeitraum zwischen Juni 2003 und Mai 2013 stammen

131

Kommunale Kulturpolitik

621 aus der Verwaltung (98,1%). Zwölf Berichte wurden von den Ausschussmitgliedern über Themen aus anderen Ausschüssen oder dem Kreistag sowie den Mitgliedern des Seniorenbeirates (beratender Status) vorgetragen. Diese extreme Einseitigkeit hat aber nur in wenigen Fällen kulturpolitische Themen zum Gegenstand. Die meisten Themen sind von kulturverwaltender Implikation. Neben Hinweisen zu Kulturveranstaltungen (166; 26,2%), statistischen Informationen (33; 5,2%) und der Ausschuss-Organisation (19; 3,0%) betreffen knapp zwei Drittel den Bereich der Sachstandsinformationen zu aktuellen Entwicklungen der Musikschule, der Stadtbücherei, der Volkshochschule, des Stadtmuseums und der eigenen Veranstaltungsorganisation (415; 65,4%). Diese Werte sind der langjährige Durchschnitt des Untersuchungszeitraumes zwischen 2003 und 2013 (vgl. letzte Doppelzeile in Tab. 4.7). Unterschieden nach Wahlperioden trifft der oben zitierte Umstand, dass es ruhiger in der Politik geworden sei, für die gesamte Entwicklung zu. Wie hier deutlich wird, ist der wesentliche Grund dafür der Rückgang an Berichten, die durch die Verwaltung eingebracht wurden. Kompensiert wurde dies jedoch nicht durch die nahezu verdoppelte Zahl an Anfragen durch die Mitglieder des Kulturausschusses, da ihr Vorkommen einen insgesamt zu geringen Anteil ausmacht. Auffällig ist hier zudem der Anteil des Periodischen an den Berichten. Fast die Hälfte der Berichte in der Wahlperiode X hat ein wiederkehrendes Thema zum Anlass. Dies bezieht sich nicht nur auf Veranstaltungen, die alljährlich oder mehrfach im Jahr stattfinden, sondern auch auf Berichte, zum Beispiel von Wettbewerben der Musikschule oder Neuauflagen von Informationsmaterialien (vgl. die Doppelspalte über das Auftreten der Berichte in Tab. 4.7). Die damit aufgezeigte Entwicklung widerspricht der zitierten Einschätzung des Experten der Kulturverwaltung in Kapitel 4.5.3.

Wahlperiode / Jahre

Berichte Gesamt

Auftreten sing.

per.

Urheber Verw.

Berichtsarten

Pol.

Sach.

VA

stat.

org.

Anfragen

Tabelle 4.6: Berichte und Anfragen in den Wahlperioden IX und X (alle Pol.)

132

IX 03-08

abs.

391

362

247

115

356

6

267

71

15

8

29

%

100

92,6

68,2

31,8

98,3

1,7

73,8

19,6

4,1

2,2

7,4

X 08-13

abs.

327

271

140

131

265

6

147

95

18

11

56

%

100

82,9

51,7

48,3

97,8

2,2

54,2

35,1

6,6

4,1

17,1

Ges. 03-13

abs.

718

633

387

246

621

12

414

166

33

19

85

%

100

88,2

61,1

38,9

98,1

1,9

65,4

26,2

5,2

3,0

11,8

Abk.: abs.=absolut, Ges.=Gesamt | Auftreten: sing.=singulär, per.=periodisch | Urheber: Verw.=Verwaltung, Pol.=Politik | Berichtsarten: Sach.=Sachstand, VA=Veranstaltung, stat.=tatistik, org.=organisatorisches

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

4.6 P olicy -E xkurs I: F isk alische A spek te der K ulturpolitik N orderstedts Die finanzielle Last des Kulturetats für den Gesamthaushalt der Stadt Norderstedt liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich (1,4%). Von dieser Warte hat der Kulturetat keine weitreichende Auswirkung auf die finanzielle Situation der Stadt. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass finanzielle Aspekte in der kommunalen Kulturpolitik keine Rolle spielen. Im Gegenteil zeigt sich, dass es sich hierbei um ein Reizthema handelt, das ein Einflussfaktor für Akteurkonstellationen sein kann. So können Interaktionen der Akteure festgestellt werden, die auf ein partei- bzw. fraktionsgebundenes Handeln der Akteure hindeuten. Zur Ermittlung derartiger Umstände wird zum einen in den Experteninterviews die Frage nach Partei- bzw. Fraktionsräson als Einflussfaktor auf kulturpolitische Prozesse gestellt (Kap.  4.6.1). Zum anderen geht es in diesem Exkurs um die kulturpolitische Diskussion der Kostendeckungsgrade der Musikschule Norderstedt und damit in diesem Zusammenhang um die Frage der Meritorik in der Kulturpolitik (Kap. 4.6.2)

4.6.1 Partei- & Fraktionsräson als Einflussfaktor auf kulturpolitische Prozesse Alle Experten geben an, dass eine Partei- bzw. Fraktionsräson keine oder eine seltene bzw. unbedeutende Rolle in der Norderstedter Kulturpolitik spielt. Diskussionen, die parteipolitischen Charakter aufweisen, gebe es allenfalls „bei Fragen über Gebührenhöhen und Kostendeckungsgraden“ (A4). So wirft das wiederkehrende Thema der jährlichen Gebührenbedarfsberechnungen von Musikschule oder Volkshochschule bei den kommunalen Kulturpolitikern die Frage nach dem Kostendeckungsgrad der jeweiligen Einrichtung auf. Logisch zu assoziierende Selbstverständnisse und programmatische Grundhaltungen der verschiedenen Parteien treten, ablesbar anhand von Anträgen, Anfragen und Beschlussvorlagen, an dieser kulturpolitischen Frage zutage. Hier spielen die parteipolitische Sozialisation und die Zugehörigkeit der Ausschussmitglieder eine größere Rolle als bei Themen, die die persönlichen Erfahrungen, beruflichen Kenntnisse und kulturellen Affinitäten berühren. Die Frage nach Kostendeckungsgraden ist ein generelles Anliegen der im Ausschuss vertretenen FDP-Fraktion, was ihrer marktliberalen Grundhaltung entspricht. Den Kostendeckungsgrad zu erhöhen, ist in Teilen auch im Sinne der CDU-Fraktion. Dieses Ansinnen dokumentieren zwei Beispiele. In der 39-igsten Sitzung der Wahlperiode IX stellt die FDP-Fraktion den Antrag:

133

134

Kommunale Kulturpolitik „zu prüfen, welche der von ihr angebotenen Kurse der beruflichen Weiterbildung der Norderstedter Bürgerinnen und Bürger dienen und damit den Bildungsauftrag erfüllen. Wir bitten um Überprüfung, wie der Deckungsgrad für das Angebot der Volkshochschule insgesamt auf 100% angehoben werden kann, z. B. durch Erhöhung der Gebühren für die Kurse, die nur der Freizeitbeschäftigung dienen.“60

Dieser Antrag wird mit den sieben Stimmen der FDP und CDU gegen die Stimmen der SPD und der GALiN beschlossen. Das Ergebnis der Prüfung zeigt: In der 25-igsten Sitzung der Wahlperiode X stellt wiederum die FDP-Fraktion einen Prüfauftrag an die Verwaltung. Dieses Mal betrifft es die Musikschule, die prüfen soll, wie der Kostendeckungsgrad auf 65 % angehoben werden. Auch diesem Antrag wird mit sechs Ja- und vier Nein-Stimmen bei drei Enthaltungen gefolgt. Die Stimmenverteilung, die in den Niederschriften nicht nach Parteien bzw. Fraktionen aufgeschlüsselt dokumentiert wird, kann allerdings nicht einem sogenannten bürgerlichen Lager aus CDU und FDP zugeordnet werden, da in dieser Sitzung die CDU mit sechs Mitgliedern und die FDP mit einem stimmberechtigten Mitglied anwesend waren. Aus diesem bürgerlichen Lager muss mindestens ein Ausschussmitglied gegen den Prüfauftrag gestimmt oder sich enthalten haben. Die SPD, die GALiN und die LINKE waren in der Sitzung mit zusammen sechs stimmberechtigten Mitglieder vertreten. Auch diesem sogenannten sozial-ökologischen Lager können die Stimmen nicht klärend zugeordnet werden. Vier Gegenstimmen und drei Enthaltungen zum Antrag bedeuten, dass mindestens zwei der Enthaltungen aus diesem Lager stammen müssen und sich damit nicht explizit gegen den Prüfauftrag ausgesprochen haben. Dies zeigt, dass die Diskussionen um den Kostendeckungsgrad der Musikschule nicht allein auf etwaige Lagerbildungen zurückzuführen sind. Es entstanden hier also keine parteiideologischen, sondern allenfalls thematisch-situationsbezogene Akteurkonstellationen. Auch eine Partei- oder Fraktionsräson zu diesem kulturpolitischen Thema kann in diesem Fall nicht angenommen werden. Dass der Kostendeckungsgrad städtischer Kultureinrichtungen im Untersuchungszeitraum auch für die CDU ein Thema ist, zeigt folgende Begebenheit. So fragt ein CDU-Mitglied zum Terzialbericht I/2003 des FORUM für Kultur und Städtepartnerschaften, „ob die Berechnung des Kostendeckungsgrades bei der VHS auch auf die Programmbereiche hinunter zu brechen sei.“61 60 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KS/IX/02 vom 12.06.2003, TOP 4: A 07/0391 Antrag der F.D.P.-Fraktion zum Kostendeckungsgrad der Volkshochschule, S. 6. 61 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KS/IX/02 vom 12.06.2003, TOP 7: Terzialbericht I/2003, hier: FORUM, S. 6f.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Dies wird direkt und mündlich in der Sitzung von der Verwaltung beantwortet, verneint und so in der Niederschrift dokumentiert. Diesen Erkenntnissen entsprechen auch die Einschätzungen der anderen befragten Experten. So sei es nicht unüblich, dass „Parteien nicht mit einer Stimme [ab]gestimmt“ hätten (K2), es also im Abstimmungsverhalten keinen Fraktionszwang gebe. Zudem bestehe der Eindruck, dass sich die „Kulturpolitiker in den meisten Fragen grundsätzlich einig seien“ (K4). Für alle Experten steht aber fest, dass die Faktoren Partei und Fraktion insgesamt nur eine geringe oder gar keine Rolle spielen. Dennoch gebe es im Kulturausschuss „durch die Fraktionen gesteuertes Verhalten“ (A6). Dies treffe aber nur bei Meta-Themen zu und „wenn es um die richtigen Beträge gehe“ (A2), wozu sich der Kulturausschuss mit seinen Themen und Aufgaben aber nur selten eigne, da die Budgets, über die beraten und beschlossen werden könne, vergleichsweise gering seien. Grundsätzlich wolle keiner „an den Kulturausgaben kratzen“ (A2), zumal die Kulturförderungen an die anerkannten Kulturträger nur 0,2% des gesamten Haushaltes der Stadt Norderstedt ausmachten. Im Jahr 2012 waren dies 335.000 Euro, von denen allein 210.000 Euro (62,5 %) Kosten als Förderung durch entgeltfrei zur Verfügung gestellter städtischer Räume waren. Als Stellschraube für Haushaltseinsparungen eignen sich diese Positionen folglich nicht. Eine Streichung der Förderung bedeutete, dass die Kulturvereine die Raummieten aus eigenen Mitteln oder durch Spendenakquise auf bringen müssten. Dazu sind diese mehrheitlich nicht imstande, da ihre Kalkulationen die öffentliche Kulturförderung mit einbeziehen. Die Beispiele zeigen, dass hinsichtlich der Deckungsgrade dennoch versucht wird, den „Finanzhebel anzusetzen“ (A2). Die Kosten für die Musikschule, die Volkshochschule und die Stadtbücherei sind jedoch mehrheitlich Personalkosten. So ist für die Musikschule ein Personalkostenanteil von mindestens drei Vierteln, gemessen an ihren Gesamtaufwendungen, festzustellen (2004: 78%, 2006: 74%, 2010: 92%, 2012: 88%). Beim Stadtarchiv und Stadtmuseum, dem Team Räume & Organisation belasten die Personalkosten das jeweilige Teilbudget des Kulturhaushalts mit mindestens 50% der Aufwendungen. Nur das Kulturbüro der Stadt Norderstedt weist Personalkosten von lediglich gut einem Drittel auf. Die übrigen Kosten des Kulturbüros stehen für Projekte und Förderleistungen an die Kulturvereine zur Verfügung. Damit sind die Aufwendungen für fest angestelltes bzw. verbeamtetes Personal mit einem Anteil von 65,9% am Kulturhaushalt der Stadt Norderstedt der wesentliche Kostenfaktor und gleichzeitig der einzige Aufwendungsbereich, in dem signifikantes Einsparungspotential zu finden ist.

135

136

Kommunale Kulturpolitik

Tabelle 4.7: Kulturhaushalts-Ergebnisse der Stadt Norderstedt 2004-2012 62 Eigenbetrieb

Kameralistik Erträge/ Aufwände

Produkt

Erg. 2004 1T €

Ertrag

Stadtarchiv/ Stadtmuseum

Personal

Bildungswerke (Stadtbücherei, VHS)

Räume & Organisation

Summen

%

1T €

1

Erg. 2008

%

2

5

2,0

15

6,0

139

53,4

133

53,4

1T €

Erg. 2010

1

%

9

3,4

2

1T €

1

Erg. 2012

%

1T €1

2

%2

7

3,1

9

3,6

138

61,2

148

59,2

260

249

269

226

250

Ergebnis

-255

-234

-261

-219

-240

Ertrag

424

175,2

389

203,7

4.699

93,7

Personal

132

54,5

120

63,0

2.884

57,5

Aufwand

242

191

5.014

Ergebnis

182

198

-315

800

47,8

876

51,2

Personal

1.300

77,6

1.267

74,0

Aufwand

1.675

1.711

1.797

1.550

1.678

Ergebnis

-875

-835

-871

-731

-771

Ertrag Kulturbüro

Erg. 2006 2

Doppik

Aufwand

Ertrag Musikschule

1

Kameralistik

12

2,4

8

1,5

Personal

217

43,6

178

33,6

Aufwand

498

Ergebnis

-486

Ertrag

178

34,0

212

48,5

Personal

246

47,0

251

57,5

Aufwand

523

Ergebnis

-345

Erträge

995

Aufwände

2.956

Gesamt

-1.960

926

27

528

689

-520

246

52,8

907

54,1

92,4

1.481

88,3

39

6,3

57

6,7

231

37,4

239

28,2

617

-662

437

848

-578 37,0

-791

106

24,7

112

31,4

210

48,8

188

52,6

665

430

-225

-419

-324

-245

1.111

1.208

971

5.783

2.925 33,7

3,9

819 1.433

-1.810

3.421 38,0

-2.210

357

2.824 35,3

-1.850

8.147 34,4

Gesamthaushalt Stadt Norderstedt

Personal gesamt

1.902

64,3

1.828

62,5

0

0,0

2.012

71,3

-2.360

71,0

167.000

1,41

4.940

60,6

Anm.: 1 Wert in 1.000 Euro (Lücken aufgrund nicht dokumentierter bzw. verfügbarer Daten); 2

Ertragsanteil am Aufwand = Kostendeckungsgrad, Personalkostenanteil in %.

62 | Eigene Darstellung aus den Haushaltsplänen der Stadt Norderstedt und seiner Eigenbetriebe. Der Vergleich zwischen Kameralistik und Doppik ist nur bedingt aussagekräftig, da mit der Umstellung auch die Zuordnung der Haushaltstitel wechselt.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

4.6.2 Zur Frage der Meritorik in der kommunalen Kulturpolitik Welche Auswirkung und strukturellen Dimensionen die Einsparbemühungen im Kulturhaushalt haben können, zeigt das Fallbeispiel der Musikschule Norderstedt. Gerade die Arbeit der Musikschule wird im Einzel- und Gruppenunterricht durch ausgebildetes Fachpersonal geleistet. Einsparungen wären daher nur durch Veränderungen im Anstellungsverhältnis denkbar – etwa durch den Einsatz von Honorarkräften anstelle von Festangestellten, um die Lohnnebenkosten zu senken. Diesen Vorschlag unterbreitet auch der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein in seinem Kommunalbericht 2013, verbunden mit der Forderung „kommunale Einrichtungen in private Trägerschaft [zu] überführen“63. Mit Hinweis auf die Beschäftigungsweise von Musiklehrkräften stellte die Norderstedter FDP-Fraktion hierzu einen Initiativantrag: „Langfristig sollen die Gebühreneinnahmen die Personalkosten decken; dazu wird auch ein Abbau frei werdender Stellen und der mögliche flexible Einsatz von Honorarkräften dienen.“64 Dieser stieß zum einen auf großen Widerstand der anderen Fraktionen – der Antrag wurde mit elf zu einer Stimme abgelehnt. Zum anderen widerspricht das Ansinnen, feste Personalstellen an der Musikschule Norderstedt sukzessive in Honorarstellen umzuwandeln, einem Beschluss der Norderstedter Stadtvertretung. Diese legte am 27.10.1981 – also bereits 30 Jahre zuvor – fest, dass der Unterricht an der Musikschule Norderstedt ausschließlich von festangestellten Lehrkräften durchgeführt werden darf, die nach Tarifvertrag (ehemals BAT, nachfolgend TVöD/TV-L) zu entlohnen sind.65 Die kulturpolitische Initiative der FDP zeigt einerseits die Hilflosigkeit, mit der die Kulturpolitiker in einem vergleichsweise sehr kleinen Budget nach Einsparpotentialen suchen, um ihren parteipolitisch motivierten Ambitionen an eine Haushaltsgestaltung nachzukommen. Diese stehen im Spannungsfeld zu einer möglichst gerechten, auf breite Teilhabe ausgerichteten Bereitstellung derselben Mittel. Andererseits wird an derartigen Beispielen ersichtlich, dass Kenntnisse über die eigenen politischen Gestaltungen fehlen und damit auf unzureichende Vorbereitung eines kultur- wie kommunalpolitischen Themas schließen lassen. Damit folgt aus dem Abstimmungsverhalten in Fragen der Kostendeckungsgrade und den skizzierten Unzulänglichkeiten bei der Formulierung (kultur-)politischer Vorstellungen, dass den Kulturpolitikern sowohl die Tragweite als auch die Möglichkeiten kulturpolitischer Gestaltung und Steuerung allenfalls anteilig bewusst sind. Dies allein soll jedoch nicht dem 63 | Landesrechnungshof Schleswig-Holstein: Kommunalbericht 2013, S. 75ff. 64 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/X/26 vom 27.10.2011, TOP 4: Gebührenbedarfsberechnung für Einrichtungen der Stadt Norderstedt; hier Musikschule, S. 9. 65 | Vgl. Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/X/26 vom 27.10.2011, TOP 4: Gebührenbedarfsberechnung für Einrichtungen der Stadt Norderstedt; hier Musikschule, S. 6.

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Kommunale Kulturpolitik

Vorwurf politischer Unzulänglichkeit gereichen, zumal sich die kommunale Kulturpolitik in Norderstedt ganz erheblich auf Kontrolle und Beschluss von Vorgelegtem seitens der Verwaltung beschränkt66. Dies belegt die Problematik von Kulturförderung versus Markteingriff in der Hinsicht, dass die Argumentationen für das eine wie gegen das andere und umgekehrt auf opponierenden Perspektiven und ökonomischen Verständnissen beruhen, aus denen sich fest gefügte Überzeugungen ergeben. Das Dilemma, welches sich auch an der nachgezeichneten Diskussion im Kulturausschuss ablesen lässt, liegt im äußerst engen fiskalischen Spielraum, der Kunst und Kultur zur Verfügung steht – sowohl im öffentlichen wie im privaten Sektor. Manifestation erlangt dies in den mehrheitlichen Ausgaben für Beschäftigte und Honorare im Kulturbereich, wodurch die fiskalischen Spielräume stark eingeschränkt werden. Dies haben in einem erheblich vereinfachenden, dafür aber eindeutigen Zwei-Sektorenmodell William Baumol und William Bowen aufgezeigt, das unter der Bezeichnung der Baumolschen Kostenkrankheit67 bekannt geworden ist. Mit dieser stellen Baumol und Bowen den Wirtschaftszweig der Automobilindustrie den Produzenten von Konzerten gegenüber und legen dar, dass durch Einsparungen, Rationalisierung und technischem Fortschritt die Arbeitsproduktivität in der Automobilindustrie gesteigert und damit die Lohnstückkosten gesenkt werden können. Über ein derartiges betriebswirtschaftliches Potential verfügen Konzertveranstalter nicht, da ihr Produkt nicht im gleichen Maße personalunabhängig verwendet werden kann. Allenfalls durch Produkte von Konzerten, wie Konzert- oder Musikaufnahmen, kann dies näherungsweise erreicht werden. Die Durchführung eines Konzerts selbst kann hingegen nicht personalunabhängig erfolgen. Die variabel gestaltbaren Lohnstückkosten eines Automobils werden von Baumol und Bowen der Aufführung von Musik in Form eines Konzertes gegenübergestellt – hierzu lassen sich ebenfalls auch Theater- oder Opern-, Operetten- und Musicalaufführungen zählen, die in vergleichbarem Umfang personalintensiv sein können. Die Gegenüberstellung ist insofern legitim, als es zur Erreichung eines fertig gestellten Automobils ebenso des Einsatzes von Personal bedarf wie zur Aufführung von Musik. Allerdings ist der Vergleich der beiden Wirtschaftszweige Automobilität und Konzert nicht zur Gänze hinreichend, da Baumol und Bowen unterschiedliche Zielpunkte dafür heranziehen. Beim Automobil ist klar, dass dieses als Produktionsergebnis erreicht ist, wenn es dem Kunden gegen Bezahlung zu dessen freier Verwendung übergeben wird. Bei Konzert,

66 | Vgl. Abbildung 4.7. 67 | Vgl. Gottschalk, Ingrid: Kulturökonomik. Probleme, Fragestellungen und Antworten, Wiesbaden 2016, S. 38ff.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Theater oder Oper, Operette, Ballett und Musical wird als Produktionsergebnis die jeweilige Aufführung für den Vergleich verwendet. Überträgt man den Gedanken der Aufführung als Handlung auf die Automobilindustrie, so kann diese auch als Teil der Produktionskette verstanden werden, bevor das Automobil fertig gestellt ist. Umgekehrt steht das fertige Automobil nach seiner Produktion dem Käufer immer wieder zu Verfügung, die Aufführung in Form vom Konzert, Theater, etc. jedoch nicht. Damit stehen das Automobil und das Konzert als Produkte eines durch Lohnkosten determinierten Prozesses in einem schiefen Vergleich. Dessen Auflösung könnte aber nur in Verschiebung der Konzert- oder Theateraufführung hin zur angesprochenen Konservierung auf einer LP, CD oder einem anderen Abspielformat liegen. Erst dadurch wäre man in der Lage, einen ehrlicheren Vergleich in Bezug auf die Lohnstückkosten der beiden Wirtschaftszweige zu ziehen, besonders, da nun beide Vergleichsobjekte mehrfach verwendet können. Daher sind Aufführungen hier als primäres, Aufnahmen derselben als sekundäres Produktziel anzusehen. Neben diesem kritischen Exkurs bleibt berechtigterweise die allgemeinere Logik hinter der Kostenkrankheit gültig.68 Denn zur Erreichung des Einen wie des Anderen ergeben sich heute gravierende Unterschiede bei den Lohnstückkosten, und es bleibt unbenommen so, dass die realen Preise von den Konsumenten für ein Automobil bereitwilliger aufgebracht werden, als sie es bei einer Konzertkarte machen würden, also dann, wenn diese nicht durch den Einsatz öffentlicher Geldmittel stark subventioniert wäre. Es stellt sich daher die etwas naiv anmutende Frage, „warum den Nachfragern nach Kulturleistungen nicht höhere Preise zugemutet werden können“69. Denn „if demand rises more quickly than that for other outputs (the income elasticity is larger than one), and the price elasticity of demand is larger than minus 1, prices and revenues perhaps can be raised to keep pace with rising costs”70. Hier spielt neben der Kosten-Nutzen-Relation aus Sicht der Konsumenten auch die Frage nach den Grenzkosten eine nicht unerhebliche Rolle, da das Konzert mit der erworbenen Eintrittskarte nur einmal besucht, das Automobil hingegen immer wieder verwendet werden kann. Die Bedingungen der Preisund Gebührengestaltungen im Kulturbereich hängen jedoch mitnichten nur von Fragen eines durchsetzbaren Preises ab, den die Konsumenten bereit wären aufzubringen. Die Antwort darauf umfasst stets kulturpolitische Dimensionen, deren Diskurse soziale und erzieherische Aspekte ebenso wie Hinwei68 | Vgl. Throsby, David: The production and consumption of the arts. A view of cultural economics, in: Journal of Economic Literature 32(1), Pittsburgh 1994, S. 15f. 69 | Gottschalk 2016, S. 41. 70 | Frey, Bruno S.: Has Baumol’s cost disease disappeared in the performing arts?, Richerche Economiche 50(2), 1996, S. 173.

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Kommunale Kulturpolitik

se auf Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitsbedingungen und die Qualität von künstlerischen Leistungen umfassen. Dies sind Themen, die auf allen föderalen Ebenen der Kulturpolitik in Deutschland zu finden sind und vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses zwischen sparsamer Haushaltsverantwortung und Verteilungsgerechtigkeit von öffentlichen Finanzmitteln und gesamtgesellschaftlichen Erwägungen stehen. Damit einher geht ein ständiges, sich wiederholendes Erfordernis der Begründung des Einsatzes öffentlicher Mittel zur Subvention von verschiedenen Angeboten und Produkten, die zur öffentlichen Kulturförderung gezählt werden können. Wie anhand der Beispiele aus dem Norderstedter Kulturausschuss zitiert, sind derartige Themensetzungen und etwaige Diskussionen auch auf kommunaler Ebene der Kulturpolitik festzustellen. Allerdings zeigt das einleitende Beispiel der Diskussion über die Kostendeckungsgrade der Musikschule, dass die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge beim Einsatz öffentlicher Finanzmittel wenig reflektiert werden. Übergeordnet und gleichermaßen fehlend ist ein grundlegendes Verständnis der ökonomischen Zusammenhänge, die die unterschiedlichen Formen von (Nicht)-Marktteilnahme bis zur Marktsteuerung bzw. -regulierung und zum Marktversagen ausmachen können. Hierbei spielen vor allem das Zusammenwirken verschiedener Kostenarten sowie Güterklassifikationen eine wichtige Rolle, die sich in Fragen von Kostendeckungsgraden weder ausdrücken noch an deren Berechnung ablesen lassen. Der Kostendeckungsgrad ist aber ein beliebtes kommunalpolitisches Maß, von dem die Vorstellung vorherrscht, an ihm Effizienz, haushalterische Leistung oder Erfolg ablesen zu können. Anders ist das geradezu insistierende Feilschen um den Kostendeckungsgrad kaum zu erklären und zudem eine wesentlich leichter zu ermittelnden Größe, die „die Kommunalpolitiker auch ganz gut verstehen“ (K3). Somit wird von Seiten der Kulturverwaltung konstatiert, dass es den Kommunalpolitikern an den nötigen fachlichen Voraussetzungen fehle, „um diesen Bereich der Steuerung einschätzen zu können“ (K3). Dennoch seien Diskussionen über den Kostendeckungsgrad bei der Musikschule und auch bei der Volkshochschule immer wieder zu erleben, die aber nicht zu der notwendigen Befassung mit der Frage führen würde, was kann und was will man sich als Kommune leisten (K4). Hierbei sei der Kostendeckungsgrad nicht zielführend, denn wenn man bereit sei, Kultureinrichtungen zu finanzieren, dann sind Diskussionen über 56% oder 65% Kostendeckung eigentlich müßig, denn dies sei nie ein Bereich, in dem man kostendeckend arbeiten könne (K4). Diesen Feststellungen stehen die Sichtweisen von Teilen der kommunalen Kulturpolitiker gegenüber. Zwar wird von einem Experten „eine Musikschule seitens des Staates zu betreiben“ befürwortet, aber an die Bedingung geknüpft, „wenn dies kostendeckend ist“, also kostenneutral erfolgt. Dass dies einen staatlichen Markteingriff bedeutet, wird hier zumindest übersehen, wenn

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

nicht gar ignoriert, da es auf dem freien Markt ebenfalls Musikschulen gibt, die nicht nur kostendeckend, sondern gewinnbringend arbeiten (müssen). Die Argumentation des Experten, dass „im sozialen Bereich (mehr) zu subventionieren“ nur möglich sei, „wenn der Kostendeckungsgrad ausreichend hoch sei“, bedient die Vorstellung, dass nur bei ausreichend vielen Kunden der Musikschule, die keine Ermäßigungen erhalten, eine entsprechende Anzahl an Zuschussbedürftigen durch subventionierte Preise gefördert werden sollten (alles A5). Damit wird allerdings der soziale Aspekt der Umverteilung fehlgeleitet, da er in Abhängigkeit von der Zahlungsbereitschaft besser verdienender Kundschaft gestellt wird. Da, wie erläutert, die Erhöhung des Kostendeckungsgrades nur durch substantielle Veränderung der Beschäftigungsverhältnisse erreicht werden könnte, führt dessen Erhöhung sogar in die falsche Richtung, wenn der staatliche Markteingriff legitimiert werden soll. Hypothetisch ergäbe sich folgendes Szenario: Durch ein Sinken des Kostendeckungsgrades aufgrund von höheren Zuschüssen im Verhältnis zu den Entgelten für den Musikschulunterricht, die zu einer Ausweitung des Angebotes für Sozialpassinhaber oder vergleichbarer Kunden führen könnte (z. B. Flüchtlinge), würde die Legitimierung, eine staatliche Musikschule zu betreiben, verbessert. Denn es ergäbe sich die Situation, dass durch die Aufwendung von öffentlichen Mitteln zur Subventionierung des Musikschulbetriebs die konkurrierende Beeinträchtigung für die privaten Musikschulen verringert wäre. Diese Argumentationskette geht jedoch nur dann auf, wenn die aufgewendeten Finanzmittel direkt (im Zweifelsfalle zweckgebunden) nur für die ermäßigten Unterrichtspreise (Sozialpassinhaber) verwendet würden. Die übrigen Entgelte der Kunden der Musikschule, die keinen Sozialpass oder andere Ermäßigungsberechtigungen haben, wären dann tatsächlich zur Kostendeckung heranzuziehen. Diese Rechnung geht, wie der Leiter der Norderstedter Musikschule dem Kulturausschuss dargelegt hat, nicht auf. Zudem änderte dies nichts daran, dass die staatliche Musikschule Angebote vorhält, die ebenfalls von privaten Betreibern musischen Unterrichts angeboten werden oder werden könnten. Es erhöht die Konkurrenz und damit den Kostendruck auf die privaten Betreiber, wodurch weiterhin ein Markteingriff gegeben ist, wenn eine staatliche Musikschule durch Subventionen gegenüber privaten Musikschulen eindeutig bevorteilt ist. Eine kostendeckend arbeitende staatliche Musikschule würde sich dann nicht mehr von einer privaten Musikschule unterscheiden und wäre ein ungerechtfertigter Markteingriff, da sie nicht besteuert ist. Dies weist auf ein offenbar fehlgehendes Verständnis über das Handeln des Staates als Marktteilnehmer hin.

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Kommunale Kulturpolitik

Die Problematik des angenommenen Markteingriffs und die Schwierigkeit seiner Legitimierung sollen hier unter Betrachtung verschiedener Begründungsansätze erfolgen: • Förderung musischer Bildung, • sozialpolitische Grundsätze der Beschäftigungsverhältnisse, • Bereitstellung (sonst fehlender) und sozialpolitische Dimensionen der Musiklehrangebote. Wie bereits mit dem Hinweis auf die Beschäftigungsverhältnisse festgestellt wurde, kann die staatliche Musikschule nur durch Subventionen aus Steuergeldern existieren, sofern der Beschluss beibehalten werden soll, dass die Lehrkräfte fest angestellt und nach Tarif bezahlt werden. Dies unterscheidet die staatliche Musikschule von einer privaten zwar in einem wesentlichen Punkt, dieser ist jedoch allein kein hinreichender Grund für einen Markteingriff. An den privaten Musikschulen in Norderstedt werden die Lehrkräfte ausschließlich als Honorarkräfte beschäftigt; so müssen keine Sozialabgaben von den Musikschulen als Arbeitgeber gezahlt werden. Der daraus resultierende Kostenvorteil gegenüber der staatlichen Musikschule kann diese nur durch die Finanzierungen aus Steuermitteln erreichen. Tabelle 4.8: Schüler und Lehrkräfte an Norderstedter Musikschulen Schüler/Lehrkräfte Kinder im Vorschulalter (0-6 J.)

Musikschule Stadt2

Modern

Meier

Schlick

Yamaha3

Ges.

425

19

1

3

k. A.

448

Kinder im Schulalter (6-13 J.)

977

87

16

22

k. A.

1102

Jugendliche (14-21 J.)

129

74

5

20

k. A.

228

32

9

1

2

k. A.

44

130

23

4

3

k. A.

160

junge Erwachsene (22-29 J.) Erwachsene (30-49 J.)

38

25

5

11

k. A.

79

1731

237

32

61

0

2061

Lehrkräfte (in Festanstellung)

39

0

0

0

0

39

Lehrkräfte (auf Honorarbasis)

18

8

4

4

25

59

Lehrkräfte gesamt

57

8

4

4

25

98

Erwachsene (ab 50 J.) Schüler gesamt

Anm.: 1 Daten aus den Fragen 1 bis 3, erhoben durch E-Mail-Formular-Befragung im Februar 2016, Fragebogen im Anhang ; 2 Daten aus dem Stellenplan der Stadt Norderstedt; 3 Die Yamaha Music School verweigerte die Teilnahme an der Befragung ohne Angabe von Gründen, deren Lehrkräfte wurden auf Basis der Teamvorstellung der Musikschule auf deren Homepage http://www.yamahamusikschule-norderstedt.de/teachers/index.html gezählt.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Zentraler ist die Begründung mit der Förderung musischer Bildung, die auch denjenigen zugänglich gemacht werden soll, die sich den Unterricht an der privaten Musikschule nicht leisten können. Zur Orientierung zeigt die nachstehende Tabelle zunächst die exemplarischen Kosten für den Instrumentalunterricht an der Musikschule Norderstedt und den fünf privaten Musikschulen in der Stadt. Die beste Vergleichsgrundlage bietet der Einzel-Instrumentalunterricht, den alle sechs Musikschulen in wöchentlichen 45-Minuten-Einheiten anbieten. Die von den Musikschulen genannten Kosten für ein Jahr Klavierunterricht 71 wurden dazu auf 12 Monate bzw. 52 Wochen72 umgelegt. Tabelle 4.9: Vergleich der Entgelte für Instrumentalunterricht an Musikschulen Kosten2

Anbieter

im Jahr

im Monat pro Woche

Musikschule Kinder/Jugendl. Norderstedt Erwachsene

1.147

96

22

1.429

119

27

gdmusic Musikschule

1.260

105

24

Modern Music School

1.428

119

27

Musikschule Meier

1.188

99

23

Schlick Musikwelt

1.188

99

23

Yamaha Music School

1.260

105

24

Durchschnitt privater Musikschulen

1.271

106

24

1

Anm: 1 Die gdmusic Musikschule gab in einer E-Mail zusätzlich an, ihren Betrieb in Kürze einstellen zu wollen (Stand: 02/2016); 2 Angaben für das Jahr 2015 ermittelt aus den Angaben der Homepages der Musikschulen, gerundet auf volle Euro.

Die Übersicht in der Tabelle 4.10 zeigt, dass die Musikschule Norderstedt trotz der Subventionen durch die Stadt Norderstedt in etwa die gleichen Entgelte von ihren Kunden verlangt wie die privaten Musikschulen. Es fällt lediglich auf, dass die Entgelte für Kinder und Jugendliche bei der Musikschule der Stadt Norderstedt am geringsten ausfallen. Für Erwachsene ist der Musikunterricht bei den privaten Musikschulen jedoch um bis zu 20 Euro pro Monat günstiger, als bei der Musikschule Norderstedt.

71 | Zu den Instrumenten, die alle sechs Musikschulen anbieten, gehören außerdem: Keyboard, Gitarre und E-Gitarre. 72 | Alle Musikschulen berücksichtigen die Schulferien Schleswig-Holsteins, in denen in der Regel kein Unterricht an den Musikschulen stattfindet.

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Kommunale Kulturpolitik

Beide Begründungen für die Subventionierung eines staatlichen Musikschulbetriebes gehen in gewisser Weise miteinander einher. Denn die Ermäßigungen für Kinder und Jugendliche (80% des Normalentgelts), für Familien- oder Mehrfachunterricht (gestaffelt 10-25%), aus Gründen des Haushaltseinkommens (gestaffelt 5 bis 50%) und Sozialpassinhabern (77 bis 95% des Normalentgelts) der Stadt Norderstedt stünden im argumentativen Widerspruch zur Beschäftigung von Lehrkräften, wenn diese nicht sozial abgesichert, sondern alle als Honorarkräfte arbeiten müssten. Schließlich kämen dann die Kunden mit Ermäßigungsanspruch in den Genuss von Musikunterricht aufgrund der Entlastung von Lohnnebenkosten, wenn die Lehrkräfte als Honorarkräfte und nicht als Tarifangestellte arbeiten müssten. Dies wäre aber die Konsequenz des Vorschlags, den die FDP-Fraktion zur Haushaltseinsparung ersonnen hatte. Für die Bereitstellung von öffentlichen Finanzmitteln zum Betrieb der Musikschule Norderstedt wird zudem das Argument angeführt, dass „eine staatliche Musikschule eine Angebotsvielfalt bieten könne, welche die privaten Musikschulen aufgrund ihrer Größe nicht anbieten könnten“ (A5). Der Begründungsansatz von der Größe der Musikschule trifft so jedoch nicht zu, da es nur die Folgeerscheinung des Angebots selbst ist. Das Argument von der Breite der Angebote zielt jedoch darauf ab, dass die staatliche Musikschule auf die Nachfragen reagiert, welche die privaten Musikschulen nicht befriedigen können. Es herrscht also ein Mangel im Markt der musischen Bildung, den dieser aus sich selbst heraus nicht beheben kann, womit der Markteingriff begründet wird. Die nachstehende Tabelle zeigt die musischen Kursusbereiche, die nur durch die Musikschule Norderstedt angeboten werden. Im klassischen Bereich des Instrumentalunterrichts hingegen können Interessierte fast alle Instrumente auch an privaten Musikschulen erlernen, mit Ausnahme der Orchesterstimmen Fagott, Kontrabass und Oboe sowie Mandoline. Für die Instrumente (Heim)-Orgel und Ukulele finden sich wiederum nur Angebote bei privaten Musikschulen. Tabelle 4.10: Bereichsverteilung der Unterrichtsangebote der Musikschulen Angebote der Musikschulen (2015) Bereiche

Staatl.

Elementar

7

auch Privat nur Privat 5

0

Instrument

25

21

2

Ensemble

6

0

0

sonstige

3

0

0

Gesamt

41

26

2

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Die Zahlen in Tabelle 4.11 verdeutlichen, dass es im Instrumentalbereich nicht an Angeboten auf dem freien Markt zu mangeln scheint, und zudem die Differenzen bei den Kosten nicht übermäßig ins Gewicht fallen. Die Einschätzung der großen Angebotsvielfalt der staatlichen Musikschule bestätigt die Tabelle aber ebenfalls – zumal hier die Kooperationsangebote der Musikschule in neun Kindertagesstätten und an den allgemeinbildenden Schulen (zehn Arbeitsgemeinschaften) nicht enthalten sind. Abbildung 4.10: Bereichsverteilung der Musikkurse nach Zahl der Anbieter und Kurse (2015)73

6 Anbieter: P, Keyb, (E)Git, Voc 5

4 Anbieter: Bfl, Eb, Qfl, Perc 4 3 Anbieter: Hrn, Sax, Tp, Vl 4

1 Anbieter: Fg, H-Org, Mand, Kb, Ob, Uke; Ensembles, Fortbildungen 14

2 Anbieter: Acc, Euph, Cl, Pos, Pop-Voc, Vc, Va; Elementarbereich 8

Abk.: Acc = Akkordeon, Bfl = Blockflöte, Cl = Klarinette, Eb = E-Bass, (E)-Git = Gitarre/E-Gitarre, Euph = Euphonium, Fg = Fagott, H-Org = Heimorgel, Hrn = Horn, Kb = Kontrabass, Key = Keyboard, Mand = Mandoline, Ob = Oboe, P = Klavier, Perc = Schlagzeug/ Percussion, Pop-Voc = Popgesang, Pos = Posaune, Qfl = Querflöte, Sax = Saxophon, Tp = Trompete, Uke = Ukulele, Va = Viola, Vc = Violoncello, Vl = Violine, Voc = Gesang

Die bisherigen Ausführungen zur Situation der musischen Bildung durch staatliche und bzw. versus privater Musikschulen berühren mikro- wie makroökonomische Fragen. So wurde dargelegt, dass es Indizien für einen Markteingriff durch eine staatliche Musikschule gibt, wenn diese in wesentlichem Umfang die gleichen Produkte wie private Musikschulen anbietet und ihr Gesamtangebot und die Betriebsstruktur nur durch Subventionen finanziert werden können. Ebenso deutet sich an, dass die staatliche Musikschule durch 73 | Eigene Darstellung nach Auszählung der Angebote und ihren Häufigkeiten.

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Kommunale Kulturpolitik

eben jene Subventionen solche Angebote vorhalten und Arbeitsbedingungen schaffen kann, die die privaten Musikschulen nicht erreichen können. Grundlage für diese vergleichende Gegenüberstellung bilden die verhältnismäßigen gleichrangigen Entgelthöhen der Musikschule Norderstedt und der privaten Musikschulen. Der Markteingriff wird mit Angebotsvielfalt, sicheren Arbeitsbedingungen und der Förderung musischer Bildung begründet, die einem Marktversagen in eben jenen Bereichen entgegen wirken sollen. Hinsichtlich aller drei Gründe wird argumentiert, dass sie nicht im gewünschten Maß durch den freien Markt von den privaten Musikschulen und Musiklehrkräften bereitgestellt werden. Es herrscht also ein Mangel an Angeboten vor, die die privaten Musikschulen nicht offerieren. Entsprechende Offerten können die privaten Musikschulen jedoch nach eigener Auskunft nicht machen. Die nachstehende tabellarische Aufstellung zeigt die Antworten auf zwei Fragen zum Markteingriff durch die staatliche Musikschule. Tabelle 4.11: Befragung zur Angebotsbeeinflussung privater durch die staatliche Musikschule in Norderstedt 74 Musikschule

Frage: Sehen Sie eine staatliche Musikschule als ungerechte Konkurrenz, da diese mit Steuergeldern subventioniert wird?

gd Musikschule2

keine Auskunft erteilt

Meier

Ja.

Modern Music School

Selbstverständlich!

Schlick

Nein, örtlich zu weit weg von uns.

Yamaha Music School

keine Auskunft erteilt

Musikschule

Frage: Würden Ihr Unterrichtsangebot und ihre Preise ohne die Konkurrenz durch eine staatliche Musikschule anders aussehen können?

gd Musikschule2

keine Auskunft erteilt

Meier

Ja.

Modern Music School

Preise nicht unbedingt, Unterrichtsangebot ja. Mehr Fächer, Aufführungen, größere Musikgruppen.

Schlick

Individueller Unterricht wird korrekt bezahlt, wir richten uns in der Preisgestaltung nach anderen privaten Musikschulen.

Yamaha Music School

keine Auskunft erteilt

Anmerkungen: Daten erhoben durch E-Mail-Formular-Befragung im Februar 2016, Fragebogen 1

im Anhang; 2 Geschäftsaufgabe im Jahr 2016 geplant.

74 | Antworten zu den Fragen vier und fünf, erhoben durch E-Mail-Formular-Befragung im Februar 2016, Fragebogen im Anhang.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Der Markteingriff ist folgernd aus den Antworten der privaten Musikschule weniger ein Problem für die Preisgestaltung, als vielmehr für die Nachfragesituation. Ziel einer staatlichen Musikschule ist die Förderung musischer Bildung, ungeachtet dessen, dass dabei „nicht individuelle, sondern gesellschaftliche Präferenzen relevant“75 sind. Denn „staatliche Eingriffe dienen dazu, die tatsächliche individuelle Nachfrage an die gesellschaftlich erwünschte Nachfrage anzupassen“76. Folglich ist in diesem Zusammenhang „die Bereitstellung unabhängig von den Präferenzen einzelner Konsumenten“77 das Ziel staatlichen Handelns. Damit beschreibt Wolfgang Scherf Bedürfnisse, die, im Gegensatz zu öffentlich und besonders privat bereitgestellten Gütern, nicht individuelle sondern gemeinwohlorientierte Bedürfnisse betreffen. „Diesen Bereich der Bedürfnisbefriedigung durch den Staat versieht man häufig in Anlehnung an Musgrave mit dem Etikett ‚meritorisch‘“, das, etymologisch betrachtet, „mit einem verdienstvollen oder wünschenswerten Eingriff des Staates gleichgesetzt werden kann“.78 Die sprachliche Ableitung des Wortes Meritorik zielt aus der Übersetzung der lateinischen Wörter „meritum, ī, n. (mereo), I) der Verdienst, Lohn“79 sowie „meritōrius, a, um (mereo), I) wofür Geld bezahlt wird, womit man Geld verdient“80 auf eine ehrenvolle Sache oder Gegenstand ab. Im heutigen Wortgebrauch bleibt der Stamm „mereo“ von seiner Bedeutung her übrig. Da ein Gut zu „verdienen“ bei meritorischen Gütern allen zuteil oder zugänglich sein soll, wofür als privates Gut stets ein Entgelt zu entrichten wäre, bleibt die Auseinandersetzung mit der Frage nach der pekuniären Dimension eines meritorischen Gutes oder Bedürfnisses stets offen. Unter diesem sprachlichen Aspekt bleibt Meritorik zunächst jedoch nur jenes zitierte Etikett, welches der Rechtfertigung eines Markteingriffs dient. Es bleibt aber die Frage zu stellen, warum – auch in Anlehnung an Musgrave81 – zur Befriedigung des öffentlichen Bedürfnisses musischer Bildung, eine staatliche Musikschule betrieben werden muss. Denn grundsätzlich könnten die entsprechenden Aufgaben musischer Kinder- und Jugendbildungsförderung 75 | Scherf, Wolfgang: Öffentliche Finanzen. Einführung in die Finanzwissenschaft, Stuttgart 2011, S. 73. 76 | Scherf 2011, S. 73. 77 | Scherf 2011, S. 73. 78 | Zimmermann, Horst/Henke, Klaus-Dirk/Broer, Michael: Finanzwissenschaft. Eine Einführung in die Lehre von der öffentlichen Finanzwirtschaft, München 2012, S. 56. 79 | Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Band 2, Darmstadt 1998, Sp. 895. 80 | Georges 1998, Sp. 895. 81 | Vgl. den ersten Absatz in Musgrave, Richard A./Musgrave, Peggy B./Kullmer, Lore: Die öffentlichen Finanzen. 1. Band, Tübingen 1994, S. 88.

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Kommunale Kulturpolitik

auch durch private Musikschulen übernommen werden. Sollten diese wie angedeutet dazu tatsächlich betriebswirtschaftlich nicht in der Lage sein, so könnte eine Kommune diese durch zweckgebundene Förderungen in die Lage dazu versetzen. Dies würde die Angebotsvielfalt der privaten Musikschulen erhöhen und die Kommune von finanziellen Lasten befreien. Die Förderung kann zudem derart gestaltet werden, dass die Lehrkräfte der privaten Musikschulen fest angestellt und nach Tarif entlohnt werden müssten. Als Option kulturpolitischen Handelns scheint dieser Gedanke sich jedoch zumindest nicht von allein aufzudrängen. So stellte ein befragter Experte fest, dass die Marktteilnahme des Staates eigentlich nicht sein müsste, da es privatwirtschaftliche Anbieter gebe und – bezogen auf die Musikschule –, dass man sich mal mit den Privaten unterhalten müsste (A5). Allerdings bekannte derselbe Experte, „sich damit aber eingehend zu befassen, dafür fehle ihr schlicht die Zeit“ (A5). Im Rückbezug auf die Situation der öffentlichen Kulturförderung durch Angebote einer staatlichen Musikschule und den obigen Ausführungen fällt denn auch auf, dass hier sehr wohl Entgelte zu entrichten sind. Selbst dann, wenn nachgewiesener Weise keine oder nur sehr geringe finanzielle Mittel den interessierten Konsumenten zur Verfügung stehen. Genau diese Konsumenten in prekären sozialen Verhältnissen sind der Schlüssel in der Argumentationskette bei der Subventionierung musischer Bildung. Denn obwohl die Angebote musischer Bildung, gleich, ob sie von privaten oder staatlichen Einrichtungen gemacht werden, weiterhin dem Ausschlussprinzip durch Erhebung von Entgelten unterliegen, gehen sie ein „in den Bereich öffentlicher Bedürfnisse, wenn sie als so bedeutend angesehen werden, daß für ihre Befriedigung durch das öffentliche Budget über das hinaus Sorge getragen wird, was der Markt zur Verfügung stellt“82 . Es ergibt sich somit, dass eigentlich private Güter „als meritorische zu öffentlichen Bedürfnissen“ (gemacht) werden, was „eine Korrektur individueller Präferenzen“ impliziert.83 Die darin liegende Logik unterstellt, dass die Individuen nicht im gewünschten Ausmaß ausreichend musische Bildung nachfragen. Ein wie auch immer gewünschtes Ausmaß zielt jedoch auf einen Soll-Zustand ab, der aus der Perspektive beispielsweise eines staatlichen oder politischen Akteurs nicht dem Ist-Zustand entspricht. Daher nimmt dieser Akteur zur Erreichung des gewünschten Zustands einen Eingriff in vorherrschende Umstände vor. Auch wenn dieser Eingriff (gemein-)wohlmeinender Für- oder Vorsorge entspringt, so ist diesem ein bevormundender Charakter nicht zu nehmen, welcher sich seitens liberaler Ökonomen im Vorwurf des Paternalismus äußert. 82 | Musgrave, Richard Abel: Finanztheorie, Tübingen 1975, S. 15. 83 | Ebker, Nikola: Politische Ökonomie der Kulturförderung. Entwicklungen zwischen Staat, Markt und 3. Sektor, Bonn 2000, S. 103.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Die damit zusammenhängende Schwierigkeit liegt in der Betrachtung und Anwendung der Theorie der öffentlichen und privaten Güter, die den vom Rationalismus geleiteten Vorstellungen vom Vorherrschen individueller Präferenzen entspringen. Hinzu kommt dabei der Wunsch, diese Güter mathematisch fassbar zu machen, weshalb die Unterscheidungsmerkmale privater und öffentlicher Güter durch eindeutige Kriterien wie z.  B. (Nicht-)Rivalität von Konsum oder Ausschließbarkeit so wichtig sind. Diese Form der Unterscheidung basiert jedoch „nicht auf einem Unterschied psychologischer Einstellungen oder auf einer Sozialphilosophie hinsichtlich der beiden Güterarten“. Dennoch sind individualpsychologische Unterschiede in den „von Individuen empfundenen […] Präferenzsystemen enthalten“, die unter anderem auch „Altruismus“ umfassen können, und wirken auf „vorherrschende Geschmacksrichtungen und kulturelle Werte“, die „die individuellen Präferenzen“ beeinflussen. Musgrave führt dabei selbst das Beispiel musischer Bildung an und zeigt, dass allein aufgrund individueller Präferenzen „offenbar keine Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Gütern vorgenommen werden“ kann. Denn „öffentliche Güter können hohe kulturelle oder ästhetische Wert bergen, wie musikalische Ausbildung oder den Schutz von Naturschönheiten“, aber es können auch „private Güter kulturelle Bedürfnisse befriedigen, wie das eine Dichterlesung tut“.84 Die „Prämissen der Bedürfnisse“ sind folglich individualbasiert, sie „beruhen auf weithin anerkannten Werten der westlichen Kultur“, aus denen heraus sich Verhandlungen und Ausdrucksformen von Gesellschaft ergeben; also das, was im weiten Sinne unter dem Begriff Kultur vereint werden kann. Daraus ergeben sich Gemeinschaften prägende Gesellschaftsbilder/-formen, die gepflegt und weiterentwickelt werden. Ein dergestaltiges „Konzept der Gemeinschaft hat eine Tradition in der westlichen Kultur“, ist aber, ebenso wie der Kulturbegriff vielfältig genutzt wird, als „Konzept der Gemeinschaftsbedürfnisse […] schwer zu interpretieren“. Mit Blick auf unterschiedliche Ausprägungsmöglichkeiten von Paternalismus „enthält es erschreckende Implikationen diktatorischen Mißbrauchs“85. Diese sozusagen linksideologischen Dämonen sind es denn auch, die von radikal libertären Ökonomen herauf beschworen werden, wenn es um Diskussionen über Markt und Güter zur Frage staatlicher Steuerung oder Lenkung kommt. Dementsprechend unterentwickelt wirkt die Breite der Debatte über Meritorik in den Wirtschaftswissenschaften. Denn in der Literatur zur Finanztheorie und -wissenschaft, die sich der Meritorik nur in Unterkapiteln auf

84 | Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994, S. 88. 85 | Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994, S. 88.

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Kommunale Kulturpolitik

verhältnismäßig wenigen Seiten annehmen86, läuft es auf derartige Gegenpositionen aus individueller Präferenz und Gemeinwohlorientierung hinaus. In der Diskussion über Meritorik spiegelt sich der Dissens in den Wirtschaftswissenschaften wider, wenn es um Fragen ökonomischer Perspektiven geht. Zwischen dem Vorwurf des Paternalismus, dem der suggerierte Beigeschmack von staatlicher Obrigkeit untergemengt wird, und dem die Ökonomie in weiten Teilen beherrschenden normativen Individualismus bleibt wenig Raum zur Befassung mit meritorischen Gütern.87 Dabei ist dies doch recht erstaunlich, denn warum sollte Musgraves „zentrale Behauptung“, nicht zutreffen, dass „ein Interesse, das der Gemeinschaft als Ganzes zugeschrieben werden kann“, nicht nur in der „Hinzufügung zu [von] individuellen Interessen“ besteht. Schließlich sind Gemeinschaftsinteressen Ausdruck von gesellschaftlichen Bedürfnissen, „die von der Gesellschaft als Ganzes empfunden werden und der Wohlfahrt der Gesellschaft als Ganzes zugehören“. Dazu wirft Musgrave aber auch zwei Fragen auf, die das Formulieren von Politik, das Agenda-Setting und die Implementation betreffen und damit auch für die Untersuchung von Strukturen und Prozessen in der Policy-Analyse relevant sind: „(1) Wie und wem gegenüber wird das Gemeinschaftsinteresse enthüllt und (2) auf welchen Bereich von Bedürfnissen sollte das Konzept des Gemeinschaftsinteresses angewendet werden?“ Übertragen auf die Fragestellungen dieser Untersuchung ist die Befassung mit der Art kultureller Güter bzw. Bedürfnisse auch die Frage nach den Determinanten und Konstellationen der Akteure, die Kulturpolitik gestalten oder auch nicht gestalten. Gemeinschaftsbedürfnisse, die sich in Gemeinschaftsinteresse manifestieren, beispielsweise in institutionalisierter Form eines Kultur- oder Sportvereins, sind nicht zwangsläufig als ein öffentliches Bedürfnis oder Gut anzusehen. Vielmehr sind sie zunächst Ausdruck von privaten Interessen, die aber Gemeinschaftsbedürfnisse betreffen können. In bestimmten Situationen kann dies zur Folge haben, dass die „individuelle Entscheidungsfreiheit“88 begrenzt ist, damit das Gemeinschaftsinteresse allen zur Verfügung stehen kann, obwohl es „auf der Entscheidungsmacht der Konsumenten“89 auf baut. Das Meritorische liegt somit darin, dass trotz der Charakteristika eines öffentlichen oder privaten Gutes „eine Einmischung des Staates in die Konsumentenpräferenzen“ erfolgt.90 86 | Vgl. beispielsweise die Einführungen zur Finanzwissenschaft von Scherff 2011 (s. 73-75) oder Zimmermann/Henke/Broer 2012 (S. 56-57). 87 | Vgl. auch Kirchgässner, Gebhard: Sanfter Paternalismus, meritorische Güter, und der normative Individualismus, St. Gallen 2012. 88 | Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994, S. 89. 89 | Musgrave 1975, S. 15. 90 | Musgrave 1975, S. 15.

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

Musgrave führt dazu fünf Gegebenheiten an, von denen der vierte Punkt im Besonderen auf kulturpolitische Belange anwendbar ist und zum einleitenden Beispiel der staatlichen Marktteilnahme mit der Musikschule Norderstedt passt: „Staatliche Subventionen für Güter mit externen Nutzen stellen keine Einmischung in die individuellen Entscheidungen dar, sondern erlauben, solche Entscheidungen effizienter zu treffen.“91 Im Falle der Musikschule Norderstedt lautete die Argumentation, dass durch ihre Marktteilnahme der Konsument in die Lage versetzt wird, die richtige Wahl zu treffen. Der externe Nutzen liegt beispielsweise im Erlebnis von Konzerten, die von denjenigen gestaltet werden, die die Angebote zur musischen Bildung angenommen haben. Ohne die Marktteilnahme einer staatlichen Musikschule, die die Angebote bietet, welche die privaten Musikschulen nicht bieten können, wäre der externe Nutzen vermutlich nicht möglich gewesen.

4.7 P olicy -E xkurs II: K ulturbe triebsprojek t „K ulturwerk am S ee “ Im ersten Policy-Exkurs ist mit den fiskalischen Aspekten kommunaler Kulturpolitik und der Frage nach dessen Meritorik am Beispiel der Musikschule Norderstedt ein dauerhaftes und systemimmanentes Thema der Policy Kultur aufgegriffen worden. Im zweiten Policy-Exkurs geht es um ein Kulturprojekt, bei dem der Bau eines neuen Veranstaltungshauses für Kulturvereine, Gastspiele und wirtschaftliche Veranstaltungen realisiert werden sollte. Dieses Kulturbetriebsprojekt stellte für die Stadt Norderstedt an Planung und Implementation die größten fiskalischen und baulichen Herausforderungen ihrer Kulturpolitik und -verwaltung des Untersuchungszeitraums 2003-2013 dar. Mit einem Budget von 7,35 Millionen Euro sollte aus der Ruine einer ehemaligen Kalksandsteinfabrik ein lokales Kulturzentrum errichtet werden. Die Erläuterungen und Analysen zeigen die das Projekt initiierende Problemstellung (Kap. 4.7.1), die Rekonstruktion der Politikformulierung und des Agenda-Settings (4.7.2). Darauf folgen die Ergebnisse und Einordnungen der Projekt-Implementierung (4.7.3) und die Erkenntnisse aus der teilnehmenden Beobachtung kulturpolitischer Prozesse (4.7.4).

91 | Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994, S. 89.

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Kommunale Kulturpolitik

4.7.1 Problemstellung und Lösungsansatz der Raummangelsituation für Kultur vereine Die Kulturvereine in Norderstedt benötigen für eine Vielzahl ihrer Aktivitäten Räumlichkeiten, die nur in begrenztem Maße zur Verfügung stehen. Sowohl für Aufführungen der Theatervereine, für Konzerte der Musikvereine, aber auch für Tanzvorführungen, Lesungen und öffentliche Treffen mit Besuchern und Gästen Norderstedts stehen Räumlichkeiten nicht unbegrenzt zur Verfügung. Hinzu kommt der Raumbedarf der Vereine unter anderem für Proben, Kulissenbau oder Lagerung. Die Bedürfnisse an Raumgrößen und die Häufigkeit der Nutzung variieren unter den Vereinen stark. Der Bedarf der Kulturvereine an Räumlichkeiten kann durch die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht gedeckt werden. Grundsätzlich stehen den Vereinen öffentliche Raumressourcen im Rathaus, im Festsaal am Falkenberg (die größte von mehreren auch öffentlich nutzbaren Schulaulen) und in der TriBühne (Veranstaltungshaus der stadteigenen Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH) zur Verfügung. Daneben können die Vereine in den Nachmittags- und Abendstunden Unterrichtsräume in den öffentlichen Schulen nutzen. Die gesamte Raumsituation ist in mehrfacher Hinsicht eine Raummangelsituation. Die Nutzung der Schulgebäude für schulische Belange hat grundsätzlich Vorrang. Aufgrund der sich verändernden, zeitlichen Unterrichtsstrukturen hinsichtlich offener und gebundener Ganztagsschulen ergeben sich Konflikte. Gleichzeitig steigt das Veranstaltungs- und Proben-Engagement der Kulturvereine. Diese kollidierende Interessenentwicklung führt zu steigenden räumlichen Engpässen. Zudem benötigen die Schulen für die eigenen musischen Aktivitäten ihre Schulaulen verstärkt zur eigenen Nutzung. Hinzu kommt, dass auch die Volkshochschule Norderstedt auf die Bereitstellung von Unterrichtsräumen in den Schulen angewiesen ist, um ihre Angebote durchführen zu können. Aufgrund dieser Umstände kommt es zu raumzeitlichen Konflikten, deren Lösungsansatz in der Schaffung zusätzlicher Räumlichkeiten gesucht worden ist. Überlegungen und Bemühungen zur Konfliktlösung wurden zwischenzeitlich in Form von Anbauten erdacht. Ein geplantes Projekt war, an einem der vier Norderstedter Gymnasien einen Anbau zu realisieren, der als neues Musikschulgebäude genutzt werden sollte und gleichzeitig der Schule einen programmatischen Schwerpunkt im Bereich Musik und Theater ermöglicht hätte. Dieser Lösungsansatz wurde jedoch nicht weiter verfolgt, sodass die Konfliktsituation des Raumbedarfs zwischen Schulen und Kulturschaffenden ungelöst blieb. Parallel zu diesen Entwicklungen erhält die Stadt Norderstedt vom Land Schleswig-Holstein am 14. Dezember 2004 den Zuschlag für die Ausrichtung der zweiten Landesgartenschau des Landes im Jahr 2011. Das Gelände der Gartenschau ist zum Teil aus dem bestehenden, naturbelassenen Stadtpark und

Strukturen und Prozesse kommunaler Kulturpolitik

dem ehemaligen Abbau- und Produktionsstandort für Kalksandsteine der Firma Potenberg zusammengefügt worden. Auf dem Areal des Stadtparks und des ehemaligen Industriestandortes wurde von 1966 bis 1988 Quarzsand abgebaut und Kalksandsteine produziert. Als Industrieruine war es zum Zeitpunkt des Zuschlags für die Durchführung der Landesgartenschau ohne Nutzung, jedoch im Besitz der Stadt Norderstedt. Die zuständigen kommunalpolitischen Gremien beschlossen, die Industrieruine für die Landesgartenschau und als Blumenhalle und im Anschluss als Kulturzentrum nutzbar zu machen und somit von einem Abriss Abstand zu nehmen. Parallel zu den ersten Pflanzarbeiten für die Gartenschau beschließt die Stadtvertretung der Stadt Norderstedt am 8. April 2008, das ehemalige K alksandsteinwerk zum „KulturWerk am See“ umzubauen. Damit wurde ­ gleichzeitig die Nutzung des Gebäudes nach dem Ende der Gartenschau im Oktober 2011 sichergestellt. Diese Ausgangssituation ermöglichte den Projektprozess zum Bau des Kulturwerks am See, dessen kulturpolitische Entwicklungen im nächsten Abschnitt erläutert werden.

4.7.2 Rekonstruktion der Politikformulierung und des Agenda-Settings Für die Einzelfallbetrachtung des Kulturbetriebsprojektes Kulturwerk am See werden zwei analytische Instrumente genutzt. Als Untersuchungsbasis stehen dazu die Niederschriften der Kulturausschusssitzungen des Untersuchungszeitraums Juni 2003 bis Mai 2013 (Wahlperioden IX und X) zur Verfügung. Sie haben als öffentliche Dokumente die größte Relevanz neben Satzungen und (Ver-)Ordnungen der Stadt Norderstedt als Gebietskörperschaft. Da die Kulturausschusssitzungen gemäß ihrem Aufgabengebiet für das Kulturbetriebsprojekt zuständig sind, sind in den Niederschriften die Entscheidungen zum Projekt protokolliert. Debatten und Diskussionen finden allenfalls Erwähnung. Mit deren Auswertung werden die entsprechenden Tagesordnungspunkte ermittelt. Dies ermöglicht zum einen die Übersicht, zu welchen Zeitpunkten und mit welcher Dichte sowie in welchen Kontexten das Projekt auf den Tagesordnungen der Ausschusssitzungen stand. Hieraus lassen sich die Zeiten ermitteln, in denen sich die (kultur-)politischen Akteure mit den jeweiligen Themen und Einrichtungen befassten. Zum anderen wird daraus ersichtlich, welche Akteure die jeweiligen Themen und Prozesse in welcher Weise gestaltet bzw. aktiv begleitet haben. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass nur die namentlich dokumentierten Akteure und ihre Beiträge herausgearbeitet werden können. Daher ist es als zweites erforderlich, weitere Informationen über den Projektverlauf zu erheben, die weder in den Niederschriften dokumentiert noch durch teilnehmende Beobachtung erfasst werden können. Dazu dienen

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Kommunale Kulturpolitik

entsprechende Fragen, die in den Experteninterviews zur Rekonstruktion der Ereignisse und zur Einordnung des Kulturbetriebsprojekts führen. Der Begriff Kulturwerk lässt sich als Wort-Häufigkeit, absolut, kontextfrei in der Wahlperiode IX 57 Mal in sechs Dokumenten und der Wahlperiode X 306 Mal in 33 Dokumenten ermitteln. Auf dieser Basis werden die entsprechenden Tagesordnungspunkte der Niederschriften mit der Kontextbeziehung zum Kulturbetriebsprojekt analysiert. Dieser Vorgang ist notwendig, da eine Abgrenzung zur Namenskongruenz mit dem zeitweilig bestehenden Eigenbetrieb Kulturwerk Norderstedt vorgenommen werden muss. Die Entwicklung des Kulturwerks Norderstedt als Eigenbetrieb und des Kulturwerks am See erfolgten nahezu gleichzeitig.

4.7.3 Chronologische Rekonstruktion des Zeitraums 2007-2010 Der chronologische Abriss über die Entwicklung des Kulturbetriebsprojekts wird auf Grundlage der Niederschriften des Kulturausschusses dargestellt. Diese werden einordnend ergänzt um rekonstruierende Erinnerungen der befragten Experten aus den Interviews. Dabei wurden die Experten befragt, wann und wie sie von dem Projekt als Vorhaben zuerst erfuhren und wie sie das Projekt als Kulturpolitiker bzw. Kulturverwalter oder -schaffender begleitet und mitgestaltet haben. Die erste Erwähnung des Kulturwerks am See ist in der Niederschrift des Ausschusses für Kultur und Städtepartnerschaften vom 15. März 2007 unter „TOP 4: Neuorganisation des Forum; hier: Vorstellung des Konzeptes“ zu finden. Hier ist von „Überlegungen zur Schaffung eines Kulturzentrums mit derzeitigem Arbeitstitel ‚Kulturwerk am See‘“ zu lesen.92 Die befragten Experten haben in etwa zur selben Zeit, jedoch unterschiedlich nah vor diesem öffentlichen Termin, Kenntnis von der Idee erhalten. Als Urheber der Projektidee wird übereinstimmend der Oberbürgermeister genannt. Die Projektidee sei den befragten Experten „in der Fraktion“ (A4), „bei einer Fraktionsvorsitzenden-Runde von Grote“ (K4) oder „im Zusammenhang mit der Gründung des Eigenbetriebs Kulturwerk“ (K3) vorgestellt worden. Ähnlich, aber bezüglich des Termins vage, geben alle an, vor der offiziellen Bekanntgabe in Kenntnis gewesen zu sein. Damit wurde das Vorhaben im Status der Projektidee eindeutig vor einer ersten öffentlichen Beratung im Ausschuss informell auf die kulturpolitische Agenda gesetzt. In Erinnerung an die Feststellung des befragten Experten A4, der die informelle Politik-Arena als „Testgelände der Politik“ bezeichnet, zeigt das Vorgehen des Oberbürgermeisters eine strategische Ausrichtung, bei der im informellen Rahmen die Zustimmungsfähigkeit ausgelotet wird. Für weitere Informationen zu diesem Inter92 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KS/036/IX vom 15.03.2007, S. 5f.

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aktionsmodus, durch den eine projektbezogene Akteurkonstellation geschaffen wird, sind die Experten gefragt worden, welche Gedanken ihnen zu dieser Idee zunächst kamen. Das Vorhaben wird als „sehr interessant, vor allem den zu erwartenden Fabrikcharakter zu erhalten“ (A6) oder schlicht als „sehr gute Idee“ (K1) bezeichnet. Erleichtert äußerten sich aufgrund der „bestehenden Raummangelsituation durch den Ganztagsausbau der weiterführenden Schulen“ ein befragter Kulturpolitiker (A1); aber auch ein Kulturvereinsvorsitzender neutral, wenn auch optimistisch gestimmt, „da es schön sei, mehr räumliche Möglichkeiten bekommen zu können“ (K2). Für den Musikschulleiter sei die „Idee einfach toll“ gewesen, er bekundet aber auch Befürchtungen wegen der Realisation in Bezug auf die Kommunalpolitiker gehabt zu haben, die das Projekt eventuell nicht würden finanzieren wollen. Entsprechend dieser Sorge äußern vier befragte Experten ihren ersten Eindruck von der Projektidee. Zwei Mitglieder des Kulturausschusses erkannten „den Reiz an der Idee“ (A3) oder waren „sofort begeistert“. Sie stellten aber die Finanzierbarkeit infrage, da das Projekt „zu teuer“ (A3) hätte gewesen sein können oder dass „es günstiger [gewesen] wäre, die Potenberg-Ruine abzureißen und etwas Neues aufzubauen“ (A5). Mit dem „Stichwort Elbphilharmonie“ (A4) und „das klappt nie für 4,5 Millionen“ (A2) geben zwei weitere Ausschussvertreter im Interview ihre anfänglichen Bedenken an. Damit stehen Befürchtungen hinsichtlich der Kosten des Projektes aus allen parteipolitischen Richtungen im Raum, die durch eine Deckelung des Gesamtbudgets befriedet werden konnten. Bis zur nächsten thematischen Befassung im Ausschuss dauert es knapp ein Jahr. Zwischenzeitlich berichtet die Verwaltung in der Sitzung vom 13. September 2007 nur über die außerplanmäßige Ausgabe in Höhe von 200.000 Euro für das Projekt, dem die Stadtvertretung Norderstedt im Vermögenshaushalt zugestimmt habe. Laut Protokoll erfolgt die Deckung aus den allgemeinen Rücklagen. Ziel des Beschlusses ist die Finanzierung des Projektes als PPP-Modell.93 Weiter geht es in der ersten Sitzung des neuen Kulturwerkausschusses, der den Ausschuss für Kultur und Städtepartnerschaften nach der Gründung des „Kulturwerk Norderstedt“ als Eigenbetrieb abgelöst hat. Der Niederschrift der Sitzung vom 18.02.2008 ist unter „TOP 4: B 08/0063 Kulturwerk am See“ zu entnehmen, dass umfangreiche Sondierungen und Gespräche seitens der Verwaltung, namentlich des Kulturamtes und des Oberbürgermeisters mit der Projektsteuerungsfirma sinai und dem Baudienstleister Petersen & Co. stattgefunden haben. Die beiden Geschäftsführer der Firmen erläutern nach der Vorstellung einer Machbarkeitsstudie, die der Oberbürger93  |  Norderstedt, Stadt: Niederschrift der Stadtvertretung STV/047/IX vom 10.07.2007, TOP 22: Außerplanmäßige Ausgabe, hier: Nutzung des ehemaligen Kalksandsteinwerkes Potenberg, B-Vorlage 07/0208/1, http://buergerinfo.norderstedt.de/ratsinfo/ sessionnet/buergerinfo/getfile.php?id=81712&type=do&, S. 20.

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meister selbst in der Sitzung präsentiert, die Details der angedachten Planungen. Die anschließende Diskussion und Einzelfragen der Ausschussmitglieder sind nicht protokolliert. Auch Fragen von Zuschauern der Sitzung wurden zu diesem Tagesordnungspunkt zugelassen, obwohl diese normalerweise nur in den dafür vorgesehenen Einwohnerfragestunden sprechen dürfen und sich in diesem Falle zu einer nicht unwesentlichen Zahl aus Mitgliedern und Aktiven der Norderstedter Kulturvereine zusammensetzen.94 Über weitere Inhalte gibt das Verlaufsprotokoll keine Auskünfte. Jedoch wird als Anlage 2 zum Protokoll die „Ideenskizze für die Nutzung des ehemaligen Kalksandsteinwerks als Kultur- und Veranstaltungszentrum“ gegeben, in der das Norderstedter Musiknetzwerk normu.net mit Sitz im Vicelin-Haus der Kirchengemeinde Vicelin-Schalom sein Konzept für den Bau und Betrieb des geplanten Kulturwerks am See erläutert. Das Konzept weist ein starkes Interesse an der Projektbeteiligung in Form von konkreten und detaillierten Vorstellungen für eine breit gefächerte Mischung an Veranstaltungsformen auf. Diese stützen sich einerseits auf die Kulturförderung in einer Art sozialem Musikzentrum und andererseits auf den wirtschaftlichen Betrieb durch Verpachtung und Vermietung. Im Verlauf der weiteren Planungen scheitert die Einbeziehung des kulturpolitischen Akteurs normu.net offiziell an divergierenden konzeptionellen Vorstellungen und Ansichten zu Bedarfen bei der Implementierung des Projektes. Dieselbe Beschlussvorlage (B08/0063) wird in der folgenden Ausschusssitzung als „TOP 5: Kulturwerk am See“ erneut beraten und zur Abstimmung gebracht, so wie es der Ausschuss in der vorherigen Sitzung beschlossen hatte. Die Beschlussvorlage der Verwaltung und damit auch des Oberbürgermeisters wird durch einen Änderungsantrag der FDP-Fraktion ergänzt. Diesem zuzustimmen sieht sich die SPD-Fraktion nicht in der Lage, da sie zwar nicht das Projekt ablehne, jedoch die Höhe des Investitionsvolumens nicht mittragen will. Auch ein Vertreter der CDU-Fraktion lehnt eine Zustimmung zum FDP-Änderungsantrag ab, jedoch in entgegengesetzter Weise zur SPD-Fraktion, da er die vorgesehene Deckelung des Investitionsbetrags für nicht sinnvoll erachtet. Vor der Abstimmung stellt auch die Fraktion der GALiN einen weitergehenden Antrag mit vier Einzelpunkten, über den jedoch erst nach der Abstimmung über die Beschlussvorlage einzeln abgestimmt wird. Aus dieser fraktionsgelagerten Situation mit mehreren Anträgen und Absichtsbekundungen zum Abstimmungsverhalten heraus „folgt eine lebhafte Diskussion“95. Von dieser ist nur die Äußerung eines Mitglieds des Vereins Musikwerkstatt e. V., einem der als Kulturträger anerkannten Vereine, dokumentiert. Zu diesem Zeitpunkt ist dieser Vereinsvertreter noch nicht Mitglied 94 | Vgl. Norderstedt, Stadt: Niederschrift KWA/001/IX vom 18.02.2008, S. 4. 95 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KWA/002/IX vom 03.03.2008, TOP 5: Kulturwerk am See, S. 7.

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der Norderstedter Stadtvertretung und des Kulturwerkausschusses bzw. später des Kulturausschusses. Das Protokoll erwähnt hier naturgemäß nicht den Umstand, dass er Mitglied der Partei DIE LINKE ist, die erst nach der Kommunalwahl im Mai 2008 in die Norderstedter Stadtvertretung einzieht. Es ist nicht protokolliert, wie es von der Debatte zur Abstimmung kommt, die dann mit sieben zu vier Stimmen der Beschlussvorlage, ergänzt um den Antrag der FDP-Fraktion, zustimmt. Dabei entsprechen die Stimmverteilungen den Fraktionen der CDU und FDP (sieben Stimmen) und denen der SPD und GALiN (vier Stimmen). Bemerkenswert ist hierbei, dass sich der oben genannte Vertreter der CDU, welcher sich zunächst gegen die Deckelung ausspricht, offenbar zur Zustimmung bewegen ließ. Im Folgenden wird dann über den Antrag der GALiN abgestimmt. Dabei enthält sich offenbar die Antragstellerin bei den Einzelabstimmungen zusammen mit je einem bis vier weiteren Ausschussmitgliedern. Da es keine namentlichen Abstimmungen gibt, außer sie würden vor Ort durch einen Beobachter protokolliert, kann nur angenommen werden, dass ein Vertreter der CDU oder FDP sich hier ebenfalls enthalten und nicht mit Nein abgestimmt hat. Nach einem ersten Sachstands- und Planungsbericht in der ersten Sitzung der neuen Wahlperiode X wird ab der zweiten Sitzung (KWA/002/X) das Kulturbetriebsprojekt als Dauerbesprechungspunkt in jeder Sitzung als eigener Tagesordnungspunkt aufgerufen. In dieser Sitzung wird bekannt gegeben, dass zur Durchführung des Bauvorhabens ein Dienstleistungsvertrag zwischen dem Eigenbetrieb Kulturwerk Norderstedt und der städtischen Eigengesellschaft Stadtpark Norderstedt GmbH geschlossen wird mit dem Ziel, das fertige Gebäude an den Eigenbetrieb zu übergeben. In den weiteren Sitzungen des Kulturwerkausschusses, der mit Auflösung des Eigenbetriebs Kulturwerk Norderstedt zur Mitte des Jahres 2009 endet, und des Kulturausschusses werden die Berichte über die bautechnischen Entwicklungen ohne kontroverse Diskussionen zur Kenntnis genommen. Außer der Bemühung zur Namensfindung für einen Veranstaltungssaal und der Projektplanänderung, das Kulturwerk am See als Blumenhalle für die Landesgartenschau 2011 zu nutzen, sind keine Vorkommnisse dokumentiert, die Abstimmungen des Ausschusses erfordert hätten. Die Planänderung führt jedoch dazu, dass der Betrieb des Kulturwerks am See als Veranstaltungshaus erst zum Ende des Jahres 2011 geplant wird.

4.7.4 Erkenntnisse aus teilnehmender Beobachtung und E xperteninter views Während der teilnehmenden Beobachtung der Sitzungen des Kulturausschusses konnten Erkenntnisse über die Stellung der Akteure in Bezug auf das Kulturbetriebsprojekt gewonnen werden. Zudem sind die befragten Experten

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nach ihren Eindrücken über Probleme und Konflikte des Projektprozesses befragt worden. Allgemein zeigten sich alle Mitglieder des Kulturausschusses positiv zum Projekt stehend. Während des Beobachtungszeitraums, der während der Implementationsphase des Baus des Kulturwerks lag, ist es nicht zu Kontroversen oder Konflikten gekommen, die das Projekt an sich, die konzeptionelle Ausrichtung oder Finanzierung infrage gestellt hätten. Über den Verlauf der Bautätigkeiten sowie Details zur Eröffnung und des späteren Betriebs sind die Ausschussmitglieder in jeder Sitzung in Kenntnis durch Berichte in Form eines eigenen Tagesordnungspunktes (Dauerbesprechungspunkt) gesetzt worden. Diesem Befund entsprechend ist in den Experteninterviews die Frage nach der Kommunikation der Projektprozesse als Bauvorhaben und hinsichtlich politischer Diskussionen gestellt worden. „Der Informationsfluss in den Kulturausschuss über das Projekt“ (A6) sei durchaus angemessen gewesen und hat den Eindruck „von einem relativ offenen Projektprozess, bei dem Entscheidungen nicht von vornherein festgestanden haben“ (A6) gemacht. Diese Art der Projektführung sei eine Ausnahme im Politikbetrieb gewesen (A6). Eine Einschätzung, die nicht alle Befragten teilen, denn man „hätte sich in der Kommunikation beim Projektprozess mehr gewünscht“ (A5). Der Informationsfluss sei zwar da gewesen, man habe aber einen Verwaltungschef [Oberbürgermeister], der „sehr gut damit umzugehen weiß, „wann er wo und wie“ Mehrheiten für Beschlüsse nicht nur erreichen, sondern auch steuern könne (A5). Diesen Eindruck bestätigt auch ein Mitarbeiter der Kulturverwaltung dahingehend, dass der „Oberbürgermeister es ja auch sehr gut versteht, Dinge in die Politik zu tragen“ (K1), sodass die Diskussion über das Projekt in der Politik ziemlich positiv verlaufen sei. Ernsthafte Konfliktsituationen beschreibt damit keiner der befragten Experten. Hinweise auf Umdeutungen geben einige aber hinsichtlich des Baus des Musikschulkubus‘, der als Anbau des Kulturbetriebsprojektes zum Gebäudeensemble mit dem Kulturwerk am See gehört. Konflikte beim Projekt hätte es allenfalls durch „Lärmbelästigungsbefürchtungen der Anwohner“ (A1) gegeben. Von politischer Seite her sei die SPD „zunächst irgendwie dagegen gewesen, einmal wegen der Kosten, aber auch, weil es ein CDU-Projekt“ (A1) gewesen sei. Deswegen sei es hier zu parteipolitischen Umdeutungen gekommen. Der „Streitpunkt am Projekt war vor allem der Musikschulkubus“ (A3), dessen Grundlage sei „der Ehrgeiz des Musikschulleiters gewesen, ein eigenes Gebäude zu bekommen“ (A3). Kritisiert worden sei dies auch von einer damaligen Fraktionskollegin, da unter anderem eine Verringerung der Dezentralität im Angebot der Musikschule befürchtet wurde (K4). Um das Ziel des Musikschulkubus‘ trotz der Kosten zu erreichen, seien die Sanierungskosten eines alternativen Standortes für die Musikschule in der ehemaligen Sprach-

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heilschule am Rodelberg „hochgerechnet“ worden; „das sei der alte Trick“, damit der „Sanierungsbedarf in den unwirtschaftlichen Bereich“ steige und der Neubau des Musikschulkubus‘ als günstigere Variante erscheine (A3). Diese Behauptung kann nicht verifiziert werden. Darauf, dass parteipolitische Spiele zum Einsatz gekommen sein können, weisen weitere Äußerungen zum Bau des Musikschulkubus‘ hin. So seien die Projektdetails des Musikschulkubus‘ „nicht der Grund für das Für und Wider“ gewesen, sondern „personelle Missstimmungen innerhalb der Parteien“, die der Grund für die wechselnden Mehrheiten gewesen sind (alle A4). Der befragte Experte eines Kulturvereins sieht ebenfalls, „dass hier Parteipolitik eine Rolle gespielt habe“, da er keine „inhaltlichen Argumente für oder gegen“ habe feststellen können; die Debatte machte auf ihn den Eindruck eines „Stellvertreter-Krieges“, da einige Kommunalpolitiker die ganze Landesgartenschau aus Kostengründen nicht gewollt hätten (K3). Damit zielt der Experte auf die Haltung der GALiN ab, die sich zwar für das Kulturbetriebsprojekt ausgesprochen, aber die geplante Landesgartenschau nicht befürwortet hat. Durch die wechselnden Mehrheiten erfolgte tatsächlich zunächst ein Beschluss durch das bürgerliche Lager aus CDU und FDP für den Bau des Musikschulkubus‘, der durch die Wechsel der Mehrheitsverhältnisse hin zum sozial-ökologischen Lager aus SPD, GALiN und DIE LINKE zurückgenommen wurde und nach abermaliger Mehrheitsverschiebung erneut beschlossen worden war.96 Neben diesen Rekonstruktionen der Projektereignisse und -abläufe sind keine kulturpolitischen Initiativen durch die im Ausschuss vertretenen Fraktionen zum Gesamtprojekt zu verzeichnen. Daher wird hier eine Beschlussvorlage der Verwaltung als Beispiel zur Mikroanalyse der Prozesse des Kulturbetriebsprojektes als kulturpolitische Policy angeführt. Der grobe Verlauf und die Ergebnisse des Beispiels sind der Niederschrift der Sitzungen zu entnehmen. Diese werden hinsichtlich der Erkenntnisse der teilnehmenden Beobachtung ergänzt und eingeordnet. In der ersten Sitzung des Jahres 2011 werden dem Ausschuss von der Verwaltung die Beschlussvorlagen (B 10/0459 und B 11/0028) zur Abstimmung vorgelegt, die eine Namensgebung des Veranstaltungssaals zum Ziel haben. Die Vorlage B 10/0459 sieht die Benennung nach dem Gründer und Betreiber der ehemaligen Kalksandsteinfabrik vor. Nach der Vorstellung der Vorlage durch die Kulturverwaltung ist der gleichen Niederschrift zu entnehmen, dass in diesem Zusammenhang „über einen Auszug aus dem Weinmann-Infoarchiv berichtet [wird], in dem aufgeführt ist: ‚Lager Potenberg, Ulzburger Str. 302, 100 Personen, Zivilarbeitslager „Civil Worker Camp“‘ “. Da aufgrund dieses Hinweises aus Sicht der Fraktion GALiN die Möglichkeit besteht, dass 96 | Vgl. hierzu die Ausführungen zu den wechselnden Mehrheitsverhältnissen in der Stadtvertretung in den Kapiteln 2.3.3 und 4.5.3.

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der Firmengründer des Kalksandsteinwerks, Franz Potenberg, Zwangsarbeiter beschäftigt haben könnte, beantragt diese, den Namen für die Benennung des Saals auszuschließen und die Beschlussfassung auf die nächste Sitzung zu vertagen.97 Es folgt eine „sehr intensive Diskussion“, bei der die SPD beantragt, dass der Saal nach dem Wahl-Norderstedter Ernst Bader98 benannt wird. Da sich keine Einigungsmöglichkeit aus der Diskussion heraus ergibt, beantragt ein Vertreter der CDU-Fraktion, eine Sitzungsunterbrechung, die fünf Minuten dauert. In dieser berät sich die Fraktion, wobei zu beobachten ist, dass die CDU-Fraktion sich zusammen mit dem Oberbürgermeister (CDU) berät, der dabei mehrheitlich das Wort führt, streng genommen aber nicht Teil der Fraktion ist. Die Beratungsrunde der Fraktion kommt überein, dass die Verwaltung ihre Beschlussvorlagen zurückzieht: „Herr Oberbürgermeister Grote zieht für die Verwaltung die Vorlagen zurück.“99 Im Protokoll ist dann nur noch vermerkt, dass sich „eine Abstimmung über die o. g. Anträge erübrigt“.100 Da die Entwicklungen während der Beratung des Tagesordnungspunktes nicht protokolliert sind, wird hier eine Zusammenfassung der beobachteten Eindrücke gegeben. Die Vorgänge zeigen, dass die Verwaltungsvorlage unzureichend hinsichtlich der historischen Kontexte zur Namensgebung des Veranstaltungssaals recherchiert wurde. Daraus resultierte, dass die Urheber der Vorlage von den diskursiven Entwicklungen während der Ausschusssitzung überrascht oder überrumpelt wurde. Durch die Anträge der GALiN und der SPD signalisierten diese, der Beschlussvorlage nicht folgen zu wollen, und die SPD sah zudem die Möglichkeit, selbst einen Vorschlag zur Namensgebung durchzubringen, was sich zur politischen Profilierung in der öffentlichen Wahrnehmungen hätte nutzen lassen können. Dadurch entstand eine Drucksituation auf die CDU-Fraktion, die sich genötigt sah, sich in einer Sitzungsunterbrechung zu beraten. Um nicht Gefahr zu laufen, eine Abstimmungsniederlage durch die weitergehenden Anträge von GALiN (Nichtbenennung nach Franz Potenberg) und SPD (Namensgebung nach Ernst Bader) zu erleiden, zog die Verwaltung in Person des Oberbürgermeisters, die Vorlage als Grundlage 97 | Der Ort des vermuteten Arbeitseinsatzes von Zwangsarbeitern war nicht das zum Kulturwerk am See ausgebaute Kalksandsteinwerk, sondern das ältere ca. 2,2 Kilometer entfernte Vorgängerwerk. 98 | Ernst Bader war Schauspieler und Komponist unter anderen für Caterina Valente, Nana Mouskouri und Freddy Quinn. 99 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/020/X vom 27.01.2011, TOP 5: Kulturwerk am See, hier: Namensgebung Saal „Franz Potenberg“, S. 6. // Als Hinweis sei der Datums-Umstand erwähnt, dass diese Kulturausschusssitzung am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, stattfand. 100 | Norderstedt, Stadt: Niederschrift KA/020/X vom 27.01.2011, TOP 5: Kulturwerk am See, hier: Namensgebung Saal „Franz Potenberg“, S. 7.

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der Abstimmung zurück. Diese Umgehung der entstandenen Drucksituation war die einzige Lösungsoption, die politischen Positionierungen der anderen Fraktion erfolglos enden zu lassen, um die politische Deutungshoheit über das Projekt im Ausdruck der Namensgebung des Veranstaltungssaales nicht zu verlieren. Die vom Beobachter als steuernde Teilnahme eigeordneten Handlungen des Oberbürgermeisters ergaben zudem den Hinweis, dass der Inhalt der Beschlussvorlage sich auf dessen Initiative hin gründete. Aus Hintergrundgesprächen ließ sich ermitteln, dass eine Namensgebung nach Franz Potenberg ein Sponsoring des Kulturbetriebsprojektes in sechsstelliger Höhe nach sich gezogen hätte. Mit dieser Nachzeichnung dieses politischen Prozesses wird zudem nochmals deutlich, dass die aktive Gestaltung kulturpolitischer Themen in der Regel nicht durch die Mitglieder des Kulturausschusses erfolgt. Der kollektive Akteur Kulturausschuss ist damit nur ein passives Kontrollorgan der kulturpolitischen Agenden anderer Akteure des Netzwerks. Eine Namensgebung für den Veranstaltungssaal wurde bis zum Ende der Forschungsarbeiten zur kommunalen Kulturpolitik nicht erneut versucht.

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5 Das kulturpolitische Netzwerk Norderstedts Die Strukturen und Prozesse der kommunalen Kulturpolitik in Norderstedt können mit verschiedenen Methoden sichtbar gemacht werden. Dazu steht in der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung eine breite Palette an Instrumenten zur Verfügung. Neben Instrumenten, mit denen vor allem ­ bestehende Daten visualisiert werden können, bietet es sich bei einem weitgehend unerforschten Politikfeld an, eine Methode zu wählen, mit der selbst Netzwerkstrukturen erhoben und veranschaulicht werden können. Für die Untersuchung der Policy kommunaler Kulturpolitik bietet sich die in Kapitel 3 kurz vorgestellte Methode des Net-Mappings an, also der Netzwerkkartierung, mit der Netzwerkdaten partizipatorisch gesammelt und unmittelbar sichtbar gemacht werden können. Das Methoden-Design, das Vorgehen und die Durchführung des Net-Mapping werden hier erläutert und anschließend die Ergebnisse der Erhebung analysiert.

5.1 N e t-M apping : M e thodologische E inordnung und G ang der E rhebung Durch das Net-Mapping werden bei dieser Forschungsarbeit zwei Ziele verfolgt. Zum einen geht es darum, die Perspektive der befragten Experten auf das kulturpolitische System als Netzwerk zu erfassen, um daraus Rückschlüsse auf ihre Wahrnehmung und Einschätzung des Netzwerks erhalten zu können. Und zum anderen werden die einzelnen Net-Maps der Befragten zu einer einzigen Netzwerkkarte zusammengefasst, welche das kulturpolitische Netzwerk Norderstedts aufzeigt. Aus dieser Visualisierung, die zum Teil auch quantitativ ausgewertet wird, ergeben sich Erkenntnisse über die Akteure und ihre Konstellationen.

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5.1.1 Net-Maps als Instrument der visuellen Netzwerkforschung Die Grundlagen der Net-Mapping-Methode entstammen der Soziometrie, wie sie von Jacob Levy Moreno in den 1930er-Jahren in New York entwickelt wurde. Dazu erstellte Moreno Soziogramme, die er aufgrund von Fragen an die Mitglieder einer festgelegten Soziomatrix erhob und anhand definierter Kennzahlen analysierte. Nach Moreno geht das Ansinnen der Soziometrie „vom Großen auf das Kleine, die sozialen Atome und Moleküle, zurück“1. Bereits vor Morenos soziometrischen Überlegungen stand die Idee der Gestalttheorie Max Wertheimers, der sich der Erforschung von Menschen in ihrer Umwelt und ihren Systemen zunächst auf der psychologischen Ebene widmete, diese aber auch als Metatheorie für weitere wissenschaftliche Disziplinen verstanden wissen wollte. Die weiteren Entwicklungslinien beschreibt ausführlich John Scott in seinem Handbuch zur sozialen Netzwerkanalyse.2 Demnach führte die direkte Entwicklung von der Soziometrie und Feldtheorie über die (angewandte) Gruppendynamik zu den führenden Strukturalisten der Havard University, wo letztendlich die Netzwerkanalyse in ihren heutigen Formen begründet wurde. Den Weg in die europäischen Sozialwissenschaften fand die qualitative Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie durch Vertreter wie Betina Hollstein und Florian Straus3 sowie Michael Schönhuth. Letzterer legte 2013 zusammen mit Markus Gamper und anderen einen Sammelband zur „Visuellen Netzwerkforschung“ vor, in dem auch partizipative Zugänge beleuchtet werden. In Schönhuths Beitrag über die „Landkarten sozialer Beziehung“ findet auch die Net-Mapping-Methode Erwähnung, die Eva Schiffer zur Untersuchung für das International Food Policy Research Institute (IFPRI) zur Netzwerkvisualisierung entwickelte. Schönhuth skizziert „drei ideale Kartentypen“. Die Paper-and-Pencil-Variante nutzt zwei Raumdimensionen und bringt ebenso wie die Paper-and-Toolkit-Variante (drei Raumdimensionen) Netzwerkbilder hervor, die die Gestaltungsfreiheit des Befragten und Binnenlogiken erkennen lassen, jedoch nur unter Bedingungen vergleichbar sind. Der dritte Typ ist die digitale Netzwerkkarte, dessen größter Vorteil die Reversibilität ist. Nach Schönhuths Auffassung handelt es sich hierbei ebenfalls um eine zweidimensionale Form der Netzwerkvisualisierung. Jedoch lässt sich die dritte Dimension auch digital darstellen, sofern die gewählte Software dies unterstützt: „This is either done on paper or via computer applications“.4 Zudem prognostiziert 1 | Moreno, Jacob Levy: Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft, Opladen 1954/1967, S. 19. 2 | Vgl. Scott, John: Social Network Analysis. A Handbook, London, Thousand Oaks, New Dehli 2000, S. 7ff. 3 | Vgl. Hollstein/Straus 2006. 4 | Schiffer/Hauck 2010, S. 233.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

auch Florian Straus in seinem Beitrag in Schönhuths Band zur Visuellen Netzwerkforschung, „dass in Zukunft solche [digitalen, dreidimensionalen, rotierbaren, etc.] Möglichkeiten durch softwarebasierte Lösungen“ entwickelt werden, „die auch durch Ein- und Ausblendungen von Personen und Strukturen viele weitere Erkenntnismöglichkeiten schaffen werden“.5 Damit lassen sich die drei von Schönhuth unterteilten Typen hinsichtlich der Zahl der räumlichen Dimensionen auf zwei beschränken. Entweder man nutzt zur Erhebung nur die Paper-and-Pencil-Variante und damit zwei Raumdimensionen oder man fügt, wie es Schiffers Ansatz ist, der Paper-and-Pencil-Variante eine dritte Dimension hinzu. Dazu werden auf ihren Netzwerkvisualisierungen nicht nur Akteure und Beziehungen festgehalten, sondern der globale Einfluss der Akteure auf das Netzwerk mittels Spielsteinen kenntlich gemacht. Die so hinzugefügt dritte Raumdimension präzisiert je nach Fragestellung einen Aspekt der Akteure im Netzwerk, der Auskunft über deren jeweilige Macht, Ressourcen und Stellung gibt. Ein wichtiger Nebeneffekt dieser raumdimensionalen Ausrichtung ist, dass der zugeschriebene Einfluss eines Akteurs nicht durch eine grafisch angezeigte Größe dargestellt werden muss, wodurch die Größe des Papierbogens, auf dem das Netzwerk festgehalten wird, stärker begrenzt bleiben kann. Die Net-Mapping-Methode nach Eva Schiffer dient der Sichtbarmachung von implizitem Wissen und von Kenntnissen über die Wechselwirkungen in komplexen Netzwerken sowie deren Machtverhältnisse. Es werden strukturelle Daten über ein Netzwerk und gleichzeitig Informationen über dessen Akteure, Beziehungen und Einflüsse ermittelt. Mit dem Net-Mapping lassen sich mit nur einer Methode gleichermaßen quantitative wie qualitative Daten erheben.6 Die einzelnen Schritte der Net-Mapping-Methode führt Schiffer in ihrem Beitrag in den Field Methods (22/3) an Beispielen des „Challenge Program for Water and Food and the White Volta Basin Board (WVBB)“7 aus, der den Einfluss von Akteuren lokaler Stakeholder Organisationen in Nord-Ghana untersuchte. Die Kombination aus standardisierten Instrumenten und den operationalisier-

5 | Straus, Florian: „Das Unsichtbare sichtbar machen“. 30 Jahre Erfahrungen mit qualitativen Netzwerkanalysen, in: Schönhuth et. al.: Visuelle Netzwerkforschung. Qualitative, quantitative und partizipative Zugänge, Bielefeld 2013, S. 52. 6 | Vgl. Schiffer/Hauck 2010, S. 231f. 7 | Schiffer/Hauck 2010, S. 234ff.

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ten Fragen führt zu einem Netzwerkschaubild 8, welches aus den einzelnen Net-Maps analysiert wird. Jede Einzel-Net-Map beruht auf den spezifischen Sichtweisen, Erfahrungen und Kenntnissen des jeweils interviewten Experten. Damit steht auch diese Methode nicht in einer Reihe mit der klassischen Forschungstradition, die als eine Maxime die unbedingte Beeinflussungsvermeidung des Untersuchungsgegenstandes vorsieht. Wie bei den zuvor erläuterten und angewendeten Methoden und Ansätzen der Mikro-Policy-Analyse auch, ist das Net-Mapping eine heuristische Methode, die diejenigen Informationen und Wissensbestände untersucht, die durch das passive Beobachten von Akteuren und Prozessen sowie die Untersuchung öffentlich bereitgestellter Dokumente und Daten nicht erhoben werden können. Die direkte Auseinandersetzung mit den Akteuren des Untersuchungsgegenstandes ermöglicht dadurch Einblicke und Erkenntnisse, die andernfalls für eine Analyse nicht zur Verfügung stünden. Als Methodik ist dies mitnichten ein Aufgeben der unabdingbaren wissenschaftlichen Distanz zum Untersuchungsgegenstand. Der Ansatz ist partizipativ, beruht auf der Zusammenarbeit mit dem interviewten Experten, der, angeleitet durch den Interviewer, ein standardisiertes, dreistufiges Verfahren durchführt und damit Daten für Erkenntnisse über das Netzwerk und seine Akteure sowie den Befragten als Akteur liefert. Konkret beginnt das Net-Mapping durch einen Stimulus, indem der Befragte als Namensgenerator fungiert. Er soll im ersten Schritt eine nicht eingegrenzte Reihe von Namen nennen, die er als Akteure des Netzwerks für zugehörig bzw. relevant wahrnimmt. Diese Vorgabe ist die einzige, die beim Einsatz des Namensgenerators dessen Output steuernd beschränkt. In der Netzwerkforschung werden unterschiedliche Namensgeneratoren hinsichtlich ihrer Beschränkung unter anderem der Alteri diskutiert.9 Für die vorliegende Untersuchung ist auf Beschränkungen verzichtet worden, damit die Befragten möglichst offen die Akteure nennen, die ihnen in Bezug auf das kulturpolitische Netzwerk präsent sind. Die auf diese Weise generierten bzw. aufgezählten Akteurnamen werden zunächst auf kleinen Klebezetteln (Post-It's) gesammelt, damit diese später variabel auf der Net-Map angeordnet werden können. Im zweiten Schritt wird der Befragte gebeten, die genannten Akteure auf dem Arbeitsbogen so anzu8 | Angemerkt sei hier, das Schönhuth zwischen Netzwerkbildern und Netzwerkkarten unterscheidet. Karten sind für Schönhuth jene Visualisierungsvariante, bei der bereits Vorstrukturierungen auf den Papierbögen bestehen. Im Folgenden geht es hier um Netzwerkbilder, die zur sprachlichen Präzisierung als Netzwerkschaubilder bezeichnet werden. Vgl. dazu Schönhuth 2013, S. 60f. 9 | Einen problematisierenden Überblick liefert Hennig, Marina: Mit welchem Ziel werden bestehende Netzwerke generiert?, in: Stegbauer 2010, S. 295ff.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

ordnen, dass er sie im dritten Schritt mit Beziehungslinien verbinden kann. Diese Linien wiederum können in Abhängigkeit des Erkenntnisinteresses und der Fragestellungen unterschiedlicher Farbe oder Ausprägung sein. Die dabei zu stellenden Fragen und das Interview hierzu sind, im Gegensatz zur Auffassung Schönhuths, der von „nicht-standardisierten Interviews“10 spricht, zumindest teilstandardisiert. Dies geht auch aus den Erläuterungen Schiffers hervor11 und ist allein schon für ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit der Ergebnisse notwendig, vielmehr aber noch für die spätere Zusammenfügung der Einzel-Net-Maps zu einem einzigen Netzwerkschaubild. Nach den ersten beiden ineinander übergehenden Arbeitsschritten soll der Befragte als Viertes jedem Akteur einen Einflusswert auf das gesamte erstellte Netzwerk vergeben. Hierfür ist eine festzulegende Skala vorzusehen. Während und im Anschluss des Procederes sollte dem Befragten die Möglichkeit offeriert sein, Veränderung oder Erweiterungen der Net-Map vorzunehmen. Dies beispielsweise dann, wenn dem Befragten bei der Betrachtung der Net-Map auffällt, bestimmte Akteure oder Beziehungskonstellationen vergessen oder unzureichend bedacht zu haben. Nach Abschluss der Erstellung werden alle Einzel-Net-Maps zu einer das gesamte nun bekannte Netzwerk zusammenfassenden Karte vereint.

5.1.2 Gang der visuellen Erhebung kulturpolitischer Netzwerkstrukturen 12 Die Experten erstellen die Net-Maps am Ende der Experteninterviews unter Anleitung des Interviewers, wodurch diese Teil der gesamten Befragung werden. Alle mündlichen Äußerungen in Bezug auf die jeweilige Net-Map sind daher Bestandteil der Experteninterviews und können bei der Zusammenfügung der Einzel-Net-Maps präzisierend genutzt werden. Den Befragten sind Ziel und Vorgehensweise der dreistufigen Erstellung der Net-Maps erläutert worden, woraufhin sich alle bereit erklärten, die Net-Maps unter Anleitung des Interviewers zu erstellen. Zu Beginn liegt vor den Befragten ein weißer Bogen Papier im Format DIN A313, die Klebezettel (Post-It‘s), vier verschiedenfarbige Stifte und kleine Klebepunkte. Als Erstes ist der oben erläuterte Namensge10 | Schönhuth 2013, S. 60. 11 | Vgl. Schiffer/Hauck 2010, S. 233, 236. 12  |  Die Ausführungen zur Vorgehensweise, Durchführung und Analyse der Net-Map-Methode mit den befragten Experten sind zugunsten des Leseverständnisses teilweise in variierenden Tempi gehalten – Präsens, Perfekt und Präteritum wechseln daher an den entsprechenden Textstellen. 13 | Die Begrenzung des Papierformats auf DIN A3 bewährte sich hinsichtlich ihrer Praktikabilität bei Transport, Digitalisierung und Darstellung zu Publikationszwecken.

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nerator eingesetzt worden, bei dem die Befragten die Namen aller Personen, Organisation, Einrichtungen, etc. nennen, die ihnen als zugehörig zum kulturpolitischen Netzwerk bzw. zur Kulturszene Norderstedts einfallen. Hierzu sind keine Vorgaben gemacht worden, um Beeinflussungen zu vermeiden. Die aufgezählten Namen sind vom Interviewer einzeln auf Klebezettel notiert und am Rand des noch leeren Bogen Papiers gesammelt worden. Bei der Notierung eines Akteurnamens wird dieser vom Interviewer laut wiederholt. Dies regt die Befragten an, über weitere Akteurnamen nachzudenken. Dieser zusätzliche Stimulus des Namensgenerators hilft dem Befragten, möglichst umfassend die zum Netzwerk gehörenden Akteurnamen zu nennen, wie es auch Devon Brewer als Interviewtechnik beschreibt: „Reading back the list of free-listed items allows informants to review their responses and add items they thought they had already mentioned but actually had not or to add items that come to mind“14. Als Variante zu diesem Vorgehen sieht die Net-Mapping-Methode nach Eva Schiffer vor, einen Grundstock von Akteurnamen vorbereitet zu halten: „based on previous knowledge […] the researcher can also establish a list of network members“15. Diese sollen dann von den Befragten ergänzt werden. Dies empfiehlt sich jedoch nur, wenn ein Netzwerk untersucht werden soll, dessen Akteure mehr oder weniger feststehen oder bestimmte Akteure aufgrund von Voruntersuchungen in jedem Fall als Handlungseinheiten des Netzwerks Berücksichtigung finden sollen. Zudem besteht die Gefahr der Beeinflussung der Befragten und damit einer Verzerrung der Ergebnisse. Bei der vorliegenden Untersuchung ging es aber gerade auch darum, die Akteure des Netzwerks aus der Wahrnehmung der Befragten zu ermitteln. Zudem war es von Interesse festzustellen, welche Akteure die Befragten von sich aus nennen würden, und welche ihnen unter der Zielsetzung, das kulturpolitische Netzwerk Norderstedts zu ermitteln, nicht in den Sinn kommen. Besonders bei der Gruppe der Kulturvereine Norderstedts, die als anerkannte Kulturträger von der Stadt Norderstedt mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, sollte dieser Umstand erfasst werden. So zeigte sich, dass von den 34 Vereinen nur zehn genannt wurden. Damit sind offenbar über zwei Drittel der Kulturträger aus Sicht der Befragten für das Netzwerk nicht von kulturpolitisch nennenswerter Relevanz. Außerdem waren die Befragten mit dieser freien Variante des Namensgenerators ohne Auswahlliste nicht durch Vorgaben beeinflusst. Bestätigung fand diese Variantenwahl zudem darin, dass der Akteur Oberbürgermeister von einigen Befragten nicht als einer der ersten genannt wurde bzw. von zwei Befragten erst nachträglich zur Net-Map hinzugefügt wurde, nachdem mehrmals nachgefragt wurde, ob dem Befragten während des Erstel14 | Brewer, Devon: Supplementary Interviewing Techniques to Maximize Output in Free Listing Tasks, in: Field Methods 14(1), London 2002, S. 111. 15 | Schiffer/Hauck 2010, S. 236.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

lens der Net-Map noch weitere Akteure eingefallen seien, die zum kulturpolitischen Netzwerk als zugehörig angesehen werden. Die Nachfrage wurde grundsätzlich und unabhängig von der Nennung des Oberbürgermeisters gestellt. Die aufgelisteten Akteure sollten als Zweites von den Befragten eigenhändig auf dem DIN A3-Bogen frei angeordnet werden. Mittels verschiedenfarbiger Stifte werden dann vom Befragten Verbindungen der Akteure untereinander eingezeichnet, die die Beziehungen und Einbindungen in das Netzwerk aufzeigen. Als Drittes sind die Befragten gebeten worden, jedem Akteur auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 10 (hoch) einen globalen, auf das gesamte gezeichnete Netzwerk wirkenden Einflusswert zuzuschreiben. Diese wurden vom Interviewer auf Klebepunkte geschrieben und an die entsprechenden Akteur-Klebezettel angeheftet. Diese Werte geben den Grad des Einflusses des jeweiligen Akteurs auf das Gesamt-Netzwerk an. Es ist darauf geachtet worden, dass tatsächlich jedem Akteur ein Einflusswert zugeschrieben wurde, um ein vollständiges Bild zu erreichen und später auch die Zentralität des Akteurs im Netzwerk feststellen zu können.16 Damit wurden zwei Mittel zur Visualisierung der Netzwerkstruktur, der Einflussgrößen und in der Folge zur Operationalisierung der Frage nach Beziehungsqualitäten und -quantitäten eingesetzt, deren spezifische Funktionen sich bei der strukturierten Darstellung des kulturpolitischen Netzwerks ergänzen. Die Beziehungen und Einflusswerte sind Indikatoren, die auf akteurund netzwerkbezogenen Maßzahlen beruhen. Diese wiederum beschreiben die Akteure und das Netzwerk auf drei verschiedenen Analyseebenen. Die Mikroebene zeigt die Stellung der Akteure im Netzwerk, die Mesoebene zeigt Akteurgruppen, und auf der Makroebene wird das Gesamt-Netzwerk sichtbar.

5.1.3 Die kulturpolitischen Akteure und ihre Beziehungsstrukturen Bei der Erstellung der Net-Maps zur Ermittlung von Netzwerkstrukturen werden von den Befragten 45 verschiedene Akteure genannt (Tab.  5.1 in Kapitel 5.3.2). Diese genannten Akteure unterscheiden sich zum einen nach Einzelakteuren (21; 47%), aggregierten Akteuren (10; 22%) und komplexen Akteuren (14; 31%). Unter den 14 komplexen Akteuren können auch die verschiedenen kollektiven Akteurtypen identifiziert werden. Zu ihnen gehören zum Beispiel als Akteurtyp Soziale Bewegung die Kulturträger der Stadt Norderstedt. Diese weisen den Status eines anerkannten Kulturträgers als gemeinsames Merkmal auf, sind jedoch keine juristische Person oder anders verfasster Akteur wie beispielsweise ein Kulturverband. Gleichwohl eint sie das gemeinsame Bewusstsein, als offizielle Repräsentanten der lokalen Kulturszene durch die 16 | Vgl. auch die Net-Mapping-Anleitung in Schiffer/Hauck 2010, S. 237-239.

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Gemeinde anerkannt zu sein. Bei den aggregierten Akteuren hängt deren Zusammensetzung von den zu aggregierenden Einzelakteuren aus der Sicht des befragten Experten ab. So finden sich hier sowohl Aggregat-Akteure wie die große Gruppe der Kulturnutzer als auch die verschiedenen Bildungseinrichtungen Schule und Kindertagesstätte sowie die Kirchengemeinden.17 Eine zentrale Rolle spielen die Beziehungslinien zwischen den Akteuren. Diese Linien werden in der visuellen Netzwerkforschung als Kanten zwischen Knoten bezeichnet: „Ein Netzwerk besteht aus einer abgegrenzten Zahl von Knoten, in der Regel Akteuren, und den zwischen ihnen verlaufenden Kanten, d. h. Beziehungen.“18 Auf Grundlage der eingezeichneten Beziehungslinien (Kanten) wird das Vorhandensein einer direkten Verbindung zwischen zwei Akteuren angegeben – sofern eine aus Sicht der Befragten besteht. Bei der Visualisierung der Akteurbeziehungen sind von den Befragten die Arten und Qualitäten der Akteurbeziehung in je zwei Ausprägungen anzugeben gewesen. Unterschieden werden die Arten der Beziehungen als organisationale (in schwarz) und informelle (in blau) Beziehungskonstellationen, um besonders die direkten Verbindungen zwischen den einzelnen Akteuren zu ermitteln. Diese beruhen auf den Fragen, zwischen welchen Akteuren die Befragten eine dauerhafte (formale) Arbeitsbeziehung sehen und welche Akteure darüber hinaus eine (informelle) Kommunikationsbeziehung im Sinne des Informationsund Wissensaustauschs unterhalten, die nicht zwingend einer formal-vertraglichen Arbeitsbeziehung entsprechen muss. Dann konnten die Befragten die Qualität der Beziehungen (grün = positiv, rot = negativ) und damit auch den Charakter der Kommunikation angeben. Auf diese Weise konnten maximal drei Verbindungslinien zwischen denselben Akteuren eingezeichnet werden. Drei eingezeichnete Linien zwischen denselben Akteuren treten jedoch nur in wenigen Fällen auf (18 von 168; 10,7%).19 Es wurde von den Befragten in ganz wenigen Fällen eine Kombination aus grüner und roter Linie eingezeichnet, wenn sie die Beziehung als ambivalent ansehen. Mehrheitlich wurden also die zwei Linien der grundlegenden Beziehungskonstellation in schwarz und blau eingetragen. Vage gaben sich die Befragten bei der Frage nach der Qualität der einzutragenden Beziehungs17 | Zur Problematik aggregierten Akteure vergleiche Kapitel 3.2.2 und für den kollektiven Akteurtyp Kulturträger das Kapitel 4.4.2. 18 | Jansen, Dorothea/Diaz-Bone, Rainer: Netzwerkstrukturen als soziales Kapital, in: Weyer, Johannes: Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, München 2011, S. 85. 19 | In einem Fall gab der befragte Experte eine Ambivalenz in einer Akteurbeziehung an, die in eine Richtung als Positiv- und in die andere Richtung als Konfliktbeziehung eingeschätzt wird.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

linien mit grünen und roten Linien. Hier wurden die eigenen Kenntnisse darüber (vorgeblich) als gering eingeschätzt, sodass die Auskünfte mehrheitlich zurückhaltend getätigt wurden, um keine Fehleinschätzung zu geben. Wenn die Qualität der Kommunikation bzw. der Charakter der Beziehung in grün oder rot jedoch angegeben wurde, so vermittelten die Befragten, dies aus fester Überzeugung zu tätigen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass hier keine Steuerung oder unsachlich bewertende Angaben erfolgten. Zudem kann angenommen werden, dass sich die Befragten nur ungern über problematische Beziehungen äußern, wenn sie selbst in Abhängigkeiten zu diesen Akteuren stehen oder sich ohnehin scheuen, Konflikte zu thematisieren. Die einzelnen Net-Maps ergeben das Schaubild des kulturpolitischen Netzwerks aus der Sicht des jeweiligen befragten Experten. Aufgrund der Ausführungen zur Analysierbarkeit der auffindbaren Datenlage ist skizziert worden, dass die Ermittlung von Netzwerkstrukturen auf kommunaler Ebene erst mit diesem partizipativen Instrument möglich ist. Dadurch entsteht zwar ein Netzwerkschaubild, welches auf den subjektiven Erfahrungen und persönlichen Kontexten basiert. Allerdings kann nur durch das direkte Erfragen von Verbindungen ein Blick auf die Beziehungsstrukturen erhalten werden. Das reine Beobachten von Interaktionen der Akteure kann dies nicht im selben Maße leisten, da für die Beobachtungen ein wesentlich umfangreicherer Aufenthalt im Feld erforderlich wäre und zudem selbst schon ein Interpretationsschritt ist, was wiederum einen erhöhten Abstraktionsgrad bedeuten würde, der hier methodisch vermieden werden kann. Die erfragten und eingezeichneten Akteurbeziehungen ergeben also auf jeder Einzel-Net-Map die subjektive Wahrnehmung über das – und in einigen Fällen auch Teilhabe am – kulturpolitischen Netzwerk.

5.2 V ergleichende A nalyse der E inzel-N e t-M aps Bevor aus den einzelnen Net-Maps eine kulturpolitische Netzwerkkarte erstellt wird, stehen die Einzel-Net-Maps im Fokus der Untersuchung. Die Originale der folgenden Abbildungen sind hier auf ein Viertel verkleinert und in Graustufen umgewandelt worden. Der Rahmen der Abbildung gibt den Rand des DIN A3-Bogens an, auf dem die Net-Maps erstellt worden sind.20 So bleiben in dieser Darstellung die Proportionen der Net-Map zum Bogen erhalten. Aus den Net-Maps können bereits vielfältige Erkenntnisse hinsichtlich der jeweiligen Perspektiven auf das kulturpolitische Netzwerk gezogen werden. Neben Hinweisen zur Auskunftsbereitschaft zeigen die Einzel-Net-Maps 20  |  Skalierbare Versionen der Einzel-Net-Maps stehen als PDF-Datei unter http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3914-8 zur Verfügung.

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Übereinstimmungen und Abweichungen in der Wahrnehmung des kulturpolitischen Systems zwischen den befragten Akteuren. Dies betrifft die Wahrnehmung der genannten Akteure und ihre Konstellationen zueinander. Bei der Analyse werden im Folgenden die Einzel-Net-Maps für sich und im Vergleich zueinander betrachtet. Zur vergleichenden Betrachtung der einzelnen Net-Maps bieten sich verschiedene normative Kategorien an. Dies sind vor allem Zugehörigkeiten zu Akteurgruppen wie der Kulturverwaltung, den Mitgliedern des Kulturausschusses, den Kulturvereinen, sodann Parteien bzw. Fraktionen. Vor diesem Hintergrund werden die Einzel-Net-Maps unter den Kriterien Akteurtyp, Anordnung auf der Net-Map und Angabe von Beziehungslinien und Einflusswerten betrachtet. Es wird dazu angenommen, dass sich übereinstimmende Merkmalsausprägungen bei den Net-Maps der befragten Experten der Kulturverwaltung sowie der Mitglieder des Kulturausschusses ergeben. Die Zahl der mittels des Namensgenerators genannten und jeweils auf den Net-Maps angeordneten Akteure liegt zwischen fünf im Minimum und 16 im Maximum. Im Durchschnitt zählte damit jeder Befragte elf Akteure auf, wobei der Median (13 Akteure) hier aussagekräftiger ist, wenn die quartile Verteilung (Q1 = 5-7 Akteure/Net-Map; Q2 = 8-10 | Q3 = 11-13; Q4 = 14-16) der Akteure auf den neun Net-Maps betrachtet wird: Q1 = 2; Q2 = 1 | Q3 = 3; Q4 = 3. Die Aussagekraft dieser Werte ist jedoch eingeschränkt, wenn die Akteurtypen nicht berücksichtigt werden. Hierbei ist das Verhältnis zwischen der Zahl der genannten Einzelakteure gegenüber den aggregierten und komplexen Akteuren wichtig. Es teilt sich deutlich auf zwischen den Experten, die keinen oder bis zu zwei oder aber zwischen sieben und zwölf Einzelakteure nennen. Im Vergleich zu den genannten aggregierten und komplexen Akteuren zeigt sich, dass die beiden Mitarbeiter der Kulturverwaltung (Leitung Kulturbüro und Leitung Musikschule) mehr aggregierte und komplexe Akteure als Einzelakteure genannt haben. Dies gilt ebenso für zwei befragte Mitglieder des Kulturausschusses – sie werden im Folgenden dieses Abschnitts als Expertengruppe 1 geführt. Alle anderen befragten Experten (i. F. Expertengruppe 2) geben mehrheitlich Einzelakteure an – einschließlich der Kulturdezernentin, die sowohl das Kulturamt leitet als auch Kulturpolitikerin ist und als Expertin die meisten Einzelakteure genannt hat (12 Einzelakteure zu 2 aggregierten/komplexen Akteuren). Mit diesen Werten kann kein signifikant gelagertes Verständnis zu den kulturpolitischen Akteuren zwischen der Expertengruppe 1 und 2 festgestellt werden. Denn sowohl unter den Mitgliedern des Kulturausschusses als auch bei den Mitarbeitern der Kulturverwaltung finden sich divergierende Häufigkeiten bei den genannten Akteurtypen. Dies gilt gleich, ob die Kulturdezernentin als Kulturamtsleiterin oder als Kulturpolitikerin und damit zur Expertengruppe 1 oder 2 gezählt wird. Die Verteilung der Nennung von Akteurtypen lässt sich aus den obigen Erläuterungen heraus auf die jeweilige Wahrnehmung und das

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Verständnis der kulturpolitischen Akteure für die Einzelperspektive der befragten Experten ableiten. Damit stehen die Net-Maps in direkter Verbindung zu den Aussagen und Ansichten aus den Experteninterviews, wie sie in Kapitel 4 gegeben worden sind. Es ist auf dieser Basis gleichwohl eine Tendenz auszumachen, sofern nicht nur die Akteure und ihre Typisierung nach Scharpf als Kriterien herangezogen werden, sondern auch die Beziehungslinien und Einflusswerte, die erst durch die Erstellung der Net-Maps sichtbar werden, womit sich der Nutzen der Methodenkombination an dieser Stelle als erkenntnisfördernd erweist. Bei den eingezeichneten Beziehungslinien ist auffällig, dass die Expertengruppe 1 und zusätzlich auch der Leiter der Musikschule, welche alle eine geringe Anzahl an Einzelakteuren (max. zwei von bis zu 15 Akteuren gesamt) genannt haben, hinsichtlich der Qualität der Beziehungen keine negativen Kanten (rot) zwischen den Akteuren eingezeichnet haben. Zudem sind die aus deren Sicht positiv besetzten, engen Beziehungen (grüne Kanten) zusammen nur 13-mal angegeben worden. Bei den anderen vier befragten Experten der Gruppe 2 (Mitglieder des Kulturausschusses und eines Kulturvereins) ist die Zahl der positiven Kanten hingegen dreimal höher (41). Die Frage nach der Wahrnehmung von und die durch die Anfertigung der Net-Maps gleichzeitige Offenlegung bestehender Konflikt-Beziehungen (rote Kanten) wird in der Tendenz von den Mitarbeitern der Kulturverwaltung inklusive der Kulturdezernentin vermieden oder schlicht nicht bestätigt. Neben der Betrachtung der Beziehungsqualitäten ist auch ein Blick auf die Häufigkeitsverteilungen der globalen Einflusswerte interessant, die die Befragten jedem Akteur auf einer Skala von eins bis zehn zugewiesen haben, um den jeweiligen Einfluss und damit Machtposition auf das gesamte Netzwerk anzugeben.21 So zeigen zwei Net-Maps der Expertengruppe 1, dass sie die Skala bei der Bewertung des globalen Einflusses (grüne, runde Klebepunkte) der einzelnen Akteure auf das Netzwerk nur zwischen den Werten fünf bis acht (Abb. 5.1, A3) und sogar nur vier bis sechs (Abb. 5.2, A6) genutzt haben.

21 | Vgl. dazu das Kapitel 5.4: Globale Einflusswerte der Akteure auf das gesamte Netzwerk.

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Abbildung 5.1: Net-Map Experte A3, Kulturausschussmitglied

Abbildung 5.2: Net-Map Experte A6, Kulturausschussmitglied

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Dabei vermieden sie die Wahl der Extremwerte eins und zwei für (sehr) geringen oder mäßigen Einfluss und neun und zehn für sehr hohen oder maximalen Einfluss in Gänze.22 Dies führt zu einem hohen Vorkommen desselben Einflusswertes bei der Mehrheit der von den beiden Experten genannten Akteure und damit einer flachen Hierarchie ohne nennenswerte Ausreißer. Anders zeigt sich das Hierarchiegefüge der Akteure auf zwei anderen NetMaps der Expertengruppe 1. Im Gegensatz zu den beiden Vorgenannten zeigen die Net-Maps der Experten K4 (Abb.  5.3) und K3 (Abb.  5.4) zum einen vergleichsweise hohe Zahlen an genannten Akteuren (14 bzw. 15) und zum anderen eine Bandbreite vergebener Einflusswerte, die die gesamte Skala umfasst und dabei auch jeden Wert mindestens einmal nutzt. Abbildung 5.3: Net-Map Experte K4, Kulturdezernentin

r itzender e ter erein

r itzender u i erein

22 | Vgl. die Einflusswerteskala in Kapitel 5.4..

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Abbildung 5.4: Net-Map Experte K3, Leitung Musikschule

Der Gegensatz ist jedoch abzuschwächen, wenn bedacht wird, dass bei der Erstellung der Net-Map vom Experten zwei Akteur-Kreise eingezeichnet worden sind, die als Darstellungselemente des Verfahrens nicht vorgesehen waren. Diese beiden Kreise stellen zwei grundlegende Akteurkonstellationen dar, die auf der einen Seite die Akteure der Kulturverwaltung zusammen mit dem Oberbürgermeister und dem Kulturausschuss umfassen und auf der anderen Seite Akteure der Norderstedter Kulturszene, Bildungseinrichtungen, Kirchengemeinden, den dritten Sektor und Kunden der Musikschule. Dabei wird in die Schnittmenge der beiden Kreise einzig die städtische Kulturverwaltung gesetzt – die ein Trio aus den komplexen Akteuren Kulturbüro, Musikschule und Mehrzwecksäle Norderstedt (MeNo) darstellen soll. Dadurch entsteht eine Zentralisierung der Bedeutung der Kulturverwaltung für das kulturpolitische Netzwerk. Das Umgehen dieses Akteurs im Netzwerk erscheint damit nahezu unmöglich. Dieser Auf bau von bipolaren Akteurkonstellationen aggregiert den zahlenmäßigen Eindruck der 15 genannten Akteure gegenüber den fünf Akteuren auf der Net-Map der Kulturbüro-Leitung, die im Folgenden mit der Net-Map eines Kulturausschussmitgliedes verglichen wird. Dazu zeigen die beiden nachstehenden Abbildungen je eine einzelne NetMap, die vom Experten und Mitglied des Kulturausschusses (A2) und einer Mitarbeiterin der Kulturverwaltung (K1) angefertigt worden sind. Auf der NetMap von K1 dominiert der Akteur Besucher, während alle anderen offenbar auf

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Augenhöhe, frei von jeglichem Machtgefälle, angeordnet sind. Daraus liest sich, dass dieser eine Akteur der alle anderen beeinflussende sei, an dem sich die übrigen Akteure des Netzwerks zumindest orientieren. Dieser aggregierte Akteur Besucher ist dem Betrachter der Net-Map durch die Wortwahl in gewisser Hinsicht zur Interpretation freigegeben. Denn bei Besucher handelt es sich sowohl um das sogenannte Kulturpublikum als auch um die Bürgerinnen und Bürger – mithin Wählerinnen und Wähler – ergo dem Souverän. Diesem Akteur den maximalen Einflusswert zuzurechnen, vermittelt auch den Eindruck von hoher Abhängigkeit. Der Besucher als Kulturpublikum entscheidet mit Zuspruch oder Ablehnung über das Kulturprogramm und als Souverän mittels Wahl über die Zusammensetzung von Stadtvertretung und Kulturausschuss, von dem wiederum die Kulturverwaltung institutionell abhängig ist. Dieser Punkt bezieht sich auf den Umstand, dass Akteure wie die Kulturnutzer, aus ihrer Position und Masse heraus, wesentlichen Einfluss auf die Zusammenstellung von Spielplänen und Veranstaltungsprogrammen nehmen können. Durch den stillen Ausdruck des Kaufens oder eben Nichtkaufens einer Eintritts- oder Theaterkarte, aber auch durch Rückmeldungen wie Leserbriefe an die Medien und Bekundungen gegenüber Mitarbeitern und Veranstaltern von Kulturtangeboten, machen die Kulturnutzer ihre Macht deutlich. Demgegenüber steht die angesprochene Identifizierung als Akteur, der in seiner vielgesichtigen Masse weniger greif bar ist, als ein Kulturveranstalter mit einigermaßen bekannter Leitungsperson oder gar ein Einzelakteur, der eine gewisse öffentliche Wahrnehmung genießt. Daraus resultiert eben auch, dass der Einfluss eines aggregierten Akteurs insgesamt als geringer eingeschätzt bzw. als geringer wahrgenommen wird. Dennoch wird den Kulturnutzern zumindest eine Markt-Macht zugeschrieben, mittels derer sie ein einflussnehmender Akteur sind. Diese Einflussposition überträgt sich jedoch nur bedingt in konkrete Einflusswerte. Kennzahlen, aus denen sich darauf schließen ließe, können in aller Regel nur durch Erhebung von Besucherzahlen ermittelt werden. Entsprechend dieser Interpretation des Zahlenausdrucks liegen die kulturpolitische Macht und das Prestige damit in der Hand der Besucher und nicht bei den gewählten Kommunalpolitikern und Kulturverwaltern.

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Abbildung 5.5: Net-Map Experte A2, Kulturausschussmitglied

WS Leitung Kulturbüro

Abbildung 5.6: Net-Map K1, Leitung Kulturbüro

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Der auffälligste Unterschied der beiden Net-Maps (Abb. 5.5 und 5.6) besteht im Umfang der Ausgestaltung und damit der Menge an Informationen, die von den Befragten gegeben wurden. Es lässt sich hieraus eine wesentlich geringere Auskunftsbereitschaft ableiten. Die gegebenen Informationen über das kulturpolitische Netzwerk sind unter zwei wesentlichen Aspekten von großer Variation. Die Net-Map des Kulturpolitikers (Abb. 5.5) weist viele Einzelakteurnamen (8) sowie eine Vielzahl an unterschiedlichen Beziehungsverbindungen (51, davon bis zu drei zwischen denselben Akteuren) auf. Die 23 Akteurbeziehungen, von denen zwölf als besonders positiv und sieben als problematisch eingestuft wurden, weisen auf vielfältige Interaktionen hin. Im Gegensatz dazu weist die Net-Map von K1 (Abb. 5.6) gar keine Einzelakteure und nur einen komplexen Akteur (Kulturverwaltung als Aggregat aus Kulturbüro und Musikschule) auf. Es sind überhaupt nur fünf Akteure genannt worden, welche zudem je nach Betrachtungsweise von ganz unterschiedlicher Zusammensetzung sein können. Der Akteur Kulturpolitiker kann nur aus Mitgliedern des Kulturausschusses aber ebenso gut auch bzw. zusätzlich aus anderen Kommunalpolitikern bestehen. Komplizierter – da austauschbar – verhält es sich bei den Akteuren Kulturschaffende und Veranstalter. Da beide nicht abgegrenzt sind, lassen sich zu den Kulturschaffenden sowohl Mitglieder der Kulturvereine als auch Einzelkünstler zählen, welche jeweils auch als Veranstalter aufzutreten vermögen. Dies wiederum trifft aber auch auf Tourneetheater und andere Gastspielanbieter zu. Alle fünf genannten Akteure in dieser Net-Map wurden durch 13 Beziehungslinien verbunden, welche aus der Sicht des Befragten grundsätzlich zehn Beziehungen unterhalten, von denen keine als positiv ausgestaltet oder problematisch angesehen wird. Es entsteht zunächst der Eindruck, dass das kulturpolitische System aus Sicht von Experte K1 nur auf einer globaleren Akteurebene konstitutiv ist. Jedoch liegt hier eine wesentlich geringere Auskunftsbereitschaft nahe, welche sich ebenso im restlichen Interview zeigte, dass Einzelakteure zwar eine Rolle spielen können, diese jedoch im Interview nicht thematisiert werden sollen. Hierfür lassen sich neben Gründen, die der persönlichen Motivation zuzurechnen sind, vor allem unterscheidende Bedingungen anführen, die zumindest anteilig zu diesem Vergleichsergebnis führen. Beide Befragten gehören zum kulturpolitischen System und sind in diesem aktiv, wobei die Voraussetzungen und Möglichkeiten teilweise stark differieren. Aus der Leitungsposition des Kulturbüros heraus wird dort über Ressourcen und deren Verteilung verfügt. Gleichzeitig besteht eine Abhängigkeit von eben der Ressourcen-Begrenzung und den Vorgaben höher gestellter Verwaltungsmitarbeiter, die den Bedürfnissen und Nachfragen der potentiellen Ressourcennachfrager entgegenstehen. In diesem Spannungsverhältnis tritt der befragte Kulturpolitiker auf, der unter anderem qua Amt im Kulturausschuss Einfluss auf die Planungen und Vorgänge der Kulturverwaltung nehmen kann. Zudem besteht ein gewisses

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Abhängigkeitsverhältnis aufgrund von Weisungsgebundenheit und Berichtspflicht der Verwaltung gegenüber den Mitgliedern des Kulturausschusses. Die Net-Maps zweier weiterer Kulturpolitiker zeugen von der unterschiedliche Wahrnehmung des Netzwerks. Während die Net-Map des Experten A5 eine Vielzahl an genannten Akteuren und vielfältigen Beziehungsformen aufweist, sind diese bei der Net-Map des Experten A4 von deultich geringerem Ausmaß. Durch die Interviewsituation der Erstellung der Net-Map von Experte A4 kann aber festgestellt werden, dass die vorhandenen Kanten mit viel Bedacht und explizit eingezeichnet wurden. Im Vergleich der Net-Maps von A5 und A4 erhalten die einzelnen Kanten damit unterschiedlich Bedeutungsgrade. Abbildung 5.7: Net-Map A5, Kulturausschussmitglied

e e

t

run

Die Net-Map von A5 weißt zudem die meisten Kanten (Beziehungslinien) von allen Einzel-Net-Maps auf (76). Auffällig dabei ist, dass 42 dieser Kanten von zwei Akteuren (Medien und Kulturausschuss-Mitglied, FDP) ausgehen, jedoch nur angedeutet werden. Der befragte Experte vermied damit nach eigener Aussage, dass die Net-Map unübersichtlich wird. Zudem hätten die beiden Akteure ja eh zu allen anderen [Akteuren] Verbindungen (A5). Die Net-Map allein zeigt dabei nicht an, dass der Akteur OB (Oberbürgermeister) explizit nicht mit direkten Kanten verbunden wurde und damit auch nicht mit den Akteuren Kulturausschuss-Mitglied FDP und Medien, obwohl gerade das Akteurpaar Medien–OB über eine direkte informelle Beziehung verfügt.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Abbildung 5.8: Net-Map A4, Kulturausschussmitglied

Diese normativen Determinanten führen auch zu den oben ausgeführten Abweichungen in den Aussagetiefen in den Interviews und auf den Net-Maps. Dieses vor allem in dem Sinne, dass die Kulturverwaltung in ihrem angedeuteten Spannungsverhältnis als Exekutive unter der Beachtung einer Vielzahl an Vorschriften – die nicht zuletzt kommunalpolitisch gefasst werden – weniger Spielraum bei der Bewältigung des Tagesgeschäfts und der Durchführung von Projekten hat. Das gilt sowohl für selbst entwickelte Inhalte als auch im Besonderen für Aufgaben, zu denen sie angewiesen wurde – sei es vom Dienstherrn oder von den gewählten Stadtvertretern im Kulturausschuss. Diese hier skizzierten Umstände führen nicht zwangsläufig zu geringen Auskünften, die ein Verwaltungsmitarbeiter leisten kann oder darf. Zwar sind dienstliche oder amtliche Beschränkungen bei der Erteilung von Auskünften grundsätzlich durch Dienstanweisungen gegeben. Jedoch können derartige Gründe allein nicht zur oben ausgeführten Informationsgabe geführt haben. Neben den deutlich geringer ausfallenden Zahlen bei den Beziehungslinien und Akteuren fällt vor allem auf, dass die Nennung von positiven, aber insbesondere auch von problematischen Beziehungen zwischen Akteuren ausgeblieben ist. Eine Außenbetrachtung dazu ermöglicht die Net-Map des befragten Experten eines Norderstedter Kulturvereins (Abb. 5.9), der regelmäßig die Kulturausschusssitzungen besucht und zudem in regem Kontakt mit der Kulturverwaltung steht.

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Abbildung 5.9: Net-Map K2, Vertreter Kulturverein

Kulturdezernentin

5.3 D er A ufbau des kulturpolitischen N e t z werks Das erweiterte Ziel der Erstellung von Net-Maps ist die Kartierung eines kulturpolitischen Netzwerks und die Ermittlung einer Kerngruppe von Akteuren, die im Zentrum des kulturpolitischen Systems verortet ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich um das Netzwerk aus der Wahrnehmung der befragten Experten, die aufgrund ihrer Erfahrung und Teilhabe als Träger des Policy-Wissens23 des kulturpolitischen Systems in Norderstedt gelten können. Der Auf bau und die Struktur des kulturpolitischen Netzwerks ergeben sich aus den einzelnen Net-Maps der befragten Experten. Von einem Gesamt-Netzwerk kann hier insofern gesprochen werden, als dass in der Zusammenfügung der Einzel-Net-Maps eine Gesamtheit visualisiert wird, die stellvertretend für die Grundgesamtheit aller Akteure des kulturpolitischen Systems stehen. Damit soll auch gezeigt werden, dass durch die Ermittlung von kulturpolitischen Repräsentanten aller beobachtbaren und statistisch belegbaren Akteurgruppen eine repräsentative Auswahl an Akteuren ermittelt werden kann. Diese Vorgehensweise stellt mittels der dann erhobenen Expertisen sicher, dass die 23 | Vgl. dazu das Kapitel 3.3.2.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Ergebnisse der Experteninterviews und des Net-Mappings als Stichprobe für das Gesamt-Netzwerk Validität aufweisen.

5.3.1 Die Zusammenführung der Einzel-Net-Maps Zusammengeführt bilden die Net-Maps die Gesamtheit der von den Befragten erlebten und gestalteten Netzwerkstruktur. Dazu werden alle Net-Maps gemäß ihrer Bestandteile der Akteure, Beziehungen und Einflussbewertungen ausgewertet. Die Akteure ergeben die Knoten, die Beziehungen die Kanten des Gesamt-Netzwerks. Wie bereits angedeutet, verwenden die befragten Experten gelegentlich verschiedene Akteurnamen für denselben Akteur. Wo dies auf divergierende Bedeutungszuschreibung hinweist, sind diese Mehrfachbezeichnungen in ihrer Trennung beibehalten worden. In anderen Fällen wurden die Bezeichnungen zusammenfassend operationalisiert; auch um die Aussagefähigkeit des Netzwerkschaubildes nicht durch unnötige Doppelungen zu beeinträchtigen. Als Beispiel sei hier der Akteur Kulturnutzer genannt, der auf den Net-Maps auch als Bürger (Vgl. Net-Map von A5) oder als Besucher (Vgl. Net-Map von K1) genannt wird. Zur Auswertung der genannten Akteure gehören auch die Häufigkeiten ihrer Nennung und deren Verteilungen, wie sie im vorherigen Abschnitt erläutert sind. Die als Kanten dargestellten Beziehungslinien zwischen den Akteuren werden ebenfalls hinsichtlich ihrer Ausprägungen analysiert. Dabei werden gleiche Kanten zwischen denselben Akteuren zusammengefasst und zur Visualisierung entsprechend dicker oder größer dargestellt. Durch diese Zusammenfassungen zu einem einzigen Netzwerkschaubild ergeben sich die als Kanten angezeigten auswertbaren Beziehungsgrößen und -qualitäten. Die unterschiedlichen Beziehungsgrößen werden durch Häufigkeitsauszählungen sowohl der bei einem Akteur eingehenden wie auch von einem Akteur ausgehenden Kanten erfasst. Je mehr Beziehungen von einem Akteur zu einem anderen Akteur von den Befragten angegeben worden sind, desto dicker sind deren eingezeichnete Kanten dargestellt, und desto höher wird die Intensität der Beziehung gewertet.

5.3.2 Das kulturpolitische Gesamt-Netzwerk Die Anordnung der Knoten (Akteure) und die Lage der Kanten (Beziehungen) sind mit der freien Graphen-Software yEd Graph Editor erstellt worden. Dazu werden zunächst die Knoten definiert und mit den Kanten aneinander verankert. Die Abbildung 5.10 zeigt das Ergebnis, bei dem die in Tabelle 5.1 aufgeführten Merkmale zur kategorialen Unterscheidung verwendet werden.

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Kommunale Kulturpolitik

Tabelle 5.1: Akteure, Akteurtypen, Aggregationen des kulturpolitischen Netzwerks

Ellipse (11-16/811)

Sechseck (14-17/68)

Kommunalpolitik

Rechteck (4-6/4-5)

Akteurgruppe

Verwaltung

Knoten (Anz.)

Kultureinrichtungen/-schaffende

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Akteurtyp

Akteure des Netzwerks Gesamt (45 Akteure)

reduziertes (27 Akteure)

Einzelakteur

Experte A2 (Mitglied Kulturausschuss)

Einzelakteur

ehem. Mitglied Kulturausschuss

Einzelakteur

Experte A1 (Mitglied Kulturausschuss)

Einzelakteur

Stadtpräsidentin

Club

Stadtvertretung

Club

Kulturausschuss

Einzelakteur

Kulturdezernentin

Einzelakteur

Oberbürgermeister

Einzelakteur

Geschäftsführer Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH

Einzelakteur

Leitung Kulturbüro

Stadtpräsidentin

Einzelakteur

Leitung Musikschule

Einzelakteur

Leitung Musiktheater

Einzelakteur

Leitung Team Räume & Organisation

korporativ

Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH (MeNo)

korporativ

Kulturbüro

Einzelakteur

Mitarbeiter Kulturbüro

Einzelakteur

Mitarbeiter Stadtmuseum

korporativ

Stadtmuseum

korporativ

Musikschule Norderstedt

korporativ

Sinfonieorchester

Soz. Bewegung

Kulturträger (Kulturvereine)

Verband

Chaverim e.V.

Verband

MaLiMu Kulturverein e.V.

Verband

Stichling e.V.

Verband

MusicWerkstatt e.V.

Verband

Musikverein Norderstedt

Verband

Norderst. Amateur-Theater

Verband

Theater PUR e.V.

aggr. Einzelakt.

Theatervereine

aggr. Einzelakt.

Kulturschaffende/Künstler

Koalition

Malstudio Nord. (bis 2015)

aggr. Einzelakt.

Musikschüler/innen

aggr. Einzelakt.

Kulturpreisträger/innen

Einzelakteur

Kulturpreisträgerin C. H-B

Leitung Musikschule

Kulturbüro

Stadtmuseum Musikschule Norderstedt

Kulturträger (Kulturvereine)

Theatervereine

Kulturschaffende/ Künstler Kulturpreisträger/ innen

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Dreieck (4/2)

Förderer/ Spüonsoren

Raute (7/4)

Öffentlichkeit/Dritte

korporativ

Medien

korporativ

Kindertagesstätten

korporativ

Kirchen

korporativ

Schulen

aggr. Einzelakt.

Kulturnutzer

aggr. Einzelakt.

Einzelakteure (sonstige)

aggreg. Akteure

Kulturveranstalter (privatw.)

Verband

Kulturstiftung Norderstedt

Verband

Lions Clubs

Verband

Rotary Club

aggreg. Akteure

Sponsoren

KiTaS, Schulen, Kirchen Kulturnutzer

Clubs

Nach diesen Kategorisierungen sind die Kanten entsprechend der angegebenen Beziehungslinien der Größen 1 bis 9 markiert worden. Zusätzlich sind auch die negativen und positiven Konstellationen abgeglichen und ihre Tendenz den Kanten als farbige Merkmalsausprägungen hinzugefügt worden. Die Pfeilspitzen geben dabei die mehrheitliche Richtung der Akteurbeziehung auf Basis der gezählten Beziehungen der Einzel-Net-Maps. Die Häufigkeiten der Nennung als Akteure ist in der Netzwerkkarte durch die Größe des Knotens dargestellt. Im Ergebnis des Zusammenführungsprozesses ergibt sich das kulturpolitische Netzwerkschaubild Norderstedts, dessen grafische Anordnung durch die Graphen-Software ausgeführt wird. Die vorgenannten Kriterien und Merkmale sind dabei die Parameter, die die Software verwendet. Als Darstellungsform der Kanten ist die softwareseitige Einstellung der organischen Kantenverlegung verwendet worden. Die Anordnung basiert auf der Häufigkeit der Nennung der Akteure und den globalen Einflusswerten, die den Akteuren von den Befragten zugewiesen worden sind.

185

186

Kommunale Kulturpolitik

Abbildung 5.10: Netzwerkschaubild mit allen 45 genannten Akteuren24

Das Schaubild ist aufgrund der Zahl von 45 verschiedenen Akteuren und 287 Akteurbeziehungen von hoher Komplexität – zumindest hinsichtlich der Gesamtzahl der genannten Akteure und damit in seiner grafischen Darstellung. Der Grad der Komplexität findet Ausdruck in der netzwerkbezogenen Maß24 | Eine skalierbare Version des Netzwerkschaubildes steht als PDF-Datei unter http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3914-8 zur Verfügung.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

zahl der Netzwerkdichte. Sie „ist der Quotient aus der Anzahl der im Netzwerk realisierten Beziehungen und der Anzahl der grundsätzlich möglichen Beziehungen“25. Aus ihr ist der Hinweis zu entnehmen, dass das Netzwerk von eher unterdurchschnittlicher Dichte ist. Die Netzwerkdichte ergibt bei 287 Akteurbeziehungen einen Wert von lediglich 0,29.26 Netzwerkdichten können theoretisch zwischen 0 (keine Dichte) und dem Maximalwert 1 liegen, der Beziehungen zwischen jedem Akteur anzeigt. Derartige Netzwerkdichten „sind sehr selten und nur in kleinen Gruppen überhaupt denkbar“27. „Eine hohe Netzwerkdichte [von] ca. 0,4 und höher“ ist allenfalls bei „Familien- und Freundschaftsnetzwerken“ vorzufinden.28 Dementsprechend kann bei der Betrachtung des gesamten kulturpolitischen Netzwerks nur von einer mittleren Netzwerkdichte gesprochen werden. Um sich der Kerngruppe des Netzwerks anzunähern und auch, um die Lesbarkeit des Schaubildes klarer zu gestalten, wird eine Reduktion um diejenigen Akteure vorgenommen, die jeweils nur von einem einzigen Befragten genannt worden sind. Dies trifft auf gut die Hälfte der genannten Akteure zu (23 von 45). Dadurch konnte die Komplexität des Netzwerkschaubildes reduziert werden, die Aussagefähigkeit des Schaubildes über die einflussgebenden Akteure des Netzwerkes aber erhalten bleiben. Wie im Abschnitt 5.3.1 mit einem Beispiel angeführt, sind einige wenige Akteure zusammengefasst worden, ohne dass sich ihre Rolle als Akteur im Netzwerk wesentlich veränderte oder ihr Einfluss oder ihre Vernetzung gar zu Verzerrungen im Netzwerkschaubild geführt hätten. So wurden beispielsweise der Akteur Mitarbeiter Stadtmuseum und das Stadtmuseum als komplexer Akteur oder die Theatervereine zusammengefasst. Im ersten Beispiel blieb es beim komplexen Akteur Stadtmuseum, und beim zweiten Beispiel entstand im Netzwerkschaubild der aggregierte Akteur Theatervereine aus den komplexen Akteuren Norderstedter Amateur-Theater (NAT) und Theater PUR. Diese beiden der insgesamt fünf Theatervereine richten sich sowohl hinsichtlich der Mitwirkungsmöglichkeit als auch der Theaterstückwahl an Kinder und Jugendliche (Theater PUR) bzw. an Erwachsene (NAT) und bilden damit das gesamte Spektrum der Amateur-Theatervereine Norderstedts ab. Besonders das Theater PUR kann dabei nicht nur als kollektiver Akteur Verband, sondern auch intern als korporativer Akteur betrachtet werden, da sich in diesem Verein verschiedene Schauspielgruppen mit jeweils eigenen Teilnehmern, Ziel-Publikum und Aufführungen finden. 25 | Weyer, Johannes: Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, München 2011, S. 88. 26 | Bei 287 angegebenen und 1980 möglichen Beziehungen lautet die Gleichung: 287 Beziehungen / (45 Akteure x (45 – 1 Akteure) /2) = 287 / 990 = 0,289. 27 | Jansen/Diaz-Bone 2014, S. 86. 28 | Jansen/Diaz-Bone 2014, S. 86, [H.i.O.].

187

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Kommunale Kulturpolitik

Grundsätzlich besteht die Absicht des Net-Mapping auch darin, einzelne Akteure – seien es nun aggregierte, komplexe oder Einzelakteure – zu ermitteln, die in besonderer Weise in ein Netzwerk eingebunden sind oder dieses beeinflussen oder gar determinieren. Im Falle der Theatervereine konnte dies nicht festgestellt werden, sodass auch unter diesem Aspekt nichts gegen das Aggregieren der vorgenannten Akteure spricht. Abbilung 5.11: Reduziertes Netzwerkschaubild mit 27 Akteuren29 durch aggregierende Reduktion

29 | Eine skalierbare Version des Netzwerkschaubildes steht als PDF-Datei unter http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3914-8 zur Verfügung.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

In der Folge dieser Schritte der Datenauf bereitung zur Analyse und Visualisierung ergeben sich 27 Akteure, welche 235 Akteurbeziehungen aufweisen. Das Dichtemaß dieses zentralen kulturpolitischen Netzwerks stellt sich im obigen Schaubild dar. Diese Reduktion hat auch Auswirkungen auf die Netzwerkdichte, die im inneren Teil des Gesamt-Netzwerks höher ist, da hier vor allem Akteure mit hohen Zentralitätswerten verortet sind. Die Berechnung der Netzwerkdichte ergibt nun den Wert von 0,82, der aufgrund der Reduzierung um die weniger intensiven Beziehungspaare sehr viel höher ausfällt.30 Damit ist eine erste Annäherung an die zentralen Akteure des kulturpolitischen Systems erfolgt. Neben der Reduktion der Komplexität wurden zur Darstellung der Kanten auch die neun Beziehungsgrößen zu drei gleich abgestuften Kategorien zusammengefasst, wie die Tabelle 5.2 zeigt. Tabelle 5.2: Beziehungswerte und -intensitäten der Akteure des Netzwerks Akteure 45

Beziehungsintensitäten

27

9er-Skala

107

78

1

sehr gering

121

93

2

gering

33

32

3

eher gering/mäßig

9

10

4

unterdurchschnittlich

5

5

5

durchschnittlich

4

3

6

überdurchschnittlich

4

7

7

eher hoch

1

4

8

hoch

3

3

9

sehr hoch

287

235

 

Akteure

Skala gruppiert

45

27

1

261

203

2

18

18

3

8

14

287

235

So ergeben sich drei Beziehungskategorien, die sich für verschiedene Kontexte anwenden lassen. Bereits die grafische Aufteilung des Netzwerkschaubildes nach entsprechend herausgearbeiteten Beziehungsgrößen und -kategorien zeigt, dass nur zwischen wenigen Akteuren große Nähe (hohe Netzwerkdichte) und intensive Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen bestehen.

30 | Netzwerkdichte-Berechnung: Bei 235 angegebenen und 351 möglichen Beziehungen lautet die Gleichung: 235 Beziehungen / (27 Akteure * (27 – 1 Akteure) /2) = 287 / (702/2) = 0,818.

189

190

Kommunale Kulturpolitik

Abbildungen 5.12.1-2: Verteilung der Intensitätsgrade in den Akteurbeziehungen im reduzierten Netzwerk (27 Akteure), nach 9er-Skala (links) und gruppiert 7 3 5 1% 3% 2%

4 3 2% 1%

10 4% 78 33%

32 14%

93 40%

sehr gering gering eher gering/mäßig unterdurchschnittlich durchschnittlich überdurchschnittlich eher hoch hoch

18 8%

14 6%

203 86%

gering durchschnittlich hoch

Hier wird ersichtlich, dass nur 13% der Beziehungskonstellationen auf eine hohe Intensität schließen lassen. In absoluten Zahlen: 32 der von den Befragten aufgezeigten Beziehungskonstellationen weisen einen mittleren (18) oder hohen (14) Intensitätsgrad auf, der sich aus der Häufigkeit der Einzeichnungen aller Net-Maps ergibt. Demgegenüber stehen 203 Konstellationen, die aufgrund der Anzahl ihrer Nennung nur eine geringe Intensität aufweisen. Hieraus lassen sich zwei Erkenntnisse ableiten. Erstens: Der Kreis der Akteure, die intensiven und damit häufigen Austausch pflegen, ist vergleichsweise gering. Dies legt eine sehr kleine, aber strukturell eng verwobene Akteurgruppe nahe. Diese Gruppe besteht aus neun Akteuren. Zu dieser Akteurgruppe gehören nur hauptamtliche Kulturverwalter und die ehrenamtlichen Kulturpolitiker in Form des Kulturausschusses, deren Hauptaufgabe die Befassung mit Kultur ist. Sie sollen hier als Kerngruppe bezeichnet werden. Diese Kerngruppe ergibt sich aus all jenen Akteuren, denen die Befragten eine Beziehungsintensität von mindestens mittlerem Niveau (Werte ab 4 bis 9) zu einem anderen Akteur zuschreibt. Dies sind 13% aller Akteure. In nächster Nähe zu dieser Kerngruppe steht die Gesamtheit der Kulturvereine (anerkannte Kulturträger und unter diesen besonders der Musikverein Norderstedt) als kollektiver Akteur Soziale Bewegung noch vor den ebenfalls aggregierten Theatervereinen und den Kulturschaffenden als Aggregation von Einzel-Künstlern und -Gruppen. Diese gehören jedoch nicht zur Kerngruppe, sondern sind mit dieser am engsten von allen anderen Akteuren verbunden. Hier fällt auf, dass

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

ihre Einflussgröße bzw. -fähigkeit offenbar nur in ihrer summierten Anzahl besteht, da hier keine Einzel- oder komplexen Akteure auftauchen, wie dies in der Kerngruppe der Fall ist. In dieser finden sich unter neun Akteuren fünf Einzelakteure (Oberbürgermeister, Leitung Kulturbüro, Leitung Musikschule, Kulturdezernentin, Geschäftsführung Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH). Das nachstehende Netzwerkschaubild illustriert diese Konstellationen. Dieses Schaubild berücksichtigt auch die von den Befragten angegeben Beziehungskonstellationen, die Auskunft über besonders gute oder konfliktbehaftete Beziehungspaarungen geben. Abbildung 5.13: Reduziertes Netzwerkschaubild der Kerngruppe mit allen Kanten31

Das Netzwerkschaubild der Kerngruppe zeigt neun Akteure und die nächstgeordneten Akteure (unteren fünf) mit allen Beziehungslinien dieser Akteure 31 | Eine skalierbare Version des Netzwerkschaubildes steht als PDF-Datei unter http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3914-8 zur Verfügung.

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Kommunale Kulturpolitik

untereinander (66 Kanten). Am auffälligsten ist die Stellung des Kulturausschusses, der als kollektiver Akteur Club (bestehend aus 13 ehrenamtlichen Kultur- bzw. Kommunalpolitikern) die meisten und intensivsten Beziehungslinien aufweist. Zusammen mit den Akteuren der Kerngruppe verfügt der Kulturausschuss bereits über eine Vielzahl von Verbindung auch geringerer Intensität, ohne dass hier alle Akteure des Gesamt-Netzwerks eingezeichnet sind. Dieser Verflechtungsgrad wird noch deutlicher, wenn die Beziehungslinien von geringer Intensität (Werte 1 bis 3) aus dem Schaubild entfernt sind (siehe nächstes Schaubild). Abbildung 5.14: Reduziertes Netzwerkschaubild der Kerngruppe mit den Kanten der Werte 4 bis 9

Das Netzwerkschaubild zeigt die Kerngruppe nun wiederum mit nächstgeordneten Akteuren (unteren fünf), jedoch nur unter Betrachtung der Kanten (Beziehungslinien), die die Intensitäten mit mittleren und hohen Werte (ab 4 bis 9) angeben. In dieser Reduktionsstufe wird noch deutlicher, dass der Kulturausschuss mehr als jeder andere Akteur konfliktbehaftete Beziehungspaarungen (rote Linien/Kanten) und zudem keine ausgesprochen positiven Kommunikationsverbindungen aufweist. Gleichwohl erscheint der Kulturausschuss neben dem Kulturbüro und der Kulturdezernentin als zentraler Ak-

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

teur, verfügt aber offenbar über keine oder nur geringe – im Sinne von nur geringfügiger Intensität – Kommunikations- und Informationsbeziehung zu den Akteuren Kulturträger, Theatervereine, freischaffende Künstler. Dafür sind die Beziehungspaare zu den öffentlichen Kultureinrichtungen (Musikschule, Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH) und besonders zur Kulturverwaltung umso intensiver. Dieser Befund steht zweifelsohne in Abhängigkeit zur institutionellen bzw. normativen Gebundenheit zwischen der öffentlichen Verwaltung und den kommunalpolitischen Gremien. Das weitgehende Fehlen von Kommunikations- und Tauschbeziehungen zwischen dem Kulturausschuss und den vorgenannten kulturschaffenden Akteuren ist dennoch bemerkenswert. Denn kaum eine andere kommunalpolitische Policy wie die der (Hoch)-Kultur eignet sich so gut zur Repräsentation und öffentlichen Sichtbarkeit für Kommunalpolitiker.32 Zweitens: Das kulturpolitische Netzwerk zeugt von einer Trennung zwischen einer breiten Basis und einer kleinen Kerngruppe von Akteuren. Die Zahl der Beziehungskonstellationen mit geringer Intensität ist um gut das Sechsfache häufiger angegeben worden. Hieraus kann zunächst nicht abgeleitet werden, dass die breite Masse der Akteure keinen thematischen oder machtpolitischen Zugang zu den Akteuren der vorgenannten Kerngruppe hat. Es zeigt nur auf, zwischen welchen Akteuren die Verbindungen besonders intensiv ausgestaltet sind, ohne dabei aber etwas über die Qualität der Beziehungen zu verraten. Als Basis setzen sich die Akteure, die nur in geringer Intensität untereinander und auch zur Kerngruppe Beziehungen unterhalten, hauptsächlich aus den Kulturvereinen, Kulturschaffenden und weiteren Akteuren der lokalen Kulturszene zusammen. Die Vielzahl der Beziehungskonstellationen offenbart eine breite Basis von Akteuren, die sich in vielfältiger Weise mit Kultur gestalterisch und organisatorisch befassen – die sogenannten Kulturschaffenden. Jedoch haben diese als Einzelne weniger Zugang zur Kerngruppe. Entsprechend illustriert das Gesamtschaubild des Netzwerks (Abb.  5.10) die Komplexität der Struktur von Kulturpolitik auf kommunaler Ebene und die breite Basis der Akteure, die von den Befragten als Teil des kulturpolitischen Systems betrachtet werden. Um im Gesamt-Netzwerk Gewichtungen vornehmen zu können, die Rückschlüsse auf den Einfluss in Form von Macht und Prestige zulassen, sind von den Befragten globale Einflusswerte vergeben worden. Diese Einflusswerte rücken die Stellung jedes Akteurs in den Fokus. Als dritte Ausprägung der NetMaps, neben der Anordnung der Akteure und ihren Beziehungen, geben sie Auskunft über die Macht- und Prestigesituation auf das gesamte Netzwerk und nicht nur auf die mit ihm in Beziehungen stehenden Akteure. 32 | Vgl. dazu die Aussagen der Experten über den Stellenwert von Kulturpolitik in Kapitel 4.2.4

193

Kommunale Kulturpolitik

Bevor diese Dimension im nächsten Unterkapitel näher betrachtet wird, kommt eine andere Maßzahl zur Anwendung, die ebenfalls die Stellung eines Akteurs im Gesamt-Netzwerk anzeigt, jedoch aus der Einflechtung in der Beziehungsstruktur hervorgeht, wie die Tabelle  5.3 zeigt. Das Zentralitätsmaß berechnet sich aus dem Grad der Verbundenheit (degree-centrality) und gibt das Verhältnis des Akteurs zu allen anderen Akteuren an (all-degree). Da es sich im Fall des erhobenen kulturpolitischen Netzwerks um ein ungerichtetes handelt, wird die Zentralität aus der Summe aller direkten Beziehungen (eingehende/in-degree plus ausgehende/out-degree), die ein Akteur aufweist, ermittelt.33 Die beiden Teilwerte dieser Zentralitätsberechnung sind der out- und der in-degree, welche selbst eine indizierende Funktion haben. Die von einem Akteur ausgehenden Beziehungslinien (Kanten) sind dabei ein Indikator für die Macht, die damit für einen Akteur berechnet werden kann (out-degree). Und die bei einem Akteur eingehenden Beziehungslinien (Kanten) sind ein Indikator für dessen Prestige (in-degree). Je höher die beiden Maßzahlen bei einem Akteur auf der standardisierten Skala von 0 bis 1 liegen, desto höher kann die Macht bzw. das Prestige des Akteurs gesehen werden. Die Maßzahlen ergeben sich ähnlich wie bei der Berechnung der Netzwerkdichte. Die Ergebnisse dieser quantitativen Auswertung der Soziomatrix für das kulturpolitische Gesamt-Netzwerk zeigt Tabelle 5.3.

Macht im GesamtNetzwerk (out-degree)

Prestige im GesamtNetzwerk (in-degree)

Macht kum. Net-Maps (out-degree)

Prestige kum. Net-Maps (in-degree)

Tabelle 5.3: Standardisierte degree-Werte im Netzwerk nach Zentralität

koprorativ

Kulturbüro

0,5227

0,4318

0,4545

0,1061

0,1212

Club

Kulturausschuss

0,4773

0,3864

0,4091

0,1465

0,1465

einzel

Leitung Kulturbüro

0,4773

0,3864

0,4091

0,1111

0,1010

einzel

Leitung Musikschule

0,4318

0,3636

0,3636

0,0934

0,0934

einzel

Oberbürgermeister

0,4091

0,3182

0,3409

0,0934

0,0808

einzel

Kulturdezernentin

0,3864

0,3182

0,3182

0,1136

0,1162

einzel

Ltg. Räume Organisation

0,3864

0,2727

0,3182

0,0606

0,0707

korporativ

Musikschule Norderst.

0,3864

0,2727

0,3182

0,0606

0,0783

aggregiert

Medien

0,3636

0,4318

0,2955

0,0934

0,0455

einzel

Geschäftsf. MeNo GmbH

0,2955

0,1818

0,2273

0,0606

0,0606

Akteurtyp

Akteur

33 | Vgl. Jansen 2006, S. 132f.

Zentralität (all-degree)

194

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts aggregiert

Kulturnutzer

0,2727

0,1818

0,2045

0,0278

0,0328

Bewegung

Kulturträger

0,2727

0,1818

0,2045

0,0404

0,0455

korporativ

MeNo GmbH

0,2727

0,1818

0,2045

0,0455

0,0455

aggregiert

Kulturveranstalter, priv.

0,2500

0,1818

0,1818

0,0354

0,0328

einzel

Mitarb. Kulturbüro

0,2273

0,1591

0,1591

0,0429

0,0354

einzel

Experte A1, KA-Mitglied

0,2273

0,1136

0,1591

0,0227

0,0354

aggregiert

Kulturpreisträger

0,2045

0,1364

0,1364

0,0152

0,0152

aggregiert

Kulturschaffende

0,2045

0,1364

0,1364

0,0177

0,0177

Verband

Kulturstiftung Nord.

0,2045

0,1364

0,1364

0,0328

0,0303

einzel

Experte A2 KA-Mitglied

0,1818

0,0682

0,1136

0,0152

0,0227

Verband

Musikverein Norderst.

0,1818

0,0682

0,1136

0,0152

0,0303

einzel

Kulturpreisträgerin C. H-B

0,1591

0,0682

0,0909

0,0101

0,0126

Verband

MaLiMu Kulturverein

0,1591

0,0227

0,0909

0,0051

0,0177

korporativ

Stadtmuseum

0,1591

0,0455

0,0000

0,0051

0,0126

einzel

Stadtpräsidentin

0,1591

0,0909

0,0909

0,0177

0,0177

aggregiert

Einzelakteure (sonst.)

0,1364

0,0682

0,0682

0,0152

0,0152

korporativ

Kindergärten

0,1364

0,0682

0,0682

0,0152

0,0152

korporativ

Kirchen

0,1364

0,0682

0,0682

0,0152

0,0152

Verband

Lions Clubs

0,1364

0,0227

0,0682

0,0025

0,0101

Koalition

Malstudio Norderstedt

0,1364

0,0455

0,0682

0,0076

0,0126

Verband

Music-Werkstatt e. V.

0,1364

0,0682

0,0682

0,0152

0,0202

aggregiert

Musikschüler

0,1364

0,0682

0,0682

0,0152

0,0152

Verband

Nord. Amateur-Theater

0,1364

0,0455

0,0682

0,0051

0,0101

korporativ

Schulen

0,1364

0,0682

0,0682

0,0152

0,0152

aggregiert

Theatervereine

0,1364

0,0682

0,0682

0,0101

0,0152

Verband

Rotary Club

0,1136

0,0455

0,0455

0,0076

0,0076

Club

Stadtvertretung

0,1136

0,0455

0,0455

0,0101

0,0101

Verband

Chaverim e. V.

0,0909

0,0227

0,0227

0,0051

0,0051

einzel

ehem. KA-Mtg., FDP

0,0909

0,4091

0,0227

0,0455

0,0025

einzel

Leitung Musiktheater

0,0909

0,0227

0,0227

0,0051

0,0051

einzel

Mitarb. Stadtmuseum

0,0909

0,0227

0,0227

0,0025

0,0025

korporativ

Nord. Sinfonieorchester

0,0909

0,0227

0,0227

0,0025

0,0025

Verband

Stichling e.V.

0,0909

0,0227

0,0227

0,0025

0,0051

Verband

Theater PUR

0,0909

0,0227

0,0227

0,0025

0,0025

aggregiert

Sponsoren

0,0682

0,0000

0,0000

0,0000

0,0000

195

196

Kommunale Kulturpolitik

5.4 G lobale E influsswerte der A k teure auf das kulturpolitische N e t z werk Die Auswertung der Einzel-Net-Maps führt zu einem einzigen, das kulturpolitische Netzwerk aufzeigendem Netzwerkschaubild. Die Auswertung und Analyse umfasst verschiedene Instrumente, mit denen akteur- sowie netzwerkbezogene Maßzahlen berechnet werden können. Am Anfang stehen die Auflistung aller genannten Akteure und die Zuordnung der vom jeweiligen Befragten vergebenen Einflusswerte. Diese Einflusswerte sind zunächst ein akteurbezogener Indikator für Macht oder Prestige, geben aber auch Hinweise zur Beurteilung der Zentralität im Netzwerk. Da ein Netzwerk aus der Sicht der befragten Experten von der Perspektive und subjektiven Sichtweise sowie der unterschiedlichen Arbeits- und Wirkungsbereiche in Abhängigkeit steht, sind nicht von jedem Befragten alle genannten Akteure auf den Einzel-NetMaps vertreten. Somit ist auch nicht jedem genannten Akteur von jedem Befragten ein Einflusswert vergeben worden. Mit Ausnahme des Akteurs Kulturausschuss trifft dieser Umstand auf alle Akteure zu. Darüber hinaus sind derartige Abhängigkeiten jene Variablen, die bei der qualitativen Beurteilung des Netzwerks und seiner Akteure zu berücksichtigen sind. Da die Daten über das Netzwerk durch die Erstellung der Net-Maps im Rahmen der Experteninterviews eine selbstreferentielle Methode ist, ist dies eine methodologische Immanenz des Erhebungsinstruments. Das Ergebnis der Erhebung ergibt daher, dass auch nicht von jedem Befragten ein Einflusswert jedem genannten Akteur vergeben worden ist. Diese unvollständig erscheinenden Datenreihen ergeben sich durch das Zusammenführen der Daten von den Einzel-Net-Maps. Die Lücken, die durch das Nicht-Nennen von Akteuren durch die Befragten entstehen, haben jedoch ihren eigenen Wert in Form eben jener Nichtnennung und sind damit nicht unvollständig. Denn die nicht genannten Akteure wurden von den Befragten nicht explizit ausgeschlossen. Auf Basis der Frage, welche der genannten Akteure eine wichtige Rolle im kulturpolitischen Netzwerk spielen, kann das Nicht-Nennen von Akteuren jedoch durchaus als geringer oder nicht relevanter Status des jeweiligen Akteurs interpretiert werden. Diese Situation führt dazu, dass in der Auswertung die Lücken als Werte gleich null gesetzt werden und in die Berechnungen einfließen, da sonst Verzerrungen auftreten würden. In dieser Folge ergibt sich die Übersicht über die Häufigkeiten der Nennungen und im Verhältnis zu den Einflusswerten (Tab. 5.4). Da die Hälfte aller genannten Akteure (23 von 45) nur von je einem Befragten auf den Net-Maps angeordnet wurde, sind diese Akteure als nachrangig für die Erstellung der Netzwerkkarte behandelt worden und aus der Tabelle ausgeblendet.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

Tabelle 5.4: Globale Einflusswerte der Akteure auf das kulturpolitische Netzwerk nach Anzahl der Nennungen34 Akteur

Akteurtyp

Einfluss kum.

Einfluss stand.

Nennung

Kulturausschuss

Club

56

0,622

9

Oberbürgermeister

Einzelakteur

52

0,578

7

Kulturdezernentin

Einzelakteur

45

0,500

7

Leitung Musikschule

Einzelakteur

33

0,367

5

Kulturbüro

korporativ

31

0,344

5

Leitung Kulturbüro

Einzelakteur

29

0,322

4

Kulturträger

Soz. Bewegung

28

0,311

5

Geschäftsführung MeNo GmbH

Einzelakteur

25

0,278

4

Musikschule Norderstedt

korporativ

22

0,244

4

Experte A2, Kulturausschuss-Mtg.

Einzelakteur

21

0,233

4

Kulturstiftung Norderstedt

Verband

18

0,200

4

Kulturnutzer

aggreg. Einzelakt.

18

0,200

2

Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH

korporativ

17

0,189

3

Medien

aggregiert

16

0,178

3

Musikverein Norderstedt

Verband

11

0,122

4

Leitung Räume & Organisation

Einzelakteur

10

0,111

2

Stadtmuseum

korporativ

9

0,100

2

Stadtvertretung

Club

9

0,100

1

Kulturveranstalter, privatwirt.

aggreg. Akteure

7

0,078

2

Expert A2, Kulturausschuss-Mtg.

Einzelakteur

7

0,078

1

Mitarbeiterin Kulturbüro

Einzelakteur

7

0,078

1

Stadtpräsidentin

Einzelakteur

6

0,067

2

Mitarbeiterin Stadtmuseum

Einzelakteur

6

0,067

1

Leitung Musiktheaterakademie

Einzelakteur

5

0,056

2

Music-Werkstatt e.V.

Einzelakteur

5

0,056

2

Norderstedter Amateur-Theater

Verband

5

0,056

2

ehem. Kulturausschuss-Mtg., FDP

Einzelakteur

5

0,056

1

Kulturpreisträgerin Heise-Batt

Einzelakteur

5

0,056

1

Kulturschaffende/freie Künstler

aggreg. Einzelakt.

5

0,056

1

Lions Clubs

Verband

5

0,056

1

Musikschüler

aggreg. Einzelakt.

5

0,056

1

34 | Der kumulierte Einflusswert wird durch die Summe der Einzel-Net-Maps (9) dividiert. Die Nichtnennung eines Akteurs durch einen Befragten wird so berücksichtigt.

197

198

Kommunale Kulturpolitik

Somit stehen in der Tabelle 5.4 nur diejenigen Akteure, die einen standardisierten Einflusswert von mindestens 0,05 aufweisen. Die Standardisierung des Einflusswertes erfolgte durch Ermittlung des kumulierten Einflusswertes, dividiert durch den maximal möglichen Einflusswert. Der kumulierte Wert ergibt sich aus der Summe der vergebenen Einflusswerte durch die neun Befragten, die einen Maximalwert von 10 an jeden Akteur vergeben konnten. Theoretisch hätte ein Akteur daher den kumulierten Einflusswert 90 erhalten können, was jedoch äußerst unwahrscheinlich ist und im Falle des Auftretens auf eine absolute Machtposition gedeutet hätte. Durch den zugeschriebenen Einfluss wird deutlich, dass die Strukturen und Prozesse nicht zwingend von einer direkten, beständigen Akteurbeziehung abhängig sein müssen. Ein Hinweis darauf lässt sich am Akteur des Oberbürgermeisters erkennen. Dieser wurde von den Befragten am häufigsten ohne bzw. mit nur sehr wenigen Verbindungslinien zu anderen Akteuren angegeben. Und dennoch wird ihm von der Gesamtheit der Befragten – mitunter naturgemäß qua Amt und damit dem hierarchischen Charakter der Kommunalverwaltung Rechnung tragend – ein vergleichsweise hoher Einflusswert zugeschrieben. Der standardisierte Wert liegt zwar nur bei 0,578 – was einen überdurchschnittlichen Einfluss im Gesamt-Netzwerk bedeutet – dieser ist aber der zweithöchste aller Werte knapp hinter dem des Kulturausschusses (0,622). Die oben erwähnte Auffälligkeit, dass der Oberbürgermeister nicht von jedem Befragten genannt wurde, lässt das Bild eines zum Teil im Hintergrund agierenden, jedoch mit vergleichsweise hohem Einfluss eingeschätzten Akteurs ableiten. Bei der Analyse der Net-Maps ergaben sich auch Hinweise auf qualitative Einflüsse. So haben die Befragten bei der Bezeichnung der von ihnen genannten Akteure offenbar eine bestimmte Sichtweise. Ein Teil der Befragten nannte beispielsweise die Akteure Kulturbüro Norderstedt, Musikschule Norderstedt und die Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH bei deren institutionellen Namen. Der andere Teil der Befragten benannte diese Akteure nicht, dafür aber jeweils ihre Leiterinnen, Leiter bzw. Geschäftsführer. Hier ist davon auszugehen, dass die Bezeichnungen synonymisch verwendet werden. Die Leitungspersonen werden offenbar als Stellvertreter der jeweiligen Einrichtung oder Organisationseinheit angesehen, welche die Befragten als die im Wesentlichen nach außen Handelnden wahrnehmen. Betrachtet man die Wirkungsrichtung der Beziehungslinien der drei korporativen Akteure (Kulturbüro, Musikschule, Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH) und der drei Einzelakteure (Leitung Kulturbüro, Leitung Musikschule und Geschäftsführung der Mehrzwecksäle Norderstedt GmbH) näher, so zeigen diese klar auf, dass diese Einzelakteure aktive Beziehungen zu anderen Akteuren pflegen. Deren korporative Akteure hingegen sind in ihren Beziehungen passiver und damit eher reagierende und weniger agierende Akteure des kulturpolitischen Systems. Dies belegt so-

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

wohl die hierarchische Betrachtungsweise der Akteure im Sinne von Scharpfs Akteurtypen, und legt auch die Annahme zugrunde, dass kulturpolitisches Handeln wesentlich von Einzelakteuren ausgeht. Diese stehen in der Regel bestimmten Einrichtungen und Vereinen sowie Parteien und anderen politischen und verwaltenden Organisationseinheiten vor. Dies belegen auch die zugeschriebenen Einflusswerte und die Häufigkeit der Nennungen durch die Befragten. So findet sich das Leitungspersonal in der Rangfolge der Akteure mit dem größten Einfluss vor den Platzierungen der Einrichtungen, denen diese vorstehen (Vgl. Tab. 5.4). Damit wird ihnen als Einzelakteuren ein höherer Einfluss zugeschrieben, als den Einrichtungen in ihrer Gesamtheit. Es deutet ebenfalls auf eine top-down-Sicht und -Handlungsweise der Akteure hin, dass die anderen Mitarbeiter der genannten Einrichtungen nur selten von den Befragten genannt wurden. Auffällig dabei ist auch, dass die mehrheitliche Nennung von Einzelakteuren durch die aktiven Kulturpolitiker, welche Mitglieder des Kulturausschusses sind, getätigt wird. Die Leitungspersonen der städtischen Kulturabteilungen sowie Dritte (z. B. die Kulturträger), die in gewissen Abhängigkeiten zur Kulturverwaltung stehen, benennen diese als Organisationseinheiten, jedoch nicht deren Führungspersonen, also eben keine Einzelakteure. Dieser Befund deckt sich mit den Eindrücken aus den Experteninterviews. Die befragten Mitglieder des Kulturausschusses (A1 –A6) scheuten nicht, konkrete Namen von Einzelakteuren zu nennen, die ihnen auf Fragen nach wichtigen kulturpolitischen Akteuren und deren Einfluss sowie Teilnahme an Projekten und Vorgängen einfielen. Verantwortliche Befragte der Kulturverwaltung hingegen gaben fast ausschließlich komplexe (kollektive und korporative) und aggregierte Akteure wie den Kulturausschuss, die Kulturpolitiker, die Kulturverwaltung oder die Kulturträger an, hinter denen sich bis zu viele Hundert Einzelpersonen etwa in Form von Vereinsmitgliedern finden lassen. Tabelle 5.5: Einflusswerte der Akteurtypen Anzahl

in %

häufigste Einflusswerte

Einzelakteur (z. B. eine Leitungsperson)

16

36

5; 6

Akteurtyp

kollektiver Akteur (z. B. ein Verein)

15

33

5

korporativer Akteur (z. B. Musikschule)

5

11

3; 4; 5; 6; 7

aggregierter Akteur (z. B. die Kulturnutzer)

9

20

5

Gesamt / % / Durchschnitt

45

100

5,25

Entsprechend der Tabelle 5.5 stehen die Einzelakteure in der Wahrnehmung der Befragten mit an erster Stelle in der kulturpolitischen Wahrnehmbarkeit und Relevanz für das Netzwerk, dicht gefolgt von den kollektiven Akteuren.

199

200

Kommunale Kulturpolitik

Dennoch sind hier auf den ersten Blick keine wesentlichen Unterscheidungen bei der Bewertung des Einflusses zu erkennen. Zusammen stellen die 16 Einzelakteure und die 15 kollektiven Akteure gut zwei Drittel aller genannten Akteure, sodass die korporativen und aggregierten Akteure nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Betrachtung des Einflusses, den die Befragten den jeweiligen Akteurtypen zuschreiben, führt zum Blick auf die Akteurtypen und ihre Anteile an den gruppierten Einflussgrößen. Tabelle 5.6: Anteil der Akteurtypen an den gruppierten Einflusskategorien Akteurtypen Einflusskategorien grupp. geringer Einfluss

Einz.

%

koll.

%

korp.

%

aggreg.

%

4

9

13

37

4

19

2

29

mittlerer Einfluss

22

51

16

46

12

57

3

43

hoher Einfluss

17

40

6

17

5

24

2

29

kumuliert

43

100

35

100

21

100

7

100

Die Tabelle 5.6 verdeutlicht: Bei allen Akteurtypen ist der Anteil mit mittlerem Einfluss am höchsten. Bei den Einzelakteuren und den korporativen Akteuren ist danach der Anteil mit hohem Einflusses größer als mit geringem Einfluss. Dies verhält sich bei den kollektiven Akteuren andersherum, obwohl mit den Kulturvereinen und dem Kulturausschuss als Teil der Stadtvertretung zu diesen wesentliche institutionelle Akteure des kulturpolitischen Systems zählen. Mit ihren zum Teil deutlich größeren Zahlen inkludierbarer Einzelpersonen bzw. Mitglieder sind die aggregierten Akteure nur von geringem Einfluss, was auch die nächste Tabelle zeigt. Diese Werte bestätigen das angedeutete Bild der Fokussierung auf Einzelakteure und damit der höheren Einflusszuschreibungen auf das kulturpolitische Netzwerk. Tabelle 5.7: Akteurtypen nach gruppierten Einflusskategorien Einflusskategorien gruppiert Akteurtypen

hoch

%

mittel

%

gering

%

Einzelakteure

17

57

22

42

4

17

kollektive Akteure

6

20

16

30

13

57

korporative Akteure

5

17

12

23

4

17

aggregierte Akteure

2

7

3

6

2

9

kumuliert

30

100

53

100

23

100

An allen Einflusskategorien haben die Einzelakteure den größten Anteil. So entfallen 57% der hohen Einflusswerte auf Einzelakteure, ein Fünftel auf kollektive und 17% auf korporative und nur 7% auf aggregierte Akteure. An den

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

mittleren Einflusswerten haben ebenfalls die Einzelakteure den höchsten Anteil von 42%. Die komplexen Akteurtypen (kollektive und korporative) legen in der Einflusskategorie jedoch zu. Hier zeigt sich, je komplexer ein Akteur aggregiert ist, desto geringer scheint dessen Einfluss auf das kulturpolitische Netzwerk zu sein. So sind Akteure mit geringem bis mäßigem Einfluss mehr unter aggregierten aber auch den kollektiven Akteuren zu finden, wie die nachstehende Abbildung zeigt. Abbildung 5.15: Häufigkeiten und Verhältnisse der Einflusswerte nach Akteurtypen

Bei den korporativen Akteuren ist der Anteil an dieser Einflusskategorie jedoch deutlich geringer. Somit besteht ein Zusammenhang zwischen der Komple-

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202

Kommunale Kulturpolitik

xität im Sinne von personeller Größe und Erkennbarkeit eines Akteurs und dessen Einflussgröße auf das Netzwerk. Entsprechend der Verteilung ist also festzustellen, dass der wahrgenommene Einfluss von Akteuren zum einen von ihrer Komplexität und von der Identifizierbarkeit abhängt. An dieser Stelle kommt der synonymische Charakter bei der Benennung bzw. Bezeichnung von Akteuren wieder zum Tragen. Wenn die genannten Akteure Leitungspersonen sind, können sie von den Befragten als pars pro toto eines komplexen Akteurs verstanden werden und damit die entsprechende Kultureinrichtung oder -organisation in Gesamtheit meinen. Umgekehrt können aber auch die Leitungspersonen bei der Benennung eines komplexen Akteurs gemeint sein, ohne dass der Befragte sie explizit als Einzelakteur verstanden wissen oder genannt haben will. Gerade bei jenen befragten Experten, die sich in ihren Aussagen ungern durch die Nennung von Einzelpersonennamen festlegen möchten, entsteht der Eindruck, dass der komplexe Akteur stellvertretend für den tatsächlichen (Einzel-)Akteur genannt wird. Diesen maßzahlbasierten Erkenntnissen ist eine weitere Erklärung hinzuzufügen. Als Teil der komplexen Akteure ist den korporativen Akteuren eigen, dass sie sich durch eine höhere Hierarchisierung in ihrer Struktur auszeichnen, als die kollektiven Akteure. Dadurch fällt es den korporativen Akteuren offenbar leichter, einen insgesamt höheren Einfluss zu erreichen. Der Unterschied im Einfluss dieser beiden Akteurtypen liegt im Fall des kulturpolitischen Netzwerks Norderstedts auch in den institutionell-fiskalischen Abhängigkeiten der Kulturträger (kollektive Akteure) als Empfänger von Kulturfördermitteln von der Kulturverwaltung (korporative Akteure) als Fördermittelgeber. Die institutionellen Abhängigkeiten müssen also stets bei der Bewertung von Einflusswerten miteinbezogen werden.

5.5 F a zit Das Netzwerk wird organisiert von einer kleinen Kerngruppe aus Einzel- und kollektiven Akteuren sowie den korporativen Akteuren Kulturbüro und Musikschule. Für die kollektiven wie korporativen Akteure treten dabei die jeweiligen Leitungspersonen in Erscheinung und stehen damit stellvertretend oder repräsentativ für den jeweiligen Akteur, als welcher sie von den Experten genannt werden. Der erweiterte Kreis von Akteuren im Netzwerk weist bei den direkten Beziehungen zwar keine hoch ausgeprägten Intensitäten zur Kerngruppe des Netzwerks auf, dafür haben sie untereinander eine Vielzahl von Beziehungen. Folglich sind sie auf Akteure der Kerngruppe zur Vermittlung oder Erreichung von Wissen und Ressourcen Dritter wenig angewiesen, da sie zumeist selbst über die Zugänge zu dritten Akteuren verfügen.

Das kulturpolitische Net zwerk Norderstedts

In einer kleinen Zahl von Fällen sind die angeordneten Akteure mit keinem anderen Akteur durch eine Verbindungslinie verknüpft worden. Dennoch werden diese Akteure als Teil des Netzwerks als relevant angesehen. Somit werden bestimmte Akteure zwar zum Netzwerk gezählt, aber ohne direkte Beziehungen als unabhängig oder separiert wahrgenommen. Damit ergeben sich zwei Dimensionen der Eingebundenheit der Akteure. Jene, die eine Beziehung zueinander von einer grundlegenden Beständigkeit aufzeigen und jene, denen dieses Merkmal nicht zugeschrieben wird und dennoch Einfluss auf das Netzwerk haben. Dazu ist hier das Beispiel des Oberbürgermeisters zu nennen, der als Einzelakteur ohne eine Kante zu einem anderen Akteur auf der Net-Map eines Kulturausschussmitgliedes aber zugleich mit dem Einflusswert neun versehen ist.35

35 | Vgl. Net-Map von Experte A5 (Abb. 5.7).

203

6 Schlussbetrachtungen Mit diesen Schlussbetrachtungen sollen eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse und Erkenntnisse (Kap.  6.1), ein methodologischer Ausblick zu den mikropolitologischen Ansätzen (6.2) und eine kurze Einordnung zur Situation kommunaler Kulturpolitik (6.3) gegeben werden.

6.1 F a zit zur F orschungsarbeit Die Mikroebene von Politik zu erforschen, öffnet den Zugang zu Erkenntnisbereichen, die von der Meso- und Makroebene aus nicht zu erreichen sind. Die mikropolitologischen Kernelemente der beobachtenden Teilnahme und der partizipativen Erhebung von Netzwerkstrukturen ermöglichen in ihrer Kombination die Erfassung von Eingespieltheiten der Politics und die Analyse von Policy-Netzwerken. Kleinteilige Zusammenhänge mikropolitologischer Prozesse sind dabei keineswegs nur Ansammlungen von Zufälligkeiten oder unbedeutenden Nuancen der Politics. Dadurch dass teilnehmende und partizipative Zugänge zur Untersuchung gewählt werden, können die Politics auf Regelmäßigkeiten, Wiederholungen und Verstetigungen hin untersucht werden. Daraus ergeben sich Hinweise auf Institutionalisierungen, die das prozessuale Ergebnis von Politics sein können. Dabei ist der Gedanke zu verfolgen, ob sich policy-spezifische Formen feststellen lassen, die prägend für die Politics sind. Teilnahme – beobachtend durch den Autor – und Partizipation – durch die Akteure als Experten – sind hierzu die instrumentellen Kernelemente des Forschungsdesigns. Diese Elemente ermöglichen es erst, Zugang zu einer Föderalebene und gleichzeitig zu einer Policy zu erlangen, die beide wenig wissenschaftliche Beachtung finden. Durch diese Untersuchung hat sich gezeigt, dass der hier untersuchten Policy kommunaler Kultur und ihrer Akteure selbst, wenig Aufmerksamkeit von Dritten zuteil wird. Kommunale Kulturpolitik – wie auch Landeskulturpolitik – wird zuvorderst an fiskalischen Werten gemessen, von denen eine vermeintliche Bedeutung abgeleitet wird. Da der Etat für Kultur prozentual gering ist, entsteht die Wahrnehmung, dass es in der Kulturpolitik um nichts gehen würde. Diese Ableitung aus der Höhe von

206

Kommunale Kulturpolitik

Kulturausgaben wirkt sich nicht nur auf den empfundenen und zugeschriebenen Rang von Kulturpolitik im Politikfeldvergleich aus. Auch Implikationen sowohl für die Weite des Kulturbegriffs als auch für die konkreten Inhalte, Programme, Agenden, etc. von Kulturpolitik können festgestellt werden. Dies zeigen die aus den Experteninterviews gewonnenen Hinweise auf die Begriffsbildung von Kulturpolitik und die Aufgaben und Themen, mit denen sich Kulturpolitik befasst. Im Fallbeispiel Norderstedts lässt sich zwar eine breite Varietät kulturbegrifflicher Zuschreibungen erkennen, Auswirkungen auf die Gestaltung der Policy Kultur hat das jedoch nicht. Selbstredend sind die haushalterischen Möglichkeiten für Kulturpolitik und -förderung begrenzt. Doch die Variationsbreite des Kulturbegriffs wird auf die kulturpolitische Gestaltung nicht antizipiert. In Norderstedt, einer Stadt, die mit vergleichsweise hohen Steuereinnahmen sogar den Bau eines neuen Veranstaltungshauses (Kulturwerk am See) für die Kulturvereine nebst Musikschulgebäude aus eigener Kraft realisieren konnte, wäre eine weiter gefasste Form von Kulturpolitik durchaus vorstellbar. Dies belegen die von den Experten geäußerten Vorstellung von dem, wie Kulturpolitik sein könnte: Mehr Gestaltungswillen durch die Kulturpolitiker und ein breiterer kulturpolitischer Dialog auch mit Dritten. Die erhobene Konstitution des kulturpolitischen Netzwerks zeugt jedoch von einer hohen Dichte unter den zentralen Akteuren, die diese Konstellation im Konsens zu erhalten wissen. Die Beziehungen im Netzwerk sind nicht frei von Problemen, diese liegen jedoch nur im Bereich der kulturpolitischen Implementation, also wenn es um Räumlichkeiten für Veranstaltungen, Ressourcen und finanzielle Förderungen geht. Zudem ist mit dem Förderinstrument der anerkannten Kulturträger ein quasi-institutionelles Fördersystem vorhanden, dass zumindest so viel Absicherung bietet, dass an ein Auf brechen dieser Strukturen zugunsten eines grundlegenden Diskurses über die Zukunft von Kultur und Kulturpolitik nicht gedacht wird. Die Kulturvereine erhalten als anerkannte Kulturträger bis zu 75.000 Euro jährliche Zuwendung aus der Stadtkasse. Eine Weiterentwicklung von kommunaler Kulturpolitik setzt aber einen Diskurs darüber voraus, was Kulturpolitik sein soll oder vielleicht auch nicht mehr sein soll. Dazu ist zunächst der Frage nachgegangen worden, als was Kulturpolitik bezeichnet, wahrgenommen und durchgeführt wird. Hier zeigt sich, dass auch unter Berücksichtigung der Variationsbreite des Kulturbegriffs ein enges Verständnis von Kultur in Bezug auf dessen Policy besteht. Die zentralen Aufgaben und Bemühungen bestehen, was unter anderem die beiden Exkurse und die gestellten Anforderungen an bzw. Aufgaben von Kulturpolitik zeigen, in der Schaffung von Rahmenbedingungen, der Bereitstellung von Ressourcen und die Ermöglichung von kreativer Entfaltung unter Betonung einer weitgehenden Nichteinmischung – kurz: öffentliche Kulturförderung. Letzteres ist vor dem Hintergrund des Grundgesetzes und Geschichte deutscher Po-

Schlussbetrachtungen

litik unbestreitbar nachzuvollziehen. Die Grundhaltung aus dem Verständnis von Kulturpolitik als Kulturförderung und dem Geschichtsbewusstsein führen aber offenbar zu einer gewissen Selbstbeschränkung darin, Kulturpolitik als aktives Aufgabenfeld zur Gestaltung von gesellschaftlichen Aufgaben und Selbstverständnis eines demokratischen Gemeinwesens aufzufassen. Die weiterführende Frage galt den Akteuren des kulturpolitischen Systems. Wer sind die zentralen Akteure und in welchen Konstellationen gestalten sie die Policy Kultur? Das Netzwerk, welches die Akteure gebildet haben, ergibt sich aus dem Kulturpolitik-Verständnis der zentralen Akteure und diese verleihen ihm damit Konstanz. Die Kerngruppe des Netzwerks bestimmt dabei den Verlauf der Politics. Sie verhandelt die auf der Agenda stehenden kulturpolitischen Themen weitgehend unter sich. In den Dialog mit den Empfängern tritt der Akteur Kulturausschuss kaum. Auch die Kulturvereine zeigen wenig Interesse am kulturpolitischen Geschehen, ihr Vertrauen gilt ihrem Ansprechpartner für Ressourcen und Förderung: der Kulturverwaltung. Die Ausschusssitzungen werden nicht besucht und informelle Kontakte finden nur bei Gelegenheit auf Veranstaltungen statt. Diese sich im Policy-Vergleich oft bietenden Kontaktmöglichkeiten werden von den Akteuren jedoch nur eingeschränkt genutzt. Auf diese passive Ausrichtung in der Kommunikation zwischen Kulturpolitikern und Kulturschaffenden weisen sowohl die Aussagen in den Experteninterviews als auch die Beziehungskonstellationen der Net-Maps hin. Kommunikationsbeziehungen, seien sie zuweilen auch konfliktbehaftet, konnten fast ausschließlich zwischen den Kulturvereinen und der Kulturadministration und der Medien ermittelt werden. Doch auch hier finden, wie oben erwähnt, hauptsächlich Aushandlungen über Fragen der kulturpolitischen Politics statt. Grundsätzliches, das gesellschaftliche Fragestellungen wie Migration, Demografie oder Digitalisierung betrifft und damit Themen der Policy Kultur wären, kommt nicht oder nicht feststellbar zur Sprache. Dazu haben auch die Dokumentenanalysen gezeigt, mit welch hohem Anteil dieselben administrativen Themen regelmäßig wiederkehrend auf der Agenda stehen – und zudem auch, dass sie zu über 90 Prozent von der Urheberschaft der Verwaltung sind. Diese Passivität in der kulturpolitischen Gestaltung ist aber mit dafür verantwortlich, dass Kulturpolitik ein so geringer Stellenwert zuerkannt wird. Dabei haben die Möglichkeiten der Gestaltung, Reichweite und nicht zuletzt Repräsentation für die Akteure das Potential, der Policy Kultur zu mehr Geltung und Einfluss auf gesellschaftspolitische Diskurse zu verhelfen. Dies gelingt allenfalls im Bereich der sogenannten kulturellen Bildung. Am Beispiel der Musikschule soll dies hier kurz skizziert werden: Durch den Bildungsaspekt, mit dem sich die Musikschule unter anderen ihren Status und ihre Struktur legitimieren lässt, erfährt die Policy Kultur eine leichte Erhöhung ihrer Relevanz. Dabei überwiegt aber eindeutig der ästhetisch-erzieherische Aspekt, was

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208

Kommunale Kulturpolitik

jedoch bildungspolitisch nicht unproblematisch ist. Die Angebote der Musikschule Norderstedt in den allgemeinbildenden Schulen bereichern zwar die musische Bildung der Schüler, gleichzeitig kann dies aber von der Mangelsituation an Musiklehrkräften und damit Unterrichtsausfall ablenken. Dies wäre ein Thema, über das sich Kulturpolitik im Dialog mit Kulturschaffenden und den Kulturnutzern bzw. allen Bürgern auseinandersetzen könnte. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, dass Bildungspolitik – und damit die Frage der Unterrichtsversorgung – in den Zuständigkeitsbereich der Länder und nicht der Kommunen fällt.1 Das Verhältnis zwischen Musikunterricht durch die allgemeinbildenden Schulen und die Musikschulen zu diskutieren, könnte aber Konsequenzen für die konzeptionelle Gestaltung von Musikschule haben. Denn die Mangelsituation an Musikunterricht der Schulen führt ja gerade erst zu dem Gedanken, das Fehlen musischer Bildung mit den kommunalen Mitteln der Musikschule kompensieren zu wollen. Bleibt die Frage nach den Akteuren, die entsprechende Diskurse und Dialoge leitend führen, moderieren oder zumindest initiieren können. Im Fallbeispiel Norderstedt scheinen die Akteure der Kerngruppe dafür eher nicht infrage zu kommen, obwohl sie durch ihre zentrale Stellung mit einer entsprechenden Reichweite im Netzwerk ausgestattet sind. Eine Ausnahme bildet die Kulturdezernentin, die sich zudem mehr Gestaltungswillen durch die Kommunalpolitiker wünscht. Die Kombination des Forschungsdesigns liefert hier allerdings einen weiteren Hinweis. Der Oberbürgermeister ist im Kernnetzwerk direkt nur mit der Kulturdezernentin verbunden. Von den befragten Akteuren ist dieser Akteur gleichwohl als ein im Hintergrund agierender und mit wesentlichem Einfluss wahrgenommener kulturpolitischer Akteur beschrieben worden. Die Stellung auf den Net-Maps und die Einflusszuschreibungen belegen dies.2 Von den Kategorien Handlung, Ziel, Ressourcen und Entscheidung zur Einordnung von Akteuren nach Scharpf ausgehend ist dieser Akteur für die Formulierung einer Policy und bei der Steuerung der Politics sehr relevant. So wird er als Urheber des Kulturbetriebsprojekts Kulturwerk am See und der Landesgartenschau benannt. Damit vermag dieser Akteur im kulturpolitischen Netzwerk zu steuern, ohne zentral eingebunden zu sein. Die Netzwerkkartierung gibt dazu den Hinweis, welcher durch die dritte Dimension auf den Net-Maps, die globalen Einflusswerte, erst eindeutig wurde. Diese Netzwerk-Relevanz einzelner Akteure herauszuarbeiten ist besonders gut durch dieses spezifische Instrument möglich. Auf Basis der Akteurzentrierung erfordert das Vorhaben der Erforschung kommunaler Kulturpolitik, sowohl den Anforderungen der kommunalen Ebene als auch der spezifischen 1 | In Schleswig-Holstein sind keine verlässlichen Zahlen über den Unterrichtsausfall in den Fächer Musik, Kunst und Religion verfügbar. 2 | Vgl. Netzwerkschaubild der Kerngruppe in den Abbildungen 5.13 und 5.14.

Schlussbetrachtungen

Situation von Kulturpolitik gerecht zu werden. Dazu werden nachfolgend ein methodologischer Ausblick und eine Betrachtung zur Situation kommunaler Kulturpolitik gegeben.

6.2 M e thodologischer A usblick Die Erkenntnisse aus dieser Forschungsarbeit über kommunale Kulturpolitik sind Grundlagenforschung und zielen auf eine Weiterentwicklung ab, um kommunale Kulturpolitik nicht nur fallbezogen, sondern vergleichend erforschen zu können. Parallel zu der Arbeit an diesem Forschungsprojekt sind dem Autor zwei weitere Arbeiten bekannt geworden, die akteurzentriert Netzwerke und Systeme kommunaler und regionaler Kulturpolitik untersuchen. Robert Peper hat in der Modellregion Hildburghausen – Sonneberg die Netzwerkstrukturen und ihre weiße Flecken ermittelt.3 Michael Flohr untersucht Governance, Netzwerke und institutionelle Faktoren in der Kulturpolitik in Thüringen und Sachsen.4 Die Untersuchung kommunaler Kulturpolitik erfordert dazu spezifische Mixed-Method-Designs, welche es erlauben, politikwissenschaftliche Erkenntnisinteressen mit den Anforderungen des Untersuchungsbereichs zu vereinbaren. Drei Elemente stellen bei der vorliegenden Arbeit das Forschungsdesign. Die Akteurzentrierung nach Fritz Scharpf ist das Grundelement, welches durch die Mikro-Policy-Analyse nach Frank Nullmeier et al. ergänzt wird. Als methodische Elemente fußen darauf qualitativ-quantitative Netzwerkanalysen, bei der die Akteure als Experten partizipativ eingebunden sind. Quantitative Analysen von Dokumenten und Statistiken sowie eigene Primärdatenerhebungen komplettieren das Forschungsdesign. Diese Triangulation von Theorien und Ansätzen, Methoden und Instrumenten erlaubt es, den analytischen Anforderungen an einen weitgehend unerforschten Policybereich gerecht werden zu können. Gleichwohl ist es ein erster Versuch, den komplexen Gegenstandsbereich von Kulturpolitik auf kommunaler Ebene zu erforschen. Eine Diskussion und kritische Analyse des Vorhabens ist vonnöten, um das Forschungsinteresse an weiteren Gebietskörperschaften wie Städten und Gemeinden untersuchen zu können. Da diese jeweils andere Ausgestaltungen ihrer Kulturszene und des kulturpolitischen Systems aufweisen können, wäre die hier ausgearbeitete Konzeption einem weiteren Test zu unterziehen. 3 | Vgl. Peper 2014 und 2016. 4 | Vgl. wiss. Poster zum Dissertationsvorhaben von: Flohr, Michael: Governance, Netzwerke und institutionelle Faktoren in der regionalen Kulturpolitik in Thüringen und Sachsen, http://www.qualitative-forschung.de/methodentreffen/archiv/poster/poster_2015/3_Flohr.pdf, 2015.

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Kommunale Kulturpolitik

Die Fortführung als Forschungsprojekt zur kommunalen Kulturpolitik könnte dazu wie folgt aussehen. Ein geeignetes Fallbeispiel müsste nach Aufstellung von Kriterien zur Vergleichbarkeit mit dem ersten Fallbeispiel Norderstedt ausgewählt werden. Vorstellbar sind dazu zwei Richtungen: Zum einen ein weiteres Fallbeispiel mit ähnlichem Merkmalsprofil wie Norderstedt zu wählen. Grundlage zur Auswahl bieten unter anderem eine vergleichbare Einwohnerzahl und die Nähe zu einer Metropolregion. Dazu zählen Städte der Metropolregion Rhein-Ruhr wie Marl mit 83.000 und Velbert mit 80.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen oder die Städte Wilhelmshaven mit 75.000 und Delmenhorst mit 74.000 Einwohner in der niedersächsischen Metropolregion Bremen-Oldenburg. Aber auch ohne Metropolregionszugehörigkeit ist ein Test des Forschungsdesigns denkbar. So gibt es über 100 Mittelstädte ab 50.000 bis 100.000 Einwohner oder mehr als 600 Mittelstädte ab 20.000 Einwohner. An einer dieser Kommunen könnte das in dieser Arbeit getestete Forschungsdesign erneut angewendet werden, um Abweichungen und Übereinstimmungen der Policy Kultur zu ermitteln. Eine andere Möglichkeit wäre, anstelle der Vergleichbarkeit der Untersuchungsergebnisse auf einen Test des Methoden-Mixes an sich zu setzen. Dazu stünde dessen Anwendbarkeit unabhängig von der spezifischen Situation der Kommune im Fokus. Die Vergleichbarkeit gründet sich dann auf Basis der Polity, von deren Vergleichbarkeit innerhalb der kommunalen Ebene grundsätzlich ausgegangen wird. Die Existenz von normativen Elementen eines kulturpolitischen Systems in Form von Akteuren wie Kulturverwaltung/-amt, Kulturausschuss und Kulturvereine und/oder -betriebe wird vorausgesetzt. Wenn dies gegeben ist, lassen sich die Details der Methoden und Instrumente anhand der Analyse von Dokumenten (Auswertung der Sitzungsprotokolle), der Durchführung von Experteninterviews (Inhalte und Konzeption des Interview-Leitfadens) und der Erhebung von kulturstatistischen Daten testen. Das Ziel ist es dann, die Methoden und Instrumente auf Basis der grundsätzlichen Vergleichbarkeit von Kommunen zu überarbeiten, um sie verfeinert abzustimmen, damit ein handhabbares und dabei möglichst geringes Abstraktionsniveau für weitere Untersuchungen erreicht werden kann.

Schlussbetrachtungen

6.3 Z ur S ituation kommunaler K ulturpolitik Es gibt recht klare Vorstellungen davon, was kommunale Kulturpolitik sein soll und welche Aufgaben sie zu bewältigen hat. Davon zeugen die konzeptionellen Ansätze und Leitziele für eine Kulturpolitik, die für alle5, ein Bürgerrecht6, eine neue 7 sowie eine aktivierende8 sein soll. Die Dimensionen dieser zum Teil als Plädoyers9 vorgebrachten Ansprüche an eine zu erreichende kulturelle Wirklichkeit von Gesellschaft können sich in der Forderung, dass Kultur nicht exklusiv, sondern inklusiv zu sein hat, zusammenfassen lassen. Nüchterner klingt der Anspruch: „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik“10. Als Postulat hat diese Aussage bis heute in Kulturbetrieb und Kulturszene Gültigkeit. Als umfänglicher Anspruch wird dies an die kulturadministrative, kulturmanageriale und kulturpolitische Realität herangetragen. Aus diesem Anspruch heraus wurden und werden zudem vielfältige programmatische Aufgabenstellungen entwickelt, derer sich die Akteure auf allen föderalen Ebenen annehmen sollen. Der kommunalen Kulturpolitik kommen dazu nicht gerade wenige Aufgabenbereiche zu. Dies reicht von der Schaffung von Rahmenbedingungen auf Basis des Grundgesetzartikels 2811, über Kulturarbeit als „Motor der Stadtentwicklung“12 und das Zurechtrücken der Haltung, dass Kultur als Aufgabe nicht als freiwillige Leistung, sondern als quasi-gesetzliche Verpflichtung anzusehen ist13. Bei letzterem Punkt wird das Drängen deutlich, auf das die Begriffsbildung vom „Kulturstaat“14 abzielt: dem Staatsziel Kultur. Der Rang eines grundgesetzlich festgeschriebenen, zur Verpflichtung anhaltenden Ziels Kultur, wäre die Krönung der kulturpolitischen Lobby in ihren Bemühungen, den eigenen Stellenwert als Policy festzuschreiben. Doch was folgte daraus? Zunächst nur eine Selbstbestätigung. Denn eine Formulierungsempfehlung im Schlussbericht der Enquete-Kommission Kul-

5 | Vgl. Hoffmann, Hilmar: Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt am Main 1979. 6 | Vgl. Glaser, Hermann/Stahl, Karl Heinz: Bürgerrecht Kultur, Frankfurt am Main 1983. 7 | Vgl. Röbke, Thomas (Hrsg.): Zwanzig Jahre Neue Kulturpolitik. Erklärungen und Dokumente 1972-1992, Hagen 1993. 8 | Vgl. Scheytt 2008. 9 | Vgl. z. B. Schwencke, Olaf et. 1974. 10 | Scheytt 2008, S. 16. 11 | Vgl. Scheytt 2008, S. 120f. 12 | Scheytt 2008, S. 121. 13 | Vgl. Scheytt 2008, S. 122f. 14 | Vgl. Scheytt 2008, S. 93ff.

211

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Kommunale Kulturpolitik

tur in Deutschland, „Der Staat schützt und fördert Kultur.“15, hilft nicht dabei, den Kulturbegriff so zu definieren, als dass die kulturpolitischen Akteure im föderalen Zuständigkeitsbereich der Länder und Kommunen daraus einen konkreten Gestaltungsauftrag ableiten könnten. Vor der Herausforderung, einen Kulturbegriff für sich zu definieren, stehen die kulturpolitischen Akteure jedoch, um die Ziele und Aufgaben von Kulturpolitik über das Administrative hinaus festlegen zu können. Die Untersuchungen zur kommunalen Kulturpolitik im Fallbeispiel Norderstedts zeigen auf einen Fehl-Umstand hin: Zwar findet Kulturpolitik statt, doch erfolgt diese in Abhängigkeit von Kulturverwaltungshandeln. Die festgestellte Passivität der Kulturpolitiker manifestiert sich in der Funktion des Kulturausschusses als einer Art kulturpolitischem Aufsichtsrat. Kulturpolitische Aktivität und damit der nicht festgeschriebene Gestaltungsauftrag fällt der Kulturverwaltung zu. Doch die Kulturadministration selbst versteht sich nicht als originärer Gestalter von Kulturpolitik, sondern als Implementierungseinheit für die Betreuung von Kultureinrichtungen und der Förderung von Kulturschaffenden. Hierbei soll nicht unterschlagen werden, dass die kulturadministrativen Akteure durchaus ihre eigenen Formen von Politikformulierungen und Agenda Setting betreiben, indem sie mit ihren Informations- und Kommunikationsweisen ihren Wissensvorteil gegenüber anderen Akteuren steuernd einsetzen. Überarbeitungen von Kulturförderrichtlinien, Anpassungen von Entgeltordnungen oder Konzeptionen für den Betrieb von Kultureinrichtungen sind dabei jedoch nicht mehr als Novellierungen bestehender Bedingungen. Initiatives Vorgehen in diesen originären Arbeitsbereichen von Kulturverwaltung zielt nur auf die Fortschreibung dessen ab, was zudem ein reaktiver Ausdruck in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklung ist. Dies ist bestenfalls eine Form aktivierender Kulturadministration im weiteren Sinne nach Oliver Scheytt. Die Kulturpolitiker lassen sich hiervon jedoch offensichtlich nicht zu einer gestaltenden, ergo aktiven Kulturpolitik animieren. Hieraus soll kein Vorwurf gebildet werden. Denn zum einen stehen Kommunalpolitiker als Ehrenämtler dem kulturpolitischen Tagesgeschäft nur eingeschränkt zur Verfügung. Zum anderen setzt eine aktive Kulturpolitik eine strategische Kulturadministration voraus, die über ihren innersten Antrieb hinauskommt, im Auftrage zu verwalten. Doch auch dafür benötigte es das Bewusstsein, dass für kulturadministrative Aufgabenzuschreibungen, die über das klassische Verständnis von Verwaltungshandeln hinausgehen, personelle Ressourcen zur Verfügung stehen müssten. Bei dieser Problemstellung nutzt es gleichfalls nichts, sich hinter die Ressourcenfrage zurückzunehmen. 15 | Deutscher Bundestag: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Drucksache 16/7000, Berlin 11.12.2007, http://dip21.bundestag.de/ dip21/btd/16/070/1607000.pdf, S. 69.

Schlussbetrachtungen

Schließlich haben die Ausführungen über die informelle Kommunikation in den kulturpolitischen Politics gezeigt, dass sehr wohl Dialoge in der Policy Kultur geführt werden, in denen auch über Grundsätzliches gesprochen wird, wenngleich diese sich auch um Bestehendes in der Kulturarbeit drehen. Kurzum: Kommunale Kulturpolitik sitzt in der kommunikativen Falle zwischen fragenden Kulturpolitikern und antwortender Kulturverwaltung, da sie sich selbst nicht als kulturpolitische, sondern als kulturverwaltende Akteure sehen. Ein aktiver Dialog ist das nicht. Will kommunale Kulturpolitik über die administrativen Aufgabenbereiche hinaus tatsächlich gesellschaftspolitisch wirken, muss sie sich als Gesellschaftspolitik verstehen, „deren Werte darin bestehen, dass sieeine wichtige Auseinandersetzung der Gesellschaft über ihre Normen entweder erinnern oder weiterhin führen [sic!]“16. Konkretisiert heißt das, sich übergeordneten Fragen von Kultur und Gesellschaft zu stellen. Die Grundsatzfragen stellen sich dabei aus gesellschaftlichen Prozessen und Ausdrucksformen mitunter von selbst: Wie geht eine Gesellschaft bzw. eine Gemeinde mit Migration, Demografie und digitalem Wandel um? Welche Konsequenzen haben Transformationen in diesen Bereichen für welche Teile der Gemeinde? Konkreter noch wird es bei den Kernbereichen der Kulturadministration. Welche gesellschaftlichen Gruppen gestalten das Gemeindeleben mit welchen Beiträgen? Dies betrifft nicht nur die kollektiven Akteure wie die anerkannten Kulturträger in Norderstedt, die bereits im Fokus von Kulturpolitik und -verwaltung stehen, sondern auch Gruppen oder Einzelakteure, die sich von den Akteuren des kulturpolitischen Kernnetzwerks nicht angesprochen fühlen. Es gilt aber gerade mit diesen aktiv in einen Dialog zu treten, sie in Netzwerkstrukturen einzubinden. Der Erwartung, selbst angesprochen zu werden, wird nicht entsprochen; allenfalls bestünden Dialogstrukturen zu dritten Akteuren abseits von Fördermittelbittstellern. Der von der Kultur- und Sozialdezernentin selbst formulierte Wunsch nach mehr Gestaltung durch die Kulturpolitiker erfordert, diesen auch zu kommunizieren. Die Vielzahl an Kulturentwicklungsplanungen, die von vielen Kommunen und einigen Ländern angestrengt und durchgeführt werden, zeigen überdies, dass im Dialog gestaltete Kulturpolitik sehr wohl möglich ist – auch unter bestehender Ressourcenknappheit. Entsprechende Vorhaben sind selbstredend nicht ohne Fallstricke. Es erfordert einerseits eine strategische, moderierend führende Instanz, die eine Kulturpolitik des Dialogs initiiert und gleichzeitig eine Zielvorstellung dazu hat. Und anderseits eine Basis, auf der ein Dialog, der auf divergierenden Positionen annehmender Augenhöhe steht, geführt werden kann. Zu einer solchen Basis ist zudem das Wissen um die eigene Ausgangslage nötig – wenn diese nicht gar erst herzustellen ist: Die Akteure und 16 | Baecker, Dirk: Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik?, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft: Jahrbuch für Kulturpolitik 2013, Essen 2013, S. 32.

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Kommunale Kulturpolitik

das Netzwerk des kulturpolitischen Systems, für das und mit dem der Dialog vorgesehen ist, richtig zu kennen. Damit sind nicht nur etablierte Kontakte und Erfahrungen gemeint, sondern belastbare Fakten über die eigene Policy. Diese Feststellung zielt auf den Bereich von Evaluation ab. Dieser End- und/ oder Wiedereintrittspunkt in politische Kreislaufprozesse wird, wie im vorliegenden Untersuchungsfall so auch in vielen anderen Kommunen und Ländern, gern als nicht leistbare Aufgabe hinten angestellt. Dabei ist eine einmal aufgestellte und kontinuierlich gepflegte Kulturstatistik für belastbare Einschätzungen kulturbezogener Gegenstandsbereiche unabdingbar.

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis A bbildungen 2.1: Schnittmengentableau des Kultur- und Politikverständnisses kulturpolitischer Akteure 2.2: Kooperativer Kulturföderalismus in Deutschland 2.3: Geographische Lage Norderstedts 2.4: Sitzverteilungen in der Stadtvertretung, Wahlperiode IX, 2003-2008 2.5: Sitzverteilungen in der Stadtvertretung, Wahlperiode X, 2008-2013 3.1: Arten kollektiver Akteure 3.2: Ei-Schema der Akteurtypen 3.3: Verteilung der Kulturausgaben nach föderalen Ebenen 2013 nach Körperschaftsgruppen in Mill. Euro 4.1: Idealtypischer Policy-Cycle zu Kulturpolitik und -management 4.2: Altersstruktur der Mitglieder der anerkannten Kulturträger 4.3: Anzahl der Kooperationsbeziehungen zu anderen Kulturträgern bei Vereinsarbeit (grau) und Veranstaltungen (schwarz) nach Sparten 4.4: Vertrauensverhältnisse der Kulturträger zu anderen Akteuren 4.5: Urheberschaft der eingebrachten Vorlagen in der Wahlperiode X 4.6: Urheberschaft der eingebrachten Vorlagen in der Wahlperiode IX 4.7.1-2: Sitzverteilungen Stadtvertretung 2009 4.7.3-4: Sitzverteilungen Stadtvertretung 2010 und 2013 4.8.1-2: Anfragen nach Partei-/Fraktionszugehörigkeiten 4.9: Entwicklung der Berichte und Anfragen in den Kulturausschuss sitzungen der Wahlperioden IX und X, 2003-2013 4.10: Bereichsverteilung der Musikkurse nach Zahl der Anbieter und Kurse (2015) 5.1: Net-Map Experte A3, Kulturausschussmitglied 5.2: Net-Map Experte A6, Kulturausschussmitglied 5.3: Net-Map Experte K4, Kulturdezernentin 5.4: Net-Map Experte K3, Leitung Musikschule

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Kommunale Kulturpolitik

5.5: 5.6: 5.7: 5.8 5.9 5.10: 5.11: 5.12: 5.13: 5.14: 5.15:

Net-Map Experte A2, Kulturausschussmitglied Net-Map Experte K1, Leitung Kulturbüro Net-Map Experte A5, Kulturausschussmitglied Net-Map Experte A4, Kulturausschussmitglied Net-Map Experte K2, Vertreter Kulturverein Netzwerk-Schaubild mit allen 45 genannten Akteuren Reduziertes Netzwerk-Schaubild mit 27 Akteuren durch aggregierende Reduktion Verteilung der Intensitätsgrade in den Akteurbeziehungen im reduzierten Netzwerk (27 Akteure), nach 9er-Skala und gruppiert Reduziertes Netzwerk-Schaubild der Kerngruppe mit allen Kanten Reduziertes Netzwerk-Schaubild der Kerngruppe mit den Kanten der Werte 4 bis 9 Häufigkeiten und Verhältnisse der Einflusswerte nach Akteurtypen

Tabellen 2.1: Bühls Mehrebenen-Einteilung der Kultur 2.2: Kultur- und Politikbegriff-Matrix nach Klein 2.3: Kulturpolitik zwischen Politik und Kultur 2.4: Kommunalisierungsgrade öff. Kulturausgaben der Flächenländer 3.1: Gesamtmuster der Eigenschaften aggregierter, kollektiver und korporativer Akteure 4.1: Befragten Expertinnen und Experten des kulturpolitischen Netzwerks 4.2: Aufgabenstellungen für Kulturpolitik 4.3: Bedeutungszuschreibungen von Kulturpolitik nach Stellenwert 4.4: Kulturpolitische Themenstellungen der befragten Experten 4.5: Bedeutung informeller Kommunikation aus Sicht der Experten 4.6: Prototypischer Auf bau der Tagesordnungen 4.7: Berichte & Anfragen in den Wahlperioden IX und X 4.8: Kulturhaushalts-Ergebnisse der Stadt Norderstedt 2004-2012 4.9: Schüler und Lehrkräfte an Norderstedter Musikschulen 4.10: Vergleich der Entgelte für Instrumentalunterricht an Musikschulen 4.11: Bereichsverteilung der Unterrichtsangebote der Musikschulen 4.12: Angebotsbeeinflussung privater durch die staatliche Musikschule in Norderstedt 5.1: Akteure, Akteurtypen, Aggregationen des kulturpolitischen Netzwerks 5.2: Beziehungswerte und -intensitäten der Akteure des Netzwerks 5.3: Standardisierte degree-Werte im Netzwerk nach Zentralität187

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

5.4: 5.5: 5.6: 5.7:

Globale Einflusswerte der Akteure auf das kulturpolitische Netzwerk nach Anzahl der Nennungen Einflusswerte der Akteurtypen Anteil der Akteurtypen an den gruppierten Einflussgrößen Akteurtypen nach gruppierten Einfluss-Kategorien

227

Anhang A1

Kulturförderrichtlinien der Stadt Norderstedt 2012

A2

Online-Fragebogen zur Befragung der anerkannten Kulturträger

A3

Auszüge aus den Niederschriften zu Spartengesprächen

A4

Fragenkatalog zur Befragung der privaten Musikschulen in Norderstedt

230

Kommunale Kulturpolitik

A1

Kulturförderrichtlinien der Stadt Norderstedt 2012

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Anhang

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232

Kommunale Kulturpolitik

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Kommunale Kulturpolitik

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Anhang

A2

Online-Fragebogen zur Befragung der anerkannten Kulturträger

1. Für welchen Kulturverein beantworten Sie diesen Online-Fragebogen? Bitte wählen Sie den Namen Ihres Kulturvereins in der Drop-Down-Liste aus: Drop-Down-Liste der als Kulturträger anerkannte Kulturvereine 2. Wann wurde Ihr Kulturverein gegründet? Bitte geben Sie das Jahr der Vereinsgründung ein (z. B.: 1995) Freifeldeingabe des Kalenderjahres 3. Und wann wurde Ihr Kulturverein als Kulturträger Norderstedts anerkannt? Bitte geben Sie das Jahr der Anerkennung als Kulturträger ein (z. B.: 2005). Freifeldeingabe des Kalenderjahres 4. Wie viele Mitglieder hat Ihr Kulturverein zur Zeit? Unser Kulturverein hat insgesamt ___ Mitglieder. davon ___ Mitglieder bis 14 Jahre davon ___ Mitglieder zwischen 15 und 25 Jahren davon ___ Mitglieder zwischen 26 und 49 Jahren davon ___ Mitglieder ab 50 Jahre 5. Wie viele verschiedene Gruppen hat Ihr Kulturverein zur Zeit? Wenn es in Ihrem Kulturverein keine verschiedenen Gruppen gibt, tragen Sie bitte eine 1 ein. Unser Kulturverein besteht aus ___ Gruppe/n. 6. Ist Ihr Kulturverein Mitglied in einem oder mehreren Kultur- und/oder Interessenverbänden? Bitte nennen Sie alle Verbände, in denen Ihr Kulturverein Mitglied ist, wie z. B. dem Landesverband Freies Theater Schleswig-Holstein oder dem Musikerverband Schleswig-Holstein. ○ Ja, wir sind Mitglied in/im/bei: Freifeldeingabe Verbandsname ○ Nein, wir haben keine Mitgliedschaften in einem Verband. 7. Wie viele öffentliche Einzel-Veranstaltungen führt Ihr Kulturverein alleine ohne Kooperationen pro Jahr durch? Mit Einzel-Veranstaltungen sind Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen gemeint, die an einem Tag stattfinden. Außerdem sind auch mehrtägige Veranstaltungen wie Ausstellungen oder Festivals als EinzelVeranstaltungen darunter zu verstehen. ___ Veranstaltung/en mit Eintritt pro Jahr. ___ Veranstaltung/en bei freiem Eintritt pro Jahr. 8. Und wie viele öffentliche Einzel-Veranstaltungen führen Sie in Kooperationen mit anderen Kulturträgern pro Jahr durch? Mit Einzel-Veranstaltungen sind Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen gemeint, die an einem Tag stattfinden. Außerdem sind auch

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Kommunale Kulturpolitik

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mehrtätige Veranstaltungen wie Ausstellungen oder Festivals als EinzelVeranstaltungen darunter zu verstehen. ___ Kooperations-Veranstaltung/en mit Eintritt pro Jahr. ___ Kooperations-Veranstaltung/en bei freiem Eintritt pro Jahr. Kulturvereine haben es oft mit vielfältigen Herausforderungen zu tun. Wie groß sind die Herausforderungen oder Probleme für Ihren Verein in den folgenden Bereichen? Einstufige Skala von „unbedeutend“ (Wert = 0) bis „sehr groß“ (Wert = 5) und „trifft auf uns nicht zu“ zu den Bereichen: Mitgliederzahl/Nachwuchs; Terminplanung; Digitalisierung (VereinsHomepage, Social Media); Finanzierung der allgemeinen Vereinsarbeit; Finanzierung von Veranstaltungen; Räume für Proben/Vereinstreffen; Räume für Veranstaltungen (Theateraufführung, Konzert, etc.); Werbung/Marketing für Veranstaltungen; Besuchergewinnung; Konkurrenz zu anderen Kulturvereinen/-Veranstaltern; Rechtsfragen (Vereinsrecht, GEMA, Künstlersozialkasse, Urheberrecht, Versicherungen, etc.) Für jeden Kulturverein können die oben genannten Bereiche ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Hier haben Sie die Möglichkeit, weitere Angaben zu den obigen Bereichen oder zu anderen Problemen und Herausforderungen zu machen: Freifeldeingabe Mit welchen Akteuren, Einrichtungen oder Gruppen suchen Sie als Kulturverein den Kontakt oder arbeiten mit diesen zusammen? Bitte geben Sie an, bei welchen der vier genannten Gelegenheiten (Spalten) dies der Fall ist. Mehrfachauswahl-Matrix mit vier Antwortoptionen: bei der Planung von Veranstaltungen; bei allgemeiner Vereinsarbeit; bei der Besprechung von Problemen; auf öffentlichen Veranstaltungen zu 18 Akteure bzw Akteurgruppen in der Matrixauswahl: Kulturbüro; Musikschule der Stadt Norderstedt; andere, private Musikschulen; Stadbücherei; Volkshochschule; Stadtmuseum/ Feuerwehrmuseum; Mehrzwecksäle Norderst. (TriBühne); Stadtpark; Kulturausschuss; einzelne Kulturpolitiker; Parteien/Fraktionen; anerkannte Kulturträger andere Kulturvereine; Einzelkünstler; Medien; Schulen/ Kindertagesstätten; Religionsgemeinschaften (z. B. Kirchengemeinden); mit keinem der genannten Akteure Mit welchen anderen Kulturträgern kooperiert Ihr Kulturverein oder tauscht sich regelmäßig aus? Bitte wählen Sie alle Kulturträger aus, mit denen Sie gemeinsame Aktivitäten (z. B. Veranstaltungen) verfolgen oder sich organisatorisch

Anhang

austauschen (z. B. bei der Terminplanung). Je zwei Antwortoptionen (Kooperation und Koordination) zu: Chaverim – Freundschaft mit Israel; Chorgemeinschaft Alster-Nord; ChorusMind – Norderstedter Pop- und Gospelchor; Christus-Kantorei der Ev.-Luth. Emmaus-Kirchengemeinde; Eine Welt für Alle; Förderverein Feuerwehrmuseum „Hof Lüdemann“; Fotoclub Norderstedt; Frauenchor Norderstedt; Friendship Force Norderstedt; Heimatbund Norderstedt; Interessengemeinschaft für Paläontologie und Geologie Norderstedt; Interkultureller Garten für Norderstedt; Johannes-Kantorei der Ev.-Luth. Johannes-Kirchengemeinde; Kroatische Kulturgesellschaft Norderstedt; Kunstkreis Norderstedt; KunstWerkstattNatur; Malimu Kulturverein; Music-Werkstatt; Musikverein Norderstedt; Neues Theater Norderstedt; Norderstedter Amateur-Theater; NOWI (Norderstedter Ost-WestIntegration); Parforcehorn Corps Norderstedt; Phoenix Performance Ensemble; Schl.-H. Universitätsgesellschaft Kiel, Sektion Norderstedt; Soziales Zentrum Norderstedt; Spielmannszug des TuRa Harksheide; Stichling Norderstedt; Tanks Theater Norderstedt; Theater Life – jung & creativ in Norderstedt; Theater PUR – Junges Theater Norderstedt; Türkisch-Deutscher Freundschafts- u. Kulturverein Norderstedt u. Umgebung; mit keinem der Kulturträger 13. Nun geht es in zwei Fragen um die Qualität der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren für sie als Kulturverein: Wie bewerten Sie allgemein die Kommunikation mit den unten aufgeführten Akteuren? Einstufige Skala von „hervorragend“ (Wert = 6) bis „unmöglich“ (Wert = 1) und „keine Kommunikation“ (Wert =0) zu den Akteuren: Kulturbüro; Musikschule der Stadt Norderstedt; Stadtbücherei; Volkshochschule; Kulturausschuss/Kulturpolitiker; Mehrzwecksäle Norderstedt (TriBühne); Medien 14. Und wie bewerten Sie allgemein das Vertrauensverhältnis zu den unten aufgeführten Akteuren? Einstufige Skala von „hervorragend“ (Wert = 6) bis „belastet“ (Wert = 1) und „keine Vertrauensverhältnis“ (Wert =0) zu den Akteuren: Kulturbüro; Musikschule der Stadt Norderstedt; Stadtbücherei; Volkshochschule; Kulturausschuss/Kulturpolitiker; Mehrzwecksäle Norderstedt (TriBühne); Medien 15. Nun geht es um Ihre Sicht der auf die Kulturszene in Norderstedt. Wie schätzen Sie den Einfluss der unten genannten Akteure in der Kulturpolitik und Kulturszene in Norderstedt ein? Einstufige Skala von „sehr geringer Einfluss“ (Wert = 1) bis „sehr großer Einfluss“ (Wert = 10) und „gar kein Einfluss“ (Wert =0) zu den Akteuren: Kulturbüro; Musikschule der Stadt Norderstedt; Bildungswerke

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Kommunale Kulturpolitik

Norderstedt (Stadtbücherei/VHS); Mehrzwecksäle Norderstedt (TriBühne); Oberbürgermeister; Kulturdezernentin; Kulturausschuss/Kulturpolitiker; CDU; SPD; Bündnis 90/DIE GRÜNEN; WiN (Wir in Norderstedt); DIE LINKE; FDP; Besucher, Publikum; Medien 16. In der Broschüre „Kreative Hits für Kids“ werden zweimal pro Jahr die aktuellen Angebote kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche aus den Bereichen, Tanz, Musik, Theater, etc. in Norderstedt vorgestellt. Kennen Sie die Broschüre bzw. nutzen Sie diese, um Ihre Angebote darin zur veröffentlichen? ○ Ja, wir nutzen die Broschüre zur Veröffentlichung unserer Angebote. ○ Ja, wir kennen die Broschüre, nutzen sie jedoch nicht, weil: Freifeldeingabe. ○ Nein, die Broschüre ist uns nicht bekannt. ○ Wir nutzen die Broschüre nicht, da wir keine Angebote für Kinder und Jugendliche bereit halten. 17. Sie haben angegeben, dass Sie die Broschüre „Kreative Hits für Kids“ zur Veröffentlichung Ihrer Angebote nutzen oder sie zumindest kennen. Wie bewerten Sie den Nutzen der Broschüre? Bitte geben Sie an, wie stark Sie den Aussagen zwischen „stimme voll zu“ und „stimme gar nicht zu“ zustimmen. Dazu setzen Sie einfach mit der Maus den orangenen Schieberegler auf dem abgerundeten Streifen/ Balken einfach an die entsprechende Stelle. Schieberegler zur Auswahl auf einstufiger Skala von „stimme gar nicht zu“ bis stimme voll zu“ zu vorgegebenen den Aussagen: Die Broschüre ist für unsere Nachwuchsarbeit sehr hilfreich. Weil es die Broschüre gibt, müssen wir keine eigene Werbung drucken und verteilen. Meistens sind es die Eltern, die wegen der Broschüre mit ihren Kindern zu uns kommen. Jugendliche erreichen wir viel besser über digitale Medien (Homepage, Facebook, etc.). Die Gestaltung der Broschüre spricht Kinder und Jugendliche nicht an. Die Broschüre wird an zu wenigen Stellen in Norderstedt ausgeteilt. 18. Zum Abschluss noch eine ganz allgemeine Frage: Mit welchen Worten würden Sie persönlich den Begriff Kultur definieren oder beschreiben? Bitte nennen Sie bis zu 15 Stichworte, die Ihnen spontan zum Begriff Kultur einfallen. Die Reihenfolge Ihrer Nennung(en) spielt dabei keine Rolle. 15 Zeilen mit Freitextfeldern für Stichworte

Anhang

A3

Auszüge aus den Niederschriften zu Spartengesprächen

KS-IX-13 11-11-2004 TOP 9.5: Spartengespräche „Frau Richter berichtet, dass die Verwaltung mit Vereinen und Verbänden sowie Vertretern der Schulen Spartengespräche in den Bereichen darstellende Kunst, bildende Kunst, Musik und Länderprojekte zur Zeit durchführt. Ziel dieser Gespräche ist ein Kennenlernen der Vereine untereinander, eine Möglichkeit der Abstimmung von Schwerpunkten sowie eine bessere Kooperation/ Koordinierung der kulturellen Arbeit. Den Kulturschaffenden soll durch das FORUM Fortbildungsmöglichkeiten bspw. in den Bereichen Gema/Künstlersozialversicherung/Vertragsrecht/ technische Ausstattung Festsaal am Falkenberg und TriBühne... angeboten werden. Ein Anfang macht ein Workshop zum Thema Pressearbeit, dass Pastor Urbach in Abstimmung mit dem FORUM Ende Januar 2005durchführen wird.“ KS-IX-33 14-12-2006 TOP 9.6: Spartengespräche „Frau Richter berichtet, dass vom 20.11 .06 – 18.01 .07 die Spartengespräche mit den Norderstedter Kulturschaffenden (Vereine, Initiativen, kommerzielle Veranstalter) stattfinden. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen der Informationsaustausch und die Kulturplanung für 2007 (und 2008).“ KAW-X-06 22-01-2009 TOP 6.3: Spartengespräche „Frau Richter berichtet, dass im Zeitraum 15.01.- 12.02.09 die Spartengespräche in den Bereichen Musik, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Länderkulturen sowie Sonstige mit den Norderstedter Kulturschaffenden stattfinden.“ KA-X-20 27-01-2011 TOP 8.1: Spartengespräche „Frau Richter berichtet, dass das Kulturbüro in der Zeit vom 19.01. bis zum 09.03.11 Spartengespräche mit Norderstedts Kulturschaffenden durchführt. Eingeladen wurde für die Sparten Musik, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Länderkulturen und Sonstige. Im Mittelpunkt der Gespräche sollen die Situation der Vereine I Gruppen, Arbeitsschwerpunkte 2011 I 2012, mögliche Kooperationen/ gemeinsame Projekte und die Kulturentwicklungsplanung stehen.“

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Kommunale Kulturpolitik

KA-X-34 24-01-2013 TOP 6.1: Spartengespräche „Frau Richter berichtet, dass im Zeitraum 31.01. bis 06.03.13 vom Kulturbüro zu Spartengesprächen in den Sparten Musik, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Länderkulturen und Sonstige eingeladen wird.“ KA-X-35 2 5-04-2013 TOP 9.5: Spartengespräche „Im Zeitraum 31.01. bis 06.03.13 haben die alle zwei Jahre stattfindenden Gesprächsrunden mit Norderstedter Kulturschaffenden und -anbietern in den Bereichen Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Musik, Länderkulturen und Sonstige stattgefunden. Das Resümee generell ist positiv. Probleme werden zum Teil in der Probenraumsituation und der terminlichen Verfügbarkeit des Kulturwerks am See gesehen.“

Anhang

A4

Fragenkatalog zur Befragung der privaten Musikschulen in Norderstedt

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